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Sr.CuBtar Sresel
iL^lb^Bj
Dr.GuBtaT Dresel
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C^y/i»»^ ^:^<iiä'(^^
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LEHRBUCH
DEK
ANATOMIE DES MENSCHEN
MIT EtlCKSICHT
AUF
PHYSIOLOGISCHE BEGRÜNDUNG UND
PRAKTISCHE ANWENDUNG.
VON
JOSEPH HYBTL
k. k. Hofratb, Uoetor der Mcdicin und Chirurgie, emcr. Prufesiior der descriptiren, topoffrapliisehen und rerglei-
clMSden Anatomie an der Wiener Uniremitllt, Comtbur de« kaiiierl. Ootiterreichiachen Ordens dw elaornea
Krone, de« kSniKl. ProusHiwliun Kronen -Ordens, de^ kr»nig'l. KaieriNchen Verdienstordens ron heil. Michael and
des kaistsrl. llezicanisrhen (juadalupe-Ordons, Gross-CMnciur des kais. Otiouiani sehen Mc^JidU^Ordens, UlUer des
Üviturruichischen Leopold- und Frana Joseph-Ordenii, des Ordens der frana. Khrenlei^ion, Officier de« kOnlgl.
irriorhiaehea Ordens dos ErlOsurs, Besitaer der goldenen VerdienstuiedalUc der Boale Assoriaaione del bone inerltl
Italiani, Khrendoctor der Leipsif(nr UnivcrsilNt, Khrenmit;7licd des freien Deotschun Iloohstifles fllr Wissenschafi
und Kunst au Frankfurt am Main, der kSnigl. unf^arischcn Akademie der Wissonscballen in Test, der kOnlgl.
Akademie der Wlssenscliaften und Künste au Palermo, der llnirersltllten Moskau und Kiew, und dmr kais.
Knsaiwhen natorforsehendon CiescUschaft au Moskau, der Sorietj of Natural Uistory au Boston, der California
State MedIraJ Societjr In Sacraraento, der med. Chirurg. Akademie in Ht. Petersburg, de« Vereine« deutwhcr
Aerate und Naturforscher in Paris, der Gonellsrhafl fllr Natur- und Heilkunde in Dresden, der kOnigl. ungarischen
naturwissenschaftlichen OcselUchaft in Punt, der Gesellschaft der Aerate in Krain, und des Mnsealt'oreinoa au
I.aibach, der bShmisdien Gusellschaft der Aerate, und der Akademie der bildenden Kdnste in Prag, der
Iratlichen Gesellschaft der Bukowina in Cacrnowitx , ordontlichum Mitglied der kaiserl. Akademie der
Wissenschaften in Wien, und der kUnlgl. Akademie der Wissanaehaften au München, der Academla Caesarea
Leopolde-Carolina caturae curiosorum, der kSnigl. b8limi*ehen Gesollschaft der Wissenschaften in Prag, und
das k. k. aoologisch -botanischen Vereins in Wien, aiiswKrtigem Mitglied der Bodetas nie<lica Fenniea au
HeNingfors, der American Fhilosophiral StMUety au Philadelphia, und der Medlcal Iloyal Society au Kdinbnrg,
correspondlrendem Mitglied der Aead<imie Imperiale de M4ducine, der Bociift^ «natomiqno und der Sodiii da
Biologie an Paris, der 9oci4t4 Imperiale dc^ scienccs naturelles de Cherbourg, der Academla srieniiamm
Institutl Bononlensis. der kOnigl. Akademie der Witsvnncbaften au Berlin, der kaiserl. Akademie au Si. Fatan-
borg, der kBnlgl. GesslUrhaft der Wissenschaften au Gffttingen. der Anthropological Society an London, der
Natural Hlstory Society au Dublin, der k^nigl. medicinisohoo Gesellschaft an Athen, der Academy of Hataral
Sciences su Philadelphia, der Kllint Soricty of Natural Hlstory an Charleston, South-Carolina, der Qes«ll*
Schaft der Wissenschaften tiir NiedorlÜndiacli-IncUcn an Bataria, der kaiserl. kOnigl. geologischen Relchsanstali
in Wien, des Ateneo au Venedig, de» Istituto l^mbardo per lu «cience, lottere, ed arti an Mailand, sowie
der gelehrten roodiciniiichvn und naturwi««ensciiafllich(;n Gesvllschaflon au Amsterdam, Bonn. Breslau. Brunn,
Brüssel. Krlaagrn, Freiborg, Halle, l^eipalj;, lAimberg, Pust und Stockholm, — Khrenbürgor Wion's und MOdling's,
der kSnigl. Ungarischen Freistadt Kis-.Marton, und di-s lande«filrstl. Marktes Purchtoldtdorf in Niv^ler-Oesterreieh.
VIERZEHNTE,
UMGKAUBEITETE UND REICH VKKHRHRTB AUFLAGE.
WIEN, 1878.
W I L H E L JI B R A U M Ü L L E R
K. K. HOF- L'ND UNIVEKSITÄTSBUCUHÄNDLKK.
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:
VOEWOKT ZUR VIERZEHNTEN AUFLAGE.
JJie Aufforderung, eine neue Auflage meines Lehrbuches der
Anatomie zu veranstalten, erging vom Verleger an mich, kurz
nachdem ich meine Stellung als Professor der Anatomie nieder-
gelegt hatte. Diese Aufforderung kam nicht unerwartet, da bei der
Beliebtheit des Buches, die Lebensdauer seiner einzelnen Auflagen,
nicht über dritthalb Jahre reichte, und die dreizehnte derselben,
gegen Ende 1875 ausgegeben wurde.
Ich habe mich auf die Herausgabe der vorliegenden vier-
zehnten Auflage, mehr als auf jene der vorhergegangenen vorbereiten
können, da es mir, in der Zurückgezogenheit meines gegenwärtigen
Aufenthaltes, eine Lebensregel geworden : feriandi torporem diligentia
evitare (Oic.j. So erscheint sie denn auch, unter Beibehaltung der
alten Eintheilung, reich vormehrt, und in jenen Capiteln sorg-
faltig umgearbeitet, deren Verständniss , ohne Beihilfe von Tafeln
oder Holzschnitten, dem Anf&nger so leicht als möglich zu machen
ich bestrebt war. Die neuesten Früchte, welche der fast er-
schöpfte Boden der Anatomie getragen hat, wurden, soweit sie
genussbar sind, dem Texte einverleibt. Dass ich mich zugleich
mit Vorliebe in die Erklärung der anatomischen Kunstausdrücke
eingelassen habe, werden mir Jene Dank wissen, welche es zugeben,
dass, wer die anatomische Sprache zu sprechen lernt, ihre Worte
auch verstehen, und sie richtig schreiben und aussprechen soll. Ich
glaube, durch die zahlreichen etymologischen und geschichtlichen
Notizen, welche manches Unerwartete bringen, etwas Gutes gestiftet
zu haben, denn sie sind ebenso belehrend als anziehend. Was sonst
noch zur Empfehlung dieser umgearbeiteten Auflage zu sagen wl
H .'
IV Yorrede mr ersten Anflage.
möge dieselbe dem Leser selbst sagen. Ich habe nur noch' zu
bemerken^ dass der Preis des Buches, durch zweiunddreissig Jahre
seiner Existenz, derselbe geblieben ist, obwohl das Volumen der
vierzehnten Auflage jenes der ersten um das Doppelte übertrifft.
Wenn es mir Befriedigung gewährt, das brauchbarste anato-
mische Lehrbuch geschrieben zu haben, werden auch die Studenten
nicht ungehalten sein, dass es zugleich das billigste ist.
Perchtoldsdorf bei Wien, im März, 1878.
Jos. Hyrtl.
VOEKEDE ZUE BESTEN AUFLAGE.
Ich habe mich zur Herausgabc dieses anatomischen Lehr-
buches entschlossen, um meinen Schülern einen Leitfaden an die
Hand zu geben, welcher in gedrängter Kürze den gegenwärtigen
Standpunkt der Anatomie schildert, sie mit dem Geiste der Wissen-
schaft und ihren Tendenzen bekannt macht, und ihnen zugleich
eine kleine Andeutung über die grossen Anwendungen giebt, deren
die Anatomie im Gebiete der Praxis föhig ist. Anatomische Com-
pendien von dem bescheidenen Umfange des vorliegenden, fördern
in der Regel die Wissenschaft nicht, und haben keinen andern
Zweck, als Jene, welche sich mit dem Fache näher befreunden
wollen, füi- das Studium umfassenderer Werke vorzubereiten, an
welchen die anatomische Literatur so reich ist. Ich fand mich um
so mehr veranlasst, diese Arbeit zu unternehmen, als ich während
meiner Wirksamkeit als Lehrer der Anatomie die Beobachtung
machte, dass sich die Studirenden häutig solcher Handbücher be-
dienen, bei deren Auswahl nicht immer auf ihren Gehalt Rücksicht
genommen wird.
Bei der vorzugsweise praktischen Richtung, welche der medi-
cinische Unterricht in den österreichischen Staaten einschlägt, habe
ich fUr nützlich erachtet, die trockenen Details der anatomischen
Beschreibungen mit Andeutungen über physiologische Verhältnisse
zu verbinden^ da nach diesen der wissbegierige Zuhörer zunächst
Vorrede mr ersten Auflage. y
verlangt, und von gewöhnlichen Schulbtichern wenig AofsehlasB
darüber erhält. Da ich ferner die Ueberzeugung habe, dasB Nie-
mand jene Anatomie, welche er im ärztlichen Leben braucht, aus
Büchern lernt, sondern nur durch praktische Uebung am Leichnam
sich eigen macht, so habe ich, wo es anging, die Schilderung der
Theile so vorgenommen, wie sie sich unter dem Messer entwickeln,
und deshalb die Muskellehre mit der topographischen Anatomie der
Regionen verbunden. Organe, um welche das praktische Bedürfniss
wenig fragt, werden so compendiös als möglich abgehandelt; dagegen
Kegionen, welche das Interesse des Praktikers mehr anregen, aus-
führlicher besprochen. Man wird deshalb den Leisten- und Schenkel-
kanal, den Situs viscerum, das Mittelfleisch, und andere Gegenden,
an welchen häuflg operirt wird, mit grösserer Umständlichkeit be-
handelt finden, als die Faserung des Gehirns oder den Bau des
Gehörorgans. Durch diese Behandlungsweise dürfte sich das Werk
vielleicht zu seinem Vortheile von anderen Schriften dieser Art
unterscheiden. Von 1 jiteraturquellen werden nur jene angegeben,
welche sich auf den Text direct beziehen, und welche ich aus
eigener Erfahrung für die weitere Ausbildung im Fache als
empfehlenswerth kennen lernte.
Es war meine Absicht, das Buch mit Tafeln auszustatten, da
ich sehr wohl einsehe, wie sehr die bildliche Anschauung den Be-
griffen zu Statten kommt, und zugleich weiss, mit welchem Bei-
falle die illustrirtcn Ausgaben englischer Handbücher auch in
Deutschland aufgenommen wurden. Die dadurch nothwendig ge-
wordene Vertheuerung des Buches bestimmte mich jedoch, diesen
Plan vor der Hand aufzugeben. Ich pflege in meinen Vorlesungen,
wo es angeht, den Bau und die räumlichen Verhältnisse der Or-
gane durch Zeichnungen von Durchsclmitten, und ihr Nebeneinander-
scin durch skizzirte Entwürfe zu versinnliclien. Werden diese vom
Zuliörer copirt, so kann er sich dadurch einen anatomischen Atlas
bilden, der ihm beim Studium des Textes wesentliche Dienste
leisten wird. — Von der Entwicklungsgeschichte habe ich nur so
viel aufgenommen , als mir erforderlich . schien , um die späteren
Zustände des schwangeren Uterus und seines Inhaltes verständlich
zu machen, dagegen die in Form und Lage der Organe auftreten-
den Varietäten, auf deren Vorkommen der Chirurg gefasst sein
BoU, oder die sich auf interessante Weise aas der vergleichenden
VI Vorrede zur ersten AnflAge.
ÄBatomie interpretiren lassen, am betreffenden Orte zusammengestellt.
Die allgemeine Anatomie wurde, nach üblichem Gebrauche, der
speciellen vorangeschickt, obgleich ich weiss, dass das Studium der
ersteren nur durch die Kenntniss der letzteren möglich wird. —
Da ich mir wohl denke, dass fiir den angehenden Arzt praktische
Bemerkungen, sofern sie ohne specielle Kenntniss der Krankheiten
verständlich sind, nicht ohne Nutzen auch in einem anatomischen
Handbuche Platz finden können, so habe ich solche, wo es thunlich
war, beigefügt; wenigstens weiss ich aus eigener Erfahrung, dass es
mir als Studenten sehr willkommen gewesen wäre, zu erfahren, warum
man Anatomie lernt. Sollte diese Abweichung von der streng ana-
tomischen Aufgabe Jemanden schädlich vorkommen, so steht es
ihm ja frei, die betreflfenden Paragraphen zu überschlagen.
Vollständigkeit und Kürze zu vereinigen, war der Zweck, den
ich erreichen wollte, — Deutlichkeit ist nicht immer das Ergebniss
vieler Worte, — und wenn die allzu compendiöse Form dieses
Buches dem kritischen Vorwurf unterliegt, so wird sie wahrschein-
lich in den Augen derer, für welche es geschrieben wurde, nicht
die tadelnswertheste Eigenschaft desselben sein.
Wien, im August, 1846.
Hyrtl.
INHALT.
§.
1.
§.
2.
§.
3.
§.
4.
§.
6.
§.
6.
§.
7.
§.
8.
§.
9.
§.
10.
§.
11.
§.
12.
§.
13.
§.
14.
§.
16.
§.
16.
Einleitung und Vorbegriffe.
Seite
Organisches und Anorganisches 8
Organisation. Organ. Organismus 7
Lebensverrichtnngen 8
Begaff der Anatomie 10
Eintheilung der menschlichen. Anatomie 1]
Topographische Anatomie 14
Vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte 16
Verh<niss der Anatomie zur Physiologie 18
Verhältniss der Anatomie zur Medicin 20
Verhältniss der Anatomie zur Chirurgie 28
Lehr- und Lemmethode 27
Terminologie der Anatomie 81
Besondere Nutzanwendungen der Anatomie 84
Geschichtliche Bemerkungen über die Entwicklung der Anatomie.
Erste Periode 36
Zweite Periode der Geschichte der Anatomie 48
Allgemeine Literatur der Anatomie 64
Erstes Buch.
Gewebslehre und allgemeine Anatomie,
§. 17. Bestandtheile des menschlichen Leibes 77
§. 18. Die thierische Zelle 80
§. 19. LebeuBeigenschaften der Zellen 82
§. 20. Metamorphose der ZeUen 86
§. 21. Bindegewebe 86
§. 22. Eigenschaften des Bindegewebes 89
§. 28. Bindegewebsmembranen 90
§. 24. Elastisches Gewebe 91
§. 26. Fett 98
§. 26. Physiologische Bedeutung des Fettes 95
§. 27. Pigment 98
§. 28. Oberhaut und Epithelien 100
§. 29. Allgemeine EigeuBchaften der Epithelien 102
§. 80. Physiologische Bemerkungen über die Epithelien 106
|. 81. Muskelgewebe. Hauptgmppen desselben 108
§. 82. Anatomische Eigenschalten der Muskeln llt
|. 88. Chemische Eigenschafken des Muskelgewebe! iift
VIII Inhalt.
Seite
Physiologische Eigenschaften des Muskelgewebes. Irritabilität . . . 114
Sensibilität, Stoffwechsel, Todtenstarre, und Tonus der Muskeln . . 117
Verhältniss der Muskeln zu ihren Sehnen 120
Benennung und Eintheilung der Muskeln 121
Allgemeine mechanische Verhältnisse der Muskeln 123
Praktische Bemerkungen über das Muskelgewebe 125
Fibröses Gewebe 128
Formen des fibrösen Gewebes 129
Praktische Bemerkungen über das fibröse Gewebe 131
Seröse Häute 132
Praktische Bemerkungen über die serösen Häute 136
Gefässsjstem. Begriff des Kreislaufes und Eintheilung des Gefäss-
sjstems 137
Arterien. Bau derselben 140
Allgemeine Verlaufs- und Verästlungsgesetze der Arterien . . . 142
Physiologische Eigenschaften der Arterien 146
Praktische Anwendungen 147
Capillargefässe. Anatomische Eigenschaften derselben 152
Phjsiologfische Eigenschaften der Capillargefässe 156
Venen. Anatomische Eigenschaften derselben 167
Verlaufs- und Verästlungsgesetze der Venen 169
Physiologische Eigenschaften der Venen 160
Praktische Anwendungen 162
Lymph- und Chjlusgefässe. Anatomische Eigenschaften derselben . 164
Verlaufsgesetze der Lymph- und Chylusgefäase 166
Bau der Lymphdrüsen 167
Physiologische und praktische Bemerkungen 169
Blut. Mikroskopisclie Untersuchung desselben 173
Gerinnung des Blutes 176
Weitere Angaben über chemisches und mikroskopisches Verbalten des
Blutes 177
Physiologische Bemerkungen über das Blut 179
Bildung und Rückbildung des Blutes 181
Lymphe und Chylus 182
Nervensystem. Eintheilung desselben 184
Mikroskopische Elemente des Nervensystems 185
Ursprung (centrales Ende) der Nerven 190
Peripherisches Ende der Nerven 191
Pacini*8che Körperchen und Wagner*s Tastkörperchen 194
Anatomische Eigenschaften der Nerven 196
Physiologische Eigenschaften des animalen Nervensystems . . . . 199
Physiologische Eigenschaften des vegetativen Nervensystems .... 204
Praktische Anwendungen 207
Knorpelsystem. Anatomische Eigenschaften 209
Physiologische Eigenschaften der Knorpel 212
Knochensystem. Allgemeine Eigenschaften der Knochen 213
Eintheilung der Knochen 216
Knochensubstanzen 218
Beinhaut und Knochenmark 219
Verbindungen der Knochen unter sich 222
Näheres ül)er Knoclienverbindungen 225
Structur der Knochen 227
Physiologische Eigenschaften der Knochen 229
Entstehung und Wachsthum der Knochen 231
Praktische Bemerkungen 236
Schleimhäute. Anatomische Eigenschaften derselben 237
Physiologische Eigenschaften der Schleimhäute 239
Drttsensystem. Anatomische Eigenschaften desselben 242
Eintheilung der Drüsen 243
Physiologische Eigenschaften der Drüsen 246
Allgemeine Bemerkungen über die Absonderungen 248
§.
34.
§.
35.
§.
36.
§.
37.
§.
38.
§.
39.
§.
40.
§.
41.
§.
42.
§.
43.
§.
44.
§.
45.
§.
46.
§.
47.
§.
48.
§.
49.
§.
50.
§.
61.
§.
62.
§.
53.
§.
64.
§.
65.
§.
66.
§.
57.
§.
58.
§.
59.
§.
60.
§.
61.
§.
62.
§.
63.
§.
64.
§.
66.
§.
66.
§.
67.
§.
68.
§.
69.
§.
70.
§.
71.
§.
72.
§.
73.
§.
74.
§.
75.
§.
76.
§.
77.
§.
78.
§.
79.
§.
80.
§.
81.
§.
82.
§.
83.
§.
84.
§.
85.
§.
86.
§.
87.
§.
88.
§.
89.
§.
90.
§.
91.
§.
92.
Inhalt. IX
Zweites Buch.
Vereinigte Knochen- und Bänderlehre.
Seit«
93. Object der Knochen- und Bänderlelire 266
A. Kopfknochen.
§. 94. Eintheiinng der Kopfknochen 267
a) Schädelknochen.
§. 95. Allg^emeine Eigenschaften der Schädelknochen 268
§. 96. Hinterhauptbein 260
§. 97. Keilbein 264
§. 98. Stirnbein 270
§. 99. Siebbein 274
§. 100. Seitenwandbeine oder Scheitelbeine 276
§. 101. Schläfebeine 278
§. 102. Verbindung^arten der Schädelknochen. Fontanellen 286
§. 103. lleberzählige Schädelknochen 289
§. 104. Schädelhöhle 291
b) Gesichtsknochen.
§. 105. Allgemeine Bemerkungen über die Gesichtsknochen 294
§. 106. Oberkieferbein 296
§. 107. Jochbein 299
§. 108. Nasenbein 300
§. 109. Gaumenbein 301
§. 110. Thränenbein 303
§. 111. Untere Nasenmuschel 303
§. 112. Pflugscharbein 304
§. 113. Unterkiefer 306
§. 114. Kinnbacken- und Kiefergelenk 307
§. 115. Zungenbein 308
§. 116. Höhlen und Gruben des Gesichtsscbädels 309
§. 117. Verhältniss der Hirnschale zum Gesicht 314
§. 118. Altersverschiedenheit des Schädels 318
§. 119. Entwicklung der Kopfknochen 320
B. Knochen des Stammes.
a) Urknochen oder Wirbel.
§. 120. Begriff und Eintheilung der Wirbel 321
§. 121. Halswirbel 324
§. 122. Brustwirbel 327
§. 123. Lendenwirbel 328
§. 124. Kreuzbein 330
§. 125. Steissbein 332
§. 126. Bänder der Wirbelsäule 334
§. 127. Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes 339
§. 128. Beweglichkeit der Wirbelsäule 343
b) Nebenknochen des Stammes.
§. 129. Brustbein 344
§. 130. Bippen 348
§. 131. Verbindungen der Rippen 361
§. 132. Allgemeine Betrachtung des Brustkorbes 362
C. Knochen der oberen Extremitäten oder Brustglieder.
§. 133. Eintheilung der oberen Extremitäten 364
§. 134. Knochen der Schulter. Schlüsselbein 364
§. 135. Schulterblatt 366
§. 136. Verbindungen der Schulterknochen 868
|. 187. Oberarmbein AftA
§. 188. Schnltergelenk
Inhal t
Seite
139. Knochen des VorderannB 362
§. 140. £llbogengelenk 365
§. 141. Knochen der Hand 366
§. 142. Bänder der Hand 372
§. 143. All^meine Bemerkiing^en über die Hand 376
D. Knochen der unteren Extremitäten oder Bauehglieder.
§. 144. Eintheilung der unteren Extremitäten 379
§. 146. Hüftbein 379
§. 146. Verbindungen der Hüftbeine 384
§. 147. Das Becken als Ganzes 386
§. 148. Unterschiede des männlichen und weiblichen Beckens 389
§. 149. Oberschenkelbein 391
§. 160. Hüftgelenk 394
§. 161. Knochen des Unterschenkels 397
§. 162. Kniegelenk 400
§. 163. Knochen des Fusscs 404
§. 164. Bänder des Kusses 410
§. 155. Allgemeine Bemerkungen über den Fuss 414
§. 156. Literatur der Knochen- und Bänderlehre 418
§•
167.
s-
168.
§•
169.
§.
160.
§•
161.
§•
162.
s.
163.
§■
164.
§•
165.
§.
166.
s-
167.
§.
168.
§•
169.
§.
170.
s.
171.
s-
172.
§•
173.
174.
§.
176.
§.
176.
§.
177.
§.
178.
§.
179.
§.
180.
Drittes Buch.
Muskellehre, mit Fascien und topographischer Anatomie,
A. Kopfmuskeln.
Eintheilung der Kopfmuskeln 427
Kopfmuskeln, welche sich an Weichtheilen inseriren 427
Muskeln des Unterkiefers 435
Fascien des Gesichtes 437
Einige topographische Beziehungen des Masseter und der Pterygoidei 438
B. Muskehl des Halses.
Form, Eintheilung und Zusammensetzung des Halses 439
Specielle Beschreibung der Halsmuskeln, welche den Kopf und den
Unterkiefer bewegen 441
Muskeln des Zungenbeins und der Zunge 443
Tiefe Halsmuskeln 447
Topographische Anatomie des Halses 449
Fascie des Halses 452
C. Muskeln der Brust.
Aeussere Ansicht der vorderen imd seitlichen Brustgegend .... 453
Muskeln an der Brust 454
D. Muskeln des Bauches.
Allgemeines über die Bauchwand 459
Specielle Beschreibung der Bauchmuskeln 462
F<ucia tranweraay Scheide des Kectus, und weisse Bauchlinie . . 466
Leistenkanal 468
Leistengruben 470
Einiges zur Anatomie der Leistenbrüche 471
Zwerchfell 476
E. Muskeln des Rückens.
Allgemeine Betrachtung des Rückens, und Eintheilung seiner Muskeln 478
Breite Rückenmuskeln 479
Lange Rückenmuskeln 482
Kurze Rückenmuskeln 486
§.
181.
§.
182.
§.
183.
§.
184.
§.
185.
§■
186.
§.
187.
§.
188.
§.
189.
§.
190.
§.
191.
§.
192.
§.
193.
§.
194.
§.
19Ö.
§.
196.
§.
197.
§.
198.
§.
199.
§.
200.
§.
201.
§.
202.
Inhalt XI
F. Muskeln der oberen Extremität.
S«ite
Allgemeine Betrachtung der Form der oberen Extremität .... 489
Muskeln an der Schulter 491
Muskeln am Oberarme 494
Muskeln am Vorderarme 498
Muskeln an der Hand 608
Fasoie der oberen Extremität 611
G. Muskeln der unteren Extremität.
Allgemeine Betrachtung der unteren Extremität 614
Muskeln an der Hüfte 616
Wirkungsweise der Hüftmuskeln, und topographische Verhältnisse der
Gesässmuskeln zu den wichtigsten Gefässen und Nerven 621
Muskeln an der vorderen Peripherie des Oberschenkels 622
Muskeln an der inneren Peripherie des Oberschenkels 624
Topographisches Verhältniss der Muskeln und Gefässe am vorderen
Umfang des Oberschenkels 626
Muskeln an der hinteren Peripherie des Oberschenkels 629
Topographie der Kniekehle 630
Muskeln an der vorderen und äusseren Seite des Unterschenkels . . 632
Muskeln an der hinteren Seite des Unterschenkels 636
Muskeln am Fusse 640
Fascie der unteren Extremität. Eintheilung derselben 648
Schenkelbinde und Schenkelkanal 648
Einiges zur Anatomie der Schenkelbrüche 646
Fascie des Unterschenkels und des Fusses 648
Literatur der Muskellehre 649
Viertes Buch.
Sinnenlehre,
§. 203. Begriff der Sinneswerkzeuge und Eintheilung derselben 666
A. Tastorgan.
Begriff des Tastsinnes 666
Structur der Haut 667
Tastwärzchen 660
Drüsen der Haut 662
Oberhaut 664
Physikalische und physiologische Eigenschaften der Oberhaut . . . 666
Nägel 668
Haare 670
Physikalische und physiologische Eigenschaften der Haare . . . ^ 672
Unterhautbindegewebe 674
B. Geruchorgan.
Aeussere Nase 676
Nasenhöhle und Nasenschleimhaut 677
C. Sehorgan.
I. Schutz- und. IfilTsapparate.
§. 216. Augenlider und Augenbrauen 680
§. 217. Conjunctiva 688
§. 218. Thränenorgane 686
§. 219. Augenmuskeln 688
II. .A^uffapfel.
§. 820. Allgemeines über den Augapfel 690
|. 221. Sclerotic» und Cornea r "*
§.
204.
§.
206.
§.
206.
§.
207.
§.
208.
§.
209.
§.
210.
§.
211.
§.
212.
§.
213.
§.
214.
§.
216.
S- S2S. Choroiile» nnd Iru 59&
9. 323. GeAue und Nerven der ChoroUleft und Irii 699
%. 224. Ketin> GOl
S. 226. BkQ der Retina ROi
%. 226. Kern dei Auge». GlukCrper 606
§. 227. Linse 607
9. 228. Humor aqueut. Augenkamme m. Beeondere Membranen des embryo-
nischen Auges 609
D. Gehßroi^an.
{. 829. Kinlheilung des OeklirorKans 610
I. Ä.euHHere Sphtti-e.
|. 230. Ohrmuschel 611
$. 231. AeuBserer Gehttrgan^ «13
g. 232. Trommelfell 615
II. Mittlere Sphftre.
III. Innere» S|>h(lre <xlei- Labyrinth.
8. 236. Vorhof 622
|. 236. Bogengänge 623
%. 2,17. Schnecke 624
g. 238. Htatiges Lab^irinth 627
%. 239. Innerer GehO^uig und FftUopischer Kanal 629
g. 240. Literatur der gesammten Rinnenlehre 630
Fünftes Buch.
Eingeweidelehre und Fragmente aus der EnUvicHungeyeschichte.
A. Eingeweidelehre.
g. 241. Begriff nnd Eintheilung der Eingeweidelehre 639
§, 24!. Begriff und Eintlieilnng des Yrrij.iuiiiiif-ir^rgan» 640
g. 243. Mundhühlf 641
g. 244. Wpicher Gaumen, Iilhtntii fauätan, und Mandeln 642
9. 24&. Die Muskeln des weichen Gaumens G44
§. 246. Zähne. Htmctur dereelben 646
g. 247. Formen der Zglme 649
g. 248. Zahnfleisch 661
g. 249. Entwickln II IC und LebenseigenscbaAen der ZKhne ■ 662
g. 260. Varietäten ilcr Zlthne 664
g. 281, SiieiclieldrUscn, Aeusaerc Verhältnisse der^lben 666
g. 862. Bau der Speiuheldrtlsen 669
g. 263. Zunge 669
g. 264. G es chmackjw« rauhen der Zunge 661
g. 266. Uinnenrnnakeln der Zunge 664
g. 2S6. Eaehtn 666
g. 867. Raclieiimuskeln 867
g. 268. 8peiBer6hre 66S
g. 269. Uebersicht der Lage des Verdaunngskanals in der BancbhShle . . 670
g. 260. Zuaamniensetzang des Verdannngakanats 672
g. 261. Magen 678
g. 262. Stmctnr des Magens 676
g. 263. Dflnndarm 678
g. 264. Speuielle Betrachtung der DUnndarmschleimliaiit 680
g. 266. lieber die Frage, wie die L/mpligefXsse in dun Uarmzntten entspringen 686
Inhalt Xni
Seit«
§. 266. Verhalten der Lymphgefösse zu den aolitären und aggreg^rten Follikeln
der Darmschleimhaut 686
§. 267. Ueber das Cylinderepithel des DUnndarms 687
§. 268. Dickdarm 689
§. 269. Specielles über die einzelnen Schichten des Dickdarms 690
§. 270. Muskeln des Afters 692
§. 271. Ueber den Sphincler ani teHhu 698
§. 272. Leber. Aenssere Verhältnisse derselben 694
§. 273. Praktische Behandlung der Leber in der Leiche 697
§. 274. Gallenblase 699
§. 275. Bau der Leber 700
§. 276. Die Bauchspeicheldrüse 703
§. 277. MihB 706
§. 278. BauchfeU 707
IL Reupirationsorgan.
§. 279. Begriff und Eintheilung des Respirationsorgans 712
§. 280. Kehlkopf. Knorpelgerüst desselben 713
§. 281. Bänder der Kehlkopf knorpel 716
§. 282. Stimmbänder und Schleinihaut des Kehlkopfes 717
§. 283. Muskeln des Kehlkopfes 719
§. 284. Luftröhre und deren Aeste 721
§. 285. Lungen. Ihr Aeusseres 723
§. 286. Bau der Lungen 726
§. 287. Ein- und Ausathmen 727
§. 288. Brustfelle 729
§. 289. Nebendrüsen und Respirationsorgane. Schilddrüse 731
§. 290. Thymus 732
§. 291. Lage der Eingeweide in der Brusthöhle 734
III. Harn- un<l GreaclileclitöorRane.
§. 292. Eintheilung der Harn- und Geschlechtsorgane 737
A. llarnwerkzeuge.
§. 293. Nieren und Harnleiter 738
§. 294. Näheres über Einzelnheiten der Nierenanatomie 743
§. 295. Nebennieren 747
§. 296. Harnblase 748
§. 297. Praktische Bemerkungen über die Harnblase 751
§. 298. Harnröhre 752
B. Geschlechtswerkzenge.
§. 299. Eintheilung der Geschlechtswerkzenge 757
I. ]VIftnn.Iiche Greschleclitsorgane.
§. 300. Hode und Nebenhode. Sperma und Spermatozoon 767
§. 301. Verhäitniss des Hoden zum Peritoneum. Tnnica vaginalU propria testü 762
§. 302. Samenstrang und dessen Hüllen 764
§. 303. Hodensack und Tunica dartos 766
§. 304. Samenbläschen und Ausspritzungskanäle 766
§. 305. Vorsteherdrüse 767
§. 306. Cowper'sche Drüsen 769
§. 307. Männliches Glied 769
II. Weibliolie GreRchleclitaorganLe.
§. 308. Anatomischer und physiologischer Charakter der weiblichen Ge-
schlechtsorgane 773
§. 309. Eierstöcke 778
§. 310. Bau der Eierstöcke. Nebeneierstock 775
§. 311. Schicksale des Folliculua Graafii und des Eies 777
§. 312. Gebärmutter. Aeussere Verhältnisse derselben 779
§.313 Gebärmutterhöhle 781
§. 314. Bau der Gebärmutter 782
§. 315. EUeiter 784
f. 816. Matterscheide • . • , 786
Bdi*
%. 317. Hjmea 788
g. 318. AeiiM«re Schun 789
%. Blfl. BrilBte 792
§. SSO. Bui der Briiate 794
III. Mitlelfleisuh.
g. 33t. Auadehnung' und Grenzen dei Mittel Qeiiches 196
f SSa. HüBkeln des MitlelfleiBcfaes 79«
g. 8!9. FkMuen des Uitteiaeiscfaei. Fatcia pelvit 799
g, 824. Faicia ptnVW iJrepHo et gaperßcMit 80O
S- 896. Tupographie den Miltelfleisdicit 801
|. 8»G. Die 8lei8«dril»e 804
B. Fragmente aus der Entwicklungsgeschichte.
. VirNnde runden dca Eies im Eileiter hii lum Auftreten der Keimh&ut SOG
. VerHndenmgeti dss ßea im Utem». KrM'lu'iiu'ii iltys Embryo . . . 807
. Weilern PortBclirilt«' der Entiricklung des Bmbtyo 809
. W„lii-M'li,;r KuquT 818
HeniuLUche Eier aus dem ersten Scliwan^recbsitsmonate. Jfem&ronae
deddttae 814
. Menachliche Eier ans dem iweiten ScbwKngerech&ftsiiionate . . . 816
. Zur Oebnrt reifen Ei. Schaf haut 817
t'nichtwn"»er 817
. üeßishaiit 818
. Miitterknulien 919
. NabeUtrang 821
. Veriindoningen Her GebUnnutter in der Schnangerschaft 826
Lage des Kmbryo in der Oeblnnntler 886
, Literatur der Eingeweidelehre 888
Sechetea Buch.
Gehirn- und Nerveidehre.
A. Centraler Theil des animalen NervenBj-ateras. Gehirn und
Rückenmark.
S. 341. Htlllen des Oehims und ROckenmariH. Dura maier 839
g. 848. Arachnoidea 843
§. 848. Pia maUsr 8*6
g. 344. Eintheiinng des Gehirns 847
§. 845. Grosses Gehirn 8"
g. 846. Grosses Gehirn von nuten nntersncht 869
§. 847, Anal'imie deskliiinenOehinnvonnnten. Varolsbrflcke. VerlingertesHark 868
g. 348. Analomio d*» kleinen Gehirns von oben. Vierte Gebimkamraer . . 866
g. 849. Embryohim 869
8. 860. Eflckenmark 870
g. 361. Einiges Ober Stractor des Gehirns und Ktickenmarka 873
B. Peripherißchcr Theil des animalen NervenBjstemB. Nerven.
I. a-ehirniiervf II.
g. 862. Entes Paar 876
g. 863. Zweites Paar 878
g. 864. Drittes, viertes tind »ecbstea P*»r 880
g. 866. Fünftes Paar. Erster Ast desselben 888
g. S66. Zweiter Ast des fflnften Paares 884
g, 867. Dritter Att de« fünften Paares 886
g. 868. PhTÜologiadieB Ober das fOnfte NerrenpMr 888
Inhalt. XV
Seit«
§. 359. Ganglien am fünften Paare. Ganglion G<uaer% 890
§. 360. Ganglion cUiare 891
§. 361. Ganglion spheno-palatinum 892
§. 862. Ganglion «tipramaxillare, oHcum et aubmaxillare 895
§. 363. Siebentes Paar 897
§. 864. Achtes Paar 900
§. 366. Neuntes Paar 901
§. 366. Zehntes Paar 908
§. 367. Physiologisches über den Vagus 908
§. 368. Eilftes Paar 909
§. 369. Zwölftes Paar 911
II. Hüokenxnarksnerven.
§. 370. Allgemeiner Charakter der Bttckenmarksnerven 912
§. 371. Die vier oberen Ilalsnerven 915
§. 372. Die vier unteren Halsnerven 918
§. 373. Pars stipraclavicularia des Armnervengeflechts 918
§. 374. Pars infraclavicularis des Armnervengeflechts 919
§. 376. Brustnerven 924
§. 376. Lendennerven 926
§. 377. Kreuznerven und Steissnerven 930
C. Vegetatives Nervensystem.
§. 378. Halstheil des Sympathicus 935
§. 379. Brusttheil des Sympathicus 938
§. 380. Lendentheil und Kreuzbeintheil des Sympathicus 989
§. 381. Geflechte des Sympathicus 940
§. 382. Kopfgeflechte des Sympathicus 941
§. 383. Halsgeflechte des Sympathicus 943
§. 384. Brustgeflechte des Sympathicus 944
§. 386. Bauch- und Beckengeflechte des Sympathicus 944
§. 386. Literatur des gesammten Nervensystems 947
Siebentes Buch.
Gefässlehre.
A. Herz.
§. 387. Allgemeine Beschreibung des Herzens 963
§. 388. Bau der Herzwand 967
§. 389. Specielle Beschreibung der einzelnen Abtheilnngen des Herzens . . 969
§. 390. Mechanismus der Herzpumpe 963
§. 391. Herzbeutel 967
B. Arterien.
§. 392. Aorta, Arteria jndmonali» und Ducitts Botalli 968
§. 393. Primitive Aeste des Aortenbogens 969
§. 394. Varietäten der aus dem Aortenbogen entspringenden Schlagadern . 972
§. 396. Verästlung der Carotis externa 974
§. 396. Endäste der Carotis externa 978
§. 397. Verästlung der Carotis interna .981
§. 398. Verästlung der Schlüsselbeinarterie 984
§. 399. Verästlung der Achselarterie 989
§. 400. Verästlung der Armarterie 990
§. 401. Verästlung der Vorderarmarterien 992
§. 402. Die beiden Hohlhandbogen 994
§. 403. Wichtige Abnormitäten des Ursprungs der Vorderarmarterien . . . 996
§. 404. Aeste der absteigenden Bmstaorta 997
§. 406. Unpaare Aeste der Bauchaorta 999
§. 406. Paarige Aeste der Bauchaorta |fi
XVI Inhalt.
8«ito
§. 407. Verästlung^ der Beckenarterie 1004
§. 408. Verlauf der Schenkelarterie 1010
§. 409. Aeste des Bauchstückes der Sehenkelarterie 1011
§. 410. Aeste der eig-entlichen Schenkel arterie 1018
§. 411. Aeste der Kniekehlenarterie 1014
§. 412. Anomalien der Schenkelarterie und ihrer Aeste 1015
§. 413. Verästlung der Arterien des Unterschenkels 1016
§. 414. Arterien des Plattfnsses 1018
§. 416. Varietäten der Arterien des Unterschenkels 1020
C. Venen.
§. 416. Allg'emeine Schilderung' der Zusammensetzung der oberen Hohlyene 1021
§. 417. Innere Drosselvene und Blutleiter der harten Hirnhaut 1023
§. 418. Venen, welche sich in die Sinu» durale tnatrig entleeren 1026
§. 419. Gemeinschaftliche Gesichtsvene 1028
§. 420. Oberflächliche und tiefe Halsvenen 1030
§. 421. Venen der oberen Extremität 1082
§. 422. Venen des Brustkastens . 1034
§. 423. Untere Hohlvene 1036
§. 424. Venen des Beckens 1038
§. 426. Venen der unteren Extremität 1039
§. 426. Pfortader 1041
D. Lymphgefasse oder Saugadern.
§. 427. Hauptstamm des Lymphgefässsystems 1043
§. 428. Saugadem des Kopfes und Haines 1044
§. 429. Saugadem der oberen Extremität und der Brustwand 1046
§. 430. Saugadem der Brasthöhle 1047
§. 431. Saugadem der unteren Extremität und des Beckens 1048
§. 432. Saugadem der Bauchhöhle 1049
§. 433. Literatur des gesammten Gefösssystems 1051
EINLEITUNG UND VORBEGRIFFE.
Hjril, Lelirbaek d«r Anatomie. 14. Aufl.
§. 1. Organisches und Anorganisches.
Was den Raum erfüllt, und Objeet unserer Ansehauung ist,
heisst Natur. Wir trennen sie in das organische und anorga-
nische Naturreich. Die Wissenschaft, welche sich die Aufgabe
stellt, die Eigenschaften, und durch sie das Wesen der Körper
dieser beiden Reiche auszumitteln, ist die Naturlehre im weitesten
Sinne des Wortes. Man ist übereingekommen, die Naturlehre der
anorganischen Körper: Physik, und jene der organischen: Physio-
logie, oder Biologie zu nennen. Das Ideale, welches nie zur
sinnlichen Anschauung kommt, ist das Objeet der Philosophie.
Eine Reihe von Thätigkeiten, welche jeder organische Körper,
von seiner Entstehung bis zu seinem Untergange vollzieht, bildet
den Begriff des Lebens. Dieses Woii; drückt nicht mehr als
die Form der Erscheinung aus, — die Natur und letzte Ursache
derselben liegt jenseits der Grenze, über welche der menschliche
Oeist vorzudringen nie vermögen wird.
Die organischen Körper unterliegen, so wie die anorganischen,
den allgemeinen Gesetzen der Materie, und die Grundstoffe, aus
welchen sie bestehen, finden sich als solche auch in der anorganischen
Natur. Thiere und Pflanzen geben, als letzte chemische Zersetzungs-
producte, die einfachen Stoffe (Elemente) anorganischer Körper. Allein
die Verbindung der Grundstoffe ist in beiden Naturreichen eine ver-
schiedene. Während die Elemente anorganischer Körper entweder
mechanisch gemengt sind, oder chemisch zu binären Verbindungen
und deren Combinationen zusammentreten, enthalten die organischen
Körper, nebst einem Antheile binärer chemischer Verbindungen,
vorzugsweise Grundstoffe in solchen ternären und quaternären Com-
binationen, welche im anorganischen Naturreiche nicht vorkommen,
und deshalb vorzugsweise organische Substanzen genannt werden.
So ist z. B. der phosphorsaure Kalk, welcher sich in den Knochen der
Wirbelthiere vorfindet, dieselbe binäre Verbindung vonPho*
uDd Calciumoxvd. welche als solche auch im Mineralreiche bekannt
ist^ während der Zucker, die Stärke, das Fett, temare Verbindun-
gen von Wasserstoff. Saaerstoff und Kohlenstoff sind, und das
Fibrin^ das Casein, das Albumin, quatemäre Verbindungen von
Wasserstoff, Sauerstoff. Kohlenstoff und Stickstoff (mit Phosphor und
Schwefel) darstellen. — Die anorganischen Korper lassen sich auf
chemisehem Wege in ihre Bestandtheile zersetzen . und durch die
Wieder^'creinigung derselben neu herstellen: — über die organischen
Substanzen besitzt die Chemie weit geringere Macht, da sie dieselben
zwar zerlegen, aber nur äusserst wenige von ihnen erzeugen kann.
In den anorganischen Körpern hängen die kleinsten, letzten
Bestandtheile derselben, entweder durch physische Attraction oder
durch chemische Vem-andtschaft zusammen. Letztere ist ein so
kräftiges Verbindungsprincip, dass zwei Elemente, zwischen welchen
chemische Verwandtschaft stattfindet, sich rasch zu einem zusammen-
gesetzten Körper verbinden, wenn sie sich im freien Zustande be-
gegnen. Warum thun sie dieses nicht im organischen Körper? —
Es mnss in diesem, der chemischen Verwandtschaft ein stärkeres
Agens entgegenwirken, durch welches sie gezwungen werden, ihrer
Neigung zu binären Verbindungen so lange zu entsagen, und anderen
Verbindungsnormen so lange zu folgen, als jenes Agens die Ober-
hand behält. Stellt dieses seine Herrschaft ein, so streben die ein-
fachen Grundstoffe des organischen Leibes, jene chemischen Ver-
bindungen einzugehen, für welche sie so viel Vorliebe äussern; es
bilden sich, unter dem günstigen Einflüsse von Wärme, Luft und
Feuchtigkeit, die chemischen Zersetzungsproducte der Fäulniss.
Dieses Agens nun, welches die Verbindungsverhältnisse der Grund-
stoffe im organischen Körper erzwingt, und für eine gewisse Zeit
aufrecht erhält, ist, seiner Erscheinung nach, eine von den im an-
organischen Naturreiche waltenden Kräften wesentlich verschiedene
Thätigkeit, und kann als organische Kraft, den chemischen oder
physikalischen Kräften entgegengesetzt werden, wobei jedoch zu
erinnern ist, dass das Wort Kraft immer nur die gedachte, nicht
die wirkliche T'rsache von Erscheinungen bezeichnet.
Die organische Kraft beschränkt ihre Thätigkeit nicht blos auf
das Resultat des ruhigen Nebeneinanderseins der neuen Verbindun-
gen. Jeder Theil eines organischen Körpers ist, so lange das Leben
dauert, in einem ununterbrochenen Wechsel seiner Stoffe begriffen.
Die Intensität dieses Wechsels steht mit der Grösse der lebendigen
Thätigkeit in geradem Verhältnisse. Die Verluste, welche das Ma-
teriale der lebenden Maschine, durch Abnutzung und Verbrauch
erleidet, bedingen das Bedürfniss eines äquivalenten Ersatzes. Auf-
nahme neuer Stoffe von aussen her, Verarbeitung, Umwandlung,
und Substitution derselben an die Stelle der abgenutzten und
§. 1. OrganischM und Anorganisches. 5
aasgeschiedenen ^ tritt uns als eine weitere fundamentale Aeusserung
der organischen Kraft entgegen. Sie ist zugleich das charakteristische
Merkmal lebendiger Organismen, im Gegensatze von anorganischen
Körpern, und wird als Stoffwechsel bezeichnet. Kein anorganischer
Körper zeigt das Phänomen des Stoflfwechsels. Er kann sich zwar,
durch Anschliessen gleichartiger Theilchen an seiner Oberfläche,
vergrössern; aber was in ihm einmal verbunden ist und zusammen-
hält,, bleibt in diesem Zustande; er giebt nichts aus und nimmt
dafür nichts ein; er verfügt über keine innere Bewegung, welche
den Austausch seiner letzten Moleküle vermitteln könnte, und ver-
harrt, wie er ist, bis er durch elementare oder chemische Kraft
seine Daseinsform verliert. Er kann, bei gleichbleibender Gestalt,
an Volumen und Gewicht zunehmen, selbst innerhalb der Grenzen
des Systems, welchem er angehört, gewisse Veränderungen seiner
Dimensionen darbieten, allein der einmal fertige Krystall bleibt, was
er ist, und die Bewegung seiner kleinsten Theilchen, durch deren
Gruppirung er zu Stande kam, wurde nur einmal gemacht. Der
Stoffwechsel setzt dagegen den organischen Körper in eine noth-
wendige Verbindung mit der ihn umgebenden Welt, da er nur aus
ihr entlehnen kann, was er zu seiner Erhaltung bedarf. Für ihn
werden dieselben chemischen und physischen Potenzen, welche den
Ruin des Anorganischen, sein Verwittern und Zerfallen, langsam
vorbereiten, zu noth wendigen Bedingungen seiner Existenz, und
wurden unter der Rubrik der Lebensreize, von der älteren Physio-
logie zusammengefasst, welchen Namen sie wohl nicht verdienen, da
die fortgesetzte Einwirkung dieser sogenannten Lebensreize, den
Verfall des organischen Körpers auf die Dauer nicht aufhalten kann.
Nach einem ihr eingeborenen Plane entwickelt die organische
Kraft den Organismus, entborgt der Aussenwelt den Stoff, aus
welchem sie ihn aufbaut, und giebt ihr denselben verändert wieder
zuinick. Sie vervielfältigt und theilt sich in dem Maasse, als das
Materiale zunimmt, in welchem sie wirkt, und mit welchem sie Eins
ist. Von der ersten Bildung des organischen Keimes bis zu jenem
Momente, wo das Lebendige den unabwendbaren Gesetzen der Auf-
lösung anheimfallt, ist sie ohne Unterbrechung thätig. Der Vergleich,
den man zwischen einer Maschine und einem lebenden Organismus
anstellt, ist nur insofern zulässig, als in beiden ein zweckmässiges
Zusammenwirken untergeordneter Theile, zur Realisirung einer dem
Ganzen zu Grunde liegenden Idee beobachtet wird. Sonst giebt es
keine Aehiilichkeit zwischen beiden, und die Rohheit des Vergleiches
wird um so augenfälliger, wenn man bedenkt, dass die bewegende
Kraft der Maschine nicht in ihr, sondern ausser ihr, erzeugt wird,
und Stillstand eintritt, wenn der äussere Impuls nicht mehr auf sie
wirkt; während die Thätigkeiten des Lebendigen^ ihren letzten Gnind
6 g. 1. Or^nitehes and AnorgAnitehes.
in ihm selbst haben, in ihm und durch ihn bestehen, und von ihm
getrennt nicht einmal gedacht werden können. Der Verbrauch an
Stoff und Kraft wird auch in der Maschine durch Speisung von
aussen her ausgeglichen, und, wenn ihr Gktng in Unordnung geräth,
lässt man das Räderwerk ablaufen, um nachzubessern, wo es fehlt.
Im Triebwerke eines lebenden Organismus darf keine Pause ein-
treten; — es gilt das rollende Rad während seines Umschwunges
auszutauschen; jedes Atom des organischen Stoffes reparirt sich
selbst; — der Stoffwechsel lässt es nie zu einem höheren Grade
von Abnutzung kommen, und was in einem Momente verloren geht,
giebt der nächste wieder. Ist einmal Stillstand eingetreten, so hat
der Organismus seine Rolle ausgespielt; das Band ist gelöst, welches
seine Bestandtheile zum lebensfähigen Ganzen sinnreich vereinte;
die chemische Affinität tritt in ihre durch das Leben bestrittenen
Rechte, und führt die organischen Stoffe in jenen Zustand zurück,
in welchem sie waren, als sie der todten Natur angehörten. In
anorganischen Köi*pem giebt es keinen Gegensatz zwischen Leben
und Tod.
Die organische oder Lebenskraft macht uns keine einzige
Lebenserscheinung klar; sie ist, so lange uns die Einsicht in das
Wesen des Lebens fehlt, nichts mehr als hypothetische Annahme,
eine wesenlose Abstraction, — ein vielgebrauchtes Wort, welches
müssigen Geistern Alles, dem wahren Forscher nichts erklärt. Die
Physiologie hätte wahrlich sehr wenig zu thun, wenn sie sich be-
gnügte, in dem Worte „Lebenskraft" den letzten Grund aller Lebens-
thätigkeiten zu verehren. Der Physiker giebt sich zufrieden, und
hält eine Erscheinung für erklärt, wenn er als ihren letzten Grund
die Schwere oder die Elcktricität erkannt hat, weil die Aeusserungen
dieser Kräfte, und die Gesetze, nach welchen sie sich richten, ihm
bekannt sind. Dem Physiologen dagegen ist die Lebenskraft nur
ein Ausdruck, mit welchem er einen bestimmten Begriff um so
weniger verbinden kann, als es eine logische Unmöglichkeit ist, dass
den verschiedenen Lebensäusserungen Eine Kraft zu Grunde liegen
könne. Die Annahme einer Lebenskraft ist jedoch bei dem gegen-
wärtigen Zustande unserer Kenntniss des Lebens, eine unabweisliche
Nothwendigkeit, denn, weder aus chemischen noch aus physikalischen
Kräften, die sich in den Besitz der anorganischen Natur theilen,
lassen sich die Lebenserscheinungen folgerichtig deduciren und er-
klären. Wenn die Asche eines organischen Körpers nur Stoffe
führt, welche auch in der anorganischen Welt vorkommen, lässt sich
daraus gewiss nicht schliessen, dass das Leben dieses organischen
Körpers, nur das Resultat der Theileffecte dieser anorganischen
Grundstoffe gewesen sei. Man kann zwar in hochpoetischer Weise
sagen, dass ein Eisentheilchen dasselbe bleibt , mag es im Sckooss
§. 2. OrganiMtioD. Organ. Organismus. 7
der Erde ruhen, oder im Meteorstein den unendlichen Raum durch-
fliegen^ oder im Blutstropfen durch ein thierisches Eingeweide rinnen.
Allein die Physiologie kann dieses Eisentheilchen im lebenden
Blute auf keine Weise wiederfinden. Erst in der Blutasche kommt
es wieder zum Vorschein. Was ist also aus ihm geworden im leben-
digen Blute? Es konnte die ihm zukommenden mineralischen Eigen-
schaften unmöglich in ihrer vollen Eigenthümlichkeit beibehalten
haben. Sonst müsste ja der Magnet dieses Eisentheilchen aus dem
Blute herausziehen. Was aus ihm im lebendigen Leibe wird, weiss
man nicht, und der Chemismus bewahrt sein Recht nicht über das
Lebendige, wohl aber über das Todte, und mag dabei bleiben. Er
hat den Schleier, welcher das Antlitz der Göttin birgt, nicht auf-
gehoben, wohl aber beim versuchten Lüften desselben, ihm neue
Falten eingedrückt.
§. 2. Organisation. Organ. Organismus.
Die anorganischen Körper, selbst die vollkommensten der-
selben — die Krystalle, — welche eine neuere mineralogische Schule,
im Gegensatz zu den nicht krystallisirten Mineralien, als Individuen
bezeichnete, sind immer nur Aggregate gleichartiger kleinster Be-
stand theilchen, während organische Körper aus verschiedenartigen
Gebilden, welche sich wechselseitig durchdringen, zusammengesetzt
sind. Hierin hegt der Begriflf der Organisation, als Modus der
Vereinigung heterogener Glieder zu einem Ganzen, welchem ein
vernünftiger Plan zu Grunde liegt. Aggregate sind nicht organisirt.
Aufrechthaltung einer individuellen Lebensexistenz durch Zusammen-
wirken heterogener Theile, ist die Idee, die sich in der Organisation
ausspricht. Jeder Theil des Ganzen, welcher seine paitielle Existenz
dem Endzwecke unterordnet, der durch die vereinte Wirkung aller
übrigen Theile erzielt werden soll, heisst Organ, und die zweck-
mässige Vereinigung aller Organe zu einem lebensfähigen Ganzen:
Organismus. Ein Organ (5pYavov, Werkzeug jeder Art) hat den
Grund seines Vorhandenseins nicht in sich, sondern in dem Ganzen,
welchem es angehört. Der letzte Zweck der Organe ist somit nicht
ihr eigenes Bestehen, sondena ihre Concurrenz zum Bestehen des
Ganzen. Sie bilden eine Kette, deren GUeder nicht blos eines mit
dem anderen, sondern jedes mit allen übrigen zusammenhängt, und
von welchen keines ausgehoben werden darf, ohne den Begriff des
Ganzen zu stören. Die Aggregattheile anorganischer Körper dagegen
existiren blos neben einander, sie bedingen sich nicht wechselweise,
und hören, selbst wenn sie aus ihrem Zusammenhange gebracht werden,
nicht auf su sein^ was sie sind.
8 §• 3. L«b«ntTerriehtiiDgen.
Die Begriffe organisch und organisirt dürfen nicht ver-
wechselt werden. Jede durch das Leben eines Organismus erzeugte
Substanz, welche in der anorganischen Welt nicht vorkommt, heisst
organisch, und sie muss nicht nothwendig organisirt sein, d. h.
sie kann dem Auge homogen erscheinen, und weder durch das Messer,
noch durch andere anatomische Hilfsmittel, in ungleichartige Theile
zerlegbar sein. Alles Organisirte aber besteht aus verschiedenen
organischen Substanzen von bestimmter Form, welche sich nach
einem gewissen Gesetze neben einander lagern oder durchdringen,
und sich durch die Zergliederung oder das Mikroskop als Differentes
unterscheiden lassen. Eiweiss, Protein, Blutserum, Lymphe, sind
organisch, aber nicht organisirt (sie heissen deshalb auch formlose
organische Substanzen); — Nerv, Muskel, Drüse dagegen, sind
organisirt, und eo ipso auch organisch.
§. 3. Lebensverrichtungeii.
In doppelter Lebensform tritt uns das organische Naturreich
vor Augen, als Thier- und Pflanzenwelt. In beiden finden sich,
nebst wesentlichen Unterschieden, zahlreiche Uebereinstimmungen.
Ja in den niedrigsten Formen beider, wird es oft sehr schwer, ihre
animalische oder vegetabilische Natur mit Sicherheit zu bestimmen.
Beide leben, d. h. sie zeigen eine Aufeinanderfolge bestimmter, und
sich wechselseitig bedingender Entwicklungen und Thätigkeiten. Bei
Pflanzen und niederen Thieren manifestiren sich diese Thätigkeiten
im engeren Kreise und in verschwimmender Form; bei höheren
Thieren und im Menschen, in reicherer Entfaltung und schärferer
Ausprägung. Entstehung durch Zeugung, Succession von Bildungs-
stadien, Ernährung, Stoffwechsel, Saftbewegung, Ab- und Ausson-
derungen, finden sich in Thier und Pflanze. Die Pflanze empfangt
ihren Nahrungsstoff aus dem Boden', in welchem sie gedeiht. Sie
saugt ihn durch ihre Wurzeln an sich, leitet ihn durch ein wunder-
bar complicirtes System von Zellen und Röhren zu allen ihren
Theilen, und scheidet davon dasjenige nach aussen wieder ab,
welches zu ihrer Ernährung und ihrem Wachsthum nicht mehr
dienen kann. Kohlensäure, Wasser, Ammoniak, und einige Salze,
genügen vollkommen zu ihrer Erhaltung. Anders verhält es sich im
Thiere und Menschen. Ihre vollkommenere Bauart, ihre intensivere
Lebensenergie, fordern zusammengesetztere Nahiningsstoffe. Sie
nehmen diese Stoffe, welche durch den Lebensact einer Pflanze oder
eines anderen Thieres zu ihrem Genüsse vorbereitet wurden, durch
eine einzige Oeffnung auf. (Nur die niedrigsten Thierformen, wie
z. B. die Amoeben, haben keine solche Oeffnung, sondern ernähren
§. S. LebeniTerrielitaBffen. 9
sich durch Stoffaufnahme von ihrer ganzen Oberfläche aus). Ein
eigener Wächter (Instinct in den niederen, Geschmack in den höheren
Thieren) sorgt dafür, dass sie in der Wahl ihrer Nahrung keine
Missgriffe machen, und erlaubt dabei ihrer Willkür einen gewissen
Spielraum, welcher der Pflanze gänzlich abgeht. Durch die Ver-
dauung (Digestio), welche im Darmkanale stattfindet, wird der
nahrhafte Bestandtheil der Nahrung vom unnahrhaften getrennt.
Der nahrhafte Bestandtheil wird durch Gefassröhren aufgesogen
(Absorptio), in das Blut gebracht, diesem gleichartig gemacht (Assi-
müatio), und durch die Schlagadern, welche mit dem Druckwerke
des Herzens in Verbindung stehen, zu allen Organen hingeführt,
um sie zu ernähren (Nutriiio) ; der unnahrhafte Bestandtheil dagegen
wird als Caput mortuum der Verdauung, aus dem Bereiche des leben-
digen Leibes fortgeschafft (Excretio), Das den Organen zugeflihrte
Blut strömt, nachdem es seine nährenden Bestandtheile an diese
abgegeben, und dafür die Abfalle ihres Stoffverbrauches aufgenommen
hat, in den Kanälen der Blutadern wieder zum Herzen zurück^
um von hier aus in die Lungen getrieben zu werden, wo es aus
der Atmosphäre Sauerstoff aufnimmt, und dafür Kohlensäure zurück-
giebt, dadurch neuerdings nahrungskräftig wird, und auf anderen
Wegen, als es zu den Lungen kam, diese verlässt, um zum Herzen
zurückzukehren, von welchem es sofort in die Schlagadern gepumpt,
und durch diese zu den nahrungsbedürftigen Organen geführt wird.
Der in der Lunge statthabende Austausch gewisser Blutbestand-
theile gegen andere neue, bildet den Begriff des Athmens (Respt-
ratio), die Blutbewegung zum und vom Herzen jenen des Kreis-
laufes (Circulatio), Das Blut dient nicht blos auf die angeführte
Weise zur Ernährung; es werden vielmehr aus ihm noch besondere
Flüssigkeiten durch die Thätigkeit besonderer Organe, welche man
Drüsen nennt, abgesondert (Secretio), und diese Flüssigkeiten (Secreta)
zu den verschiedensten Zwecken im thierischen Haushalte verwendet.
So werden Speichel, Galle, Harn, und alle flüssigen Auswurfstoffe,
durch Secretion aus dem Blute bereitet.
Ernährung, Kreislauf, Athmung, Ab- und Aussonderungen,
sorgen für die Erhaltung des Individuums. Zur Erhaltung der Gat-
tung führt die Zeugung (Generatio) , welche in der Pflanze auf
einer Nothwendigkeit , im Thiere auf einem Instincte beruht, im
Menschen ein durch die Dazwischenkunft des Geistigen veredelbarer
Trieb ist. — Auch in der Pflanze finden sich Analogien dieser auf-
gezählten thierischen Verrichtungen, welche zusammengenommen als
Ernährungs- oder vegetatives Leben bezeichnet werden.
Empfindung und Bewegung sind nur dem Thiere eigen,
haben in der Pflanzenwelt nichts Aehnliches oder Gleiches, und
werden somit als animales Leben vom vegetativen unterschieden.
10 §. 4. BeirriiF der Anatomie.
Diese Unterscheidung der Lebensmanifestationen im Thiere und im
Menschen als vegetatives und an i mal es Leben, ist jedoch in
den Erscheinungen des Lebens keineswegs so scharf gezeichnet, wie
sie der Verstand nimmt, da die Ernährungsfunctionen ohne Bewegung
und Empfindung eben so wenig vor sich gehen können, als letztere
ohne erstere.
§. 4. B^ff der Anatomie.
Die Anatomie zu definiren, ist für Jeden, welcher das grie-
chische Wort in's Deutsche übertragen will, überflüssig. Sie zerlegt
die Organismen in ihre nächsten construirenden Bestandtheile, eruirt
das Verhältniss derselben zu einander, untersucht ihre äusseren,
sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften und ihre innere Structur,
und lernt aus dem Todten, was das Lebendige war. Sie ist also
recht eigentlich die Wissenschaft der Organisation. Sie zer-
stört mit den Händen einen vollendeten Bau, um ihn im Geiste
wieder aufzuführen, und den Menschen gleichsam nachzuerschaffen.
Eine herrlichere Aufgabe kann sich der menschliche Geist nicht
stellen. — Die Anatomie gilt mit Recht fiir eine der anziehendsten,
und zugleich gründlichsten und vollkommensten Naturwissenschaften,
und ist dieses in kurzer 5ieit geworden, da ihre Aera erst ein Paar
Jahrhunderte umfasst. Wenn man mit dem römischen Redner die
Wissenschaft überhaupt als cognitio certa ex pnncipüs certis definirt,
so steht die Anatomie unter allen Naturwissenschaften am ersten Platz.
Wie jede Wissenschaft unter einer verschiedenen Behandlungs-
weise, und den hiebei verfolgten Tendenzen, einen verschiedenen
Charakter annimmt, so auch die Anatomie. Ihre nächste und allge-
meinste Aufgabe besteht darin, die Zusammensetzung eines Orga-
nismus aus verschiedenen Theilen mit verschiedenen Thätigkeiten
kennen zu lernen. Da der menschliche Geist sich nicht mit dem
gedankenlosen Anschauen der Dinge zufrieden giebt, sondern Plan
und Bestimmung auszumitteln sucht, so kann die innige Verbindung
der Anatomie mit der Functionenlehre (Physiologie im engeren
Sinne) nicht verkannt werden. Die Anatomie ist somit Grundlage
der Physiologie, und dadurch zugleich Fundamentalwissenschaft der
gesammten Heilkunde.
Indem die organische Welt zwei Naturreiche, Pflanzen und
Thiere umfasst, wird auch die Anatomie Pflanzen- und Thier-
anatomie sein, Phyto- et Zootomia. Nur einen kleinen Theil der
letzteren bildet die Anatomie des Menschen, welche, wenn man
lange Namen liebt, Anthropotomie genannt werden mag. Dem
Wortlaute nach drückt Anatomie (von dvatifAvstv, aufschneiden) nur
$. 5. Eintheiliing der menaehlielien Anatomie. 11
eines jener Mittel aus, deren sich die Wissenschaft zur I^ösung ihrer
Aufgabe bedient, — die Zergliederung. Zergliederungskunde
ist somit ein beschränkterer Begriff, als jener der Anatomie, obwohl
beide häufig im selben Sinne gebraucht werden.
Die Zergliederung macht uns nur mit den leicht zugänglichen
äusserlichen Verhältnissen der Organe bekannt. Um ihren inneren
Bau aufzuklären, genügt sie allein nicht. Der Wissenschaft müssen
noch eine Menge technischer Mittel zu Gebote stehen, durch welche
auch das Verborgene, das dem freien Auge nicht mehr Wahrnehm-
bare, in das Bereich der Untersuchung gezogen werden kann, und
die Anatomie wird somit, nebst den rohen Handgriffen der Zer-
gliederung, noch über eine reiche und subtile Technik zu verfügen
haben, welche bei jeder Detailuntersuchung unentbehrlich wird. Die
Anatomie ist somit theils Wissenschaft, theils Kunst, und wird
ersteres nur durch letzteres. Wenn man sich blos damit begnügt,
die Resultate der anatomischen Forschungen kennen zu lernen, ohne
sich darum zu kümmern, wie sie gewonnen wurden, mag man
immerhin auch eine theoretische und praktische Anatomie
unterscheiden.
§. 5. Eintheilung der mensohlicheiL Anatomie.
In so fern die Anatomie die Organe des menschlichen Leibes
im gesunden Zustande allseitig kennen zu lernen bemüht ist, führt
sie den Namen der normalen oder physiologischen Anatomie.
Mit ihr beginnt auf den Universitäten das Studium der Medicin und
Chirurgie. — Die Veränderungen, welche in den Organen durch
Krankheit bedingt werden, sind Object der pathologischen Ana-
tomie. Die pathologische Anatomie verhält sich zur Krankheitslehre,
wie die normale zur Physiologie. Ihre Beziehungen sind nothwendige
und bedingende; — eine kann ohne die andere nicht existiren.
Die physiologische Anatomie befasst sich a) theils mit der
Kenntnissnahme der äusserlich wahrnehmbaren Eigenschaften, Ge-
stalt, Lage, Verbindung der Organe, und behandelt sie in der
Ordnung, wie sie zu gleichartigen Gruppen (Systemen), oder zu
ungleichartigen Apparaten, welche aber auf die Hervorbringung eines
gemeinschaftlichen Endzweckes berechnet sind, zusammengehören.
Sie heisst in dieser Richtung beschreibende, specielle oder
systematische Anatomie, und zerföUt in so viele Lehren, als es
im menschlichen Leibe Systeme und Apparate giebt: Knochen-,
Bänder-, Muskel-, Gefass-, Nervenlehre für die Systeme; Eingeweide-
and Sinneulehre für die Apparate. Oder b) sie geht generalieirend
zu Werke 9 abstrahirt aus der beschreibenden Anatomie a
12 §.6* Eintheilang der raentehliolien Anatomie.
Normen, ordnet ihre vereinzelten Darstellungen zu einem Systeme,
dessen Eintheilungsgrund der innere Bau der Organe (das Gewebe,
Textura*) ist, und wird als Geweblehre (Histologie, von Itto^,
auch IcTtov, Gewebe) von der speciellen unterschieden. Man nennt
die Geweblehre auch allgemeine Anatomie. Da die Gewebs-
arten nur mit Hilfe des Mikroskops untersucht werden können,
führt die Lehre von den Geweben gewöhnlich den wohlberechtigten
Namen: mikroskopische Anatomie. Sie wird in der Gegenwart
bei Weitem schwunghafter betrieben, als die beschreibende Anatomie.
Die Aussicht auf Entdeckungen, welche in einer so jungen Wissen-
schaft, wie es die mikroskopische Anatomie ist, weit lockender er-
scheint, als in dem vielfach und gründlich durchforschten Gebiete
der Messeranatomie, und der Umstand, dass man in der mikro-
skopischen Anatomie mit viel weniger Geschicklichkeit ausreicht,
als in der präparirenden, wirbt ihr ein Heer von Verehrern mit
mehr weniger Beruf, Befähigung, und Ehrlichkeit. Man hat es
zugleich viel bequemer mit ihr, als mit der zergliedernden Anatomie,
indem die Mikroskopie überall ihre kleine Werkstatt aufschlagen kann,
und unser Geiiichsinn durch sie auf keine so harte Probe gestellt
wird, wie an halbfaulen Leichen. Ein alter, etwas derber Anatom
sagt: Zur Anatomie gehört die Hand eines Künstlers, die Geduld
eines Engels, und der Magen eines Schw — . Diese heterogenen
Anforderungen werden nun an die mikroskopirende Anatomie mit
Manschetten und Glac^ehandschuhen nicht gestellt. Sie ftihrt uns,
wenngleich auf mancherlei Umwegen, und nicht ohne harte Ent-
täuschungen, zur Erkenutniss des kleinsten Geformten im thierischen
Organismus. Wie das Teleskop dem Astronomen zeigt, was hinter
dem mit freiem Auge sichtbaren Sternenmeere liegt, so zeigt das
Mikroskop dem Anatomen die Unendlichkeit in absteigender Linie,
bis in das Gebiet des Structurlosen. Die Gewebslehre ist das
Schoosskind der neuesten Zeit, und so mancher hochverdiente Mann,
welcher bei Einführung dieses Kindes in die wissenschaftliche Welt
zu Pathen gestanden, wirkt auch jetzt noch für seine Erziehung und
Ausbildung.
*) Textnr und Strnctur werden in der Geweblehre als synonym gebraucht.
Sie sind es aber nicht. Structura, von »truo, aufschichten, drückt eine Zusammen-
setzung aus gleichartigen Tlieilen aus, wie der Steine zur Mauer, zum Pflaster, und
der Worte zum Satz. So finden wir bei Cicero: »tructnra verhormn, und bei
Gel SU s: structura otitium, für Skelet Es soll also auch in der Geweblehre Struc-
tur nur fttr die Bauart solcher Gebilde angewendet werden, welche Aggregate
gleichartiger Bestandtheile sind, wie die Epidermis, die Nägel, der Haarschaft, die
Epithelien, der Zahnschmelz, die Stabschicht der Netzhaut, die KrystalUinse u. a.
Textura dagegen, von texo, weben, kann nur für die Bauart von Organen in
Oebraucli kommen, welche aus verschiedenartigen, unter einander verflochtenen und
verwebten Bestandtheilen zusammengesetzt sind. Diese, von den klaBsischen Autoren
sehr scharf bezeichnete sprachliche Segpel, wird aber von den Histologen gar nicht
beachtet, da sie eben Histologen, und keine Etymologen sind.
%. 5. Eintheilaug der aeosclüi^eD Anatomie. 13
Was in den kleinsten Bestandtheilen des menschlichen Leibes
während des Lebens vorgeht, bildet keinen Gegenstand der An-
schauung. Die meisten Verrichtungen dieser Bestandtheile sind uns,
trotz der Foi*tschritte der Mikroskopie, unbekannt geblieben, wenn
sie uns nicht auf anderen Wegen erschlossen wurden. Nicht durch
das Mikroskop haben wir erfahren, dass die Muskelfaser sich zu-
sammenzieht, und die Bindegewebsfaser nicht, dass gewisse Nerven-
iibrillen Bewegungsimpulse fortleiten, andere dagegen nur Empfin-
dungen. Wie bei allem Forschen in den Geheimnissen des
Organischen, ist ein fortwährendes Annähern an ein letztes Ziel in
den mikroskopischen Arbeiten gegeben, aber dieses letzte Ziel steht
in unendlicher Feme. Man kann es selbst geradezu behaupten, dass
die Mikroskopie der neuesten Zeit mehr Fragen als Antworten
brachte, mehr Räthsel aufgab als löste; denn mit dem Wissen wächst
der Zweifel. Die Geschichte der Mikroskopie liefert uns eine un-
unterbrochene Widerlegung von Irrthümem, sehr oft durch Auf-
stellung von neuen. Da dieses mehr weniger auch von anderen
Wissenschaften gilt, welche in einem fortdauernden Umbau begriflFen
sind, wird man in dem Gesagten für die Mikroskopie nichts Detrac-
torisches finden. Ihre enorme Fruchtbarkeit hat uns mit einer massen-
haften Literatur beschenkt, welche sich kaum mehr bewältigen lässt,
— eine Alexandrinische Bibliothek , in wenig Jahren zum grossen
Theil eines gleichen Looses werth.
Genau genommen, tragen nicht alle Untersuchungen der allge-
meinen Anatomie, den histologischen oder mikroskopischen Charakter
an sieh. Die Kintheilungen der Einzelheiten eines organischen
Systems, z. B. der Muskeln, der Knochen, die Aufstellung aUgemeiner
Normen für Verlauf und Verbrc-itungsweisen anderer, die Abstraction
der Gesetze, denen die anatomischen Verhältnisse der Organe sich
unten:»rdnen, sind Argumente der allgemeinen Anatomie, nicht der
Histologit^. und wurden schon zu jenen Zeiten richtig aufgefasst und
beurtheilt . wo man weder an Gewebe . n^Krh an den anatomischen
Gebrauch des Mikroskopes dachte.
In den Lectionskatalogen der Wien^-r medicinischen Facultät
figurirt zur allgemeinen Erheiterung auch eine höhere Anatomie.
Es rauss demnach auch eine niedere ^eben. Wo fangt die eine
an, und hört die andere auT? Nur H«ichmuth <AeT Beschränktheit
konnte sfJchen Unterschied erfinden.
E* er^Trbr* *j<rh v*>n «-Ifj*!. d^i die HuU/^/jne. 4i* «p«ci<&ll« 'fdkr J^'
»chnribeode Azi^h'jmi^ T.<rari»Mxru -zud de^L^lb in deri V<M*r«nx4^a r.i<;ht al« Ein-
leisnng in die ^a^iomhchfr WiM«n«<hjifi rorxfu^t^cinrki v'^rrdtm darf. He lunn
jedocli ixmer den emen PUtz ia einem aoUomv^hen Haadbaebe ematfaattm^
obwoU der Vortn^. «.^II er dem Anfirafer atttzücb aeni, mtki wt üar xn htgmmtm
aUgemeiner UAid ipcciellffr AttMkmnt ÜMt mek tket'
14 §. 6. Topographiiohe Anatomie.
hanpt schwer bestimmen. Beide spielen so häufig in einander hinüber, bedingen
sich wecliselseitig so nothwendig, und müssen im Vortrage so oft mit einander
verwebt werden, dass eine strenge Sonderung derselben unausführbar wird.
Die Anatomie der Menschenracen, der Altersstufen, der Varie-
täten der Organe, bilden keine selbstständigen Doctrinen, sondern werden
vielmehr der beschreibenden Anatomie an passender Stelle eingewebt.
§. 6. Topographische Anatomie.
Untersucht die Anatomie die verschiedenen Bestandtheile des
menschlichen Körpers nicht nach den einzelnen Systemen, welchen
sie angehören, wie es im gewöhnlichen Schulvortrag geschieht,
sondern beschäftigt sie sich mit der Gruppirung, d. i. mit dem
Nebeneinandersein derselben in einem gegebenen Räume, von den
oberflächlichen zu den tiefliegenden übergehend, so wird sie topo-
graphische Anatomie genannt. Diese Behandlungsart der Ana-
tomie ist jedenfalls die praktisch-nützlichste, da es der Arzt nie mit
isolirten Systemen des menschlichen Körpers, sondern mit der Ver-
bindung aller zum lebendigen Ganzen zu thun hat. Das örtliche
Verhältniss der Organe in einem gegebenen Räume, ist für den
praktischen Arzt und Wundarzt vom höchsten Interesse, indem die
Störungen dieses Verhältnisses, eine Gruppe von localen Krankheits-
erscheinungen hervorrufen, welche nur, wenn jenes Verhältniss be-
kannt ist, richtig beurtheilt werden können.
Die topographische Anatomie abstrahirt in der Regel von den
fiinctionellen Bestimmungen, selbst von dem Baue der einzelnen
Organe, und stellt sich überhaupt keine andere Aufgabe als jene,
die Verwendung des anatomischen Raumes und die Verpackung
seines differenten Inhaltes kennen zu lernen. Dass die topographische
Anatomie, wie sie jetzt in unseren Schulen gelehrt wird, die Kennt-
niss der systematischen voraussetzt, leuchtet von selbst ein. Für
den Anßinger ist sie unverständlich.
Die topographische Anatomie ist älter, als die systematische,
oder beschreibende. Im Mittelalter konnten anatomische Demon-
strationen nur selten an den Universitäten gegeben werden, weil
wenig Leichen zui* Verfugung standen. War eine solche zur Hand,
wurde sie so zergliedert, dass man zuerst die drei Körperhöhlen,
und hierauf die Gliedmassen in Arbeit nahm, was man in der bar-
barischen Schulsprache der damaligen Zeit ancUomizzare, resecare,
oder excaniare nannte. Bei dieser Excamatio wurde nun zuerst der
Unterleib (imus venter) vorgenommen, hierauf die Brust (medius
venter), dann der Kopf (supremus venter), so dass die Haut, dann
die Muskeln und die Knochen, welche die Wand der betreffenden
g. 6. Topognpbisohe Anatoinie. 15
Körperhöhle bilden^ zuletzt die Eingeweide, mit dem Wenigen, was
man von ihren Gelassen und Nerven damals wusste, vorsecirt und
erklärt wurden. Die Gliedmassen (Membra), mit ihren Muskeln,
Knochen, GefUssen und Nerven, machten den Schluss. Eine solche
Demonstration dauerte anfänglich vier Tage, und wurde später auf
neun und zwölf Tage ausgedehnt. Bemerkungen über Verrichtungen
und Krankheiten der vorgezeigten Organe, nahmen gewöhnlich mehr
Zeit in Anspruch, als die Anatomie. Auch die Schriften jener Zeit
halten sich ausnahmslos an diese topographische Methode. Die
systematische Anatomie kam erst durch Jac. Sylvius im 16. Jahr-
hundert in Aufnahme.
Nimmt aber die topographische Anatomie zugleich auf das
Bedürfniss des Arztes Rücksicht, erörtert sie den Einfluss der räum-
lichen Verhältnisse auf Krankheitserscheinungen, untersucht sie, wie
sich die palpable Krankheit eines Organs in den nebenliegenden
reflectirt, in sie übergreift, ihre mechanischen Beziehungen stört,
und ihre Verrichtungen beeinträchtigt, leitet sie hieraus die Regeln
ab, nach welchen dem localen Uebel local begegnet werden soll,
beurtheilt sie, vom anatomischen Standpunkte aus, den Werth der
blutigen Eingriffe (Operationen), und stellt Normen für sie auf: so
wird sie insbesondere chirurgische Anatomie genannt; ein Name,
der fuglich in den der angewandten Anatomie umzuwandeln
wäre, da die Ergiebigkeit dieses Faches für die Medicin keine ge-
ringere als für die Wundarzneikunde ist, und es überhaupt nur
Eine Heilkunde giebt. Die angewandte Anatomie enthält sich aller
beschreibenden Details, aus denen keine unmittelbaren praktischen
Folgerungen gezogen werden können; -— sie ist die Blumenlese der
zahlreichen Nutzanwendungen unserer Wissenschaft, — somit die
eigentliche Anatomie des prakticirenden Arztes.
Die Gestaltung der Obei-flächc des Organismus beruht auf der
Gruppirung seiner inneren Organe. Deshalb braucht nicht erst be-
wiesen zu werden, dass die Kenntniss der äusseren Form des
menschlichen Leibes (Morphologie, unpassend Anatomia exteima)
einen sehr wichtigen Theil der topographischen Anatomie bildet, und
wenn man bedenkt, wie mit gewissen inneren krankhaften Zuständen,
entsprechende Veränderungen der Oberfläche Hand in Hand gehen,
so wird die praktische Wichtigkeit dieser Lehre fiir Jenen, welcher
Arzt werden will, keiner besonderen Empfehlung bedürfen. Die
Beinbrüche und Verrenkungen, die Wunden und das Heer von
Geschwülsten, also gerade die häufigsten chirurgischen Krankheiten,
bestätigen täglich ihre nutzvolle Anwendung. Die ästhetische Seite
dieses Zweiges unserer Wissenschaft, begründet nebenbei seine
Geltung in der bildenden Kunst, und die plastische Anatomie,
welche die äusseren Umrisse des menschlichen Leibes auf innere
16 §.7. Vergleichende Anatomie und Kntwicklnngsgeechichte.
Bedingungen redueirt, giebt erst den Werken der Kunst die Wahr-
heit des Lebens.
§. 7. Vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte.
Die vergleichende Anatomie hält die Heerschau über die
bunten Schaaren der Thiere und deren Bau, von der Monade, deren
Welt ein Wassertropfen ist, bis zum Ebenbilde Gottes. Wie das
Leben in seinen tausendfältigen Daseinsformen sich selbst und sein
Substrat veredelt; wie es, von den ereten und einfachsten Regungen,
sich durch eine endlose Reihe von Organismen fort und fort weiter-
bildet; wie Plan und Gesetzmässigkeit in Bau und Verrichtungen
jedem Individuum den Stempel relativer Vollkommenheit, d. h.
höchster Zweckmässigkeit für seine Existenz, aufdrückt, dieses zu
kennen, ist das preiswürdige Object der vergleichenden Anatomie,
welcher somit die Würde einer philosophischen Wissenschaft zu-
kommt. Sie hilft nicht zunächst einem praktischen Bedürfnisse ab,
wie die angewandte Anatomie; — ihr A^el beruht nicht auf den
materiellen Rücksichten des Nutzens, sondern auf Veredlung des
Geistes durch Wahrheit.
Vergleichende Anatomie und Zootomie sind nicht identische
Wissenschaften. Während die Zootomie nur das Einzelne mono-
graphisch behandelt, und die Summe anatomischer Kenntnisse ver-
grössert, giebt diesen die vergleichende Anatomie erst Bedeutung
und Zusammenhang, und begeistigt das todto Material durch die
Ideen, welche sie aus ihnen schöpfte. Diese Ideen sind in unserer
Zeit so kühn und grossaitig hervorgetreten, dass sie selbst die Macht
geltend machen, die Kluft zu ebnen, welche den Menschen von der
Thierwclt trennt, und seinen Ursprung, seine höhere Organisation
und geistige Begabung, nur als gesetzmässige und unabweisliehe
Folge von Entwicklungen angesehen wissen wollen, welche in die
entlegenste Ferne der Geschichte der Erde und ihres organischen
Lebens zurückreichen. Diese Entwicklungsfolge soll es verstehen
lehren, dass der Mensch nicht geschaflfen wurde, sondern durch zwin-
gende Macht der Naturgesetze entstand, d. h. sich aus niedrigeren
Wesen, als er selbst ist, entwickelte. Geologie, Palaeontologie und
organische Entwicklungskunde, haben die Naturwissenschaft in
diesen Bestrebungen unterstützt. Schon im Anfange dieses Jahr-
hundertes sagte Oken: ^.Der Mensch ist das grimmigste Raubthier,
„der unterwüiügste Wiederkäuer, die artigste Meerkatze (damit ist
„das schöne Geschlecht gemeint) und der scheusslichste Pavian, das
„stolzeste Ross, und das geduldigste Faulthier, der treueste Hund
„und die falscheste Katze, der grossmüthigste Elephant und die
§. 7. Vergleichende ÄBatomie nnd EntwicklaBgegeschichte. 17
„hungrigste Hyäne^ das frommste Reh und die ausgelassenste Ratte.
„Theilweise ist der Mensch allen Thieren gleich; ganz aber nur sich;
pder Natur, und Gott!" — Das verdaue, wer kann! — Wird es
nun dieser Schule gelingen, Ideen solcher Art, in wissenschaftlich
bewiesene, also verständliche, geschlossene Sätze zu fassen? Werden
diese Sätze auch die Wunden heilen, welche sie in dem Gefühle
der Menschenwürde, in dem Bewusstsein einer höheren als thieri-
sehen Bestimmung, unfehlbar aufreissen müssen? Wird die Wissen-
schaft auf ihrem Wege stille stehen, oder sich zur Umkehr bereden
lassen? Nur auf diese letzte Frage lässt sich bestimmte Antwort
geben. Sie lautet: Nein, — denn der Kampf des Wissens mit dem
Glauben wird dauern, so lange es Menschen giebt. Und so wollen
wir es auch nicht unbedingt für unmöglich halten, dass der philo-
sophische Geist der vergleichenden Anatomie, einst eine neue Ordnung
der Dinge schaffen kann. Aber man vergesse nicht, dass die Zeit
ein Element der Wahrheit ist. Die Wahrheit kommt nur lang-
sam und gradweise. Sie vor der Zeit erfassen zu wollen, hat, so
lange die Welt steht, nur zu Täuschungen geftlhrt.
Die Entwicklungsgeschichte oder Evolutionslehre be-
schäftigt sich nicht mit dem, was die Organe des thieri sehen Leibes
sind, sondern wie sie es wurden. Sie studirt die Gesetze, nach
welchen aus dem einfachen Keim, der thierischc Embryo sich zum
Fötus, und dieser zum geburtsreifen Kinde entwickelte, wie die Viel-
heit der Organe sich bildete, welche Metamorphosen sie durchliefen,
bevor sie den Culminationspunkt ihrer Ausbildung erreichten. Sie
gehört ganz der Neuzeit an, und wohl hat keine Wissenschaft in
so kurzer Zeit so Vieles und Ueberraschendes geleistet, wie sie.
Die durch Störung der Entwicklungsgesetze bedingten Abweichungen
in Form und Bau — Ilemmungsbildungen, Monstrositäten
— finden durch sie ihre wissenschaftliche Erledigung.
Die Worte Embryo und Feiua, welche in der Anatomie so hänfig gebraucht
werden, sind nicht synonym. Ihr Unterschied besteht, ein für allemal gesagt,
in Folgendem. Embryo (70 ^(jißpuov, von ßpuEtv, sprossen oder keimen) bedeutet
die nngebome Frucht im Mutterlelbe (xb evto; t^( yaotpo^ ßpuov, quod in vetUre matrü
puüulal, East), so lange noch nicht alle Formtheilc des werdenden Leibes ent-
wickelt sind. Sind diese aber bereits ausgebildet, so heisst die Frucht fettM,
(gewöhnlich, obwohl sprachlich unrichtig, auch foetusj, von dem veralteten feo^
erzeugen, woher auch feniina und fecundus stammt. Fetum edere, heisst ge-
bären, bei Cicero. Uebrigens bedient man sich heutzutage der Worte: Fetus
und Embryo, ganz promiscue.
Da die Entwicklungsgeschichte das Werden der Organe, nicht einen fertigen
und bleibenden Zustand derselben untersucht, es somit nicht mit Heschreibungen
Tollendeter Formen, sondern mit Uebergängen vom Einfachen zum Zusammen-
gesetzten zu thun hat, so wird sie gewöhnlich in die physiologischen, nicht in die
anatomischen Vorträge aufgenommen. In der descriptiven Anatomie kommt der
Lehrer oft in die Lage, auf die Ergebnisse der Entwicklungsgeschichte Rücksicht
Hjrtl, L«hrbach der Anatomie. 14. Aufl. 2
18 f. S. TerUItei« 4cr AMtew« rar nyiivlofM.
m nehmen, mid gut ist es, wenn er es so oft aJs mliglich thnt, denn der an»-
tomische S«chTerfaait im Tollkomsnen entwickelten Orgmnismos, wird besser Ter-
standen, wenn man weiss, auf welche Weise er zo Stande kam.
§. 8. Yerhältiiias dflr Anatomie snr Physiologie.
Bis zu Haller's Zeil befajmdelten die anatomischen Schriften
aach die Physiologie, d. i. die Verrichtungen der Organe; „n&qm
enirn mmlUi m pl^fialogieia jcran», mjt quae per anatomen didiernui.^
Diese Worte bezeichnen richtig das Verhaltniss der älteren Anatomie
zur älteren Physiologie. Aus ihnen spricht nur etwas zu viel Hoch-
achtung eines grossen Anatomen für sein Fach. Die neuere Physio-
logie ist bemüht y sich als «organische Physik*^ mit der Glorie
einer exacten Wissenschaft zu umgeben. Alles Irren ist ihr auch
sofort unmöglich geworden (eciUeei!). Wo Physik und Mechanik in
das Triebrad lebendiger Bewegungen eingreifen, lässt sich Exact-
heit der ^Uethode* allerdings anstreben, und Niemand wird es
bezweifeln, dass die Arbeiten ober Athmung, Verdauung, Ham-
bereitung, und Nenrenphysik^ ihren Werth behaupten, wenn auch die
Structur der betreffenden Organe eine ganz andere wäre, als sie
wirklich ist. Der Charakter jener Arbeiten ist eben ein rein chemi-
scher oder physikalischer. Wie es sich aber mit der Exactheit der
,,Resultate'^ verhah. zeigen die Wörtcheu: ,,es scheint^ und „es
dürfte"^, und die noch exaeter klingende Verbindung beider „es
dürfte scheinen^ welche die Seiten gewisser physiologischer
Schriften in unliebsamer Anzahl schmücken.
Es kann der Anatomie nicht zugemuthet werden, sich allein
mit der Aeusserlichkeit der Organe abzugeben. Ihre Tendenz ist
der Enträthselung der Functionen zugewendet, ihr Princip ist Physio-
logie. £in geistloses Handwerk, — und ein solches wäre die Anatomie
ohne Verband mit Physiologie, — hat keinen Anspruch 'auf den
Namen einer Wissenschaft. Kann man die Einrichtung einer
Maschine studiren, ohne Vorstellung ihres Zweckes, oder, so lange
man bei Vernunft ist. den Klang der Worte hören, ohne den Sinn
der Rede aufzufassen? Ist es möglich, harmonisch geordnete Theile
eines Ganzen zu sehen, sie blos anzustarren, ohne zu denken? Die
Physiologie setzt die Anatomie nicht voraus, sie existirt Tielmehr
in und mit ihr. Der Anatom kann keine Untersuchung vornehmen^
ohne von der physiologischen Frage auszugehen, oder am ESnde
auf sie zu stossen. Die Bahnen beider Wissenschaften begegnen
und kreuzen sich an so vielen Punkten, dass nur wenig divergirende
ZwischensteUen eintreten. Die Physiologie eine angewandte Ana-
tomie zu nennen, ist unlogisch, da eine reine Anatomie nicht existirt.
Beruht die Eintheilniig der anatomischen Systeme und AppaAla
§. 8. Verh<niM der Anatomie inr Physiologie. 19
nicht auf physiologischer Basis? werden die Arten der Gelenke
nicht nach ihrer möglichen Bewegung unterschieden? führt nicht
eine ganze Schaar von Muskeln physiologische Namen? — Wer
kann den Mechanismus der Herzklappen, die sinnreiche Construc-
tion des Auges und seiner dioptrischen Theile, die anatomischen
Verhältnisse der Bewegungsorgane, und so vieles Andere beschauen,
ohne einem physiologischen Gedanken Raum zu geben? Ist nicht
die Hälfte eines anatomischen Lehrbuches in physiologischen Worten
abgefasBt, und hat irgend Jemand deshalb über Unveratändlichkeit
Klage geführt?
Allerdings unterrichtet uns das anatomische Factum nicht über
jede physiologische Frage. Das leider so oft missbrauchte Experi-
ment am lebenden Thiere, die chemischen und physikalischen Ver-
suche , Vergleich , Induction , Analogie , tragen nicht weniger dazu
bei, das physiologische Lehrgebäude aufzuführen, und seine dunklen
Kammern dem Tageslicht der Wissenschaft zu öffnen. Die Grund-
festen dieses Gebäudes sind und bleiben jedoch die anatomischen
Thatsachen. Es war deshalb mit der Trennung der Physiologie und
Anatomie von jeher eine missliche Sache. Sie existirt de fa>cto in
den medicinischen Lectionskatalogen, aber nicht de jure, und wurde
überhaupt nur durch die Nothwendigkeit veranlasst, die täglich sich
vermehrende Menge physiologischer Ansichten und Meinungen, zum
Gegenstande eigener Schriften und Vorträge zu machen. Man nehme
aber der Physiologie die Anatomie (und die organische Chemie),
und sehe, was dann übrig bleibt.
Für die Bildung praktischer Aerzte, und diese ist doch der
Hauptzweck medicinischer Studien, könnte es nur erspriesslich sein,
wenn die Physiologie der Schule, sich mehr mit dem Menschen, als
mit Fröschen, Kaninchen und Hunden beschäftigte, und statt der
Stubenweisheit, für welche nur ein Fachmann schwärmen kann,
mehr das Bedürfniss des Arztes in's Auge fasste. So lange dieses
nicht geschieht, wird die Physiologie von den Studiren den nur als
eine Rigorosumplage gefürchtet, nicht als eine treue und nützliche
Gefährtin auf den Wegen der pi*aktischen Medicin geliebt und
gesucht. Mögen deshalb die Lehrer der Physiologie recht oft an
Baco denken: vana omnis erudiüonü ostentatio, nid utäem operam
90cum ducat, und die Freunde der empörendsten und nutzlosesten
Thierquälerei (nur von dieser rede ich) es beherzigen, dass die
Worte der Schrift: „Der Gerechte erbarmet sich auch des
Thieres" nicht blos für die Wiener Fuhrknechte geschrieben
wurden.
2*
^ |^ »x YtrIiAtt<t der Anatoml« snr Medioin.
^« 0« Yerli<iiiss der Anatomie zur Medioin.
Wir wollen die Klage der Studirenden nicht für gänzlich un-
biJjrHUulot halten, dass die Medicin zu viel von sogenannten Hiifs-
wiimoniiehaften mit sich schleppt. Diese HUfswissenschaften aUe,
morden von den gelehrten Professoren derselben, für den ärzt-
lichen Unterricht als sehr wichtig, selbst als unentbehrlich aus-
gegeben. Ja wenn es einer medicinischen Facultät einfiele, höhere
Mathematik und Astronomie in ihre Vorlesungen aufzunehmen,
würde der Lehrer dieser Wissenschaften gewiss in der ersten Stunde
es allen seinen Zuhörern an's Herz legen, dass man ohne Integral-
und Differenzialrechnung , und ohne Einsicht in den motvs codi,
Mderumque meatus, kein guter Arzt werden könne.
Im Erkennen und Heilen der Krankheiten liegt die Aufgabe
Jer Medicin. Ersteres allein ist Wissenschaft; letzteres war bisher
Jjmpine, und wird es noch lange bleiben. Um Krankheiten zu er-
nennen, macht der Arzt seine lange Schule durch; heilen dagegen
jcftnn Jeder, der weiss, was hilft. Und dieses Wissen hat einen so
l^escheidenen Umfang, dass es Max. StoU, einer der gefeiertsten
Aerzte seiner Zeit, auf seinen Fingernagel schreiben wollte. Bevor
man aber daran denken darf, zu heilen, hat der Arzt zuerst darauf
zu sehen: nicht zu schaden (wpwrov tb jj.t) ßX^irreiv. Hipp.). Auch
hiezu gehört eine Art von Wissenschaft, und Mancher kommt sein
Lebelang nicht weiter. — Im Erkennen der Krankheiten, nicht im
Heilen liegt die Würde der Medicin, und an dieser hat die Anatomie,
nach dem einstimmigen Urtheile aller wissenschaftlichen Aerzte, den
ersten Antheil. Cognüio corporis humani, principiv/m sermonU in arte»
Rolfink nannte die Anatomie: medidnae octdus, vergass aber hinzu-
zusetzen: quandoqvs coecuHens.
Es hiesse den Standpunkt der Anatomie sehr verkennen, wenn
man in ihr blos ein Vorbereitungsstudium zur Heilkunde erblicken,
und ihre vielfältigen Anwendungen in praoci, als die einzige Em-
pfehlung derselben dem Studirenden hinstellen wollte. Der Nutzen ist
leider das Idol der Zeit, dem alle Kräfte huldigen, alle Talente
fröhnen, und ein gutes Kochbuch wird von Millionen Familien fiir
nützlicher gehalten, als die Micamqm Celeste von Laplace. Im
Qrunde haben sie für ihren Gesichtskreis nicht Unrecht. Würde
aber allein die Nützlichkeit den Werth einer Sache bedingen, dann
müsste auch das Trinkwasser theurer sein als das Gold. — Am
allerwenigsten darf man es dem Schüler verargen, wenn er bei
einem Fache, dessen Betrieb so viel Zeit und Mühe in Anspruch
nimmt^ wie die Anatomie, vorerst ft*agt, wozu er es brauchen kann,
und erwartet, dass man es ihm sagt. Die cadaverum eordes und die
§. 9. Yarliiltaiii der Anatomie nur Medioiii. 21
mephMa der Secirsäle entschuldigen diese Neugierde. Allein die
Anatomie als Wissenschaft , ist keine Magd der Heilkunde. Jede
Naturforschung hat einen absoluten^ nicht in ihren Nebenbeziehungen
gegründeten Werth. So auch die Anatomie. Sie bietet Wahrheit
aus, verschenkt sie aber nicht, sondern lässt sie nur theuer erkaufen.
Das Geheinmiss des Lebens aufzuhellen, ist an und für sich ein
erhabener Zweck, der jede Rücksicht des Nutzens und der Brauch-
barkeit auf dem Markte des Lebens ausschliesst. Hieher gehören
DöUinger's Worte: „Ehe man fragt, wozu ein Wissen nütze, sollte
man billig erst untersuchen, welchen inneren eigenthümlichen Gehalt
und Werth es habe, inwiefern es den menschlichen Geist zu er-
füllen und zu erheben fähig sei, ob es an sich gross und kräftig,
Anstrengung fordernd, uns die Macht und den Gebrauch unserer
Kräfte kennen lehre".
Die ganze Welt gesteht es zu, dass die Anatomie die Grund-
lage der Medicin abgiebt. Dieses ist richtig. Die Medicin kann
der Anatomie nicht entbehren, obgleich die Anatomie sehr wohl ohne
Medicin bestehen kann. Und sie bestand auch lange schon, bevor
die Medicin noch Anspruch auf Wissenschaftlichkeit machen konnte.
Wir kennen alle die merkwürdige Thatsache, dass die grossen Ent-
deckungen in der Anatomie, lange Zeit den Entwicklungsgang der
Heilkunde nicht förderten, und grossartige physiologische Irrthümer,
welche sich durch Jahrhunderte zu behaupten wussten, denselben
nicht hemmten, ihm auch keine andere Richtung gaben. Die Philo-
sophie hat sich in dieser Beziehung viel einflussreicher bewiesen als
Anatomie und Physiologie. Es hat eine Zeit gegeben, wo Philosoph
und Arzt synonym waren, imd die Aerzte über die Krankheiten
nicht klüger urtheilten, als die Philosophen über das Unbegreifliche.
Die Anatomie wurde damals gar nicht befragt. Das Humidum und
CaUdum wurde für viel wichtiger gehalten. Jahi*tausende hindurch
hat die Medicin wohl allerlei Zeichen gesehen, imd Heilmittel ge-
funden , aber keine einzige Wahrheit , kein einziges Lebensgesetz.
Unbewiesener Glaube drückte ihrem Walten den Stempel der Un-
fruchtbarkeit auf, und der dem Menschen angeborene Instinct des
Denkens, führte nur zu grund- und gehaltlosen Theorien. Selbst in
unseren Tagen hat sie nicht ganz aufgehört zu sein, was sie seit
ihrem Beginne war, ein nicht ohne Sorgfalt zusammengestückeltes,
und treuherzig nachgebetetes System conventioneller Täuschungen,
welche man für Wahrheit nimmt.
Als die Anatomie im Mittelalter ihre Wiedergeburt feierte, und
Sitz und Stimme erhielt im Rathe der Aerzte, pries man zwar ihre
Wichtigkeit, aber ohne sie zu verstehen. Man weidete sich blos an
grossen Hoffnungen für die Zukunft, und blieb um ao eifirigerer
Parieigäiiger der herrschenden medicinisoheii P'
22 §. 9, Yerh<aiit der Anatomie sw Medieln.
nicht 80 lange um, wo die akademischen Gesetze gewisser Uni-
versitäten, den Betrieb der Anatomie entweder gar nicht, oder nur
den Wundärzten gestatteten. Auch diese Periode des Jammei*s ging
vorüber; es fiel ein Lichtstrahl auch in diese Nacht, und Hess das
Bewusstsein entstehen, dass das Heil der Heilkunde aus fi'ucht-
barerem Boden, als aus dem Flugsande der Hypothesen, welchen
die Schulen zusammenwirbelten, erblühen müsse. Sie hat ihn end-
lich nach langem vergeblichen Suchen gefunden, und die Anatomie
hat ihr hiebei die Leuchte vorgetragen. Dass hier vorzugsweise die
pathologische Anatomie gemeint ist, versteht sich von selbst. In
Wien wurde sie zu Anfang dieses Jahrhunderts durch Rud. Vetter
(später Professor der Anatomie zu Krakau) gegründet. Fast Niemand
nennt heutzutage diesen Namen mehr. Und dennoch waren Vetter's
Aphorismen aus der pathol. Anat., Wien, 1803, die erste, be-
deutungsvolle Leistung auf einem bisher brachgelegenen wissen-
schaftlichen Gebiete. Viele haben Worte und Gedanken dieses
Buches benützt, — erwähnt hat es (ausser Virchow) keiner! —
Man sollte es kaum glauben, dass der Versuch, die Heilkunde auf
anatomischem Wege vorwärts zu bringen, so lange hinausgeschoben
werden konnte. Die Bahn ist nun gebrochen, und was bereits
geschah, berechtigt zu den schönsten Erwartungen. Die Medicin
ist endlich Naturforschung geworden, und fühlt die Wahrheit, welche
in den Worten Baco's liegt: „non ßngendum aut excogüandum, sed
inoeniendum, quid Natura faciai cUque fercU^'. Ein Rückschritt ist
nicht mehr möglich. Man kann nicht mehr zurückfallen in den alten
Fehler, sich Begriffe von Krankheiten aus ihren äusseren Symptomen
zu construiren; von Kräften, Factoren, Polaritäten zu träumen, die
nicht existiren; für jedes Leiden eine Formel aufzustellen, was man,
um sich selber zu betrügen, rationelles Verfahren nannte, und die
Hauptsache zu überaehen, dass die Krankheit, wie jede andere
Naturerscheinung, analysirt und auf ihre in der Organisation be-
gründeten ursächlichen Momente zurückgeführt werden müsse. Mehr
kann der Arzt nicht thun, — weniger darf er aber auch nicht thun.
— Da die Lebensdauer der Menschen, seit die Medicin den oben
gepriesenen neuen Weg einschlug, nicht zunahm, und die Ziffern
der Sterblichkeitstabellen nicht kleiner wurden, wird man wohl ein-
sehen , dass das , was man zum Lobe der Medicin hört oder Uest,
nur den diagnostischen, nicht den curativen Theil derselben angeht,
obwohl auch dieser nicht mehr daran glaubt, dass eine Arznei um
so besser wirkt, je schlechter sie schmeckt, und dass man der Mittel
nicht genug auf einmal verschreiben könne, damit doch gewiss das
rechte darunter sei.
Ich weise, dass das Gesagte dem Anfänger, an welchen diese
Worte gerichtet sind, nicht ganz verständlich ist, ihm vielleicht
§. 10. Yerli<niM der Anatomie lar Chinirgie. 23
selbst frivol vorkommt. Sollte er sich in der Reife seiner Jahre^ ein
Urtheil über die Wissenschaft gebildet haben ^ der er jetzt sein
Leben und seine Kräfte zu widmen im Begriffe steht, so wird er die
hier vorgetragene Ansicht über den praktisch medicinischen Werth
der Anatomie, nicht zu hoch gehalten finden. Hat mir doch ein
Becensent die Ehre erwiesen, von diesen meinen Expectorationen
zu sagen: „sie enthalten Goldkörner, aber in bitterer Schale". Dem
ist leicht abzuhelfen. Man werfe die Schale weg, und behalte die
Kömer.
ffHic locus est, tibi mors gaudet succurrere vitae,^ So las ich
über der Thüre eines Pariser Secirsaales geschrieben, und wahrlich,
es bedarf nicht schönerer und mehr bezeichnender Woile, um die
Seele des Eintretenden, an der Schwelle schon, mit Ehrfurcht zu
füllen. Diese soll die vorwaltende Stimmung jedes Einzelnen sein,
der an den der Auflösung verfallenen Resten unseres eigenen Ge-
schlechtes lernen will, Gesundheit und Leben seiner Mitmenschen
zu wahren.
§. 10. Verhältniss der Anatomie zur GMnir^e.
Anatomie und Chirurgie sind einander sehr nahe verwandt.
Beide arbeiten mit dem Messer. Der Einfluss, welchen die Anatomie
auf Chirurgie ausübt, ist nie verkannt worden, und bedarf selbst
fiir den Laien keiner weitläufigen Erörterung. Schon im Mittelalter
erliess Kaiser Friedrich 11. den Befehl, dass Niemand zur Ausübung
der Wundarzneikunde berechtigt werden durfte , der sich nicht
ausweisen konnte, die Zergliederungskunst erlernt zu haben. So
heisst es in Lindenhrogii codex legum antiquarum : Jvbemus , ut
nuUus chirurgus ad prcuvim advuttatur^ nisi testimoniaies literas affercU,
quod per annum saltem in ea medidnae parte studuerit, guae chirurgiae
instruit facidtatem, et praesertim ancUomiam in schola didicerit, et sit
in ea parte medicinae perfecttis, sine qua nee incisiones salvbriter fieri
possunt, necfactae curari. Die Geschichte der neueren Chirurgie kann
es beweisen, welchen Vor th eil sie aus dem Bunde mit der Anatomie
gezogen. So lange die letztere mit sich selbst ausschliesslich zu
thun hatte, und sich keine Einsprache in chirurgische Fragen er-
lauben durfte, war auch die erstere zum meisten nichts Anderes,
als eine Summe roher und gedankenloser Technicismen. Wir wenden
uns mit Abscheu von den Gräuelscenen, welche die alte Chirurgie,
ungeschickt und grausam, in der Meinung das Beste zu thun, über
ihre Kranken verhing. „Quos medidna non sanat, ferrum sanat, guos
ferrum non sanat, ignis sancU, guos ignis non sanat, ü jam nullo modo
sanandi sunt.^ So hat der Ahnherr der Wundärzte «»»^'•^He», iind
24 §• 10. YerhUtniss der Anatomie snr Chirurgie.
seine blinden Verehrer im Mittelalter, wussten denn auch nichts
Besseres zu thun, als auszusehneiden, auszureissen, auszubrennen,
— und dieses nannte man Chirurgie. Kein Wimder fiii-wahr,
wenn diese Chirurgen in Deutschland, bis in das 15. Jahrhundert,
für unehrlich gehalten wurden, und kein Handwerksmann einen
Lehrburschen in Dienste nahm, wenn er nicht bescheinigen konnte,
dass er ehrlicher Aeltern Kind, und keinem Abdecker, Henker,
oder Bader verwandt sei (Sprengel). Erst Kaiser Wenzel erklärte
die Bader im Jahre 1406 für ehrlich,*) erlaubte ihnen eine Zunft
zu bilden, und ein Wappen zu führen. — Wie verschieden ist auch
heutzutage noch, selbst unter gebildeten Menschen, die Ansicht über
Chirurgie und Medicin. Man liebt den Arzt, man sehnt sich nach
seinem Kommen, nach seinem tröstenden Wort, denn mit ihm kehrt
auch die Hoffnung ein, und das Vertrauen, dass er mit harmlosen
Papierstreifen die finsteren Mächte alles Uebels überwältigen kann.
Dem Nahen des Wundarztes dagegen sieht man mit bangem Herzen,
selbst mit Furcht entgegen, denn seine Hand ist bewaffnet mit
scharfen Eisen, und was er bringt, sind vor der Hand Schmerzen.
Man denke sich diesen Mann noch unwissend und herzlos, und seine
Unbeliebtheit ist erklärt.
Als sich die Anatomen Palfin und Dionys, vor anderthalb
Jahrhunderten, zuerst herausnahmen, ein Wort über Chirurgie mit-
zureden, datirt sich, von diesem Zeitpunkte an, der rasche Auf-
schwung der französischen Chirurgie, und es dürfte nicht schwer
sein, zu beweisen, dass der Vorzug, welchen man in Deutschland
den Chirurgen jenseits des Rheins einräumt, mitunter darin seinen
objectiven Grund hat, dass die chinirgische Anatomie in keinem
Lande trefflichere und productivere Vertreter gefunden hat, als
dort, wo der Weg zu jenen Lehrstühlen, welche es irgendwie mit
Anatomie zu thun haben, durch den Secirsaal führt, — nicht über
die Hintertreppen der Ministerhötels.
Die Erkenntniss chinirgischer Krankheiten beruht auf der
Beobachtung ihrer äusseren Erscheinung, ,und auf der geistigen
Auffassung ihrer Bedeutung. Die äusseren Erscheinungen geben
sich, in der bei weitem grösseren Mehrzahl der Fälle, durch Störun-
gen mechanischer Verhältnisse, durch Aenderung der Form, des
Umfangs, oder durch formliche Trennungen des Zusammenhanges
*) Möglicher V^eiae waren die Kenntnifisef and ganz besonders die mores der
Bader jener Zeit, einer zeitlicheren Ehrenerklärung nicht besonders hold. Dieser
Gedanke beschleicht mich, wenn ich es lese, dass anno 1190, ein Bader, dem Grafen
Dedo II. von Groiz, den Bauch aufschnitt, um ihn von überg^osser Fettleibigkeit
zu heuen, weshalb denn gesetzlich bestimmt wurde, dass der Arzt, unter dessen
Händen ein Edelmann stirbt, den Verwandten desselben zur beliebigen Verfügung
ausgeliefert werden solle, ja selbst, um der Frauen Ruf zu wahren, der Wundarzt
einen schweren Eid zu schwören hatte, dass er einer Dame nur in Gegenwart ihrer
nächsten Verwandten zur Ader lasse.
§. 10. Verhftltniss der Anatomie cur Chirurgie. 25
kund. Können es andere als anatomische Gedanken sein, welche
bei der Untersuchung solcher Zustände, die Hand des Wundarztes
leiten? Den Sitz, die Richtung eines Beinbruches zu erkennen, die
Gefährlichkeit einer Verwundung zu beurtheilen, gelingt dem Ana-
tomen, der nicht Chirurg ist, wahrlich nicht schwerer, als dem
Wundarzt, der kein Anatom ist. Letzterer steht dem Gaimer näher,
als dem Arzte. Ich halte es für überflüssig, die Wichtigkeit der
Anatomie für den Wundarzt noch weiter zu motiviren. Nur eine
ganz besonders vortheilhafte Seite chirurgisch-anatomischer Studien
erlaube ich mir hervorzuheben. Wie selten trifft es sich, alle jene
interessanten chirurgischen Krankheitsfälle auf den Kliniken zu beob-
achten, welche unsere Aufmerksamkeit in so hohem Grade fesseln.
Nicht in jedem Jahre kommen alle Formen chirurgischer Leiden vor.
Der Schüler muss sich deshalb an die Handbücher wenden, und was
diese sagen, ist nicht immer vollwichtiger Ersatz für mangelnde
Autopsie. Die Anatomie kann hier auf die trefflichste Weise aus-
helfen. Ihr steht in der Leiche ein reiches Promptuarium von
Krankheitsformen zur Verfügung, welche sich nach Belieben her-
vorrufen, absichtlich erzeugen lassen. Ich sage nicht, dass solche
Behelfe die klinische Beobachtung ersetzen, oder sie entbehrlich
machen können. Aber nutzlos wird gewiss Niemand eine solche
Uebung nennen, die gerade die wichtigsten (pathognomonischen)
Erscheinungen zur gründlichen Anschauung bringt. Alle Beinbrüche,
alle Ven'enkungen, alle Hernien, alle Höhlen wassersuchten , lassen
sich auf diese Weise mit dem besten Erfolge an der Leiche studiren.
Ich kann nicht umhin, noch eines besonderen Vortheiles zu
erwähnen, den die Chinirgie aus einem bei uns vielleicht zu wenig
gewürdigten Zweige der Anatomie schöpfen kann, — ich meine das
Studium der äusseren Form des menschlichen Leibes. Da die äussere
Form nur das Ergebniss der inneren Zusammensetzung ist, und wir
von gewissen äusseren Anhaltspunkten auf den Zustand innerer Or-
gane schliessen, so wird die praktische Bedeutimg dieses Zweiges
der Anatomie, keiner besonderen Empfehlung bedürfen. Richtig
und schön bemerkt Ross, in seinem Versuche einer chirurgischen
Anatomie: „Das Studium der äusseren Körperform bietet dem Chirui*-
„gen eine reiche, noch lange nicht erschöpfte Fundgrube dar; —
„die allgemeinen Bedeckungen werden für ihn zu einem Schleier, der
„weit mehr durchsehen lässt, als Mancher vielleicht glaubt". Und in
der That, wie leicht erkennt der richtige, sogenannte praktische
Blick, an einer bestimmten Alteration der äusseren Form einer
Leibesgegend, aus dem Vorkommen einer einzigen Vertiefung öder
Erhabenheit an einem Orte, wo keine sein soll, die Natui* des sich
so einfach äussernden Uebels, ohne erst durch die Tortur der so-
genannten manuellen Untersuchung, hinter welcher der ungeschickte
2b S* 10- VerhUtniM der Anatomie rar Chirargie.
Wundarzt seine Verlegenheit zu bergen, und Fassung zu gewinnen
sucht, dem Kranken unnöthiges Leid zu verursachen. Der Chirurg
soll ein Auge haben für die Form, wie der Künstler, und da er in
den Secirsälen so äusserst wenig Gelegenheit findet, die Gestalt ge-
sunder menschlicher Leiber zu schauen, und die nackten Kampf-
spiele und Tänze der Griechen, welche die herrlichsten Formen,
durch lebendige Bewegung verschönert, vor empfanglichen Augen
enthüllten, unserem behosten Zeitalter nicht anstehen, so muss er
am höchsteigenen Leibe, oder, wie der Künstler, am lebenden
Modell, sich im Studium normaler Formen üben, um die abnormen
verstehen zu lernen. Die Kleider der Frauen, über welche sich
schon Seneca erzürnte: vestes nihil cdtzturae, nuUum corpori auxäiwn,
sed et nuUum pudori, erlauben gelegentlich auch heutzutage noch
einen guten Theil des Körpers, welchen die nur hie und da ange-
brachten Kleidungsstücke unbedeckt lassen, mit anatomischen Sinnen
zu prüfen.
Die Anatomie giebt dem Wundarzte seinen praktischen Blick,
seine lebendige Anschauungsweise, Selbstständigkeit und Schärfe
der Beobachtung und des Urtheiles, und setzt ihn in den Stand, bei
jedem vorkommenden FaUe sich nicht nach den vagen Worten der
Compendien, sondern nach wohlverstandenen anatomischen Gesetzen
zu Orientiren. Die Anatomie erhebt den Wundarzt erst zum Ope-
rateur. Sie bestimmt sein Urtheil; sie leitet seine Hand; — sie
adelt selbst seine Kühnheit, welche alles versuchte, — sogar die
Unterbindung der Aorta!
Ein berühmter deutscher Chirurg sagte, dass die Anatomie
den Wundarzt furchtsam mache, und ihm den Muth lähme, im
menschlichen Leibe, dessen Wunder er als Anatom mit einer Art
von heiliger Scheu betrachtet, und welche er nur durch die sorg-
samste und minutiöseste Zergliederung zu entschleiern hoffen darf,
mit gewaffneter Hand zu schalten und zu walten. Es ist fürwahr
etwas Richtiges an der Sache. Wer nur für aUe die Kleinlichkeiten
und Umständlichkeiten subtiler anatomischer Arbeiten Sinn hat, wer
sich in den die Geduld eines Sisyphus erschöpfenden Präparationen
der feinsten Gefksse und Nerven gefällt, und mit der Aengstlichkeit
eines allerdings höchst nützlichen und lobenswerthen Handwerk-
fleisses, am Secirtische niedliche und ge&llige Arbeit zu liefern, für
den eigentlichen Zweck des anatomischen Berufes hält, der ist nicht
zum Chirurgen geboren. Mancher höchst achtbare Anatom würde
als operirender Wundarzt eine sehr klägliche Rolle spielen. Allein
es ist zu weit gegangen, wenn obiger Satz auch die chirurgische
Anatomie, welche gewissermassen nur die Blumenlese praktischer
Anwendungen der Anatomie enthält, gerade bei Jenen in Verdacht
zu bringen beabsichtigte^ die ihrer am meisten bedürfen.
S. 11. Ii«hr- and L«nim«thodo. 27
§. 11. Lehr- und Lemmethode.
Das Lehren bedingt das Lernen. Die Schüler eines guten
Lehrers werden viel, — jene eines schlechten wenig oder gar nichts
lernen. Wenn ich zurückdenke an jene Zeit, welche ich als Schüler
in anatomischen Hörsälen zubrachte, möchte es mich fast bedünken,
dass sie verloren war. Mit welchen Erwai*tungen betrat ich, als
junger Mann diese Räume, und wie wenig habe ich daraus für das
Leben mitgenommen! Die Schuld liegt nicht an der Wissenschaft,
sondern an der Art des Lehrens. Jeder Lehrer der medicinischen
Hilfswissenschaften behandelt dieselben gewöhnlich so, als ob es
seine Pflicht wäre, lauter Gelehrte für sein specielles Fach zu bilden,
und es fehlt selbst nicht an Solchen, welche die Würde ihrer Wissen-
Bchafifcen um so höher zu stellen vermeinen, je weniger sie sioh zur
Fassungsgabe ihrer Zuhörerschaft herablassen zu müssen glauben.
Man docirt so viel, als man eben weiss. Darunter giebt es aber
auch Ueberflüssiges für den ärztlichen Bedarf, und dieser soll doch,
so dünkt mich, dort, wo es sich um Erziehung zum praktischen
Leben handelt, in den Vordergrund treten, denn der Student studirt
in der Regel nicht der Wissenschaft, sondern des Benifes wegen,
welcher ihm seinen Lebensunterhalt verschaffen soll. Warum lässt
sich unter jungen Aerzten so oft die Klage vernehmen, dass man
erstens zu vergessen, und zweitens zu lernen anfangen müsse, wenn
man aus der Schule tritt?
Selbst die Methode des Vortrages ist nicht immer geeignet,
die Aufmerksamkeit der Schüler zu fesseln, und Theilnahme für
seinen Inhalt zu erregen. Hätte die Anatomie keine geistreiche Seite,
wäre sie als rein beschreibende Wissenschaft, blos auf das trockene
Aufzählen der Eigenschaften der Organe beschränkt, und geschieht
dieses überdies noch mit einer gewissen, in*s Breite gedehnten Um-
ständlichkeit, welche man Genauigkeit nennt, so würde es allerdings
unvermeidlich sein, dass der Eindruck einer solchen Behandlung
der Anatomie ex cathedra, in einer abspannenden, gedankenlosen
Leere bestände, bei welcher man so dick als lang werden kann.
Ist der Vortrag, wie sein Object, ein Leib ohne Leben, dann sind
und bleiben beide — todt. Dieses Häufen von nichtssagenden
Worten, dieser Aufwand an Ueberflüssigem , diese einschläfernde
Monotonie der Beschreibungen, diese häufigen Wiederholungen, ver-
bunden mit der Abgeschmacktheit veralteter Ausdrücke, an denen
die Sprache der Anatomie so viel Ueberfluss hat, haben es nie
verfehlt, in dem enttäuschten Hörer solcher Vorlesungen, eine kläg-
liche Verödung des Geistes und der Gedanken zu erzielen, und
leise schleicht sich bei ihm vor dem Entschlummern die Erinnerung
28 $• 11« Lehr« und Lernmcthod«.
an die Worte ein, welche Göthe dem Schüler im Faust in den
Mund legt: „Hier in diesen Hallen, will es mir keineswegs gefallen ;
„denn in den Sälen, auf den Bänken, vergeht mir Hören, Seh'n
„und Denken". Insbesondere wird dieses dann der Fall sein, wenn
der Lehrer imter der drückenden Bürde leidet, welche ihm die stete
Wiederholung bekannter Dinge auferlegt, und die gerade der Gte-
lehiiie am meisten fühlt, weshalb er seine Vorlesestunde nur zu oft
als taediöse Greschäftssache, als nothwendiges Uebel seines Standes
abfertigt (an n'amuse pas les autres, quand on s'ennvie soirtnime).
Grosse Gelehrte sind aus diesem Grunde häufig schlechte Lehrer.
Gilt aber nicht umgekehrt.
Wie ganz anders erscheint dagegen die Anatomie, welche Be-
friedigung und geistige Anregung fliesst aus ihr, wenn sie das todte
Wort mit dem lebendigen Gedanken beseelt, Reflexion und Urtheil
ihren Wahrnehmungen einflicht, und den Verstand nicht weniger
als das Auge in ihr Interesse zieht. Ich habe es immer als ein
wesentliches Merkmal eines guten Vortrages erkannt, dass der Zu-
hörer an dem Stoffe, der ihm geboten wird, ein freies geistiges
Interesse finde, ihn in sich aufnehme und weiterbilde aus intellec-
tuellem Vergnügen, so dass er seiner nicht blos habhaft, sondern
auch sicher werde, nicht blos empfange, sondern mitwirke, nicht
blos geniesse, sondern auch verdaue.
Es scheint kaum möglich, Gegenstände geistlos zu behandeln,
welche, wie der menschliche Leib, der Ausdruck der höchsten
Weisheit sind, vor deren Walten wir uns beugen in Demuth und
Bewunderung. Wir haben es zwar in der Wiener Zeitung lesen
können, dass zur Anatomie eben nicht viel Verstand gehört, und
pflichten dem Schöpfer dieser Idee in so fern bei , als sie aus tief-
fühlender Anschauung seiner eigenen Leistungen hervorging.
Es soll ferner dem Schüler durch den Vortrag klar werden,
warum und wozu er Anatomie studirt. Nichts belebt den Vortrag
einer Wissenschaft für den Neuling in so anmuthiger und anregen-
der Weise, als das farbenreiche Colorit ihrer Anwendungsfähigkeit.
Nicht abstracte Gelehrsamkeit, sondern praktische Bildung soll die
Schule bringen.
Der physiologische Charakter der Anatomie, ihre innige Be-
ziehung zur praktischen Heil Wissenschaft, der Geist der Ordnung und
Planmässigkeit, welcher das Object ihrer Wissenschaft durchdringt,
giebt Anhaltspunkte genug an die Hand, sie anziehend und lehrreich
zu machen. Um nur Ein Beispiel anzuführen: wie ermüdend erscheint
die descriptive Anatomie der Rückenmuskeln, wenn sie, wie sie auf
einander folgen, mit ihren verwickelten Ursprüngen und InsertioneB
umständlich beschrieben werden, — ein reizloses, ödes GMÜtohti
werk! — und wie gewinnt diese Masse Fleisch an Lieht luid
1. 11. L«kr- niid LenuMtkod«. 29
wenn sie auf die typische Uebereinstimmung der einzelnen Wirbel-
Bäolenfitücke y und die Analogien des Hinterhauptknochens mit den
Wirbelelementen bezogen wird! — Auf so viele Fragen: „warum
es so sei^y hat die Anatomie eine Antwort bereit^ wenn man sie ihr
nur zu entlocken versteht. Wer für den geistigen Reiz der Wissen-
schaft ^cht empftnglich ist, der wird vielleicht durch ihren mate-
riellen Nutzen bestochen, und darum muss die Anatomie ex cathedra
in beiden Richtungen verfolgt und gewürdigt , und auf die zahl-
reichen Anwendungen der Wissenschaft im Gebiete der Medicin
und Chirurgie, wo es sich auf verständUche und ungezwungene Art
thun lasst, hingewiesen werden.
In einer demonstrativen Wissenschaft geht alles Weitere vom
Sehen aus. Die Objecte der Anatomie müssen also dem Vortrage
zur Seite stehen, und jedes Hilfsmittel versucht werden, richtige und
allseitige Anschauungen zu ermöglichen. Die künstlichen Darstellungen
von schwierigen und complicirten Gegenstanden in vergrössertem
Haassslabe, naturgetreue Abbildungen, Durchschnitte und Aufrisse,
an der Tafel entworfen, sollen den Demonstrationen an der Leiche
vorangehen, und ein reiches, geordnetes, den Zustand der Wissen-
schaft repräsentirendes anatomisches Museum, wie ich ein solches
für menschliche und vergleichende Anatomie in Wien geschaffen
habe, auf die liberalste Weise jenen Studirenden offen stehen, welche
Neigung fühlen, sich mit der Anatomie eingehender vertraut zu
machen, als es zur Erlangung des Doctordiploms noth wendig ist.
Was in den Vorlesungen gezeigt wird, soll sich unter den Händen
des Lehren entwickeln, nicht schon fertig zur Schau gestellt
werden, damit der Zuhörer auch mit der Methode des Zergliedems
und mit der analomisehen Technik bekannt gemacht werde. Das
Vorzeigen fertiger Präparate nützt viel weniger, ab das Vorprapariren.
Das erstere geschieht für die Gaffer, das letztere für die Denker.
Die praktischen Zergliedemngen sollen femer unter steter Auf-
sicht und Anleitiing eines sachkundigen und berufttreuen Demon-
strators, oder mehrerer, vorgenommen, und eine Sectionsanslak mit
dem DÖth%en Leichenbedarf, mit zweckmässigen, lichten und ge-
sunden Räumlichkeiten« und mit aDem Uebrigen reich dofirt werden,
was die in der Natur der Sache liegenden Unannehmlichkeiten ana-
tomischer Bea^äftigung am wenigsten fühlbar macht. Leider ist
in Wien die ABat«Mwe nur in die ni^s^esnnden und finsteren Winkel
einer aken Fabrik verwiesen, weiche Gottes Sonne nicht bescbeint,
während DeioaeUaads kleinste Universitätsstädte^ welche nicht mehr
EinwcJiiier hsW ■ > ab das Wiener Krankenkaos Betten zählt, ihr
Lehrer haben, welche würdig sind, sie zu be-
■Mcfat nicht den Geist der Schule; — es
K«*^ L^rt. Unter allen aaatooiisebea
30 S> II« I<«lu'- nnd Lernmethode.
Museen, welche ich kenne, ist das Wiener am reichsten an ana-
tomischer Handarbeit. Hierin liegt einiger Trost dafür, dass die
anatomische Anstalt selbst, was Zweckmässigkeit anbelangt, allen
übrigen nachsteht. Meine Klagen blieben unerhört.
Die Uebungen an der Leiche leisten für die Bildung des Ana-
tomen wichtigere Dienste, als die Theilnahme am Schulunterrichte.
Der Lehrer kann nur anregen, Gedanken erwecken, den Geist der
Wissenschaft und seine Richtungen andeuten; — die feststehende
Ueberzeugung, das bleibende Bild der anatomischen Verhältnisse,
verdankt seinen Ursprung nur der eigenen Untersuchung. Und
diese eigene Untersuchung soll so gepflogen werden, als ob der
Schüler an der Leiche erst zu verificiren hätte, was in den Büchern
gesagt wird. Nur die Skepsis leitet die Hand des Entdeckers; —
der Zufall bewährt sich ungleich weniger gefällig. Jeder andere
Versuch, sich etwa durch Leetüre und Abbildungen, grundfeste
anatomische Bildung anzueignen, ist und bleibt unfruchtbar — wie
das Gebet des Armen.
Nachschreiben anatomischer Vorlesungen möchte ich nur Jenen
empfehlen, welche in selbstzufriedener Gedankenlosigkeit, den Trost
gemessen wollen, was schwarz auf weiss geschrieben steht, bequem
nach Hause tragen zu können. Und Viele sind recht wohl damit
zufrieden. — Je zahlreicher übrigens ein anatomisches CoUegium
besucht wird, desto grösser sind die Schwierigkeiten für den Lehrer.
Dieses liegt in der Natur demon8ti*ativer Vorlesungen, welche um
so nutzbringender werden, je kleiner die Zuhörerschaft. Das Statut
der ältesten anatomischen Schule zu Bologna (anno 1406, de ana-
ihomia quolibet aimo fienda), gestattete bei den Demonstrationen an
männlichen Leichnamen nur 20 Zuhörer, an weiblichen, welche sel-
tener zu Gebote standen, 30. Den kleinen Universitäten Deutsch-
lands verdankt auch unsere Wissenschaft mehr Fortschritte, als den
mit ihren 1000 Studenten prunkenden Residenzen! Man vergleiche
nur den Gehalt der Inauguralschriften der ersteren, mit jenem der
letzteren. Bei uns hat man sie, ihrer Erbäi-mlichkeit wegen, gänz-
lich abschaffen müssen, während die Berliner, Breslauer und Dor-
pater Dissertationen, zur classischen Literatur der feineren Anatomie
gehören.
Da es bei den praktischen Uebungen an der Leiche, dem An-
fänger zum grössten Nutzen dient, bereits eine Vorstellung von dem
zu haben, was er aufsuchen soll, so kann es nicht genug empfohlen
werden, dass er durch vorläufige Ansicht schon fertiger Präparate,
durch Benutzung naturgetreuer Abbildungen, und durch die Leetüre
einer praktischen Anleitung zum Seciren, sich zu den Präparir-
übongen vorbereite. Eine solche Anleitung zu geben, hielt ich als
anatomischer Lehrer tfXr meine besondere Pflicht, und schrieb deshalb
§. 12. Terminologie der Anstomie. 31
mein nützlichstes Buch: „Handbuch der praktischen Zergliederungs-
kunst^ Wien, 1860", in welchem der Schüler Alles findet, was er
zum Seciren bedarf, und welches auch der Fachmann mit Nutzen
durchlesen kann.
Die malo omme aufgehobene Schule für Militärärzte in Wien, befand sich
in der glücklichen Lage, als Lehrmittel über jene weltberühmte Sammlung von
Wachspräparaten verfügen zu können, welche die Munificenz des grossen kaiser-
lichen Menschenfreundes, Joseph^s II., dem feldärztlichen Unterrichte widmete.
Es ist in dieser ausgezeichneten Sammlung dem Studirenden die trefflichste Ge-
legenheit geboten, sich durch die Betrachtung plastischer Darstellungen, ein Bild
dessen vorläufig einzuprägen, was er durch seine eigenen Präparationsversuche
darstellen wiU. Nur Florenz besitzt eine ähnliche Sammlung. Beide wurden,
unter Fontana's Leitung, durch die Künstler Gaetano Zumbo und den Spanier
Novesio ausgeführt. Zumbo hatte übrigens noch die originelle Idee, dem
Florentiner Museum eine Wachsbüste seines eigenen Schädels, und zwar im dritten
Grade der Fäulniss, zu hinterlassen.
Nicht minder nützlich bewährt es sich, dass der Schüler, um von den Vor-
lesungen Nutzen zu ziehen, durch seine Privatstudien dem Lehrer voraneile, damit
er den Vortrag als Commentar zu seinem bereits erworbenen Wissen benutzen
könne. Es spricht sich leichter zu einem Auditorium, welches in den zu behan-
delnden Materien nicht gänzlich unbewandert ist, und der Besuch anatomischer
Collegien bringt mehr Vortheil, wenn das, was hier verhandelt wird, durch eigene
Verwendung dem Zuhörer schon früher wenigstens theUweise bekannt wurde.
Fleissige Schüler überholen den Lehrer; mittelmässige bequemen sich ihm auf
dem Schritt zu folgen; indifferente schleppen ihm nach, oder lassen ihn allein
seines Weges ziehen.
Unsere Studieneinrichtung hielt bis zum Jahre 1848 an dem Grundsatze,
dass der Lehrer nicht blos vorzutragen, sondern auch am Ende des Jahres durch
Prüfungen das Maass der erworbenen Kenntnisse seiner Zuhörer festzustellen habe.
War dieser Grundsatz gut, so hätte er nicht aufgegeben werden sollen. War er
schlecht, so begreift man nicht, warum er für einen Theil der Studentenschaft
wieder zur Geltung kam, für jene nämlich, welche Benefizien beanspruchen. Er
war aber beides zugleich; — g^t im Princip, schlecht in der Anwendung. Gilt
nun die Lemfreiheit nur für Einige, dann liegt auch hierin ein sprechendes Zeug-
niss des Misstrauens in ihre allgemeine Nützlichkeit, welche nur dort sich be-
währen kann, wo Lehrer und Schüler die rechte Ansicht von ihr und von dem
wahren Geiste des Universitätslebens haben, wie er in den Gymnasien geweckt
werden soll. Hätten sie diese Ansicht nicht, dann müsste man die jungen Männer
bedauern, deren Studien hineinfallen in eine so verworrene Zeit, wie wir sie jetzt
in Gestenreich durchleben.
§. 12. Terminologie der Anatomie.
Obwohl die Anatomie in allen Ländern der Welt in der Landes-
sprache gelehrt, und ihre Schriften in derselben Sprache geschrieben
werden, hat sie doch die alten lateinischen und griechischen Namen
beibehaken, was ihr zwar einen gelehrten, aber, wie mir scheint,
auch einen pedantischen Anstrich giebt.
32 $. IS. Terminologie dor instomio.
Die Sprache der Anatomie nennt He nie mit Recht principlos.
Sie ist in der That ein bontes Gemisch von einigen bezeichnenden^
oder wenigstens sinnigen^ and vielen absurden, schlecht gewählten
Ausdiücken, oft allzuläppisch fUr das ernste Handwerk des Ana-
tomen. Die Schwärmerei für nomina obaoleta, tritt besonders in der
Synonymik auf ergötzliche Weise hervor. Geht es doch mit der
Terminologie in der Medicin auch nicht besser. Fast alle Krank-
heiten führen ganz absurde Namen. Ich nenne nur Catarrh und
Rheuma, Krebs und Markschwamm, Schlagfluss und Brand, grauer
und schwarzer Staar, Carbunkel und Furunkel, Beinfrass, Aussatz
und Schwindsucht, und die häufigste von allen Erkrankungen trägt
als Name eine Metapher: Entzündung. Hat man je daran gedacht,
diese Tropen durch Besseres zu ersetzen? Nein. Es bleibt beim
Alten, bis es von selbst besser wird. Die beschreibende Thier- und
Pflanzenkunde haben eine viel treffendere und bessere Nomenclatur.
Da die Theile des menschlichen Körpers grösstentheils zu einer
Zeit bekannt wurden, wo man sich nicht viel Mühe gab, über ihre
Verrichtungen nachzudenken, auch das Bedürfniss einer wissenschaft-
lichen Sprache noch nicht fühlte, so darf es nicht wundern, in jenem
Theile der Anatomie, welcher aus dem entlegenen Alterthum stammt,
die sonderbarsten, bizarrsten, mit imseren gegenwärtigen physio-
logischen Ansichten im grellsten Widerspruche stehenden Benen-
nungen zu finden. Die immer noch geläufigsten Worte: Musculua
(wörtlich übersetzt Mäuslein), Arteria (Luflgang), Bronchus (Weg für
das Getränk), Parenchyma (Erguss), Thymus (Brustdrüse), Nervus
(worunter man alle strangartigen Gebilde von weisser Farbe zu-
sammenfasste, also nebst den Nerven auch Sehnen und Bänder, wie
das Wort Aponeurosis beweist), drücken vi nominis etwas ganz
Anderes aus, als wir heutzutage dainmter verstehen. Das Mittelalter
war in der Wahl seiner anatomischen Benennungen noch unglück-
licher. Die Einfalt unserer Vorfahren, und die geistige Beschränkt-
heit der damaligen Zeiten, gefiel sich in den unpassendsten Ausdrücken,
deren mystische und religiöse Interpretationen vielleicht dazu dienen
sollten, die missgünstigen Blicke, welche ein finsterer Zeitgeist auf
die Anatomie zu werfen nicht unterliess, in freundlichere zu ver-
wandeln. Hieher gehören der Morsus diaboli, das Pomum Adami,
die Lyra Davidis, das Psalterium, das Memento mori, der Musculus
religiosus, das CoUare Hdvetii^ etc. Wie sehr es den Anatomen zu
thun war, ihr für unheilig gehaltenes Treiben in einem besseren
Lichte erscheinen zu lassen, mag ihren Geschmack an derlei Be-
nennimgen entschuldigen. Hat doch der sonst tüchtige, und sehr
gelehrte Adrianus Spigelius, sich nicht entblödet, in den Muskeln
des Gesässes, ein dem Menschen verliehenes Polster zu bewundern,
„Cid insedendo, rerum divinarum cogitaüofdbus recHus atitmum applicare
§. 19. Terminologie der Anatomie 33
posrit^^ gleichwie Andere in dem Kapuzenmuskel ein allen Sterb-
lichen umgehängtes pi'o memoria zu sehen geneigt waren, „tä vitam
religiosam ducendam esse meminerint'^ . — Die obscönen Bezeichnungen
gewisser Qehirntheile, als: Anus, Vulva, Penis, Nates, Testes, Mammae,
welche man im Mittelalter erfand: „ut scientia anatomica juvenäbus
magis grata reddatur^ (Vesling), haben anständigeren weichen
müssen; allein die auf rohen Vergleichen beruhenden Benennungen
(Schleienmaul , Seepferdefiiss , Fledermausflügel , Schnepfenkopf,
Hahnenkamm, Herzohren, Hammer und Ambos, etc.) werden blos
getadelt, aber dennoch beibehalten. Die Mythologie hat die Namen
ihrer Götter und Göttinnen der Anatomie geliehen (Os Priapi, Mons
Veneris, Comu Ammwiis, Tendo AcMllis, Nymphae, Iris, Eh/meti, Hebe
für die weibliche behaarte Scham, Linea Martis et Satumi, etc.).
Die Botanik ist durch die Amygdcda, den Arbor vitae, das VerttdUum
(im Chordensysteme des Gehirns), die Olive, den Nudeus lentis, die
SUiqua, das Os pisiforme, die Caruncida^ myrtiformes, — die Zoologie
durch den Tragus, Hircus, Hippocampus, Helix, den Vermis bombidnvs,
den Rabenschnabel, die Comua limacum, den Pes anserinus , etc.
repräsentirt , imd eben so gross ist das Heer von Namen, welche
einer weit hergeholten Aehnlichkeit mit den verschiedensten Gegen-
ständen des täglichen Gebrauches ihre Entstehung verdanken. Die
Hundszähne, der Rachen, der Schmeerbauch, das Scrotum
(bei den Arabisten häufig als Scartum erwähnt), das Ohrenschmalz
und die Augenbutter, sind eben keine Erfindungen einer an-
ständigen Sprechweise, aber noch immer besser als jene Namen,
deren Ursprung und Sinn gar nicht auszumitteln ist.
In der Benennung der Organe nach ihren vermeintlichen Ent-
deckern, war die Anatomie sehr ungerecht. Es lässt sich mit aller
historischen Schärfe nachweisen, dass viele Gebilde des menschlichen
Körpei*8, welche den Namen von Anatomen führen, nicht von diesen
entdeckt wurden. Die Aufzählung derselben wäre für diesen Ort
zu umständlich. Den grössten Männern des Faches wurde die Ehre
nicht zu Theil, ihr Andenken in der anatomischen Terminologie zu
verewigen, und Viele sind derselben theilhaffcig geworden, von denen
die Geschichte sonst nichts Rühmliches zu berichten hat.
Die Versuche, welche g^emacht wurden, die anatomische Nomenclator zn
modemisiren, blieben ohne Dank und Nachahmung. Selbst das Unrichtige wird
ungern aufgegeben, wenn es durch langen Bestand eine gewisse EhrwQrdigkeit
errang. Man kann der Anatomie, so wie der Medicin und Astronomie, ihre alten
Namen belassen, da es sich gar nicht um den Laut, sondern um Begriffe handelt.
Ich habe es auch nicht für unpassend gehalten, die Synonymen eines Organs
im Texte des Buches aufzuführen, besonders wenn sie hervorragende Eigen-
schaften des fraglichen Organs ausdrücken, und sich dadurch eine Art knner
Beschreibung aus ihnen nisammenstellen lässt Auch die hnmoristiBchen Benemuiiigaii
wurden angenommen.
Hjrtl, Lelurbveh der Anatomie. 14. Aufl. B
34 §• IS. Besondere Nntzanwendniifen der Anatomie.
Eine selbst den richtigen Vorstellangen gefährlich werdende WillkOr in
der Bezeichnung der Flächen und Ränder verschiedener Organe, wird dadurch
begünstig^, dass, was bei liegender Stellung oben und unten, bei stehender
vorn und hinten wird, so wie, je nachdem man sich eine Gliedmasse aus- oder
einwärts gedreht denkt, das Innen zum Aussen werden muss, und umgekehrt.
He nie hat, um diesen Begriffsstörungen auszuweichen, Termini eingeführt, welche
ftlr jede Körperstellung feste Geltung haben. So harren: dorsal und ventral,
sagittal und frontal, medial und lateral, und die von Owen gebrauchten
Ausdrücke: distal und proximal (entfernter oder näher dem Herzen) des ana-
tomischen Bürgerrechtes. — Sehr berücksichtigenswerthe Vorschläge zu einer
Reform der anatomischen Nomenclatur, hat John Barclay gegeben (-^ new
<MnaL nomencUUure. Edinb, 1603), und die von C. L. Dumas vorgeschlagenen
neuen Muskelnamen (Stfsihne mithodique de nomendature des mutdet, McntpeU,
1797) wurden, wenigstens theilweise, von den französischen Anatomen bereits
adoptirt Diese Namen sind aus Ursprung und Ende des Muskels zusammen-
gesetzt, kommen dem Gedächtniss sehr zu Statten, werden aber durch ihre Länge
zuweilen sehr unbequem, dann nämlich, wenn ein Muskel mehrere Ursprungs» und
Endpunkte hat. Fflr die Muskeln des Zungenbeins und der Zunge, welche nur
Einen Ursprungs- und Endpunkt haben, war diese Benennungsart schon Jahr-
hunderte vor Dumas in Gebrauch (durch Cowper, Douglas, Riolan, u. A.),
und ist es gegenwärtig noch. Reformvorschläge Einzelner werden nie etwas aus-
richten. Nur ein Cong^ess der Anatomen, eine Art anatomischer Accademia della
cnisca, könnte unserer Wissenschaft eine festgestellte Sprache geben. Uebrigens
ist das geschichtliche und etymolog^ische Studium der alten anatomischen Benen-
nungen, nicht ohne Reiz für den Sprachforscher. Es wurde deshalb Einiges davon,
an geeig;iieten Stellen, in dieser neuen Auflage meines Lehrbuches aufgenommen.
Die gpriechischen Benennungen füg^ ich bei, weil die Namen der Krankheiten,
selbst die modernen, aus den griechischen Namen der betreffenden Org^e ab-
geleitet sind, wofür das neue Wort: Spondylarthrocace (Beinfirass der Wirbel-
säule) ein ausgiebiges Beispiel bietet, von a;cdvduXo(, Wirbel, £pOpov, Gelenk,
und xaxY), Schlechtigkeit, oder schlechter Zustand.
§.13. Besondere Nutzanwendungen der Anatomie.
Dai*f die grauenumgebene Wissenschaft des Todes^ la abamUa
anatomia, wie sie der Dichterkönig Italiens genannt, es wagen, auch
auf das Interesse der Nichtärzte Anspruch zu erheben? Es scheint
unmöglich. Ich denke jedoch, kein Gebildeter soll Fremdling sein
im Gebiete der Anatomie. Des Menschen höchste Aufgabe ist die
zur Wissenschaft erhobene Kenntniss seines Selbst. Nicht dem
Philosophen allein gelten die Worte : pwOi aeauTÖv ! Wenn der Alltags-
mensch auch in die Tiefen der Anatomie sich nicht einlassen kann,
so werden doch, wenn er überhaupt ein Freund des Denkens ist,
die Umrisse derselben für ihn Anziehendes haben. Was kann ihn
mehr interessiren, als eine Kenntniss, die seine Person so Aahe angeht?
Ludwig XIV. liess den Dauphin in der Anatomie unterrichten, für
welche dessen Erzieher, der berühmte Kanzelredner Bossuet, sich
§. 18. BMonder« Nntssrnrendnngen der Anatomie. 35
mit Eifer interessirte. Göthe hat sich unter Loder in Jena, und
in Strassburg unter Lobstein, durch zwei Jahre mit anatomischen
Studien beschäftiget. Er war es, der dem Menschen (gegen Camper
und Blumenbach) sein Os intermaxillare vindicirte (1786), und die
Wirbelidee des Kopfes zuerst erfasste (1790). — Herder war in
seinen Jünglingsjahren unserer Wissenschaft mit solchem Eifer er-
geben, dass nur die nachtheiligen Wirkungen, welche die Atmo-
sphäre der Leichen auf seine Gesundheit zu äussern begann, ihn
bestimmen konnten, seinen Entschluss, Arzt zu werden, aufzugeben.
— Napoleon I., welcher bekanntlich nur die mathematischen Wissen-
schaften begünstigte, äusserte dennoch einmal den Wunsch, die
Anatomie des Menschen besser kennen zu lernen, als durch die
Schwerthiebe seiner Cuirassiere. Der gegenwärtige Czai* aller Reussen
8tudii*te unter Prof. Einbrodt zu Moskau Anatomie (nach einer
mir gemachten mündlichen Mittheilung Prof. Sokoloffs), und ich
habe selbst in früheren Jahren hochgestellten Männern von Geist
und Wissensdrang, Unterricht in meinem Fache gegeben.
Soll jedoch die Anatomie nur das Interesse Einzelner anregen?
Wie viel Irrwahn, dem selbst die gebildete Menschenclasse huldigt,
wäre umgangen; wie viel Gefahr für Gesundheit und Leben der
Einzelnen wäre vermieden; wie viel absurde Vorstellungen über
Nützliches und Nachtheiliges im Leben wären unmöglich, wenn der
Anatomie auch der Eingang in das tägliche Leben offen stünde.
Kann nicht ein Fingerdruck auf ein verwimdetes Geftlss, das Leben
eines Menschen retten; kann nicht eine allgemeine Vorstellung über
den Bau des menschlichen Körpers, das nur allzuoft widersinnige
Verfahren zur Rettung Scheintodter und Ertrunkener auch in den
Händen von Nichtärzten mit glücklichem Erfolge krönen, und ist
nicht in so vielen Gefahren, die Selbsthilfe eine Eingebung ana-
tomischer Vorstellungen? Es wäre von grossem Vortheil, wenn die
Bildung von Lehrern, Seelsorgern, und öffentlichen Amtspersonen,
von welchen man nur Kenntnisse über die Erkrankungen der Haus-
thiere fordei-t, auch einen kurzen Inbegriff unserer Wissenschaft
umfasste, und der elementare Unterricht in den niederen Schulen
würde deshalb nicht schlechter bestellt sein, wenn die Schüler, statt
mit den Zeichen des Thierkreises, oder den Wüsten Afrika's, auch
ein wenig mit sich selbst bekannt würden. Warum wurde der Orbis
pictuB beim Schulunterricht ausser Gebrauch gesetzt, in welchem
auch einige anatomische Bilder, ich weiss es aus meiner Jugend,
die Aufmerksamkeit der Kinder in hohem Grade fesselten? Er
könnte recht gut neben der Rechentafel und dem Katechismus, im
Bücherriemen der Schulknaben stecken, und was das Kind aus ihm
lernt^ wird gewiss nicht bedenklicher sein, als die Affaire Joseph's
mit der Dame Potiphar.
36 §. 14. Erat« Periode der Oesebichte der Anatomie.
Die Nutzanwendungen der Anatomie in der plastischen Kunst
sind so wesentlich, dass die grossen italienischen Meister, anatomische
Studien eifrig betrieben, und ihren Schülern nachdrücklich em-
pfahlen; so Leonardo da Vinci, und dessen Lehrer Della Torre,
von denen noch gegenwärtig anatomische Handzeichnungen existiren.
(Mengs, über die Schönheit und den Geschmack in der Malerei,
Pa«. 77.)
Geognosie und Geologie können der Behelfe nicht entbehren,
welche die anatomische Kenntniss der im Schoosse der Erde be-
grabenen antediluvianischen Thiergeschlechter ihren Forschungen
darbietet, und die Geschichte der Verbreitung des Menschen-
geschlechts, des Wechsels der Bevölkerungen in jenen Zeiten, über
welche die historischen Urkunden schweigen und blos die Ver-
muthungen sprechen, schöpft ihre verlässlichsten Data aus — Gräbern.
§. 14. descMclitliclie Bemerkungen über die Entwicklung der
Anatomie. Erste Periode.
Was das Alterthum in der anatomischen Wissenschaft ge-
arbeitet, gesehen und gedacht, hat seinen unbezwei feiten Werth,
denn in der Kunst, wie in der Wissenschaft, schöpft aus der classi-
schen Vergangenheit, die Gegenwart ihre Inspirationen, wenn sie
auch nicht immer so ehrlich ist, ihre Quellen zu nennen. Ich sage:
Inspirationen, denn eigentliche Belehrung kann man sich in der
Naturwissenschaft bei den Alten nicht holen. Sie hatten ja nur
Ahnungen und Vorgefühle der Wahrheit; — Experimentiren und
Induction, ohne welche es keine reale Wissenschaft giebt, kannten
sie gar nicht.
Die Geschichte der Wissenschaften ist die Geschichte des
Menschengeistes. Der Kampf zwischen Wahrheit und Irrthum
bildet ihren StoflF. Er war reich an Niederlagen, reicher an Fort-
schritten und Siegen. Die Geschichte fiihrt uns von den unscheinbaren
Anfängen geistiger Entwicklung, zu ihren herrlichsten Triumphen;
sie zeigt uns die Ii'rwege, auf welche missleitete Forschimg gerieth,
und lehrt uns dieselben vermeiden. Sie macht uns gleichsam zu
Zuschauern und Zeugen der bedeutenden Entdeckungen, welche den
Geist des Forschens auf neue Bahnen lenkten. Sie macht uns
bekannt mit den grossen Männern, welche der Wissenschaft das
Gepräge ihres fruchtbaren Geistes aufdrückten, lehrt uns ihr G^nie
bewundern, und ihren Fussstapfen folgen, und ftlhrt uns die Bei-
spiele vor, zur Nachahmung, oder — zur Warnung.
Kein Anatom soll in der Geschichte seiner Wissenschaft ein
Fremdling sein. Wie viel als neu Gepriesenes altert lange in den
(. 14. Ente Periode der Gesckichte der Anatomie. 37
Tergessenen Schriften. Fast auf jeder Seite der Haller'schen EU-
fmemia pk^dologiae finden sich Dinge, welche, mit einiger Grewandtheit
im Zufichneiden , moderne Autoritäten und Autoritätchen berühmt
machen können, und auch gemacht haben. Möge darum die folgende,
nur in allgemeinen Umrissen entworfene Skizze, als eine Einleitung
zur Greschichte der Anatomie dienen. Sie macht weiter keinen
Ansprach, als die jungen Freunde der Wissenschaft, mit den ehr-
würdigen Namen jener Männer bekannt zu machen, welche in der
beschreibenden Anatomie oft genannt werden, und von welchen es
nicht ohne Interesse ist, das Zeitalter ihrer Thätigkeit und ihres
Flores zu kennen. Sie erzählt nebenbei auch einige curiose Episoden
der Leidens- und Lebensgeschichte der Anatomie, welche von den
anatomischen Historikern nicht erwähnt werden.
Die Anatomie des Menschen ist eine junge Wissenschaft, —
kaum ein Paar Jahrhunderte alt. Das classische Alterthum, gross
in Kunst und speculativer Philosophie, kannte sie fast gar nicht.
Die Geschichte der Anatomie zerfallt deshalb in zwei Perioden.
Die erste gehört der Vorzeit an, und erstreckt sich bis in die
Mitte des 16. Jahrhunderts. Die zweite datirt von der Renaissance.
Man kann die vereinzelten anatomischen Wahrnehmungen,
welche das Schlachten der Thiere, die Opfer,*) das Balsamiren der
Leichen, und die zufalligen Verwundungen lebender Menschen ver-
anlassten, keine Anatomie nennen, denn zur Anatomie, als Wissen-
schaft, gehört die Absicht, die Theile eines Thieres oder eines
Menschen kennen zu lernen, was beim Schlachten und Opfern
der Thiere, und beim Balsamiren der menschlichen Leichen, durch-
aus nicht der Fall war. Die Menschen, welche bei den Aegypteni
das Balsamiren der Leichen verrichteten (Paraschistcie), waren, nach
Diodorus Siculus, in der Anatomie durchaus unerfahren. Ich
habe in meinen AntiquUatibus anatomicis rarionbus das Messer ab-
bilden lassen, welches ich in einer Mumie aus Siut fand, und welches
ohne Zweifel jenem Paraschisten gehörte , welcher die Zubereitung
dieser Mumie besorgte, und sein Werkzeug in ihr zurückliess. Das-
selbe gleicht dem Kern'schen Steinmesser auf ein Haar. Die
siebenzehn Bücher, welche der ägyptische König Athotis, nach
Jul. Africanus, geschrieben haben soll, wollen wir gerne ver-
missen, und gar nicht viel Weith legen auf eine Stelle im Plinius
(Uisl, not. Üb. XIX. cap. öj, nach welcher die ägyptischen Könige
sich mit der Zergliederung von Leichen beschäfldgt haben sollen;
*) Ans der OpfermnAtomie jedoch lasst sich kAom etwas für die Geschichte
der Zogüederangaknnst entDehmen, da die von den Harmspieet den Gdttem znrecht
fetdunttenen Eingeweide Coda prtmeetaj. Aber welche Arnobius spricht (Üb. VII,
eapu M), OBS keinen AnfiMhlnM geben. Aber das bei dieser Analomia taerm befolgte
«>Q ft 14, Bnt« Ptriodo der Geschichte der Anstomie.
^w^ mü««^tt^t\ Ar^nn Könige ganz eigener Art gewesen sein. — Dass
^ tthrifit*«« mit der Anatomie der Aegyptier herzlich schlecht be-
^(t^lf fl^wt>«t<kn f^ein musste, leuchtet aus gewissen anatomischen Vor-
M^huw^i^ di<^«c« Volkes ein, welche ims durch Macrobius und
nii\iu<t ülx^rlirfbrt wurden. So soll z. B. das Herz des Menschen,
v^M^ ^i^v i^t^burt an, jährlich, bis zum fünfzigsten Lebensjahre, um
^^^1^ Umohiuo an Gewicht zunehmen, und von da an, jährlich um
^%^\\\ii\^vit^i wieder abnehmen, weshalb der Mensch nicht über hun-
\Wv\ Jahrt^ alt werden könne. Femer soll ein feiner Nerv direct
y\y\\% Ht^rvon, zum vierten Finger der linken Hand (nicht aber der
^"^t^ht^iO icolangen. Dieser Finger hiess deshalb bei den Anatomen
i)<i« Mittolalters: Digitus cordis, während er an der rechten Hand
IHifilHii m^dUcus genannt wurde: quia hoc digito medid pharmaca,
i»0i/i*M propinanda, miscere solebant Da das Heirathen eine Herzens-
iin|i^|t«g(mheit ist, oder sein soll, wird der Trauring nur am Digitus
ivräii getragen.
Erst als die Heilwissenschaft sich mit der Anatomie verbündete,
und das ärztliche Bedürfhiss ihre nähere Bekanntschaft nachsuchen
machte, nahm sie den Charakter einer Wissenschaft an. Ihr Ent-
wicklungsgang war, wie jener der Naturwissenschaft überhaupt, ein
langsamer und öfters unterbrochener. Die Schwierigkeiten, welche
sich ihrem Gedeihen entgegenstellten, schienen unüberwindlich zu
sein, und wurzelten weniger in der natürlichen Scheu vor dem
Objecto der Wissenschaft — der Leiche, als in der Gewalt des
Aberglaubens und des Vorurtheils. Sehr richtig bemerkt Vicq
d'Azyr: Fanatomie est peut-itre, parmi touiea les sdences, ceUe, dont
on a le plus cü&>r4 les avantageSy et dont on a le moins favorisi les
progrh. Selbst die religiösen Vorstellungen des Alterthums sprachen
das Verdammungsurtheil über sie. Der Glaube, dass die Seelen der
Verstorbenen so lange an den Ufern des Styx herumirren müssten,
bis ihre Leiber beerdigt waren (Homer, Odyss. V, 66—72), machte
die Anatomie bei den Griechen unmöglich, ebenso wie sie es bei
den Hebräern war, bei welchen, nach dem dritten und vierten Buche
Moses, die Berührung eines Todten, selbst das Betreten seines
Hauses oder Zeltes, auf sieben Tage imrein machte, und von dem
Besuch des Tempels ausschloss (Gackenholz, de immunditie ex
contreetatione mortuorum, Heimst. 1708). — Es war bei den Griechen
religiöse Pflicht, jeden zufällig geftindenen Menschenknochen, mit
einer Handvoll Erde zu bestreuen, um ihm dadurch wenigstens
symbolisch die Ehre des Begräbnisses angedeihen zu lassen,"^) und
*) Bei den Römern fluid 8ioh gleichfalls diese fromme Sitte, wie eine Stelle
bei Quinctilian (Declam. 6, 6) beweist: hine et Ute f>enü affeeUu, qttod ignoti»
eadmisHbu» humum eong€rimu9, et intepuUum quodlibet corpus nuUa fuÜruUio
imn rapida tramcurrU, ut fwn quantuloeumque veneretur aggettu. Nor Hingerichtete
§. 14. Erata Periode der Oeechiohte der Anatomie. 39
die Athener gingen in der Sorge für die Seelen der Todten sogar
so weit, dass sie einen ihrer siegreichen Feldherren zum Tode, ver-
nrtheilten, weil er nach gewonnener Schlacht, über der Verfolgung
der Feinde, auf die Beerdigung der Gefallenen vergass. — Unbe-
graben zu bleiben, und den Raubthieren zur Beute zu werden, war
auch den alten Hebräern ein fürchterlicher Gedanke (Ps. 29. 2, 3,
— Hesek. 29. 5, — 2. Sam. 21, 10). — Die Römer, welche die
Ausübung der Heilkunde lange Zeit nur Sklavenhänden überliessen,
fiihlten dieselbe Abneigung gegen unsere Wissenschaft, welche sie
als eine, die Menschenwürde entheiligende Anmassung verwarfen.
Gegen Thierzergliederung waren beide Völker nachsichtiger, und
die wenigen Männer, welche die Geschichte als Anatomen dieser
Zeit anführt, haben sich nur mit thierischen Leibern befasst, und
deshalb für die menschliche Anatomie nichts geleistet. — Die
Wiedergeburt der Wissenschaften im Abendlande, äusserte auf das
Schicksal der Anatomie sehr wenig Einfluss, und obgleich sie damals
begann, sich äusserlich freier zu bewegen, so wagte sie es dennoch
nicht, an der Autorität der alten, auf Thierzergliederungen basirten
Ueberlieferungen zu zweifeln.
Die Schriften, welche über diese lange und Sagenreiche Erst-
lingsperiode der Wissenschaft Zeugniss geben könnten, sind durch
die Unbild der Zeit grösstentheils verloren gegangen. Was sich von
ihnen bis auf unsere Tage erhielt, hat mehr Werth für den ana-
tomischen Historiker, als für den Forscher, welcher Wahrheit sucht.
— Alcmaeon von Croton, ein Schüler des Pythagoras (500 Jahre vor
Christas), hat, nach dem Zeugnisse Galen's, das erste anatomische
Werk geschrieben. Seine Behauptung, dass die Ziegen durch die Ohren
athmen, macht ihn zum Entdecker der Eustachi'schen Ohrtrompete.
Anazagoras von Clazomene, Lehrer des Socrates und Euripides,
Empedocles von Agrigent, und Democritus der Abderite, f 404
Jahre vor Christus, sollen sich, nach dem Texte des Plutarch
und Chalcidius, mit Zergliederungen, letzterer besonders mit ver-
gleichender Anatomie beschäftigt haben, wofür ihn seine Mitbürger,
welche solchem Streben keine Anerkennung zollten, für irrsinnig
hielten, und ihm nicht erlaubten, in ihrer Mitte zu wohnen. Ob
Hippocrates, f 352 Jahre vor Christus, welchen die Geschichte
den divtu paier medidnae nennt, sich mit der Anatomie befreundet
habe, ist aus seinen als echt anerkannten Schriften nicht zu entnehmen.
(Dig. XLt VIII. 24., de cadaveribwi punitorumj und SelbBtmörder (Worte des Gesetzes :
komidda nuepullus ai^jiciaturj durften nicht begraben werden. In späteren Zeiten
wurde dfts Gesetz auf Selbstmörder aus Lebensüberdruss nicht mehr ange*
wendet: otfjiciantur, qui manus sibi irUulerwit, non iaedio vitae, sed mala con-
teimÜa. Galen selbst gesteht, dass er seine ersten osteologischen Studien, an den
TOD der Tfber aiMgespfllteii, und von der Sonne gebleichten, unbeerdigten Knochen
■ihWr ÜngMckllAm machte.
40 §• 1^ Ente Periode der Geschichte der Anatomie.
Hall er schrieb über diese Frage ein gelehrtes Programm: quod
Hipp, Corpora humana secuerit, Gott. 1737. Die ihm zugeschriebenen
Bücher: dt osmtm natura, de glandtdis, de camibuSy de venis, de
natura pueri, etc.^ welche etwas Anatomie enthalten, stammen aber
unzweifelhaft von späteren Autoren ab. Ein glücklicher und ver-
ständiger Beobachter von Krankheitserscheinungen (faUere et foXli
nescivs, wie Macrobius sagt), verfiel er, so oft er auf das ana-
tomische Gebiet abstreifte, in grobe Fehler. Nur mit den Knochen
scheint er näher bekannt. Nerven und Sehnen wusste er nicht zu
unterscheiden. Beide führen bei ihm den Namen: veupa, und Arterien
und Venen verwechselte er unter der gemeinschaftlichen Benennung:
^Xißei;. In der Priesterschule der Asclepiaden, deren Gründer Aescu-
lap, mit göttlichen Ehren gefeiert wurde, und aus welcher auch
Hippocrates hervorging, sollen sich Traditionen anatomischer Kennt-
nisse vererbt haben (Galen).
Aristoteles, ein Schüler Plato's, Lehrer und Freund Alexan-
der's des Grossen, hat in seiner Historia animalium, dem ehrwür-
digen Fundamentalwerke der Naturgeschichte, so zahlreiche und
mit so musterhafter Genauigkeit ausgearbeitete Daten über die
Anatomie der Thiere niedergelegt, dass mehrere derselben selbst
die Bewunderung der Neuzeit noch verdienen. Cuvier erklärte die
Anatomie des Elephanten bei Aristoteles für besser, als jene, welche
der Akademiker d'Aubenton schrieb. Menschliche Anatomie ist
ihm, aller Wahrscheinlichkeit nach, ganz fremd geblieben (Le
Clerc). In einem Zeitalter lebend, wo siegreiche Kriege dem griechi-
schen Heldenvolke, in Asien einen unbekannten Welttheil eröffneten,
und wo die Liberalität seines königlichen Gönners, ihn in den
Besitz der grössten Schätze des indischen Thier- und Pflanzenreiches
versetzte, wurde er, dem keine Vorarbeiten zu Gebote standen, der
Gründer der zoologischen Systematik. Die Anatomie verdankt ihm
die scharfe Trennung der Nerven (x6pot) von den Sehnen (veupa), und
die Entfaltung des arteriellen Gef&sssjstems aus Einem Haupt-
stamme, welchen er zuerst dcopn^ nannte. Die Nerven nannte er
deshalb 7c6pot, weil er sie für hohl hielt, um die im Gehirn erzeugten
Lebensgeister durch den ganzen Körper zu verbreiten. Diese Lebens-
geister hiessen Spiritus animcdes, zum Unterschiede der Spiritus
vitales, welche im linken Herzen aus Luft und Blut bereitet, und
durch die Aorta allen Bestandtheilen des Leibes zugeführt werden.
Bis in das 17. Jahrhundert hat sich diese Lehre der Spiritus ani-
maJss und vitales erhalten.
Nach Alexander's Tode zerfiel sein Riesenreich in kleinere
Throne, welche dem blutigen Handwerk der Waffen entsagten, und
friedliche, menschenbeglückende Kunst und Wissenschaft in ihren
mächtigen Schutz nahmen. So entstand zu Alezandria (320 Jahi*e
1. 14. Eni« Periode der Geschieht« der Anatomie. 41
vor Christus), die von Ptolomäus Euergetes neben dem Serapeion
gestiftete medicinische Schule, welche durch Jahrhunderte blühte,
und eine Bibliothek von 700.000 Bänden besass.
In ihr scheint die menschliche Anatomie ihr erstes Asyl ge-
funden zu haben ; wenigstens bildeten sich in dieser Schule Männer,
welche, wie Herophilus, Eudemus und Erasistratus, ihr Leben
unserer Wissenschaft widmeten. Leider sind ihre Schriften nicht
auf uns gekommen, und nur Einiges über ihre Leistungen in Ga-
len us und Rufus Ephesius erwähnt. Ein griechischer Arzt,
Herophilus, 310 Jahre vor Christus (welcher bei dem König von
Syrien, Seleucus, hoch in Ehren stand, da er aus dem Pulse des
kranken Königssohnes erkannte, dass derselbe in seine Stiefmutter
verliebt sei), und sein College, Erasistratus, sollen selbst lebende
Verbrecher mit allerhöchster Genehmigung zergliedert haben. Eine
Stelle im Tertullian (de anima, cap. 10), sagt hierüber: Hero-
philus als mediciia aut laniusy qui aexcentoa exsecuit, ut naturam
scrutaretur, qui hominem odit ut nosset, nesdo an omnia interna ejus
liquido exploraverit, ipsa morte mutante, quae vixerant, et morte non sim-
plici, sed inter artificia exsectionis errante. Gewichtiger als dieses
Zeugniss des afrikanischen Kirchenvaters, ist jenes des berühmten
Römischen Arztes, Cornelius Celsus: nocentes homines, a regibus
ex carcere cuxeptos, vivos inddit, consideravitque etiam spiritu rewia-
nente ea, quas antea clausa fuere (de medicina, in prooemio). Galen,
dem wir Alles verdanken, was wir von Herophilus wissen, hat
von dieser Anatomie lebender Menschen nichts erwähnt. Möglicher
Weise ist die ganze Sache eine Erfindung, welche der Hass der
Zeitgenossen ausheckte, und die Leichtgläubigkeit der Nachwelt
verbreitete. Ging es doch, zu Ende des Mittelalters, dem geachteten
Anatomen, Jacobus Berengarius in Bologna, ebenso (nach Leon a
Capoa, Raggionamenti, etc. Nap, 1681,II,pag, 60), — Es ist ausgemacht,
dass Herophilus die Chylusgeftlsse des menschlichen Darmkanals,
welche während der Verdauung von Milchsaft (chylus) strotzen, und
dadurch sichtbar werden, gekannt hat, was selbst der spätere Ent-
decker derselben, Caspar Aseili, zugiebt. Im Galenus, de usu
partium, lib. IV., findet sich hierüber folgende merkwürdige Stelle:
Toti mesenterio natura venas effecit proprias, intestinis nutriendis dicatas,
haudquaquam ad hepar traßcientes. Verum, ut et Herophilus dicebat,
in glandulosa quasdam corpora desinunt hae venas, cum ceterae omnes
sursum ad portas (hiemit ist die Leber gemeint) ferantur. — Hero-
philus machte zahlreiche Entdeckungen in der Detailanatomie, deren
einige heutzutage noch seinen Namen führen. Die Plexus choroidei
des Gehirns, das Torcular Herophüi, die vierte Gehirnkammer, der
Calamus scriptorius, das Duodenum wurden von ihm zuerst erwähnt.
Erasistratus genoss durch seine vielseitigen Entdeckungen eines
42 S. 14. Ente Periode der Oeeehiehte der Anatomie.
gleichberechtigten Rahmes. Er schied die Bewegungs- von den
Empfindongsnerven, entdeckte die ValvuUie tricuspidcdes und semi-
lunares des Herzens, rügte zuerst das Unrichtige der Ansicht, dass
die Getränke durch die Luftröhre passiren, und gebrauchte für die
Substanz der Organe, das noch heute übliche Wort: Parenchyma
(von xopa und ^YX^u); ergiessen, da er alle nicht faserigen oder
vasculären Gebilde, aus ergossenem Blut entstehen liess).
Claudius Galenus (geb. 131 nach Christus), Arzt an der
Fechterschule zu Pergamus, studirte zu Alexandria, wohin er reiste,
um, wie er selbst angiebt, ein vollkommenes menschliches Skelet zu
sehen. Er übte die Heilkunde zu Rom, unter den Imperatoren
Marcus Aurelius und Commodus, wo er auch als Lehrer eine
Anzahl Schüler um sich versammelte, und dieselben an einem, von
dem welterobemden Volke wenig besuchten, und deshalb ruhigen
Orte — im Tempel der Friedensgöttin — in der Anatomie und
in der praktischen Heilkunde unterrichtete. Das Haus neben dem
Tempel, in welchem er seine Lehrmittel, darunter auch menschliche
Knochen, aufbewahrte, nannte er: dnco^iQ. — Galen's Schriften sind
die Hauptquelle, aus welcher wir den Zustand der Anatomie vor
Galen kennen lernen. Dass er je menschliche Leichname zergliederte,
wird mit Recht verneint. Seine Beschreibungen passen nur selten
auf die menschlichen Organe, obwohl er sie selbst als denselben
entlehnt angiebt. Er scheint sich vorzugsweise der Affen bei seinen
Zergliederungen bedient zu haben. So sind z. B. seine Angaben
über das Herabreichen des hinteren Musculus scalenus bis zur 6. Rippe,
über den Ursprung des Rectus abdominis vom oberen Ende des Brust-
blattes, über das Brustbein, über den Zwischenkiefer, über das Kreuz-
bein, über die Nabelarterien, die Augenmuskeln, u. m. a. den Affen
entnommen, unter welchen besonders der in Nordafrica damals häufig
vorkommende Inuus syloanus ihm in Menge zu Gebote stand. Die
wenigsten seiner Beschreibungen lassen sich auf den Menschen be-
ziehen, denn das Zeitalter, in welchem er lebte, und welches Tausende
von Unglücklichen den brutalen Launen des römischen Pöbels und
seiner verderbten Imperatoren opferte, sie selbst den wilden Thieren
vorwarf, wollte der Anatomie nicht Eine Leiche gönnen. Ein Mann
von Staunenswerther Gelehrsamkeit, voll Talent und Geist, errang
er sich durch seine Schriften, welche durch vierzehn Jahrhunderte
als Gesetzbücher der anatomischen und heilkundigen Wissenschaft
galten, den lange Zeit unangetasteten Ruhm der ersten und höchsten
medicinischen Autorität, und es hat vieler Kämpfe bedurft, um am
Beginne der zweiten Periode unserer Geschichte, sein Ansehen fallen
zu machen. Nie hat der Name und das Ansehen eines Mannes, so
lange, so unumschränkt, und so unbestritten, in einer Wissenschaft
geherrscht, wie Galen in der Medicin. Nur in der Naturgeschichte
S. 14. Bnt« Periode 4tr Geteki^to ^n kaaUmi: 43
and Philosophie, behauptete Aristoteles einen gleichen Rang. Man
ging in der blinden Verehrung dieses Mannes selbst so weit, dass,
als der grosse Reformator der Anatomie, Vesal, durch seine Zer-
gtiedemngen die Irrthümer Galen's aufdeckte, man geneigter schien,
eine Aenderung im Baue des Menschen anzunehmen (wie es Jacobus
Sylvius that), als den grossen Altmeister eines Fehlers zu zeihen.
Was seine anatomischen Schriften auch in unseren Tagen lesens-
werth macht, sind die schönen Reflexionen, welche er den ana-
tomischen Beschreibungen hin und wieder einzuflechten pflegte. Sie
sind in dem Geiste eines Mannes geschrieben, welcher von der
hohen Bedeutung seiner Wissenschaft so durchdrungen war, dass
er sie einen semumem sacrum, et verum Canditaris nostri hymnum nannte.
Merkt Euch, Ihr christlichen Anatomen! diese edlen Worte eines
Heiden. Oalen war zugleich einer der schreibseligsten Aerzte.
Man schätzt die 2jahl seiner Werke auf 400J Sie behandelten ausser
Medicin, auch philosophische, grammatische, mathematische, selbst
juridische Argumente. In den stürmischen Zeiten, welche auf den
Verfül des römischen Reiches folgten, und in welchen die Anatomie,
wie aUe Kunst und Wissenschaft, kein Lebenszeichen von sich gab,
waren die medicinischen Werke Galen's das einzige Testament der
Arzneikunde^ welchem alle Völker des Abendlandes Glauben zu-
schworen, und sich, wie die Araber, denen durch den Koran yer-
boten war, menschliche Leichen zu öflhen, (Rhases, Averro^s,
Aricenna) und die Barbaro - Latini , in Commentaren und Ueber-
setzui^n desselben erschöpften. Galen*s, in griechischer Sprache
geschriebene Werke, wurden im elften Jahrhundert, auf Befehl des
Normtonischen Königs Robert Ton Sicilien^ durch Nie. Rnbertus
de Regio, aus den arabischen Uebersetzungen in's lateinische fiber-
tragen^ and dadurch dem Abendlande amgänglicfa gemacht, I^eichen
konnten und dnrftf'n in jener Zeit nicht zergliedert werden. Nach
einer Stelle im Cassiodorus, Benedictinermönch und Arzt im
7. Jahrhunderte, wurden, um die Entweihung der Gräber durch die
wahrscheinlich bisher öftere heimlich Torgenommene Exhumation
der Leichen, i ob gerade zu anatomischen Zwecken ? ) zu verhindeni,
auf den christlichen Kirchhöfen Grabhöter angestellt, und das
SaUsehe Gesetz untersagte jeden Umgang mit einem Menschen,
welcher *ich des Verbrechens des Leichen raubes schuldig ge-
macht hätte.
Durch Luigi Mondino de' Liizzi(Mondino, abgekürzt ron
Raimondo, — de' Luzzi, vom FamiHenwappen , zwei Hechte,
htm «. hfueäj, Professor zu Bologna (Ort und Jahr seiner Geburt
unbekannt, gestorben 132^ ly feierte unsere Wi«eiMchaft ihre Wieder-
geburt zn Anfitng des 14. Jahrhunderts. Er wagte et, nach so
tangem Verfiüle der Anatomie, wieder Hasd an die MsaeehBehe
44 §• 1A> Ente Periode der Geschichte der Anatomie.
Leiche zu legeD, und zergliederte drei weibliche Körper. Von
welcher Art diese neu erstandene Anatomie gewesen sein mag, er-
sehe ich aus folgendem Cerevis-Latein des Guido Cauliacus (Guy
de Chauliac, Capellan und Leibarzt Papst Urban's V.): Magister
meus, Bertuccius (ein Schüler des Mondino), fecä anatomiam per
hunc moduni. Situato corpore in banco, fadebat de ipso quataor lectiones,
Li prima tra^tabantur membra nutritiva, quia dHus putrebilia, — in
secunda membra spiritaiia, — in tertia membra animata, — in quarta
extremitates (ractc^antur. — Mondin o schrieb ein kleines anatomisches
Opus, welches bald unter dem Titel Anatomia Mundini (horrtbüe dictu
auch Anathomia Mundini), bald Anatome omnium humani corporis in-
teriorum membrorum, vor der Erfindung der Buchdruckerkunst durch
Abschriften vei-vielfaltigt und entstellt wurde, später durch Druck
viele Auflagen erlebte, und, obwohl es nach unseren Begriffen sehr
unvollständig und incorrect war (mendis et erraiis innumeris refertum),
dennoch durch zwei Jahrhunderte in grossem Ansehen stand.
Mondino's Verdienst bestand eigentlich nur darin, der erste ana-
tomische Schriftsteller im Abendlande gewesen zu sein, und zuerst
die Anatomie an der Leiche vorgetragen zu haben, während bisher
nur die Texte des Galen und der Araber, ex cathedra vorgelesen und
interpretirt wurden. Sein Buch ist für uns nur mehr eine an Un-
richtigkeiten reiche Curiosität. Was es Gutes enthält (man bedenke
die Zeit, in welcher es geschrieben wurde), ist den Arabern ent-
nommen, deren Benennungen beibehalten sind (z. B. Alkatim für
Lende, Myrach für Unterleib, Caib für Sprungbein, Syphac für
Bauchfell). Wir erfahren aus Jac. Douglas (Bibliographia anat.
pag. 86), dass zu Padua, der berühmtesten aller damaligen Uni-
versitäten, die Statuta academica ausdrücklich befahlen : ut anatomid
Patavini explicationem textucUem ipsius Mundini sequantur. Auch auf
deutschen Universitäten, z. B. Würzburg und Tübingen, wurde noch
zu Anfang des 16. Jahrhunderts, die Anatomie nach dem Texte des
Mundinus gelehrt (Froriep, Kölliker). — Die gelehrten Unter-
suchungen von Medici und von Mazzoni Toselli haben aber
dargethan, dass schon lange vor Mundinus, in Bologna anatomische
Zergliederungen abgehalten wurden, entweder auf Befehl des Magi-
strates bei Vergiftungsverdacht, oder auch geheim und illegal an
exhumirten Leichen: praeter sectiones anatomicas permissas, aliae
quoque instituebantur occulte, et cadavera in sepulcretis, anatomiam
studendae causa, furtim subripiebantur (Mondini, nuovi common-
tarii Instit. Bonon. 1846. pag. 492). Es wird daselbst auch ei'wähnt,
dass einem sicheren Maestro Alberto (einem Zeitgenossen des
Mundinus), der Process gemacht wurde, weil er (1319) in seinem
eigenen Hause, die Leiche eines Gehenkten, welche er dui'ch seine
Schüler stehlen liess, secirt hatte. In Unteritalien stand es besser
9. 14. Eni« Perlode der Oetchiehte der Anatoinie. 45
mn die Anatomie, da schon zur Zeit der Hohenstauffen, von Kaiser
Friederich 11. ein Gesetz gegeben worden: tU in SicUia, omni
quinquenmo, corpus humanwm dissecaretur, utque ad eam solennem ana-
tomen, ex universo regno, medici et chirurgi convocarentur (Hai 1er,
Bibl. anat, T, L pag, 140). — Leider wurde die von Mundinus
durch Wort und Schrift in ein neues Dasein gerufene Anatomie des
Menschen, sehr bald durch die berühmte Bulle Bonifaz VIU.
(anno 1300) gefährdet, welche den Kirchenbann über Jene aus-
sprach, die es wagten, einen Menschen zu zerstückeln, oder seine
Gebeine auszukochen. Die Beschäftigung der damaligen Mönche
(besonders der Benedictiner) mit der Heilkunde, und die nicht un-
gegrundete Beftirchtung, dass sie dadurch, wie die weltlichen
Doctoren, dem Beten und Fasten abgeneigt werden dürften (artis
salutaris exerdtio ob sciecularia beneficia abutentea) , scheint diese
Strenge der Kirche gegen unsere Wissenschaft veranlasst zu haben.
Mondino selbst gesteht: „Ossa autem cUia, qtjuze sunt infra basüare,
non bene ad sensum appareiity nisi ossa üla decoquantur, sed propter
peccatum dimittere consuevi". Und doch konnten Andere die schöne
Sünde nicht lassen, durch die Zergliederung von Gottes Ebenbild,
mehr von des Schöpfers Herrlichkeit inne zu werden, als die Himmel
uns davon erzählen. Ich glaube und bekenne, dass, was der Mensch
wissen kann, er auch wissen darf. Es ist übrigens nicht blos
möglich, sondern selbst wahrscheinlich, dass die citirte Bulle sich
nicht auf das anatomische Präpariren der Knochen, sondern auf die
Abstellung eines damals nicht ungewöhnlichen Gebrauches bezog,
welcher darin bestand, die Knochen der Ritter und Edlen, welche
mit den Klriegsheeren nach Italien kamen und dort starben, durch
Auskochen zu entfleischen (carnibus pea* excociionem consumtis), um
sie in die Heimat zurückzusenden (wie es jetzt noch die Chinesen
in Califomien thun). A. Corradi erwähnt der Fürsten, Bischöfe,
und Herren im Heere Barbarossa's vor den Mauern Roms, welche
ausgekocht wurden, — diesen Kaiser selbst, welcher als Kreuzfahrer
in Syrien starb, und dessen Cadaver in Antiochia „dixatum est,^ um
die Knochen nach Deutschland zurückzuschicken, — Ludwig den
Heiligen, welcher vor Tunis starb, und dessen Leib zerstückelt
und gekocht wurde, ut ossa pura et Candida, a came quasi evelli
potuissent, — Philipp den Kühnen, dessen entfleischte Knochen
in St. Denys beigesetzt wurden, u. m. A. Wenn die fragliche BuUe
erlassen wurde, um solcher Menschenabkochung zu steuern, dann
verdient sie allerdings den Tadel nicht, welchen Jene auf sie häuften,
die ihre Worte missverstanden haben (wie es auch mit Mundinus
der FaU gewesen zu sein scheint). Das wissenschaftliche Seciren
der Leichen haben aber die Päbste nie verboten, im Gegentheile
den Universitäten die Erlaubniss dazu ertheilt, wie es die alten
46 I« 14. Eni« Periode d«r GMchioht« der Anatomie.
Siaiuia der medicinischen Facultäten ausdrücklich anfuhren. Ist es
doch auoh bekannt, dass Michel Angelo im Kloster San Spirito
an FlorenSy von dem Prior desselben eine Halle zu seinen ana-
tomiaohen Arbeiten angewiesen erhielt, und Realdus Columbus
(de r« anaUmuca, Üb. XV) berichtet uns, die Leichen von Cardinälen,
Bischöfen und Prälaten, selbst einen General der Jesuiten, zur
Sichenstellung der Todesursache, anatomisch untersucht zu haben,
was aioh mit der Furcht vor Excommunication gewiss nicht verein-
baren lUsat, In Alex. Benedicti AncUamice, Itb. I, cap. L, heisst es
aaadrttcklich : hunc resecandi modum, pontificales constiiutiones jam
fdridem permuere.
Alessandro Benedetti, Professor der Anatomie zu Padua,
14^X wo er das erste anatomische Amphitheater erbaute, Matthaeus
dff Oradibus, ein Abkömmling der Grafen von Ferrara (f 1480),
dw Vonetianer Marcantonio della Torre (Lehrer des Leonardo
da Vinci), Magnus Hundt (Professor der Medicin zu Leipzig),
i^uinthcrus Andernacensis (Leibarzt König Franz I. von Frank-
w^ichV Gabriel de Zerbis, Professor der Anatomie zu Rom und
l^idua, seines tragischen Endes wegen bekannt, indem er von
dt^n Sklaven eines Pascha von Bosnien, welcher unter seiner ärzt-
Hohon Behandlung starb, zwischen zwei Brettern eingeklemmt, und
di>r iJiugc nach entzweigesägt worden sein soll (1505*), Alexander
Aohillinus (Professor zu Bologna, f 1512), Berengarius Car-
dio usis (Professor zu Pavia, f 1525), waren mehr weniger treue
Anhänger des Altherkömmlichen. Secirt hatten diese Männer nur
j4u«sorst wenig, denn die Anatomie war noch so verhasst, dass ein
Schüler des Benedetti, bei welchem man Menschenknochen in
Keinem Schi*anke verborgen fand , torturae pericidum subüt , quia ossa
pro sanctorum rdiquü» habebantur.**) — Die meisten der hier ge-
nannten Anatomen, behielten die arabische Nomenclatur des Mun-
dinus bei, und schrieben ein eben so schlechtes Latein, wie er.
Die Geschichte nennt sie deshalb Arabisten, auch Lattno-barbari.
Jac. Sylvius (geb. 1417), Professor der Anatomie zu Paris,
trat bei all' seiner unbedingten Verehrung fiir Galen, dennoch in
Einzelnheiten etwas selbstständiger als seine Vorgänger auf, änderte
*) Nftch dem Zengmas des g^elehrten Mich. Medici (ScuoUt anal, di Bologna,
P^' ^)* genas der Türke, nnd überh&nfte den Zerbis mit Reichtbflmeni. Dieser war
schon auf dem Heimweg, als der Pascha recidiv wurde und starb. Da man nun
glaubte, er sei von Zerbi vergiftet worden, wurde eine Galeere nachgeschickt, welche
das Schiff des heimkehrenden Arztes an der dalmatinischen Küste einholte. Um
Rache zu nehmen, wahrscheinlich aber auch, um die Schfttze zurückzunehmen, wurde
Zerbis, und sein Sohn, wirkUch auf die genannte barbarische Weise umgebracht.
**) Diese Angabe ist der Bibliotheca anatomica Haüeri, T, L pag, 140, ent-
nommen. Als ich nun im Benedetti nachschlug, um Näheres über diese, mir ver-
dJlchtige SteUe zu er&hren, fand ich, dass es sich hier um eine, im Grunde komische
G«8ehicht«, und nichts weniger als um Tortur handelte. Hall er hat die Anatomie
det BeneäidHt», lib, V, eop. ^, sicher nicht gelesen. -^
|. 14. Ente Periode der Oeechlchte der Anfttoaie. 47
und berichtigte theilweise die anatomische Nomenclatur , vervoll-
8t&nd]gte die Anatomie der Muskeln und G^fässe, und hat noch
überdies das Verdienst, seine Schüler (damals studirten Graubärte)
auch zur praktischen Zergliederung der Leichen angehalten zu haben,
während an den übrigen Universitäten, man sich blos mit dem Zu-
sehen begnügen musste. Viele, jetzt noch in der Mjologie gebräuch-
liche Benennungen, wurden von ihm, und seinem Nachfolger, Joh.
Biolan, eingeführt, wähi'end man die Muskeln bisher nur durch
Zahlen unterschied, was zu Verwirrung und Verwechslung häufigen
Anlass gab. Er war der erste unter den christlichen Anatomen,
welcher seinen Namen in der Fossa Sylvii und im Aquaeductus Sylvii
verewigte. Seine Isagoge anatomica nennt Douglas: solertU ingenü
foetara incomparahüis. Er versuchte es auch, die Blutgefässe mit
eingespritzten Flüssigkeiten zu füllen, und gilt deshalb, obwohl mit
Unrecht (da dieses Verdienst Bologna gebührt), für den Erfinder
der anatomischen Einspritzungen. — Sein schmutziger Geiz verhalf
ihm zu der witzigen Grabschrift:
8ylviu8 hie situa est, gratis qui nü dedit unquam,
Mortuus et gratis, quod legis ista, dolet.
In Wien wurde die erste anatomische Zergliederung im Jahre 1404, von
Mag. Oaleatns de St. Sophia ans Padna, auf dem Kirchhofe des Btirger-
spitals anter freiem Himmel vorgenommen. Sie dauerte acht Tage ; und im Jahre
1433 wurde ein sicherer Magister Aygl allda, zum Lehrer der Anatomie erwählt.
Er tractirte den Galen, de tuu partium, und demonstrirte zuweilen in dem Hause
der medicinischen Facultät in der Weihburggasse (in welchem auch die erste
Buchdruckerei in Wien sich ansiedelte), die Lage der Eingeweide an den Leich-
namen gerichteter Verbrecher. Weibliche Leichen wurden erst 1452 vom Mag^trat
zugelassen. Als Curiosum mag erwähnt werden, dass anno 1440, ein mit dem
Strange gerichteter Dieb, bei den Vorbereitungen zur Section wieder lebendig
wurde, ein Fall, der sich 1492 wiederholt haben soll (?), weshalb die hoch-
nothpeinliche Justiz, die Verabfolgung der Leiber von Missethätem an die
Schule, bis auf Weiteres einzustellen für gut befand. Besagter Dieb wurde auf
Kosten der Facultät in seine Heimat (Baiem) imter Begleitung des Pedellus
Johannes zurfickgeschickt, dort aber, wegen wiederholtem Diebstahl, in Regens-
burg mit besserem Erfolg zum zweitenmal gehenkt. Dieser Fall steht nicht allein
in der Geschichte der Anatomie, denn im Jahre 1650, brachten die Aerzte in
Oxford, ein Weib, Anna Green, welche am Galgen in*s ewige Leben befördert
wurde , wieder in*s irdische zurück , in welchem ihr noch ein langes Dasein be-
schieden war. Interessanter Weise stellte sich, bald nach ihrer Wiederbelebung
heraus, dass sie unschuldig verurtheilt war. Margaret Dickson, in Edinburg
gehenkt (1728), wurde gleichfalls wieder zum Leben gebracht, heirathete hierauf,
und lebte noch dreissig Jahre. Ein anderer Fall dieser Art ereignete sich in Irland
(Cork, 1766), wo ein gehenkter Dieb, Patrick Redmond, durch einen Schau-
spieler, welcher ein zu Grunde gegangener Wundarzt war, wieder lebendig gemacht
wurde, sich einen Whiskyrausch antrank, und in diesem Zustande auf die Bühne
sprang, um seinem Lebensretter persönlich seinen Dank abnistatten. Von einem
Gehenkten, welcher auf die Parieer Anatomie febnieht. umA dort terafa die
Studenten, mittelst Branntwein, wieder lebe» »lan
48 §• 15> Zweit« Periode der Oeechichte der Anatomie.
(Arähropo^aphia, Pari*, 1626, pag, 103). Ja im Cardanns (de varietate verum,
lib, 14, cap, 76) wird eines Falles erwähnt, wo ein Mann zweimal gehenkt und
zweimal wieder lebendig gemacht wurde. Erst beim dritten Hängen starb er
wirklich. Er hatte eine verknöcherte Luftröhre.
§. 15. Zweite Periode der öescMchte der Anatomie.
Die zweite Periode unserer Wissenschaft beginnt im 16. Jahr-
hundert, mit dem berühmten anatomischen Triumvirat des Vesalius,
Eustachius, und Fallopia.
In jener folgenreichen Zeit, in welcher der menschliche Gteist
die Fesseln einer geistlosen Scholastik zerbrach, erwachte auch mit
Macht das Bewusstsein der Noth wendigkeit anatomischer Studien,
und hielt gegen Anfeindung und Verfolgung siegreichen Stand. Die
Wissbegierde warf sich mit dem Feuereifer des Enthusiasmus auf
das noch brachliegende Feld der Anatomie. Lehrkanzeln erhoben
sich zuerst in den bedeutendsten Städten Italiens, dann Frankreich's
und Deutschland's, und ein edler Wetteifer spornte die Bekenner der
Wissenschaft zu nimmer rastender Thätigkeit an. Hemmt uns nur
nicht, — wir werden uns schon selber helfen, war ihre Devise. In
den speculativen Wissenschaften, in Kunst und Poesie, kann das
Genie seine Zeit überflügeln, — in der Erfahrungswissenschaft bringt
der inihige Fleiss der Zeit, was der Gedankenflug nicht in Eile er-
reichen kann. Diese Zeit war nun für die Anatomie gekommen,
und der grosse Mann, welcher sie brachte, war Andreas Vesalius,
der Reformator der Anatomie. Seine Feinde, katholischen Glaubens,
nannten ihn den Luther der Anatomie. Er war 1514 zu Brüssel
geboren. Seine Familie stammte aus deutschem Gau, aus Wesel
im Herzogthume Cleve, — daher der Name Vesalius. Eine durch-
greifende Umstaltung unserer Wissenschaft ging von dem Riesen-
geiste dieses Mannes aus. Er studirte zu Löwen, und musste, vieler
Verfolgungen wegen, die ihm sein Eifer für die Anatomie zuzog,
sein Vaterland verlassen. Nach seinem eigenen Geständnisse, plün-
derte er die Kirchhöfe, und entwendete die Leichname der Ver-
brecher von Galgen und Rad, um sie unter und in seinem Bette
wochenlang verborgen zu halten, und nur des Nachts an ihnen zu
arbeiten. Ich besitze in meiner Sammlung von Porträten berühmter
Anatomen, einen Kupferstich, welcher den Vesal bei dieser nächt-
lichen Arbeit darstellt. Unter dem damals gefeierten Lehrer der
Anatomie zu Paris, Jac. Sylvius, widmete sich Vesal seinem Be-
rufe mit ganzer Seele. Seine grosse Gewandtheit im Bestimmen der
Knochen mit verbundenen Augen, besonders der Hand- und Fuss-
wurzelknochen , ob sie rechte oder linke seien, was selbst seinem
Lehrer oft misslang, and seine Belesenheit in den alten anatomischen
§. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 49
Schriften, verschaflFte ihm schon als sehr jungem Manne, einen ent-
sprechenden Grad von Berühmtheit, zugleich aber auch die grimmige
Feindschaft seines Lehrera, dessen Hörsaal sich nimmer füllen wollte,
seit Vesal auch zu lehren begann. Er bereiste hierauf Italien, und
eiTcgte durch seine in Pisa, Bologna, und anderen Universitäten ge-
haltenen anatomischen Demonsti*ationen die Aufmerksamkeit seiner
Zeitgenossen in so hohem Grade, dass die Republik Venedig ihn in
seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre als Professor anatomiae nach
Padua berief. Barbam alere, non facü phäosophum! — In seinem
neunundzwanzigsten Lebensjahre gab er sein grosses, in classischem
Latein geschriebenes Werk : De corporis liumani fabrica lihri septem,
Basä. 1543, heraus. Es war ein opus cedro dignum, zu welchem
nicht, wie Blumenbach meinte, Titian, sondern dessen Schüler,
Johann Stephanus von Kaikar, die Zeichnungen lieferte, und
die Holzschnitte verfertigte. Boerhave sagt von diesem Werke:
opus incomparabile, quod periturum nunquam, omnis aem tempore prae-
darissimum (MeÜi, stud. med. T, L pag, 271). — Vesal wurde später
Leibarzt Kaiser CarFs V. und seines Nachfolgers Philipp's H., und
starb, seines Glückes und Ruhmes wegen von seinen Zeitgenossen
auf das Unwürdigste verkannt und gekränkt, nachdem er seine
Handschriften verbrannt und sein Amt niedergelegt, in seinem
fünfzigsten Jahre, auf der Rückkehr von einer Pilgerfahrt nach
Jerusalem, welche er zur Sühne des Verbrechens, Anatom gewesen
zu sein (wie Andere sagen, häuslichen Unfriedens wegen), unter-
nahm, schiflFbrüchig an den Küsten der Insel Zante, wo sein Leichnam
von einem Goldschmied erkannt, und in der Capelle der heiligen
Jungfrau, mit der einfachen Grabschrift beigesetzt wurde:
Andreae Vesalii Brtixellensis tumulus.
Dieser Grabstein lügt wenigstens nicht.
Es ist gänzlich unrichtig, wenn es in anatomischen Geschichts-
werken heisst, dass Vesal deshalb bei Hofe und bei der Geistlich-
keit in Ungnade fiel, und zu einer Pilgerfahrt nach dem heiligen
Lande verurtheilt wurde, weil er in Madrid den Leichnam eines
grossen Herrn secirte, dessen Herz noch geschlagen haben soll. Nur
die Cabale seiner Feinde konnte solche Lügen ersinnen, und nur
die Scheu vor anatomischen Studien an einem Hofe und bei einem
Volke, wie des damaligen Spaniens, für welches zwar die Sonne
nicht unterging, aber das Himmelslicht der Wissenschaft und der
Aufklärung auch nicht aufgehen wollte, konnte sie glaubwürdig
finden. Wahr aber ist es, dass VesaTs grosses anatomisches Werk,
auf Befehl Kaiser CarFs V. der Inquisitionscensur vorgelegt, und die
theologische Facultät zu Salamanca befragt wurde, ob es katho-
lischen Christen zu gestatten sei , Leichen zu zergliedern. Die
Hjrtl, Lehrhnch der Anatomie. U. Aufl. 4
50 §. 15. Zweite Periode der Oescbielite der Anatomie.
Antwort fiel glücklicher Weise bejaheud aus (1556). Kaiser Carl V.
und seine Käthe wussten wahrscheinlich nicht, dass schon Ferdi-
nand der Katholische^ den Aerzten und Chiruq[en in Saragossa
die Erlaubniss gab, im Hospital der Stadt, so oft sie es nöthig
hielten, anatomische Zergliederungen vorzunehmen: «in incon^er en
pena alguna (Morejon, Hut, hihliogr. Madrid, 1842, I. p, 252), und
dass das Spital des Klosters Quadalupa in Estremadura, vom Pabste
die Bewilligung erhielt, Leichen zu öfiiien, um verborgene Krankheits-
ursachen aufzufinden (Ibid. IL pag. 26), — Vesal war der erste
anatomische Denker. Er wusste den Zauber zu lösen, welchen das
blind verehrte Ansehen Qalen's, auf die Medicin und ihre Schwester-
wissenschaften ausübte. Er widerlegte die Irrthümer des grossen
römischen Anatomen, und bewies, dass die Galen'schen Lehren die
Anatomie der Affen und Hunde, aber nicht jene des Menschen be-
handelten. Denken war damals gefahrlich, und jene Art illegitimen
Verstandes, welche Aufklärung heisst, wurde selbst in der Wissen-
schaft gehasst, und möglichst unschädlich gemacht. Mancher musste
es mit dem Leben bezahlen, mehr Verstand gehabt zu haben als
Andere. Kein Wunder also, wenn das Genie dieses Mannes sich
den wüthenden Hass seiner Zeitgenossen zuzog, der sich zuweilen
auch auf komische Weise kund gab, wie z. B. der erwähnte Sylvius
unseren Vesal in einer Streitschrift absichtlich Vesanus, statt
Ve sali US nannte, während sein dankbarer Schüler, der grosse
Fallopia, von ihm nur als divinua Vesalius spricht. — Die Wissen-
schaft verdankt diesem deutschen Restaurator der Anatomie, den
ersten Antrieb zur Bewegung des Fortschrittes, welche, einmal be-
gonnen, unaufhaltsam dem besseren Ziele zueilte. Im Palazzo Pitti
zu Florenz, sah ich das Porträt dieses merkwürdigen Mannes, über
dessen Leben Prof. Burggraeve historische Notizen herausgab
(£tude8 8ur Andre Vesal. Gand, 1841), Z\x Vesal's Zeiten gab es,
ausser zu Padua und Pisa, noch keine anatomischen Anstalten, und
zweckmässig eingerichtete Vorlesesäle. Er musste seine Leichen
entweder in seiner Wohnung, oder in Privathäusern unterbringen.
Gute anatomische Theater entstanden erst 1556 zu Montpelier, 1594
zu Paris, 1600 zu Leyden, und 1644 zu Kopenhagen.
Gabriel Fallopia, ein modenesischer Edelmann (geb. 1523,
f 1562), Schüler des Vesal, wirkte im Geiste seines Lehrers,
welchen er an Correctheit noch übertraf, und erwarb sich durch
seine, an wichtigen Entdeckungen reichen Observationes anatomicae,
Venet, 1561, den Ruf eines grossen und genauen Zergliederers,
welchen er leider dadurch befleckte, dass er zu Pisa, an verurtheilten
Verbrechern, Versuche über die Wirkungsart der Gifte vornahm,
wie er selbst gesteht : dtix enim corpora justäiae tradenda, ancUomicü
exhibebat, ut morte , qua ipsis videbatwr , interficerefiäiuir (de compos.
« ^ ••
§. 15. Zweit« Periode der Oeschiehte der Anatomie. Ol
mecUcam. cap. 8). Dass er nicht der einzige war, welcher von einer
so unmenschlichen Erlaubniss Gebrauch machte, ersehe ich aus
Benedetti's Worten: quandoque viventes in custodits petunt, ut potiua
medtcarum collegüs tradantarj quam camificis manu publice trvddentur
(AnaUmice, Venet 1493, lib. 1. cap, 1). Die Collegia medica tödteten
nämlich die Verbrecher einfach mit Opium, oder einem anderen
Gift, um ihre Leichen den Anatomen zu geben, während die Hin-
richtung durch den Henker, oft mit den grössten Grausamkeiten
verbunden war. Und wahrlich, wenn heute die peinliche Justiz, die
Missethäter als Schlachtopfer an die experimentirenden Physiologen
ausbötc, würden sich ohne Zweifel moderne Fallopia's unter ihnen
finden. Auch die Wissenschaft hat ihre Fanatiker. Uebrigens haben
auch sehr ehrenwerthe Chirurgen der damaligen Zeit, an verurtheilten,
lebenden Verbrechern, sich in der Ausführung des Steinschnittes
geübt. Ueberstanden diese unglücklichen Versuchsmenschen die
Operation, war ihnen das Leben geschenkt. Im Kiolan (Anatome
carp, hum. pag. 9) lese ich: Rex Ludovlcus XL medicis Parisienrnbus
miliiem capite damnatiim et calculo laborantem permisit vivum in-
et der e, ut calculum extrahendi modum perquirerent, quod factum anno
1474, mense Januario.
Bartholomäus Eustachius (sein Geburtsjahr ist nicht be-
kannt, sein Tod fiillt auf 1574), war ein streitsüchtiger und gelehrter
Gegner des Vesal, wie seine Opuscula anatomica, Venet, 1564, be-
weisen. Seine Tabulae anatomicae, über deren Verfertigung er starb,
wurden durch hundertfunfzig Jahre für verloren gehalten, bis die
Kupferplatten zu Rom aufgefunden, und durch Pabst Clemens XI.
seinem Leibarzte J, Mar. Lancisius geschenkt wurden, welcher,
selbst Anatom, sie im Jahre 1714 herausgab, und den Text dazu
schrieb. Sie sind so vollständig, dass der grosse Alb in, in der
Mitte des vorigen Jahrhunderts noch nach ihnen lehrte.
Es ist nun ganz natürlich, dass in jener Zeit, wo die zu einem
neuen Leben erwachte Wissenschaft, einer genaueren und sorgsameren
Pflege gewürdigt wurde, die grossen Entdeckungen an der Tages-
ordnung waren, und, wer immer sich etwas mehr mit der Anatomie
einliess, sicher sein konnte, seinen Namen durch irgend einen Fund
zu verewigen. Die italienische Schule rühmt sich mit Recht einer
grossen Anzahl von Anatomen, deren jeder sein Schärflein zum
schnellen Aufblühen unserer Wissenschaft beitrug. Dass sie nur das
rohe Material sichteten, und von subtileren Untersuchungen noch
nichts wissen konnten, liegt in der Natur der Sache, und in der Art
des Fortschrittes jedes menschlichen Wissens. Eustachius war
übrigens der Erste, welcher sich nicht blos mit der anatomischen
Formenlehre begnügte, sondern auch den inneren Bau der Organe
aufzudecken anstrebte. Die Geschichte erwähnt noch folgende
4»
52 § 16. Zweite Periode der Oeechicht« der Anatomie.
bedeutende Namen aus dieser Zeit: Fabricius ab Aquapendente
(1537 — 1619), Prof. zu Padua, wo das gegenwärtig noch existirende,
höchst originell construirte anatomische Theater, von ihm gegründet
wurde. Dasselbe entspricht aber nicht genau dem von Alessandro
Benedetti gegebenen Vorbild: arenas instar drcumcavatis aedüibus,
quäle Romae et Veronae cemitur, tantae magnitudinü , ut spectantium
numero mfficicU, ne mdnerum magistri, qtd resectores sunt, a multi-
tudine pertwrbentur.*) — Const. Varoli, Prof. zu Bologna (1543
bis 1575), und dessen Nachfolger J. Caes. Aranti (starb 1589), —
Volcherus Coyter, Stadtphysicus zu Nürnberg (1534—1600), —
Caspar Bauhin, Prof. der Anatomie und Botanik zu Basel (1560
bis 1624), Sohn eines aus Frankreich vertriebenen calvinistischen
Arztes, welcher schon in seinem siebzehnten Lebensjahre das seltene
Glück genoss , Leibarzt einer Königin zu sein, — Adrianus
Spigelius, welchen Ha 11 er splendidus et doquens nennt, Prof. zu
Padua (1616 — 1625), der erste der vielen Anatomen, welche an
Sectionsverletzung starben, — und Julius Casserius, Prof. zu
Padua (wahrscheinlich 1545 —1605). Letzterer hinterliess eine herr-
liche Sammlung von achtundsiebenzig anatomischen Tafeln, welche
ein deutscher Arzt, Daniel Rindfleisch, gelehrter Weise Bucretius
genannt, an sich kaufte, und zugleich mit Adriani Spigelii, de
corp, hum, fabrica lihris decem, zu Venedig, 1627, auflegen Hess.
Mag man es immerhin Wassertropfen und Sandkörner nennen, was
der Fleiss dieser Männer zum Aufbau unserer Wissenschaft bei-
getragen hat ; — ich finde nur Ehrendes in solchem Vergleich, denn
aus den Sandkörnern wurden Felsen, und
„Wo w&ren denn die Meere,
Wenn nicht zuerst der Tropfen wäre."
£s dai*f nicht unberührt bleiben, dass die grossen Anatomen
dieser Zeit, zugleich die ausgezeichnetsten Aerzte und Wundärzte,
und die gefeiertsten Lehrer der Medicin waren. Der Glanz ihres
Namens rief sie an fürstliche Höfe, und strahlte auf die Wissenschaft
zurück, welcher sie ihn verdankten. Nicht lange lächelte den Ana-
tomen die Gunst der Herrscher. Sterndeuter und Goldmacher
nahmen bald ihre Stelle an den Höfen ein, und behaupteten sie bis
zu Anfang der neueren Zeit. Und würde Jemand in unseren Tagen
von dem grossen Arcanum wieder Lärm zu machen verstehen, er
*) Um diese SteUe zu verstehen, muss man wissen, dass die ersten Professoren
der Anatomie an den italienischen Schulen, sowie in Paris und Montpelier, viel zu
grosse Herren waren, um sich selbst bei ihren Vorlesungen mit dem Handwerk der
ZergUederung abzugeben. Sie ttberliessen dieses Geschäft, ihren Gehilfen, welche
meist Chirurgen waren (rndnerum magittri), und Resedoret, oder Prosectores genannt
wurden. Der Professojr gab ex cathedra blos die Erklärung zu dem, was diese Leute
aufiseigten. Solcher Brauch erhielt sich bis Vesal und Real das Columbus,
welche auf den schönen Titelkupfem ihrer Werke, als selbst secirend darge-
stellt sind.
§. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 53
wäre den Kaisern und Königen, und ihren Finanzministern, ein viel
wichtigerer Mann, als der Entdecker der menschlichen Steissdrüse.
Das magnum inventum des Kreislaufs bedingt einen neuen Ab-
schnitt dieser Periode. Mehrere Vorarbeiten zur Begründung einer
richtigen Ansicht von der Circulation des Blutes, gingen voraus. Sie
wurden von Realdus Columbus (Apotheker, später Prosector und
Nachfolger des Vesal in Padua), Fabricius ab Aquapendente
(welcher zuerst bemerkte, dass die Klappen der Venen, der centri-
fugalen Bewegung des Blutes im Wege stehen), Andreas Caesal-
pinus (ein sehr gelehrter Mann, von seinen Zeitgenossen „papaphüo-
wphorum^ genannt), und Michael Servetus (Jurist, Arzt, Theolog,
und zugleich hitziger Kopf, 1553 zu Genf als Ketzer verbrannt)
voi^enommen. Dem Engländer William Harvey (1578 zuFolkston
geboren, starb 1657), der während seines Aufenthaltes in Italien,
wo er zu Padua promovirte, von diesen Vorarbeiten Kenntniss
erhielt, gelang es, die neue Lehre des Kreislaufes, welche anfangs
den Aerzten sehr ungelegen kam, mit wissenschaftlicher Schärfe
zu begründen. Und dieses grosse Werk hat er durch die Anatomie
vollbracht: „non ex libris, sed ex dissectionibiLs, non ex placüis phüo-
»ophorum, sed ex fabrica naturae discere et docere anatomen profiteor^.
— Jeder Entdecker neuer Wahrheiten gilt anfangs für einen
Ruhestörer, da er die Welt aus der Behaglichkeit gewohnter Ideen
aufrüttelt. Harvey erfuhr dies nur zu bald. Er wurde von seinen
Zeitgenossen, welche ihm den spottenden Beinamen Circulator (Markt-
schreier) gaben, so sehr angefeindet (malo cum Gcdeno errare, quam
Harvei veritatem amplecti), dass sein Ruf als Arzt, wie er sich
selbst in einem Briefe an einen seiner Freunde beschwei't, zu sinken
begann. Wenn ein voller Wagen kommt, sagt Lichtenberg, be-
kommen viele Karrenschieber zu thun. Harvey hatte es nun mit
sehr vielen Karrenschiebern zu thun. Nicht weniger als fünfund-
zwanzig Gegner seiner Lehre traten auf einmal auf. Darunter der
gelehrte, aber eitle und hochmüthige Joh. Riolan, durch ein halbes
Jahrhundert Professor der Anatomie in Paris, welcher sich selbst
den Prinoeps anatomicorum nannte. Diesen allein wies Harvey in
einem Briefe zurecht. Den anderen vierundzwanzig zu antworten,
hielt er unter seiner Würde. Einer von diesen vierundzwanzig
bewies sogar, dass König Salomo und die Chinesen, den Kreislauf
schon gekannt. In dem Museum des /?. College of Physicians in London,
belinden sich sechs Holztafeln mit getrockneten Nerven und Blut-
gefässen; eine darunter zeigt die Aortenklappen. Sie sollen von
Harvey herstammen, welcher sie in Padua, unter der Anleitung
von Fabricius ab Aquapendente bereitete, und sich in England
derselben bediente, als er Vorlesungen über seine wunderbare Ent-
deckung hielt. Ich kenne keine älteren anatomischen Präparate.
54 §. 15. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie.
Sie sind zwar nicht von der Art, wie wir sie heutzutage zu machen
verstehen, aber ihr Alter und der Name des grossen Mannes, von
dem sie herrühren, macht sie ehrwürdig. Auch in der Sammlung
des College of Surgeons, werden ähnliche, getrocknete, und auf Holz
ausgespannte Nervenpräparate aufbewahrt, welche ein englischer
Arzt, John Evelyn, von Fabricius Bartoletus in Padua kaufte.
Sie müssen dritthalbhundert Jahre alt sein, da Bartoletus, der
Gehilfe des A. Vesling, eines berühmten deutschen Anatomen in
Padua war, welcher 1649 starb. Ich finde in dem Werkchen von
R. Knox, Great Artista, and great Anatomüts , London, 1832, eine
geschichtlich interessante Notiz, pag, 160, 161, über einen Fascikel
von Handzeichnungen Leonardo da Vinci's, welcher in der Privat-
bibliothek der Königin Victoria von England aufbewahrt wird. Unter
Anderem enthält diese Sammlung eine Zeichnung der verschiedenen
Stellungen der Vdlvulae semäunares (deren Nodvli Arantii ganz genau
dargestellt sind), welche nur unter einer richtigen Vorstellung von
der Bewegung des Blutes durch das Herz, entworfen werden konnte.
Da der grosse Maler lange vor Fabricius und Harvey lebte,
glaubt Knox, dass diese Angabe, der Prioritätsfrage wegen, nicht
unwichtig sei. Dagegen ist aber zu sagen, dass die Anatomen des
Mittelalters, den Schluss der Valvulae semüunares, damals Trivalvmm
genannt, nie verkannt haben, wohl aber jenen der VdlvuUie tricuspi-
dales und mitrales, welche nach der damals herrschenden irrigen
Ansicht, bei der Diastole der Herzkammern, Blut einlassen, bei der
Systole aber wieder herauslassen.
Fast gleichzeitig mit Harvey, entdeckte, 1622, Caspar Aselli,
Prof. zu Pavia, an einem Hunde die Chylusgefilsse des Gekröses.
Nach den damals herrschenden Ansichten über die blutbereitende
Thätigkeit der Leber, liess Aselli seine Vasa lactea zur Leber gehen.
Erst sechs Jahre später wurden die Chylusgefösse auch im mensch-
lichen Gekröse von La Peiresc, Senator in Aix, welcher durch
Gasse ndi von Aselli's Entdeckung Kunde erhielt, gesehen. Ein
Student der Medicin, Jean Pecquet, entdeckte 1647 den Ductus
thoradciis in einigen Hausthieren, und Olaus Rudbeck, Prof. zu
Upsala, im Menschen, 1650. Thomas Bartholin, der grösste
Polyhistor seines Zeitalters, und Verfasser einer Anatomia reformata,
beschäftigte sich mit der Untersuchung der Lymphgefasse überhaupt,
deren Ursprung die Anatomen jener Zeit in nicht geringere Streitig-
keiten verwickelte, als es derselben Frage wegen heutzutage der
Fall ist. Würdige Repräsentanten dieser Periode sind: Lancisi,
Glisson, Willis, der Däne Nil Stenson (gewöhnlich Nicolaus
Steno oder Stenonius genannt, welcher der Erste ahnte, dass die
Petrefacten keine miraada naturae, sondern Ueberreste und Zeugen
längst entschwundener Schöpfdngsalter seien ; starb, nachdem er den
§. 15. Zweite Periode der Oeicliichte der Anatomie. 55
ff
protestantischen Glauben abgeschworen, 1686 in Mecklenbui'g als
Titttlarbischof von Titiopolis, in partibus infidelium) , — Valsalva,
Santorini, Regnier de Graaf, Winslow, und der ehrwürdige
Veteran der deutschen Chirurgie, Laurentius Heister (1683 — 1758).
Leider seufzte auch diese Periode, wie die früheren, noch aller
Orten unter dem Drucke des Leichenmangels, und des gehässigen
Vorurtheiles der Menge, indem nur justilicirte Verbrecher dem
Messer der Zergliederer überlassen wurden. So lässt Schiller in
den „Räubern" den Roller, welcher recta vom Galgen zurück-
kommt, zu seinen Cameraden sagen : „war schon mit Haut und Haar
auf die Anatomie verhandelt," und in England war es lange Zeit
nichts Ungewöhnliches, dass zum Tode verurtheilte Verbrecher, ihren
Leib noch bei Lebenszeiten an die Anatomen verkauften. Die
»
Statuten der Universität zu Padua erlaubten nur die Leichname
von Verbrechern (justiziati) zu seciren, und diese durften keine ge-
borenen Paduaner oder Venezianer sein (Tosoni). Ebenso waren
in Ferrara, nach Börse tti, und in Bologna, nur die Leiber Von Ver-
brechern (dummodo cives honesti non »int) der Anatomie verfallen,
und dieses noch mit der Restriction, dass jährlich nicht mehr als
Ein corptis secandum der Anatomie vergönnt wurde. *) Durch Edict
des Grossherzogs Cosmus I., wurde in Pisa alljährlich eine öflFent-
liche Zergliederung eines Missethäters , welcher eigens zu diesem
*) Unter den Professoren der Anatomie in Bolog'na, erwähnt Keen selbst
eine Fran, Madonna Manzolina, wie auch eine Professorin des canonischen
Rechtes, Namens Nove Ha d'Andrea, welche so schön gewesen sein soll, dass sie
nur hinter einer Curtine, ihre Vorträge hielt, wie die verschleierte Göttin von Sais,
um sich den bewundeniden Blicken ihrer Zuhörer zu entzielien (Sketch of enrly hist.
of Anal. pag. 7). Ich gab mir, wie natürlich, Mühe, über Keen's Anatomen aus
dem schönen Geschlecht, etwas Näheres zu erfahren, fand aber nur in dem Geschichta-
werk von M. Medici (Sulla scttola anal, di Bologna, 1S67, jyag. S49) einen gewissen
Giovanni Manzolini (geb. in Bologna, 1700, f 1765), welcher sich mit Malerei
beschäftigte, und in der Schule des Ercole Lelli, anatomische Figuren in Wachs
zu poussiren lernte. Er machte mit diesen Arbeiten einiges Aufsehen, und unter-
richtete auch seine Frau Anna, ihm dabei behilflich zu sein. Sie übertraf bald ihren
Mann an Correctheit und Schönheit der Darstellung. IJesonders rühmend wird der
Ausführung eines hochschwangeren Uterus in Wachs von ihrer Hand (con liUti i
particolarij erwähnt Da es in Italien Sitte war, und noch ist, einen Künstler von
einiger Bedeutung, Profettsore zu nennen, mag wohl Manzolini, imd sofort auch
seine Frau, mit diesem Titel honorirt worden sein. Es verdient bemerkt zu werden,
dass der unsterbliche Luigi Galvani, seine anatomischen Vorlesungen, zu welchen
er die Präparate derManzolina ver>vendete, mit einer Rede eröffnete, welche den
Titel führt: de Maiizoliniana Suppellvctili, Bonon. /777. Von einer Professorin de
facto war aber keine Rede. Eben so wenig war Alessandra Giliani dal Porsi-
ceto, welche um die Zeit des Mundinus lebte, eine Professorin der Anatomie.
Sie war dem Mundinus und seinem Prosector, Ottone Agenio Lustrulano, bei
ihren anatomischen Arbeiten behilflich, und fasste eine wahre Leidenschaft für unsere
Wissenschaft. Ihre (^ewandtheit in der Präparation der Gefiisse führte sie selbst
zur Erfindung der anatomischen Eins[>ritzungen ^)?er coiiservare le vene e le arterie
le piii »ottili, e per poterle sempre far vedere, le riempiva d''nn liquore di vario colore,
che subito infuso s^induriva e condeiisava, senza mai corromperfti. Medici, litt. cit.
pag. 29). — Auch die Novella d' Andrea finde ich nicht unter den dreizehn ge-
lehrten Frauen, deren sich Bologna rühmt, und welche Medici (op, cit. pag. 36 IJ
namentlich aufführt
56 §• 15* Zweite Periode der Geitchiehte der Anatomie.
Zwecke erdrosselt werden musste (strangolato dal cameßce) , ange-
ordnet. Sie nahm nur zwölf Tage in Anspruch (A. Corradi).
Heinrich VIII. in England^ erlaubte dem College of Surgeons, jähr-
lich „fourfeloiis/^ und Königin Elisabeth dem College of Physicians
eben so viel (Keen). Erst König Georg 11. (1726) befahl ,jall
crimincds^' den Anatomen auszuliefern. Ein päbstliches Breve gestand
der Tübinger Facultät die corpora mcdeßcantium zu, welche auch an
der Wiener Universität, bis zum Jahre 1742, die einzigen Objecto
des anatomischen Unterrichtes bildeten. — Die Studenten der Medicin
hatten aber blos das Recht, den Sectionen, welche immer öffentlich
abgehalten wurden, beizuwohnen; — selbst seciren durfte Keiner.
Dasselbe war auch in Deutschland, England, und Frankreich der
Fall. Zu Monroes und noch zu H unteres Zeit, hatten die wenigsten
praktischen Aerzte in England, je eine Leiche geöffnet. Petrus
Paaw rühmte sich denn auch: sese hina aut terna (mcUeßcorum)
cadavera, quotannis secuisse (Primitiae anat, Lagd. 1616). Ja es gab
selbst eine Art von „fahrenden Anatomen" (z. B. Fabricius Hildanus),
welche die Städte aufsuchten, wo eben Hinrichtungen stattfanden,
um daselbst anatomische Demonstrationen abzuhalten, und der Prager
Rector magnißcus, Jessenins von Jessenitz, welcher nach der
Schlacht am weissen Berge als Rebell enthauptet und geviertheilt
wurde, ersuchte wiederholt schriftlich den Prager Magistrat, die
Missethäter so lange am Leben zu lassen, bis er ihre Leiber y,ad
usum anatomicum^^ benöthigen würde, wo sie sodann nicht geköpft,
sondern gehenkt werden mögen, aus begreiflichen Gründen. Der
Schrecken, welchen der Name des Jenenser Anatomen Rolfinck
dem Volke einflösste, veranlasste manchen armen Sünder zur Bitte,
nach dem Richten nicht gerolfinckt zu werden; und dem
Professor Alb recht, der in Göttingen, nur in einem finsteren Keller
des Festungsthurmes neben dem Groner Thore, seine Zergliederungen
halten durfte, wurde von den Einwohnern der Stadt Wasser und
Holz verweigert! Caspar Bauhin und Felix Plater in Basel,
klagten laut über das Odium, welches ihre Beschäftigung mit Ver-
brecherleichen, beim Volke über sie brachte (Miescher), und
G. Cortese in Messina, welcher binnen vierundzwanzig Jahren, nur
zwei Verbrecherleichen erhalten konnte, hatte Noth sie zu seciren:
„non commode, sed tumultuose, et cum maxima difficultate*^ . Es scheint
fast nach solchen Daten, dass die Anatomie damals zu den „ehr-
losen Gewerben" zählte. Nur in Frankreich wusste man, früher als
anderswo, die Wissenschaft dieser unwürdigen Fesseln zu entledigen.
Duverney (Jean-Guichard) erwarb sich durch seine Gelehrsamkeit,
und durch die geistreiche Behandlungsweise eines für die Menge
so abstossenden Gegenstandes, eine so hervoiTagende Stellung, dass
es in den höchsten Ständen der Gesellschaft (nous auires geniäshommes)
$. 16. Zweite Periode der Geschichte der Anatomie. 57
Mode wurde, seine Vorlesungen zu besuchen, und dass Bossuet,
der Erzieher des Dauphin, ihn zum Lehrer des königlichen Kron-
prinzen in der Anatomie designii-te. In solcher Stellung war es ihm
ein Leichtes, Alles auszuführen, was der Entwicklung der Anatomie
in Frankreich gedeihlich werden konnte. Die von Duverney ein-
genommene Stelle eines Hof- Anatomen, existirte in der Revolutions-
zeit noch. Ihr letzter Besitzer war der würdige und gelehrte ana-
tomische Historiograph Portal.
Noch hatte man nicht mit dem Vergi'össerungsglase in die
Tiefen der Wissenschaft geschaut. Wie so oft, war es ein glücklich
Ohngefkhr, dem die Wissenschaft die Ei*tindung ihres wichtigsten
Geräthes verdankt, denn, wie der Dichter sagt: magnis exigua in-
terdum stAsunt pnncipia rebus. Ein Glasschleifer zu Middelburg in
Holland, Hans Lippershey, gegen Ende des 16. Jahrhunderts,
verfiel zuerst auf die Idee zusammengesetzter optischer Apparate.
Sie wurde in ihm dadurch erweckt, dass sein Söhnlein, mit einer
Convex- und einer Concavlinse zugleich nach dem Wetterhahn eines
nahen Kirchthurmes schauend, ausrief: sieh' Vater, der Hahn kommt
vom Thurme herab (d. h. er kam dem Auge näher). So entstand
das Fernrohr, welchem bald auch das Mikroskop nachfolgte, durch
Zacharias Hansen, 1590. Mit diesem Werkzeug war die Sehkraft
des anatomischen Auges vertausendfacht. Marcello Malpighi
(1628 — 1694) glänzte zuerst durch die Grossartigkeit seiner mikro-
skopischen Entdeckungen im Thier- und Pflanzenleibe, welche die
Royal Societfj in London veröffentlichte. Er lehrte zu Bologna, Pisa,
und Messina, war ein Freund des grossen Alphons Borelli, welcher
die Gesetze der Mechanik auf die Anatomie der Muskeln und der
Gelenke anzuwenden verstand, und starb als Leibarzt Pabst Inno-
cenz' XII. Es ist sogar in unserer Zeit vorgekommen, dass ein Ab-
schreiber des Malpighi, einen akademischen Preis davontrug. —
Lorenzo Bellini zu Florenz, Heinrich Meibom zu Lübeck,
J. C. Peyer, und sein Landsmann B runner zu Schaff hausen,
Anton Nuck zu Leyden, Jean Mery zu Paris, Clopton Havers
zu London, sowie die Italiener A. Pacchioni und J. Fantoni,
sind die durch ihre Leistungen berühmten Zeitgenossen Malpighi's.
Die beiden Niederländer Ant. Ijeeuwenhoeck (1632 — 1723), und
Joh. S wammer dam (1627 — 1680), machten in dem Gebiete der
mikroskopischen Anatomie (besonders crsterer, obwohl er nicht
Latein kannte) folgenreiche Entdeckungen. Ich möchte wohl be-
zweifeln, dass wir an den Manuscripten des letzteren, viel verloren
haben, welche er, als er unter die mystischen Schwärmer ging, ver-
brannte , aus Furcht vor dem Frevel , ^ die Geheimnisse der Natur
dem sterblichen Auge aufzuschliessen. — Friedr. Ruysch (1638
biß 1731), Prof. der Anatomie und Botanik zu Amsterdam, brachte
58 g. 16. Zweite Periode der Geschichte der Aaatomie.
die von Swammerdam geübte, durch van Hörne vervollkomm-
nete Methode, die feinen Blutgefässe mit erstarrenden Massen aus-
zufüllen, so weit, dass seine Injectionen weltberühmt wurden, und
die Pariser Academie ihn unter ihre vierzig Unsterblichen auf-
nahm. Der überraschende Reich thum der Organe an feinsten Blut-
gefässen, welche er zuerst darstellte, führte ihn selbst zu der über-
triebenen Behauptung : ,, totum corpus ex vasculis^, Peterder Grosse,
welcher sich zu Shardam aufhielt, um Schiffsbaukunde zu studiren,
und wo er nebenbei auch niedere Chirurgie, d. i. Aderlässe und
2^hnausziehen, aus Passion prakticirte, besuchte ihn öfters, wohnte
seinen Vorlesungen fleissig bei, und kaufte seine Präparatensammlung
mit dem Recept zu seiner Injectionsmasse , um 30.000 Goldgulden.
Dat GcUenys opes. Ein Theil der Sammlung ging aber schon während
der Seereise nach St. Petersburg zu Grunde, da die Matrosen den
Spiritus von den Präparaten wegtranken. Auch gegenwärtig — so
erzählte mir ein ehemaliger Professor anatomiae in Russland —
würde die Erhaltung von Weingeistpräparaten daselbst sehr zweifel-
haft sein, wenn nicht die als Anatomiediener verwendeten Soldaten
zusehen müssten, wie das alljährlich systemisirte Quantum Spiritus
mit einer Dosis Sublimat versetzt wird, welche selbst einem Scythen-
magen Respect zu gebieten vermag. Der Geschmack und die Zier-
lichkeit, mit welcher Ruysch's anatomische Arbeiten verfertigt
und aufgestellt waren, machte sein anatomisches Museum auch bei
der gaffenden Menge beliebt. Man nannte dasselbe, das achte Welt-
wunder. Vor Ruysch's Zeiten kannte man (ausser in Dänemark
von Ole Worm und Thomas Bartholin) anatomische Museen
nicht. Man kann mit Recht sagen, Ruysch popularisirte die Ana-
tomie, welche ihm übrigens keine grossen Entdeckungen zu ver-
danken hat. Die von ihm gebrauchte, und als Ldquor balsamicus oft
erwähnte Conservirungsflüssigkeit seiner feuchten Präparate, ver-
änderte Leichen und Leichen theile so wenig, dass sie die Frische
des Lebens beizubehalten schienen, und sogar die Sage geht, Peter
der Grosse habe ein von Ruysch injicirtes Kind für ein schlafendes
gehalten und geküsst. In Leyden habe ich noch zwei angeblich von
Ruysch herstammende, ganz unbrauchbare Präparate angetroffen.
Ebenso in Greifswalde (einen injiciiten Schenkel und eine Planta
pedis eines Kindes). Sonst ist von allen Schätzen, welche Ruysch
mit Beihilfe seines Sohnes, und als dieser starb, mit jener seiner
Tochter Rachel, in seinem langen Leben (er wurde 93 Jahre alt)
verfertigte, und in seinem Thesaurus anatomicus abbilden liess, nichts
mehr vorhanden ! Er verkaufte noch eine zweite anatomische Samm-
lung an König Stanislaus von Polen, welcher sie der Universität
Wittenberg schenkte. Auch sie ist verschollen. Ein ähnliches Schick-
sal erlebte die von A. Vater errichtete, und von ihm beschriebene
§. 15. Zweite Periode der Oeschiclite der Anatomie. 59
Sammlung (Museum anat. proprium, HdmsL 1760), Sie wurde von
einem Apotheker, der Gläser wegen, um einen Spottpreis gekauft.
Meine Privatsammlung von 5000 Injectionspräparaten, Skeleten und
Gehörorganen, vernichtete das Jahr 1848. Ich sah sie in den Oetober-
tagen, mit meiner übrigen Habe in Rauch aufgehen. Sic transit
gloria mundi!
Die Anatomie war nun als Wissenschaft vollberechtigt. Man
gab die nutzlose Polemik auf, welche bisher häufig den Hauptinhalt
der anatomischen Schriften (pleins de vide) bildete, und wendete
sich dem Reellen zu. Physiologie und Medicin erfuhren eine ein-
flussreiche Rückwirkung; erstere wui'de durch Albert Haller, den
grössten Gelehrten seines Zeitalters (1708 — 1777), gross und muster-
haft in Allem, was er unternahm, zu einer mit der Anatomie iden-
tificirten Wissenschaft erhoben, und für letztere durch Joh. Bapt.
Morgagni (1682 — 1771), und den grossen Anatomen der Leydener
Hochschule, Bernhard Siegfried Albin (welcher nur an dem
kleinen Fehler litt, die verdienstlichen Arbeiten seiner Schüler für
die seinen auszugeben), der erste Versuch zu Gleichem gemacht.
Morgagni's Adversaria anatomica können noch immer als Muster
von anatomischer Genauigkeit dienen. Sein unsterbliches Werk, de
sedibus et causis morborum, welches er in seinem achtzigsten Lebens-
jahre herausgab, war die erste Vorarbeit für die gegenwärtige,
pathologisch-anatomische Richtung der Medicin.
Unter dem bescheideneu Titel: Elementa phydoloffiaSj speicherte
der grosse Haller, Albin's Schüler, nicht nur die Vorräthe alles
dessen auf, was man vor ihm wusste, sondern vermehrte sie durch
die Früchte seines unermüdlichen Eifers am Secirtische. Seine Zeit-
genossen nannten ihn einen abyssus eruditionis. Mit Recht ruft
Cruveilhier über diesem Werke ohne Gleichen aus: combien de
dScouvertes modeimes contenues dana ce bei ouvrage! — Halle r's Name
wird jetzt noch — hundert Jahre nach seinem Tode — von jedem
Anatomen mit Ehrfurcht genannt, und wenn man die Physiologen
der Gegenwart fragte, wer der Erste Mann ihres Faches ist, würde
jeder sagen, oder es sich wenigstens denken: „der bin ich"; —
wenn man sie aber um den zweiten fragte, würden alle einstimmig
Hai 1er nennen. Seme „Icones^^ halte ich für sein grösstes Werk,
denn hier zeigt sich der Anatom in der Fülle seiner Gelehrsamkeit
und seiner praktischen Gediegenheit. So wird denn die Dankbarkeit
der Wissenschaft den Lorbeer seines Grabes auch in alle Zukunft
schmücken mit immer frischem Grün, wenn von den Grössen der
Gegenwart und air dem eiteln Lärm, welchen sie erregten, kein
Nachhall mehr klingen wird. — Die sonderbarste Auszeichnung,
welche Hall er zu Theil wurde, war seine Ernennung zum General-
major des polnischen Heeres, durch den Fürsten Radziwil. Der
60 §• 15- Zweite Periode der Oeschichte der Anfttomie.
grosse Mann starb mit dem Finger an der Radialarterie, und mit
den Worten: „Sie schlägt nicht mehr". Sein letzter Gedanke war
noch Physiologie. Die Entwicklungsgeschichte wurde von Hall er
zuerst in Angriff genommen.
Die vergleichende Anatomie beschäftigte die geistvollsten
Männer dieser Zeit. Jean Marie d'Aubenton (1716 — 1799), Felix
Vicq d'Azyr, die Gebrüder John und William Hunter, der
Niederländer Peter Camper (1722 — 1789) glänzen als Sterne erster
Grösse im Buche der Geschichte. Panizza, und sein weit weniger
bekannter, obwohl nicht weniger verdienstvoller Gegner Rusconi,
repräsentiren diese Wissenschaft auf Italiens klassischem Boden.
Oesterreich hat sich weit mehr gelehrter Ritter und Barone, Hof-
und Regierungsräthe mit unvermeidlichen Orden, als vergleichender
Anatomen zu rühmen.
Die beschreibende Anatomie wurde durch den Fleiss und die
Genauigkeit der deutschen Zergliederer am meisten gefördert. Ihnen
verdankt diese Wissenschaft ihre schönsten und wichtigsten Ent-
deckungen. Alle Ganglien des Nervensystems führen die Namen
deutscher Anatomen. Die Gelehrtenfamilie der Meckel, so wie
die Professoren: Weitbrecht, Zinn, Wrisberg, Walther, Reil,
Rosenmüller, Sömmering, E. H. Weber, J. Müller, Arnold,
Henle, Luschka, Bischoff, W. Gruber, Reichert, u. v. a.
stellt die Wissenschaft auf die höchste Höhe der Anerkennung. Ich
müsste in diesen Ehrenkreis alle deutschen Professoren der Jetztzeit
aufnehmen, denn was diese Männer gedacht und geschaffen haben,
ist ein bleibender Ruhm der Wissenschaft geworden. In Oesterreich
hat nur Ein Mann, den Namen eines denkenden Anatomen verdient,
und mit Würde getragen. Das ist sehr wenig für ein so grosses
Reich. Er hiess Georg Prochaska. In der Physiologie der Nerven
wurde durch ihn eine neue Bahn aufgeschlossen. Wenn nur Ein
Stern am finsteren Himmel steht, leuchtet er um so heller. Um-
stände sorgen dafür, dass ihrer so bald nicht mehr werden sollen. Die
anatomische Technik aber war in Oesterreich immer gut vertreten.
— Dass in der beschreibenden Anatomie kein Verdienst mehr zu
ernten, kein Dank mehr' zu holen sei, wurde durch die Entdeckun-
gen vieler trefflicher Zergliederer der Gegenwart widerlegt, welche,
jeder in seiner Sphäre, und viele mit freudig überraschender Frucht-
barkeit, die Schätze unserer Wissenschaft fortwährend vermehren.
Und es giebt noch Winkel in diesem engen Haus — sechs Bretter
und zwei Brettchen — wo Manches verborgen liegt für spätere
Finder, mögen sie Genies sein, oder nur Fleiss zur Arbeit bringen.
Von letzteren gilt, was Leibnitz sagte: est profecto casu^ quMamvn
inveniendo, qtu nan semper maadmis ingenüs maxima, sed mediocribua
quoque nonnuUa offerL
§. 15. Zweite Periode der Oeecbicbte der Anatoinie. 61
Die praktische Richtung der Anatomie, ihre Anwendung auf
Heilwissenschaft, wurde durch die Engländer Baillie, die beiden
Hunter, Cruikshank, Hewson, Everard Home, Abernethy,
John und Charles Bell, A. Cooper, und den Niederländer
Sandifort, mit schönen Erfolgen ausgebeutet. Es ist fürwahr zu
wundern, dass es in England, bei der ausserordentlichen Schwierig-
keit, sich Leichen zu verschaffen, überhaupt eine Anatomie gab.
Nur durch die verwegensten Gauner, welche die gefährliche Bande
der sogenannten body-snatchers oder resurrection-men bildeten, war es
möglich, eine aus den Kirchhöfen gestohlene Leiche zu erhalten,
um den Preis von 20 — 30 L. Sterl.; — ja John Hunter hat für
den gestohlenen I^eichnam des irischen Riesen O'Beirn (8 Fuss
4 Zoll hoch), dessen Skelet jetzt im anat. Museum des College of
Surgeons in London steht, 500 L. St. (5000 Gulden) bezahlt (Life
of J. Hunter, pag. 106). Die Kühnheit und Schlauheit dieser Diebe
war 80 gross, dass der berühmte Chirurg, Sir Astley Cooper, welcher
einer Parlamentsverhandlung über diesen Gegenstand als Beirath
zugezogen war, erklärte, dass er die Leiche jedes Menschen in
England, was immer für eines Standes und Ranges, durch sie er-
halten könne (Life of A. Cooper, V. L,pag. 107). — Die Wachsam-
keit der Polizei machte die Leichendiebe nur um so kühner in
ihren Forderungen. Sie erhielten von den anatomischen Schulen
jährliche Extrahonorare bis zu 600 fl., und wenn sie in's Geföngniss
kamen, 10 Schilling wöchentliche Zulage. Diese saubere Wirthschaft
dauerte lange genug, bis sie durch ein grauenvolles Ereigniss in
fklinburg ihr Ende fand (1828). Zwei Leichendiebe, Burke und
Hare, lockten arme Teufel auf der Strasse an sich, machten sie
betrunken, erstickten sie unter Bettdecken, und verkauften sie an die
Anatomen. Sechszehn Menschen wurden auf diese Weise von ihnen
gemordet. Das Verbrechen wurde zuerst durch die Schüler geahnt,
angezeigt, und durch die Hinrichtung der Mörder gesühnt. Burke
wurde öffentlich secirt, und seine Haut gegerbt. Ein Anatomiediener
Hess sich daraus einen „Tabaksbeutel" machen (Goodsir, Anat,
Mem. V. L, pag. 163). Auch dem Prof. Rob. Knox wurde der
Process gemacht, da doch mit Recht anzunehmen war, dass er die
gewaltsame Todesart der von ihm gekauften Leichen, hätte erkannt
haben sollen. Die Jury aber sprach ihn „not guilty^*. Er musste
sein Amt aufgeben, und starb, gemieden von Jedennann, in London
in Armuth und Noth. Nun erst leuchtete den Engländern die ge-
bieterische Nothwendigkeit ein, die anatomischen Schulen auf
gesetzlichem Wege mit Leichen zu versorgen. Die Warburton-
Bill (1832) weist den Anatomen und ihren Schülern, alle Leichen
jener Menschen zu, welche in den Spitälern sterben, als gänzlich
unbekannt von Niemandem reclamirt werden, und somit, nach
62 $. 15. Zweite Periode der Oeiehielito der Anatomie.
juridischer Phrase, eine res mdlius sind. Bei uns in Wien ist es,
seit Maria Theresia, ebenfalls so.
Die chirurgische Anatomie war in Frankreich schon weit ge-
diehen, bevor man ihren Namen in Deutschland kannte. Palfin,
Portal, Lieutaud, Desault, Boyer, J. Cloquet, . Velpeau,
Blandin, Malgaigne, Pötrequin und Eichet, sind ihre geist-
reichen Repräsentanten. — In Deutschland war es Hesselbach,
in Italien Scarpa, welche sich der chirurgischen Anatomie mit
Erfolg annahmen. — In dem praktischen England hat dieses Fach
von eminenter Nützlichkeit, zahlreiche Bearbeiter gefunden, während
die beschreibende Anatomie nur durch gute Schulbücher ver-
treten wird.
Bichat (geb. 1771, f 1802) schuf die allgemeine Ana-
tomie. Ich möchte ihn den ersten Philosophen der Anatomie nennen.
Durch keine Detailentdeckung berühmt, zerlegte er den mensch-
lichen Leib nicht in Organe, sondern in Gewebe, deren Eigenschaften
er in dreifacher Richtung, anatomisch, physiologisch und pathologisch,
mit der dem französischen Geiste eigenen lichtvollen, praktischen
und einnehmenden Gewandtheit zu prüfen verstand. Ein allzufrüher
Tod entriss ihn der Wissenschaft. Sein Leben war, wie die Revo-
lutionszeit, in welche es fiel, zu stürmisch bewegt, um lange dauern
zu können. Arm an Jahren, reich an Verdienst, erlosch die ge-
gönnte Frist, zu kurz für so riesige Gedankenarbeit. Was hätte ein
Mann noch leisten können, von welchem Corvisart an Bonaparte,
damals ersten Consul der französischen Republik, schrieb: Bichat
vient de mourir sur un champ de bataiUe, qui campte phis d'une victime;
personne en si peu de temps Wa fait tant de choses et si bien. Warum
hat man diese edlen Worte nicht unter seine Bildsäule geschrieben,
welche das dankbare Frankreich auf dem Schauplatz seiner aU-
bewunderten Thätigkeit (im Hotel Dieu) aufirichtete?
Die Gewebslehre erhielt durch Schwann 's Entdeckung, dass
die Zelle das organische Element fiir Thier und Pflanze sei (1830),
ein oberstes Princip, welches ein neues Licht in die Entstehungs-
weise und die genetische Verwandtschaft thierischer Gebilde warf.
Sehr einfach klingt die Zauberformel, mittelst welcher der schlum-
mernde Geist der Histologie beschworen, und der reiche Schatz,
den er hütete, gehoben wurde: „Thier und Pflanzen sind aus Zellen,
„oder deren Metamorphosen zusammengesetzt, — an die Fomi dieser
„Sollen ist das Leben gebunden, — ohne diese Zellen kommt es
„nicht zur Erscheinung^. Hiemit war denn auch das Ei des Columbus
nicht blos auf die Spitze gestellt, sondern auch ausgebrütet. Die
Physiologie hat es mit schuldiger Dankbarkeit anerkannt, dass der
Schlüssel zur Lösung des grossen Lebensräthsels, nunmehr feierlichst
in ihre Hand gegeben ist. Würde aber dieses Räthsel wirklich
§. 15. Zweite Periode der Geschielite der Anatomie. 63
einmal gelöst, so dass es nichts mehr zu denken und zu forschen
gäbe, dann wahrlich lohnte es sich auch nicht mehr zu leben. Non
prcpius f(i8 est mm*tali atiingere Divos. Schwann liess seit seiner
grossen Entdeckung, nichts Bedeutendes mehr in der Anatomie von
sich hören, als hätte das einmalige Auflodern der Geistesflamme
allen LebensstofF verzehrt für immer. — Die Gewebslehre zählt auf
dem Boden unseres gemeinsamen Vaterlandes ihre grössten Männer.
Eine lange Reihe von Namen deutscher Histologen, ist durch ihre
Leistungen geadelt, selbst verewigt, und die histologischen For-
schungen haben in der so rührigen Jetztzeit, eine solche Ausdehnung
gewonnen, dass ihre Ergebnisse nicht mehr als ein Ergänzungs-
bestandtheil der beschreibenden Anatomie betrachtet werden können,
sondern den Gegenstand besonderer Vorlesungen und eines besonderen
praktischen Unterrichts bilden. Den deutschen Histologen reihen
sieh, mit zahlreichen, höchst verdienstvollen Leistungen, die Eng-
länder und Franzosen, die Niederländer, die Russen und Polen
an, und die claasica terra Italide feiert ihre Wiedergeburt dui'ch
rührige Arbeit auf diesem fruchtbaren Gebiete, zum Beweise, dass
der politische Aufschwung einer Nation, auch auf ihre streng wissen-
schaftliche Thätigkeit den mächtigsten Einfluss äussert. Im passe
dei morti, wie man Italien nannte, wird es noch recht lebendig
hergehen. Denn der Ruhm der Alten in der Anatomie, kann die
Jungen nicht schlafen lassen.
Die vergleichende Anatomie erhob sich zum Lieblings-
studium aller Anatomen von Verstand, und zählte bei allen gebil-
deten Nationen zahlreiche Freunde und Vertreter. Durch Cuvier's
Riesengeist entstand die Paläontologie, welche, im Verbände mit
Geologie, eine gewaltige Revolution unserer Gedankenwelt über den
Entwicklungsgang des organischen Lebens bis zum Menschen hinauf,
vorzubereiten sich anschickt. Unser Leben fallt nur in die Periode
der ersten Zuckungen dieser Revolution. — Der Gang der ver-
gleichenden Anatomie war, seit ihrem Entstehen, vorwiegend der
Beschreibung der thierischen Organisation zugewendet. Wie lichtvoll
die Reflexion über den Fortschritt vom Einfachen zum Zusammen-
gesetzten auch für die menschliche Anatomie werden kann, haben
die vergleichenden Arbeiten V i c q d ' A z y r's (Memoiren der Pariser
Akademie, 1774), R. Owen's (On the Ärchetj/pe and Homologies of
(he Vertebrate Scdeton , 1848), ganz vorzüglich aber Joh. Mülle r's
(Anatomie der Myxinoiden, 1835) bewiesen, und es wäre zu wünschen,
dass die hier eingeschlagene Tendenz, den Forschungen in der
menschlichen Anatomie allgemein zu Grunde gelegt würde. Allein
die vergleichende Detailanatomie, d. h. die beschreibende (nicht die
raisonnirende) , insbesondere jene der Wirbelthiere , ist in unseren
Tagen schlafen gegangen. Nur die vergleichende Osteologie wird,
64 §. 16. Allgemeine Literatar der Anatomie.
der Paläontologie wegen, noch betrieben. Selbst die Jahresberichte
über die Fortschritte der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere,
haben, wegen Stofiiuangel, durch fast zwanzig Jahre aufgehört zu
erscheinen, und gelangen erst jetzt wieder zu einem kümmerlichen
Leben. Es fehlt wahrlich nicht an Material zur Arbeit, aber an
Männern, die sie unternehmen könnten und möchten. Mit tiefem
Bedauern sieht die Gegenwart dieses ruhmlose Feiern und Ver-
kümmern einer der anziehendsten Wissenschaften. Ich glaube, die
vergleichende Anatomie hat nur darum an Popularität verloren, weil
sie nicht nach Brod geht, und jene Lehrer immer seltener werden,
welche der Bedeutsamkeit der thierischen Formenlehre ihr Recht
widerfahren lassen. Die Physiologie hat sich in unsem Tagen
gänzlich von der vergleichenden anatomischen Richtung abgewendet,
ja in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie haben sich die
physiologischen Abhandlungen, im tiefinnigsten Bewusstsein ihrer
Unfehlbarkeit, eine Zeit lang den astronomischen, nicht den ana-
tomischen angeschlossen. So etwas war nur in Wien möglich.
In der Entwicklungsgeschichte glänzt der verdienteste
Ruhm deutscher Naturforschung. Pander und Döllinger haben
die von Haller und Wol ff betretene Bahn geebnet; Baör, Bischoff
und Reichert, sind bis an die entferntesten und unbekanntesten
Punkte derselben vorgedrungen, und der Deutsche darf mit Stolz
sagen, dass Alles, was in diesem Fache Grosses geschah, von seinem
Vaterlande ausging, welches, bis vor kurzem arm an nationalen
Thaten, an denen das Selbstgefühl eines grossen Volkes erstarken
könnte , keinen Ruhm sein eigen nennen durfte , als jenen , dessen
Ehrenpreis auf dem Felde der Wissenschaft eiTungen wird. Das-
selbe gilt von der Histologie und mikroskopischen Anatomie. Deutsch-
lands kleinste Universitäten haben in diesen beiden Gebieten sehr
Verdienstliches, einzelne Grosses geleistet, und die durch Purkinje
in's Leben gerufenen physiologischen Institute, arbeiten gegenwärtig
noch bei Weitem mehr für die Anatomie, als fiir die Physiologie.
§. 16. Allgemeine Literatur der Anatomie.
Es wird in der Anatomie mehr geschrieben als studirt und
gelesen. Man hat deshalb nicht ganz mit Unrecht der deutschen
Anatomie ihr Prunken mit Literatur vorgeworfen. Namentlich ist
sie in einem Lehrbuche nicht recht an ihrem Platz, und mag für
gelehrten Aufputz desselben gehalten werden. Um diesem Tadel
nicht zu unterliegen, und zugleich dem allerdings nicht sehr dring-
lichen Bedürfnisse des Anfängers zu entsprechen, dessen Literatur-
Kenntniss sich in der Regel nur auf das Handbuch erstreckt, welches
S. 16. Allgemeine Litentnr der Anatomie. 65
er sich anschaffte, soll hier nur ein Verzeichniss von Büchern an-
geführt werden, welches Jeden, der eine nähere Bekanntschaft mit
den einzelnen Zweigen unserer Wissenschaft suchen will, mit den
besten und wichtigsten Quellen derselben bekannt macht.
1. Oeschickte der AnatOTnie.
Andr. Ottomar Godicke, historia anat. nova, etc. Halae, 1713.
— Gotdieb Stollen, Einleitung zur Historie der medicinischen Gelahrt-
heit. Jena, 1731. Die Geschichte der Anatomie und Physiologie, von
pag. 385 — 513, enthält interessante Notizen über das Leben und
Wirken der berühmtesten Anatomen bis auf Herrm. Friedr. Teich-
meyer. — Anton Portal, histoire de Tanatomie et de la Chirurgie.
6 Vol. Paris, 1770 — 1773. Durchaus biographisch bearbeitet. —
Alb. Haller, bibliotheca anat. 2 Vol. Tigur., 1774—1777. Reicht bis
1776, und enthält die genauesten Angaben über die gesammte ana-
tomische Bibliographie. — Thom. Lauth, histoire de Tanatomie.
Tom. I. et n. Strasbourg, 1815 und 1816. Bei der umfassenden
Anlage des Ganzen ist sehr zu bedauern, dass der zweite Theil, den
Entwicklungsgang der neueren Anatomie nur in Kürze behandelt.
— Kurt Sprengel, Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arznei-
kunde, 3. Auflage, ist ein Optis cedro dignum, dessen Studium, jedem
Arzte und jedem Anatomen, welcher auf Wissenschaftlichkeit An-
spruch macht, unentbehrlich ist. — Jos. Hyrtl, antiquitates anatomicae
rariores, etc. Vindob., 1835, cum tabb. Enthält blos Nachrichten über
den Ursprung der Anatomie. — A. Burggraeve, Pr^cis de Thistoire
de l'anatomie. Gand, 1840. — Hyrtl, Geschichte der Anatomie an
der Prager Universität, in den Oesterr. med. Jahrbüchern, 1843. —
Hyrtl, Geschichte der Anatomie an der Wiener Universität, in dessen :
Vergangenheit und Gegenwart des Museums für menschl. Anat. an
der Wiener med. Facultät. 1869. — Dem anatomischen Geschichts-
forscher unentbehrlich sind die Werke : Tosoni, delY Anatomia degli
Antichi, etc. Padova, 1844. — Medid, Compeudio storico della Scuola
anat. di Bologna. Bol., 1857. — W. Keen, A sketch of the early
history of Anat. Philadelphia, 1870. — A. Corradi, L' Anatomia in
Italia nel medio evo. Padova, 1873.
2. Handbücher iiier descriptive Anatomie.
Mit Uebergehung aller älteren, welche in der alphabetisch ge-
ordneten, und mit einem zum leichten Aufsuchen dienenden, voll-
ständigen Materien register versehenen BtbUotheca medico - chirurgica
und anatomico'physiologica von W. Engelmann nachgesehen werden
können, führe ich von neueren nur jene an, welche durch Originalität
and Genauigkeit, über dem Wüste der Compilationen und Buch-
Ujrtl, Lehrbach der Anatomie. 14. Aufl. 5
66 §• 16« Allgemeine Literatur der Anatomie.
händler-Speculationen stehen, mit welchen die anatomische Literatur
seit zwanzig Jahren förmlich tiberschwemmt wird.
J. F, Meckel, Handbuch der menschlichen Anatomie. Halle und
Berlin, 1815 bis 1820. 4 Bände. — K HOdebrandt, Lehrbuch der
Anatomie des Menschen , umgearbeitet von E. H. Weber, Braun-
schweig, 1830 — 1832. 4 Bände. Zum Nachsehen älterer Literatur
noch immer zu brauchen. — E. A. Lauth, Handbuch der praktischen
Anatomie. Stuttgart, 1835— -1836. 2 Bände. Durch die technischen
Eegeln jedem Anatomen werthvoU. — J. Crwoeilhier (et S4e), trait^
d'anatomie descriptive. Paris. 5. Auflage. Durch Benützung miss-
verstandener deutscher Arbeiten etwas entstellt. — TL Sömmerring,
vom Baue des menschlichen Körpers. Neue Originalausgabe in 9 Bän-
den, durch einen Verein der geach totsten Anatomen Deutschlands
besorgt. — M. J, Weber, vollständiges Handbuch der Anatomie,
Leipzig, 1845. 3 Bände. Mit Präparationsmethode und vielen eigenen
Beobachtungen, ohne Literatur. — F, Arnold, Handbuch der Ana-
tomie des Menschen. Freiburg, 1843 — 1851, mit synoptischen und
mikroskopischen Abbildungen, letztere zum Theil aus subjectiven
Anschauungsweisen hervorgegangen. — Quains Anatomy. 7. edit.
London, 1866, deutsch von E. Hoffmann. Erlangen, 1877. — G. Ellis,
Demonstrations of Anat. 6. edit. London, 1872. — Schnell beliebt
wurde : H, Gray, Descriptive and Surgical Anatomy. 6. edit. London,
1872; als „the most excellent work of Anatomy extant" angekündigt.
— C Sappey, traitö d'anat. descriptive. (2. Auflage in 4 Bänden.)
Paris, 1867 — 1873. — //. Luschka, Anatomie des Menschen. Tüb.,
3 Bände, 1862 — 1866. — Handbücher von H. Meyer, 3. Auflage (in
Zürich), C Langer (in Wien), C. Eckhard (in Giessen), Aeby (in
Bern), und HoUstein (in Berlin), letzteres in der 5. Auflage. —
Henle's Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen
(3 Bände. Braunschweig, mit zahlreichen Holzschnitten, 3. Auflage
im Zuge) macht eigentlich alle vorhergehenden entbehrlich. So denkt
und schreibt in der Anatomie nur die höchste Meisterschaft.
3, Praktische Anatomie oder Zergliederungskunst,
J. Shaw, Manuel for the Student of Anatomy, etc. London,
1821. 8. Deutsch, Weimar, 1823. Beschreibend mit Präparations-
methode und chirurgischen Anwendungen. — M. J, Weber, Elemente
der allgemeinen und speciellcn Anatomie, mit der Zergliederungs-
kunst. Bonn, 1826 — 1832. — A. C, Bock, der Prosector. Leipzig,
1829. — E. A. Lauth, nouveau manuel de Tanatomiste. Paris et
Strasbourg, 1836. Deutsch, Stuttgart. 1836. 2 Bände. — Th. Bischoff,
der Führer bei den Präparirübungen. München, 1874. — G. Valentin,
die kunstgerechte Entfernung der Eingeweide des m. K., Frankf.,
1857. — Auch H, Meyer* s u. •/. Budgets Anleitungen zu den Präparir-
§. 16. Allgemeine Literatur der Anatomie. 67
Übungen, (erstere Leipzig, 3. Auflage, 1873, letztere Bonn, 1866),
beschäftigen sich mit der gewölmliehen Secirsaalpraxis. — Eine
vollständige Darstellung aller Zweige der anatomischen Technik fehlt
noch, denn das von Straus-Durckimm herausgegebene, französische
Handbuch der praktischen Zergliederung aller Thierclassen (Trait^
pratique et thöorique d'auatomic comparative. Paris, 1842. 2 vol.)
ist für den grossen Plan des Autors viel zu compendiös. — HyrÜ,
Handbuch der prakt. Zergliederungskunst, Wien, 1860, enthält auch
die Literatur aller Zweige der anatomischen Technik.
Wie anatomische Museen eingerichtet sein sollen, habe ich in
meinem Werke dargelegt: Vergangenheit und Gegenwart des Wiener
anat. Museums. Wien, 1869. Für vergleichende Anatomie habe ich
dasselbe geleistet in der Schrift: Das vergl. anat. Museum an der
Wiener med. Facultät. Wien, 1865. Mein Nachfolger braucht nur
zu beschi'ciben , was er hier beisammen findet, und er kann sich
einen berühmten Namen macheu. Ich aber habe für diese reiche
Saat meines anatomischen Lebens, wenig Dank geerntet.
4. Anatomische Wörterbücher, Synonymik und Nomenclatur,
H» Th. Schreger, Synonymik der anat. Literatur. Fürth, 1803.
— J, Barday, New Anatomical Nomenciator. Edinburg, 1803 (Vor-
schläge zu einer neuen Nomenclatur). — «/. F. Pierer und L. Choulant,
medicinisches Real Wörterbuch. Leipzig, 1816 — 1829. 8 Bände. Nebst
Beschreibungen, auch Geschichte und Synonymik. — Encyklopädisches
Wörterbuch der med. Wissenschaften. Berlin, 1828. ff. — Cyclopaedia
of Anatomy and Physiology. Ed. by R. Todd. London. Die ver-
gleichend anatomischen Artikel von R. Owen besonders ausgezeichnet.
Im Physiologischen wird sie weit übertroffen durch: R. Wagner' 8
Handwörterbuch der Physiologie. Braunschweig. 4 Bände. 1842
bis 1853.
5. Kupferwerke über die gesammte Anatomie des Menschefi.
Es war eine Zeit, wo man sich durch Herausgabe anatomischer
Tafeln berühmt machen konnte, obwohl der eigentliche Ruhm dem
Künstler gebührt. Diese Zeit ist hin. Eigenes Arbeiten an der
Leiche, macht alle Tafeln und Holzschnitte übei-flüssig. Sie sind
immer mehr von artistischem als wissenschaftlichem Werth, und
erhalten sich nur dadurch, dass praktische Aerzte, die Unterlassungs-
sünden ihrer Studentenjahre, durch nachträgliche Bilderschau gut
zu machen haben. Nebst den älteren Tafeln von Caldani und Loder,
dem Prachtwerke von Mascagni (Anatomia universa XLIV tabulis
repraesentata. Pisa, 1823. foL), und den neueren ausländischen von
Uzara (London), J, Quain und Er, Wilson (London), Burgery und
Jacob (Paris), Bonamy und Beau (Paris), erwähne ich noch:
6«
68 §• 16. Allgemeine Literatnr der Anatomie.
J. M. Langenbeck, icones anatomicae. Göttingen, 1826 — 1838. Des-
selben Verfassers Handbuch der Anatomie, bezieht sich auf dieses
Kupferwerk. — M. J. Weher, anat. Atlas. Düsseldorf. 2. Auflage.
— F. Arnold, tabulae anatomicae. Turici, 1838 — 1843. Jedem Ana-
tomen unentbehrlich. — R, Froriep, atlas anatomicus partium cor-
poris hum. per strata dispositarum. Weimar, 4. Auflage. — E. Bock's
Handatlas der Anatomie des Menschen, 6. Auflage, wird viel be-
nützt. — Für Schüler empfehle ich: C. Heitzmann's descr. und topogr.
Anat. in 600 Abbildungen. Wien, 2. Auflage, 1875, so wie Herders
anat. Handatlas, Braunschw., 2. Auflage, und den niedlichen und
billigen Handatlas von N, Masse, 2. Auflage. Paris, 1872. — Das
in Paris 1868 — 1871 erschienene Prachtwerk in 8 Bänden: Trait^
complet de Tanatomie de Thomme, avec Atlas, kann seines hohen
Preises wegen (1600 Fr.) nur von reichen Bibliotheken angeschafft
werden. — A, Eckerts herrliche Icones physiologicae, enthalten bild-
liche Darstellungen über Organenstructur und Entwicklungsgeschichte
in artistisch vollendetster Weise. — Im Jahre des Herrn 1639, hat
ein ehrlicher Schwabe in Ulm, Joh, Remmdin, ein Catoptrum rrdcro-
cosmicum herausgegeben (Augsburg), mit anat. Abbildungen, an denen
die verschiedenen Lagen der Weichtheile, schichtweise bis auf die
Knochen abgehoben werden konnten. Diese Spielerei machte damals
einiges Aufsehen. Herr AchiUe Comte in Paris, ist nun in unseren
Tagen ein Remmelinus redivivus geworden, indem er seine:
Structure et Physiologie de Vhomme, dimontrSes ä Vaide de figures,
d^coupSes et sfwperposies, veröffentlichte, deren ungewöhnlicher Success
(9. Auflage, Paris, 1872) Zeugniss giebt, dass auch die moderne
Zeit, das Tändeln mit stratificirteu Bildern liebt, denen nicht der
geringste Werth zugesprochen werden kann, selbst wenn ihre Aus-
führung so hübsch und so geschmackvoll ist, wie an dem vor-
liegenden französischen Werke.
6. Allgemeine Anatomie und Gewehslehre,
Eine Fluth von Erzeugnissen verschiedenen Gehaltes, hat die
Literatur dieses Faches, besonders in Specialabhandlungen, zu einem
Umfang aufschwellen gemacht, der kaum mehr zu übersehen ist.
Zum Glück geht Vieles eben so schnell unter, als es auftauchte.
Aber man kann sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren,
wenn man es ansehen muss, wie das leidige: guot capita, tot sen-
tenticie, die Solidität der anatomischen Wissenschaft untergräbt. Ein
Conseils-Präsident, der bei der Abstimmung über wichtige Fragen,
nur Separatvota zu registriren hat, kann nicht übler daran sein, als
ein histologischer Referent der Gegenwart.
Th. Schwann, mikroskopische Untersuchungen über die Ueber-
einstimmung in der Structur der Pflanzen und Thiere. Berlin, 1889.
§. 16. Allgemeine Literaiar der Anatomie. 69
Mit diesem Fundamental werk beginnt die neue Gestaltung der Histo-
logie. — J. Henle, allgemeine Anatomie. Leipzig, 1841. Gute Bücher
können nicht altern. — A. KöUiker, Handbuch der Gewebslehre des
Menschen, 5. Auflage. Leipzig, 1867. — H. Frey, Histologie und
Histochemie des Menschen, mit Holzschnitten. Leipzig, 1859. —
G. Valentin, Untersuchung der Pflanzen- und Thiergewebe im polari-
sirten Lichte. Leipzig, 1861. — L. 8. Beale, die Structur der ein-
fachen Gewebe, etc. A. d. Engl, von V, Carus, Leipzig, 1862. —
Dem sehr schönen photographischen Atlas der allg. Gewebslehre
von Hessling und Kollmann, Leipzig, 1860, kann man wenigstens
nicht nachsagen, dass er Ideale liefert, da die Natur selbst die
Zeichnerin gewesen. — A. B^clard, Elements d'anat. g^n. 4. ^dit.
Paris, 1865. — Cl. Bernhard, Le9ons sur les propri^t^s des tissus
vivants. Paris, 1865. — In Fr, Leydig's Lehrbuch der Histologie
des Menschen und der Thiere, mit Holzschnitten, Frankfurt a. M.,
1857, begrüssten wir den ersten dankenswerthen Versuch einer ver-
gleichenden Histologie. — Von A, KöUiker^ s Icones histologicae, ist
nur die 1. und 2. Abtheilung erschienen. Solche Bücher, deren
Leserkreis ein sehr kleiner ist, erleben gewöhnlich ihre Vollendung
nicht. — Das Handbuch der Gewebslehre von S, Stricker, Leipzig,
1868 — 1871, enthält mehrere sehr gut geschriebene Artikel.
7. lieber den Gehrauch des Mikroskops.
Wenn auch Uebung fiir den besten Lehrer gilt, so ist doch
der Nutzen guter Anleitungen nicht zu verkennen. Solche findet
man vorzüglich in: J, Vogel, Anleitung zum Gebrauche des Mikro-
skops, etc. Leipzig, 1841. — Purkinje'» Artiiiel „Mikroskop" in Wagners
Handwörterbuch der Physiologie, mit Anhangsbemerkungen des
Herausgebers. — Harting's classisches Werk : Het Microscop, deszelfs
gebruik, geschiedenis en teegenwoordige toestand. Utrecht, 1848 bis
1850, hat in deutscher Uebersctzung bereits zwei Auflagen erlebt.
— Ä Welker, über Aufbewahrung mikroskop. Objecte, nebst Mit-
theilungen über die Mikroskope. Giessen, 1856. — L. S. Beale, how
to work with the Microscope, with 32 plates. London, 1861. —
H. Frey, das Mikroskop und die mikrosk. Technik. Leipzig, 5. Auf-
lage. 1873. — H, Hager, das Mikroskop und seine Anwendung.
Berlin, 1866. — S, Exner, Leitfaden zur mikrosk. Untersuchung.
Leipzig, 1873.
8. Pathologische Anatomie,
Die Specialwerke und Compendien von Andral, Cruveilhier,
Hasse, Gluge (mit Atlas), Vogel, Bock (3. Auflage), Engel, Wislocki,
Fih'ster (8. Auflage), und das Handbuch der pathol. Anatomie von
Prof. Rokitansky in Wien, 3. Auflage, repräsentiren diese Wissen-
70 §• 16. Allgemeine Litentur der Anatomie.
Bchaft in ihrer praktischen Richtung. — Für path. Histologie hat
C. Wedl die Bahn eröffnet, in seinen Grundzügen der pathol. Histo-
logie. Wien, 1854, mit Holzschnitten. Die älteren Handbücher von
Voigtd, F, Meckd, W. Otto, und Lobstein, beschäftigen sich nur mit
dem pathologischen Befunde, ohne dessen Beziehungen zu seiner
graduellen Entwicklung, und sind deshalb dem ärztlichen Bedürf-
nisse weniger zusagend, obwohl ihre Angaben über Missbildungen
und Varietäten (besonders F. Meckeljy dem Anatomen immer werth-
voll bleiben.
9. Eräwic/dungsgeschichte.
Das Studium dieses so interessanten Faches der Anatomie, hat
leider in neuester Zeit, durch den Verfall der morphologischen Rich-
tung der Physiologie, bedeutend abgenommen. Die wichtigsten allge-
meinen Arbeiten, durch welche man mit der übrigen, so ungemein
reichen Literatur dieses Faches bekannt wird, sind: F. G. Dam,
Grundriss der Zergliederungskunde des neugebornen Kindes, etc.
Mit Anmerkungen von Sömmerring, 2 Bände, Frankfurt, 1792 bis
1793. (Veraltet.) — A. Rathke, Abhandlungen zur Bildungs- und
Entwicklungsgeschichte des Menschen und derThiere. Mit 14 Kupfer-
tafeln. Leipzig, 1832 u. 1833. — G. Valentin, Handbuch der Ent-
wicklungsgeschichte des Menschen, mit vergleichender Rücksicht der
Entwicklung der Säugethiere und Vögel. Berlin, 1835. — K. B. Reichert,
das Entwicklungsleben im Wirbelthierreiche. Berlin, 1840. —
Th. L. W, Bischoff, Entwicklungsgeschichte der Säugethiere und des
Menschen. Leipzig, 1842. — Sehr concis und dennoch erschöpfend,
sind A. KöUiker's akad. Vorträge über Entwicklungsgeschichte,
Leipzig, 1861, mit vortrefflichen Holzschnitten. — Die in den
citirten Werken zu findenden Daten, betreffen vorzugsweise die
Entwicklungsgeschichte der Thiere, welche ungleich genauer bekannt
ist, als jene des Menschen. Die Leichtigkeit, sich thierische Em-
bryonen in allen Entwicklungsphasen zur Untersuchung zu ver-
schaffen, was bei menschlichen Eiern nur durch seltenen Zufall
möglich wird, erklärt es, warum die menschliche Evolutionslehre
über die ersten Bildungsvorgänge noch sehr unvollkommen ist. —
Eine vollständige Angabe der Literatur über Entwicklungsgeschichte
findet sich in Bischoffs „Entwicklungsgeschichte mit besonderer
Berücksichtigung der Missbildungen '^ im Hand Wörterbuch e der
Physiologie.
10. Bildungshemmungen,
F. L, Fleischmann, Bildungshemmungen des Menschen und der
Thiere. Nürnberg, 1823. — J. Geoffroy St. HHaire, histoire des ano-
malies de Torganisation. Tom. I. —HI. Paris, 1832 - 1836. — Serres,
%. 18. Allgemeine Literatur der Anatomie. 7 1
reclierches d'anatomie transcendente, etc. Avec atlas de 20 planches
in fol. Paris, 1832. — L. Barkow , monstra animalium duplicia.
Lipsiae, 1829 — 1836. 2 Vol. — A. W. Otto, monstroi-um sexcentorum
descriptio anat. Cum XXX tabb. Vratislaviae, 1841,«fol. — W, Vrolxky
tabulae ad illustrandam embryogenesin hominis, Amsterdam und
Leipzig. Fase. XIX. u. XX. bereits 1849 eraehienen ; — seitdem ist
Stillstand eingetreten. — A, Förster, die Missbildungen des Menschen.
Jena, 1861, mit Atlas. Auch für den praktischen Arzt verwendbar.
11, Topographische Anatomie.
Nebst den älteren Schriften von Palfin, Portal, Allan Bums, und
den absichtlich übergangenen, grossen und kostspieligen englischen
Kupferwerken, gehören hierher: Milne Edwards, manuel d'anatomie
chirurgicale. Paris, 1826. Ein kleines, aber sehr gutes Compendium.
— E. Wilson, Practical and Surgical Anatomy. London, 2. edit. —
M. Vdpeau, Manuel d'anat. chirurgicale, generale et topographique.
Paris, 1837. Für Anfänger empfehlenswerth. — Ph. Er. Blandin,
traitö d'anat. topographique. 2. ^dit. Bruxelles, 1837. Avec un atlas
de planches in fol. — J. F. Malgaigne, traite d'anat. chirurgicale et
de Chirurgie experimentale. 2 Vol. Paris, 1837. Eine höchst inter-
essante Leetüre, wenn auch der Verfasser zuweilen sich in allzu
subtile Discussionen einlässt. Eine deutsche Uebersetzung er-
schien in Prag, 1842. Die zweite Auflage des französischen Originals
ist bedeutend vermehrt. — J, E. Pitrequin, traite d'anat. medico-
chirurgicale. 2. edit. Paris, 1857. Enthält wenig Anatomie, mehr
Operatives. — F, Jarjavay, trait^ d'anat. chirurgicale. Paris, 2 Vol.
1852 — 1854, steht dem Malgaigne'schen Werke in mancher Hinsicht,
nur nicht an Umfang, nach. — Meiner Ansicht nach das beste Werk,
welches die französische Literatur in diesem Fache aufzuweisen hat,
ist: Richet, traite pratique d'anatomie med. chir. Paris, 4. edit. —
Die „Anatomie chirurgicale homalographique" von Z. Gendre, Paris,
1858, fol., giebt Ansichten von Durchschnitten verschiedener Gegen-
den an gefrornen Leichen. Derlei Durchschnittsansichten sind ein
guter Probirstein anatomischer Ortskenntniss , und zugleich in der
That nicht selten eine Art Räthsel, dessen Lösung selbst den kun-
digen Fachmann in momentane Verlegenheit bringt. Die Nouveaux
el^ments d'anat. chir. von B. Anger, Paris, 1869, mit Atlas, sind
reich an schönen Abbildungen. — Ausser den Schriften von Seeger
und Nuhn, wurde in neuerer Zeit die deutsche Literatur dieses
Faches, durch folgende Werke bereichert: W. Roser, Chirurgisch-
anatomisches Vade mecum. 2. Auflage. Stuttgart, 1851. Mit Holz-
schnitten. Sehr kurz und sehr gut. — G. Ross, Handbuch der
chirurgischen Anatomie. Leipzig, 1848. Ich habe diese kurze und
originelle Schrift mit wahrem Vergnügen gelesen. — J. HyrÜ, Hand-
72 §• ^^' Allgemeine Literattir der Anatomie.
buch der topographischen Anatomie und ihrer praktischen, medicinisch-
chirurgischen Anwendungen. 6. Auflage, 2 Bände. Wien, 1872. Das
„Archiv für wissenschaftliche Heilkunde" 1848, pag. 106, äusserte
sich über die erste Auflage dieses Werkes: „Die vorliegende Schrift
„hat in uns den freudigen Gedanken angeregt, dass jetzt die deutsche
„Schule, wie in allen anderen Theilen der Medicin, so auch in der
„angewandten Anatomie, die anderen überflügelt. Wir sehen einen
„Anatomen ersten Ranges, von den bisher in Deutschland herrschen-
„den Systemen der abstracten Anatomie, eine Ausnahme machen, und
„sich jener lebendigen Betrachtung der anatomischen Verhältnisse
„zuwenden, welche von der physiologischen Heilkunde gefordert
„wii'd*'. — F. fWirer, Handbuch der chirurg. Anat. mit Atlas.
Berlin, 1857. Sehr tüchtig, aber mehr praktisch als anatomisch
durchgeführt. — «/. Engel's Compendium der topograph. Anat. Wien,
1860, wurde zunächst für seine Schüler geschrieben. — Chirurgisch-
anatomische Tafeln von Nvhn, Bierkowsky, R. Froriep (5. Auflage),
Pirogoff, J. Madise (London, 2. Auflage), Henke (Leipzig, 1864 bis
1867), und W. Braune (Leipzig, 1875).
12. Morphologie und Racemiudium.
J. 8. ElsholtZy anthropometria. Francof. ad. Viadr. 1663. Ein
höchst unterhaltendes Schriftchen. — G. Carus, Symbolik der mensch-
lichen Gestalt. 2. Auflage. Leipzig, 1858. — Desselben Proportions-
lehre der menschlicheiv Gestalt. Leipzig, 1854. — Fr, Blumenbach,
de generis humani varietate nativa. Gottingae, 1795. Fundamental-
werk der Racenkunde. — P. N. Gerdy, anatomie des formes ext^-
rieures du corps humain. Paris, 1829. Für Künstler und Wundärzte
gleich nützlich. Deutsch, Weimar, 1831. — 6. Schadow, Polyclet,
oder von den Maassen der Menschen nach dem Geschlechte,
Alter, etc. Mit vielen Abbildungen in Fol. max., Text in 4. Berlin,
1834. Nur für Künstler geeignet. — J, C. Prichard, Naturgeschichte
des Menschengeschlechts. Nach der dritten Auflage des englischen
Oidginals mit Anmerkungen und Zusätzen herausgegeben von
R. Wagner. 4 Bände. Leipzig, 1840—1848. Höchst umfassende,
naturhistorische, ethnographische und linguistische Angaben. Leider
fehlen die Abbildungen des Originals. — W. Lawrence, Lectures on
Comparative Anatomy, Physiology, Zoology, and the Natural History
of Man. Ijondon, 1848. 9. Auflage. Eine lehrreiche und unterhaltende
compilatorische Arbeit. — Ch. Hamilton Smith, the Natural History
of the Human Species. Edinburg, 1848. — C. Nott und R, Gliddon,
Types of Mankind. London, 1854. — H. Huxley, Zeugnisse fiir die
Stellung des Menschen in der Natur. A. d. Engl. Braunschweig,
1863. — C. Vogt, Vorlesungen über den Menschen. Giessen, 1863.
In neuester Zeit ist die Literatur dieses Faches, besonders durch
§. 16. AUflfem«ine Literatur der Anatomie. 73
die Druckschriften der anthropologischen Gesellschaften in England
und Frankreich, in rascher Zunahme begriflFen. In Deutschland
erscheint seit 1866 ein Archiv für Anthropologie, unter der Redac-
tion von A, Ecker und L, Lindenschmü.
13. Anatomie für Künstler.
Die Verfertiger hieher gehöriger Schriften sind oft genug weder
Anatomen noch Künstler. Demgemäss gestaltet sich der Werth
ihrer Leistungen. Sie sind leider sehr zahlreich. Eine löbliche
Ausnahme in dieser Classe bildet: E. Harless, Lehrbuch der plasti-
schen Anatomie. 2. Auflage, mit zeitgemässen Zusätzen von Prof.
R. Hartmann. Stuttgart, 1876. Ich sage nicht zu viel, wenn ich die
eigenthümliche Behandlungsweise des Gegenstandes, als genial be-
zeichne. — J. B. L&o&lU, Methode nouvelle d'anat. artistique. Paris,
1863. — Ch. Roth, Plastisch -anat. Atlas, zum Studium des Modells
und der Antike. Stuttg. 1870—1872. — F. Berger's Handbuch der
Anat. für bildende Künstler, hat bereits die dritte Auflage erlebt.
Berlin 1867.
14. Vergleichende Anatomie.
Diese Wissenschaft ist eine der wenigen, in welchen es keine
schlechte Literatur giebt.
A. Hauptwerke. G. Cuvier, le9ons d'anatomie compar^e,
publikes par Dumerü et Duvemoy. Paris, 1836 — 1846. Unterliegt
übrigens dem allgemeinen Tadel französischer Sammelwerke, dass
es auf fremde, und namentlich deutsche Leistungen zu wenig Rück-
sicht nimmt. — J. F. Meckel, System der vergleichenden Anatomie.
6 Bände in 7 Abtheilungen. Halle, 1821—1833. Unvollendet. (Ge-
schlechtsorgane, Sinneswerkzeuge und Nervensystem fehlen.) —
Die herrlichen, von G. Carus und d' Alton , herausgegebenen Er-
läuterungstafeln zur vergl. Anatomie sind jedem Fachmann unent-
behrlich. Ebenso die Icones zootomicae von F. Carue, 1857, durch
welche jene von R, Wagner (Leipzig, 1841) verdrängt wurden. —
R. Owen, Comparative Anatomy of Veilebrates. 3 Vol. London,
1866 — 1868. Man nimmt in England und Frankreich von den
Leistungen der Deutschen wenig Notiz. Von 37 grösseren, vergl.
anat. Abhandlungen, welche ich seit 22 Jahren in den Schriften
der kaiserl. Akademie veröflFentlicht habe, kennt Owen nur eine
einzige. Und wahrlich, es verlohnte sich der Mühe, die Sprache
der Deutschen zu erlernen, und ihre reiche, geistige Arbeit in sich
aufzunehmen, wenn man auf der Höhe seiner Berufswissenschaft
stehen will.
B. Compendien. Die Handbücher von G. Carus, (1836)
und R. Wagner, (1844) sind wenig mehr im Gebrauche. — Rymer-
74 §. 10. AUgemoine Literatur der Anatomie.
Jones, General Outline of the Animal Kingdom, etc., illustrated by
571 engravings. 4. edit. London, 1871. — R. E. Grant, Outlines of
Comparative Anatomy. Deutsch von C. Ch. Schmidt Leipzig, 1842.
Mit 105 Holzschn. Ist durch die schlechte Uebersetzung ungeniess-
bar. — V. Siebold und Stannius, Lehrbuch der vergl. Anatomie,
2 Bände. Berlin 1845 — 1848. Von der zweiten Auflage sind nur
2 Lieferungen (Fische und Amphibien) erschienen. — 0. Schmidt,
Handbuch der vergl. Anatomie. 6. Auflage. Jena, 1871. Ein sehr
brauchbarer, kurzer Leitfaden für Vorlesungen und Privatstudien,
mit Atlas. — C. Bergmann und R. Leuckart, anatomisch-physiologische
Uebersicht des Thierreichs. Mit Holzschnitten (etwas roh). Nach
einer trefflichen, übersichtlichen Weise behandelt. Stuttgart, 1853.
— Th. Huxley, Manual of the Anatomy of Vertebrated Animals.
London, 1871. Deutsche Uebersetzung von F. Ratzd. Breslau, 1873.
Am meisten verdient empfohlen zu werden: C. Gegenhauer, Grund-
riss der vergl. Anatomie. Leipzig, 1874. — F, Leydig, Handbuch
der vergl. Anatomie. Tübingen. Sollte lieferungsweise erscheinen,
so wie dessen Tafeln zur vergl. Anatomie, welche vergl. Anatomie
mit vergl. Histologie verbinden. Solche Werke des Fleisses, werden
nur von Kennern geschätzt. Sie haben deshalb kein Glück, und
nehmen ein vorzeitiges Ende.
15, Zeüeckriften,
Lehrreich für alle Fächer der Anatomie sind und bleiben flir
alle Zeiten folgende: Reü's Archiv, 12 Bände; Meckd/a deutsches
Archiv für Physiologie, 8 Bände; Meckel's Archiv fiir Anatomie
und Physiologie, welches durch J» Müller bis 1858 fortgesetzt wurde,
und von diesem Jahre an, von Reichert und Du Bois-Reymond redigirt
wird. Dieses Archiv, so wie Siebold's und Kölliker's Zeitschrift fiir
wissenschaftliche Zoologie, Virchow's Archiv für path. Anatomie und
Physiologie, M. Schultzens Archiv für mikroskop. Anatomie, die 2ieit-
schrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte von Hie und Braune,
liefern Originalaufsätze über alle Zweige anatomisch-physiologischer
und pathologischer Forschungen. — Die Jahresberichte von
Canstadt, von F. Hoffmann und G. Schwalbe, über die Fortschritte
der Anatomie in ihren verschiedenen Richtungen, werden Jene,
welche an der Entwicklung der Wissenschaft Antheil nehmen, von
deren Bereicherungen unterrichten. Sehr wünschenswerth erscheint
es mir, dass diese Jahresberichte, wie es in jenen von Henle, im
histologischen Theile der Fall war, ihren bisherigen referirenden
Charakter, in einen mehr kritisirenden umwandeln mögen. Die
Neuigkeitserzähler würden sich dann einer grösseren Zui*ückhaltung
zu befleissen haben.
ERSTES BUCH.
Gewebslehre und allgemeine Anatomie.
§. 17. Bestandtheile des menscUicIieii Leibes*).
Ziergliederung und Mikroskop lehren die FormbeBtandtheile
die chemische Analyse die Mischungsbestandtheile des mensch-
lichen Leibes kennen. Beide zerfallen in nähere und entferntere,
je nachdem sie durch die erste anatomische oder chemische Zer-
legung, oder durch wiederholte Trennungen beiderlei Art, erhalten
werden. Mischungsbestandtheile, welche nicht mehr in einfachere
Grundstoffe zerlegt werden können, heissen chemische Elemente;
Formbestandtheile, welche durch keine anatomische Behandlung, in
verschiedenartige kleinere Theilchen getrennt werden können, heissen
mikroskopische Elemente, oder kleinste Gewebtheilchen.
Zur Erklärung folgende zwei Beispiele: — Ein Muskel ist ein Form-
bestandtheil des menschlichen Leibes. Seine näheren, durch die
Zergliederung darstellbaren Bestandtheile sind: sein Fleisch, seine
Sehnen, seine Hüllen. Seine entfernteren Bestandtheile sind: Binde-
gewebe, Muskelfasern, Blutgefässe und Nerven. Die Muskelfasern
bestehen wieder aus einer Menge nicht weiter zu theilender Fäserchen,
welche somit die entferntesten Bestandtheile oder mikroskopischen
Elemente desselben darstellen. — Kochsalz ist ein näherer Mischungs-
bestand theil vieler thierischen Flüssigkeiten. Salzsäure und Natron
wären die entfernteren; Chlor, Wasserstoff, Natrium und Oxygen
die entferntesten, nicht mehr zu zerlegenden chemischen Elemente
desselben.
Die chemischen Elemente sind einfache Stoffe, welche sich als
solche nicht blos im thierischen Leibe, sondern auch in der uns
umgebenden anorganischen Welt vorfinden. Sie sind feuerflüchtig
oder fix, gasfxirmig oder fest. Zu ihnen gehören der Sauei'stoff,
Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff, Phosphor, Chlor, Schwefel,
Fluor, Kalium, Natrium, Calcium, Magnium, Silicium, Mangan und
*) Dem Anfänger empfehle ich, das Studium der Anatomie mit dem zweiten
finehe (Knochenlehre) za beginnen, nnd von der allgemeinen Anatomie für jetzt nur
dasjenige durchzugehen, was auf Knochen Bezug hat (§. 77—86, und §. 40 — 44).
78 %- 17- Bestandtbeile des menschliehen Leibes.
Eisen. Aluminium, Titan, Arsen, Kupfer, Jod, Brom, u. m. a. seheinen,
wenn sie im thierischen Leibe gefunden werden, nur zuiUUig vor-
handen, und durch Nahrungsstoffe oder Arzneien dem Organismus
für eine gewisse Zeitdauer einverleibt worden zu sein.
Die Verbindungen dieser ehemischen Grundstoffe, oder die
näheren Mischungsbestandtheile unseres Leibes sind doppelter Art:
organisch und anorganisch.
Die organischen Verbindungen können nur unter dem Ein-
flüsse des Lebens stattfinden, und kommen im todtcn Mineralreiche
nicht vor. Die wichtigsten von ihnen sind : I^eim (Glutin), Chondrin,
Keratin, Fettarten , Blutroth, und die sogenannten eiweissartigen
Stoffe: Albumin, Fibrin, Casein , und Globulin (Crystallin). Man
nannte die letzteren auch Proteinverbindungen, da Mulder aus
ihnen, durch Behandlung mit Kalilauge, ein zusammengesetztes
Radical, das Protein, darstellte, welches jedoch ^ neueren Unter-
suchungen zufolge, im schwefelfreien Zustande kaum vorkommen
dürfte. — Alle eiweissartigen Stoffe enthalten Kohlenstoff, Wasser-
stoff, Stickstoff, und Sauerstoff (am meisten Kohlenstoff, am wenigsten
Wasserstoff), nebst Schwefel ; — einige noch Phosphor, oder Salze,
z. B. das Casem phosphorsauren Kalk.
Fol^^ndes Verhalten der eiweissartigen Stoffe fi^egen chemische Beagentien,
wird bei histologischen Arbeiten Ton Wichtigkeit sein. 1. Von concentririer Salpeter-
säure werden sie beim Erhitzen g^lb gefiirbt (Xanthoprotetnaänre). 3. Salpeter-
saares QnecksUberoxydnl färbt sie beim Eiiiitzen rothbrann (Millon). 3. Bfit
Knpferoxjrdsalzen and AlcaUen färben sie sich violett 4. In Wasser aafgell^
geben sie, anter Zasatz von Zacker and etwas Schwefels&are, eine schöne rothe
Flüssigkeit. 5. Werden sie aas ihren LSsangen darch vorsichtigen Zosatt Ton
Blotlaagentals gefällt
Die anorganischen Verbindungen chemischer Elemente finden
sich in- und ausserhalb des thierischen Leibes, können auch durch
Kunst erzeugt und wieder in ihre Elemente zurückgeführt werden,
während die organischen wohl in die einfinchen Grundstoffe zerlegt,
aber nie durch Verbindungsversuche wieder neu hergestellt werden
können. So kann das Fett in Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasser-
stoff zerlegt, aber unter keiner Bedingung durch Vereinigung dieser
drei Elemente neu erzeugt werden, dagegen der phosphorsaure Kalk
der Knochen, auf chemischem Wege in seine Elemente aufgelöst,
und jederzeit wieder neu daraus zusammengesetzt werden kann. .
Die mikroskopischen Elemente, d. h. die letzten Bestandtbeile
der Form, welche durch das Messer nicht mehr in ein£Eichere Theilcben
mexiegt werden können, sind:
1. Elementarkör neben (Granula), d. i. solide mikroskopische
Kügelchen, von fiist unmessbarer Kleinheit, frei in Flüssigkeiten oder
in einer homogenen, weichen Grundsubstanz (Blastem) suspendirt,
odtr SU groMeren Klumpen ziuumimengeballty oder zwischen andere
§. 17. Bestandiheile dei mensehlieben Leibes. 79
mikroskopische Elemente eingestreut. Als Beispiele dienen: die
Pigmentkömehen und die Körnchen im Protoplasma.
2. Zellen (Cellvlae), d. i. mikroskopische Klümpchen einer
gleichartigen organischen Substanz (Protoplasma), in deren Innerem
ein Kern lagert, welcher selbst wieder ein einfaches, oder mehrere
Kern körperchen einschliesst.
3. Röhrchen (Ihbuli), hohle Cylinder, aus einem strukturlosen
Häutchen gebildet, mit oder ohne Verästlung.
4. Fasern (Mbrae) , fadenförmige solide Cylinder, welche zu
Bündeln (FascicuU), oder zu breiten flachen Blättern (Lamellae) zu-
sammentreten. — 3. und 4. sind keine primitiven Formelemente,
sondern secundäre, d. h. sie sind aus 2. hervorgegangen.
Gebilde , in welchen sich weder Zellen , noch Fasern und
Röhrchen erkennen lassen, heissen structurlos oder hyalin.
Die Bestandtheile der Mischung sind kein Object der Ana-
tomie; sie gehören in das Bereich der organischen Chemie. Die
mikroskopischen Elemente der Organe aber, und die Art ihrer Ver-
bindung kennen zu lernen, ist Vorwurf der Qewebslehre.
Alle organischen Gebilde von gleichem Gewebe, gehören Einem
Systeme an. Ein System ist entweder ein zusammenhängendes
Ganzes, welches den Körper in bestimmter Richtung durchdringt,
oder es begreift viele, unter einander nicht zusammenhängende, aber
gleichartig gebaute und gleich functionirende Organe in sich. Man
kömite die ersteren allgemeine Systeme nennen. Sie haben ent-
weder keinen Centralpunkt , von welchem sie ausgehen, z. B. das
Bindegewebssystem , oder besitzen einen solchen , wie das Nerven-
und Gefasssystem, in Gehirn und Herz. — Die letzteren wären
besondere Systeme zu nennen, und zu diesen werden gezählt : das
Epithelialsystem , das elastische System, das Muskelsystem, das
fibröse System, das seröse System, das Knorpelsystem, das Knochen-
system, das Haut- und Schleimhautsystem, und das Drüsensystem.
Das Wort System wird noch in einem anderen Sinne gebraucht,
insofern man dai*unter nicht den Inbegriff gleichartig gebauter Organe,
sondern eine Summe verschiedener Apparate versteht, welche zur
Hervorbringung eines gemeinsamen Endzweckes zusammen-
wirken. So spricht man von einem Verdauungs-, Zeugungs-, Athmungs-
system, als Gruppen von Organen, deren Endzweck die Verdauung,
die Zeugung, das Athmen ist. Man könnte sie physiologische
Systeme nennen, da ihr Begriff nur functionell, nicht anatomisch
aufgefasst ist.
Die Formbestandtheile sind fest oder flüssig; die flüssigen tropfbar oder
gasfbrmig. Die gasförmigen kommen entweder frei in Höhlen und Schläuchen des
Leibes vor, wie im Athmungs- und VerdauiingBSjstem , wohin sie entweder von
MHMeii her eingeführt, oder in diesen Bäumen selbst gebildet worden; oder sie
80 $.18. Die thierifclie Zelle.
sind an tropfbar -flfbsige Bestandtheile gebunden, ungefähr wie die Gase der
Mineralwässer, und können durch die Lufitpumpe daraus erhalten werden.
Die tropfbar -flüssigen Formbestandtheile finden sich in so grosser Menge,
dass sie mehr als ^j^ des Gewichtes des menschlichen Leibes ausmachen. Eine
vollkommen ausgetrocknete Guanchenmumie mittlerer Grösse (ohne Eingeweide)
wieg^ nur 13 Pfd.
Die flüssigkeiten bieten in ihren Verhältnissen zu den festen Theilen, ein
dreifEMÜies Verhältniss dar. a) Sie durchdringen sämmtliche Gewebe und Organe,
und bedingen ihre Weichheit, theilweise auch ihr Volumen, z. B. Wasser und
Blutplasma, b) Sie sind in den vollkommen geschlossenen und verzweigten Röhren
des Gefässsystems eingeschlossen, wie das Blut, die Lymphe, der Chylus, und in
einer fortwährenden Strömung begriffen, c) Sie bilden den Inhalt gewisser Kanäle,
von und in welchen sie erzeugt, und durch welche sie an die Oberfläche des
Körpers, oder in die inneren Räume desselben befördert werden, — Absonderungen,
Stcreta,
§. 18. Die thierische Zelle.
Die Gewebslehre (Histologie) beschäftigt sich mit dem Studium
der letzten anatomischen Bestandtheile der Organe, und der Art
ihrer mannigfachen Verbindung unter einander (Gewebe). Die zu
einem Gewebe verbundenen anatomischen Bestandtheile der Organe
gehen aus kleinen organischen Köi*perchen hei*vor, welche Zellen
heissen. Zellen, und ihre verschiedenen Abkömmlinge, sind also
gleichsam die Bausteine, aus welchen sich alle Gewebe, alle Organe
construiren. Man nennt sie deshalb auch Elementarorganismen.
Ihre Grösse variirt vielfach zwischen 0,1'" (menschliches Ei), bis
herab zu 0,0077"' (menschliche Blutkörperchen).
Man Hess bis vor kurzer Zeit, die Zelle aus einer structur-
losen Hülle oder Zellenmembran, einem Kern, und einem halb-
flüssigen, weichen Inhalt zwischen beiden bestehen. Gegenwärtig
ist jedoch die Zellenmembran, als ein nothwendiges Constituens aller
Zellen, aufgegeben, und nur die als Protoplasma benannte Sub-
stanz des Zellenleibes (analog der von Duj ardin als Sarcode be-
nannten, contractilen Grundsubstanz niederer Thiere), nebst dem
Zellenkern, werden als wesentliche und unveräusserliche Bestand-
theile der Zelle anerkannt. Was man noch Zellenmembran nennt,
ist nur die erhärtete Grenzschichte der Zellensubstanz. Es kann
nämlich an der Oberfläche des Protoplasma eine solche Verdichtung
Platz greifen, dass diese verdichtete Schichte als eine Zellenmembran
imponirt. Eine solche Membran, muss sich begreiflicher Weise unter
dem Mikroskop mit doppeltem Contour zeigen. Dieser bildet das
sicherste Criterium ihrer Existenz, welche denn auch an verschie-
denen Zellen, z. B. an gewissen Epithelial-, wie auch an den Nerven-,
Fett-, Pigment- und EnchymzeUon nicht weggeläugnet werden kann.
Denn diese ZeUen können dazu gebracht werden, ihren Inhalt zu
§. 18. Die thieriMhe ZeUe. 81
entleeren, worauf die Zellenmembran als leere Hülse oder leerer
Becher zurückbleibt. Die als Speichel-, Blut- und Lymphkörperchen
bekannten Zellen, sowie die embryonalen Bildungszellen, besitzen
entschieden keine Zellenmembran. Sie werden deshalb auch nackte
Zellen genannt. Das Protoplasma ist insofern das wichtigste an
der Zelle, als in ihm die eigentlichen Vorgänge ihres Lebens ab-
laufen. Dasselbe erscheint als eine weiche, homogene, eiweissartige
Substanz, öfters mit eingestreuten Körnchen, von punktförmigem
bis grobkörnigem Ansehen.
Der Zellenkern (Nudeus s. CytohlaMos), über dessen functionelle
Bedeutung die Wissenschaft noch keinen Aufschluss zu geben ver-
mochte, tritt in zwei Formen auf: als festes, oder als hohles
Körperchen, von 0,002'" — 0,005'" Durchmesser, welches entweder
die Mitte des Zelleninhaltes einnimmt, oder excentrisch an der inneren
Fläche der Zellenhülle anliegt. Hohle Kerne in Bläschenform,
unterliegen jedoch einigem Bedenken. Allerdings lassen sich an
einigen Kernen (z. B. an jenen der Ganglienzellen) doppelte Con-
touren, als Beweis der Gegenwart einer Begrenzungshaut des Kernes
und somit seiner Bläschennatur, wahrnehmen. Aber es gilt von
dieser Begrenzungshaut des Kernes, was von der Begrenzungshaut
der ganzen Zelle früher betont wurde; — sie ist höchst wahrschein-
lich nur die von der Grundsubstanz des Kernes differente Grenzschicht
desselben. Hat man doch Zellenkeme, unter gewissen äusseren Be-
dingungen, mit einander zusammenfliessen gesehen (Rollett), was
von häutig begrenzten Kernen nicht angenommen werden kann. —
Die Kerne enthalten gewöhnlich Ein, zuweilen auch zwei bis drei
kleinere, das Licht stark brechende Körner, als Kernkörper chen
(NudeoU); ja man spricht sogar von kleinsten Kemchen in den Kern-
körperchen, und nennt sie Nudeololi, Die Unbeständigkeit der Kern-
körperchen macht es zweifelhaft, ob sie als wesentliche Bestandtheile
der 2iellen anzusehen sind. — Es giebt ein- und mehrkernige Zellen.
Einkernige kommen seltener vor, als mehrkemige. — Das Fehlen
der Kerne ist ein scheinbares oder wirkliches. Ersteres beruht ent-
weder auf einem gleichen Lichtbrechungsvermögen des Kernes und
des 2iellenleibes, wodurch beide nicht von einander unterschieden
werden können, oder auf einem Maskirtsein des Kernes durch eine
undurchsichtige Zellensubstanz, wie z. B. in den Pigmentzellen.
Fehlt der Kern wirklich, wie in den menschlichen Blutkörperchen,
80 mag er doch in der Jugend der Zelle vorhanden gewesen, und
in der foi'tschreitendcn Entwicklung derselben untergegangen sein.
Befindet sich zwischen den Zellen etwas, was nicht Zelle ist,
BD heisst dieses Intercellularsubstanz. Man hat seit lange die
Intercellularsubstanz als das Residuum des Mutterbodens genommen,
in welchem sich die Zellen entwickelten, und sie deshalb Blastem
Hjrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aail. 6
82 §. 19. LebAnseigeDschaflen der ZeMen.
(von ßXa(rrav(i), keimen) genannt. Neueren Ansichten zufolge, bilden
jedoch die Zellen sich ihre Intercellularsubstanz selbst. Die Zellen
sind das Primäre, die Intercellularsubstanz das Secundäre. — Nach
Verschiedenheit der physikalischen, chemischen und baulichen Zu-
stände der Intercellularsubstanz, wird ihr Ansehen bei verschiedenen
Geweben sich sehr verschieden gestalten müssen. Das Verhältniss
der Zellen zur Intercellularsubstanz, bietet alle denkbaren Grade
des Ueberwiegens der einen über die andere dar. Allenthalben und
unmittelbar sich berührende Zellen eines Gewebes, schliessen die
Intercellularsubstanz gänzlich aus, wie in gewissen Epithelien, sowie
umgekehrt die Intercellularsubstanz derart die Oberhand über die
Zellen gewinnen kann, dass letztere gänzlich in den Hintergrund
treten, wie z. B. im Glaskörper des Auges, und in der Wharton'schen
Sülze des Nabelstranges.
§.19. Lebenseigenschaften der Zellen.
Das Leben des Gesammtorganismus beruht auf dem Theilleben
der Zellen. Das Leben der Zellen äussert sich durch Ernährung,
Wachsthum, Veränderung der Zellensubstanz (Zelleninhalt), Rück-
wirkung auf die Umgebung der Zelle, sowie durch Fortpflanzung
(Vermehrung der Zellen) und selbstthätige Bewegungserscheinungen.
Diese Thätigkeiten, zu welchen bei gewissen Zellen (Nervenzellen)
selbst Empfindung sich gesellt, bilden den Inbegrifif des Zellenlebens.
Wer uns eine Zelle künstlich erzeugen, und das Leben derselben
gründlich, d. h. nicht blos formell (der Erscheinung nach) verstehen
lehren wird, der hat auch das uralte Welträthsel gelöst, welches
eine vieltausendjährige Sphinx so sorgfältig hütet. Wird er je ge-
boren werden? —
Wenn die Zellen leben, müssen sie, wie alles Lebendige, dem
StoflFwechsel unterliegen, d. h. sie müssen zum Ersatz ihrer eigenen,
durch den Lebensact verbrauchten Stoffe, neues Material in ge-
nügender Menge aus ihrer Umgebung aufnehmen, dasselbe sich
assimiliren, und was sie nicht verbrauchen können, wieder aus sich
abgeben. Die durch das Blut in alle Theile des lebendigen Körpers
ausgesendete Ernährungsflüssigkeit, liefert das Material, aus welchem
der Leib der Zelle sich durch Tränkung (Imbibition) ernährt. Die
Zelle verbraucht die aufgenommenen Stoffe theils zu ihrem eigenen
Wachsthum, theils verwandelt sie dieselben, um sie in anderer
Foim als sie gekommen sind, wieder nach aussen zurückzustellen.
Eine fortwährende Au&ahme ohne Abgabe, wäre ja schon aus räum-
lichen Verhältnissen nicht denkbar. Was die Zelle aus sich abgiebt,
ist für die Bedürfnisse des Organismus 1. entweder nutalos, selbst
§. 19. Lebenieigensehaften der Zellen. 83
schädlich, und muss als Auawurfsstoff aus dem Körper ausgeschieden
werden, oder 2. was die Zelle in sich gebildet hat, dient zur Er-
füllung feraerer bestimmter Zwecke im organischen Haushalte, wie
z. B. die Absonderungen der Drüsenzellen ; oder endlich 3. die Aus-
scheidungen der Zelle nehmen bestimmte Formen an, lagern sich
um die Zellen heioim in bestimmten Gruppirungen, imd vermehren
das Material der Intercellularsubstanz um jede einzelne Zelle, oder
um Gruppen von Zellen herum. Bei der ersten und zweiten Ver-
wendungsart, kann die Zelle selbst durch Berstung (Dehiscenz) zu
Qrunde gehen, und mit dem ausgeschiedenen Inhalt zugleich entfernt
werden, wie bei gewissen Drüsenzellen.
Die Vermehrung der Zellen kann nur auf zweierlei Weise ge-
dacht werden : entweder durch Bildung neuer Zellen, zwischen und
unabhängig von den alten, oder durch Bildung neuer Zellen aus den
alten. Man nannte die erste £ntstehungsform die intercellulare,
auch exogene, oder freie, die zweite aber die elterliche
(endogene).
Die freie oder exogene Zellenbildung wurde lange Zeit für
die einzige Vermehrungsart der Zellen gehalten. Der Gründer der
Zellenlehre, Schwann, hielt sie dafür. Nach seiner Ansicht soll
sich in der formlosen organisirbaren Materie (Blastem), eine Menge
anmessbar kleiner Elementarkörnchen bilden, welche sich zu
Kiümpchen aggregiren. Diese Klümpchen sind die Kerne der ent-
stehenden Zellen. Um die Kerne lagert sich, durch wiederholte
Niederschläge aus dem Blastem, eine Substanzschichte ab, welche
sich zur Zellenmembran verdichtet. Durch Imbibition aus dem
Blastem, füllt sich der Raum zwischen Kern und Zellenmembran
mit dem Zelleninhalte, durch dessen Zunahme die Zellenmembran
immer mehr und mehr vom Kerne abgehoben wird, und zwar ent-
weder rings um den Kern henim, wodurch der Kern im Centrum
der Zelle zu liegen kommt, oder die Zellenmembran hebt sich nur
von der Einen Seite des Kernes ab, wodurch dieser an oder in der
Wand der Zelle, also excentrisch lagern muss. Was vom Blastem,
nach vollendeter Zellenbildung, noch erübrigt, ist und bleibt Inter-
cellularsubstanz. — Die Beobachtungen über Zellenentwicklung im
bebrüteten Ei, und in pathologischen Neubildungen, haben die freie
Zellenzeugung fast um alle ihre Anhänger gebracht. Virchow spricht
es unumwunden aus: omnis ceUtUa ex cellula.
So ist denn nun die zweite, die elterliche Vermehrungsart
der ZJellen, gegenwärtig fast zur ausschliesslichen Geltung gelangt.
Es muss den Fortschritten der Zellenkunde vorbehalten bleiben, ob
mit Recht oder Unrecht. Der Analogie nach, sollte, da kein organisches
Wesen elternlos^ d. h. durch Urzeugung, entsteht, und das omrie vivum
6»
84 §. 19. Lebensei^ntehaften der Zellen.
ex VIVO, für alles Lebendige gilt, jede Zelle nur aus einer anderen,
aus einer Mutterzelle entstehen können.
Der Vorgang bei dieser Art von Zellenneubildung resumirt sich
in Folgendem. In der Mutterzelle verlängert sich der Kern, er wird
oval, seine Kernkörperchen rücken auseinander ; er schnürt sich zu
zwei Kernen ab. Gleichzeitig beginnt auch das den Kern um-
lagernde Protoplasma, von einer, oder von zwei entgegengesetzten
Seiten her, sich einzuschnüren. Dadurch entsteht oberflächlich an
der Zelle eine Furche. Diese wird immer tiefer, und schneidet
zuletzt ganz durch, so dass nun zwei Zellen statt Einer vorliegen.
— Eine zweite Art der elterlichen Zellenbildung, welche man die
endogene zu nennen pflegt, besteht darin, dass die in der Mutter-
zelle durch Theilung des ursprünglichen Kernes entstandenen neuen
Kerne (es können deren 30 — 40 in einer einzigen Mutterzelle vor-
kommen), vom Zelleninhalt eine umgebende Hülle erhalten, und
dadurch zu neuen Protoplasmaballen werden. Die trächtige Zelle
(sit venia verbo) wird hiebei grösser und ihre Hülle dünner, bis sie
endlich dehiscirt, und die Brut der jungen Zellen Freiheit und Selbst-
ständigkeit erlangt. Unter den pathologischen Neubildungen kennt man
die endogene Zellenbildung nur bei den Perl- imd Markgeschwülsten,
der Epulis, u. m. a. — Jede endogen entstandene Zelle kann, wenn
sie frei geworden, selbst wieder Mutterzelle werden, und dieser
Process sich sofort oft wiederholen.
Eine Vervielfälti^^g der ZeUen durch Sprossen, welche sich von der Mutter-
zeUe trennen, kommt häufig in der Pflanzenwelt vor.
Eine höchst merkwürdige, und erst in der neuesten Zeit ge-
würdigte Lebenserscheinung gewisser Zellen, ist ihre Bewegung (zu-
erst von Siebold, 1841, an den Embryonalzellen der Planarien
beobachtet). Sie tritt 1. als Veränderung der Form, und 2. als Orts-
veränderung (Wandern) auf, und lässt sich an farblosen Blut-
körperchen, an den Furchungskugeln des befruchteten Eies, an
Lymph-, Speichel- und Eiterkörperchen gut beobachten. Niedere
Thiere, welche ganz und gar aus Protoplasmasubstanz ohne alle
Differenzirung einzelner Gewebe oder Organe bestehen, wie die
Amoeben, fesseln das Auge durch die bizarre Mannigfaltigkeit ihrer
Formveränderung. Man sieht von der Oberfläche der genannten
Körperchen, Fortsätze sich erheben, sich verästeln, unter einander
verfliessen, sich wieder einziehen, und neuerdings Tiervorsprossen.
Die Zelle selbst wird während dieser Vorgänge länglich, höckerig,
ästig, sternförmig, um bald wieder in ihre ursprüngliche runde Form
zurückzukehren. Die Ortsveränderung (Wandern) wird dadurch aus-
geführt, dass sich ein Fortsatz des Zellenleibes vorwärts streckt,
und der Rest der Zelle sich an diesem Fortsatz nachzieht.
§. 80. Metomorphote der Zellen. 85
Mit den Bewegungserscheinungen an den Zellen, hängt auch
eine innere Bewegung der punktförmigen Körnchen im Protoplasma
der Zelle zusammen. Es scheint, dass diese Bewegung blos durch die
Zusammenziehungen des Zellenprotoplasma hervorgerufen wird.
Das Leben der Zellen endet auf verschiedene Weise. Sie
gehen entweder durch Abfallen von dem Boden zu Grunde, auf
welchem sie lebten, wie die oberflächlich gelegenen Zellen der Epi-
dermis und der Epithelien, oder sie sterben ab durch chemische
Umwandlung und Verödung ihrer Substanz. Ob die Stoffe, welche
man auf chemischem Weg, aus den Zellen nach ihrem Tode dar-
stellt, auch während des Lebens der Zelle schon als solche in ihr
enthalten waren, ist eine bis jetzt unbeantwortete Frage.
§. 20. Metamorphose der Zellen.
Alles was im Organismus nicht 2^11e ist, ist aus Zellen ent-
standen. Die Zellen müssen also sehr verschiedenartige Metamor-
phosen eingegangen haben. Die wichtigsten derselben sind:
a) Die Zellen bleiben isolirt, und ihre Metamorphose beschränkt
sich blos auf Veränderung ihrer Form, Zunahme ihrer Grösse, und
Umwandlung ihrer Substanz. Hieher gehören die in einem flüssigen
Blastem frei schwimmenden Blut-, Lymph-, Schleim- und Eiter-
körperchen, die Fett- und Pigmentzellen, und die durch ein zähes
Bindungsmittel flächenhaft aneinandergereihten Zellen der Epithelien.
Die isolirten Zellen können sich abplatten, sich verlängern, rundlich
bleiben, oder eckig, spindelförmig werden, oder durch ramificirte
Auswüchse ein ästiges Ansehen gewinnen, oder durch Vertrocknung
ihrer Substanz, zu einem Plättchen oder Schüppchen werden, wie
in der Oberhaut.
b) Die Zelle kann, durch Ablagerung auf ihre äussere Ober-
fläche, sehr verschiedentlich verändert werden. So entstehen z. B.
durch kömige Deposita von aussen, Henle's complicirte Zellen,
d. i. kugelige Körper, deren Mittelpunkt eine Zelle bildet (gewisse
Ganglienzellen) .
c) Die Zellen werden sternförmig, und schicken Fortsätze oder
Aeste aus, welche mit ähnlichen Foi-tsätzen benachbarter Zellen, oder
mit Fasern anderer Art sich verbinden. So die Knochen- und Binde-
gewebskörperchen, die sternförmigen Pigmentzellen, und die Gang-
lienzellen.
d) Die Zellen lagern sich der Reihe nach aneinander, ver-
wachsen, und werden durch Schwinden ihres Inhaltes und ihrer
Zwischenwände, zu einer continuirlichen Röhre. Drüsenschläuche
und Nervenröhren.
86 §• Si* Bindegewebe.
e) Die nach zwei Richtungen verlängerten Zellen, reihen sich
der Länge nach aneinander, und zerfasern sich in derselben Rich-
tung zu Bündeln longitudinaler Fäden (Bindegewebsfasern), oder
sie reihen sich nicht aneinander, sondern verlängern sich, jede
einzeln sehr bedeutend, mit fibrillärer Umwandlung ihres Inhaltes
(Muskelfasern).
f) He nie stellte die Ansicht auf, dass nicht alle Kerne durch
umhüllendes Protoplasma zu Zellenleibern werden, sondern durch
Verlängerung und Veinvachsung mehrerer in linearer Richtung, in
sehr feine Fasern, welche er Eernfasern nannte, übergehen. Die
Kernfaser jedoch ist wohl nur eine elastische Faser (§. 24). Virchow's
und Do nders* Untersuchungen bestreiten die Entstehung der Kern -
fasern aus Kernen, und nehmen auch für sie die Entstehung aus
spindelförmig verlängerten Zellen, welche den früh verschwindenden
Kern sehr enge umschliessen, in Anspruch.
Die Entstehung der Gewebe aus Zellen föUt, wie alle Entwicklungsprocesse,
der Physiologie anheim, und es konnten deshalb nur die äussersten Umrisse
dieses Vorganges hier gegeben werden, was, insofern es die verschiedenen Gewebe
auf gleichartige Ursprungsverhältnisse zurückführt, und das einfache Gesetz kennen
lehrt, welches der Entwicklung des Mannigfachen zu Grunde liegt, seines Nutzens
nicht entbehrt.
Schwann hat das grosse Verdienst, die Zellentheorie, als einen der
ergiebigsten Fortschritte der neueren Physiologie, welcher auf die ganze Gestaltung
derselben den wichtigsten Einfluss Übte, geschaffen zu haben, nachdem durch die
Vorarbeiten von Raspail und Dutrochet, die Zelle als organisches Element
anerkannt, und durch J. Müller, Purkinje und Valentin, auf die Verwandt-
schaft verschiedener thierischer Zellen mit den Pflanzenzellen hingewiesen wurde.
Von einer massenhaften Literatur nenne ich nur die bedeutsamsten Arbeiten:
Th, Schwärm, mikroskopische Untersuchimgen über die Uebereinstimmung in der
Structur und dem Wachsthume der Pflanzen und Thiere. Berlin, 1839. — HenU,
aUgemeine Anatomie, pag. 122, wo auch das Geschichtliche ausführlich zur
Sprache kommt. — M. Schnitze, im Archiv für Anat 1860 u. 1861; — Brücke, die
Elementarorganismen, in dem akad. Sitzungsberichte, 1861; — Reichert, Über die
Reformen in der Zellenlehre. Berlin, 1863; — W, Kühne, über Protoplasma und
dessen Contractilität Leipzig, 1864. — Ch, Rohm, Anatomie et Physiologie cellu-
laires. Paris, 1873, und HeUztnofim, über Protoplasma, in den Wiener akad.
Sitzungsberichten, 1873.
Da es ganz gleichgültig ist, in welcher Ordnung die einzelnen Gewebe
abgehandelt werden, indem jedes derselben für sich ein Ganzes bildet, so erlaubte
ich mir, die einfacheren den complicirten voranzuschicken.
§.21. Bindegewebe.
Das Bindegewebe (Zellgewebe oder Zellstoff der älteren
Autoren^ Textus ceUvlosus) bildet eines der allgemeinsten und am
meisten verbreiteten organischen Gewebe, indem es theils die Organe
umhüllt und unter einander verbindet, theils die Lücken und Räume
§. 21. Bindegewebe. 87
ausfüllt^ welche durch die Nebeneinanderlagerung und theilweise
Berührung derselben gebildet werden, theils in den Bau der Organe
selbst eingeht, und das Stütz- und Bindungsmittel ihrer differenten
Bestandtheile abgiebt. Es wird daher ein peripherisches oder
umhüllendes, und ein organisches oder parenchymatöses
Bindegewebe unterschieden.
Die letzten mikroskopischen Elemente dieses Gewebes sind
keine Zellen im histologischen Sinne, wie es der Name Zellgewebe
vermuthen liesse, sondern solide, glattrandige, weiche, unverästelte,
und deshalb auch nie untereinander Verbindimgen eingehende, glas-
helle, nur bei grösserer Anhäufung weisslich erscheinende, sanft
wellenförmig geschwungene Fäden (Bindegewebsfasern) von
0,0005'" Durchmesser im Mittel, welche wie die Haare einer Locke,
zu platten Bündeln zusammentreten, an welchen ein eigenthümliches,
der Länge nach gestreiftes Ansehen unter dem Mikroskop, die Zu-
sammensetzung derselben aus Fasern verräth. Wie angelegentUch
auch sich die Mikrologen mit diesen Fasern abgegeben haben, so
wurde doch Anfang und Ende derselben noch nicht sicher erkannt.
Die Faserbündel des Bindegewebes verflechten sich vielfältig,
und tauschen häufig kleinere Fadenfascikel wechselseitig aus, wodurch
ihr Zusammenhang inniger, aber zugleich auch verworren wird, so
dass es zur Entstehung von interstitiellen Lücken und Spalten
kommt. Die Bündel haben keine besondere Hüllungsmembran, und
ihre Fasern lassen sich duixh Nadeln auseinander ziehen, indem
sie nur durch eine gallertartige, homogene, oder fein granulirte
Zwischensubstanz lose zusammenhalten. Die verbindende Zwischen-
substanz hat aber eine andere chemische Zusammensetzung als
die eigentlichen Bindegewebsfasern, löst sich durch Einwirkung von
Reagentien (Kalk- oder Barytwasser, chromsaures Kali) auf, und
gestattet den Fasern sich von einander zu geben, so dass man sie
selbst vereinzelt zur Anschauung bringen kann. Zwischen den
Bündeln finden sich, theils reihenweise auf einander folgend, theils
unregelmässig vertheilt, wirkliche kernhaltige ZeUen (im histo-
logischen Sinne) eingestreut, und zwar in sehr veränderlicher Menge,
und in den verschiedensten Uebergangsformen, von der rundlichen
und spindelförmigen, bis zur strahlig verästelten Gestalt. Diese Zellen
führen den Namen der Bindegewebskörperchen. Die Bindegewebs-
fasern entwickeln sich im Embryoleben aus Zellen. Diese ZeUen
treiben Fortsätze aus, welche zu langen und feinen Fasern werden, und
in immer feinere Fäden (Bindegewebsfasern) auswachsen. Die Reste
der Zellen aber sind die eben genannten Bindegewebskörperchen.
Andere Autoren dagegen behaupten, dass die Bindegewebsfasern
nicht aus den ZeUen, sondern aus einer zwischen den Zellen befind-
Uchen^ homogenen Substanz, durch Zerklüften derselben entstünden.
88 §• Sl- Bindegewebe.
— Recklingshausen hat in den interstitiellen Lücken des Binde-
gewebes, noch eine besondere Art von Zellen entdeckt, welche
kleiner als die Bindegewebskörperchen sind, als contractile Proto-
plasmagebilde Bewegungserscheinungen zeigen, und wirkliche Orts-
veränderungen, selbst in weiten Strecken ausfuhren.
Das Bindegewebe fuhrt reichliche Blutgefässe. Ob sich Nerven
in ihm verlieren, oder es blos durchsetzen, um zu anderen Organen
zu gelangen, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen.
Eine erst in der neuesten 2feit bekannt gewordene Form des
Bindegewebes, ist das reticuläre. Es besteht aus einem Netze
feinster Fasern, welche als verästelte Fortsätze von Zellen, sich
vielfaltig untereinander verbinden, oder, es tritt an die Stelle des
Zellennetzes, ein Netz von feinen, glatten, kernlosen Fasern, welche
an den SteUen ihres wechselseitigen Begegnens, zusehends breiter
erscheinen. In den Maschen und Lücken dieses Netzes, lagern die
übrigen Bestandtheile des betreffenden Organs. Das reticuläre Binde-
gewebe giebt also für diese Bestandtheile gleichsam die Stütze oder
das Gerüste ab. Die Stützfasern der Netzhaut, das Reticulum der
Lymphdrüsen und anderer adenoider Organe, gehören hieher.
Den Bindegewebsfasern sind häufig elastische Fasern (§. 22
und 24) beigemischt. Grössere Bindegewebsfaserbündel sieht man
öfters, besonders bei Anwendung von Essigsäure, von elastischen
Fasern in Spiraltouren umwunden, selbst von membranartigen homo-
genen Streifen derselben Art, im Inneren durchsetzt (He nie).
Reichert*s Ansicht znfolge, wären die Streifen des Bindegewebes, nicht der
mikroskopische Ansdrack seiner fftserigen Zusamttiensetziing , sondern die Folge
von Faltungen, welche die sonst homogene, stmctnrlose Substanz des Binde-
gewebes eingeht. Diese Faltungen verschwinden, wenn man das untersuchte Stück
Bindegewebe mit einem Glasplättchen breitdrückt, und die vergleichend anatomische
Untersuchung des Bindegewebes bei Thieren, hat die faserigen Elemente desselben
häufig nicht nachweisen können. Die leichte Spaltbarkeit des Bindegewebes in
einer gewissen Richtung, soll nach Reichert in der Gegenwart von Spaltöffnungen,
durch welche die homogene Masse gewissermassen aufgeschlitzt würde, begründet
sein. — Allerdings ist die nicht gefaserte Beschaffenheit mancher Bindegewebs-
arten eine unläugbare Thatsache. Kölliker hat für diese Form des Bindegewebes,
den Namen homogenes Bindegewebe eingeführt (Schleimgewebe nach
Virchow), obwohl in demselben das obenerwähnte reticuläre Stützwerk feinster
Fasern keineswegs fehlt. Andererseits kann der faserige Bau vieler Bi^degewebs-
arten, durch das, an den Rissstellen von selbst eintretende ZerfaUen der stärkeren
Bündel in feinere Fasern, nicht verkannt werden. W. Müller*s schöne Unter-
suchungen zeigten uns, dass das Bindegewebe im polarisirten Licht doppelbrechend
ist, und die optische Axe der Längsrichtung der Fasern entspricht — Uebergänge
von gefasertem in nicht gefasertes oder homogenes Bindegewebe, lassen sich an
vielen Orten nachweisen. Das nicht gefaserte Bindegewebe, ist aller Wahrschein-
lichkeit nach, nur eine unvollkommene Entwicklungsstufe des g^faserten.
Beicheri, Bemerkungen zur vergleichenden Natarfonchung. Dorpat, 1845.
— Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfort a. M.,
§. 22. EigenBehftft«n de« Bindegewebea. 89
1857, 1. Theil. 2. Abschn. — BolleU, Untersuchiingen über die Structor des Binde-
gewebes, in den Sitzungsberichten der kais. Akademie. XXX. Bd., and in Stricker^e
Handbnch der Gewebslehre. — A. K'ölliker, neue Untersuchungen über die Ent-
wicklung des Bindegewebes. Würzburg, 1861. — F, BoU, Bau und Entwicklung
der Gewebe, im Archiv für mikrosk. Anat 7. Band. — L, Löwe, Histologie des
Bindegewebes. Oesterr. med. Jahrbücher. 1874.
§. 22. Eigenschaften des Bindegewebes.
Die physikalischen Eigenschaften des Bindegewebes ent-
sprechen seiner physiologischen Bestimmung. Seine Weichheit und
Dehnbarkeit erlaubt den Organen, welche es verbindet, einen ge-
wissen Spielraum von Bewegung und Verschiebung, seine Elasticität
hebt die schädlichen Wirkungen der Zerrung auf, seine Zusammen-
setzung aus geschlängelten , gekreuzten und vielfach verwebten
Bündeln, sichert seine Ausdehnbarkeit in jeder Richtung.
Das chemische Verhalten ist selbst für Anatomen kennens-
werth. Eine besondere, für die mikroskopische Behandlung des
Bindegewebes wichtige Veränderung, erleidet das Bindegewebe durch
schwache Essigsäure. Es verliert sein gestreiftes Ansehen, die Con-
touren der einzelneu Fasern verschwimmen, seine Bündel quellen
auf und werden durchsichtig, wodurch die beigemengten elastischen
Fasern, welche unverändert bleiben, scharf hervortreten. Ein noch
kräftigeres, und alles Bindegewebe in kurzer Zeit auflösendes Reagens,
ist ein Gemenge von Salpetersäure und chlorsaurem Kali. Man
bedient sich desselben, um durch Auflösung des parenchymatösen
Bindegewebes in den Organen, die übrigen histologischen Bestand-
theile derselben besser zur Ansicht zu bringen. — In kaltem Wasser,
Alkohol und Aether, bleibt das ge faserte Bindegewebe lange unver-
ändert, und fault überhaupt schwer. In siedendem Wasser schrumpft
es anfangs stark ein, wobei die charakteristische Längsstreifung des-
selben, als Ausdruck seiner Zusammensetzung aus Fasern, verloren
geht. Durch Kochen des Bindegewebes erhält man Leim, welcher
durch Tannin, aber nicht durch Säuren ge&llt wird, und bei der
Behandlung mit Schwefelsäure, Leucin undQlycocoll (Leimsüss) giebt.
Von den vitalen Eigenschaften des Bindegewebes muss
seine leichte Wiedererzeugung, wenn es durch Krankheit oder Ver-
wundung zerstört wurde, und seine Theilnahme an dem Wieder-
ersatze von Substanzverlusten, an der Narbenbildung, und an der
Zusammenheilung getrennter Organe, hervorgehoben werden. Die
Beobachtung am Krankenbette lehrt, dass das Bindegewebe das
einzige und schnell geschaffene Ersatzmittel jener Organe wird, deren
krankhafte Zustände eine Entfernung derselben aus dem lebenden
Organismus durch chirurgiBcheii Eingriff nothwendig machten. Die
«tU §. 88. Bindegewebsmembm&en.
SchneUigkeit, mit welcher unter besonderen Umständen krankhafte
Ergüsse im Bindegewebe auftauchen und verschwinden, so wie seine
absolute Vermehrung und Wucherung in Folge gewisser Erankheits-
processe, belehren hinlänglich über die Energie der in ihm waltenden
vegetativen Processe. — Bindegewebe, welches nicht von Nerven
durchsetzt wird, scheint fiir Reize nicht empfanglich zu sein.
Hat man ein Bindegewebsbttndel mit Essigsäure behandelt, so bemerkt man
sehr oft, in dem Maasse, ab das Object durch die Einwirkung der Säure durch-
sichtig wird und aufquillt, eine schnürende Faser in Spiraltouren um dasselbe
laufen. Diese Faser ist feiner als die Bindegewebsfasern, und hat dunklere Con-
touren. Ist ihre Continuität irgendwo unterbrochen, so scheint sie sich vom
Bündel loszudrehen; ist sie unverletzt, so bedingt sie, weg^n des Aufschwellens
des Bündels, Einschnürungen desselben. Dass solche Fasern an allen Bündeln
existiren, muss verneint werden, da man häufig vergebens nach ihnen sucht In
dem fadenfbrmigen Bindegewebe, welches man an der Basis des Gehirns zwischen
Arachnoidea und Pia mater erhalten kann, finden sie sich auf leicht zu erkennende
Weise. Sie sind, ihrem anatomischen und chemischen Verhalten nach, mit den
Bindegewebsfasern nicht identisch, können Umwicklungsfasern genannt werden,
und gehören, aller Wahrscheinlichkeit nach, dem elastischen Gewebe an, von
welchem später. Nach Anderen entstehen dagegen die Einschnürungen nicht durch
Umwicklung^fasem, sondern dadurch, dass eine das Bindegewebsbündel umhüllende
elastische Scheide, durch das Aufquellen des Bündels stellenweise einreisst, das
Bündel sich durch die Spalten der Scheide vordrängt, und dadurch eine knotige ^^'^^
wulstige Form bekommt, während das zwischen je zwei Wülsten befindliche, nicht
geborstene Stück der Scheide, die Einschnürungen des Bündels bedingt (Reichert,
Leydig).
An vielen Bündeln ohne Umwicklungsfasem, bemerkt man dunkelrandige,
spindelförmige^ in die Länge gezogene Kerne, welche zuweilen ganz deutlich an
beiden Enden in Fäden auslaufen, die mit ähnlichen Fäden eines nächst vorderen
und hinteren Kernes zusammenhängen, und eine absatzweise stärker und schwächer
werdende, aber continuirliche dunkle Faser bilden, die von Ilenle als Kernfaser
bezeichnet wurde.
§. 23. Bindegewebsmeiiibranen.
Wie früher erwähnt (§. 21), unterscheiden wir ein umhüllen-
des und ein parenchymatöses Bindegewebe. In beiden Fällen
bindet es, in dem ersten, Organ an Organ, in dem zweiten Organ-
theile unter einander. Hat das Bindegewebe eine grosse Flächen-
ausdehnung gewonnen, so spricht man von Bindegewebshäuten
(Membranae cellularei). Nehmen solche Häute die Form von
cylindrischen Hüllen um langgezogene Organe an , «o heissen sie
Bindegewebsscheiden (Vaginae cdlulares). Liegt flächenartig
ausgebreitetes Bindegewebe unter der äusseren Haut, unter einer
Schleimhaut oder serösen Haut, und verbindet es diese mit einer
tieferen Schichte, so wird es Teactus ceUuiaria subcuiaiMus, gubmueasus,
iitb§ara§u9 genannty and in diesem Zustande wohl auch ala besondere
9. S4. ElMtischM 0«irab6. 91
Membran beschrieben. Häuft es sich aber in grösseren Massen an,
in welche andere Gebilde eingeschaltet werden, so heisst es Binde-
gewebs! ag er (Stroma cdluLare).
Der Begriff einer Bindegewebshaut wird in sehr verschiedenem
Sinne genommen. Versteht man darunter jedes in der Fläche aus-
gebreitete und condensirte Bindegewebe, so giebt es sehr viele
Bindegewcbshäutc. Wird der Zusammenhang solcher Häute fester,
ihr Gewebe dichter, imd stehen sie überdies in einer umhüllenden
Beziehung zu den Muskeln, so werden sie auch als Binden, Fasciae
aufgeführt, in welchen die Faserung schon mit freiem Auge zu er-
kennen ist, und welche daher vorzugsweise fibrös genannt werden.
Da ihre Festigkeit und Stärke mit der Entwicklung der von ihnen
umschlossenen Muskeln übereinstimmt, also bei schwachen Muskeln
geringer, als bei kräftig ausgebildeten ist, so kann es wohl ge-
schehen, dass eine Fascie an einem Individuum blös als Binde-
gewebe erscheint; während sie an einem anderen als fibröses Gebilde
gesehen wurde. So verhält es sich mit der Fascia superficialis perinei,
transversa, Cooperi, etc. Die chirurgische Anatomie verdankt einen
guten Theil ihrer Unklarheit im Capitel der Fascien, diesem wenig
gewürdigten Umstände.
Ich glanbe beBser zu thnn, wenn ich die fibrösen and serösen Membranen,
welche sich durch ihre äusseren anatomischen Merkmale so auffallend unter sich
und vom Bindegewebe unterscheiden, als besondere Gewebsformen im Verlaufe
abhandle.
§. 24. Elastisches &ewebe.
Da das Bindegewebe an sehr vielen Orten mit elastischem
Gewebe, mit Fett, und mit Pigmenten gemischt vorkommt, so reiht
sich hier die Untersuchung dieser drei Materien an.
Das elastische Gewebe, Tela elastica, kommt im mensch-
lichen Körper kaum ganz rein, sondern mit anderen Geweben,
namentlich dem Bindegewebe, gemengt vor. Seine mikroskopischen
Elemente sind rundliche oder bandartig platte, sehr scharf contouriite,
bei grösserer Anhäufung gelb erscheinende Fasern, mit massig
weUenfbrmig geschwungenem Verlauf. Abgerissene Enden derselben
rollen sich gerne ranken förmig ein. Vereinzelte, gerade oder ge-
schlängelte elastische Fasern, begleiten gewöhnlich die Bindegewebs-
bündel. Vermehrt sich ihre Zahl an gegebenem Orte , so hängen
sie meist durch seitliche Aeste netzförmig unter einander zusammen,
was Bindegewebsfasern niemals thun, und bilden Stränge oder Platten,
ja gelbst Häute, welche nach der Richtung der Fäden sehr dehnbar
sind, und bei nachlassender Ausdehnung, ihre frühere Gestalt wieder
92 §. 84. ElMtitohM Gewebe.
annehmen. In letzterer Eigenschaft beruht eben das Wesen der
Elasticität.
Durch Wasser, Weingeist, verdünnte Säuren und Alkalien, so
wie durch Austrocknen an der Luft, werden die elastischen Fasern
nicht verändert. Sie widerstehen deshalb auch der auflösenden
Kraft des Magensaftes, sind also unverdaulich. Sie geben beim
Sieden keinen Leim, und unterscheiden sich dadurch auch chemisch
von den Bindegewebsfasern. Die Dicke der elastischen Fasern
schwankt von 0,0008'"— 0,008'".
Das elastische Gewebe erscheint am vollkommensten entwickelt,
und nur mit wenig Beimischung von Bindegewebsfasern, in den
gelben Bändern der Wirbelsäule und im Nackenband, in den Bändern,
welche die Kehlkopf- und Luftröhrenknorpel verbinden, in den
unteren Stimmritzenbändem, in dem Aufhängebande des männlichen
Gliedes, und in der mittleren Haut der Arterien. In vielen Fascien
mischt es sich reichlich mit den Bindegewebsfasern derselben, was
auch im Peri- und Endocardium , im subserösen Bindegewebe des
Bauchfells an der vorderen Bauchwand, in der äusseren Haut,
in der Vorhaut, und im Textus cdlvlaris submucosus des Darm-
schlauches der Fall ist. Unverständlich erscheint mir das Vor-
kommen von elastischen Fasern in. Membranen, welche der Elasticität
nicht bedürfen, da sie gar nie in die Lage kommen, gespannt zu
werden, wie die harte Hirnhaut und die Beinhaut. Ich kann nicht
unterlassen, zu bemerken, dass, wenn elastische Fasern mit Fasern
eines anderen Gewebes gemengt erscheinen, oder elastische Mem-
branen auf Häuten anderer Natur lagern, diese letzteren ebenso
elastisch sein müssen, wie die ersterenr. Würde z. B. die innere
und äussere Haut eines Arterienrohres weniger elastisch sein, als
die eigentliche elastische Haut desselben, so müssten die ersteren
bei der durch die Pulswelle gegebenen Ausdehnung der Arterie
gezerrt, und bei der darauffolgenden Zusammenziehung der Arterie
gefaltet werden, was nicht geschieht. Der Name elastisch, eignet
sich also schlecht zur Bezeichnung einer einzigen Gewebsform, da
ein gleicher Grad von Elasticität auch allen anderen Geweben zu-
kommen muss, welche mit dem elastischen Gewebe anatomisch
verbunden sind.
Das elastische Gewebe dient dem Organismus vorzugsweise
durch seine physikalischen Eigenschaften. Durch seine mit Festig-
keit gepaarte Dehnbarkeit, widersteht es der Gefahr des Reissens,
eignet sich deshalb vorzugsweise zum Bandmittel, und vereinfacht,
indem es lebendige Kräfte ersetzt, das Geschäft der Muskeln. Es
hat nur äusserst wenig Blutgefässe, keine Nerven, und einen trägen
Stoflfwechsel. Wunden und Substanzverluste desselben heilen nicht
S. 16. Fett. 93
durch Wiederersatz des Verlorenen, sondern durch fibröse Narben-
substanz.
Man wählt zur mikroskopischen Untersnchnng einen dünnen Schnitt, oder
einen abgelösten Streifen des Kackenbandes eines Wiederkäuers. Man befeuchtet
diesen mit Essigsäure, um seinen bindegewebigen Antheil durchsichtig zu machen.
Die Elemente des elastischen Gewebes erscheinen dann scharf und dunkel ge-
randet, die abgerissenen Aeste mit zackigen Bruchrändem, häufig hakenförmig
gekrümmt, selbst rankenförmig aufgerollt. Die netzförmigen Verbindungen der
elastischen Fasern xmter sich, sind zuweilen so entwickelt, dass das Object das
Aussehen einer durchlöcherten Membran annimmt Man kann eingetrocknete
Stücke des Nackenbandes, an welchen sich feine Schnitzeln, welche dann be-
feuchtet werden müssen, leichter als an frischen abnehmen lassen, zum Gebrauche
aufbewahren.
Wie das elastische Gewebe als Stellvertreter von Muskeln auftritt, und
bewegende Kräfte spart, lässt sich durch eine Fülle von Belegen aus der ver-
gleichenden Anatomie anschaulich machen. Das Zusammenlegen des ausgestreckten
Vogel- und Fledermausflügels, die aufrechte Stellung des Halses und Kopfes bei
hom- oder geweihtragenden Thieren, die während des Gehens verborgene Lage der
scharfen Krallen beim Katzengeschlechte, u. s. w. werden nicht durch Muskelwirkung,
sondern durch elastische Bänder bewerkstelligt Muskelwirkung erschöpft sich und
erfordert Erholung, — elastische Kraft ist ohne Ermüdung und Unterlass thätig.
Ä, Eulenberg'' s Dissertatio de tela elastica. BeroL, 1836. 4^. — L. Benjamin,
Miäler'a Arch. 1847. (Zootomisch Interessantes über das elastische Gewebe.) —
Dondera, in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. III, 348. — K'öüiker,
Über die Entwicklung der sogenannten Kemfasem, in den Verhandlungen der
Würzburger phjs. med. Gesellschaft Bd. III. Heft 1.
§.25. Fett
Fett, Adepa 8. Pinguedo, kommt im freien Zustande im Blute
und im Chylus vor; in Zellen eingeschlossen, ist es ein häufiger
Genosse des Bindegewebes um und zwischen den verschiedenen
Organen, wo es bei jedem gesunden Individuum in grösserer oder
geringerer Menge gefunden wird. In den auszehrenden Krankheiten,
ja selbst durch den Hungertod, schwindet es an gewissen SteUen
(in der Augenhöhle, um die Nieren, in der Vola marnis und Planta
pedü) nie vollkommen. In den Knochen abgelagertes Fett, bildet
das Mark derselben. Im Inneren der Organe wird es, abgesehen
von den chemisch an diese gebundenen Fettarten, nicht angetroffen,
ebensowenig, als es selbst bei den wohlgenährtesten Individuen, an
den Augenlidern, den Ohrmuscheln, in der Vorhaut des männlichen
Gliedes, und in der Schädelhöhle je vorkommt.
Das Fett wird in Zellen erzeugt — Fettzellen. Jede Fettzelle
besteht aus einer structurlosen, durchsichtigen Membran, und einem
Fetttröpfchen als Inhalt. Verliert die Zelle ihren fetten Inhalt, so
wird ein Kern in ihr sichtbar. Aber auch an fetthaltigen Zellen
läsBt sich der Kern, durch Anwendung der Müller'schen Flüssigkeit
94 §• 95. Fett.
(2y.2 chromsaures Kali, 1 schwefelsaures Natron, 100 Wasser) und
durch Imbibition der Zelle mit Carminlösung sichtbar machen. Der
Durchmesser der Fettzellen schwankt von 0,4'" bis 0,06'". Ihre
Oberfläche ist, so lange das darin enthaltene Fetttröpfchen flüssig
oder halbflüssig bleibt, gleichmässig gerundet, ihr Rand unter dem
Mikroskope scharf, und wegen starker Lichtbrechung dimkel. Es
liegen immer mehrere, zu einem Klümpchen aggregirte FettzeUen
in einer Masche des Bindegewebes, von deren Wand Blutgefässe
abgehen, welche zwischen den Fettzellen durchlaufen, ihnen capillare
Reiser zusenden, und sich zu ihnen beiläufig wie der verästelte
Stengel einer Weinti'aube zu den Beeren verhalten. Mehrere Fett-
klümpchen bilden einen grösseren oder kleineren Fettlappen, welcher
von einer Bindegewebsmembran umwickelt wird. Zuweilen, nament-
lich an der Grenze grösserer Fettlappen, stösst man auf Fettzellen
kleinerer Ali;, in welchen der Fetttropfen, von einer Schichte
körniger Zellensubstanz umgeben wird, welche, bei der Profilansicht
der Zelle, einen breiten Ring oder Hof um das Fetttröpfchen bildet.
— Nerven können einen Fettklumpen oder Fettlappen wohl durch-
setzen, aber die Fettzellen erhalten durchaus keine Fäden von ihnen.
Das Fetttröpfchen ist nur im lebenden Thiere flüssig, und stockt
nach dem Tode, wodurch die Fettzelle ihre Rundung einbüsst, und
runzelig wird.
Das Fett ist eine vollkommen stickstofffreie Substanz, welche ans einer
Verbindung verschiedener Fettsäuren (Oelsäure, Talgsäure, Marg^arinsäure) mit
Glyceryloxjd besteht, in letzter Analyse 79 pCt. Kohlenstoff, 11,5 Wasserstoff und
9,5 Sauerstoff liefert (Chevreul), und sich somit von den fetten Oelen der Pflanzen
nicht wesentlich unterscheidet. Menschenfett und Olivenöl haben nach Liebig
dieselbe Zusammensetzung.
Es häuft sich das Fett bei reichlicher Nahrung, Mangel an
Bewegung, und bei jener Gemüthsruhe, welcher sich zufriedene
Menschen erfreuen, allenthalben gerne an, und schwindet unter ent-
gegengesetzten umständen eben so leicht wieder. Vor der Vollendung
des Wachsthums in die Länge, lagert sich nur wenig Fett um die
inneren Organe des menschlichen Leibes ab, welche wie die Netze
und das Gekröse, im mittleren Lebensalter ein bedeutendes Quantum
davon aufnehmen. Bei Embryonen und Neugeborenen erscheinen,
selbst bei exorbitirender Fettbildung unter der Haut, das Netz und
die Gekröse fettlos. In jedem interstitiellen und umhüllenden Binde-
gewebe, kann die Fettentwicklung Platz greifen, und erreicht ihre
höchste Ausbildung im Unterhautbindegewebe als sogenannter Pan-
fUculua adipoms, vorzüglich um die Brüste, am Gesässe, und am
Unterleibe, so wie auch in den Netzen und Gekrösen, besonders
des Dünndarms, und in den Interstitien der Muskeln, wo die grossen
Gef&sse der Gliedmassen verlaufen.
§. S6. Physiologitehe B«dratnng des Fettes. 95
Die Vitalität des Fettes steht auf einer sehr niedrigen Stufe.
Seine Empfindlichkeit ist gleich Null^ und seine Zellen besitzen
durchaus keine Contractilität. Der Stoffwechsel scheint in ihm gänz-
lich zu mangeln^ da das einmal abgelagerte Fett^ erst bei beginnender
Abmagerung wieder in den Kreislauf gebracht wird. Wunden eines
fettreichen PanmcidiLs adtposm, haben wenig Neigung zu schneller
Heilung, und die chirurgische Praxis weiss, wie hoch dieser Um-
stand bei der Heilung der Amputations- und Steinschnittwunden
fetter Personen anzuschlagen ist. — Bis zu einem gewissen Grade ist
die Fettbildung ein Zeichen von Gesundheit und Lebensfiille, dar-
über hinaus wird sie beschwerlich, und in höherem Grade eine kaum
zu heilende Krankheit. Welch' monströsen Umfang die Fettbildung
erreichen kann, beweisen die Erfolge des Mästens der Thiere, und
die zuweilen enorme Grösse der Fettgeschwülste (Lipomata). Man
hat weibliche Brüste und männliche Hodensäcke durch Fettwucherung
ein Gewicht von 30 Pfunden erreichen gesehen (Larrey), und sich
zur Abtragung derselben mit dem Messer entschlossen.
Nach Verschiedenheit der Consistenz und der Gebrauchsweise
des Fettes, werden mehrere Arten desselben unterschieden, welche
auch in der Anatomie gekannt sind. Das spisse Fett ist Sebum, das
weiche und ölige isLgegen Adqps, welches, wenn es aus der Thiermilch
stammt, Butyrum heisst. Jedes Fett, welches in der Medicin als
Salbe gebraucht wird, heisst Axungia, von ungere (ah unctione axium^
axungia dicta). Die Griechen unterschieden weiches und hartes
Fett, als TcijjieXT^ und aieap. Aus ersterem Wort wurde neuerer Zeit,
ganz unnöthiger Weise, von den Pathologen Pimdosis gebildet, für
Fettsucht, da die griechischen Aerzte schon ein Wort für diese
Krankheit hatten, nämlich x(6t7](;.
Der Temperaturgrad, bei welchem flüssige thierische Fette gerinnen, ist
sehr verschieden. Hierauf beruht zum Theil die verschiedene technische Ver-
wenduug der Fette. Die mächtige Fettschichte, welche sich unter der Haut der
in den Polarmeeren hausenden Säugethiere vorfindet, und ihnen als schlechter
Wärmeleiter die trefflichsten Dienste leistet, bleibt als Thran bei den tiefsten
Temperaturgraden flüssig. Man benutzt deshalb den Thran vorzugsweise, um
StiefeUeder und Riemzeug geschmeidig und biegsam zu erhalten, während das
selbst bei höheren Wärmegpraden nicht schmelzende Bärenfett, zu Pomaden und
Bartwichsen gesucht wird. Bei mittleren Temperaturgraden flüssig werdende Fette,
wie das Knochenmark, eignen sich am besten zu Salben, — starrbleibende zu
Pflastern.
§. 26. Physiologische Bedeutimg des Fettes.
Die physiologische Bedeutung der Fettablagerung ergiebt sich
aua den Ernährungsvorgängen. Ein Ueberschass kohlenstoff- und
waBserstofireicher Nahrungsmittel (Oele, Fette, und die stickstoffireien
96 §• t6. Physiologische Bedeatnng de« Fettes.
vegetabilischen Substanzen des Zuckers, Amylon, Gummi, Pectin)
ist das Antecedens derselben. Um den Kohlen- und Wasserstoflf
dieser Substanzen aus dem Körper wieder ausscheiden zu können,
werden grosse Mengen Sauerstoff erfordert. Diese werden durch
den Respirationsact herbeigeschafft. Ist die genossene Kohlen- und
Wasserstoffmenge zu gross, um durch die eingeathmeten Sauer-
stoffmengen als Kohlensäure und Wasser ausgeathmet zu werden,
so lagei't sich der Ueberschuss in jener Form, die wir Fett nennen,
im Bindegewebe ab. Wird ein fetter Mensch auf knappe Kost
reducirt, und die reichliche Nahruugszufuhr abgeschnitten, so muss
durch die ununterbrochen fortdauernde Ingestion von Sauerstoff, und
Egestion von Kohlensäure und Wasser, wozu das Fett seinen Kohlen-
und Wasserstoff hergiebt, die Fettmenge nothwendig abnehmen.
Man könnte sagen, das Fett wird in diesem Falle ausgeathmet. Da
gesteigerte Muskelthätigkeit, also körperliche Arbeit, den Athmungs-
process beschleunigt, erklärt es sich, warum Fettwerden ein Vor-
recht der Faulen und Reichen ist, und angestrengte Arbeit, nicht
blos Bewegung in freier Luft, das Fett des Müssiggängers vertreibt.
Dass das Fett die Geschmeidigkeit, Fülle und Rundung der
Formen bedingt, die inneren Organe als schlechter Wärmeleiter vor
Abkühlung schützt, kann allerdings sein; dass es aber als eine
Vorrathskammer zu betrachten sei, wo der Organismus seinen Ueber-
fluss an Nahrungsstoff aufspeichert, um in der Zeit des Mangels
sich dessen zu bedienen, ist eine aus obgenannten chemischen Gründen
durchaus irrige, obwohl im gewöhnlichen Leben sehr verbreitete
Vorstellung. Die reichste Fettnahrung fuhrt, wegen Mangel an
Stickstoff, welchen alle thierischen Gewebe zu ihrer Ernährung be-
nöthigen, zum sicheren Hungeii;ode.
Ein wichtiger und wenig gewürdigter Nutzen des Fettes, fliesst
aus den physikaUschen Eigenschaften der FettzeUen. Wenn jede
Fettzelle ein geschlossenes Bläschen ist, dessen wassergetränkte Haut
einen ziemlichen Grad von Stärke besitzt, so ist leicht einzusehen,
dass selbst ein starker Druck kaum vermögen wird, den öligen
Inhalt der Zelle, durch die feuchte Wand durchzupressen. Das
Wasser in der Zellenwand wird durch Capillarität in den Poren
der Wand so fixirt, dass es durch das nachdrückende Fett nicht
zum Ausweichen gebracht wird. Die Fettzelle verhält sich somit
beiläufig wie ein Luftkissen, durch welches wir den Druck auf
gewisse Organe abzuschwächen pflegen. Diese mechanische Ver-
wendung der Fettzellen, erklärt uns ihr häufiges und regelmässiges
Vorkommen im Plattfusse, in der Hohlhand, und auf dem Gesässe,
wo äusserer Druck am öftesten und anhaltendsten wirkt. Bei allge-
meiner Abmagerung, und bei Fettarmuth der Reconvalescenten aus
fieberhaften Krankheiten, ist^ abgesehen von der Schwäche der
§. f6. Physiologisclie Bedentnng des Fettes. 97
Muskelkraft^ das Schwinden der FettzeUen wohl eine Hauptursache,
warum längeres Gehen, Stehen, selbst Sitzen, nicht vertragen wird.
Dieses Schwinden des Fettes ist jedoch nicht als ein Vergehen der
FettzeUen zu nehmen. Es schwindet nur der Inhalt der Fettzellen.
Die Zelle selbst bleibt zurück, schrumpft ein, und enthält blos etwas
wässeriges Serum. — Da die durchfeuchtete Wand der Fettzelle ein
Hindemiss für die Aufsaugung des Fettes beim Abmagern abgiebt,
so kann diese Aufsaugung nur so gedacht werden, dass das Fett
vor seiner Aufsaugung verseift wird, in welchem Zustande die
wassergetränkte Zellenwand, durch welche das Fett zu passiren hat,
seinen Durchgang gestattet.
Uebermässige Fettabsonderung kann den Muskeln, zwischen
welchen sie sich eindrängt, ihren Raum streitig machen, und sie
durch Druck so sehr zum Schwinden bringen, dass sie, wie bei ge-
mästeten Hausthieren , kaum als rothe , den Speck durchziehende
Striemen, noch zu erkennen sind. Von diesem Verdrängtwerden der
Muskeln durch umlagerndes Fett, ist die sogenannte fettige Um-
wandlung derselben zu unterscheiden, welche als Krankheit, ohne
allgemeine Fettwucherung, vorkommt, und vorzugsweise gelähmte
Muskeln befallt.
Das Knochenmark, Medvlla ossium, stimmt in jeder Hinsicht
mit der gegebenen Beschreibung des Fettgewebes überein, und ist
somit Fett und nicht Mark. Der Begriff des Markes gehört einer
ganz anderen Gewebsform, dem Nervensystem, an, indem man nur
von einem Gehimmark, Rückenmark, und Nervenmark spricht. Es
kann daher das Knochenmark auch unmöglich empfindlich sein, wie
man im gewöhnlichen Leben meint. — Das Trocknen der Knochen
auf der Bleiche, wodurch der Wassergehalt der Knochensubstanz
verloren geht, und letztere mit dem von der Markhöhle aus in
sie eindringenden Fette imprägnii-t wird, lässt die Knochen oft
erst während des Bleichens fett werden , während sie es im
frischen Zustande nicht zu sein schienen. — Der Bindegewebsantheil
ist im Fette des Knochenmarkes ein viel geringerer, als im gewöhn-
lichen Fett.
Die Fettzellen zeigten sich, bei SOOfacher Vergrössening, gleichförmig ge-
rundet, sphärisch oder oval, mit dnnklen Rändern, und hinlänglich durchsichtig,
am durch eine Zelle hindurch, eine darunterliegende deutlich zu unterscheiden.
Bei Beleuchtung von oben, erscheinen die FettzeUen weiss. Man bemerkt in der
Regel keinen Unterschied von Zellenwand und Inhalt. Dass aber eine Zellenwand
vorhanden ist, schliesst man daraus, dass durch Behandlung der Zelle mit Aether,
sich ihr Fettcontentum ausziehen lässt, und die Zellenmembran unversehrt zurück-
bleibt. — Beginnt die Fettzelle zu trocknen, so wirkt die Zellenmembran, deren
Feuchtigkeit verdimstet, nicht mehr isolirend auf den Inhalt, — letzterer schwitzt,
als fetter Beschlag, an der Oberfläche der ZeUe heraus, und fliesst mit ähnUchen
Fettperlen der nahen Zellen zusammen. Dieses aus seiner Zelle gewichene Fett
erscheint linsenförmig, als schillerndes sogenanntes Fettauge, wie man deren
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. U. Anfl. 7
98 §. 27. H^ent.
viele auf den FleUchbrOhen schwimmen sieht, and in der Milch, im Chylns, im
Eiter, und unter besonderen Umständen auch in eini^n Secreten antrifft. Mittelst
des Compressorium (einer Vorrichtong ssnm Abplatten mikroskopischer Objecte
durch methodischen Druck) bemerkt man, dass die Fettzellen einen sdemlichen
Druck aushalten, ohne zu platseen, und, wenn der Druck nachlässt, ihre frühere
Gestalt wieder annehmen, vorausgesetzt, dass das Fett nicht gestockt war. Der
Kern der Fettzellen kommt nur bei fettleeren Zellen zur Ansicht — Die stern-
förmigen Figuren an der Oberfläche gewisser Fettzellen, welche He nie zuerst
beobachtete, wurden von ihrem Entdecker für Stearinkrystalle gehalten. Ihre
Unauflöslichkeit in Aether steht dieser Annahme entgegen. Ich habe sie beim
Dachs und Siebenschläfer sehr ausgezeichnet angetroffen, und beim neuholländischen
Strauss, an beiden Polen der Fettzellen, als Krjstallrosen von 16 — 20 Strahlen
gesehen. Ohne Zweifel entstehen diese Krjstallformen erst während des mit dem
Tode eintretenden Erstarrens des Fettes , durch Ausscheiden krystallisirender
Margarinsäure.
Bei Thieren konunen auch farbige Fettarten (bei den Vögeln unter der
Haut des Schnabels und der Füsse, in der Iris) vor. Auch kann die Fett-
absonderung einen periodischen Charakter annehmen, wie im Larvenzustande der
Insecten, bei den Raubvögeln, dem Wilde, und bei den Winterschläfem.
Ausführliches enthalten: Ascheraon, über den ph3rsiolog^chen Nutzen der
Fettstoffe, in Müller' a Archiv. 1840. p. 44. — KöUücer, histoL Bemerkungen über
Fettzellen, in der Zeitschrift für wiss. Zool. 2. Bd. p. 118. — WUUch, Binde-
gewebs-, Fett- und Pigmentzellen, im Archiv für pathol. Anat. 1866. — i2. Hein,
de ossium meduUa. Berol., 1866.
§. 27. Pigment
Die Färbung der Organe hängt theils von ihrem Gewebe, von
der Gestalt und der Zusammenfugung ihrer kleinsten Theilchen,
von ihrem Blutreich th um, bei durchscheinenden Gebilden auch von
der Färbung der Unterlage, oder von einem besonderen, molecularen,
theils in dem betreffenden Organe frei vertheilten, theils aber in
Zellen enthaltenen Farbstoff ab, welcher das Protoplasma der Zelle
allenthalben durchdringt. Dieser Farbstoff heisst Pigment, und die
Zellen, welche ihn führen, Pigmentzellen. ZeUen mit schwarzem
Pigment, finden sich unter der Oberhaut des Negers, und im Tapetum
nigrum der Thier- und Menschenaugen. Die Brustwarze und ihr
Hof, die Haut der äusseren Genitalien und der Aftergegend, besitzen
gleichfaUs Pigmentzellen, und in den Schenkeln des grossen Gehirns,
in den Bronchialdrüsen, in der Lungensubstanz, und in den Ampullen
der Bogengänge des Labyrinthes, wird dunkles Pigment gefimden.
Die Sommersprossen (Ephdides) und Leberflecke (CMocumata) ver-
danken ihr Entstehen dem Pigment, und nur von dem durch die
Sonne gebräunten Teint der Südländer ist es noch unentschieden,
ob er durch chemische Veränderung der Oberhaut, oder durch
Pigmentbildung bedingt wird.
S. S7. Pigment 99
Anatomische Eigenschaften. Man unterscheidet an den
Pigmentzellen, Hülle (Zellenmembran) und Inhalt. Die Hülle be-
steht aus einem structurlosen Häutchen, welches entweder eine poly-
gonale, oder rundliche Form besitzt, oder mit ästigen Fortsätzen
besetzt erscheint. Liegen mehrere Pigmentzellen dicht gedrängt in
einer Fläche neben einander, so platten sie sich gegenseitig ab, und
nehmen die polygonale Form an, wie in der Pigmentschichte der
Aderhaut des Auges. Man sieht sie dann unter dem Mikroskop
durch helle Streifen von einander getrennt, welche theils der durch-
sichtigen Zellenwand, theils dem formlosen Blastem, in welchem die
Zellen eingebettet sind, entsprechen. Rücken sie etwas auseinander,
so fällt die Ursache des Eckigwerdens weg, und sie erscheinen rund-
lich, wie auf der hinteren Fläche der Iris, auf den Ciliarfortsätzen,
unter der Oberhaut des Negers, und in den dunkel - pigmentirten
Hautstellen weisser Eacen. Sind sie mit Aesten besetzt, welche ent-
weder blind endigen , oder mit den Aesten benachbarter Zellen
zusammenfliessen, so entsteht jene Zellenform, welche im Menschen
in der Lamina fusca des Auges, bei Thieren dagegen viel häufiger
vorkommt, wie z. B. in den Pigmentflecken der Haut der Frösche,
und des Chamäleon, in den gesprenkelten schwarzen Flecken im
Peritoneum vieler Amphibien und Fische, in der Haut der Kalk-
schale der Krebse, und in der allgemeinen Decke der Cephalopoden
(Chromatoplioren). Der Inhalt der Pigmentzellen besteht aus einem,
mit unmessbar kleinen Pigmentkörnchen durchdrungenen Protoplasma.
Wenn eine Zelle platzt oder zerdrückt wird, schwimmen die Pigment-
moleküle in der die Zelle umgebenden Flüssigkeit einzeln oder als
Aggregate herum, und zeigen dabei lebhafte Bewegungen (Brown'sche
Molekularbewegung). Diese Bewegungen sind aber keine selbst-
thätigen, sondern werden durch Strömungen der umgebenden Flüssig-
keit veranlasst, welche die Moleküle des Pigments mit sich führen.
Der Einfluss des leichtes und der Wärme, erzeugt solche Strömungen,
und diese setzen nicht blos die Moleküle des Pigments, sondern auch
andere pulverige Substanzen in ganz gleiche Bewegung. — Fast in
allen Pigmentzellen findet sich ein, von den Pigmentkörnchen theil-
weise oder vollkommen verdeckter, heller und durchsichtiger Kern.
— Es ist sehr interessant, dass, wenn die Pigmentbildung unter-
bleibt, die Zellen dennoch vorhanden sind, wie man an dem farb-
losen Tapetum im Auge der rothäugigen Kaninchen beobachten kann.
Chemisches Verhalten. Die Pigmentzellen sind in Essig-
säure löslich, im Wasser platzen sie, und entziehen sich durch
Entleerung ihres Inhaltes der Beobachtung. Die Pigmentkörnchen
dagegen sind weder durch Wasser, noch durch concentrirte Essig-
säure, Aether, oder verdünnte Mineralsäuren zerstörbar. Durch
kaustische Alkalien werden sie bald aufgelöst. Nach Scheercr's
7»
100 §. S8. OberbEQt und EpHhelien.
Analyse besteht das schwarze Pigment im Rindsauge aus : 58,284 Pro-
cent KohlenstoflF, 22,030 SauerstoflF, 13,768 Stickstoff, 5,918 Wasserstoff.
Ueber die physiologische Bestimmung des Pigments sind
wir nur im Auge unterrichtet, wo es aus demselben optischen Gnmde
geschaffen wurde, aus welchem man alle optischen Instrumente an
der Innenfläche schwärzt. Die Bedeutung der Hautpigmente, welche
bei vielen Thieren ein äusserst lebhaftes Colorit besitzen, liegt ganz
im Dunkel. In gewissen Krankheiten wird das schwarze Pigment
in bedeutenden Massen angehäuft (Melanosis).
Man wähle zur Untersnchung das Pigment der Choroidea eines frisch ge*
schhMshteten Thieres, welches sich mit Vorsicht in grösseren Läppchen auf den
Objectträger bringen lässt Jeder Drack und jede Zerrung müssen sorgfältig Ter«
mieden werden, da die Zellen leicht platzen, und die hellen Zwischenlinien der
ZeUenmosaik, nur im onversehrten Zustande des Objects zu beobachten sind. Man
vermeide auch, wenn man nicht gerade die Molekularbewegung der PigmentkGmer
sehen will, jeden Wasserzusatz, und bediene sich zur Befeuchtung lieber des
frischen Eiweisses oder des Blutserums. Um die Pigmentmoleküle genauer zu
sehen, muss die LinearvergrOsserung auf 760 vermehrt werden.
Das merkwürdige Farbenspiel in der Haut des Chamäleon und der cepha^
lopodischen MoUusken, hängt von einer unter dem Einflüsse des Nervensystems
stehenden Contractilität ästiger Pigmentzellen ab, welche Grösse und Form der
Zellen, sowie ihren Farbeneffect ändert
C. Bruch, über das kömige Pigment der Wirbelthiere. Zürich, 1844. —
Virehow, die pathol. Pigmente, im Archiv für pathol. Anat. 1. Bd.
§. 28. Oberhaut und Epithelien.
Zu jenen Geweben, in welchen die Zellen, aus denen sie
ursprünglich sich aufbauen, der Form nach am wenigsten verändert
werden, gehören jene Begrenzungsgebilde, welche sowohl an der
äusseren Oberfläche des thierischen Leibes, als auch an den inneren
freien Flächen von Höhlen und Kanälen vorkommen. Ihre Be-
schreibung folgt naturgemäss jener des Fettes und des Pigmentes.
Die Begrenzungs- oder Deckgebilde der äusseren Leibesoberfläche
heissen Oberhaut, Epidermis; — jene der inneren Höhlen und
Kanäle Epithelium*).
Die Zellen der Epithelien bleiben, so lange sie überhaupt
dauern, in ihrem ursprünglichen, weichen Zustande, welcher ihnen
*) Ich glaubte, dass dieser Name von h:\ to xAo;, anfder Endfläche,
abzuleiten, nnd somit richtiger EpUelium zu schreiben sei. Da jedoch Fried. Ruysch,
in seinem Thesaurus anat. III. Xum. 2S, das Wort EpUhelium zuerst für jene feine
Epidermis gebrauchte, welche die Tastwärzchen des Lippensaumes bedeckt (Ot)Xi^,
papilla), ist wohl die ältere Schreibart auch die richtige. Als man aber das Lippen»
epithel des Ruysch auf alle Häute übertrug, auch auf solche, welche keine Papülen
(Öv)Xai) führen, wurde die Anatomie um ein unsinniges Wort reicher. Man wird sa-
geben, dass für die Häute ohne PapiUen, das Wort Epitel noch immer besser wäre,
als EpitheL
§. S8. Oberhaut and Epithelien. 101
als kernhaltigen Zellen zukommt. Die Zellen der Oberhaut dagegen,
verhornen durch Umwandlung ihres Leibes in Keratin (Hornstoff).
Was aus dem Kern der verhornten Zellen wird, ist unbekannt, da
die mit der Verhornung gegebene Trübung der Zelle, in's Innere
derselben keine Einsicht erlaubt. Die Zelle verliert während des
Verhornungsprocesses ihre Fülle und Rundung, und wird zuletzt zu
einem trockenen Schüppchen oder Platt chen, welches mit seinen
Nachbarn zu einer mehr oder weniger beträchtlichen Hornschichte
verschmilzt, an welcher keine fernere lebendige Umbildung, höch-
stens mechanische Abnützung durch Reibung, oder Abfallen durch
Verwittern, beobachtet wird. Das weiche Blastem, welches die
jungen Zellen der Oberhaut umgab, erleidet dieselbe Erhärtung, wie
die Zellen, und dient, wenn es ebenfalls vollkommen vertrocknet
und verhornt ist, den Scheibchen und Plättchen zum festen Bindungs-
mittel. Dieses Bindungsmittel wird durch verdünnte Schwefelsäure
aufgelöst, wodurch die Scheibchen, welche der Wirkung der Säure
widerstehen, sich lockern und endlich trennen. — Geht von den
älteren, bereits abgelebten Zellenschichten, eine durch Abblättern
verloren (was an der menschlichen Oberhaut, durch eine Art von
ununterbrochener Häutung fortwährend stattfindet), so wird durch
neuen Nachschub frischer Zellen von unten, der Defect wieder aus-
geglichen. Jede tiefe Schichte muss somit einmal die oberste werden,
um ebenso abzufallen, wie ihre Vorgänger. — Epidermis und Epi-
thelien empfinden nicht, haben keine eigene Bewegung, besitzen
weder Blutgefässe noch sicher gestellte Nerven, können sich somit
weder entzünden, noch schmerzen, noch irgendwie durch sich selbst
erkranken, und zeichnen sich durch ihre prompte Regeneration vor
allen übrigen Geweben aus. Als schlechte Wärme- oder Electricitäts-
leiter (letztere nur im trockenen Zustande), können sie als eine Art
Isolatoren des Organismus angesehen werden. Neuester Zeit will
man feinste Nervenfasern in gewisse Zellen der Epithelien und der
Oberhaut (bei Thieren) eindringen gesehen haben.
Der früher erwähnte Hornstoff ist in kaltem Wasser anlöslich, schwillt bei
längerem Befeuchten etwas auf, erweicht sich durch Einwirkung von Alkalien
(daher der allgemeine Gebrauch der Seife beim Waschen), löst sich aber selbst
nach langem Kochen nicht auf. Alkohol und Aether lassen ihn unverändert;
kaustische fixe Alkalien lösen ihn unter Entwicklung von Ammoniakgeruch auf.
Bei lOQO R. erweicht er sich, liefert bei trockener Destillation sehr viel kohlen-
saures Ammoniak mit empjreumatischem Oele, verbrennt unter Luftzutritt, und
hinterlässt eine Asche, welche kohlensauren und phosphorsauren Kalk, nebst einem
Antheile phosphorsauren Natrons g^bt.
Die Oberhaut, ihr Zugehör als Haare und Nägel, sowie die Haut selbst,
welcher diese Gebilde angehören, habe ich, gegen den gewöhnlichen Gebrauch, in
die specielle Anatomie aufgenommen (§. 205—212). Die Beziehungen des Haut-
org^s zu den Sinnen und den Eingeweiden, bestimmten mich zu dieser Abweichung.
£• erübriget hier somit nur die Schilderung der Epithelien.
102 §• 29. Allgemeine Eigensehaftea der Epithelien.
§.29. Allgemeine Eigenschaften der Epithelien.
Die freie Fläche einer Membran, einer Höhlenwand, eines
Kanals und seiner Verzweigungen, besitzt einen aus Zellen zusammen-
gesetzten Ueberzug. Dieser ist das Epühdium.
Das Epithel erscheint theils als einfaches Zellenstratum, theils
als mehrfach geschichtetes Zellenlager. Die Form der Zellen variirt
nach Verschiedenheit des Ortes, wo sie vorkommen. Der Kern der
Zellen zeigt sich bei starken Vergrösserungen mit einem oder zwei
dunkleren Kernkörperchen versehen, und liegt selten in der Mitte
der Zelle, meistens an oder selbst in der Wand derselben. An ab-
geplatteten Zellen bildet der Kern an beiden Flächen derselben
einen Vorsprung.
Man unterscheidet, nach der Form der Zellen, zwei Arten von
Epithelien: Pflaster- und Cylinderepithel.
a) Das Pflasterepithel. Es wird, seines mosaikartigen An-
sehens wegen, so genannt. Seine Zellen sind anfangs rundlich, flachen
sich aber durch gegenseitigen Druck ab, und werden eckig. Die
runden oder ovalen Zellenkerne sind bei jungen Zellen nur von einer
dünnen Schichte Zellen Substanz umschlossen. Bei älteren ZeUen
nimmt die Zellensubstanz an Dicke zu. Das Pflasterepithel hat eine
sehr grosse Verbreitung im thierischen Körper. Es findet sich an
den freien, glatten Flächen aller serösen Membranen, femer an der
inneren Oberfläche der Blut- und Lymphgefässe , in den feineren
Verzweigungen vieler Drüsenausfiihrungsgänge , auf den wahren
Stimmbändern des Kehlkopfes, in den Luftbläschen der Lungen,
und an gewissen Schleimhäuten , z. B. der Trommelhöhle (nur
stellenweise), als einfache Zellenschichte. Mehrfach geschichtet
dagegen erscheint es an einigen Synovialhäuten, und an bestimmten
Strecken der Schleimhaut des Verdauungs- und Zeugungssystems,
wo es so mächtig wird, dass es durch Maceration in grösseren oder
kleineren Stücken abgezogen werden kann, wie auf der Schleimhaut
der Mundhöhle, der unteren Partie des Rachens, der Speiseröhre, der
weiblichen Scheide. In der Harnblase, den Harnleitern, den Nieren-
becken und Nierenkelchen, kommt es ebenfalls mehrfach geschichtet,
aber mit geringerer Mächtigkeit vor. — Grosse, flache und breite
Zellen des Pflasterepithels, bilden das sogenannte Plattenepithel. —
Man hat in neuester Zeit das Epithel jener Höhlen und Kanäle, welche
keine Communication mit der Aussenwelt haben (seröse und Synovial-
membranen, Blut- und Ly mphgefasse , Kammern des Gehirns) mit
dem Namen Endothel belegt. Wer einen so widersinnigen Namen
erfinden konnte, der weiss wahrlich nicht, was Epithel vi nomima
§. 29. AUfemeioe Eigensehaften der Epithelien. 103
bedeutet. Endothel ist eine etymologische Monstrosität. Wöi-tlich
übersetzt würde es lauten: in der Warze.
M. Schnitze beschrieb (Med. Centralblatt, 1864. N. 12) eine neue, höchst
interessante Art von Zellen, welche in den tieferen Schichten der geschichteten
Pflasterepithelien yorkommen, als Stachel- oder Riffzellen. Sie sind mit
Stacheln oder mit Leisten (Riffen) besetzt, durch deren Vermittlung die Zellen
ineinander greifen und zusammenhalten. Dass diese Stacheln auch in jene Haut-
scbicbte eingreifen, auf welcher das betreffende Epithel lagert, hat H e n 1 e an der
äusseren Haut, als Verzahnung derselben mit der Oberhaut, schon yor Schnitze
erw&hnt.
b) Das Cylinderepithel besteht aus Zellen, deren Höhe ihre
Breite übertriflFk, und welche senkrecht auf der betreffenden Unter-
lage stehen. Die Zellen dieses Epithels sind keine Cylinder im
mathematischen Sinne, da sie sich durch ihr Nebeneinandersein
gegenseitig abplatten, und ihr aufsitzendes Ende meistens schmal,
das freie, von der Unterlage abgewendete Ende dagegen breiter ist.
Die Cylinder sind also eigentlich Prismen (meistens sechskantige),
oder abgestutzte Kegel. Da auf einer Ebene aufgepflanzte Kegel
sich nicht allseitig berühren, so bleiben zwischen den schmäleren
Theilen der Kegel Räume übrig, in welchen sich junge Zellen ent-
wickeln können. Der Kern der Zelle liegt in der Mitte, zwischen
dem schmalen und breiten Zellenende, und ist zuweilen so ansehn-
lich, dass er die Zellenwand herauswölbt, wodurch die Cylinderform
noch mehr beeinträchtigt wu*d, und bauchig erscheint. — Faden-
förmige Fortsätze, welche von dem aufsitzenden Ende der Zelle in
die Unterlage der Epithelien eindringen, wurden an verschiedenen
Orten (Riechschleimhaut, Hirnhöhlenwandungen) erkannt. — Das*
Cylinderepithel findet sich im Darmkanale, vom Mageneingange bis
zum After, in den Stämmen und in den Zweigen der Ausführungs-
gänge fast aller Drüsen, in den Saraenbläschen, in der Gallenblase,
dem Vas deferens, und in der Harnröhre bis in die Nähe der äusseren
Oeffnung derselben, wo Pflasterepithel vorkommt. Auch das Cylinder-
epithel erscheint als einfach oder mehrfach geschichtet. Bei
dem letzteren besteht aber nur die oberste Schichte aus Cylinder-
zellen, welche immer den erwähnten fadenförmigen Fortsatz führen,
während die tieferen Schichten aus unregelmässig gestalteten Zellen
zusammengesetzt werden.
Der Uebergang von Pflaster- in Cylinderepithel erscheint nur an den
Mündungen der AusfÜhrungsgänge der Speicheldrüsen plötzlich, sonst wird er
durch Zwischenformen, welche Henle Uebergangsepithel nannte, vorbereitet.
— Der Umstand, dass man mitunter auf cylindrische ZeUen mit zwei Kernen
stösst, kann, seiner Seltenheit wegen, nicht als Beleg der Ansicht dienen, dass
sich die CylinderzeUen durch Uebereinanderstellen von Pflasterzellen, und Resorption
der Zwischenwände entwickeln.
Als besondere Art des Cylinderepithels erscheint das Flimmer-
epithel. Denkt man sich auf dem breiten, freien Ende einer
104 §• ^* Allgemeine Eigenschiften der Bpitbelien.
bauchigen Cylinderzelle, eine Menge kurzer, heller ^ spitziger, und
unmessbar feiner Fädehen aufsitzen, welche Cilien (Flimmer-
haare) heissen, und während des Lebens, ja selbst eine geraume
Zeit nach dem Tode, in wirbelnder Bewegung sind (flimmern), so
erhält man die Form einer Flimmerzelle. Auf der Leibesoberfläche
niederer Thiere kommen statt der Flimmerzellen, blos vibrirende
Fäden vor, mittelst welcher sich das Thier in Wasser, wie durch
Ruderschläge fortbewegt. In jenen wesentlichen Bestandtheilen des
männlichen Samens, welche als Spermatozoon bezeichnet werden,
hat man Flimmerz^llen mit einem einzigen langen Flimmerhaare
erkannt. — Die flimmernde Bewegung ist sehr rasch und lebhaft.
Wenn man eine grössere vibrirende Fläche unter dem Mikroskope
betrachtet, denkt man an das Wogen und Wirbeln eines hoch-
gewachsenen Kornfeldes, über welches der Wind wegstreicht. —
Schon die älteren Mikroskopiker kannten dieses merkwürdige Phä-
nomen im Allgemeinen. Purkinje und Valentin aber entdeckten
die Flimmerzellen, als Vermittler dieser Bewegung.
Flimmerepithel findet sich:
1. auf der Schleimhaut, welche die respiratorischen Wege aus-
kleidet, und zwar: a. in der knöchernen Nasenhöhle, und ihren
Nebenhöhlen, von wo es in die Thränenwege eintritt, bis in die
Thränenröhrchen hin, wo es durch Pflasterepithel ersetzt wird; ß. in
dem oberen Theile des Pharynx (bis zum zweiten Halswirbel herab),
von wo es in die Tubae Euatachü eindringt; 7. im Kehlkopfe (mit
Ausnahme der wahren Stimmbänder), und in der Luftröhre und deren
Verzweigungen ; •
2. auf der Schleimhaut des Uterus (nur stellenweise), und der
Tuben ;
3. in den Samenge&ssen des Nebenhodens, von den Cani
vasculosi Haüeri an, eine Strecke weit;
4. in den Gehirnkammem , im Aqtuxeductus Sylvü , und im
Centralkanal des Rückenmarks bei Embryonen. Bei Ei-wachsenen ist
dieses Vorkommen ungewiss, indem Henle es an einem 15 Minuten
nach dem Tode untersuchten Verbrecher nicht finden konnte;
5. in den Anfängen der Harnkanälchen (im Menschen noch
nicht sichergestellt, sehr deutlich dagegen bei den nackten Am-
phibien).
Brücke hat die Ansicht aufgestellt, dass die Flimmerzellen
• ihrem freien Ende nicht durch Zellenwand geschlossen, sondern
n sind, und die Cilien in dem Zelleninhalt (Protoplasma) wurzeln.
beruft sich darauf, dass in dem flüssigen Secret der Nasen-
tnleimhant im Anfange eines Schnupfens, birnförmige, am dicken
kde mit Cilien bepflanzte Körper beobachtet werden, welche Kerne
ren. Diese Körper sollen der Zelleninhalt der Flimmerzellen sein,
§. S9. Allgemeine Eigenschaften der Epithelien. 105
welcher aus dem offenen Becher der Zellen heraustrat, und mit
dem Secret der Nasenschleimhaut nach aussen geschafft wurde. Die
entleerten Hülsen der Zellen bleiben auf der Schleimhaut zurück.
Hat sie Brücke dort gesehen?
Die Richtung der Bewegung der Cilien strebt im Allgemeinen
gegen die Endmündung des betreffenden Kanals oder Schlauches,
also in den Athmungsorganen nach oben, in den Geschlechtswegen
nach unten. Henle sah ein auf die Luftröhrenschleimhaut der
noch warmen Leiche eines gerichteten Verbrechers gelegtes Minimum
von Kohlenpulver, binnen 15 Secunden um die Breite eines Knorpel-
ringes, durch Flimmerbewegung gegen den Kehlkopf fortgeschafft
werden. Wenn man in den Lungensack eines eben getödteten
Frosches, durch eine kleine Wunde desselben Kohlenpulver ein-
bringt, findet man nach einigen Stunden dasselbe schon in der
Mundhöhle.
Was die Art der Bewegung der einzelnen Flimmerhaare an-
belangt, so ist diese bei den Säugethieren entweder ein mit Biegen
und Aufrichten verbundenes Hin- und Herschwingen (etwa wie an
einer schwingenden Ruthe), oder eine nach der Länge der Cilien
hinlaufende Wellenbewegung. Haken- und peitschenformige Be-
wegungen der Flimmerhaare kommen bei Mollusken, Bewegungen
in einer Kegelfläche bei den Räderthierchen vor.
Um einfaches Pflasterepithel kennen zu lernen, reicht es hin, mit dem
Scalpelle über die freie Fläche einer serösen Membran, gleichviel welcher, leicht
hinzustreifen, und die abgeschabte schleimige Masse auf den Objectträger zu
bringen, sie mit Blutserum zu befeuchten, auszubreiten, und mit einem dünnen
Glas- oder Glimmerblättchen zu bedecken. Man wird einzelne rundliche Zellen
und mosaikartige Aggpregate derselben zur Ansicht bekommen. Die Aggpregate
zerfallen, wenn sie jüngerer Formation sind, durch Zugabe von Essigsäure (welche
das Bindungsmittel der Zellen löst) in einzelne Zellen. Um mehrfach geschich-
tetes Pflasterepithel und die Metamorphosen der Zellen in den alten und
jungen Schichten zu studiren, wählt man eine dünne Schleimhaut, am besten die
Bindehaut des Augapfels, präparirt sie ohne viel Zerrung los, und legt sie einmal
so zusammen, dass die äussere (freie) Fläche auch nach der Faltung die äussere
bleibt. Mit derselben Behandlung durch Anfeuchtung und Bedeckung, wird das
Object so in das Sehfeld des Mikroskopes gebracht, dass man den Faltungsrand
sieht, an welchem die verschiedenen Schichten dieses Epithels bei Veränderung
des Focns, ganz befriedigend untersucht werden können. Das Compressorium
leistet hiebei gute Dienste. Hat das zu untersuchende Epithel eine festere Unter-
lage, wie auf der Hornhaut des Auges, und in den Drüsenschläuchen, so können
dünne Schnitte desselben, mit Valentin's Doppelmesser (welches vor dem Schnitte
in Wasser getaucht wird) bereitet, eine sehr belehrende Profilansicht gewähren. —
Das Cylinderepithel erscheint, von der Fläche gesehen, als Pflasterepithel.
Nur die Seitenansicht lässt die wie Basaltsäulen neben einander gelagerten
cylindrischen Zellen erkennen. Am besten eignen sich hiezu die Darmzotten eines
ausgehungerten Säugethieres. An menschlichen Leichen sind die Epithelialcylinder
der Darmzotten theilweise abgefallen, und man thut besser, feine Querschnitte der
Lieberkühn'schen Drüsen des Dickdarms auszuwählen, an welchen die cjUndrischen
106 8* 90. Physiologische Benerknogen ttber die Epithelien.
Zellen, von der Drttsenwand gegen das Lnmen derselben gerichtet, wie Radien
eines Kreises, dessen Mittelpunkt die Höhle der Drttse ist, gesehen werden. Essig-
säure macht die getrübten Zellen wände durchsichtiger, und die Kerne deutlicher.
Einzelne Zellen des Flimmerepithels sind leicht zu haben, wenn man
irgend eine flimmernde Schleimhaut abschabt, imd den Brei, nachdem er yerdünnt,
bei 600 Linear -Verg^össerung betrachtet. Die Cilien selbst lassen sich nur an
ruhenden, d. i. todten Flimmerzellen wahrnehmen; an den lebenden Zellen, mit
flimmernder Bewegung ihrer Cilien, sieht man den Wald vor Bäumen nicht. Um
das überraschende Schauspiel des Flimmems einer ganzen Schleimhautflftche zu
beobachten, eignet sich ganz yorzugsweise die Rachenschleimhaut der Frösche,
welche (wie oben die Conjunctiya des Auges) gefaltet, und der Rand der Falte
im Sehfeld fixirt wird. Ich bediente mich jedoch zu den Schuldemonstrationen
lieber der Zungenspitzen kleiner Frösche, welche abgetragen werden, und da sie
nicht gefaltet zu werden brauchen, um einen freien Schleimhautrand zu erhalten,
das Phänomen in seiner ganzen Pracht selbst ftir den ungewandten Zuschauer
genussbar machen. Die durch die Wimperbewegung, wie durch Ruderscbläge,
erregt Strömung des Wassers, welches das Object nmgfiebt, und in welchem ab-
gefallene Epithelialzellen oder Blutsphären fortgerissen werden, leitet den Neuling
zuerst auf die Fixirung des Flimmeractes. Im Nasenschleime, den man mit einer
Feder aus dem tiefen Innern seiner eigenen Nase herausholt (£. H. Weber),
zeigen die Flimmerzellen ihre Cilien, und zuweilen ihr mehr weniger lebhaftes
Wimperspiel ganz deutlich. Im Gehörorgane der Pricke wurden Flimmer-
bewegungen von Ecker entdeckt. — Auch flimmern, wie schon bemerkt wurde, die
Hautbedeckungen sehr vieler niederen Thiere, — selbst die Sporulae gewisser Algen.
§. 30. Physiologische Bemerkimgen über die Epithelien,
Gegenwärtig noch vereinzelt dastehende, mehrseitig wieder an-
gegriflFene Beobachtungen über die Epithelien gewisser Schleimhäute
und der Gehimhöhlen, lassen es vermuthen, dass unseren Ansichten
über die functionelle Bedeutung der Epithelien, wichtige Reformen
bevorstehen. So will man z. B. an gewissen Epithelialzellen der
Nasenschleimhaut und der Zunge (Froschzunge), gesehen haben, dass
sie mit den feinsten Endfäden der bezüglichen Sinnesnerven in un-
mittelbarem Zusammenhang stehen.
Die Entstehung der Epithelialzellen, die Metamorphosen, welche
sie durchmachen, sprechen zu deutlich für einen besonderen Lebensact
in diesen Gebilden, als dass man sie noch länger blos für ein Schutz-
mittel gewisser Membranen ansehen könnte. Ihre Existenz ist nur
insofern an diese Membranen gebunden, als letztere mittelst ihrer
Blutgefässe den Stoff hergeben, aus welchem sich die Epithelial-
zeUen ernähren. Das Zellenleben selbst dagegen kann, wenn es
einmal erwacht ist, von jenen Membranen aus nicht absolut beherrscht
werden.
Das Abfallen der Epithelien, und die entsprechende Neubildung
derselben, ist ein sehr weit verbreitetes, aber dennoch kein allge-
meiiiefl Phänomen. Die Flimmerepithelien unterliegen, so viel wir
g. 90. Physiologiseb« Bemerkungen Aber die Epithelien. 107
aus den jetzt vorliegenden Beobachtungen entnehmen können^ dem
Abfallen weit weniger wie das Cylinderepithel. Allerdings enthält
der während des Schnupfens reichlich abgesonderte flüssige Nasen-
schleim, und der Auswurf aus Kehlkopf und Luftröhre, einzelne
Flimmerzellen; diese scheinen jedoch, abgesehen von den krank-
haften Bedingungen, unter welchen sie ausgeleert werden, mehr auf
mechanische Weise von dem Boden losgerissen zu werden, auf
welchem sie wurzelten, als durch physiologische Processe abgelöst
worden zu sein. — Viel häufiger treffen wir rundliche Epithelial-
zellen in den Absonderungsstoffen der Drüsen, im Schleime, in den
Thränen, im Speichel, in der Galle, dem Samen, dem Harne, etc.
Bei den Epithelien der geschlossenen Höhlen kann der Wechsel
nicht mit Abfallen oder Abstossen im Ganzen, sondern wahrschein-
lich nur mit Auflösung und Aufsaugung der älteren Formationen
im Zusammenhange stehen, und muss überhaupt sehr langsam von
Statten gehen. — Bei Entzündungen wird das Flimmerepithel ab-
geworfen, und durch Pflasterepithel ersetzt.
Man kann es als sicher annehmen, dass die Zellen, welche die
innere Oberfläche der Drüsenkanäle einnehmen, an dem Absonderungs-
processe wichtigen Antheil haben. Da die Absonderungssäfte aus
dem Blute stammen, so müssen sie, bevor sie in die Höhle des aus-
führenden Drüsenkanals gelangen können, sich durch die Zellen-
schichte seines Epithels durchsaugen, und erleiden dabei durch die
Einwirkung der Zellen jene eigenthümliche , ihrem Hergang nach
ganz unbekannte Veränderung, durch welche sie die Qualität eines
bestimmten Secretes annehmen. Bei dem Secretionsvorgang betheiligte
Epithelialzellen heissen Secretions- oder Enchymzellen.
In der Flimmerbewegung, welche auch nach Trennung der
Zelle vom Organismus fortdauert (bei Schildkröten selbst acht Tage
nach dem Tode noch nicht erlischt), liegt der sprechendste Beleg
für das eigene Loben der Epithelialzellen. Die Natur dieser Be-
wegung der Wimperhaare, und ihre physiologische Bestimmung sind
gänzlich unbekannt. Man ergeht sich nur in Vermuthungen. Dass
die Richtung der Fliramerbeweguug gegen die Ausgangsöffnung des
betreffenden Schleimhautrohres strebt, gilt wohl für viele, aber nicht
für alle Schleimhäute, und dass durch die Flimmerbewegung der
Schleim an den Wänden der Schleimhäute gegen die Ausmündungs-
stelle derselben fortgeführt werde, erscheint mir als eine für so zarte
Kräfte sehr rohe Arbeit. Auch müssten dann alle Schleimhäute
Flimmerzellen besitzen. Die Nervenkraft bleibt bei den Flimmer-
bewegungen ganz aus dem Spiele, da diese Bewegung nach Zer-
störung des Nervensystems, oder, was dasselbe sagen will, nach
Herausnahme der Zelle aus ihren Verbindungen, fortdauert. Schwache
Säuren, Alkohol, Aether, Galle, und niedere Temperaturagrade,
108 §• S1* lliiRkelgew«be. Huptgrnppen dessellMn.
hemmen die Flimmerbewegungen, und bringen sie zum Stillstand,
indem sie in der umgebenden Flüssigkeit Niederschläge erzeugen,
welche einen für die schwachen Cilien unübei*windlichen Widerstand
bilden. Werden diese Niederschläge durch eine Kalisolution auf-
gelöst, beginnt die Cilienbewegung von Neuem. Wärme und Elec-
tricität sollen das Vibriren der Cilien fördern ; — Opium, Blausäure,
narkotische Gifte, verhalten sich indifferent gegen dasselbe.
§.31. Muskelgewebe, Hauptgruppen desselben.
Die Muskeln (Musculi^ griechisch [jlü6^, von [juietv, zusammen-
ziehen), sind die activen, die Knochen die passiven Bewegungs-
organe des thierischen Leibes. Die Muskeln kommen in ihm in
sehr grosser Menge vor, und bilden das Fleisch desselben. Kein
anderes organisches System nimmt so viel Raum für sich in An-
spruch, wie die Muskeln. Sie ziehen sich auf Geheiss des Willens,
oder durch die Einwirkung äusserlich auf sie angewendeter Reize,
z. B. Galvanismus, zusammen, werden kürzer, und verkleinern da-
durch die Distanz ijweier beweglichen Punkte, zwischen welchen sie
ausgespannt sind. Das Vermögen, sich auf Reize zusammenzuziehen,
heilst Irritabilität, oder besser Contractilität.
Alle stärkeren Muskeln, besonders die Muskeln des Skeletes,
bestehen aus gröberen Bündeln, Fasciculi muscvlarea, welche ge-
wöhnlich parallel neben einander liegen, aber auch sich in ver-
schiedenen, meistens sehr spitzigen Winkeln zusammengesellen. Die
kleineren und grösseren Bündel dieser Art, besitzen Bindegewebs-
hüllen, welche von der, den ganzen Muskel umhüllenden Vagina
ceUidaris abgeleitet werden. In der kunstmässigen Ablösung dieser
Vagina von der Oberfläche der Muskeln, besteht das Präpariren
derselben.
Jedes Muskelbündel stellt eine Summe mit freiem Auge
erkennbarer kleinerer Bündelchen dar, und diese sind wieder Stränge
von sehr feinen, nicht mehr durch das Messer in dünnere Fäden zu
zerlegenden Muskelfasern, FSbrae muscidares. An dem Querschnitte
eines gehärteten Muskels, z. B. geräucherten Fleisches, lässt sich
das Verhältniss der Fasern zu den kleineren und grösseren Bündeln,
l dieser zum Ganzen, mit der Loupe, selbst mit dem freien Auge
snnen.
Hau leitet das Wort mtueulus auch von [i\ii, d. i. Maus ab, weil die spindel-
Jmlgen Muskeln, mit ihren lan^n Sehnen, sich mit dem Körper und Schweif
(•tt Xmu Tergleichen lassen. Der altdeutsche Name: Mäuslein, drückt wohl
■• AUeitang aas. — Die Restauratoren der Anatomie im 14. und 16. Jahr-
m^ gefafmeheii statt MiucuIub, den Ausdruck Laeerlu», Meister Scbjlbans,
Aibvek d«r Wundareiney, StrMsbuzg, 1617, sagt hierOber: „Musonlus
§. 81. Ma8kelf«w«b«. Hftaptgnipp«n dMNiben. 109
^unb Lacerto» ip ein S^ing, aber Musculus loürt genennt na^ bcr form ainer mou8j,
^Lacertos nad) bcr formen ainer ^e^be(^«j, bann gleichwie bie tl^^erlin feinb an beiben
^enben f(ein (b. i. bünn), unb long gegen bem fd^wanft, unb in bcr mitten bidf, alfo
,,fctnb au(^ h\^e müdglin unb lacerti".
Bei mikroskopischer Untersuchung erscheinen die Muskelfasern
in zweifacher Form, und zwar als:
a) Quergestreifte Fasern. Sie zeigen, nebst feinen parallelen
Längslinien, welche theils continuirlich , theils in Absätzen der
Richtung der Faser folgen, eine sehr markirte Querstreifung,
welche nicht blos die Oberfläche der Faser in querer Richtung
zeichnet, sondern auch in die Tiefe derselben eingreift, und dadurch
die Faser, in abwechselnd helle und dunkle Platten oder Scheiben
schneidet, ähnlich den Platten einer Vol tauschen Säule. Sie finden
sich in allen der Willkür gehorchenden, lebhaft fleischrothen Muskeln
des Skelets (sogenannte animalische Muskeln), und unter den
unwillkürlichen, im Herzen, im Pharynx, und stellenweise auch in
der Speiseröhre.
Die Dicke der quergestreiften Faseni wechselt sehr, nach der
Verschiedenheit der Muskeln, welchen sie angehören. So beträgt
sie bei den Gesichtsmuskeln 0,005''' — 0,008'"-; bei den Stamm-
muskeln 0,01'" — 0,25'". Ihre Länge ist geringer, als jene des be-
treff^enden Muskels. Es müssen sich deshalb mehrere Fasern der
Länge nach aneinanderreihen, um der I^änge des Muskels zu ent-
sprechen. Die Aneinanderreihung erfolgt mittelst zugespitzter, selbst
auch mittelst gespaltener Enden.
Jede quergestreifte Faser besitzt eine structurlose Hülle (Sarco-
lemma, von aap?, Fleisch, und XafjLßive'.v, aufnehmen oder enthalten).
Diese Hülle ist an ihrer inneren Oberfläche mit länglichen Kernen
besetzt, und umschlicsst den Inhalt der Muskelfasern, als eigent-
liche contractile Substanz des Muskels. Die erwähnte quere Streifung
gehört nicht dem Sarcolemma an, sondern dem Inhalte.
Ueber den Bau des contractilen Inhaltes dieser Muskelfasern,
haben sich die Mikrologen noch nicht geeiniget. Sie stehen sich
vielmehr in zwei Lagern feindlich gegenüber. Die ältere Schule
lässt den Inhalt einer Faser aus feinsten, perlschnurähnlich in
dunklere und hellere Abschnitte gegliederten Fäserchen — den
Muskelfibrillen (auch Primitivfasern) bestehen, und erklärt
daraus das längsgestreifte Ansehen der Muskelfaser. Durch Macera-
tion der Muskelfasern in sehwachem Weingeist, lösen sich diese
Fäserchen von einander, und können einzehi gesehen werden. Jede
derselben zerfallt durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure, der
Quere nach, in kleinste Säulenstücke. Die erwähnte perlschnur-
ähnliche Gliederung der Fibrillen aber soll, indem die dunkleren
und helleren Abschnitte aller Fibrillen in gleichen Querebenen neben
110 §• 91- Kukelgewebe. Hiuptfruppen desBelben.
einander liegen, die Querstreifung der Muskelfaser erzeugen. Dieses
ist der Glaubensartikel der Fibrillentheorie. Jener der Seheiben-
theorie lautet: Der Inhalt des Sareolemma einer Muskelfaser, be-
steht aus übereinander gelagerten Scheiben (Bowman's dücs), wie
die Münzen einer Geldrolle. Zweierlei Arten dieser Scheiben, helle
und dunkle, folgen, der Länge der Muskelfaser nach, alternirend
auf einander. Den zweierlei Scheiben entsprechen lichtere und
dunklere Zonen an der Oberfläche der Faser, daher die Quer-
streifung. Die lichteren Zonen sind etwas breiter, als die dunkleren.
Die Scheiben, welche den lichteren Zonen entsprechen, lassen sich
durch Behandlung der Muskelfaser mit verdünnter Salzsäure isoliren,
indem diese Säure, die den dunkleren Zonen entsprechenden Scheiben
auflöst. Die Scheiben aber sind wieder aus kleinen Säulenstückchen
zusammengesetzt, deren Richtung senkrecht auf den platten Flächen
der Scheiben steht. Sie lösen sich durch Behandlung der Scheibe
mit schwachem Weingeist von einander, und hcissen bei den eng-
lischen Anatomen Sarcous Elements, — bei Brücke Disdiaclasten,
(avec du grec, on a taujours raison, sagt Moliere), weil sie das Licht
doppelt brechen. Ein Grieche aber würde auch mit Diclasten
genug haben. — Beide nur in den Hauptzügen angegebenen An-
sichten, haben achtbare Vertreter. Im Grunde sind beide Theorien
nicht wesentlich verschieden. Denn wenn eine Muskelfaser, durch
Maceration in Weingeist, sich in Längenlibrillen zerlegt, welche durch
verdünnte Salzsäure in kleinste Säulenstücke zerfallen, und wenn
diese Faser, durch Maceration in verdünnter Salzsäure, sich in
Querscheiben auflöst, welche durch Weingeist in dieselben kleinsten
Säulenstücke zerlegt werden können, so haben doch sicher beide
Theile Recht. Wer die einschlägige Literatur durchzuarbeiten Lust
hat, dem gebe Gott Geduld dazu.
Indem die animalen Muskeln in der Regel mit Sehnen ent-
springen und endigen^ so fi*ägt es sich, wie gehen die Muskelfasern
in Sehnenfasem (§. 40) über. Auch hierüber streiten Achiver und
Trojaner. Der Uebergang beider Fasergattungen geschieht in der
Alt, dmsB das abgeiiindete oder gezackte Ende der Muskelfaser,
^«^ktarftimig von Sehnenfasem eingehülst und durch eine Art von
ni Kalilaiige löst^ mit ihnen fest verbunden wird. Andere
"TifiiBiTm aus dem Sareolemma der Muskelfasern,
^«elbeiiy hervorgehen (Ger lach). Ausführliches
Be Anheftiuig der Muskelfasern an ihre Sehnen,
866.
to Aniehen der uiimalen MüskelfiEtsern, entspricht nicht
minimiiintt danelben, sondern ist zugleich der optische
hpalMUiiiM, welche den Inhalt einer Faser dnrchsetsen^
•r sla Iiflcken erscheinen, von welchen verlstelte
§. 81. Muskelgewcb«. Hftaptgrnppea deiMlb«n. 111
Spältchen aaslaufen. Ihre Besümmiing kann darin bestehen, das durch die Capillar-
gefösse herbeigeführte ernährende Blutplasma, in möglichst innigen Verkehr mit
den Muskelfibrillen zu bringen. — Die im Inneren der contractilen Substanz einer
Muskelfaser, oder an der Innenseite des Sarcolemma, vorfindlichen, sogenannten
Muskelkörperchen, halte ich ftir die Kerne der Zellen, aus welchen sich die
Muskelfaser entwickelte.
b) Die zweite Form, unter welcher die Muskelfasern unter dem
Mikroskope erseheinen, umfasst die Gruppe der glatten, d. h. nicht
quergestreiften Fasern. Sie finden sich in den sogenannten organi-
schen Muskeln, d. i. jenen, deren Bewegungen vom Willen
unabhängig sind , und welche nicht selbstständig , sondern als
integrirende Bestandtheile anderer, und zwar sehr vieler Organe
auftreten. Man hat diese Fasern nachgewiesen : im Verdauungs-
kanale, in den Harnwegen und in der Harnblase, den Samenbläschen,
der Gebärmutter, der Iris, der Choroidea, den Ausfuhrungsgängen
vieler Drüsen, in den Bindegewebshülsen der Lymphdrüsen, den
Bronchien der Lunge bis in die Endverzweigungen derselben, in der
Milz, in den Wänden der Blutgefässe, in der Brustwarze, in der
Dartos, im Gewebe der Cutis, jedoch nur an behaarten Stellen der-
selben, und nach Pflüg er und Aeby, auch im Eierstocke aller
Wirbelthiere.
Die glatten Muskelfasern bestehen aus kernfährenden, spindel-
förmigen, leicht abgeplatteten, bedeutend verlängerten, zuweilen auch
kurzen, fast rhombischen Zellen, an welchen eine besondere, vom
Inhalt verschiedene Zellenmembran, nicht nachgewiesen werden kann.
Der Zelleninhalt ist eine contractionsftlhige Substanz. Kölliker nannte
diese Zellen deshalb zuerst muskulöse oder contractile Faser-
zellen. Ihre Kerne sind elliptisch, oder stäbchenförmig in die
Länge gestreckt. — Glatte Muskelfasern von ansehnlicher Länge
finden sich vorzugsweise in der Tunica muscularis des Darmkanals;
die kurzen, fast rhombischen, vorzüglich in den Wänden der Arterien,
in den Drüsenausführungsgängen, und im Balkensystem der Milz.
— Zwischen den glatten Muskelfasern treflFen wir ein structurloses
Binduugsmittel (Kitt), in welchem, nebst einer Menge von Körnern,
viele eckige Zellen eingebettet sind, deren Ausläufer untereinander
sich verbinden. Verdünnte Salpetersäure oder Kalilauge, löst dieses
Bindemittel auf, und ermöglicht es, vollkommen isolirte glatte Muskel-
fasern zur Anschauung zu bringen. — Glatte Muskelfasern kommen
in den Organen, deren Ingrediens sie bilden, entweder zerstreut und
vereinzelt, oder zu platten Strängen vereinigt vor, welche, wenn sie
sich in Flächen aggregiren, die sogenannten Muskelhäute erzeugen,
deren entwickeltste Form wir, als Längs- und Kreisfaserschichte im
Magen und im Darmkanal antreffen.
Die aus glatten Muskelfasern bestehenden, sogenannten organi-
schen Muskeln, besitzen keine Sehnen, bedingen niemab Orts-
112 8*32. Anitomische EigenschEften der Muskeln.
Veränderungen, sondern nur Verengei-ungen oder Verkürzungen der
Organe, in oder an welchen sie vorkommen, laufen in gekreuzten
Doppelsehichten (als Längs- und Kreisfaserschichte) über einander
hin, und hängen mit dem Skelet nicht zusammen. Mit einer einzigen
Ausnahme, welche durch den Sphincter und DtUUator fUfiUae ge-
geben wird, haben sie keine Antagonisten.
§. 32. Anatomische Eigenschaften der Muskeln.
Die Muskeln sind sehr gefassreich. Die Arterien derselben
treten gewöhnlich an mehreren Stellen in sie ein, dringen zwischen
den Bündeln schräg bis zu einer gewissen Tiefe vor, senden auf-
und absteigende Aeste ab, welche der Lüngenrichtung der Bündel
folgen, und sich in capillare Zweige auflösen, welche die Muskel-
fasern mit lang- und schmalgegitterten Netzen umstricken, ohne in
das Innere der Fasern selbst einzugehen. — Die Nerven stehen oft
in einem grossen Missverhältniss zur Masse der Muskeln. Sehr
kleine Muskeln haben oft starke, — sehr grosse Muskeln, dagegen
schwache Nerven. Als besonders eclatante Beispiele dienen die
Augenmuskeln mit ihren dicken, und die massenhaften Gesäss-
muskeln mit ihren dünnen motorischen Nerven. Wie aber die
Nerven in den Muskeln endigen, wird in §. 61 gesagt.
Es wurde viel gestritten, ob die rothe Farbe der Muskeln von
dem Blute ihrer zahlreichen Capillargefässe herrühre, oder der
Muskelfaser eigenthümlich sei. Die mikroskopische Beobachtung
einzelner Muskelfasern, lässt eine gelbröthliche Färbung derselben
erkennen, welche ganz genügt, bei solcher Anhäufung von Fasern,
wie sie in der Fleischmasse eines Muskels stattfindet, die intensive
Färbung des letzteren zu erklären, obwohl nicht zu läugnen ist,
dass die Gegenwart des Blutes den Purpur des Fleisches erhöhen
muss. Ein durch Wasserinjection in die Blutgefässe ausgewaschener
Muskel, wird wohl blässer, aber nicht weiss. Es kann aber nur
das Blut in den Capillargefässen einen Einfluss auf die Röthung
des Muskels ausüben ; denn jener Bestandtheil des Blutes, welcher
aus den Capillargefässen austritt, und die Muskelfasern tränkt, ist
wasserklar, und enthält kein Atom Blutroth.
Die mikroskopische Untersuchung der animalen Muskelfasern wird
unter denselben Modalitftten wie bei den bereits erwähnten Geweben Yorgenommen.
Die mikroskopischen Charaktere der quergestreiften Muskelfasern sind leiclit zu
erkennen. Schwieriger ist die Beobachtung ihrer Fibrillen, welche nur nach voraus-
gegangener Maoeration in verdünntem Weingeist gelingt, besonders an den Riss-
steUen der Fasern, an welchen sich die Fibrillen von selbst auseinanderlegen.
Um die Scheiben einer quergestreiften Muskelfaser von einander weichen zu
machen, und eine klare Ansicht derselben im isolirten Zustande zu gewinnen.
§. 8S. Chemisch« Eigeaichafken dei tfiukelgewebes. 113
macerirt man die Faser durch 24 Standen in yerdünnter Salzsäure. Dasselbe
Zerfallen in Scheiben erleiden die Muskelfasern nach Fr er i eh s durch die Ein-
vrirkung des Magensaftes, und nach meinen Beobachtungen auch durch Mund*
Speichel, wie man an jenen Fleischresten zuweilen sehen kann, welche beim
Reinigen des Mundes in der Früh* mit dem Zahnstocher zwischen den Zähnen
hervorgeholt werden. — Schwieriger ist die Erkenntniss der organischen Muskel-
fasern. Sie erfordert den Gebrauch der Reagentien, unter welchen Salpetersäure,
welche sie gelb färbt, und Kalilauge, welche sie leichter isolirbar macht, am
meisten angewendet werden. Um die lebendige Contraction von Muskelfasern zu
beobachten, bedient man sich eines sehr dünnen und durchscheinenden Bauch -
muskels eines Frosches. Derselbe muss auf der belegten Seite eines Stückchens
Spiegelglas, an welcher man, zur Beobachtung des Muskels bei durchgehendem
Licht, in der Mitte die Folie etwas abkratzte, ausgebreitet, und mit dem Rotations-
apparate unter dem Mikroskope gereizt werden.
Die Literatur über das Muskelgewebe ist ungeheuer zahlreich, aber die
ältere auch gänzlich werthlos, was mitunter auch von einem g^ten Theil der
neueren gilt. — lieber die Verbreitung der glatten Muskelfasern handelt
A, KöUiker, in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 1. Bd. pag. 48. —
Neuere Arbeiten von Leydig in MüUer's Archiv. 1856. — A, Rottett, Untersuchungen
zur näheren Kenntniss der quergestreiften Muskelfaser, in den Sitzungsberichten
der kais. Akad. 1857. — H, Welcher, in der Zeitschrift für rat. Med., VIII. Bd.
— Jahn und Welcher, ebend. X. Bd. (Kemgebilde und plasmatisches Gefäss-
sjstem). — H. Munh, zur Anat. und Phys. der quergestreiften Muskelfaser, in
den Nachrichten der königl. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen, 1858. —
Brüche, Untersuchungen über den Bau der Muskelfasern, Denkschriften der kais.
Akad. Bd. XV. — Kühne, myologische Untersuchungen. Leipzig, 1860, und
dessen : Peripherische Endorgane der motor. Nerven. Leipzig, 1862. — M, SchuUsse
und O. Deiters, Archiv für Anat. 1861. — A. Weiamarm, über die zwei Typen
des contractilen Gewebes, in der Zeitschrift für rat. Med. XV. Bd. — Cohnheim
in Virchow'a Archiv, 34. Bd. — J, Eberth, ebenda, 37. Bd. — KöUiher, Zeit-
schrift für wissensch. Zool. 16. Bd.
§. 33. Chemisclie Eigenscliafteii des Muskelgewebes.
Durch Maceriren lassen sich, wie schon gesagt, die animalen
Muskelfasern in ihre Fibrillen zerlegen, und 'verlieren zugleich ihre
rothe Farbe, da der ihnen anhängende Farbstoff, welcher mit dem
Blutroth identisch zu sein scheint, im Wasser löslich ist. Längeres
Verweilen an der Luft röthet sie durch Oxydirung dieses Farb-
stoffes, und durch Verdunstung des Wassers; vollkommen ein-
getrocknet werden sie schwarzbraun, wie an den Mumien in den
Katakomben der St. Stephanskirche und des Kapuzinerklosters zu
Palermo zu sehen. In der Erde vermodert das Muskelfleisch lang-
sam, ohne Entwicklung fauler Gase. Kein beerdigter Leichnam
wird von Würmern gefressen, wie die Leute glauben. Nur un-
beerdigt, und zur Sommerszeit, wo die Schmeissfliegen ihre Eier in
Unzahl auf die Cadaver legen, verzehren die auskriechenden Maden
(welche doch keine Würmer sind) eine Leiche mehr weniger schnell^
Hjrtl, L«Iirbae1i d«r Anatomie. 14. Aufl. 8
114 §• 84. Physiologische Eigenschftften des Muskelgewebes. Irritabilitftt.
und unter stinkender Gasentwicklung. Dieses kann in der Erde
nicht geschehen. Deshalb sind Kirchhöfe in der Nähe grosser
Städte, lange nicht so schädlich, als man glaubt. Pettenkofer hat
die Luft der Kirchhöfe selbst reicher an Ozon gefunden, als die
Stadtluft. — Durch Kochen werden die Muskeln anfangs fester,
schrumpfen zusammen, und werden zuletzt wieder weich und mürbe,
ohne sich jedoch selbst bei lange fortgesetztem Kochen aufzulösen.
Der Leimgehalt der Fleischbrühen stammt nicht vom Muskelfleisch,
sondern von den Bindegewebsscheiden der Muskeln, von den Sehnen
und Knochen.
Als Hauptbestandtheile der Muskeln sind zwei stickstoffreiche,
dem Faserstoff des Blutes verwandte Substanzen, das Muskel fibrin
oder Syntonin, und das Myosin, bekannt geworden. Letzteres
unterscheidet sich vom ersteren hauptsächlich durch seine Unlöslich-
keit in concentrirten Salzlösungen. Aus frischem Muskelfleisch lässt
sich eine sauer reagirende Flüssigkeit (Muskelserum) auspressen, aus
welcher Lieb ig und Scheerer eine Summe stickstoffhaltiger und
Stickstoff loser Körper darstellten, wie: Kreatin, Kreatinin, Sarcosin,
Butter-, Milch-, Ameisensäure, und Muskelzucker (Inosit). Für den
Anatomen sind diese Stoffe blos Namen. Ihre Natur imd Wesenheit
gehört vor das Forum der organischen Chemie.
Der g^sse Wassergehalt der Muskeln beträgt nach Berzelius 77, nach
Bibra 74 Procent. Er ist, nebst der Blutmenge, welche die Muskeln enthalten,
die Ursache des leichten Fanlens derselben an der Luft, wobei sich das Fleisch,
wie in den Secirsälen täglich gesehen wird, mit einer schmierigen Schimmel-
wucherung (By88U8 aepHcaJ bedeckt, unter welcher der Zersetzungpiprocess rasch
fortschreitet. Trocknen, Räuchern, Einsalzen, sind deshalb die besten Mittel,
Fleisch durch lange Zeit vor Verderbniss zu schützen, und in den anatomischen
Laboratorien muss man sich, wenn Leichenmangel eintritt, durch Injection der
Cadaver mit salzsaurem Zinn, mit dem Liquor von Gannal oder Goadley,
helfen. In hermetisch verschlossenen Blechbüchsen lässt sich Fleisch jahrelang
unversehrt für den Genuss aufbewahren. Hierauf beruht das Apert'sche Ver-
fahren der FleischcoDservirung für den Bedarf von Armeen und Flotten. Nur das
conservirte Geflügel, welches der französischen Armee in der Krim zugesendet
wurde, war verdorben; wahrscheinlich der Luft wegen, welche alle Yogelknochen
enthalten. Wie sehr die Kälte die Fäulniss des Fleisches verhindert, beweist das
von Pallas im sibirischen Eise, mit Haut und Fleisch, selbst mit dem Futter
im Magen, wohlerhalten aufgefundene vorweltliche Mammuth. Die Leiche des
von Peter dem Grossen nach Sibirien verbannten Fürsten Menzikoff, wurde nach
92 Jahren, daselbst noch völlig erhalten angetroffen, in Uniform und Ordensschmuck
— eine bittere Ironie auf menschliche Grösse.
§. 34. Physiologische Eigenschaften des Muskelgewebes.
Irritabilität
Die vorragendste physiologische Eigenschaft des lebendigen
Muskels ist seine Zusammenziehungsfähigkeit (Irritabilität oder
§. 34. Phyaiologisch« Eigenschaften des Maskelgewebe«. Irritabilit&t. 115
Contractilität). Sie äussert sich auf die Einwirkung von Reizen. Man
spricht von inneren und äusseren Reizen. Das durch die Nerven
einem Muskel übertragene Geheiss des Willens ist ein innerer, —
mechanische, chemische, oder galvanische Einwirkung, wie sie bei
physiologischen Experimenten angewendet wird, ein äusserer Reiz.
Der Galvanismus wirkt unter den verschiedenen Reizen am inten-
sivsten. Ure in Glasgow galvanisirte die frische Leiche eines
Gehenkten mit einer Batterie von 700 Platten, deren Conductoren an
Rücken und Ferse des Cadavers angebracht wurden, und erhielt so
kräftige Muskelcontractionen , dass der Fuss des Leichnams einen
bei diesem Versuch beschäftigten Mann niederschleuderte. — Der
continuirliche Strom einer galvanischen Säule, versetzt einen Muskel
nicht in continuirliche Zusammenziehung, sondern erzeugt nur bei
seinem Anfange und bei seinem Ende, welche dem Schliessen
und Oeffnen der Kette entsprechen, eine momentane Contraction.
Ed. Weber hat in dem discontinuirlichen Strome des eiectromagne-
tischen Rotationsapparates ein Mittel gefunden, die Muskeln in con-
tinuirliche Zusammenziehung zu versetzen.
Der durch Haller veranlasste Streit, ob die Irritabilität eine
reine Eigenschaft der Muskelfaser, oder durch den Einfluss der
Nerven bedingt sei, ist, genau genommen, nur ein Streit um des
Kaisers Bart. Die Möglichkeit einer Zusammenziehung muss in den
Kräften des Muskels liegen, welche von seinem Baue abhängig sind,
und der Impuls des Willens, diese Möglichkeit in die Erscheinung
treten zu lassen, muss durch den Nerven auf den Muskel wirken.
Die Gegenwart der Nerven ist also eine nothwendige Bedingung der
Abhängigkeit des Muskels von der Seele, nicht aber der Zusammen-
ziehungsfahigkeit überhaupt. Das Herz des Hühnerembryo pulsirt
ja schon zu einer Zeit, wo keine Spur von Nerven in ihm zu ent-
decken ist, und das amerikanische Pfeilgift (Curare), welches die
motorischen Nerven der Muskeln lähmt, benimmt keineswegs der
Muskelfaser das Vermögen, sich auf äussere Reize zusammenzuziehen.
Ueber das Verhalten der Muskelfasern während der Contraction
hat uns zuerst Ed. Weber belehrt. Durch sinnreiche, mit der
grössten Präcision angestellte Versuche, wurde bewiesen, dass die
von Prevost und Dumas dem Contractionszustande eines Muskels
zugeschriebene Zickzackbiegung seiner Fasern, nur während ihrer
Erschlaffung eintritt. Die Muskelfaser ist während ihrer Zusammen-
ziehung geradlinig, und wird während ihrer Erschlaffung im Zickzack
gebogen, weil die mit ihrer Ausdehnung nothwendig verbundene
Reibung auf ihrer Unterlage, keine lineare Verlängerung erlaubt.
Ein contrahirter Muskel wird zugleich dicker. Ist die Zunahme
an Dicke gleich der Abnahme an Länge? Wäre dieses der Fall,
80 bliebe das Volumen des Muskels und seine Dichtigkeit dieselbe«
8»
1 16 f. U. PliT<i<>1*gl)eka ElpmehifUn du Maakaliaw*!»!. InlUbilltU.
Allein schon da» während der Contraetioii eines MuskelB zu fühlende
Hartwerden desaelben beweist eine Verdichtung, und somit ein
Uebcrwicgen der Längen Verkürzung Über die Zunahme an Dicke.
Der Unterschied ist jedoch so unbedeutend, dass man von ihm
gänzlich zu abstrahiren gewohnt ist.
Die animalischen und die ot^aniselien Muskeln verhalten sieh
bei Reizungsversuchen verschieden. Die animalischen Muskeln ziehen
sich, wenn sie gereizt werden, blitzschnell zusammen, und erschlaffen
ebenso schnell, während die organischen sich langsam zusammen-
ziehen, und ebenso langsam erschlaffen. Nur die organischen Muskeln
der Iris des Auges verkürzen sich und erschlaffen so schnell wie
die animalischen. Diese blitzschnelle C'ontraction der animalischen
Muskeln ist jedoch nicht so buchstäblich zu nehmen, indem Helm-
holtz fand, dass zwischen Reizung und Contraction eine, wenn auch
sehr kurze, dennoch messbare Zeit vergeht.
Auf die Zusammen Ziehung eines Muskels folgt dessen Erschlaf-
fung, als ein Zustand der Ruhe und Erholung. Ein Muskel, der mit
wechselnder C'ontraction und Expansion arbeitet, kann viel längere
Zeit thätig sein, ohne zu ermüden, als ein anderer, der in einer
permanenten Zusammenziehung verharrt. Gehen ermüdet deshalb
weniger als Stehen , und ein Mann , der mit seinen Armen einen
Tag lang die schwerste Arbeit zu verrichten vermag, wird nicht im
Stande sein, das leichteste Werkzeug mit ausgestreckter Hand zehn
Minuten long ruhig zu halten. Soldaten werden durch eine zwei-
stündige Parade viel mehr ermüdet, als durch einen vierstündigen
Marsch.
Die Znfnhr dei wtariellen Btales übt, nftcli Segalas nnd Fowler, einen
vrichtigen Einänia auf di« Erhaltmig der ImtabililKt. Die IrritabilitXt rerioindert
»ich logar nach Unterbindung der Arterien schneller, als nach Abschneidnng dar
Nerran. Unterbindna^ der ÄgrUi uötfoBunofü eraenpt« LUimuug subon nach
10 Minnten, nnd die Li^tor der grossen Stumme der Gliedmassen, welche den
Ki^ilanf nioht «nmal Tollkommen aufhebt, Knuert eine merkwürdige Einwirkung
r dto B«wa(tuiBifUuckeit, welche unmittelbar nach der Operation auf ein
roducirt ist. und aicli «rat mit der Entwicklung des Collateralkreislanfes
r eitiBtetIt. Da oln Mnefael, wenn er vom Leibe getrennt wird, eine Zeitlang
I Oiganiuition und die davon anagahendan KrMtle behalt, bevor er durch die
* lentürl winl, so wird die Irrükbüität auch an ausgeschnittenen Muskeln,
I iu dot Lmicht^, Itlinvrv oder lllngtre Zeit sich erhalten.
Die KtioL'hen, an wckhun ^icti Muskeln inseriren, können als Hebel be-
' InvhtuI werdon. •Ivreu bowegvnde Krni^ tm Hnskel, und deren au bewegende Laut
was mit i)un inBaumenhSngt, Uegt. Das nSchste Qelenk, in
a «ich bewegt, altllt den Dreh- oder Stutzpunkt des Hebels
k Wir>l im VvtUufe der Muskrilahn, nnd dnrch die praktische Belituidlung
n klar wfrdeii, dan eis und deraelbe Knochen bald als einarmiger,
iui|[wr Hiibvl wiAt, — Du die Unskeln «ich gerne in der NUie der
J nisr Mlten Iu grOasrrrr Sntfemang davon, an der Hebelstange des
1 nitlwnn sie mit|roH«ii KnltTwIiUt wirken, welcher noch
S. 96. SeoBibilit&t, StofFweehMl, Todtenatarre, und Tonus der Moilceliu 117
gesteigert wird durch die schiefe Richtung der Sehne zum Knochen. Wenn auch
dem letzteren Uebelstande durch die für Muskelinsertionen bestimmten Knochen-
fortsätze (Tuherctda, Ccnidyli, Spinae), und durch die grössere Dicke der Gelenk-
enden abgeholfen wird, über welche sich die Sehnen krümmen^ und somit unter
grösseren Winkeln sich befestigen können, so bleibt doch in ersterer Beziehung
das mechanische Verhältniss so ungünstig, dass, um eine Last von wenig Pfunden
zu bewegen, der Muskel eine Contraction ausführen muss, welche unter vortheil-
hafteren Gleichgewichtsbedingungen, eine vielmal grössere Last bewegen könnte.
Wie hätte es aber mit der Gestalt der oberen Extremität, und mit ihrer Brauch-
barkeit ausgesehen, wenn die Vorderarmbeuger sich in oder unter der Mitte der
o8»a antibrachii befestigt hätten? welche unförmliche Masse hätte z. B. der
Ellbogen im Beugungszustande dargestellt? und wie langsam wären die Be-
weg^gen der Hand gewesen, während, bei naher Muskelanheftung am Drehpunkte
des Hebels, das andere, freie Ende des Hebels (die Hand) schon bei einem ge-
ringen Ruck des Biceps einen grossen Kreisbogen beschreibt, und somit die
Schnelligkeit der Bewegung reichlich ersetzt, was an Muskelkraft scheinbar ver-
geudet wurde.
§. 35. Sensibilität, Stoffwechsel, Todtenstarre, und Tonus
der Muskeln.
Die Sensibilität eines Muskels muss, der geringen Menge seiner
sensitiven Nerven wegen, eine geringe genannt werden. Das Durchs
schneiden der Muskeln bei Amputationen, schmerzt bei weitem
weniger, als der erste Hautschnitt. Auch das bei Operationen am
Lebenden so oft nöthige Auseinanderziehen nachbarlicher Muskeln,
um auf tiefere Gebilde einzudringen, setzt keine Steigerung der
Schmerzen, welche mit dem operativen Eingriffe überhaupt gegeben
sind. Die äusseren, mechanischen Verhältnisse, in welchen ein
Muskel sich befindet, die Reibung, Zerrung, und der Druck, denen
er durch seine Bestimmung fortwährend ausgesetzt ist, wären mit
grosser Empfänglichkeit desselben für äussere Beleidigungen nicht
wohl verträglich gewesen. Nichtsdestoweniger besitzt der Muskel
ein sehr scharfes und richtiges Gefühl für seine eigenen inneren
Zustände, für den Mangel oder lleberfluss an Bewegungskraft. Es
äussert sich dieses Gefühl in seinen beiden Extremen als Ermüdung
oder Erschöpfung, und als Kraftgefühl. Wir werden uns der
Grösse der Contraction in jedem Muskel mit einem solchen, durch
Uebung noch zu schärfenden Grade von Sicherheit bewusst, dass
wir daraus ein Urtheil über die Grösse des überwundenen Wider-
standes, über Gewicht, Härte und Weichheit eines Gegenstandes
abgeben können, und die Muskelbewegung ein wichtiges und noth-
wendiges Glied des Tastsinnes wird. Unter krankhaften Bedingungen
steigert sich die Empfindlichkeit der Muskeln bis zum heftigsten
Schmerz^ wie bei den tonischen Krämpfen.
118 S«S5. 6«niiibiliat, Stoffwechsel, TodtensUrre, und Toniu der Muskeln.
Die Ernährungsthätigkelten, der Stoffwechsel, gehen im
lebenden und arbeitenden Muskelfleische sehr lebhaft von Statten.
Der absolute Reichthum der Muskeln an Blutgefässen spricht dafür,
und wird dadurch noch bedeutungsvoller, dass er blos dem Er-
nährungsgeschäfte, und keiner anderen Nebenbestimmung (z. B. der
Absonderung, wie bei den Drüsen) gewidmet ist. Häufige Uebung
und Gebrauch der Muskeln fordert ihre Entwicklung, und lässt sie
an Masse und Gewicht zunehmen. Muskelstärke lässt sich deshalb
bis zu einem unglaublichen Grade, durch planmässige Uebung er-
zielen. Diese Kunst verstehen die Japanesen am gründlichsten,
wie die unmöglich scheinenden Kraftäusserungen ihrer Athleten
beweisen. — Die Zahl der Fasern wird in einem durch Gebrauch
an Dicke zunehmenden Muskel, wirklich vermehrt, während die
absolute Dicke der einzelnen Fasern nicht augenfällig zunimmt.
Ein athletischer Turner und ein schwächliches Mädchen, lassen in
den Dimensionen ihrer Muskelfasern keinen frappanten Unterschied
erkennen, wenn die Volumsdifferenz der ganzen Muskeln auch das
Fünffache beträgt. So habe ich es gefunden, — Andere natürlich
anders. — Von der absoluten Vermehrung der Muskelsubstanz
(Hypertrophie), unterscheidet man die scheinbare, welche durch
Verdickung der Bindegewebsscheiden der einzelnen Muskelbündel
gegeben wird. — Andauernde Unthätigkeit und Ruhe eines Muskels,
bedingen dessen Schwund (Atrophie), wie bei Lähmungen und
allgemeiner Fettsucht. — Die Muskelsubstanz erzeugt sich, wenn
sie durch Krankheit oder Verwundung verloren ging, nie wieder,
und ein entzwei geschnittener Muskel heilt nicht durch Muskel-
fasern, sondern durch ein neugebildetes, fibröses Gewebe zusammen.
Ein Phänomen am todten Muskelfleisch interessirt den Ana-
tomen als Todten starre, Rigor mortis. Bei allen Wirbelthieren
wird sie beobachtet. Sie stellt sich im Menschen nie vor 10 Minuten,
und nie nach 7 Stunden post mortem ein. Sie äussert sich als eine
allmälig zunehmende Verkürzung der Muskeln, mit Hartwerden
derselben. Der Unterkiefer, welcher im Erlöschen des Todeskampfes
durch seine Schwere herabsank, wird durch die Todtenstarre seiner
Hebemuskeln, gegen den Oberkiefer so fest hinaufgezogen, dass
der Mund nur durch grosse Kraftanstrengung geöffnet werden kann;
der Nacken wird steif, der Stamm gestreckt, die Gliedmassen,
welche kurz nach dem Tode weich und beweglich waren, und in
jede Stellung gebracht werden konnten, werden starr und unbeugsam ;
der Daumen wird, wie beim Embryo, unter die zur Faust ge-
beugten Finger eingezogen, etc. Die Todtenstarre ist es, welche
die bei ärmeren Leuten übliche Sitte entstehen Hess, dem eben
Verschiedenen sogleich die Wäsche auszuziehen, da sie einige
Stunden nach dem Tode, der Starrheit des Leichnams wegen^ nur
S. 85. SensibilH&t, StofFfrechsel, Todtensturre, und Tonas der Mnskeln. 119
losgeschnitten werden kann. Ebenso legt man schwere Körper,
z. B. Münzen, auf die im Sterben sich schliesseuden Augenlider,
damit die Lidspalte durch das Erstarren des Levator palpebrae nicht
geöffnet werde. — Selbst Muskeln, welche gelähmt waren, bleiben
von der Todtenstarre nicht verschont. Ihre Dauer ist sehr ungleich.
Sie richtet sich, nach dem früheren oder späteren Eintreten der
Starre, in der Art, dass sie desto länger dauert, je später sie sich
einstellte. Je schneller Fäulniss eintritt, desto früher schwindet die
Todtenstarre. Mit dem Eintritt der Starre, erlischt auch die Reiz-
barkeit in den Muskeln. Die Starre kann nicht von der Gerinnung
des Blutes abhängen , da sie nach Verblutungen sehr intensiv zu
sein pflegt, und bei Ertrunkenen, wo das Blut nicht gerinnt, eben-
falls eintritt. Man huldigt gegenwärtig der Ansicht, dass das im
Muskelfleische enthaltene Fibrin, durch seine Ausscheidung und
Coagulation, die Todtenstarre bedingt. Beginnt die Erweichung des
Fibrins durch das organische Wasser des Muskels beim Eintritt der
Fäulniss, so schwindet die Starre.
Ein in sehr verschiedenem Sinne gebrauchtes Wort, ist der
Tonus der Muskeln. Wir verstehen darunter einen auch im Zu-
stande der Ruhe dem Muskel zukommenden Spann ungsgrad, welcher
ihm nicht erlaubt, bei rein passiver Verkürzung, wie sie z. B. bei
Knochenbrüchen mit Uebereinanderschieben der Bruchenden vor-
kommt, zu schlottern oder sich zu falten. Dieses Vermögen, bei
jeder Verkürzung geradlinig zu bleiben, muss auf einer beständig
thätigen Contractionstendenz beruhen, welche, um ein Wort zu haben,
Tonus genannt werden mag. — Ist ein Organ mit mehreren Muskeln
ausgestattet, welche in entgegengesetzter Richtung, aber symmetrisch
an dasselbe treten, und würden die Muskeln der einen Seite plötzlich
gelähmt, so wird das Organ, ohne dass wir es wissen und wollen,
durch die Muskeln der gesunden Seite nach ihrer Richtung gezogen,
und bleibt in einer durch den Tonus der nicht gelähmten Muskeln
bewirkten permanenten Abweichung. So wird z. B. bei halbseitigen
Gesichtslähmungen der Mund gegen die gesunde Seite verschoben.
— Wird ein Muskel entzweigeschnitten, so ziehen sich seine Enden
zurück, und der Schnitt wird (^ine weite Kluft. Alles dieses erfolgt
ohne Willenseinfluss, als noth wendige Folge des Tonus.
Die Zurückziehung durchschnittener Muskeln hat ftir den Wundarzt hohe
Wichtigkeit. Würde eine Gliedmasse, wie es vor Zeiten geschah, und bei den
Beduinen jetzt noch üblich ist, durch einen Beilhieb amputirt, oder abgedrellt, so
wird die Schnittfläche des Stumpfes eine Kegelfläche sein, an deren Spitze der
Knochen vorsteht, welcher durch die gleichfalls sich zurückziehende Haut nicht
bedeckt werden kann. Die Amputation darf deshalb nicht in Einem Trennungs-
acte bestehen, sondern muss in mehreren Tempo's verrichtet werden, indem die
Muskeln tiefer als der Knochen entzweit werden soUen.
120 I' M, Jnkiltaim d«r Mukeln ra ihnn S^Dea.
§. 36. Yerhältniss der Muskeln zu ihren Sehnen.
Die willkürlichen Muskeln stehen ausnahmslos an ihrem An-
fange und Ende mit fibrösen, metailischglänzenden Strängen, oder,
wenn sie zu den breiten Muskeln gehören , mit solchen Häuten in
Verbindung, welche Sehnen, Tendines , und Sehnenhäute, Apo-
neuroses, heissen.
Damit mehrere Muskeln zugleich von Einem Punkte des
Skeletes entspringen, oder an einem solchen enden können, mussten
sie an ihrem Anfange und Ende mit Sehnen versehen werden,
deren Umfang bedeutend kleiner, als jener der Muskeln selbst ist.
Raumerspamiss ist somit der letzte Grund der Sehnenbildung. Man
unterscheidet die Sehnen als Ursprungs-' und Endsehnen. Diese
wurden vor Zeiten Caput et Cauda miisculi genannt, während das
eigentliche Fleisch: Muskelbauch, Venter musculi, hiess. Diese
Namen passen jedoch nur auf die langen und spindelförmigen
Muskeln, deren Gestalt in der That an eine geschundene Maus
erinnert, mit Kopf, I^eib und Schweif, jedoch ohne Gliedmassen.
Dnrch langes Kochen kann die Verbindung von Muskeln und Sehnen so
gelockert werden, dass man beide ohne Gewalt trennen kann. Um den Ueberg^ng
von Muskelflcinch in Sehnen nicht durch einen plötzlichen Abschnitt, sondern mit
allmäliger Abnahme den Umfanges eines Muskels möglich zu machen, reichen die
Sehnen entweder im Fleische, oder an einem Rande desselben weiter hinauf,
wodurch sich viele Muskelfasern nach und nach an die Sehne ansetzen können,
und eine gefälligere Form des sich gegen Ursprung und Ende verjüngenden
Muskelbauohes resultirt.
Wird der Bauch eines Muskels durch eine eingeschobene Sehne
in zwei Thoile getheilt, so heisst ein solcher Muskel ein zwei-
bäuchiger, Diventer, Ist die eingeschobene Sehne kein minder
Strang, sondern ein fibröses Septum mit vielen kurzen und zackigen
Ausläufern in das Fleisch, so heisst sie: sehnige Inschrift,
Inscriptio tendineaf weil eine solche Stelle das Ansehen hat, als sei
mit Sehnenfarbe auf dem rothen Muskel in querer Richtung ge-
kritzelt worden. Es darf nicht als Ursache dieses Unterbrechens eines
Muskels mit Zwischensehnen angesehen werden, dem Muskel grössere
Festigkeit zu geben , weil von mehreren Muskeln , welche durch
Länge , Dicke und Wirkungsart übereinstimmen , nur Einer diese
Einrichtung besitzt, während sie den übrigen fehlt. So hätte z. B. der
Mtisadm »temoh^oid^tu ihrer nicht weniger bedurft, als der damit
versehene, kürzere Stemothtfreoid^m , und der Grracäis hätte ihrer
ebenso benöthigt, wie der gleichlange Semitendinostis, Eine InscripHo
iendinea giebt zugleich ein gutes Bild einer Muskelnarbe.
Verläuft die Sehne eines Muskels in seinem Fleische eine
Strecke aufwärts, und befestigen sich die Muskelbilndel von zwei
§. 37. Benennung und Eintheilonf der Moikeln. 121
Seiten her unter spitzigen Winkeln an sie, so heisst ein solcher
Muskel ein gefiederter, M, pennatus. — Liegt die Sehne an einem
Rande des Fleisches, und ist die Richtung der Muskelbündel zu
ihr ebenso schief, wie beim gefiederten Muskel, so wird er halb-
gefiedert, AI. semipennatuSy genannt. — Hat ein Muskel mehrere
Ursprungssehnen, welche fleischig werden, und im weiteren Zuge in
einen gemeinschaftlichen Muskelbauch übergehen, so ist er ein 2-,
3-, 4-köpfiger, btceps, triceps, quadriceps.
Die Stelle, wo die Ursprungs- und Endsehne eines Muskels
am Knochen haftet, heisst Pimctum originü et inseriwnis. Man hat
sie auch Punctum ßxum et mobUe genannt , wobei jedoch tibersehen
wurde, dass die meisten Muskeln unter gewissen Umständen das
Punctum ßxum zum mobile -machen können. Es wird dieses von der
Stärke des Muskels, und von der grösseren oder geringeren Be-
weglichkeit seines Ursprungs- oder Endpunktes abhängen. So wird
der Jochmuskel immer den Mundwinkel gegen die Jochbrücke, und
nicht umgekehrt bewegen, während der Biceps brachii den Vorder-
arm gegen die Schulter, oder, wenn die Hand sich an etwas fest-
hält, die Schulter, und mit ihr den Stamm, der Hand nähern kann.
§.37. Benennuiig und Eintheilung der Muskeln.
In der Nomenclatur der Muskeln herrscht keine Gleichförmig-
keit, und kann auch keine herrschen. — Da viele Muskeln einander
sehr ähnlich sind, so reicht man mit der Benennung nach der Ge-
stalt nicht aus. Da mehrere derselben gleiche Wirkung haben, und
auch ihre Ursprungs- und Endpunkte übereinstimmen, so lassen sich
weder Benennungen nach der Wirkimg, noch zusammengesetzte Aus-
drücke, welche Anfang und Ende bezeichnen, allgemein gebrauchen.
Wo es angeht, ist ein aus Ursprung und Ende des Muskels zu-
sammengesetzter Name jeder anderen Benennung vorzuziehen, weil er
gewissennassen eine Beschreibung des Muskels enthält, und das Er-
lernen vieler Muskeln am wenigsten erschwert. Chaussier hat es
versucht, die Terminologie der Muskeln von diesem Gesichtspunkte
aus umzuarbeiten, ohne dass sein Bemühen Nachahmung gefun-
den hätte.
Die Eintheilung der Muskeln beruht auf ihrer Form. Ich unter-
scheide zwei Hauptgruppen: A) soHde, und B) hohle Muskeln.
A) Solide Muskeln. Sie zerfallen nach den drei cubischen
Dimensionen des Raumes in :
a) Lange Muskeln, mit vorwaltender linearer Ausdehnung. Ihre
Fasern laufen in der Regel parallel. Sie sind wieder einfach
oder zusammengesetzt, und werden letzteres dadurch, dass
122 g. S7. B«nennimg und Einttieilang der Mmkeln.
sich mehrere Köpfe in einen Muskelbauch vereinigen, oder
ein Muskelbaueh mehrere Endsehnen entwickelt, wie an den
Beugern und Streckern der Finger und Zehen. Sie kommen
vorzugsweise an den Gliedmassen vor.
b) Breite Muskeln, mit Flächenausdehnung in die Länge und
Breite. Sie entspringen entweder ohne Unterbrechung von
langen Knochenrändem , oder mit einzelnen Bündeln von
mehreren neben einander liegenden Knochen, z. B. den Rippen,
wo dann diese Bündel Zacken, De/iitaiiones, heissen. Sie bilden
nie rundliche, strangförmige Sehnen, sondern flache, sehnige
Ausbreitungen (Aponewroses). Sie finden sich nur am Stamme,
und eignen sich ganz vorzüglich zur Begrenzung der grossen
Leibeshöhlen.
c) Dicke Muskeln. Alle breiten Muskelkörper von namhafter
Mächtigkeit heissen so. Sie sind durch ihre Stärke aus-
gezeichnet, und haben entweder parallele Fleischbündel, wie der
Glutaeus magnus', oder verfilzte, wie der Deltoides. Ist ein
dicker Muskel zugleich von einer seiner Dicke ziemlich gleichen
Länge und Breite, so heisst er kurz.
Diesen drei Arten von Muskelformen muss man noth-
gedrungen noch eine vierte beigesellen.
d) Ringmuskeln. Sie umgeben gewisse Leibesöffnungen, deren
Verschluss sie zu besorgen haben.
B) Hohle Muskeln. Sie gehören sämmtlich der Classe der
unwillkürlichen Muskeln an. Sie kommen in viel geringerer Menge
vor als die soliden, und bilden entweder für sich hohle Organe, wie
das Herz und die Gebärmutter, oder sie umgeben als mehr weniger
deutliche Muskelhaut, Tunica muscvlarU, die Höhlen von röhren-
oder schlauchförmigen Organen. Sie sind am Darmkanal und an
der Harnblase ein Gegenstand anatomischer Zergliederung, in den
Drüsenausführungsgängen und Blutgefössen dagegen nur mit dem
Mikroskope nachweisbar. Da sie nur an solchen Organen vorkommen,
auf welche die Willkür keinen, oder nur beschränkten Einfluss übt,
so werden sie als unwillkürliche oder organische Muskeln be-
nannt, während die soliden Muskeln, welche als Organe der Orts-
bewegung, der Sprache, der Respiration, und der Sinne, unter dem
Einflüsse des freien Willens stehen, als willkürliche oder an i male
Muskeln zusammengefasst werden. Die Sonderung lässt sich jedoch
weder histologisch noch functionell scharf durchführen. Das quer-
gestreifte Ansehen der animalen Muskelfasern findet sich, wie früher
erwähnt, auch am Herzen und am oberen Drittel der Speiseröhre,
and die Athmungsmuskeln , welche willkürlich bestimmbare Be-
wegungen ausführen, setzen im Schlafe, in der Ohnmacht, und im
Schlagflosfl ihre Action unwillktbrlich fort. Die rothe Färbung der
S. S8. Allgemeine meclianisclie VerMltnisse der Mnslceln. 123
animalen, und die blasse der organischen Muskeln, ist nichts Wesent-
liches, und mag weniger von einem wirklichen Farbenunterschiede
der Primitivfasern, als vielmehr von ihrer grösseren oder geringeren
Anhäufung abhängen. Die dünne Muskelschichte des Darmrohrs
erscheint deshalb blass, während die dicke Fleischsubstanz des
Herzens viel röther ist, als mancher dünne animale Muskel, z. B.
das Platjfsma myoides. Verdickt sich die organische Muskelschichte
eines Darmstückes oder der Harnblase durch Krankheit, so wird
sie eben so fleischroth, wie ein stark arbeitender animaler Muskel.
Der rothe Muskelmagen der körnerfressenden Vögel, und die krank-
haften Hypertrophien der Darm- und Harnblasen muskelhaut, be-
stätigen dieses zur Genüge.
Andere mehr weniger geläufige EintheUungen beruhen auf mehr «ireniger
allgemeinen Eintheilungsgründen. Muskeln, welche gleiche Wirkung haben, oder
sich wenigstens in der Erzielung eines gewissen Effectes synergisch unterstützen,
heissen Coädjutcres; jene Muskeln, deren Wirkungen sich gegenseitig neutralisiren,
Antagcnistae. Beuger und Strecker, Auswärts- und Einwärtswender, Aufheber und
Niederzieher sind Antagonisten, mehrere Beuger dagegen Coadjutoren. Unter
Umständen können Antagonisten Coadjutoren werden. So werden alle Muskeln
des Armes, wenn es sich darum handelt, ihm jenen Grad von Starrheit und Un-
beugsamkeit zu geben, welcher z. B. beim Stemmen oder Stützen nothwendig
wird, für diese Gesammtwirkung Coadjutoren sein.
§. 38. Allgemeine mechanische Verhältnisse der Muskeln.
Da jede Muskelfaser die Richtung einer Kraft bezeichnet, so
finden die statischen und dynamischen Gesetze der Kräfte überhaupt
auch auf die Muskeln ihre Anwendung. Folgende mechanische Ver-
hältnisse ergeben sich zunächst aus dieser Anwendung.
1. Muskeln, deren Fasern mit der Länge des Muskels parallel
laufen, erleiden, wenn sie wirken, den geringsten Verlust an be-
wegender Kraft, indem ihre Wirkung gleich ist der Summe der
Partialwirkungen ihrer einzelnen Bündel und Fasern. — Muskeln
mit convcrgenten Bündeln wirken nur in der Richtung der Diagonale
des Kräfteparallelogramms, dessen Seiten durch die convergirende
Richtung der Muskelfasern gegeben sind, und haben somit einen
TotalefFect, welcher kleiner ist, als die Summe der partiellen
Leistungen aller Bündel. Je spitziger der Vereinigungswinkel zweier
Bündel, desto geringer ist ihr Kraftverlust; je grösser der Winkel,
desto grösser.
2. Bei Muskeln mit längsparalleler Faserung, steht die Grösse
ihres Querschnittes, mit der Grösse ihrer möglichen Wirkung in
geradem Verhältniss, d. h. ein Muskel dieser Art, der zweimal so
dick ist; als ein anderer, wird zweimal mehr leisten können. Die
1 24 S> S9- Allfemein« mechAiiiielie Verh<iiisM der Muskeln.
Länge eines Muskels mit parallelen Fasern, hat sonach auf seine
Kraftäusserung gar keinen Einfluss, wohl aber seine Dicke. Ein
langer Muskel wird nicht kräftiger sein, als ein kurzer von gleicher
Breite und Dicke. Nur absolute Vermehrung der Muskelfasern
steigert die Kraft eines Muskels. Lange Muskeln, in welchen die
einzelnen Bündeln sehr kurz sind, weil sie mehr der Quer- als der
Längenrichtung des Muskels entsprechen (z. B. die Pennati, Semi-
pennati), werden somit mehr Kraft aufbringen, als gleich lange
Muskeln mit zur Sehne parallelen Fasern. Dagegen wird die Grösse
der Verkürzung bei letzteren eine bedeutendere sein. — Man unter-
scheidet den anatomischen Querschnitt eines Muskels vom physio-
logischen. Der anatomische steht senkrecht auf der Längenaxe
des Muskels, — der physiologische steht senkrecht auf der Faserungs-
richtung des Muskels. Ersterer ist immer plan. Letzterer kann
auch eine krumme Ebene sein, wie er es bei allen Muskeln mit
radienartig convergirenden Fasern sein muss. Nur bei Muskeln,
deren Faserung der Länge des Muskels parallel zieht, fällt der
physiologische Querschnitt mit dem anatomischen zusammen.
3. Ein Muskel mit längsparalleler Faserung, kann sich im
Maximum um Y« seiner Länge zusammenziehen. Dieses wurde
wenigstens beim Hyoglossus des Frosches beobachtet. Für die ein-
zelnen menschlichen Muskeln, wurde bis jetzt noch keine Norm
aufgestellt.
4. Je weiter vom Gelenk, und unter je grösserem Winkel sich
ein Muskel an einem Knochen befestigt, desto günstiger ist für
seine Action gesorgt. Je länger er wird, und mit je mehr Theilen
er sich kreuzt, desto grösser ist sein Kraftverlust durch Reibung.
In ersterer Hinsicht wirken die aufgetriebenen Gelenkenden der
Knochen, die Knochenfortsätze, die Rollen, und die knöchernen
Unterlagen der Sehnen (Sesambeine) als Compensationsmittel; in
letzterer die schlüpfrigen Sehnenscheiden und Schleimbeutel, welche
als natürliche Verminderungsmittel der Reibung hoch anzuschlagen
sind, und dasselbe leisten, wie das Schmieren einer Maschine.
5. Besteht ein Muskel aus 2, 3, 4 Portionen, welche einen
gemeinschaftlichen Ansatzpunkt haben, so wird die Wirkung eine
sehr verschiedene sein, wenn alle oder nur eine Portion in Thätig-
keit gerathen. Alle Muskeln mit breiten Ursprüngen und conver-
genten Bündeln (Ddtoides, CucuUaris, Pectoralis major, etc.), können
aus diesem Gesichtspunkte zu vielen und interessanten mechanischen
Betrachtungen Anlass geben, welche bei der speciellen Abhandlung
ieser Muskeln im Schulvortrage, mit Nutzen eingeflochten werden.
6. Da von der Stellung des Ursprungs zum Endpunkte eines
nftkels, die Art seiner Wirkung abhängt, so wird eine Aenderung
168 VerhältnisseB auch auf die Muskelwirkung Einfluss haben.
■%•
§.89. Pnktisobe Bemerkangen ftber du Mmkelg^webe. 125
Ist der gestreckte Vorderarm einwärts gedreht, so wirkt der Flexor
biceps als Auswärtswender; bei auswärtsgedrehter Hand der Flexor
carpi radicdia als Einwärtswender. Auch in dieser Beziehung kann
jeder Muskel Gegenstand einer reichhaltigen und sehr lehrreichen
Erörterung werden.-
7. Die angestrengte Thätigkeit eines Muskels zur Ueberwindung
eines grossen Widerstandes, ruft häufig eine ganze Reihe von Con-
tractionen anderer Muskeln hervor, welche darauf abzwecken, dem
erstbewegten einen hinlänglich sicheren Ursprungspunkt zu gewähren.
Man nennt diese Bewegungen coordinirt. Es ist z.B. am nackten
Menschen leicht zu beobachten, wie alle Muskeln, welche am
Schulterblatte sich inseriren, eine kraftvolle Contraction ausführen, um
das Schulterblatt festzustellen, wenn der am Schulterblatt entspringende
Biceps sich anschickt, ein grosses Gewicht durch Beugen des
Vorderarmes aufzuheben. Würden die Schulterblattmuskeln in diesem
Falle unthätig bleiben, so würde der Biceps das nicht fixirte
Schulterblatt (an welchem er entspringt), viel lieber herab bewegen,
als das schwer zu hebende Gewicht hinauf.
8. Da die Configuration der Gelenkenden der Knochen, und
die sie zusammenhaltenden Bänder, die Bewegungsmöglichkeit eines
Gelenkes allein bestimmen, so muss sich die Gruppirung der Muskeln
um ein Gelenk herum, ganz nach der Beweglichkeit desselben
richten. Es kann deshalb aus der bekannten Einrichtung eines Ge-
lenks, die Lagerung und Wirkungsart seiner Muskeln in vorhinein
augegeben werden. So werden z. B. an einem Winkelgelenke,
welches nur Beugung und Streckung zulässt, wie die Fingergelenke,
die Muskeln, oder deren Sehnen, nur an der Beuge- und Streck-
seite des Gelenks vorkommen können, während freie Gelenke allseitig
von Muskellagern umgeben werden.
§. 39. Praktische Bemerkungen über das Muskelgewebe.
Ungeachtet des grossen Blutgeßlssaufwandes im Muskel, ist er
doch zur Entzündung sehr wenig geneigt, und wenn sie ihn ergreift,
bleibt sie auf die Scheiden des Muskels und seiner Bündel be-
schränkt. — Muskelentzündungen nach Amputationen sind immer
mit bedeutender Retraction der Muskeln verbunden, und es kann
somit geschehen, dass auch nach kuustgemäss vorgenommenen Ab-
setzungen der Gliedmassen , wenn Entzündung den Stumpf befallt,
der Knochen an der Schnittfläche hervorragt, ein liir die Heilung
der Amputationswunde sehr nachtheiliger Umstand. — Jeder Muskel
verträgt einen hohen Grad passiver Ausdehnung, wenn dieser allmälig
eintritt, z. B. durch tiefliegende Geschwülste, oder, wie bei den
126 §• 99. Praktische Bemerkungen ftber du Muskelgewebe.
Bauchmuskeln, durch Bauchwassersucht. Er zieht sich wieder auf
sein früheres Volumen zusammen, wenn die ausdehnende Potenz
beseitigt wird. Dieses ist eine Wirkung des Tonus.
Ein relaxirter Muskel reisst leichter als seine Sehne, wenn
z. B. eine Gliedmasse durch ein Maschiuenrad ausgerissen oder ab-
gedreht wird. Befindet sich dagegen ein Muskel in einer energischen
Contraction, so reisst seine Sehne, oder geht selbst der Knochen
entzwei, an welchem sie sich befestigt. Die Risse der Achillessehne,
die Querbrüche der Kniescheibe und des Olekranon (welche Brüche
im Gininde auch nur Querrisse dieser Knochen sind), entstehen auf
solche Art.
Die Verrückung der Bruchenden eines gebrochenen Knochens,
dessen Fragmente sich nicht an einander stemmen, beruht grössten-
theils auf dem Muskelzuge. Sie lässt sich am Cadaver für jede
Bruchstelle in voraus bestimmen, wenn man das Verhältniss der
Muskeln in Anschlag nimmt, und sie erfolgt im vorkommenden
Falle immer nach derselben Richtung. An gebrochenen Gliedmassen,
welche gelähmt waren, oder es durch die den Brach bewirkende
Ursache wurden, ist wenig, oder keine Dislocation der Fragmente
zugegen, wenn diese nicht durch die brechende Gewalt selbst er-
zeugt wurde. — Der Muskelzug giebt auch ein schwer zu über-
windendes Hindemiss für die Einrichtung der Verrenkungen ab,
und die praktische Chirurgie konnte oft weder durch Flaschenzüge
und Streckapparate, noch durch betäubende und schwächende Mittel
zum Ziele kommen. Wäre es nicht gerathen, durch Herabstimmung
jener Momente, welche die Irritabilität mit bedingen (Blutzufluss
und Innervation), den übermächtigen Muskelzug zu schwächen, und
die Einrichtungsversuche mit gleichzeitiger Compression der Haupt-
schlagader und der Nerven zu verbinden?
Unwillkürliche und schmerzhafte, andauernde, oder mit Er-
schlaffung abwechselnde Muskelcontraction heisst Krampf, Spasmus;
andauernder gleichzeitiger Krampf aller Muskeln, Starrkrampf,
Tetanus, Man kann sich von der Gewalt der Muskelcontraction
einen Begriff machen, wenn man ei*{khrt, dass Krämpfe Knochen-
brüche hervorbringen (Kinnbackenbrüche beim rasenden Koller der
Pferde), und bei jener fürchterlichen Form des Starrkrampfes,
welcher Opisthotonus heisst, der Stamm sich mit solcher Kraft im
Bogen rückwärts bäumt, dass alle Versuche, ihn gerade zu machen,
fruchtlos bleiben.
Permanent gewordene Contractionen einzelner Muskeln, werden
bleibende Richtungs- und Lagerungsänderungen, Verkrümmungen
oder Missstaltungen der Knochen setzen, an welchen sie sich be-
festigen. Die Klumpfüsse, der schiefe Hals, gewisse Krümmungen
der Wirbelsäule, und die sogenannten falschen Ankylosen, d. i.
§. 39. Praktitehe Bemerknn^n über du Muskelgewebe. 1 27
Unbeweglichkeit der Gelenke, nicht durch Verwachöung der Knochen-
enden, sondern durch andauernde Muskelcontracturen, entstehen auf
diese Weise. Dauern solche permanente Contractionen lange Zeit,
so wandelt sich der Muskel häufig in fibröses Gewebe um, und
wirkt wie ein unnachgiebiges Band, welches durchschnitten werden
muss, um dem missstalteten Gliede seine natürliche Form wieder zu
geben (Myotomie, Tenotomie).
Erlöschen des Bewegungsvermögens eines Muskels heisst Läh-
mung, Paralysis, und bewirkt, wenn sie unheilbar ist und Jahre
andauert, Schwund des gelähmten Muskels, Umwandlung in Fett,
oder in einen Bindegewebsstrang , welcher blos aus den Scheiden
der Muskelbündel besteht, deren fleischiger Inhalt eben durch die
Atrophie mehr weniger verloren ging.
Einfache quere Muskelwunden heilen um so leichter, je weniger
die retrahirten Enden des zerschnittenen Muskels auseinander stehen.
Es muss deshalb dem verwundeten Gliede eine Lage gegeben werden,
in welcher die Annäheining der beiden Enden möglichst vollkommen
ist: die gebogene bei Trennungen der Beuger, die gestreckte bei
Streckern. Die Chirurgen sagen, dass .ihnen Fälle vorgekommen
sind, in welchen sich die Enden eines zerschnittenen Muskels gar
nicht zurückzogen, — ein Umstand, welcher bei Amputationen von
grosser Bedeutung wäre. Wird nämlich unter der Stelle amputirt^
wo ein Nerv in das Muskelfleisch eintritt, so wird die Retraction
am stärksten sein, weil das obere Ende des Muskels durch seinen
Nei'ven noch mit den Centralorganen des Nervensystems zusammen-
hängt. Amputirt man über dieser Stelle, so wird der Muskel,
dessen Nerv zugleich durchschnitten wird, gelähmt, und zieht sich
wenig oder gar nicht zurück. — Chassaignac unterwarf alle
Muskeln der Extremitäten einer genauen Untersuchung der Eintritts-
stellen ihrer Nerven, und fand, dass die Nerven nie im oberen
Viertel, und nie unter der Mitte eines Muskels eintreten.
In den Zwischenräumen der Muskeln verlaufen die grösseren
Blutgefässe. Die Muskeln können deshalb als W^egweiser bei der
Auffindung derselben dienen, und da es öfters nothwendig wird, bei
der Ausführung chirurgischer Operationen, Muskeln zu spalten, um
zu tiefliegenden Krankheitsherden oder Producten zu gelangen , so
ist selbst die Kenntniss der Faserung eines Muskels von praktischem
Werthe, indem die Spaltung eines Muskels, aus leicht begreiflichen
Gründen, der Faserung desselben parallel laufen soll.
Bei jeder Muskelpräparation im Vortrage, läsat sich eine Fülle praktisch-
nützlicher Bemerkungen an die rein-anatomischen Facta knüpfen, welche ohne
alle speciellen Kenntnisse von Krankheiten verständlich sind, and den Schülern
den Werth der Anatomie bei Zeiten schätzen lehren.
1 28 §. 40. Fibr6e«B 0«w«be.
§. 40. Fibröses Q-ewebe,
Das anatomische Element des fibrösen Gewebes, Textus fihroms,
ist die Bindegewebsfaser. Diese Faser ist aber im fibrösen Gewebe
feiner als im gemeinen Bindegewebe, und hat keine wellenförmige,
sondern eine mehr gestreckte Richtung. Maceration in Kalkwasser^
bringt die Bindegewebsfasern des fibrösen Gewebes durch Auflösen
des Kittes, der sie zusammenhält, zum freiwilligen Auseinander-
weichen. Sie sind also sehr leicht darzustellen. Viele derselben ver-
einigen sich zu Bündeln, auf welchen zuweilen auch umspinnende
Fasern gesehen werden. Ich behandle hier das fibröse Gewebe als
besondere Gewebsgattung , weil die Formen, in welchen es im
Körper auftritt, von dem gewöhnlichen Vorkommen des Binde-
gewebes difFeriren. — Das fibröse Gewebe entwickelt sich auch im
Embryo, wie das Bindegewebe aus Zellen, deren sehr lang aus-
laufende Fortsätze zu Fasern werden, während die Reste der Zellen
mit ihren Kernen, die sogenannten Sehnenkörperchen bilden.
Die Bindegewebsfasern des fibrösen Gewebes halten im Leben
durch eine Kittsubstanz so fest zusammen, dass alle Organe dieser
Gewebsform, einen hohen Grad von Härte und Festigkeit besitzen,
deshalb den mechanischen Trennungen, der Fäulniss, selbst der
Siedhitze länger und besser widerstehen als gewöhnliches Binde-
gewebe^ und sich durch diese mechanischen Eigenschaften vorzüglich
zu Bindungsmitteln fester Theile (Knochen , Knorpel) , und zu
verlässlichen Leitern eignen, durch welche eine Kraft, z. B. vom
Muskel aus, auf einen Knochen übertragen wird (Sehnen). Der
schimmernde Metallglanz, welcher eine Folge einer leichten Kräuse-
lung der Priraitivfasem ist, zeichnet das fibröse Gewebe vor allen
übrigen Geweben auf sehr auffallende Weise aus.
Die chemischen Eigenschaften der fibrösen Gewebe, stimmen
mit jenen des Bindegewebes überein, ihre Vitalität ist sehr gering,
ihre Blutgefässe verhältnissmässig ärmlich, jedoch, wie sich an der
Achillessehne beweisen lässt, nicht blos ihrer Bindegewebshülle an-
gehörend. Ihre Nerven sind zwar spärlich, aber mit Bestimmtheit
nachgewiesen. Ihre Empfindlichkeit im gesunden Zustande ist kaum
des Namens werth, obwohl bei Entzündungen derselben die furchtbar-
sten Schmerzen wüthen können. Sie besitzen keine Contractilität.
Ich habe zuerst gezeigt (Über das Verhalten der Blutgefässe in den fibrösen
Geweben, Oest Zeitschr. für prakt. Heilkunde, 1869, Nr. 8), dass in allen fibrösen
Oeweben schon die kleinsten arteriellen Ramificationen von doppelten Venen be-
gleitet werden. Da sich die Lumina zweier Blutbahnen wie die Quadrate ihrer
Durchmesser verhalten, wird es klar sein, dass die Geschwindigkeit der venösen
Blutbeweg^ng in den fibrösen Geweben eine bedeutend geringere sein nuiss, als
der arteriellen. Daher die Neigung zu Congestion, Stase, Exsudat, welche das
Wesen des nur in den fibrösen Gebilden hausenden Rheumatismus bilden.
§. 41. Formen des fibrönen Qewebes. ] 29
§.41. Formen des fibrösen Q-ewebes.
Es lassen sich drei Hauptformen des fibrösen Gewebes auf-
stellen: A) das strangförmige , B) die fibrösen Häute, und C) das
cavemöse Gewebe.
A) Das strangförmige fibröse Gewebe besteht aus
parallelen Bindegewebsfasern, welche sich zu primären Bündeln,
diese zu secundären, und sofort auch zu tertiären Bündeln vereinigen.
Die primären Bündel scheinen eine structurlose, feinste, elastische
Scheide zu besitzen; die secundären und tertiären dagegen haben
Bindegewebsscheiden. Den primären Bündeln sind auch elastische
Fasern eingewebt, welche sich einander feinste Aeste zusenden. Kern-
artige, spindelförmige oder ovale Körperchen, liegen in wechselnder
Menge zwischen den Bündeln. Man unterscheidet folgende Arten
dieser Gewebsform:
a) Sehne, in der Volkssprache Flechse, Tendo, am Ursprungs-
und Anheftungsende der Muskeln, als Tendo originis und Tendo
insertionis,
h) Band, Ligamentum (8ea[jL0<;, von öiw, binden), Verbindungsstrang
zweier Knochen, oder Befestigungsmittel beweglicher Theile
an stabilere. Ihre kräftigste Entwicklung erreichen sie als
Gelenkbänder. Diese liegen immer an jenen Gegenden der
Gelenke, gegen welche zu die Bewegung nicht gestattet ist,
bei den Winkelgelenken z. B. an deren Seiten.
B) Die fibrösen Häute, Fasciae, Membranae fibrosae, Aponeu-
roses, sind Ausbreitungen des Fasergewebes in der Fläche, welche
anderen weicheren Gebilden zur Hülle und Begrenzung dienen. Sie
enthalten gleichfalls elastische Fasern. — Die Bezeichnung Fasda
passt nicht gut auf die fibrösen Häute, da dieses Wort nur für
lange und schmale Bandstreifen im Gebrauche war, mit welchem
neugebome Kinder so umwickelt wurden, dass nur das Gesicht frei
blieb, ein Gebrauch, welcher jetzt noch in Unteritalien anzutreffen
ist. 'ATcoveupwai^ aber datirt aus Hippocratischer Zeit, wo der Unter-
schied zwischen fibröser Faser und Nervenfaser, noch nicht erfasst
war, und alles Faserige von weisslicher Farbe, wie Sehnen, Bänder,
und fibröse Häute, für nervig (vfeup(i)8Y3<;) gehalten wurde. Sagt doch
auch die deutsche Sprache jetzt noch, nerviger Arm für sehni-
ger Arm.
Die fibrösen Häute kommen unter dreierlei Formen vor:
a) Ebene oder flache Faserhäute. Sie trennen oder begrenzen
Höhlen, oder sind zwischen gewissen Muskelgruppen als natür-
liche Scheidewände derselben eingeschaltet. Hieher gehören:
OL) das Centrum tendineum diaphragmatU , ß) gewisse Fascien^
Hyrti, Lehrbuch der Anatomie. U. Aafl. 9
130 §*41- Formen dM fibrftsen Oewabes.
als: Fascia transversa, hypogastrica , perinei, äiaca, palmaris,
plantaris, etc., y) d^® Zwischenmuskelbänder, Ligamenta inter-
muscularia, h) die Verstopfungsbänder gewisser Locher und
Spalten, Ligamenta obturataria.
b) Hohle Cylinder, durch Einrollen einer ebenen Faserhaut zu
einem Rohre, welches andere Gebilde scheidenartig einschliesst.
Formen derselben sind: a) Muskel- und Sehnenscheiden,
Va^nae musculares und Vaginae tendinum, Ihre grösste Aus-
bildung erreichen sie als sogenannte Fascien, welche besonders
an den Extremitäten eine allgemeine Hülle für sämmtUche
Muskeln bilden, und durch Scheidewände, welche sie zwischen
gewisse Muskelgruppen, oder zwischen einzelne Muskeln ein-
schieben, eine genauere Isolirung derselben zu Stande bringen.
Sie werden nach den Regionen, wo sie vorkommen, als Fascia
humeri, antibrachü, femoris, cruris, etc. beschrieben. Die Vaginae
tendinum, Sehnenscheiden, sind Fortsetzungen der Muskel-
scheiden, weil die Sehnen in der Verlängerung des Muskels
liegen, ß) Fibröse Kapselbänder der Gelenke, Ligamenta
capsularia. Sic stellen hohle Säcke dar, welche die Gelenk-
enden zweier oder mehrerer Knochen mit einander verbinden,
den Höhlenraum der Gelenke bestimmen, und an ihrer inneren
freien Fläche mit Synovialhaut (§. 43, B) überzogen sind.
y) Bein haut, Periostemn, und Knorpelhaut, Perichondrium,
Erstere ist sehr reich an Blutgefässen, welche Zweigchen in
die Poren der Knochen absenden. Die Knorpelhaut ist viel
gefassärmer. Die wichtige Beziehung beider zur Ernährung
ihres Einschlusses, lässt sich nicht verkennen, und wird durch
die tägliche chirurgische Erfahrung hinlänglich constatirt.
S) Nerven scheiden, NeurHemmatay als Umhüllungsmembranen
der Nervenstämme und ihrer Verästlungen.
c) Geschlossene fibröse Hohlkugeln, welche die Grösse und
Gestalt weicher Organe bestimmen, und ihnen zugleich zum
Schutze dienen. Hieher gehören die Faserhaut des Auges
und jene vieler Eingeweide (des Hoden, der Eierstöcke, der
Milz, etc.), die harte Hirnhaut, und der fibröse Herzbeutel. Die
innere Oberfläche dieser Hohlkugeln ist entweder glatt, oder
mit Balken (Trabeculae)j oder mit Scheidewänden (Septula) be-
setzt, welche sich in das weiche Parenchym des eingeschlossenen
Gewebes einsenken , und es stützen. Beispiele dieses ver-
schiedenen Verhaltens wird die Eingeweidelehre liefern.
C) Das cavernöse Gewebe, Textus cavernosus. Man denke
sich von einer fibrösen Hüllungsmembran eine grosse Anzahl Fort-
•IUs6y Bälkchen und Fasern, nach einwärts abtreten, sich verästeln,
id auf maniiigfaltige Weise kreuzen, so werden sie die Grundlage
§. 42. PnktiBche Bem«rlningen Aber das flbrSse Gewebe. 131
oder das Gerüste eines cavernosen Gewebes bilden, dessen Lücken
durch eine besondere, später zu erwähnende anatomische Einrichtung
der Bhitgefasse, die Fähigkeit erhalten, strotzend anzuschwellen^
wobei das betreffende Organ hart wird, sich steift, und wenn es
cylindrische Form besitzt, sich erigirt. Das cavernöse Gewebe heisst
deshalb auch Schwellgewebc, Textus erectilis.
§. 42. Praktische Bemerkungen über das fibröse Q-ewebe.
Die geringe Vitalität des fibrösen Gewebes ist der Grund,
warum es, mit Ausnahme der Entzündungen, nicht leicht primärer
Sitz von Krankheiten wird. Seine Verwendung im Organismus zu
rein mechanischen Zwecken, unterwirft es vorzugsweise mechanischen
Störungen durch Zerrung und Riss, und die oberflächliche Lagerung
der Fascien macht ihre Verwundungen häutig. — Die Constriction,
welche die Fascien der Gliedmassen auf die von ihnen umschlossenen
Muskeln ausüben, erklärt es, dass bei Wunden oder Rissen der
Fascien , das Muskelflcisch sich vordrängt , und eine sogenannte
Hemia muscidaris bildet. Bei jeder chirurgischen Operation, welche
in eine gewisse Tiefe eindringt, kommt gewiss irgend eine Fascie
dem Messer entgegen, und muss getrennt werden, — Grund genug,
warum die Kenntniss der Fascien dem Chirurgen nicht abgehen darf.
Die geringe Ausdehnbarkeit der Fascien wird das Wachsthum,
die Grösse und die Form von Geschwülsten bestimmen, welche unter
ihnen sich entwickeln, und es ist die erste Frage, welche sich der
Wundarzt bei dem Gedanken an die Exstirpation von Geschwülsten
stellt, diese, ob sie innerhalb oder ausserhalb einer Fascie wurzeln.
Jede Ausschälung von Geschwülsten extra fasdam, ist ein leichter,
— jede Entfernung krankhafter Gebilde intra fasciam, ein bedeutender
chirurgischer Act.
Unter den Fascien ergossene Flüssigkeiten (Eiter, ^eschwürs-
jauche, Blut) werden, je nachdem die Fascie stark oder schwach,
solid oder durchlöchert ist, sich schwer oder gar nicht einen Weg
nach aussen bahnen, sie werden vielmehr die Fascie in bestimmten
Richtungen unterminiren , und weit greifende Verheerungen in der
Tiefe anrichten können, bevor die Oberfläche merklich leidet. Sind
aber blutige Ergüsse an eine Stelle gekommen, wo die deckende
Fascie dünner wird, oder plötzlich abbricht, so können sie nun erst
durch blaue Färbung der Haut sich äusserlich kundgeben. Die Ver-
färbung der Haut deutet somit nicht immer die Stelle an, wo die
Gewalt, welche ein Blutextravasat erzeugte, ursprünglich einwirkte.
— Die geringe Nachgiebigkeit der Fascien, wird bei entzündlichen
Anschwellungen tieferer Organe, Einschnürungen, und, in Folge
9*
132 §. 43. S«rÖ8« H&nte.
dieser, Steigerung des inflammatorischen Schmerzes bedingen, wo-
durch die Spaltung der Fascie durch das chirurgische Messer, als
Palliativmittel noth wendig werden kann.
Risse der Fascien und Sehnen äussern wenig Heiltrieb, und
entblösste Stellen derselben, zeigen eine grosse Neigung zum Ab-
sterben. Dieses ist besonders der Fall, wenn das Bindegewebe,
welches mit beiden Flächen einer Fascie zusammenhängt, und die
Emährungsgefasse zufuhrt, vereitert oder verbrandet, worauf ganze
Stücke der Fascien, so weit das Bindegewebe zerstört wurde, ab-
sterben, und als brandige Fetzen losgestossen werden.
Blossgelegte und ihrer Emährungsgefasse beraubte Sehnen
sterben oft ab, und ihre Trennung vom Lebendigen (Exfoliation)
geht nur allmälig vor sich, wodurch der Heilungsprocess sehr in
die Länge gezogen werden kann. Hiebei ist noch zu bemerken,
dass die abgestorbene Sehne sich öfters erst an der Einpflanzungs-
stelle in das Muskelfleisch, von letzterem ablöst. Ich sah nach
einem Panaritium (Wurm am Finger), die ganze Sehne des Flexor
poüicis longus aus der Abscesshöhle als weissen halbmacerirten Faden
herausziehen.
Einfache Sehnenschnitte so ausgeführt, dass die Luft keinen
Zutritt zur Schnittfläche erhält, wie bei der subcutanen Teno-
tomie, heilen gern und schnell, besonders wenn die Sehnenscheide
nicht gänzlich durchgeschnitten wird. Die glücklichen Resultate,
welche die neuere Chirurgie in diesem Gebiete aufzuweisen hat,
bestätigen diese lange bezweifelte Wahrheit. Die Resultate waren
auch in der That so glücklich, dass man mit den Sehnenschnitten
eine Zeitlang sehr freigebig verfuhr.
Die Muskel- und Sehnenscheiden, und die fibrösen Ligamenta
intemmsciUaria , werden auf die Localisirung gewisser Krankheits-
processe einen mächtigen Einfluss üben, und Vereiterungen der
Weichtheile werden sich nicht nach allen Richtungen ausbreiten.
Erst wenn der Damm durchbrochen, welchen eine Fascie dem
Wachsthum einer bösartigen Geschwulst, z. B. einem Krebs, ent-
gegenstellte, wuchert dieser mit tödtlicher Hast.
Die weite Verbreitung des fibrösen Gewebes, die zahlreichen
Brücken, welche es zwischen hoch- und tiefliegenden Organen bildet,
erklären viele krankhafte Sympathien entfernter Theile, welche
sonst nicht zu verstehen sind, wie das Wandern von Entzündungen
und rheumatischen Affectioncn von einer Gegend zur anderen.
§. 43. Seröse Häute.
Wie das fibröse Gewebe, so erscheinen auch die serösen
Häute, Membranae seroaae, nur als eine besondere Modification des
§.48. 8«rtee Hinte. 133
Bindegewebes in Flächenform. Sie fuhren ihren Namen von ihrem
Geschäfte. Dieses besteht in der Absonderung eines serösen
Fluidums. Dünn, durchscheinend, und nie von jener Stärke, wie
sie so oft den Fascien zukommt, überziehen sie die inneren Ober-
flächen solcher Höhlen, welche mit der Aussenwelt keine Verbindung
haben, und sind somit geschlossene Säcke. Sie besitzen nur spär-
liche Blutgefässe und Nerven, aber reichliche, zu Netzen verbundene
Saugadern. Die Bindegewebsbündel, aus welchen sie bestehen, sind
mit zahlreichen elastischen Fasern gemischt. Die Ausdehnbarkeit
der serösen Membranen ist daher sehr bedeutend, ihre Empfind-
lichkeit dagegen im gesunden Zustande kaum bemerkbar.
Jede seröse Haut hat eine freie, und eine, durch subseröses
Bindegewebe an die Wand der betrefi"enden Höhle befestigte
Fläche. Das subseröse Bindegewebe ist entweder dicht, straff,
und kurz, und in diesem Falle fettlos; oder lose, imd weitmaschig,
mit mehr weniger Fett. Ihre freie Fläche wird von einer ein-
fachen Schichte Plattenepithel bedeckt, welche in neuester Zeit
ganz widersinnig mit dem Namen Endothel beehrt wurde. Sie
erscheint uns eben und glatt, und erhält durch ihre Befeuchtung
mit Serum, Glanz und Schlüpfrigkeit. Es kommt auch vor, dass
sich nur das Epithel ohne eigentliche seröse Membran vorfindet
(wie auf der inneren Fläche der harten Hirnhaut, und auf der freien
Fläche der Knorpel und Zwischenknorpel der Gelenke), oder eine
seröse Membran ohne Epithel auftritt, wie in einigen Schleimbeuteln.
Nicht selten findet sich, wie Todd und Bowman zuerst gezeigt
haben, unter dem Plattenepithel eine homogene structurlose Schichte.
Als innere Auskleidung geschlossener Körperhöhlen, wird jede
seröse Membran die Gestalt eines Sackes haben müssen, welcher sich
der Gestalt der Höhle genau anpasst. Enthält die Höhle Organe, so
bekommen diese, durch Einstülpung des Sackes, besondere Ueberzüge.
Man bezeichnet den serösen Ueberzug einer Höhlenwand mit dem
Namen Lamina parietcdis (äusserer Ballen) , und jenen der in der
Höhle enthaltenen Organe mit dem Namen Lamina visceralis (innerer
Ballen) der betreffenden serösen Membran. Je grösser die Anzahl
solcher Organe wird, desto complicirter wird die Gestalt des inneren
Ballens des serösen Sackes. Die Lamina parietalts und visceralis
dieser serösen Doppelblase, kehren sich ihre freien glatten Flächen
zu, und da diese schlüpfrig sind, können sie leicht und ohne er-
hebliche Reibung an einander hin- und hergleiten.
Einen interessanten Befand im Epithel der serösen Membranen hat die
Neuzeit aufgedeckt. Es finden sich nämlich im Centram einer sternförmigen
Grappe von EpithelialzeUen, scharf begrenzte, mndlichef oder dreieckige Stellen
als Oeffiiangen (Stomata), durch welche die LymphgefHsse der betreffenden
Mrteen Membnm, mit der HGhle derselben im freien Verkehr stehen. Im
134 §.48. SerÖM H&Qte.
Bauchfell des Frosches sind diese Stamata am leichtesten aufzufinden. Die sie
zunächst umgebenden Epithelialzellen müssen contractil sein, da die Stomala sich
öffnen und schliessen können. Die Stomata erklären es uns, wie Ergüsse in die
Höhlen der serösen Membranen ebenso schnell wieder verschwinden können, als
sie entstanden. Näheres hierüber ist in den Arbeiten der physiol. Anstalt zu
Leipzig, 1866, enthalten.
Nach Verschiedenheit des Vorkommens und des Secretes der
serösen Häute, werden folgende Arten derselben unterschieden:
A) Eigentliche seröse Häute oder Wasserhäute. Sie
kleiden a) die grossen Körperhöhleu aus, und erzeugen Einstülpungen
für die Organe derselben, oder bilden b) um einzelne Organe herum
besondere Doppelsäcke. Zu a) gehören die beiden Brustfelle und das
Bauchfell; zu b) die eigene Scheidenhaut des Hoden und der seröse
Herzbeutel. — Die allgemeine Regel, geschlossene Säcke zu bilden,
erleidet nur bei Einer serösen Membran — dem Bauchfelle des
Weibes — eine Ausnahme, da dieses durch die Orifida ahdomincdta
der Muttertrompeten, mit der Gebärmutterhöhle, und sonach mittel-
bar mit der Aussenwelt in offenem Verkehr steht.
B) Synovialhäute. Man hat bis auf die neuere Zeit die
Synovialhäute für vollkommen geschlossene Säcke gehalten. Sie
kleiden jedoch die Höhlen der Gelenke nicht vollständig aus. Die
Sjnovialhaut eines Gelenkes überzieht blos die innere Fläche der
fibrösen Gelenkkapsel, und hört am Rande der Knorpel auf, welche
die Gelenkflächen der Knochen überziehen. Sind Zwischenknorpel
im Gelenke vorhanden, so setzt sich nur das Epithel der Synovial-
membran auf sie fort. — An der Befestigungsstelle der fibrösen
Kapsel an die Knochen, bildet die Synovialhaut häufig kleinere
Fältchen, welche körniges Fett und sehr oft kleine wasserhaltende
Cysten einschliessen. Diese Fettkörner und Cysten wurden einst
für Drüsen gehalten (Glandulae Havenianae), nach ihrem Entdecker,
dem Engländer Clapton Havers (Oateologia nova, etc. London,
1691. pag. 167). Man glaubte in ihnen die Absonderungsorgane
des schlüpfrigen, eiweissreichcn , dickflüssigen Saftes gefunden zu
haben, welcher den Binnenraum eines Gelenks beölt, und Gelenk-
schmiere, Synovia ([tL^a bei Hippocrates, verwandt mit mucus)
genannt wird. Die Synovia ist jedoch ein Secret der gesummten
Synovialhaut, wie das Serum einer eigentlichen serösen Haut. Die
erwähnten Fältchen der Synovialhaut unterscheiden sich durch ihr
Gewebe von der eigentlichen Synovialhaut, indem sie nach Ger-
lach aus lockerem, maschigem Bindegewebe bestehen, und sehr
reich an Blutgefässen sind. Die Faserbündel dieses Bindegewebes
setzen sich in Gestalt von Fransen oder keulenförmigen Zotten, über
den freien Rand der Fältchen hinaus fort, imd schicken zuweilen
selbst kürzere oder längere fadenförmige Aeste ab, weiche, so wie
§. 43. Ser5se H&nte. 135
die Falte selbst^ mit einer Epithelialschichte überzogen sind, und deren
jeder eine capillare Gefassschlinge enthält, welche, besonders in
rheumatischen Gelenken, das Eigenthümliche besitzt, dass ihr
Kaliber an den Umbeugungsstellen ihres aufsteigenden Schenkels
in den absteigenden, zuweilen auf das Zwei- bis Dreifache anwächst.
Als besondere Unterarten der Synovialhäute erscheinen:
a) Die Sy novialscheiden der Sehnen, Vagina^ tendinum syno-
viales. Sie kleiden die fibrösen Sehnenscheiden aus, sind somit
Kanäle, und erleichtem durch ihr öliges, schlüpfriges Secret,
das Gleiten der Sehnen in diesen Scheiden. Dass sie sich auch
auf die äussere Oberfläche der Sehnen umschlagen , also
Doppelscheiden bilden, lässt sich bei den meisten derselben
mit Bestimmtheit erkennen.
b) Die Schleimbeutel, Schleimsäcke, oder Schleimbälge,
Bursae mucosae. Sie stellen verschieden grosse, abgeschlossene
Säcke dar, welche entweder zwischen einer Sehne und einem
Knochen, oder zwischen der äusseren Haut und einem von
ihr bedeckten Knoehenvorsprung eingeschaltet sind, und deshalb
in Bursae mucosae svbtendinosae und subciUaneae eingetheilt
werden. Verminderung der Reibung liegt ihrem Vorkommen
zu Grunde. Die Bursas suhtendinosae communiciren öfters mit
den Höhlen naheliegender Gelenke. Bursa ist ein neulateinisches
Wort. Kein römischer Autor gebraucht dasselbe. Ohne Zweifel
entstand es aus dem griechischen ßupja, welches einen Schlauch
bedeutet, der aus einer abgezogenen Thierhaut gebildet wurde,
wie jetzt noch die Weinschläuche in den südlichen Ländern
Europas. Der Ausdruck Bursa mucosa, wurde zuerst von
Alex. Monro, 1788, gebraucht (Descripüon of Hie hursae
mucosasy etc., EdM., 1788). — Viele, namentlich neugebildete
(accidentelle) Schleimbeutel, sind nach den Untersuchungen
von Luschka und Virchow, keine selbstständigen serösen
Säcke, sondern vielmehr nur Hohlräume zwischen sich reiben-
den Bindegewcbspartieen , welche eines besonderen Epithels
entbehren, und keine Synovia, sondern Serum oder eine colloide
Substanz absondern. Luschka, Structur der serösen Häute.
Tübingen, 1851.
Obwohl die serösen Hänte der Bindegewebsgruppe angehören, kommt es
doch in ihnen nie zur Fettablagening, selbst wenn diese im ganzen Bindegewebs-
sjsteme wnchert, und der Texttts ceüularis «»fjgerMtM damit überfüUt ist.
Das Senim der echten serösen Membranen, und die Synovia, unterscheiden
sich nur durch ihren Eiweissgehalt, welcher im Serum 1 pCt., in der Synovia
6 pCt. in 100 Theilen Wasser beträgt. Salzsaures und phosphorsaures Natron,
nebst phosphorsaurem Kalk, findet sich in beiden in sehr geringen Quantitäten.
Der Eiweissgehalt beding^ die Gerinnbarkeit beider Flüssigkeiten, welche bei
kräftigen Individuen und gut genährten Thieren bedeutender ist, ab bei
136 S* M* Praktische Bemerkangen Aber die Mrösen H&nte.
schwächlichen. Bei mikroskopischer Untersuchung der Synovia, findet man auch
abgestossene, fettig degenerirte, in Auflösung begpriffene Epithelialzellen und deren
fireie Kerne vor.
§. 44. Fraküsclie Bemerkungen über die serösen Häute.
Da das Blutserum dieselben Bestandtheile wie das seröse Secret
einer Wasserhaut enthält^ so erscheint die Absonderung der serösen
Häute als ein Durchschwitzen oder Sintern des Blutserum , dessen
Strömung nach der freien Fläche der Haut gerichtet ist. Diese
Strömung geht mit grosser Schnelligkeit vor sich, wie man an der
schnellen Ansammlung von Serum in eben entleerten wassersüchtigen
Höhlen (Bauchhöhle, Ditiica vagüiaiis propria testis) beobachten
kann. Die Wiederansammlung des Wassers in der Bauchhöhlen-
wassersucht nach geschehener Entleerung durch den Stich , lässt sich
selbst durch Einschnürung des Bauches mittelst Bandagen nicht
verhüten. — Bei normalem Sachverhalte wird nicht mehr Serum ab-
gesondert, als eben zur Befeuchtung der freien Fläche einer serösen
Membran nöthig ist. Krankhafte Vermehrung dieses serösen Secretes
bildet die Höhlenwassersuchten (Hydrops ascites, Hydrothorax,
Hydrocephaltu, etc.).
Die Organe, welche in einer Leibeshöhle eingeschlossen sind,
füllen diese so genau aus, dass nirgends ein leerer Raum erübrigt.
Es ist somit kein Platz fiir serösen Vapor vorhanden, von welchem
man früher träumte. Die Bauchwand und die Brustwand sind mit
der Oberfläche der Bauch- und Brusteingeweide in genauem Contact.
Würde irgendwo zwischen Wand und Inhalt einer Höhle, ein leerer
Raum sich bilden, so würde der äussere Luftdruck die Wand so
viel eindrücken, als zur Vernichtung des leeren Raumes erforderUch
ist. Wasserdunst von so geringer Spannung, wie sie die Leibeswärme
geben könnte, würde dem Luftdrucke nicht das Gleichgewicht halten
können. Hat sich dagegen das wässerige Secret einer serösen
Membran in grösserer Menge angesammelt, dann schwillt die Höhle
in dem Maasse auf, als die flüssige Absonderung zunimmt. Wird
eine solche hydropische Höhle angestochen, so springt die Flüssig-
keit im Strahle wie aus einer Fontaine hervor, selbst wenn die
Wand der Höhle nicht mit musculösen Schichten umgeben ist.
Diese Beobachtung bekräftigt die Elasticität der serösen Membranen,
welche selbst nach wiederholten Ausdehnungen durch Wassersucht
nicht ganz und gar vernichtet wird.
Da die in einander hineingestülpten Ballen einer serösen Mem-
bran (Bichat's Vergleich mit einer doppelten Nachtmütze) sich
allenthalben berühren, so darf es nicht wundem, wenn durch
§. 45. Gefiassystem. Begriff des KreieUafes and Eintheilnng des Geftsssystems. 137
Entzündungen, welche mit der Ausscheidung plastischer Stoffe an
der freien Oberfläche der serösen Membranen einhergehen, häufig
Verlöthungen und Verwachsungen derselben stattfinden, und da die
im eingestülpten Ballen enthaltenen Eingeweide, eine gewisse Be-
weglichkeit haben, welche auf diese Verwachsungen ziehend oder
zerrend einwirkt, so wird die Verwachsungsstelle, wenn sie einen
beschränkten Umfang hatte, nach und nach in die Länge gezogen,
und zu einem sogenannten falschen Bande, Lig, spurium, metamor-
phosirt werden, wie an den Bauch- und Brusteingeweiden so häutig
beobachtet wird. Solche falsche Bänder haben dann ganz das An-
sehen seröser Häute, und besitzen auch ihre bindegewebige Structur.
Sie sind ebenso geftlssarm, wie die serösen Häute, und der Wund-
arzt greift ohne Bedenken zur Schere, um sie zu trennen, wenn sie
z. B. an Eingeweiden vorkommen, welche in einer Bruchgeschwulst
liegen, und, ihrer Verwachsungen mit dem Bruchsack wegen, nicht
zurückgebracht werden können.
Die Entzündungen der serösen Membranen gehen nicht leicht anf die Organe
über, welche sie umhüllen. Der Textua ceUulari» äubseroaus wird dagegen durch
Ablagerung gerinnbarer Btoffe häufig verdickt, und kann in diesem Zustande auf
die Ernährung des von ihm bedeckten Organs nachtheiligen Einfluss äussern.
Da der wässerige Thau, welcher eine seröse Haut befeuchtet, oder die dünne
Scliiclite Synovia einer Synovialmembran, gewissermassen als Zwischenkörper wirkt,
welcher zwei seröse Hautflächen nur in mittelbare Berührung kommen lässt, so
kann von Verwachsungen derselben nur dann die Rede sein, wenn dieser Zwischen-
körper fehlt, oder durch gerinnbare und organisirbare Exsudate ersetzt wird. Eine
gesunde Synovialliaut wird selbst nach jahrelanger Unthätigkeit eines Gelenks
nicht verwachsen können. Cruveilhier's Fall verdient, seiner Seltenheit wegen,
hier erwähnt zu werden. Eine wahre Ankylose des rechten Kinnbackengelenks,
hatte auch das linke zu einer 83jährigen Unthätigkeit verdammt. Die anatomische
Untersuchung zeigte weder in den Knorpeln, noch in der Synovialhaut dieses zur
ewigen Ruhe gelangten Gelenks, eine erhebliche Aenderung.
§. 45. &efösssystein, Begriff des Kreislaufes und Eintheilung
des Grefässsystems.
Im weiteren Sinne heissen alle häutigen und verzweigten
Röhren, welche Flüssigkeiten führen: Gefässe, Vasa, Nach Ver-
schiedenheit dieser Flüssigkeiten, giebt es Luft-, Gallen-, Samen-,
Blut-, Lymphgefasse , u. s. w. Unter Gefässsystem, Systema
vasorum, im engeren Sinne, verstehen wir jedoch blos die Blut-
und Lymphgefasse, von welchen hier gehandelt wird, und be-
trachten die übrigen Gefasse bei den Drüsen, deren wesentlichen
Bestandtheil sie bilden.
Das Blut ist jene im thierischen Leibe kreisende Flüssigkeit,
aus welcher die zum Leben und Wachsthum der Organe noth-
138 §. 45. 0«fära«jBtdiD. Begriff des Kreitlanfee und Eintheilnng des Oef&SMystemt.
wendigen Stoffe bezogen werden. Das Blut wird aus den Nahrungs-
mitteln bereitet, und auf wunderbar verzweigten Wegen, in Röhren,
deren Kaliber bis zur mikroskopischen Feinheit abnimmt, in allen
Organen, mit Ausnahme der Homgebilde und der durchsichtigen
Medien des Auges, vertheilt. Die Bewegung des Blutes in seinen
Geftlssen, hängt von der Propulsionskraft eines eigenen Triebwerkes
ab. Dieses Triebwerk ist das vom ersten Auftreten des Kreislaufs
im Embryo bis zum letzten Athemzug des Sterbenden thätige Herz,
welches ohne Unterlass Blut empfangt und ausstösst. Die Gefässe,
welche das Blut vom Herzen zu den nahrungsbedürftigen Organen
leiten, heissen, weil sie pulsiren, Schlagadern oder Pulsadern,
Arteriae; die Gefasse, welche das zur Ernährung nicht mehr taug-
liche Blut zum Herzen zurückfuhren, Blutadern, Venae. Dem
Wortlaute nach sind auch die Arterien Blutadern, — sie enthalten
ja Blut. Da man jedoch in jenen Zeiten, aus welchen diese Be-
nennungen stammen, nur die Venen für Blutwege hielt, die Arterien
dagegen, weil sie nach dem Tode blutleer getroffen werden, für
Luftwege ansah, wie der Name Arterie (aicb toö iepx "n^peiv, vom
Luftenthalten) ausdrückt, so mag die Beibehaltung des alten Namens
hingehen, wenn nur der alte Begriff nicht damit verbunden wird.
Der deutsche Ausdruck Ader, im Indischen aedur, bezeichnete
ursprünglich Blut, wie aus dem angelsächsischen aedrewegga,
Blutweg, Blutgefäss, zu entnehmen, und wie das Aderlassen,
i. e. Blutlassen, noch jetzt bezeuget.
Das Wort cipTV)p{a wurde ursprünglich nur von der Luftröhre gebraucht.
Als Eraaistratus dieses Wort auch auf die Schlagadern anwendete, erhielt die
Luftröhre durch Galen den Namen api7)p{a Tpor/Eta (ihrer unebenen, quergeringelten
Oberfläche wegen, von tpotyu;, rauh), während er die Schlagadern, ihrer glatt
cylindrischen Oberfläche wegen, als apiTjpfai XEtixi zusammenfasste (von Xero;, glatt,
verwandt mit laevvtj. Man weiss nun, warum heutzutage noch die Luftröhre
tractiea heisst, d. i. die rauhe (ncUicet arteria), und warum sie auch bei lateinischen
Schriftstellern den Namen aapera arteria fUhrt. — Nach derselben Lehre gelangte
die durch die Luftröhre in die Lungen geführte Luft, aus diesen durch die Arteria
venona (unsere heutigen Lung^nvenen) in das Herz, und wurde von diesem in die
Schlag^em getrieben. Letztere mussten also Luft ffihren, und verdienten somit
den Namen ap'nr]p{ai. Da man aber bald durch Verwundungen erfuhr, dass die
Arterien Blut führen, suchte man die alte Lehre und das alte Wort dadurch zu
retten, dass man Blut aus dem rechten Herzen, durch die Scheidewand hindurch,
in das linke durchsickern Hess, um sich mit der Luft daselbst zu mischen, und
sofort in die Arterien zu gelangen. AU* diesem Gefasel machte die g^sse Ent-
deckung Harvey's Über den wahren Sachverhalt des Kreislaufes ein Ende.
Die Venen, welche, nach oben erwähnten Vorstellungen, allein Blut führten,
hiessen ^X^ßc;, von ^X^co, fliessen (das lateinische fluo). Der Aderlasa heisst jetzt
noch PhleboUniUa,
Die Arterien verästeln sich, nach Art eines Baumes, durch
fortschreitend wiederholte Theilungen, in immer feinere Zweige^
welche zuletzt in die Anfänge der Venen übergehen. Die kleinsten
§. 45. GefUssystem. Begriff das KreitUnfM und Eintheilmig des OefiMayttemt. 139
und bisher für structurlos gehaltenen Verbindungswege zwischen
den Arterien und Venen, heissen Capillargefässe, Vasa capiüaria*
Da das Blut aus dem Herzen in die Arterien, von diesen durch die
CapiUargefösse in die Venen strömt, und .von den Venen wieder
zum Herzen zurückgeführt wird, so beschreibt es durch seine Be-
wegung einen Kreis, und man spricht insofern von einem Kreis-
lauf, Circulatio sangtdnis. Die Capillargefasse lassen den flüssigen
Bestandtheil des Blutes (Flawna) durch ihre Wandungen durch-
treten, damit sie mit den zu ernährenden Organtheilchen in nähere
Beziehung treten können. Die Organtheilchen suchen sich aus dem
Plasma, mit welchem sie bespült werden, dasjenige aus, was sie an
sich binden und für ihre verbrauchten Stoffe eintauschen wollen;
der Rest — Lymphe — wird von besonderen GefJlssen, welche
ihres farblosen, wasserähnlichen Inhaltes wegen Lymphge fasse,
Vasa lymphatica, und ihrer Verrichtung wegen Saugadern genannt
werden, wieder aufgesaugt, und aus den Organen neuerdings in den
allgemeinen Kreislauf gebracht. Denn die LymphgefUsse sammeln
sich alle zu einem Hauptstamm, welcher in das Venensystem ein-
mündet. Die Lymphe wird also zuletzt mit dem Blute der Venen
gemischt, und fliesst mit diesem zum Herzen zurück. Als eine
Abart der Lymphgefiisse erscheinen die Chylusge fasse, welche
keine Lymphe, sondern jenen im Darmkanale aus den Nahrungs-
mitteln ausgezogenen Saft führen, welcher seiner milchweissen Farbe
wegen Milchsaft, Chyltis, genannt wird. Die Chylusgeßlsse ent-
leeren sich in den Hauptstamm des Lymphgefasssystems , und der
Milchsaft wird somit auf demselben Wege wie das Venenblut zum
Herzen zurückgeleitct werden. Da aus dem Milchsafte erst Blut
gemacht werden soll, und das Venenblut ebenfalls einer neuen Be-
fähigung zum Ernähnmgsgeschäftc bedarf, diese Umwandlung aber
nur durch Vermittlung des Oxygens der atmosphärischen Luft
möglich wird, so kann das mit Milchsaft gemischte Venenblut, nicht
allsogleich aus dem Herzen wieder in die Schlagadern des Körpers
getrieben werden. Das Venenblut muss vielmehr zu einem Organ
geführt werden, in welchem es mit der atmosphärischen Luft in
Wechselwirkung tritt, seine unbrauchbaren Stoffe absetzt, und dafür
neue (Oxygen) aufnimmt. Dieses Organ ist die Lunge. Was vom
Herzen zur Lunge strömt, ist Venenblut; was von der Lunge zum
Herzen strömt, ist Arterienblut. Der Weg vom Herzen zur Lunge,
und durch die Lunge zum Herzen, beschreibt ebenfalls einen
Kreis, welcher aber kleiner ist, als jener vom Herzen durch den
ganzen Körper zum Herzen. Man spricht also von einem
kleinen und grossen Kreislaufe (Lungen- und Körperkreislauf), welche
in einander übergehen, so dass das Blut eigentlich die geschlungene
Bahn einer 8 durchläuft.
140 §. 46. Artorien. Bau derselben.
Das Geßisssystem besteht, dieser übersichtliehen Darstellung
nach, aus folgenden Abtheilungen:
1. Herz, 2. Arterien, 3. Capillargefässe, 4. Venen, 5. Lymph-
und Chylusgefasse. Das Herz wird in der speciellen Anatomie des
Gefiisssystems, der Bau der übrigen aber hier zur Sprache gebracht.
§. 46. Arterien. Bau derselben.
An den Stämmen, Aesten, und Zweigen der Arterien, findet
sich der Hauptsache nach derselbe Bau. Ohne das Mikroskop zu
gebrauchen, unterscheidet man eine innere, mittlere und äussere
Arterienhaut. Die innere Haut (Intima) trägt an ihrer freien Ober-
fläche eine einfache Schichte Plattenepithel, als Fortsetzung des
Plattenepithels der Herzkammern. Dasselbe besteht aus rhombischen
oder spindelförmigen, nicht immer deutlich abgegrenzten Zellen mit
elliptischen Kernen. Unter diesem Plattenepithel lagert eine über-
wiegend aus longitudinalen Fasern bestehende elastische Haut.
Epithel und elastische Haut wurden vormals zusammen als glatte
Gefässhaut, Tanica glabra vcLsorum, den serösen Häuten beigezählt.
Die äussere Haut der Arterien ist eine Bindegewebsmembran, mit
allen diesem Gewebe zukommenden mikroskopischen Eigenschaften.
Sie heisst Membrana adventitia (bei Haller adstitia), oder Membrana
cellularü. An den grösseren Arterienstämmen enthält sie auch
organische Muskelfasern, aber immer nur in sehr beschränkter
Menge. Die mittlere Arterienhaut (Media) wurde lange als Tunica
ela^tica beschrieben. Man Hess sie aus longitudinalen und kreis-
förmigen oder Spiralen, bandartigen, elastischen Fasern bestehen,
welche eine innere Längenschichte und eine äussere Kreisfaser-
schichte bilden sollten. Die Fortschritte der mikroskopischen Ana-
tomie haben aber ein reiches Vorkommen von queren organischen
Muskelfasern neben den elastischen in der mittleren Arterienhaut
sichergestellt, so dass man sie als Tunica muscuio-elastica bezeichnen
muss. Die muskulösen und die elastischen Elemente, welch' letztere
theils als vernetzte Fasern, theils als breite bandartige Streifen und
Platten gesehen werden, bilden in der mittleren Arterienhaut mehrere,
durch Faseraustausch untereinander zusammenhängende Lagen. Je
grösser eine Arterie, desto mehr überwiegen die elastischen Fasern
über die muskulösen, und umgekehrt. Die grössten Arterien (Aorta)
verdanken ihre gelbe Farbe nur dem quantitativen Vorwalten der
elastischen Elemente, deren Massenanhäufung sich immer durch
gelbe Farbe auszeichnet. In gewissen Arterien (innere Kieferarterie
und Art. poplitea) greifen die organischen Muskelfasern auch in die
innere Gefksshaut über.
$. 46. Arterien. Bau derselben. 141
Die mittlere Haut bedingt vorzugsweise die Dicke der Arterien-
wand. Diese Dicke muss bedeutend genannt werden. Sie entspricht
dem starken Druck, welchen die Arterienwand vom Blute auszu-
halten hat. Die n^ttlere Arterienhaut nimmt mit der durch fort-
gesetzte Theilung zunehmenden Feinheit der Arterien ab, und ver-
schwindet in den Capillargefilssen gänzlich. Ihre theils elastischen,
theils muskulösen Elemente, erlauben den Gefiissen, sich bei an-
kommender Blutwelle auszudehnen, sich nach Vorbeigehen der Welle,
wieder auf ihr früheres Lumen zu verkleinern, und, wenn sie durch-
schnitten werden, sich zurückzuziehen, und dabei offen zu klaffen.
Man hat ernährende Geßisse (Vasa vasorum) in den Wandungen
der grösseren Arterien durch subtile Injection dargestellt. Ich be-
haupte, dass sie nur der äusseren Haut der Arterien angehören. In
der mittleren und inneren Haut habe ich sie nie gesehen. Netze
von Nervenfasern wurden selbst in den feineren Ramificationen der
Arterien aufgefunden. Die Endigungsweise der letzteren ist jedoch
nicht mit wünschenswerther Sicherheit festgestellt.
Das einfache Plattenepithel der Arterien, untersucht man am besten an
frisch geschlachteten Thieren. Durch Abschaben der inneren Oberfläche einer
gprösseren Arterie, erhält man rhombische, bandartig schmale, zugespitzte, mit
deutlichem Kerne versehene Zellen (Spindelzellen). Ihre Gruppirung zum Pflaster-
epithel, erkennt man am Faltungsrande einer dünnen, abgezogenen LameUe, oder
noch deutlicher am freien Rande jener natürlichen Falten, welche als Klappen,
Valvulae, am Ursprünge der Aorta und der Lungenschlagader vorkommen. — An
der mittleren Haut grösserer Arterienstämme, unterscheidet He nie vier differente
Schichten, welche von innen nach aussen in folgender Ordnung liegen:
aj Die gefensterte Haut Sie ist fein, durchsichtig, und aus breiten,
elastischen Fasern gewebt, welche sich zu Netzen verbinden. Ihren Namen erhielt
sie der runden oder eckigen Oeffnungen wegen, welche in gprösserer oder geringerer
Anzahl zwischen den Faserzügen auftreten, und welche an abgezogenen Stücken
dieser Haut, die sich gerne der Länge nach einrollen, dem Rande derselben ein
gekerbtes oder ausgezacktes Ansehen verleihen. £s wäre allerdings möglich, dass
die Grundlage der sogenannten gefensterten Haut, eine structurlose Membran ist,
auf welcher Fasergitter lagern, so dass die Maschen der Gitter, ihrer Durch*
sichtigkeit wegen für Löcher imponiren.
b) Die Längs faser haut Sie besteht aus elastischen Longitudinalfasem,
welche sich durch Anastomosen zu rhombischen Maschen verbinden. Man erkennt
sie an vorsichtig abgezogenen Stücken der gefensterten Haut, an deren äusserer
Fläche sie in grösseren oder kleineren Fragmenten anhängt.
cj Die Ringfaser haut. Sie besteht Überwiegend aus organischen Muskel-
fasern, und aus elastischen Fasern, letztere von verschiedener, jedoch immer sehr
bedeutender Breite, so dass sie stellenweise plattenförmig erscheinen. Die zur
Gefässaxe quere Richtung beider Fasergattungen, begünstigt die Trennung der
* Arterien in der Quere, durch Reissen, oder durch Umschnüren mit einem feinen
Faden. In den Nabelarterien des Embryo besteht die Ringfaserhaut nur aus
organischen Muskelfasern, mit Ausschluss der elastischen, welche auch in der
inneren Gefässhaut vollständig fehlen. Dieses Ueber wiegen der muskulösen Ele-
mente in den Wandungen der Nabelarterien, erklärt es uns, dass diese Schlag-
adern sich durch ringförmig^ Contraction gänzlich verschliessen können, wie es
142 i.41. Allgenein« Yerlftnft- und Yertotlnngsgesetze der Arterien.
in der Gegend des Nabeliinges gleich nach der Gebnrt des Kindes der Fall sein
muss, um seinem Verbluten vorzubeugen. Häufig, namentlich an den Arterien der
Eingeweide, wird die Ringfaserhaut durch schräge oder longitudinale Muskelfasern
verstärkt, welche bald innen bald aussen, bald auf beiden Seiten dieser Haut
zugleich lagern.
dj Die elastische Haut. Sie liegt unmittelbar unter der Adventitia der
Arterie, und besteht fast ausschliesslich aus breiten, dicht genetzten, elastischen
Fibrillen. Es waltet keine bestimmte Richtung in der Faserung vor. An kleineren
Arterien lässt sie sich nicht darstellen ; an grösseren dagegen findet man sie leicht,
wenn man eine gehärtete, und der Länge nach aufgeschnittene Arterie, mit vier
Nadeln an den vier Ecken befestigt und, nach Entfernung der inneren Schichten,
mit dem AblOsen der RingfiMem so lange fortfi&hrt, bis man auf eine weisse derbe
Haut kommt, von welcher sich weder longitudinale noch transversale Bündel ab-
ziehen lassen. Diese ist die elastische Haut
Die liier genannten Schichten der Arterienwand sind nicht scharf von ein-
ander abgegrenzt. Die Elemente Einer Schichte greifen vielmehr in jene der
vorhergehenden und der nachfolgenden ftber.
§. 47. Allgemeine Verlauft- und Verästiungsgesetze der Arterien.
1. Alle Arterien sind cylindrische Kanäle, welche, so lange
sie keine Aeste abgeben, ihr Kaliber nicht ändern. Die astlosen
Stämme der Oarotiden bei sehr langhalsigen Thieren (Kameel, Giraffe, •
Schwan) haben an ihrem Ursprung und an ihrer von diesem weit
entfernten Theilungsstelle denselben Querschnitt.
2. Die grossen Arterienstämme verlaufen, mit Ausnahme des
Aortenbogens, meistens geradlinig, die Aeste und Zweige derselben
häufig mehr weniger geschlängelt. Ich muss hier bemerken, dass
Arterien, welche im uninjicirten Zustande keine Schlängelung zeigen,
dieselbe im injicirten Präparate im ausgezeichneten Grade besitzen.
So z. B. die Arteria maxiUaris externa. Die Injection streckt das
elastische Gefassrohr in die Länge, und da es auf einen bestimmten
Raum angewiesen ist, kann die Streckung, d. h. Verlängerung, nur
durch Schlängelung ausgeführt werden. Die Schlängelung der Ge-
fiLsse wächst mit dem Grade der Füllung derselben durch die
Injectionsmasse. In Organen, welche ein veränderliches Volumen
haben, sich ausdehnen und zusammenziehen, breiter und schmäler
werden können, wie die Zunge, die Lippen, die Gebärmutter, die
Harnblase, u. s. w., werden, aus begreiflichen Gründen, die Gefilss-
schlängclungen zur Norm. An gewissen Schlagadern, namentlich an
der Arteria spermatica interna des Hodens, bedingt der ausgezeichnet
rankenformige Verlauf derselben, eine erhebliche Abschwächung des*
Blutdruckes. — Die Krümmungen der Arterien liegen entweder in
einer Ebene, und heissen schlangen förmig, oder sie bilden
Schraubentouren, und werden dann spiral genannt. Bei alten In-
dividuen werden mehrere, sonst geradlinige Arterien, geschlängelt
§ 47. Allgemein« Verlauft- und VerftstlnnffegMetie der Arterien. 143
getroffen (Art. iliaca, splenica). Die Schlängelungen hängen ent-
weder von der Umgebung der Arterien ab, z. B. von gekrümmten
Knocheukanälen , Löchern oder Furchen, durch welche sie gehen,
oder werden dadurch bedingt, dass die Bindegewebsscheide der
Arterie an einer bestimmten Stelle straffer angezogen ist, als an der
gegenüberliegenden. Die Krümmungen der Carotis vor ihrem Ein-
tritte in den CancUis caroHcus, die rankenförmigen Schlängelungen
der inneren Samen-, Nabel- und Gebärmutterarterien, entstehen auf
diese Weise. Sie lassen sich durch Lospräpariren der Bindegewebs-
scheide ausgleichen. An der convexen Seite einer Krümmung,
verdichtet sich das Gewebe der Arterienwand, weil das Anprallen
des Blutstromes, die convexe Seite mehr als die concave geföhrdet.
3. Nie verläuft eine Schlagader grösseren Kalibers ausserhalb
der Fascie eines Gliedes, sondern möglichst tief in der Nähe der
Knochen. Eben so allgemein gilt es, dass die grösseren Arterien-
stämme, sieh in ihrem Verlaufe an die Beugeseiten der Gelenke
halten. Würden sie an den Streckseiten der Gelenke lagern, so
wäre es unvermeidlich, dass sie während der Beugung eine bis zur
Aufhebung ihres Lumens gesteigerte Zerrung auszuhalten hätten,
welche bei dem Verlaufe an der Beugeseite, gar nie vorkommen kann.
4. Wo immer sich ein grösserer Arterienstamm gabelförmig
in zwei Zweige theilt, ist die Summe der Durchmesser der Zweige
grösser, als der Durchmesser des Stammes, und so muss es sein,
da die Lumina cylindrischer Röhren sich wie die Quadrate der
Durchmesser verhalten, und die beiden Aeste unmöglich dieselbe
Quantität Blut aufnehmen könnten, welche ihnen durch den Stamm
zugeführt wird, wenn die Summe ihrer Durchmesser nicht grösser
wäre, als jener des Stammes. — Die Capacität des Arteriensystems
nimmt bei allen Thieren gegen die Capillargefasse hin auf eine in
der That nicht unerhebliche Weise zu. Indem nun die Venen ein
gleiches Verhalten zeigen, so wird die Sprachweise jener Physio-
logen verständlich, welche das arterielle und venöse Gefilsssystem,
in 'Hinsicht ihrer Capacität mit zwei Kegeln vergleichen, deren
Spitzen im Herzen liegen, deren Basen im Capillargefasssystem
zusammenstossen.
5. Die Winkel, welche die abgehenden Aeste mit dem Stamme
machen, sind sehr verschieden. Spitzige Ursprungswinkel finden
sich gewöhnlich bei Arterien, welche einen langen Verlauf zu machen
haben, um zu ihrem Organe zu kommen (Art. spermatica interna);
rechte Winkel unter entgegengesetzten Umständen (Art. renalis).
Ist der Winkel grösser als ein rechter, so heisst die Arterie eine
zurücklaufende, Art. recurrens. Es kann auch eine unter spitzigem
Winkel entsprungene Arterie später sich umbeugen und zurück-
laufend werden, wie die Arieria recurrens radialis et ulnaris. Oeffnet
144 §> 47. Allgemeine Verlanfi- und Yer&stlnngtgeeetM der Arterien.
man eine spitzwinkliche Theilungsstelle einer Arterie, so findet man
im Inneren einen vorspringenden Sporn (Operon), welcher die Blut-
ströme der beiden Aeste theilt, und an rechtwinkligen Ursprungs-
stellen fehlt. — Die wichtigen Ramificationen der Schlagadern der
Gliedmassen finden immer in der Nähe der Gelenke statt; — die
minder wichtigen auf dem Wege von einem Gelenk zum anderen.
6. Verbinden sich zwei Arterien mit einander, so dass das Blut
der einen in die andere gelangen kann, so entsteht eine Zusammen-
mündung, AnaMomods, von avaTTOfjL^o), öffnen oder sich ergi essen.
Sie ist entweder bogenförmig, durch Zusammenmünden zweier
Arterienzweige (Gefässbogen, Areas), oder zwei Stämme werden
in ihrem I^aufe durch einen mehr weniger queren Communications-
kanal verbunden (z. B. die Arteriae communicantea an der Basis
des Gehirns), oder aus zwei Arterien wird durch Verschmelzung
eine einfache (Art, hcLsüaris, vordere und hintere Rückenmarks-
arterie). Gleichförmige Vertheilung der Blutmasse und des Druckes,
unter welchem sie steht, liegt den Anastomosen überhaupt zu Grunde.
Die queren Communicationskanäle zwischen zwei Arterienstämmen
gewähren noch den Vortheil, dass, wenn einer der beiden Stämme
ober- oder imterhalb der Anastomose comprimirt wird, der Blutlauf
nicht in Stockung geräth. Die Verzweigungen der Lungen-, Leber-,
Milz-, und Nierenarterien innerhalb der genannteh Organe, bilden
niemals Anastomosen. — Vereinigen sich zwei Spaltungsäste einer
Arterie neuerdings wieder zu einem Stamme, so entsteht eine soge-
nannte Insel, und theilt sich ein Stamm in mehrere oder viele
Zweige, welche sich entweder wieder zu einem Stamme vereinigen,
oder pinselförmig auseinander fahren, so nennt man diese Verviel-
fältigung durch Spaltung ein Wunder netz. Es giebt demnach
bipolare und unipolare Wundemetze, d. h. mit oder ohne Wieder-
vereinigung der Spaltungszweige. Bipolare Wundemetze kommen
im Menschen nur an den kleinsten Zweigen der Nierenarterie in
den sogenannten Malpighi'schen Körperchen, unipolare nur an den
Venen der Choroidea vor. An den Extremitäten der Edentaten
und Halbaffen, sowie an den Intercostalarterien der Delphine und
Waltische, an den Gekrösearterien der Schweine, und den Carotiden
vieler Wiederkäuer, erreichen die Wundernetze einen erstaunlichen
Entwicklungsgrad .
7. Die Arterien functioniren nicht blos als Leitungsröhren des
Blutes, sondern sie haben auch, durch ihre elastischen und con-
tractilen Elemente, auf die Fortbewegung des Blutes einen wichtigen
Einfluss. — Varietäten ihres Ursprungs und Verlaufes sind ohne
allen Nachtheil für die Blutbewegung. Für viele untergeordnete
Arterien, z. B. Muskelzweige, sind die Varietäten des Verlaufes
zahllos, und selbst grosse Arterien lebenswichtiger Organe, unter-
§. 48. Pbjtioloffifloh« EigeMchaften der Arterien. 145
liegen in ihren Ursprüngen mitunter höchst sonderbaren Spielarten.
So besitze ich ein Präparat^ an welchem die obere Kranzarterie des
Magens, aus dem Aortenbogen entspringt.
8. Nur die grösseren Schlagaderstämme fuhren in ihren
Wandimgen ernährende Arterien (Vcisa vasorum), welche meist aus
den Nebenästen des Stammes, seltener aus dem Stamme selbst ent-
springen, welchen sie zu ernähren haben. Ich habe schon angeführt,
dass sie nur der AdventiHa, nicht aber der mittleren und inneren
Arterienhaut angehören. — Es verdient Beachtung, dass selbst die
kleinsten Verzweigungen der arteriellen Vasa vasorum, von doppelten
Venen begleitet werden, ein Vorkommen, welches sonst nur dem
fibrösen Gewebe und der Gallenblase zukommt.
9. Neben einander liegende Arterien und Venen werden von
einer gemeinschaftlichen Bindegewebsscheide umschlossen. Eine
Zwischenwand der Scheide isolirt die Arterie von der Vene. Die
ernährenden Gefasse der Arterien müssen diese Scheide durch-
bohren. In der Spaltung der Scheide, und in dem Freimachen der
in ihr eingeschlossenen Arterie, liegt der am meisten Aufmerksamkeit
erfordernde Act der chirurgischen Arterienunterbindung.
Es Hessen sich diese Gesetze sehr vervielfältigen, wenn man Alles auf-
zählen wollte, was die Arterien nicht thnn. Dass die Arterien der oberen Körper-
hälfte hinter, jene der unteren vor den gleichnamigen Venen liegen, gilt nur für
die Hanptstämme, und selbst nicht fttr alle, indem eine sehr ansehnliche Vene der
unteren Leibeshälfte: die linke Nierenvene, in der Reg^l vor der Aorta obdo-
minalia liegt. — lieber die Vtua vtuarum handelte ich ausftihrlicher im Quarterly
Review of Nat Hist. 1862, Jnljr, und in einer Specialschrift: Ueber die Schlag-
adern der unteren Extremitäten (Denkschriften der kais. Akad. 1864).
§. 48. Fhysiologisclie Eigenscliafteii der Arterien.
Die wichtigsten Eigenschaften der Arterien sind ihre Elasticität
und Contractilität, durch welche das vom Herzen in die Arterien
gepumpte Blut, von diesen weiter getrieben wird. Die Elasticität
kommt allen Schichten der Arterienwand zu. Selbst dem Epithel
darf sie nicht fehlen, da man sich doch nicht denken kann, dass
die Zellen desselben auseinander weichen, wenn die Arterie durch
den Andrang der Blutwelle ausgedehnt wird. Elasticität und Con-
tractilität stehen in inniger Beziehung zu der auffallendsten Bewegungs-
erscheinung an den Arterien, zum Pulse. Die alten Aerzte erklärten
den Puls als die Erscheinung einer selbstthätigen Expansion und
Contraction der Arterien, und hielten ihre mittlere Haut für durchaus
musculös. Später wandte man sich zum anderen Extrem, erklärte
die Arterien für vollkommen passiv, und ihre Expansion und Con-
traction für die Folge der Ausdehnung bei eindringender, und des
üjTil, L«lirbiicli der Anatomie. U. Aufl. 10
1 46 §. 4S. Phyiiologiiehe EigenichafteD der Arterien.
Collabirens nach vorbeigegangener Blutwelle. Auch diese Vorstellung
musHte aufgegeben werden, seit die Existenz organischer Muskel-
fasern in den Wänden der Arterien constatirt wurde, und Reizungs-
versuche an frischen Schlagadern amputirter Extremitäten und des
Mutterkuchens, eine lebendige Contraction der Arterien sicher-
gestellt haben. Die mit jedem Pulsschlage ankommende Blutwelle,
sucht die Arterien auszudehnen. Sie hat die physische Elasticität
der Arterie, und ihre lebendige Contractilität zu überwinden. Die
Arterie dehnt sich aus (schwillt unter dem Finger an), so viel es
diese beiden Factoren gestatten. Ist die Blutwelle vorbeigegangen,
so stellt die Elasticität der Arterie, in Vorbindung mit der lebendigen
Contractilität, das frühere Volumen der Arterie wieder her. Der
Puls ist somit der Ausdruck der Stosskraft des Herzens. Die Zahl
und der Rhythmus der Pulsschläge hängt von der Herzthätigkeit
ab, — die Härte oder Weichheit von dem grösseren oder ge-
ringeren Widerstände , welchen die Arterienwände der Blutwelle
entgegensetzen, — während die Grösse oder Kleinheit des Pulses
von der Gesammtmenge des Blutes und von der Grösse der durch
das Herz ausgetriebenen Blutwclle bedingt wird. Es kann deshalb
der Puls scheinbar entgegengesetzte Eigenschaften darbieten. Ein
kleiner Puls kann hart, ein grosser weich sein. Körpergrösse und
Temperament äussern auf die Zahl der Pulsschläge in gegebener
Zeit (ptUsus freqtiens et rarus) einen merklichen Einfluss. Ein kleiner
Sanguiniker hat mehr Pulsschläge in der Minute, als ein grosser
(langer) Phlegmatiker. — Nebst dem durch den Puls gegebenen
Anschwellen imd Abfallen der Arterie unter dem fühlenden Finger,
krümmt sie sich während des Strotzens auch seitlich aus, d. h. sie
schlängelt sich , indem sie sich zu verlängern strebt. Diese
Schlängelungen der Arterien während des Durchgangs der Blut-
welle, lassen sich auch durch künstliche Injection von Flüssigkeit
erzielen, und sind letztere mit gerinnenden oder erstarrenden Stoffen
gemacht worden, so kann man die Schlängelungen fixiren. — Ver-
lust der Elasticität der Arterien durch krankhafte Processe, oder
durch hohes Alter, wird ihre Krümmungen gleichfalls zu permanenten
Erscheinungen machen, wie man an den rankenft)rmigen Schläfe-
arterien hochbejahrter Greise zu sehen Gelegenheit hat.
Der Umstand, daas eine lebende ArteriCf wenn sie durchschnitten wird^ ihr
Lumen verengert, während die todte am Cadaver sich nur der Lunge nach
retrahirt, bestätigt zur Genüge die lebendige Contractilität der Arterienwände.
Unter dem Mikroskope kann man, durch Anwendung von Beizen, die Contractilität
der feinen Arterien, in der Schwimmhaut der FrGsche, zur klaren Anschauung
bringen. Durchschneidung der Gefässnerven, oder vorübergehende Herabstimmung
ihres Einflusses auf die contractilen Arterienwandongen, setzt augenblickliche Er-
weiterung der Arterien. Man sieht am Kaninchenohre, nach Trennung des Sym-
pathicus am Halse, sämmtliche GeflUte sieh erweitern, und die mit gewitien
g. 49. Praktische AnweoduDg«n. 147
psychischen Veranlassnngen sich einstellende plötzliche Böthe des Gesichts, wahr-
scheinlich auch die Erection des männlichen Gliedes, kann nur aus dem momentan
herabgesetzten Einfluss der Gefässnerven erklärt werden.
Die Empfindlichkeit der Arterien ist unbedeutend, und die
Nerven, welche in ihren Wandungen sich verästeln, sind gewiss
nicht vorwaltend sensitiver Natur. Wenn man bei Unterbindung
einer grösseren Arterie nach Amputationen, im Momente, wo die
Ligatur festgeschnürt wird, ein Zusammenfahren oder Zucken des
Kranken beobachtet hat, so ist dieses erstens nicht bei jeder Arterien-
unterbindung gesehen worden , und kann zweitens , bei unvoll-
kommener Isolirung der Arterie, durch NervenfiJamente bedingt
werden, welche die Hast des Operateurs zufallig in die Ligatur-
schlinge aufnehmen machte.
Die Ernährungsthätigkeit in den Wandungen der Arterien
äussert sich durch das schnelle Verheilen der Wunden unter günstigen
Umständen, und durch die verschiedenen Formen krankhafter Ab-
lagerungen zwischen den einzelnen Hautschichten der GeßLsswand.
Kan kennt ganz genau die Entstehungsweise der Arterien, welche im
bebrüteten £i beobachtet werden kann. Die gr^isseren Arterien entwickeln sich
im Embryo aus kernhaltigen Zellen, welche sich zu Strängen gruppiren, worauf
die innersten ZeUen dieser Stränge zu Blutkttgelchen werden, die äussersten sich
zur Gefasswand metamorphosiren , indem sie sich zu den verschiedenen Formen
von Fasern umgestalten, welche die Wand eines Blutgefässes bilden. Die mittleren
behalten ihre ursprüngliche Zellennatur als Epithel.
§. 49. Praktische Anwendungen.
Der gefahrdrohende Charakter der Blutungen durch Ver-
wundungen der Arterien, und das Vorkommen dieser Blutungen bei
allen chirurgischen Operationen, giebt dem arteriellen Q-efasssystem
ein hohes praktisches Interesse. Bis in das 16. Jahrhundert wusste
man diese Blutungen nur durch die Anwendung der grausamsten
Stillungsmethoden zu bemeistern. So wurde z. B. die Amputation
der Gliedmassen mit glühenden Messern vorgenommen, oder die
Trennung der Weichtheile um den Knochen herum, durch Abdrellen
mit einer Pechschnur, unter unsäglichen Martern des Kranken, aus-
geführt, der blutende Stumpf aber mit geschmolzenem Blei oder
siedendem Theer übergössen. Ein französischer Wundarzt, Ambroise
Parö, Leibchirurg der Könige Franz II. und Carl IX., machte
diesen Gräueln dadurch ein Ende, dass er die Unterbindung der
Arterien in Aufnahme brachte. Carl IX., welcher in der Pariser
Bluthochzeit auf seine eigenen Unterthanen schoss, schätzte diesen
Mann so hoch, dass er ihn allein^ unter allen Hugenotten ^ in der
Metzelei der Bartholomäusnacht zu schonen befahl ^ ihn selbst im
10»
148 §. 48. Pnktiseh« Anwendnnfen.
Louvre versteckt hielt, nachdem er sich weigerte Katholik zu werden.
Die Antwort, welche er dem Könige gab, als ihn dieser zu über-
reden suchte, den protestantischen Glauben abzulegen, ist zu originell,
um nicht hier angeführt zu werden. Sie lautete (nach Sully's
Memoiren , Vol. I. chap. 6) : Majestät ! Drei Dinge sind mir un-
möglich: 1. in den Leib meiner Mutter zurückzukehren, 2. aufzu-
hön^n, ein treuer Diener meines Königs zu sein, und 3. eine Messe
KU hören« Dieser, mit höfischer Schmeichelei gepaarte Trotz, ver-
ffhho »eine Wirkung auf den schwachen König nicht.
Die allgemein gültige Regel, in jedem vorkommenden Falle
Ä> viel als möglich mit Umgehung der grösseren Gefässstämme zu
o|H*rirt»n, wird von jedem wissenschaftlichen Operateur nach Ver-
%lioU8t RtnvUrdigt. Blutung, welche man nicht erwartete, und auf
wt^lolu* man nicht gefasst war, ist für jede Operation ein wichtiger,
*olU*t tnn sehr gefilhrlicher Zufall. Man sucht sich deshalb durch
lUuorbiudung oder Compression des Hauptgefässes jener Körper-
*MU\ au welcher operirt werden muss, vor ihrem Eintritte zu sichern.
*- In praktischer Beziehung vermindert sich die Wichtigkeit der
Ulutf^ii^sse mit der Abnahme ihrer Grösse, imd die umständliche
Uowchreibung jener Gefässzweige, deren Verwundung nicht gefahr-
bringend, und deren Unterbindung nie nothwendig wird, erscheint
(»ornit dem praktischen Arzte nutzlos. Nur im Auge erscheint auch
die Kenntniss der kleinsten Blutgefässe dem Operateur bedeutsam.
Die Contractilität der Geßlsse bedingt den allgemeinen Ge-
brauch der Kälte zur Stillung von Blutungen aus kleineren Arterien.
Wie bedeutend der Einfluss ist, welchen die Nerven auf die
Zusammenziehungs&higkeit der Gefasse äussern, zeigt die blut-
stillende Wirkung der Gemüthsaffecte (Ueberraschung , Schreck)
imd jene eines plötzlich veranlassten Schmerzes, z. B. Schnüren des
Fingers mit einem Bindfaden beim Nasenbluten, Reiben einer bluten-
den Wundfläche mit den Fingern, etc.
Eine krankhafte Ausdehnung aller Häute einer Arterie, welche
durch Berstung oder Verbrandung lebensgefährlich werden kann,
heisst Aneurysma verum. Sie kommt nur an Schlagadern grösseren
Kalibers vor. Die kleinste Arterie, an welcher man bisher ein
wahres Aneurysma beobachtete, war die Ärteria auricularis posterior
(Ch. Bell). Da aber die Arterienhäute eine verschiedene Structur
besitzen, und die elastische Intima derselben durch Krankheit ihrer
Elasticität verlustig geworden sein kann, während die mittlere imd
äussere Gefässhaut noch relativ gesund sind, so darf es nicht über-
raschen, wenn bei den Zerrungen, denen die Arterienstämme hie
and da unterliegen, die innere Arterienhaut an einer oder mehreren
Stellen Risse bekommt, das Blut zwischen die getrennten und ganz
gebliebenen Arterienhäute eindringt, und nur die letzteren zu einem
§.48. Praktitehe Anwendungen. 149
aneurysmatischen Sacke ausdehnt. Dieser heisst dann Aneurysma
spurium. Berstet in Folge der zunehmenden Ausdehnung auch
dieser Sack, so ergiesst sich das Blut frei in alle Bindegewebsräume,
in welche es von dem geborstenen Aneurysmensack gelangen kann,
und dehnt diese zu einem pulsirenden Cavum aus, welches dann
Aneurysma spurium consecutivum oder diffusum genannt wird.
Wird eine lebende Arterie grösserer Art quer angeschnitten,
so klafft die Wunde bedeutend, und der Blutverlust ist sehr gross,
wenn die Arterienwunde mit der äusseren Hautwxmde correspondirt.
Wird sie vollends quer durchgeschnitten, so zieht sich das elastische
Arterienrohr in seiner Bindegewebsscheide stärker zurück, als diese.
Die Scheide wird durch den Zug der Arterie gefaltet und eingezogen.
Das aus der Arterie ausströmende Blut, hängt sich als Coagulum
an die Wand der Scheide an, verengert diese noch mehr, füllt sie
endlich aus, und die Blutung steht früher still, als bei incompleter
Trennung des Gefässes, bei welcher eine Zurückziehimg der Arterie
nicht stattfinden kann. Daher der Rath der älteren Militärchirurgie,
angeschnittene Arterien ganz zu trennen (Theden). Dass es wirk-
lich die Scheide ist, welche bei vollkommenen queren Trennungen
der Arterien die Blutung vermindert, ja selbst zum Stillstand bringt,
zeigt der Versuch am lebenden Thiere. Wird die Cruralarterie eines
grossen Himdes sammt ihrer Scheide durchschnitten, so stillt sich
die Blutung nach kurzer Zeit von selbst, und das Thier erholt sich.
Wird aber die Scheide der Arterie in einer grösseren Strecke los-
präparirt und entfernt, und hierauf die Arterie durchschnitten, so
ist der Verblutungstod gewiss. — Längenwunden der Arterien klaffen
viel weniger als quere. Die nach der Länge einer Arterie ver-
laufenden elastischen Fasern, welche den quergerichteten an Zahl
überlegen sind, halten die Ränder einer arteriellen Längenwunde
mehr im Contact, und erleichtern ihre Verheilung, welche selbst,
wie die Chirurgen sagen, per primam intentionem (d. i. durch schnelle
Verwachsung mittelst plastischen Exsudates, ohne Eiterung) zu
Stande kommt, was bei Querwunden nicht möglich ist.
Unterbindet man eine Arterie mit einem dünnen Faden, welcher
fest zugeschnürt wird, so bleibt die äussere und die darauf folgende
elastische Haut ganz; die Ringfaserhaut und die übrigen inneren
Häute aber werden durch den Faden kreisförmig durchschnitten.
Eine miterbnndene Arterie verwächst, von der Unterbindnngsstelle an bis
mm n&chst oberen und unteren stärkeren Nebenast. Diese Verwachsung ist an-
fangs eine blosse Ausfüllung mit geronnenem Blute (provisorische Obliteration).
Später bildet sich durch plastisches Exsudat, welches sich organisirt, und mit dem
geronnenen Blute verschmilzt, ein solider Pfropfen (ThrombusJ , welcher mit der
Arterienwand verwächst (definitive Obliteration), so dass sie in einen festen und
soliden Strang umgewandelt wird, dessen Peripherie kleiner als jene der Arterie
ist, deren Fortsetzung^er darstellt
150 §. 49. PraktiBche ADwendang«ii.
Die Unterbindung einer gH)88eren Schlagader, z. B. der Brachialis oder
Cruralis, hebt den Kreislauf in den Theilen unter der Unterbindungsstelle nicht
vollkommen auf; er findet nur mit verminderter Energie und auf Umwegen statt.
Da über und unter der Unterbindungsstelle Aeste abgehen, welche in ihren weiteren
Verzweigungen mit einander anastomosiren, so wird durch diese Anastomosen das
Blut in das unter der Ligaturstelle befindliche Stück der Arterie, aber mit ungleich
schwächerer Triebkraft gelangen. Haben sich diese Anastomosen so sehr erweitert,
dasB sie zusammen dem Lumen des abgebundenen Gefasses gleichen, so geht der
Kreislauf ohne weitere Unordnung vor sich, und wird sodann Collateralkreislauf
genannt. Ich besass einen Hund, dem ich in der Zeit meiner physiologischen
Jugendsünden, die Arteria mnominata und beide Ärteriae crurales in der Frist
eines Jahres unterbunden hatte, und welcher sich, obwohl sein Blut auf ungewöhn-
lichen Wegen kreiste, ganz wohl befand. Selbst die absteigende Aorta der Brust-
höhle kann verwachsen, und durch die Entwicklung der Collateralgefösse supplirt
werden. Die von Römer, Meckel, u. A. beschriebenen Fälle, und ein im Prager
anatomischen Museum befindlicher beweisen es. Letzterer gehörte einem voll-
kommen gesunden Individuum an, welches an Lungenentzündung starb. Der
Collateralkreislauf ging von den Aesten der Subclavia, durch ihre Anastomosen
mit den Intercostalarterien, zu dem unter der Verwachsungsstelle gelegenen Theil
der Aorta. Die Intercostalarterien waren zur Grösse eines Schreibfederkiels er-
weitert, rankenförmig geschlängelt, selbst aufgeknäuelt, und erzeugten durch ihr
Pulsiren ein continuirliches Zittern der Thoraxwand, welches als schwirrendes
Geräusch zu hören war, und vom Kranken viele Jahre vor seinem Tode gefilhlt
wurde.
Die Befestigung einer Arterie an ihre Umgebung ist so locker,
dass sie kleine seitliche Orts Veränderungen ausfuhren kann. Sie
schlüpft deshalb unter dem drückenden Finger, und eben so oft
und glücklich unter stechenden, oder der Länge nach schneidenden
Werkzeugen weg. Nur kranke Arterien sind durch ihre verdickten
Scheiden fester an den Ort gebunden, welchen sie einmal inne haben.
— Da die Arterienscheiden nicht in dem Grade elastisch sind, wie
die Arterien selbst, so wird eine durch ihre Scheide hindurch ver-
letzte Arterie, eine grössere Wunde darbieten, als die in der Scheide
vorhandene. Das Blut wird nicht in der Menge, in welcher es aus
der Arterienwunde kommt, durch die kleinere Wunde der Scheide
abfliessen können. Es wird sich somit Heber zwischen Scheide und
Arterie einen Weg präpariren, und sogenannte Blutunterlaufungen
bedingen, welche einen grossen Umfang gewinnen, und sich weit
über und unter die Verwundungsstelle der Arterien ausdehnen können
(Dissecting Aneurt/sma der englischen Pathologen). Derselbe Vorgang
kann auch stattfinden, wenn bei Verschliessung der äusseren Wunde
durch Verbände oder durch Vorlagern anderer Weichtheile, das
Blut vom Wimdkanale aus zwischen umliegende Gewebe sich er-
giesst. So entstehen die sogenannten blutigen Infiltrationen
und Sugillationen, welche nicht zu verwechseln sind mit den
Senkungen des Blutes in seinen GefUssen, welche nach den Gesetzen
der Schwere gegen die abschüssigsten Stellen des Leichnams statt-
finden , und als Todtenflecken ein gewöhnliches Leichen-
9.49. Praktische Anwendungen. 151
vorkommuiss sind. Jede im Leben beigebrachte Wunde, hat sugillirte
Ränder, — eine der Leiche beigebrachte aber nicht.
Die Zurückziehung durchschnittener Arterien erschwert ihr
Auffinden im lebenden Menschen bei Verwundungsfäilen , und er-
heischt eine Verlängerung oder Erweiterung der Wunde, um das
blutende Ende linden und unterbinden zu können. Gefösse, welche
iwrenige oder keine Seitenäste abgeben, ziehen sich sehr stark zurück ;
solche, welche durch ihre Seitenäste gleichsam an benachbarte
Organe befestigt werden , weniger. Man kann diese praktisch
wichtige Erfahrung am Cadaver constatiren. Wird die Kniekehlen-
arterie einfach entzweigeschnitten, so beträgt ihre Retraction circa
1 Zoll. Werden aber früher ihre Seitenäste getrennt, und das Geföss
dadurch allseitig isolirt, so zieht es sich um l^/^ — 2 Zoll zurück.
Ein Umstand, welcher für die ärztliche Behandlung gewisser
Blutungen von Nutzen sein dürfte, crgiebt sich aus der Betrachtung
des Hauptstammes einer Gliedmassenarterie im stark gebeugten Zu-
stande des Gelenkes, an welchem sie verläuft. Wird der Ellbogen
in forcirte Beugung gebracht, so wird der Puls der Radialarterie
sehr schwach. Bei stark gebeugtem Unterschenkel, durch möglichst
starkes Heraufziehen der Ferse mit der Hand, verschwindet der Puls
in der Arteria tibialis postica vollkommen. Nicht das Knicken der
Arterie am gebeugten Gelenk, sondern die Compression derselben
durch die an einander gepressten Muskelmassen in der Nähe des
gebeugten Gelenkes, bedingt diese Erscheinung, von welcher in
Verwundungsfällen, bevor chirurgische Hilfe geleistet werden kann,
und beim Transport Blessirter, Nutzen zu ziehen wäre.
Wie wichtig der Verlauf der Arterien zwischen den Muskeln
ist, und wie sehr der Druck dieser Muskeln abnorme Ausdehnungen
derselben hintanzuhalten vermag, erhellt daraus, dass Aneurysmen
am häufigsten an solchen Schlagadern entstehen , welche in ihrer
nächsten Umgebung blos Bindegewebe und Fett, aber keine Muskeln
haben, wie die Arteria cruralis in der Fossa üeo-pectinea, die Arteria
Poplitea in der Kniekehle, die Arteria aanllaris, etc.
Wir mtissen die unrichtige VorsteHung aufgehen, dass die iSchwere des
Blutes, seine Bewegung f?)rdem oder hemmen könne. Wenn eine Pumpe Flüssig-
keit in einem System geschlossener Röhren herumtreiben soll, so ist es ganz gleich-
giltig, welche Lage die Röhren haben, ob vertical oder horizontal. Die Schwere
hemmt nicht die Bewegung in den aufsteigenden, noch f<3rdert sie die Bewegung
in den absteigenden Röhren des System». Sie hat aber einen unlfingbaren Einfluss
auf die gleichmässige Vertheilung der Flüssigkeit im Röhrensystem, wenn dessen
Röhren nachgiebig sind, wie die Blutgefässe des Menschen (besonders bei ge-
schwächter oder aufgehobener ElasticitÄt derselben), in welchem Falle die ab-
steigenden Röhren weiter werden müssen als die aufsteigenden.
152 S« M* CapUlargeOsM. AiiAtomisehe EigenseliAfken derMlb«ii.
§. 50. Capillargefässe. Anatomisclie Eigenscliafteii derselben.
Durch die Entdeckung des Kreislaufes wurde es sichergestellt,
dass alles Blut aus den Arterien in die Venen übergeht. Die mikro-
skopischen Gefösse, welche diesen Uebergang vermitteln, waren aber
zu Harvey's Zeiten noch unbekannt. Die Alten hatten nur vage
Vorstellungen von ihnen, und nannten sie TficJäsmi (von Opi?, xpix^^»
Haar). Sie kannten nämlich nur die feinen venösen Verästlungen,
welche in den Häuten des Magens und Darmkanals mit freiem Auge
gesehen werden können, wenn sie, wie es so oft der Fall ist, von
Blut strotzen. Dass aber diese feinen venösen Verästlungen, mit
ähnlichen feinen Verzweigungen der Arterien zusammenhängen, war
ihnen gänzlich unbekannt. Erst der grosse Malpighi entdeckte
diese haarfeinen Uebergangsgefilsse zwischen Arterien und Venen
in der Froschlunge (1661), und erkannte ihre Bedeutung als allgemein
verbreitetes Zwischenglied der arteriellen und venösen Blutbahn.
Man nennt diese kleinsten Blutgefässe, welche den Zusammenhang
zwischen Arterien und Venen vermitteln: Capillargefässe (Vasa
ccepiUaria). Der Uebergang der Arterien in Venen durch die Capillar-
gefässe, gab der Lehre vom Kreislaufe erst die volle Begründung.
Bevor man diesen Uebergang kannte, liess man das Blut sich in
die Organe frei ergiessen, stocken, gerinnen, und sich in ihre Sub-
stanz umwandeln. So entstand schon zu Zeiten der Alexandrinischen
Schule der noch immer gebräuchliche Ausdruck: Parenchyma
(ItX^ü), ergiessen) für Organensubstanz. Noch in den ersten Decen-
nien unseres Jahrhunderts , wurden den Capillargefässen eigene
Wandungen abgesprochen (Döllinger, Wedemeyer, u. A.). Man
hielt sie fiir Gänge, welche sich das Blut in der organischen Sub-
stanz selbst gräbt, und stellte sich vor, dass das Blut an allen
Stellen dieser Gänge austreten, sicK neue Laufgräben wühlen, und
so zu jedem Organtheilchen gelangen könne. Diese für die Er-
klärung der Nutritionsprocesse sehr bequem eingerichtete Annahme,
musste mit all' ihrem poetischen Anhang über Umwandlung und
Metamorphose des Blutes , der auf dem Wege mikroskopischer
Forschung sichergestellten Existenz der Wandungen der Capillar-
gefässe weichen.
Es lässt sich nicht sagen , wo die Capillargefässe beginnen,
und wo sie endigen, da sie allmälig aus den grösseren Arterien
durch Verjüngung des Durchmessers und Vereinfachung der Wand-
schichten hervorgehen, und ebenso allmälig in immer grössere und
grössere Venen übergehen. Die Grenzen des Capillargefässsystems
sind also mehr ideal, als anatomisch festgestellt.
§.60. d^UlargaflMe. AnAtomiiehe BigenMhafton denelben. 153
Bis auf die neueste Zeit hat man die Wand der Capillargefässe
ftir structurlos gehalten^ mit einfacher oder doppelter Contour, je
nach Verschiedenheit des Kalibers, und mit ovalen, hellen, meist
quergelagerten Kernen, welche theils an der inneren Oberfläche der
structurlosen Membran aufsitzen, theils in ihrer Substanz einge-
schlossen sind. Da traten gleichzeitig Eberth (Sitzungsberichte der
Würzburger phys. med. Gesellschaft, 1865), und Auerbach (Bres-
lauer Zeitung, 1865) mit der bedeutungsvollen Entdeckung hervor,
dass bei Injection von Höllensteinlösung (74 Procent), die scheinbar
structurlose Wand der Capillargefässe, aus platten, spindelförmigen,
meist der Ijängsrichtung der Capillargefasse parallelen Zellen zu-
sammengesetzt erscheint, welche durch geschlängelte dunkle Linien
sich gegen einander abgrenzen. Diese Linien sind nichts anderes,
als die bei der Versilberung braun oder schwarz sich förbende
Zwischensubstanz der Zellen. Die Capillargefasse bestehen somit
aus einer sogenannten Epithelialmembran, d.h. einer Membran,
welche aus verschmelzenden Zellen hervorgegangen ist. Die Umrisse
der Zellen werden erst durch die Versilberung kenntlich. — In
manchen Organen (Gehirn und Netzhaut) gesellt sich zu der aus
Zellen zusammengesetzten Membran der Capillargefasse, noch eine
äusserst zarte UmhüUimgshaut hinzu, welche als adverUiÜa captUaris
bezeichnet werden kann. Wird der Durchmesser der Capillaren
grösser, so lagern sich um das Zellenrohr Spuren von Bindegewebs-,
Muskel- und elastischen Fasern auf, welche gleichsam die Vor-
zeichnung der in den grösseren Arterien erwähnten dreifachen
Wandschichte darstellen.
Die Capillargefasse setzen die Capillarnetze, Retia capülaria,
zusammen, welche in jeder Gewebsform charakteristische Eigen-
schaften darbieten. Diese hängen ab 1. von der Weite der Capillar-
gefasse, welche von 0,002'" — 0,010'" zunimmt, und 2. von der Weite
und der Gestalt der Maschen des Netzes. Je gefilssreicher ein
Organ, je mehr Blut es braucht und verarbeitet, je reichlicher es
absondert, desto kleiner sind die Maschen, und desto grösser der
Durchmesser der Capillargefasse. In Organen mit einer bestimmt
vorwaltenden Faserrichtung, sind die Maschen in derselben Richtung
oblong (Muskeln, Nerven). In Häuten und Drüsen kommen kreis-
förmige, und alle Arten eckiger Maschen vor. In den Tast- und
Geschmackswärzchen, in den Zotten des embryonischen Chorion,
und in den zottenähnlichen Vegetationen an der inneren Fläche
vieler Synovialhäute, gehen die capillaren Arterien durch schlingen-
förmige Umbeugung in capillare Venen über.
Es giebt auch Organe, z. B. die Schwellkörper (Corpora
oavemosa) der männlichen Ruthe und der Clitoris, in welchen ein
grosser Theil der kleinsten arteriellen Geisse nie capillar wird^
154 §. so. Ca^UftiKefltte. ABatomisehe Eigeaselufteii dwrtelben.
sondern immer noch relativ weit, in die gleichfalls sehr weiten
Venenanfänge einmündet, welche die Lücken ausfüllen, die durch
die Kreuzung des faserigen Grundgewebes eines Schwellkörpers ge-
bildet werden. Dass aber auch an anderen Orten kleine Arterien,
ohne capillar zu werden, in Venen übergehen, steht gegen alle Ein-
rede fest. Ich habe diese wichtige Thatsache an dem Daumenballen
der Fledermäuse, an den Ballen der Zehen und der Ferse bei den
Viverren, in der Matrix des Pferdehufes und der Klauen der Wieder-
käuer, in den Zehen und in der nackten Haut an der Wurzel des
Schnabels der Vögel, und jüngst auch in den Cotyledonen der
menschlichen Placenta nachgewiesen.
Ich habe nie gesagt, dass der Stamm einer Arterie in den Stamm einer
Vene übergeht Da ich den betreffenden Aufsatz in einer englischen Zeitschrift
(NaL Hut. Review, 1862), veröffentlichte, kann mein Englisch von den deutschen
Anatomen missverstanden worden sein. Ich wollte nur sagen, dass der Ueberg^ng
der Arterien in Venen nicht ausschliesslich durch CapUlargefösse , sondern auch
durch weitere GefHsse als die Capillaren sind, vermittelt werden könne. Will
man diese weiten Oefftsse aber auch noch Capillargef&sse nennen, so hat der
Streit ein Ende. Ein russisches Fräulein, welches in Bern zum Doctor der Medicin
promovirt wurde, hat diesen Gegenstand zum Inhalt ihrer Inaugural - Dissertation
gemacht (Fanny Berlinerblau, über den directen Uebergang von Arterien in
Venen, Berlin, 1875). Hieher g^ehören auch die Beobachtungen von Hojer
(Anat. Jahresbericht für 1874, pag. 176).
Nie endigt ein CapillargefUss blind. Nur die in gewissen
Schwellkörpern vorkommenden gewundenen Arterienästchen, welche
als Vasa helicina Mudleri in der speciellen Anatomie der Geschlechts-
organe erwähnt werden, bilden eine Ausnahme dieser Regel. Eben
so wenig geht je ein Capillargefass in einen absondernden Drüsen-
kanal über, oder mündet mit einer OefFnung auf der Oberfläche
einer Membran, wie die Alten glaubten (aushauchende Geftlsse).
Dass die Wände der Capillargefilsse nicht blos das flüssige
Blutplasma, sondern auch die geformten Bestandtheile des Blutes:
farblose und rothe Blutkörperchen, durch sich hindurchtreten lassen,
hat Stricker (Sitzungsberichte der kais. Akad. 1865) zuerst ge-
sehen, und später Cohnheim (Virchow's Archiv, 1867, 40. Bd.),
durch die beweiskräftigsten Argumente zu einer festgestellten That-
sache erhoben. Schon früher hat F. Keber (1854) in seinen mikro-
skopischen Untersuchungen, betreffend die Porosität der Körper, über
Poren der Capillargefiisswand gehandelt, und die feinsten derselben
von ,,',j'" Durchmesser, sowie spalt- oder ritzförmige Formen der-
selben von ^'" Länge gemessen, ohne dass seinen Angaben damals
von Seite der Mikrologen viel Gewicht beigelegt wurde. Stricker
berichtet auch über Bewegungsphänomene an der Capillargefasswand,
wie sie an dem Zellenprotoplasma früher (§. 19) erwähnt wurden.
Die Capillargefksswand treibt nämlich Aeste hervor, welche sich
wieder zurückziehen, oder bleibend werden^ sich verlängern, hohl
§. 50. CftpillargelftsBe. AnatornfBcbe EigVBsehaflMi derselben. 155
werden, mit benachbarten und entgegengesetzten Aesten ähnlichen
Ursprungs zu Netzen zusammenfliessen , und so fein sind, dass sie
nur Blutplasma durchlassen. Die Frage, ob es überhaupt Capillar-
gefasse gäbe, welche nur farbloses Blutplasma, aber keine rothen
Blutkörperchen zulassen, sogenannte Vcua serosa (wohl zu unter-
scheiden von den Lymphgefässen, welche auch Vasa serosa genannt
wurden), muss, wenigstens für das Auge, bejahend beantwortet
werden. Wenn ein fremder Körper uns in's Auge fällt, röthet sich
das Weiss im Auge plötzlich, und man wird in ihm eine Unzahl
feinster rother Qefösse (Capillargefässe) gewahr, welche sich doch
gewiss nicht im Augenblick gebildet haben konnten, sondern als
Vasa serosa schon vorhanden waren, und erst durch den, in Folge
der Reizung stattfindenden Eintritt rothen Blutes in sie, sichtbar
werden.
Man kennt auch capillare Blutbahnen ohne alle Begrenzungs-
membran. Sie wurden als lacunäre Blutwege von Häckel,
Leydig und Eberth in den Kiemen der Crustaceen aufgefunden.
Auch in der Menschenmilz und in den Lymphdrüsen sollen sie
vorkommen.
Die feinsten CapillargefÜisse haben so dünne und durchsichtige Wandungen,
dass sie im lebenden Thiere nur durch das Blut, welches sie enthalten, dem An-
fänger sichtbar werden. Es gehört grosse Vertrautheit mit mikroskopischen
Arbeiten dazu, leere Capillargef&sse zu untersuchen. Bei stärkeren Capillargefässen,
deren Wand schon eine messbare Dicke zeigt, erscheinen die Ränder derselben
als Doppellinien. Die Entfernung der DoppeUinien eines Randes entspricht der
Dicke der Gefässwand.
Das schönste und überraschendste Schauspiel gewährt die Betrachtung leben-
diger Capülargefässe in durchsichtigen Organen niederer Wirbelthiere. Man wählt
hiezu am besten junge Kaulquappen, welche in jeder Pfütze zu haben sind, und
in deren durchsichtigem Schweif, das Phänomen des Kreislaufes stundenlang beob-
achtet werden kann. Um das Thier^ ohne es zu verwunden, zu fixiren, und sein
Herumschlagen zu verhindern, bedeckt man es auf einer nassen Glasplatte mit
einem einfachen nassen Leinwandläppchen, welches nur die Schwanzspitze hervor-
ragen lässt. Auch die freien Kiemen der Embryonen von Salamandra aira,
welche jedoch, da sie nur im Hochgebirge zu Hause sind, nicht immer zu Gebote
stehen, können hiezu verwendet werden. Das Phänomen ist bei diesen Thieren
noch herrlicher als bei den Quappen. Um an der Schwimmhaut und dem Mesen-
terium der Frösche, oder an der Lunge der Tritonen, Beobachtungen anzustellen,
werden complicirte Vorrichtungen zur Befestigung des Thieres erforderlich, und
die damit verbundene Verwundung des unglücklichen Schlachtopfers auf dem
mikroskopischen Altar der Wissenschaft, lässt die Erscheinung nie so rein auftreten,
und nie so lange andauern, wie am unverletzten Thiere.
Um die Capillarg^fässnetze der verschiedenen Organe näher kennen zu
lernen, werden sie, von den Arterien aus, mit gefärbten erstarrenden Flüssigkeiten
durch Einspritzung gefüllt. Man bedient sich hiezu entweder des gekochten Leimes
(Hausenblase), oder harziger Stoffe in ätherischen Oelen, gewöhnlich Terpentinöl,
au^elöst, mit einem Farbenzusatz. Sehr gute Dienste leistet gewöhnliche Maler-
ikrbe mit Schwefeläther dilnirt Hanptregel bei dieser Ii\jection ist es, statt einer
156 §. 6t. PhytioloiriBek« BigenteliafIeD der Capillugefftste.
gfroBsen Arterie, lieber mehrere kleinere zu ii\jiciren, wodurch die Arbeit zwar er-
schwert, aber der Erfolg um so mehr gesichert wird. Hat man das Capillargefäss-
System eines Organs, von den Arterien und Venen aus, wie ich es thue, mit ver-
schieden gefärbten Injectionsmassen gefüllt, so erhält man die prachtvollsten
Präparate, deren Anfertigung mir eine Lieblingsbeschäftigung geworden, und über
deren Bereitung ich in dem VI. Buche meiner praktischen Zergliederungsknnst,
Wien, 1860, ausführlich handelte. Diese Präparate werden jetzt noch, jährlich
zu Hunderten, durch Verkauf und Tausch, in alle Welt verbreitet
§.51. Physiologische Eigenschaften der Gapillargefasse.
Ernährung und Stoffwechsel beruhen auf der Permeabilität der
Capillargefasswandungen, durch welche der flüssige Bestandtheil des
Blutes den Gefassraum verlassen, und mit den umliegenden Gewebs-
theilen in unmittelbare Berührung treten kann. Ist der flüssige
Bestandtheil des Blutes aus den Capillargefassen ausgetreten, so
tränkt er die umgebenden Gewebe, und kommt sofort auch zu
Stellen, wo keine Gapillargefasse verlaufen. Der Mittelpunkt einer
Masche des Gapillametzes kann nur auf diese Weise durch Tränkung
seine Ernährungsstoffe beziehen, und Gebilde, welche keine Blut-
gefässe besitzen, wie die Linse, die structurlosen Membranen, die
Nägel, der Zahnschmelz, die Epithelien, etc., sind deshalb nicht
vom Ernährungsprocesse ausgeschlossen. Die Bewässerung einer
Wiese durch Gräben, würde sich zu einem rohen Vergleiche schicken.
Die Gapillargefasse besitzen Contractilität. Es ist Thatsache,
dass das Lumen lebendiger Gapillargefasse sich unter dem Mikro-
skope zusehends ändert, und sich bis zu dem Grade verkleinert,
dass keine Blutkörperchen mehr durch dieselben passiren können
(Stricker). Umgekehrt wird durch die Durchschneidung der
Nerven einer Gliedmasso beim Frosche, eine sehr bedeutende Er-
weiterung der Capillargef&sse mit Verlangsamung der Blutbewegung
gesetzt. Alles dieses erklärt sich auch leicht, aus der dem Proto-
plasma der Zellen der Capillargefässwand inwohnenden Bewegungs-
fahigkeit.
Werden die Gapillargefasse durch irgend einen Einfluss, welcher
ihre ( *ontractilität herabzusetzen vermag, erweitert, so muss die
Schnelligkeit der Blutbewegung abnehmen, was auch umgekehrt
bis zu einem gewissen Grade gilt. Man sieht die Blutkügelchen
träger durch die erweiterten Capillarröhren gleiten, und an den
Wänden derselben hinrollen, während sie im normalen Mittelzuatande
der (xefJlsse, in der Axe derselben gleiten, ohne zu rollen, imd ohne
die Gefasswand zu beiiihren. Bei grösserer Abnahme der Fort-
bewegungsgeschwindigkeit ^ tritt Stockung mit dem Maximum der
Erweiterung ein^ und ein rothes Coagulum^ in welchem die einzelnen
§. 5S. y«n«n. Anatomiiohe Eigrateluiften denelben. 157
Blutkügelchen schwer oder gar nicht mehr zu unterscheiden sind,
verstopft die kleinsten Gefilsse. Dieses findet bei jeder Entzündung
statt. Die vis a tergo durch die nachdrückende Blutsäule , kann
auch Berstungen solcher verstopfter Capillargefasse , und dadurch
Blutextravasation bedingen, als sogenannte capillare Hämor-
rhagie.
Das Blut strömt in den Capillaren nicht stossweise, wie in den
grösseren Arterien, sondern mit gleichförmiger Geschwindigkeit. Nur
wenn Unordnungen im Kreislaufe entstehen, das Thier ermattet,
oder seinem Ende nahe ist, schwankt die Blutsäule unregelmässig
hin und her, oder ruht in einzelnen Gewissen, während sie in an-
deren noch fortrückt.
Jene Capillargefilsse , deren Durchmesser kleiner ist als eine
Blutsphäre, werden nur das durchsichtige Plasma des Blutes ohne
Blutkügelchen einlassen, und nur dann sichtbar werden, wenn eine
abnorme Erweiterung derselben auch dem rothen Blutbestandtheile
Eintritt gestattet. Sie werden Vcisa serosa genannt, und der Streit
über ihre Existenz ist noch nicht definitiv beigelegt.
Die Literatur über Gapinargefässe ist sehr zahlreich. Die schönsten Ab-
bildungen der Capillargefässnetze gab Berresj in seiner ,,Anatomie der mikroskoj».
Gebilde". — Hasse und KöHiker, über Capillargefässe in entzündeten Theilen, in
Henle und Pfeuffer^s Zeitschrift. 1. Band. — -4. Platner, über Bildung der Ca-
pillargefässe, in Miiller's Archiv. 1844. — A. KöUiker, in den Mittheilungen der
naturforschenden Versammlung in Zürich. Nr. 2. — J. Billeter, Beiträge zur Lehre
von der Entstehung der Gefässe. Zürich, 1860. — In Prochaakd*» disquisitio ana-
tomico-phys. corp. hum. Vindob., 1812, ist den Capillargef&ssen das IX. Capitel
gewidmet — Hia, über ein perivasculäres Kanalsystem, in der Zeitschrift für wiss.
Zool. 1865. — Stricker, über Bau und Leben der capillaren Blutgefässe. Wiener
akad. Sitzungsberichte, 1865. — Eberth, über Bau und Entwicklung der Blut-
capillaren. Würzburg, 1865, und Virckow's Archiv, 1868. — Chrzonttzczewtky, ebend.
1866. — Legroa, sur Tepithelium des vaisseaux sanguins. Journal de TAnat. 1866.
— Stricker y Sitzungsberichte der Wiener Akad. 61. und 62. Bd. — HyrÜ, Ver-
zeichnisB mikroskop. Injectionspräparate. Wien, 1873. — lieber den Uebergang
kleiner Arterien in Venen, ohne Vermittlung von Capillaren, schrieb auch J. P. Sncquel,
de la circulation dans les membres, etc. Paris, 1862. Hieher gehört auch meine
Abhandlung: Neue Wundemetze und Geflechte, im 22. Bande der Denkschriften
der kais. Akad.
§. 52. Tenen. Anatomische Eigenschaften derselben.
Nicht alle Venen führen venöses Blut aus den Organen zum
Herzen zurück. Es giebt auch Venen, welche Blut gewissen Organen
zuführen. Solche Venen finden sich im Menschen nur als Pfort-
ader der Leber. — Venen, welche arterielles Blut zum Herzen zui'ück-
fähren, sind die Lungenvenen, und die Nabelvene des Embryo.
158 % M. VenM. AnAtooiisck« Eifir«nsehafl«n derselben.
Indem der Blutdruck in den Venen bedeutend kleiner ist als
in den Arterien, kommen den Venen viel dünnere Wände zu, als
den Schlagadern. Die dünnen Venenwände lassen das Blut durch-
scheinen. Deshalb sind volle Venen dunkelblau. Sonst finden sich
in den Venen alle histologischen Elemente der Arterien, in denselben
drei Schichten, als intima, media, und adventitia. Allein die media
ist viel dünner, und überwiegend aus Bindegewebsfasern zusammen-
gesetzt, welchen elastische Fasern und glatte Muskelfasern nur in
verhältnissmässig geringer Menge beigemischt sind.
In wiefern einzelne Venen besondere Modificationen ihres Baues
darbieten, ist nur bei einigen untersucht. So besitzen die Stämme
der Hohl- und Lungenvenen, an ihren Einmündungsstellen in die
Vorkammern des Herzens, eine jsehr ansehnliche Schichte quer-
gestreifter Kreismuskelfasem, welche eine Fortsetzung der Muskel-
schichte der Vorkammern ist, und an den Venen des schwangeren
Uterus werden in allen Häuten derselben mehr weniger entwickelte
Muskelfasern gesehen. In den Venen des Gehirns, der harten Hirn-
haut, der Netzhaut, in den Knochenvenen, und in den Venen der
Schwellkörper, fehlen die Muskelfaseni. In der Pfortader und Milz-
vene dagegen sind sie sehr reichlich vertreten.
Die geringe Dicke der Yenenwandungen und ihr minderer Elasticitätsgrad
bedingt das Zusammen^ftllen durchschnittener Venen. Die Dicke einer Arterien-
wand betr> gfewöhnlich das Drei- bis Vierfache einer gleich grossen Vene. Die
Schwäche der elastischen Haut erlaubt den Venen nur einen sehr geringen Grad
von Zurückziehung, wenn sie zerschnitten werden.
In vielen Venen der Gliedmassen, und im Verlaufe der Haupt-
stämme der Körpervenen, finden sich Klappen, Valvulär (von
valvae, Thürflügel), welche man sich durch Faltung der inneren
Venenhaut entstanden denkt. Sie stehen entweder einfach am Ein-
mündungswinkel eines Astes in den Stamm, oder paarig, höchst
selten auch dreifach im Verlaufe eines Stammes, werden daher in
Astklappen und Stammklappen eingetheilt, und sind so ge-
richtet, dass ihr freier Rand gegen das Herz sieht. Sie beschränken
somit die centripetale Bewegung der Blutsäule nicht, und treten
erst in Wirksamkeit, wenn das Blut eine retrograde Bewegung
machen wollte. Es lassen sich deshalb klappenhaltige Venen vom
Stamm gegen die Aeste nicht injiciren. In Venen von V2'" Durch-
messer, kommen sie schon vor, fehlen jedoch allen Capillarvenen.
Auch in gewissen grösseren Venenstämmen werden sie vermisst,
bis auf Spuren, wie an der Pfortader, der Nabelvene, den Gehim-
und Lungenvenen, und allen Venenverzweigungen, welche im Inneren
drüsiger Organe enthalten sind. Jene Stelle der Venenwand, welche
von der anliegenden Klappe bedeckt wird, ist etwas ausgebuchtet,
wodurch gefüllte Venen knotig erscheinen, und die gleichförmige
$. 58. VerUnft- and VMrtetlaagtftMtM dar Venen. 159
cylindrische Rundung , wie sie den Arterien zukommt , an ihnen
verloren geht. — Zum Verständniss älterer anatomischer Schrift-
steller, bemerke ich, dass die Klappen der Venen vor Zeiten nicht
Valvulae, sondern Oatiola hiessen, welchen Namen ihnen Fabr. ab
Aquapendente, der Entdecker derselben, beilegte (de venarum
ostiolü. Patav. 1603).
Die Klappen sind in der Regel dicker als die übrige Venenwand, and
nntersacbt man ihren Bau, so stösst man anter dem einschichtigen Epithel, aaf
eine aas elastischen and Bindegewebsfitsem bestehende Schichte. Gegen den freien
Band der Klappe zu, bilden die Bindegewebsfasern dickere Bündel, welche dem
Klappenrande parallel laufen.
§. 53. Verlaufs- und Veräsüungsgesetze der Venen.
lieber Verlauf und Verzweigung der Venen, lässt sich im
Allgemeinen Folgendes sagen :
1. Die Verbreitung der Venen und ihre Verästlung stimmt
mit jener der Arterien nicht genau überein. Auffallende Unter-
schiede sind:
a) An den Gliedmassen treten eigene oberflächliche oder Haut-
venen, Venae subcuianeae, auf, welche extra fasciam verlaufen,
und von keinen Arterien begleitet werden. Nur die tiefliegen-
den Venen folgen ihren gleichnamigen Arterien, und heissen
deshalb Comites oder SateUitee arteriarum.
h) Die Venen des Halses, Kopfes und Gehirns, haben andere
Verästlungsnormen als die entsprechenden Arterien.
c) Die grossen Stämme der oberen und unteren Hohlvene, das
Pfortader- und Lungenvenensystem , und die Herzvenen, be-
gleiten nur streckenweise ihre correspondirenden Arterien.
d) Das System der Vena azygos und die Venae dijploeticae haben
im arteriellen System gar keine Analogie.
2. An den Extremitäten, in der harten Hirnhaut, und in der
Gallenblase, begleiten immer zwei Venen eine Arterie. An anderen
Stellen bleiben die Venen einfach, werden sogar in der Rücken-
furche des männlichen Gliedes, und im Nabelstrange, von doppelten
Arterien escortirt. Nimmt man nun zugleich darauf Rücksicht, dass
das Volumen einer Vene immer grösser ak jenes der begleitenden
Arterie ist, so wird die Capacität des Venensystems jene des Arte-
riensystems nothwendig übertreffen müssen. Nach Hall er verhalten
sich beide Capacitäten wie 9:4, nach Bore 11 i wie 4:1. — Die
Duplicität der Venen beginnt an der oberen Extremität schon unter
der Mitte des Oberarms; — an der unteren Extremität aber erst
unterhalb der Kniekehle.
160 §• 54. Phyiiologische Eigenschaften der Venen.
3. Anastomosen kommen im Venensystem häufiger und schon
zwischen den grösseren Stämmen vor. Ausnahmslos anastomosiren
die hoch- und tiefHegenden Venen der Gliedmassen durch Ver-
bindungskanäle mit einander. Die Anastomosen spielen überhaupt im
Venensystem eine so wichtige Rolle, dass selbst bei vollkommener
Obliteration einer der beiden Hohlvenen, das Blut derselben durch
Zweigbahnen in die andere gelangen kann.
4. Treten mehrere und zugleich gewundene Venen durch zahl-
reiche Anastomosen in Verbindung, so entstehen die Venengeflechte,
Plexus venod. Sie sind um gewisse Organe (Blasenhals, Prostata,
Mastdarm, etc.) sehr dicht genest, und engmaschig. Ihre höchste
Entwicklung erreichen sie in den Schwellkörpern, welche in der
That nichts Anderes sind, als von fibrösen und muskulösen Balken
gestützte, und von fibrösen Häuten umschlossene Plexus venosi. An
Stellen, wo die Arterien geschlängelt verlaufen, bleiben die Venen
mehr gestreckt, z. B. im Gesicht.
5. Das Kaliber einer Vene nimmt nicht nach Maassgabe der
Aufnahme von Aesten zu. Nicht selten wird eine Vene plötzlich
weiter, um sich gleich wieder zu verengem (constant als sogenannter
oberer und unterer Bulbus ander Vena jugvlarü communis) ; auch
ist die Inselbildung häufiger als an den Arterien.
6. Die Varietäten der Venen verhalten sich zu jenen der
Arterien so, dass in gewissen Bezirken die Venen, in anderen die
Arterien häufiger anomal verlaufen oder sich verzweigen, und eine
Arterienvarietät keine entsprechende Abweichung der betreffenden
Vene bedingt. Dieses gilt auch umgekehrt. Venen, denen keine
Arterien correspondiren, wie die Hautvenen, die Äzygos und Hemi-
azygos, varüren häufiger als die übrigen.
§. 54. Physiologische Eigenschaften der Venen.
Schon der Umstand, dass die häufigste imd älteste aller
chirurgischen Operationen, der Aderlass, an einer Vene verrichtet
wird, macht die Lebenseigenschaften der Venen dem Arzte wichtig.
Der Aderlass wurde zuerst von den trojanischen Helden Chiron
und Melampus an einer cretensischen Königstochter gemacht, und
mit der Hand der geheilten hohen Patientin honorirt.
Die physische Ausdehnbarkeit der Venen ist grösser, die
lebendige Contractilität derselben viel kleiner als jene der
Arterien. Aus diesem Grunde sind die Volumsänderungen einer
Vene, durch Stockungen des venösen Kreislaufes, oder durch
stärkeren Blutantrieb von den Arterien her, auffallender als an den
Arterien. Man kann dieses an den Venen des Halses bei stürmisch
$. 64. PkytiologisclM EifraBchaflen der Venen. 161
aufgeregter Respiration ^ oder bei Anstrengungen, sehr gut be-
obachten. Die Contractilität der Venen reagirt auf äussere Reize
nicht so auffallend, wie jene der Arterien. Mechanische Reizung und
Galvanismus bedingen zwar, nach den Beobachtungen von Tiede-
mann und Bruns, Verengerungen der Venen, und der Einfluss
der Kälte auf das Abfallen strotzender Hautvenen, wird durch die
tägliche ärztliche Erfahrung nachgewiesen. Allein die auf diese
Weise erhaltenen Zusammenziehungen erfolgen träger, und erreichen
nie jenen Grad, wie er bei Arterien vorkommt, wo die Contraction
das Gefasslumen ganz aufzuheben (Hunt er), oder doch bis auf ein
Drittel zu vermindern vermag (Schwann). Kölliker's Reizungs-
versuche an der Vena saphena major et minor, und tibialis postica
frisch amputirter Gliedmassen, haben die Zusammenziehungsföhig-
keit dieser Venen unbezweifelbar festgestellt. An den Hohlvenen
und Lungenvenen, in welche sich, wie früher bemerkt, die Muskel-
schichte der Herzvorkammern fortsetzt, sind auch selbstthätige,
rhythmische Contractionen schon seit Hall er bekannt, und bei kalt-
blütigen Thieren (Fröschen) sehr leicht zu beobachten.
Der mechanische Nutzen der Venenklappen wurde früher
darin gesucht, dass sie in Venen, in welchen das Blut gegen seine
Schwere strömt, wie an den unteren Extremitäten, der Blutsäule
als Stützen dienen sollen, um ihr Rückgängigwerden zu verhindern.
Da jedoch nicht alle Venen, in welchen das Blut gegen seine
Schwere aufsteigt, Klappen haben, z. B. die Pfortader, und da
andere Venen, in welchen die Richtung des Blutstromes mit der
Gravitationsrichtung übereinstimmt, Klappen besitzen, z. B. die
Gesichts- und Halsvenen, so kann die Schwere des Blutes allein
das Vorkommen der Klappen nicht erklären. Es giebt uns vielmehr
der Druck, welchen die dünne Venenwand von ihrer Umgebung,
und namentlich von den sich contrahirenden Muskeln, auszuhalten
hat, die einzige haltbare Erklärimg der Klappenbildung an die
Hand. Die Blutsäule einer durch die angrenzenden Muskeln com-
primirten Vene, sucht nach zwei Richtungen auszuweichen, centri-
petal und centrifugal (gegen das Herz, und vom Herzen weg). Dem
Ausweichen in centripetaler Richtung stellt sich nichts entgegen,
da das Venenblut in dieser Richtung überhaupt zu strömen hat.
In centrifugaler Richtung ausweichend, würde das Blut mit dem in
centripetaler Richtung heranströmenden in Conflict gerathen, und
eine Stauung hervorgerufen werden. Diese centrifugale Richtung
der venösen Blutsäule, und die durch sie veranlasste Stauung, wird
durch die Klappen verhütet, welche sich vor der centrifugalen
Blutsäule wie zwei Fallthüren schliessen, und das Venenlumen ab-
sperren. Da nun aber, dieser Absperrung wegen, auch die Be-
wegung der centripetal strömenden Blutsäule coupirt wäre, so
Hjrtl, Lehrbneh der Anatomie. 14. Aufl. 11
1 62 §• 55. Praktische Anwendttogen.
ergiebt sich von selbst die Nothwondigkeit, dass alle tiefliegenden,
dem Muskeldrucke ausgesetzten Venen, durch Abzugskanäle mit
den oberflächlichen, extra fasdam gelegenen, und somit dem Muskel-
druck nicht ausgesetzten Venen in Verbindung stehen. — Gesunde
Klappen schliessen in den meisten Venen wirklich so genau, dass
der Kückfluss des Blutes unmöglich wird, und somit der Muskel-
druck zugleich, wegen Bethätigung der centripetalen Blutströmung,
als bewegende Kraft fiir die Bewegung des Venenblutes in Anschlag
gebracht werden muss. Aus dem Gesagten lässt sich das anatomische
Factum erklären, dass nur die tiefliegenden, dem Muskeldrucke aus-
gesetzten Venen, vollkommen schliessende Klappenpaare besitzen.
— Das hier Gesagte gilt auch von den Klappen der Lynaph- und
Chylusgefösse (§. 56).
§. 55. Praktische Anwendungen.
Wunden der Venen, welche dem chirurgischen Verbände oder
den Compressionsmitteln zugänglich sind, heilen schnell und leicht.
Die prompte Heilung der Aderlasswunden dient als Beleg. Durch-
schnittene Venen bluten nur aus dem vom Herzen entfernteren
Schnittende. Wird jedoch eine Vene , in welcher das Blut gegen
seine Schwere fliesst, und die zugleich abnormer Weise einen in-
Bufficienten Klappenverschluss besitzt, entzweit, so kann sich Blutung
auch aus dem oberen Stücke der Vene einstellen. Bei Amputationen
im oberen Drittel des Oberschenkels, wo die Vena cruraUe nur
niedrige oder keine Klappen besitzt, kommt solche Blutung öfters
vor, und erfordert sogar, wo sie gefahrdrohend wird, die Unter-
bindung der Vene. — Jene Venen, deren Wand mit benachbarten
Gebilden verwachsen ist (Knochen-, Leber, Schwellkörpervenen,
u. a. m.), werden, wenn sie verwundet wurden, weder zusammen-
fallen, noch sich selbstthätig contrahiren, woraus die Gefährlichkeit
der Verwundimgen solcher Organe, und die Schwierigkeit der Blut-
stillung sich ergiebt.
Die häufigen Anastomosen hoch- und tiefliegender Venen unter
einander, werden bei Verengerungen, Verwachsungen, imd Com-
pressionen einzelner Venen durch Geschwülste, der venösen Blut-
strömung eine Menge von Nebenschleussen öffnen, durch welche
dem Stocken vorgebeugt, und der Rückfluss zum Herzen auf
anderen Wegen eingeleitet wird. Nur werden sich solche Aushilfs-
kanäle, der Grösse des übertragenen Geschäftes entsprechend aus-
dehnen müssen, und da in der Regel die tiefliegenden Venen das
Hemmniss erfahren, so werden die hochliegenden vorzugsweise die
Ausdehnung zu erleiden haben. Die Richtigkeit dieser Ansicht wird
^ 65. Praktisch« AnweBdanf^n. 163
durch die bisher übersehene Einrichtung der Klappen an den Com-
municationsvenen bewährt, indem die, an der Abgangsstelle einer
Verbindungsveno aus einer tiefliegenden befindliche Klappe, niemals
genau schlicsst, und häufig, wie im Ellbogenbug, vollkommen fehlt,
dagegen an der InsertionsöfFnung in die hochliegende Vene ganz
genau deckt. Bleibende Ausdehnungen subcutaner Venen sind somit
für den denkenden Arzt ein Fingerzeig auf Verengerungen oder
VerSchliessungen tiefer gelegener Venenstämme.
Krankhafte Erweiterungen (Varices) kommen in solchen Venen
häufig vor, in welchen der Seitendruck der Blutsäule ein beziehungs-
weise grosser ist, und durch den Druck der Umgebung nicht parirt
wird, also in hochliegenden Venen, in welchen das Blut gegen die
Schwere strömt. In den vom Herzen entfernteren Abschnitten
längerer Venen sind sie häufiger als in kürzeren. Die Varices sind
entweder einfache sackartige Ausdehnungen einer bestimmten Stelle
der Venenwand, oder befallen einen längeren oder kürzeren Abschnitt
eiaes Venenrohrs rfls Ganzes. DieVergrösserung des Lumens varicöser
Venen ist in der Regel auch mit einer Zunahme der Länge der
Vene verbunden, welche sich durch Schlängelung, ja sogar Auf-
knäuelung, besonders an den subcutanen Venen der unteren Ex-
tremität bei den sogenannten Krampfadern ausspricht. Vielleicht
erklärt die alternirende Stellung der Astklappen, welche der Aus-
dehnung weniger Folge leisten, als die den Klappen gegenüber-
liegenden Wände einer Vene, die geschlängelten Krümmungen einer
varicösen Vene.
Die Entzündung der Venen (Phlebitis) beeinträchtigt, durch
ihre in die Wand der Venen abgelagerten Producte, das vitale
Contractionsvermögen derselben ebenso, wie in den Arterien. Es
darf deshalb nicht wundem, Varices in Folge von Entzündungs-
processen entstehen zu sehen, ohne jedoch in der Entzündung das
einzige veranlassende Moment derselben zu suchen. Die durch die
Entzündung bedingte Verdickung der Venenwand, giebt zugleich
die Ursache ab, warum solche Venen für Arterien imponiren können,
und nicht zusammenfallen, wenn sie durchschnitten werden. Bluten
überdies solche durchschnittene Venen noch, so ist die Täuschung
noch leichter möglich. Sehr achtbare Operateure gestehen, Miss-
griffe gemacht, und nach Amputationen, Venen statt Arterien unter-
bunden zu haben. — Die Entzündung der Venen, imd die mit ihr
auftretende, vielleicht durch sie bedingte eiterige Blutentmischung
(Pyaemia) , ist die gewöhnliche Ursache des tödtlichen Ausganges
von Verwundungen und operativen Eingriffen. Wie sehr diese Krank-
heit von den Chirurgen gefürchtet wird, mag der Ausspruch eines
der grössten englischen Wundärzte beweisen (A. Cooper), welcher
in seinen Vorträgen über die Phlebitis die Worte aussprach: „er
11*
164 §.66. Lymph- und ChjhugvtUB^ AiutoBiflGli« EiifentchAften denelb«n.
„wolle sich lieber die Cmralschlagader als die Saphenvene unter-
„binden lassen^. Wer beide Ge&sse kennt^ wird es einsehen^ welche
Tragweite dieser Aeusserung eines vielerfahrenen Wundarztes zu-
kommt.
§. 56. Lpiph- und Ghylusgefasse. Anatomisclie Eigenschaften
derselben.
Das Lymphgefäss- oder Saugadersystem ist kein selbst-
ständiges Gefasssystem , sondern ein Anhang des Venensystems^
indem die Hauptstämme des Lymphgefasssystems in Venenstämme
einmünden. Dasselbe besteht l.aus eigentlichen Lymphgefässen,
Vctsa lymphatica (von lympha, Wasser), auch Vasa aquom, oder serosa,
welche den wässerigen Rückstand des durch die Capillargefasse zur
Ernähnmg der Organe ausgeschiedenen Blutplasma^ aus den Organen
zurückführen, und 2. aus Chylusgefässen, Vasa chylifera s. lactea,
welche das nahrhafte Product der Verdauung: den Milchsaft,
Chylus, aus dem Darmkanale aufnehmen, und den eigentlichen
Lymphgefössen übermitteln. Die Chylusgefasse dienen dem Thier-
leibe, wie die Wurzeln dem Pflanzenleibe, und wurden deshalb
auch poetischer Weise „Wurzeln des Thieres" genannt.
Lt/nipha bedeutet klares Wasser, und ist, trotz des griechischen Klanges,
ein echt lateinisches Wort Die Griechen kannten es nicht Dasselbe wird auch
Umpha geschrieben (obsolet Unipa, woher limpidus stammt). Thom. Bartholin
führte den Aasdruck Vasa JymphaHca in die Anatomie ein ( Vaaa lymph, vn homine
inverUa, Hafii, 1654). Dieser Name ist seither allgemein adoptirt, zum wahren
Aerger der Sprachkenner, welche wissen, dass lyniphalicus bei den Römern
wahnsinnig (wasserscheu) ausdrückte. — Chylus dagegen ist urgriechisch, heisst
Pflanzensaft, und wurde schon von Galen für das durch die Verdauung bereitete
Nahrungsextract gebraucht (d^ atra bile L. L c 3).
Die Structur der Wand der grösseren Lymphgefässe, stimmt
mit jener der Venen in den Hauptpunkten überein. Die Wände
der Lymphgeßlsse sind aber dünner, als jene von gleich starken
Venen. Sie besitzen das einfache Plattenepithel und die Längs-
faserhaut der Venen und Arterien, als Intima. In der Media prä-
yaliren die Ringmuskelfaseru über die elastischen, wie es in ganz
ausgezeichneter Weise im Uauptstamme des LymphgefUsssystems,
im Ductus thoracicus, der Fall ist. Ihre Adventitia enthält longitudinal
und schief verlaufende Muskelfasern, und stimmt auch sonst mit
jener der Venen vollkommen überein. — Alle Lymphgefässe grösseren
und mittleren Kalibers, sind mit einer grossen Menge von Klappen
versehen, welche, wie in den Venen, in einfache Ast- und paarige
Stammklappen eingetheilt werden, lieber einem Klappenpaare zeigt
sich das Kaliber des Ge&sses nach zwei Seiten ausgebaucht.
§. 56. Ljm^h.' vnd ChjliuireftsM. AiuitomMoli« EifentokAften deraellMn. 165
weshalb in den älteren Abbildungen die Lymphgefässe als Schnüre
herzförmiger Erweiterungen dargestellt erscheinen. Die Entfernung
der auf einander folgenden Klappen eines Ge&sses ist sehr
gering, und variirt von V" — 4'".
Die feineren Lymphgefässe verlieren die Ringmuskelfasern
der Media, behalten aber noch eine Zeitlang die longitudinalen der
Adventitia bei. Die spindelförmigen, durch geschlängelte Linien von
einander abgemarkten Zellen des Epithels, werden in den kleineren
Lymphgefassen so voll und hoch, dass sie das Lumen derselben
erheblich kleiner erscheinen lassen, als es nach dem äusseren
Umfang dieser Gefasse zu vermuthen wäre. Li den feinsten Lymph-
gefassen (Lymphcapillaren) finden wir nichts, als eine Bindegewebs-
membran mit Epithel. Sie haben keine Klappen, höchstens undeut-
liche Rudimente derselben, stellenweise auch ringförmige, niedrige
Vorsprünge nach dem Lumen hin. Die Klappen in den stärkeren
Lymphgefassen sind jedoch keineswegs überall in dem Grade
sufficient, dass sie die künstliche Füllung der feineren und feinsten
Lymphgefassverästlungen vom Stamme gegen die Aeste, unbedingt
zu verhindern vermöchten. Jeder praktische Anatom, welcher sich
mit der mühevollen Arbeit der LymphgefKss-Injection beschäftigt
hat, wird mir hierin aus seiner eigenen Erfahrung beipflichten.
Ueber die Anfänge der feinsten Lymphgefässe wurde viel
gestritten. Gegenwärtig hat sich die Ansicht Geltung verschafft,
dass die capillaren Lymph- und ChylusgefUsse mit offenen Mündun-
gen in den Interstitien der Gewebe ihren Anfang nehmen, wie die
Drainageröhren in einem versumpften Grunde. Auch sollen im
Verlauf der Lymphcapillaren noch Oeffnungen (Stomata) vorkommen,
mittelst welcher dieselben frei, mit den einer eigenen Wand ent-
behrenden Interstitien im Gewebe der Organe (Saftkanäle) ver-
kehren, so dass das in diesen Interstitien befindliche Blutplasma,
nach Abgabe seiner ernährenden Bestandtheile an das betreffende
Gewebe, als Lymphe in die Lymphcapillaren einströmen, d. h. von
ihnen absorbirt werden kann. — Netzförmige Verbindungen der
Lymphcapillaren finden sich überall, — am schönsten in den serösen
Membranen.
Die capillaren Lymphgefössnetze zeigen zahlreiche, von Stelle
zu Stelle vorkommende Ausweitungen. Teich mann erklärt diese
Ausweitungen für Zellen, und benennt sie auch als Saugader-
zellen, da er an einigen derselben, einen in ihre Wand ein-
gelassenen ovalen Kern mit Bestimmtheit erkannte. — Wo die
Lymphcapillaren zu grösseren Stämmen zusammentreten, beginnt
in letzteren die Klappenbildung. Die Klappen bezeichnen somit
die anatomische Grenze des capillaren Bereiches der Lymphgefässe.
— Die Lymphcapillaren in den derben, parenchymatösen Organen
166 §*67. yerlaa(lig«setze der Lymph- und Ckylasgefilsse.
(Drüsen , Muskeln) sind viel schwerer durch künstliche Füllung
darzustellen, als in den häutigen Gebilden mit Flächenausdehnung
(Membranen), und deshalb sind auch die Angaben über sie nicht
übereinstimmend. Die technisch anatomische Behandlung der Lymph-
gefilsse, zählt überhaupt zu den schwierigsten Aufgaben der prak-
tischen Anatomie. Sie erfordert mehr Zeit, Geduld und Geschick-
lichkeit, als irgend eine andere anatomische Hantirung. Darum
mögen in dieser Frage nur Berufene mitreden.
' In der neuesten Zeit wurde von mehreren Seiten (His, Robin,
Gillavry) die Beobachtung gemacht, dass, wie bei den Reptilien
gewisse Blutgefassstämme innerhalb grosser Lymphbehälter liegen,
so auch bei den warmblütigen Thieren, und selbst im Menschen, in
bestimmten Organen die capillaren Blutgefässe, ganz oder zum
grössten Theil innerhalb von Lymphgeftlssen lagern, welche förmliche
Scheiden um sie bilden, so dass die Capillargefässe ringsum von der
Lymphe umspült werden.
Im Gehirnmarke, in der Medtdla ossium, im Auge (mit Aus-
nahme der Netzhaut), im inneren Gehörorgan, in der Placenta, und
in den Eihäuten des Embryo, konnten bis jetzt selbst gröbere
Lymphgefässe noch nicht aufgefunden werden.
Die Ghylasgefösse, welche sich nur durch ihren Inhalt, nicht durch ihren
Bau von den Lymphgefässen unterscheiden, lassen sich bei Thieren, welche man
kurz nach der Verdauung schlachtet, in ihrer natürlichen Füllung durch den milch-
weissen Chylus, sehr gut, wenn gleich nur für kurze Zeit, beobachten.
lUtkUngtkauaen, die LymphgefEsse, und ihre Beziehung zum Bindegewebe.
Berlin, 1862. — C. Ludwig und Schweigger- Seidel, die Lymphgefasse der Fascien
und Sehnen. Leipzig, Fol., 1872.
§. 57. Verlaufegesetze der Lpiph- und Chylusgefässe,
Folgende allgemeine Gesetze gelten für den Verlauf der Lymph-
und ChylusgefUsse:
1. Die LymphgefUsse begleiten die grösseren Blutgefässe, an
welchen sie sich wohl auch zu Netzen verketten, oder zu Convoluten
verschlingen. Sie halten sich, wie Teichmann gezeigt hat, mehr
an die Arterien, als an die Venen, und an letztere nur dann, wenn
diese, wie es bei den subcutanen Venen der Fall ist, nicht von
Arterien begleitet werden. Sie lassen sich, je nachdem sie innerhalb
oder ausserhalb der Fascie einer Gliedmasse verlaufen, in hoch-
imd tiefliegende eintheilen. Beide verfolgen mehr weniger gerad-
linige Bahnen. Nur der Uauptstamm des Systems, der Ductus
thoracicus, bildet vor seiner Einmündung in die Vena imonüncUa
sinistra, einen stärkeren, nach oben convexen Bogen.
§. 68. Bau der LymphdrüMii. 167
2. Sie durchlaufen oft lange Strecken, ohne Aeste aufzunehmen,
und theilen sich zuweilen in zwei Zweige, welche sich wieder zu
einem Stämmchen vereinigen (Inselbildung). An einem Präparate
unserer Sammlung, sehe ich den Stamm des Ductus thoradcua in eine
Unzahl inselbildender Gänge zerfallen.
3. An gewissen, und immer an denselben Stellen des Körpers^
welche gewöhnlich grössere Bindegewebslager enthalten, wie die
Beugeseiten der Gelenke, die Zwischenmuskelräume , etc., äussern
die Lymphgefösse ein Bestreben, sich durch Reduction ihrer Zahl
zu vereinfachen. Mehrere derselben treten nämlich in eine sogenannte
Lymphdrüse, Glandula lymphaHca, ein, um in geringerer Anzahl
wieder aus derselben herauszukommen (Vasa afferentia und efferentia).
In der Regel linden sich mehrere Lymphdrüsen in demselben Binder
gewebslager zusammen, und stehen unter einander durch Zwischen-
gefasse in Verbindung, wodurch die sogenannten Plexus lymphaüci
entstehen. Die Gestalt der Drüsen ähnelt jener einer Eichel, —
woher der Name Glandula stammt (von glans). Häufig ist sie auch
bohnenförmig, mit einer Art von Narbe (HiluSy richtiger Häurn^ der
schwarze Tupfen am concaven Rande einer Bohne), für die ein-
imd austretenden Blutgefässe. Ich bemerke überflüssiger Weise,
dass Haus, welches Wort wir auch bei den Nieren, der Limge, und
der Milz, wieder hören werden, eigentlich eine veraltete Form von
pilus (Haar) ist, wie der Ausdruck ne hüum und nihüum (nicht ein
Haarbreit) beweist. — Die Grösse der Lymphdrüsen kann bis V* im
längsten Durchmesser steigen. Je weiter vom Mittelpunkte des
Leibes entfernt, desto kleiner sind sie, je näher demselben, desto
grösser. Die aus einer Drüse heraustretenden Lymphgefasse suchen
eine entlegenere zweite, dritte, vierte auf, bevor sie in den Haupt-
lymphstamm übergehen. Ueber den Bau der Lymphdrüsen handelt
der nächste Paragraph.
Während den Blatgefäasen ihr Verlauf so leicht und kurz als möglich ge-
macht wurde, scheint die Natur, durch Anbringen der zahlreichen Lymphdrüsen,
mit den Lymphgefössen die entgegengesetzte Absicht zu verfolgen, und die Lymphe
auf Umwegen so langsam als möglich dem Blute zuströmen zu lassen.
Der Durchmesser der Lymphgefasse bietet nicht die grossen Differenzen,
von Weite und Enge dar, wie die Blutgefässe, d. h. die kleinsten Lymphgefasse
haben einen grösseren Durchmesser als die kleinsten Blutgefässe; der Haupt-
stamm der Lymphgefasse dagegen (Ductus thoraciauj, einen bedeutend kleineren
als die Hauptstämme des Blutgefässsystems (Aorta, Venae cavaej.
§. 58. Bau der Lymphdrüsen.
Ueber kein Organ des menschlichen Körpers wurde in se
kurzer Zeit so Vieles und so Verschiedenartiges vorgebracht, wie
168 §. 58. BftQ der Lymphdiftten.
über die Lymphdrüsen. Allgemein ausgedrückt, sind die Lymph-
drüsen die Bildungsstätten der Lymphkörperchen (§. 65), welche
in dem Bindegewebsstroma der Drüse alle Entwicklungsstadien
durchmachen, bis sie von dem die Drüse durchsetzenden Lymph-
strom aufgenommen und fortgeführt werden.
Man huldigte lange Zeit der Ansicht Hewson's, dass die ein-
tretenden Gefasse einer Lymphdrüse, sich in ihr in Netze auflösen,
welche den austretenden ihren Ursprung geben. Das Lymphgeftlss-
netz einer Lymphdrüse wurde demnach als Wundernetz aufgefasst,
welches, umsponnen von den CapillargefUssen der Drüse, auf die
in ihm enthaltene Lymphe eine veredelnde Wirkung äussern sollte
(Assimilation). Von dieser sehr einfachen Vorstellung ist man aber
schon längere Zeit zurückgekommen, imd bekennt sich gegenwärtig
über den Bau der Lymphdrüsen zu folgendem Credo, welches
natürlich auch seine Ketzer imd Sectirer zählt.
Wie sich an ausgepinselten Durchschnitten von Lymphdrüsen
des Gekröses (Mesenterialdrüsen) , welche in Chromsäure gehärtet
wurden, sehen lässt, besitzt jede Lymphdrüse eine Bindegewebs-
hülle, reich an organischen Muskelfasern. Die Hülle sendet in das
Innere der Drüse eine Anzahl Fortsätze ab, durch welche das
Parenchym der Drüse bis in eine gewisse Tiefe in kleinere, mit
freiem Auge eben noch imterscheidbare Abtheilungen gebracht
wird, welche Alveoli heissen (Drüsenelemente bei Brücke). Die
Alveoli sind nicht vollkommen von einander isolirt, sondern ver-
schmelzen gegen die Tiefe hin mit einander. Jeder Alveolus besteht
aus einem feinfaserigen Bindegewebsgerüste (ReticuLum) , dessen
Maschen von dicht zusammengedrängten Lymphkörperchen in allen
Zuständen der Entwicklung, vom einfachen Kern, bis zur voll-
ständigen Protoplasmazelle , eingenommen werden. Die Kerne liegen
mehr in der Mitte der Alveoli, die fertigen Zellen nach der Ober-
fläche, besonders aber gegen die gleich zu erwähnende Marksubstanz
der Drüse hin. Die Summe sämmtlicher Alveoli bildet die so-
genannte Rindensubstanz der Lymphdrüsen. Sie imterscheidet
sich durch ihre weissliche Farbe (bedingt durch Gefassarmuth) und
ihre Consistenz, von der weichen, röthlichen und geiUssreichen
Marksubstanz der Drüse. Was man nun Marksubstanz nennt,
ist gleichfalls ein eigenthümliches Gerüste oder Gebälke, dessen
nicht aus Bindegewebe, sondern aus Zellen (Lymphkörperchen)
aufgebaute Balken: Zellenbalken heissen. Zwischen den Zellen-
balken müssen nothwendig Räume übrig bleiben, welche ein wahres
Labyrinth von Gängen bilden, durch welche, das ist gewiss, die
Lymphe der Vasa inferentia, in die Vasa efferentia übergeht,
während dieses Ueberganges einzelne Zellen von den Zellenbalken
ablöst, und mit sich als Lymphkörperchen fortfUhrt. So weit wäre
§. 69. PhTtiologiache und pnktitoke B«iiierkiing«iu 169
alles richtig. Die Meinimgsdifferenzen beginnen erst mit der Beant-
wortung der Frage, ob die Räume , durch welche die Lymphe der
zufuhrenden Lymphgefasse in die abführenden überströmt, eine
eigene Wand besitzen, oder ob sie sogenannte wandlose Gänge sind,
d. h. solche, deren Wand nur durch die Zellenbalken, nicht durch
eine Membrana propria gebildet wird. In diese Streitfrage näher
einzugchen, kann nur für Jene Interesse haben, welche sich mit
der Anatomie der Lymphdrüsen eingehend beschäftigen wollen. Es
steht ihnen dazu die bimtscheckigste Literatur zu Gebote, auf
welche ich, um Raum für Nützlicheres zu sparen, hiemit verweise,
Sie findet sich in dem ausgezeichneten Artikel von Recklings-
hausen: das Ly mphgefUsssystem , in Stricker's Gewebslehre,
9. Cap., zusammengetragen. An Widersprüchen in den Angaben
eines und desselben Autors fehlt es wahrlich nicht, weil sich der-
selbe zuweilen in seinem eigenen Garten verirrt. Die oben erwähnten
Räume, durch welche der Weg von den zufuhrenden zu den ab-
fuhrenden Lymphgefassen der Drüsen fuhrt, enthalten, frei in ihrer
Axe, wirkliche Bindegewebsbalken, welche mit den Zellenbalken
durch zahlreiche Fortsätze in Verbindung stehen. Zwischen diesen
Fortsätzen muss sich der Lymphstrom durcharbeiten. Diese Ein-
richtung hat vor der Hand den unverkennbaren Nutzen, den Lymph-
bahnen, welche nur von weichen Zellenbalken begrenzt werden,
mehr Halt zu geben, damit sie sich bei Stauungen der Lymphe
nicht abnormer Weise erweitern können. — Es soll noch einen
zweiten Uebergang zwischen zu- und abführenden Lymphgefassen
einer Drüse geben. Man will nämlich zwischen der contractilen
Hülle der Drüse, und ihrer Corticalsubstanz, Hohlräume beobachtet
haben, in welche sich zufuhrende Lymphgef&sse ergiessen, und aus
welchen abführende Gefasse hervorgehen.
H, Frey, die Lymphdrüsen des Menschen und der Säogethiere. Leipzig,
1861. — Sehr ausführlich, wenn anch nicht sehr klar, wird über die Stractor
der Lymphdrüsen von Brücke gehandelt, in dessen phjsiol. Vorlesungen. 1. Bd.
pag. 195.
§.59. Physiologische und praktische Bemerkungen.
Man hält die Lymphdrüsen für die Bildungsstätten der Lymph-
körperehen. Da nun aber Lymphgefasse, welche noch durch keine
Lymphdrüsen passirten, schon in ihrer Lymphe Lymphkörperchen
enthalten, so müssen diese auch anderswo, als in den Lymphdrüsen
entstehen können. Die Organe, wo dieses geschehen soll, sind nach
Brücke, die in der speciellen Anatomie als Peyer'sche Follikel
und ihre Verwandten, bekannten Gebilde. Er bezeichnet dieselben
170 I* 68* Phytiok»gische nnd praktische Bemerknagen.
deshalb als peripherische Lymphdrüsen. Hier wird es gut
sein^ Folgendes zu bemerken. Wir wissen^ dass die capillaren Blut-
gefässe^ die im Blute enthaltenen Lymphkörperchen (farblose Blut-
körperchen) durch sich hindurchtreten lassen. Dadurch kommen
diese Körperchen in die interstitiellen Gewebsräume der Organe,
aus welchen, wie wir gleichfalls wissen, die Lymphgefilsse mit
offenen Mündungen ihren Ursprung nehmen. Wir brauchen also keine
peripherischen Lymphdrüsen, um das Vorkommen von Lymph-
körperchen in den Lymphgefflssen, welche noch keine Lymphdrüsen
passirt haben, zu erklären. Auch wurde früher angegeben, dass
viele feinere Blutgefässe innerhalb bewandeter Lymphbahnen liegen;
die Lymphkörperchen des Blutes also, nach ihrem Austritt durch
die Capillargefässwand , gleich in die umgebenden Lymphbahnen
gelangen müssen.
Die wichtigste Lebenseigenschaft der Lymph- und Chylus-
gefässe liegt in ihrer Contractilität. Diese ist allgemein als bewegendes
Moment ihres Lihaltes anerkannt. Nach J.Müller stellten sich am
entblössten Ductus tkoradcas einer Ziege, auf starken galvanischen
Reiz, Zusammenziehungen ein. Henle sah, unter Anwendung des
Rotationsapparates, Contractionen des Ductus thoradcua, an einem
mit dem Schwert gerichteten Verbrecher entstehen, und an den mit
Chylus gefüllten Saugadem des Gekröses lebender Thiere, wurden
sie von vielen Beobachtern gesehen. In gewissen Lymphreservoiren
der Amphibien und Vögel treten, mit der Entwicklung einer sehr
deutlichen Muskelschichte, selbst rhythmische Contractionen und
Expansionen auf, weshalb man diese pulsirenden Lymphbehälter
auch Lymphherzen nannte.
Die physiologische Bestimmimg der Lymphgefflsse zielt dahin,
die aus den Capillargefassen ausgetretenen flüssigen Bestandtheile
des Blutes, nachdem sie den Ernährungszwecken gedient, durch
Aufsaugung (ÄbsorpHo) wieder in den Kreislauf zu bringen. Aus-
scheidung durch die Capillargefflsse, und Aufsaugung durch Lymph-
gefässe, müssen bei normalen Zuständen gleichen Schritt halten. Es
lässt sich leicht einsehen, auf wie vielerlei Weise dieses Gleichheits-
verhältniss gestört werden könne. Führen die Lymphgefässe weniger ab,
als die CapillargefUsse ausschieden, so muss das Ausgeschiedene sich
stagnirend anhäufen, wodurch wässerige Anschwellung (Oedema),
oder in höheren Graden Wassersucht (Hydrops) gegeben wird.
In der absorbirenden Thätigkeit der Lymphgefflsse liegt eine
fruchtbare Quelle ihrer häufigen Erkrankungen. Nehmen sie reizende,
schädliche Stoffe auf, gleichviel ob sie im Organismus erzeugt, oder
durch Verwundung demselben einverleibt wurden (vergiftete Wunden,
wohin auch die bei Leichenzergliederung entstandenen Verwundungen
gehören), so können sie sich entzünden, die Entzündung den Lymph-
). 59. Physiologische and praktische BenerkangeD. 171
drüson mitthcilen, und Anschwellungen^ Verstopfungen, Verhärtungen,
und Vereiterungen derselben bedingen, wie z. B. die Bubonen, als
Entzündungen und Vereiterungen der Leistendrüsen, durch das von
den Lymphgefassen der Geschlechtstheile zugeführte venerische
Gift. Da sich zu vergifteten Wunden auch häufig Entzündung der
Venen gesollt, deren Folgen so oft lethaler Natur sind, so ist ihre
Gefthrlichkeit evident. Mehrere Anatomen, wie Hunter, Hun-
czowski, und mein geehrter, der Wissenschaft zu früh entrissener
College Eolletschka, starben in Folge von Inoculirung des Leichen*
giftes durch Sectionswunden.
Ein merkwürdiger und in praktischer Beziehung wenig ge-
würdigter Antagonismus herrscht zwischen der Absorption der Lymph-
und Chylusgefösse. Bei Thieren, welche lange hungerten, findet
man die Lymphgefilsse von Flüssigkeit strotzend, die Chylusgefässe
dagegen leer, und bei einem nach reichlicher Fütterung getödteten
Thiere, zeigt sich das Gegentheil. Interstitielle Absorption kann
sonach durch Hunger gesteigert werden, während in jenen Krank-
heiten, wo sie herabgestimmt werden soll, karge Diät vermieden
werden muss. Bei Thieren, welche durch reichliche Blutentziehung
getödtet werden, findet man die Lymphgefilsse voll, und die Steige-
rung der Absorption durch Aderlässe, ist auch in der medicinischen
Praxis bekannt. Man könnte diese Erscheinung so auffassen und
erklären, als beeilten sich die Lymphgefilsse, den Verlust zu ersetzen,
welchen das GefUsssystem durch Blutentziehungen erlitt. Dass die
Blutentziehungen zugleich das Austreten des Blutplasma aus den
Capillargefassen erschweren, ist eine nothwendige Folge der ver-
ringerten Capacität der Blutgefässe, und der damit verbundenen
Dichtigkeitszimahme ihrer Wände.
Die Lymphe der austretenden Gefässe einer grösseren Lymph-
drüse, unterscheidet sich von jener der eintretenden, durch ihre
röthere Färbung und grössere Neigung zur Coagulation. Die Lymphe
muss somit während ihres Durchganges durch eine Lymphdrüse,
faserstoffreicher geworden sein, und rothes Pigment aufgenommen
haben. Dass beides durch Vermittlung der Blutgefässe geschieht,
welche sich in den Alveoli einer Lymphdrüse verästeln, versteht
sich von selbst. Man bezeichnet diese Veränderung, durch welche
die Lymphe dem Blute an Farbe und Mischung ähnlicher wird,
in der alten Medicin mit dem Namen der Assimilation.
Die Geschichte des lymphatischen Gefasssystems bildet eines der inter-
essantesten Capitel der Geschichte der Anatomie. Deshalb hier ein Bruchstück
aus derselben. — Die Vota ch^lifera, welche in ihrer natürlichen Füllung mit
dem milchweissen Chylus bei Thieren, die in der Yerdauungszeit getödtet
werden, leicht zu sehen sind, wurden weit früher entdeckt, als die Vtua lyra-
phatica, deren wässeriger und farbloser Inhalt, sie nur schwer auffinden lässt
Herophilus, welcher, wie im §.14 erwähnt wurde, lebende Verbrecher secirt
172 |. 59. PhysiologiBche and praktisch« Benerkangen.
haben boU, hat im Gekröse dieser Unglücklichen, die Chylnsgefasse zuerst ^•
sehen. Die in demselben Paragraph citirte Stelle aus Galen, giebt Zeugniss
dafiOr. Er nannte sie Venae propriae meaenterü, mid kannte auch ihren Eintritt
in die Lymphdrüsen des Mesenterium (glandulota quaedam corporaj. Bis in das
17. Jahrhundert blieb diese Stelle im Galen den Anatomen räthselhaft und un-
verständlich, da keiner derselben, ungeachtet der häufig yorgenommenen Zer-
gliederungen lebender Thiere, die Chylusgefässe wieder gesehen hat. Da kam
ein Liebling der Götter des anatomischen Olymps daher, Prof. Gasparo Aselli
zu Pavia, welcher am 23. Juli, 1622, bei der Vivisection eines Hundes, diese Ge-
fässe, von weissem Chylus strotzend, im Gekröse als tenuissimos candidi8simo»que
funiculoB neuerdings auffand. Er hielt sie anfangs für Nerven. Als er aber die
wirklichen Nerven des Gekröses neben den fraglichen weissen Strängen verlaufen
sah, schnitt er einen derselben durch, sah den Chylus aus demselben ausströknen,
und rief in freudiger Ueberraschung seinen anwesenden Freunden das Archi-
medische El>pi]xa zu, denn die mysteriöse Stelle des Galen hatte nun endlich
durch ihn ihr Yerständniss gefunden. Die Venae propriae mesenterii waren die
absorbirenden Chylusgefässe ! — Er verfolgte sie bis in die grosse Lymphdrüse
in der Wurzel des Gekröses, welche er aber, ihres Ansehens wegen, für ein
Pancreas hielt, weshalb diese Drüse, welche ein Agg^gfat von Lymphdrüsen ist,
und bei den meisten fleischfressenden Säugethieren vorkommt, ' noch in unserer
Zeit von den vergleichenden Anatomen Pancreas AselU genannt wird. Da er
aber auch zahlreiche Lymphgefässe zwischen der Leber und dem Pancreas Aselli
antraf, verfiel er in den Lrrthum zu glauben, dass diese LymphgefKsse den Chylus
vom Pancreas zur Leber führen, damit er dort in Blut umgewandelt werde, wie
denn damals die Galen*sche Lehre, dass die Leber das blutbildende Organ sei
(haematopciSseos organon) noch allgemeine Geltung hatte. Im Menschen hat
Aselli die Chylusgefässe nicht gesehen. Dort wurden sie durch die Aerzte in
Aix (Aquae SexUaeJ, 1628, an einem Hingerichteten aufgefunden. — Im Jahre
1649 entdeckte Jean Pecquet, Arzt zu Dieppe, das von ihm als JßeceptoctcZttm
chi/U benannte Reservoir an der Lendenwirbelsäule. Er zeigte, dass die Viua
chylifera sich nicht in die Leber begfeben, wie Aselli glaubte, sondern in diesen
Behälter einmünden, welcher durch den Ductus thorackus mit dem System der
oberen Hohlader in Zusammenhang steht. Dieses wurde durch Untersuchungen
an Thieren sichergestellt, und durch Olaus Rudbeck, 1650, auch im Menschen
bestätigt Pecquet*s Schrift: Experimenta nova anoL, etc., Paris, 1651, nennt
Hall er: nobile opus, inter praecipua seculi decora. Und sie verdient diese Ehre,
denn durch sie war ein neues Gefässsystem der Anatomie geschenkt, welches auch
ein neues Licht über die Vorgänge des Blutlebens und der Ernährung ver-
breitete. — Die eigentlichen LymphgefKsse , welche keinen Chylus , sondern
Lymphe führen, wurden in der Mitte des 17. Jahrhunderts fast gleichzeitig durch
den Schweden O. Rudbeck, den Dänen Th. Bartholin, und den Engländer
Jolivius (Joliflf) in den verschiedenen Organen des menschlichen Leibes auf-
gefunden, und dadurch die Lehre von diesen Gefässen in ihrem ganzen Umfang
begründet, so dass es Hewson (1774), Cruikshank (1786), und vorzüglich
P. Mascagni (1784) ermöglicht wurde, eine erschöpfende Darstellung des lym-
phatischen Gefässsystems zu geben. (Siehe Literatur, §. 433). Das Andenken an
Aselli, als Gründer dieser Lehre, hat die Universität Pa via durch die Errichtung
eines Marmordenkmals in ihren Hallen verewigt. Sein Werk: De lactihus a. lacleis
venis, kam efst nach seinem Tode zu Mailand, 1627, heraus.
$. GO. BUt. MlkrotkopiBcha üntenncliiing denelben. 173
Inhalt des Gefässsystems«
§. 60. Blut Mikroskopische üntersuchuiig desselben.
Obwohl die praktische Anatomie über und über mit Blut zu
thun hat^ betrachtet sie dennoch dieses Fluidum nicht als ein ihr
zuständiges Object der Untersuchung. Sie hat dasselbe der Physio-
logie ganz und gar anheimgestellt. In den Schriften der letzteren
Wissenschaft ist demnach Ausführlichkeit über alles dasjenige zu
suchen, was die hier folgenden Paragraphe, im Bewusstsein ihrer
Nichtberechtigung, nur in Umrissen andeuten.
Das Blut, Sangvia («V«), ist jene rothe, gerinnbare, schwach
salzig schmeckende, und Spuren einer alkalischen Reaction zeigende
Flüssigkeit, welche in eigenen Gefassen und in beständiger Bewegung
zu und von • den Organen strömt. Die heilige Schrift nennt das
Blut den flüssigen Leib, welcher Ausdruck nicht actu, sondern
poteniia zu nehmen ist, indem das Blut, als allen Organen gemein-
schaftlicher Nahrungsquell, die Stoffe enthält, aus welchen die
Organe sich erzeugen imd ernähren. Im 5. Buche Moses, cap. 12
heisst es: „Das Blut ist die Seele, darum sollst Du die Seele nicht
„mit dem Fleische essen". — Die Menge des Blutes im vollkommen
ausgewachsenen Menschen von circa 150 Pfund Gewicht, kann auf
11 bis 12 Pfund angeschlagen werden.
In seinem. lebenden Zustande beobachtet, was nur an durch-
sichtigen Theilen kleiner Thiere möglich ist, lässt uns das Blut
einen festen oder geformten, und einen flüssigen Bestandtheil
unterscheiden.
a) Fester Bestandtheü des Blutes.
Den festen oder geformten Bestandtheil des menschlichen
Blutes bilden zwei Arten von sogenannten Blutkörperchen: die
rothen und die farblosen. Beide schwimmen im flüssigen, wasser-
hellen und durchsichtigen Blutliquor, Plasma sanguinis.
Die von Swammerdam zuerst beim Frosch (1658), und hier-
auf von Leeuwenhoek beim Menschen (1673) entdeckten rothen
Blutkörperchen, werden unpassend Globvli s. Sphaerulc^ sanguinis
genannt, indem sie keine Kugeln, sondern kreisrunde (nur beim
Kameel und LIama elliptische), das Licht doppelt brechende Scheiben
darstellen, deren Flächen nicht plan, sondern derart gehöhlt sind,
dass die Scheibe biconcav erscheint. Der Flächendurchmesser der-
selben beträgt im Mittel 0,0077"' (Welcker), nach Anderen
174 $. Mt. BlaL Mikroskopische Uotennchnng desselben.
Vi26 Mm., und der Dickcndurchmesser ungeßihr ein Viertel
davon. Bei allen Säuge thieren sind sie kleiner; nur beim Seehund
ebensogross wie im Menschen. — Der von Einigen in den Blut-
körperchen gesehene Kern (Nasse), existirt in der That an gttnz
frischen Blutkörperchen der Säugethiere und des Menschen nicht.
An den elliptischen Blutkörperchen der Amphibien tritt er, besonders
unter Anwendung von Jodtinctur, sehr deutlich hervor. — Aus den
Gefässen herausgetretene Blutkörperchen, verlieren ihre glatte Ober-
fläche, werden höckerig, und schrumpfen ein.
Im Blute des erwachsenen Menschen kreisen 60 BiNionen
Blutkörperchen (Vierordt). Wer an der Richtigkeit dieser Ziffer
zweifelt, möge nachzählen. Im vorgerückten Alter, und in gewissen
Krankheiten, z. B. in der Bleichsucht, nimmt diese Menge bedeutend
ab. — Man negirt gegenwärtig allgemein die Zellennatur der Blut-
körperchen, und erklärt sie geradezu fiir Protoplasmaklümpchen,
deren weiche Masse mit Blutroth getränkt ist, und keine darstell-
bare Begrenzungshaut besitzt. — Das Protoplasma der rothen Blut-
körperchen ist ein in Wasser unlöslicher, in Säure und Alkalien
aber löslicher Eiweisskörper, welcher mit dem krystallisirbaren
Hämatoglobin , und dem eisenhaltigen Hämatin, sowie mit Kali-
salzen (besonders phosphorsaurem Kali) durchdrungen ist. — Das
Hämatin soll, den neuesten Untersuchungen zufolge, nicht als solches
in den rothen Blutkörperchen enthalten sein, sondern sich erst
durch die Einwirkung von Säuren aus ihnen herausbilden. Wir
wissen, dass dasselbe der Träger des im Blute vorhandenen Eisens
ist; denn die Asche des Hämatins giebt 10 pCt. Eisenhyperoxyd.
Wie das Eisen im Hämatin vorkommt, ist zur Stunde noch nicht
mit Sicherheit eruirt. Durch chemische Reagentien lässt sich sein
Vorhandensein im frischen Blute nicht constatircn, wohl aber gelingt
es, dasselbe in metallischer Form aus der Blutasche zu erhalten.
— Sichergestellt im Menschen- und Säugethierblut, aber nicht er-
klärt, ist das Vorkommen sternförmiger Blutkörperchen, welche
zuerst im Blute von Typhuskranken gesehen wurden, aber mit dem
Typhus in keinem causalen Nexus stehen, da sie bei kerngesunden
Menschen, und zwar häufig genug vorkommen. Nur so viel steht
fest, dass die sternförmigen Blutkörperchen, aus den rothen scheiben-
förmigen hervorgehen.
Die farblosen Blutkörperchen sind im Menschenblut grösser
als die rothen, bei den Thieren mit elliptischen Blutkörperchen
jedoch (Vögel, Amphibien, und Fische) kleiner. Das feinkörnige
Protoplasma ihres Leibes schliesst ein oder mehrere rundliche Kerne
(mit Kemkörperchen) ein. Zuweilen bietet ihre Oberfläche ein
granolirtes Ansehen dar. Das granulirte Ansehen tritt an kleineren
Körperchen dieser Art deutlicher hervor als an grösseren. Sie sind,
§. 60. Blot Mikroskopische Üntersochnng dosselben. 175
ihres Fettgehaltes wegen, specifisch leichter als die rothcn Blut-
körperchen. Ihr quantitatives Verhältniss zu den rothen Blut-
körperchen scheint ein sehr variables zu sein. Die Angaben der
Autoren stimmen deshalb nicht blos nicht überein, sondern differiren
in wahrhaft ausserordentlicher Weise, So ist das Verhältniss nach
Sharpejr 1 : 50, nach Henle 1 : 80, nach Donders 1 : 375. Im
Allgemeinen lässt sich sagen, dass sie in der Jugend, und nach
genommener Nahrung, zahlreicher zur Anschauung gelangen. Es
giebt eine trostlose, und nicht eben seltene Krankheit, bei welcher
die farblosen Blutkörperchen über die farbigen numerisch das
Uebergewicht erhalten. Virchow schildert diese Krankheit als
Leucaemia.
Eine Zellenmembran kommt an den farblosen Blutkörperchen
(eben so wenig als an den rothen) vor. Ein Kern aber existirt
zweifellos in ihnen, und tritt unter Anwendung von Essigsäure deutlich
hervor. Sie zeigen die grösste Uebereinstimmung, oder sind vielmehr
identisch mit den Lymph- und Chyluskörperchen, und mit den im
frischen Eiter vorkommenden granulirten Eiterkörperchen. In
letzterer Beziehung lässt sich deshalb auf den mikroskopischen
Nachweis von Eiter im Blute nicht viel Werth legen. Die farblosen
Blutkörperchen wandeln sich allmälig in gcfiirbte Blutkörperchen
um, deren jüngere Lebenszustände sie darstellen.
Bei aufmerksamer Beobachtung unter dem Mikroskope, sieht
man, dass die farblosen Blutkörperchen, langsam aber fortwährend
ihre Gestalt ändern, indem sie eiförmig, bimförmig, eckig, selbst
sternförmig werden. Dieser zugleich mit wirklicher Ortsveränderimg
(der kriechenden Bewegung einer Amöbe ähnlich) auftretende Ge-
staltenwechsel, lässt sich stundenlang beobachten. Während des
Ablaufens solcher Bewegungen, bemerkt man zugleich, dass die
farblosen Blutkörperchen kleinste Partikelchen (z. B. FarbstoflFmole-
küle, Fetttröpfchen, Milchkügelchen), welchen sie begegnen, in die
Substanz ihres Leibes aufnehmen. — Ueber die chemische Natur
der farblosen Blutkörperchen lässt sich nur im Allgemeinen sagen,
dass ihre Bestandtheile Proteinsubstanzen sind, mit beigemengten
Salzen und Fett.
h) Flüssiger Blutbestandtheil.
Der flüssige Bestandtheil des Blutes, Plasma sanguinis, ist
eine wässerige Lösung von Fibrin und Albumin, welche Lösung
nebstdem geringe Quantitäten von Casein (vorzüglich im Blute
Schwangerer und Säugender), Fett, Extractivstoffe, Zucker; ferner
Harnstoff, Harnsäure, und verschiedene Salze enthält, unter welchen
die chlorsauren prävaliren. Spuren von Gallenpigment sind ebenfalls
176 §. 61. Oerinnviig des BlnUfi.
im Blute nachgewiesen. Ein flüchtiger Bestandtheil, welcher aus dem
eben gelassenen Blute, mit Wasser in Dampfform davongeht, be-
stimmt den eigenthümlichcn animalischen Geruch des Blutdunstes,
Vapor 8, Halitus sanguinis.
Das Blatplasma wird auch zum Träger für die fremdartigen Stoffe, welche
mit den Nahmngsmitteln oder dnrch Medicamente in den Körper g^lang^n. Auch
Luftarten sind im gebundenen Zustande im Blute (ung^fUhr wie die Gase in den
Mineralwässern) vorhanden, und entwickeln sich g^ossentheils schon unter der
Luftpumpe. Kohlensäure, Sauerstoff und Azot, sind bereits definitiv nachgewiesen.
§.61. Greriimulig des Blutes.
Wird das Blut aus der Ader gelassen, so gerinnt es (CoagulaHo
scmguinis). Das Wesentliche dieses Vorganges, welcher auch im
Lebenden, bei gewissen pathologischen Zuständen, z. B. bei Ent-
zündung, innerhalb, oder, wie bei Blutextravasaten , ausserhalb
der Gefässe stattfinden kann, besteht in Folgendem:
Die Gerinnung des Blutes ist eigentlich nur eine Gerinnung
des im Plasma enthaltenen Fibrins.
Frisch gelassenes Blut fUngt binnen 2 — 5 Minuten an zu
stocken, bildet anfangs eine weiche, gallertige, leicht zitternde Masse,
welche sich immer mehr und mehr zusammenzieht, und eine trüb-
gelbliche Flüssigkeit aus sich auspresst, in welcher der fest gewordene
Blutklumpen schwimmt. Dieser Klumpen wird Blutkuchen, Mo-
centa s. Hepar s. Crassammtum sanguinis genannt; das gelbliche
Fluidum, in welchem er schwimmt, ist das Blutwasser, Serum
sanguinis.
Woraus besteht der Blutkuchen ? — Das im Blutliquor (Plasma)
aufgelöst gewesene Fibrin, scheidet sich durch das Gerinnen in
Form eines immer dichter und dichter werdenden Faserfilzes aus,
und schliesst die rothen Blutkörperchen in seinen Maschen ein.
Blutplasma minus Fibrin ist somit Serum sanguinis, Fibrin plv^ Blut-
körperchen ist Placenta sanguinis. Gerinnt das Fibrin langsam, so
haben die rothen Blutkörperchen Zeit genug, sich durch ihre Schwere
einige Linien tief zu senken, bevor der Faserstoff sich zu einem
festeren Coagulum formte. Die sinkenden Blutkörperchen legen
sich zugleich mit ihren breiten Flächen aneinander, und bilden
dadurch geldrollenähnliche Säulen. Die oberen Schichten des Blut-
kuchens werden sodann gar keine rothen Blutkörperchen enthalten,
wohl aber alle farblosen, ihrer specifischen Leichtigkeit wegen. So
entsteht dann auf dem Blutkuchen eine mehr weniger dichte und
zähe Lage, welche Speckhaut, Crusta placentae, genannt wird. Je
langsamer das Blut gerann, desto dicker wird die Speckhaut sein.
§.62. Weitere AngAben &ber ehem. nnd mikroskop. Verhalten des Blntes. 177
Da sich die Speckhaut bei Entzündungskrankheiteu , und vorzugs-
weise beim hitzigen Rheumatismus, durch ihre Dicke und zugleich
durch ihre Zähigkeit besonders auszeichnet, so wird sie auch
Crusta inßammatoria 8. pleuriüca 8, lardacea genannt. Das Blut yon
Schwangeren und Wöchnerinnen zeigt ebenfalls eine starke Speck-
haut. Setzt man dem Blute solche Stoffe zu, welche das Gerinnen
seines Faserstoffes verlangsamen, so wird die Speckhaut natürlich
dicker ausfallen, als bei schnell gerinnendem Blute. Benimmt man
dem Blute seinen Faserstoff durch Peitschen desselben mit Ruthen,
an welche sich der Faserstoff als flockiges Gerinnsel anhängt, so
coagulirt es gar nicht.
Wenn in den letzten Lebensmomenten die Blntmasse sich znr Entmischung
anschickt, werden die TVabeculae cameae des Herzens, und die sehnigen Befestigongs-
föden der Klappen, deren mechanische Einwirkung auf das Blut während der
Zusammenzieh nng des Herzens dem Schlagen mit Ruthen vergleichbar ist, eine
ähnliche Trennung des Faserstoffes und Anhängen desselben an die losen Fleisch-
bündel und Sehnenfäden der inneren Herzoberfläche bedingen, wodurch die soge-
nannten fibrösen Herzpolypen (nach älterem Ausdruck) entstehen, welche
man in grösserer oder geringerer Menge in jeder Leiche, deren Blut gerann, findet,
und welche ihre Entstehung rein mechanischen Verhältnissen in den letzten Lebens-
acten verdanken. — Da manche Aerzte noch immer viel auf die Dicke der Speck-
haut halten, und sie fCbr ein Zeichen entzündlicher Blutmischung nehmen,
so mögen sie bedenken, welchen Einfluss die dem Kranken verabreichten Arzneien
(besonders die Mittelsalze, welche man so häufig den an Entzündung Leidenden
verordnet) auf die Verlangsamung der Gerinnung, und somit auf die Dicke der
Speckhaut ausüben. — Die Gerinnung des Blutes ist der Ausdruck seines er-
löschenden Lebens, und die Veränderungen, die es von nun an erleidet, sind
durch chemische Zersetzungsprocesse bedingt — Fäulniss.
§. 62. Weitere Angaben über chemisches und mikroskopisches
Verhalten des Blutes.
Die chemische Analyse hat gezeigt, dass Blut und Fleisch
eine fast gleiche elementare Zusammensetzung zeigen. Playfair und
Boeckmann fanden folgendes Verhältniss zwischen getrocknetem
Blut un4 Fleisch des Rindes:
Fleisch
Blut
Kohlenstoff:
51,86,
51,96,
Wasserstoff:
7,58,
7,25,
Stickstoff:
15,03,
15,07,
Sauerstoff:
21,30,
21,30,
Asche :
4,23,
4,42.
Das Serum 8anguini8 ist sehr reich an IJJweiss, welches nicht
von selbst gerinnt, wie das Fibrin, sondern erst durch Erhitzen.
Hyrtl, Lehrbucli der Anatomie. 14. Anfl. 12
1 4 8 §.69. Weitere Angaben fiber oheni. nnd mikroskop. Verhalten des Blntae.
Was nach der Gerinnung des Eiweiases, vom Blutserum noch er-
übrigt, ist Wasser mit aufgelösten Salzen und Extractivstoffen.
Der Blutkuchen kann durch Auswaschen von dem FärbestofFe
der in ihm eingeschlossenen Blutkörperchen befreit, und als feste,
zähe, weisse, aus den fadenförmigen Elementen des geronnenen
Faserstoffes zusammengesetzte Masse dargestellt werden. Diese
Masse ist jedoch nicht reiner Faserstoff, da sie noch die Reste der
durch das Auswaschen und Kneten unter Wasser zerstörten rothen
und farblosen Blutkörperchen in sich enthält.
Eine merkwürdige Eigenschaft des Haematoglobin (§. 60), liegt
in seiner Krystallisirbarkeit. Die Globulinkry stalle des Menschenblutes
sind rhombische Prismen von Amaninth- bis Zinuoberröthe. Die Blut-
kry stalle sind für die gerichtliche Mediciu von grösster Wichtigkeit,
denn sie dienen nicht nur zur Constatirung von sehr alten Blut-
flecken, sondern überhaupt zur Erkenntniss kleinster Mengen Blut.
Um sie zu erhalten, setzt man einem eingetrockneten Blutstropfen
in einem Uhrglase etwas Kochsalz zu, befeuchtet denselben mit
einigen Tropfen Eisessig, und dampft die Mischung bei Kochhitze ab.
Im Serum des Blutes behalten die Blutkörperchen ihre Eigen-
schaft längere Zeit unversehrt bei. Durch Wasserzusatz schwellen
aber die platten Scheiben derselben zu Kugeln auf, werden zugleich
blass, indem das Wasser ihren färbenden Inhalt extrahirt, und er-
leiden sofort eine Reihe von Veränderungen, welche mit ihrem Ruine
endigt. Man darf deshalb Blutkörperchen nur im Serum , oder im
frischen Eiweiss, oder in Zuckerwasser der mikroskopischen Beob-
achtung unterziehen.
Durch eine Reihe von Entladungsschlägen einer Leydner
Flasche wird das frische undurchsichtige Blut lackfarbenähnlich
durchsichtig, wobei die Blutkörperchen bis auf äusserst zarte und
blasse Reste zerstört werden.
Zur mikroAkopischen Untersuchung des Blutes eignet sich vorzugsweise das
Blut der nackten Amphibien^ deren Blutkörperchen bedeutend grösser als die der
SSngetbiere sind. Die oralen und platten Blutkörperchen des gemeinen Frosches
haben 0,01'" im längsten, 0/)O6"' im kleinsten Durchmesser; jene des Proteus sind
so gross (0,05 Mm. lang, und halb so breit), dass man sie schon mit freiem Auge
gesehen zu haben versichert. — Das baldige Gerinnen des frischen Blutes erschwert
seine mikroskopische Untersuchung. Die Coagnlationstendenz des Blutes kann
aber durch Beimischung einer sehr geringen QuantitKt ron aufgelöstem kohlen-
sauren Kali hintangehalten werden.
Im Froschblute zeigt jedes Blutkörperchen einen Kern. Dieser Kern lagert
excentrisch. Man sieht deshalb, wenn sich ein Blutkörperchen wälzt, den Kern
nicht im Centrum der Bewegung. — Durch vorsichtige Behandlung llsst sich in
dem, nur sehr langsam coag^lirenden Froschblute, das Plasma von den Blut-
körperchen mittelst nicht zu feinen Filtrirpapiers abseihen. Die KOrperchen bleiben
auf dem Filtnim zurück^ und sammelt man sie in einem Uhrglase, welches Waseer
enthllt, so zieht dieses anfangs den FSrbestoff derselben ans, wodnreh sie so
§. 6S. Physiolo^fcbo B«iBor1cang«ii ftber daa Blnt.
179
durchsichtig werden^ dass der Kern derselben nur von einem feinen, blassen Hofe
umgeben erscheint, welcher die farblose Masse des Blutkörperchens ist. Zusatz
von Jodtinctnr macht die Begrenzung dieses Hofes wieder deutlich.
Die ckemiBche Znsammeusetsang des Blut-
seranm ist nach Denis folgende. Es finden
■ich in 1000 Theilen Senun:
Wasser 900,0
Eiweiss 80,0
Cholestearin 5,0
Chlomatrium 5,0
Flüchtige Fettsäuren .... 3,0
Gallenpigment 3,0
Serolin 1,0
Schwefelsaures Kali 0,8
Schwefelsaures Natron .... 0,8
Natron 0,5
Phosphorsaure 8 Natron .... 0,4
Phosphorsaurer Kalk .... 0,3
Kalk 0,2
1000
Die Zasammeneetiaog des ganzen Blutes
nach Le Can n ist folgende. In 1000 Theilen
finden sich:
Wasser 780,10—785,69
Faserstoff 2,10— 3,56
Eiweiss 65,09— 69,42
Blutkörperchen . . . 138,00—119,63
Krjstallinisches Fett . 2,43— 4,30
Flüssiges Fett . . . 1,31— 2,27
Alkoholextract . . . 1,79— 1,92
Wasserextract . . . 1,26— 2,01
Salee mit alkalischer
Basis 8,37— 7,80
Erdsalze und Eisen-
oxyd 2,10- 1,41
Verlust 2,40— 2,59
1000 1000
Venöses und arterielles Blut unterscheiden sich nicht durch messbare Ver-
schiedenheiten der Gestalt und Grösse der Blutkörperchen, sondern durch ihren
Gasgehalt. Nach Magnus soll im arteriellen Blute mehr Sauerstoff im Verhältniss
zur Kohlensäure vorkommen, und nach den Angaben Anderer, die Menge des
Faserstoffes grösser, jene des Eiweisses aber geringer sein, als im Venenblute. —
Die farblosen Blutkörperchen finden sich im Blute der grossen Venenstämme
liäufiger als Im Arterienblute.
§. 63. Physiologische Bemerkungen über das Blut
Das Blut bildet den Hauptfactor für die lebendige Thätigkeit
der Organe, indem es die fiir ihre Ernährung, und somit fiir ihre
Existenz und Function nothwendigen Materialien liefert. Dass das
Älterthum im Blut den Sitz der Seele annahm, wurde bereits gesagt.
Ich erinnere hier an die purpurea anima des Virgil. Diese Vor-
stellung wurde, bis zur Entdeckung des Kreislaufes, noch insofern
festgehalten, als man das arterielle Blut als den Träger der Spiriius
vitales ansah. Nur hieraus lässt sich der im Mittelalter noch
übliche Usus verstehen und zum Theil entschuldigen, dass die Aerzte,
den Kranken, das Blut, welches sie ihnen durch die Aderlässe ent-
zogen, bevor es auskühlte, wieder trinken Hessen, wie die merk-
würdige Stelle im Salomon Albertus beweist (Hut. plerarumque
partium corp. hum.y pag. 65), welche lautet: Sanguinem, quem mdgus
chyrurgtmim, prius adkue, quam intepuerÜ, ingurgüare cogit eoe, quibu$
12»
1 80 §• 68. Physiologiaeho BomerknngMi ftb«r dM Blnt.
detraetus est, ratus, subesse animam, quae tali potatione corpari postliminio
restituatur.
Man hält allgemein daran ^ dass die Blutkörperchen beim Er-
nährungsgeschäfte nicht zunächst interessirt sind. Das Blutplasma
wird durch die Wand der Capillargefösse hindurchgepresst , ver-
breitet sich zwischen den umlagernden Gewebselementen^ und speist
sie mit den^ zu ihrer Ernährung dienenden Stoffen. Der Durch-
tritt der rothen und der farblosen Blutkörperchen durch die Öefass-
wand ist zwar ebenfalls sichergestellt^ aber die Art ihrer Verwendung
bei der Ernährung der Organe noch nicht ermittelt.
Organe, welche intensive Emährungs- oder Absonderungs-
thätigkeiten äussern, bedürfen eines reichlicheren Zuflusses von
Plasma, und da mit der Zahl und Feinheit der Capillarge&sse, die
das Plasma ausscheidende Fläche wächst, so wird der Reichthum
oder die Armuth an Capillargefössen , ein anatomischer Ausdruck
für die Energie der physiologischen Thätigkeit eines Organs sein.
Es kann jedoch auch in Organen mit sehr wenig energischem Stoff-
wechsel , eine abundante Blutzufuhr nothwendig werden , wenn
nämlich der Stoff, aus welchem das Organ besteht, und welchen es
vom Blute erhalten soll, im Blute nur in sehr geringer Menge vor-
handen ist. Um das nöthige Quantum davon zu liefern, muss viel
Blut dem Organe zugeführt werden. So erklärt z. B. der geringe
Gehalt des Blutes an Kalksalzen, den Gefässreichthum der Knochen-
substanz.
Die Beobachtung des Kreislaufes in den CapillargeiUssen
lebender Thiere lehrt Folgendes:
1. Die farbigen Blutkörperchen strömen rasch in der Axe des
Gefässes, die farblosen dagegen gleiten träger längs der Gefasswand
hin, wobei sie öfters Halt zu machen scheinen, als ob sie an die
GefUsswand anklebten.
2. Es findet keine stossweise, sondern eine gleichförmige Blut-
bewegung im Capillarsysteme statt.
3. Aendem die Capillargefasse ohne Einwirkung von Reiz-
mitteln ihren Durchmesser nicht, wohl aber die Blutkörperchen,
welche, um durch engere Gefässe zu passiren, sich in die Länge
dehnen, und, wenn der schmale Pass durchlaufen, wieder ihr früheres
Volumen annehmen.
4. An den Theilungswinkeln der Capillargefösse, welche einem
gegen den Strom vorspringenden Sporn zu vergleichen sind, bleibt
häufig eine Blutsphäre querüber hängen, biegt sich gegen beide Aeste
zu, und scheint zu zaudern, welchen sie wählen soll, bis sie zuletzt
in jenen hineingerissen wird, in welchen sie mehr hineinragte.
5. Das Austreten des Plasma durch die Capillargefilsswand ist
kein Gegenstand unmittelbarer Wahrnehmung.
g. 64. Bildang und Rftckbildmiif dM Blntet. 181
6. Ist das Thier seinem Ende nahe, so geräth der Capillar-
kreislauf in Unordnung, die Blutsäule schwankt ruckweise hin und
zurück, bevor sie in Ruhe kommt, das GefUsslumen erweitert sich,
die Blutkörperchen ballen sich auf Haufen zusammen, und ver-
schmelzen zu einer formlosen Masse, welche ihren Färbestoff nach
und nach dem Serum ablässt.
Das Hindurchtreten des Plasma durch die GefUsswand, und
das Eindringen desselben in die Gewebe, wird gewöhnlich mit dem
von Dutrochet zuerst eingeführten Namen der Exosmose und
Endosmose bezeichnet (1^- und €vü)6^ü>, hinaus- und hineintreiben).
Das Plasma ist wasserhell, kann aber unter krankhaften Bedingungen ge-
färbt erscheinen. Wenn nämlich der Wassergehalt des Blutes bei hjdropischem
Zustande desselben zunimmt, oder sein Salzgehalt bei Scorbat ond Fanlfiebem
abnimmt, wird das Blntroth sich im Plasma auflösen, und eine röthlichgef&rbte
Tränkung der Gewebe bedingen. Die blutrothen Petechien, die falschen Blut-
unterlaufongen , die scorbntischen Striemen (Vibke»), die fleischwasserähnlichen,
hydropischen Ergüsse in die Körperhöhlen, entstehen auf diese Weise. — Abundirt
der gelbe Färbestoff im Blute durch Störung oder Unterdrückung der Gallen-
absonderung, so wird die Tränkung der Gewebe mit gelbem Plasma eine allge-
meine werden können, wie in der Gelbsucht. — Bei Entzündungskrankheiten kann
das Plasma, wenn es einmal die Gefässe überschritten hat, in den Geweben ge-
rinnen, und wird dadurch jene Härte bedingt, welche Entzündungsgeschwülsten
eig^n ist. — Da das Blutplasma, an der äusseren Oberfläche der Blutgefässe zum
Vorscheine gekommen, reicher an Nahrnng^stoffen ist, als jenes, welches sich
schon eine Strecke weit durch die Gewebe fortsaugte, und bereits viel von seinen
plastischen Bestandtheilen verlor, so ist begreiflich, warum gerade in der Nähe
der Blutgefässe die Ernährung lebhafter als an davon entfernteren Punkten sein
wird. Die Fettablagerung folgt deshalb ausschliesslich den Blutgefässramificationen,
und wo diese weite Netze bilden, werden auch die Fettdeposita diese Form dar-
bieten. Man hat auch nur aus diesem Grunde jene Bauchfellsfalten, welche sich
entlang den netzförmig anastomosirenden Blutgefässen gern mit Fett beladen,
Netze genannt.
§. 64. Bildimg und Rückbildung des Blutes.
Die Vermehrung der Blutkörperchen im Embryo geht, ausser
der Umwandlung embryonaler Bildungszellen in Blutkörperchen,
auch durch Theilung der schon vorhandenen vor sich. Dass auch
die Leber des Embryo neue Blutkörperchen bilde, wie Weber,
Reichert, Kölliker, Gerlach und Fahrner annehmen, ist eben
nur eine Annahme. Im Erwachsenen sind es die farblosen Blut-
körperchen, welche sich durch Schwinden des Kerns, und Füllung
des Zellenleibes mit Blutroth, in Blutkörperchen umwandeln. So
glaubt man wenigstens. Gesehen hat diese Umwandlung Niemand.
Da nun dieser Ansicht zufolge, die farblosen Blutkörperchen junge
Blutkörperchen sind^ welche dem Blute fortwährend durch den Haupt-
182 8.65. Lymplie und Chylni.
stamm des lymphatischen Gefilsssystems (Ductus thoradcus) zugeführt
werden, so müsste sich die Zahl der Blutkörperchen fortwährend
vermehren. Dieses kann jedoch nur zu einem gewissen Maximum
steigen, und wir sind deshalb nothgezwungen , eine Rückbildung
oder Zerstörung der alten und abgelebten Blutkörperchen anzu-
nehmen. Dass die Ausscheidung derselben durch die Leber geschehe,
wo sie zur Gallenbereitung verwendet werden sollen (Schultz), ist
nicht mit Bestimmtheit nachgewiesen. Die neuere Zeit will auch
in der Milz das Organ gefunden haben , in welchem die alten und
unbrauchbaren Blutkörperchen, ihre Rückbildung und Auflösung
erfahren. Man hat in nUcroscopids schon viel gefunden, was nicht
existirt, und mancherlei Wege eingeschlagen, die sich schon nach
den ersten Schritten als ungangbar zeigten. Eine durchaus sicher-
gestellte, massenhafte Ausscheidung rother Blutkörperchen, kennt
man nur in der Menstruation.
Die erste gpenaae Untenachang der Blutkörperchen verdanken wir H e w s o n^s
Experimental Inqniries. London, 1774—1777. Seine richtigen und naturgetreuen
Schilderungen wurden durch Home, Bauer, Prövost und Dumas theilweise
entstellt, und die Lehre vom Blute, durch die abenteuerlichen Ausleg^gen, welche
ungeübte Beobachter früherer Zeit, ihren Anschauungsweisen gaben, in eine wahre
Polemik der Meinungen umgestaltet Das Geschichtliche hierüber enthalten die
betreffenden Capitel von E. H. Weber und He nie. — Die zu einem enormen
Umfang gediehene Literatur über das Blut suche, wer Lust dasu verspürt, in
physiologischen und chemischen Handbüchern. Da jede dieser Schriften in den
Details Anderes bietet, ist es nicht gleichgiltig, welche man zur Hand nimmt.
§.65. Lymphe und Chylns.
A. Lymphe.
Reine Lymphe, wie sie aus den Saugadern frisch getödteter
Thiere erhalten wird, stellt eine wässerige, alkalisch reagirende, zu-
weilen gelblich, oder, wie in der Nähe des Milchbrustganges, röth-
lich gefärbte Flüssigkeit dar, welche, wie das Blut, feste Körperchen
enthält, aber in viel geringerer Menge. Diese Lymphkörper chen
sind kleiner, oder von derselben Grösse wie Blutkörperchen, zugleich
rund, glatt oder granulirt, und schliessen einen durch Essigsäure
deutlich zu machenden, stark körnigen Kern ein. Sie stimmen mit
den farblosen Blutkörperchen in allen Eigenschaften überein, zeigen
also dieselbe wechselnde Gestalt, und dieselben Contractions-
Erscheinungen. Ausnahmsweise finden sich unter ihnen welche von
bedeutender Grösse, und mit mehrfachen Kernen. Nebst diesen
Lymphkörperchen enthält die Lymphe noch kleinere Körnchen,
welche man für nackte Kerne zu halten geneigt war, an denen
aber eine peripherische, ganz minimale Schichte von wahrer Zellen-
§. 64. Lymphe and Cbylas. 183
Substanz anter günstigen Umständen zur deutlichen Anschauung
gelangt.
Die Lymphe gerinnt spontan wie das Blut, — nur viel langsamer.
Im Hauptstamme des lymphatischen Systems (Ductus thoracicus)
zeichnet sich der Inhalt durch prompte Coagulation und deutliche
Röthe aus. Die CoagulationsfUhigkeit rührt vom Faserstoff, die
Röthe vom Hämatin her. Der Kuchen der Lymphe ist bei weitem
nicht so consistent, wie der Blutkuchen, und erscheint am Beginne
seines Entstehens als wolkige Trübung, welche sich nach und nach
zu einem weichen, fadigen Knollen contrahirt. — Das Serum der
Lymphe ist eiweissreich , und führt dieselben Stoffe, welche im
Blutserum suspendirt oder aufgelöst gefunden wurden, nebst Eisen-
oxyd, von welchem es jedoch noch nicht entschieden ist, ob es nicht
auch an die Lymphkörperchen gebunden vorkommt, wie das Eisen
des Blutes an die Blutkörperchen.
Marchand und Colberg gaben folgende Analyse menschlicher Lymphe
(menschlicher Chylus wurde , so viel ich weiss , noch nicht untersucht). In
1000 Theilen Lymphe finden sich:
Wasser 969,26
Faserstoff 6,20
Eiweiss 4,34
Extractivstoff 3,12
Flüssiges und krystallinisches Fett . 2,64
Salze 15,44
Eisenoxyd Spuren.
B. Chylus,
Milchsaft, Chylvs, heisst das durch den Verdauungsact be-
reitete, milchweisse, nahrhafte Extract der Speisen, welches schliess-
lich in Blut umgewandelt wird. Er besteht wie das Blut aus einem
flüssigen und festen Bestandtheil. Der erstere ist das an aufgelösten
Nährstoffen reiche Plasma des Chylus; der letztere erscheint in
doppelter Form: 1. als kleinste, stark lichtbrechende Kömchen,
welche aus Fett mit einer Eiweisshülle bestehen, xmd 2. als kern-
haltige Chyluskörperchen, identisch mit den oben erwähnten Lymph-
körperchen. Burdach nannte den Chylus das weisse Blut.
Der Chylus gerinnt, wenn er rein ist, nicht. Um ihn rein zur
mikroskopischen Untersuchung zu erhalten, muss man im Mesenterium
eines gefütterten, eben geschlachteten Thieres, ein strotzendes Chylus-
gefass, bevor es noch durch eine Drüse ging, anstechen, und das
hervorquellende Tröpfchen auf einer Glasplatte auffangen. Um den
Chylus in grösserer Menge zur chemischen Prüfung zu sammeln,
handelt es sich darum, den Ductus tharcuncus eines grossen Thieres
nach reichlicher Fütterung zu öffnen. Man erh< jedook nie dAdnrqli
184 S- M- NorrenByiteiB. Binthtilmng destelben.
reinen Chylus, da der Milchbrustgang zugleich Hauptstamm für das
Lymphsystem ist.
Frischer und möglichst reiner Chylus hat eine milchweisse
Farbe, welche von der reichlichen Gegenwart der oben erwähnten
Fettkörnchen abhängt. Die Eiweisshtille dieser Fettkömchen lässt
sich allerdings nicht durch Beobachtung constatiren. Sie muss aber
zugegeben werden, weil sonst nicht zu begreifen wäre, warum die
einzelnen winzigen Fetttröpfchen nicht zu grösseren Tropfen zu-
sammenfliessen. Die Farbe des Chylus ist um so weisser, und der
Gehalt an fettigen Elementen um so bedeutender, je reicher an Fett
das genossene Futter der Thiere war (Milch, Butter, fettes Fleisch,
Knochenmark). Die Fettkörnchen äussern ein grosses Bestreben,
sich in Klümpchen zu gruppiren.
FiMentoff and Hämatin finden sich im Chylus in um so ^össerer Menge
vor, durch je mehr Gekrösdrttsen er bereits wanderte.
§.66. Nervensystem. Eintheilung desselben.
Die gangbarste Eintheilung des Nervensystems wurde von
Bichat aufgestellt. Er unterschied zuerst ein animales und
vegetatives Nervensystem. Das animale Nervensystem besteht
aus dem Gehirn und Rückenmark, und den Nerven beider; wird
deshalb auch Systema cerebro-spinale genannt. Es ist das Organ des
psychischen Lebens, und vermittelt die mit Bewusstsein verbundenen
Erscheinungen der Empfindung und Bewegung. Das vegetative
Nervensystem, Syatema Vegetativum s. sympathicam , steht vorzugs-
weise den ohne Einfluss des Bewusstseins waltenden vegetativen
Thätigkeiten der Ernährung, Absonderung, und den damit ver-
bundenen unwillkürlichen Bewegungen vor , und wird auch als
sympathisches, organisches oder splanchnisches Nerven-
system, dem cerebro-spinalen entgegengestellt.
Beide Systeme bestehen nicht scharf geschieden neben ein-
ander. Sie greifen vielmehr vielfach in einander ein, verbinden
sich häufig durch Faseraustausch, und sind insoferne auf einander
angewiesen, als das vegetative Nervensystem einen grossen Theil
seiner Elemente aus dem animalen bezieht, und bei niederen Wirbel-
thieren ganz und gar durch das animale vertreten werden kann.
Die physiologische Sonderung ist nicht weniger prekär, als die
anatomische, da der Einfluss des animalen Nervensystems auf die
vegetativen Processe, sich in vielen Einzelnheiten deutlich herausstellt.
Man unterscheidet an beiden Systemen einen centralen und
peripherischen Antheil. Der Centraltheil des animalen Nerven-
systems wird durch Gehirn und Rückenmark repräsentirt ; der
§. 67. Mikroskepitelie Eltmente des NerTentyitMU. 185
peripherische durch die weissen, weichen, verästelten Stränge und
Fäden , welche die verschiedenen Organe des Leibes mit dem
Centrum dieses Nervensystems in Verband bringen, und Nerven
genannt werden, bei den älteren deutschen Anatomen: Spannadern,
von spannen, d.i. verbinden. Das Wort veupov bedeutete ursprüng-
lich Sehne oder Flechse, auch Bogensehne (tendere nervum, den
Bogen spannen), ist bei Homer ganz mit Tdvwv synonym, wird auch
von Geis US für Sehne gebraucht (wie er denn die Achillessehne
nervus latus nennt), und wurde erst durch Aristoteles auf die aus
dem Gehirn entspringenden Nerven angewendet. — Der Centraltheil
des vegetativen Nervensystems ist nicht so einfach, wie jener des
animalen. Er erscheint in viele untergeordnete Sammel- und Ausgangs-
punkte von Nerven zerfallen, welche als graue, rundliche oder eckige
Körper, an vielen, aber bestimmten Orten zerstreut vorkommen, und
den Namen Nervenknoten, Ganglia, führen.
§.67. Mikroskopische Elemente des Nervensystems.
Sie sind zweierlei Art: Fasern und Zellen.
A. Nervenfasern.
a) Fasern der Gehirn- und Rückenmarksnerven.
Jeder Gehirn- und Rückenmarksnerv, an was immer für einem
Punkt seines Verlaufs er untersucht wird, erscheint als ein Bündel
zahlreicher, äusserst feiner, bei durchgehendem Lichte heller, bei
reflectirtem Lichte mattglänzender Fasern, — Nerven-Primitiv-
fasern. Diese laufen durch die ganze Länge des Nerven hindurch,
ohne an Dicke merklich zu- oder abzunehmen, geben während ihres
Verlaufes keine Aeste ab, durch welche mehrere benachbarte sich
verbinden könnten, und werden durch ähnliche Scheidenbildungen
aus Bindegewebe, wie sie bei den Muskelbündeln angeführt wurden,
zu grösseren Bündeln, und mehrere dieser zu einem Nerven-
stamme vereinigt. Der Durchmesser der Primitivfasem ist in ver-
schiedenen Nerven ein verschiedener, und beträgt zwischen 0,0006'"
bis 0,0085'". In einem und demselben Nerven kommen schon Fasern
verschiedener Dicke vor, in solcher Mischung, dass die dicken oder
die dünnen die Oberhand behalten. Die Nerven der Sinnesorgane
und die Nerven der Empfindung, fuhren feinere Fasern, als die
Nerven der Muskeln.
An jeder Primitivfaser lassen sich drei Bestandtheile derselben
unterscheiden. 1. Eine structurlose HüUe, 2. ein markweioher Inhak,
und 3. ein Axencylinder. Diese Bestandtheile sind jftik
186 §. 67. Mikrofkopiieh« ElonaDto dM NenreuTstemf.
frischen Primitivfasem , welche voUkommen homogen erscheinen,
nicht zu erkennen. Sie treten erst hervor, wenn die von selbst
eintretende, oder durch Reagentien hervorgerufene Gerinnung der
homogenen Substanz einer lebenden Primitivfaser, die lichtbrechen-
den Verhältnisse derselben ändert. Wir wollen sie nun einzeln
durchgehen.
Die Hülle der Primitivfaser ist ein ungemein feines, voll-
kommen structurloses, nur hie und da mit ovalen Kernen versehenes
Häutchen (wie es das Sarcolemma einer Muskelfaser war).
Der Inhalt der Nervenfasern — das Nervenmark — ist
ein homogener, zäher, opalartig-durchscheinender, albuminöser Stoff,
welcher am Querriss einer Nervenfaser nicht ausfliesst, sondern sich
nur als abgerundeter Pfropf, oder als spindelförmiger Tropfen, heraus-
drängt. Er besteht aus einem Eiweisskörper, und mehreren anderen,
in Alkohol löslichen Substanzen (Cerebrin, Protagon, Cholestearin und
Fett). Durch Gerinnen verliert dieser Inhalt sein homogenes An-
sehen, zieht sich von der Hülle der Primitivfaser zurück, und erhält
zugleich wellenförmig gebogene Ränder, welche innerhalb der mehr
geradelinigen Ränder der structurlos^n Hülle der Faser deutlich ge-
sehen werden, wodurch die betreffende Primitivfaser zu einer
doppelt contourirten wird. Nach längerer Zeit zerklüftet das
Mark der Faser in unregelmässige Fragmente. — Der mikroskopisch
nachweisbare Unterschied von Hülle und Inhalt, giebt der Primitiv-
faser die Bedeutung eines Röhrchens, und man spricht deshalb von
Nervenröhrchen in demselben Sinne als von Nervenprimitiv-
fasern.
Weder Mark noch Hülle sind das Wesentliche an einer Nerven-
faser. Sie scheinen blos als isolirende Hüllen eines dritten, wesent-
lichen Gebildes in der Nervenprimitivfaser eine Rolle zu spielen.
Dieses Gebilde ist Purkinje's Axencylinder, auch Remak's
Primitivband genannt. Um den Axencylinder gut zu sehen,
bereitet man sich Querschnitte eines in einer Lösung von doppelt
chromsaurem Kali gehärteten, dickeren Nerven, oder des Rücken-
markes, und tränkt diese Schnitte mit einer ammoniakalischen
Carminlösung , wobei sich die Axencylinder der Nervenfasern roth
imbibiren, während Mark und Scheide ungefärbt bleiben. Der Axen-
cylinder besteht aus einer, dem Muskelfibrin ähnlichen albuminösen
Substanz, ohne Fett (Lehmann). Er erhält sich an den feinsten
Nervenfasern, an welchen die beiden anderen constituirenden Bestand-
theile derselben — Hülle und Mark — nicht mehr nachweisbar
sind. Es gebührt ihm somit unzweifelbar über beide der Vorzug
functioneller Wichtigkeit. Remak und Mauthner machen den
Axencylinder selbst wieder zu einem Rohre, dessen Wand aus
feinsten Parallelfasem bestehen soll. Schuitze schreibt ihm feinste
§. 67. Hikrotkopitehe Elemente des Nenrettsjetenui. 187
fibriDäre Structur zu. — Die Festigkeit und Elasticität des Axen-
cylinders erklärt es, dass, wenn Mark und Hülle reissen, der Axen-
cylinder gewöhnlieh unversehrt bleibt, sich auch an seitlichen Riss-
stellen der Hülle schlingenartig hervordrängt. An Querschnitten
besonders dicker Primitivfasern, zeigen die Axencylinder eine stern-
förmige Gestalt, wahrscheinlich als Folge des Einschrumpfens,
wodurch sie kantig werden.
Nervenprimitivfasern , welche die drei angeführten Bestand-
theile, als Hülle, Inhalt, und Axencylinder besitzen, heissen mark-
haltige, oder, ihrer scharfen dunklen Contouren wegen, auch
dunkelrandige. Fehlt das Mark, und wird der Axencylinder von
der Hülle so dicht umschlossen, dass er sich mit ihr identificirt, und
die Faser die Bedeutung einer markführenden Röhre verliert, so
nennt man diese Fasern marklose. Sie kommen als unmittelbare
Verlängerungen der markhaltigen Fasern , sowohl gegen deren
peripherisches Ende, als auch am Ursprünge derselben aus den
Fortsätzen der Ganglienzellen vor.
b) Fasern des Gehirns und Rückenmarks.
Von mehreren Anatomen werden diese Fasern als eine von
den oben beschriebenen Fasern der Gehirn- und Rückenmarksnerven
verschiedene Art aufgestellt. Sie finden sich in der weissen Substanz
des Gehirns und Rückenmarks, und in den Riech-, Seh- und Hör-
nerven, welche, wie die Entwicklungsgeschichte lehrt, ursprünglich
Ausstülpungen der drei embryonalen Gehirnblasen sind. Sie bestehen
aus Hülle, wenig Mark, und Axencylinder, welcher sehr schwer
darzustellen ist. An Feinheit übertreffen sie die Primitivfasem der
Hirn- und Rückenmarksnerven. Ihr Mark ballt sich durch die Ge-
rinnung in rundliche Klümpchen zusammen, wodurch sie ein perl-
schnurartiges Ansehen annehmen. Dieses Ansehen nehmen sie so
rasch an, dass man lange der Meinung war, es komme ihnen das-
selbe normgemäss auch im frischen Zustande zu. Man nannte sie
deshalb varicöse Fasern.
c) Graue oder sympathische Nervenfasern.
Diese Fasern sind marklos. Sie bestehen nur aus einem Axen-
cylinder, mit oder ohne Scheide. Streng genommen, bilden sie
keine eigene Art von Nervenfasern, da alle markhaltigen Fasern, wie
wir früher angeführt haben, an ihrem Ursprung und an ihrem
peripherischen Ende marklos sind. Da die markhaltigen Nerven-
fasern, sich wegen starker Lichtbrechung und Reflexion des Markes,
weiss präsentiren, können die marklosen Fasern nicht weiss sein.
188
S. 6T. MikTMk^^iM^ Pf »I» 4m NtnrwMyttens
Sie erscheinen vieJmehr b<*i |jrö«serer Anhäufung grau, — daher
ihr Name: graue Nervx^nfaM'jni. Sympathische oder auch vegeta-
tive Fasern heisson «<** iHn!^« massenhaften Vorkommens im Sym-
pathicus wofc^n« in wt^lcWin «ie auch zuerst von Remak aufgefunden
wurden. Honl^ n^i^ni «i«^« ihres Ansehens wegen , gelatinöse
Fasern. Wi^» iHriMi Ra« betrifft, so bestehen sie aus einer leicht
granulirh^n xni^^r H\xm\^non Substanz, und führen von Stelle zu
Stelle, «T'niwt^^iHr in iHr^m Inneren eingeschlossene, oder oberflächlich
Äwflit»^:^'^^ *|MiHWhSirmige Kerne, deren Längenaxe der longitudi-
naln^« KtK'^Hl^n^ Uw Ka^er folgt. Sie sind feiner als die Fasern der
tVro(^^v^M^^%^rv«^n. Nerven, welche durch gewisse physiologische
F»^*tA^I^ sWr t^r^jane, in welchen sie vorkommen, an Masse zu-
^MT^wv^ # R «lie Nerven des schwangeren Uterus, verdanken ihre
^Niw^^rv^H^^ru^i|f nur einer numerisch wachsenden Entwicklung
^^w^«im' ^emu«"!! Fasern. Valentin und Kolli ker bestreiten ihre
Nt^^v^^l^alur« und erklären sie für Bindegewebsftlden, eine Ansicht,
>M^K"Wr ioh nicht beipflichten kann, da diese Fasern durch eine
MUvhu*\jj von Salpetersäure und chlorsaurem Kali (das empfind-
Uvk^l^ Keagens auf Bindegewebe) nicht im geringsten afficirt werden.
IW häutige Vorkommen dieser Fasern im Gehirn und Rückenmark,
w\\ Hie ilen übrigen wahren Nervenelementen zur Stütze dienen,
i^n«» auf nachweisliche Art mit ihnen zusammenzuhängen, Hess sie
auch als sogenannte Stützfasern bezeichnen. Schliesslich bemerke
ioh noch, dass man sich bewogen fand, in den grauen Nervenfasern,
ihres tiberwiegend zahlreichen Vorkommens im embryonischen
Nerven wegen , einen niederen Entwicklungsgrad gewöhnlicher
Nervenprimitivfasern anzuerkennen, wie denn auch am neugebornen
Kinde, an gewissen Organen (weicher Gaumen), Mengen von grauen
Fasern zu sehen sind, während bei Erwachsenen daselbst nur mark-
hältige Fasern angetroffen werden. Uebrigens besteht der Sym-
pathicus nicht einzig aus diesen Fasern. Es treten vielmehr auch
zahlreiche markhaltige Cerebrospinalfasern in ihn ein, und mischen
sich mit den grauen.
B. Nervenzellen,
Sie sind rundliche, ovale, oder birnförmige, auch eckige, stern-
förmige, meistens plattgedrückte, kernhaltige Zellen. Ihre Grösse
schwankt zwischen 0,003''* und 0,05"'. In grösseren Massen an-
gehäuft, kommen sie in den Ganglien vor, und werden deshalb
gewöhnlich Ganglienzellen genannt. Da sie in Wasser stark
aufquellen und sphäroidisch werden, erhielten sie auch den Namen
Ganglienkugeln. In der grauen Gehimsubstanz , deren Farbe
von diesen 2iellen abhängt^ finden sie sich ebenso zahhreich^ wie in
§. 67. MJkrotkopitohe BleuMnte d«0 Nerrensyttent. 189
den Ganglien. Sie wurden aber auch in den peripherischen Aub-
breitnngen gewisser Nerven, z. B. des Sehnerven und Hörnerven,
angetroffen.
Jede Nervenzelle besteht 1. aus einer structurlosen Umhüllungs-
membran, welche sich in die HiiUe der aus der Zelle hervortretenden
Primitivfasern fortsetzt, 2. aus einem rundlichen Kern, welcher in
der Regel nur ein, selten zwei Kemkörperchen enthält (ja man
spricht selbst von Kernen der Kemkörperchen als Nudeololi), 3. aus
einem zwischen Hülle und Kern befindlichen körnigen, blassen oder
pigmentirten Protoplasma, als Zelleninhalt.
Es finden sich Ganglienzellen mit und ohne Aeste. Die Aeste
oder Fortsätze gehen in marklose Nervenfasern über, welche zu
markhaltigen Fasern werden. Einzelne Fortsätze einer Zelle ver-
binden sich auch häufig mit denen einer zweiten. Viele derselben
jedoch verästeln sich in feinere Zweige, welche in das umgebende
Gewebe eindringen, wie die Wurzeln der Pflanzen in den Grund,
ohne daselbst eine Verbindung mit anderen Nervenfasern einzu-
gehen. Mangel oder Zahl der Fortsätze verhalf den Ganglienzellen
zur Benennung als apolare, unipolare, bipolare und multi-
polare Zellen. — Apolare Ganglienzellen, auch freie oder insulare
genannt, weil sie zwischen den Primitivfasern wie Inseln einge-
schlossen liegen, finden sich in grosser Anzahl in allen Ganglien.
Man ist jedoch nie ganz gewiss, ob man es nicht mit einem Kunst-
product zu thun hat, da die Fortsätze, bei der vergleichungsweise
rohen Behandlung der Ganglien durch Zerzupfen, leicht abreissen,
oder die Zelle unter dem Mikroskope so zu liegen kommt, dass jene
Seite derselben, aus welcher ein Fortsatz abgeht, die abgewendete
ist, oder an Durchschnittspräparaten gerade jener Theil der Zelle,
von welcher ein Fortsatz ausging , nicht mehr vorhanden ist.
Unipolare Ganglienzellen kommen in den Ganglien des Sympathicus
vor; bipolare hat man in den Spinalganglien, im Ganglion Oasseri,
jugidare vagi und glo88opharyngei aufgefunden, und multipolare vorzugs-
weise in der grauen Substanz des Gehirns und Rückenmarks, wo
sie auch am grössten sind, und sich durch ihre verästelten Fortsätze
auszeichnen, während die kleinsten derselben, in jenen mikroskopisch
kleinen Ganglien einheimisch sind, welche in der Wand des Darm-
kanalö, der Harnblase, des Herzens, und einiger anderer Organe
eingeschaltet liegen. — An vielen Ganglienzellen im Gehirn und
Rückenmark, nimmt ihr Protoplasma derart an Menge ab, dass man
nur grosse Kerne vor sich zu haben glaubt, welches Vorkommen denn
auch durch den Namen Nuclearformation ausgedrückt wird. Die
sogenannte Körnerschichte der Netzhaut gehört ebenfalls hieher.
Jedes Ganglion besitzt, so wie jeder dickere Nervenstamm, eine
geiassreiche Bindegewebsscheide — das Neurilemma. Dieses schickt
1 90 |. 9%. Unprang (etntnüat Ende) der Narren.
Fortriätze in die Substanz des Ganglion, und zwischen die Faser-
bUndel der Nerven hinein.
Das Zerfaaem eines Nerven mit Nadelspitzen, ist für Gebilde von solcher
Feinheit, wie die Primitivfasem der Nerven, eine rohe Vorbereitung zur mikro-
ttkopischen Untersuehong. Um Primitivfasem zu sehen, thut man besser, lieber
die feinsten natürlichen Nervenramificationen, als gröbere, durch Kunst zerfaserte
Bündel, unter das Mikroskop zu bringen. Die feinen Nerven durchsichtiger Theile,
z. B. der Bauchfellduplicaturen, die freien Nervenföden, welche man beim Ab-
ziehen der Haut der Frösche zwischen dieser und den Muskeln ausgespannt findet,
die Augenlider der Frösche, etc. eignen sich zu solchen Untersuchungen sehr gut.
Die Reagentien, deren man sich zur Darstellung der Axencylinder bedient, sind
concentrirte Essigsäure, Chromsäure, Sublimat (Czermak), Jod (Lehmann),
Aether (Kölliker), und Collodium (Pflüger).
Literatur. Die ältere Literatur ist in Heulens Gewebslehre und in
Valentin^s Bearbeitung der Sömmerring^schen Nervenlehre vollständig gesammelt.
Die wichtigsten neueren Arbeiten deutscher Forscher über Neuromikrographie
sind: A. W. VdUanann, Über Nervenfasern und deren Messung, in MiiUer'a Archiv.
1844. — Purkinje, mikroskopisch- neurologische Beobachtungen. MUUer^$ Archiv.
1845. — Remak, übor ein selbstständiges Darmnervensystem. Berlin, 1847. —
R, Wagner, neue Untersuchungen über Bau und Endigung der Nerven. Leipzig,
1847. — R. Wagner, sympatliische Nervenganglienstructur und Nervenendigungen,
in dessen Handwörterbuch der Physiologie. 3. Bd. — F. H, Bidder, zur Lehre
von dem Verhältniss der Ganglienkörper zur Nervenfaser. Dorpat, 1848. —
A, Kölliker, neurologisclie Bemerkungen, Zeitschr. für wissenschaftliche Zoologie.
1. Bd. — N. Lisberkühn, de structura 'gangliorum penitiori. Berol., 1849. —
C. Axmann, Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Physiologie des Ganglien-
nervensystems. Berlin, 1853. — G. Wagner, Über den Zusammenhang des Kernes
und Kemkörpers der Ganglienzelle mit dem Nervenfaden, in der Zeitschrift für
wiss. Med. 8. Bd. — Ueber die Deutung gewisser faseriger Elemente und
2^11en des centralen Nervensystems ab Bindegewebsfasern und Bindegewebs-
körperchen, sind Bidder'a und Kupffer*8 Untersuchungen über die Textur des
Rückenmarks, Leipzig, 1857, nachzusehen. Eine Kritik derselben enthält Henle'»
Jahresbericht. 1857. — B, SUtUng, neue Untersuchungen über den Bau des
Rückenmarks, mit Atlas, Cassel, 1857 — 1859, wo g^ndliche Würdigung alles Be-
kannten, und reiche Angabe neuer Beobachtungen zu finden ist. — Deüer$, über
Gehirn und Rückenmark. Braunschweig, 1865. — M. Schuäze, de ceUularum
fibrarumque nervearum structura. Bonn., 1868. — Fast jedes Heft der anatom.
Zeitschriften bringt Beiträge zu dieser massenhaft angewachsenen Literatur.
§. 68. Ursprung (centrales Ende) der ITerven.
Es leuchtet a priori ein, dass der Ursprung der Nerven, auch
der Ausgangspunkt ihrer Thätigkeiten ist. Es bleibt deshalb eine
der wichtigsten Aufgaben der Anatomie, die Stellen nachzuweisen,
an welchen die mikroskopischen Elemente der Nerven ihre Ent-
stehung nehmen.
Der Ursprung der Primitivfasem der Nerven ist theils im Ge-
hirn, theils im Rückenmark^ theils in den Ganglien zu suchen. Sie
§. 69. PeripbftriMhes End« der Narren. 191
gehen sämmtlich aus den Zellen der grauen Substanz hervor. Das
ist ein ausnahmsloses Gesetz ! Faserursprünge ausserhalb der Zellen
kennt man nicht. Aus welcher Zelle und aus welchem Fortsatz
einer Zelle aber jede einzelne Faser der verschiedenen Nerven ent-
springt, wird wohl ewig unbekannt bleiben! Ein hartes, aber wahres
Urtheil über die Zukunft der mikroskopischen Neurotomie. „Kurz",
sagt Volk mann, „wir kennen die Anfänge der Nervenfasern nicht,
und werden sie wahrscheinlich niemals kennen."
Bezüglich des Ursprunges von Primitivfasern aus den Ganglien-
zellen, hat zuerst Kolli k er gezeigt, d&ss die structurlose Hülle der
Ganglienzellen, sich in die structurlose Hülle der aus dem Ganglion
hervortretenden Primitivfasem fortsetzt, und dass der Axencylinder
aus dem Kern der Gtinglienzelle hervorgeht. Dass die Ganglien
wirkliche Erzeugungsstätten neuer Primitivfasern sind, beweisen die
in den Ganglien vorkommenden unipolaren Zellen, welche nur mit
Einer peripherisch auslaufenden Faser zusammenhängen. Die
Frage: ob es wirklich auch Ganglienzellen ohne Faserursprünge
gebe (apolare), wurde von KöUik er dahin beantwortet: dass solche
Zellen, nicht blos im Gehirn und Rückenmark, sondern auch in den
Ganglien des Sympathicus und der Cerebrospinalnerven so constant
und häufig vorkommen, dass die Frage eigentlich die ist, ob über-
haupt ein Ganglion existirt, in welchem dieselben gänzlich mangeln.
— Das Mark einer Primitivfaser kann nicht als eine Fortsetzung
des Inhaltes der Ganglienzelle angesehen werden, da aDe Primitiv-
fasern marklos aus der Zelle Iiervorkommen, und das Mark erst im
weiteren Verlauf der Faser sich einfindet.
Durch die den Gegenstand dieses Paragraphes betreffenden zahlreichen
Arbeiten, welche theils an kaltblütigen Wirbelthieren, theils an Wirbellosen vor-
genommen wnrden, wurde zwar eine reiche Ernte von vereinzelten That-
sachen über den fraglichen Gegenstand eingebracht, welche aber bei weitem
noch nicht hinreicht, die Untersuchungen über das Verhältnis» der Ganglien zu
den Nerven als abgeschlossen zu betrachten. Wer die Schwierigkeit dieser Art
mikroskopischer Forschungen kennt, wird es zugeben, dass noch sehr viel zu
thun übrig ist, um auch nur von einem einzigen Ganglion sagen zu können, das
Wechselverhältniss seiner ein- und austretenden Nerven sei genügend aufgekl&rt.
§. 69. Peripherisclies Ende der Uerven.
Ueber das peripherische Ende der Sympathicusfasern weiss
mau so viel wie Nichts. Besser sind wir mit den Cerebrospinalfasem
daran, über deren Endigungen wir der vergleichenden Anatomie bei
weitem mehr Aufschlüsse als der menschlichen zu danken haben.
Vor Allem ist zu bemerken^ dass die bisherigen Annafamen eines
unverästelten Verlaufes^ und einer an allen Punkten des Verlaufes
192
%. e». Peripkeritcket Ende der Nerrea.
«ich gleichbleibenden Dicke einer Primitivfaser, nicht mehr statt-
haft sind. Der unverästelte Verlauf gilt nur fUr jene Strecke, welche
eine Nervenfaser bis zu ihrem peripherischen Endigungsbezirke
zurücklegt. Nahe ihrem peripherischen Ende, wird die Primitiv-
faser marklos, und ihr Axencylinder pflegt sich in feinere Fasern
zu spalten. Die Spaltung wiederholt sich mehrfach. Es kommt
wohl auch, durch Verbindung der Spaltungsäste, zu Netzen, welche
aber nicht als Endgeflechte anzusehen sind, da aus ihnen noch
Ausläufer abgehen. Wie endigen nun diese letzten Ausläufer einer
Pnmitivfaser ?
Eme entschiedene und über alle Zweifel erhabene peripherische
uaigungsweise von Nervenfasern, kennen wir bisher in den Pacini-
sehen Körperchen (§. 70) als knopffdrmige, ringsum abgeschlossene,
in keine Nachbarstheile ausstrahlende Endanschwellung des Axen-
cyhnders. Ebenso in den stabförmigen Körpern der Netzhaut, und nach
sehr warmen Versicherungen, auch in den Terminalzellen des G-ehör-
nerven, in gewissen Epithelialzellen der Riechschleimhaut und der
Ziunge, in den freien Endanschwellungen der sympathischen Fasern
in Lusohka's Steissdrüse (§. 325), u. m. a. Nach Krause endigen
die sensitiven Nervenfasern in der Conjunctiva, im weichen Gaumen,
in der Clitoris, im männlichen Gliede, im rothen Lippenrande,
gleichfalls mit knopfförmigen Auftreibungen (Kolben). Krause
hofft, dass die von verschiedenen Autoren angeführten „freien"
Nervenendigungen, sich alle als kolbige herausstellen werden, denn
die Mikroskopie gebietet über sehr fügsame Charaktere, welche
sich leicht hineinfinden, totiea mutatam flere fidem.
Die von Gerber, Hannover, Emmert, u. A. angenommenen
peripherischen Nervenschlingen, d. i. bogenförmige Uebergänge
zweier Primitivfasem an ihrem peripherischen Ende, erfreuten sich
nur kurze Zeit ihrer Geltung, indem viele jener Beobachtungen,
welche die Existenz der Schlingen nachwiesen, durch entgegen-
gesetzte aufgewogen wurden. Vom theoretischen Standpunkte aus,
sind die Schlingen nicht blos etwas Käthselhaftes , sondern etwas
Unbrauchbares, man möchte sagen, etwas Absurdes (Volk mann).
Die Schlinge lässt sich in der That mit unseren Vorstellungen über
Nervenleitung nicht vereinbaren. Und dennoch giebt es deren
(§. 71. 5). Ich kann, unter Berufung auf den citirten Paragraph,
nur sagen: dass wahrscheinlicher Weise unsere Vorstellungen über
die Leistung einer Schlinge, nicht aber die Schlingen selbst etwas
Irriges sind. Wenn mehrere Primitivfasem an ihrem peripherischen
Ende sich theilen, ihre Theilungsäste sich vielfaltig untereinander
verbinden, Netze und Geflechte bilden, wie es so oft in den ver-
schiedensten Organen von jedem Mikrologen gesehen werden kann,
wie will man, frage ich^ diese Verbindungen anders nennen als
§. 69. Peripherische Ende der Nerren. 193
Schlingen? und was ist ein Geflecht Anderes, als eine Summe
von Schlingen?
Die peripherischen Endigungen der Sinnesnerven erwähne ich
bei den betreflfenden Paragraphen der Nervenlehre. Die Enden der
motorischen Nerven in den animalen Muskeln, gestalten sich nach
Kühne so, dass die letzten Ausläufer einer motorischen Nerven-
faser ihre doppelten Contouren verlieren, ihre Hülle in das Sarco-
lemma der Muskelfaser übergeht, ihr Axencylinder aber nicht in
das Innere dieser Faser eindringt, sondern unter dem Sarcolemma
mit einer knospenförmigen Anschwellung oder einer plattenförmigen
Ausbreitung endet, welche auf einer Sohle von Protoplasmakörnern
und Kernen aufruht. Diese Endplatten oder Endknospen sind gegen
den Inhalt der Muskelfaser sehr scharf abgesetzt; gegen das Sarco-
lemma zu, sind sie stärker gewölbt, und drängen dasselbe als
scharf- oder stumpfspitzige Hügel hervor, welche Doyfere zuerst
bei Crustaceen gesehen hat. Ihre Peripherie ist so ansehnlich, dass
sie bis einem Drittel der Peripherie der Muskelfaser entsprechen.
Ihr Rand erscheint nicht selten in kolben- oder lappenformige Fort-
sätze verlängert. Kölliker's Einwendungen haben an der Lehre
Kühne's nichts geändert. Sie wurde von anderen Mikrologen so
vielseitig bestätigt, dass sie gegenwärtig allgemein adoptirt ist. —
Bezüglich der Nervenendigungen in den organischen Muskeln, hat
Franke nhauser gefunden, dass die Axencylinder der motorischen
Primitivfasem , in die Kerne der spindelförmigen Faserzellen ein-
treten.
In den Speicheldrüsen sollen die Nervenfasern in die Epithelien
derselben eindringen, die Zellen derselben mit ihren marklos ge-
wordenen Aesten umspinnen, ja selbst in den Kernen dieser Zellen
endigen. Hoyer, Cohnheim und Kölliker, sahen die marklosen
Ausläufer des Nervennetzes der Faserschichte der Hornhaut, die
vordere structurlose Schichte dieser Membran durchbohren, und
sich zwischen den Zellen des mehrfach geschichteten Epithels, bis
in die oberflächliche Schichte desselben erheben, um zwischen den-
selben frei zu endigen. Ebenso fand Langerhans, dass die mark-
losen Nervenfasern der Cutis, zwischen die Zellen des Mucua
Malfighii eindringen, und daselbst in kleineren Zellen untergehen,
welche selbst wieder fadenförmige Ausläufer gegen die Epidermis
hin absenden, unterhalb welcher sie mit leichten Anschwellungen
endigen sollen. Man will sogar kolbige Nervenenden zwischen den
Epidermiszellen gesehen haben.
Ueber Nervenendigungen handeln: Kollikerf Sitzungsberichte der med. phys.
Gesellschaft zu Wtlrzburg, 1866. Dec. (Zitterrochen.) — Leyäig, Zeitschrift fiir
wiss Zoologie, V. Bd., und MiiOer't Archiv, 1866. — R Wagner, über die En-
digungen der Nerven im iüUgWMias^ Fmmntigf» NoÜieii, 1867. 4. Bd. — Krau99f
Hyrtl, Lehrbuch d«r Ana*^ 18
194 §. 70. PaciDi^scIie Körperchen und Wagner*6 Tastkörperchen.
die tenninalen Körperchen der einfach sensitiven Nerven. Hannover, 1860, und im
Archiv für Anat. 1868. — Kühfie, die peripherischen Endorgane motor. Nerven.
Leipzig, 1862. — Oreeff, im Arch. fiir mikr. Anat. 1. Bd. — W. Pflüger, die
Endigungen der Nerven in den Speicheldrüsen. Bonn, 1866. — Hoyer, Arch. für
Anat und Phys. 1866. — Oohnheim, med. Centralhlatt 1866, Nr. 26. — Kölliker,
Würzburger phjs. med. Gesellschaft, 1866. — Engdmofm, Jena^sche Zeitschrift,
1. und 4. Bd. — Frankenhauäer, Nerven der Gebärmutter, etc. Jena, 1867. —
Baue, die Nervenendigungen in den Geschlechtsorganen. Zeitschrift für rat. Med.
1868. — Langerhang, Virchow^s Arch. 44. Bd. — Mojgisovics (Nervenendigungen
in der Epidermis), Sitzungsberichte der Wiener Akad. 1875:
§. 70. Pacini'sclie Körperchen und Wagner's Tastkörperchen.
Als sehr charakteristische Formen von peripherer Nerven-
endigung sind die Pacini'schen Körperchen und Wagner's Tast-
körperchen eines eigenen Paragraphes werth. Sie wurden von
Krause, mit den von ihm entdeckten Endkolben sensitiver Nerven
in eine Gruppe zusammengestellt, und als ,,terminale Endkörperchen
sensitiver Nerven" benannt.
a) Padnische Körperchen.
Es finden sich an den feineren Ramificationen vieler Nerven
weisse, kleine, elliptische Körperchen, seitlich anliegend, oder durch
Stiele mit ihnen zusammenhängend. Ihre Länge variirt von l'/s
bis 2 Millimeter. Am häufigsten und grössten kommen sie an den
Hohlhand- und Fingerästen des N&rvus tUnaris und medianus (be-
sonders im Tastpolster der Fingerspitzen), an beiden Nervi plantares,
seltener und kleiner am Plexus sacrcUis, coccygeus (Luschka) und
epigastricus, am Nervus crurcUis, an einigen Hautnerven der oberen
und unteren Extremität, an jenen der männlichen und weiblichen
Brustwarze vor. Auch an den Nerven der Bänder und der Bein-
haut wurden sie in neuester Zeit beobachtet (Rauber). Ich erwähnte
ihr Vorkommen auch am Nervus tnfraorbüalis. In der Handfläche
eines Prachtpräparates meiner Sammlung, zähle ich deren über 250
(Herbst spricht von 600). Sie bestehen aus sehr vielen conceii-
trischen, häutigen Kapseln, welche durch serumhaltige Zwischen-
räume von einander getrennt sind. Auch der Stiel ist ein System
in einander geschobener Röhren. Die innerste Kapsel umschliesst
keinen Hohlraum, wie man anfangs meinte, sondern einen aus
homogenem, kemfiihrendem Bindegewebe bestehenden Kolben (Innen-
kolben). — Der durch den Stiel des Körperchens, in Begleitung
eines CapiUargefässes eindringende Axencylinder, dessen Scheide und
Mark, in die concentrischen Kapseln des Körperchens übergeht,
§. 70. Pftcini*sehe KArp«roh«n nnd Wagner*! Tastkörperchen. 195
endigt im Innenkolben mit einer einfachen knopfförmigen An-
schwellung^ oder theilt sich gabelförmig^ um mit kleineren Eoiöpfchen
aufzuhören. — Man braucht sich von einem Pacini'schen Körperohen,
nur die häutigen Kapseln und den Innenkolben wegzudenken^ um
Krause's kolbige Enden sensitiver Nerven zu erhalten. Eine Ver-
wandtschaft beider lässt sich somit immerhin annehmen.
Die PacinTschen Körperehen waren schon dem Professor der Anatomie za
Wittenberg, A. Vater, vor 130 Jahren, als Papulae nerveae bekannt, obwohl er
von ihrer Stmctur keine Ahnung hatte. Sie wurden aber anfangs gar nicht be-
achtet, und kamen in Vergessenheit, bis sie in unserer Zeit von Pacini zum
zweitenmal entdeckt und auch auf ihre Stmctur genauer untersucht wurden.
Henle, Kölliker und Osann fanden sie in allen Sftugethierordnungen auf,
Herbst auch an den Mittelhandknochen bei Vögeln. Niemals sind die Nerven,
an welchen sie vorkommen, motorischer Natur. Beim Erwachsenen sind sie an
den Hautnerven der Fingerspitzen und Zehen am zahlreichsten, und zwar weniger
an den Hauptstämmen, als an den feineren Zweigen derselben. Man präparirt sie
am besten, wenn man Haut und Fleisch einer Fusssohle hart an den Knochen
loslöst, und dann von innen her die Nervenstämme verfolgt. So lange die Nerven
noch unter der Fascia pkmtaris liegen, zeigen sie nur wenig Pacini*sche Körper-
chen ; haben sie aber die Fascie durchbohrt, und sind sie in das fettreiche Unter-
hautzellgewebe gelangt, so findet man sie viel zahlreicher damit ausgestattet,
selbst bis zu ihren feinsten Verästlungen hin. Bei der Katze kommen sie auch
an den sympathischen Geflechten im Mesenterium, und in dem Bindegewebe um
das Pancreas vor, wo sie auch am leichtesten, fast ohne alle Präparation, dem
Anfänger zugänglich sind. Er braucht nur das Mesenterium gegen das Licht zu
halten, um diese Körperchen als runde helle Punkte zu sehen. Da sie sich
schon bei Embryonen vorfinden, und bei vollkommen gesunden Individuen nie ver-
misst werden, kann an einen pathologischen Ursprung derselben nicht gedacht
werden. Man hat auch an eine Verwandtschaft der Pacini*schen Körperchen mit
den electrischen Organen gewisser Fische gedacht
Ausführliches siehe bei F, Padni, nuovi org^ni scoperti nel corpo umano,
Pistoja^ 1840. — J, Heide und A. Köiüker, über die Padni'schen Körperchen.
Zürich, 1844, wo auch das Historische zusammengestellt ist — Purkinje, über die
Pacini'schen Körperchen, in Casper'a Wochenschrift 1846. Nr. 48. — G. Herbat,
die Pacini'schen Körperchen. Göttingen, 1848 (besonders reich an vergl. anat An-
gaben). — F. Leydig (über die Pacinl*schen Körperchen der Taube), in der Zeit-
schrift für wiss. Zoologie, 6. Bd. — A, Kölliker, in der Zeitechrift für wias.
Zoologie, 5. und 8. Bd. — W. Keferatein, in den Göttinger Nachrichten, 1868.
Nr. 8. — Hyrü, Oesterr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1869. Nr. 47 (Pacini'sche
Körperchen am Nervus infrcurrbitalis). — Krause, anat. Untersuchungen. Hannover,
1861. — Rauher, Untersuchungen über das Vorkommen der Vater'schen Körper-
chen. München, 1867, und desselben Autors: Vater'sche Körperchen in den Gelenks-
kapseln, Med. Centralblatt. 1874.
h) Tastkörperchen.
G. Meissner und R. Wagner machten 1852 den interessanten
Fund, dass gewisse Tastwärzchen der Haut, gewöhnlich die niedrigen
und dicken, besonders an der Volarfläche der lotsten Finger- und
Zehenglieder, einen elliptischen, Beken qihir
196 §• 71. Anatomische Eigeatehaften der Nerren.
Körper einschliessen, zu welchem das letzte Ende eines oder zweier
feinster Tastnervenfaden, in terminaler Beziehung steht. Wagner
nannte diese Körper Corpuscula tactua. Durchschnittlich sind sie
0,02'" lang, und 0,008—0,01'" breit. Die übrigen längeren und
konischen Tastwärzchen der Haut, enthalten blos Capillargefass-
schlingen, aber weder Tastkörperchen noch Nerven. Nach Meiss-
ner kommen an den Nagelgliedern auf 400 nervenlose Papillen,
108 nervenhältige. Wie die Tastnerven&den in den Tastkörperchen
endigen, steht noch nicht fest. Die quergestreifte Oberfläche der
Tastkörperchen lässt, was im Inneren vorgeht, nicht belauschen.
Man ist auch über die Natur der Querstreifen nicht einig. Meiss-
ner erklärt sie für die in Spiraltouren um einen inneren homogenen
Bindegewebskem herumgehenden Endäste einer Nervenprimitivfaser.
Der Umstand, dass bei Lähmung der betreffenden Hautnerven , die
Querstreifung der Tastkörperchen schwindet, vindicirt wohl ihre
Bedeutung als spirale Aufknäuelung einer terminalen Nervenfaser,
wogegen Kölliker und Bidder Einwendungen erhoben haben.
MeUtner, Beiträge zur Anat. und Phys. der Etaut Leipzig, 1868. — Neuere
Angaben von G^erlach und Nuhn, in der illofltr. med. Zeitschrift 2. Bd. —
Leydig, Möller'B Archiv. 1866. — Ecker, Icones physiol. Tab. XVII. — J. Qerlach,
in dessen mikroskopischen Stadien. Erlangen, 1868. — Krause, anat. Unter-
snchungen. pag. 8, seqq. — A. Rauber, Diss. inang. 1866 (Tastkörperchen der
Bänder und Beinhautnerren).
§.71. Anatomische Eigenschaften der Iferven.
1. Die grösseren Nervenstämme bilden lomdliche oder platte
Stränge, mit einer Bindegewebshülle (Neurüemma) , und faserigem,
weichem Inhalte. Stärke oder Schwäche, Lockerheit oder Straffheit
des Neurilemma, bedingt die grössere Härte oder Weichheit des
Nerven. Das Neurilemma enthält die EmährungsgefUsse des Nerven,
und fuhrt sie seinen Bündelabtheilungen zu. Der Gefässreichthum
der Nerven ist, wie schon ihre weisse Farbe beurkundet, kein be-
deutender. Die feinsten Capillargefkssnetze bilden in den Nerven
langgestreckte Gitter oder Maschen.
2. Das scheinbare Dickerwerden der Nerven nach ihrem Aus-
tritte aus der Schädel- oder Rückgratshöhle, beruht nicht auf einer
Vermehrung der Fasern, oder auf einem Dickerwerden derselben,
sondern auf dem Auftreten der Scheide, welche jeder Nerv, bei
seinem Durchgang durch das betreffende Loch der Hirnschale oder
des Rückgrates, von der Dura mater erhält. — Oertliche Verdickungen
im Verlaufe der Nerven entstehen auf zweifache Weise:
a) Durch Divergenz der Primitivfasem , welche auseinander
weichen^ wie die FlachsflUlen eines angedrehten Strickes, sich
§. 71. Anatomische EigenachftfteD der Nerrea. 197
neuerdings an einander legen, und in den dadurch gebildeten
Zwischenräumen Ganglienkugeln aufnehmen , welche selbst
wieder neue Nervenfasern erzeugen. Diese Verdickungen oder
Anschwellungen, welche gewöhnlich eine gefössreichere Hülle
als der Nerv selbst besitzen, und durch mehr weniger graue
Färbung sich von der Farbe des Nervenstammes unterscheiden,
heissen Nervenknoten, Ganglia, Fo^Y^wv ist bei Hippocrates
eine schmerzhafte, rundliche Geschwulst an den Gelenken, was
wir Ueb erb ein nennen. Galen gebraucht dieses Wort zuerst
für Nervenknoten (de usu partium, Hb. 6, cap, 5), Die Aus-
drücke Gangliones, Nodi, und Corpora olivaria, kommen bei
älteren Anatomen ebenfalls zur Bezeichnung der Ganglien vor.
b) Durch Anlagerung eines anderen Nervenstammes, also durch
Verbindung zweier. Diese Verdickung ist nie knoteuartig,
sondern mehr gleichförmig, und erstreckt sich auf längere oder
kürzere Stellen, je nachdem der hinzugetretene Nerv sich früher
oder später wieder entfernt. Man könnte sie die cylindrische
Verdickung nennen.
c) Durch massenhaftere Entwicklung grauer Fasern in Mitten
eines Cerebrospinalnerven , wie sie z. B. von Kollmann im
Bauchtheile des Vagus beobachtet wurde.
3. Die Primitivfasern der Nerven haben, wie oben bemerkt
wurde, keine Aeste, können also nicht durch Anastomosen, unter ein-
ander zusammenhängen. Nur in ihren centralen und peripherischen
Endbezirken zeigen die Primitivfasern dichotomische Theilungen,
und Anastomosen zwischen den verschiedenen Theilungsästen. Ver-
ästelt sich nun ein Nervenstamm, so kann der Ast des Nerven, nicht
als eine Summe von Aesten der Primitivfasern genommen werden.
Der Ast entsteht vielmehr nur dadurch, dass von vielen, in einem
Nervenstamme parallel neben einander liegenden, nicht anastomo-
sirenden Primitivfasern, ein Bündel sich ablöst, und seitwärts abtritt.
4. Verbinden sich zwei Nerven (nicht Nervenfasern) zu einem
Stamme, oder werden sie durch Zwischenbogen unter einander ver-
einigt, so heisst diese Verbindung Nervenanastomose. Ein
solcher Zwischenbogen führt den Namen Ansa, weil er eben gebogen
ist, wie ein Henkel (ansa), Anastomosen kommen an aUen Nerven
vor, mit Ausnahme der drei höheren Sinnesnerven des Geruchs,
Gesichts und Gehörs. — Aus dem in 3. Gesagten leuchtet ein, dass
Nervenanastomose etwas Anderes ist als Gefassanastomose. Gefass-
anastomose ist wahre Höhlencommunication, — Nervenanastomose
nur Austritt eines Faserbündels aus einem, und Eintritt desselben
in einen zweiten Nervenstamm. Das Faserbündel kann an dem
Stamme, zu welchem es trat, vor- oder zurücklaufen, d. i. eine
Anastomons progressiva s. regresdva darstellen.
|M |*Tt. AMlMiiMk« BifttBscbafton der Herren.
5. I)i<^ AnastomosU regressiva kann nur durch Faserbündel zu
Stande kommen, welche an jenen Nerven, zu welchen sie gehen,
rücklÄufig werden, d. h. zu dem Centralorgan zurückkehren, von
welchem sie entsprungen waren. Sie bilden also Schlingen, haben
Bomit kein peripherisches Ende, und wurden von mir als „Nerven
ohne Ende" bezeichnet (On Nervs withotU ends, im Quarterly Review
of Nat, Hist 18l>2. Januar j, und: Ueber endlose Nerven, in den
Sitmng^horiohtini dor kais. Akad. 1865). An vielen bogenförmigen
N'psrv^nanüJ^toiiu^on, nie aber an spitzwinkligen, lassen sich zurück-
lÄnfriniio NorvvnbUudel ohne peripherisches Ende, mit dem Messer
^iÄr^^wvllf^nv Ihr^^ physiologische Bestimmung ist ein ungelöstes Räthsel,
A^ ^i\\ \4iuo mit irgend einem peripherischen Organe in nähere
W'^iji^hJwi^^ »u treten, un verrichteter Sache umkehren, und somit
%\nIs"^v tu ^l^Hu motorischen, noch sensitiven, noch trophischen Nerven
^^^KvH k\Nuuon. Vor der Hand dienen sie dazu, die Werthlosigkeit
\VM li%^i«uugAversuchen durchschnittener Nerven verstehen zu machen.
\Xw\l nämlich das peripherische Ende eines Nerven, welches mit
s^ixiom Änderen durch rückläufige Anastomose in Verbindung steht,
gVAViat, 80 wird der Erfolg der Reizung auch jene Erscheinungen
m Mch Hchliessen, welche als Reflex, von den durch die rückläufigen
r l^Hi^rn t^rregten Centralorganen veranlasst werden. Es wäre höchste
M\X^ dass die Physiologie die Existenz der endlosen Nerven eines
gnädigen Blickes würdigte, denn todtschweigen lässt sich einmal
tnne so wichtige Sache nicht.
ö. Die Fasern einer Anastomosia progressiva können bei dem
Nerven bleiben, welchen sie aufsuchten (Anastomosis permaTietis), oder
ihn wieder verlassen (Ancutomosis temporanea), um zu ihrem Mutter-
Btamm zurückzukehren, oder zu einem dritten, vierten Nerven zu
treten. Veränderte Association der Faserbündel ist also die Idee
der Nervenanastomose. Um uns die physiologische Bedeutung eines
Nerven klar zu machen, müssen wir wissen, ob die Anastomose,
welche er mit einem anderen eingeht, darin besteht, dass der Nerv A
dem Nerv B einen Verbindungszweig zusendet, oder A von B einen
solchen erhält, ob also die Anastomose eine Anastomosis eniissionis,
oder eine Anastomosis receptionis ist.
7. Giebt der Nerv, welcher ein Faserbündel aufnimmt, dafür
eines an den Abgeber zurück, so nenne ich diese Anastomose eine
wechselseitige, Anastomosis mutua; nimmt er nur auf, ohne ab-
zugeben, eine einfache, Anastomosis simplex,
8. Theilen sich mehrere Nerven wechselseitig Faserbündel mit,
so dass ein vielseitiger Austausch eintritt, so entsteht ein Nerven-
geflecht, Plexus nervosus. Die aus einem Geflechte heraustretenden
Nerven, können somit Faserbündel aus allen eintretenden Nerven
besitzen. Enthalten die Maschen eines Geflechtes Ganglienkugeln,
S. TS. PkTtiologiseha Bigenteh»fleii des uiiniAlaa NarTOiuystenii. 199
was übrigens nur an kleinen Geflechten geschieht, so entsteht ein
Gangliengeflecht, Plexus gangliosus.
9. Die Nerven verlaufen in der Regel geradelinig, und machen
nur am Kopfe und an den Gliedmassen leichte Biegungen um ge-
wisse Knochen herum. Die Primitivfasem jener Nerven, welche
Dehnungen unterliegen, verlaufen aber nicht geradelinig, sondern
wellenförmig neben einander, wodurch eine bedeutende Verlängerung
des Nerven, ohne Zerrung seiner Fasern, möglich wird. — Jede
grössere Arterie hat einen oder mehrere Nerven zu Begleitet'n. Sie
liegen aber nicht in der Scheide der Arterie, obwohl die Nerven-
scheide mit der Gefassscheide organisch zusammenhängen kann. Die
grössten Nervenstränge haben dagegen nicht immer grosse Gefasse in
ihrem Gefolge (Nervus ischiadicus, medianus am Vorderarm, etc.).
10. Die Stärke und Dicke der Nerven eines Organs, steht weder
mit der Masse desselben, noch mit der Intensität seiner Wirkung im
Verhältniss. Ein häufig gebrauchter und kraftvoll entwickelter Muskel,
hat keine stärkeren Nerven, als derselbe Muskel eines schwachen
Individuums. Kleine Muskeln haben oft stärkere Nerven als zehn-
mal grössere. Der Nervus trochlearis, abducens, octdomotorius, und die
Nerven der Gesichtsmuskeln, sind im Verhältniss viel ansehnlicher,
als die Nerven der Rücken- oder Gesässmuskeln.
11. Die Nerven der Muskeln treten an der inneren Seite der-
selben ein, d. h. an jener, welche der Mittellinie des Stammes oder
der Axe der Gliedmassen zugekehrt ist.
12. Die Verlaufsrichtung eines Nerven variirt nur selten. Da-
gegen ist die Folge seiner Aeste, seine TheUungsstelle , und seine
Anastomose mit benachbarten Nerven, häufigen Spielarten unter-
worfen, welche in chirurgischer Hinsicht Beachtung verdienen. Da
die Primitivfasern eines Astes , schon im Stamme präformirt sind,
so wird eine höhere oder tiefere Theilung eines Nerven, in seiner
physiologischen Wirkung nichts ändern.
13. Die zwei Hauptstränge des vegetativen Nervensystems
(Nervus sympatkicus) laufen mit der Wirbelsäule parallel, und ihre
peripherischen Verbreitungen halten sich an die Ramificationen der
Gefasse, vorzugsweise der Arterien, und da diese häufig unsymmetrisch
sind, so kann das für das Cerebrospinalsystem geltende Gesetz der
Symmetrie, auf den Sympathicus nicht anwendbar sein.
§. 72. Physiologische Eigenschaften des animalen Iferven-
systems.
Es ist noch nicht lange her, dass man die physiologischen
Eigenschaften der Nerven auf experimentellem Wege kennen zu
200 §• 7S. Phjsiologisohe EigeMchaflen dea animalen NenreuTtteais.
lernen versuchte. Bevor Ch. Bell den ersten nachwirkenden Impuls
zur genaueren physiologischen Prüfung eines in seinen Lebens-
äusserungen so gut als unbekannten Systems gab, war die Lehre
von den Gesetzen der Nerventhätigkeit, ein vollkommen brach
liegendes Feld. Die Ehrfurcht vor den Lebensgeistern, welche in
den wundersam verschlungenen Bahnen des Nervensystems ihr
Wesen treiben sollten, schien jeden Versuch hintangehalten zu haben,
diese geheimnissvollen Potenzen vor das Forum der Wissenschaft
zu citiren, und Alles, was man nicht zu erklären wusste, erklärte
die stehende Formel des „Nerveneinflusses". Was das eigentlich
wirksame Agens in den Nerven sei, wissen wir zwar eben so wenig,
als wir die Natur des Lebens verstehen. Wir werden es auch
schwerlich je erfahren, und die Wissenschaft hat das Ihrige gethan,
wenn sie uns die Gesetze kennen lehrt, welchen die Thätigkeiten
der Nerven gehorchen, und die Erscheinungen analysirt, um sie auf
einfache Pidncipien zu reduciren. Da es sich hier nur darum handelt,
einen kurzen Umriss der vitalen Verhältnisse dieses Systems zu
geben, so kann Folgendes genügen.
1. Die Nerven sind, wie die Telegraphendrähte, niemals Er-
reger, sondern nur Leiter von Eindrücken zum oder vom Central-
bureau des Gehirns. Die Eindrücke werden entweder von den
Centi*alorganen gegen die peripherischen Gebilde, also centrifugal,
oder von der Peripherie gegen die Centralorgane, d. i. centripetal,
mit grosser Schnelligkeit fortgepflanzt. Jene Nerven, welche centri-
petal leiten, heissen sensitive oder Empfindungsnerven, —
welche centrifugal leiten, motorische oder Bewegungsnerven.
Das Gehirn und das Rückenmark sind die Centra für die animalen,
die Ganglien fiir die vegetativen Nerven. Jeder Reiz, welcher im
Verlaufe eines Nerven angebracht wird, sei er mechanischer,
chemischer oder dynamischer Natur, wird, wenn der Nerv ein
Empfindungsnerv ist, Empfindungen, wenn er ein Bewegungsnerv
ist, Contractionen in den Muskeln, zu welchen er läuft, aber niemals
Empfindung veranlassen. Schmerz, als eine Art von Empfindung,
kann niemals durch motorische Nerven vermittelt werden. — Es giebt
bei gewissen Fischen sogenannte electrische Nerven. Sie leiten,
wie die motorischen, centrifugal, und bringen die Impulse des Willens
vom Gehirn her, welche die willkürlichen Entladungen des elec-
trischen Organes bedingen. Die electrischen Schläge sind beim
Zitteraal so gewaltig, dass sie ein Pferd zu tödten im Stande sind.
2. Der Unterschied zwischen ausschliesslich centrifugaler und
centripetaler Richtung der Leitung, ist jedoch nur ein scheinbarer.
Jede Primitivfaser leitet, wenn sie an irgend einem Punkte ihres
Verlaufes gereizt wird, den Reiz nach beiden Richtungen fort.
Da jedoch die empfindenden Fasern nur an ihrem centralen Ende
§. 7S. Phyiiolo^Mh« BigenschAfken des animalea NerrMujstoms. 201
mit Nervenelementen in Verbindung stehen, welche fähig sind, den
Reiz wahrzunehmen, und die motorischen Fasern nur an ihrem
peripherischen Ende mit contractionsföhigen Muskeln zusammen-
hängen, so wird die physiologische Wirkung der Erregung einer
Nervenfaser, in dem einen Falle Empfindung, in dem anderen Be-
wegung sein. Nicht die Leitungsverschiedenheit der Faser, sondern
die Verschiedenheit der Organe, mit welchen sie an beiden Enden
zusammenhängt, bedingt somit die Verschiedenheit des Reizerfolges.
In einem von Bidder angestellten Versuch, wurden der Nervus
hypoglo89U8 (motorisch) und der Nervus Ungualis (sensitiv) durch-
schnitten, und das periphere Ende des Hypoglossus, mit dem centralen
des Lingttalis zusammengeheilt. Wurde nun der Lingualis oberhalb
der Verwachsungsstelle gereizt, so entstanden Zuckungen in der
Zunge, was nicht möglich wäre, wenn der Nervus lingualis, obwohl
ein Gefilhlsnerv, nicht die Fähigkeit besässe, auch in centrifugaler
Richtung Reize fortzupflanzen. Nichtsdestoweniger sind die in 1.
gebrauchten Ausdrücke so gang und gebe, dass man sie füglich
beibehalten kann.
3. Man hat die Leitung der Erregung durch den Nerven, für
unmessbar schnell gehalten. Dieses ist sie nicht. Sie muss im Ver-
hältniss zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Imponderabilien, selbst
eine langsame genannt werden. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
des electrischen Stromes beträgt 61,000, jene des Lichtes mehr als
40,000 Meilen in der Secunde, während sie, nach den Versuchen
von Helmholtz, im Nervus ischiadicus des Frosches nicht grösser
ist als 33 Meter (im Menschen 34 Meter) in der Secunde. Das
wäre nun beiläufig die Schnelligkeit des Fluges der Brieftaube. Die
Leitungsschnelligkeit variii-t, wie Versuche an Thieren lehrten, in
einem und demselben Nerven nach Verschiedenheit seiner Temperatur.
Kälte verzögert sie augenfilllig, oder hebt sie ganz auf.
4. Das Vermögen, Empfindungen oder Bewegungsimpulse zu
leiten, ist eine angeborene, immanente Eigenschaft der Nerven, und
kommt jeder ihrer Primitivfasern zu. Da die Primitivfasern nie mit
benachbarten durch Aeste communiciren , und ohne Unterbrechung
von ihrem Anfange bis zum Ende verlaufen, so können sie als
physiologisch isolirt gedacht werden, d. h. einem gewissen peri-
pherischen Bezirke, wird ein bestimmter Centralpunkt entsprechen,
und der durch Reiz bedingte Erregungszustand einer Nervenfaser,
wird im Verlaufe des Nerven niemals auf eine benachbarte über-
springen (Lex isolationis). Im Centralorgane dagegen (und, nach
dem im §. 69 Gesagten, auch in den peripherischen Verästlungs.
bezirken der Nerven) müssen wir eine solche Vertheilung der
Erregung auf benachbarte Fasern annehmen, welche daselbst mit
der zuerst erregten in anastomotischer Verbindung stehen. Die
202 S* ?>• Phjiiologiache Eigeo8ehafl«n des uühuJmi NanrenfTttems.
Erscheinung der sogenannten Mitbewegung und Mitempfindung
wird nur hieraus erklärlich. Wenn der Wille einen Muskel in Be-
wegung setzt, und dabei unwillkürlich noch ein paar andere thätig
werden, so heisst dieses Mitbewegung. Die Fehlgriffe des An-
fängers im Erlernen des Violin- und Clavierspielens, sind durch un-
controlirte Mitbewegung von Muskeln, welche ruhig bleiben sollten,
bedingt. Wenn der Schmerz, welchen ein cariöser Zahn veranlasst, sich
mit Ohrenschmerz vergesellschaftet, so ist dieses Mitempfindung.
— Die unwillkürlichen Bewegungen, welche sich auf Erregung der
Empfindungsnerven einstellen, und Reflexbewegungen genannt
werden, setzen ebenfalls eine Ueberti'agung der Reizung von sensi-
tiven auf motorische Nerven in den Centralorganen voraus. Wenn
auf Kitzeln sich Lachen und krampfhafte Verzerrung des Gesichtes
einstellt, wenn auf Tabakschnupfen Niesen entsteht, oder auf Kratzen
des Zungengrundes Würgen und Erbrechen, auf Reizung der Kehl-
kopfschleimhaut *Husten eintritt, wenn man vor Schmerz die Lippe
beisst, wenn die Ö^liedmasse des Kranken unter dem chirurgischen
Messer zuckt, so sind dieses Reflexbewegungen, welche, durch
die Reizung sensitiver Nerven, im Gehirn und Rückenmark aus-
gelöst wurden. Die Reflexbewegungen stellen sich zwar unwillkür-
lich ein, aber dennoch mit dem Charakter der Zweckmässigkeit,
wie denn ein schlafender Mensch, dessen Nase gekitzelt wii*d, mit
der Hand eine Bewegung macht, als ob er Fliegen von seinem
Gesichte wegjagen wollte, und selbst enthimte Frösche, deren Haut
mit einer Säure betupft wird , abstreifende Bewegungen an der
irritirten Hautstelle mit ihren Extremitäten vollziehen.
5. Jeder Nerv, welcher in centripetaler Richtung zum Gehirn
leitet (Gefahlsnerv) , wird seinen Erregungszustand nur dann zum
Bewusstwerden kommen lassen, wenn die Seele in Mitwissenschaft
des Vorganges gezogen wird (Aufmerksamkeit). — Warum ein
Nerv durch Bewegung, ein anderer durch Empfindung auf Reize
reagirt, kann durch die anatomische Structur der motorischen und
sensitiven Nerven nicht erklärt werden, da die Primitivfasern beider
Nervenarten sich mikroskopisch gleich verhalten. — Die Empfindungs-
nerven wirken nicht alle auf gleiche Art. Einige derselben, wie
die Sinnesnerven , dienen nur specifischen Sinneswahmehmungen ;
andere, wie die Tastnerven, vermitteln allgemeine Gefühlswahr-
nehmungen, wie Druck, Schmerz, Hitze, Kälte, Glätte, Rauhigkeit,
Schwere, Leichtigkeit, und wieder andere erregen keine Empfindung,
sondern die oben (in 4) erwähnten Reflexbewegungen. Sie wurden
zuerst von Marshall Hall als excito-motorische Nerven unter-
schieden. — Ein Sinnesnerv kann nie wie ein Tastnerv empfinden,
und umgekehrt kann ein Tastnerv nie einen Sinnesnerv vertreten. —
Es giebt auch centrifugal leitende Nerven^ welche^ entweder direct^
9. 7S. Physiologisehe Bigmi»ohafl«ii dM aainalan VarreBsyttenu. 203
oder durch Vermittlung eines Reflexes, auf die Absonderungs-
vorgänge in den Drüsen Einfluss nehmen. Sie heissen Secretions-
nerven, z. B. der Thränennerv, die Chorda tympani, etc. Andere
äussern auf gewisse Muskehi keine erregende, sondern eine bewegungs-
hemmende Einwirkung, als sogenannte Hemmungsnerven, über
deren Berechtigung jedoch, noch mancherlei Bedenken obwalten.
Henle machte, bei Gelegenheit der Vornahme physiologischer
Experimente an der Leiche eines G-eköpften, die Beobachtung, dass,
nach Durchleitung eines Stromes des Rotationsapparates durch den
linken Vagus, das Herzatrium, welches noch 60 — 70 Contractionen
in einer Minute machte, plötzlich im Expansionszustand still hielt.
25 Minuten nach dem Tode, nachdem die Bewegung des Atrium
schon erloschen war, erwachte sie plötzlich wieder mittelst Strom-
leitung durch den Sympathicus. So entstand der erste Gedanke
von Hemmungsnerven.
6. Ein mit einer speciiischen Empfindlichkeit versehener Sinnes-
nerv wird, er mag durch was immer für Reize afficirt werden, nur
solche Gefühle hervorrufen, welche er überhaupt zu veranlassen
vermag, z. B. der Sehnerv wird, er mag durch Druck, oder durch
Galvanismus, oder durch jenes Agens, welches wir Lichtstoff nennen,
gereizt werden, nur auf die Eine Weise, nämlich durch Licht-
empfindung, reagiren.
7. Das Vermögen der Nei^ven , auf R^ize Empfindungen oder
Bewegungen zu veranlassen, heisst Reizbarkeit. Sie wird durch
die Einwirkung der Reize nicht blos erregt, sondern auch geändert.
Massige Reize steigern sie dadurch , dass sie sie in anhaltender
Uebung erhalten. Stärkere Reize schwächen sie, und ein gewisses
Maximum der P>regung hebt sie sogar auf. Ist die Reizbarkeit
durch einen Reiz bestimmter Art erschöpft, so kann sie doch für
Reize anderer Art, oder für einen stärkeren Reiz derselben Art,
noch empfänglich sein. Ein Nerv z. B., der auf die Wirkung einer
schwachen galvanischen Säule zu reagiren aufgehört hat, ist durch
eine kräftigere Säule , oder durch mechanische oder chemische
Reizung, noch immer erregbar. Wechsel der Reize wird es somit
nicht zu einem solchen Grade von Erschöpfung kommen lassen, als
andauernde Wirkung eines bestimmten kräftigen Reizes. Die durch
mittlere Reize geschwächte oder erschöpfte Reizbarkeit, erholt sich
durch Ruhe wieder. Die beste Erholung für überreizte Nerven
giebt der Schlaf. Ein Kranker, welcher schläft, ist nicht schwer
krank, und ein Kranker, welcher fortwährend über Schmerzen
klagt, ist besser daran, als einer, der über gar nicht« klagt, denn
die Sensibilität bildet den Gradmesser der Lebensenergie.
8. Ein vom Gehirn oder Rückenmark getrennter Nerv, behält
noch eine Zeitlang seine Reizbarkeit, verliert sie aber, wenn seine
^^ i CS^ flifvMiCiMk« BifWsekaftoB dea regetatiTen Narreiuysteaia.
\\swn^*^^iAl ^wrvh Verwachsung nicht wieder hergestellt wird, nach
ASAvi JWÄv^k >^JIkonu«on. — Jene Stoffe, welche das Vermögen be-
x^>v.s^ vl^wh ilm> Einwirkung auf Nerven, ihre Reizbarkeit zu ver-
(M^^^in''^'^ %Hior KU tilgiMi, heissen narkotische Stoffe. Sie setzen,
>ri^VMH 5^h^ {lU ModiOHiuente oder Gifte dem Organismus einverleibt
v^>m>Ih^Wv ^lon Vorlust der Reizbarkeit entweder geradesiu, wie die
IUa^i^uiv« inlor nach einer vorhergegangenen heftigen Erregung,
\^^> ^Uii Strvohnin. Durch die wissenschaftliche Anwendung der
K^^^iuittol auf die Nerven, hat man die physiologischen Eigenschaften
vl^M' loUtortM) auf dem Wege des physikalischen Experiments kennen
^«lornl. ilono Doctrin der Physiologie, welche sich mit der Fest-
»IoUuuij: <ler Lobenseigenschaften der Nerven und ihrer Wirkungs-
^«Hot«t^ bofasst, heisst deshalb Nervenphysik.
U. Die sensitiven und motorischen Eigenschaften der Nerven
trotoii am reinsten in den hinteren und vorderen Wurzeln der
KUokenmarksnerven hervor. Die vorderen Wurzeln der Rücken-
mark snerven sind ausschliessend motorisch, die hinteren ausschliessend
iiensitiv (BelTscher Lehrsatz). Wie sich die Gehirnnerven in dieser
Beziehung verhalten, wird am betreffenden Orte in der speoiellen
Norvenlehre enthalten sein.
10. Der Stoffwechsel kann in den Nerven nicht lebhaft und
energisch sein. Die relativ geringe Menge von Capillarge&ssen im
Nervenmark, lässt dieses vermuthen. Nichtsdestoweniger regenerirt
sich ein getrennter Nerv durch Bildung neuer Nervenfilamente, und
übernimmt wieder theilweise seine frühere Function. Je geringer
der Abstand der Schnittenden eines getrennten Nerven ist, desto
schneller heilt er wieder zusammen. Man hat selbst zolllange
Trennungen an den Extremitätennerven grosser Thiere , durch
Regeneration ausgefüllt gesehen (Swan). Die neugebildeten Nerven-
elemente waren den normalen vollkommen isomorph, obgleich weniger
zahlreich, und mit Bindegewebsfasern gemischt.
11. Du Bois verdanken wir die Entdeckung, dass die Nerven-
fasern, wie die Muskelfasern, electromotorisch wirken, und die
Nervenströme nur schwächer sind als die Muskelströme. Jedes physio-
logische Handbuch giebt über diese Ströme näheren Aufschluss.
§. 73. Physiologische Eigenschaften des vegetativen Uerven-
systems.
Der Sympathicus ist durch die in seinen Ganglien entspringen-
den Nervenfasern ein selbstständiges , durch die zahlreichen , vom
Gehirn und Rückenmark zu ihm ti*etenden, und mit ihm sich ver-
zweigenden Nerven y ein vom Cerebrospinalsysteme abhängiges
(. 7S. Phjnologische Bisentehafttn das Tegetatir«!! NerTensyttoois. 205
System. Man hielt ihn bis auf die neueste 2^it fiir den Vermittler
der Emährungsprocesse. Sein Name vegetatives Nervensystem
entsprang aus dieser Ansicht. Seit jedoch die Ernährungsvorgänge
in vollkommen nervenlosen Gebilden , wie im Horngewebe , im
Knorpel y in der Gry stalllinse , u. s. w. genauer bekannt wurden,
muBsten die Vorstellungen von der ausschliesslichen Abhängigkeit der
vegetativen Processe vom Sympathicus, bedeutende Einschränkungen
erfahren. Viele Organe (ich nenne nur die Milchdrüse, die Synovial-
häute, die Zahn säckchen, die Haut), besitzen keine nachweisbaren
sympathischen Nervenfasern, dagegen aber Fäden vom Cerebrospinal-
system. Nerven, welche auf die Ernährung der Organe Einfluss
nehmen, werden trophische Nei*ven genannt. Dieser Name ist voll-
kommen gerechtfertigt, denn wir wissen, dass Durchschneidung ge-
wisser Nerven, durch Aufhebung oder Störung der Ernährung, Ent-
zündung, Erweichung, Vereiterung, selbst Brand der bezüglichen
Organe bedingt, und gewisse Hautkrankheiten (Ausschläge) halten
sich genau an Gegenden, in welchen sich ein bestimmter Nerv ver-
ästelt, welcher nun eben erkrankt sein muss. Der Sympathicus be-
theiligt sich nur insofern bei den Ernährungs- und Secretionsprocessen,
als er Bewegungen veranlasst, welche auf diese Processe Einfluss
nehmen. Diese Bewegungen gehen ohne Willensintervention von
Statten, und wir wissen durch das Gefühl nichts von ihrer Gegen-
wart. Das Herz, der Magen, die Gedärme bewegen sich, ohne unser
Mitwissen, und nur stürmische Aufregung dieser Bewegungen beim
Herzklopfen, Erbrechen, und Bauchgrimmen, macht uns dieselben
fühlbar. Die Centra, von welchen diese Bewegungen ausgehen, sind
die Ganglien des Sympathicus, welche insofern als motorische Apparate
anzusehen sind. Die in den Ganglien entspringenden, dem Sym-
pathicus eigenthümlichen grauen Nervenfasern, leiten die Bewegungs-
impulse zu den betreffenden Organen. Das Gehirn und das Rücken-
mark können durch die Nerven&den, welche sie dem Sympathicus
einflechten, nur einen modificirenden Einfluss auf diese Bewegungen
äussern, welcher sich in Leidenschaften und Affecten, welche im
Gehirn als Seelenorgan wurzeln, kund giebt. Das Herzklopfen, die
Brustbeklemmung, die wechselnde Röthe und Hitze, welche gewisse
Seelenzustände begleiten, bestätigen den modificirenden Einfluss des
Cerebrospinalsystems auf die vegetativen Acte. Das Cerebrospinal-
system kann aber seine Thätigkeiten einstellen, wie im Schlaf, in
der Ohnmacht, im Schlagfluss, es kann auch durch Missbildung ganz
oder theilwcise fehlen, wie bei hemicephalen und aencephalen Miss-
geburten, die vegetativen Thätigkeiten werden deshalb nicht unter-
bleiben, und die Verdauung, Ernährung, Absonderung, der Kreislauf,
gehen ohne seine Einwirkung ihren Gang fort. Die genannten Arten
von Missgeburten sind deshalb in der Regel ganz gut genährt, da
206 §. 78. Physiologische Eigensehafton dos T^fotatiTon Noirensystems.
ihr Sympathicus nicht fehlt. Selbst ein aus dem I^eibe heraus-
geschnittenes Eingeweide wird, wenn es sympathische Ganglien und
Gangliennerven besitzt, seine Bewegungen eine Zeitlang fortfuhren,
wie am exstirpirten Herzen und Darmkanale gesehen wird.
Die aus den Ganglien entspringenden Nerven sind ganz gewiss,
wie jene des Cerebrospinalsystems, nicht nur motorischer, sondern
ebenfalls sensitiver Natur, d. h. einige von ihnen leiten zu den
Ganglien, andere von den Ganglien weg. Man sieht ja auf Reizungen
blossgelegter Theile, welche vom Sympathicus versorgt wei-den, die
Bewegungen derselben sich steigern. Es muss der Eindruck des
Reizes, der durch den sensitiven Gangliennerv zum Ganglion gebracht
wurde, dort auf die motorischen Nerven desselben übergesprungen
sein. Die Ganglien sind somit nicht blos einfache Erreger der Be-
wegung, sondern auch, wie Gehirn und Rückenmark, Reflexorgane.
Die sensitiven Eindrücke auf die Ganglien, werden in diesen auf
die motorischen Nerven der Muskeln reflectirt, d. h. nicht zum
Bewusstsein gebracht, und nicht empfunden. Ein Beispiel möge
genügen, um die Sache so zu nehmen, wie ich mir sie vorstelle.
Die Galle oder die Darmcontenta , sind für die Darmschleimhaut
Reize. Sie erregen die sympathischen, sensitiven Nervenfasern der-
selben, welche sofort ihre Erregung dem Ganglion, aus welchem sie
entsprangen, mittheilen. Das Ganglion überträgt die Erregung auf
die motorischen Nerven, und es wird dadurch ein stärkerer peristal-
tischer Motus des Darmes hervorgerufen, welcher die Ursache des
Reizes fortzuschaffen hat. Diese Reizung der Darmschleimhaut
kann eine gewisse Höhe erreichen, ohne dass sie empfunden wird.
Wir schliessen blos auf ihre Gegenwart, aus der copiöseren Ent-
leerung des Darmes (Diarrhoea), Wird der Reiz so intensiv, dass
er nicht mehr ganz als Bewegungsimpuls auf die motorischen Nerven
reflectirt werden kann, so springt er auf die im Ganglion vor-
handenen Cerebrospinalnerven über. Sind diese sensitiver Natur, so
werden sie den übernommenen Reizungszustand zum Gehirne fort-
pflanzen, und durch Gefühle zum Bewusstsein bringen, welche,
wenn der Reiz sehr heftig war, sich zum Schmerz steigern. Nun
wird die häufige Darmentleerung, mit Grimmen und Schneiden
(Kolik) vergesellschaftet sein müssen. Sprang der Reiz auf motorische
Fasern des Cerebrospinalsystems über, so können die Entleerungen
mit Muskelkrämpfen verbunden werden, wie die tägliche ärztliche
Erfahrung an sensiblen Individuen und Kindern nachweist. Die
Ganglien sind somit nicht blos Erreger oder erste Quelle der Be-
wegungen der vegetativen Organe, sondern zugleich Reflexorgane,
wodurch sie als eben so viele Gehirne in nuce gelten können.
Ich hftbe diese Ansieht Aber die Bedeutung der sympathischen Ganglien
schon seit Jahren in meinen Yorlesmigen entwickelt. In der Abhandlang K 0 1 li k e r*8
§. 74. PnktiBche Anwendangen. 207
(die Selbstotändig^keit nnd Abhängigkeit des sympathischen Nervensystems. 1845),
wird sie ausführlich erörtert. Da sie physiologischer Natnr ist, wird man es
dem Anatomen verzeihen, sich anf ein ihm fremdes Terrain begeben zn haben.
Machen doch auch Physiologen Ausflüge auf anatomischem Gebiete im Nebel.
§. 74. Praktische Anwendungen.
Einen Nerven durchschneiden, heisst eben so viel, als das
Organ vernichten , welchem er angehört. Es braucht nicht mehr
Worte, um die hohe Bedeutung des Nervensystems, dem Arzte und
Wundarzte im Allgemeinen einleuchtend zu machen.
Der Unterschied sensitiver und motorischer Nerven, hat in die
Pathologie der Nervenkrankheiten laicht und Klarheit gebracht. Die
Pathologie der Neuralgien, das sind andauernde, schmerzhafte Affec-
tionen gewisser Organe oder ganzer Bezirke, so wie die Heilung
derselben durch chirurgische Hilfeleistung, erhielten erst durch die
Feststellung jenes Unterschiedes, ihren wissenschaftlichen Gehalt.
Als man noch die Emptindlichkeit ftir eine allgemeine Eigenschaft
aller Nerven hielt, musste der Sitz der Neuralgien nothwendig
verkannt werden, und es wurden deshalb bei den Heilungsversuchen
derselben durch Entzweischneiden der Nerven, auch solche Nerven
durchschnitten, welche als rein motorisch, niemals Schmerz ver-
anlassen können. Die Geschichte des Gesichtsschmerzes (Proso-
pcUffia, Dolor Fothergilli), und die zu seiner Heilung vorgenommenen
Durchschneidungen des Nervus communicans faciei, welcher als ein
motorischer Nerv nie schmerzen kann, geben ein trauriges Zeugniss
dieser Wahrheit. Auch die Unterscheidung der Emptindungslähmungen
(Anaesthemae) und der Bewegungslähmungen (Parcdyses) beruht auf
festgestellten physiologischen Eigenschaften der Nerven.
Die bekannte sensitive oder motorische Eigenschaft eines
Nerven, wird bei der Vornahme chirurgischer Operationen an ge-
wissen Gegenden, volle Berücksichtigung verdienen, um die Summe
der Schmerzen so gering als möglich ausfallen zu lassen. Hätte man
eine Geschwulst oder ein nervenreiches Organ zu exstirpiren, so soll
der erste Schnitt auf jener Seite gefuhrt werden , wo die Nerven
eintreten. Sind diese getrennt, so wird jede fernere Beleidigung des
Organs durch Druck oder Schnitt schmerzlos sein, während sie im
hohen Grade schmerzhaft sein muss, wenn die Trennung der Nerven
zuletzt folgt. Die Castration mag als Beispiel dienen. — Es wäre
kein geringer Triumph der wissenschaftlichen Chirurgie, wenn der
Versuch mit Erfolg gekrönt würde, hartnäckige und unerträgliche
Nervenschmerzen in gewissen Organen, nicht durch die Amputation
oder Ausrottung der Organe , sondern durch Resection ihrer sen-
sitiven Nerven zu heilen. Die Fälle sind in den Annalen der Wund-
208 §. 74. Praktische Anwendangan.
arzneikunde nicht gar so selten, wo man nicht zu besänftigende,
chronische Schmerzen der Brust oder der Hoden, durch die Ab-
tragung dieser Organe geheilt zu haben sich rühmt. In den Hand-
büchern der Operationslehre wird unter den Anzeigen zur Vornahme
der Abtragung eines Gliedes oder Organs, der incurable Nerven-
schmerz noch immer angeführt.
Der mechanische Reiz der Empfindungsnerven erklärt es, warum
bei der Abbindung krankhaft entarteter Organe, und bei der Unter-
bindung der Ai-terien (wenn Nervenzweige mit in die Ligatur gefasst
werden), Schmerzen entstehen können, welche mit der geringen
Grösse des chirurgischen Eingriffs in schreiendem Miss Verhältnisse
stehen. Diese Schmerzen werden so wüthend, und können durch
Reflex so gefahrliche allgemeine Zufalle veranlassen, dass sie das
Lüften der Ligaturen nothwendig machen, wie, um nur einen illustren
Fall anzuführen, die geschichtlich bekannte GefUssunterbindung am
amputirten Arme Nelson's beweist. — Handelt es sich darum, ein ent-
artetes Organ abzubinden, so muss die Ligatur so kräftig als möglich
zugeschnürt werden, um die Nerven der unterbundenen Partien
nicht blos zu drücken, sondern zu zerquetschen, d. h. zu desorgani-
siren. Der Druck unterhält eine fortwährend wirksame und heftig
schmerzende mechanische Irritation, während durch Zerquetschung
die Structur des Nei'ven und mit ihr seine Leitungsf^higkeit auf-
gehoben wird.
Das geringe Vermögen der Nerven, sich zurückzuziehen,
wenn sie durchschnitten wurden, kann es bedingen, dass sie in
dem sich bildenden Narbengewebe grösserer Wunden, besonders der
Amputationswunden, eingeschlossen, und durch die jedem Narben-
gewebe eigenthümliche Zusammenziehung so eingeschnürt werden,
dass andauernde Nervenschmerzen sich einstellen, welche die Excision
der Narbe, ja sogar die nochmalige Vornahme der Amputation er-
heischen. Wäre es nicht zu versuchen, die an der Amputations-
wunde vorstehenden Nervenenden, statt sie abzutragen, einfach um-
zubeugen, und zwischen die Muskeln hineinzuschieben, und könnte
diese Methode nicht in jenen Fällen ebenfalls angewendet werden,
wo ein durch Exsection eines Nervenstückes zu heilender Nerven-
schmerz, durch Wiederverwachsung der getrennten Nervenenden
Recidiven befiii-chten lässt?
Die Methode, zu amputirende Gliedmassen mit einem Bande
über der Amputationsstelle einzuschnüren, und» durch Pelottcn,
welche dem Verlaufe der Hauptner venstämme entsprechen, Taub-
werden und Einschlafen der Gliedmasse zu bewirken, und sie in
dieaem Zustande abzunehmen, hat unter den praktischen Wund-
ärzten selbst zu jener Zeit keinen Eingang finden können, wo die
jetzt üblichen Änaesthetica noch nicht bekannt waren. Es möge
§. 75. KnorpelB/Btom. Anatomische Eigenschaften. 209
hier die Erfahrung Hunte r's über diesen Gegenstand angeführt
werden. An einem Manne wurde der Schenkel, dessen Crural- und
Hüftnerv durch Pelotten taub gebunden waren, amputirt. Er äusserte
verhältnissmässig wenig Schmerz, obwohl er ein sehr empfindliches
Individuum war, und eben deshalb der Versuch mit dem Druck-
verbande zur Probe bei ihm gemacht wurde. Nach gemachter
Qefässligatur wurde die Druckbinde entfernt. Ein kleines Gefäss
blutete, und musste unterbunden werden. Der Kranke klagte über
den unbedeutenden Unterbindungsact der kleinen Arterie ohne die
Druckbinde mehr, als über die Amputation des Schenkels mit
der Binde.
Da die Nerven an sehr vielen Orten die grossen Gefässe der Gliedmassen
begleiten, und bei der Anfsnchnng und Isolimng der GefUsse wohl umgangen
werden müssen, so hat man versacht, eine allgemeine Regel aufzustellen, welcher
das Verhältniss der Nerven zu den Arterien unterliegt, um in jedem vorkommen-
den Falle*, wie aus einer Formel, die Lage des Nerven bestimmen zu können.
Die Lagerung des Nerven ist allerdings für eine bestimmte Arterie eine sehr
bestimmte, lässt sich aber nicht im Allgemeinen ausdrücken. Velpeau (Chirurg.
Anatomie. 3. Abth. p. 144) stellte eine solche Regel auf, nach welcher Nerv,
Arterie und Vene so liegen, dass, vom Knochen aus gezählt, die Arterie das
erste, die Vene das zweite, der Nerv das dritte sei. Von der Haut aus gezählt,
wäre dann die Ordnung umgekehrt. Ich begreife es nicht, wie ein achtbarer
Chinirg und Anatom, auf diesen kaum für zwei Körperstellen geltenden Gedanken
kommen konnte. Etwas genauer ist die Angabe von Foulhioux (Revue med.
1825. pag. ()8). Ueber dem Zwerchfelle soll der Nerv immer an jener Seite der
Arterie liegen, welclie von der Medianlinie des betreffenden Köri»ertheiles oder
der Axe des Gliedes abgewendet ist; unter dem Zwerchfelle dagegen an der der
. Axe zugewendeten Seite. Icli will zugeben, dass dieses Verhältniss ftir die obere
Extremität, für den Oberschenkel und den Unterschenkel gilt, allein in der Knie-
kehle Endet sich eine solenne Ausnahme, weshalb Foulhioux in seiner Abhand-
lung diese seinem Systeme gefährliche Stelle ganz übergeht. So lange es Arterien
giebt, welche an allen Seiten von Nerven umgeben sind, wie die Achselarterie,
oder von Nerven gekreuzt werden, wie die Schenkel- imd vordere Schienbein-
arterie, wird es immer gerathener sein, sich lieber auf die Angaben der speciellen
Anatomie, als auf allgemeine Regeln zu verlassen.
§. 75. Knorpelsystem. Anatomisclie Eigenschaften.
Die Knorpel, Cartilagines (x^vBpo;, — in der Vulgärsprache der
Wiener: Kruspel) gehören zu den Hartgebilden des menschlichen
Körpers, deren Festigkeit jedoch zugleich mit einem hohen Grade
von Elasticität sich combinirt. Viele derselben können geknickt und
gebogen werden, ohne zu brechen; andere sind spröder, und zeigen,
wenn sie gebrochen werden, glatte oder faserige Bruchflächen. Sie
sind sämmtlich mehr weniger durchscheinend, in dünne Scheiben
geschnitten opalisirend, und von gelblich oder bläulich weisser
Uyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. 14
^ '^' S» '*• Küor^tUytUm. Anatomisohe ElgBiitehaften.
V\\h^. \\\nm sie trocknen, werden sie bernsteinfarbig und brüchig,
i»ohnuuj»t\»ii ÄU»ÄUimen, schwellen im Wasser wieder auf, widerstehen
dor FäuhÜ88 lange, und lösen sich in kochendem Wasser, unter
/urUoklasdung eines unlöslichen Rückstandes (Zellen und Fasern)
»u oiuor gelatinösen Masse, welche aber keinen Leim, sondern das
tluroh J. Müller vom Leim unterschiedene Chondrin enthält. Das
(liondrin unterscheidet sich vom gewöhnlichen Leim durch seinen
Sehwefelgehalt, und durch seine Fällbarkeit durch Alaun und Essig-
säure. Die Knorpel enthalten nebstdem noch anorganische Salze,
unter welchen, nach den Analysen von Frommherz und Gugert,
kohlensaures und schwefelsaures Natron prävaliren.
Durch Fäulniss werden die Knorpel gewöhnlich roth, wegen
Tränkung mit aufgelöstem Blutroth. Die Knorpel besitzen eine fibröse
Umhüllungshaut, das Perichondrium, welches aber an den die
Gelenkenden der Knochen überziehenden Gelenkknorpeln fehlt,
und an den Zwischenknorpeln der Gelenke, durch eine von der
Synovialmembran entlehnte Epithelialschichte ersetzt wird.
Man unterscheidet an jedem Knorpel 1. eine Grundsubstanz
(Intercellularsubstanz) , 2. Höhlen in dieser, und 3. wirkliche läng-
liche Zellen, sogenannte Knorpelkörperchen, in den Höhlen.
Die Grundsubstanz ist entweder mehr weniger homogen und glas-
artig durchscheinend, oder gefasert. Hierauf beruht die Eintheilung
der Knorpel in hyaline oder echte, und in Faserknorpel, von
welchen eine Abart als Netzknorpel besonders unterschieden wird.
Zwischen diesen Formen der Knorpel giebt es Uebergänge. Zu den
hyalinen Knorpeln gehören die Luftröhren- und Kehlkopfknorpel
(mit Ausnahme der Cartilagines Santorinianae und der Epiglottis),
die Nasenknorpel, die knorpeligen Ueberzüge der Gelenkflächen der
Knochen, und die ossificirenden Knorpel des Fötus. Zu den Faser-
knorpeln zählen die Knorpel des äusseren Ohres, der Eustachischen
Trompete, Theile der Zwischen wirbelbänder , die Knorpel der
Synchondrosen und Symphysen, die auf den Rändern der Gelenk-
gruben aufsitzenden Knorpelringe (Labra cartüaginea) , die in ge-
wissen Sehnen eingewebten Sesamknorpel, die Cartäagines Santo-
rinianae, Wrisbergü, und die Epiglottis, — Den IJebergang von den
hyalinen zu den Faserknorpeln bilden die Rippenknorpel, die Carti-
lago thyreaidea und xyphoidea, welche bei jungen Individuen echte,
bei alten aber faserige Knorpel darstellen. Die netzartig verfilzten
Fasern der meisten Faserknorpel stimmen mit elastischen Fasern
überein, von welchen sie sich nur durch ihre ungleichförmige Dicke
unwesentlich unterscheiden. In den Cartäagines interarticulares, in
den Knorpeln der Augenlider, a. m. a. besteht das Fasergerüste
aus wahren Bindegewebsfaaem.
^ 75l KMrT«lsyM«i. Awto»wcW Eiff«0ckafheB. 211
Wenn sieh ein Knorpel früher oder spater in Knochen um-
wandelt, wie es bei den Hjalinknorpetn so oft der Fall ist, so wird
er ein verknöchernder Knorpel, Cartilago oinesctn*, genannt, wo
nichty ein bleibender, Cartäago perennis s, permanens, wie es die
Faserknorpel sind.
Die Substanz der hyalinen Knorpel Erwachsener, entbehrt be-
stimmt der ernährenden Gefasse. obwohl diese in der fibrösen
Hüllungsmembran der Knorpel (Perichondnum}, jedoch auch da nur
sehr spärlich vorkommen.
Die länglichen Knorpelkörperchen eines Gelenkknorpels sind
an den tiefen, mit dem Knochen zusammenhängenden Schichten des
Knorpels, in der Intercellularsubstanz in Längsreihen geordnet,
während an der freien Fläche desselben (Reibfläche"! die Inter-
cellularsubstanz durch grosse Vermehrung der Knorpelkörperchen
fast ganz verdrängt wird, letztere überdies eine Querlage annehmen,
und durch ihre Aneinanderlagerung, einer Schichte von Pflaster-
epithelium gleichen.
Bereitet man einen feinen Schnitt eines hyalinen Knorpels, so bemerkt mftn
in ihm, bei einer Ver^ssenmg von 300, Lficken oder Höhlen, nm^ben und ein-
geschlossen von einer hellen, oder wie angehauchtes Glas matten Gmndsubstans.
Diese Gmndsnbstanz ist entweder homogen und stmcturlos, oder fein granulirt
Ihr g^nulirtes Ansehen ist nicht die Folge einer Zersetzung oder Gerinnung, da
dasselbe auch den möglichst frischen Knorpeln eben geschlachteter Thiere, oder
amputirter Gliedmassen zukommt. Die Lücken oder Höhlen sind in sehr variabler
Menge vorhanden, öfters auf Haufen zusammengedrängt, von der mannig^Bbchsten
Gestalt, und haben 0,006'" — 0,04"' Durchmesser. Sie schliessen die Knorpelzellen
ein, welche die betreffende Höhle vollständig ausfällen. Das Protoplasma der
Zellen birgt einen grossen granulirten Kern. Nicht selten beherbergt eine Höhle
zwei, seltener drei oder vier solcher Zellen. Der Kern enthält selbst wieder zwei
bis drei Kemkörperchen, und ausnahmsweise auch Fetttröpfchen, welche letztere
in den Faserknorpeln und bei älteren Individuen liäufiger, als in echten Knorpeln
junger Leichen beobachtet werden. Setzt man Wasser zu, so löst sich die Knorpel-
zelle ganz oder theil weise von der Wand der Knorpelhöhle ab, und schrumpft
derart ein, dass zwischen Zelle und Höhlenwand ein heller Ring zum Vorschein
kommt. Heidenhain's Versuche haben die Contractilität der Knorpelzellen con-
statirt. — Durch Behandlung mit sehr verdünnter Schwefel- und Chromsäure
gelingt es, auch die hyaline Intercellularsubstanz in concentrische Schalensjsteme
zu zerlegen, welche an der Schnittfläche des Präparates als ringförmige Streifen
gesehen werden. Dies sind die Knorpelkapseln der Autoren. Zwei oder
mehrere nachbarliche Knorpelkapseln, welche nur Eine Knorpelzelle enthalten,
werden häufig von grösseren Kapseln, und mehrere dieser letzteren von noch
grösseren umgeben. — Die Entwicklung der Knorpel hat gelehrt, dass in den
ersten Anlagen derselben^ blos hüllenlose Protoplasmaklümpchen mit Kern (Primor-
dialzellen) vorhanden sind, die sogenannte Grundsubstanz (hyalin oder faserig)
aber erst secundär hinzukommt.
In einigen Faeerknorpeln nimmt die Entwicklung der faserigen Intercellular-
substanz so zu, dass die Knorpelhöhlen und Zellen fast ganz verdrängt werden,
wie in den Zwischenknorpeln des Knie- und Handwurzelgelenks. — In jenen
pathologischen Neubildungen, welche Enchondrome genannt werden, finden
14*
212 §• 76. Phjrtiologiiche Eigenschaft«!! der Knorpel.
sich auch sternförmige Knorpelzellen (wie in den Knorpeln der Haie nach Lejdig).
£s g^ebt auch Knorpel, welche blos aus Zellen, ohne wahrnehmbare Zwischen-
substanz, bestehen, wie die Chorda doracdia der Säugethier- und Vogel-Embryonen
und mehrerer Knorpelfische.
Literatur. M, Meckauer, de penitiori cartilaginum stmctura. Vratislaviae,
183G. — Herde, allgem. Anatomie, pag. 791. — Sahmcmn, über Gelenkknorpel.
Tübingen, 1 846. — Herrn, Meyer, der Knorpel und seine Verknöcherung, in Müller'a
Archiv. 1849. — Bergmann, de cartilaginibus. Mitaviae, 1850. — Luschka, die
Altersveränderungen der Zwischenwirbelknorpel, im Archiv für path. Anat. 1 856.
— Ä. Bauer, zur Lehre von der Verknöcherung des primordialen Knorpels, in
Müller^ 8 Arch. 1857. — Die histologischen Arbeiten von KoUiker, M, SchuUze,
Heidenhain, vu v. a. finden sich in den Jahresberichten über die Fortschritte der
Anatomie excerpirt.
§. 76. Physiologische Eigenschaften der Knorpel.
Die Knorpel sind unempfindlich. Man kennt keine Nerven
in ihnen. Die physiologischen Bestimmungen, welchen sie gewidmet
sind, erfordern es so. Die knorpeligen Ueberzüge der Gelenkflächen
der Knochen, und die Knorpel, welche die Form gewisser Organe
bestimmen, wie die Ohrknorpel, die Augenlid- und Nasenknorpel,
würden ihrem Endzwecke weit weniger entsprechen, wenn sie für
die mechanischen Einwirkungen, denen sie ausgesetzt sind, und
welche in den Gelenken einen hohen Intensitätsgrad erreichen, empfind-
lieh wären. Im kranken Zustande steigert sich ihre Empfindlichkeit
auf eine furchtbare Höhe, wie die Erweichung der Knorpel bei ge-
wissen Gelenkkrankheiten lehrt. Gesunde Knorpel können geschnitten
oder abgetragen werden , ohne Schmerzen zu erregen. Diese Be-
obachtung machte schon die ältere Chirurgie (Heister), welche es
als Grundsatz aufstellte, nach der Amputation der Gliedmassen in
den Gelenken (Enucleation), die überknorpelten Knochenenden
abzuschaben, um den Vemarbungsprocess zu beschleunigen.
Die Elasticität der Knorpel ist ebenfalls auf ihre mechanische
Bedienstung, und bei den Knorpeln der Nase und des Ohres, wohl
auch auf ihre Blossstellung, und dadurch gegebene Gefährdung durch
mechanische Einwirkungen berechnet. Schwindet sie durch Alter
oder Ossification, so können mechanische Einwirkungen selbst Brüche
der Knorpel erzeugen, wie sie am Schildknorpel beobachtet wurden.
Man überzeugt sich am besten von der Elasticität der Knorpel,
wenn man ein Scalpell oder einen Pfriemen in eine Symphyse oder
in ein Zwischenwirbelband stösst, wo es nicht stecken bleibt,
sondern wie ein Keil wieder herausspringt. — Die Federkraft der
Rippenknorpel erleichtert wesentlich die respiratorischen Bewegungen
des Brustkorbes, und die Elasticität der Zwischenwirbelbänder und
der Symphysen^ liefeii; das beste Schutzmittel gegen die Stösse,
§. 77. KnocheoHy^tem. Allgemeine Bigeiisohaflen der Knochen. 213
welche das Becken und der Rückgrat beim Sprung und Lauf, und
bei so vielen körperlichen Anstrengungen auszuhalten haben. Die
Knorpel vertragen deshalb anhaltenden Druck viel besser, als. selbst
die Knochen, und man kennt Fälle, wo Aneurysmen der Brustaorta,
durch Druck selbst die Wirbelkörper atrophirten, ohne den Schwund
der Zwischenwirbelbänder erzwingen zu können.
Da die ausgebildeten Knorpel keine Blutgefilsse besitzen, so
können ihre Nutritionsthätigkeiten nur durch Tränkung mit Blut-
plasma vermittelt werden. Der Umsatz der Ernährungsstoffe im
Knorpel geht aber so träge vor sich, dass die Ernährungskrankheiten
der Knorpel sich durch lentescirenden Verlauf auszeichnen, und die
üebernährung (Hypertrophie) der Knorpel noch gar nie beobachtet
wurde. Das Perichondrium wird als gefUssbegabte Membran sich
zum Knorpel als Ernährungsorgan verhalten. Wird es entfernt, so
stirbt der Knorpel ab, wenn er nicht von einer anderen Seite her
Blut zugeführt erhält. Da ein Gelenkknorpel seine Nahrungszufuhr
vom Knochen aus erhält, so muss, wenn letzterer durch Krankheit
zerstört wird, die knorpelige Kruste der Gelenkflächen, ganz oder
stückweise vom schwererkrankten Knochen abfallen. Man findet
deshalb in den durch Beinfrass angegriffenen Gelenken, sehr häufig
kleine Fragmente* der (Jelenkknorpel oder lose Knorpelschalen vor.
Die Substanzverluste, welche im Knorpel durch Verwundung
oder Geschwüre bedingt werden, regeneriren sich niemals durch
wahre Neubildung von Knorpclmasso , sondern durch Fasergewebe
ohne Knorpelzellen. Ein aus dem Schildknorpel eines Hundes heraus-
geschnittenes dreieckiges Stück, wurde nicht wieder ersetzt, sondern
die Oeffnung durch eine fibröse Membran, als Verlängerung des
Perichondrium, ausgefüllt.
Dass Knorpel Substanz abnormer Weise an ungewöhnlichen Stellen des
Organismus gebildet werden könne, beweist, nebst der Knorjielbildung, welche
den Ossificationen seröser Häute vorausgeht, das Enchondronia Muelleri.
§. 77. Knochensystem. Allgemeine Eigenschaften der Knochen.
Ta \/.h o(7T£a T(o cwjjLaT'. aiaaiv, xai ipOonfjTa, y,a{ e^.toq luapsx'^vTat, sagt
Hippocrates (ossa autem corpori humano firmüatem, rectitudinem, et
formam condliant). In der That dienen die Knochen, welche nebst
den Zähnen, die härtesten Bestandtheile unseres Leibes sind, dem
ganzen Menschenkörper zur Grundveste. Sie bilden durch ihre
wechselseitige Verbindung, ein aus mehr weniger beweglichen
Balken, Sparren und Platten aufgebautes Gerüste (das Skelet),
welches die Grösse (Höhe) des Körpers bestimmt, sämmtlichen
Weichtheilen zur Unterlage und Befestigung dient, ihnen Halt und
214 §• 77. Knoehensystem. Allgemeine EigensehAffcen der Knochen.
Stütze giebt, geräumige Höhlen zur Aufnahme und zum Schutze
der Eingeweide erzeugt, den Muskeln feste Angriffspunkte und
leicht bewegliche Hebelarme darbietet, und den Blutgefässen und
Nerven die Bahnen ihres Verlaufes vorschreibt. Da die Knochen,
ihrer Härte wegen, sich allenthalben an der Oberfläche des mensch-
lichen Leibes durchfühlen lassen, geben sie eine verlässliche Richt-
schnur ab, die Lage und die räumlichen Verhältnisse der um die
Knochen herum gruppirten, oder von ihnen umschlossenen Organe,
zu beurtheilen und festzustellen. Starre Festigkeit und Härte, ver-
bunden mit einem gewissen Grade von Elasticität, so wie gelblich
weisse Farbe, kommen allen Knochen in verschiedenem Maasse zu.
Sie verlieren durch Austrocknen zwar an Gewicht, aber nicht an
Gestalt und Grösse, und widerstehen der Fäulniss so beharrlich,
dass sich selbst die Knochen der Thiere, welche die antediluvianische
Welt bevölkerten, und durch die kosmischen Revolutionen schon
längst aus dem Buche der Schöpfung gestrichen wurden, noch un-
versehrt im Schoosse der Erde erhalten haben.
Die genannten Eigenschaften der Ejiochen sind die natürliche
Folge ihrer Zusammensetzung aus organischen und anorgani-
schen (mineralischen) Bestandtheilen.
Die anorganischen Bestandtheile werden als sogenannte
Knochenerde zusammengefasst. Die Knochenerde stammt zum
grössten Theil aus der uns umgebenden anorganischen Natur.
Der Zahn der Zeit zernagt den kalkhaltigen Fels zu Trümmern;
diese werden Staub; Wind und Regen bringen den Staub in die
Ebene, dort düngt er den Acker, die Wiese, und giebt der Pflanze
ihre Nahrung, welche von Thieren und Menschen verzehrt, denselben
die erdigen Stoffe zufuhrt, aus denen die Knochen sich aufbauen.
Milch und Fleisch enthalten gleichfalls ansehnliche Mengen phosphor-
saurer Salze. Auch das sogenannte harte Trinkwasser, welches
doppelt kohlensauren ELalk fuhrt, sorgt für den Bedarf unseres
Leibes an Knochenerde.
Der organische Bestandtheil der Knochen zeigt sich uns als
eine biegsame und elastische, durchscheinende, knorpelähnliche
Substanz, welche Knochenknorpel (Ossein) genannt wird, obwohl
sie eigentlich kein Knorpel, sondern ungefasertes Bindegewebe ist,
und deshalb beim Kochen kein Chondrin giebt, wie die Knorpel,
sondern Leim, wie das Bindegewebe. Wir wollen dennoch den
Namen Knochenknorpel beibehalten, weil er sich in der ana-
tomischen Sprache seit lange eingebürgert hat. Dem Knochenknorpel
verdanken die Knochen ihren, wenn auch geringen Elasticitätsgrad,
ihr Verwittern an der Luft, und ihre theilweise Verbrennlichkeit.
Auf den holzarmen Falklandsinseln , braten die Eingebomen einen
§. 77. Knochensystem. Allgemeine Eigentchaften der Knocben. 215
Ochsen mit dessen eigenen, mit etwas Torf gemischten Knochen.
Kameelknochen werden in den Wüsten als Brennmaterial benützt.
Die anorganischen Bestandtheile der Knochen bedingen ihre
weisse Farbe, ihre Härte und Sprödigkeit, und ihre Beständigkeit
im Feuer, welche nur durch hohe Schmelzhitze, und durch bei-
gegebene Flussmittel überwunden wird (milchfarbiges Knochenglas).
Eine richtige Proportion der anorganischen und organischen In-
gredienzien verleiht den Knochen ihre Festigkeit, Dauerhaftigkeit,
und ihre bis zu einem gewissen Grade ausreichende Widerstands-
kraft gegen alle Einflüsse, welche Cohäsion und Form der Knochen
zu ändern streben. — Als vielgebrauchtes Düngungsmittel (Knochen-
mehl) wirken die Knochen mehr durch ihre anorganischen als
organischen Bestandtheile.
Nach Bibra's Analyse enthielt der Oberschenkel eines 25jäh-
rigen Mannes:
Basisch phosphorsaure Kalkerde mit Fluorcalcium 59,63
Kohlensaure Kalkerde 7,33
Phosphorsaure Talkerde 1,32
Lösliche Salze 0,69
Knochenknorpel mit Fett und Wasser .... 31,03
Das Verhältniss des Knochenknorpels zur Knochenerde variirt
in verschiedenen Knochen desselben Individuums, und in verschiede-
nen Altersperioden. Die Knochen der Embryonen und Kinder
enthalten mehr Knochenknorpel, die Knochen Ei'wachsener mehr
mineralische Bestandtheile, und im hohen Alter können letztere so
überhandnehmen, dass der Knochen auch seinen geringen Grad von
Biegsamkeit und Elasticität verliert, und spröde und brüchig wird,
wie das häufige Vorkommen der Fracturen bei Greisen beurkundet.
Im kindlichen Alter, wo mit der Prävalenz des Knochenknorpels
auch die Biegsamkeit der Knochen grösser ist, kommen Brüche
selten, dagegen Knickungen an den langen Knochen, und Einbüge
an den breiten Knochen des Schädels öfter vor.
Die Knochenerde bildet beiläufig die Hälfte des Gewichts eines
jungen, 2/3 des Gewichts eines ausgewachsenen, und '/g eines ge-
sunden Greisenknochen. Die langen Knochen der Extremitäten
enthalten mehr anorganische Substanz als die Stammknochen, die
Schädelknochen mehr als beide. — Durch Krankheit kann das
Verhältniss der organischen zu den anorganischen Bestandtheilen so
geändert werden, dass das Ueberwiegen der einen oder der anderen,
abnorme Biegsamkeit oder Brüchigkeit der Knochen setzt. Die
Verkrümmungen sonst geradliniger Knochen in der englischen
Krankheit (Rhachiiis), wo die Knochenerde im Uebermaasse durch
den Harn abgeführt wird, so wie ein hoher Grad von Fragilität der
Knochen (Osteop^ ««^n Ernährungskrankheiten, sind
216 §• 78' Eintheilang der Knooheo.
das nothwendige Resultat der Mischungsänderung. — Bei einem
rhachitischen Kinde fand Bostock in einem Wirbel 79,75 Procent
thierische, und nur 20,25 erdige Substanz.
Der organische Bestandtheil der Knochen (Knochenknorpel)
lässt sich durch Kochen extrahiren, und bei hoher Siedhitze im
Papiniani^schen Digestor, bleibt nur die morsche, leicht zerbröckelnde,
wie wurmstichige, anorganische Grundlage als Rest zurück. Der
in kochendem Wasser aufgelöste organische Bestandtheil stellt eine
gelatinöse Masse dar, welche in grösserer Menge aus Thierknochen,
besonders aus den schwammigen Theilen derselben und ihren
weichen Zugaben (Bänder, Sehnen, etc.) gewonnen, als Genussmittel
verwendet wird. Man denke an die Belagerungen von Numantia,
Sagunt, und Paris (durch Heinrich von Navarra), wo der wüthende
Hunger nach zerstampften Thier- und Menschenknochen als letzte
Nahrungsmittel griff; — man denke an Rumford'sche Suppen und
an d'Arcet^s Knochensuppentafeln fiir Soldaten im Kriege. Hunde
frassen zwar diese Tafeln nicht, und einem Victualienhändler ver-
zehrten die Ratten alles Essbare, mit Ausnahme dieser Soldatenkost.
Sie werden aber in Spitälern und Feldlazarethen gebraucht —
wenigstens verrechnet. Was die Siedhitze leistet, leistet auch die
verdauende Thätigkeit des Magens. Sie entzieht den Knochen ihren
organischen Bestandtheil, verschont aber den Kalk, welcher mit
den Excrementen als solcher entleert wird. So erklärt sich der
weisse Koth (album graecum) der fleischfressenden Thiere. — Durch
Glühen wird der Knochenknorpel unter Entwicklung von Ammoniak
verbrannt, und die Erden bleiben mit Beibehaltung der Knochen-
form zurück (Calciniren der Knochen).
Der organische Bestandtheil der Knochen geht durch das Verwittern der-
selben nur znm Theil verloren. Ein nicht unansehnlicher Rest desselben wird,
wahrscheinlich durch die Art seiner Verbindung mit dem erdigen, vor der Zer-
störung durch Fäulniss geschützt So fand Davy in einem Stimknochen aus
einem Orabe zu Pompeji, noch 357] Procent organische Substanz, und in einem
Mammuthzahne 30,6.
Nur die deutsche Sprache hat für O» zwei Ausdrücke : Knochen und
Bein; ersteres im aUgemeinen Sinne, letzteres für Einzelheiten. Es giebt deshalb
eine Knochen-, aber keine Beinlehre, so wie gegentheilig Siebbein, Brustbein,
Schienbein, gesagt wird, aber nicht Siebknochen, Brustknochen, oder Schien-
knochen. Soll auch Bein auf eine Vielheit von Knochen angewendet werden,
mnss ihm das cumulative Ge vorgesetzt werden: Gebein.
§. 78. Eintheiluiig der Knochen.
Nach Verschiedenheit der Gestalt unterscheidet man lange,
breite, kurze, und gemischte Knochen.
§. 78. Sintheilnng der KnocheiL 217
Die langen Knochen, auch Röhrenknochen, mit Ueber-
wiegen des Längendurchmessers über Breite und Dicke, besitzen
ein mehr weniger prismatisches, mit einer Markhöhle versehenes
Mittelstück, Corpus 8, Diaphysis, und zwei Endstücke, Epiphyses
(i-rci-^öeiv, anwachsen). Die Endstücke sind durchaus umfänglicher
als das Mittelstück, und mit überknorpelten Gelenkflächen versehen,
mittelst welcher sie an die überknorpelten Enden benachbarter
Knochen anstossen, und mit diesen durch die sogenannten Bänder
beweglich verbunden werden. Die langen Knochen stecken zumeist
in der Axe der oberen und unteren Gliedmassen.
Die breiten Knochen, mit prävalirender Flächenausdehnung,
finden sich dort, wo Höhlen zur Aufnahme wichtiger Organe ge-
bildet werden mussten, wie an der Hirnschale, an der Brust, und
am Becken. An der Hirnschale bestehen sie aus zwei compacten
Tafeln, welche durch zellige Zwischensubstanz (Diploe) von einander
getrennt sind. Sollen auch lange Knochen zu Höhlenbildung ver-
wendet werden , so verlieren sie ihre Markhöhle , welche durch
schwammige Substanz vertreten wird , ihr prismatisches oder
cylindrisches Mittelstück verflacht sich, und sie werden ihrer Länge
nach, entsprechend dem Umfange der Höhle, gekrümmt (z. B. die
Rippen). Lange und zugleich breite Knochen, wie das Brustbein,
enthalten keine Markhöhlen, sondern eine feinzellige Diploe. — Die
Fläche der breiten Knochen ist entweder plan, wie am Pflugschar-
bein, oder im Winkel geknickt, wie am Gaumenbein, oder schalen-
förmig gebogen, wie an den meisten Knochen der Hirnschale; —
oder es treten viele plane Knochenlamellen zu einem einzigen gross-
zelligen Knochen zusammen, welcher deshalb bei einer gewissen
Grösse eine bedeutende Leichtigkeit besitzen wird (Siebbein).
Die kurzen Knochen sind entweder rundlich, oder unregel-
mässig polyedrisch, und kommen in grösserer Zahl, über oder neben
einander gelagert, an solchen Orten vor, wo eine Knochenreihe,
nebst bedeutender Festigkeit, zugleich einen gewissen Grad von
Beweglichkeit besitzen musste, wie an der Wirbelsäule, an der Hand-
und Fusswurzel, was nicht zu erreichen gewesen wäre, wenn an der
Stelle mehrerer kurzer Knochen, ein einziger langer und ungegliederter
Knochenschaft angebracht worden wäre. Man hat die kurzen Knochen
auch vielwinkelige genannt, welche Benennung ich deshalb ver-
werfe, weil mehrere kurze Knochen gar keine Winkel haben (Sesam-
beine), und auch viele breite und lange Knochen vielwinkelig sind.
Die gemischten Knochen sind Combinationen der drei ge-
nannten Knochenformen.
Die specielle Osteogn^aphie beschreibt die FlXchen, Winkel, Bänder, Erhaben-
heiten und Vertiefungen, welche an iMUnr ^* **-irftmmen. Um spätere
Wiederholungen zu yermeiden, uff^- * Bimelheiten
218 §. 79. KnoehensnbBteiiieii.
hier festg^estellt werden. Fläche, Superfidea, ist eine Beg^nzungsehene eines
Knochens. Sie kann eben, convex, concav, winkelig geknickt, oder wellenförmig
gebogen sein. Ist sie mit Knorpel überkrustet, und dadurch glatt und schlüpfrig
gemacht, so heisst sie Oelenkfläche, Superficies artictdaris 8. glenoidea. Winkel,
Angultu, ist die Durchschneidungslinie zweier Flächen, oder ihre gemeinschaftliche
Kante. Die Winkel sind scharf (kleiner als 90^), oder stumpf (gprösser als 90"),
oder abgerundet, geradlinig oder gebogen. Rand, Margo, heisst die peripherische
Umgrenzung breiter Knochen. Er ist breit oder schmal, gerade oder schief ab-
geschnitten, glatt, rauh, oder mit Zacken besetzt, gewulstet oder zugeschärft, auf-
gekrempt, oder in zwei, auch in drei Lefzen gespalten. Fortsatz, Processus y
heisst im Allgemeinen jede Henrorragung eines Knochens. Unterarten der Fort-
sätze sind: Der Höcker, Tubert Protuberantiaf Tuberosüas, ein rauher, niedriger,
mit breiter Basis aufsitzender Knochenhügel. Im kleineren Maassstabe wird er
zum Tuberadum. Der Kamm, Crista, ist eine ganz willkürlich angewendete Be-
zeichnung für gewisse scharfe oder stumpfe, gerade oder gekrümmte, auf Knochen -
flächen aufsitzende Riffe. Stachel, Spina, heisst ein langer spitziger Fortsatz.
Gelenkkopf, Caput artieulare, ist jeder überknorpelte , mehr weniger kugelige
Fortsatz, welcher gewöhnlich auf einem engeren Halse, Coüumf am Ende eines
Knochens aufsitzt. Wird die Kugelform mehr in die Breite gezogen, so spricht
man von einem Knorren, Oondylus. Sehr häufig werden stumpfe, nicht über-
knorpelte Processus, ebenfalls Oondyli genannt, wie denn überhaupt im Gebrauche
der osteolog^schen Terminologie sehr viel Willkür herrscht. Ursprünglich bedeutet
Condylus nur die Knoten an einem Schilfrohre, und metaphorisch auch die Knoten
der Fingergelenke. — Der von den Alten aufgestellte Unterschied zwischen
Apophjsis und Epiphjsis, wird von den besten neueren Schriftstellern nicht beachtet
Apophysis, was man mit Knochenauswuchs übersetzen könnte, ist jeder Fortsatz,
der aus einem Knochen herauswächst, und zu jeder Zeit seiner Existenz, einen
integprirenden Bestandtheil desselben ausmacht. Epiphysis, Knochenanwuchs,
ist ein Knochenende oder Fortsatz, welcher zu einer gewissen Zeit mit dem Körper
des Knochens nur durch eine zwischenliegende Knorpelplatte zusammenhängt, und
erst nach vollendetem Wachsthume des Knochens mit ihm verschmilzt.
Die Vertiefungen heissen, wenn sie überknorpelt sind. Gelenkgruben,
Foveae articulares s, glenoidales (von fXijvT), glatte, concave Fläche), nicht über-
knorpelt, überhaupt Gruben. In die Länge gezogene Gruben sind: Rinnen,
und seichte Rinnen: Furchen, Sulci. Sehr schmale und tiefe Rinnen heissen
Spalten, Fissuren, welcher Ausdruck auch für jede long^tudinale Oeffnung einer
Höhle gebraucht wird. Löcher, Faramina, sind die Mündungen von Kanälen;
kurze und weite Kanäle heissen Ringe. Kanäle, welche in den Knochen, aber
nicht wieder aus ihm führen, sind: Ernährungskanäle, und ihr Anfang ander
Oberfläche der Knochen ein Ernährungsloch, Foramen nutritiutn. Die Höhlen
in den Mittelstücken der langen Knochen werden Cava meduUaria, Markhöhlen,
genannt Enthalten sie kein Mark, sondern Luft, wie in gewissen Schädelknochen,
so heissen sie J^us s. ArUra.
§. 79. Enochensubstanzen.
Die Knochensubstanz hat nicht an allen Punkten des Knochens
dieselben Attribute der Dichtigkeit und Härte. Wir unterscheiden
1. eine compacte, 2. eine schwammige, und 3. eine zellige
KnochenBubstanz.
§. 80. Bttiiihsiit nnd Knochenmark. 219
1. Die Oberfläche der Knochen wird, bis auf eine gewisse
Tiefe, von compacter Knochensubstanz gebildet. Diese erscheint
dem unbewaiTneten Auge homogen, und von sehr dichtem Gefiige.
Sie wird jedoch allenthalben von sehr feinen Kanälchen (Gefäss-
kanälchen, Canalicvli Haversiani) durchzogen, welche nur mit be-
waffnetem Auge gut zu sehen sind. Die Möglichkeit, die auf der
Oberfläche der compacten Substanz befindlichen Mündungen dieser
Kanälchen durch Druck und Reibung verschwinden zu machen,
bedingt das zu technischen Zwecken dienende Poliren der Knochen.
— Die compacte Substanz zeigt im Mittelstücke der Röhrenknochen
ihre grösste Mächtigkeit, und nimmt gegen die Endstücke derselben
allmälig ab. An den breiten Knochen finden wir zwei Tafeln com-
pacter Substanz vor, eine äussere und eine innere, und an den
kurzen Knochen existirt sie nur als Kruste von sehr unbedeutender
Dicke, oder fehlt, wie an den Körpern der Wirbel, gänzlich.
2. Die schwammige Knochensubstanz, welche sich in den
langen Knochen an die compacte , in der Richtung gegen die
Epiphysen zu, anschliesst, besteht aus vielen, sich in allen möglichen
Richtungen kreuzenden Knochenblättchen, wodurch ein System von
Lücken und Höhlen entsteht, welche unter einander communiciren,
und mit den Hohlräumen des gemeinen Badeschwammes verglichen
werden können. Man kann sich die Markhöhle der langen Knochen
durch Verschmelzung dieser Lücken und Räume zu einem grösseren
Cavum, entstanden denken.
3. Werden die Lücken der schwammigen Substanz sehr klein,
so entsteht die zellige Substanz, und haben die Blättchen der
zelligen Substanz, die Feinheit von Fasern angenommen, so wird
sie Netzsubstanz genannt. In den Gelenkenden der langen, und
im Inneren der kurzen Knochen, findet sieh nur zellige Substanz.
Man hat es erst in neuerer Zeit erkannt, dass die schwammige Knochen-
snbstanz kein regeUoses Gewirr von Knochenblättchen und Bälkchen ist, sondern
dass jedem solchen Blättchen und Bälkchen, eine bestimmte mechanische Ver-
wendimg zukommt, wodurch sie zu wohlberechneten und wohlgefügten Architekturs-
theilchen der Knochen werden, und mit der Verwendungsart des Knochens im
innigen und nothwendigen Zusammenhange stehen. Näheres hierüber enthält:
Meyer, im Archiv für Anat. und Physiol. 1867, — J. Wolff, im Archiv für pathol.
Anat. Bd. 56, — Langerhans, ebenda, 61. Bd., — Aeby, Med. Centralblatt XI.
§. 80. Beinhaut und Knochenmark.
Besondere Attribute frischer Knochen sind, nebst den, die
Gelenkenden der Knochen überziehenden Knorpeln, noch: die Bein-
haut und das Mark. Beide müssen durch Fäulniss zerstört werden,
um den Knochen zu bleichen und trocken aufzubewahren.
220 f* W* Beinhant nnd Knochenmark.
Die Beinhaut, Periosteum, ist eine fibröse Umhüllungsmembran
der Knochen. An den knorpelig incrustirten Gelenkenden und an
den Muskelanheftungsstellen der Knochen fehlt sie. Sie steht zu den
von ihr umhüllten Knochen in einer sehr innigen Ernährungsbeziehung,
und besitzt deshalb Blutgefässe in grosser Menge. Diese Gefilsse
bilden dichte Netze, und schicken durch die Geftlsskanälchen (§. 79
und 83) Fortsetzungen bis in die centrale Markhöhle der Röhren-
knochen, wo sie mit den GefUssnetzen des Knochenmarks anastomo-
siren, welche von den grösseren, durch die Foramina nutHtia zum
Knochenmark gelangenden Ernährungsgefiissen gebildet werden. An
den Epiphysen der langen Knochen, und an gewissen, porös aus-
sehenden kurzen Knochen (z. B. an den Wirbelkörpern), hängt -sie,
der zahlreichen Gefösse wegen, die sie in den Knochen abschickt,
viel fester an, als an der glatten äusseren Fläche compacter Sub-
stanz. Je jünger ein Knochen, desto entwickelter zeigt sich der
Gefassreichthum seiner Beinhaut. Hat man einen gut injicirten
dünnen Knochen eines jüngeren Individuums, z. B. eine Rippe oder
eine Armspindel, durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure durch-
sichtig gemacht, und dann getrocknet, so kann man sich leicht von
der Anastomose der äusseren Beinhautgeftsse mit den Gefössen des
Knochenmarkes überzeugen. Die Venen der Beinhaut begleiten
theils die Arterien, wie z. B. in den langen Knochen, theils ver-
laufen sie isolirt, und in besonderen Röhren oder Kanälen einge-
schlossen, wie in den breiten Knochen der Hirnschale, wo sie Venas
diploSticae heissen. Nerven besitzt die Beinhaut unbestreitbar. Die
letzten Endigungen derselben sind jedoch noch nicht mit wünschens-
werther Sicherheit eruirt.
Genauere mikroskopische Untersnchung der Beihhant lässt an ihr zwei
Schichten unterscheiden. Die äussere besteht vorwaltend aus Bindegewebe, und
enthält die Blutgefässe und Nerven. Die darunter liegende Schichte erscheint als
ein dichtes Netzwerk elastischer Fasern, durch dessen Maschen die von der äusseren
Schichte kommenden Blutgefässe, in die Substanz des Knochens eingehen. Das
Vorkommen elastischer Fasern in der Beinhaut vollkommen ausgewachsener
Knochen, welche an Umfang und Länge nicht mehr zunehmen, lässt sich nur
daraus erklären, dass die Knochen, bei all' ihrer Festigkeit, einen gewissen Grad
von Biegsamkeit besitzen, dem die elastischen Elemente in der Beinhaut ent-
sprechen.
C. Beckf anat. phys. Abhandlung über einige in Knochen verlaufende, und
in der Markhaut verzweigt Nerven. Freiburg, 1846. (Im Oberarm und Oberschenkel,
in der Ulna und im Radius durch Präparation dargestellt.) — KöUiker, über die
Nerven der Knochen, in den Verhandlungen der Würzburg. Gesellschaft, I. —
Luschka, die Nerven der harten Hirnhaut, des Wirbelkanals und der Wirbel.
Tübingen, 1850. — BatUter, über die Nerven der Knochen. München, 1868.
Das Knochenmark, dessen bereits bei Gelegenheit des Fettes
(§. 25) erwähnt wurde, nimmt die Markhöhle der Knochen ein. Wenn
man einen seiner Beinhaut beraubten^ frischen und fetten Knochen
§.80. Beinhftnt und Knochenmark. 221
in warmer Luft trocknet, sickert alles Knochenfett (Mark) an der
Oberfläche aus, und der Knochen erscheint fortwährend wie beölt.
Dieses geschieht nur deshalb, weil, durch das allmälige Eintrocknen
der in den Gefasskanälchen der compacten Knochensubstanz ent-
haltenen Blutgefässe, dem von der Markhöhle herausschwitzenden
Fette eine Abzugsbahn geöffnet wird.
Das Knochenmark wird nicht eben reichlich von Bindegewebe
durchsetzt. An der Oberfläche des Markklumpens erscheint das
Bindegewebe nicht als continuirliche Schichte, oder in der Membran-
form eines sogenannten inneren Periosts (Endoosteum 8. Periosteum
intemum), welches nur in der Einbildung älterer Anatomen existirte,
obwohl der Name selbst in neueren Schriften noch sporadisch vor-
kommt. Man kann niemals vom Knochenmark eine continuirliche
häutige Hülle abziehen.
Das Mark der langen Knochen erhält eine nicht unbeträcht-
liche Blutzufuhr von jenen Arterien, welche durch die Foramma
nutritia in die Markhöhle gelangen. Die Blutgefässe des Markes
verästeln sich längs der das Mark durchsetzenden Bindegewebs-
bündel, dringen von innen her in die Gefasskanäle der compacten
Rindensubstanz ein, und anastomosiren , wie früher erwähnt, allent-
halben mit den vom äusseren Periost in den Knochen eintretenden
Qefasszweigen. Dass auch durch die Foramina nutritia Nerven in
die Markhöhlen der Knochen gelangen, und dass unzählige feine
Zweige des animalen und vegetativen Nervensystems direct mit den
Blutgefässen in die compacte und schwammige Substanz der Knochen
eingehen, ist durch ältere und neuere Beobachtungen constatirt. —
Die Diploe der breiten, und die schwammige Substanz der Gelenk-
enden der Knochen, enthält statt Mark ein röthliches, gelatinöses
Fluidum, welches nach Berzelius aus Wasser imd Ex tractivstoffen,
und nur äusserst geringen Spuren von Fett besteht.
Die alte Ansicht , dass das Knochenmark der Nahrungsstoff der Knochen
sei : {xusAo; rpo^Tj oar^cov, meduUa mUriinenttim oasium, wird durch die fettige Natur
des Markes zur Genüge widerlegt Die Fettablagemng ereignet sich im Knochen
ebenso^ wie an allen anderen disponiblen Orten, wo Fett bei Nahrungsüberschuss
als nutzloser organischer Ballast deponirt wird. Dass es den Knochen leichter
maclie, kann nicht die einzige Ursache seiner Gegenwart sein. Er wäre ja noch
leichter, wenn gar kein Fett in ihm abgelagert würde, wie in den lufthaltigen
Knochen der Vögel. Es scheint vielmehr die Fettmasse des Markes den Blut-
gefässen, welche vom Mark ans in die Knochensubstanz einzudringen haben, als
Schutz- und Fixirungsmittel zu dienen, und die Gewalt der Stösse abzuschwächen,
welche bei den Erschütterungen der Knochen leicht Veranlassung zu Rupturen der
Gefässe geben könnten, ähnlich wie das Fett in der Augenhöhle für die feinen
Ciliararterien und Nerven eine schützende Umgebung bildet.
In sehr seltenen Fällen findet man die Markhöhle der Röhrenknochen
durchaus von compacter Knochensubstanz aoBgefUllt^ ohne dass im Leben irgend
222 §• 81. Yerbindangen der Knochen nnter siclu
eine abnorme Erscheinung, Kunde von solcher Obliteration der Höhle gegeben
hätte. Der niederländische Anatom, Fried.Rujsch, soll sich eines Essbesteckes
bedient haben, dessen Griffe aus soliden Menschenknochen gedrechselt waren.
§.81. Verbindimgen der Knochen unter sich.
Die durch Vermittlung von Weichtheilen zu Stande kommenden
Verbindungen der Knochen bieten, von der festen Haft bis zur
freiesten Beweglichkeit, alle möglichen Zwischengrade dar. Absolut
unbeweglich ist wohl keine einzige Knochenverbindung zu nennen,
aber die Beweglichkeit sinkt in einigen derselben auf ein Minimum
herab, welches, wie an den Knochen der Hirnschale, ohne Anstand
= 0 genommen werden kann. Die festesten Knochenverbindungen
können unter besonderen Umständen sich lockern, und Verschiebungen
gestatten. Wir fassen die verschiedenen Arten von Knochenverbin-
dungen unter folgenden Hauptformen zusammen.
A) Gelenke, ArticulaHonea.
Ein Gelenk (lipOpov, woher Artus und Articidus abgeleitet sind,
sowie Arihrüü, Gelenksentzündung, Gicht), ist die Verbindung zweier,
wohl auch mehrerer Knochen, welche durch überknorpelte , meist
congruente Flächen, an einander stossen, und durch Bänder derart
zusammengehalten werden, dass sie ihre Stellung zu einander ändern,
d. h. sich bewegen können. Die Bänder sind:
1. Ein fibröses Kapselband, Ligamentum capsulare, vom
rauhen Gelenkumfang eines Knochens, zu jenem eines anstossenden
gehend, und an seiner inneren Oberfläche mit einer Synovial-
membran ausgekleidet^ welche, nach dem Texte von §. 43, B, sich
nicht auf die überknorpelten Knochenenden umschlägt, wie man seit
langer Zeit fälschlich angenommen hat, sondern am Beginne des
Knorpelüberzuges endet. Das Epithel der Synovialmembran ist ein
einfaches, nicht geschichtetes Pflasterepithel.
2. Hilfsbänder, Ligamenta accessoria, um die Verbindung zu
kräftigen, oder die Beweglichkeit einzuschränken. Sie liegen in der
Regel ausserhalb des Gelenkraumes, und streifen in verschiedener
Richtung über die Gelenkkapsel weg. Bei mehreren Gelenken
kommen jedoch solche Bänder auch innerhalb des Gelenkraumes
vor, z. B. im Hüft- und Kniegelenk.
Eine besondere Eigenthümlichkeit gewisser Gelenke, bilden die
sogenannten Zwischenknorpel, Cartäagines interarticulares s, meni-
scaideae. Sie kommen nur in Gelenken vor, deren Contactflächen
nicht congruiren, und stellen demnach zunächst eine Art von Lücken-
büssem dar, zur Ausfüllung der zwischen den discrepanten Gelenk-
§. 81. Yerbindiingeii der Knoehen unter lieh. 223
flächen erübrigenden Räume. Sie ei*scheinen als freie, zwischen die
Gelenkflächen der Knochen eingeschobene, und nur an die Kapsel
befestigte Faserknorpelgebilde, entweder nur bis auf eine gewisse
Tiefe in den Gelenkraum eindringend, oder denselben ganz und gar
durchsetzend.
Von der Form der Gelenkenden der Knochen, der Lagerung
der Hilfs- und Beschränkungsbänder, hängt die Grösse der Beweg-
lichkeit eines Gelenkes ab. Selbst beim freiesten Gelenke kann der
zu bewegende Knochen sich nicht in gerader I^inie von jenem ent-
fernen, mit welchem er articulirt. Würde er diese Bewegung an-
streben, so müsste in dem Gelenke sich ein leerer Kaum bilden,
und dieses gestattet der äussere I^uftdruck nicht.
Man kann folgende Arten von Gelenken unterscheiden:
a) Freie Gelenke, Artlirodiae (apOpwSta bei Galen, seichtes
Gelenk). Sie erlauben die Bewegung in jeder Richtung.
Sphärisch gekrümmte, genau an einander passende Gelenk-
flächen, und laxe oder dehnbare Kapseln, mit wenig oder
gar keinen beschränkenden Seitenbändern, sind nothwendige
Attribute dieser Gelenkart, deren Repräsentant das Schulterblatt-
Oberanngelenk ist. Wird die freie Beweglichkeit dadurch etwas
limitirt, dass eine besonders tiefe Gelenkgrube einen kugeligen
Gelenkkopf umschlicsst, so heisst das Gelenk ein Nuss- oder
Pfannengelenk, Enarihrosis (^vapOpox?».^ bei Galen), wie es
zwischen Hüftbein und Oberschenkel vorkommt.
h) Sattelgelenke. Sie sind, wie die gleich folgenden Knopf-
gelenke, deutsche Erfindungen, haben somit noch keine gelehrt
klingenden griechischen oder lateinischen Namen erhalten. Eine
in einer Richtung convexe, und in der darauf senkrechten
Richtung concave Flächenkrümmung, bildet eine Sattelfläche.
Stossen zwei Knochen mit entsprechenden Flächen dieser Art
an einander, so ist ein Sattelgelenk gegeben. Ein solches wird
in zwei auf einander senkrechten Richtungen beweglich sein.
Beispiele: das Carpo-Metacarpalgelenk des Daumens, und das
Brustbein -Schlüsselbeingelenk. Riebet bezeichnet diese Ge-
lenke als nrticulations par emboitemeiit r^ciproque,
c) Knüpfgelenke. Sie besitzen, wie die Sattelgelenke, Beweg-
lichkeit in zwei auf einander senkrechten Richtungen. Ein
Gelenkkopf mit elliptischer Convexität, und eine entsprechend
concave Gelenkgrube, bilden ein Knopfgelenk, welches von
Cruveilhier zuerst unter der Benennung Articulatimi condy-
lie^ine als eine besondere Gelenkart aufgeführt wurde. Beispiele
sind das Gelenk zwischen Vorderarm und Handwurzel, und
das Kiefergelenk.
224 §. 81. VerbiDdongen der Knochen nnter sich.
d) Winkelgelenke oder Charniere, Ginglymi (Y^TTXufxo;, Thür-
angel), gestatten nur Beugung und Streckung, also Bewegung
in einer Ebene. Eine Rolle, Trochlea, an dem einen, und
eine entsprechende Aufnahmsvertiefung am anstossenden Gelenk-
ende, so wie zwei nie fehlende Seitenbänder charakterisiren das
Winkelgelenk, welches durch die Finger- und Zehengelenke
sehr zahlreich vertreten ist.
e) Dreh- oder Radgelenke, Articulationes trochoideae, welche
höchst komischer Weise auch Trochüi genannt werden, denn
Tp6xtXo<; ist Zaunkönig. Sie kommen dann zu Stande, wenn
ein Knochen sich um einen zweiten, oder an diesem zweiten
sich um seine eigene Axe dreht. So bewegt sich z. B. der
Atlas um den Zahnfortsatz des zweiten Wirbels, das Köpfchen
der Armspindel aber an der Eminentia capitata des Oberarm-
beins um seine eigene Axe.
f) Straffe Gelenke, Amphiarthroaes , finden dort statt, wo sich
zwei Knochen mit geraden, ebenen, oder massig gebogenen,
überknorpelten Flächen an einander legen, und durch straffe
Bänder so fest zusammenhalten, dass sie sich nur wenig an
einander verschieben können. Sie gehören ausschliesslich einigen
Hand- und Fusswurzelknochen an. Amphiarthrom ist ein von
Andreas Laurentius neugebildetes Wort, kommt bei den
Griechen niemals vor, und wurde sehr unrecht dem Aristo-
telischen Ausdruck BidpOpox?!^ substituirt, welches die lateinischen
Autoren mit ArticuUuio dubia, mixta, oder neutra übersetzten.
In entsprechendster Weise Hessen sich noch die Gelenke nach der Zahl
ihrer Bewegong^axen mbriciren, und es könnten einaxige, zweiaxige, nnd vielaxige
Gelenke unterschieden werden. Einaxige Gelenke wären die Winkel- und Rad-
gelenke, erstere mit horizontaler, letztere mit verticaler Drehnng^xe. Zweiaxig
erscheinen die Sattel- nnd Knopfgelenke, indem sie in zwei auf einander senk-
rechten Richtungen Bewegung gestatten. Vielaxige sind nur die freien Gelenke. —
Da bei allen Eintheilungen immer etwas übrig bleibt, was sich der Eintheiliing
nicht fügt, so sollte auch zu den hier aufgezählten Gelenkarten noch eine letzte
hinzugefügt werden, nämlich die gemischten Gelenke, welche die Attribute
zweier der genannten in si^h yereinigen, wie z. B. das Kniegelenk jene des
Winkel- und Drehgelenks.
B) Nähte, Suturae.
Man bezeichnet mit diesem Namen eine der festesten Knochen-
verbindungen, welche dadurch gegeben wird, dass zwei breite Knochen
durch wechselseitiges Eingreifen ihrer zackigen Ränder zusammen-
halten (engrenure der Franzosen, Syntaxis serrata, bei Galen ^astj
und ipfXT^). Den Namen Sutura, von mio, nähen, erklärt Sp ige lius:
Compodtio qttaedam, ad verum cansutarum simäiiudinem facta. £in-
zackung wäre besser als Naht. Eine Unterart der Nähte bilden
die sogenannten falschen Nähte, Suturae apuriae 8. nothae. Man
§. 9i. Näheres ftber Knochenyerbindangen. 225
versteht unter diesem Namen die Verbindungen von Knochenrändern
ohne vermittelnde Zacken, und zwar entweder durch Uebereinander-
schiebung derselben, wodurch eine Schuppennaht, Sutura squamosa,
entsteht, oder durch einfaches Aneinanderschliessen rauher Knochen-
ränder, als Harmonia (apjjLOv(a, von apo), zusammenpassen). In den
wahren und falschen Nähten existirt ein weiches, knorpeliges oder
faseriges Verbindungsmittel der betreffenden Knochenränder.
C) Fugen, Symphyses (auv-pw, zusammenwachsen).
Ihr Wesen beruht darin, dass dick überknorpelte Knochen-
flächen, durch straffe Bandapparate, mit einem Minimum von Beweg-
lichkeit zusammengehalten werden. Eine spaltförmige Höhle, als
Analogen einer Gelenkhöhle, trennt die beiden überknorpelten
Knochenflächen. Fehlt diese Höhle , so verschmelzen die über-
knorpelten Knochenflächen, und diese Verschmelzung ist es, welche
als Synchondrosis von der Sfjmphym unterschieden wird, obwohl
viele Anatomen beide Ausdrücke als synonym gebrauchen.
D) Einkeilungen, Gomphoses.
Sie finden sich nur zwischen den Zähnen und den Kiefern. Eine
konische Zahnwurzel steckt im Knochen, wie ein eingeschlagener
Keil (fifJWJO^, Nagel, Pflock).
Die Alten erwähnen noch zweier Arten von Knochenverbindungen:
aj Syndesmosia. Sie besteht in der Verbindung zweier Knochen durcli ein
fibröses Band (osaab;). Ein Beispiel derselben giebt die Verbindung des Zungen-
beins mit dem Griffelfortsatz des Schläfebeins.
fj) Schiiidylesis. Sie bezeiclmet jene feste Verbindungsforra, wo der scharfe
Rand des einen Knochens, zwischen den gespaltenen Lefzen eines anderen (wie
bei Schindeln) steckt. Zwischen Pflugscharbein und Keilbein zu beobachten. Das
Wort oyivouAr^ai;, von oyl^to, spalten, kommt schon bei Galen vor, aber nicht als
Art einer Knochenverbindung, wie ich es hier gebrauche, sondern als Spaltung.
§. 82. Näheres über Knochenverbindungen.
Bezüglich des Vorkommens der eben aufgezählten Arten von
Knochenverbindungen, lässt sieh Folgendes feststellen:
1. Alle Gelenke sind paarig. Vom Kinnbackengelenk bis zu
den Zehengelenken herab gilt diese Regel, welche nur eine Aus-
nahme hut, und diese ist durch das unpaare Gelenk zwischen Atlas
und Zahnfortsatz des Epistnypheus gegeben.
2. Alle Symphysen sind unpaar, mit Ausnahme der paarigen
Symphysis sacro-iliaca,
3. Die Symphysen gehören ausschliesslich der Wirbelsäule,
den Brustbeinstücken, und dem Becken an. Sie liegen somit in der
Medianlinie, oder (wie die Symphyses sacro-ilicuMe) nahe an derselben.
Da die in der Medianlinie der hinteren Leibeswand gelegenen
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. 15
226 §. 82. Näheres Ober Knochenyerbindixngen.
unpaaren Wirbelknochen, das feste Stativ des gesammten Skeletes
zu bilden haben, so wird es verständlich, warum zwischen ihnen keine
Gelenke, sondern feste Symphysen vorkommen müssen, während
die durch ihre Beweglichkeit mehr weniger bevorzugten paarigen
Knochen des Brustkorbes und der Extremitäten, keine Symphysen,
sondern Gelenke zu ihrer wechselseitigen Verbindung benöthigen.
4. Wahre und falsche Nähte, so wie Harmonien, kommen nur
zwischen den Kopfknochen vor. Sie gestatten, trotz ihrer Festigkeit,
ein dem Wachsthume des Kopfes entsprechendes, allmäliges Aus-
einanderwoichen der einzelnen Kopfknochen , und machen dann
erst einer knöchernen Verschmelzung (SynostosU) der betreffenden
Knochen Platz, wenn das Wachsthum des Kopfes seine Vollendung
erreicht hat.
In der Thierwelt finden sich Nahte auch zwischen anderen Knochen als
(Ion Kctpfknoohen. So z. B. a) zwischen den Platten des Rückenschildes der
HchildkWiten. Man hat deshalb ein Fragment einer solchen Platte von einer
rloülgfon vurweltlichen Schildkröte, eine Zeitlang für ein Stück Schädelknochen
A\wn prtt-adamitischen Menschen gehalten, b) Zwischen den seitlichen Hälften
<I(*H SclmltergUrtels gewisser Fische (SiluroideiJ. c) Zwischen den die Hornhaut
(li^H Auges umgebenden Knochenplatten bei einigen Vogelarten (z. B. SulaJ.
tl) Zwischen den Wirbeln jener Fische, deren Leib von einem starren, aus eckigen
Hcliildem zusammengesetzten Panzer umschlossen ist, und deren Wirbelsäule
somit ihre sonst beweglichen Symphysen gegen unbewegliche Suturen vertauscht
(Kofferfische).
5. In den frühen Perioden des Embryolebens giebt es noch
keine Gelenke. Knorpel nimmt die Stelle der Gelenke ein. Dieser
Knorpel schwindet sehr früh', so dass eine spaltförmige Höhle in
ihm entsteht. Mit der zunehmenden Geräumigkeit dieser Höhle,
bleibt vom Knorpel nichts übrig, als die zunächst an die Knochen
des entstehenden Gelenkes anliegende Schichte, und seine äussere
Begrenzungsmembran (Perichondrium). Erstere wird zum Knorpel-
überzug der Gelenkflächen der betreffenden Knochen, letztere zur
Kapsel des Gelenks. Schmilzt der Knorpel, welcher die Stelle eines
zukünftigen Gelenks einnimmt, an z^ei Punkten, welche beim Fort-
schreiten der Verflüssigung nicht mit einander zusammenfliessen,
sondern durch einen Rest jenes Knorpels von einander getrennt
bleiben, so wird ein zweikammeriges Gelenk entstehen, in welchem
sich die Scheidewand der Kammern entweder zu einer Cartüago
interarticidaris , oder zu intracapsularen Bändern umbildet. Nur an
einer Stelle des menschlichen Körpers perennirt das embryonische
Verhältniss durch das ganze Leben. Während nämlich zwischen
den vorderen knorpeligen Enden der Rippen und dem Brustbein,
sich auf die erwähnte Weise wahre Gelenke entwickeln, verbleibt
es zwischen dem ersten Rippenknorpel und der Handhabe des
Brustbeins auf der primitiven Continuität beider, und es muss als
g. 88. Strnctur der Knochen. 227
Ausnahme betrachtet werden, wenn es hier zur Entwicklung eines
Gelenkes kommt, wie bei den übrigen Rippen.
Bei den Delphinen und Walfischen sind, durch das ganze Leben hindurch,
die Knochen ihrer Brustflossen (welche unvollkommen entwickelte Hände dar-
stellen) nicht durch Gelenke, sondern durch Knorpel unter einander verbunden. \
Bei den vorweltlichen Ichthjosauren und Plesiosauren war es eben so.
§. 83. Structur der Knochen.
Die compacte Knochensubstanz ist von feinen Kanälchen durch-
zogen, welche Blutgefässe enthalten. Man war lange Zeit der Meinung,
dass sie blos Mark fuhren, und nannte sie deshalb Markkanälchen.
Diesen Namen verdienen sie nicht. Sie werden richtiger Gefäss-
kanälchen genannt. Clopton Havers, ein englischer Anatom
des 17. Jahrhunderts, hat ihrer zuerst erwähnt, weshalb sie auch
Cancdiadi Haversiani hcissen. Nur in sehr dünnen Knochen fehlen
sie, z. B. in der Lamina papt/racea des Siebbeines, und stellenweise
am Gaumen- und Thräncnbein. Sie laufen in den Röhrenknochen
mit der Längenaxe derselben parallel, hängen aber auch durch
Querkanäle zusammen, und bilden somit ein Netzwerk von Kanälen,
welches an der äusseren und inneren Oberfläche der Knochen mit
freien, aber feinen Oeffnungen mündet. In den breiten Knochen
ziehen sie entweder den Flächen derselben parallel, wie am Brust-
bein, oder ihre Richtung ist sternförmig von bestimmten Punkten
ausgehend ( 7 übet' frontale, parietale, etc.). In den dünnen Blättchen
der schwammigen Knochensubstanz kommen sie nicht vor.
Hat man feine Querschnitte von Röhrenknochen, mit verdünnter
Salzsäure ihres Kalkgehaltes beraubt, und sie durchsichtig gemacht,
so sieht man folgende Begrenzung der Geßisskanälchen. Jedes
Gefösskanälchen wird von concentrischen cylindrischen Scheiden
oder Lamellen eingeschlossen, zu welchen das Kanälchen die Axe
vorstellt. Die Zahl der Scheiden variirt von 4 — 10, und darüber.
Jede Seheide ist ein äusserst dünnes Blättchen einer gleichartigen,
structurlosen Substanz, welche die organische Grundlage des Knochens
bildet, und frülier (§. 77) als Knochenknorpel erwähnt wurde, ob-
gleich er kein Knorpel , sondern ungefasertes Bindegewebe ist.
Mehrere Gefasskanälchen mit ihren Scheiden, werden von grösseren
eoiicentrischeii Scheiden umschlossen, welche zuletzt in einer mehr-
blätterigen grössten Scheide stecken, welche so gross ist, wie der
Umfang des Knochens selbst (äussere Grundlamellen). Parallel
den äussersten Grundlamellen, ziehen auch ähnliche im Inneren des
Knochens, um die Markhöhle zunächst herum, als innere Grand-
lamellen. Die Structur der Knochen ist ala**
lamellös.
228 §. 88. Straetar der Knochen.
In den Lamellen der concentrischen Scheiden, bemerkt man
auf demselben Querschnitte des Knochens, mikroskopisch kleine,
runde oder oblonge , gegen die Axe des Kanälchens concave, in ver-
zweigte Aeste ausstrahlende Körperchen, die sogenannten Knochen-
körperchen, eingeschaltet, deren Grösse sehr verschieden erscheinen
muss, je nachdem der Durchschnitt zufallig durch die Mitte eines
Körperchens, oder näher an seinen Enden lief. Diese Körperchen
sind so wie ihre Aeste hohl. Bei Beleuchtung von oben erscheinen
sie unter dem Mikroskope kreideweiss, bei Beleuchtung von unten
dunkel. Die Aeste der Körperchen stossen theils mit jenen der
benachbarten zusammen, und bilden ein fein genetztes Glestrippe,
oder sie münden in die Gefusskanälchen , ja auch in die Lücken
der schwammigen Substanz ein, oder sie endigen frei an der äusseren
und inneren Oberfläche der Knochen. Ist aber die Oberfläche eines
Knochens mit Knorpel incrustirt, wie an den Gelenkenden, so gehen
die gegen den Knorpelüberzug gerichteten Aestchen der Knochen-
körperchen, bogenförmig in einander über (Gerlach). Der Ent-
decker dieser mikroskopischen Gebilde in den Knochen, J. Müller,
nannte sie Corpuscula chaicophoray da er meinte, dass sie das Depot
der in den Knochen befindlichen Kalksalze seien. Sie enthalten
jedoch, im frischen Zustande des Knochens nur Blutplasma und
eine Zelle, oder deren Reste, im getrockneten Knochen dagegen
Luft. Knochenerde führen sie nie, welche vielmehr in der die
Körperchen umgebenden, ungefaserten Bindegewebssubstanz (Knochen-
knorpel) deponirt ist, wie man sich durch mikroskopische Unter-
suchung von feinen calcinirten Knochenschnitten überzeugen kann.
— Die Knochenkörperchen bilden, dem Gesagten zufolge, in ihrer
Gesammtheit, ein den ganzen Knochen durchziehendes System von
kleinsten Röhren und Lücken, durch welches der aus den Blut-
gefässen der Knochen stammende Ernährungssaft (Plasma) zu allen
Theilchen des Knochens geführt wird. Man kann sich an entkalkten
Knochenschnitten von Embryonen und rhachitischen Individuen, von
der Gegenwart einer Zelle (Knochenzelle, He nie) in der Höhle der
Knochenkörperchen überzeugen. Die Knochenzelle füllt die Höhle
der Knochenkörperchen entweder vollkommen aus, oder lässt einen
Theil derselben frei. Sollte ihr Kern nicht gleich auffallen, kann
er durch Anwendung kaustischen Natrons sichtbar gemacht werden.
Diese Zellen schicken aber keine Fortsätze in die Aeste der Knochen-
körperchen hinein. — Es ist begreiflich, dass sehr dünne Knochen,
oder die Blättchen der schwammigen Knochensubstanz, zu deren
Ernährung die Gefässe ihres Periosts genügen, keine Gefasskanälchen
benöthigten, welche dagegen in den dicken Knochen zu einer un-
erlässlichen Noth wendigkeit werden, um ihre Masse allenthalben
mit Ernährungsstofi*en zu durchdringen.
§. 84. Physiologische Eigenschaften der Knochen. 229
Um die Knochenkörperchen zu sehen, schneidet man sich mit feinster Säge
aoB der compacten Substanz der Röhrenknochen möglichst dünne Scheibchen, der
Länge und der Quere nach, und schleift diese auf feinkörnigem Sandstein so lange,
bis sie hinlänglich durchscheinend geworden sind. Natürlich sieht man an solchen
Schliffen nicht die ganzen Knochenkörperchen, sondern nur ihre Durchschnitte,
welche längliche, spindelförmige, an beiden Enden zugespitzte, und mit ästigen
Strahlen besetzte Figuren darstellen. Die Durchsdmitte der Markkanälchen er-
scheinen bei Querschnitten als nmdliche Oeifnungen, bei Längsschnitten als lon-
gitadinale Rinnen. Die concentrischen Ringe von Knochenknorpel, von welchen
sie umschlossen werden, sind bei dieser Behandlungsart nicht zu sehen. Um sie
sichtbar zu machen, muss das Knochenscheibchen durch verdünnte Salzsäure seines
Kalkgehaltes beraubt werden, worauf es in reinem Wasser ausgewaschen wird. —
An ganzen Knochen, welclie durcli verdünnte Salzsäure erweicht wurden, kann
man von der Oberfläche derselben, concentrische Blätter mit Vorsicht ablösen.
Langsames Verwittern der Knochen an der Luft, lässt ihre Oberfläche wie
schuppig erscheinen, da sich die äusseren Lamellen ihrer Rindensubstanz stück>
weise abschilfern.
Dass die Gefasskanälchen ein von der Oberfläche des Knochens bis in die
Markhöhle hineinreichendes Kanalsystem bilden, wird durch einen einfachen Ver-
such bewiesen. Wenn man nämlich Quecksilber in die Markhöhle eines gut
macerirten und quer durchschnittenen Röhrenknochens giesst, so sieht man die
Metalltröpfchen an unzähligen Punkten der Knochenoberfläche hervorquellen.
Gerlach hat zu demselben Zwecke Injectionen der Markhöhlen mit gefärbten
und erstarrenden Flüssigkeiten angewendet.
W. Sharp ey beschrieb in der 6. Ausgabe von Quain*s Anatanit/, pag. 120,
unter dem Namen perforating fihres, eigenthümliche, von der Beinhaut ausgehende,
und die äusseren (irundlamellen des Knocliens senkrecht durchbohrende Faser-
bündel, welche an mit Salzsäure entkalkten Knochen, durch Auseinanderreissen
ihrer Lamellen sichtbar werden. Sie verhalten sich also zu den Lamellen wie
Nägel, welche durch mehrere Bretter getrieben werden, und lassen an den aus
einander gerissenen Ijamellen die Ijöcher erkennen, in welchen sie enthalten waren.
H. Müller erklärte sie für Züge verdichteter Bindegewebssubstanz, deren Bildung
der Anlagenmg der ersten Knochenlamellen beim Verknöcherungsprocess entweder
vorherging, oder wenigstens mit derselben zugleich fortschritt. Kölliker hält sie
den elastischen Fasern verwandt. Würzburger naturw. Zeitschrift, 1. Bd.
Literatur. Deutsch, de penitiori ossium structura. Vratisl., 1834. —
Miescher, de inflammatione ossium. Berol., 1836. — Virchcnjo, Verband!, der Würzb.
phys.-med. Gesellschaft. I. Nr. 13. — Uobin, sur les cavites caract^ristiques des
OS. Gaz. med. 1857. N. 14. 16. — Lieherkühn, Müll. Arch. 1860. — Fre^, Histo-
logie, 1867, pag. 280. — H. Meyer, Arch. für Anat. 1867. — M. Fehr, Bau des
Knochens im gesunden und kranken Zustande. Archiv für klin. Chir. 17. Bd. —
Brunn, zur Ossificationslehre, im Archiv für Anat. und Physiol. 1874.
§. 84. Physiologische Eigenschaften der Knochen.
Die Knochen sind im gesunden Zustande unemptindlicli , und
vertragen jede mechanische Beleidigung, ohne Schmcrzgefiihl zu
veranlassen. Gefühlvolle physiologische Thierquäler versichern , dass
das Sägen, Bohren, Schaben und Brennen gesunder Knochen, die
230 §> 84. Phyiiologische Eigenschaften der Knochen.
Summe der Schmerzen nicht vermehrt, welche durch die Bloss-
legung der Knochen hervorgerufen wurden. Die Knochenzacken,
welche, nach schlecht gemachten Amputationen, am Knochenstumpfe
zurückbleiben, so wie die Zacken am Rande der Trepanations-
wunden, können eben so schmerzlos mit der Zange abgezwickt
werden. Krankheiten der Knochen dagegen, insbesondere die Ent-
zündung derselben, steigern ihre Empfindlichkeit auf eine furcht-
bare Höhe, welche selbst die Verstümmelung durch Amputation, als
eine Wohlthat erscheinen lässt. — Contractilität besitzen die Knochen
ebenfalls nicht, obwohl sie im Stande sind, langsam ihre Gestalt zu
ändern, ihre Oefiiiungen und Kanäle zu verengern, wenn die Theile,
welche durch sie durchgehen, zerstört wurden und verloren gingen.
So zieht sich der amputirte Knochenstumpf zu einem soliden mark-
losen Kegel zusammen, so verengert sich die Zahnlücke nach
Ausziehen eines Zahnes, die Augenhöhle nach Verlust des Augapfels,
das Sehloch nach Atrophie des Nervus opticus, der durch Wasser-
sucht ausgedehnte Hirnschädel, nach Resorption oder Entleerung
des ergossenen Serums, und die Gelenkfläche eines Knochens ver-
flacht sich und verstreicht zuletzt gänzlich, wenn Verrenkungen
vorkommen, welche nicht wieder eingerichtet wurden. Die eben
erwähnten Vorgänge sind jedoch nicht Folgen einer activen Con-
traction der Knochen, sondern eines mit Resorption verbundenen
Einschrumpfens derselben.
Die Festigkeit der Knochen resultirt aus der Verbindung ihrer
organischen und anorganischen Bestandtheile. Reine Kalkerde hätte
sie zu spröde, und reiner Knochenknorpel viel zu weich gemacht.
Wie glücklich ein hoher Grad von Festigkeit und Tenacität durch
die Mischung der Knochenmaterialien erzielt wird, zeigen die von
B^vau gemachten Versuche, bei welchen ein Knochen von 1 Quadrat-
zoll Querschnitt, erst bei einer Belastung von 3G8 — 743 Centnern
entzwei ging. Ein Kupferstab von demselben Querschnitte riss
schon bei 340 Centner, und schwedisches Schmiedeisen bei 648. —
Die besondere Verwendung eines Knochens wird das Verhältniss
bestimmen, in welchem die organischen Materien zu den an-
organischen stehen. Lange Knochen, welche elastisch sein müssen,
um dem Drucke und den Stosskräften, welche sie in der Richtung
ihrer Länge treffen, durch Ausbiegen etwas nachgeben zu können,
und kurze Knochen , welche nie in die Lage kommen , gebogen
zu werden, werden sich durch dieses Verhältniss von einander
unterscheiden. Knochen , welche sehr elastisch sein müssen , ohne
besondere Festigkeit zu benöthigen, können sogar, wie man an den
Rippen sieht, durch Ansätze von Knorpeln verlängert werden.
Lange Knochen, welche der Gefahr des Splitterns unterliegen
würden, wenn sie vollkommen geradlinig wären, haben wohlberechneter
§. 85. Entstehung und Wachsthnm der Knochen. 231
Weise, eine gewisse Krümmung im weiten Bogen oder in einer Wellen-
linie, wodurch sie in geringem Grade federnd werden. — Es ist
bekannt, dass bei einem soliden Stabe, während er gebogen wird, die
Theilchen der convexen Seite aus einander weichen, jene der concaven
wenigstens im Anfange der Krümmung sich einander nähern. In
der grösseren oder geringeren Schwierigkeit dieses Auseinander-
weichens und Näherns, liegt der Grund der schwereren oder leich-
teren Brechbarkeit. Eine mittlere Axe, d. i. eine Reihe von
Theilchen, wird weder verlängert noch verkürzt, verhält sich in-
different, und kann, nebst ihren nächstliegenden Theilchen, bei
welchen das Auseinanderweichen und das Nähern unbedeutend sind,
herausgenommen werden, ohne dass der Stab merklich an seiner
Festigkeit verliert, welche im Gegentheile vermehrt wird, wenn die
herausgenommenen Theilchen an der Oberfläche des Stabes an-
gebracht werden. Von zwei Holzstäben gleichen Gewichtes, deren
einer hohl, der andere solid ist, wird also der hohle eine grössere
Last tragen können, als der solide. Dieses scheint der Grund des
Hohlseins der langen Knochen zu sein. In den Hospitälern Frank-
reichs, habe ich die Krücken, deren sich Amputirte bedienen, hohl
gefunden.
§. 85. Entstehung und Wachsthum der Knochen.
Ueber Entstehung und Wachsthum der Knochen belehrt uns
der Verknöcherungsprocess. Unsere Kenntniss des Verknöche-
rungsprocesses hat sich durch die erfreuliche Uebereinstimmung der
neuesten Untersuchungsresultate von Bruch, H. Müller, Lieb er-
kühn, Acby, Gegenbauer, Robin, u. A. auf eine Weise con-
solidirt, welche von den bisher gangbaren Ansichten hierüber wesent-
lich verschieden ist. Indem ich auf die am Ende dieses Paragraphes
citirten Schriften verweise, welche jedoch kaum ein mit den P^lementen
der Wissenschaft ringender Schüler zur Hand nehmen wird, beschränke
ich mich hier blos auf allgemeine, seinem Verständniss zugängliche
Angaben.
Der Verknöcherungsprocess geht von zwei Seiten aus. Erstens
von der knorpelig präformirten Grundlage des werdenden Knochens,
und zweitens von dem Perichondrium dieses Knorpels. Jene Knochen-
substanz, welche sich aus dem Knorpel bildet, heisst die primäre;
jene welche vom Perichondrium ausgeht, die secundärc. Bei der
Vorknöcherung des präformirten Knorpels, geht es so zu. Die Zellen
des verknöchernden Knorpels vermehren sich durch lebhaft angehen-
den Theilungsprocess, und ordnen sich reihenfÖrmig und parallel
zu einander. Es bilden sich zugleich Kanäle in ihm, welche Blut-
232 9« 86' Entetehang and Wachstham der Knochen.
gefässe, und, um diese herum, sogenannte Markzellen enthalten.
Letztere sind wahre, bei der Verflüssigung der Knorpelsubstanz zur
Kanalbildung, frei gewordene Knorpelzellen. Nach diesen Vor-
bereitungen beginnt die Verknöcherung an gewissen Stellen des
Knorpels, welche Puncta ossißcationü heissen. Es lagern sich in der,
die Knorpelzellen verbindenden Zwischensubstanz, Kalksalze in Form
von Krümeln ab. Die Knorpelzellen selbst nehmen keine Kalkerde
auf. Die verkalkte Zwischensubstanz wird aber bald wieder durch
Aufsaugung zum Theil so entfernt, dass unter einander communi-
cirende, längliche Höhlungen entstehen, welche sich mit den
sogenannten fötalen Markzellen füllen. Das Schicksal dieser Zellen
ist ein doppeltes. Die mehr central lagernden Zellen bilden sich
zum Knochenmark um, die peripherischen dagegen werden von
einer schichtweise fortschreitenden Verkalkung ihrer immer mehr
und mehr zunehmenden Zwischen Substanz (H. Müller's osteogene
Substanz) umschlossen. So entsteht der primäre Knochen. Während
dieses im Innern des verknöchernden Knorpels vorgeht, wird auch
von der inneren Fläche des Perichondrium aus, eine Lage osteogener
Substanz ausgeschieden. Diese besteht aus Zellen, welche den Binde-
gewebszellen ähnlich sehen, sich aber nicht in faseriges Binde-
gewebe umwandeln, sondern spindelförmig nach zwei entgegen-
gesetzten Richtungen sich verlängern, Aeste bekommen, und die
früher erwähnten Knochenkörperchen darstellen. Durch die fort-
währende Vermehrung dieser Zellen, und durch ununterbrochene
Bildung von Zwischensubstanz, in welcher sich die Kalksalze des
Knochens ablagern, wird der secundäre, d. h. der nicht aus
Knorpel hervorgegangene Knochen erzeugt, welcher den primären
wie eine Scheide einhüllt.
Man hat es erst in neuester Zeit erkannt, dass gewisse Schädel-
knochen, namentlich jene des Schädeldaches, gar keine knorpelig
präformiiiie Grundlage haben, sondern aus einem weichen, von der
Beinhaut gebildeten, bindegewebigen Blastem hervorgehen, während
jene der Schädelbasis aus knorpeliger Grundlage entstehen. Hierüber
handelt §. 119 der Knochenlehre.
Dass auch die Beinhaut, so lange der Knochen an Dicke wächst,
fortwährend an diesem Wachsthum sich durch Bildung secundärer
Knochensubstanz betheiligt, ergiebt sich aus Folgendem. Werden
junge Thiere mit Färberröthe gefüttert, so werden ihre Knochen
roth (bei jungen Tauben schon binnen 24 Stunden). Die erste Ab-
lagerung einer rothen Schichte erfolgt zunächst unter der Beinhaut;
das Mark wird nicht verändert. Setzt man mit der Fütterung durch
Färberröthe aus, so entfernt sich der rothe Ring vom Periost und
rückt nach einwärts. Es hat sich um ihn ein neuer weisser Ring
gebildet. Je dicker dieser wird, desto mehr nähert sich der rothe
§. 85. Entstehung and Wachithom der Knochen. 233
Ring der Markhöhle, und verschwindet endlich vollkommen. Dieses
kann nicht anders erklärt werden, als dadurch, dass an der inneren
Obei*fläche der Knochen fortwährend resorbirt, an der äusseren,
durch Vermittlung des Periosts, fortwährend neu gebildet wird. So
lange mehr neugebildet als fortgeschafft wird, nimmt der Knochen
an Dicke zu. Das Periost steht also in einer innigen Beziehung zum
Wachsthum der Knochen in die Dicke.
Die Puncta ossificationis werden in verschiedenen Knochen zu
verschiedenen Zeiten abgelagert, niemals jedoch vor dem zweiten
embryonischen Lebensmonate. Das Schlüsselbein und der Unterkiefer
erhalten ihren Verknöcherungskern am frühesten, — schon am Be-
ginne des zweiten Monats; das Erbsenbein dagegen am spätesten,
— erst zwischen dem 8. und 12. Lebensjahre. — Breite Knochen
besitzen einen oder mehrere Verknöcherungspunkte , kurze in der
Regel nur einen, lange gewöhnlich drei, deren einer dem Mittel-
stücke, die beiden anderen den Endstücken des Knochens an-
gehören. Ist die Ossitication eines Röhrenknochens so weit gekommen,
dass derselbe seine bleibende Gestalt angenommen hat, so ist die
Trennungsspur zwischen Mittelstück und Endstücken, noch immer
als nicht verknöcherter Knorpel kennbar. In diesem Zustande
heissen die Enden der Röhrenknochen: Epiphysen. Von den
Knorpeln der Epiphysen aus wird immer fort, bis zur gänzlichen
Verschmelzung der drei Stücke des Knochens, neue Knochenmasse
gebildet, welche sich an die bereits vorhandene anschliesst. Zwei
in das Mittelstück eines Röhrenknochens gebohrte Löcher, ändern
deshalb durch das Wachsthum des Knochens in die Länge, ihre
wechselseitige Entfernung nicht, sondern entfernen sich nur von
den Enden (richtiger: die Enden entfernen sich von ihnen). Die
Verschmelzung des Mittelstücks mit den Epiphysen, bezeichnet den
Schlusspunkt des Wachsthums eines Knochens in die Länge. Sie
ereignet sich um das 20. Lebensjahr.
Die beiden Epiphysen eines Röhrenknochen verschmelzen
nicht zur selben Zeit mit dem Mittelstückc. Es ist ein für alle langen
Knochen geltendes Gesetz, dass jene Epiphyse, gegen welche die
in die Markhöhle des Knochens eindringende Arteria nutritia ge-
richtet ist, früher als die andere verschmilzt. So im Oberarm die
untere Epiphyse früher als die obere, im Oberschenkel die obere
früher als die untere. Hat ein langer Knochen nur Eine Epiphyse,
so geht die Richtung seiner Arteria nutritia gegen jenes Ende des
Knochens, wo die Epiphyse fehlt.
Vergleichungen der Lebensdauer verschiedener Thiere, mit dem
Zeitpunkt der Epiphysenverschmelzung (Elefant 30 Jahr, Kameel 8,
Pferd 5, Rind ^^/i, Hund 2, Kaninchen 1 Jahr, Meerschwein
7 Monat), haben zu dem Ergebniss geführt, dass das Verschmelzungs-
234 $• ^' Entstehang und Wachitham der Knochen.
Jahr mit 5 oder 6 multiplicirt , die natürliche Lebensdauer des
Thieres giebt. Demgemäss wäre diese Lebensdauer für den Menschen
100 — 120 Jahre, da die Epiphysen seiner Röhrenknochen im Anfang
der Zwanzigerjahre mit den Mittelstücken verwachsen. Dient zur
Beruhigung für Alle, welche gerne leben. Ich citire die Worte der
Schrift: erunt dies hominum centum viginti annorum. Nicht die Natur
macht den Menschen frühzeitig sterben, — - er selbst bringt sich
um, durch seine Dummheit und seine Laster. Vitam non accepimtbs,
sed fadmus brevem, sagt Seneca. Man denke an das Alter der
Patriarchen, an Cornaro's Lebensgeschichte, und lese Flourens,
de la Long4vit4, Paris, 1856. Der längsten Lebensdauer erfreut sich
übrigens, nach Casper's statistischen Reihen, der geistliche Stand,
— die kürzeste aber ist den Aerzten beschieden. Vielen Anatomen
(Ruysch, den drei Monro, Morgagni, Duvernoy, Sömmer-
ring, u. A.) war, wie den Fleischhauern, ein langes Leben be-
scheert. — Es giebt Thiere, bei welchen man noch nie die Epi-
physen mit den Mittelstücken der Röhrenknochen verwachsen
gefunden hat, z. B. die Walthiere unter den Säugern, die Batrachier
unter den Amphibien. Folgt daraus, dass diese Thiere immerfort
wachsen, und eine unglaublich lange Lebensdauer haben müssen,
wie uns Beispiele von Kröten zeigen, welche lebend in Steinen und
Bäumen eingewachsen gefunden wurden.
Der Stoffwechsel und die mit ihm zusammenhängende Er-
nährung der Knochen, wirkt und schafft lange nicht so träge, als
es auf den ersten Blick aus der Härte der Knochen und ihrem
Reichthum an erdigen Substanzen zu vermuthen wäre. Werden
nach Chossat's Versuchen, Hühner oder Tauben längere Zeit mit
rein gewaschenem Getreide, ohne Sand und erdige Anhängsel, ge-
füttert, so reicht die im Getreide enthaltene Erdmenge nicht hin,
den Stoffwechsel im anorganischen Bestandtheile der Knochen zu
unterhalten. Die Knochenerde wird foi'twährend durch die rück-
gängige Ernährungsbewegung aus den Knochen entfernt, und die
neue Zufuhr bietet keinen genügenden Ersatz. Die Knochen er-
weichen sich deshalb, wegen Prävalenz ihrer bindegewebigen Grund-
lage, sie werden dünn und biegsam, und schwinden theilwcise, wie
die Löcher beweisen, welche im Brustbeinkamme und an den
Darmbeinen entstehen. Wird das Futter mit Kreide oder Kalk ge-
mengt, so verlieren sich die Erscheinungen der Knochenerweichung
und des Knochenschwundes, und die normale Festigkeit kehrt
zurück. Je jünger der Knochen, desto rascher seine Ernährungs-
metamorphose. — Das Casei'n, ein Hauptbestandtheil der Milch,
enthält unter allen Protein Verbindungen (§. 17) am meisten phosphor-
sauren Kalk. Hieraus wird es verständlich, woher das rasche
§. 85. EnistehiiDg und Wachstham der Knochen. 235
Wachsthum der Knochen im Säuglingsalter, sein wichtigstes Material
zum Aufbau des Skeletes bezieht.
Die Blutgefässe der Beinhaut liefern den Nahrungsstoflf der
Knochen. Es folgt daraus jedoch keineswegs, dass Entblössung eines
Knochens und Entfernung seiner Beinhaut, sein Absterben zur un-
abweislichen Folge haben müsse, da die in die Markhöhle durch
die Foramina nutritia eindringenden Ernährungsarterien, welche durch
feine Zweigchen mit den von der äusseren Beinhaut in den Knochen
gelangenden Arterienästchen anastomosiren , die von der Beinhaut
her mangelnde Blutzufuhr ersetzen können. Im Falle auch diese
Ernähningsarterien der Markhöhle aufhören würden Blut zuzuführen,
stirbt der Knochen th eil weise oder ganz ab (NecrosU, vexpb^, todt),
und wird als sogenannter Sequester ausgestossen. Dass auch der
im Knochenmark enthaltene Bindegewebsantheil , mit der Bildung
und Regeneration des Knochens zu schaflfen hat, beweist H unteres
Versuch. An einem lebenden Thiere wurde das Mittelstück des
Oberarmbeins von seinen weichen Umgebungen isoHrt, seine Beinhaut
abgeschabt, und ein Loch in die Markhöhle gebohrt. Um die den
Knochen umgebenden Weichtheile von der Theilnahme an der Aus-
füllung dieses Loches durch Callusbildung zu hindern, wurde die
angebohrte Stelle mit einem Leinwandbande umgeben. Das Loch
füllte sich von der Markhöhle her, also gewiss durch Ver-
mittlung des blutgefassreichen Bindegewebes des Markes, mit neu
gebildeter Knocliensubstanz aus, welche, wenn das Thier jung ist,
so rasch zunimmt, dass der Knochenpfropf selbst über die äussere
Bohröffnung hinausragt.
Die Verwendbarkeit der Färberröthe zu Versuchen über Wachsthnm und
Ernährung der Knochen, beruht auf einer chemischen Affinität zwischen dem
färbenden Stoffe und dem phosphorsauren Kalk, welche durch folgendes, von
Rutherford angestelltes Experiment anschaulich gemacht wird. Giebt man in
eine Abkochimg von Färberröthe salzsaure Kalklösung, so geschieht dadurch keine
Aendenmg. Setzt man eine Lösimg von phosphorsaurer Soda hinzu, so entsteht
durch doppelte Wahlverwandtschaft phosphorsaurer Kalk und salzsaure Soda, von
welchen der erstere, seiner Unlöslichkeit wegen, sieh niederschlägt, und den fär-
benden Bestandtheil der Lösung mit sich nimmt.
lieber Entwicklung der Knochen handeln: //. Müller, Würzb. Verh. Bd. VIII.
— Kölliker, ebenda. — Baur, zur Lehre von der Verknöcherung, Müller s Archiv.
1857. — Aehy, der hyaline Knorpel, und seine Verknöcherung. Gott. Nachrichten.
1857. Nr. 23. — C. Britch, Beiträge zur Entwicklung des Knochensystems, im
1 1 . Bde. der Schweiz, naturforsch. Gesellsch. — //. Müller, über die Entwicklung
der Knochensubstanz, etc., in der Zeitschr. filr wiss. Zool. 9. Bd. — Lieberkühn,
im Archiv für Anat und Physiol. 1860 und 186*2. - //. Müller, über Ver-
knöcherung, in der Würzburger naturw. Zeitschrift, IV. Bd. — Waldeyer, der
Ossificationsprocess. Archiv für mikr. Anat. 1. Bd. — lioUeU, in Stricker» lland-
buch der Histologie, wo die Ergebnisse aller einschlägigen Arbeiten gewürdigt
werden. — lieber die Blutgefässe der Knochen handeln: C. Langer, im 36. Bde.
der Wiener akad. Denkschriften, and Albrecht Budge (Vortrag in der Sitzung des
236 §• 86. Praktische Bemerkno^en.
med. Vereins zu Oreifswald, 1876). Letzterem verdanken wir die wichtige Ent-
deckung, da88 die in den Havers'schen Kanälen enthaltenen Blutgefässe, von
Ljmphräumen umgeben sind, welche von den Lymphgefassen des Periosts aus
injicirt werden können, und auch mit der Höhle der Knochenkörperchen in Ver-
bindung stehen. Sie sind mit Epithel ausgefüttert
§.86. Praktische Bemerkungen.
Gebrochene Knochen heilen, wenn schwere Complicationen
fehlen, in der Regel leicht zusammen, und um so schneller, je jünger
das Individuum. In jedem Museum für vergleichende Anatomie kann
man es sehen, wie schön die Natur die Knochenbrüche der Thiere
heilt, wobei ihr keine Chirurgie in's Handwerk pfuscht. Die Bruch-
enden werden durch neu gebildete Knochensubstanz (Caütis)^ deren
Erzeugung fast den nämlichen Gesetzen unterliegt, wie die normale
Knochenbildung, zusammengelöthet. Hat ein Knochenbruch ohne
bedeutende Verrückung der Bruchenden stattgefunden, so ergiesst
sich anfangs Blut zwischen die Knochenenden, und die sie um-
gebenden Weichtheile. Dieses Blut gerinnt, und mischt sich mit
einem plastischen Exsudate, welches von den Blutgefässen der Bein-
haut, des Markes, und der die Bruchstelle zunächst umlagernden
Weichgebilde geliefert wird. In der zweiten und dritten Woche
nach dem Bruche, organisirt sich dieses Exsudat zu Knorpelsubstanz,
welche sich in wahre Knochensubstanz umwandelt. Dieser erst-
gebildete Knochencallus hält die Enden des gebrochenen Knochen
so fest zusammen, dass selbst der Gebrauch desselben von nun an
möglich ist. Dupuytren nannte diesen Callus: cal provisoire. Er
enthält keine Markhöhle. Erst wenn sich durch Aufsaugung seiner
innersten Masse, eine Höhle bildete, welche die Markhöhlen des
oberen und unteren Fragmentes mit einander verbindet, wird er
zum cal d4fini, welcher unter günstigen Umständen an Umfang so
viel abnimmt, dass nur eine geringe Wulstung an der Oberfläche
des Knochens, die Stelle andeutet, wo der Bruch stattgefunden hatte.
War die Verrückung der Bruchenden gross, oder der Knochen
nicht blos gebrochen, sondern zugleich zersplittert, so bildet der
massenhaft erzeugte Callus, einen dicken unförmlichen Knochen-
wulst, welcher als eine Art von Zwinge, die Bruchenden und ihre
Fragmente zusammenhält. — Dass die Bildung des neuen Knochens
nicht nothwendig von den Resten des alten ausgehen müsse, sondern
die weichen Umgebungen der Knochen, Beinhaut, Muskeln und
Zellgewebe, durch ihre Blutgefässe hiebei activ interveniren , be-
weisen Heiners schöne Beobachtungen, nach welchen bei Hunden
das Wadenbein und die Rippen, nach vollkommener Exstirpation
§. 87. SehlemUnt«. Anatomiiche Eigenschaften derselben. 237
mit der Beinhaut^ reproducirt wurden (obwohl, so viel ich an He ine's
Präparaten sah, auf sehr unvollkommene Weise).
Zufallige Knochenbildung erscheint: 1. als Verknöcherung von
Weichtheilen , Ossißcatio, und 2. als Knochenauswuchs, Exostosis.
Nicht Alles, was für Verknöcherung gilt, ist es auch. Die soge-
nannten verknöcherten Arterien, Venen, Bronchialdrüsen, Schild-
drüsen, etc., besitzen nicht die Structur der wahren Knochen; sie
sind vielmehr durch erdige Deposita in das Gewebe des betreffen-
den Organs bedingt, und werden besser Verkalkungen genannt.
Nur die Verknöcherungen der harten Hirnhaut, der Sehnen, der
hyalinen Kjiorpel, der Muskeln (z. B. im Glutaeua magnua des Rindes
nicht gar selten, und häufig beim Späth der Pferde), besitzen wahren
EjQOchenbau.
R. Hein, über die Reg^eneration gebrochener und resecirter Knochen, im
XV. Bd. des Arch. f. path. Anat. — Lieherkühn, Arch. f. Anat. u. Phja. 1860.
§.87. ScUeimliäute. Anatomische Eigenschaften derselben.
Während die geföss- und nervenarmen serösen Membranen
geschlossene Körperhöhlen auskleiden, wie die Brust-, Bauch-,
Schädelhöhle, überziehen die geföss- und nervenreichen Schleim-
häute, Membranae mucosae, die innere Oberfläche solcher Höhlen,
welche mit der Aussenwclt durch Oeffnungen communiciren (Ver-
dauungs-, Athmungs-, Harn- und Geschlechtsorgane). Die Schleim-
häute setzen sich in alle Kanäle und Drüsenausführungsgänge fort,
welche mit diesen Höhlen zusammenhängen. Wenn man die Schleim-
häute als Fortsetzungen der äusseren Haut betrachtet, so ist dieses
nicht im einfachen Sinne des Wortes zu nehmen, denn die Schleim-
häute entwickeln sich selbstständig, unabhängig von der äusseren
Haut, und gehen nur in letztere an den Körperöffnungen über.
Die eigentliche Grundlage jeder Schleimhaut, welche sich in
den feinsten Ausbreitungen derselben erhält, besteht aus einer sehr
dünneu, strueturlosen , höchstens etwas granulirten Schichte, die
Basement Membrane der englischen Mikrologen, an deren äussere
Fläche sich eine verschieden dicke, getass- und nervenreiche, aber
nur spärlich mit elastischen Fasern gemischte Bindegewebsschichte
anschliesst, und an deren inneren, der Höhle der Schleimhaut zu-
gekehrten Fläche, das Epithel aufliegt. Auf die Bindegewebsschichte
folgt an gewissen Stellen, wie z. B. in der ganzen Länge des Darm-
kanals, eine noch zur Schleimhaut gehörige Schichte glatter Muskel-
fasern, mit querem und longitudinalem Verlauf.
Diese Schichte glatter Muskelfasern erreicht in der Schleimhaut des Oeso-
phagus eine bedeutende Dicke, so dass sie durch das Messer darstellbar wird, und
238 §• 87. Schleimh&nte. Anatomische Eigenschaften derselben.
in der Schleimhaut des nntcren Mastdarmendes nimmt sie derart an Mächtigkeit
za, dass Kohlraasch sie sogar als einen besonderen Muskel beschrieb, welchen
er SusterUalar membranae mucosae nannte. — An vielen Schleimhäuten wird die
structurlose Grundlage derselben bis zur Unkenntlichkeit dünn. In den letzten
Verzweigungen der Drüsenausfiihrungsgänge erhält sie sich dagegen als einziges
Substrat derselben, so wie andererseits die Wand gewisser, auf der Fläche der
Schleimhaut mündender einfacher Drüschen, nur ans ihr besteht
Nach Verschiedenheit der Organe, welchen eine Schleimhaut
angehört, modificiren sich ihre mikroskopischen Eigenschaften ver-
schiedentlich, wie in der speciellen Anatomie an seinem Orte er-
wähnt wird.
Alle Schleimhäute haben, wie die serösen Membranen, eine
freie und eine angewachsene Fläche. Die freie Fläche ist mit einer
Epithelialschichte bedeckt, deren Zellen an bestimmten Stellen die
Formen des Pflaster-, Platten-, Cylinder-, Flimmerepithels darbieten.
Die angewachsene Fläche ist mittelst Bindegewebe (Textus ceUviarü
svbmucosus) an unterliegende Flächengebilde (beim Darmkanal z. B.
an die Muskelhaut) angeheftet. Die Schleimhäute von weiten
Schläuchen sind dicker, als in engen, besitzen mit wenig Ausnahmen
zahlreiche Blutgefässe und Nerven, sind dehnbar, ohne besonders
elastisch zu sein, müssen sich also, wenn der Kanal, welchen sie aus-
kleiden, sich zusammenzieht, mehr weniger falten. Diese Falten
müssen wir von jenen unterscheiden, welche auch bei der grössten
Ausdehnung des Kanals nicht verstreichen, und an gewissen Orten
(z. B. im Dünndaime) so häufig vorkommen, dass die Sehleimhaut-
fläche bedeutend grösser ist, als die Fläche des Schlauches, welche
von ihr überzogen wird.
Auf der freien Fläche gewisser Schleimhautsbezirke zeigen
sich zahlreiche Hervorragungen und Vertiefungen. Die Hervor-
ragungen sind entweder Warzen, PapillaSy oder Flocken, Flocci,
oder Zotten, Villi; die Vertiefungen erscheinen als die Mündungen
verschiedener Formen von Drüsenbildungen. In der speciellen Ana-
tomie wird von diesen Gebilden am geeigneten Orte ausführlich
gesprochen.
Man unterscheidet drei Schleimliautsysteme, welche unter ein-
einander nicht zusammenhängen:
1. Das Systßina gastro-piämonale für die Verdauungs- und
Athmungseingeweide, 2. das Systema uro-genitule für die Harn- und
Geschlechtsorgane, und 3. das Schleimhautsystem der Brüste.
Die Nerven der Schleimhäute stammen theils vom Cerebrospinalsystem
theils vom Sympathicus. Sie bilden in der Schleimhaut subtile Geflechte, soge-
nannte Endplexus, von welchen sich einzelne Nervenfäden in etwa vorhandene
Zotten und PapUlen der Schleimhaut erheben, sich in denselben ein- oder mehr-
mal dichotomisch theüen, und sich dabei um das Doppelte verfeinern. Wie sie
endigen, ist flir keine Schleimhaut mit nnbezweifelbarer Sicherheit festgestellt. Die
§. 88. Physiologische EigenschAften der Schleimh&nte. 239
frfiher angenommenen Endschlingen existiren nirgends. Von dem Verhalten der
feinsten Nervenfasern zn den Epithelialzellen, wurden höchst überraschende Be-
fände mitgetheilt, auf welche wir in den Capiteln der Sinnen- und Eingeweide-
lehre zurückkommen werden. — Die Blutgefässe sind in der Sclileimhaut des Ver-
dauungssystems, der Nasenhöhle, der weiblichen Geschlechtstheile, der männlichen
Harnröhre, der Bindehaut der Augenlider sehr zahlreich, und bilden reiche, eng-
maschige Capillargefassnetze. Die Capillargefässe der übrigen Schleimhäute sind
schwächer an Kaliber, und ihre Netze so fein, dass Injectionen derselben weit
schwieriger als im Verdauung^kanal gelingen.
§. 88. Physiologische Eigenschaften der Schleimhäute.
Die Schleimhäute fuhren ihren Namen von dem Stoffe, welchen
sie absondern, Schleim. Die Schleimabsonderung kommt nicht
allein den sogenannten Schleimdrüsen einer Schleimhaut zu. Sie
findet auf der ganzen Fläche einer Schleimhaut statt. Der Schleim,
Mucus, ist ein Gemenge vci*schiedener Stoffe. Er wird aus Wasser,
Epithelialzellen, Schleirakörperchen (von welchen in der Anmerkung),
zufalligen Beimischungen von Staub und Luftbläschen (in den
Athmungsorganen) , Speiseresten (im Verdauungssystem), und aus
den specitischen Secreten der Schleimhäute, über welche er vor
seiner Ausleerung hingleitete, und die er mechanisch mit sich führt,
zusammengesetzt. Bei Reizungszuständen und Entzündungen der
Schleimhäute, ist das schleimige Secret derselben reich an Eiter-
kügelchen: eiteriger Schleim, Materia puriformis.
Der Schleim erscheint als eine grauliche, klebrige und fadenziehende Sub-
stanz, welche speci6sch schwerer als Wasser ist, und deslialb in ilim zu Boden
sinkt, wenn sie iiiclit etwa Luftbläschen enthält, wie in den Sputis. Er verdankt
seine klebrige Beschaffenheit dem Mucin, welches durch Essigsäure ans ihm
niedergeschlagen wird, und in verdünnten Mineralsäuren löslich ist Mit Luft in
Berührung vertrocknet der Schleim, zum Theil schon innerhalb des Leibes an
Stellen, wo Luft durchstreift, wie in der Nasenhöhle, wo er zu halbharten Krusten
eingedickt wird. Wenn er krankhafter Weise in grösserer Menge abgesondert
wird (als Schleimfluas, Blennorrhoe, von ßX^vvo; Schleim, und ^feiv fliessen),
ist er dünnflüssig; zuweilen, wie beim Schnupfen, wässerig.
Die Empfindlichkeit der Schleimhäute tritt an gewissen
Stellen sehr scharf hervor, wird jedoch vorzüglich nur durch gewisse
Reize einer bestimmten Art angeregt. So ist z. B. die Schleimhaut
des Darnikanals tiir die Galle nicht empfindlich, während Galle auf
der Schleimhaut der Augenlider intensive Schmerzemptindung hervor-
ruft. Schleimhäute, welche vom Cerebrospinalsystem ihre Nerven
erhalten, sind empfindlicher als jene, welche vom Sympathicus ver-
sorgt werden. So wird die gekaute Nahrung, in der Mundhöhle und
im Pharynx, durch Vermittlung der hier vorhandenen Cerebrospinal-
nerven gefühlt, gleitet aber, selbst wenn sie mit den schärfsten
240 §• 9S. PhTsiologische Eigrenschaften der Schleimli&at«.
Gewürzen versetzt ist, unbemerkt durch Magen und Gedärme,
welche mit sympathischen Nervenzweigen ausgestattet sind. Auf
zwei Schleimhäuten wird die Sensibilität sogar zu einer specifischen
Sinnesenergie gesteigert, zum Geschmack und zum Geruch. —
Die Schleimhaut der Eingangs- und Ausmündungshöhlen der Ein-
geweide (At7*ia), zeichnet sich durch den hohen Grad ihrer Empfind-
lichkeit vor anderen Schleimhautpartien ganz besonders aus. Deshalb
ruft ein fremder Körper im Kehlkopfe, den heftigsten Husten hervor,
während er in den Luftröhrenästen jahrelang verharren kann, ohne
Beschwerde zu erregen, und die Einführung einer Sonde oder eines
Schlundstossers, erregt im Istkmus faudumWürg- und Brechbewegung;
im Oesophagus wird sie nicht einmal gefühlt. Die Erregung der
Empfindlichkeit in den Atrien der Schleimhautsysteme wird von
mehr weniger heftigen Reactionsbewegungen gewisser Muskeln be-
gleitet, welche sich nur einstellen, wenn sie durch Empfindungsreize
der betreffenden Schleimhaut herausgefordert wurden. Sie wurden
als Reflexbewegungen bereits früher ei-wähnt, §. 72, 4. Das
Niessen, der Husten, das Erbrechen nach Kitzeln des Rachenein-
ganges, die Schlingbewegung, die Samenejaculation, die Austreibung
des Kothes und Harns, gehören hieher.
Contractilität besitzen die Schleimhäute nur auf Rechnung
der glatten Muskelfasern, mit welchen sie dotirt sind. Besässen sie
selbst Contractilität, so würden sie sich nicht bei Verengerung ihrer
Höhlen in Falten legen. Der leere Magen, die leere Harnblase und
Harnröhre, haben Schleimhautfalten, welche im ausgedehnten Zu-
stande fehlen. Es lässt sich jedoch den Schleimhäuten ein gewisses,
wenn auch sehr unvollkommenes Bestreben nicht absprechen, sich,
wenn sie ausgedehnt wurden, wieder zusammenzuziehen. Dieses beruht
jedoch nur auf der Elasticität ihres Gewebes. Jede in Folge von
Entzündungen verdickte Schleimhaut verliert dieses Vermögen, und
hat sie es verloren, so kann sie nicht mehr dem Drucke entgegen-
wirken, welchen die in einer Schleimhauthöhle angesammelte Flüssig-
keit auf sie ausübt. Sie wird vielmehr durch diesen Druck aus-
gebuchtet, d. i. durch die Maschen der Muskelgitter, welche sie
von aussen bedecken, beuteiförmig vorgedrängt. Dadurch entstehen
die sogenannten Diverticula, welche am häufigsten an der Harnblase
von Steinkranken und Säufern, nach vorausgegangenen Blasen-
entzündungen beobachtet werden.
So lange Schleimhäute, welche sich mit ihren freien Flächen berühren, mit
Epithel tiberzogen sind, kann ihre Berührung nie in eine Verwachsung tibergehen.
Der Schleim, welchen sie absondern, wirkt hier zugleich mit dem Epithel, als
fremder Zwischenkörper, welcher den Coalitus aosschliesst Ist aber das Epithel
▼erloren, und die Schleimhaut in einem kranken Zustande, der keine Regeneration
des Epithels erlaubt, x. B. entzündet, verschwärt, oder in Eiterung begriffen, so
§. 88. PliTtiologiiohe EigvnieliafteD der BehleimhAuto. 241
können »neh Schleimhantfl&chen ganz oder theilweise verwachsen. Das Ankjlo-
ond Symblepharon, die Obliteration oder Verengerung eines Nasenloches nach
Mensohenblattem, die Verwachsung der Lippen mit dem Zahnfleisch nach Ge-
schwüren, die Stenosen des Oatophoffut nach Vergiftung durch Schwefelsäure, des
Mastdarms durch Ruhr, der Harnröhre und Scheide durch syphilitische Geschwüre,
bestätigen das Gesagte.
Die Schleimhäute des Syatema gastro-jmlmonale und uro-genitcde
äussern, trotz ihrer verwandten Struetur, wenig Sympathien für
einander, und es ist nur ein Fall von Mitleidenschaft beider Systeme
durch Civiale näher j^eleuchtet worden, nämlich die gastrischen
Störungen, welche nach längerem Manövriren mit Steinzerbohrungs-
instrumenten in den Harn wegen, sich einzustellen pflegen. Dagegen
stehen einzelne Abschnitte desselben Systems, in unverkennbarer
sympathischer Wechselbeziehung. Die Zunge ändert z. B. ihr Aus-
sehen bei gastrischen Leiden (lingua apeculum primarum viarum), —
die Bindehaut des Auges röthet sich bei Katarrhen der Nasen-
schleimhaut, die Harnröhrenschleimhaut juckt bei Gegenwart eines
Steines in der Harnblase (öfteres Ziehen am männlichen Gliede bei
Kindern, ist dem Chirurgen ein sicheres Zeichen von der Gegen-
wart eines Steines), Kitzel in der Nase und Afterzwang (Tenesmus)
deuten auf Würmer im Darmkanale.
Oberflächliche Substanzverluste der Schleimhaut werden durch
Regeneration der verlorenen Schleimhaut ersetzt. Tiefgehende De-
structionen derselben, durch Verbrennung oder Geschwür, werden
nur durch Narbengewebe ausgefüllt, welches seiner Zusammen-
ziehung wegen, Verengerung des betreffenden Schleimhautrohres
setzt. Nur im Darmkanale erscheint an der Stelle, wo typhöse
Geschwüre heilten, ein Gewebe von serösem Ansehen, auf welchem
sich selbst neue Darmzotten entwickeln sollen.
Noch eine physiologische Eigenschaft der Schleimhäute, welche
wenig gewürdigt wurde, verdient Erwähnung. Ich will sie die
respiratorische Thätigkeit derselben nennen. In jeder Schleimhaut,
welche mit der atmosphärischen Luft in Berührung steht, findet
Oxydation des Blutes in den Capillargefiissen statt, — daher ihre
Röthe. Der Gefassreichthum allein ist nicht und kann nicht die
Ursache der Röthe sein, da viele Schleimhäute eben so gefassrcich
sind, wie die Mund- oder Nasenschleimhaut, ohne so roth zu er-
scheinen, wie diese. Je mehr eine Schleimhaut dem Luftzutritt ent-
zogen ist, desto mehr nimmt ihre Röthe ab. Daher sehen wir den
Scheideneingang und das Orificium der männlichen Harnröhre leb-
hafter geröthet, als die Schleimhaut der Tvia Fallapiana, oder der
Harnröhre. Schleimhäute, zu welchen kein Luftzutritt stattfindet,
werden intensiv roth, sobald sie an die Atmosphäre kommen, wie
die Vorftllle des Mastdarms, der Scheide, und der widernatürliche
After beweisen.
Hjrtl, Lehrbach der Anatomie. U. Aufl. 16
242 §• ^- Drftsensyit««. Anatomiiche EiYenichaften desMlben.
Schleimkörperchen sind, nebst den Epithelialzellen , nie fehlende Vor-
kommnisse im Schleime. Sie sind nindo, ovale, seltener granulirte, scheinbar
solide Körperchen, von durchschnittlich 0,005'" Durchmesser. Durch Einwirkung
von Wasser tritt ein Kern deutlich hervor. Durch Behandlung mit Essigsäure
zerf&llt der Kern in 2 — 4 kleinere Körner von 0,001'" Durchmesser. Sie verhalten
sich im Uebrigen wie Eiter- und Lymphkörperchen.
§. 89. Srüsensystem. Anatomische Sigenschafteii desselben.
Einfache oder zusammengesetzte Bereitungsorgane von Flüssig-
keiten heissen Drüsen, Glandulae (a3eve<; bei Galen). Die Art der
Bereitung wird Absonderung. Seci^etio, genannt. Häutige Schläuche
von sehr verschiedener Länge, bilden das anatomische Element der
Drüsen. Die Schläuche sind immer an einem Ende offen, imd
münden auf einer freien Hautfläche aus. An dem anderen Ende
sind sie entweder blind abgeschlossen, oder sie hängen mit einer
Gruppe von rundlichen oder kolbenförmigen Bläschen zusammen,
welche in sie einmünden, und Adni genannt werden.
In den einfachsten Formen bestehen die Drüsenschläuche und
Drüsenbläschen aus einer mehr weniger structurlosen Grundmembran
9iit Epithel, welches im Schlauche cylindrisch ist, in den Drüsen-
bläschen aber aus rundlichen oder eckigen Zellen zusammengesetzt
erscheint. Bleibt der Drüsenschlauch einfach und un verästelt, so
heisst die Drüse tubulös; gruppiren sich aber um den Schlauch
Drüsenbläschen, welche sich in ihn öffnen, so wird die Drüse acinös
oder trauben förmig genannt. Einfache tubulöse Drüsen sind meist
nur Gegenstand mikroskopischer Anschauung; — acinöse Drüsen
können zwar auch einfach bleiben, d. h. einen unverästelten Aus-
fuhrungsgang besitzen , wie z. B. Talgdrüsen , und Meibom'sche
Drüsen ; meistens aber verbinden sich viele einfache acinöse Drüsen
zu einer zusammengesetzten Drüsenform , welche somit einen
baumförmig verästelten Ausfuhrungsgang besitzen wird, und eine
bedeutende Grösse erreichen kann. Solche Drüsen erscheinen dann
entweder als gerundete, mehr weniger glatte, oder aus Lappen
zusammengesetzte , mit Furchen und Einschnitten (Grenzen der
Lappen) versehene Massen, deren Lappen von einer bindegewebigen
Hülle umgeben und zusammengehalten werden. Die Wand des
mehr weniger verästelten Ausführungsganges, besteht in diesem Falle
aus einer structurlosen Grundmembran , mit einer gefassreichcn,
organische Muskelfasern führenden Bindegewebsschichte an ihrer
äusseren, und einem Epithelialbeleg an ihrer inneren Fläche. — Das
Bindegewebe , welches die einzelnen Drüsenlappen umgiebt und
zusammenhält, ist sehr gef&ssreich. Die Blutgefässe betreten die
Drüse entweder an einem oder an mehreren Punkten. Ersteres ist
§. 90. Eintheilong der Drüsen. 243
bei mehr compacten Drüsen mit glatter Oberfläche, welche nur Einen
Einschnitt besitzen, letzteres bei Drüsen mit mehreren Einschnitten
und mit gelappter Oberfläche der Fall. Die Blutgefässe umspinnen
mit ihren Capillarnetzen die Verzweigungen der Ausfuhrungsgänge,
und liefern den Stoff (Plasma), welcher durch die Lebensthätigkeit
der Drüse umgearbeitet, und als bestimmte Secretionsflüssigkeit,
Speichel, Galle, Magensaft, etc., zum Vorschein kommen soll. —
Da alle Drüsenausführungsgänge auf der äusseren Haut oder
auf den inneren Schleimhäuten münden, so mag die Vorstellung
immerhin beibehalten werden, als seien sie Ein- oder Ausstülpungen
dieser Häute. Nur ist die Sache nicht im genetischen Sinne zu
nehmen, da nach den Ergebnissen der Entwicklungsgeschichte, die
Verästlungen eines Ausfuhrungsganges nicht als röhrige Auswüchse
einer präexistirenden Membran entstehen.
Die letzten Ramificationen der Ausführungsgänge stehen mit
dem CapillargefUsssystem nirgends in offener Anastomose. Sie enden
auf dreifache Weise: a. als abgerundete, blindsackformig geschlossene
Kanälchen, ohne bläschenartig ei'weitertes Ende ; ß. als kolben- oder
bläschenförmige Endei-weiterungen der Kanälchen ; 7. als netzfoimige
Anastomosen mehrerer Kanälchen unter einander.
Die stärkeren Verzweigungen der Ausführungsgänge der Drüsen
besitzen an ihrer inneren Oberfläche eine aus Cylinderzellen be-
stehende Epithelialschichte. In den feinsten Verästlungen dagegen,
und in den Endbläscheu (Acini), findet sich in allen Drüsen nur
mosaikartiges, oder aus rundlichen Zellen bestehendes Pflasterepithel,
dessen Zellen , ihrer Betheiligung am Secretionsprocesse wegen,
Secretionszellen (Enchymzellen) genannt zu werden pflegen.
In der Kindheit der Wissenschaft hiessen nur die oliven- oder eicholförmigen
Lymphdrüsen: Glandtdae, (d. i. Eichelchen). Auch wurden damals mehrere Organe
in die Sippschaft der Drüsen aufgenommen, welche unseren gegenwärtigen Be-
griffen zufolge, nicht mehr dahin gehören, z. B. Glandula pinealis, HyjpophyHa
cerebri; und umgekehrt wurden, durch die Auffindimg der Ausführungsgänge, viele
Organe den Drüsen einverleibt, über deren Bedeutung und Verrichtung man vor
Alters keine Vorstellung hatte, und ihnen deshalb Mamen gab, welche nur ihre
Lage ausdrücken : Parotis, Prostaia, Paritsthmia (Mandeln).
§. 90. Eintheilung der Drüsen.
Die Form des Ausführungsganges und seiner Endigungsweise
giebt gegenwärtig den Anhaltspunkt ab, die Drüsen zu classificiren.
Man unterscheidet einfache und zusammengesetzte
Drüsen.
A) Einfache Drüsen. Sie bestehen nur aus einem einfachen
Schlauch, mit oder ohne acinöse Endbläschen, und zerfallen somit in :
16»
244 &. 90. Eintheilnng der DrftMD.
a) Einfache tabulöse Drüsen. Hieher gehören die Schweiss-
drüsen^ Ohrenschmalzdrüsen, die Drüsen der Gebärmutter-
schleimhaut, die Pepsindrüsen des Magens und die Lieberkühn'-
Bchen Drüsen des Darmkanals.
b) Einfache acinöse Drüsen, bei denen ein einfacher unver-
ästelter Ausftihrungsgang , mit einer Gruppe von Drüsen-
bläschen (Adnt) zusammenhängt. Hieher gehören die Schleim-
drüsen, die Talgdrüsen, und die Meibom'schen Drüsen.
Zu den einfachen Drüsen werden formell auch jene drüsen-
ähnlichen Gebilde eingereiht, welche unter dem Namen geschlossene
Follikel passiren. Sie bestehen (jedoch nicht alle) aus einer ge-
schlossenen Bindegewebsmembran , deren Binnenraum von einem
zarten Fasergerüste ausgefüllt wird, in dessen Interstitien eine grosse
Menge von Lymphkörperchen in allen Stadien der Entwicklung
lagert. Dieses Gerüste mit seinem Zelleninhalt, erinnert an die Alveoli
der Lymphdrüsen (§. 58). Es werden deshalb die geschlossenen
Follikel den Lymphdrüsen angereiht, und als lymphoide, oder
lymphadenoide Organe benannt. Follikel mit einer mehr
weniger deutlichen häutigen Begrenzung, sind durch die Glandula
coccygea, und intercarotica , und durch die Balgdrüsen der Mandeln,
des Zungengrundes, und des Rachens repräsentirt. Man bezeichnet
diese Drüsenformationen auch mit dem Namen conglobirte Drüsen,
wobei ich bemerke, dass dieser Name ursprünglich nur den wahren
Lymphdrüsen (§. 58) beigelegt wurde. Follikel ohne Wand, welche
also eigentlich keine Follikel sind (Ivcua a non lucendo), sondern nur
Anhäufungen von Lymphkörperchen in einem bindegewebigen Faser-
gerüste, kommen entweder einzeln und zerstreut, oder in Gruppen
vor. Man unterscheidet deshalb Folliculi solitarii, und Folliculi
agminati 8, congregati. Erstere linden sich in der Schleimhaut des
Magens und des Dickdarms, letztere, als Peyer'sche Drüsen, nur
im Ileum.
Der alte, verjährte Glaube an eine Begrenzung^smembran der Peyer^schen
Drüsen, wurde von Henle völlig gestürzt. Nicht zwischen dem Balkenwerke eines
Follikels, sondern im Bindeg^websstroma der Darmschleimhant selbst, lagern die
L3rmphkörperchen. Die Follikel besitzen keine ihnen eigene Wand, Überhaupt
kein ihnen eigenes Parenchym, wie die Lymphdrüsen, und können deshalb, wie
schon gesagt, weder Follikel, noch geschlossen genannt werden. Demnach
sind sie auch keine Drüsen, sondern Deposita von Lymphkörperchen im Gewebe
der Darmschleimhaut Will man diese Schleimhaut adenoid nennen, kann man
vernünftiger Weise nichts dagegen haben. Herde, Zeitschrift für rat. Med. Bd. VIII.
B) Zusammengesetzte Drüsen. Sie bestehen aus einem
Systeme verzweigter Ausführungsgänge, deren letzte Enden ent-
weder mit Endbläschen (Acini) besetzt sind, und somit traubig er-
scheinen (Speicheldrüsen), oder Netze bilden, welche in den Lücken
§. 90. EintheiluDg der Drftsen. 246
der Capillargefassnetze lagern (Leber), oder schlingenformig in ein-
ander übergehen (Hoden). Jeder Acinus eines traubigen Kanal-
endes, lässt sich als ein einfaches Drüsenbläschen sammt seinem
Zugehör nehmen, und darum jede zusammengesetzte Drüse als ein
Conglomerat vieler einfacher betrachten. Man nennt sie deshalb
auch Glandulae conglomeratae, zum Unterschiede der Glandulae con-
globatae, mit welchem Namen man, wie früher gesagt, nur die wahren
Lymphdrüsen belegte, da ihre Gestalt im Allgemeinen rundlich, und
ihre Oberfläche glatt und nicht gelappt ist, wie es jene der Glan-
dvlae conglomeratae ist. Unterarten derselben sind:
a) Glandulae compositae acinosae, Sie bestehen aus mehreren,
ja vielen Lappen, jeder Lappen aus Läppchen, jedes Läppchen
aus einer Gruppe von Acini. Die Speicheldrüsen, die Milch-
drüsen , die Thränendrüsen gehören hieher. Die Drüsen-
kanälchen benachbai*ter Läppchen gehen in grössere Kanäle,
und diese, nach wiederholter Verbindung, in den Hauptkanal
oder Ausführungsgang der Drüse über. Sie. werden deshalb
auch Drüsen mit baumförmig verzweigtem Ausführungsgange
genannt. Die Ausführungsgänge der acinösen Drüsen vereinigen
sich entweder zu einem einzigen, oder die Vereinigung bleibt
unvollkommen, und es existiren mehrere, getrennt mündende
Ausführungsgänge, was in der weiblichen Brust, in der Thränen-
und Vorsteherdiüse der Fall ist.
b) Glandulae compositae tubulosae, wohin die Nieren und
Hoden gehören. Dem Woiiisinne nach sind auch die Drüsen
mit baumförmig verzweigtem Ausführungsgange Glandulae
tuivlosae, indem sie aus verzweigten Röhren bestehen. Im
engeren Sinne dagegen werden zu den Glandvlis compositis
tubvlom nur jene gerechnet, bei welchen die Drüsenkanälchen
sich weniger durch Astbildung, als durch ihre Länge aus-
zeichnen. Die langen Drüsenkanäle verlaufen entweder gerade,
wie in den Nierenpyramiden, oder in vielfachen Krümmungen
und Windungen, wie im Hoden.
Eine eigene Gruppe von Drüsen, bilden die sogenannten Drüsen
ohne Ausführungsgänge. Ihr äusseres Ansehen erinnert an jenes
einer Drüse, aber das wesentlichste Attribut einer Drüse — der
Ausführungsgang — fehlt. Hieher gehören die Schilddrüse, die
Thymus, die Nebennieren, und die Milz. Schilddrüse und Milz wurden,
ihres Reichthums an Blutgefässen wegen, vor Zeiten als Ganglia
va^culosa benannt.
Wenn die in der specieUen Anatomie der Eingeweide enthaltenen Be-
schreibungen der einzelnen Drüsen dem Anfanger bekannt geworden sind, wird
es ihm leicht sein, sich ein umfassendes Schema der Drüsen zu constmiren, dessen
Hauptrubriken hier blos angegeben wurden.
246 §• 91. Physiologiiehe Eiffentchaften der Drftsen
§.91. Physiologische Eigenschaften der Drüsen.
Der in den Drüsen stattfindende Vorgang, durch welchen aus
dem Blute neue Flüssigkeiten zu verschiedenartigster Verwendung
gebildet werden, heisst Absonderung, Secretio. Absonderung und
Ernährung sind insofern einander verwandt, als zu beiden Stoffe
dienen müssen, welche aus dem Blute bezogen werden. Die Per-
meabilität der Gefässwandungen ist somit nothwendige Bedingung
der Emähning und der Secretion. Bei der Ernährung brauchen
jedoch die flüssigen Bestandtheile des Blutes nur aus den Gefass-
wandungen herauszutreten (Exosmom), um ihren Nutritionszweck zu
erfüllen ; bei der Secretion dagegen müssen die Stoffe, welche durch
Exosmosis aus den Capillargefassen traten, neuerdings die Wand
von Drüsenkanälchen und Drüsenacini durchdringen (Endosmosis),
um in den Höhlen derselben eis Secreta zu erscheinen. Würden
alle Secreta aus Stoffen bestehen, welche schon im Blute vorräthig
und präformirt sind (wie z. B. der Harnstoff und die Harnsäure),
so könnte man sich die Secretion als eine Art Seihungsprocess
denken, für welchen die Wände der Capillargefasse und der Drüsen-
kanälchen, doppelte Filtrirapparate abgeben. Die alte Medicin hatte
diese rohe Ansicht von allen Secietionen, und nannte deshalb die
Drüsen: Colatoria, von colare, durchseihen. Die Gegenwart von so
vielen Mischungsbestandtheilen der Secrete, welche im Blute als
solche nicht vorkommen, heisst uns diese mechanische Vorstellung
aufgeben. Wir sind gezwungen anzunehmen, dass die Bestandtheile
des Blutes, während sie durch die doppelten Filtra gehen, solche
chemische Verändemngen erleiden, welche ihnen den Charakter des
neuen Secretionsfluidum geben. Wie es aber mit dieser Veränderung
hergehe, ist durchaus unbekannt, da immer nur die Producte der
Secretion, nicht aber das Werden derselben, Gegenstand mikro-
skopischer Anschauung sind. Die genauesten Kenntnisse, die wir
von dem Baue so vieler Drüsen haben, konnten und werden uns
nie hierüber Aufschluss geben, um so weniger, als ähnlicbgebaute
Drüsen häutig sehr verschiedene Secrete liefern , wie die Speichel-
und Slilchdrüsen. Dass die Epithelialzellen der Drüsenkanälchen
und der Acini, beim Seeretionsprocesse betheiligt seien, und Stoffe
in ihren Höhlen bilden, um sie durch Dehiscenz in die Höhle der
Drüsenkanälchen zu entleeren , wurde zuerst von H e n 1 e und
Goodsir ausgesprochen. Wir finden Gallenfett in den Zellen der
Leber, Butterfette in den Zellen der Milchdrüse, Pepsin in den
Zellen der Magendrüsen, Samenthierchen in den Zellen des Canals
des Nebenhodens.
§. 91. Physiologische Eigenschaften der Drftsen. 247
Die Fortbewegung der secernirten Flüssigkeiten in den Aus-
führungsgängen^ ist theils eine nothwendige Folge des Offenseins der
letzteren nach einer Richtung hin , theils eine Wirkung der Con-
ti'actilität der Kanalwandungen, welche durch physiologische Ex-
peiimente constatirt wurde. Gallen-, Harn-, Samenwege zeigen, wenn
sie gereizt werden, sogar wurmfbrmige Bewegungen. Ferner besteht
die Umgebung einer Drüse immer aus mehr weniger beweglichen
Organen, welche durch ihre Verschiebung auf die Drüse drücken,
und somit ebenfalls ein thätiges Excretionsmoment abgeben können.
Bei den Speicheldrüsen, welche von den Kaumuskeln, bei den
Darmdrüsen, welche durch die wurmförmige Bewegung der Gedärme
gedrückt und dadurch entleert werden, ist dieser mechanische Um-
stand in die Augen springend. Die Abschüssigkeit der Ausfühnings-
gänge, und besondere Krümmungen derselben, erleichtern ebenfalls
die Fortbewegung des Secretes. Die korkzieherartige Krümmung
des Kanales der Schweissdrüsen ist offenbar hierauf berechnet, da
durch sie der Bewegungsweg in eine lange schiefe Ebene um-
gewandelt wird, welcher leichter zurückgelegt wird, als ein gerade
ansteigender.
Viele Secrete haben keine weitere Verwendbarkeit im Organismus,
und werden so bald als möglich nach aussen entleert. Sie heissen
Humores excrem&ntitii (Harn, Schweiss). Andere werden nur ge-
bildet, um zu gewissen Zwecken zu dienen. Sie heissen Humores
inqmlini. Diese Zwecke werden entweder noch innerhalb des Körpers
erreicht, oder ausserhalb. Speichel und Magensaft wirken innerhalb,
Milch und Same ausserhalb des Körpers. Erstere werden deshalb
in den Anfang oder in den weiteren Verlauf des VerdauuÄgssystems
entleert, letztere nur in das Ende ihres bezüglichen Systems, wie
der Same in den Endschlauch des Urogenitalsystems (Harnröhre),
oder direct an die Leibesoberfläche abgeführt, wie die Milch. —
Es giebt auch Secrete gemischter Art, von welchen ein Theil noch
im thierischen Leibe verwendet wird, ein Theil aber Auswurfsstoff
ist, z. B. die Galle, von welcher gewisse Bestandtheile in den Fäces
vorkommen, während die anderen zur Dünndarm Verdauung bei-
tragen, und im Darmkanal wieder aufgesogen werden.
Die complicirte Structur der Drüsen, und ihre darauf basirte
hochgestellte Lebensthätigkeit, machen sie zu sehr wichtigen Organen
des thierischen Haushaltes. Erhaltung der Individuen (Ernährung),
und Erhaltung der Art (Fortpflanzung) ist au ihre Thätigkeit ge-
bunden. Je grösser eine Drüse wird, und je mehr sie schon im
Blute vorhandene AusscheidungsstoÖe absondert , desto wichtiger
wird ihre Function, und desto gefährlicher ihr Erkranken. Unter-
bleiben der Nierensecretion führt zum gewissen Tode, und die unter-
248 §• 9S. Allgvmeiae Bemerknngen Über die Abiondernoffen
brochene Thätigkeit der Lunge setzt Erstickung, während beide
Hoden ohne Nachtheil der Gesundheit eingebtisst werden können.
— Sind Secretionsorgane paarig, und wird das eine durch Krankheit
oder Verwundung in Stillstand versetzt, so übernimmt das andere
das Geschäft seines Gefährten, und gewinnt in der Regel auch an
Volumen und Gewicht. Jede gesteigerte Secretion, welche den
Schaden gut macht, der durch das Unterbleiben einer anderen ge-
setzt werden könnte, heisst vicariirend. — Exstirpirte Drüsen
werden nicht regenerirt.
Die anatomische Literatur kennt nur Ein Werk, welches über die Structur
sämmtUcher Drttsen handelt. Es ist «/. Malier^ de glandularum secernentium struc-
tura penitiori. Lips. 1830. Fol. Die Schriften über einzelne Drüsen, werden in
den betreffenden Paragraphen der Eingeweidelehre angeführt.
§. 92. Allgemeine Bemerkungen über die Absonderungen.
1. Das Qi^dl^ und Quantum einer Absonderung hängt von dem
Blute und von dem Baue des Absonderungsorgans ab. Verschieden
gebaute Drüsen können nie gleichartige Secrete liefern. Je reicher
das Blut an Secretionsstoffen ist, desto reichlicher werden diese in
den Secreten erscheinen. Hat deshalb eine Drüse durch Erkrankung
eine Zeitlang ihre secretorische Thätigkeit eingestellt, so häufen
sich die Stoffe, welche durch sie hätten entleert werden sollen, im
Blute an ; und beginnt die Drüse später wieder ihren regelmässigen
Geschäftsgang, so wird ihre Absonderung copiöser sein müssen.
Hierauf beruhen die von den Aerzten sogenannten kritischen Aus-
leerungen.
2. Je dünner das Blutplasma ist, desto leichter wird dessen
Exosmose und Endosmose. Die Secretionen werden deshalb durch
jene Umstände vermehrt, welche eine grössere Verdünnung der
Blutmasse bedingen, wie z. B. durch Trinken und Baden. Dass
die Secretionen in diesem Falle an ihren specifischen Stoffen nicht
gehaltreicher werden, versteht sich von selbst. Eindickung das
Blutes durch Wasserverlust mittelst Schweiss und copiöser seröser
Absonderungen, wird auf den Gang der Secretionen in entgegen-
gesetzter Weise einwirken , also Verminderung derselben , und
relatives Ueberwiegen der specifischen Secretionsstoffe herbeifuhren.
So erscheint bei Kranken, welche viel schwitzen und wenig trinken,
der Harn gesättigt und trübe, als Urina cruda der alten Aerzte.
— Ein allgemeiner, aber sehr irriger Glaube vermeint, dass man
in den Dampfbädern schwitzt. Das Wasser, welches die Ober-
§. 92. Allgemtine Bemerkungen Aber die Absondernngen. 249
fläche des Körpers im Dampf bade überzieht , ist kein Schweiss,
sondern ein Niederschlag des umgebenden Dampfes auf die
kältere Haut.
3. Die Zahl, Weite, und Verlaufsrichtung der Capillarge&sse
einer Drüse, haben insofern auf die Secretion Einfluss, als sie die
Menge des Blutes, welches zur Absonderung dient, die Geschwindig-
keit seiner Bewegung, und den Druck, unter welchem es strömt,
bedingen. Drüsen, welche reich an weiten Capillargefassen sind,
werden copiösere Absonderungsmengen liefern, und je geschlängelter
der Verlauf der Capillargefässe ist, desto länger wird das Blut in
der Drüse verweilen , und desto grösser wird auch der Druck
werden, der den Austritt seines Plasma bestimmt. Das blutgefclss-
arme Parenchym des Hoden und der Vorsteherdrüse lässt keine
reichlichen Secretionen erwarten, während der Reichthum an Capillar-
gefassen, durch welche sich die Leber, die Niere, die Speichel-
drüsen auszeichnen, mit den grossen Secretionsmengen dieser Drüsen
innig zusammenhängt.
4. Da zu jeder Drüse gleichbeschaffenes arterielles Blut ge-
langt, aus welchem in den einzelnen Drüsen verschiedene Stoffe
bereitet werden, so kann die Mischung des venösen Blutes nicht in
allen Drüsen dieselbe sein. Da dasselbe auch für das Venenblut
der verschiedenen Organe des thierischen Leibes gilt, deren jedes
einzelne dem Blute nur solche Bestandtheile entzieht, welche es zu
seiner individuellen Ernährung benöthigt, so begreift sich, dass in
den Hauptstämmen des Venensystems sehr verschieden beschaffene
Blutströme zusammenlaufen, welche gleichförmig gemischt werden
müssen, bevor sie in die Lunge gebracht werden. Vermuthlich
erklärt sich hieraus die stärkere Entwicklung der genetzten Muskel-
schichte der rechten Herzvorkammer, deren die linke, als Sammel-
platz des gleichförmig gemischten arteriellen Lungenblutes, nicht
bedurfte. — Zu den meisten Secretionen wird nur arterielles Blut
verwendet. Die Theilnahme des venösen Blutes am Absonderungs-
geschäfte tritt nur in der Leber evident hervor. — Unterbindung
der zuführenden Arterie einer Drüse, bedingt nothwendig Stillstand
ihrer Function.
5. Alle Secretionen stehen unter dem Einflüsse des Nerven-
systems. Wir kennen diesen Einfluss schon im Allgemeinen durch
die tägliche Erfahrung, dass Gemüthsbewegungen und krankhafte
Nervenzustände, die Menge und Beschaffenheit der Absonderungen
ändern. Es ist bekannt, dass Aerger einer Säugenden, durch die
veränderte Beschaffenheit der Milch, dem Säuglinge Bauchzwicken
und Abweichen zuziehen kann, und ebenso, dass Furcht oder ängst-
liche Spannung des Gemüths die Harnsecretion , Appetit die
250 §. 9S. Allgeaeina Bemerknngen flb«r die Abtondernngeu.
Speichelsecretion , wollüstige Vorstellungen die Absonderung des
männlichen Samens vermehren. — Besondere Nervenerregungen
wirken auf besondere Drüsen, der Zorn auf die Leber, die Geilheit
auf die Hoden , Furcht auf die Nieren , Appetit auf die Speichel-
drüsen , Trauer und Schmerz auf die Thränendrüsen , während
Heiterkeit und Frohsinn, wie sie der Wein erzeugt, auf alle Secre-
tionen bethätigend einwirken. In dieser Hinsicht wird der Alkohol-
gehalt des Blutes ein besonderer Reiz für die einzelnen Secretions-
organe, und alle Reize steigern die organischen Thätigkeiten. Wie
so Gemüthsbewegungen eine plötzliche qualitative Aenderung der
Secrete, und schädliche, ja giftige Eigenschaften derselben setzen
können, liegt jenseits aller Vermuthungen.
6. Die quantitativen Aenderungen der Secretionen, Ver-
mehrung und Verminderung, oder Unterdrückung, sind leichter
erklärbar, wenn man bedenkt, dass die Poro^tät der Gefilss-
wandungen, und die auf ihr beruhende Möglichkeit des Durch-
schwitzens, von dem Einflüsse der motorischen Drüsennerven ab-
hängt. Da gewisse Ganglien, welche Nerven zu den Drüsen schicken,
durch die in ihnen entspringenden Nervenfasern, als selbstständige
Nervencentra der Drüsen gelten, so werden die Erfahrungen erklär-
bar, laut welchen, nach der, „mit der grössten Schonung" aus-
geführten Zerstörung des Cerebrospinalsystems bei Thieren, die
Secretionen, wenn auch vermindert, noch fortdauerten (Bidder,
Valentin, Volkmann).
7. Im Leben ist die Membran der Drüsen kanälchen , wie alle
thierischen Membranen überhaupt, nur für bestimmte Stoffe permeabel.
Nach dem Tode schwitzt Alles durch, was im Wasser löslich ist.
Einen guten Beleg hiefür liefert die Gallenblase, welche im lebenden
Thiere ihren Inhalt nicht durch Exosmose austreten lässt, während
im Cadaver die ganze Umgebung derselben, Bauchfell, Darmkanal,
Netz, gelb getränkt wird.
8. Jede Reizung einer Drüse vermehrt den Blutandrang zur
Drüse, und dadurch ihre Absonderung. Übt stimultis, ibi congestio et
secretio aucta, lautet ein uralter und noch immer wahrer Aphorismus.
Wird der Blutandrang zur Drüse bis zur Entzündung gesteigert,
welche die Capillargefösse durch Blutcoagula verstopft, so muss
die Secretion abnehmen, und endlich unterbleiben. Findet sich
eine andere Drüse von gleichem Baue vor, so kann sie vicariirend
wirken. — Wird die Gallenbereitung in der lieber unterbrochen,
so kann der im Blutplasma enthaltene Farbstoff der Galle, in allen
übrigen Geweben, welche mit Blutplasma getränkt werden, zum
Vorschein kommen , und Gelbsucht entstehen , so wie , nach
Unterbrechung der Harnsecretion, die Schweiss- und Serumbildung
§. 92. Allgmueine Bemerkungen Aber die Abiondeningen. 251
den urinösen Charakter, der schon durch den Geruch sich verräth,
annehmen. Wirkt die Steigerung Einer Secretion vermindernd auf
eine andere ein, so sagt man, beide stehen in einem antagonistischen
Verhältnisse. So wird die Milchsecretion durch vermehrte Darm-
absonderung (Diarrhöe) , die Harnsecretion durch Schweiss , die
Serumausschwitzung im Bindegewebe (Wassei*sucht) durch urin-
ti'eibende Mittel vermindert. Die ärztliche Behandlung so vieler
Absonderungskrankheiten basirt auf dem Antagonismus der Secre-
tionen.
9. Die Absonderung findet nicht blos in den Acini der baum-
fbrmig ramificirten Ausfuhrungsgänge statt. Sie ist vielmehr an
der ganzen inneren Oberfläche des verzweigten Ausführungsganges
thätig. — Die Secrete erleiden während ihrer Weiterbeförderung
durch die Ausfuhrungsgänge, eine Veränderung ihrer Mischung,
welche zunächst als Eindickung oder Concentration erscheint. In
den Nieren tritt dieses am deutlichsten hervor, da der Harn um so
concentrirter wird, je näher er der Harnröhre kommt. Eben so ist
der Same im Vas deferens dicker als jener der Hodenkanälchen, in
welchen sich noch keine Samenthierchen vorfinden.
10. Viele Drüsen, welche fortwährend absondern, haben an
ihren Hauptausführungsgängen grössere Nebenreservoirs angebracht,
in welchen die abgesonderten Flüssigkeiten entweder blos bis zur
Ausleerungszeit aufbewahrt, oder auch durch Absorption ihrer
wässerigen Bestandtheile , und durch Hinzufügung der Abson-
derungen der Reservoirs selbst, in ihrer Zusammensetzung verändert
werden (Gallenblase , Samenblase , Harnblase). Wird die Aus-
sonderung des Secretes längere Zeit unterlassen, so sind die Drüsen-
kanäle damit überfüllt, und es kann keine fernere Absonderung vor
sich gehen.
11. Langer Secretionsstillstand hebt die Absonderungsfahigkeit
der Drüsen ganz und gar auf, wie im Gegentheile häufigere natur-
gemässe Entleerungen derselben, ihre secretorische Thätigkeit durch
Uebung stärken. So kann das anfangs einem gesunden Menschen
gewiss schwer fallende Gelübde der Keuschheit, mit der Zeit leicht
zu halten sein, während andererseits häufige Begattung für gewisse
Temperamente eine Gewohnheit, und wohl auch eine Nothwendigkeit
werden kann.
12. Krankhafte Vermehrung der Absonderung kann auf zwei-
fache Weise entstehen : durch Reizung, oder durch örtliche Schwäche.
Im ersten Falle wird das Seeret keine Mischungsänderung erleiden,
im zweiten dagegen werden seine wässerigen Bestandtheile präva-
liren. So ist häufiges Schwitzen Folge örtlicher Schwäche der Haut,
und die Mischung aller krankhaften Profluvien (Samen-, Speichel-,
252 §. 98. Allgemeine Bemerkungen über die Abeondenmgen.
Schleimflüsse y etc.) ist arm an plastischen ^ reich an wässerigen
Bestandtheilen. — Bei Krankheiten^ welche mit Abzehrung, allge-
meinem Verfalle , und Entmischung der Blutmasse einhergehen,
können alle Secretionen zugleich profus und wässerig werden.
Ein solennes Beispiel davon giebt die Lungensucht, mit ihren er-
schöpfenden Schweissen , Durchfallen , örtlicher und allgemeiner
Wassersucht.
ZWEITES BUCH.
Vereinigte Knochen- und B&nderlehre.
§. 93. Object der Knochen- und Bänderlehre.
Die vereinigte Knochen- und Bänderlehre, Osteo-Syiides-
mologia, beschäftigt sich mit der Beschreibung der Knochen, und
der sie zu einem beweglichen Ganzen — Skelet — vereinigenden
organischen Bindungsmittcl : der Bänder. Ihr Object ist das natür-
liche Skelet (Sceleton naturale), zum Unterschiede vom künstlichen
(Scdeton artificiale), dessen Knochen nicht durch natürliche Bänder,
sondern durch beliebig gewählte Ersatzmittel derselben, Draht,
Leder- oder Kautschukstreifen, mit einander verbunden sind. Da
weder die Knochen, noch die sie vereinigenden Bänder, einer selbst-
thätigen Bewegung fähig sind, und sie nur durch die von aussen
her auf sie wirkenden Muskelkräfte veranlasst werden, aus dem
Zustande des Gleichgewichtes zu treten, so können sie, den activen
Muskeln gegenüber, auch als passive Bewegungsorgane auf-
gefasst werden.
Die im gewöhnlichen Leben übliche Bezeichnung der Haupt-
formbestandtheilc des menschlichen Leibes : als Kopf, Rumpf, obere
und untere Gliedmassen, ist auch in die Wissenschaft übergegangen,
welche von den Knochen des Kopfes, des Rumpfes, der oberen und
unteren Gliedmassen, als Hauptabtheilungen des Skelets, handelt.
Die Gcsaramtzahl der Knochen wird von verschiedenen Autoren
sehr verschieden angegeben, je nach dem sie einen Knochen, der
aus mehreren Stücken besteht, für Einen Knochen, oder für so
viele zählen, als er Stücke hat. Wenn man Brust- und Steissbein
als einfache Knochen rechnet, so besteht das menschliche Skelet?
mit Einschluss der Zähne und Gehörknöchelchen, aber ohne Sesam-
beine, aus 240 Knochen. Ein alter Gedächtnissvers giebt sie auf
228 an:
,, Ossibus ex denisy bis centenisqtie novenis,^^
Ob das Wort Skelet von cx^XXw (austrocknen) stammt, ist
zweifelhaft. Herodot spricht nämlich von einem sole aridum et
256 f • M* Objeet der Kaoehan- vnd Biadtrlekn.
exsiccatum cadaver, welches die Aegyptier bei ihren Festgelagen, als
Sinnbild der Vergänglichkeit, jedoch rosenbekränzt, aufstellten, und
mit dem Rufe begrüssten: edite et hihite — post mortem tales eritis.
— Skelet kann auch von oxeXo?, Schenkel, abgeleitet sein, denn
der grösste Knochen des Schenkels ist auch der grösste Knochen
des Skeletes, und kann ihm seinen Namen gegeben haben. Dann
wäre richtiger: Skelet, anstatt Skellet oder Skelett zu schreiben.
Da aber (jxeXXo), austrocknen, auch oxeXeo) geschrieben wird, ent-
behrt die Interpretation des Wortes Skelet nach Herodot, nicht
aUer Begründung.
Die Römer gebraachten für Skelet das Wort Larva, welcher Aasdnick
zugleich die Seelen böser Menschen bezeichnet, welche anstät und flüchtig auf
der Erde herumirren. Diese Larvae wurden aber als Skelete gedacht und dar-
gestellt So sagt Seneca: Nemo tarn puer est, tU cerberum timecU, et tenebras, et
larvarum habüum, nudis oanbus cohaererUium (Epiat, XXIV,), — Der ägyptische
Gebrauch : Skelete, und zwar künstlich bereitete (larwu), auf die Tafel zu bringen,
um die Theilnehmer des Gelages zum heiteren Lfebensg^nuss zu stimmen, g^g
auch auf die Römer über, wie ich aus der Stelle des Petronius Arbiter er-
sehe: potanUbus ergo, larvata argenteam attulU »ervus, nc aptatam, ut articuli
ejtu vertebraeque m omnem partem moverentur, Trimulcio adjecU:
Heu! heu! nos miaeroa, qtuun totua homundo nü est!
Sic erimus cuncU, postquam nos auferet Orctis.
Ergo vivamus, dum licet esse bene.
In diesen Worten lieget doch gewiss die Quinta essenäa aUer Lebens-
Philosophie.
Zur Empfehlung der Osteolog^e diene Folgendes. Eine genaue Kenntniss
des Knochensjrstems macht sich in doppelter Hinsicht nützlich. Erstens in ana-
tomischer, da man in dem Studium der Anatomie keinen Schritt vorwärts machen
kann, ohne beständig auf die Knochen zurückzukommen, welche als Schutz- und
Stützgebilde zu den übrigen Bestandtheilen des menschlichen Körpers in den
innigsten Beziehungen stehen ; zweitens in praktischer Hinsicht, da alles Erkennen
und alles Behandeln einer grossen Anzahl chirurgischer Krankheiten, ohne richtige
Vorstellung von den mechanischen Verhältnissen der Knochen, unmöglich ist.
Ich kenne die Abbildung einer alten Gemme, in welcher ein griechischer Priester
die Hand eines vor ihm stehenden Skeletes in jene der Hygiea legt, während ein
fliegender Genius über beide seine Fackel schwingt. Wahrlich ein schönes und
tiefes Symbol der innigsten Verbindung der Heilkunde mit der Osteologie.
Hippokrates, der Ahnherr der Heilkunde, welcher dem Delphi'schen Apoll ein
aus Erz geformtes menschliches Skelet verehrte, hat schon vor dritthalb tausend
Jahren seinem Sohne Thessalus die Lehre gegeben, sich mit dem Studium der
Geometrie und Arithmetik, zum besseren Verständniss der Knochenlehre zu be-
schäftigen (^dit Littr^, vol. IX. pag. 392), und Galen sandte seine Schüler mit
den römischen Legionen nach Deutschland, um an den Leichen erschlagener
Germanen, sich jene osteolog^schen Kenntnisse zu holen, welche bei der Sitte der
Römer, ihre Leichen zu verbrennen, zu Hause nicht erworben werden konnten.
Bei keinem Systeme bietet sich die Gelegenheit, die Nutzanwendungen der
Anatomie im Schulvortrage anschaulich zu machen, so reichlich dar, wie im
Knochensysteme, und wichtige praktiache Wahrheiten können, ohne alle specielle
Kenntniss der chirurgischen Krankheitslehre, an die Schilderung der Knochen
§. 94. EintlMilimg der Koi»fknoclMii. 257
angeknüpft werden. Es lässt sich vor dem Skelet bestimmen, welche Knochen
hfiofi^ oder selten, und unter welchen Umständen sie brechen, welche Gelenke
den Verrenkungen, und welchen Arten von Verrenkungen sie unterliegen, welche
Verschiebung der Muskelzug an gebrochenen oder verrenkten Knochen bedingen
wird, and welche mechanische Hilfe dagegen in Anwendung zu bringen ist. Die
Osteologie lehrt fürwahr die Chirurgie der Fracturen und Luxationen, aber in
anatomischen Worten.
Ueberdies schätzen wir zugleich in der Osteologie einen Abschnitt der
Anatomie, dessen Erlernung nicht durch jene Unannehmlichkeiten erschwert wird,
denen die Behandlung der weichen, bluthaltigen, der Fäulniss unterliegenden
Weichtheile unseres Leibes, in den Secirsälen nicht entgehen kann. Ein gut be-
reitetes Skelet soll, so möchte ich es wünschen, ein friedlicher Mitbewohner Jeder
medicinischen Stndirstube sein. Seine stumme Gesellschaft würde sich zuweilen
nützlicher, und sein Umgang belehrender herausstellen, als jener eines lebendigen
Contubemalen.
A. Kopfknochen.
§. 94. Eintheilung der Kopfknochen.
Allgemein wird es zugegeben, dass die wahre Hauptsache der
Osteologie, der knöcherne Kopf ist. Seine Grösse und Gestalt wird
durch den Zusammentritt von 22 Knochen bedingt, welche, mit
Ausnahme eines einzigen , des Unterkiefers , fest und unbeweglich
zusammenpassen, und, weil ihrer viele in die Kategorie der breiten
und flachen Knochen gehören, die Wandungen von Höhlen bilden,
die zur Aufnahme des Gehirns und der Sinnesorgane dienen. Es
ergicbt sich schon hieraus die Eintheilung des Kopfes in den Hirn-
schädel oder die Hirnschale (cranium, im Mittelalter <Äeca cereftn,
seltener auch oUa capitis) ^ und in das Gesicht (Feldes), Die Hirn-
schale wird aus 8 Schädelknochen (Ossa cranü), das Gesicht
aus 14 Gesichtsknochen (Ossa faciei) zusammengesetzt, welche
Unterscheidung mehr praktisch geläutig, als wissenschaftlich ist,
indem gewisse Schädelknochen auch an der Zusammensetzung des
Gesichtes Theil nehmen, und einer derselben, das Siebbein, mit
Ausschluss eines sehr kleinen Theiles seiner Oberfläche, ganz dem
Gesichte angehört.
Calvaria bezieht sich eigentlich nur auf das Schädeldach, und stammt von
calvtts, kahl, der Glätte des Schädeldaches wegen. — Craniwn ist kein römisches
Wort, und findet sich deshalb bei keinem classischen Schriftsteller. Es wurde von
den Anatomen des Mittelalters gebildet aus dem griechischen xdipT) (synonym mit
x£9aXri), welches aucli als xoiprjvov und xpavfov bei Homer vorkommt, woraus sich
cramium ergiebt. — Bei Ausonius lesen wir zuerst tetta für Hirnschale. Das
italienische testay und das französische tJ^, für Kopf, schreibt sich daher. Das
lateinische ca/put aber stammt, wie Varro an Cicero schrieb, daher, quod nervi
et seMus hinc initium capiatU. Mag sein.
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aafl. 17
258 I- 95. AllfMMiBe Eigraickaften d«r SekÜelknoekea.
a) Öchädelknochen.
§. 95. Allgemeine Eigenschaften der Schädelknoclien.
Die knöcherne Hirnschale wird in das Schädeldach (Cal-
varia, Fomix cranüj bei Plinius: coelum capitis), und in den
Schädelgrund (Basis cranii) eingetheilt. Letzterer fuhrt seiner
kahnfbrmigen Gestalt wegen, bei den griechischen Autoren den
Namen oxa^tov. Beide setzen, als hohle, mehr weniger unregelmässige
und oblonge Halbkugeln, das knöcherne Gehäuse des Gehirns, die
Acropolis der menschlichen Seele, zusammen.
Die Schädclknochcn werden in die paarigen und unpaarigen
eingetheilt. Paarig sind die beiden Scheitelbeine und Schläfe-
beine. Sie liegen symmetrisch rechts und links von der verticalen
Durchschnittsebene des Schädels, und bilden den grössten Theil der
oberen und seitlichen Wand desselben. Unpaarig sind: das Hinter-
hauptbein, Keilbein, Stirnbein, und Siebbein, welche sich
an der Bildung der hinteren, der vorderen, und der unteren Wand
des Schädels betheiligen.
Die paarigen Schädelknochen erzeugen durch ihre Vereinigung
einen, von einer Seite zur anderen über den Scheitel weggehenden
Bogen, dessen Coiicavität nach unten sieht. Die unpaarigen setzen
dagegen einen von vorn nach hinten unter der Schädelhöhle laufen-
den Bogen zusammen, dessen Concavität nach oben gerichtet ist.
Beide Bogen schliessen durch ihr Ineinandergreifen die Schädel-
höhle vollkommen ab, und bilden die ovale Schale derselben (Hirn-
schale). Jedes Stück dieser Schale, also jeder Schädelknochen, muss
demnach einen breiten, convex-concaven, also wieder schalenförmigen
Knochen darstellen, dessen convexe Fläche nach aussen, dessen
concave Fläche nach dem Gehirne sieht. Diese Schalenform fallt an
gewissen Schädelknochen (z. B. Stirnbein, Seitenwand- und Hinter-
hauptbein) schon auf den ersten Blick auf; bei anderen (z. B. Keil-
und Schläfebein) kommt sie nur gewissen Bestandtheilen dieser
Knochen zu, und bei Einem derselben, dem Siebbein fehlt sie
gänzlich. — An allen Schädelknochen, deren Substanz an bestimmten
Stellen zu Höckern (Tubera) verdickt erscheint, entsprechen diese
Höcker den ersten Ablagerungsstellen von Knochenerde im embryo-
nischen Leben (Pimcta osdficationisj. Die Höcker werden deshalb
von den englischen Anatomen, obwohl nicht ganz passend, Processus
primigenii genannt.
Jeder Knochen der Hirnschale besteht aus zwei compacten,
durch Einschub schwammiger Knochenmasse — Diploe (von SizXco^,
doppelt) — getrennten Platten oder Tafeln, deren äussere, dickere,
§. 95. Allgemeine Eigeoscliftften dw Schftdellcnochen. 259
die gewöhnlichen Merkmale compacter Knochensubstanz besitzt^
deren innere, dünnere, und an Knochenknorpel ärmere, ihrer
Sprödigkeit und dadurch bedingten leichteren Brüchigkeit wegen,
den bezeichnenden Namen der Grlastafel, Tabula vitrea, erhielt.
Ein Schlag auf den Schädel kann deshalb die innere Knochentafel
brechen, während die äussere ganz bleibt, und sind beide gebrochen,
kann die Bruch richtung in beiden eine verschiedene sein. — Da
die Schädelhöhle durch das Gehirn ausgefüllt wird, so müssen die
an der Oberfläche des Gehirns vorkommenden, vielfältig ver-
schlungenen Erhabenheiten und Vertiefungen, sich an der inneren
Tafel der eben im Entstehen begriflfenen, und deshalb weichen
Schädelknochen gewissermassen abdrücken, wodurch die sogenannten
Y ingev^ivi dir xLQ\iQ ([m/presdones digitatae), und die dazwischen vor-
springenden Erhöhungen (Joga cerehralia) bedungen werden.
Die Diploe der Schädelknochen lässt wohl einen Vergleich
mit den Markhöhlen langröhriger Knochen zu, enthält aber nicht,
wie diese, consistentes Mark, sondern ein dünnes, mit Fetttröpfchen
gemischtes Fluidum, welches in der Tjeiche durch aufgelöstes Blut-
roth roth tingirt erscheint. Die Diploe ist arm an Arterien, aber
sehr reich an weitmaschigen Venennetzen. Die Venen der Diploe
sammeln sich zu grösseren Stämmen, welche in besonderen, baum-
fbrmig verzweigten Knochenkanälen der Diploe, Canales Breschetiy
verlaufen, und zuletzt die äussere oder innere Tafel des Knochens
durchbohren, um in benachbarte äussere oder innere Venenstämme
einzumünden.
An gewissen Gegenden des Schädels, welche nur von wenig
Weichtheilen bedeckt werden, wie das Schädeldach, stehen die
beiden Tafeln der Schädelknochen, wegen stärkerer Entwicklung
der Diploe, weiter von einander ab, und sind auch absolut dicker,
als an jenen Stellen , welche durch Muskellager bedeckt , und da-
durch vor Verletzungen geschützt werden, wie die Schläfen- und
untere Ilinterhauptgegend. Hier wird die Diploe sogar stellenweise
durch die bis zur Berührung gesteigerte Annäherung beider Tafeln
gänzlich verdrängt, und diese Tafeln verdünnen sich zugleich so
sehr, dass der Knochen durchscheinend wird. Auch an jenen Wänden
der Schädelhöhle, welche diese von anstossenden Höhlen des Ge-
sichts, den Augenhöhlen und der Nasenhöhle, trennen, tritt aus
gleichem Grunde eine bedeutende Verdünnung derselben auf. — Im
höheren Alter schwindet die Diploe im ganzen Umfange des Schädels,
und die beiden Tafeln der Schädelknochen, deren Dicke gleichfalls
abnimmt, verschmelzen zu einer einfachen Knochenschale , deren
relative Dünnheit und Sprödigkeit, die Gefiihrlichkeit der Schädel-
verletzungen im Greisenalter erklärt.
17»
260 §. 96. Hinterhauptbein.
Die Verbindungsränder der Schädelknochen sind entweder mit
dendritischen Zacken besetzt^ durch deren Ineinandergreifen eine
wahre Naht, Sutura vera 8, Syntcads serrata, zu Stande kommt, oder
scharf auslaufend, zum wechselseitigen Uebereinanderschieben, als
Suiura spuria 8, sgtuzmosa, oder rauh und uneben, um der sie ver-
bindenden Knorpelsubstanz eine grössere Haftääche darzubieten.
Nur die äussere Fläche der Schädelknochen wird von einer
wahren Beinhaut (Pericranium) überzogen, welche auch über die
Nähte wegstreicht, faserige Verlängerungen in dieselben hineinsenkt,
und deshalb von ihnen nur schwer abgelöst werden kann. An der
inneren Fläche des Schädels fehlt sie, und wird durch die harte
Hirnhaut vertreten.
Alle Schädelknochen werden von Löchern oder kurzen Kanälen
durchbohrt, welche Nerven oder Geissen zum Durchtritt dienen.
Die Nervenlöcher finden sich bei allen Individuen unter denselben
Verhältnissen, und fehlen nie. Die Qefasslöcher sind, wenn sie
Arterien durchlassen, ebenfalls constant. Wenn sie aber zum Durch-
tritt von Venen dienen, welche als sogenannte Erm88aria Santorini
eine Commuuication der inneren Kopfveneu mit den äusseren unter-
halten, unterliegen sie an Grösse und Zahl, mannigfaltigen Ver-
schiedenheiten, und fehlen auch zuweilen gänzlich. Die Emissaria
wurden von dem berühmten Domenico Santorini in Venedig
(tUustrü an(Uomicu8 nennt ihn Halle r) entdeckt, und in dessen
Observationes anat. VeneL 1724, beschrieben. Von den Römern wurde
das Wort Emüsarium, für Abzugskanäle stehenden Wassers gebraucht.
Cicero, ad Farn, XVL 18.
Je weniger ein Schädelknochen an der Bildung anderer Höhlen Antheil
nimmt, desto einfacher ist seine Gestalt, und somit auch seine Beschreibung;
je mehr er an der Begrenzung anderer Höhlen Theil hat, desto complicirter wird
seine Form.
Da man sich selbst aus den wortreichsten Beschreibungen der Knochen
überhaupt, besonders aber einiger Kopf knochen, kaum eine riclitige VorsteUung von
ihrer Gestalt bilden kann, so wird es für ein nützliches Studium der Osteologie zur
unerlässlichen Bedingung, die einzelnen Knochen in natura vor Augen zu halten.
Abbildungen geben nur schlechten Ersatz. Das Besehen der Knochen lehrt sie
besser kennen, als das Lesen ihrer Beschreibimgen. £inen Knochen nur aus seiner
Beschreibung sich so richtig vorzustellen, dass man ihn nachbilden könnte, ist
unmöglich.
§. 96. Hinterhauptbeiii.
Das Hinterhauptbein, Os ocdpitü*) (os puppü, auch oi
memoriae bei den Arabisten, aus dem plausiblen Grunde^ dass man
*) Da das Hinterhauptbein, um die Zeit der Geschlechtsreife, mit dem
znnlchst vor ihm liegenden Keilbein, durch Synostose verwächst, so fand sich
§. 96. Hinierliaaptb«iii. 261
sich beim Besinnen, hinter den Ohren kratzt), wird zur fasslicheren
Beschreibung in vier Stücke eingetheilt, welche sind: 1. der Gnind-
theil^ Pars basäaris; 2. der Hinterhaupttheil, Pars occipitalis; 3. und
4. zwei Gelenktheile , Partes condyloideae. Diese vier Stücke sind
um das grosse ovale Loch des Knochens — F(yramen occipitale
magnumi — so gruppirt, dass der Grundtheil vor, der Hinterhaupt-
theil hinter demselben, die beiden Gelenktheile seitwärts von ihm
zu liegen kommen. Am Hinterhauptbeine neugeborner Kinder, und
mehrerer Thiere durch's ganze Leben hindurch, sind diese vier
Stücke blos durch Knorpel zusammengelöthet, und lassen sich leicht
durch Maceration von einander trennen. Die Eintheilung des voll-
kommen ausgebildeten Knochens in vier Stücke, beruht somit auf
der Entwicklung desselben.
L Der Grundtheil vermittelt die Verbindung des Hinter-
hauptbeines mit dem Keilbeine. Er verknöchert unter allen Kopf-
knochen zuerst, und stösst mit seiner vorderen rauhen Fläche, an
den Körper des Keilbeins, welcher unmittelbar nach ihm ossificirt.
Eine zwischenliegende Knorpelscheibe verbindet beide, verschwindet
jedoch vom 15. Lebensjahre an, und weicht einer soliden Ver-
schmelzung durch Knochenmasse, so dass beide Knochen von nun
an, nur gewaltsam durch die Säge von einander getrennt werden
können. Die obere Fläche des (ürundtheilcs bildet eine gegen das
grosse Hinterhauptloch abfallende Rinne. Die untere ist fiir Muskel-
ansätze rauh und gefurcht, und durch eine longitudinale Leiste
(Crista basilaris) getheilt, deren Stelle zuweilen ein abgerundeter
Höcker vertritt, welcher, da er zur Befestigung eines fibrösen Streifens
in der hinteren Rachenwaud (Phar/pix) dient, Tuberculum phart/ngeum
genannt wird. Die Seitenflächen sind rauh, für die Anlagerung der
Schläfebein-Pyramiden.
2. Der Hinterhaupttheil, auch Hinterhauptschuppe ge-
nannt, bildet ein sclialenforniiges , dreieckiges, mit stark gezahnten
Seitenrändern versehenes Knochenstück, an welcliem sich eine vor-
dere concave, und eine hintere convexe Fläche findet. An der
vorderen Fläche ragt in d(*r Mitte die Protuherantia occipitalis
interna hervor, als Durchkreuzungspunkt einer senkrechten und
zweier querlaufenden Linien, welche die Eminentia cruciata intetma
zusammensetzen. Der senkrechte Schenkel des Kreuzes zeigt sich
unterhalb der Querlinien besonders scharf und vorspringend, und
heisst deshalb auch Crista occipitalis interna. In der Regel spaltet
Sömmerrinp: veranlasst, beide Knochen als Einen ziusamnienzufaspen, und diesen
als Os fxisilare oder apheno-oci'ipHalo zu benennen. Mundinus und seine Anhänger,
deren Vorötellnngen über die Knochen der Hirnschale, iiusserst mangelhaft waren,
hielten alle am Schädelgrunde gelegenen Knochen, für einen einzigen, und nannten
diesen Oa haaUare.
262 §. 96. Hinterhauptbein.
sich diese Crista, während sie zum grossen Hinterhauptloch herab-
zieht, gabelfönnig. Die beiden Querschenkel fassen eine Furche
zwischen sich, den Sulcus transversus, dessen rechte Hälfte häufig
tiefer als die linke gefunden wird, und sich von der Protuberantia
an, nach oben als Sulcus longitudinalis verlängert. Die Sulci dienen
zur Aufnahme gleichnamiger Blutleiter der harten Hirnhaut. Durch
die kreuzförmige Erhabenheit zerfallt die vordere Fläche der Schuppe
in vier Gruben, von welchen die beiden oberen, die Enden der hin-
teren Lappen des grossen Gehirns, die beiden unteren, die zwei
Hemisphären des kleinen Gehirns aufnehmen. Die unteren heissen
deshalb^bei den Anatomen alter Schule, auch Camerae cerebdli. Hält
man den Knochen gegen das Licht, so erblickt man ein, gegen
diese vier durchscheinenden Gruben dunkel abstechendes Kreuz.
Die Knochenwand der unteren Gruben ist dünner, als jene der
oberen, und im decrepiden Greisenalter selbst absolut dünner, als
beim neugebomen Kinde. — An der hinteren Fläche der Schuppe
bemerkt man die zuweilen auffallend stark entwickelte, und am
Lebenden durch die Haut gut zu fühlende Protuberantia ocdpitalis
externa, welche der inneren nicht entspricht, sondern etwas höher
steht, als diese. Sie schickt zum Hinterhauptloche die Crista occi-
püaiis externa herab, welche durch die beiden quergerichteten Lineae
arcuatae s. semidrcvlares extemae durchschnitten wird. Letztere
fallen nur bei Schädeln muskelstarker und bejahrter Individuen auf,
bei welchen auch die Protuberantia externa entsprechender Ent-
wicklung sich erfreut. — Jeder der beiden Seitenränder, welche an
der Spitze des Hinterhaupttheils zusaramenstossen (wie die beiden
Schenkel eines griechischen A.), zerfallt in ein oberes längeres
Segment (Margo lambdoideus) , zur Verbindung mit dem hinteren
Rande des Seiten wandbeins, und in ein unteres kürzeres, weniger
gezacktes (Margo maatoideus), zur Verbindung mit dem Warzentheil
des Schläfebeins.
3. und 4. Die beiden Gelenk- oder Seitcntheile verbinden
den Grundtheil mit der Hinterhauptschuppe. Man erwähnt an ihnen
eine obere und untere Fläche und zwei Seitenränder.
An der unteren Fläche beider Seitcntheile fallt uns ein ellip-
tischer, von vorn nach hinten convexer, überknorpelter Knopf auf.
Er heisst Processus condt/loldeus, von xdvoyXo;, eine harte Erhabenheit
(daher auch Condyloma), Mittelst dieser beiden Knöpfe articulirt der
Schädel mit dem ersten Halswirbel. Die Processus condyloidei beider
Seitcntheile convergiren mit ihren vorderen Enden , welche etwas
über den Rand des Hinterhauptloches hinausragen, und dessen
vorderen Umfang verschmälern. Vor und hinter den Processus con-
dyloidei befinden sich die sogenannten Foramina condyloidea , ein
vorderes und hinteres. Beide sind eigentlich kurze Kanäle, welche
§. 96. Hinterhaaplbein. 263
den Knochen schief nach oben durchsetzen. Das Foramen condij-
loideum anterius findet sich bei allen Individuen genau in denselben
Verhältnissen, da es ein höchst constantes Gebilde — das zwölfte
Gehirnnervenpaar — aus dem Schädel treten lässt. Fast regelmässig
mündet ein aus der Diploe des Knochens herstammender Venenkanal
in dasselbe ein. Das Foramen condyloideum posterius unterliegt, da
es nur ein wandelbares Emissamum Santarini durchlässt, allerlei Ab-
weichungen in Grösse und Lage, fehlt auch auf einer oder auf
beiden Seiten, oder verlängert sich in einen Kanal, welcher sich
über die obere Fläche der Seitentheile des üinterhauptbeins, bis in
die gleich zu erwähnende Incisura jugularis erstreckt, in welchem
Falle die obere Wand dieses Kanals sehr dünn, durchscheinend,
selbst durchbrochen gefunden wird. — Auf der oberen Fläche der
Seitentheile des Hinterhauptbeins, ragt der massig gewölbte Processus
anont/mus hervor. Die Bezeichnung anwtymus und iiinominatus wurde
von den älteren anatomischen Schriftstellern gewählt, um damit
auszudrücken, dass das betreffende Gebilde, bis zu ihrer Zeit, noch
keinen eigentlichen Namen erhalten hat. — Der innere glatte Rand
beider Seitentheile, bildet den Seitenrand des grossen Ilinterhaupt-
loches; der äussere Rand zeigt einen tiefen, halbmondförmig ge-
buchteten (xolf (Incisura jugularis) , an dessen hinterem Ende ein
dreiseitiger, etwas aufgekrümmter und stumpfer Fortsatz, als Pro-
cessus jugularis, zu erwähnen ist. Er wird bei oberer Ansicht von
einer halbkreisförmigen Furche für den Querblutleiter der harten
Hirnhaut umgeben. Die Furche führt in die Incisura jugularis,
Galen nannte das Hinterhauptbein to xar' tviov oarouv, der Knochen am
Genick. Os ptq^yw wurde es genannt, weil der aufgesägte Schädel einem Kahne
gleicht, dessen Hintertheil, jpuppUt, durch diesen Knoclien gebUdet wird, wie der
Vordertheil, prora, durch das Stirnbein, als Os prorae. — Indem in den unteren
Gruben der vorderen Fläche der Schuppe des Hinterhauptbeins, das kleine Gehirn
lagert, und diese» vor Alters alrt Sitz des Gedäclitnisses galt, entstand der Name
Oa menioriae. Die bei Mundinus und Vesal zu treffende Benennung: Os laitdae,
scheint aus Os InmfHlae entstanden zu sein.
Das Hinterhauptbein erscheint selbst an den wolilgebildetsten Schädeln
selten vollkommen symmetrisch, und bietet, nebst dem als ursprünglicher Ent-
wicklungsfehler auftretenden, tlieilweisen oder comjileten Mangel der Schuppe
beim Himbnich, folgende Spielarten dar: 1. Mehr weniger vollständiges Ver-
wachsensein mit dem ersten Halswirbel, als angeborne Hemmungsbildung (Assi-
milation), worüber Ausfülirliches vorliegt in Bockshammer's Diss. inaugtircdia ^
TtU). 1801. — 2. Auswärts vom Processus condj/loidetts wächst, einseitig oder beider-
seits , ein Fortsatz (Processus jmramastoidetis , richtiger paracondt/loidetisj nach
unten, welelier bis an den Seitentheil des ersten Halswirbels lierabreicht, und mit
ihm articulirt. Fälle dieser Art finden sich zusammengestellt von Uli de, im
Archiv für klin. Chirurgie. S. Bd. - 3. Von der Spitze der Schuppe, oder vom
Seitenrande derselben, läuft eine Fissur, als nicht verknöcherte, und im frischen
Zustande durch Knorpel verschlossene kleine Spalte, gegen die Protuherantia
txieriia. Kann für Fractur gehalten worden. Bei VerwundungsfäUen am Lebenden
264 §. 97. Keilbein.
wäre die Untencheidung leicht, d» eine Fractor blutet, eine angebome Spalte
aber nicht. — 4. Ein an der unteren Fläche der Paars condyhidea (an der Ansatz-
stelle des Mtuadua rectus capitis cmUcus lateralis) befindlicher, blasig gehöhlter
Fortsatz, welcher mit den Zellen des Processus mastoideus des Schläfebeins com-
monicirt, wurde als Processus pneumaticus von mir zuerst beschrieben (Quarterly
Review of Not. Hist. 1862, January). — 6. Die Schuppe wird durch eine quere,
höchst selten durch eine longitudinale Naht geschnitten. Das im ersteren Falle
Über der Quemaht gelegene Schuppenstttck, entspricht sodann dem Os inter-
parietale gewisser Säugethiere. — 6. In der Mitte der vorderen Peripherie des
grossen Hinterhauptloches findet sich eine kleine Gelenkgrube zur Articulation
mit der Spitze des Zahnfortsatzes des zweiten Halswirbels (kommt öfter vor, und
ist bei mehreren Säugethieren zur Regel erhoben). — 7. Als sehr seltene Bildnngs-
Abweichung des Hinterhauptbeins, und zugleich als interessante Thierähnlichkeit
(Vögel und beschuppte Amphibien), existirt in der Mitte des vorderen BCalbkreises
des grossen Hinterhauptloches ein kleiner, convexer und überknorpelter Höcker,
als ein dritter Gelenkknopf, welcher auf einer entsprechend ausgehöhlten flachen
Grube des vorderen Halbringes des Atlas spielt lieber diesen und andere söge-
• nannte accessorische Gelenkhöcker an der Pars basilaris des Hinterhauptbeins,
handelt Friedlowsky, im 60. Bande der Wiener akadem. Sitzungsberichte. —
8. Eine über der Linea seniidrcularis sup, an der Schup])e des Hinterhauptbeins
befindliche, bisher unbeachtet gebliebene oder irrig gedeutete Linie (Linea nuchae
supremaj, schildert ausführlich in allen Formen ihres Vorkommens F. Merkel
(Leipzig, 1871).
§. 97. Keilbein.
Complicirter , und schwerer zu beßchreiben als das Hinter-
hauptbein, ist das Keilbein, Os cuneiforme (Os sphenoideum, sphe-
coideum, vespiforme, cdatwm, polymorphon , pterygoideum , Os carincie,
Os colaiorü). Die gebräuchlichste von diesen Bezeichnungen ist:
Os sphenoideum, abgeleitet von a^ifjv, Keil, und 6t3o<;, Gestalt. Die
vielen Synonyma bezeugen es, dass die Gestalt des Knochens keine
einfache ist. Er wird zur Bildung des Grundes und der Seitenwand
der Schädelhöhle verwendet, und verbindet sich mit allen übrigen
Knochen der Hirnschale, und mit den meisten Knochen des Ge-
sichtes. Hiedurch wird seine Beschreibung sehr umständlich. Wir
geben nur das Wesentliche davon.
Die Einfalt der Alten sah in der Form dieses Knochens eine
Äehnlichkeit mit einem fliegenden Insecte, einer Wespe, woher die
jetzt noch übliche Eintheilung in Körper und Flügel stammt, und
die alten Namen os sphecoideum (von a^f^S, Wespe) und vespiforme,
verständlich werden. Der Name Keilbein, Os cuneiforme, (KptjvosiBe;
ioTO'jv bei Galen, entstammt nicht der Gestalt des Knochens, sondern:
quia cunei instar, caeteris ossibus calvariae interposltum sit (Spigelius).
a) Der Körper, der mittlere, in der Medianlinie des Schädel-
grundes liegende Theil des Knochens, ist keilförmig. Denkt mau
sich nämlich alle Flügel des Elnochens weggeschnitten, so hat der
S. 97. K«ilb€in. 265
zurückbleibende Körper eine Keilgestalt, indem seine obere Fläche
grösser, als seine untere ist, seine vordere und hintere Fläche somit
nach abwärts convergiren.
Der Keilbeinkörper schliesst eine Höhle ein, welche durch
eine verticale, häufig nicht symmetrisch stehende Scheidewand, in
zwei seitliche Fächer (Sintis sphenoidales) zerfällt. Er zeigt 6 Flächen,
oder besser Gegenden, von welchen die obere und die beiden seit-
lichen in die Schädelhöhle sehen, während die vordere und untere
gegen die Nasenhöhle gerichtet sind, und die hintere bei jüngeren
Individuen durch Knorpel an das Basilarstück des Hinterhaupt-
knochens angelöthet wird, bei älteren aber durch Knochenmasse mit
ihm verschmilzt. Die obere Fläche des Körpers ist sattelförmig
ausgehöhlt, Türkensattel (Sella turcica s, Epfdppium, von diut und
ncico<;, auf dem Pferde), zur Aufnahme des Gehimanhangs (Hypo-
phyfds cerebri). Die hintere Wand der Sattelgrube wird durch eine
schräg nach vorn ansteigende Knochenwand, die Sattcllehne,
Dorsum ephippä, gebildet, an deren Ecken die nach hinten und
aussen gerichteten, kleinen, konischen, und nicht immer deutlichen
Processus clinoidei postici aufsitzen. Die hintere Fläche der Sattel-
lehne geht in einer Flucht in die obere Fläche des Basilartheiles
des Hinterhauptknochens über, und bildet mit ihr eine abschüssige
Ebene — den sogenannten Clivus, Häufig findet sich vor der Sattel-
grube ein stumpfer Knochenhöcker, als Sattelknopf, Tuberculum
ephippii, und beiderseits von diesem, die sehr kleinen, meistens nur
als Höckerchen angedeuteten Processus clinoidei medii.
Nicht selten sieht man den Keilbeinkörper von Nengebomen, durch einen
Kanal perforirt, welcher vom Grunde des TürkensatteU, senkrecht zur unteren
Fläche des Körpers verlauft, und eine röhrenförmige, unten bUnd abgeschlossene
Fortsetzung der harten Hirnhaut enthält. Landzert beschrieb diesen Kanal als
Canalis cranw-phart/ngeus (Petersburger med. Zeitschr. 14. Bd.).
Die beiden Seitenflächen des Keilbeinkörpers zeigen eine
seichte, schräg nach vorn und oben im Bogen aufsteigende Furche
(Sulcus caroticiis) für den Verlauf der Hauptschlagader (Carotis) des
Gehirns. Diese Furche wird durch ein an der äusseren Lefze ihres
hinteren Endes hervorragendes Knochenblättchen (LingiUa s. Ligula)
nicht unerheblich vertieft. — Die vordere Fläche besitzt zwei,
durch eine vorspringende senkrechte Knochenplatte von einander
getrennte, un regelmässige OefFnungen , welche in die beiden seit-
lichen Fächer der Keilbeinhöhle führen. Diese senkrechte Zwischen-
wand der beiden Oeffnungen springt öfters als scharfer Schnabel
vor, und heisst dann Rostrum sphenoidale, — Die untere Fläche
des Keilbeinkörpers ist die kleinste. Ein medianer stumpfer Kamm,
als Crista sphenoidaiis, halbirt sie. Eine zu beiden Seiten der Crista
sphenoidalis vorkommende Längenfurche, wird durch die Ueber-
266 §. 97. Keilbein.
lagerung des später zu erwähnenden Processus sphenoifiaiis des Q-aumen-
beins^ zu einem Kanal geschlossen, als Canalis sphenopalatiniis.
h) Die Flügel des Keilbeins bilden drei Paare, welche in die
kleinen und grossen Flügel, und in die flügelartigen Fortsätze ein-
getheilt werden.
1. Paar. Kleine Flügel, Aloe minore» s, Processtis ensiformes.
Sie entspringen vom vorderen Theile der oberen Fläche des Kör-
pers, jeder mit zwei Wurzeln, welche das Sehloch (Foramen opti-
cum) zwischen sich fassen. Sie haben die Gestalt eines Krumm-
säbels, und liegen horizontal, mit einer oberen und einer unteren
Fläche, einem vorderen, geraden, massig gezackten, und einem
hinteren, concaven und glatten Rande. Das innere, nach der Sattel-
lehne gerichtete Ende derselben, heisst Processus dinoideus anterior,
welche Benennung von älteren Autoren auf den ganzen kleinen
Flügel übertragen wird. Und in der That kann dieser Flügel weit
eher mit einer xXi'vy] (Lager, Bett) verglichen werden, als die kleinen
sogenannten Processus clinoidei, von welchen die medii und posteriores
sehr unbedeutend sind, die medii selbst sehr oft fehlen. — Das
äussere spitzige Ende des kleinen Flügels erlangt zuweilen die
Selbstständigkeit eines besonderen, in die harte Hirnhaut eingewach-
senen Knöchelchens.
Die vorderen Känder der beiden kleinen Flügel gehen continuirlich in
einander über. An ihrer medianen Vereinigungsstelle ragt öfters ein unpaarer
spitziger Fortsatz hervor, welcher von einem Einschnitt des lünteren Randes der
Siebplatte des Siebbeins aufgenommen wird, und deshalb Spina elhmoidalis heisst.
Seitwärts von der Spina ethmoidalis kommen zuweilen die ihr ähnlichen, aber
kleineren, von Luschka als Aloe miiümae beschriebenen Knochenblättchen vor,
welche nur bei den Arten der Gattung Canis zu constanten Vorkommnissen werden.
2. Paar. Die grossen Flügel, Alae magna^, gehen von den
Seitenflächen des Körpers aus, und krümmen sich nach aus- und
aufwärts. Man unterscheidet an ihnen drei Flächen, und eben so viele
Ränder. Die Flächen werden nach den Höhlen benannt, gegen
welche sie gekehrt sind. Die Schädelhöhlen fläche (Superficies
cerehralis s. interna) ist concav, mit flachen Impressiones dlgitatae
und Juga cerehralia versehen. Eine Gefössfui'che , welche den
oberen äusseren Bezirk dieser Fläche in schiefer Richtung nach
vorn und oben kreuzt, und zur Aufnahme des vorderen Zweiges
der Arteria meningea media sammt deren Begleitungsvenen dient,
wird von den meisten anatomischen Handbüchern ignorirt. — Die
Schläfen fläche (Superficies temporcdis s. externa), eben so gross,
wie die vorhergehende, von oben nach unten convex, von vorn nach
hinten concav, liegt an der Aussenseite des Schädels in der Schläfen-
grube zu Tage, und wird beiläufig in ihrer Mitte durch eine quer-
laufende Leiste (Crista alae magnae) in zwei über einander liegende
kleinere Felder geschnitten, von denen nur das obere in der Schläfen-
§. 97. Keilbeio. 267
grübe eines ganzen Schädels sichtbar ist, während das untere an
der Basis des Schädels liegt. Das vordere Ende der queren Crista
entwickelt sich zum Tvherculum sfpinosum, einer dreieckigen, mit der
Spitze nach unten und hinten ragenden Knochenzacke. — Die
rautenförmige, ebene und glatte Augenhöhlen fläche (Superficies
arbitalis s. anterior) ist die kleinste, und bildet den hinteren Theil
der äusseren Wand der Augenhöhle.
Es lassen sich am grossen Keilbeinflügel drei Ränder unter-
scheiden: ein oberer, ein hinterer, und ein vorderer. Jeder
derselben besteht aus zwei, unter einem vorspringenden Winkel
zusammenstosscnden Segmenten, weshalb von älteren Schriftstellern
sechs Flügelränder angenommen wurden. Sie bilden zusammen die
polygonale Contour der Äla magna, welche mit den zackigen Rändern
eines Flederraausflügels entfernte Aehnlichkeit hat. Der obere
Rand erstreckt sich vom Ursprünge des grossen Flügels bis zur
höchsten Spitze desselben. Sein äusseres Segment bildet eine rauhe
dreieckige Fläche, die zur Anlagerung des Stirnbeins dient. Die
hintere äusserste Ecke des Dreiecks, welche in eine scharfe dünne
Schuppe ausläuft, stösst an den vorderen unteren Winkel des Seiten-
wandbeins. Das innere Segment des oberen Randes ist nicht gezackt,
sondern glatt, sieht der unteren Fläche der Ala minor entgegen, und
erzeugt mit ihr die schräge nach aus- und aufwärts gerichtete, nach
innen weitere, nach aussen spitzig zulaufende obere Augen-
gruben spalte (Fütsura orbitalüs superior s. spheiwidaiis). Das äussere
Segment bildet zugleich den oberen , das innere den inneren Rand
der rhomboidalen Augenhöhlenfläche des grossen Flügels. — Der
hintere Rand erzeugt durch seine beiden Abschnitte einen nach
hinten vorspringenden, zwischen Schuppe und Pyramide des Schläfe-
beins eingekeilten Winkel, an dessen äusserstem Ende, nach unten
eine mehr weniger konisch zugespitzte Zacke, als Dorn, Stachel,
Spina angularis, hervorragt. Findet sich statt der Zacke ein scharf-
kantiges Knochenblatt, so nennt man dieses (obwohl historisch
unrichtig) Ala parva Ingrassiae, — Der vordere Rand vei'voU-
ständigt durcli seine beiden Segmente die Umrandung der Superficies
orbitalis. Sein oberes Segment ist gezackt, zur Verbindung mit
dem Jochbeine; das untere Segment ist glatt, und dem hinteren
Rande der Augenhöhlenfläche des Oberkiefers zugewendet, mit
welchem es die untere Augeng rubenspalte (Fissura spheno-
maxillaris s. orbitalis inferior) bildet.
Der Name Afu parva Ingraftsiae bezieht sich auf Phil. Ingrassias, einen
sicilianischen Arzt und Anatomen des 16. Jahrhunderts, welchen seine Zeitgenossen
nippocrates Siculus nannten. Was dieser jedoch Ala parva nannte, ist der früher
erwähnte Processvjt enisiformi» des Keilbeinkörpers. Hyrtl, Berichtigung über die
Ala parva Ingrassiae, Sitzungsberichte der kais. Akad. 1858.
l)fs gro«»e Flügel wird durch drei constante Löcher durch-
hohrt, l, l)BB runde Loch liegt in dem Wurzelstücke des grossen
HftgeU, neben den Seiten des Keilbeinkörpers. Der zweite Ast
d^ fünften Nervenpaares geht durch dasselbe aus der Schädelhöhle
h^rarm, 2. Das ovale, und knapp an und hinter ihm 3. das kleine
ifornfttloch (Foramen spinomm, richtiger jFbram^i} in spina), liegen
arri inn^rren Abschnitte des hinteren Flügelrandes, und dienen,
f'fviU'Si-f^ dem dritten Aste des fünften Paares zum Austritte, letzteres
der mittleren harten Ilirnhautarterie zum Eintritte in die Schädelhöhle.
Am Hnuneren 8<^(|^ente des oberen Randes, and an der Schläfenfläche des
Xfftnn^rt ^Hfl^elfl, finden sich an Grösse, Zahl und Lagerung wandelbare Löcher
fnr dHi I>f pkW^Tenen , wohl auch für kleinere Zweige der Arteria meningea rtiedia,
w^f/'.hA vnn der Hcbftdelhöhle aas in die Schläfegrabe gelangen.
3, Paar. Die flügelartigen Fortsätze, Processus pterygoidei
(ir,ifj%^ eJn FMügel), auch Aloe inferiores s, pcdatinae genannt, gehen
nicht vom Keilbeinkörpcr, sondern von der unteren Fläche der
lfn*prungswurzel des grossen Flügels aus. Sie steigen, nur wenig
divf^r^irend, nach abwärts, und bestehen aus zwei Platten (Laminae
//terf/fifndfsfis), welche nach hinten auseinander stehen, und eine Grube
/.wischen sich fassen, Flügel grübe, Fossa pterygoidea. Die äussere
IMatf^? ist kürzer, aber breiter als die innere, welche mit einem
nwJi hinten und aussen gekrümmten Haken (Hamtdus ptert^goideus)
ende.t. Unten wenhjii beide Platten durch einen einspringenden
Winkel (Incinurnpferjigoidea) getrennt, welcher durch den Pyramiden-
forfsatz des Oaumc^nbeins ausgefüllt wird.
All dor ob<«r<Mi llKlfto des hinteren Randes der inneren Platte des Flügel-
fort«atK(*M, xioht oino flai^hi' Furche (Stürtu ttibae ühistachianaej nach aussen and
iihnn hhi. Zwisrhon ihr und dem Forameti ovale, beg^nen die beiden, in der
N<«urohi|flo wichtigen, wenn auch niclit constanten Canaiiculi pteri/goidei s, »phenoi-
rlfi/m, von w(*loh«Mi der Russe ru an der Schädelfläche des grossen Flügels, zwischen
dnr Litufuln und d«*in Foramen i'vtuiuium, der innere aber in den CantUis Vidianug
ausmündol.
!)ie mit dem Kiirper und dem grossen Flügel des Keilbeins
vorsehmol/ene itasis dos Processus pterifgoideus , wird durch einen
horiy.ontnl von vorn nach hinten ziehenden Kanal (Canalis Vidianne)
perftirirt , von dessen vorderer Oeftnung, eine seichte Furche am
voitleren Kunde dos Flügt^lfortsatzes herabläuft , als Sulcus pterifgo-
/NiAiftfitM. Die hinten^ Ooffnung des Vidiankanals, steht unmittelbar
unter der Lingula dos Sulcus airoticus. Am unzerlegten Schädel
kann die vonlon» Oeftnung gar nicht, die hintere aber nur undeut-
lich von unten her gesehen wenlen. Dieser Kanal wuixle durch den
Florentiner Vidus Vidius, Leibarzt König Franz I. von Frankreich,
gfMiau beAchriobc^, und gut abgebildet (Anat. corp, hum. lib. VIL
l«6. 7), soll also i4SHalit luiMiNiif, nicht aber Viduanus genannt
i. 97. KeilMn. 269
werden, wie es so oft geschieht. Dasselbe gilt auch von dem Vidian-
nerv, welcher diesen Kanal passirt.
Einen integrirenden Bestandtheil des Keilbeins bilden die
Omcula Bertini 8, Comua sphenoidalia. Sie sind paarige Deckel-
knochen für die an der vorderen Wand des Keilbeinkörpers befind-
lichen grossen Oeffnungen der Sintis sphenoidales, deren Umfang sie
von unten her verkleinern. Ihre Gestalt ist dreieckig, leicht ge-
bogen, indem sie sich von der unteren Fläche des Keilbeinkörpers
zur vorderen aufkrümmen. Sie verschmelzen frühzeitig mit dem
Keil- oder Siebbein, und mit den Keilbeinfortsätzen des Gaumen-
beines (jedoch häufiger, und mittelst zahlreicherer Berührungspunkte
mit ersteren), so dass sie bei gewaltsamer Trennung der Schädel-
knochen, an dem einen oder an dem anderen Knochen haften bleiben,
oder zerbrechen, und man sie nur aus jungen Individuen unversehrt
erhalten kann.
Nicht Jo8. Bertin hat diese Knöchelchen zuerst beschrieben; sie waren
schon dem alten Wittenberger Professor, V. C. Schneider bekannt (de catarrhis,
lib. TU. cap. 1).
Beim Neugeborenen besteht der Keilbeinkörper aus zwei, noch unvollkommen
oder gar nicht verschmolzenen Stücken, einem vorderen und hinteren. Das
vordere trägt die kleinen Flügel, das hintere die grossen. Die kleinen Flügel
sind mit dem vorderen Keilbeinkörper knöchern verschmolzen ; die grossen Flügel
dagegen mit dem hinteren Keilbeinkörper durch Synchondrose verbunden. Bei
vielen Skugethieren bleiben die beiden Keilbeine immer getrennt, und selbst beim
Menschen erhält sich öfters eine, quer durch den vorderen Theil der Sattelgrabe
ziehende , am macerirten Knochen wie ein klaffender Riss aussehende Trennung^-
spur, durch das ganze Leben.
Ausser den im Texte angeführten Varietäten einzelner Formbestandtheile
des Keilbeins, pflegen folgende noch vorzukommen. Die Keilbeinhöhle wird mehr-
fUcherig, setzt sich in die Proccsnt^ clinoidei anteriorem, selbst in die Schwertflügel
oder in die Basis der Processus pterygoidei fort, oder entbehrt der Scheidewand. —
Die mittleren Processus clinoidei verbinden sich durch knöcherne Brücken nicht
nur mit den vorderen, sondern auch mit den hinteren. Ersteres geschieht
häufiger, und kommt auch allein, letzteres nur in Verbindung mit crsterem vor.
Die durch diese Ueberbrückung gebildeten Löcher heissen, wegen ihrer Beziehung
zum Verlauf der Carotis, Foramina carotico-dinoidea, — Das Foramen ovale wird
durch eine Brücke in zwei Oeffnungen getheilt (drei Fälle im Wiener Museum),
oder verschmilzt mit dem Foramen apinosum, welches auch nur als Ausschnitt
gesehen wird. — Ein oberer Fortsatz der inneren Platte des Processus ptery-
goideus kriimmt sich unter die untere Fläche des Keilbeinkörpers, als soge-
nannter Scheidenfortsatz, Processus vaginalis. Die äussere Platte wird mit der
Spina angularis durch eine knöcherne Spange verbunden, welche Anomalie als
Verknöcherung des von Civinini beschriebenen Bandes (Ldg* pterygo-spinosnm)
zu deuten ist. — Die Lingula kann sich theilweise als ein selbstat&ndiges , in die
harte Hirnhaut eingewachsenes Knöchelchen vom Keilbein unabhängig machen,
oder auch sich bis zum Contact mit der Schläfebeinspitze verlängern. — lieber
eine seltene, aber für die Anatomie des fünften Nervenpaares belangreiche Ano-
malie am Keilbein handelt mein Aufsatz: lieber den Porus crctaphiHco-buceineUorius,
in den Sitzungsberichten der kais. Akad. 1862. — Die Ptocestua pterygoidH siiid
270 §. 98. Stirnbein.
bei einigen Säng^ethieren selbstständige Knochenstücke, welche durch Nähte in die
grossen Keilbeinflügel eingepflanzt werden.
Es lenchtet ein, dass eine allzu früh* eintretende Verwachsung des Keil-
und Hinterhauptbeins, die Entwicklung des Schädelgmndes und der gesammten
Hirnschale beeinträchtigen, und dadurch eine Hemmung in der Entwicklung des
Gehirnes selbst bedingen wird. Eine solche Sf/noifUms praecox wird deshalb ein
anatomisches Attribut wo nicht die Bedingung, von Blödsinn und Cretinismus sein.
§. 98. Stimbein.
Nebst dem Jochbein, hat das Stirnbein (Os froiitis s. Os
caronale, proi^ae, syndpitis) auf die Form der Plirnschale, und zu-
gleich auf den Typus der Gesichtsbildung, den bestimmendsten Ein-
fluss. Es liegt am vorderen schmäleren Ende des Schädelovals, der
Hinterhauptschuppe gegenüber, deren Attribute sich, bei genauem
Vergleiche, an ihm theilweise wiederholen.
Stirnbein und Hinterhauptbein bilden gleichsam das Vorder- und Hintertheil
der kahnförmig gehöhlten Schädelbasis, deren Kiel das Keilbein ist. So werden
die von Fabricius ab Aquapendente diesen drei Knochen beigelegten Namen
von Schiffstheilen , als 0# prorae (Stimbein), Os p^^ppi» (Hinterhauptbein), und
O* carinae (Keilbein), verständlich.
Das Stirnbein trägt zur Bildung der Schädelhöhle, beider
Augenhöhlen, und der Nasenhöhle bei, und wird demgemäss in
einen Stirntheil, Pars frontalis , zwei Augenhöhlentheile, Partes
orbitales, und einen Nasen t heil, Pars nasalis, eingetheUt.
1. Die Pars frontalis entspricht durch Lage und Gestalt der
Schuppe des Hinterhauptbeins, und ähnelt, wie diese, einer flachen
Muschelschale, deren Wölbung, und grössere oder geringere Neigung,
einen wesentlichen Einfluss auf den Typus der Gcsichtsbildung
äussert. Zwei massig gekrümmte obere Augenhöhlenränder
(Margines supraarbitaies) trennen sie von den beiden horizontal
liegenden Partes orbitales. Jeder derselben hat an seinem inneren
Ende ein Loch (eigentlich einen kurzen Kanal), oder einen Ausschnitt
(Foramen s. Incisura supraorbitalis), zum Durchgang eines synonymen
Gefasses und Nerven. Zuweilen findet sich an der genannten Stelle
nur ein seichter Eindruck des Randes. Nach aussen geht jeder
Rand in einen stumpfen, robusten, nach abwärts gerichteten, und
unten gezähnten Fortsatz, Jochfortsatz (Processus zygomaticus) über.
Je näher an diesem Fortsatz, desto schärfer und überhängender
wird der Margo supraorbitdlis.
Die vordere oder Gesichtsfläche des Stirntheiles ist convex,
mit zwei halbmondförmigen Erhabenheiten oder Wülsten — den
Augenbrauenbogen, Arcus supercäiares, — welche gerade über
den Margines ngffraorbitales liegen. Einen Querfinger breit über den
§. 98. Stirnbein. 271
Augenbrauenbogen, bemerkt man die flachen Beulen der Stirnhügel
— Tuiera frontcdia. Zwischen den inneren Enden beider Arcus
aupercüiares, liegt über der Nasenwurzel die flache und dreieckige
Stirnglatze, Glahdla, Dieser Name stammt von glaber, und bedeutet
eigentlich die glatte, haarlose Stelle zwischen den Augenbrauen
(jxeffOfpuov bei Galen, von i^pu;, Braue), deren Breite der Physiognomie
jenen denkenden Ausdruck verleiht, wie wir ihn an den Büsten
von Pythagoras, Plato, und Newton vor uns haben. Eine von dem
Processus zygomaticus bogenförmig nach auf- und rückwärts laufende
rauhe Linie oder Crista, die den Anfang einer später, bei der Be-
schreibung des Seitenwandbeins, zu ei'wähnenden Linea semicircularis
darstellt, schneidet von der Gesichtsfläche der Pars frontalis ein
kleines, hinteres Segment ab. Dieses wird in die Schläfengrube
einbezogen, und vom Musculus temporalis, welcher daran zum Theil
entspringt, bedeckt.
Man fiberzenfjt sich leicht an seinem eigenen Schädel durch ZnfQhlen mit
den Fingern, dass die Haarbogen der Augenbrauen (Supercilia) nicht den Arcus
siipercülares , sondern den Margines fwpraorbitales entsprechen, und somit die Be-
nennung der Araoi ftyjyerciiiaren , wenn auch alt lierkömmlich und allgemein ge-
bräuchlich, dennoch unrichtig ist.
Die hintere oder Schädelhöhlenflächc zeigt sich tief
concav, und wird durch einen senkrechten, in der Richtung nach
aufwärts allmälig niedriger werdenden Kamm (Crista frontalis) in
zwei gleiche Hälften gethcilt. Die Crista spaltet sich zugleich im
Aufsteigen in zwei Schenkel , die eine Furche begrenzen , welche,
allmälig breiter und flacher werdend , gegen den zackigen Be-
grenzungsrand des Stirntheils aufsteigt. Zu beiden Seiten von ihr
liegen unregelraässige rundliche Grübchen oder Eindrücke der inneren
Tafel, welche durch die, bei der Betrachtung der Hirnhäute näher
zu besprechenden, sogenannten Pacchioni'schen Drüsen hervor-
gebracht werden, und zuweilen die Mächtigkeit der Knochenwand
bis zum Durchscheinendwerden verringern.
Der mehr als halbkreisförmige, stark gezahnte Rand des Stirn-
theils (Margo coronalts) beginnt hinter dem Processus zi/gomaticus
mit einer gezackten dreieckigen Fläche, welche zur Verbindung
mit einer ähnlichen am oberen Rande des grossen Keilbein-
flügels dient.
2. und 3. Die horizontalen Partes orbitariae bilden mit der Pai^^
frontalis einen fast rechten Winkel. Sie erzeugen, zugleich mit den
kleinen Keilbcinflügeln , die obere Wand beider Augenhöhlen, und
werden durch einen von hintenher zwischen sie dringenden breiten
Spalt Siebbeinausschnitt, Inci^ura ethmoidalis, — von einander
getrennt. Bei Betrachtung von obenher erscheinen die Partes orbi-
tariae umfilnglicher, als bei unterer Ansicht. Die obere Fläche
272 §. 98. Stirnbein.
derselben hat stark ausgesprochene Juga cerehralia, und trägt die
Vorderlappen des grossen Gehirns. Die untere, glatte und coneave,
gegen die Augenhöhle sehende Fläche, vertieft sich gegen den
Processus zygomaticus zur Thränendrüsengrube (Fovea glandulae
lacTymcdis), und besitzt gegen die Pars nasalis hin, dicht hinter dem
inneren Ende des Margo supraorbitalis, ein kleines, häufig ganz ver-
strichenes Grübchen (Foveola trochlearis), oder auch ein kurzes, zu-
weilen krummes Pyramidchen (Hamvlus trochlearis), zur Befestigung
jener knorpelig-fibrösen Schleife, durch welche die Sehne des oberen
schiefen Augenmuskels verläuft. — Der hintere, zur Verbindung
mit den kleinen Keilbeinflügeln bestimmte, gezackte Rand, geht
ohne Unterbrechung nach aussen in den Margo coronalis über. Der
innere Rand begrenzt die Indsura ethmmdalis. Eine Eigenthüm-
lichkeit dieses Randes, der sich durch seine Breite und sein zelliges
Ansehen charakterisirt, beruht darin, dass die obere Knochenlamelle
der Pars orbilalis um drei Linien weiter gegen die Indsura ethmoi'
dalis vordringt, als die untere, wodurch der Rand zwei Lefzen oder
Säume bekommt, die durch dünne und regellos gestellte Knochen-
blättchen, zwischen welchen die erwähnten zelHgen Fächer liegen,
mit einander verkehren. Von rück- nach vorwärts nehmen diese
Fächer an Tiefe zu, und führen endlich in zwei hinter der Glabella
und den Arcus supercüiares befindliche, durch eine vollständige oder
durchbrochene Scheidewand getrennte Höhlen des Stirnbeins (Stirn-
höhlen, Siny^ frontales), welche durch Divergenz beider Tafeln des
Knochens entstehen, und sich zuweilen bis in die Tubera frontalia
und die Partes orbttanas erstrecken. Stark hervorragende Arcus
supercüiares lassen auf grosse Geräumigkeit der Stirnhöhlen schliessen.
— Zwischen der äusseren Lefze des inneren Randes der Pai^s orbi-
taria, und der anstossenden Papierplatte des Siebbeins, finden wir
das Foramen ethmoidale anterius und posterius, von welchen das erstere
häufig auch blos vom Stirnbeine gebildet wird.
4. Die Pars nasalis liegt vor der Indsura ethmoidalis, unter der
GlabeUa. Streng genommen wäre die ganze zellige Umrandung der
Indsura ethmoidalis, ihrer Beziehung zum Siebbeine wegen, als Nasen-
theil des Stirnbeins anzusehen. Aus der Mitte ihres vorderen Endes
ragt der nicht immer gut entwickelte obere Nasenstachel (Spina
nasalis superior) nach vorn und unten hervor, hinter dessen breiter,
aber hohler Basis, bei oberer Ansicht ein kleines Loch vorkommt
(das blinde Loch, Foramsn coecum), welches entweder directe, oder
durch enge spaltfxirmige Seiten öfiuungen in die Stirnhöhlen, und
durch diese in die Nasenhöhle fuhrt. Das Loch lässt eine kleine
Vene durchgehen, welche den Sinus ftddformis m^jor der harten
Hirnhaut mit den Venen der Nasenhöhle verbindet, und ist insofern
kein blindes Loch; sondern ein doppelmündiger Kanal. — Ueber der
i 98. Stirnbein. 273
Spina nasalis bemerkt man, bei vorderer Ansicht des Knochens, die
halbkreisförmige, tief gezähnte Incisura nasaJis, zur Einzackung der
Nasenbeine und der Stirnfortsätze des Oberkiefers.
Einwärts vom früher erwähnten Fcramen ». IncUura supraorbitcUis , kommt
öfter noch ein zweiter Einschnitt am oberen Angenhöhlenrande vor, zum Anstritte
des Stimnerven und seiner begleitenden Gefässc. Nnr selten wird dieser Aus-
schnitt zu einem Loche. Man könnte also mit W. Krause ein Foramen frontale
8, IncUura frorüalis vom Foramen s. Indsura supraorbüaUa unterscheiden. Der
Fall, wo die IncUura supraorhitalU sehr breit erscheint (bis 2'"), lässt sich als
Verschmelzung der Incisura frontalis und impraorhitalia nehmen.
Die häufigste und als Thierähnlichkeit bemerkenswerthe Abweichung des
Stirnbeins von der Norm , Hegt in der Gegenwart einer Stitura fr'ontalU , welche
vertical von der Nasenwurzel gegen den Margo coronalU aufsteigt, und den Stim-
theil in zwei congruente Uälften theilt Sie kommt häufiger bei breiten, als bei
schmalen Stirnen vor, und findet ihre Erklärung in der Entwicklung der Pars
fr-ontalis des Knochens, welche aus zwei, den Tuhera frontalia entsprechenden
Ossificationspunkten entsteht. Diese vergrössern sich selbstständig, bis sie sich
mit ihren inneren Rändern berühren, und zuletzt mit einander zu Einem Knochen
verschmelzen. Wenn nun bei rascher Entwicklung des Gehirns, und eben so
rascher Zunahme des Schädelvolumens, die Knochenbildung nicht mit entsprechender
Intensität vorgeht, so kann es bei der blossen Berührung und zackigen Verbindung
beider Hälften des Stirnbeins verbleiben, und eine Stirn naht, als permanenter Aus-
druck der paarigen Entwicklung des Knochens, durch das ganze Leben fort-
bestehen. Dass sie bei Weibern häufiger sei als bei Männern, und bei der
deutschen Nation Öfter vorkomme als bei anderen (Welcker), ist unrichtig. Ein
Rudiment der Sutura frontalis findet sich sehr oft über der Nasenwurzel. —
I bering hat bei jungen Embryonen auf das Vorkommen eines paarigen Os frontale
posterius aufmerksam gemacht, welches einen eigenen Ossificationspunkt besitzt,
imd entweder als Fontanellknochen in der Keilbeinfontanelle (§. 102 und 103)
selbstständig bleibt, oder, wie es häufiger geschieht, mit dem äusseren seitlichen
Winkel der Pars frontalis verwächst.
An mehreren, besonders knochenstarken Schädeln meiner Sammlung, fehlen
die Stirnhöhlen (Aöenähnlichkeit). Die auffallendste Entwicklung der Stirnbein-
höhlen findet sich beim Elephanten, dessen ungeheures Schädelvolumen nicht
durch die Grösse des Gehinis, sondern durcli die Grösse der Stirnhöhlen, welche
sich bis in den Hinterhauptknochen erstrecken, bedingt wird.
Häufig trifft man neben der Mündung des Canalis s. Foramen supraorbitcUe
in die Augenhöhle, oder im Kanäle selbst, ein zur Diploe des Stimtheils fiihrendes
Venenloch. — Das Foramen coeciim, welches viel bezeichnender Porus cranio-nasalis
genannt werden könnte, wird zuweilen vom Stirn- und Siebbein zugleich gebildet.
— Ein kindlicher Schädel, an welchem die Stelle der Glabella durch eine grosse,
nmde Oeffnung eingenommen wird, befindet sich in meinem Besitz. Die Oeffnung
war durch angebornen Hirnbruch bedingt. — Die Tuhera frontalia werden bei
hömertragenden Thieren zu langen , hohlen , mit den Sinus frontales com-
municirenden , mit einer hornigen Rinde überzogenen Knochenzapfen ; — bei
geweihtragenden Thieren dagegen, die ihren Hauptschmuck zu Zeiten abwerfen,
zu niedrigen, flach abgesetzten, und soliden Säulen, den sogenannten Rosen-
stöcken beim Wild.
Ein grosser Theil der Pars orhitaria des Stirnbeins, kann sich zu einem
selbstständigen Schädelknochen em'ancipiren, welcher zu den anatomischen Selten-
heiten gehört, da ich ihn unter 600 Schädeln nur dreimal zu sehen Gelegenheit
Hyrtl, Lehrbach der Anatomie. 14. Aafl. 18
274 §. 99. Siebbein.
hatte. Die betreffende Abhandlung iat in den Sitzungsberichten der kais. Akademie,
1860, enthalten. — Ueber minder constante Kanäle des Stirnbeins handelt Schultz.
Siehe Literatur der Knochenlehre, §. 156.
Hält man das Stirnbein so, dass die convexe Stirnfläche nach hinten sieht,
und denkt man sich die Incisura etkmoidalia durch die Anlagerung des Keilbeins
in ein Loch umgewandelt, so lässt sich eine gewisse Aehnlichkeit des Stirnbeins
mit dem Hinterhauptbeine nicht verkennen.
Bei Galen heisst das Stirnbein to xaTot (xsTtorov oorouv, der Knochen an
der Stirn, und da die Gegend, welche das Stirnbein am Schädel einnimmt,
unbehaart, also unbedeckt ist, nannten es die Alten: 09 inverecundum, schamlos,
quod solum inter calvariae ottaa pilorum integumento careat, oh nuditatem oa invere-
cundum vocatur. Dem deutschen Ausdnick: die Stirn haben, dem franzö-
sischen : effronterie, und dem lateinischen : frontem perfricaref alle Scham aufgeben,
liegt wohl derselbe Gedanke zu Grunde. Die Benennung Oa coronale, entstand
nach Casaubonus daher: quia in t^mviviia publicia, oa frontale certia coroUia et
aertia antiquUua coronahatur.
§. 99. Siebbein.
Der zarteste, gebrechlichste, und zugleich verborgenste aller
Schädelknochen ist das Siebbein, Os cribrosum 8, ethmoideum, von
T^9|ji5^, Sieb, und slSoc, Gestalt (bei älteren Autoren: Os spongiosum,
cubicum, cristatum, colatorium) , liegt zwischen Schädelhöhle, Nasen-
höhle, und den beiden Augenhöhlen, deren innere Wand es vorzugs-
weise bildet. Dieser Knochen kann nur insofern als Schädelknochen
angesehen werden, als er die Indsura eihmoidalis des Stirnbeins aus-
füllt, und dadurch an der Zusammensetzung der Schädelbasis einen
untergeordneten Antheil nimmt.
Das Siebbein wird in die Siebplatte, die senkrechte
Platte, und die beiden zelligen Seitentheile oder Labyrinthe
eingetheilt. Keiner dieser Bestandtheile erreicht auch nur einen
mittleren Grad von Stärke, und die doppelten Lamellen der Schädel-
knochen sind, sammt der Diploe, an den dünnen Platten und Wänden
des Siebbeins nicht mehr zu erkennen.
1. Die Siebplatte (Lamina cribrosa) liegt horizontal in der
sie genau umschliessenden Incisura eihmoidalis des Stirnbeins. Sie
ist es, durch welche das Siebbein den Rang eines Schädelknochens
beansprucht, denn alle übrigen Bestandtheile dieses Knochens ge-
hören der Nasenhöhle. Ihr hinterer Kand stösst an die Mitte des
vorderen Randes der vereinigten schwertförmigen Flügel des Keil-
beins. Ein senkrecht stehender, longitudinaler, nicht immer gleich
stark ausgeprägter Kamm (Crista eihmoidalis) theilt sie in zwei
Hälften, und erhebt sich nach vorn zum Hahneukamm, Crisia
galli, welcher zuweilen, wenn er besonders voluminös erscheint, ein
Cavum einschliesst, zu welchem eine, an der vorderen Gegend der
§. 99. Siobbein. 275
Basis der Crista befindliche OefFnung führt. Die Siebplatte wird,
wie es ihr Name will, durch viele, gewöhnlich nicht symmetrisch
vertheilte Oeffnungen durchbohrt (Foramina crihrosa), von denen die
grösseren zunächst an der Crista liegen , und die grösston , meist
schlitzförmigen, die vordersten sind. Die Breite der Sicbplatte ist
an verschiedenen Schädeln eine sehr verschiedene. Es giebt deren,
an welchen sie so schmal, und zugleich so concav erscheint, dass
sie mehr einer durchlöcherten Furche als der flachen Platte eines
Siebes gleicht. Von der unteren Fläche der Siebplatte steigt
2. die senkrechte Platte — obwohl selten genau lothrecht
— herab, und bildet d(^n oberen Thcil der knöchernen Nasenscheide-
wand, welche durch den Hinzutritt der übrigen, in der senkrechten
Durchschnittsebene der Nasenhöhle liegenden Knochen oder Knochen-
theile, vervollständigt wird.
3. und 4. Die zelligen Seitentheile, oder das Siebbein-
labyrinth, sind ein Aggregat von dünnwandigen Knochenzellen,
die unter einander und mit der eigentlichen Nasenhöhle communi-
ciren, und an Grösse, Zahl, und Lagerung so sehr variiren, dass es
nicht möglich ist, für jeden speciellen Fall geltende Bestimmungen
aufzustellen. Im Allgemeinen theilt man die das Labyrinth bildenden
Zellen (CeUulae ethmoidales) in die vorderen, mittleren und hinteren
ein. Sie werden von aussen durch eine glatte, dünne, aber ziemlich
feste viereckige Knochenwand (Papierplatte, Lamina papt/racea)
bedeckt und geschlossen, welche zugleich die innere Wand der
Augenhr)hle bildet, und nicht so weit nach vorn reicht, um auch
die vordersten Zellen vollkommen bedecken zu können, weshalb für
diese ein eigenem Deckelknochen , das später zu beschreibende
Thräuenbein, benöthigt wird. Von oben werden die Zellen durch
den gefächerten Rand der Incisura ethmaidalis des Stirnbeins ge-
schlossen. Nach innen werden sie durch die obere und untere
Sieb})einni uschel begrenzt (ConcJia ethmoidalis snperior et inferior).
Di(»se Muscheln erscheinen uns als zwei dünne, poröse Knochen-
blätter, welche so gebogen sind, dass ihre convexen Flächen gegen
die Laiuina jjevpendiculari^ , die concaven gegen die Zellen sehen,
ohne sie jedoch zu schliessen. Zwischen beiden Siebbeinmuscheln
bleibt ein freier Raum oder Gang übrig, der obere Nasengang,
MeaUts nariuM ftujyerior, in welchen die mittleren und hinteren Sieb-
beinzellen einmünden, während die vordereji sich gegen die concave
Fläche der unteren, grösseren und stärkeren Siebbeinmuschel öffnen.
Nach hinten tragen der Keilbeinkörper, die Ussicida Bertini , und
nicht selten die Augenhöhlenfortsätze der Gaumenbeine, nach vorn
die Pars nasalis des Stirnbeins und die Nasenfortsätze der Ober-
kiefer, und nach unten die zelligen inneren Ränder der Augenhöhlen-
18*
276 §. 100. SeiteDwuid1»«ine od«r Scheitelbeine.
flächen der Oberkiefer, zur Schliessung der Siebbeinszellen das
Ihrige bei.
Vom vorderen Ende der unteren Siebbeinmuschel, und von
den unteren Wänden der vorderen Siebbeinzellen, entwickelt sich
rechts und links ein dünnes, gezacktes, senkrecht absteigendes, und
zugleich nach hinten gekrümmtes Knochenblatt — Processus uncinatus
s. Blumenbachii — welches über die grosse Oeffiiung der bei der
Beschreibung des Oberkiefers zu erwähnenden Highmorshöhle weg-
streift, sie theilweise deckt, und nicht selten mit einem Fortsatze
des oberen Randes der unteren Nascnmuschel verschmilzt.
Diese Beschreibong des Siebbeins dürfte nur wenig anf die, durch rohes
Sprengen älterer Schädel, verstümmelten Knochen passen, welche gewöhnlich in
die Hände der Schüler kommen. Man wird sich anch nicht leicht eine VorsteUong
von dem Bane des Siebbeins machen können, wenn man nicht die Integrität
desselben opfert, and wenigstens Ein Labyrinth ablöst, da man sonst nicht zur
inneren Flächenansicht der beiden Mnscheln kommt.
EEäufig^r vorkommende Verschiedenheiten des Siebbeins sind: zwei kleine
flügelartige Fortsätze (Proeegnu alarea) an der Criata gaUi, welche in correspon-
dirende Grübchen des Stirnbeins passen; — Zer£aUen der Lamma papynieea in
zwei kleinere, durch eine senkrechte Naht vereinigte Stücke; — Auftreten einer
dritten kleinen Siebbeinmoschel, welche 'über der Concha superior lieg^ Ccncha
Santariniana heisst, und beim Neger in der Regel vorhanden ist; — endlich Ver-
schmelzung der Ossicula Bertini mit den Wänden der hinteren Siebbeinzellen, oder
mit der Lamina perpendiadari«. Unsymmetrische Stellung der Crista galU, so dass
auf der einen Seite derselben mehr Foramina cribrosa als auf der anderen lagen,
beobachtete J. B. Morgagni. Kein menschenähnlicher Affe besitzt eine so an-
sehnliche Critta galU, wie der Mensch.
An den meisten ägyptischen Mumien ist das Siebbein von der Nasenhöhle
aus durchstossen, behufs der Entleerung des Gehirns. Bei den viel selteneren
Guanchenmumien der Azoren, wird das Siebbein unversehrt gesehen, indem an
ihnen das Gehirn durch ein Loch in der Par» orbiUdis des Stirnbeins heraus-
genommen wurde.
In einer kleinen, aber denkwürdigen Schrift (de oate cribriformi, ViUbergae,
1655) widerlegte Vict Conr. Schneider, den damals allgemein verbreiteten,
von Galen*s Zeiten vererbten Glauben, dass die Gerüche durch das Siebbein in
das Gehirn, dagegen der Unrath des Gehirns, als Schleim auf demselben Weg^
in die Nase hinabgeschafft werde. Dieser Vorstellung verdankt das Wort Catarrh
seine Entstehung, von xara, herab, und few, fliessen, als ein vermehrtes Herab-
fliessen des Schleimes vom Gehirn in die Nase, wie man damals Schnupfen und
Catarrhe auffasste. Der französische Ausdruck, rhume du cerveau, für Schnupfen,
drückt wörtlich „Fluss vom Gehirn" aus, so auch das italienische influenza.
§. 100. Seitenwandbeine oder Scheitelbeine.
Die sehr leicht fasslichen beiden Seitenwandbeine, Ossa
parietcdia (auch Ossa hregmatica, vertids, tetragona) lassen sich in Kürze
abfertigen, da sie die einfachsten, an griechischen und lateinischen
Merkwürdigkeiten ärmsten Schädelknochen sind. Sie büden vor-
§. 100. SeitenwAndbeine oder Scheitelbeine. 277
zugsweise das Dach der Schädelhöhle, und erstrecken sich sym-
metrisch vom Scheitel zur Schläfe herab. Sie stellen schalen-
förmige, aber zugleich viereckige Knochen dar, an denen eine
äussere und innere Fläche, vier Ränder, und vier Winkel
unterschieden werden.
Die äussere convexe Fläche ragt in der Mitte als Scheitel-
höcker (Tuher parietale) am stärksten vor, und wird, unter dem
Scheitelhöcker, durch eine mit dem unteren Rande des Knochens
fast parallel laufende Linea aemicircularis (welche zuweilen doppelt
angetroffen wird, als obere und untere) in einen oberen grösseren
und unteren kleineren Abschnitt getheilt. Nur der untere Abschnitt
hilft, zugleich mit den betreffenden Theilen des Stirn-, Keil- und
Schläfebeins, das an der Seitenwand des Schädels befindliche Planum
temporale s. semlclrculare bilden, von welchem später (§. 116. 4).
Die innere concave Fläche zeigt:
a) Die gewöhnlichen Fingereindrücke und Ccrebraljuga , und
längs des oberen Randes mehrere Pacchioni'sche Gruben.
b) Zwei baumförmig verzweigte, dem Gerippe eines Feigen-
blattes ähnliche Gefässfurchen (Sulci meningei), für die Ramificationen
der Arteria durae matrls media und der sie begleitenden Venen.
Die vordere dieser Furchen geht vom vorderen unteren Winkel
des Knochens aus, und ist öfters an ihrem Beginne zu einem
Kanal zugewölbt. Die hintere beginnt an der Mitte des unteren
Randes.
c) Zwei breitere venöse Sidci. Der eine erstreckt sich längs
des oberen Randes des Knochens, und erzeugt, zugleich mit dem
gleichen des anderen Seitenwandbeins, eine Furche zur Einlagerung
des Sinus longitudinalia superlor der harten Hirnhaut. Der zweite,
kürzer und bogenförmig gekrümmt, nimmt den hinteren unteren
Winkel des Knochens ein, und dient zur Aufnahme eines Theiles
des Sinus transversus.
Die vier Ränder werden, ihrer Lage und Verbindung nach,
in den oberen, Margo sagittalis, in den unteren, Margo squamosus
s. temporalis y in den vorderen, Margo coronalis , und in den
hinteren, Margo lambdoideus , eingetheilt. Nur der untere bildet
ein concaves Bogenstück, welches durch das bis zum Verschmelzen
gedeihende Aneinanderschmiegen beider Tafeln des Knochens, scharf
schneidend ausläuft; die übrigen drei Ränder sind gerade, und
ausgezeichnet zackig.
Es i.st unrichtig, die ZuscMrfung des unteren Randes, durch Verkürzung
der äusseren Tafel, und dadurch bedingtes relatives Längersein der inneren Tafel
zu erklären. Man überzeugt sich bei senkrechten Durchschnitten des Knochens,
dass die äussere Tafel eben so weit herabreicht, wie die innere, die Diploe aber
zwischen beiden Tafeln allmälig so abnimmt, dass e« endlich zum Verschmelzen
beider Tafeln kommt, — daher die Schärfe des Bandes.
278 §. 101. Schläfebeine.
Die vier Winkel, welche nach den angrenzenden Knochen
genannt werden, sind: der vordere obere, Angidus frontalis , der
vordere untere, AnguLus sphenoidalü , der hintere obere, An-
gulus lamhdoideus 8, ocapltalis, der hintere untere, Angvlus mastoi-
deu8. Der Angulus sphenoidalis ist der spitzigste , der Angulus
mastoideus der stumpfste.
Gegen das hintere Ende des Margo sagittalis findet sich das
Foramen parietale, welches häufig auf einer oder auf beiden Seiten
fehlt. Es dient einem Santorini'schen Emissarium zum Austritt.
Der Knochen bietet, aasser dem sehr seltenen Zerfallen in zwei Stticke
dnrch eine Quemaht, und der excedirenden Grösse des Foramen parietale (Wrany,
Präger Vierteljahrsschrift, 2. Bd.), keine erwähnenswerthen Abweichungen dar.
Grub er hat alles, über diese beiden Abweichungen Bekannte, mit eigenen Beob-
achtungen vermehrt, im Archiv für path. Anatomie 1870, zusammengestellt. —
Das Seitenwand bein ist der einzige Schädelknochen, der nur aus Einem Ossifica-
tionspunkt entsteht, welcher dem Tuber parietale entspricht. — Der häufig von
älteren Autoren gebrauchte Name Ossa bregmatica, stammt von ßp^yjiv, befeuch-
ten. In der Kindheit der Medicin glaubte man nämlich, dass die Borken, welche
so häufig den Kopf von Säuglingen bedecken, durch eine vom Gehirn durch die
Seitenwandbeine ausgeschwitzte, und an der Luft eintrocknende Feuchtigkeit ent-
stehen. Osaa verticis werden diese Knochen genannt, weil in der Naht, welche
sie beide mit einander verbindet, jener Punkt liegt, um welchen herum die Haupt-
haare im Wirbel fvertexj stehen. Es giebt Menschen mit zwei Haarwirbeln
(Öuopu9oi bei Aristoteles). Diese doppelten Wirbel entsprechen den Tuhera
parietaUa. Solchen Menschen schrieb man Anwartschaft auf ein langes Leben zu,
und nannte sie deshalb [xocxpdßioi.
lieber das häufige Vorkommen einer doppelten Linea semicircularis am
Seitenwandbein, und ihren Einfluss auf die Gestalt der Hirnschale, habe ich zahl-
reiche Beobachtungen in einer, im XXXII. Bande der Denkschriften der Wiener
Akademie enthaltenen Abhandlung angeführt.
§. 101. Schläfebeine.
Die paarigen Schläfe bei ne, Ossa tempoinim (Ossa parietaUa
inferiora, lapidosa, aquainosa, crotaphitica, von xpsTa^sc, Schläfe, —
memento mori) , nehmen theils die Basis des Schädels, theils die
Schläfegegend desselben ein, wo das frühzeitige Ergrauen der Kopf-
haare an die Fuga temporis erinnert, — daher der lateinische Name.
Die Schläfebeine werden, zur Erleichterung ihrer Beschreibung,
drei Theile, als Schuppen-, Felsen- und Warzentheil eingetheilt,
Iche sich zu der, an der äusseren Seite des Knochens betind-
hen grössten Oeflfnung desselben — dem äusseren Gehörgang,
9aitu8 8. Poru8 auditorius extemu8 088eu8y — so verhalten, dass der
duppentheil über, der Felsentheil einwärts, der Warzentheil hinter
elben zu liegen kommt. Diese drei Theile entsprechen aber
den drei Stücken, aus welchen das embryonische Scbläfebein
§. 101. BcU&febeine. 279
besteht, indem 1. der Felsen- und Warzentheil niemals getrennt,
sondern immer als Os petroso-viastoideum mit einander vereint exi-
stiren, und 2. die Schuppe, und das der Bildung des äusseren Gehör-
ganges zu Grunde liegende Os ttjmpanicum , als selbstständige
Knochen entstehen.
Soll die Anatomie des Schläfebeins gut verstanden werden,
erfordert das Studium seiner Einzelheiten einige Aufmerksamkeit.
Diese Einzelnheiten sind:
1. Der Schuppentheil, Squama (I^episma, von Xs-i?, Schuppe)
hat an seiner äusseren Fläche vor und über dem Meatus auditorius
externus einen, durch zwei zusammenfliessende Wurzeln gebildeten,
schlanken, aber starken, nach vorn gekrümmten, und zackig endigen-
den Fortsatz, den Jochfortsatz, Procesaus ztjgomaticus, also genannt,
weil er zur Verbindung mit dem Jochbein dient. Zwischen den beiden
Wurzeln dieses Fortsatzes, liegt die querovale Gelenkgrube für
den Kopf des Unterkiefers, Fossa (ßenoidalia, (rXY^vr) ist das glän-
zende Auge, und wird von Hippocrates und Galen auch für
Gelenkfläehen gebraucht, wahrscheinlich ihrer Glätte und ihres,
durch die Synovia bedungenen Glanzes wegen.) — Vor der Fossa
glenoidalis bemerkt man einen, in die vordere Wurzel des Pi^ocesrns
zygomaticus übergehenden Hügel — Gelenkhügel, Tuberculum arti-
culare. Eine über dem äusseren Gehörgang beginnende, senkrecht
aufsteigende, arterielle Furche fehlt häufig. Die innere Fläche
ist mit ansehnlichen Imjyressiones digitatae, und stark markirten Juya
cerebralla besetzt, und zeigt zwei Gefässfurchen, zur Aufnahme der
Vasa menmgea media.
Die eine dieser Furchen zieht hart am vorderen Rande der Schappe
empor, um in die bei der Betrachtung^ des grossen Keilbeinflügels an der Super-
ficies cerehralis desselben angeführte Furche überzugehen, deren Verlängerung
sofort zum vorderen Sulcm menitujett-» auf der Innenfläche des Seitenwandbeins
wird, während die andere in stark schiefer Richtung nach hinten und oben auf-
steigt, um gieh in die hintere der beiden Furchen an der Innenfläche des Seiten-
wandbeins fortzusetzen. Beide Gefässfurchen der Schuppe gehen aus einer sehr
kurzen einfachen Furche hervor, welche man von der Spitze des einspringenden
Winkels zwischen Schuppe und Pyramide auslaufen sieht.
Der mehr als halbkreisförmige Rand der Schuppe, trägt nur
an seinem vorderen unteren Abschnitte Nahtzähne, der grössere
Theil desselben erscheint von iimen nach aussen und oben zuge-
schärft, und deckt den im entgegengesetzten Verhältnisse zugeschärften
unteren Hand des Scheitelbeins zu, indem er sich über ihn hinauf-
schiebt.
2. Der Felsen theil (Pars petrosa) gleicht einer Hegenden
dreiseitigen , aus steinharter Knochenmasse gebildeten Pyramide,
deren Basis nach aussen, deren Spitze nach vorn und innen, gegen
280 S. 101. SckUfebeine.
den Keilbeinkörper sieht. Er empfiehlt uns drei Flächen und drei
Ränder zur besonderen gefalligen Beachtung.
Die hintere Fläche, die kleinste von den dreien, steht bei
natürlicher Lagerung des Knochens fast senkrecht, und hat beiläufig
in ihrer Mitte eine ovale Oeflfnung, welche in den inneren Gehör-
gang führt, Meatus s, Porus actuticus internus. Drei Linien von ihr
nach aussen, mündet die bei der Anatomie des Gehörorgans zu berück-
sichtigende Wasserleitung des Vorsaals (Aquaeductus vestibuli)
in einer krummen, feinen Spalte oder Scharte. Diese Wasserleitung
leitet aber kein Wasser, sondern enthält, wie ich gezeigt habe, eine
Vene des inneren Gehörorgans, wäre also richtiger Canalis venosus
vestibuli zu nennen.
Die vordere obere Fläche wird von der inneren Fläche
der Schuppe durch eine, nur an jugendlichen Individuen wahr-
nehmbare, nahtähnliche Fissur (Sutura s. Fissura petroso-squamosa)
geschieden. Neben der Spitze der Pyramide zeigt sich an ihr die
innere Oeflhung des carotischen Kanals, von welcher eine Rinne
(Semicanalis nervi Vidiani) nach aussen zu einem kleinen Loche
führte welches zu dem in der Masse des Felsenbeins verlaufenden
Fallopi' sehen Kanal geleitet. Das Loch heisst Hiatus s. Äpertura spuria
canalis FaUopiae (auch Foramen Tarini). In dieser Rinne, oder aus-
wärts von ihr, mündet, nebst kleinen Emährungslöchem, der sehr
feine Canaliculus petrosus, welcher zur Trommelhöhle zieht.
£in über die obere Kante des Felsenbeines sich quer auflagernder
HOcker, ist nicht immer deutlich ausgesprochen, und zeigt die Richtung des in die
FeUenbeinmasse versenkten CanaU» senucircularu superior des knöchernen Ohr-
labjrinthes an.
Jener Bezirk der oberen Flüche der Pyramide, welcher rück- und auswärts
vom Foramen TarnU Uegt, gehOrt eigentlich nicht der Pyramide, sondern einem
Knochenblatte an, welches die Verlüngerung der oberen Pyramidenfläche bildet,
und die Trommelhohle deckt. Bian kann dieses Knochenblatt deshalb Tegmentum
Ufmpani nennen. An gewissen SteUen verdünnt es sich zuweilen so sehr, dass es
selbst durchlöchert gefunden wird. (HyrÜj über spontane Dehiscenz des Tegmentum
fympani, in den Sitzungsberichten der kaiserl. Akad. 1858.) Mit Meissel und Hammer
durchbricht man dasselbe leicht, und geniesst dann die Einsicht in die Trommel-
höhle von oben. Der vorderste Theil seines äusseren Randes schiebt sich in die
Spalte zwischen Schuppe und äusseren Gehörg^ng ein, und bildet den oberen
Rand der gleich zu erwähnenden FiMura Glaseri, deren unterer Rand dem 0«
tt^panicum angehört.
Die untere Fläche des Felsentheils sieht nicht in die
Schädelhöhle, sondern gegen den Hals herab. Sie ist uneben, und
bildet an ihrem äusseren Abschnitte ein gekrümmtes, den äusseren
Gehörgang von unten und vom umschliessendes Knochenblatt,
welches von der Gelenkgrube der Schuppe durch eine, als Fissura
(T^oMTi benannte Spalte getrennt wird. Heinrich Glaser, Professor
§. 101. Sdüftfebeine. 281
in Basel, nannte seine Spalte aber Hiatus (Tract, posthum, de cerebro.
BasiL 1680); — kommt auf Eins hinaus.
Henle zeigte, dass die Fiasura Glaaeri eigentlich nicht zwischen Of* tym-
panicum und Gelenkgrube des Schläfebeins, sondern zwischen dem ersteren, und
dem vorderen Theile des äussersten Randes des TegmerUum tympani liegt, welcher
sich hinter jener Gelenkfläche nach aussen vordrängt
Das eben erwähnte, gekrümmte, den äusseren Gehörgang bildende Knochen-
blatt, erscheint im Embryoleben als ein knöcherner, schmaler, oben offener, und
mit seinen beiden Enden an die Schuppe angelötheter Ring, in welchem, wie in
einem Rahmen, das Trommelfell ausgespannt ist. Es heisst in diesem Zustande
AnnuLus tympani oder Os tympanicum, und bleibt in dieser Form bei einigen
Säugethier-Ordnungen, ein durch die ganze Lebensdauer isolirter Knochen.
Man begegnet an der unteren Fläche des Felsen theiles , von
aussen nach innen gehend:
a) dem Griffelwarzenloch, Foramen stylo-maMoideum , ab
Ausmündung des Fallopischen Kanals, genau unter dem äusseren
Gehörgange ;
b) neben ihm dem Griffelfortsatz, Processus stylcideus, von
verschiedener Länge , nach unten und innen ragend , und bei jün-
geren Individuen von einer Art knöcherner Scheide umgeben;
c) neben dem Griffelfortsatze der seichteren oder tieferen
Drosselader grübe, Fossa jugularis, mit der kleinen, in der Nähe
ihres hinteren Randes befindlichen Anfangsöffnung des Canaliculus
mastoideus s, Arnoldi;
d) neben der Fossa jugtdaris, nach vorn zu, der unteren Oeff-
nung des carotischen Kanals, welcher in halbmondförmiger Krüm-
mung nach vor- und aufwärts durch die Pyramide tritt, und gleich
über seiner unteren Oeffnung zwei feine Kanälchen (CanalicuU caro-
ticO'tympanid) zur Trommelhöhle sendet, und
e) gegen den hinteren Rand hin, der trichterförmigen End-
mündung des Äquaeducttis cocfdeas.
Zwischen der Indsura jugularis, und der unteren Oeffnung des
carotischen Kanals, liegt die flache Fossvla petrosa, welche oft blos
angedeutet ist, und dem in die Paukenhöhle eindringenden CanaH-
cidns tfjmpanicus zum Ursprung dient.
Der in bj genannte Processus styloideua*) ist nach dem »tyltu benannt
(arijXo;), der eiserne Griffel zum Schreiben auf Wachstafeln, daher bei den Griechen
*) Das Adjectiv styloideiui soll nicht, wie es allgemein geschieht, styloideus,
sondern umgekehrt styloideus ausgesprochen werden. Das Wort ist ja griechisch (aruXoei-
OTJ;), mit der Endsilbe ij; in eus latinisirt, wo das e, wie in ferrhia und lignhu,
kurz betont wird. Der lange Accent muss aber auf das i fallen, da dieses % dem
griechischen Diphthong ei entspricht. Es sind noch ohngefahr zwanzig Worte in der
anatomischen Sprache, auf welche diese prosodische Bemerkung Anwendung finden
soll, wenn auf das recU dicere etwas gehalten wird. Ich nenne beispielsweise nur
drei: mcutoideus, hj/oidSus und deltoidSua. Wflrde der lateinische Ausgang eus, dem
griechischen Ausgang aio{ entsprechen, dann mttsste ganz gewiss etu gesagt werden.
Da aber der Ausgang aio; eine Aehnlichkeit ausdrückt, und eTdo( ebenfalls, so wäre ein
282 §. 101. Schl&febeine.
oTuXoEioii; und Ypa9to£ior]; synonym sind. Phdrtim, wie der Griffelfort»atz vor
Zeiten genannt wurde, ist von JiAfJ/.Tpov abzuleiten, welches bei Aristoteles für
Sporn des Hahnes vorkommt. Das Galen'sche jJiAovoeiOTj;, stammt von ßi'Xoc,
Pfeil, weshalb Monro den Griö'elfortsatz Processus sagiUalis nannte. Die Römer
trugen den Stylus im Gürtel, und bedienten sich seiner als Dolch (das italienische
stilettoj. Jul. Cäsar wurde mit dem Stylus gemordet. Bei den Arabisten heisst
der Griffelfortsatz: Calcar capitis.
Bringt man in das Foramen stylo-mastoideum eijie Borste ein,
so gelingt es, sie so weit fortzuschieben, dass sie durch den Hiatus
Fallopiae zum Vorschein kommt. Eben so leicht kann eine zweite
Borste, vom inneren Gehörgange aus, durch denselben Hiatus zu
Tage geführt werden. Es existirt somit in der Substanz des Felsen-
beins ein Kanal, welcher im inneren Gehörgange seinen Anfang,
und im Foramen stylo-mastoideum sein Ende hat, und nebst diesen
beiden Mündungen noch eine Seitenöffnung — den Hiatus — be-
sitzt. Dieser Kanal heisst bei Vielen noch immer Aquaeductus Fol-
lopiae, obwohl ihm schon der Hallenser Prof. Cassebohra (de aure
humxinaj 1785, §. 23) den Namen Canalis Fallopiae beilegte, da
er kein Wasser führt, sondern das siebente Gehirnnervenpaar aus
dem Schädel herausleitet.
Der Canalis Fallopiae besitzt, ausser den angeführten Oeffnungen, noch
einen kurzen Seitenast, welcher als sogenannter Canaliculus chordae, dicht über
dem Foranien stylo-mojttoideum von ihm abgeht, und in die Paukenhöhle führt.
Er ist bei äusserer Besichtigung des Schläfebeins nicht zu sehen. Meissel und
Hammer verhelfen auch zu ihm. Ferner verdient erwähnt zu werden, dass der in
der Fossa Jugularis beginnende, und in der Fissura tyiapaiio-mastoidea endigende
Canaliculus mastoideus, sich mit dem unteren Ende des Canalis Fallopiae derart
kreuzt, dass der Canaliculus mastoideus zwei Abschnitte darbietet, deren einer zum
Canalis Fallopiae, der andere von ihm führt — So schwer das Auffinden dieser
Kanälchen dem Anfanger wird, so möge er es dennoch mit ihnen nicht leicht
nehmen, da die Verzweigungen gewisser Gehirnnerven an diese Kanälchen ge-
bunden sind. Ihre Wichtigkeit ergiebt sich somit erst aus den Details der Nerven-
lehre, und steht wahrlich mit ihrer Grösse im umgekehrten Verhältniss.
Die in der Beschreibung des Felsentheils genannten Canaliculi petrosi sind,
so wie der Canali<:ulus mastoideus und tt/mpanicus, nur für ein Borstenhaar per-
meabel, und können, da sie von gewöhnlichen feinen Ernährungslöchern, bei
äusserer Besichtigung des Knochens nicht zu unterscheiden sind, nur durch sorg-
sames Sondiren mit dünnen Borsten ausfindig gemacht werden.
Die drei Ränder des Felsentheils sind: der obere, vordere,
und hintere. Der obere ist die Vcroinigungskante der hinteren
griechisches Wort mit den Endsilben iioaio;, ein grober Fehler gegen die Regeln
der Wortbildung. Er kommt deshalb auch nirgends vor. Da aber griecliische Worte
das lateinische Bürgerrecht erhalten können, und erhalten haben, Hessen sich die
genannten Adjective, auch als styloides, mastoides, hyoides und deUoides schreiben,
mit dem Genitiv is. Ganz verwerflich aber ist es, Hauptwörter daraus zu machen,
wie tStylois und Hyois, welche bei den Laiino-barhari vorkommen, inul von welchen
Eines selbst in unseren Tagen noch allgemein gebraucht wird, nämlich die Allan-
toi 9, von aXXavro£i5ii«, wurstähnlich (Hamhaut des Embryo), von welcher bei den
weiblichen Genitalien gehandelt wird.
§. 101. Schl&febeine. 283
Felseiibeinfläche mit der oberen. Er ist besonders an seiner äusseren
Hälfte tief gefurcht, als Salcus petrosus supertor, — Der vordere
ist der kürzeste, und bildet, mit dem unteren Stücke des vorderen
Schuppenrandes, einen einspringenden Winkel, welcher die Spina
angularis des Keilbeins aufnimmt. Am äusseren Ende dieses Randes
liegt eine, in die Trommelhöhle gehende Oeffnung, welche durch
eine Knochcnleiste in eine obere kleinere, und untere grössere Ab-
theilung gebracht wird. Erste re ist der Anfang des Semicanalis ten-
soris tt/mpani, letztere die Insertionsöffnung der Tuba EustaddL —
Der hintere Rand der Pyramide erscheint durch die seichte und
glatte Incisura jugularis ausgeschnitten, welche mit der gleichnamigen
Incisur der Gelenktheile des Hinterhauptbeins, das Drosselader-
loch f Foramen jugulare 8, lacerum) zusammensetzt.
Der Warzen- oder Zitze ntheil (Pars nuistoidea, von |Jia^b?,
Brustwarze, und elzocy Gestalt) befindet, sich hinter dem Meatus audi-
torius externus. Er besitzt eine äussere convexe und rauhe, und eine
innere concave, glatte Fläche. Die äussere Fläche zeigt den einer
Brustzitze ähnlichen Processus mastoideus, welcher von unten durch
die Incisura mastoidea wie eingefeilt erscheint. Er schliesst eine
vielzellige Höhle (Cdlulae ina^itoideae) ein, welche mit der Trommel-
höhle in freiem Verkehr steht, und von ihr aus mit Luft gefüllt
wird, also pneumatisch ist. Der Processus mastoideus wird von
der hinteren Peripherie des äusseren Gehörganges durch eine Spalte
abgegrenzt (FisHura tt/mpano-mastoidea), welche, wie früher angeführt,
die Endmündung des Canaliculus mastoideus enthält. Die innere
Fläche zeichnet sich durch eine breite, tiefe, halbmondförmig ge-
krümmte Furche aus (Fossa sigmoidea^ von ai^^iLOL-ex^oq , C- nicht
^-förmig), in welche sich der quere Blutleiter der harten Hirnhaut
einlagert. Ein zuweilen fehlendes, und zum Durchgange eines
Santorini'schen Emissariums dienendes Loch (Foramen mastoideum),
führt von dieser Furche zur Aussenfläche des Knochens. Die Ränder
des Warzentheils sind: der obere, zur tiefgreifenden Nahtverbin-
dung mit dein Angulus mastoideus des Scheitelbeins, und der hintere,
zur schwächer gezackten Vereinigung mit dem unteren Theile des
Seitenrandes der Hinterhauptschuppe.
Im Inneren des Schläfebeins liegt, zwischen dem Meatus audi-
torlus e^vtemus und dem Felsentheile, die Paukenhöhle (Cavum
ttjmpdni) y und in der Felsenpyramide selbst, das Labyrinth des
Gehörorgans. Viele oben angeführte Kanäle und OefFnungen stehen
in einem innigen Bezüge zum inneren Gehörorgane, und können
erst, wenn der Bau des letzteren bekannt ist, richtig aufgefasst und
verstanden werden. Deshalb macht das Studium des Schläfebeins
dem Anfänger gewöhnlich die grössten Schwierigkeiten, die wohl in
der Natur der Sache liegen, und nur dann verschwinden, wenn
284 §. 101. Sehlftfebeine.
man die äussere Oberfläche des Knochens auf seinen Inhalt bezieht,
welcher aber erst in der Lehre von den Sinnesorganen besprochen
wird. Eine genaue Kenntniss des Felsenbeins bildet somit eine
Vorbedingung zum praktischen Studium des Gehörorgans, und giebt
insbesondere dem Anfänger einen leitenden Faden in die Hand, ohne
welchen er sich nie in jenen finsteren Revieren zurecht finden kann,
welche das „Labyrinth" des Gehörorgans bilden, wo, wenn auch
kein blutlechzender Minotaurus zu furchten, doch missmuthige Ver-
zagtheit genug zu holen ist.
Varianten des Schläfebeins sind: 1. Theilung der Schuppe durch eine Quer-
naht (Grub er). 2. Bin yom vorderen Bande der Schuppe ausgehender breiter
Fortsatz schiebt sich zwischen den Anguhu sphenoidaUa des Seitenwandbeins und
den grossen Keilbeinflügel ein, und erreicht den Margo coronalis des Stirnbeins.
Er kommt dadurch zu Stande, dass ein in der vorderen seitlichen Fontanelle ent-
wickelter Schaltknochen (§. 1 03) mit dem vorderen Schuppenrande, nicht aber mit
dem Seitenwandbein verwächst. 3. Bedeutende, bis auf 3 Zoll steigende Länge
des Griffels (Gm her), oder Zusammensetzung desselben aus zwei durch Synchon-
drose oder Synostose verbundenen Stücken, sowie Gegenwart einer Markhöhle in
ihm. 4. Am oberen Felsenbeinrande eine narbig eingezogene Vertiefung, als
Ueberbleibsel einer, am embryonischen Felsenbein unter der Wölbung des oberen
Canali» gemicirctdarü befindlichen Grube, welche Tröltsch als Fo8ga subarctuUa
benannte. 6. Vorkommen von Schaltknochen in der Fuge zwischen der Pyramide
und der Pars basäarü des Hinterhauptbeins bis zum Keilbeinkörper hin. Sie
liegen nur lose in dieser Fuge und fallen beim Maceriren aus. Am festesten
haftet noch das der Felsenbeinspitze nächst gelegene KjiÖchelchen, welches mit
einer rauhen Fläche in einem Grübchen des Felsenbeins ruht. Man hatte diesem
Knöchelchen unrichtig den Namen OsHcidtsm sesamoideum Cortesü beigelegt H e n 1 e
zeig^, dass Corte se (1625) es nur mit Verknöcherungen der Carotis interna zu
thun hatte. Ein ähnliches, selten vorkommendes Knöchelcben, als Ergänzungs-
stück des Foramen jugulare, erwähnt W. G ruber. Ausführlich handelt derselbe
Autor über die zwischen Felsenbein und Keilbein, und zwischen Felsenbein und
Basilartheil des Hinterhauptbeins vorkommenden Schaltknochen, in seinen Bei-
trägen zur Anatomie der Schädelbasis, St. Petersb. 1869. Ein Schaltknochen im
Tegmentum tympani wurde gleichfalls von Grub er aufgefunden. Beim Hirsch fand
ich das ganze Tegmentum tympani als selbstständigen Knochen. Auch vom Menschen
besitze ich einen ähnlichen Fall. 6. Eine sehr interessante, von Luschka
beschriebene Anomalie, besteht in einem, unter der Wurzel des Jochbogens vor-
kommenden Loche (bis Vj*" weit), welches in eine längs der Sutura petroso-squa-
mosa verlaufende Furche einmündet. Diese Furche findet sich auch ohne Loch,
und dient einem Blutleiter (Sinus petroso-squamosus) zur Aufnahme. Luschka
nannte das Loch : Foramen jugulare spurium, indem der Sinuft petroso-squamosus
sich durch dasselbe in die Vena jugularis externa fortsetzt (Zeitschr. f. rat. Med. 1859).
7. Der Processus mastoideus wird stellenweise so dünnwandig, dass seine Zellen
entweder spontan dehisciren, oder durch sehr geringfügige Gewalt einbrechen können.
(Sieh' meine, pag. 280 citirte, hieher gehörige Abhandlung, in den Sitzungsberichten
der kaiserl. Akademie, 1858.) - Nach G. Zoja (StUV apoßsi mastoidea, Milano,
1864) fliessen die Zellen des Warzenfortsatzes zuweilen zu einer einzigen grossen
Cavitas mastoidea zusammen. — Ein von der hinteren Fläche der Pyramide, zu den
Zellen des Warzenfortsatzes führender, enger, durch einen Fi>rtÄiitz der harten
Hirnhaut ausgekleideter Kanal, wurde von Voltolini als Canalis petroso-mastoi-
deus beschrieben.
§. 102. Verbindangsarten der Sch&delknochen. FontaDellen. 285
§. 102. Verbindungsarten der Schädelknoclieii. Fontanellen.
Um die knöcherne Hirnschale herzustellen, wird die Verbin-
dung der Schädelknochen unter sich, auf verschiedene Weise, aber
immer sehr fest, durch wahre und falsche Nähte, durch An-
lagerung (Harmonie), und durch Synchondrose bewerkstelligt.
Naht und Harmonie kommt nur an den Schädelknochen, sonst aber
nirgends am Skelete vor.
1. Wahre Nähte (Suturae verae, bei den Griechen ^a<pai) ver-
binden nur tief gezahnte Knochenränder mit einander. Die Kranz-
oder Kronennaht (Sutura coronalis) zwischen dem Stirnbein und
den beiden Scheitelbeinen, die Pfeilnaht (Sutura sagittcdis s. inter-
parietcdis) zwischen beiden Scheitelbeinen, die Lambdanaht (Sutura
lambdoidea) zwischen Hinterhauptschuppe und hinteren Rändern
beider Scheitelbeine, die Warzennaht (Sutura mastoidea) zwischen
Warzentheil des Schläfebeins, und unterem Seitenrande der Hinter-
hauptschuppe, so wie die abnorme, das Stirnbein in zwei seitliche
Hälften theilende Stirnnaht (Sutura frontalis), sind die Repräsen-
tanten der wahren Schädelnähte. Alle diese Nähte erscheinen nur
bei äusserer Ansicht des Kopfes als wahre Nähte. Von innen ge-
sehen, besitzt keine derselben das zackige Ansehen, welches den
Charakter der wahren Naht bildet, sondern präsentirt sich als eine
mehr weniger gerade Contactlinie, wie bei der sub 3 anzuführenden
Harmonie. Bei Kahlköpfen, deren Schädeldach zuweilen so rund
und glatt ist wie eine Billardkugel, kann man die Nähte, selbst
durch die verdünnten und glänzenden Schädeldecken hindurch, er-
kennen. Die Vorstellung der alten Aerzte, dass durch die Nähte
die vapores und fvligines des Gehirns ausdampfen, erklärt den jetzt
vergessenen Namen der Nähte: Spiracula.
Aasser den genannten Nähten, gfiebt es noch mehrere andere am Schädel.
Sie könnten, wenn sie einen Namen erhalten sollten, selben von den beiden
Knochen entlehnen, welche sie vereinigen: Sutura squamoso-sphenoideUis, »pheno-
frorUalia, etc.
2. Falsche Nähte oder Schuppennähte (Suturae spuriae
8, squamosus) bestehen als dach ziegeiförmige Uebereinanderschiebung
zweier entgegengesetzt zugeschärfter Knochenränder. Sie kommen
vor: 1. zwischen Schläfenschuppe und Seiten wandbein (Sutura tem-
poro-parietalis) , und 2. zwischen Angulus sphenoidalis des Seitenwand-
beins und oberem Rand des grossen Keilbeinflügels (Sutura spheno-
parietalis). — Die griechischen Aerzte gebrauchten für Schuppennähte
den Ausdruck: Proscollemata lepidoidea, d. i. schuppenartige Zu-
sammenlöthung, und die Lateiner : Agglutinatio tmbricata (von imbrex,
Dachziegel).
286 S- 102 Verbindungsarten dor Sch&delknochen. Fontanellen.
3. Einfache Anlagerung oder Harmonie, durch rauhe, nicht
gezackte Ränder, zwischen welchen aber eine dünne Knorpelschichte
vorkommt, findet sich zwischen dem vorderen Rande der Schläfen-
pyramide, und dem grossen Flügel des Keilbeins, so wie an den
Contacträndern der Glastafel aller Schädelknochen.
4. Die durch einen festen Knorpel vermittelte Verbindung
zwischen der Pyramide des Felsenbeins mit der Pars hasilaris des
Hinterhauptbeins, und der letzteren mit dem Keilbeinkörper, dient
als Beispiel einer Stjnchondrosis.
Schultz (lieber den Bau der normalen Menschenschädel. Petersburg, 1852.
pag. 9) unterscheidet mehrere Unterarten von wahren und falschen Nähten, von
welchen die Kopfnaht und die Stiftnaht die zulässlichsten sind. Die Kopfnaht
charakterisirt sich dadurch, dass von zwei sich etwas übereinander schiebenden
Knochenrändem der eine kleine Hervorragungen bildet, welche von Löchern des
anderen umschlossen werden, wie in der Naht zwischen kleinem Keilbeinfiügel
und Stirnbein. Ich habe gezeigt, dass diese kleinen Hervorragungen (Köpfe) so
gross werden können, dass sie wie supemuraeräre Schaltknochen (§. 103) aus-
sehen, und auch dafür gehalten wurden. Sieh' meine Abhandlung: lieber wahre
und falsche Schaltknochen in der Pars orbUaria des Stirnbeins, in den Sitzungs-
berichten der kais. Akad. 42. Bd. 1860. — Die Stiftnaht entsteht, wenn ganz lose
Knöchelchen, wie Stifte, durch die Löcher zweier zusammmenstossender Knochen-
ränder gesteckt sind. Sie soll in der Naht zwischen Stirnbein und Stirnfortsatz
des Oberkiefers, und in der Verbindung vom ßasilartheil des Hinterhauptbeins mit
dem Keilbeinkörper, aber nur während der Verknöcherungsperiode der hier be-
findlichen Syncliondrose bei jugendlichen Individuen vorkommen.
In jüngeren Lebensperioden sind die wahren Nähte weit weniger
zackig und kraus, als im reifen Alter. Von dem Zeitpunkte an, wo
der Schädel nicht mehr wächst (bald nach den Zwanziger Jahren),
beginnen die Nähte zu verstreichen, d. h. einer wahren Synostose
zu weichen, wobei die Sittura saglttalis meistens den Anfang macht
(Henle); die Sutura coronalis, lambdoidea, und mastoidea folgen
nach, und war eine Stimnaht vorhanden, so erhält sie sieh wohl
unter allen am längsten. Ich habe wenigstens sehr deutliche Reste
der Stimnaht noch an zwei Greisenschädeln meiner Sammlung (der
eine davon über 100 Jahre alt) angetroflen, an welchen alle übrigen
Nähte bereits eingegangen waren. Deshalb fühlte ich mich veranlasst,
zu sagen, dass die Stirnnaht die letztverschmelzende ist. Th. Simon
dagegen fand, unter 76 Schädeln mit Stirnnaht, 13 vor, an welchen,
während die übrigen Nähte noch wohl erhalten waren, die Stirnnaht
schon theilweise verstrichen war (Archiv fiir pathol. Anat. öS. Bd).
Damit leuchtet aber keineswegs die Unmöglichkeit ein, dass diese
theilweise obliterirte Stirnnaht, nicht alle übrigen überdauern könne.
— Auch besitze ich zwei Schädel von jungen Männern, an welchen
die Sutura mastoidea vollständig verknöchert ist, alle anderen Nähte
aber nur Spuren der beginnenden Synostose zeigen. Diese Beob-
§. 102. Verbindungsarten der Scliädelknochen. Fontanellen. 387
achtung bewog mich, in den früheren Auflagen dieses Buches, die
Sutura mastoidea die erstverknöchernde zu nennen.
Es ist in vergleichend anatomischer Hinsicht von Interesse, dass die oben
erwähnte Reihenfolge der Verknöcherung der Nähte, bei den Affen und Negern
gerade umgekehrt wird, indem die Kranznaht zuerst, und die Lambdanaht zuletzt
verstreicht. Ja es tritt das Verstreichen der Kranznaht beim Neger selbst be-
deutend früher ein, als das Verstreichen der Hinterhau ptnähtc bei den Menschen
weisser Race. Da das Verstreichen der Nähte dem Wachsthum des Schädels, und
somit auch der Entwicklung des Gehirns, natürliche Schranken setzt, liegt der
Gedanke nicht fern, dass die geringere geistige Entwicklungsfähigkeit der schwarzen
Race, dieser anatomischen Thatsache nicht ganz fremd ist. Ob es aber deshalb
erlaubt, den Neger für den menschenähnlichsten Affen zu halten, und als Lastthier
zu verwenden, wie, vor kurzem noch, in den amerikanischen Sclavenstaaten,
werden Philanthropen und Philosophen zu entscheiden haben.
lieber embryonale und prämature Obliteration der Nähte, handelt
Heschl, in der Prager Vierteljahrsschrift, 120. und 123. Bd. — Vor Zeiten hielt
man das Verstreichen der Nähte nicht für eine Altersmetamorphose, sondern für
einen butu^ naturae, welcher sich in allen Lebensperioden einstellen könne. Man
nannte solche Schädel mit verschmolzenen Nähten : capita canirutf weil bei Hunden,
und bei Fleisclifressem überhaupt, die Nähte sehr frühzeitig eingehen- Celsus sagt
von den Schädeln ohne Nähte : ea capita ßrviissima et a dolore tutiasima 9unt,
et in locis aestuosis facilinft iiweniuntur. Als Aristoteles den ersten nahtlosen
menschlichen Schädel sah, rief er voll Erstaunen Oau|xa (miraculumj aus.
Wie früher hervorgehoben wurde, erscheint jede wahre Naht
nur bei äusserer Ansicht als solche. Bei innerer Ansicht wird sie,
wegen sehr geringer Entwicklung von Zacken an der inneren
Knochentafel, als eine geschlängelte, selbst als geradlinige Harmonie
gesehen. Die Harmonie der inneren Tafel verschmilzt nun auch
regelmässig früher als die Sutur der äusseren. Da die innere Tafel
der Schädelknochen spröder und brüchiger ist, als die äussere, so
wären Nahtzacken an ihr, fiir die Festigkeit des Schädels eher
schädlich als nützlich gewesen.
Indem die Schädelknochen sich aus Ossilicationspunkten ent-
wickeln, welche durch concentrische Anlagerung von Knochenmasse
an ihren Rändern, in der Fläche wachsen, so müssen ihre Ecken
und Winkel zuletzt entstehen, und es muss eine Periode im Bildungs-
gange des Schädels geben, wo zwischen den sich nur berührenden
Kreisseheiben der Schädelknochen, nicht verknöcherte, und durch
Weichgebilde verschlossene Stellen übrig bleiben, welche Fonta-
nellen — Fonticuli 8. Lacunae — genannt werden.
Es liegt deren je eine an jedem Winkel des Seitenwandbeins,
und wir zählen somit eine Stirn-, Hinterhaupt-, Keilbein- und
Warze nfontanelle. Die zwei ersten sind begreiflicher W^eise
unpaar; die zwei letzten paarig. Die Stirnfontanelle ist die
grösste, rhombisch viereckig (wie die Papierdrachen der Kinder),
und erhält sich bis in das zweite Lebensjahr. An grossen Kinds-
288 §• 109. Yerbindangtuien der Scli&d«lknoclieD. Fontanellen.
köpfen kann sie Jahre zu ihrer gänzlichen Verknöcherung brauchen.
Von ihren vier Winkeln ist der vordere lang und spitzig, der hintere
aber stumpf. Ersterer reicht beim Embryo bis zur Nasenwurzel
herab. Da man, bei Neugeborenen und Kindern, die Bewegungen
des Gehirns durch die Stirnfontanelle sieht und fiihlt, so wurde ihr
schon von Plinius der Name Vertex palpitans ertheilt, und da die
Aerzte des Mittelalters die Vorstellung hatten, dass durch die Be-
wegung des Gehirns, die Lebensgeister in die Nerven getrieben
werden, glauben Einige, dass sich hieraus die sonderbare Benennung
Fonticulus 8. Föns, i, e. Quelle, ableiten lasse. Dem ist jedoch niclit
so. Diese Ausdrücke stammen vielmehr daher, dass man vor Zeiten,
bei gewissen Gehirnkrankheiten, das Glüheisen an jener Stelle der
Hirnschale anwandte, wo im Kinde sich die Stirnfontanelle befand,
und die Brandwunde längere Zeit offen und fliessend erhielt, um
die Humores peccantes des Gehirns herauszulassen. Die altdeutsche,
jetzt nur mehr von den Hebammen gebrauchte Bezeichnung der
Stimfontanelle, als Blättlein (foUolum), drückt die Form derselben
aus. — Die Hinterhauptfontanelle ist um die Zeit der Geburt
schon durch die Spitze der Hinterhauptschuppe fast vollständig
ausgefiillt. Im Embryo erscheint sie dreieckig, und viel kleiner, als
die Stirnfontanelle. — Die kleine Keilbein fontanelle am Angulus
sphenoidalü des Scheitelbeins, und die Warzenfontanelle (F. mcLStci-
deu8 8. C(i88erü) werden auch als vordere und hintere Seiten-
fontanelle beschrieben. Beide verstreichen entweder schon im
Embryoleben, oder finden sich an den Schädeln von Neugeborenen
nur als Spuren vor.
Die Nähte, so wie die Stirn- nnd Hinterhanptfontanelle, sind in geburts-
hilflicher Beziehung, für die Aosmittlang der Lage des Kindskopfes von hoher
Wichtigkeit. — Die durch ein weiches Bindemittel zoBammengehaltenen Nahtränder
der Himschalenknochen eines zu gebärenden Kindes, erlauben femer durch ihre
Uebereinanderschiebung eine Verkleinerung des Kopf^olumens während der Geburt.
Auch sind die Nähte für das Wachsthum des Schädels eine unerlässlich noth-
wendige Bedingung. Ihre Wichtigkeit in letzterer Beziehung, wurde zuerst von
Gibson erkannt, und von Sommer ring näher beleuchtet. Bei der Zusammen-
setzung des kindlichen Schädels aus mehreren, durch Säume von weicherem Stoff
getrennten Stücken, wird es diesen Stücken möglich, dem durch das Wachsthum
des Gehirns von innen nach aussen veranlassten Drucke nachzugeben, und sich
durch Anschuss neuer Knochenmasse am Rande zu verg^össem. Die Schädel-
knochen wachsen somit, was ihre Zunahme an Breite betrifft, vorzugsweise an
ihren Rändern, während die Zunahme an Dicke, durch Ansatz neuer Knochen-
masse an die Flächen der bereits fertigen Schädelknochenscheiben erfolgt. Würde
der Schädel vom Anfange an, aus Einem Knochengusse bestehen, so wäre die
Verg^össerung seiner Peripherie wenn nicht unmöglich, doch nur auf sehr lang-
same Weise zu erzielen.
Die zackigen Nähte halten übrigens die Schädelknochen so fest an einander,
dftu durch mechanische Gewalten erzeugte Brüche der Hirnschale, von einem
Schldelknochen sich in den nächstliegenden, ohne durch die Nähte aufgehalten
§. lOS. Üeb«n&hliire Schfcdelknoohea. 289
xvL werden, und ohne Richtungsftndemng fortpflanzen, und Trennungen der Nähte
ihrer Länge nach (Diasteutes «täurarumj, zu den seltensten Folgen von Verletzun-
gen gehören.
Hat die Entwicklung des Gehirns ihren Culminationspunkt erreicht, so
werden die Nähte überflüssig, und verschmelzen durch Synostose von innen nach
aussen zu. Dieses Versch^ielzen tritt nicht in der ganzen Länge der Naht mit
einmal ein, sondern schreitet gewöhnlich von der Mitte gegen die Endpunkte vor.
Ist der Druck, den die ^chädelknochen von innen her auszuhalten haben, bei
raschem Wachsthum des Gehinis, oder bei Wasseransammlungen in der Schädel-
höhle ein bedeutender, und kann in einer gegebenen Zeit nicht so viel Knochen-
materie am Rande des jugendlichen Schädelknochens abgelagert werden, als die
Ausdehnung der Suturalknorpel erfordert, so werden letztere immer breiter, und
können nachträglich durch neue Knochenkeme, welche sich in ihnen bilden und
verg^ssern, ausgefüllt werden. So entstehen die im nächsten Paragraphe erwähnten
Nahtknochen. — Frühzeitige Verschmelzung der Nähte, bevor noch das Gehirn
seine vollkommene Ausbildung erlangte, bedingt Mikrocephalie, als Gefährtin
des Blödsinns. Einseitige Verwachsung der Kranz- oder Lambdanaht (letztere
nur Einmal von Keen in Philadelphia an einem Negerschädel beschrieben), hat
Schiefheit des Kopfes zur Folge, mit und ohne Hemmung geistiger Entwick-
lung. Dante's Schädel war ein exquisiter Schiefschädel. Es giebt aber viele
Schiefschädel, an wehchen eine einseitige Obliteration querer Schädelnähte nicht vor-
liegt. Unter 175 von Zuckerkandl untersuchten Schädeln dieser Art, waren
nur sechs mit einseitiger Verschmelzung der Kranznaht behaftet. Auch treffen
wir häufig Schiefschädel schon an Nengebomen, wo noch keine Nähte existiren.
Wir dürfen also annehmen, dass nicht ausgeglichene Druckwirkungen während der
Geburt, der fraglichen Asymmetrie des Schädels häufiger zu Grunde liegen, als
einseitige Synostose der Nähte. — Vorschnelles Verwachsen der Pfeilnaht bedingt
den Sphenocephahis (mit einem der Pfeilnaht entsprechenden vorspringenden Kiel).
Derselbe Process in der kurzen Sutura spheno-parietalie, liegt dem Sattelkopf
(ClinocephaluA) zu Grunde, mit einer, der Richtung der Kranznaht parallelen Ein-
schnürung des Schädeldaches.
Wo eine Synchondrose an der Schädelbasis vorkommt, setzt sich der
Knorpel derselben in die knorpelige Grundlage der Schädelknochen unmittelbar
fort. Der Synchondrosenknorpel ist demnach der nicht ossificirte Theil des primor-
dialen Schädelknorpels. Entzieht man der Basis einer jungen und frischen Hirn-
schale durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure die Knochenerde, so bleibt
eine continuirliche Knorpelschale zurück, an welcher keine Nahtspuren zu entdecken
sind. Da man die Schädelknochen nur an macerirten Köpfen studirt, erhält man
von den Synchondrosenknorpeln keine Anschauung.
Einen sehr interessanten Artikel über das Verhältniss der Nähte zur Festig-
keit des Schädels, enthält die Cyclopaedia of Anat, and Phynol, „Crane'*.
§. 103. UeberzaMige Schädelknoclieii.
Die in normaler Weise auf acht beschränkte Zahl der Schädel-
knochen, wird in eben nicht seltenen Ausnahmsfallen, durch das
Auftreten ungewöhnlicher Knochen vermehrt. Die Vermehrung kann
auf zweifache Weise stattfinden. Es zerföllt entweder ein normaler
Schädelknochen, wie bereits beim Stirn-, Scheitel- und Hinterhaupt-
bein bemerkt \\nirde, durch abnorme Nahtbildung in zwei oder
Hyrtl, Lehrbach der Anatomie. 14, Aufl. 19
290 |. 108. Ueb«nählige 8ch&d«lknochen.
mehrere Stücke; oder es entwickeln sich in den Schädelnähten
selbstständigc Knochen, welche mit dem Namen der Naht- oder
Schaltknoehen, auch Zwickelbeine (Ossicida siUurarum, War-
miana, triquetra, üitercalaria , epactalia, raphogenUnantia*) belegt
werden. Die Entstehung der Nahtknochen datirt aus jener Periode
des Embryolebens, wo die Schädelknochen noch durch weiche,
häutige oder knorpelige Zwischenstellen von einander getrennt
waren. Werden in diesen weichen Interstitien selbstständige Ossi-
ficationspunkte niedergelegt, welche bis auf eine gewisse Grösse
wachsen, ohne mit den anstossenden Knochen zu verschmelzen, so
gehören sie in die Kategorie der überzähligen Schädelknochen.
Am häufigsten finden sie sich in der Lambdanaht, wo ihre Zahl,
namentlich bei hydrocephalischcn Schädelformen, bis in das Un-
glaubliche wuchert. Ich habe deren mehr als 300 in der Lambda-
naht eines Cretinschädels gesehen. Sie wurden aber auch in jeder
anderen Naht, einzeln oder mehrfach, und von verschiedener Grösse
angetroffen.
Die Nahtknochen können aber noch auf eine zweite Weise
entstehen, ohne einen selbstständigen Verknöcheruugspunkt zu haben.
Es kann nämlich die am Nahtrand eines sehr jungen Hirnschalen-
knochens sich ansetzende neue Knochensubstanz, welche mit dem
Mutterknochen noch keine innige Verbindung eingegangen hat,
durch gesteigertes Ilirnwachsthum oder Hydrocephalus, vom Mutter-
knochen getrennt und abgelöst werden, auf eigene Rechnung fort-
wachsen, und als selbstständiger Knochen perenniren. Hieher ge-
hören vorzugsweise die bandartig langen Schaltknochen, welche
zwischen Schläfeschuppe, grossen Keilbeinflügel, und Seitenwand-
bein anzutreffen sind. War der neue Knochenanflug am Rande des
Mutterknochens durch Fissuren unterbrochen, so werden, statt eines
bandartig langen Schaltknochens, mehrere kleinere nebeneinander
liegend vorkommen. Näheres hierüber giebt Zuckerkandl, in seinen
Beiträgen zur Lehre vom menschlichen Schädel, im 4. Bande der
Mitthcilungen der Wiener anthropologischen Gesellschaft.
An den beiden Ptmkton, wo die Pfeilnaht mit der Kranznaht und mit der
Lambdanaht zasammenutösst, erreichen die Schaltknochen in seltenen Fällen eine
merkwürdige Grösse, und nehmen hier, »o wie, wenn sie an den beiden unteren
Winkeln des Seitenwandbeins vorkommen, den Namen der Fontanellknochen
an. Der dreieckige Fontanellknochen des Hinterhaupts, war schon den älteren
Aerzten (dem originellen Schweizer, Phil. H^chener, der sich selbst zum
ParacfUut latinisirte, und Monarcha niedicortim nannte) bekannt, und wurde von
*) Der Name O« epadale stammt von EJiaxrd;, d. h. hinzugefügt, daher
epactae, die Schalttage. — Der Name: Oana Wormiiana (von dem dSnischen Arzte
Ole Worm, Caialogiu Attuei WomUttni, Hafou i^^^if; gebührt ihnen nicht, da schon
(ruintherus Andornacensis (In»tU. anal. Pari», 1636) diese Knochen kannte.
Sie heissen deshalb bei Riolan: Chtkula ÄndemacL
S. 104. 8ckfidelh6hle. 291
ihm und Beinen Anhängern als Heilmittel gegen die fallende Sucht angewendet,
woher die alte Benennung: Ottiadum antiepüepticum. — Der an der Spitze der
EUnterhauptschuppe liegende Schaltknochen wird bei vielen Nagern, Wiederkäuern
und Fledermäusen, zu einem constanten Schädelknochen, und ist in der yer-
gleichenden Anatomie als Os irüerparietak bekannt (Oeoffroy). lieber die Ver-
schiedenheiten dieses und anderer Schaltknochen an thierischen Schädeln, enthalten
reiches Material W. O rti 6 erV Abhandlungen aus der menschl. und vergleichenden
Anatomie, Petersburg, 1852, und die Memoiren der Petersburger Akad. 1873.
Nach Tschudi*8 Angabe kommt ein wahres Ot interparietale bei gewissen
Stämmen der Ureinwohner von Peru, den Chinchas, Ajmaras und Huankas, con-
stant vor. Der grösste obere Theil der Hinterhauptschuppe existirt nämlich bei
Neugeborenen dieser Stämme als selbstständiger Knochen, bleibt es durch's ganae
Leben, oder verschmilzt nur selten, nach dem 4. oder 5. Lebensmonate, mit dem
Reste der Schuppe. Eine über der Ldnea semicirctdaris superior verlaufende Furche
soll auch bei alten Schädeln dieser Stämme, an die früher bestandene Trennung
der Hinterhauptschuppe erinnern. An den Schädeln aus Atacama und Guatemala,
welche ich besitze, sehe ich weder ein Os interparieUUe, noch eine Furche an der
Hinterhauptschuppe.
Ueber das Vorkommen der Schaltknochen gelten folgende Regeln:
1 . Sie finden sich nur an der Hirnschale, und zwar häufiger in den wahren,
als in den falschen Nähten. Im Qesichtsskelet sind mir nur zwei Fälle von Schalt-
knochen vorgekommen, 1. in der Kreuznafat des harten Gaumens, und 2. in der
Verbindungsnaht der beiden Nasenbeine.
2. Schädel mit grossen Dimensionen zeigen sie häufiger, als kleine.
3. Ihre Grösse variirt von Linsengrösse bis zum Umfange eines Thalers,
wie ich an einem Stimfontanellknochen vor mir sehe.
4. Paarige Schaltknochen am Schädeldach, sind häufiger symmetrisch gestellt,
als nicht, jene in der Fossa teniporalv* aber weit öfter asymmetrisch als sym-
metrisch.
6. Die Schaltknochen bestehen gewöhnlich, wie die übrigen Schädelknochen,
aus zwei Tafeln, mit intercalarer Diploö. Ihre innere Tafel ist meistens kleiner,
als die äussere, wodurch ihre Einfügung zwischen ihren Nachbarn eine keilartige
wird. Aus demselben Grunde fallen die Nahtknochen an macerirten Schädeln gerne
aus, und lassen sich, wenn sie nicht ausfallen, leicht mit dem Meissel ausheben.
6. Selten finden sich Schaltknochen, welche bei äusserer Ansicht des
Schädels nicht zu sehen sind, indem sie blos der inneren Tafel der Scliädelknochen
angehören. Häufiger dagegen kommen, besonders in der Lambdanaht, Schalt-
knochen vor, welche nur aus der äusseren Knochentafel bestehen. Diese Naht-
knochen sind dann immer sehr klein. — Ein bis jetzt als einzig dastehender Fall
von einem insularen Schaltknochen, welcher nicht in einer Fontanelle, oder im
Laufe einer Naht sich entwickelte, sondern in der Area eines Schädelknochens
liegt, welcher ihn ringsum einschliesst , wurde von mir am Seitenwandbein , und
zwar in der Nähe seines Margo aquamoeuB angetroffen (Sitzungsberichte der kais.
Akad. 60. Bd.).
§. 104. ScMdelhölile.
Wir finden die Grösse und die Gestalt der Schädelhöhle,
Cavum cranii, in verschiedenen Lebensperioden, wie auch bei ver-
schiedenen Individuen und Racen, so verschieden, dass, ohne in
19*
292 §. lOi. dch&delh^hle.
nutzlose Details einzugehen, sieh hierüber nur allgemeine Be-
stimmungen geben lassen. Man kann insofern sagen, dass die
Schädelhöhle im Verhältnisse zur Körpergrösse um so geräumiger
gefunden wird, je jünger das Individuum ; denn die Geräumigkeit
der Schädelhöhle hängt vom Volumen des Gehirns ab, welches im
Embryonen- und Kindesalter relativ zur Körpergrösse prävalirt.
Dass die Gestalt des Schädels sich im Allgemeinen nach der Masse
und der Gestalt des Gehirns richtet, ist wahr. Unwahr aber ist es/
dass man aus der Gestalt des Schädels, aus gewissen Hervorragungeu
desselben, auf die Anlagen, Fähigkeiten, Tugenden und Laster eines
Menschen schliessen könne. Das allgemeine Princip der Abhängig-
keit der Schädelform vom Gesammtgehirn will ich nicht bean-
ständigen, aber die Functionen der einzelnen Gehirntheile sind noch
so räthselhaft, dass eine Lehre, die sich anmasst, durch Abgreifen
des Schädels die geistigen Anlagen eines Menschen ausfindig machen
zu wollen, nur von Thoren für Thoren erfunden werden konnte.
Dieses über den Werth der GalTschen Schädellehre.
Ein durch die Länge der Pfeilnaht senkrecht geführter Schnitt,
und ein anderer durch die Stirnhöcker zum Hinterhaupthöcker nach
hinten gelegter, geben Ovallinien, deren schmales Ende gegen die
Stirne zu liegt. Die Schädelhöhle hat somit die Eiform. Die obere
Schale des Eies heisst Ccdvaria 8, Fomix craniL Die untere Schale
(Basis cranü) zeigt sich bei innerer Ansicht, in drei Gruben ab-
getheilt, welche von vorn nach rückwärts gezählt werden.
1. Vordere Schädelgrube. Sie liegt unter allen am höchsten,
und wird durch die Partes orbitaria^ des Stirnbeins, die Lamina
ct^brosa des Siebbeins, von welcher man nur sehr wenig sieht, und
die schwciifiirmigen Flügel des Keilbeius gebildet. Der scharfe
hintere Rand der letzteren, trennt sie von der darauf folgenden
mittleren Grube. Aus der Mitte ihres Grundes ragt die Crista galli
empor, vor welcher das Foramen coecum und der Anfang der Crista
frontalis liegen.
2. Die mittlere Schädelgrube hat die Gestalt einer liegen-
den Qc, und besteht eigentlich aus zwei seitlichen Gruben, welche
durch die Sdla turcica mit einander in Verbindung stehen. Sie wird
durch die oberen und die beiden Seitenflächen des Körpers des
Keilbeins, so wie durch die Superficies cerebralis des grossen Keilbein-
flügels, und durch die obere Fläche der Felsenpyraraide zusammen-
gesetzt. Der obere Rand der Pyramide trennt sie von der
3. hinteren Sehädelgrube, welche die übrigen an Grösse
übertrifft, und durch das Hinterhauptbein, die hintere Fläche der
Felsentheile, und die innere Fläche der Partes mastoideae der Schläfe-
beine gebildet wird.
S. 104. Schädelhöhle. 293
Nebst diesem Gruben findeu sich an der inneren Oberfläche
des Schädelgehäuses noch Rinnen oder Furchen, welche entweder
verzweigt sind, oder keine Nebenäste abgeben. Die verzweigten
Furchen nehmen die arteriellen und venösen Gefassramificationen
der harten Hirnhaut auf, und heissen SuUi arterioso-venosi. Sie ent-
springen am Foramen spino8um mit einer Hauptfurche, welche an der
Schuppe des Schläfebeins sich in zwei Nebenzweige theilt, deren
vorderer über die Gehirnfläche des grossen Keilbeinflügels zum
Angtdus sphenddalia des Seiten wandbeins schief emporsteigt, während
der hintere über die Schläfeschuppe beiläufig zur Mitte des unteren
Randes des Seitenwandbeins zieht, wo dann beide durch wieder-
holte Theilung allmälig sich verjüngen, und über die ganze innere
Fläche des Seitenwandbeins bis auf das Stirn- und Hinterhauptbein
hin ausstrahlen. — Die unverzweigten Furchen sind viel breiter,
als die verzweigten , enthalten gewisse Blutleiter der harten Hirn-
haut, und heissen deshalb Suld venosL Wir unterscheiden folgende
Sidci v&iiod:
a) Der grösste dereelben beginnt als Sulcus longitudinalis schon
an der Crista des Stirnbeins, geht längs der Sutura sagittalis nach
rückwärts, dann an der rechten Seite des senkrechten Schenkels
der Eminentia cruciata inteima des Hinterhauptbeins nach abwärts,
und setzt sich in die Furche zwischen den rechten Hälften der
beiden Querlinien der Eminentia cruciata als Sidcus transversus fort,
streift über den Warzenwinkel des Seitenwandbeins nach vorn, und
steigt an der inneren Fläche des Warzentheils des Schläfebeins
herab, um sich um den Processus jugtUaris des Hinterhauptknochens
herum zum Foramen jugtdare dextrum zu begeben.
b) Zwischen den linken Hälften der beiden Querlinien der
Eminentia cruciata interna des Hinterhauptbeins, befindet sich ein
ähnlicher, aber schmälerer Venensulcus, welcher denselben Weg zum
Foramen jugidare »inistrum einschlägt.
c) Am oberen Rande der Pyramide liegt ein constanter Sulcus
petrosus auperior, und
d) am vorderen und hinteren Rande der häufig fehlende Sulcus
petrosus anterior ei posterioi\
Am skeletirten Schädel existirt, zwischen der Spitze der Felsen-
pyramide und dem Keilbeinkörper, eine zackige Oeffnung, welche
im frischen Schädel durch Knorpel ausgefüllt ist, sich in den,
zwischen hinterem Winkel der Pyramide und Seitentheil des Hinter-
hauptbeins befindlichen Spalt (Fissura petroso-hasilarij^) verlängert,
und Foramen lacerum anterius genannt wird.
Die durch einen senkrechten Durchschnitt des Schädels er-
haltenen Hälften desselben, sind fast niemals vollkommen gleich.
Diese Ungleichheit trifft besonders gewisse Einzelfheiten, und zwar
294 ^ l^'*' Ailfemeine B«merkiiBfMi Aber 4ie 6««ichUkDOcheo.
vorzugsweise die Graben des Hinterhauptbeins^ die Sidci venosi und
Foramina jugularia, welche auf der rechten Seite stärker ausgewirkt
gefunden werden. Man glaubte mit Unrecht ^ den Grund dieser
Asymmetrie in dem häufigen Liegen auf der rechten Seite gefunden
zu haben, wodurch das venöse Blut, den Gesetzen der Schwere
zufolge, nach dieser Seite gravitirt.
E« g^ewährt dem AnfXng^r yiel Nutjsen, sich beim Studium der Sch&del-
gruben nicht der zerlegen Schädelknochen , sondern eines horizontal und eines
verticAl aufgesigten Schüdels zu bedienen, und an der Basis und den Seitenwänden
derselben, die einzelnen Oeffhungen und Furchen au&usuchen, welche in der
speciellen Beschreibung der Schädelknochen genannt wurden. Das relatiTe
LagerungsverhältnisB dieser Oeffnungen und Furchen, wird sich für die Angaben
der später folgenden Doctrinen, besonders der Gefäss- und Nervenlehre, als nütz-
lich bewähren.
Ausführliches über die osteolog^chen Verhältnisse der Schädelhöhle, über
Nähte, Fontanellen, Geschlechts- und BacenverschiedenheiteD, enthält mein Hand-
buch der topog^phischen Anatomie, 6. Aufl. 1. Bd. Wien, 1871.
b) Ghesichtsknochen.
§. 105. Allgemeine Bemerkungen über die Gfesichtsknochen.
Das Gesichtsskelet wird durch vierzehn Knochen construirt.
Dreizehn derselben (die paarigen Oberkiefer-, Joch-, Gaumen-,
Nasen-, Thränen-, Muschelbeine, und der unpaarige Pflugschar-
knochen), sind zu einem unbeweglichen, an der Hirnschale be-
festigten Ganzen verbunden, welches die zur Unterbringung der
Gesichts- und Geruchswerkzeuge erforderlichen Höhlen enthält.
Unter diesen liegt der vierzehnte Gesichtsknochen (der Unterkiefer),
welcher mit dem übrigen Knochengerüste des Gesichts in keiner
Verbindung steht, und nur während des Zubeissens, mit seiner Zahn-
reiho jene des Oberkiefers trifft. Er wird an der Basis des Hirn-
schädels, und zwar am Schläfebein, beweglich durch ein Gelenk,
suspendirt.
Da das Pflugscharhein um eine Zeit, wo noch alle übrigen Kopfknochen
getrennt von einander bestehen, schon mit dem Siebbein zu verwachsen beginnt,
so kannte es, mit Portal und Lieutaud, als ein Theil dieses Knochens an-
geMchen werden, wodurch die Zahl der Gesichtsknochen auf dreizehn reducirt
würde, von welchen die sechs paarigen das Oberkiefergerüste bilden, welchem der
einzige unpaare Knochen des Unterkiefers beweglich gegenübersteht.
Der Oberkieferknochen verhält sich zum Gesichte, wie das
vereinigte Keilhinterhauptbein zum Himschädel. Er steUt einen
wahren Basilarknochen des fixen Oberkiefergerüstes dar, welcher
sich mit allen übrigen Knochen dieses Gerüstes verbindet, und
§. 106. Oberkieferbein. 295
ihnen an Grösse bei weitem überlegen ist. Alle Gesichtsknochen,
welche Verbindungen mit dem Oberkiefer eingehen, sind nur des
Oberkiefers wegen da, und dienen ihm auf zweifache Weise;
1. Sie bezwecken entweder eine Vermehrung und Kräftigung
seiner Verbindungen mit der Hirnschale, und befestigen dadurch
den wankenden Thron dieses Gesichtsmonarchen, damit er dem
Druck widerstehe, welchen er von seinem unruhigen und viel-
bewegten Antagonisten — dem Unterkiefer — beim Kauen zu er-
dulden hat. Solche Gesichtsknochen sind das Jochbein und das
Nasenbein. Ich nenne sie deshalb Stützknochen des Oberkiefers.
2. Oder sie dienen zur VergrÖsserung gewisser Flächen des
Oberkiefers. Ilieher sind zu zählen alle übrigen kleineren und
dünneren Gesiehtsknochen : Gaumenbein , untere Nasenmuschel,
Thränenbein, welche Knochen ich als Supplemente des Ober-
kiefers zusammenfasse. Die Stützknochen werden einen bedeuten-
den Grad von Stärke besitzen müssen, dessen die Supplementknochen
leicht entbehren können. Erstere werden kurze und dicke, letztere
flache und dünne Knochen sein.
Die Verbindungen der Gesichtsknochen mit den Schädelknochen, werden
durch stark gesälinte Nähte, und die Verbindiuigen derselben unter einander,
grösstentheils durch Anlagerungen bewerkstelligt.
Von den paarigen Gesichtsknochen genügt es, nur Einen zu beschreiben.
§. 106. Oberkieferbein.
Das Oberkieferbein, Maxüla superior, Os maxülare superius,
behauptet durch seine Grösse und seine Armirung mit Zähnen als
passives Kauwerkzeug, den Vorrang unter seinen Ge&hrten und
Nachbarn, welche mit ihm die obere fixe Gesichtshälfte aufzubauen
haben. Wir unterscheiden an ihm einen Körper, und vier Fortsätze.
Der Körper besitzt, wenn man sich alle Fortsätze weg-
genommen denkt, die Gestalt eines Keils. Um mit Auf rech thaltung
seiner Grösse und Form, eine gewisse Leichtigkeit zu verbinden,
musste er hohl sein. Die Höhle heisst Sinits maxUlaris s, Antrum
Highmori, hat ganz die Gestalt des Körpers des Oberkiefers, und
wird nur an seiner unteren Wand zuweilen durch niedrige Quer-
leisten in fächerförmige Gruben abgetheilt. Diese Höhle war aber
allen Anatomen schon lange vor Nathana^l Highmor bekannt.
Sie führt nur den Namen dieses praktischen Arztes in Oxford, weil
er in seiner Disquisitio anat. corp, hum. Hagae , 1651, über die
chirurgischen Krankheiten, namentlich Fisteln derselben, viel Nütz-
liches gesagt hat.
296 §. iOC. Oberkieferbein.
Der Körper des Oberkiefers besitzt drei Flächen oder
Wände:
1. Die äussere oder Gesichtsfläche (Supet^ficies facialis)
ist von vorn nach hinten convex, und durch eine gegen den
gleich zu erwähnenden Jochfortsatz ansteigende glatte Erhabenheit,
in eine vordere und hintere Hälfte getheilt. Die vordere, welche
etwas eingesunken aussieht, zeigt unter ihrem oberen Rande das
Forameii infraorbitale, und unter diesem eine seichte Grube, wie einen
Fingereindruck der Knochenwand (Fovea maxälaris s. canina). Die
hintere erscheint convex, und wird nach hinten durch eine, mit
vielen Löchern durchbohrte Rauhigkeit (Taherodtas maxillaris) be-
grenzt. Die Löcher derselben sind theils der Ausdruck der
schwammigen Textur des Knochens, theils dienen sie als Zugänge
zu GefUss- und Nervenkanälen, und heissen in diesem Falle Fw^a-
mina maxillaria superiora, obwohl jedes Loch des Oberkiefers auf
diese Bezeichnung Anspruch hat.
2. Die obere oder Augenhöhlenfläche, Superficies orhitalis
s, Planum orbitale, ist dreieckig, und nach vorn und aussen etwas
abschüssig. Von ihren drei Rändern trägt nur der innere dort kurze
Nahtzacken, wo er sich mit dem unteren Rande der Lamina paptj-
racea des Siebbeins verbindet. Der vordere ist scharf, der hintere
abgerundet. Der vordere bildet einen Theil des unteren Augen-
höhlenrandes (Margo infraorbitalis). Der hintere erzeugt mit dem,
über ihm liegenden, unteren Rande der Augenhöhlenfläche des
grossen Keilbeinflügels, die untere Augengrubenspalte (Fissura
orbitalis inferior). Von ihm geht eine Furche, die sich allmälig in
einen Kanal (Canalis infraorbitalis) umwandelt, nach vorwärts. Der
Canalis infraorbitalis streicht unter der Augenhöhlenflächc des
Körpers des Oberkiefers nach vorn, um am Foramen infraorbitale
auszumünden.
Der Canalis infraorbitalig führt, kurz vor seiner Ausmündnng am Foramen
mfraorbüale, nach abwärts in ein Nebenkanälchen (Canalis alveolaris anterior),
welches Anfang zwischen den beiden Lamellen der Facialwand des Oberkiefer-
körpers, später aber als Furche an der, der HighmorshÖhle zusehenden Fläche
dieser Wand, gegen die Wurzeln der Schneidezähne herabläuft. Dieses Kanälchen
kann, so wie die mehrfibohen Canales alveolares posteriores, welche von den Foramina
maxillaria stiperiora aasgehen, bei äusserer Untersuchung des Knochens nicht gesehen
werden, und muss mit Hammer und Meissel verfolgt werden. Die Varietäten des
Canalis infraorbitalis beschreibt erschöpfend G ruber, in den Mem. de VÄcad. de
SU-PÜersbourg, XXL
3. Die Nasenfläche (Superficies nasalis) zeigt die grosse
OeflFnung der Highmorshöhle, und vor dieser den weiten Sulcus
lacrimalis als senkrechten Halbkanal.
Die vier Fortsätze des Oberkiefers wachsen nach oben, aussen,
unten, und innen, aus dem Körper heraus. Sie sind:
§. 106. Oberkieferbein. 297
1. Der I^ocesmis nascUü s. frontcdis. Durch die tiefgekerbte
Spitze dieses Fortsatzes, verbindet sich das Oberkieferbein direct
mit der Hirnschale an der Parsnasalis des Stirnbeins. Sein vorderer
Rand ist an der oberen Hälfte geradlinig, und stösst an das Nasen-
bein ; die untere concave Hälfte dieses Randes hilft mit demselben
Rande des gegenständigen Oberkieferbeins, den vorderen Nasen-
eingang (Apertura pijrifoi^mis narium) bilden. Der hintere Rand
stösst an das Thränenbein. Die äussere Fläche wird durch eine
aufsteigende Fortsetzung des Margo infraxyrbitalis in eine vordere,
ebene, das knöcherne Nasendach bildende, und in eine hintere,
kleinere, rinnenförmig gehöhlte Abtheilung (Thränensackgrube,
Fossa sacci lacrymdlis) getheilt, welche sich nach abwärts in den
Sulcus lacrymaiis der Nasenfläche des Oberkieferkörpers continuirt.
Die innere Fläche deckt mit ihrem oberen Felde einige Zellen des
Siebbeinlabyrinthes, und wird weiter unten durch eine vom unteren
Ende des Sulcua lacrijmalis nach vorn laufende rauhe Leiste (Crista
turhinalis) zur Anlagerung der unteren Nasenmuschel , quer ge-
schnitten. Zuweilen Hegt, einen Daumen breit über der Crista
turbinalis, noch eine rauhe, lineare Anlagerungsspur des vorderen
Endes der unteren Siebbein muschel, als Crista ethmoidalis.
2. Der nach aussen gerichtete, stumpfpyramidale und niedrige
Processus zt/gomaticiis dient dem Jochbein als Ansatzstelle, und er-
scheint durch eine dreieckige, zackenbesetzte Fläche, wie abge-
brochen. Zuweilen zeigt diese Fläche eine unregelmässige OeflFnung
von verschiedener Grösse, durch welche man in die Highmorshöhle
hineinsehen kann.
3. Der horizontal nach innen gerichtete, viereckige und starke
Processus palatlniis, kehrt seine obere, glatte, concave Fläche der
Nasenhöhle, und seine rauhe, untere Fläche der Mundhöhle zu,
und bildet mit dem der anderen Seite, den vorderen grösseren Theil
des harten Gaumens. Sein innerer und hinterer Rand sind ge-
zackt, ersterer überdies aufgebogen, und nach vorn zu höher werdend.
Durch den Zusammenschluss der inneren Ränder des rechten und
linken Processus palatinus, entsteht die mediane Crista nasalis, welche
nach vorn in die Spina nasalis anterior (vorderer Nasenstachel) aus-
läuft. Einen halben Zoll hinter der Spitze der Spina nasalis anterior
liegt an der oberen Fläche, dicht am inneren Rande derselben, ein
Loch, welches in einen schräg nach innen und abwärts laufenden
Kanal (Canalis na^o-palatinus) führt. Die Kanäle des rechten und
linken Gaumenfortsatzes convergiren somit, vereinigen sich, und
münden an der unteren Fläche des harten Gaumens, durch eine
gemeinschaftliche Oefihung aus, welche in der, die Gaumenfortsätze
verbindenden Naht, hinter den Schneidezähnen liegt, und deshalb
Foramen incisivum s. paUuinum anteritis genannt wird.
298 6. 106. Oberkieferbein.
4. Der Processus cdveolaris wächst aus dem Körper des Ober-
kiefers nach unten heraus. Wir finden ihn bogenförmig gekrümmt,
mit äusserer Convexität. Er besteht aus einer äusseren schwächeren,
und inneren stärkeren Platte, welche ziemlich parallel laufen, und
durch Querwände so unter einander zusammenhängen, dass acht
Zellen (Alveoli, Diminutiv von cdveus, Trog, auch Vertiefung)
für die Aufnahme eben so vieler Zahnwurzeln entstehen. Die Form
der Zellen richtet sich nach der Gestalt der betreffenden Wurzeln.
Die wellenförmige Krümmung der äusseren Platte des Fortsatzes
(Jttga (dveclaria), lässt die Lage und Tiefe der Alveoli absehen.
Man kann am eigenen Schädel die Juga recht deutlich fUhlen, wenn
man den Finger über dem Zahnfleisch des Oberkiefers hin und her
föhrt. Da die Jitga alveolaria der Dicke der Zahnwurzeln ent-
sprechen müssen, so erfährt der Zahnarzt aus derselben Unter-
suchung am Lebenden, ob ein Zahn leicht oder schwer zu nehmen
ist, und richtet darnach das Maass der anzuwendenden Kraft.
Man begegfnet am Oberkiefer auch ansser^wöbnliche Nähte oder Naht-
spuren, welche als Ueberbleibsel embryonaler Bildangsznstände des Knochens an-
snsehen sind, oj Vom Foramen rnfraorhitale snm gleichnamigen Margo, und sn-
weilen durch das ganze Planum orbitale laufend, b) Von der Spitze des Proceatut
frcnUüU gegen den unteren Augenhühlenrand, wodurch das hintere, die Thränen-
sackgrube bildende Stück des Fortsatzes selbststündig wird (selten), c) Hinter den
Schneidezähnen, quer durch das Foramen incUivtim gehend. Meckel sieht in
dieser letztgenannten Nahtspur, eine Andeutung zur Isolirung des, bei den Säuge-
thieren existirenden , und die Schneidezähne tragenden O« incuintm «. inter-
nutxälare, dessen Begrenzung, wenn die auch an der vorderen Seite des Körpers
bei dreimonatlichen Kmbryonen gesehene Fissur permanent bliebe, vollständig würde.
Am inneren Rande der Augenhöhlenfläche des Oberkiefers, bemerkt man
zuweilen die Cellnlae orhüariae Ffalleri, welclie zur Completirung des Siebbein-
labyrinthes verwendet werden. — Die Highmorshöhle wird durch eine Scheide-
wand, wie beim Pferde, getheilt, oder fehlt gänzlich, wie Morgagni gesehen zu
haben versichert. — Die Altedi der Backen- oder Mahlzähne communiciren mit
der Kieferhöhle, und die Spitzen der Zalmwurzeln ragen frei in letztere hinauf. —
Das Forauien infraorbUaie wird doppelt, wie bei einigen Quadrumanen. — Die
beiden Canale» naso-palatini verschmelzen im Herabsteigen nicht zu einem unpaaren
medianen Kanal, sondern bleiben getrennt, so dass ein doppeltes Foramen incUicum
gegreben ist Jedes derselben kann in eine vordere grössere und hintere kleinere
OefTnung zerfallen. — Selten tritt zwischen zwei getrennt bleibenden Oanalea
tuuo-palaäni, ein unpaarer medianer Kanal auf, welcher nach oben an die Nasen-
Scheidewand stösst, und daselbst blind endigt — Nicht ungewöhnlich erscheint
das Forameti inei«icum als Endmündung einer geräumigen, erbsengprossen Höhle,
in welche Höhle sich die beiden Canale* noMO-palatini öffnen.
Greht ein Zahn verloren, so schwindet dessen Alceolu» durch Resorption,
welcher Schwund im hohen Alter den ganzen zahnlosen Alveolarfortsatz an beiden
Kinnbacken trifft
Das Oberkieferbein heisst bei Hippokrates /, svoj yvx6o;, zum Unterschied
von r^ xfltrw "fvaBo;, Unterkiefer.
S. 107. Jochbein. 299
§. 107. Jochbein.
Das Jochbein^ Os zygomaticum, wird auch Oa molare und
jugcUe genannt, bei älteren Anatomen subocuiare, hypopium, zygcma,
auch pudicumy der Schamröthe wegen. Bei Hippokrates heissen
die Jochbeine xuxXot wpoadixou, weil die Gegenden, welche diese
paarigen Knochen im Gesichte einnehmen, sich als harte und rund-
liche Hügel anfühlen. Aus demselben Grunde nannten die Alten
diese Klnochen : poma facid, welcher Name sich im französischen
pommette erhalten hat.
Das Jochbein hat, nach Verschiedenheit seiner Grösse und der
Stellung seiner Flächen, einen sehr bestimmenden Einfluss auf die
Gesichtsform. Wir erkennen in ihm einen massiven Strebepfeiler,
durch welchen der Oberkiefer mit drei Schädelknochen, — dem
Stirn-, Schläfe- und Keilbein — verbunden, und in seiner Lage
befestigt wird, daher sein griechischer Name Zygoma, von ^uyöo),
einjocheu, verbinden, und sein lateinischer : Oa jugale, von dem aus
jungo gebildeten jugum, Joch. Wir haben somit auch an diesem
Knochen drei Fortsätze zu unterscheiden, welche nach jenen Schädel-
knochen, zu welchen sie gehen, benannt werden. Der nach oben
gehende Stirnbein fortsatz muss der stärkste sein, da der Druck
beim Kauen und Beissen von unten her auf den Oberkiefer wirkt,
und folglich dem möglichen Ausweichen dieses Knochens nur durch
eine starke Stütze am Stirnbein entgegengewirkt werden konnte. Der
nach hinten gerichtete Joch fort »atz bildet mit dem entgegen-
wachsenden Jochfortsatze des Schläfebeins, eine knöcherne Brücke
(Pons 8, Arcus zygomalicus), welche die Schläfengrube horizontal
überwölbt, und ihrer, bei verschiedenen Menschenracen verschie-
denen Richtung, Bogenspannung, und Stärke wegen, als anatomischer
Racencharakter benützt wird. Beide Jochbrücken stehen am Schädel,
wie horizontale Henkel an einem Topfe, — daher der alte Name
Ansäe capitis. Der Keilbein fortsatz, welcher sich mit dem
vorderen Rande der Orbitalfläche des grossen Keilbeinflügels ein-
zackt, ist eigentlich nur eine nach hinten gerichtete Zugabe des
Stimfortsatzcs, und der schwächste von allen dreien.
Ein eigentlicher Körper mit kubischen Dimensionen fehlt am
Jochbeine. Wir nennen den mit dem Jochfortsatze des Oberkiefers
durch eine dreieckige, rauhgezackte Stelle verbundenen Theil des
Knochens: den Körper, welcher ohne scharf gezeichnete Grenzen
in die Fortsätze tibergeht. — Die Flächen des Knochens, welche
eben so gut den Fortsätzen, wie dem Körper angehören, werden
nach ihrer Lage in die Gesichts-, Schläfen-, und Augenhöhlen-
fläche eingetheilt. Von der Augenhöhlenfläche zur Gesichtsfläche
300 §. 108. Nasenbein.
läuft durch die Substanz des Knochens der Cancdis zygomaticus
facialis. Von ihm zweigt sich meistens ein feiner Nebenkanal ab,
welcher zur Schläfenfläche des Jochbeins führt. Es findet sich
aber an wandelbarer Stelle, gewöhnlich hinter dem CanaUs zygo-
maticm facialis, noch ein zweiter, das Jochbein durchsetzender Kanal,
als Canalis zygomaticus temporalis, welcher von der Augenhöhle in
die Schläfengrube führt. — Der Rand, welcher die Augenhöhlen-
und Gesiehtsfläche des Jochbeins trennt, ergänzt die äussere Um-
randung der Orbita.
Das Jochbein entspricht dem hervorragendsten Theil der Wange, ifuda
(von mando, wie »caln von ncando). Seine Verwendung als Stützknochen, nnd
seine vorspringende, durch mechanische Schädlichkeiten von aussen her leicht zu
treffende Lage erfordert es, dass das Jochbein der stärkste Knochen der oberen
Hälfte des Gesichtsskeletes ist. Es schliesst deshalb auch keine Höhle ein. -*
Das Jochbein variirt nur wenig, und fehlt in äusserst seltenen Fällen (Dumeril,
Meckel), oder wird durch Quemähte in zwei (Saudi fort), ja selbst in drei
Stücke (Spix) getheilt An dem der Schläfe zugekehrten Rande des Knochens
befindet sich häufig eine stumpfe Ecke oder Zacke, als Proceamu marginalis. —
Das rechte Jochbein wird gewöhnUch etwas stärker gefunden, als das linke, in
Folge des stärkeren Gebrauches des rechten Kaumuskels. Nicht g^z selten fehlt
der Canalis zygomaticu» facialis, wo dann der aus der Augenhöhle in die Scliläfen-
grübe führende Kanal um so stärker entwickelt angetroffen wird. — Bei mehreren
Edentaten und beim Tenrec (C^ntet^s fcaftdainsj fehlt der Amis zygomaHais
gänzlich.
§. 108. l!fasenl)eiii.
Das Nasenbein, Os nasi s, nasale, bildet mit seinem Gespan
den knöjphernen Nasenrücken. Beide Nasenbeine sind zwischen die
oberen Enden der Stirnfortsätze der Oberkiefer eingeschoben, und
stossen mit ihren inneren Rändern, welche die Spi^ia nascdis des
Stirnbeins decken, an einander. Sie stellen längliche, aber ungleich-
seitige Vierecke dar, und sind an ihrem oberen Rande dicker als
am unteren. Der sehr dicke, obere, kurze, und zackige Rand, greift
in die Incisura nasalis de« Stirnbeins ein ; der scharfe, untere, längere
Rand ist frei, und begrenzt die Incisura pyriformis narium nach
oben. Die vordere glatte Fläche ist von oben nach unten flach
8attehV)rmig gehöhlt; die hintere rauhe Fläche sieht gegen die
Nasenhöhle. Ein oder zwei Löcher (Foramina nasalia) durchbohren
das Nasenbein.
Die oberflächliche Lage der Nasenbeine setzt sie den Brüchen mit Eindruck
ans. Letzterer wird, da man der hinteren Fläche der Knochen von der Nase aus
beikann, leicht zu heben sein.
Kein Knochen des Gesichts erreicht seine volle Ausbildung so frühzeitig,
und ist im neugeborenen Kinde schon so sehr entwickelt, wie die Nasenbeine.
Sie sind äusserst selten einander vollkommen gleich, verschmelzen am Pfottentotten-
$. 109. OauAenbcin. 301
Schädel theilweise oder ganz mit einander (Affenähnlichkeit), oder fehlen einseitig
oder beiderseits, und werden dann durch grössere Breite des Stimfortsatzes des
Oberkiefers ersetzt. Zuweilen schiebt sich in die Naht zwischen beiden Nasen-
beinen in kurzer Strecke der vordere Rand der Papierplatte des Siebbeins ein.
An einem Schädel meiner Sammlung findet sich ein von oben her zwischen beide
Nasenbeine eingekeiltes dreieckiges Knöchelchen vor, welches mit dem vorderen
Rande der Spina mualia des Stirnbeins verwachsen ist fHyril, Über Schaltknochen
am Nasenrücken, österr. Zeitschrift für prakt Heilkunde, 18G1, Nr. 49). — Mayer
erwähnt noch zweier accessorischer , kleiner Knöchelchen, welche unter hundert
Schädeln 2 — 3 Mal, in einem dreieckigen Ausschnitte zwischen den unteren Rändern
der Nasenbeine vorkamen, und die er für Analoga der bei einigen Säugethieren
(Maulwurf) vorkommenden Rüsselknochen hält (Archiv für physiol. Heilkunde.
1849). Mayer nennt sie Ossa wUemtualia, Sie scheinen mir besser mit dem
Oa praeitasale einiger Edentaten verglichen zu werden.
Van der Hoeven, über Formabweichungen der Nasenbeine, in der Zeitschrift
für wiss. Zool. 1861.
§. 109. &auiiienl)ein.
Das zarte, und seiner Gebrechlichkeit wegen, selten im unver-
sehrten Zustande zu erhaltende Gaumenbein, Os palatinum, bildet
insofern einen Supplementknochen des Oberkiefers, als es die Nasen-
fläche und den Gaumenfortsatz dieses Knochens in der Richtung
nach hinten vergrössert. Da aber Nasenfläche und Gaumenfortsatz
des Oberkiefers zu einander im rechten Winkel stehen, so muss
auch das Gaumenbein aus zwei rechtwinklig zusammengefügten
Stücken — Pars peiyendicularis et horizontalis — zusammen-
gesetzt sein.
a) Die dünne und länglich-viereckige Pars perpendicuiaris be-
sitzt an ihrer inneren Fläche zwei horizontale, rauhe Leisten: die
untere, stärker ausgeprägte (Crüta turbinalis) für die Anlage der
unteren Nasenmuschel; die obere, schwächere (Crista ethmoidalis)
für die Concha ethmoidalis inferior. Die äussere Fläche legt sich
an die Superficies nasalis des Oberkieferkörpers hinter der OefFnung
der Highmorshöhle an. Der vordere Rand verlängert sich zu
einem dreieckigen düimen Fortsatze, der sich von hinten her über
die Oefi'nung der Highmorshöhle schiebt, und dieselbe verengert.
Der hintere Rand zeigt den Sulcus pterygo-palatinus, darum so ge-
nannt, weil er mit dem, am vorderen Rande des Processus ptertf-
(joideus des Keilbeins befindlichen, ähnlichen Sulciis, den (Janalis
ptertjgo'palatinns bilden hilft, zu dessen vollkommener Schliessung
auch die, am hinteren Winkel des Oberkieferkörpers befindliche,
seichte Längenfurche concurrirt. Vom oberen Rande entspringen
zwei Fortsätze, welche durch eine tiefe Incisur von einander ge-
trennt werden. Die Licisur wird durch die untere Fläche des
302 §. 109. Oa«menb«in.
Keilbeinkörpers zu einem Loche (Foramen spheno-paIctHnum) , von
drei Linien Querdurchmesser, geschlossen. Der vordere Fortsatz
wird zur Bildung der Augenhöhle einbezogen, und heisst deshalb
Proce89U8 orbücUü. £r schmiegt sich zwischen den inneren Rand
der Augenhöhlenfläche des Oberkiefers, und die Lamina papyracea
des Siebbeins hinein, und enthält sehr häufig 2 — 3 kleine CMvlae
pcdatincie, welche die hinteren Siebbeinzellen decken imd schliessen.
Der hintere Fortsatz, Processus sphenoidaUs , krümmt sich gegen
die untere Fläche des Keilbeinkörpers, und überbrückt die daselbst
erwähnte Längenfurche zu einem Kanal (Canalis spheno-paUaUnus)
». 97, a.
h) Die Pars horizontalis ist zwar stärker, aber kleiner, als die
senkrechte Platte des Gaumenbeins. Viereckig von Gestalt, hilft sie
mit den Gaumenfortsätzen des Oberkiefers den harten Gaumen,
Palatum osseum, bilden. Der innere, zur zackigen Verbindung
mit dem gleichnamigen Fortsatze des gegenseitigen Gaumenbeins
dienende Rand, wirft sich zu einer Crista auf, welche sich nach
vom in die, durch die Gaumenfortsätze des Oberkiefers gebildete
Crista nasalis fortsetzt. Der vordere Rand stösst an den hinteren
Rand des Gaumenfortsatzes des Oberkiefers, der äussere dient
zur Verschmelzung mit der Pars perpendundaris, und der hintere,
halbmondförmige, bildet mit dem der anderen Seite die Spina mucdis
posterior, als hinteres Ende der Crista nasalis.
An der Verschmelzungsstelle des senkrechten und wagrechten
Stückes entspringt der nach hinten gerichtete, und in diie Hncisura
pterygoidea des Keilbeins sich einkeilende, Processus pf/ramiddlie. Er
zeigt uns die Fortsetzung des Sulcus pterygo-palatintis, welcher zu-
weilen ganz von Knochenmasse umschlossen, und in diesem Falle,
ohne Beihilfe des Processus ptei*ygoideus des Keilbeins (und des
Oberkiefers) in einen Kanal umgewandelt wird. Dieser Kanal er-
zeugt noch zwei Nebenkanäle, welche den Pyramidenfortsatz nach
abwärts durchbohren, so, dass der ursprünglich und oben einfache
Catwlis pterygo-palatinus, im Herabsteigen in drei Kanäle sich spaltet,
welche an der unteren Fläche des Processus pyramidalis, also am
harten Gaumen, durch die drei Foramina palatina posteriora aus-
münden, von welchen das vordere, als Mündung des Hauptkanals,
das grösste ist.
Die Autoren erwähnen keine erheblichen Verschiedenheiten an den Gaumen-
beinen. Ich besitze jedoch einen Fall, wo die Pars horizontali» des Gaumenbeins
mit der perpetidicularu durch Naht verbunden ist, und einen zweiten, an welchem
die sehr schmalen Parte» horizontales zugleich so kurz sind, dass sie sich einander
nicht erreichen, sondern ein nach hinten gerichteter Fortsatz, der Processus palalini
beider Oberkiefer , sich zwischen sie einschiebt , und den hinteren Nasen*
Stachel bildet
§. 110. ThrSnenb«iB. — $. 111. Untere Nasenmaschel. 303
§. 110. Thranentein.
Der kleinste und zarteste aller Kopfknochen ist das Thränen-
bein, Os lacrymale (auch Oa unguis^ von seiner Gestalt und Dünne,
wie die Platte eines Fingernagels). Dasselbe dient theils der Papier-
platte des Siebbeins, theils der Thräneusackgrube des Oberkiefer-
beins als Supplement. Ein längliches Viereck bildend, liegt das
Thränenbein am vordersten Theile der inneren Augenhöhlenwand,
zwischen Stirnbein, Papierplatte des Siebbeins, und Stirnfortsatz des
Oberkiefers. Seine äussere Fläche wird durch eine senkrechte
Leiste (Crista lacrymalia) in eine vordere kleinere, und hintere
grössere Abtheilung gebracht. Erstere stellt eine Rinne vor, welche
durch das Heranrücken an den Stirnfortsatz des Oberkiefers, welcher
eine ähnliche Rinne besitzt, die Thräneusackgrube (Fossa sacci lacry-
rnaUs) vervollständigt, deren Fortsetzung der absteigende Thränen-
Nasenkanal (Canalis nasO'lacrymaUs) ist. Die Orista lacrymalis ver-
läuft nach unten in den gekrümmten Thränenbeinhaken (Hamvlus
lacrt/malts) aus, welcher in den scharfen Winkel zwischen Stim-
fortsatz und Augenhöhlenfläche des Oberkiefers eingefugt wird,
und nicht selten fehlt. Die innere Fläche deckt die vorderen
Siebbcinzellen.
Das Thränenbein ist beim Neugeborenen, nach den Nasenbeinen der ent-
wickeltste Gesichtsknochen. — Bei Alteren Indiyidaen erscheint, in Folge seniler
Knochenatrophie, das Thränenbein häufig durchlöchert. Die Durchlöcherung kann
so weit gedeihen, dass der Knochen siebartig durchbrochen aussieht Ich besitze
einen Fall, wo das Thränenbein durch eine senkrechte Naht in zwei Stücke zer-
fällt. Grub er beschrieb ein merkwürdiges Unicnm (Müller^ s Archiv, 1848), wo
das fehlende Thränenbein, durch eine grosse Anzalil blättchenartiger Fortsätze
1)enachbarter Knochen ersetzt wurde. Er hat auch das Verdienst, ein von
E. Rousseau in den AnneUes des aciencea naturelles ^ 1829, beschriebenes Knöchel-
chen, welches zuweilen den oberen Theil der äusseren Wand des Thränennasen-
kanals bildet, neuerdings sorgfältig auf sein Vorkommen untersucht zu haben.
Hierüber handelt auch Luschka, in MiiUer'a Archiv, 1858, und Mayer, ebenda,
1860. — Zuweilen bildet das Thränenbein mit der Lamina papyracea des Sieb-
beins ein Continuum.
§. 111. Untere ÜTasenmuscheL
Ganz in der Nasenhöhle verborgen, und deshalb bei äusserer
Besichtigung des Schädels kaum zu sehen, ist die untere Nasen-
muschel, Concha inferior (Os turbinatum 8, spongiosum, Bucdrmm,
Concha Veneris). Sie haftet an der inneren Wand des Oberkiefer-
körpers, und gleicht an Gestalt einer Teichmuschel, deren Schloss
nach oben, und deren convexc Seite nach innen gegen die Nasen-
304 §. Itt. PflvgseliarWB.
Scheidewand gerichtet ist. Da bereits am Siebbein beiderseits zwei
Muscheln bekannt wurden, so wird die untere l^asenmuschel , die
keinen Bestandtheil eines anderen Knochens ausmacht, mit Keclit
als freie Nasenmuschel bezeichnet werden können. Sie ist dünn,
leicht, porös, und am unteren Rande, welcher etwas nach aussen
und oben aufgerollt erscheint, gewöhnlich dick und wie aufgebläht.
Der obere Rand giebt dem in die Oeffnung der Highmorshöhle
sich einhäkekiden ProcessuLS maxülaris den Ursprung. Vor diesem
findet sich der gegen das Thränenbein aufsteigende, und den Canalis
luuO'lacrymalis theilweise bildende Processus lacrymalis. Ein mit dem
Siebbeinhaken sich verbindender Processus ethmoidcdis ist unconstant.
Das vordere und hintere zugespitzte Ende verbindet sich mit der
Orista turhinalis des Oberkiefers und des Gtiumenbeins.
Die anteren Nasenmuscheln verwachsen frühzeitig mit den Knochen, zu
welchen sie Fortsfttse schicken, und wurden deshalb Mher ftlr Theile anderer
Gesichtsknochen ^halten: des Thrlnenbeins (Win slow), des Gaumenbeins (San-
torini), des Siebbeids (Fallopia, Hunold). — Der alte Name der Nasen-
mnschel, als Stanitzelbein, ist eine triviale Uebersetzung von Manica IRppo-
craU», eine Filtrirtüte der Apotheker, mit welcher Casserius diesen Knochen
verglich.
Der Mensch hat unter allen Säugethieren die am wenigsten entwickelten
Nasenmuscheln. Welch' enormen Entwicklungsgrad dieser Knochen durch Ast-
bildung, Einrollung und Faltung, erreichen kann, zeigt das Muschelbein der ge-
meinen Ziege, des Ameisenbären, des Seehundes, und einiger Beutelthiere. — Die
Verwendung der Nasenmuscheln lässt sich leicht verstehen. Die Nasenhöhle be-
sitEt eine Schleimhautauskleidung, welche der Träger der Geruchsnerven ist,
und sich in Falten legen muss, um in dem engen Räume der Nasenhöhle, der
mit Riechstoffen geschwängerten Luft eine grosse Oberfläche darzubieten. Diese
Falten würden beim Ein- und Ausathmen durch die Nase hin- imd herschlottem,
und öfters den Luftweg ganz verlegen, wenn sie nicht durch knöcherne Stützen
in einer bestimmten Lage und Richtung erhalten würden. Diese Stützen sind die
Nasenmuscheln. Einen anderen Zweck erfüllen sie nicht, und der genannte er-
klärt hinlänglich ihre Schwäche. — Angebomer Mangel der unteren Nasenmuscheln
(und des SiebbeinlabyrinUis) wurde von mir beobachtet. Sitzungfsberichte der kais.
Akad. 1859.
§. 112. Pflugscharbein.
Wie die Nasenmuscheln ist auch das Pflugscharbein, Os
romerisy ganz in die Nasenhöhle einbezogen. Dasselbe erscheint als
ein unpaarer, flacher, rautenfiirmiger Knochen, welcher den unteren
Theil der knöchernen Nasenscheidewand bildet. Es ist selten voll-
kommen plan , sondern meistens auf die eine oder andere Seite
etwas ausgebogen. Sein oberer Rand weicht in die beiden Flügel
(Alae vomeris) auseinander, welche 'die Orista sphenoidalis zwischen
sich fassen. Der untere Rand steht auf der Crista nascUis auf; der
S. US. Unterkiefer. 305
vordere, längste, verbindet sich an seinem oberen Segmente mit
der Lamina perpendtadaris des Siebbeins, an seinem unteren mit
dem viereckigen Nasenscheide wandknorpel ; — der hintere, kür-
zeste, steht frei, und theilt die hintere Nasenöfihung in zwei seit-
liche Hälften — Choanae. Das frühzeitige Verwachsen des Pflug-
scharbeins mit der senkrechten Platte des Siebbeins ist der Grund,
warum es von Santorini, Petit und Lieutaud, nicht als selbst-
ständiger Gesichtsknochen, sondern als Theil des Siebbeins be-
schrieben wurde.
Die römische Pflugschar, vomer oder vomis, war keine gekrümmte MetaU-
platte, wie es unser Pflugeisen ist, sondern plan, wie das Pflugscharbein. Sie machte
nur Furchen, warf aber die ausgehobene Erde nicht um, wie unser Pflug. Daa
griechische uvvt; für Pflugscharbein, stammt von ü; C^^^Jf Schwein, welches
Thier ' mit dem Rüssel die Erde aufwühlt, und dadurch die Veranlassung zur
Erfindimg des nützlichsten aller Werkzeuge — des Pfluges — gab.
Im Kinde besteht die Pflugschar aus zwei, durch ein Knorpelblatt ver-
bimdenen, dünnen Knochenlamellen. Das Knorpelblatt setzt sich ununterbrochen in
den Nasenscheidewandknorpel fort. Im Erwachsenen findet sich noch ein Best des
Knorpels zwischen den beiden Lamellen des Vomer. Schrumpft dieser Knorpel
beim Trocknen macerirter Knochen ein, so kann dadurch Verbiegung, selbst
Bruch des Vomer entstehen. — Zwischen den Älae vomeris und der unteren
Fläche des Keilbeinkörpers, existirt auch im Erwachsenen ein Loch, welches einen
Ast der Rachenschlagader durch den Vomer hindurch zum .Nasenscheidewand-
knorpel gelangen lässt (Tourtucd, der Pflug^charknorpel, im Rheinischen Corre-
spondenzblatt, 1845, Nr. 10 und 11.)
§. 113. Unterkiefer.
Der stärkste und massivste unter allen Schädelknoehen, ist der
Unterkiefer, Maxilla inferior, welcher seiner Bewegung beim
Kauen wegen, auch Mandihula genannt wird, von mando. Er bildet
die untere, bewegliche Hälfte des Gesichtsskelets, und stellt gewisser-
massen die in der Mittellinie verwachsenen Arme des Kopfes dar.
Er übertrifft nicht blos an Stärke alle Schädelknochen, sondern
geht auch, seiner Entwicklung nach, allen übrigen Gesichtsknochen
voran. Seine Beschreibung ist sehr einfach und leicht verständlich.
Man theilt ihn in den Körper und in die beiden Aeste ein.
1. Das parabolisch gekrümmte, zahntragende Mittelstück des
Knochens, heisst Körper. In der Mitte der vorderen Fläche des-
selben bemerkt man die Protuberantia mentalis, als die Stelle, wo
die im Neugebornen noch getrennten Seitenhälften des Unterkiefers,
mit einander verwachsen. Einen Zoll weit von der Protuberantia
nach aussen, liegt das Kinn loch (Foramen mentale e. maxülare an-
terius), unter welchem die nicht immer gut ausgeprügte Linea obliqwi
exteima zum vorderen Rande des Astes hina^fin«
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl.
306 $. 118. Unterkiefer.
hinteren Fläche ragt der ein- oder zweispitzige Kinnstachel
(Spina mentalis interna) heraus. In einiger Entfernung nach aussen
von ihm, beginnt die Linea obliqua interna 8, mylo-hyoidea , deren
Richtung mit der äusseren so ziemlich übereinstimmt. Der untere
Rand ist dick und stumpf, und unter dem Kinnstachel mit zwei
rauhen Eindrücken flir den Ursprung der vorderen Bäuche der
Maecidi digastrid versehen; der obere ist gefächert, und besitzt
16 Zahnzellen (Alveoli), welche den Zahnwurzeln entsprechend ge-
formt sind. Da die Wurzeln der Schneide- und Eckzähne des Unter-
kiefers nicht konisch sind, wie jene des Oberkiefers, sondern seitlich
comprimirt erscheinen, so nehmen sie weniger Raum in Anspruch,
und der obere Rand des Unterkiefers wird, so weit er die genannten
Zähne trägt, einen kleineren Bogen bilden, als der entsprechende
Theil der Alveolarfortsätze beider Oberkiefer. Aus diesem Grunde
stehen auch bei geschlossenen Kiefern die Schneidezähne des Unter-
kiefers hinter jenen des Oberkiefers zurück.
2. Die Aeste steigen vom hinteren Ende des Körpers schräg
an. Ihre äussere Fläche ist ziemlich glatt, die innere hat in
ihrer Mitte das durch ein kleines vorstehendes Knochenschüppchen
(Zünglein, Lingula) geschützte Foramen maxülare internum, als An-
fang eines, durch den Körper schief nach vorn laufenden, und am
Foramen mentale endigenden Kanals (CancUis inframaxiUaris 8. alveo-
larie inferior). Vom Foramen maxülare internum läuft eine Rinne
(Stdcue mylo'hyoideus) schief nach abwärts, welche ziemlich genau
der Richtung des Canalie inframaxälaris entspricht. Der hintere
längste Rand bildet, mit dem unteren Rande des Körpers, den
Winkel des Unterkiefers (Angidus m/ixillae). — Am oberen Rande
des Astes bemerken wir einen Halbmondausschnitt, durch welchen
eine vordere und hintere Ecke desselben entsteht. Erstere ist flach
und zugespitzt, und heisst Processus coronoideus , — letztere ist der
Processus condyloideus , welcher auf einem verschmächtigten rund-
lichen Halse (Collum), ein querovales überknorpeltes Köpfchen (Capi-
iulum s, Condylus) trägt, welches in die Fossa glenoidalis des Schläfe-
beins passt. Der vordere Rand geht ohne Unterbrechung in die
Linea obliquu externa über.
Der Unterkiefer erscheint zuweilen am Kinne sehr breit (mdchoire d^diiej,
zuweilen mehr weniger zugespitzt, heim sogenannten Bockskinn (nach L a v a t e r
ein Zeichen von Hang zum Geiz).
Der Canalü mfraftiaxUlaris variirt durch Verlauf und Weite in verschie-
denen Lebensepochen desselben Individuums. Beim neugeborenen Kinde streicht
er nahe am unteren Rande des Körpers des Unterkiefers hin, und ist sehr ge-
räumig. Im Jünglinge und Manne nimmt er die Mitte des Knochens ein, und
zieht nach der Richtung der Linea ofdiqua interna. Im Greise, nach Verlust der
21ähne, IKuft er dicht unter dem zahnfHcherlosen oberen Hände des Körpers hin,
and erscheint bedeutend enger. Doppelte Foramma tneiUaUa auf beiden Seiten,
§. 114. KinnbAcken- and Kiefergelenk. 307
kommen in meiner Schädelsammlung mehnnal vor. — Den Processus coronoideua
einen Kronen fortsatz zu nennen, ist zwar Üblich, aber nicht etymologisch
richtig, da der Name von xopcovr), Krähe, nicht von Corona stammt Er gleicht
bei gewissen Thieren einem Krähenschnabel. Allerdings aber kann man ihn
Krohnenfortsatz nennen, da Krähe auch Krohne geschrieben wird. So sagt
Coriolan: Der Krohnenflug zur Linken scheint Unheil mir zu bringen. Ich
will noch anführen, dass bei griechischen Autoren xopth^ auch den Haken an
beiden Enden eines Bogens (Armbrust) bedeutet, an welchem die Schnur befestigt
wird. Allerdings hat die IncUura semilunaris, zusammt dem Kronenfortsatz des
Unterkiefers, eine Aehnlichkeit mit jenem Haken.
Der Ausdruck Kinnlade fQr Unterkiefer, beruht auf Lade, im Mönchs-
latein ladula, t. e. eitto Hve area, qwie denUt indudü.
§. 114. Kiiml)aGken- oder Eiefergelenk.
Das einzige Gelenk am Kopfe ist das Kinnbackengelenk
(Articxdatio temporo-maxälaris). Man kann es als ein freies Gelenk
ansehen^ denn es besitzt eine nach drei auf einander senkrechten
Richtungen gestattete Beweglichkeit. Der Unterkiefer kann nämlich
1. auf- und abwärts, 2. nach beiden Seiten, und 3. vor- und rück-
wärts bewegt werden. Die Bewegung in verticaler Richtung ist
die umfönglichste. Bei den ersten beiden Bewegungsarten, wenn
ihre Extension eine geringe ist, verlässt das Köpfchen des Unter-
kiefers die Fossa glencidalis des Schläfebeins nicht; bei der Be-
wegung des Kiefers nach vor- und rückwärts, tritt es aber auf
das Tuhercidum articulare hervor (Schubbewegung), und gleitet wieder
in die Fovea glenoidalis zurück, welche Bewegung auch bei weitem
Oeffneu und darauf folgendem Schliessen des Mundes stattfindet,
wobei jedoch das Köpfchen des Unterkiefers nicht einfach nach
vor- und rückwärts gleitet, sondern sich zugleich um seine Quer-
axe dreht.
Bei sehr weitem Aufsperren des Mundes wird der Gelenkkopf selbst vor
das Tuhercidum artictdare treten, fiber welches er dann nicht mehr zurfick kann,
nnd der Kiefer somit verrenkt ist. Man versteht sonach, wie man sich durch
aus^ebiges Gälinen in anatomischen Vorlesungen den Kiefer verrenken kann, xmd
wie sich eine Frau, welche eine grosse Birne am dicken Ende anbeissen wollte,
denselben Unfall zuziehen konnte, wie die Oomptes rendtu der Pariser Akademie
vor einiger Zeit berichtet haben.
Eine fibröse, sehr dünne, weite und laxe Kapsel umgiebt das
Gelenk, dessen Höhle durch einen ovalen, am Rande dicken,
in der Mitte seiner Fläche dünnen, zuweilen hier selbst durch-
brochenen Zwischenknorpel (CartUago interarticularü) in zwei über
einander liegende Räume getrennt wird, welche besondere Sy novialhäute
besitzen. Der dicke Rand des Zwischenknorpels ist mit der fibrösen
Kapsel verwachsen. Er selbst folgt da ~ ~ leokr,
308 S* 115> Zangenbein.
kopfes^ tritt mit ihm aus der Fossa glenoidcdü auf das Tuberculum
hervor, und wieder zurück, und dämpft die Gewalt der Stösse, welche
die dünnwandige und durchscheinende Gelenkgrube des Schläfebeins,
bei kräftigem Zubeissen, durch das Zurückprallen des Unterkiefer-
kopfes von der Höhe des Tuberculum in die Fossa glenoidalis, aus-
zuhalten hat. Seine wichtigste Leistung besteht aber darin, dass er
die Zahl der Contactpunkte zwischen Kopf des Unterkiefers, Fossa
glenoidalis, und Tuberculum des Schläfebeins vermehrt, während,
wenn der Zwischenknorpel nicht vorhanden wäre, die genannten
Gebilde sich, ihrer nicht congruenten Krümmung wegen, nur an
Einem Punkte berühren könnten, was durch die Einschaltung dieses
knorpeligen Lückenbüssers vereitelt wird. — Das Gelenk besitzt
zwei Seitenbänder. Das äussere ist kurz, stark, mit der Gelenks-
kapsel verwachsen, und geht von der Wurzel des Processus zygo-
maticus des Schläfebeins, schief nach hinten und unten zur äusseren
Seite des Unterkieferhalses; das innere übertrifft das äussere an
Länge, ist aber zugleich schwächer, steht mit der Kapsel nicht in
Contact, entspringt von der Spina angularis des Keilbeins, und endigt
an der Lingula des Unterkieferkanals. Ein vom GriiFelfortsatze des
Schläfebeins zum Winkel des Unterkiefers herablaufender, breiter,
aber dünner Bandstreifen, kann als Ligamentum stylo-maxiUare ange-
führt werden, und ist, so wie das Ligamentum laterale intemum,
streng genommen, kein eigentliches Aufhänge- oder Befestigungs-
mittel des Unterkiefers , sondern ein Theil einer gewissen , später
am Halse zu erwähnenden Fascie (Fascia bucco-pharyngea, §. 160).
Da beim Aufsperren des Mundes der Gelenkkopf des Unterkiefers nach
vom auf das Tuberculum, der Winkel aber nach hinten geht (wie man sich leicht
am eigenen Kinnbacken mit dem Finger überzeugen kann), so muss in der senk-
rechten Axe des Astes ein Punkt liegen, welcher bei dieser Bewegung seine Lage
nicht ändert Dieser Punkt entspricht dem Foranien niaxillare intemum. Man
sieht, wie klug die Lage dieses Loches von der Natur gewählt wurde, da nur
durch die Wahl eines solchen Ortes, Zerrung der in das genannte Loch ein-
tretenden Nerven und Oefässe, bei den Kaubewegungen vermieden werden konnte.
— Es verdient noch bemerkt zu werden, dass die KnorpelÜberztige der das Kinn-
backengelenk bildenden Knochen, namentlich der Foasa glenoidalü, äusserst diinn
sind, und fast nur aus Bindegewebe mit sehr wenig Knorpelzellen bestehen.
lieber die Mechanik des Kiefergelenks handelt ausführlich H. Mei/er, im
Archiv fttr Anat 1866.
§. 115. Zungenbein.
Das Zungenbein führt seinen Namen: Oshyoides, contrahirt
für ypsiloides, von seiner Aehnlichkeit mit dem griechischen Buch-
staben u. Dasselbe schliesst sich nur als ein Additament den Kopf-
knochen an^ weil es^ obwohl fem vom Schädel liegend^ doch mit
§. 116. H61ileii und Graben des Gesichtssch&dels. 309
einem Knochen desselben, dem Schläfebein nämlich, durch ein
langes Band zusammenhängt. Dasselbe hat seine Lage an der
vorderen Seite des Halses, wo dieser in den Boden der Mundhöhle
übergeht, und stützt die Basis der Zunge, fUr deren knöcherne
Grundlage es gilt. Man theilt es in einen Körper oder Mittel-
stück, und zwei Paar seitliche Hörner ein, welche Theile jedoch,
da sie durch Gelenke oder durch Synchondrose beweglich vereinigt
werden, und oft noch im Greisenalter unverschmolzen sind, als eben
so viele besondere Zungenbeine angesehen werden können (Meckel).
Das Mittelstück (Basis) mit vorderer convexer, hinterer concaver
Fläche, oberem und unterem schneidenden Rande, trägt an seinen
beiden Enden, mittelst Gelenken aufsitzend, oder durch Synchon-
drose verbunden, die grossen Hörner oder seitlichen Zungenbeine
(Comita majora), welche zwar länger, aber auch bedeutend düniier
als das Mittelstück sind, und den Bogen desselben vergrössem.
Ihre dreikantig prismatische Gestalt, mit einer rundlichen Auf-
treibung am äusseren Ende, ähnelt einem kurzen Schlägel. Das
rechte und linke grosse Hörn gleichen einander fast niemals voll-
kommen. Die kleinen Hörner (Comna minora s. Comieula) sind
am oberen Rande der Verbindungsstelle des Mittelstücks mit den
grossen Hörnern, durch Kapselbänder angeheftet. Sie erreichen bei
weitem nicht die Länge und Stärke der seitlichen Hörner, indem
ihre gewöhnliche Länge zwischen 2 — 3 Linien schwankt. Häutig
steigt die Länge des linken um das Doppelte des rechten, welches
Verhältniss Duvernoy und Meckel als Norm ansehen.
Die kleinen Hörner des Zungenbeins dienen einem von der
Spitze des GrifFelfortsatzes des Schläfebeins herabsteigenden Auf-
hängeband des Zungenbeins (Ligamentum stylo-hyoidum s. Suspensorium)
als Insertionsstellen. Dieses Band verknorpelt und verknöchert theil-
weise nicht selten. Man lernt daraus verstehen, dass eine besondere
Länge der GriflFelfortsätze, oder der kleinen Zungenbeinhörner, nur
durch ein von oben nach unten, oder von unten nach aufwärts
fortschreitendes Verknöchern dieses Bandes zu Stande kommt.
§. 116. Höhlen und Gruben des ^esichtssohädels.
Unter den Höhlen des Gesichtsschädels, dienen nur die Augen-
höhlen zur Aufnahme eines selbstständigen Sinnesorgans; — die
übrigen — Nasen- und Mundhöhle, — sind die Anfange des
Athmungs- und Verdauungsapparates, welche, wegen einer in ihnen
residirenden specifischen Empfänglichkeit für gewisse Sinnesein-
drücke (Geruch und Q«sohmack), auch zu den Sinnesorganen
308 |. llö. Zan^nbein.
kopfes, tritt mit ihm aus der Fossa glenoidalia auf das Tuberculum
hervor, und wieder zurück, und dämpft die Gewalt der Stösse, welche
die dünnwandige und durchscheinende Gelenkgrube des Schläfebeins,
bei kräftigem Zubeissen, durch das Zurückprallen des Unterkiefer-
kopfes von der Höhe des Tuberculum in die Fossa glenoidalis, aus-
zuhalten hat. Seine wichtigste Leistung besteht aber darin, dass er
die Zahl der Contactpunkte zwischen Kopf des Unterkiefers, Fossa
glenoidalis, und Tuberculum des Schläfebeins vermehrt, während,
wenn der Zwischenknorpel nicht vorhanden wäre, die genannten
Gebilde sich, ihrer nicht congruenten Krümmung wegen, nur an
Einem Punkte berühren könnten, was durch die Einschaltung dieses
knorpeligen Lückenbüssers vereitelt wird. — Das Gelenk besitzt
zwei Seitenbänder. Das äussere ist kurz, stark, mit der Gelenks-
kapsel verwachsen, und geht von der Wurzel des Processus zygo-
maticus des Schläfebeins, schief nach hinten und unten zur äusseren
Seite des Unterkieferhalses; das innere übertriflft das äussere an
Länge, ist aber zugleich schwächer, steht mit der Kapsel nicht in
Contact, entspringt von der Spina angularis des Keilbeins, und endigt
an der Lingula des Unterkieferkanals. Ein vom Griffelfortsatze des
Schläfebeins zum Winkel des Unterkiefers herablaufender, breiter,
aber dünner Bandstreifen, kann als Ligamentum stylo-maanllare ange-
führt werden, und ist, so wie das Ligamentum laierale intemum,
streng genommen, kein eigentliches Aufhänge- oder Befestigungs-
mittel des Unterkiefers , sondern ein Theil einer gewissen , später
am Halse zu erwähnenden Fascie (Fascia bucco-pharyngea, §. 160).
Da beim Aufsperren des Mundes der Gelenkkopf des Unterkiefers nach
vorn auf das Tuberculum, der Winkel aber nach hinten geht (wie man sich leicht
am eigenen Kinnbacken mit dem Finger überzeugen kann), so muss in der senk*
rechten Axe des Astes ein Punkt liegen, welcher bei dieser Bewegung seine Lage
nicht ändert Dieser Punkt entspricht dem Forainen maxülare intemum. Man
sieht, wie klug die Lage dieses Loches von der Natur gewählt wurde, da nur
durch die Wahl eines solchen Ortes, Zerrung der in das genannte Loch ein-
tretenden Nerven und Oefässe, bei den Kaubewegungen vermieden werden konnte.
— Es verdient noch bemerkt zu werden, dass die Knorpelüberztige der das Kinn-
backengelenk bildenden Knochen, namentlich der Foasa glenoidalig, äusserst dünn
sind, und fast nur aus Bindegewebe mit sehr wenig Knorpelzellen bestehen.
lieber die Mechanik des Kiefergelenks handelt aufiführlich H. Meyer, im
Archiv für Anat 1865.
§. 115. Zungenbein.
Das Zungenbein führt seinen Namen: Oshyoides, contrahirt
ftir ypsäoides, von seiner Aehnlichkeit mit dem griechischen Buch-
staben y. Dasselbe schliesst sich nur als ein Additament den Kopf-
knochen an, weil es, obwohl fern vom Schädel liegend, doch mit
§. 116. H6hlen und Graben des GesicMssch&dels. 309
einem Knochen desselben, dem Schläfebein nämlich, durch ein
langes Band zusammenhängt. Dasselbe hat seine Lage an der
vorderen Seite des Halses, wo dieser in den Boden der Mundhöhle
übergeht, und stützt die Basis der Zunge, für deren knöcherne
Grundlage es gilt. Man theilt es in einen Körper oder Mittel*
stück, und zwei Paar seitliche Hörner ein, welche Theile jedoch,
da sie durch Gelenke oder durch Synchondrose beweglich vereinigt
werden, und oft noch im Greisenalter unverschmolzen sind, als eben
so viele besondere Zungenbeine angesehen werden können (Meckel).
Das Mittelstück (Berns) mit vorderer convexer, hinterer concaver
Fläche, oberem und unterem schneidenden Rande, trägt an seinen
beiden Enden, mittelst Gelenken aufsitzend, oder durch Synchon-
drose verbunden, die grossen Hörner oder seitlichen Zungenbeine
(Comua majora), welche zwar länger, aber auch bedeutend dünner
als das Mittelstück sind, und den Bogen desselben vergrössem.
Ihre dreikantig prismatische Gestalt, mit einer rundlichen Auf-
treibung am äusseren Ende, ähnelt einem kurzen Schlägel. Das
rechte und linke grosse Hörn gleichen einander fast niemals voll-
kommen. Die kleinen Hörner (Comua minora 8. Comicula) sind
am oberen Rande der Verbindungsstelle des Mittelstücks mit den
grossen Hörnern, durch Kapselbänder angeheftet. Sie erreichen bei
weitem nicht die Länge und Stärke der seitlichen Hörner, indem
ihre gewöhnliche Länge zwischen 2 — 3 Linien schwankt. Häufig
steigt die Länge des linken um das Doppelte des rechten, welches
Verhältniss Duvernoy und Meckel als Norm ansehen.
Die kleinen Hörner des Zungenbeins dienen einem von der
Spitze des GrifFelfortsatzes des Schläfebeins herabsteigenden Auf-
hängeband des Zungenbeins (Ligamentum stylo-hyaidum 8, Suspensorium)
als Insertionsstellen. Dieses Band verknorpelt und verknöchert theil-
weise nicht selten. Man lernt daraus verstehen, dass eine besondere
Länge der GriflFelfortsätze, oder der kleinen Zungenbeinhörner, nur
durch ein von oben nach unten, oder von unten nach aufwärts
fortschreitendes Verknöchern dieses Bandes zu Stande kommt.
§. 116. Höhlen und Gruben des ^esichtsschädels.
Unter den Höhlen des Gesichtsschädels, dienen nur die Augen-
höhlen zur Aufnahme eines selbstständigen Sinnesorgans; — die
übrigen — Nasen- und Mundhöhle, — sind die Anfange des
Athmungs- und Verdauungsapparates, welche, wegen einer in ihnen
residirenden specifischen Empfänglichkeit für gewisse Sinnesein-
drücke (Geruch und Geschmack), auch zu den Sinnesorganen
310 §• liS> Höhlen und Oruben des Gesicbtesch&dels.
gezählt werden. Die Höhlen zur Aufiiahme des Gehörwerkzeuges
gehören nicht dem Gesicht, sondern der Hirnschale an.
1. Die beiden Augenhöhlen, Orbitae (von orbis, jede Run-
dung), deren Abstand durch die Entfernung beider Laminae papyra-
ceae des Siebbeins von einander bestimmt wird, stellen liegende,
hohle, vierseitige Pyramiden dar, die mit ihren inneren Flächen
ziemlich parallel liegen, und deren verlängerte Axen sich am
Türkensattel schneiden. Die äussere Wand, vom Jochbein und
grossen Keilbeinflügel gebildet, ist die stärkste. Die obere, welche
von der Pars orbitalis des Stirnbeins und den schwertförmigen Keil-
beinflügeln zusammengesetzt wird, heisst Lacunar orbitae (Plafond),
und ist die grösste; die innere, vom Procesms frontalis des Ober-
kiefers, vom Thränenbein, und der Landna papyracea gebildet, die
schwächste. Die untere, von der Orbitalfläche des Oberkiefer-
körpers und vom Processus orbitalis des Gaumenbeins erzeugte Wand,
geht ohne scharfe Grenze in die innere Wand über, und hat eine
schräg nach vorn und unten gerichtete, abschüssige Lage. Sie wird
gewöhnlich Pavtmen^m a7*&ito6y Boden der Augenhöhle, benannt.
Pammentur^ stammt nach Plinius von pavicula, eine Ramme, mit
welcher die Ziegel oder Steine eines IVissbodens, auf einer Unter-
lage von Mörtel, festgestampft wurden. — Als offene Basis der
Augenhöhlen-Pyramide gilt uns die grosse, durch den Margo supra-
et infraorbitalis umschriebene Oeffiiung der Augenhöhle, Apertura
orbitalis. Hinter dieser Basis erweitert sich die Pyramide etwas,
besonders nach oben und aussen, als Fossa glandtdas lacrt/malis. Die
Winkel der Pyramide sind mehr weniger abgerundet. Der äussere
obere Winkel wird durch die Fissura orbitalis superior, der äussere
untere durch die längere, aber schmälere, und nur gegen ihr äusseres
Ende hin breiter werdende Fissura orbitalis inferior aufgeschlitzt.
Die Spitze der Pyramide liegt im Foramen opticum. Die übrigen
Oeffnungen und Löcher der Augenhöhle und der anderen Höhlen
des Gesichts, sind am Ende dieses Paragraphes zusammengestellt.
OrbUa wurde von den Römern nur ftbr Wagengeleise, für Rad und Wagen,
für Kreis, und Sternenbahn gebraucht. Erst der berühmte Dominikanermönch,
Albertus Magnus, Professor der Aristotelischen Philosophie in Paris, 1230,
sp&ter Bischof von Regensburg, 1260, führte dieses Wort in die anatomische
Sprache ein, in seinen XXVI lAbri» de animalihu^, deren drei nur von anatomischen
Gegenständen handeln.
2. Die Nasenhöhle (Cavum narium) hat eine viel schwerer
zu beschreibende Gestalt, und viel complicirtere Wände. Sie wird
in die eigentliche Nasenhöhle, und die Nebenhöhlen (Sinus s. Antra)
eingetheilt. Die eigentliche Nasenhöhle liegt über der Mundhöhle,
und ragt bis zur Schädelhöhle zwischen den beiden Augenhöhlen
hinauf. Oben wird sie durch die Nasenbeine und die Lamina cribrosa
1. 116. Höhlen and Graben des Getichtsscli&dels. 311
des Siebbeins, unten durch die Processus pcdatim der Oberkiefer,
und die horizontalen Platten der Gaumenbeine begrenzt. Die aus-
gedehnten Seitenwände werden oben, wo die Nasenhöhle an die
Augenhöhle grenzt, durch den Nasenfortsatz des Oberkiefers, das
Thränenbein, und die Papierplatte des Siebbeins gebildet; weiter
unten folgen die Superficies nascdü des Oberkiefers, die senkrechte
Platte des Gaumenbeins, und der Processus ptert^goideus des Keilbeins.
Die vordere Wand fehlt grösstentheils, und es befindet sich an ihrer
Stelle die durch die beiden Oberkiefer und Nasenbeine begrenzte
Apertura pyi^formis. Die hintere Wand wird theilweise durch die
vordere Fläche des Keilbeinkörpers dargestellt, unterhalb welchem
sie fehlt, und von den beiden Choanae s. Aperturae narium posteriores
eingenommen wird. Der Name Choanae stammt von yjiei^ (giessen),
weil der Nasenschleim durch diese Oeffnung sich in die Rachenhöhle
ergiesst, und als Sputum ausgeworfen werden kann. Jede Choana
oder hintere Nasenöffnung, wird oben durch den Körper des
Keilbeins, aussen durch den Pi*ocessus pterygoideus, innen durch den
Vomer, und unten durch die horizontale Gaumenbeinplatte umgeben.
— Die knöcherne Nasenscheidewand (Septum narium osseum) , aus
der senkrechten Siebbeinplatte und der Pflugschar bestehend, geht
nur selten ganz senkrecht von der Lamina cnbrosa des Siebbeins und
der Spina nasalis superiov zur Ciista nasalis inferior herab, und theilt
deshalb die Nasenhöhle in zwei meist ungleiche Seitenhälften.
Nebst den die Wände der Nasenhöhle construirenden Knochen
hat man noch gewisse, von diesen Wänden ausgehende knöcherne
Vorsprünge, als Vergrösserimgsmittel ihrer inneren Oberfläche, in's
Auge zu fassen. Diese sind: die Blättchen, welche das Siebbein-
labyrinth bilden, die obere und untere Siebbeinmuschel, und die
untere oder freie Nasenmuschel. Sie sind als Stützknochen für die
sie überziehende Nasenschleimhaut anzusehen, welche dadurch eine
viel grössere Oberfläche erhält, als wenn sie nur die glatten Wände
eines hohlen Würfels überzogen hätte. — Die Muscheln tragen zur
Bildung der sogenannten Nasengänge, MecUus narium, bei, deren
drei auf jeder Seite liegen. Der obere, zwischen oberer und
unterer Siebbeinmuschel, ist der kürzeste, und etwas schräg nach
hinten und unten gerichtet. Es entleeren sich in ihn die hinteren
und mittleren Siebbeinzellen, und die Keilbeinhöhle. Der mittlere,
zwischen unterer Siebbeinmuschel, und unterer oder freier Nasen-
muschel, ist der längste, horizontal gerichtet, und communicirt mit
der Highmorshöhle, den vorderen Siebbeinzellen, und der Stirnhöhle.
Der untere, zwischen unterer Nasenmuschel imd Boden der Nasen-
höhle, ist der geräumigste, und nimmt den von der Fossa lacrimalis
der Augenhöhle nicht senkrecht^ sondern ein wenig schief nach
aussen und hinten herabsteigenden Thränennasengang auf, dcBseo
312 §.116. Höhlen und Oruben des Oesiehtssch&deln.
AusmtindungsöfFnung durch das vordere spitze Ende der unteren
Nasenrauschel von oben her überragt wird.
Die Nebenhöhlen, welche, obwohl sie als Vergn^sserangsräume der Nasen-
höhle gelten, doch in keiner Beziehung zur Wahrnehmung der Gerüche stehen,
sind die Stirn-, Keilbein- und Oberkieferhöhle, deren bereits früher Erwähnung
geschah.
3. Die Mundhöhle (Cavum oris) ist die einzige Höhle des
Kopfes, welche in ihrer ganzen Ausdehnung dem untersuchenden
Auge, dem Finger, und den chirurgischen Instrumenten offen steht.
Ihre Grösse ist, der Beweglichkeit des Unterkiefers wegen, eine
veränderliche. Es finden Vorgänge in der Mundhöhle statt, welche
ohnie Bewegung des Unterkiefers nicht denkbar sind. Das Kauen
und Einspeicheln der Nahrung, ja schon die Aufnahme der Nahrung
in die Mundhöhle, schliesst vollkommen starre und fixe Wände aus.
Die Mundhöhle kann deshalb nicht ganz von knöchernen Wänden
begrenzt sein. Die untere Wand oder der Boden wird nur durch
Muskeln gebildet. Die obere Wand ist der unbewegliche harte
Gaumen oder das Gaumengewölbe (Paiatum durum 8. oaseum),
an welchem die aus einem Längen- und Querschenkel bestehende
Kreuznaht (Sutura palatina crudata) vorkommt. Da der harte
Gaumen gleichsam das Firmament der Mundhöhle bildet, und sich
so über der Zunge wölbt, wie der Himmel über der Erde, wurde
er von Bauhin codum oris genannt, was auch seine griechischen
Namen oüpav6? und oupavCaxo^ bei Aristoteles ausdrückt (daher
Uronoraphie, die Gaumennaht, und Uranoschisma, der gespal-
tene Gaumen, oder Wolfsrachen). — Die. vordere und die
beiden seitlichen Wände der Mundhöhle, werden bei geschlossenem
Munde durch die an einander schliessenden Zähne beider Kiefer
dargestellt. Die hintere Wand fehlt, und wird tm lebenden Schädel
durch eine Oeffnung eingenommen, mittelst welcher die Mundhöhle
mit der hinter ihr liegenden Rachenhöhle communicirt.
4. Noch erübrigt am Schädel beiderseits hinter den Augen-
höhlen eine Grube, welche durch den Jochbogen überbrückt wird,
und Schläfengrube, Fossa temporalis, genannt wird. Sie ist eine
unmittelbare Fortsetzung des bei der Beschreibung der Seitenwand-
beine erwähnten Planum temporale, und wird durch die Schuppe
des Schläfebeins, die Superficies temporalis des grossen Keilbein-
flügels, den Jochfortsatz des Stirnbeins, und den Stirnfortsatz des
Jochbeins gebildet. Die Schläfengrube zieht sich, immer tiefer
werdend, zwischen Oberkiefer, Flügelfortsatz des Keilbeins, und
Gaumenbein, gegen den Schädelgrund hinein, und nimmt hier den
Namen der Keil-Oberkiefergrube oder Flügelgaumengrube
(Fossa spheno-maxälaris s. pterygo-palatina) an. Sie liegt hinter der
Augenhöhle, mit welcher sie durch die Fissura orbücdis inferior in
§. 116. Höhlen und Graben des Gesichtssoliftd«]«. 313
Verbindung steht, und auswärts von dem hinteren Theile der Nasen-
höhle. Ihre Gestalt ist sehr unregelmässig, und ihre durch Löcher
und Kanäle vermittelte Verbindung mit der Schädelhöhle und den
Höhlen des Gesichts sehr vielfaltig. Gewöhnlich bezeichnet man
nur die tiefste und engste Schlucht dieser Grube, welche zunächst
durch den Flügelfortsatz des Keilbeins und das Gaumenbein gebildet
wird, als Flügelgaumengrube, und nennt den weiteren, zwischen
Oberkiefer und Keilbein gelegenen Theil derselben, Keil-Ober-
kiefergrube.
Löcher und Kanäle der Augenhöhle. 1. Zur Schädelhöhle : Poramen
opticum, Fiasura orhitalia »uperior, Foramen ethmoicUde anterius. 2. Zur Nasen-
höhle: Foramen ethmoidale posterius, Ductus lacrymarum nasalis. 3. Zur Schläfen-
grube: Canaliff zt/goniaUcus temporalis. 4. Zur Fossa pteri/ffo-palatina : Fissura orbi-
talis inferior, ö. Zum Gesicht: Canalis zygomatiais facialis, Foramen supra-orbitale,
Canalis infraorbiUdis.
Löcher und Kanäle der Nasenhöhle. 1 . Zur Schädelhöhle : Foramiiia
crWrosa. 2. Zur Mundhöhle: Canalis naso-palalinus, 3. Zur Fossa pterygo-palaUna:
Foramen spheno-paJntinum, 4. Zur Augenhöhle, bei dieser erwähnt. 5. Zum Gesiebt:
Apertura piriformis, Foramina nasalia.
Löcher und Kanäle der Mundhöhle. 1. Zur Nasenhöhle: Canalis
miMO-palatinus. 2. Zur Fossa pterygo-palalina : Canales pterygo-palalini s, Canales
palatini descendenles. 3. Zum Gesicht: Canalis inframaxillaris,
Löcher und Kanäle der Fossa pterggo-palatina. 1. Zur Schädel-
höhle: Foramen rotundum. 2. Zur Augenhöhle: Fissura orbitalis inferior. 3. Zur
Nasenhölile: Foramen spheruy-palaUnum. 4. Zur Mundhöhle: Canalis palatinus
descendens. 5. Zur Schädelbasis: Canalis Vidianus.
Die Zusammensetzung der Augenhöhle, so wie die zu ihr oder von ihr
führenden Oeffnimgen werden, da die Wände der Augenhöhle bei äusserer Inspection
des Schädels leicht zu übersehen sind, auch eben so leicht studirt. Schwieriger
aufzufassen ist die Construction der Nasenhöhle und der Flügelgaumengrube. Es
müssen, um zur inneren Ansicht der Wände derselben, und der in diesen befind-
lichen Oeffnungen zu gelangen. Schnitte durch sie geführt werden, wozu man für
die Nasenhöhle frische Schädel wählt, die bereits zu einem anderen anatomischen
Zwecke dienten, und deren Nasenhöhle noch mit der Schleimhaut derselben (Mem-
brana pituitaria narium s. Schneideri) ausgekleidet ist. An skeletirten Köpfen
werden durch das Eindringen der Säge, die dünnen und nur lose befestigten
Muschelknochen leicht zersplittert, und man erhält nur ein unvollkommenes Bild
ihrer Lage rungs Verhältnisse, und ihrer Beziehungen zu den Nasengängen. Dm
Splittern der Knochen lässt sich vermeiden, wenn man sich einer dünnen Bli^tt-
säge bedient, und den Kopf unter Wasser zersägt. Zwei senkrechte Durchschnitte,
deren einer mit der Nasenscheidewand parallel läuft, deren anderer sie schneidet,
leisten das Nöthige.
Die Wichtigkeit der Osteologie für die Nervenlehre bewährt sich -«n
schönsten in der Flügelgaumengrube. Die Anatomie des zweiten Astes vom Trige-
minns wird, ohne genaue Vorstellung der mit dieser Grube in Verbindung stehenden
Kanäle und Oeffnungen, unmöglich verstanden. Es muss der Processus pterygoideus
des Keilbeins an seiner Basis, mit Schonung der senkrechten Platte des Gaumen-
beins, abgesägt werden, am die in dieser Grabe Hegenden oben erwähnten Zu-
gangs- und Abgangsöffhongen- sa sehen. , , .
314 §. 117. Yerhältniss der Uirnsehale s«in 0«8iekt.
§. 117. Verhältiiiss der Hirnschale zum Gesicht
Es ist durch die vergleichende Osteologie sichergestellt, dass
bei keinem Säugethier der Hirnschädel den Gesichtsschädel so auf-
fallend überwiegt, wie beim Menschen, dessen Gehirn, als Organ
der Intelligenz, über die der Sinnlichkeit fröhnenden Werkzeuge
des Kauens und Riechens, welche dem Gesichte angehören, weitaus
prävalirt. Das Höchste und Niedrigste der Menschennatur steht
am Kopfe gepaart, mit übei*wiegender Ausbildung des Ersteren. Je
mehr die Kauwerkzeuge sich entwickeln, und je grösser der Raum
wird, welchen die Nasenhöhle einnimmt, desto vorspringender er-
scheint der Gesichtstheil des Kopfes, und desto mehr entfernt sich
das ganze Profil vom Schönheitsideal. Die hohe Stirn, hinter welcher
eine Welt von Gedanken Platz hat, und ihr fast senkrechtes Ab-
fallen gegen das Gesicht, ist ein der edelsten und geistig entwick-
lungsfähigsten Menschenrace — der kaukasischen — eigenes charak-
teristisches Merkmal.
Da von dem Verhältnisse des Schädels zum Gesicht die nach
unseren Schönheitsbegriffen mehr oder minder edle Kopfbildung ab-
hängt, imd die Grösse dieses Verhältnisses ein augenfälliges Merk-
mal gewisser Menschenracen abgiebt, so hat man gesucht, die
Beziehungen des Himschädels zum Gesicht durch Messungen aus-
zumitteln, indem man durch gewisse, leider nicht in überein-
stimmender Weise von den verschiedenen Autoren gewählte Punkte
des Kopfes Linien zog (Lhieae craniometricae), deren Durchschnitts-
winkel einen Ausdruck für dieses Verhältniss abgiebt.
1. Messtmg nach Dauben ton (1764). Man zieht vom imteren
Augenhöhlenrande zum hinteren Rande des Foramen ocdpitale magnum
eine Linie, und eine zweite von der Mitte des vorderen Randes
dieses Loches zum Endpunkte der früheren. Der durch beide Linien
gebildete, nach vom offene Winkel (AngtUus occipitcdia) erscheint
im Menschengeschlechte am kleinsten, und vergrössert sich in der
Thierreihe um so mehr, je mehr das grosse Hinterhauptloch die
Mitte der Schädelbasis verlässt, und auf das hintere Ende des
Schädels hinaufrückt, wodurch seine Ebene nach vorn abschüssig
wird. Als osteologischer Charakter der Racen lässt sich dieser
Winkel nicht benützen, danach Blumenbach's Erfahrungen, seine
Grösse bei Individuen derselben Race innerhalb einer gewissen Breite
variirt. Im Mittel beträgt er beim Menschen 4^, beim Orang 37^,
beim Pferde 70", und beim Hunde 82«.
2. Messung nach Camper (1791). Man zieht eine Tangente
zur vorragendsten Stelle des Stirn- und Oberkieferbeins, und schneidet
diese durch eine vom äusseren Gehörgang zum Boden der Nasen-
§.117. VerbUtniss der Hirnschale zum Getiohl. 315
höhle gezogene Linie. Der Winkel beider ist der Angtdtbs faciei
Camperi, dessen Ausmittlung unter allen Schädelmessungsmethoden
die häufigste Anwendung gefunden hat. Je näher er 90® steht,
desto schöner ist das Schädelprofil. Vergrössert er sich über 90^,
so entstehen jene über die Augen vortretenden Stirnen, welche bei
Rhachitis und Hydrocephalus vorkommen, und, wenn sie über ein
gewisses Maass hinausgehen, die Schönheit des Profils ebenso be-
einträchtigen, wie die flachen. An den berühmtesten Meisterwerken
hellenischer Kunst, wie am Apoll von Belvedere, und an der Medusa
des Sosicles, finden wir den Gesichtswinkel selbst etwas grösser,
als 90*^. — Als Maassstab für die Entwicklung des Gehirns in der
Thierreihe, kann der Camper'sche Winkel nicht benützt werden, da
die Wölbung der Stirn blos durch sehr geräumige Sitws frontales
(Elephant) bedingt sein kann. Auch ist seine Grösse bei Schädeln,
welche verschiedenen Racen angehören, häufig gleich (Neger-
und alter Lithauerschädel). Seine Grösse beträgt bei Schädeln
kaukasischer Race 85® (griechisches Profil), beim Neger 70®, beim
jungen Orang 67®, beim Schnabelthier 14®. — Daubenton's und
Campe r's Messungen trifi't überdies der Vorwurf, dass sie das
Schädelvolumen nur durch die senkrechte Ebene messen, und die
Peripherie (den Querschnitt) unberücksichtigt lassen. Die Cam-
per'sche Messung wird auch deshalb variable Resultate an Schädeln
derselben Race geben, weil der vorspringendste Punkt des Ober-
kiefers, welcher in den Alveolis der Schneidezähne liegt, durch
Ausfallen der Zähne und damit verbundene Resorption der Alveoli
im höheren Alter zurücktreten muss. Zur schärferen Messung des
Gesichtswinkels sind von Morton und Jacquart eigene Goniometer
construirt worden.
3. Blumenbach's Scheitelansicht (1795) ist keine Messung,
sondern eine beiläufige Schätzung der Schädel- und Gesichtsverhält-
nisse. Es werden die zu vergleichenden Schädel so aufgestellt, dass
die Jochbogen vollkommen horizontal liegen, und dann von oben
in der Vogelperspective angesehen, wobei obige Verhältnisse, und
alle übrigen abweichenden Einzelnheiten im Schädelbaue, sich dem
geübten Auge besonders scharf herausstellen.
4. Cuvier's Methode (1797) zerlegt den Schädel in zwei seit-
liche Hälften, und bestimmt an der Durchsohnittsebene den Grössen-
unterschied von Schädel und Gesicht. Dieser ist beim Orang = 0,
und verhält sich beim Menschen wie 4:1.
Die neueren craniometrischen Methoden von Lucae und Aeby,
sind in den betreffenden Werken in der Literatur der Osteologie
nachzusehen.
Da man bei allen Schädelmesaungen; die Dicke der SohM^l^
knoehen mitmisst, man also aus den so gewoDi
316 S 117. Verb<nias der Hirnschale mm Oetiokt.
keinen Schluss auf die Capaeität der Schädelhöhle, und die dadurch
gegebene Grösse des Gehirns ziehen kann, so haben Tiedemann
und Morton durch Ausfüllen der Schädelhöhle mit geschlemmten
Sand, die Capaeität derselben bei verschiedenen Racen auszumitteln
gesucht. Tiedemann fand die mittlere Capaeität des Neger- und
Europäerschädels gleich; Morton dagegen jene des Negers kleiner.
Ein ehrlicher Beurtheiler der craniometrischen Leistungen
wird gestehen, dass dieselben bisher nicht viel genützt haben. Sie
haben vielmehr ihre grösste Befriedigung, in gegenseitiger Ver-
dächtigung gefunden. Sie geben uns keinen Anhaltspunkt zur Ein-
theilung der Menschenracen, da uns die Urform des Menschenschädels
unbekannt ist, und wir auch nicht sagen können, was Varietät, oder
Racentypus, oder individueller Charakter eines Schädels ist. Wäre
uns die Urform des Hundeschädels (vom Canis primaevus) nicht be-
kannt, und sähen wir nicht immerfort neue Hunderacen vor unseren
Augen entstehen, wir würden ganz gewiss das Windspiel und den
Pudel, für zwei verschiedene Thiergattungen, statt für zwei Varie-
täten halten. Ich beantworte mir hier zugleich folgende Fragen :
Was hat die Craniologie zu leisten? Sie hat die Frage zu ent-
scheiden, ob Ein oder mehrere Centra der Entstehung des Menschen-
geschlechtes auf Erden ursprünglich gegeben waren, und ob der
Menschenschädel wirklich nur durch eine gradweise Entwicklung
des Thierschädels entstand. Hat sie dieses geleistet? Nein! — Ist
Hoffnung vorhanden, dass sie es leisten wird? Ich habe keine, denn
die Craniologie pflegt die Thatsachen nach ihren Gedanken zu
formen, statt die Gedanken aus den Thatsachen abzuleiten. Die
Zwischenglieder zwischen den jetzt lebenden höchstorganisirten
Affenschädeln und jenen der Menschen fehlen uns gänzlich. Die
Darwinianer sagen: sie sind im Kampf um's Dasein untergegangen.
Wie sollen aber gerade die höchstorganisirten Affen, welche die
Kluft zwischen Chimpanse und Mensch ausfüllen, im Kampf um\s
Dasein imtergegangen sein, welchen zu bestehen, sie gerade ihrer
nächstmenschlichen Organisation wegen, besser geeignet waren, als
die Affengeschlechter, welche sich jetzt noch erhalten haben. Wir
haben noch keinen fossilen Affenschädel gefunden, welcher den
Sprung vom Orang oder Gorilla zum Menschen, minder abrupt er-
scheinen Hesse. Die Darwinianer sagen : wir werden solche Schädel
finden, wenn der Boden Asiens, der Wiege des Menschengeschlechts,
durch Eisenbahnen, Kanäle, Tunnels, Schachte, und Steinbrüche,
ebenso zerrissen und zerklüftet sein wird , wie es jener Europa's
gegenwärtig ist. Gut denn, bis dahin ist noch weit, und die Wissen-
schaft kann warten. Vor der Hand steht der Mensch noch so hoch
über den Thieren, dass von einem gradweise vollzogenen Ueber-
gang, keine Rede sein kann.
S. 117. Verkiltniss der HiraschAlc mm Gesicht. 31 1
Die Uaaptantencheidang^merkmate des mensclitichen und thierischen
SchSdeU liegen: 1. in dem ovalen Cranium, des^sen Verfaüttniss zum Gesichutheil
des Kopfes ein g^^sseres ist. als bei allen Thieren: — 2. in dem sich einem rechten
Winkel mehr weniger njihemden Gesichtswinkel; --- S. in dem mehr in der Mitte
dies ScbSdelgTondes liegenden Foramen occipiUüe maffnum; — 4. in dem gerandetea,
nicht mrfickweichenden, sondern massig promini renden Kinn mentum prominulym
Li Dil.); — und 5. in der bogenförmigen Aneinanderreihung der gleich hohen,
senkrecht gerichteteUf und ohne Zwischenlücken neben einander stehenden Zahne.
Anch besitzt, so viel mir bekannt, weder der Chimpanse, noch der Gorilla idie
zwei menschenJihnlichsten Atfen") einen so g^issen ProceA^ns mtutoid^u», und einen
so Imngen ProeettuA jtti/foukmt, wie der Mensch. — Die Lag« des Hinterhanpt-
loches stimmt mit dem Mittelpunkte des Schädel gnmdes wohl nicht genau flberein,
sonst mflsste der Schädel auf der Wirbelsäule l>a1anciren. was nicht der Fall ist.
Der Schidel wird am IJebemeigen naoh vom, nur durcli die Wirkung der Nacken-
maskeln gehindert. IÜ!«f(t diese nach, wie bei Lähmung, beim Ein>chlafen. und
im Greisenalter, so folgt er dem Zuge seiner S<.>hwere. und sinkt gegen die Brust.
Die Bacenversi*hiedenheiteii der Schädel gehören in das Gebiet der physischen
Anthropologie. Es wird hier b1o8 erwähnt, da.<s die Gestalt des Schädels von
der Norm des g^falligren OvaU OrthfcepJiuii . , nach zwei Extremen hin abweicht.
Es giebt L stark nach hinten verlängerte, und iV in dieser Richtung kurze Bacen-
fonnen des Schädels ^DoÜrhor^pftnli — lirachyrephali,. Repräsentanten der Doiicho-
eephali sind die Neger, und der Rrarht/'-ephafi die »lavisclien -besonders die
croatischeD und morlachischen i Schädel. Das Gesicht kann bei beiden vorstehen,
oder senkrecht abfallen, d. h. prognathiscli oder orthognathisch sein »v-^iOo;, Kiefer».
Die Germanen, Gelten. Britten und Juden, sind orthognathische, die Negfer und
Grönländer prognathische Formen von Langk^pfen. Die Magyaren. Finnen, Türken,
sind orthognathische, die Kalmileken, Mongolen und Tartaren prognathische Kurz-
kISpfe. — Das Yerhältniss der Schädel höhle mm Gesicht ist bei den Negern kleiner
als bei allen übrigen Racen. und ein mit 36 Europäeri^cliädeln verglichener Neger-
»chldel, nahm unter allen die geringste Was^ermenge auf 'Saumarezi. Wie
wichtig tdr den Künstler die nationalen Formen der Schädel sind, kann man aus
dem Missfallen entnehmen, welche?« ein Fachmann bei dem Anblick sogenannter
Meisterwerke der Kunst empfindet. Der Daniel von Rubens ist kein Jude, seine
sabinischen Weiber sind Hf>lländeriimen, Raphael's Madonnen sind hübsche Italiene-
rinnen, mid Leasing*« Hussiten walirlich keine brachycephalischen Czechen.
Bei angeborenem Blödsinne ist die Hirnschale, selbst bei gewöhnlicher Grösse
des Gesichts, klein, ja kleiner als die^es. Dagegen finden sich eminente Geistes-
anlagen nicht immer in grossen Köpfm. — An antiken Statuen von Göttern und
Halbgöttern waren auch, wahrscheinlich um das Febermenschliche auszudrücken,
Gesichtswinkel von UH>" beliebt. Bei Neugeborenen ist ilie^er Winkel durchschnitt-
lieh tun 10* grösser als bei Envachsenen. Bei der im h«»heren Aller vorkommen-
den Gehimatrophie, verkleinert er ^ich wieder, durch Einsinken und Abllachung
der 8time.
Es wird angegeben, das? der weibliche- Schädel absolut kleiner, dabei zu-
gleich dünnwandiger, imd .<^omit auch leichter als ein männlicher, von gleichem
Alter ist; die Hirnschale soll aber im Verhältniss zum Gesicht grösser sein als
beim Manne. A. Weisbach hat im 3. Bande des Archivs fiir Anthropologie,
eine sehr aosführliche Charakteristik des deutschen Weiberschädel* gegeben. Ich
gestehe, dass ich mir, obgleich ein ^Iter Anatom, nicht zutraue, in der fieschlechts-
bestimmung eines Schädels, nicht zu fehlen. Anderen geht es wohl auch nicht besser.
Ansfllhrliches über Schädclnies^ungen enthalten die in der Literatur .1er
Knoehenlehre (g. 156) aufgeführten Schriften, welchen noch hinzuzufügen sind:
318 ' §• 118- Altenv«nchi«d«iüieit d«t Soh&d«ls.
P. Broca, Sur le plan horizontal de la tiU, etc. Paris, 187S, und desselben Autors
Menturation de la caviU du crdne, ibid,, sowie dessen Etudes Mur Ua propriASs
hydmmitriques des crdnea, etc, Pttria, 1874.
§. 118. Altersverscliiedeiilieit des Schädels.
lieber die Altersverschiedenheiten des Schädels fasse ich mich
in Kürze.
Bei sehr jungen Embryonen gleicht die Gestalt des Schädels
einem Sphäroid, mit ziemlich gleichen Durchmessern. Das Gesicht
bt nur ein kleiner , untergeordneter Anhang desselben. Bei Neu-
geborenen, und in den ersten Lebensmonaten, waltet die rundliche
Form des Gesichts noch vor, welche sich erst von der Zeit an, wo
die Kiefer mit dem Ausbruch der Zähne als Kauwerkzeuge ge-
braucht zu werden anfangen, in die länglich-ovale umwandelt. Die
Schläfenschuppe nimmt im ersten Kindesalter verhältnissmässig einen
weit geringeren Antheil an der Bildung der Schädelseiten. Der
Grund der Schläfengrube ist eher convex als concav, und der
grösste Querdurchmesser liegt zwischen beiden Tuiera parietcUia.
Wegen Prävalenz des Knochenknorpels sind die Kopfknochen des
Kindes weich und biegsam, und man hat Fälle gesehen, wo sie
durch einen Stoss eingebogen, aber nicht gebrochen wurden. Aeussere
mechanische Einflüsse (Binden, Schnüren, localer Druck) ändern,
bekannten Erfahrungen zu Folge, die ^'orm des kindlichen Schädels,
und somit auch jene des Gehirns, ohne die geistigen Fähigkeiten
desselben zu beeinträchtigen. So besitzen die Chenoux • Indianer,
welche das Flachdrücken der Stime bis zur hässlichsten Missstaltung
treiben, nicht weniger Intelligenz, als die übrigen westlichen Indianer
Nordamerika's, welche mit der natürlichen Form ihrer Schädel zu-
frieden sind, und sie deshalb in Ruhe lassen (Phrenologen mögen
dieses beherzigen). — Die Nasenhöhle ist klein; ihre Nebenhöhlen
beginnen sich zu entwickeln ; die Stirnhöhle erst im zweiten Lebens-
jahre. Die Mundhöhle erscheint, da die Alveolarfortsätze der Kiefer
fehlen, niedrig. Die Aeste des Unterkiefers ragen über den oberen
Rand des Körpers nur wenig hervor, und haben eine schiefe Rich-
tung nach hinten. Sie verlängern sich erst mit dem Auftreten der
Alveolarfortsätze, und dem Ausbruche der Zähne.
Vom Eintritte der Geschlechtsreife angefangen, ändert sich
die Form des Schädels nicht mehr, und bleibt, ein geringes Zu-
nehmen in der Peripherie abgerechnet, stationär. Im Mannesalter,
und zwar schon nach dem 20. Lebensjahre, beginnen einzelne Nähte,
durch Verschmelzen der verschränkten Nahtzacken, zu verstreichen.
Im Greisenalter werden die Schädelknochen dünn und spröde, die
§. 118. Altersv«rMhi6d«nh«it des Seh&delt. 819
Diploe schwindet, an einzelnen Stellen (Keilbeinfortsatz des Joch-
beins, Lamina papyracea) entstehen durch Resorption der Knochen-
masse OeflFnungen. Der Greisenschädel verliert V5 von seinem vollen
Gewichte im Mannesalter (Tenon), das Cavum cranii verkleinert
sich wegen Schwund des Gehirns, sinkt wohl auch an den Scheitel-
beinen grubig ein, und das Gesicht verliert, durch Ausfallen der
Zähne und Verschwinden der Alveolarfortsätze, an senkrechter Höhe.
Der Unterkiefer, welcher seinen ganzen bezahnten Rand einbüsste,
bildet einen grösseren Bogen als der Oberkiefer, stösst also nicht
mehr an diesen an, sondern schliesst ihn bei geschlossenem Munde
ein. Das Kinn steht vor (mentan en gcUoche), weil die Aeste des
Unterkiefers eine schiefe Richtung nach hinten annehmen, und nähert
sich der Nase (le nez et le menton ae dispiäent entrer la hauche), wo-
durch die Weichtheile der Backe, welche ihrer Spannkraft ebenfalls
verlustig werden, lax herabhängen, oder sich faltig einbiegen. Die
Kanten und Winkel sämmtlicher Schädelknochen werden schärfer
und dünner, und der anorganische Knoehenbestandtheil erhält über
den organischen ein solches llebergewicht, dass geringe mechanische
Beleidigungen hinreichen, Brüche des Schädels hervorzurufen.
Obwohl die Knochen de« Schädeldaches im Embryo früher zu verknöchern
beginnen, als jene des Schädelgrundes, so ist doch um die Zeit der Geburt, die
Schädelbasis zu einem festeren Knochencomplex gediehen, als das Schädeldach.
So lange die Schädelknochen noch dünn, und die Zacken der Nähte nicht
gut ent^vickelt sind, ist es möglich, dem weichen kindlichen Schädel durch Druck
eine bleibende Missstaltung aufzubringen. Dieses war und ist bei gewissen rohen
Völkerstämmen herrschende Volkssitte. Schon Hippocrates spricht von scythi-
schen Langköpfen (MacrocephaU scythaeij, welche durch Kunst (vinculo et
idoiiei» artibus) erzeugt wurden. Die in Oesterreich zu Grafenegg und Inzersdorf
aufgefundenen Avarenschädel (Sitzungsberichte der kais. Akademie, 1861, Juli),
und die von Pentland nach Europa gebrachten alten Peruanerschädel, vom
Stamme der Huancas, sind durch fest angelegte Zirkelbinden, deren Eindruck
noch zu erkennen, zum Wachsthum in die Länge gezwungen worden. Kox
und Adair haben uns die Verfahrungsart der Indianer am Columbiaflusse und
in Nordcarolina, die Köpfe ihrer Kinder bleibend flach zu drücken, mitgetheüt.
Die Wanasch, und einige tartarische Völker, umwickeln ebenso die Schädel
ihrer Kinder bis an die Augen, wodurch sie sich konisch zuspitzen. Zusammen«
schnüren durch Riemen (Lachsindianer), Festbinden in einer hölzernen Form
(Tschactas), Einklemmen zwischen Brettern (Omaguas) sind ebenfalls im Gebrauche*
Die merkwürdigste Entstellung, welche ich kenne, sehe ich an einem Indianer-
schädel aus dem Golf von Mexico, der am Hinterhaupt und am Scheitel durch
einen breiten tiefen Eindruck in zwei seitliche halbkugelige Vorsprflnge zerfällt.
Es ist aber offenbar zu weit geg^gen, wenn man glaubt, dass das breite Hinter-
haupt der alten Deutschen, sowie die breiten Schläfen der Belgier, vom Liegen
der Kinder auf dem Hinterkopf oder auf den Seiten des Kopfes (Vesal),
die runden Köpfe der Türken durch den Turban, und die flachen Köpfe der
Aeg^Tptier und einiger Gebirg^sstämme , durch das Tragen schwerer Lasten auf
dem Kopfe entstanden seien (Hafeland). Durch FoYille*s interessante Ab-
handlung aber Bchädelmissstaltong erfahren wir, dass in einigen Departements
320 §. 119. Sntwioklang der Kopfknocben.
von Frankreich, das Binden des Schädels der Neugeborenen noch üblich sei. Man
bemerkt an Erwachsenen noch die Spuren der Einschnürung. Foville hält
diesen Gebrauch nicht ohne Einfluss auf später sich entwickelnde Geistesstörungen.
Unter 4SI Irren im Hospice von Ronen, hatten 247 den vom Schnürband her-
rührenden Eindruck. Die Irrenärzte Dela je undMitivi^ beobachteten Gleiches.
Es muss jedoch beachtet werden, das«, wo das Schnüren des kindlichen Schädels
Volksgebrauch ist, alle Schädel, somit auch jene der Irren, die Folge der
mechanischen Gewaltanwendung an sich tragen müssen.
Nicht immer werden die Schädel im Greisenalter dünner. Man sieht zu-
weilen das Gegentheü stattfinden, wenn beim beginnenden Schvrund des Gehirns,
nur die innere Tafel einsinkt, und der vergrösserte DiploSraum, durch Knochen-
substanz ausgeftUlt wird.
Detailschildemngen Über den knöchernen Schädel und seine Höhlen, siehe
in meinem Handbuche der topographischen Anatomie. 1. Bd. Eine auf zahlreiche
Messungen gegründete morphologische Entwicklungsgeschichte des Kopfes, enthält
IL Froriep'» Charakteristik des Kopfes. Berlin, 1845. — EngeT» Schrift über
das Knochengerüste des menschlichen Antlitzes, Wien, 1850, bemühte sich dar-
zulegen, dass die differente Form des knöchernen Antlitzes, einem auf sie
wirkenden Mechanismus, nämlich der Kraft der Kaumuskeln, ihre Entstehung
verdankt.
§. 119. Entwicklung der Kopfknochen.
Der Schädel ist, wie schon mehrmals erwähnt wurde, in den
frühesten Perioden des Fötallebens, eine theils häutige, theils
knorpelige Blase. Der knorpelige Antheil, welcher vorzugsweise der
zukünftigen Basis cranii entspricht, heisst Jacobson's Primordial-
cranium. Diese Blase verknöchert auf zweierlei Art. Erstens
durch Umwandlung ihres knorpeligen Antheils in Knochen, welche
wenn sie fertig sind, ihrer Entstehung aus Priraordialknorpel wegen,
Primordialknochen des Kopfes heissen. Zweitens durch Bildung
von Knochen aus einem weichen, auf dem häutigen Antheil der
embryonalen Schädelblase abgelagerten Blastem (Deck- oder Beleg-
knochen). Die Primordialknochen gehören der Schädelbasis, die
Deckknochen dem Schädeldach an.
Die Primordialknochen gehen also aus präexistirendem Knorpel
hervor. — Wie entstehen aber die Deckknochen? — lieber diese
Frage haben genaue Forschungen folgenden Aufschluss gegeben.
Jeder Deckknochen ist von der häutigen Unterlage, auf welcher er
entsteht, durch eine deutliche, abpräparirbare Lamelle eines unreifen,
homogenen Bindegewebes getrennt, und besitzt auch auf seiner
äusseren Fläche eine ähnliche Bindegewebsschichte. In diesen
Bindegewebsschichten finden sich sehr zahlreiche, grössere und
kleinere Zellen mit Kernen. Diese Zellen wachsen vorzugsweise
nach zwei Richtungen aus, und werden spindelförmig. Nicht diese
Zellen, sondern ihre bindegewebige, aber nicht deutlich gefaserte
i. 190. begriff and iCiütböilaiig der Wirbel. 331
Intercellularsubstanz verknöchert, durch Ablagerung der Ejiochen-
erde. Das erste Erscheinen einer solchen Ablagerung, schafft das
sogenannte Punctum ossificatixmis. Die genetische Verschiedenheit
der Deck- und der Primordialknochen ist deragemäss eine wohl-
begründete. Jedoch ist zu bemerken, dass auch bei den, aus prä-
formirtem Schädelknorpel entstandenen Knochen, die Zunahme an
Dicke gleichfalls, wie bei den Deckknochen, durch Verknöcherung
eines weichen Blastems stattfindet, welches durch die Beinhaut an
die Oberfläche des Knochens abgelagert wird.
Als Deckknochen des Schädels entstehen folgende: das
Stirnbein, die Seitenwandbeine, die obere Hälfte der Hinterhaupt-
schuppe, und die Schläfebeinschuppe, die Nasen-, Joch-, Oberkiefer-,
Thränen- und Gaumenbeine, die innere Platte der Processus ptery-
goidei des Keilbeins , die Pflugschar und der Unterkiefer. Als
Primordialknochen bilden sich: der Grundtheil , die untere
Hälfte der Schuppe, und die beiden Gelenktheile des Hinterhaupt-
beins, die grossen und kleinen Flügel des Keilbeins, und die äussere
Platte der jß'ocessus pterygoidei, das Siebbein, der Felsen- und Warzen-
theil des Schläfebeins, die untere Muschel, das Zungenbein, und die
Gehörknöchelchen (Kölliker).
Da der eben besprochene Gegenstand vor das Foram der Entwicklungs-
geschichte gehört, 80 verweise ich für nähere Details auf die bezüglichen, in §. 85
angeführten Schriften. — Ein bündiges Kesum^ des Wichtigsten über die Ent-
wicklung der Kopfknochen, gab einer der thätigsten Bearbeiter dieses Gegen-
standes : KoUiker, in seinem „Bericht über die zootomische Anstalt zu Würz-
burg. 1849. 4."
B. Knochen des Stammes.
Die Knochen des Stammes werden in die ürknochen oder
Wirbel, und in die Nebenknochen eingetheilt. Letztere zer-
fallen wieder in das Brustbein, und die Rippen.
a) lUrknochen oder AV^irbel.
§. 120. Begriff und Eintlieiluiig der Wirbel.
Die erste Anlage der Wirbelsäule im Embryo geht jener aller
übrigen Knochen des Skelets voraus. Es sollte deshalb die be-
schreibende Osteologie eigentlich mit der Betrachtung der Wirbel
beginnen. Viele Anatomen verfahren so, und die Wirbelsäule
Hyrtl, Ubximeli '^ 21
322 §. 180. Begriir and Eintheilnnff der Wirbel.
verdiente wohl den Vorzug solcher Behandlung^ da sie es ist, welche
der Eintheilung der gesammten Thierwelt in zwei Hauptgruppeii :
Wirbelthiere und Wirbellose, zu Grunde liegt. In diesem
Buche wurde dagegen die Osteologie mit den Kopfknochen be-
gonnen, weil, wenn der Anfänger einmal über sie hinaus ist, er mit
der Beruhigung, das Schwierigste bereits überwunden zu haben,
sich an das Uebrige macht.
Als Grundlage und Stativ des Stammes, dient eine in seiner
hinteren Wand enthaltene, gegliederte und bewegliche Säule, Wirbel-
säule, oder Rückgrat, Columna vertehralis, s. Spina dorsi (fox^,
woher Rhadhitü, die durch Krümmung der Wirbelsäule sich äussernde
englische Krankheit). Die einzelnen Knochen, aus welchen diese
Säule besteht, helssen Wirbel, Vertebrae (oncovSuXoi). Während die
Knochen des Kopfes sehr mannigfaltig geformt erscheinen, und
somit keiner dom anderen ähnlich sieht, sind die Knochen der
Wirbelsäule alle einander ähnlich, weil ihnen allen ein gemeinsamer
Typus ihrer Gestaltung zu Grunde liegt. Der bei Weitem grössere
Theil der Wirbelsäule ist hohl, zur Aufnahme des Rückenmarks.
Es muss somit jeder Wirbel einen kurzen, hohlen Cy linder oder
Ring darstellen. Nur das untere zugespitzte Ende der Wirbelsäule
— das Steissbein — ist nicht hohl, sondern solide, und wird nur
deshalb, weil es bei den Thieren, wie die übrige Wirbelsäule, einen
Kanal und in diesem eine Fortsetzung des Rückenmarks einschliesst,
und gewisse typische Uebereinstimmungen in der Entwicklung des
Steissbeins mit den übrigen Wirbeln vorkommen, noch unter die
Wirbel gezählt. — Die Wirbelsäule wird der Länge nach in ein
Hals-, Brust-, Lenden- und Kreuzsegment eingetheilt. Das Steissbein
figurirt nur als Anhang des letzteren.
Das Halssegment der Wirbelsäule besteht aus sieben Hals-
wirbeln (Vertebrae colli), das Brustsegment aus zwölf Brustwirbeln
(Vertebrae thoracis) , das Lendensegment aus fünf Lendenwirbeln
(Vertebrae lumbalea). Die das Kreuzsegment zusammensetzenden
fünf Kreuzwirbel (Vertebrae sacrales) verwachsen im Jünglingsalter
zu Einem Knochen (Kreuzbein), und heissen deshalb falsche
Wirbel (Vertebrae spuriae) , während die übrigen durch das ganze
Leben getrennt bleiben, und wahre Wirbel (Vertebrae verae) ge-
nannt werden. Auch die vier, ihrer Form nach mit Wirbeln kaum
mehr vergleichbaren Stücke des Steissbeins, werden den falschen
Wirbeln beigezählt.
Jeder wahre Wirbel hat folgende Attribute, qiiae aerio meminisse
juvabit. Als vollständiger Ring besitzt er eine mittlere Oeffnung
(Foramen vertebrale), und eine vordere und hintere Bogenhälfte.
Die vordere Bogenhälfte verdickt sich bei allen Wirbeln, mit Aus-
nahme des ersten Halswirbels, zu einer kurzen Säule, welche Körper
§. ISO. Begriff nnd Eintheilnng der Wirbel. 323
des Wirbels, Qyiyus vertebrae, heisst. Dieser Körper zeigt eine
obere und untere plane, oder massig gehöhlte Fläche. Beide dienen
den dicken Bandscheiben, welche je zwei Wirbelkörper unter ein-
ander verbinden, zur Anheftung. Sie sind deshalb rauh, und häufig
an macerirten Wirbeln, noch mit vertrockneten Resten dieser Band-
scheiben belegt. Die vordere und seitliche Begrenzungsfläche der
Wirbelkörper gehen im Querbogen in einander über, und sind zu-
gleich von oben nach unten ausgeschweift. Die hintere, dem Foramen
vertebrale zugekehrte Fläche des Körpers, ist in beiden Richtungen
etwas concav.
Der Körper eines Wirbels besteht über und über aus schwam-
miger Knochenmasse. Daher sein poröses Ansehen, welches um so
mehr auffallt, je grösser, und zugleich je älter der Wirbel ist. Zahl-
reiche Oeftnungen, deren grösste an der hinteren Fläche des Wirbel-
körpers getroffen werden, dienen zum Ein- und Austritt von Blut-
gefässen, unter welchen die Venen weit über die Arterien prävaliren.
Da die Festigkeit der Wirbelsäule mehr auf ihren Bändern als auf
der Stärke der einzelnen Wirbelknochen beruht, so wird diese
Oekonomie der Natur in der Anbringung compacter Knochensubstanz
begreiflich.
Nur die hintere Bogenhälfte bleibt, im Verhältniss zur
vorderen, spangenartig dünn, heisst deshalb vorzugsweise Bogen,
Arcus vertebrae, und treibt sieben Fortsätze aus. Als allgemeine
Regel hat es zu gelten, dass nie ein Wirbelfortsatz vom Körper des
Wirbels, sondern, ohne Ausnahme, vom Bogen desselben abgeht.
Die Fortsätze der Wirbel dienen entweder zur Verbindung der
Wirbel unter einander, oder zum Ansatz bewegender Muskeln. Sie
werden deshalb in Gelenkfortsätze und Muskelfortsätze (Processtu
articulares et muscidares) eingetheilt. Wir zählen drei Muskel-
fortsätze. Der eine ist unpaar, und wächst von der Mitte des
Bogens nach hinten heraus, als Dornfortsatz, Processus spinosus; die
beiden anderen sind paarig, und stehen seitwärts, als Querfortsätze^
Processus transversL Die Gelenk fortsätze zerfallen in zwei obere
und zwei untere (Processus ascendentes et desc&iidentes). Sie sind, wie
der Name sagt, mit Gelenkflächen vorsehen, welche bei den oberen
Fortsätzen nach hinten, bei den unteren nach vorn gerichtet sind.
Denkt man sich alle Fortsätze eines Wirbels weggeschnitten, so
erhält man die Urform des Wirbels, als knöcherner Ring.
Der Bogen jedes Wirbels besitzt dort, wo er vom Körper ab-
geht, also noch vor den Wurzeln der ab- und aufsteigenden Gelenk-
fortsätze, an seinem oberen Rande einen seichten, und am unteren
Rande einen tiefen Ausschnitt, welche beide Ausschnitte sich mit
den entgegenstehenden Ausschnitten des darüber und darunter liegen-
den Wirbels zu Löchern vereinigen. So entstehen die Zwischen-
2l»
324 i ISl. Hmlswirbei.
wirbelbeinlöcher, Foramina intervertebrcdia s, conjugaia, zum Aus-
tritte der Rückenmarksnerven.
Nicht bei allen Wirbeln wiederholen sich die aufgezählten Theile in der-
selben Art und Weise, and nicht bei allen sind sie übereinstimmend an Grösse,
Richtong nnd Gestalt. Sie erleiden vielmehr an einer gewissen Folge von Wirbeln
sehr wichtige Modificationen , welche einen anatomischen Charakter der verschie-
denen Abtheilmigen der Wirbelsäule bilden, worüber in den folgenden Paragraphen
gehandelt wird.
Vertebra ist von ver^ere, drehen, abgeleitet, und somit verwandt mit Vertex
und VorteXf Wirbel, Strudel des Wassers, VerUcülus, Quirl, und Vertigo,
Drehschwindel; — wie denn auch der Scheitel des Hauptes Vertex heisst, weil
die Haare, um ihn hemm, in concentrischen Kreisen stehen.
Bhachis und Spina dorsi bezeichnen eigentlich nur den durch die Spitzen
der Domfortsfitze der Wirbel gebildeten, senkrechten, erhabenen Kamm, durch
welchen der Rücken in zwei gleiche, seitliche EUllften abgetheilt wird. Die Mauer,
welche den rOmischen Circus, unvollständig in zwei Hälften theilte, hiess eben-
falls Spina, — Wirbel aber stammt von dem altdeutschen toer6en, d. i. drehen,
und dieses von werf, ein Kreis.
§. 121. Halswirbel.
Es überrascht uns nicht wenig, aus der vergleichenden Anatomie
zu erfahren, dass alle Säugethiere, sie mögen langhälsig sein, wie
die Giraffe, kurzhälsig wie das Schwein, oder keinen äusserlich
wahrnehmbaren Hals besitzen, wie der Walfisch, sieben Halswirbel
haben. Nur bei den Faulthieren steigt ihre Zahl auf acht und neun,
und bei der Seekuh, welche, ihrer zum Kriechen und zum Halten
des Jungen dienenden Flossenfüsse wegen, Manatus, schlecht Manati
heisst, sinkt sie auf sechs herab.
Ein charakteristisches Merkmal sämmtlicher sieben Halswirbel
des Menschen, liegt in der Gegenwart eines Loches in ihren Quer-
fortsätzen, Foramen transversarium , an welchem wir eine vordere
und hintere Spange unterscheiden. Kein anderer Wirbel hat durch-
bohrte Querfortsätze. Man beachte es vorerst, dass die vordere
Spange von den Seiten des Körpers, die hintere aber, wie die
Querfortsätze aller übrigen Wirbel , vom Bogen ausgeht. Die
vordere Spange hat auch in der That, wie in der Note zu diesem
Paragraphe gezeigt wird, nicht die Bedeutung eines Querfortsatzes,
sondern einer festgewachsenen sogenannten Halsrippe.
Mit Ausnahme der beiden ersten, theilen die Halswirbel
folgende allgemeine Eigenschaften. Ihr Körper ist niedrig und in
die Quere gedehnt. Die obere Fläche ist von rechts nach links,
die untere von vorn nach hinten concav. Legt man zwei Hals-
wirbel über einander, so greifen die sich zugekehrten Flächen sattel-
förmig in einander ein. Der Bogen gleicht mehr den Schenkeln
§. ISl. Umltwirb«!. 325
eines gleichseitigen Dreiecks, dessen Basis der Körper vorstellt.
Das Foramen vertebrcde ist somit eher dreieckig als rund. Der
horizontal gerichtete Dornfortsatz der mittleren Halswirbel spaltet
sich an seiner Spitze gabelförmig in zwei Zacken, welche am sechsten
Halswirbel zu zwei niedrigen Höckern werden, und am siebenten
zu einem einfachen rundlichen Knopf verschmelzen. Die durch-
bohrten Querfortsätze sind kurz, an ihrer oberen Fläche rinnen-
artig gehöhlt, und endigen in einen vorderen und hinteren Höcker,
Tuberculum anterius et posterius. Die auf- und absteigenden Grelenk-
fortsätze sind niedrig, ihre Gelenkflächen rundlich und vollkommen
plan. Die oberen sehen schief nach hinten und oben , die unteren
schief nach vorn und unten. Der erste und zweite Halswirbel ent-
fernt sich auffallend, der siebente nur wenig von diesem gemein-
samen Vorbilde.
Der erste Halswirbel oder der Träger (Atlas) hat, da er
keinen Körper besitzt, die ursprüngliche Ringform am reinsten er-
halten. Er besteht nur aus einem vorderen und hinteren Halbringe,
— beide gleich stark. Wo diese Halbringe seitlich mit einander
zusammenstossen , liegen die dicken Seitentheile (Massae laterales
atlantis), welche sich in die stark vorragenden und massigen Quer-
fortsätze ausziehen. Obere und untere Gelenkfortsätze, so wie der
Dornfortsatz , fehlen. Statt der Gelenkfortsätze finden sich nur
obere, von vorn nach hinten ausgehöhlte, und untere, ebene, über-
knorpelte Gelenkflächen. Der Dornfortsatz ist auf ein kleines
Höckerchen in der Mitte des hinteren Halbringes reducirt. Ein
ähnliches am vorderen Halbringe erinnert an den fehlenden Körper.
In der Mitte der hinteren Fläche des vorderen Halbringes liegt eine
kleine, rundliche, überknorpelte Stelle, mittelst welcher der Athis
sich um den Zahnfortsatz des zweiten Halswirbels dreht. Sein
Foi'amen vertebrale übertrifft, wegen Mangel des Körpers, jenes der
übrigen Wirbel an Grösse. Die Ausschnitte, welche zur Bildung
der Zwischenwirbellöchcr dienen, liegen dicht hinter den Massae
laterales.
Der zweite Halswirbel (Epistrophem , von aipe^eiv, drehen),
unterscheidet sich eben so charakteristisch wie der Atlas, von dem
obigen Vorbilde der Halswirbel.
Sein kleiner Körper trägt an der oberen Fläche einen zapfen-
förmigen Fortsatz, den sogenannten Zahn (Processus odontoideus,
o5ou? bei Hippocrates) , welcher an seiner vorderen und hinteren
Gegend mit einer Gelenkfläche geglättet erscheint, und in den Hals,
den Kopf, und die Spitze eingetheilt wird. — Die oberen Gelenk-
fortsätze fehlen, und finden sich statt ihrer blos zwei plane, nmd-
liche Gelenkflächen nahe am Zahne, welche etwas schräg nach
aussen und abwärts geneigt sind. Die obere Incisur zur Bildung
326 §. ISI. Halswirbel.
des Zwischenwirbelloches findet sich nur als Andeutung. Der an
seiner Spitze zuweilen in zwei kurze Zacken gespaltene Domfortsatz,
zeichnet sich durch seine Stärke aus.
Der Name Epiatropheua wurde nnprfing^Uch, und zwar mit vollem etymo-
logischen Recht, dem Atlas beigelegt (Julius P oll ux). Er iat es ja, welcher
sich dreht. Der zweite Halswirbel hiess damals aan» (auch «Stov), oder vertebra
dentata. Eine Stelle im Camerarius (CcmmefnL uiriusque Unguae, pag. 235) sagt
ausdrücklich: primua tpondylua Epiatropheu» vocatur, quan conver»or, aecundus
appeUatur Axon.
Es lässt sich beweisen, dass der Zahn des Epistropheus eigentlich den Körper
des Atlas darsteUt, welcher aber sich frühzeitig, vor Beginn der Verknöcherung
des Atlas, sich von diesem ablöste, und mit dem zweiten Wirbel verschmolz. Er
schliesst selbst am geborenen Menschen noch einen Ueberrest jenes knorpeligen
Stranges (Chorda doraalU) ein, um welchen herum sich aUe Wirbelkörper bilden.
(H. Müller, über das Vorkommen von Resten der Chorda doraalis bei Menschen
nach der Geburt, m der Zeitschrift für rat. Med. N. F. 2. Band.) Der vordere
Bogen des Atlas kann deshalb nicht einem Wirbelkörper gleichgesteUt werden,
sondern ist nur eine knöcherne AusfUUungsmasse, für die, durch das Ueberwandem
des Atlaskörpers auf den Epistropheus, entstandene Oe£fhung.
Der siebente Halswirbel, welcher an Grösse und Con-
figuration den Uebergang zu den Brustwirbeln bildet, hat den
längsten Domfortsatz , und heisst deshalb Vertebra promineiis. Der
Dom erscheint nicht mehr gespalten, und auch nicht horizontal ge-
richtet, sondern etwas schief nach abwärts geneigt. Am unteren
Rande seines Körpers findet sich seitlich öfters ein Stück einer
überknorpelten Gelenkfläche, welche mit einem grösseren, am oberen
Rande der Seitenfläche des ersten Brustwirbels vorkommenden, die
Gelenkgrube für den Kopf der ersten Rippe bildet.
Der hinter den Seitentheilen des Atlas liegende Ausschnitt, welcher mit
dem Hinterhauptbein eine dem Foramen intervertebrale der übrigen Wirbel analoge
Lücke bildet, wird zuweilen, wie bei den meisten vierftissigen Thieren, durch eine
darüber weggea&ogene, dünne Knochenspang^ in ein Loch umgewandelt. — Sehr
selten besteht der Atlas aus zwei, durch*s ganze Leben getrennt bleibenden seit-
lichen Hälften, oder es fehlt dem hinteren Bogen die Mitte. — Das Foranien
tranaversarium wird doppelt auf einer, oder auf beiden Seiten. — Zuweilen wird
der Zahnfortsatz des Epistropheus so lang, dass er die vordere Peripherie des
grossen Hinterhauptloches erreicht, und mit ihr durch ein Gelenk articulirt
Durch die Löcher der Querforts&tse der Halswirbel, läuft die Arteria und
Vena vertebrali». Nur das Foramen tratuveraariitm des siebenten Halswirbels hat
in der Regel keine Beziehung zur Wirbelarterie, lässt aber doch die Wirbelvene
durchgehen.
Da jener AntheU des Querfortsatzes eines Halswirbels, welcher vor dem
Foramen tranaversariuni liegt, vom WirbelkOrper ausgeht, so kann eigentlich nur
die hinter dem Foramen tranaveraarium gelegene Spange eines Querfortsatzes, als
eigentlicher Querfortsatz gedeutet werden. Die vergleichende Anatomie lehrt, dass
die vordere Spange des Foramen tranaveraarium, wirklich nur der festgewachsene
Hals einer Rippe ist, deren Körper unentwickelt blieb. Diese Lehre wird, durch
die Gesetze der Entwicklung der Wirbel, zu einer unumstösslichen Wahrheit. An
sechs- und auch siebenmonatlichen Embryonen, sieht man die zu einem indepen-
§. 12S. Bmstwirbel. 327
denten, selbstständi^en, rippenähnlichen Stabe entwickelte vordere Spange des Fa-
ratnen transversarium am siebenten Halswirbel sehr gut. Sie soll und wird später
an ihrem inneren Ende mit dem betreffenden Wirbelkörper, an ihrem äusseren Ende
mit der Spitze der hinteren Querfortsatzspange verschmelzen. Thut sie dieses
nicht, sondern verlängert sie sich im Bogen gegen die Brustbeinhaudhabe hin, so
stellt sie eine wahre, freie, und bewegliche Halsrippe vor, deren Länge eine
verschiedene sein kann, je nachdem sie das Brustbein erreicht, oder schon früher
endigt — Unter den zahlreichen Beobachtiuigen über das Vorkommen von Hals-
rippen (im Wiener anat. Museum vier Fälle), ist wohl die von Hasse und
Schwarz die interessanteste , da der rippentragende Wirbel in der hinteren
Spange seines Querfortsatzes, zugleich ein Foramen frmnwersariujn besitzt. Henle's
Jahresbericht für 1869, pag. 82. — Nach übereinstimmenden Beobachtungen, geht
die Arteria sitftclavia, welche im Bogen über die erste Rippe wegläuft, im Falle
des Vorhandenseins einer längeren Halsrippe am siebenten Halswirbel, über diese
Halsrippe weg, welche dann eine Furche zur Aufnahme der Arterie besitzt. Aus-
führliches giebt Luschka: lieber Halsrippen und Ohmh mn proste rnalia, im 16. Bande
der Denkschriften der kais. Akad., lind W. Gruber, in den M4m, de VAcad. de
Sf.-retershatnff. 1869.
Sind die oberen und unteren GelenkOäehen der Seitentheile des Atlas, und
die oberen Oelenkflächen des Epistropheus, den auf- und absteigenden Gelenk-
fortsätzen der übrigen W^irbel analog? Die Antwort auf diese Frage entnehme
man aus folgendem Ideengang. Man denke sich den Atlas mit einem Körper ver-
sehen. Dieser Körjier zerfalle in drei Stücke, ein mittleres und zwei seitliche.
Das mittlere rücke nach hinten, und verschmelze mit dem Körper des zweiten
Halswirbels, dessen Zahn es vorzustellen hat Die beiden seitlichen rücken aus-
einander, werden oben und unten überknorpelt, und stellen somit die Masaae
latei'ales atlarUis dar, mit ihren oberen und unteren Gelenkflächen. Wären diese
Gelenkflächen Analoga der auf- und absteigenden Gelenkfortsätze anderer Wirbel,
so müssten ja die Ausschnitte zur Bildung der Foramina irUervertehralia , vor
ihnen liegen, wie bei allen übrigen Wirbeln. Sie liegen aber hinter ihnen, wie
bei den übrigen Wirbeln hinter den Seitentheilen ihrer Körper. Die durch das
Auseinanderrücken der drei gedachten Antheile des Atlaskörpers entstehende
Lücke, wird durch zwei Ossificationspunkte eingenommen, welche durch ihr Wachs-
thum und endliche Confluenz, den vorderen Bogen des Atlas darstellen.
§. 122. Brustwirbel.
Die zwölf Brustwirbel sind Rippenträger, und besitzen deshalb,
als Wahrzeichen ihrer Gattung, an den Seiten ihrer Körper kleine
überknorpelte Gelenkstellen, zur Verbindung mit den Rippenköpfen.
Diese Gelenkstellen verhalten sich folgendermassen. Jeder der
neun oberen Brustwirbelkörper hat an seiner Seitengegend zwei
unvollständige, concave Gelenkgrübchen; das eine am oberen, das
andere am unteren Rande. Ersteres ist immer grösser, letzteres
kleiner. Thürmt man die Wirbel über einander, so ergänzen sich
die zusammenstossenden , unvollständigen, flachen Grübchen, zu
vollständigen, concaven Gelenkflächen für die Rippenköpfe — Foveae
articvlares. Hat der siebente Halswirbel kein Stück einer Gelenk-
328 S- 19S- Lendenwirbel.
fläche am unteren Rande seiner Seitenfläche, 8o wird das Grübchen
für den ersten Rippenkopf, blos durch die Gelenkfläche ara oberen
Rande der Seitenwand des ersten Brustwirbels gebildet. Der eilfte
und zwölfte Brustwirbel hat eine vollkommene Fovea articularis am
oberen Rande. Somit wird der zehnte nur eine unvollkommene
Gelenkfläche, und zwar an seinem oberen Rande, besitzen können.
— Die sonstigen Attribute der Brustwirbel sind folgende. Der Quer-
schnitt der obersten und untersten Brustwirbelkörper ist oval, jener
der mittleren dreieckig, mit gerundeten Winkeln. Am vorderen Um-
fange des Körpers ist dessen Höhe etwas geringer, als am hinteren.
Die Körper der Brustwirbel gewinnen, von oben nach unten ge-
zählt, zusehends an Höhe. Der Querdurchmesser nimmt bis zum
vierten an Grösse ab, von diesem bis zum zwölften aber zu. — Das
Foramen vertebrale der Brustwirbel ist kreisförmig und kleiner, als
an den Hals- und Lendenwirbeln. Die Dornfortsätze sind lang, drei-
seitig, zugespitzt, an den oberen Brustwirbeln massig schief, an den
mittleren stark schief nach unten gerichtet, und dachziegelfiirmig ein-
ander deckend. An den unteren Brustwirbeln zeigen die Dornfortsätze
eine horizontale Richtung. Die Querfortsätze sind nur an den oberen
acht Brustwirbeln lang und stark. Vom neunten bis zum zwölften
Brustwirbel werden sie so kurz, dass sie eigentlich kein Anrecht mehr
auf die Benennung von Fortsätzen haben, und nur niedrigen Höckern
oder Zapfen gleichen. — Die aufgetriebenen, knopfförmir;en Enden
der zehn oberen Querfortsätze, besitzen nach vorn sehende, seichte,
überknorpelte Gelenkflächen, zur Aufnahme der Tubercida costarum.
Die auf- und absteigenden Gelenkfortsätze stehen vollkommen
vertical, und ihre rundlichen, planen Gelenkflächen, sehen direct
nach hinten und nach vorn.
Die Domfortdfitze der oberen und mittleren Brustwirbel liegen selten in
der verticalen Durchschnittsebene, sondern weichen, besonders bei Frauen, welche
sich stark schnüren, etwas nach rechts ab.
Grosse morphologische Wichtigkeit beansprucht eine an der hinteren Fläche
aller Brustwirbel-Querfortsätze bemerkbare Rauhigkeit. Sie dient gewissen Muskeln
des Rückens zum Angriffspunkt. An den kurzen Querfortsätzen der untersten
Brustwirbel trifft man sie öfters in zwei über einander gestellte Höcker zer-
fallen (§. 123).
Die Fovea artictdaria am 11. und 12. Brustwirbel wird am Skelete sehr
oft so undeutlich, dass sie mehr einem rauhen Höcker gleicht
§. 123. Lendenwirbel.
Den fünf Lendenwirbeln fehlen die Löcher in den Quer-
fortsätzen, 80 wie die Gelenkflächen am Körper, und am Ende der
Querfortsätze. Ihr anatomischer Charakter ist somit ein negativer.
§. ISS. Iiendenwirbel. 329
In ihrer stattlichen Grösse liegt kein absolutes Unterscheidungs-
merkmal von den übrigen Wirbeln, da ein junger Lendenwirbel
kleiner ist als ein alter Hals- oder Brustwirbel. Ihr Körper ist
queroval, das Loch für das Rückenmark rund. Die Domfortsätze
sind seitlich comprimirt, hoch, und horizontal gerichtet, — die
Querfortsätze schwächer als an den Brustwirbeln, imd vor den
Gelenkfortsätzen wurzelnd. Die nach innen und hinten sehenden
Gelenkflächen der oberen Gelenkfortsätze stehen senkrecht, und sind
von vorn nach hinten concav. Die unteren Gelenkfortsätze stehen
näher an einander als die oberen; ihre Gelenkflächen sehen nach
aus- und rückwärts, und sind convex. Passt man also zwei Lenden-
wirbel zusammen, so werden die unteren Gelenk fortsätze des oberen
Wirbels, von den oberen des unteren Wirbels umfasst. — Der
Körper des fünften Lendenwirbels ist vorn merklich höher, als
hinten, was auch bei den übrigen Lendenwirbeln, aber in viel
geringerem Grade, vorkommt.
Zwischen dem oberen Gelenkfortsatz und der Wurzel des
Querfortsatzes, findet sich regelmässig ein stumpfer Höcker, oder
eine rauhe, vom oberen zum unteren Rande des Querfortsatzes
ziehende Leiste, welche Processus accessorius heisst. Am äusseren
Rande des oberen Gelenkfortsatzes kommt eine ähnliche Erhabenheit
vor, welche man als Processus mammillaris bezeichnet. Der Processus
accessorius find mammillaris sind in der That nur höhere Entwicklungs-
stufen jener Rauhigkeit, welche in der Note des vorhergehenden
Paragraplies, an der hinteren Fläche der Brustwirbel -Querfortsätze
angeführt wurde, und deren Zerfallen in zwei über einander liegende
Höcker, den Uebergang zu den getrennten Processus accessarius und
mammillaris bildet.
Die unteren Ränder der breiten und von den Seiten comprimirten Dorn-
fortsätze der Lendenwirbel, erscheinen gegen die Spitze wie eingefeilt, wodurch
zwei seitliche Höckerchen entstehen. Die zwischen beiden Höckerchen befindliche
Vertiefung (Erinnerung an die gegabelten Dornen der Halswirbel) erscheint zu-
weilen, wegen Reibung an dem oberen Rande des nächstfolgenden Dornfortsatzes
beim starken Rückwärtsbiegen der Wirbelsäule, wie eine Gelenkfiäche geglättet.
Seltener findet sich am unteren Rande der Spitze des Dornfortsatzes ein besonderer,
hakenförmig nach unten gebogener Höcker, welcher an den nächsten Domfortsatz
stösst, und mit ihm ein wahres Gelenk bildet (Mayer).
Eine schon im Mannesalter auftretende Verwachsung des letzten Lenden-
wirbels mit dem Kreuzbein, kommt nicht gar selten vor, und bildet den Ueber-
gang zur normalen Verwachsung der falschen Kreuzbein wirbel. Bei Individuen
von besonders hoher Statur, erscheint die Zahl der Lendenwirbel um einen Wirbel
vermehrt. — Ich besitze den ffinften Lendenwirbel eines Erwachsenen, dessen
Bogen und untere Gelenkfortsätze mit dem Körper nicht verschmolzen sind.
Durch vergleichend anatomische Untersuchung, und durch die Ergebnisse
der Entwicklungsgeschichte der Wirbelsäule, lässt es sich beweisen, dass die
Processus transversi der Lendenwirbel eigentlich den Rippen, nicht aber den
Qnerfortsätzen der übrigen Wirbel analog sind. Sie sollten somit besser Processus
S^> §. IM. Knntbtin.
•^«j«<ur^« l^'iMuint wi^nien. Der Qiierfortsatz der übrigen Wirbel wird an den Lenden-
>*irWln vlurvh den I^itfcrMtM accejutoriuM repräsentirt Die anatomischen Verhält-
utn^ vier KtSokennuiskeln hekrSftigen diese Auffassung. Ausführlich über diesen
l«e^n«tand handelt Ret «ins» in MüUer'a Archiv, 1849, und He nie, im Hand-
Kttche der »vjtemat. Anatomie, Knochenlehre.
§. 124. Kreuzbein.
I>rt« KnMi7.be in (0$ sacrum, latum, clumum, vertebra magna)
wuhI auoh hoilijifCH Bein genannt. Der Name stammt wohl daher,
ilaH8 clor Knochen, als der grösste Wirbel, von den Griechen [lI-^ol^
5xiv8\iXc; genannt, und lepb; (heilig) sehr oft für fx^Y«? gebraucht
wurdo, 80 z. B. *IX'.o; ipTi5, und Upb? tcovto; bei Homer. Graecis
omnia magna, sacra vocabantur , sagt Spigelius. Hiess doch auch
dor UUckgratskanal : tepr; cOpiY?, d. i. thtula sacra tiir den Funü
argunttiiia des Rückenmarks, nach einer Stelle bei Lauren tius.
Diese Erklärung eines seltsam klingenden Namens scheint mir richtiger als
|eno, nacli welcher der Knochen, der Nachbarschaft des kothhältigen Mastdarms
wegen, Oa Macntm genamit wurde, wo sacrum so viel als detestandum be-
zeichnet. Allerdings findet man auch ftir diese Interpretation gewährleistende
Stellen in römischen Schriften. So heisst es im Gesetz der zwölf Tafeln: Homo
aacer ia eat, quem popidtia judiearU ob nialeficium, und ferner: Palronua, ai dienti
fraudem fecerit, aacer eato. Uebrigens wird bei Hippocrates auch der zweite
und siebente Halswirbel, und der fünfte Lendenwirbel als ix^ya; onovSuXo; benannt
— Dass das Oa aacrum an den Opferthieren sammt dem Mastdarm ausgeschnitten
wurde, geschah nicht des Mastdarms wegen, sondern weil die Opferpriester das
hinter diesem Knochen lagernde beste Fleisch des Thieres, für sich zu behalten
wünschten.
Das Kreuzbein repräsentirt den grössten Knochen der Wirbel-
säule, und besteht aus fünf unter einander verschmolzenen falschen
Wirbeln, deren Grösse von oben nach unten so rasch abnimmt, dass
das Kreuzbein einem nach unten zugespitzten Keile gleicht, welcher
zwischen die beiden Hüftbeine des Beckens eingezwängt steckt, den
Beckenring nach hinten schliesst, und der auf ihm ruhenden Wirbel-
säule als Piedestal dient. Obwohl jeder der fünf noch unverwachsenen
Kreuzbeinwirbel eines jugendlichen Individuums, die Attribute eines
Wirbels ganz kenntlich zur Schau trägt, ist doch das aus der Ver-
wachsung dieser Wirbel hervorgegangene Kreuzbein, einem Wirbel
so unähnlich, dass es füglich als falscher Wirbel bezeichnet
werden kann. Die concav-convexe Gestalt dieses Knochens, lässt
auch einen Vergleich mit einer Schaufel zu, oder besser noch mit
einer umgestürzten, nach vom concaven Pyramide, an welcher eine
nach oben gekehrte Basis, eine vordere und hintere Fläche, und
zwei Seitenränder unterschieden werden. Die Basis zeigt in ihrer
Mitte eine ovale Verbindungsstelle für den letzten Lendenwirbel
welche Verbindung , da die Axe des Kreuzbeins nicht in der
f. 1S4. Krausbein. 331
Verlängerung der Axc der Lendenwirbelsäule liegt, sondern nach
hinten abweicht, einen vorspringenden Winkel bildet, welcher in
der Geburtshilfe als Vorberg, Pt^omontorium , bekannt ist. Hinter
dieser Verbindungsstelle liegt der dreieckige Eingang zu einem, das
Kreuzbein von oben nach unten durchsetzenden Kanal, welcher eine
Fortsetzung des Kanals der Wirbelsäule ist, und Canalis sacraiU
genannt wird. Rechts und links von diesem Eingange ragen die
beiden oberen Gelenkfortsätze des ersten, falschen Kreuzwirbels
hervor. Die vordere Fläche ist concav, und zeigt vier Paar Löcher
(Foramina aacralia anteriora), welche von oben nach unten an Grösse
abnehmen, und zugleich einander näher rücken. Die Löcher eines
Paares verbindet eine quere, erhabene T^eiste (als Spur der Ver-
wachsung der falschen Kreuz wirbelkörper). Auswärts von den
vorderen Kreuzbeinlöchern liegen die sogenannten Massae laterales
08818 8acri, welche durch die nach unten convergirenden breiten
Seitenränder begrenzt werden. Die convexe und unebene hintere
Fläche zeigt eine mittlere und zwei seitliche , parallele , rauhe
Leisten, welche eine Reihenfolge verschmolzener Höcker darstellen.
Die mittlere Leiste, Crista sacralü media genannt, wird durch die
unter einander verwachsenen Domen der falschen Kreuzwirbel ; die
beiden seitlichen, als Cristae sacrales laterales, durch die zusammen-
fliessenden, auf- und absteigenden Gelenkfortsätze derselben gebildet.
Am unteren Ende der mittleren Leiste, liegt die untere Oeffnung
des Canalis sacralis, als sogenannter Kreuzbeinschlitz (Hiatus sacralis).
Zwei abgerundete Höckerchen ohne Gelenkfläche, welche die ver-
kümmerten absteigenden Gelenkfortsätze des letzten falschen Kreuz-
wirbels darstellen, stehen seitwärts vom Hiatus sacralis. Man nennt
sie Comua sacralia. Den vorderen Kreuzbeinlöchern entsprechend,
finden sich auch hintere (Foramina sacraiia posteriora), welche kleiner
und unregelmässiger gestaltet sind, als die vorderen. — Die nach
unten convergirenden Seitenränder des Kreuzbeins, zeigen an ihrem
oberen, dickeren und breiteren Ende, eine nierenformige Verbindungs-
fläche für die Hüftknochen, und gehen nach unten in eine stumpfe
Spitze über, an welche sich das Steissbein anschliesst. Bevor sie
diese Spitze erreichen, werden sie halbmondft^rmig ausgeschnitten —
Indsura sacro-coccygea.
Eine durch die vorderen Krenzbeinlöcher eingeführte Sonde, tritt durch die
hinteren aus. Beide Arten von Löchern sind somit eigentlich die Endmtlndungen
kurzer Kanäle, welche den Knochen yon vom nach hinten durchsetzen. Diese
Kanäle stehen mit dem senkrechten Hauptkanal (Canalis »acrcUisJ durch grosse
Oeffiiungen in Verbindung.
Die Bedeutung der einzelnen Formbestandtheile des Kreuzbeins als Wirbel-
elemente, wird durch die Untersuchung jugendlicher Knochen, wo die Verwachsung
der fünf falschen Wirbel zu Einem Knochen noch nicht vollendet ist, aufgeklärt
Man überzeug^ sich an solchen, dass die hinteren KreuzbeinlOcher den ZwiBchea-
«2
$. 1». SUissbein.
niumon j^ xwoior WirWUu>(r«'n entsprechen, während die drei Reihen der ver-
?»cl»niol«onon Ooni- nmi iielenkfortoäUe, in den drei longitudinalen Leisten an
dor hintenMi Klüoho des Knochens erkannt werden. Man denke sich fHnf rasch
An t^KU'.o ."^hnehmende, nnd mit langen und massigen QuerforfcȊtzen , so wie mit
oHo« »olohon A*!»t|r^wach!«enen. Rippenhälsen (wie bei den Halswirbeln) ausgestattete
\ViHH»U an ihrvn Ki^niem, und an den Enden ihrer Querfortsätze und Rippenhälse,
«ul «nnAndt'r vi^rwachsen, so hat man einen einfachen pyranudalen Knochen mit
wnh^ifvr S|»it»,» )^'M>haffen, welcher dem Kreuzbein gleicht. Die Maagae laterales
y\%^^ Krt»u«boin* wind es, welche durch die Verschmelzung der massigen Querfort-
'^ÄUk^ wmi Rip)H*nhälse der fllnf Kreuzbeinwirbel zunächst gebildet werden.
K<(»ln Kmu^hen bietet so zahlreiche Verschiedenheiten seiner Form dar, wie
*U* Kr««u«bt«in. Fälle, wo das erste Stück des Steissbeins, oder der letzte Lenden-
>WrboK mit dem Kreuzbein verwachsen ist, dürfen nicht für eine Vermehrung
»•oint^r NYirbelzahl angesehen werden. Wirkliche Vermehrung der Kreuzbeinwirbel
Kft^httrt SU tlen grössten Seltenheiten. Verminderung der Krouzwirbel auf vier,
Kniin eine wirkliche sein, oder dadurch gegeben werden, dass der erste Kreuz-
wlrhel »icli selbstständig macht, und einem sechsten Lendenwirbel gleicht. —
Albin und Sandifort haben zuerst eine interessante Anomalie des Kreuzbeins
erwähnt, wo der erste falsche Kreuzwirbel auf der einen Seite die Form eines
Lendenwirbels, auf der anderen die Beschaffenheit eines Kreuzwirbels hatte. Dieser
Fall muss von jenem unterschieden werden, wo die eine Hälfte des Hinften Lenden-
wirbels, oder beide, durch massige Entwicklung ihrer Querfortsätze und mehr
weniger vollständige Verschmelzung derselben mit den Seitentheilen des ersten
Kreuzwirbels, diesem Wirbel ,,assimilirt" werden (Dürr, in der Zeitschr. für
wiss. Med. 3. Reihe. 8. Bd.). — Unvollkommene Schliessung, oder Offensein des
CanalU scicralis in seiner ganzen Länge, findet man oft genug. Ich besitze einen
sehr merkwürdigen Fall von anomaler Bildung des Kreuzbeins, wo die seitlichen
Bogenhälften der falschen Wirbel, welche durch ihre Nichtvereinigung das Offen-
bleiben des Sacralkanals bedingen, mit einander so verwachsen sind, dass die
rechte Bogenhälfte des ersten Wirbels mit der linken des zweiten, die rechte
Hälfte des zweiten mit der linken des dritten, u. s. w. zusammenstösst, wodurch
eine ganz sonderbare Verschobenheit der hinteren Flächenansicht entsteht. Die
linke Bogenhälfte des ersten, und die rechte Bogenhälfte des letzten Kreuzwirbels
ragen als stumpfe Höcker unverbunden hervor. An einem zweiten Falle wächst
zwischen dem ersten und zweiten hinteren Foramen aacreUe, rechterseits ein stumpf-
pyramidaler Fortsatz heraus, der sich nach aussen krümmt, und mit der Tubero-
aitaa oania ilei durch Synchondrose zusammenstösst.
Da das Kreuzbein an der Bildung des Beckenringes participirt, und von
seiner Grösse und Gestalt die in beiden Geschlechtem sehr ungleiche Länge und
Weite des Beckens vorzüglich abhängt, so muss der Geschlechtsunterschied an ihm
sehr deutlich ausgesprochen sein. Es gilt als Norm, dass das weibliche Kreuzbein
breiter, kürzer, gerader, nnd mit seiner Läng^naxe mehr nach hinten gerichtet ist,
als das männliche.
§. 125. Steissbein.
Das Steissbein, Os coccygis (Kukuksbein, von x6kxu5, dessen
Schnabelform jener des Steissbeins ähnelt), stellt eigentlich eine
Folge von vier kleinen Knochen dar, an deren erstem und zugleich
grösstem, nur wenig Attribute eines Wirbels, an den übrigen gar
S. 1S6. dtaiubein. 333
keine mehr zu erkennen sind. Man begreift in der That nicht,
wozu sie da sind. Die Darwinisten sehen im Steissbein ein Erbtheil
von den Vorältern der Menschen — den AflFen (von welchen aber
jene der alten Welt, ebensowenig wie der Mensch, einen Schweif
besitzen).
Die den Wirbeln zukommende Ringform, ist bei diesen vier
Steissbeinen ganz eingegangen, da die Bogen fehlen, und nur ein
Rudiment des Körpers erübrigt. Das erste Stück des Steissbeins,
hat noch Andeutungen von aufsteigenden Gelenkfortsätzen, welche
nun Comua coccygea heissen. Sie wachsen den Comua sacraiia
des letzten Kreuzbeinwirbels entgegen, ohne sie zu erreichen.
Seine etwas in die Quere ausgezogenen Seitentheile , mahnen an
verkümmerte Processus transversi. Die Verbindungsstelle des ersten
Steisswirbels mit der abgestutzten Kreuzbeinspitze, ist noch das
wenigst entstellte Ueberbleibsel einer oberen Wirbelfläche. Die
am unteren Ende des Seitenrandes des Kreuzbeins erwähnte halb-
mondförmige Incisura sacro-coccygea , wird durch Anlagerung des
ersten Steisswirbels zwar bedeutend vertieft, aber nicht zu einem
Loche vervollständigt. Sie stellt nur ein misslungenes Foramen inter-
vertebrale dar.
Bei den LaUiw-barhari heisst das Steissbein kurzweg Cauda. — Bauhin
betrachtete es als Regel, dass das weibliche Steissbein um ein Stück mehr hätte,
als das^ männliche. Vermehrung der Steisswirbel, welche sich auch am lebenden
Menschen als ein Appendix hinter dem After bemerkbar macht, soll als Racen-
eigenthiimlichkeit bei einem malayischen Stamme im Inneren Java*s vorkommen.
Man entfernt den unangenehmen Ueberfluss durch Wegschneiden. Bartholin
hat die Homine^ caudati auch unter meinen Landsleuten (Dänen) angetroffen, und
ehrlich gesagt, waren wir es alle im Fötalleben, denn das embryonische Tuber-
ctdum coccygeum, ist in der That ein knochenloser Schweif. — Die Verwachsung
des ersten Steisswirbels mjt dem letzten Kreuzwirbel, ereignet sich nur im
männlichen Geschlechte. Bei Weibern wäre eine solche Ankylose etwas Un-
erhörtes, und hätte den nachtheiligsten Einflnss auf das Gebären. Man behauptete,
es entständen solche Verwachsungen gerne bei Individuen, welche oft und an-
haltend reiten. Wie wenig an dieser Behauptung Wahres ist, beweist das Steiss-
bein eines alten donischen Kosaken in der ehemals Blumenbach^schen
Sammlung, an welchem vier Lendenwirbel ankylosirten, das Steissbein aber voll-
kommen beweglich blieb. — Der dritte und vierte Steisswirbel erscheinen bis-
weilen nicht auf, sondern neben einander liegend, als Folge von Verrenkung,
welche, bei der Häufigkeit von Fällen auf das Gesäss, nicht eben selten vor-
kommen mag. Verwachsung dieser beiden Wirbel kommt sehr oft vor. An den
Steissbeinen der geschwänzten Säugethiere finden sich alle Attribute wahrer
Wirbel. — lieber angeborne imd erworbene Anomalien des Steissbeins, handelt
ausführlich meine betre£fende reichhaltige Mittheilimg in den Sitzungsberichten
der kais. Akad. 1866.
334 §. IM. B&nder d«r Wirb«lt&ale.
§. 126. Bänder der Wirbelsäule.
Um die complicirtcn BandvoiTichtungen an der Wirbelsäule
bequemer zu überschauen, wird eine Classificirung derselben noth-
wendig. Ich trenne die Wirbelsäulenbänder in allgemeine und
besondere. Die allgemeinen Bänder der Wirbelsäule finden sich
entweder als lange continuirliche Bandstreifen an der ganzen Länge
der Columna vertebralia, oder sie treten zwischen je zwei Wirbeln,
nur nicht zwischen Atlas und Epistropheus, in derselben Art und
Weise auf, und wiederholen sich so oft, als Verbindung zweier
Wirbel überhaupt stattfindet. Die besonderen Bänder werden nur
an bestimmten Stellen der Wirbelsäule, und namentlich an ihrem
oberen und unteren Endstücke gefunden, wo die Wirbel besondere,
YOm allgemeinen Wirbeltypus abweichende Eigenschaften besitzen.
A) Allgemeine Bänder, welche die ganze Länge der Wirhdaäule
einnehmen.
Man findet sie als zwei lange, aus Bindegewebe und elastischen
Fasern bestehende Bänder, an der vorderen und hinteren Fläche
der Wirbelkörper herablaufend. Das vordere lange Wirbelsäulen-
band (Ligamentum longiiudinale anterius) entspringt an der Pars
basilaris des Hinterhauptbeins, ist anfangs schmal und rundlich,
wird im Herabsteigen breiter, adhärirt fest an die vordere Gegend
der Wirbelkörper und besonders der Bandscheiben zwischen ihnen,
und verliert sich ohne deutliche (xrenze in die Beinhaut des Kreuz-
beins. Das hintere (Ligamentum longitudinale postein>us) ist schwächer
als das vordere. Es liegt im Rückgratskanal, und kann deshalb im
Laufe nach abwärts nicht so an Breite zunehmen, wie das vordere,
welches frei liegt. Am Körper des zweiten Halswirbels beginnend,
verliert es sich im Periost des Kreuzbeinkanals. Es hängt, wie das
vordere, viel fester mit den Bandscheiben, als mit den Wirbelkörpern
zusammen. Uebersieht man es an einem geöffneten Rückgratskanal
in seiner ganzen Länge, so besitzt es keine parallelen, sondern
sägeförmig gezackte Seitenränder, da es auf den Bandscheiben breiter
erscheint, als auf den Wirbelkörpern. — Das vordere lange Wirbel-
säulenband beschränkt die Rückwärtsbiegung, das hintere die Vor-
wärtsbeugung der Wirbelsäule. Das hintere gewährt noch überdies
den Vortheil, dass die Venengeflechte, welche zwischen ihm und der
hinteren concaven Fläche der Wirbelkörper liegen, selbst im höchsten
Grade ihres Strotzens, keinen nachtheiligen Druck auf das Rücken-
mark ausüben können.
§. 186. Btader der Wirbelt&nle. 335
B) AUgenieine Bänder, welche sich zwischen je zioei Wirbeln wiederholen.
1. In den Zwischen wirbelscheiben (Ligamenta interverte-
brcUia besser Fihro-caHüagines intervertehrales) sind die haltbarsten
Bindungsmittel je zweier Wirbelkörper gegeben. Jede Zwischen-
wirbelscheibe besteht, bei Betrachtung mit unbewaffnetem Auge,
aus einem äusseren, breiten, elastischen Faserringe, und einem von
diesem umschlossenen, weichen, gallertartigen Kern, welcher nicht
die Mitte der Scheibe einnimmt, sondern dem hinteren Rande der-
selben näher liegt, als dem vorderen. Die Elemente des Faserringes
sind Bindegewebsbündel und elastische Fasern, welche theils senk-
recht gestellt sind, indem sie an den Verbindungsflächen je zweier
Wirbel festhaften, theils in horizontal liegenden und concentrischen
Ringen einander umschliessen. Je näher dem weichen Kerne, desto
mehr gewinnen die elastischen Fasern die Oberhand. Ihre theils
senkrechte, theils concentrisch gekrümmte Anordnung ist der Grond^
warum der Querschnitt einer Bandscheibe kein homogenes Ansehen
darbietet, sondern eine Streifung zeigt, indem glänzend helle Ringe
mit dunkleren abzuwechseln scheinen. Dass diese Streifung nicht
auf einem substantiell verschiedenen Material beruht, sondern der
optische Ausdruck einer abwechselnd verticalen und horizontalen
Faserungsrichtung ist, beweist der Umstand, dass die hellen Linien
der Durchschnittsfläche dunkel, und die dunkeln hell werden, sobald
man die Schnittfläche von einer anderen Seite her beleuchtet.
Zwischen den Faserbündeln finden sich Knorpelzellen eingestreut,
welche sich , an Menge zunehmend , bis in den weichen Kern der
Bandscheibe hinein erstrecken. Dieser letztere zeichnet sich durch
eine merkwürdige Quellbarkeit aus, indem er, selbst wenn er gänzlich
eingetrocknet ist, im Wasser bis nahe zum Zwanzigfachen seines
Volumens aufschwillt. Seine homogene Grundsubstanz wird nur
spärlich von verticalen und schief gekreuzten elastischen Fasern
durchzogen, in deren Maschen die oben erwähnten Knorpelzellen
liegen. Bei älteren Individuen Hnden sich im Centrum des Kernes
grössere oder kleinere Hohlräume, mit glatten oder verschiedentlich
ausgebuchteten Wänden. Sie sind ihrem Wesen nach, den Hohl-
räumen der Gelenke verwandt, und erscheinen, wie diese, mit einer
Art von Synovialmembran ausgekleidet.
Ausführliches üher den Bau der Zwischenwirhelscheibcn ist bei Henle
(Handbuch der systemat. Anatomie, Bänderlehre), und bei Luschka (Zeitschrift
für rationelle Med. Bd. VII.) zu finden.
2. Zwischenbogenbändcr, oder gelbe Bänder (Ligamenta
intercruralia s. flava)» Sie füllen die Zwischenräume je zweier Wirbel-
bogen aus, bestehen nur aus elastischen Fasern, und besitzen deshalb,
nebst der gelben Farbe, auch einen hohen Grad von Dehnbarkeit,
336 i. 1S6. B&tider der Wirbelitftale.
welcher bei jeder Vorwärtsbeugung der Wirbelsäule in Anspruch
genommen wird. Sie ziehen nicht vom unteren Rande eines oberen
Wirbelbogens zum oberen Rande des nächst unteren, sondern mehr
zur hinteren Fläche des letzteren.
3. Von den Zwischendorn- und 4. den Zwischenquer-
bändern (Ligamenta interspinalia et intertransversalia), so wie von
den Kapselbändern der auf- und absteigenden Gelenkfortsätze,
sagt der Name Alles. Am besten entwickelt trifft man sie am
Lendensegmente der Wirbelsäule. Die sogenannten Spitzenbänder
der Domfortsätze (Ligamenta apicum) sind wohl nur die hinteren
verdickten Ränder der Zwischendornbänder. Sie kommen nur, vom
siebenten Halswirbel an, bis zu den falschen Dornen des Kreuz-
beins vor. Vom siebenten Halswirbeldorn, bis zur Protitherantia
occipitaiis externa hinauf, werden sie durch das im hohen Grade
elastische Nackenband (Ligamentum nuchae) vertreten, welches beim
Menschen viel schwächer ist, als bei jenen Thieren, deren Köpfe
schwere Geweihe tragen, oder zum Stossen und Wühlen verwendet
werden. Man fiihlt mit dem Finger das Band sehr gut am eigenen
Nacken, in der Nähe des Hinterhauptes, wenn man den Kopf stark
nach vorn beugt.
Nitcha stammt aus dem Arabischen (vox arabica est, sagt Consta ntinus
Africanns). Es bedeutet Rückenmark, nicht aber Nacken (§. 162). Die
Aehnlichkeit der Worte nucfia und Nacken, verschuldete es, dass nucka im
medicinischen Latein, welches nicht zum reinsten gehört, für Nacken gebraucht
wird: cesicans ad nucham, — litxatio nuchae, etc.
C) Besondere Bänder zwischen einzelnen Wirbeln,
Tim die Beweglichkeit des Kopfes zu vermehren, konnte er
weder mit dem ersten Halswirbel, noch dieser mit dem zweiten
durch Zwischenwirbelscheiben verbunden werden. Es waren be-
sondere Einrichtungen nothwendig, um den Kopf beweglicher zu
machen, als es ein Wirbel auf dem andern zu sein pflegt. Bewegt
sich der Kopf in der verticalen Ebene, wie beim Jasagen, so drehen
sich die Processus condyloidei seines Hinterhauptes, in den oberen
concaven Gelenkflächen der Seitentheile des Atlas, welcher ruhig
bleibt, um eine quere Horizontalaxe. Bewegt sich der Kopf um
seine senkrechte Axe drehend nach rechts und links, so ist es
eigentlich der Atlas, welcher diese Bewegung ausfuhrt, indem er
sich um den Zahn des Epistropheus, wie ein Rad um eine excen-
trische Axe, dreht ; — der Kopf, welcher vom Atlas getragen wird,
macht nothwendig die Drehbewegung des Atlas mit.
Beim Neigen des Kopfes gegen eine Schulter, wird die Halswirbel sä ule als
Ganzes nach der Seite zu gebogen, wozu nach Henke, noch eine in diesem Sinne
sehr geringe Beweglichkeit der Hinterhaupt-AtUsg^lenke beiträgt.
§. 126. Binder der Wirbeleivle. 337
1. Bänder zwischen Atlas und Hinterhauptbein.
Der Kaum, welcher zwischen dem vorderen Halbring des Atlas
und der vorderen Peripherie des Hinterhauptloches, so wie zwischen
dem hinteren Halbring und der hinteren Peripherie dieses Loches
übrig bleibt, wird durch zwei fibröse Häute verschlossen, das vordere
und hintere Verstopfungsband (Membrana ohturatoria anterior
et posterior), Ersteres ist stärker und straffer, letzteres dünner und
schlaffer, und wird beiderseits dicht an seinem äusseren Rande
durch die Arteria vertebralis durchbohrt, welche von dem Loche
des Querfortsatzes des Atlas sich zum grossen Hinterhauptloche
krümmt. — Die Gelenkflächen der Processtis condyloidei des Hinter-
hauptes und der Seitentheile des Atlas, werden durch fibröse Kapseln
zusammengehalten, deren vordere und hintere Wände schlaff und
nachgiebig sind, um die Beugung und Streckung des Kopfes nicht
zu beschränken.
2. Bänder zwischen Epistropheus, Atlas, und Hinter-
hauptknochen.
Die Gelenkverbindung zwischen Atlas und Zahn des Epi-
stropheus ist ein Radgelenk (Articidatio trochoides). Der Zahn des
Epistropheus wird durch ein starkes Querband (Ligamentum trans-
versum atlantis) an die Gelenkfläche des vorderen Halbringes des
Atlas angedrückt gehalten. Dieses Querband liegt in der Ebene
des Atlasringes, und ist von einem Seitentheil zum anderen, nicht
ganz quer gespannt, sondern vielmehr im Bogen um den 2^hn
herumgelegt. Das Band, welches dort, wo es über den Zahn weg-
streift, knorpelartig verdickt erscheint, theilt die Oeffnung des Atlas
in einen vorderen, für den Zahn des Epistropheus, und in einen
hinteren, grösseren, für das Rückenmark bestimmten Raum ein.
Vom oberen Rande des Bandes geht ein Fortsatz zum vorderen
Rande des grossen Hinterhauptloches hinauf, und vom unteren
Rande ein gleicher zum Körper des Epistropheus herab. Diese
beiden senkrechten Fortsätze bilden mit dem Querband ein Kreuz —
Ligamentum crudatum. Damit der Zahn aus dem, durch den vor-
deren Halbring des Atlas und durch das Querband gebildeten Ring
nicht herausschlüpfe, wird er auch an den vorderen Umfang des
grossen Hinterhauptloches durch drei Bänder — ein mittleres
und zwei seitliche — befestigt. Das mittlere (Ligamentum
Suspensorium dentis) geht von der Spitze des Zahnes zum vorderen
Rande des Foramen occipitale mxignum; die beiden seitlichen
(Ligamenta alaria s, Mau^harti) erstrecken sich Von den Seiten der
Zahnspitze, zu den Seitenrändern des Hinterhauptloches, und zur
inneren Fläche der Processus condyloidei. Sie beschränken die Dreh-
bewegung des Kopfes. David Mauchart, Professor in Tübingen^
Hjrti, Lekrbttflh der Anatoait. 14. Aufl. 22
338 §• IM. Binder der Wirb«ls&iüe.
handelte zuerst von ihnen in der Schrift: de luxatione nuchae,
Tub., 1747.
Der hier beschriebene Bandapparat wird dui*ch eine fibröse
Membran zugedeckt, welche über dem vorderen Rande des grossen
Hinterhauptloches entspringt, von der sie bedeckenden harten Hirn-
haut, durch zwischenlagemde Venengeflechte getrennt ist, und am
Körper des zweiten Halswirbels dort endet, wo das lAgamentum
longitudinale posfterius beginnt. Ich nenne sie Membrana ligamentosa,
und verstehe unter dem Namen Apparatus Ugamentosus, welchen ihr
alte und neue Schrift;steller beilegen, die Gesammtheit der Band-
verbindungen der zwei oberen Halswirbel und des Hinterhauptbeins.
Der Name Apparaius drückt ja eine Vielheit von Theilen aus, und
kann auf Ein Ligament nicht angewendet werden.
Zwischen der vorderen Peripherie des Zahnfortsatzes, und der
anstossenden Gelenkfläche des vorderen Atlasbogens, befindet sich
eine kleine Synovialkapsel. Zwischen der hinteren Peripherie des
Zahnes, und dem über sie quer weggehenden Ligamentum trans-
vevsum, findet sich eine viel grössere Synovialkapsel, welche sich
auch um die Seitenfläche des Zahnes herumlegt. — Der vom vor-
deren Atlasbogen und dem Ligamentum transversum gebildete, zur
Aufnahme des Zahnfortsatzes bestimmte Hohlraum, ist kein cylin-
drischer, sondern ein konischer — oben weiter, als unten, da auch
der Zahn einen dicken Kopf und einen schmächtigeren Hals besitzt.
Dass auch dieser Umstand dem Herausschlüpfen des Zahnes aus seiner
Aufnahmshöhle entgegenwirkt, bedarf keines weiteren Beweises.
Da der Atlas, zugleich mit dem Kopfe, sich um den Zahn des Epistropheus
nach rechts und links um 45^ drehen kann, wobei die unteren Gelenkflächen der
8eitentheile des Atlas auf den oberen Gelenkflächen des Epistropheus schleifend
weggleiten, so müssen die Kapseln, welche die unteren Gelenkflächen der Seiten-
theile des Atlas mit den oberen Gelenkflächen des Epistropheus verbinden, sehr
schlaff und nachgiebig sein, wie sie es in der That auch sind. H e n 1 e hat zuerst
gezeigt, dass die einander zugekehrten Gelenkflächen des Atlas und Epistropheus,
bei der Kopfirichtung mit dem Gesicht nach vom, sich nicht in allen Punkten,
sondern nur mit transversal gerichteten Firsten berühren, vor und hinter welchen
sie klaffend von einander abstehen. Wird eine Seitendrehung des Kopfes, z. B.
nach rechts ausgeführt, so tritt linkerseits die hintere Hälfte der seitlichen Gelenk-
fläche des Atlas mit der vorderen Hälfte derselben Gelenkfläche des Epistropheus
in Contact, während rechterseits die vordere Hälfte der seitlichen Gelenkfläche
des Atlas, mit der hinteren des Epistropheus in Berührung kommt. Bei der
Kopfdrehung nach links findet das entgegengesetzte Verhältniss statt.
Zerreissung des Querbandes und der Seitenbänder des Zahnfortsatzes, wie
sie durch ein starkes und plötzliches Niederdrücken des Kopfes gegen die Brust
entstehen könnte, würde den Zahnfortsatz in das Rückenmark treiben, und absolut
tödtliche Zerquetschung desselben bedingen. Die Gewalt, welche eine solche
Verrenkung des Zahnfortsatzes nach hinten bewirken soll, mus« sehr intensiv sein,
da die Bänder des Epistropheus ein Gewicht von 125 Pfund, ohne zu zerreissen
tragen (Maisonabe), und die Stftriie des Querbandes wenigstens nicht geringer
§. 127. Betrachtnog der Wirbelf&vU »U Games. 339
ist, die übrigen Bänder und Weichtheile gar nicht gerechnet. Man hat behauptet,
dass beim Tode durch Erhenken, wenn, um die Dauer des Todeskampfes su
kürzen, gleichzeitig an den Füssen gezogen wird, eine Verrenkung des Zahnes
nach hinten jedesmal eintrete (J. L. Petit). Ich habe an zwei Leichen ge-
henkter Mörder, keine Zerreissung der Bänder des Zahnes beobachtet, möchte
jedoch die Möglichkeit derselben nicht in Zweifel ziehen, wenn, wie es in Frank-
reich vor Einführung der Guillotine geschah, der Henker sich auf die Schultern
des Deliquenten schwingt, und dessen Kopf mit beiden Händen nach unten drückt.
Petit könnte somit wohl Recht gehabt haben. Man hat ja auch in einem Falle,
wo ein junger Mensch sich anf einen andern stürzte, welcher gerade mit seinem
Leibe ein Rad schlug, Zersprengung der Bänder des Zahnes, und augenblicklich
tödtliche Luxation desselben, mit Zermalmung des Rückenmarks erfolgen gesehen.
Uebrigens kann hinzugefügt werden, dass weder Realdus Columbus (1546),
noch Mackenzie und Monro, welche letztere im vorigen Jahrhundert mehr als
50 gehenkte Verbrecher auf die fragliche Verrenkung untersuchten, dieselbe vor-
fanden. Ebenso hat Orfila, welcher an 20 Leichen directe Versuche hierüber
vornahm, wohl einmal einen Bruch des Zahnfortsatzes, aber nie eine Luxation
desselben nach hinten entstehen gesehen.
Der Bandapparat zwischen Zahn des Epistropheus, Atlas, und Hinterhaupt-
bein, wird am zweckmässigsten untersucht, wenn man an einem Nacken, welcher
bereits zur Muskelpräparation diente, die Bogen der Halswirbel und die Hinter-
hauptschuppe absägt, und den Rückgratkanal mit dem grossen Ilinterhauptloche
dadurch öffnet. Nach Entfernung des Rückenmarks trifft man die harte Hirnhaut
Unter dieser folgt die Membrana liganienioHa, und, bedeckt von dieser, das Liga-
mentum cruciaium, nach dessen Wegnahme das Ligamentum tnnfpemtorium, und die
beiden Ligamenta eUaria übrig bleiben.
3. Bänder zwischen Kreuz- und Steissbein,
Die Spitze des Kreuzbeins wird mit dem ersten Steissbein-
stück, und die folgenden Stücke des Steissbeins unter einander,
durch Faserknorpelscheiben, wie wahre Wirbel vereinigt. Dazu
kommen vordere, hintere, und seitliche Verstärkungsbänder —
Ligamenta sacro-coccygea. Das Ligamentum aacro'coccygeum posterius
ist zwischen den Kreuzbein- und Steissbeinhörnern ausgespannt,
und schliesst somit den Hiatus saa'O-coccygeus.
§. 127. Betrachtung der Wirbelsäule als Ganzes,
Die Wirbelsäule dient dem Stamme als seine Hauptstütze. Sie
erscheint, mit Ausnahme des Steissbeins, als eine hohle, gegliederte
Knochenröhre, welche das Rückenmark und die Ursprünge der
Rückenmarksnerven einschliesst. Am Skelete betrachtet, finden wir
die Röhre nur unvollkommen von knöchernen Wänden gebildet.
Zwischen je zwei Wirbelkörpern bleiben Spalten, und zwischen je
zwei Wirbelbogen bleiben offene Lücken übrig. Erstere sind im
frischen Zustande durch die dicken Bandscheiben der Ligamenta
intervertebralia ausgefüllt, und letztere werden durch die Ligamenta
flava $. inUercruraUa verschlossen^ so dass beiderseits nur die
22 •
340 S' 1^' Betnchtnng; der Wirbelsäule als Oanses.
Foramina intervertebralia für die austretenden Riickenraarksnerven
offen bleiben. Die Länge der Säule, ohne Rücksicht auf ihre
Krümmungen, in gerader Linie vom Atlas bis zum Kreuzbeine ge-
messen, betlägt durchschnittHch den dritten Theil der ganzen Körper-
länge. Die einzelnen Glieder der Säule — die Wirbel — nehmen
an absoluter Grösse bis zum Kreuzbein allmälig zu, vom Kreuzbein
bis zur Steissbeinspitze aber schnell ab. Die Breite der Wirbel-
körper wächst vom zweiten bis zum siebenten Halswirbel. Vom
siebenten Halswirbel bis zum vierten Brustwirbel nimmt sie wieder
etwas ab, und steigt von nun an successive bis zur Basis des
Kreuzbeins. Die Höhe der einzelnen Wirbel ist am Halssegmente
fast gleich, und wächst bis zum letzten Lendenwirbel in steigender
Progression. Der Kanal für das Rückenmark bleibt in den Hals-
wirbeln ziemlich gleichweit; in den Rückenwirbeln, vom sechsten
bis zum neunten, ist er am engsten; in den oberen Lendenwirbeln
wird er wieder weiter, und verengt sich neuerdings gegen die
Kreuzbeinspitze. Die Seitenöffnungen des Kanals (Foramina inter-
vertebralia), deren wir mit Inbegriff der vorderen Kreuzbeinlöchcr
dreissig zählen, sind an den Brustwirbeln enger, an den Lende n-
und Kreuz wirbeln weiter als an den Halswirbeln. — Die grösste
Entfernung je zweier Dornfortsätze kommt am Halssegmente der
Wirbelsäule vor, wegen horizontaler Richtung und geringer Dicke
dieser Fortsätze. Am Brustsegmente erscheint sie, wegen Ueber-
oinanderlagerung der Dornen am kleinsten, und im Lendensegmente
kaum kleiner als am Halse. Das dachziegelförmige Uebereinander-
schieben der mittleren Brustwirbeldornen schützt das Rückenmark
gegen Stich und Hieb von hinten besser, als am Halse und an den
Lenden. — Der Abstand zweier Bogen zeigt sich zwischen Atlas
und Epistropheus am grössten, sehr klein bei den Rückenwirbeln,
grösser bei den Lendenwirbeln. Aus diesem Grunde dringen ver-
letzende Werkzeuge am leichtesten zwischen Hinterhaupt und Atlas
in die Rückgratshöhle ein. — Die Spitzen der Querfortsätze der
sechs oberen Halswii'bel liegen in einer senkrechten Linie über
einander. Der Querfortsatz des siebenten Halswirbels weicht etwas
nach hinten, welche Abweichung sämmtlichen Brustwirbelquerfort-
sätzen zukommt, und sich an den Lendenwirbeln wieder in die rein
quere Richtung verwandelt. An der hinteren Seite der Wirbelsäule
liegen zwischen den Dorn- und Querfortsätzen aller Wirbel, zwei
senkrechte Rinnen, Suld dorsales, welche den langen Rückenmuskeln
zur Aufnahme dienen.
Die Wirbelsäule ist nicht vollkommen geradlinig, und darf es
auch nicht sein. Denn würde der Kopf auf einer geradlinigen
Wirbelsäule ruhen, so müsste jeder Stoss, welcher, wie beim Sprung
und beim Fall auf die Füsse, von unten auf wirkt, Erschütterung
§. 187. Betncbtnng der WirbeUäule als Oanses. 341
des Gehirns mit sich bringen. Besitzt aber die Wirbelsäule nach
bestimmten Gesetzen angebrachte Krümmungen, so wird der Stoss
grösstentheils in der Schärfung der Krümmungen absorbirt, und wirkt
somit weniger nachtheilig auf das Gehirn. Die Krümmungen der
Wirbeltheile sind nun folgende. Der Halstheil erscheint nach vorn
massig convex, der Brusttheil stark nach hinten gebogen, der Lenden-
theil wieder nach vorn convex, das Kreuzbein nach hinten. Diese
vier Krümmungen addiren sich zu einer fortlaufenden Schlangen-
kiümmung. Man prägt sich das Gesetz der Krümmung am besten
ein, wenn man festhält, dass jene Reihen von Wirbeln, welche mit
keinen Nebenknochen in Verbindung stehen (Hals- und Lenden-
reihe), nach vorn, dagegen die mit Nebenknochen des Stammes
verbundenen Reihen (Brustwirbel und Kreuzbein) nach hinten
convex gekrümmt sind. Die nach hinten convexcn Krümmungen
vergrössern den Rauminhalt der vor ihnen liegenden Höhlen der
Brust und des Beckens. Die Krümmungen der Wirbelsäule ent-
wickeln sich erst mit dem Vermögen aufrecht zu stehen und zu
gehen. Bei Embryonen und bei Kindern, welche noch nicht gehen
lernten, sind sie nur angedeutet ; dagegen stellen sie sich bei Thieren,
welche auf zwei Füssen zu gehen abgerichtet wurden, zur Zeit des
Aufrechtöcins sehr kennbar ein. Die stärkste, nach vorn convcxe
Krümmung, liegt zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein, als
sogenannter Vorberg, Promontorium,
Es läast »ich leicht beweisen, dass eine 8cblan^enf(>rmig; gekrümmte Wirbel-
säule besser trägt, als eine gerade. Rechnung und Versuch zeigen, dass bei zwei
oder mehreren geraden Säulen von verschiedener Höhe, vertical aufgestellt, und
vertical gedrückt, im Moment des beginnenden Biegens, sich die Dnickgrössen
verkehrt wie die Höhen verhalten. Eine kurze Säule erfordert somit mehr Dntck,
um gebogen zu werden, als eine längere. Die Wirbelsäule, welche bis zum
fixen Kreuzbein herab, aus drei in entgegengesetzten Richtungen gekrümmten
Segmenten besteht, muss sich also in drei entgegengesetzten Richtiuigen krümmen,
d. h. sie bestellt eigentlich aus drei übereinander gestellten kurzen Säulen, welche
somit zusammen mehr tragen können, als eine gerade Säule, deren Länge der
Summe der drei kurzen Säulen gleich ist. — Man kann es eben so leicht zur
Anschauung bringen, dass die nach unten verlängerte Schwerpunktslinie des
Kopfes, welche zwischen beiden Pi'ocesaHs condyloidei des Hinterhauptbeins durch-
geht, die Chorda der drei oberen Krümmungen der Wirbelsäule bildet. — Bei
sehr alten Menschen geht die schlangenfÖrmige Krümmung der Wirbelsäule, mit
Ausnahme der Kreuzbeincurvatur, in eine einzige Bogonkrümmung über, deren
Convexität nach hinten sieht, und als Senkrücken bezeichnet wird.
Die nach vorn convexen Krümmungen werden durch die Ge"
stalt der Zwischenwirbelbänder bedingt, welche an ihrem vorderen
Umfange höher als am hinteren sind. Die nach hinten convexe
Krümmung der Brustwirbelsäule hängt nicht von den Zwischen-
wirbelbändern ab, die hier vorn und hinten gleich hoch sind, son-
dern wird durch die vorn etwas niedrigeren Körper der Brustwirbel
342 §. It7. B«tnehtang dec Wirbels&ule als Ganzes.
erzeugt. Die leichte Seitenkrümmung, welche die Brustwirbelsäule
besonders in ihrem Brustsegmente nach rechts zeigt, und die bei
Wenigen fehlt, scheint mit dem vorwaltenden Gebrauch der rechten
oberen Extremität in Verbindung zu stehen; denn bei Individuen,
welche ihre Linke geschickter zu gebrauchen wissen, krümmt sich
die Brustwirbelsäule nach links, wie B^clard zuerst nachwies.
Die Zusammendrückbarkeit der Zwischenwirbelscheiben erklärt
es, wai^um der menschliche Körper bei aufrechter Stellung kürzer
ist, als bei horizontaler Rückenlage. Auch die Zunahme der Kiiim-
mungen der Wirbelsäule bei aufrechter Leibesstellung hat auf
diese Verkürzung Einfluss. Nach Messungen, welche ich an mir
selber vorgenommen habe, beträgt meine Körperlänge nach sieben-
stündiger Ruhe 5 Schuh 8 Zoll, vor dem Schlafengehen dagegen
nur 5 Schuh 7 2k)ll 3 Linien. Nach längerem Krankenlager föllt
oft die Zunahme der Körperlänge auf. Sie verliert sich jedoch wieder
in dem Maasse, als das Ausserbettsein des Reconvalescenten , die
elastischen Zwischen wirbelscheiben durch verticalen Druck auf eine
geringere Höhe bringt, und die Krümmungen der Wirbelsäule an
Schärfe zunehmen.
Die weibliche Wirbelsäule nnterscheidet sich von der männlichen darin,
dass die Querfortsätze der Brustwirbel stärker nach hinten abweichen, und das
Lendensegment verhältnissmässig etwas höher ist
Da die Domfortsätze durch die Haut zu fühlen sind, so bedient man sich
der Untersuchung ihrer Richtung, um eine Verkrümmung der Wirbelsäule aus-
zumitteln. — Der Dom des siebenten Halswirbels wird, seiner Länge und Rich-
tung wegen, am meisten den Brüchen ausgesetzt sein. — Oft findet man die
rechte Hälfte eines Wirbels merklich höher als die linke, was, wenn keine Aus-
gleichung durch ein entgegengesetztes Verhältniss des nächstfolgenden Wirbels
herbeigeführt wird, Seitenverkrümmung (ScoUoHUi) bedingt. — Die Gesetze des
Gleichgewichtes fordern es, dass, wenn an einer Stelle eine Verkrümmung des
Rückgrats auftritt, in einem unteren Segmente der Wirbelsäule eine compen-
sirende, i. e. entgegengesetzte Krümmung sich einstellt. — Die Dom- und
Querfortsätze sind als Hebelarme zu nehmen, durch deren Länge die Wirkung
der Rückgratsmuskeln begünstigt wird.
Ich habe früher bemerkt (Note zu §. 121), dass die beiden Schenkel der
durchbohrten Querfortsätze der Halswirbel, einer verschiedenen Deutung unter-
liegen, und nur der hintere Schenkel dem Processus transversus eines Brustwirbels
verglichen werden kann, der vordere aber als Rippenrudiment angesehen werden
muss. Denkt man sich an einem Bnistwirbel den Rippenkopf mit der Seiten-
fläche des Wirbelkörpers, und das Tuberculum costae mit der Spitze des Processus
transversus verwachsen, so wird der, zwischen Rippenhals und Querfortsatz des
Wirbels übrig bleibende Raum, einem Foramen traw*versarium eines Halswirbels
entsprechen. Nesbitfs und MeckeTs Beobachtungen constatirten die Ent-
stehung eines eigenen länglichen Knochenkeraes in der knorpeligen vorderen
Spange des Foramen transversarium des siebenten Halswirbels beim Embryo.
Dieser Kern entspricht durch Lage und Gestalt einem Rippenhalse, und ver-
schmilzt zuweilen gar nicht mit dem übrigen Wirbel, sondern bleibt getrennt,
verlängert sich rippenartig, und bildet eine sogenannte Halsrippe. Bei den Übrigen
§. 128. Bewegliohlceit der Wirbels&ol«. 343
Halswirbeln wird für die vordere Spange des Foramen tranaversarium, von Meckel
kein besonderer, wohl aber von J. Weber ein eigener Ossiiicationspunkt auge-
geben, welchen ich an der sechsten, fünften und vierten Vertebra colli ganz deutlich
an II gesehen Präparaten gesehen habe. Bei den Lendenwirbeln ist nicht der
allgemein sogenannte Querfortsatz, sondern der Processus accessorius einem Bmst-
wirbelquerfortsatze zu vergleichen, und der für den Querfortsatz gehaltene Pro-
cessus transversuSf stimmt vollkommen mit einer Rippe überein, weshalb der Name
Processus costarius richtiger klingt. Wenn sich die dreizehnte Rippe nicht am
letzten Halswirbel, sondern am ersten Lendenwirbel bildet, so sitzt sie immer auf
der Spitze des Processtts costarius, nicht am Wirbelkörper auf.
§. 128. Beweglichkeit der Wirbelsäule.
Nur das aus den vierundzwanzig wahren Wirbeln gebildete
Stück der Wirbelsäule ist nach allen Seiten beweglich. Das zwischen
die Beckenknochen eingekeilte Kreuzbein steckt fest, und das Steiss-
bein, welches nur einen Anhang des Kreuzbeins darstellt, kann nur
in geringem Grade nach vor- und rückwärts bewegt werden. Die
Beweglichkeit der wahren Wirbel hängt zunächst von den Zwischen-
wirbelbändern ab. Jede Bandscheibe dieser Art, stellt ein elastisches
Kissen dar, welches dem darauf liegenden Wirbel eine geringe Be-
wegung nach allen Seiten zu erlaubt, ihn aber zugleich mit dem
nächst darunter liegenden auf das Festeste verbindet. Wenn die
Beweglichkeit zweier Wirbel gegen einander auch sehr limitirt ist,
so wird doch die ganze Wirbelsäule, durch Summirung der Theil-
bewegungen der einzelnen Wirbel, einen hohen Grad von ge-
schmeidiger Biegsamkeit erhalten. Ueber die Beweglichkeit der
Wirbelsäule belehren folgende Beobachtungsergebnisse.
1. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule ist nicht an allen Stellen
derselben gleich. Jene Stücke der Wirbelsäule, wo der Kanal für
das Rückenmark eng ist, haben eine sehr beschränkte, oder gar
keine Beweglichkeit (Brustsegment, Kreuzbein), während mit dem
Grösserwerden dieses Kanals an den Hals- und Lendenwirbeln, die
Beweglichkeit zunimmt. Die grössere oder geringere Beweglichkeit
eines Wirbelsäulensegmentes wird von folgenden Punkten abhängen :
1. von der Menge der in ihm vorkommenden Bandscheiben, oder,
was dasselbe sagen will, von der Niedrigkeit der Wirbelkörper;
2. von der Höhe der Bandscheiben; 3. von der grösseren oder ge-
ringeren Spannung der fibrösen Wirbelbänder ; 4. von der Kleinheit
der Wirbelkörper ; 5. von einer günstigen oder ungünstigen Stellung
der Wirbelfortsätze.
2. Mit der Menge der Bandscheiben an einem Wirbelsegmente
von bestimmter verticaler Ausdehnung, wächst die Menge des beweg-
lichen Elementes der Wirbelsäule. Daher wird die Halswirbelsäule
344 $. 1S8. Beweglichkeit der Wirbels&nle.
einen höheren Grad von allseitiger Beweglichkeit besitzen, als das
Brust- oder Bauehsegment, was uns Lebende und Todte bestätigen
können. Beugung, Streckung, Seitwärtsneigung, selbst ein geringer
Orad von Drehbarkeit um die Axe, kommt der Halswirbelsäulc,
nieht aber der Binistwirbelsäule zu. Die Höhe der Zwischcnwirbel-
seheiben nimmt vom letzten Lendenwirbel bis zum dritten Brust-
wirbel ab, wächst aber bis zum vierten Halswirbel wieder, um von
diesem bis zum zweiten Halswirbel neuerdings kleiner zu werden.
Nach den Messungen der Gebrüder Weber, beträgt die mittlere
Höhe der letzten Zwischen wirbelscheibe 10,9 Millimeter, zwischen
drittem und viertem Brustwirbel 1,9, zwischen fünftem und sechstem
Halswirbel 4,(), zwischen zweitem und drittem Halswirbel 2,7. Die
Summe der Höhen aller Zwischenwirbelscheiben gleicht dem vierten
Theil der ganzen Säulenhöhe. Die unbeweglichsten Wirbel sind
der dritte bis sechste Brustwirbel, so wie der zweite Halswirbel.
nie Lendenwirbel, welche ihrer grossen Verbindungsfläche wegen,
schwerer auf einander beweglich wären, sind durch ihre hohen
Handseheiben ziemlich beweglich geworden. Die am vorderen und
hinteren Rande ungleiche Höhe der Bandscheiben muss nothwendig
auf die Entstehung der Schlangenbiegung der Wirbelsäule Einfluss
nehmen.
3. Es leuchtet a priori ein , dass die Bandscheiben zwischen
den Wirbeln, welche aus elastischen und nicht elastischen Ele-
menten bestehen, beim Comprimiren eine Krümmung ihrer nicht
«elastischen Bestandtheile zeigen müssen. Je grösser diese Krümmung
war, desto grösser wird, wenn der Druck nachlässt, die verticale
Ausdehnung der Scheibe werden, und mit dieser wächst im
gleichen Schritte die absolute Beweglichkeit des darüber liegenden
Wirbels.
4. Die kleine Peripherie der Halswirbelkörper, und die ver-
hältnissmässig nicht unansehnliche Dicke ihrer Bandscheiben, fiirdert
ihre Beweglichkeit nach allen Seiten. Die Halswirbelsäule besitzt
selbst, wie die Lenden Wirbelsäule, einen geringen Grad von Dreh-
barkeit.
5. Die Stellung der Fortsätze der Wirbel , ihre Richtung und
Länge, influirt sehr bedeutend auf die Beweglichkeit der Wirbel-
säule. Die horizontalen, und unter einander parallelen Dornen der
Hals- und Lendenwirbel, sind für die Rückwärtsbeugung der Hais-
und Lendenwirbelsäule günstige, die Uebereinanderlegung der Brust-
dornen dagegen ungünstige Momente. Die ineinander greifenden
auf- und absteigenden Gelenkfortsätze der Lendenwirbel, begünstigen
die Axendrehung der Körper dieser Wirbel, welche Bewegung
durch die Höhe der Zwischenwirbelscheiben in erheblichem Grade
gefördert wird.
§. IM. Brnstbein. 345
Drückt man auf eine präparirte und vertical aufgestellte Wirbelsäule von
oben her, so werden ihre Krümmungen stärker, und verflachen sich wieder bei
nachlassendem Drucke. Während des Druckes springen die Zwischenwirbelscheiben
wie Wülste vor, welche bei nachlassendem Druck wieder verschwinden.
Die Beweglichkeit der Wirbelsäule an einzelnen Stellen wurde durch
E. H. Weber dadurch bestimmt und gemessen, dass er, an einer mit den Bän-
dern präparirten Wirbelsäule, drei Zoll lange Nadeln in die Dom- und Querfort-
sätze einschlug, welche als verlängerte Fortsätze oder Zeiger, die an und für sich
wenig merklichen Bewegungen der Wirbel in vergrössertem Maassstabe absehen
Hessen. Unter anderen führten diese Untersuchungen zur Erkenntniss, dass, beim
starken Ueberbeugen der Wirbelsäule nach rückwärts, sie nicht gleichförmig im
Bogen gekrümmt wird, sondern dass es drei Stellen an ihr giebt, wo die Beugung
viel schärfer ist, als an den Zwischenpunkten, und fast wie eine Knickung der
Wirbelsäule aussieht. Diese Stellen liegen 1. zwischen den unteren Halswirbeln,
2. zwischen dem elften Brust- und zweiten Lendenwirbel, 3. zwischen dem vierten
Lendenwirbel und dem Kreuzbein. An Gymnasten, welche sich mit dem Kopfe
rückwärts bis zur Erde beugen, kann man sich von der Lage der einspringenden
Winkel, welche durch das Knicken der Wirbelsäule entstehen, leicht überzeugen.
Da die Bänder an diesen drei Stellen minder fest sein müssen, so erklärt es sich,
warum die mit Zerreissung der Bänder auftretenden Wirbelverrenkungen, gerade
an diesen Stellen vorkommen. Wie gross die Festigkeit des ganzen Bandapparates
der Wirbelsäule ist, kann man aus Maisonabe's Versuchen entnehmen, nach
welchen ein Gewiclit von 100 Pfund dazu gehört, um eine Halswirbelsäule, von
150 Pfund, um eine Brustwirbelsäule, und von 250 Pfund, um eine Lenden Wirbel-
säule zu zerreissen.
b) ISTebenknochen des Stammes.
§. 129. Brustbein.
r
Die Nebenknoehen des Stammes construiren den Brustkorb,
und werden in das Brustbein und die Rippen eingetheilt.
Das Brustbein oder Brustblatt führt seinen Namen Sternum,
von oTspso?, hart, fest, quia munit firmatqvs pectus, nach Spigelius.
Es wird auch Os s. Scutum pectoris, und Oa xiphoides genannt (bei
Hippocrates jtyjBoc, daher Stethoskop für ein in der neuen Medicin
viel gebrauchtes Instrument, zum Untersuchen der Brustorgane).
Das Brustbein liegt der Wirbelsäule gegenüber, an der vor-
deren Fläche des Stammes. Wenn es schön geformt ist, hat es
einige Aehnlichkeit mit dem kurzen, nur zum Stoss dienenden
Schlachtschwert, dessen sich die Römer bis zu HannibaPs Zeit be-
dienten (ensis, 5''<po;), wo sie das lange und schwere celtiberische
Schwert einführten. Aus dieser Schwcrtgestalt des Brustbeins er-
giebt sich seine Eintheilung in den Griff, die Klinge (gewöhnlich
Körper oder Mittelstück genannt), und die Spitze oder den
Schwertfortsatz. Der Griff oder die Handhabe (Manuhrium)f
346 §. 129. Brustbein.
Btellt den obersten und breitesten Theil des Knochens dar. Er liegt
der Wirbelsäule näher, als das untere Ende des Brustbeins, und
hat eine vordere, leicht convexe, und eine hintere, wenig concave
Fläche. Der obere Rand der Handhabe ist der kürzeste, und
halbmondförmig ausgeschnitten , als Indmra semüunaris 8, jugvlaris,
welche, in Erinnerung an den Gabelknochen der Vögel, häutig auch
Farcula stemi genannt wird. Der untere ist gerade, und dient zur
Vereinigung mit dem oberen Rande der Klinge. Rechts und links
von der Incisura jugvlaris liegt eine sattelförmig gehöhlte, über-
knorpelte Gelenkfläche, für das innere Ende des Schlüsselbeins
(Indsura davicularia). Die massig convergirenden Seitenränder
der Handhabe, setzen sich in jene der Klinge fort, welche dreimal
länger, aber zusehends schmäler ist als der Griff, und an ihrem
unteren Rande den Schwertfortsatz (Processtis xiphoidetis s. mucro-
natu8 8. ensiformis) trägt. Dieser Fortsatz ist entweder zugespitzt,
oder abrarundet, oder gabelförmig gespalten. Im letzteren Falle
heisst er Furcula stenii inferil^. Er zeigt häufig ein oder zwei
Löcher, bleibt länger als der Griff und die Klinge knorpelig, und
*%^ wird deshalb auch allgemein Schwertknorpel genannt.
Die Seitenränder des Brustbeins, vom Manubrium bis zum
Schwertknorpel, stehen mit den inneren Enden von sieben Rippen-
knorpeln in Verbindung. Der erste Rippenknorpel geht, ohne
Unterbrechung oder Zwischenraum, unmittelbar in die knorpelige
Grun^age des Manubriums über. Der zweite Rippenknorpel articulirt
mit einem Grübchen zwischen Handgriff und Klinge; der dritte,
vierte, fiinfte und sechste legen sich in ähnliche, aber immer flacher
werdende Grübchen im Verlaufe des Seitenrandes, und der siebente
Rippenknorpel in eine sehr seichte Vertiefung zwischen Klinge und
Schwertfortsatz.
Das weibliche Brustbein charakterisirt sich durch die grössere
Breite seiner Handhabe, und durch seine schmälere, aber längere
Klinge. — Das Brustbein besitzt nur eine sehr dünne Rinde von
compacter Knochensubstanz, welche eine äusserst fein genetzte Sifh-
stantia 8pongio8a umschliesst. Daher rührt die Leichtigkeit des
Knochens, welcher zugleich, da er blos durch die elastischen Rippen-
knorpel gehalten wird, eines erheblichen Grades von Schwungkraft
theilhaftig wird.
Nach Luschka (Zeitschrift für rationelle Med. 1855) wird die Verbindung
zwischen Handhabe und Körper des Brustbeins, beim Neugeborenen, und selbst
noch beim Kinde bis in das achte Lebensjahr hinauf, nur durch Bindegewebe und
elastische Fasermasse, ohne Theilnahme yon Knorpelsubstans, bewerkstellig! In
der Blüthenxeii des reifen Alters, besteht die Verbindungsmasse aus zwei hyalinen
Knorpelplatten, welche durch swischenliegendes Fasergewebe zusammenhalten.
Jm Yorgerflckten IJebensalter kommt es selbst ausnahmsweise zur Bildung einer
S. IM. Bnutbein. 347
spaltförmigen Höhle zwischen beiden Knorpelplatten, nnd zum verspAteten Auf-
treten eines Gelenks.
Die Synchondrose zwischen Handhabe und Körper yerwächst häufig schon
im frühen Mannesalter. Im Kindesalter zeigt sie, besonders bei Athmungsstörungen
(Engbrüstigkeit, Keuchhusten) eine oft sehr auffallende Beweglichkeit. — Am
unteren, etwas breiteren Ende des Körpers des Brustbeins, existirt abnormer Weise
ein angebomes Loch von 1 — 4 Linien Durchmesser, welches im frischen Zustande
durch Knochenknorpel und Beinhaut verschlossen wird, und Anlass zu tödtlichen
Verletzungen durch spitzige Instrumente geben kann. In meinem Besitze befindet
sich ein weibliches Brustbein, an welchem zwei vertical über einander stehende
Löcher coexistiren; der einzige Fall dieser Art! Das untere der beiden Löcher
übertrifft das obere zweimal an Durchmesser, welche sich wie 4"' : 2'" verhalten.
— Zuweilen besteht der Körper des Brustbeins selbst aus mehreren, durch Knorpel
vereinigften Stücken, bei den Säugethieren aber meistens aus so vielen Stücken^
als sich wahre Rippen finden. — Kurze Brustbeine sind gewöhnlich breiter, als
lange. Das Brustbein des Donischen Kosaken in der Blume nbacVschen Sammlung
ist handbreit. — Die Verbindung des Brustbeins mit den elastischen Knorpeln der
wahren Rippen, verleiht ihm so viel Schwungkraft, dass es durch Stoss von vom
her nicht leicht bricht Portal zergliederte zwei durch das Rad ; hingerichtete
Verbrecher, und fand an ihnen keine Brüche des Brustbeins. Veitoöchem aber
diese Knorpel, so wird die Beweglichkeit des Brustbeins sehr beschränkt, mit mehr
weniger Athmungsbesch werde. Diese Verknöcherung tritt besonders gerne bei
gichtischen Personen ein. Dass sie nicht nothwendig im vorgerückten Alter
auftritt, beweist Thomas Parry (alitu Parr), welcher 130 Jahre alt wurde
(nach einigen Angaben 160). Bei seiner Leichenuntersuchung fand Harvey alle
Rippenknorpel unverknöchert. In seinem 115. Jahre, hatte Parry noch einen
Process wegen Stuprum violentum durchzumachen (Th. Bartholinus, Htat, anal, rar.
Cent, V, Hist, 28). — In sehr seltenen Fällen kommt es gar nicht zur fintwicklung
des Brustbeins, und dieser Schlussstein des Brustkastens fehlt, wodurch eii^e Spalte
entsteht, durch welche das Herz aus dem Brustkasten treten, und vor demselben
eine bleibende Lage einnehmen kann (Ectopia cordisj, — Rechtwinkelig nach innen
gekrümmte, oder durch Länge ausgezeichnete Processus xiphoidei, wurden beob-
achtet. Desault sah den Schwertfortsatz bis an den Nabel hinabreichen. —
Ein nach vorn gekrümmter Schwertfortsatz, hebt die Haut der oberen Bauchregion
zu einem runden, mit dem Finger deprimirbaren Hügel empor. Die bei Mundinus
und den Arabisten vorkommende Benennung des Schwertfortsatzes, als Pamum
f/raneUum und Malum punicum, beruht auf der Aehnlichkeit der Gestalt dieses
Fortsatzes mit einem Blüthenblatte des Granatapfelbaumes (quia assimiUUur parti
balausUi ßoris maU granati, bei Berengaritis Carpensis),
Breschet (Recherches sur diffirentes pihces du sqneleUe des animaux «er-
Ubr6s encore peu connues, Paris, 1838), handelt ausführlich über zwei Knochenkerne,
welche am oberen Rande der Handhabe des Brustbeins, einwärts von der Incisura
davicularis liegen, und im Menschen, wenn auch nicht constant, doch häufig genug
vorkommen. Er nannte sie Ossa suprastemalia, und erklärte sie für paarige Rippen-
rudimente, indem er in ihnen die Andeutung des Stemalendes einer sogenannten
Halsrippe zu sehen meinte (Note zu §. 121), deren Vertebralende durch die sich
öfters vergrössemde und selbstständig werdende vordere Wurzel des Querfortsatzes
des siebenten Halswirbels dargestellt wird. Nach Luschka (Denkschriften der
kais. Akad. Bd. XVI) sind die Ossa suprastemalia paarig, symmetrisch, an Form
dem Erbsenbeine der Handwurzel ähnlich, und mit dem Brustbein durch Synchon-
drose zusammenhängend. Sie haben auch eine starke Bandverbindung mit dem
in §. 136 erwähnten Zwischenknorpel des Stemo-Claviculargelenks. Da nun wahre
348 §• 130. Bippen.
Oaaa »uprcuterncUia gleichzeitig mit vollkommen entwickelten, d« h. bis zum Stemum
reichenden Ualsrippen vorkommen, so wird Breschet's Deutung derselben, als
Sternalenden unvollkommen entwickelter Ualsrippen, unhaltbar.
§. 130. Bippen.
Rippen (Coatae, zXeupal und oxaOai bei Aristoteles), sind zwölf
paarige^ zwischen Wirbelsäule und Brustbein liegende, bogenförmige,
seitlich comprimirte, und sehr elastische Knochen. Die Vielheit der-
selben, welche beim ersten Blicke auf ein Skelet gleich in die Augen
föUt, veranlasste ohne Zweifel den Ursprung des Wortes Gerippe.
Die Rippen, mit Ausnahme der ersten und der zwei letzten, liegen auf
einer horizontalen Unterlage nicht in ihrer ganzen Länge auf. Sie
können somit keine reinen Kreissegmente sein, wie sie denn wirk-
lich, ausser der Flächenkrümmung, auch eine Krümmung nach der
Kante aufweisen. Ueberdies sind sie noch um ihre eigene Axe
etwas torquirt.
Jede Rippe besteht aus einer knöchernen Spange, und einem
knorpeligen Verlängerungsstücke derselben, dem Rippenknorpel.
Erreicht der Knorpel einer Rippe den Seitenrand des Brustbeins,
so heisst die Rippe eine wahre (Costa vera). Die oberen sieben
Paare sind wahre Rippen. Erreicht aber der Rippcnknorpel das
Brustbein nicht, wie an den fünf unteren Rippenpaaren, so legt er
sich entweder an den Knorpel der vorhergehenden Rippe an, wie
bei der achten, neunten und zehnten Rippe, oder er endet frei, wie
bei der eilften und zwölften. In beiden Fällen heissen die Rippen
falsche (Costae spuriae, 8. nothae, 8. mendosae). Die eilfte und zwölfte
werden insbesondere , ihrer grossen Beweglichkeit wegen , auch
schwankende Rippen (Costae ßuctuantes) genannt. Bei S a 1 o m o n
Albertus heissen die wahren Rippen: costae germanae, und die
falschen: adulterinae.
Alle Rippen, mit Ausnahme der ersten, haben eine äussere
convexe, und innere coneave Fläche, einen oberen abgerundeten
und einen unteren der Länge nach gefurchten Rand (Sulcus costalis);
die erste Rippe dagegen eine obere und untere Fläche, einen äusseren
und inneren Rand. An der oberen Fläche der ersten Rippe macht
sich eine, in topographischer Beziehung (für die Auffindung der
Arteria subclavia) wichtige Rauhigkeit bemerkbar, als Tubercidum
Usfranci. — Die Furche am unteren Rande der Rippen verstreicht
gegen das vordere Ende hin. Von den beiden, die Furche be-
grenzenden Lefzen, ragt die äussere weiter herab als die innere. —
Das hintere Ende jeder Rippe trägt ein überknorpeltes Köpfchen
(Capitulum), und am vorderen Ende bemerkt man eine kleine Ver-
tiefung, in welche der Rippenknorpel fest eingelassen ist. Die erste.
1. 190. RipvMi. 349
eilfte und zwölfte Rippe besitzen ein rundliches Köpfchen. Nur
wenn die Gelenkfläche zur Aufnahme des ersten Kippenkopfes^
zugleich vom siebenten Halswirbel gebildet wird, trägt das Köpfchen
der ersten Rippe zwei, unter einem Giebel fCrista capüulij zu-
sammenstossende , platte Gelenkflächen, welche am Köpfchen der
zweiten bis zehnten immer vorkommen, am Kopfe der eilften und
zwölften aber zu einer einfachen convexen Gelenkfläche ohne Crista
verschmelzen. Der Kopf der zehn oberen Rippen sitzt auf einem
rundlichen Hals. Wo dieser Hals in das breitere Mittelstück der Rippe
übergeht, bemerkt man nach hinten den Rippenhöcker (Tvber-
culum eostaej, welcher sich mittelst einer überknorpelten Flache an
die ihm zugekehrte Gelenkfläche des betreflfenden Wirbelquerfortsatzes
anstemmt.
Im Suleut rotlaUit findet man, nahe am Halse, oder an diesem selbst,
mehrere Faramina nutHUa, welche in Emahnmgvkanlle f&hren, deren Ricfaton^
dem Kopfchen der Rip|>e zustrebt. — An der Anssenfliche des hinteren Seipoents
der dritten bl« letzten Rippe, macht sich eine mehr weniger stark aosi^prigte,
schrSg nach aussen und unten gerichtete, raohe Linie bemerUich. dnrrh welebe
dieses Segment ron dem Mittelstück der Ripfie abgegTvnzt wird. Diese raube
Linie nnteHiricht zugleich die bogenförmige Krümmmig der Bxppe in der Art, daas
der hintere Theil der Rippe, gegen den mittleren, wie in einem stiunp£eo Winkel
abgesetzt erscheint, An^ulu* *. Ch/hUu cmtfup lantet der Käme, welchen man s«it
Vesal, diesem stumpfen Winkel beigelegt hat. An der ersten imd zweiiea Sip|»e
fallt der Am/täuti rottae mit dem Tu/jerrtdum zusammen.
Alle Rippen einer Seite sind einander ähnlich, aber keine ist
der anderen gleich. Die einzelnen Kippen differiren in folgenden
Punkten :
1. Durch ihre Län^e. Die I^nge der Eipf»en nimmt von
der ersten bis zur siebenten ^>der achten zu: von die**T firegtn di«
zwölfte ab. Die Abnahme ^Mihieht rascher als die Zunahme, aad
es muss somit die zwölfte kürzer M.-in al« die e^^te.
2. Durch ihre Krümsuusii:. Man unterscheidet di^tl Arir
von Krümmungen: 1. eine Krürnr/iung nach der Kanir, 2. n
der Fläche, 3. na<:h der Axe •Tortilou). Die Knunmuii£: lAc-i irr
Kante ist an der imUcu kipj/e arn ausgespro^rhensten. L>ie Flik-iHWr
krnmmun;^ zeigt »«ich an alleu. vo?j d^rr zw^heu bi« zwölften, vsi
um so stärker, je näher eiüe H'^ß^M- der z'^r^iit^n athhu ^.nieriiiiT aide:
Worten, die Kreist; , ak d^r^^si IV/gez/b'-gTrteiJt man sich riur J^J-J»^
denken kann, werden von o\/*^fi /ia/rh nsiUcn '^ßnstr. Die Totsj:»!!*-
krümmung, welche an den iwittleren \i\y]p^u am meiswii anrrfa74,
lässt sieh daran erkennen^ d4u>« jef>e Kl^/rhe *'in*'r K3j»j»e. vr^'-r-r
nahe an der Wirl>elfiäule vertiral vuchx. >5eh um s'» ui^ti i^iLrks:
nach vorn und unt^n rUchUfi; je ujt^h^rr >^r dem hmsnu^li^ k>iLixii-
3. Durch ihre RicLtuiii^. Di/i; iljf/|^^ iiej^n nicLi Lcrä/>iiial.
f^wtA^rn schief, mit ihreo kmUsr^fMi Vm4^m y^hf^f adh mit den v^rdtirea.
350 {. ISO. Ripp«ik.
Nebstdem kehren die der ersten zunächst folgenden Rippen^ ent-
sprechend der fassfbrmigen Gestalt des Thorax, ihre Ränder nicht
direct nach oben und unten, wie die mittleren, sondern nach innen
und aussen, wodurch ihre Flächen nicht mehr rein äussere und
innere, sondern zugleich obere und untere werden.
4. Durch das Verhältniss des Halses zum Mittelstück.
Absolut genommen, nimmt die Länge des Rippenhalses von der
ersten bis siebenten Rippe zu, relativ zur Länge des Mittelstücks
aber ab. An den beiden letzten Rippen fehlt, wegen Mangel des
Tkiberculwn, auch der Hals.
Die Rippenknorpel, Cartilagines costarum, welche für die
zehn oberen Rippen flachgedrückt, für die zwei unteren aber rund-
lich und zugespitzt erscheinen, stimmen hinsichtlich ihrer Länge
mit den Rippen, welchen sie angehören, überein. Je länger die
Rippe, desto länger auch ihr Knorpel. Ihre von oben nach unten
abnehmende Stärke , so wie die Art ihrer Verbindung mit dem
Brustbein und unter sich, bedingt die verschiedene Beweglichkeit
der Rippen. Die Richtung der drei oberen Knorpel, mag ohne
grossen Fehler nahezu horizontal genannt werden. Die folgenden
Rippenknorpel treten, abweichend von der Richtung ihrer Rippen,
schräge gegen das Brustbein in die Höhe. Die Knoi-pel der sechsten
bis neunten Rippe, seltener der fünften bis zehnten, senden sich
einander kurze, aber breite Fortsätze zu, mittelst welcher sie unter
einander articuliren.
Herrn Prof. Oehl in Pavia rerdanken wir die interessante Beobachtung,
dass auch der Schwertknorpel, zuweilen paarige appendiculäre Knorpelstücke trägt,
welche offenbar Andeutungen selbstständiger Rippenknorpel sind (Sitzungsberichte
der kais. Akad. 1868. Nr. 28). — Die weiblichen Rippen unterscheiden sich da-
durch von den mftnnlichen, dass die Krümmung nach der Fläche an ihrem hinteren
Ende stärker, die Krümmung nach der Kante schwächer sich ausprägt. Der
Angulus «. Cubitua weiblicher Rippen ist zugleich schärfer als jener der männlichen.
Nach Meckel sind, selbst in kleineren weiblichen Körpern, die ersten beiden
Rippen länger als bei Männern.
Zuweilen theilt sich eine Rippe, oder ihr Knorpel, vom gabelförmig, oder
es verschmelzen zwei, ja selbst drei Rippen theilweise zu einem flachen, breiten
Knochenstück, oder es gehen zwei Rippen in Einen Knorpel über. — Die Zahl
der Rippen sinkt auf eilf herab, wobei nicht die erste, sondern die zwölfte Rippe
fehlt, und der zwölfte Brustwirbel ein überzähliger Lendenwirbel wird. — Ver-
grösserung der Rippenzahl, welche durch das Breiterwerden und die Spaltung
einer Rippe am vorderen Ende vorbereitet wird, ereignet sich in der Regel durch
Einscliiebung eines rippentrag^nden Wirbels zwischen dem zwölften Brust- und
ersten Lendenwirbel. Jedoch bildet sich die dreizehnte Rippe auch oberhalb der
sonstigen ersten, indem die ungewöhnlich verlängerte, und selbstständig gewordene
vordere Wurzel des Querfortsatzes des siebenten Halswirbels, ihre, auch in der
Entwicklungsgeschichte beg^ndeten Rechte, als Halsrippe, gleitend macht Der
von Adams beschriebene Fall, wo das erste Rippenpaar das Brustbein nicht erreichte,
gehört offenbar hieher. Bertin wül auf beiden Seiten fÜnfiMim R^pen beobachtet
9. ISl. Y«i%mauf« A« KipfM. 351
haben, wm nicht onmG^licb erscheint, wenn man sich die Bedevtanp der Quer-
fortsfttxe der Lendenwirbel ab Proeegstu eoHarü Tergegenwirtigt. Das Pferd hat
achtzehn, der Elephant neunzehn Bippenpaare. Der gelehrte Albertntllagniia,
hat die Frage: ob Adam beim letzten Gericht mit vierondzwaozig oder dieiimd-
zwanzig Rippen erscheinen werde, einer gründlichen Untersnchong wertfa gefonden.
Man soll eigentlich nicht Rippe, sondern Ribbe schreiben, tob dem alt-
deatschen Riebe oder Ribbe, englisch rib, im Schwedischen reef, im Saukiit rif.
§. 131. Verbindimgeii der Rippen.
Die Verbindungen y welche die Rippen eingehen, sind för die
wahren und falsche Rippen verschieden.
Die wahren Rippen verbinden sich an ihren hinteren Enden
mit der Wirbelsäule, an ihren vorderen durch ihre Knorpel mit dem
Seitenrande des Brustbeins. Beide Verbindungen bilden Gelenke,
welche als ArticulcUioneM cogto-tpmcUes und costo-stemdUs bezeichnet
werden. Bei den falschen Rippen fehlt die Verbindung mit dem
Brustbein.
A) Die Gelenke zwischen den hinteren Rippenenden
und den Wirbeln, sind für die zehn oberen Rippen doppelt:
1. zwischen Rippenkopf und seitlichen Gelenkgrübchen der Wirbel-
körper (Articidationes cosio-vertebrales), und 2. zwischen Höcker der
Rippe und Wirbelquerfortsatz (Articidationes casto-transversales). Bei
den zwei letzten Rippen fehlt mit dem Höcker, auch die zweite
Gelenksverbindung.
1. Jede Artictdatio costo-vertebralis besitzt eine Kapsel, welche
durch ein vorderes, strahlenförmiges Hilfsband (Ligamentum capituU
costae anterius s. radiatum) bedeckt wird. Im Inneren des Gelenkes
findet sich bei den zehn oberen Rippen, von der Crista ihrer
Köpfchen zur betreffenden Zwischenwirbelscheibe gehend, das Liga-
mentum transversum capävli costae. An dem Köpfchen der eilften
und zwölften Rippe fehlt es, so wie auch am Köpfchen der ersten
Rippe, in dem Falle, wenn die Grube für dieses Köpfchen vom
ersten Brustwirbel allein, ohne Theilnahme des siebenten Halswirbels,
gebildet wird. Das Ligamentwm transversum ist kein gewöhnliches
fibröses Band, sondern zählt seinem Baue nach, zu den Faser-
knorpeln. — An den beiden unteren Rippen habe ich das Costo-
Vertebralgelenk durch eine Synchondrose ersetzt getroffen.
2. Da die Querfortsätze der Wirbel als Strebebalken dienen,
welche das Ausweichen der Rippen nach hinten verhüten, die Rippe
aber bei den Athembewegongen sich am Querfortsatze etwas ver-
schieben muss, so wurde die Errichtung der Articidationes costo-
inmmmr9al§$ SBuT' ^** ' [iberen Bippen nothwendig. Die zwei
letatan äehwäche, und deren in den Bauch-
S52 $• 132. Allgemein« Betraektniig des Bnutkorbet.
muskeln versteckte Lage, sie vor Verrenkung besser in Schutz
nimmt, benöthigen die Stütze der Querfortsätze nicht. An jeder
Articulatio costo-transversalis findet sich eine dünne Kapsel, und ein
starkes Hilfsband, welches die hintere Seite des Gelenkes deckt
(Ligamentum coato-transversale). Auch die, von dem nächst darüber
liegenden Querfortsatze zum oberen Rande und zur hinteren Fläche
des Rippenhalses herabsteigenden, vorderen und hinteren Liga-
menta colli costae, sichern die Lage der Rippe, ohne ihre Erhebung
beim Einathmen zu beschränken.
B) Die Gelenke zwischen den vorderen Rippenenden
und dem Brustbeine gehören der zweiten bis inclusive siebenten
Rippe an, da der erste Rippenknorpel sich ohne Gelenk an das
Brustbein festsetzt. Ausnahmsweise kann jedoch auch der erste
Rippenknorpel eine Gelenksverbindung mit der Brustbeinhandhabe
eingehen. — Die Rippenknorpelgelenke besitzen keine fibrösen
Kapseln , sondern nur Synovialkapseln mit vorderen deckenden
Bändern (Ligamenta stemo-costalia radiata). In dem Gelenk des
zweiten Rippenknorpels mit dem Brustbein, findet sich sehr häufig
ein, das Gelenk horizontal durchsetzender, und seine Höhle in zwei
Räume theilender Faserknorpel, als Verlängerung des Knorpels
zwischen Handhabe und Körper des Brustbeins. — Vom sechsten
und siebenten Rippenknorpel geht das straffe Ligamentum costo-
xiphoideum zum Schwertfortsatze.
§. 132. Allgemeine Betraclitiiiig des Brustkorbes.
Die zwölf Rippenpaare bilden, mit den zwölf Brustwirbeln und
dem Brustbein, den Brustkorb oder Brustkasten, Tliorax (von
Ocopa^, der metallene Brustharnisch).
Der Brustkorb stellt ein fassfürmiges Knochengerüste dar, zu
welchem die Rippen gewissermassen die Reifen bilden, und an
welchem eine vordere, hintere und zwei Seitengegenden oder
Wände angenommen werden. Die vordere ist die kürzeste, flacher
als die übrigen, und wird vom Brustbein und den Knorpeln der
wahren Rippen gebildet. Sie liegt derart schräg, dass das untere
Ende des Brustbeins zweimal so weit von der Wirbelsäule absteht,
als das obere. Die hintere Wand erscheint, durch die in die Brust-
höhle vorspringenden Wirbelkörper stark eingebogen, und geht ohne
scharfe Grenze in die langen Seitenwände über. Die Länge der
vorderen, der hinteren, und der Seitenwand ^ verhält sich wie
5:11:12 Zoll.
§. 182. Allgemeine Betrachtung des RrnstkorbM. 353
Der horizontale Durchschnitt des Brustkorbes hat eine bohnen-
förmige, — der senkrechte, durch beide Seiten wände gelegte, eine
viereckige Gestalt, mit convexen Seitenlinien.
Der Brustraum (Cavum thorads) steht oben und unten offen,
und klafft auch durch die Zwischenrippenräume (Spatia intercostalia).
Die obere, kleinere Oeffnung (Apertura thorads svperior) wird durch
den ersten Brustwirbel, das erste Rippenpaar mit seinem Knorpel,
und durch die Handhabe des Brustbeins gebildet. Die untere, viel
grössere Oeffnung (Apertura thoracis inferior) wird vom letzten Brust-
wirbel, dem letzten Rippenpaar, den Knorpeln aller falschen Rippen,
und dem Schwertfortsatz des Brustbeins umschrieben. Die Ebenen
beider Oeffnungen sind, wegen Kürze der vorderen Brustwand, auf
einander zugeneigt, und convergiren nach vorn.
Die Zwischenrippenräume können, da die Rippen nicht parallel
liegen, somit nicht überall gleich weit von einander abstehen, auch
nicht in ihrer ganzen Länge gleich weit sein. Sie erweitern sich
nach vorn zu, sind an der Uebergangsstelle der Rippen in ihre
Knorpel am geräumigsten, und werden, gegen den Rand des Brust-
beins hin, wieder schmäler. Eine stark vorspringende, volle und
convexe Brust, ist ein nie fehlendes Zeichen eines kraftvollen, ge-
sunden Knochenbaues, während ein schmaler, vom gekielter Thorax,
ein physisches Merkmal . körperlicher Schwäche und angeborenen
Siechthums abgiebt.
Das vordere Ende einer Rippe steht tiefer als das hintere. Es kann des-
halb, wenn die Hebemoskeln der Rippen wirken, die Richtung der Rippen sich
der horizontalen nähern, wodurch das Brustbein emporgehoben, und von der
Wirbelsäule entfernt wird. Die Gelenke am hinteren Rippenende, und die Elasti-
cität der Knorpel am vorderen, erlauben auch den Rippen (am wenigsten der
ersten) eine Drehung, wodurch ihr MittelstUck gehoben, und ihr unterer Rand
mehr nach aussen bewegt wird. Beide Bewegungen finden beim tiefen Einathmen
statt, und erweitem den Brustkorb im geraden, vom Brustblatte zur Wirbelsäule
gezogenen, und im queren, von einer Seite zur anderen gehenden Durchmesser.
Die verticale Vergrösserung der Brustliöhle, wird nicht durch die Hebung der
Rippen, sondern vorzugsweise durch das Herabsteigen des Zwerchfelles erzielt.
Hören die Muskelkräfte, welche die Rippen aufhoben und etwas drehten, zu wirken
auf, so steUt sich das frühere Verhältniss wohl schon durch die Elasticität der
Knorpel wieder her.
Der grösste Umfang des Brustkorbes fällt nicht in die untere Bmstapertur,
sondern etwa in die Mitte seiner Höhe, und beträgt im Mittel 25 Zoll. Die Breite
der hinteren Bmstwand erlaubt dem Menschen auf dem Rücken zu Uegen, was
die Thiere nicht können, da sie keine Rückenfläche, sondern nur eine Rücken-
kante haben.
Der weibliche Brustkorb erscheint in verticaler Richtung etwas länger, und
mehr fassartig geformt, ab der männlicliey welcher ihn übrigens an Geräumigkeit
übertrifft Bei Franeiiy weleha steh stark schnüren, wird der untere Umfang des
Brustkorbes anlEallend tt ^^ «Mk^- und linkseitigen falschen Rippen
werden sasaimnengtiJBfccifc' v aobtan Bippen stossen selbst
law^aen tw dül wk iBMpal an einander. Der
Hyrtl, LAiHth 9m ' 88
854 §• 133. Gintheil. der oberen Extremitäten. — §. 134. Knochen der Schalter. Schlüsselbein.
weibliche Thorax, ungeachtet er länger ist als der männliche, steht doch höher
über der Schoossfuge, wegen grösserer Höhe der weiblichen Lenden Wirbelsäule,
und wegen geringerer Einsenkung des Kreuzbeins zwischen den Hüftknochen. —
Wenn ein weiblicher und ein männlicher Leichnam von gleicher Grösse horizontal
neben einander liegen, so steht bei letzterem die Brust merklich höher als die
SchooBsfuge, bei erstcrem niedriger oder gleich hoch. Umständliche Erörterung
dieser Verhältnisse des Brustkorbes in beiden Gesi'hlechtem enthält Si'mimerriiuf^a
kleine Schrift: Ueber die Wirkung der »SchnÜrbrüstc. Berlin, 1793.
Die Etymologen leiten das Wort Thorax von Optüoxto = Oop^axo) ab, welches
springen und hüpfen bedeutet, weil am Thorax der Herzschlag gesehen und
gefühlt wird.
C. Knochen der oberen Extremitäten oder
Brustglieder.
§. 133. Eintlieiluiig der oberen Extremitäten.
Die beiden oberen Extremitäten bestehen aus vier beweglich
unter einander verbundenen Abtheilungen: der Schulter, dem
Oberarm, dem Vorderarm, und der Hand^ welche letztere selbst
wieder in die Handwurzel, die Mittelhand, und die Finger
abgetheilt wird. — Extremitas für Gliedraasse findet sich nur bei
Plinius (extrenutcUes corporis und extremitcUum dolores). Aber andere
römische Schriftsteller, so Celsus, als unser sprachlich-medicinisches
Vorbild, sagen Membra oder Artus,
%. 134. Knochen der Schulter. Schlüsselbein.
Der Anatom versteht unter Schulter etwas Anderes als der
Laie. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch gilt als Schulter, eine am
äusseren oberen Contour der Brust befindliche, weiche, dem Delta-
muskel entsprechende Wölbung, während die Anatomie unier diesem
Namen zwei Knochen der oberen Extremität zusammenfasst : das
Schlüsselbein und das Schulterblatt.
Das Schlüsselbein, davictda (Furcida, Ligida, Os juffidi bei
Celsus, bei Homer xXr^f;, in der Bedeutung als Riegel), ist ein
massig S-förmig gekrümmter, starker, sich mit der ersten Rippe
kreuzender Röhrenknochen. Er bildet das einzige Verbindungsmittcl
der oberen Extremität mit dem Stamme. Sein inneres Endstück
(Extremitas stetmalis) , dicker als das äussere, stützt sich mittelst
einer stumpf dreieckigen^ massig sattelförmig gebogenen Gelenk-
fläche^ auf die im Allgemoinen wohl entsprechend gekrümmte, aber
§. 134. Knochen d«r Schlüter. Sehlftstelbein. 355
nicht vollkommen congruente Incisura clavicularia des Brustbeins.
Es hat an der, dem ersten Rippenknorpel zugekehrten Gegend, eine
längliche Rauhigkeit, zur Anheftung des Ligamentum costo-daviculare.
Sein äusseres Endstück (Extremüas acromialis) ist breiter als das
innere, indem es von oben nach unten flachgedrückt erscheint. Es
zeigt an seinem äussersten Rande, eine kleine, ovale Gelenkfläche,
zur Verbindung mit dem Acromium des Schulterblattes. An seiner
unteren Fläche bemerkt man eine rauhe Stelle, zur Befestigung des
ligamefiitum coraco-daviculare. Das mehr weniger abgerundete Mittel-
stück, schliesst nur eine kleine Markhöhle ein. Die Krümmung
des Knochens ist in den beiden inneren Dritteln nach vorn convex,
am äusseren Drittel nach vorn concav. Der Halbmesser der ersten
Krümmung übertrifft jenen der zweiten.
Im weiblichen Geschlechte finden wir das Schlüsselbein, be-
sonders an seiner äusseren Hälfte, nicht so scharf gebogen, und
zugleich mehr horizontal liegend, als im männlichen. Portal be-
hauptet, das rechte Schlüsselbein sei in beiden Geschlechtem stärker
gekrümmt, als das linke. — Bei Menschen aus der arbeitenden Classe,
verdickt sich die Eactremitas stemalü des Schlüsselbeins, wird
kantiger, schärfer gebogen, vierseitig pyramidal, und ihre Gelenk-
fläche überragt die Inciswra clavicularU des Brustbeins nach vom
und nach hinten.
Die oberflächliche Lage des Knochens macht ihn der chimrgischen Untor-
sachnng leicht zngänglich. Erkennung und Einrichtung seiner Brüche unterliegen
deshalb keinen erheblichen Schwierigkeiten, — wohl aber die Erhaltung der
Einrichtung y welche ihren grössten Feind in der leichten Bewegliclikeit des
Knochens hat
Das Schlüsselbein hat, als Verbindungsknochen der oberen Extremität mit
dem Stamme, eine hohe fnnctionelle Wichtigkeit. Es hält, wie ein Strebepfeiler,
das Schnltergelenk in gehöriger Entfernung von der Seit«nwand des Thorax, und
beding^ mitunter die Freiheit der Bewegungen des Armes. Bricht es, was meistens
auswärts seiner Längenmitte geschieht, so sinkt die Schulter herab, das Oberarm-
gelenk reibt sich bei Bewegungsversuchen an der Thoraxwand, und die Bewegungen
der oberen Extremität werden dadurch in bedeutendem Grade beeinträchtigt. —
Je kraftvoller, vielseitiger, und freier die Bewegungen der vorderen Extremität bei
den Thieren werden, desto grösser und entwickelter erscheint das Schlüsselbein,
z. B. bei kletternden, grabenden, fliegenden Säugethieren. Bei den Katsen nimmt
es nur die Hälfte des Abstandcs zwischen Brustbein und Schulterblatt ein, und
fehlt bei den Ein- und Zweihufern, welche ihre vorderen Extremitäten nur zum
Gehen, nie zum Greifen verwenden, vollkommen. — An der hinteren Gegend des
Mittelstücks finden sicli 1 — 2 kleine Foramma märitia, welche in eben so viele,
gegen die Extremita» acromiaU» des Knochens gerichtete Canales nutrUH führen.
Uebor den Namen des Schlüsselbeins habe ich eine Bemerkung zu machen.
Schlüsselbein drückt doch eine Aehnliclikeit mit einem Schlüssel aus. Kein
römischer Schlüssel sieht aber dem Schlüsselbein ähnlich. Sie sehen, nach den
Abbildungen, welche A. Rieh von ihnen gegeben hat, alle wie unsere jetst ge-
bräuchlichen Schlüssel aus. Es könnte auch keine absurdere Form für elnmi
Schlflssel gedacht werden, als eine S-fOrmige. Dftgegeo war bei der ffimiithw
356 §. ISft. SehnlterbUtt.
und gpriechischen Jn^nd, ein Spielxeug gebräuchlich, in Gestalt eines metallenen
Reifens, welcher mit vielen, losen, bei der Bewegung des Reifens klingenden
Ringelchen und Schellchen behäng^ war (garruU aniiuli, bei Martial auch
tintinnahula). Der Reif wurde nicht mit der Hand, sondern mit einem gleichfalls
metallenen Stab getrieben, von S-ft5rmiger Krümmung. Das Ende des Stabes,
welches mit der Hand gefasst wurde, war etwas breiter (wie die Extremität
acromialis unseres Schlüsselbeins); das entgegengesetzte Ende etwas verdickt (wie
die Kxtreynitas stemalia). Der Reifen hiess Trocfiiut, der Stab aber Clavia trochi.
Von dieser Clavittf ftUirt das Schlüsselbein seinen Namen. Die ClavU war, nach
der Abbildung auf einem antiken, geschnittenen Stein zu urtheilen, welche den
Reif und seinen Treiber darstellt, etwa 17, Fuss lang, gab also im Diminutiv:
Clanieula,
§. 135. Schulterblatt.
Das Schulterblatt^ Scapula, heisst auch Scutulum bei Celsus,
Omoplata bei Qaien^ und bei den Anatomen des Mittelalters Scop-
tula, von cxixToiJLai, sehen, weil die Schulterblätter der Opferthiere
zum Wahrsagen benützt wurden. Veraltet sind die Benennungen
Pterygium und Chelonium, welche von den alten griechischen Aerzten
dem Schulterblatte gegeben wurden, weil seine I^age auf dem Rticken,
an Flügel (xcepu?), oder an das Rückenschild der Schildkröten
(xeXtovTj) erinneii;. Dasselbe liegt als ein breiter, flacher, bei seiner
Grösse zugleich leichter, in der Mitte oft sogar durchscheinender
Knochen^ wie ein knöchernes Schild auf der hinteren Thoraxwand,
wo es die zweite bis siebente oder achte Rippe theil weise bedeckt.
Seiner dreieckigen Gestalt wegen wird es in eine vordere und
hintere Fläche, drei Ränder, und eben so viele Winkel ein-
gethcilt. Dazu kommen noch zwei Fortsätze.
Die vordere Fläche ist, da sie sich der convexen hinteren
Thoraxwand anschmiegt, leicht ausgehöhlt, und mit drei bis fünf
rauhen Leisten gezeichnet, welche die Urspnmgsstellen einzelner
Bündel des Mvsculus mbscapulari» sind, und nicht durch den Abdruck
der Rippen entstehen, wie man früher glaubte, und der alte Name
Costae scapuiares noch ausdrückt. Die hintere Fläche wird durch
ein stark vorragendes Knochenriff, die Schultergräte (Spina
scaptdae, besser Schultergrat, da man auch Rückgrat sagt, von
Grat, d. i. Kante), in die kleine Obergrätengrube (Fosaa supra-
spinata) j und in die grössere Untergrätengrube (Fossa infraspmata)
abgetheilt. — Der der Wirbelsäule zugekehrte, scharfe, innere
Rand des Schulterblattes, ist der längste; der äussere ist kürzer
und. dicker, und zeigt, an starken Schulterblättern, zwei deutliche
Säume oder Lefzen. Der obere Rand ist der kürzeste, etwas
concav gekrümmt, und scharf. An seinem äusseren Ende findet sich
ein tiefer Einschnitt, Indmra äcapulae. Der untere Winkel ist
§. 185. Sclialtorblatt. 357
abgenindet, der obere innere spitzig ausgezogen, der obere
äussere aufgetrieben, massiv, mit einer senkrecht ovalen, flachen
Gelcnkgrube ftir den Kopf des Oberarmknochens versehen (Cavitcks
glenoldalis). Die Furche, durch welche diese Gelenkgrube von dem
übrigen Knochen wie abgeschnürt erscheint, heisst der Hals, Collum
scapulae. Einige Autoren beschreiben den äusseren Winkel, seiner
Dicke und seines Umfanges wegen, auch als Körper, Corpus
scapulae.
Der an der hinteren Fläche der Scapula aufsitzende Schulter-
grat, verlängert sich nach aussen und oben, in einen breiten, von
oben nach unten flachgedrückten Fortsatz, welcher über die Ge-
lenkfläche des Schulterblattes wie ein Schirmdach hinausragt, und
Grätenecke oder Schulterhöhe, Summus hivmerua a. Acromion
(to axpov ToO wjJLoO, Höhe der Schulter), genannt wird. An ihrem
äussersten Ende befindet sich, nach innen zu, eine kleine Gelenk-
fläche, zur Verbindung mit der Extremitas acromialü des Schlüssel-
beins. Nebst dem Akromion, wird die Gelenkfläche noch durch
einen anderen Fortsatz — den Rabcnschnabclfortsatz, Processus
coracoideus — überwölbt, welcher zwischen Incisura semilunaris und
Cavitas glenoidalis scapulae breit entspringt, sich nach vorn und
aussen fast im rechten Winkel, ähnlich einem halbgebogenen kleinen
Finger, über die Gclenkfläche wegbiegt, und aus so compacter
Knoehenmasse besteht, dass er unbedingt der stärkste Theil des
Schulterblattes genannt werden kann. Er wird von der Extremitas
acromialis des Schlüsselbeins, welche quer über ihn läuft, gekreuzt.
Betrachtet man Schulterblatt und Schlüsselbein beider Schultern
in ihrer natürlichen Lagerung am Skelete, so bilden sie zusammen
einen unvollkommenen knöchernen Ring oder Gürtel, den Schulter-
gürtel. Der Schultergürtel ist vorn und hinten offen. Seine vordere
Oeffnung wird durch die Handhabe des Brustbeins ausgefüllt. Seine
hintere Oeffnung (zwischen den inneren Rändern beider Schulter-
blätter) bleibt unausgefxillt, und wird mit der verschiedenen Stellung
der Schulterblätter grösser oder kleiner werden müssen.
Die Lage des Schulterblattes, welches nur durch eine sehr kleine Gelenk-
fläche mit dem Schlüsselbeine, und durch dieses mit dem Skelete zusammenhängt,
verändert sich bei jeder Stellung des Armes. Hängen die Hände an den Seiten
des Stammes ruhig herab, so stehen die inneren Ränder der beiden Schulterblätter
senkrecht und sind der Wirbelsäule parallel. Hebt man den Arm langsam bis in
die verticale Richtung nach aufwärts, so folgt der untere Winkel des Schulter-
blattes diesen Bewegungen, und entfernt sich, einen Kreisbogen beschreibend, von
der Wirbelsäule.
Muskeln überlagern das Schulterblatt dergestalt, dass sie nur die iS^ma
scapulae bei mageren Personen durch die Haut, j» durch den Rock erkennen
lassen. — Das Akromion wird in MlteoMi SUIto Sn so fem ein selbatständi«^
Knochen (als sogenMutt«0 Ot am ^ mir doreli
358 §• 136. Yerbindvogen der Skhalierknochen.
Zwiscbentritt eines Knorpels Zusammenhang also eine perennirende Epiphyse
desselben darstellt. Hippocrates erwähnt dieses Zustandes als Regel. K. Wag-
ner, Kuge, und Grub er, haben das Akromion sogar durch ein wahres Gelenk
mit der Sjniia scapuiae articuliren gesehen. Rüge gedenkt eines Falles, in
welchem sich zwei üssa acrotiiicdia vorfanden (Zeitschr. für rat. Med. VII. Bd.).
Ausführlich über diesen Gegenstand handelt Grub er, im Archiv für Anat. und
Physiol. 1863. — In der Mitte der Untergrätengrube kommt, als mericwürdige
Thierbildimg, zuweilen eine grosse Oeffnung vor, so wie auch die Incisuva «emi-
lunarut, durch eine knöcherne Querspange in ein Loch sich umwandelt. — Die
mehrfachen Foramina niUritia des Schulterblattes, finden sich theils längs seines
äusseren Randes, theils in der Nähe der Camta« glenotdalin. — Beim sogenannten
phthisischen Habitus liegen, wegen Schraalheit dos Thorax, die Schulterblätter
nicht mit der ganzen Breite ihrer vorderen Fläche auf der hinteren Thoraxwand
auf, sondern entfernen sich von ihr mit ihrem inneren Rande, welcher sich nach
hinten wendet, und die Haut des Rückens aufliebt: Scapttlae alatae.
Die anatomischen Schriften des Mittelalters führen das Schulterblatt als
Spatula und Spathula auf (von aTiaOv], ein breites Stück Holz zum Umrühren, was
wir Spatel nennen). Auch findet sich bei den Restauratoren der Anatomie im
14. und 15. Jahrhundert, Huuiertut für Schulterblatt Letzteres Wort verdient des-
halb Beachtung, weil sich aus ihm erklärt, wanim heute noch, das Akromion,
als der höchstragende Fortsatz des Schulterblattes, Sumnuut humerua heisst. Was
die Anatomie der Jetztzeit llumenut nennt, nämlich der Oberarmknochen, hiess
damals sonderbarer Weise: Adjutorium, aniOv) heisst auch ein breites zwei-
schneidiges Schwert, wie es die Leibgarde der griechischen Kaiser trug (die
gpada der Italiener). Ein Commandant (Protospatharius) dieser Leibgarde,
unter Kaiser Heraclius im 7. Jahrhundert, Namens Theophilus, schrieb ein,
aus dem Galen und Rufus Ephesius compilirtes, anatomisches Werk, nach
dessen lateinischer Uebersetzung (Theoph. Protoapatharii, de corp. hiim.
ffiffricaj, im 13. Jahrhundert an der Pariser Universität die Anatomie gelehrt wurde
(Bulaeus).
§. 136. Verbindungen der Schulterknochen.
Wir haben hier zuerst die Verbindungen zwischen Brustbein
und Schlüsselbein, dann jene zwischen Schlüsselbein und Schulter-
blatt, und zuletzt die eigenen Bänder des Schulterblattes zu be-
trachten.
1. Brustbein-SchlüBselbeingelenk, Artictdatio sterno-clavi-
cularis. Nur durch dieses Gelenk hängt die obere Extremität mit
dem Stamme zusammen. Eine fibröse, an ihrer vorderen Wand
sehr starke Kapsel, vereinigt die für einander bestimmten, sattel-
förmig gekrümmten Gelenkflächen des Brust- und Schlüsselbeins.
Die vordere verstärkte Wand der Kapsel, wird als Ligamentum
stemO'claviculare aufgeführt. In der Höhle des Gelenks lagert ein
scheibenförmiger Zwischenknorpel, dessen Umfang mit der Kapsel
verwachsen ist. Die allerdings nicht sehr in die Augen fallende
Incongruenz der Contactflächen der Knochen im Brustbein-Schlüssel-
beingelenk, poBtulirt die Gegenwart dieses Zwischenknorpels. Weitere
1. 187. Oberarmbein. 359
Befestigungsbänder des Gelenks sind: das inindliche Ligamentum
mterdaviculare , welches in der Incistira jtiffularia steind, quer von
einem Hchlüsselbeine zum anderen geht, und das länglich viereckige
lÄgamentum costo-davundare, vom ersten Rippenknorpel zur unteren
Rauhigkeit der Extremitas sterncUis daviculae. Das Schlüsselbein kann
in diesem Gelenke nach auf- und abwärts, so wie nach vor- und
rückwärts bewegt werden (Sattelgelenk).
2. Schlüsselbein-Schulterblattgelenk, Aiiiculatio acromio-
davicularis. Nebst der fibrösen und Synovialkapsel, findet sich noch
ein breites, von oben über das Gelenk streifendes Verstärkungsband
— Ldganientum acronua-clavicidare. Ein Zwischenknorpel in der
Articidatio acromio-daiTiculafis, welcher von Vesal zuerst erwähnt
wurde, durchsetzt entweder die ganze Höhle des Gelenksraumes,
oder nur einen Theil desselben, und zwar von unten auf. Selten
fehlt dieser Zwischenknorpcl, wo dann die Knorpelüberzüge der
betreffenden Gelonkfiächen, besonders jene des Schlüsselbeins, dicker
angetroffen werden.
Wo das Schlüsselbein auf dem Pivcessus coracoideus des Schulter-
blattes lagert, wird es mit ihm durch das sehr starke Ligamentum
caraco-clavicidare verbunden, an welchem man eine vordere, drei-
eckige Portion, als Ligamentum conicum, und eine hintere, ungleich
vierseitige, als Ligamentum trnpezoides unterscheidet.
3. Besondere Bänder des Schulterblattes. Vom Pro-
cessus covacüideus zum Akromioii zieht das starke und breite Ligor
mentum cora4X)-ncromiale, Dasselbe bildet eine Art von Gewölbe über
der Gelenkfläche des Schulterblattes, welches die Verrenkungen des
Oberarms nach oben nicht zuliisst. — lieber die Incisura semilunaris
am oberen Schulterblattrande, legt sich das kurze Ligamentum trans-
versum, und verwandelt die Incisur in ein Loch.
Luschka beschrieb den bisher noch nie gesehenen Fall einer
Gelenkverbindung des linken Schulterblattes mit der dritten und
vierten Rippe, mittels eines von der vorderen Fläche des Knochens,
in der Nähe des inneren oberen Winkels ausgehenden Foii;8atze8,
welcher den Musculus serraMis posticus superior durchbohrte, um
mittelst einer laxen, taubeneigrossen Synovialkapsel, mit einer von
den genannten Rippen gebildeten Gelenkfläche zu articuliren.
§. 137. Oberarmbein.
Der einfache Axenknochen des Oberarms ist das Oberarm-
bein, Os humeri ». bracliü (von ^a/iwv). Sein oberes Ende bildet
ein überknorpeltes, schief nach innen und oben^ gegen die Gelenk-
fläche des ScbulterblattoB .fpbauen^es Ku^lsegment >- Kopf, Caput
348 §• 130. Kipp«n.
Ossa auprasternaUa gleichzeitig mit vollkommen entwickelten, d. h. bis zum Stemtim
reichenden Ualsrippen vorkommen, so wird Bresche t*s Deutung derselben, als
Stemalenden unvollkommen entwickelter Ualsrippen, unhaltbar.
§. 130. Rippen.
Rippen (Costa^, zXeupal und 07:a6ai bei Aristoteles), sind zwölf
paarige, zwischen Wirbelsäule und Brustbein liegende, bogcnfih-mige,
seitlich comprimirte, und sehr elastische Knochen. Die Vielheit der-
selben, welche beim ersten Blicke auf ein Skelet gleich in die Augen
fällt, veranlasste ohne Zweifel den Ursprung des Wortes Gerippe.
Die Rippen, mit Ausnahme der ersten und der zwei letzten, liegen auf
einer horizontalen Unterlage nicht in ihrer ganzen Länge auf. Sie
können somit keine reinen Kreissegmente sein, wie sie denn wirk-
lich, ausser der Flächenkrümmung, auch eine Krümmung nach der
Kante aufweisen. Ueberdies sind sie noch um ihre eigene Axe
etwas torquirt.
Jede Rippe besteht aus einer knöchernen Spange, und einem
knorpeligen Verlängerungsstücke derselben, dem Rippenknorpcl.
Erreicht der Knorpel einer Rippe den Seitenrand des Brustbeins,
so heisst die Rippe eine wahre (Costa vera). Die oberen sieben
Paare sind wahre Rippen. Erreicht aber der Rippenknorpcl das
Brustbein nicht, wie an den fünf unteren Rippenpaaren, so legt er
sich entweder an den Knorpel der vorhergehenden Rippe an, wie
bei der achten, neunten und zehnten Rippe, oder er endet frei, wie
bei der eilften und zwölften. In beiden Fällen heissen die Rippen
falsche (Costae spurlae, 8, nothae, s. mendosae). Die eilfte und zwölfte
werden insbesondere , ihrer grossen Beweglichkeit wegen , auch
schwankende Rippen (Costae ßuctuantes) genannt. Bei Salomon
Albertus heissen die wahren Rippen: costas gei*vianae, und die
falschen: adulterinae.
Alle Rippen, mit Ausnahme der ersten, haben eine äussere
convcxe, und innere concave Fläche, einen oberen abgerundeten
und einen unteren der Länge nach gefurchten Rand (Sulcus costalls);
die erste Rippe dagegen eine obere und untere Fläche, einen äusseren
imd inneren Rand. An der oberen Fläche der ersten Rippe macht
sich eine, in topographischer Beziehung (für die Auffindung der
Arteria subclavia) wichtige Rauhigkeit bemerkbar, als Taherculum
Lisfrand, — Die Furche am unteren Rande der Rippen verstreicht
gegen das vordere Ende hin. Von den beiden, die Furche be-
grenzenden Lefzen, ragt die äussere weiter herab als die innere. —
Das hintere Ende jeder Rippe trägt ein überknorpeltes Köpfchen
(Capitidum), und am vorderen Ende bemerkt man eine kleine Ver-
tiefung, in welche der Rippenknorpel fest eingelassen ist. Die erste,
§. 180. Rippen. 349
eilfte und zwölfte Rippe besitzen ein nindliches Köpfchen. Nur
wenn die Gelenkfläehe zur Aufnahme des ersten Rippenkopfes,
zugleich vom siebenten Halswirbel gebildet wird, trägt das Köpfchen
der ersten Rippe zwei, unter einem Giebel (Crista capüuli) zu-
sammenstossende , platte Gelenkflächen, welche am Köpfchen der
zweiten bis zehnten immer vorkommen, am Kopfe der eilften und
zwölften aber zu einer einfachen convexen Gelenkfläche ohne Crista
verschmelzen. Der Kopf der zehn oberen Rippen sitzt auf einem
rundlichen Hals. Wo dieser Hals in das breitere Mittelstück der Rippe
übergeht, bemerkt man nach hinten den Rippenhöcker (Tuber-
culum costae), welcher sich mittelst einer überknorpelten Fläche an
die ihm zugekehrte Gelenkfläche des betreflfenden Wirbelquerfortsatzes
anstemmt.
Im Stdcus costalü findet man , nahe am Halse , oder an diesem selbst,
mehrere Faramina nutriUa, welclie in Emähning^kanäle flihren, deren Richtung
dem Köpfchen der Kippe zustrebt. — An der AussenOäche des hinteren Segments
der dritten bis letzten Rippe, macht sich eine mehr weniger stark ausgeprägt,
schräg nach aussen und unten gerichtete, rauhe Linie bemerklich, durch welche
dieses Segment von dem Mittelstück der Rippe abgegrenzt wird. Diese rauhe
Linie unterbricht zugleich die bogenförmige Krümmung der Rippe in der Art, dass
der hintere Theil der Rippe, gegen den mittleren, wie in einem stumpfen Winkel
abgesetzt erscheint. Angidua s. CtihUtut costae lautet der Name, welchen man seit
Vesal, diesem stumpfen Winkel beigelegt hat. An der ersten und zweiten Rippe
fällt der Angulus costae mit dem Tuheradum zusammen.
Alle Rippen einer Seite sind einander ähnlich^ aber keine ist
der anderen gleich. Die einzelnen Rippen differiren in folgenden
Punkten :
1. Durch ihre Länge. Die Länge der Rippen nimmt von
der ersten bis zur siebenten oder achten zu; von dieser gegen die
zwölfte ab. Die Abnahme geschieht rascher als die Zunahme, und
es muss somit die zwölfte kürzer sein als die erste.
2. Durch ihre Krümmung. Man unterscheidet drei Arten
von Krümmungen: \, eine Krümmung nach der Kante, 2. nach
der Fläche, 3. nach der Axe (Torsion). Die Krümmung nach der
Kante ist an der ersten Rippe am ausgesprochensten. Die Flächen-
krümmung zeigt sich an allen, von der zweiten bis zwölften, und zwar
um so stärker, je näher eine Rippe der zweiten steht, oder mit anderen
Worten, die Kreise, als deren Bogensegment man sich eine Rippe
denken kann, werden von oben nach unten grösser. Die Torsions-
krümmung, welche an den mittleren Rippen am meisten auffallt,
lässt sich daran erkennen, dass jene Fläche einer Rippe, welche
nahe an der Wirbelsäule vertical steht, sich um so mehr schräg
nach vorn und unten richtet, je näher sie dem Brustbein kommt.
3. Durch ihre Richtung. Die Rippen liegen nicht horizontal,
sondern schief, mit ihren hinteren Enden höher, als mit den vorderen.
350 i. ISO. Rippeik.
Nebstdem kehren die der ersten zunächst folgenden Rippen, ent-
sprechend der fassförmigen Gestalt des Thorax, ihre Ränder nicht
direct nach oben und unten, wie die mittleren, sondern nach innen
und aussen, wodurch ihre Flächen nicht mehr rein äussere und
innere, sondern zugleich obere und untere werden.
4. Durch das Verhältniss des Halses zum Mittelstück.
Absolut genommen, nimmt die Länge des Rippenhalses von der
ersten bis siebenten Rippe zu, relativ zur Länge des Mittelstücks
aber ab. An den beiden letzten Rippen fehlt, wegen Mangel des
T\iberculum, auch der Hals.
Die Rippenknorpel, CartUagines costarum, welche fär die
zehn oberen Rippen flachgedrückt, für die zwei unteren aber rund-
lich und zugespitzt erscheinen, stimmen hinsichtlich ihrer Länge
mit den Rippen, welchen sie angehören, überein. Je länger die
Rippe, desto länger auch ihr Knorpel. Ihre von oben nach unten
abnehmende Stärke , so wie die Art ihrer Verbindung mit dem
Brustbein imd unter sich, bedingt die verschiedene Beweglichkeit
der Rippen. Die Richtung der drei oberen Knorpel, mag ohne
grossen Fehler nahezu horizontal genannt werden. Die folgenden
Rippenknorpel treten, abweichend von der Richtung ihrer Rippen,
schräge gegen das Brustbein in die Höhe. Die Knorpel der sechsten
bis neunten Rippe, seltener der fünften bis zehnten, senden sich
einander kurze, aber breite Fortsätze zu, mittelst welcher sie unter
einander articuliren.
Herrn Prof. Oehl in Pavia rerdanken wir die interessante Beobachtung,
dass auch der Schwertknorpel, zuweilen paarige appendiculAre Knorpelstücke trägt,
welche offenbar Andeutungen selbstständiger Rippenknorpel sind (Sitzungsberichte
der kais. Akad. 1858. Nr. 23). — Die weiblichen Rippen unterscheiden sich da-
durch von den männlichen, dass die Krttmmung nach der Fläche an ilirem hinteren
Ende stärker, die Krümmung nach der Kante schwächer sich ausprägt Der
Angulus s, CubUus weiblicher Rippen ist zugleich schärfer als jener der männlichen.
Nach Meckel sind, selbst in kleineren weiblichen Körpern, die ersten beiden
Rippen länger als bei Männern.
Zuweilen theilt sich eine Rippe, oder ihr Knorpel, vom gabelförmig, oder
es verschmelzen zwei, ja selbst drei Rippen theilweise zu einem flachen, breiten
Knochenstück, oder es gehen zwei Rippen in Einen Knorpel über. — Die Zahl
der Rippen sinkt auf eilf herab, wobei nicht die erste, sondern die zwölfte Rippe
fehlt, und der zwölfte Brustwirbel ein überzähliger Lendenwirbel wird. — Ver-
grOsserung der Rippenzahl, welche durch das Breiterwerden und die Spaltung
einer Rippe am vorderen Ende vorbereitet wird, ereignet sich in der Regel durch
Einschiebung eines rippentragenden Wirbels zwischen dem zwölften Brust- und
ersten Lendenwirbel. Jedoch bildet sich die dreizehnte Rippe auch oberhalb der
sonstigen ersten, indem die ungewöhnlich verlängerte, und selbstständig gewordene
vordere Wurzel des Querfortsatzes des siebenten Halswirbels, ihre, auch in der
Entwicklungsgeschichte begründeten Rechte, als Halsrippe, geltend macht. Der
von Adams beschriebene Fall, wo das erste Rippenpaar das Brustbein nicht erreichte,
gehört offenbar hieher. Bertin will auf beiden Seiten fünfzehn Rippen beobachtet
§. 181. Yerbindangen d«r Bippen. 361
haben, was nicht nnmöglich erscheint, wenn man sich die Bedentong der Qner-
fortsätze der Lendenwirbel als Proceaau» costarii yergegpenwärtigt. Das Pferd hat
achtzehn, der Elephant neunzehn Rippenpaare. Der gelehrte Albertus Magnus,
hat die Frage: ob Adam beim letzten Gericht mit viemndzwanzig oder dreiund-
zwanzig Rippen erscheinen werde, einer gründlichen Untersuchung werth gefunden.
Man soll eigentlich nicht Rippe, sondern Ribbe schreiben, von dem alt-
deutschen Riebe oder Ribbe, englisch rib, im Schwedischen ruf, im Sanskrit rif.
§. 131. Verbindungen der Rippen.
Die Verbindungen, welche die Rippen eingehen, sind für die
wahren und falschefn Rippen verschieden.
Die wahren Rippen verbinden sich an ihren hinteren Enden
mit der Wirbelsäule, an ihren vorderen durch ihre Knorpel mit dem
Seitenrande des Brustbeins. Beide Verbindungen bilden Gelenke,
welche als Articulationes costo-spinales und costo-stemales bezeichnet
werden. Bei den falschen Rippen fehlt die Verbindung mit dem
Brustbein.
A) Die Gelenke zwischen den hinteren Rippenenden
und den Wirbeln, sind flir die zehn oberen Rippen doppelt:
1. zwischen Rippenkopf und seitlichen Gelenkgrübchen der Wirbel-
körper (Articulaticmes costo-vertebrcdes), und 2. zwischen Höcker der
Rippe und Wirbelquerfortsatz (Artiadationes costo-transverscUes), Bei
den zwei letzten Rippen fehlt mit dem Höcker, auch die zweite
Gelenksverbindung.
1. Jede Articulatio costo-vertebrcdis besitzt eine Kapsel, welche
durch ein vorderes, strahlenförmiges Hilfsband (Ligamentum capituli
costae ayiterius 8. radiatum) bedeckt wird. Im Inneren des Gelenkes
findet sich bei den zehn oberen Rippen, von der Crista ihrer
Köpfchen zur betreffenden Zwischenwirbelscheibe gehend, das Liga-
mentum transversum capituli costae. An dem Köpfchen der eilften
und zwölften Rippe fehlt es, so wie auch am Köpfchen der ersten
Rippe, in dem Falle, wenn die Grube für dieses Köpfchen vom
ersten Brustwirbel allein, ohne Theilnahme des siebenten Halswirbels,
gebildet wird. Das Ligamentum transversum ist kein gewöhnliches
fibröses Band, sondern zählt seinem Baue nach, zu den Faser-
knorpeln. — An den beiden unteren Rippen habe ich das Costo-
Vertebralgelenk durch eine Synchondrose ersetzt getroflFen.
2. Da die Querfortsätze der Wirbel als Strebebalken dienen,
welche das Ausweichen der Rippen nach hinten verhüten, die Rippe
aber bei den Athembewegungen sich am Querfortsatze etwas ver-
schieben muss, so wurde die Errichtung der Articulationes cosio-
transversales für die zehn oberen Rippen nothwendig. Die zwei
letzten Rippen, deren Kürze, Schwäche, und deren in den Bauch-
S52 9- 132. Allgemeine Betreehhiiig dee Bnivtkorbee.
muskeln versteckte Lage, sie vor Verrenkung besser in Schutz
nimmt, benöthigen die Stütze der Querfortsätze nicht. An jeder
Articulatio costo-trarwversalis findet sich eine dünne Kapsel, und ein
starkes Hilfsband, welches die hintere Seite des Gelenkes deckt
(Ligamentum coato-transversale). Auch die, von dem nächst darüber
liegenden Querfortsatze zum oberen Rande und zur hinteren Fläche
des Rippenhalscs herabsteigenden, vorderen und hinteren Liga-
menta colli costae, sichern die Lage der Rippe, ohne ihre Erhebung
beim Einathmen zu beschränken.
B) Die Gelenke zwischen den vorderen Rippenenden
und dem Brustbeine gehören der zweiten bis inclusive siebenten
Rippe an, da der erste Rippenknorpel sich ohne Gelenk an das
Brustbein festsetzt. Ausnahmsweise kann jedoch auch der erste
Rippenknorpel eine Gelenksverbindung mit der Brustbeinhandhabe
eingehen. — Die Rippenknorpelgelenke besitzen keine fibrösen
Kapseln , sondern nur Synovialkapseln mit vorderen deckenden
Bändern (Ligamenta stemo-costalia radiata). In dem Gelenk des
zweiten Rippeiiknorpels mit dem Brustbein, findet sich sehr häufig
ein, das Gelenk horizontal durchsetzender, und seine Höhle in zwei
Räume theilender Faserknorpel, als Verlängerung des Knorpels
zwischen Handhabe und Körper des Brustbeins. — Vom sechsten
und siebenten Rippenknorpel geht das straffe Ligamentum costo-
xiphoideum zum Schwertfortsatze.
§. 132. Allgemeine Betrachtuiig des Brustkorbes.
Die zwölf Rippenpaare bilden, mit den zwölf Brustwirbeln und
dem Brustbein, den Brustkorb oder Brustkasten, Thorax (von
6u)pa5, der metallene Brustharnisch),
Der Brustkorb stellt ein fassfürmiges Knochengerüste dar, zu
welchem die Rippen gewissermassen die Reifen bilden, und an
welchem eine vordere, hintere und zwei Seitengegenden oder
Wände angenommen werden. Die vordere ist die kürzeste, flacher
als die übrigen, und wird vom Brustbein und den Knorpeln der
wahren Rippen gebildet. Sie liegt derart schräg, dass das untere
Ende des Brustbeins zweimal so weit von der Wirbelsäule absteht,
als das obere. Die hintere Wand erscheint, durch die in die Brust-
höhle vorspringenden Wirbelkörper stark eingebogen, und geht ohne
scharfe Grenze in die langen Seiten wände über. Die Länge der
vorderen , der hinteren , und der Seitenwand , verhält sich wie
5: 11 : 12 Zoll.
§. 182. Allgemeine Betrachtnng des BrnstkorbM. 353
Der horizontale Durchschnitt des Brustkorbes hat eine bohnen-
förmige, — der senkrechte, durch beide Seiten wände gelegte, eine
viereckige Gestalt, mit convexen Seitenlinien.
Der Brustraum (Cavum ihorads) steht oben und unten offen,
and klafft auch durch die Zwischenrippenräume (Spatia intercostaiia).
Die obere, kleinere Oeffnung (Apertura thorcuds superior) wird durch
den ersten Brustwirbel, das erste Rippenpaar mit seinem Knorpel,
und durch die Handhabe des Brustbeins gebildet. Die untere, viel
grössere Oeffnung (Apertura thoracis inferior) wird vom letzten Bnist-
wirbel, dem letzten Rippenpaar, den Knorpeln aller falschen Rippen,
und dem Schwertfortsatz des Brustbeins umschrieben. Die Ebenen
beider Oeffnungen sind, wegen Kürze der vorderen Brustwand, auf
einander zugeneigt, und convergiren nach vorn.
Die Zwischenrippenräume können, da die Rippen nicht parallel
liegen, somit nicht überall gleich weit von einander abstehen, auch
nicht in ihrer ganzen Länge gleich weit sein. Sie erweitern sich
nach vorn zu, sind an der Uebergangsstelle der Rippen in ihre
Knorpel am geräumigsten, und werden, gegen den Rand des Brust-
beins hin, wieder schmäler. Eine stark vorspringende, volle und
convexe Brust, ist ein nie fehlendes Zeichen eines kraftvollen, ge-
sunden Knochenbaues, während ein schmaler, vorn gekielter Thorax,
ein physisches Merkmal . körperlicher Schwäche und angeborenen
Siechthums abgiebt.
Das vordere Ende einer Rippe steht tiefer als das hintere. Es kann des-
halb, wenn die Hebemaskeln der Rippen wirken, die Richtung der Rippen sich
der horizontalen nähern, wodurch das Brustbein emporgehoben, und von der
Wirbelsäule entfernt wird. Die Gelenke am hinteren Rippenende, und die Elasti-
citftt der Knorpel am vorderen, erlauben auch den Rippen (am wenigsten der
ersten) eine Drehung, wodurch ilir Mittelstück gehoben, und ihr unterer Rand
mehr nach aussen bewegt wird. Beide Bewegungen finden beim tiefen Einathmen
statt, nnd erweitem den Brustkorb im geraden, vom Brustblatte zur Wirbelsäule
gezogenen, und im queren, von einer Seite zur anderen gehenden Durchmesser.
Die verticale Vergrösserung der Brusthöhle, wird niclit durch die Hebung der
Rippen, sondern vorzugsweise durch das Herabsteigen des Zwerchfelles erzielt.
Hören die Muskelkräfte, welche die Rippen aufhoben und etwas drehten, zu wirken
auf, so steUt sich das frühere Verhältniss wohl schon durch die Elasticität der
Knorpel wieder her.
Der gprösste Umfang des Brustkorbes fällt nicht in die untere Brustapertur,
sondern etwa in die Mitte seiner Höhe, und beträgt im Mittel 25 Zoll. Die Breite
der hinteren Brustwand erlaubt dem Menschen auf dem Rücken zu liegen, was
die Thiere nicht können, da sie keine Rückenfläche, sondern nur eine Rücken-
kante haben.
Der weibliche Brustkorb erscheint in verticaler Richtung etwas länger, und
mehr fassartig geformt, als der männliche, welcher ihn übrigens an Geräumigkeit
übertrifft. Bei Frauen, welche sich stark schnüren, wird der untere Umfang des
Brustkorbes auffallend verkleinert, die reclit- und linkseitigen falschen Rippen
werden zusammengeschoben, und die Knorpel der achten Rippen stossen selbst
zuweilen vor dem nach hinten gedrängten Schwertknorpel an einander. Der
Hyril, Lchrbnoh d«r Anfttomie. 14. Aufl. 28
854 §• 133. Eintheil. der oberen EztreTotUteii. — §. 134. Knoehen der Schaltor. SchlQstelbein.
weibliche Thorax, ungeachtet er länger ist als der männliche, steht doch höher
über der Schoossfuge, wegen grösserer Höhe der weiblichen Lenden Wirbelsäule,
und wegen geringerer Einsenkung des Kreuzbeins zwischen den Hüftknochen. —
Wenn ein weiblicher und ein männlicher Leichnam von gleicher Grösse horizontal
neben einander liegen, so steht bei letzterem die Brust merklich höher als die
Schoossfiige, bei croterem niedriger oder gleich hoch. Umständliche Erörterung
dieser Verhältnisse des Hmstkorbes in beiden Geschlechtern enthält SönimerHiufa
kleine Schrift: Ueber die Wirkung der Schnürbrüste. Berlin, 1793.
Die Etymologen leiten das Wort Thorax von Optuoxto = Oopfaxto ab, welches
springen und hüpfen bedeutet, weil am Thorax der Herzschlag gesehen und
gefühlt wird.
C. Knochen der oberen Extremitäten oder
Brustglieder.
§. 133. Eilitlieilung der oberen Extremitäten.
Die beiden oberen Extremitäten bestehen aus vier beweglich
unter einander verbundenen Abtheilungen: der Schulter, dem
Oberarm, dem Vorderarm, und der Hand, welche letztere selbst
wieder in die Handwurzel, die Mittelhand, und die Finger
abgetheilt wird. — Extremitas für Gliedmasse findet sich nur bei
Plinius (extremücUes corporis und extremitatum dolores). Aber andere
römische Schriftsteller, so Celsus, als unser sprachlich-medicinisches
Vorbild, sagen Membra oder Artus,
%. 134. Knochen der Schulter. Schlüsselbein.
Der Anatom versteht unter Schulter etwas Anderes als der
Laie. Im gewöhnlichen Sprachgebrauch gilt als Schulter, eine am
äusseren oberen Contour der Brust befindliche, weiche, dem Delta-
muskel entsprechende Wölbung, während die Anatomie unter diesem
Namen zwei Knochen der oberen Extremität zusammenfasst : das
Schlüsselbein und das Schulterblatt.
Das Schlüsselbein, Clamcvia (Furcvla, Ligula, Os jugvli bei
Celsus, bei Homer xXtqi?, in der Bedeutung als Riegel), ist ein
massig S-förmig gekrümmter, starker, sich mit der ersten Rippe
kreuzender Röhrenknochen. Er bildet das einzige Verbindungsmittel
der oberen Extremität mit dem Stamme. Sein inncresEndstück
(Extremitas stemalis) , dicker als das äussere, stützt sich mittelst
einer stumpf dreieckigen, massig sattelförmig gebogenen Gelcnk-
fläche, auf die im Allgemeinen wohl entsprechend gekrümrate, aber
§. 134. Knochen der Schulter. Sehlflsielbein. 355
nicht vollkommen congruente Indsura clavtcidaris des Brustbeins.
Es hat an der, dem ersten Rippenknorpel zugekehrten Gegend, eine
längliehe Rauhigkeit, zur Auheftung des Ligamentum costo-damculare.
Sein äusseres Endstüek (Extremitas acramicdis) ist breiter als das
innere, indem es von oben nach unten flachgedrückt erscheint. Es
zeigt an seinem äussersten Rande, eine kleine, ovale Qelenkfläche,
zur Verbindung mit dem Acromium des Schulterblattes. An seiner
unteren Fläche bemerkt man eine rauhe Stelle, zur Befestigung des
Ligamentum coraco-daviculare. Das mehr weniger abgerundete Mittel-
stück, schliesst nur eine kleine Markhöhle ein. Die Krümmung
des Knochens ist in den beiden inneren Dritteln nach vorn convex,
am äusseren Drittel nach vorn concav. Der Halbmesser der ersten
Krümmung übertrifft jenen der zweiten.
Im weiblichen Geschlechtc finden wir das Schlüsselbein, be-
sonders an seiner äusseren Hälfte, nicht so scharf gebogen, und
zugleich mehr horizontal liegend, als im männlichen. Portal be-
hauptet, das rechte Schlüsselbein sei in beiden Geschlechtern stärker
gekrümmt, als das linke. — Bei Menschen aus der arbeitenden Classe,
verdickt sich die Extremitas steivialia des Schlüsselbeins, wird
kantiger, schärfer gebogen, vierseitig pyramidal, und ihre Gelenk-
fläche überragt die Indswra clavicularis des Brustbeins nach vom
und nach hinten.
Die oberflächliciie Lage des Knochens macht ihn der chirurgischen Unter-
BOchnng leicht zugänglich. Erkennung luid Einrichtung seiner Brüche unterliegen
deshalb keinen erheblichen Scliwierigkeiten, — wohl aber die Erhaltung der
Einrichtung , welche ihren grössten Feind in der leichten Beweglichkeit des
Knochens hat
Das Schlüsselbein hat, als Verbindungsknochen der oberen Extremität mit
dem Stamme, eine hohe functionelle Wichtigkeit. Es hält, wie ein Strebepfeiler,
das Schultergelenk in gehöriger Entfernung von der Scit^nwand des Thorax, und
bedingt mitunter die Freiheit der Bewegungen des Armes. Bricht es, was meistens
auswärts seiner Längenmitte geschieht, so sinkt die Schulter herab, das Oberarm-
gelenk reibt sich bei Bewegungsversuchen an der Thoraxwand, und die Bewegungen
der oberen Extremität werden dadurch in bedeutendem Grade beeinträchtigt. —
Je kraftvoller, vielseitiger, und freier die Bewegungen der vorderen Extremität bei
den Thieren werden, desto grösser und entwickelter erscheint das Schlüsselbein,
z. B. bei kletternden, grabenden, fliegenden Säugethioren. Bei den Katzen nimmt
es nur die Hälfte des Abstandes zwischen Brustbein und Schulterblatt ein, imd
feldt bei den Ein- imd Zweihufern, welche ihre vorderen Extremitäten nur zum
Gehen, nie zum Greifen verwenden, vollkommen. — An der hinteren Gegend des
Mitti'lstücks finden sich 1 — 2 kleine Foramina nutritia, welche in eben so viele,
gegen die ExfreniUns tt^roniialu des Knochens gerichtete CcnmJtJi ntUrüH führen.
lieber den Namen des Sclilüsselbeins halie icli eine Bemerkung zu machon.
Schlüsselbein drückt doch eine Aehiilichkeit mit einem Schlüssel aus. Kein
rr)mischer Schlüssel sieht aber dem Schlüsselbein ähnlich. Sie sehen, nach den
Abbildungen, welche A. Uich von ihnen gegeben hat, alle wie unsere jetzt ge-
bräuchlichen Schlüssel aus. Es kOnnte auch keine absurdere Form für einen
Schlüssel gedacht werden, als eine S-f^rmigo. Dagegen war bei der römischen
28»
356 §. ISA. SehnlterbUU.
und g^riechisclien Jugend, ein Spielzeug gebräuchlich, in Gestalt eines metallenen
Reifens, welcher mit vielen, losen, bei der Bewegung des Reifens klingenden
Ringelchen und Schellchen behängt war (garruli annuli, bei Martial auch
tirUinnabuIa). Der Reif wurde nicht mit der Hand, sondern mit einem gleichfalls
metallenen Stab getrieben, von S-f(5rraiger Krümmung. Das Ende des Stabes,
welches mit der Hand gefasst wurde, war etwas breiter (wie die Extremitos
(icromudia unseres Schlüsselbeins); das entgegengesetzte Ende etwas verdickt (wie
die Kxtreniitaa stemalia). Der Reifen hiess TrorJuu, der Stab aber Clavis trochi.
Von dieser Clavi«, führt das Schlüsselbein seinen Namen. Die Clavis war, nach
der Abbildung auf einem antiken, geschnittenen Stein zu urtheilen, welche den
Reif und seinen Treiber darstellt, etwa 17} Fuss lang, gab also im Diminutiv:
Cloüicuki,
%. 135. Schulterblatt
Das Schulterblatt, Scapula, heisst auch Sctitulum bei Celsus,
Omoplata bei Galen, und bei den Anatomen des Mittelalters Scop-
tida, von oxixroixai, sehen, weil die Schulterblätter der Opferthiere
zum Wahrsagen benützt wurden. Veraltet sind die Benennungen
Pterygium und Chelonium, welche von den alten griechischen Aerzten
dem Schulterblatte gegeben wurden, weil seine Lage auf dem Rücken,
an Flügel (xcepu?), oder an das Rückenschild der Schildkröten
(y^eXwvY)) erinnert. Dasselbe liegt als ein breiter, flacher, bei seiner
Grösse zugleich leichter, in der Mitte oft sogar durchscheinender
Knochen^ wie ein knöchernes Schild auf der hinteren Thoraxwand,
wo es die zweite bis siebente oder achte Rippe theilweise bedeckt.
Seiner dreieckigen Gestalt wegen wird es in eine vordere und
hintere Fläche, drei Ränder, und eben so viele Winkel ein-
getheilt. Dazu kommen noch zwei Fortsätze.
Die vordere Fläche ist, da sie sich der convexen hinteren
Thorax wand anschmiegt, leicht ausgehöhlt, und mit drei bis fünf
rauhen Leisten gezeichnet, welche die Ursprungsstellen einzelner
Bündel des Musculus subscapvlaris sind, und nicht durch den Abdruck
der Rippen entstehen, wie man früher glaubte, und der alte Name
Costae scapulares noch ausdrückt. Die hintere Fläche wird durch
ein stark vorragendes Knochenriff, die Schultergräte (Spina
scapulae, besser Schultergrat, da man auch Rückgrat sagt, von
Grat, d. i. Kante), in die kleine Obergrätengrube (Fossa supra-
spinata) y und in die grössere Untergrätengrube (Fossa infraspinata)
abgetheilt. — Der der Wirbelsäule zugekehrte, scharfe, innere
Rand des Schulterblattes, ist der längste; der äussere ist kürzer
und. dicker, und zeigt, an starken Schulterblättern, zwei deutliche
Säume oder Lefzen. Der obere Rand ist der kürzeste, etwas
concav gekrümmt, und scharf. An seinem äusseren Ende findet sich
ein tiefer Einschnitt, Indsura scapulae. Der untere Winkel ist
S. 1S5. SchnlterblMt. 357
abgerundet, der obere innere spitzig ausgezogen, der obere
äussere aufgetrieben, massiv, mit einer senkrecht ovalen, flachen
Gelenkgrube für den Kopf des Oberarmknochens versehen (Cavitas
glenoidalü). Die Furche, durch welche diese Gelenkgrube von dem
übrigen Knochen wie abgeschnürt erscheint, heisst der Hals, CoUum
scapulae. Einige Autoren beschreiben den äusseren Winkel, seiner
Dicke und seines Umfanges wegen, auch als Körper, Corpus
scapuUie.
Der an der hinteren Fläche der Scapula aufsitzende Schulter-
grat, verlängert sich nach aussen und oben, in einen breiten, von
oben nach unten flachgedrückten Fortsatz, welcher über die Ge-
lenkfiäche des Schulterblattes wie ein Schirmdach hinausragt, und
Gräteneckc oder Schulterhöhe, Summus huniei'iia s. Acromion
(to dbtpov ToO ü){j[^'j, Höhe der Schulter), genannt wird. An ihrem
äussersten Ende beflndet sich, nach innen zu, eine kleine Gelenk-
fläche, zur Verbindung mit der Extremitait acromialis des Schlüssel-
beins. Nebst dem Akromion, wird die Gelenkfläche noch durch
einen anderen Fortsatz — den Rabenschnabelfortsatz, l^ocesaus
coracoideus — überwölbt, welcher zwischen Incisura semilunaris und
Cavüas glenoidfdls scajndae breit entspringt, sich nach vorn und
aussen fast im rechten Winkel, ähnlich einem halbgebogenen kleinen
Finger, über die Gelenkfläche wegbiegt, und aus so compacter
Knochenmasse best<'ht, dass er unbedingt der stärkste Theil des
Schulterblattes genannt werden kann. Er wird von der Ejctremitas
acromialis des Schlüsselbeins, welche quer über ihn läuft, gekreuzt.
Betrachtet man Schulterblatt undSehIüsselb(iin beider Schultern
in ihrer natürlichen Lagerung am Skelete, so bilden sie zusammen
einen unvollkommenen knöchernen Ring oder Gürtel, den Schulter-
gürtel. Der Schultergürtel ist vorn und hinten offnen. Seine vordere
OeflFnung wird durch die Handhabe des Brustbeins ausgefüllt. Seine
hintere Oeffnung (zwischen den inneren Rändern beider Schulter-
blätter) bleibt unausgefiillt, und wird mit der verschiedenen Stellung
der Schulterblätter grösser oder kleiner werden müssen.
Die Lage des Schalterblattes, welches nur durch eine sehr kleine (velenk-
fläche mit dem Schlttsselheine, und durch diese« mit dem Skeleto zusammenhängt,
verHndert sich hei jeder Stellung des Armes. Hängen die Hände an den Seiten
des Stammes mhig herab, so stehen die inneren Ränder der beiden Schulterblätter
senkrecht nnd sind der Wirbelsäule parallel. Hebt man den Arm langsam bis in
die verticale Richtung nach aufwärts, so folgt der untere Winkel des Schulter-
blattes diesen Bewegungen, und entfernt sich, einen Kreisbogen beschreibend, von
der Wirbelsäule.
Muskeln überlagern das Schulterblatt dergestalt, dass sie nur die Spina
seapulae bei mageren Personen durch die Haut, ja durch den Rock erkennen
lassen. — Das Akromion wird in seltenen Fällen in so fem ein selbstständiger
Knochen (als sogenanntes 0* acrcmialej, als es mit der Spina ^capuloe nur durch
358 S* 19^* Verbindvngen der Schalterknochen.
Zwiflchentritt eines Knorpels zusammenhängt, also eine perennirende Epiphyae
desselben darstellt. Uippocrates erwähnt dieses Zustandes als BegeL B. Wag-
ner, Kiige, und Grub er, haben das Akromion sogar durch ein wahres Gelenk
mit der Spina scapulue articuUren gesehen. Rüge gedenkt eines Falles, in
welchem sich zwei Oasa acromiialia vorfanden (Zeitschr. für rat. Med. VII. Bd.).
Ausführlich über diesen Gegenstand handelt Grub er, im Archiv für Anat. und
Physiol. 1863. — In der Mitte der Untergprätengrube kommt, als merkwürdige
Thierbildung, zuweilen eine grosse Oeffnimg vor, so wie auch die Inciaura nemi-
lunaris, durch eine knöclieme Querspange in ein Loch sich umwandelt. — Die
mehrfachen Foramina ntäritia des Schulterblattes, finden sich theils längs seines
äusseren Randes, theils in der Nähe der CaüUaa glenoidali«. — Beim sogenannten
phthisischen Habitus liegen, wegen Schraalheit des Thorax, die Schulterblätter
nicht mit der ganzen Breite ihrer vorderen Fläche auf der hinteren Thoraxwand
auf, sondern entfernen sich von ihr mit ihrem inneren Rande, welcher sich nach
hinten wendet, und die Haut des Rückens aufhebt: Scapttlete alaUie.
Die anatomischen Schriften des Mittelalters führen das Schulterblatt als
Spatula und Spaihula auf (von 9;:aOi7, ein breites Stück Holz zum Umrühren, was
wir Spatel nennen). Auch findet sich bei den Restauratoren der Anatomie im
14. und 15. Jahrhundert, Hnnierus für Schulterblatt Letzteres Wort verdient des-
halb Beachtung, weil sich aus ihm erklärt, warum heute noch, das Akromion,
als der höchstragende Fortsatz des Schulterblattes, Summus humerus heisst Was
die Anatomie der Jetztzeit Huvienis nennt, nämlich der Oberarmknochen, hiess
damals sonderbarer Weise: Adjtäorium, ajuaO?] heisst auch ein breites zwei-
schneidiges Schwert, wie es die Leibgarde der griechischen Kaiser trug (die
»pada der Italiener). Ein Commandant (Protospatharius) dieser Leibgarde,
unter Kaiser Heraclius im 7. Jahrhundert, Namens Theophilus, schrieb ein,
aus dem Galen und Rufus Ephesius compilirtes, anatomisches Werk, nach
dessen lateinischer Uebersetzung (Theoph, Prolospatharii, de corp. htim.
fabrica)^ im 13. Jahrhundert an der Pariser Universität die Anatomie gelehrt wurde
(Bulaeus).
§. 136. Verbindungen der Scliulterknoclien,
Wir liaben hier zuerst die Verbindungen zwischen Brustbein
und Schlüsselbein, dann jene zwischen Schlüsselbein und Schulter-
blatt, und zuletzt die eigenen Bänder des Schulterblattes zu be-
trachten.
1. Brustbein-Schlüsselbeingelenk, Articvlatio stemo-clavi-
cidaris. Nur durch dieses Gelenk hängt die obere Extremität mit
dem Stamme zusammen. Eine fibröse, an ihrer vorderen Wand
sehr starke Kapsel, vereinigt die für einander bestimmten, sattel-
förmig gekrümmten Gelenkflächen des Brust- und Schlüsselbeins.
Die vordere verstärkte Wand der Kapsel, wird als Ligamentum
stemO'clavictdare aufgeführt. Li der Höhle des Gelenks lagert ein
scheibenförmiger Zwischenknorpel, dessen Umfang mit der Kapsel
verwachsen ist. Die allerdings nicht sehr in die Augen fallende
Incongruenz der Contactflächen der Knochen im Brustbein-Schlüssel-
beingclenk, postulirt die Gegenwart dieses Zwischenknorpels. Weitere
§. 187. Oberarmbein. 359
Befestigungsbänder des Gelenks sind: das iniudliche Liganiefitum
ifderclamculare , welches in der Incisura jugvlaris steivii, quer von
einem Schlüsselbeine zum anderen geht, und das länglich viereckige
Ligamentum costo-davtcidare, vom ersten Rippenknorpel zur unteren
Rauhigkeit der Exiremitas stemcUis davmdae. Das Schlüsselbein kann
in diesem Gelenke nach auf- und abwärts, so wie nach vor- und
rückwärts bewegt werden (Sattelgelenk).
2. Schlüsselbein-Schulterblattgelonk, Articidatio acromio'
d€mculari8. Nebst der fibrösen und Synovialkapsel, findet sich noch
ein breites, von oben über das Gelenk streifendes Verstärkungsband
— Ligamentum acromio-clamcidare. Ein Zwischenknorpel in der
Articulatio acromio-clavicularis , welcher von Vesal zuerst erwähnt
wurde, durchsetzt entweder die ganze Höhle des Gelenksraumes,
oder nur einen Theil desselben, und zwar von unten auf. Selten
fehlt dieser Zwischenknorpel, wo dann die Knorpelüberzüge der
betreffenden Gelenkflächen, besonders jene des Schlüsselbeins, dicker
angetroffen werden.
Wo das Schlüsselbein auf dem Pt'oces^us coracoideiis des Schulter-
blattes lagert, wird es mit ihm durch das sehr starke Ligamentum
corac(hclaviculare verbunden, an welchem man eine vordere, drei-
eckige Portion, als Ligamentum conicum , und eine hintere, ungleich
vierseitige, als Ligamentum trajyezoides unterscheidet.
3. Besondere Bänder des Schulterblattes. Vom Pro-
cessus coracoideus zum Akromion zieht das starke und breite Ligc(r
mentum coraco-acrominle. Dasselbe bildet eine Art von Gewölbe über
der Gelenkfläche des Schulterblattes, welches die Verrenkungen des
Oberarms nach oben nicht zulässt. — lieber die Incisura semilunaris
am oberen Schulterblattrande, legt sich das kurze Ligam>entum trans-
oersum, und verwandelt die Incisur in ein Loch.
Luschka beschrieb den bisher noch nie gesehenen Fall einer
Gelenkverbindung des linken Schulterblattes mit der dritten und
vierten Rippe, mittels eines von der vorderen Fläche des Knochens,
in der Nähe des inneren oberen Winkels ausgehenden Fortsatzes,
welcher den Musculus seivatus posticus superior durchbohrte, um
mittelst einer laxen, taubeneigrossen Synovialkapsel, mit einer von
den genannten Rippen gebildeten Gelenkfläche zu articuliren.
§. 137. Oberarmbein,
Der einfache Axenknochen des Oberarms ist das Oberarm-
bein, Os humeri tf, bradiii (von ßpa/iwv). Sein oberes Ende bildet
ein überknorpeltes, schief nach innen und oben, gegen die Gelenk-
flache des Schulterblattes schauendes Kugelsegment — Kopf, Cc*
ttn
360 S. 1S7. OlMnurmbeia.
hvmeri. Eine rings um den Rand der Ueberknorpelung des Kopfes
herumgehende Einschnürung, setzt den Kopf gegen den Schaft des
Knochens ab, und führt den Namen Collum humeri ancUomicum, zum
Unterschied von Collum humeri ddrurgicum, welches sich am Schafte
weiter abwärts, bis zur Insertionsstelle des Musculus teres major, er-
streckt. Die Chirurgen pflegen nämlich, einen über der Insertions-
stelle des Musculus teres mujor stattfindenden Bruch des Oberarm-
beins, noch als Fractura colli humsri zu bezeichnen. — Auf die
Furche folgen zwei Höcker. Der kleinere (Tuberculum minus)
liegt nach vorn, und wird vom grösseren, äusseren (Tuberculum
m^jus) , durch eine tiefe Rinne (Sulcus intertvbercularis) getrennt.
Das Tuberculum maju>s besitzt drei für Muskelinsertionen bestimmte,
nicht immer deutlich markiite Flächen oder Eindrücke. Von jedem
Höcker läuft ein erhabener Grat (Spina tvherculi majoiis et minoris)
zum Mittelstück des Knochens herab. Dieses ist dreiseitig, mit
einer vorderen, äusseren, und inneren Kante, welchen die
hintere, innere, und äussere Fläche gegenüber stehen. Ueber
der Mitte der äusseren Fläche, bemerken wir eine rauhe Stelle
(Tuberositas), welche dem Deltamuskel zum Ansatz dient. Gewöhn-
lich findet sich im oberen Drittel des Mittelstücks, dicht vor der
inneren Kante, das, in einen abwärts gerichteten Kanal fiihreude
Ernährungsloch (Foramen nutritium) des Oberarmbeins.
Das untere Ende erscheint breiter und flacher, als das obere,
wie von vorn nach hinten zusammengedrückt, und besitzt, zur Ver-
bindung mit jedem der beiden Vorderarmknochen, besondere Gebilde.
Diese sind: a) die Rolle (Trochlea, von Tpc^aXia, eine Winde, ver-
wandt mit Tp6xo<;? Rad), ein kurzer, querlicgender , tief gefurchter
Cy linder, welcher von dem grossen Halbmondausschnitt der Ulna
umfasst wird. Ueber der Rolle liegt an der vorderen Seite die
Fo^ea supratrochlearis anterior, und an der hinteren die tiefere und
grössere Fovea supratroctdeaiis posterior. Beide Gruben sind durch
eine dünne Knochenwand getrennt, welche zuweilen, besonders bei
alten Individuen (auch an den Negerskeleten meiner Sammlung),
durchbrochen gefunden wird. Neben der Rolle liegt nach aussen
h) das kugelige Köpfchen (Eminentia capitata), welches, wie die
Rolle, mit Knorpel überzogen ist, und zur Gelenkverbindung mit
dem Radius dient.
Verfolgt man die äussere und innere Kante des Mittelstücks
mit dem Finger nach abwärts, so wird man durch sie auf den
äusseren kleineren, und inneren grösseren Knorren des Ober-
arms (Condylus extemus et internus) geleitet, welche, da sie vorzugs-
weise den Streckern und Beugern der Hand und der Finger zum
Ursprünge dienen, ganz bezeichnend auch Condylus extensorius (der
äussere), und flexorius (der innere) genannt werden können. Bei
S. 138. Schnltergelenk. 361
französischen Anatomen heisst allgemein der äussere Condylus:
Epicondyltts , der innere: Epitroddea, Schon aus der bedeutenden
Grösse des inneren Knorrens lässt sich schliessen, dass die Gesammt-
masse der von ihm entspringenden Beugemuskeln grösser als jene
der Streckmuskeln sein wird. Zwischen Condyliis internus und
Trochlea findet sich an der hinteren Seite des unteren Endes des
Oberarmbeins, eine tiefe Furche (Sidcus ulnaris) , für den Verlauf
des Ellbogennerven.
Das Oberarmbein erscheint im Ganzen etwas nacli innen and vom ge-
wunden (courhure de torsioii der französischen Anatomen), was Alb in, mehr galant
als richtig, mit den Worten bezeichnet: „lanu/nam «i aptet se ad amplexum**.
Es kommt nicht ganz selten vor, dass, 1^2 ^is 2 Zoll über dem Condylu»
iTilenuut, ein gerader oder hakenförmig nach abwärts gekrümmter Fortsatz, an
der inneren Fläche des Knochens aufsitzt, welcher, seiner Stellung und seines
Verhältnisses zur Arteria bvachialis und zum Nervus medianus wegen, als eine
Analogie des bei vielen Säuge thieren vorkommenden Canalis tnipracaiidt/loidetu
gedeutet werden muss, und Procettsus Mujn'acoiidt/lokleiui von Josephi (Anatomie
der Säugethiere. I. Ud. pag. 319) genannt wurde. Ausführlich hierflber handeln :
OUo, de rarioribus quibundam sceleti humani cum sceleto animalium analogiis.
Vratisl., 1839; Harkoir, anat Abhandl. Breslau, 1851, und mit ganz ausgezeich-
neter Genauigkeit und coniparativor Vielseitigkeit, W. Gvnhev, m seiner „Mono-
graphie des Cnnalui iiupi'(u:o)uf.yhuleiM'* , St. Petersburg, 1856, mit drei Tafeln.
Grub er hat diesen Fortsatz unter 220 Leichen sechs Mal angetroffen. Jedesmal
dient er einem überzähligen Fascikel des MuMcidua proncUor teren zum Ursprung,
und steht seine Spitze mit jener des Coiuli/htJt hutneri iiUernuM, durch ein Liga-
ment in Verbindung. Einen Fall von rrocenaun supracomlyioidemi an beiden Armen
eines Neugebornen, besitze ich in meinem Museum. — Auf die Erblichkeit des
Processus ftupracondt/hideus hat Prof. Struthers in Aberdeen, zuerst aufmerksam
gemacht (The Lancet, 1873. Febr, 15.),
§. 138. Schultergelenk.
Das Schultergelenk, Articulatio humeri, ist das freieste Ge-
lenk des menschlichen Körpers, die vollkommenste Arthrodie.
Der Kopf des Oborarmknochens bewegt sich auf der Gelenk-
fläche des »Schulterblattcis so allseitig und frei, dass wir jeden Punkt
unserer Körperobci-flächc mit der Hand erreichen können. Der
Kopf des Ol)erarmknochcnH gleicht beiläufig dem dritten Theil
einer Kugel von l'/^ >^'>11 Durchmesser. Die Cavitas glenoidalis des
Schulterblattes aber ist (;in kleineres Segment einer eben so grossen
Halbkugel, und steht somit nur mit einem Theile der Oberfläche
des Kopfes in Berührung. Sicr hat an ihrem Rande einen ring-
förmigen, knorpeligen Aufsatz (fJmhua cartüagineus 8, Lahrum glenoi-
dale), welcher sie etwa« tiefer macht. — Die weite und schlaff^e fibröse
Kapsel, welche vom anatomischen Halse des Oberarmknochens, zur
Peripherie der CkmUu glmoidaU$ icapulae geht, beschränkt keine
362 §• 189. Knochen dM Vorderanas.
der Bowegungcn des Oberarms. Wäre sie straff gespannt^ so würde
SIC, bei den grossen Bewegungscxcursionen des Oberarms, noth-
weiidig hemmend einwirken. Die Schlaffheit ihrer Wände erlaubt
dagegen ein sonst bei keinem Gelenk in so grossem Maassstabe zu
beobachtendos Gleiten und Drehen des Oberarmkopfes in der
Caüüas glenaidalis , wodurch jeder Punkt des ersteren an letzterer
vorbeigeht. Der untere Kand der Kapsel setzt über beide Tuber-
cula brückenartig weg, und verwandelt den Stdcus intertuhercidaris
in einen Kanal, durch welchen die Sehne des langen Kopfes vom
Musculus biceps, in die Gelenkhöhle dringt, um sich an der höchsten
Stelle des Limbus cartilagineus festzusetzen. Die Synovialkapsel giebt
dieser Sehne einen scheidenartigen Fortsatz als Hülle, welcher sich
nach abwärts, dem Sukus intertubercularis entlang, bis zur Anheftungs-
stcllo der Sohne des grossen Brustmuskels erstreckt, und nach auf-
wärts die Bicepssehne, bis zu ihrer Insertion an die höchste Stelle
des Limbus cartäagineus, begleitet. Eine sackartige Ausstülpung der
Synovialkapsel schiebt sich zwischen den Rabenschnabel imd die
oberen Bündel des Musculus subscapularis ein. Die untere Wand der
tibrösen Kapsel ist die schwächste.
Schlemm beschrieb drei Verstärkung^sbärider an der Kapsel des Schulter-
ffelenks ( Mittler » Archiv, 1853) als LigameiUum coraco-brachial^, yleiwideo-hrachiale
internum, et inferui», deren Namen ihre Lage bezeichnen.
Die uneingeschränkte BewegUchkeit des Scliiiltergelenks bedingt die Häutig-
keit seiner Verrenkungen, die nach jeder Richtung, nur nach oben nicht (ausser
mit gleichzeitigem Bruch des Akromium) denkbar sind, indem die Kraft, welche
den Oberarmkopf nach oben treiben könnte, an dem Widerstände des elastischen
Ligamentum coraco-acromiale gebrochen wird. — Die fibröse Kapsel kann, ihrer
Schlaffheit wegen, die Knochen des Schultergelenks nicht an einander halten. Der
fortwährende innige Contact beider Gelenkflächen, hängt nicht von ihr, sondern
vom Luftdrucke ab (wie beim Hüftgelenk, §. löO).
§. 139. Knoclieii des Vorderarms.
Der Vorderarm, Brachium (auch AntibrcuJuum, vielleicht rich-
tiger Antebrachiurn) , enthält zwei neben einander liegende Röhren-
knochen, Ellbogenröhre und Armspindel.
A. Die Ellbogen röhre (Ulna^ Cubitus, Focile niajus, Canna
major, wX^vt;) ist der gi'össere der beiden Vorderarmknochen. Ihr
oberes Ende, dicker als das untere, wird durch einen tiefen, senk-
recht gestellten, halbmondförmigen Ausschnitt (Cavitas sigmoidea «.
luncUa major) ausgehöhlt, welcher genau die Rolle des Oberarmbeins
umfasst. Ein erhabener First theilt die Concavität des Ausschnittes
in zwei seitliche Facetten, welche denselben Facetten der Rollen-
furche des Oberarms entsprechen. Die obere, dicke, und hinten
§. 139. KbmImb d«s Vorderarms. 363
rauhe Ecke dieses Ausschnittes, heisst Hakenfortsatz, Olecranon
(id est: to xpovov vqq cbXevtjc, caput vlnae), oder Processus ancmiaeus,
von dYxwy, Haken, womit uncus und das altdeutsche Enke ver-
wandt ist. Die untere, weniger vorspringende und stumpf zuge-
spitzte Ecke des Ausschnittes, stellt den sogenannten Kronenfort-
satz dar (Processus corotioideus, über dessen Etymologie schon in
der Note zu §. 113 gesprochen wurde). Der oben erwähnte First in
der Camtas signwideci major, verbindet die Spitzen des Olecranon
und des Processus coronoideus. Häufig wird die Ueberknorpelung
der Caritas sigmoidea major, durch eine querlaufende, rauhe, nicht
tiberknorpelte Furche unterbrochen. Was vor dieser Furche liegt,
gehört dem Processus coronoideus an ; was hinter derselben , dem
Olecranon, — Seitlich am Kronenfortsatzc , und zwar an der dem
Radius zugekehrten Gegend desselben, liegt eine kleinere, halbmond-
förmige Vertiefung (Cavltas sigmoidea ». lunata minor), zur Auf-
nahme des glatten Umfangcs des Köpfchens der Armspindel. Unter
dem Kronenfortsatzc befindet sich die Taherositas idnae, für die
Insertion des Musculus hrachialis internus, — Das Mittel stück ist
dreiseitig. Die schärfste Kante (Crista ulnae) sieht der Armspindel
zu. Die beiden Flüchen, welche diese Kaute bilden, sind grösser
als die dritte, in welche sie durch abgerundete Winkel übergehen.
Bei ruhig herabhängendem Arm lassen sich diese drei Flächen als
äussere, innere, und hintere bezeichnen. An der inneren Fläche
liegen, ober der Mitte des Knochens, ein bis zwei schräg nach auf-
wärts führende Ernährungslöcher. — Das untere Ende, seiner
Gestalt wegen das Köpfchen (Capitulum) genannt, hat eine in der
Mitte etwas eingedrückte Gelenkfläche, welche sich auch auf jenen
Theil des Randes fortsetzt, welcher mit dem unteren Ende der
Armspindel in Berührung steht. Am hinteren Umfang des Köpf-
chens, ragt ein zwei Linien langer, stumpfspitziger Fortsatz (Pro-
cessus stt/loideus ulnae) herab. Zwischen ihm und dem äusseren
Umfang des Köpfchens, verläuft die Rinne für den Musculus vlnaris
extemus.
B, Die Armspindel, Speiche, Radius (Canna minor, Focüe
minus, Additamentum ulnae, Manuhrium manus, Trfiyyq und xcpKi^),
verhält sich in ihren Eigenschaften der Ulna entgegengesetzt. An
ihrem oberen Ende fällt uns das auf einem schmächtigeren Halse
aufsitzende Köpfchen auf, welches eine seicht vertiefte, sich über
den Rand des Köpfchens herabsenkende Gelenkfläche besitzt. Unter
dem Halse liegt ein rauher Höcker (Tuberositas radii) zur Anheftung
dös Musculus biceps brackii. — Das Mittelstück ist dreiseitig. Die
schärfste Kante (Crista radii) sieht der Crista ulnae zu, und bildet
mit dieser den in der Mitte breitesten^ oben und unten zugespitzten
Zwischenknochenraam (Sp^^ "^^^ innere und
364 S. 139. Knochen dia Tordenurms.
äussere Fläche gehen durch abgerundete Winkel in die vordere
über. Diese Namen beziehen sich auf jene Stellung des Radius^
welche er bei ruhig herabhängendem Arm einnimmt. An der Crista,
oder im oberen Bezirk der inneren Fläche, liegt ein einfaches,
schräg nach oben führendes Ernährungsloch. — Das untere Ende,
dicker und breiter als das obere, kehrt seine grösste Fläche nach
abwärts gegen die Handwurzel. Diese Fläche, elliptisch concav
und überknorpelt , wird durch eine quere Kantenspur in zwei
kleinere Facetten getheilt. Wo dieses untere Ende mit dem Köpf-
chen der Ulna in Berührung tritt, ist es leicht halbmondförmig aus-
geschnitten (Ifidsura semüunaris radii), und überknorpelt. Dem
Ausschnitt gegenüber, verlängert sich das untere Ende der Arm-
spindel in einen stumpfen Höcker (Proeessiis atyloideus radü). Die
äussere rauhe Seite des unteren Endes zeigt zwei, seltener drei
longitudinale Muskelfurchen.
Die Ausdrucke Oanna moQor und rmnory stammen aiia vor-Vesalischer Zeit.
Man nannte damals die Röhrenknochen, weil sie hohl sind wie Rohr, cannae, auch
amiidines, so z. B, catrna hrachii, für Oherarmbein, cannae cntris, für Unter-
schenkelknochen. Das französische eanne, Rohrstock, und das italienische cati-
none, dickes Rohr (Kanone), haben dieselbe Ableitung. — Focile majm und
mintia sind spottschlechte Uebersetzungen des arabischen Zenddn (Dual von Zend),
welches einen ans zwei neben einander liegenden Hölzern bestehenden Apparat
bezeichnet, mit welchem die Araber durch Reiben Feuer machten. Die Hölzer
hatten die Länge und Dicke der beiden Vorderarmknochen, welche deshalb von
den arabischen Aerzten Zend und Zenddii genannt wurden. Dass die Mönche,
welche den Avicenna übersetzten, diese Worte durch /oci^e wiedergaben, geschah
in klösterlicher Einfalt und Unschuld, denn focile ist gar kein lateinisches Wort,
und wurde von ihnen neu geschmiedet, wobei ihnen allerdings foctM (Feuerstätte)
und fodllo (erwärmen), im Geiste vorgeschwebt haben mochte.
Da das Skelet des Vorderarms aus zwei Knochen besteht, so muss jeder
derselben, der Oberfläche des Vorderarms näher liegen, als der einfache Axen-
knochen des Oberarms. Man kann deshalb die Ulna in ihrer ganzen Länge, den
Radius aber nur an seiner unteren Hälfte, wo er weniger von Muskelfleisch be-
deckt wird, am eigenen Arme durch die Haut deutlich fühlen. — Die beiden
Knochen verhalten sich hinsichtlich ihrer anatomischen Eigenschaften verkehrt zu
einander. Die Ulna ist oben, der Radius unten dick, — die Ulna hat ihr Capitulum
unten, der Radius oben, — das Capitulum ulnae liegt in dem Halbmondausschnitt
am unteren Ende des Radius, das Capibdum radii in der Cavita» »igmoidea minor
am oberen Ende der Ulna, — die Ulna ragt um die Höhe des Olekranons weiter
nach oben, der Radius mit seinem unteren Ende weiter nach abwärts, — die
Ulna kehrt, bei ruhig herabhängendem Arme, ihre Crista nach vom, der Radius
nach rückwärts, endlich vermittelt das obere Ende der Ulna, durch das Umgreifen
der Rolle des Oberarmbeins, die feste Verbindung des Vorderarms mit dem Ober-
arme, während das untere Ende des Radius durch seine Gelenksverbindung mit
den zwei grössten Knochen der ersten Uandwurzelreihe, zum Träger der Hand
wird, und daher von den Franzosen le pcrte-main genannt wird.
§. 140. Ellbogenreleiik. 365
§. 140. Ellbogengelenk.
Das Ellbogengelenk, Articulatio cMti, trägt den Charakter
eines gemischten Gelenks, da es Winkelbewegung und Rotation
ausfähren kann. Wir wollen es einen Trodio-ginglymiis nennen.
Das Ellbogengelenk bringt uns das erste Beispiel eines Gelenks
vor Augen, in welchem drei Knochen zusammentreflfen. Dasselbe
besteht also eigentlich aus drei Gelenken, welche durch eine gemein-
schaftliche iibröse und synoviale Kapsel, zu Einem Gelenke ver-
einigt werden. Die Trochlea des Oberarmbeins bildet mit der Cavitus
sigmoidea major der Ulna, die Articulatio humer o-vlnaris, — die Emi-
nentia capitata des Oberarmbeins mit dem Capitvlwni radü, die Arti-
culatio humero-radialis , und der überknorpelte Rand des Capitvli
radii mit der Cavitas sigmoidea minor uliias, die Articulatio radio-
tdnaris. Bei der Beugung und Streckung des Vorderarms, geschieht
die Bewegung in den beiden ersten Gelenken, das dritte bleibt voll-
kommen ruhig. Bei der Drehung des Radius, durch welche die
Hand nach innen oder nach aussen gewendet wird (Pronatio et
Supinatio) , bewegt sich das erste Gelenk nicht, indem die Axen-
drehung des Köpfchens der Armspindel nur im zweiten und dritten
Gelenke eine Bewegung veranlasst.
Wäre der Radius ein vollkommen geradliniger Knochen, so wiirdo die
Axendrehung seines Köpfchens, zugleich den ganzen Radius, wie eine Walze, um
seine LKngenaxe drehen, ohne dass er seinen Ort verlässt Da er aber, vom
Halse angefangen, sich derart krümmt, dass bei hängend gedachtem Arm, sein
unteres Ende nicht vertical unter dem oberen steht, so muss, wenn das Köpfchen
sich um seine Axe dreht, das untere Ende einen Kreisbogen beschreiben, dessen
Centrum das unverrückte Köpfchen am unteren Ende der IHna ist.
Die gemeinschaftliche fibröse Kapsel des Ellbogen-
gelenks entspringt über der Rolle und der Eminentia capitata des
Oberarmbeins, und schliesst somit auch die vordere und hintere
Fovea supratrochlearis ein. Der Radius wird an die Cavitas sigmoidea
minor vlnae durch das Ringband (Ligamentum annulare radii) an-
gedrückt, welches den überknorpelten Rand seines Köpfchens und
die oberste Zone seines Halses umgreift, und an dem vorderen
und hinteren Ende der Cavitas sigmoidea minor befestigt ist. Das
dreieckige innere Seitenband entspringt schmal vom Condylxts
internus des Oberarmbeins, und endigt breit an der inneren Seite
des I^*oce8sus coronoideus, und am inneren Rande der Cavitas lunata
major vlnas. Das äussere Seitenband, schmäler als das innere,
entspringt am Condylus extefnius des Oberarmbeins, und darf nicht
am Radius endigen, sondern verwebt sich mit dem Ringbande, ohne
an den Radius zu treten. Die Drehbewegung des Radios würde ja^
366 §. lil- Knoebm d«r H»nd.
durch die Befestigung des äusseren Seitenbandes an ihn, allzusehr
beschränkt worden sein. Aus demselben Grunde kann auch die
fibröse Kapsel sich nicht an beiden Knochen des Vorderarms, son-
dern nur an der Umrandung der Cavitas sigmoidea major ulnae in-
serireu. Sie setzt sich auch wirklich, ebenso wie das äussere Seiten-
band, nicht an den Radius, sondern nur an das Ringband seines
Köpfchens an.
Das den Zwischenknochenraum ausfüllende Ligamentum inter-
osseum, reicht nicht bis zum oberen Winkel dieses Raumes hinauf.
Die von der Gegend des Processus coronoideus tdnae zur Tuberositas
radii schräg herablaufcnde Chorda transverscUis cvhüi, ersetzt zum
Theile diesen Mangel. Ihre Faserric^tung ist jener des Ligamentum
interosseum entgegengesetzt.
Indem das Olekranon sich, im höchsten Grade der Ausstreckong des Vorder-
arms, in die Fooea »upratrochlearü posterior des Oberarmknochens stemmt, so
kann die Streckung auf nicht mehr als 180^ gebracht werden. Das Maximum der
Beugung tritt dann ein, wenn der Processus coronoideus ulnae auf den Grund der
Fossa suprcUrochlearis anterior stösst. — Die fibröse Kapsel dient nicht dassu, die
drei Knochen des Ellbogengelenks an einander ssu halten. Man kann die vordere
und die hintere Kapselwand quer durchschneiden, und man wird dadurch nichts
an der Festigkeit des Gelenks geändert haben. Erst wenn ein oder beide Seiten-
bänder zerschnitten sind, welchen die Knochen aus einander. Indem femer das
untere Ende des Radius mit den zwei grössten Knochen der ersten Handwurzelreihe
durch B&nder hinlänglich fest zusammenliängt, die Ulna aber (wie oben gesagt
wurde) mit der Handwurzel in keine unmittelbare Berührung kommt, so wird die
Hand jeder Bewegung des Radius folgen, und durch die Drehung dieses Knochens
nach innen oder aussen, sich so stellen, dass die Hohlhand nach hinten oder nach
vom sieht, d. h. die Pronations- und Supinationsbewegungen beschreiben zu-
sammen einen Kreisbogen von 180^. Soll die Bewegung der Hand in einem noch
grösseren Bogen vollführt werden, so muss auch zugleich der Oberarm sich um
seine senkrechte Axe drehen, was die Laxität der fibrösen Capsula huvieri leicht
gestattet.
Der Name Ellbogen stammt von dem altdeutschen ele, d. i. cubilus (ver-
wandt mit ulmi' und tokirr^^ so wie mit dem englisclien eil, dem französischen
aulne, dem italienischen und spanischen alnaj, imd von dem gleichfalls alt-
deutschen boga, d. L biegen.
Die Bedeutung der Spirale bei den Bewegungen dos Ellbogengelenks, wür-
digte H. Meyer, Arch. für Anat. und Phys. 1866.
§. 141. Enoclien der Hand.
Das Skelet der Hand besteht aus drei Abtheilungen: Iland-
wurzely Mittelhand^ und Finger.
A. Erste Abiheilung, Knochen der Handwurzel.
Die erste^ sieh an die Vorderarmknochen anschliessende Ab-
theilnng der Hand, ist die Handwurzel, Corpus (vielleicht von
§. 141. Knochen d«r Hand. 367
Spmi), greifen), welche aus acht kleinen, meist vieleckigen, in zwei
Reihen (zu vieren) gruppirten Knochen zusammengesetzt wird. Sie
werden durch kurze und starke Bänder so genau und fest zusammen-
gehalten, dass sie fast Ein knöchernes Ganzes zu bilden scheinen,
welches jedoch durch ein Minimum möglicher Verschiebbarkeit der
einzebien Handwurzelknochen an einander, eines geringen Grades
von Beweglichkeit theilhaftig wird. Brüche der Handwurzel kommen
deshalb nur höchst selten vor. Der Stoss, welchen Ein Hand-
wurzelknochen aufnimmt, vertheilt sich auf alle übrigen, und wird
dadurch so abgeschwächt, dass die Integrität der Handwui*zel ge-
wahrt bleibt.
Ohne in eine detaillirte Beschreibung der einzelnen Hand-
wnrzelknochen einzugchen, geben wir nur folgende allgemeine und
für das Bedürfniss des Anfangers genügende Anhaltspunkte. Man
möge zum leichteren Verständniss derselben, eine gefasste Hand vor
Augen haben.
1. Die erste oder obere Reihe der Handwurzelknochen wird,
wenn man von der Radial- gegen die Ulnarseite zählt, durch das
Kahnbein, Mondbein, dreieckige Bein (Pyramidenbein bei
H e n 1 e j, und Erbsenbein zusammengesetzt, (Oa scaphoideum 8. navi-
culare, Iwiatum, triquetrum, pidforme). Die zweite oder untere
Reihe enthält, in derselben Richtung gezählt, das grosse und
kleine vielcckige Bein (Trapez- und Trapezoidbein bei Henle,
das K o p f b e i n und das Hakenbein, (Os mtdtangulum majus^ minus,
capitatum, hamatum). Das Kopfbein ist der grösste Handwurzel-
knochen — daher Os magnum bei älteren Autoren.
Oa scaphaideiim stammt von scapha (axa97] oder axa^f;), und bedeutet ein
^kieltes Boot, wie es auf grösseren See&hrzengen zum Ausschiffen verwendet
wird, — das englische «kiff, und das französische e»quif, Oa navictilare aber
kommt von navia, nicht von ruwia. Navia war ein kleines Boot, nur wenig ge-
höhlt, wie es unser Oa 7iaviculare ist; ruivia dagegen ein gprosses Segelschiff, mit
tiefem und geräumigem Hohlraum, wie ihn das Oa luiviculare sicher nicht hat.
2. Von den Knochen der ersten Reihe, helfen nur die drei
ersten das Gelenk zwischen Vorderarm und Handwurzel bilden;
— das vierte (Erbsenbein) wird hiezu gar nicht verwendet, wes-
halb es, genau genommen, nicht die Bedeutung eines Handwurzel-
'knochens hat, und von Albin auch nicht zur Handwurzel gezählt
wurde: „ad carpum re vera non pertinet^'.
3. Obwohl alle Handwurzelknochen eine sehr unregolmässige
und schwer durch Worte anschaulich zu machende Gestalt haben,
so darf man sich doch erlauben, um die Verbindungen leichter zu
übersehen, an jedem derselben sechs Gegenden (nicht mathe-
matische Flächen) anzunehmen; welch«* i^-»«- ««^n uch die Hand
nicht liegend y sondern her ^ dem
368 §. 141. Knochen der Hand.
Stamme zugekehrt denkt, in die obere und untere, die Dorsal- und
Volargegend, die Radial- und Ulnargegend eingetheilt werden.
4. Die oberen Gegenden der drei ersten Knochen in der
oberen Handwurzelreihe bilden, da sie sämmtlich gewölbt sind,
durch ihr Nebeneinandersein einen elliptisch convexen Kopf, welcher
in die elliptische Concavität am unteren Ende der Vorderarm-
knochen aufgenommen wird. Die erste Facette der unteren Gelenk-
flache des Radius Bteht mit dem Kahnbein, die zweite mit dem
Mondbein in Contact. Der dritte Knochen — das dreieckige Bein
— stösst aber nicht an das Köpfchen der Ulna, weil dieses, nach
Angabe des §. 139 und dessen Note, nicht so weit herabreicht,
wie das untere Speichenende. Es bleibt vielmehr ein Raum zwischen
beiden Knochen übrig, der gross genug ist, um einen dicken
Zwischenknorpel, Cartilago interarticularis, aufzunehmen. — Die
unteren Gegenden derselben drei Knochen bilden durch ihre
Nebeneinanderlagerung, vom Radial- gegen den Ulnarrand hin, eine
wellenförmig gekrümmte Fläche. Das besonders tiefe Wellenthal,
welches durch die Vertiefung des Os scaphoideum und lunatum ge-
bildet wird, hat zu seinen beiden Seiten schmale WeUenberge,
deren äusserer dem Os scaphoidewn, deren innerer dem Os triquetrum
angehört. — Die Dorsalgegend ist massig convex, die Volar-
gegend ebenso concav. Die einander zugekehrten Ulnar- und
Radialgegenden der drei ersten Handwurzelknochen sind, sowie
dieselben Gegenden der vier Knochen der zweiten Handwurzelreihe,
theils rauh, zur Anheftung sehr kurzer Zwischenbandmassen , theils
aber auch zur wechselseitigen Aii;iculation mit kleinen Gelenk-
flächen versehen, welche als seitliche Fortsetzungen der an den
oberen oder unteren Gegenden dieser Knochen vorkommenden Ueber-
knorpelungen erkannt werden.
5. Die vier Knochen der zweiten Reihe, lassen sich unter dem-
selben allgemeinen Gesichtspunkte auffassen. Die oberen Gegen-
den derselben bilden, da sie sich an die untere Gegend der ersten
Reihe anlagern, eine zu jener umgekehrte Wellenfläche, deren mitt-
lerer hoher Wellenberg, vorzugsweise durch den Kopf des Os capl-
tatum erzeugt wird. — Die unteren Gegenden der vier Knochen
dieser Reihe stossen mit den Mittelhandknochen zusammen, und
bilden eine Reihe von Gelenkflächen, deren erste für den Mittel-
handknochen des Daumens bestimmte, dem Os mvltangulum majus
allein angehört, sattelförmig gekrümmt ist, und von den ebenen,
unter Winkeln im Zickzack zusammenstossenden unteren Gelenk-
flächen der übrigen Knochen dieser Reihe, durch eine kleine, nicht
überknorpelte, rauhe Zwischenstelle getrennt wird. Im allgemeinen
lässt sich sagen, dass, 1. die untere Fläche des Mtdtangvium majus,
den Mittelhandknochen des Daumens und überdies noch einen
§.141. Knochen der Hand. 369
kleinen Theil des Mittelhandknochens des Zeigefingers trägt ; 2. jene
des Midtangulnm minus, mittelst eines vorspringenden Giebels, in
einen Winkeleinschnitt der Basis dos Mittelhandknochens des Zeige-
fingers passt ; 3. jene des Capitatum, an den Mittelhandkuochen des
Mittelfingers, und 4. jene des Haken beins, an die Mittelhandknochen
des vierten und fünften Fingers stösst. — Die übrigen Gegenden
dieser Knochen, verhalten sich wie die gleichnamigen der ersten
Handwurzelreihe.
6. Beide Reihen zusammen bilden einen, gegen den Rücken
der Hand convcxen, gegen die Hohlhand concaven Knochenbogen.
Der erste und letzte Knochen jeder Reihe wird somit gegen die
llohlhand stark vorspringen, und dadurch die sogenannten Eminentiae
cai^pi erzeugen, welche in zwei Emin&iüia^ radiales und zwei ulnares
zerfallen. Die Eminentia cai'pi radialis superior gehört einem Höcker
des Kahnbeins, die infeHor einem Höcker des grossen viclwinkligen
an, — die Eminentia cai'pi idnaris superior wird durch das Erbsen-
bein, die inferior durch den hakeniormigen Fortsatz des Hakenbeins
erzeugt. Von den Eminentiae carpi radiales zu den ulnares geht ein
starkes queres Band (lÄgamentum carpi transre?'sum) , welches die
concave Seite des Bogens in einen Kanal für die Sehnen der Finger-
beuger umwandelt.
•Sehr selten finden sich neun Handwur/elknochen. (irruber hat über das
Vorkommen eines ül)erziihligen neunten Handwur/elknochens^ und seine Deutung,
Bebr genaue Erbebung(»n gejiflogen, welche im Archiv für Anat. ISfiG, 1869 und
1872, niedergeU'gt sind. Die Vermehrung der IIan«lwur/elknocben auf neun, voll-
zieht sich entweder durch Zerfallen des Ott naoirnlarr in zwei Knochen, oiler durch
Einschub eines neuen, dem Oh intennMunn h. centrale gewisser Säugethiere analogen
Knr)cbelchens. Gruber fand die Zahl der Ilandwurzelknochen selbst auf eilf
vermehrt. Weitere Heobachtungen über Vermehrung der Handwurzelknochen ver-
danken wir A. Friedlowsky (Wiener akad. Sitzungsbericlitt!. 61. Bd.).
Um die Handwurzel als Ganzes kennen zu lernen, muss man sie an einer
gefassten Hand studiren. Lose Hamlwur/elknochen machen den Anfangern allzu
viel zu scliafTen. Am brauch!»arsten sin<l jene gefasst<Mi Hände, deren Hamlwurzel-
knochen nielit ndt Draht unbeweglich verbunden, sondern so an Darmsaiten auf-
g(»selwiiirt sind, dass sich je zwei derselben, in zwei auf einander senkrechten
Richtungen von einand<'r entfernen, un<l wieder zusammenschieben lassen.
Wünscht sich Jemand speciell in <lio Beschreibung der Flächen und Ränder
einzelner Ilandwurzelknochen einzulassen, so fimlet er in <ler We herrschen Aus-
gabe von Hiidebrandt\s Anatomie, und in IIenle\s Knochenlehre, die weit-
läutigsten Schildeningen. — Es ist sehr lielehrend, sich nach einem guten Vor-
bilde in «ier Zusammenstellung »ler Ilandwurzelknochen zu üben, die rechten von
den linken unterscheiden zu lernen, und einen senkrechten Schnitt durch eine
frisclie Handwurzel zu legen, um die Contactlinien zu sehen, welche durch die
Verbindung beider Handwur/elreihen unter sich, und mit den darüber und danmter
liegenden Knochen zu Stande kommen. Man erhält, durch die Ansicht solcher
Schnitte, die best«» Vorstellung von der Beweglichkeit beider Handwanelreihen,
und von der Lagerung des zwischen üapÜtUum ülnaB mid O» '
geschalteten Zwischenknorpels.
Hyrtl, Lehrbach der Anfttonue. 14. ▲«§.
370 §• Ul. KdocImd der Hftnd.
B, Zweite Abtheüung. Knochen der Mittelhand.
Die fünf Mittelhandknoehen (Oaaa metacarpi) liegen, wenn
die flache Hand auf einer Unterlage aufruht^ in einer Ebene neben
einander, wie die Zähne eines Kammes, daher der alte Name der
Mittelhand, als Pecten manus. Nur bei hängender Hand, oder wenn
sie zum Greifen in Verwendung kommt, tritt der Mittelhandknoehen
des Daumens, aus der Ebene der vier übrigen heraus. Diese letzteren
nehmen vom Zeigefinger gegen den kleinen Pinger an Länge und
Stärke ab, und bilden den breitesten, aber auch den am wenigsten
bewegliehen Theil der Hand. Sie werden vom Daumen gegen den
kleinen Finger gezählt. Jeder Mittelhandknoehen hat ein oberes,
einfach schräg abgestutztes, wie beim dritten, vierten und f&nften (am
auffallendsten am dritten), oder winklig eingeschnittenes Ende (wie
beim zweiten), welches Basis heisst. Die nach oben gegen den
Carpus gekehrte, grösste Fläche der Basis ist überknorpelt, und setzt
sich in kleinere, an der Radial- und Ulnarseite der Basis befindliche
Grelenkflächen fort. Das untere Ende ist sphärisch convex (Capi-
tuhim), mit einem Grübchen an der Radial- und Ulnarseite für Band-
anheftung. Das Mittelstück ist dreikantig-prismatisch. Die Dorsal-
seite finden wir an allen massig convex, die ihr gegenüberstehende
Volarkante concav gekrümmt.
Der Mittelhandknoehen des Daumens (Os metacarpi pollids)
unterscheidet sich von den übrigen durch seine, mit einer sattel-
förmigen Gelenkfläche versehene Basis, sein von oben nach unten
flachgedrücktes, breites Mittelstück, wodurch er einer Phalanx prima
eines Fingers ähnlich wird, ferner durch seine Kürze und seine ab-
weichende Lage, da er mit den übrigen nicht in einer unveränder-
lichen Ebene liegt, sondern frei beweglich ist. — Da bei den alten
Anatomen der Carpus Brachiale heisst, nannten sie consequent den
Metacarpus: Poatbrachiale.
C, Dritte AbtheiJung. Knochen der Finger,
Die Knochen der Finger fuhren den G^sammtnamen Phalanges
digitorum manus. Das griechische Wort: ©aXaY;, ist Schlachtreihe,
aber auch Walze; — ^aXa^f/s;, als Fingerglieder, finden sich zuerst
bei Aristoteles. Sie sind, trotz ihrer Kürze, dennoch den langen
Knochen beizuzählen, da sie im jüngeren Alter einen Körper und
eine Epiphyse, und zwar nur eine obere, besitzen.
Der Daumen hat zwei, die vier übrigen Finger drei Phalangen
oder Glieder. Da die Fingergelenke, ihrer fühlbaren Aufgetriebenheit
wegen, bei Celsus Nodi heissen, so werden die Phalangen bei
älteren Autoreu auch häufig IntertiocUa genannt. Die Nodi sind die
g. 141. Kaocben der Hand. 371
Ursache, warum an mageren oder abgezehrten Händen, bei an-
einander geschlossenen Fingern*, spaltförmige Räume zwischen den
Gliedern je zweier benachbarter Finger klaffen. Alle Phalangen
sind oblong, der Länge und Breite nach massig gebogen, mit einer
dorsalen convexen, und volaren concaven Fläche, zwei Seitenrändem,
einem oberen und unteren Ende versehen. Das obere Ende heisst,
wie bei den Mittelhandknochen, Basis. Das erste Glied jedes
Fingers hat an seinem oberen Ende eine einfache concave Gelenk-
fläche, — den Abdruck des Capitulum des zugehörigen Mittel-
handknochens. Sein unteres Ende zeigt zwei, durch eine seichte
Vertiefung getrennte Ccmdyli, welche zusammen eine Art von
überknorpelter Rolle bilden. Seitwärts gewahren wir an diesem
unteren Ende noch zwei rauhe Grübchen, zur Befestigung der
Seitenbänder. — Das zweite Glied, welches am Daumen fehlt^
hat am oberen Ende zwei flache, durch eine Erhöhung geschiedene
Vertiefungen, zur Aufnahme der Rolle am unteren Ende des ersten
Gliedes; — am unteren Ende besitzt es eine Rolle, wie das erste. —
Das dritte Glied, — am Daumen das zweite, — hat oben zwei
Vertiefungen, unten läuft es in eine rauhe, huf- oder schaufeiförmige
Platte aus. Es wurde sehr unpassend mit einer Pfeilspitze ver-
glichen. Die Länge der Fingerglieder nimmt, so wie ihre Breite
und Stärke, vom ersten zum dritten ab. Die französischen Anatomen
gebrauchen für erstes, zweites und drittes Fingerglied, die Aus-
drücke phalange, phalangine und phalangetts (C haussier).
Ist der Damnen zwei- oder dreigliedrig? Dem Nichtanatomen, welcher seinen
Daumen unbedingt fiir zweigliedrig hält, erscheint diese Frage überflüssig, wo nicht
absurd. Anatomen denken anders. Galen hielt das Os metacarpi poUicU für die
erste Phalanx des Daumens, welcher somit, wie jeder andere Finger, drei Pha-
langen, aber keinen Mittelhandknochen hätte, — eine Ansicht, welche in Vesal,
Duverney, Bertin, Cheselden und J. Bell Anhänger fand. Durch sein
Kxterieur verräth sich das Os metacarpi poflicia gewiss als naher Vetter eine«
ersten Fingergliedes. Seine Beweglichkeit unterscheidet es functionell von den
nur wenig beweglichen Mittelhandknochen, und seine Entwicklung erfolgt nach
demselben Gesetze, wie die jeder Phalanx prhna. Jede Phalanx prima nämlich
entsteht au« zwei Ossificationspunkten , einem oberen und unteren. Der untere
wird zu Ende des dritten Embryo-Monats in der knorpeligen Grundlage des
Mittelstückes niedergelegt; der obere bildet sich erst im fünften Lebensjahre, und
bleibt bis zum Pubertätseintritt, oft auch noch länger, mit dem Mittelstücke
unverj»chniolzen. Das untere Ende erliält keinen besonderen Knochenkem. Genau
so verhält es sich mit dem Metacarpus des Daumens, während die Metacarpus-
knoehen der übrigen Finger, im Anfange des dritten Embryo-Monats einen Ossi-
fieationspunkt im Mittelstück, und schon im zweiten Lebensjahre einen Knochenkem
für das untere Ende (CapUulvmJ, aber keinen für das obere Ende erhalten.
Auch das winzige Ernährungsloch des sogenannten Metacarpus des Daumens,
weicht von jenem der Übrigen Metacarpi darin ab, dass es nicht, wie bei diesen,
nach aufwärts, sondern, wie bei den Phalangen, nach abwärts gerichtet ist. Da
ferner der "^ dem O» muUangulum majun durch ein,
24»
372 §• liS Bänder der Hand.
einer Athrudie sich näherndes Sattelgelenk, und mit der ersten Phalanx durch ein
Winkelgelenk verbunden wird, so verhält er sich auch in dieser Beziehung mehr
wie eine PhaUnix prima der übrigen Finger. Morphologisch wäre somit der
Daumen dreigliedrig, aber metacarpuslos, und betrachtet man die Bewegungen der
Finger und des Daumens an der eigenen Hand , so zeigt es sich , dass bei den
Bewegungen der Finger die Metacarpusknochen ruhen, bei den Bewegungen des
Daumens aber der sogenannte Metacarpus desselben die Bewegungen der beiden
Phalangen mitmacht Nur Ein Merkmal der Metacarpusknochen kommt dem
Metncfu'pmt poUicU zu, nämlich das« er an seinem unteren Ende keine Rolle triigt,
wie die unteren Enden der Phalangen, sondern ein Capitulum, wie die unteren
Enden der Metacarpi. Dieses Capitulum ist aber nicht kugelig, sondern quer
elliptisch. Es bleibt natürlich Jedem unbenommen, an die Zweigliedrigkeit seines
Daumens zu glauben, und auch dieses Lehrbuch theilt die Ansicht der Zwei-
gliedrigkeit, wenn nicht aus Ueberzeugung, doch aus Rücksicht für die allgemeine
Meinung, welcher Viele huldigen, ohne im GeringsU^n an ihre Unfehlbarkeit zu
glauben. Mehr hierüber enthält IJffelmann, der Mittelhandknochen des Daumens,
OGtt 1863.
lieber die Sesambeine der Hand, siehe den nächsten Paragraph, C,
§. 142. Bänder der Hand.
A, Bänder der Handtcurzd,
Die Bewegungen, welche die Hand als Ganzes ausführt, smd
1, Beugung und Streckung, 2. Zuziehung und Abziehung, 3. Supi-
nation und Pronation. Nur die beiden ersten Bewegungen geschehen
im Gelenke zwischen dem unteren Ende des Vorderarms und den
drei ersten Handwurzelknochen — Artiadatio carpi, Sie können in
ziemlich grossem Maassstabe ausgeführt werden. Vom Maximum
der Beugung bis zum Maximum der Streckung besehreibt die Hand
einen Bogen von 180*^; von der grössten Zuziehung bis zur grössten
Abziehung einen Bogen von 80*^. Die Abziehung (Seitenbewegung
nach der Ulna zu) ist mehr gestattet als die Zuziehung (Seiten-
bewegung nach dem Radius zu), weil der zwischen Ulna und Os
trtquetrum eingeschaltete Knorpel eine Compression erlaubt. Ein-
und Auswärtsdrehung der Hand geschieht nicht in dem Handwurzel-
gelenk, sondern, wie im §. 140 gezeigt wurde, im oberen Drehgelenk
des Radius mit der Ulna, also im Ellbogengelenk.
1. Articvlaüo radio-ulnaris inferior.
Am unteren Ende beider Vorderarmknochen, findet eine eigen-
thümliche Gelenkverbindung derselben unter sich statt. Sie gehört,
streng genommen, nicht dem Cai'pus an, soll aber doch hier zur
Sprache kommen , da ihre Kenntniss für jene der Articulatio carpi
wichtig ist. Das untere Ende des Radius stösst mit seinen beiden
Gelenkfacetten direct auf die zwei ersten Knochen der oberen Hand-
wurzelreihe (Kahn- und Mondbein). Das untere Ende der Ulna
§. U». Binder d«r Hand. 373
dagegen reicht nicht so weit herab, um den dritten Knochen der
oberen Handwurzelreihe (dreieckiges Bein) zu berühren. Die Be-
rührung wird nur durch die Dazwischenkunft eines Knorpels ver-
mittelt. Dieser erstreckt sich vom kurzen (hinteren) Rande der
unteren Gelenkfläche des Ra,diu8, S^S^^ ^^^ Processus styloideus tdnete,
an welchen er durch ein kuraes Band (seiner Farbe wegen Liga*
mentvm siihcrusntum genannt) geheftet wird. Der Zwischenknorpel
hat nun eine obere und untere Fläche. Die obere bildet mit
Hilfe der Incisuixi semilunaris am unteren Ende des Radius, eine
Nische für das Capitvluw ulnae; die untere liegt in der Verlängerung
der unteren Gelenkfläche des Radius, und stösst an den dritten
Knochen der oberen Handwurzelreihe. Eine weite Kapsel (Mem-
brana saccifo'rmis) nimmt das Cnpitidum idnae, die Inclsura semilunaris
radii, und die obere Fläche des Zwischenknorpels in ein gemein-
schaftliches Cavum auf.
Der Zwisclienknorpel ist nach He nie eine wirkliche Verlängerung des
Knorpelbelegs am unteren Ende des Radius. Man findet ihn öfter, besonders bei
älteren Individuen, in der Mitte durchbrochen, wodurch die Ärticttlatio radio-ulnaru
inferior mit der gleich zu schildernden Articalatio brachio-carpea in Höhlen-
commimication zu stehen kommt.
2. Articulatio hrachio-carpeay kurzweg Artiad<itio carpi.
Die freie Beweglichkeit der Handwurzel am Vorderarm be-
dingt eine laxe fibröse Kapsel f Ligamentum Capsula re artiadationis
brachio-carpeaejy welche von dem Umfang der unteren (Telcnk fläche
des Radius und des dreieckigen Zwischenkriorpels entspringt, und
sich an der Peripherie des, durch die oberen Flächen der drei ersten
Handwurzelknochen gebildeten Kopfes befestigt. Das Os pisiforme
wird nicht in die Höhle dieser Kapsel einbezogen, sondern articulirt,
für sich, mit einer kleinen Gelenkfläche an der Ulnarscite des Os
triquetrum. Die Synovialhaut der ArHcid^tüo hrachio-caipea setzt
sich in die Fugen zwischen den drei ersten Carpusknochen nicht
fort. — Die Volarseite der fibrösen Kapsel wird durch zwei Bänder
verstärkt, welche vom Radius, und von dem Zwischenknorpel
zwischen Köpfchen der ülna und Os triquetrum, zu den drei ersten
Hand Wurzelknochen in gerader und schiefer Richtung laufen (lAga-
mentum accessorium rectum et obliquum). An der Dorsalseite der
Kapsel liegt das breitere Ligamentum rhomboideum, vom Radius zum
Os lunatum und triqneti'um gehend; — vom (Trittelfortsatz des Radius
zum Kahnbein erstreckt sich das Ligamentum laterale radiale, und
vom (friff*clfoitsatz der ITlna zum dreieckigen Bein, das Ligamentum
laterale ulnare s. Funictdus ligaiiientosus. Man kann die Articulatio
brachio-carpea eine beschränkte Arthrodie nennen, da sie Beugung
und Streckung, Zu- und Abziehung der Hand, aber keine Axen-
drehung vermittelt.
374 §• 142- B&nder der HMid.
3. Articulatio intercarpea.
Die erste und zweite Handwurzelreihe bilden unter einander
die Aiiiculatio intercarpea, Sie sind durch keine eigentliche fibröse
Kapsel, wohl aber durch eine Synovialkapsel mit einander vereinigt.
Da sich die Ueberknorpelung der Contactflächen je zweier Knochen
der Handwurzel, auch eine Strecke weit auf die Seitenflächen der-
selben fortsetzt, sieht man nach Eröffnung der Kapsel, Spalten
zwischen diesen Knochen. Kurze und straflfe Bänder, welche an
der Dorsal- und Volarseite der Handwurzel, von der ersten Reihe
zur zweiten laufen, beschränken die Beweglichkeit dieses Gelenkes
so sehr, dass nur eine geringe Beuge- und Streckbewegung übrig
bleibt, Zuziehung und Abziehung aber, wie schon aus der wellen-
förmigen Begrenzungslinie beider Knochenreihen zu entnehmen war,
ganz ausgeschlossen wird. — Unter den volaren Verstärkungsbändern
der ArHctdatio intercarpea, ist jenes zwischen dem Erbsenbein und
dem Haken des Hakenbeins (Ligamentum piso-uncinatum) das stärkste.
Das Ligamentum carpi transversum , welches die Endpunkte der
zwei knöchernen Handwui*zelbogen mit einander verbindet, geht
über die concave Seite dieser Bogen wie eine Brücke weg, und
verwandelt sie in einen theils knöchernen, theils ligamentösen Kanal,
dessen schon bei der Betrachtung der Handwurzelknochen er-
wähnt wurde.
UeberdieB werden aach die seitlichen Contactflächen der Handwurzel-
knochen (mit Ausnahme des Erbsenbeins) , so weit sie nicht ttberknorpelt sind,
darch kurze, stramme, and starke Bandfasern — Ligame^iUi hUerossea — znsammen-
^halten.
B. Bänder der Mittelhand,
Eine sehr dünne fibröse Kapsel, mit zahlreichen Verstärkungs-
bändem, verbindet die Basen der Mittelhandknochen der vier Finger
mit der zweiten Handwurzelreihe, zur festen und sehr wenig Beweg-
lichkeit zeigenden Articulatio carpo-metacarpea. Die Synovialkapsel
dieses Gelenks schickt faltenartige Verlängerungen zwischen die
kleinen Gelenkflächen an den Seiten der Basen der Mittelhand-
knochen. Kurze und straffe Verstärkungsbänder, welche von den
Knochen der zweiten Handwurzelreihe zu den Basen der Mittel-
handknochen laufen, kräftigen die betreffenden Gelenke zwischen
Carpus und Metacarpus, so wie andererseits die zwischen den Basen
je zweier Metacarpusknochen quergespannten Ligamenta basium
dorsaUa et volaria, die wechselseitige Verbindung derselben zu einer
kaum beweglichen machen. — Auch die Capitula der vier Metacarpus-
knochen sind an der Volarseite durch Querbänder mit einander ver-
bunden, welche einige Nachgiebigkeit haben, und den Metacarpus-
§. 142. BiOder der Hand. 375
knochen gestatten^ beim Aufstemmen der Flachhand auf eine Unterlage,
mit ihren Köpfchen etwas auseinander zu weichen, was die Basen
nicht können. — Das Os metacarpi des Daumens bildet mit dem Os
multangulum majm, ein durch die Gestalt der Gelenkäächen und
durch die Weite der Kapsel bedingtes selbstständiges Sattelgelenk,
welches Beugung und Streckung des Daumens, Zu- und Abziehung
gestattet, und den Daumen allen übrigen Fingern entgegenstellbar
macht. — Das Gelenk der beiden letzten Metacarpusknochen mit
dem Hakeubein, besitzt zuweilen eine besondere Synovialkapsel.
A. Fickf die Gelenke mit sattelförmigen Flächen, in der Zeitschrift für rat.
Med. 1854.
C. Bänder der Fingerglieder,
Wir unterscheiden an jedem Finger eine Articidatio metacarpO'
pkalangea, dann eine erste und eine zweite Articidatio inter-phalangea.
Die Articidatio metacarpo - phalangea , zwischen dem kugeligen
Capitulum des Metacarpus und der flachen Grube am oberen Ende
der Phalanx prima, ist für den Zeige-, Mittel-, Ring- und Ohrfinger
eine Arthrodie, welche Beugung und Streckung, Zu- und Abziehung,
aber keine Axendrehung des Fingers erlaubt, während das mehr
quergezogene, walzenförmige Capitulum des Metacarpus des Daumens,
der zugehörigen Phalanx pi*ima, nur eine Beug- und Streckbewegung
gestattet, also ein Winkelgelenk bedingt, wie es an den übrigen
Fingern zwischen der ersten und zweiten Phalanx vorkommt.
Sämmtliche Articulationes intejphalangea^i zählen zu den Winkel-
gelenken.
Alle Fingergelenke besitzen fibröse und Synovialkapseln, nebst
zwei Seitenbändern, welche aus den seitlichen Grübchen der oberen
Phalangen entspringen, und am Seitenrande der nächstfolgenden
endigen. Für die Articidatio metacarpo-phalangea sind die Seiten-
bänder sehr schwach und dehnbar, und müssen es sein, da, wenn
sie so stark wären , wie am zweiten und dritten Fingergelenk , die
durch die Form der Gelenkflächen gegebene Arthrodie in ein Winkel-
gelenk eingeschränkt würde.
Die Volarseiten der fibrösen Kapseln der Articidatlones metacarpo-
phalangeae , werden an ihrer unteren Wand durch Faserknorpel-
substanz verdickt, und bilden eine Art Rolle oder Rinne, in welcher
die Sehnen der Fingerbeuger gleiten. Man hat diese verdickte Stelle
eines Kapselbandes, als Ligamentum transversiim beschrieben. In der
Mitte einzelner solcher Faserknorpelplatten finden sich knöcherne
Kerne eingewachsen, welche die Gestalt einer halben Erbse, oder
des Samens der Sesampflanze haben, daher Sesambeine, Ossa
sesamoidea heissen (im Altdeutschen Gleichbeine, von Gleich,
376 S- 1^> Allg^emeine Bemerkungen ftber die Hand.
d. i. Gelenk). Sie sehen mit ihrer glatten, tiberknorpelten Fläche,
in den Gelenkraum hinein. An der Volarßeite der Gelenkkapsel
zwischen Metacarpus und Phalanx prima des Daumens, kommen
eonstant zwei neben einander liegende, durch eine Furche von ein-
ander getrennte Sesambeine vor; am ereten Gelenke des Zeige- und
Ohrfingers, so wie am zweiten Gelenke des Daumens trift't man sie
ebenfalls an, aber nur einfach. Ueber die alten Namen dieser
Knöchelchen siehe §. 154, Note zu 3.
lieber das Vorkommen der Re»ambeine an der menschliclien Hand, giebt
Ausführliches Aeby, im Arch. für Anat und Physiol. 1875. pag. 261.
§. 143. Allgemeine Bemerkimgen über die Hand.
Schulter, Oberarm und Vorderarm, wurden nur der Hand wegen
geschaffen, deren Beweglichkeit und Verwendbarkeit, durch ihre
Befestigung an einer langen und mehrfach gegliederten Knoehen-
säule, erheblich gewinnen muss. Das aus siebenundzwanzig Knochen
bestehende, und durch vierzig Muskeln bewegliche Skelet der Hand,
in welchem Festigkeit mit geschmeidiger und vielseitiger Beweg-
lichkeit sich auf die sinnreichste Weise combinirt, bewährt sich für
die roheste Arbeit, wie für die subtilsten Hantierungen im gleichen
Grade geschickt , und entspricht durch seinen wohlberechneten
Mechanismus vollkommen jener geistigen Ueberlegenheit , durch
welche der Mensch, das an natürlichen Vertheidigungsmitteln ärmste
Geschöpf, sich zum Beherrscher der lebenden und leblosen Natur
aufwirft.
Der Arm (bracJdum, ßpa/^wv) reicht, in hängender Stellung,
bis zur Mitte des Oberschenkels. Weiter herabreicliende Arme
haben dem Perserkönig Artaxerxes, zu dem Beinamen Ijjngimanu^,
und einer russischen Fürstenfamilic , deren Stammvater mit dieser
Eigenthümlichkeit behaftet war, zu dem Namen Dolgoruki ver-
holfen. Beim Neger langt der Arm erheblich tiefer herab, bei
gewissen Affen selbst bis zur Ferse. Die Verlängei-uiig betrifft bei
beiden vorzugsweise die Vorderarme. Ohne Zweifel ist diese, selbst
den Negern unangenehm vorkommende Aehnlichkeit, der Grund,
warum sie, wenn sie unbeschäftigt sind, ihre Hände immer vor der
Brust verschlungen halten. Bei den ägyptischen Mumien von Jung-
frauen, liegen die Arme vor der Scham gekreuzt. — Brachiuvi wird
von den Classikern häutig nur für Vorderarm gebraucht, — Lacertua
für Oberarm. Antibrachium ist ein barbarisches Woi-t, und den
Römern gänzlich unbekannt.
Die Hand fuhrt ihren lateinischen Namen Manus, von {xio),
tasten. Bei den Dichtern heisst sie auch j>aZma^ von 7:aXa{jLr^, breites
9 148. Allgemeine Bemerkungen ftber die Hand. 377
Ende eines Ruders. Sie wird durch ihren Hautüberzug, besonders
in der Hohlhand (rola), mit hoher Emptindliehkeit ausgeiüstet, und
erhebt sieh zur Bedeutung eines Tastorgans, welches, nach allen
Richtungen des Raumes beweglich, uns von der Ausdehnung der
Materie und ihren physikalischen Eigenschaften belehrt, üicero
nennt auch den Rüssel des Elephanten immus, — Die ältesten Maass-
bestimmungen (uha, Elle, — spithama, Spanne, — pollex, Zoll) sind
der Länge einzelner Handabtheilungen entnommen. — Die Fähigkeit
der Hand, sich zu einem Löifel auszuhöhlen, und zu einer Schaufel
zu strecken, bedingt ihren Gebrauch zum Schöpfen und Wühlen;
die gekmmmten Finger bilden einen starken und breiten Haken,
welcher beim Klettern die trefflichsten Dienste leistet, und der
jedem anderen Finger entgegenstellbare Daumen, wirkt mit diesem
wie eine Zange, welche zum Ergreifen und Befühlen kleiner
Gegenstände benutzt wird.
In dem langen, freibeweglichen und starken Daumen (pollex,
von pollere, dujitm pollenfior Hör.) liegt der wichtigste Vorzug der
Menschenhand. Er krümmt sich mit Kraft gegen die übrigen Finger
zur Faust, Pugnus, die zum Anfassen und Festhalten schwerer
Gegenstände dient. Der Daumen leistet hiebei so viel, wie die übrigen
Finger zusammengenomnu'n, er stellt das eine Blatt einer Beisszange
vor, deren anderes Blatt durch die vier übrigen Finger gebildet
wird, und führt deshalb bei Alb in den Namen manus parva, majori
adjut?in% was di<^ gricichische Bezeichnung, OLvv.yv.p, noch besser aus-
drückt. Eine Hand ohne Daumen hat ihren besten Theil eingebüsst,
denn sie dient nicht mehr zum Anpacken und Festhalten. Julius
Caesar befahl, allen in Uxellodunum gefangenen (ialliern, die Daumen
abzuhauen, weil er sie, so v(^rstünmielt, als Krieger nicht mehr zu
furchten hatte. Eben so Hessen die Athener, im Peloponnesischen
Kriege, den gefangenen Ruderknijchten der feindlichen (ialeeren,
die Daumen wegsehneiden, und schickten sie nach Hause. Dieselben
Verstümmelungen von Kriegsgefangenen , kamen auch bei den
Hebräern vor (Judiccs, L v. U, 7). Diese mechanische Wichtigkeit
des Daumens, wird sofort den (.'hirurgen bestimmen, mit seiner Ent-
fernung nicht so rücksichtslos zu verfahren , wie mit jener eines
anderen Fingers. Im Mittelalter wurde das Abschneiden des Daumens
als Strafe für schwere Verletzungen verhängt.
Die Affenhand, deren Stummeldaumen Eustachius einen
pollex rkÜcülns nannte, ist ein unvollkommener organisirtes, mecha-
nisches Werkzeug , als die Menschenhand , das Organon organorum
des Anaxagoras, und einige Affengattungen entbehren selbst der
Op[)Ositionsiahigkeit des Daumens. — Die ungleiche Länge der
Finger ist für das Umfassen kugeliger Formen wohlberechnet,
und schliesst, wenn die Finger gegen die Hohlhand gebeugt und
o7o §. 14S. Allgemeiii« Bemerkangen ftber die Hand.
zusammengekrümmt sind, einen leeren Kaum ein (wie z. B. beim
Fliegenfangen), der durch den Daumen als Deckel geschlossen wird.
— Die aus mehreren Knochen zusammengesetzte bogenftrmige
Handwurzel, unterliegt der Gefahr des Bruches weit weniger, als
wenn ein einziger gekrümmter Knochen ihre Stelle eingenommen
hätte. Ihre concave Seite wird durch das starke Ligamentum cmyi
tran^versum in einen Ring umgewandelt, welcher die Beugesehnen
der Finger enthält. — Die feste Verbindung der Mittelhand mit
der Handwurzel macht das Stemmen und Stützen mit den Händen
möglich , und die Längenkrümmung der einzelnen Metacarpus-
knochen, so wie ihre Nebeneinanderlagerung in einer gegen den
Kücken der Hand convexen Ebene, erleichtert die Aushöhlung
der Hohlhand zum poctdum Diogenis.
In der Zehnzahl der Finger, welche bei den ersten Kcchnungs-
versuchen der Menschen zum Zählen diente , liegt gewiss die
anatomische Ursache unseres jetzigen Zahlcn-Dekadensystems.
Es giebt wilde Völker, welche nur nach den Fingern bis zehn,
andere, welche, mit Hinzunahme der Zehen, nur bis zwanzig zählen
können (wie die Nahoris), und fiir alle Zahlen darüber, nur Ein
Wort haben: Viel (Miribiri). Die römischen Ziffern I— X, sind
durch Fuigerstellungen gegeben. — Die grosse Beweglichkeit der
Finger, und die möglichen zahlreichen Combinationen ihrer Stellungen,
machten sie zu Vermittlern der Zeichensprache für Solche, welche
sich durch die Lautsprache nicht gegenseitig mittheilen können. Die
tiefen Trennungsspalten zwischen je zwei Fingern , erlauben das
Falten der Hände, um mit doppelter Kraft zu drücken, und die
nur im Winkel mögliche Beugung der zwei letzten Phalangen, giebt
der geballten Faust eine Ki*aft, die einst statt des Kcchtes galt.
Auch die Römer gebrauchten manus für Gewalt, wie im manu
capere urbam bei Sali u st, und manu reducert, mit Gewalt unter-
werfen, bei Julius Caesar.
Wie nothwendig das Zusammenwirken beider Hände zu ge-
wissen Verrichtungen wird, beweist das alte Sprichwort: manus
manum lavat. Eine fehlende Hand kann deshalb nur unv(jllkoramen
durch die andere Hand ersetzt werden, und der Verlust Einer Hand
wird schwerer gefiihlt, als jener eines Auges oder Ohres, da zum
Sehen und Hören unter allen Verhältnissen Ein Auge und Ein
Ohr hinreicht. — Die tausendfaltigen Verrichtungen der Hände
(Hantierungen), welche die Noth wendigkeit dictirt und der Verstand
raffinirt, und die ein ausschliessliches Prärogativ der Menschen sind,
werden nur durch den weise berechneten Bau dieses Werkzeuges
ausfuhrbar. Wir können uns keine Vorrichtung denken, durch
welche die mechanische Brauchbarkeit der Hand auf einen höheren
Vollkommenheitsgrad gebracht werden könnte. Jede, wie immer
§. lU. Eintheilting der antertn Extrem it&ten. — g. 145. Hftftbeia. 379
beschaffene Zugabe, würde eher hemmend als fördernd wirken. So
ist z. B. ein sechster Finger wahrlich keine Vollkommenheit der
Hand; sonst würde der Besitzer desselben nicht wünschen, dieser
Vollkommenheit quitt zu werden, und die Chirurgen würden sich
nicht dienstfreundlichst beeilen, sie wegzuschneiden.
Den Frommen empfehle ich zu lesen: Chr. Donatns, demanntratio Dei
ex manu hominis , VUeb. 1686, — den Uebrigen: Godofr. de Hahn, de manu,
honiinetn a hrutin diatinguente. Lips. 1716. — Das Glossarium yermanicum sagt
über Hand, dass dieses Wort von han abzuleiten ist, welches haben bedeutet,
und fügt hinzu: maniis aymbolum est possessionis, potestatis, juris, volunUUis, fidei,
promissi, volentiae, artis, et deccieritatis»
D. Knochen der unteren Extremitäten
oder Bauchglieder.
§. 144. Eintheilung der unteren Extremitäten.
Die untere Extremität besteht, wie die obere, aus vier beweg-
lich mit einander verbundenen Abtheihmgen : der Hüfte, dem
Oberschenkel, dem Unterschenkel, und dem Fusse, welcher
selbst wieder in die Fusswurzel, den Mittelfuss, und die Zehen
zerfallt.
§. 145. Hüftbein.
Die Hüfte verhält sich zur unteren Extremität, wie die Schulter
zur oberen. Man könnte sie deshalb die Schulter der unteren Ex-
tremität nennen. Sie besteht jedoch nicht aus zwei Knochen, wie
die Schulter der oberen, sondern nur aus einem. Dieser ist das
Hüftbein, Os ümominatum*) 8. coa.'ae, 8, coxendtcü. Beide Hüftbeine
fassen, mit ihren hinteren oberen Stücken, das Kreuzbein zwischen
sich, und bilden mit ihm den Beckengürtel oder Beckenring.
Das Hüftbein wird in drei Theile eingetheilt: Darmbein,
Sitzbein und Schambein; es hiess deshalb bei den alten deutschen
Wundärzten: das „T)xttjbtin'* (Schylhans). Nicht die Laune der
Willkür hat diese Eintheilung erdacht, sondern die Entwicklungs-
geschichte des Knochens sie aufgestellt, indem jedes Hüftbein beim
neugeborenen Kinde aus drei, nur durch Knoi-pel verbundenen
*) Galen US «vwvujiov, i. e. innominatum vocavU, quod suo tempore nomine
careret, Spigeliui, lik //. cup» i4.
380 $. 145. Hftftbein.
Stücken besteht, welche die oben angegebene, allgemein übliche
Eintheilung veranlassten. Um die Zeit des Zahnwechsels (siebentes
Lebensjahr) beginnt ihre Verschmelzung, welche jedoch selbst im
sechzehnten Lebensjahre noch nicht vollkommen beendet ist. Bei
zwei Säugethieren (dem Schnabelthiere und der Echidna) bleiben
diese drei Stücke durch das ganze Leben getrennt. Hält man sich
an die, etwas unter der Mitte des Knochens befindliche, grosse
Gelenkgrube (die Pfanne), so Hegt das DaiTfibein über ihr, das
Sitzbein unter ihr, und das Schambein an ihrer inneren Seite. Die
drei genannten Bestandtheile der Hüftbeine betheiligen sich an der
Bildung der Pfanne, und man kann es an einem jüngeren Exemplare
des Knochens, wo noch die Knorpel zwischen seinen drei Bestand-
theilen existiren, sehr gut absehen, dass das Darmbein den oberen,
das Sitzbein den unteren, und das Schambein den inneren Umfang
der Pfanne bildet.
A. Das Darmbein, Oa äei 8. iliwm, führt diesen Namen, weil
es mit seiner inneren , concaven Fläche , jenen Theil des dünnen
Gedärmes trägt, welcher, seiner vielfachen Windungen wegen, ileum
heisst (von eD.sw, winden, zusammendrängen). Dick an seiner
Basis, welche die obere Wand der Pfanne bildet, gewinnt dieser
Knochen nach oben zu, die Gestalt einer breiten, in ihrer Mitte
dünnen, selbst dui'chsch einenden Platte, welche dem verbogenen
Kamme eines antiken Helmes ähnlich sieht, und an welcher man
eine äussere und innere Fläche, und einen dicken Begrenzungs-
rand unterscheidet. Die äussere Fläche ist an ihrem vorderen
Abschnitt convcx, am hinteren concav, und besitzt eine, selbst bei
älteren Individuen nicht immer scharf ausgeprägte, mit dem oberen
Rande des Darmbeins nicht parallel laufende Linie (Linea semi-
circularis 8. arcuata externa), als die Ursprungsgrenze des Musculus
glvtaeu8 mlmmus. Sonst ist diese Fläche glatt, mit einem grossen
Ernährungsloch in ihrer Mitte, und vielen kleineren gegen den Rand
zu. Die innere Fläche wird durch die von hinten nach vorn und
unten gerichtete Linea arcuata interna, in eine kleinere untere, und
viel grössere obere Abtheilung gebracht. Die untere hilft die
Seitenwand des kleinen Beckens, und zugleich den (irund der Pfanne
bilden; die obere ist an ihrer vorderen Hälfte concav und glatt
(Fossa iliuca) , an ihrer hinteren Hälfte mit einer beknorpelten
ohrmuschelförmigen Verbindungsstelle für die ähnlich ge-
staltete Fläche am breiten Seitenrande des Kreuzbeins, und hinter
dieser mit einem umfönglichen , rauhen Höcker (Tuherositas ossis
ilei) versehen. — Der Begrenzungsrand des Darmbeines zerfiillt
L in den oberen Rand oder Kamm (Crista ossis ilei), welcher, so
wie die äussere Fläche des Darmbeins, vorn nach aussen, und
hinten nach innen, also S-förmig gekrümmt ist, und eine äussere.
§. 141». H(Lftb«in. 381
mittlere und innere Lefze für die Befestigung der drei breiten
Bauchmuskeln besitzt; 2. in den vorderen und hinteren Rand,
welche beide kurz und nicht so dick sind, wie die Crista, und fast
senkrecht von den Endpunkten der Crista abfallen. Jeder derselben
besitzt einen halbmondförmigen Ausschnitt, flacher und länger am
vorderen Rande, am hinteren tiefer und kürzer. Die Ecken der
Ausschnitte heissen Spinae, und es muss somit eine Spina anterior
supei'^ior et inferior', desgleichen eine Spina posterior superior et inferior
geben. Der hintere Rand führt , unter der Spina postsrior inferior
zur Incisura ischiadica major s. iliaca, welche sich bis zum später zu
erwähnenden Sta-chcl des Sitzbeins heraberstreckt.
B. Das Sitzbein, Os iachii, erhielt seinen Namen von tc/eiv
xa^ijjLsvou^, quod sedentes sustineat, RioL (Bei den älteren Anatomen
Frankreichs linden wir: Vos de Vassiette, der Knochen des Sitzes).
Dasselbe wird in den Körper, den absteigenden, und auf-
steigenden Ast eingetheilt. Der Körper bildet die untere Wand
der Pfanne, ist dreiseitig, und hat an seinem hinteren Rande einen
Sporn oder Stachel (Spina ossis ischil), welcher, mit der Spina 08»is
Hei posterior inferior , die oben genannte Incisura ischiadica major s.
iliaca begrenzt. Der absteigende Ast (Ramvs descendens), ist eine
Fortsetzung des Körpers, dessen drei Flächen er beibehält. Er
endigt nacli unten mit dem dicken und rauhen S i t z k n o r r e n
(Ivberositas ossis iscldi). Zwischen diesem und der Spina ischii, liegt
die seichte Incixura ischiudica minor. Der aufsteigende Ast
(Ramus ascendens) erhcibt sich vom Sitzknorren nach innen und
oben, und ist von vorn nach hinten fiachgedrückt, mit vorderer
und hinterer Fläche, nebst einem inneren stumpfen, und äusseren
scharfen Rande.
C, Das Schambein, Os pubis, zerfallt in einen horizontalen
und absteigenden Ast. Der horizontale Ast bildet mit seinem
äusseren Ende die innere Pfannenwand, und stösst an seinem inneren
Ende, durch eine breite, rauhe Verbindungsfläche, und darauf
haftenden Faserknorpel, mit dem gleichnamigen Knochen der anderen
Seite zusammen. Die Stelle, wo das äussere Ende des horizontalen
Astes sich mit dem Pfannenstück des Darmbeins beim «Jüngling
verbunden hat, bleibt durch das ganze Leben als ein, von vorn
nach hinten gerichteter Hügel oder Rücken kennbar, welcher Tuher-
culum ileo-pectinenm oder ileo-ptihicum genannt wird. Der horizontale
Ast stellt ein kurzes, dreiseitiges Prisma dar, dessen Flächen, weil
das äussere und innere Ende dicker ist als das Mittelstück, sämmt-
lich etwas concav sein müssen. Die Concavität zeigt sich besonders
an der unteren Fläche so sehr ausgesprochen, dass einige Anatomen
sie mit dem Namen einer Furche belegen, deren
aussen und oben nach innen und unten gl
382 §. 145. Hflftbein.
Winkeln ist der obere der schärfste, und heisst Scham bei nkaram
(Pecten 8. Crista ossis puhis). Er setzt sich nach aussen, hinter dem
Thibercidum ileo-pectineum, in die Linea arcuata interna des Darmbeins
fort, und endigt nach innen am Schambein höcker (TiibereiUttm
ptibiciim). Die beiden unteren Ränder gehen ohne Unterbrechung
in die Ränder des vom Sitz- und Schambein umschlossenen, grossen
Loches (Foramen obturatorium) über, und zwar der vordere untere
in den äusseren, der hintere untere in den inneren Rand des Loches.
Vom inneren Ende des horizontalen Astes wächst der absteigende
Ast dem aufsteigenden Sitzbeinaste entgegen, und verschmilzt mit
ihm. Er hat, wie dieser, eine vordere und hintere Fläche, einen
äusseren und inneren Rand.
Der Winkel, unter welchem der absteigende Schambeinast zum horizontalen
steht, heisst Angultu ostis puhis, zum Ilnterschied des Anguhis osaium puhis, unter
welchem man den Raum versteht, der zwisclien den absteigenden Aesten beider
Schambeine enthalten ist, und welcher, weil er besonders im männlichen Geschlecht
sich nach oben zuspitzt, immerhin ein Angulus genannt werden kann. Bei Weibern,
wo dieser Winkel zum Bogen wird, heisst er Arcus ossium puhis.
Der Ausdruck Orista ossis puhis ist besser als Pectni ossis puhis, denn ein
Kamm muss Zähne haben, welche am Pecten ossis puhis fehlen.
Wo die drei Stücke des Hüftbeins zusammenstossen, liegt die
tiefe und sphärisch gehöhlte Qelenkgrube zur Aufnahme des Ober-
schenkelkopfes — die Pfanne (Acetahuium bei Plinius*), y.orSXr),
bei den Arabisten pi/xis und pissU), an Grösse und Form den Essig-
schälchen der alten Römer gleich — inde nomen, Ihre rauhe Um-
grenzung, welche Supercütum acetabuli heisst, bildet keine vollkommene
Kreislinie, sondern wird an der inneren und unteren Peripherie
durch die Indsura acetabuli ausgeschnitten. Die innere Oberfläche
der Pfanne zeigt sich nicht durchaus überknorpelt, sondern hat an
ihrem Grunde eine knorpellose, vertiefte Stelle (Fossa acetabuli),
welche sich bis zur Incisura acetabuli ausdehnt, und gegen das Licht
gehalten, meistens matt durchscheinend getroffen wird.
Einwärts von der Pfanne, und etwas tiefer als diese, liegt das
sogenannte Verstopfungsloch (Foramen obturatorium, besser obtu-
ratum oder ovale), welches von den Aesten des Sitz- und Schambeines
umrahmt wird, und genau betrachtet, besonders an Individuen weib-
lichen Geschlechts, eine dreieckige Form mit abgerundeten Winkeln
hat. Im männlichen Geschlechte erscheint das Loch von mehr
ovaler Gestalt. Die Umrandung des Loches bildet keine in sich
*) Auch die kleinen Becher, deren sich die römischen Taschenspieler und Gaukler
bedienten, heissen bei Seneca acelahuln (so in Eplst. 45: praestufiaUn-uni acetahuia
et calculi), und ein Maass ftir eine kleine Quantität Flüssigkeit (y^ hemina), führt
bei V a r r o denselben Namen. — KotuXt) aber bedeutet alles Hohle, nach Apollodorus:
rav 5: To xoT^ov xoruX7)V exoXouv, quodcumque cavum est xoTuAr^v vocant. Selbst die
Hohlhand hiess xotuXt]. Die Arabisten haben für acetahuium ganz willkürlich das Wort
aeceptahulum gebraucht (Berengarius Carpensis).
§. 146. HftftlMiD. 383
selbst zurücklaufende Linie, indem, wie oben bemerkt wurde, der
äussere Rand des Loches, in den vorderen unteren Rand des
horizontalen Schambeinastes, und der innere Rand in den hinteren
unteren Rand dieses Schambeinastes übergeht. Dadurch geschieht
es, dass die untere, furchenähnlich stark ausgehöhlte Fläche des
horizontalen Schambeinastes, mit ihrer ganzen Breite die obere Um-
randung des Verstopfungsloches bildet.
Bei den anatoiuisclien Schriftstellern des Mittelalters wird Oa coxae nicht
für das Hüftbein, sondern für das Schenkelbein gebraucht, wie jetzt noch im
Italienischen roscüt, und im Französischen cuisfte^ Schenkel bedeutet. Das Hüftbein
hiess zu jener Zeit Oh aiirhae, welcher Ausdruck, romanischen Ursprungs ist, und
im spanischen mica, im französischen hauche, und im englischen haunch noch fort-
lebt Dass ancha Hüftbein, und coxa Schenkelbein war, bezeuget uns im 10. Jahr-
hundert der Benedictinermönch , Arzt und medicinische Schriftsteller, Co n st an-
tin us Africanus (f 1087, im Kloster des Monte Casino), durch die Worte:
coxa rotiindatur auperhui, iU aiichae. pi^xidetn itufrediatur, und Gabriel de Zerbis
(gleichfalls Mönch, und Profef<8or in Padua, im 15. Jahrhundert): caput coxae est
ßxum in pyxide aiwhtte.
Das Studium des Hüftbeins macht den AnfKngem einige Schwierigkeit, da
an den Knochen Erwachsener, deren sie sich bedienen, die in jüngeren Jahren
bestandenen Trennungsspuren des Darm-, Hüft- und Schambeins nicht mehr ab-
zusehen sind. Ich empfehle deshalb, zur besseren Orientirung, diese Trennungs-
linien, am ausgebildeten Knochen auf folgende Weise zu verzeichnen. Man be-
schreibt mit IHnte oder Bleistift eine über das Tuberculum ileo-peclhieum und nach
seiner Richtung laufende Linie, verlängert sie Über den Anfang der Linea arcuata
interna eine Querfingerbreite nach abwärts auf die hintere (innere) Fläche des
Knochens, und lässt sie dann in zwei Schenkel diverg^ren, deren einer nach
aussen, zur Mitte der Inci»ura inchiadir.a major , der andere nach innen, zum oberen
Dritttheil des äusseren Randes des Verstopfungsloches geführt wird. Diese ge-
spaltene Linie wird die Gestalt eines umgekehrten Y haben, und an der inneren
Oberfläche des Hüftbeins, die Verwachsungsstelle seiner drei Stücke repräsentiren.
Um sie auch an der äusseren Oberfläche des Knochens darzustellen, verlängert
man das vordere Ende der längs des Tufjerculi ileo-pectinei gezogenen Linie, eine
Querfingerbreite in die Pfanne hinein, und lässt sie dort wieder in zwei Schenkel
auslaufen, welche durch die Pfanne, und über den Rand derselben hinaus, so ver-
längert werden, dass sie mit den Endpunkten der an der inneren Fläche ver-
zeichneten Schenkel zusammenstossen. Man wird dann den Antheil kennen lernen,
welchen jedes der drei Stücke des Hüftbeins, an der Bildung der Pfanne nimmt.
— Die Verschmelzungsstelle des absteigenden Schambein- und aufsteigenden
Sitzbeinastes, fallt beiläufig in die Mitte des inneren Randes des Foramen ob-
turalum.
Ausser den drei Ossificationspunkten , welche im Embryo die erste Anlage
des Darm-, Sitz- und Schambeins bilden, erhält das Hüftbein noch drei selbst-
ständige Verknöc'henmgspunkte, welche aber erst spät nach der Geburt auftreten.
Der erste entsteht im V-fÖrmigen Knorpel, welcher die drei Stücke des Hüftbeins
in der Pfanne verbindet; der zweite im Sitzknorren; der dritte im Lahiuvi medium
der Crista ott»is ile.i.
Das weibliche Hüftbein zeichnet sich durch die grössere Kürze, Schmalheit,
und mehr nach aussen umgelegte Richtung seines Darmbeines, durch die Kürze
seines Sitzbeines, die Länge seines horizontalen Schambeinastes, die Schmalheit der
384 §• 146. Yerbindangen der Üfiftbeine.
das Foramen ohturat.um nmgebenden Knochenspangon , und dio mehr droiockigo
Gestalt dieses Loches vor dem männlichen aus.
An Abnormitäten ist das Hüftbein niclit reich. — Eine der merkwürdigsten
befindet sich in meiner Sammlung. Ein an der Tnchurn acetuhvH onts]»ringender
Knochenbalken läuft quer über das Fommtni ofduraJuvi weg, ohne den änsseri'n
Rand desselben zu erreichen. An einem zweiten Becken ist der absteigende
Scbarabeinast mit dem aufsteigenden Sitzbeinaste nicht verbunden. — Einen voll-
ständigen knöchernen Pfannenrand, ohne Incisur, zeigt ein im Prager anatomisclien
Museum aufbewahrtes Präparat. — Ich besitze ein Darmbein, an «lessen äussert'r
Fläche eine sehr tiefe Furche für den Verlauf der Vasa ylutnea avimriora aus-
gegraben erscheint.
§. 146. Verbindungen der Hüftbeine.
Die Hüftbeine verbinden sich mit dem Kreuzbeine durch die
beiden Sf/mphyses sacro-iliacae, und unter einander durch die einfaclie
Symphysis ossium puhis,
1. Die Symphysis sacro-üiaca (von sufxoüö), uni'iclitig cuv^uo), zu-
sammenwachsen) soll von Rechtswegen, nach den Untersuchungen
von Luschka, eigentlich zu den Gelenken gezählt werden, indem
die überknorpelten, ohrförmigen Verbindungsflächen des Darm- und
Kreuzbeins, welche man sich früher mit einander verwachsen
dachte, durch eine mit Synovialhaut und Epithel ausgekleidete,
spaltförmige, und niemals fehlende Htihle, von einander so getrennt
sind, dass sie zwar im gegenseitigen Contact, aber nicht in Con-
tinuität stehen. Dieses Gelenk, welches den altherkinnmlichen
Namen einer Symphyse noch lange führen dürfte, wii-d durch vor-
dere , untere , und hintere Verstärkungsbänder bedeckt , welche
zugleich mit der über die Symphyse wegstreichenden Beinhaut,
eine Art Kapsel um die innere Höhle bilden. Unter den hinteren
Bändern verdienen das lAg, lleo-sacmm longum et hreve, ihrer Stärke
wegen, besondere Erwähnung. Das erste entspringt von der Spina
posterior superior , das zweite , vom ersten bedeckt , von der Spina
posterior inferior des Darmbeins, und beide enden am Seitenrande
des Kreuzbeins. — Zur Fixirung des letzten Lendenwirbels am Os
sacrum hilft, nebst der Bandscheibe, auch das Liijamentum iho-lum-
hale, w^elehes vom Querfortsatze des fünften Lendenwirbels «Mitspringt,
und, in zwei Schenkel gespalten, sich mit einem an der 7\iherositas
ossis ilei , mit dem anderen theils an der l^asis des Kreuzbeins
inserirt, theils sich über die Symphysis sacro-iliaca ausbreitet.
Luschka, die Kreuz-Darmbeinfnge und die Soliambeinfugf, im Archiv für
pathol. Anatomie. 7. Bd.
Zur Verbindung des Hüftbeins mit dem heiligen Beine dienen
noch zwei kraftvolle Bänder^ welche zugleich den Raum des kleinen
§. I4(S. Yerbindangen der Hüftbeine. 385
Beckens seitwärts begrenzen helfen. Sie sind: o) das Sitzknorren-
Kreuzbeinband^ Ligamentum tuberoso - sacruvi , welches am Sitz-
knorren entsteht, und, stark schief nach innen und oben laufend,
sich ausbreitet, um an der Sjnna posterior inferior des Darmbeins,
und am Rande des Kreuz- und Steissbeins, zu endigen. Von seiner
Ursprungsstelle am Sitzknorren, läuft ein sichelfiirmiger Fortsatz,
Processus falciformis, am aufsteigenden Sitzbein- und absteigenden
Schambeinast bis zur Symphysis puhis hinauf, wo er mit dem gleich
zu erwähnenden Ligamentum arcuatum inferlus verschmilzt, h) Das
Sitzstachel - Kreuzbeinband, TJgamentum spinoso - sacrum , ist
kürzer und schwächer als das Sitzknorren-Kreuzbeinband, entspringt
von der Spina ossis iscliii, und schlägt eine viel weniger schiefe Rich-
tung zum Seitenrande des letzten Kreuzwirbels und des Steissbeins
ein, wo es sich festsetzt. Dasselbe kreuzt sich sonach mit dem
Ligamentum tuberoso-sacrum. Durch die Kreuzung beider Bänder
werden die Incisura ischiadica major und minor in Löcher desselben
Namens umgewandelt.
2. Die Symphysis ossium puhis schliesst, durch die mediane
Vereinigung der horizontalen Schambeinäste, den Beckenring nach
vorne zu ab. Der kühne Versuch, diese Symphysis bei gewissen
Arten schwerer Geburten zu trennen , veranlasste ein genaueres
Studium ihres Baues. Sie ist nach demselben Typus, wie die Ver-
bindung zweier Wirbelkörper durch Bandscheiben, eingerichtet. Es
findet sich, zwischen den einander zugekehrten Endflächen beider
horizontalen Schambeinäste, ein Faserknorpel, welcher in der Mitte
einen weicheren Kern, und in diesem, nach hinten zu, eine kleine,
spaltförmige, constante Höhle enthält. Der Knorpel hat die Gestalt
eines dreiseitigen Prisma, dessen eine Fläche nach vorn, somit eine
Kante nach hinten gekehrt ist. Er ist beim Manne schmäler und
länger, beim Weibe kürzer, aber breiter. Ein unbedeutendes Liga-
mentum arcuatum superiti^, und ein viel stärkeres Ligamentum arcuatum
inferlus kräftigen die Symphyse an ihrem oberen und unteren Rand.
Die Ligamenta arcuata identificiren sich, je näher sie dem Sym-
physenknorpel kommen, derart mit ihm, dass eine scharfe Grenze
zwischen Band und Knorpel nicht existirt.
Niclit gar selU'n tritft man im Knoriiel der Schamfuge zwei nebeneinander
liegende* Hülilen an, mit einer faserknorpeligen, senkrecht stehenden Zwischen-
wand, welclie sich zu den beiden Höhlen wie eine CartUago interartictdaria ver-
Iiält. Icli habe auch diese beitlen Höhlen nicht nebeneinander, sondern hinter-
einander liegend angetroffen.
Das Foramen obturaium wird durch eine fibröse Membran
(Membrana obturatoria s. Ligamentum obturatorium) so verschlossen,
dass nur am oberen äusseren Winkel desselben, ein schräg von
innen und unten nach oben und aussen laufender Gang
Hjrtl, Lehrbuch dtr AnBtomit. U. Anfl. 26
386 §• 147. Dm Becken als Ganzes.
cbtunttorius) offen bleibt. Die obere Wand dieses kurzen Ganges
wird durch die untere Fläche des horizontalen Schanibeinastes er-
zeugt^ von welcher früher bemerkt wurde, dass sie fiirchenähnlich
ausgeh('»hlt ist.
Man kann an einem mit Draht g^fassten Becken die Richtung der Bänder
durch Fäden oder Bandstreifen nachahmen, welche den Ursprung und das Ende eines
Bandes mit einander verbinden. Die Richtung des Ligamentum tuheroso- und
»pinoito-sacrum, ihre Kreuzung, und ihre Theilnalime an der Bildung des grossen
und kleinen HOftloches, sind für die später folgenden Details von besonderer
Wichtigkeit.
Durch die Symphysen erhält der Beckengürtel ein Minimum von Beweg-
liclikeit, welches durch den gelockerten Zustand derselben in der Schwangerschaft
vergrössert wird. — Verknöchenmgen der Symphysen, und besonders der Schani-
fuge, gehören beim weiblichen Geschlechte unter die grössten Seltenheiten (Otto),
obwohl sie bei gewissen Säugethieren regelmässig vorkommen (bei den Wieder-
käuern, Einhufern und Pachydermen). Durch die Bänder, welche, ungeachtet ihrer
Stärke, doch einem von innen wirkenden Drucke nachzugeben vermögen, kann
die Beckenhöhle etwas erweitert werden ; sie begrenzen den kleinen Beckenraum
so gut wie Knochen, und haben nicht, wie diese, den Nachtheil imfQgsamer Starr-
heit — Das Foramen obturalum, das grösste Loch am Skelete, hat nur eine
unnütze Knochen wand zu vertreten, und bedingt somit eine grössere Leichtigkeit
des Beckens. — Durch das grosse Hüftloeh, viel seltener durch das kleine,
können, so nie durch den CaftalU ofduraloriwt, Eingeweide der Beckenhöhle als
Hemiae nach aussen, und fremde Körper durch Verwundung nach innen dringen.
Im Prager Museum befindet sich ein Fall, wo eine Nadel im XervtM Mchiadints
(welcher durch das grosse Hüftloch aus der Beckenhöhle heraustritt) gefunden
wurde, und ganz von ihm umschlossen war (Gruber). VerwundungsfKlle, wo das
Becken quer durch und durch geschossen wurde, ohne Knochenverletzung, sind
ebenfalls bekannt.
§. 147. Das Becken als (lanzes.
Das Becken fuhrt seinen lateinischen Namen Pelvis, von ireXir,
auch TÄ\\% d. i. ein grosses^ rundes, oben weites Getass, dessen man sich
zum Waschen der Hände und Füsse bediente. Das Becken stellt einen,
am unteren Ende des Stammes durch die beiden Hüftbeine, und
das zwischen sie hineingeschobene Kreuz- und Steissbein, gebildeten
Knochenring dar, welcher an seiner hinteren Peripherie, vermittelst
des Kreuzbeins, die Wirbelsäule trägt, und sich mittelst der Pfannen,
auf die Köpfe beider Schenkelbeine stützt. Eine genaue Kenntniss
seiner Zusammensetzung und seiner Dimensionen , ist für den Ge-
burtshelfer unerlässlicli, da die Technik seiner mechanischen Hülfs-
leistungen bei schweren Geburten, von den räumlichen Verhältnissen
dieses knrjchernen Ringes bestimmt wird. Stellt man das Becken so
vor sich hin, dass es mit den beiden Sitzknorren und mit der Steiss-
beinspitze auf dem Tische aufsteht, so hat es wirklich einige Aehn-
lichkeit mit einem tiefen Waschbecken (ad lavacri simUthidlnem,
Vesal,), dessen breiter, nach aussen gebogener Rand, vorn und
§. 147. Das Beckea als Ganzes. 387
hinten abgebrochen erscheint, so dass nur zwei Seitenstücke des-
selben, die beiden Darmbeine, übrig bleiben.
Das Becken wird in das grosse und das kleine Becken
eingetheilt.
A, Das grosse Becken stellt eigentlich nur die breite Um-
randung des kleinen Beckens dar, und wurde deshalb auch lAibrum
pelvis genannt. Es verhält sich das grosse Becken zum kleinen,
wie beiläufig der Rand einer Tasse zum Grunde derselben. Dieser
Rand ist aber nicht vollständig, sondern, wie oben gesagt, vorn
und hinten ausgebrochen. Die hintere Lücke des ausgebrochenen
Randes wird durch den letzten Lendenwirbel nur unvollständig, die
vordere, viel grössere I^ücke, durch die muskulöse Bauchwand voll-
ständig ausgefüllt. Die Höhle des grossen Beckens dient zur Ver-
grÖBserung der Bauchhöhle, und geht, sich trichterförmig verengernd,
in die Höhle des kleinen Beckens über.
B. Das kleine Becken bildet eine beim Manne nach unten
konisch verengte, beim Weibe mehr cylindrische Höhle, deren
hintere lange Wand, durch die vordere concave Kreuzbein- und Steiss-
beinääche, deren vordere Wand durch die Symphysis ossium pubts,
und die, das Foram&n ohturatum umgebenden Aeste des Scham- und
Sitzbeins, nel)8t dem Ligamentum obturatorium, gebildet wird. Die
Seitenwände werden von jenem Theile der Hüftbeine, welcher
zwischen Linea arcuata inteima und Tuberositas ossis ischit liegt, und
von den Ligamsntis fuberoso' et »pinoso-sacris erzeugt.
Die Höhle des kleinen Beckens hat eine obere und untere
Oeffnung. Die obere Oeffnung oder der Eingang des kleinen
Beckens (Apertura pelvü supenor), wird durch eine Linie umsäumt,
welche vom Promontorium, und vom vorderen Rande der Basis des
Kreuzbeins, so wie von den beiden Lineia arcuatis internis der Darm-
beine, und den beiden Schambeinkämmen zusammengesetzt wird.
Sie heisst, indem sie aus so vielen Stücken besteht, Linea innomi-
nata, besser Linea terminalis , weil sie die scharf gezogene Grenze
zwischen dem grossen und kleinen Becken bildet. Sie hat im männ-
lichen Gesclileclite, wegen stärkerem Hervorragen des Promontorium,
eine mehr herzförmige, im weiblichen Geschlechte eine querovale Ge-
stalt. — Die untere Oeffnung oder der Ausgang des Beckens
(Apertura pelvis inferior) ist kleiner als der Eingang, und wird von der
Spitze und den Seitenrändern des Steissbeins, den unteren Rändern
der Ugamenfa tuberoBo- und spinoso-sacra , den Höckern und auf-
steigenden Aesten der Sitzbeine, den absteigenden Aesten der Scham-
beine, und dem Ligamentum arcuatum inferius der Schamfuge gebildet.
Ihre Gestillt ist in beiden Geschlechtern eine herzförmige. Die stumpfe
Spitze des Herzens liegt am unteren Rande der Symphysis ossirnn
puhis, der eimcefa ^n« wird durch den VorBprung
8ö»
388 §• 147. 1>M Harken alM OanxeM.
(loH StiMssbeiiiH (M'zougt. Durch das Zurückweichen des bewegliclien
StciHHhciiis, kann (l<;i* «gerade Durchmesser dieser Oeffnung bedeutend
vorgWiHstM't wenhiH, wodurch ihre Gestalt rhombisch viereckig w^rd.
Denkt iiuxn sich von einem Sitzknorren zum andern eine gerade
Ijini(^ gezogen, so hcusst der vor dieser Linie liegende Theil der
Oeffnung: Schambogen, Arctts oadum puhis, welcher im weiblichen
(iJeschlechte weiter ist als im männlichen, wo der Bogen zum Winkel
wird, als Angtdus ossium puhis.
Da die vordcM'o Wand des kleinen Beckens, welche durch die
Hymi)hy8C der Schambeine und ihre nächste Umgebung gebildet
wird, viel niedriger ist als die hintere, so werden die Ebenen
der oberen und unteren Beckenöffnung nicht mit einander parallel
Hein können, sondern nach vorn convergiren. Dasselbe muss von je
zwei imaginän^n, zwischen der oberen und unteren Beckenöffnung
gehegten Durehschnittsebenen gelten. Würde man die Mittelpunkte
vieh^r soleher Durchschnittsebenen durch eine Linie verbinden, so
wUnl«^ diesem kcMiie gerade, sondern eine krumme Linie sein, deren
Convexität geg<Mi das Kreuzbein sieht. Diese Linie stellt uns die
Hoekonaxe dar, welche auch Leitungs- oder Führungslinie
heJHKt, weil in ihrer Richtung der Kopf eines zu gebärenden Kindes
nach auHH<'n g(;trieben wird, und die Hand des Oeburtshelfers,
odin* seiiu^ nach der Beckenaxe gekrümmte Zange, nach dieser
Linie wirken.
Ncibst der Beckenaxe werden in der oberen und unteren
Hecke nöffnung, so wie in der Höhle des Beckens selbst, mehrere
f{\r den (ieburtshelfer wichtige Durchmesser gezogen.
n) in der oberen Beckenöffnung: L der gerade Durchmesser,
IHamtifer anfei'o-jyosteriar s, (Jonjugata , von der Mitte des Promon-
torium zum oberen Rande der Stfmphf/»i8 puhis; 2. der quere,
IHamv^tm* transve^'siut , zwisclien den grössten Abständen der Linea
irmwninata; 3. und 4. die beiden schiefen, Diametri ohltqiii s.
Dev&nteri (nach Heinrich Deventer, einem niederländischen Ge-
burtshelfer, so benannt), von der Sf/mph/sis sacro-iltaca einerseits,
zum entgegengesetzten Tuhercidum ilex)-qmhicum.
h) In der unteren Beckenöffiiung zieht man: L den geraden
Durchmesser, von der Steissbeinspitze zum unteren Riinde der Sym-
phfstH puhw; 2. den queren, zwischen beiden Sitzknorren. Der
quere ist constant, der gerade aber durch die Beweglichkeit des
Steissbeins vergriisserbar. Man zieht deshalb, um auch für den
geraden Durchmesser eine constante (i rosse zu haben, noch einen
zweiten, von der Vereinigungsstc^lle des Kreuzbeins mit dem Steiss-
beine, zum unteren Rande der Symphifsis puhis,
c) In der Höhle des kleinen Beckens werden gezogen: L der
•ade Durchmesser, von der Verachmelzungsstelle des zweiten
$. 148. Unterschiede de« m&Dnliehen und weiblichen Beckens. 389
und dritten Kreiizbeinwirbels, zur Mitte der Sehambeinvereinigung,
und 2. der quere, welcher die Mittelpunkte beider Pfannen ver-
bindet.
Um eine richtige Vorstellung von der Lage des Beckens zu
erhalten, muss man es so stellen, dass die Conjugata mit dem Hori-
zonte einen Winkel von 65^ bildet. Dieser Winkel gicbt die
sogenannte Neigung des Beckens, und variirt sehr wenig bei ver-
schiedenen Individuen. Bei Männern ist er um einige (Jrade kleiner,
als bei Weibern. Hat man einem Becken diese Neigung gegeben,
80 wird man rinden, dass die Spitze des Steissbcins ohngefahr sieben
Linien höher liegt, als der untere Rand der Schambeinfuge.
Die Neigung des Beckens, oder der Winkel der Conjugata mit dem Hori-
zonte, wurde lange Zeit für viel kleiner als 6ö** gelialten, indem man die Spitze
des Steissbeins mit dem unteren Rande der Scliamfuge in einer Iiorizontalen Linie
liegend annahm. Dieser irrigen Vorstellung über die Neigung des Heckens, welche
selbst durch die besten anatomischen Abbildungen verbreitet wurde, verdanken
die unrichtigen, aber nocli immer gebrauchten Ausdriicke: horizontaler und ab-
steigender Ast des Schambeins, aufsteigender Ast des Sitzbeins, etc., iliren Ur8])nmg.
Bei einer Neigung von 6ö^ wird der horizontale Ast des Scliambeins eine sehr
abschüssige Lage einnehmen ; der absteigende Ast wird stark schief nach hinten
und der aufsteigende Sitzbeinast nach vorn gerichtet sein. Dem deutschen Geburts-
helfer Nägele gebülirt das Verdienst, durcli Versuche an Lebenden, die wahre
Neigung des Beckens ausgemittelt zu liaben.
Da die verschiedenen Menschenracen verschiedene Scliädelformen liaben,
welche schon an den Kmbryonen zu erkennen sind, so wird sicli auch das Becken
nach diesen Kopfformen richten, und einen o^teologisclien Kacenchurakter dar-
stellen. So sticht z. B. die IMnj^sovale Form des Beckens iler Negerinnen, von der
mehr querovalen Form bei der weissen Kace auffallend ab.
§. 148- Unterschiede des männlichen und weiblichen Beckens.
Der hcrvorragendöte sexuale Charakter des »Skeletes liegt in
der Bcckeiiform. Kein Thcil des Skoletes bietet so aulTallende, und,
wegen ihrer Beziehungen zum (Jeburtsact, so wichtige (ic^schlechts-
verschiedenheiten dar, wie das Becken. Dass es sich hier vorzugs-
weise nur um das kleine Jiecken handelt, versteht sich von selbst,
denn das grosse Becken ist, seiner Weite w(»gen, von keinem be-
stimmenden, liemmenden, oder fordernden Kintiuss auf die (leburt.
Nur im kleinen Becken werden Dimensionsänderungen auf den Ab-
lauf des Oeburtsgeschäftes wichtigen f]intiuss haben köniu'n.
Der anatomische Charakter des weiblichen Beckens liegt in
dessen Weite und Kürze. Das mänidiche Becken charakterisirt
sich dagegen vergleichungsweisc durch Enge und Höhe. Der Ce-
burtsact bedhigt diesen Unterschied. Die Bewegung des Kindskopfes
durch den Beckenring wird leichter durch die Weite des Beckens,
390 §• 1A8> unterschiede dee männlichen und weiblichen Beckens.
und ist schneller beendigt durch die Kürze desselben. Die Weite
des kleinen Beckens nimmt beim Weibe in doppelter Beziehung
zu. Erstens gewinnt die ganze Beckenhöhle gleichmässig mehr an
Umfang als die männliche^ und zweitens geht die konische Becken-
form des Mannes, beim Weibe in eine mehr cylindrische über, indem
die untere Beckenapertur w^eiter wird.
Der grössere Umfang des weiblichen kleinen Beckens wird
durch die grössere Breite des Kreuzbeins, so wie durch die grössere
Länge der Linea arcuata interna, der beiden Darmbeine, und der
horizontalen Schambeinäste bedingt. Die mehr cylindrische Form
desselben resultirt aus dem grösseren Parallelismus der beim Maime
nach unten convergirenden Sitzbeine. Die Pfannen und die Sitz-
knorren stehen somit im Weibe mehr aus einander, und der Arcus
ossium pubia wird offener und weiter sein müssen, als im männlichen
Geschlechte. Darauf beruht eben der im vorhergegangenen Para-
graphe angegebene Unterschied von Anguhis und Arcus ossium puhis.
Letzterer wird noch dadurch vergrössert, dass die absteigenden
Scham- und aufsteigenden Sitzbeinäste wie um ihre Axe gedreht
erscheinen, so dass ihre inneren Ränder sich nach vorn wenden.
Das flache und stark nach hinten gerichtete Kreuzbein vergrössert
ganz vorzüglich den Raum der weiblichen kleinen Beckenhöhle,
und die grosse Beweglichkeit des Steissbeins bedingt ebenso augen-
fällig die bedeutende Erweiterungsfahigkeit des Beckenausganges
während des Qeburtsactes. Die Kürze des weiblichen Beckens folgt
aus der geringeren Länge der Sitzbeine.
Das grosse Becken bietet keine so erheblichen Differenzen
der Durchmesser dar, und zeichnet sich im Weibe nicht so sehr
durch seine Weite, als durch die Schmalheit und Niedrigkeit der
Darmbeine, vor dem männlichen aus.
Folgende Tabelle dient zum Vergleiche der wichtigsten Durch-
messer des kleinen Beckens in beiden Geschlechtern.
Apertura pelvis superior. im Manne im Weibe
Conjugata 4'' 4" 3'"
Querer Durchmesser 4" 9'" 5''
Schiefer Durchmesser 4" 6"' 4'' 8'"
Umfang der Linea innominata . . . 15" 16" (V"
Cavum pelvis.
Gerader Durchmesser 4" 4" 6'"
Querer Durchmesser 4" 4" 3'''
Senkrechter Durchmesser von der Mitte
der Linea arcuata zum Tuber ossis
ischü 4" 3" 6'"
Grösster Umfang 13" 6"' lo" (3'"
m
m
§. 14». Obenchenkelboin. 391
im Manne im Weibe
Äpertura pelvis inferior.
Veränderlicher gerader Durchmesser,
von der beweglichen Spitze des Steiss-
beins znm unteren Rande der Schani-
fuge 2" 9'" 3" 4^
Constanter gerader Durchmesser, von
der unbeweglichen Stjmpliysis sacro-
cocct/gea ebendahin 3" 6'" 4" 3'^
Querdurchmesser 3" 4"
Auf die Ausmittlung der Heckenweite legt der Gebiirtslielfer groösen Werth,
um zu entscheiden, oh eine Geburt ohne Kimstliilfe möglich ist, o<ier nicht. Von
besonderer Wichtigkeit ist eine sufficiento GrösMC des geraden Durchmessers des
Beckeneinganges, zwischen Rchamfiige und Promontorium (Conjufjata). AHzu
starkes Hineinragen dos Promontorium in i\^n Beckenraum, macht es /.u keinem
Promontorium ftoime Mjjei, und die Geburt kann durch dasselbe bis zur Unmöglich-
keit erschw^ert werden. Dass aber HeU»st bei sehr verengertem Becken einer
Schwangeren, durch Zusammenraffen der letzten Wehenkraft, eine normale (leburt
möglich ist, beweist jener Fall, wo bei einer Gebärenden die Unmöglichkeit der
Geburt auf natürlichem Wege, wegen Verkrilppelung des Beckens, ärztlich aus-
gemittelt und festgestellt, sofort der Kaiserschnitt als das einzige Bettungsroittel
für Matter und Kind resolvirt wurde, und der um seine Instrumente nach Hause
eilende Wundarzt, bei seiner bewaffneten Rückkunft, die Frau — eines gesunden
Knäbleins genesen fand.
Der veränderliche gerade Durchmesser des Beckenausganges, kann nach
Meckel bis auf fünf Zoll erweitert werden, welche Erweiterung jedoch nicht ganz
und gar der Geburt zu Gute kommt, weil der constante Durchmesser des Ausganges
nur 4" 3'" misst. Die gegen das Ende der Schwangerschaft eintretende Auf-
lockerung der Symphysen des Beckens, welche von Galen schon gekannt fnon
tantum dÜatnn, seil et aecari tuto pwisunl, iit iiUernis succurratur), von P i n e a u
und Hunter constatirt wurde, bleibt nicht ohne Einfluss auf die Beckenerweite-
rung. Bei Frauen, welche schon oft geboren haben, sind sämmtliche Becken-
durchmesser etwas grösser, und die Stpiiphysin pubis breiter, als bei Frauen,
welche nicht Mütter wurden. Man will bemerkt haben, dass der rechte schiefe
Durchmesser des Beckeneinganges, immer etwas kürzer als der linke ist.
Das monsfhliohe Becken imterscheidet sich durch seine Breite, und durch
die Neigung seiner Darmbeine nach aussen, vom thierischen, dessen schmale Ossa
ilei nicht nach aussen umgelegt sind. Die breiten, cfmcaven, und nach aussen
geneigten Darndieine, können einen Theil der Last der Eingeweide stützen, und
sprechen somit für di<* Hestimmimg des Menschen zum aufrechten Gang^.
An den IUM*k«n n<Mig<'borener Kinder sind die (ieschlechtsunterschiede noch
0
nicht wahrzimehmiMj, wohl aber die Racenverschiedenheiten, wie denn das Becken
eines achtmonatlichen Negi^rembryo meiner Sammlung, die längsovale Form schon
deutlich erkennen lä^^t.
§. 149. Oberschenkelbein.
Uas Oberschenkelbein rO«/ewwrw, Femwr, bei den Griechen
iAT.pc; und oxsXo;, daher ^xeXiTC^) igt der längste und stärkste Rohren-
392 §• ^9* Obersohenkelbeia.
knochen, und überhaupt der grösste Knochen des Skcletes. Es
entspricht durch seine Lage und Gestalt dem Oberarmbein.
Das seiner Länge nach etwas nach vom gekrümmte Mitte 1-
stück dieses Knochens, gleicht einer dreiseitig prismatischen Säule,
mit vorderer, äusserer, und innerer Fläche. Von den drei Winkchi,
oder Kanten, ist der hintere der schärfste. Er heisst Linea aspera s.
Criata femorns y und zeigt zwei Lefzen, Labia, welche gegen das
obere und untere Ende des Knochens, als zwei Schenkel aus ein-
ander weichen, wodurch diese Enden, besonders das untere, vier-
seitig werden. In oder neben der Linea aapera liegen, an nicht
genau bestimmten Stellen, ein oder zwei, nach oben dringende Er-
nährungslöcher. Ist nur Eines vorhanden, so befindet es sich gewöhn-
lich unter der Längenmitte der Linea a^pera.
Das obere Endstück des Knochens bildet mit dem Mittel-
stück einen Winkel, welcher grösser ist als ein rechter, und trägt
auf einem, von vorn nach hinten etwas comprimirtcn, langen Halse
(CoUum femoi'is) , einen sphärischen, überknorpelten Kopf (Caput
femoris), auf welchem eine kleine rauhe Grube (Foveola) zur Inser-
tion des runden Bandes dient. Der Kopf bildet zwei Drittel einer Kugel
von 20 — 22 Linien Durchmesser. Die grössere Dicke des Schenkel-
halses in der Richtung von oben nach unten als von vorn nach
hinten, lässt ihn den Stössen in verticaler Richtung, wie sie beim
Sprung, beim Lauf, und beim Fall auf die Füssc vorkommen, besser
widerstehen, als den von vorn nach hinten wirkenden Brechgewalten.
— An der winkelig geknickten Uebergangsstelle des Halses in das
Mittelatück, ragen zwei Höcker, als sogenannte Rollhügel (Trochan-
teres, von Tpo/c^, Rad) hervor, welche für die Drehmuskcln des
Schenkels als Hebelarme oder Speichen dienen, und ihnen ihre
Wirkung erleichtern. Der äussere Rollhügel übertrifft den inneren
bedeutend an Grösse, liegt in der verlängerten Axe des Mittelstücks,
steht also gerade nach oben gerichtet, und hat an seiner inneren
Seite eine Grube — Fossa troclumterica» Die Spitze des grossen
Trochanters liegt mit dem Mittelpunkte des Schenkclkopfes in
gleicher Höhe, Der kleinere innere Rollhügel, steht etwas tiefer,
ist mehr nach hinten gerichtet, und wird mit dem grossen Roll-
hügel durch eine vordere, nur schwach angedeutete, und eine
hintere, scharf aufgeworfene, rauhe Verbindungslinie (Linea Inier-
trochanterica anterior et posterior) verbunden. Der äussere Rollhügel
lässt sich am lebenden Menschen, durch die ihn bedeckenden
Weichtheile hindurch, sehr gut fühlen; der innere niclit, da er von der
Muskulatur an der inneren Seite des Schenkels ganz maskirt wird.
Das untere Endstück des Oberschenkelbeins ähnelt einer
massigen Rolle. Dasselbe zeigt nämlich zwei, nur an ihren unteren
'^nd vorderen Gegenden überknorpelte Knorren^ Condylus extemm et
§. 149. Oberschenkelbein. 393
bitemus. Die Ueberknorpclung des einen Knorrens setzt sicli an
der vorderen Seite in jene des anderen iimmterbroehen fort, und
bildet zwischen diesen beiden Knorren eine sattelfiirmige Vertief iinj^:,
in welcher die Kniescheibe bei den Streck- und Reugcbewegungen
des Unterschenkels auf- und niederg]eit<^t. Hinten sind beide Condyli
durch eine tiefe, nicht überknorpelte (jirubo (Fossa j^ojdttea 8, inter-
condißloidea) getrennt. Der äussere (.-ondylus ragt mehr nacli vorn
heraus, als der innere, und Ist zugleich um drei Linien kürzer und
breiter, als letzterer. Ein senkn.^chtcr, vr)n vorn nach hinten gehen-
der Durchschnitt jedes Condylus, gi(;bt keinen Kreisbogen, sondern
eiji Segment einer Spirallinie. An der SeitenHiiche jedes (V)ndylus
bemerkt man eine flache, rauhe Erhebung (Tuherositas condf/li), fiir
den Ursprung der inneren und äusseren Seitenbänder des Knie-
gelenks.
Merkel (Modiciii. (*entralblatt. XI.) beschrieh, unter dem Namen de»
Schenkelsporn!», einen im Inneren des Schenkelhalses, von der Corticalsiih^tanz
desselben ausstehenden, in die schwammige Substanz leistenartig vorspringenden,
soliden Fortsat/.. Er entspringt in der Gegend des kleinen Troehanter, und ver-
liert sicIi an der vorderen Seite iles Halses, dicht unter dem Kopfe, nimmt also
eine Lage ein, auf welcher bei aufrechter Köri)ersteUung der gn'isste Druck labtet.
Da er bei (Jreisen durdi Resorption sdiwindet, erklärt sich die Häufigkeit der
Schenkelhalsbrüche !>ei ilnien.
Wenn die Anatomie den Schenkelkopf eine Kugel nennt, so ist dieser
Ausdruck nicht im mathematischen Sinne zu nehmen. Die Begrenzungslinie eines
beliebigen Durchschnittes des Schenkelkopfes, ist keine Kreislinie, son<lern nach
Einigen eine Ellipse, nach Anderen eine aus drei Curven (deren jede einen
anderen Hadius hat) zusammengesetzte, krumme Linie. Nichtsdestoweniger wird
der Ausdruck: sphärischer Kopf des Schenkelbeins, noch immer von Anatomen
und Chinirgen gebraucht.
Am weiblichen Schenkelbeine erscheint <ler Hals länger, und mehr wag-
recht, als am männlichem. Da das Oberschenkelbein nicht vertical, und mit seinem
Gespann nicht ijaralbd gegen das Knie gerichtet ist, sondern mit ihm convergirt,
so werden die Ki(;htnngen beider Schenkelbeine, mit der Verbindungslinie beider
Pfannen ein Dreieck bilden, dessen IJasis beim Weibe, wegen grösserer Pfannen-
distanz, breiter sein muss, als beim Manne. Demzufolge ist der Winkel, welchen
die nach unten convergirenden Schenkelbeine bilden, beim Weibe grösser als
beim Manne. — Eine die Mittelpunkte beider Schenkelkr)pfe verbindende Linie,
gie)»t die Axe für die Beuge- un<l Streckbewegung des Stammes auf den Köpfen
der Ober><'henkelbeine. Der Schwerj'unkt des menschlichen Körpers liegt, beim
Erwachsenen, beiläulig 3''^ Pariser Zoll über der Mitte dieser Axe.
Nur beim Menschen und einigen Affen übertrifft das Sehenkelbein das
Schienbein an Länge. — Das längste Schenkclbein wird im Wiener anat^miischen
Museum aufbewahrt. Es misst Ü6 Zoll, 6 Linien. Das dazu gehörige Schienbein
hat eine Länge von 21 Zoll, 9 Linien, imd das Hüftbein (von der Mitte der
(Vista bis zum Tuher inchii) von 12 Zoll. Da» im anatomischen Museum zu Mar-
burg belintUiche Schenkelbcin, welches für das grösste galt, misst nur 23 Zoll,
V/2 Pariser I-.inien. — Bei angeborener Verrenkung des Hüftgelenks, fehlt zu-
weilen am Schenkelkopfe das Grübchen für das runde Band. — Ueber einen dem
Procefaua sfipracondyhideu^i hunieri analogen Fortsatz des Schenkelbeins, handelt
394 §. 150. Hüftgelenk.
sehr ausführlich (t ruber, in seiner Monographie des CanaiiB .supi-acandi/hidewt, etc.
Petersburg, 1856. Ich habe ihn an Lebenden beobachtet (Sitzungsberichte der
kais. Akad. 1858).
Ein Vergleich des Oberschenkelbeins mit dem Oberarmbein macht es er-
sichtlich, dass das Caput femorh dem faput hnmeri, das lange Collum fenwrM
dem sehr kurzen Collum analoinkum humeri, je ein Trochanter einem Tuherculum,
das untere Ende des Oberschenkels der Trochlea des Oberarmbeins, die Tuhevosi-
UUes der Cwidyli femorin den Condyli am initeren Ende des Oberarmbeins, und
die FoMtta poplUea der Focea ftuprfUroi'Jilearut poHtei-ior entspricht. Nur die Emi-
iicntUt capitata des Oberarmbeins, ist am Oberschenkelbein nicht vertreten, und
die dreikantigen prismatisclien Mittelstücke beider Knochen, sind gegen einander
um 180^ verdreht, indem der Oberschenkel eine Fläche, der Oberarmknochen aber
eine Kante nach vom kehrt.
§. 150. Hüftgelenk.
Das Hüftgelenk (Articulatio coxae s. feniorisj theilt mit dem
Kniegelenk den Ruf des stärksten und festesten Gelenkes des
menschliehen Körpers. Die Bestimmung der unteren Extremität,
als Stütze des Körpers beim aufrechten Oange zu dienen, machte
eine grössere Festigkeit des Hüftgelenks, und eine beschränktere
Beweglichkeit dessell)en nothwendig, als am Oberarmgelenk gefunden
wurde. Das tiefe Eindringen des Schenkelkopfes in die Pfannen-
höhle, bedingt jene Form beschränkter Arthrodie, welche in der
Sprache der Techniker Nussgelcnk heisst. Die Tiefe der Pfanne
wird durch einen faser knorpeligen Ring, welcher auf dem
knöcherneil Pfannenrand fest aufsitzt, und in einen freien scharfen
Rand auslauft, vergrössert. Dieser Ring (Limbiis cartilaginetia ace-
tahuU) geht über die Incmira acetahuU brückenartig weg, und ver-
wandelt sie in ein Loch, durch welches Blutgefässe in die Pfannen-
höhle dringen. — Die fibröse Kapsel des (Gelenks entspringt
vom rauhen Umfange des knöchernen Pfannenrandes, schliesst somit
den faserknorpeligeii Ring noch ein, und befestigt sich vorn an der
[jlnea intertrochantenca anterior, hinten dagegen nicht an der posteHor,
sondern, mit nach aufwärts umgeschlagenen Fasern, an die hintere
Fläche des Schenkelhalses selbst, und zwar in geringer Entfernung
über der Linea interfrochanfenca posterior, J)ieser nach innen um-
geschlagene, an die hintere Fläche des Schenkelhalses sich inse-
rirende Theil der Kapsel, ist sehr dünnwandig, und es fehlt nicht
an Autoren, welche die hintere Kapselwand gar nicht an den
Knochen adhäriren lassen. Dem Gesagten zufolge enthält die fibröse
Kapsel des Hüftgelenks, nicht blos den Kopf, sondern auch den
Hals des Schenkelbeins in sich, und zwar seine ganze vordere
Fläche, und den grösseren Theil der hinteren.
*. l'A Hütuelonk 395
Die vordere Kapsolwand wird durch ein von der Spina (tnte-
rior inferior oms ilei entsprinj^^endcs, ungiMnoin kräftipjcs, vier Linien
dickes Band verstärkt i Jjtjmnmtnm Berfini s, accc^sorium antlcum),
welches theils an der Linea Intertntchautitrka rmferitr endigt, tlieils
mit zwei, um den Hals des Fenmr lierum^xehenden, und sich hinten
zu einer Schlinge vereinigenden Schenkeln, eiiu» Art Halsband
fZona oMcnlarls Wrbt^rl) bildet. Dieses Hand adhärirt nirgends an den
Hals selbst, sondern umschliesst ihn mir lose. 1 )ie Zona beschrankt
die Streckung di:6 Schenkels, olin<* .»^eine Heugung oder Axendrehung
zu hemmen; — i\i\i^ Llijfimentuni ßvrthtl hennnt ebenfalls die Streckung,
wohl auch die Zuziehung und die AuswärtsnJlung, aber nicht die
Einwärtsdrehung. Der Akademiker .los. Hertin handelte aus-
führlicher als seine Vtirgänger, von der Stärke dieses Bandes , in
»einem Traltt cVu8t*'ol, Paris, 17i)I, Die schauderhafte Hinrichtung
Damien's in Pari.«^, ITf)!, durch Viertheilen, bei welcher die unteren
Extremitäten nicht ausgerissen werden konnten, sondern im Hüft-
gelenk ausgeschnitten werden niussten, gab ihm s|Ȋter einen neuen
Beweis der enormen Stärke seines Ligaments.
Die Sy novialka]>sel überzieht die iinierc Oberfläche der
tibrösen Kapsel, den fjmhus cartllatjltwiiHy und den Hals des Schcnkel-
beins: die ReibHächen der (ielenkknorpel erhalten von ihr keinen
Ueberzug. In der Ib'dile des <ielenks liegt das runde J^and des
Schenkelkopfes ( Lhjamentum ten-ifi, Wi»lches an dor Jndsura acefahnli
entspringt, und, bei richtiger Neigung des Beckens, senkrecht
zur Grube des Schenkelkopfes aufsteigt. Das Jiand besteht ober-
flächlich aus festeren Fasei'schichten, als im Inneren, wo nur locker
verbundene, und mit P\'tt untermischte Bindegewebsbündel auf-
treten, deren Querschnitt tlem Bande den Anschein von Hohlsein
giebt. Man hat dem LhiaiatnUim terts den Zweck zugenmthet , die
Zuziehung des Schenkels zu beschränken. Dieses ist nicht der
Fall, da nach Durchschneidung des Bandes in der von der Becken-
höhle aus enitfneten Pfanne, die Zuziehungsföhigkeit des Schenkels
nicht vermehrt wird. Das einzige Hemmungsmittel der Zuziehung
liegt im l/KjauiHnfum Berfhil, Das runde Band hätte , wenn es in
die Ib'dile rlrs <ielenkes vorragen würde, «lurch Reibung viel zu
leiden geliabt. Ja selbst seine Existenz wäre eompromittirt , wenn
nicht die kn<M-pellos(* Fovea acefahull zu Steuer Aufnahme bereit
stünde. Ks giebt keine vollkommene ViMTcnkung des Hüftgelenks
ohne Zerreissung d<^s runden Bandes. Angeljorenes Fehlen des
Bandes gehört als Thierähidi(dikeit CKlephant und lUiinoceros") zu
den gWJssttMi Seltenheiten.
\Vc»diiroli wird der ^k•}|vnkelkopf in d«'r l't»iiiic ff<*lialti*n? — Die Lr.sun}?
dieser Frage, die wir den irntorsnchiiiiffcn der flchrflder Weber verdanken
(Mechanik der menschlichen GehwerkMQg«. (Inuinfi^en, 1830), führte zu dem über<
396 §. 150. Hüftgelenk.
rasclicnden Resultate, das» das Zusammenhalten der Knochen im Hüftgelenke nnr
vom Dnick der Atmosphäre abhängt; eine Wahrheit, welche auch für gewis.fe
andere Gelenke in gleicher Weise gilt. — Bei den Nussgelenken, welche der
Mechaniker baut, hat die Pfanne, wenigstens in einem ihrer Bogen, mehr als
1800; umfasst somit den Kopf, und lässt ihn nicht heraus. Die menschliche Hüft-
pfanne hält in keinem ihrer Bogen melir als 1 80^. Der Linihua caHiUujineiis geht
wohl über den g^össten Kreis des Schenkelkopfes hinaus, kann ihn aber nicht in
der Pfanne zurückhalten, da er in diesem Falle durch die Reibung bald abgenützt
und unfähig gemacht würde, eine so schwere Last, wie sie in der ganzen unteren
Extremität mit ihren Weichtheilen gegeben ist, zu tragen. Die Ka])sel und die
Zmva orhictdariü können am Cadaver zerschnitten werden, ohne dass der Kopf aus
der Pfanne weicht. Sie nützen also für das Verbleiben des Schenkelkopfes in
der Pfanne eben so wenig, wie der knöcherne und der knorpelige Pfannenrand.
Um den £influ8s des Luftdrucks bei der Fixirung des Schenkelkopfes in der
Pfanne einzusehen, stelle man sich einen hohlen Cylinder vom Durchmesser der
Pfanne vor, welcher oben abgerundet und zugeschlossen ist. In die untere Oeff-
nung desselben passe man den Schenkelkopf ein, und schliesse sie dadurch luft-
dicht Denkt man sich nun die Luft im Cylinder verdünnt werden, so niuss der
Schenkelkopf durch den äusseren Luftdruck aufsteigen, und ist der C-ylinder ganz
luftleer geworden, so wird der Schenkelkopf am oberen, pfannenähnlich abge-
rundeten Ende desselben anstehen. Das Stück des Cylinders, welclies der Sclienkel-
kopf während seines Aufsteigens durchlaufen hat, kann man nun wegnehmen,
und durch einen faserknorpeligen Ring (Limtnui cartüagineiis) ersetzen, welcher
sich um den Kopf des Schenkelbeins genau anlegt. Bei jedem Versuch, den
Schenkel aus der Pfanne zu ziehen, und dadurch in der Pfanne einen luftleeren
Baum zu bilden, wird der äussere Luftdruck den faserknorpeligen Ring, wie ein
Ventil, um den Kopf herum andrücken, und das Heraustreten des Kopfes ver-
hüten. Bohrt man in den Pfannengrund vom Becken aus ein Loch, so hält die
einströmende Luft dem äusseren Luftdrucke das Gleichgewicht. Der Schenkel
wird nicht mehr durch den Luftdruck balancirt, sondern tritt, seiner Schwere
folgend, so weit aus der Pfanne heraus, bis er vom Linibus cartiUujhietis getragen
wird. Zerschneidet man diesen, so fallt der Scbenkelkopf ganz lieraus. Wird
der Schenkelkopf in die Pfanne wieder zurückgebracht, und das Bohrloch hierauf
mit dem Finger zugehalten, so balancirt er wieder, wie früher, und stürzt nach
Entfernung des Fingers neuerdings herab. Da die Grösse der Kraft, mit welcher
der Luftdruck auf das Hüftgelenk wirkt, gleich ist dem Gewicht einer Queck-
silbersäule von der Höhe des Barometerstandes, und dem Umfange der auf eine
Ebene projicirten Pfannenarea, so lässt sich diese Grösse leicht berechnen, und
wird dem Gewichte der unteren Extremität gleich gefunden.
Dem Gesagten zufolge äquilibrirt der äussere Luftdruck den Schenkel im
Hüftgelenk. Der Schenkel schwingt somit bei seinen Bewegungen wie ein Pendel
ohne Reibung, und die Gesetze der Pendelschwingungen finden auf die lk»wegun-
gen de» Schenkels volle Anwendung. Sie erklären uns, wanim alle Schritte des-
selben Menschen gleich lang sind, warum kleine Menschen kurze und grosse
Menschen lange Schritte machen, warum die Bewegungen kleiner Menschen schnell
und hurtig, jene grosser Menschen gravitätisch und langsam sind, warum ein
kleiner und grosser Mensch Arm in Arm nur schwer zusammengehen, und bald
aus dem Schritt fallen, wanim man im Militär die grossen Leute in eigene Com-
pagnien, und die grössten davon in eine Reihe stellt, n. v. a.
Gegen die W« herrsche Lehre wurde von £. Rose Bedenken erhoben
(Mechanik des Hüftgelenks, im Archiv fttr Anat. u. Physiol. 1865). Die Schlüsse,
za welchen Böse durch Versuch und Beobachtong an Kranken gelangte, sind:
§. 151. Knocheu des Unterschenkels. 397
dass der Luftdruck fi'ir die Fostifi^keit des Hüftgelenks helang^lu» ist, und dan»,
nebst der durch die Synovia bedingten AdhiUion der (ielenkfläclien, vorzugsweise
den Muskeln und Bändern das Zusammenhalten der Knoclien im Hüftgelenke
obliegt. Wurde nicht weiter beachtet Beroicheningen der Anatomie des Hüftgelenks
verdanken wir Srhmuh, deutsche Zeit'*c)ir. f. Chir. Bd. V, und Aftert, med. Central-
bUtt, Nr. 40.
§. 151. Knochen des Unterschenkels.
DasSkelet des Untersclienkels besteht ans zwei langen Knochen :
dem Schien- und Wadenbein, welchen ein kurzer und dicker
Knochen: die Kniescheibe, als Zugabe beigesellt ist.
A, Das Schienbein, Tibia (Canna major cruris ; xvt^ jxy;, welches
Wort auch fiir Wa d e und Unterschenkel gebraucht wird, wie in
xepixvvjfAi^, Grainasche und Beinschiene), ist der grössere der beiden
Knochen des Unterschenkels, und, nächst dem Schenkelbein, der grüsste
Röhrenknochen. Seine Gestalt gleicht einer Schalmeie, deren Mund-
stück der gleich zu erwähnende Knöcliel vorstellt, daher der lateinische
Name libia (tibiis canere). Die nuirklosen Schienbeine grosser Vögel
wurden besonders gerne zu Pfeifen verwendet, wie jetzt noch die
Vogelsteller ihre Lockpfeifchen aus den Schienbeinen der (iänse
bereiten. — Das Schienbein bildet die eigentliche knöchenic
Stütze des Unterschenkels, und übertrifft das an seiner äusseren
Seite liegende Wadenbein, viermal an Älasse und Gewicht. Sein
Mittel stück ist, wie bei allen bisher abgehandelten langen Knochen,
eine dreiseitige Säule. Die vordere, besonders scharfe Kante, heisst
Schienbeinkamm, Crista tlbixie. Sie kann am lebenden Menschen
durch die Haut hindurch gefühlt Averden. Minder scharf ist die
äussere, und am stumpfsten die innere Kante. Die hintere
Fläche, zeigt in ihrem obersten Theilc die rauhe, schief von aussen
und oben, nach innen und unten laufende Linea popUtea. Neben
dem unteren Ende dieser Linie Hegt, nach der äusseren Kante zu,
das grösste aller Eniährungslöcher, welches schief abwärts in den
Knochen dringt. J)ie äussere Fläche ist der Länge nach schwach
concav, die innere etwas convex. Letztere ist durch die Haut hin-
durch in ihrer ganzen Ausdehnung leicht zu fühlen. Das obere
Ende breitet sieli wie ein Säulenknauf in die zwei seitlich vor-
springenden Schien lieinknorren (Condt/li tibiae) aus, welche an
ihrer oberen Fläche nur sehr seichte Gelenktlächen besitzen. Die
Gelenktiäche des inneren (^ondylus ist etwas tiefer ausgehöhlt, und
steht zugleich etwas höher, als die äussere. Zwischen beiden (iehink-
tlächen liegt eine, in zwei stumpfe Spitzen getheilte Erhabenheit
(Eminentia intercondylaidea). Vor und hinter derselben liegen rauhe
Stellen fUr die Anb- '"«' d«» Kniegelenks. Jeden
398 §• 151. Knochen des Untercchenkels.
Condylus umgicbt ein breiter, senkrecht abfallender, poröser Rand.
Unter der vorderen Verbindungsstelle beider Ränder, bemerkt man
den Schienbein Stachel (Spina, besser Tuberosltas tiblae) , als
Ausgangspunkt der vorderen Kante des Mittelstücks. Am hinteren
seitlichen Umfange des äusseren Condylus, sieht man eine rundliclui,
kleine, schräg nach abwärts sehende Gelenkfläche, für das Köpfchen
des Wadenbeins. — Das untere Ende hat eine viereckige, nach
abwärts schauende, von vorn nach hinten concave Gelenkfläche,
welche nach innen durch einen kurzen, aber breiten und starken
Fortsatz, den inneren Knöchel, Malleolus internus, begrenzt wird,
dessen Gelenkfläche mit der ersteren fast einen rechten Winkel
bildet. An der hinteren Gegend des inneren Knöchels, verläuft
eine verticale Furche für die Sehnen des hinteren Schienbeinmuskels
und des langen Zehenbeugers. Dem inneren Knöchel gegenüber,
zeigt das untere Ende des Schienbeins an seiner äusseren Seite,
einen zur Aufnahme des unteren Wadenbeinendes dienenden Aus-
schnitt, Incüura ßbularis.
Das Schienbein nimmt nur bei Individnen, welche in ihrer Jugend Anlage
zur Khachitis hatten, eine leise Biegung nach vorn und aussen an. Seine vordere
Kante ist jedoch, selbst bei vollkommen gut gebauten Füssen, an der oberen
Hälfte nach innen, an der unteren nach aussen gebogen, also schwacli S- oder
wellenförmig gekrümmt.
B, Das Wadenbein, Fibula (Canna minor ct-wm, zepovy;), associiii
sich als schlanker Nebenknochen dem Schienbein. Es hat mit
diesem gleiche Länge, steht aber im Ganzen etwas tiefer,, so dass
sein oberes Ende oder Köpfchen (Capitulum) an die nach abwärts
gerichtete kleine Gelenkfläche des Condylus externus tlbiae, nicht
aber an den Oberschenkelknochen anstösst, und sein unteres Ende,
welches den äusseren Knöchel (Malleolus exteimus) bildet, weiter
herabreicht, als der Malleolus internus des Schienbeins. Am Capi-
tulum fibulae, wird ein nach oben hei'vorragender Höcker bemerkt,
als Tubercuium fibulae. Die dem Schienbeine zugekehrte , über-
knorpelte, innere Fläche des äusseren Knöchels, steht mit der ent-
gegensehenden Fläche des inneren Knöchels parallel, also senkrecht,
wodurch eine tief einspringende Gelenkhöhle für den ersten Fuss-
wurzelknochen (Sprungbein) zu Stande kommt. An seinem hinteren
Kande, welcher seiner Breite wegen besser als Fläche zu bezeichnen
wäre, bemerkt man die zuweilen nur seicht vertiefte Furche für
die Sehnen des langen und kurzen Wadenbeinmuskels. Das Mittel-
stück erscheint als ein un regelmässig vierkantiger Schaft, dessen
vordere schärfste Kante Crista fibulae heisst, dessen innere, dem
Schienbein zugekehrte, stumpfe Kante, dem Ligamentum interosseum
zur Auheftung dient. Gegen das Köpfchen hinauf, geht die vier-
aeitige Gestalt des Mittelstücks in eine dreiseitige über, welche,
§. 161. Knochen des IJaterscheukels. 399
ganz nahe am Kiipfchcn, durcli Abrunduiin: der Kanten, zum Collum
fibulae wird.
C Die Kniescheibe, Patella (Diminutiv von paUra, ilaehe
Schale), heisst auch Mola, von {/.uXy; bei Aristoteles, und irifj-uXt;
bei Hippocrates, Scutum genu, Os ihyreoideSy Kpüjonatis , und bei
den Anatomen des Mittelalters: Rotula (woher das französische la
rotale, und das spanische arrodillarse, sich niederknien). Sie
wurde, ihres Verhältnisses zur Strecksehne des Unterschenkels
wegen, von Bert in für ein wahres Sesambein erklärt, — le grand
08 sesamoride de la Jambe. Ihre bei beiden CJeschh^chtcrn, und bei
Individuen eines (fcschlechtes, bemerkbare Vorschiedenheit an
Grösse und Stärk<', liängt von der Intensität <ler Wirkimg der
Unter8clienkelstreek(»r ab. (Bei Ajaa: Telaiiwnius lässt sie Pausa-
nias handgross sein!) Si<' hält ganz gut d(»n VerghMch mit dem
Olekranon der IJhia aus, da sie, wie dieses, den Streeksehnen zur
Anheftung dient. Die Patella wäre demnach ein frei und selbst-
ständig gewordenes Olekranon. Diest's wird durch den alten Namen
der Knieseh(Mbe: (Jlecranon mobile, ganz richtig ausgedrückt, wie
denn auch das Olekranon der riiui: Patetla Jijca hiess. Wie das Ole-
kranon in dem Kinsclmitte der Trochlea des Oberarms beim Strecken
und Beugen des Vorderarms auf und nieder geht, (;ben so gleitet
die Kniescheibe in der Vertiefung zwischen beiden Condj/li femorls,
beim Strecken und Beugen des Unterschenkels, auf und ab. Ihre
Gestalt mag herz- oder kastanienförmig genannt werden, mit oberer
Basis, und unterer Spitze, welche letztere durch ein sehr starkes
Band (Ligamentum jyatellae projrrium), mit der Sjnna tihiae zusammen-
hängt. Ihre vordere; Fläche ist convex und rauh. Ihre hintere
besteht aus zwei unter einem sehr stumpfen Giebel zusammen-
stossenden, flach concaven GelenkfläclK^n, einer äusseren grösseren,
die dem (\mdijlu8 externus, und einer inneren kleineren, die dem
Coiidf/lits inteniuif femoi^is entgegensieht.
Kleinere Facettirnngen tler hinteren Knief<clieibenfläclie hier anzuführen, halte
ich für eh'mentare Vorträge niclit eröprieHslich. AusfülirlicheH liierilber giebt Robert,
in «einen: Untersuchungen über die Mechanik des Kniegelenks. Oiessen, 1855.
Das Schien- und Wadenbein werden oben durch die Arti-
culatio tibio-fibiüaris mit einander zusammengelenkt, wcdche aus einer
sehr straften Kapsel und einem vorderen Vi^rstärkungsband besteht.
Das Tuberculum fibulae ragt übrr das ob«»n* Ktulr d<'M Oelenks zwei
bis drei Linien hinauf. Schien- und \Vad«*nbrin werden überdies
noch der Länge nach, durch die Membraiui interosaea zusammen-
gehalten, und an ihren unteren Endrn, durch die vorderen
und hinteren Knöchelbänder sehr fest verbunden, welche vom
Malleolus exißr^ u und hinteren Ende der Ind-
400 §• 152. Kniegelenk.
»ura fibidaris des Schienbeins laufen. Beide Knochen können des-
halb ihre wechselseitige Lage nur in geringem Grade ändern.
§. 152. Kniegelenk.
Die anatomische Einrichtung des Kniegelenks (Articidatlo genu,
Genundum, vom griechischen ^ö'^ui) stempelt dasselbe zum Winkel-
gelenk, erlaubt aber dem Unterschenkel, nebst der Beugung und
Streckung, im gebeugten Zustande noch eine Axendrehung (Pro-
nation und Supination), welche bei gestrecktem Knie nicht möglich
ist. Wir haben es somit, wie beim Ellbogengelenk, mit einem
Trocho-ginglymua zu thun. Im Ellbogengelenk war die Winkel-
bewegung und die Axendrehung auf verschiedene Knochen vertheilt;
— im Kniegelenk, wo von den Knochen des Unterschenkels nur
das Schienbein als theilnehmender Knochen auftritt, muss durch
eine besondere Modification der Bänder, die Coexistenz dieser
beiden, sonst einander ausschliessenden Bewegungsarten, an Einem
Knochen möglich gemacht werden. Im Ellbogengelenke wurde das
Maximum der Beugung durch das Stemmen des Processus coro-
noideus in der Fovea supratrochlearis anterior, und das Maximum der
Streckung durch das Stemmen des Olekranon in der Fovea supra-
trochlearis posterior bestimmt; — im Kniegelenke fehlen am Schien-
bein solche stemmende Fortsätze, und doch kann man den Unter-
schenkel nicht auf mehr als 180^ strecken, und nur mit Mühe so
weit beugen, dass die Ferse die Hinterbacke berührt. Die Ursache
dieser Beschränkung liegt einzig und allein im Bandmechanismus,
welcher an diesem Gelenke eine Einrichtung besitzt, wie sie bei
keinem anderen Gelenke vorkommt.
Der Bandapparat des Kniegelenks besteht aus folgenden Ein-
zelnheiten :
1. Die zwei halbmondförmigen Zwischenknorpel, Fibro-
cartilagtnes interarticulares (auch semüunares, falcatae, hinataey mem-
scoideae). Die stark convexe Oberfläche der beiden Condjfli femorls
würde die seichten Gelenkflächen der Condyli tibiae nur an einem
Punkte berühren, wenn nicht, durch die Einschaltung der Zwischen-
knorpel, der zwischen den Cofidf/li fenwris und tihias übrig bleibende
Kaum ausgefüllt, und die Berührungsfläche beider dadurch ver-
grössert würde. Jeder Zwischenknorpel hat die Gestalt eines 0,
eines Halbmondes, dessen convexer und dicker Rand gegen die
fibröse Kapsel, dessen concaver schneidender Rand gegen den
Mittelpunkt des Gelenks sieht. Beide Zwischenknorpel sind nicht
gleich gross. Der innere ist weniger scharf gekrümmt, und an
seinem convexen Rande mit der fibrösen Kapsel verwachsen. Der
§. ir>S. Kniegelenk. 401
äusBorc hat eine schärfere Knimniiin|2:, ist an seinem convexen
Rande niedriger, und mit der fibrösen Gelenkkapsel nicht ver-
wachsen, sondern nur durch eine Falte der Svnovialhaut mit ihr
verbunden. Diese Umstände bedingen es, dass der äussere Zwischen-
knorpel sich einer grösseren Verschiebbarkeit erfreut, als der
innere. Die durch ein kurzes Querband verbundenen vorderen
Enden beider Zwischenknorpel, sind in der Grube vor der Emi-
nentia intercojidjjloidea des Schienbeins, die hinteren Enden aber,
hinter dieser Erhabenheit, durch kurze Bandfasern befestigt.
Die Zwischenknorpel vertiefen die seichten OelenkflSchen der Schienbein-
knorren, nnd adaptiren »ie der Convexität der Schonkelbeinknorren, — sie ver-
gessen! die Contactflächen des Gelenks, und verhüten dadurch die Abnützung'
der sich an den seichten Schienbeinpfannen reibenden Condjli des Oberschenkels.
Sie vermehren zugleich die Stabilität des Gelenks, dämpfen als elastische Zwischen-
polster die Gewalt der Strasse, welche das Gelenk beim Spnmge ausznhalten hat,
nnd verhindern, da sie den luftleeren Raum des Gelenks ausfüllen, eine durch
den äusseren Luftdruck möglicher Weise zu bewirkende Einklemmung der Kapsel
zwischen den auf einander sich verschiebenden Condyli femorü et tif/iae,
2. Die zwei Kreuzbänder, Ligamenta cruciata, liegen in der
Höhle des Kniegelenks, entspnngen an den einander zugekehrten,
die Incmira intercondtjlmdea begrenzenden , rauhen Flächen der
Condyli femons , und inseriren sich in den Gruben vor und hinter
der Eminentia intercondtßoidea tibiae. Das vordere Kreuzband
geht vom hinteren Theile der inneren rauhen Fläche des Condtjlm
extemus femm^i^ zur vorderen Grube, das hintere Kreuzband
vom vorderen Theile der äusseren rauhen Fläche des Vondylus
internus, zur hinteren. Sie kreuzen sich somit wie die Schenkel
eines X. Die schiefe Richtung fiillt jedoch nicht an beiden Kreuz-
bändern gleich gut in die Augen, indem sich die Richtung des
hinteren mehr der senkrechten nähert.
Beide Kreuzbänder sind ansehnlich (li<"k und stark, und halten die Festigkeit
des Gelenkes aufrecht, da» hintere liei der Streckung, das vordere bei der Beugung
des Unterschenkels, dessen £inwärtH<irehung zugleich durch das luntere be-
schränkt wird.
3. Die zwei Seitenbänder, Liffamenta lateral ia, liegen ausser
der Kapsel. Das äussere Seitenband entspringt von der Tube-
rositas des äusseren Schenkelknorrens , ist rundlich, und befestigt
sich am Köpfchen des Wadenbeins. Das innere entspringt an der
Tuberositas des inneren Schcnkelknorrens, ist breiter, länger und
stärker als das äussere, und setzt sich zwei« bis drei Zoll unter
dem inneren Condylus, an der inneren Kante des Schienbeins fest.
Wären beide CmulyH fenwru WalzenstUcke mit cylindrischer Oberfläche,
deren Axe durch die Ursprungsstellen beider K<;itenbftnder geht, so würden die
Seitenbänder bei gebogenem und geitreckteio Zustand« des Gelenks dieselbe
Spannung haben, und die Axendrahnng dei UntenckenkeU bei keiner dieier
Hjrtl, Lrf»»— fc A- *•"*■'■'■ ". AU. 26
402 §. IM. Kniegelenk.
beiden Stellungen gestatten. Da aber die Begrenzungslinie der Schenkelknorreii
kein Kreisbogen, sondern ein Stück einer Spirale ist, als deren Endpunkt wir die
Tuberonitwt condyli nehmen können, an welcher eben die Seitenbänder entspringen,
so werden diese Urspningsstellen der beiden Ligamenta lateralia, bei gestrtM'ktoni
Knie höher als bei gebeugtem Knie zu stehen kommen, und dadurch die Seiton-
bftnder nur bei gestrecktem Knie angespannt, bei gebogenem dagegen relax irt
sein müssen, wodurch, im letzteren Falle, ein Drehen des Schienbeins um seine
Axe möglich wird.
4. Die fibröse Gelenkkapsel miiss einen sehr dünnwandigen
und weiten Sack bilden, um Beugung und Streckung, so wie Drehung
des Unterschenkels, nicht zu hindern. Sie entspringt in massiger
Entfernung über den überknorpelten Flächen der CondifU femoris,
und inserirt sich an dem rauhen Umfange beider Schienbeinknorren.
Fortsetzungen der Sehnen der Streckmuskeln des Unterschenkels
verstilrken sie stellenweise. An ihrer vorderen, sehr laxen Wand,
hat sie eine Oeffnung, welche die hintere überknorpelte Fläche der
Kniescheibe aufnimmt, und durch sie geschlossen wird. Sie ist so
dünn, dass man sie für eine blosse Fortsetzung der Beinhaut des
Oberschenkels zur Tibia angesehen hat. Nur an der hinteren und
äusseren Wand , wird sie durch eingewebte fibröse Faserzüge
verdickt.
Das bedeutendste Verstürkungsbündel der Kapsel, liegt an der hinteren
Wand derselben, und wird Knie kehlen band, Liijamenhim 'popfifetim ^ genannt.
Es entsteht vom Coiidylus extemitM feniorh , endigt unter dem Coiulylu9 in/emujt
tihiofif und hängt auf eine in der Muskellehre zu erwähnende Weise, mit den
Sehnen des Mtisctüns neinimenihranoaus , und dem äusseren Ursprungskopfe des
üastrocnemius zusammen. Das Hand wird dun*h die Action dieser Muskeln, beim
Beugen des Knies, zugleich mit der hinteren Kapsel wand gespannt, wodurch die
Kapselwand einer möglichen Einklemmung entrückt wird. Das Verstärkunga-
bündel der äusseren Wand ist dünner, entspringt am Kopfe des Wadenbeins, und
verliert sich aufwärtssteigend in der Ka])sel. Es wurde von mehreren Autoren als
Lifjanientuvi laterale extenium hreve dem in 3 erwähnten äusseren Seitenbande (als
lonyum) entgegengesetzt,
5. Die mit der inneren Fläche der fibrösen Kapsel innigst
verwachsene Synovialkapsel bildet zu beiden Seiten der Knie-
scheibe zwei, in die Höhle des Gelenks hineinragende, mit Fett
reichlich gefüllte Einstülpungen oder Falten, die Flügel band er,
Ltgametita alaria, welche von der Basis der Kniescheibe, zu den
vorderen Enden der Zwischenknorpel herablaufen, sich hier mit
einander verbinden, und in den Synovialüberzug eines dünnen, aber
ziemlich resistenten Bandes übergehen, welches von der Anheftungs-
stelle des vorderen Kreuzbandes am Schienbein entspringt, und sich
in der Fossa intercondyloidea des Oberschenkels festsetzt. Dieses
Band führt den altherkömmlichen Namen Ligamentum mucosum.
Ich habe bewiesen, dass durch die beiden Flügelbänder, der vor den Liga-
mentU cmdatif befindliehe Raum der Kniegelenkhöhle , in drei vollkommen
§. 152. Enieg«lenk. 403
nnabhnngige Gelenkräume g^theilt wird, deren mittlerer dem Gelenke der Knie-
scheibe mit der Rolle des Oberschenkels, und deren seitliche den Gelenken
zwischen den beiden Schenkel- und Schienbeinknorren angehören. Die Flügel-
bänder fnnctioniren flir dieses Gelenk als Ventile, welche das Kniescheiben-
gelenk, selbst bei seitlicher Eröffnung der Kniegelenkkapsel, dem Einflüsse des
Luftdruckes unterordnen, und ein Ausheben der Kniescheibe aus der Furche, in
welcher sie gleitet, nicht zulassen. — Auch die in der Höhle des Gelenks ange-
brachten Kreuzbänder, besitzen einen von der Synovial membran entlelmten Ueber-
zug. Derselbe geht als Falte von der hinteren Wand der Synovialis aus, und
umhüllt beide Kreuzbänder, welche somit, streng genommen, ausser der Höhle der
Synovialmembran, aber dennoch innerhalb der Gelenkkapsel liegen.
6. Die Synovialkapscl erzeugt, nebst den in 5 erwähn-
ten Einstülpungen, eine gewisse Anzahl Ausstülpungen.
Man bohre in die Kniescheibe ein Loch, ujid fülle durch dieses,
die Kniegelenkhöhle mit erstarrender Masse. Es werden sich da-
durch drei beutclförniige Ausstülpungen der Synovialkapscl auf-
treiben, welche sind: 1. eine obere, unter der Sehne des Unter-
schenkelstreckers liegende, 2. eine seitliche, welche sich unter
der Sehne des Musculus j^opliteiis nach aussen wendet, und zuweilen
mit der Synovialkapscl des Wadenbein - Schienbeingelenkes com-
municirt, so dass diese als eine Verlängerung des Kniegelenk-
Synovialsacks erscheint, und 3. eine zweite seitliche, welche sich
zwischen die Sehne des Musculus papllteus und das äussere Seiten-
band einschiebt.
Nach G ruberes genauen Untersuchungen (Prager med. Vierteljahresschrift.
II. Bd. 1. Heft), kommt die offene Communication der Synovialkapscl des Knie-
gelenks mit jener des Wadenbein - Schienbeingelenks, unter 160 Fällen nur eilf
Mal vor.
Durch Versuche am Cadaver lassen sich folgende Sätze für
die Verwendung der Kniegelenkbänder beweisen:
a) Die fibröse Kapsel dient nicht als Befestigungs-
mittel der Knochen des Kniegelenks. Schneidet man an einem
präparirten Kniegelenk die Seitenbänder entzwei, und trennt man
durch eine dünne, am Seitenrande der Kniescheibe in die Kapsel
eingestochene Messerklinge, die Kreuzbänder, wodurch also die
Kapsel, ausser der kleinen Stichöfiiiung , ganz bleibt, so hat man
die Festigkeit des Gelenks im gebogenen und gestreckten Zustande
total vernichtet. Der Unterschenkel entfernt sich durch seine Schwere
vom Oberschenkel, so weit es die Schlaffheit der Kapsel gestattet.
— Wurde an einem anderen Exemplare die Kapsel ganz entfernt,
die Seiten- und Kreuzbänder aber geschont, so bleibt die Festigkeit
des Gelenks im gebogenen und gestreckten Zustande dieselbe, wie
bei unversehrter Kapsel.
b) Die Seitenbänder bedingen im gestreckten, aber
nicht im icebogenen Zustande die Festigkeit des Knie-
26»
404 §. 153. Knochen des Fasses.
gelenks. Trennt man an einem Kniegelenk die Kreuzbänder mit
Schonung der Seitenbänder, so bemerkt man am gestreckten Knie
keine Verminderung seiner Festigkeit. Je mehr man es aber beugt,
desto mehr beginnt es zu schlottern, der Unterschenkel entfernt sich
vom Oberschenkel, und kann um sich selbst gedreht werden. Da
das innere Seitenband breiter und stärker gespannt ist als das
äussere, so wird, bei der Drehung des Unterschenkels, nur der
äussere Schienbeinknorren einen Kreisbogen beschreiben, dessen
Centrum der Mittelpunkt des inneren Knorren bildet.
c) Die Kreuzbänder bedingen theils im gebogenen,
theils im gestreckten Zustande, die Festigkeit des Knie-
gelenks. Werden die Seitenbänder durchgeschnitten, die Kreuz-
bänder aber nicht, so klappert das Kniegelenk, und der Unter-
schenkel lässt sich nach aussen drehen. Diese Drehung nach aussen
erfolgt, im gebogenen Zustande des Gelenks, von selbst, indem die
Kreuzbänder sich von einander abzuwickeln, und parallel zu werden
streben. Nach innen kann sich der Unterschenkel nicht drehen, da
hiebei die Kreuzbänder sich schraubenförmig um einander winden
müssten. Das hintere Kreuzband liefert zugleich ein einflussreiches
Hemmungsmittel der Streckung des Unterschenkels, welcher, wenn
dieses Band zerschnitten wird, sich auf mehr als 180® strecken lässt.
Das vordere Kreuzband bezeichnet durch seine aufs Höchste gediehene
Spannung die Grenze, über welche hinaus die Beugung des Unter-
schenkels nicht mehr gesteigert werden kann. — Der Einfluss der
Kreuzbänder auf die Limitirung der Streckung und Beugung lässt
sich nur dann verstehen, wenn man in Anschlag bringt, dass das
Kniegelenk keine feststehende Drehungsaxe hat, sondern Unter-
schenkel- und Oberschenkelknorren bei den Winkelbewegungen auf
einander nicht blos rollen, sondern auch schleifen, was nothwendig
eine Aendcrung in der Spannung der Ligamenta cruciata herbeiführt.
lieber das Kniegelenk handeln anefUhrlicb : //. Met/er, in MüUer^s Archiv,
1853. pag. 497, und üoftert, in seinen früher citirten Untersuchungen. Details über
den iiandapparat suche bei Heide, in dessen Bänderlelire, pag. 132, und bei Henke,
Zeitschrift für rat. Med. 3. Reihe, 14. IJd. — Den lateinischen Ausdruck: genu,
leiten die Etymologen von ffena, Wange, ab, quod genua in läero nnt genis
appoaita, Isidcr, lib. 11, cap, 2,
§. 153. Knochen des Fusses.
Die Knochen des Fusses (Oaaa pedis) werden, entsprechend
den Knochen der Hand, in die Knochen der Fusswurzel, des
Mittelfusses, und der Zehen eingetheilt.
§. 153. Knochen des Fasses. 405
A, Erste AbtJieäung, KnocJwn der Fusswurzel.
Die Fusswurzel, Tarsus (Homer gebraucht Tapao^ für Platt-
fuss), bildet den grössten Bestandtheil, und zwar die ganze hintere
Hälfte des Fussskeletes. Sie besteht aus sieben kurzen und dicken
Knochen (Ossa tarsl), welche aber nicht mehr in zwei transversale
Reihen, wie die Handwurzelknochen, geordnet sind, sondern theils
über, theils der Länge und Quere nach neben einander zu liegen
kommen.
1. Das Sprungbein, Talus, abgekürzt für Taxillus , oder
Astragaltts, auch Os tesserae s. balistae, hat seinen griechischen Namen
von der Gestalt seines Körpers, welcher so ziemlich einem Würfel
gleicht (daxpavaXo;, lateinisch talus, Würfel, — acripaYaXf^siv, mit Würfeln
spielen, bei Homer). Es ist der einzige Fusswurzelknochen, welcher
mit dem Unterschenkel articulirt, und wird in den Körper, Hals
und Kopf cingetheilt. Der Körper zeigt sich uns als ein würfel-
formiges Knochenstück, welches in die Vertiefung zwischen beiden
Knöcheln hineinpasst. Die obere, durchaus überknorpeltc Fläche,
erscheint von vorn nach i*ückwärts convex, von einer Seite zur
anderen massig concav. Am vorderen Rande ist die obere Fläche
breiter als am hinteren. Ihre Ausdehnung von vorn nach hinten,
übertrifft dieselbe Ausdehnung der an sie stossenden Gelenkfläche
des Schienbeins, so dass bei einer mittleren Stellung des Gelenkes
(zwischen Maximum der Beugung und Streckung), ein Stück der
Sprungbeingelenkfläche am vorderen, und ein ebensolches am hinteren
Rande frei bleibt, d. h. mit dem Schienbein nicht in Contact steht.
— Die überknorpeltc obere Fläche des Sprungbeinkörpers geht
ununterbrochen in die seitlichen Gelenkflächen über, von welchen
die äussere perpendiculär abfallt, länger, und in senkrechter und
querer Richtung concav erscheint; die innere aber kürzer ist, und
mit der oberen keinen rechten, sondern einen stumpfen Winkel
bildet. — Die untere Gelenkfläche des Körpers vermittelt die
Verbindung des Sprungbeins mit dem Fersenbein. Sie ist ein Stück
einer cylindrischen Hohlfläche, deren längster Durchmesser schräge
von innen nach aussen und vorn geht. — Die vordere Fläche
verlängert sich zum kurzen, aber dicken, etwas nach innen ge-
richteten Halse des Sprungbeins, welcher den mit einer sphärisch
gekrümmten Gclenkfläche versehenen Kopf trägt, dessen Knorpel-
überzug sich ununterbrochen in eine kleine, an der unteren Seite
des Halses beflndliche, plane Gclenkfläche fortsetzt. Zwischen dieser
Gelenkfläche des Halses und der unteren Gelenkfläche des Körpers
läuft eine tiefe rauhe Rinne (Sulcus tali), schief von innen und
hinten nach vorj
406 §• 1^9* Knochen des Fasses.
Bei hinterer Ansicht des Sprungbeinkörpers bemerkt man, zwi.-*chen der
oberen und unteren Gelenkfläche desselben, eine Furche schief nach unten und
innen herabsteigen. Sie nimmt die Sehne des langen Beugers der grossen Zehe auf.
Der als Talus und Astragabia benannte Würfel der Griechen und Römer
war oblong, an seinen beiden Endflächen convex, und hatte nur auf seinen vier
platten Seiten Augen, während der als xußo;, nihiis, gebräuchliche Würfel, deren
auf allen sechs Seiten führte. — Das Sprungbein der Hausthiere, insbesondere des
Schafes, wurde, seiner Gestalt wegen, ganz besonders zum Würfeln gebraucht,
erhielt deshalb den Namen Talus oder Astratjalu«, welcher erst später auch auf
das menschliche Sprungbein übertragen wurde.
Auch Knöchel imd Ferse hiessen bei den Römern Tabut, daher Talipes,
auf den Knöcheln gehend, d. i. Klurapfuss, und a vertice ad lalum, vom Scheitel
bis zur Ferse, — talon der Franzosen.
2. Das Fersenbein, Calcaneus, von calco, treten, Os calcis
(icTfipva bei Hippocrates, verwandt mit Tuspva, woher pemiones, die
Frostbeulen am Fuss), der grösste Fusswurzelknochen, liegt unter
dem Sprungbein, reicht nach vorn eben so weit wie dieses, über-
ragt es aber rückwärts beträchtlich, wodurch der Fersenvorsprung
(die Hacke, calx oder calcar pedts) gegeben wird, auf welchem
die Last des Körpers beim Stehen und beim Auftreten zum grössten
Theile aufruht. Es ist länglich viereckig, zugleich seitlich com-
primirt, und endigt nach hinten als Fersen hock er, Tuherositas
cdlcaneij an welchem sich gewöhnlich noch zwei nach unten sehende,
ungleich grosse Hervorragungen bemerkbar machen, deren innere
etwas grösser ist, als die äussere. An seiner oberen Fläche
sieht man in der Mitte die längliche, concave, schief von innen
nach aussen und vorn gerichtete Gelenkfläche zur Verbindimg mit
der entsprechenden unteren Gelenkfläche des Sprungbeinkörpers.
Vor ihr liegt eine rauhe Furche (Svlcus calcanei) ^ welche mit der
ähnlichen, an der unteren Gegend des Sprungbeins erwähnten, den
Sinus tarsi bildet. Einwärts von dieser Furche, überragt ein kurzer,
aber starker, nach innen gerichteter Fortsatz (Sustentacidum 8. Pro-
cessus lateralis), die innere Fläche des Knochens, und bildet mit
dieser eine Art Hohlkehle, in welcher die Muskeln, Gefasse und
Nerven, vom Unterschenkel zum Plattfuss ziehen.
Das Sustentaculum führt an seiner oberen Fläche einen Knorpelbeleg, um
mit der Gelenkflächc an der unteren Seite des Spnmgbeinhalses zu articuliren.
Am vorderen inneren Winkel der oberen Fläche, liegt zuweilen noch eine Neben-
gelenkfläche, welche einen Theil der unteren Peripherie des Sprungbeinkopfes
stützt, und entweder vollkommen isolirt int, oder mit der Gelenkfläche des Susten-
taculum zusammenfliesst Camper'» Vermuthung, dass diese Verschmelzung bei
Frauenzimmern vorkomme, welche, wie es zu seiner Zeit üblich war, Stöckelschuhe
mit hohen Absätzen trugen, wird dadurch widerlegt, dass sie auch heut zu Tage,
wo die Fussbekloidung der Damen zweckmässiger geworden, nicht selten vor-
kommt, und auch an ägyptischen Mumien, an einem oder an beiden Füssen, an-
getroffen wird. — Da man beim Schrittmachen mit der Ferse zuerst, und gewaltig
auftritt, wird alles Schuhwerk an der Ferse viel stärker und dicker gearbeitet
§. 153. Knocheu des Fusses. 407
sein inüj*«en (Absätze), als weiter vom, um einer schnellen Abnützung zuvorzu-
kommen. Der lateinische Name caiveiut für Schuh, hängt hiemit zusammen.
Die vordere Fläche des Fersenbeins ist die kleinste, unrcgel-
mässig viereckig, und ganz überknorpelt, zur Verbindung mit dem
Würfelbein. Die äussere und innere Fläche besitzen, wie die
untere, keine Gelenkflächen. Die untere Fläche ist schmäler als
die obere , massig concav , und gegen ihr vorderes Ende hin , zu
einer Quenvulst erhöht.
An der äusseren Fläche fällt sehr oft ein schief nach vorn und unten ge-
richteter Vorsprung auf, hinter welchem eine Furche bemerklich wird, in welcher
die Sehne des MiiMcuhts peronaeuft lowju« ihren Verlauf angewiesen liat. Ausnahms-
weise wird dieser Vorsprung so hoch, dass er den Namen eines Processus infra-
malleolarls calcanei, welchen ich ihm beigelegt habe, vollkommen verdient. Dieser
Processus ist dann immer an seiner hinteren Fläche, auf welcher die Sehne des
langen Wadenbeinmnskels gleitet, mit Knorpel incrustirt. Ich habe ihn so lang
werden gesehen, dass er die ihn bedeckende Haut als einen Hügel emporhob, an
dessen Spitze ein durch die Reibung mit dem Leder der Fussbekleidung gebildetes
Hühnerauge thronte. Der Fortsatz verdient die Beachtung der Wundärzte und
ge>viss auch der Schuhmacher. Ausführlicher hierüber, und über andere Fortsätze
dieser Art, handelt mein Aufsatz: Ueber die Trochlearfortsätze der menschlichen
Knochen, in den Denkschriften der kais. Akad. 18. Bd.
3. Das Kahnbein, Os scaphoideum s. navtcidare, liegt am
inneren Fussrande, zwischen dem Kopfe des Spiimgbeins und den
drei Keilbeinen. Seine hintere Fläche nimmt in einer tiefen
Höhlung das Caput tali auf; seine vordere convexe Fläche hat
drei ziemlich ebene Facetten, fiir die Anlagerung der Keilbeine;
die convexe Dorsal- und die concavc Plantargegend sind rauh,
und am inneren Rande der letzteren ragt die stumpfe Tuberositas
0S818 navicidaris hervor, hinter welcher eine Rinne (Svlcus ossis navi-
cidaris) verläuft.
4. 5. 6. Die drei Keilbeine, Ossa cundforniia, liegen vor dem
Kahnbein, mit dessen drei Facetten sie aii;iculiren, und w'erden vom
inneren Fussrande nach aussen gezählt. Das erste oder innere
Keilbein (Entocuneiforme) ist das grösste. Die stumpfe Schneide
des Keils sieht gegen den Rücken des Fusses, somit die rauhe
Basis gegen die Plantarfläche. Die innere Fläche ist rauh, und
von oben nach unten sanft convex, die äussere concav, und gegen
den oberen, so wie gegen den hinteren Rand mit einer schmalen,
zungentbrmigen Gelenkfläche (einer Fortsetzung der hinteren) zur
Anlagerung des zweiten Keilbeins, versehen. Die vordere über-
knorpelte Fläche erscheint bohnenförmig, mit nach innen gerichteter
Convcxität, und vermittelt die Verbindung mit dem Mittelfuss-
knochen der grossen Zehe. — Das zweite oder mittlere Keil-
bein (Mesocunelforme) , das kleinste von den dreien, kehrt seine
Schneide nach der Plantarfläehe^ somit seine Basis nach oben. Es
stösßt hinten an die mittlere Facet*' ' d vom an
408 §• ^^- Knochen des Fasses.
den Mittelfussknochen der zweiten Zehe. Seine Seitenflächen sind
theils rauh, theils mit Knorpel geglättet, zur beweglichen Verbindung
mit den angrenzenden Nachbarn. — Das dritte oder äussere
Keilbein (Ectocuneiforme) , der Grösse nach das mittlere, gleicht
an Gestalt und Lage dem zweiten, stösst hinten an die dritte Facette
des Kahnbeins, vorn an den Mittelfussknochen der dritten Zehe,
innen an das zweite Keilbein, und aussen an das Würfelbein, üie
überknorpelten Flächen, welche die Verbindung der Keilbeme unter-
einander bezwecken, nehmen nur Theile der betreffenden Seiten-
gegenden dieser Knochen ein.
7. Das Würfelbein, Os cuboideum (von xußoq, Würfel), liegt
am äusseren Fussrande, vor dem Fersenbein. Seine obere Fläche
ist rauh, die untere mit einer von aussen nach innen und etwas
nach vorn gerichteten Rinne versehen, hinter welcher ein glatt-
randiger Wall sich hinzieht — Sidcus et Tuherositas ossis cuboidei.
Die innere Fläche besitzt eine kleine, ebene Gelenkfläehe, für das
dritte Keilbein, und zuweilen hinter dieser eine noch kleinere, für
eine zufallige vierte Gelenkfacettc des Kahnbeins. Die äussere,
rauhe Fläche ist die kleinste; — die vordere, überknorpelte,
stösst mit der Basis des vierten und fünften Mittelfussknochens
zusammen.
Denkt man sich die obere Querreihe der Handwurzelknochen so vergrössert,
dass ihre einzelnen Knochen die Grösse der Fussworzelknochen annehmen, und
denkt man sich zugleich diese vergrösserte Reihe so unter das untere Ende der
Unterschenkelknochen gestellt, dass die Querrichtung eine Längenrichtung wird,
so wird diese Reihe das untere Schienbeinende nach vom und hinten überragen,
das Mondbein wird in die Gabel zwischen beiden Malleoli passen, und das Spning-
bein vorstellen, das Kahnbein (der Handwurzel) wird zum Kahnbein der Fuss-
wurzel werden, und das mit dem Erbsenbein verwachsen gedachte O» triquetrum,
wird das Fersenbein repräsentiren. — Die drei Keilbeine und das Würfelbein ver-
halten sich in ihren Beziehungen zu den Metatarsusknochen, wie die Knochen der
zweiten Handwurzclreihe zu ihren Metacarpusknochen, so dass das erste Keilbein
dem Os muUangulum majus, das zweite dem minus, das dritte dem capUatum, tmd
das Würfelbein dem hamatum äquivalirt.
Es fehlt nicht an Beobachtungen über Vermehrung der Fusswurzelknochen,
durch Zerfallen eines der gegebenen. So hat B landin das Wttrfelbein, Gruber,
Turner, und Friedlowsky das erste Keilbein, Stieda das Fersenbein, in zwei
Knochen zerfallen gefunden. Grub er sah auch den an der hinteren Fläche des
Sprungbeins vorhandenen stumpfen Höcker, welchen er Tnherctdum Interale nennt,
sich vom Körper dieses Knochens ablösen und selbstständig werden (Archiv für
Anat. 1864). Einen überzähligen klemen Fusswurzelknochen von Keilgestalt,
fanden Bankart und Pie- Smith zwischen dem ersten Keilbein tmd der Ba8i.H
des zweiten Metatarsusknochens eingeschaltet.
B, Zweite Abtheäung. Knochen des Mittdfmses.
Die filnf Mittelfussknochen (Ossa metatarsi) liegen in einer
von aussen nach innen convexen Ebene parallel neben einander,
§. 153. Knochen des Fnsses. 409
wie die Zähue eines Kammes, weshalb der Mittelfiiss bei alten Ana-
tomen aueh Pecten heisst (bei Hippocrates zsSiov). Sie sind kurze
Röhrenknochen, der Länge nach ein wenig aufwärts convex ge-
bogen, mit einem Mittelstück, hinterem dicken, und vorderem
kugelig geformten Ende. Das Mittel stück ist dreiseitig prismatisch,
mit Ausnahme des fünften, welches schief von oben nach unten com-
primirt erscheint. Das hintere dicke Ende (Basis) wird durch eine
ebene Gelenkfläche senkrecht abgeschnitten, und besitzt an den drei
mittleren Mittelfussknochen , noch kleine, seitliche, überknorpelte
Stellen, zur wechselseitigen Verbindimg. Das vordere, kopffbrmige
Ende (Capitidum) zeigt seitliche Grübchen, für Bandinsertionen. Die
Mittelfussknochen werden, wie die Keilbeine, vom inneren Fussrande
nach aussen gezählt.
Der erste Mittelfussknochen, der grossen Zehe angehörig
Os metatarsi halluds s. primum (liallux, richtiger Jiallex, grosse Zehe),
unterscheidet sich von den übrigen durch seine Kürze und Stärke.
An der unteren Fläche seines überknorpelten Capitulum erhebt sich
ein longitudinaler Kamm, zu dessen beiden Seiten sattelförmig ge-
höhlte Furchen für die beiden Sesambeine liegen. — Der Mittel-
fussknochen der zweiten Zehe ist der längste, weil das zweite
Keilbein, an welches seine Basis stösst, das kürzeste ist. — Der
Mittelfussknochen der kleinen Zehe zeichnet sich, nebst
seiner, schief von oben nach unten etwas comprimirten Gestalt,
noch durch einen Höcker seiner Basis aus, welcher am äusseren
Fussrande über das Würfelbein hinausragt, und durch die Haut
leicht gefühlt werden kann.
Die Mittelfussknochen bilden, zugleicli mit der Fusswurzel, einen von vorn
nach liinten, und von aussen nach innen convexen Bogen, welcher beim Stehen
nur mit seinem vorderen und hinteren Ende den Boden berührt. Dieser Bogen
hat einen äusseren, mehr flachen, und einen inneren, mehr convexen Rand, auf
welchen die Körperlast durch das Schienbein stärker, als auf den äusseren drückt.
Die Spannung des Bogens ist veränderlich. Er verflacht sich in der Richtung von
vorn nach hinten, und von aussen nach innen, wenn der Fuss beim Stehen von
obenher gedrückt wird, und nimmt seine frühere Convexität wieder an, wenn er
gehoben wird. Eine bleibende Flachheit des Bogens bedingt den Plattfuss,
welcher mit seiner ganzen unteren Fläche auftritt. Der Bogen des Fusses kann
zur Verlängerung der unteren Extremität benützt werden, wenn man sich während
des Stehens, durch Strecken der Füsse höher macht (auf die Zehen stellt), wobei
der Fuss sich nur mit den Köpfen der Mittelfussknochen, insbesondere des ersten
und zweiten, auf dem Boden stemmt, während die Zehen, ihrer schwachen Axen-
knochen wegen, nie dazu verwendet werden können, die Leibeslast zu tragen. —
Durch die Beweglichkeit der einzelnen Stücke des Bogens, kann sich der Fuss
den Unebenheiten des Bodens besser anpassen, und der Tritt wird sicherer.
C, Dritte Ahtheüung, Knochen der Zehen,
Die Knochen der Zehenglieder (Phaiangea digüarum pedis) ent-
sprechen, durch Zahl;» F' n der Finger^
410 §. 154. Bäuder des Fusses.
und sind, wie diese, Röhrenknochen en miniature. An der Hand,
deren Bau auf vielseitige Beweglichkeit abzielt, waren die frei be-
weglichen Finger wohl die Hauptsache. Am Fusse dagegen, dessen
Bau auf Festigkeit und Tragfähigkeit berechnet ist, wären finger-
lange Zehen etwas sehr Ueberflüssiges, ja fiir das Gehen selbst
etwas sehr Nachtheiliges gewesen. Die Zehen sind deshalb be-
deutend kürzer als die Finger. Ihre einzelnen Phalangen müssen
somit ebenfalls kürzer sein, und zugleich rundlicher und schwächer,
als die einzelnen Phalangen der Finger. Die Phalangen der drei-
gliederigen Zehen liegen aber nicht wie die Fingerphalangen in einer
geraden Linie. Die erste Zehenphalanx ist schief nach oben, die
zweite fast horizontal, die dritte schief nach unten gerichtet. Die
ganze Zehe bekommt dadurch die Krümmung einer Kralle, welche
nur mit dem Ende der dritten Phalanx den Boden berührt. Die
besten Abbildungen vom Fussskelcte sind in dieser Beziehung
unrichtig zu nennen. Die dritten Phalangen werden an den zwei
äussersten Zehen häufig durch enge und unnachgiebige Fuss-
bekleidung verkrüppelt gefunden; die zweiten sind mehr viereckig
als oblong, und öfters an der kleinen Zehe mit der dritten Phalanx
verwachsen. Die zwei Phalangen der grossen Zehe (die mittlere
fehlt wie am Daumen) zeichnen sich durch ihre Breite und Stärke
vor den übrigen aus.
Man hat es nicht beachtet, dass die letzte Phalanx der Zehen, sehr oft an
ihren Seitenrändem ein Loch, und, wenn dieses fehlt, einen entsprechenden Aus-
schnitt besitzt, durch welchen die ansehnlichen Zweige der Digital gefiisse und
Nerven, zum Rücken der Zehe, namentlich zum blut- und nervenreichen Nagelbett
verlaufen. Nur He nie gedenkt dieser Löcher.
An schön gebildeten Füssen, soll die grosse Zehe etwas kürzer als die zweite
sein, und die vordere Vereinigungslinie der Zehenspitzen einen Bogen bilden. So
sieht man es wenigstens an den classischen Arbeiten älterer und neuerer Kunst,
wenn gleich nicht geläugnet werden kann, dass, bei der ungleich grösseren Mehr-
zahl der Füsse, die grosse Zehe die grösste Länge hat. Vielleiclit übt die Festig-
keit der Fussbedeckung, welche das Waclisthum des starken Hallux weniger be-
schränkt, als jenes der zweiten Zehe, hierauf einen Einfluss. Dem Künstler mag
es erlaubt sein, die anatomische Richtigkeit der gefälligeren Form ziun Opfer
zu bringen, denn eine gebogene vordere BegrenzungsUnie des Fusses, hält der
Kunstsinn jedenfalls für schöner, als eine gerade.
§. 154. Bänder des Fusses.
1. Bänder der Fusswurzel.
Der Fuss führt am Unterschenkel dreierlei Bewegungen aus :
1. Die Streckung und Beugung in verticaler Ebene; 2. die Dreh-
bewegung um eine verticale Axe (Abduction und Adduction), bei
welcher die Fussspitze einen Kreisbogen in horizontaler Ebene
§. IM. Bänder des Fussos. 411
beschreibt; 3. die Drehung des Fusses um seine Ijängenaxe, Supination
und Pronation genannt, wodurch der äussere oder innere Fussrand
gehoben wird. Versuchen an Leichen zufolge verhält sich der Um-
fang dieser drei Bewegungen wie 78^ : 20^ : 42^. Die erste Bewegung
wird durch das Gelenk zwischen dem Sprungbein imd dem Unter-
schenkel vermittelt, und die Drehungsaxe geht horizontal durch
beide Knöchel. Die zweite Bewegung tritt in demselben Gelenke
auf, indem die innere Gelenkfläche des Sprungbeins, am inneren
Knöchel vor- und rückwärts ghüten kann, und dadurch einen Kreis-
bogen beschreibt, dessen (^entrum im äusseren Knöchel liegt. Die
dritte Bewegung leistet das Kugelgelenk zwischen Sprung- und
Kahnbein, und das Drehgelenk zwischen Sprung- und Fersenbein.
Sie combinirt sich immer mit der zweiten Bewegungsform, welche
an und fiir sich sehr klein ist, und nur durch gleichzeitiges Ein-
treten der dritten, im Bogen von 20^ ausführbar wird.
Die Bänder der Fusswurzel bedingen: a) theils eine Ver-
bindung dieser mit dem Untersehenkel, h) theils eine Vereinigung
der einzelnen Fusswurzelknoehcn unter einander.
a) Die Verl)indung der Fusswurzel mit dem Unter-
schenkel bildet das F'uss- oder Sprunggelenk, ^rficwifa/eo joecZ/«
8, talo'Cruralis. Die beiden Malleoli des Unterschenkels (wörtliche
Uebersctzung von xa cfjpit^ Mallei, Hämmer oder Schlägel), fassen
die Seiten des Körpers des Sprungbeins gabelartig zwischen sieh,
und gestatten ihm beim Beugen und Strecken des Fusses in verti-
caler Ebene, sich um seine Queraxe zu drehen. Es wurde früher
erwähnt, dass bei jener mittleren Stellung des Gelenks, wo die Axe
des Fusses mit der Axe des Unterschenkels einen rechten Winkel
bildet, der vordere breiteste, und der hintere schmälste Rand der
oberen Gelenkfläehe des Sprungbeins, nicht mit der unteren Gelenk-
fläche des Schienbeins in Contact stehe. Erst beim Strecken des
Fusses im Sprunggelenk, kommt der hintere schmale Rand dieser
Gelenkfläehe, und beim Beugen der vordere breite Rand derselben,
mit der Schienbeingelenkfläche in Berührung. Letzteres wird nur
dadurch möglieh, dass der äussere Knöchel etwas nach aussen
weicht, und es begreift sich somit, warum das Schienbein nicht
beide Knöchel bilden durfte, indem sie in diesem Falle keine Ent-
fernung von einander gestattet hätten. Es erhellt zugleich aus dieser
Angabe, dass ein gebeugtes Sprunggelenk viel mehr Festigkeit be-
sitzt, als ein gestrecktes. Um einen Begriff von der Festigkeit dieses
GeliMiks im gebogenen Zustande zu haben, muss man es im frischen
Zustande untersuchen, indem, an gebleichten BLnochen, die Knorpel-
überzüge so eingetrocknet sind^ dass das Sprungbein in der Gabel
der Knöchel klappert.
412 §• l&l- B&iider des Fasses.
Die Biindcr des Sprunggelenks sind, nebst der fibrösen
und Synovialkapsol , welche die Ränder der beiderseitigen Oclcnk-
fliiclien umsäumen, die drei äusseren, und das einfache innere
Seiten band. Die drei äusseren sind rundlich , strangförmig,
entspringen vom MaUeoliis extemus , und laufen in divergenter
Richtung, das vordere schief nach vorn und innen zur äusseren
Fläche des Halses des Sprungbeins, als Ligamentum fibulare tali
anticum, — das hintere fast horizontal nach innen und hinten, zur
hinteren Fläche des Sprungbeinkörpers, als Ligamentum fibulare tali
posHcum; während das mittlere zur äusseren Fläche des Fersenbeins
herabsteigt, als Ligamentum fibulare calcanei. Das innereSeitenband
entspringt breit vom unteren Rande des Malleolus internus, nimmt
im Herabsteigen noch an Breite zu, und endigt an der inneren
Fläche des Sprungbeins, und am Sustentaculum des Fersenbeins.
Seine Q estalt giebt ihm den Namen Ligamentum deltoides.
Eine Fortsetzung der Synovialkapsel des Sprunggelenks dringt
von unten her, als eine kleine Tasche oder Blindsack, zwischen die
Contactflächen des Schienbeins und des unteren Wadenbeinendes ein.
b) Die Bandverbindungen der Fusswurzelknochen
unter einander müssen, bei dem Drucke, welchen der Fuss von
obenher auszuhalten hat, überhaupt sehr stark, und an der Sohlen-
»oite stärker, als an der Dorsalseite sein. Von diesem sehr ver-
wickelten Bandapparate, soll hier nur die Hauptsache berührt werden.
Die einander zugekehrten Gelenkflächen je zweier Fusswurzel-
knochen, werden durch eine fibröse, mit Synovialhaut gefütterte
Kapsel, und durch Verstärkungsbänder, zu einem Gelenke vereinigt,
welches den Namen von den betreffenden Knochen entlehnt: Arti-
culatio talo'caicanea, calcaneo-cuioidea, talo-namcularisy u. s. f. Diese
Gelenke erfreuen sich nur einer geringen Beweglichkeit. Nur die
Articulatio talo-naviadaris macht eine Ausnahme von dieser Regel,
weil in ihr die Berührungsflächen der beiden Knochen sphärisch
gekrümmt sind, wie es die in diesem Gelenke gestattete Dreh-
bewegung des Fusses um seine Längenaxe (Supination und Pronation)
erheischt. — Das Kahnbein wird mit den drei Keilbeinen nicht
durch drei besondere, sondern durch eine gemeinschaftliche Kapsel
vereinigt.
Die Verstärkungsbänder , welche den Namen des Gelenks
tragen , dem sie angehören (Ligamentum talo-calcaneum , calcaneo-
cuboideum, etc.), werden, ihrem Vorkommen nach, in äussere und
innere, dorsale und plantare eingetheilt. Die plantaren verdienen,
ihrer Stärke wegen, besondere Würdigung. 1. Das Ligamentum
calcaneo-^mbaideum plantare, von der unteren Fläche des Fersenbeins
zur Tvberositas oms cuboidei gehend, ist eines der stärksten Liga-
mente des Körperg, und besteht aus einer oberflächlichen und tiefen,
§. 154. B&nder des Fussm. 413
durch etwas zwischenlicgendes Fett getrennten Schichte. Die ober-
flächliche Schichte ist länger als die tiefliegende, und gerade von
hinten nach vom gerichtet. Sie heisst deshalb Ligamentum plantare
longum 8. rectum, und sendet, über die Furche des Würfelbeins
hinüber^ eine Fortsetzung zu jden Basen der zwei letzten Mittelfuss-
knochen. Die tiefliegende Schichte dieses Bandes wird von der
hochliegenden nur theilweise bedeckt, ist bedeutend kürzer, und
schief nach innen gerichtet (daher Ligamentum plantare ohliquum),
da es sich einwärts von der Tuberontas osds cuboidei an der unteren
Fläche dieses Knochens befestigt. 2. Das lÄgam^entam calcaneo-
naviculare plantare, welches, seiner häufigen, durch Verknorpelung
bedungenen Rigidität wegen, auch Ligamentum cartüagineum genannt
wird, schliesst nicht selten einen Knochenkern ein. Es zieht vom
Sustentaculum des Fersenbeins zur unteren Gegend des Kahnbeins,
und hilft mit seiner oberen Fläche die Gelenkgrube des Kahnbeins
zur Aufnahme des Sprungbeinkopfes vergrössern; — daher seine Ver-
knorpelung und gelegentliche Verknöcherung. Hieher gehört noch:
das Ligamentum intertarseum , eine kurzfaserige und feste Band-
masse, welche im Sinv^ tarsi zwischen Sprung- und Fersenbein an-
gebracht ist.
2. Bänder des Mittelfusses.
Sie sind: 1. Kapselbänder, zur Verbindung der einzelnen
Mittelfussknoehen mit den correspondirenden Flächen der Fusswurzel-
knochen, wodurch die fünf straffen Articidationes tarso - metatarseae
entstehen, deren Synovialkapseln sich zwischen die seitlichen Gelenk-
flächen der Bases ossium metatarsi fortsetzen, — 2. Hilfsbänder
dieser Gelenke, an der Dorsal- und Plantarseite, — 3. Zwischen-
bänder der Bases, Ligamenta basium transversalia s. interbasica,
zwischen je zwei Bases ausgespannt, deren es vier dorsalia, aber
nur drei jylanfaiia giebt, indem zwischen Metatarsus der grossen
und der nächstfolgenden Zehe kein Querband in der Planta vor-
kommt, — 4. Zwischen bänder der Köpfchen, Ligamenta capt-
tuiorum metatarsi dorsalia et plantaria, — von beiden Arten vier.
3. Bänder der Zehenglieder.
Die Verbindungen der Zehenglieder gleichen jenen der Finger-
glieder vollkommen. Die Gelenke zwischen den Köpfchen der
Metatarsusknochen und den ersten Zehengliedem, sind ziemlich frei,
indem sie nebst Beuge- und Streckbewegung auch Zu- und Ab-
ziehung gestatten. Die Gelenke der Phalangen unter einander sind
reine Winkelgelenke. An allen finden sich Kapseln, mit einem
äusseren und inneren Seitenbande, und einer unteren, stärkeren, wie
verknorpelten Wand, üi welcher, am ersten Gelenke der grossen
Zehe, zwei ansehnliche Sesambeine eingewachsen sind, deren dem
Gelenke zu^kehrte Ff^ ^'a Mttelförmigen Furchen an der
414 §• 155. Allgemeine Bemerkungen über den Vum.
unteren Seite des Kopfes des Metatarsus Jiallvcis einpassen. Am
zweiten Gelenke der grossen Zehe kommt noch ein drittes, so wie
zuweilen an der inneren Fläche des ersten Keilbeins, und an der
äusseren Ecke der Tuberositas ossis cuboidei, ein viertes und fünftes
Os sesamoideum vor. — Mehr als hier wird für den wissbegierigen
Leser in meinem Handbuch der prakt. Anatomie. Wien, 1860, über
die Bänder des Fusses gesagt.
Von dem inneren und zugleich grösseren Sesambein der grossen Zelie
Cquod magiae aectatöres Albadaram vocanty Riol.), glanbten die Mystiker^ das»
dasselbe, nicht wie die anderen Knochen verwese (totum corpus ptdrescU, excepto
Wo otte), sondern sich als Keim in der Erde erhalte, damit ans ihm, wie
aus einem Samenkorn, der ganze Mensch zum jüngsten Gericht wieder auf-
erstehe. So lese ich z. B. mit Heiterkeit bei Fr. Cosra. Laurenti: o», nulli cor-
ruptioni chnoxium, post mortem reco7idUum, instar aeminin hominem, in extrem i
judicii die, producturum (OnomcUologia anthropotom. Jiomae, ISSl, pag. 47). Die
Talmudisten nannten diesen unzerbrechlichen, unverbrennbaren, und überhau])t
unzerstörbaren Knochen: Ossiculum Lhs 9, Ltiz (K. Nathan, Lex, Talmud. Verb.
LusJ, Rabbi Uschaia, anno 210 nach Christus, war der Erfinder dieser Fabel,
welche auch die Anatomen des Mittelalters in so fem beschäftigte, als sie dieses
Knöchelchen, mit Baal Aruch nicht an der grossen Zehe, sondern an der
Wirbelsäule aufsuchten (Luz est os in fine oclodecim vertehranim), aber natürlich
nicht fanden, und zuletzt das Steissbein dafür hielten. Man liest noch hie und
da vom Judenknöchlein. Eine Stelle des alten Testamentes (Psalm 34.
V. 21), welche lautest: „aistoilit Dominus ossa justorum, unum ex iifis nati canfrin-
„yetur*^, hat ohne Zweifel den hebräisclien und christlichen Auslegern der Schrift
Veranlassung gegeben, nach diesem fingerten Knochen zu fahnden.
§. 155. Allgemeine Bemerkungen über den Fuss.
Der Bau der unteren Extremität richtet sich nach demselben
Typus, wie jener der oberen, deren Abtheilungen sie, mit wenig
Verschiedenheiten, wiederholt. Das Gesetz der strahligen Bildung,
mit Zunahme der Axenknochen von eins bis fünf, drückt sich in
beiden aus. Das Hüftbein entspricht der Schulter, und man braucht
ein Schulterblatt nur so aufzustellen, dass seine Gelenkfläche nach
unten sieht, um die Aehnlichkeit desselben mit dem Darmbeine
evident zu machen. Dass das Sitzbein dem Rabenschnabelfortsatz
des Schulterblattes, und das Schambein dem Schlüsselbeine ent-
spricht, ist an jugendlichen Hüftbeinen, deren drei Bestandtheile
noch nicht durch Synostose vereinigt sind, leicht abzusehen. Um
den Bewegungen der oberen Extremität das möglichst grösste Bereich
zu geben, musste das Schulterblatt, welches so vielen Muskehi des
Armes zum Ursprünge dient, selbst ein verschiebbarer Knochen
»ein. Das Hüftbein dagegen , durch welches der Stamm auf dem
Oberschenkelknochen roht^ musste mit der Wirbelsäule in festerem
§. 155. Allgemeine Bemerkungen über den Fast. 415
Zusammenhange stehen, wie er denn durch die Si/mph/sis sacro-Uiaca
gegeben ist.
Das Schenkelbein wiederholt durch seinen Kopf und Ilals^
durch seine beiden Trochanteren am oberen Ende, und seine rollen-
artig vereinigten Condyli am imteren, den Kopf, den Hals, die Tuber-
cula, und die Trochlea des Oberarmbeins.
Der Unterschenkel besteht, wie der Vorderarm, aus zwei
Röhrenknochen, von denen jedoch nur das Schienbein mit dem
Oberschenkel articulirt. Das Wadenbein, welches nicht bis zum
Oberschenkel reicht, und somit auch keinen Theil der Körperlast
trägt , ist nur der Lage nach , und durch den Malleolus extemtts,
welcher dem Processus st/jloideus des Radius entspricht, dem Radius
vergleichbar. Genauer genommen , vereinigt das Schienbein die
Eigenschaften der Ulna und des Radius, und zwar lässt sich seine
obere Hälfte mit der Ulna, seine untere mit dem Radius vergleichen.
Man setze die obere Hälfte einer Ulna mit der unteren Hälfte eines
Radius zusammen, und man wird einen Knochen erhalten, welcher
dem Schienbein viel ähnlicher ist, als eine ganze Ulna. Denkt man
sich noch die Kniescheibe mit ihrer Spitze an die Tibia angewachsen,
so springt die Aehnlichkeit noch mehr in die Augen. Die Knie-
scheibe fasse ich als das selbstständig gewordene Olekranon des
Unterschenkels auf. Beide entwickeln sich aus besonderen Ossi-
ficationspunkten, und dienen den Streckern zur Insertion. Der
Ossificationspunkt des Olekranon verschmilzt bald mit dem Körper
der Ulna. Es wurden jedoch von mir und de la Chenal Fälle
beschrieben, wo das Olekranon einen Substantiven, nicht mit der
Ulna verschmolzenen Knochen darstellte, was bei mehreren (iattun-
gen der Fledermäuse als Norm erscheint. Das Schienbein führt allein
die Winkel- und Drehbewegungen aus, in welche am Vorderarm
sich Ulna und Radius theilen.
Das Kniegelenk entspricht also formell und functionell dem
Ellbogengelenk, gilt uns aber edler als dieses. Denn wir drücken
durch Beugung des Knies, nicht des Ellbogens, Achtung und Ehr-
furcht aus, und der Bittende umfasst die Kniee dessen, von dem er
eine Gnade erfleht. Per tua genua te obsecro, heisst es bei Plautus,
und Plinius sagt: hominis gemhus quaedam religio inest. Man kniet
vor dem höchsten Gott, und dem allerhöchsten Monarchen. Die
sklavische Demuth des Orientalen kriecht selbst auf allen Vieren.
Der Fuss besteht, wenn man das Erbsenbein der Handwurzel
nicht zum Carpus zählt, der Zahl nach aus eben so viel Knochen,
wie die Hand. Jedoch unterscheidet sich die Zusammensetzung der
Fusswurzel durchaus von jener der Handwurzel. Das Sprungbein
ist durch seine Einlenkung am Unterschenkel, nicht den drei ersten
Handwurzelknochen analog, sondern entspricht, wie früher gezeigt
416 §. 155' Allgemeine Bemerlrangen Ober den Fnm.
wurde (Note zu §. 153), nur dem Os Iwiaium des Carpus. Die Fuss-
wurzel stellt zugleich den grössten Abschnitt des Fusses dar, während
die Handwurzel der kleinste Bestandtheil der Hand ist. Theilt man
sich die Länge des Fusses in zwei gleiche Theile, so besteht der
hintere nur aus der Fusswurzel, der vordere aus Mittelfuss und
Zehen, während bei der Hand die obere Hälfte von Handwurzel
und Mittelhand, die untere aber nur von den Fingern gebildet
wird. Die Hand liegt in einer Flucht mit der Längenaxe des
Vorderarms, — der Fuss bildet mit dem Unterschenkel einen
rechten Winkel.
Da der Fuss ein Piedestal für die knöchernen Säulen der Beine
bilden soll, so waren Festigkeit und Grösse unerlässliche Bedin-
gungen. Diesen beiden Bedingungen entspricht der Fuss 1. durch
seine Bogenkrümmung, welche durch die Stärke der Plattfussbänder,
auch bei der grössten Belastung des Körpers, aufrecht erhalten
wird, und 2. durch die Länge imd Breite des Tarsus und Meta-
tarsus. Die Zehen kommen, ihrer Kürze und Schwäche wegen, beim
Stehen nicht sehr in Betracht, da die Endpunkte des festen Fuss-
bogens, im Fersenhöcker und in den Köpfchen der Metatarsus-
knochen liegen. In der geringen Festigkeit der Zehen, und in ihrer
Zusammensetzung aus kurzen, dünnen Säulenstücken, liegt auch
der Grund, dass wir uns nicht auf ihre Spitzen erheben können.
Wenn wir glauben, auf den Zehenspitzen zu gehen, so gehen wir
eigentlich nur auf den Köpfen der Metatarsusknochen , vorzüglich
jenes der grossen und der nächsten Zehe, und dieses Gehen würde
ein sehr unsicheres, imd vielmehr nur ein Trippeln sein, wenn die
durch ihre Muskeln gebeugten, und nur mit ihren Spitzen den
Boden berührenden Zehen, in diesem Falle nicht als eine Art
elastischer Schwimgfedern wirkten, durch welche die Schwankungen
des Körpers corrigirt, und die Sicherheit des Trittes vermehrt wird.
Ein Mensch, welcher keine Zehen hätte, könnte, mit gestreckten
Füssen, nur wie auf kurzen Stelzen gehen. Uebrigens sind die
Zehen viel unwichtiger für den Fuss, als die Finger für die Hand.
Ein Fuss, welcher durch Gangrän oder Verwundung alle Zehen
verlor, hat nur seinen unwesentlichsten Bestandtheil verloren, während
der Verlust aller Finger, oder jener des Daumens allein, die Hand
ihrer nothwendigsten Gebrauchsmittel beraubt.
Ein Hauptunterscheidungsmerkmal des Fusses von der Hand
liegt in dem Unvermögen, die grosse Zehe, wie einen Daumen, den
übrigen Zehen entgegenzustellen, um zu fassen oder zu halten.
Wenn behauptet wurde, dass bei Ziegeideckern, guten Kletterern,
und bei den Hottentotten, die grosse Zehe opponirbar sei (Bory
de St. Vincent), so muss dieses so lange fUr eine blosse Meinung
eines Nichtanatomen gehalten werden^ bis sie durch anatomische
§. 155. Allgemeine Bemerkungen aber den Fubs. 417
Untersuchungen gerechtfertigt sein wird. Es ist uns nicht bekannt,
wie es die Wilden Neuhollands zu Wege bringen, ihre langen Speere
im hohen Grase mit den Füssen nachzuschleppen, wenn sie einen
üeberfall auf Europäer beabsichtigen, und dieselben durch schein-
bares Unbewehrtscin täuschen wollen. Hätte die grosse Zehe die
angeborene, aber durch Vernachlässigung verlernte, oder nicht zur
Entwicklung gekommene Oppositionsfahigkeit, so würde sich diese
gewiss bei jenen Individuen in ihrer ganzen Grösse zeigen, welche
mit Mangel der Hände geboren wurden, und welche die Noth lehrte,
sich ihrer Füsse statt der Hände zu den gewöhnlichen Verrichtungen
des täglichen Lebens (Schreiben, Spinnen, etc.) zu bedienen. Ich
habe an einem Mädchen mit angeborenem Mangel der oberen
Extremitäten, welches es so weit brachte, mit den Füssen eine
Pistole zu laden und abzudrücken, die grosse Zehe nicht entgegen-
stellbar gefunden. Es fehlt ja übrigens auch die Muskulatur hiezu.
Schon die plumpe Gestalt der grossen Zehe, welche die übrigen
Zehen an Masse weit mehr übertrifft, als der Daumen die Finger,
eignet sie durchaus nicht zu jenem Gebrauche, welchen wir von
unserem Daumen machen können.
Die Zehen des Fusses können unter Umständen nur sehr noth-
dürftig zum Ergreifen dienen, wie die Finger der Hand ohne
Mithilfe des Daumens, allein die Sicherheit des Anfassens und
Festhaltcns ist ihnen versagt. — Durch ihre Adductionsbewegung
können beide Füsse einen festen Körper umklammern, wie es
beim Emporklettem an einem Baumstamme oder Seile, oder beim
festen Schluss des Reiters auf einem sich bäumenden Pferde ge-
schieht. Wie unvollkommen und unbehilflich der beste Kletterer
unter den Menschen ist, zeigt die Behendigkeit und Schnelligkeit
der kletternden Thiere.
Wenn die Füsse die Aufstellnngsbasis des Leibes abgeben, so sind grosse
Füsse jedenfalls anatomisch vollkommener als kleine. Der 8chönheitskenner denkt
anders, imd schwärmt fClr einen kleinen Puppenfass. Alle germanischen und
lateinisclien Volksstämme haben grössere Füsse, als die celtischen; die kleinsten
Füsse der Welt aber haben die Weiber der Eskimos und der Hottentotten
(Blumenbach).
Das Stehen mit parallelen Plattfüssen, wobei die Zehenspitzen gerade nach
vom gericlitet sind, ist wegen Grösse der Basis, und wegen der beträchtlichen
Entfernung des Schwerpunktes von der Umdrehungskante (welche beide Fussspitzen
verbindet), das sicherste. Je weiter die Fussspitzen sich nach aussen wenden,
desto schwerer und unsicherer wird das Stehen. Der Bauer steht fester als der
Soldat en parade. Eine massige Entfernung der Füsse von einander, ist zu einer
festen Positur nothwendig, darf aber ein gewisses Maximum nicht überschreiten.
Jede Bewegung, welche der Fuu am Unterschenkel ausführt, kann der
Unterschenkel ebenfalls am Fuste machen. Der Untenehenkel beugt sich und
streckt sich im Sprunggelenk gegen den Fom beim NIederimiero nnd Erheben,
— er dreht sich mittolrt dm Byiiw^'-' Hta. um mit
Hyrtl, L«hrb«ek der Anrte«li, 14.
418 9* 1^ Literatur der Knochen- nnd B&ndcrlehre.
weit ansg^spreiteten Extremitäten nnd ganzer Bohlenfläche zn stehen, — nnd der
innere Knöchel dreht sich um die innere Gelenkfläche des Sprungbeins, wenn
man, auf Einem Fusse stehend, Drehbewegungen mit dem Stamme niaclit. Hei
sehr starker Aus- und Einwärtsdrehung der Fussspitzen in aufrechter Stellung,
dreht sich die ganze untere Extremität im Hüftgelenke, und man fühlt den
Trochanter einen eben so gp*ossen Bogen beschreiben, wie die Zehen. Sonderbarer
Weise behaupten die alten Anatomen (Spigelius), dass starke Knöchel bei neidi-
schen, kleine bei trägen Individuen vorkommen, so wie noch in neuerer Zeit
Dupuytren und Malgaigne, angeborene Breite des Vorderarms in der Nähe
der Handwurzel für ein organisches Zeichen geistiger Schwäche erklärten.
Ueber die Analogien der oberen und unteren Extremitäten
schrieben :
Bergmann, zur Vergleichnng des Unterschenkels mit dem Vorderarme, in
Müller^» Archiv, 1841. — JB. Owen, On Nature of Limbs. London, 1849. — Cnt-
oeilhter, Traite d*anatomie descriptive. 4. edit Tom. I. — Giraut Teiilon, in der
'Gaz. mM. 1854, N. ö, 6. — L, Fick, Hand nnd Fuss, in Müller^ Archiv, isr»7.
— Ch. Martin», Nouvelle comparaison des membres pelviens et thoracique». Mont-
pellier, 1857, und desselben Autors: Comparaison des membres pelviens et thora-
ciques. Paris, 1873. — O, Murray Ilutnp/iry, On the Limbs of Vertebrate Aninials.
Cambridge, 1860, und desselben Autors: The Human Foot and the Human Hand.
London, 1861. — (7. Lncae, die Hand und der Vxlbs, Frankfurt, 1865.
§. 15G. Literatur der Knochen- und Bänderlehre.
A) Knochenlehre.
a) Gesammte Osteologie.
Unter allen organisehen Systemen wurden die Knochen am
frühesten genau bekannt. Schon die älteste osteologischc Literatur
enthält treffliche Beschreibungen einzelner Knochen^ und das (ia-
le nasche Werk de tum partium wird, selbst in unseren Tagen, noch
immer als Muster classischen Styls und geistreicher Behandlung
dieses Gegenstandes gelesen, obwohl es, wie Vesal bewies, sich
meist auf Affenkno<*hen bezieht. Nichtsdestoweniger hat selbst die
neueste Zeit noch Manches in der Osteologie zu entdecken gefunden,
und insbesondere durch genauere Würdigung der Gelenkflächen
der Knochen, die Mechanik der Gelenke zum Ciegenstande streng
wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht.
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit der neueren Zeit zu, so
bewundern wir als unerreicht: B, S. Alhini, tabulae sceleti et raus-
culorum corp. hum. Lugd. Bat., 1747, fol. max., und dessen Tabulae
ossium. Leidae, 1753, fol. max. Die Genauigkeit der Beschreibungen,
und die künstlerische Vollendung der Zeichnungen (von Wande-
laer's Meisterhand) machen diese beiden Werke zum llauptschatz
der osteologischen Literatur. Hieran schliessen sich:
§. 150. Literatur der Knochen- und Bänderlehre. 419
S. Th. Sümmei^ivgy tab. sceleti feminini. Traj. ad Moen., 1797,
foL, ferner die osteologischen Tafeln in den Atlassen von Jtd,
Cloqmt, und M. J, Weber (Skeletabbildungen in natürlicher Grösse,
mit dem Schatten der Umrisse der Weichtheile).
Die Leichtigkeit, womit man sich bei jeder anatomischen An-
stalt Knochen verschafft, macht heut zu Tage das Studium der
Knochen nach Originalen viel empfehlungswerther, als die Benützung
osteologischer Abbildungen. Diese dienen sicher mehr zum Schmuck
der Bibliotheken, als zum Erlernen der Osteologie.
Die besten speciellcn Osteographien sind:
J, Paaw, de hum. corp. ossibus. Lugd. Bat., 1615. 4. Ich
würde dieses Buch nicht anfuhren, wenn ich es nicht sehr unter-
haltend gefunden hätte, was man von anatomischen Werken nur
selten sagen kann, deren ausschliessliches Vorrecht: langweilig zU
sein, starr und steif aus jeder Zeile spricht. — J, F, Blumenbach,
Geschichte und Beschreibung der Knochen. Göttingen, 1807. Durch
die vielen eingeschalteten comparativ-anatomischen Bemerkungen
sehr interessant. — Ä Th, Sömmen^ing , Lehre von den Knochen
und Bändern, mit Ergänzungen und Zusätzen herausgegeben von
K. Wagner, Leipzig, 1839. Wird durch Henles Knochenlehre weit-
aus übertroffen. — L. Holden, Human Gsteology, with Plates, 2. edit.
Lond. Die Tafeln sind Originalien; der Text enthält jedoch nichts
Neues. — G, Murratj Humphry, A Treatise on the Human Skeleton,
Cambridge, 1858. Sehr ausführlich, mit praktischen Anwendungen,
und Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte und der Be-
wegungsgesetze. Zahlreiche ( )riginal tafeln , besonders von Durch-
schnitten, sehr correct, wie man sonst in illustrirten Handbüchern
nicht zu finden gewohnt ist. — K, Owen, on the Archetype and
Homologies of the Vertebrate Skeleton. liond., 1848, und dessen:
On the Nature of Limbs. Lond., 1849. Ebenso geistreiche als fass-
liche, für die Deutung der Knochen, und die Zurückführung ihrer
Formen auf eine Grundidee, höchst werthvolle, vergleichend ana-
tomisch durchgeführte Reflexionen. — Ctivier^s „Ossemens fossiles"
bilden noch immer das unentbehrlichste Hauptwerk für vergleichende
Osteologie. — Für Lehrer und Schüler der Anatomie empfiehlt sich
C. Tjochow, das Skelet des Menschen auf 14 lith. Tafeln dargestellt,
als Grundlage zum Nachzeichnen. Würzburg, 1865.
b) Schädelknochen.
C. Gr. Jung, Animadversiones de ossibus generatim, et in
specie de ossibus rapho-geminantibus (Nahtknochen). Basil., 1827.
— E, Hallmann, die vergl. Osteologie des Schläfebeins. Hannover,
1837. — F. S. Leuckarty Untersuchungen über das Zwischenkiefer-
bein des Menschen. Stuttgart, 1840. — P. Lammers, über das
27*
42i) l. IM. UUrutui Aht Kboclufu- nad Binderlehre.
74V/m'\\ittiWu*.U*r\H^\u , und nein Verhältniftg zur Hasenscharte ^ und
zum WoH'Hrat'JKai. Kriangen, lHr>3. — Engel, über den Einfluss der
Ziilinbilduiip^ auf das Kiefer^erüst^ in der Zeitschrift der Wiener
A<?rzt4i, r>. .Iiilir^aiig, — Dieterkh, Beschreibung einiger Abnormi-
iikU^ti iU'M M<fnHcht*nHcliUdelH. I^asel^ 1842. — G. J. Schultz, Be-
tiH*.rkung<ui über deji Bau der nonnalen Menschenschädel. Peters-
burgy lHr)2. Ilillt t'ine, oft in Kleinigkeiten abschweifende Nachlese
über binlier uiib<»aelitete OHteologische Vorkommnisse. — L. Ftck,
über di<j Areliiti^ktur de» Scliildels, in Muller's Archiv. 1853. —
all, (L Luaui, zur Arcliitektur des Mensehenschädels, mit 32 Tafeln.
Frankfurt a. M., 1857. — //. Welcher, über Wachsthura und Bau
den ni(MiH(dili(^hen SchiUlelH. I^eipzig^ 18G2. — W. Gruber, Beiträge
Kur Anatomien des KeilboiiiH und Sehläfebeins. Petersburg, 1859, und
dc^HHen Beitrag«» zur Anatomie d(i» Schildelgrundes. Petersburg, 1869.
— A. Jiarkow, Krllluttuningen zur Skelet- und Gchirnlehre. Breslau,
18(J5. fol. — lAindzert, Beiträge zur (Jraniologie. Frankfurt, 1867.
— Gn^H^, {\\h\v den Stirnfontanellknochon, in den M<5m. de FAcad.
de St. PiUersbourg, XIX. — Sehr lehrreich in gerichtsärztlicher Be-
«ieliung iHt diti Abhandlung Iloffiiuiniis über Spaltbildungen und
OHHiru'ntionHdofecte an den Schädeln Neugeborener (Prager Viertel-
jahrHHchrift, Bd. 123). — He^ittel, über die Ossa interparietalia, im
Aroliiv für Anat. 1874. — K, Zuck^rkundl, zur Morphologie des
(JoHiehtHHehädelrt. Stuttgart, 1875.
«0 lh*utumj UHil ZuHlckfUhrung dei* SchäJ-elkniKheu auf die allgenmneii
Nonnen dar Wirbel hildimg.
NobHt A\ (ht'unif oben citirton Werken: C, B, Reichert, über
tlio Vij*eeralbogtMi dw Wirbelthiere, in Müllers Arohiv, 1837, und
doKsen vei^gleiehendt* Kntwioklung^osehiehte des Kopfes. Königs-
borg, IS,IS, — *S/>(Mn//«. über die IVimonlialsehädel der Säugethiere
und doH Monsehon, Zürieh, 1846. — lUtlder, de eranii eonfonnatione.
l>orpali« IS47, A7»//«Xfjr. MittheilungiMi der Zürcher naturforschen-
do« iit^sollsiehatV 1847, und dessen Bericht über die zootomisehe
Anstalt in \Vür»burg. Leipr.ig, 1849. — IL Muller, über das Vor-
konunon von Kosten der Chorda </(>neii/iV nach der Geburt. Zeitschr.
ftlr rat. Mod. N. F, U. Bd. — A\ Virchmc^ übt^r die Entwicklung
dos SohiidolÄrrundos^ oio», mit 6 Tafohu Berlin. 1857. — Die Ent-
wioklung^ohritton von Inier, /ui/AAv, Bischoß. l>Hg^;f. — G. Joä^jä.
luorphol. Stu\lion am Kopt^kolot. Broi^lau, 1873.
«r vV'.^^Yifc'vVVrMk^i« Hini A!titrsritr;fK'^hi^%i^At(tteH de* Kopf^*,
%L K lUmm^nl^ich . iHÜKvtio omuior\uu divonjarum ^utium.
i5ouu^;:;io^ 17^^^ -IS:?S, C>. Tk. ^mmerrtH^. üWr die kOrjK'rliche
Yors\*hiixlouhoii dos Xo^r^^rs vvuu Kurv^j^aor. Fraukturt a. M., 17rv>. —
§. 156. Literatar der Knochen- und Bänderlohro. 421
P. Camper, über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge.
Ans dem Holländischen übersetzt von Sömmerring. Berlin, 1792. —
Ä G. Morton, Crania araericana, etc. Philadelphia, 1839 — 1842, —
R, Froriepy die Charakteristik des Kopfes nach dem Entwicklungs-
gesetz desselben. Berlin, 1845. — J. Engel, Untersuchungen über
Schädel formen. Prag, 1851. — Sehr wichtige Beiträge zur Kenntniss
der Alters-, Geschlechts- und Racenunterschiede des Schädels ent-
hält Hu8chke*8 ausgezeichnetes Werk: Schädel, ITirn und Seele des
Menschen. Jena, 1854. — L, Fkk, über die Ursachen der Knochen-
formen. Göttingen, 1857, und dessen neue Untersuchungen, etc.
Marburg, 1859. — P. Harting, le c^phalographe. Utrecht, 1861. —
G. Lucae, zur Morphologie der Racenschädcl. 1861 — 1864. —
Ch. Aebtjj eine neue Methode zur Bestimmung der Schädelform,
Braunschweig, 1862, und dessen Schädelformen der Menschen und
Affen. Leipzig, 1867. — M. J. Weber, die Lehre von den Ur- und
Racenformen der Schädel und Becken. Düsseldorf, 1830. —
A. Retzlus, über die Schädel der Nordbewohner, in MnUei^'s Archiv,
1845, und über künstlich geformte Schädel, ebenda, 1854. —
v. Baer, Crania sclecta, etc., cum 16 tab., in den Möm. der Peters-
burger Akademie. Tom. VIII. 1859. — B, Davis und J, Thurnam,
Crania britannica. 67 Platcs. London, 1856 begonnen. — H. Welcher,
Wachsthum und Bau des menschlichen Schädels. Leipzig, 1862. —
A. Ecker, Crania Germaniae, etc. Frib., 1863 — 1866, und dessen
Schädel nordost-afrikanischcr Völker. Frankfurt, 1866. — Riltiinei/er
und His, Crania Helvetica. Basel, 1864. — JVeisbdch, Schädelformen
österreichischer Völker, in der Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener
Aerzte. 1864. — G. Carus, Atlas der Cranioscopic. Leipzig, 1864.
— Iliering, über das Wesen der Prognathie. Braunschweig, 1872.
— Derselbe, zur Reform der Craniometrie. Berlin, 1873. — Zucker-
kandl, Mittheilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien.
4. Bd. (Schicfschädel und Nahtverschmelzung). — Reich an cranio-
logischcn Mittheilungen sind die periodischen Publieationen der
anthropologischen Gesellschaften zu London und Paris, und des
deutschen Archivs für Ajithropologie.
e) Wirbelsäule.
E. H, Weher, über einige Einrichtungen im Jlechanismus der
menschlichen Wirbelsäule, in MeckeVs Archiv. 1828. — J, Müller,
vergl. Anatomie der Myxinoiden. Erster Thcil : < )steologie und
Myologie. Berlin, 1835. fol. Höchst geistreiche und für die richtige
Auffassung und Deutung der Rückenmuskeln unentbehrliche Re-
flexionen über die Wirbelfortsätze. — A. Retzius in Müller s Archiv.
1849. 6. Heft. — F. Homer, über die Krümmung der Wirbelsäule
im aufrechten Stehen. Zürich, 1854. — Die Arbeiten von H. Meyer
423 §• ISO* Literatur der Knochen- und Bftnderlehre.
in Müller's Archiv, 1853 und 1861, so wie jene von Parow, im
Archiv für path. Anat. 1864, erörtern die Bcwcglichkeits Verhältnisse
der Wirbelsäule.
f) Becken,
F. C. Naegele, das weibliche Becken, betrachtet in Beziehung
seiner Stellung und der Richtung seiner Höhle. Carlsruhc, 1823. —
G. Vrolik , considcrations sur la diversite des bassins des raccs
humaines. Amst., 1826. — Sdiwegel, Beiträge zur Anatomie des
Beckens, in dem Wochenblatt der Zeitschrift der ärztlichen Gesell-
schaft in Wien. 1855, Nr. 37. — Weisbcbch, Becken österreichischer
Völker, in der Zeitschrift der Wiener ärztlichen Gesellschaft, 1866.
— 0, V. Franque, über die weiblichen Becken verschiedener Menschen-
racen, in ScamonVs Beiträgen zur Geburtskunde. Bd. VI. — L. Fürst,
die Maass- und Neigungs Verhältnisse des Beckens. Leipzig, 1875.
g) Gelenke,
Ausser den im Texte der Osteologie genannten, neuesten Ar-
beiten über Gelen ksmcchanik, führe ich noch folgende an: W. und
E, Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge. Göttingeii,
1836. 8. Ein durch Originalität und mathematische Begründung
seiner Lehrsätze gleich ausgezeichnetes Werk. — G, B, Günther,
das Handgelenk in mechanischer, anatomischer und chirurgischer
Beziehung. Hamburg, 1841. — Ch. Bell, die menschliche Hand.
Aus dem Englischen von Hauff, Stuttgart, 1836. — J, Hfjrtl, Knie-
gelenk. Oesterr. medic. Jahrb. 1839; Hüftgelenk, Zeitschrift der
Wiener Aerzte. 1846. — Mehrere kleinere ^ Abhandhingen von
H. Metjer und L, Ftck in Müller' 8 Archiv. 1853. — Hoher f, Anatomie
und Mechanik des Kniegelenks. Giessen, 1855. — iMmjer, über das
Sprunggelenk, im 12. Bande der Denkschriften der kais. Akad. —
Derselbe, über das Kniegelenk, in den Sitzungsberichten der kais.
Akad. 32. Bd. — Henke, die Bewegung des Beines im Sprung-
gelenk, in der Zeitschrift für rat. Med. 8. Bd. ; über die Bewegun-
gen der Handwurzel und des Kopfes, ebenda, 7. Bd. — Luschka,
die Halbgelenke. Berlin, 1858. — F, R, Schmid, Form und Mechanik
des Hüftgelenks. Bern, 1875. — Henle's Anatomie (1. Band) ist
eine reiche Fundgrube für Mechanik der Gelenke, und die sechste
Auflage meiner topographischen Anatomie, enthält die praktischen
Anwendungen derselben. — H, Met/er, Statik und Mechanik des
Knochengerüstes. Leipzig, 1874.
h) Entwicklung, Altersverschiedenlieiten und Spielarten der Knochen,
J, J, Sue, sur les propri^tös du squel^te de Thomme, examinc
depuis Tage le plus tendre, jusqu'a celui de 60 ans et au dela.
1. 156. Litoratnr der Knochen- und B&nderUhre. 423
Möm. prös. k TAcad. royale des scienccs. Paris, 1755. — F. Isenr
fiamm, brcvis dcscriptio sceleti humani variis in aetatibus. Erlangae,
1796. — F. CJiaussard, recherches sur Torganisation des vieillards.
Paris, 1822. — J. van Döveren, observ. osteol. varios naturae lusus
in ossibus exhibentes. In ejusdem Specim. observ. acad. Groning.
1765. — Ca. RoaenmiiUer, diss. de singularibus et nativis ossium
varietatibus. Lipsiae, 1804. — Tlieüe, Beiträge zur Angio- und
Osteologic, in der Zeitschr. für wiss. Med. VI. Bd. — W. Gruber y
Abhandl. aus der menschl. und vergl. Anatomie. Petersburg, 1852.
Eine wahre Fundgrube interessanter und seltener Anomalien in
Thieren und Menschen. (Osteolog. Varietäten als Thierähnlichkeiten,
Os interparietale, abnorme Nähte, etc.) — Schwegd, Knochenvarie-
täten, in der Zeitschrift für rat. Med. 3. Reihe. XI. Bd. — Luschka,
über Halsrippen und Ossa suprastemalia, im 16. Bd. der Denk-
schriften der kais. Akad. — Gurlt, Beiträge zur path. Anat. der
Gelenkskrankheiten. Berlin, 1853. — Dürr, Zeitschr. fiir wiss. Med.
1860, und Bockshamer, die angeborene Synostose, Tübingen, 1861,
handeln über die interessanten Verschmelzungen des Atlas mit dem
Hinterhauptbein, und des fünften Lendenwirbels mit dem Kreuz-
bein. — Hjirtl, über die Trochlearfortsätze menschlicher Knochen,
in den Denkschriften der kais. Akad. IH. Bd. — Ramhaud et Renault,
origine et developpement des os. Paris, 1864. — W, Henke und
C Ret/her, Entwicklung der Extremitäten. Wiener akad. Sitzungs-
berichte, 1874.
ij Praktische Amoeisungeji zur Skeletopoe,
Nebst den allgemeinen Schriften über Zergliederungskunst:
.7. Cloquet, de la sceletopee, ou de la preparation des os, des arti-
culations, et de la construction des squelötes, in dessen Concours
pour la place de chef des travaux anatom. Paris, 1849. — J. A. Bo*
gros, quelques consid^rations sur la scelctopde. Paris, 1819. —
C\ Hesselhadi, vollständige Anleitung zur Zergliederungskunde. Erster
Band. Arnstadt, 1805.
JB) Bänderlehre.
Die SyjKlcsmologie hat eine sehr gründliche Bearbeitung ge-
funden in Henle's Bänderlehre, welche die zweite Abtheilung des
ersten Bandes seines anatomischen Handbuches bildet. Die neuere
Zeit brachte Luschkas Halbgelenke des menschlichen Körpers, mit
6 Tafeln, Berlin, 1858, fol., und W. Henke's Handbuch der Anatomie
und Mechanik der (ielenke, Leipzig, 1863, so wie dessen Mecha-
424 S. 156. Literatur der Knoehen- und Bftnderlehre.
nismus der Doppelgelcnke mit Zwischenknorpel. Von älteren Werken
kann nur genannt werden:
J. WeMrechtj Syndesmologia, sive historia ligamentorum cor-
poris hum. Petropoli, 1742. Mit 26 Tafeln. Deutsch von Loschge,
mit besseren Abbildungen als im Original. 2. Auflage. Erlangen,
1804. fol. Es verdient dieses Werk den Namen nicht mehr, welchen
es bei seinem Erscheinen hatte. Weit vollständiger und gründlicher
ist: H. Barkow, Sjndesmologie. Breslau, 1841.
DRITTES BUCH.
Muskellehre, mit Fascien und topographischer
Anatomie.
A. Kopfmuskeln.
§. 157, Eintheilimg der Kopfmuskeln.
Unter Kopfmuskeln, im engeren Sinne des Worte«, v<M'st<^lien
wir jene, welelie am Kopfe entspringen, und am Kopfe endigen. Die*
vielen Muskeln, welche nur am Kopfe endigen, und anderswo ent-
springen, w(*rden nicht als Kopfmuskeln, soiulern als Musk<'ln j<*ner
Gegenden besehrieben, durch welche sie v(»rlaufen, Im* vor sie zum
Kopf gelangen.
Die eigentlichen Kopfmuskeln zerfallen in zwei Klass(*n. Dir
erste wird durch Muskeln gebildet, welche nur mit Kincni Kndc an
einem Kopfknochen haften, mit dem andcn^n sieh in WciclitlH'ile,
oder in die Haut, verlieren. Sie sind sämmtlicli dUnnc, und
vcrgleichungsweise schwache ^luskeln, da die» (ic^bildc, wch-ln^ si«
zu bewegen haben, sehr wenig Widerstan<l lcist(Mi. l)i(^ zweite
Klasse fasst solche Muskeln in sich, wcIcIh^ an Kopfknoeh<*n cuit-
springen und endigen. Da es nur Kin<Mi l)(»wcgli<*licn Knoelicn (clen
Unterkiefer) am Kopfe giebt , müss<*.n si<' alle sich an diesem
festsetzen.
Bevor «ler Schüler zum Studium <ler Munkeln und zur praktiHclien JJ«j-
arbeitnng derselben an der Leiche Mchreitet, m?>pe er die raragraphe 31 42 der
allgemeinen Anatomie aufmerksam durchgehen. — Mein Handbuch der prakt.
Zerglied erung«kunHt, Wien, IHGO, entliült AUeH, waii er zur I'raxiH dei4
Seciren» bedarf. - AU Cnrionum erwähne ich, da«« e» auch Myologieen in Vt*€M't\
gpebt: J^h, f/narr^, mt/ffffM/ia jxjrfM-a, J'nrU, Ih'-'J^, und Car, Spon, intjttl4njitL
heixtUxf cai-nünf, f.rjnr'oin, in yfnufi^Ai hihi, nnfil. T*mi. II.
§. 158. Kopfrrjij.Hk^ln, welche sich an Weichtheilen inseriren.
\)V\ M'j^lc'ffi fU"^*r KIämwj bewegen eiitwijder die bchaart^^
Kopfhaut, vl'f 'h':Wirk"M 'Vw. YjTwt'AU'.nxuy; und Wrcngeruiig der im
428 §. 158. Kopfinnskoln, welche sich an Weichtheilen inseriren.
Gesichte belindlichen Oeffnungen. So bedeutsam diese Muskeln für
die Mechanik des Mienenspiels sind, so unwichtig sind die meisten
derselben bisher dem praktischen Arzte geblieben.
A. Muskeln der behaarten Kopfhaut.
Sie sind : der Musculus frontalis und occipitalis. Ersterer ent-
springt von der Glabella, in der Gegend der Sutur zwischen Stini-
und Nasenbein, fertier von dem inneren Ende des Arcus superciliaris,
wohl auch vom Margo supraorbitalis. Er läuft, mit dem der anderen
Seite divergirend, über den Stirnhöcker nach aufwärts, breitet sich
zu einer flachen und dünnen Muskelschichte aus, und inserirt sich
mit einem massig convexen Rande, an den vorderen Rand einer
Aponeurose, welche der Oberfläche der Hirnschale wie eine Kappe
genau angefügt ist (die Schädelhaube, Gcdea aponeurotica cranii).
Diese liegt zwischen Haut und Beinhaut, und breitet sich nach
rückwärts bis zum Hinterhaupte, und seitwärts bis zur Schläfe-
gegend herab aus. An den hinteren Rand dieser Aponeurose, setzt
sich der viereckige, flache, dünne Musculus occipitalis an, welcher
von den zwei äusseren Dritteln der Linea semidrcuiaris superior des
Hinterhauptbeins, und von der angrenzenden Pars mastoidea des
Schläfebeins entsteht, und mit dem der anderen Seite etwas con-
vergirend, an die Galea tritt. Gegen die Schläfe herab, verliert die
Galea ihren aponeurotischen Charakter, und nimmt das Ansehen
einer Bindegewebsmembran an. — Es lassen sich auch die Stirn-
muskeln als der vordere, die Hinterhauptmuskeln als der hintere
Bauch, und die Galea als die Sehne eines einzigen Muskels be-
trachten, welcher dann Musculus epicranius oder occipito-frontalis zu
nennen wäre. — Jedes Muskelbündel des Frontalis und Occipitalis,
setzt sich in ein breites Sehnenbündel fort, welches, besonders vom
Occipitalis aus, sich weit in die Galea hinein verfolgen lässt. —
Die beiden Stirnmuskeln werden die Galea nach vorn, die beiden
Hinterhauptmuskeln nach hinten ziehen, und, da die Galea sehr fest
mit der behaarten Haut des Schädels zusammenhängt, wird letztere
den Bewegungen der Galea folgen. Wirken die Stirn- und Hinter-
hauptmuskeln gleichzeitig, so wird die Galea an den Schädel stärker
angepresst. Wirkt der Musculus frontalis allein, so wird er, zugleich
mit der Bewegung der Galea nach vorn, die Stirnhaut in quere
Falten legen, welche, wenn sie zu bleibenden Runzeln werden, die
gefurchte Stifne der Greise bilden.
Diese Angaben sind den anatomischen Verliältnissen des Stimmuskels ent-
nommen. Cruveilhier dagegen stellt, gestützt auf Reizimg^versuciie des Muskels,
die Behauptung auf, dass der Musculus fvontalitt immer seinen fixen Pimkt an der
Galea nehme, die Stimliaut und die Augenbrauen nacli aufwärts bewege, und
dem Gesichte jenen Ausdruck verleihe, welchen es bei heiteren Affecten, und
ft'endiger Ueberraschung annimmt.
S. Ifi8. Kopfmuskolu, welche sich an Weichtheilen inseriren. 429
Wenn die Galea ver8clüe1)bar ist, so kann sie mit dem anter ihr liegenden
Periost des Sdiädcls, nur eine lockere und dehnbare liindeffcwebsverbindung ein-
gehen, während ihr Zusammenhang mit der behaarten Kopfhaut, durch ein sehr
kurzes, straffes, und nur sehr wenig Fett einscliliessendes Bindegewebe bewerk-
stelligt wird, lieber einen der beiden Stirnmuükeln, und zwar häufiger über den
rechten als über den linken, verläuft die bei körperlichen Anstrengungen und
Gemüthsbewegungen schwellende Stimvene fV'ena i^rneiHirata), „die Ader des
Zornes", aus welcher man vor Zeiten zur Ader liess.
Der durch sehr kurzes und straffes Bindegewebe vermittelte innige Zusammen-
hang der Galea mit der behaarten Kopfhaut, ist der Grand, wanim von den An-
fängern, öfters, bei der Ablösung der Kopfhaut, die Galea mitgenommen wird.
Die alten Aerzte hielten die behaarte Kopfliaut, welche besonders in der Hinter-
hauptgegend sich durch ihre Dicke auszeichnet, und deshalb von ihnen Kopf-
schwarte genannt wurde, für porös. Die vermeintlichen Pori sollten dazu dienen,
die Dämpfe des Gehirn» (Huperßuüuten famosaa ceredrij, welche durch die Nähte
nach aussen dringen, verdampfen zu lassen. Ist die Kopfscliwarte ungewöhnlich
dick, so lässt sie dieses Verdampfen niclit zu, w^odurch sich die Himdämpfe ver-
dichten, und unter der Haut zu den Gelenken wandern, um dort die Gicht ssu
erzeugen. Die Medicin hat dun*.li lange Zeit, den Unsinn in allen Formen fllr
WLssenschaft genommen.
Zuweilen findet sich unter tlem Musculus occijnUdiM noch ein kleiner, feder-
spnlcndicker Miiskelstreifen , welcher in der Gegend der ProtuJterantia ocripUnlu
externa von der oberflächlichen Nackenfascie entspringt, den Kopfursprung de»
Curullaria in querer Richtung überlagert, und sich in der Gegend der Kopf-
insertion des Kopfnickers, entweder in der Nackenfascie oder in der Fascia jxiro-
tidea verliert. Santorini besclirieb ihn zuerst als OccipUalis inmor oder (hrrn-
gatnr iwsticus,
B. Muskeln um die Oet'fnungeu d(»s Gesichts.
Sie bilden so viel Gruj)pen, als ( )eft'nun<jj(^n im Oesielite vor-
kommen.
1. Muskeln der Augenlidspalte.
Vom inneren Winkel der Augenlidspalte geht ein kurzes, aber
breites Bündchen (Ligamentum paJpehrarum Inteimum) zum Rtirn-
foi*tsatz des Oberkiefers, welches man am eigenen Kopfe selicn
kann, wenn man die Augenlidspalte, durch Zug an ihrem äusseren
Winkel, gegen die Schläfe hindrängt. Von diesem Bändchen, und
vom Stirnfortsatz des Oberkiefers selbst, entspringt der Schliess-
muskel der Augenlider, Musculus orhiculans s, sphinct&r palpe-
brarum, welcher eine Kreisbewegung um den Umfang der Orbita
macht, und theils an demselben Bändchen, theils am inneren Drittel
des Margo wfrafrrhitaUs endigt.
Man braucht den Muskel nur einmal zu sehen, um Überzeugt zu sein, dass
er seinen Namen mit Unrecht trägt, indem er nur die Haut um die Orbita
zusammenschieben, und in strahlenf^irmige Falten legen kann, mit den Augenlidern
ab(?r nicht» zu schaifen hat Es wäre deshalb riditiger, ihn Orhicularis orhiUir zu
nennen. Die Schliessung der Augenlider wird vielmehr durch ein besonderes,
dünnes, unter der Haut der Augenlider, dicht am fireien Lidrande (wo die Wimpern,
CÜia, wurzeln) liegendes, gelblich-rÖthlicheB Muakelstratum bewirkt, welches, im
Gegensatz zum OrbicularU orintae, alt Orbkudaina jpa^peAramm aa bezeichnen
wäre, oder, nacli seinem Entdettker, ab M^ IHe einxelnen
430 §• 158. Kopftnnskeln, welche sich an Weiohtheilen interiren.
Bflndel dieses MuAkelstratnmB sind so gebogen, dass jene des oberen und unteren
Augenlides, ihre Concavitüten gegen die Lidspalte kehren. »Sie müssen also, durch
ihr Geradlinig^erden während der Contraction, die freien LidrKnder bis zur Be-
rührung einander nlihem. Jene Bündel, welche zunächst am freien Lidrande lagern,
sind etwas dicker, und dichter zusammengedrängt als die übrigen.
Eine Partie von Fasern des OrhicuJftrvi entspringt von der äusseren Wand
des Thränensacks und von der Crista des Thräneni)eins , als ein schmales, vier-
eckiges Fleisrhbündel. Dieses ist der schon von Duvernoy gekannte, von
Rosenmüller abgebildete Mvscidujt Hörnen (Philadelphia Journal, 1824, Nov.).
Homer betrachtete ihn a1»er nicht als Theil des Orhici/Jaritj sondern Hess ihn, in
zwei Schenkel gespalten, an den inneren Endpunkten der beiden Augcnlidknorpol
endigen, welche er nach innen spannen soll, weshalb er denn auch sofort als Tmsor
tarn benannt wurde. — lieber die anatomischen und physiologischen Verhältnisse
des OrltieularU handelt ausführlich, und mit neuen Gesichtspunkten, P. L e s s h a f t,
im Arch. für Anat. und Physiol. 1868.
Der schmale Augcnbrauenrunzler , Muscidns c(yn*iigator
supercäü, zieht die obere Augenbraue gegen die Nasenwurzel und
zugleich etwas herab. Vom Stimmuskel und Orhicularis palpebrarum
bedeckt, nimmt er von der Glabella seinen Ursprung, geht über
den Arcus supercäiaris nach aussen, und verwebt sich, beiläufig in
der Mitte des Margo supraorhttalis , mit den Fasern des Frmitalu
und Orbictdaris. Indem er beide Brauen einander nähert, muss sich
die Haut der Glabella in senkrechte Falten legen. Er ist also kein
Ccrrrugator stiperciUi, sondern ein Corrugator glabellae,
2. Muskeln der Nase.
Der Aufheber des Nasenflügels und der Oberlippe,
Levator alae nad et labii superhris, entsteht vom Stirnfortsatze des
Oberkiefers, unterhalb der Ansatzstelle des Ligamentum pcäpebral^
mtemum, und hängt mit dem Ursprimge des Musculus frontalis zu-
sammen. Er steigt an der Seite der Nase herab, und theilt sich in
zwei Schenkel, deren einer zum Nasenflügel, der andere, breitere,
zur Oberlippe geht. Er rümpft die Nase und erweitert das Nasen-
loch. (Sa n torin i nannte ihn Pyramidalis), — Der Zusammen-
drücker der Nase, Compressor nasi, entspringt aus der Fossa canina
des Oberkiefers, wo er vom vorhergehenden bedeckt wird. Während
er zum Rücken der knorpeligen Nase strebt, verwandelt er sich in
eine dünne Fascie, welche mit jener der anderen Seite über dem
Nasenrücken zusammenfliesst. Zu dieser Fascie kommt nicht selten
ein schlankes Muskelbündelchen vom Stirnmuskel herunter, als
Musculus procerus Santorini, Neuere Autoren vei-wechseln den Procerus
mit dem Pt/ramidalis, — Der Niederzieher der Nase, Depressor
alae nasi s, Musculus lateralis nasi, entspringt, von den beiden früheren
bedeckt, von der Alveolarzelle des Eckzahns und äusseren Schneide-
zahns, krümmt sich nach auf- luid vorwärts, und befestigt sich am
hinteren Ende dea Nasenflügelknorpels. — Der Levator propiius alae
nam anterior und posterior entspringen, der erstere vom Seitenrande
}. 168. Kopftnntkaln, welche sich an Weiehthellen inseriren. 431
der Incüura pyrifm^mM, der zweite vom Nasenflügelknorpel, in
dessen Hauttiberzug beide übergehen sollen. — Der Niederzieher
der Nasenscheidewand, Depressor septt mohilis nariumy besteht
aus Fasern des Orbteidaris oris, welche sich in der Medianlinie nach
oben begeben, um am unteren Rande des Nasenscheidewandknorpels
zu enden. Man kann ihn richtiger als ein Ursprungsbündel des
Orhicularis oris nehmen.
3. Muskeln der Mundspalte.
Bei keinem Thiere, selbst bei den menschenähnlichsten Affen
nicht, besitzt die Mundspalte eine so zahlreiche Muskulatur, wie
im Menschen. Der Mund der Thiere kann deshalb nie jene ver-
schiedenen Formen annehmen, welche ihn im Menschen zu einem
so wichtigen und sprechenden Factor der Miene machen. Das
ganze Spiel der Lippen beschränkt sich bei den Thieren auf das
Ergreifen des Futtere, auf das Fletschen der Zähne, auf die Her-
vorbringung einer Grimasse, welcher man es oft nicht ankennt, ob
Freude oder Leid ihre Veranlassung ist. — Die grössto Anzahl
der Muskeln des Mundes liegt beim Menschen in der Richtung der
verlängerten Radien der Mundöffnung. Nur Einer geht im Kreise
um die Mundöffnung herum. Letzterer ist ein Ver engerer und
Schliesser, erstere aber sind Erweiterer der Mundöffnung. Von
der Nasenseite zum Kinn im Bogen herabgehend, begegnet man
folgenden Erweiterern der Mimdspalte:
1. Der Aufheber der Oberlippe, LevcUor lahii superioris
propiius, einen Querlinger breit, entspringt am inneren Abschnitte
des Margo infraorhitcdis, und geht schräge nach innen und unten,
zur Substanz der Oberlippe. Er deckt das Foramen infraorhitale
und die aus ihm hervortretenden Gefasse und Nerven.
2. Der Aufheber des Mundwinkels, Tjevator angidi ori$,
kommt aus der Grube der vorderen Fläche des Oberkieferkörpers,
und verliert sich, fast senkrecht absteigend, und an seinem ii\neren
Rande vom I^vator lahii bedeckt, im Mundwinkel. Er liegt unter
allen Muskeln der Oberlippe am tiefsten.
3. und 4. Der kleine und grosse Jochbeinmuskel, Mus-
culus zijgomaticus major et minor, entspringen von der Gesichtsfläche
des Jochbeins, der kleine über dem grossen. Sie nehmen vom Or-
hicularis palpehrarum häuiig Fasern auf, und gehen vom Mundwinkel
aus, in die Substanz der Ober- und Unterlippe über, wo sie sich
mit den Fasern des Schliessmuskels verweben.
5. Der Lachmuskcl, Risorius Santorini, der kleinste und
schwächste in dieser Muskelgruppe, entspringt in der Regel von
der, den Kaumuskel und die Parotis deckenden Fascie (Fascia
parotideomasseterica), und läuft quer zum Mundwinkel, welchen er,
wie beim Lächeln, nach aussen zieht. Es erscheint zulässlich, den
432 9* 1^ Kopftanwkeln, welche sieh so Weichftkeilen interiren.
Rüoriua Santorini, als das oberste Grenzbündel eines später (§. 163)
folgenden Halsmuskels^ des Platysma myoides, aufzufassen. Man
schrieb mit Unrecht diesem Muskel die Wirkung zu^ das Lach-
grtibchen in der Wange zu bilden ^ welches Grübchen von den
Griechen Gelasinos, von Berengarius aber galanter Weise Umbäi-
cti8 Veneris genannt wurde.
6. Der Niederzieher des Mundwinkels, Depressor angidi
oris 8. Triangularis , entsteht breit am unteren Rande des Unter-
kiefers, und verwebt sich, spitzig zulaufend, mit der Ankimftsstelle
des Zygomaücus major am Mundwinkel.
7. Der Niederzieher der Unterlippe, Depressor lahii infe-
rioris s, Quadratus mstiti, entspringt am unteren Kieferrande, aber
weiter einwärts als der vorige, und wird von ihm theilweise be-
deckt Er verliert sich theils in der Haut des Kinns, theils in der
Substanz der Unterlippe. Die Muskeln beider Seiten convergiren
mit einander so, dass sich ihre inneren Faserbündel wirklich
kreuzen.
MerUum ist Kinn, welches bei Plinius anch barhamentum heisst; — das
Y^veiov der Griechen bedeutet sowohl Kinn als Bart, daher y^vei^^»» einen Bart
bekommen, d. i. mannbar werden.
8. Der Aufheber des Kinns, Levator menti, findet sich in
dem dreieckigen Räume zwischen beiden Quadrati, entspringt vom
Alveolarfortsatz des Unterkiefers, über der Protuberantta menfalü,
und verliert sich, herabsteigend, theils in die Haut des Kinns, theils
soll er auch bogenfiirmig in denselben Muskel der anderen Seite
übergehen.
9. Die Schneidezahnmuskeln, Muscidt indsivi Coicperi, zwei
obere und zwei untere, nehmen ihren schmalen Ursprung an den
Alveolarzellen der seitlichen Schneidezähne, und verlieren sich als
gerade, kurze, aber eben nicht schwache Muskeln, in die betreffende
Lippe. Einige erklärten diese Muskeln fiir die Kieferursprünge des
gleich zu erwähnenden Sphincter oris.
Wenn je ein Theil der Anatomie einer strengen und vorurtheilsfreien Re-
Tision bedarf, so ist es die Anatomie der Qesichtsmnskeln. Man redet Anderen
zu viel nach, nnd unterlXsst das eigene Nachsehen. Wanim? Weil die Zer-
gliederung der Muskeln der Mundspalte wirklich die schwierigste Partie der prak-
tischen Myotomie genannt zu werden verdient, nnd mehr geduldigen Fleiss in
Anspruch nimmt, als man gewöhnlich darauf verwendet.
10. Der Backenmuskel, Musculus bucdnator s. buccalis, ent-
springt von der äusseren Fläche des ZahnfUcherfortsatzes beider
Kiefer hinter dem zweiten Backenzahn, und vom Hamulus ptery-
goideus des Keilbeins, läuft mit ziemlich parallelen Fasern quer
gegen den Mund, wird von den beiden Zygomatidsj dem Risorius
und Deprusor anguU oris überlagert^ und verliert sich in der Ober-
1. 188. Kopftnnskaln, welche sich an Weicktkeilen inMiiren. 433
und Unterlippe, so zwar, dass die obersten der vom Unterkiefer
entsprungenen Bündel in die Oberlippe, und die untersten der
vom Oberkiefer kommenden in die Unterlippe übergehen. An den
Mundwinkeln muss somit eine partielle Kreuzung der Bündel des
Buccinator stattfinden. Wirkt er allein, so erweitert er die Mund-
öffnung in die Quere. Wird diese Erweiterung durch die gleich-
zeitige Thätigkeit des Schliessmuskels des Mundes aufgehoben, so
drückt er die Wange an die Zähne an, oder comprimirt, wenn die
Mundhöhle voll ist, den Inhalt derselben, z. B. die Luft, welche,
wenn die Lippen sich ein wenig öffnen, mit Gewalt entweicht, wie
beim Spielen von Blasinstrumenten, daher der alte Name Trom-
petermuskel. Gegenüber dem zweiten oberen Backenzahn, wird
er durch den Ausführungsgang der Ohrspeicheldrüse durchbohrt. —
Die vielen Muskeln, welche zu den beiden Mundwinkeln treten,
sind der Grund, warum die Mundöffnimg eine Querspalte, und nicht,
wie der After, ein faltig zusammengezogenes Loch bildet.
Der lateinische Name Biiccinator stammt von bticca, d. i. die beim Blasen
oder Essen aufgeblähte Wange, daher bei lateinischen Classikem bucco ebenso
Schwätzer, als Yielfrass bedeutet. Die nicht aufgeblähte Wange heisst gena.
Dieser Menge von Erweiterern der Mundöffnung wirkt nur
Ein Ring- oder Schliessmuskel entgegen, Orhicülaris oris 8.
Sphincter lahiorum (von aftf/w, schnüren). Er bildet die wulstige
Fleischlage der Lippen. Zwischen der äusseren Haut und der Mund-
schleimhaut eingeschaltet, hängt er mit letzterer weniger fest als
mit ersterer zusammen, ja es ist selbst bewiesen, dass eine Summe
von Fasern dieses Muskels wirklich in die Haut der Lippen ein-
geht, und sich in ihr verliert. Man Hess ihn daher mit Unrecht
nur aus concentrischen Ringfasern bestehen , welche nirgends am
Knochen befestigt sind, und sich mit den übrigen, zur Mundspalte
ziehenden Muskeln so innig verkreuzen und verfilzen, dass daraus
das schwellende Fleisch der Lippen entsteht. Reizungsversuche
einer Hälfte des Muskels (nach Duchenne) zeigten aber, dass die
Contraction nur auf die gereizte Hälfte sich beschränkt, was nicht
der Fall sein könnte, wenn die Muskelfasern des Sphincter aus einer
Lippenhälfte coutinuirlich in die andere fortliefen. Sharpey trennt
ihn in eine Pars labialis und facialis, Erstere erstreckt sich so weit,
als das Lippenroth reicht, und besteht aus wirklichen Kreisfasern.
Letztere umschliesst erstere, besteht nicht aus selbstständigen Kreis-
fasern, sondern erborgt ihre Elemente theils aus den übrigen zur
Mundspalte tretenden Muskeln, theils entspringen sie an den Zahn-
fächcrfortöätzen des Ober- und Unterkiefers in der Nähe der Eck-
zähne, und am Nasenscheidewandknorpel , welche Ursprünge die
früher erwähnten Musculi incisivi Cowperi und den Depressor septi
narium bilden. — Der Sphincter oris schliesst den Mund, spitzt die
Hyrtl, Lchrbueli dar AoatoMi*. 14. Aufl. 28
434 9* li^* Kopftnnikeln, welche sich an Weichiheilen inaeriren.
Lippen zum Pfeifen und Küssen (Musculus oscalatorius der Alten),
und verlängert sie zu einem kurzen Rüssel beim Saugen.
Durch Combination der verschiedenen Bewegungen einzelner Gesichtsmuskeln,
besonders jener des Miuides, entsteht der eigenthümliche Ausdruck des Gesichts —
die Miene. Tritt die Thätigkeit einer gewissen Gruppe von Gesichtsmuskeln
häufiger und andauernder ein, so bildet sich ein vorwaltender Grundzug, welcher
bleibend wird. Jede Gemüthsbeweg^ng liat ihren eigenthümlichen Dialect im
Gesichte, dem Spiegel der Seele. Auch der schweigende Mund spricht eine ver-
ständliche Sprache, und das facundum oris silenUum ist zuweilen beredter als die
Zunge. — Neugeborene Kinder und leidenschaftslose Menschen haben keine mar-
kirten Zflge; Wilde sehen einander ähnlich, wie die Schafe einer Heerde; das
Mienenspiel wird bei aufgeregten Seelenzuständen lebhaft und ausdrucksvoll, und
haben die Ztige einen gewissen bleibenden Ausdruck angenommen, so kann der
Physiognomiker daraus einen Schluss auf Gemüth und Charakter wagen. „Es ist
ein merkwürdiges Gesetz der Weisheit," sagt Schiller, „dass jeder edle Affect das
menschliche Antlitz verschönert, jeder gemeine es in viehische Formen zerreisst;"
und in der That, wer inwendig ein Schurke ist, trägt auch äusserlich den Fluch
Gottes im Gesichte (Galgenphysiognomie). Die Physiognomik ist jedenfalls auf
wissenschaftlichere Grundlag^en basirt, als die Spielerei der Schädellehre.
4. Muskeln des Ohres.
Sie bewegen das Ohr als Ganzes^ und sind vergleichungsweise
sehr wenig entwickelt, woran weder das Tragen der Kinderhäubchen,
noch der Mangel an Uebung schuld ist, da diese Muskeln auch bei
Wilden nicht stärker erscheinen. Nur wenig Menschen besitzen
das Vermögen, ihre Ohren willkürlich zu bewegen. Robespierre
soll es in einem sehr auffallenden Grade besessen haben, ebenso
der berühmte holländische Anatom AI bin. Man zählt folgende
Muskeln des äusseren Ohres:
1. Der Aufheber des Ohres, Musculus attollens auricidae,
platt, dünn, dreieckig, Hegt in der Schläfegegend, unmittelbar unter
der Haut auf der Fasda temporalis, entspringt breit von der Galea
aponeurotica crardi, und tritt, im Abwärtssteigen sich zuspitzend, an
die hervorragendste Stelle der dem Schädel zugekehrten Fläche
des Ohrknorpels.
2. Der Anzieher des Ohres, Musculus attrahens auriculae,
liegt über dem Jochbogen, entspringt von der Fascia temporalis, und
geht horizontal zum vorderen Rande der Ohrkrempe.
3. Die Rückwärtszieher des Ohres, Musculi retrahentes
auriculae, zwei oder drei ebenfalls horizontale kleine Muskeln, ent-
springen vom Processus mastoideus über der Anheftungsstelle des
Kopfnickers, und inseriren sich an der convexen Fläche der Ohr-
muschel.
Eine Gruppe kleiner Muskeln, welche die Gestalt des Ohrknorpels zu ändern
Termögen, da sie an ihm entspringen und an ihm auch endigen, wird erst bei der
Beschreibung des Gehörorgans vorgenommen.
§. 159. Miukeln dei Untorkitfen. 435
§. 159. Muskeln des Unterkiefers.
Die Einrichtung des Kiefergelenks zielt auf eine dreifache
Bewegung des Unterkiefers ab, welcher gehoben und gesenkt, vor-
und rückwärts, so wie nach rechts und links bewegt werden kann.
Von diesen Bewegungen muss das Heben mit grosser Kraft aus-
geführt werden, um die Zähne der Baefer auf die Nahrungsmittel,
deren Zusammenhang durch das Kauen aufgehoben werden soll, mit
hinlänglicher Stärke einwirken zu lassen. Die Hebemuskeln, oder
eigentlichen Beissmuskeln, werden somit die kraftvollsten Bewegungs-
organe des Unterkiefers sein. Hieher gehört der Musculus tempo-
r(dis, masseter, und pterygoideus internus. Die Senkimg des Kiefers,
welche schon durch die Schwere des Kiefers allein erfolgt, kann
durch den Musculus biventer beschleunigt werden. Die Vor- und Rück-
wärtsbewegung wird nur als Nebenwirkung von den Hebemuskeln
geleistet, weil die Richtung dieser Muskeln zum Unterkiefer keine
senkrechte, sondern eine schiefe ist, welche in eine verticale und
horizontale Componente zerlegt werden kann. Der vertical wirkende
Theil der Kraft hebt den Kiefer; der horizontale verschiebt ihn
nach vorn oder hinten. Die Vorwärtsbewegung, und wohl auch die
Seitwärtsbewegung des Unterkiefers, hängt vorzugsweise vom Mtis-
culu^s pterygoideus extemus ab. Da beim Kauen alle drei Bewegungen
des Kiefers wechselnd auftreten, so bezeichnet man die Muskeln
des Unterkiefers zusammen als Kaumuskeln.
a) Der Schläfe muskel, Musculus temporalis, fuhrt seinen
griechischen Namen: crotaphites, von yfoxio), pvlsare, weil man auf
ihm die Schläfenarterie pulsiren fühlt, und bei alten Leuten auch
häufig pulsiren sieht. Er ist der grösste, aber nicht der stärkste
Kaumuskel. Man weist ihm die Linea semicircularis temporum, und
die ganze Ausdehnung des von dieser Linie umgrenzten Planum
temporale zum Ursprung an. Ein Theil seiner Fasern entspringt
auch von der inneren Oberfläche einer ihn überziehenden, sehr
starken, fibrösen Scheide, Fascia temporalis, welche von der Linea
semicircularis temporum zum oberen Rand des Jochbogens zieht.
Die strahlig zusammenlaufenden Fleischbündel des Schläfemuskels,
werden auf halbem Weg tendinös, und vereinigen sich zu einer
breiten, metallisch schimmernden Sehne, welche unter den Joch-
bogen tritt, und sich am Kronenfortsatze des Unterkiefers festsetzt.
Der Schläfcmuskel hebt den gesenkten Kiefer, und wirkt somit
beim Beissen, wie der gleich folgende Masseter. War der Kiefer
vorgestreckt, so wird er durch ihn wieder zurückgezogen. Zwischen
der Fascia temporalis und der breiten Sehne des Schläfemuskela
findet sich >« ^ maäa^ Schwinden bei auszehrenden Krask*
28»
436 §. 159- Motkeln des Unterkiefers.
heiten oder im decrepiden Alter, die Schläfegegend zu einer Grube
einsinken macht.
Wenn man in den Urspmngsrand eines präpariiten Schläfemuskels von
Stelle zu Stelle Stiftchen einschlägt, und den Schädel hierauf macerirt, wird man
finden, dass dieser Rand nicht mit der Linea aemicircularis temporum zusammen-
fällt, sondern unter ihr liegt, und einer zweiten halbmondförmigen Linie entspricht,
welche ich die untere nenne, und welche in der Regel viel schwächer entwickelt
ist, als die obere. Ueber diesen interessanten imd in der Craniologie vielfältig
verwerthbaren Gegenstand handelt meine Schrift: die doppelten Schläfelinien des
Menschenschädels (XXXJI. Bd. der Denkschriften der kais. Akad.).
b) Der Kaumuskel, Musculus masseter, ein kurzer, dicker,
länglich viereckiger, mit fibrösen Streifen durchzogener Muskel,
entsteht vom Jochbogen, mit zwei Portionen, einer starken vorderen,
oberflächlichen, und einer schwachen hinteren, tiefer gelegenen,
deren Richtungen convergiren, indem die vordere schief nach unten
und hinten, die hintere schief nach unten und vorn geht. Die vor-
dere, ungleich kräftigere, und mit einer starken Ursprungssehne
versehene Portion, deckt die hintere, viel schwächere, zum grössten
Theile zu, und beide zusammen befestigen sich an der äusseren
Fläche des Unterkieferastes, bis zum Kieferwinkel herab. — Der
Kaumuskel hebt den Kiefer, und führt ihn durch seine vordere
Portion auch nach vorn. Ich finde keinen Schleimbeutel zwischen
beiden Portionen, wie ihn Theile erwähnt.
c) Der innere Flügelmuskel, Musculus pteri/goideus internus,
darum so genannt, weil er aus der Fossa pterygoidea kommt, be-
festigt sich au der unteren Hälfte der inneren Fläche des Unter-
kieferastes, bis zum Angtdus maxillae herab. Er stimmt, was Rich-
tung und Form betrifft, mit der vorderen Masseterportiou genau
überein. Er wird deshalb den Kiefer nicht blos heben, sondern
ihn zugleich vorschieben , wohl auch , wenn er nur auf einer Seite
wirkt, nach der entgegengesetzten Seite bewegen. Für die beiden
letztgenannten Actionen hat er einen gewaltigen Helfershelfer im
d) äusseren Flügelmuskel, MtLScvlus pterygotdeu^ eoctemus.
Dieser füllt den tiefstgelegenen Raum der Schläfegrube aus, und ent-
springt, seinem Namen zufolge, vorzugsweise von der äusseren Fläche
der äusseren Platte des Processus pterygüldeus. Seine obersten Bündel
vindiciren sich jedoch auch die Wurzel des grossen Keilbeinflügels.
Das am Keilbeinflügel entspringende Fleisch dieses Muskels, wird
von dem übrigen durch eine Spalte getrennt, welche der Nervus
buccincUarius passirt. Insofern mag man von zwei Portionen (Köpfen)
des Muskels reden. Seine kurze aber starke Sehne inserirt sich an
der vorderen und inneren Seite des Halses des Unterkiefers und
am Innenrande des Zwischenknorpels des Kiefergelenks. Würdigt
man seine in einer horizontalen Ebene nach rück- und auswärts
g. 160. Fftscien des Qesichtei. 437
zum Unterkieferhalse gehende Richtung, so ist es klar, dass er,
wenn er auf beiden Seiten wirkt, die Voi'wärtsbewegung des Kiefers
ausfuhrt, wenn aber nur auf Einer Seite thätig, die Seitwärts-
bewegung des Kiefers, und somit die durch die breiten Kronen der
Mahlzähne zu leistenden Reibbewegungen vorzugsweise vermitteln
wird. Thiere, welche der Vor- und Rückwärtsbewegung des Kiefers
ermangeln, wie die Fleischfresser, werden deshalb des Pterygoideus
extemus verlustig.
Der Musculus biventer, als Herabzieher des Kiefers, folgt bei
den Halsmuskeln.
Da jede Hälfte des Unterkiefers einen einarmigen Winkelhebel vorstellt,
und die Hebemaskeln sich nahe am Stützpunkte dieses Hebels inseriren, so werden
diese Muskeln nur mit grossem Kraftaufwande wirken können, und die vom An-
griffspunkte der bewegenden Kraft weit entfernten Schneidezähne, überhaupt
geringerer Kraftäussenmgen fähig sein, als die Mahlzähne. Man beisst eine Birne
mit den Schneidezähnen an, und knackt eine Nuss mit den Mahlzähnen auf. —
Um die Insertionsstelle des Schläfe muskels zu sehen, muss die Jochbrücke ab-
getragen, und sammt dem Masseter herabgeschlagen werden. Der äussere Flügel-
muskel wird nur nach Wegnahme des Kronenfortsatzes des Unterkiefers und des
daran befestigten Schläfemuskels zugänglich.
§. 160. Fascien des ßesiclites.
Es sind deren zwei : Fascia temporalis und huccalis. Die Fasda
temporalis wurde bereits im näehstvorhergehenden Paragraphe er-
wähnt. Es harrt somit nur mehr die Fascia buccalis einer prompten
Erledigung durch Folgendes. Auf dem Masseter und Buccinator
lagert eine Faseie, welche Fascia buccalis genannt werden kann.
Sie lässt zwei Blätter unterscheiden. Das hochliegende Blatt
deckt die äussere Fläche des Masseter, und die zwischen diesen
Muskel und den Warzenfortsatz eingeschobene Ohrspeicheldrüse,
Parotis, daher dasselbe auch Fasda paroHdeo-masseterica genannt
wird. Dieses Blatt hängt mit der unter der Haut liegenden Fett-
schichte des Gesichtes sehr innig zusammen, setzt sich nach vom
auf die äussere Fläche des Buccinator fort, und verschmilzt mit
dem, diesen Muskel überziehenden, tiefen Blatte. Nach oben hängt
es an dem Jochbogen, nach hinten an dem knorpeligen äusseren
Gehörgang an, und steigt über die Insertion des Kopfnickers am
Warzenfortsatze nach abwärts zum Halse, um in das hochliegende
Blatt der Fascia colli überzugehen. Das tiefliegende Blatt Fasda
bucco-pharyngea, deckt die äussere Fläche des Buccinator, läuft nach
rückwärts, um an der inneren Seite des Unterkieferastes den Mus-
culus pterygoideus internus einzuhüllen, und mit dem Ligamentum
laterale mtemum des Kiefergelenks zu verschmelzen^ überzieht hier-
438 $• 161- Einige topographische Besiehangen des Masseter und der Pterygoidei.
auf die seitliche und hintere Wand des Pharynx bis zum Schädel-
grunde hinauf, und identificirt sich, dieses letzteren Verhaltens wegen,
mit dem tiefliegenden Blatte der Fasda colli (§. 167).
Zwischen beiden Blättern der Fasäa buccalü, bleibt am vor-
deren Rande des Masseter ein Raum übrig, welcher durch einen
rundlichen Fettknollen ausgefüllt wird. Diese Fettmasse, von Bichat
la baute graisseuse de la joue genannt , dringt zwischen der Aussen-
fläche des Buccinator und der Innenfläche des Unterkieferastes bis
in den Grund der Fossa tempcraUs hinauf. Schwindet sie bei all-
gemeiner Abmagerung, so fallt die Backenhaut zu einer Grube
ein, wodurch die den abgezehrten Gesichtern eigenthümliche hohle
Wange gegeben wird.
§. 161. Einige topograpMsche Beziehungen des Masseter und
der Pterygoidei.
Dem Musculus masseter ({jLajaacfxai, kauen) gebührt wegen seiner
Constanten Beziehungen zu gewissen Gefössen imd Nerven des
Gesichts, eine besondere topographische Wichtigkeit. Am vorderen
Rande seiner Befestigung am Unterkiefer, steigt die Arteria nuixil-
laris externa vom Halse zum Gesichte empor, und pulsirt unter dem
aufgelegten Finger. An seinem hinteren Rande liegt, von den Körnern
der Parotis umgeben, die Fortsetzung der Carotis externa, und der
Stamm der hinteren Gesichtsvene; — seine äussere Fläche wird
von hinten her, durch die Parotis überdeckt, und der Quere nach
von dem Ausiiihrungsgange dieser Drüse (Ductus Stenonianus), von
der queren Gesichtsarterie, und den Zweigen des Antlitzncrven
(Nervus communicans fadei) gekreuzt, und am oberen Rayon seiner
inneren Fläche, tritt der durch die Incisura semüunaris zwischen
Kronen- und Gelenkfortsatz des Unterkiefers zum Vorschein kom-
mende Nervus massetericus in ihn ein. So oft er sich zusammenzieht,
und dadurch dicker wird, comprimirt er die zwischen ihm und der
unnachgiebigen Fascia parotideo-masseterica eingeschaltete Ohrspeichel-
drüse, und befördert dadurch den Speichelzufluss während des
Kauens. Es erklärt sich hieraus, warum bei der Ohrspeicheldrüsen-
entzündung (Parotitis), das Kauen gänzlich aufgehoben, und das
Sprechen nur lispelnd möglich ist. Ruht der Muskel, wie im Schlafe,
so strömt kein Speichel in die Mundhöhle zu, und ihre Wände
trocknen gern aus, wenn man mit offenem Munde schläft.
Bevor der Pterygoideus internus an den Unterkiefer tritt, steht
seine äussere Fläche mit dem inneren Seitenbande des Kiefergelenks
in Contact, und wird zugleich von der Arteria und Vena maxälaris
üUema gekreuzt. Da die Richtung des Pterygoideus internus vom
§. 16S. Form, Eintheilang, und ZnflammensetsiiBg dei Halset. 439
Flügelfortsatz des Keilbeins schief nach hinten und unten, jene des
exteniiLS dagegen schief nach hinten und aussen geht, so wird
zwischen beiden Muskeln eine Spalte gegeben sein müssen , durch
welche die Arteria maxUlarü interna, der Zungennerv, und der
Unterkiefemerv zu ihren Bestimmungsorten ziehen. Der motorische
Nerv des Schläfemuskels, kreuzt den oberen Rand des Pterygoideus
internus, um sich in die innere Fläche des genannten Muskels ein-
zusenken.
B. Muskeln des Halses.
§. 162. Form, Eintheilung und Zusammensetzung des Halses.
Der Hals, Collum, ist der Stiel des Kopfes. Er bildet das
Bindungsglied zwischen Kopf und Stamm , und stellt eine kurze,
cylindrische Säule vor, deren knöcherne Axe nicht in ihrer Mitte,
sondern der hinteren Gegend näher als der vorderen liegt. Wo die
Säule sich mit dem Kopfe verbindet, erscheint sie von einer Seite
zur anderen comprimirt, also längselliptisch; wo sie aber an den
Brustkasten grenzt, ist sie von vorn nach hinten comprimirt, also
querelliptisch. — Die Länge und Dicke des Halses steht nicht
immer mit der Grösse des Kopfes im Verhältnis«. Das Missverhältniss
eines grossen Kopfes zu einem kurzen und schmalen Halse, fallt
bei Neugeborenen auf. Bei gedrungener, vierschrötiger Statur (Hahitus
quadratus) , ist der Hals kurz und dick , und der Kopf steckt , wie
man sich ausdrückt, zwischen den Schultern. Ein langer und dünner
Hals (Schwanenhals) gesellt sich sehr oft zum schmächtigen, lungen-
süchtigen Habitus.
Zieht man auf beiden Seiten des Halses vom Warzenfortsatz
eine gerade Linie zur Schulterhöhe, so hat man die vordere Hals-
gegend von der hinteren getrennt. Die hintere wird, als dem
Rücken angehörender Nacken (Cervix, Nudia, bei den Griechen
auX^v und ipox^Q^o?); später abgehandelt. Hier nur von der vorderen
Halsregion.
Cervix heisst bei römischen Dichtem and Prosaikern anch der ganze
Hals, wie in dare brachia cervici, umhalsen, und cerviceni caedertf köpfen.
Aber auch die Anatomie verfaUt nicht selten in diese Verwechslung, wie denn
die Halswirbel, die Halsnerven, und die Halsarterien, immer nur als Vertebrae,
Nervi und Arteriae cervicalea aufgeführt werden. Xucha aber ist kein lateinisclies
Wort, sondern stammt aus dem Arabischen. Dasselbe wurde aber nur für Rücken-
mark gebraucht, wie ans dem Texte des Berengarius zn ersehen: tota nuchae
tubatanüa m ftudUm dMdUm' «• •«& Stelle: dura et pia nuUer
440 S* IM* FonB, Eintkailnng, and ZnsammenBttxvng des Hftlses.
drcumdant nucham cum mit» nerois. Nur im medicinischen Latein der Neuzeit,
findet sich nucha, als Nacken. — Die zunächst unter dem Hinterhaupt befindliche
Gegend des Nackens, heisst Genick, weil in ihr jene Bewegung des Kopfes auf
der Wirbelsäule stattfindet, welche wir Nicken nennen.
Es findet sich keine Gegend im menschliehen Leibe, welche,
in 80 kleinem Räume,, so viele lebenswichtige Organe cinschliesst,
wie die vordere Halsregion. Verfolgt man, bei gestrecktem Halse,
die Mittellinie desselben vom Kinne bis zum oberen Rande des
Brustbeins, so stösst man, ungefähr drei Querfinger breit unter dem
Kinne, auf das Zungenbein. Unter diesem folgt ein bei Männern
gut ausgeprägter, hart anzufühlender, bei jeder Schlingbewegung
aufwärts steigender Vorsprung (der Adamsapfel, Pamum Adanü
8, Nodus gtjittwris), welcher dem Kehlkopfe entspricht, bei weib-
lichen Individuen wenig oder gar nicht auffallt, und auch bei Jüng-
lingen vor der Pubertätsperiode nur angedeutet ist. Unter diesem
liegt ein weicher, querer Wulst, der Schilddrüse angehörend, welche
an schönen Hälsen nur wenig sichtbar imd fühlbar ist, bei Dick-
und Blähhälsen aber auf sehr unschöne Weise auffallt. Unter
diesem Wulst endet die mittlere Halsregion über dem Manubrium
stemi als Drosselgrube (Fossa jugularis). — Seitwärts am Halse
liegen zwei vom Brustbeine gegen die Warzenfortsätze aufsteigende,
durch die Kopfnicker gebildete Erhabenheiten, hinter welchen, über
den Schlüsselbeinen, die seichten Foveae supradaviculares einsinken.
Bei starken Anstrengungen wird an der Aussenfläche des Kopf-
nickers eine turgescirende Vene (die Vena jugularis externa) be-
merkbar, an welcher man zur Ader lassen kann. — An mageren
Hälsen bejahrter oder auszehrender Individuen, sind die erwähnten
Erhabenheiten und Vertiefungen sehr scharf gezeichnet. An vollen
und runden Hälsen wird wenig von ihnen gesehen.
Die Haut des Halses ist dünn, verschiebbar, lässt sich überall
als Falte aufheben, und bildet zuweilen eine, selbst bei der grössten
Streckung des Halses nicht auszugleichende Querfurche imter dem
Kehlkopfe, welche, wenn sie an Frauenhälsen vorkommt, von älteren
französischen Anatomen Collier de VStius genannt wird. Ueber dieser
Furche kommt bei Personen, welche ein sehr fettes Unterkinn
haben (Goder der Wiener, vielleicht verdorben von guttur), noch
eine zweite Querfurche vor, durch welche der Boden der Mund-
höhle, von der eigentlichen vorderen Halsgegend sehr scharf ab-
gegrenzt wird.
Das subcutane Bindegewebe des Halses bleibt in der Regel
fettarm, und verbindet die Haut mit einem darunter liegenden
breiten Hautmuskel, dem Platysma myoides. Unter diesem folgt das
hochliegende Blatt der Fascia colU, welches den Kopfnicker ein-
Bchliesst. — In der Mitte des Halses liegen, von oben nach unten^
§. 168. 8p«oi€lle BeBchreibang der HaUmusktln. 441
das Zungenbein, der Kehlkopf, die Schilddrüse, die Luftröhre,
hinter dieser die Speiseröhre, und seitwärts von den genannten
Organen, das Bündel der grossen Gefiisse und Nerven des Halses,
welche vom tiefen Blatte der Fascia coUi eingehüllt werden. Hat
man diese Theile entfernt, so präsentirt sich die vordere Fläche
der Wirbelsäule, mit den auf ihr liegenden tiefen Halsmuskeln. —
Das über dem Zungenbeine liegende Revier der vorderen Hals-
gegend, bildet mit dem darunter liegenden, bei gerader Richtung
des Kopfes, einen einspringenden rechten Winkel, und entspricht
dem Boden der Mundhöhle, weshalb es auch zu den Kopfregionen
gezählt werden kann.
§. 163. Specielle Beschreibung der Halsmuskeln, welche den
Kopf und den Unterkiefer bewegen.
Der Hautmuskel des Halses, Platysma mt/oides (xXaTuajxa
[xuoei$6?, muskelartige Ausbreitung, ein Ausdruck, welchen Galen
für alle breiten und flachen Muskeln gebrauchte), auch Subcutanevs
colli und Latissimus colli, bei französischen Autoren le peaucier benannt,
ist das letzte üeberbleibsel jenes grossen, subcutanen Hautmuskels
vieler Thiere, welcher Pannicultis camosus heisst, imd durch dessen
Besitz, die Thiere beßlhigt sind, jede Partie ihrer Haut in zuckende
Bewegung zu versetzen, um, wie man an unseren Hausthieren sehen
kann, die lästige Plage stechender Fliegen abzuwehren. Das Pla-
tysma erscheint, wenn es sorgfaltig präparirt vorliegt, im Menschen
als ein breiter, dünner, blasser, viereckiger, und parallel gefaserter
Muskel. Er entspringt von der Fascie des grossen Brustmuskels in
der Gegend der zweiten Rippe, und steigt über das Schlüsselbein
zur seitlichen Halsgegend, und mit dem der anderen Seite con-
vergirend, zum Unterkiefer hinauf. Seine inneren Bündel befestigen
sich am unteren Rande des Unterkiefers , während die übrigen,
über den Unterkiefer hinüber zum Gesicht gelangen, wo sie im
Mundwinkel und in der Fascia parotideo-masseterica endigen. Der
Convergenz wegen, kreuzen sich die inneren Fasern beider Muskeln
unter dem Kinne. Die mittlere Halsgegend wird von ihnen nicht
bedeckt.
Sehr oft geht ein Theil der hinteren Bündel nicht zum Gesichte, sondern
zum Winkel des Unterkiefers. Seltener kommt es vor, dftss einige hintere Bündel
des Maskeis um das Ohr herum, zur Linea semicirculans siiperior des Hinterhaupt-
beins, oder zum Warzenfortsatze treten. Er zieht den Eüefer herab, und hebt,
wenn dieser fixirt ist, die Haut des Halses von den tiefer liegenden Organen
empor, indem der gebogene Muskel, während seiner Contraction, geradlinig zu
werden strebt Dieses Aufheben der Haut erieM»*^— * ^^ »~* dee Sehlingens
stattfindende Hebebew^^ong der Otjp
442 S. 163. Specialle Betchreibiing der HftltmiuikalD.
Der Kopfnicker, Musculus stemo-deido-mastoideus, liegt unter
dem Platysma, an der Seite des Halses, zwischen Brustbein und
Warzenfortsatz. Er entsteht mit zwei, durch eine dreieckige Spalte
von einander getrennten Köpfen, von der vorderen Fläche der Hand-
habe des Stemum, und von der Extremität stemalis des Schlüssel-
beins. Beide Köpfe schieben sich, während ihres Zuges zum Warzen-
fortsatze, so übereinander, dass die Stemalportion die Schlüsscl-
beinportion deckt. Der durch ihre Vereinigung gebildete dicke
Muskelkörper, setzt sich am Warzenfortsatze und an dem angrenzen-
den Stücke der Linea semicircularis superior des Hinterhauptes an.
Wirkt er unilateral, so dreht er das Gesicht nach der entgegen-
gesetzten Seite, und neigt den Kopf gegen die Schulter seiner Seite.
Bei fixirtem Kopfe, kann er wohl den Brustkasten heben, und somit
auch bei forcirter Inspiration mitwirken. Dieses beweist seine oft
bedeutende Massenzunahme bei chronischen Lungenleiden, besonders
Emphysema und Oedema pidmonum. Den Namen Kopfnicker führt
er aber mit entschiedenem Unrecht. Seine Insertion am Kopfe liegt
ja hinter der queren, durch die Mittelpunkte beider Condyli des
Hinterhauptbeins gehenden Drehungsaxe fiir die Nickbewegung.
Er wäre, in Anbetracht dieses wichtigen Umstandes, vielmehr ein
Strecker des Kopfes.
Mir scheint es plausibel, den Kopfnicker als SusteiUcUor capUut, als Kopf-
hält er anßenfassen, da er bei jeder Stellung des Kopfes, ihn in derselben zu er-
halten hat. Dieses kann man mit eigenen Händen am Halse greifen, wenn man
den Kopf nach verschiedenen Richtungen aus seiner Gleichgewichtslage bringt.
Nur in so fem wUl ich sein Anrecht als Kopfnicker nicht bestreiten, als er, wenn
er auf beiden Seiten wirkt, die Halswirbelsäule nach vom zu beugen im Stande
ist, wodurch der Kopf sich gegen die Bnist neigt. Bleibt aber die Halswirbel-
sänle ruhig, wie beim Nicken, so sind der Reclua capitis anliaui major und minor
die wahren Kopfnicker. Siehe §. 165.
Da es einmal als Grundsatz gilt, von den beiden Endpunkten eines Muskels
jenen für den Ursprung zu nehmen, welcher der minder bewegliche ist, so kann
ich Sömmerring und T heile nicht beipflichten, welche den Warzenfortsatz als
den Ursprung des Kopfnickers annehmen. Eben so wenig möchte ich, nach Albin
und Meckel, ihn in zwei besondere Muskeln trennen, und einen tStemo-mastoideits
und Cleido-mastoideits unterscheiden. Wenn auch die beiden Köpfe bei vielen
Säugethieren als getrennte Muskeln bestehen, so wäre ihre Annahme beim
Menschen eine nutzlose VervielfältigTmg, und wir würden, um consequent zu
bleiben, genöthigt sein, alle übrigen beim Menschen vereinigten, bei den Thieren
aber getrennten Muskelportionen, als selbstständige Muskeln zu betrachten (z. B.
die drei Portionen des Deltamuskels). Ein humoristischer Anatom des Mittelalters
zu Nürnberg, nannte den Kopfnicker den „Rathshermmuskel**.
Der Kopfnicker ist zuweilen dreiköpfig. Der überzählige dritte, gewöhnlich
sehr schwache Kopf, liegt entweder zwischen den beiden gewöhnlichen, oder an
der äusseren Seite der Clavicularportion. — Als Thierähnlichkeiten sind femer
zwei Abnormitäten interessant. 1. Es löst sich vom vorderen Kande des Muskels
ein Bündel ab, um zum Winkel des Unterkiefers zu gehen (beim Pferde setzt
sich die glänze Stemalportioii am Unterkiefer fest), oder es verlängert sich 2. ein
§. 164. MuBkeln des ZnnftnbeiM and der Zanffe. 443
fleischiges Bündel der Stemalportion, über den Brnstbeinursprung des PectoraUa
major nach abwärts, zur vorderen Fläche des Brustbeins, und befestigt sich ent-
weder am fünften, sechsten oder siebenten Rippenknorpel, oder reicht selbst, wie
ich gesehen habe, bis zur Scheide des geraden Bauchmuskels herab. Dieses ab-
norme Bündel cnrsirt als MuactUtu stemalis brulorum in den Handbüchern.
Ueber die äussere Fläche des Stemo-cleido-nuutoidetu läuft die Vena jtigu-
laris externa herab ; — dieselbe Fläche ¥drd vom schräg nach vom aufsteigenden
Nervus auricularis niagnits, und von den aus dem Plexus cervicalis entspringenden
Hautnerven des Halses gekreuzt; — am hinteren Rande seines oberen Drittels
zieht der Nervus occipUalis mhiar zum Hinterkopf empor. — Die Mitte des vor-
deren Randes des Muskels, dient bei der Aufsuchung und Unterbindung der CaroHs
communis zum Anhaltspunkt. Die Spalte zwischen seiner Stemal- und Clavicular-
portion entspricht der Vena jugularis interna. Der Nervus accessorius WilUsU
durchbohrt den hinteren Rand seines oberen Endes.
Der zweibäuchige Unterkiefermuskel, Biventer 8. diga-
stricus nuixillae Inferiorls, entspringt mit seinem hinteren Bauch aus
der Indsura mastoidea. Sein vorderer Bauch entsteht am unteren
Rande des Kinns. Beide Bäuche werden durch eine mittlere rund-
liehe Sehne verbunden, welche durch ein schmales fibröses Blatt
an das Zungenbein anhängt, und deshalb einen nach unten convexen
Bogen bildet, welcher, wenn man das Zungenbein stark nach ab-
wärts zieht, ein spitziger Winkel wird. Häutig durchbohrt die Sehne
des Biventer den GrifTcl-Zungenbeinrauskel vor seiner Insertion am
Zungenbeine, und wird in diesem Falle von einem kleinen Schleira-
beutel umhüllt. Die vorderen Bäuche beider Digastrici, werden oft
durch eine fibröse Querbinde mit einander verbunden, oder tauschen
gegenseitig ihre innersten Fleischbündel aus. — Der Biventer zieht
den Kiefer herab, imd öffnet den Mund.
Ist der Unterkiefer durch seine Hebemuskeln gehoben imd fixirt, so ge-
winnt auch der vordere Bauch des Biventer, einen festen Punkt, und der Muskel
wird, wenn er sich zusammenzieht, das Zungenbein heben. £^ kann auch, bei
fixirtem Kiefer, seine Thätigkeit umkehren, und den Warzenfortsatz sammt dem
Hinterkopf lierabziehen, wodurch der Vorderkopf in die Höhe geht, und der Mund
geöffnet wird. Man überzeugt sicli davon, wenn man das Kinn auf die Hand,
oder auf den Rand eines Tisches stemmt, und den Mund zu öffnen sucht. Dass
die am Hinterhaupte angreifenden Nackenmuskeln hiebei mitwirken, versteht sich
von selbst, wenn man die Schwere des Kopfes mit der Schwäche des Biventer
zusammenhält.
§. 164. Muskeln des Zungenbeins und der Zunge.
Die Muskeln des Zungenbeins bilden zwei Gruppen, von
welchen die eine über, die andere unter dem Zungenbeine liegt.
Die Muskeln der Zunge dagegen liegen blos ttber dem Zungen-
beine, und schliessen aidi an «u^enbein-
444 §• 164. Maskaln des Zungenbeins und der Zunge.
muskeln so an, dass ihre Beschreibungen einander folgen können.
Alle Zungenbein- und Zungenmuskeln sind paarig.
A, Zun^enbeinmuskeln.
a) Gruppe der Zungenbeinmuskeln, welche unter dem
Zungenbeine liegt.
Sie besteht aus folgenden vier Muskeln, welche sämratlich
Herabzieher des Zungenbeins sein müssen.
1. Der Schulterblatt-Zungenbeinmuskel, Muscidtis onw-
hyoideus. Er entspringt vom oberen Rande der Scapula, nahe am
Ausschnitte , oder vom Querbändchen des letzteren , läuft als ein
langer und dünner Muskelstrang schräg mit bogenförmiger Krüm-
mung nach innen und oben, kreuzt sich mit dem Kopfnicker, der
ihn bedeckt, ist an der Stelle, wo er über die grossen Gefasse des
Halses weggeht, sehnig, wird dann wieder fleischig, und setzt sich
am unteren Rande der Basis des Zungenbeins fest.
Er wird zu den zweibäuchigen Muskeln gezählt. Sein Urspmngsfleisch
bildet den unteren, sein Insertionsfleisch den oberen Bauch des Muskels. Aus-
nahmsweise entspringt der Omo-hi/oideus nicht am Schulterblatt, sondern am Akro-
mialende der Clavicula, selbst vom Mittelstdck, ja sogar vom Stemalende dieses
Knochens. — Seine mittlere Sehne und sein unterer Bauch, hängen mit dem tief-
liegenden Blatte der Faacia codi innig zusammen, welches der Onw-hyoideua somit
in die Quere anzuspannen vermag.
2. Der Brustbein-Zungenbeinmuskel, Musculus stemo-
hyoideus, entspringt von der hinteren Fläche der Handhabe des
Brustblattes, steigt senkrecht zum Zimgenbeine hinauf, und inserirt
sich einwärts vom Omo-hyoideus. Er ist daumenbreit, parallel ge-
fasert, und dem der anderen Seite fast bis zur Berührung nahe
gerückt. Zuweilen kommt in seinem unteren Drittel ein quer ein-
geflochtencr Sehnenstreifen vor, als sogenannte Inscinptio tendinea.
Hat man ihn quer durchschnitten, so findet man unter ihm zwei
ähnliche Muskeln , welche zusammengenommen so lang sind , wie
der StemO'h/oideus. Diese sind:
3. Der Brustbein-Schildknorpelmuskel, Musculus stenio-
ihyreoideus. Er ist breiter als der Brustbein-Zungenbeinmuskcl, und
wird deshalb von diesem nur zum Theil bedeckt, entspringt von
der hinteren Fläche der Brustbeinhandhabe, und vom oberen Rande
des ersten Rippenknorpels, und steigt nicht bis zum Zungenbeine
hinauf, sondern endigt schon an der Seitenplatte des Schildknorpels.
Er gehört somit eigentlich nicht zu den Muskeln des Zungenbeins,
sondern zu jenen des Kehlkopfes; kann aber immer hier aufgeführt
werden, da er durch die Herabbewegung des Kehlkopfes, auch das
mit letzterem in Verbindung stehende Zungenbein herabzieht. Die
§. 164. Mafkeln des Zniifenbeina and dar Znng«. 445
Länge seiner Muskelbündel wird regelmässig durch eine quer ein-
gewebte Inscriptio tendinea unterbrochen. Was ihm an Länge fehlt,
um das Zungenbein zu erreichen, ersetzt:
4. der Schildknorpel-Zungenbeinmuskel, Muscvlvs thyreo-
hyoideus, welcher dort entspringt, wo der Stemo-thyreoideus endigte,
und am unteren Rande der Basis und des grossen Homes des
Zungenbeins sich festsetzt. Der Thyreo-hyoideas kann, wenn der
Schildknorpel iixirt ist, das Zungenbein unmittelbar, der Stemo-
thyreoideua nur mittelbar herabziehen.
h) Gruppe der Zungenbeinmuskeln, welche über dem
Zungenbeine liegt:
1. Der Griffel-Zungenbeinmuskel, Musculus stylo-hyoideus.
Er entspringt an der Basis des Griffelfortsatzes, bildet einen schlanken,
spindelförmigen Muskelstrang, läuft unter dem hinteren Bauche des
Biventer maxUlae nach vom und unten, wird zuweilen von der Sehne
des letzteren durchbohrt (Schleimbeutel), und befestigt sich, gegen-
über der An satzstelle des Omo-hyoideus, an der Zungenbeinbasis.
Er wird häufig doppelt gesehen, zu welcher Anomalie seine Durch-
bohrung durch die Sehne des Biventer disponirt.
2. Der Kiefer- oder Mahlzungenbeinmuskel, Musculus
mylo-hyaideus ([x6Xt), Kinnbacke). Er nimmt seinen Ursprung an der
Linea ohliqua interna s. mylo-hyoidea des Unterkiefers, und stellt einen
breiten, dreieckigen Muskel dar, dessen äusserste Pasern an der
vorderen Fläche der Zungenbeinbasis endigen, die übrigen dagegen
in denselben Muskel der anderen Seite entweder ununterbrochen,
oder durch Vermittlung einer sehnigen Zwischenlinie (Raphe) fort-
laufen. Streng genommen besteht somit nur Ein Mylo-hyoideus für
beide Seiten, welcher, als von einer Linea obliqua interna bogen-
förmig zur anderen laufend, Transversus mandtbuUte, oder noch be-
zeichnender Diaphragma oris genannt werden könnte. Dieser Muskel
liegt nicht in einer horizontalen^ sondern in einer nach unten aus-
gekrümmten Ebene, deren tiefste Stelle am Körper des Zungenbeins
adhärirt. Er wird, wenn er sich zusammenzieht, plan werden, und
dadurch das Zungenbein und den ganzen Boden der Mundhöhle heben.
Um ihn in seiner ganzen Grösse zu sehen, muss der vordere Bauch
beider Digastrici weggenommen werden.
3. Der Kinn-Zungenbeinmuskel, Musculus genio-hyoideus
(y^veiov, Kinn), liegt über dem vorigen, entspringt schmal von der
Spina mentalis interna^ läuft gerade, und etwas breiter werdend, zum
Zungenbeine herab, und befestigt sich an der Basis desselben. Er
schmiegt sich an denselben Muskel der anderen Seite so fest an,
dass er häufig sich mit ihm zu einem §ch vr nupaaren Muskel
vereinigt.
446 fi* 16^ Mnak«ln dM ZvngenbelnB und der Zunge.
Da das Hel)«n und Senken des Zungenbeins eine übereinstimmende Be-
weg^g des mit ihm zusammenhängenden Kehlkopfes bedingt, das Heben und
Bonken dos Kehlkopfes aber mit Reibung des vorspringenden Pomum Adami an
der inneren FIKche der Hautdecken des Halses verbunden sein muss, so findet
sich auf und über dem Pomum, ein umfänglicher Schleimbeutel vor, welcher sich
unter den beiden Thyreo-h$foidei bis zum oberen Bande der hinteren Fläche des
Zungenbeinkörpers erstreckt, und deshalb Bursa mucoga »uhhyoidea genannt \vird.
Füllung desselben durch copiöses Secret kann, wie mir ein Fall bekannt wurde,
ftlr Kropf gehalten werden.
llntor allen hier abgehandelten Muskeln variirt der Stt/h-hi/oideua am
öftersten durch Zerfallen in zwei kleinere. Die früher erwähnte Spaltung des
Muskels durch die Sehne des Biventer scheint, wio gesagt zu dieser Anomalie zu
disponiren. Ich habe ihn auch dreifach, Otto dagegen auf beiden Seiten fehlen
gesehen. — Fehlen des Omo-hyoidefts, und Ersetztwerden desselben durch einen
breiten Stemthhjfoideu* auf beiden Seiten beobachtete ich zweimal. In sehr seltenen
Fällen erscheint sein Ursprung auf die Basis des Procetsua coracoideu«, ja sogar
auf den oberen Rand der eraten Rippe versetzt, woher die Namen Coraco- und
OotU>^yoidt!H9, Seine mittlere Sehne wird zuweilen blos durch eine Irvtcriptio ten-
dmea angedeutet. — EÜn anomaler Musadus coraco -cervicalig entspringt vom
Rabenschnabelfortsats, läuft, bedeckt vom Urspmngsbauche des Omo-hymdeus, nach
vom und oben in die Fo99a »upradavicularis, und endet im tiefliegenden Blatte
der Fa9cia colli «. etrvicali», welches er anspannt.
B. Zungenmuskeln.
Dio Zunge besitzt zweierlei Muskeln. Die einen entspringen
nn Knoohou und endigen in der Zunge; — die anderen entspringen
und ondigeu in der Zunge selbst. Nur die erste ren werden hier
gosolüldert.
1. Der Kinn-Zungenmuskel, Musculus genio-glossus , über-
trifft alle übrigen Muskeln der Zunge an Stärke. Er liegt über dem
OeniO'hf/oideus , entspringt mit einer kurzen, aber starken Sehne,
von der Spina mentalis interna, und läuft nach rückwärts gegen die
untere Fläche der Zunge, in welche er hinter dem Zungcnbändchen
mit strahlig auseinander fahrenden Faserbündeln eindringt. Dicht
unter der Schleimhaut der Mundhöhle hinziehend, bildet er vor-
zugsweise den Boden der letzteren. Ein Schleimbeutel zwischen den
beiden Genio-glossi, welche mit ihren inneren Rändern dicht anein-
ander liegen, wurde von mir niemals gesehen. — Der Genio-ijlossus
zieht die aufgehobene Zunge nieder, und nähert ihren Grund dem
Kinnstachel, wodurch die Spitze derselben aus der Mundhöhle heraus-
tritt. Ich nenne ihn deshalb auch Exserfm* oder Protnisor linguae.
2. Zungenbein-Zungenmuskel, Musculus liyo-glossus. Nach
Entfernung des Biventer, Mylo- und Stylo-hyoideus, sieht man ihn
vom oberen Rande des Mittelstücks des Zungenbeins, so wie von
dessen grossem und kleinem Home entspringen. Er wurde dieses
dreifachen Ursprunges wegen sehr überflüssig in drei besondere
§. 1«6. Tiefe Hftltmuskeln. 447
Muskeln getheilt: Basio-, Cerato-/ und Chmdrogloasvs , von welchen
der Chondroglossus öfters fehlt. Dünn und breit, steigt er schief
nach vorn und oben zum hinteren Seitenrande der Zunge empor,
und ist ein Depressor linguae. Seine äussere Fläche wird vom Nenms
hypoglo88U8 gekreuzt.
3. Der Griffel-Zungen rauskel, MuscvitLS atylo-glossus , ent-
springt von der Spitze des Griflfelfortsatzes und vom Ligamentum
stylo-maxUlare, und liegt über und einwärts vom Stylo-hyoideus, Er
geht bogenförmig zum Seitenrande der Zunge, wo er sich mit den
aufsteigenden Fasern des Hyo-glossus kreuzt, und theils zwischen
den Bündeln desselben in das Zungengewebe eindringt, theils, sich
allmälig verjüngend, bis zur Spitze der Zunge ausläuft. Zieht, wenn
er einseitig wirkt, die Zunge seitwärts; wenn er auf beiden Seiten
wirkt, direct nach rückwärts. — Zuweilen entspringt ein acces-
sorisches Bündel dieses Muskels, von der unteren Wand des knor-
peligen Gehörgangs.
Die in der Zunge selbst entspringenden nnd endigenden Muskeln (Binnen-
moskeln) werden erst im §. 255 erwähnt
§. 165. Tiefe Halsmuskeln.
Nachdem der Unterkiefer ausgelöst, und alle Weichtheilc des
Halses bis zur Wirbelsäule entfernt wurden, gelangt man zur An-
sicht der tiefliegenden Halsmuskulatur. Sie zerfallt in zwei Gruppen,
deren eine die Seitengegend der Wirbelsäule einnimmt, die andere
auf der vorderen Fläche der Wirbelsäule aufliegt.
1. Muskeln an der Seitengegend der Halswirbelsäule:
Hier liegen die drei Rippenhalter, Scaleni (dTcaXyjvo^ , un-
gleich), welche von den Querfortsätzen gewisser Halswirbel zur ersten
und zweiten Rippe herabziehen. Sie können deshalb als Hebe-
muskeln der zwei oberen Rippen angesehen werden, vorausgesetzt,
dass der Hals durch andere Muskeln fixirt ist. Sind aber die
Rippen fixirt und der Hals beweglich, so werden die Scaleni den
Hals drehen (wenn sie nur auf Einer Seite agiren), oder ihn vor-
wärts beugen (wenn sie simultan auf beiden Seiten wirken).
Der vordere Rippenhalter, Musculus scalenus anticus, ent-
springt vom Querfortsatz des dritten bis sechsten Halswirbels, und
läuft an der äusseren Seite des gleich zu erwähnenden Lonffus colli
zur oberen Fläche der ersten Rippe herab, wo er sich auswärts vom
Tubercvlum Lisfrand inserirt.
Der mittlere Rippenhaiter, jUmscuLus scalenus medius, folgt
hinter dem vorderen, welchen er an Stärke und Länge übertrifft.
Er entspringt mit sieben Zacken m^ * Höckern der
448 8- 166. Tiefe HalemnakeliL
Querfortsätze aller Halswirbel, und befestigt sich am oberen Rande
und an der äusseren Fläche der ersten Rippe. Zwischen dem Ur-
sprünge des vorderen und mittleren Scalenus, bleibt eine dreieckige
Spalte mit oberer Spitze oflfen, durch welche die im folgenden
Paragraph bezeichneten Nerven und Gefasse der oberen Extremität
passiren.
Der hintere Rippenhalter, Musculus scal&iius posticus, ist
der kleinste, und häufig mit dem mittleren verwachsen. Er geht
von den hinteren Höckern der Querfortsätze des fünften bis siebenten
Halswirbels zur Aussenfläche der zweiten Rippe.
Ueberxählige Scaleni kommen nur als selbstständig gewordene Fleischbtindel
der drei normalen vor. Am meisten bekannt ist der Scalenits minimus Albini,
welcher dadurch zn Stande kommt, dass die Arteria mfMilavia, nicht, wie es im
folgenden Paragraph heisst, zwischen SctUenus emticus und medium durclitritt, son-
dern den arUicus so durchbohrt, dass der schwächere, liinter der Arterio liegende
Antheil des dnrdibohrten Muskels, das Ansehen eines selbstständigen Muskels
gewinnt.
2. Muskeln auf der vorderen Fläche der Halswirbel-
säule:
Der grosse vordere gerade Kopfmuskel, Musculus rectus
capitis aniicus major, entspringt mit vier sehnigen Zipfeln dort, wo
der früher erwähnte Scalenus arUicus entspringt, d. i. vom vorderen
Rande des dritten bis sechsten Halswirbel-Querfortsatzes. Er steigt
etwas nach innen gerichtet, empor, und heftet sich an die untere
Fläche der Pars basilaris des Hinterhauptbeins.
Er wirkt, zugleich mit dem folgenden, als Kopfnicker, d. h. beide beugen
den Kopf nach vom, und protestiren somit gegen den ihnen von den alten fran-
zösischen Zergliederem (z. B. Dupr^, 1698) beigelegten Namen: rewforfjetirn (ren-
gorger, sich brüsten, den Kopf aufwerfen).
Der kleine vordere gerade Kopfmuskel, Musculus rectum
capitis anticus minor, entsteht am vorderen Bogen des Atlas, geht
schief nach innen und oben , wird vom vorigen bedeckt , hat mit
ihm dieselbe Insertion, und somit auch dieselbe Wirkung.
Der seitliche gerade Kopfmuskel, Musculus rectus capitis
latercUis, zieht vom Querfortsatz des Atlas zum Processus jugularis
de» Hinterhauptbeins. Er gehört, genau genommen, zur Gruppe
der in §. 180 aufgeführten Musculi intertransversarii antici der
Wirbelsäule.
Der lange Halsmuskel, Musculus longus colli, liegt nach
innen vom Rectus capitis anticus major, und bedeckt die vordere
Wirbelsäulenfläche vom ersten Halswirbel bis zum dritten Brust-
wirbel herab. Er hat einen sehr coraplicirten Bau, und besteht
nach Luschka's geiiauer Untersuchung, eigentlich aus drei Muskeln,
welche füglich als selbstständig angesehen werden sollten. Der
$. 166. Topographitehe Anatomie dea Halset. 449
erste derselben, der Lage nach der innerste, ist ein gerader, ge-
fiederter Muskel, der sich vom Körper des dritten Brustwirbels bis
zum Körper des Epistropheus erstreckt. Er beugt die Halswirbel-
säule. Der zweite, kleinere, etwas schräg nach aus- und aufwärts
gerichtete Muskel, entspringt fleischig von der Seite des Körpers
des zweiten und dritten oberen Brustwirbels, und inserirt sich mit
zwei oder drei kurzen Sehnen, am vorderen Rande der zwei oder
drei letzten Halswirbel-Querfortsätze. Luschka nennt ihn Obliquus
colli (anUcus) inferior. Sein Ursprung lässt sich von jenem des
früheren nicht scharf trennen. Seiner schrägen Richtung wegen
wird er die Halswirbelsäule drehen. Der dritte, etwas stärkere,
entspringt mit zwei Zacken von den vorderen Rändern der Quer-
fortsätze des dritten und vierten Halswirbels, läuft schief nach innen
und oben, und setzt sich an das Tuberculum des vorderen Halb-
ringes des Atlas. Er beugt die Halswirbelsäule, und dreht sie zu-
gleich, aber in entgegengesetzter Richtung, als der zweite. Luschka
nennt ihn Obliquus colli (anticus) superior.
Die obere und untere schiefe Portion der beiderseitigen langen Halsmuskeln
bilden einen langen Rhombiu, durch dessen Ebene die beiden geraden Portionen
aufsteigen. Die Gesammtwirkung der drei Portionen adelt auf die Beugung des
Halses ab.
Luschka, der lange Halsmuskel des Menschen, in MÜUer*» Archiv. 1854.
§. 166. TopograpMsche Anatomie des Halses.
Nachdem der Anfänger die bisher abgehandelten Muskeln im
Einzelnen durchgegangen, unterlasse er es nicht, das Ensemble der- '
selben , und ihre Beziehungen zu den übrigen Weichgebilden am
Halse, zum Gegenstand einer sorgfaltigen Zergliederungsarbeit zu
machen, und sich in der topographisch-anatomischen Präparirung
des Halses zu versuchen, welche jedenfalls nützlicher ist, als die
isolirte Darstellung einzelner Muskeln.
Es handelt sich hier nicht um eine erschöpfende Detailschilde-
ruug derLagerungöverhältnissc sämmtlicher am Halse untergebrachter
Weichtheile, welche für Anfanger, die noch nichts als das Skelet
kennen, grossen Theils unverständlich wäre, sondern um die Er-
örterung dos Nebeneinanderseins der wichtigeren Gefasse und Ner-
ven, welche in gew^issen constanten Beziehungen zu den Muskeln
des Halses stehen. Diese Beziehungen sind so sicher und verläss-
lich, dass sie bei dem Aufsuchen grösserer Gefässe und Nerven die
besten Führer abgeben.
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Anfl. 89
450 8* 1^- Topographische Aufttomie des Halses.
Nach Entfernung der Haut, des Platysma myoides, und des
hochliegenden Blattes der Fa^scia colli (siehe den nächsten Paragraph),
bemerkt man vorerst, dass die Richtungen des Stemo-cleido-mastai'
deus und des Omo-hyoideus sich kreuzen. Ersterer läuft von innen
und unten nach oben und hinten, letzterer von aussen und unten
nach oben und vorn. Die gekreuzten Muskelrichtungen beschreiben
die Seiten zweier, mit den Spitzen aneinanderstossender Dreiecke.
Denkt man sich die Richtung des Omo-hyoideus, über das Zungen-
bein hinaus, bis zum Kinn verlängert, so ist die Basis des oberen
Dreiecks der untere Rand des Kiefers; jene des unteren der obere
Rand des Schlüsselbeins. Wir wollen das obere Halsdreieck deshalb
Trigonum inf ramaxillare , und das untere Trigonum supraclavicidare
nennen. Beiden Dreiecken entsprechen schon bei äusserer Ansicht
des noch mit der Haut bedeckten Halses magerer Individuen, zwei
seichte Gruben: eine obere als Fossa inframaxUlaris, und eine
untere als Fossa supradavicularis.
Man beginne mit der Untersuchung des unteren Halsdrei-
eckes, und trenne, um es zugänglicher zu machen, den Schlüssel-
beinursprung des Kopfnickers. Ist dieses geschehen, so findet man
die Area des Dreieckes durch eine lockere, verschiebbare Apo-
neurose — tiefliegendes Blatt der Fascia colli — bedeckt, welche
mit dem MvLsadus omo-hyoideiLS verwachsen ist, und durch ihn ge-
spannt werden kann. Unter dieser Fascie folgt laxes, grossblättriges
Bindegewebe, welches die Drüsen des Plexus lymphaticu^ supraclavi-
cuLaris enthält, und vorsichtig abgetragen werden muss, um die im
Grunde der Grube liegenden Weichtheile zu schonen. Man stösst
nun auf die seitliche Gegend der Halswirbelsäule, und die an ihr
haftenden Scaleni. Wird nun das Schlüsselbein weggenommen, oder
durch starkes Niederziehen des Armes so weit gesenkt, dass man
die obere Fläche der ersten Rippe erreichen kann, so findet man
auf dem Scal&iius anticus den Zwerchfellsnerv, Nervus phrenicus, von
aussen und oben , nach innen und unten zur oberen Brustapertur
laufen, und am inneren Rande desselben Muskels die Arteria thyreoi-
dea infemor. Vor der Rippeninsertion des Scalenus aiiticus zieht die
Veyia subclavia über die erste Rippe weg nach innen, und vereinigt
sich hier mit der durch die Vereinigung der Veim jugulaiis interna
mit der externa gebildeten Vena jugularis communis. Zwischen dem
Scalenus anticus und medius bleibt eine dreieckige Spalte frei, durch
welche die vorderen Aeste der vier unteren Halsnerven und des
ersten Brustnerven hervortreten , um sich zum Plexus suhclaimis,
welcher im weiteren Laufe zum Plexus axillaris wird, zu verketten.
Unter dem ersten Brustnerv kommt die Arteria »uhclavia gleichfalls
aus dieser Spalte hervor, und krümmt sich über die erste Rippe nach
abwärts, um unter dem Schlüsselbeine zur Achselhöhle zu laufen.
§. 166. TopofnpbiBiAie Anatomie des HalMi. 451
Das obere Halsdreieck ist viel grösser, und sein Inhalt
zahlreicher, aber auch leichter z»gänglich. Während der Stema-
cleido-mastoideus noch den vorderen Rand des unteren Halsdreieckes
bildete, deckte er die grossen Gefösse und Nerven zu, welche am
Halse gerade auf- und absteigen : Carotis communis, Vena jugtUaris
tntemn, Nervus vagus, etc. Durch die Richtung des Muskels nach
hinten und dljen, werden diese G-efösse und Nerven im oberen Hals-
dreiecke nicht mehr von ihm, sondern nur von der Fascia eolUi,
welche sie zwischen ihre beiden Blätter aufnimmt, bedeckt sein.
Nach Abtragung des oberflächlichen Blattes der Haisbinde, findet
man im oberen Halsdreieck zuerst, hart am Unterkiefer, die Oian-
dtda submaocülaris, in deren nächster Nachbarschaft, einige Lymph-
drüsen von Linsen- bis Erbsengrösse vorkommen. Isolirt man die
Glandula submaxätaris von dem sie in ihrer Lage befestigenden
Bindegewebe (wobei man am vorderen Rande der Drttse, den Aus-
fuhrungsgang derselben zu schonen hat), so kann man sie aus ihrer
Nische, gegen das Kinn, herausschlagen. Man tiberblickt sodann
den Musculus biventer, sfylo-hyoideus und mylo-hyoideus , und sieht
den Musculus hyoglossus vom Zungenbein heraufkommen, und, gegen
den Kiefer hinauf, vom Musculus styloglossus gekreuzt werden. Hat
man den Musculus biventer ganz entfernt, so gewahrt man, wie der
Nervus h/poglossus das Bündel der grossen Blutgefässe von aussen
umgreift. Man erblickt zugleich die Theilung der Carotis communis
in die externa und interna, die Verästlung der Carotis externa,
und die Einmündung jener Venen, welche den Aesten der Carotis
externa entsprechen, in die Vena jugidaris interna. Die Aeste der Carotis
eirtema lassen sich ohne Mühe verfolgen, und es sind von ihnen die
nach vom abgehenden drei: die Arteria thyreoidea superior, die
Arterla lingualis, und Arteria maxillaris externa , in praktischer Be-
ziehung besonders wichtig. — Ist man bis auf den Ursprung des
Musculus stylo-hyoideus eingedrungen, so wird man zugleich des
Nervus lingv^is ansichtig, welcher ziemlich der Richtung dieses
Muskels folgt. — Die schichtenweise Präparation der Muskeln
zwischen dem Kinn und dem Zungenbeine, so wie die Darstellung
der in der Medianlinie des Halses angebrachten Organe (des Kehl-
kopfes, der Schilddrüse, der Luftröhre, und der links von letzterer
gelegenen Speiseröhre), lässt sich ohne besondere Verhaltungsregeln
leicht ausführen.
Der Anfanger möge es sich empfohlen sein lassen, bevor er zur praktischen
Zergliederung des Halses schreitet, wenigstens den Stammbaum der hier befind-
lichen Blutgefässe, und die Verlauftweise der Nerven, in den betreffenden Pam-
graphen der Gefiiss- und Nervenlehre nachzusehen.
29»
452 §. 167. FMCie des Halses.
§. 167. Fascie des Halses.
Die Fascie des Halses (Fasda colli s, cervicalü) ist eine
sehr eomplicirte, und durch anatomische Präparation als ein zu-
sammenhängendes Ganzes kaum darzustellende fibröse Membran,
welche man aus einem hoch- und tiefliegenden Blatte bestehen
lässt, die sich selbst wieder in untergeordnete Blätter spalten, um
Weichtheile des Halses scheidenartig zu umfassen. Den Bedürf-
nissen und Wünschen des Anfängers genügt eine schematische
Uebersicht ihrer verwickelten Verhältnisse.
Würde man sich alle Weichtheile des Halses wegdenken, und
nur die Fasda colli zurücklassen, so würde diese als ein System von
hohlen Röhren und Schläuchen erscheinen, durch welche jene Weich-
theile durchgesteckt waren. Das hochliegende Blatt liegt unter
dem Platysma myoidea, hängt nach oben mit der Fasda parotideo-
masseterica und mit dem unteren Rande des Unterkiefers zusammen,
deckt das Trigonum inframa>xülare, hüllt den Kopfnicker ein, setzt
sich nach unten über das Trigonum supradamculare zum Schlüssel-
beine fort, und adhärirt an ihm. Nach hinten geht es in die, unter
dem Musculus cucuJiaris liegende Fasda nuchas über, und nach vorn
bedeckt es den, vom Brustbein heraufkommenden Musculus stemo-
hyoideus, stemo-thyreoideus, thyreo-hyoideus, so wie den oberen Bauch
des Omo-hyoideus, für welche Muskeln es Scheiden bildet, und hängt
in der Medianlinie mit demselben Blatte der anderen Seite zu-
sammen. Es dringt nicht in die Brusthöhle ein, sondern befestigt
sich am Manvhrium stenn und am Ligamentum interclaviculare. —
Das tiefliegende Blatt entspringt an der Linea ohliqua interna
des Unterkiefers. Es hängt mit dem Ligamentum stylo-maxillare, und
mit der Fasda bucco-pharyngea (§. 160) zusammen, bildet den Grund
des Trigonum inframaxülare, geht unter dem Kopfnicker zum Tri-
gonum supradavictUare , dessen Boden es ebenfalls bildet, wickelt
den unteren Bauch des Omo-hf/oideus ein, verschmilzt nach hinten
mit der Fasda nuchae, uraschliesst scheidenartig die grossen Gefasse
des Halses, und theilt sich einwärts von ihnen in zwei Blätter.
Das eine überdeckt als Fascia praevertebralis (hinter dem Pharynx
und der Speiseröhre) die tiefen Halsmuskeln an der vorderen und
seitlichen Gegend der Halswirbelsäulc, während das andere vor der
Schilddrüse und Luftröhre mit dem entgegenkommenden Blatte der
anderen Seite verschmilzt, und nach abwärts durch die obere Brust-
apertur in den Thorax eindringt, um sich theils an die Beinhaut
des Manuhrium stemi festzusetzen, theils in die vordere Wand des
fibrösen Herzbeutels überzugehen. — Ueber dem Manuhrium stemi
befindet sich zwischen dem hoch- und tiefliegenden Blatte der Fasda
S. 168. Aenssere Ansicht der Torderen und seitlichen Brastgegeod. "463
colli, ein keilförmiger Hohlraum mit oberer Spitze, welcher sieh
seitwärts hinter dem Clavicularursprung des Kopfnickers verlängert.
Er enthält Bindegewebe und Fett, gelegentlich auch lymphatische
Drüsen, und lässt sich mittelst Anstechens des hochliegenden Blattes
der Fascia colli über der Iivdsura jugvlaria stemi aufblasen. Sein
Entdecker, W. Grube r, nannte ihn SpcUium interaponeuroticum
suprasteiiiale, und seine seitlichen Ausbuchtungen: Sacci retro-stemO'
cleidomastoidei. Henle's Jahresbericht, 1867.
Die Fascia colli musa bei allen blutigen, chirurgischen Eingriffen am Halse,
wohl berücksichtigt werden. So ist z. B. die Exstirpation von Geschwülsten am
Halse, welclie extra fasciam liegen, leicht und gefahrlos, jene der intra fasciam
gelegenen dagegen schwieriger, und nicht selten wirklich schwer. Alle intra
fasciam gelegenen, also tiefsitzenden Geschwülste, werden durch den Widerstand
der wenig nachgiebigen Fascie einer ununterbrochenen Compression unterliegen,
und durch ihr Anwachsen mit einer Menge hochwichtiger Organe in Contact g^-
rathen, dieselben durch Druck anfeinden, ja selbst umwachsen können, und somit
viel gefahrlichere Zufalle erregen, als die oberflächlichen. Einseitige Verkürzung
der Fascia kann auch Ursache eines schiefen Halses (caput obstipum) sein. —
L, Dittel, die Topographie der Halsfascien. Wien, 1857. — Legendre, sur les
apon<^uroses du cou. Gaz. m^d. 1858. N. 14.
C. Muskeln der Brust.
§. 168. Aeussere Ansicht der vorderen und seitlichen
Brustgegend.
Die vordere Brustgegend setzt sich nach oben und aussen
unmittelbar in die convexen Schultergegenden fort, und wird von
diesen nur durch eine schwache Depression der Haut (Fossa infrü'
davtcularis) getrennt. Nach unten trennt sie der Umfang der unteren
Brustapertur vom Bauche. Die seitliche Brustgegend, welche von
der vorderen und hinteren durch keine natürliche scharfe Grenze
abgemarkt wird, geht nach oben in die Achselgrube, und nach
unten in die Weichen des Bauches über.
In der Medianlinie der vorderen Brustgegend, bemerkt man
oben, als (irenze zwischen Brust und Hals, die Incisura jugidarü
des Brustbeins , und zu beiden Seiten derselben einen , besonders
bei mageren Individuen, sehr auffälligen, rundlichen Höcker, —
das Sternalende des Schlüsselbeins. Unter der Incisura jugvlaris
läuft, bis zum Schwertknorpel herab, eine ebene, schmale Fläche,
welche an der Vereinigungsatelle der Handhabe des Brustbeins mit
dem Körper, einen, besonders bei Lungensüchtigen deutlichen
queren Vorsprang bildet (nach dem französischen [Arzte^Louis,
454 §. 169. MoAkelD an der Brust.
Angtdus Ludovid genannt)^ und am Schwertknorpel plötzlich zu
einer Grube einsinkt — Magen- oder Herzgrube, Scrobicidtis
cordis. Rechts und links von der Medianlinie sind bei mageren Indi-
viduen die Vorsprünge der Rippen und ihrer Knorpel sichtbar und
zählbar. An der vorderen Brustgegend bilden bei Weibern die
Brüste zweiy mit ihren Saugwarzen etwas nach aussen gerichtete
Halbkugeln^ zwischen welchen die Brustbeingegend als Busen sich
vertieft. Bei Männern und bei Kindern beiderlei Geschlechts, vor
dem Erwachen des Geschlechtstriebes, zeigt sich diese Gegend mit
dem übrigen Thorax mehr gleichförmig gerundet und sind von den
Brüsten blos die Warzen sichtbar. — Die Haut ist in der Mittel-
linie dünn, und über dem Brustbeine wenig verschiebbar. Seitwärts
wird sie dicker, und lässt sich in Falten aufziehen. Das subcutane
Bindegewebe zeichnet sich an den Seiten des Thorax, besonders
aber um die Brustdrüsen herum, durch ansehnlichen Fettgehalt aus,
welcher jedoch am Brustbeine selbst fehlt, so dass die Sternalregion
um so tiefer wird, je fetter ein Mensch ist. Unter dem subcutanen
Bindegewebe folgt der grosse Brustmuskel, welchen eine dünne
Bindegewebs-Fascie überzieht. Unter ihm geräth man auf die der
seitlichen Brustgegend eigene Faada coraco-pectorcUis^ und auf den
Musculus suhdavius, pectoralis minor, und setTatus anticus major. Die
Zwischenrippenräume füllen die Musculi intercostales aus.
§. 169. Muskeln an der Brust.
Es werden hier nur jene Muskeln abgehandelt, welche an der
vorderen und an den beiden Seitengegenden der Brust vorkommen;
die an der hinteren Gegend gelagerten, werden mit den Rücken-
muskeln beschrieben. — Die Muskeln an der vorderen und seitlichen
Gegend der Brust, bilden drei über einander liegende Schichten.
A, Erste Schichfs.
Der grosse Brustmuskel, 3£usculus pectoralis major, er-
streckt sich von der vorderen Brustgegend zum Oberarm, und
bildet die vordere Wand der Achselhöhle. Er ist von einer dünnen,
zellig-iibrösen Fascie bedeckt, welche sich in die Faseie des Ober-
arms fortsetzt. Um den Muskel durch Ablösen dieser Fascie gut
zu präpariren , muss der Arm vom Stamme abgezogen , und die
Richtung der Schnitte parallel mit der Faserungsrichtung des Mus-
kels geführt werden. Er hat im Ganzen eine dreieckige Gestalt.
Die convexe Basis des Dreiecks entspricht dem Ursprünge des
Muskels, die Spitze der Insertion am Oberarm. Er entsteht vom
§. 169. MadkelQ aa der Brust. 455
Sternalende des Schlüsselbeine als schmale Portio davicidaHs, von
der vorderen Fläche de& Sternnm und der Knorpel der sechs oberen
Rippen als breite Portio sterno-costalis, und häutig noch mittelst
eines schmalen Muskelbündels von der Aponeurose des äusseren
schiefen Bauchmuskels (Portio abdonmialU). Von diesem weit aus-
gedehnten Ursprünge schieben sich die Fascikeln des Muskels im
Laufe gegen den Oberarm so auf einander zu, dass in der Nähe
des Oberarms die Clavicularportion sich vor die Sternocostalportion
legt, und beide sich kreuzen. Hiedurch gewinnt der Muskel an
Dicke, was er an Breite verliert. Seine kurze, starke, und breite
Endsehne, befestigt sich an der Spina tubercidi majoris. Die Ge-
sammtwirkung des Muskels erzielt, allgemein ausgedrückt, eine
Näherung der oberen Extremität gegen den Stamm, und wird, nach
den verschiedenen Stellungen derselben , in verschiedener Art er-
folgen, was sich durch Versuche am eigenen Arm oder am Cadaver
sehr gut prüfen lässt.
Nichts pflegt die Studirenden bei der aufmerksamen Präparation dieses
Muskel» mehr zu überraschen, als das Vorkommen der beim Kopfhicker (§. 163)
als Mtutculus stemalis erwähnten Muskelvarietät, welche den Stemalursprung des
Pectortüis nusjoi' überlagert, und von sehr verschiedener Dix^ke, Breite und Länge
gefunden wird. Oft verging ein Jahr, ohne dass wir des Miuculua stemcUü im
-Secirsaal ansichtig wurden.
Zwischen der Portio clavicularia imd der Portio stenio-costalis, existirt eine
fast horizontale enge Spalte, durch welche die Fascie des Pectoralmuskels eine
Fortsetzung in die Tiefe schickt. — Vom Musculus delioidetts wird der Pectoralis
majoi' durch eine dreieckige, oben breite, unten gegen den Oberarm spitzig zu-
laufende Furche geschieden, ha welcher, nebst Fett, die Vena cephalica liegt. Nach
Herausnahme de» Fettes, fühlt man oben die Spitze des Processus coracoideua,
und die von ihm entspringende F<u*cia coraco-pectoralis , welche den Gnmd der
Furche bildet. — Von der Sehne des i*ectoralis major werden viele Faserbüudel
zur Verstärkung der Fascie des Oberarmes verwendet. — Manchmal krümmen sich
seine untersten Floischfasern, vor ihrer Insertion am Oberarm, über die Gefässe und
Nerven der Achsel brückenförmig nach innen und hinten, um mit der Sehne des
breiten Rückenmuskels sich zu verweben. — Ein von der Insertionsstelle seiner
Sehne bis zum Coiidi/bts humeri iiUeivuis herabziehender fibröser, selbst muskulöser
Strang, verdient die Beachtung der Chirurgen, da er während seines schief nach
innen absteigenden Verlaufes, das Bündel der grossen Gefiisse und Nerven am
inneren Rande des Biceps örachii überkreuzen muss. — Tiedemann fand zwischen
dem Pectoralis major und dem Pectoralis minor, einen eingeschobenen überzähligen
Bmstmuskel, welcher von der zweiten bis fünften Rippe entsprang, luid an das
Mehrfachwerden des Bmstmuskels in der Classe der Vögel erinnert. — Die
Sternocostalportion hat bei iixirtem Arm die Bedeutung eines Inspirationsmuskels.
Mau sieht deshalb Kinder, welche am Keuchhusten leiden, oder Erwachsene, die
von einem asthmatischen Anfalle heimgesucht werden, unwillkürlich sich mit den
Armen aufstemmen, oder einen festen Körper umklammern, um den Arm zum
fixen Punkt des Pectoralis major zu machen, dessen Sternocostalportion nun die
vordere Brustwand hebt. — Bei veralteten Verrenkungen im Scholtergelenke kann
Verkürzung des grossen BnutmiiBkelB ein schwer so ^ndea HJudenÜBS
der Einrichtung abgeben. — Die CUiviei'
456 §• l^- Moakeln an der Brust.
rechten Seite einer hochbejahrten Fraa fehlen. Completer Mangel der Portio
»iemo-coatalia kam mir während meiner langen anatomischen Praxis nur zwei-
mal vor.
B. Zweäe Schichte.
Der Schlüsselbeinmuskel^ Musculus »ubclavius, entspringt
an der unteren Seite des Schlüsselbeins, von welcher seine Bündel
nach Art eines halbgetiederten Muskels, schief an eine Sehne treten,
welche sich am oberen Rande des ersten Rippenknorpels inserirt.
Da seine Zugrichtung mit der Richtung des Schlüsselbeins überein-
stimmt , so scheint seine Hauptverwendung darin zu bestehen , das
Schlüsselbein bei allen Stellungen, welche es annehmen kann, gegen
das Brustbein zu iixiren.
Ich nehme hier Anlass, den von Luschka entdeckten, schmalen, und
spindelförmigen Mugctäus stemo-clavicularü zu erwähnen, welcher vom oberen
Bande der inneren Hälfte des Schlüsselbeins, zur vorderen Fläche der Brustbein-
handhabe zieht Er ist nicht constant Unter 83 Leichen fand ich ihn vier Mal so,
wie ihn Luschka beschrieb (MüUer's Archiv, 1856), zwei Mal dagegen ab-
weichend. (Ueber zwei Varianten des MuscuIim stemo-clavictilarut, in den Sitzungs-
berichten der kais. Akad. 1850, März.) Ueber neue supernumeräre Schliisselbein-
mnskeln, handelt G ruber im Archiv für Anat. 1865.
Zwischen dem Musculus subclavius und der ersten Rippe, sieht man die
Gefässe und Nerven der oberen Extremität zur Achselhöhle hinziehen, in der
Ordnung, dass die Vena auhclavia nach innen, die Nervenstämme nach aussen,
und die Arteria subclavia zwischen beiden in der Mitte liegt.
Der kleine Brustmuskel, Musculus pectoralis minor, ent-
springt mit drei oder vier Zacken von der äusseren Fläche der
zweiten oder dritten bis fünften Rippe, und setzt sich mit kurzer
und schmaler Sehne an die Spitze des Processus coracoideus fest.
Zieht die Schulter nieder, oder hebt die Kippen als Inspirations-
muskel. Seines zackigen Ursprunges wegen, heisst er auch Mus-
culus serrtüus anticus minor.
Ueber den Pectoralis miitiimuSf imd andere überzählige Brustmuskeln, handelt
W, Gruber, in den M6m. de TAcad^mie de St. P^tersbourg, 1860.
Der Musadus subclavius und pectoralis minor sind von einer Fascic bedeckt,
welche gleich nach Wegnahme des Pectoralis major zum Vorschein kommt. Sie
entspringt am Rabenschnabelfortsatz, wo ihre Dicke sehr bedeutend ist. Ihr
äusserer Abschnitt verschmilzt mit jenem Theile der Fascia brachii, welcher über
die Achselgrube wegläuft (§. 186); ihr mittlerer Abschnitt fasst den kleinen
Brustmuskel zwischen zwei Blättern ein; ihr innerer und oberer Altschnitt ver-
hält sich ebenso zum Musculus sufjdavius, befestigt sich am unteren Kande der
Clavicula, und übertrifft die beiden anderen an Stärke. Er wird als Fascia
coraoo-davicularis erwähnt, welchen Namen man auch der Gesammtheit der drei
erwähnten Abschnitte beilegt Die Faseia coraco-clavicularis begleitet und schützt
die unter dem Musculus subclavius hervortretenden Gefässe und Nerven auf ihrem
Wege sur Achsel. Ihre Stärke und ihre Spannung setzen dem von aussen her unter
|. 199. Muskeln an dar Brost. 457
das Schlüsselbein eingebohrten Finger, ein nicht zu bewältigendes Hindemiss
entgegen.
Der grosse sägeförmige Muskel, Musculus serrcUus anticus
major, nimmt die ganze Seitenfläche des Thorax bis zur achten
oder neunten Rippe herab ein. Er entspringt mit acht oder neun
spitzigen Zacken (daher sein Name Serratus) von der äusseren
Fläche der genannten Rippen. Die Zacken associiren sich zu einem
breiten und flachen Muskelkörper, welcher die Seiten wand der
Brust nach hinten umgreift, zwischen das Schulterblatt und die
Brustwand eindringt, und sich an die ganze Länge des inneren
Randes der Scapula ansetzt. Hiebei ist Folgendes zu bemerken.
Die erste und zweite Zacke (von oben gezählt), fleischiger als die
folgenden, treten au den inneren oberen Winkel des Schulterblattes,
— die dritte und vierte, welche den dünnsten Theil des Muskels
bilden, nehmen die ganze Länge des inneren Schulterblattrandes
für sich in Besitz, — und die vier oder fünf übrigen Zacken drängen
sich alle gegen den unteren Schulterblattwinkel zusammen. Dieser
Muskel zieht, wenn die Rippen durch Zurückhalten des Athems
festgestellt sind, das Schulterblatt nach vorn, und fixirt es am
Thorax. In dieser Fixirung des Schulterblattes liegt eine conditio
sine qua non, für den Gebrauch jener Muskeln, welche am Schulter-
blatt entspringen und am Oberarm oder Vorderarm angreifen. Sie
würden, im Falle eine schwere Last mit den Armen zu heben ist,
lieber das leicht bewegliche Schulterblatt aus seiner Stellung brin-
gen, als die beabsichtigte Hebewirkung leisten. Hieraus wird es
erklärlich, warum Lähmung des Serratus, die Kraft des Armes
schwächt.
Nicht Hclten kommt en vor^ das» der Muskel mit neun Zacken von den
acht oberen Rippen entspringt, wo es dann die zweite Rippe ist, welche zwei
Zacken desHelhen auf sich nimmt.
Um diesen scliönen Muskel in seiner ganzen Grösse zu sehen, muss das
Schlüsselbein entzweigesägt, und der MimchIim »iifjclavitM und pectoralis minor ent-
fernt werden, so da!«H das Schulterblatt vom Stamme wegfallt, und nur mehr durch
den Serratiui nntictut major mit der Brust zusammenhängt.
(J, Dritte Schichte.
Sie besteht aus den, die cilf Zwischenrippenräume ausfüllenden
äusseren und inneren Intercostalmuskeln, welche zwei dünne,
fleischig-sehnige Muskellagen bilden. Beide entspringen vom unteren
Rande einer Rippe, und endigen am oberen der nächst darunter
liegenden. Die Richtung des äusseren geht schräge nach vorn
und unten, die des inneren schräge nach hinten und unten. Die
Insertion des äusseren erstreckt sich blos bis zum Anfange des
Knorpels der betreffenden ^ iene des inneren aber bis zum
458 §. 109. Muskeln an der Brust.
Stemum. Der änsscre ist somit um die Länge eines Rippenknorpels
kürzer als der innere, und ersetzt, was ihm an Länge fehlt, um das
Brustbein zu erreichen, durch eine dünne, glänzende Aponcurosc,
das sogenannte Ligamentum coiiiscans. Die Ursprünge beider Inter-
costalmuskelu fassen die am unteren Rippenrande befindliche Furche,
und die darin laufenden Geßisse und Nerven zwischen sich.
Die IidercmtaLen exlerni und iiüerm »ind Einathmungsmuskeln. Die in
neuester Zeit wieder in Aufnahme gebrachte ältere Ansicht, dass die hit^rcotitaleit
tn^^nis Ausathmungsmaskeln seien, wurde von Budge widerlegt. Er zeigte, dass
nach Durchschneidung der hitercostales exteimi in einem oder mehreren Zwischen-
rippenräumen an Thieren, dennoch inspiratorische Verengerung dieser Zwischen-
rippenräume eintritt. — Beim Einathmen wird die erste Rippe zuerst durch die
Scaleni gehoben. Die ersten Iiitercoatales exlerni et interni stellen nun zwei schiefe
Kraftrichtungen vor, deren Resnltirende die zweite Kippe gegen die gehobene
erste hebt, und so fort durch alle folgenden Intercostalräume.
Nach Entfernung beider Intercostalmuskeln, gelangt man noch nicht auf
das Rippenfell, sondern auf eine äusserst dünne, und deshalb bisher übersehene
Fascie, welche die ganze innere Oberfläche der Brusthöhle auskleidet, und sich
zu dieser, wie die Fascia transversa zur Bauchhöhle verhält. Ich nenne sie Fascin
endothoracica. Sie verdickt sich bei gewissen krankhaften Zuständen der Lunge
und des Rippenfells, mit welch' letzterem sie sehr innig zusammenhängt, und
fällt dann besser in die Augen. Zieht man in einem durch Wegnahme der vor-
deren Wand geöffneten Thorax, dessen Inhalt herausgenommen ist, das Rippenfell
von der inneren Oberfläche der Rippen ab, so überzeugt man sich ohne Schwierig-
keit von dem Dasein dieser Fascie, welche, besonders gegen die Wirbelsäule hin,
als ein selbstständiges fibröses Blatt, mit Vorsicht in grösserem Umfange isolirt
werden kann. Luschka hat ihr in neuester Zeit eine besondere Aufmerksamkeit
geschenkt, und ihre Beziehungen zum fibrösen Blatte des Herzbeutels einer gründ-
lichen Untersuchung unterworfen. (Der Herzbeutel und die Fasciti emlothorai'ica,
in den Denkschriften der kais. Akad. 17. Bd.)
Sehr oft finden sich an der inneren Oberfläclie der unteren Hälfte der
seitlichen Bnistwand, flache und dünne Muskelbündel vor, welche vom unteren
Rande einer oberen Rippe nicht zur nächst unteren, sondern, diese überspringend,
zur zweiten ziehen. Sie nehmen zuweilen die ganze innere Oberfläclie der Seiten-
wand des Thorax ein, und wurden von dem Niederländer, Phil. Verheyen,
welcher sie entdeckte (Conipe^id. anat. ßnixell, 1710), Musndi infracostal^s genannt,
von Win slow aber suf^costales.
An der hinteren Fläche des Brustbeins und der Rippciiknorpel
liegt der Alusculuif triangulans stenii 8. üterno-costalwy eine Succession
von breiten und flachen Zacken, welche aponeurotisch vom Kiirper
und Schwertfortsatz des Brustbeins entspringen , und schief nach
oben und aussen an die hintere Fläche des dritten bis sechsten
Rippenknoi'pels treten. Er zieht die Rippenknorpel bei forcirtem
Ausathmen herab, und bietet so viele Spielarten dar, dass Meckel
ihn den veränderlichsten aller Muskeln nannte.
Henle erkannte in ihm, und in den oben erwähnten MnsciUi snbcattales,
eine Wiederholung des Transversus abdomims an der Brust.
Nach Luschka (Sitzungsberichte der kais. Akad. 1858), kommt in seltenen
Fällen ein besonderer Muskel hinter dem Manubrium stemi vor, welchen er als
§. 170. AUgtmeiaes über die BanchwMid. 459
Transversus coUi bezeichnet. Er entspring etwas unter der Mitte des oberen Randes
des ersten Rippenknorpels, besteht aus drei bis vier lose zusammenhängenden
BündeUi, welche durch Bindegewebe an die hintere Fläche des Ursprungs des
Stemo-hyoideua adhäriren, und geht in Sehnenfasem über, welche mit jenen der
anderen Seite in der Medianlinie zusaramenfüessen. Er kann den untersten Theil
des tiefen Blattes der Fascia coUi in die Quere spannen.
D. Muskeln des Bauches.
§. 170. Allgemeines über die Bauchwand.
Bauch oder Unterleib (Abdcmien, 8. imus venter, s. cUvits,
welchen der römische Dichter ingenii Tnorumque largitor nennt), ist
jener Theil des Stammes, welcher zwischen Brust und Becken liegt.
Abdomen wird weniger für den menschlichen Unterleib, als für den
feisten Wanst der Mastthiere, insbesondere des Schweines gebraucht.
Imu8 oder infimus venter schreibt der classische (Jelsus; das wäre
deutsch: unterer Leib, le bds-ventre der Franzosen, englisch belly
und woviby die Wampen der trivialen Wiener.
Die grosse Lücke, welche am Skelet zwischen dem unteren
Rande des Thorax und dem oberen Rande des Beckens existirt,
wird nur durch fleischig häutige Decken geschlossen, welche ge-
meinhin den Namen Bauchwand führen. Der von der Bauch-
wand umgürtete Raum, ist das Cavum abdonunts, welches sich
nach abwärts in den Raum der Beckenhöhle fortsetzt. In diesem
Cavum sind die Organe der Verdauung, und der grösste Theil der
Harn- und Geschleehtswcrkzeuge verpackt. Der Rauminhalt der
Bauchhöhle zeigt sich viel grösser, als es nach der äusseren An-
sicht der Bauchwand zu vermuthen wäre. Indem sich nämlich die
Bauchhöhle nach abwärts in die grosse und kleine Beckenhöhle
fortsetzt, wird auch der knöcherne Beckenring einen Theil ihrer
Wandung bilden, und die weit in den Thorax hinaufragende Wöl-
bung des Zwerchfells vergrössert sie derart nach oben zu, dass
auch die unteren Rippen noch an der Bildung der seitlichen Bauch-
wand Theil nehmen werden.
Da der untere Rand des Thorax mit dem oberen Rande des
Beckens nicht parallel läuft, so muss die Länge der weichen Bauch-
wand an verschiedenen Stellen des Bauches eine verschiedene sein.
Zwischen dem Schwertknorpel und der Schamfuge hat die Bauch-
wand die grösste Länge. Diese nimmt nach aus- und rückwärts
gegen die Wirbelsäule zu bedeutend ab. Würde man die Bauch-
wand von ihren AnheftungssteUen ablösen; und in eine Fläche aus-
breiten, 80 erhielte '^'"••ek, dessen längste
460 S- 170. AllgttmeinM ftb«r die Banehwuid.
Diagonale dem Ahntunde des Schwertknorpels von der Schamfuge
entspricht, und dessen seitliche abgestutzte Winkel an die Wirbel-
sHule zu liegen kommen. Da ferner die Peripherie des grossen
Beckens, jene der unteren Brustapertur übertriflft, so muss die
[Rauchwand einem stumpfen Kegel mit unterer Basis gleichen. Nur
beim Neugeborenen, wo die Entwicklung des Beckens hinter jener
des Brustkorbes zurücksteht, wird das Verhältniss ein umgekehr-
tes sein.
F)ici Wölbung der Bauchwand ist bei mageren Personen mit
leerem Bauch nach innen, bei wohlgenährten nach aussen gerichtet,
und bei aufrechter Stellung an der unteren Gegend der vorderen
Bauchwand stärker, als bei horizontaler Rückenlage. Das Einathmen
vermehrt, das Ausathmen vermindert diese Wölbung.
Der grosse Umfang der Bauch wand, wird durch willkürlich
gezogene Linien, in kleinere Felder abgetheilt, welche, ihrer Be-
ziehung zu den Eingoweiden wegen, von topographischer Wichtig-
keit sind. Man bezeichne an einer Kindesleiche, den unteren Thorax-
rand, und den oberen Beckenrand, mit schwarzer Farbe, ziehe von
jeder Articidaiio stemo-clamciUaris eine gerade Linie zur Spina an-
terior sttperior des Darmbeins, und eine andere vom unteren Winkel
des Schulterblattes zum hinteren Dritttheil der Crista ossis äei, so
hat man die Peripherie der Bauchwand in eine vordere, zwei
seitliche, und eine hintere Gegend abgetheilt. Die beiden seit-
lichen heissen Bauch weichen oder Flanken; die hintere zerfallt
durch die Dornen der Lendenwirbel in eine rechte und linke Hälfte,
welche Lt»ndengege nden, Reffiones lumbales, genannt werden.
Führt man nun vom zehnten Rippenknorpel einer Seite, zu dem-
selben der anderen Seite , eine f^uerlinie , welche über dem Nabel
liegt, und verbindet durch eine ähnliche Linie, die beiden vorderen
oberen Darmboinstacheln, so hat man dadurch die vordere Gegend
tles l^auches in drei Zonen gi»theilt, von welchen die obere : liegio
epitjastriai^ die mittlere: Keifio mesinfontricaf und die untere: Regio
hf^HH^a^tricti genannt winl. Letztere wird durch den, bei angezoge-
nem Schenkel besonders tiefen Leisten bug (Hica inguinis) , vom
Oberschenkel gi^tronnt. Die beiden erwähnten Querlinien, entsprechen
den Falten, in welche sich die Bauchhaut beim Zusammenkrümmen
des 1-oibes legt.
Betrachtet man die Obertläche der Bauchwand an athletisch
gi4>auton Menschen, oder an anatomisch-richtigen bildlichen Dar-
stollungvMi, so sieht man eine breite tlache Grube in der Median-
linie der vonleren Bauchwand, vom Schwertknorpel an. eine Strecke
weit herabziehen, — die Magengrube (^unrichtiir T^-^rzgrube,
Scf»WcWM*< «»rrf«'. l'nter ihr Hegt der Nabel, CmhUicns, als faltig
umnuidete, eingexogene Narbe des nach der Geburt abgefallenen
S. 170. AUgemeintB ftb«r die BMicbwmnd. 461
Verbindungsstranges zwischen Mutter und Kind. Das Wort um-
bätcus (h[Uf<xk6<;) stammt von umbo, d. i. spitzer Kegel in der Mitte
des Schildes, zum Stossen im Handgemenge (so summus dipei umbo,
bei Virgil, und dcrrc{8o<; ipL^aXö? bei Homer). Von Cicero und
Livius wird das Wort umbilicus überhaupt für Mittelpunkt ge-
braucht, wie z. B. in umhtlicus Gh'oedcki und Siciliae. A. Lauren.
tius nannte den Nabel radix ventris, nach r, p'^a ^oi(np6<; des Ari-
stoteles.
Vom Nabel gegen die Schamfuge wölbt sich die Bauchwand
durch reichlich angesammeltes Fett, woher der veraltete Name
dieser Gegend: Schmerbauch stammt. Rechts und links von der
Medianlinie, sieht man zwei breite und flache^ longitudinale Vor-
sprünge, durch die geraden Bauchmuskeln gebildet, und nach aussen
von diesen, zwei Längenfurchen herablaufen, welche die Ueber-
gangsstellen der breiten Bauchmuskeln in ihre Aponeurosen an-
deuten. — Die Bauchweichen sind bei schlanken Individuen
concav und leicht eindrückbar, so dass man in der Richtung nach auf-
wärts mit den Fingern bis unter die Rippen gelangen kann, wes-
halb die obere Gegend der Bauchweichen als Hypocliondmum (von orco
und xövopoc, unter den Knorpeln) benannt wird, während die untere
Gegend der Bauchweichen, welche sich gegen den Darmbeinkamm
eindrücken lässt, als Darm weiche bezeichnet wird. Die Bauch-
weichen gehen hinten ohne scharfe Grenze in die prallen, dem
Rücken angehörenden Lendengegenden über.
Die Haut des Bauches kann bei mageren Leuten leicht, bei
fetten nur schwer oder gar nicht in eine Falte aufgehoben werden.
Vom Nabel zur Scham herab, führt sie dichten, mehr weniger
krausen Haarwuchs, während die Scham der Thiere, mehr nackt
ist, als der übrige Leib. — Hat die Haut einen hohen Grad von
Ausdehnung erlangt, wie bei wiederholten Schwangerschaften, so
gewinnt sie ihre frühere Spannung nicht wieder, und zeigt eine
Menge dichtgedrängter, wie seichte Pockennarben aussehender
Flecken, welche auf wirklicher Verdünnung des Integuments beruhen.
Dass aus ihrem Dasein nicht unbedingt auf vorausgegangene Ge-
burten zu schlii'ssen ist, beweisen die Fälle, wo man sie nach Ent-
leerung des Wassers bei Bauchwassersüchten, und nach schnellem
Verschwinden grosser Beh^ibtheit auftreten sah.
Die FtiHcia superficialis des Bauches lässt uns, besonders in der
untrn'n Bauchgegend, zwei deutlich getrennte Blätter unterscheiden.
Das hochliegende allein ist fetthaltig. Sein Fettreichthum wölbt,
besonders bei Weibern, die Gegend über der Scham als Mona
Vetieris hervor. Um den Nabel herum^ wird sein ' «J* snär-
licher, so dass die Nabelgrabe in den
je mehr die Fettleibigkeit am ^
4ßS 8* 171. 8p«ei«11« Besehrüilnmg der BaiielilBiiBkeln.
platte verlaufen die subcutanen Blutgefässe des Bauches. Das tief-
liegende Blatt hat die Charaktere einer dünnen, immer fettlosen
Bindegewebsm^mbran. Seine Darstellung durch Zergliederung, ge-
lingt am besten in der unteren Bauchgegend. — Unter der Fasan
»uperfidalis liegt ein aus zwei longitudinalen und drei breiten Mus-
keln zusammengesetztes Stratum, welches im nächsten Paragraph
beschrieben wird, und dessen innere Oberfläche durch eine dünne
Fascie (Fascia transversa) überzogen wird. Auf die Fascia transversa
folgt eine stellenweise sehr zarte, an gewissen Gegenden aber durch
Aufnahme von Fettcysten sich verdickende Bindegewebsschicht,
welche das Bindungsmittel zwischen Fasda transversa und dem letzten
oder innersten Bestandtheil der weichen Bauchwand — dem Bauch-
felle, Peritonewni — abgiebt.
§. 171. Specielle Beschreibung der Baudunuskeln.
Die muskulöse Bauch wand wird theils durch lange, theils
durch breite Muskeln gebildet. Die langen Muskeln nehmen die
vordere Gegend, die breiten dagegen die Flanken und einen Theil
der hinteren Gegend des Bauches ein.
A, Lange Bauchmuskeln,
1. Der gerade Bauchmuskel, Musculus rectus abdominis,
entspringt von der äusseren Fläche des fünften, sechsten und sie-
benten Rippenknorpels, und des Processus ociphoideus, und steigt,
sich massig verschmälernd , zur Scharafuge herab , um am oberen
Rande und an der vorderen Fläche derselben zu endigen. Seine
longitudinalen Bündel werden durch drei bis fünf quer eingewebte
Sehnenstreifen, welche den Namen der Inscriptiones te^idineae führen,
unterbrochen. Am häufigsten finden sich deren vier, zwei über,
eine dritte an dem Nabel, und eine vierte unter demselben, welche
letztere nicht die ganze Breite des Muskels, sondern nur die äussere,
oder die innere Hälfte desselben durchsetzt. In der Regel greifen
die Inscriptiones tendinea^ nicht durch die ganze Dicke des Muskels
bis auf die hintere Fläche desselben durch. — Der gerade Bauch-
muskel wird von einer sehr starken fibrösen Scheide eingeschlossen,
welche durch die Aponeurosen der breiten Bauchmuskeln gebildet
wird, und aus einem vorderen, mit den Inscriptionibus toidineis ver-
wachsenen, und einem hinteren Blatte besteht, welches nur zwei
bis drei Querfinger breit unter den Nabel herabreicht, wo es mit
einem scharfen halbmondförmigen Rande aufhört. Dieser Rand heisst
Linea seTmcircularis Douglasii.
§. 171. Speeielle BeBobreibiinf der BawAmiiAelB. 468
Zuweilen reicht der llrftpmng des Rectus weiter bIb bis zur ftinften Rippe
hiiiAQf, wie es bei g^ewissen Säag^etliieren der Fall ist. lieber das Verlialten der
Recti bei Bchwangeron, handelt mein Handbuch der topogr. Anat. I. Bd.
2. Der pyramidenförmige Muskel, Mmcidna pf^ramidalU.
Siehe §. 172.
B. Breite Bauchmuskeln.
1. Der äussere schiefe Bauchmuskeln Musculus obliquus
abdominis exter^ius, der Richtung seiner Fasern wegen, auch oblique
descendens genannt, entspringt vom vorderen Theile der äusseren
Fläche der sieben oder acht unteren Rippen, mit eben so vielen
Zacken. Die vier unteren schieben sich zwischen die Rippen-
ursprünge des Latissinms dorsi ein, die vier oberen interferiren mit
den vier unteren Ursprungszacken des Serratus anticus major, wo-
durch eine im Zickzack zwischen beiden Muskelpartien laufende
Zwischenlinie entsteht. Die hinteren Bündel steigen fast senkrecht
zum Labium exteiimm des Darmbeinkammes herab, wo sie sich
festsetzen. Die übrigen alle gehen schief zur vorderen Bauch wand,
um daselbst eine breite Aponeurose zu bilden, welche theils über die
vordere Fläche des geraden Bauchmuskels weg, zur Schanifuge und
zur Medianlinie des Bauches läuft, wo sie sich mit der entgegen-
kommenden der anderen Seite zu einem fibrösen Strange, genannt
weisse Bauch li nie, Lmea alba, verflzt, theils gegen den Leisten-
bug herabsteigt, um mit einem nach hinten rinnenformig umge-
bogenen Rande zu endigen, welcher von dem vorderen oberen
Darmbeinstachel zum Höcker des Schambeins brückenförmig aus-
gespannt ist, die Grenze zwischen Bauch und vorderer Fläche des
Schenkels bezeichnet, und Leistenband (Ligamentum Poupartü s,
FcUlopiae, auch Arcus cvuralis) genannt wird. Fallopia würdigte
dieses Band zuerst, welches Fr. Poupart im Journal des savans,
170ß, nicht besser beschrieb.
Will man das Ponpart'sche Band nicht als unteren Rand der Aponeurose
des Mnsseren schiefen Bauclimuskels ansehen, sondern seiner Dicke wegen, für ein
selbstständiges I^and halten, so müsste man sagen, dass die Aponeurose des
äusseren schiefen Bauchninskels sich am Po u par tischen Bande befestigt, was
man nach Belieben thun kann.
Das Poupart'sche Band hat drei Befestigungen an dem Hüft-
bein, — 1. an der Spina anterior Huperlor des Darmbeins, 2. am
Tuberculum des Schambeins, 3. mit einer dreieckigen, schief nach
hinten gerichteten Ausbreitung seines inn(»ren Endes, am Pecten ossfs
pubis. Diese dritte Insertion führt den Namen Ligamentum G^imber-
nati, nach dem spanischen Wundarzt Ant. de (limbernat. Siehe
§§. 199 und 200.
464 §. 171. Speeielle Besebreibiinf der Banchmaskeln.
Einen starken Zoll von der Schamfuge entfernt, lässt sich in
der Aponeurose des äusseren schiefen Bauchmuskels, eine dreieckige,
schräge nach aussen und oben geschlitzte Oeffnung darstellen,
als äussere Oeffnung des Leistenkanals, oder Leistenring
(Apertura externa canalis ing-idnalis s. Annulus inguinalis), deren Basis
durch das innere Ende des horizontalen Schambeinastes, deren
unterer äusserer Rand oder Schenkel, durch das Ligamentum
Poupartii (deshalb auch Crus extemum annvli inguinalis genannt),
deren oberer innerer Rand (Crus intemum annuli inguinalis) durch
jenen Theil der Aponeurose des äusseren schiefen Bauchmuskels
gebildet wird, welcher nicht zur weissen Bauchlinie, sondern zur
vorderen Fläche der Schamfuge herabläuft, wo er sich mit dem-
selben aponeurotischen Schenkel der anderen Seite kreuzt (der
linke deckt den rechten), und mit dem Aufhängebande des männ-
lichen Gliedes sich verwebt. — Der Leistenring ist die äussere
Oeffnung eines Kanals, welcher durch die ganze Dicke der Bauch-
wand durch, schief nach oben und aussen aufsteigt, um nach einem
Verlaufe von anderthalb Zoll Länge, durch die innere Oeffnung
(§. 172) in die Bauchhöhle einzumünden. Man nennt deshalb die
äussere Oeflfnung auch die Leistenöffnung, und die innere die
Bauchöffnung des Leistenkanals. Durch den Leistenkanal tritt
bei Männern der Samenstrang, bei Weibern das runde Gebärmutter-
band aus der Bauchhöhle hervor.
Zwischen dem hinteren Rand des ObliqwM extemus, nnd dem vorderen
Rand des LatUaimua dorn (welche Ränder sich nnr sehr selten tlberla{2^ern) zeig^
sich in der Lumbal g^eg^end der Unterleibswand, eine dreieckige Stelle mit auf-
wärts gekehrter Spitze, an welcher die muskulöse Banchwand nur durch den
Ohliquus internus und Transversua gebildet wird. An dieser Stelle sah Petit
Bauchbrüche vorkommen, — daher der Name: Trigonum PetUi. Lesshaft hat
ein ähnliches Dreieck, jedoch mit unterer Spitze, als Trujonum lumbale superitu
beschrieben (Archiv für Anat. 1870). Die Basis desselben ist die letzte Rippe,
sein innerer Rand der vereinigte Sctcrotumhali» und Longut»imiis dorsif sein äusserer
Rand der Ohliquu» extemus, sein Grund der Transversus.
2. Der innere schiefe Bauchmuskel, Musculus ob/iquus
abdominis internus, seiner Faserung wegen oblique ascend&iis genannt,
entspringt, vom vorigen bedeckt, von der mittleren Lefze des Darm-
beinkammes, von der Spina anterior superior, und von der äusseren
Hälfte des Po upar tischen Bandes. Sein hinterer kürzester Rand
hängt mit dem tiefen oder vorderen Blatte der später (Note zu
§. 179) zu erwähnenden Scheide der langen Rückenstrecker (Fascia
lumbo'dorsalis) zusammen. Die Richtung der Bündel des Muskels
geht, für die hintersten, aufwärts zum unteren Rande der drei
letzten Rippen, für die mittleren strahlenförmig nach innen und
oben zur vorderen Bauch wand, für die untersten, welche von der
äusseren Hälfte des Poupar tischen Bandes entspringen, horizontal
§. 171. dpecielle Beschreibung der Banehrnnskeln. 46t)
nach innen zum Leistenring. Die nicht an die Rippen gelangenden
mittleren und untersten Bündel des Muskels, bilden eine Aponeurose,
welche sich in zwei Blätter spaltet, deren vorderes mit der Apo-
neurose des äusseren schiefen Bauchmuskels verschmilzt, jaiit ihm
die vordere Wand der Scheide des geraden Bauchmuskels bildet,
und in der ganzen Länge der weissen Bauchlinie endigt, während
das hintefe kürzere Blatt, die hintere Wand der Scheide des
Rectus erzeugen hilft, welche, wie früher gesagt, kürzer als die vor-
dere ist, indem sie zwei bis drei Querfinger unter dem Nabel mit
der Linea semidrctdaris Douglasii endet, nach dem Schotten, Jac.
Douglas (Mt/ograplii4ie specivfien, Londini, 1707).
Vom unteren Rande des inneren schiefen (und queren) Bauch-
muskels, stülpt sich eine Anzahl von Muskclbündeln schlingenfiirmig
durch die Leistenöftnung des Leistenkanals hervor. Diese Muskel-
schlingen begleiten den Samenstrang bis in den Hodensack herab,
und stellen in ihrer Gesammtheit, den Hebemuskcl des Hodens,
Musadus crefmaster (xpsjjuxcmjp, von xpsixo), aufhängen) dar. Beim weib-
lichen Geschlechte finden sich nur Spuren des Cremaster am runden
Gebärmutterbande.
3. Der quere Bauchmuskel, Musculus transversus ahdomiim,
unter dem inneren schiefen liegend, entspringt von der inneren
Fläche der Knorpel der sechs unteren Rippen, von dem tiefliegen-
den oder vorderen Blatte der Fascia lumho-dorsali^, von der inneren
Lefze des Darmbeinkammes, und, mit dem ohUquus internus ver-
einigt, von der äusseren Hälfte des Poupar tischen Bandes. Seine
Fleisehbündel laufen quer, und sind nicht alle gleich lang. Die
oberen und unteren rücken weiter gegen den geraden Bauchmuskel
vor, die mittleren weniger. Der Uebergang des Muskels in seine
Aponeurose, wird somit eine bogenförmig nach aussen gekrümmte
Linie bilden, welche als Linea semilunams Spigelii in den Hand-
büchern cursirt. Die Aponeurose selbst theilt sich am äusseren
Rande des geracbm Bauchmuskels durch einen Querschnitt in zwei
Blätter, welche nicht wie jene des inneren schiefen Bauchmuskels
hinter einander, sondern über einander liegen müssen. Das obere
verstärkt die hintere, nur bis zur Linea Donqla^ii reichende Wand
der Scheide des Rectus, Das untere hilft die untere Hälfte der vor-
deren Wand dieser Scheide bilden. Beide endigen, wie die übrigen
Aponeurosen der breiten Bauchmuskeln, in der Linea alba.
Zuweilen hat die Aponeurose des Trarutversu» aucJi eine unterste fleiscliipfe
Insertion an der Schanifuge. Diese ist der von Lunclika erwähnte Mmvidus
j)u/n>franj* VC r/tat uf.
Eine jj^enaue Revision der Theilnahme der hreitcn Hauclnnuskeln an der
nildung der Scheide de» geraden Bauchmuskels, wKrc sehr wtinschenswerth. Man
kann »ich nicht verhehlen, das» die gegebene DarsteUung, welche zwar einer
f» * «4. Ali. 30
40G §• 172. Fateia trantvtnto. Scheide dos Kcctns, und weisse Banclilinie.
allgemein angeiiommcMien Vorstellung^ entspricht, aber kaum durch das Messer
" entstand, etwas Gezwungenes, selbst l^izarres an sich hat. Dieses gilt besonders
von dem Verhalten der Aponeurose des queren Bauchmuskels.
4. Der viereckige Lendcnmuskel, Muscidns qundratus
lumlxyimm, liegt an der hinteren Bauchwcind, entspringt am hinteren
Abschnitt des Darmbeinkamines, wird durch accessorische liündel,
welche vom fünften Lendenwirbel und vom Ligamentum ileo-lumhaJe
kommen, verstärkt, und inserirt sich theils mit sehnigen Zacken an
den Querfortsätzen der vier oberen Lendenwirbel, theils mit einer
breiteren Sehne am unteren Kande der zwölften Rippe.
§. 172. Fascia transversa. Scheide des Rectus, und weisse
Bauchlinie.
Die innere Oberfläche des Musculus irnnsverms wird von der
Fasern transversa überzogen, welche an den fleischigen Theil des
Muskels durch sehr kurzes und fettloses Zellgewebe adhärirt, mit
der Aponeurosc desselben d<agegen viel inniger zusammenhängt. Sie
überzieht, nebst dem queren ßauchmuskel, noch den Quadraius
lumborumj verdickt sich gegen das Poupart'sche Band zu, und be-
sitzt hier eine kleine ovale Oeff'nung, welche die Bauchöffnung
des Leiste nkanals oder den Bauch ring (Apertura interna s.
aJjJ^minalis canalis inguinalis) darstellt. Die Entfernung dieser
Oeff'nung von der Sch<amfuge, beträgt anderthalb Zoll mehr, als jene
der Leistenöff*nung des Kanals. Der innere Kand der Oeff'nung ist
scharf gezeichnet, der äussere weniger. Bei genauer Untersuchung
überzeugt man sich leicht, dass diese Oeff'nung nur der Anfang
einer trichterfiirmigen Ausstülpung der Fascia traiisversa ist, welche
durch den Leistenkanal nach «aussen dringt, den Samenstrang und
den Hoden als Scheide umhüllt, und die sogenannte FaJicia infundi-
hidifoinnis s, Tunica vaginalis communis des Samenstranges und
Hodens bildet.
Die FoMria t.ranMverxa hänf^ zwar an dem Rand des Poupar tischen Randes
fest an, endi^ aber hier noch nicht, sondern setzt sich bis zum /Vr//*?? nmtin jnihin
fort, wo sie mit den spHter, bei der Heschreibunp des Schenkelkaiials zu er-
wähnenden Fascien, verschmilzt. Weder die Foftna iliarn, noch die kleine Herk^'n-
höhle, werden von ihr ausp^ekleidet, sondern erhalUm besondere, viel stiirkere,
selbstMtiindi^e Fascien.
Die Scheide des geraden Bauchmuskels wird durch
die Aponeurosen der breiten Bauchmuskeln gebildet, welche, um
ihren Vereinigungspunkt — die weisse Bauchlinie — zu erreichen,
vor oder hinter dem Rectus vorbeilaufen müssen. Da die hintere
Wand der Scheide nur bis zur Idnea semicircidaris Douglasä reicht,
§. 172. Paaeia traiuveraa. dcbeido dos Bectns, nnd weisse Baachlinie. 467
80 müsste die hintere Flüche des Reetus, von der Lmea Dauglaaii
angefangen bis zur Schamfiige herab, auf dem Bauehf(»Ue auf h'egeii,
wenn nicht die Fascia transversa das Fehlende der Scheide ersetzte.
So wie die breiten Bauelirauskeln die Scheide des Reetus der
Quere nach spannen, so kann sie auch ihrer Länge nach gespannt
werden, durch den in die Substanz ihres vorderen Blattes einge-
schlosBencu, kleinen und dreieckigen Musculm pjframidalis ahdominis,
welcher am oberen Rande der Sf/mphysis piihis entspringt, und am
inneren, mit der weissen Bauchlinie verwachsenen Rande der Scheide
endigt. Er deckt das untere Endstück des Reetus ahdominis, Salo-
mon Albertus und seine Zeit (IG. Jahrhimdert), schrieben ihm
den Nutzen zu, die am Schambein befestigte Seline des geraden
Bauchmuskels, durch sein fleischiges Polster in Schutz zu nehmen :
ne concuhitu nimis atteratar, — Dieser kleine Muskel fehlt zuweilen,
oder vervielfacht sich auf einer oder auf beiden Seiten, oder wird
bedeutend länger (wie beim Neger), weshalb ich ihn im §. 171 als
langen Bauchmuskel aufführte. — Nach oben wird di(^ Scheide des
Reetus durch die von der Aponeurose des äusseren schiefen Bauch-
muskels entspringende Portio ahdominaliif des grossen Brustmuskels,
und durch eine s(*.lten vorkommende Varietät des Muscidus sternalis
hrtUcyintm angespannt.
Die weisse Bauchlinie, das Rendez-vous aller Aponeurosen
des Bauches, repräsentirt das stärkste Gebilde der Bauchwand. Sie
stellt eigentlich einen fibWmen Strang dar, welcher über dem Nabel
vier bis sechs Linien breit ist, unter dem Nabel sich verschmälert,
zugleich lockerer wird, aber von vorn nach hinten an Dicke zu-
nimmt, und sich am oberen Schamfugenrande festsc^tzt.
Den Namen Linea alba hat sich die Anatomie aus d(uu nimi-
schcn Circus geholt. Linea ist in erster Bedeutung Leine, d. i.
Schnur. LJnea alba war bei den Römern eine mit Kreide bestrichene
Schnur, welche quer vor dem Eingang der Rennbahn im Circus
gespannt war, und hinter welcher sich die Wagen in gleicher Front
aufstellten, um gleichzeitig, wenn die Schnur weggezogen wurde,
den Lauf zu beginnen. Da diese Wagen, nach vollendetem Um-
lauf, zu der Ausgangsstelle zurückkehrten, Avurde linea auch für
Ende gebraucht, wie im lloraz'schen: mors ultima linea rerum. —
An der Bauclnvand erscheint die Linea alba darum weiss, weil
hinter ihr kein rothes Muskelfleisch liegt, welches, wie bei der
Aponeurose des äusseren schiefen BauchmuskeLs , röthlich durch-
scheinen könnte, was übrigens auch die Dicke dieses iibrösen
Stranges nicht gestatten würde.
Die lAiira alha dfü* liaudics ent*«pricht dorn Sfennnn dor I^nist, — «lie
JrueriptfoneM t4mdiiwae den Rii>pen, — der AffMcuhtM oltl'upniJt ahlrnniult r,rf/'}'^iM
den Knsgeren, der Ohfiquvn hit^.mvM den inneren Z\visclienripj»enmuökeln *, eine
30*
468 §. 173. Leistenkanal.
Ansicht, welche in der Anatomie gewisser beschuppter Amphibien, wo ein wirk-
liches i:kernum aMmiinale und wahre ßauchrippen vorkommen, eine Stütze findet.
Die verschiedene, sich kreuzende Fasemngsrichtimg der drei breiten Bauch-
muskeln, leistet fllr die Festigkeit der Bauchwand die treflFliclisten Dienste. Sie
erinnert an das Geflecht eines Rohrsessels, welches, wenn es hinlänglich »tark
und tragfKhig sein soll, niemals blos aus parallelen Zügen bestehen darf. Sie
giebt uns zugleich bei der Untersuchung von Schnittwunden des Bauclies, so wie
auch bei Operationen daselbst, ein verlässliclies Mittel an die Hand, die Tiefe zu
bestimmen, bis zu welcher das verwundende Werkzeug oder das chirurgische
Messer eindrang. Die Scliichtung der Muskeln erlaubt auch, sie einzeln auf unter-
geschobenen Hohlsonden zu trennen..
Die breiten Bauchmuskeln verengem die volle Bauchhöhle. Sie ziehen zu-
gleich, mit Ausnahme des Transversus, die Rippen herab, und können somit auch
als Muskeln des Ausathmens in Verwendung treten. — Der Rectus hilft noch
insbesondere die Wirbelsäule nach vom zu krümmen, z. B. wenn man sich nieder-
kauert. Bei letzterer Bewegung wird die Bauchwand concav, indem die gleich-
seitig sich contraliirenden breiten Bauchmuskeln, die Scheide des Rectus und somit
diesen Muskel selbst, nach hinten (gegen die Bauchhölile) einziehen. Man wird
nun begreifen, warum die Scheide des Rectus mit den Inscriptionen dieses Muskels
verwachsen ist, indem nur auf diese Weise dem Zusammenkrtippcln des Muskels
in seiner Scheide, vorgebaut werden konnte. Es lässt sich aus dem Gesagten
entnehmen, dass die breiten Bauchmuskeln, des Rectus wegen vorlianden sind, —
nicht aber umgekehrt. — Die Bauchmuskeln üben auf die Unterleibsorganc einen
fortwährenden Druck (daher der Name Bauch presse, Prelum nftdotninale n.
Cinffulum IfaJleriJ, welcher vorzugsweise bei harten Stnhlentleenmgen, beim Er-
brochen und PIustiM), und beim Verarbeiten der Wehen bei Gebärenden, in An-
spruch genommen wird. Wie gross dieser Druck ist, kann man aus der Gewalt,
mit welclier die Eingeweide aus Schnittwunden des I^auches hen'orstür/en, und
aus der Kraft entnehmen, welche zuweilen erforderlich ist, um einen Leistenbruch
von einiger Grösse zurückzubringen.
Die Präparation der I^auchmuskeln erfordert sehr viel Zeit und eine ge-
schickte Hand, wenn sie ganz tadellos ausfallen soll. Die Leichen von Menschen,
welche durch plötzliche Todosarten, oder an acuten Krankheiten starben, sind zu
dieser Arbeit vorzuziehen. Niemals wird man die Bauclnnuskeln an alten Weibern,
welche oft schwanger waren, oder überhaupt an Leiclien, deren Bauch bereits
durcli Fäulniss grihi geworden, auch nur einigermassen befriedigend untersuchen
können. Da man aber oft nehmen muss, was man e]>en bekommt, so hat das Ge-
sagt«' nur auf jene anatomischen Anstalten Anwendung, denen keine wohlthätigen
Leichenvereine ihre I^elir- und Lernmittel schmälern. Jedenfalls wäre es den
Verstorbenen lieber gewesen, während ihrer Lebzeiten die Beweise einer werk-
thätigen christlichen Nächstenliebe empfangen zu haben, als nach ihrem Tode ein
GratiHbegräbniss zu erhalü'n.
§. 173. Leistenkanal.
Es verdient der Leistenkanal^ Cannlis inguinalis, eine be-
sondere Würdij^mg, da er zu einer der liäuiigBten chinirgiselien
Krankheiten — den Leistenbrüchen — Anlass giebt, deren Dia-
ose und chirurgische Bcliandlung, die genaue anatomische Kennt-
B dieses Kanals voraussetzt. Wir haben am Leistenkanal eine
S. 178. Leittenkanal. 469
äussere und eine innere OeflFnung, und seine Wand besonders
zu betrachten.
Die äussere Oeffuung des Leistenkanals liegt, seitwärts von
der Schamgegend, in der über dem Poupar tischen Bande befind-
lichen sogenannten Leistengegend (Regio inguinalis, bei Homer
ßoüß<I)v, im vierten Buche der Ilias, Vers 492, woher bubones, Leisten-
beulen).
Sie wird durch Spaltung der Aponcurose des äusseren schiefen
Bauchmuskels gegeben, welche in zwei Schenkel (Cnira) ausein-
ander weicht. Das Crus intenmm befestigt sich, wie oben gesagt, an
der vorderen Seite der Schamfuge; das Crm exteimumiy welches so
innig mit dem Poupar tischen Bande zusammenhängt, dass es mit
ihm Eins zu sein scheint, am Tubei'culum ossis pichis. Die OcfFnimg
zwischen beiden Schenkeln hat eine dreieckige Gestalt. Ihr Mittel-
punkt steht von jenem des oberen Randes der Symphyse, bei voll-
kommen ausgewachsenen Leuten, beiläufig fünfzehn Linien ab. Der
von der Spitze des Dreiecks gegen die Basis gezogene Durch-
messer, beträgt im Mittel einen Zoll. Die Basis misst sechs bis
acht Linien. Die Fascia superßA^ialis hängt an die Ränder der
OefFnung fest an, und verlängert sich von hier aus, als binde-
gewebige Hülle (Fascia Cooperi) über den Samenstrang, welchen sie
umkleidet.
Der Begriflf der Leistengegend ist etwas vag, indem diese Region weder
durch natürliclie, noch künstlich gezogene Linien begrenzt wird. Dem Wortlaute
zufolge, mag .>*ie ursprünglich wolil nur auf die Gegend des Poupar tischen Bandes
angewandt worden sein, welches wie eine gut fühlbare, und an mageren Individuen
auch gut zu sehende Leiste, zwischen zwei festen Punkten des Beckens (Schara-
fuge und vorderer oberer Darmbeinstachel) ausgespannt ist. Wir verstehen unter
Leistengegend, die nächste Umgebung der äusseren Oeflfnung des Leistenkanala.
Bezüglich der Wand des Leistenkanals gilt folgendes. Von
der äusseren Oeff*nung bis zur inneren, durchläuft der Leistenkanal
einen Weg von anderthalb Zoll. Schräg nach aus- und aufwärts-
gehend, hebt er Huc'cc.Hsive die unteren Ränder des inneren schiefen
und queren Hauch niuskcls auf, entfernt sich dadurch mehr und
mehr von d(T Obc^rfläcJH», und endigt an der inneren, von der Fascia
transravHa grbildc^tcn Oeffuung. Die untere Wand des Kanals bildet
das Poui)art'Hche Band, welches sich nach hinten umkrüninit, und
dadurch die Form eiiu-r Kinne annimmt. Die obere Wand wird
durch die vereinigte*!! untenin liänder des inneren schiefen und
queren Bauchniuskels erzeugt. Die vordere Wand muss, begreif-
licher Weise, wegen des allmälig tieferen Eindringens des Leisten-
kanals in die Bauchwand, immer dicker werden, indem sie anfangs
blos aus der Aponcurose des äusseren schiefen Bauchmuskels, später,
wenn der Leistenkanal unter die unteren Ränder des inneren
472 §. 175. Einiges snr Anatomie der Leistenbrüche.
seinen besonderen Beinamen von der Oeffnung ( Bruch pf orte),
durch welche er hervorgetreten, z. B. Leistenbruch, Nabelbruch,
Schenkelbruch, etc. Man huldigte bisher allgemein der Meinung,
dass ein Eingeweide, welches einen Bruch bilden soll, das Bauch-
fell, als das natürliche Verschlussmittel der betreflfenden OcfFnung
der Bauchwand, vor sich hertreiben oder ausstülpen muss, so dass
es in diesen wie in einem Sacke (Bruchsack) eingeschlossen liegt.
Diese Meinung hat aber einer richtigeren Vorstellung in so ferne
weichen müssen, als nachgewiesen wurde, dass das Bauchfell nicht
durch das Eingeweide hervorgedrängt wird, sondern durch eine,
nicht näher zu präcisirende Tendenz desselben, Divertikel zu
bilden, sich von selbst, d. h. nicht durch den Druck eines Ein-
geweides, herausstülpt, und einen Bruchsack bildet, welcher so lange
kein Eingeweide enthalten wird, bis nicht ein solches, durch die
Wirkung der Bauchpresse in ihn hineingetrieben wird. Der Bruch-
sack existirt also vor dem Bruche, worüber in §. 178 des 1. Bandes
meiner topographischen Anatomie, das Nähere nachgelesen werden
kann. Der Bruchsack wird uns, seiner birnförmigcn Gestalt wegen,
einen in der Bruchpforte liegenden Hals, und einen, nach Ver-
schiedenheit der Grösse des Bruches, mehr weniger umfänglichen
Grund unterscheiden lassen.
Ein Eingeweide kann die Grube an der äusseren oder an
der inneren Seite der Plica epigastrica, zum Ort seines Austrittes
aus der Bauchhöhle wählen. Im ersteren Falle wird es sich in den
Leistenkanal hineinschieben, seine schräge Richtung annehmen, und
seine ganze Länge durchlaufen müssen, bevor es nach aussen ge-
langt. So bilden sich die äusseren Leistenbrüche, Heriiiae
inguinales exteiniae, deren Name ihre Entstehung in der äusseren
Leistengrube, und somit an der äusseren Seite der Art&iia epigcistrica
angiebt. Im zweiten Falle wird das Eingeweide , weil die innere
Leistengrube der äusseren Oeflfnung des Leistenkanals gegenüber-
liegt, geradem nach vorn treten, und durch die äussere Oeffnung des
Leistenkanals herauskommen, ohne durch die innere eingetreten zu
sein. Dies sind die inneren oder directen Leistenbrüche,
Ilerniae inguinales inteiiiae, welche sich natürlich durch ihre gerade
von hinten nach vorn gehende Richtung, so wie durch ihr Verhält-
niss zur Arteria epigastrica, von den äusseren unterscheiden.
Der äussere Leistenbruch wird jedenfalls leichter entstehen, als
der innere, da sich die Fa^cia transversa, bereits normgeraäss in den
Leistenkanal als Fascia infundihuliformis (Tunica vaginalis communis)
hinein begeben hat, während der eben entstehende Binichsack für eine
innere Leistenhernie, auch die Fascia transversa^ welche den Grund
der Fovea inguinalis interna bildet, hervorzustülpen hat. Wenn man
nen Theil der Bruchgeschwulst, welcher in der betreffenden Oeffnung
S. 175. Einiges zur Anatomie der Leistenbrftelie. 473
der Bauchwand liegt, Bruchhal» nennt, »o muss der äussere Leisten-
brach einen längeren Hals als der innere oder directe haben; und da
die Leichtigkeit der Zurückbringung eines Bruches, mitunter von der
Kürze und Weite seines Halses abhängt, so wird ein beweglicher
innerer Leistenbruch leichter zurückgehen als ein äusserer. Ist ein
äusserer Leistenbruch alt, gross und schwer geworden, so wurde
die schräge Richtung des Leistenkanals, durch den Zug der Bruch-
geschwulst in eine gerade, wie beim inneren oder directen Bruch,
umgewandelt, und es wird dann in solchen Fällen sehr schwer sein,
durch äussere Untersuchung zu unterscheiden, ob man es mit einem
äusseren oder inneren Leistenbruche zu thun hat.
Befindet sich ein äusserer Leistenbioich in seinem ersten Ent-
wicklungsstadium, d. h. gerade am Eintritt in den Leistenkanal, so
heisst er Hemia incipiens. Ist er etwas weiter in den Leistenkanal
vorgerückt, ohne durch die äussere OefFnung desselben heraus-
getreten zu sein, so bildet er die Hemia interstitialis. Beide sind,
wegen Fehlen äusserer Geschwulst, mit Sicherheit schwer zu
diagnosticiren. Ist der Bruch aber über das Niveau der Leisten-
öffnung hervor getreten, oder bis in den Ilodcnsack herabgestiegen,
so nennt man ihn Hernla unjulnalis oder scrotcdis. Liegt endlich der
grösste Theil des (Jedärmes im Bruche, welcher in diesem Falle
die Grösse eines Mannskopfes erreicht hat, so heisst diese Hernie:
Eventration, — der höchste Entwicklungsgrad, auf welchen es
ein Bruch bringen kann.
Wird nun das in ehicm Bruch enthaltene Organ von der Oeff-
nung, durch welche es austrat, so (angeschnürt, dass ihm die Blut-
zufuhr abgeschnitten, seine Ernährung sistirt, seine Function aufgehoben
wird, und sofort sein Absterben durch Brand (acute Erweichung)
Platz greift, so heisst dieser Zustand: Einklemmung, Incarceratio,
Die Ursachen der Einklemmung, deren Erörterung in das Gebiet
der praktischen Chirurgie gehört, können sehr verschieden sein.
Vom anatomischen (theorctisclien) Standpunkte aus, habe ich nur
zu erwähn(»n, dass die IMöglichkeit einer krampfhaften Einklemmung
eines Leistenbruches zugegeben werden könnte, da die obere Wand
des Leistenkanals durch die aufgehobenen, und dadurch bogenförmig
gekrümmten Ränder des inneren schiefen und queren Bauchmuskels
erzeugt wird. Suchen diese nacli oben gebogenen Muskelränder, ihre
normale, mehr geradlinige Richtung wieder anzunehmen, so drücken
sie den Hals des Bruches gegen das resistente Litjamentum Fonpartii,
wodurch eine Art Zwinge zu Stande kommt, welche die Einklem-
mung setzt. Da die Leisten- und die Bauchöffnung des Leistenkanals
nur von aponeurotischen Gebilden begrenzt werden, so kann von
krampfiger Einschnürung an diesen beiden Punkten keine Rede sein.
In der Regel geht jedoch die Kinklemmung nicht von der Wand
472 §. 175. Einiges xnr Anatomie der LeistenbrQche.
seinen besonderen Beinamen von der Oeflfnung (Bruchpforte),
durch welche er hervorgetreten, z. B. Leistenbruch, Nabelbruch,
Schenkelbruch, etc. Man huldigte bisher allgeraein der Meinung,
dass ein Eingeweide, welches einen Bruch bilden soll, das Bauch-
fell, als das natürliche Verschlussmittel der betreflfenden OefFnung
der Bauchwand, vor sich hertreiben oder ausstülpen muss, so dass
es in diesen wie in einem Sacke (Bruchsack) eingeschlossen liegt.
Diese Meinung hat aber einer richtigeren Vorstellung in so ferne
weichen müssen, als nachgewiesen wurde, dass das Bauchfell nicht
durch das Eingeweide hervorgedrängt wird, sondern durch eine,
nicht näher zu präcisirende Tendenz desselben, Divertikel zu
bilden, sich von selbst, d. h. nicht durch den Druck eines Ein-
geweides, herausstülpt, und einen Bruchsack bildet, welcher so lange
kein Eingeweide enthalten wird, bis nicht ein solches, durch die
Wirkung der Bauchpresse in ihn hineingetrieben wird. Der Bruch-
sack existirt also vor dem Bruche, worüber in §. 178 des 1. Bandes
meiner topographischen Anatomie, das Nähere nachgelesen werden
kann. Der Bruchsack wird uns, seiner birnfürmigcn Gestalt wegen,
einen in der Bruchpforte liegenden Hals, und einen, nach Ver-
schiedenheit der Grösse des Bruches, mehr weniger umfänglichen
Grund unterscheiden lassen.
Ein Eingeweide kann die Grube an der äusseren oder an
der inneren Seite der Plica epigastrlca, zum Ort seines Austrittes
aus der Bauchhöhle wählen. Im erstercn Falle wird es sich in den
T^eistenkanal hineinschieben, seine schräge Richtung annehmen, und
seine ganze Länge durchlaufen müssen, bevor es nach aussen ge-
langt. So bilden sich die äusseren Leistenbrüche, Ileniiae
Inguinales extemae, deren Name ihre Entstehung in der äusseren
Leistengrube, und somit an der äusseren Seite der Artena eplgastrica
angiebt. Im zweiten Falle wird das Eingeweide , weil die innere
Leistengrube der äusseren Oeffnung des Leistenkanals gegenüber-
liegt, gerade nach vorn treten, und durch die äussere Oeffnung des
Lcistcnkanals herauskommen, ohne durch die innere eingetreten zu
sein. Dies sind die inneren oder directen Leistenbrüche,
Ihtmiae inguinales intemae, welche sich natürlich durch ihre gerade
von hinten nach vorn gehende Richtung, so wie durch ihr Verhült-
niss zur Arteria epigasfrica, von den äusseren untersclK^iden.
Der äussere Leistenbruch wird jedenfalls leichter entstehen, als
der innere, da sich die Fascia transversa, bereits normgemäss in den
Leistenkanal als Fascia infundihulifoiinis (Tunica vaginalis communis)
hinein begeben hat, während der eben entstehende Bruchsack für eine
innere Leistenhernie, auch die Fasda transversa, welche den Grund
der Fovea inguinalis interna bildet, hervorzustülpen hat. Wenn man
jenen Theil der Bruchgeschwulst, welcher in der betreffenden Oeflfnung
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474 §. 175. Einiget snr Anatomie der Leistenbrüche.
des Kanals aus, durch welchen der Bmch sich vorlagerte, sondern
vom Bruch sackhals, welcher sich bis zur completen Strangulation
des vorgefallenen Eingeweides durch Aufwulstung und Verdickung
verengert. Ja ich bin überzeugt, dass die Einklemmung durch den
Bruchkanal (nicht durch den Hals des Bruchsackes) mehr in einer
theoretischen Einbildung, als in Wirklichkeit existirt, und schliesse
dieses daraus, dass, wenn bei eingeklemmten Leistenbrüchen, die
Incarceration von der Wand des Leistenkanals ausginge, nicht
blos die Bruchgeschwidst, sondern auch Hode und Samenstrang vom
Brande befallen werden müssten. Solchen Brand des Hodens und
des Samenstranges hat man aber noch bei keiner eingeklemmten
Leistenheiiiie vorkommen gesehen. Mögen die Chirurgen diese Worte
eines Anatomen beherzigen 1
Die Einklemmung muss, wenn sie nicht durch gelindere Mittel,
als warme Bäder und Kiystiere, zweckmässige manuelle Hilfe (Taxis)
zu beseitigen geht, durch Erweiterung der Bruchpfortc mittelst des
Bruchschnittes (Hemiotamia) gehoben werden.
Die Richtung des Schnittes wird beim inneren Leistenbruche
eine andere, als beim äusseren sein müssen. Die Pforte des inneren
Leistenbruches hat die Artei^ia eptgastrica an ihrer äusseren Seite,
jene des äusseren Leistenbruches dagegen an ihrer inneren. Um die
Verwundung der ÄHeria epigastrica zu vermeiden, wird also der
Erweiterungsschnitt beim inneren Leistenbruch nach innen, beim
äusseren nach aussen gerichtet sein müssen. Li Fällen, wo man
nicht ganz entschieden weiss, ob man es mit einem äusseren oder
inneren Leistenbruch zu thun hat, wird der Schnitt nach oben der
beste sein.
Ueber den angeborenen Leistenbruch handelt J{. 300.
Dio grössere Länge und Enge de» weiblichen Leistenkanals erklärt das
seltene Vorkommen der LeistenbrClcbe bei Weibern. Einer Erhebung der Londoner
Bandag^ten zufolge, waren unter 4060 Leistenbnichkranken, nur 34 Weiber. Wenn
die von Jobert angenommene grössere Weite des rechten Leistenkanals keine
Chimäre wäre, würde sie das liHutigere Vorkommen der Hernien auf der rechten
Seite zu motiviren im »Stande sein.
Da man sich, wenn man einmal weiss, was ein Bruch ist, selben an jedem
Cadaver erzeugen kann, so hielt ich die Aufnahme dieser praktisclien Bemerkun-
gen in ein anatomisches Handbuch niclit für nutzlos. Es wird dieses zugleich
den Anfängern, welche den Wertli der Anatomie nur vom Hörensagen kennen,
eine kleine Probe von ihrer Nützlichkeit geben.
Nebst den Handbüchern über chirurgisclie Anatomie , handehi über Bruch-
anatomie noch: .4. Coojter, The Anatomy and Surgical Treatment of Inguinal and
Congonital Hernia. London, 1804. fol. Deutsch von KriUt*je. Breslau, 1801). —
C. HesHtl/Hich, über Ursprung und Vorschreiten der Leisten- und Schenkelbrüche.
Würzburg, 1814. 4. — J. Clotjuet, recherches anat. sur les hernies. Paris, 1817
bis 1819. 4. — A, Thomson, sur ranatomie du bas ventre et des faernies. Paris.
]. Livr. — A, Soarpa, suH' ende. Paris, 1821. 4. Deutsch von Seiler, Leipzig,
S. 176. Zw«rehfelL 475
1828. — KW. Twon, Anatumy of Inguinal and Femoral Uernia. London, 1834.
foL — FUxxl, On tlie Anatoniy and Surgery of Inguinal and Fomoral Uernia.
Dublin, fol. Ein PracLtwerk wie da» vorige. — A. Nuhn, über den Bau des
Leistenkanals, in dessen Beobachtungen aus dein Gel)ietc der Anatomie, etc.
Heidelberg, 1850. fol. — G. MaUhes, Phantom des Leisten- und Scticnkelkanals.
fol. Leipzig, 1862. — W. LiukaH, Unterleibsliemien. Wttrzburg, 1866.
§. 176. Zwerchfell.
Das Zwerchfell führt, ausser dem gewöhnlichen Namen:
Diaphragma (von Bia^parrs'.v, abgrenzen), noch folgende bei älteren
Autoren: IHazoma bei Aristoteles, — S&ptum transverswni bei Cel-
8US, — Praecordia bei Plinius, — Disseptum bei Macrobius. Der
häufig vorkommende Ausdruck: Musculus jikrenicas, beruht auf der
alten Vorstellung, dass das Denk- und Willcnsvermögen (<ppi^iv), so
wie Begierden und heftiges Verlangen (^psvs;), in diesem Muskel
ihren Sitz haben müssen, weil das Zwerchfell bei allen leidenschaft-
lichen Aufregungen schneller und intensiver arbeitet. Die verschol-
lenen 9p£V£c des IT ip poerate 8 erklären es uns, warum auch jetzt
noch, die Gefässe und Nerven, welche das Zwerchfell versorgen,
Arteria et Veiia plireiiica und Nermis phrenicus heissen.
Das Zwerchfell ist, nebst dem Herzen, der lebenswichtigste
Muskel des menschlichen Körpers. Sein Stillstand bedingt, wie jener
des Kerzens, unausbleiblich schnellen Tod. Spigelius apostrophirt
das Zwerchfell als: Musculus unus, sane omnium fama cdeherrimus !
Wir tinden das Zwerchfell (d. i. queres Fell, wo Fell Haut
bedeutet, wie das lateinische pellis), als natürliche Scheidewand
zwischen lernst- und l^auchhöhle, so in die untere Brustapertur ein-
gepflanzt, dass es eine convexe Fläche nach oben, eine concave
Fläche* nach unten kehrt. Wir unterscheiden an ihm, wie an jedem
Muskel, (Miien fleischigen und einen sehnigen Bestandtheil.
Ersterer zerfiillt, nach Verschiedenheit seines Urspnmges, wieder
in einen LendcMi- und Kippentheil. Der muskulöse Tlieil schlicsst
den sehnigen ringsum ab.
a) Der Lendentheil (Pars lumhalis) des Zwerchfells besteht
aus drei Schenkelpaaren, welche keineswegs symmetrisch vom Lenden-
segment der Wirbelsäule heraufkommen. 1. Das innere Schenkel-
j)aar ist das längste und stärkste. Seine zwei Schenkel ent-
springen sehnig von der vorderen Fläche des dritten und vierten
Tuenden wirbeis, steigen convergirend aufwärts, werden fleischig,
kreuzen sich vor dem Kr»rper des ersten Lendenwirbels, und bilden
mit der vorderen Fläche der Wirbelsäule eine dreieckige Spalte
— den Aorten schlitz, Hiatus aoHicua — durch welchen die Aorta
aus der Brust- in die Bauchhöhl««- *" •'^ der
476 f. 176. Zwerchfell.
Bauchhöhle in die Brust gelangt. Nach geschehener Kreuzung,
divergircn die Schenkel, um gleich darauf neuerdings zu conver-
giren, und sich zum zweiten Mal zu kreuzen, wodurch eine zweite,
über dem Hiatus (wrticus, und etwas links von ihm liegende, ovale
OeflFnung zu Stande kommt, durch welche die Speiseröhre und die
sie begleitenden Nervi vagi in die Bauchhöhle treten. Diese Oeffnung
heisst: Speiseröhren loch, Forameii oesophageum. Jenseits dieses
Loches, treten beide innere Schenkel an den hinteren Rand des
sehnigen Theils. 2. Das mittlere Schenkelpaar entspringt mit
zwei schlanken fleischigen Strängen von der seitlichen Gegend des
zweiten Lendenwirbels, und 3. das äussere, kurze und breite, von
der Seitenfläche und dem Querfortsatz des ersten Lendenwirbels.
Die Schenkel des mittleren und äusseren Paares kreuzen sich
nicht, sondern gehen direct an den hinteren Rand des sehnigen
Theils. Die linken Schenkel sind meistens etwas schwächer, und ent-
springen um einen Wirbel höher, als die rechten. Die Ursprungs-
wcise, die Kreuzung, selbst die Zahl der Schenkel variirt so oft,
dass vorliegende Beschreibung nicht für alle Fälle gelten kann, luid
nur für das häufigere Vorkommen passt.
b) Der Rippentheil (Pars costalis) entspringt beiderseits von
der inneren Fläche der sechs oder sieben unteren Rippen, vom
Schwertfortsatz, so wie auch von zwei fibrösen Bögen (Ligamenta
arcuata HaUeri), deren innerer vom Körper des ersten Lendenwirbels,
über den Psoas weg, zum Querfortsatz desselben Wirbels ausgespannt
ist, während der äussere, auswärts von ersterem gelegen, vom Quer-
fortsatz des ersten Lendenwirbels, über den Quadratm lunibomm
weg, zur letzten Rippe tritt. Die Rippenursprünge der Pars costalis
erscheinen als Zacken, welche zwischen die Ursprungszacken des
queren Bauchmuskels eingreifen, und von diesen durch eine ähnliche
2jickzacklinie getrennt sind, wie jene, welche zwischen den Ur-
sprüngen des Obliquus abdominis exteimits, Serratus anticiis major
und LatissimiAS dorsi bereits erwähnt wurde. Sämmtliche Zacken
convcrgiren gegen den Umfang des sehnigen Theils, an welchem sie
sich festsetzen.
c) Der sehnige Theil (Pars teiidinea s. Centrum tendineum)
nimmt so ziemlich die Mitte des Zwerchfells ein, und liegt, der
kuppeiförmigen Wölbung des Zwerchfells wegen, höher als der
fleischige Antheil dieses Muskels. Sein im frischen Zustande über-
raschend schöner, metallischer Schimmer, verhalf ihm zu dem son-
derbaren, von dem holländischen Arzt und Philosophen, van II el-
mont, entlehnten Namen: Specidum Ifelmontü. Seine Gestalt ähnelt
jener eines Kleeblattes, in dessen rechtem Lappen, unmittelbar
vor der Wirbelsäule, eine viereckige OeflFnung mit abgerundeten
Winkeln liegt, durch welche die untere Hohlvene in die Brusthöhle
§. 176. ZwerehfeU. 477
aufsteigt, und welche deshalb Foranien pro vena cava 8. quadrilate-
rum heisst.
Nebst den genannten drei grossen Oefihungen, kommen im Zwerchfelle noch
mehrere kleinere, ftlr den Verlaaf minder umfangreicher GefHsse und Nerven be-
stimmte Spalten vor, welche keine besonderen Namen führen. So befindet sich
zwischen dem inneren und mittleren tSi'henkel eine Spalte zum Durchgang des
Nertnu »planaJiniciat major und der Vena azygos (linkerseits hemiazygos). Der
mittlere Schenkel wird hliufig durcli den Nrrwis nplanchnicus minor durchbohrt.
Zwischen dem äusseren und mittleren Schenkel tritt der Sympathicus aus der Brust-
in die Bauchhöhle.
Die Wölbung des Zwerclifells ragt recliterseits, wegen der Lagerung der
voluminösen Leber im rechten Hypochondrinm, hölier in den Thorax hinauf, als
linkerseits. — Beim Einathmen verflacht sich die Wölbung des Zwerchfells, in-
dem das bogenförmig an das Centnim teiulhieiim tretende Fleisch der Par» coat^ia
und Inmfjalw, während der Contraction mehr geradlinig wird. Dadurch muss die
Bauchhöhle um so viel verengert werden, als die Brusthöhle vergrössert wird.
Das Centrwii t-endineitm steigt, während der Contraction des Zwerchfells nicht
mit seiner ganzen Ebene herab, sondern neigt sicli blos so, dass sein hinterer
Rand tiefer zu stehen kommt, als sein vorderer. Man unterlasse es nicht, um
sich von dieser wichtigen Saclie zu überzeugen, die Stellimg des Diaphragma an
zwei Kindesleiclien zu vergleichen, an deren einer die Lunge durch die Luftröhre
vollständig aufgeblasen wurde, an der anderen aber nicht, wodurch also die Ein-
athmungs- und Ausathmungsstellung des Zwerclifells zur deutliclien Anscliauung
kommen.
Durcli den Dnick, welchen das Zwerelifell beim Einathmen auf die Bauch-
eingeweide ausübt, bethätigt e« die Fortbewegung der (^^ontenta des Darmschlauclies,
fördert den venösen Kreislauf im Unterleibe, und unterstützt mechanisch die
Secretionen und Excretioiien der drüsigen Nebenorgane dos Verdauungssystems. Da
die von oben her gedriickten Eingeweide, dem Dnicke weichen müssen, so drängen
sie sich gegen die nac]igiel)ige vordere Bauchwand, und w()lben sie stärker. Hört
beim Aiisathinen der Dnick des Zwerchfells zu wirken auf, so schiebt die nun
beginnende Zusammenziehung der muskulösen Bauchwand, die verschobenen Ein-
geweide wieder in ihre frühere Lage, und zwingt das nun relaxirte Zwerchfell,
wiedt'r zu seiner früheren Wölbung zurückzukehren, wobei die in den Lungen
enthalt<*ne Luft durch die Luftröhre und die Stimmritze des Kehlkopfes ent-
weicht. Die Eingeweide befinden sich sonach, so lange das Athmen dauert, fort-
während in einer hin- und hergehenden Bewegung, welche in demselben Maasse
gesteigert wird, als der Athniungsprocess lebhafter angeht. Ist, während die
Bauchmuskeln wirken, dic^ Stimmritze geschlossen, so kann die Luft aus den
Lungen nicht entweichen, somit auch das Zwerchfell nicht in die Höhe steigen,
und die Lage der Eingeweide dva Unt<'rleibes nicht verändert werden. Die Ein-
geweide werden dann nur zusammengedrückt, und enthalten sie Entleer-
bares, so wird dieses lieniusgeHchafft. Diese von den Bauchmuskeln geleistete
Compression der Unterleibsorgane, tritt als sogenannte Bauch presse (Prehim
otKhmunalp), bei allen heftigen Anstrengungen in Thätigkeit, und giebt auch das
veranlassende Moment für die Entstehung von Hernien ab.
Bei Ver^vnndungen und Zerreissungen dos Zwerchfells, bei angeborenen
Spalten desselben, kann ein Eingeweide des Bauches, am häufigsten die Milz, das
Netz, oder der Magen, in die Bnisthöhle schlüpfen, und eine TIernia diaphrag-
matira bilden. Die durch Fall und Erschütterungen entstandenen Zwerchfellrisse,
find«" '* ''*• ISntei Seite, da auf der rechten die Leber das
478 §. 177. Allgem. Betrachtung dM Rftckent, nnd Eintheiinng seiner Mnskcln.
Zwerclifell stützt. — Die obere Fläche des Zwerchfell» wird von dem Rippen-
felle, die untere von dem Bauchfelle bekleidet. Auf der olieren Fläche der Pars
tendinea ist der Herzbeutel angewachsen. — Zwischen dem Costalzacken, welcher
vom siebenten Rippenknorpel kommt, und jenem, der am Proceftmn xiphoidnis
entspringt, existirt eine dreieckige Spalte, durch welche Brustfell und Bauchfell
in Contact gerathen. Larraj rieth, durch diese Spalte die Function des Herz-
beutels vorzunehmen. — Der veränderliche Stand des Zwerchfells erklärt e»,
wanun eine und dieselbe penetrirende Wunde, ganz andere Theile verletzt haben
wird, wenn sie im Momente des Ein- oder Ausathmens beigebracht wurde.
Verhindern grosse Geschwülste im Unterleibe, Bauchwassersucht, oder
Fettleibigkeit, den Descen^tu diaphragniati» beim Einathmen, so wird die dadurcl»
beschränkte Raumvergrösstfrung des Thorax, durch stärkeres Heben der Rippen
compensirt; so wie umgekehrt, bei behinderter Rippenbewegung durch Verknöche-
rung der Knorpel, durch Wunden des Thorax, oder Entzündung des Rippen-
felles, das Diaphragma allein die Einathmungsfnnction übernimmt. Hierauf l)e-
ruht der von den Aerzten gewürdigte Unterschied zwischen üeupiratw Ihm-aricn
nnd aftdmninaJi».
E. Muskeln des Rückens.
§. 177. Allgemeine Betrachtung des Rückens, und Eintheilung
seiner Muskeln.
Wir begreifen unter Rücken, Dorsnm. h, Tergiim, die hintere
Gegend des Stammes, welche, von oben nach unten gerechnet, aus
dem Nacken (hintere Ilalsgegend), dem eigentlichen llückcn (hintere
Thoraxwand), den Lenden (hintere Bauch wand), und dorn Kreuze
(hintere Beckenwand) besteht. Die Nackengegend ist von oben
nach unten leicht concav, von einer Seite zur anderen convex, und
unten durch den Vorsprung des siebenten Ilalsdornes vom Rücken
abgegrenzt. Die eigentliche Rückengegend ist in der Längcui- und
Querrichtung massig convex. Längs der Mittellinie fühlt man die
Spitzen der Dornfortsätze der Brustwirbel. An ihrer oberen seit-
lichen Gegend liegen die beweglichen Schulterblätter, welche bei
muskulösen Körpern einen mehr gleichförmig gerundeten, bei mage-
ren einen durch die Spina scapidae scharf gezeichneten Vorsprung
bilden. Die in der Längsrichtung massig concave Lendengegend,
besitzt in der Medianlinie eine verticale Rinne, welche den zwi.schen
den fleischigen Bäuchen der langen Rückgratsstrecker versenkten
Lendendornen entspricht. Die convexe Kreuzgegend wird am
wenigsten von Weichtheilen bedeckt, und fühlt sich daher im ganzen
Umfange hart an.
Die Haut des Rückens zeichnet sich durch ihre Dicke und
Derbheit au». Die Rückenhaut der Thiere liefert deshalb das beste
S. 178. Breite Bückennukcln. AH*
Leder. Auch in der zur französischen Kevohitionszeit bestandt'nt'n
Mensehenlederfabrik zu Meuclon, wurde SatteHeder aus «ler Rücken-
haut menschlicher Leiclien, — Zäume , und Kiemen lur Patron-
laschen aus der Haut der Schenkel und Arme fabricirt. — Man
findet die Haut des KücktMis an den Leichen meist bhiu- oder
dunkelroth gefleckt (Todtenflccke). Auf dem Kreuzbeine, und
anderen am Kücken fiihl- und sichtbaren Knochenvorsprüngen, unter-
liegt sie bei schweren Kranken, dem Verbranden durch Aufliegen
(Decubitus).
Eine Fascla superßeialh existirt nur als äusserst dünner Binde-
gewcbsüberzug der ersten Muskelschichte. — Den ganzen Kaum
zwischen Haut und Knochen, welcher zu den Seiten der Dorn fort sä tze
bedeutend tief ist, nehmen Muskeln ein, deren anatomische Dar-
stellung einen wahren lVr»birstein fiir die Cteduld und (icschicklich-
koit der Studirenden abgiebt, weshalb sie sich keiner grossen
Beliebtheit zu rühmen haben. Ihrer Crestalt nach, bilden die Rücken-
muskeln drei (iruppen: die breiten, die langen, und die kurzen,
welche in den nächsten Paragraphen gesondert zur Sprache kommen.
Functionen aufg«*fasst zerfalh»n sie in vier Gruppen. Die erste oder
hochliegende dient zur Bewegung der oberen Extremität, die zweite
bewegt die Kii)pen, die dritte den Kopf, die vierte die Wirlielsäule.
Weder Oefösse noch Nerven von grosser praktisclu^r Wichtigkeit
vcraweigen sich auf (»der zwischen ihnen. Daher sind Fleischwunden
des Kückens min(b»r gefahrvoll, und es lag si^mit eine Art von Rück-
sicht in der l^arbarei gewisser Kr»rperstrafen, welehe, wie die Knute,
die Spiessruthe, und die neunschwänzige Katze, sich nur den Rücken
der D<;lin(juenten auserkorcMi haben.
Di«* l'rsjirtliijr«' iiml Knden i'in7.(*ln«*r Km*konmuj»kcln l»ioten «*inr so jrrosso
FfiUo von V.'ir'H'tiiti'n ilar, «liiss nirlit leicht dii* Host-lin-ihiinp «»iiio.«» Autors mit
jenor eint'»« an«l<'ri*n stiiniiit. .I«*«!»* Vc*rämli*ninjj «lor Krsjirfingo odor Insertionen
Kinos Mnski'Is Immüh^ notliw<Mi(liß^ eine <«nts]iree1ienile V«»npfii'kunjr «ler übripren,
nnr! ilie Anoniali«' «Tstn-ekt sieli anf viele Naelil»:irn. Tnter diesen möglichen
Seliwanknn^r«'!! flieht i*s jcdorli eine ;je\visse eonst.'inte (■ rosse, und auf die <e \vnr<le
hei d«*r folfj^end«'!! I{«**»elin'ilMinp der i-inzelnen Küekenninskeln vr»r/nps\veise Rück-
sicht p:«'nonimen.
§. 17S. Breite Rückenmuskeln.
Sie liegen unter allen Rückenniu.skeln am <»berHächli<'hsten.
Die Mehrzahl dersellxui, und zwar genide die breitesten und stärk-
st(?n unter ihnen, gehören dem Sehulterblatte und dem Oberarm
an, wie der CunilfnrtJt, l^tijfshnus dorsi, die beiden Rhomhoidei und
der I^xator scnpidan. Die übrigen bewegen die Rippen, wie die
beiden Sein-ati pogtici, oder den Kopf, wie die Splenü.
480
§. 178. Breit« Rfiekenmiukeln.
Der Kappen- oder Kaputzenmuskel, Musculus cucullaHs s,
trapezitis (Musculus menscdis, Tischmuskel der älteren Autoren), ent-
springt von der Linea semidrcularis superior und der Protuherantia
externa des Hinterhauptbeins, vom Ligamentum nuchae, den Spitzen
der Domfortsätze des siebenten Halswirbels und der zehn oberen
oder aller Brustwirbel. In den Zwischenräumen je zweier Dorn-
spitzen, dienen die Ligamenta interspinaim den Fasern dieses Muskels
zum Ursprünge. Von dieser langen Ursprungsbasis laufen die ein-
zelnen Bündel convergirend zur Schulter, wo sich die oberen an
den hinteren Rand der Spina scapulae in seiner ganzen Länge, ferner
an den inneren Rand des Akromion, und ausserdem noch an das
Schulterende des Schlüsselbeins befestigen, während die unteren nur
von der inneren Hälfte der Spina scapulae Besitz nehmen. Es kann
sonach der Muskel die äussere Hälfte der Spina heben, und die
innere senken, was zu einer Drehung des Schulterblattes um eine
horizontal von voni nach hinten gehende Axe fährt. Bei dieser
Drehung geht der untere Schulterblattwinkel nach aussen, der obere
äussere, welcher die Gelenkääche trägt, nach oben.
Die Convergenz seiner Bündel, ^ebt dem Muskel eine dreieckige Gestalt.
Hat man beide CticuUart» präparirt vor sich, so bilden die mit ihren langen Rasen
an einander stossenden Dreiecke, ein ungleichseitiges Viereck, wolier der Oa-
len'sche Name Muaculua trapezius abzuleiten ist, welcher Name somit niclit anf
einen, sondern auf beide Cuctdlnres zusammen genommen passt — Der lange,
untere, spitzige Winkel dieses Vierecks, welcher den gleich zu er^vUhnenden
Tjotisgimwt dorii überlagert, ähnelt einer zurückgeschlagenen Mönchskappe (Cu-
niUtiJfJ, weshalb Spigelins die Benennung Musculwt cttcuJlarU einführte, damit
die sündhaften Sterblichen sich erinnern mögen: „intern hmnini reUgia^nm (htren-
(lavi es»e.**
Der Kopfarsprung des Cucuüari», überlagert den von F. E. Schulze in
Rostock 1866 entdeckten MiMcuiits traiutvers^in nuchae. Dieser entsjiringt vcm dem,
der Protuberantia occipitalis externa nächsten Stück der Linea aeinicircnlariM aupr-
rior, und bildet eine, circa fünfzehn Linien lange, und sechs Linien breite, a!)er
dünne Fleischlage, welche quer nach aussen zieht, um theils in der Mitte der
genannten Hinterhauptlinie zu enden, theils mit der Kopfinsertion des Hternn-chulo-
mast^ndewf zu verschmelzen. Function räthselhaft.
CuniUiutf von welcher der Kappenmuskel seinen Namen trägt, ist ursprüng-
lich eine Papierdüte, deren sich die Krämer bedienen (cnetiUivi piperia, Marl. Ep.
IIL 2j. Wegen Aehnlichkeit mit dieser, wurde auch die Kaput/e am Soldaten -
mantel (soffumj, am Reisekleid (paemUnJ, und am W^interkh^id (lacema) rumllujt
genannt. Spigelins gab diesen Namen dem ersten Rückenmuskel, tptia, mm
conjuge mo, rticullutn monackorum non inepte exprimit. Er sclireibt ihn aber sehr
unrichtig Cuculari«, was nicht sein darf, da runilmt Knckuk, und bei Platitns
auch Gimpel, als Schimpfwort bedeutet. — Trapezvm kommt gewiss von Irnpe-
zium, d. i. verschobenes oder ungleichseitiges Viereck. Da aber das griechische
xpijitl^OLj Tisch bedeutet (von T^Tpa und TiC«> vier Füsse), ist der CnniUarh aucli
zu einem anderen, und zwar sehr unpassenden Namen gekommen: AfuMnthi/t mrn-
»aluiy d. i. Tischmuskel. Ein unregelmässiges Viereck zur Ti8chi»lattt» zu
machen, kann Niemandem in den Sinn kommen.
§. 178. Breit« Rfickennankeln. 4^1
Der breite Htc KUckenmuskel, Mnsculas Inf Inst irnus dorsi,
hat unter allen Muäkelu die gnisate FliU'h<.»iiHU.s(lchnung. Er ent-
springt mit einer breiten Ai)oncurosc (welche das ol)erfläcblieh(» oder
hintere Blatt der Faseid lunilto-d^rrsah'^ bildet, Note zu §. 179), von
den Domfortsatzen der vi(T bis sechs unteren Brustwirbel, aller
Lenden- und Kreuzwirbcl, und von dem hinteren Segment des
Ldbium extemum der Darmbcinerista. Der scharf abgesetzte Ucber-
gang dieser breiten Sehne in Fleisch, erfolgt in einer gegen die
Wirbelsäule zu convexcn Linie. Zu diesem sehnigen Ursprünge
gesellen sich noch drei fleischige Zjicken, welche von den untersten
Kippen stammen, iind sich an den äusseren Rand des Muskels an-
schmiegen. Er läuft, die hintere und die Seitenwand der Brust
umgreifend, und zusehends schmäler werdend, ülxjr den unteren
Winkel des Schulterblattes zum Oberarinknoehen, bildet die hintere
Wand der Achselhrdile, und inscrirt sich mit einer ungefiihr zoll-
breiten, platten Sehn(», an die Spina tubercnli minoritf. Die Ends(«hne
des ifusctdus teren major legt sieh an jene des Ijitissimua an, und
es wäre gar nicht unpassend, den Tents major, w(»lcher vom unteren
Winkel des Schulterl)lattt».s entspringt, als die Scajiularportion des
breitesten Rückenmuskels anzusehen. — Die Wirkung des Tyitis-
simus gestaltet sich elxMi so mannigfaltig, wie jene des Pectoralis
major, und hängt von der Stellung des Arms al). Den herabhängen-
den Arm zieht er nach rückwärts, und näh(»rt (Vw. Hand dem Oe-
silsse zu einem gewiss(^n Zweck, welchen man anständigen Lesern
nicht näher zu bezeichnen l)raucht, woher sein obscöner älterer
Name bei Riolan: Tersor s. Scalptor am (SlrÖtrnfecrmauÖlciu bei
Heister) stammt. Spigelius sagt in di(;s<»r Beziehung: ahsqtw hoc
musculo, id officium haud ti.rhih<ir(itur.
Sfint' intori'S8ant**8to Varietüt besteht in riiuT Verbindung Heiner Endselme
mit der Sehne (U*8 grossen UruHtnnwkels, diircli ein über die Arnmerven und (Je-
filHHe weglaufendes fleischiges Hilndel, — eine Einrichtung, web'lie beim Maulwurf
und in der Classe der Vr»gel wiederkehrt. Eine zweite, und zwar eonstante Ver-
l)indung, zwiselien der Sehne des LalMHimm und dem langen Kopfe des Trirrjui
hrarhü, wurde von Ilalbertsma erwähnt. — Ein constanter Schleimbeutel liegt
zwischen der Seime des Latlnnimm und dem Oberarmbein.
Nach Entfernung des Cucidlari^ und httimmn^ erscheinen :
Der grosse und kleine rautenförmige jMiiskel, Muscidua
rhomhoidc.us major et minor. Sie machen eigentlich nur Kinen Muskel
aus, welcher vom Cuculhiris bedeckt wird. Kr entsjiringt von den
DornfortsätzcMi der zwei unt<»ren Halswirbel und der vier oberen
Brustwirbel, läuft schräg nach ab- und auswärts, und endet am
inneren Rande des Schulterblattes. Ist die von den Halswirl)eln
entspringend«^ Portion, von dem Reste des Muskels durch eine Spalten
getrennt, so nennt man sie MuBCubu rhomboideus müior a. mperior,
nyrtl, Lehrbnch d«r Awa**— •!
482 §. 179. Lange Bückenmuskcln.
und was übrig bleibt, Musculus rhomboldeus viajor s, inferior. Beide
nähern die Schulter der Wirbelsäule, und drehen das Schulterblatt
in einer der Wirkungsweise des CucuUaris entgegengesetzten Richtung.
Der Aufheber des Schulterblattes, Musculus levator sca-
pulae s, Musculus angularis, entspringt mit vier sehnigen Köpfen von
den hinteren Höckern der Querfortsätze der vier oberen Halswirbel,
und steigt zum inneren oberen Winkel des Schulterblattes herab.
Er hebt die Schulter (oder eigentlich den inneren oberen Winkel
des Schulterblattes), und heisst scherzweise Musculus patientiae (a me
per jocum ita vocatus, sagt Spigelius). Bei vielen Säugethieren ist
er mit dem Serratas anHeus major zu einem Muskel verwachsen.
Unter dem Musculus rhomhoideus findet sich:
Der hintere obere sägeförmige Muskel, Muscubis sei^aius
posHcus superior. Ursprung: Donifortsätze der zwei imtercn Hais-
und zwei -oberen Brustwirbel. Ende : mit vier Zacken an die zweite
bis fünfte Rippe. Wirkung: Rippenheben. Weit entfernt von
ihm liegt:
Der hintere untere sägeförmige Muskel, Musculus sci^ra-
tos posticus inferior. Er wird ganz und gar vom Latissinius bedeckt,
von dessen Ursprungssehne (Fascia lumho-dorsalis) er in der (regend
der zwei unteren Brust- und oberen Lendenwirbel seine Entstehung
nimmt. Er befestigt sich, schräg aus- und aufwärts laufend, mit
breiten, dünnen, fleischigen Zacken, an die vier letzten Rippen,
welche er niederzieht.
Der bauschähnliche Muskel des Kopfes und Halses,
Musculus splenius capitis et colli, liegt unter dem Halstheil des
CucuUaris, und wird an seinem Ursprünge vom Rhomboideus und
Serratus posticus superior bedeckt. Er entspringt von den Dornfort-
sätzen des dritten Halswirbels, bis zum vierten Brustwirbel herab,
steigt mit schräg aus- und aufwärts gehenden Fasern zum Hinter-
haupt und zur Seite der Halswirbelsäule empor, und befestigt sich
theils an der Linea semicircularis superior des Hinterhauptes, und
am hinteren Rande des Warzenfortsatzes als Sple7iius capitis, theils
an den Querfortsätzeu der zwei oder drei oberen Halswirbel als
Splenius colli. Dreht den Kopf und Hals. Seine beiden Portionen
werden auch als zwei verschiedene Muskeln beschrieben.
Sj)leiiiiiM stammt von (j;:Xiiviov, ein mit Pflaster bestrichener Leinwandstn-if,
xnm Anflegen auf Wunden und Geschwüre.
§. 179. Lange Rückemnuskeln.
Während die im vorigen Paragraphe beschriebenen Muskeln
durch ihre Breite, und ihre schiefe Faserungsrichtung übereinkommen,
^. 17». Lange Kiickcninuskeln. 48*)
folgen die nuii zu erwähnenden mehr der Längenrichtun^ der
Wirbelsäule. Sie liegen in den zwei Furchrn eing(d)ctti*t, welchr
zwischen den Dorn- und Querfortsätzt^n sämnitlichor Wirbel, zu
ihrer Aufnahme bereit gehalten sind.
Der g e ni e i n s e h a f 1 1 i c h e K ü e k g r a t s t r i^ c k e r , Mn^^cuhis erec-
tor trunci (bei den Alten Optsttithti)mr), «Mit-springt mit einem dicken,
fleischigen Bauehe, von der hinteren Fläche des Kreuzbeins, der
Tuberositas und dem hijiteren Ende der CriMa nasis ilet\ und den
Domfortsätzen der Lendenwirbel. Diesc^r Ursprung wird von einer
Starkon, aus zwei Blättern bestehenden Seheide ( Vagina s. Fasct/i
lumbo'dormlis) umschlossen, deren innere Obcrliäehe selbst einiire
neue Urspruugsfaseikel des iVIuskrls erz()ugt.
Das liochli»' jrciiclc Oller liintore IJhitt der Fancut f/niiftfMhjr.safin, ktMiniMi
wir schon als die Urspriingsspline des LtitisMimun ihu-ni. Ks erstreckt sich weit
am Rücken hinauf, dringt unter dem Khonihoideus hl.-» /.um Swratnx ihmUcuh
jmperior empor, mit tleasen Urspnuijjssehne es versehmil/t, und »et/t seinen Wep
über ihn hinauä, also zwischen CucuUaris untl Splenius (wo es Fajtvia nuchae
heisst) his zum Hinterhaupte tbrt. Das tieflie jjfende oder vordere Blatt, ist
viel kürzer, entspringt an den Querfurtsiitzen der Lendenwirliel, dient den mitt-
leren Fleischfasern des (queren Bauch nniskels, ja seihst den hintersten Fasern des
inneren schiefen liauchmuskels zum Ursprung, und füllt den Hauin zwischen der
letzten lüp])e, und dem hinteren Theile der Darm bei ncrista aus, indem es mittelst
Dedoublirung, zugleich eine Scheide für den QatfdratuH luuihorum erzeugt. Jenes
Blatt, welches die BauchHäche des Quadratus deckt, bildet mit seinem oberen ver-
dickten Rande das bei der Pars vontalix des Diaiihragma erwälinte, äussere Lii<nnonhim
arauitum Hulh'ri {^. 170). - Ueber die Fdschi fnmf>o-clor.sfi/is, und ihr Verhältniss
zu den Bauch- und Kückenjnuskeln, liegt eine ausgezeichnete Ar])eit von J\ Le^n-
hajl vor: die Lund>algegend in anatomi.^ch-chiiurgischer licziehnng, im Archiv
für Anatomie und Physiologie. 1S71.
Während des Liiufes naeli aufwärts, giubt der in der Vagina
8. FoHcia lumho-dorsalis eingeschlossene Ursprungsbaueh des gemein-
schaftliehen Rüekenstreekers, einzelne Bündel an die Querfortsätze
und die Processus accessorii der Lendenwirbel ab, und theilt sich,
am ersten Lendenwirbel angekommen, in zwei Portionen, welche
über den Kücken bis zum ITalse hinauflaufen, und als Musculus
sacro-Iumbalis (äussere Portion) und Musculus foiigissimus darsi (innere
Portion) unterschieden werden.
a) Der Sacro-lumhalis heftet sich mit zwölf sehnigen Zacken
an die unteren Händer aller Kippen in der Gegend des Angulus s.
Cuhitus costaa, und schickt zuweilen eine dreizehnte Zacke zum
Querto rtsatzc des letzten Halswirbels. Während diese Zacken zu
ihren respcctiven Ins(;rtioiissteUen aufsteigen, erliält der Sacro-lum-
halis von den s(^ehs odt^r sieben ujituren Kippen Verstärkungsbündel.
Seine fleischigen Ursprünge an den fünf oder sechs oberen Ki])pen,
vereinigen sich nielit mit dem Sacro-luwhalü, sondern treten zu einem
besonderen länglichen Muskelkörper zusammen, welcher sieh schief
31*
484 §• 17^. Lange RQckenmaskeln.
nach oben und aussen zu den Querfortsätzen des sechsten bis vierten
Halswirbels begiebt, wo er mit drei sehnigen Spitzen endet. Er
bildet sonach gewisserniassen eine Zugabe oder Verlängerung des
Sacro-lumhaJis, und wird auch als besonderer Muskel unter dem
Namen Musculus cervicalis ascendsns aufgeführt.
b) Der Longisstmus dorsi steigt mit dem früheren parallel
am Rücken hinauf^ bezieht imconstante Verstärkungsbündel von
den oberen Lenden- und unteren Brustwirbeln, welche erst gesehen
werden, wenn man den Körper des Muskels auf die Seite drängt,
und spaltet sich in eine Folge kurzer, fleischig-sehniger Zacken,
welche theils an die hinteren Enden der Rippen, zunächst an ihren
Tuberculis (mit Ausnahme der obersten und untersten) , theils an
alle Brustwirbelquerfortsätze sich inscriren. — Das obere Ende des
Longissimus dorsi, geht in den Musculus transverscdis cervicis über,
welcher von den Querfortsätzen der vier oberen Rücken- und zwei
unteren Halswirbel, zu den Querfortsätzen der fünf oberen Hals-
wirbel läuft.
Die vereinigte Thätigkeit des Sacro-lumbalis und Lmigissimus
dorsi auf beiden Seiten, richtet den gebogenen Rücken wieder auf;
— auf einer Seite wirkend, krümmen diese Muskeln die Wirbelsäule
nach der Seite. Der Scicro-lumbalis kann auch die Rippen beim
Ausathmen herabziehen, und der Cervicalis ascendens und Transversalis
cervids werden die Drehungen der Halswirbelsäule unterstützen.
Eine sorg^lti^e Revision dieser Mnskeln, welche znr Anfstelinngf eines
nenen MiutcitliM rofttnlia rlorsi führte, hat Luschka vorgenommen (MiUhr^i* Arcliiv,
1854). — Derselbe vielverdiente Antor entdeckte in der Sacralg^egend einon, der
Verbindungsstelle der Conwa Hocralin mit den Comtm coceygea entsprechenden,
subcutanen Schleimbeutel, welcher, wenn auch nicht constant, doch auch nicht
zu den anomalen Bildungen gehört (Zeitschrift fllr rat. Med. 8. Bd.).
Nach Entfernung der Rippeninsertionen des Sacro-lumbalis,
kommt man zur Ansicht der Rippenheber, Levatores costarum,
welche an den Spitzen der Querfortsätze, vom siebenten Halswirbel
bis zum eilften Brustwirbel herab, entspringen, und sich, etwas
breiter werdend, an der nächst unteren Rippe, auswärts vom Tuber-
culum festsetzen. Sie heissen Levatores costarum breves. An den
unteren Rippen finden sich noch die Levatores longi, welche nicht
zur nächst xinteren Rippe, sondern zur zweit folgenden herabsteigen.
Unter dem Splenius capitis et colli, zwischen den Dornfortsätzen
der Wirbelsäule und dem Transversalis cei'vicis, liegen drei, durch
eingewebte Sehnenstreifen gekennzeichnete Muskeln: der zwei-
bäuchige, der grosse und kleine durchflochtene.
Der zweibäuchigc Nackenmuskel, Musculus biventer cer-
vicis, entspringt mit drei oder vier tendinösen Zacken von den
Spitzen der Querfortsätze eben so vieler oberer Rückenwirbel,
fl. 179. Lange Rückenmaskeln. 485
einwärts von den Insertionen des Ijmgisdnuis dorsi, wird bald naoli
seinem Ursprünge fleischig (unterer Bauch), steigt sclüef nach innen
in die Höhe, und geht in eine zwei bis drei Zoll lange Seline über,
welche in der Gegend des sechsten Halswirbels vollkommen fleisch-
los ist. Sie vei'wandelt sich über dem sechsten Halswirbel wieder
in einen Muskelstrang (oberer Bauch), welcher häuflg eine Inscn'ptio
tendinea zeigt, und sich zuletzt unterhalb der Linea semicircularis
siiperiar des Hinterhauptes ansetzt. Ziclit den Kopf nach hinten.
Der grosse durchflochtenc Muskel, Musculm complexus
majt»', liegt neben dem vorigen nach aussen, und ist oft gänzlich
mit ihm verwachsen. Er entspringt gewöhnlich mit sieben Bündeln
von den Querfortsätzen der vier unteren Halswirbel, und der drei
oberen Brustwirbel, so wie von den (Tclonkfortsätzcn des dritten
bis sechsten Halswirbels, und endigt, mit mehreren Sehnenbündeln
durchwirkt, in dem Zwischenräume der oberen und unteren halb-
mondförmigen Linie des Hinterhauptbeins. Wirkt wie der Zwei-
bäuchige.
Der kleine durchflochtenc Muskel, auch Nackenwarzen-
muskel, Miiscidu^ compliixm minor s, tradielo-ma^toideus (Tpay^yjAs^,
Nacken), liegt zwischen Complexus major und Transversalis cervicis,
und kann von letzterem häutig nicht getrennt werden. Er entspringt
von den Querfortsätzen und (jelenkfortsätzen der vier unteren Hals-
wirbel, und der drei oberen Brustwirbel, steigt gerade aufwärts, und
befestigt sich am hinteren Rande des Warzenfortsatzes. Zieht den
Kopf nach hinten, und dreht ihn zugleich.
Die jetzt an die Reihe kommenden Dorn- und Halbdornmuskeln
des Rückens und Nackens, sind thuils unter sich, theils mit ihren
angrenzenden Nachbarn mehr weniger innig verschmolzen , und
können deshalb nur mit grosser Präparirgewandtlieit, nach dem
Texte ihrer Beschreibung dargestellt werden.
Der Dornmuskel des Rückens, Mtiaadus spinal is dortfi,
liegt zwischen dem Longisaimus dord und den Wirbeldornen, —
dicht an letzteren. Er kommt von den Dornfortsätzen der zwei
oberen Lendenwirbel und der drei unteren Brustwirbel, geht am
Dornfortsatz des luuinten Brustwirbels vorbei, und setzt sich an die
darüber folgenden Dornen, bis zum zweiten l^rustwirbel hinauf fest.
Er lässt sich gewöhnlich nur schwer und künstlich vom Longi^dmus
dardj und vom Multifidus spinne trennen, welchen er bedeckt. Hilft
die Wirbelsäule strecken.
Der iralbdornmuskel des Rückens, Mmadiis semisplnali^
dorsi, entspringt mit sechs langen, sehnigen Faseikeln von den Quer-
fortsätzen des sechsten bis eilften Brustwirbels. Die Ursprungsschnen
sammeln sich zu einem flachen Muskelbauch, welcher sich nach oben
und innen in sechs Spitzen auszieht^ welche mit platt
486 §• 1^^- Kurze KQckenmaskeln.
Sehnen sich au den Dorn fort Sätzen des letzten Halswirbels und der
fünf oberen Brustwirbel inseriren. Er unterstützt die Seitwärtsbiegung
und vielleicht die Axendrehung der Wirbelsäule.
Der Dornrauskel des Nackens, Musculus spinalis cervlcls,
verhält sich durch Lage und Wirkung zur Halswirbelsäule, wie
der Splnalis dorsi zur Brustwirbelsäule. Man kann seiner häufigen
Variationen wegen von ihm nur ungefähr sagen, dass er von den
Dornen der unteren Halswirbel, und einiger oberer Rückenwirbel,
seine Entstehung nimmt, um sich an den Dornen der oberen Hals-
wirbel, vom zweiten an, zu befestigen. Er streckt den Halstheil der
Wirbelsäule.
Der Halbdornmuskel des Nackens, Micscuhcs semispinalh
cervicis, zeigt uns eine Wiederholung des Semispinalls dorsi am
Halse. Er wird vom Biventer cervlcis und Complexus major bedeckt,
und deckt selbst den Spinalis cervicis und den Multifidus spimve. Er
entspringt von den Spitzen der Querfortsätze der oberen Rücken-
wirbel, läuft schräge nach oben und innen, und befestigt sich mit
vier sehnigen Zacken an die Dornfortsätze des zweiten bis fünften
Halswirbels.
Da die Richtung soiner Faaern mit jener des Seniisinnalüt dorsi ganz über-
uinstimnit, und sich sein unterstes Bündel an das oberste des letzteren ansclnniegt
(was aber nicht immer der Fall ist, indem Ein Wirbel zwischen beiden frei bleil)en
kann), so Hessen sich der SeuiUphudift dorsi und cercicis in Einen Muskel con-
trahiren.
lieber die Uebercinstimmimg der Riickenmuskeln an verschiedenen Stellen
des Kückens, handelt ./. Miilkr, vergleichende Anatomie der Myxinoiden. 1. Theil.
§. 180. Kurze Rückenmuskelii.
Den Nachtrab dieses zahlreichen Heeres von langen Rücken-
niuskcln bilden die kurzen. Ihre Bearbeitung an der Leiclii' ist
der mühsamste Theil der Anatomie der Rückenmuskeln. 8ie liegen,
bedeckt von den langen Rückenmuskeln, unmittelbar auf den Wirbeln
auf, und bilden kurze, fleischig-sehnige Muskelkfirper, welche ent-
weder zwischen je zwei Wirbehi sich wiederholen, oder einen Wirbel,
seltener zwei, überspringen.
Der vielgetheilte Rückenmuskel, Musculus multifidus
Spinae, führt einen Beinamen, welchen einst auch die vielarmige
Donau trug: multifidus Ister, bei Martial. Er soll eigentlich nur
als eine Succession vieler kurzer und schiefer Muskelbündel auf-
gefasst werden, welche von den Gelenk- und Querfortsätzen unterer
Wirbel, zu den Dornfortsätzen oberer Wirbel hinziehen. Die Ur-
sprungsstellcn dieser zahlreichen Bündel sind : a) am Kreuzbeine :
die. Cristae sacrales Jnteraies, ß) an den Lendenwirbeln : die Processus
§. 180. Kurze Kückenmoskeln. 487
accessorii und obliqui, 7) au der Brust: die oberen Räuder der Quer-
fortöätzc, 3) am Halse: die Geleukfortsätze der vier unteren Hals-
wirbel. Von jedem dieser Punkte treten Muskelbündel ab, welehe
theils zum naelist darüber liegenden Dornfortsatze, thoils zum zweiten,
auch dritten oberen Dorne (bis zum zweiten Halswirbel hinauf),
schräge aufsteigen.
Jene tiefgelegenen Bündel des MulUfichis spinne, welclie fast quer von ihren
Urspmnggpunkten, zum unteren Rand des Bogen« und zur Basis des Dornfort-
satzos des nächst darilber liegenden Wirbels »ich erstrecken, wurden von Theile
als Botatorejt dorsi besclirieben. Es ist klar, dass, je melir die Richtung eines
Bündels sicli der queren nähert* seine Zusammenziehung desto leichter eine
Drehung des darüber liegenden Wirbels auf dem darunter liegenden bewirken,
und dass, je schiefer die Bündel aufsteigen, ihre Wirkung desto mehr auf ein
Strecken der Wirbelsäule abzielen wird.
Die Z wisch endo rnmuskeln, MiiseiiU interspinales, finden
sich, mit Ausnahme des dritten bis zehnten Brustwirbels, zwischen
je zwei Dornfortsätzen. Sie sind, wo sie vorkommen, immer paarig,
und werden durch die Zwischendornbänder von einander gehalten.
An den Halswirbeln lassen sie sich, wegen der gabeligen Spaltung
der Dornfortsätze in zwei Höcker, am besten darstellen.
Die Zwischen quer fortsatzmuskeln, Musculi intertransver-
süHl, füllen den Zwischenraum zweier Querfortsätze aus. Am Halse
treten sie am entwickeltsten auf, und kommen auf beiden Seiten
doppelt vor, als antict und posticl, indem sie an den vorderen und
hinteren Schenkeln der durchbohrten Querfortsätze entspringen und
endigen. An der Brust fehlen sie für die oberen Brustwirbel gänz-
lich, und treten zwischen den unteren nur einfach «luf. Am Lenden-
segment der Wirbelsäule werden sie wieder doppelt. Die vorderen
liegen hier zwischen je zwei Querfortsätzen (Processus costarii), die
hinteren zwischen je zwei Processlbus ohliquis.
In einzelnen Fällen findet »ich, zwischen der hinteren Fläche des letzten
Kreuzwirl)ols und dem letzten Steissbeinstücke, ein paariger sehniger Muskel-
straiig, als Wiederholung des bei mehreren Säugethieren vorkommenden Sacra-
cocct/t/euM iHMÜciui a. Kxteiu<o)' vocct/t/is.
Da jene Rückenmuskeln, welche sich bis an den Hals hinauf
erstrecken ( Semlsplnalis et spinalls colli, Mnltißdus) nicht über den
Dorn des Epistropheus hinausreichen, somit nicht an das Hinter-
haupt treten, so wurde für den Raum zwischen Epistropheus und
Occiput, eine eigene Muskiüatur nothwendig, welche in die drei
hinteren geraden, und zwei hinteren schiefen Kopfmuskeln
zerfällt.
Der grosse hintere gerade Kopfmuskel, Musculus rectus
capitis posticus major, entspringt vom Dorn des zweiten Halswirbels,
überschreitet den hinteren Bogen des Atlas, wird im Aufsteigen
488 §. IW« Kaix« Bückennaskelii.
breiter, grenzt mit dem der anderen Seite, und greift an der Linea
senticirculaiis inferior des Hinterhauptbeins an. Er entspricht dem
Spiiudis dord und coUi. Drängt man die beiden Recti cctpitis postici
majores auseinander, so findet man zwischen ihnen in der Tiefe die
beiden kleinen hinteren geraden Kopfmuskeln, Musculi recti
capitis postici minores. Diese, mehr sehnigen als fleischigen Muskeln,
gehen vom Tuberculum posterius ailantis zur selben Inseiiionsstelle,
wie die grossen. Beide strecken den Kopf, und sind den Zwisehen-
dommuskeln des Rückens analog.
Der seitliche hintere gerade ^opfmuskel, Musculus rectus
capitis posticus lateralis, entspringt von den Seitentheilen des Atlas,
und endet, gerade aufsteigend, hinter dem Foramen jugulare an dem
Processus jugvlaris des Hinterhauptbeins. Er lässt sich ebensogut
als oberster Intertransversarius posticus der Wirbelsäule auffassen,
als wir im Rectus capitis anticus lateralis (§. 165) einen Int&i'trans-
versarius anticus erkannt haben.
Der obere schiefe Kopfmuskel, Musculus obliquu^s capitis
superior s. minor, entsteht an der Spitze des Querfortsatzes des
Atlas, und endigt, schräge nach innen und oben laufend, an der
Linea semidradaris inferior des Hinterhauptes, nach aussen von den
Rectis. Streckt den Kopf, und kann nicht, wie Theile anführt, als
eine Wiederholung der Rotatores dorsi angesehen werden, da das
Hinterhauptbein auf dem Atlas keine Drehbewegung ausfuhren
kann. Er entspricht vielmehr dem Semispinaiis der Wii'belsäule,
wobei natürlich, wie bei den vorhergehenden Vergleichungcn, die
Protiiherantia occipitalis exteima, mit ihren beiden Lineis semicircida-
rSms, als ein Aequivalent eines Dornfortsatzes des Hintcrhaupt-
wirbels angesehen werden muss.
Der untere schiefe Kopfmuskel, Musculus obliquus capitis
inferior s, major, begiebt sich vom Dornfortsatz des fipistropheus,
schräge nach aussen und oben zum hinteren Rande des Querfort-
satzes des Atlas. Dreht den Atlas, und somit auch den Kopf, welcher
vom Atlas getragen wird, um den Zahnfortsatz des Epistrophcus. Er
ist der eigentliche Rotator capitis, und lässt sich mit keinem anderen
Muskel des Rückens vergleichen.
Hat man diese zierliclicn Muskeln auf beiden Seiten dargestellt, so bilden
die zwei rechten und linken Obliqui zusammen einen Rhombus, in dessen senk-
rechter Diagonale, die Kecti so aufsteigen, wie die geraden Portionen der beiden
Ijowji colli in dem Rhombus der schiefen (§. 165).
§. 181. Allgemeine Betraohtang der Form der oberen Extremit&t. 489
F. Muskeln der oberen Extremität.
§.181. Allgemeine Betrachtung der Form der oberen Extremität
Von den Knochen der Schulter wird das Schlüsselbein an
seiner vorderen Seite gar nicht, und an seiner oberen nur theil-
weise von Muskeln bedeckt, während das Schulterblatt so allseitig
von Muskeln eingehüllt erscheint, dass nur der Rand seiner Spina,
so wie das Akromion davon frei bleiben. Es lassen sich deshalb
die Clamcula und die Spina scapulae durch die Haut hindurch leicht
mit dem Finger fühlen, und bis zu ihrer Verbindung am Akromion
verfolgen. Unter dem Akromion folgt die durch den Oberarmkopf
und den darauf liegenden Deltamuskel bedingte Wölbung der Schulter,
an deren innerer, dem Stamme zugekehrter Seite, eine bei herab-
hängendem Arme tiefe, bei aufgehobenem seichter werdende Grube
liegt (Axüla oder Älaj bei den Anatomen des Mittelalters auch Ascdla
und Subascdla). Sie wird vorn durch den Pectoralis major und
minor, hinten durch den Latiasimus dorsi und den Teiles major, innen
durch die Seitenwand des Thorax, und aussen durch das Schulter-
gelenk begrenzt. — Unter der Wölbung des Schultergelenks erstreckt
sich der Oberarm, mehr weniger gleichförmig gerundet, zum Ellbogen
herab, wo er an seiner vorderen Seite die seichte Grube der Ell-
bogenbcugc, an seiner hinteren den Vorsprung des Olekranon, aussen
und innen die leicht fühlbaren Condyli erkennen lässt. — Der
Vorderarm, welcher am Ellbogen am dicksten und fleischigsten ist,
verschmächtigt sich gegen die Handwurzel zu, und verliert seine
Rundung, indem seine Dicke mehr abnimmt, als seine Breite. Er lässt
die Ulna ihrer ganzen Länge nach, den Radius nur an seiner
unteren Hälfte durch die Haut durch fiihlen, und geht mittelst der
Handwurzel in die Flachhand mit ihren bekannten Eigenthümlich-
keitcn über.
Die Hautbedeckung der oberen Extremität liegt auf dem
Schlüsselbein nur lose auf, hängt an das Akromion fester an, und
lässt sich von ihm nicht als Falte aufheben. Einem für die oberen
und unteren Gliedmassen geltenden Gesetze zufolge, ist die Haut
an der Streckseite sämmtlicher Gelenke derber und dicker, an den
Beugestellcn um so feiner und zarter, je tiefer gehöhlt diese sind.
Sie wird somit in der Achselgrube feiner, als im Ellbogenbug, und
in diesem wieder dünner, als an der Beugeseite der Handwurzel sein.
An letzterer Stelle fiillt eine, den Vorderarm von der Hand tren-
nende, nach unten convexe Hautfurche auf, welche bei der Beugung
der Hand tiefer wird, und selbst bei grösster Streckung der Hand
490 §. 181/ Allgemeine Betrachtung der Fonn der oberen Extremität.
nie ganz versehwindet. Bei neugeborenen Kindern, so wie an fett-
reichen oder hydropischen Armen, erscheint die Furche besonders
ausgeprägt, und die Carpalgegend bekommt das Ansehen, als wenn
sie mit einem Faden umschnürt wäre. Diese Furche, welche bei
den Chiromanten liasceta heisst, entspricht genau der Artieulation
zwischen Vorderarm und erster Handwurzelreihe. Unter ihr fühlt
man die harten Vorsprünge der Eminhitiae carpl, auf welche die
muskulösen Wülste des äusseren und inneren Handballens folgen.
Diese Wülste bilden beim Hohlmachen der Hand die seitlichen Be-
grenzungen einer seichten Vertiefung, in welcher mehrere, auch bei
flach gemachter Hand fortbestehende Furchen auffallen. Diese
Furchen verkünden dem Aberglauben das Schicksal des Menschen;
dem Anatomen aber, sind sie ihrer constanten Beziehung zu gewissen
tief liegenden Gebilden der Hohlhand wegen kennenswerth. Sie
entstehen keineswegs durch Knickung der Haut, in Folge des öfteren
Hohlmachens der Hand, denn sie sind schon im Embryoleben mit
derselben Schärfe gezeichnet, wie im Erwachsenen. Die den Fingern
am nächsten gelegene Hohlhandfurche (Linea mensalis der Chiro-
manten), geht zwischen Zeige- und Mittelfinger aus, und endet am
Ulnarrande der Hohlhand. Sie entspricht der Articulatio metacarpo-
phalangea der drei letzten Finger. Die zweite (Linea vitalis) ent-
steht zwischen Daumen und Zeigefinger, und zieht durch die Hohl-
hand nach aufwärts, um in der früher erwähnten Grenzfurche
zwischen Vorderarm und Hand (Rasceta"^) der Chiromanten) zu
endigen. Sie umkreist den Ursprung des Zuziehers des Daumens,
und fuhrt, wenn man an ihrem oberen Ende einschneidet, auf den
Mediannerv. Die erste und zweite Furche kehren sich wie ein
schiefes )( ihre convexen Seiten zu, welche entweder durch zwei
kleinere, im Winkel zusammenlaufende Furchen vereinigt werden,
und die Gestalt eines M annehmen, oder unvereinigt bleiben, und
eine dritte Furche zwischen sich aufnehmen, welche mit der zweiten
gemeinschaftlichen Ursprung hat, und nicht ganz bis zum Ulnar-
rand der Hand verläuft. Wenn man in ihr einschneidet, kommt
man auf die Ursprünge der Musculi lumbricales.
Die Dorsalseite der Hand lässt bei dürren Händen, die Sehnen
sämmtlicher Streckmuskeln der Finger absehen. Spannen sie sich
an, so sinken Gruben zwischen ihnen ein. Bei schönen Händen
muss der Ulnarrand gerade, nicht durch ein vorspringendes Capi-
ttdum 08818 nietacarpi digiti minimi höckerig aufgetrieben sein; die
massig konisch zulaufenden Finger müssen, wenn sie aneinander
gelegt werden, mit ihren Spitzen etwas convergiren ; man darf weder
*) Bei den Comraentatoren des Avicenna wird Uoitceta oder Uasneia (auch
Boneta) fttr die Knochen der Hand- und Fusswurzel gebraucht.
§. 188. Muskeln au der Schalter. 491
Muskelsehiicn , noch blaue Venen am Handrücken sehen, und an
jeder Articulatio metctcai'po-plialangea soll bei Streckung der Finger
ein kleines Grübchen einsinken. — Derlei Angaben interessiren
mehr den Maler, als den Anatomen.
Das subcutane Bindegewebe ist an der vorderen und hinteren
Gegend der Schulter gleich lax, und adhärirt fester an die Haut,
als an die unter ihm liegende Fascie. Es kann sich ziemlich reich-
lich mit Fettcysten füllen, bleibt jedoch über den Knochenvor-
sprüngen auch bei grosser Wohlbeleibtheit fettarm. Am Akromion
nimmt es zuweilen eine subcutane Bursa mucosa auf, welche nach
meinen Erfahrungen bei Individuen, welche häutig Lasten auf den
Schultern, oder mittelst breiter Schulterbänder auf dem Rücken
tragen, nie fehlt. Am Oberarme lagert es sich bei Kindern und
Weibern in den Furchen zwischen den Muskeln copiöser ab, ujid
rundet dadurch die Form der Gliedmasse. Schwindet es durch
harte Arbeit oder colliquative Krankheiten, so treten die Muskel-
stränge deutlicher hervor, was besonders vom zweiköpfigen Arm-
muskel gilt, an dessen äusserer und innerer Seite ein longitudinaler
Eindinick, der Sulcus hlcipitalis extermus et inUi'nus, entsteht. In der
Achsel verschmilzt es mit der Fascie, und bleibt fettarm, nimmt
dagegen Lymphdrüsen auf. In seinen tieferen Schichten verlaufen
die subcutanen Gelasse und Nerven. Von diesen sind besonders die
Venen bemerkenswerth, welche bei ungewohnter Anstrengung, und
bei Athmungshindernissen turgesciren, als blaue Wülste ihren Lauf
durch die Haut verrathen, und deshalb allgemein in der Ellbogen-
beuge zur Vornahme der Aderlässe benützt werden. Am Olekranon
bleibt das subcutane Bindegewebe fettlos, und zeigt daselbst einen sub-
cutanen Schleimbeutel, welcher, wenn er durch Exsudat anschwillt,
eine äusserlich sichtbare Geschwulst bildet, die unter den Arbeitern
in den englischen Kohlengruben häutig vorkommt, und dort unter
dem Namen the ininers elhoio bekannt ist. Gegen den Carpus ver-
mindert sich der Fettreichthum des subcutanen Bindegewebes, und
ist am Kücken der Hand immer geringer, als in der Hohlhand. —
Unter dem subcutanen Bindegewebe folgt eine dünne, fettlose Fascia
superficialis, und auf diese die eigentliche Fascie der oberen Extre-
mität, deren Untersuchung die Kenntniss der Muskeln voraussetzt,
und deshalb später folgt.
§. 182. Muskeln an der Schulter.
Um die Muskeln der oberen Extremität mit Erfolg an der
Leiche zu studiren, muss man sich die Angaben gegenwärtig halten^
492 §. 189. Maskeln ao der Schalter.
welche im §. 186 über die Fascie der oberen Extremität ent-
halten sind.
Die Muskeln^ welche die fleischigen Lager um und auf der
Schulter bilden, dienen entweder dazu, das Schulterblatt, oder den
Oberarm, ja selbst den Vorderarm, zu bewegen. Erstere (Cuculla^is,
Bhomboideus, SeiTatiis anticus major, und Pectoralis minor) wurden,
da sie anderen, bereits schon abgehandelten Gegenden angehören,
wie auch der LatUsimus dorsi und Pectoralis major, schon früher
geschildert.
Das Schulterblatt, welches mir durch die sehr kleine Gelenkfläche am
Akromion, mit dem Schlüsselbeine, und durch dieses mit dem Bnistkasten in Ver-
bindung steht, bietet die ganze Ausdelinimg seiner Flächen, seiner Fortsätze, und
seinen äusseren Rand, den Muskeln des Armes zum Urspninge dar. Seine grosse
Verschiebbarkeit verändert vielfältig den Standpunkt des Schultergelenkes, und
begünstigt wesentlich die freie Beweglichkeit der oberen Extremität
Der Deltamuskel, Musculus ddtoides (A'^^^^^O; ^.uch AttoUens
humerum, deckt als dreieckige, im Allgemeinen aus zahlreichen,
nach unten convergirenden F'leischbündeln bestehende Muskelmasse,
den kugeligen Vorsprung des Schultergelenks. Er entspringt mit
breiter Basis vom vorderen concaven Rande der Extremitas acro-
mialis des Schlüsselbeins als Portio clamcularis, vom äusseren Rande
der Schulterhöhe als Portio aa'omialis, und von dem grösseren
Theile der Schulterblattgräte als Portio scapvlaris, also genau an
denselben Punkten, an welchen der CucuUaris endigte. Indem seine
Bündel in etwas verworrener Weise zu einer kurzen aber starken
Endsehne zusammenlaufen, inserirt sich diese an der Rauhigkeit in
der Mitte der äusseren Fläche des Oberarmknochens. Seine Schlüssel-
beinportion ist von der Akromialportion immer durch eine Spalte
getrennt. Selten existirt eine solche auch zwischen der Akromial-
und Grätenportion. Zwischen ihm und der Kapsel des Schulter-
gelenks liegt, sich tief unter das Akromion hinein erstreckend, ein
ansehnlicher Schleimbeutel, welcher zuweilen doppelt, selten selbst
mehrfacherig wird. Der Deltamuskel hebt den Arm. Dass hiebei
seine mittlere Portion, welche vom Akromion entspringt, besonders
thätig intervenirt, kann man an der eigenen Schulter mittelst der
aufgelegten Hand deutlich fühlen.
Zuweilen schliesst sich an den hinteren Rand des Deltoides ein von der,
den Infraspinalus deckenden Fascie entspringendes Fleischbündel an. Theile
(in S'ömmerriwfa Muskellehre, pag. 230) beobachtete einen zweiten tiefliegenden,
anderthalb Zoll breiten Armheber, welcher von der Kapsel des Schultergelcnks
entsprang. Ich selbst sah mehrmals einen vom Akromion entstehenden Spanner
der Schulterkapsel, als ein vom Fleische des Deltoides losgerissenes, und selbst-
ständig gewordenes Bündelchen auftreten. — Bei jenen Thieren, welche kein
Schlüsselbein besitzen, gehen die Clavicularportionen des Deltoides und Cucul-
laris unmittelbar in einander über.
§. 18S. Muskeln au der Schulter. 491
Muskelschiien , noch blaue Venen am Handrücken sehen, und an
jeder Artkulatio inetacaiyo-plialangea soll bei Streckung der Finger
ein kleines Grübchen einsinken. — Derlei Angaben interessiren
mehr den Maler, als den Anatomen.
Das subcutane Bindegewebe ist an der vorderen und hinteren
Gegend der Schulter gleich lax, und adhärirt fester an die Haut,
als an die unter ihm liegende Fascie. Es kann sich ziemlich reich-
lich mit Fettcystcn füllen, bleibt jedoch über den Knochenvor-
sprüngen auch bei grosser Wohlbeleibtheit fettarm. Am Akromion
nimmt es zuweilen eine subcutane Bursa mucosa auf, welche nach
meinen Erfahrungen bei Individuen, welche häufig Lasten auf den
Schultern, oder mittelst breiter Schulterbänder auf dem Rücken
tragen, nie fehlt. Am Oberarme lagert es sich bei Kindern und
Weibern in den Furchen zwischen den Muskeln copiöser ab, imd
rimdet dadurch die Form der Gliedmasse. Schwindet es durch
harte Arbeit oder colliquative Krankheiten, so treten die Muskel-
stränge deutlicher hervor, was besonders vom zweiköpfigen Arm-
muskel gilt, an dessen äusserer und innerer Seite ein longitudinaler
Eindinick, der Sulcus hicipitalis exteiiius et intetmtbs, entsteht. In der
Achsel verschmilzt es mit der Fascie, und bleibt fettarm, nimmt
dagegen Lymphdrüsen auf. In seinen tieferen Schichten verlaufen
die subcutanen Gefässe und Nerven. Von diesen sind besonders die
Venen bemerkenswerth, welche bei ungewohnter Anstrengung, imd
bei Athmungshindernissen turgesciren, als blaue Wülste ihren Lauf
durch die Haut verrathen, und deshalb allgemein in der Ellbogen-
beuge zur Vornahme der Aderlässe benützt werden. Am Olekranon
bleibt das subcutane Bindegewebe fettlos, und zeigt daselbst einen sub-
cutanen Sehleimbeutel, welcher, wenn er durch Exsudat anschwillt,
eine äusserlich sichtbare Geschwulst bildet, die unter den Arbeitern
in den englischen Kohlengruben häuHg vorkommt, und dort unter
dem Namen the mtner's elbow bekannt ist. Gegen den Carpus ver-
mindert sich der Fcttreichthum des subcutanen Bindegewebes, und
ist am Kücken der Hand immer geringer, als in der Hohlhand. —
Unter dem subcutanen Bindegewebe folgt eine dünne, fettlose Fascia
sxiperfidalls, und auf diese die eigentliche Fascie der oberen Extre-
mität, deren Untersuchung die Kenntniss der Muskeln voraussetzt,
und deshalb später folgt.
§. 182. Muskeln an der Schulter.
Um di(i ^luskeln der oberen Extremität mit Erfolg an der
Leiche zu studiren, nniss man sich die Angaben gegenwärtig halten,
492 S- 1^' Muskeln ao d«r Schalter.
welche im §. 186 über die Fascie der oberen Extremität ent-
halten sind.
Die Muskeln, welche die fleischigen Lager um und auf der
Schulter bilden, dienen entweder dazu, das Schulterblatt, oder den
Oberarm, ja selbst den Vorderarm, zu bewegen. Erstere (Cncidlaiis,
Rhomboideus, Serratm anticus major, und Pectoi'alis minor) wurden,
da sie anderen, bereits schon abgehandelten Gegenden angehören,
wie auch der LatUsimus dorsi und Pectoralis majoi*, schon früher
geschildert.
Das Schulterblatt, welches nur durch die sehr kleine Gelenkfläche am
Akromion, mit dem Schlüsselbeine, und durch dieses mit dem Brustkasten in Ver-
bindtmg steht, bietet die ganze Ausdehnung seiner Flächen, seiner Fortsätze, und
seinen äusseren Rand, den Muskeln des Armes zum Urspnmge dar. Seine grosse
Verschiebbarkeit verändert vielfaltig den Standpunkt des Schultergelenkes, und
beg^stigt wesentlich die freie Beweglichkeit der oberen Extremität.
Der Deltamuskel, Musculus ddtoides (A"^^^^<0> ^^^1^ AttoUens
humei-um, deckt als dreieckige, im Allgemeinen aus zahlreichen,
nach unten convergirenden Fleischbündeln bestehende Muskelmasse,
den kugeligen Vorsprung des Schultergelenks. Er entspringt mit
breiter Basis vom vorderen concaven Rande der Extremitas acro-
micUis des Schlüsselbeins als Portio davicularis, vom äusseren Rande
der Schulterhöhe als Portio acromialis, und von dem grösseren
Theile der Schulterblattgräte als Portio scaptUaris, also genau an
denselben Punkten, an welchen der Cucullaris endigte. Indem seine
Bündel in etwas verworrener Weise zu einer kurzen aber starken
Endsehne zusammenlaufen, inserirt sich diese an der Rauhigkeit in
der Mitte der äusseren Fläche des Oberarmknochens. Seine Schlüssel-
beinportion ist von der Akromialportion immer durch eine Spalte
getrennt. Selten cxistirt eine solche auch zwischen der Akromial-
und Grätenportion. Zwischen ihm und der Kapsel des Öchultcr-
gelenks liegt, sich tief unter das Akromion hinein erstreckend, ein
ansehnlicher Schleimbcutel, welcher zuweilen doppelt, selten selbst
mehrfacherig wird. Der Deltamuskel hebt den Arm. Dass hiebei
seine mittlere Portion, welche vom Akromion entspringt, besonders
thätig intervenirt, kann man an der eigenen Schulter mittelst der
aufgelegten Hand deutlich fühlen.
Zuweilen schliesst sich an den hinteren Rand des Deltoides ein von der,
den Infraspinattts deckenden Fascie entspringendes Fleischbündcl an. Theile
(in Sönwierring'a Muskellchre, pag. 230) beobachtete einen zweiten tiefliegenden,
anderthalb Zoll breiten Armheber, welcher von der Kapsel des Scliultergelenks
entsprang. Ich selbst sah mehrmals einen vom Akromion entstehenden Spanner
der Schulterkapsel, als ein vom Fleische des Deltoides losgerissenes, und selbst-
ständig gewordenes Bttndelchen auftreten. — Bei jenen Thieren, welche kein
Schlüsselbein besitzen, gehen die Clavicularportionen des Deltoides und Cucul-
laris unmittelbar in einander fiber.
§. 182. Hnskeln an der Schulter. 493
Der Obcrgrätenmuskel, Mvsadus supi'uspinatus , wird von
der Grätcninsertion des Cucullaris bedeckt, liegt in der Fossa supra-
sptnata, von welcher er entspringt, und geht unter dem Akromion
zum Tuberculum niaju^ des Oberarmknochens, an dessen obersten
Muskeleindruck er sich ansetzt. Hebt den Arm, hilft ihn nach
aussen rollen, und schützt gleichzeitig die Kapsel durch Spannung
vor möglicher Einklemmung.
Der Untergrätenmuskel, Musculus infraspinatus, entspringt,
wie sein Name ausdrückt, von der Foasa infraspinata, wird vom
Grätenursprung des Deltoides zum Theil bedeckt, und geht über
die hintere Seite des Schultergelenks (Schleimbeutel) nach aus- und
aufwärts zum mittleren Eindruck des Tuberculum majus. Rollt den
Arm nach aussen, und zieht ihn, wenn er aufgehoben war, nieder.
Der kleine runde Armmuskel, Musculus teres minor, ent-
springt vom oberen Tlieile des äusseren Schulterblattrandes, schmiegt
sich an den unteren Rand des Infraspinatus an, mit welchem er
sehr oft verschmilzt, und endigt am unteren Eindruck des Tuber-
culum majus. Wirkt wie der Infraspinatus.
Da das Tufjerculnm majua den drei Answärtsrollern de» Oberarms zum An-
griffspunkt dient, könnte es als Tnhevctdum aupinatorium, — und das Tuberculum
mimuij welches als Hebelarm den Einwärtsrollern gehört, als Tufterculum prona-
lorium bezeichnet werden. Die zur Längenaxe des Oberarmbeins quere Richtung
der Rollmuskeln, und die Höhe der Tubercula, sind für die leichte Ausführbarkeit
der Rollbewegungen des Armes günstige Momente.
Der grosse runde Arrarauskel, Musculus teres major, welcher
auch als Scapularursprung des Latlssimus dorsi genommen werden
könnte, entsteht tiefer als der vorige, bis zum unteren Winkel des
Schulterblattes herab, läuft nach auf- und vorwärts, lässt seine platte
Sehne sich zwar nicht mit der breiten Sehne des Latlssimus dorsi
vereinigen , aber doch genau an sie anlegen (ein Schleimbeutel
zwischen beiden), und befestigt sich, wie diese, an der /Spina tuh&r-
ctdi minoris. Zieht den Arm an den Stamm und etwas rückwäi^ts,
dreht ihn zugleich nach innen.
Der gprosse und kleine runde Armmuskel sind durch eine Spalte getrennt,
durch welche der lange Kopf des Triceps tritt.
Der Untorschulterblattmuskel, Musculus subscapuiaris,
nimmt die concave vordere Fläche des Schulterblattes ein. So lange
die Extremität noch mit dem Stamme zusammenhängt, ist dieser
Muskel sehr schwer zugänglich. Er befindet sich wie versenkt
zwischen Schulterblatt und Brustkasten (daher wohl der alte Name
Musculus immsrsus bei Riolan). Er steht mit dem auf der Seiten-
wand des Brustkastens aufliegenden Musculus seiTatus anticus major
in Flächenberührung, von welchem er durch die Fasda svbscapularisj
und sehr laxes, ärmliches Bindegewebe getrennt wird. Er entspringt
494 §. 183. Maskeln am Oberanne.
mit spitzigen sehnigen Fascikeln von den erhabenen Leisten an der
vorderen Schiilterblattfläche, und mit breiten fleischigen Bündeln
von den Feldern zwischen den Leisten. Beide Sorten von Bündeln
stecken zwischen einander, drängen sich im Laufe nach auswärts
dichter zusammen, und heften sich an eine breite Sehne, welche an
das Tuberculum minus und die von ihm herabsteigende Spina tritt.
Rollt den Arm nach innen. Zwischen seiner Sehne, dem Halse der
Scapula, und der Basis des Procesms coracoidetis, liegt ein grosser
Schleimbeutel, welcher mit der Höhle des Schultergelenks communi-
cirt, und eine Ausstülpung seiner Synovialauskleidung ist.
Das äusserste Bündel des Subscaptdaris, bleibt bis zu seiner Insertion an
der Spina tuherculi minoris fleischig, und wurde von G ruber als SuhacapularU
minor aufgefasst, welcher sich, bezüglich seiner anatomischen Selbstständigkeit,
zum eigentlichen Snfjscapulariff so verhält, wie der Ter&f minor zum Infraspinatns.
Hierüber, und über zahlreiche andere AnomaUen der Schultermuskeln, handelt
W. Gruber, die Musadi suhncaimlarea und die neuen Schultermuskeln, Petersburg,
1857. — Henke sucht eine besondere Action der hier abgehandelten Muskeln
darin, dass sie, über die Schultergelenkskapsel wegziehend, der möglichen Ein-
knickung der Kapsel durch den äusseren Luftdruck entgegenwirken, und dadurch
den Contact der Knochenfläclien im Schultergelenk aufrecht erhalten.
§.183. Muskeln am Oberarme.
Es finden sich am Oberarme, an seiner vorderen und hinteren
Seite, Längenmuskeln vor, welche entweder an ihm entspringen, wie
der Brachialts intetmns, imd der mittlere und kurze Kopf des Triceps,
oder an ihm endigen, wie der Coraco-brachialis, oder, von der Schulter
kommend, blos über ihn weglaufen, um zum Vorderarme zu gelangen,
wie der Biceps, und der lange Kopf des Triceps.
A. Muskeln an der vorderen Gegend des Oberarms.
Der zweiköpfige Armmuskel, Musculus biceps brachii, liegt
an der vorderen inneren Seite des Oberarms. Er entsteht mit zwei
sehnigen Köpfen vom Schulterblatte, und endigt an der Tuberositas
radii. Sein kurzer Kopf, der zugleich der schwächere ist, Caput
breve s. Musculus coraco-radialis, entspringt, mit dem Coraco-braddali^
verwachsen, vom Processus coracoideus. Sein langer Kopf, Caput
longum s. Musculus gleiio-radialis , kommt vom oberen Ende der
Gelenkfläche des Schulterblattes her, wo er eine plattrundliche Sehne
bildet, welche innerhalb der Gelenkskapsel sich an' den Oberarm-
kopf genau anschmiegt, in der Rinne zwischen den beiden Tuber-
cidis des Oberarms die Gelenkhöhle verlässt, und noch eine Strecke
weit ausserhalb der Kapsel durch einen scheidenartigen Foi-tsatz der
§. 183. Mnskoln um Oberarme. 495
Synovialhaut des Schultergelenks umhüllt wh-d. Beide Köpfe legen
sich in der Mitte des Oberarms zu einem gemeinschaftlichen Muskel-
bauch aneinander, welcher über dem Ellbogengelenke sich gegen
seine starke, rundliche Sehne scharf absetzt. Diese inserirt sich
in der Tiefe der Ellbogenbeuge an die Tuherositas radii (Schleim-
beutel). Von ihrem inneren Rande geht, bevor sie in die Beuge des
Ellbogens tritt, ein breites, aponeurotisches Fascikel, der Lacertits
fibrosus, schräg nach innen ab, um die fibröse Scheide des Vorder-
arms zu verstärken. Der iMcertus läuft brückenartig über die Ell-
bogengrube hinweg. — Der Biceps dreht im ersten Grade seiner
Wirkung den pronirten Radius nach auswärts, und beugt hierauf
den ganzen Vorderarm.
Eine oftmals vorkommende Abweichung des Muskelb liegt in der Gegen-
wart eines dritten Kopfes, viel schwächer als die beiden normalen, und von der
Mitte der inneren Fläche des Oberarms, über dem Brachialis inteimu^, entstellend.
Dieser dritte Kopf ist, durch Ursprung und Richtung seiner Fasern, dem Brochialis
iiüeimuü so nahe verwandt, dass ich ihn für ein von diesem Muskel losgerissenes
und dem Biceps zugetheiltes Muskelbündel halte, was dadurch bestätigt wird, dass
der Brachialis inteinius immer schwächer, als gewöhnlich erscheint, wenn ein
dritter Kopf des Biceps vorkommt. Die gleiche, auf Beugung des Vorderarms
berechnete Bestimmung des Biceps und Brachialis internus, erlaubt ihnen diesen
Austausch ihrer Fleischbündel. Ich habe zugleich gezeigt (Oest. Zeitschrift für
prakt. Heilkunde, 1859, Nr. 28), dass das Vorkommen eines dritten Bicepskopfes
durch jene Verlaufsanomalie des Nermis ciUaiieus extermts bedungen wird, bei
welcher sich dieser Nerv, statt zwischen Biceps und Brachialis internus durch-
zugehen, in den letzteren einsenkt, um gleich wieder aus ihm aufzutauchen, wo-
durch eine Summe Fasern dieses Muskels von den übrigen abgehoben, und sofort
dem Biceps einverleibt wird. — In seltenen Fällen vermehrt »ich die Zahl der
Köpfe sogar bis auf fünf (Pietsch^ in Boux Journal de med. T. 31. pag. 245).
Ich sah den langen Kopf gänzlich fehlen, und zweimal durch eine Sehnenschnnr,
welche von der Kapsel des Scliultergelenks entsprang, ersetzt werden.
Im Zustande der Contraction bildet der Biceps einen prallen Längenvor-
sprung (Eviinentia bicipUalis), an dessen Rändern der Sulcus bicipitaUs intemtts et
externus herabläuft. In der Mitte des ersteren schneidet man ein, um die Arteria
brachialis zur Unterbindung aufzufinden. Man trifft zuerst auf die Vena basilica,
unter ihr auf die Fascia brachii, nach deren Spaltung der Nervus medianus zum
Vorschein kommt. Unter diesem Nerv liegt die Arteria brachialis, zwischen den
beiden Venae brachiales. — Im Sulcus bicipitalis externus, welcher sich nach oben
zwisclien Deltoides und Pectoralis major fortsetzt, triflft man ausserhalb der Fasele
die Vena cephalica, und in der unteren Hälfte des Sulcus, den Nervus cutaneus
externus, innerhalb der Fascie gelegen. — Unter dem Lacertus fibrosus liegt die
Arteria brachialis, und einwärts von ihr der Nei'vus medianus; — auf demselben
befindet sich die Vena mediana basilica, welche hier von den Aesten des mittleren
Hautnerven gekreuzt wird, und da sie zur Vornahme der Aderlässe gewählt wird,
dieser gefährlichen Nachbarschaft wegen, mit besonderer Vorsicht geöffnet werden
boU. — Die alten Anatomen nannten den Biceps Pisciadus, und bei italienischen
Anatomen liest man heut zu Tage noch öfters Pescetto.
Der Rabenarmmuskel, Musculus coraco-brctchicdis , hat mit
dem kurzen Kopfe des Biceps gleichen Ursprung, vom Processus
496 §. 183. Hnskeln am Oboranne.
coracaideus, und endigt in der Mitte des Oberarmknochens, am unte-
ren Ende der Spina tvbercxdi minoris. Er wird vom Nervus cutaneus
extemvs durchbohrt, und heisst deshalb auch Musculus perforatus
CasseriL Nur selten fehlt diese Perforation. Er zieht den Arm nach
innen und vorn. Man überzeugt sich bei sorgfiiltiger Präparation des
Muskels, dass er einen spannenden Einfluss auf das später zu er-
wähnende Ligamentum intei*musculare intemum ausübt (§. 186).
Die Dnrchbohrnng des Coraco-hrachiali» durch den Nervu/t citianeu^ extemus
disponirt zu seinem Doppeltwerden, wie bei den Affen. — He nie lÄsst den Muskel
an einem Bandstreifen endigen, welcher vom T^iherctilnm intemum zur Mitte der
inneren Fläche des Oberarmbeins herabgeht, und unter welchem die Arterw
tirctimflexa hitnieri anterior durchpassirt. Der Muskel soll diesen Bandstreifon
aufheben und spannen, und die genannte Arterie gegen Compression in Schutz
nehmen (Zeitschrift für rat. Med. 8. Bd.). Ich habe diese Insertion öfters gesehen,
halte sie aber nicht fQr die Norm.
Der innere Armmuskel, Musculus brachialis internus, ent-
springt mit seiner äusseren Zacke von der äusseren Fläche des
Oberarmknochens, unterhalb der Insertionsstelle des Deltamuskels,
und mit der inneren, von der inneren Fläche dieses Knochens,
unterhalb dem Ende des Coraco-brachialis, Er liegt unmittelbar auf
dem Oberarmknochen auf, bedeckt im Herablaufen die Beugeseitc
der Ellbogenkapsel, mit welcher er durch festes Bindegewebe zu-
sammenhängt, bildet den Boden der Ellbogengrube, und inserirt sich
an der Rauhigkeit unter dem Processus coronoideus der Ulna. Beugt
den Ellbogen, und spannt zugleich die Kapsel, um sie während der
Beugung des Ellbogens vor Einklemmung zu schützen.
Die Grenze zwischen dem Fleisch des SvpincUor Iotu/im und des Jirnehiafin
in/^.miM ist selten scharf bestimmt, da eine mehr weniger ausgesprochene Coales-
cenz beider Muskeln stattfindet — Die Stelle, wo der Deltamuskel endigt, und
die äussere Zacke des Brachiaiia internus beginnt, ISsst sich als eine seichte De-
pression schon durch die Haut hindurch erkennen, und dient als gewöhnlicher
Applicationspunkt der Fontanellen am Oberarm.
B. Muskeln an der hinteren Gegend des Oberarms,
Der dreiköpfige Streckmuskel des Armes, Musadus
triceps s, Extensor brachii, liegt an der hinteren und äusseren Seite
des Oberarms. Die alten Anatomen nannten seine drei Köpfe ^4??-
conaei, wegen der Insertion am Olekranon, welches von ihnen Pro-
cessus anconaeus genannt wurde. Ich schiebe diese kurze historische
Bemerkung hier ein, weil sich der Schüler ohne sie nicht erklären
könnte, wie so auf der nächsten Seite auf einmal ein Anconaeus
quartus daher kommt. — Der lange Kopf des Dreiköpfigen, Caput
Umgum. s. Anconaeus longus, entspringt vom äusseren Schulterblatt-
rande, gleich unter der CavÜ4is glenoidalis, und geht zwischen Teres
g. 188. Mukeln un ObflTwm«. 497
major und minor nach abwärts, um sich zu dem äusseren Kopf,
Caput extemum 8, Anconaeus extemua zu gesellen, welcher von der
Aussenseite des Oberarms entspringt, längs einer Linie, welche unter-
halb der Insertion des kleinen runden Armmuskels anfangt, und
bis unter die Mitte des Knochens herabreicht. Der kurze oder
innere Kopf, Caput intemum 8. Ancanaeus internus, beginnt an der
inneren Seite des Oberarms, hinter dem Ansätze des Teres major,
bis zum Condf/lu8 intemvs herab, so wie von der hinteren Fläche
und der äusseren Kante der unteren Hälfte des Oberarms. Alle drei
Köpfe bilden zusammen einen dicken Muskelbauch, dessen platte
mächtige Endsehne weit auf der hinteren Fläche des Muskels hin-
aufreicht, und am Olecranon ulnae endigt (Schleimbeutel). Sie schickt
Verstärkungsbündel zur Scheide des Vorderarms.
Nur bei der Ansicht des Triceps von innen her, sind seine drei Köpfe deut-
lich von einander za unterscheiden. Bei der Ansicht von hinten und aussen da>
gegen, ist der kurze Kopf an den mittleren so dicht angeschlossen, dass sie nur
Einen Fleischkörper bilden.
Der Radialnerv durchbohrt den Triceps schief von innen und oben, nach
aussen und unten. — Da bei der Streckung des Ellbogengelenks die hintere
Kapselwand sich faltet, und zwischen den Knochen eingeklemmt werden könnte,
so befinden sich, unter dem unteren Ende des gemeinschaftlichen Bauches des
Triceps zwei kleine Muskelbündel, ein äusseres und inneres, welche von den ent-
sprechenden Kanten des Oberarmknochens nach abw&rts zur Kapsel gehen, um
sie in demselben Momente zu spannen, als sie durch die Streckbewegung gefaltet
wird. Theile entdeckte sie, und gab ihnen den bezeichnenden Namen Subancoruiei.
lieber die Faserung des Triceps handelt Theile in MuUer^s Archiv, 1839.
Als eine Zugabe des Triceps erscheint der kurze Ellbogen-
höckermuskel, Anconaeu^s qaartus, welcher mit einer runden, am
äusseren Rande des Muskels sich fortsetzenden Sehne, vom Condylu8
extemus humeri entspringt (Schleimbeutel), und sich an den hinteren
Winkel und die äussere Fläche des oberen Drittels der Ulna inserirt.
Sein oberer Rand legt sich an den unteren Rand des kurzen Kopfes
des Triceps so genau an, dass die Grenze zwischen beiden kaum
abzusehen ist. Wirkt wie der Triceps.
Um ihn zu sehen, muss die Fascie des Vorderarms, welche ihn bedeckt,
njid ihrer Dicke wegen das rothe Fleisch des Muskels nicht durclischeinen lässt,
dnrch einen Winkelschnitt gespalten werden, dessen horizontaler Schenkel vom
Catubfhis externuA humeri zum Olekranon, dessen verticaler Schenkel vom Ole-
kranon bis zum Beginn des mittleren Drittels der Ulna herabreicht. Der dadurch
umschriebene dreieckige Lappen der Vorderarmfascie , wird von seiner Spitze
gegen seine HaHis hin abpräparirt, und der Muskel blossgelegt
Vom Cmidylns humeri intenm^ (Epitrochlea) zum Ohcranaii (Proce«8tia an-
ronaeii«j gelangende Muskelbündel, welche theils selbstständig auftreten, theils sich
an den inneren Kopf des Triceps anschliessen, wurden von Gruber als Musculus
epitrochleo-anccnuiem beschrieben, und in vielen Ordnungen der Säugethiere als
normale Vorkommnisse nachgewiesen. Mem. de TAcad. de St. P^tersbourg. VII. S^r.
T. X., in welchem Bande auch über die Schleimbeutel der Muskeln um das Ell-
bogengelenk herum, von demselben Autor gehandelt wird.
Uyrtl, Lehrbach der AnatOToie. 14. Aufl. 32
498 §. 184- Ma«keln am Vorderanne.
§. 184. Muskeln am Yorderarme.
Je näher gegen die Hand herab, desto zahlreicher werden die
Muskehl an der oberen Extremität, desto complicirtcr ihre Verhält-
nisse, aber auch desto lohnender ihre Bearbeitung. Die Zunahme
der Knochen an Zahl, und die mit ihr gegebene Vermehrung der
Gelenke der oberen Extremität in der Richtung von oben nach
unten, bedingen die Vermehrung der Muskeln in derselben Rich-
tung, und die Wichtigkeit der Hand, als des complicirtesten und
gebrauchtesten Theiles der oberen Extremität, erhöht ihre func-
tionelle Bedeutung.
Die am Vorderarm vorkommenden Muskeln entspringen gröss-
tentheils an dem unteren Ende des Oberarmbeins von und zunächst
an den beiden Condyli, in dem Verhältnisse, dass die Beuger und
einer der beiden Einwärtsdreher vom Condylus i7itemus, die übrigen
vom Condtjlus extsmus und seiner nächsten Umgebung entstehen. Das
untere Ende des Oberarmknochens bietet den zahlreichen Muskeln
des Vorderarms nicht hinlängliche Ursprungspunkte dar, wesshalb
die innere Fläche der fibrösen Vorderarmscheide, und jene Fortsätze
derselben, welche zwischen einzelne Muskelbäuche in die Tiefe ein-
dringen, gleichfalls zum Ursprung von Muskelfleisch dienen müssen.
— Die fleischigen Bäuche der Vorderarmmuskeln liegen alle um das
Ellbogengelenk herum gruppirt, und setzen sich, gegen die Hand
zu, in verhältnissmässig dünne Schntui fort, wodurch die Gestalt
des Vorderarms einem langen, abgestutzten Kegel ähnlich wird,
dessen grösste Peripherie um den Ellbogen, dessen kleinste um die
Handwurzel geht. — Die einzelnen Muskeln des Vorderarms be-
festigen sich entweder am Radius, wie die Aus- und Einwärtsdreher,
oder überspringen den Vorderarm, um an der Handwurzel, der
Mittelhand, oder den Gliedern der Finger zu endigen.
A. Muskeln an der inneren Seite des Vorderarms,
Sie bilden drei Schichtr'n, von welchen die erste den Pronator
teren, Eadialis intei^ms, PalmartJi lonf/ns, und IJlnans intemun ent-
hält. Diese vier Muskeln, w«'lclie alle vorwaltend von Einem Punkte,
dem ('ondf/his liumeri internus, ausgehen, «livergiren während ihre«
Laufes nach abwärts, und lassen, zwischen ihren Sehnen, die
zweite Lage durehselien, welche blos vom hochliegenden Finger-
beuger gebildet wird. Das dritte Stratum besteht aus d<*m tief-
liegenden Fing<Tbeuger, dem langen Beuger des Daumens, und
dem viereckigen Einwärtsdreher, welch' letzteren einige Autoren
einem vierten Stratum zuweisen.
§. 184. ]fii8lt«lxi an Vord«runne. 499
a) Erste Schichte.
Der runde Einwärtsdreher, Muscvlris pronator rotundus 8.
teres (von Win slow richtiger Pronator ohliquua benannt), entspringt
vom Condylvs internus des Oberarmbeins, und geht schief nach vorn
und unten zur inneren Fläche des Radius, in deren Mitte er an-
greift. Die Wirkung sagt der Name. Sein Ursprung erstreckt sich
auch über den Condylus internus humeri hinauf, auf die innere Kante
dieses Knochens, und das daselbst adhärente Ligamentum intermuscur
lare intemum.
£r wird in der Regel vom Mediannerv durchbohrt, so dass immer mehr
Fleisch über, als unter dem durchbohrenden Nerv liegt Der kleine Durch-
bohmngsschlitz kann sich zu einer durchgreifenden Spaltung des Muskels in zwei
kleinere entwickeln, was bei vielen Quadrumanen Regel ist. Ein Sesambein in
seiner Ursprungssehne habe ich nur einmal gesehen. Wenn ein Procefsu« supra-
eandi/loidetu am Oberarmbein vorkommt (Note zu §. 137), so geht von ihm ein
accessorisches Muskelbündel des Pronator teres aus.
Der innere Speichenmuskel, Musculus radialis internv^s s,
Flexor carpi radialis, liegt einwärts von dem vorhergehenden, mit
welchem er gleichen Ursprung hat. Er zieht schief zum unteren
Ende des Radius, wo seine Sehne das Ligamentum carpi transversum
durchbricht, und in der Furche des Multangulum majus (Schleim-
beutel) zur Basis des Metacarpus indicis herabgleitet. Beugt die
Hand, und unterstützt die Pronation derselben.
Von der Insertionsstelle des Pronator teres angefangen, beginnt der Radialis
internus sehnig zu werden, und hat die Sehne des Supinator longvs nach aussen
neben sich. Zwischen beiden Sehnen bleibt ein Zwischenraum, in welchem die
Arteria radialis verläuft, deren Pulsschlag in der Nähe des Carpus leicht zu
fühlen ist.
Der lange Hohlhandmuskel, Musculus palmaris longus, ent-
springt, wie die früheren, mit einem schlanken, spindelförmigen
Muskelbauche, und verwandelt sich in eine lange schmale Sehne,
welche über das Ligamentum carpi transversum wegzieht, ausnahms-
weise daselbst einem Bündel des Abdu^tor pollicis brevis zum Ur-
sprung dient, und in der Hohlhand sich zur Aponeurosis palmaris
ausbreitet, welche im §. 186 zur Sprache kommt. Spannt die Apo-
neurose, und beugt die Hand.
Kaum zeigt ein anderer Muskel so viele Nuancen seiner Gestaltung, wie
dieser. Er fehlt bei Gegenwart der Hohlhand- Aponeurose ; letztere kann somit
nicht, wie M e c k e 1 meinte, aus der strahligen Entfaltung seiner Sehne hervor-
gehen. Zuweilen wird sein Abgang durch eine Sehne des oberflächlichen Fing«r-
beugers ersetzt, oder er entspringt nicht vom C&ndylus internus, sondern von der
fibrösen Scheide des Vorderarms, ja selbst, was als AffenbUdung vorkommt, vom
Kronenfortsatz der Ulna. Er kann umgekehrt sein, seine Sehne oben, seinen
Fleischbauch unten haben, oder er wird zweibäuchig mit mittlerer Sehne, oder
oben und unten sehnig und in der Mitte fleischig, oder doppelt^ oder inserirt sich
82*
488 $. 1^* Kon« Backenmuskeln.
breiter, grenzt mit dem der anderen Seite, und greift au der Linea
semicirculaiis Inferior des Hinterhauptbeins an. Er entspricht dem
Spinalis cUyrsi und colli. Drängt man die beiden Recti capitis postici
majores auseinander, so findet man zwischen ihnen in der Tiefe die
beiden kleinen hinteren geraden Kopfmuskeln, Musculi recti
capitis postici minores. Diese, mehr sehnigen als fleischigen Muskchi,
gehen vom Tuberculum posterius atlantis zur selben Insertionsstcllc,
wie die grossen. Beide strecken den Kopf, und sind den Zwischen-
dornmuskeln des Rückens analog.
Der seitliche hintere gerade JSopfmuskel, Musculus rectus
capitis posticus lateralis, entspringt von den Seitentheilen des Atlas,
und endet, gerade aufsteigend, hinter dem Foram^n jugulare an dem
Processus jugularis des Hinterhauptbeins. Er lässt sich ebensogut
als oberster Intertransversarius posticus der Wirbelsäule auffassen,
als wir im ßectus capitis anticus lateralis (§. 165) einen Intertrans-
versarius anticus erkannt haben.
Der obere schiefe Kopfmuskel, Musculus obliquus capitis
supenor s, minor, entsteht an der Spitze des Querfortsatzes des
Atlas, und endigt, schräge nach innen und oben hiufend, an der
Linea semudrctdaris infenor des Hinterhauptes, nach aussen von den
Rectis. Streckt den Kopf, und kann nicht, wie T heile anführt, als
eine Wiederholung der Rotatores dorsi angesehen werden, da das
Hinterhauptbein auf dem Atlas keine Drehbewegung ausführen
kann. Er entspricht vielmehr dem Semispinalis der Wirbelsäule,
wobei natürlich, wie bei den vorhergehenden Vergleichungcn, die
Protuherantia occipitalis externa, mit ihren beiden Lineis semicircida'
rihus, als ein Aequivalent eines Dornfortsatzes des Hinterhaupt-
wirbels angesehen werden muss.
Der untere schiefe Kopfmuskel, Musculus obliquus capitis
inferior s. major, begiebt sich vom Dornfortsatz des Epistropheus,
schräge nach aussen und oben zum hinteren Rande des Querfort-
satzes des Atlas. Dreht den Atlas, und somit auch den Kopf, welcher
vom Atlas getragen wird, um den Zahnfortsatz des Epistropheus. Er
ist der eigentliche Rotator capitis, und lässt sich mit keinem anderen
Muskel des Rückens vergleichen.
Hat man diese zierlichen Muskeln auf beiden Seiten dargestellt, so bilden
die zwei rechten und linken Oblitjui zusammen einen Rhombus, in dessen senk-
rechter Diagonale, die Recti so aufsteigen, wie die geraden Portionen der beiden
Jjotuji colli in dem Rhombus der schiefen (§. 105).
§. 184. Mnskeln um Vorderarme. 501
Muskel wird dadurch besonders interensant, weil in ihm eine Erifinerung an da»
Verhältnisa des hoch- und tiefliegenden (langen und kurzen) ZehenbeugerR ge-
boten wird (§. 196 und 197). In der Regel schickt das Fleisch des hochliegenden
Fingerbeugers jenem des tiefliegenden (oder des Flexor jMlcitt longiis) ein
Btindel zu.
c) Dritte Schichte,
Der tiefliegende Fingerbeuger, Musculus flexor di^jitoimm
profumhis s, perforans, übertrifft den vorigen an Stärke. Er ent-
springt von den zwei oberen Dritteln der inneren Fläche der UIna,
80 wie auch vom Ligamentum interosseum. Unbeständige Fleisch-
bündel, welche von der inneren Fläche des Radius entstehen, ge-
sellen sich diesem Ursprünge des Muskels bei. Der hiedurch ge-
bildete flache und breite Fleischkörper spaltet sich, etwas tiefer als
der hochliegende, in vier Sehnen, welche auf dieselbe Weise, wie
die Sehnen des hochliegenden Beugers verlaufen. Die Sehnen, welche
zum Mittel-, Ring- und kleinen Finger ziehen, tauschen, während
des Durchtritts unter dem queren ITandwurzelbande, einzelne Faser-
bündel gGg^n einander aus, während die für den Zeigefinger be-
stimmte Sehne, sich in diesen Austausch nicht einlässt. Am ersten
Fingergliede schieben sich die Sehnen des tiefliegenden Beugers
durch die Spalte der Sehnen des hochliegenden Beugers durch, und
endigen am dritten Gliede, welches sie beugen.
Beim Eintritt in die Hohlhand entspringen vom Radialrand der
Sehnen des tiefliegenden Beugers, die vier spulenft)rmigen Regen-
wurmmuskeln, Musculi lumhricales, welche zu den Radialrändern
der ersten Fingerglieder laufen, und hier die Hohlhand verlassen,
um in die Rückenaponeurose der Finger überzugehen.
Von den alten Anatomen wurden sie Mtiscnli fidicinales, Geigermuskeln,
genannt. Hat man einen derselben, am bestim jenen des Zeigefingers, bis in die
Rückenaponeurose des Fingers verfolgt, und zieht man an ihm, so findet man,
dass die Wirkung ilicses kleinen Muskels in einer Beugung der Phalanx, prima,
und in gleichzeitiger Streckung der Phalanx neamda und teHia besteht, eine Be-
wegung, welche der Finger bei der Führung der Haarstriche während des Schrei-
bens, und beim Austheilen von Nasenstübern macht.
Der lange Beuger des Daumens, Musculus flexor pollicis
loj)(ju4<, liegt auswärts von dem tiefen Fingerbeuger, wird von ihm
durcli den Nervus interosseus und die Arttrui interossea getrennt,
nimmt seine Entstehung an der inneren Fläche des Radius, von der
Insertionsstelle des Biceps angefangen bis zum unteren Drittel des
Knochens herab, erhält meistens vom hochliegenden Fingerbeuger
ein Fleischbündel zugeschickt, und geht, nachdem er sehnig ge-
worden, mit den übrigen Beugesehnen unter dem Ligamentum carpi
transversum zum ersten Daumengelenke, wo er zwischen den beiden
502 §. 184. MuBkeln am Vorderarme.
hier befindlichen Sesambeinchen desselben, an die zweite Phalanx
tritt, an welcher er endet. — Drängt man am unteren Ende des Vorder-
arms seine Sehne von jenen des tiefliegenden Beugers weg, so ge-
räth man auf:
Den viereckigen Einwärtsdreher, Musculus pranator qua-
draius (Pronator transversus Winslow), welcher an der inneren
und hinteren Fläche des unteren Endes der Ulna entspringt, und
über das Ligamentum interosseum quer zum unteren Ende des Radius
herüber läuft, an dessen innerer Fläche er endigt.
Der Muskel ist reich an Varietäten, welche Macalister zusammenstellte
(Jofimal of Anal. VIL), Man mass gestehen, dass seine Wirkungsweise als Pro-
nator, nichts weniger als einleuchtend erscheint. Der Muskel ist ja nicht um das
untere Ende des Radius herumgekrümmt, wie es bei einem Pronator der Fall sein
müsste, sondern um jenes der Ulna, welche nicht gedreht werden kann.
d) Fibröse und SynovicUscheiden der Sehnen der Fingerheuger.
Das Convolut der Sehnen der Fingerbeuger wird, während seines
Durchganges unter dem Ligamentum carpi transversumy von einer
weiten, mehrfach gefalteten Synovialscheide eingehüllt. Diese bildet
für jede einzelne Sehne einen besonderen Ueberzug, welcher bis
zum Ursprünge der Lumbricalmuskeln reicht.
Speciellen Untersuchungen zufolge (Gazelle med. tHüO. S. tS), setzt sich
der SynoviaUack, welcher sänimtliche lieugesehnen unter dem queren Handwurzel -
bände einhüllt, in die Synovialauskleidung der fibrösen Scheiden der lieugesehnen
des Daumens und kleinen Fingers, nicht aber der übrigen Finger, ununterJirochen
fort. Denn, wenn man die dritten Phalangen aller fünf Finger einer Leiche am-
putirt, und Wasser in den Synuvialsfick unter dem queren Handwurzolbande ein-
spritzt, strömt dieses nur aus den Stümpfen des kleinen Fingers und des Daumens,
nicht aber au« denen der drei mittleren Finger aus. (Jüt meinen P>fahrungen
nach nicht als allgemeine Regel. Ebensowenig allgemeine Geltung hat es, dass
die Sehne des langen Heugers des Daumens nicht in dem Synovialsack der übrigen
Beugesehnen liegt, sondern eine besondere Synovialscheide besitzt.
Die Sehnen des Fle^vor perforans und perforatus jedes Fingers,
werden durch eine starke fibnise Seheide an die untere Fläche
des Fingers angedrückt erhahen. Die^e Scheide heisst Vagina
fibrosa tendinum ßexoriormn, Sie haftet an den Badial- und Ulnar-
rändem der einzehien Phalangen, und erzeugt sonach mit der unteren
Fläche der Phalangen, einen Kanal mit zur Hälfte fibröser, zur
Hälfte knöcherner Wand, in welchem die Beugesehnen bei der
Beugung und Streckung der Finger gleiten. Der Kanal ist mit
Synovialmembran ausgefüttert. Die tibröse (untere) Wand des
Kanals, wird durch Querspalten in mehrere Stücke getheilt, deren
Ränder sich bei der Beugung des Fingers einander nähern, und
bei der Streckung von einander entfernen. Ein ununterbrochener
§. 184. Mnskeln am Vorderurme. 503
iibröser Halbkanal hätte, bei der Beugung des Fingers, stellenweise
eingeknickt werden müssen. Die einzelnen Stücke der Scheide
nehmen, nach der Richtung ihrer Fasern, den Namen der Quer-
bänder und Kreuzbänder an. Fehlt an einem Kreuzband einer
der beiden Schenkel, so heisst der noch übrig bleibende: schiefes
Band. — Die Synovialhaut, welche die innere Oberfläche des theils
knöchernen, theils fibrösen Kanals, an der Volarfläche der Finger
auskleidet, sendet faltenförmige Verlängerungen, welche Retinacula
heissen, zu den im Kanal liegenden Beugesehnen, um auch diese
zu umhüllen. Längs der Retinacula ziehen feine Blutgefässe von der
Beinhaut zu den Sehnen. Retinaculum war bei den Römern das
Tau, durch welches Schiffe am Ufer befestigt wurden.
Die Retinacula sind Ueberreste einer in den ersten Entwicklungszeiträumen
stattgefundenen Einstülpung der Synovialhaut der Scheide durch die Beugesehnen.
Sie finden sich regelmässig vor, sind am ersten Fingergliede breiter und stärker,
und enthalten immer auch sehnige Fasern, welche das Periost der betreffenden
Phalanx mit den Beugesehnen in Verbindung bringen. Die Richtung der Reti-
nacula stimmt aber mit jener der Beugesehnen nicht iiberein, denn während die
Beugesehnen gegen die Fingerspitzen gerichtet sind, streben die Retinacula
gegen die Basis der Finger. Sie können deshalb ganz sicher nichts für die
Sicherung der Lage der Sehne in ihrer Scheide leisten, und sind nur als Bahnen
für die ernährenden Gefässe der Sehnen von Belang. Ebenso ungerechtfertigt
mnss also auch der Name erücheinen: ViTictda tendinum accesaoria.
B. Muskeln an der äusseren und Radialseite des Vorderarms.
Sie sind vorzugsweise Strecker der Hand oder der Finger, und
Auswärtsdreher. Ihre Richtung geht theils mit der Vorderarmaxe
parallel, theils kreuzt sie diese, wie es für die drei auf der Aussen-
seite des Vorderarms gelegenen langen Muskeln des Daumens der
Fall ist, welche sich schief zwischen den Längenmuskeln gegen die
Radialseite des Vorderarms hervordrängen. — An der Dorsalgegend
des Carpus, treten ihre Sehnen unter dem Ligamentum cai^i com-
mune dorsale durch, welches für einzelne oder mehrere derselben be-
sondere Fächer bildet, indem es Fortsätze zwischen sie einschiebt.
Der lange Auswärtsdreher, Musculus supinatar longus^ ent-
springt vom unteren Dritttheile der äusseren Kante des Oberarm-
beins und an dem daran befestigten Ligamentum intermusculare exter-
num, hält sich an die Radialseite des Vorderarms, und endet am
unteren Ende der Armspindel über dem Processus stt/loideus. Ist die
Armspindel nach einwärts gedreht (pronirt), so erscheint der Muskel
in einer weiten Spiraltour um den Radius wie herumgelegt, bei
supinirtem Radius dagegen geradlinig. Er wird somit nur bei der
ersteren Stellung des Radius als Supinator wirken können. Bei der
zweiten Stellung unterstützt er die Beugung des Ellbogens. —
504 §. 184. Hnskeln am Vorderume.
Indem die Auswärtsdrehung des Radius den Handteller nach oben
richtet, wie beim sogenannten Handaufhalten der Bettler, führte
der Muskel vor Alters den nicht unpassenden Namen Muscidtis
pauperum 8. mendicantium.
Sehr häufig gehen einige Fleischfasern des Brdchialis internus
in den Ursprungsbauch des Supinator longus über.
Da die Arteria radialis »ejhr constant ISngs des inneren Randes des Supi-
nator longus verläuft, nannte Cruveilhier diesen Muskel: Miisculus satdlej*
arteriae radialis. — Der innere Rand des Supinator longus bildet, mit dem oberen
Rande des Prmuitor leres, die Seiten einer nach unten spitzig zulaufenden, drei-
eckigen Grube, Fovea s. Plica cubitif deren Grund den Insertionsstellen des Biceptt
und Brachialis internus entspricht. Sie wird durch die Fascia antil/rarhii und den
Lacertus fihrosus der Bicepssehne überdeckt, und schUesst die Arteria hrarhialis,
nebst ihren beiden begleitenden Venen und dem Nervtis medianus ein. Die Arteria
brachiaUs liegt am inneren Rande der Sehne des Biceps auf dem Brachmlis in-
ternus, und theilt sich hier in die Arteria radialis, und den kurzen gemeinschaft-
lichen Stamm der Ulnar- und Zwischenknochenarterie. Der Nervus medianus liegt
an der inneren Seite der Arteria hrackialis.
Der kurze Auswärtsdreher, Musculus supinator hrevis, wird
vom Supinator longus und den beiden äusseren Speichenmuskeln
bedeckt, entspringt vom Condylus exteimus hrachii, und von dem Ring-
bande des Radius, schlägt sich mit oberen queren und unteren
schiefen Fasern um das obere Ende des Radius herum, und befestigt
sich an der inneren Fläche desselben, unter der Tuberositas. Er
umgreift, wenn der Arm sieh in der Pronationsstellung behndet,
drei Viertheile der Peripherie des Radius, und ist deshalb der ein-
flussreichste und am günstigsten wirkende Auswärtsdreher desselben.
Er wird, wie so viele andere Muskeln der oberen Extremität, von einem
Nerven, dem Ilamus profumlus nervi radialis, durchbohrt, und kaim bei stärkerer
Entwicklung der Durchbohrungsspalte auch doppelt werden. Wirkt jedenfalls
kräftiger als der Supinator longus, da seine oberen Fasern fast senkrecht auf die
Richtung des Radius fallen.
Der lange und kurze ä usserc Speiehenmuskel, J/?t»c*JMÄ
radialis exteimus longus et breins, s. Extonsor carpi radifdfjt lontjus et
brems, liegen neben dem Supinator longus, und haben mit ihm
gleiche Richtung. Der lange entspringt über dem Condt/lits exteimus
hrachii, von der äusseren Kante dieses Knochens, unmittelbar unter
dem Ursprünge des Supinator longus; der kurze kommt vom Con-
dylus extemus selbst, und vom Ringbande des Radius. Beide gehen,
parallel mit dem Radius, auf der Aussenfläche des Vorderarms
herab, wobei der lange den kurzen bedeckt, passiren ein ihnen
gemeinschaftliches Fach unter dem Ligamentum carpi dorsale, und
befestigen sich, der lange an der Basis des Metacarpus indicis, der
kurze an derselben Stelle des Metacarpus digiti medii. Sie strecken
die Hand und adduciren sie; letzteres besonders, wenn sie mit dem
Radialis internus gleichzeitig wirken.
§. 184. Haskeln un Yordeimrm«. 505
Der gemeinschaftliche Fingerstrecker, Muscvlm extensor
digitorum communis, entsteht mit dem kurzen Speichcnmuskel ver-
wachsen, vom Condylus extemus humeri und der Fascia antibrachii,
trennt sich in der Mitte des Vorderarms in vier Bäuche, welche
bald plattsehnig werden, bis über die Handwurzel hinaus mit ein-
ander parallel laufen, ein für sie allein bereit gehaltenes Fach unter
dem Ligamentum carpi dorsale passiren, sodann am Handrücken
divergiren, durch breite Zwischenbänder unter sich zusammenhängen,
und am Rücken des ersten Fingergliedes in eine Aponeurose über-
gehen. Diese ist mit der Streckseite der Kapseln der Articulationes
m£tacarpO'phalangeas innig verwachsen, wird durch die seitlich an
sie herantretenden Sehnen der Musculi interossei et lumhricales ver-
stärkt, und spaltet sich auf dem Rücken der ersten Phalanx in drei
Schenkel, deren mittlerer und zugleich schwächster, am oberen
Ende der zweiten Phalanx, die beiden seitlichen erst an den Seiten
der dritten Phalanx sich befestigen. Der Muskel streckt vorzugs-
weise das erste Fingerglied.
Die Zwischen bände r der Sehnen des gemeinschaftUchen Fingerstreckers am
Handrücken, variiren in Hinsicht ihrer Lage, Breite und Stärke. Am stärksten
lind constantesten trifft man die Verbindung der Strecksehne des Ringfingers mit
jener des kleinen und des Mittelfingers. Dieses erklärt uns, wanim man, wenn
alle Finger zur Faust eingebogen sind, den Ringfinger allein nicht vollkommen
strecken kann. Zwischen der Strecksehne des Zeigefingers und jener des Mittel-
fingers fehlt in der Regel das Zwischenband. — In diesen Zwischenbändern der
Streckseluien der einzelnen Finger, liegt aiicli die Schwierigkeit, die Finger der
auf eine Tiscliplatte flach aufgelegten Hände, einzeln und schnell nach einander
zu strecken. Uebung und Geduld führen erst nach vielen misslungenen Versuchen
zum Ziele.
Der eigene Strecker des kleinen Fingers, Musculus ex-
tensoi' digiti minimi, ist an seinem Ursprünge mit dem gemeinschaft-
lichen Fingerstrecker, an dessen Ulnarseite er liegt, verwachsen,
und geht am unteren Ende des Vorderarms in eine dünne Sehne
über, welche ein eigenes Fach des Ligamentum carpi dorsale für
sich in Anspruch nimmt, und längs des Metacaiyus digiti minimi
zur vierten Sehne des Extensor communis tritt, um mit ihr mehr
weniger vollkommen zu verschmelzen.
Er fehlt zuweilen, wo dann die vom Extensor communia stammende Streck-
sehne des kleinen Fingers doppelt wird. Seine Seime kann sich auch in zwei
Schnüre theilen, welche an den Ring- und kleinen Finger treten (Säugethier-
bildung). Man sollte glauben,, dass der Besitz eines Extensor proprUis, dem
kleinen Finger eine gewisse Selbstständigkeit in der Ausftihning seiner Streck-
bewegung giebt. Allein die Verschmelzung der Sehne des Extensor proprius digiti
minimi mit der Kleinfingersehne des Extensor communis digitoi-um, stellt die
Streckung des kleinen Fingers anter die Herrschaft des Extensor communis,
imd beschränkt bei einzelnen Menschen seine Unabhängigkeit in auffallen-
der Weise.
O06 S* 18^' Maskeln am Vorderarme.
Der äiissero Ellbogenmuskel, Musculus ulnar Is extenim s.
Exteiisor caiyi ulnarisj entspringt vom Condylus exteimus humeri, und
von der Fascta antibrachü, ist mit dem Ursprung des Ekcteiuor com-
munis digltorum innig verschmolzen, liegt im grössten Theile seiner
Länge an dem Eoctensor digiti minimi genau an, folgt der Längs-
richtung der Ulna, wird im unteren Vorderarmdrittel sehnig, und
befestigt sich an der Basis des Metacarpus digiti minimi. Streckt
imd abducirt die Hand. Oftmals geht von seiner Sehne eine faden-
förmige Verlängerung zur Rückenaponeurose des kleinen Fingers.
Zwischen seinem Ursprungsbauche und dem Cajntulum radü liegt
ein Schleimbeutel.
Die liier aufgezählten Muskeln der äusseren Seite des Vorderarms folgen
in der Ordnung, wie sie aufgeführt wurden, vom Radius gegen die Ulna zu, auf
einander, und laufen unter einander und mit der Vorderarmaxe parallel. Die nun
zu beschreibenden sind zwischen sie eingeschaltet, drängen sich schief zwischen
ihnen aus der Tiefe empor, und kreuzen somit ihre Richtung.
Der lange Abzieher des Daumens, Musculus ahda<:tor pol-
licis longus, platt und ziemlich stark, taucht zwischen ExUnsor digi-
tornm communis und den beiden Radiales externi auf, entspringt vom
mittleren Theile der äusseren Fläche der Ulna, des Ligamentum inter-
osseum und des Radius, läuft, nachdem er allmälig sehnig geworden,
zugleich mit der dicht an ihm liegenden Sehne des Extetisor poUicis
brems, über die Sehnen der beiden Radiales externi schief nach vorn
und unten, und befestigt sich an der Basis des Metacarpus des
Daumens. Eine Furche an der Aussenfläche des unteren Radius-
endes, leitet die Sehne dieses Muskels zu dieser Lisertionsstelle.
Seine Sehne schickt nicht selten ein Fascikel zum Os multaw/ulum majuj*
(Fleischmann), oder zum Aftductor pollicis hvevis, selbst zum Opponenft (Meckel).
Zuweilen sieht man ihn, »einer gan:een Länge nach, in zwei Muskeln getheilt, von
welchen die Sehne des schwächeren sich unmittelbar in das Fleisch des AMuctor
jiolUcuf hreciJi fortsetzt.
Der kurze Strecker des Daumens, Musculus extensor pol-
licis brevis, kürzer und schwächer, spindelförmig, liegt an der Ulnar-
seite des vorigen, mit welchen er gleichen Ursprung und Vorlauf
hat. Schickt seine Sehne zur Aponeurose auf der Dorsalfläche der
ersten Phalanx des Daumens.
Man sieht am Präparat, dass er und «ein Vorgänger, bei der Pronations-
stellung der Hand, das untere Ende des Radius spiral umgreift. Sic können somit
durch ihre Action die Auswärtsdrehuiig der Hand unterstütz«* n, wenn iliese kräftig
ausgefiilirt werden »oll, wie beim Eintreiben eines Bohrers, oder beim Aufsperren
eines verrosteten Schlosses. — Bei sehr kräftigen, so wie bei aelir abge/.ehrten
Armen lebender Menschen sieht man, während der Daumen mit Kraft abducirt
wird, den schiefen Verlauf der dicht an einander liegenden Sehnen beider Muskeln
ganz deutlich am unteren Ende der Radialseite des Vorderarms, durch die Haut
hindurch markirt.
§. 184. Mnskeln am Vordenurme. 507
Der lange Strecker des Daumens^ Musculus extensor pol-
licis longus, nimmt seinen Ursprung von der Crista vlnae und dem
Ligavie^itum interosseum , wird bis in die Nähe des Handgelenks,
vom Extensar communis digitorum bedeckt, kreuzt mit seiner langen
und starken Sehne, die Sehnen der beiden Radiales ext&imi etwas
tiefer unten, als es die beiden vorhergehenden gethan haben, ver-
schmilzt auf der Dorsalseitc des Metacarpus pollicis mit der Sehne
des kurzen Streckers, und verliert sich mit dieser in der Rücken-
aponeurose des Daumens.
Streckt und abducirt man seinen eigenen Daumen, so sieht man zwischen
der Sehne des langen Daumenstreckers, und jenen des Extensor hrevdft und Ahductor
lorv/us, eine dreieckige Grube einsinken, welche bei älteren französischen Anatomen
la talKitikre du jtouce genannt wird.
Der eigene Strecker des Zeigefingers, Musculus indicator,
liegt an der Ulnarseite des vorigen, und bedeckt ihn zum Theil;
entspringt von der Crista und der äusseren Fläche der Ulna, und
verschmilzt am Handrücken mit der vom Extensor communis abge-
gebenen Strecksehne des Zeigefingers. '
Man findet seine Sehne, oder selbst seinen Ursprungsbauch, doppelt. Ein
Sehenkel der gespaltenen Sehne geht zum Mittelfinger (A Ibin), oder sendet selbst
ein Fascikel zum ersten Gliede des Ringfingers (Meckel). Der Muskel kann
auch fehlen, und wird durch einen besonderen kleinen Muskel ersetzt, welcher
vom Liijamentum carpi dorsale entspringt (Moser). Als Thierähnlichkeiten sind
diese Variationen niclit uninteressant, indem bei vielen Quadrumanen, der Strecker
des Zeigefingers einen Sehnenschenkel zum Mittelfinger abgiebt, oder, wie bei
Cebus, ein besonderer Strecker des Mittelfingers vorkommt
Sämmtliche über die Streckseite der Handwurzel herablaufende
Sehnen der eben beschriebenen Muskeln, werden durch einen, sechs
bis acht Linien breiten, queren Bandstreifen, — das Rückenband
der Handwurzel, Ligamentum carpi commune dorsale s, armillare,
— an die Knochen niedergehalten, so dass sie sich, selbst bei der
stärksten Streckung der Hand, nicht von ihm entfernen können.
Ich betrachte das Ligamentum carpi commune dorsale eigentlich nur
als einen durch quereingewebte Faserzüge, welche vom Griffel des
Radius zum dreieckigen und Erbsenbeine herüberlaufen, verstärkten
Theil der Fascia antibrachii. Von seiner unteren Fläche treten fünf
Scheidewände coulissenartig an das untere Ende der Vorderarm-
knochen, wodurch sechs isolirte Fächer für die Aufnahme einzelner
Sehnen dieser Gegend geschaffen werden. Diese Fächer werden
vom Radius gegen die Ulna gezählt, und enthalten, das erste: den
langen Abzieher und kurzen Strecker des Daumens, das zweite:
die beiden Speichenstrecker der Hand, das dritte: den langen
Daumenstrecker, das vierte: den gemeinschaftlichen Fingerstrecker,
und den eigenen Strecker des Zeigeiingers, das fünfte: den Strecker
508 8* 185. VaskelD an der Huid.
des kleinen Fingers, und das sechste: den Ulnarstrecker der Hand.
Sie bedingen die unveränderliche Verlaufsrichtung der Muskeln^ und
erlauben ihnen keine Verrückung, oder gegenseitige Beirrung durch
Reibung.
Wird dnrch eine plötzliche forcirte Action eines Muskels, sein Fach zer-
sprengt, so schnellt er sich aus seiner Lage, und ist bleibend verrenkt. — Alle
Fächer sind innen mit Synovialmembranen geglättet, welche darch ihr schlüpf-
riges Secret, die Reibung der Sehnen vermindern- Vermehrung und Verdickung
ihres flüssigen Inhalts kann nicht die unter dem Namen der Ueberheine be-
kannten Geschwülste am Handrücken erzeugen, weil diese immer die längliche
Gestalt der betreffenden Fächer haben müssten, welche ihnen aber niemals zu-
kommt. Die Ueberbeine (ihrer Härte wegen so genannt) sind ganz gewiss ent-
weder wirkliche Neubildungen (Cysten), oder abgeschnürte Aussackungen der Sjno-
▼ialmembran der Sehnenscheiden.
Als g^te praktische Hebung mag es dienen, nachdem man die Muskeln der
oberen Extremität studirt hat, sich die Frage zu stellen und zu beantworten,
welche Muskeln beim Amputiren an verschiedenen Stellen dieser Extremität, durch-
schnitten werden müssen, und welche ganz bleiben. Man wird daraus die Be-
wegungen entnehmen, deren der Stumpf noch föhig ist. Ebenso verfahre man mit
den Muskeln der unteren Extremität.
§. 185. Muskeln an der Hand.
An der Hand ist nun nur mehr für kurze Muskeln Platz. Sie
bilden drei natürliche Gruppen, deren eine die den Ballen des
Daumens zusammeusetzenden Muskeln, die zweite die Muskeln am
Ballen des kleinen Fingers, und die dritte die in die Zwischen-
räume der Metacarpusknochen eingesenkten Mtisculi interossei begreift.
Die Spulmuskeln (Musculi lumbricales) wurden schon beim tief-
liegenden Fingerbeuger geschildert.
A. Muskeln des Daumenhallens, Thenar.
Der kurze Abzieher des Daumens ist der äusserste, und
zugleich der oberflächlichste am Ballen, entspringt vom Lujamentum
carpi transversum, und endigt am Radialrande der Basis des ersten
Gliedes des Daumens.
Lc^pine zeigte, dass auf dem AUlnctor jmHivin hrf'visy ein bisher unbekannt
gebliebener Haiitmnskel aufliegt, welcher von der Eiidselme des Abduct«)r ent-
springt, und rfickläutig in der Haut des DaiimenbaUens sich verliert. .Seine Länge
beträgt drei bis vier Centimeter. Kr fehlt nur selten. Wir haben ihn oftmals, und
von ansehnlicher Stärke gesehen. In jeder Form seines Vorkommens, erscheint er
mir eigentlich als ein zweiter, aus der Haut des Daumenballens entspringender
Kopf des Afjductor polUcis brevit. Im Plattfuss kommt er nicht so constant vor,
und steht in derselben Beziehung zum Äbductor hallueia. Dictumn. des progrh» des
»denoes mSd, 1864.
§. 185. Voskeln an der Hand. 509
Das Wort Thenar bedarf einer Erklärung. Bivap, von OEfvco, schlagen,
bedeutet ursprünglich die flache Hand, mit welcher man schlägt und drückt.
Gegensatz avxiO^vap, Kücken der Hand. Die Fusssohle hiess O^vap zodd;, und
die Gnibe am Altar, in welche die Opfer gelegt wurden, O^vap ßwjxoO. Später
bezeichnete man mit Thenar insgesammt das kurze Muskelfleisch der Hohlhand
und des Plattfusses, welches man in der Kindheit der Anatomie, noch nicht in
einzelne Muskelindividuen zu zerlegen verstand. Man unterschied sofort an ihm
einen eigentlichen Themir (Fleisch des Daumens), einen HypoÜienar (Pleisch des
kleinen Fingers), und einen Mesolhenar (Fleisch zwischen den Metacarpusknochen).
Als man aber die Muskeln der Finger und Zehen genau isolirte, und sie nach
ihrer Wirkungsart benannte (Adductor, Ähductor, Flexor, Opponent), wurden die
alten Namen Thenar und Hypothenar für die Gesammtheit dieser Muskeln
aufgelassen, und nur für die Ballen des Daumens und Kleinfingers noch bei-
behalten. Bei den Arabisten lese ich für Thenar, auch Ir, welches Wort als
Hir, schon in Cicero vorkommt (Fin. 2, 8, 23), und oflfenbar das latinisirte
ydp ist.
Der Gegensteller des Daumens wird vom vorigen bedeckt,
hat mit ihm gleichen Ursprung, und heftet sich an den Radialrand
und das Köpfchen des Metacarpus pollids.
Der kurze Beuger ist zweiköpfig. Der oberflächliche
Kopf, welcher fast immer mit dem Gegensteller mehr weniger ver-
wachsen ist, entsteht vom queren Handwurzelbande, der tiefe Kopf
vom Os multangulum majtts, capitatum, und hamatum. Beide Köpfe
fassen eine Rinne zwischen sich, in welcher die Sehne des Flexor
pollicis longua sich einbettet, und setzen sich an beiden Rändern
der Basis des ersten Gliedes des Daumens fest. Die beiden Ossa
sesamoidea sind mit den Endsehnen beider Köpfe verwachsen. Er
ist dem Flexor digltoimm perforatus oder sublimis der übrigen Finger
analog, während der lange Beuger des Daumens dem Flexor per-
forans oder profundus entspricht.
Der Zuzieher des Daumens liegt tief im Grunde der Hohl-
hand, bedeckt von den Sehnen der Fingerbeuger, lässt sich vom
tiefen Kopfe des kurzen Beugers oft nicht trennen, entspringt breit
vom Metacarpus des Mittelfingers, und heftet sich zugespitzt an das
innere Sesambein des ersten Daumengelenks. Der freie Rand der
Hautfalte, welche sich spannt, wenn der Daumen stark abducirt
wird, schliesst den freien Rand dieses dreieckigen Muskels ein.
B, Muskeln des Kleinfingerballens, Hypothenar.
Bei der sorgfältigen Präparation der Muskeln am Kleinfinger-
ballen, findet man zuerst einen im subcutanen Bindegewebe ein-
gelagerten viereckigen, und als Palmari^ brems benannten Muskel
voi-, welcher vom Ulnarrande der Aponeurosis palmaiis (§. 186) aus-
geht, mit drei bis vier quergerichteten Bündeln die Muskeln des
Kleinfingerballens überkreuzt, und sich in der Haut am Ulnarrande
510 §. 185. MoBkeln an der Hand.
der Hand verliert. Er ist es, welcher durch seine Contraction, das
mehrfach grubige Einsinken der Haut am Ulnarrande der Hand
bewirkt, wenn diese mit Kraft zur Faust geschlossen wird. Nach
seiner Entfernung lassen sich am Kleinfingerballen folgende drei
kleine Längenmuskeln isoliren.
Der Abzieher liegt am Ulnarrande der Hand, entspringt vom
Os pmforme, und tritt an die Basis des ersten Gliedes des kleinen
Fingers, theilweise auch zur Rückenaponeurose dieses Fingers.
Der kurze Beuger geht vom queren Handwurzelbande und
vom Haken des Hakenbeins zur selben Ansatzstelle, wie der vor-
genannte, mit welchem er sehr häufig verschmilzt. Aber selbst in
diesem Falle deutet ein kleiner Schlitz, durch welchen der Hohl-
han dast des Nervus ulnaris und der gleichnamigen Arterie hindurch-
tritt, die Trennung beider Muskeln an.
Der Gegenstell er des kleinen Fingers, unrichtig auch als
Zuzieher angeführt, entspringt wie der kurze Beuger, von welchem
er bedeckt wird, ist aber mehr gegen die Mitte des Handtellers
gelagert, und endigt am Mittelstück und am Köpfchen des Meta-
carpus digiti minimi,
C. Die Zwischenknochenmuskeln , Musculi interossei,
Sie zerfallen in innere und äussere. Innere finden sich
drei. Sie entspringen nur an einer Seitenfläche eines Mittelhaud-
beins, vei^schliessen somit das Spatium interosseuin nicht vollständig,
und erlauben dadurch den äusseren Zwischenknochenmuskeln sich
bis in die Hohlhand vorzudrängen. Der erste Interossem internus
entspringt von der Ulnai*fläche des Metacarpus indicis, der zweite
und dritte von der Kadialfläche des Metacarpus des Ring- und
kleinen Fingers. Ihre Endsehnen steigen neben den Köpfchen der
betreffenden Mittelhandknochen zur Rückenfläche des ersten Finger-
gliedes empor, und verlieren sich in dessen Rückenaponeurose. Sie
ziehen die ausgespreiteten Finger gegen den Mittelfinger zu. —
Aeussere finden sich vier, in jedem Interstitium interosseuin einer.
Sie entspringen von den einander zugekehrten Flächen je zweier
Ossa metacaTpiy füllen also ihren Zwischenraum ganz aus, und lassen
vom Handrücken her die Interossei interni nicht sehen. D(*r erste
geht zur Radialseite der Rückenaponeurose des Zeigefingers, der
zweite und dritte zur Radial- und Ulnarseite der Rückenaponeu-
rose des Mittelfingers, und der vierte zur Ulnarseite derselben
Aponeurose des Ringfingers. Die zwei Antheile des ersten Iiüer-
osseus externuSy welche am Metacarpus pollicis und indicis entstehen,
bleiben länger von einander getrennt, als jene der übrigen, — ein
Grund, warum man den vom Mittelhandknochen des Daumens
§. 186. Faacie dar oberen Eztremit&t. 51 1
entspringenden Antheil des ersten Interosseus extemus^ imger Weise
auch als Musculus ahductor indicls beschrieb, und den vom Mittel-
handknochen des Zeigefingers kommenden Antheil, als ersten hder-
osseu^ interrms gelten liess, wonach somit nur drei Externi, aber vier
Interni angenommen wurden (Alb in). Die Interossd extermi ziehen
die Finger vom Mittelfinger ab, und spreiten sie aus.
Die Wirkung der Mwtctdt int^ronsei interni et ex/^emi, und ihr Zahlenver-
bältniss, wird am besten folgendennassen anfgefasst. Jeder Finger muss der
Mittellinie der ganzen Hand, deren Verlängerung durch den Mittelfinger geht,
genähert, d. i. adducirt, und von ihr entfernt, d. i. abducirt werden können. Die
vier hUerosaei externi sind ßUmmtlich Abductores, die drei interni Adductores.
Das macht sieben. Da der Daumen bereits seinen besonderen Adductor hat, so
war nur mehr fftr den Zeige-, Ring- und kleinen Finger ein eigener Adductor
nöthig (also drei Intero^aei interni), um diese Finger dem Mittelfinger zu nähern.
Da ferner der Daumen und der kleine Finger, je einen besonderen Abductor be-
sitzen, mussten die drei mittleren Finger, eigene Abductoren erhalten, und zwar
deren vier, weil der Zeige- und Ringfinger nur nach Einer Seite, der Mittelfinger
aber nach zwei Seiten, radialwärts und ulnarwärts, von der durch ihn gehenden
Mittellinie der Hand entfernt werden kann. — Wenn, wie eben gesagt, der Inter-
(MseuA externuü primiis den Zeigefinger abducirt, so kann sein Zeigefingerkopf nicht
nach Albin als erster InteroMseus internus genommen werden, denn alle Intero»sei
interni sind Adductoren.
§. 186. Fascie der oberen Extremität
Die fibröse Fascie oder Binde der oberen Extremität zerfUllt
in die »Schulterblatt-, Oberarm-, Vorderarm- und Handfascie,
welche ununterbrochen in einander übergehen, und einerseits eine
complete fibröse Hülle für die vier Abtheilungen der oberen Extre-
mität bilden, so wie andererseits durch coulissenartig in die Tiefe
eindringende Fortsetzungen, Scheidewände zwischen einzelnen Muskel-
gruppen der Extremität erzeugen. Zwischen Fascie und Haut lagert
noch ein anatomisch darstellbares Blatt verdichteten Bindegewebes,
welches als Fascia superficialis von der eigentlichen fibrösen Fascie
unterschieden wird.
Die Fascie des Schulterblattes, Fascia scapuluris, welche
das ganze Schulterblatt umhüllt, verwandelt die Fossa supra- et
infraspinata, und die Fossa subscapulain^, in ebenso viele Hohlräume,
welche durch die gleichnamigen Muskeln ausgeiiillt werden. Man
unterscheidet somit eine Fascia supraspinata, infraspinata, und sah-
Hixip^daris, Letztere ist viel schwächer, als die beiden anderen. Sie
hingleiten die von ihnen bedeckten Muskeln zu ihren respectiven
Insertionen am (Jberarm, imd verlieren sich theils in die Fascie
des Oberarms, theils aber auch in die fibröse Kapsel des Schulter-
gelenks. Die Fasda infraspinata erzeugt zwei Fortsetzungen, von
512 f. IM. FMci« der oUm Eztrcaittt.
weichen die stärkere zwischen den Tere8 major und minor, die
schwächere zwischen leres minor und Infrcupinatus eindringt.
Die Fascie des Oberarms, Fascia brachü, entspringt an den
IJrH|>rungK|iunkten des Deltamuskels. Sie hängt vorn mit der dünnen
Fascie, wcdche den grossen Brustmuskel überzieht, hinten mit der
FaHc-i(», welche den MxlscuIus infraspincUus bedeckt, zusammen. Sie
dedoublirt sich, um den Deltamuskel mit einem hoch- und tief-
liegenden Blatte zu umschliessen. Vom äusseren Kande des grossen
Brustmuskels geht sie zu demselben Kande des Latisdmus dorsi hin-
über, und bildet während dieses Ueberganges, einen bogenförmigen,
den (iefllssen und Nerven der Achselhöhle zugekehrten und sie
überspannenden Rand, — den Achselbogen. Ein Antheil der
Fascia coraco^ectoralis, welcher sich an die Fasda hrachii ansetzt,
zieht dieselbe so stark in die Achselgrube hinein, dass die mit ihr
verbundene allgemeine Decke ihr nachzufolgen gezwungen wird,
und als Achselgrube, Fovea axillaris, einsinken muss, in welcher
die Arteria und Vena axillaris, der Plexus axillaris der Armnerven,
und reichliches Bindegewebe enthalten ist, in dessen Maschen
Iiymj)hdrÜ8en lagern: Gl, alares, contrahirt für axillares, wie Cicero
sagt: ita vestra a^dlla ala facta est, elisione literae vastioris, (Litera
vasta ist das scharfklingendc X.) — Unter der Insertion des Delta-
muHkels wird die Fascie durch Antheile der Sehnen des Deltoides,
PecUrrali^ major, Ijotissimus dorsi verstärkt, welche Muskeln somit
(?inen spannenden Kinfluss auf sie ausüben. Sie schickt zur äusseren
und inneren Kante des Oberarmknochens, bis zu den Condylis
luTab, zwei Fortsetzungen in die Tiefe, welche natürliche Scheide-
wand** zwischen den Bezirken der Strecker und Beuger des Vorder-
arms vorstellen. Sie heissen IJyam^ita intermxAScularia, ein extemum
und ii)tm*num. Das extemum erstreckt sieh von der Insertionsstelle
dos Deltanmskels bis zum (Jondylus extemus herab; — das internum
vom Ansatzpunkte des i\traco-bra<:hialis bis zum Condylns intei*i}us,
und ist breiter und stärker als das extemum. Zwischen Biceps und
Jirachialis internus wird ein drittes Blatt (juer eingeschoben, welches
mit der die» (Jeiasse und Nerven im iSulcus bicipitidis internus um-
hüllenden Bindegewebsseheide im Zusammenhange steht.
Die Faseie des Vorderarmes, Fascia antibradui, wird am
Kllbogen durch Aufnahme der von den Sehnen des Bieejjs und
Trieeps stammenden Verstärkungsbündel, und durch Ringfasern,
welche längs des hintert»n Winkels der Ulna entspringen, bedeutend
vt^rstärkt. Sie lässt selbst das Fleisch der um das Ellbogrngelenk
gruppirten Muskeln, welche am Knochen nicht genug Platz zum
Urspi*ung fanden, von ihrer inneren Fläche entspringen, und schiebt
»wischen ihre Bäuche »ahlreiehe tibK>se Fortsätze zu demselben
Zweck ein. Die Abgangsatellen dieser Fortsätze können schon bei
S. 186. Fucie der oberen EztremiUt. 513
äusserer Ansicht einer wohlpräparirten Faseie, als weisse Sti'eifen
erkannt werden. — An der Aussenseite des Vorderarms ist sie
doppelt so stark, als an der Innenseite. In der Ellbogenbeuge liegt
sie nur lose auf den Gofilssen und Nerven der Plica cubifi, von
welchen sie durch fettreiches Bindegewebe getrennt wird, besitzt
hier eine grössere OefFnung, durch welche die tiefliegenden Brachial-
venen mit der extra fasdam gelegenen Vena mediana, durch einen
ansehnlichen Verbindungsast communiciren, und adhärirt fester an
die Muskeln, welche die Seiten der Ellbogengrube bildeu. Fast alle
Muskeln des Vorderarms, und die zwischen ihnen laufenden Gefiisse
und Nerven, erhalten Scheiden von ihr. Besondere Erwähnung
verdient ein zwischen der ersten und zweiten Schichte der Muskeln
an der inneren Vorderarmseite durchziehendes Blatt der Fasda anti-
bra^chü, welches um so stärker erscheint, je näher dem Carpus man
dasselbe untersucht. — In der Nähe der Arüeulatio carpi verdichtet
sie sich zum Ligamentum carpi commune dorsale et volare. Das
dorsale verhält sich zu den unter ihm durchgehenden Streckmuskeln,
wie im §. 184 schon gesagt wurde; das volare liegt auf dem Liga-
mentwn carpi transversum seu proprium auf, verschmilzt theilweise mit
ihm, und wird von ihm, gegen den Radius zu, durch die Sehne des
Radialis internus, gegen das Erbsenbein zu, durch den Nervus und
die Arteria ulnaris, und in der Mitte durch die Sehne des Palmaris
longiis getrennt. Das Ligamentum carpi dorsale setzt sich in die
Dorsalaponeurose der Hand fort, welche ein hochliegendes, die
Strecksehnen deckendes, und ein tiefes, etwas stärkeres, die
Rückenfläche der Musculi interossei überziehendes Blatt unter-
scheiden lässt.
Das Ligamentum carpi commune volare hängt mit der Aponeu-
rose der Hohlhand (Aponeurosis palmaris) zusammen, welche die
Weichtheile in der Hohlhand zudeckt, in der Mitte des Handtellers
am stärksten ist, auf der Muskulatur des äusseren und inneren
Ballens der Hand sich verdünnt, und am Ulnar- und Radial rande der
Hand, mit der Dorsalaponeurose sich in Verbindung setzt. Der mitt-
lere, die Beugesehnen der Finger deckende Antheil der Aponeurose
ist dreieckig, kehrt seine Spitze der Sehne des Palmaris longus zu,
welche in sie übergeht, und divergirt, gegen die ersten Finger-
gelenke hin, in vier durch Querfasern verbundene Zipfe, welche
thcils mit den fibrösen Scheiden der Sehnen der Fingerbeuger zu-
sanimenfliessen, theils in jene prallen Fettpolster der Haut übergehen,
welche beim Hohlmachen der Hand an den Köpfen der Mittelhand-
knochen bemerkbar werden (Monticuli der Chiromanten).
Einzelne Abtheilangen der erwähnten Fascien, omschliessen als Scheiden die
Mnsknlatnr so fest, dass, wenn sie eingeschnitten werden, das Mnskelfleisch über
die Oefihung der Scheide TorqniUt Dieses Vorquellen wird, wenn die Oeffnung
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. 83
514 S. 187. AIlgeinein(> Betrachtnni; der nnUren Extremität.
der Scheide ein zufällig entstandener Riss ist, von den Chinirgen Muskelbruch
(Hemia mutcularia) genannt, und wurde namentlich am Supinator Icmyuti schon
mehrmals gesehen. — Da die grossen Gefösse und Nerven innerlialh der Fascien
liegen, so müssen für die zur Haut gehenden, oder von der Haut kommenden
Aeste derselben, Oeffnungen vorhanden sein, welche erst in der Gefass- und Nerven-
lehre näher bezeichnet werden können. — Die Festigkeit und Unnachgiebigkeit
der Fascien am Ellbogen und in der Hohlhand, erklärt hinlänglicli die heftigen
Zufälle, welche gewisse tiefliegende Entzündungen und Eiterungen veranlassen,
und rechtfertigt die frühzeitige Anwendung des Messers bei Abscessen unter diesen
Fascien. — Die vielen Fortsätze, welche die Fascie der oberen Extremität in die
Tiefe sendet, sind der Grund, warum man sie beim Amputiren nicht zugleich mit
der Haut von den Muskeln lospräparirt, sondern die Haut allein, ohne Fascie, als
Manschette zurückschlägst.
G. Muskeln der unteren Extremität.
§. 187. Allgemeine BetracMung der unteren Extremität
Dio untere Extremität, welche die Last des Stammes zu stützen
und zu tragen hat, benöthigte aus diesem Gründe grössere Länge
und Stilrkü. Aus demselben Grunde wurde sie auch mit viel kraft-
voiiernn Muskeln ausgestattet, und auf eine viel weniger bewegliche
WeJHe mit dem Stamme verbunden, als die obere. Ihre Länge, im
Vergleich zur oberen, liefert den triftigsten Beweis gegen Moscati's
possierlichem, aber in allem Ernste aufgestellte Behauptung, dass der
(iang auf allen Vieren der naturgemässe, und jener auf zwei Füssen
nur eine üble Angewohnheit des Menschen sei. Moscati selbst hat
es übrigens bequemer gefunden, auf zwei Füssen zu gehen, und wie
andere Menschenkinder zu leben, statt auf vieren zu kriechen, und
pectidum more in grüne Krautköpfe zu beissen.
Das der ersten Abtheilung der unteren Extremität, der Hüfte,
zu Grunde liegende Hüftbein, verbindet sich durch eine feste
Symphyse mit dem Kreuzbein des Rückgrates. Dadurch wird der
ganze Apparat von Muskeln, welcher an der oberen Extremität die
bewegliche Schulter tixiren musste, an der unteren entbehrlich. Da-
gegen erreichen die vom Darmbein und Sitzbein zum Oberschenkel
gehenden Muskeln, welche das Becken auf den Schenkelköpfen
beim aufrechten Gange balancirend festhalten, eine Stärke, welche
mit dem zu dieser Thätigkeit erforderlichen Kraftaufwande im Ver-
hältnisse steht. Dadurch wird denn auch die starke Wölbung der
Fleischmassen der Hinterbacken, Nates s, Clunes (^Gesäss, sedes)^ ge-
geben, welche nur dem menschlichen Geschlechte eigen ist, wie
Buffon sagt: les fesses nappaHiennent qua Vegpece humcUne. —
Beide Hinterbacken berühren sich in der Spalte des Gesässes,
S- 187. Allgemeine Betrachtung der unteren Extremität. 5] 5
welche den After birgt. Vor dem After liegt das Mittelfleisch,
Perineum, welches beim Manne sich bis zur Basis des Hodensacks
erstreckt, beim Weibe aber nur bis zum hinteren Winkel der
Schamspalte reicht. Bei ausgezehrten Individuen schlottert die
hängende Hinterbacke, und wird vom Oberschenkel durch eine
tiefe, schief vom Steissbeine gegen den grossen Trochanter ge-
richtete Furche, den Svicus »ubtschiacUciis, getrennt, welcher bei der
Fülle und Prallhcit eines vollen und harten Gesässes, weniger tief
erscheint.
Die mächtigen Muskellager und das subcutane fettreiche Binde-
gewebe des Gesässes, lassen nur die Crista des Darmbeins, und, bei
zusammengekauertem Stamme, auch das Tuber ossis üchii fühlen.
Die dicke Haut des Gesässes kann man bei fetten und kerngesunden
Menschen weder falten noch zwicken. Sie verdünnt sich gegen den
After, wo sie viele Talgdrüsen enthält, und wird auf dem Mittel-
fleische so zart, dass man die subcutanen Venen durchscheinen
sieht. Das Bindegewebe unter der Haut erreicht durch Fettablage-
rung eine bedeutende Dicke, und schliesst zuweilen auf dem Tuber
ischii, so wie an der Spina ossis üei anterior superior, eine Bursa
mucosa subcutanea ein. Bei den Frauen der Buschmänner und
einigen AfFengeschlechtern, geht diese Fettwucherung in*s Monströse.
Cuvier hat das enorme Gesäss von der bekannten Venus hotten-
tottica in Paris abgebildet.
Das dicke Fleisch des Oberschenkels hüllt das Femur so voll-
kommen ein, dass nur der grosse Trochanter, und die beiden Con-
dylen am unteren Ende, der befühlenden Hand zugänglich sind, und
ersterer deshalb bei der Ausmittlung von Verrenkungen des Hüft-
gelenks, einen sehr verlässlichen Orientirungspunkt abgiebt. — In-
dem die Muskeln am Oberschenkel, gegen das Knie herab, sämmt-
lich sehnig werden, so vermindert sich der Umfang des Schenkels
in derselben Richtung, und man kann am Knie, die Enden des
Ober- und Unterschenkels, die Kniescheibe, die Spina tibiae, das
Ligamentum, patellae proprium^ und selbst die Seitenbänder des Knie-
gelenks, bei manueller Untersuchung fühlen. — Man findet die Haut
an der äusseren Seite des Oberschenkels dicker, und minder empfind-
lich, als an der inneren, wo sie sich, besonders gegen das Leisten-
bund zu, so verdünnt, dass man bei mageren Schenkeln die Leisten-
drüsen, die Hautvenen, ja selbst den Pulsschlag der Artena femoralis
wehen kann. Auf der Kniescheibe wird sie hart und rauh, und bei
häiiHgein Knieen schwielig. — Das Unterhautbindegewebe ist über
dem grossen Trochanter und auf der Kniescheibe immer fettarm,
und enthält an beiden Stellen eine Bursa mucosa subcutanea. Unter
der Bursa mucosa auf der Kniescheibe, liegt noch eine zweite (siehe
§. 190). Diese Schloimbeutel veranlassen, durch copiöse Secretion
33*
516 §. 188. Maskeln an der Hüft«.
ihres Inhaltes, die unter dem Namen des Hygroma cysticum patdlare
bekannte chirurgische Krankheitsform, welche, da sie bei Dienst-
boten, welche den Fussboden zu scheuern haben und dabei auf
den Knieen herumrutschen, häufig vorkommt, in England ,,the
housefniaids hiee^ genannt wird. — An der hinteren Gegend des
Blniegelenks fühlt man bei den Beugebewegungen, die Sehnen der
Unterschenkelbeuger sich anspannen, und eine dreieckige, nach
oben spitzige Grube begrenzen, welche als Wiederholung der Pltca
cubiti, den Namen Kniekehle, Fossa poplitea (bei den Engländern
„the hollow of the hg'*) führt.
Der Unterschenkel gleicht noch viel mehr, als der Ober-
schenkel, einem abgestumpften Kegel, dessen Spitze dem Sprung-
gelenke, dessen Basis dem dicken Fleische der Wade entspricht.
Nur der Mensch erfreut sich so muskelstarker Waden, des auf-
rechten Ganges wegen. Plinius sagt: homini tantum surae caniosae
sunt, — An der äusseren Seite des Unterschenkels findet sich, nach
oben zu, noch kräftiges Muskelfleisch vor; — nach unten zu, wird
das Wadenbein schon fühlbar. An der inneren Seite deckt nur
Haut und Fascie das leicht zu fühlende Schienbein.
Der Fuss besitzt an seiner Dorsalgegend ein dünnes und sehr
verschiebbares Integument, durch welches die Sehnen der Streck-
muskeln, und die Vorsprünge der Knochen dem Gefühle zugänglich
werden. — In der Fusssohle, Planta, treffen wir die unverschieb-
bare Haut an der Ferse und am Ballen der Zehen sehr dick, die
Epidermis über zwei Linien Mächtigkeit verhornt, und das reichlich
mit tendinösen Balken durchzogene Unterhautbindegewebe, lässt die
tiefer liegenden Gebilde nicht durchfühlen. Unter der Tvherositas
ealcaneiy und den Köpfen des ersten und fünften Metatarsusknochens
liegen subcutane Schleimbeutel, deren Entstehung nicht dem Drucke
zuzuschreiben ist, welchen diese drei Punkte beim Gebrauche des
Fusses zum Gehen und Stehen auszuhalten haben, indem sie schon
im neugeborenen Kinde vorhanden sind.
§. 188. Muskeln an der Hüfte.
Es werden unter dem Namen der Hüftmuskeln nur jene
verstanden, welche die äussere und innere Fläche des Hüftbeins
einnehmen, und am oberen Ende des Oberschenkels endigen. Viele
der vom Hüftbeine entspringenden Muskeln, gehen weiter am
Schenkel herab, überspringen sogar das Kniegelenk, um am Unter-
schenkel anzugreifen, und werden deshalb nicht zu den Hüftmuskeln
gezählt, sondern unter den Muskeln an der vorderen und hinteren
Seite des Oberschenkels in den folgenden Paragraphen beschrieben.
§. 188. Maskelii an der Hftfto. 517
A, Aeussere Muskeln der Hüfte.
Der grosse Gesässrauskel, Glutaeus magnus (y^^outo^, Hinter-
backe), kommt zuerst nach Entfernung der Haut am Gesässe zum
Vorschein. Er hat eine rautenförmige Gestalt, und entspringt vom
hinteren Ende der äusseren Darmbeinlefze , von dem die hintere
Kreuzbein fläche deckenden Blatte der Fascla lumbo-dorsalü , dem
Seitenrande des Steissbcins, und dem Ligamentum tuberoso-sacrum.
Seine zahlreichen, parallelen, groben, und locker zusammenhalten-
den Bündel, bilden gewöhnlich eine Muskclmasse von einem Zoll
Dicke, welche schräge nach aussen und unten herabzieht, und in
eine breite starke Sehne übergeht, welche sich theils an dem oberen
Ende der äusseren Lefze der Linea aspera femx)ris festsetzt, theils
in die Fascia lata übergeht. Zwischen seiner Endsehne und dem
grossen Trochanter, liegt ein ansehnlicher, einfacher oder gefächer-
ter Schleimbeutel, dem im weiteren Laufe der Sehne noch zwei
bis drei kleinere folgen.
Tiedemann (MeckeVs Archiv für Physiologie, 4. BcL) sah ihn auf beiden
Seiten doppelt bei einem Manne, bei welchem auch der Cucullaris und Pectoralis
doppelt waren. — Bei aufrechter Stellung decken seine imteren Bündel den Sitz-
knorren, und gleiten beim Niedersitzen von ihm ab, so dass die Last des Körpers
den Muskel nicht drückt. Es kann deshalb der quere Durchmesser des Becken-
ansganges am Lebenden, nur im Liegen, mit gegen den Bauch angezogenen
Schenkeln, ausgemittelt werden. ~ Alle guten lateinischen Autoren schreiben
nicht Oluteus, sondern Glutaeus, nach dem aus y^outo; gebildeten Adjectiv
yXouTau);, d. i. zum Gesäss gehörig.
Der mittlere Gesässmuskel, Glutaeus mediiiSy ü^gt unter
dem vorigen, welcher jedoch nur seine hintere Hälfte bedeckt. Er
entspringt vom vorderen Thoile der äusseren Darmbeinlefze, welche
der Glutaeus magnus frei lies», ko wie von joner Zone der äusseren
Darmbeinfläche, welche zwisclM'n der TVista und der Linea semi-
circulans externa liegt, steigt mit crnivergenten Faserbündeln gerade
abwärts, und setzt sich mit ciiior kurz<*n starkf^n Sehne an die Spitze
und die äussere Fläche des grosHcii Trocliaiiter fest (Schleimbeutel).
Ein unconstantes, von der Spimi anterior inferürr des Darmbeins zur
Hüftgelenkskiipsel ziehendes Muskelbrindel, wurde von Haugthon
als Glutaeus quartus beschrieben.
Der kleine Gesässmuskel, Glutaeus minimus, gleicht einem
entfalteten Fächer. Er liegt, vom inittler(;ii bedeckt, auf der äusse-
ren Darmbeinfläche auf, von w<;I(!1mt er, bis zur Limta samicircu'
larls ea^tenui hinauf, entspringt. Er zeugt, wenn er rein präparirt
ist, das strahlige Ansehen des Musculus temporalis, und befestigt
sich an die innere Fläche der Spitze des Trochanter major (Schleim-
V
51^ S. 188. Muskeln an der Hlifte.
Alle drei Glutaei sind Abductores fenioris. Der nvagnu« zieht üherdie« den
Schenkel nach hinten; die vorderen Fasern des medius und minimua rotiren ihn
nach innen. Ist der Schenkel fixirt, so bewegen sie das Becken auf den Schenkel -
köpfen, oder halten e3 auf denselben fest, um den aufrechten Stamm beim Gehen
und Stehen zu balaneiren.
Der vordere Band des Glutaeus magniia grenzt an den Span-
ner der Schenkelbinde, Tensor fasciae latae, geht vom vorderen
oberen Darmbeinstachel aus, steigt gerade vor dem grossen Tro-
chantcr herab, und pflanzt sich in die Fascia lata ein. Spannt die
Fasoie, und hilft den Schenkel einwärts rollen. Kr gehört streng
genommen nicht dem Gesässe, sondern der äusseren Seite des
Oberschenkels an.
Der b i r n f ö r in i g e Muskel, Musculus pifriform is s. pt/ra midalis,
entspringt in der kleinen Beckenhöhle von der vorderen Fläche des
Kreuzbeins, in der liegend des zweiten und dritten vorderen Fora-
mefi sacrale. Er tritt aus der Beckenhöhle durch das Foramen
üchiadicuin mnjus heraus, streift in fast querer Richtung an der hin-
teren Fläche der Hüftgelenkskapsel vorbei, und befestigt sich mit
einer kurzen rundtMi Sehne unterhalb des Glutaeus minimus (Schleim-
beutel). Rollt den Schenkel auswärts. Ich sah ihn auf beiden Seiten
fehlen.
An ihn schliesst sich nach unten an: der innere Ver-
stopfungs- oder besser Hüftbeinlochmuskel, Musculus obtu-
r€Uoi* s. ohturatorius internus, welcher gleichfalls in der kleinen
Beckenhöhle, vom Umfange des Forainen obtur<itum, und theilweise
von der inneren Fläche des Verstopfungsbandes entspringt, seine
Fleischbündel gegen das Forainen ischiadicum nwius zusammendrängt,
und hier in eine Sehne übergeht, welche, während sie das genannte
Foramen passirt, sich um die Inclsura iscluadica minor wie um (nne
Rolle herumschlägt, und quer über die hintere Wand der llüft-
gelt^nkskapsel, zur Fossa trodianterica ablenkt, (jleich nach dem
Austritte aus dem Foramen ischiadicum minus, erhält diese Sehne ein
Paar muskulöse Zuwüchse, — die beiden Zwillingsmuskeln,
Gemelli, — welche ich als subalterne, extra pelvim beündliciie ITr-
sprungsköpfe des Obturator betrachte. Der obere kommt von der
Spina, der untere von der Tuherositas ossis ischii, Sie hüUen mit
ihrem Fleische die Sehne des Ohturatorius internus vollständig ein,
und verschmelzen mit ihr, bevor sie iiiren Insertionspunkt in der
Fossa trochanterica erreicht. Obturator internus und Gemelli rollen
nach aussen.
Die Richtunf^ des OUurator internuJt ist keine geradlinige. Der innerhalb
und der ausserhalb des Beckens liegende Antheil dieses Muskels bilden mit ein-
ander einen Winkel, welcher in die Iticutura ischiaduu miiwr fallt. Hier ali^o niuss
sich die Sehne des Muskels am Knochen reiben, welcher deshalb mit einem knor-
peligen Ueberzuge versehen wird, auf welchem die Sehne mittelst eines zwischen-
§. 188. Mnskeln an der Uftfte. 519
Hegenden Schleimbeiitel!* gleitet. Häufig ist dieser Knorpelüberzug der Incisura
ischiaiUca minor durch scharfe Riffe, deren Richtung mit der Richtuugslinie der
Sehne übereinstimmt, in mehrere Furchen getheilt, welchen entsprechend, die
Sehne de« Ohhwator intei'uuj* in eben so viele neben einander liegende Bündel
gespalten erscheint. — Der obere Zwillingsmuskel fehlt als Atfenälmlichkeit.
Meckel vermieste sie beide (Regel beim Schnabelthier imd bei den Fledermäusen).
R. Columbus und Spigelius betrachteten beide Gemelli als Einen Muskel,
welcher die Sehne des Obturatorius beutelartig einhüllt, und gaben ihm deshalb
den Namen: Marstipium canieum (fleischiger Beutel). Lieutaud nannte den
Muskel, wahrscheinlich seiner gefurchten Sehne wegen, le CanneU, — Da der
fleischige Urspning des OfUuratoriu/t iiUenuis, in der Beckenhöhle liegt, so wird
seine Präparation unter Einem mit jener des Psocm und Iliaciu intemtu vor-
genommen.
An den Gemelhcs inferior sehliesst sich der viereckige
Schenkel muskel, Musculus quadraUis femoris, an, welcher in trans-
versaler Richtung, vom Sitzknorren zur Linea intertrochantericfi posterior
geht. Er ist, seiner wagrecht zum Femur gehenden Richtung wegen,
gewiss der kräftigste Auswärtsroller.
Er deckt den Obturator extermm zu, welcher aber nicht von hinten her,
sondern viel bequemer von vorn her präparirt werden soll, und deshalb erst nach
Bearbeitung der Muskeln an der inneren Seite des Schenkels, dargestellt werden
kann. — Riolan machte aus dem Pyriformis, den beiden Gemelli, und dem
Quadratus, einen einzigen Muskel, welchen er Qtuulrif/eminiis nannte.
Der äussere H ii f t b e i n 1 o c h m u s k e 1 , Muscidus obturator s.
obturatorius extermis, platt und dreiseitig, entspringt vom inneren
und unteren Umfange des Foramen ohturatum, aber nicht von der
Membrajia obturatoria, welche er blos bedeckt. Seine quer laufenden
und nach aussen convergircndon Faserbündel, gehen dicht an der
hinteren Wand der llüftgoloiikskapsel vorbei, und bilden eine runde,
starke Sehne, welche sich am Grunde der Fossa trochanterica inse-
rirt. Wirkt, wie seine Vormänncr, auswärtsrollend auf den Schenkel,
oder, bei Hxirtem Schenkel, drehend auf das Becken, wenn man
auf einem Fusse steht.
B, Innere Muskeln der Hüfte.
Der i^ r o s s e L e n d e n m u s k e 1 , Musculus psoas major (r^ »j^s a.
Inende), entspringt von der SeitciiHächc und den Querfortsätzen des
letzten Brustwirbels, und der vier oberc^n (^öfters aller) Lendenwirbel,
so wit* von den IntrTvertebralscheibcn derselben. Dieser fleischige
Ursprung l)ildct einen konischen, nach abwärts sich verschmächtigen-
den Muskelk<irper, wehdier über der Sf/mpht/si^ sacro-iliaca sehnig
wird, unter dem Poupart'sehen Bande, zwischen der Spina anterior*
üifi'riur und dem lulnirrnlum ileo-pecj ineum , aus der Beckenhöhle
hervor tritt, worauf vx MJch nach innen und unten begiebt, um den
520 5. 188- Muskeln an der Hüfte.
kleinen Trochanter zu erreichen, welchen er nach oben und vorn
zieht, dadurch den Schenkel auswärts rollt, und dann auch beugt.
Zwischen ihm und dem nächstfolgenden findet sich bisweilen ein kleinerer
accessorischer Lendenmuskel , Paoas parvus, welcher von den Querfort-
sätzen der oberen Lendenwirbel entsteht, und seine schmale Sehne an jene des
Paoaa major treten lässt. — Das feinfaserige, zarte, saftige, ron keinen Sehnen-
£ftsem durchsetzte, aber von mehreren Aesten des Plextis nerüontm lumbalium
durchbohrte Fleisch des Paoaa major, macht den Lenden- oder Limgenbraten des
Rindes (heefateak), so beUebt.
Der innere Darmbeinmuskel, Musculus iliacus internus,
nimmt die ganze concave Fläche des Darmbeins ein, von welcher
er, so wie vom Labium intemum der Crista entspringt, wird im
Herabsteigen gegen das Poupar tische Band schmäler, aber dicker,
und inserirt sich, ohne eine eigene Endsehne zu besitzen, an die
Sehne des Psocts major. Wirkt wie dieser. In der Furche zwischen
Psoas und Iliacus lagert der Nervus cruralis.
Die den Iliacus internus bedeckende und mit ihm gleichen Ur-
sprung nehmende Fascia üiaca, kann durch einen schlanken, vom
letzten Rücken- und ersten liCndenwirbel entspringenden Muskel —
den kleinen Lendenmuskel, Psoas minor — angespannt werden,
welcher anfangs auf der vorderen Seite des Psoas major aufliegt,
dann sich aber an dessen inneren Rand legt, und seine lange, platte
Sehne, theils an die Grenzlinie des grossen und kleinen Beckens
schickt, theils sie mit der Fascia ilia^ca zusammenfliessen lässt.
Fehlt öfters.
Ich nehme den Psoas und Iliacus, als Köpfe eines zweiköpfigen Muskels,
und nenne diesen Fleo-pftoat. Bei allen Säugethioren, mit Ausnahme der Fleder-
mäuse, bilden sie blos Einen Muskel. — Die Richtung des Ileo-psocM ist nicht
geradlinig, sondern winkelig. Die Spitze des Winkels liegt am Darmbein, aus-
wärts vom Tuhercfdum üeo-pectinettm, unter dem P o u p a r t\schen Bande, Um die
Reibung an dieser Stelle zu eliminiren, wird hier ein grosser Schleimboutel — der
grösste von allen — zwischen Muskel und Knochen eingeschaltet, welcher zuweilen,
und wie ich gefunden habe, vorzugsweise im höheren Alter, mit der Höhle des
Hüftgelenks communicirt Auf den luftdichten Verschluss der Pfanne hat diese
Communication nicht den geringsten nachtheiligen Einfluss, da die Communica-
tionsöffnung ausserhalb des Limbtis cartiloffineiis liegt.
Wir wollen hier noch den Musculus coccjigeus anreihen, welcher
vom Sitzbeinstachel kommt, und in der Richtung des Liijamentum
spinoso-sacrum an den Seitenrand des Steissbeins tritt. Er zieht das
Steissbein nach vorn, und verkürzt den geraden Durchmesser des
Beckenausganges.
Es gelingt kaum je, ihn, als etwas vom Ligamentum itpitwso-sncntvi Ver-
schiedenes darzustellen, so innig verwebt sich sein spärliches Fleisch mit den
Fasern dieses Bandes, lieber sein Verhältniss zum Levalor ani spricht §. 270.
(. 189. WirkangBweise der Hftftmaakeln. und topographische Verhiltniis«, etc. 521
§. 189. Wirkungsweise der Hüftmuskeln, und topograpMsclie
Yerhältnisse der &esässmuskeln zu den wichtigsten befassen
und Nerven.
Die zahlreichen Muskohi an der äusseren und inneren Seite
der Hüfte sind, ihrer Richtung und Insertion nach, grösstentheils
AuswärtsroUer. Die Einwärtsrollcr werden nur durcli den Tensor
fasdae, und die vorderen ]iündel des Glutaeus niedius repräsentirt.
Die Trochanteren haben als Radspeichen oder Hebelarme zu dienen,
um der bewegenden Kraft ein grösseres Moment zu geben. Da nun
aber die Auswärtsrollung nur durch Muskeln gemacht zu werden
braucht, deren Stärke den wenigen Einwärtsrollern gleichkommt, so
muss wohl die zahlreiche und kraftvolle Gruppe der Auswärtsroller,
noch eine andere, schwerer zu leistende Verwendung haben. Diese
besteht darin, dass sie das Becken, an welchem sie entspringen,
and durch das Becken auch die l^ast des Oberleibes, auf den
Schenkelköpfen balanciren, eine Aufgabe, welche um so schwieriger
zu erfüllen sein wird, als d(ir Stamm nicht im stabilen, sondern im
labilen Gleichgewichte auf den Schenkelköpfen ruht.
Die tiefliegenden Muskeln an der äusseren Seite der Hüfte,
haben zu gewissen, aus der Beckenhöhle kommenden Gefössen und
Nerven, sehr wichtige Bezi(*huugon. Zwischen dem unteren Rande
des Glutaeus mmimius und dem oberen des Pyriformis, tritt die Ar-
teria und Vena (jliUaea superwr sammt dem homonymen Nerv aus
der Beckenhöhle heraus, und krümmt sich über den oberen Rand
des grossen Hüftlochcs nach auf- und vorwärts. Zwischen Pfßri-
formis und Geindhis supenor, verlässt der Nervus ischiadicus, und
zwei seiner Nebenästc ( Glutaeus inferior und Cutaneus femoris posü-
cus) die Becken höhle. Durch dieselbe Sj)alte kommen die Arteria
iichiadica und die Artevui pudenda communis (vor dem Nervus ischia-
dicus liegend) aus der Beckenhöhle hervor. Erstere begleitet den
Nerv, letztere schlingt sich um die Spina ischii herum, um durch
das Foramen iscliiadicum miiuts wieder in die kleine Beckenhöhle
einzutreten, und zu den (Jeschlechtstheilen zu gehen. Da sie beim
Steinschnitt im Mittelfleisch verletzt werden, und gefiihrliche Blutung
veranlassen kann, so ist die Stelle, wo sie die Spina ischii von
aussen umschlingt, ein geeigneter Punkt, sie gegen den Knochen
zu comprimiren.
Der Nei'vus ischiadicus knnizt, nach abwärts laufend, die beiden
Gemelli und den Ühturatorius inteimus, so wie den Quadratus femoris,
und gleitet zwischen Tuber ossis ischii und grossem Trochanter, zur
hinteren Seite des Oberschenkels herab. Man würde, wenn man
522 §• IM. Mnskeln an der vorderen Peripherie des Oberschenkels.
während der Supinationsstclliing der unteren Extremität, etwas
einwärts von der Mitte des unteren Randes des Ghitaeu^ magrms
einschnitte, sicher auf ihn kommen. — Da der grosse Trochanter
sich dem Sitzknorren nähert, wenn das Bein nach aussen geroHt
wird, und sich von ihm bei entgegengesetzter Drehung entfernt, so
kann die Lage des Nervus ischiadicm zwischen beiden Knochen-
punkten keine unveränderliche sein. Er muss vielmehr sich auf
dem Quadratus femoris bei jeder Rollbewegung verschieben, und
die damit verbundene Reibung, ist der Grund der unerträglichen
Schmerzen, welche bei Rheumatismus und entzündlicher Ischias,
jede Bewegung des Schenkels begleiten. Der Druck, Avelchen dieser
Nerv beim Sitzen auf Einer Hinterbacke erleidet, erklärt das all-
gemein gekannte Einschlafen und Prickeln des Fusses bei dieser
Stellung.
Die Muskeln, welche vom Darmbeine zum grossen Trochanter gehen, zielien
auch den verrenkten Schenkelkopf gegen die Darmheincrista hinauf, und setzen
den Einrichtungsversuchen ein schwer zu bewältigendes Hinderniss entgegen. —
Dass die Fussspitzen, wenn man horizontal liegt, nicht gerade nach oben, sondern
nach aussen stehen, ist nicht Folge von Muskelzug, sondern wird durch die un-
gleiche Vertheilnng der Muskelmasse um die imaginäre Drehungsaxe des Ober-
schenkels verständlich, welche nicht im Knochen liegt, vielmehr, wegen des Win-
kels, zwischen Uals und Mittelstück, an seine innere Seite fällt, somit mehr
Masse des Schenkels an der äusseren als an der inneren Seite dieser Drehungs-
axe gelegeu sein muss, wodurch eben die Drehung des Schenkels nach aussen
erfolgt.
§. 190. Muskeln an der vorderen Peripherie des Oberschenkels.
Sie gehen entweder vom Becken zum Oberschenkelbein, od(»r
überspringen dieses, um zu den Knochen des Unterschenkels herab-
zusteigen, oder entspringen am Oberschenkelbein, um am Unter-
schenkel zu endigen. Von aussen nach innen gehend, triflFt man sie
in folgender Ordnung:
Der lange Schenkelmuskel oder Schneidermuskel, Mus-
culus sartorius, der längste aller Muskeln, platt, einen Zoll breit,
entspringt vor dem Tensor fasciae latae, von der Sphm anterior
auperior des Darmbeins, läuft schräge nach innen und unten, kreuzt
somit die übrigen, mit der Schenkelaxe mehr parallelen Muskeln,
und kommt an die innere Seite der Kniegelenksgegend, wo er
sehnig zu werden beginnt. Seine Endsehne steigt anfangs über den
hinteren Theil der Innenfläche des Condf/lits internus femoris herab,
krümmt sich aber am inneren Condiflus tibiae nach vorn, wird zu-
sehends breiter, überlagert die Endsehnen des (iracilis und Semiten-
dinosus (Schleimbeutel dazwischen), und inscrirt sich an und unter
§. 190. MiiBkeln an der vorderen Peripherie des Obersehenkels. 523
dem Schienbeinstachel (Schleimbeutcl). Er hilft das Bein zuziehen,
und den Untersclienkel beugen, dreht ihn aucli um seine Axe nach
innen, wenn er schon gebogen ist.
Die hiimoriHtiHchü Benennung SarUnnw*, welche ihm von Adr. Spigelins
(De hum, coi-p, fahrica, Cap. 2H) zuerst ge{jre>>en wurde (iSiUoriits von Kiolan),
entstammt einer irrif^en Vorntollung^ über die Thätigkeit dieses Muskels. So sagt
Spigelius: ^quem et/o Sa r fori um üorarr. soleo, quod »artoren eo nuwinte uttuüur,
dum cruft rruri iiiter roii^n^ulum hnjxniwU'^. Vergleicht man aber seine unerheb-
liche Stärke, mit dem Gewichte der ganzen unteren Extremität, so ist er wohl zn
ohnmächtig, ein Bein über das andere zu schlagen, wie Schneider und Schuster
es thim bei ihrer sitzenden Arbeit. Dass er vielmehr den gebogenen Unterschenkel
um seine Axe nach innen dreht, fühlt man mit der aufgelegten Hand, wenn man
sitzend, die Spitze des einen Fusses durch die Ferse des andern lixirt, und Dreh-
bewegungen mit dem lJnti*rschenkel auszuführen versucht. — Zuweilen wird er
durch eine «piere liuta-iptü) toulitten gezeichnet Meckel sah ihn fehlen, und
Kelch fand ihn durch eint* anderthalb Zoll lange Zwischensehne zweibäuchig.
— Die Alten nannten den Sartorius auch Miuicubis /(Ufcialiit, weil er lang, dünn
und schmal ist, wie eine Aderlassbinde (FoMciaj. Es ist sonach ein Missgriff, wenn
Theile den Mnj<rtihM tpuifor fanviue ItUae, auch Munfulna fufnialis nennt.
Der virrkcipfige II iitcrsc henke Ist recker, Ejctensor cruris
quadrtceps. So nenne ich den an (k*r vorderen Seite des Ober-
schenkels gelegenen, aus vier Ursprungsköpten gebildeten, kraft-
vollen und schönen Muskel, welcher mit grossem Unrecht von den
meisten Autoren in vier besondere ^^uskeln zerrissen wird. Nur
sein langer Kopf, welduT sonst Afusrubts rectits cruntf genannt
wird, entspringt an der Spina anterior inferior des Darmbeins, und
aus einer seichten, rauhen Grube über dem Pfannenrande. Die
übrigen drei Kr>pf(^ nehmen die drei Seiten des Schenkelbeins ein,
und entspringen: der äussere, als Vastas (wternm, von der I^asis
des grossen Uollhügels, und der oberen Hälfte der äusseren Lefze
der Linea nspera femoris; — der innere, als Vastus internus, von
der inneren Lefze der Linea anpera bis zum unt(Ten Viertel der-
selben herab; — der mittlere, als (Jruralis s. Vastiis mediiiSy von
der Linea intertrochanterica anteriorj imd dem oberen Theile der
vorderen Fläche des Schenkelbeins, und ist in der Kegel von dem
Vastns e^vternna nicht der ganzen Länge nach scharf geschieden. —
Der lange Kopf des Kvtensor quadnceps ist doppelt gefiedert, der
äussere und innere besteht aus schief absteigenden Fleischbündeln,
deren Richtung sich um so mehr der horizontalen nähert, je tiefer
unten am Schenkel sie entspringen. Diese vier Köpfe vereinigen
si(!h üb(»r der Kniescheibe zu einer gemeinschaftlichen Sehne, welche
in der verläng(»rten Richtung des Kectns cruris liegt, sich an der
llasis uiul den Seitenrändern der Patella festsetzt, diese in die Höhe
zieht, und, weil sie mit der Tibia durch das Ligamentum patsllae
proprium zusammenhäugt, den Unterschenkel streckt.
534 S* ^9^> Muskeln an der inneren Peripherie dee Oberachenkels.
Es inseiiren rieh jedoch nicht alle FMem dieser Sehne an der Kniescheibe.
Die oberflächlichsten von ihnen ziehen aub forma einer breiten Aponeurose,
welche vorzugsweise dem äusseren und inneren Vastus angehört, über die Knie-
scheibe weg, um, theils die vordere Wand der Kniegelenkskapsel zu verstärken,
theils in die Fascie des Unterschenkels überzugehen. Zwischen dieser Aponeu-
rose imd der Haut liegt, entsprechend dem Umfange der Kniesclieibe, die grosse
Buraa mucoaa peitellaris aubcutanea; — zwischen der Aponeurose und der Hein-
haut der Kniescheibe, Lasch ka*8 Burta peUeUaris profunda, Oefters communi-
ciren beide Schleimbeutel durch eine umfängliche Oeffnung. Die tiefe Bursa wird
zuweilen mehrfächerig. Ltuchka, über die Buraa patellari« profunda, in Müller a
Archiv, 1850. — Sehr ausführlich über die Schleimbeutel de» Kniee» handelt
Qruber: Die Buraae mucoaae praepatellarea, im Bulletin de TAcad. Imperiale de
St. P^tersbourg. Tom. XV. No. 10 und 11 und in seiner Monographie der Knie-
schleimbeutel. Prag, 1857.
Will man das Ligamenlum pateUae proprium als Fortsetzung der Sehne des
Extenaor quadricepa betrachten, so ist die Kniescheibe, ein Sesambein in dieser
Sehne, als welches sie schon von Tarin (f oa a6aamoide de la jomibe) aufgefasst
wurde. Zwischen diesem Bande und der Tibia lieg^ eine constante Buraa mticoaa,
welche nie mit der Kapselhöhle in Verbindung steht. Ein unter der Ansatzstelle
des Extenaor cruria quadricepa an der Kniescheibe befindlicher, umfänglicher
Schleimbeutel, steht mit der Sjnovialkapsel des Kniegelenks im Zusammenhang,
und wird deshalb als eine Ausstülpung derselben angesehen.
Die Spanner der Kniegelenkskapsel, Mibsculi »ubcrurcdes
8. articidares genu, sind zwei dünne, platte, vom Vastm medius be-
deckte, und ihm eigentlich zugehörige Muskelstreifen, welche von
der vorderen Fläche der unteren Extremität des Schenkelbeins ent-
springen, und sich in die obere Wand der Kniegelenkskapsel verlieren.
Albin hat sich die Ehre ihrer Entdeckung zugeschrieben (Annot. acad.
Lib. IV). Der wahre Entdecker jedoch war Dupr<5, Wundarzt am Hotel-Dieu zu
Paris, welcher sie in seinem Werkchen: „Lea aourcea de la aynovie. Paria, 1699,
12.*^, als Souacruraux anführte.
§. 191. Muskeln an der inneren Peripherie des Oberschenkels.
Der schlanke Schenkelmuskel, Musculus gradlLs s. rechts
intermis, entspringt mit breiter Sehne von der Schamfuge, dicht
neben dem Aufhängebande des männlichen (xlindes, und liegt auf
dem gleich zu erwähnenden langen und kurzen Zuzieh er auf. Seine
lange Endschne windet sich, hinter und unter jenc^r des Sartorius,
um die inneren Condyli des Schenkel- und Schienbeins nach vorn
herum, und setzt sich mittelst einer dreieckigen, von der aufliegen-
den Sartoriussehne durch einen Schleimbeutel getrennten Ausbreitung,
welche bei den älteren Anatomen den Namen des (iänsefusses
fUhrt, an der inneren Fläche und der vorderen Kanto dos Schienbeins
unter der Spina tibiae fest (Schleimbeutel). Er zieht das Bein zu, und
dreht, wenn das Knie gebeugt ist, den Unterschenkel nach innen.
1. 191. Miukeln an der inneren Peripherie dec Obersehenkele. 525
Die Zn zieh er des Sehenkels, Musculi adductores femoris.
Es finden sich deren vier. Sie liegen sämmtlieh an der inneren
Seite des Schenkels. Drei davon wurden von der älteren Anatomie
als ein solbstständiger Muskel, Adductor triceps, beschrieben. Da
sie jedoch nicht an eine gemeinschaftliche Endsehne treten, so
können sie auch nicht als Kr»j)fe Eines Muskels, sondern müssen
als drei verschiedene Muskelindividucn aufgestellt werden. Wollte
man sie blos als drei Ursprungsköpfe Eines Muskels gelten lassen,
so müsste man den vierten Zuzieher, welcher als Kammmuskel,
Musculus pectineus, neben dem Triceps beschrieben wird, als vierten
Kopf eines Adductoi' quadriceps nehmen, da sein Ursprung, seine
Richtung und seine Insertion, somit auch seine Wirkung, mit den
Köpfen des Triceps übereinstimmt. Ks ist nichtsdestoweniger noch
immer üblich, der Kürze wegen, die Bezeichnung Triceps zu ge-
brauchen.
Der lange Zuzieher, Adductor longus (früher Caput longuni
tricipitis), entsj)ringt kurzsehnig auswärts vom Grracilis am Scham-
beine unter dem IIöckcT desselben, nimmt im Herabsteigen an
Breite zu, und heftet sich an das mittlere Drittel der inneren
Lefze der Lhtea asptra fttmons , hinter dem Ursprung des Vastus
internus.
Der kurze Zu zieh er, Adductor brevts (Caput breve tricipitis),
wird vom lang(?n Zuzieher und vom Kammmuskel bedeckt. Er
nimmt seinen Ursprung vom Beginn des absteigenden Schambein-
astes, und endigt an der inneren Lefze der Linea aspera femoris,
über dem langen Zuzieher, bis zum kleinen Trochanter hinauf.
Der grosse Zuzieher, Adductor magnus (Caput magnum
tricipitis), entspringt breit am absteigenden Schambein- und auf-
steigenden Sitzbeinaste, so wie vom Tuber ischii, deckt den Obtu-
rator eait&imus, und grenzt nach hinten an den Semitendinosus und
Semimemhranosus. Seine oberen Bündel laufen fast quer, und werden
von dem unteren Rande des Quadraius femoris durch eine nicht
immer sehr scharf markirte Spalte getrennt. Die übrigen treten
schief nach aussen und unten zum Oberschenkel. Die lange und
breite Endsehne, an welche sich alle Fleischbündel des Muskels
einpflanzen, befestigt sich längs der Linea aspera femoris, vom Ende
der Insertion des Quadrat us femoris bis zum (Jondfßus internus
herab. Denkt man sich diese Endsehne, ihrer Länge nach, in drei
Theile getlieilt, so wird sie, wo das mittlere Dritttheil an das untere
grenzt, durch einen Schlitz unterbrochen, durch welchen die Ar-
teria und Vena cruralis zur Kniekehle treten. Nebst dieser grossen
Ueffnung, hat die Sehne noch mehrere kleine, zum Durchtritt der
in der Geiasslehre zu erwähnenden Arteriae perforantes.
536 S- 19S- Topogrn^ph. Verh&ItnisB der Mnslteln und Oef&sio des Oberschenkels.
Die Adductores bewirken die kräftige Zuziehung der Beine, wie beim
Scbenkelscblnss des Reiters. Ihr alter Name, auf welchen sie aber nur beim
weiblichen Geschlechte, und auch da nicht allzulangen Anspnu'h haben, ist:
Oitsloa viri/mum. — Wirken sie gleichzeitig mit dem Exletutor rruris qnadriceps,
so folgt der Schenkel der Diagonale beider rechtwinklig auf einander stehenden
Bewegungsrichtungen, und wird über den anderen geschlagen. Die Adductores und
Extensores sind somit, wenn sie simultan wirken, die eigentlichen Schneidermus-
keln. — Der lange Zuzieher erscheint zuweilen in zwei Portionen getheilt
Der Kammmuökel, Musculus pectineus s. lividus, entspringt
von der ganzen Länge de» Schambeinkammes^ und A^on einem
Bande, welches am Darmbein in der Gegend der Pfanne entstellt,
und längs des Pecten piibis bis zum Tuberculum jmbis verläuft (Liga-
mentum pubicum Coaperi), Er deckt den Übturator exteniu^ und den
kurzen Kopf des Triceps, und befestigt sich an die innere Lefze
der Crista femoris unter dem kleinen Trochanter. Zieht zu, und
rollt nach aussen.
Der sonderbare Name lAvidtu, welcher ihm von alten Myologen beigelegt
wird, stammt wohl davon her, dass der Muskel, welcher in so nahe Berührung
mit der auf ilim aufliegenden grossen Vena crurafis tritt, sich mit dem Blutserum
tränkt, welches bei beginnender Fäulniss durch die Venen wand dringt, und den
zersetzten Färbestoff des Blutes aufgelöst enthält. Riolan, Spigelius und
Bartholin, welche diesen Namen gebrauchten, sagen nichts über seinen Ursprung.
§. 192. Topographisches Yerhältniss der Muskeln und Grefösse
am vorderen Umfang des Oberschenkels.
Die in den beiden vorhergehenden Paragraphen abgehandelten
Muskeln, stehen zu den Gefussen und Nerven des Oberschenkels
in so praktisch- wichtigen Verhältnissen , dass der Anfänger nie
unterlassen soll, bei der Zergliederung der Muskeln, auch auf die
Gefösse und Nerven Rücksicht zu nehmen, deren \"erlaufsge8etze
an so vielen Orten von der Anordnung der Muskelstränge abhängen.
Hat man die Fascia lata (welche erst am Schlüsse der Muskeln
der unteren Extremität in §. 199 geschildert wird) vom Ligamentum
Poupartü losgetrennt, und sie so weit abgelöst, dass die einzelnen
Muskelkörper, welche zwischen der Schamfuge und dem vorderen
oberen Darmbeinstachel Hegen, nett und rein zu Tag treten, so
bemerkt man unter dem Poupart'schen Bande, einen dreieckigen
Kaum, dessen Basis durch dieses Band, dessen Seiten nach aussen
vom Sartorius, nach innen vom (iracilis und den Adducton^n ge-
bildet werden. Dieser Kaum, von Velpeau Triangulus ingulnaUs,
von mir Triangulus svhinguinalis genannt, schliesst ein zweites, kleineres
Dreieck ein, welches mit ihm gleiche Basis hat, dessen Seitenränder
aber auswärts durch den vereinigten Psoas und lUacus^ iimen durch
%. 19t. TofQ^npk. Verh<mn der Maskeln and Gef&ste am Ob«nehenkel. 527
den Pectineu» dargestellt werden. Der Kaum dieses Dreiecks ver-
tieft sich konisch gegen den kleinen Trochanter zu, welcher in
seinem Grunde gefühlt wird. So entsteht die in chirurgischer Be-
ziehung hochwichtige Fossa ileo-pectinea. Sie wird von abundantem
Fette, und den tiefliegenden 1 Leistendrüsen ausgefüllt, und schliesst
die grossen (jletasse und Nerven ein, welche unter dem Poupart-
schen Bande zum oder vom Becken gehen. Man kann von dieser
Grube aus (nachdem ihr Inhalt rein präparirt) die Hand in die
Bauchhrdde einführen, durch eint^ grosse, querovale Oeftnung, welche
vom Ligamentum Foupart'd überspannt wird. Durch diese geräumige
Oeffnung tritt eine mit dem lliacus aus der Beckenhöhle herab-
steigende Fascie hervor, welche im §. 188 als Fascia iliaca er-
wähnt wurde. Sic; lässt ihren oberen und zugleich äusseren Kand
mit dem Poupart'schen Bande, ihren unteren und zugleich innert^n
Kand, mit dem Tuberculum ileo-pecfineum verwachsen, und winl
deshalb an dieser Stelle Fancia U^^o-pectinea genannt. Durch die
Fascia ileo-pt^^^ttnea wird die grosse Oeftnung unter dem Poup ari-
schen Bande in zwei seitliche Lücken abgetheilt. Die äussere
Lücke ist die Ijicuna mnacularis, Sie lässt den Psoas, lliacus, und
zwischen beidc^n den Nervus cruralis heraustreten. Die innere
heisst I^icutm rattorum cruralium, und dient zum Durchgange der
Arterin und Vena cruraJis, welche sich in das Fettlager der /''o**n
ileo-pectinea so (;inhüllen, dass wenig Fett auf ihnen, vieles unter
ihnen liegen bleibt. Beide (r(*{asse sind in eine gemeinschaftliche,
durch eine Zwischenwand in zwei Fächer abgetheilte , fibröse
Scheide eingeschlossen. Si«; folgen, während si(». blos vom luH*h-
liegenden Blatte «jer Fanda lata iMMJeckt sind, einer Linie, welche
man beiläuHg vom Beginm- des itith^ren |)rittels <!«•« Poupart'schen
Bandes, gegen «lit* Spitze i\vv Funna t/tut jmrfiueft herabzieht. Die
Arteria crura/ia liegt «lieht an d«'r Fanria l/fu-firrtiuea an, die Vena
cruraliti nel>en der Arterie nach innen, un<l nimmt hier di(f Vena
saphena interna auf. Beid«^ (Jid'äsH«* füllen die Lnmna rannrnm nicht
ganz aus. Zwiselieii der Vena crnraliH und der dritten lnH«Tti<m
des Pouj)art'sehen r»ande.s am l*ecten puhia, wideln- aJK Liuamentum
Gimhernati benannt wird, bleil»t «^in iCaum frei, weleher nur von
der Fatfcia transversa des Banches und dem BHUelifiilJ verschlossen
wird. Da dnreh diesen Kaum, dit- Kingewt.ide ans der Bauchhohle,
so «Mit wie durch den Leistenkanal, od«'r die innere Leist«'nL'rube
austreten krmnen, um ein«- Hernia v.ruraliH vm biMen, so nennt man
ihn: Bauchöffnung des Schenkelkanals — Annnlus cruralis.
Die Schenktdötfnung des Sehenktrlkanals, und die Bildung des
Kanals selbst, werden im §. 199 beschrieben.
Vom unteren Winkel des Irianyulus sabinguinalis angefangen,
wird «lie ArUria an-» ^ Um vom Mu9cuiluB sartorius bedeckt,
528 §• 19t. Topograph. Verhftltniss der Mukeln and GefUte am Oberschenkel.
und liegen beide, bis zu ihrem Durchtritte durcli den Schlitz in der
Sehne des grossen Zuziehers, in einer Rinne, welche durch die
Adductoren und den Vastus intemiis gebildet wird.
Der Nenms cruraiis wird in der Fossa Ueo-pecttnea von der
Arteria cruraiis durch die Fasda Ueo-pectinea und die Sehne des
Psoas getrennt, und theilt sich gleich unter dem Poupart'schen
Bande, in hoch- und tiefliegende Zweige. Erstere sind 1 lautäste,
letztere Muskeläste. Einer von den Hautästen begleitet die Crural-
arterie, liegt anfangs an ihrer äusseren Seite, kreuzt sich liierauf
mit ihr, um an ihre innere Seite zu kommen, vcrlässt sie dann bei
ihrem Eintritt in den Schlitz der Adductorensehne, und begleitet
von nun an die Vena saphena magna bis zum Fusse hinab, weshalb
er Nenms saphenus genannt wird.
Es erheUt aus diesen Verhältnissen, dass die Arteria cruraiis, deren Unter-
bindung bei gewissen chirurgischen Krankheiten nothwendig wird, im Triangulus
ntbingumaUs, wo sie nicht von Muskeln bedeckt wird, am leichtesten zugänglich
ist, und man sie hier, wenn die Wahl der Unterbindungsstelle frei steht, am
liebsten blosslegt. Da sie während ihres Laufes durch dieses Dreieck, die meisten
ihrer Seitenäste abgiebt, von denen die Pro/umla femoris, einen bis anderthalb
Zoll unter dem Po upar tischen Bande die stärkste ist, und man so weit als
möglich unter dem letzten Collateralast die Unterbindung vornimmt, so ist nach
Hodgson die beste Ligaturstelle der Arteria cruraiis, am unteren Winkel des
Triarufulus subinguinaUs gegeben, welcher, wenn man den inneren Rand des Sar-
torius verfolgt, leicht zu finden ist. Die sehr veränderliche, bald höher, bald tiefer
gelegene Kreuzung^stelle der Arteria cruraiis mit dem Nervus saphenus erheischt
Vorsicht. — Von der Spitze des Trianffulus suhinguinalis bis zum Durchgang
durch den Schlitz der Adductorsehne, muss, wenn hier die Unterbindung der
Crural -Arterie nach dem Hunter* sehen Verfahren vorgenommen werden sollte,
der Sartorius durch einen Haken nach aussen gezogen werden. Unmittelbar an
der EintrittssteUe in die Sehne des Adductor, wäre dem Gefasse auch vom
äusseren Rande des Sartorius her, oder durch eine Längenspaltung seines Fleisches,
beizukommen. — Das Verhältnbs der Vena cruraiis zur Arterie ist so beschaflfen,
dass am horizontalen Schambeinaste die Vene an der inneren Seite der Arterie
lieget, sich aber im Herabsteigen so hinter sie schiebt, dass über den Schlitz
der Sehne des Adductor, die Arterie die Vene genau deckt. — An keiner anderen
Stelle des Verlaufs der Arteria cruraiis lässt sich eine Compression derselben
leichter bewirken, als am horizontalen Schambeinaste, wo sie durch den Finger,
der ihren Pulsschlag fühlt, einfacher und sicherer als mit künstlichen Vorrich-
tungen ausgeführt werden kann.
Wie wohlthätig anatomische Kenntnisse anch dem Nichtarzte sein könnten,
beweist folgender Fall. Ein Prager Student schnitt sich auf einem Spaziergange
einen Weidenstock zu. Um ilm zu schälen, zog er ihn unter der Schneide eines
Taschenmessers durch, welches er an den Schenkel stemmte. Einer seiner Ge-
fährten stiess ihn an, das Messer fuhr in den Schenkel, schnitt die Arteria cru-
raiis durch, und, bevor Hilfe kam, war er eine verblutete Leiche. Ein Fingerdmck
auf den horizontalen Schambeinast hätte ihn wahrscheinlich gerettet.
S. 193. Moikela an der hinter«n Peripherie dei Obersehenkels. 529
§. 193. Muskeln an der hinteren Peripherie des Oberschenkels.
Sie sind bei weitem weniger zahlreich als jene an der vor-
deren und inneren Peripherie, und gehen vom TtAer isckii zum
Untersehenkel, welchen sie beugen. Es sind ihrer drei.
Vom Sitzknorren ausgehend, divergiren sie im Hembsteigen
80; dass der eine schief gegen die äussere Seite des Kniegelenks,
die beiden anderen gerade gegen dessen innere Seite ziehen. Der
erste nimmt im Herabsteigen einen von der äusseren Lefze der
Linea aspera femoris, unterhalb der Insertion des Glutaeus magnua
entspringenden kurzen Kopf auf, und heisst deshalb der Zwei-
köpfige, Btceps femoris. Seine Endsehne befestigt sich am Waden-
beinköpfchen, unter dem Ligamentum laterale externum des Knie-
gelenks, wo ein Schleimbeutel vorkommt. Die beiden anderen sind
der halbsehnige und halbhäutigc Muskel, — Musculus semi-
tendinosus und semim^mbranosus.
Der Halbsehnige bedeckt den Halbhäutigen, ist an
seinem Ursprünge mit dem langen Kopfe des Biceps femoris ebenso
verwachsen, wie der Coracobrachialis am Oberarm mit dem Ursprung
des kurzen Bicepskopfes, verschmächtigt sich im Herabsteigen pfrie-
menförmig, und geht in der Mitte des Oberschenkels in eine lange,
Bchnuribrmige Sehne über, welche sich unter dem inneren Knorren
des Schienbeins nach vom krümmt, und unter der Sehne des Gra-
cilis zur inneren Schienbeinfläche gelangt, um sich neben der Spina
tSnae zu implantiren (Schleimbeutel).
Da neine Sehne so lang ist, wie sein Fleisch, so wSire sein Name: Halb-
sehniger, gerechtfertigt. Sein Fleisch wird durch eine, die ganze Dicke des
Muskels schräge schneidende fibröse Einschubsmembran (als Inscriptio tendmea zu
deuten) durchsetzt, an welcher die Fleischfasem der oberen Hälfte endigen, und
jene der unteren beginnen.
Der Halb häutige liegt zwischen Semitendinosus \xnd Adductor
magnus. Seine dreieckige breite Ursprungssehne reicht an der einen
Seite seines Muskelfleisches bis zur Mitte des Oberschenkels herab,
wo zugleich seine Endsehne an der anderen Seite des Fleisches be-
ginnt. Das Fleisch des Muskels bildet drei Quertinger breit über
dem Knie, einen runden starken Bauschen, welcher plötzlich mit
einem scharfen Absatz wie abgeschnitten aufhört, und durch eine
kurze, aber sehr kräftige Sehne, sich am hinteren Bezirk des Con-
dyhts internus tibiae einpflanzt.
Zwischen dieser Sehne, und dem inneren Seitenhande de» Kniegelenks,
liegt ein Schleimbeutel. Ein ebensolcher findet sich zwischen derselben Sehne
Hyrtl, Lehrbach der Anatomie. 14. Anfl. 34
530 §. 194. Topographie dar KniokehJe.
und dem Ursprung des inneren Kopfes des Gastrocneraius. Er steht zuweilen mit
der Sjnovialkapsel des Kniegelenks in Höhlencommunication.
Ein breites Faserbündel löst sich vom äusseren Bande der Endsehne des
Semimembranosus ab, geht im Gnmde der Kniekehle g^gen den Cmidylu^ eocternus
femorU herüber, verwebt sich mit dem Ligamentum poplUettm (§. 152, 4), und
verschmilzt zuletzt mit der Ursprungssehne des äusseren Kopfes des später zu
beschreibenden Gastrocnemius. Da die Beugimg des Unterschenkels unter Um-
ständen (z. B. beim Niedersetzen) nicht blos durch den Semimembranosus und seine
beiden Helfershelfer (Biceps und Semitendinosus) bewerkstelligt, sondern zugleich
durch Mithilfe des Gastrocnemius vollzogen wird, so muss sich, wenn der Semi-
membranosus und der äussere Kopf des Gastrocnemius sich contrahiren, das
lAgamentum poplUeum anspannen, wodurch die mit ihm verwachsene hintere Wand
der Kniegelenkskapsel gleichfalls gespannt, aufgehoben, und vor Einklemmung
geschützt wird.
§. 194. Topographie der Kniekehle.
Durch die nach unten gerichtete Divergenz der langen^ vom
Sitzknorren entspringenden Muskeln, wird an der hinteren Seite
des Oberschenkels, gegen das Kniegelenk herab, ein dreieckiger
Raum zwischen ihnen entstehen müssen, dessen äussere Wand
durch den Biceps, dessen innere durch den Semitendinosus, Semi-
membranosus und Gracilis erzeugt wird. In der nach unten offenen
Basis dieses Dreiecks, drängen sich die beiden convergirenden Ur-
sprungsköpfe des zweiköpfigen Wadenmuskels (Gastrocnemius) aus
der Tiefe hervor, und verwandeln den dreieckigen Raum in ein
ungleichseitiges Viereck, dessen obere Seitenränder lang, die unteren
viel kürzer sind. Dies ist die Fossa popUtea, Kniekehle. Da
Poples kein griechisches, sondern ein lateinisches Wort ist, muss
die von vielen Autoren beliebte Schreibweise: Fossa poplitaea, für
unrichtig erklärt werden. Es gicbt kein griechisches Wort xsi://.-
Tatoc. Eigentlich ist Fossa poplitea ein Pleonasmus, da poples allein
schon bei den Classikeni für Kniekehle oder Kniebeuge steht, zum
Unterschied von genu, wodurch die Streckseite des Knies ausgedrückt
wird. So bei Seneca: succtsis pojjlitibus in genua se excipere. Leiten
doch auch die Sprachforscher das Wort poples von postplicari ab.
Die Kniekehle schliesst die grossen Gefasse und Nerven dieser
Gegend in folgender Ordnung ein. Nach Abnahme der Haut und
des subcutanen Bindegewebes, welches sich hier zu einer wahren
Fascia superficialis verdichtet, und an der inneren Seite des Knie-
gelenks die vom inneren Knöchel heraufsteigende Vena saphena
interna eiusehliesst, gelangt man auf die Fasda poplitea, als Fort-
setzung der Fascia lata. Sie deckt die Kniekehle, und schliesst die
vom äusseren Knöchel heraufkommende Vena saphena posterior s.
S. 194. Topogrraphie der Kniekehle. 531
minor in sich ein. Unter der Fascie folgen die zwei Theihmgsäste des
Nervus ischiadvcus, dessen Stamm unter dem Musculus hiceps in den
oberen Winkel der Fossa poplitea eintritt. Der äussere (Nervus
poplüeus ext^enius), welcher im weiteren Verlaufe zum Nervus pm'o-
naeus wird, läuft am inneren Rande der Sehne des Biceps zum
Wadenbeinköpfchen herab. Der innere, stärkere (Nervus poplüeus
internus, im weiteren Verlauf Nervus tibialis posticus genannt), bleibt
in der Mitte der Kniekehle, und kann bei gestrecktem Knie sehr
leicht durch die Haut gefühlt werden.
Um die, tief im Grunde der Kniekehle lagernden Blutgefässe
aufzudecken, geht man am inneren Rande des Nervus poplitms
internus in das reiche Fettlager ein, welches die ganze Grube
auspolstert, und findet in der Tiefe zuerst die Vena poplitea, welche
hier gewöhnlich die Vena saphena minor aufnimmt, und unter ihr,
zugleich etwas nach innen, durch kurzes Bindegewebe knapp an
sie geheftet, die Fortsetzung der Arteria cruralis als Arteria popli-
tea, welche unmittelbar auf dem unteren Ende des Schenkelbeius,
und der hinteren Wand der Kniegelenkkapsel aufliegt.
Der leichteren Fiximng des LagerungsverhältniBses der durch die Ejiie-
kehle hindurchziehenden Gefasse und Nerven, hilft Herr Rieh et durch den
mnemotechnischen Ausdruck NVA (gesprochen Neva), — eine anatomische Wir-
kung der viel gesuchten und noch immer nicht gefundenen französisch-russischen
Allianz I
Der Raum der Kniekehle ist bei activer Beugebewegung des Kniees tiefer,
als im gestreckten Zustande, indem die Muskeln, welche die langen Seitenwände
derselben bilden, sich während ihrer Contraction anspannen und vom Knochen
erheben. -- Da die Arteria cruralis, einem allgemein gültigen Gesetze zufolge,
die Heugeaeiten der Gelenke an der unteren Extremität aufsucht, also von der
Leistengegend zur Kniekehle läuft, auf welchem Zuge ihr die Sehne des langen
Addnctor im Wege steht, so folgt hieraus die Noth wendigkeit der Durch-
bohrung der letzteren. — Man liest es häufig, dass die Arteria cruralis sich
um den Schenkelknochen windet. Man braucht jedoch nur einen Schenkel-
knochen in jene Lage zu bringen, in welcher er im aufrecht stehenden Menschen
sich befindet, um zu sehen, dass eine Arterie, ohne sich im Geringsten zu
winden, von der Leistenbeuge zur Fossa poplitea verlaufen kann, wenn sie die
innere Fläche des Knochens einfach kreuzt. — Die tiefe Lage der Arteria
poplitea, macht ihre Unterbindung sehr schwer, und sie ist heut zu Tage nur
mehr ein anatomisches Problem, da die Wundärzte, wenn sie die Wahl der
Unterbindungsstelle frei haben, seit Hunt er lieber die Arteria cruralis unter-
binden. - Die Häufigkeit des Vorkommens krankhafter Erweiterungen (Aneu-
rysmata) an der Arteria poplitea ist bekannt, wenn auch nicht genügend
erklärt. Es kam schon vor, dass man Abscesse in der Kniekehle, oder Ausdehnun-
gen der bei den Muskeln erwähnten Schleimbeutel, deren flüssiger Inhalt die
Pulsationen der Arteria poplitea fortpflanzt, fUr Aneurysmen gehalten hat.
34«
Di2 I' lit. Muk«lB %n d«r vorderen Peripherie des Oberscbeiikels.
während der Supinationsstolluiif^ der unteren Extremität, etwas
einwärts von der Mitte de» unteren Kandes des Glutaeus magnus
einschnitte, sieher auf ihn kommen. — Da der grosse Troehanter
sich dem Sitzknorren nähert, wenn das Bein nach aussen gerolh
wird, und sich von ihm bei entgegengesetzter Drehung entfernt, .so
kann die Lage des Nervus üchiadicus zwischen beiden Knochen-
punkten keine unveränderliche sein. Er muss viehnehr sich auf
dem Qiuulrattuf femoris bei jeder Rollbcwegung verschieben, und
die damit verbundene Reibung, ist der (frund der unerträglichen
Schmerzen, welche bei Rheumatismus und entzündlicher Ischias,
jede Bewegung des Schenkels begleiten. Der Druck, welchen dieser
Nerv beim Sitzen auf Einer Hinterbacke erleidet, erklärt das all-
gemein gekannte Einschlafen und Prickeln des Fusses bei dieser
Stellung.
Die Muskeln, welche vom Darmbeine zum j^ruHHen Troehanter gehen, ziehen
auch den verrenkten 8chenkelkopf gegen die DarmheincriAta hinauf, und setzen
den EinrichtungHverHUchen ein schwer zu bewältigende» Hindernii^H entgegen. —
Dai»H die FuHMpitzen, wenn man horizontal liegt, nicht gerade nach oben, sondern
nach auHHen stehen, ist nicht Folge von Muskelzug, sondern wird durch die un-
gleiche Vertheilung der Muskelmasse um die imaginäre Drehungsaxe des Ober-
schenkels verständlich, welche nicht im Knochen liegt, vielmehr, wegen des Win-
kels, zwischen Hals und Mittelstück, an seine innere Seite fallt, somit mehr
Masse des Schenkels an der äusseren als an der inneren Seite dieser Drehungs-
axe gelegeu sein muss, wodurch eben die Drehung des Schenkels nach aussen
erfolgt.
§. 1 90. Muskeln an der vorderen Peripherie des Oberschenkels.
Sie gehen entweder v(»ni Becken zum OberschtMikelbein, oder
überspringen dieses, um zu den Knochen des IJnterschenkcds herab-
zusteigen, oder entspringen am Oberschenkelbein, um am Unter-
schenkel zu endigen. Von aussen nach innen gehend, triflft man sie
in fV)lg<Mider Ordnung:
Der lange Schenkelmuskcl oder Schneidermuskel, Muj<-
ctUus sartoritia, der längste aller Muskeln, platt, einen Zoll breit,
entspringt vor dem Tenstyr fnsciaa latae, von der tiplna antenm*
Buperlor des l)armb(Mns, läuft schräge nach innen und unten, kreuzt
Homit die übrigen, mit der Schenkelaxe mehr parallelen Jluskeln,
und kommt an di<». innere Seite der Kniegelenksgegend, wo er
sehnig zu werden beginnt. Seine Endsehne steigt anfangs über den
hinteren Theil der Innenfläche des Condi/ltis Intenuiif femoris herab,
krümmt sich aber am inneren Condt/lus fibiae nach vorn, wird zu-
Behcuds breiter, überlagert die Endsehnen des (iracilis und Semiten-
dinosuB (Schleimbeutel dazwischeu), und inserirt sich an uud unter
§. 190. Muskeln an der vorderen Peripherie des OberBOhenkels. 523
dem Schienbeinstachel (Schleimbeutel). Er hilft das Bein zuziehen,
und den Unterschenkel beugen, dreht ihn auch um seine Axe nach
innen, wenn er schon gebogen ist.
Die humoristische Benennung Sartorius, welche ihm von Adr. Spigelius
(De Ä»««. corp. faftrica. Cap. 23) zuerst gegeben wurde (SiUot-iM von Riolan),
entstammt einer irrigen Vorstellung über die Thätigkeit dieses Muskels. So sagt
Spigelius: „qitein eijo Sarlorium vocare aoleo, qiiod sartores eo maxime lUaiUur,
dum aiut a-uri inter consiiendum impcniunt**. Vergleicht man aber seine unerheb-
liche Stürke, mit dem Gewichte der ganzen unteren Extremität, so ist er wohl zu
ohnmächtig, ein Bein über das andere zu schlagen, wie Schneider und Schuster
es tliun bei ihrer sitzenden Arbeit. Dass er vielmehr den gebogenen Unterschenkel
um seine Axe nach innen dreht, fühlt man mit der aufgelegten Hand, wenn man
sitzend, die Spitze des einen Fusses durch die Ferse des andern iixirt, und Dreh-
bewegungen mit dem Unterschenkel auszuftlhren versucht. — Zuweilen wird er
durch eine quere Iiiscriptio teiidiiiea gezeichnet Meckel sah ihn fehlen, und
Kelch fand ihn durch eine anderthalb Zoll lange Zwischenschne zweibäuchig.
— Die Alten nannten den Sartorius auch Mwtculus fcutcialMf weil er lang, dünn
und schmal ist, wie eine Aderlassbinde (FeutciaJ. Es ist sonach ein Missgriff, wenn
T h e i 1 e den Mimculiui teiinor faaciae lotete, auch Musculus fascialis nennt.
Der vierköpfige Unterschenkelstrecker, Extensor crurU
quadriceps. So nenne ich den an der vorderen Seite des Ober-
schenkels gelegenen, aus vier Ursprungsköpfen gebildeten, kraft-
vollen und schönen Muskel, welcher mit grossem Unrecht von den
meisten Autoren in vier besondere Muskeln zerrissen wird. Nur
sein langer Kopf, welcher sonst Mitsculus rectus cruris genannt
wird, entspringt an der Spina anterioi' inferior des Darmbeins, und
aus einer seichten, rauhen Grube über dem Pfannenrande. Die
übrigen drei Köpfe nehmen die drei Seiten des Schenkelbeins ein,
und entspringen: der äussere, als Vastus extermis, von der Basis
des grossen Rollhügels, und der oberen Hälfte der äusseren Lefze
der Linea aspera femoris; — der innere, als Vastus internus, von
der inneren I^efze der Linea a^pera bis zum unteren Viertel der-
selben herab; — der mittlere, als Cruralis s. Vastus medius, von
der Linea inter (rocJianterica antenorj und dem oberen Theile der
vorderen Fläche des Schenkelbeins, und ist in der Regel von dem
l'astiuf externus nicht der ganzen Länge nach scharf geschieden. —
Der lange Kopf des Extensor quadriceps ist doppelt gefiedert, der
äussere und innere besteht aus schief absteigenden Fleischbündeln,
deren Richtung sich um so mehr der horizontalen nähert, je tiefer
unten am v^chenkel sie entspringen. Diese vier Köpfe vereinigen
sieh über der Kniescheibe zu einer gemeinschaftlichen Sehne, welche
in der verlängerten Richtung des Rectus crv/ris liegt, sich an der
Basis und den Seitenrändern der Patella festsetzt, diese in die Höhe
zicht^ und, weil sie mit der Tibia durch das Ligamentum patellae
proprium zusammenhängt, den Unterschenkel streckt.
534 S* IM* Mnikeln an der inneren Peripherie dee Obenebenkels.
Es inseriren sich jedoch nicht alle Fasern dieser Sehne an der Kniescheibe.
Die oberflächlichsten von ihnen ziehen atib forma einer breiten Aponeurose,
welche yorzngsweise dem äosseren und inneren Vastos angehört, über die Knie-
scheibe weg, um, theils die vordere Wand der Kniegelenkskapsel zu verstärken,
theils in die Fascie des Unterschenkels überzugehen. Zwischen dieser Aponeu-
rose und der Haut Hegt, entsprechend dem Umfange der Elniescheibe, die grosse
Bursa muco$a patellaris subcutanea; — zwischen der Aponeurose und der Bein-
haut der Kniescheibe, Lu8chka*s Bursa paleUnris profimda. Oefters communi-
ciren beide Schleimbeutel durch eine umfängliche Oeffnung. Die tiefe Bursa wird
zuweilen mehrfächerig. Luschka, über die Bursa patellaris profunda, in MiUler's
Archiv, 1850. — Sehr ausführlich über die Schleimbeutel des Kniees handelt
Gruher: Die Bursae mucosae praepatdlares, im Bulletin de TAcad. Impi^riale de
St. P^tersbourg. Tom. XV. No. 10 und 11 und in seiner Monographie der Knie-
schleimbeutel. Prag, 1857.
Will man das Ligamentum peUeUae proprium als Fortsetzung der Sehne des
Extensor quadriceps betrachten, so ist die Kniescheibe, ein Sesambein in dieser
Sehne, als welches sie schon von Tarin (Pos s4samoide de la Jambe) aufgefasst
wurde. Zwischen diesem Bande und der Tibia liegt eine constante Bursa mucosa,
welche nie mit der Kapselhöhle in Verbindung steht. Ein unter der Ansatzstelle
des Extensor eruris quadriceps an der Kniescheibe befindlicher, umfänglicher
Schleimbeutel, steht mit der Sjmovialkapsel des Kniegelenks im Zusammenhang,
und wird deshalb als eine Ausstülpung derselben angesehen.
Die Spanner der Kniegelenkskapsel, Musculi subcrurcdes
8. articulares genu, sind zwei dünne, platte, vom Vastus medius be-
deckte, und ihm eigentlich zugehörige Muskelstreifen, welche von
der vorderen Fläche der unteren Extremität des Schenkelbeins ent-
springen, und sich in die obere Wand der Kniegelenkskapsel verlieren.
Albin hat sich die Ehre ihrer Entdecktuig zugeschrieben (Annot. acad.
Lib. IV). Der wahre Entdecker jedoch war Dupr6, Wundarzt am Hotel-Dieu zu
Paris, welcher sie in seinem Werkchen: y^Les sources de la synovie, Paris, 1699.
12.'*, als Souscruraux anführte.
§. 191. Muskeln an der inneren Peripherie des Oberschenkels.
Der schlanke Schenkelmuskel, Muscidus graciliü s. rectus
internus, entspringt mit breiter Sehne von der Schamfuge, dicht
neben dem Aufhängebandc des männlichen Gliedes, und liegt auf
dem gleich zu erwähnenden langen und kurzen Zuzieh er auf. Seine
lange Endsehne windet sich, hinter und unter jener des Sartorius,
um die inneren Condyli des Schenkel- und Schienbeins nach vorn
herum, und setzt sich mittelst einer dreieckigen, von der aufliegen-
den Sartoriussehne durch einen Schleimbeutel getrennten Ausbreitung,
welche bei den älteren Anatomen den Namen des Gänse fusses
führt, an der inneren Fläche und der vorderen Kante dos Schienbeins
unter der Spina tibiae fest (Schleimbeutel). Er zieht das Bein zu, und
dreht, wenn das Knie gebeugt ist, den Unterschenkel nach innen.
1. 191. MiukalD an der inneren Peripherie dee Obenchenkels. 525
Die Zuzieher des Schenkels, Musculi addiictorea femorU.
Es finden sich deren vier. Sie liegen sämmtlich an der inneren
Seite des Schenkels. Drei davon wurden von der älteren Anatomie
als ein selbstständiger Muskel, Adductor triceps, beschrieben. Da
sie jedoch nicht an eine gemeinschaftliche Endsehne treten , so
können sie auch nicht als Köpfe Eines Muskels, sondern müssen
als drei verschiedene Muskelindividuen aufgestellt werden. Wollte
man sie blos als drei Ursprungsköpfe Eines Muskels gelten lassen,
so müsste man den vierten Zuzieher, welcher als Kammmuskel,
Musculus pectineuSj neben dem Triceps beschrieben wird, als vierten
Kopf eines Addu>ctor quadriceps nehmen, da sein Ursprung, seine
Richtung und seine Insertion, somit auch seine Wirkung, mit den
Köpfen des Triceps übereinstimmt. Es ist nichtsdestoweniger noch
immer üblich, der Kürze wegen, die Bezeichnung Triceps zu ge-
brauchen.
Der lange Zuzieher, Adductor longus (früher Caput longum
tricipitia), entspringt kurzsehnig auswärts vom Gracilis am Scham-
beine unter dem Höcker desselben, nimmt im Herabsteigen an
Breite zu, und heftet sich an das mittlere Drittel der inneren
Lefze der Linea aspera femaris , hinter dem Ursprung des Vastus
internus.
Der kurze Zuzieher, Adductor brevls (Caput breve tridpitis),
wird vom langen Zuzieher und vom Kammmuskel bedeckt. Er
nimmt seinen Ursprung vom Beginn des absteigenden Schambein-
astes, und endigt an der inneren Lefze der Linea aspera femoris,
über dem langen Zuzieher, bis zum kleinen Trochanter hinauf.
Der grosse Zuzieher, Adductor magnus (Caput magnum
tridpitis), entspringt breit am absteigenden Schambein- und auf-
steigenden Sitzbeinaste, so wie vom Tuber ischU, deckt den Obtu-
rator extemuSy und grenzt nach hinten an den Semitendinosus und
Semimembranosus, Seine oberen Bündel laufen fast quer, und werden
von dem unteren Rande des Quadratus femoris durch eine nicht
immer sehr scharf markirte Spalte getrennt. Die übrigen treten
schief nach aussen und unten zum Oberschenkel. Die lange und
breite Endsehne, an welche sich alle Fleischbündel des Muskels
einpflanzen, befestigt sich längs der Linea aspera femoris, vom Ende
der Insertion des Quadratus femoris bis zum Condylus internus
herab. Denkt man sich diese Endsehne, ihrer Länge nach, in drei
Theile getheilt, so wird sie, wo das mittlere Dritttheil an das untere
grenzt, durch einen Schlitz unterbrochen, durch welchen die Ar-
teria und Vena cruralis zur Kniekehle treten. Nebst dieser grossen
OefiFnung, hat die Sehne noch mehrere kleine, zum Durchtritt der
in der Gefassieh re zu erwähnenden Arteriae perforantes.
526 S. 19S. Toptyrsph. Verhiltniss der Maskaln nntl Oef&ste des Obenchenkels.
Die Adductores bewirken die kräftige Zu/Jehnng der Beine, wie beim
Schenkelschi U88 des Reiters. Ihr alter Name, auf welchen sie aber nur beim
weiblichen Geschlechte, und auch da nicht allzulangcn Anspruch haben, ist:
Cuutoa virginwa. — Wirken sie gleichzeitig mit dem Exlniwr cnirui qnodlricepa,
so folgt der Schenkel der Diagonale beider rechtwinklig auf einander stehenden
Bewegungsrichtungen, und wird über den anderen geschlagen. Die Adductores und
Extensores sind somit, wenn sie simultan wirken, die eigentlichen Schneidermus-
keln. — Der lange Zuzieher erscheint zuweilen in zwei Portionen gethcilt
Der Kamuimuskel^ Musculus pectineus s, UviduSy entspringt
von der ganzen Länge des Sehambeinkammes^ und von einem
Bande^ welches am Darmbein in der Gegend der Pfanne entsteht,
und längs des Pecten pubis bis zum TvJberculum jnthis verläuft (Liga-
mentum pubicum Cooperi), Er deckt den Obturatoi* externus und den
kurzen Kopf des Triceps, und befestigt sich an die innere Lefze
der Crista femoris unter dem kleinen Trochanter. Zieht zu, und
rollt nach aussen.
Der sonderbare Name Lividu», welcher ihm von alten Myologen beigelegt
wird, stammt wohl davon her, dass der Muskel, welcher in so nahe Berührung
mit der auf ihm aufliegenden grossen Vejia miralut tritt, sich mit dem Blutserum
tränkt, welches bei beginnender Fäulniss durch die Venen wan«! dringt, und den
zersetzten Färbestoff des Blutes aufgelöst enthält. Riolan, Spigelius und
Bartholin, welche diesen Namen gebrauchten, sagen nichts über seinen Ursprung.
§. 192. TopograpMsches Yerhältniss der Muskeln und Gefasse
am vorderen Umfang des Oberschenkels.
Die in den beiden vorhergehenden Paragraphen abgehandelten
Muskeln, stehen zu den (iefässen und Nerven de» Oberschenkels
in so praktisch-wichtigen Verhältnissen , dass der Anfänger nie
unterlassen soll, bei der Zergliederung der Muskeln, auch auf die
Geiasse und Nerven Rücksicht zu nehmen, deren Verlaufsgesetze
an so vielen Orten von der Anordnung der Muskelstränge abhängen.
Hat man die Fasciu lata (welche erst am Schlüsse der Muskeln
der unteren Extremität in §. 199 geschildert wird) vom Ligametitum
Poupartü losgetrennt, und sie so weit abgelöst, dass die einzelnen
Muskelkörper, welche zwischen der Schamfuge und dem vorderen
oberen Darmbeinstachel liegen, nett und rein zu Tag treten, so
bemerkt man unter dem Poupart* sehen Bande, einen dreieckigen
Raum, dessen Basis durch dieses Band, dessen Seiten nach aussen
vom Sartorius, nach innen vom Gracilis und den Adductoren ge-
bildet werden. Dieser Raum, von Velpeau TrUtngulus ingulnalis,
von mir Triangulus sidnnguinalis genannt, schliesst ein zweites, kleineres
Dreieck ein, welches mit ihm gleiche Basis hat, dessen Seitenränder
aber auswärts durch den vereinigten Psoas und lUacus, innen dui*ch
§. 19S. Topofraph. TerhältniBS der Mnskelo and Oef&sse am Oberschenkel. 527
den Pectineus dargestellt werden. Der Raum dieses Dreiecks ver-
tieft sich konisch gegen den kleinen Trochanter zu, welcher in
seinem Grunde gefühlt wird. So entsteht die in chirurgischer Be-
ziehung hochwichtige Fossa ileo-pectinea. Sie wird von abundantem
Fette, und den tiefliegenden Leistendrüsen ausgefüllt, und schliesst
die grossen üefasse und Nerven ein, welche unter dem Poupart-
schen Bande zum oder vom Becken gehen. Man kann von dieser
Gnibe aus (nachdem ihr Inhalt rein präparirt) die Hand in die
Bauchhöhle einführen, durch eine grosse, querovale OefFnung, welche
vom Ligamentum Poupartii überspannt wird. Durch diese geräumige
Oeffnung tritt eine mit dem Iliacus aus der Beckenhöhle herab-
steigende Fascie hervor, welche im §. 188 als Fascia üiaca er-
wähnt wurde. Sie lässt ihren oberen und zugleich äusseren Rand
mit dem Poupart'schen Bande, ihren unteren und zugleich inneren
Rand, mit dem Tuherculum ileo-pectineum verwachsen, und wird
deshalb an dieser Stelle Fasda üecHpectinea genannt. Durch die
Fascia üeo-pecttriea wird die grosse Geffnung unter dem Poupart-
schen Bande in zwei seitliche Lücken abgetheilt. Die äussere
Lücke ist die Lacuna musculans. Sie lässt den Psoas, Iliacus, imd
zwischen beiden den Nervus cruralis heraustreten. Die innere
heisst I^cuna vasorum cruralium, und dient zum Durchgange der
Arteria und Vena cruralis, welche sich in das Fettlager der Fossa
lleo-pectlnea so einhüllen, dass wenig Fett auf ihnen, vieles unter
ihnen liegen bleibt. Beide Gefiisse sind in eine gemeinschaftliche,
durch eine Zwischenwand in zwei Fächer abgetheilte, fibröse
Scheide eingeschlossen. Sie folgen, während sie blos vom hoch-
liegenden Blatte der Fasda lata bedeckt sind, einer Linie, welche
man beiläufig vom Beginne des inneren Drittels des Poupart'schen
Bandes, gegen die Spitze der Fossa ileo-pectinea herabzieht. Die
Arteria cruralis liegt dicht an der Fasda lleo-pectlnea an, die Vena
cruralis neben der Arterie nach innen, und nimmt hier die Vena
saphena interna auf. Beide Gefasse füllen die Lacuna vasorum nicht
ganz aus. Zwischen der V^ena cruralis und der dritten Insertion
des Poupart'schen Bandes am Pecten puhis, welche d\^ Ligamentum
Glmbernatl benannt wird, bleibt ein Raum frei, welcher nur von
der Fasda transversa des Bauches und dem Bauchfell verschlossen
wird. Da durch diesen Raum, die Eingeweide aus der Bauchhöhle,
so gut wie durch den Leistenkanal, oder die innere Leistengrube,
austreten können, um eine Heiniia cruralis zu bilden, so nennt man
ihn: Bauch Öffnung des Schenkelkanals — Annulus ci^ralis.
Die Schenkelöffnung des Schenkelkanals, und die Bildung des
Kanals selbst, werden im §. 199 beschrieben.
Vom unteren Winkel des Triangidus subingulnalls angefangen,
wird die- Aiterla, und Ve^ia cruralis vom Musculus sartorius bedeckt,
528 S. IM. Topofnpk. TerbUtniss der Mnikeln and Oeftue am Obenehenkel.
und liegen beide, bis zu ihrem Durchtritte durch den Schlitz in der
Sehne des grossen Zuziehers, in einer Rinne, welche durch die
Adductoren und den Vcutua internus gebildet wird.
Der Nervus cruralis wird in der Fossa üeo-pectinea von der
Arteria cruralis durch die Fascia äeo-pectinea und die Sehne des
Psoas getrennt, und theilt sich gleich unter dem Poupar tischen
Bande, in hoch- imd tiefliegende Zweige. Erstere sind Hautäste,
letztere Muskeläste. Einer von den Hautästen begleitet die Crural-
arterie, liegt anfangs an ihrer äusseren Seite, kreuzt sich hierauf
mit ihr, um an ihre innere Seite zu kommen, verlässt sie dann bei
ihrem Eintritt in den Schlitz der Adductorenschne, und begleitet
von nun an die Vetia saphena magna bis zum Fusse hinab, weshalb
er Nervus saphenus genannt wird.
Es erhellt aus diesen Verhältnissen, dass die Arteria cruralis, deren Unter-
bindung bei gewissen chirurgischen Krankheiten nothwendig wird, im TriangtUwt
tubkiguinaUg, wo sie nicht von Muskeln bedeckt wird, am leichtesten zugänglich
ist, und man sie hier, wenn die Wahl der ITnterbindungsstelle frei steht, am
liebsten blosslegt. Da sie während ihres Laufes durch dieses Dreieck, die meisten
ihrer Seitenäste abgiebt, von denen die Profunda feniorü, einen bis anderthalb
Zoll unter dem Poupar tischen Bande die stärkste ist, und man so weit al8
möglich unter dem letzten Collateralast die Unterbindung vornimmt, so ist nach
Hodgson die beste Lig^turstelle der Arteria cruralis, am unteren Winkel des
Triangulus 9ubinguinalis gegeben, welcher, wenn man den inneren Band des Sar-
torius verfolgt, leicht zu finden ist. Die sehr veränderliche, bald höher, bald tiefer
gelegene Kreuznngsstelle der Arteria cruraÜH mit dem Nemma saphenus erheischt
Vorsicht. — Von der Spitze des Triangultis suMnguinalis bis zum Durchgang
durch den Schlitz der Adductorsehne, muss, wenn hier die Unterbindung der
Crural- Arterie nach dem Hunter'schen Verfahren vorgenommen werden sollte,
der Sartorius durch einen Haken nach aussen gezogen werden. Unmittelbar an
der Eintrittsstelle in die Sehne des Adductor, wäre dem Gefässe auch vom
äusseren Bande des Sartorius her, oder durch eine Längenspaltung seines Fleisches,
beizukommen. — Das Verhältniss der Vena cruralis zur Arterie ist so beschaffen,
dass am horizontalen Schambeinaste die Vene an der inneren Seite der Arterie
liegt, sich aber im Herabsteigen so hinter sie schiebt, dass über den Schlitz
der Sehne des Adductor^ die Arterie die Vene genau deckt. — An keiner anderen
Stelle des Verlaufs der Arteria cruralis lässt sich eine Compression derselben
leichter bewirken, als am horizontalen Schambeinaste, wo sie durch den Finger,
der ihren PuUschlag fühlt, einfacher und sicherer als mit künstlichen Vorrich-
tungen ausgeführt werden kann.
Wie wohlthätig anatomische Kenntnisse auch dem Nichtarzte sein könnten,
beweist folgender Fall. Ein Prager Student schnitt sich auf einem Spaziergange
einen Weidenstock zu. Um ihn zu schälen, zog er ihn unter der Schneide eines
Taschenmessers durch, welches er an den Schenkel stemmte. Einer seiner Ge-
fährten stiess ihn an, das Messer fuhr in den Schenkel, schnitt die Arteria cru-
ralis durch, und, bevor Hilfe kam, war er eine verblutete Leiche. Ein Fingerdruck
auf den horizontalen Schambeinast hätte ihn wahrscheinlich gerettet.
|. 198. Muskeln an der hinteren Peripherie de« Obereehenkels. 529
§. 193. Muskeln an der hinteren Peripherie des Oberschenkels.
Sie sind bei weitem weniger zahlreich als jene an der vor-
deren und inneren Peripherie, und gehen vom Tuber ischü zum
Unterschenkel, welchen sie beugen. Es sind ihrer drei.
Vom Sitzknorren ausgehend, divergiren sie im Herabsteigen
so, dass der eine schief gegen die äussere Seite des Kniegelenks,
die beiden anderen gerade gegen dessen innere Seite ziehen. Der
erste nimmt im Herabsteigen einen von der äusseren Lefze der
Linea aspera femoris, unterhalb der Insertion des Glutaeus magnua
entspringenden kurzen Kopf auf, und heisst deshalb der Zwei-
köpfige, Biceps femoris. Seine Endsehne befestigt sich am Waden-
beinköpfchen, unter dem Ligamentum laterale externum des Knie-
gelenks, wo ein Schleimbeutel vorkommt. Die beiden anderen sind
der halbsehnige und halbhäutige Muskel, — Muscuius semi-
tendinosus und semhaembranosus.
Der Halbsehnige bedeckt den Halbhäutigen, ist an
seinem Ursprünge mit dem langen Kopfe des Biceps femoris ebenso
verwachsen, wie der Coracobrachialis am Oberarm mit dem Ursprung
des kurzen Bicepskopfes, verschmächtigt sich im Herabsteigen pfrie-
menförmig, und geht in der Mitte des Oberschenkels in eine lange,
schnurförmige Sehne über, welche sich unter dem inneren Knorren
des Schienbeins nach vom kiümmt, und unter der Sehne des Gra-
cilis zur inneren Schienbeinfläche gelangt, um sich neben der Spina
tibiae zu implantiren (Schleimbeutel).
Da seine Sehne so lang ist, wie sein Fleisch, so wHre sein Name: Halb-
sehniger, gerechtfertigt. Sein Fleisch wird durch eine, die ganze Dicke des
Muskels schräge schneidende fibröse Einschubsmembran (als IrucripHo tendinea zu
deuten) durchsetzt, an welcher die Fleischfasem der oberen Hälfte endigen, und
jene der unteren beginnen.
Der Halbhäutige liegt zwischen Semitendinosus und -^cWwctor
magnus. Seine dreieckige breite Ursprungssehne reicht an der einen
Seite seines Muskelfleisches bis zur Mitte des Oberschenkels herab,
wo zugleich seine Endsehne an der anderen Seite des Fleisches be-
ginnt. Das Fleisch des Muskels bildet drei Querfinger breit über
dem Knie, einen runden starken Bauschen, welcher plötzlich mit
einem scharfen Absatz wie abgeschnitten aufhört, und durch eine
kurze, aber sehr kräftige Sehne, sich am hinteren Bezirk des Con-
dylus internus tibiae einpflanzt.
Zwischen dieser Sehne, und dem inneren Seitenbande des Kniegelenks,
liegt ein Schleimbeutel. Ein ebensolcher findet sich zwischen derselben Sehne
Hyrti, Lehrbach der Anatomie. 14. Aufl. 34
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530 §. 194. Topognpbie dar KniekehJe.
und dem Urepnmg des inneren Kopfes des Gastrocnemins. Er steht zuweilen mit
der Sjnovialkapsel des Kniegelenks in Höhlencommunlcation.
Ein breites Faserbünde] löst sich vom äusseren Bande der Endsehne des
Semimembranosus ab, geht im Grunde der Kniekehle g^gen den Cmuiylus extemu^
fenioris herüber, verwebt sich mit dem Ligamentum poplUeum (§. 152, 4), und
verschmilzt zuletzt mit der Ursprungssehne des äusseren Kopfes des später zu
beschreibenden Gastrocnemins. Da die Beugung des Unterschenkels unter Um-
ständen (z. B. beim Niedersetzen) nicht blos durch den Semimembranosus und seine
beiden Helfershelfer (Biceps und Semitendinosus) bewerkstelligt, sondern ssugleich
durch Mithilfe des Gastrocnemins vollzogen wird, so muss sich, wenn der Semi-
membranosus und der äussere Kopf des Gastrocnemins sich contrahiren, das
Ligamentum popliteum anspannen, wodurch die mit ihm verwachsene hintere Wand
der Kniegelenkskapsel gleichfalls gespannt, aufgehoben, und vor Einklemmung
geschützt wird.
§. 194. Topographie der Kniekehle.
Durch die nach unten gerichtete Divergenz der langen, vom
Sitzkuorren entspringenden Muskeln, wird an der hinteren Seite
des Oberschenkels, gegen das Kniegelenk herab, ein dreieckiger
Raum zwischen ihnen entstehen müssen, dessen äussere Wand
durch den Biceps, dessen innere durch den Semitendinosus, Semi-
membranosus und Gracilis erzeugt wird. In der nach unten offenen
Basis dieses Dreiecks, drängen sich die beiden convergirenden Ur-
sprungsköpfe des zweiköpfigen Wadenmuskels (Gastrocnemim) aus
der Tiefe hervor, und verwandeln den dreieckigen Raum in ein
ungleichseitiges Viereck, dessen obere Seitenränder lang, die unteren
viel kürzer sind. Dies ist die Fossa popKtea, Kniekehle. Da
Pöples kein griechisches, sondern ein lateinisches Wort ist, muss
die von vielen Autoren beliebte Schreibweise: Fossa poplitaea, für
unrichtig erklärt werden. Es giebt kein griechisches Wort xst:).'.-
Tato;. Eigentlich ist Fossa poplttea ein Pleonasmus, da poples allein
schon bei den Classikern für Kniekehle oder Kniebeuge steht, zum
Unterschied von genu, wodurch die Streckseite des Knies ausgedrückt
wird. So bei Seneca: sticcims poplttibus in geiiua se excipere. Leiten
doch auch die Sprachforscher das Wort poples von postplicari ab.
Die Kniekehle schliesst die grossen Gefasse und Nerven dieser
Gegend in folgender Ordnung ein. Nach Abnahme der Haut und
des subcutanen Bindegewebes, welches sich hier zu einer wahren
Fascia superficialis verdichtet, und an der inneren Seite des Knie-
gelenks die vom inneren Knöchel heraufsteigende V&iia saphena
interna eiuscliliesst, gelaugt man auf die Fascia poplitea, als Fort-
setzung der Fascia lata, Sie deckt die Kniekehle, und schliesst die
vom äusseren Knöchel heraufkommende Vena saphena posttiior s.
S. 194. Topographie der Kniekehle. 531
minor in sich ein. Unter der Fascie folgen die zwei Theilungsäste des
Nenms ischiadicus, dessen Stamm unter dem Musculus biceps in den
oberen Winkel der Fossa poplitea eintritt. Der äussere (Nervus
pofliteus extenius), welcher im weiteren Verlaufe zum Nervus pero-
naeus wird, läuft am inneren Rande der Sehne des Biceps zum
Wadenbeinköpfchen herab. Der innere, stärkere (Nervus popliteus
internus, im weiteren Verlauf Nervus tibialis j^osticus genannt), bleibt
in der Mitte der Kniekehle, und kann bei gestrecktem Knie sehr
leicht durch die Haut gefühlt werden.
Um die, tief im Grunde der Kniekehle lagernden Blutgefässe
aufzudecken, geht man am inneren Rande des Nervus popliteus
internus in das reiche Fettlager ein, welches die ganze Grube
auspolstert, und findet in der Tiefe zuerst die Vena poplitea, welche
hier gewöhnUch die Vena saphena minor aufnimmt, und unter ihr,
zugleich etwas nach innen, durch kurzes Bindegewebe knapp an
sie geheftet, die Fortsetzung der Arteria cruralis als Arteria popli-
tea, welche unmittelbar auf dem unteren Ende des Schenkelbeins,
und der hinteren Wand der Kniegelenkkapsel aufliegt.
Der leichteren Fiximng des Lagerungsverhältnisses der durch die Eliiie-
kehle hindurchziehenden Gefasse und Nerven, hilft Herr Rieh et durch den
mnemotechnischen Ausdruck NVA (gesprochen Neva), — eine anatomische Wir-
kung der viel gesuchten und noch immer nicht gefundenen französisch-russischen
Allianz !
Der Raum der Kniekehle ist bei activer Beugebewegung des Kniees tiefer,
als im gestreckten Zustande, indem die Muskeln, welche die langen Seitenwände
derselben bilden, sich während ihrer Contraction anspannen und vom Knochen
erheben. — Da die Arteria crurali«, einem allgemein giltigen Gesetze zufolge,
die Heugeseiten der Gelenke an der unteren Extremität aufsucht, also von der
Leistengegend zur Kniekehle läuft, auf welchem Zuge ihr die Sehne des langen
Adductor im Wege steht, so folgt hieraus die Noth wendigkeit der Durch-
bohrung der letzteren. — Man liest es häufig, dass die Ärteria cruralis sich
um den Schenkelknochen windet. Man braucht jedoch nur einen Schenkel-
knochen in jene Lage zu bringen, in welcher er im aufrecht stehenden Menschen
sich befindet, um zu sehen, dass eine Arterie, ohne sich im Geringsten zu
winden, von der Leistenbeuge zur Fo8»a poplitea verlaufen kann, wenn sie die
innere Fläche des Knochens einfach kreuzt. — Die tiefe Lage der Arieria
poplitea, macht ihre Unterbindung sehr schwer, und sie ist heut zu Tage nur
mehr ein anatomisches Problem, da die Wundärzte, wenn sie die Wahl der
ITnterbindungssteUe frei haben, seit Hunter lieber die Arteria crureUig unter-
binden. - Die Häufigkeit des Vorkommens krankhafter Erweiterungen (Aneu-
rytmiata) an der Arteria poplitea ist bekannt, wenn auch nicht genügend
erklärt. Es kam schon vor, dass man Abscesse in der Kniekehle, oder Ausdehnun-
gen der bei den Muskeln erwähnten Schleimbeutel, deren flüssiger Inhalt die
Pulsationen der Arteria poplitea fortpflanzt, für Aneurysmen gehalten hat.
34*
hH2 |, t^ti. NMkffIfi M «f«! vor<l«rftri uo'l iii»*«r«ii H«it« 4«t i;nt«r«chenk«U.
§. Iliri. MuHkoln an der vorderen und äusseren Seite des
Unterschenkels.
Hif< nIimI Mlliiiiiitlif'h liiiiKo MuHkoln, und orHchcincn .so um die
KiioiditMi dt«M llnti^'Mcdit^nkdlH horuingtdiigort^ da»» nur die innere
Ht'liitMilM«inlllU'lM\ dit* v<»rdnr(^ Schienlx^inkante, und die beiden
Knüt^lhd viMi ilini^n uniMMliM'kt Idt^hcn. Kiunor von ihnen entspringt
tiMi nlmi'm'luMikol. Sii^ koinnion vieluMdir alle von den Knochen
iU^tk |lhtPi*m*hohkelM ht^r» Hot/rn iUu^r das Sprunggelenk weg, und
Mrhl«*k(«u ihn« Sohnon tht^JH »u den Mitteliuäsknoehen, theils zu
diMi /ohon.
^l. Vordtite Seite,
l>io MuMkoh) an dor vonloivu Seite des Unterschenkels,
hahon den Haiun *\vi>«ehen Sehiou und Wadenbein in Besitz. Von
innen naeh aUHnen gtdiend« tindet man sie in folgender (.Ordnung
he r \ o r d e r o Sohl t* n b e i n ui u s k e 1, Mitscvitts U'hiaiis a ntk%*
¥s fci|*|M\*«t*» der slÄrksU* unter ihnen, entspringt vom äusseiva
Kuorivn und der Äusseivn KlÄohe dos Schienbeins, vom Zwischen-
kiu^^henlmade» nn\l \\»n der f**iA>\i o^i^w, und verwandelt sieh ;ftm
wwlvivn l^rinvl \le> l ntei^seheukels in eine starke Stöhne, welche
ubev \la> unUMv Kwde des Schiculnnus und üln^r da> Spruug^lcnk
*vh^^v wach »uucn Uut^ , um am ersten Keilbeine . uivd aii der
)laM> des i^ »('^^»M»^ V.j-Vks>s i\i cndii^vU >chK*iml»euU'l . Ixv^it
Ucn Kuxs und divht dm auxleich ein wenii: >«>* um ><riiie l-Äiiirv^-
aWv dav> der ;n*,tciv KviNx^ud nach v^ln^n sieht, wir "tK-irü Kc::c:i
HAch doi alt>jw,i:>chcu Ss'hulc \ :cl;etv ht riihr^ vier Näi;i^ H:l\^:*'>
sIaKcv ^\cu x\v>. l^cixl
§. 195. Maskeln an der vorderen und Äusseren Seite des Unterschenkels. 533
Der lange gemeinschaftliche Strecker der Zehen^
Musculus ext&iisor digitorum communis longus, entspringt von dem
Köpfchen und der vorderen Kante des Wadenbeins, dem Condylus
extenius Hbüie, und dem Ligamentum interosseum. Er ist halbgeüedert.
Die an seinem vorderen Rande befindliche Sehne, theilt sich über
dem Sprunggelenk in fünf platte Schnüre, von welchen die vier
inneren, zur zweiten bis fünften Zehe laufen, um mit den Sehnen
des kurzen gemeinschaftlichen Streckers, die Rückenaponeurose der
Zehen zu bilden, welche sich wie jene der Finger verhält. Die
fünfte oder äusserste Sehne, setzt sich an der Rückenfläche des
fünften Mittelf usskn och ens fest, nahe an dessen Basis (zuweilen
auch des vierten, oder an diesem letzteren allein) und schickt
häufig auch eine fadenförmige Strecksehne zur kleinen Zehe. Oft
ereignet es sich, dass das Fleisch des Extensor communis, welches
dieser fünften Sehne den Ursprung giebt, weit hinauf vom gemein-
schaftlichen Muskelbauche des Zehenstreckers abgetrennt erscheint.
Dieses Fleisch führt deshalb seit Win slow und Alb in den beson-
deren Namen Musculus peronaeus tertius.
Indem die Sehnen der Muskeln an der vorderen Seite des Unterschenkels
Über die Bengeseite des Sprunggelenks laufen, und sich bei jeder Spannung von
ihr emporheben würden, so müssen sie durch starke, in die Fa»cia cniris kreuz-
weis eingewebte Sehnenstreifen, auf dem Fassrüste niedergehalten werden. So
ergiebt sich die Nothwendigkeit des Ligamentum cruckUum. Es besteht dieses
Band aus zwei, sich schief kreuzenden Schenkeln, von welchen der eine vom
inneren Knöchel zur äusseren Fläche des Fersenbeins geht, während der zweite
vom Os naviailare und cuneiforrtte prinium entspringt, bis zur Kreuznngsstelle
mit dem ersten stark ist, und von hier an nur selten bis zum äusseren Knöchel
deutlich ausgeprägt erscheint. Zwei an der inneren Oberfläche des Kreuzbandes
entspringende Scheidewände, schieben sich zwischen die Sehnen des Tibialia
antictis, Exteii»or haUticis lotiyiut, und Extensor communitt diffitorum Ixmf/tis ein, und
bilden gesonderte Fächer, die mit Synovialhäuten, welche die Sehnen auch über
das Kreuzband hinaus begleiten, gefüttert werden.
Für das Bündel der Sehnen des langen Zehenstreckers, steht am Rücken
des Sprunggelenks noch eine besondere Bandschlinge bereit, welche von
Retzius als Ligamentum fundiforme tarsi, Schleuderband, bescli rieben wurde
(Müller 8 Archiv, 1841). Man sieht dieses Band, nach vorsichtigem Lospräpariren
des Kreuzbandes, aus dem Sinus tarsi herauskommen, und, nachdem es das
erwähnte Sehnenbündel schlingenförmig umgriffen, wieder dahin zurückkehren.
Die Innenfläche der Schlinge oder Schleuder trifft man nicht selten in solchem
Grade verknorpelt, dass man diese Stelle des Bandes bei mageren Füssen
durch die Haut sehen, und mit dem Finger fühlen kann. Das Band verhindert,
während der Zusammenziehung des Muskels, die Erhebung der Strecksehnen vom
Fussrücken.
Die Arteria tibialia anOca, ein Zweig der Arteria poplitea, welcher durch
die obere Ecke des Zwischenknochenraums , zur vorderen Seite des Unter-
schenkels gelangt, befindet sioh ssu den Maskeln dieser Gegend in folgendem
Verhältnisse. Sie läuft auf dem ZwisohenkuochenlMutde Mi&ngs zmschen dem
Fleisch des Tibialis anlicu9 und lä*!«*f*— '««dter unten
Extenacr haliuci» longug) h»^
534 S- Id^' Muskeln an der vorderen nnd äusseren Seite des Unterschenkels.
Schienbeins auf, passirt das mittlere Fach unter dem Kreuzband am Fussrüst,
nnd folgt im Ganzen einer geraden Linie, welche von der Mitte de» Abstandes
zwischen CapUulum ßbulae und Spina tihiae, zur Mitte einer, beide Knöchel-
spitzen verbindenden Linie herabgezogen wird. Nebst zwei Venen, liat sie den
Xervtts Ubialin anticiut zum Begleiter, welcher aus dem Xercu^ poplüeus externus
stammt, unter dem Wadenbeinköpfchen sich nach vorn krümmt, indem er den
Muactdus peronaeu» Unuftut und Exteiuor diffUonim conuiuuiijt IwufUH durchbohrt,
und anfanglich an der äusseren, sp&ter an der inneren Seite der Arterie, deren
vordere Fläche er kreuzt, herabläuft. — Im oberen Dritttheil ihre« Verlaufes,
liegt die Arterie so tief, und die sie bergenden Muskeln Kind unter »ich und
mit der dicken Fa»cia cruriti so innig verwachsen, das« man ausser der oben
genannten Linie keinen weiteren Führer zum gesuchten GeHisse liat, und die
Unterbindung desselben somit eine schwere ist. In den beiden unteren Dritteln
des Unterschenkels, leitet die Kenntniss der Sehnen, ganz sicher zur Auffindung
dieser Arterie. Am Fussrücken, wo sie dicht auf dem Tarsus Hegt, wird
sie zwischen den Sehnen des Eoeterutor hallucis lot^giut und Exlemor dujüorum
Umyus weniger dem Finger zum Pulsfühlen, als den verwundenden Werkzeugen
zugänglich sein.
B. Aeussere Seite,
Die hier befindlichen Muskeln, zwei an Zahl, folgen der
Längenrichtung des Wadenbeins.
Der lange Wadenbeinmuskel, Musculus peronaeu^ longus,
entspringt mit zwei, durch den Wadenbeinnerv von einander ge-
trennten Portionen, mit der oberen vom Köpfchen des Waden-
beins, mit der unteren unter dem Köpfchen bis zum letzten Viertel
der Knochenlänge herab. Seine Sehne gleitet in der Furche au der
hinteren Gegend des äusseren Knöchels herab, tritt hierauf in eine
Rinne an der äusseren Fläche des Fersenbeins, dann über den
Höcker des Würfelbeins in die Furche an der Plantarfläche dieses
Knochens, kommt bis an den inneren Fussrand, und endigt daselbst
am ersten Keilbeine, und an der Basis des ersten und zweiten Mittel-
fussknochens. Streckt den Fuss, abducirt ihn, und wendet die Hohle
etwas nach aussen.
In der Sehne des Feranaewt Iwu/ttJt finden sich an jenen Stellen, wo »ie sich
während ihrer Verschiebungen am Knochen reibt (am äusseren Knöchel, am Ein-
tritt in den Snlnut m^is cuf^oidei), verdickte faserknorpelige Stellen, von welchen
jene am Würfelbeine, selbst verknöchern, und dann einem Sesambein verglichen
werden kann.
Der kurze Wadenbeinmuskel, Musculus peronaeus brevis,
entspringt, vom zweiten Drittel des Wadenbeins angefangen bis
zum äusseren Knöchel herab, und wird vom vorigen, mit welchem
er parallel liegt, bedeckt. Seine Sehne geht hinter dem Malleolus
extemus zum äusseren Fussrande, wo sie sich an die Tuherositas
oBsis metatarsi quinti befestigt. Gewöhnlich sendet sie noch eine
S. 196. Mufkeln an der hinteren Seite des Unterechenkele. 535
dünne accessorische Strecksehne zur kleinen Zehe. Wirkt wie
der vorige.
Ich habe von der oben erwähnten accessorischen Strecksehne der kleinen
Zehe gezeigt, dass sie immer die Insertionsstelle des PeronaeitJt tertiua an der Basis
des fünften Metatarsus, oder, wenn dieser Muskel sich am vierten Metatarsus in-
serirt, ein Band durchbohrt, welches die Basis des Metatarsus der kleinen Zehe
mit jener des vierten verbindet (LujanierUum intermetatarseum dorsale). Hyrtl, über
die accessorischen Strecksehnen der kleinen Zehe, in den Sitzungsberichten der
kais. Akad. 1863.
Um das Ausschlüpfen der Sehnen beider Peronaei aus der Furche des äusse-
ren Knöchels zu verhüten, verdickt sich die Fascie des Unterschenkels hier zu
einem starken Haltbande — RHinctculum a, Ligamentum annulare extemum —
welches sich vom äusseren Knöchel zur äusseren Fläche des Fersenbeins herab-
spannt, und zur Aufnahme beider Sehnen, in zwei Fächer getheilt wird.
§. 196. Muskeln an der hinteren Seite des Unterschenkels.
Sie werden durch ein zwischen sie eingeschobenes Blatt der
Fascia surae, in ein hochliegendes und tiefliegendes Stratum
geschieden.
A, Hochliegendes Stratum.
Es enthält die Strecker des Fusses. Diese sind drei an Zahl:
Gastrocnemius, Soleus und Plantaris, — welche Muskeln, da sie
eine gemeinschaftliche, am Höcker des Fersenbeins sich inserirende
Endsehne (Tendo Achillis s. Chorda magna Hippocratis) besitzen,
besser als Köpfe Eines Muskels, denn als besondere Muskelindivi-
duen zu nehmen sind.
Der zweiköpfige Wadenmuskel oder Zwillingsmuskel
der Wade, Musculus gem>dlv>s surae (sunt gemelli, quia mole, robore,
et actione pares, sagt Riolan), fuhrt seinen griechischen Namen:
Gastroaiemius, von Ya^xi^p, Bauch, und •/.vTfjji.Y), Wade. Derselbe ent-
springt mit zwei convergenten Köpfen, welche den unteren Winkel
der Fossa poplitea bilden, unmittelbar über den beiden Condyli
fevfwris. Der äussere Kopf ist etwas schwächer, und reicht nicht
ganz so weit herab, wie der innere. Beide Köpfe berühren sich
mit ihren einander zugekehrten Rändern, welche eine Furche
zwischen sich lassen. Sie sind an ihrer hinteren Fläche mit einer
schimmernden Fortsetzung ihrer Ursprungssehne bedeckt, und
gehen jeder durch eine halbmondfiirmige , nach unten convexe
Bogenlinie, in die gemeinschaftliche breite Sehne über, welche
sich mit jener des Soleus und Plantaris zur Achillessehne ver-
einigt.
536 !• IM. l[osk«ln an der hinteren Seite des UntenchenkeU.
In den UrspningSBehnen heider Köpfe finden sich häufige faserknorpelige
Kerne, welche auch verknöchert vorkommen, als VesaTsche Sesambeine.
Camper liess nur das Sesambeinchen im äusseren Kopfe zu. Nach meinen
Deobachtungen (Oestcrr. med. Jahrbücher, Bd. 20) kommt es in beiden Köpfen
vor, obwohl im Äusseren ungleich häufiger. Bei kletternden und springenden
Säugethieren werden sie sehr gross. Q ruber schildert diese Knöchelchen auH-
ftlhrlich in den Mini, de CAcad. de St. Päersbourg, 1875.
Der Schollenmuskel, Musculus soleus (von Spigelius
Oastrocnenmis internus genannt), ist weit fleischiger, und somit auch
kräftiger, als der vorausgehende, unter welchem er liegt. Er ist
es, welcher durch seine Masse, das dicke Wadenfleisch vorzugs-
weise bildet, welches schon von Hippocrates yoiT:po%Yfi'^iO'f genannt
¥nirde (les moUets der Franzosen, la polpa della gamba der Ita-
liener). Sein Ursprung haftet am hinteren Umfange des Köpfchens,
und an der oberen Hälfte der hinteren Kante des Wadenbeins, so
wie an der Linea foplüea, und an dem oberen Theile des inneren
Randes des Schienbeins. Man könnte sonach von einer Fibular-
und einer Tibialportion des Muskels reden. Der Fibular- und
Tibialursprung sind durch eine kleine Spalte, durch welche die
hintere Schienbeinarterie mit ihrem Gefolge tritt, von einander
getrennt. Ein flbröses Bündel, verbindet die beiden Ursprungs-
portionen. Der massige Bauch des Muskels, geht durch eine breite
und ungemein starke Endsehne in die Achillessehne über. Diese
ist bei sechs Zoll lang, wird von oben nach unten schmäler und
KUgloich dicker, und setzt sich an die hintere Fläche der Ttiberosi-
Uts Citlcttnm an, woselbst ein Schleimbeutel zwischen ihr und dem
Knochen liegt.
Hippocrates hielt die Wunden und Quetschimgen der Achillessehne für
ItVdtlioh: a*m partibus prineipibu» sodelatem habet, unde contiisiut hie tendo et
9tctn*, febreti ccntinua» et aciUiagimas movet, »infftdttis excitcU, menteni perturbaty
tamiemqt^e niortem cbccerait. Wahrscheinlich schreibt sich daher der Name : Chorda
nioffna Hippocratiit, Der Glaube an die Gefährlichkeit der Wunden der Achilles-
sehne hat sich lange erhalten. In ihm liegt die Ursache, warum die Teno-
tomie erst so spät in Aufnahme kam, — ein Operationsverfahren, durch welches
die Sehnen jener Muskeln durchschnitten werden, deren andauernde und per-
manent gewordene Contraction, Entstellung, Steifheit und Unbrauchbarkeit eine»
Gliedes veranlasst. — Der Name Achillessehne schreibt sich wohl davon
her, dasH der griechische Held, welchen die Mythe nur an dieser Stelle verwund-
bar sein liess, an den Folgen eines Pfeilschusses in die Ferse starb. Schon
Homer erwähnt diese Sehne als t^tov. //. XXII. S90.
Der Schollenmnskel entlehnt seinen Namen aus der Zoologie {a ßffurn
pUcui denominalitSf VesUngii Syntagma anat cap. 19), indem seine länglich ovale
Form, an jene der Scholle, eines in den europäischen Meeren häufigen Fisches
(Pleuronectes tclea Linn.) erinnert Die in die anatomische Nomenclatur allge-
mein aufgenommene Benennung: Sohlenmuskel, ist somit absurd, da der
Mutculus »oleus mit der Sohle gta nichts zu schaffen hat. — Unter dem, den
Tibial- und Fibulararsprung des Muskels verbindenden fibrösen Bündel, begiebt
§. 196. Muskeln an der hinteren Seite des ünterschenkele. 537
sich die Ärteria tibialis poaUca mit dem gleichnamigen Nerv, Eor tiefen Schichte
der Wadenmuskulatur.
Der lange Waden muskel, Musculus plantaris, dem Palmaris
longus der Hand ähnlich, und ebenso wie dieser zuweilen fehlend,
ist ein kraftloser Hilfsmuskel der beiden vorausgegangenen, zu
denen er sich beiläufig wie ein Zwimfaden zu einem Ankertau
verhält. (Nur beim Tiger und Leopard kommt er dem Gastro-
cnemius an Stärke gleich, und verleiht diesen Thieren die ausser-
ordentliche Kraft des Sprunges.) Er entspringt am Condtßus exter-
nus femoris, neben dem äusseren Kopf des Gastrocnemius, und
verwandelt sich bald in eine lange, schmale und dünne Sehnenschnur,
welche zwischen dem Fleische des Gastrocnemius und Soleus nach
abwärts und einwärts zieht, deshalb an den inneren Rand der
Achillessehne gelangt, und theils mit ihr zusammenfliesst, theils mit
zerstreuten Fasern in dem fetthaltigen Bindegewebe zwischen
Achillessehne und Fersenbein, besonders aber in der hinteren
Wand der Sprunggelenkkapsel endigt. Da er gar nicht in die
Fusssohle kommt, so wäre sein Name Plantaris besser in Gror
cüis suras umzutaufen, welchen Win slow zuerst gebrauchte (le
jamhier grUe).
Galen, welcher sich, wie aus vielen Stellen seiner Werke erhellt, vor-
zugsweise der Affenleichen zu seinen Zergliederungen bediente, und die Ergebnisse
derselben auf den Menschen übertrug, liess den Mitsctdu^ plantarw, welcher nur
bei einigen Säugethieren in die Aponeurosis plantaris übergeht, auch beim Menschen
dahin gelangen (de iisii partium, lib. 2. cap, 3), Daher der absurde, jedoch
allgemein angenommene Name PlarUaris. Douglas, welcher den Gastrocnemius
und Soleus zusammen als Eoctensor tarsi inagnua erwähnt, nannte den Plantaris
ganz consequent ExUnsor tarn minor.
B. Tiefliegendes Stratum,
Nach Beseitigung der in A. beschriebenen Muskeln und des
tiefliegenden Blattes der Vagina surae, kommt man hinter und
unter dem Kniegelenk, auf den kurzen, dreieckigen Musculus papli-
teus, und abwärts von diesem, auf drei, in der Rinne zwischen
beiden Unterschenkelknochen eingebettete Muskeln (Tibialis posti-
cus, Flexal' digitorum longus und Flex(yr halluds longiAs), welche als
Antagonisten der an der vorderen Seite des Unterschenkels ge-
legenen Muskeln functioniren, und ihre Sehnen hinter dem inneren
Knöchel zum Plattfuss treten lassen, um entweder die Ausstreckung
des Fusses zu unterstützen, oder die Zehen zu beugen.
Der Kniekehlenmuskel, Muscidus popliteus (mcht poplitaeus),
wird erst gesehen, wenn die beiden Ursprungsköpfe des Gastro-
cnemius diii-AV» tmd zurückgeschlagen sind. Er nimmt das
538 |. 196. MatkelA an der hinteren Seite dee Unterschenkels.
dreieckige, über der Linea poplüea gelegene Feld an der hinteren
Fläche des oberen Schienbeinendes ein. Die äussere Fläche des
Cofidj^liM extemua femoria, dient ihm zum Ursprung, das obere Ende
der inneren Kante des Schienbeins zum Ansatz. Beugt den Unter-
schenkel, und dreht ihn nach innen.
Eine Fasele, welche mit der Endsehne des SemimembranoHUs znsammen-
h&ngt, deckt ihn. Unter seiner Ursprung^sehne, findet sich ein Schleiinbeutel,
welcher mit der Kniegelenkhöhle communicirt.
Der hintere Schienbeinmuskel, Musculus tibialis posticus,
ist ein halbgefiederter Muskel, liegt zwischen dem Flexor digi-
torum commufns longus und Flexor hcdluds longus. Er leitet seinen
Ursprung theils von der hinteren Fläche des Schienbeins, vorzugs-
weise aber von der hinteren Fläche des Zwischenknochenbandes
ab. Er wird vom Flexor digäorum communis so überlagert, dass
dieser entfernt werden muss, um zu seiner vollen Ansicht zu ge-
langen. Seine rundlich platte Sehne kreuzt sich über und in der
Furche des inneren Knöchels, mit der Sehne des Flexor digitorum
communis, und geht von hier über die innere Seite des Sprung-
beinkopfes (wo sie durch Aufnahme von Faserknorpelmasse sich
verdickt) zur Tuherositas ossis navicularis. Nebenschenkel dieser
Sehne begeben sich auch zu den drei Keilbeinen, zum Würfel-
bein, und zu den Basen des zweiten und dritten Mittelfussknochens.
Streckt den Fuss und zieht ihn zu, so dass man sitzend mit
beiden Füssen eine Last zu fassen und aufzuheben, oder beim
Klettern, sich mit den Füssen zu stützen und den Leib weiter-
zuschiüben vermag.
T heile nennt ihn Schwimramuskel. Diese Benennung ist jedoch eine
unrichtige Uebersetzung des alten Namens Musculus nauticHM, indem iiauta nicht
Schwimmer, sondern Schiffer bedeutet, und der TUtUUis paHiciM beim
Schwimmen nicht mehr als ein anderer Muskel des Füssen in, Anspruch ge-
nommen wird. Ebenso unpassend ist es, den Namen nautinut, von der Anheftung
an das Schiff bein herleiten zu wollen. Ich finde bei Sp ige lins, welcher der
Erste war, der diese sonderbare Bezeichnimg gebrauchte, folgende ganz treffende,
die Benennung Mtisciäus nauticus erklärende Stelle: hie a me natiticus vocari
aolelf quod eo nantae poUssimum utntUur, dum nialum scandnnt (De hum. cvvp.
fahr. Hb, IV. cap. XXI Vj — also Matrosenmuskel, weil er zum Erklettern
der Masten hilft.
Der lange Beuger der Zehen, Musadus ßexor communis
digitorum longus s. perforans, entspringt mit seinem langen Kopfo
an der hinteren Fläche des Schienbeins, und geht über dem inneren
Knöchel in eine lange Sehne über, welche jene des Tibialis posticus
kreuzend bedeckt, sich an der inneren Seite des Sprungbeins zur
FuBSsohle wendet, vom Musculus abductor haUucis und vom Mus-
culus ßexor digitorum brems überlagert wird, und, in der Mitte
der Sohle, die Fleischfasem eines zweiten accessorischen
§. 196. Muskeln an der hinteren Seite de« Unterichenkels. 539
Kopfes aufnimmt, welcher von der unteren und inneren Fläche
des Fersenbeins entsteht, und gewöhnlich Caro quadrata Sylvü ge-
nannt wird, obwohl J. Sylvius ihn als Masaa 8, Males camea
aufführt. Hierauf theilt sich die Sehne in vier kleinere Stränge,
für die vier äusseren Zehen, welche sich so wie jene des tief-
liegenden Fingerbeugers verhalten, d. h. den vier Musculi lumbri-
ccdes zum Ursprünge dienen, an der ersten Phalanx der Zehen die
Sehnen des Flexor digitorum brevis durchbohren, und am dritten
Zehengliede endigen. — Dieselben fibrösen Scheiden, wie sie an
den Fingern zur Aufnahme der Beugesehneu dienten, finden sich
auch an den Zehen.
Der lange Zehenbeiiger bietet häutig Spielarten dar. Die wichtigsten sind:
1. der Ursprung des kurzen Kopfes reicht bis zum Schienbein hinauf. *2. Vom unteren
Ende des WadenbeinH geseUt sich ein Fleischbündel zum langen Kopfe, welches
zuweilen isolirt zum Fersenbein herabläuft, und sich im Fette zwischen Achilles-
sehne und Sprunggelenk verliert, wo dann gewöhnlich der Plantaris fehlt. Wir haben
dieses Bündel ungewöhnlich lang werden, und in der Kniekehle von der Fascie auf
dem Miutcultis popliteiu entspringen gesehen. Kosenmüller sah dieses abnorme
Fleischbündel, an ein besonderes accessorisches Knöchelchen am Spnmggelenke
treten. 3. Eine oder die andere der vier Endsehnen, verschmilzt mit jener des
kurzen Beugers mehr weniger vollkommen (wie es bei den Atfen vorkommt).
4. Die Beugesehne der zweiten Zehe entwickelt sich, wie ich öfter sah, nur aus
einem besonderen Fascikel der Masaa carnea Sylvii. Sieh' ferner Gie«, im Arch.
für Anat. 1868.
Der lange Beuger der grossen Zehe, Musctäiut ße^m* hol-
Iticis longus, ist der stärkste im tiefen Stratum der Wade. Kr liegt
auswärts vom langen Zehciibeuger. Von den beiden unteren Dritteln
des Wadenbeins ausgehend, lässt er seine Sehne in einer an der
hinteren Seite des Sprungbeinkörpers befindlichen Furche herab-
steigen. Unter dem Sustentaculum tcdi , geht diese Sehne in die
Sohle, wendet sich gegen den inneren Fussrand, kreuzt sich mit
der Sehne des langen Zchenbeugers, hängt mit ihr durch ein ten-
dinöses Zwischenbündel zusammen, und läuft endlich zwischen
beiden Sesambeinen an der Articidatio metatarso-phalangea halltuds,
zum Nagelgliede der grossen Zehe, an welchem sie endet.
Die Selinen des TibialU posticus und Flexor dujitorum communis Umgtis
werden in der Furche an der hinteren Seite des inneren Knöchels, durch ein von
diesem entspringendes, zum Fersenbein und zur Ursprnngssehne des Äbductor
kallucis herablaufendes, und »ich fächerförmig ausbreitendes Band, Ligamentum
lacinintuiH s. annullare inlenmm, in ihrer relativen Lage erhalten. Eine fibröse
Scheidewand theiU den Raum unter dem Bande in zwei, mit Synovialmombran
ausgekleidete Fächer. Das Fach für die Sehne des Tihialis posticus liegt dicht am
Knöchel an, — jenes für den Fleaoor communis weiter davon ab und zugleich
oberflächlicher. — ^^fc" ■■«if/niie inUmum spaltet »ich, während es
«un F#'»" FMdkel oder Zipfel (laciniaej,
wob
540 S- 197. Mnskeln am Fnste.
lieber die Verbindung der Sehne des Flexor hallucis longiis mit der Sehne
des Flexor digUotttm conimunia in der Fusssohle handelt, auch auf comparative
Daten eingehend: E, Schtäze, in der Zeitschrift für wiss. Zool. 17. Bd. 1807.
Der Nervtis tUtiedis posticiM, welcher längs der Medianlinie der Kniekehle
zum unteren Winkel derselben herabzieht, birgt sich zwischen den beiden Köpfen
des Gastrucnemius, dringt unter dem oberen Rande des Soleus in die Tiefe, und
genellt sich zur Arteria Ubialis poBtica, welche auf dem Muaaäwt paplUeits aus der
Kniekehle herabkommt. Beide laufen unter dem tiefliegenden Blatte der Fcutcia
»ttrae zwischen Flexor haüucis Umgus und Flexor coniinutiM digitorum (die Arterie
einwärts vom Nerven liegend) längs einer Linie herab, welche von der Mitte der
Kniekehle, zur Mitte des Raumes zwischen Achillessehne und innerem Knöchel
reicht Hinter diesem Knöchel fühlt man die Arterie deutlich pulsiren. Ihre
Unterbindung ist, so weit sie vom Gastrocnemius und Soleu» bedeckt wird,
äusserst schwer. Es müsste einen halben Zoll vom inneren Rande der Tibia ent-
fernt, durch Haut und Fascie ein sechs Zoll langer Einschnitt gemacht, der
innere Rand des Gastrocnemius nach aussen gedrängt, der Tibialursprung des Soleu»
in derselben Ausdehnung durchschnitten, das tiefe Blatt der Viußna siirae auf-
geschlitzt, und das Gefäss, mit Umgehung des Nerven und der beiden ße-
gleitungsvenen isolirt werden. In der Nähe des Knöchels ist die Unterbindung
viel leichter. Ein zwei Zoll langer Haut- und Fascienschnitt, in der Mitte zwischen
Tetulo AchÜlis und Malleolus intemuSf fällt direct auf die Gefaysscheide. — Die
Arteria peronaea, die schwächste von den drei Arterien des Unterschenkels, ent-
springt von der Arteria tilnalis pogtica, zwei Zoll unter dem unteren Rande des
Popliteus, und geht, bedeckt vom Flexor haüucis longiutf am inneren Winkel der
Fibula herab.
§. 197. Muskeln am Fusse.
A. Dorsalseite,
Hier findet sich nur ein Muskel. Es ist der kurze Strecker
der Zehen, Musculus extensor digitorum communis breüis. Er ent-
springt, vor dem Eingange des Sinus tarsi, an einem Höcker der
oberen Fläche des Fersenbeins, wird von den Sehnen des langen
Zehenstreckers überschritten, und theilt sich in vier Zipfe, welche
in platte, dünne Sehnen übergehen, die schief nach vorn und innen
über den Fussrücken laufen, und, mit den Sehnen des Extensor
communis longus verschmelzend, in die Üorsalaponeurosc der vier
inneren Zehen übergehen.
Nur selten existirt eine fUnfte > Endsehne fUr die kleine Zehe. FläuHg da-
gegen stellt die zur gprossen Zehe gehende Portion, welche allein genommen, so
stark ist, wie die drei übrigen, einen besonderen Muskel dar.
Die Hauptschlag^er des Fussrftckens, Art^rUi dnrsalift pediM, eine Fort-
setzung der Arteria tihialia antica, folgt einer Richtungslinie, welche von der
Mitte des Sprunggelenks zum ersten hUeratitium interosseinn gezogen wird. Sie
liegt unmittelbar auf den Fusswurzelknochen, zwischen den Sehnen des Krleiiaor
haüucis und Exleruor digitorum communis longus, und wird, bevor r»ie /.um be-
zeichneten Zwischenknochenraum gelangt (durch welchen sie sich in den Platt-
fass hinabkrflmmt), von der inr grossen Zehe gehenden Strecksehne des Eaete^
§. 197. Muskeln am FnsM. 541
digüorum communis brevü gekreuzt Ihre Unterbindung wird, wegen leichter Au8-
führbarkeit einer verlässliclien Compresaion, nicht gemacht.
B, Plantarseite.
Die Muskeln der Plantarseite zerfallen in vier Gruppen, deren
eine längs des inneren, deren zweite längs des äusseren Fussrandes
liegt, die dritte zwischen diese beiden, und die vierte in den Zwischen-
räumen je zweier Ossa metatarsi eingeschaltet ist.
1. Längs des inneren Fussrandes finden sich die eigenen
Muskeln der grossen Zehe. Diese sind:
Der Abzieher der grossen Zehe. Er entspringt vom Tuber
und von der inneren Fläche des Fersenbeins, so wie vom Liga-
merUum ladniatum des inneren Knöchels, und endigt am ersten
Gliede des Hallux, und an dem inneren Sesambeine der Articulatio
metatarso-phalangea dieser Zehe.
Der kurze Beuger der grossen Zehe entspringt von den
drei Keilbeinen, und zum Theile auch von den Bändern, welche
in der Fusssohle die Verbindung zwischen Tarsus und Metatarsus
unterhalten. Er theilt sich in zwei Portionen, welche sich an die
beiden Ossa sesamoidea der grossen Zehe anheften. Zwischen beiden
passirt die Sehne des Flexor hallucis longus durch. Jene Portion,
welche an das innere Sesambein tritt, verschmilzt mit dem gleich-
falls dahin gelangenden Ahductor hcUluds, und wird von einigen
Autoren als ein zweiter Kopf dieses Muskels angesehen.
Der Anzieher der grossen Zehe besitzt zwei Köpfe. Der
eine, auswärts vom kurzen Beuger liegend, kommt von der Basis
des zweiten, dritten, und vierten Metatarsusknochens, auch von
der tibrösen Scheide, welche die Sehne des Peroiiaetis longus ein-
schliesst, und geht zum äusseren Sesambein des ersten Gelenkes
der grossen Zehe, wo er mit dem anderen Kopfe verschmilzt, welcher
von der unteren Wand der Kapsel der Articulatio metatarso-jplialangea
des vierten, selten auch des fünften Metatarsusknochens entspringt,
und quer hinter den Köpfen des vierten, dritten und zweiten Meta-
tarsusknochens, zur selben Stelle zieht.
Casserins entdockte diesen zweiten Kopf des Anziehers der grossen Zehe,
betrachtete ihn aber als selbstständig, und nannte ihn, seiner Richtung wegen,
TraiviversalU pediä. Da man glaubte, er könne durch Zusammendrängen der
Metatarsusknochen, die Sohle, der Länge nach rinnenf5rmig hohl machen, um sie
gleichsam zum Ergreifen von Unebenheiten des Bodens geschickt zu machen,
so heisst er bei älteren französischen Anatomen le couvreur (Muskel de
decker).
2. Längs des äusseren Fussrandes lagert die
kleinen Zehe. Sie besteht:
542 §. 197. Maikeln am Fasse.
a) Aus dem Abzieher der kleinen Zehe. Dieser entspringt
von der unteren Fläche des Fersenbeins und von der Fascia plan-
taris, und inserirt sich an der äusseren Seite des ersten Gliedes der
kleinen Zehe.
b) Aus dem Beuger der kleinen Zehe. Derselbe ist viel
schwächer als der vorige, kommt vom Ligamentum calcaneo-cuhoideum,
und von der Basis des fünften Mittelfussknochens, und befestigt
sich an der durch Faserknorpel verdickten unteren Wand der
Kapsel des ersten Gelenks der kleinen Zehe.
3. Zwischen den kurzen Muskeln der grossen und kleineu
Zehe findet man im Plattfuss den kurzen gemeinschaftlichen
Zehenbeuger. Er liegt unmittelbar unter Aar Aponeurosis plantaris ,
entspringt von ihr, und vom Tuber calcanei, und theilt sich in vier
fleischige, später sehnige Portionen, für die vier kleineren Zehen.
Jede Sehne spaltet sich am ersten Zehengliede, lässt die Sehne des
Flexor communis longus durch diese Spalte durchgehen, und be-
festigt sich, in allen übrigen Punkten dem Flexor perforatus der
Finger entsprechend, am zweiten Gliede.
4. Die Zwischenknochenmuskeln.
Es dürfen nicht vier äussere und drei innere (wie bei der
Hand), sondern es müssen umgekehrt drei äussere und vier innere
gezählt werden. Nimmt man an, dass abweichend vom Verhältnisse
der Hand (deren Längenachse durch den Mittelfinger gedacht wurde),
aber harmonirend mit der Grösse der Zehen, die Axe des Fusses
durch die grosse Zehe geht, so wird für die vier kleinereu Zehen
die Adduction in einer Annäherung an die grosse, und die Abduc-
tion in einer Entfernung von ihr bestehen. Die Adductionsmuskeln
liegen in den Interstitien der Metatarsusknochen, gegen die Sohle
zu, die Abductoren gegen den Rücken des Fusses. Erstere sind
die Interossei intemi, vier an der Zahl, letztere die Interossei extemi,
deren nur drei vorhanden zu sein brauchen, da die kleine Zehe
schon einen besonderen Abductor besitzt. — Die drei externi ent-
springen zweiköpfig von den beiden neben einander liegenden
Mittelfussknochen des zweiten, dritten, und vierten Zwischenknochen-
rauras, und befestigen sich an der äusseren Seite des ersten (le-
lenks der zweiten, dritten, und vierten Zehe in der Faserknorpel-
rolle desselben. Die vier intemi nehmen alle vier Interstitia interossea
ein, entspringen jedoch nur an der inneren Seite eines Mittelfuss-
knochens, und endigen an derselben Seite des zugehörigen ersten
Zehengliedes.
§. 198. FMcie der unteren Eztrerait&t. — §. 199. Sehenkelbinde and Schenkelkanal. 543
§. 198. Fascie der unteren Extremität Eintheilung derselben.
Das fibröse Umhüllungsgebilde der unteren Extremität besteht
wie jenes der oberen, aus einer subcutanen, mehr weniger fetthal-
tigen Bindegewebsschichte, als Fasda superficialis, und, unter dieser,
aus einer wahren, fibrösen Binde oder Fascie, deren Stärke jener
der von ihr umgebenen Muskeln entspricht.
Die Fasda superficialis zeigt sich an der vorderen und inneren
Seite der oberen Hälfte des Oberschenkels und an der Wade am
besten entwickelt, enthält gewisse oberflächlich verlaufende Gefasse
und Nerven, und kann, wo diese zahlreich auftreten, selbst wieder
in zwei Blätter, ein hochliegendes fetthaltiges, und ein tiefes, fett-
loses getrennt werden. Die eigentliche fibröse Fascie bildet eine
vollkommen geschlossene Scheide für die gesammte Muskulatur
der unteren Gliedmasse, und wird, der leichteren Uebersicht wegen,
in eine Fascia femoris (Fascia lata), Fasda cruris, und Fasda pedis
abgetheilt. Jede dieser Abtheilungen sendet Blätter zwischen ein-
zelne Muskeln oder Muskelgruppen ab, wodurch Scheiden entstehen,
welche die Verlaufsrichtung der in ihnen enthaltenen Muskeln be-
stimmen.
§. 199. Schenkelbinde und Schenkelkanal.
Die Schenkelbinde, Fasda femoris s, Fasda lata, entspringt
theils vom Labium eodemum der Darrabeincrista und dem Kreuz-
bein, theils von den Aesten des Sitz- und Schambeins. Man kann
sie deshalb in eine Portio äeo-sacralis und ischio-pubica abtheilen.
Die Portio ileo-sacralis spaltet sich in zwei Blätter, welche den
Musculus glutaeus magims zwischen sich fassen. Das Blatt, welches
die äussere Fläche dieses Muskels deckt, ist so schwach, dass es
kaum den Namen einer Fascie verdient, das innere dagegen sehr
stark, und dient zugleich einer Bündelschichte des Musculus glutaeus
medius zum Ursprünge. Haben sich die beiden Blätter, nachdem
sie den Glutaeus magnus umhüllten, wieder vereinigt, so überziehen
sie die vordere und äussere Seite des Oberschenkels, indem sie
die hier gelagerten Muskeln mit Scheiden versehen. Zwischen
Rectus femoris und Tensor fasciae, dringt ein starker Fortsatz bis
auf das Hüftgelenk und den Oberschenkelknochen ein. An der
äusseren Seite des Oberschenkels, läuft die Fascie über den grossen
Trochanter (Schleimbeutel) nach abwärts, ist hier am dicksten, und
A^«*Ar.kem des Unterscbenkols und dem Bieeps
544 |. IM. SeWak*IMii4« ud Sekesk«lkanftl.
femofiM einen Fortsatz, als Ligamentum tniermuäculare extemum, zur
äusseren Lefze der Ldfiea aspera fenwris.
Die Portio üchio-pubica j welche der Portio ileo-sacralis an
Stärke nicht gleichkommt, hüllt den Gracilis ein, und schickt
zwischen dem Vastus internus und den Adductoren, das Ligamentum
intermuscvlare intemum zur inneren Lefze der LJnea aspera femorisy
welches in der unteren Hälfte des Oberschenkels starker als in der
oberen gefunden wird.
Das Verhalten der Faseia lata in der Fossa ileo-pectinea ver-
dient, seiner Beziehung zum Schenkelkanale wegen, eine ausfuhr-
lichere Behandlung. £s ist bekannt, dass in der Fossa ileo-pectinea,
die Arteria und Vena crurcUis hegen, nachdem sie durch die Lacuna
vasorum unter dem Poupart'schen Bande aus dem Becken hervor-
ti^ten. Eine gemeinschaftliche Scheide umhüllt beide Grefasse, als
Vagina vasorum cruralium. Sie wird an ihrer äusseren Peripherie
durch eine Fortsetzung der Fascia üiaca, welche bei ihrem Aus-
tritte unter dem Poupart' sehen Bande Fasda ileo-pectinea heisst,
an ihrer inneren Peripherie durch eine Verlängerung der bei den
Bauchmuskeln besprochenen Fascia transversa gebildet. Mit dieser
Gefässscheide verbindet sich die Fasda lata auf folgende, für die
Anatomie der Schenkelbrüche (Hendae crurcUes) höchst wichtige
Weise. Ein Stück der Portio isckio-pubica der Fascia lata entspringt
längs des Pecten ossis pubis, mag somit Fasda pectinea heissen, deckt
den Musculus pectineus, geht hinter der Schenkelgefassscheide nach
aussen, und verbindet sich mit dem tiefliegenden Blatte der Portio
ileo-sacralis. Der vordere Abschnitt der Fascia ileo-sacralis nämlich
hängt, einwärts vom Sartorius, am Poupart'schen Bande fest, und
theilt sich in zwei Blätter, von denen das tiefliegende über die
Vereinigungsstelle des Psoas und Lliacus internus hinüber nach innen
zu läuft, um theils mit der Fasda ileo-pectinea zu verschmelzen,
theils an die Schenkelgefassscheide zu treten. Das hochliegende
Blatt dagegen legt sich blos oberflächlich auf die Gefassscheide,
von welcher es durch Fett und Bindegewebe getrennt wird, und
hört mit einem freien, halbmondförmigen, nach innen concaven
Rande auf. Dieser Rand ist die Plica faldformis von Allan
Bums. Das obere Hörn der Plica faldformis hängt an das Pou-
part'sche Band an; das untere Hörn geht ununterbrochen in die
Portio ischio-pubica über. Die Oeffnung, welche zwischen der Pfica
faldformis und der Portio isckio-pubica übrig bleibt, hat eine läng-
lich ovale Form, und wurde von Scarpa Fossa ovalis genannt.
Diese Fossa ovalis benützt die extra fasciam verlaufende Ve^ia
saphena magna, um durch sie zur Schenkelgefassscheide zu gelangen,
welche sie durchbohrt, und in die Vena cruralis einmündet. Hebt
man die Plica faldformis auf, so kann man mit dem Finger die
§. 200. Einiges zur Anatomie der Schenkelbrflche. 54«)
Schenkelgeßlssscheide nach oben verfolgen, und gelangt an ihrer
inneren Seite zu jener, zwischen dem Gimbernat'schen Bande
und den Schenkelgefassen übrig bleibenden Lücke (Annulus cru-
ralis, §. 192), welche blos durch die Fascia transversa, bevor sie
zur Geiassscheide tritt, und durch das Bauchfell verschlossen wird.
Bildet sich nun am Annultis cruralis eine Hernie, so wird diese,
wenn sie an Grösse zunimmt, sich auf demselben Wege nach ab-
wärts begeben, durch welchen der Finger nach aufwärts geschoben
wurde, und endlich in der Ebene der Fossa ovalis zum Vorschein
kommen. Der Bruch hat dann einen Kanal durch wandelt, dessen
äussere OefFnung die Fossa ovalis, dessen innere Oeffnung der
Annulus cruralis ist, und dessen Längenaxe mit der Richtung der
Schenkelgeftlsse parallel geht, aber etwas einwärts von ihr liegt.
Die Fossa ovalis kann in diesem Falle auch Schenkeloffnung
des Schenkelkanals genannt werden, so wie der Annulus cruralis im
§. 192, als Bauchöffnung des Schenkelkanals bezeichnet wurde.
Es fliesst aus dieser Darstellung, welche dem Sachverhalte an
Leichen mit und ohne Schenkelhernien entnommen ist, dass ein
Mensch, welcher keinen Sckenkelbruch hat, eo ipso keinen Canalis
cruralis hat, und dass, wenn ein solcher Kanal durch das Erscheinen
einer Schenkelhcrnie entsteht, seine hintere Wand durch die
Fascia pectinea, und die Vagina vasm^um cruralium, seine vordere
Wand durch das am Poupart'schen Bande befestigte obere Hom
der Plica gebildet werden wird.
§. 200. Einiges zur Anatomie der Schenkelbrüche.
Man war lange der Meinung, dass der zwischen den Schenkel-
gefassen und der Insertion des Poupar tischen Bandes am Tuber-
culum ossis puhis befindliche Raum, d. i. der Annulus cruralis, blos
durch Bindegewebe verschlossen wäre. Im Jahre 1783 bewies der
spanische Wundarzt, Ant. de Gimbernat (Nuevo metodo de operar
en la hemia crural, Madrid), die Existenz eines kräftigeren Ver-
schlussmittels, indem er die Anheftung eines breiten, dreieckigen
Fortsatzes des Po upar tischen Bandes am Pecten ossis pubis ent-
deckte, und die Beziehungen dieses Fortsatzes, welcher seitdem als
LigaTnentum Gimbernati (dritte Insertion des Poupart' sehen
Bandes) einen bleibenden Platz in der descriptiven Anatomie be-
hauptet, zu den Schenkelhernien bestimmte. Das lÄgamentum Grim-
hemati ist eine fibröse Platte, welche vom inneren Ende des Pou-
part'schen Bandes zum Pecten pubis läuft, beim aufrecht stehenden
Menschen fast horizontal liegt, seine Spitze gegen das Tuberculum
•^e Basis gegen die Schenkelvene richtet,
35
o46 S* ^^- iSiiuges xar Anatoiaie der Sckenkalbrtclie.
jedoch ohne sie zu erreichen. Was dem Ligamentum Gimbei-nati
hiezu an Länge fehlt^ wird durch ein Stück der Fasda transversa
ersetzt. Dieses Stück bildet^ so zu sagen, eine Verlängerung des
Gimbernat'schen Bandes, und verschliesst den Aimtdus cruralis,
d. i. die Oeffnung, welche von Gimbernat's Band nach innen, von
der Vena cruralis nach aussen, von Poupart's Band nach vorn,
und vom horizontalen Schambeinast nach hinten begrenzt wird.
J. Cloquet nannte dieses Stück: Septum crurale, Astley Cooper
aber Fasda propria hemiae cruralis, weil dasselbe sieh, zugleich
mit dem Bauchfelle, als Bruchsack ausstülpt. Schon J. Cloquet
bemerkte, dass die Hemia cruralis entweder das ganze Saturn crurale
ausstülpt, oder nur durch eine Oeffiaung desselben hervortritt.
Das Septum crurale hat nämlich mehrere kleine Löcher, durch
welche die an der inneren Seite der Cruralvene heraufsteigenden
tiefliegenden Lymphgefasse des Schenkels, in die Beckenhöhle
eindringen. Diese Löcher werden zuweilen so zahlreich, dass das
Septum die Gestalt eines grossmaschigen Gitters annimmt, und
eine oder die andere seiner Oeffiaungen hinreicht, wenn sie gehörig
ausgedehnt wii'd, einen Bruch aus der Bauchhöhle austreten zu
lassen, in welchem Falle die Hemia cruralis keinen Ueberzug von
der Fasda transversa, und somit auch keine Fasda propria Cooperi
haben wird. Man kann diesen ganz richtigen und erfahrungs-
massigen Ansichten, noch eine dritte Varietät des Ursprungs der
Schenkelhemie hinzufügen. Die Scheide der Schenkelgefösse näm-
lich ist unter dem Poupar tischen Bande weiter, als im ferneren
Verlaufe durch die Fossa ileo-pectinea, Sie bildet also eine Art
Trichter, welchen die französischen Autoren über Heraienanatomie,
als entonnoir anführen, und welchen die englischen Autoren über
chirurgische Anatomie, als funndshaped cavity beschrieben und
trefflich abgebildet haben. £s ist möglich, und gewiss nicht selten,
dass eine Darmschlinge sich in diesen Trichter einsenkt, ihn all-
mälig von den Gefassen lospräparii*t, und somit ihre Hülle statt
vom Septum crurale, von der Gefassscheide erhält. Die englischen
Anatomen sprechen nur von dieser Form der Hernien. In der Regel
füllt eine Lymphdrüse jenen Raum des breiten Trichtereingangs aus,
welchen die Gefasse frei lassen.
Die Fossa ovalis, als äussere Mündung des Schenkclkaiials,
setzt dem Vordringen einer Hernie insofern ein Hinderniss ent-
gegen, als sie durch eine libröse, mit vielen Oeffnungen für die
hochliegenden Lymphgefasse und die Vena saphena interna durch-
brochene Platte, unvollkommen vei*schlossen wird, welche au den
Umfang der Oeffnung fest anhängt, und von Hesselbach zuerst
nachgewiesen, von Thomson aber Fasda cribrosa benannt wurde.
Diese Platte stellt eigentlich nur ein Stück der Fasda superficialis
§. 200. Einiges zur Anatomie der Schenkelbrücke. 547
dar, welches die Fossa ovcUis deckt, und mit dem Rande derselben
verwachsen ist. Der Schenkelbruch tritt gewöhnlich durch jene
Oeffnung der Fascia ciibrosa aus, durch welche die Vena saphena
zur Schenkelvene gelangt, und da diese Eintrittsstelle bald höher,
bald tiefer liegt, so wird die Länge des Schenkelkanals von sechs
Linien bis fünfzehn Linien variiren. Es kann auch geschehen, dass
der Bruch durch mehrere Oeffnungen der Fascia ctibrosa zugleich
austritt, oder, durch keine derselben gehend, sie in ihrer ganzen
Breite in die Höhe hebt. Combinirt man diese Verschiedenheiten
mit jenen am Annulits cruralis, so begreift man, dass die Hüllen des
Schenkelbruches in verschiedenen Fällen verschieden sein können,
und dass ein Fall denkbar ist, wo der Schenkelbruch keine andere
Hülle als das Bauchfell haben wu'd, wenn er nämlich durch ein
Loch des Septum crurale und zugleich durch ein Loch der Fascia
cribrosa herausging.
Der Versuch am Cadaver lehrt, dass, wenn man den Finger durch den
Schenkelkanal in das Becken einführt, der Druck, welchen er durch die fibrösen
Umgebungen erfahrt, bei verschiedenen Stellungen der Gliedmasse ein verschie-
dener ist. £r vermehrt sich bei gestrecktem und abducirtem Schenkel, und wird
kleiner bei dessen Zuziehung und halber Beugung in Hüfte und Knie. Letztere
Stellung soll der Schenkel haben, wenn man eine Schenkelhemie zu rcduciren
sucht, und da die Richtung des Bruches beim Eintritte in den Schenkelkanal
(Anntdus cruralis), und beim Austritte (Loch in der Fascia cribrosa) einen Winkel
bildet, so muss auch die Richtung des Reductionsdruckes darnach modificirt
werden.
Die Einklemmungen des Schenkelbruchs, welche durch das
Messer gehoben werden müssen, luid welche niemals krampfhaften
Ursprungs sein können, da die betreffenden Oeffnungen nur von
fibrösen, nicht von muskulösen Gebilden erzeugt werden, kommen
am Anfange oder am Ende des Schenkelkanals vor. In letzterem
Falle, wo die Einklemmung durch eine Lücke der Fascia cribrosa
bedingt wird, ist die Hebung derselben leicht, und ohne Gefahr
einer Verletzung wichtiger GofUsse auszuführen. Sitzt die Ein-
klemmung hingegen im Ännidus oniralis, so würde durch einen
nach aussen gerichteten Erweiterungsschnitt, die Arteria epigastiica
verletzt werden, weshalb in dieser Richtung nie erweitert werden
darf. Die Erweiteining nach innen, durch Einschneidung des Gim-
bernat' scheu Bandes, und jene nach oben, durch Einschneidung des
Poupart*schen Bandes, sind nur in jenen Fällen gefahrlos, wo die
Arteria obturatoria aus der Arteria hi/poyastrica , also normal ent-
springt, und, ohne mit dem Annulus cruralis in nähere Beziehung
zu kommen, an der Seitenwand des kleinen Beckens zum Canalis
obturatorius verläuft. Entspringt sie dagegen abnormer Weise aus
der Arteria epiga^rica, was nach Scarpa unter zehn Fällen, nach
J. Cl* " einmal geschieht, so schlingt sie sich
35*
o4:S §• 2^1 • PMcie des Unterschenkels nnd des Fusscs.
um die obere und innere Seite des Bruchsackhalses herum, und die
Schnitte nach oben und nach innen können sie treffen. Nur durch
grosse Vorsicht, oder durch mehrere kleinere Einschnitte, statt eines
tieferen, ist die Gefahr zu umgehen. Verpillat's Vorschlag, in
keiner der genannten Richtungen, sondern direct nach unten, durch
Einschneiden des Ligamentum pubicum Cooperi, die Einklemmung des
Schenkelbruchhalses zu heben, verdient um so mehr Beachtung,
als das Ligamentum pubicum mit dem Gimberna tischen Bande un-
unterbrochen zusammenhängt, und eine Trennung des ersteren,
welche durch keine Gefassanomalie gefährdet wird, eine Abspan-
nung des letzteren, und somit Lösung der Einklemmung herbei-
führen wird.
Die Literatur über die Anatomie der Rchenkelhernien ist theils in jener
Aber die Leistenhernien (§. 175) enthalten, theils in folgenden Specialabhand-
Inngen zu suchen: R, LintoUf On the Formation and Connexions of the Cniral
Arch. £dinb., 1819, 4. — \V. Lawrence, Abhandlung von den Brüchen, nach der
dritten englischen Originalausgabe übersetzt von Ihisch. Bremen, 1818. — G. Brenchpty
sur la hemie f^morale. Paris, 1819. 4. -- W. Linhart, über die Schenkelliernie.
Erlangen, 1862.
§. 201. Fascie des Unterschenkels und des Fusses.
Die Fascia lata wird in der Gegend des Kniees, durch Auf-
nahme ringförmiger Sehnenfasern, welche vom Ligamentum inter-
musculare extemum stammen, bedeutend verstärkt, deckt hinten die
Fossa Poplitea, und adhärirt vorn an die Kniegelenkkapsel imd die
Seitenbänder des Kniees. Von den Sehnen der Unterschenkelbeuger
erhält sie gleichfalls verstärkende Zuzüge, und wird unter dem
Knie zur Fascie des Unterschenkels. Der die Wadenmuskeln
umhüllende Theil der Fascie, heisst Fascia surae. Man unterscheidet
an ihr ein hoch- und tiefliegendes Blatt. Das letztere geht, straff
gespannt, vom inneren Winkel des Schienbeins zum hinteren Winkel
des Wadenbeins, und bildet die Scheidewand zwischen der hoch-
und tiefliegenden Muskulatur der Wade (§. 196). An der vorderen
Seite des Unterschenkels, werden der Tibialis anticus, Ki'tensor hal-
lucis und Extensor digitorum longus, von den beiden Wadenboin-
muskeln durch die Anheftung der Fascie an der vorderen Waden-
beinkante getrennt. Die Fascie zeichnet sich in der ganzen Länge
dieser Gegend durch ihre Stärke aus, und dient in ihrer oberen
Hälfte selbst dem Muskelfleische zum Ursprung. Eine Hand breit
über dem Sprunggelenk, wird sie durch Querfasern, welche von
der CHsta tibiae zur Crista ßbulae laufen, gekräftigt, und nimmt
den Namen Ligamentum annulare anterius an. Am Sprunggelenke
selbst, bildet sie vorn das Ligamentum crudatum, innen das Liga-
§. 203. Literntnr der Miukellehre. 549
mentum ladntatum s, anmdare intemiim, und aussen das Retmaculum
tendtnum peronaeonim s, annvlare extenium, deren Verhältniss zu den
Sehnen der über das Sprunggelenk zum Fusse weglaufenden Muskeln
in §. 195 und §. 197 kurz berührt wurde. — Die Fascie des
Fusses wird in eine Fascia dorsalü pedis, und Fascia plantans ein-
getheilt. Die Fascia dorsalts ist dünn und schwach, heftet sich an
die Seitenränder des Fusses, und bildet zwei Blätter, welche auf
und unter den Sehnen der Zehenstrecker sich verbreiten. Die Fascia
plantaris kann unbedingt für den stärksten Theil der gesammten
Fascie der unteren Extremität erklärt werden. Sie ist in der
Mitte der Sohle am dicksten, und an der Tuberositas calcanei, wo
sie fest adhärirt, eine liinie und darüber stark. Die Seitentheile
derselben verdünnen sich, und heften sich an die Ränder des Fusses,
wo sich auch die Fussrückenfascie befestigt. Zwei Scheidewände,
welche von ihr in die Tiefe der Sohle eindringen, theilen die
Muskeln des Plattfusses in die in §. 197, B, erwähnten drei Gruppen,
und verweben sich mit einem fibrösen Blatte, welches die untere
Fläche der Musculi interossei überzieht. Gegen die Zehen zu, wird
die Fascia plantaris breiter und dünner, und spaltet sich vor den
Cajntulis ossium metatarsi in fünf Schenkel, welche theils an die
Scheiden der Sehnen der Zehenbeuger treten, theils mit den Quer-
bändern der Köpfchen der Mittelfussknochen sich verweben.
Die stärke und Unnachgiebigkeit der fibrösen Fascie der unteren Extre-
mitMt erklärt die heftigen Schmerzen, welche bei entzündlicher AnschweUung
tief gelegener Organe, nothwendig entstehen milssen, macht die grossen Zer-
störungen begreiflich, welche tiefliegende Abscesse veranlassen, und rechtfertigt
den frühzeitigen Gebrauch des Messers zur Eröffnung derselben. Die Fascia
plaiüarh wirkt, ausser dass sie die in der Hohlkehle des Plattfusses verlaufen-
den Gefässe und Muskeln, beim Gehen gegen Druck in Schutz nimmt, zugleich als
Band, um die Wölbung des Fusses aufrecht zu erhalten, und kann, wenn sie
in Folge eines angeborenen Bildungsfehlers zu kurz ist, abnorme Krümmung des
Fusses bedingen, deren Beseitigung eine subcutane Trennung der Fascie erheischt
§. 202. Literatur der Muskellehre.
Nach Galen' 8 Zeugniss hat Lycus zuerst über die Muskeln
geschrieben, und eine grosse Anzahl derselben entdeckt. Rufus
von Ephesus belegte einige Muskeln mit besonderen Namen,
während die meisten von Galen und seinen Nachfolgern blos
durch Zahlen von einander unterschieden wurden. Jacob Sylvius,
Professor der Medicin am CoUdge royal de France (1550), führte für
die meisten Muskeln zuerst jene Nomendator ein, welche jetzt noch
üblich ist.
550 §• 202. Litoratnr der Mnskellebre.
Die gesammte Muskellehre behandeln:
B. S. Albinus, historia musculorum hominis. Lugd. Bat., 1734
bis 1736. 4. — Ejusdem tabulae sceleti et musculorum hom. Lugd.
Bat. 1747. fol. — J, G, Walter, myologisches Handbuch zum Ge-
brauch derjenigen, die sich in der Zergliederungskunst üben. 3. Auf-
lage. Berlin, 1795. — J. Quain, The muscles of the Human Body.
London, 1836. fol. — J. C, M, Langenheck, icones anat. 6ött., 1838.
fol. Sehr correct. — J, B. Günther und J. Müde, die chirurgische
Muskellchre in Abbildungen. Hamburg, 1839. — Th. Sömtnerring,
Lehre von den Muskeln und Gefilssen. Herausgegeben von Tlieile.
Leipzig, 1841; durchaus genaue, und auf eigene Untersuchungen
gestützte Beschreibungen, mit zahlreichen Angaben über Muskel-
varietäten. — E. Dursy, die Muskellehre in Abbildungen. Tübingen,
1856. — Henle's Handbuch enthält zugleich die genauesten Angaben
über den Ursprung und die Eintrittsstellen der einzelnen Muskel-
nerven.
Ueber die Muskeln einzelner Gegenden handeln, nebst den im
Texte der Myologie angegebenen:
D. C. Courcelles, icones musculorum capitis. Lugd. Bat., 1743.
— Ejusdem icones musculorum plantae pedis. Amstel., 1760. —
D. Santorini, observ. anat. Vcnet., 1714, reich an sorgfaltigen Be-
obachtungen über die kleineren Muskeln des Gesichts, des Kehl-
kopfes und der Genitalien. — J, B. Wtn^low , observations sur la
rotation, la pronation, la supination, etc., in den Mem. de TAcad. de
Paris, 1729. — Desselben, remarques sur le muscle grand dorsal,
et ceux du bas ventre, in den Mem. de TAcad. de Paris, 1726. —
A, Fr, Walther, anatome musculorum tencriorum corporis hum. Lip-
siae, 1731. — J, Heilenheck, de musculis ccrvicis et dorsi comparatis.
Berol., 1836. — F, W. Theile, de musculis rotatoribus dorsi. Bernac*,
1838. — Desselben : Ucbcr den Triceps hrachü und den Flexor digi-
torum suhlimis. Müllers Archiv. 1839. — A. Haller, de musculis
diaphragmatis, in dessen Opp. minor. Vol. 1. — A, Thomson, sur
Tanatomic du bas ventre. 1. livr. Paris. ^linutiös bis in*s lleber-
flüssige. — G. lioss, die P^xtrcmitäten dos menschlichen Körpers,
ein Chirurg, anat. Versuch, in Oppenheim's Zeitschrift 26. u. 31. Bd.
— Ijanger, über die Achselbinde und ihr Verhältniss zum Ixitissi-
mm dorsi, in der österr. med. Wochenschrift, 1846. — K, Dursy,
Beiträge zur Kenntniss der Muskeln, Bänder, und F^ascien der Hand.
Heidelb., 1852. — Derselbe über <lie Fascien und Schleimbeutel
der Fusssohle, in der Zeitschrift für rat. Med. N. F. B. 6. Heft 3.
— Duchenne de Bonlogne, recherches electro-physiologiques sur les
muscles, (jui meuvent le pied. Paris, 1856. — ./. Budge, über die
§. SOS. Literatur des Mnskellehre. 551
Musculi intercostalesy im Archiv für physiol. Heilkunde, 1857. —
Luschka, über den Rippenursprung des Zwerchfells, in Müller' s
Archiv, 1857. — Ch. Aehy, die Muskeln des Vorderarms und der
Hand, in der Zeitschrift für wiss. Zool. 10. Bd. 1. Heft. — R. Mar-
tin, die Gelenkmuskeln des Menschen. Erlangen, 1874.
Unter den Gesammtwerken über Anatomie, welche der Muskel-
lehre eine besondere Aufmerksamkeit widmen, verdient immer noch
genannt zu werden : Winsloxc's Exposition anatomique de la structure
du Corps humain. Amstelod., 1752, wo dem Mechanismus der Mus-
keln ein eigener, sehr lehrreicher Abschnitt gewidmet ist.
Ueber Muskelvarietäten schrieben:
A. Fr. Wcdther, observationes novae de musculis. Lips., 1733.
— A, Haller, observationes myologicae. Götting., 1742. — J. F. Aen-
flamm, de musculorum varietatibus. Erlang., 1765. — J. G. Rosen-
midier, de nonnullis musculorum varietatibus. Lipsiae, 1804. —
F, L, Gantzer, diss. musculorum varietates sistens. Berol., 1813. —
W. G. Kelch, Beiträge zur pathol. Anatomie. Berlin, 1813. — H. J, Sels,
diss. musculorum varietates sistens. Berol., 1815. — G, Fleischmann,
anat. Wahrnehmungen über noch unbemerkte Varietäten der Mus-
keln, in den Abhandlungen der phys. med. Societät in Erlangen.
Frankfurt a. M., 1810. — Benedek, dissertatio de lusibua naturac
praecipuis in disponendis musculis faciei. Vindob., 1836. — W, Gru-
her, Abhandlungen aus dem Gebiete der med. chir. Anatomie. Berlin,
1847 (Omohyoideus, Sternocleidomastoideus, Cucullaris), und in seinen
anat. Abhandlungen. Petersburg, 1852. — A. Nuhn, Beobachtungen
aus dem Gebiete der Anatomie, etc. Heidelberg, 1850. fol. (Ano-
malien von Muskeln und Gefassen.) — W. Gruber, die Musculi sub-
scapulares, und die neuen supernumerären Schultermuskeln. Peters-
burg, 1857. — Gegenbauer, im Archiv für path. Anat. 21. Bd. —
Schwegel, in den Sitzungsberichten der kais. Akad., 1859. — Dursy
und Bansen, in der Zeitschr. für rat. Med., 1868 (Obere und untere
Extremität). — In F. Meckel^s pathol. Anatomie, und in dessen
Handbuch der menschlichen Anatomie, 2. Bd., finden sich zahlreiche
Angaben über Muskelspielarten. — Alle neueren, hieher gehörigen
Beobachtungen, wurden sorgfältig registrirt, in HenWs Jahresberichten,
und Alex. Moralisier hat in seinem, mit dem grössten Fleisse ver-
fassten Catalogue of Muscular Anomalies, Dublin, 1872, die reichste
Aehrenlese eigener und fremder Beobachtungen zusammengestellt. —
Ueber die als Musculus stemalis brutorum in §. 163 angeführte
Varietät des Musculus stem(hcleid(hmast(ndeu8 , und ihre Deutung,
handeln Bardeleben und Hesse, in der Zeitschrift fUr Anatomie und
Entwicklungsgeschichte^ 1. Band,
552 S. 202. Literatur der Mnskellebre.
Es wird eine Zeit kommen, in welcher die Bedeutung der
Varietäten der Muskeln besser verstanden sein wird, als jetzt, wo
man sie nur als Curiositäten zu behandeln geneigt ist. Darwin's
Lehre wird in den Muskelvarietäten , insofern sie Wiederholungen
thierischer Bildungen sind, eine Hauptstütze finden.
lieber Schleimbeutel und Schleimscheiden:
Ch, M, Koch, diss. de bursis tendinum mucosis. Lips. 1789. —
A. Monro, A Description of all the Bursae Mucosae of the Human
Body. Edinb. 1788. fol. Deutsch von Rosenmüller. Leipzig, 1791). fol.
— E. Gerlach, de bursis tendinum mucosis in capite et collo rcpc-
riundis. c. tab. Viteb., 1793. — N. G, Schreger, de bursis mucosis
subcutaneis. Erlang., 1825. fol. — Durst/, über Fascien und Schleini-
bcutel der Fusssohle, in der Zeitschrift für wiss. Med. VI. Bd.
3. Heft. — W. Grubers im Texte citirte Abhandlungen, und die
jüngste derselben: die Bursae mucosae der Spatia intermetacarpo-
phalangea, et tntermetatarso-phalanffea. Petersburg, 1858. — A, Bou-
chard, sur les gaines synoviales du pied. Strasbourg, 1856.
lieber Fascien handebi die in der allgemeinen Literatur an-
geführten Werke über chirurgische Anatomie, und über die Bezie-
hungen der äusseren Form zum Muskel system, die Werke
über plastische Anatomie, von welchen ich nur die besten anführe :
J. H. Lavater, Anleitung zur anatom. Kenntniss des mensch-
lichen Körpers für Zeichner und Bildhauer. Zürich, 1790. —
J. G, Salvage, anatomie du gladiateur combattant. Paris, 1812. fol.
— P. Mascagni, anatomia per uso degli studiosi di scultura e pit-
tura. Firenze, 1816. fol. Prachtw^erk.
VIERTES BUCH.
Sinnenlehre.
§. 203. Begriff der Sinneswerkzeüge und Eintlieiluiig derselben.
(Jrgane oder zusammengesetzte Apparate, welche nur eine
bestimmte Art äusserer Reize aufnehmen, und vermittelst der
Empfindung, welche sie veranlassen, zum Bewusstsein bringen,
heissen Sinneswerkzeuge. Jener Zweig der Anatomie, welcher
sich mit ihrer Untersuchung beschäftigt, ist die Sinnenlehre,
Aesthesiologia. Empfindungen, und durch diese, Vorstellungen an-
zuregen, ist die gemeinsame physiologische Tendenz aller Sinnes-
werkzeuge ; — die Art der Empfindung dagegen in jedem einzelnen
Sinneswerkzeuge eine verschiedene. Da die Empfindung blos ein
zum Bewusstsein gelangter Erregungszustand eines Nerven ist, so
wird die anatomische Grundbedingung aller Sinnesorgane in einer
für die Aufnahme eines äusseren Eindruckes zweckmässig organi-
sirten Nervenausbreitung gegeben sein müssen. Dem Wesen nach
stellt somit jedes Sinneswerkzeug nur eine modificirte Nervenendi-
gung dar, und die Sinnenlehre wäre demnach ein Theil der Nerven-
lehrc. Da jedoch die organischen Vorrichtungen, durch welche die
äusseren Eindrücke auf das peripherische Ende eines Sinnesnerven
geleitet werden, bei gewissen Sinnen sehr complicirt erscheinen, und
eine eigene Darstellung erfordern, so bilden die Sinneswerkzeuge
mit Recht das Object einer besonderen Lehre der beschreibenden
Anatomie. Sie als sensitive Eingeweide in die Splanchnologie
aufzunehmen, erlauben die anatomischen Verhältnisse des Tast-
organs nicht, welches, als an der äusseren Oberfläche des Leibes
gelegen, unmöglich den Eingeweiden einverleibt werden kann.
Die Sinneswerkzeuge werden in einfache und zusammen-
gesetzte eingetheilt. Zu den einfachen zählt man das Tast-, Ge-
ruchs- und Geschmacksorgan ; zu den zusammengesetzten das Sch-
und Hörorgan. Bei jenen trifi*t der äussere Eindruck die sensitive
Nervenausbreitung direct; bei diesen kann er nur durch die Ver-
Vorrichtungen, die ihn leiten, schwächen, oder
«Mtl*
550 ^ 201. Kftgriff «les TuPtRinncp.
verstärken, auf sie wirken. Alle Sinneswerkzeuge sind paarig, oder
wenigstens symmetrisch unpaar (Zunge als Oeschmackswerkzeug),
und nehmen, mit Ausnahme des Tastorgans, die am Gesichtstheil
des Kopfes für sie bereiteten Höhlen ein, um, wie der Geruch s-
und Geschmackssinn, über den Eingängen des Leibes zu wachen,
oder, wie der Gesichts- und Gohörssinn, möglichst freien Spielraum
und leichte Zugänglichkeit zu gewinnen. — Der Geschmackssinn,
dessen Träger die Zunge ist, wird nicht hier, sondern in der Ytin-
geweidelehre, §. 252, abgehandelt.
In den Sinneswerkzeiigen ist das Band gegeben, welches die Seele desi
Menschen an' die körperliche Welt knüpft. Von ihnen gehen die ersten Impulne
zu seiner intellectuellen Entwicklung aus, sie erregen seinen Geist, und bereichern
ihn mit Vorstellungen und Begriffen. ^*ä*7 e^t in intelhctn, qnod iion priu,H fu^rU
in ftetuiv. Wir erfahren durch die Sinne zunKchst nur einen gewissen Erregungs-
zustand gewisser Nerven, nicht die Qualität eines äusseren Einflusses. Da jedoch
derselbe Erregungszustand des Sinnesnerven sich so oft wiederholt, so oft der-
selbe äussere Einfluss wiederkehrt, so sind wir durch Gewohnheit dahin gelangt,
die durch die Sinne zum Bewnsstsein gebrachten Eindrücke, als Attribute der Körper
ausser uns zu nehmen, und Farbe, Ton, Geruch, als etwas Objectives aufzu-
fassen, obwohl diese Worte nur das Bewusstwerden eines subjectiven Erregungs-
zustandes eines bestimmten SinnesnervtMi ausdrücken.
A. Tastorgan.
§. 204. Begriff des Tastsinnes.
Das allen organischen Gebilden , mit Ausnahme der Ilorn-
gewebe und Kpithelien, in verschiedenem Grade zukommende, durch
die Gegenwart sensitiver Nerven vermittelte Empfindungsvermögen,
entwickelt sich in der Haut zum Tastsinn. Dieser belehrt uns
über die Eigenschaften der Körper der Aussenwelt, über ihre Ge-
stalt, Schwere, Härte, Weichheit, Temperatur, etc. Die Haut tritt
somit in die Reihe der Sinnesorgane, obwohl ihr noch eine Menge
Nebendienste zukommen. Das Verneigen der Haut zu empfinden,
hängt von der Menge und Feinheit ihrer sensitiven Nerven ab,
deren durch verschiedene äussere Einflüsse hervorgerufener Er-
regungszustand, die grosse Verschiedenheit von Gefühlen bedingt,
welche zwischen Schmerz und Wollust liegen. Dieses Empfindungs-
vermögen ist jedoch noch kein Tastsinn. Um zu letzterem zu
werden, wird die Muskelthätigkeit in Anspruch genommen. Die
blosse Berührung eines äusseren Körpers erregt kein Tastgefühl,
und verscliafft uns höchstens eine Vorstellung von der (tröss(^ des
Widerstandes, welchen ein Körj)er auf die Haut ausübt. Zur
§. 205. Strüctur der Haut. 557
Bestimmung der Ausdehnung, Form, Härte, und Beschaffenheit der
Oberfläche eines Körpers, muss eine mit hoher Empfindungsfehigkeit
begabte Hautpartie — wie am tastenden Finger — durch Muskel-
wirkung an der Oberfläche des zu betastenden Körpers herum-
geführt, und an ihn angedrückt werden. Wir werden der Grösse
der Muskelanstrengung, welche hiozu erforderlich ist, bewusst, com-
biniren dieses Bewusstsein mit der durch die einfache Berührung
entstandenen Gefühlsperception, und gelangen auf diese Weise zu
einer genauen Vorstellung über die mechanischen Eigenschaften eines
Körpers. Der Tastsinn bildet mithin den natürlichen Uebergang von
der Muskel- zur Sinnenlehrc.
§. 205. Stnictur der Haut.
Die Haut des menschlichen Leibes (Integumentum commune)
besteht aus drei in anatomischer und vitaler Beziehung sehr ver-
schiedenen Schichten, welche von aussen nach innen als Oberhaut,
Lederhaut, und subcutanes Bindegewebe auf einander folgen.
Nur die mittlere — die Leder haut (Cutis, Corium, t6 ospp^a, von
8£pw, abhäuten, schinden) — erscheint als Träger und Vermittler
der Tastempfindungen, und Avird deshalb vor den übrigen abge-
handelt.
CiUi« ist eigentlich die ganze Men»clicnhaiit, von /.uro;, eine Hülie, welche
etwas in sich fasst. Pellift ist Thierhaut, das deutsche Fell ; pelliaiUi, ein HUiitchen,
auch die Vorhaut des männlichen Gliedes, daher apella bei Horaz, einen Juden
bedeutet (credat haec Judaeus apellu, runi ego, in Sat. lib. I, V). Corium (das griechische
xupiov) dagegen wird meist nur für gegerbte Haut, also für Leder gebraucht, wie
z. B. bei S e n e c a : corium forma publica jicrcusaumf das Ledergeld der Spartaner,
und bei Sallustius: scuta ex coriin, die ledernen Schilde der Numidier.
Die Grundlage der Cutis bildet ein aus Bindegewebs- und
elastischen Fasern bestehender Filz — um so dichter, je näher der
Oberfläche. Sein äusserster Saum erscheint an mit Chlorgold be-
handelten senkrechten Hautschnitten, selbst homogen. Zahlreiche
Blutgefässe und Nerven durchsetzen den Faserfilz in schief auf-
steigender Richtung. Spindelfiirmige und netzförmig unter einander
anastomosirende Zellen lagern in Menge zwischen den Faserzügen,
zwischen welchen auch senimhältige Lücken vorhanden sind, Avelche
man für Lymphräume hält.
Auch organische (glatte) Muskelfasern finden sich in der Haut
vor, und zwar entweder als subcutane Muskelschichtcn , wie im
Hodensack und im Hofe der Brustwarze, oder im Gewebe der Haut
selbst, jedoch nur an behaarten Hautstellen, wo sie aus der obersten
dichtesten Schichte der Cutis, schief abwärts zum Grunde der Haar-
500 1- »JC Twtvmnck».
§. 206. Tastwärzchen.
Zahlreiche Gefaase und Xerren dringen in schief aufsteigender
Richtung durch die Maschen des Fasergewebes der Haut gegen
die freie Oberfläche der Cutis vor, bilden im Gewebe der Haut
Netze, von welchen sich jene der Capillargefasse an verschiedenen
Hautgegenden durch höchst charakteristische Formen auszeichnen,
und gehen zuletzt in den Bau der Tastwärzchen ^Papulae (actus,
ein, mit welchen die Oberfläche der Haut wie besäet ist. Die
Summe der Tastwärzchen wird als eine eigene Schichte der Haut
angesehen, welche Corpus $. Stratum papilläre heisst.
Die Verbreitung der Tastwärzchen ist keine gleichförmige.
An den Lippen, an der Eichel, an den kleinen Schamlefzen der
Weiber, sind sie dicht gedrängt, und erscheinen länger, als an
minder empfindlichen Stellen. An der Brustwarze und Eichel ge-
sellen sie sich in Gruppen oder Inselcheu von vier bis zehn zu-
sammen. An der Volarseite der Hand und der Finger stehen sie
in gekrümmten coucentrisch verlaufenden Linien oder Riffen, welche
an den Fingerspitzen vollständige Ellipsen bilden (Tastrosetten),
deren lange Axe am Daumen und Zeigefinger mit der Längeiiaxe
des Fingers übereinstimmt, an den übrigen Fingern aber gegen den
Ulnarrand derselben abweicht. Jedes solche Riff enthält eine dop-
pelte Reihe von Tastwärzchen. In der Allee zwischen den beiden
Warzenreihen eines Riffes, münden die gleich zu erwähnenden
Schweissdrüsen der Haut mit feinsten Oeffnungen aus.
Die GriSime der Tastwärzchen Tariirt vom kaum merkbaren llöckerchen,
wie auf der Haut des Kückens, bis zu einem, eine halbe Linie und darüber
hohen Kegel mit abgerundeter Hpitze (Ballen der Ferse;. Ich habe gefunden,
das» die Tastwärzchen an der Ferse von Leuten, welche immer blossfüssig ein-
hergingen, ungleich länger und dicker sind, als an beschuht gewesenen Füssen.
So sind sie an einem Hautinjections-Präparate aus der Ferse eines Zigeuners
doppelt so hoch und dick, als an einem gleichen Präparate aus der Ferse eines
Mädchens aus besserem Stande. An ihren Basen confluirende Tastwärzchen heissen,
im Gegensatz zu den isolirt bleibenden oder einfachen: zusammengesetzt.
Die Tastwärzchen sind jedoch kein ausschliessliches Attribut der äusseren
Haut, sondern finden sich auch an gewissen Sclileimhäuten, welche da«lurch für
Tastgefühle empfanglich werden, wie an der Shleimhaut der Augenlider, der
Zunge, der kleinen Schamlefzen, des Scheideneinganges, und des Gebännutter-
mundes.
Jede Tastwarze besteht aus demselben faserigen (iruudgewebo,
wie die Cutis, nur nehmen die Bindegewebsfasern mehr parallele
und zugleich longitudinale Richtung an, und werden, gegon die Ax(»
der Tastwarze zu, von elastischen Fasern in verschiedenen Ent-
wicklungsstufen gekreuzt. An vielen Tastwärzchen bemerkt man,
wie an der Oberfläche der Cutis, noch einen structurlosen Saum.
§. SüC. TutwärzchdD. 561
In der Regel tritt zu jeder Tastwarze eine capillare Arterie,
welche un verästelt in ihr aufsteigt, um als Vene zurückzukehren
— Gefässschlinge der Warze. Nur an grösseren einfachen
oder an zusammengesetzten Wärzchen treten mehrere Arterien in
die Basis derselben ein, um in eine einfache oder doppelte Vene
überzugehen. In den Tastwärzchen an der inneren Fläche der
Backen, besonders in der Umgebung der Insertionsstelle des Ductus
Steiiamanus, bilden die einfachen Arterien derselben einen sehr
schön entwickelten Knäuel, wie ich ihn durch Injectionspräparate
an Kindern und Erwachsenen sichergestellt habe. Nach Teich-
mann senden die in der Cutis eingetragenen Lymphgeftlssnetze
blinde Ausläufer in die Tastwärzchen ab.
Ueber die Nerven der Tastwärzchen differiren die Angaben
der gewandtesten Beobachter. R. Wagner spricht nur jenen Tast-
wärzchen Nerven zu, welche die von ihm und Meissner aufge-
fundenen Tastkörperchen enthalten. Die übrigen sollen nur Geftlss-
schlingen besitzen. Ich halte es bei dem gegenwärtigen Stand-
punkte der Mikrotomie der Haut, nicht an der Zeit, den Papillen,
welche keine Tastkörperchen enthalten, die Nerven abzusprechen.
W. Krause sah die primitiven Nervenfasern in den Tastwärzchen
der Lippen mit freien Endkolben aufhören. Ueber die Endigungs-
weise der sensitiven Nerven in den Tastkörperchen wurde schon
§. 70 gesprochen.
Die Empfindlichkeit der Haut ist an verschiedenen Stellen der Leibesober-
flUche sehr verschieden. H. Weber fand, dass die zwei Spitzen eines Zirkels, an
gewissen üautstellen mir Einen, an anderen Stellen aber zwei Geftthlseindrücke
er/engen. Die kleinste Entfernung der Zirkelspitzen, welche noch doppelt gefühlt
wurden, war auf der Zungenspitze 0,5 Pariser Linien, am Tastpolster der Finger-
spitze r", am Lippenroth 2'", an der Nasenspitze 3'", am Zungenrand 4*", an
den Backen ö'", am harten Gaumen 6"*, auf dem Jochbein T**, auf der Rücken-
seite der Metacarpusköpfchen 8'", an der inneren Fläche der Lippen 9'", an der
Ferse 10'", am Nacken, am Oberarm und Oberschenkel aber 30*".
Ein merkwürdiges Verhalten zeigen die Gefh'sse der unter dem Nagel in
Längenreihen stehenden Tastwärzchen. Das arterielle GefKss, welches zu der
ersten Papille einer Tastwärzchenreihe tritt, geht, nachdem es in dieser eine ein-
fache Schlinge gebildet, zur zweiten, zur dritten und so fort, und es ist somit der
absteigende Schenkel einer Schlinge nicht als Vene zu nehmen, da er zur Arterie
des nächstfolgenden Wärzchens wird. — Die auf den Fingern und auf dem Rücken
der Hände bei jungen Individuen häufig vorkommenden, und oft von selbst wieder
vergehenden Warzen fVerrucaeJ, enthalten mehrere, drei bis vier Mal verlängerte,
und an ihrem Ende kolbig verdickte Tastwärzchen. — Es lässt sich in der Haut
ein System von Linien verzeichnen, welche die Grenzen der einzelnen Haupt-
verästlungsgebiete der Hautnerven gegen einander abmarken, und in welchen
das Gefühl und die Feinheit des Ranmsinnes der Haut am wenigsten entwickelt
ist. Diese Linien ziehen durch jene Punkte der Hautoberfläche, welche den
stKrlcsten Knochenvonprüngen des Skeletes entsprechen, und auf welche beim
' Aufl. 36
562 §. 207. Drüsen der Haut.
Hitzen, Liegten, Knieen, Stemmon, und bei den verschiedenen Artt»n des l^ast-
tragens, der grösste Druck fKUt. (Voigt, Denkschriften der kais. Akademie,
XXII, Band.)
§. 207. Drüsen der Haut.
Die Haut besitzt zweierlei Arten von Drüsen:
a) Talgdrüsen, Glandulae sebaceas. Sie zählen zu den ein-
fachen acinösen Drüsen (§. 90). Um den als Epidermis später
zu beschreibenden hornigen Ueberzug der Haut, und die in der
Haut wurzelnden Hornfaden (Haare) gegen die J^inwirkung der
Luft und des Sehweisscs zu schützen, sie geschmeidig zu machen,
und ihre Dauerhaftigkeit zu vermehren, werden diese (Gebilde mit
einer fetten Salbe beölt, welche in den Talgdrüsen der Haut be-
reitet, und durch deren Ausführungsgänge als sogenannte 11 aut-
schmiere oder Haut ta lg, Sebum s. Smegma cutaneum, an die
Oberfläche des Integuments geschafft wird. Nur der Handtoller,
die Sohle, die Dorsalfläche der zweiten und dritten Phalangen, und
die Haut des männlichen Gliedes (ohne dessen Wurzel) entbehren
der Talgdrüsen. Ihre Clestalt geht vom einfachen keulen- oder
birnfiirmigen Schlauche (z. B. am Kücken), in ein mehrfach zellig
ausgebuchtetes, acinöses Säckchen über (an der Nase, den Lippen,
im Umkreis des Afters), welches sich über das Fasergewebe der
Cutis hinaus, bis in das Unterhautbindegewebe erstreckt. Die Wand
eines solchen Säckchens besteht aus einer structurlosen, aber kern-
haltigen Grundmembran , mit äusserer bindeg<'wel)iger Auflage,
und innerem mehrschichtigen Pflasterepithel. Die kurzen und ver-
hältnissmässig weiten Ausführungsgänge der Säckchen, münden ent-
weder frei an der Oberfläche der Epidermis, wie an der Innenfläche
der Vorhaut, am Frenulum j>?y/e/>Mi«*, an den kleintMi Schamlc^fzen
und an der inneren Fläche der grossen, oder senken sich in einen
Haarbalg ein, welcher ZAvei bis fünf solcher Ausführungsgänge auf-
nehmen kjinn. In gewissen C}(»gcnden, z. B. an der Xasc, sind die
Talgdrüsen viel grösser als die zugehörigen kleineren llaarbälge,
so dass man hier sagen kann, d(T Haarbalg mündet in eine Talg-
drüse ein.
Jene Stelh'n der Haut, welche häuflger mit scharfen Feuchtig-
keiten in Berührung kommen, z. B. die Umrandung aller Kiirper-
öfiiiungen, so wie die Achselgruben, Leistenfurchen, und die After-
spalte, l)esitzen die zahlreichsten und gnissten Drüsen diesen* Art.
In <len Zellen d(i8 Epithels der Talgdrüsen Avird das Fett des
Hauttalges erzeugt; — sie sind also wahre Secretionszellen, Avelche,
Wenn sie voll sind, abfallen und bersten, und durch neuen Nachwuchs
§. 207. Drüsen d«r Haut 563
von Zellen ersetzt werden. Deshalb iinden sich Reste solcher ab-
gefallener Epithelialzellen immer im Hauttalg vor.
Werden die trichterförmigen Ausmündungsstellen einzelner Talgdrüsen durch
Staub imd Schmatz, oder durch ein spisseres Secret verstopft, so sammelt sicli
der Talg im Inneren der Drüse an, dehnt die Wand derselben zu einem grösseren
Beutel aus, welcher, wenn er comprimirt wird, seinen Inhalt als weissen geschlKn-
gelten Faden mit schwarzem Kopfe herausschiesst. Er wird denn auch vom ge-
meinen Manne für einen Wurm (Mitesser, Comedo) gehalten. Mündet eine
solche Talgdrüse in einen Haarbalg ein, so kann auch dieser durch die Ansamm-
lung des eingedickten Smegma erweitert werden, und zuletzt mit der erweiterten
Talgdrüse zu Einer Höhle verschmelzen, in welcher man einen Kest des abge-
storbenen Haares, häufig auch ein neugebildetes Haar, welches durcli die ver-
kleisterte Oeffnung des Haarbalges nicht mehr heraus konnte, als zusammengebogenes
Härchen antrifft. — Simon ent<^leckte eine, in dem Inhalte gesunder und infar-
cirter Talgdrüsen parasitisch lebende, winzige Milbe, den Acarus /oiliaihnwif und
Er dl eine zweite Art derselben; abgebildet in VogeTs Erläuterungstafeln zur
patholog. Histologie, Tab. XII. Die Jagd auf den Jcar{M/o^icf//or7/}u des Menschen
wird am besten angestellt, wenn man sich die Talgdrüsen des eigenen Nasen-
flügels mit den Fingernägeln ausdrückt, das weisse, dickliche Sebum, mit etwas
Olivenöl zwischen zwei dünne Glasplättchen bringt, und dieselben einige Mal auf
einander verscldebt, wodurch das Sebum auf eine grössere Fläche vertheilt, und
die sicher in ihm hausenden Acari, bei einer Vergrösserung von 200, ganz leicht
aufgefunden werden. Die sehr auffallende schnappende Bewegung ihrer Krallen-
füsse, erlahmt sehr rasch in dem ungewohnten öligen Medium.
b) Schwcissdriisen, Glandulae sudorlferae. Sie gehören zu
den tubulösen Drüsen (§. 90). Sie können nicht, wie die Talg-
drüsen, mit freiem Auge gesehen werden. Nur ihre Mündungen sind,
in den Furchen auf den HautrifFen der ilohlhand, ohne Vcrgrösse-
rungsglas wahrzunehmen, imd Avaren deshalb schon den älteren
Anatomen als SchAveissporen bekannt.
Purkinje's und Breschet's fast gleichzeitigen Forschungen,
verdanken wir die Kenntniss des schweissbereitenden Drüsenappa-
rates der Haut, welcher eine so reiche Entwicklung darbietet, dass
approximativ dritthalb Millionen solcher Drüsen in der menschlichen
Haut angenommen werden können. Die Verbreitung dieser Drüsen
ist aber nichts weniger als gleiehfi)rmig, denn in der Hohlhand
kommen 2800, und am ßesäss nicht ganz 400 auf einen Quadrat-
zoll Haut. Die grössten Schweissdrüsen finden wir in der Achsel,
in der Umgebung des Afters und in der Fusssohle. Die concave
Seite der Ohrmuschel, der äussere Gehörgang, und die Eichel, be-
sitzen keine Schweissdrüsen. Der Körper einer Sclnveissdrüse be-
steht aus einem knäuelförmig zusammengewundenen, feinen, und
structurlosen Drüsenschlauch, welcher in das Unterhautbind(»gewebe
hineinragt, und in einen korkzieherartig gewundenen Ausführungs-
gang übergeht, dessen Lumen 0,05'" — 0,08'" Durchmesser zeigt.
Die Spirale des Ausführungsganges ist auf der rechten wie auf der
linken Körperseite, eine rechts gewundene (Welcker), findet sich
36»
r>(>4 ^ 20M. Oberhant.
jtMloch nur an jenem Stücke des Ausfuhrungsganges, welches die
Kpiderniis durchsetzt. Je dicker eine gesunde Epidermis, desto
mehr spiralo Windungen des Ganges. Bei krankhafter schwieliger
Vordiokung der Epidermis, wird die Spirale in eine mehr gerade
Linie ausgezogen. Einschichtiges Pflasterepithel haftet auf der
inneren Fläche des Drüsenschlauches. In den grossen Schweiss-
drüson der Achselluihle und der Aftergegend, kommt Cylinder-
epithel vor. Dieses Epithel sitzt aber nicht auf der structurlosen
Me'tnbrana propria des Drüsenschlauches auf, sondern auf einer Lage
von Fasorzellen, unter welcher erst die Membrana propria folgt.
lieber Natur und Zweck dieser Faserlagen wissen wir nichts
XU sagen.
An (i«*n Schweissdrüsen der Achsel lassen sich glatte Muskelfasern erkennen,
>v«»loho «ivT IJingsrichtang der Drüse folgen, und der Wand ihres Schlauches ein
*ln(»iHjr«*» Ansehen geben.
t>h die Function dieser Drilsen ilirem Namen entspricht, d. h. in der Ab-
«KMuieninfT vv>n Schweiss besteht, unterlieg^ mancherlei Bedenken. Man hat Drilsen
v\»« jran« gleicher Structur an Stellen gefunden, wo ganz gewiss kein Schweiss
«%H'enurt wird, wie e. B. am unteren inneren Comealrande des Rindsauges. Meiss^
ner (»ehauptet deshalb, dass die Schweissdrüsen keinen Scliweiss, sondern ein
Mies Secrt»t liefern. Der Nachweis von Fettablagenmg in den grossen Schweiss-
dritsten der Achsel, und von Fettmolekülen im Inhalte der kleineren, dient seiner
AuMoht xur Stütze.
Zur Untersuchung der Schweissdrüsen genügt es, einen aus freier lland
inler mit dem Valenti naschen Doppelmesser gemachten, feinen, senkrechten Haut-
sehnitt, bei einer Linearvergrössenmg von 60 zu betrachten. — Der Schweiss,
Smlorj welcher nur bei hohen Wärmegra<ien der Luft, bei Anstrengungen oder
Krankheiten, in Tropfenform zum Vorschein kommt, sonst in der Regel gleich
nach seiner Absondenmg verdunstet, und seine fixen Bestandtheile an der Ilaut-
uberfläche zurücklässt, ist eine klare, wässerige, sauer reagirende (I)e8onder.s der
Fnssschweiss, welcher zuweilen blaue Strümpfe roth färbt), oder neutrale Flüssig-
keit, von specifischem Geniche, welche nur in der Achsel und am Plattfuss
weisse Wäsche gelblich färbt und steift. Das quantitative Verhältniss der fixtMi
Bestandtheile des Schweisses (Chlomatrium , schwefelsaure Salze, Spuren von
Harnstoff, freie Milchsäure, milchsaure Salze, etc.) erleidet durch die Menge
innerer und äusserer auf die Hautabsonderung einwirkender Momente, mannig-
fache Aenderungen, und ist überhaupt im gesunden und kranken Zustande nur
wenig bekannt
§. 208. Oberhaut.
Man kann an jedem beliebigen Punkte der KtirperoberHäclie,
ein feines, trockenes Häutehen ablösen, welches weder schmerzt,
noch blutet, somit weder Nerven noch Gefiisse enthält, weisslich,
durchscheinend, und pergamentartig zähe ist, und Oberhaut ge-
nannt wird (Cuticula, Epidermis bei Hippocratcs, von ezl t6
8^;jia, auf der Haut). Bei den alten Anatomen führte sie den
§. 208. OberhAat. 565
sonderbaren Namen Heidenhaut, wahrscheinlich weil sie sich nach
dem kalten Bade der Taufe abschuppt.
Die Oberhaut wurde lange Zeit für einen vertrockneten und
verhornten Auswurfsstoff der Haut, für thierische Schlacke gehalten,
und weiter nichts in ihr gesucht, als die Leistung mechanischen
Schutzes für das empfindliche Hautorgan. Henle's umfassenden
Untersuchungen verdanken wir eine richtigere Ansicht über die
organische Bedeutung, so wie über die Lebens- und Ernährungs-
weise der Epidermis. Wird die lebende Cutis ihrer Oberhaut durch
ein blasenziehendes Pflaster beraubt, so bildet sich neue Epidermis,
theils vom Rande der alten aus, theils aber auch auf der Area der
entblössten Hautfläche, in Form kleiner Inseln, welche sich ver-
grössern, und unter sich und mit der vom Rande der Wunde aus
gebildeten Epidermis zusammenfliessen. Es ergiesst sich nämlich
auf der entblössten Hautfläche ein Blastem, in welchem kern-
haltige Zellen entstehen. Diese bilden mehrere, über einander
geschichtete Lagen. Die tiefste Lage besteht aus Zellen, deren
Höhe ihre Breite übertrifft. Die Zellen der oberflächlichen Schichten
sind polyedrisch, und die oberflächlichsten derselben platten sich
ab, verlieren durch Austrocknen ihren Gehalt an Flüssigkeit, und
werden endlich zu trockenen, hornigen Schüppchen oder Blättchen,
welche in ihrer Juxta- und Supraposition, die eigentliche Epidermis
darstellen. — Was die Epidermis durch das fortwährende Abfallen
ihrer oberflächlichsten Blättchen an Dicke verliert, wird durch
neuen Nachschub von unten her wieder ersetzt. Sie befindet sich
somit in einem fortwährenden Umwandlungs})roce8s, Avie alle übrigen
organischen Gebilde. Nur jene Schichte der Epidermis, welche aus
vertrockneten Zellen besteht, wird Oberhaut genannt; die saftigen
Zellen der tieferen Schichten werden zusammen als Mucus Malpigliii
bezeiclinet. Der Mucus MalpigJiü füllt alle Vertiefungen zwischen
den Tastwärzchen auf der Oberfläche der eigentlichen Cutis voll-
kommen aus, und wird somit an seiner, der Cutis zugewendeten
Gegend, Erhabenheiten und Vertiefungen zeigen müssen, welche
den Vertiefungen und p]rhabenheiten der Cutis entsprechen, und
deren Gesammtansicht den Eindruck eines Netzes macht. So ent-
stand der gleichfalls cursirende Name: Rete MalplghlL
Das Eigenleben der Epidermis wurde dnrch die von den französischen
Aerzten erfundene firpffe 4pidei'mujne. am schönsten bewiesen. Wenn man auf eine
Wiindfläche, welche sich zur Heilung anschickt, ein Stückchen frisch abgetragene
Epidermis legt, an welches noch Munut Malpifjhii anhängt, so heilt dieses Stttck-
clien an, wächst durch Zellenbildung im ITmfang, und trägt wesentlich zur
schnelleren Vernarbung der Wunde bei.
An vielen Zellen der mittleren Schichten des Mucus Malpujhii, finden sich
stachelähnliche Fortsätaee, mittelst welcher je zwei nachbarliche Zellen so inein-
and<>'' " ' •*** d«n Borsten gegeneinander gedrückte Bürsten (Stachel-
566 §. 209. Physikalische und physiologische Eigenschaften der Oberhaut.
Zellen, Riffzellen). Die Beobachtun{2^en von Biesiadecki haben zwischen den
Zellen der tieferen Schichten des Mucwt Malpitjhiif aucli die Gegenwart von
Wanderzellen nachgewiesen, welche aus dem subcntanen Bindegewebe, wo sie
in der Nähe der Blutgefässe sich aufhalten, durch die Cutis, bis in den M al-
pig hinsehen Schleim auswandern sollen. Sie kommen besonders zahlreich unter
patholog^chen Bedingungen vor (z. B. bei Eczem und Condylom).
Derselbe Autor versichert uns auch, das» sich einzelne, marklos gewordene
Nervenfasern der Cutis, über die Cutis hinaus zwischen die Zellen des Mucum
Malpighii vordrängen, und daselbst mit knopfRirmigen Anschwellungen endigen.
Mojsisovics fand an der Schnautze des Schweins die Nervenfasern selbst liis
in die Epidermis gelangen. Leider lassen sich diese merkwürdigen Dinge niemals
an frischen Präparaten sehen. Sie treten nur nach Behandlung der Hantschnitte
mit Goldlösungen hervor, und können möglicher Weise etwas Anderes sein,
als Nerven.
Die schwarze Farbe des Negers hat ihren Grund einzig und allein in dem
dunklen Pigmentinhalt der tiefsten Zellenlage des Mu4:uJi Malpirjhii. Die Laus der
Neger, welche sich vom i»igmentirten Zelleninhalt des Miictat Malpifjhii nährt, ist
deshalb wie ihr Besitzer schwarz. Je höher aber die tiefliegenden Zellen, durch
das Abfallen der obersten, zu liegen kommen, desto mehr entfärben sie sich, und
die eigentliche Oberhaut des Negers ist nicht schwarz, sondern graulich. Dieselbe
Farbe zeigen die Narben nach den Brandwunden, mit welchen die Humanität der
weissen Menschen, trotz so viel Moral und Religion, ihre schwarzen Brüder
zeichnet, \>ie der Viehhändler seine Hammel. Dunkle Hautstellen der weissen
Menschenrace (Warzenhof, Hodensack, Umgebung des Afters) enthalten keine
pigmenthaltigen Epidermiszellen, wohl aber Pigmentmoleküle zwischen den Zellen
des Mucum Malpifjhii. Uebrigens erscheint die puti.-*, nach Abstreifen des Relc
Malpighii, bei allen farbigen Racen so weiss, wie die der weissen.
Die Dicke der Epidermis variirt von 0,04'"— 1'" und darüber. Der Unter-
schied der Dicke hängt nicht allein von der Einwirkung äusseren Druckes ab,
wie man nach der Dicke der Epidermis an der Ferse und an den Handl)allen bei
gewissen Handwerkern (z. B. Grobschmiede) schliessen könnte, sondern wird auch
von besonderen Entwicklungsgesetzen bedingt, da die genannten Stellen selion im
Embryoleben eine doppelt bis dreifach so dicke Epidermis haben, als andere.
Nur die dünne und zarte Epidermis der kaukasischen Racen ist durch-
scheinend weiss. Deshalb kommen die Rosenwangen und die Korallenlippen nur
diesen Racen zu.
§. 209. Physikalische und physiologische Eigenschaften der
Oberhaut.
Die Epidermis theilt mit allen Horngebilden das VoiTCcht, ein
schlechter Wärme- und Elcktricitätsleiter zu sein. Sie beschränkt
die Absorptionsthätigkeit der Haut, und hindert die zu rasche Ver-
dampfung der Hautfeuchtigkeit. Von letzterer Wirkung kann man
sich an Leichen überzeugen, an denen die Epidermis durch An-
wendung von Vesicatoren während des Lebens entfernt, oder durch
mechanische Einwirkungen abgestreift wurde. Die der Epidermis
beraubten Stellen der Haut, vertrocknen in diesem Falle sehr schnell
zu pergamentartigen, harten Flecken. Am Lebenden, dessen Haut
§. 209. Physikalische and physiologische Eigenschaften der Oberhaut. 567
fortwährend neue Feuchtigkeit durch die Blutgefösse zugeführt er-
hält, tritt dieses Vertrocknen an epidermislosen Stellen nicht ein.
Man hat diese Beobachtung auch zu verwerthen gesucht, wenn über
wirklichen oder Scheintod ein Urtheil abzugeben war. — Durch
anhaltenden Druck verdickt die Epidermis sich zu hornigen
Schwielen, welche in höherem Entwicklungsgrade, an den Zehen
den trivialen Namen der Hühneraugen, besser Leichdorne
(Clavi) führen.
Solche Schwielen können überall entstehen, wo der zu ihrer Erzengang
nothwendige Druck wirkt. Ich habe sie bei Lai^tträ^ern am Rücken, auf dem
Domfort«atze des siebenten Halswirbels, und auch an der Darmbeinspina bei
Frauen, welche ft^ste, bis über die Hüften reichende Mieder trugen, beobachtet.
Da ich meine Feder hart führe, entsteht, wenn ich viel zu sclireiben habe, am
Innenrande des Nagelgliedes meines Mittelfingers, durch den Druck der Feder,
und an der Streckseite des Gelenkes zwischen zweiter und dritter Phalanx des
Ringfingers, auf welclie ich die Hand beim Schreiben stütze, regelmässig ein
artiges Hühnerauge.
Das Hülmerauge hat seinen Namen von dem dunklen Fleck, welcher sich
in der Mitte seiner Schnittfläche vorfindet. Er entsteht dadurch, dass sich zwischen
der Basis des Hühnerauges und der Cutis, ein Tröpfchen Blut ergossen hat,
welches, zwischen den sicli fortwährend von unten auf neu l)ildenden Epidermis-
schichten eingescJilossen, altmälig gegen die Oberfläche des Hühnerauges gehoben
wird, wobei der Blutfärbestoft' eine Umwandlung in dunkles Pigment erleidet. Oft
umschlie.Hst das Hühnerauge einen weissen Kern, welclier aus phosphorsaurer
Kalkerde bestellt, und durch seine Härte die Bescli\werden beim Drucke auf das
Hühnerauge steigert. Die vielfach gerühmte Anwendung von verdünnter Schwefel-
säure, oder vegetabilischen Säuren (z. B. im Safte der sogenannten Hauswurzel,
SfAum aci'p) löst diesen Kern, und schafft dadurdi den sclimerzenden Hühner-
augen oft anlialtende Lindenmg. Unter alten Hühneraugen entwickelt sich regel-
mässig ein kleiner Schleimbeutel. Das sogenannte Ausschneiden der Hühneraugen
ist keine radicale Exstirpation, sondern eine palliative schichtweise Abtragung der-
selben, welche nur für kurze Zeit hilft, da das Entfernte bald wieder nachwuchert
Leute, welche diesen Zweig der „niederen Chirurgie" ausüben, benöthigen mehr
Vorsicht, als cliinirgische Gescliicklichkeit. Es sind Fälle bekannt, wo auch diese
harmlosest« aller wundärztlichen Verrichtungen, durch phlegmonösen Rothlauf zum
Tode führte (P. Frank, Opimc. posthnma).
Die vertrockneten E]»idermisschüppchen schwellen in Wasser oder Wasser-
dunst auf, erweiclien sich, und wenlen in diesem Zustande leicht durch Reiben
entfernt, wonach die Hautausdünstung leichter von Statten geht, und die heilsame
Wirkung der Dampf- und Wannenbäder zum Theil erklärlich wird. Dampfbäder
aber Schwitzbäder zu nennen, ist barer Unsinn, da der heisse Wasserdampf der
Badestube sich auf die kältere Haut des Ba<ienden niederschlägst, und die Nässe
der Haut somit gewiss kein Schweiss ist. — Noch schneller, als im Wasser, er-
weichen sich die Epidermiszellen in Kalilösung, weshalb man sich zum Waschen
der Hände allgemein der Seife bedient. — Die hygroskopische Eigenscliaft der
Epidermis liedingt das Anschwellen, und dadurch das jeden Witterungswechsel
hpgIeiton<le Schmerzen der Leichdorne, und lehrt es verstehen, warum bei Leuten,
welche an den Füssen schwitzen, zur Sommerzeit die Qualen der Hühneraugen
viel heftiger zu sein pflegen als im Winter.
Die gesprenkelte F&rbang der Haut bei Sommersprossen und Leberflecken,
beruht, wie die Rac«nfibrb^ "r^nt, auf dunklerer Pigmentining der Zellen
568 §. «10. N««el.
der Epidermia. Die auf den inneren Gebranch von Höllenstein sich einstellende
schwarze Hantfarbiing, welche auf einer durch den Lichteinfluss bewirkton Zer-
setzung des in der Haut abgelagerten Silbersalzes beruht, ist durch alte* und neue
Erfahrungen hinreichend constatirt. — Alle reizenden und Entzündung veran-
lassenden Einwirkungen (Verbrennung, Zugpflaster), heben im Leben die p]pi<lermi»
von der Cutis, durch Blasenbildung ab. Viele Ausschlagskrankheiten, selbst
Erschütterungen, wie bei Knochenbrüchen, oder faulige Zersetzung der Säfte beim
Brande, bewirken dieselbe Blasenbildung. An der Leiche wird die Epidermis
durch Fäulniss oder Abbrühen so gelockert, dass sie, bei vor-^ichtiger Behand-
lung, von den Händen wie ein Handschuh abgestreift werden kann. — Die P^pi-
dennis senkt «ich in alle Leibesöffnungen, kleine wie grosse, ein, und geräth
dadurch in unmittelbare Verbindung mit dem inneren Ueberzuge der Eingeweide
— dem Epithel.
§. 210. Nägel.
Die Nägel, Ungaes (5rjy£;), sind harte, elastische, viereckige,
durchscheinende, convex-concave ITomplatten, auf der KückenscMte
der letzten Finger- und Zehenphalangen, deren pulpösen, tastenden
Fläche sie Halt und Festigkeit geben. Der hintere und ein Tlieil
der Seitenränder des Nagels stecken in einer tiefen Ilautfurche — dem
Nagel falz, Matrix unguis. Die untere concave Fläche steht mit der
papillenreichen Haut (Nagelbett) im innigen Oontact, und vermehrt
durch Gegendruck die Schärfe der Tastempfindungen. Di(^ Papillen
des Nagelbettes finden sich sowohl im hintersten Bezirk des Nagel-
bettes, als auch an der vorderen Grenze desselben. In der ganzen
übrigen, vom Nagel bedeckten Fläche des Nagelbettes, versehmelziMi
sie zu LängsrifFen oder Leisten, von welchen sechszig bis neunzig
auf die Breite des Nagelbettes kommen. — Der hintere weiclie
Rand des Nagels, welcher in der über zwei Linien tiefen Ilaut-
furche des Nagelfalzes steckt, lieisst Radix unguis. Er ist der jüngste
Theil des Nagels, welcher bei dem, vom Nagelfalz nacli vorne
strebenden Wachsthum des Nagels, allmälig dem freien Rande
näher rückt, bis auch ihn das Loos trifft, beschnitten zu werden.
Ein weisses Kreissegment — die Lunvla — ziert die Wurzel
schöner Nägel.
Der Nagel besteht aus denselben Zellenelementen, wie die
Oberhaut, und ist eigentlich nur eine verdickte Stelle derselben.
Während die tieferen Zellenschichten des Nagels, und seines hin-
teren im Nagelfalz steckenden Randes, weich und saftig bleiben,
verhornen die oberflächlichen, und verschmelzen zu einer compacten
Platte, welche, wenn sie ganz trocken ist, beim Durchschneiden
zersplittert. Durch Kochen in kaustischem Natron lassen sieh die
kernhaltigen Zellen der obersten, verhornten Nagelschichte, wieder
darstellen. Nur die äusserste Epidermisschichte setzt sich, vom
§. 210. Nägel. 569
Fingerriicken kommend, an der Dorsalfläche, — und von der Volar-
seito kommend, an der unteren Fläche des Nagels, ungefähr eine
Luiie hinter seinem freien Rande fest, wodurch, wenn die Epidermis
vom Finger abgezogen wird, der Nagel mitgehen muss.
Ich beobachtete einen Fall, wo, bei der Häutnng nach Scharlach, mit der
Epidermis auch die Nägel der zwei letzten Finger abgestossen wurden. Nach
Verbrennungen und Erfrieningen der Hand ist das Abfallen der Nägel keine
Seltenheit. — Dass der Nagel nicht Mos in der Matrix gebildet, und von hier
ans vorgeschoben wird, bemerkt man, wenn ein nach Quetschung des Fingers ab-
gegangener Nagel regenerirt wird. Es bedeckt sich hiebei die ganze Fläche des
Nagelbettes mit weichen Homblättchen, welche nach und nach verhärten, und
zu einem grösseren Nagelblatte zusammenfliessen. Audi spricht das Dickerwerden
des Nagels nach vom zu, für einen von unten her stattfindenden Anschuss von
Nagelzellen. Das kann aber nicht geläugnet werden, dass die Bildung des Nagels
vorzugsweise von dem Nagelfalze ausgeht. — Der grosse Nervenreichthum
der Nagelfurche nnd des Nagelbettes, erklärt die Schmerzhaftigkeit des zur
Heilung gewisser Krankheiten der Nagelfurcho nothwendigen Ausreissens des
Nagels. Da das Nagelbett sehr gefassreich ist, so erscheinen dünne Nägel röth-
lich, erblassen bei OJmmachten und Blutungen, und werden blau bei venösen
Stasen, beim Herannalicn eines Fieberanfalls, und an der Leiche. — Man will be-
merkt haben, dass, während der Heilung von Knochenbrüchen, das Wachsthum
der Nägel stille steht.
Der Nagel theilt die physikalischen und Lebenseigenschaften der Epidermis.
Er ist unempfindlich, gefass- und nervenlos, nützt dem Organismus nur durch
seine mechanischen Eigenschaften, wird spröde, wenn er vertrocknet, und erweicht
sich durch Baden, so wie durch Saugen oder Kauen an den Fingern, wofür Kinder
zuweilen grosse Vorliebe zeigen. Wenn er beschnitten wird, wäclist er rasch
nach. Wird er nicht beschnitten, so wächst er bis auf ein gewisses Maximum
der Länge fort, und nimmt hiebei die Form einer Kralle an. Einem indischen
Fakir, welcher das Gelübde gemaclit hatte, seine Hand immer geschlossen zu
lialten, wuchsen die Nägel durch die Spatin interossea der Mittelhand auf den
Handrücken hinaus. Grosse Liebhaber langer Nägel sind die muhamedanischen
Fürsten auf den Molukken. Sie lassen ihre Nägel zu wahren Klauen anwachsen,
und beschtltzen sie durch Futterale. Solche Hände dienen sicher nicht zur Arbeit,
und mögen Jenen wohlanstehen, weldie geboren wurden: frufjes conauviere, aed
non prodncere. Mandelförmige und lange Nägel, mit weit über die Fingerspitzen
liinausragenden Scliaufelrändem, werden auch von unseren Zier])engeln für schön
gelialten. Die Zeit, welche mit dem Patzen derselben täglich verloren geht, könnte
zu etwas Nützlicherem verwendet werden. Sie sind ein sehr beliebtes und wohl
gepflegtes Attribut des reichen Müssigganges. Arbeitende Hände brauchen kurz-
geschnittene Nägel. — Interessant sind die von Pauli, de vulnerum sancUione,
jmtj, 98, gesammelten Fälle, wo nach Verlust des letzten, oder der zwei letzten
Fingerglieder, ein Nagelrudiment am Stumpfe des Fingers entstand. Mir ist ein
Fall bekannt, wo nach Amputation des Nagelgliedes des Daumens wegen Caries,
ein zwei Linien langer und drei Linien breiter Nagel, am ersten Gliede sich
bildete. Melireres, auch Unterhaltendes, über Nägel, giebt G. F. Frank enau,
oiii/chologia. Lipft. 1096.
Als Curiosum sei erwähnt, dass die Nägel in der Jugend, im Sommer, und
an der rechten Hand schneller wachsen, als im Alter, im Winter, und an der linken
Hand; ferner dass der Nagel des Mittelfingers unter allen am schnellsten wächst, und
dass in der Schwangerschaft das Wachsthum der Nägel zusehends geringer ist.
570 §. Sil. Haare.
§. 211. Haare.
Die IIa<ire, Pill s. Crines (Tpiysc, — am Haupte Capi/lt^ d. i.
capitis pili), entspriessen der Haut als geschiueidige Hornfatlen, deren
Erzeugung und Wach stimm, wie bei der Oberhaut und den Nägeln,
auf dem Zellenleben beruht. Jedes Haar wird in die Wurzel,
Radix, und den Schaft, Scapus, eingetheilt. Haarwurzel heisst der
in die Cutis eingesenkte Ursprung des Haares; Haarschaft der freie
Theil des Haares, welcher an den schlichten Kopfhaaren eylindrisch,
an den krausen Bart-, Achsel- und Schamhaaren b(Mni Querschnitt
oval oder bohnenfiirmig erscheint. Schwarze Haare sind häufig an
der Spitze gespalten. Einzehie Unebenheiten am Haarschaft ent-
stehen entweder durch Splitterung des Haares beim Knicken des-
selben, durch Zerklüften und Rissigwerden trockener Haare, durch
Ankleben von Epidermisfragmenten oder Schmutz. Die Haarwurzel
steckt in einer taschenformigen Höhle der Haut. Diese heisst
Hafirbalg, Follicidus pili. Bei den feineu und kurzen Wollhaaren,
Lanugo, welche die ganze l^eibesoberfläche, mit Ausnahme der Hohl-
hand und Fusssohle, so wie der Beugeseiten der Finger- und Zeiien-
gelenke, einnehmen, reichen die Haarbälge nicht in die Tiefe über
das Corium hinaus. Bei den übrigen Haaren dagegen dringen sie bis
in das Unterhautbindegewebe ein, und bei den Spürhaaren der Thierc
oft bis in die subcutanen Muskeln. Es lassen sich am Haarbalg
drei Schichten unterscheiden, eine äussere, mittlere und innere.
Die äussere besteht aus longitudinalen , die mittlere aus queren
Bindegewebsfasern; die innere ist structurlos. — In jeden Haarbalg
münden benachl)arte "^ralgdrüsen der Haut ein, und der Glanz der
Haare beruht einzig und allein auf ihrer Beülung durch Hanttalg.
Vielgebrauchte Haarbürsten und Kämme, sind deshalb immer fi^tt,
und kein Theil unserer Wäsche wird so schnell schmutzig, wici die
Nachtmützen. Ein Bündelchen organischer Muskelfasern, welches
von der obersten Schichte der Lederhaut ausgeht, und sich in der
Nähe des Grundes der Haartasche anheftet, kann die Haartaseh(^
heben, und erhielt deshalb den Namen An^ector pili.
Am Grunde des Haarbalges sitzt ein kleines, gefass- und nerven-
reiches Wärzchen, Papilla pili. Das Wärzchen ist das eigentliche
Bildungsorgan des Haares, denn es liefert an seiner Oberfläche jene
Zellen, aus denen sich der Haarschaft aufbaut. Auf diesem, an
seiner Basis etwas eingeschnürten, meist kegelfiirmig zugespitzten
Wärzchen, haftet der breite Theil der Haarwurzel, als Haarknopf
oder Haarzwiebel. Er besteht an seinem untersten, von der Haar-
warzc napffi'»rmig eingedrückten Ende, aus einer Anhäufung eckiger
kernhaltiger Zellen, von welchen die äussersten plattenartig dünn
§.811. Haare. 571
werden, und, indem sie sich während des stattfindenden Nachschubes,
dachziegelartig überlagern, die Rinde oder das Oberhaut chen des
Haarschaftes bilden. Die mittleren Zellen verlängern sich spindel-
förmig, und bilden durch ihre Aneinanderfiigung von unten auf, den
eigentlichen Körper des Haarschaftes. Die inneren Zellen erzeugen,
durch ihre, mit stellenweiser Unterbrechung, bis gegen die Spitze
des Schaftes reichende Ucbereinandcrlagcrung, das sogenannte Haar-
mark. Das Haarmark vindicirt sich ungefähr den vierten Theil
der Dicke des Haarsehaftes, lässt sich jedoch nicht an allen Haaren
mikroskopisch erkennen. Es fehlt an den Wollhaaren, an den
Haaren der Kinder bis zum sechsten Lebensjahre, und an der Spitze
aller Haare überhaupt. Die Zellen des Markes werden jedoch erst
nach Behandlung mit kaustischem Natron sichtbar. Ohne diese
erscheint das Mark als ein bei auffallendem Lichte glänzender, bei
durchgehendem Lichte dunkler und körniger Streifen. Das Mark
enthält immer Luft, welche sich sowohl in den Zellen des Markes,
neben dem Fett und Pigment desselben, als auch zwischen den-
selben aufhält. Durch Einweichen und Kochen lässt sich der Luft-
gehalt des Haarmarkes austreiben.
Die Rinde des Haarsehaftes zeigt bei jjassender Vergröaserung eine Menge
dunkler Fleckchen und Streifen, deren Gegenwart die Untersuchung des Haar-
markes sehr erschwert. Sie rühren theils von körnigem Pigment her, welches in
den spindelförmigen Zellen des Haarköq)ers abgelagert wird, theils sind sie luft-
haltige Hohlräume oder Ritzen zwischen den Zellen.
Epidermis und Munis MalpUihü setzen sich durch die Austrittsöffnung des
Haares in den Haarbalg hinein fort. Dadurch bilden sie sofort eine doppelte
Scheide für die Haarwurzel, und zwar die Zellen des Munts Malpujhii die äussere
Wurzelscheide, jene der Epidermis die innere Wurzelscheide des Haares.
An der inneren Wurzelscheide unterscJieidet man wieder eine einfache äussere
Lage kernloser Zellen, und eine innere mehrfache Lage kernhaltiger Zellen, als
Henle*a und Huxley's Scheiden.
Die Schüppchen der Oberhaut des Haarschaftes decken sich einander
dachziegelförmig so, dass die der Wurzel näheren Schüppchen, sich über die ent-
fernteren legen. Sie kehren sich bei Befeuchten des Haares mit Schwefelsäure
vom Haarschaft ab, wodurch dieser ästig oder filzig wird. Auch durch Streichen
eines Haares von der Spitze gegen die Wurzel, werden die Schüppchen des
Haarschaftes stärker abstehend, und durch Schaben in dieser Richtung völlig
abgestreift.
Die Richtung des Haares steht nie senkrecht auf der Hautoberfläche. An
feinen Durchschnitten gehärteter Cutis sieht man, dass auch die Haarbälge schief
gegen die Cutis streben. Im Allgemeinen sind die Haare einer Gegend gegen die
stärkeren Knochenvorragungen gerichtet (Olekranon, Cri/tta tihlae, Rückgrat), und
stehen in Linien, welche nie gerade, sondern gebogen, und auf beiden Körper-
seiten symmetriscli verlaufen, und zusammen jene Figuren bilden, welche von
E seh rieht (Müller h Archiv, 1837) als Haarströme oder Haarwirbel be-
schrieben wurden. Man unterscheidet, nach der Richtung der Haare, conver-
girende und divergirende Haarwirbel. Nach Withof standen bei einem
massig behaarten Manne, auf einem Viertel Quadratzoll Haut, am Scheitel 293,
072 $• 212. Physikalisehe und physiologiMhe Eigentchaften der Haare.
am Kinne 39, an der Schani 34, am Vorderarme 23, an der vorderen Seite des
Schenkel» nur 13 Ilaare.
Die Menschenhiuire scheinen einem ähnlichen, wenn auch nicht so regel-
mässig erfolgenden, periodischen Wechsel zn unterliegen, wie er hei Tliicrcn als
Hären und Mausern l>ekannt ist. Die Wahrscheinlichkeitsgriinde dafür liefen
1. in dem gleichzeitigt^n Vorhandensein junger Ersatzhaare mit den reifen und
ahznstossenden in einem und demselben Haarhalg; 2. in dem nie felilenden Vor-
kommen ausgefallener Haare zwischen den noch feststehenden; 3. in dem Um-
stände, dass zwischen Haaren, welche man regelmässig und in kurzen Zwi-^clien-
räumen zu stutzen pflegt, und welche deshalb die Spuren der Si-lieerenwirkung: an
ihren Spitzen zeigen, immer einzelne dünnere Haare vorkommen, deren Spit/en
vollkommen unversehrt sind.
Zur mikroskopischen Untersuchung der Haare wählt man am zweckmässig-
sten graue oder weisse Haare, da in ihnen kein störender Pigmentstoff enthalten
ist. Längenschnitte derselben bereitet man sich durch vorsichtiges Schaben des
Haares. Querschnitte der eigenen Haare erhält man am schönsten, wenn man
sich in kurzer Zeit zweimal rasirt. Befeuchtung der Haarschnitte mit verdünnten
Alkalien oder Säuren, erleichtert wesentlich die Erkenntniss der Structur der ver-
hornten Haarbestandtheile.
§. 212. Physikalische und physiologische Eigenschaften
der Haare.
Das Haar vereinigt einen hohen Grad von Festigkeit mit Bieg-
samkeit und P^lasticität. P]in dickes Haupthaar trägt ein Gewiclit
von drei bis fünf Loth, ohne zu zerreissen, und lässt sieh, bevor
es entzwei geht, um ein Drittel seiner Länge ausdelmen. Trockene
Haare werden durch Keiben elektrisch, und können selbst Funkon
sprühen. Von Katzen und Kappen ist dieses vielfältig bekannt ge-
worden, und die Entwicklung der Elektricität im Harzkuehen, der
mit einem Fuchsschwänze gepeitscht wird, gehört auch hieher. Die
hygroskopische ^Eigenschaft der Haare wurde in der Physik zu
Feuchtigkeitsmessern benutzt. Saussure fand selbst das Mumie n-
haar noch hygroskopisch. Das fette Oel, welches die Haare von
den Talgdrüsen erhalten, und welches ihnen ihren Glanz und ihre
Geschmeidigkeit giebt, beeinträchtigt die Empföngliehkcit der Haare
gegen Feuchtigkeitsänderungen, und muss durch Kochen in Lauge
oder durch Aether entfernt werden, um ein Haar als Hygrometer
zu verwenden. Das Haar widersteht, wie die übrigen Horngebildc
der Haut, der Fäulniss ausserordentlich lange, löst sieh aber im
Papiniani'schen Digestor auf, schmilzt beim Erhitzen, verbrennt
mit Horngeruch, und hinterlässt eine Asche, welche Eisen- und
Manganoxyd, Kiesel- und Kalksalze enthält.
Die Farbe des Haares darchläoft alle Nuancen vom Schneeweiss bis Pecli-
sehwarz. Bei Arbeitern in Kupfergruben hat man grüne Haare gesellen. Die
Haarfarbe steht mit der Farbe der Haut in einer wenn auch nicht absoluten
§. 912. Physikalische and physiologische EigenBchaften der Haare. 573
Beziehnng, und erliält nur bei einem SKugetliiere — dem Cap'schen Maulwurf —
metallischen Irisschimmer. — Die Pijjmentirung der Zellen und Zellenkeme in
der Rinde des Haarschaftes bedingt die Haarfarbe. Gelblich weiss erscheinen die
Haare bei den Kakerlaken (Leucaethiopesy Dondos, lilafarda) wegen Mangel des
Pigments. Kothe Haare enthalten mehr Schwefel, als andere, und ändern deshalb
ihre Farbe durch ßleisalben, selbst durch den Gebrauch bleierner Kämme. — Dass
das Haar, so wenig wie Oberhaut und Nagel, als ein abgestorbener Ejcctionsstoff
der Haut angesehen werden könne, beweisen die mit der Vitalität der Haut über-
einstimmenden und durch sie bedingten Lebcnszustände des Haares. He nie sagt
hierüber: „das Verhalten der Haare ist ein Hilfsmittel der Diagnose; sie sind
weich und glänzend bei turgescirender, duftender Haut; trocken, spröde, und
struppig bei Collapsus der Körperoberfläche". Das plötzliche, in wenig Stunden
erfolgte £rgrauen der Haare durch Angst, Schreck, oder Veraweif lung (Thom.
Morus, Marie Antoinette), kann durch die Umstimmung der lebendigen
Thätigkeit im Haare, vielleicht auch durch eine chemische Einwirkung eines in
der Hauttranspiration enthaltenen unbekannten Stoifes bewirkt werden. Auch das
Festwerden mit der Wurzel ausgezogener und auf ein zweites Individuum ver-
pflanzter Haare, bekräftigt das Walten einer lebendigen Thätigkeit im Haare. —
Das Fortwachsen der Haare an Leichen erklärt sich nur aus dem Einfallen und
Schnimpfen der HauUlecken, wodurch die Haarstoppel vorragender werden, oder
aus dem Rigor der organischen Muskelfasern der Haarbälge, welche den Haar-
taschenboden heben, und somit die Spitze des rasirten Haares aus der Cutis her-
vordrängen. — Hei allen Operationen an behaarten Stellen, müssen die Haare
vorläufig abrasirt werden, denn ihre Gegenwart erschwert die reine Schnitt-
ftthrung, einzelne Haare, welche zwischen den Wundrändem liegen, hindern ihre
schnelle Vereinigung, und die Verklebung der Haare mit den angewandten Heft-
pflastern, macht nicht blos das Wechseln des Verbandes schmerahaft, sondern ge-
fährdet es auch durch Wiederaufreissen der kaum verJiarschten Wuiidränder.
Die physiologische Bedeutung der Haare ist nichts weniger als klar. Als
Schutzmittel können sie nur bei den Thieren gelten, deren obere Körjiersoite in
der Regel eine dichtere Haarbeklcidung trägt, als die untere. Als natürlicher
Schmuck erfreuen sicli die Haare einer besonderen Pflege bei allen gebildeten
und ungebildeten Nationen, insonderheit den Frauen, und man ist darauf bedacht,
den Verlust derselben durcli die Kunst zu verbergen. Der buschige Reiz eines
wohlbestellten Hackenbartes, die Hdrstc des Schnurrbartes, der Vollbart des Capu-
ciners und des Demokraten, haben auch im starken Geschlechte ihre Verehrer,
weil sie selbst nichtssagenden Gesichtern einen gewissen Ausdnick geben. Ein
schönes Haar ist eine wahre Zierde des menschlichen Hauptes, wenn dieses nicht
hässlich ist. Scheeren des Kopfes war im Mittelalter mitunter Strafe der Pro-
stitution, und bei den alten Deutschen wurde nach Tacitus den Ehebrecherinnen
das Haupthaar abgeschnitten; eine jedenfalls mildere Strafe, als das Steinigen
bei den alten Hebräern, und das einst in Skandinavien über beide Schuldige
verhängte Zusammenpflihlen auf einem Haufen von Dorngestrüpp. Das Keimen
der Scham- und Antlitzhaare kündiget als Vorbote den erwachenden Geschlechts-
trieb an. Warum die Frauen keinen Bart bekämen, erklärt das Alterthum:
y^marciii ornat hnvha, quam ob tjravitatcm natura cohccshü; fenünia eam ne^avU,
quoM ad simvUaf€m magift, qnmn ad qi^avilal^ni factas cnsc coltiU'* ; und der gelehrte
Commentator des Mundinus (Matth. Curtius) fügt hinzu: ^ncquc j'eininas
yraven Cftse opovlehat, aed oinniuo phicülas et jormav*.
Die Haare führen, nach Verschiedenheit der Gegend, in welcher sie vor-
kommen, verschiedene Namen, deren Unterschiede aber nicht streng beobachtet
werden. So heisst das Haupthaar conia und capillits, — das lange Haar am
Hinterhaupt caesaries, bei Frauen a-ines, — das Stirnhaar aiUiae s, capronae, —
574 §. 818. UnterhftatbiDdegewebe.
die Locken citwmni (nicht rircinni), — die Haare an Wange und Kinn Itarhn,
mit der Unterabtheilung in mysttup, Schnurrbart, vUtrvtaae Nasenhaare, papptm
Kinnbart, iultu (itouXo;) Backenbart, — die Haare an der Ohrmündung trcu/l, — unter
den Achseln hirci (des bei gewissen Personen penetranten bocksartigen Geruches
des Achselschweisses wegen), — die Schamhaare pubes crinosa, bei Frauen heiterer
Weise auch gynaecomyatax.
§. 213. Unterhautbindegewebe.
Das Unterhautbindegewebe (Texttis cdbdosus suhcufaneus) ,
ist eine sehr nachgiebige und dehnbare, aus Bindegewcbsfaser-
bündeln und elastischen Fasern gebildete Unterlage der Haut, welche
die Verbindung der Haut mit den tieferen Gebilden, insbesondere
mit den Fascien vermittelt, und die Verschiebbarkeit und Faltbar-
keit der Haut bedingt. Seine Faserbündel gehen in das Gewebe
der Cutis über, und erzeugen die faserige Grundlage derselben.
Zwischen den Bündeln bleiben Maschen oder Lücken frei, welche
unter einander communicireii. Diese Maschen werden von Fett
eingenommen. Massenhafte Ablagerung des Fettes kann die Dicke
dieser Bindegewebsschichte, bis auf zwei Zoll bringen. In solchem
mit Fett geschwängerten Zustande, wird das subcutane Bindegewebe
auch Fetthaut, Pa?micuZM« a<ii}>o^iw genannt (^v ou panmiSj ein Tuch,
eine Hülle).
Wo immer Bindegewebe in grösserer Menge vorkommt, kann Fwttentwick-
lung stattfinden, welche durch fettreiche Nahrung bei Kürper- und (iemüth.Hnihc
begünstigt wird, und unter Umständen so überhand nimmt, dass das Fett andere
organische Gewebe, besonders Muskeln, verdrängt, sie tlurch fettige irmwandlung
zum Schwinden bringt, und jene üppige Heleibtheit erzeugt, welche man bei den
Thieren absichtlich durch Mästung erzielt, beim Menschen als Krankheit ansieht.
— Bei den Mauren gilt grosse Fettleibigkeit einer Frau für grosse Schönheit, und
bei den Kelowi in Centralafrika, muss eine tadellose Odaliske das Gewicht und
den Umfang eines jungen Kameeis besitzen, welches denn auch durch einen
mit grosser Beharrlichkeit durchgeführten Mästungsprocess angestrebt wird ( IJ 1 e,
neueste Entdeckungsreisen). — Nur das Unterhautbindegewebe des männlichen
Gliedes, des Hodensackes, der Augenlider, der Nase mid der Ohrmuschel, bleibt
immer fettlos.
Es muss befremden, dass das weiche Fett an jenen Stellen, welche starken
und anhaltenden Druck aushalten, wie das Gesäss mid die Fusssohle, niclit zum
Weichen gebracht, oder au» seinen Bläsclien herausgedrückt wird. Die Stärke
der Wand der Fettcysten und der sie umschliessenden Bindegewebsmaschen, so
wie der Umstand, dass Fett, in feuchte Häute eingeschlossen, selbst bei hohem
Drucke nicht durch die Poren derselben entweicht, erklärt dieses Verhalten.
Die Armuth an Blutgefässen und Nerven, und die dadurch gegebene geringe Vita-
lität des Fettes, sind der Grund, wanira Operationen im PannirnbiJ< adiposus
wenig schmerzhaft sind, Wunden desselben wenig Tendenz zur schnellen Vereini-
gung haben, und die Vernarbnng äusserst träge erfolgt Die unglücklichen Re-
sultate des Steinschnittes und der Amputationen bei fetten Personen, sind allen
Wundärzten bekannt, und die Beobachtung am Krankenbette lehrt, dass bei allen
§. 214. Aeassere Nase. 57o
jyrosseii Wunden das Fett der Schnittflächen früher durch Resorption acliwinden
mtiss, bevor die Vernarbung erfolgt. — Die Commnnication der Üindegewebs-
räarae im Textur cellulosrut 9yJ)ciUaiieiis, erklärt die leichte Verbreitung von Luft
im Bindegewebe bei Emphysemen, von Blut-, Eiter- und Jancheergüssen, und das
Zuströmen des Wassers zu den tiefstgelegenen Köqierstellen bei Wassersucht.
B. Geruchorgan.
§. 214. Aeussere Nase.
Die äussere Nase (Niisus, p{; von piw, fliesseii, und |j.'jy.TY5p von
jjLuxo;, Schleim), bildet das Vorhaus des Geruchorgans, und besteht,
nebst seiner unbeweglichen, durch die Nasenbeine und die Stirn-
fortsätze der Oberkiefer gebildeten (xrundhige, aus einem unpaaren
und unbeweglichen, und zwei paarigen, beweglichen Knorpeln,
welche durch ihre, bei verschiedenen Slenschen sehr verschiedene
Form, die zahllosen individuellen V^erschiedenheitcn des Nasenvor-
sprungs, vom Stumpfnäschen bis zur Pfundnase, b(^gründen, deren
Werth für die Physiognomik grösser sein mag, als für die Verrichtun-
gen dieses Sinnesorganes. Alle Nasenknorpel sind Faserknorpel.
Der un paare Nasenscheidewandknorpel, Septum carti-
laffineum s, Cartihujo qaadrangularis, bildet den vorderen Theil der
Nasenscheidewand, deren hinterer, knöcherner, durch das Pflug-
scharbcin und die senkrechte Siebbeinplatte gegeben ist. Er hat
eine ungleich vierseitige Gestnlt, und ist mit seinem hinteren Winkel
in den zwischen der senkrechten Siebbeinplatte und dem Vomer
übriggelassenen einspringenden Winkel fest eingelassen. Sein hin-
terer oberer Rand passt somit auf den unteren Rand der senkrechten
Siebbeinplatte, sein hinterer unterer an den vorderen Rand des
Vomer. Sein vorderer oberer Rand liegt in der Verlängerung des
knöchernen Nasenrückens, und sein vorderer unterer ist frei, geht
aber nicht bis zum unteren Rande der die beiden Nasenlöcher tren-
nenden, und blos durch das Integument gebildeten Scheidewand
(Septiim inemhranaceuin) herab. Wenn man Daumen und Zeigefinger
einer Hand in beide Nasenhieher einführt, und das Sepfum mem-
branaceum nach rechts und links biegt, fühlt man den freien Rand
des Scheidewandkn<)rp(?ls ganz deutlich.
Im Embryo ist die gan/.e Nasimscheidewand knori>elig. Das Pflnj^fscharbein
entsteht zu beiden Seiten des hinteren Absclinittes dieses Knornels, und wird
somit aus zwei Platten bestellen, zwischen welchen der ursprüngliche Nasen-
scheidewandknurpel noch existirt Dieser Knorpel schwindet erst spät mit der
vollständigen Entwicklung des Pflugscharbeins. So lange er existirt, findet sich
zwischen dem oberen Kande des Vomer und der unteren Fläche des Keilbeins ein
57 ß §• SU. Aeassero Nase.
Luch, durch welches ein Ast der Arteria pfiart^ivjea zum Knüri>el jjelanj^t, um ihm
die zu seinem Wachsthum nöthige Blutzufuhr zu sichern. Der Nasenscheidewand-
knorpel des Erwachsenen muss somit als der nicht verknöchernde Rest der em-
bryonischen knorpeligen Nasenscheidewand angesehen werden.
Die paarigen dreieckigen oder Scitenwandknorpel
der Nase, Cartilaijines trianguläres 8, laterales, liegen in den ver-
längerten Ebenen beider Nasenbeine. Sie stossen mit ihren o])eren
Rändern aneinander, und verschmelzen am Nasenrücken mit dem
Nasenscheide wandknorpel so innig, dass sie mit vollem Rechte als
integrirende Bestandtheile desselben genommen werden können.
Die paarigen Nasenflügelknorpel, Carttkujines alares s,
pinnales, liegen in der Substanz der Nasenflügel, auf deren Form
sie Einfluss nehmen. Sie reichen aber nicht bis zum seitlichen
Rande der Nasenlöcher herab, welcher blos durch das Integument
gebildet wird. Sie gehen bis zur Nasenspitze vor, biegen sich von
hier nach einwärts um, werden schmäler, und enden im Septum
membrana^ceum , gewöhnlich mit einer massigen Verdickung. Sie
bilden demnach die äussere, und den vorderen Theil der inneren
Umrandung der Nasenlöcher, welche sie oflfen erhalten. Mit di;m
unteren Rande der dreieckigen Nasenknorpel, und mit dem Seiten-
rande der Indsura piriformis narium hängen sie durch liandmassc
zusammen, in welcher häufig mehrere kleinere, rundliehe, oder
eckige Knorpelinseln, die Cartilaglnes sesamoideae, eingesprengt
liegen. Schneidet man zwischen den beiden nach innen umgeboge-
nen Theilen der Nasenflügelknorpel senkrecht ein, so kommt man
auf den vorderen, unteren, freien Rand des viereckigen Nasen-
scheidewandknorpels.
Die äussere Oberfläche der knorpeligen Nase wird von der
allgemeinen Decke überzogen, welche durch fettloses Bindegewebe fest
an die Knorpel anhängt, und nicht gefaltet werden kann, was doch
auf der knöchernen Nase sehr leicht geschieht. Die Haut der Nase
ist reich an Talgdrüsen, deren grösste Exemjjlare, von 1,2 Linien
Länge, in der Furche hinter dem Nasenflügel münden. Die in den
Nasenöffiiungen sichtbaren Haare (Vilrrissae) sind theils iiacli al)-
wärts gegen die Oberlippe, theils direct gegen die Nasenseheide-
wand gerichtet, und werden im Alter und bei Männern überhau})t
länger als bei Weibern gefunden. Sie wachsen sehr rasch nacli,
wenn sie ausgezogen werden. Das Thränen der Augen beim Aus-
zupfen derselben ist ein spreclicnder Beleg für die Sympatliie der
Nasenschleimhaut mit der Bindehaut des Auges.
Die Muskeln, welche auf die Bewegung der Nasenknorpel Einflrss nelinu'ii,
wurden schon in §. 158 ahgehandelt.
Aeusserst selten steht die Nase vollkommen symmetrisch-median ; — eiiu?
Beobachtung, welche von jedem Porträtmaler bestätigt werden kann. Am öftesten
weicht sie nach links ab. Auch das Septttm iMrium oaseum et cartUajineum biegt
§. 215. Nasenhöhle und Nasenschleimhaiit. 577
sich nach der einen oder anderen Seite, wo dann die, der concaven Fläche der
Krümmung entsprechende Nasenmnschel, sich durch Grösse auszeichnet. — Sehr
selten kommt ein angeborenes Loch, bis zur Grösse eines Pfennigs, im Scheide-
wandknorpel vor. Ich habe es in meinem anatomischen Leben nur dreimal beob-
achtet. Es wird leicht »ein, eine angeborene Oeffnung von einem vernarbten,
durchbohrenden, syphilitischen Geschwür, zu unterscheiden, da das angeborene
Loch einen kreisrunden, glatten und nicht gezackten Band hat, das durch Ulce-
ration entstandene dagegen, eine unregelmässige wulstige Contonr zeigt. —
Huschke beschrieb zwei neue Nasenknorpel, als einen halben Zoll lange,
paarige, knorpelige Streifen, welche den untersten Theil der knorpeligen Scheide-
wand ausmachen, und sich vom vorderen Ende des Vomer bis zur Spina neualia
anterior erstrecken. Er nannte sie Vomer cartHagineits dexter et siimter.
%. 215. Nasenhöhle und Nasenschleimhaut
Die Nasenhöhle wurde bereits in der Osteologie abgehandelt.
Es erübrigt somit blos die anatomische Betrachtung der Nasen-
schleimhaut.
Als Organ des Geruchsinnes functionirt die Schleimhaut der
Nasenhöhle, Riechhaut, Membrana pituitaria narium 8, Schneidert.
Sie verdient letzteren Namen mit vollem Recht, da Victor Con-
radin Schneider, Professor in Wittenberg, zuerst bewies, dass
der Nasenschleim nicht vom Gehirn herab, durch das Siebbein in
die Nasenhöhle träufle, sondern ein Absonderungsproduct dieser
Haut ist (de catarrhis, Witteh. 1660. lib. II), Schneider hat
durch diese Entdeckung eine förmliche Revolution in der medi-
cinischen Welt hervorgerufen. — Die Nasenschleimhaut ist eine an
verschiedenen Stellen der Nasenhöhle verschieden dicke, nerven-
und gefassreiche , aus Bindegewebsfasern, mit eingestreuten zahl-
reichen Kernen, jedoch ohne irgend eine Beimischung elastischer
Fasern bestehende Membran, welche die innere oder freie Ober-
fläche der die Nasenhöhle bildenden Knochen überzieht, an den
vorderen Nasenlöchern mit der Cutis im Zusammenhange steht,
durch die hinteren Nasenöffnungen in die Schleimhaut des Rachens
übergeht, und in alle Nebenhöhlen eindringt, welche mit der Nasen-
höhle in Verbindung stehen. Die in ihr eingetragenen Endigungen
der Nervi olfactorii vermitteln die Geruchsemptindungen, während
die gleichfalls ihr angehörenden Nasalästc des Trigeminus blos Tast-
gefühle veranlassen. Ihre Dicke, ihr Reichthum an Drüsen, Blut-
gefässen und Nerven, ist nur in der eigentlichen Nasenhöhle bedeutend.
In den Nebenhöhlen verdünnt sie sich auffallend, und nimmt ver-
gleichungsweise mehr das Ansehen einer serösen Haut an, behält
aber noch immer eine gewisse, wenn auch unbedeutende Anzahl
kleiner Schleimdrüsen. Die Nasenschleimhaut besitzt zwei verschie-
dene Arten von Drüsen. In der unteren Region der Nasenhöhle, wo
Hyrtl, Lehrbaeh der Anatomie. 14. Aufl. 37
578 §• 215. Nuenhuhle nnd Kascnscbleimhaat.
Sich der Trigeminus verästelt (Regio respiratoria), finden sich acinöse
Schleimdrüschen; in der oberen Region, wo sich der Geruchnerv
verzweigt (Regio olfactoina) , treten lange, gerade, oder an ihren
Enden leicht gewundene, tubulöse Drüsen auf.
Die Nasenscbleimhaut wird in den oberen Kegionen der Nasenhöhle, im
Siebbeinlabyrinth, so wie am Boden der Nasenhöhle imd in den Nasengängen
dünner angetroffen, als anf der mittleren und unteren Nasenmuschel, und auf der
Nasenscheidewand. Am dicksten aber findet man die Nasenschleimhaut am unteren
freien Rand der unteren Nasenmuschel, wo sie einen weichen und schlotternden
Wulst bildet. — Die Dicke der Nasenscbleimhaut verengt stellenweise den Raum
der knöchernen Nasenhöhle bedeutend. Es ist deshalb leicht möglich , dass bei krank-
hafter Lockerung und Aufschwellung derselben, wie beim Schnupfen, die Wegsam-
keit der Nasenhöhle für die zu inspirirende Luft ganz und gar aufgehoben wird.
Die Nasenschleimhaut fuhrt in der Regio olfactoria Cylinder-
opithel, in der Regio respiratoria Flimmerepithel. Letzteres beginnt
aber erst an der Indsura pyriformis narium. An der inneren Fläche
der paarigen Nasenknorpel findet sich nur geschichtetes Platten-
epithel. Das Epithel der Nasenhöhle hat in neuester Zeit sehr sorg-
fUltigo Untersuchungen angeregt. M. Schnitze behauptet, gewisse
Zollen dieses Epithels mit den peripherischen Enden der Geruch-
nerven in Zusammenhang gesehen zu haben. Es soll nämlich das
Epithel der Regio olfa^ctoria aus zwei Arten von Zellen bestehen.
Die eine Art sind gewöhnliche, palissadenformig gruppirte Cylindcr-
zellon. Die zweite Art von Zellen ist schlanker, verschmälert sich
gegen ihr freies Ende, und läuft nach abwärts in einen feinen
Faden fort, der sich mit einer Primitivfaser des Nervus olfa^-
torixis in Verbindung setzen soll, mit welcher er histologisch die
vollkommenste üebereinstimmung zeigt. Diese zweite Art von
Zellen würde demnach als das peripherische Ende der Fasern des
Nervus olfactorius anzusehen sein, wesshalb Schnitze sie mit dem
Namen Riechzellen belegt. M. Schnitze hat den Zusammen-
hang der Riechzellen mit den Olfactoriusfasern nicht selbst gesehen,
sondern blos angenommen. Exner sah nun auch diesen Zusammen-
hang, aber nicht durch directe Verbindung, sondern durch Ver-
mittlung einer Art von Geflecht, in welches sich die Primitivfasern
des Olfactorius auflösen, und aus welchen die fadenförmigen An-
hängsel der Riechzellen hervorgehen. Ob ob dabei bleiben wird?
Senescunt rumores.
Um das Gebiet der Nasenschleimhaut als Ganzes zu überschauen, möge
man sich die in §. 116 geschilderten knöchernen Wandungen der Nasenhöhle in's
Gedüchtniss zurückrufen. Da nun diese Wandungen als bekannt vorausgesetzt
werden, so ist über die Verbreitung der Nasenschleimhaut nichts weiter zu sagen.
Die Venennetze der Nasenschleimhaut sind sehr ansehnlich, besonders am
hinteren Umfang der Muscheln. Die profusen Nasenblutungen, und die beim
fliesseoden Schnupfen so copiOsen Absonderungsmengen, werden hiedurch ver-
ttXndHch. Aueh Iftsrt sieh «ob dem Ansehwellen dieser Netze dnrch Blutanhänfung
§. 215. Naseahöhle und Nasenscliloimhaat. 579
erklären, warum man häufig durch das Nasenloch jener Seite, auf welcher man
im Bette liegt, keine Luft hat. Stellenweise, besonders in der Eegio reapircUoria,
so wie an der Einmflndung, und in der ganzen Länge des Thränen-Nasenganges,
nehmen diese Venennetze das Ansehen eines cavemösen Gewebes an (He nie).
Die Communicationsöffnungen der Nasenhöhle für die Nebenhöhlen werden
der theilweise über sie wegstreifenden Schleimhaut wegen, im frischen Zustande
bedeutend kleiner gefunden, als am macerirten, Schädel. Besonders auffallend ist
dieses bei dem Eingänge in die Highmorshöhle, welcher in der Leiche nur als
eine in der Mitte des MecUus narium medius befindliche, eine Linie bis andert-
halb Linien weite Spalte gesehen wird, während er am skeletirten Kopfe eine
weite, zackige Oeffnung bildet. — Die runde oder schlitzförmige Mündung des
Thränen-Nasenganges liegt im Meatiis narium inferior in einer Bucht, welche dem
Ansätze des vorderen Endes der unteren Nasenmuschel an die Crista des Nasen-
fortsatzes des Oberkiefers entspricht. Ihre Entfernung vom unteren Rande des
äusseren Nasenloches, beträgt circa neun Linien.
Nil Stenson C<^ muaculis et glandulis, Amstel., 1664. p<ig, 37) entdeckte
eine Commnnication der Nasen- mit der Mundschleimhaut, in Form zweier enger
häutiger Gänge, welche durch die knöchernen Canales neuo-palatini, vom Boden
der Nasenhöhle zum Gaumen verlaufen. Jacobson (Annale^ du mus. d'hiat. not.
Tom. 18) und Rosenthal (Tiedemann und Trevirantts, Zeitschr. für Physiol.
Tom. JI) entrissen diese Entdeckung der Vergessenheit. Nach meinen Beobach-
tungen verhalten sich die S t e n s o naschen Kanäle wie folgt: Einen Zoll hinter
der Spina nasalis anterior liegt beiderseits von der Crista luiaalis inferior eine
längliche, mit einem Borstenhaar zu sondirende, geschlitzte Oeffnung, welche in
einen liäutigen Schlauch geleitet, der schräg nach vorn läuft, sich durch knorpel-
artige Verdickung seiner Wand trichterförmig verengt, durch den Canalis naito-
palatinus zum harten Gaumen tritt, und sich bald mit dem der anderen Seite
vereinigt, bald neben ihm auf einer Schleimliautpapille ausmündet, welche un-
mittelbar hinter den oberen Schneidezähnen in der Medianlinie des harten
Gaumens stellt. Die Weite des Kanals ist sehr veränderlich, und nicht durch
seine ganze Länge, welche ungefähr fünf Linien misst, gleichbleibend. — Der
Kanal hat keine besondere physiologische Bedeutung. Man kann es als sicher-
gestellt hinnehmen, dass er die auf ein Minimum reducirte grosse Communications-
öffnung zwischen der embryonischen Nasen- und Mundhöhle ist. Der Kanal wird
öfters auch als Jacob so n^sches Organ erwähnt, welche Benennung ihm aber
nicht zukommt, da das von Jacobson bei mehreren Säugethierordnungen be-
schriebene, räthselhafte Organ, beim Menschen spurlos fehlt. Dasselbe besteht
aus einem paarigen, am Boden der Nasenhöhle, neben der Scheidewand ge-
legenen, langgezogen bimförmigen, von einer knorpeligen Kapsel umschlossenen
Schleimhantsack, welcher sich mit feiner Oeffnung in den Stenson'schen Gang
seiner Seite öffnet. Beim Schafe mündet das Organ neben den Gaumenöffnungen
dieser Gänge.
Befeuchtung der Nasenschleimhaut ist ein unerlässliches Erforderniss für
die Geruchswahmehmung. Hieraus erklärt sich der Reiclithum an Blutgefässen und
Drüsen in dieser Membran. Nur ein krankhaftes Uebermaass von Schleiraabsonde-
rung veranlasst das den Thieren und Wilden unbekannte, ekelerregende Schneuzen,
welches weit mehr üble Gewohnheit, als wirkliches Bedürfniss ist. — Bei trocke-
ner Nasenschleimhaut, >vie beim Stocksclmupfen, geht der Geruch verloren, und
viele Körper riechen nur, wenn sie befeuchtet oder angehaucht werden. Da die
Riechstoffe nur durch das Emathmen in die Nasenhöhle gebracht werden, so
dient das Geruchorgan zugleich als Atrium respirationis, und giebt uns warnende
Kunde über mephitische und irrespirable Gasarten. Es wäre insofern nicht un-
passend, die Nasenhöhle die Athmungshöhle des Kopfes au nennen. — Versuche
37»
580 §• 816. Augenlider and Augenbrauen.
haben es hinlänglich constatirt, dass die Schlelmhant der Nebenhöhlen der
Nasenhöhlen fSintig /rmiUdes, Antrum Highmori, etc.), für Gerüche unempfindlich
ist. Ich habe selbst bei einem Mftdchen, welches an Hydrops antri Highmori
litt, vier Tage nach gemachter Function der Höhle, durch zehn Tropfen Acel.
aronu, welche durch eine Canüle in die Höhle eingeträufelt wurden, keine Ge-
ruchsempfindung entstehen gesehen. De seh am ps u. A. haben dieselbe Er-
fahrung an der Stirnhöhle gemacht. — Nur in der Luft suspendirte Riechstoffe
werden gerochen. Füllt man seine eigene Nasenhöhle bei horizontaler Rücken-
lage mit Wasser, welches mit Eau de Colog^e versetzt ist, so entsteht keine
Geruchsempfindong.
C. Sehorgan.
I. Schutz- und Hilfeapparate.
§. 216. Augenlider und Augenbrauen.
Das Wesentliche am Sehorgan sind die beiden Augäpfel,
welche beim Sehen wie Ein Organ zusammenwirken. Sie werden
zm* Aufrechthaltung ihrer so oflmal zuföllig von aussen bedrohten
Existenz, mit Protections- und Hilfsapparaten umgeben, welche sie
theils gegen äussere mechanische Beleidigungen bis auf einen ge-
wissen Grad hin schützen, theils ihrer durch allzu grelles Licht
bewirkten üeberreizung vorbauen: Augenlider und Brauen, —
oder ihre der Aussenwelt zugewendete durchsichtige Vorderseite ab-
waschen und reinigen: Thränenorgan, — oder sie in die, zum
Fixiren der äusseren Gesichtsobjecte zweckmässige Stellung bringen :
Augenmuskeln.
Zum Abfegen und Reinigen der Augen dienen die Augen-
lider, Palpebrae, welche ihren Namen, nach Cicero, von ihrer
Bewegung, palpitare, führen, während der griechische Name: la
(Siki(f3Lpx, von ßXe-o), sehen stammt. Sie sind zwei bewegliche, durch
Falten des Integuments gebildete, imd durch einen eingelagerten
Knorpel gestützte Deckel oder Klappen (i{jL[ji.aTf9jXXa, ocidi folia, bei
den Dichtern), welche sich vor dem Auge bis zum Schlüsse der
Lidspalte einander nähern, und wieder von einander entfernen. Sie
streifen durch diese Bewegung das Auge ab, und fegen dadurch
zufallige, mechanische Impedimenta visus von ihm weg, verbreiten
aber auch die für den Glanz und die Durchsichtigkeit des Auges
nothwendige Feuchtigkeit, welche durch die Thränendrüse und die
Bindehaut abgesondert wird, gleichmässig über dasselbe. Ihre will-
kürliche Bewegung setzt das Sehen unter den Einfluss des Willens.
§. S16. Augenlider and Aogenbnnen. 581
Die zwischen ihren freien, glatten Rändern offene Querspalte, Fis-
sura 8. Rima palpebrarum, bildet mit ihren beiden Enden die Augen-
winkel, Canthi, von welchen der äussere spitzig zuläuft, der
innere abgerundet oder gebuchtet erscheint. Sogenannte grosse
Augen sind eigentlich nur grosse Augenlidspalten, durch welche
man einen grösseren Theil der Augäpfel übersieht, und letztere des-
halb für grösser hält, als sie bei kleinen Lidspalten erscheinen.
Der freie Rand der beiden Augenlider hat eine gewisse Breite,
und zeigt deshalb eine vordere scharfe Kante, wo die Wimper-
haare stehen, und eine hintere stumpfere, mehr abgerundete, an
welcher die Oeffnungen der Meibom^schen Drüsen gesehen werden.
Die Wimperhaare (Cüia) sind kurze, steife, im oberen Augenlide
nach oben, im unteren nach unten gekrümmte Haare^ von zwei
Linien bis vier Linien Länge. Am oberen Augenlid sind sie länger
als am unteren, und an beiden in der Mitte der Ränder länger als
gegen die Enden zu. An der Bucht des inneren Augenwinkels
fehlen sie. Ihre Wurzelbälge liegen längs des Saumes der Lid-
ränder, und werden von den der Lidspalte nächsten Bündeln des
Musculus orbicvlaris palpebrarum überlagert. Die Cilien unterliegen
einem gewissen Wechsel durch Ausfallen und Wiedererzeugung,
und man findet in dem Haarbalge einer alten Cilie, die junge schon
bereit, die Stelle derselben einzunehmen, wenn sie durch Ausfallen
erledigt sein wird. In die Wurzelbälge der Cilien entleeren sich
kleine Talgdrüsen, wie in alle Haarbälge überhaupt.
Die Grundlage jedes Augenlids bildet ein zellenarmer Faser-
knorpel. Er heisst Tarsus, wahrscheinlich von lapjo«;, in der Be-
deutung als Blatt. Der Tarsusknorpel ist, der vorderen Aug-
apfelfläche entsprechend gewölbt. Er verdickt sich gegen den freien
Rand des Augenlids hin. Der Knorpel des oberen Augenlids über-
trifft jenen des unteren an Breite und Steifheit. Die Lidknorpel
werden an den oberen und unteren Margo orbüalis durch starke
fibröse Membranen suspendirt (Ligamentum tarsi superioris et infe-
rioris). Der innere Augenwinkel wird überdies noch durch das
kurze und starke Ligamentum canthi internum an den Stirnfortsatz
des Oberkiefers, — der äussere Augenwinkel durch das viel
schwächere, aber breitere Ligamentum canthi extemum an die Augen-
höhlenfläche des Stirnfortsatzes des Jochbeins angeheftet. Auf der
vorderen convexen Fläche der Lidknorpel liegt, durch eine dünne
Biiidegewebsschichte von ihr getrennt, der Musculus orbicularis pal-
pebrarum (§. 158, B), als eigentlicher Schliesscr der Augenlider. —
Das subcutane Bindegewebe der Augenlider ist fettlos, spärlich,
und lax; die Haut selbst dünn, und sehr leicht in eine Falte auf-
zuheben.
082 §• 81<{> Augenlider und Angenbrancn.
Bei d(M* Ansicht der hinteren concavcn Fläche der Augenlid-
knorpel, wird man die Meibom'sehen Drüsen gewahr, eine Art von
Talgdrüsen, beschrieben von llenr. Meibom, de vdsis palpehrarum
novis, Hdmatad. 1666, Diese Drüsen waren jedoch schon dem
CasBeriuB bekannt, und wurden von ihm auch abgebildet, im
Pmit<»ethe8eion, Veiiet. 1609, Man sieht an der hinteren Kante des
freien liidrandes (am oberen 30 — 40, am imteren 25 — 35) feine
OeflFnungen, welche in dünne, in der Substanz des Augenlidknorpels
eingehigerte , und durch ihn gelblich durchscheinende Drüsen-
schläuche von verschiedener Länge fuhren, auf welchen längliche
Bläschen (Acini) in ziemlicher Anzahl, und zwar ohne Stiele auf-
sitzen. Drückt man den freien Rand eines ausgeschnittenen oberen
Augenlides, an welchem die Drüsen grösser sind als am unteren,
mit den Fingernägeln, so presst man den Inhalt der Drüsen als
einen feinen, gelblichen Talgfaden hervor. Dieser Talg ist das
Sebum palpehrale s, Lema, welches im lebenden Auge den Lidrand
beölt, um das Ueberfliessen der Thränen zu verhindern. Das Wort Lema
stammt vom griechischen Af)|Ji.>;, Augenbutter, — bei Plinius gramlae.
Die filr abgeschlossen gehaltene Anatomie der Augenlider hat durch
II. Müller eine interessante Bereicherung erlebt, indem von dem genannten, um
dio mikroskopische Anatomie des Auges hoch verdienten und einem thatenreichen
l^ohon so frilh entrissenen Forscher, an beiden Augenlidern ein System organi»icher
Muskelfasern entdeckt wurde, welche sich in longitudinaler Richtung an die Lid-
knt>rpel inseriren, und die Lidspalte offen erhalten. Eine massenhafte Anhäufung
organij*cher Muskelfasern füllt, nach Müller, auch die Fwsvra orhitalls inferior
aus, und erinnert an die Membrana m»Jtcnlo-elastica, welche bei Säugethieren die
Kurtsore Wand der Orbita bildet, und den Bulbu» wieder vordrängt, wenn er
durch !*eine Retractores in die Augenhöhle zurückgezogen war. (Würzburger
Verhandlungen, IX. Bd.) Beide diese neuen Muskeln stehen unter dem Einfluss
des Sympathicus. Wird dieser am Halse eines Kaninchens durchschnitten, und
sein oberes Ende gereizt, so erweitert sicli die Lidspalte, und der Bulbus drängt
sich etwas aus der Orbita hervor.
Die Augenbrauen, Supercüia (Jajpue;), bilden als mehr oder
weniger buschige, nach oben convexe Haarbogen, die Circnze
zwischen Stirn- und Augengegend. Zwischen den inneren Enden
beider Augenbrauen, liegt die haarlose Glabella, Gehen aber die
beiden Augenbrauen mit ihren inneren Enden in einander über, so
fehlt die Glabella, — nach Aristoteles ein Zeichen hominis austert
et acerbi (ouv^^pjc). — Die Augenbrauen streichen längs dem Manjo
orhitalis superior hin, und bestehen aus dicken, kurzen, schräpj nach
aussen gerichteten Haaren, welche am letzten ergrauen. Sie be-
schatten das Auge, und dämmen den Stimschweiss ab. In Japan
ist es ein Vorrecht verheiratheter Frauen, sich die Brauen aus-
zurupfen, und die Zähne schwarz zu beizen. Die Aegyptier rasirten
ihre Brauen ab, wenn ihre Hauskatze starb. — Die Haare der
§. 217. Coi^junctira. 583
Augenbrauen haben, wie die Wimperhaare der Augenlider, nur ein
sehr beschränktes Wachsthum, so dass ihre Länge fast statio-
när bleibt.
Die äussere Haut der Augenlider ist, ihrer Zartheit and ihres lockeren,
immer fettlosen subcutanen Bindegewebes wegen, sehr zu krankhaften AusdeM-
nnngen geneigt, welche durch subcutane Ergüsse beim Rothlauf, bei Wau^-
Huchten, und nach mechanischen Verletzungen durch extravasirtes Blut so be-
deutend werden können, dass die Augenlidspalte dadurch verschlossen wird. Selbst
bei sonst gesunden Individuen höheren Alters bildet die Haut des unteren L]4e8
zuweilen einen mit seröser Flüssigkeit infiltrirten, bläulich gefärbten Beutel, welcher
durch eine tiefe Furche von der Wange abgegrenzt wird.
Die Benennung der Schutzapparate des Auges ist im Verlauf der Zweiten
eine ganz andere geworden, als sie ursprünglich war. So waren bei den Alten
CUia die Augenlider (t« x6Xa), woraus sich der Name der Augenbrauen als
SupercUia erklärt. Was wir jetzt Cilien nennen, hiess ßX£^ap(8£;. SupercUium
war das obere Augenlid. ^O^pu; kommt bei Homer als Braue, aber
auch als Augenlid vor. Nur der äussere Augenwinkel hiess xav66(, der
innere aber £Yxav6{(, welche Benennung durch Vesal auf die Caruncula lacry-
malis, und in der Neuzeit auf eine fungöse Wucherung dieser Carunkel über-
tragen wurde.
§. 217. Conjunctiva.
Die allgemeine Decke schlägt sich, einer gewöhnlich üblichen
Ausdrucksweise zufolge, von der vorderen Fläche der Augenlider
zur hinteren um, nimmt daselbst den Schleimhautcharakter an,
läuft, die Tarsusknorpel überziehend, bis in die Nähe des oberen
und unteren Margo orhitcdis, und biegt sich von hier neuerdings
zur vorderen Fläche des Augapfels hin, welcher sie sich anschmiegt.
Dieser durch die Lidspalte eingedrungene Fortsatz der Cutis, heisst
Bindehaut (Conjunctiva), welche, dem Gesagten zufolge, in die
Conjunctiva palpebrarum und Conjunctiva bvibi unterschieden wird.
Die Umschlagsstelle der Conjunctiva palpebrae zur Conjunctiva buibi
nennt man Fomix conjunctivae. Jedes Augenlid hat also seinen
eigenen Fomix conjunctivae.
Die Conjunctiva palpebrarum besitzt ein mehrfach geschichtetes
Pflasterepithel, welches auf einer äusserst dünnen, structurlosen
Schichte aufruht. Unter dieser Schichte folgt die eigentliche gefass-
reiche CWjunctiva. Sic hängt an die innere Fläche der Tarsus-
knorpel so fest an, dass sie von ihr nicht aufgehoben werden kann,
und besitzt, vom freien Rande des Lids bis zum Fornix hin, eine
Anzahl kleinster Papillen (Tastwärzchen), welche bei gewissen
katarrhalischen Zuständen der Bindehaut schon mit freiem Auge
bemerkbar sind, und theils einzeln, theils in Reihen geordnet stehen.
Man fasst sie zusammen als Corpus papilläre conjunctivae auf. Im
TtOI §. 217. Conjanctira.
Bertnch der Fomices conjunctivae finden sich acinöse Schlei mdriischen
von woloho in dem submucösen Bindegewebe eingebettet sind, —
wihlroiohor im oberen, als im unteren.
nie Conjunctiva hulhi, welche rings um die Cornea sich in
eine Falte aufheben lässt, verliert ihren Gefassreichthum bis auf
weni*n\ von den Augenwinkeln gegen die Hornhaut strebende Ge-
fiissbttschel die Schleimdrüsen und Papillen schwinden, und auf
der Cornea bleibt nur das Epithel der Conjunctiva, und die unter
diesem befindliche structurlose Membran, als Bowman's anterior
tlastic lomina, übrig. — Bevor die Conjunctiva hvlhi die Cornea er-
reicht erhebt sie sich zu einem eine halbe Linie bis eine Linie
breiten flachen Wall, den sogenannten Annulus conjunctivae, welcher
bei gewissen krankhaften Zuständen der Conjunctiva, sich besser
ausprägt, als an gesunden Augen, wo er kaum zu sehen ist.
Am inneren Augenwinkel faltet sich die Conjunctiva zu einer
senkrecht gestellten, mit der Concavität nach aussen gerichteten
Duplicatur, der Plica semüunaris 8. Palpebra tertia, einer Erinnerung
an die Nick- oder Blinzhaut der Thiere, Membrana nictitans. Auf
ihrer vorderen Fläche liegt, in die Bucht des inneren Augenwinkels
hineinragend, ein pyramidales Häufchen von Talgdrüsen, — die
Camncida lacrimalis (Encantids bei Vesal). Das Secret derselben
ist mit jenem der Meibo mischen Drüsen identisch, und wird zu-
weilen in solcher Menge abgesondert, dass es, die Nacht über, mit
dem Schleim der Lider zu einem bröcklichen Klümpchen verhärtet,
welches des Morgens mit dem Finger aus dem inneren Augenwinkel
weggeschafft wird. Aus den Oeffnungen der Talgdrüsen der Carun-
cula, wachsen sehr kurze und feine, immer blonde Härchen hervor,
welche nur mit der Lupe zu sehen sind.
Das Epithel der Conjunctiva palpebrarum und Conjunctiva bnlbi besteht in
der Tiefe aus einer Schiebte Cylinderzellen, auf welche abgeplattete Zellen in
mehrfacher Lage folgen.
Ueber die acinösen Schleimdrüsen der Coiyunctiva, welche sich im sub-
mucösen Bindegewebe des Fomix conjunctivae zu acht bis zwanzig vorfinden,
handelt W. Krause in HenWa und Pfeuffera Zeitschrift, 1854. Geschlossene
Follikel wurden zuerst von Bruch in der Conjunctiva des unteren Augenlides
des Rindes beobachtet, von Krause auch in der menschlichen Conjunctiva auf-
gefunden, und von Henle als Trachomdrüsen benannt fKrause, anat. Unter-
suchungen. Hannover, 1861).
Die Tast Wärzchen der ConjuncÜva palpebrarum vermitteln das Tast-
gefülil der Lider, welches durch die kleinsten Staubtheilchen, die zwischen Auge
und Augenlid gerathen, so schmerzvoll aufgeregt wird, und kranApf hafte Zu-
sammenziehungen des Schliessmuskels der Augenlider, als Reflexbewegung mit
vermehrter Thränenabsonderung hervomift — Die Fornices conjunctivae scliliessen
in der Regel die fremden Körper ein, welche zufallig, z. B. bei Schmieden und
Steinmetzen während ihrer Arbeit, in*s Auge springen. Lässt man das Auge nach
)^uf- oder abwärts richten, und hebt man mittelst der Cilien das untere oder
§. S18. Thr&nenorgane. 585
obere Lid anf, um es umzustülpen, und seine innere Fläche nach aussen zu
kehren, was man am eigenen Auge vor dem Spiegel bald zu machen lernt, so
lässt sich die ganze Ausdehnung der Fornices leicht übersehen.
In älteren Zeiten hiess die Conjunctiva: Adnata oder InnomineUa oculi,
auch Sexta oculi tunica, extrhuecus accedena. Den Namen Conjunctiva führt sie
erst seit Hall er.
§. 218. Thränenorgane.
Der Thränenapparat besteht aus den Thränendrüsen, und aus
den complicirten Ableitungswegen der Thränen in die Nasenhöhle.
Es finden sich in jeder Augenhöhle zwei Thränendrüsen
Glandulcte lacrymaleSy nach Isen flamm Glandvlae tristitiae. Beide
sind jedoch kaum so scharf von einander abgegrenzt, dass man sie
nicht als Einen Drüsenkörper betrachten könnte. Die obere grössere
Thränendrüse (Glandula innominata GcUeni der Alten) nimmt die
Grube des Procesms zf/gomaticus des Stirnbeins ein, wo sie durch
ein kurzes, aber breites fibröses Bändchen suspendirt wird; — die
untere kleinere (Glandida lacrymalis accessoria Monroi) liegt dicht
vor und unter ihr. Beide bestehen aus rundlichen Drüscnköniern
(Acini), welche durch Bindegewebe zu einem ziemlich festen Kuchen
zusammengehalten werden. Die dem Augapfel zugewendete Fläche
der Thränendrüsen ist concav, die äussere convex. Die obere
Thränendiüse überragt den Augenhöhlenrand gar nicht; — die
untere aber so wenig, dass nach Abtragung des Augenlids nur ihr
vorderer Rand gesehen wird. Die nicht eben leicht zu findenden
Ausführungsgänge beider Thränendrüsen, zehn an Zahl, ziehen
schräg nach innen und abwärts, durchbohren über dem äusseren
Augenwinkel die Umbeugungsstelle der Conjimctiva des oberen Lids
(Fomix conjunctivae superior), wo ihre feinen OeflFnungen in einer
nach innen concaven Bogenlinie stehen, und ergiessen ihren Inhalt
bei den Bewegungen des Lids an die vordere Fläche des Bulbus.
Einer oder zwei von den Ausfuhrungsgängen der unteren Thränen-
drüse, münden in den Fomix conjunctivae inferior, imterhalb des
äusseren Augenwinkels, wodurch auch die vom unteren Augenlide
bedeckte Fläche des Augapfels ihre Befeuchtung erhält.
Die über die vordere Fläche , des Augapfels durch die Be-
wegungen der Augenlider verbreitete Thränenflüssigkeit, mischt sich
mit dem flüssigen Secret der Conjunctiva, und wird bei jedem
Schliessen der Lidspalte gegen den inneren Augenwinkel gedrängt.
Der Weg, welchen sie hiebei nimmt, soll nach veralteten Vor-
stellungen ein Kanal sein, welcher im Momente des Augenschlusses
zwischen den Lidrändern und der vorderen Fläche des Bulbus ge-
bildet wird, — der Thränenbach der älteren Autoren, RiwA
586 §. 218. Thr&nenorgane.
lacrfjmarum. Dieser Kanal existirt nicht. Die Thränen werden viel-
mehr durch die Fomices conjunctivae, in welche sie sich zunächst
ergiessen, gegen den inneren Augenwinkel geleitet. Die Fomices
werden nämlich beim Schliessen der Lider so gespannt, dass die in
sie ergossenen Thränen einen Druck erleiden. Die Lidspalte wird
aber nicht an allen Punkten ihrer Länge zugleich geschlossen,
sondern fortschreitend vom äusseren Augenwinkel gegen den inneren.
Dadurch werden die Thränen bestimmt, gegen den inneren Augen-
winkel, als das punctum minoris resütentiae, zu strömen. Es giebt
somit zwei Thränenbäche, wie es zwei Fornices giebt.
Die Bucht des inneren Augenwinkels, welche die PUca semi-
lunaris und Caruncula lacrymalis enthält^ heisst Thränensee, Locus
lacnfmarum. In ihm sammeln sich die durch die Thränenbäche
hieher geleiteten Thränen. Nur wenn die Thränen im Ueberschusse
zuströmen^ kann er sie nicht halten, und lässt sie über die Wange ab-
laufen. Bei gewöhnlichen Absonderungsmengen aber, werden sie durch
die am inneren Ende der hinteren Kante des Randes beider leider
liegenden, kleinen, etwas kraterformig aufgeworfenen Oeffnungen —
Thränenpunkte, Puncta lacrymaUa — aufgesaugt. Jedes Augenlid
hat nur ein Punctum lacrifmale. Das untere kann am eigenen Auge
im Spiegel leicht gesehen werden, wenn man das untere Augenlid
etwas mit dem Finger herabdrückt, und dadurch seinen freien
Rand, ein wenig vom Bulbus abstehen macht. Das untere ist zu-
gleich etwas grösser als das obere. Die Thränenpunkte tauchen
sich während des Schliessens der Augenlider in den Thränensee
ein, und absorbiren durch einen noch nicht genau erforschten
Mechanismus die Thränenfeuchtigkeit. Die Thränenpunkte geleiten
in die Thränenröhrchen (Cancdiculi laa^ymaleSj Comua limacum).
Diese ziemlich dickhäutigen, beim Durchschnitt klaffenden, nicht
zusammenfallenden, durch eine in die Thränenpunkte eindringende,
äusserst zarte Fortsetzung der Conjunctiva ausgekleideten Kanälchen,
zeigen in ihrem Anfang noch das I^umen der Thränenpunkte, er-
weitern sich aber allsogleich zur sogenannten Ampulle, verengern
sich neuerdings, und ziehen in flachen Kreisbogen, deren Mittel-
punkt in der Caruncula liegt, gegen den inneren Augenwinkel, wo
sie in der Regel zu einem sehr kurzen gemeinschaftlichen Röhrchen
verschmelzen, welches sich in die äussere Wand des Thränensacks
einsenkt. Injection der Thränenröhrchen mit erstarrender Masse,
macht zuweilen eine spirale Drehung, immer aber ein ausgebuchtetes
Ansehen derselben sichtbar.
Die alten Anatomen kannten nnr das untere Punctum lacryniaif. Man
meinte damals, wo man die Function der ThrftnendrOse noch nicht kannte, das»
der untere Thränenpunkt die Thränen an die vordere Flfiche des Augapfels er-
giesse. Der innere Augenwinkel hiess desbAlb bei Uesjchius: T^ct'fi, die
§. S18. Thränenorgane. 587
Quelle. Erst durch Nie. Stenson (Stenonius) wurden die Thränenwege
genauer nntersacht und beschrieben, in dessen Olm^^roatianes anai. Lugd, 1662,
Der Thränensack, Sacais lacrjfmalis 8, Dacryocjfstis, liegt in
der Fossa lacrijmalis der inneren Augcnholilcnwand, wird in seinem
oberen Drittel vom Ligamentum pcUpebrale internum quer gekreuzt,
und an seiner äusseren, dem Bulbus zugekehrten Fläche, von einer
fibrösen Haut, als Fortsetzung der Perm^hita, überzogen. Andert-
halb Linien unter seinem oberen blindsackförmigen Ende, münden
die Canalieuli lacrtjmales ein. Nach abwärts geht er in den häuti-
gen Thränennasengang über, welcher kaum merklich enger als
der Thränensack ist, und, wie beim Geruchorgan (§. 215) bemerkt
wurde, bald höher, bald tiefer, an der Seitenwand des unteren
Nasenganges, imter dem vorderen zugespitzten Ende der unteren
Nasenmuschel , ausmündet. H a s n c r (Prager Vierteljahrsschrift
n. Bd.) hat die, von Morgagni ei-wähnte, halbmondförmige Schleim-
hautfalte an der Mi'uidung des Thränennasenganges, wieder in An-
regung gebracht. Die Klappe ist so gestellt, dass sie sich durch die
beim Ausathmeu an die Wände obiger Bucht anprallende Luft, auf
diese Mündung legen, die Thränenwege luftdicht von der Nasen-
höhle absperren, und es hiemit erklären soll, warum man durch
heftige Ausathmensanstrengung bei geschlossener Mund- und Nasen-
öflFnung, keine Luft aus der Nasenhöhle in die Thränenwege treiben
kann. Sie fehlt jedoch sehr oft, besonders bei hoher Stellung der
Ausmündungsöffnung. Sie kommt, wenn sie vorhanden ist, nur
dadurch zu Stande, dass der Thränennasengang, bei tieferer Aus-
mündung desselben, sich eine Strecke weit an der äusseren Wand
des unteren Nasenganges nach abwärts fortsetzen muss, so dass er von
der Nasenschleimhaut eine innere häutige Wand erhält, welche von
der angewachsenen äusseren Wand mit der Pincette aufgehoben
werden kann, uiud in diesem Zust^vnde einer Klappe auf ein
Haar gleicht.
Thränensack und Thränennasengang haben zusammen beiläufig fünf Viertel
Zoll Länge. — Ein vor dem Thränensack gelegener Sacauf larrt/niali» accesaoriiu
wurde von Vlacovich beobachtet (Osservazioni anat. aitUe vie lagrimalL Padova,
lS71j, — An der Grenze zwischen Thränensack und Thränennasenkanal erwähnen
Lecat und Malgaigne einer niedrigen, halbmondförmigen, zuweilen kreisrunden
Schleimhautfalte, lieber die in den Thränenwegen vorkommenden, unbeständigen
und wandelbaren Falten, und über die Spirale der ThrHnenröhrchen, sieh' meine
Corrosionsanatomie und deren Ergebnisse. Wien, 1872. fol.
Der untere Thränenpunkt wird seiner grösseren Weite wegen zu Ein-
spritzungen dem oberen vorgezogen. — Dass bei alten Leuten der obere Thränen-
punkt verwachse, und dadurch Thränenträufeln entstehe, glaubt kein Anatom. —
Die in älteren Kupferwerken geradlinig convergent abgebildeten Thränenröhrchen,
veranlassten den sonderbaren Namen derselben, als Schnecken hörner, Cornua
Ihnaciim, — Die das ganze System der IMiränenwege auskleidende Schleimhaut,
mittelst welcher die Conjunctiva mit der Nasenschleimhaut in Verbindung steht,
"US^ §. 219. Augenraaskeln.
T^rwiittelt eine im gesunden und kranken Znstande häufig zu beobachtende Sym-
ivithie iwischen diesen beiden Schleimhäuten, z. B. das Uebergehen der Augen
bei scharfen GerücJien, oder bei den Erstlingsversuchen der Tabakschnupfer. —
In allen Thränenwegen findet sich geschichtetes Cylinderepithel.
Den sogenannten Mitsadus Homeri am Thränensack (Philadelphia Journal,
1*^1. Nov.> betrachte ich als einen Antheil des Orbicularu palpebrarum, welcher
an der Crista des Thränenbeins und znm Theil auch an der äusseren Wand des
Tkfinensacks entspringt, quer über den Thränensack nach vom geht, und sich in
xw^i Bündel theilt, welche die zwei Thränenröhrchen einhüllen, und in die am
\«sefilidrande verlaufenden Fasern des Schliessmuskels der Augenlider Übergehen.
\ndere Anatomen lassen seine beiden Bündel am inneren Ende beider Lidknorpel
enden, welche er dieser Vorstellung znfolge anspannt, und sonach als Temor tarai
\mt und Würde erhält
§. 219. Augenmuskeln.
Mit Uebergehung des SchlieBsmuskels der Augenlider, welcher
bei den Gesichtsmuskeln abgehandelt wurde, kommen hier nur jene
Muskeln in Betrachtung, welche in der Augenhöhle liegen.
Es finden sich in der Augenhöhle sieben Muskeln. Sechs
davon bewegen den Bulbus, — einer das obere Augenlid. Sechs
Muskeln des Bulbus genügen, um dem Auge die Möglichkeit zu
gewähren, sich auf jeden Punkt des äusseren Gesichtskreises zu
richten. Je zwei gegenüber liegende Augenmuskeln bewegen das
Auge um eine Axe. Solcher Axen giebt es somit drei. Sie stehen
senkrecht aufeinander. Da, wie die Mechanik lehrt, ein um drei
aufeinander senkrechte Axen drehbarer Körper, nach jeder Richtung
gedreht werden kann, so müssen wir gestehen, dass die allseitige
Beweglichkeit des Augapfels, welche zur Beherrschung des ausge-
dehntesten Gesichtsfeldes unerlässlich wird, durch die einfachsten
Mittel erreicht wurde.
Hat man an einem Kopfe, an welchem bereits die Schädelhöhle
geöffnet und entleert wurde, die obere Wand der Augenhöhle durch
zwei, gegen das Sehloch convergirende Schnitte abgetragen, so findet
sich unter der Periorbita zunächst:
Der Aufheber des oberen Augenlids, T^vator pcdpehrae
supeiHcn^ls, welcher von der oberen Peripherie der Scheide des Seh-
nerven, dicht vor dem Foramefi optictim, entspringt, und gerade
nach vorn laufend, unter dem Margo orbitalis auperm*, und hinter
dem Ligamentum tarsi stiperioris aus der Augenhöhle tritt, um mit
einer platten, fächerförmig breiter werdenden Sehne, sich an den
oberen Rand des oberen Lidknorpels zu inseriren.
Nach Trennung des Aufhebers, und sorgfaltiger Entfernung
des die Augenhöhle reichlich ausfüllenden Fettes, sieht man noch
fünf Muskeln, rings um die Eintrittsstelle des Nervus opticus in die
§. 219. Augeumaskcln. 589
Orbita, von der Scheide des Sehnerven entspringen. Vier davon
verlaufen geradlinig, aber divergent zur oberen, unteren, äusseren,
und inneren Peripherie des Augapfels. Sie werden ihrer Richtung
wegen Recti genannt, und wir zählen einen Rectus inteimiLs, extemvs,
superior, und inferior. Sie haben alle vier die Richtung von Tan-
genten zur Augenkugel, endigen aber nicht an der grössten Peri-
pherie derselben, sondern verlängern sich über dieselbe hinaus,
gegen die Cornea hin, indem sie sich der Convexität des vorderen
Augapfelsegraents genau anschmiegen, und sich zuletzt mit dünnen,
aber breiten Sehnen, an der fibrösen Haut (Sderotica) des Aug-
apfels, zwei bis drei Linien entfernt vom Rande der Cornea in-
seriren. Der obere Rectus ist der schwächste; der äussere der
stärkste. Letzterer entspringt, nicht wie die übrigen einfach, son-
dern mit zwei Portionen, zwischen welchen das dritte und sechste
Nervenpaar, und der Ramus ndso-ciliaris des ersten Astes des fünften
Paares hindurchziehen.
Der fünfte, vom Foramen opticum herkommende Muskel, ge-
langt nur auf einem Umwege zum Augapfel. Er zieht längs des
oberen Randes der inneren Orbitalwand nach vorn, und lässt hierauf
seine dünne Sehne durch eine knorpelige Rolle (TrocJilea) laufen,
welche durch zwei an ihren Rändern haftende Bändchen, an die
Fovea oder den Hamulus trocMearis des Stirnbeins aufgehäugt ist.
Jenseits der Rolle ändert die Sehne plötzlich ihre Richtung, geht
breiter werdend nach aus- und rückwärts, und tritt unter der
Insertionsstelle des oberen Rectus an die Sclerotica. Die schiefe
Richtung seiner Sehne zum Augapfel giebt ihm den Namen des
oberen schiefen Augenmuskels, Musculus ohliquus supeHor, sein
Verhältniss zur Rolle den des Rollmuskels, Musculus trocldearis>
und seine supponirte Wirkung bei Ocmüthsaffccten jenen des Mus-
culus paihetieus. An der Stelle, wo die Sehne des Ohliquus superior
die Rolle passirt, schwächt ein kleiner Schleimbeutel die Reibung.
Der letzte Muskel des Augapfels, der untere schiefe. Mm-
culus ohliquus inferior, entspringt nicht hinten am Foramen opticum,
wie die übrigen Augenmuskeln, sondern am inneren Ende des unte-
ren Augenhöhleurandes. Er geht unter der Endschne des Rectus
inferior nach oben und hinten zur äusseren Peripherie des Bulbus,
und inserirt sich an die Sclerotica, zwischen dem Sehnerveneintritt
und der Sehne des Rectus exteimus.
Da die zwei Obliqui »chief von vorn her, und die vier Recti gerade von
hinten her znm Bulbus treten, so werden beide Muskelgruppen in einem anta-
gonistischen Verhältniss zu einander stehen. Die schiefe Richtung jedes Ohliquus
lässt sich nämlich in eine quere und gerade auflösen. Nur die quere Componente
macht die Obliqni zu Drehern des Bulbus; — die gerade Componente zieht den
BoibuB nach vom, wirkt dem Zuge der Recti direct entgegen, and man kann somit
sagen: der Bulbus wird durch die Recti und Obliqui äquilibrirt.
590 §. SSO. Allgemolnos über den Augapfel.
Die vier geraden und die beiden schiefen Augenmuskeln drehen den Bulbus
nm drei auf einander senkrechte Axen. Diese Drehungen werden ohne Ort» Ver-
änderung des Bulbus ausgeführt. Die Drehungsaxe fiir die Bewegfung des Bulbus
durch den oberen und unteren Kectus, liegt (nahezu) horizontal von aussen nach
innen, — für den äusseren und inneren Kectus senkrecht, — für die beiden
schiefen horizontal von vom nach hinten. Alle drei Axen schneiden sich in einem
Punkte, welcher innerhalb des Bulbus, im Corpus mtreum liegt, und das unver-
rückbare Centnim aller Bewegungen vorstellt. Von Aufheben, Niederziehen,
Aus- oder Einwärtsbewegungen des Augapfels kann nichts vorkommen, da die
Recti in der Richtung der Tangenten der Augenkugel verlaufen, und ihre Wir-
kung somit niur eine drehende ist. Es scheint nicht zulässlich, der gemeinschaft-
lichen Wirkung der vier geraden Augenmuskeln eine irgendwie erhebliche
Retractionsbewegung des Bulbus' zuzuschreiben. Das Fett der Augenhöhle hindert
ja mechanisch die Zurückziehung des Augapfels, welche durch die Erfahrung, am
Menschen wenigstens, nicht sichergestellt ist. Dagegen besitzt das Auge vieler
Säug^thlere einen besonderen lietractor öulbi, welcher hinten am Sehlocli ent-
springt, den Sehnerv trichterflirmig einschliesst, und an der hinteren Peripherie
des Bulbus sich ansetzt. — Durch Lospräpariren der Conjmictlva scleroticae
können die Insertionsstellen der Sehnen aller Augenmuskeln blossgelegt, ihre
fleischigen Bäuche durch Haken hervorgezogen, und durchgeschnitten werden,
worauf das Operationsverfahren zur Heihmg des auf Verkürzung eines Augen*
muskels beruhenden Schielens gegründet ist
Die Ffucia Tejwni oder Tunica vaginalis hidbi verdient noch kurze Erwäh-
nung. Sie tritt als eine den Bulbus umhüllende Bindegewebsmembran auf, welche
nur lose auf der Sclerotica aufliegt, und deshalb eine Art Kapsel bildet, in
welcher sich der Bulbus, wie ein Gelenkskopf in seiner Gelenksgnihe, nach jeder
Richtung drehen kann. Sie entspringt an der Umrandung der Orbita, geht hinter
der Conjunctiva bis zum Homhautrand, schlägt sich von hier als Kapsel um den
Bulbus herum, und endet am Eintritt des Sehnerven in den Augapfel. Sie wird
von den Sehnen der Augenmuskeln durchbohrt, welche von ihr scheidenartige
Ueberzüge erhalten. Sie isolirt gewissermassen den Bulbus von dem hinter ilim
gelegenen übrigen Inhalt der Augenhöhle. (TenoUf memoires et Observation.«» sur
Tanatomie, pag. 200.) Unvollkommen war diese Membran schon vor Tenon
bekannt
XI. A-Ugapfel.
§. 220. Allgemeines über den Augapfel.
Im menschlichen Augapfel bewundern wir ein nach den
optischen Gesetzen einer Cavitra obscura gebautes Sehwerkzeug, von
höchster Vollkommenheit. Er hat, wie man sagt, die Gestalt einer
Kugel, richtiger aber jene eines Ellipsoids, an dessen vorderer
Seite ein kleines Kugelsegment aufgepflanzt ist. Er bestellt aus
concentrisch in einander geschachtelten Häuten, welche einen, mit
den durchsichtigen Medien des Auges gefüllten Kaum umschliessen.
Diese Häute lassen sich wie die Schalen einer Zwiebel ablösen, —
daher der lateinische Name Btdhm ocuU, griechisch csOaX{jt,f;, <[uasi
§. m. Scleroiica nnd Uornea. 591
wxb? 8aXa|xo<;, sedes vüus. Bei den Dichtern linden wir auch lumina,
portae solis, und orbes luddi, für beide Augen. Die Häute, welche
die vordere, der Aussenwelt zugekehrte Gegend des Bulbus ein-
nehmen, sind entweder durchsichtig (Coimea), oder durchbrochen
(Irü), um dem Lichte Zutritt zu gestatten.
Der Augapfel hat seinen Standort nicht genau in der Mitte
der Orbita, sondern der inneren Augenhöhlenwand etwas näher als
der äusseren, welches wahrscheinlich durch die Tendenz der Seh-
axen beider Augäpfel zu convergiren, bedingt wird. Sein vorderer
Abschnitt ragt mehr weniger über die Ebene der Orbitalöffnung
hervor, ein Umstand, welcher auf die leichtere oder schwierigere
Ausführbarkeit gewisser Augenoperationen Einfluss hat. Da ferner
die Ebene der Orbitalöffnung so gestellt ist, dass ihr äusserer Rand
gegen den inneren nicht unbedeutend zurücksteht, so muss die
äussere Peripherie des Augapfels weniger durch knöcherne Wand
geschützt sein, als die innere, deren Zugänglichkeit überdies noch
durch den Vorsprung des Nasenrückens beeinträchtigt wird. Bei
Verminderung des Fettes in der Augenhöhle, tritt der Bulbus in die
Orbita etwas zurück, die Augenlider folgen ihm nach, und grenzen
sich von den Orbitalrändern durch tiefe Furchen ab. Dadurch ent-
steht das sogenannte hohle oder tiefliegende Auge, welches ein
nie fehlender Begleiter aller auszehrenden Krankheiten ist.
Dio Durchmesser des Ellipitoids des Augapfels verhalten sich so zu ein-
ander, dass der horizontale der grösste, der gerade (von vorn nach hinten
gehende) der kleinste, der vertikale der mittlere ist. Das Ellipsoid des Aug-
apfels kann man also durch Umdrehung einer Ellipse um ihre kleine Axe ent-
standen denken.
Alle organischen Gewehe hahen im Auge ihre Repräsentanten, und die den
NaturphUosophen geläufigen Ausdrücke über das Auge : Organismus im Organismus,
Microcogmua in macrocosnio , haben insofern einigen Sinn. Die Durchsichtigkeit
der Augenmedien lässt die Blicke des Arztes in das Innere dieses herrlichen Baues
dringen, and macht die verborgensten Krankheiten desselben, insbesondere imter
Anwendung des Augenspiegels, der Beobachtung zugänglich.
§. 221. Sclerotica und Cornea.
Die weisse oder harte Augenhaut, Sclerotica (besser Sdera,
von oxXrjpb<;, hart), und die durchsichtige Hornhaut, Cornea,
bilden zusammen die äussere Hautschichte des Bulbus. Sclerotica
und Cornea waren nie von einander getrennt, indem beide in den
ersten Zeiten der Entwicklung des Auges eine geschlossene, un-
durchsichtige Blase bilden, von welcher sich der vordere Abschnitt
erst später zu klären und aufzuhellen anfangt, als Cortiea transparens,
während alles Andere, als Sclerotica, undurchsichtig bleibt, imd
deshalb von den Alten Cornea opaca genannt wurde.
592 §• Ml* Sclerotien nnd Cornea.
a) Sclerotica.
Die Sclerotica, auch Albuginea, hat keine optischen Zwecke
zu erfüllen. Sie bestimmt die Grösse und Form des Augapfels,
und zählt zu den fibrösen Membranen. An ihrer hinteren Peri-
pherie besitzt sie eine kleine OefFnung, zum Eintritte des Sehnerven
in den Bulbus, und an ihrer vorderen, eine ungleich grössere Oeff-
nung, in welche die durchsichtige Hornhaut eingepflanzt ist.
Die SehnervenöfFnung liegt nicht im Mittelpunkt des hinteren
Scleralsegments, sondern circa eine Linie einwärts von ihm. Der
Sehnerv giebt, bevor er in den Bulbus eintritt, sein Neurilemm,
welches er von der harten Hirnhaut entlehnte, an die Sclerotica
ab. Schneidet man den Sehnerv im Niveau der Sclerotica quer
durch, so sieht man sein Mark durch ein feines Fasersieb in die
Höhle des Bulbus vordringen. Zerstört man das Mark durch
Maceration, so bleibt das feine Sieb zurück, und gab Veranlassung,
in der Sehnervenöffnung der Sclerotica, eine besondere Lamina
cnbroaa anzunehmen, welche jedoch, dem Gesagten zufolge, nur
die Ansicht des Querschnittes der die einzelnen Faserbündel des
Sehnerven umhüllenden Scheiden sein kann. — Die Sclerotica
hängt mit der zunächst nach innen folgenden Augenhaut (Choroidea)
durch eine zarte und lockere Bindegewebsschichte zusammen,
welche sternförmige, dunkelbraune Pigmentzellen einschliesst, und
Lamina fusca heisst.
Das Mikroskop zeig^ in der Sclerotica flache Bündel von Bindegewebs-
fasern, vielfach gemengt mit elastischen Fasern. Die äusseren Lagen der Bündel
laufen nach der Richtung der Meridiane der Augenkugel, die inneren nach den
Parallelkreisen derselben. Beide stehen durch wechselseitigen Faseraustausch in
Verbindung. — Die Sehnen der Augenmuskeln verweben ihre fibrösen Elemente
mit den Faserzügen der Sclerotica so, dass die Sehnenfasem der Recti in die
MeridianfMem der Sclerotica übergehen, jene der Obliqui dagegen in die Fasern
der Parallelkreise. — Die Fasern der Sclerotica gelangen nicht alle bis zum Hom-
hautrande. Sie biegen sich haufenweise in verschiedener Entfernung von diesem
nach hinten um, wodurch die grössere Dicke der hinteren Partie der Sclerotica
erklärlich wird. Die Dicke des vorderen Abschnittes der Sclerotica hängt von
der Verwebung der Augenmuskelsehnen mit diesem Abschnitte ab. — Die Gefäss-
armuth der Sclerotica bedingt ihre weisse Farbe. Selbst bei Entzündungen steigt
ihre Färbung nicht über das Rosenroth, und bei venösen Stasen in der zweiten
Augenschichte, erscheint sie bläulichweiss. Um den Eintritt des Sehnerven herum,
befindet sich in der Sclerotica ein arterieller, von den hinteren Ciliararterien gebildeter
Kranz, welcher jedoch in der Regel nicht ganz geschlossen ist — der Circuhts
arterioswt HalhrL — Die Festigkeit und geringe Ausdehnbarkeit der Sclerotica
erklärt die wüthenden Schmerzen, welche bei Entzündungen der von dieser Membran
umschlossenen inneren Gebilde des Auges vorzukommen pflegen.
Bochdalek hat im Auge des Menschen, des Rindes, und des Kaninchens
nachgewiesen, das« die Xerm ciliares, welche den hinteren Abschnitt der Sclero-
tica durchbohren, um zu den Häuten der zweiten Augenschichte zu gelangen,
§. 281. SclerofcicB nnd Cornea. 593
während ihres sehr schiefen Durchgangs dnrch die Sclerotica, der letzteren feine
Zweigchen abgeben.
Zwischen der inneren Oberfläche der Sclerotica and der äusseren der
Choroidea, befindet sich ein Lympliraum (Perichoroidealraum, Schwalbe),
welcher mit den Subarachnoidealräumen des Gehirns (§. 342), durch ein, das
Foramen opticum passirendes Lymphgefass in Verbindung steht Der Pericho-
roidealraum soll auch durch Lymphgefässe, welche mit den Vaaia vorticons (§. 223)
die Sclerotica nach aussen durchbohren, mit dem Hohlraum der OapstUa Tenani
(Note zu §. 219) in Cqpimunicittion stehen. Ausführliches giebt Schwalbe im
Archiv für mikrosk. Anat. 1870. Zarte Bindegewebsbündel, welche besonders rück-
wärts zahlreiche, aber vereinzelt stehende, schwarzbraune Pigmentzellen enthalten,
durchsetzen den Perichoroidealraum, und werden als Lamma fuaca benannt.
b) Cornea.
Die durchsichtige Hornhaut, Cornea, dient der Camera
obscura des Auges gleichsam als Objectivglas. Sie bildet eine Art
von Aufsatz an der Vorderseite des Bulbus, mit circa fünf Linien
Querdurchmesser an der Basis, und einem kleineren Krümmungs-
halbmesser als der Bulbus. Ihr grösster Umfang kann keine Kreis-
linie sein, sondern erscheint vielmehr bei vorderer Ansicht als ein
quergestelltes Oval, indem die Sclerotica sich oben und unten weiter
über die Cornea vorschiebt, als aussen und innen. Bei hinterer
Ansicht aber erscheint die Peripherie der Cornea kreisrund, weil
jenes Vorschieben der Sclerotica über sie, nicht stattfindet. —
Galen bezeichnet diese Haut des Auges mit dem Namen xepato-
etSi^; yktii'^ (hornähnliche Schicht, von x-epa?. Hörn). Das von den
Neueren für Hornhautentzündung gebrauchte Wort Ceratitis, sollte
also richtig Ceratoiditis lauten, denn xspaTiTiq hiess bei den Griechen
der wilde Mohn.
Die Sclerotica setzt sich unmittelbar in die Cornea fort, und
ist mit ihr Eins, weil sie, wie früher gesagt, gleichzeitig mit ihr
entsteht. Der sogenannte Rand der Sclerotica, welcher die Cornea
umfasst, ist nur die Marke, von wo aus die Sclerotica ihre histo-
logischen Eigenschaften aufgiebt, um andere anzunehmen, und zur
Cornea zu werden.
Im Inneren der Uebergangsstelle der Sclerotica in die Cornea
findet sich ein kreisförmiger Raum (Canalis Schlemmii), welcher
einen Plexus feinster Venen enthält, und weit genug ist, um eine
Borste in ihn einführen zu können.
Die Grundsubstanz der Hornhaut, welche, ihrer Glätte und Klarheit wegen,
dem Auge seinen spiegelnden Glanz giebt, besteht aus Fasern, welche den Binde-
gewebsfasern sehr nahe stehen, sich aber von ihnen dadurch unterscheiden, daw
sie beim Kochen keinen Leim, sondern Chondrin geben. Am Bande der Cornea
gehen diese Fasern in jene der Sclerotica über. In der Substanz der Cornea selbst
verbinden sie sich zu platten Strängen, deren Flächen den Flächen der Cornea
Hjrtl, Lehrbncli der Anatomie. 14. Aufl. 38
594 §. m. SeUrotiea «od Conte.
entsprechen. Die Btränge kreazen sich wohl mannigfaltige verflechten sich aber
mehr nach der Breite, als nach der Tiefe, indem es leicht gelingt, mehrere
Lagen dieser platten Faserstränge als Blätter von der Cornea abzuziehen. —
Nebst den Fasern enthält die Cornea zwischen den Faserbfindeln eingestreut, eine
grosse Anzahl spindel- and sternförmiger, kernhaltiger, den Bindegewebskörperchen
ähnlicher Zellen (Hornhautkörperchen, wahre Zankäpfel der Mikroskopiker),
deren Aeste sich in die spaltförmigen Lücken der Fasersabstanz hineindrängen,
wohl aach anter einander netzftSrmig anastomosiren. Eine zweite Art von Horn-
hautkörperchen besitzt Contractilität. Diese KOrperchen verändern nicht blos ihre
Gestalt, wenn die Cornea gereizt wird, sondern sie ändern auch den Ort ihres
Aufenthaltes, indem sie in den Spalten und Lücken der Fasersabstanz förmliche
Wanderangen ausführen.
Die vordere Fläche der Cornea wird vom geschichteten Pflasterepithel der
Conjanctiva, die hintere von der structurlosen Membrana Descemetii s, Demourni
überzogen. Unter dem Pflasterepithel der vorderen Comeafläche vrarde von
Bowman, eine structarlose Schichte, als anterior elastic membrane beschrieben,
deren Selbstständigkeit jedoch von Jenen nicht anerkannt wird, welche Bow-
man*s Membran blos fElr die vorderste, sehr verdichtete Schicht der faserigen
Grundsnbstanz der Cornea halten. — Nach dem Tode fallen die oberflächlichen
Epithelialzellen der Hornhaut einzeln oder g^rappenweise ab (vielleicht schon im
Sterben, beim Brechen der Aug^n), die Hornhaut verliert ihren Glanz, und wird
matt. Auch bei gewissen Augenkrankheiten, wo die Cornea wie bestäubt er-
scheint, fallen einzelne Zellen aus.
Die structurlose Membrana Descemetii (Descemet, an 9ola len» crystallina
ctUaractae »edes. Pari», 1758) fahrt ihren Namen mit Unrecht, da sie schon 1729
von E. Duddel (TreaUae im (he Diseases of the Homy Coat of Ihe Eye, Land,)
beschrieben wurde. An mehrere Tage lang macerii4en, oder an gekochten Horn-
häuten von Nagethieren lässt sie sich als continnirliche Membran abziehen, was
am Menschenauge nur stückweise möglich ist. Das einschichtige Pflasterepitliel
der Membrana Descemetii setzt sich in die obere »Schiclite des auf der vorderen
Irisfläche befindlichen Epithels fort.
Blutgefässe besitzt die Cornea im gesunden Zustande nicht. Nur an ihrem
äussersten Saume gelingt es, Schlingen von Capillargefassen zu ftillen. Im ent-
zündeten Auge dagegen, bei Geschwürsbildung, und bei der als Pannus bekannten
Krankheit der Cornea, treten neugebildcte Gefassc, selbst in bedeutender Anzahl
auf, wie an dem, in der anatomischen Sammlung des Josefinums befindlichen Präpa-
rate Römer's (abgebildet in Amman'« Zeitschrift V. 21. Tab. I. Fig. 9 und 11).
Die Cornea sehr kleiner Embryonen dagegen ist gefässreich. Diese embryonischen
Gefasso können, als seltenste Ausnahme, aucli im Auge des geborenen Menschen
persistiren. Einen Fall dieser Art habe icli besclirieben (Ein präcomeales Ge-
fössnetz im Menschenauge, im 60. Bd. der Wiener akad. Sitzungsberichte).
Dieser Gefasslosigkeit der Cornea steht ihr überraschender Nervenreichthum
gfegenüber. Die von Schlemm an Tliieraugen aufgefundenen Nerven der Cornea,
stammen aus den Ciliamerven. Sie wurden von Bochdalek (Bericht über die
Versammlung der Naturforscher in Prag, IH'M) auch im menschlichen Auge nach-
gewiesen. In der faserigen Grundsubstanz der Hornhaut bilden die Priraiti\'fasem
dieser Nerven Netze, welche bis an das Epithel heranreichen. Einzelne, marklo«
gewordene Primitivfasern des Netzes, sollen selbst zwischen die Zellen des Epitliels
vordringen, um daselbst frei zu endigen.
Eine am Kande <ler Cornea im Greisenaugo häufig vorkommende, und als
Greisenbogen (GerontoxonJ bezeichnete Trübung, beruht auf fettiger Infiltration
des Homhautgewebes.
§. 228. dioroidea nnd Irii. 595
§. 222. Choroidea und Iris.
Die zweite Augenschichte bilden zwei gefiissreiche Membranen :
die Äderhaut (Choroidea) und die Regenbogenhaut (Iris).
Beide wurden vor Altere als Eine Haut zusammengefasst, welche
Uvea hiess.
a) Choroidea.
Die Choroidea (richtiger Chorioidea, von x^P^°^ ^^^ eiSo;,
hautartig; obwohl sie bei den griechischen Autoren durchweg als
Xoposi$Ti5<; xif<«>'' erscheint), ist eine mit der Sclerotica concentrisch
verlaufende, sehr gefUssreiche Membran, daher sie auch Vasculosa
ocidi heisst. Es lassen sich an ihr drei Schichten unterscheiden.
Die äussere ist eine lockere Bindegewebsschichte, welche zahlreiche
verästelte Pigmentzellen enthält. Sie wurde schon bei der Sclerotica
als Lamina fusca erwähnt. Die mittlere Schichte schliesst in ihrer
fast homogenen Grundlage die Blutgefässe der Choroidea ein, und
ist die eigentliche Geiassschichte derselben. Diese Blutgefässe bilden
an ihrer inneren Oberfläche ein Capillargefassnetz , als Lamina
Ruyschii („in jjatris honorem^' vom Sohne Ruysch's also genannt).
An ihrer äusseren Oberfläche erzeugen die grösseren Venenstämm-
chen, durch ihre cigenthümliche, quirlähnliche Vereinigung zu vier
bis fünf Hauptstäramchen, die Fewa vorticosa Stenonis (Strudxilvenen).
Die innere oder dritte Schichte der Choroidea besteht blos aus
einer continuirlichen Lage sechseckiger Pigmentzellen. Sie heisst
lapetum nigrum. Zwischen der zweiten und dritten Schichte wird
noch eine structurlose, glashelle Zwischenlage, als Tunica elastica
dioroideae, erwähnt.
Die Choroidea besitzt an ihrer hinteren Peripherie eine Oeflf-
nung für den Eintritt des Sehnervenmarks. Bevor sie den vorderen
Rand der Sclerotica erreicht, geht sie in den Strahle nkörper.
Corpus ciliare s. Orbictdus cüiai*is über, welcher aus zwei, einander
deckenden Lagen besteht. Die oberflächliche Lage bildet einen
graulichweissen, über eine Linie breiten Ring — das Strahlen-
band der älteren Anatomen (Ligamentum ciliare). Man weiss gegen-
wärtig, dass dieses sogenannte Strahlenband ein Muskel ist: Mus-
culus cüiaris, auch Tensor choroideae. Er besteht aus glatten, von
der inneren Wand des Canalis Schlemmii zum vordersten Abschnitt
der Choroidea laufenden, geradlinigen Muskelfasern, zwischen
welchen, namentlich in den tieferen Schichten, Kreisfasern einge-
schaltet liegen sollen. — Die tiefe Lage des Corpus ciliare er-
scheint als ein Kranz von siebenzig bis achtzig Falten (Corona
38»
596 §. ns. Cboroidea nnd Iris.
cüiaria), welche ihre freien Ränder gegen die Axe des Auges kehren.
Das Wort „Falten" drückt nur die Form aus, denn wahre Falten,
d. i. Duplicaturen der Choroidea, sind sie nicht, da sie als solide
Wülstchen oder Kämme, sich nicht ausgleichen lassen. Sie erinnern,
als Ganzes gesehen, an die Blättchen einer CoroUa radiata. Jede
einzelne Falte heisst Ciliar fortsatz, Processus cüiaris. Dieser
Name, welcher von den Wimpern (Cüia) der Augenlider entlehnt
ist, wurde zuerst von Th. Bartholin gebraucht: Processus ciliares
sunt tenum quaedam flamenta, referentia lineas nigras, palpebrarum
ciliis similes. Die vorderen Enden der einzelnen Ciliarfortsätze
liegen hinter dem äusseren Rande der Iris. Der festonirte oder
zackige Saum, durch welchen dieser gefaltete Theil der Choroidea
sich als Corpus ciliare von der übrigen schlichten und ebenen Cho-
roidea absetzt, heisst Ora serrata. — Das Tapeium nigrum überzieht
auch, und zwar in mehrfachen Zellenlagen, die Falten des Corpus
ciliare, und die hintere Fläche der Iris.
Das Tapetum nigrum dient, wie die Schwärzung an der inneren Oberfläche
aller optischen Instrumente, zur Absorption jenes Lichtes, welches bereits die
Retina passirte. Die Zellen dieses Pigments sind, wie die Stücke eines Mosaik-
bodens, in der Fläche neben einander gelagert, wobei ilir dunkler Inhalt durch
weisse, helle Begrenznng^linien umsäumt erscheint, welche Linien der Dicke der
Zellenwändc entsprechen. Sie enthalten kleinste, mikroskopisch nicht mehr mess-
bare Pig^entmoleküle und einen hellen Kern, sammt Kemkörperchen. Der Kern
wird aber von der molekularen Pigmentmasse so umlagert, dass er nur zufällig
zur Anschaimng kommt, wenn die Zelle- platzt, und ihren Inhalt entleert. Selbst
an den pig^entlosen Augen der Albinos (Kakerlaken) finden sich die Pigment-
sellen, aber ohne molekularen gefärbten Inhalt Tapetum und Tapete (von xa;:»);,
Teppich, bei Homer) kommt bei Virgil (Aen. XL 3Ü7) vor, als ein langhaariger
Wollenstoff, welcher als Fuss- und Bettdecke, auch als Wandtapete benützt wurde.
lieber den von Chesterfield zuerst erwähnten, von Wallace als Mun-
culua cUiarU beschriebenen, und von Brücke als Tensor chorioideae aufgeführten
Muskel, sieh* H. Müller und A, Iwaiioff, im Archiv für Ophthalmologie. Bd. III.
und XV. —> H. Müller hat in der Choroidea, und zwar in Begleitung der grösseren
Arterien verlaufende, org^anische Muskelfasern entdeckt.
b) Iris.
Die Regenbogenhaut oder Blendung (Iris) ist eine ring-
förmige, in ihrer Mitte durch das Schloch (Papilla, %opTt) durch-
brochene, sehr gefössreiche Membran, deren Ebene senkrecht auf
der Augenaxe steht. Sie schliesst in ihrer bindegewebigen Grund-
lage zweierlei organische Muskelfasern ein : radiäre und kreisförmige,
und wird dadurch zu einer eminent contractilen Membran. Sie
vertritt im Auge die Stelle des in allen dioptrischen Instrumenten
zur Abhaltung der Kandstrahlen angebrachten Diaphragma, und
§. 822. Choroidea und Iris. 597
lässt durch die mit der Ab- und Zunahme des Lichtes unwillkürlich
erfolgende Erweiterung und Verengerung der Pupille, gerade nur
die zum deutlichen Sehen nöthige Lichtmenge in den hinteren
Raum des Auges fallen. Sie hat vor sich die Cornea, hinter sich
die Krystalllinse mit ihrer Kapsel. Zwischen Cornea und Iris be-
findet sich die vordere Augenkammer, zwischen Iris und Linsen-
kapsel die hintere. Beide enthalten eine wasserklare Flüssigkeit
(Humor aqueus). Die hintere Augenkammer darf man sich jedoch
nicht so vorstellen, als stünde die Iris mit ihrer ganzen Breite von
der Linsenkapsel ab. Die Iris Hegt vielmehr mit ihrem inneren
Rande auf der Linsenkapsel auf, so dass also zwischen Iris und
Kapsel der Linse, ein mit Humor aqueus gefüllter kreisrunder Raum,
als hintere Augenkammer existiren muss. Dass ein solcher mit Humor
aqueus gefüllter Raum wirklich vorhanden ist, sieht man an gcfrornen
Augen, an welchen man zwischen Iris und Linsenkapsel Eisstück-
chen des gefrorenen Humor aqueus hervorholen kann. Wo aber Eis
ist, dort muss Wasser gewesen sein, und wo Wasser sein konnte,
musste ein Raum für dasselbe vorhanden gewesen sein.
Der äussere Rand der Iris, Margo ciliaris, hängt mit der
Membrana Descemetii dadurch zusammen, dass diese Membran sich
an ihrer äussersten Peripherie in Fasern splittert, welche in die
vordere Fläche der Iris als sogenanntes Ligamentum pectinatum iridis
übergehen. Reisst man die Iris von der Descemc tischen Haut
los, so bilden die zerrissenen Fasern am Rande der letzteren eine
zackige Contour, welche eben die Benennung Ligamentum pectinatum
veranlasst zu haben scheint. — Der innere Rand der Iris, Margo
pupillaris, säumt die Pupille ein, welche nicht genau der Mitte der
Iris entspricht, sondern etwas nach innen und unten (gegen die
Nase) abweicht. — Die vordere Fläche der Iris wird von einem
Pflasterepithel bedeckt, welches mit jenem der Membrana Descemetii
im Zusammenhang steht. Ihre verschiedene Färbung erhält die
Iris durch eingestreute Pigmentzellen, so wie durch freie Pigment-
moleküle. Die hintere Fläche der Iris überlagert ein Stratum
schwarzen Pigments, als Fortsetzung des Tapetum nigrum. Die
griechischen Autoren nannten die Iris und Choroidea zusammen
Traubenhaut: ^a'Y0£i8T^<; yvibi^t (von ^a^, Weinbeere, uva), weil sie zu-
sammen dem Balge einer Weinbeere mit ausgerissenem Stiele ähnlich
sind. Die Pupille stellt das Loch vor, wo der Stiel der Beere
ausgerissen wurde. So erklärt sich auch der Name Uvea,
Im Bindegewebsstroma der Iris findet sich, wie gesagt, ein
doppeltes System glatter Muskelfasern vor, als Sphincter und Düa-
tator pupillae. Der Dilatator wird nicht so allgemein zugegeben,
wie der Sphincter. Die Wirkung beider Muskeln erfolgt viel rascher,
als es sonst bei glatten Muskelfasern zu geschehen pflegt. Der
598 §. sn. Choroidea nnd Iris.
Sphincter umgiebt in Form eines schmalen Ringes (eine halbe
Linie breit) den Pupillarrand der Iris. Der Dilatator liegt auf der hin-
teren Fläche der Iris, unmittelbar unter der Pigmentschichte. Er
entspringt am Rande der Cornea vom Ligamentum pectlyiatum, und
besteht aus geraden, hie und da unter spitzen Winkeln anastomo-
sirenden Bündehi, welche bis zum Pupillarrand ziehen, wo sie sich
mit dem Sphincter verweben. Die Wirkung der Kreisfasern ver-
engert die Pupille, die geraden Fasern erweitern sie. Der Sphincter
pupillae wird, wie der Tensor choroideae, vom Nervus oculomotorius,
der Dilatator dagegen vom Sympathicus innervirt, denn Reizung
dos Sympathicus am Halse, erzeugt Erweiterung, Reizung des Oculo-
motorius aber Verengerung der Pupille.
Ich hielt den Dilatator nicht für musknlös, sondern für ein System elastischer
Fasern, indem es mir unwahrscheinlicli vorkam, dass der Sphincter sich durch
Lichtreiz, der Dilatator durch Dunkelheit, also Mangel an Reiz, zusammenziehe.
Besteht aber der sogenannte Dilatator nicht aus muskulösen, sondern aus
elastischen Fasern, so braucht nur der Sphincter durch Lichtmangel zu erlahmen,
um den elastischen Fasern die Erweiterung der Pupille zu überlassen. Dieser
Ansicht trat A. Kölliker (Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd. I. G. Heft) durch
ein, wenigstens am Kaninchenauge sehr schlagendes Experiment entgegen. Es
wurde, nach vorläufiger Abtragung der Cornea, der Pupillarrand der Iris, welcher
den Sphincter enthält, ausgeschnitten, und der Best der Iris hierauf durch einen
schwachen Strom des Dubois'schen Apparates gereizt. Bei wiederholten Ver-
suchen ergab sich jedesmal eine Dilatation der Pupille. Der Dilatator pupillae
muss also ein Muskel sein, da, wenn er ein elastisches Gebilde wäre, auf seine
Reizung keine Bewegung erfolgen könnte. Ist demnach (versteht sich beim
Kaninchen) der Dilatator pnpiUae ein muskulöses, und kein elastisches Gebilde,
so bleibt es unerklärt, wanira Einträufeln von narkotischen Lösungen in daa
menschliche Auge, die Pupille erweitert. Die NarcoticA sollten ja beide Muskeln
der Iris lähmen, und dadurch an der Weite der Pupille nichts ändern. In neuerer
Zeit haben Grünhagen und Hampeln den Kampf gegen die Existenz eines
Dilatator pupillae mit guten Gründen fortgesetzt.
Dass auch das Pigment der Uvea, auf die Färbung der Iris Einfluss
nimmt, zeigt der Umstand, dass beim Fehlen dieses Pigments, wie bei den
Albinos, die Iris, ihres Blutreichthums wegen, roth erscheint. Bei Kindern finden
wir sie immer lichter als bei Erwachsenen. Aristoteles sagte schon, dass alle
Kinder mit blauen Augen geboren werden, und erst .später braune oder schwarze
bekommen. — Da das auf der hinteren Fläche der Iris lagernde Pigment bei
den Bewegungen der Iris leicht lose werden und abfallen könnte, lassen es
Einige von einem durchsichtigen, wasserhellen Häutchen bedeckt sein, welches
die hinterste Irisschichte bilden soll, und für eine Fortsetzung der später (§. 225)
als Memhraiia limilaus Pacini zu erwähnenden, structurlosen Schiclite der Netz-
haut gehalten wird.
§. S28. QefftMe und Nenren der Choroidta und Iris. 599
§. 223. &efösse und Nerven der Choroidea und Iris.
a) Arterien.
Die Arterien, welche die zweite Schichte des Augapfels zu
versorgen haben, stammen aus drei verschiedenen Quellen. Diese
Quellen sind:
1. Die Arteriae cUiarea posticae brevea (vier bis zehn). Sie
kommen aus der Arteria ophthalmica , und treten, nach kurzem,
rankenförmig geschlängeltem Verlauf, in der nächsten Nähe des
Sehnerveneintrittes durch die Sclerotica hindurch zur Choroidea,
an deren innerer Fläche sie sich in das als Ijxmina Rwjschn be-
zeichnete Capillarnetz (Membrana chorio-capUlaris autorum) auflösen,
welches sich bis zur Ora serrata erstreckt.
2. Die Arteriae ciliares posticae longae. Es giebt ihrer nie mehr
als zwei. Sie sihd gleichfalls stark geschlängelte Aeste der Arteria
ophthalmica, welche, nachdem sie die Sclerotica zu beiden Seiten
des Sehnerveneintrittes durchbohrten, zwischen Sclerotica und Cho-
roidea geradlinig nach vorn laufen. Während dieses Laufes liegt
die eine an der Schläfeseite, die andere an der Nasenseite, beide
somit ziemlich genau in der horizontalen Ebene des Augapfels.
Bevor sie den Ciliarmuskel und den äusseren Rand der Iris er-
reichen, — nicht aber wie geglaubt wird, in der Iris selbst —
spaltet sich jede in zwei Aeste, welche in entgegengesetzten Rich-
tungen, auf- und absteigend, von beiden Seiten her mit einander
zu einem Kranze zusammenflicsseu : Circulus iridis arter iostis major,
welcher dem äusseren Rande des Irisringes entspricht, und aus
welchem Aestchen für den Ciliarmuskel, für die Processus ciliares,
und zwanzig bis dreissig etwas geschlängelte Zweigchen für die
Iris selbst entstehen, welche nahe am Pupillarrande der Iris einen
zweiten, aber kleineren, und nicht immer geschlossenen Kranz (Cir-
cidus iridis arteriosus minor) bilden. Sehr feine Zweigchen gehen
aus dem Circulus iridis arteriosus major nach hinten, zur Verbindung
mit dem, von den Arterias ciliares posticae breves gebildeten Capillär-
gefUssnetz der Choroidea, welches man sehr mit Unrecht als eine
eigene Membran betrachtete, und als Membrana chorio-capHlaris
benannte.
3. Die Arterias ciliares anticae (fünf oder sechs). Sie stammen
aus den Rami musculares der Arteria ophthcdmica, Sie durchbohren
die Sclerotica an ihrem vorderen Segment, d. i. im Umkreise der
Cornea, und treten in den Musculus dliaris ein, dem sie Zweige
geben, worauf sie theils in den Circulus iridis arteriosus myor
einmünden, theils mit den Aesten des Circulus major gegen
600 8* S^* G«AsM «nd Ncnren der Choroidea und Iris.
den PupiUarrand der Iris ziehen, um daselbst an der Bildung des
Circulus iridis arteriosus minor Theil zu nehmen.
b) Venen.
Diesen drei Bezugsquellen arteriellen Blutes fiir Choroidea
und Iris, entspricht nur Ein ableitendes Venensystem. Dasselbe
besteht aus vier bis fünf Stämmchen, welche an der Aussenfläche
der Choroidea, durch den Zusammenfluss vieler, bogenförmig zu-
sammenlaufender kleinerer Venen gebildet werden. Dadurch ent-
stehen Ge&ssfiguren, welche, um einen passenden Vergleich zu
machen, das Bild eben so vieler Springbrunnen darstellen, die ihr
Wasser in Bogen nach allen Seiten auswerfen. Diese Figuren
wurden von ihrem Entdecker N. Stenson (1669), Vasa vorticosa
genannt. Die Vasa vorticosa nehmen das Blut aus der Choroidea,
aus der Iris und aus dem Ciliarkörper auf. Die Stämmchen der
Vasa vorticosa durchbohren die Sclerotica etwas hinter ihrer grössten
Peripherie, und entleeren silli in die Vena ophthaimica cerehrcdis.
Allerdings giebt es auch Venae ciliares potUcae bretea and Venae ciliare*
anUcae, Aber die potUeae breoe» f&hren nur ein Minimum ron Blut aus der
Choroidea und Sclerotica zurück, und sind deshalb äusserst schwach; während
die winzigen Ciliares atUicae nur aus dem Venenplexus im Schiern m'schen Kanal
hervorgehen, welcbftr sicherer Massen sein venöses Blut nicht aus der Iris« sondern
nur ans dem Musculus ciliaris erhält. Venae ciliares posticae hw^ae fehlen dem-
nach gänzlich. — Es verdient noch erwähnt zu werden, dass die Venen der Iris,
auf ihrem Wege zu den Vasa vorticosa, sich zuerst an den freien Rand der
Processus ciliares halten, dann in parallelen Zügen an der inneren Oberfläche des
vorderen Abschnittes der Choroidea nach hinten ziehen, also nicht durch den
Musculus ciliaris treten, und somit auch keiner Compression durch diesen Muskel
ausgesetzt sind.
c) Nerven der Iris und Choroidea.
Sie stammen als Nervi eäiares überwiegend aus dem Gangliim
ciliare (einige auch aus dem Nervus naso-ciliaris). Ihre Zahl kann
bis auf sechzehn steigen. Sie durchbohren die Sclerotica an ihrem
hinteren Umfange, um zwischen ihr und Choroidea nach vorn zum
Musculus ciliaris zu ziehen, auf welchem Wege sie in der äusseren
Schichte der Choroidea sich zu Netzen verbinden, welche an ihren
Knotenpunkten Ganglienzellen fuhren. In den Ciliarmuskel ein-
getreten, lösen sie sich in ihre Primitivfasern auf, welche theils im
Muskel bleiben, theils in die Cornea und Iris übertreten. In der
Iris theilen sich die Primitivfasern wiederholt, werden marklos, und
bilden zuletzt geschlossene Kndnetze. Sympathische Nervenfasern
sollen gleichfalls in der Bahn der Nervi ciliares zur Iris gelangen,
und den DHatator pupillae innerviren, während der Sphincter unter
dem Einfluss des Nervus oculomotorius steht, welcher die dicke
Wurzel des Ganglion ciliare abgiebt. Da das Gangen cÜiare auch
$. m. SetinA. 601
eine sensitive Wurzel aus dem Naeo-cäiaris bezieht, müssen die
iViem cäiares auch die im Auge empfundenen GefUhle (Stechen,
Beissen, Brennen, etc.) vermitteln.
lieber die Nervi ciliares bandelt umständlich Bochdalek (Prager Viertel-
jabrschrift 1850. 1. Bd.).
§. 224. Retina.
Die Netzhaut ( Retina *), von rete, Netz, — Tunica nervea
ocidi) ist das Gehirn des Auges. Sie folgt auf die Choroidea, wie
diese auf die Sclerotica. Sie umhüllt zunächst den durchsichtigen
Kern des Auges, und erstreckt sich mit der Mehrzahl ihrer gleich
zu erwähnenden Schichten, von der Eintrittsstelle des Sehnerven
bis zu jener Stelle, wo die Choroidea ihre Processus ciliares zu bilden
beginnt (Ora serrata). Am todten Aufl^ ist sie grau. Im lebenden
Zustande, mit dem Augenspiegel gesehel^ erscheint sie röthlich und
hell. Auf eine intensiv rothe Färbung der lebendigen Retina des
Frosches (den sogenannten Sehpurpur) wurde kürzlich durch
Professor Boll in Rom aufmerksam gemacht.
Der Sehnerv ragt, nachdem er die Sclerotica und Choroidea
durchbohrte, als flacher, in der Mitte etwas vertiefter Markhügel,
Collicidus nervi optici^ in den Hohlraum des Auges ein wenig vor,
und entfaltet sich hierauf zur becherförmigen Retina. In der Ver-
tiefung des Markhügels taucht die in der Axe des Sehnerven ver-
laufende Ernährungsschlagader der Retina (Arteria centralis retinae)
mit der begleitenden Vene auf. Die Unfähigkeit des Markhügels
zur Vermittlung von Gesichtswahrnehiftungen begründet seinen
Namen: blinder Fleck der Netzhaut (Mariotte). Neben dem
Markhügel nach aussen, bildet die Retina zwei querlaufende Fält-
ehen, Plicae centrales, zwischen welchen eine durchsichtige, rund-
liche, und vertiefte Stelle liegt, welche das schwarze Pigment der
Choroidea durchscheinen lässt, und deshalb für ein Loch gehalten
wurde, Foi^amen centrale Soemmerringii (richtiger Fovea centralis). Es
geschieht ohne Zweifel auch öfters, dass die an dieser Stelle sehr
dünne Retina, durch die» Behandlung während des Präparirens, zer-
reisst, also wirklich ein Loch bekommt. Die Ränder der Plicae
und ihre nächste Umgebung sind mit einem gelben, durch Wasser
extrahirbaren Pigment gefärbt. Dieser Ort führt deshalb den
Namen : Macula lutea. Der Colliculus und die Plicae centrales kommen
*) Die Retina ist keine neteartig durchbrochene Haat Der Name stammt
vielmehr daher, dass Galen diese Haut tunica amphibUstroides nannte, weU sie
sich so nni den GD^körper hemmlegt,* wie ein Fischemetz («(i^fßXiiaTpov) nm die ge-
fangenen Fische.
602 §. M6. Bau der Retina.
nur im Leichenauge vor, dessen welker Zustand die Spannung der
Retina vermindert, und Faltungen derselben bedingt, welche am
vollen lebenden Auge, wie dessen Untersuchung mit dem Augen-
spiegel lehrt, nicht zu sehen sind.
Meinen Beobaclitnngen zufolge (Med. Jahrb. Oest, 28. Bd. pag. 14) besitzt
der Sehnerv dreierlei Arterien: 1. Die Vag^alarterie versorgt sein Neurilemm,
2. die Interstitialarterie liegt zwischen dem leicht abziehbaren Neurilemm und dem
Mark des Nerven, 3. die eigentliche Centralarterie, welche mit der zugehörigen
Vene im Potm optiats (Axenkanal des Sehnerven, schon von Galen gekannt) in
das Auge eindringt, und beim geborenen Menschen nur die Retina, nicht aber,
wie es hie und da noch geäussert wird, auch den Glaskörper und die Linsen-
kapsel versieht Sie löst sich nämlich in der Retina in ein feines und nur sehr
schwer durch Injectlon darstellbares GefKssnetz auf, welches niemals Zweige in
den Glaskörper abgiebt, sondern am Beginne der Zonula Zinnii in ein kreisför-
miges, aber nicht g^nz zu einem Ring^ abgeschlossenes Gefass übergelit (Circulus
oenoatu reUnaJ, aus welchem die rOcknihrendcn Venen auftauchen. Nur beim
Embryo verlängfert sich die Centralarterie des Sehnerven zur Arteria centralis cor-
pori» mlrei, welche durch die Axe des Glaskörpers bis zur hinteren Wand der
Linsenkapsel gelang^ wo sie sich strahlig verzweigt — Die Macula lutea wurde
bisher für eine nur dem Menschen- und Affenauge zukommende EigenthümUch-
keit gehalten. H. MflUer hat sie jedoch im Auge verschiedener Wirbel thiere
der drei höheren Classen aufgefimden. — F. Merkel, Über Macula lutea und Ora
serrata. Leipzig, 1870.
§. 225. Bau der Eetma.
So gleichartig die Retina dem unbewaffneten Auge zu sein
scheint, so complicirt gestaltet sich ihr Bau unter dem Mikroskop.
Die Anatomie hat zur Aufklärung dieses Baues ihr Bestes gethan.
Sie hat selbst mehr geleistet, als die Physiologie des Auges zu
verwerthen im Stande ist. Denn welche Betheiligung am optischen
Vorgange des Sehens den einzelnen Schichten der Retina zukommt,
ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt.
Die Netzhaut besteht aus mehreren Schichten, von denen nur
eine (die Faserschicht) dieselben mikroskopischen Elemente wie
der Sehnerv fuhrt. Diese Schichten sind, von aussen nach innen
gezählt: 1. die Stabschichte, 2. die äussere und innere Körner-
schichte, 3. die Zellenschichte, 4. die Faserschichte, 5. die
structurlose Membrana limitans,
1. Die St ab schichte besitzt eine Dicke von circa 0,03 Linien,
und wird leicht gesehen, wenn man ein frisch präparirtes Auge,
nach Wegnahme der Sclerotica und Ohoroidea, in reines Wasser
legt, und ein wenig schüttelt. Sie löst sich hiebei in grösseren oder
kleineren Lappen von der äusseren Fläche der Retina los, und
schwebt in der Flüssigkeit. Unter dem Mikroskope erscheint sie
aus doppelten Elementen: Stäbchen und Zapfen, zusammengesetzt.
§. M6. Ban der Betina. 603
Stäbchen (BadUt) nennt man schmale^ längliche, cylindrische oder
prismatische Körper, welche auf der Aussenfläche der Retina wie
Palissaden senkrecht stehen, und an ihrem inneren Ende in einen
zarten Faden sich verlängern. Die Substanz der Stäbchen ist homogen.
Sie besitzen matten Fettglanz und einen solchen Grad von Zartheit
und Veränderlichkeit, dass sie schon durch blossen Wasserzusatz
ihre Form und ihre sonstigen Eigenschaften bis zur Unkenntlichkeit
verlieren. Die Zapfen (Coni) sind ebenfalls Stäbchen, aber nicht
so hell wie diese, und an ihrem inneren Ende durch Einlagerung
eines ansehnlichen Kernes bauchig aufgetrieben, mit einer gegen die
nächstfolgende Retinaschichte ziehenden fadenförmigen Verlängerung.
Am äusseren Ende der Stäbchen beobachtet man Querstreifen, als
Spuren der Uebereinanderlagerung plattenförmiger Elemente. In
der Macula lutea finden sich nur Zapfen, — in den entfernteren Zonen
der Retina dagegen prävaliren die Stäbchen über die Zapfen. An
der Eintrittsstelle des Sehnerven in die Retina^ fehlen Zapfen und
Stäbchen, und mit ihnen die Empfindlichkeit der Retina gegen das
Licht (blinder Fleck).
Von ihrem ersten Entdecker, dem Engländer A. Jacob (1819) führt die
Stabschicht heute noch öfters den Namen Jacob*8che Membran. Ritter erwähnt
eines Streifens oder Fadens in der Axe der Stäbchen (Ritte rasche Faser). Sie
soll gegen das peripherische Ende der Stäbchen mit einer knopfförmigen An-
schwellung enden. Auch in den Zapfen vermisst man diesen centralen Axenfaden
nicht. W. Krause machte auf eine doppelt contourirte Querlinie aufmerksam,
durch welche die Stäbchen in ein Aussen- und Innenglied getheilt werden.
2. Die Körnerschichte oder Nuclearformation, besteht
aus rundlichen, im frischen Zustande hellen, aber bald sich trübenden
und ein granulirtes Ansehen gewinnenden Körnern von 0,002'" bis
0,004'" Durchmesser, in welchen, durch Einwirkung von Wasser,
ein grosser, etwas dunkler Kern zum Vorschein kommt. In dem
hinteren Abschnitt der Retina bilden diese Körner zwei, durch
eine helle, gestreifte, wahrscheinlich dem Stützgerüste der Retina
angehörige Lage von einander getrennte Schichten, und gehen erst
gegen die Ora serrata zu, in eine einfache Schichte über. Die
Körner senden, nach Art bipolarer Ganglienzellen zwei Fortsätze
ab, — einen nach innen, den andern nach aussen. Kölliker er-
klärt die Körper für Zellen, deren Kerne die Zellenmembran voll-
kommen ausfüllen.
3. Die Zellenschichte bildet eine 0,008'" bis 0,02'" dicke
Lage runder, birnförmiger oder eckiger Zellen, welche im ganz
frischen Zustande durchscheinend sind, bald aber einen Kern mit
Kernkörperchen erkennen lassen. Sie sind wahre Ganglienzellen,
wie sie in der grauen Substanz des Gehirns gefunden werden.
BowmaU; Corti^ und Kölliker entdeckten an ihnen drei bis
604 S- ns« Ban der Retina.
sechs blasse Ausläufer oder Fortsätze, welche sich wiederholt theilen,
und dadurch bis zu einer Dünnheit von 0,0004'" verjüngen. Die
Fortsätze mehrerer Zellen anastomosiren theils unter einander, theils
verbinden sie sich mit den nach innen gerichteten Fortsätzen der
Kömer der zweiten Schichte, theils gehen sie in die Elemente der
nächst folgenden Faserschicht ununterbrochen über.
4. Die Faserschichte wird durch die Ausbreitung der Seh-
nervenfasem in der Fläche gegeben. Diese Fasern sind marklos,
halten die Feinheit der zartesten Gehimfasern, und laufen in flachen
Bündeln gegen die Ora serrata zu. Wegen successiven Ablenkens
dieser Fasern in die nächst äusseren Schichten der Netzhaut, muss
die Fasepßchichte nach vorn zu immer dünner werden. — An der
innem Oberfläche der Faserschicht, befindet sich das Capillargeföss-
netz der Retina, welches in die übrigen Schichten keine Ausläufer
entsendet. Dieses Capillarnetz wird nur von der Arteria centralis
retinae gespeist, welche mit keiner anderen Schlagader im Augapfel
irgend welche Anastomose eingeht.
5. Die letzte Schichte der Retina nach innen ist die structur-
lose Membrana limitans, in welcher bisher keine geformten Elemente
entdeckt wurden. Sie soll sich über die Ora serrata hinaus fort-
setzen, und, wie früher schon bemerkt, die Ciliarfortsätze, so wie die
hintere, schwarz pigmentirte Fläche der Iris überziehen. Sie muss
als Membrana limitans inteima bezeichnet werden, wenn die zwischen
Stab- und Körnerschichte von M. Schnitze als Membrana limitans
externa beschriebene structurlose Schichte, sich bestätigt.
Die charakteristischen Formelemente der ersten vier Schichten
liegen in einem gemeinsamen Gerüste feinster, unmessbarer Stütz-
fasern eingetragen, deren Bindegewebsnatur theils zugestanden,
theils bestritten wird. Letzteres wohl mit Recht, da diese Fasern
von dem empfindlichsten Reagens auf Bindegewebe (Salpetersäure
und chlorsaures Kali) gar nicht alterirt werden. Die Fasern des
Gerüstes gehen in grosser Menge von der fünften Schichte (Linü-
tans) aus, und durchsetzen unter unzähligen Begegnungen und
Kreuzungen, die übrigen Schichten bis zur Stabschichte hin, wo
sie in die structurlose Membrana limitans externa übergehen sollen.
Sie mögen nach ihrem Entdecker, H. Müller, Müll er' sehe Fasern,
oder ihrer Richtung wegen Radiärfasern, auch Stützfasern
nach Kölliker genannt werden.
lieber den Zusammenhang der verschiedenen Schichten der
Retina unter einander, lässt sich vermuthungsweise Folgendes sagen.
Die nach innen gehenden Fäden der Stäbchen und Zapfen ver-
binden sich sehr wahrscheinlich mit den nach aussen gerichteten
Fortsätzen der Körner, so zwar, dass die Fäden der Stäbchen mit
den Körnern der äusseren Kömcrschichte, die Fäden der Zapfen
§. 236. Kern d«8 Auges. Glaskörper. 605
mit jenen der inneren Körnerschichte zusammenhängen. Die nach
innen gerichteten Fortsätze der Kömer verbinden sich mit den nach
aussen gerichteten Fortsätzen der Zellen^ während die nach innen
sehenden Fortsätze der Zellen ganz sicher mit den marklosen Nerven-
fasern der Faserschicht in Continuität stehen. Dieser Anschauung
zufolge^ existirt ein ununterbrochener Zusammenhang zwischen den
Retinaschichten 1, 2, 3, 4, und wahrscheinlich sind die in der Axe
der Stäbchen gefundenen Streifen (Ritte r'sche Fasern) mit ihren
knopffbrmigen Anschwellungen, als die letzten Enden der Sehnenpta-.
fasern anzusehen.
Am gelben Fleck der Retina fehlt die Faser- und Kömer-
schicht, die Zellenschicht liegt unmittelbar auf der Membrana limi"
tans auf, in der Stabschicht fehlen die Stäbchen, und werden nur
durch Zapfen vertreten. Da nun gerade die auf den gelben Fleck
fallenden Bilder äusserer Schobjecte, am schärfsten gesehen werden,
so ergiebt sich wohl von selbst, welche Elemente der Netzhaut die
optisch wichtigsten sind (Zellen und Zapfen).
Nur die Faser- und Zellenschichte der Netzhaut enthalten Blutgefässe; —
aUe übrigen Strata dieser Membran sind geflUslos. — Ich habe gezeigt, dass nur
die Retina der Säugethiere und des Menschen Blutgefässe besitzt, jene der Vögel
Ampliibicn und Fische vollkommen gefasslos ist. lieber anangisclie Netzhäute, in
den Sitzungsberichten der kais. Akad. XLIII. Bd.
§. 226. Kern des Auges. Grlaskörper.
Der Kern des Auges, um welchen sich die im Vorigen abge-
handelten Häute wie Schalen herumlegen, besteht aus zwei voll-
kommen durchsichtigen und das Licht stark brechenden Organen.
Diese sind: der Glaskörper, Corptm vitreum, und die Krystall-
linse, Lens crystallina.
Der Glaskörper füllt die becherförmige Höhlung der Retina
aus, imd stellt eine Kugel von structurloser, wasserklarer, sulziger
Masse dar, deren verdichtete äusserste Grenzschicht, welche hie und
da vereinzelte Kerne enthält, als Glas haut, Hyaloidea (von ^Xo^,
Glas), benannt wird, obwohl sie sich als Membrana sid juris nicht
vom Glaskörper ablösen lässt. Die Kugel hat vom eine tellerförmige
Vertiefung (Fossa patellaris 8. lenticularis), welche von der Krystall-
linse occupirt wird. In der Gegend der Ora serrata lasse ich die
Hyaloidea sich in zwei Blätter theilen, von denen das vordere
(Zonida Zinnii) faserigen Bau annimmt, und zum Rande der Linsen-
kapsel geht, um sie in ihrer Lage zu halten, während das hintere
zur tellerförmigen Grube einnskt. Da die Pfoesaaus ciliares sich in
^e Zonula hineiii«» mm ciliaris die
f\^ §. SS6. Kern des Augei. Glaskörper.
ZmiuU faltig einstülpt, so geschieht es in der Regel, dass, wenn
ttuui den Oiliarkörper vom Kerne des Auges abzieht, das Pigment
dossolbon in den Falten der Zonula haften bleibt, wodurch ein
Krani schwarzer Strahlen, um die Linse herum, zum Vorschein
kommt, der wohl zuerst Corona cütaris genannt wurde, — ein Be-
griff^ welchen man später auch auf die Summe der Falten des
Corpus ciliare übertrug. — Durch die Divergenz beider Blätter der
Hyaloidea, entsteht rings um den Rand der Linsenkapsel, ein ring-
förmiger Kanal (Caiialis PetM), welcher ein kleines Quantum seröser
Flüssigkeit enthält, und durch Anstich seiner vorderen Wand
(Zonula), aufgeblasen werden kann, wobei sich die durch die Ein-
senkung der Processus ciliares entstandenen Falten dieser vorderen
Wand hervorwölben, und somit ein Kranz von Buckeln entsteht,
welcher den von Petit gewählten Namen des Kanals: cancd
godronne, erklärt.
Was den Bau des Glaskörpers anbelangt, so Hess man ihn
lange Zeit aus einem Aggregate vieler, unter einander nicht com-
municirender, mit einer klaren, eiweissartigen Flüssigkeit gefüllter
Räume oder Zellen bestehen. Dieser Glaube war durch die Wahr-
nehmung entstanden, dass ein angestochener Glaskörper nicht gänz-
lich ausläuft. Brücke (Müller' s Archiv, 1843) glaubte gefunden
zu haben, dass sich im Glaskörper von Schafen und Rindern con-
centrische, geschichtete Membranen vorHnden, von welchen die
äussersten der Retina, die innersten der hinteren Linsenfläche
näherungsweise parallel verlaufen sollen, wodurch die Schnittfläche
eines mit essigsaurer Blcioxydlösung behandelten Glaskörpers das
Ansehen eines feingestreiften Bandachates erhält. Das essigsaure
Blei soll sich nämlich beim Tränken des Glaskörpers mit der Auf-
lösung, auf den concentrischen Membranen desselben niederschlagen,
und dieselben sichtbar machen. A. Hannover beschrieb hierauf
(MuUer^s Archiv. 1845) im Menschenauge häutige Septa, welche
durch die Axe des Glaskörpers gehen, und seinen Raum, wie die
Meridianebenen einer Kugel, in eine grosse Anzahl von Sectoren
theilen, ungeftihr wie die Fächer an der Querschnittfläehe einer
Orange. Diese Septa sollen so dünn, und so schwach lichtbrechend
sein, dass sie durch chemische Mittel (Chromsäure) sichtbar ge-
macht werden müssen. Brücke's Angaben wurden durch Bowman
widerlegt (Lectures on tlie Parts concenied in the Operations on the
Eye. London, 1849), indem er zeigte, dass die concentrirte Blcioxyd-
lösung nicht nur von der Oberfläche des Glaskörpers, sondern von
jeder beliebigen Schnittfläche desselben aus, den Anschein einer
Schichtung im Glaskörper erzeugt. Nach demselben Autor besitzt
der Glaskörper des Embryo eine bindegewebige Grundlage. Die
Haschen zwischen den Fasern dieses Bindegewobsstroma erfüllt
S. ni. Linse. 607
gallertartiger Schleim^ welcher der Wharton'schen Sülze des
Nabelstranges gleicht^ und als eine unvollkommene Entwicklungs-
stufe des Bindegewebes aufgefasst wird (Virchow's Schleimgewebe).
An den Kreuzungspunkten der Fasemetze kommen Kernbildungen
vor. Die an der inneren Oberfläche der Hyaloidea, auch im Auge
des Erwachsenen aufsitzenden Kerne, sind gewiss nur Ueberreste
derselben.
Da im Embryo eine in der Axe des Nermu opticun liegende Arterie, sich
durch den Glaskörper durch bis zur Linsenkapsel erstreckt, so moss die Hyaloidea
dieses Oeföss scheidenartig umgeben, und einen Kanal bilden , welcher Ton
Cloquet: CanaiU hyaloideus genannt vrurde, und an die Einstülpung erinnert,
welche die Hyaloidea beim Vogelauge durch das Maraupium 8, Pecten (eine ge-
faltete, in den Glaskörper eindringende Fortsetzung der Choroidea) erleidet. Der
trichterförmige Anfang dieses Kanals ist die Area Marlegiani, Im Erwachsenen
ist vom Kanal und vom Martegiani*schen Trichter keine Spur zu sehen.
Der CanaJi» PeUH ist nach Schwalbe von der vorderen Augenkammer
aus ii\jicirbar, indem die Insertionsstelle der Zonula Zinnü am Bande der Linsen-
kapsel SpaltOffinungen besitzt, durch welche die Augenkammer und der Peti tische
Kanal mit einander in Communication stehen (De cmiaU PetiH et de Zonula ciliari,
HaiU, 1870).
§• 227, Linse.
In der Krystalllinsc besitzt das Auge sein stärkstes, licht-
brechendes optisches Medium. Nur ihre äusseren anatomischen
Eigenschaften sind zur Genüge bekannt. Sie wird von einer voll-
kommen durchsichtigen, structurlosen, häutigen und spröden Kapsel
eingeschlossen, und liegt mit dieser Umhüllung in der tellerförmigen
Grube des Glaskörpers. Die vordere Wand der Kapsel ist zweimal
so dick als die hintere, liegt frei, und wird nur vom Pupillarrande der
Iris berührt. Die hintere Kapselwand verschmilzt mit der Glashaut
der tellerförmigen Grube. Hicdurch wird bewirkt, dass die Linse
mit ihrer Kapsel nicht vom Posten weichen kann, wozu noch die
als Zonida Zinnü früher angeführte Lamelle der Hyaloidea, welche
sich an die grösste Peripherie der Kapsel ansetzt, beiträgt. Die
Linsonkapscl hat keine Verbindung irgend einer Art mit der Linse,
welche in ihr, wie der Kern in der Schale, frei liegt. Auf der
hinteren Fläche der vorderen Kapselwand lagert eine einfache
Schichte heller, polygonaler, kernhaltiger Kpithelialzellen , welche
zur Entwicklung der Linsenfasern in innigster Beziehung stehen.
An der hinteren Linsenfläche fehlen diese Zellen.
Die Linse füllt ihre Kapsel nicht genau aus. Der Rand der
Linse ist nämlich nicht in dem Grade scharf, dass er ganz genau
in den durch die Divergenz der vorderen und hinteren Kapselwand
gebildeten spitzen Winkel einpasste. £s muss somit in der Kapsel
608 S. 987. Linse.
drinnen, ein um den Rand der Linse herumgehender, wenn auch
noch 80 unbeträchtlicher Raum erübrigen. Dieser Raum enthält
den wasserklaren Humor Morgagiii, welcher aus der angestochenen
Kapsel aufgefangen werden kann, und meistens losgerissene Zellen
des Kapselepithels enthält. Die Linse selbst hat eine vordere,
elliptische, und eine hintere, viel stärker gekrümmte, parabolische
Fläche. Als man die Flächen noch für sphärisch gekrümmt hielt,
liess man den Halbmesser der vorderen zu dem der hinteren sich
wie 6 : 1 verhalten, was beiläufig genügt, um über die Verschieden-
heit der Krümmungen eine Vorstellung zu bekommen. Die Mittel-
punkte der vorderen imd hinteren Linsenfläche heissen Pole, —
der grösste Umfang der Linse: Aequator. — Quetschen der Linse
zwischen den Fingern belehrt uns, dass die Dichtigkeit des Linsen-
materials von der Peripherie gegen das Centrum zunimmt. — Bei
alten Leuten findet man die Linse, ohne Beeinträchtigung des Seh-
vermögens, fast regelmässig bernsteingelb. Undurchsichtigwerden
der Linse bedingt den grauen Staar, welcher durch Entfernung
der Linse geheilt werden kann. Der schwarze, unheilbare Staar
beruht auf Lähmung der Netzhaut.
Das histologische Element der Linse bilden sehr feine, seclisseitig-prisma-
tische, abgeplattete Fasern, an welchen zwei gegenüberliegende Seiten doppelt
so breit sind, als die übrigen. Die Fasern der oberflächlichen Linsenstrata lassen
an ihren Riss- oder Schnittstellen einen albuminösen zähen Inhalt sieh hervor-
drängen, and wurden deshalb von Kölliker für Röhren erklärt. Sie legen sich
mittelst zackiger Ränder (letzteres besonders schön bei Fischen) an einander, und
bilden dadurch Blätter, welche an gehärteten Linsen, wenn auch nicht gleich-
förmig um die ganze Linse herum, doch in Form von SchalenHtücken abgelöst
werden können. Nur die äussersten Schalen haben die Form der Linse. Je näher
dem Centram der Linse, desto mehr geht die Form der Schalen in die kugelige
über. Diese kugeligen Schalen liegen auch viel dichter an einander, als die
äusseren, und bilden den harten Kern der Linse.
Nicht an frischen, wohl aber an etwas macerirten, oder in Chromsäure ge-
härteten Linsen, sieht man an der vorderen und hinteren Fläche, vom Mittelpunkt
aus, drei Linien wie Strahlen g^gen die Peripherie der Linse laufen, durch welclie
drei Winkel, jeder von 120 Grad, gebildet werden. Die drei Linien der hinteren
Fläche correspondiren nicht mit jenen der vorderen; — je eine hintere Linie ent-
spricht vielmehr (wenn auch nicht immer ganz genau) der Mitte des Abstandes
je zweier vorderer. Gegen die Peripherie der Linse hin theilen sich diese Linien
gabelförmig, wodurch die Figur eines verzweigten Sternes entsteht. Die Strahlen
dieses Sternes müssen etwas anderes sein als faserige Linsensubstanz. Man ist
geneigt, sie für die Kanten von structurlosen Blättern anzusehen, welche die
Linsensubstanz durchsetzen, senkrecht auf den betreffenden Flächen der Linse
stehen, und die Ausgangs- und £ndpunkte der Linsenfasem enthalten.
Es ist unmöglich, dass bei dem Nichtübereinstimmen der vorderen und
hinteren Strahlenzeichnong der Linse, die Linsenfasem wie Meridiane um die
ganze Linse herumlaufen können, um Pol mit Pol zu verbinden. Die Fasern
mÜBsen vielmehr kleinere Curvensysteme bilden, deren Complexe Linsenwirbel
genannt werden. Man kann sich das Veriialten dieser Fasern am besten auf
§. 828. Humor aqueu*. Angenkammern. Besondere Membranen des embryonischen Auges. 609
folgende Weise versinnlichen. Ich nehme an jedem der drei Strahlen an der
vorderen und hinteren Linsenperipherie, einen polaren nnd einen peripherischen
Endpunkt an. Die am Polarpunkt eines vorderen Strahles entstehende Faser,
endet am peripherischen Punkt des entsprechenden hinteren Strahles, und die vom
peripherischen Punkt eines vorderen Strahles ausgehende Faser, endet am Pol-
punkt des hinteren Strahles. Die Fasern aber, welche von den Zwischenpunkten
der vorderen Strahlen, zwischen Pol und Peripherie, ausgehen, enden um so
näher am Pol der hinteren Strahlen, als sie näher am peripherischen Punkt der
vorderen entsprungen waren.
Die Linsenfasem entwickeln sich aus den Zellen des Epithels an der
inneren Oberfläche der vorderen Kapselwand, jedoch nur aus jenen, welche dem
Rande der Linse am nächsten liegen. Jede dieser Zellen verlängert sich spindel-
förmig, und wächst in eine Faser aus, welche sich an beide Flächen der Linse
spangenartig anschmiegt. Die Kerne der zu Fasern verlängerten Zellen, gehören
alle der vorderen Linsenfläche an, und bilden die sogenannte Kernzone der
Linse. Ueber die Entwicklung der Linsenfasem handelt Becker, im 9. Bd. des
Archivs für Ophthalmologie.
Die Lage der Linse im Auge kann keine constante, sondern muss eine
veränderliche sein. Die Linse erzeugt nämlich ein verkehrtes Bild, welches auf
die Retina fallen muss, um gesehen zu werden. Da nun das Bild von nahen und
fernen Objecten, nicht in derselben Entfernung hinter der Linse liegt, sondern bei
nahen Gegenständen weiter hinter der Linse, bei fernen näher an der Linse, so
müssen im Auge Veränderungen geschehen, welche die Linse der Retina nähern
oder von ihr entfernen, damit von fernen, wie von nahen Objecten, das Bild jedes-
mal auf die Retina fallen könne. Die Fähigkeit des Auges, den Stand der Linse
durch einen unbewussten Vorgang zu ändern, heisst Accommodations vermögen.
Der MusadtM ciliaris, und die Elasticität der Zonula, scheinen die wichtigsten
imd thätigsten Vermittler der Accommodation zu sein, über welche um so mehr
gestritten wird, je weniger man von ihr weiss. — Hat das Auge sein Accommo-
dationsvermögen für nahe Gegenstände verloren, so ist es weitsichtig, im ent-
gegengesetzten Falle kurzsichtig.
Verbindet man den Mittelpunkt der Cornea mit dem der Linse, und ver-
längert diese Linie, bis sie die Retina trifft, so hat man die optische Axe con-
stniirt. In ihr lieg^ der Drehungspunkt des Augapfels. Er fallt genau an jene
Stelle, wo die verlängert gedachte Axe des Sehnerven, die optische Axe unter
einem spitzen Winkel schneidet.
§. 228. numor aqueus. Augenkammern. Besondere Membranen
des embryonisclien Auges.
Der Raum zwischen Cornea und Linse enthält wässerige
Feuchtigkeit, Humor aqueus. Die grössere Menge dieser Feuchtig-
keit befindet sich zwischen Cornea und Iris in der vorderen
Augenkamraer. Ein kleinerer Antheil derselben nimmt den Raum
zwischen Iris und Linse ein, welcher Raum als hintere Augen-
kammer gilt. In neuester Zeit bestreitet man die Existenz dieser
hinteren Augenkammer, indem ma he der Linsen-
kapsel mit der Im ip '*4e
Hyrtl, Lehrbaeh dtr Ajt
610 S- 2S9. Eintheilnng des Oehöroi^nt.
schon früher (§. 222, h) gesagt, was der Anatom von dieser Neue-
rung zu denken hat. Nur der Pupillarrand der Iris liegt auf der
Linsenkapsel auf; auswärts vom Pupillarrande der Iris dagegen,
zwischen der planen hinteren Irisfläche und der vorderen convexen
Linsenkapselwand, lässt sich ein mit Humor aqaeus gefülltes Spatium,
als ringförmige hintere Augenkammer nicht wegläugnen.
Der Humor aqueus hält die Linse in gehöriger Entfernung von
der Cornea. Wird er bei Augenoperationen entleert, so legt sich
die Iris und die Linse an die Cornea an, und die Augenkammern
sind verschwunden. Verschiebt sich die Ijinse, bei der Accommo-
dation für nahe Gegenstände, nach vorn, so muss die Cornea con-
vexer werden, was durch Beobachtung constatirt ist. Kehrt diese
Accommodationsform oft wieder, und wird sie lange Zeit unterhalten,
wie bei der Anstrengung der Augen in gewissen Gewerben und Be-
schäftigungen, so kann die Convexität der Hornhaut eine bleibende
werden, und dadurch erworbene Kurzsichtigkeit entstehen.
Durch Wachen dorff ( Commercium lit, Noriciim. 1740) wurde eine feine
gefässreiche Haut im Auge des menschlichen Embryo bekannt, welche die Pupille
verschliesst, und deshalb Membrana pupillarü heisst Sie existirt nur bis zum
achten Embryomonat in voller Entwicklung, und beginnt hierauf zu schwinden, indem
sich ihre Gefässe vom Centrum der Pupille gegen die Peripherie derselben
zurückziehen, und sie selbst so durchlöchert wird, dass, wenn man die Gefässe
des Auges mit einer feinen gefärbten Flüssigkeit injicirt, einzelne Gefässchen in
der Ebene der Pupille frei ausgespannt, oder als Schlingen flottirend angetroffen
werden. Selbst in den Augen Neugeborener lassen sich die Gefässreste der
Membrana pupUlaris, in der Pupille zuweilen noch durch Injection nachweisen. —
Die Blutgefässe der Pupillarmembran sind Verlängerungen der Irisgefässe, welche
so lange die Membrana pupiUaria existirt, keinen Circttlus arteriosus minor bilden,
sondern sich bis gegen das Centrum dieser Membran verlängern, um daselbst
schlingenfbrmig umzulenken. Sie hängen noch mit den Gefässen einer anderen
embryonalen Haut des Auges zusammen, welche von H unter zuerst aufgefunden,
durch Müller und Henle der Vergessenheit entrissen und genauer untersucht
wurde. Diese ist die Membrana eap^ulo-pupiUaris, welche sich von der gprössten
Peripherie der Linsenkapsel, durch die hintere Augenkammer zur Iris und Mem-
brana pupillaris erstreckt (H^iU, de membrana pupillari. Bonnae, 1832).
D. Gehörorgan.
§. 229. Eintheilimg des Gfehörorgans.
Das Gehörorgan ist unter allen Sinneswerkzeugen am meisten
von der Vorderfläche des Antlitzes weggerückt, und an die Seiten-
gegend des Schädels verwiesen. £a besteht, wie das Sehorgan,
1. aus einem wesentlichen Theile, dem Gehörnerv, welcher mit
S. SSO. Ohrmniehel. 61 1
einer speeüischen Empfindlichkeit ausgerüstet ist, für mechanische
Erschütterungen, die er als Töne wahrnimmt, und 2. aus einer
Menge accessorischer Gebilde, welche die Schallwellen auf-
nehmen, leiten, und verdichten, oder, wenn sie zu intensiv werden,
dieselben abschwächen und dämpfen. Nur ein kleiner und ziemlich
unwichtiger Theil dieses complicirten Sinnesorgans ist an der Aussen-
Seite des Kopfes als äusseres Ohr sichtbar. Alles Uebrige liegt in der.
knöchernen Schädelwand, und zwar in den Höhlen des Schläfebeins
verborgen. Man kann deshalb ein äusseres und inneres Gehör-
organ unterscheiden. Das innere besteht selbst wieder aus zwei
auf einander folgenden, deutlich geschiedenen Abtheilungen, so dass
es zur leichteren Uebersicht des Ganzen zweckmässiger ist, das
Gehörorgan in eine äussere Sphäre (Ohi-muschel und äusserer
Gehörgang), eine mittlere (Paukenhöhle), und eine innere (Laby-
rinth) zu gliedern. Die mittlere und innere Sphäre sind der Be-
obachtung im lebenden Menschen so gut als unzugänglich. Auch
die anatomische Untersuchung derselben ist eine der schwierigsten
Aufgaben der praktischen Anatomie. Obwohl wir ihren Bau so
genau als jenen irgend eines anderen Sinneswerkzeuges kennen, ist
dennoch die Pathologie der Krankheiten der inneren Sphäre des
Gehörorgans ein ebenso unbekanntes Feld, als die Kunst, sie zu
heilen, bisher arm an Mitteln und Erfolgen war.
I. A.eu8öere Sphäre.
§• 230. OhrmusclieL
Die Ohrmuschel (Auris, o5(;, gen, (I)t6<;, bei Dichtern häufig:
Auricula, wie z. B. in der Impertinenz des Persius: aurictdas asini
quis non habet f) verdankt ihre so charakteristische Form einem sehr
elastischen Faserknorpel, welcher im Ganzen die Form eines
weiten Trichters hat. Der Trichter kehrt seine Concavität vom
Schädel ab, seine Convexität dem Schädel zu. Sein äusserster,
etwas verdickter, und leistenformig aufgekrempter Rand — die
Leiste, Helix — entspringt an der concaven Fläche des Knorpels,
über dem Anfang des Meatus aucUtorius extemas, als Spina s, Orista
hdicü. Verfolgt man am hinteren Rande der Ohrmuschel die Ijciste
des Ohrknorpels mit den Fingern nach abwärts, so fühlt man, dass
sie nicht in das Ohrläppchen übergeht, welches letztere blos durch
die Haut gebildet wird. Fehlen der Leiste bedingt jene unan-
genehme Ohrform, welche hiafiir ^«* Bftce, ab
unschöne Seltenheit oadi ^
6l2 $. SSO. Ohnniisckel.
ist das Griechische Tai;, d. i. das Gewundene, die Schraube, bei Ari-
stoteles das Schneckengehäuse, bei Cicero Schlingpflanze. Mit
der Leiste mehr weniger parallel, und durch die schiffförmige
Grube von ihr getrennt, verläuft die Gegenleiste (Antthelix),
welche über der Spina kdicis mit zwei convergirenden Schenkeln
(Crura furcata) beginnt. Vor dem Eingange in den äusseren Ge-
hörgang, verdickt sich der Ohrknorpel zum sogenannten Bock,
oder zur Ecke, Tragus, von TpatYo?, Bock. Die am Tragus sprossen-
den, steifen Haare, hielt man, wenn sie aus dem Ohre wie Büschel
herausstehen, und dadurch an die aures acutae der bocksfüssigen
Satt/ri mahnen, flir ein Attribut geiler Menschen, und nannte sie
deshalb Bockshaare, Hirci (Hircus = Tpifo;), wodurch der Trabis
zu seinen, sonst nicht zu erklärenden Namen gekommen sein mag.
Der Tragus überragt, wie eine aufstehende Klappe, den Anfang
des äusseren Gehörgangs von vom her, und wird von der ihm
gegenüberstehenden Gegenecke (Gegenbock, Antitragus), durch
die Incufura intertragica getrennt. Die vertiefteste Stelle der Ohr-
muschel zieht sich als Concha trichterförmig in den äusseren Gehör-
gang hinein. — Der Ohrknorpel besitzt ein sehr fest adhärirendes
PericJiofidrium. Elastisch -fibröse Bänder, vom Jochfortsatz und
Warzenfortsatz entspringend, befestigen ihn in seiner Lage, und
erlauben ihm eine gewisse Beweglichkeit. Der mit Wollhaaren und
Talgdrüsen besonders in der Concha reichlich ausgestattete Haut-
überzug der Ohrmuschel, hängt an der concaven Fläche des Knor-
pels fester, als an der convexen an, und bildet unter der Inclmra
intertragica einen, mit fettlosen, blutgefass- und nervenarmcn Binde-
gewebe gefüllten Beutel — das Ohrläppchen, Lohns s. Ijobidus
auriculae — welcher, wie die Ohrzierrathen der Wilden beweisen
eine ungeheure Ausdehnbarkeit besitzt, und beim Ohrenstecheu
dem ersten Opfer weiblicher Eitelkeit, weder erheblich schmerzt
noch blutet. — Kein Ohr eines Thieres besitzt ein Ohrläppchen
und kein im Wasser lebendes Säugethier besitzt eine Ohrmuschel
Der Name lobtis stammt von Xcßsiv, abschneiden, solebant enim haue
partem turpiter ßugitiom ahscindere, ad manifestanda »cetera (Spige-
liu8. lib. L cap. 1),
Der Ohrknorpel hat ausser den Muskeln, welche ihn als
Ganzes bewegen (Levator, Attrahens, Eetrahens , g. 158, 4), auch
einige ihm eigenthümliche, auf Veränderung seiner Form berechnete
Muskeln, welche, da sie au ihm entspringen und endigen, bei den
Gesichtsmuskeln nicht berücksichtigt wurden. Der Muscidm hdicis
major entsteht in der Concavität des Ohrknorpels, an der Spina
heltcis, geht nach vor- und aufwärts, und inseriii; sich an der IJm-
beugungsstelle des Helix nach hinten. — Der Musculus hdicis minor
liegt auf dem Anfange der Spina hdicis; — der Musculus tragicus
§. 281. AAnsserer GehSri^ng. 613
auf der vorderen Fläche des Tragus; — der Musculus antitragicus
geht vom unteren Ende des Antihelix zum Antitragus; — der Mus-
culus trai\8ver8U8 auriculae besteht aus mehreren blassröth liehen
Bündeln, welche an der eonvexen Seite des Ohrknorpels die beiden
Erhabenheiten verbinden, welche der Concha und der schifFförmigen
Grube entsprechen. Die praktische Unwichtigkeit dieser Muskeln
entschuldigt ihre kurze Abfertigung. — Die Ohrmuschel leistet
überhaupt beim Menschen weit weniger für die Aufnahme von
Schallstrahlen, als bei Thieren, welche ihre grossen tütenförmigen
Ohren, beliebig einer Schallquelle zuwenden können. Verlust der
Ohrmuschel schwächt deshalb das Gehör nur sehr unbedeutend.
Thiere, welche uns an Schärfe des Gehörs weit übertreffen,
haben gar kein äusseres Ohr, wie die Vögel. Ein Darwinianer
könnte die Ohrmuschel nur für ein verwendungslos gewordenes,
aber durch Vererbung sich erhaltendes Gebilde ansehen.
Zuweilen findet sich ein Mnskel am Tragus, welcher von Bantorini,
Mtuciihi9 incwnrae. mnjoris aurindae, von Theile: 2>i/a/ator «m<?/ia« genannt wird.
Ich sah ihn vom vorderen Umfange des äusseren Oehörganges entspringen, von
wo er nach ab- und auswärts zum unteren Rande des Tragus verlief, welchen er
nach vom zieht, und den Raum der Conclia dadurch vergrössert.
Mir ist kein Beispiel bekannt, von sichergestellter willkürlicher Oestaltver-
änderung der Ohrmuschel durch das Spiel dieser kleinen Muskelchen. Dagegen
kommt willkürliches Bewegen der Ohrmuschel als Ganzes, durch die in §. 158
angeführten Ohrmuskeln, welche am Schädel entspringen, und an der Ohrmuschel
endigen, nicht so selten vor. Haller führt (Elem. phys. Toni. V, pag. 190) viele
hieher gehörige Fälle auf, und B. S. Albin, ein berühmter Anatom des vorigen
Jahrhunderts, nahm, wenn er über die Ohrmuskeln vortrug, jedesmal die Perücke
ab, um seinen Schülern zu zeigen, wie sehr er die Bewegungen der Ohrmuschel
in seiner Macht hatte.
§. 231. Aeusserer öeliörgaiig.
Der äussere Gehörgang wird in den knorpeligen und
knöchernen abgetheilt. Der knorpelige Gehörgang geht aus
dem Knorpel des äusseren Ohres hervor; — der knöcherne bildet
einen integrirenden Bestandtheil des Schläfebeins. Die Continuität
der unteren Wand des knorpeligen Gehörgangs wird durch zwei
bis drei Einschnitte (IncUurae Santonnianae) unterbrochen. Auch
an der hinteren oberen Wand dieses Ganges fehlt die Knorpel-
substanz, und wird durch einen Streifen fibrösen Gewebes vertreten.
— Die Länge beider Gänge zusammen variirt von neun Linien bis
einen Zoll und darüber. An der oberen Wand muss sie geringer
sein als an der unteren, weil die Ebene des Trommelfells, welche
den Gang nach innen zu abscldiessti nicht yertical steht, sondern
mit ihrem unteren Rande, .n
614 §.931. Aeas8«r«r 6«hSrgftng.
welchen die obere Wand des äusseren Gehörganges mit dem
Trommelfell bildet, wird sonach ein stumpfer, jener zwischen der
unteren Gehörgangswand und dem Trommelfell ein spitziger (45")
sein. — Die Weite des Gehörgangs bleibt sich nicht an jedem
Querschnitte gleich. Dass Anfang und Ende des Ganges die
weitesten Stellen desselben sind, wird allgemein zugegeben. Die
engste Stelle des Ganges aber gehört dem Meatus cartäagineus an.
Sie liegt der äusseren Mündung des Ganges nahe genug, um ge-
sehen werden zu können. — Die Verlaufsrichtung des Ganges lässt
sich nur schwer durch Worte anschaulich machen. Allgemein
ausgedrückt bildet sie einen nach oben, hinten, und innen gerichteten
Bogen. Der knorpelige Gang lässt sich durch Zug am Ohre nach
rück- und aufwärts, mit dem knöchernen in eine gerade Richtung
bringen, was für die ärztliche Untersuchung des äusseren Ohres
Wichtigkeit hat. Eine Sammlung von Wachsabgüssen des äusseren
Gehörganges macht es mir anschaulich, ,wie wenig die anatomischen
Verhältnisse desselben in verschiedenen Individuen sich gleichen,
selbst nicht einmal an beiden Ohren desselben Menschen.
Eine Fortsetzung des Integuments kleidet die innere Ober-
fläche des äusseren Gehörgangs aus. Sie verdünnt sich um so
mehr, je mehr sie sich dem Trommelfelle nähert, und überzieht
auch, als äusserst dünnes, nur aus kärglichen Bindegewebsfasern
bestehendes Häutchen, die äussere Oberfläche desselben. Sie
besitzt, so weit sie den knorpeligen Gehörgang auskleidet, nebst
wahren Talgdrüsen, auch sehr zahlreiche tubulöse, den KSchweiss-
drüsen gleich gebaute Drüschen, deren knäuelfiirmig aufge-
wundener Schlauch, sich in den Knorpel selbst einbettet. Diese
Drüschen secerniren den als Ohrenschmalz bekannten, gelblichen,
an der Luft zu Borken erhärtenden, bitter schmeckenden StoflF
(Cerumen, vielleicht contrahirt aus cera aurium), und heissen des-
halb Glandulae ceruminales, deren Anzahl nach Buch an an über
tausend beträgt. Auch an kleinsten Tastwärzchen und Wollhaaren
fehlt es nicht, welche letztere besonders am Beginn des äusseren
Gehörganges dicht stehen, und zuweilen, wenn sie an Länge, Dicke,
und Steifheit zunehmen, die aus dem Ohre büschelförmig heraus-
ragenden sogenannten Bockshaare (Hirci) darstellen. Diesen Haar-
wuchs im äusseren Gehörgang trifft keineswegs der Vorwurf eines
nachtheiligen Einflusses auf die Schallleitung, da wir selbst noch
mehr Haare in den Gehörgang bringen können, zum Beispiel ein
WoUkügelchen, ohne Abnahme unseres Hörvermögens zu bemerken.
Die Verbindung zwiBchen dem knorpeligen und knöchernen Gehörgang^
wird 80 bewerkstelligt, dMs das innere Ende des knorpeligen, das äussere Ende
des knOohemen amrahmt, und durch laxes Bindegewebe so mit ihm zusammen*
hlingt, dass der OehOrgang, wie ein Theaterperspectiv durch Zug am Ohre sich
§. S8S. Trommelfell. 615
etwas verlängern lässt, welche Verlängerung bis zum Aasreissen des knorpeligen
Ohres getrieben werden kann. — Durch die Incimrae Santorim des knorpeligen
Gehörganges kann ein Abscess, welcher in der Ohrendrüsengegend entstand, sich
Bahn in den MetUus audüorius brechen, was häufig geschieht. — Da die Quer-
schnitte des Oehörganges Ellipsen und keine Kreise geben, so wird, wenn ein
runder Körper, z. B. eine Erbse, in den Gang gerathen ist, und, seines Anschwellens
wegen, nicht mehr bei seitlicher Neig^g des Kopfes von selbst herausgelangen
kann, noch etwas Raum vorhanden sein, um ein Instrument hinter ihn zu schieben,
und ihn damit herauszubringen.
§. 232. Trommelfell.
Das Trommel- oder Paukenfell, Trommelhaut (Membrana
tympani) gehört weder der äusseren noch inneren Sphäre an, sondern
liegt als Scheidewand zwischen beiden. Da man jedoch wenigstens
einen Theil seiner oberen Contour, bei geschickter Behandlung des
Ohres und richtiger Stellung des Kopfes gegen das Licht, über-
sehen kann, so schliesse ich es dem äusseren Gehörgange an. Es
vermittelt die Uebertragung der Schallwellen vom äusseren Gehör-
gange auf die Kette der Gehörknöchelchen, und entspricht durch
seine Spannung und Elasticität vollkommen dem akustischen Be-
dürfniss, welches, um den Ueb ergang von Luftwellen auf feste
Körper zu erleichtem, der Intervention einer gespannten Membran
bedarf. Ein am inneren Ende des knöchernen Meatus auditorius
befindlicher Falz (Sulcua pro membrana tympani) nimmt die längs-
ovale Umrandung des Trommelfells wie in einem Rahmen auf. Der
im Falz befestigte verdickte Randsaum des Trommelfells (Annulua
tendinosus) enthält theils einzeln stehende, theils in Gruppen ange-
häufte Knorpelzellen. Er sollte deshalb richtiger Annidits cartilagineus
heissen. Die äussere Fläche des Trommelfells erscheint concav, die
innere convex. Die tiefste Stelle der äusseren Concavität, welche
dem Ende des durch die Trommelhaut durchscheinenden Hammer-
griffes entspricht, heisst Umbo. Nahe am oberen Rande wird die
Trommelhaut durch den Processua minor des Hammers, welcher
sich an sie von innen her anstemmt, etwas hervorgetrieben.
Trotz ihrer Dünnheit, besteht die Trommelhaut doch aus drei
darstellbaren Schichten, von welchen die äussere der Haut des
Meatus audttorius und ihrer Epidermis, die innere der Schleimhaut
der Trommelhöhle angehört, die mittlere und zugleich mächtigste
aber eine aus bandartigen Bindegewebsfasern bestehende, nicht
contractile Membran ist, an welcher sich wieder eine äussere radiäre,
und eine innere Kreisfaserschiohte unterscheiden lässt. Dass das
Epithel der inneren Schichte der Trommelliaat flimmert, witv^
Einigen behauptet.
616 $> 233. Tr^auMlkoUe nio4 OhitromftU
Die Ebene des Trommelfells steht nicht senkrecht auf der
Axe des Gehörgangs, sondern streicht schief nach innen und unten,
so dass, wenn mau sich beide Trommelfelle in dier>er Richtung nach
einwärts und unten verlängert denken würde, sie sich unter einem
Winkel von 130^ schneiden müssten.
\)ZB ftchon lange aufgegebene Foramen Rivhu ^A. Q. Eicinns, de anditii^^
ritii«. Lipsiae, 1717), wurde neaester Zeit durch Bochdalek in inte^/rttm resti-
tairt. Es findet sich dasselbe als ein einfacher oder doppelter Kanal vor. welcher in
der Nähe des oberen Randes der inneren Flüche des Paokenfells, diclit hinter
dem knrzen Fortsatz des Hammers begannt, diese Membran schräge nach ein-
lud abwärts durchbohrt, tmd im Umbo, hinter dem HammergTi^. nach aa»«en
mOndet. Der Kanal lässt sich mit einer dfinnen Schweinsborste sondiren 'Pragt'r
Vierteljahresschrift, 1866. 1. Bd.). Die duikbare Wisitenschaft wird diesen Fand
als CanalU Bochdalekü bewahren, da er doch gewiss etwas ganz anderes betriäft.
als Rivinns gemeint hat. Man hat das Foramen Ricini bisher nur bei jenen
Menschen zugegeben, welche, ohne eine Zerreissung oder geschwürige Perforation
des Trommelfells erlitten zu haben, Tabakrauch aus den Ohren blasen können.
Die Gefässe und Nerven des Trommelfells gehören vorzugsweise der äusseren,
vom Integument des äusseren Gehörgangs abgeleiteten Lamelle desselben an, und
sind Fortsetzungen der Gefasse und Nerven der oberen Wand des äusseren Gehör-
ganges, welche sich auf die äussere Fläche des Trommelfells herabschlagen. Der
aus dem Ramu» aurtculctrü va^ stammende Nerv des Trommelfells, ist sensitiver
Natur, und erklärt uns die hohe Empfindlichkeit dieser Haut gegen mecbanisfche
Berührung. £s versteht sich auch dadurch, warum krankhafte Processe in der
äusseren Schichte des Trommelfells meistens mit Schmerzen verbunden ^ind,
während bei ihrem Auftreten in der inneren Schichte, wie es gewöhnlich bei
chronischem Katarrh der Trommelhöhle der Fall ist, die Kranken nur durch die
•tetig zunehmende Schwerhörigkeit, nicht aber durch schmerzhafte Gefühle, auf
ihr Leiden aufmerksam gemacht werden.
II. ^Mittlere Sphäre.
§. 233. TrommelhöMe und Ohrtrompete.
Die Trommel- oder Paukenhöhle CCavum O/mparnj befindet
sich zwischen dem Trommelfell und dem Felsentheile des Schläfe-
beins. Grösstentheils von knöchernen Wandungen umgrenzt, und
nach aussen durch die Trommelhaut abgeschlossen, kann si<' mit
jener Art von Pauke verglichen werden, welche beim Dienste der
Cybele gebraucht wurde, und Tj|A7:avcv hicss, — daher ihr Name.
Sic hängt durch die Eustachi'sche Ohrtrompete mit der Rachen-
höhle zusammen, wird von dieser aus mit Luft gefüllt, und enthält
die Gehörknöchelchen. Die äussere Wand der Trommelhöhle bildet
die Membrana tympani. Alle übrigen W^ände sind knöchern und
sehr uneben. Ich unterscheide: die hintere Wand, w^elche in die
Zellen der Pars mastoidea des Schläfebeins fuhrt, — die obere ist
§. 288. Trommelhöhle und Ohrtrompete. 617
ein dünnes, massig nach oben gebauchtes Knochenblatt, welches
unter dem Namen Tegmentum tympanL als eine Verlängerung der
vorderen oberen Wand der Schläfebeinpyramide in der Knochen-
lehre beschrieben wurde, — die untere Wand entspricht der
unteren Fläche der Pyramide, — die vordere ist die kleinste, und
zeigt die Paukenmündung der Eustachi'schen Trompete, und, über
dieser, den Anfang des ITalbkanals für den Paukenfellspanner
(SemicancUis tensoris tympani). Die innere Wand besitzt die zahl-
reichsten Merkwürdigkeiten, welche sind:
1. Das ovale Fenster (besser das bohnenförmige, Fenestra
ovalis s. vesiibuU), zum Vorhof des Labyrinthes führend. Es wird
durch die Fussplatte des Steigbügels verschlossen.
2. Unter dem ovalen Fenster Hegt das runde Fenster (Fenestra
rotunda s. triquetra) zur Schnecke leitend, und durch ein feines
Häutchen geschlossen, welches seit Scarpa den Namen Membrana
tympani secundaria fiihrt. Die Ebene des runden Fensters bildet mit
jener des ovalen fast einen rechten Winkel. Man sieht deshalb am
maccrirten Schläfebein, durch den äusseren Gehörgang nur das ovale
Fenster gut, das runde aber unvollkommen, oder gar nicht. Die
Membrana tt/mpani secundaria besteht, wie die eigentliche Trommel-
haut, aus einer mittleren fibrösen Schichte, an welche sich aussen
und innen die häutigen Ueberzüge jener Höhlen anlegen, welche
durch dieses Häutchen von einander geschieden werden.
3. Zwischen beiden Fenstern beginnt ein unebener und rauher
Knochenwulst — das Vorgebirge, Pramonimnum, welches einen
grossen Theil der inneren Paukenhöhlenwand einnimmt, die Lage
der Schnecke im Felsenbein verräth, und durch eine senkrecht über
dasselbe weglaufende Rinne (Sidcus Jacobsonii) gefurcht erscheint.
Der Anfang des Promontorium überragt das runde Fenster.
4. Hinter der Fenestra ovalis eine niedrige, schmächtige und
hohle Erhabenheit (Eminentia pyramidalis), mit einer OeflFnung an
der Spitze.
5. Uebcr der Fenestra ovalis die in die Paukenhöhle vor-
springende, dünne, untere Wand des Canalis Fallopiae, welcher
anfangs nach hinten, und dann nach unten läuft, und mit der Höhle
der Eminentia pyramidalis durch eine Oeffnung communicirt.
6. Ueber dem Promontorium ein knöcherner Halbkanal, Semi-
canalis tensoris tympani^ welcher wagrecht bis zur Fenestra ovalis
streicht, und hier mit einem dünnen, löfTelförmig aufgekrümmten
Knochenblättchen (Rostrum cocideare, von cochlear, I^öffel) endigt.
Win slow vergleicht den ganzen Semicancdis tensoris tympani nicht
unpassend mit dem Schnabel einer Löffelgans. — Zuweilen wird
dieser Halbkanal zu einen yolktändigen l «rA^ehen.
618 g. 284. QfthdrknSehelchen.
Nebst diesen grossen and sonder Mühe bemerkbaren Einzelnheiten, finden
sich nocli kleinere, für die subtilere Anatomie der Kopfnerren wichtige Oeffnungen,
an den Wänden der Trommelhöhle: 1. Die Jacobs on*sche Furche führt, nacli
oben verfolgt, zu einem Kanülchen, welches unter dem Seniicanalut tensorU tym-
pani zum Ifiatiu canalw Fallopiae geht. 3. Nach unten verfolgt, zeigt diese
Furche den Weg zur Paukenmündung des in der FosatUa petrosa beginnenden
Canalicultui tt/mpatiictu» 3. An der vorderen Wand der Trommelhöhle die Pauken-
mttndungen der zwei, aus dem CantUü carotiau kommenden Canalictdi earotico-
IjfinpmiicL 4. An der ftusseren Wand und am hinteren Umfange des für die
Einrahmung des Trommelfells bestimmten Falzes, die Paukenöffnung des aus dem
unteren Stücke des OaneUü Fallopiae, dicht über dem Foramen stylo-mtutoideum
entspringenden Kanftlchens für die Chorda tt/mpani (CanaUculfis chordaej.
Die EuBtachi'sche Ohrtrompete (Tuba Eustachü) ist ein in
der Paukenhöhle unter dem Semicanalis tensoris ta/mpani mit einer
engen Oeffnung, Ostitim ti^panicum, beginnender, und, trichterförmig
sich erweiternd, gegen die Rachenhöhle nach vorn, innen und unten
gerichteter Kanal, von circa anderthalb Zoll Länge. Er mündet
an der Seiten wand des obersten Raumes des Rachens, unmittelbar
hinter den Choanen, mit einer länglich ovalen, schräge gestellten,
an ihrer hinteren Peripherie aufgewulsteten Oeffnung, Oatium pharyn-
geum, aus. Das Oatium pharyiigeum tubae steht in gleichem Niveau
mit dem hinteren Ende des MecUua narium inferior. Man kann des-
halb von letzterem aus, die Tuba mit Instrumenten erreichen. Hinter
der Uachenöffnung der Tuba vertieft sich die Rachenwand zur
Rosonmilller'schen Grube. — Die Tuba besitzt, wie der äussere
Gohörgang, einen knöchernen und knorpeligen Antheil. Der knöcherne
Thoil der Trompete, gehört dem Schläfebein an, und liegt am
vorderen Rand der Pyramide. Der knorpelige Theil liegt in der
Verlängerung des knöchernen, bildet die RachenöfTnung der Tuba,
und besteht aus einem rinnenformig gehöhlten, elastischen Faser-
knorpel, dessen auf einander zugebogene Ränder durch eine fibröse
Membran zu einem Kanäle geschlossen werden. Der knöcherne
Antheil der Tuba ist kürzer als der knorpelige. Wo beide anein-
anderstossen, hat der Tubenkanal die geringste Weite (circa eine
Linie).
Die Schleimhaut der Eustachischen Trompete besitzt Flimmerepithel ; ebenso
die Paukenhöhle, mit Ausnahme des Promontorium, des Ueberzuges der Gehör-
knöchelchen, und der inneren Oberfläche der Trommelhaut, wo ich nur Pflaster-
epithel gefunden habe. UrhanUchiUch , über das OtUum pharyngeum tuba^, im
Archiv für Ohrenheilkunde. 10. Bd.
§. 234. Gteliörkiiöclielclieii.
Die drei Gehörknöchelchen (Ossiada auditm) bilden eine,
durch Intervention von Gelenken gegliederte Kette, durch welche
§. 2S4. Gehdrknöclielohen. 619
die äussere Wand der Trommelhöhle mit der inneren in Verbindung
gebracht, und die Schwingungen der Trommelhaut auf das Labyrinth
fortgepflanzt werden.
Ausser der Schallleitnng von der Trommelhant durch die Gehörknöchelchen
zum Labyrinth, giebt es noch eine zweite. Die Oscillationen der Trommelhaut
werden auch durch die Luft der Trommelhöhle auf die das runde Fenster
schliessende Membrana tympcmi secundaria, und durch diese auf das Labyrinth
übertragen. Es existirt sonach eine doppelte Leitung, durch Knochen und Luft
der Trommelhöhle. Erstere wirkt, wie Mülle r's Versuche zeigten, ungleich kräf-
tiger als letztere. Pflanzt man nämlich in ein Ohr einen kleinen hölzernen Trichter
ein, dessen Anfangs- und Endöffnung durch eine darüber gebundene Haut ver-
schlossen sind, so stellt dieser Trichter ein Cavum tt/mpani, und die beiden Häute
die Membrana tympani propria und secumlaria vor. Hält man das andere Ohr
zu, so hört das betricliterte Ohr selir schlecht. Verbindet man aber die beiden
Verschliessungshäute des Trichters durch ein Holzstäbchen, so wird der Trichter
zu einer Imitation der Trommelhöhle mit den Gehörknöchelchen. Die äussere
Verschliessungshaut repräsentirt das Trommelfell, die innere die Fenestra ovalis,
das Holzstäbchen die Kette der Gehörknöchelchen und man hört bei dieser Modi-
fication des Apparates viel schärfer als früher.
Das erste und grösste Gehörknöchelchen ist der Hammer,
Malleus, Er hat aber nicht die Gestalt unseres Hammers, sondern
jene eines Schlägels, mit welchem die Opferthiere der Römer durch
einen Schlag auf den Kopf betäubt wurden, bevor ihnen der 6W-
trarim die Kehle durchschnitt. Dieser Schlägel hiess Mcdleus. Er
wird sofort in Kopf, Hals, Handhabe, und in zwei Fortsätze ein-
getheilt. Kopf heisst sein oberes, dickes, aufgetriebenes Ende, an
dessen hinterer Fläche eine, zur Articulation mit dem nächst-
anliegenden Ambos bestimmte, aus zwei unter einem vorspringenden
Winkel vereinigten Facetten bestehende Gelenkfläche vorkommt.
Er kann durch die Trommelhaut hindurch nicht gesehen werden,
da er sammt dem Halse, auf welchem er aufsitzt, in die Con-
cavität der oberen Wand der Paukenhöhle hinaufragt. Griff oder
Handhabe nennt man das seitlich zusammengedrückte, an der
Spitze etwas abgeflachte Knochenstielchen des Kopfes, welches,
unter Vermittlung einer zarten Lage von Knorpelzellen (Gruber),
mit der Trommelhaut fest zusammenhängt. Dasselbe ist nämlich
zwischen die doppelte Faserlage der mittleren Lamelle des Trommel-
fells hineingewachsen, während die innere und äussere Schichte
dieser Haut darüber weglaufen. Der GriflF des Hammers reicht bis
über die Mitte der Trommelhaut herab, und zieht diese so nach
innen, dass er ihre ebene Spannung in eine nach aussen concave
(Umbo) verändert. Fortsätze finden sich zwei: der kurze und der
* lange. Der kurze Fortsatz richtet sich gegen die Trommelhaut,
und drängt sie an ihrem oberen Umfang konisch hervor. Zwischen
diesem Fortsatz, welcher mit einer düns«** ^«««^Ucliiclite über-
zogen ist^ und der TromiadttH^*
G20 §. SS4. Oehdrknöchelchen.
winzige Gelenkshöhle. Der lange Fortsatz (Processus FoUi s, Ravil)
geht vom Halse nach vorn, ist dünn und flach, und liegt bei Kindern
lose in der Fissura Glasen, verwächst aber bei Erwachsenen mit
der unteren Wand derselben, so dass er abbricht, wenn er mit
Gewalt herausgezogen wird, und nur ein kurzes Stück desselben am
Hammer bleibt, welches man viel früher kannte (seit Caecilius
Folius, nova aurls interna delineatio, Venet. 164/)), als die flache,
spateiförmige, mit der Glaserspalte verwachsene Fortsetzung des-
selben (seit Jac. Ravius, ein durch seine Grobheit bekannter
deutscher Chirurg und Professor der Anatomie zu Leyden, im
Appendix zu Valentin i, AmpJutheatrum zootom., Francof., 1719).
Der Ambos (fncus), kleiner als der Hammer, erinnert an die
Gestalt eines zweiwurzeligen Backenzahns, dessen Wurzeln recht-
winklig divergiren. Vesalius nennt ihn hicus (von incudere, schmieden),
aber auch Dens molaris, s. molari similis. Den sonderbaren Namen
Incus verdankt dieser Knochen der Vorstellung, dass der durch den
Schall in Bewegung gesetzte Hammer, auf ihn, wie auf einen
Ambos aufschlägt. Sein Körper (Krone des Zahns) hat eine nach
vorn gekehrte, winkelig einspringende Gelenkfläche (Mahlfläche des
Zahns) für die hier eingreifenden, giebelartig vorspringenden Ge-
lenkfacetten des Hammerkopfes. Seine beiden Fortsätze zerfallen
in den langen, welcher mit dem Griff des Hammers parallel nach
unten und innen gerichtet ist, und in den kurzen, welcher direct
nach hinten sieht, und an die hintere Wand der Trommelhöhle
durch ein kurzes Bändchen fest adhärirt, oder auch in einem
Grübchen dieser Wand steckt. Der lange Fortsatz trägt an seinem,
gegen das ovale Fenster etwas einwärts gekrümmten Ende, das
linsenförmige Beinchen, Ossicidum lenticulare St/lvH, kein selbst-
ständlges Gehörknöchelchen, sondern eine Apophyse dieses Fort-
satzes. Das Linsenbeinchen articulirt mittelst einer schwach con-
vexen Gelenkfläche mit dem Kopf des Steigbügels (Stapesj,
welcher seinen Namen von seiner Gestalt führt. Stapes ist jedoch
kein römisches Wort, denn die Römer kannten die Steigbügel nicht.
Sie schwangen sich aus freier Hand, oder mittelst eines Sch(*mmels
auf das Pferd; — Reiche Hessen sich durch einen Sklaven fana-
holeus) hinauflieben. Im sechsten Jahrhundert bedienten sich die
Reiter zweier kurzer Leitern, welche beiderseits am Sattel befestigt
waren und Scalae hiessen (Mauritius). Stapes wurde erst im Mittel-
alter aus Stare und j)es gebildet, als stapeda und stapia, woraus stapes
entstand (Eustachius, org, auditus, pag, 154). — Die Fussplatte
des Steigbügels verschliesst das ovale Fenster, in welchem sie aber
nicht feststeckt, sondern durch ein fibröses Häutchen, welches den
ungemein kleinen Zwischenraum zwischen dem Rande der Fuss-
platte und dem Rande des Fensters ausfüllt, beweglich, gleichsam
§. 2S4. Gefaj^rknöchelchen. 621
schwebend, eingepflanzt ist. Die beiden Schenkel des Steigbügels,
von welchen der vordere mehr, der hintere weniger gekrümrat ist,
vereinigen sich am Köpfchen, und lassen zwischen sich einen
Bchwibbogenartigen Kaura frei, welcher durch die fibröse Membrana
propria stapedis verschlossen wird. — Der Steigbügel und der lange
Fortsatz des Ambosses stehen zu einander im rechten Winkel. Das
Köpfchen des Steigbügels ist somit gegen die Trommelhaut gerichtet,
und empfangt jene Stössc, welche durch die Schwingungen dieser
Membran dem Hammer, von diesem dem Ambos, und von diesem
dem Steigbügel niitgetheilt werden, von dessen Fussplatte sie in
das Labyrinthwasser übergehen. — Das Gelenk zwischen Hammer
und Ambos hat eine erst in der neuesten Zeit gewürdigte Anord-
nung, welche darin besteht, dass auf den Gelenkflächen des Hammers
und Ambosses kleine Hervorragungen vorkommen, welche so gestellt
sind, dass sie dem Hammer gestatten, nach aussen zu gehen, ohne
den Ambos und Steigbügel mitzunehmen, dass aber beim Einwärts-
drängen des Hammers, die Hervorragungen im Gelenk wie Sperr-
zähne ineinandergreifen, wodurch Hammer, Ambos und Steigbügel,
wie Ein Ganzes, die Bewegung nach einwärts ausführen.
Die Geschichte der Anatomie schreibt die Entdeckung des
Hammers und Ambosses, zu Anfang des 16. Jahrhunderts dem
Berengarius (^^arpcnsis in Bologna, und jene des Steigbügels
dem Phil. Ingrassias in Palermo zu.
Drei Muskeln, die kleinsten im menschlichen Körper, nehmen
auf die Bewegung einzelner Gehörknöchelchen Einfluss. 1. Der
Spanner des Trommelfelles (Tensor ti/mpani) entspringt ausser-
halb der Trommelhöhle von der 2\dja Eicstachü und dem vorderen
Winkel der Felsenpyramide, läuft im tienücanalis tensoris tympani
nach innen, und schickt seine feine platte Endsehne um das Rostrum
coddeare herum (wie der Musculus trochlearis des Auges um den
Rollenknorpel) zum Halse des Hammers. Er vermehrt die Concavität
des Trommelfells, und spannt es dadurch. — 2. Der Erschlaff er
des Trommelfells (Laxaioi' tympani), der yon Aqv Spina angularis
des Keilbeins entspringt, und durch die Glaserspalte zum langen
Foilsatz des Hammers geht, ist ein wahrer Muskel, — kein Band,
wofür man ihn neuerer Zeit ausgiebt. — 3. Der Steigbügel-
muskel (Musculus stapedius) nimmt die Höhle der Eminentia pyra-
midalis ein, und schickt seine fadenförmige Sehne, durch das
Löchelchen an der Spitze der Pyramide, zum Köpfchen des Steig-
bügels. Man schreibt ihm die Wirkung zu, den Steigbügel im ovalen
Fenster zu fixiren. Alle Muskeln der Gehörknöchelchen führen
quergestreifte Primitivfasern, erlauben sich aber dabei, der Willkür
durchaus nicht zu gehorchen.
622 §. 8S5. Vorhof.
Den yon Casserius aufgestellten, und von Sömmerring wieder zur
Sprache gebrachten LaxcUor tympani minor, habe ich nie gesehen. Er soll vom
oberen und hinteren Rande des Sulcua pro membrana tympani entstehen, und
zwischen den Blättern des Trommelfells zum kleinen Fortsatz des Hammers ziehen.
— Ausführliches über die Gehörknöchelchen enthalten meine Untersuchungen über
das innere Gehörorgan. Prag, 1845.
Die Schleimhaut des Rachens setzt sich durch die Tvha Eugtachii in die
Trommelhöhle fort, kleidet nicht blos die Wände dieser Höhle, und die mit ihr
communicirenden CelluUte maatoideete aus, sondern überzieht auch die Gehörknöchel-
chen, und bildet an den Uebergangsstellen von den Wänden zu den Knöchelchen
Duplicaturen, welche als Haltbänder der Ossicula dienen, und worüber in den
Specialschriften (sieh* Literatur) mehr als hier gesagt wird.
III. Innere Sphäre oder Labyrinth.
§. 235. Vorhof.
Das Labyrinth besteht, wie schon sein Name vermuthen
lässt, aus mehreren Räumen und Gängen von sonderbarer Form,
welche alle unter einander in Verbindung stehen, und in der Felsen-
masße der Schläfebeinpyramide eingeschlossen, so schwer darstellbar
sind, dass die an Hilfsmitteln und Untersuchungsmethoden armen
Anatomen der Vorzeit, sie mit dem Worte „Labyrinth'^ abfertig-
ten. Seine Hauptabtheilungen sind: der Vorhof, die drei Bogen-
gänge, und die Schnecke.
Der Vorhof oder Vorsaal ( Vestibidum) liegt zwischen den
Bogengängen und der Schnecke, als deren Verein igungs- oder
Ausgangspunkt er angesehen werden mag. Er grenzt nach aussen
an das Cavum tympam, nach innen an den Grund des Meatus audi-
torius internus, nach vorn an die Schnecke, nach hinten an die drei
Bogengänge, nach oben an den Anfang des im inneren Gehürgang
entspringenden Cancdis FaUopiae; nach unten hat er keinen Nachbar
von Wichtigkeit. Er besteht aus zwei Abtheilungen von ungleichen
Dimensionen. Die vordere, mehr sphärische, wird als Recessus hemi-
9phaericu8 von dem hinteren länglich ovalen Kecessus hemiellipticus
unterschieden. Eine niedrige Knochenleiste der inneren Wand (Crlsta
veatibidi) scheidet beide von einander. Die Crista endet nach oben
mit einer konischen Hervorragung (Pt/ramis vestibuli), deren Spitze
man am macerirten Felsenbein durch die Fenestra ovalis, hinter
ihrem oberen Rande, sehen kann. In den Recessus hemiellipticus
münden die drei Bogengänge mit fünf Oeffnungen ein. Eine dieser
OefFnungen entsteht durch die Verschmelzung zweier, liegt an der
inneren Wand, ist etwas grösser als die übrigen vier, und hat vor
sich die sehr feine VorhofoflFnung des Aqimedvctus vestibidi, zu
welcher eine ritzförmige Furche der inneren Wand den Weg zeigt.
§. 9S6. Bogeog&nge. 623
Im Recesstis henugphasricus liegt, an der vorderen Wand desselben,
der Eingang zur Vorhofstreppe der Schnecke — so gross wie eine
Bogengangsmündung.,
Ansser diesen grösseren Oeifnungen finden sich an der inneren Wand des
Vorhofes noch drei Grappen feiner Löcherchen — die sogenannten Sieb flecke,
Maculae eribrogae — welche in kurze Röhrchen fahren, die im Meatus audUarius
intemus münden, nnd die Fasern des Nervus vestHmU in den Vorsaal leiten. Man
findet reg^lm&ssig eine obere (an der Pyraimia vestUniU), eine mittlere (etwas
nnter dem Centnim des Becetnu kemisphaericusj, nnd eine untere. Mit der Loupe
betrachtet, gleicht ihre Ansicht dem Querschnitte eines spanischen Rohrs. Auch
die frflher erwähnte Fyramia veatibtdi ist ein System feiner paralleler Knochen-
kanUlchen, welche, wie die Maculae cribrosae, Fasern des Nervus vesUbuU in den
Vorhof gelangen lassen.
Der Ausdruck Veatibulum, Vorhof, erklärt sich aus Folgendem. In der
ersten Zeit hatten die Römer nur hölzerne Häuser. Diese bestanden aus zwei
Gemächern. In dem einen stand der Herd f/oats), der Altar der Hausgötter
Cava, daher: pro aris et focis), das Ehebett (torusj, dort spann und webte die
Frau, dort lebte die Familie. Dieses Gemach hatte keine Fenster. Das Licht
fiel durch eine OefiEhung im Plafond ein, durch welche auch der Rauch entwich,
nachdem er die Wände des Gemachs geschwärzt hatte. Das Gemach hiess des-
halb Atrium, von ater, schwarz. Da nun die alten Römer sehr reinlich waren,
legten sie die weisswollene Toga, beim Nachliausekommen, in einem Vorgemach ab,
und betraten das Atrium nur in der Tunica. Die Toga war aber das Haupt-
kleid, vestü; somit hiess das Vorgemach: VestUtulum, In späterer Zeit ¥nirde
das Vestibulum zum Vorplatz oder zur Vorhalle eines eleganten Wohnhauses,
und in diesem Sinne hat es sich auch beim Gehörlabyrinth Anwendung zu ver-
schaffen gewusst, als Vorhof.
§. 236. Bogengänge.
Die drei Bogengänge (Cancdes sendcirculares) werden in den
oberen, hinteren und äusseren eingetheilt. Sie sind so gestellt,
dass ihre Ebenen senkrecht auf einander stehen. Jeder hat eine
Anfangs- und eine Endmündung im Recessus hemiellipticus des Vor-
hofs. Gleich hinter der Anfangsmündung erweitert sich jeder
Bogengang zu einer ovalen, einer Feldflasche im EUeinen ähnlichen
Höhle, welche Ampulla (ampla buUa) genannt wird. Indem die
Endschenkel des oberen und hinteren Bogenganges, nahe an ihrer
Einmündung in den Vorsaal, in eine sehr kurze gemeinschaftliche
Endröhre zusammenkommen, wird die Zahl sämmtlicher Oeffnungen
der Bogengänge, welche sechs sein sollte, auf fünf vermindert.
Die Richtung des oberen Bogenganges kreuzt sich mit der
oberen Kante des Felsenbeins; jene des hinteren streicht mit der
hinteren Fläche der Felsenpyramide fast parallel; die des äusseren
fällt schief nach aussen imd unten ab, und bildet, indem sie die
innere Wand der Trommelhöhle etwas hervortreibt^ einen über d^m
624 §. 287. Schnecke.
Canalis FaUopme befindlichen Wulöt. Der äussere Bogengang ist
der kürzeste, der hintere der längste. Ihre Querschnitte geben Ovale.
Der Bogen ihrer Krümmung beträgt, namentlich beim äusseren,
mehr als 180".
Den Bogengängen wurde die Verwendung zugeschrieben, uns zur Wahr-
nehmung der Richtung behilfüch zu sein, in welcher die SchaUstrahlen im Laby-
rinth anlangen. Diese Ven^-endung jedoch kommt ihnen sicher nicht zu. Der
einzige Anhaltspunkt, über die Richtung des Schalles ein Urtheil abzugeben, liegt
darin, dass wir es gewahr werden, ob wir mit dem rechten oder linken Olir den
Schall besser yemehmen. Die Versuche von Flourens über Trennung und
Aosschneidnng der Bogengänge an Tauben, welche in neuerer Zeit durch Goltz,
Brown-Sequard imd Vulpian wiederholt wurden, haben zu der Annahme
geführt, dass die Bogengänge mit dem Act des Hörens gar nicht« zu thnn liaben,
sondern das Gefühl der Gleichgewichtslage des Körpers vermitteln helfen.
§. 237. Schnecke.
Die Schnecke (Cochlea) gleicht, als ein zu einer Kegel-
schraube zwei einhalbmal aufgewundener Gang, dem Gehäuse einer
Gartenschnecke. Sie liegt vor dem Vorhof und hinter dem earo-
tischen Kanal. Indem sie die Knochen masse des Felsenbeins gegen
die Paukenhöhle vordrängt, veranlasst sie die Erhebung des Promon-
torium. Das Promontorium zeigt also die Lage der Schnecke an.
Nach innen grenzt sie an den Grund des Meatm auditorlus inteimus.
Die Windungen der Schnecke liegen nicht in einer Ebene, denn
die zweite Windung erhebt sich über die erste. Die dritte halbe
Windung dagegen wird von der zweiten so umschlossen, dass nur
ihr Dach, welches Kuppel heisst, über die Ebene der zweiten
Windung etwas herausragt. Die knöcherne Axe, um welche sich
die Windungen der Schnecke drehen, heisst für die erste Windung:
Spindel, Modiolus, — für die zweite: Säulchen, Colwndlaj —
und für die letzte halbe Windung: Spindelblatt, iMmina modioll,
welches letztere aber nicht freisteht, sondern sich in die Zwischen-
wand der zweiten und letzten halben Windung fortsetzt, und des-
halb auch als der senkrecht aufgestellte Endrand dieser Zwischen-
wand angesehen werden kann. Der Modiolus muss, weil die erste
Windung der Schnecke die grösste ist, dicker als die Columelhi
sein, und diese wieder dicker als die Lamina modloli, — Die Axe
der Schnecke liegt horizontal, in der Richtung des Querdurch-
messers des Felsenbeins. Die breite Basis der Schnecke niisst
4 Linien, — ihre Höhe, von der Mitte der Basis bis zur Kuppel
2,4 Linien. Die Zwischenwand der Windungen wird gegen die
Kuppel dünner, und richtet sich während der letzten Schraubentour
zugleich so auf, dass sie durch ihre Einrollung einen konischen,
§. 287. Schnecke. 625
einer nicht ganz geschlossenen Papierdiite ähnlichen Raum umgreift,
dessen nach unten gerichtete Spitze der Columella entgegensieht,
und dessen nach oben gerichtete Basis die Kuppel der Schnecke
ist. Dieser Raum heisst Trichter, Scyphus Vieussenii.
Die Höhle des Schneckenganges wird durch das an die Axe
befestigte, dünne, ebenfalls spiral gewundene, knöcherne Spiral-
blatt, Landna spircUts ossea, in zwei Treppen getheilt, von welchen
jene, die bei senkrechter Stellung der Schnecke die untere ist,
durch das runde Fenster mit der Trommelhöhle, — die obere
aber mit dem Recessus henusphaericus des Vorhofes coramunicirt. Die
untere heisst deshalb SccUa tympani, die obere SccUa vestibuli. In
der SccUa tympani liegt, gleich hinter der, das runde Fenster ver-
schliessenden Membrana tympani secundaria, die Anfangsöffnung des
Aquaeductus ad coctdeam. Im Anheftungsrand der Lamina spiraiis
ossea ist ein enger Kanal enthalten (Canalis spiraiis modioli) j in
welchen vom Modiolus aus, die Fasern des Nervus aciisiicus ein-
treten, um daselbst, vor ihrer weiteren terminalen Verbreitung, ein
Geflecht zu bilden, dessen Maschen bipolare Ganglienzellen ent-
halten. Das Geflecht heisst Habenula ganglionaris. Die Lamina
spiraiis ossea hört in der letzten halben Windung der Schnecke mit
einem zugespitzten , hakenft^rmig gekrümmten Ende (Hamtdus)
auf, welches in den Sct/phus Vieussenii hineinsieht. Da die Lamina
spiraiis ossea nur bis in die Mitte des Schneckenganges hineinreicht,
so wird die vollkommene Trennung beider Scalae, durch die Lamina
spiraiis membranacea bewerkstelligt, welche aus zwei Blättern be-
steht, die einen Kanal — die Scala media oder den Canalis Cochleae
— zwischen sich fassen. In diesem Kanal allein sind die sehr
complicirten Apparate enthalten, welche durch die Schallwellen
unmittelbar erregt werden, und ihre Erregung auf die Terminalfasern
des Gehörnerven übertragen. Die Lamina spiraiis membrana^ea setzt
sieh in der Kuppel der Schnecke über den Hamulus hinaus fort,
und umgreift mit diesem eine Oeffnung (Helicotrenia , von eXt;,
Schnecke, Tpfj^ia, Loch), durch welche Scala tympani und Scala vesti-
huli unter einander in Verbindung stehen.
Der Modiolus und die Columella »ind ein Syätem paralleler Knochen-
röhrchen, welche im inneren Gehörgange mit feinen, in einer Spirallinie gelegenen
Oeffnungen beginnen (Tradtut »pircUia foraminulenttis). Das durch die Axe des
Modiolus und der Columella laufende centrale Röhrchen, übertritt die übrigen an
Stärke, und wird als CantUia centraUa niodioli besonders benannt £s mündet an
dem Ende der Columella (Spitze des Sct/phus VieusseniiJ, Alle übrigen Röhrchen
des Modiolus und der ColumeUa lenken in die Lamina spiraUs ossea ab, und
enden am Rande derselben in einer fortlaufenden Reihe feiner Oeffmmgen, welche
Z<ma perforala heisst. Diese Zona ptrforiUa wird Ton einem knorpeligen Auf-
sätze des Bandes der Ldmkm Mglralj» o$9ea etwas überragt Der Aufsatz führt
seines Anaci^^ ''"^«^ito. Von diesem Aufsätze and
Hyrl» 40
626 §• >97. Schnecke.
von dem Rande der Lamina »piralU waea entspringen die beiden Blätter der
Laniina spircUis membranacea, am divergent, und deshalb die »Scalu media zwischen
sich einschliessend, zur gegenüberliegenden Wand des Schneckenganges zu ziehen.
Das untere Blatt heisst Membrana ba*UariSf das obere die Corti^sche Membran.
Auf dem unteren Blatte finden sich jene zellenartigen Gebilde, und jene elastischen
Stäbchen, deren Deutung und physiologisches Verständniss auf den noch un-
bekannten Beziehungen derselben zu den letzten Ausläufern des Nerviut Cochleae
beruht. Ich will nur im Allgemeinen bemerken, dass die Stäbclien in zwei
Reihen parallel nebeneinander liegen, und auf der Membraiui btutUaris haften. Die
einander correspondirenden Stäbchen der beiden Reihen richten sich so gegen-
einander auf, dass sie einen First bilden, an welchem noch sogenannte Gelenk-
stücke die Verbindung der Stäbehen beider Reilien vermitteln sollen. In dem
Räume, welcher durch die giebelartige Erhebung der Stäbchen gegeneinander
gegeben wird, scheinen die Primitivfasern des N^rvua cochleop ihr Ende zu finden.
Diese treten nämlich, zwischen den Stäbchen der zunächst an der Lamiiui spiralis
098ea liegenden Reihe, in den Giebelraum der beiden Stäbchenreihen ein. Ob und
wie aber ihr Ende in den hier befindlichen Zellen gegeben ist, müssen spätere
Untersuchungen aufklären. Wie dem immer sei, so viel lässt sich jetzt schon
einsehen, dass die Anordnung der Stäbchen und ihr Verliältniss zu den Fasern
des Nervus Cochleae so getroffen ist, dass sie ilire durch die Schallwellen gesetzte
Erschütterung mit grösster Leichtigkeit auf die Nervenfasern übertragen können,
deren mechanische Erreg^ing sofort zur Wahrnehmung der Töne führt.
Mein ehemaliger Prosector, Marchese Alfonso Corti, hat das Verdienst,
eine sehr sorgföltige und genaue mikroskopische Untersuchung über den Bau der
Lamina ttpiraUa oasea und mevihranaceaf so wie der Nerven und Gefasse derselben
vorgenommen zu haben, deren überraschende und complicirte Ergebnisse in dem
bei der Literatur des Gehörorgans (§. 240) angeführten Werke niedergelegt
wurden, imd allen späteren einsclilägigen Untersuchungen zum Ausgangspunkte
dienten. Auf dieses Werk, so wie auf die später erschienenen Abhandlungen von
Reissner, Claudius, Böttcher, Deiters, Kölliker, Reichert, Rüdin-
ger, Mensen, Middendorp, und die von He nie gegebene, erschöpfende Zu-
sammenstellung alles dessen, was die Neuzeit über die Anatomie des Labyrinths
gebracht hat (Anat, 2. ThI.), verweise ich Jene, welche mehr über diesen Gegen-
stand zu erfahren wünsdien, als in einem Lehrbuche von der compendiösen Form
des vorliegenden, füglich angeführt werden kann, und ohne Abbildungen auch
grösstentheils unverständlich wäre.
Das Labyrinth darf nicht als ein im Felsenbeine befindlicher, und zunächst
von dessen Knochenmasse umschlossener Raum angesehen werden. Vestibtdum,
Canalea «emicirculares, und Cochlea, besitzen vielmehr eine besondere, glasartig
spröde, feine Knochenlamelle als nächste Hülse, welche ich als Lamina vUrea
beschrieb, und auf welche sich später die Knochenmasse des Felsenbeins von
aussen ablagert. An allen Schnitten <ies Labyrinths sieht man diese gelblich
graue Lamelle deutlich. Zwischen ihr und dem eigentlichen Felsen>)eleg lagert
bei Kindern eine zellig spongiöse Knochensubstanz, welche das Präpariren (Aus-
schälen des Labyrinths aus seiner Hülse) sehr erleichtert.
Dass der Atjuaeductus Cochleae und Aijuueductiut oeMllmli Ueberbleibsel von
embryonalen Bildungsphasen des Labyrinths sind, gilt für ausgemacht-, da^s sie
aber zugleich venöse Gefässe enthalten, ha}»e ich in meinen Untersuchungen über
das Gehörorgan, Prag, 1845, §. 122, bewiesen.
Vergebliche Mühe ist's, sich von dem Baue des Labyrinths und den Ver-
hältnissen seiner cinselnen Abtheilnngen durch anatomische Schriften und Ab*
bildungeiiy seien sie die umständlichsten und genauesten, einen Begriff zu machen.
§. 238. H&ntiges Labyrinth. 627
Um diesen zu erhalten, muss man selbst Hand anlegen, und sich in der tech-
nischen Bearbeitung dieses so überraschend schönen Baues versuchen. An Schläfe-
knochen von Kindern wird man, da die hier gegebene praktische Beschreibung
das Aufsuchen der Theile erleichtert, zuerst die Merkwürdigkeiten der Trommel-
höhle ohne Schwierigkeiten auffinden, und kann dann zur Präparation des Laby-
rinthes schreiten, welche, wenn sie noch so roh ausfallt, doch eine gewisse
Sicherheit der Vorstellung erzengt, welche das blosse Memoriren gelesener
Beschreibungen nie geben kann. Wer mein Handbuch der praktischen Zer-
gliederungskunst durchblättert, wird hoffentlich mit der dort gegebenen Instruction
zufrieden sein. Die unter Seile r's Anleitung von Papaschy in Dresden ver-
fertigten kolossalen Darstellungen des Gehörorgans in Oyps, die Wachsarbeiten
des leider zu früli verstorbenen Künstlers Heinemann in Brannschweig, jene
von Dr. Auzoux in Paris, die Darstellungen von dem ehemaligen akademischen
Wachsbildner P. Zeiller in München, und von Professor Dursy in Tübingen,
kommen dem theoretischen Studium trefflich zu Statten.
§. 238. Häutiges Labyrinth.
Ein zartes Häutchen, Periosteum intemum, mit einem einfachen
Pflasterepithel, überzieht die innere Oberfläche des knöchernen
Labyrinths. Es sondert an seiner freien glatten Fläche eine seröse
Flüssigkeit ab, welche die häutigen Säckchen des Labyrinths (und die
häutigen Bogengänge) als Perilympha 8. Aqmda Coturmi umspült.
Die häutigen Säckchen liegen im Kecessus hemisphaeHcus und
hemidlipticus des Vorhofs, und werden als Saccidus sphaericus et ellip-
ticus unterschieden. Bis auf die jüngste Zeit wurden beide Säckchen
für vollkommen abgeschlossen gehalten. Man hat jedoch in neuester
Zeit eine Verbindung zwischen beiden aufgefunden (Waldeyer). Es
soll nämlich ein aus dem Saccidus dlipticiLS hervorgehendes, sehr kurzes
Röhrchen, sich mit einem ebensolchen aus dem Saccvlus sphaericus
zu einem einfachen Schlauche verbinden, welcher in den Aquae-
ductus vestibidi eindringt, und daselbst blind endigt. Ebenso soll
der Saccidus sphaericus mit dem Schneckenkanal eine unmittelbare
Verbindung haben, durch den sogenannten Canalis retmiens.
Die Gestaltungsmembran der häutigen Vorhofssäckchen und
der häutigen Bogenröhren, besteht aus drei Schichten, wovon die
äusserste die Charaktere einer stellenweise pigmentirten Binde-
gewebshaut, die zweite jene einer structurlosen Membran besitzt,
die dritte, innerste, eine epithelartige Schichte cylindrischer Zellen
mit zwischenliegenden Spindelzellen darstellt. Es ist bei Fischen
sichergestellt, dass die Primitivfasern des Gehörnerven bis in diese
epitheliale Schichte der Säckchen vordringen. — Vom Saccidus
ellipticus gehen als dessen Verlängerungen die häutigen Bogen-
gänge aus, welche die knöchernen nicht ganz ausfüllen. Ihr Bau
stimmt mit jenen» überein. An einem ihrer
628 |. 9^' R&ati|^ Labjrtnth.
Schenkel bilden sie, entsprechend den Ampullen der knöchernen
Bogengänge, eine flaschenförmige Erweiterung (Ampvllamemhranacea).
Die Säckchen und die häutigen Bogenröhrchen enthalten Flüssig-
keit (Endolymplia). An jenen Stellen der Säckchen, welche den
drei Maculae cnbrosae, und der Pt/ramis vestibtdi, somit den Eintritts-
stellen der Fasern des Nervus acusticus in die Säckchen entsprechen,
bemerkt man kreideweisse, rundliche Plättchen, welche aus einer
Menge mikroskopischer Krystalle von kohlensaurem Kalk bestehen,
die durch ein zähes Cement zu concav-convexen Scheibchen zu-
sammengebacken sind. — Zottige Bildung an der inneren Fläche
der häutigen Bogengänge, und brückenartige Verbindungen zwischen
den Wänden des knöchernen und des häutigen I^abyrinths, be-
schreibt Rüdinger.
Der Gehörnerv theilt sich im Meatua auditorius int&imus in den
Nermui vestibvli und Nervus Cochleae, Der Nervus vestibuli passirt
durch die Löcherchen der drei Maculae cribrosae, und muss sich
somit in so viele Filamente auflösen, als Löcherchen existiren.
Diese Filamente betreten die Wand der Vorhofssäckchen, und
jene der drei Ampullen, ohne in die Höhle derselben einzudringen,
und sich in die lange Zeit angenommene Pulpa acustica aufzulösen.
Sie sollen mit entgegenkommenden Ausläufern der oben erwähnten
spindelförmigen Zellen in der Wand der Vorhofssäckchen in Ver-
bindung treten. Des Nervus Cochleae wurde bereits früher gedacht.
Jene Fäden des Nermis veatihulif welche direct zu den AmpuHen der
hantigen CanaUs »emicircidares gehen, drängen die äussere Wand derselben
etwas gegen ihre Höhle hinein, und erzeugen dadurch äusserlich eine Furche,
und innerlich einen Vorsprung von 0,2 Linien Höhe. So entsteht der Sulcu» und
das Septum ampidlae (Steifensand, MiÜUra Archiv. 1835). — In den häuti-
gen Bogenröhren selbst fehlt, mit Ausnahme der Ampullen, jede Spur von Nerven,
obwohl die Dicke der Röhrenraembran das Doppelte von der Haut der Säck-
chen beträgt
Die Kalkkrystalle in den auf der inneren Fläche der Vorhofssäckchen auf-
sitzenden Plättchen, sind sechsseitige Prismen mit sechsseitigen Zuspitzungs-
pyramiden. Sie kommen übrigens auch frei in der Endolympha und in dem
Serum, welches die Schneckenhöhle ausfüllt, vor. Bei den Sepien und den nie-
deren Wirbelthieren (Fischen), werden diene Scheibchen sehr hart und R^ross, und
bilden die sogenannten Gehörsteine oder Otolithen.
lieber das häutige Labyrinth handelt ausführlich Rüdinger (Münchner
akad. Sitzungsberichte, 1863, und Monatsschrift für Ohrenlieilkunde, 18C7). —
lieber die Endigungsweise des Hömerven im Labyrinth handelt M. Schultzf, in
Müllers Archiv, 1868, und Böttcher, de ratione, qua nervus Cochleae terminatur,
Dorp., 1856. — Für Fische und Amphibien sieh* die Aufsätze von E. Schnitze
und R, Havtniann, in Müller^ a Archiv. 1862.
§. S39. Innerer Gehörgftng und ^aHopischer Kanal. 629
§. 239. Innerer Gehörgang und Tallopischer Kanal.
Zwei Kanäle des Felsenbeins, welche mit dem Gehörorgane
in näherer Beziehung stehen, müssen hier noch erwähnt werden:
der innere Gehörgang, und der Fallopische Kanal.
Der innere Gehör gang beginnt an der hmteren Fläche der
Felsenpyramide, und dringt in schief nach auswärts gehender Rich-
tung so weit in die Masse derselben ein, dass er vom VesHhvlum
nur durch eine dünne Knochenlamelle getrennt wird. Sein blind-
sackähnliches Ende wird durch eine quervorspringende Knochen-
leiste in eine obere und untere Grube getheilt. Erstere vertieft
sich wieder zu zwei kleineren Grübchen, wovon das vordere sich
zum Fallopischen Kanal verlängert, das hintere aber mehrere feine
OefFnungen besitzt, welche zur Macula cribrosa superioi" des Vesti-
bulum führen. Die imtere Grube enthält den Tractus spircJis fora-
minidentus, und hinter diesem, einige kleinere OefFnungen, welche zur
Macula cribrosa media, und eine grössere, welche zur inferior ge-
leitet. — Der innere Gehörgang enthält den Nerxrus acusticus, den
NerviLS facialis, die Arteria auditiva interna, und dieser Arterie ent-
sprechende sehr feine Venen (He nie).
Der Fallopische Kanal läuft, von seinem Ursprung im
inneren Gehörgang, durch die Knochenmasse des Felsenbeins an-
fangs nach aussen, dann über dem ovalen Fenster nach hinten,
und zuletzt nach unten zum Foramen stt^lo-mastoideum. Er besteht
somit aus drei, unter Winkeln zusammengestückelten Abschnitten.
Die Winkel heissen GenunUa. Das erste Knie ist scharf geknickt,
fast rechtwinklig; das zweite erscheint mehr als bogenförmige
Krümmung. Am ersten Knie zeigt der Fallopische Kanal die an
der vorderen oberen Fläche der Pyramide bemerkte SeitenöflFnung
(Hiatus 8. Apertura spuria canalis Fall,), zu welcher der Stdcus
petrosus superficialis hinführt. Im Hiatus mündet der in der Fosstda
petrosa entsprungene, in der Pauke über das Promontorium nur als
Furche aufsteigende, und unter dem Semicanalis tetisoris tympani
zum Fallopischen Kanäle führende Canalicvlus tympanicus. Das
zwischen dem ersten und zweiten Knie befindliche Stück des
Canalis Fallopiae liegt zwischen Fenestra ovcdis und Canalis semi-
drcidaris extemus, und springt in die Paukenhöhle bauchig vor.
Vom zweiten Knie an steigt der Kanal hinter der Eminentia pyra-
midalis herab, mit deren Höhle er durch eine Oeffnung zusammen-
hängt. Auch mit dem Canalictdus mastoideus hat dieser letzte
Abschnitt des Fallopischen Kanals eine Communication. Bevor er
am Griffelwarze?^ * ^ kurzen Canalicvlus
chordae su*
630 §. 240. Literatur der gesaminten Sinnenlehre.
§• 240. Literatur der gesammten Sinnenlehre.
/. Tastwgan.
J. PurMnje, coinmeut. de exam. physiol. organi visus et syste-
matis eutanei. Vratisl., 1823. 8. — Q, Brescket et Roussd de Vauzeme,
, nouvelles recherches sur la structure de la peau. Paris, 1835. 8. —
G. Simon, Beschreibung der uornialen Haut, in dessen: Haut-
krankheiten, durch anat. Untersuchungen erläutert. Berlin, 1848.
— Bäretisprung, Beiträge zur Anatomie und Pathologie der mensch-
lichen Haut. 1848. — lieber Epidermis, Refe Mnljnghii, Haare,
Nägel, findet man alles Wissenswerthe in den Gc weblehren von
Herde und Kölliker, und kleinere Aufsätze in Midieres Archiv, von
Bidder, G, Simon, Kohlrausch, etc., ferner von Kölliker, über den
Bau der Haarbälge und Haare, in den Mittheilungen der Zürcher
Gesellschaft, 1847, so wie von E, Reissner, nonnulla de hominis
mammaliumque pilis. Uorpat, 1853. Sehr wichtig für das Studium
des Nagels ist Virchoto: Zur normalen und patholog. Anatomie der
Nägel, in den Würzb. Vcrh. 1854. 5. Bd. Ueber die Epidermis der
Hohlhand handelt speciell E. Oehl, in den Annali universali di
medicina. 1857.
Eine umfassende Zusammenstelhmg eigener und fremder Be-
obachtungen über die Structur der Haut und ihrer Annexa, ent-
hält Krauses Artikel „Haut"^ in Wagner*s Handwörterbuch der
Physiologie. — Die an intcrc^ssanten Thatsachen reiche Entwick-
lungsgeschichte der Haut, gab Kölliker im 2. Bande der Zeitschrift
für wissenschaftliche Zoologie. — Ueber die glatten Muskelfasern
der Haut siehe: Eylandt, de musculis organicis in cute humana.
Dorpat, 1850.
//. Geruchorgan,
Die besten Abbildungen finden sich in: A, Scarpa, disqui-
sitiones anat. de auditu et olfactu, und dessen annot. acad. lib. II.
de organo olfactus, Ticini, 1785, so wie bei S. Th, Sömmerring,
Abbildungen der menschlichen Organe des Geruches, Frankfurt a. M.,
1809, fol., und Arnold, Organa sensuum.
I)i<j mikroskopischen Structurverhältnisse der Nasenschleimhaut
behandeln, ausser den oft citirten histologischen Schriften, noch
folgende: C. Eckhard, Beiträge zur Anat. u. Physiol. Giesseu, 1. Bd.
— A. Ecker, in der Zeitschrift für wissensch. Zoologie, VHI. —
§. 240. Literaiar der geummton Sinnenjehre. 631
R. Seeberg, Disquis. microsc. de textui'a membranae pituitariae nasi.
Dorpat, 1856. — Die Entdeckung der Riechzellen durch M. Schnitze
haben die Monatsberichte der Berliner Akademie, Nov. 1856, ge-
bracht. — Neuestes: Hoyer, über die mikroskop. Verhältnisse der
Nasenschleimhaut, in Reijchert'a und Du Bois Reymond's Archiv, 1860,
und L. Clarke, über den Bau des Bulbus olfactorius und der Ge-
ruchsschleimhaut (handelt nur von Thieren), in der Zeitschrift für
wissensch. Zoologie. 11. Bd. — M. Schnitze, Untersuchungen über
den Bau der Nasenschleimhaut. Halle, 1862. — K. Hoffmann, Mem-
brana olfactoria, etc. Amsterd., 1866.
///. Sehorgan.
Da die Entdeckungen über das Gewebe der Augenhäute und
des Augenkerns ganz der neueren Anatomie angehören, so ist die
ältere Literatur so ziemlich entbehrlich geworden, und hat grössten-
theils nur historischen Werth.
Ueber den ganzen Augapfel handeln: J. G. Zinn, descriptio
anat. oculi humani icon. illustr. Gottingae, 1755. — S, Th, Söm-
memng, Abbildungen des menschlichen Auges. Frankf. a. M., 1801. fol.
— D. G. Sönimerring, de ocidorum hominis animaliumque sectione hori-
zontali. Cum IV tab. Gott., 1818. fol. — F, Arnold, anat. und physiol.
Untersuchungen über das Auge des Menschen. Heidelberg, 1832.
4., und dessen Tab. anat. Fase. H. — 2%. Ruete, Lehrbuch der
Ophthalmologie. Braunschweig, 1845. — S. Pappenheim, die specielle
Gewebslehre des menschlichen Auges mit Rücksicht auf Entwick-
lungsgeschichte und Augenpraxis. Berlin, 1842. — E. Brücke, anat.
Beschreibung des menschlichen Augapfels. Berlin, 1847. Die Abbil-
dungen sind in der Darstellung der Form des Bulbus, der Dicke
der Membranen, der Inscrtionsstellen der Augenmuskeln, der An-
heftung der Iris, der Form der Ciliarfortsätze und der Linse, un-
richtig. — W. Bowman, Lectures on the parts concemed in the
Operations of the Eye. London, 1849. — A. Hannover, das Auge.
Leipzig, 1852. — In iconographischer Hinsicht bieten Amold's Or-
gana senmum, das Beste für das Auge und die übrigen Sinnesorgane.
— Arlfs horizontaler Durchschnitt des menschlichen Auges. Wien,
1875, entspricht vollkommen dem Bedürfniss des Schülers. — Die
Entwicklungsgeschichte des Auges von A. v. Ammon, Berlin, 1858,
enthält den Schlüssel zur Erklärung der angeborenen Formfehler
des Sehorgans.
G32 §• S40. liitemtar der (;i»»amiiit«n Sinnenlehre.
Augenlider, Bindehaut, und Thränenwerkzeuge.
H, Meibom, de vasis palpebrarum noviö. Helmstadii, 16G6. —
J, TU. Kosenmiiller, partium externarum oculi, inprimi» organorum
lacrymalium deseriptio. Lipsiae, 1797. — Gossdin, über die Aus-
fÜliruugsgänge der Thränendrüse, im Archiv gener. de medieine.
Paris, 1843. — H. Reinhard, diss. de viarum lacrymalium in homine
ceterisque animalibus anatomia et physiologia. Lipsiae, 1840. —
R, Mayer, über den Bau der Thränenorgane. Freiburg, 1859. —
Arlt, über den Thränenschlauch , im Archiv für Ophthalmologie.
1 . Bd. 2. Abthl. — W, Mam, über eigeuthümliche Drüsen am Oor-
nealrande. Zeitschrift für rat. Med. 5. Bd. — J. Aimold, die Binde-
haut der Hornhaut, Heidelberg, 1860.
Hornhaut und Sclerotica.
Bochdalek, über die Nerven der Sclerotica, in der Prager
Vierteljahrsschrift, 1849. — Ueber Lamina fusca, Orbiculus cHia-
vis, etc. in derselben Zeitschrift, 1850. — Aufsätze über die Nerven
der Cornea von KöUiker und Rahn, in den Mittheilungen der Zürcher
Gesellschaft, 1848 und 1850. — Fr. DonibliUh, über den Bau der
Cornea, in der Zeitschrift für wissensch. Medicin, 1855, und Fort-
setzung 1856. — W. Hissj Beiträge zur Histologie der Cornea.
Basel, 1856. — A. Winiher, zur Gewebslehre der Hornhaut. Archiv
für path. Anat. 10. Bd. — H. Holländer, de corneae et scleroticae
conjunctione. . Vratisl., 1856. — Th, Ixinghans, über das Gewebe der
Cornea. Zeitschrift für rat. Med. XII. Bd.
Choroidea, Iris und Pigment.
J. Lenhossek, diss. de iride. Budae, 1841. — J, Cloquet, m^m.
sur la membrane pupillaire et sur la formation du petit cercle de
riris. Paris, 1818. — C. Krawe in Meckd's Archiv, 1832, und in
MiÜler's Archiv, 1837, Jahresbericht. — L. Kohelt, über den Sphincter
der Pupille, in Froriep'a Notizen. 1840. Bd. XIV. — G, Bruch,
Untersuchungen zur Kenntniss des kömigen Pigments. Zürich,
1844. — H, Maller und P. Arlt, im Archiv tiir Ophthalmologie
(I. HL Bd.) über den Musculus ciliaris. — H. Müller, glatte Mus-
keln und Nervengeflechto der Choroidea. Würzb. Verhandl. 1859.
— W, Krause, Ganglienzellen im Orbiculus ciliaris, in dessen anat.
Untersuchungen. Hannover, 1861. — T7i. Leber, über die Blutgefässe
S. S40. Litarttnr der gssanmien Sinnenlehre. 633
des menschlichen Auges, in den Denkschriften der kais. Akademie.
24. Bd. — A. Orünhagen, Irismuskulatur, Archiv für mikrosk. Ana-
tomie. 1873. — F. Merkel, die Irismuskulatur. Berlin, 1873. —
J, Michel, histol. Structur des Irisstroma. Erlangen, 1875.
Netzhaut.
Die Literatur über den Bau der Netzhaut wächst so massen-
haft, dass sie kaum mehr zu bewältigen scheint. Wer sich von ihr
angezogen findet, mag das Wichtigste aus folgenden Abhandlungen
entnehmen: J, Bidder, zur Anatomie der Retina, in Müller^s Archiv.
1839 und 1841. — A, Hannover, über die Netzhaut, etc., ebenda,
1840 und 1843. — A, Burow, über den Bau der Macula lutea,
ebenda, 1840. — F, Pacini, sulla testura intima della retina. Nuovi
annali di Bologna (enthält gewaltige mikroskopische Beobachtungs-
fehler, z. B. eine Schichte grauer Nervenfasern und schlingen-
förmige Umbeugungen). — H. Midier, zur Histologie der Netzhaut.
Zeitschrift für wissensch. Zoologie. 1851. Weitere Mittheilungen
im 3. imd 4. Bande der Verhandlungen der phys.-med. Gesellschaft
zu Würzburg, und im VIII. Bande der Zeitschrift fiir wissensch.
Zoologie. — A, Corti, Beitrag zur Anatomie der Retina. Midieres
Archiv. 1850. — A, Hannover, zur Anat. und Phys. der Retina, in
der Zeitschrift für wissensch. Zoologie. 5. Bd. 1. Heft, und Kölliker,
in den Verhandlungen der Würzburger phys.-med. Gesellschaft.
3. Bd. — Ritter, im Archiv für Ophthalmologie, Bd. V. —
M, Schvitzef de retinae structura penitiori. Bonnae, 1859, und dessen
Aufsatz: zur Kenntniss des gelben Fleckes und der Fovea centralis
des Menschen, im Archiv für Anat. und Physich 1861. — W. Krause,
Retinastäbchen, Zeitschrift für rat. Med. XI. Bd. — C. Ritter,
Structur der Retina, nach Untersuchungen am Wallfischauge. Berlin,
1864. — H Magnus, die Gefasse der Netzhaut. Leipzig, 1873. —
Coster, de retinae structura. BeroL, 1871.
Glaskörper und Linse.
E. Brücke, über den inneren Bau des Glaskörpers, in Müller's
Archiv, 1843. — Meyer Ahrens, Bemerkungen über die Structur der
Linse, in Midieres Archiv, 1838. — A. Hannover, in Midieres Archiv,
1845. — W. Wemeck, mikroskop. Untersuchungen über die Wasser-
haut und das Linsensystem^ in Ainmon's Zeitschr., IV. und V. Bd.
— W. Bowmanf Observatioiif <m ' ^f the Vitreous
Humour, in DubL Qiurk-^
634 §. 840. Litentnr der gesammtao Sinnenlehre.
concentrischer Membranen). — Virchow, Notiz über den Glaskörper,
Archiv für pathol. Anat. IV. Bd., und C, 0, Weber, über den Bau
des Glaskörpers, ebenda, XVI. und XIX. Bd.
Ueber die Zergliederung des Auges handelt: A, K. Hesselhacli,
Bericht von der königlich anatomischen Anstalt zu Würzburg, mit
einer Beschreibung des menschlichen Auges und Anleitung zur
Zergliederung desselben, Würzburg, 1810, und mein Handbuch der
prakt. Sjcrgliederungskunst. Wien, 1860.
IV. Gehörorgan,
Ueber das Gehörorgan sind auch die älteren Schriften von
Vahalva (1704), Cassebohm (1754), Vieussejis (1714) noch immer
brauchbar. Die Beschreibungen der beiden ersteren gehen selbst in
die Subtilitäten ein; nur sind die Abbildungen roh und mangeUiaft.
Hauptwerke bleiben für alle Zeit: A, Scarpa, disquisitiones
anat. de auditu et olfactu. Ticin., 1789, 1792, fol., und Sommer ring* s
Abbildungen des menschlichen Gehörorgans. Frankfurt a. M., 180G,
fol., empfehlen sich durch die Schönheit und (Jorrectheit der Tafeln.
— TTi, Buchanan, Physiological Illustrations of the Organ of Hearing.
London, 1828. Auszüge davon in MeckeVs Archiv, 1828. — G, Breschet,
recherches anat. et physiol. sur Torgan de Fouic, etc. Paris, 1836. 4.,
und J. Hyrtl, vergleichende anat. Untersuchungen über das innere
(und mittlere) Gehörorgan des Menschen und der Säugethicre. Prag,
1845, mit 9 Kupfertafeln, fol. — Rüdinger, Atlas des menschlichen
Gehörorgans (photographisch). München, 1875, complet. — Das
Lehrbuch der Ohrenheilkunde von Tröltsch, 5. Auflage, enthält
höchst schätzenswerthe anatomische Schildeiningen.
Einzelne Theilc des Gehörorgans:
Aeusseres Ohr, Trommelfell, Paukenhöhle und Gehör-
knöchelchen.
A, Hannover, de cartilaginibus, musculis et nervis auris ext.
Hafn., 1839. 4. (grösstcntheils vergleichend). — Jung, vom äusseren
Ohre, und seinen Muskeln beim Menschen, in den Verhandlungen
der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 1849. — H. L Shrapnell,
On the Structure of the Membrana Tympani, in Lond. Med. Gazette.
April. 1832. — J. Toynbee, On stnicture of the Membrana Tympani,
in den Phil. Tranaact. 1851. P. I. — v. TrölUch, Beiträge zur Ana-
§. S40. Litentar der geMUDinten Sinnealehre. 635
tomie des Trommelfells, in der Zeitschrift für wissensch, Zoologie.
9. Bd., und dessen Anatomie des Ohres, in ihrer Anwendung auf
Praxis. Würzburg, 1861. — Oerlach, Mikroskop. Studien. Erlangen,
1858. — F. Ttedemann, Varietäten des Steigbügels, in Meckd's
Archiv. 5. Bd. — H. J. ShrapneU, On the Structure of the Incus.
Lond. Med. Gaz. June. 1833. (Sylvisches Knöchelchen.) — F. W. Che-
vallier, On the Ligaments of the Human Ossicula Auditus, in Med.
Chir. Transact. 1825. — E, Hagenbtzch, disquisitio circa musculos
aui-is int. hom. Basil., 1833. — W. Grxiher, der Paukenknochen im
Bull, de TAcad. Imp. de St. P^tersb. 1858. Tom. 17. N. 21. —
Jos, Gruber, anat. physiol. Studien über das Trommelfell. Wien,
1867. — G. Brunner, Anat. und Histol. des mittleren Ohres. Leipzig,
1870. — j^. Rudinger, Beiträge zur Histologie des mittleren Ohres.
München, 1873. — E. Mach und J, Kessel, Topographie und Mechanik
des Mittelohres. Wiener akad. Sitzungsberichte. 1874. — Zucker-
kandlj Anatomie der Tuba EustacML Monatsschr. für Ohrenheil-
kunde. 1874.
Labyrinth.
D, Cotunni, de aquaeductibus auris hum. Nap., 1761. —
J. G. Zinn, observationes anat. de vasis subtilioribus oculi et Coch-
leae auris int. Gott., 1753. — Brugnone, observations anatomiques
et physiologiques sur le labyrinthc de Toreille, in den M^moires de
Turin, 1805 und 1808. — Ribes, sur quelques parties de Foreille
interne, in Ma^endie, Journal de physiologie experimentale.
Vol. n. — J. H. Hg, anatomische Beobachtungen über den Bau
der Schnecke. Prag, 1821. — Ch, Fr. Meckel , de labyrinthi
auris contentis. Argent., 1777. — Reissner, de auris internae for-
matione. Dorpat., 1851. — A. Corti, Recherches sur Torgane de
Touie, Zeitschrift für wissensch. Zoologie. IH. Bd. — A, KöllUcer,
über die letzte Endigung des Nerv^us cocldeas, und die Function der
Schnecke. Würzburg, 1854. — E, Reissner, zur Kenntniss der
Schnecke, in Millle^'*8 Archiv. 1854. — M, Claudias, über den Bau
der häutigen Spiralleiste, in der Zeitschrift für wissensch. Zoologie.
Bd. Vn. — A, Böttclier, Entwicklung und Bau des Gehörlabyrinths.
Dresden, 1869. — W. Middendorpy het vliezig Slakkenhuis. Gronin-
gen, 1867. — O. Deiters, Beiträge zur Kenntniss der Lam, spir., in
der Zeitschrift für wissensch. 2k)ologie. 10. Bd. 1. Heft. — Kölliker,
der embryonale Schneckenkanal. Würzb. Verhandl. 1861. — Volto-
Uni, die Zerlegung und Untersuohunir <^^ 'truans an der
Leiche. Breslau, 1862, und
rinth, in Virchow'$ A
()30 $• M<>- Mtontnr der gMammten Binncnlelir^.
tomie der Oehörschnecke. Berlin, 1864, und in dessen Archiv, 1871.
— V, Mensen, zur Morphologie der Schnecke, Zeitschrift fi'ir w-isscn-
Bchaftliche Zoologie. Xlll. Bd. — J. Gottstmn, über den feineren
Bau der Oehörschnecke. Bonn, 1871. — (\ Hcuse, vergl. Morpho-
logie und Histologie des häutigen Labyrinths. Leij>zig, 1878. —
C, Utz, Histologie der häutigen Bogengänge. Münclien, 1875.
FÜNFTES BUCH.
Eingeweidelehre und Fragmente aus der
Entwicklungsgeschichte.
A. Eingeweidelehre.
§. 241. Begriff und Eintheilung der Eingeweidelehre,
JJie Eingeweidelehre, Splanchnologia (dTwXörfxvov, Eingeweide),
im engeren Sinne des Wortes, befasst sich mit dem Studium jener
zusammengesetzten Organe, durch welche der materielle Verkehr
des Organismus mit der Aussenwelt unterhalten, und jene Stoffe
bereitet werden, welche entweder zur Erhaltung des Individuums,
oder zur Fortpflanzung seiner Species nothwendig sind. Jedes Organ,
welches an der Ausführung dieser Verrichtungen Antheil hat, ist
ein Eingeweide (Viscus). Da die Viscera im Inneren der Körper-
höhlen untergebracht sind, werden sie auch Intestina genannt, von
inttJLS, Im Altdeutschen bedeutet Weid das Innere, woher die
Worte Eingeweid und Ausweiden stammen.
Eine Gruppe oder Folge von Eingeweiden, welche zur Reali-
sirung eines gemeinsamen physiologischen Zweckes zusammenwirken,
bildet einen Apparat oder ein System, dessen Name von der
Wirkung genommen wird, die es hervorbringt. So zählen wir eia
Verdauungssystem, ein Respirationssystem, ein Harn- und
Geschlechtssystem. — Die Alten unterschieden edle und un-
edle Eingeweide. Edle Eingeweide waren ihnen jene, welche sie
von den Opferthieren am heiligen Feuer zu rösten und dann zu
verzehren pflegten. Aus ihnen deuteten die Haruspices den Willen
der Götter. Sie waren: Herz, Lunge, Leber, Milz und Niere (was
wir parenchymatöse Eingeweide nennen), und wurden allgemein
als Exta bezeichnet; — daher exttspicium. Unedel waren alle
schlauchartigen Eingeweide, welche nicht gegessen wurden, wie
Magen, Darm, Harnblase und Uterus. Das Wort viscera wurde für
edle und unedle Eingeweide zusammen gebraucht, welche Plinius
auch als Interanea benannte, woher das französische entraähs. Die
Griechen nannten die Verdauungsorgane Ivrcpa (icapa tb evrb? elvat,
quod intus sUa sint), welcher Ausdruck aber später nur auf das
ß40 §• 242. Begriff und Einthoilaiig des Verdaaungsorgans.
Gedärme bezogen wurde, und sich in exenterare, ausweiden, in
Mesmteiium, Gekröse, Enteritis, Gedärmentzündung, und Dysen-
teria, Ruhr, erhalten hat.
I. Verdauuiigsorgan.
§. 242. Begriff und Eintheilung des Verdauungsorgans.
Das Verdauungsorgan, Organon digestionis, bildet einen,
vom Munde bis zum After, durch alle Leibeshöhlen verlaufenden
Schlauch (Cancdis digestorius 8. alimentarius) mit veränderlicher
Weite, welcher die Ausführungsgänge drüsiger Nebengebilde (Organa
accessoria) aufiiimmt. Seine Verrichtung, welche nur an seinem
Anfange und Ende der Willkür unterworfen ist, zielt dahin, aus
den genossenen Nahrungsmitteln jene Stoffe auszuziehen, welche im
Stande sind, die Verluste zu ersetzen-, die der Organismus durch
Ausscheidung seiner verbrauchten und zum Leben untauglichen
Materien fortwährend erleidet. Die Thcilchen, aus welchen der
thierische Leib besteht, sind während des Lebens nicht auf ein
ruhiges Neboneinandersein angewiesen. Sie befinden sich vielmehr
in einem fortdauernden Wechsel, durch welchen die älteren aus
ihren Verbindungen treten, und neue an ihre Stelle kommen, um
wieder anderen Platz zu machen. Dieser Stoffumtausch, in welchem
ein Hauptmerkmal des thierischen und pflanzlichen Lebens liegt,
und welcher, wie man sagt, die Pflanze im Thiere vorstellt, kann
nur dann eine Zeit lang ohne Verzehnmg und Aufreibung des
Organismus dauern, wenn der Zuwachs dem Verluste gleichartig
und proportionirt ist. — Die Stoffe, aus welchen der thierische Leib
sich ernährt, finden sich, als solche in der pflanzlichen und thierischen
Nahrung vor. Es handelt sich nur darum, sie aus dieser aus-
zuziehen, und rein von jeder anderen Zugabe darzustellen. Diesen
Act hat die Natur den Verdauungsorganen anvertraut. Er w4rd
auf chemische, leider nicht ganz genau bekannte Weise durch-
geführt. Wie der Chemiker, wenn er einen reinen Stoff aus einem
zusammengesetzten Körper darzustellen hätte, diesen in kleine Stücke
zerschneidet oder zu Pulver zermalmt, mit Flüssigkeiten digerirt,
mit Säuren behandelt, von einem Gefasse in ein anderes giesst, um
neue Reagentien anzuwenden, und den Rückstand, welcher ihn
nicht mehr interessirt, wegschüttet, so ist der Verdauungsact der
Form nach eine Reihe ähnlicher Verrichtungen, welche als Kauen,
Einspeicheln, Schlingen, Magen- und Darmverdauung, und
endlich Kothentleerung auf einander folgen. Die ganze Gruppe
von Verdauungswerkzeugen kann somit in folgende Abtheilungen
§. 243. MnndhAhle. 641
gebracht werden: 1. Mundhöhle, mit Zähnen und Speicheldrüsen,
2. Schlingorgane, als Rachen und Speiseröhre, 3. eigentliche
Verdauungsorgane: Magen, Dünn- und Dickdarm, sammt ihren
drüsigen Nebenorganen: Leber, Bauchspeicheldrüse, Milz, und end-
lich 4. Ausleerungsorgan: Mastdarm.
§. 243. Mundliölile.
Der Verdauungskanal beginnt mit einer, am unteren Theile
des Kopfes zwischen den Kiefern liegenden Höhle — Mundhöhle,
Cavwm oria — in welcher die Speisen für die Magenverdauung durch
das Kauen, M(t8ticatio, und Einspeicheln, InsalivaHo, vorbereitet
werden, d. i. auf mechanische Weise jene Aenderung ihrer Cohäsion
erleiden, welche sie zum Verschlungenwerden tauglich macht.
Bei geschlossenen Kiefern, zerfallt die Mundhöhle durch die
Zähne in eine vordere kleinere ( Vestihulum oris), und in eine hintere
grössere Abtheilung oder die eigentliche Mundhöhle. Beide
Abtheilungen stehen beiderseits durch eine zwischen dem letzten
Backenzahn und dem vorderen Rande des Kronenfortsatzes des
Unterkiefers offen bleibende Lücke in Verbindung. Bei gesenktem
Unterkiefer fliessen beide Abtheilungen in ein grosses (^avui^ zu-
sammen, welches seitwärts durch die Backen, oben durch den harten
Gaumen, imd unten durch die vom Unterkiefer zum Zungenbein
gehende Muskulatur begrenzt wird, vorn und hinten aber offen ist.
Die vordere Oeffnung ist die, von den zwei wagrechten, gcwulsteten,
mit Empfindlichkeit und Tast vermögen begabten Lippen, Labia,
begrenzte Mundspalte (Eima oii^, oroixa), an deren Saume das
äussere Integument mit der Schleimhaut des Verdauungsorgans in
Verbindung tritt. Beide Lippen (ystXea, von x^^iv Xi^ov, quod vocem
effundant), werden durch eine von ihrer inneren Fläche senkrecht
sich erhebende Schleimhautfalte (Frenidum labii superloris et inferwris)
an das hinter ihnen befindliche Zahnfleisch geheftet, und besitzen,
wegen ihrer nothwendigen Mitwirkung beim Kauen, Sprechen,
Saugen, Blasen, Pfeifen, etc. einen so hohen Grad von Beweglich-
keit, dass die Mundspalte die verschiedensten Formen annehmen
kann. In der Mitte der Oberlippe befindet sich ein, gegen die
Nasen Scheidewand sich erstreckendes Grübchen, Phätrum genannt
(qula amoris illecebra in eo continetur, nach Spigelius).
Der Schleimhautüberzug der Lippen setzt sich auf die innere
Fläche der Backen fort, wo er, dem zweiten oberen Backenzahn
gegenüber, in die Mündung des Ausfuhrungsganges der Ohrspeichel-
drüse eindringt. Von den Backen und Lippen schlägt er sich zur
vorderen Fläche der Alveolarfortsätze der Kiefer um, schliesst als
nv«i T.«itfin^ a«r Aiuitomi«. 14. Aufl. 41
642 S* ^M4. Weicher Gaumen, IHkmiu fBtueium, and Handeln.
Zahnfleisch die Hälse der Zähne ein, und gelangt zwischen
je zwei Zähnen aus der vorderen Mundhöhle in die hintere. In
der hinteren Mundhöhle überzieht er den Boden und das Dach
derselben: den harten Gaumen. Vom Boden erhebt er sich falten-
förmigy um das Zungenbändchen (Frentdum linguae) , welches
vorzugsweise aus elastischen Fasern besteht, zu überziehen, und so
fort die ganze freie Oberfläche dieses Organs einzuhüllen. Rechts
und links vom Zungenbändchen, dringt er in die Mündungen der
Ausführungsgänge der Unterkiefer- und Unterzungen-Speicheldrüse
ein. Am harten Gaumen verdickt er sich ansehnlich, hängt durch
sehr derbes Bindegewebe mit der Beinhaut des knöchernen Gaumens
innig zusammen, und bildet, bevor er durch die hintere OeflFnung
der Mundhöhle in die Rachenhöhle übergeht, eine vom hinteren
Rande des harten Gaumens, gegen die Zungenbasis herabhängende
Falte — den weichen Gaumen, Pcdatum molle, s. mobäe, s.
pendtUum,
Die Schleimhaut der Mundhöhle beaitsst, ausser den sie vorzugsweise bilden-
den Bindegewebsfasern, einen ziemlichen Reichthum an elastischen Fasern. Ihre
freie Oberfläche ist mit einem geschichteten Pflasterepithel überzogen. Die Zellen
der obersten Schichte dieses EpiÜiels, sind zu Plättchen abgeflacht, während die
tieferen rundlich eckig, und die tiefsten cylindrisch gestaltet sind, und auf der
Schleimhautoberfläche senkrecht aufstehen. Eine grosse Anzahl kleiner, den Tast-
wäBBchen der Haut ähnlicher Papillen, ragt von der freien Fläche der Mund-
schleimhaut in die tieferen Schichten des Epithels hinein. Nebstdem besitzt die
Mundhühlenschleimhaut eine Anzahl von Drüsen (Schleimdrüsen), welche man
allgemein für acinös hält, wogegen Einige ihren tubulösen Bau hervorheben, mit
kolbenförmigen Enden. Sie führen prismatisches Epithel. Man unterscheidet sie
nach dem Ort ihres Vorkommens als Glandulae labiales, huccales, palalinae und
ling^iales» Ihre Grösse und Zahl variirt an verschiedenen Stellen der Mund-
schleimhaut, und ist an der vorderen Fläche des weichen Gaumens am ansehn-
lichsten, wo sie eine continuirliche, anderthalb Linien dicke Drüsenschichte bilden,
welche sich auch auf den harten Gaumen, aber mit nach vom abnehmender Dicke
fortsetzt. Die Glandulae Itrupiale» lagern theils längs des Zungenrandes, theils
am hintersten Bezirk des Zungenrückens. Eine Gruppe von Schleimdrüschen,
welche einwärts vom hinteren Backenzahn lagert, und die Mundschleimhaut etwas
hügelig aufwölbt, wurde von Henle als Glandulae molares benannt
§. 244. Weicher öaumeii, Isthmus faudii/in, und Mandeln.
Der weiche Gaumen, auch Gaumensegel genannt, er-
scheint zunächst als eine bewegliche Grenz wand zwischen der
Mund- und Rachenhöhle, welche aber nicht vertical herabhängt,
sondern schief nach hinten und unten gerichtet ist. Er zeigt uns
eine vordere und hintere Fläche, einen oberen, am hinteren Rande
des harten Gaumens befestigten, und einen unteren freien Rand,
welcher nicht bis zur Zunge herabreicht, und in seiner Mitte einen
§. 844. Weicher OAumen, üUmvs fmueium, und Mandeln. 643
stumpf kegelförmigen Anhang trägt, — das Zäpfchen, Uvtda
(Diminutiv von tiva, wie das griechische (jtofüAi^ von ora^f;, Traube).
Durch das Zäpfchen wird der untere Rand des weichen Gaumens
in zwei seitliche bogenförmige Hälften getheilt. Jede dieser Hälften
theilt sich wieder in zwei, nach vor- und rückwärts von einander
divergirende Schenkel, welche Gaumenbögen, Arcus palatim,
heissen. Der vordere geht zum Seitenrande der Zunge als Gaumen-
zungenbogen, Arcus pcdcUo-glossus. Der hintere setzt sich in die
Schleimhaut der Rachenhöhle fort, als Gaumenrachenbogen,
Arcus palato-pharyngeus. Jeder Schenkel kehrt seinen concaven oder
freien Rand, der Axe der Mundhöhle zu. Zwischen beiden Schenkeln
einer Seite, bleibt ein nach oben spitziger, dreieckiger Raum übrig,
in welchem ein Aggregat von Balgdrüsen liegt — die Mandel,
TonsiUa s. AmygdcUa (griechischer Name für beide Mandeln : dvrtfltöeq,
daher Anüaditis, Halsentzündung). Die Mandel ragt über die inne-
ren Ränder der Gaumenbögen hervor, und kann doshalb von der
Mundhöhle her gesehen werden. — Der zwischen dem unteren Rande
des weichen Gaumens, dem Zungengrunde, und den beiden Mandeln
übrig bleibende Raum, ist die hintere OefFnung der Mundhöhle,
welche zur Rachenhöhle führt, und deshalb Racheneingang oder
Rachenenge, auch Schlund, von dem altdeutschen schlinden, d. i.
schlingen (Isthmus fav^dum), benannt wird.
hthmiis ist Landenge, also festes Land. Eine Oeffhong, wie der Rachen-
eingang, soll aber nicht den Namen eines festen Körpers filhren. Deshalb wäre
Fretum ori» weit besser, als hthmu» faucium, denn Fretum ist Meerenge, auch
Strömung, und passt gut für eine Oeffhung, durch welche alles Genossene geht.
— Das Wort Fattx wird nie im Nomhiativus singularia gebraucht, sondern immer
im Plural. Warum hat nun der einfache Schlund, einen Namen im Plural:
Fauces f In jedem römischen Palais führten dunkle Gänge , durch welche nur die
Sklaven des Hauses verkehrten, aus dem eigentlichen Wohnzimmer, Atrium, in das
innere Peristyl. Es waren ihrer immer zwei, zu beiden Seiten des TaMinum
(Gemach, wo die Famüienpapiere, tabulae, aufbewahrt wurden). Sie Messen des-
halb Fauces, welche Benennung von Celsus (Lib. IV, cap. 4J auf den einfachen
menschlichen Schlund übertragen wurde.
Die Mandeln sind Conglomerate einer sehr veränderlichen
Anzahl von Balgdrüsen (§. 90). Diese Balgdrüsen sind aber sehr
oft nur undeutlich von einander isolirt, und verschmelzen vielmehr
zu einer mehr weniger continuirlichen Schichte von lymphoider
(eonglobirter) Drüsensubstanz. Jede dieser Balgdiüsen ist eine
mehrfach ausgebuchtete und mit der Mundhöhle durch eine relativ
kleine OefFnung communicirende Tasche. Sie ist an ihrer Innen-
fläche von einer Fortsetzung der Mundhöhlenschleimhaut und ihres
Epithels ausgekleidet. Gewöhnlich münden auch acinöse Schleim-
drüsen in die Höhle der Tasche, welche deshalb immer mehr
weniger Schleim enthält. Die Wand der Balgdrüsen wird von
41»
644: §. 845. Die Maskeln des weichen Gaumens.
einem reticulären, an den Knotenpunkten kernhaltigen Binde-
gewebe gebildet, in dessen Maschen eine reiche Menge von
Lyraphkörperchen lagert. Eben die Gegenwart dieser Bälge, deren
Verwandtschaft mit den Alveoli der Lymphdrüsen nicht ver-
kannt werden kann, reiht die Mandel in die Sippe der sogenannten
Balgdrüsen.
Die dem Isthmus faucium zugewendete Fläche der Mandeln,
Iftsst fiinfzehn bis zwanzig OefFnungen erkennen, durch welche
die Balgdrüsen ihren Inhalt, während des Durchpassirens des
Bissens durch den Isthmus fahren lassen, und diese enge Passage
schlüpfrig machen. Diese OefFnungen erinnern an die Grübchen
und Tüpfeln auf der Schale eines Pfirsichkernes (Amtf()JaIw perswa)
— inds nomen.
So lange die zu- und abführenden LymphgefÜsse der BHlg^e in den Man-
deln nicht nachgewiesen werden, fühlen wir uns nicht berechtigt, sie für peri-
pherische Lymphdrüsen zu halten. (Man sehe hierüber §. 08). Ein unpassen-
derer Ort für Lymphdrüsen wäre kaum zu finden gewesen, als die Substanz der
dicken Bälge eines Secretionsorgans, was doch die Mandel unbezweifelbar ist,
da man durch Fingerdruck ein Quantum schleimigen Stoffes aus ihr heraus-
pressen kaim, welchen die Mandel auch hergiebt, wenn sie dtirch den ver-
schlungenen Bissen gedrückt wird, welcher eben dadun'h eine schlüpfrige llin-
hülhmg erhält, wodurch die Passage <lurch den engen hthtmis faucium für ihn
erleichtert wird.
Die Mandeln schwellen bei Entzündungen so bedeutend an, dass sie den
Isthmus, und selbst den, hinter dem Istiimus liegenden Bezirk der Kac.henhölih»
ausfällen, und Erstickung^gefahr bedingen (Angina fawtiliarijtj. Eine bleibende
Vergrössening derselben verursacht beschwerliches Schlingen, genirt di<; Sprache,
veranlasst selbst Schwerhörigkeit wegen der Nähe der Kachenmündung der Ohr-
trompete, und erfordert ihre Ausrottung mit dem Messer. Hei alten Individuen,
welche oftmals an Entzündungen der Mandeln mit partieller Vereiterung derselben
gelitten haben, findet man sie geschrumpft, theilweise oder vollkommen geschwnnden,
und nur ihre Oeffnungen, als seichte Grübchen ohne drüsiges Parenchym, noeli
sichtbar.
Die älteren Namen des Zäpfchens, g^irgHlio und gart/arean, erinnern an
„gurgeln", .YOfyapfi^eiv.
Um eine belehrende Anschauung vom hthmiu faucium zu erhalten, bereite
man sich zwei senkrechte Durchschnitte eines Schädels. Der eine gehe senkrecht
durch beide Augenhöhlen bis in die Mundhöhle, und lasse Unterkiefer nnd Zunge
unberührt. Man bekommt durch ihn eine freie Ansicht des weiclien Gaumens,
seiner Schenkel und der Mandeln, von vom her. Der andere, ebenfalls senkreclite,
aber mit der Nasenscheidewand parallele, theile die Mundhöhle in zwei seitlielie
Hälften. Er giebt die Ansicht des weichen Gaumens, seiner Bogen, und seiner
Beziehungen zur Mund- und Rachenhöhle im Aufriss.
§. 245. Die Muskeln des weichen Gaumens.
Der weiche Gaumen wird durch Muskehi bewegt, welche ent-
weder ganz, oder nur mit ihren Enden, zwischen seinen beiden
§. 845. Die Maskeln des weichen Oaamene. 645
Schleimhautblättern liegen, ihn heben, senken, oder in der Quere
spannen, und dadurch die Weite und Gestalt des hihmm faucium
verändern.
Die Mosküln des weichen Gaumens können am besten nur von hintenher
präparirt werden. Man hat somit die Wirbelsäule abzutragen, den Rachensack zu
öffnen, und findet sie leicht nach Entfernung des hinteren Blattes der Schleimhaut
des weichen Gaumens bis zur Eustachischen Trompete hinauf.
Nur Ein Gaumenmuskel ist scheinbar unpaar, die übrigen
paarig.
Der unpaare Azygo8 umdae geht von der Spina palatina (hin-
terer Nasenstachel) zum Zäpfchen herab. Er besteht immer aus
zwei ganz gleichen, bis zur innigsten Berührung genäherten Hälften,
und ist somit eigentlich kein Muscidus azygos, d. h. ohne Gespann.
Der Levator veli palcUini 8. Petro-salpingchstaphylinus (von x^Tpa,
Felsen, GaXxiY^, Trompete, oTa^üXtJ, Zäpfchen) entspringt vor dem
carotischen Kanal an der unteren Felsenbeinflächc, so wie auch von dem
Knorpel der Eustachischen Ohrtrompete, und verwebt seine Fasern
im weichen Gaumen theils mit den Fasern des Azygos, theils fliessen
sie, in einem nach abwärts convexen Bogen, mit jenen des gleich-
namigen Muskels der anderen Seite zusammen.
Der Tensor palati 8. Circumflexus, 8, Spheno-8alpingo-8taphy Units,
liegt als ein platter und dünner Muskel an der äusseren Seite des
vorigen, zwischen ihm und dem Urspininge des Pterygoidexis internus.
Er entsteht an der Spina angularis des Keilbeins und an der knorpe-
ligen Ohrtrompete, umschlingt mit seiner breiten Endsehne den Haken
der inneren Lamelle des Flügelfortsatzes, und lässt die Fasern
dieser Sehne im weichen Gaumen ausstrahlen, wo sie theils an den
hinteren Rand des harten Gaumens sich inseriren, theils mit jenen
des gegenständigen Tensor verschmelzend, eine Aponeurose erzeugen,
welche als eigentliche Grundlage des weichen Gaumens angesehen
werden mag. Der Muskel ist somit nicht, wie die übrigen, gerad-
linig, sondern bildet einen Winkel, dessen Spitze an dem Haken
des Flügelfortsatzes liegt- (Schleimbeutel).
Der Musculus palato-glossus und palafo-pharyngeus liegen in den
gleichnamigen Schenkeln des weichen Gaumens eingeschlossen. —
Alle Gaumenmuskel sind kürzer als ihre griechischen Namen.
Der {«ch wache Palato-glosaus führt auch den Namen Constrictor isthmi faucium,
weil er unter der vorderen drüsenreichen Schleimhautplatte des weichen Gaumens,
in jenen der anderen Seite bogenförmig (nach oben convex) übergeht, somit den
weichen Gaumen niederzieht, und den concaven Rand des Arcus palcUo-gloagus
nach einwärts vorspringen macht, wodurch der Isthmus faucium von oben und
von den Seiten verengert wird. — Der Palato-pharyiigeus, bei weitem stärker als
der PaUUo-fflossus, hängt mit der Aponeurose des Tensor palati zusammen, auf
welcher auch die Fasern der beiderseitigen Palato-pharyngei bogenförmig in ein-
ander übergreifen. I» ^'^igend, befestigt er sich
646 §. 146. Z&lme. Sirnctnr derselben.
theils am hinteren Rande des Sckildknorpels, theils verliert er sich in der hinteren
Pharynxwand, deren Längenmuskelfasem er vorzugsweise zu liefern scheint. Ein
befriedigendes Präparat des Pulato-glossits und PaUUo-pharyinjetm imd ihrer Bogen
im weichen Gaumen, ist eine sehr schwierige Aufgabe der Muskelpräparation.
LKsst man am Lebenden, dessen Hals untersucht werden soll, bei geöiTnetem
Munde eine tiefe Inspiration machen, oder den Vocal a aussprechen, so erhebt
sich der weiche Gaumen, der Isthmus wird grösser, und man kann durcli ihn hin-
durch, einen grossen Theil der hinteren Rachenwand übersehen. Lässt man
Schlingbewegungen machen, welche ohnedies häufig unwillkürlich eintreten, wenn
man mit der Mundspatel den Zungengrund nach abwärts drückt, so sieht man,
wie sich die concaven Ränder der Gaumenschenkel gerade strecken, und »ich
(namentlich jene der vorderen) so weit nähern, dass nur eine kleine Spalte
zwischen ihnen frei bleibt, welche durch das herabhängende Zäpfchen verlegt
wird. Durch diese Spalte muss der zu verschlingende Bissen durchgepresst werden.
Auch beim Singen hoher Töne, nimmt der Isthmus die Gestalt einer senkrechten
Spalte an.
§. 246. Zähne. Structur derselben.
Die Zähne, Dentes, bilden sammt den Kiefern die passiven
Kauwerkzeuge. Sie eignen sich durcli ihre Härte sowohl, wie durch
ihre Form, welche Meissein, Keilen, oder Stampfen gleicht, zu
mechanischen Zertrümmerungsmittcln der Nahrung. Grosse Zähne
kommen deshalb mit weiten Mundspalten, starken Kiefern, und
kräftigen Beissmuskeln vor.
Jeder Zahn ragt mit einer nackten Krone in die Mundhöhle
frei hinein. Auf die Krone folgt der vom Zahnfleisch umschlossene
Hals. Der in die Lücken des Alveolarfortsatzes, wie der Nagel
in die Wand eingetriebene, konische, und mit einem Periost ver-
sehene Endzapfen des Zahnes, heisst Wurzel.
Hals und Krone schliessen zusammen eine Höhle ein, welche
mittelst eines feinen, durch die ganze Länge der Wurzel verlaufen-
den Kanals, an der Spitze der letzteren ausmündet (Canalis radlcis).
In dieser Höhle liegt die Pulpa dentis (Zahnkeim), ein weicher,
aus undeutlich faserigem, kernfuhrendem Bindegewebe zusammen-
gesetzter Körper, zu welchem Gelasse und Nerven durch den
Wurzelkanal eindringen. Eine mehrfache Schichte kernhaltiger Zellen
überzieht die Oberfläche des Zahnkeimes. Die Pulpa ist ein Uobor-
rest der embryonischen Zahnpapille, welche das Modell darstellte,
um welches sich die harte Masse des Zahnkörpers bildete. Der
Nervenreichthum der Pulpa ist ein wahrhaft überraschender. Kr
erklärt die hohe Emptindlichkeit dieses Organs, Avelches, wie der
Zahnschmerz jedem von uns gelehrt hat, trotz seiner Kleinheit, den
Sitz eines unerträglichen Leidens abgiebt, für welches es nur Ein
radicales Heilmittel giebt — das Ausziehen des Zahnes.
S. M6. Zilm«. Siractar darselben. 647
Man unterBcheidet an jedem Zahn drei Substanzen:
1. Der Schmelz oder das Email (Svbstantia adamantina s,
Encauston dentis). Er bildet die äussere^ sehr harte und feste Rinde
der Krone, welche an der Kaufläche des Zahnes am dicksten ist,
sich gegen den Hals zu verdünnt, und mit scharf gezeichnetem
Rande plötzlich aufhört. Er deckt somit den freien, in die Mund-
höhle hineinragenden Theil des Zahnes, wie eine dicht aufsitzende
Kappe. — Der Schmelz repräsentirt die härteste Substanz, welche
im thierischen Haushalt erzeugt wird. Die Zahnärzte, welche das
Abfeilen des Schmelzes oft genug vorzunehmen haben, klagen darüber,
dasB die besten englischen Feilen in kurzer Zeit sich an ihm
stumpf reiben. Er besteht aus prismatischen, etwas geschlängelten;
äusserst feinen und soliden Fasern (Schmelzfasern), welche der
Bruchfiäche der Krone Seidenglanz geben. Sie liegen so dicht zu-
sammen, dass sich eine Zwischensubstanz nicht nachweisen lässt.
— Eine structurlose , d. i. nicht gefaserte, sehr dünne Schichte,
deckt die freie Oberfläche des Schmelzes. Diese ist das sehr un-
passend sogenannte Schmelzoberhäutchen. — Der Schmelz
verdankt seine Härte denselben Kalksalzen , welche wir in der
Knochensubstanz kennen gelernt haben (§. 77). Das Verhältniss
dieser Salze zum organischen Bestandtheil des Schmelzes ist aber
wie 10 : 1, — im ausgewachsenen Knochen nur 3 oder 4:7.
2. Das Zahnbein oder Dentin (Ebur 8, Substantia propria
dentis), bildet den Körper des Zahnes, und umschliesst zunächst
die Zahnhöhle und den Wurzelkanal. Es besteht aus feinsten Röhr-
chen, und einer, diese unter einander verbindenden, structurlosen,
sehr harten Grundmasse oder Kittsubstanz. Diese Grundmasse ent-
hält dieselben Kalksalze, welche den erdigen Bestandtheil der
Knochen bilden (daher der Name Zahnbein). — Die Röhrchen
des Zahnbeins beginnen mit offenen Mündungen in der Zahnhöhle
und im Wurzelkanal. Sie sind sanft wellenförmig gebogen (nach
Welcker korkzieherartig gewunden) und gegen die Oberfläche zu
vielfach gabelförmig getheilt. Ihre Richtung, welche man lange als
radiär gegen die Oberfläche des Schmelzes bezeichnete, ist in der
That eine sehr verschiedene, so dass es zu wahren Kreuzungen
derselben kommt, und an Schlifien des Zahnbeins, eine Anzahl
Röhrchen in der Längenansicht, eine andere im Querschnitt sich
präsentirt, wodurch mitunter sehr regelmässige Zeichnungen ge-
geben werden. Die zahlreichen Aeste der Röhrchen anastomosiren
theils noch im Zahnbeine mit benachbarten, theils dringen sie in den
Schmelz ein, wo sie blind endigen sollen, oder sie münden in die
zwischen Zahnbein und Cement befindlichen Interglobularräume ein,
von welchen später. Sichergestellt ist es, dass viele von ihnen in
die gleich zu erwähnende Rinde der Zahnwurzel (Cement) üb^r*
648 §.246. Zähne. Stracinr derselben.
treten, und sich mit den Aestehen der daselbst befindlichen Knochen-
körperchen verbinden. Man dachte sich, dass diese Röhrchen des
Zahnbeins eine, zur Ernährung des Zahnes dienende Flüssigkeit,
den Zahnsaft, enthalten, welcher aus den Blutgefässen der Zahn-
pulpa stammt. Toraes zeigte jedoch, dass sie weiche, durchsichtige,
und sehr feine Fasern einschliessen, in welchen er Ausläufer jener
Zellen erkannte, mit welchen die Oberfläche des Zahnkeims über-
zogen ist (Odontoblasten). Zwischen diesen Fasern, und den
Röhrchen des Zahnbeins, in welchen sie liegen, befindet sich aller-
dings ein Minimum von Ernährungsflüssigkeit. — Behandlung des
Zahnbeins mit verdünnter Salzsäure löst, wie am Knochen, die
erdigen Bestandtheile desselben auf, und hinterlässt einen, dem
Knochenknorpel ähnlichen Rückstand, den Zahnknorpel.
Da dem Gesagten znfolge die Stmctnr des Zahnbeins eine röluige ist, so
ist der Name Zahnbein nicht glücklich gewählt. Beine (Knochen) besitzen ja
keinen röhrigen Bau. — Jener Theil des Zaimbeines, welcher die Höhle des
Zahnes zunächst umschliesst, lässt uns nmdliche Vorspdinge erkennen, welche
den von Czermak entdeckten Zahnbeinkngeln angehören. Die Zahnbein-
kugeln stehen mit der Ablagenmg von Kalksalzen in der anfanglich weichen
Substanz des Zahnes in nächster Beziehung. Diese Ablagerung erfolg^ nämlich
in Form rundlicher Massen, welche zwar immer mehr und mehr mit einander zu-
sammenflicssen, aber dennoch nicht so vollständig, dass nicht unverkalkte Theile
der ursprilnglichen weichen Zahnmasse zwischen ihnen zurückblieben, welche dann
beim Trocknen des Zahnes, durch Einschrumpfen schwinden, so dass an ihrer
Stelle Lücken erscheinen, welche Jnterglobularräume genannt werden.
3. Die Wurzel rinde (Crusta ostoides radids), gewöhnlich
Cement genannt, findet sich nur an der Oberfläche der Wurzeln
der bleibenden Zähne. An den Milchzähnen fehlt sie. Sie besitzt,
nebst dem concentrisch-blätterigen Bau, auch die mikroskopischen
Elemente der Knochen: die Müller'schen Knochenkörperchen,
jedoch unregelmässiger gestaltet, und nur mit spärlichen Aestehen.
Die Beinhaut der Alveoli der Kiefer ist zugleich die Beinhaut der
Zahnwurzel (Periodont tum). Sie hängt an die Zahnwurzel nur locker
an, und besitzt einen grösseren Reichthum an Nerven, als irgend
ein anderes Periost (Kölliker). — Als Grenzlinie zwischen Zahn-
bein und Wurzelrinde, wird an feinen Längenschnitten des Zahnes
ein bei durchgehendem Lichte dunkler Streifen gesehen, in welchem
sehr grosse Knochenkörperchen liegen, deren Aestehen sich mit
jenen der Wurzelrinde verbinden, und ganz bestimmt auch mit
den Röhrchen des Zahnbeins comrauniciren. An der Spitze der
Zahnwurzel setzt sich die Rinde noch etwas über die Spitze des
Zahnbeins fort, und bildet dadurch allein den Anfang des Zahn-
kanals.
Ans der zahlreichen Literatur über den Bau der Zähne, hebe ich nur fol-
gende neuere Arbeiten heraus:
§. S47. Formen der Z&hne. 649
Kruckenberg, Beitrag zur Lehre vom Röhrensystem der Zähne und Knochen,
in MiiUer's Archiv. 1849. — </. Czennak, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie.
1850. — H, Welcher, Zeitschrift für rat. Med. N. F. VIII. Bd. — Tomea (Zahn-
fasem) Phil. Transact. 1846. P. II. — Bobin und Magüot, Jonmal de physiol.
1860 und 1861. Sehr ausführlich. — lieber Bau und Entwicklung der Zähne,
H, Herz, im Archiv für pathol. Anat 37. Bd. — Die Arbeiten von BoU und Hohl
im Archiv für mikrosk. Anat. 1866 und 1868, und jene von Pfliiger und Miihl-
riUer in der Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde, 1867 und 1868, — J. KoU-
rtiann, Entwicklung der Milch- und Ersatzzähne. Leipzig, 1869. — Waldeyer^a
Entwicklung der Zähne, Danzig, 1864, enthält eine vollständige Literatur über
Bau und Entwicklung der Zähne. — Hauptwerk für vergleichende Anatomie
der Zähne, ist die prachtvolle Odontographie von R, Owen, 2 Bände. London,
1840—1846.
§. 247. Formell der Zähne.
Die Zahl der bleibeuden Zähne beträgt zweiunddreissig. Jeder
Kiefer trägt sechzehn. Sie werden in die vier Schneide-, zwei
Eck-, vier Backen- und sechs Mahlzähne eingetheilt.
Die vier Schneidezähne (Dentes incisivi, Tojxe^) haben raeissel-
artig zugeschärfte Kronen, mit vorderer convexer und hinterer
concaver Fläche. Der Hals und die einfache konische Wurzel ist
an den Schneidezähnen des Unterkiefers seitlich comprimirt, an
den Zähnen des Oberkiefers mehr rundlich. Die beiden inneren
Schneidezähne sind im Oberkiefer stärker, und haben breitere
Kronen als die äusseren. — Da die Schneidezähne des Oberkiefers
beim Lachen sich entblössen, hiessen sie bei den Griechen feXaafvoi,
von YsXao), lachen. Bei Martial ist aber Gda^inus das Lach-
grübchen der Wange, welches auch als Umbilicus Veneris bei älteren
Anatomen erwähnt wird.
Die zwei Eckzähne (Dentes angulares, cardni, cuspidati, xüvo-
BovTs;), auf jeder Seite einer, haben konisch zugespitzte Kronen,
und an der hinteren Seite der Krone zwei massig vertiefte Facetten.
Ihre starken, einfachen, zapfenftirmigen Wurzeln, zeichnen sich an
den Eckzähnen des Oberkiefer», welche Augenzähne genannt
werden, durch ihre Länge au8.
Die vier Backenzähne (Dentes buccales), gewöhnlich auch
kleine oder vordere Stockzähne genannt, zwei auf jeder Seite,
haben etwas niedrigere Kronen als die Eckzähne, und entweder
zwei Wurzeln, oder nur eine einfache, seitlich plattgedrückte, an
welcher eine longitudinale Furche die Tendenz zum Zerfallen in
zwei Wurzeln andeutet. Ihre Mahlflächen zeigen einen äusseren
und inneren stumpfen Höcker (Cvspis). Sie fuhren deshalb auch
den Namen Bicuapidatu
650 §• 847. Formen der Z&hne.
Die sechs Mahl- oder Stockzähne (Dentes molares, jxuXa'.),
drei auf jeder Seite, zeichnen sich durch ihre Grösse und durch
mehrfache Höcker auf ihren Kauflächen aus. Die Stockzähne des
Oberkiefers haben in der Regel drei divergirende konische Wurzeln,
jene des Unterkiefers nur zwei, deren jeder man es wieder ansieht,
dass sie durch die Verwachsung zweier konischer Wurzeln ent-
stand. Der erste Mahlzahn ist der grösste, der zweite etwas kleiner
als dieser, aber grösser als der letzte, — ein Grössenverhältniss,
welches bei den menschenähnlichsten Affen sich umkehrt, indem
die Mahlzähne, vom ersten zum dritten, an Grösse zunehmen. Die
Kronen der Mahlzähne des Oberkiefers besitzen vier, jene des
Unterkiefers fünf Höcker, und zwar entsprechen drei dem äusseren,
zwei dem inneren Kronenrande. Der letzte Mahlzahn beider Kiefer,
heisst seines späten, erst im sechzehnten bis fiinfundz wanzigsten
Lebensjahr erfolgenden Durchbruches wegen: Weisheitszahn,
Dens serotiims s, dens sapientiae. Hippocratcs nennt ihn aa)fpovr|(7T/|p,
qtUa non erumpit jmus, quam homo sapientias studio idoneus evaserit.
Der Weisheitszahn hat eine kleinere, gewöhnlich nur dreihöckerige
Krone, zugleich kürzere und mehr convergente Wurzeln. Seine
Wurzeln verschmelzen nicht selten zu einem einzigen, konischen
Zapfen, welcher gerade oder gekrümmt, und im Unterkiefer gegen
die Basis des Kronenfortsatzes gerichtet ist. — Es giebt Neger-
schädel, welche in beiden Kiefern acht Mahlzähnc haben. Diese
Vermehrung der Mahlzähne kommt auch beim Orang-Utang nicht
eben selten vor.
Obwohl die Natur schon in den fdihen Perioden der Entwicklung des
Embryo (Ende des zweiten Monats) mit der Bildung der Zähne beginnt, so wird
sie doch so spät damit fertig, dass erst im sechsten oder siebenten Monate nach
der Geburt, die inneren Schneidezähne des Unterkiefers durchbrechen können,
welchen bald nachher jene des Oberkiefers folgen. Nach vier bis sechs Wochen
brechen die äusseren Schneidezähne de« Unter- und Oberkiefers hervor. Nun
sollten der Tour nach die Eckzähne kommen. Es erscheinen aber früher, und
zwar am Beginn des zweiten Lebensjahres, die unteren und oberen ersten Backen-
zähne, und erst, wenn diese ihren Platz eingenommen haben, kommt der Eckzahn
(im achtzehnten Monat), worauf dann zuletzt die äusseren Backenzähne zu Tage
treten. Am Ende des zweiten Lebensjahres zählt das Kind zwanzig Zähne. Es
folgen nun keine anderen nach, da der kindliche Kiefer keinen Raum für sie hat.
Diese zwanzig Zähne heissen Milchzähne, DerUes ladet a, cadtici. Die Schneide-
und Eck-Milchzähne sind kleiner als die bleibenden, die Backen -Milchzähne
dagegen grösser. Letztere ähneln durch ihre breite, viereckige, mit vier oder
fünf Erhabenheiten besetzte Krone, den bleibenden Stockzähnen, mit welchen sie
auch durch die Zahl ihrer Wurzeln übereinstimmen. — Die Milchzähne bleiben
bis Bum siebenten oder achten I^ebensjahre stehen, wo sie in derselben Ordnung,
als sie geboren wurden, ausfallen, und den bleibenden Zähnen, welche zum Aus-
bniche bereit im Kiefer vorliegen, Platz machen. Sind alle zwanzig Milchzähne
durch bleibende ersetzt, so folgen noch auf jeder Seite drei Stoekzähne nach,
wodurch die Zahl der bleibenden Zähne auf zweiunddreissig gebracht wird. Die
§. M8. Zahnfleisch. 651
Zeiten des Durchbraches der bleibenden Zäbne zählen aber nicht nach Monaten,
wie jene der Milchzähne, sondern nach Jahren (Schneidezähne achtes Jahr
Backenzähne zehntes Jahr, Eckzähne eilftes Jahr, zweiter Mahlzahn zwölftes Jahr,
dritter zwanzigstes bis fünfundzwanzigstes Jahr, der erste Mahlzahn aber schon
im achten Jahr, gleich nach Ausfallen des zweiten Milchbackenzahns). — Den
Durchbrach der Milchzähne begreift man als DentiUo prima, — den Wechsel der-
selben mit den bleibenden Zähnen, als DenHUo secunda.
§. 248. ZahnfleiscL
Zahnfleisch, Gingiva, ouXov, heisst jene harte Partie der Mund-
schleimhaut, welche die Hälse der Zähne umgiebt, und sie zuweilen
so knapp umschliesst, dass sie abgelöst werden muss, bevor der
Zahn ausgezogen werden kann. Das Zahnfleisch ist wenig empfind-
lich, aber äusserst gefassreich, blutet deshalb leicht beim Bürsten
der Zähne und bei stärkerem Saugen. Man unterscheidet an ihm
eine vordere und eine hintere Wand oder Platte, welche zwischen
je zwei Zähnen durch Zwischenspangen mit einander zusammen-
hängen, und nach Verlust der Zähne m ihrer ganzen Länge mit
einander verschmelzen. — Das Zahnfleisch sorgt nicht für die Er-
nährung, sondern für die Befestigung des Zahnes. Lockert sich das
Zahnfleisch auf, wie bei Speichelfluss und Scorbut, so wackeln die
Zähne. Das Zahnfleisch und die Einkeilung der Zahnwurzeln in
die Alveolarfortsätze der Kiefer befestiget jedoch die Zähne nicht
in dem Grade, dass ihnen nicht ein Minimum von Beweglichkeit
erübrigte. Diese Beweglichkeit fuhrt nothwendig zu Reibungen
der Seitenflächen je zweier Zahnkronen beim Kauen. Daraus erklären
sich denn auch die an diesen Seitenflächen vorkommenden kleinen
Abreibungsflächen.
Bei Entfernung von Zähnen, welche ihre Kronen fast ganz durch Caries
verloren haben, muss, weil die Zange nur am Halse des Zahnes sicher fassen kann,
das Zahnfleisch jedesmal abgelöst und gegen die Wurzel zurückgedrängt werden.
An der hinteren Wand des Zahnfleisches erwähnt Serres (M4m. de la
Socidt^ d'imulalion. Toni. VIII. pag. 128), kleine, hirsenkomgrosse Dröschen, welche
eine schleimige Flüssigkeit absondern. Diese Flüssigkeit soll den Zahn oberfläch-
lich gleichsam einölen (wie das Hautsebum die Epidermis), um ihn dauerhafter zu
machen. Er nannte sie (jlnndes dentaires. Krankhafte Verändenmg dieses Secretes
soll den Zahnstein bilden, welcher nach Serres nicht als Niederschlag des
Speichels angesehen werden kann, da seine chemische Analyse mit jener der fixen
Bestandthcile des Speichels nicht übereinkommt. Meckel hat diese Drüschen
für kleine Abscesse gehalten. Solche Drüsen existiren nun im Zahnfleisch durch-
aus nicht, wohl aber kommen daselbst rundliche. Mos aus angehäuften Pflaster-
zellen bestehende Körper vor, welche entweder im Inneren des Zahnfleisches,
oder in gnihigen Vertiefungen seiner Oberfläche lagern, und über deren Natur
sich eine bestimmte Aussage nicht machen lässt — Im Schleime, welchen man
mit dem Zahnstocher zwischen den Zähnen herausholt, leben, nebst ästigen Faden-
pilMD, nnsiUill«^ — »-««-j«» «i«k ^ttornd bewegende Wesen thierischer Nalur
Od2 S> S-iS. Bntwicklong and LebenscigeoschafteD der Zähne.
(Vibrio derUicolaJ. He nie vermnthet, das8 die Caries der Zähne mit der Wuche-
rung dieser Parasiten in Verbindung stehe, welche Annahme dnrch dsm Vor-
kommen ähnlicher Parasiten bei anderen geschwungen Processen , wie bei
Aphthen, Kopfg^rind, Sycosis, zulässlich erscheint Man dl ist zu weit gegangen,
wenn er den Zahnstein für die petrificirten Leiber abgestorbener Infusorien des
Zahnschleims hält. — Die chemische Zusammensetzung des Zahnsteins (phosphor-
saure Salze, Ptyaiin, Schleim), und seine theilweise Löslichkeit in vegetabilischen
Säuren und Alkohol, erklärt es, wanim Obstliebhaber und Branntweintrinker ge-
wöhnlich sehr weisse Zähne haben. — Bei alten Leuten wird der Zahnstein
zuweilen in so grosser Menge abgelagert, dass er Zähne, die sonst schon lange
ausgefallen wären, noch an ihre Nachbarn festhält.
§. 249. Entwicklung und Lebenseigenschaften der Zähne.
Die Kiefer des Embryo bilden am Schluss des zweiten Monats
Rinnen, welche mit dem Epithel der Mundhöhle ausgekleidet sind.
Dieses Epithel wuchert zu einem Zellenstrang heran, welcher im
Grunde der Rinne an Dicke zunimmt, gegen die Mundliöhle zu
aber, durch Connivenz der Ränder der Rinne, verdünnt wird. Da
sich aus diesem Zellenstrang, durch Umwandlung seiner Zellen in
Fasern, und Verkalkung dieser Fasern, der Schmelz der Zähne
bildet, heisst er der Schmelzkeim. Vom Grund der Rinne wachsen
Papillen empor, welche gleichfalls aus Zellen bestehen. Die ober-
flächlichen Zellen der Papillen machen eine Metamorphose durch,
deren Ergebniss die Bildung des Zahnbeins ist, während die tiefen
Zellen der Papille die zukünftige Pulpa dentis darstellen. Durch
das Anwachsen der Papillen, welche Gefösse und Nerven bekommen,
drängen sie sich in den Schmelzkeim ein. Da nun gleichzeitig auch
Scheidewände zwischen den einzelnen Papillen emporwachsen,
welche sich gleichfalls in den Schmelzkeim eindrängen, und den-
selben so zu sagen in Stücke zerschneiden, so wird jede Papille
ihren Antheil von Schmelzkeim erhalten, welcher auf der Papille
wie eine Kappe aufsitzt. Mittlerweile hat sich die Rinne der Kiefer,
durch Bildung des Zahnfleisches, oben gänzlich geschlossen, die
Scheidewände haben die Rinne in Fächer abgetheilt, und jedes Fach
enthält einen werdenden Zahn, wesshalb die Fächer von nun an
Zahnsäckchen genannt werden. Wie aus den Zellen des Schmelz-
keims die Fasern des Schmelzes entstanden, so entstehen aus den
oberflächlichen Zellen der Papille die Röhrchen des Zahnbeins, in-
dem diese Zellen sich verlängern und Fortsätze austreiben, welche
sich verästeln, und um welche herum sich Knochenerde in Röhren-
form ablagert.
Die tiefen Zellen der Papille entwickeln sich zu Bindegewebe,
welches den Körper der Pulpa dentis bildet. Hat sich der Zahn so
weit entwickelt, dass seine Form schon zu erkennen, namentlich
§. 249. Entwicklung und LebenBeig«n8ehaft«n d«r Zfthne. 653
auch seine Wurzel (welche erst nach der Krone entsteht) schon
vorhanden ist, so wird das Periost des Alveolus, in welcher die
Wurzel steckt, eine Schichte wahrer Knochensubstanz um die
Wurzel herum erzeugen, wie das Periost der langen Knochen sich
auf gleiche Weise an der Bildung der secundären Knochensubstanz
betheiligt (§. 85). Diese Knochenschicht ist das Cement. In Kürze
also ausgedrückt, geht die Bildung des Zahns von drei Seiten aus:
1. vom Mundhöhlenepithel (Email), 2. von der Zahnpapille (Zahn-
bein, und 3. vom Periost (Cement).
Die Bestimmung des Zahnes, als passives Kauorgan zu dienen,
bedingt seine physischen Eigenschaften, seine Härte und seinen
geringen Antheil an animalischen Substanzen, welcher im Email
ein Zehntel, nach Berzclius sogar nicht einmal ganz zwei Procent
beträgt. Der erdige Bestandtheil des Emails enthält an phosphor-
saurem Kalk und Fluorcalcium 88,50, an kohlensaurem Kalk 8,00,
und an phosphorsaurer Talkerde 1,50. Darum wird der Zahn von
Säuren so leicht angegriffen. Der animalischen Substanz liegt es
ob, die Bindung der mineralischen zu vermitteln, weil nach Zer-
störung der ersteren durch Calciniren, oder im lieben durch An-
wendung alkalischer Zahnpulver, z. B. der Tabaksasche, der Zahn
auffallend brüchig wird, und leicht zerbröckelt.
Wahr ist es, dass ein vollkommen ausgebildeter Zahn nicht
mehr an Grösse zunimmt, und die Natur deshalb gezwungen ist,
die Milchzähne, welche nur für den kindlichen Kiefer berechnet
sind, und für den entwickelten Beissapparat zu klein gewesen wären,
wegzuschaffen, und durch grössere zu ersetzen. Allein das Stationär-
bleiben der Grösse eines Zahnes, schliesst einen inneren Wechsel
seines Stoffes nicht aus. Der Zahn kann ja erkranken, und muss
deshalb leben. Gewiss dringen von der Zahnhöhle aus Nahrungs-
säfte in die Kanälchen des Zahnbeines ein, und dienen dem Leben
des Zahnes. Dass dieses Leben im Zahne, wie im Knochen, fort-
während wirkt und schafft, beweisen die Fälle von geheilten Zahn-
fracturen (sehr lehrreich jener im Breslauer Museum). Ich besitze
selbst einen durch Callus geheilten Bruch des Halses eines mensch-
lichen Schneidezahns, und den Schliff eines Elephantenzahnes mit
geheilter Fractur. — Die Veränderung der Zähne in gewissen
Krankheiten, z. B. das Aendern ihrer Farbe und ihr Durchscheinend-
werden bei Lungensüchtigen, ihr Brüchigwerden bei Typhösen, so
wie das Schwinden der Wurzeln der Milchzähne vor ihrem Ausfallen,
spricht ebenso überzeugend für das Dasein einer inneren Metamor-
phose. Diese Metamorphose beschränkt sich aber im fertigen Zahn,
nur auf das Erhalten des Bestehenden. Durch Abnützung oder
durch Feilen Verlorenes, wird dem Zahne nicht wieder ersetzt.
Abgesprungene Kanten werden nicht reproducirt. — Die Erschütte-
654 S- *50. YarieUten der Z&line.
rung der kleinsten Zahntheilchen^ welche sich beim Beissen auf ein
Sandkorn^ bis zur Pvlpa dentis fortpflanzt, lässt dem Zahne (oder
vielmehr den Nerven seiner Pulpa) auch Gefuhlseindrücke zu-
kommen.
Im vorgerückten Alter fallen die Zähne in der Regel aus.
Verknöcherung der Zahnpulpa, Obliteration der Zahnarterien und
der Kanälchen des Zahnbeins, sind die Ursachen davon. Im
Greisenalter neu zum Vorschein kommende Zähne sind entweder
wirkliche Neubildungen, oder erklären sich auch einfach durch den
Umstand, dass, wenn beim Wechseln der Zähne, ein Zahn, der
sich zwischen zwei andere hineinschieben soll, z. B. ein Eckzahn,
keinen Platz findet, und auch nicht als Ueberzahn an der vorderen
oder hinteren Wand des Alveolus vorbricht, er im Kiefer stecken
bleibt, und erst nach dem Ausfallen eines seiner Nebenzähne zum
Vorschein kommt. Nebst den älteren Berichten über eine Dentitio
tertia senilis von Diemerbroeck, Foubert, Blancard und
Palfyn, bestätigten auch neuere Beobachtungen (gesammelt von
E, H. Weher, in dessen Ausgabe der Hüdebrandt* sehen Anat. 4. Bd.)
ihr Vorkommen.
Das vorschnelle Zngnindegehen der Zlihnef welches seihst durch die ängst-
lichste Sorgfalt beim Reinigen der ZHline nicht hintangehalten werden kann,
scheint am meisten durch den plötzlichen Temperaturwechsel bedingt za werden,
welchem die Zäline bei unserer Lebensweise unterliegen. Man denke an die
heisscn Suppen bei Winterkälte, an das Wassertrinken auf heissen Kaffee, an
den beliebten Genuss von Gefrornem und Eiswasser im Sommer, u. s. w. In
Obersteyer, wo das heisse Schmalzkoch eine Lieblingsnahrung der Landlente
ist, findet man kaum eine Bauemdime ohne eingebundenes Gesicht, und unter
den Städtern sind schöne Zähne leider eine solche Seltenheit, dass, wenn man
deren zu sehen bekommt, sie in der Regel falsch sind. — Mein Vater hatte in
seinem fünfundachtzigsten Lebensjahre noch fast alle Zähne. Seit seiner Kindheit
pflegte er sich dieselben mit Pulvut fol, salvicte und carh. tÜiae zu reinigen, und
schrieb diesem diätetischen Mittel die ungewöhnlich lange Erhaltung seiner Zähne
zu. Als in meinem fünfzigsten Jahre, alle meine Zähne locker zu werden und
nach einander auszufallen begannen, habe ich durch täglich zweimaligen Gebrauch
desselben Mittels, ihr Festwerden und ihre Erhaltung erzielt Die Salvia verdient
sonach das gerechteste Lob, welches ihr schon die Salernitanische Schule im
Uebermaass spendete. Sie wunderte sich sogar:
^Cur moriatur homo, dum Salvia crescil in horto.**
§. 250. Varietäten der Zähne.
Als interessante Varietäten der Gestalt und Stellung der Zähne
finden sich:
1. Versetzungen der Zähne. Ich besitze einen schönen Fall,
wo beide Eckzähne, statt der Schneidezähne, die Mitte der Kiefer
einnehmen.
§.261. Speicheldrüsen. Aemtsere VerhiltaiMe derselben. 655
2. Abnorme Ausbruchsstelle. Man findet Zähne am
Gaumen, am vorderen oder hinteren Zahnfleisch als sogenannte
Ueb er Zähne zum Vorschein kommen. Ich habe einen Zahn aus
der Nasenhöhle eines Cretins ausgezogen.
3. Inversion, wo die Krone eines Backenzahns des Ober-
kiefers in die Highmorshöhle sieht. (Prager Museum.)
4. Verwachsung. Sie wurde an den Schneidezähnen im
Oberkiefer mehrmals gesehen. Sehr schöne Fälle im Prager
Museum.
5. Nebenzähne, als kleine Zähnchen neben einem normalen
vorkommend.
6. Emailsprossenzähne, wo eine Druse oder Halbkugel von
Schmelz wie ein Auge auf dem Halse eines Zahnes aufsitzt, oder
sich zwischen den Wurzeln des Zahnes seitwärts hervordrängt.
7. Haken- und Knopfzähne, deren Wurzeln umgebogen,
oder zu einem mehr weniger höckerigen Knopf aufgetrieben erscheinen.
Sie sind schwer auszuziehen, und geht bei ersteren das von dem
Wurzelhaken umfasste Stück der Alveolarscheidewand mit.
8. Verkittung der Zähne durch Zahnstein, vvigo Wein-
stein. Hieher sind die von den Alten (Plinius, Pollux, Plutarch)
erwähnten Fälle zu zählen, wo alle Zähne in einen einzigen hufeisen-
förmigen Zahn verwachsen gewesen sein sollen, wie bei Pyrrhus,
Euryptolemus, Marc. Cur. Dentatus.
9. Obliteration der Zahnhöhle durch Verknöcherung der
Pulpa, oder durch Deposition phosphor- und harnsaurer Salze, wie
ich einen ausgesuchten Fall dieser Art vor mir habe.
Zahlreiche Beobachtungen über Zahnvarietäten enthält Tomes, Dental Physio-
logy and Surgery, London, 1848. Hieher gehören auch: Thon, Abweichangen der
Kiefer und Zähne, Würzburg, 1841 ; Gniber't Abhandlungen aus der menschlichen und
vergleichenden Anatomie. Petersburg, 1852; und Salier, Med. Chir. Transactions,
T. XVII. — Der Atlas zur Pathologie der Zähne, von Heider und Wedt, Leipzig,
1868, enthält sehr merkwürdige und seitone Formanomalien. — Die reichhaltigste
Sammlung von Zahnanomalien, die ich kenne, besass Prof. Heider in Wien, und
der Zahnarzt Desirabode in Paris.
§. 251. Speicheldrüsen. Aeussere Verhältnisse derselben.
Zur Mundhöhle gehören die Speicheldrüsen, Glandulae
saiivales. Sie bereiten den wasserreichen Speichel, Saliva (von
t6 aiaXov, Geifer), welcher, wenn er mit den Nahrungsmitteln durch
das Kauen innig gemischt wird, dieselben zu einen weichen Teig
formt, der als Bissen, Bolus, leicht durch die Schlingwerkzeuge
in die Magenhöhle befördert wird. Er löst zugleich die löslichen
Bestandtheile der Nahrung auf, und erregt, durch die Befeuchtung
656 §• 861* Speioheldrftsen. Aenssert Verh<niM« derselben.
und Tränkung der Geschmackswärzchen mit dieser Lösung, die
Geschmacksempfindungen.
Es finden sich drei Paar Speicheldrüsen, welche ihrer Lage
nach in die Ohr-, Unterkiefer- und Unterzungendrüsen ein-
getheilt werden.
Die Ohrspeicheldrüse, Glandula parotis ('juapa tw wti, neben
dem Ohre), die grösste von aUen, liegt vor und unter dem Ohre,
in dem Winkel, welcher zwischen dem Aste des Unterkiefers, dem
Warzenfortsatze, und dem äusseren Gehörgange übrig gelassen wird.
Sie schiebt sich von hier über die äussere Fläche des Masseters,
bis zum unteren Rande des Jochbogens vor. Nach innen dringt sie
bis zum Processus styloideus ein. Sie hat ein gelapptes Ansehen.
Jeder Lappen besteht aus Läppchen, und diese aus traubenförmig
gruppirten Acini. Der Hauptausführungsgang der Drüse, Ductus
Stenonianus, welcher sich durch die Dicke seiner Wand, und durch
die Enge seines Lumens auszeichnet, und deshalb sich hart anfühlt,
tritt am oberen Drittel des vorderen Randes der Drüse hervor. Er
entsteht durch successive Vereinigung aller kleineren Ausführungs-
gänge der Drüse, läuft mit dem Jochbogen parallel, und etwa
einen Zoll unter ihm, an der Aussenfläche des Masseters nach vorn,
senkt sich am vorderen Rande desselben durch das Fettlager der
Backe zum Musculus buccinator herab, welchen er durchbohrt, um
an der inneren Oberfläche der Backe, dem zweiten oberen Backen-
zahn gegenüber, auszumünden. Oftmals liegt vor der Parotis und
auf dem Ihictus Stenotiianus noch eine kleinere Nebendrüse (Parotis
cuxessoria), welche ihren Ausführungsgang in den Ductus Steno-
nianus münden lässt. Rings um die Insertionsstelle des Ductus Steno-
nianus lagert eine Gruppe hanfkorngrosser Schleimdrüsen, als Glan-
dulae buccales, in variabler Menge.
Die Parotis unterliegt bei jedem Oeffnen de» Mundes einem Dniek, indem
der Raum zwischen Unterkieferast und Warzenfortsatz sich dabei verkleinert. Die
Glandula aubmaocUlaris und »ublinguaiiM erleiden diesen Dnick ebenfalls, erstere
durch die Wirkung des Musculua mylo-hyoideiu, und letztere durch den Wider-
stand des gekauten Bissens. Dieser Druck befördert die Entleerung ihres Secrett»»
während des Kauens, wo seine Gegenwart eben am nöthigsten ist. — Galen
leg^e den Namen Parolis nur der durch die Entzündung dieser Drüse bedingten
Geschwulst bei, welche auch bei uns als Mumps oder Bauern w et zel bekannt
ist, und nicht selten epidemisch auftritt. Die Drüse selbst führte bei ihm keinen
besonderen Namen, und wurde nur allgemein zu seinen aB^ve; OjUiiululae) gef«tellt.
£r kannte die absondernde Thätigkeit der acinösen Drüsen nicht, weil ihre Aus-
fÜbrungsgänge ihm imbekannt waren. 80 hielt er sie denn für Organe, welche,
wie Schwämme, überflüssige Feuchtigkeit aufzusaugen haben. Die Drüsen neben
den Ohren hatten namentlich das Gehirn von solcher Feuchtigkeit zu befreien,
und fllhrten deshalb bei den lateinischen Autoren des Mittelalters den Namen:
EmwneUjria oerebri, bii aie Job. Riolan zuerst als Parotides benannte.
§. i51. 8p«ieheldrüsen. Aeassere VerhftHniste derselben. 657
•
(Anthropographia, Lib. IV, cap, 10.) Die Griechen nannten auch die Ohrläppchen
und die Haarlocken vor dein Ohre: Parotides.
Die innere Fläche der Parotis wird durch das tiefliegende Blatt der Fcucia
colli, Ton der Vena jugidaria interna und Carotis interna getrennt. Ihre äussere
Fläche deckt die Fascia parotideo-^nasseterica. Die Cai'otis extei'iia und Vena
facialis posterior durchbohren sie in senkrechter Richtung, der Nervus communicans
fadei in horizontaler Richtung von hinten nach vom.
Der Däne Nil Stenson (Nicolaus Stenonius) beschrieb den AusfÜhrungfs-
gang der Parotis beim Schafe in seiner Inaugural-Dissertation: de glandtUis
oris, etc. Lugd., 1G67, Man kannte jedoch den Gang schon früher. Julius
Casserius erwähnt, anno 1660, die Durchbohrung des Backenmuskels durch
diesen Gang, und Gualtherus Needham behauptet, ihn schon 1658 entdeckt
zu haben (de fomiato foetUf in praefatione).
Die Unterkiefer-Speicheldrüse (Glandula subma^llaris s,
angularis), um die Hälfte kleiner als die Parotis, und minder stark
gelappt, liögt unter dem Musculus mylo-hyoideus, zwischen dem hoch-
und tiefliegenden Blatte der Fasda colli, in dem dreieckigen Räume,
welcher vom unteren Rande des Unterkiefers und den beiden Bäuchen
des Musculus hivefiit&r maxülae begrenzt wird. Der Ausführungsgang
derselben, Ductus Whartoniarms, längs welchem sich noch eine Reihe
von Drüsenläppchen hinzieht, geht über die obere Fläche des Mus-
culus mylo'hyaideus, zwischen ihr und der Glandula subungualis, nach
innen und vorn, und mündet an der stumpfen Spitze einer, zu beiden
Seiten des Zungenbändchens befindlichen Papille, welche Caruncula
subungualis heisst (Caruncula, Diminutiv von caro, ein Stückchen
Fleisch). Die Arteria Tnaxillaris externa liegt in einer tiefen Furche
der oberen Fläche dieser Drüse. Die Acini dieser Drüse sind nicht
80 rund, wie jene der Parotis, sondern kolbig, selbst fingerförmig
in die Länge gedehnt. — Die skrophulösen Geschwülste, welche in
der Gegend der Unterkiefer-Speicheldrüse, unter dem Winkel des
Unterkiefers, häufig vorkommen, sitzen nicht in dieser Drüse selbst,
sondern in den l^ymphdrüsen, welche neben der Glandula sub-
maxillaris lagern. Diese Geschwülste heissen in der Volkssprache
Mandeln.
Tliom. Wharton gab dem Ausflihrungsgang dieser Drüse nur seinen
Namen (Adenographia, cap. 21. Lond. 1686); — bekannt war der Gang schon
lange frtlher (veteribus noUssimus dtictus, per 130 annos a nuperis neglectus.
Haller).
Die Unterzungen-Speicheldrüse, Glandula subungualis, ist
wahrscheinlich keine Speicheldrüse, sondern eine Schleimdrüse. Sie
ist kleiner als die vorhergehenden, und lagert auf der oberen
Fläche des Musculus mylo-hyoideus , nur von der Schleimhaut des
Bodens der Mundhöhle bedeckt, welche sie etwas hervorwölbt. Die
Arteria subungualis verlauft unter ihr. Ihre feinen Ausführungs-
gänge, acht bis zwölf an der Zahl, Ductus Rivini, münden theils
hinter der Caruncula subungualis in die Mundhöhle ein, theils
Hyrtl, Lehrbach der Anatomie. U. Aafl. 42
658 §. S51. 9p«iolieldrfl8«D. AensMre Verb<niBse denelb«n
vereinigen sich einige derselben, seltener auch alle, nach Art der
übrigen Speicheldrüsen zu einem grösseren Gange, Dvctus Bartho-
Uni, welcher entweder eine besondere Endmündung auf der Carun-
cula besitzt, oder mit dem Ductus Whartonianus zusammenfliesst.
Qairinns Rivinns, Professor in Leipzig, in der Mitte des siebenzehnten
Jahrhunderts, war eigentlich kein Anatom, sah aber doch die AnsfÜhrungsgänge
der UnterzungendrUse zuerst, und erwähnt ihrer in seiner nicht anatomischen
Schrift: de dy^peptia, lAps, 1678. Genauer beschrieb sie Fr. A. Walther, de
UnguOf lÄp9, 1724. Die Vereinigung dieser Gänge zu einem grösseren, wurde von
Casp. Bartholinus gesehen, und in dem Büchlein: de ductu aalivcdi hactentu
tum descripto. Hafn., 1684, beschrieben.
Die specifischen Verschiedenheiten der Secrete der drei Speicheldrüsen
sind noch nicht genau bekannt. Der Parotidenspeichel enthält keinen Schleim,
welcher dagegen im Secret der Unterzungendrüse vorkommt. Bernard (CmnpteM
rendua, 1852) glaubt, dass der Parotidenspeichel zur Durchfeuchtung und Knetung
des Bissens, jener der GlandtUa auhlinguaUs zur schleimigen Umhüllung des
Bissens für das leichtere Schlingen desselben, jener der (Uandufa suhniaxUlarU
xom Schmecken besonders beitrage.
Der Speichel besteht, nach Berzelius, aus 99 Procent Wasser und ein
Procent fester Stoffe (Speichelstoff oder Ptyalin, Schleim, Chlornatrium, CaseYn).
Rhodankalium führt nur der Speichel der Parotis. Der Speichel entliält auch ab-
gestossene Epithelialplättchen der Mundschleimhaut, und die schon von L e e n w e n-
h o e k gekannten, rundlichen, den Lymphkörperchen gleichenden S p e i c li e 1 k (5 r p e r-
chen, deren Protoplasma von feinen Körnern durchsetzt wird, welche lebhafte
Molekularbewegfung zeigen. Man meint, dass ihre Erzeugungsstätte in den an
LjmphkÖrperchen reichen Balgdrüsen der Zunge und der Mandeln zu suchen sei.
Wie aber die LjmphkÖrperchen dieser Drüsen, welche zu den geschlossenen
Balgdrüsen gehören, in die Mundhöhle gelangen, darüber weiss Niemand Rechen-
schaft zu geben. Jedenfalls ist und bleibt es eine sehr sonderbare Lebeiis-
bestimmung von LjmphkÖrperchen: ausgespuckt zu werden.
Die Verwendung des Speichels ist eine doppelte. Erstens eine, welche er
schon in der Mundhöhle leistet Sie besteht in dem Durchweichen der gekauten
Nahrungsmittel, als nothwendige Vorbereitung zum Schlingen, und in der Auf-
lösung leicht löslicher Bestandtheile derselben, zu Gunsten der Geschmacksempfin-
dung. Zweitens bewirkt der Speichel eine cliemische Veränderung im. gekauten
Bissen, durch Verwandlung der Stärke in Zucker und Dextrin. Die Nachtheile,
welche durch häufiges Ausspucken dem Organismus erwachsen sollen, hat man
wohl zu hoch angeschlagen. Den Fischen imd Cetaceen fehlen die Speicheldrüsen.
— Da das Wasser des Speichels durch die beim Athmen durch die Mundhöhle
ein- und ausstreichende Luft fortwährend als Dampf weggeführt wird, so erklärt
sich hieraus die Bildung jener Niederschläge aus dem Speichel, welche als Zahn-
stein (Tartarus dentium) besonders die hintere Fläche der unteren Schneide-
zähne, wo der Speichel sich aus den Carwiculis suhlirujuaJihu9 ergiesst, und die
Uälse aller Zähne im Unterkiefer inkrustiren, sich zwischen Zahn und Zahnfleisch
eindrängen, imd die Zähne zwar entstellen, aber gewiss für ihre Dauerhaftigkeit
eher nützlich als schädlich sind, obwohl dieses die Zahnärzte nicht zugeben
mögen. — Die giftigen Wirkungen, welche der in den Magen oder in die Venen
eines lebenden Thieres ii\jicirte Speichel hervorbringt, sind nicht Wirkungen des
Speichels, sondern des narkotischen Princips des Tabaks, welcher geraucht wurde,
um die zum Versuche nothwendige Quantität Speichel zu erhalten. Ebenso ist
die ansteckende Kraft des Geifers bei wuthknmken Thieren eine grundlose Chimäre.
§. 252. Bau der Speicheldrüaen. — §. 858. Zung«. 659
Bruce, Harries und Hertwig, konnten durch Uebertragung des Geifers von
wuthkranken Thieren auf gesunde, ja selbst durch Einimpfung des Geifers in das
Blut, niemals die Wuthkrankheit erzeugen.
§. 252. Bau der Speicheldrüsen.
Alle Speicheldrüsen sind nach demselben Typus — dem der
zusammengesetzten acinösen Drüsen (§. 90) — gebaut. Der Haupt-
ausführungsgang theilt sich wiederholt in kleinere Zweige, deren
letzte Enden mit länglichen, traubig zusammengehäuften Endbläschen
(Acini) in Verbindung stehen, welche mit ca^pillaren Blutgefilssen
netzartig umsponnen werden, und in welchen die Bereitung des
Speichels aus den Elementen des Blutes vor sich geht. In der
Parotis beträgt der Durchmesser der Endbläschen im injicirten Zu-
stand 0,04 Linien, und in der Glandula submaxälaris nur 0,02 Linien.
— Die Speichelgänge besitzen eine bindegewebige Grundmembran,
auf deren innerer Fläche eine sehr dünne structurlose Schichte auf-
liegt. Die Bindegewebsmembran nimmt aber mit der zunehmen-
den Verfeinerung der Gänge an Mächtigkeit dergestalt ab, dass
in den feinsten Ramificationen, und in den auf ihnen aufsitzenden
Acinusbläschen, nur die structurlose Schichte erübrigt. Auf dieser
lagert in den grösseren Speichelgängen ein stattliches Cylinder-
epithel; in den kleineren und in den Acini dagegen Pflasterepithel.
Die Zellen des letzteren sind die eigentlichen Herde der Speichel-
bereitung. Sie sind gross, rundlich, und ragen so weit in das Lumen
der Acinusbläschen und ihrer Ausführungsgänge hinein, dass sie
dasselbe fast ganz für sich in Anspruch nehmen. — Die Wand des
Ductus Whartonianus enthält glatte Muskelfasern — jene des Ditcttis
Stenonianus aber nicht (Kölliker).
Nach Pflüger sollen die letzten Verzweigfimgen der Speichelgänge, mit
äusserst feinen Gängen in Verkehr stehen (Speichelcapillaren), welche
zwischen die Epithelialzelien vordringen, und sie ebenso umspinnen, wie die Leber-
zellen von den feinsten Gallen wegen umgeben werden. Da sie mittelst Injection
dargestellt wurden, halte ich sie für Extravasatswege, und weiter nichts. Der-
selbe Forscher hat zugleich sehr merkwürdige Eigenschaften der Zellen des
Cylinderepithels in den Speichelgängen namhaft gemacht, betreffend den Zu-
sammenhang derselben mit den Primitivfasem der die Speichelgänge in grosser
Menge begleitenden Mervenfasern, worüber in Stricker s Gewebslehre, 14. Cap.,
ausführlich gehandelt wird.
§. 253. Zunge.
Die Zunge (Lingua, '{Kiougol^ attisch '{kGivzay verwandt mit den
beim Kehlkopf vorkommenden Worten Glottis und Epiglottis), fuhrt
42»
660 §. KS. Ztinge.
ihren deutschen Namen von dem gothischen tung, englisch tong.
Sie ist ein von der Mundschleimhaut umkleideter, sehr gefass-
reicher, weicher, und oft nur zu beweglicher Fleischlappen, welcher
am Boden der Mundhöhle in der Höhlung de^ Unterkieferbogens
liegt und sie ausfüllt. Man unterscheidet an ihr eine obere und
untere Fläche, zwei Seitenränder, die Spitze, den Körper, und die
Wurzel. Die obere convexe Fläche der Zunge, welche bei ge-
schlossenem Munde an den harten Gaumen anliegt, ist bis zum
Isthfnus faucium hin, mit den Geschmackswärzchen so dicht besäet,
dass sie ein kurzzottiges, geschorenem Sammt ähnliches Ansehen
erhält. — Der hinterste Theil der Zunge, welcher sich vom hthmus
faucium bis zum Zungenbeine hinab erstreckt, heisst Wurzel. An
ihr fehlen die Geschmackswärzchen. Dagegen finden sich hier
Schleimdrüsen und grosse Balgdrüsen vor, letztere mit den Balg-
drüsen der Mandeb baulich übereinstimmend (§. 244). Die Balg-
drüsen wölben die Schleimhaut des Rückens der Zungenwurzel
hügelig empor, und können an der eigenen Zunge durch den Finger
als eben so viele Erhabenheiten gefühlt werden.
Die untere Fläche der Zunge ist viel kleiner als die obere,
und entbehrt der Geschmackswärzchen vollständig. An ihr inserirt
sich das vom Boden der Mundhöhle als Schleimhautfalte sich er-
hebende Zungenbändchen (Frenidum Unguae), welches die allzu
grosse Rückwärtsbewegung der Zunge und ihr Umschlagen nach
hinten verhindert. Der weiche Gaumen schickt zu den Seiten-
rändern der 2iunge die beiden Arcus pcdato-glossi herab. Die Wurzel
der Zunge haftet mittelst des Musculus hyo-glossus am Zungenbeine,
und steht auch mit dem Kehldeckel durch drei Uebergangsfalten
der Schleimhaut (ein mittleres und zwei seitliche Ligamenta s, Fre-
nula glosso-epiglottica) in Verbindung. Von der Spitze bis zum
Isthmus faucium nimmt die Zunge an Dicke zu, vom Isthmus bis
zum Zungenbein aber an Dicke bedeutend ab. Der vor dem Isthmus
liegende Abschnitt der Zunge liegt horizontal in der Mundhöhle; —
der hinter dem Isthmus befindliche (Zungenwurzel) föUt fast senk-
recht gegen den Kehldeckel ab. Je mehr die Zunge aus der Mund-
höhle herausgestreckt wird, desto mehr wird auch die senkrechte
Richtung der Zungenwurzel in die horizontale einbezogen.
Die fleischige Substanz der Zunge wird durch eine, von der
Mitte des Zungenbeins entspringende, blattförmige und dünne, senk-
rechte, fibröse Platte, welche von B landin CartUage median genannt
wurde, in zwei seitliche Hälften getheilt. Dieser Faserstreifen, welchen
ich, da er keine knorpelige Structur besitzt, richtiger Septum
medianum Unguae nenne, erscheint nur in der Wurzel der Zunge
gut entwickelt, — gegen die Spitze zu verschwindet er.
f. S54. Geschmackiwftrzehen der Zunge. ggl
Die von A. Nuhn beschriebene Zangendrüse (üeber eine bis jetzt noch
nicht näher beschriebene Zungendrtise. Mannheim, 1846) wurde schon in Blan-
din's traüi d'anatomie topographique. Paris, 1834, pag. 175, erwähnt Sie gehört
zu den acinösen Drüsen, und liegt in der Spitze der Zunge, zwischen den Faser-
KÜgen des Hi/o- und Sfylogloesus, der unteren Zungenfläche näher als der oberen.
Nach Grösse und Form ist sie bohnenfÖrmig. Ihre Ausführungsgänge münden
mit fünf, in einer Längsreihe liegenden Ostien, an der unteren Fläche der Zungen-
spitze, auf einem niederen, gefransten, schief nach rück- und auswärts gerichteten
Schleimhautsaum (Crista fimbriaia). Unter den Thieren findet sie sich nur beim
Orang-Utang. Man weiss nicht, ob man sie den Speichel- oder den Schleim-
drüsen anreihen soll.
Der grosse Gefässreichthum und die Weichheit des Zungenparenchyms,
erklärt die enorme Anschwellung der Zunge bei Entzündungen, und die augen-
blickliche Linderung der die Schwellung der Zunge begleitenden Erstickungs-
zufälle, durch Einschnitte in das Zungenparenchym (Scarificationen). Wie leicht
eine aufgeschwollene Zunge Athmungsbeschwerden hervorrufen kann, mag man an
sich selbst erproben, wenn man mit dem Daumen, unmittelbar über dem Zungen-
beine, den Boden der Mundhöhle, und somit die Zunge nach oben und hinten
drückt. Die Zunge verlegt hiebei den Isthmus faiuium, und drängt den weichen
Gaumen gegen die Wirbelsäule, wodurch der Luftzutritt von der Mund- und
Nasenhöhle her aufgehoben wird. Beim Selbsterhängen, wo die Schnur nicht
kreisförmig um den Hals zusammengeschnürt wird, sondern der Hals in einer
Schlinge hängt, welche hinter beiden Winkeln des Unterkiefers in die Höhe steigt,
erfolgt der Erstickungstod auf diese Weise.
§. 254. Greschmackswärzclieii der Zunge.
Am Rücken der Zunge, welcher durch eine nicht immer deut-
liche Längenfissur, in zwei gleiche Hälften getheilt wird, finden sich
drei Arten von Geschmackswärzehen (Pajnllae gustatoriae) \
1. Die fadenförmigen Wärzchen, Papulae filiformes, welche
der Zunge ihr pelziges Ansehen geben, nehmen in unzähliger Menge
den Rücken und die Seitenränder der Zunge ein, und stehen in
parallelen Reihen, welche von der Mittellinie schief nach vorn und
aussen gegen die Ränder gerichtet sind. Sie sind unter allen Zungen-
wärzchen die feinsten und längsten, und nehmen gegen die Zungen-
spitze hin nicht an Zahl, wohl aber an Länge ab. Nicht alle von
ihnen enthalten Nerven, wodurch ihre Bedeutung als Geschmacks-
wärzchen verdächtig wird. Auch ihr dicker und verhornter Epithe-
lialüberzug, welcher aus dachziegelförmig übereinander geschobenen
Zellen zusammengesetzt ist, stellt ihre lebhafte Betheiligung an den
Geschmacksempfindungen sehr in Zweifel. Ein Vergleich derselben
mit den Homstacheln auf der Katzenzunge, würde etwas für sich
haben, wenn ihre Richtung nicht nach vorn ginge. Die Hom-
stacheln auf der Raubthierzunge sehen nach hinten, ut fugituram
ab ore praedam retineant, wie Hai 1er sagt.
662 §• 'M« Gr«8chmaok8w&rzcheii der Zn&ge.
Sehr hüufig ist der Grundstock einer fadenförmigen Warze, welcher wie
bei allen GeschmackswHrzchen ans längsgefasertem Bindegewebe besteht, an seiner
Spitze in melirere kleinere Wärzchen wie zerklüftet. Aach zeigt das Epithel
nicht selten das eigenthümliche Verhalten, dass es von der Spitze der Warze aus,
sich in feine, haarfttrinige Fortsätze spaltet, welche der Warze ein pinselförmiges
Ansehen verleihen. Dieses Zerfasern des Epithels wird besonders an weiss be-
legen Zungen beobachtet, und darf nicht verwechselt werden mit den, bei krank-
haften Zuständen der Znngenschleimhaut, auf dieser wuchernden Fadenpilzen
(LeptoÜirix buccalis, Robin), welche sich zwischen die Epitlielialzellen der Zimge
eindrängen, und dieselbe förmlich umspinnen.
2. Die schwamm- oder keulenförmigen Wärzehen, Pa-
pälcte fungiformes «. clavatae, rinden sich in veränderliclier Zahl
zwischen den fadenfiirmigen als rothe, knopfformige oder pilz-
ähnliche Höckerchen hie und da, besonders an den Rändern der
Zunge, eingestreut. Ihre Oberfläche zeigt sich unter dem Mikro-
skope selbst wieder in kleinere Papillen gespalten. Sie sind sehr
nervenreich, und besitzen, wie die folgenden, nur einen sehr dünnen
Epithelialtiberzug, welcher ihre Blutgefässe durchscheinen lässt. Sie
erscheinen deshalb an der eigenen Zunge vor dem Spiegel roth.
3. Die acht bis fünfzehn wall förmigen Wärzchen, Papulae
circumvallatae 8, maximae, die nervenreichsten aller Zungenwärzchen,
gehören nur dem hinteren Bezirk des Zungenriickens an, welcher
den Isthmus faucium bilden hilft. Sie sind in zwei Reilien gestellt,
welche nach hinten convergiren, und sich zu einem V vereinigen,
an dessen Spitze gewöhnlich die grösste dieser Papillen steht. Jede
Wallwarze besteht eigentlich aus einer dicken, seh warn mförmigen
Warze, welche von einem kreisförmigen Schleimhautwall, über
welchen sie etwas hervorragt, umzäunt wird. Zwischen Warze und
Wall berindet sich ein Graben, in welchen kleine Schleimdrüschen
einmünden. — Auch die Wallwarzcn erscheinen, wie die schwamm-
formigen, an ihrer Oberfläche mit secundären, kleineren Wärzchen
besetzt.
An oder hinter der Spitze des von den convergenten Linien
der PapUI<ie circumvallatae gebildeten V, bemerkt man das blinde
Loch (Forameii coecum), als seichte oder blindsaekfiirniig nach hinten
sich verlängernde Grube, in welche mehrere der benachbarten
Schleimdrüsen des Zungenrückens einmünden.
Oefters zieht sich das Foramen coecum zu einem, bis an das Lirjornentiiui
ffloMMO-epiglotfiaim medium reichenden Rundgang aus. Nacli Hoclidalek jnn.
sollen sich vom hinteren Drittel dieses Hlindganges, ein bis zwei scliief nach
vom und aussen gerichtete, die Fasern der Musruii f/enio^/hsjti durchsetzende
Nebengänge abzweigen, auf deren Enden äusserst zartwandige, blinddarmähnliche
Kanälchen aufsitzen. (Archiv fClr Anat. 1867. Tab. XIX.) Was weiters auf dieser
Tafel abgebildet erscheint, ist ein wahrlich ungeheuerliches Extravasat, aber kein
neues Organ.
Der Bau der Geschmackswärzchen weicht von jenem der Tastwärzchen
(§. 206) nicht wesentlich ab. Bezüglich der Nerven erwähne ich, dass in den
g. 854. Gescbmacktw&rzchen der Zunge. 663
schwammfHrmigen Zangenwärzchen bereits, obwohl selten, auch Tastkörperchen
aufgefunden wurden (Ger lach, Kölliker). Wie die Nerven in den Papillen
endigen, ist zur Stande noch Gegenstand von Controversen. Axel Key's Beob-
achtungen an Froschzungen, und jene von M. Schnitze, Schwalbe und Lov^n,
an menschlichen Zungen, machen es wahrscheinlich, dass die Axencylinder der
Primitivfasern der Geschmacksnerven, mit gewissen Epithelialzellen der Ge-
schmackswärzchen zusammenhängen, und letztere somit, wie es früher von den
Rieclmerven angeführt wurde (§. 215), als sogenannte Geschmackszellen,
peripherische Endigungsweisen der Geschmacksnerven darstellen. Die Geschmacks-
zellen sind in den sogenannten Schmeckbechern enthalten, — das sind kleine,
aus verlängerten Epithelialzellen gebildete, und in das Epithel der Papulae
vallatae und der /unffif&mieg , eingebettete Organe von Becherform. Die Ge-
schmackszellen, deren viele in Einem Becher Raum finden, sind am oberen und
unteren Ende in Fortsätze ausgezogen. Der obere Fortsatz rag^ aus der Oeffnung
des Bechers etwas heraus, — der imtere soll, wie man annimmt, mit einer
Primitivfaser des Geschmacksnerven in Continuität stehen. Becher sammt Inhalt
heissen Geschmacksknospen, über welche im Archiv für Mikroskopie (3., 4.
und 6. Bd.) ausführlich gehandelt wird.
An der Zungenwurzel bilden die Balgdrüsen (§. 90), welche von den Alten
als Glandulae lenticularen liiujuae bezeichnet wurden, ein fast continuirliches, in
die Muskelsubstanz eingreifendes Drüsenlager. Jeder Balgdrüse entspricht ein
flacher Hügel auf der Oberfläche der Zungenwurzel. Eine Oeffnung auf dem
Hügel führt in eine kleine Höhle desselben, in deren Wand die geschlossenen
Bälge mit ihrem Inhalt von Lymphkörperchen lagern. Die Bälge sind jedoch
keine constanten Vorkommnisse, denn sie fehlen zuweilen. Auch giebt es Zungen,
in welchen die Wand der Drüsenhöhle mit freien, nicht in Bälgen eingeschlosse-
nen Lyraphkörperchen infiltrirt erscheint. Böttcher denkt selbst an einen
pathologischen Urspnmg der Bälge (Archiv für pathol. Anat. 18. Bd.). — Nicht
selten mündet eine solche Balgdrüse auf der Höhe einer Papilla circumvaüata
aus. Die Balgdrüsen des Zungengrundes, der Mandeln, und die Drüsen an der
vorderen Fläche des weichen Gaumens, bilden zusammen einen Drüsengürtel um
den Isthmus faudutn herum, dessen Aufgabe es ist, diesen engen Weg, während
des Durchganges des zu verschlingenden Bissens, gehörig schlüpfrig zu machen.
— lieber die Zungendrüsen handelt Ebner: Die acinösen Drüsen, und ihre Be-
ziehung zum Geschmacksorgan. Graz, 1873.
Das geschichtete Pflasterepithel der Zunge, kleidet auch die Höhle der
Balgdrüsen aus, und unterscheidet sich nicht von jenem der übrigen Mundhöhlen-
schleimhaut. Die oberflächliche Lage dieses Epithels besteht aus grossen, breiten und
flachen Zellen (Plattenepithel), welche sich abstossen, und wieder erzeugen. Bei
Verbrühungen und gewissen Ausschlagskrankheiten, fällt das ganze Epithel der
Zunge in grösseren Stücken ab.
Die durch den Speichel gelösten schmeckbaren Bestandtheile der Nahrungs-
mittel, müssen sich durch das Epithel der Zunge durchsaugen, um auf die Nerven
der Papillen wirken zu können. Daher erklärt es sich, warum schwer lösliche
Substanzen erst geschmeckt werden, nachdem sie längere Zeit in der Mundhöhle
verweilten, ja erst nachdem sie verschluckt wurden (Nachgeschmack). Trockene
Stoffe in trockener Mundhöhle erregen keinen Geschmack, Alles Unlösliche ist
geschmacklos.
664 §• S55. Binnenmnskeln d«r Zunge.
§. 255. Binneiiiiiiiskelii der Zunge.
Das Fleisch der Zunge besteht, nebst den sich mit einander
kreuzenden und verwebenden Fasern des Musculus genio-glossus,
hyo-glossus und stylo-glossus (§. 164), noch aus drei besonderen
Muskelschichten, welche in der Zunge entspringen, und auch in ihr
endigen, und auf die Veränderung der Form der Zunge zunächst
Einfluss nehmen. Nur das Nothdürftigste mag hier über sie verlauten.
Die obere Längensehichte liegt gleich unter der Schleim-
haut des Zungenrückens, und schiebt ihre Bündel zwischen die zur
Zungenoberfläche emporstrebenden strahligen Bündel des Genio-
glossus ein. Die untere übertriflPt an Stärke die obere. Sie dehnt
sich, zwischen dem Musculus genio-glossus, und hyo-glossus, an der
unteren Fläche der Zunge bis zur Spitze hin. — Die quere Muskel-
schichte (Musculus lingu^alis transversus), entspringt von den Seiten-
flächen des Septum linguae, Ihre Fasera laufen nach aus- und auf-
wärts; die inneren gehen zum Rücken der Zunge, die äusseren zum
Zungenrande, und schieben sich, um diese Richtung einschlagen
zu können, zwischen den Längenfasern des Genio-glossus und H/jo-
glossus hindurch. — In der Zungenspitze kommen auch senkrechte,
von der oberen zur unteren Fläche ziehende Muskelbündcl vor.
Ehrlich gestanden, weiss man von allen, in den Bau der Zunge
eingehenden Muskeln nicht, wie sie endigen.
Der von Bochdalek jon. beschriebene nnpaare Muscttlujt lingtialiM inferior
medittjt, entspringt von einer knotigen Anschwellung am hinteren Theile des Septum
linguae, und veriKuft, zwischen den hinteren Partien der beiden Genio-glo^gi, gerade
nach vorn, um mit zugespitztem Ende (?) sich zwischen diesen Muskeln au
verlieren.
Die Mitwirkung der Zunge beim Kauen, Sprechen und Schlingen, ist hin-
länglich bekannt. Zungenlähmung erschwert und stört diese Functionen auf die
auffillligste Weise. Während des Kauens treibt die Zunge die halbzerquetschte
Nahrung wieder zwischen die Stampfen der Zähne hinein, bis Alles gehörig zer-
kleinert ist. Man kann sogar mit der Zunge jene Nahrungstheile hervorholen,
welche in die Bucht zwischen Backen und Kiefer hineingeriethen. Beim Sprechen
vermittelt sie die Bildung der Oonaonantea linguale». Beim Schlingen ist sie es,
welche den fertig gekauten Bissen, durch den hthmiu favcium in den Rachen
drängt. — Es giebt Menschen, welche ihre Zunge tmgewöhnlich weit hervorstrecken
können, jedoch nie so weit, dass man die Wall Wärzchen oder das Foramen coerum
zur Ansicht bekäme. Ich kannte eine berühmte Altsängerin, welche ihre eben
nicht ungewöhnlich lange Nase, mit der Zungenspitze berühren konnte. Thiere
reinigen sich auch die Nase mit der Zunge. — Dass ein zu kurzes Zungenbändchen
bei Kindern das Saugen beeinträchtige, scheint mir eine Sage au» der Ammen-
stube zu sein, indem das Kind nicht durch Bewegung der Zunge, t^ondern durch
Senken des ganzen Mundhöhlenbodens saug^.
S. SM. BMhen. 665
§. 256. Rachen.
Der Rachen^ Pharynx (man denkt bei diesem Namen unwill-
kürlich an reissende Thiere), liegt hinter der Nasen- imd Mundhöhle.
Seine Gestalt ist trichterförmig, mit oberer Basis, und unterer, «ur
Speiseröhre sich verengender Spitze. Seine vordere Wand besitzt
Verkehrsöflfnungen mit der Nasenhöhle (Choanae), mit der Mund-
höhle (Isthmus faucium), und mit dem Kehlkopf (Adiius ad Inrt/ngem),
Eine gewisse Aehnlichkeit der P^orm lässt den Pharynx, und »eine
Fortsetzung als Speiseröhre, mit dem Windfang auf den Dampf-
schiffen, durch welchen frische Luft in den Ileizraum gebracht
wird, vergleichen. Er grenzt nach oben an den Hchädelgrund,
nach hinten an die Halswirbelsäule, seitwärts an die grossen Blut-
gefässe und Nerven des Halses, vorn an die Clioanae, den lathmu»
fatudum, und den Kehlkopf. Das untere Ende des Ilachens, welches
hinter dem Kehlkopf liegt, und sich rasch zur 8p<;iscröhre verengert,
heisst Schlundkopf. Bei Homer erscheint ^apu-;? nicht blos in
der Bedeutung „Schlund*^, sondern auch für „Hals". Daher erhielt
auch der Knochen am Halse — das Zungenbein — bei den (tricjchen
den Namen: Phai\yngethron,
Wird der weiche Gaumen so weit nach hinten gedrängt, dass
seine hintere Fläche sich an die hintere Wand der Rachen höhle
anlegt, so wird diese Höhle dadurch in zwei über einander gelegene
Räume getheilt, deren oberer (Cavum phar/jugo-nasalej die Choanen,
und deren unterer grösserer ("Cavum pharyngo-lartpufeumj den hthmus
faucium und den Eingang zur Kehlkopfshöhle enthält. Diese Schei'
dang der Racfaenhöfale in zwei übereinander befindliche Räume, int
eine vollständige. Sie stellt sich bei jedem Schlingact^; ein, so wie
beim Sprechen des Vocales A^ und beim Singen mit BruAttönen,
Angeborene Spaltung des weichen Gaumens, oder Substanzverlust
durch Geschwür, bedingen näselnde Sprache, weil ein Theil der
beim Sprechen ausgeathmeten Lufu durch die Nasenhöhle streicht.
Am obersten Theile der seitlichen Rachenwand liegt die Rachen-
ö>ffiDimir der Eostachi'schen Trompete ^§. 233», unmittelbar hinter
dem iu*.*^Ten Rande der CTioanen. Die Oeffnung ist fast oval, vier
Linien lan^, und etwa.* >chri^ von innen und oben nach attsnen
und Tttter. ^«rieht^t. Sie kann dunh eine an der Spitze gekrümrote
Soade. Trel'rh" drireh d»^n uni«er^n Naäengang in die Ra/;henb^ble
geleiiei »ir^i, l^irhz '-rr'^ich: werd^^n. Ihre Umrandung ist nur an
d*T ir r-r^r^. F*-r:;.h'r> -»Ark aaiär^wnl^tet. Die vorder-^- Peripherie
den.^Jt,-*r, ..^r .- v-- t-^tA -lAtt. ZTri*4:h<eri der Rachen>!rffnung dfrr Tnba
ui*d i^7 K.r.-er*;^ Pr.Arvnxwacd. h'M^i die Schleimharu eine Mtch
»UüMit \güfi orpfrci ^*Heh:e:e, otsai'^ ^md drüjenreiche Bfxcht. 4ie
i»'V»'-*i!« iii^er^h* *rnh^ «-h-xi ^^ki Hauer erwihnt ,
666 §. SM. Rachen.
An der Wand des Rachens haben wir drei Schichten zu unter-
scheiden. Die äussere gehört einer Fortsetzung der in §. 160
erwähnten Fascia biicco-pharijngea an. Die mittlere besteht aus
einer Lage animalcr Muskeln, — die innere ist Schleimhaut. Im
Cavum pliartjugo-nasale erscheint die Schleimhaut röther, und drüsen-
reicher, als im Cavum phart/ngo-lart/ngeum. Sie besitzt im erst-
genannten Räume ein flimmerndes Epithel, im letzteren ein mehr-
fach geschichtetes Pflasterepithel wie die Schleimhaut der Mundhöhle.
Die Drüsen der Schleimhaut zerfallen in Schleimdrüsen und Balg-
drüseu. Schleimdrüsen finden sich an der hinteren Wand des
Rachens. Je weiter gegen den Anfang der Speiseröhre herab, desto
spärlicher werden sie. Balgdrüsen, und zwar vereinzelte und accu-
muliii;e, hat man in dem obersten Theile des Rachens, welchen man
Fomix pharyngü nennt, angetroffen. Sie bilden einen, den Mandeln
structurverwandten, bis drei Linien dicken Drüsengürtel (Tonsilla
pharyngea einiger Autoren) , welcher hinter dem oberen Rande
beider Choanen, von einem Ostium tubae Emtachianae zum anderen
hinüberreicht.
Lutfchka, der Schlundkopf des Menschen. Tübingen, 1868. — lieber die
Drüsenformationen im Pharynx handelt ebenfalls Luschka, im Archiv für raikr.
Anat. 4. Bd. 1868.
Ich möchte die Ka<*Jienhöhle den Kreuzweg der Respiratioiis- und Ver-
dauungshöhle des Kopfes nennen (annmunuf deris et ntUrinientorum via, Hai 1er).
Die durch die Nase eingeathmete Luft, und der zu verschlingende Bissen, gelangen
durch den Rachen zum Kehlkopf und zur Speiseröhre. Da nun der Uebergang
des Rachens in die Speiseröhre hinter dem Kehlkopfe liegt, so müssen sicli die
Wege des Luftstroms und des Bissens in der Rachenhöhle kreuzen. Ist der Bissen
in den Rachen gekommen, und wird dieser durch die Constrlctores verengert, so
könnte der dadurch gedrückte Bissen eben so gut gegen die Choanen »ich er-
heben, oder in den Kehlkopf hinabgetrieben werden, als in die Speiseröhre ge-
langen. Den Weg zu den Choanen schliesst der weiche Gaumen ab, indem er
sich gegen die Wirbelsäule stellt. Der Eintritt in den Kehlkopf wird durch den
Kehldeckel versperrt, welcher, wenn der Kehlkopf beim Schlingen gehoben, und
die Zunge nach rückwärt« geführt wird, sich wie eine Fallthüre über das Ostium
laryngi» leg^ Es ist nicht richtig, wenn gewöhnlich gesagt wird, dass der nieder-
gedrückte Kehldeckel dem Bissen als Brücke dient, über welche hinüber er in
den Schlondkopf, und sofort in die Speiseröhre geschafft wird. Denn der Kehl-
deckel kommt eigentlich mit dem Bissen in gar keine Berühnmg, da er nicht
durch den Bissen, sondern durch den Zungengrund, gegen welchen er beim Heben
des 'Kehlkopfes während des Schlingens angepresst werden muss, niedt^rgedriickt
wird. — Nur beim Erbrechen kann Festes oder Flüssige» ans der Rachenhöhle in
die Nasenhöhle hinauf geschleudert werden, oder bei einem tiefen und hastigen
Einathmen, wie es dem Lachen voranzugehen pflegt, aus der Mundhöhle in den
Kehlkopf gerathen.
§. 257. BAohenmiukeln. 667
§. 257. Rachenmuskeln.
Wir unteracheidcn Hebe- und Öehnürmuskeln des Uachens.
Beide sind willkürlich bewegliehe Muskelgnippen. Als Hebemuskel
wirkt der paarige Sttjlo-phart/ngeus. Er entspringt am Griffelfortsatz,
oberhalb des Stt/lo-glossus. Er zieht, mit seinem Ctespann convcr-
girend, zur Seite des Pharynx herab, und verliert sich theils zwischen
dem mittleren und oberen Schnürmuskel, theils findet er eine solide
Insertion am oberen Rande des Schildknorpels (zusammen mit dem
Palato-pharyngms. §. 245.) Einen Azt/gos phartjnguf, welcher von der
Basis des Hinterhauptbeins entspringt, und seine strahlig-divergircn-
den Fasern mit denen der beiden Stylo-fhartfugei mischt, habe ich
nur sehr selten beobachtet.
Die Schnürmuskeln (Constrictores phartjngis) bilden die Seiten-
wände und die hintere Wand des Rachens, i:^aii^on deren Median-
linie (Raphe) sie von beiden Seiten her zusammenstreben. Man
zählt drei Paare, als Constrictor pliaryngis superioTj medius, und
infenor, welche, von hinten her gesehen, sich der Art theil weise
decken, dass der untere Constrictor sich auf den mittleren, und
dieser auf den oberen hinaufschiebt. Alle knöchernen, HbHisen und
knorpeligen Gebilde, welche zwischen Schädelbasis und Anfang der
Luftröhre gelegen sind, dienen den Faserbündeln der Rachen-
schnürer zum Ursprünge, und es muss deshalb, wenn man jedem
Bündel einen eigenen Namen giebt, eine sehr complicirte Musku-
latur herauskommen. Da der obere Constrictor im Allgemeinen nur
von gewissen Knochenpunkten an der Schädelbasis entspringt, der
mittlere nur vom Zungenbein, der untere nur vom Kehlkopf, so
wäre es nicht ungereimt, sie als Cephalo-, Hyo- und Larj^ngo-pharyn-
geu8 anatomisch zu taufen.
Der CoriMtrictcr »tjperior nimmt die oberste Partie der hioteren Racbenwaiul
ein, welche den Choanen (rei^fnühemteht. Er entspringt vom Hammlu* pLery^cidems
(al» Ptert/go-pkartf/if/euM^, von d^-m hinteren Ende der Line^ myUhhyoicUia fal«
Mylo-pharipigenjtj, vom SeiU'nrande ^ft Zunge <^aU Gl^xfmo-j^tarynpeu*., ond roo
einem, zwischen Ober- und ( rnterkiefer, hinter den Mahlzähnen
Streifen der FoMcia hwxo-phanju/jfM (aU Httrret-pharyn/jtuMj. — Die Wirinin|r
Muskels ist nichts wenif^f-r aN klar, da At^t 7A\ verschlingende BisMiu nie ia
Bereich kommt, indem er, den w<fichen i^Jaumen« weg^n, nicht
gegen die Choamri y;eirifhi'n w^-rden kann. \V#;nn er, wie man anniminl, «iüim>i
des H4'\\\'infir'M'U-p di** UUtUr*' lUi-Jienwand hervorwölben »oll, um «e dem
Gaumen nlh^-r ym Wm^vu uui\ lUu \t\»t\\\%mn lieid^-r z.o erleichtern, j^ frape
wodurch dt-T I*" f»- \U*im «««t^i lullt wifdcM »#,11, wehher sich, hei einem M*lc^>eB
Vorgang, hinter »Wr iii^ku:u^m^\ Mld^n wum? >- Der »cliwache ("V
nuAiuM koiJiiiit tiM /»>o hun^Uiu ys,f„ ^f,,„^„ „,^ kleinen H^.me de»
beiiif, »U //#/«<./ nwi t'hoHjhftifhtHif^Hfti». fi^\ur oWren Kai»em rtwben »
hii»t*jreii IUa^h^i^ i^'U ^^Ui; ^u^ unteren iiM-h ahwirta, wJÜiMiMi
668 §. 258. Speiseröhre.
mittleren horizontal bleiben. So muss es denn zu einer oberen und unteren
Spitze der beiderseitigen Muskeln kommen. Die obere Spitze schiebt sich auf
den Constrictor »uperior hinauf, die untere wird von der gleich anzuführenden
Spitze der beiden Consb*ictore» inferiores überdeckt. — Der Constrictor inferior
entspringt vorzugsweise von der äusseren Fläche des Schildknorpels (Thyreo-
phart/ngetiij, und von der Aussenfläche des Ringkoorpels (Crico-pharyngeus). Auch
seine Bündel kommen mit den entgegengesetzten in der Raphe zusammen. Die
oberen von ihnen schieben sich, mit einer nach oben gerichteten Spitze, über den
ConstricUtr mediua hinauf.
Der Weg des Bissens von den Lippen bis zum Pharynx, steht imter der
Aufsicht und Obhut des freien Willens. Hat aber der Bissen den Racheneingang
passirt, so hält ihn nichts mehr auf, und er wird ohne Zuthun des Willens in
den Magen geschafft. Kitzeln des Rachens mit dem Finger oder einer Feder, wohl
auch durch ein verlängertes Zäpfchen, erregt kein Erbrechen, sondern Schling-
bewegung; — Kitzeln des Zungengrundes und des weichen Gaumen? dagegen
keine Schlingbewegung, sondern Erbrechen. Beide Formen von Bewegungen sind
somit Reflexbewegfungen.
Die anatomische Darstellung des Pharynx rauss von rückwärts und nach
folgenden Regeln vorgenommen werden: Man löst an einem Kopfe die Wirbel-
säule aus ihrer Verbindung Init dem Hinterhaupte, und entfernt sie. Dadurch
wird die hintere Rachenwand, welche an die vordere Fläche der Wirbelsäule durch
sehr laxes Bindegewebe befestigt war, frei. Man entfernt nun vorsichtig die
Reste der Faacia bticco-pharyngeat und verfolgt die unter ihr liegenden Faser-
bündel der Levatores und Constrictores bis zu ihren Ursprüngen, wodurch auch
die Seitengegenden des Pharynx zur Ansicht kommen. Führt man von unten
her durch die Speiseröhre einen Scalpellgriff' oder eine starke Sonde in die
Rachenhöhle ein, so kann man damit die hintere Rachenwand aufheben, und man
bekommt eine Idee von der Ausdehnung und Form dieses häutig-muskulösen
Sackes. Nun trennt man durch einen Längenschnitt die eben präparirte hintere
Wand, und durch einen Querschnitt ihre obere Anheftung an der Schädelbasis,
legt die beiden dadurch gebildeten Lappen wie Flügelthüren aus einander, und
befestigt sie durch Haken, damit sie nicht wieder zufallen. Man übersieht nun
die vordere Rachenwand von hinten her, und lernt die Lage der Oeffhungen
kennen, welche in die Nasen-, Mund- und Kehlkopfhöhle führen. Die Choanen
sind vom latknuu faucium durch das Palalum moUe, — der Isthmus vom Kehl-
kopfeing^ng durch die elastische Knorpelplatte des Kehldeckels getrennt Seit-
wärts und oben, sieht man hinter den Choanen, die Rachenmündungen der
Eostachi^schen Trompeten.
§. 258. Speiseröhre.
Der Rachen geht vor dem sechsten Halswirbel in die Speise-
röhre über, Oesophagus (wörtlich Essenträger, von oici), tragen,
und fa^eiv, essen, — bei Plinius gtda, qua cibtts atqae potus devo-
rcUur), Sie verbindet den Rachen mit dem Magen, und hat, ausser
der mechanischen Fortbewegung des Verschlungenen, keine andere
Nebenbestimmung zu erlullen. Sie liegt hinter der Luftröhre, und
etwas links von ihr, geht durch die obere Brustapertur in den hin-
teren Mittelfellraum^ kreuzt sich mit der hinteren Fläche des linken
S. »58. Spdt«r4)tf«. 669
LuftröhronasteS; und legt sich, von der Theilungsstello der Luftröhre
an, an die rechte Seite der Aorta, verlässt hierauf die \Virbi^l»UuK»,
kreuzt sich neuerdings mit der vorderen FlUcho der Aorta, um zum
links gelegenen Foramen oesophageum des Zworchfells zu gelangen,
und geht durch dieses in die Cardia des Magens über. Sie be-
schreibt also, kurz gesagt, eine langgedehnte Spirale um die Aorta.
Eng an ihrem Ursprünge, erweitert sie sich hierauf etwas, und
nimmt vom sechsten Brustwirbel angefangen, an Weite wieder ab.
Lockeres Bindegewebe versieht die Speiseröhre mit einer
äusseren Umhüllungsmembran. Die darauf folgende Muskelhaut
besteht aus einer äusseren longitudinalen und inneren spiralen oder
Ringfaserschicht. Die Schleimhaut lässt im zusammengezogenen
Zustande des Oesophagus, Längenfalten erkennen, welche sieh beim
Durchgange des Bissens glätten, um das Lumen des Kohrs zu er-
weitem. Ihr Substrat besteht aus Bindegewebs- und elaMtisehen
Fasern, mit einer äusseren Auflage von longitudinalen organiMchen
(glatten) Muskelfasern. Diese bilden eine mit dem Messer dar-
stellbare Schichte der Schleimhaut, welche sich von nun an durch
die ganze Länge des Darmkanals erhält. Winzige Papillen fehlen
auf der Speiseröhrenschleimhaut nicht. Ihre Schleimdrüsen gehören
zu den kleineren Formen, und stehen solitär oder gruppirt. Sie
reichen bis in das submucöse Bindegewebe, und die grösseren der-
selben dringen selbst in die Maschen der Längen- und Querfanern
der Muskelhaut ein. Das Epithel der .Speiseröhre ist ein dickes
geschichtetes Pflasterepithel. Bei Embryonen (achtzehn bis zwei-
onddreissig Wochenj flimmert da« Epithel der Speis^rröhre ^Neu-
mannj.
Dkr Miuk«l£Meni der Bpeisert^hre nnd md Halcüieilc derMrlben '|q^f*ftr<rift,
MD Brasttiieile in der Mebrahl gUtt. Der Ueber|^aii|^ der <iiierye«tretfiteo HtukmU
CMeni in die platten erfolg nicht plOtzlieb. Es treten rielmebr «Mmrt in d«r
Binfffctencfaicbt g\MtU Ma*kel£Mem z«i*rben den qoergettreiften aaf. und nätUm^m,
it -miiier die ü^njtetfßkn gtgtra den lUf» htnhkommU de«to nelür Ma Z*bl m,
otuMt >edMii die qnerfeftiviften giazlic^ la Terditafeo. — Die T</n mir twlf-
dwiaesi Mm^oaU hrfmth^ und /rf«/tM««>fiÄÄ9'fli ZetSJcLfift der Wiener A4rfste,
l^»i4. ftoir^a xrar gjjttt Fa*em. die Lab^s «äcÄ feit tkm BefaMWtmtelrtMiy Idhiif
»Msder ipetvAßn^ iMn br^rmt^^fy-utmßfiiiMm^ «Äipc=nr ▼--« der ciAiereft mtcm-
hruAtm Wm.« de« lizJu^ Brocidn^ de- /^Sw i ieiijyfc*ir»* ▼« '^ Uftkeü W$m4
de« M^diMCdiitaM. f$4vie &r«isn2nixm «et RfaiTinp ii«r Läag^fommiuhk 4^ i^pteim-
«äaeu. kVyt?j«/A v^^*j»^a-i*1«. Falle iafi* ä«" r W; i *mmjipmm^€MM iia0e ^»rdk ^*th
ri^^ttyfmt, Aw ^hyii^t^J\r* r*w% miiMSL. iaä* icL int i-ewÖA. — Beön D>iM^«f
670 S« '^* Uebenicht der Lage des Verdanangskanals in der Bauchh'^hle.
Stelle zusammen, wo eben der Bissen sich befindet, imd gleichzeitig auch die
über dieser Stelle befindlichen Kreismuskeln. Indem diese localen Zusammon-
ziehungen von Stelle zu Stelle fortschreiten, erzeugen sie eine von oben nach
unten ablaufende Contractionswelle, welche den Bissen in den Magen schafft
Als höchst seltenes Vorkommen verdient eine sackartige Erweiterung des
Oesophagus, dicht über dem Foramen oesophcigeum des Zwerchfells, erwähnt zu
werden. Sie wurde zuerst von Arnold als Anlntm cai'diacuvi beschrieben, und
soll das am Menschen als Curiosum rariasimwn vorkommende Wiederkäuen
veranlassen.
§. 259. Uebersicht der Lage des Terdauungskanals in der
Bauchliöhle.
Der Verdauungskanal und seine drüsigen Nebenorgane
liegen in der vereinigten Bauch- und Beckenhöhle. Sie werden von
dem Bauchfelle, Peritoneum, umschlossen, welches einerseits als
Peritoneum parietale die innere Oberfläche der Bauch- und Becken-
wandungen auskleidet, andererseits viele faltenfiirmige Einstülpungen
erzeugt, um die einzelnen Verdauungsorgane mit einem mehr
weniger completen Ueberzuge zu versehen. Die Summe dieser
faltenförmigen Einstülpungen des Bauchfells, wird als Pevitontum
viscerale bezeichnet.
Der Verdauungskanal, Canalw digestorius s, aJimentanns , be-
steht aus drei, durch Lage, Gestalt und Structur, verschiedenen
Abschnitten. Der erste und voluminöseste ist der Magen, - der
zweite das dünne (besser enge) üedärm, und der dritte: das
dicke (weite) Oedärm. Jeder Abschnitt wird von dem nächst-
folgenden durch eine Klappe getrennt. — Das dünne und dicke
Q^därm bilden zusammen den Darmkanal oder Darm schlauch,
I\ibvs 8. Canalis intestinalis.
Da die Bogensehnen (ckordae), so wie unsere Darmsaiten, an» dem Ge-
därm der Hausthiere gedreht wurden, hiessen die Gedärme hei den (jlrieclien
auch yop^ai. So wird der jetzt noch in der Mediein gebräuchliche Ausdruck
CkordaptuM für Darmverschlingung (Miserere) verständlich, und da das Gedärm
von altersher zum Wurstmachen verwendet w^urde, hiess auch die Wurst /opoijua.
Die Römer nannten in der gewöhnlichen Verkehrssprache den Darmkanal, beson-
ders das dünne Gedärm, auch Ictctes, wahrscheinlich weil er durch seine weiss-
Uche Farbe gegen die braune Leber und Milz, und gegen das rothe Mnskelfleisch
stark absticht. Daher lacteji Icueae für Abweichen bei Plautus, und iactibug
offninUt canein praejicere, den Hund zum Hraten setzen.
Der Magen liegt in der oberen Bauchgegend, und reicht in
beide Rippenweichen (Hypochondria) ; jedoch weniger in die rechte,
als in die linke. Er setzt sich durch seinen Ausgang, den Pförtner
(I^lorus), iu das dünne Gedärm, Intestinum tenae, fort, au welchem
§. 859. Uebersicht der Lage des YerdAniuigskAnals in der Banchhdhle. 671
wieder drei Abschnitte unterschieden werden: der Zwölffinger-
darm, Leerdarm, und Krummdarm.
Der Zwölffingerdarm, Inteiftinum duodenum, bildet dicht vor
der Wirbelsäule eine, mit der Oonvexität nach rechts gerichtete,
hufeisenförmige Krümmung. Der darauf folgende Leerdarm, Inte-
stinum jeju7mm, geht ohne bestimmte Grenze in den Krummdarm,
Intestinum ileum, über. Beide sind in zahlreiche Windungen gelegt,
welche Darmschlingen (Ansäe s. Gyri intestinales) heissen, und
die Regio umhäicalis, hypogastrica, beide Regiones üiacaey so wie die
kleine Beckenhöhle einnehmen. Die Darmschlingen variiren in
Grösse und Richtung sehr mannigfaltig. Man sieht sie von einer
Seite zur anderen, auch auf- oder abwärts gerichtet, niemals jedoch
so gelegen, dass die Concavität ihrer Krümmung nach der Bauch-
wand gerichtet wäre. Das Ende des Intestinum ileum erhebt sich
aus der Beckenhöhle zur rechten Darmbeingegend, und mündet in
den, auf der Fascia des Muscuhis üiacus dexter gelegenen Anfang
des dicken Gedärmes ein.
Das dicke Gedärm, Intestinum crassum, zerföUt, wie das
dünne, in drei Stücke. Das erste (der Anfang des dicken Gedärms)
ist der Blinddarm, Intestinum coecum^ in der rechten Darmbein-
gegend. Von hier steigt das zweite Stück, der Grimmdarm (Inte-
stinum colon), vor der rechten Niere in das rechte Hypochondrium
hinauf, geht dann über dem Nabel quer in das linke Hypochondrium
hinüber, und von dort, vor der linken Niere abwärts in die Becken-
höhle, wo es sich mittelst der S-förmigen Ki-ümmung (Curvatura
sigmoidea), welche auf dem linken Musculus iliacus internus liegt, in
das dritte Stück des dicken Gedärms, in den Mastdarm (Inte-
stinum rectum) fortsetzt, welcher ganz und gar der kleinen Becken-
höhle angehört, und im After, anus^ ausmündet. Das dicke Gedärm
umkreist somit das dünne. Das Wort anus, welches auch altes
Weib bedeutet, erkläit Spigelius, a rugis anüihus, von den
Runzeln, welche der eingezogene After bildet. Horaz hat für
After: podex, mit dem Beiwort turpis (Epod, 8), und Catullus:
cxdus (woher das italienische culo). Das deutsche „After" drückt,
wie das englische aft und after, den Begriff hinten und nachher
aus. Das griechische TrpcoxTC^ (bei Aristoteles) lebt in der Medicin
als Proctitis, Afterentzündung, fort.
Das rechte Hypochondrium wird von der voluminösen Leber
mehr als ausgefüllt, indem sie mehr weniger über den Rand der
Rippen vorragt. Das linke Hypochondrium enthält die Milz. Die
Bauchspeicheldrüse liegt dicht hinter dem Magen, quer vor der
Wirbelsäule, von dem concaven Rande der Zwölffingerdarmkrümmung
bis zur Milz sich erstreckend.
672 S* S^' ZamnmensetsttDg: des yerdaaang:skAnaIs.
Die Banchspeicheldrttse und der Zwölffing^erdarm werden, ihrer von den
übrigen Abtheilungen des Verdauungskanals verdeckten Lage wegen, bei der
Eröffhnng der Baachhöhle nicht gesehen. Alles Uebrige tritt gleich vor die Augen.
Die beste Abbildung der Lage der Baucheingeweide gab Luschka: lieber
die Lage der Bauchorgane. Carlsruhe, 187H. Folio mit 5 Tafeln.
§. 260. Zusammensetzung des Verdauungskanals.
Der Verdauungskanal besitzt in seiner ganzen Länge eine sich
gleichbleibende Anzahl von Schichten. Diese sind, von aussen nach
inaen gezählt: 1. der Peritonealüberzug, 2. die Muskelhaut, 3. das
submucöse Bindegewebe (Zellhaut), 4. die Schleimhaut.
Der Peritonealüberzug fehlt am unteren Endstück des
Mastdarms vollkommen, und ist für die zwei unteren Drittel des
Zwölffingerdarms, so wie für den aufsteigenden und absteigenden
Grimmdarm, kein vollständiger, indem ein grösserer oder kleinerer
Bezirk der hinteren Fläche dieser Darmstücke vom Bauchfell un-
überzogen bleibt.
Die Muskelhaut besteht durchwegs aus einer äusseren lon-
gitudinalen, und inneren Kreisfaserschicht. Ihre mikroskopischen
Elemente sind glatte (organische) Muskelfasern, welche in den ver-
schiedenen Abtheilungen des Darmkanals immer mit denselben
Eigenschaften, als sehr lange und schmale, einen verlängerten stab-
fbrmigen Kern einschliessende Faserzellen erscheinen. Eine dünne
Lage Bindegewebe heftet die Muskelhaut an den Bauchfellüberzug
des betreflFenden Darmstücks. Dieses Bindegewebe heisst sub peri-
toneal, oder subserös.
Auf die Muskelhaut folgt die Zellhaut des Darmes, welche,
ihres Verhältnisses zur Schleimhaut wegen, auch submucöses
Bindegewebe genannt wird. Die Alten nannten die Zellhaut, ihrer
weisslichen Farbe wegen, Tunica nervea. Meissner zeigte vor nicht
langer Zeit, dass diese Benennung auch in unserer Zeit nicht ganz
unberechtigt ist, da die Zellhaut einen überraschenden Reichthum
sympathischer ganglienhältiger Nervengeflechte besitzt.
Am meisten Verschiedenheiten unterliegt die Schleimhaut,
deren Attribute im Magen, Dünn- und Dickdarm, andere werden,
wie bei den betreflFenden Orten gleich gezeigt werden soll. Es kann
hier nur im Allgemeinen erwähnt werden, dass sich an der Schleim-
haut des gesammten Darmkanals eine besondere Schichte organischer
Muskelfasern unterscheiden lässt, welche Längen- und Querrichtung
verfolgen, und zum Unterschiede der früher erwähnten Muskelhaut
des Verdauungskanals als Muskelschicht der Schleimhaut be-
zeichnet werden. In allen Abtheilungen des Verdauungsschlauches
besteht die Schleimhaut aus einem sehr gelUssreichen Bindegewebe,
§. 861. Magen. 673
in dessen Lücken die als Lymphkörperchen bezeichneten Zellen,
in variabler Menge angetroflfen werden, für welchen Zustand der
Schleimhaut, His zuerst das Wort adenoid gebrauchte. Andere
bedienen sich des Ausdruckes cytogene Substanz (von xuto; Zelle
— also zellenbildcnd). — Ganglienreiche Nervenplexus wurden in
der eigentlichen Schleimhaut, mehr aber im submucösen Binde-
gewebe, von Meissner, und zwischen der muskulösen Längs- und
Ringfaserhaut des Darmkanals, als Plexus myentericus von Auer-
bach nachgewiesen. Ob diese Plexus Fasern in die Schleimhaut
entsenden, und wie diese Fasern enden, ist unbekannt.
Alle Abtheilungen des Vcrdauungskanals besitzen Cylinder-
epithel, unter welchem stellenweise noch eine structurlose Schichte
zu erkennen ist.
Diese kurze Uebenicht der Lage und Zusammensetzung des Verdauungs-
kanals musste, um Wiederholungen zu umgehen, der speciellen Beschreibung aUer
Einzelheiten vorausgeschickt werden. Die detaillirte Beschreibung des Verlaufs
des Bauchfelles, bildet in §. 278 den Schluss der Verdauungsorgane.
§. 261. Magen.
Der Magen (Veiitriculus, Stomachus, Gaster) ist die grösste,
gleich unter dem Zwerchfelle liegende, sack- oder retorten förmige
Erweiterung des Verdauungskanals, in welcher die Nahrungsmittel
am längsten verbleiben, ihre im verschlungenen Bissen noch er-
kennbaren Eigenschaften verlieren, und durch die Einwirkung des
Magensaftes, in einen homogenen Brei umgewandelt werden —
Speisebrei, Chynms (x'J|Ji.i;, überhaupt ein Saft). Die Störung
seiner Verrichtung ist eine fruchtbare, und so lange die Menschheit
nicht lernt im Essen und Trinken Maass zu halten, eine sehr ge-
wöhnliche Ursache von Erkrankungen. Per quae mvimus et sani
sumus, per eadem etiam aegrotamus, sagt Hippocrates. — Ventrkvl'us,
als Diminutiv von venter, drückt eigentlich nur eine kleine Höhle
aus, wie venter eine grosse. Das Wort wird somit nicht blos auf
den Magen angewendet, als kleine Höhle in der grossen Bauch-
höhle, sondern auf mehrere andere Höhlen, wie ventriculi cordis,
ventriculi laryngis, und ventHcuU cerehrL — ^TCfxaxo; (von cTcixa Mund,
und x£(i), giessen), hiess ursprünglich die Speiseröhre, und erst
seit Aristoteles auch der Magen. — raan^p ist bei Homer bald
Unterleib, bald Magen, bald Gebärmutter.
Der Magen nimmt die Regio epigastrica ein, und erstreckt sich
in beide Hypochondria hinein. Er grenzt nach oben an das Zwerch-
fell, nach unten an das Querstück des Grimmdarms, nach hinten
an das Pankreas, und nach links an die Milz. Seine vordere Fläche
Iljrtl, Lebibuch der Anatomie. 14. Aufl. 43
674 §. S61. Magen.
wird von der Leber so bedeckt, dass nur der gleich zu erwähnende
Magengrund, und eine ohngeßihr einen Zoll breite Zone längs des
unteren Randes frei bleiben. — Man unterscheidet an ihm den
Eingang, Cardia*), und den Ausgang oder Pförtner, Piflorua
(wüXri-cupo^, janitor, Thor Wächter). Unterhalb der Cardia und
links von ihr, buchtet sich der Magen, als sogenannter Grund,
Fundus ventriculi, blindsackförmig gegen die Milz aus. Vom Fundus
gegen den Pylorus verengert sich der Magenkörper massig, er-
weitert sich aber vor dem Pylorus gewöhnlich noch ein wenig, um
das sogenannte Antrum pt/laiicum Wülisii zu bilden, welches, wenn
es gut entwickelt ist, durch eine am oberen und unteren Magen-
bogen bemerkbare Einschnürung vom eigentlichen Magenkörper ab-
gegrenzt wird. Der Pylorus selbst wird äusserlich als eine seichte
Strictur gesehen, welche den Magen vom Anfange des Zwölffinger-
darms trennt. Er fühlt sich etwas härter an, als der eigentliche
Magen. — Die vordere und hintere Fläche des Magens gehen
am oberen und unteren Bogen in einander über. Der obere
Bogen ist concav, und kleiner als der untere, convexe. Man be-
zeichnet deshalb allgemein den oberen Magenbogen als Curvatura
minor, den unteren als Cui^atura major. Die vordere und hintere
Fläche werden im vollen Zustande des Magens zur oberen und
unteren, somit die Bogen zum vorderen und hinteren. Die Capacität
des Magens variirt nach individuellen Verhältnissen zu sehr, um
allgemein ausgedrückt werden zu können.
Der Peritonealüberzug des Magens hängt mit denselben Ueber-
zügen benachbai-ter Organe, durch faltenartige Verlängerungen zu-
sammen. Man unterscheidet ein Ligamentum phrenico - gastricum,
zwischen Zwerchfell und Cardia, und ein Ligamentum gastro-lienalef
zwischen Magen und Milz. Von der Pforte der Leber geht das
kleine Netz, Omentum minus s. hepato-gastricum, schief zum kleinen
Magenbogen hin. Vom grossen Magenbogen hängt das grosse Netz,
Ometitum majus s, gastro-colicum s. Epiploon, gegen die Beckenhöhle
herab, deckt, wie eine Schürze, das Schlingenconvolut des dünnen
Gedärmes, schlägt sich dann nach rück- und aufwärts um, als
wollte es zum Magen zurückkehren, befestigt sich jedoch schon früher
*) xapöfo, bei Homer xpa${rp ist eigentlich Herz, bedeutet aber auch die
unter dem Schwertknorpel befindliche Magengrube, deren schmerzhafte Affec-
tionen deshalb Cardialgia imd Cardiogmu» benannt wurden. Galen übertrug das
Wort xapofa auch auf den Eingang des Magens, welchen man bisher nur als to
9T0{iLa Tou Yaaipd; bezeichnete. Die Lage des Mageneing^ngs entspricht nämlich
der Herzgrube. So werden Heister's Worte verständlich: o» ventriculi cor eimm
appellarU (Oompend. anoL Edit. 2. pag, 59), — Die sonderbarste Benennung des
Magens fand ich in Alexandri Benedict i, Änatotniee, Venet,, 149S, Lib. IL
cap. 10. Um die Wichtigkeit des Magens im organischen Haushalt auf recht ver-
ständliche Weise sa marklren, nannte er ihn PaUrfamüUu, — n*P**^ totum antmeU
»olu3 yubernai; natn n aeyreMcat, vUa in aficipiU etV*.
§. 268. Struetnr des Magens. 675
am querliegenden Grimradarrae, wo es mit dem Bauchfellüberzuge
dieses Danustücks verschmilzt. Dieser Anordnung des grossen Netzes
zufolge, wird jener Theil desselben, welcher zwischen Magen und
Quergrimmdarm liegt, nur zweiblättrig sein können, während der
vom Quergrimmdarm bis zum unteren freien Rand des grossen
Netzes sich erstreckende grössere Abschnitt desselben vierblättrig
sein muss.
Das Wort Omentum finden wir schon bei Celsus, für grosses Netz: omen-
tum urUverga intestina contegü. — Epiploon ist der griechische Ansdnick fttr
Omentum, von iizi und izXioi, fliessen, auch schwanken, weil das Netz frei beweg-
lich über den Gedärmen liegt. Seinen Fettreichthum drückt Aristoteles durch
::ijjieXa)8r,? y iTtüv aus, von jiijieX/j, Fett. — Der deutsche Name Netz schreibt sich
daher, dass die Fettablagerung in dieser Bauchfellfalte, dem Laufe der Blut-
gefässe folgt, und da nun diese Oefasse weitmaschige Netze bilden, muss auch
die Fettablagerung in Netzform auftreten, welche bei gemästeten Thieren sehr
zierlich und regelmässig erscheint, insbesondere bei Schafen und Kälbern.
Nur das Lujamentum phrenico-gaatricum verdient den Namen eines Haltbandes
des Magens. Die übrigen, hier erwähnten BauchfcUfalten, kommen von so be-
weglichen Eingeweiden her, dass sie den Magen unmöglich fixiren können, und
er somit seine Richtung im vollen Zustande ohne Anstand ändern kann. — lieber
die verschiedenen Formen des AiUvum pt/Ioricvm bei Menschen und Säugethieren
handelt lieizhu, in MiUlei'a Archiv, 1857.
§. 262. Structur des Magens.
Ein Organ, dessen sorgföltigste Pflege einziger Lebenszweck
so vieler Menschen ist, verdient eine eingehende anatomische Unter-
suchung.
1. Der Bauchfellüberzug des Magens stammt von den beiden
Blättern des kleinen Netzes. Dieses kommt von der Pforte der
Leber her, und tritt an den oberen Bogen des Magens, wo seine
beiden Blätter auseinander weichen, um die vordere und hintere
Fläche des Magens zu überziehen, und am unteren Magenbogen
wieder zusammenkommen, um in das grosse Netz überzugehen.
An beiden Bogen des Magens bleibt nur so viel Raum zwischen
den Blättern der Netze übrig, als die hier verlaufenden Blutgefiisse
erfordern.
2. Di(3 Muskelschichte des Magens erscheint complicirter als
jene des GedäruK»», indem zu den Längen- und Kreisfasern, noch
schiefe Fasern hinzukommen. Die Längenfasorn mögen wohl als
Fortsetzungen der Längenfawjrn des Oesophagus angesehen werden.
Sie liegen am kleinen Magenbogen dichter zusammen, als am grossen,
und bilden übcirdies an der vordortsn und hint(?ren Wand des Antrum
pyloricum je ein breites, zuweil(3n sehr scharf markirtes Bündel
(Liyanienta pfjlori). Die nach einwärtH auf die Längenfasern folgenden
48*
676 §. MS. Structnr des Magens.
Kreisfasern, kreuzen sich mit ersteren unter rechten Winkeln.
Sie gehen ringförmig um den Grund, den Körper und den Pylorus
des Magens herum, stehen also senkrecht auf der Längen richtung
des Magens. Das Bündel Kreisfasern, welches den Pylorus um-
greift, bildet einen kleineren Kreis als alle übrigen, und treibt somit
eine faltenartige Erhebung der Schleimhaut gegen die Axe des
Pylorus vor, wodurch die Pförtnerklappe, VcUmda pylori , ge-
geben ist.
ValmUa kommt von Valva, und wird richtig Valvola geschrieben. Die
Römer gebrauchten den Singnlar selten, wohl aber Valvae und Valvolae, ersteres
alfl Thürflügel, letzteres als Schoten einer Hülsenfrucht, welche wie zwei Klappen
aufspringen.
Die OeflFnung der Pförtnerklappe steht nicht immer in der
Mitte des Klappenringes, sondern nähert sich der Darmwand, oder
rückt gänzlich an sie an, wodurch der Klappenring C-förmig wird.
Das Bündel von Kreismuskelfasern in der Pylorusklappe, wirkt als
Sphincter, und verschliesst während der Verdauung den Magen -
ausgang vollkommen. An der Cardia findet sich kein besonderer
Sphincter. Dagegen treten an derselben zwei schiefe Faserzüge
auf, welche rechts und links von der Cardia zwei Schleifen bilden,
die von einer Fläche des Magens auf die andere so übergreifen,
dass die an der vorderen und hinteren Magenfläche befindlichen
Schleifenschenkel, sich daselbst schief überkreuzen.
3. Die Schleimhaut wird durch ihr submucöses Bindegewebe
so lose an die Muskelschichte gebunden, dass sie sich im leeren
und zusammengezogenen Zustande des Magens faltenartig erheben,
und Vorsprünge erzeugen kann, welche, obwohl vorzugsweise der
Längsrichtung des Magens folgend, doch auch durch quere Ver-
bindungsfalten eine Art groben Netzwerks darstellen. Ueberdies
zeigt die Magenschleimhaut unter der I^oupe noch eine Unzahl
kleiner grubiger Vertiefungen, von runder oder polygonaler Form.
Jene, welche in der Nähe des Pylorus liegen, werden durch niedrige,
am freien Rande gekerbte Schleimhautleistchen (die Plicae villosae
einiger Autoren) von einander abgemarkt. Am Grunde der Grüb-
chen, münden die das wirksame Agens der Verdauung absondern-
den Pepsin- oder Labdrüsen aus, so dass auf ein Grübchen vier
bis sechs Drüsenmündungen kommen. Diese Drüsen stehen übrigens
Mann an Mann gedrängt, und bilden dadurch ein continuirliches
Drüsenstratum des Magens. Ihre Menge ist so bedeutend, dass auf
einer Quadratlinie Magenoberfläche drei- bis vierhundert derselben
münden, und die Gesammtzahl derselben von Sappey auf fünf
Millionen angeschlagen wird. Dieses ungeheuren Ueichthums an
Drüsen wegen, wird von dem eigentlichen Gewebe der Schleimhaut
des Magens nur sehr wenig erübrigen; — dasselbe geht fast
{. 86S. Stroctur des Magens. 677
gänzlich in diesem Drüsenstratum auf. Es wurde deshalb die
Magenschleimhaut auch eine in die Fläche ausgebreitete Drüse
genannt.
Die Pepsindrüsen (ii£jfn>>y verdauen) gehören der Familie /'^•^^"/^
der einfachen tubulösen Drüsen an. Ihre Länge gleicht so ziemlich /7/7^<i/Vt/
der Dicke der Magenschleimhaut. Ihre Weite wechselt zwischen /(?i^v/^(J
0,01 Linie und 0,03 Linien. Ihr Grund ragt in die organische
Muskelschichte der Schleimhaut hinein, so dass er allenthalben von
den Muskelfasern umgeben wird, welche denn auch durch ihre
Zusammenziehung auf die Entleerung des Inhaltes der Drüsen Ein-
fluss nehmen werden. Die Richtung der Pepsindrüsen steht senk-
recht auf der freien Fläche der Magenschleimhaut. Der aus
structurloser Wand bestehende Schlauch einer Pepsindrüse, bleibt
in der Regel einfach und ungespalten. Er kann sich aber, gegen
sein blindes Ende zu, in zwei oder drei, parallel neben einander
liegende Zweige spalten. Und so mag man denn, wenn es beliebt,
einfache und zusammengesetzte Formen zugeben. — Das
Cylinderepithel der Magenschleimhaut setzt sich von dem geschich-
teten Pflasterepithel des Oesophagus, durch eine scharf gezeichnete
zackige Grenzlinie ab. Es dringt in alle Pepsindrüsen eine Strecke
weit ein, und vindicirt sich ohngefahr ein Drittel oder Viertel ihrer
Länge. Von der Stelle an, wo das Cylinderepithel der Pepsin-
drüsen aufhört, enthält der Schlauch der Drüse zweierlei Zellen-
formationen. Die eine ähnelt noch den Cylinderzellen des Epithels
im Halse der Drüse, und lagert gegen die Axe des Drüsenschlauches
hin. Die andere aber hält sich an die Wand des Drüsenschlauches,
und besteht aus verhältnissmässig grossen, rundlichen Zellen, mit
körnigem Inhalt. Man hält sie für die eigentlichen Bereitungszellen
des Pepsins, und nennt sie Labzellen, da man sie in den Drüsen
des Labmagens der Wiederkäuer zuerst beobachtete. Man hat diese
zweite Zellenformation mit dem Namen delomorph belegt, die
erste aber adelomorph genannt; zwei unglücklich gewählte Namen,
da nicht die Form ({xop^T^), sondern der Inhalt der Zellen deutlich
oder undeutlich ist. Diese beiden Zellengattungen füllen den Schlauch
einer Pepsindrüse nicht vollkommen aus, sondern lassen eine feinste
Lichtung (von 0,002 Linien) frei. Nur das blinde Ende der Pepsin-
drüsen wird von diesen Zellen vollkommen erfüllt. Zwischen den
Labzellen f Indien sich in den Pepsindrüsen auch Kerne, und eine
klare Flüssigkeit (Labsaft), welche während der Verdauung in
reichlichem MiiaHse abgesondert wird, den geformten Inhalt der
Drüsen mecdmniMch herausschwemmt, und sich mit ihm mischt.
Das endliche Schicksal der Labzellen besteht im Bersten derselben,
entweder während der Entleerung der Drüsen, oder nach derselben.
Dadurch wird ihr flüssiger Inhalt frei, mischt sich mit dem Lab safte,
678 §• 268. Danndarm.
und bildet mit ihm den sopjenanntcn Magensaft (Succus gaatricus),
Filtrirter Magensaft aber, welcher keine Labzellen und keine Reste
derselben mehr enthält, verdaut so gut wie unfiltrirter. — Die mit
den Labzellen zugleich entleerten Epithelialzellen der PepsindrUsen,
gehen wahrscheinlich unverwendet zu Grunde.
Ausser den PepsindHisen besitzt die Magenschleimhaut noch Schleimdrüsen
an der Cardia und am Pylonis. An letzterem Orte zeichnen sie sich durch die
langfirestrockte Form ihrer Schläuche aus. — Man stösst auch, jedoch niclit con-
stant^ hie und da auf vereinzelte geschlossene Follikel, welche Glandulae
lenticularea genannt werden, obwohl sie keine Glandulae sind. 8ie stimmen mit
den Follikeln dos Darmkanals vollkommen überein. Deshalb fülire ich sie liier
blos namentlich an.
Die BlutgefKsse der Magenschleimhaut zeigen ein interessantes Verhalten
zu den Pepsindrüsen. Schon im 8ubmucr>sen Bindegewebe zerfallen die Arterien
in feinste Zweige, welche zwischen den Schläuchen der Pepsindrüsen senkrecht
aufsteigen, sie mit Capillanietzen umspinnen, und zuletzt in relativ weite Venen
übergehen, welche die Grübchen der Magenschleimhaut (in welche die Gnippen
der Pepsindrüsen ausmünden) mit weiten Maschen umzäunen. Aus diesen Masehen
gehen noch stärkere Venen hervor, welche zwischen den Drüsenschläiichen, ohne
von ihnen noch weiter Blut aufzunehmen, geradlinig herabsteigen, um in grössere
Veneimetxe des submucösen Bindegewebes einzum(Uiden.
Die PepsindrUsen entleeren ihren Inhalt nur während der Verdauung. Dass
die Anhäufimg ihn.'s Inhaltes, während des Nüchternseins, das Gefühl des llim^ers
veranlasse, ist eine ganz willkürliche Annahme. Wäre dieses der Fall, so müsste
man in der Früh*, wo der Magen am längsten leer war, den grösston Hunger
halH*n. — Streift man die innere Fläche eines frischen Thiermagens mit dem
Messer ah, um da« Secret der Magendrilschen zu erhalten, und verdümit man
dieses mit angesäuertem Wasser ^Salzsäure), so hat man sich künstlichen Magen-
saft bereitet, der zu Verdauungsversuchen extra ceutncnlinn venvendet werden
kann, und in neuester Zeit auch als Heilmittel Anwendung fand.
Die Bewegung dos M:»gens, }[of»ji j><twM//iVmj», welche durcli die abwech-
selnde Zusamnien/.iehung seiner Längen- und Kreisfasern bewerksteüipt wird, und
von der Cardia gegen den Pylorus ^^-urmfÖrmig fortschreitet, wirkt darauf hin,
nach und nach jedes Theilchen des Mageninhaltes mit der Schleimhaut und ihrem
Drüsensecret in Berührung zu bringen, und, w^as bereits chymiücirt wurde, in das
Duovlenum abzustreifen. Stärkeri-r Kraftäusserungen ist der menschliche Magen
nicht fähig. Er vennag es z. B. nicht, weichgekochte Linsen zu zerdriicken,
welche unversehrt mit dem Koth abgehen. Die Kraft, mit welcher btim Er-
brci'hen die Magencontenta ausgeworfen werden, hängt nicht von der Mnskflhaui
de» Magtms, sondern hauptsächlich von der Wirkung der Bauchpresse ab. MtTk-
würdigt»r Wci.«k» schreibt Celsns allen Gelehrten einen schifchten Magen zu:
imftfrilUj* sitotiMt'hi\ *iti*u(A f.uijriuui jMrj* liiern/ormii. <>.-i;i<"j».y*/^ /•>■<■ rujiidi liitrar'i.i
.•h.*:. Die Zeiten und die Mägen haben sich sehr geändert.
§. 263. SünndaniL
rober die drei Abtheilungen des Dünndarms ist Folgendes
zu merken:
§.8«3. Danndarm. 679
1. Der Zwölffingerdarm (Intestinum duodenum) besteht aus
drei, mittelst abgerundeter Winkel in einander übergehenden Stücken,
welche zusammen eine mehr als halbkreisförmige Krümmung (Huf-
eisen) um den Kopf des Pankreas bilden. Das obere Querstück
geht vom Pylorus über den rechten Lumbaltheil des Zwerchfells
quer nach rechts, beugt in das rechts von der Wirbelsäule liegende
absteigende Stück um, welches in das untere Querstück
übergeht, dessen nach links und oben gehende Richtung, die Aorta
und Vena cava ascendens kreuzt. Das obere Querstück besitzt einen
fast vollkommenen Peritonealüberzug ; — das absteigende Stück
nur an seiner vorderen Fläche; — das untere Querstück liegt
zwischen beiden Blättern des queren Grimmdarmgekröses ein-
geschlossen. — Die Länge des Zwölffingerdarms misst zwölf Daumen-
breiten, woher sein, von Herophilus zuerst gebrauchter Name
stammt: Sü>Sexa§axTuXov.
Treitz entdeckte einen constanten, dem Zwölffingerdarm eigenen Muskel,
welchen er Musculus suspensoriu» duodeni nannte. £r geht aus dem dichten
Bindegewebe hervor, welches die Ursprünge der Arieria coeliaca imd mesenterica
superior uragiebt, und verliert sich in dem longitudinalen Muskelstratum des
Zwölffingerdarms in der Gegend der unteren Krümmung (Prager Vierteljalirsschrift,
18Ö3). Der Muskel wurde aller Orten bestätigt
2. und 3, Der Leer- und Krummdarm (Intestinum jejunum
et ileum) bilden zusammen ein circa fünfzehn Fuss langes^ gleich-
weites Rohr, welches, um in der Bauch- und Beckenhöhle Platz zu
finden, sich in viele Schlingen legen muss. Bei der Abwesenheit
einer scharfen Grenze zwischen Jejunum und Ileum, rechnet man
Zweifünftel der öesammtlänge beider auf das Jejunum, Dreifünftel
auf das Ileum. — Das Schlingenconvolut des vereinigten Leer- und
Krummdarms nimmt die mittlere, die untere, und die seitlichen
Gegenden der Bauchhöhle ein, und lässt bei leerer Harnblase seine
untersten Schlingen bis in die kleine Beckenhöhle herabhängen.
Die Peritoneal- und doppelt geschichtete Muskelhaut des
dünnen Darmes zeigen nichts Besonderes. Die Schleimhaut besteht
aus einer zunächst unter dem Cylinderepithel gelegenen, äusserst
dünnen, structurlosen Membran (basement membrane der englischen
Anatomen), und unter dieser aus einem Stratum feinsten, ver-
netzten Bindegewebes, als eigentliche Schleimhaut, mit Kernen
an den Knotenpunkten des Netzes, und allenthalben in seinen
Maschen zahlreiche Lymphkörperchen enthaltend. An dieses Stratum
schliesst sich die organische Muskelschicht der Schleimhaut an,
worauf das submucöse Bindegewebe folgt.
Leer- und Krummdarm werden durch eine grosse Bauchfell-
falte — das Dünndarmgekröse (Mesenterivm) — an der Wirbel-
säule aufgehangen. Der altdeutsche Name des Darmes: das
680 S* SM* Sp«eielle Betrechtang der Dfinndarmschleimhaat.
Gehenck, erklärt sich hieraus. Der Beginn dieser FaUe (Radix
mesenterü) haftet an der Lendenwirbelsäule. Die Wurzel der Falte lauft
schief vom zweiten Lendenwirbel zur rechten St/mphi/sis sacro-üiaca
herab. Im Laufe gegen den Dünndarm wird die Falte immer breiter,
so dass sie einem Dreiecke gleicht, dessen abgeschnittene Spitze der
Wirbelsäule, dessen breite Basis dem Dünndarm entspricht. Da der
Dünndarm viele Schlingen bildet, so muss sich das Mesenterium
wie ein Jabot (Halskrause) in Falten legen, und erhielt deshalb den
Namen des Gekröses (Gekrause). Je weiter die Dünndarm-
schlingen von der Wirbelsäule entfernt liegen, desto länger muss
der ihm zugehörige Antheil des Mesenterium werden, und desto
freier geberdet sich die Beweglichkeit des Darmes.
Mesenterium ist das (jLEVEvriptov des Aristoteles, quasi medium inter iiUe-
tUna nitch Spigelins. Cicero (de ntU, deor. Lib. 3) hat ebenfalls: medium
intestinum, für Mesenterium. Man findet bei den Alten anch usvapatov, welches
Wort in Arieria und Vena mesaraica (statt mesenterica) jetzt nocli erhalten ist.
Mcvapaiov kann sich aber nur auf das Gekröse der dünnen Gedärme beziehen, da
apaio; dünn bedeutet Für das Dickdarmgekröse galt dann (jlevoxcdXcv, nach Galen.
Wenn man die Gesammtheit der Dfinndarmschlingen mit den Ulinden zu-
sammenfasst und aufhebt, kann man das Mesenterium ¥rie einen Fächer oder
Wedel hin imd her bewegen. Es verstellt sich daraus, das» der Dünndarm mit
jeder Aenderung der Körperlage auch seine eigene Lage ändern muss. Die grösste
Entfernung von der Wirbelsäule, imd somit die grösste Volubilität, )iat die letzte,
in das kleine Hecken herabhängende Schlinge des Dünndarmn. Diese Darm-
schlinge wird deshalb auch am häufigsten den Inhalt eines Schenkel- oder Leisten-
bruches bilden.
§. 2G4. Specielle Betrachtung der Dünndarmschleimhaut.
Die Sehleimhaut des dünnen Gedärmes verdient eine ausführ-
liche Betrachtung. Ihre Attribute, als Falten, Zotten, und Drüsen,
sollen deshalb einzeln zur Sprache kommen.
/. Falten.
Sie finden sich 1. als Querfalten, Valvidae connireyUes Ker-
kringUj vom absteigenden Stücke des Zwölffingerdarms angefangen,
bis zum Blinddarme hin. Im Zwölffingerdärme stehen sie dichter
an einander als im Jejunum und lleum, so dass bei der hängenden
Lage derselben, der Rand einer oberen Falte die Basis der nächst
unteren deckt, und alle Falten somit dachziegelfiirraig übereinander
reichen. Je weiter vom Zwölffingerdarme entfernt, desto niedriger
werden die Falten und rücken zugleich weiter auseinander, so dass
sie sich im Krummdarme nicht mehr imbruxUim decken. Sie um-
kreisen nie ringförmig die ganze Peripherie des Darmrohrs, sondern
$. S64. Specielle Beirechtnng der Dfinndarmschleimhant. 681
höchstens drei Viertheile derselben. Als reine Sehleirahautdupli-
caturen schliessen sie keine Antheile der Muskelhaut des Darmes
in sich ein. Sie waren, lange vor Theod. Kerkring, schon dem
Fallopia und Vidus Vidius bekannt. — 2. Eine Längenfalte,
eigentlich ein kurzer Längenwulst, findet sich nahe am inneren
Rande der hinteren Wand des absteigenden Stücks des Zwölffinger-
darmes. Sie kommt dadurch zu Stande, dass der gemeinschaftliche
Gallengang, bevor er in dieses Darmstück einmündet, eine Strecke
weit zwischen Muskel- und Schleimhaut nach abwärts läuft, und
dadurch die letztere zu einein merklichen Walst aufwölbt. Am
unteren Ende dieses Wulstes mündet der gemeinschaftliche Gallen-
gang, und der Ausfuhrungsgang der Bauchspeicheldrüse mit einer
gemeinschaftlichen OefFnung aus. 3. An der Uebergangsstelle des
Ileum in den Dickdarm bildet die Schleimhaut eine doppellippige
Klappe, die Blinddarmklappe (Valvula ileo-coecalis, auch Valmda
Bavhini 8. Tidpii, 8, coli*), welche, wie das Kotherbrechen beweist,
den Rücktritt der Fäcalmassen aus dem Dickdarm in den Dünn-
darm nicht zu hindern vermag. Sie enthält Muskelfasern, deren
Richtung jener des freien Randes der beiden Klappenlippen ent-
spricht. Die Klappe wird gewöhnlich als Einschiebung (Invagina-
tion) der Schleimhaut, Zellhaut, und der Kreismuskelschichte des
Dünndarmes in die Höhle des Dickdarmes betrachtet. Die Längen-
muskelschichte und der Bauchfellüberzug gehen schlicht und un-
gefaltet über die Einfaltungsstelle der drei genannten Häute weg,
so dass, wenn man einen Kreisschnitt um die Uebergangsstelle des
Dünndarms in den dicken herumführt, und am Krummdarm zieht,
man die Klappe fast ganz verschwinden machen kann.
Da der Ductiis choledocluis und pancreaticus durch ihre Vereinigung einen
sehr kurzen gemeinschaftlichen Gang bilden, welcher weiter als jeder Gang für
sich ist, hat Abr. Vater, Professor zu Wittenberg, daraus sein Diverticulum ge-
bildet (De 7U>vo büia divertiado, WiUeh, 1720), welches als Diverticulum Vateri
in allen Anatomien fortlebt. Bei der Katze und bei Elepkaa ist dieses Divertikel
wirklich ansehnlich. Sehr unpassend wird auch eine kleine Schleimhautfalte, über
der Ausmündung der vereinigten Gänge, Diverticulum Vateri genannt. (Rosen-
müller.)
An aufgeblasenen und getrockneten Präparaten der Uebergangsstelle des
Dünndarms in den Dickdarm, zeigt es sich, dass die zwei Lippen der Blinddarm-
klappe fast transversal liegen, etwas gegeneinander convergiren, und dadurch
einen querliegenden, trichterförmigen Raum bilden, dessen Basis dem Ileum, und
dessen lanzetttormige Oeffnung dem Blinddarm zugewendet ist Man sieht aber
auch zugleich, das» die untere Lippe der Klappe, durch die schief von unten
nach oben und aussen erfolgende Insertion des Ileum in das Coecum bedungen
*) Da das Colon, als ein griechisches Wort (xwXov) im Genitiv colonis .^^'vA^ ^^
haben muss, soll überall, statt coli, richtiger eelonU. geschrieben werden. Es ist A^Jfl
Unart, coli zu sagen. Bin auch nicht frei von ihr, denn video meliora proboque, 'ij/ '
deteriora «equor, wie es mit allen schlechten Benennangen in der Anatomie der Fall^ v%x.o^
ist, und noch lange, wahncheinlioh für immeri dtf ^ " * -*-^ *\fVj%^
682 §. 264. Speoielle Betrachiuug der DünDdarmtohleimhant.
wird, — die obere Lippe dagegen in der That nur die erste Plica si^moidea de»
Colon ascendens darstellt (§. 268). Würde das Ileum sich nicht in schiefer, sondern
in querer Richtung in das Coecum einpflanzen, so würde sicher auch die untere
Lippe der Klappe fehlen, die obere aber fortbestehen.
Caspar Banhinus, Professor in Basel, schreibt sich die Entdeckung
dieser Klappe zu, 1579, im Theatrum anat. lib, L cap, 17. VidusVidius und
Const. Varolins aber kannten sie schon, und noch früher G. Fallopia,
welcher sie mit den Worten beschreibt: pUccbe duae, ad tTiserUonem ilei, quae in
inßeUione et repletwne comprimuntur, et regressum prohibent (in der als Handschrift
aufgefundenen Anatomia Simiae, vom Jahre 1553). — Die Holländer nennen die
Klappe Valmda Tulpü, zu Ehr* und Andenken des Nicolaus van Tulp, Arzt
und Bürgermeister zu Amsterdam, welcher durch sein energisches Auftreten, die
schmachvolle Uebergabe dieser Stadt an die Franzosen, arrno 1672, vereitelte. Er
gedenkt dieser Klappe in seinen Ohaervatitmea med, Amstel,, 164L Sonst ist von
diesem muthigen Bürgermeister nichts Anatomisches bekannt.
2. Zotten,
Von der Valvida pylori bis zur Valvula coli sehen wir die
Schleimhaut des Dünndarmes mit zahllosen^ kleinen, im nüchternen
Zustande platten, im gefüllten Zustande mehr gleichförmig cylin-
drischen, oder keulenförmigen Flocken besetzt, welche, wenn man
ein Stück Schleimhaut unter Wasser bringt, flottiren, und ihr ein
feinzottiges Ansehen verleihen. Sie sind die thätigsten Organe der
Absorption des aus dem Chymus ausgeschiedenen nahrhaften Speisen-
Extracts, des Chylua, und werden Darmzotten, Villi intestinales, ge-
nannt. Im oberen Querstück des Duodenum, scheinen sie in so
ferne zu fehlen, als die Schleimhaut daselbst nur faltenförmige Auf-
würfe zeigt, welche man sich aber aus der Verschmelzung mehrerer
Zotten hervorgegangen denken mag. Im absteigenden und unteren
Querstücke des Duodenum, so wie im Anfange des Jejunum er-
scheinen sie am breitesten, nehmen im Verlaufe des Dünndarmes
bis zum Ende desselben an Höhe und Breite ab, sind aber selbst
an der oberen Fläche der unteren Lippe der Blinddarmklappe noch
nicht ganz verschwunden. Nach Krause's Schätzung soll ihre
Gesammtmenge vier Millionen betragen. Man ist selbst so liberal,
noch sechs Millionen hinzuzugeben. Das macht dann zehn.
Jede Zotte ist eine wahre Verlängerung oder Erhebung der
Dünndarmschleimhaut, und besteht demgemäss aus allen Ingredien-
zien dieser Schleimhaut: Cylinderepithel, structurlose Haut, Binde-
gewebe, Blutgefässe, welche ein hart unter der structurlosen Haut
der Zotte liegendes Capillargefiissnetz bilden, glatte Muskelfasern
mit prävalirender Längenrichtung, und endlich noch als das wich-
tigste im Zottenbau, ein einfaches Lymphgeföss, wenn die Zotte
schmal ist, oder mehrere, wenn sie breit erscheint. Einfache Lymph-
gefasse sind, wie an Teich m an n's Prachtinjectionen zu sehen,
§. S64. Speci«lle Betrftchtang der I>ftnndanuehl«im1i*ii(. 683
keulenförmig, mehrfache dagegen gehen, gegen die Zottenspitze zu,
schlingenförmig in einander über. Ob diese Lymphgefasse in der
Zotte eine Eigenwand besitzen oder nicht, ist Streitsache.
Zu einer gewissen Zeit des fimbryolebens g^ebt es keine Zotten, sondern
nur lon^tudinale Fältchen im Darmkanal. Diese Fälteben werden vom i^ien
Rande ans immer tiefer und tiefer eingekerbt, und zerfallen dadurch in eine Folge
von Zotten.
3. D rüseiu
Der Dünndarm ist reich an Drüsen. Vier Formen derselben
kommen vor.
a) Die Licborkühn'schcn Krypten verhalten sich zur Darm-
schleimhaut, wie die Pepsindrüsen zur Magenschleimhaut. Sie sind
wie diese, einfache tubulöse Drüsen, und zwar die kleinsten dieser
Art, welche wir im menschlichen Leibe kennen. Sie gelten für die
Secretionsorgane des Darmsaftes, Siiccus entericua, Cylinderepithel
und eine sehr deutliche structurlose Membran, bekleidet die innere
Obei^fläche derselben. Ihre Mündungen bilden um die Basen der
Darmzotten herum, förmliche Kränze. Sie kommen grösser und
zahlreicher auch im Dickdarme vor.
b) Die Brunn er'schen oder Brun naschen Drüsen. Sie sind ein
Mittelding zwischen acinösen und verzweigten tubulöscn Drüsen, und
bilden im Anfangsstücke des Duodenum ein fast continuirliches
Drüsenstratum in und unter der Mucosa, rücken aber im weiteren
Verlaufe dieses Darmstückes auseinander, und verlieren sich am
Ende desselben gänzlich. Ihre Grösse schwankt zwischen einer
halben bis einer Linie Durchmesser. Ihre kurzen, mit Cylinder-
epithel ausgekleideten Ausführungsgänge durchbohren die Schleim-
haut schief. Ihr alkalinisches Secret gleicht jenem des Pankreas.
Je kleiner das Pankreas, desto zahlreicher linden sich diese
Drüsen vor.
Brunner und Brunn sind Eine Person, — jene des Entdeckers dieser
Driisen — eines ehrlichen Schweizers, Namens Brunn er, welcher diese Drüsen
in seiner kleinen Schrift, de fjlamlulh in duodeno detectis, Heidelb,, 1688, beschrieb.
Er wurde Leibarzt des Pfalzp^rafen zu Rhein, welcher ihn mit dem Prädicate:
V. Hammerstein, in den Adelstand erhob. Er hiess, seit dieser Standeserhebung,
am Hofe des deutschen, franzönischen Ton, Sitte und Unsitte nachäffenden Duodez-
fürsten, Chevalier le Brun, und so wurden denn auch die B r u n n e raschen
Driisen zu Brunn'schen Driisen.
c) Die sogenannten solitären geschlossenen Follikel sind,
wie schon mehrmals erwähnt, keine Follikel, da sie keine darstell-
bare häutige Wand besitzen. Sie finden sich durch die ganze
Darmlänge. Ihre Menge, ihre Gröase, weniger ihre ovale Form,
unterliegen der gröBsten Unbe* ^ia ragen tief in das
684 §. S64. Spceielle Betrachtung der DAnndarmschleimhant.
Bubmucöse Bindegewebe hinein. Jeder Follikel bildet an der inneren
Oberfläche des Darmrohres eine kleine Erhebung, über welche das
Cylinderepithel des Darmes wegzieht. Auf solchen Erhebungen
fehlen die Zotten. — Man Hess diese Follikel bis auf die neuere
Zeit von einer Membran gebildet werden, welche ein Fachwerk
gefassführenden Bindegewebes umschliesst. In diesem Fachwerk
hausen, nebst einer klaren Flüssigkeit, Haufen zahlreicher, in allen
Eigenschaften den Lymphkörperchen (§. 65) ebenbürtiger Gebilde.
Henle vei-wirft aber mit Recht die Eigenmembran der Follikel,
und lässt das bindegewebige Fachwerk derselben durch feinste
Vernetzung des Bindegewebstroma der Schleimhaut selbst entstehen,
nicht aber von einer dem Follikel eigenen Wand ausgehen. In den
Lücken dieses Fachwerkes liegen die erwähnten Haufen von Lymph-
körperchen, wie denn auch solche Lymphkörperchen vereinzelt oder
zu mehreren, im Bindegewebstroma der Darmzotten, und der ge-
sammten Dünn- und Dickdarmschleimhaut (in letzterer weniger
zahlreich) angetroffen werden, wie in §. 260 bereits gesagt wurde.
Gegen das Centrum des Follikels, hin, kann das Balkenwerk so
schütter werden, dass ein grösserer oder kleinerer Theil des Cen-
trums, der Balken gänzlich verlustig geht. Die Follikel wären dem-
nach keine Follikel, sondern wandlose Depots von Lymphkörperchen
im Bindegewebstroma der Schleimhaut. Daraus erklärt sich das
Unregelmässige und Gesetzlose ihres Vorkommens, welches sich bis
zum gänzlichen Fehlen derselben steigert. In der Schleimhaut von
Choleraleichen treten die Deposita von Lymphkörperchen in wahr-
haft ungeheurer Menge auf, und erreichen Hirse- bis Hanf korngrösse.
d) die P eye raschen Drüsengruppen (Agmina 8. Lisulae
Peyerij Plaques der französischen Anatomen) sind nur Aggregate
solitärer Follikel , deren Bau sich hier ganz auf dieselbe Weise
wiederholt. Sie finden sich in der Regel nur im Ileum, und nur an
jener Stelle desselben, welche der Anheftung des Mesenterium gegen-
überliegt. Jede solche Gruppe, welche aus mehr als einhundert
solitären Follikeln bestehen kann, wird von einem etwas aufgewor-
fenen Schleimhautsaum umrandet. Die zwischen den einzelnen
Follikeln einer Gruppe befindliche Schleimhaut, führt Zotten. Oft
sind diese Gruppen zahlreich, oft fehlen sie gänzlich. Durch Ver-
schmelzung mehrerer Gruppen der Länge nach, können die Agmina
Pet/eri eine Länge von sechs bis acht Zoll erreichen, selbst darüber.
Die Pejer'öchen Drilsengruppen wurden von dem Schweizer Arzte, Con-
rad Peyer, zuerst beschrieben CExercUatio de gland, intest. Scaphtts., lG77j. Ihr
Standort kann öfter schon bei äusserer Besichti^ng des Darmes, einer leichten
Wölbung oder anderer Färbung der Darmfläche wegen, erkannt werden. Der Längen-
durchmesser einer Gruppe streicht immer nach der Länge des Darmes.
Die Kuppen der nolitären und der aggregirten Follikel unterliegen sehr
oft, unter pathologischen Bedingungen, einer Erosion von der Darmhöble her,
|. tSiS. üeb«r die Frage, wie die Lymphgef&site in den Durmiotten entspringen. 685
wodurch zackige oder scharf gerandete Oeffnnngen entstehen, durch welche die
Ljmplikörperchen der Follikel sich entleeren, und leere Räume zurückbleibeni
welche für Drüsenhöhlungen imponiren. Solche Höhlungen sieht man in den
Leichen von Menschen, welche an chronischen Krankheiten mit erschöpfenden
Diarrhöen zu Grunde gingen, in grosser Menge.
Nach air dem Gesagten, erscheint es als nicht zu rechtfertigende Willkür,
Anhäufungen von Ljmphkörperchen in dem Bindegewebstroma der Darmschleim-
haut, welche bald gross, bald klein, bald hier, bald da, bald einzeln, bald
zusammengedrängt, bald spärlich, bald zahlreich, bald gar nicht vorhanden sind,
mit dem Namen von Lymphdrüsen zu belegen, welcher Name consequent der
ganzen Darmschleimhaut giegeben werden müsste, da ihr Gewebe, namentlicli in
der Verdauungszeit, mit Ljmphkörperchen über und über angefüllt erscheint.
§. 265. Ueber die Frage, wie die Lymphgefasse in den
Darmzotten entspringen.
Nath. Lieberküliii (1745) nahm in jeder Zotte eine Höhle
an, welche an der Spitze der Zotte eine Oeffnung besitzen, und an
der Basis derselben mit einem Lymphgefiisse in Verbindung stehen
soll. Er nannte sie Ampvlla, „Ramusculus vasis lactei extenditur in
ampullulam «. vesiculam, ovo haud absimüem, in cujus apice forand-
nulum quoddam exiguum microscopio detegitur," Es würden somit die
Lymphgefiisse an den Zottenspitzen oflfen beginnen, wie die Puncta
lacrymalia der Thränenröhrchen. Die offenen Mündungen wurden
aber schon von Hewson bestritten, und von F oh mann bleibend
widerlegt. Die Existenz der centralen Hohle jedoch, und zwar einer
Höhle mit selbstständiger, nicht vom Zottenparenchym gebildeter
Wand, wurde nicht aufgegeben. Henle erklärt sich für eine ein-
fache, zuweilen an der Zottenspitzc kolbig erweiterte Centralhöhle,
als blinden Ausläufer eines in der Darmschleirahaut eingelagerten
Lymphgefössnetzes. Kolli k er lässt die Frage für den Menschen
unentschieden, behauptet jedoch auf das Bestimmteste, da^s bei
Thicren mitten durch die Axe der Zotte ein einfaches, mit einem
blinden und erweiterten Ende beginnendes Lymphgeföss verläuft.
Ebenso Ecker, Frey, und Donders. — So weit die Autoritäten.
Die DU minorum gentium huldigen diesen oder jenen. Da kam
Teich ni an n's ausgezeichnete Arbeit (Das Saugadersystem, Leipzig,
1861). Dieselbe lehrte die bisher für unmöglich gehaltenen Injec-
tionen der Lymphgefiisse in den Zotten des Menschen mit gefärbten
Massen. Teichmann's Injectionen haben, nach Verschiedenheit
der Form der Zotten, theils ein einfaches lymphatisches Axengefass,
theils einfache Schlingen mit auf- und absteigendem Schenkel,
theils Schlingen mit Queranastomosen , theils communicirende
Schiingenaggregate im Zottenparenchym nachgewiesen, mit einer
Sicherheit, welche nur die vollendetste lujectionstechnik gewähren
686 §• 866. Verhalten der Lyinphgef&sse zu den sollt, n. aggr. Follikeln d. Darmschleimhaat.
kann. Dieser Technik mögen sich Alle befleissigen, welche sich
zu Sprechern über ein so schwieriges Argument der Histologie be-
rufen fühlen.
Den eigentlichen Knotenpunkt der Sache, ob nämlich die Lymphgefasse
der Zotten eigene Wandungen besitzen oder nicht, lassen auch Teichmann's Injec-
tionen unentschieden, da auch in Räumen, welche keine eigene Wandung haben,
sich die Injectionsmasse halten, und sie als Kanäle (Gefässe) erscheinen lassen
wird, wenn nur die den Raum umgebenden Gebilde so angeordnet sind, dass sie
diesen Raum allseitig begrenzen. Ausführlich handelt über diese Frage L. Auer-
bach, in FtrcÄotc'» Archiv. 33. Bd.
Nach Brücke (Sitzungsberichte der kais. Akademie, 1852 imd 1853) be-
sitzen die Zotten und die Mucosa des Darmes keine Ljmphgefassc mit selbst-
ständiger Wand, sondern nur Lymphräume und Lymphgänge ohne Eigen wand.
Die Lymphgefässe mit Eigenwand beg^nen erst in der Muskelsclüchte der
Schleimhaut. Sie c^mmuniciren, durch offene Mündungen, frei mit den wandlosen
Lymphräumen der Mucosa und der Zotten. Der zu absorbirende Chylus muss
also das ganze Gewebe der Zotten tmd der Schleimhaut durchdringen, bis ihn
sein gutes Geschick in die offenen Mäuler der bewandeten Lymphgefässe führt
Wie es hergeht, dass der Chylus gerade in die Oeffnungen der Lymphgefjisse
trifft, und in den allerwärts mit einander communicirenden Bindegewebs-Inter-
stitien der Schleimhaut, seine Irrfahrten nicht weiter, bis in die Steppen des
Mesenteriums ausdehnt, bleibt den Vorstellungen Jener überlassen, welche sich
hierüber welche bilden können. — Eine eben so wichtige Rolle, wie die Saug-
adem, spielen die Venen der Zotten bei der Absorjition. Der Antheil, welchen
sie hiebei haben, ist durch Versuche constatirt. (Müller« Physiol. 1. Bd., V. Cap.)
§. 266. Verhalten der Lymphgefässe zu den solitaren und
aggregirten Follikeln der Darmschleimhaut
Wenn man es für einen anatomischen Charakter der Lymph-
drüsen erklären möchte, dass sie weder zu- noch abführende Lymph-
gefässe besitzen, so könnten die solitaren Follikel und die Pey er-
sehen Drüsen des Darmkanals, aUerdings zu den Lymphdrüsen
gestellt werden. Diese Stellung wurde ihnen auch von Brücke
angewiesen. Den Inhalt der genannten Drüsen bilden ja Lymph-
körperchen, ergo müssen sie Lymphdrüsen sein. Wenn man aber
unter Lymphdrüsen solche versteht, denen durch Lymphgefässe
Lymphe zugeführt, und von welchen wieder durch Lymphgefässe
Lymphe abgeführt wird, so müssen die beiden genannten Arten
von Diiisen etwas anderes als Lymphdrüsen sein, da sie bei der
gelungensten und reichsten Füllung der Lymphgefässe der Darm-
schleimhaut, ganz und gar leer bleiben, und keinen Zusammenhang
mit Lymphgefässen aufzeigen. Was sie eigentlich sind, lässt sich
zur Zeit nicht sagen, und deshalb on se paie de mots, Henle sagt
es ehrlich heraus: „zu einem Ausspruch über die physiologische
Bedeutung der conglobirten Drüsen (solitäre und gruppirte Follikel)
|. 865. Ueber die Frage, wie die Ljinphgef&eite in den Durmiotten entspringen. 685
wodurch zackige oder scharfgerandete Oeffnnngen entstehen, durch welche die
Ljmphkörperchen der Follikel sich entleeren, und leere Räume zurückbleiben,
welche für Drüsenhöhlungen imponiren. Solche Höhlungen sieht man in den
Leichen von Menschen, welche an chronischen Krankheiten mit erschöpfenden
Diarrhöen zu Grunde gingen, in grosser Menge.
Nach air dem Gesagten, erscheint es als nicht zu rechtfertigende Willkür,
Anhäufungen von Lymphkörperchen in dem Bindegewebstroma der Darmschleim-
haut, welche bald gross, bald klein, bald hier, bald da, bald einzeln, bald
zusammengedrängt, bald spärlich, bald zahlreich, bald gar nicht vorhanden sind,
mit dem Namen von Lymphdrüsen zu belegen, welcher Name consequent der
ganzen Darmschleimhaut gfegeben werden müsste, da ihr Gewebe, namentlich in
der Verdauungszeit, mit Ljmphkörperclien Über und über angefüllt erscheint.
§. 265. Ueber die Frage, wie die Lymphgefasse in den
Sarmzotten entspringen.
Nath. Lieb erkühn (1745) nahm in jeder Zotte eine Höhle
an, welche an der Spitze der Zotte eine Oeffnung besitzen, und an
der Basis derselben mit einem Lymphgefiisse in Verbindung stehen
soll. Er nannte sie Amptdla. „RamtisculiLS vdsls lactei extenditur in
ampullulam «. vesiculam, ovo haud ahsimüem, in cujus apice foranU-
nvlum quoddam exiguum microscopio detegitur." Es würden somit die
Lymphgefiisse an den Zottenspitzen oflfen beginnen, wie die Puncta
lacrymalia der Thränenröhrchen. Die oflfenen Mündungen wurden
aber schon von Hewson bestritten, und von Pohmann bleibend
widerlegt. Die Existenz der centralen Höhle jedoch, und zwar einer
Höhle mit selbstständiger, nicht vom Zottenparenchyni gebildeter
Wand, wurde nicht aufgegeben. He nie erklärt sich für eine ein-
fache, zuweilen an der Zottenspitzc kolbig erweiterte Centralhöhle,
als blinden Ausläufer eines in der Darnischleimhaut eingelagerten
Lymphgefassnetzes. Kölliker lüHnt dir, Frage für den Menschen
unentschieden, behauptet jedoch auf dun Bestimmteste, da^s bei
Thieren mitten durch die Axe der Zottt« <;in einfaches, mit einem
blinden und erweiterten Ende Ix^ginnendes Lymphgefiiss verläuft.
Ebenso Ecker, Frey, und Dondern. — So weit die Autoritäten.
Die Dil minorum gentium huldig(;n ditmen oder jenen. Da kam
Teich man n's ausgezeichnete Arbeit n>aH Saugadersystem, Leipzig,
1861). Dieselbe lehrte die bisher für unmöglich gehaltenen Injec-
tioneu der Lymphgefiisse in den Zotten des Menschen mit geförbten
Massen. Teichmann's Injectionen haben, nach Verschiedenheit
der Form der Zotten, theils ein einfaches lymphatisches Axengefass,
theils einfache Schlingen mit auf- und absteigendem Schenkel,
theils Schlingen mit Qucranastomosen , theils communicirende
Schiingenaggregate im Zottenparonchym nachgewiesen, mit einer
Sicherheit; welche nur die voUendetsto Iiijectionstechnik gewähren
688 §• 267. Ueber «las Cylinderepithel des DQnndannB.
zugekehrt ist, fehlen soll. Was Brücke fehlen Hess, sahen Andere
als verdickten, die Zellenperipherie selbst seitlich überragenden
Saum (bourrdet der französischen Autoren), und beschrieben in ihm
eine mit der Längenaxe der Zelle parallele Streifung, welche K Ol-
li k er zuerst für Poren erklärte. Solche Streifungen linden sich
aber auch an den Deckeln der Epithelialzellen in vielen anderen
Schleimhäuten. Von Brettaue r und Stein ach wurden diese Streifen
nicht als Poren, sondern als der optische Ausdruck der Zusammen-
setzung jenes Saumes aus prismatischen, von einander isolirbaren
Stäbchen gedeutet, welche unmittelbar in dem Zelleninhalte selbst,
nicht aber auf einer Wand der Zellen, eingepflanzt sind. Im
nüchternen Zustande soll der Saum um die Hälfte breiter sein, als
an den durch Chylusaufnahme gefüllten Zellen, an w^elchen auch
die Streifung des Saumes nicht mehr wahrgenommen werden kann.
E. Wielen sah in dieser Straffirung unvollkommen entwickelte,
nicht zur Freiheit gelangte Flimmerorgane; Schiff dagegen eine
Art von Kauorganen. Nur Lambl erklärte sie für eine Leichen-
erscheinung. Traldt sua quemque voluntas. Virchow fand auch den
matten körnigen Inhalt der Epithelialzellen fein gestreift, und
Donders versichert, gefunden zu haben, dass Reihen feinster Fett-
kömchen, den Streifen des Zellendeckels entsprechend, sich von
der freien Wand der Zelle gegen ihre Basalwand fortsetzen. Dass
diese Streifen lineare Aggregationen kleinster, von der Zelle auf-
genommener Chylusmoleküle in wandlosen Kanälen sind, wurde
blos vermuthet, von Friedreich aber mit Entschiedenheit be-
hauptet. Am weitesten und kühnsten drang Heiden hain vor. Er
lässt die Basen der Epithelialzellen in fehiste Fortsätze auslaufen,
welche Aeste erzeugen, um durch diese mit den im Bindegeweb-
stroma der Darmzotten und der Schleimhaut eingestreuten Zellen
(Bindegew^ebskörperchen) in Verband zu treten, so dass ein fein
verzweigtes Kanalsystem zu Stande gebracht w^ird, welches von den
Zellendeckeln der Epithelialcylinder bis in die Mucosa des Darmes
reicht, und aus welchem die Anfange der be wände ten (.'hylusgefasse
hervorgehen. Man hat es auch versucht (Letzerich), zwischen
den Epithelialzellen der Zotten, nach der Darmhöhle zu, offene
Räume zu statuiren, die sogenannten Vacuolen, welche mit dem
absorbirenden Kanalsystcme im Inneren der Zotten in Verbindung
stehen sollen. — Das Ergebniss aller dieser mikroskopischen Aus-
beute lautet also kurz: wir wissen nicht, welche Wege der Herr
dem Chvlus bereitet hat, und wie er aus der Höhle des Darmes in
das centrale Lymphgefliss der Zotte gelangt. Dieses soll uns jedoch
nicht hindern, das Beste noch zu erwarten.
SoUte es einmal zur Erkenntniss der Wahrheit kommen, werden alle vor-
ausgegangenen, wenn auch auf Irrwege gerathenen Bestrebungen, die Wahrheit
(I. 26S. Dickdarm. C89
ZU finden, mit dem Complimento dankenswerther Vorarbeiten, ad acta ge-
legt sein. So wird das Grelle einer scheinbaren Geringschätznng, welche man
ans diesen meinen Worten horansznlesen Neigung verspüren könnte, etwas ab-
geschwächt.
irntersnchnngen des Darmepitliels bei einer grossen Anzahl von Thieren
verdanken wir KiUliker, im 8. Bd. der Würzburger Verhandlungen. Eine Zu-
sammenstellung alles Bekannten und neuer Vermuthungen gab £, Wiel^n, in der
Zeitschrift für wissenschaftl. Med. XIV. Bd. — \V, DdnUz, Archiv für Anat
1864. — Letzerich, in Virchaw\H Archiv. 1826. — Zarjoarykin, Verlauf der Chylus-
bahnen. Petersburg, 1869. — Btiicke, phjsiol. Vorlesungen, 2. Auflage, 1. Bd.
pag. 312, seqq.
§. 268. Dickdarm.
Das Endstück des Ileum^ welches aus der kleinen Becken-
höhle zur Fossa iliaca dextra aufsteigt^ inserirt sich nicht in den
Anfang des dicken Gedärmes, sondern etwas darüber. Das unter
die Insertionsstelle des lleum herabragende Stück des Dickdarmes,
welches eine abgerundete, blinde Bucht darstellt, heisst Blind-
darm (Intestinum coecum, Tu^Xbv). Es verhält sich, der Form nach,
zum Ilcum so, wie der Fundus veMricvli zum Oesophagus.
Der Blinddarm liegt auf der Fascia iliaca dextra. Ein vom
unteren Ende seiner inneren Gegend ausgehender, zwei bis drei
Zoll langer, und in die kleine Beckenhöhle hinabhängender, wurm-
förmiger Anhang (Processus vermiculai'is, s. Appendix vermiformis),
von der Dicke einer Federspule, zeichnet ihn vor dem übrigen
Dickdarm aus. Auf den Blinddarm folgt der Grimmdarm (Colon,
xöXov, bei Galen), welcher als Colon ascendens vor der rechten
Niere bis zur concaven Fläche der Leber aufsteigt, dann unter der
Curvatura major ventrtjcidi als Colon transversum quer nach links
geht, um am imteren Ende der Milz, vor und etwas auswärts von
der linken Niere, wieder als Colon descendens nach abwärts zu
laufen, und mittelst der Flexura sigmoidea s. S romanum, in den
Mastdarm überzugehen. Dieser letztere zieht nur bei Thieren
ganz gerade zum After fort. Daher sein Name: rectum. Im
Menschen bildet er zwei Krümmungen, von welchen di(i obere, an
der linken Stpnp/it/sis sa^cro-iliaca beginnt und der ('i)ncavität des
Kreuzbeins folgt, die untere kleinere aber, sich von der Steissbein-
spitze bis zum After (Anus) mit vorderer Convexität erstreckt. Die
obere Mastdarmkrümmung übertrifft die untere an Länge nahezu
um das Vierfache. Bei den altdeutschen Anatomen heisst der
Mastdarm: Schlecht darm, und bei den Metzgern hie und da
jetzt noch das Schlecht. Schlecht ist ein veralteter Ausdruck für
gerade, und wir gebrauchen ihn jetzt noch, in der Redensart:
schlechtweg, schlechterdings, und schlecht und recht.
Hjrtl, Lehrbadi der Anfttoal«. l^ 44
690 §. S69. Speciellet Qb«r die einielnen Schichten des Dichdams.
Der Dickdarm unterscheidet sich durch seine Weite, seine
Ausdehnbarkeit, und seine ausgebuchtete Oberfläche, schon bei
äusserem Anblick, von dem Dünndarm. Seine Ausbuclitungen
fuhren den Namen der Haustra, auch Cdlulae, daher Intestinum
cdlvlatum für Dickdarm bei den älteren Anatomen. Ilaustrum, von
haurio, ist Schöpfeimer am Wasserrade. Zwei und zwei Haustra
sind durch eine Einschnürung von einander getrennt. Die Länge
des Dickdarms misst zwischen vier bis fünf Fuss.
Der Wnrmfortsatz am Blinddarm fehlt bei sehr jangen Embryonen. Er
bildet sich aber niclit etwa dnrcli Hervorwaclisen aus dem Blinddarm, sondern
dadnrch, dass der nntere Abschnitt des embryonischen Blinddarms, nicht mehr
an Umfang znnimmt, während der obere fortfährt zu wachsen. Der durch Wachs-
thum nicht zimchmende Abschnitt des Blinddarms heisst dann Wurmfortsatz. Nur
zwei Säagethiere besitzen ihn: der Orang und der Wo m bat.
§. 269. Specielles über die einzelnen Schichten des Dickdarms.
Einen vollständigen Peritonealüberzug besitzen in der
Regel nur das Coecum und dessen Wurmfortsatz, das Colon trans-
versum, und S romanum. An den übrigen Stücken des Dickdarms
bleibt ein grösserer oder geringerer Theil ihrer hinteren Fläche
ohne Bauchfellüberzug, und wird durch Bindegewebe an die be-
nachbarten Stellen der Bauch- oder Beckenwand befestigt. Der
Mastdarm verliert vom dritten Kreuzwirbel an, wo er die Fascia
hfjpogcistrica durchbohrt, seinen Bauchfellüberzug vollkommen.
Die Dickdarmstücke mit unvollkommenen ßauchfellübcrzügeu
können, dem Gesagten zufolge, keine Mesenterien, d. i. doppel-
blätterige Aufhängeßänder besitzen. Sie werden deshalb auch un-
verschiebbar sein. Nur wenn sich diese Darmstücke bei Relaxation
des Bindegewebes, welches ihre vom Peritoneum nicht überzogene
Seite an die Bauchwand heftet, von letzterer entfernen (was jedes-
mal geschehen muss, wenn sie den Inhalt eines Leisten- oder
Schenkelbruches bilden), ziehen sie das Peritoneum als Falte nach
sich, jedoch ohne dass sich die beiden Blätter der Falte vollständig
an einander legten, wie bei dem Mesenterium des Dünndarms. Man
kann insofern nur unrichtig von einem Mesocolon ascendens et desceji-
detuty und Mesorectum sprechen. Dagegen existirt ein Afefiocohm
transversnm, ein Mesenterium curvaturae sigmouleae, und ein Mesen-
terium jnutc4issns ^yermicularisy unter denselben Verhältnissen, wie das
Mesenterium am Dünndarm. — Am Colon und Rectum ünden sich
noch kleine, bouteIf([')rmige, fettgefüllte VerlängeiningiMi ihres Bauch-
fellüberzuges, welche Appendices eprploiccie s. Omentvla genannt
werden.
S. 269. Speciellet über die einseinen Schiebten des Didcdarms. 691
Die Muskelhaut des Dickdarms schiebt ihre Längenfasern
auf drei Stränge zusammen^ welche Fasdae, oder Vittae, auch
Taeniae Vcdsalvae, oder Ligamenta coli heissen (bandes ligamenteu-ses
bei Winslow, Ea^os. anat T. IIL pag. 147). Eine dieser Taenien
liegt längs der Anheftungsstelle des Omentum gastro-colicum am Colon
transverimm, die zweite am Mesenterialrande, und die dritte ist frei,
als Taenia nvda, Sie werden deshalb als Fascia omentalis, mesen-
terica, und libera unterschieden. Am Rectum werden diese Fascien
so breit, dass sie aneinanderstossen, und dieses Darmstück somit
von einer fast ununterbrochenen muskulösen Längsfaserschicht um-
geben wird. Die longitudinalen Fasciae s. Taeniae schieben den
Schlauch des dicken Darmes auf eine geringere Länge zusammen,
und verursachen, unter Mitwirkung der Kreisfasem, welche von
Stelle zu Stelle das Dickdarmrohr stärker einschnüren, das bauschige,
wie zusammengeschoppte Ansehen desselben, und somit auch die
Entstehung der oben erwähnten Ilaustra, in welchen der Koth
durch Aufsaugung seiner flüssigen Bestandtheile härter wird, und
sich zu ballen anfangt. Am Afterende des Mastdarmes bilden die
durch die ganze Länge des Dickdarms nur als sehr dünne Schichte
vorkommenden, und nur an den eingeschnürten Stellen zwischen je
zwei Haustra stärker entwickelten Kreisfasern, einen dickeren Muskel-
ring, den Sphincter ani intei*nu8, welcher den After hermetisch
schliesst. Wenn dieser innere Schliessmuskel des Afters in seiner
Wirkung nachlässt, kann er durch den Sphincter ani extemus,
welcher ein der Willkür gehorchender Muskel ist, auf eine gewisse
Dauer vertreten werden.
Fascia, Taenia und Vitta, drücken alle etwas bandarti^^ Langes und
Schmales ans, wie solches znm Umwickeln des Kopfes, der Glieder, des ganzen
Leibes der Neugeborenen, zum IMndcn der Schuhe, der Ilaare, des Unterleibes,
selbst der Brüste, dass sie nicht zu voll werden, gebraucht wurde, so z. B. im Ovid :
yfAiufuatuni circa fwtcia jyechu eal**.
Selbst der Bandwurm heisst Taenia,
Die Schleimhaut des dicken Darmes zeigt viele, in Ab-
ständen von einem halben bis einen Zoll auf einander folgende,
halbmondförmige, durch die stärkere Entwicklung der Kreismuskel-
fasern bedingte Falten (PUcas »igmoideae), welche gewöhnlich von
einer Taenia zur andern reichen, somit nicht mehr als den dritten
Theil der Peripherie des Darmes einnehmen, und mit verschiedener
Höhe (bis (rincn halben Zoll) in die Darmhöhle vorragen. Man kann
sie nicht mit den Valvidis conniventihns des Dünndarmes vergleichen,
da sie Kreismuskelfasem in sich enthalten, welche den Schleim-
hautfalten des dünnen Qedärmes abgehen. Die letzte PUca sigmoi-
dea steht ohngeßlhr drei bis vier Zoll über der Aftermündung, an
der vorderen und zum Theil an der rechten Wand des Rectum. —
44*
692 i. t70. Mntkeln det Afton.
Die Dickdarmsehleimhaut besitzt dieselbe adenoide Structur, wie
jene des Dünndarms, d. h. sie besteht aus einem bindegewebigen
Stroma, in dessen Maschen eine sehr variable Menge vonLymphkörper-
chen angetroffen wird. Sie besitzt keine Zotten. Von Drüsen linden
sich nur Lieberküh nasche und solitäre Follikel vor. Letztere
übertreffen jene des Dünndarms an Grösse, und unterscheiden sich
zugleich dadurch von ihnen, dass auf der Höhe der Schleimhaut-
hügel, welche der Lage der Follikel entsprechen, eine grubige
Vertiefung vorkommt, welche von Böhm irriger Weise für die
Ausmündungsöffnung der Follikel genommen wurde. — Die Lieber-
kühn'schen Drüsen des Dickdarms sind wie jene des Dünndarms
gebaut. Sie stehen durch die ganze Länge des Dickdarms, auch
des Wurmfortsatzes, sehr dicht gedrängt an einander, so dass sie
das eigentliche Bindegewebsstroma der Schleimhaut ebenso ver-
drängen, wie es von den Magendrüsen bemerkt wurde. Ihre
Oeffnungen geben unter dem Vergrösserungsglase, der Dickdarm-
sehleimhaut ein siebartig durchlöchertes Ansehen. Jede Oeffnung
wird von einer capillaren Gefassmasche umkreist.
Unmittelbar über dem After bildet die Schleimhaut des Mast-
darms sechs bis acht kurze, longitudinale Aufwürfe oder Wülste
(Columnde Morgagni)^ zwischen welchen zuweilen QuerfUltchen vor-
kommen. Hiedurch entstehen die als Sinus Morgagni bekannten
Buchten im unteren Ende des Mastdarms. Fremde Körper, z. B.
Nadeln, Fischgräten, Knochensplitter, welche mit den Nahrungs-
mitteln zufallig verschluckt wurden, können, nachdem sie den langen
Weg durch den ganzen Verdauungsschlauch zurückgelegt haben, in
diesen Buchten des Afters angehalten werden, und das Einschreiten
der Kunsthilfe nothwendig machen. — Die gesammte Dickdarm-
sehleimhaut führt Cylinderepithel, dessen Zellen an der der Darm-
höhle zugekehrten Wand, eine ähnliche Straftirung besitzen, wie sie
an den Epithelialzellen des Dünndarms beobachtet wird. Nur die
unterste Partie des Mastdarms, welche die Columnae Morgagni ent-
hält, besitzt ein geschichtetes Pflasterepithel.
Eine an der Mündung des Processus vemiicularis in den BUnddarni vor-
findliche Schleimhantfalte, wurde auf ihre zahlreichen Varianten von Gerlach
genauer untersucht. (Abhandl. der Erlanger phys. Soc. II.)
§. 270. Muskeln des Afters.
Die der Willkür unterworfenen Muskeln des Afters sind der
äussere Schliessmuskel, und der paarige Hebemuskel. Der
unwillkürliche innere Schliessmuskel gehört, wie schon gesagt,
der Kreisfaserschicht des Mastdarms au.
$.271. Ueber den SphinHtr ani Urtiu». 693
Der äusÄcre Sehliessmuskoi, Sphtncter am ext^mus, ent-
springt tendinös von der Steissbeinspitze, umgreift mit zwei Schenkeln
die AfteröfFnung, und kann, wie einst Aeolus, nach Umständen, et
premei'e, et laxcts dare jussus Iiabencut, Vor dem After vereinigen sich
beide Schenkel zu einer kurzen Sehne, welche beim Manne sich
in die sehnige Kaphe des Musculus butho-aivemomis fortsetzt, beim
Weibe in den Constrictor cun7ii tibergeht.
Der Heber des Afters, Levator ani, ein breiter und dünner
Muskel, entspringt an der Seitenwand des kleinen Beckens, von
der Spina ossis ischü, vom Arcus tendineus der Fascia ht/pogastrica,
so wie auch von der hinteren Fläche und dem absteigenden Aste
des Schambeins. Beide Levatores convergiren gegen den After
herab. Ihr Verhältniss zum Anus gestaltet sich anders für die hin-
teren, mittleren, und vorderen Bündel dieses Muskels. Die hinteren
Bündel, welche an der ijpina ischU entspringen, treten nämlich nicht
an den Anus, sondern pflanzen sich theils am Seitenrande des Steiss-
beins ein, wo sie mit dem Muscidus cocc/pjeus verschmelzen, theils
vereinigen sie sich vor der Steissbeinspitze aponeurotisch mit den
gleichen Bündeln der entgegengesetzten Seite. Die mittleren
Bündel, welche vom Arcus tenddneu^t ausgehen, treten an den After,
und verweben sich mit dem Sphincter ani exfernus. Die vorderen
Bündel, welche vom Schambein entspringen, begeben sich als Leva-
tor prostatae zur Prostata und zum Blasengrund, bei Weibern zur
Scheide. Begreiflicherweise werden blos die mittleren Bündel dieses
Muskels den After einwärtsziehen (heben).
lieber die Beziehungen des T^^evator ani zur Proätata und zur Pars ineni-
hvaiMcea ureihrae handelt ausführlich Luschka in der Zeitschrift für rat Med.
1858. Bei der Untersuchung der'Fascien des Mittelfleisches (§. 323, 324), und
der Steissdrüse (§. 326) kommen wir auf diesen Muskel wieder zurück.
§. 271. lieber den Sphincter ani tertius.
Man war lange der Ansicht, dass der im unteren Ende des
Mastdarms sich anhäufende Darmkoth, durch Druck auf die beiden
Sphincteren, das Bedürfniss der Entleerung veranlasse. Dass die
Kothsäule nicht bis zu den beiden Schliessmuskeln herabreiche,
sondern höher oben durch einen dritten Sphincter am Herabsteigen
gehindert werde, ist eine Thatsache, von welcher die praktische
Chirurgie viel früher, als die Anatomie Notiz genommen hat. Wären
die beiden Schliessmuskeln die einzigen Kräfte, welche die Fäces
zurückhalten, so müssto bei jeder Operation, durch welche die
Sphincteren zerschnitten werden (Operation der Mastdarmlistel, Ex-
stirpation des Anus, Mastdarm-BlasenBchnitt), das Unvermögen den
694 S- 272. Leb«r. AeuMere Verb<nisse derselben.
Stiihlgjuig znrückzulialten, sich einstellen, was, laut Zeugniss ebirur-
gisclier Erfahrung, nicht der Fall ist. Untersucht man den Mast-
darm an Lebenden mit der Sonde oder mit dem Finger, so findet
man in der Kegel den zunächst über den Sphincteren befindlichen
Raum desselben leer. Drei bis vier Zoll über dem Anus stösst die
Sonde auf ein Hinderniss, und kann von hier aus nur mit einiger
Knaft weiter geschoben werden. Das Hinderniss rührt von einer
permanent(in Zusammenziehung des Mastdarms her. Diese kann
aber nur durch die stärkere Wirkung von Ringfasern gegeben sein,
und letztere verdienen hier somit den Namen eines Sphincter tertitis,
Nölaton hat ihn als Sphincter am swperior in die Anatomie ein-
geführt. Die Untersuchung lehrt, dass, wenn auch nicht immer,
doch in vielen Fällen die Ringfasern des Mastdarms an der ge-
nannten Stolle sich zu einem stärkeren Bündel zusammendrängen.
Ich habe nur einmal einen Zusammenhang dieser Kreisfasern mit
dem Periost des Kreuzbeins deutlich erkannt und öffentlich demon-
strirt; Velpeau stvh ihn öfters (Mcdgaigne, anat. chir. pag. 379).
Dur Darinkoth hat Hich al»o nicht im unteren Mastdarmendis sondern in
der Curvalura Jtifjmoide<i anzusammeln, welche im leeren ZuHtande an der Seite
des Mastdarme» in die Heckenliöblc herabhängt , und sich durch ihre snccesnive
AufUllung so erhebt, dass die Fäces auf den oberen Schliessmuskel drücken,
welcher nac.h^^iebt. Nun Hlcken die Fäces bis zum Anus herab, und können
vermittelst des willkürlich wirkenden Sphincter ani extemtut eine Zeitlang zurflck-
gehalt4.*n werden, wozu selbst die zusammengepressten Hinterbacken mitwirken
müssen, um den Kntleenmgsdrang zu über^vinden. Man hütet sich deshalb, in
dieser kritischen Lage grosse Schritte zu machen.
§. 272. Leber, Aeussere Verhältnisse derselben.
Die Lei) er (angelsächsisch l/ffer, englisch llver, Hepar [f^xapj,
H, JvAmr, t/n/itft jiwffi cor, nach Sp ige lins), ist das grösstc und
schw(»rste Haurheingeweide. Sie ist eine Drüse, welche sich dadurch
von allen and(M-(»n Drüsen unterscheidet, dass sie, ausser arteriellem
Blut, auch venöses Blut durch eine eigene Vene — Ptortader ge-
nannt — zugeführt erhält, und, nicht wie andere Drüsen, ihr Secret
jillein aus arteriellem Blute, sondern grösstentheils aus dem venösen
Blute der Ptortader bereitet. Sie liegt im rechten Hypochondrium,
und erstreckt sich durch die Eeffio epigastrica bis zum linken Hypo-
chondrium herüber. Sie hat im Allgemeinen eine länglich vier-
eckige Gestalt mit abgerundeten Winkeln. Ihr vorderer, unter
den Kippen und dem Schwertknorpel hervorragender Rand, ist
scharf, und mit einem, das vordere Ende des Ligamentum Suspen-
sorium aufnehmenden Einschnitte versehen. In Folge der durch
den Gebrauch der Schnürleibcr bewirkten Compression, ragt dieser
§. t72. Leber. AeosMre Yerh<nisse derselben. 695
Rand bei Weibern mehr al» bei Männern unter den Rändern der
Rippen nach abwärts vor. Er lässt sich aber, der Weichheit des
gesunden Leberparenchyms wegen, durcli die Bauchwand nicht
fühlen, was nur dann der Fall ist, wenn krankhafte Härte oder
höckerige Auftreibung dieses Randes vorkommt. Der hintere
stumpfe Rand entspricht der Uebergangsstelle der Pars lumbalis
diaphragmatis in die Pars costalis. Er steht zugleich höher als der
vordere, wodurch die Lage der Leber nach vorn abschüssig wird.
Der rechte Rand ist stumpf wie der hintere. Der linke, scharfe
und kurze Rand, gegen welchen sich die Masse der Leber allmälig
verdünnt, zieht sich in einen flachen abgerundeten Zipf aus, welcher
vor der Cardia des Magens liegt. Die obere, convexe Fläche der
lieber liegt an die Concavität des Zwerchfells an. Das an sie be-
festigte Idgametitum suspensariuvi hepatis, bezeichnet die Grenze
zwischen dem rechten, grösseren, dickeren, und dem linken,
kleineren, und dünneren Leberlappen. Die untere, zugleich nach
hinten gerichtete Fläche, berührt das obere Ende der rechten
Niere, und erhält zuweilen von ihr einen seichten Eindruck. Sie
deckt das Ende des aufsteigenden, und den Anfang des queren
Grimmdarmes, den Pylorus, und einen grossen Theil der vorderen
Magenfläche, und zerfällt durch drei, sich wie die Linien eines H
kreuzende Furchen, in vier Abtheilungen oder Lappen. Die
Furchen werden als Fossa longitudinalis dextra et sinistra, und Fossa
transversa bezeichnet. Die letztere führt insbesondere den Namen
der Pforte, Pot^a Iwpatis. Rechts von der Fossa longitudinalis
dextra liegt der rechte Leberlappen, links von der Fossa longi-
tudinalis sinistra der linke. Vor der Fossa transversa liegt zwischen
den beiden Fossae longitiidinales der viereckige, hinter ihr der
SpigeTschc Leberlappen (lohus exiguus, ab anatamicis nondum
descriptuSy Spig, lib. VIIL cap, 6), Der lobus Spigelii ist mit einem
stumpf kegelförmigen Höcker, Tuberculum papilläre, und mit einem,
auf den rechten Lebcrlappen sich brückenai-tig hinüberziehenden
Fortsatz, dem Tuberculum caudatum, ausgestattet.
Die Fossa transv&i'sa, oder Porta liepatis, scheidet die beiden
Fossae longitudinales in eine vordere und hintere Abtheilung. Die
rechte Längenfurche enthält in ihrer vorderen Abtheilung die Gallen-
blase, in ihrer hinteren die Vena cava ascendens; die linke Längen-
furchc vorn das Nabelband der Leber, hinten den Ueberrest des
Dvxitus venosus Arantii, Die Pforte ist die Aus- und Eintrittsstelle
der Gefässe und Nerven der Leber, mit Ausnahme der Venae hepa-
ticae, welche im hinteren Abschnitte der rechten Längenfurche in
die Vena cava ascendeiis einmünden.
Die Oberfläche der Leber wird vom Peritoneum überzogen,
welches sich, von zwei Stellen de» Zwerchfells aus, gegen die
696 6« ^'* Leb«r. Aenssere VerhAltniue dervelben.
Leber einstülpt, und dadurch zwei Falten bildet, welche als Bänder
der Leber beschrieben werden. Das Aufhänge band der Leber,
Ligamentum »uspensorium, geht von der concaven Zwerchfellfiäche
und von der vorderen Bauchwand (bis zum Nabel herab) aus, und
inserirt sich an der convexen Leberttächc, vom Einschnitte des vor-
deren Randes bis zum hinteren Rande ^ wo es mit dem oberen
Blatte des Kranz band es, Ligamentum coronariumy zusammenfliesst,
welches, ebenfalls vom Zwerchfell, und zwar vom hinteren Theile
desselben kommend, am hinteren stumpfen Leberrandc sich ansetzt.
Die beiden Blätter dieser Falten weichen an der Leber auseinander,
um sie, und die in ihren Furchen enthaltenen Gebilde zu umhüllen.
Das Nabelband der Leber ist ein rundlicher Bindcgcwebsstrang,
wird daher auch gewöhnlich Ligamentum teres genannt, kommt vom
Nabel zum vorderen Abschnitt der linken Längenfurche herauf,
und liegt im unteren freien Rande des mit grossem Unrecht so
genannten Aufhängebandes eingeschlossen. Ich sage „mit Unrecht"^,
da das Ligamentum suspensmdum, wegen des genauen Anschliessens
der Leber an die untere Zwerchfellfläche, gar nie in eine senkrechte
Spannung versetzt werden kann, wie sie einem Auf hänge bände zu-
kommt. Verfolgt man das Nabelband durch die linke I^ängenfurche
nach rückwärts, so überzeugt man sich, dass es mit dem linken
Aste der Pfortader verwächst.
Der Peritonealüberzug der Leber setzt sich auch zu anderen
Baucheingeweiden fort, und zwar: 1. zum kleinen Bogen des Magens,
als Omentum minus «. hepato-gastricum, 2. zum Zwölffingerdärme, als
Ligamentum hepato-duodenale, 3. zum oberen Ende der rechten Niere,
als Ugamentum hepato-renale, und 4. zur rechten Krümmung des
Colon, als Ligamentum hepato-colicum, (3 und 4 sind nicht immer
deutlich entwickelt.) Zwischen dem Ligamentum hepatq-duodenale
und dem Ligamentum hepato-renale^ welches zuweilen durch ein
Ligamentum duodeno-renale vertreten wird, befindet sich eine ovale
oder schlitzfiirmige OefFnung. Diese ist das Foramen ]Vinslovii,
welches zu einem, hinter dem Magen und dem Omentum minus lie-
genden Räume der Peritonealhöhle führt, welcher in der Entwick-
lungsgeschichte der Verdauungsorgane eine bedeutende Holle spielt,
und als Bursa omentalis auch in der beschreibenden Anatomie einen
dauernden Platz einnimmt, wie in §. 278 ausführlich gezeigt wird.
Der vordere Abschnitt der linken Längenfurche verwandelt »ich, durcli
Connivenz der Furchenränder, häufig in einen Kanal, in welchem da» ninde Leber-
band aufgenommen wird. — Eines der seltensten anatomischen VorkommniHse,
welches jedoch schon den Haruspices aus der Opferanatomie airt caput hfjxUiJt
caesum bekannt war, ist die am hinteren Rande oder an der unteren Fläche der
Leber anliegende Nebenleber fJecur tuccenturiatum/, al» ein abgesehnfirter, selbst-
ständig gewordener Antheil des Leberparenchyms.
g. 27S. PraktiBche Behuidlang der Leber in der Leiehe. 697
In alter Zeit fi^alt die Leber für das edeUte und wichtigste Eingeweide,
dem die Blutbereitnng obliegt. Man dachte sich nämlich, dass die Vencte inesa-
rnicae, als Wurzeln der Pfortader, den Chylus aus dem Darmkanal aufsaugen,
und in die Leber bringen, wo er in Blut umgewandelt wird, eine Ansicht, welche
erst im siebenxehnten Jahrhundert, durch die Entdeckung des Milchbrustgang^s
(Jhtcttis thorcLciciui) zu Fall gebracht wurde. Auf dieser Vorstellung lieniht es
auch, dass man die Leber den König der Eingeweide nannte (ßaaiXsu;), woraus
CS verständlich wird, warum jetzt nocli jene Blutader am Arme, aus welcher man
bei Leberleiden zur Ader Hess, Vciia basUica heisst.
§. 273. Praktische Behandlung der Leber in der Leiche,
Bevor man die Lober heraiiBuimmt, um ihre untere Fläche
mit deren Lappen und Gruben zu studiren, müssen die Gefössver-
bindungen derselben in der Leiche präparirt werden. Man eröffnet
hiezu auch die Brusthöhle, und trägt von den Rippen so viel ab,
als nöthig ist, um die Leber gegen die Lungen hinaufschlagen zu
können, wodurch ihre untere Fläche zur oberen wird. Das Liga-
nientum liejHüo-daodencde sparnit sich dabei strangartig an, und muss,
da es die GefHsse enthält, welche der Gallenbereitung dienen, zuerst
untersucht werden. Man schlitzt es seiner Länge nach auf, und
findet in ihm eingeschlossen ein Oetassbündel, in welchem sich
folgende Stämme isolireu lassen: L Die Arteria hepatica, vSie liegt
links und oben im GefassbUndel, und kann leicht bis zu ihrem
Ursprung aus der Artenu coeltiica verfolgt werden. Sie ist von
einem dichten Nervengeflecht (Plexus hepaticus) allseitig umgeben.
2. Der g e m e i n s c h a f 1 1 i c h e G a 1 1 e n g a n g , Ductus choledochus (/oXr^,
Galle, 5£*/0(xai, aufnehmen), rechts und unten im Bündel gelegen.
Man verfolgt ihn gegen die Leber zu, und sieht dabei, dass er aus
der sehr spitzwinkeligen Vereinigung von zwei Gängen hervorgeht,
deren einer aus der Pforte hervorkommt, als Lebergallen gang,
Lhictm hepuHcus, deren andere aus dem Halse der Gallenblase, als
Gallenblasen-Gallengang, Ditctus cysticus. Der Ductus chole-
dochus hat den Umfang eines Federkiels; der Ductus cißsticus ist
etwas dünner, i^. Die Pfortader, Vena portcie, Sie führt der Leber
das zur Gallensecretion nöthige venöse Blut zu, liegt hinter der
Arteria hepatica und dem (^allengange, und hat beiläufig die Stärke
des kleinen Fingers. Gegen die Porta hepatis aufsteigend, theilt
sie sich, wie die Arte7ia hepatica, in zwei Aeste, für den rechten
und linken Leberlappen, welche sich arboris ad instar in der Leber
verästeln. — Nun trennt man das Colon transvet*8um von seinen
Verbindungen mit dem Magen und der Leber, und schlägt es nach
unten. Dadurch wird die Krümmung des Zwölffingerdarmes und
der von ihr umschlossene Kopf des Pankreas zugänglich. Man
präP*»^'* '^-^ti BauohfellUberzug dieser Organe los, lüftet das obere
698 $. S78. Pnktiieli« Behuidlnog der Leber in der Leiche.
Querstück und den rechten Rand des absteigenden Stücks des
Zwölffingerdarmes, um den Ductus ckoledochus nach abwärts ver-
folgen zu können, und findet, wie er die hintere Wand des Duo-
denum schief nach unten und innen durchbohrt. Schneidet man
den Ductus choledochm irgendwo an, und fuhrt durch ihn eine Sonde
gegen den Zwölffingerdarm, welchen man der Länge nach öffnet,
so erreicht man seine Ausmündungsstelle am inneren Rande des
absteigenden Stückes des Zwölffingerdarmes.
Präparirt man hierauf den Kopf des Pankreas mit der ihn
umgreifenden Curvatur des Duodenum von der Wirbelsäule los, so
findet man den Zusammenfiuss der Vena spleiiica, Vena mesefUerica,
und einiger Venae pancreaiuxie, als Anfang des Pfortaderstammes.
Die Pfortader sammelt das venöse Blut aus den Venen der Milz,
des Pankreas, und des Verdauungskanals, und fuhrt es zur Leber,
in welcher sie sich, nach Art einer Ai-terie, verästelt, und zuletzt
capillar wird. Sie gleicht somit, wenn man sie aus der Leber und
aus den £ingeweiden herausgerissen denken möchte, einem Baume,
dessen Wurzeln im Verdauungskanale, Milz und Pankreas stecken,
dessen Zweige in das Leberparcuchym hineinwachsen, und dessen
Stamm im Ligamentum liepato-duodenale liegt. — Die Nerven be-
gleiten als Plexus hepaticus vorzugsweise die Arteria hepafica. Die
Lymphgefasse folgen in grosser Menge den Gelassen, besonders der
Vena portae. — Das Bindegewebe, welches die genannten Geiasse
zu Einem Bündel vereinigt, und welches sich vom gewöhnlichen
Bindegewebe durchaus nicht unterscheidet, begleitet die KamiHca-
tionen der Geiasse in das Lcberparenchym hinein, und wurde von
Franc. Glisson (Anat. liepatis. Ijond,, 1GÖ4, cap. 2S) irrthümlich
fiir muskulös gehalten, weil es durch Imbibition von Pfoi*taderblut
gcröthet erscheint wie Muskelfleisch, daher der noch immer gebräuch-
liche Name: Capsula ßlissofuL
Hat man den Inhalt des Ligamentum hepato-duodemde auf die
geschilderte Weise untersucht, so schneidet man das ganze Gefass-
bündel entzwei, und sieht hinter ihm den Stamm der Vena cava
ascendens zum hinteren Leberrande aufsteigen, wo er sich in die
hintere Abtheilung der rechten Längenfurche legt, und daselbst die
Vetiae hepaticae aufnimmt, welche somit nicht in der Pforte zu
suchen sind.
Nun wird das Ligamentum Suspensorium und coronarium getrennt,
und die Leber, sammt dem zugehörigen Stücke der Vena cava ascen-
dens herausgenommen, um die Furchen an ihrer unteren Fläche,
und was in ihnen liegt, darzustellen.
Die Fossa longitudinalis dextra enthält in ihrem vorderen Ab-
schnitte die Gallenblase, und im hinteren die untere Hohlvene, also
Organe, welche im Erwachsenen dieselbe Rolle spielen, wie im
|. S74. OallenblM«. 699
Embryo. Die Fossa lonffitucUnalis sinistra dagegen beherbergt im
Embryo Venen, welche nach der Geburt obliteriren, und sich zu
BindegewebsBträngen metamorphosiren, und zwar im vorderen Ab-
schnitt die Vena urnbüicalü, im hinteren den Ductus venosus Arantii.
Das Nabelbaud der lieber, als Rest der obsolescirten Vena umbiU-
calüf, kann leicht bis zum linken Pfortaderastc verfolgt werden, mit
welchem es verwächst, und den Weg anzeigt, welchen die embryo-
nische Nabelvonc zur Pfortader einschlug! Der im hinteren Ab-
schnitt der linken Längenfurche enthaltene, viel schwächere Rest
des Ductus venosus Arantii, lässt sich, wenn er nicht gänzlich schwand,
ebenfalls präpariren, und zeigt uns dann die Richtung an, welche
der Ductus im Embryo vom linken Pfortaderaste, den Lobus Spigdii
von rückwärts umkreisend, zum Stamme der Cava ascendens, oder
zur grössten, sich in die Cava entleerenden Lebervene, genommen
hatte. — Man schlitzt noch zuletzt die Vena cava inferior an der
von der Leber abgewendeten Seite auf, um die an Zahl und Grösse
verschiedenen InsertionsöfFnungen der Lebervenen zu sehen.
DasB die Veim portae häufig Vena portantm genannt wird (wie in dem
Adaginm der praktischen Aenste: oeiia portarum, porta malorum), erklärt sich aus
Uippocrates, welcher die Leberlappen, zwischen welchen die Pfortader ein-
tritt, ::uXa{, d. i. portas nannte, und die Pfortader: ^X^ßa, etci la? JcuXa? fjnaTo;.
§. 274. öallenblase.
Die Gallenblase, Vesicula s, Cystis fellea, s. Cholecystis (von
/OÄT^, Galle), liegt im vorderen Segmente der Fossa lonijitudinalis
dextra. Da die Absonderung der Galle ununterbrochen von Statten
geht, die Gegenwart der Gallo im Darmkanaie aber nur zur Zeit
der Dünndarmverdauung bencithigt wird, so muss am Ausfuhrungs-
gange der Leber ein Nebenbohälter (Gallenblase) angebracht sein,
in welchem die (Jalie bis zur Zeit der Verdauung aufbewahrt wird.
Die Gallen])la8e ist birnfiirmig, ragt mit ihrem Grunde über
den vorderen I^eberrand etwas hervor, und voi*schmächtigt sich nach
hinten zum engen, etwas gewundenen oder mehrfach eingeknickten
Halse, welcher in den Ductus cf/aticus übergeht. Sie wird nur an
ihrer unteren Flächen und am Grunde vom Peritoneum überzogen;
ihre obere Fläche hängt durch leicht zerreissliches Bindegewebe
an die Lebersubstanz an. Sie besteht aus einer äusseren Bindc-
gewebshaut, einer mittleren Muskelhaut mit Längen- und Quer-
fasern, und (iiner inneren Schleimhaut mit einschichtigem Cylindcr-
epithel. Die Schleimhaut erhält durch eine Unzahl niedriger
Fältchen, welche sich zu kleinen eckigen Zellen wie in einer Honig-
wabe gruppireu, ein zierlich gegittertes Ansehen unter der Loupe,
700 S. 875. Bau der Leber.
und zeigt im Ilalfie, wie auch im Ductus ajsticus, eine mehr weniger
Spiral an der Wand hinziehende, mit seitlichen Nebenßiltchen be-
setzte Falte (VcdmUa Heisteri). Uas (Jylinderepithel der (Tallenblase
und der Gallengänge, lässt an der freien Wand seiner einzelnen
Zellen, denselben gestrichelten Saum erkennen, wie er am Cylinder-
epithel des Darmkanals vorkommt.
Die in der Leber bereitete, und in der Galienblaäe einstweilen auf bewabrte
Galle (Rüia) ist eine Lösung von Kali- und Natronsalsen, deren eij^entbümliche
iSäureUf unter dem Namen der Glycochol- imd Taurochulsäure bekannt »ind. Sie
enthält ausserdem noch Cbolestearin und Lecithin, und zwei Farhstuffe, einen
ffeibon und braunen. Der geU)e Farbstoff wird, wenn die Gallo in den Mafien
p^elangt, durch die Salzi^Hure des Magensaftes höher oxydirt, und nimmt eine
grüne Farbe an. Deslialb ist die erbroclicne Galle grün. - Durch die Mischung
der Galle mit dem Ohjmus, wird die Ausscheidung der nahrhaften Bestandtbeile
des letzteren auf noch unerforschti« Weise befordert, die Aufsaugimg der Fette
des Chylus ermöglicht, die faule Gährung des Chymus verhindert, und die peri-
staltische Bewegung der Gedärme bethätigt Ein Theil der Galle wird resorbirt,
ein'Theil aber mit dem Darmkoth ausgeleert. Sie ist somit kein blosser Aus-
wurfsstoff. Nebst der Galle erzeugt die Leber auch Zucker, und zwar durch
einen gährungsähnlichen Process, aus einem besonderen chemischen IngretÜens
des Leberparenchyms, welches man vor der Hand als glycogene Substanz
bezeichnet Der Leberzucker wird aber nicht mit der Galle ausgeführt, sondern
g^räth in das Blut der Lebervenen.
§. 275. Bau der Leber.
Wir kennen den Bau der Leber noch immer nicht 8«) genau,
dass wir auf die wichtige Frage: wie beginnen die (lallengefassey
anders^ als mit einer Liste verschiedenster Ansichten antworten
könnten. Es werden noch manche Auflagen dieses Buches kommen
und gehen, bevor dieser Satz weggelassen werden kann. Die Wissen-
schaft weiss viel über die mikroskopischen Kiemente der Leber zu
sagen, aber noch lange nicht Alles. Das Wenigste, aber Wichtigste
von dem Vielen, dränge ich in folgenden Punkten zusammen.
a) Leberläppchen.
Kiernan hat die von Malpighi aufgestellte Ansicht, dass die
Leber ein Aggregat gleichartiger Läppchen (Acini 8. Lohidi) sei,
auf dem Wege mikroskopischer Untersuchimg weiter ausgeführt. Da
wir unter Acinus die traubeniormig gruppirten Endbläschen der
Ausfilhrungsgängc gewisser Drüsen verstanden haben, so leuchtet
ein, dass hier von Leber-Acini nicht in diesem Sinne gesprochen
wird. Leber-Acini sind keine Gruppen von Endbläschen der Oallen-
gänge, sondern Massentheilchen des Leberparenchyms. Um Begriffs-
verwirrungen vorzubeugen, soll von mir fortan das Wort LobtUiis
statt Acinus gebraucht werden « — Man lässt die L eberlob uli in
§. t76. Bftn d«r L«b«r. 701
eine Bindegewebshülle eingeschlossen sein, welche eine Fortsetzung
der mit den Blutgefässen der Pforte bis zum I^obulus gelangten
Capsula Glissanii ist. Diese Bindegewebshülle der I^obuli lässt sich
aber in der Menschenleber nicht nachweisen. E^, H, Weh er (Müller s
Archiv, 1843), verwarf sie zuerst. Nach ihm soll die ganze Leber
als ein einziger grosser Acinus aufgefasst werden, in welchem die
Blut- und die Qallcngefasse capillare Netze bilden, so das» die
Stämmchen des einen Netzes, die Maschen des anderen einnehmen.
Diese ineinander steckenden Blut- und Gallengefässnetze werden
allerdings von bindegewebigen Fortsetzungen der Capsula Glissotiü,
welche mit den Gefassen der Pforte in das I^eberparenchym
eindringen, durchsetzt. Diese Fortsetzungen bilden jedoch keine
isolirenden Begrenzungshüllen für kleinere, als Lobuli zu bezeich-
nende Parenchymtheile der Leber. Dennoch wird der Name „Leber-
lobuli" noch beibehalten, und versteht man darunter die kleinen
Stellen oder Inselchen, welche an der Oberfläche, und an Durch-
schnitten der lieber, durch ihre dunklere Färbung sich von der
helleren Zwischensubstanz bald mehr bald weniger deutlich unter-
scheiden.
Jene Anatomen, welche den LobnU der Mensclienleber huldigen, gehrauchen
hinsichtlich ihrer l$egrenznng den Ausdruck: ^unvollkommen getrennt**, seihst
„zusamnienfliessend^, so dass es ihnen mit der Vorstellnng der Isolirtheit der
Lobuli unmöglich recht Kmst sein kann. Dagegen lässt sich der lobuläre Bau
in der Leber des »Schweins, des Octodon, und des Eisbären nicht läugneu.
h) Vasa inter- et hitralohularia.
An Durchschnitten des injicirten Leberparenchyms sieht man
die Aeste der Arteria hepatica und Vena portae zwiüchen den Lobuli
verlaufen und sich verzweigen. Diese Verzweigungen werden des-
halb Va^a interlohularia genannt. Die ersten Würzelchen der Leber-
venen dagegen stecken in der Axe der Lobuli, und heissen Vasa
intralohvlaria , oder Venae centrales. Die Vasa inter' und intra-
lobvlaria stehen mittelst eines Oapillargefässnetzes in Verbindung,
welches den Lobulus durchdringt. Die aus den Gallongefasschen
in den Lobulis entspringenden Ductus hüiarii, gesellen sich ausser-
halb der Lobuli, den Vasis intet'lobularibus bei. Das Verhältniss
von Blut- und Gallengefässen wäre somit für jeden I^obulus das-
selbe, wie es für die ganze Leber in §. 274 geschildert wurde.
c) Leberzellen.
Die Leberzellen sind die eigentlichen Absonderungsstätten der
Gallenbestandthoile (Secretionszellen). Sie bilden, sammt den Blut-
und Gallengefassen, die Substanz der Lobuli. Die Zellen eines
Lobulus haben ungleiche Grösse. Die der Axe des Lobulus näher
liegenden, sind grösser, als die davon entfernteren. Ihr mittlerer
Durchmesser beträgt 0,007 Linien. Die Leberzellen füllen die
702 §. >76. Bftn d«r Leber.
Maschen des Capillargefiissnetzes in den Lobuli aus. Unregelmässi«^
polyedrisch an U^estalt^ enthalten die Leberzellcn einen oder zwei
Kerne. Zwischen Kern und Hülle der Zellen befindet sich eine
zuweilen mit Fetttröpfchen gemischte, und, besonders in den Lebern
von Gelbsüchtigen, dunkel grüngelbe Flüssigkeit, welche zahlreiche
Körnchen führt, — das ölycogen, eine stickstofffreie, mit Jod-
tinctur sich roth fUrbende, sich in Zucker umsetzende, ohne Rück-
stand verbrennende Substanz, welche als solche auch in den
Muskeln, und in vielen Organen des Embryo angetroffen wird.
d) Anfänge der Qallengefässe.
Hierüber herrschen verschiedene Ansichten. Folgende von
ihnen haben achtbare Namen zu Vertretern.
1. Die Gallengefasse in den Lobuli bilden Netze. Die Wand
dieser Netze ist structurlos, und wird aus den Wänden der linear
an einander gereihten, und durch Resorption der Berührungsseiten
in einander geöfiiieten Leberzellen gebildet (Hassall, E. H. Weber).
2. Die structurlose Wand der Gallenge fiisse im Lobulus ist
eine Fortsetzung der bindegewebigen Wand der Gallengefiisse ea'tra
lobtdum, und die Leberzellen sind die Epithelien der intralobulären
Gallengofilsse (Kruckenberg, Schröder van der Kolk).
3. Die LeberzcUen gruppiren sich zu Balken, in deren Inne-
rem ein nur von diesen Zellen begrenzter Gang enthalten ist,
welcher die von den Zellen bereitete Galle aufnimmt. Die Baiken
der Leberzellcn bilden ein Netzwerk, welches die Maschen des
capillaren Blutgefassnetzes ausfüllt (Beale, Eberth).
4. Die Anfange der Gallengefasse in den Lobuli entbehren
einer eigenen Wand, und sind Intercellulargänge zwischen den
Leberzellen (Henle, Luschka, Hering, und alle Neueren). In
Hering^s Arbeit über die Wirbelthierleber (Sitzungsberichte der
Wiener Akad. 1866 und 1867) wird hervorgehoben, dass die Leber-
zellen die Maschen des Capillargefiissnetzes der Lo])uli so ausfüllen,
dass jede Leberzelle zwischen je vier oder drei Capillaren wie
eingezwängt liegt, und zugleich mit «acht bis zehn Nach])arz(^llen in
inniger Flächenberührung steht. Theils zwischen den stumpfen
Kanten der zusammenstossenden Leberzellen, theils in der lUv
rührungswand je zweier Zellen, befinden sich die einer Ki«;einvand
entbehrenden Intercellulargänge , als Auffinge der Ciallen^rfasse
(Gallencapillaren). Wo und wie die noch mit Wandun«:jen ver-
sehenen Gallengänge zwischen den Lobuli, mit den wandlosen Inter-
cellulargängen in den Lobuli in Verbindung stehen, wird nicht g( sagt.
Die Wand der Htürkeren GallenpÄnpo besteht au« Schleimhaut, mit ein-
schichtigrein Cylinderepithel, nnd ans einer, mit or^nischen Muskelfasern ver-
sehenen Bindegewebsschicht. Die feineren Gallongang^veraweig^ng>en lassen einen
§. 276. Die BandiBpeichcldrAte. 703
Unterschied zwischen Schleim- and Bindegewebsmerabran nicht mehr erkennen,
und die Wand der feinsten Aestchen derselben soll nur epithelialer Natur sein.
In den Wänden aller GallengSnge grösseren Kalibers finden sich kleine Drüschen
eingelagert. Sie sind in der Gallenblase und im Ducttu cysUcua viel spärlicher,
als in den Ramificationen des Ductus hepatieus, Luschka giebt ihre Zahl in
der Gallenblase nur auf sechs bis fünfzehn an. Sie haben entweder die Form rund-
licher, acinosähnlicher Drüschen, oder blinddarmfbrmlg verlängerter Schläuche,
welche einzeln, oder mehrere, zu einem gemeinschaftlichen Gang zusammen-
tretend, in den Gallengang einmünden. — Es verlautet in neuester Zeit, dass die
Capillargefasse der Leberlobuli von Lympliräumcn umgeben sind, welche mit den
die Va9a irUerlobtdaria begleitenden tiefen Lymphgefassen der Leber in Zu-
sammenhang stehen (Gillavry). Kisselew beschreibt selbst das Epithel dieser
perivasculären L3rmphräume.
Der Ductus hepatieus giebt schon vor seinem Eintritt in das Leberparen-
chym Zweige ab, welche sich in der Ccvpsula Olissonü und im Bindegewebe der
grossen Leberfurchen zu oberflächlichen Netzen vereinigen, deren Ausläufer sich
in das Parenohym der Leber einsenken, und sich daselbst wie die parenchjrma-
tösen Verzweig^gen des Ductus hepaUcus verhalten.
Zwischen den beiden Blättern des Ligamentum cxyronarium hepalis, beson-
ders seines linken Flügels, tauchen Gallengänge aus der Substanz der Leber auf,
um durch wechselseitige Anastomosen Netze zu bilden. Auch in den Furchen
der Leber findet man solche extraparenchymatöse Gallengefässe. Sie werden
durch Injection des Ductus hepatieus sehr leicht dargestellt. Man nennt sie Vasa
aberrantia. Bei Herde (Anat 2. Bd.) findet der Leser alles Historische hierüber
zusammengestellt
§. 276. Die Bauchspeicheldrüse,
Die Bauch Speicheldrüse, Pancreas, hält in ihrem Exterieur
und in ihrem Baue, den Typus der Speicheldrüsen ein, zählt also
zu den zusammengesetzten acinüsen Drüsen, mit länglichen keulen-
förmig gestalteten Acini. Sie spielt bei dem Verdauungsgeschäfte
eine grosse Rolle, da die Umwandlung des Amylum der Nahrungs-
mittel in Dextrin und Traubenzucker, dem eiweissreichen und alka-
linischen Sticcus pancreaticus obliegt.
Das Pankreas lagert hinter dem Magen, vor der Pars lum-
halis diaphragmafis und der Aorta abdominalis, und grenzt mit seinem
linken schmächtigen Ende (Cauda) an die Milz, mit dem rechten
dickeren (Caput) an die eoncave Seite der Zwölffingerdarmkrümmung.
Der irauptausführungsgang dieser Drüse, Ductiis pancreaticus s. Wir-
sunifianvs, folgt ihrer T^ängenaxe, und wird von den Acini ringsum
so umschlossen, dass er nirgends zu Tage liegt. Die kleinen Aus-
führungsgänge der einzelnen Acini münden rechtwinklig in den
Hauptgang (daher der ])ei Cruveilhier gebrauchte Ausdruck mitte'
pattes, Tausendfuss). Der Ductus pancrexiticus verbindet sich mit
dem Ductus choledocims, während dieser zwischen den Häuten des
Duodenum verläuft. ^ ^^mnach eine gemeinsame
704 t- ^«- D*e Bmmdktfn€ht]4i*a*.
Oeffimng im Daodenam. Xur sehen sah ich zwfi aparte, durch » ii*
Qaerfaltchen von einander getrennte Ostia.
Im Kopf de% Pankreas zweigt sieb roni JJurttu panrr^atictt^ nicht ^1t<rn
«^n «tarker Ht-iUfnatt ab, wfirber die Aneföbmngsgänife der f?rö««<?ren MehrzaLl
der Arini de« pMikrea«ko|ffeff anfnimiDt, nnd eine be<w>nJere EinroGndnn^ in den
ZwOlflSogerdArm befritzt, ond zwar einen bis andertbalh Zoll fil>er der Mundun?
de« iPuHuM ehfil^ilctkuM, £r heilst DhHu» Santarmi.
Als Neben Pankreas lassen sich jene drflsi|^n. dem Pankreas grl^i«*)'
geliaaten Massen bezeichnea, welche von Klob, Zenker, nnd mir. in drr
Ma^nwand (untere Conratar), in der Wand de« Dünndarms (oberste S<'hling**
des Jejaniun;, und in dem Mesenterinro eines Dfinndarm-Divertikels )>eobarhtet
wnrden. Bie besitzen l>esondere, in die Magen- oder Darmboble einmündend«?
AnsfiUiningiginge. Klc6, Zeitschrift der Wiener Aerzte. 1869: Zenker, Archiv
für patli. Anat, 1861; JI^, Hitzongsberichie der kais. Akad., 1866.
Wenn man das kleine Netz vom oberen Magenbogen abtrennt, nnd den
Magen etwas herabzieht, bekommt man den mittleren Theil des Pankreas zu Ge-
sichte, Um es ganz zu fibersehen, moss anch das grosse Netz nnd das Lipa-
merUmn yatlra-Uneale Tom grossen Magenbogen abgelQst, nnd der Magen. je(lr»cii
ohne Milz, gegen den Thorax hinaufgeschlagen werden. Man sieht das Pankreas«.
Iiedeckt vom hinteren Blatte der Bursa omerUalU, qaer vor der Wir)>elȊule liegen.
ond sich von der Milz bis in die Curvatar deK Daodenam erstrecken. Prä|»anrt
man niui den J/iaius aarUais des Zwerchfells, vor welcliera das Pankreas vi»r-
l»eistreicht, so sieht man aas ihm eine knrze, aber starke unpaarige Arterie her-
vorkommen. Diese ist die Arteria eoeliaea, welche sich, sobald sie zwischen den
Hchenkeln des liiatas heraasgetreten , in drei Aeste tlieilt: Artrria hepaiira,
ArterUi coronaria venirictili ituperinr smUtra, nnd Arteria linealijt. Letztere zieht
am ol>eren Rande des Pankreas mit der Vena »pletiica, welche unter ilir liegt, zur
Milz. Am unteren Rande des Pankreas tritt der zweite unpaarige Ai>rtenast
Artri-ia nieMeiUerira superior — in das Mesenterium des Dfinndamix ein. Wenien
nun einige von den oberflächlich gelegenen Acini des Pankreas helint8ain weg-
genommen, so braucht man damit nicht tief zu gehen, um den in <ler Axe der
Drihf verlaufenden, dünnhäutigen, graiilichweissen IhtctuM paiirrfaticti.s zu 6tulen,
welchen man öfTnet, eine 8onde gegen da« Dnodenuni einleitet, nnd durch 5»ie zur
Einmündung «les Ganges in das Ende des Ductiu choledochuH geführt wird. —
Der iJuctuM jmncrecUicim bestellt aus Schleimhaut mit Cylinderepithel , und aus
einer Hindegewehsschiclit mit sehr spärlichen organisdien Muskelfasern. Das
Cylinderepithol wird in <len feineren Ramificationen de«« (fange», und in den läng-
lichen keulcnfönnigen Acini, so hoch, dass nur ein sehr enges Lumen frei hleiVit.
Der Ausfüll rungsgang des Pankreas wurde, ir»42, von Georj^ Wirsung.
einem Haier, in Papilla am Menschen entdeckt, nachdem Moritz II offmann den-
selben etwas früher im Tnithahn aufgefunden, und dem Wirsung g»'zeifrt hatte.
1C43 fiel Wirsung durch Mörderhand. Hoffniann wurde Professor der Ana-
tomie in Altilorf, allwo lange Jahre hindurch, seine Entdeckung alljährlich von
den Aerzten durch ein (üastmal gefeiert wurde. Haller, liUd. anaf. T. I. p. 4U!.
Das Wort l'ancreajt (ans t.olu und xpsa;, d. i. Fleiscli, zusaniuiengeset/.t )
wird uns erst verständlich, wenn wir bedenken, dass die Worte zpfac und rtuo,
von den Alten, nicht hios für Muskelfleisch, sondern auch für Drüsensub.st'inz ge-
braucht wurden; Panrrt^uM somit ein Ausdnick ist, welcher so viel hedeutet, al:^
„ganz aus Drüsensubstanz bestehend". Dass aueh die tieutscli«' ana-
tomische Sprache unter „Fleisch" nicht immer das Muskelfleisch versteht, beweist
das Wort „Zahnfleisch*'.
§. 277. Mlli. 705
§. 277. Milz.
Nur gezwungen schliesst sich die Milz (vom angelsächsischen
rnilt, — Iden, Splm, das griechische oxXt^iv) den Verdauungsorganen
an. Die noch immer fehlende Aufklärung über ihre räthselhafte
Verrichtung, könnte allein entscheiden, ob sie mit Recht oder Un-
recht zu den Verdauungsorganen gezählt wird. Als ein drüsiges,
ungemein gef&ssreiches Gebilde ohne Ausführungsgang (Gefassdrüse,
Ganglion vasculosum), liegt sie am FundiLS ventriculi, im linken
Hypochondrium. Sie ist von braun- oder violettrother Farbe, hat
die Grösse einer Faust, die Gestalt einer Kaffeebohne, ein Gewicht
von vierzehn bis achtzehn Loth, und eine teigige Consistenz. Ihre
äussere, zugleich obere, convexe Fläche, schmiegt sich der
Concavität des Rippenthcils des Zwerchfells an. Ihre innere, dem
Magengrunde zugewendete Fläche, wird durch einen auf einem
erhabenen Rücken angebrachten Längeneinschnitt (Hüvs) in zwei
schwach concave Facetten abgetheilt, von denen nur die vordere,
grössere, an den Fundus ventriculi anliegt, die hintere, kleinere, mit
dem linken Lumbaltheil des Zwerchfells in Contact steht. Ihr vor-
derer Rand ist etwas schärfer als der hintere, und gegen das untere
Ende, mit unconstanten Kerben eingeschnitten, deren eine so tief
werden kann, dass ein Theil der Milz dadurch vollkommen, als so-
genannte Nebenmilz, Li&ii succenturiatus , von dem eigentlichen
Körper der Milz abgetrennt wird. Diese Form von Nebenmilzen
gehört jedoch zu den grossen Seltenheiten. Häufiger wird eine
kleine Nebenmilz, von der Grösse einer Erbse oder kleinen Kirsche,
an der unteren Fläche des Meaocolon transversum angetroffen, welche
natürlich nicht für einen abgeschnürten und selbstständig gewor-
denen Theil der eigentlichen Milz angesehen werden kann, da ein
solcher an der oberen Fläche des Mesocolon transversum liegen
müsste.
Der Peritonealüberzug der Milz stammt als Ligamentum gastro-
lineale vom Magcngrundc, und als Ligamentum phremco-lineale vom
Zwerchfell her. Unter der Peritonealhaut, und untrennbar mit ihr
verwachsen, folgt die Tunica propria lienis, eine dichte, aber nicht
eben dicke Bindegewebshülle, welche am Hilus in das Milzparen-
chym eindringt, und Scheiden für die daselbst wechselnden Blut-
gefässe bildet. Sucht man sie von der Oberfläche der Milz abzuziehen,
so gelingt dieses nur schwer und unvollkommen, indem eine Unzahl
von verästelten Fortsätzen derselben, welche elastische Fasern und
sehr reichliche glatte Muskelfasern enthalten, in das weiche Mik-
parenchym eindringen, als Trahecvlae lienis (Milzbalken). Diese
contractilen Elemente in der Architektur der Milz, reagiren auf
Uyrtl, Lehrbach der Anatomie U. Aufl. ^
706 §. 277. MUs.
elektrische Reizung sehr auffallend^ und bedingen durch Contraction
der Venen, und dadurch gegebene Austreibung des venösen Blutes,
eine rasche Verkleinerung der Milz, welche bei Erschlaffung der
Muskelfasern wieder schwindet. Viele von diesen Balken folgen
nämlich den Venenverzweigungen, verstärken und fixiren ihre Wand,
und verhindern ihren Collapsus, wenn die Milz durchschnitten wird.
Aehnliche verästelte Balken gehen auch von den die Blutgefässe in
das Milzparenchym hinein begleitenden Scheiden ab, verbinden sich
mit ersteren, und erzeugen auf diese Weise ein lückenreiches Fach-
werk, von welchem man durch Kneten und Auswaschen einer
etwas macerirten Milz, eine gute Ansicht erhält. Die weiche, braun-
rothe Masse, welche die Lücken des Fachwerks einnimmt, heisst
Pulpa lienis.
Die Pulpa UenU besteht ans einem feinen Fasei^erflBte, welches den ander-
weitigen Elementen der Pulpa als Stütze dient, und mit dem in den Lymphdrüsen
Torfindlichen Fasemetze (ReHeulumJ die grösste Uebereinstimmung besitzt In
den Maschen des Fasemetzes der Pulpa lagern massenhaft Lymphkörperchen, in
allen Stadien der Entwicklung. Zwischen diesen LymphkOrperchen stosst man
auf grössere Zellen, welche entweder kömiges Pigment (Haematoidin), oder wirk-
liche rothe Blutkörperchen enthalten. Von letzteren glaubt man, dass sie in
diesen Zellen ihrer endlichen Auflösung unterliegen, und in Pigment zerfallen,
während Andere sie für neugebildete Blutkörperchen halten, welche ihre Rolle
noch nicht ausgespielt, sondern erst anzutreten haben. — Das Faserg^rüst der
Pulpa steht 1. mit den Milzbalken (TrabeculaeJ, 2. mit den Bindegewebsscheiden
der Blutgefässe, und 3. mit den Malpighi*schen Körperchen der Milz in directem
Zusammenhang. Die Malpighi*schen Körperchen, deren Zahl und Grösse (ohn-
gefähr ein Sechstel einer Linie) bedeutenden Variationen unterliegt, sitzen entweder
einzeln oder zu mehreren, auf den arteriellen GefUssverzweigungen der Milz aul
Sie besitzen eine bindegewebige Hülle, welche von der Scheide des betreffenden
Oefasses stammt, und welche im Innern des Körperchens ein, dem Fasergerüste
der Pulpa ähnliches, nur etwas gröberes Netzwerk erzeugt, in welchem sich
Lymphkörperchen und dieselben blutkörperchenh<igen Zellen vorfinden, wie in
der Pulpa. Gewöhnlich durchdringen feine Zweigchen jener Arterie, auf welcher
die Malp ig hinsehen Körperchen aufsitzen, das Innere derselben. Die Mal-
pighi^schen Körperchen stimmen mit den Alveolen der Lymphdrüsen baulich
ganz ttberein.
Die Aeste der Milzarterie verzweigen sich, den Balken entlang, und inner-
halb derselben, in immer kleinere und kleinere Zweige. Nur eine Strecke weit
halten diese Zweige mit den Venen gleichen Schritt, trennen sich aber dann von
ihnen, und senken sich in das Faserg^rüste der Pulpa ein, wo sie in Büschel
kleinster Reiserchen — die PenicUU von Prochaska — zerfallen. Diese Reiser-
chen nun sollen nach Billroth in der Pulpa zu unregelmässig gestalteten, viel-
fältig verschlungenen, wandlosen Gängen werden, so dass ihr Blut das Faser-
gerüste der Pulpa und die in derselben eingelagerten Lymphkörperchen frei
bespült. Die wandlosen Blutbahnen werden dann wieder zu kleinen Venen,
welche in grössere übergehen. Schneidet man eine dieser gprösseren Venen der
Milz der Länge nadi auf, so zeigt ihre innere OberÜächo ein siebartig durch-
brochenes, durch die zahlreichen Einmündungen der kleineren Venen bedingtes
Ansehen. Diese Oetfnung^n sind die StiynuUa Malpighii,
§. 978. Banchfell. 707
Dieser SchUdening zu Folge, wftre die Milz architektomsch einerseits mit
den Lymphdrüsen, andererseits mit den Schwellgewebeu verwandt, — ein unselig
Mittelding zwischen beiden, um welches sich noch viel schreibseliges Gezanke
drehen wird. Die Aehnlichkeit mit Lymphdrüsen würde sich noch befriedigender
herausstellen, wenn wir über das Verhalten der LymphgefUsse zur Milzpulpa besser
unterrichtet wären. Bis wir dieses sein werden, müssen wir zugestehen, dass die
Milz, trotz so vieler Mikroskopie, und einer die Verwirrung täglich mehrenden,
massenhaften Literatur, heutzutage nicht viel Besseres ist, als was sie zu Galen*8
Zeiten war: ein myaterii plenum organon. Es lässt sich somit auch zur Stunde
nicht erklären, warum bei den in der Milzpulpa auf Bildung oder Rückbildung
der Blutkörperchen hinzielenden Vorgängen, die Exstirpation der Milz kein absolut
tödtlicher Eingriff ist. — Eigenthümliche Endapparate an den grauen Fasern der
Milznerven, als elliptische, kernhaltige Gebilde, wurden von Seh weigger- Seidel
und W. Müller beschrieben.
Die eingehendsten Gewebsuntersuchungen der Milz verdanken wir Bülroth
und Schweigger- Seidel, im Archiv für path. Anat. Bd. 20 und 23. Dasselbe Archiv
enthält auch die Arbeiten von Axel Key (22. Bd.), von Süeda (24. Bd.), so wie
die Zeitschrift für rat. Med. (3. F. 18. Bd.) die Abhandlungen von W. Müller und
Timm. — lieber Lymphgefässe der Milz handelt Tomaa, Wiener Sitzungsberichte,
1864. — Der kurze, in bündigster Klarheit geschriebene Aufsatz von W. Müüer
(Milz) in Stricker*8 histologischem Handbuch, schliesst mit einem vollständigen
Literaturverzeichniss.
§. 278. Bauchfell.
Das Bauchfell, Peritoneum, sollte richtiger Pentonaeum ge-
schrieben werden, da es aus dem Griechischen stammt : to irepiTovatov
Sipixa, welcher Ausdruck von x6piTe(va), d. i. umspannen, abgeleitet
ist. Peritoneum bedeutet also die Umspannungshaut der Unter-
leibseingeweide. Dasselbe kann als ein zusammenhängendes Ganzes
erst dann studirt werden, wenn alle Einzelheiten der Lage und der
Verbindungen der Verdauungsorgane bekannt geworden sind. Da
das Peritoneum auch die kleine Beckenhöhle bis zu einer gewissen
Tiefe herab auskleidet, tritt es zu den in der Beckenhöhle ent-
haltenen Organen des Harn- und Geschlechtssystems in dieselbe
Beziehung, wie zu den Verdauungsorganen.
Das Bauchfell ist die umfangreichste und complicirteste aller
serösen Membranen. Dasselbe bildet also, wie alle serösen Häute,
einen vollkommen geschlossenen Sack, welcher theils die innere
Oberfläche der Bauch- und Beckenwandungen überzieht, theils
durch die Eingeweide, welche sich in den Sack hineindrängen,
faltenartig eingestülpt wird. Hierauf beruht die allgemein übliche
Eintheilung des Bauchfells in ein Peritoneum parietale und viscerale^
Nur im weiblichen Geschlechte ist das Peritoneum kein vollkommen
geschlossener Sack; sondern hat zwei OeflFnungen: die Ostia abdo-
minalia der Tubae Fallopia$iae. Bindegewebs- und elastische Fasern
bilden das Substrat des Bauchfells.
46*
708 §. 878. Bauchfell.
Die innere Oberfläche des Peritoneum painetale, und die ihr
zugekehrte äussere des Peritoneum vUcerale, besitzen Plattenepithei,
und sind glatt, feucht und schlüpfrig. Beide Oberflächen werden
durch den Druck, welchen die Bauchpresse auf die Unterleibs-
organe ausübt, in inniger Berührung gehalten. Es bleibt nirgends
ein Zwischenraum, welcher sich erst bildet, wenn bei Bauchwasser-
süchten oder Verwundungen, Wasser oder Blut in die Höhle des
Peritoneums ergossen wird. Die Glätte der freien Fläclien erleichtert
das Hin- und Hergleiten der beweglichen Eingeweide, wie solclies
mit ihrer Füllung und Entleerung, mit ihrem peristaltischen Motus,
und ihrer Verschiebung bei den Athmungsbewegungen gegeben ist.
Die äussere Fläche des Peritoneum parietale hängt durch kurzes
Bindegewebe (Textus ceUuloms subperüonealü 8. subseroms), mit der
inneren Obei*fläche der Bauch wand zusammen, und die innere
Fläche des Peritoneum viscerale wird mit der äusseren Oberfläclie
der Eingeweide auf dieselbe Weise verbunden. Das subseröse
Bindegewebe des Peritoneum parietale enthält in der unteren Ab-
theilung der Bauchhöhle mehr Fett, als in der oberen. Einzelne
Fettklumpen können, wenn sie in der Nähe des Leisten- oder
Schenkelkanals, oder des Nabelringes, liegen, durch diese nach
aussen dringen, und Bruchgeschwülste vorspiegeln (Herniae adiposae),
welche, wenn sie grösser werden, das Peritoneum beutelartig nach
sich ziehen, und secundär eine wahre Hernie veranlassen.
Der Verlauf des Peritoneum parietale differirt in der Becken-
höhle beider Geschlechter. Im Manne steigt es vom Nabel herab,
um den Scheitel und die hintere Wand der Harnblase zu über-
ziehen, macht dann einen Sprung zur vorderen Fläche des Mast-
darms, an welcher es wieder zur hinteren Wand der Bauchhöhle
emporzieht. Zwischen Harnblase und Mastdarm bildet das Peri-
toneum somit einen Blindsack (Excavatio vesico-rectalis), welcher bei
leerer Harnblase einige Schlingen des Intestinum ileum enthält, und
an dessen Grunde die beiden nach innen concaveu Plicae semi-
lunares Doufßasii gesehen werden, welche sich vom Blasengrunde
zu den beiden Seiten des Mastdarms hinziehen, und stärker vor-
springen, wenn man den Blasengrund nach vorn drängt. Da die
beiden Falten mit ihren vorderen oder hinteren Enden auch in
einander verfliessen können, und dann nur Eine Falte mit hinterer
oder vorderer Concavität gegeben ist, so liest man hie und da die Plicae
Douglasü auch im Singular. — Beim Weibe drängt sich der Uterus
mit seinem Zugehör (Tuias, Ovaria, Ligamenta rotunda) zwischen
Harnblase und Mastdarm von unten her in die Excavatio vesico-
rectalis ein, und hebt ihren Grund als Querfalte auf, welche die
Excavatio vesico-rectalis in zwei kleinere theilt, von welchen die
§. 278. Bancbfell. 709
vordere: Excavatio vesico-uterina, die hintere (viel tiefere): Excavatio
ute^'o-rectalis genannt wird.
Die Reste der paarigen Nabelarterien an den Seiten der Blase
(Chordae umbüicales), und der vom Blasenscheitel zum Nabel auf-
steigende Rest des ürachus, erhalten faltenartige Ueberzüge vom
Bauchfell, ebenso die vom Poupar tischen Bande zur hinteren
Fläche des geraden Bauch muskcls schräg aufsteigende Arteria und
Vena epigastrica infenor (Plica epigastnca). An der äusseren Seite
der PUca epigastrica geht, bei Embryonen männlichen Geschlechts,
ein sackförmiger Fortsatz des Bauchfells (Processus vaginalis) durch
den Leistenkanal aus der Bauchhöhle bis in den Grund des Hoden-
sacks hinab, wo er durch den Hoden ebenso eingestülpt erscheint,
wie der grosse Bauchfellsack durch die einzelnen Baucheingeweide.
Nach der Geburt verwächst dieser sacktormige Fortsatz, vom Leisten-
kanal an, gegen den Hoden hinab. Die Verwachsung hört aber
etwas oberhalb des Hoden auf, und schreitet nicht weiter nach
unten fort. Der Hode muss somit beim Erwachsenen in einem
doppelten serösen Beutel liegen, dessen äusseres Blatt ihn nur ein-
hüllt, ohne mit ihm zu verwachsen, dessen inneres dagegen an seine
Oberfläche angewachsen ist. Dieser seröse Doppelsack ist die Tunica
vaginalis propria testis. Auch bei weiblichen Embryonen sieht man
einen kegelförmigen, aber viel engeren und kürzeren Fortsatz des
Peritoneum, in den Leistenkanal eindringen, und daselbst blind
endigen. Er führt den Namen: Diverticidum NuckiL — Diejenige
Stelle des Bauchfells, welche die Bauchöffnung des Leistenkanals
verdeckt, und von welcher aus sich beim männUchen Embryo der
Processus vaginalis in den Hodensack vordrängte, führt im Erwach-
senen den Namen Fovea inguinalis externa, während die an der
inneren Seite der Plica epigastrica befindliche (der äusseren Oeffnung
des Leistenkanals vis-ä-vis gelegene) Vertiefung, Fovea inguinalis
interna heisst (§. 173, 174, 175). Oft findet man das Anfangsstück
des Processus vaginalis auch beim Erwachsenen noch ein wenig offen,
wodurch, wie ich glaube, die Disposition zur Entstehung eines
äusseren Leistenbruches gegeben ist.
Von der vorderen Bauch wand geht noch eine Peritonealein-
stülpung aus, welche das Ligamentum teres der Leber aufnimmt,
und längs des Diaphragma weiter ziehend, als Ligamentum Suspen-
sorium hepatis bereits beschrieben wurde. Dieses Ligament wird
zum serösen Ueberzug der Leber, dieser zum kleinen Netz und
Ligamentum hepato-duodenale, diese beiden zum serösen Ueberzug des
Magens und des Duodenum, und zuletzt zum grossen Netz, welches
an seinem unteren, in die Beckenhöhle herabreichenden Rande sich
umschlägt, gegen den Quergrimmdarm heraufläuft, und, ihn um-
fassend, als Mesocolon zur Wirbelsäule zieht, wo seine beiden Blätter
710 8. S78. BMohfell.
neuerdings auseinander weichen , um das Pankreas aufzunehmen.
Das obere Blatt des Mesocolon wird dann zur hinteren Wand der
hinter dem Magen liegenden Bursa omentalis (Netzbeutel), zu welcher
das Win slo wasche Loch (zwischen Z^amen^m ^afo-(2t/oc2enaZe und
duodeno-renale) der Zugang ist (§. 272); das untere Blatt beugt
«ich aber, vom unteren Rande des Pankreas, gleich wieder nach
abwärts, um mit dem Peritoneum parietale der hinteren Bauchwand
zu verschmelzen.
Die Anatomie der Gekröse bedarf nach dem, was bei den
betreffenden Darmstücken schon gesagt wurde, keiner weiteren Er-
örterung. Sie sind nicht blos Faltungen des Peritoneums, sondern
zugleich die Heerstrassen, auf welchen Blutgefässe und Nerven zum
Darmkanale gelangen. Spannt man das Mesenterium des Dünndarms
an, schneidet man, z. B. sein linkes Blatt an der Wirbelsäule
durch, und reisst es, gegen den Darm hin, von dem rechten Blatte
los, so sieht man, wie die Wurzel des Mesenteriums die Aorta
zwischen ihre beiden Blätter fasst, und wie die Arteria mesenterica
superior et inferior, so wie die Zweige, welche die Vena mesenterica
zusammensetzen, ferner die Nerven und Lymphgefasse des Darms
mit ihren Drüsen (Glandulae mesentericae), zwischen den Blättern
des Mesenteriums eingelagert sind.
Ich weiss aus Erfahrung, wie schwer es dem Anfänger wird, sich von einer
so complicirten Membran, wie das Bauchfell ist, eine befriedigende Vorstellung zu
bilden. Sehr häufig wird an der Leiche, der hier geschilderte Verlauf des Bauch-
fells durch abnorme Adhäsionen entstellt gefunden, welche sich in Folge von
Bauchfellentzündungen bildeten, und leicht fUr normale Duplicaturen gehalten
werden. Am zweckmässigsten ist es, das Peritoneum an Kindesleichen zu studiren,
und selbst dann wird die Bildung der Netze, und der bereits in §. 272 erwähnten
Bursa omerUaMs, noch immer dem Schüler ein Räthsel bleiben, zu welchem nur
die Entwicklungsgeschichte des Darmkanals den Schlüssel giebt.
Wenn man das Bauchfell blos an Leichen untersucht, deren
Darmkanal bereits in jenen Verhältnissen sich befindet, welche
durch's ganze Leben bleibend verharren, ist es unmöglich, sich einen
BegriflF davon zu machen, warum das grosse Netz auf einem so
langen Umweg an das Colon transversum tritt, und wie so es zur
Bildung einer Höhle (Bursa omentalis) hinter dem Magen kommt,
welche durch das Foramen Winslomi mit der übrigen Bauchhöhle
communicirt. Durch die an Embryonen vorgenommenen Unter-
suchungen Joh. Müller's (Ueber den Ursprung der Netze beim
Menschen, in Meckel's Archiv für Anat. und Phys. 1830) werden
diese Punkte auf die befriedigendste Weise erörtert. Im vier- und
fünfwöchentlichen Embryo nämlich liegt der Magen, als Erweite-
rung des Oesophagus, noch nicht quer, sondern senkrecht vor der
Wirbelsäule. Der Darm tritt vollkommen geradlinig vom Magen in
den Nabelstrang, wo er umbeugt, um ebenso gerade zum After
|. S78. Bftnohfell. 711
herabzasteigen. Die grosse Curvatur des Magens sieht nach links^
die kleine nach rechts. An die kleine Curvatur setzt sich das von
der Leber herabkommende Omentum minus fest. Ein Omentum majus
fehlt noch. Dagegen inserirt sich an die linke grosse Magencurvatur
ein Mesenterium — wie an den übrigen Darmkanal. Dieses Magen-
Mesenterium (Mesogastrium MiiUeri) geht von der Wirbelsäule aus,
und wendet sich gleich nach seinem Ursprünge nach links, um die
linke Oirvatura ventrictdi zu erreichen. Es bleibt also zwischen
dem Mesogastrium und der hinteren Magenwand, ein dreieckiger
Baum frei, dessen Kante nach links, dessen Basis nach rechts sieht.
Diese Basis ist ihrer ganzen Länge nach offen. Nach und nach
stellt sich der Magen au^ der senkrechten Bichtung in die quere.
Sein Pylorus, welcher früher die tiefstgelegene Stelle des Magens
war, steigt auf; das Omsntum minus wird kürzer, und die grosse
Eingangsöffnung des hinter dem Magen befindlichen leeren Baumes,
wird auf die gewöhnlichen Dimensionen eines Foramen Winslovü
reducirt. Das Mesogastrium folgt dieser Lageveränderung des Magens,
und stellt sich ebenfalls quer, buchtet sich aber zugleich nach unten
aus, und hängt als laxe Falte vor dem übrigen Darmkanale herab.
— Die nach unten ausgebogene Falte des Mesogastrium besteht
aus einem vorderen, absteigenden, vom grossen Magenbogen kom-
menden, und einem hinteren, aufsteigenden, zur ursprünglichen
Entstehungsstelle des Mesogastriums zurücklaufenden Antheile.
Letzterer läuft über das Colon transversum zurück zur Wirbelsäule,
und ist mit dem Mesocolon transversum, auf welchem es liegt, parallel.
In diesem Zustande bleibt die Sache bei den Säugethieren, wo das
Omefitum majus mit dem Colon transversum keine Verbindung hat,
durch das ganze Leben hindurch. Im Menschen dagegen verwächst
der zurücklaufende Theil des Omentum majus mit der oberen Platte
des Mesocolon transversum, oder beide Blätter des Omentum umfassen
das Colon transversum, und gehen somit in die beiden Blätter des
Mesocolon transversum über.
Eine genane Zasammenstellung aUer hieher gehörigen Data, enthält Hen-
necke: Oomment. de ßtndionibuB cmentorum in corp. hum, GvUmgae, 1836, —
Schlaf man das CoUm transversum nach oben nnd drän^ man das Convolnt der
Dünndarmschlingen nach rechts und unten, so gewahrt man an der Uebergangs-
stelle des Duodenum in das Jejunum eine halbmondförmige Peritonealfalte, deren
oberes Hom in die untere Platte des Mesocolon transversum übergeht, deren unteres
Hom aber der erwähnten Uebergangsstelle von Duodenum und Jejunum ent-
spricht. Sie mag Plica duodeno^ejunalis heissen, und deckt eine blinde Bauch-
felltasche (Recessus duodeno^ejunalisj, deren Beziehung zu einer seltenen Bruchform
(Hemia retro^rUonealisJ der erwähnten Falte praktische Bedeutsamkeit giebt
lieber den Recessus üe(hcoecaliSf eine zweite praktisch zu verwerthende Peritoneal-
tasche, sieh* mein Handbuch der topogr. Anat. 6. Aufl. I. Bd. §. 161.
712 ^.VIB. Begriff nnd Eintheilang des Respirationsore^ns.
11. I^espirationsorgan.
§. 279. Begriff und Eintheilimg des Eespiratioiisorgaiis.
Die atmosphärische Luft ist für die Erhaltung des Lebens
eben so unerlässlich nothwendig, wie für die Unterhaltung eines
Verbrennungsprocesses. In beiden Fällen wirkt sie durch ihren
Oxygengehalt; das Azot hat dabei keine Verwendung. Das Oxygen
der Atmosphäre muss dem Blute einverleibt werden, und das Blut
giebt für diesen Empfang, einen seiner Bestandtheile an die Luft
zurück, dessen es sich so schnell als möglich zu entäussern hat, da
sein längeres Verbleiben im Körper, mit der Fortdauer des I^cbens
sich nicht verträgt. Dieser giftige Bestandtheil des Blutes ist die
Kohlensäure, ein Zersetzungsproduct des thierischen Stoffwechsels.
Der Mensch erstickt in kohlensäuregeschwängerter Luft, nicht weil
er Kohlensäure einathmet, sondern weil er sich der Kohlensäure
seines Blutes nicht mehr entledigen kann. Die Organe nun, welche
die atmosphärische Luft in den Körper bringen, die Wechselwirkung
des Oxygens mit dem Blute, und die Ausscheidung der Kohlensäure
aus letzterem vermitteln, sind die Respirationsorgan c.
Hat die in die Respirationsorgane eingeführte Luft, ihr Oxygen
an das Blut abgegeben, und dafür Kohlensäure empfangen, so muss
sie wieder herausgetrieben werden. Bewegung spielt somit eine
Hauptrolle bei dem Respirationsgeschäfte, und das Aus- und Ein-
strömen der Luft ist nur die nothwendige physikalische Folge der
durch Muskelbewegung bedingten Verengerung oder Erweiterung
des Brustkastens, und der in ihm liegenden Lunge. In den Muskeln
liegt also das Active der Respirationsorgane. Die Luft strömt beim
Einathmen nicht in die Höhle des Brustkastens ein, sondern ver-
breitet sich in einem schwammigen, expansiblen Organ, dessen
Oberfläche der inneren Oberfläche des Thorax genau anliegt, sich
mit ihm vergrössert und verkleinert, und zugleich vom Herzen jene
Masse Blutes erhält, welche die belebende Einwirkung der Atmo-
sphäre erfahren soll. Dieses Organ ist die Lunge. Bevor die Luft
in die Lunge gelangt, muss sie beim Einathmen durch die Nas(Mi-
höhle, den Rachen, den Kehlkopf, und die Luftröhre passiren, und
denselben Weg wieder zurück nehmen beim Ausathmen. Von der
Nasenhöhle wurde bereits in der Sinnenlehre gehandelt. Wir be-
ginnen deshalb die Anatomie der Athmungsorgane mit dem Kehlkopf.
g. SSO. Kehlkopf. Knorpelgerüst desselben. 713
§. 280. Kehlkopf. Knorpelgerüst desselbeiL
Mit dem Kehlkopf, Larifnx (von Xapul^w, schreien, oder
Xapuvü), girren), beginnt der Halstheil des Respirationsorgans. Ohn-
geachtet seiner sehr einfachen Construction , ist er dennoch das
vollkommenste musikalische Instrument, und zugleich leicht zu
spielen fiir Jedermann. Akustisch gesprochen, gehört der Kehlkopf
zu den sogenannten Zungenpfeifen mit doppelter membranöser
Zunge (Stimmbänder); anatomisch betrachtet, stellt er ein aus be-
weglichen Knorpeln zusammengesetztes, hohles Gerüste dar, welches
mit einer Fortsetzung der Rachenschleimhaut ausgekleidet wird,
und durch Schwingungen zweier an seiner inneren Oberfläche be-
festigter elastischer Bänder (Stimmbänder), die Stimme erzeugt.
Er liegt zwischen dem Zungenbein und der Luftröhre. Ein
beweglicher Vorsprung in der Mitte der vorderen Halsgegend, welcher
den Namen des Adamsapfels (Prominentia laryngea 8. Nodus gut-
iuris) fuhrt, entspricht seiner Lage. Nach unten hängt er mit der
I^uftröhre zusammen, seitwärts grenzt er an die grossen Gefösse
des Halses. Den gewiss etwas auffalligen Namen: Pomum Adamij
erklärt Spigelius: dum pi^otoplastae nostro, Adamo, cum exterritus
Dei omnipotentis voce, peccati 9ui poeniteniia tangeretur, de pomo illo
fatali nonnihü in faucibm adhaesisseL
Das Gerüste des Kehlkopfes lässt sich in folgende Knorpel
zerlegen.
a) Der Schildknorpel, Cartüago thyreoidea 8. scutiformis
(Oupeo^-sTSo;, schildförmig), besteht aus zwei, unter einem mehr
weniger rechten Winkel nach vorn zusammenstossenden, viereckigen
Platten, deren äussere Fläche eine schief nach hinten und oben ge-
richtete Leiste zur Anheftung des Mxiscidus stemo-thyreoideus, thyreo-
hyoideus und thyreo-pharyngexis besitzt, deren innere Fläche durch-
aus glatt und eben ist. Der convexe obere Rand jeder Platte,
bildet mit dem der anderen Seite, die Incisura thyreoidea mperior.
Der untere Rand ist der kürzeste, und S-förmig geschweift. Der
hintere, fast senkrecht stehende Rand, verlängert sich nach oben
und unten in die Hörner des Schildknorpels: Comu mperitts 8, Ion-
gum, et inferius 8, breve. Am oberen Rande, in der Nähe der Basis
des grossen Hernes, findet sich ausnahmsweise eine OeflFnung, durch
welche die Arteria laryngea in den Kehlkopf tritt.
B-jpso;, verwandt mit 0upa (Thtire), war eigentlich ein Verschlussmitte!
der Thüröffnang, — anfangs eine Steinplatte, später aus Holz gezimmert. Die
grossen viereckigen, hölzernen Schilder der Griechen, welche den ganzen Mann
deckten, glichen an Gestalt den Thüren, waren es sicher auch ursprünglich, und
erhielten also von ihnen ihren Namen. Bei den Römern hiessen diese grossen
Schilder 9cuta, die kleinen peltae, wodurch der Schildknorpel zu seinem Namen
ctxrtUago scutifarmM 9, peltalis kam.
7 14 1. 180. KeUkopf. Knorp«lg«rft0t desselben.
h) Der Ringknorpel, Cartüago cricoidea (xp{xo;, Ring, woraus
durch Versetzung des p, xCpxoq, d. i. circus und circultis entstehen),
liegt unter dem Schildknorpel, dessen untere Hörner ihn zwischen
sich fassen. Er hat die Gestalt eines horizontal liegenden Siegel-
ringes, dessen schmaler Reif nach vorn, dessen Platte nach hinten
gerichtet ist. Seine äussere Fläche besitzt zu beiden Seiten eine
kleine Qelenkfläche, zur Articulation mit den unteren Hörnern des
Schildknorpels ; die innere wird von der Kehlkopfschleimhaut über-
zogen. Sein unterer Rand verbindet sich durch das Ligamentum
crico-tracheaie mit dem ersten Luftröhrenknorpel. Der obere Rand
des hinteren Halbringes zeigt zwei ovale, convexe, schräg nach aussen
und unten abfallende Gelenkflächen, auf welchen die Bases der
Giessbeckenknorpel articuliren.
c) Der rechte und linke Gicssbecken- oder Giesskannen-
knorpcl, CartUago arytaenoidea {ql^olv^ol^ Giessb ecken, von dpu<i),
schöpfen, das gvttumium der Römer, von gutta), sind senkrecht
stehende, dreikantige Pyramiden, deren Basis auf den eben er-
wähnten Gelenkflächen des oberen Randes der Platte des Ring-
knorpels aufsitzt, und deren Spitze sich etwas nach hinten neigt.
Die Spitzen beider Knoi*pel schliessen aneinander, und fassen eine
Rinne zwischen sich, welche, so lange sie noch mit der Kehlkopf-
schleimhaut überzogen ist, wirklich dem Schnabel einer Kanne oder
eines Giessbeckens ähnlich sieht. Die drei Flächen der Pyramide
eines Giessbeckenknorpels stehen so, dass die innere, ebene und
gerade, jener der anderen Seite zugewendet ist, die äussere,
geschweifte, nach vorn und aussen, die hintere, concave, gegen
die Wirbelsäule sieht. Die Ränder werden somit ein vorderer, ein
hinterer äusserer, und hinterer innerer sein. Ueber der vorderen
Ecke der Basis befindet sich der Stimmbandfortsatz, Processus
vocalis. Die äussere Ecke verlängert sich zum stärkeren und etwas
nach hinten gerichteten Muskel fortsatz, Processus muscularis. Auf
der Spitze jedes Giessbeckenknorpels sitzt, durch Bandfasern mit
ihr verbunden, die kleine, pyramidale Cartüago Santoriniana s. Cor-
niculum auf. — Alte Namen: Cart, guttumales s. cymbalares.
d) Der Kehldeckel, Epiglottis, hat die geschwungene Gestalt
einer Hundszunge, wie sie dem keuchenden Thiere aus der Mund-
höhle ragt. Er stellt eine bewegliche, in hohem Grade elastische
Klappe vor, deren freier abgerundeter Rand nach oben und hinten,
deren dicke, und von fetthaltigem Bindegewebe umgebene Spitze
nach unten und vom, gegen den Winkel des Schildknorpels gerichtet
ist, wo sie durch das Ligamentum thyi^eo-epiglotticum befestigt wird.
Die obere, gegen den Isthmus faucium sehende Fläche des Kehl-
deckels, ist sattelförmig gehöhlt, d. h. von vorn nach hinten concav,
von einer Seite zur anderen convex. Die untere Fläche verhält sich
S. S81. Binder der Kehlkopfknorpel. 715
bezüglich ihrer Krümmung verkehrt. Ihr, der Spitze der Epiglottis
zunächst liegender Abschnitt, ragt als sogenannter Epiglottis wulst
der Kehlkopfhöhle zu. Mundinus und Berengarius nennen die
Epiglottis: Lingua fishdae, d. i. das Zünglein der Luftröhre.
Zwischen den Blättern der als Ligamenta epigloUideo-aiytaenoidea zu er-
wähnenden Schleimhantdaplicataren, liegen die öfters fehlenden, stab- oder keil-
förmigen Cartüoffines Wriabergii, zuerst erwähnt von dem Göttinger Professor
H. Aug. Wrisberg, in seinen Anmerkungen zu H alleres primae Uneae physiol.
4. Auflage, 1780, Nr. 83. — Dicht am äusseren Rande der Giessbeckenknorpel,
drei Linien unter der Spitze derselben, entdeckte Luschka seine gleichfalls un-
constanten Cartilagines /tesamoideae (Zeitschrift für rat Med. 1859, pag. 271).
Ueber die seltene, unpaare Cartilago interart/taenoidea, und andere interessante
Vorkommnisse an Knorpeln und Bändern des Kehlkopfes, handelt derselbe Autor,
im Archiv für Anat. und Physiol. 1869.
Die Kehlkopfknorpel sind, ihrer mikroskopischen Structur nach, theils
hyaline Knorpel, theils Faserknorpel. Der Schildknorpel, der Ringknorpel,
und die Giessbeckenknorpel sind hyalin; der Kehldeckel, die San torin loschen
und Wrisberg'schen Knorpel dagegen sind Faserknorpel. — An dem Winkel,
unter welchem beide Schildknorpelplatten zusammenstossen, ändert sich ihre
Structur der Art, dass die Knorpelhöhlen kleiner werden und dichter stehen.
Diese Aenderung, welche sich durch grössere Weichheit und mattere Färbung des
Knorpels, dem unbewaffneten Auge kundgiebt, veranlasste die Annahme einer
Lamina mediana des Schildknorpels, welcher Name hingehen mag, so lange man
sich unter ihm nicht einen \virklichen Einschub zwischen die Seitenplatten des
Schildknorpels denkt.
Der Kehldeckel verknöchert nie ; der Ring-, Schild- und Giessbeckenknorpel
aber häufig im vorgerückten Alter. Verknöcherte Schildknorpel haben schon oft
den tödtlichen Schnitt aufgehalten, welchen die Hand der Selbstmörder auf den
Kehlkopf führte, in der Meinung, hier das lebenswichtigste Organ des Halses zu
treffen. In der Erstlingsperiode meiner anatomischen Laufbahn, nahm ein junger
Mann aus Russisch-Polen, Stunden bei mir über die Anatomie des Halses. Ich
vermuthete, er wolle sich zum Sänger ausbilden. Kurze Zeit nach Schluss des
Cursus, fand ich ihn mit durchgeschnittenem Halse in der Leichenkammer des
allgemeinen Krankenhauses. Das ist Willensstärke oder — Verrücktheit.
§. 281. Bänder der KeMkopfknorpel.
Man kann sie in wahre Bänder und in Schleimhautbänder
abtheilen.
1. Wahre Bänder.
Die wahren Bänder des Kehlkopfes dienen entweder zur Ver-
bindung des Kehlkopfes mit den darüber und darunter liegenden
Gebilden fa, b), oder zur Vereinigung einzelner Knorpel unter ein-
ander (c, d, e, f). Wir zählen folgende:
a) Die Ligamenta thyreo-hyoidea, deren drei vorkommen, ein
medium und zwei lateralia. Das medium ist breit, heisst deshalb
auch Membrana obturatoria laryngis, und füllt den Baum zwischen
dem oberen Schildknorpelrand und dem Zungenbein aus. Es
716 §.281. R&nder der Kehikopfknorpel.
befestigt sich jedoch keineswegs an dem unteren Rand des Zungen-
beinkörpers, sondern am oberen, muss also an der hinteren Fläche
des Zungenbeines bis zu diesem Rande emporsteigen. Da nun die
hintere Fläche des Zungenbeinkörpers ausgehöhlt ist, so wird zwischen
Zungenbein und Band ein Raum erübrigen müssen, in welchen sich
der in §. 164, A, erwähnte Schleimbeutel (Bursa mucoaa subhj^oidea)
hineinerstreckt. Die beiden Ligamenta thyreo-hyoidea lateralia ver-
binden die oberen Hörner des Schildknorpels mit den grossen
Zungenbeinhömern, sind rundlich, strangförmig, und enthalten ge-
wöhnlich einen länglichen Faserknorpelkern, als sogenanntes Cor-
pusculum triticeum. Fehlt das obere Schildknorpelhorn, welches Fehlen
beiderseitig oder nur auf einer Seite (gewöhnlich links) vorkommt,
so wird das Corpus triticeum entsprechend länger und stärker ge-
funden.
b) Das Ligamentum crico-tracheale, zwischen dem unteren Ring-
knorpelrande und dem oberen Rande des ersten Luftröhrenknorpcls.
c) Die Ligamenta crico-tht/reoidea lateralia, Sie sind Kapsel-
bänder, welche die unteren Schildknorpelhörner mit den seitlichen
Gelenkflächen des Ringknorpels verbinden.
d) Das Ligamentum crico-thyreoideum medium s. conicum, welches
vorzugsweise aus elastischen Fasern besteht, und deshalb die charak-
teristische gelbe Farbe der Ligamenta flava besitzt. Es verbindet
den unteren Schildknorpelrand mit dem oberen Rande des vorderen
Halbringes des Ringknorpels.
e) Die Ligamenta crvco-aiytaenoidea. Sie sind gleichfalls Kapsel -
bänder, und dienen zur beweglichen Verbindung der Bases der
Giessbeckenknorpel mit den am oberen Rande des hinteren Halb-
ringes des Ringknorpels befindlichen Gelenkflächen.
f) Die untere Spitze der Epiglottis hängt mit der Incisura
cartilaginis thyreoideas superior, durch das starke Ligamentum thyreo-
epiglotticum zusammen.
Luschka beschrieb unter dem Namen lAgamentum jugale, zwei von den
nach hinten umgebogenen Spitzen der Carlilaginea Santorini entspringende, nach
abwärts gerichtete, mit einander convergirende Bänder, welche zu einem einfachen
medianen Bandstreifen verschmelzen, der sich in der Mitte des oberen Randes des
hinteren Halbringes des Ringknorpels inserirt. Er enthält zuweilen einen Knorpel -
kern, als CartUayo irüerarytaenoidea.
2. Schleimhautbänder.
Sie kommen in Form folgender Falten vor.
1. Während die Schleimhaut der Zungenwurzel nach rück-
und abwärts, auf die vordere Fläche der Epiglottis übergeht, bildet
sie drei faltenartige Erhebungen, welche lÄgamenta glosso-epiglottica
genannt werden. Die mittlere Falte übertrifft die beiden seitlichen
§.282. Stiiurobänder ond Schleimhaut des Kehlkopfes. 717
an Höhe und Stärke. Sie schliesst ein Bündel elastischer Fasern
ein, und wird auch Fremdum epiglottidü genannt.
2. Der Schleimhautüberzug des Kehldeckels springt von den
Seitenrändern der Epiglottis zur Spitze der Giessbeckenknorpel
hinüber, und erzeugt dadurch die Ligamenta epiglotttdeo-arytasnoidea
(kürzer ary-epiglottica), welche einen Raum zwischen sich frei lassen
— Aditua laryngis. In ihnen eingeschlossen finden sich die im vor-
ausgegangenen Paragraph angeführten stabformigen Cartilagines
Wrishergii, deren Längenaxe senkrecht gegen den freien Rand dieser
Schleimhautfalten gerichtet ist.
3. Von der Seite des Kehldeckels zum Arcus palato-pharyngeus
des weichen Gaumens, zieht sich sehr oft eine Schleimhautfalte
hinauf, welche unter spitzigem Winkel mit dem Arcus paktto-pharyn-
geu8 verschmilzt. F. Betz hat diese Schleimhautfalte als Ligamen-
tum epiglottico-palatinum beschrieben (Archiv für physiol. Heilkunde.
1849). Er nennt sie auch, da ihr oberes Ende zwischen dem vor-
deren und hinteren Gaumenbogen liegt, Arcits palatintis medivs. Das
Band ist insofern nicht ohne Interesse, als zwischen ihm und dem
Arcus palatO'pharyngeus, eine Längengrube liegt (Fovea navicularis) ,
in welcher fremde Körper beim Verschlingen stecken bleiben können.
Ich habe aaf das Yorkommen einer Schleimhautfalte aufmerksam gemacht,
welche auf der hinteren, dem Bachen zugekehrten Wand des Schildknorpels vor-
kommt, sich von der Basis des Giessbeckenknorpels zum Ende des g^rossen
Zungenbeinhornes in schief aufsteigender Richtung hinaufzieht, und, weil sie den
Nermia laryngeus »uperior in sich einschliesst, Plica nervi laryngei von mir genannt
wurde. Sitzungsberichte der kais. Akad. 1857.
§. 282. Stimmbäiider und ScMeimhaut des Kehlkopfes.
Die bisher beschriebenen Bänder des Kehlkopfes wirken nur
als solche, d. h. Getrenntes verbindend. Die Stimmbänder dagegen
erzeugen durch ihre Schwingungen die menschliche Stimme, und
imponiren uns in so ferne als die wichtigsten Organe des Kehlkopfes,
welchen zu dienen alle anderen geschaflfen wurden.
Es finden sich im Inneren des Kehlkopfes zwei Paar Stimm-
bänder. Sie liegen über einander, entspringen vom Winkel des
Schildknorpels, und ziehen horizontal nach hinten zu den Giess-
beckenknorpeln. Sie heissen deshalb Ligamenta thyreo-arytaenoidea.
Das obere Bandpaar inserirt sich am vorderen Rande des Giess-
beckenknorpels, das untere am Processus vocalis. Die freien Ränder
dieser Bänder sehen gegen die Axe des Kehlkopfes. Das obere,
schwächere Bandpaar, springt weniger, das untere stärker vor. Es
bleibt somit zwischen den recht- und linkseitigen Bändern eine
spaltförmige Oefl&iung frei, welche für die wenig vorspringenden
718 S- MS* Btimmb&nder und Schleimhaut des Kehlkopfes.
oberen Ligamenta thyreo-arytaenoidea grösser, für die breiteren, und-
deshalb stark vorspringenden unteren Ligamenta thyreo-arytae/tioidea
enger sein muss. Diese spaltförmige Oeflfnung heisst für die oberen
Bänder: falsche Stimmritze (Glottis spwria) , für die unteren:
wahre Stimmritze (Glottis vera). Von Galen wurde die Stimm-
ritze zuerst als yXwtti«; benannt, von YXörca, eine Zunge, aber auch
das Mundstück einer Pfeife, in welch' letzterer Bedeutung dieses
Wort auf die Spalte des Kehlkopfes richtig angewendet ist. Die
Bänder, zwischen welchen die Stimmritzen sich befinden, können,
statt der langen, aus ihrem Ursprung und Ende zusammengesetzten
Namen: Ldgam^nta thyreo-arytaenoidea superiora et inferiora, einfach
wahre und falsche Stimmritzenbänder (Ligamenta glottidis
verae et spuriae) heissen. Zwischen dem oberen und unteren Stimm-
ritzenband je Einer Seite, liegt die drüsenreiche Schleimhautbucht
der Ventriculi Morgagni s. Sinus laryngei,
Experimente haben bewiesen, dass nur die unteren Stimm-
ritzenbänder, welche die Glottis vera zwischen sich fassen, zur Er-
zeugung der Stimme dienen; — sie heissen deshalb vorzugsweise
Chordae vocales. Ihre Länge misst beim Manne sechs bis sieben
Linien, beim Weibe vier bis fünf Linien, ihre grösste Breite über
eine Linie. Liegen die Cartüagines aryta^noideae mit ihren inneren
Flächen an einander, so ist die Stimmritze (Glottis vera) so lang,
wie die Ligamenta glottidis verae; weichen sie aus einander, so wird
die Stimmritze um die Breite dieser Knorpel bis auf zehn und eine
halbe Linie verlängert.
Genau betrachtet, sind die vier Stimmritzenbänder nur ein-
fache Faltungen einer, die ganze Kehlkopf höhle auskleidenden
elastischen Membran, welche selbst wieder mit der Kehlkopfschleim-
haut im innigsten Zusammenhange steht, und sich stellenweise mit
ihr zu identificiren scheint, wie gerade an den Stimmritzenbändem.
Die Schleimhaut des Kehlkopfes stammt aus der Rachenhöhle,
und dringt durch den Aditus laryngis in die Kehlkopfhöhle ein.
Ihr Reichthum an Blutgefässen steht anderen Schleimhäuten nicht
unerheblich nach. Ihre Farbe dunkelt deshalb niemals so in's Roth,
wie cGe Schleimhaut der Mundhöhle. Dagegen kenne ich keine
Schleimhaut, welche eines grösseren Aufwandes von Nervenfasern
sich rühmen könnte. Flimmerepithel deckt sie von der Basis des
Kehldeckels angefangen , und lässt nur die unteren Stimmritzen,
bänder frei, welche geschichtetes Pflasterepithel führen. Kleine,
im submucösen Bindegewebe eingelagerte acinöse Schleimdrüschen
sind besonders im Ventriculus Morgagni, am vorderen und hinteren
Ende der Stimmritze, und an der hinteren Fläche der Epiglottis
(wo sie in kleinen Grübchen des Knorpels liegen) zahlreich vor-
handen. Ein Haufen derselben findet sich am Kehlkopfeingang im
f.
§. S88. Miukeln des KehlkopfM. 719
Ligamentum eptglottideo-arytaenaideum, dicht vor den Spitzen der
Cartüaginea arytaenoideae eingelagert, als sogenannte Glandulae ary-
taenoideae laterales.
Die gfraue Sprenkelung des durch Räuspern aasgeworfenen Kehlkopf-
schleimes, beruht nicht, wie man vermeinte, auf der Gegenwart yon Pigment,
sondern auf Niederschlfigen des mit der eingeathmeten Luft in die Kehlkopf höhle
gebrachten und dort deponirten Rauches und Russes, an welchem es unsere geheizten
Stuben und die tragbaren kleinen Oefen der Tabakraucher eben so wenig fehlen
lassen, als die Schornsteine unserer Häuser, und die wirbelnden Schlote unserer
Fabriken und Locomotiven. Vom Nasenschleim gilt das Gleiche, nur in noch
höherem Grade.
Die VentricvU Morgagni sollten besser Venirkuli OcUeni heissen, da Mor-
gagni selbst sagt: Oalenua heu caviUUes princept mvenit ei ventriculos appd-
lavü, Advert, anat, pag, 17,
§. 283. Muskeln des Kehlkopfes.
Die Muskeln, welche den Kehlkopf als Ganzes bewegen —
heben und senken — sind bereits bei den Halsmuskeln geschildert.
Die Muskeln, welche die Stellung seiner einzelnen Knorpel gegen
einander ändern, spannen eben dadurch die Stimmritzenbänder an
oder ab. Da nun diese Bänder mit einem Ende an die Cariäago
ihyreoidea, und mit dem anderen an die Cartäago arytaenoidea an-
geheftet sind, so werden die betreflfenden Muskeln, welche sämmtlich
paarig sind, ihre Insertionen nur an diesen Knorpeln finden können.
Am Kingknorpel befestigt sich keiner von ihnen, wohl aber dient
dieser Knorpel vielen derselben zum Ursprung.
Auf der Aussenfläche der Peripherie des Kehlkopfes liegen
folgende Muskeln:
a) Der Musculus crico-thyreoideus. Er geht vom vorderen Halb-
ring der CartUago cricaidea, schief nach oben und aussen zum
unteren Rande der Cartäago ihyreoidea. Er neigt den Schildknorpel
nach vom herab, entfernt seinen Winkel von den Giessbecken-
knorpeln, und spannt somit die Ligamenta ghttidis.
h) Der Musculus crico-arytaenoideus posticus entspringt von der
hinteren Fläche des hinteren Halbringes der CartUago cricoidea, ist
breit und dreieckig, und befestigt sich, mit nach aussen und oben
convergirenden Fasern, am Processus muscuLaris der Basis der Car-
tUago arytaenoidea. Dreht den Giessbeckenknorpel so, dass sein
vorderer Winkel nach aussen gerichtet wird, wodurch die Stimm-
ritze sich erweitert, und sich zugleich, wegen Auseinanderweichens
der inneren Flächen der Cartäagines arytaenoideae, nach hinten ver-
längert. Ein kleines und unconstantes BUndel desselben tritt zuweilen
720 $. i». MukelD dM KeUkopfe».
an den hinteren Kand des unteren Schildknorpelhorns als Musculus
cerato-cricoideus (Merkel).
c) Der Musculus cric(harißtaenoideus lateralis entsteht am oberen
Bande der Seitentheile der CartUago cricoidea, wird von der seit-
lichen Platte des Schildknorpels (welche abgetragen werden muss^
um ihn zu sehen) bedeckt, läuft schräg nach hinten und oben zuui
Processus muscularis der CartUago arytaenoidea, und befestigt sich
daselbst vor der Insertion des Arijtaenoideus posticus, dessen Anta-
gonisten er vorstellt.
d) Die Musculi ari/taenoidei transversi und obliqui gehen in
querer und in schräger Richtung von einer CartUago art/taenoidea
zur anderen, deren hintere concave Flächen sie einnehmen, so dass
die obliqui auf den transversis liegen. Sie nähern die beiden Giess-
beckenknorpel. Unter ihnen liegt der von Luschka beschriebene,
paarige, dreieckige Musculus arytaenoideus redus, welcher von der
hinteren concaven Fläche des Giessbeckenknorpels zur CartUago
Santoriniana aufsteigt. Die Arytaenoidei obliqui setzen sich in die
Ligamenta ary-epiglottica fort, und gelangen bis an die Seitenränder
des Kehldeckels.
An der inneren Oberfläche des Kehlkopfes liegen:
a) Der Musculus thyreo-arytaenoideus. Er entspringt an der
inneren Oberfläche der CartUago thyreoidea, hart am Winkel der-
selben, läuft nach der Richtung des unteren Stimmritzenbandes, und
mit diesem Bande verwachsen, nach hinten, und befestigt sich am
Processus vocalis und dem vorderen Rande der CartUago an/taenoidea.
Einzelne Fasern desselben sollen sich im unteren Stimmritzenbande
selbst verlieren.
Ich glaube nicht, d&ss er das untere Stimmritzenband, durch Zusammen-
schieben seines vorderen und hinteren Befestigungspunktes erschlaffe. Es scheint
vielmehr seine Wirkung dahin gerichtet zu sein, das Band vorspringender zu
machen, und dadurch die Stimmritze zu verengem. Er kann jedocli diese Wirkung
nur dann äussern, wenn der Schildknorpel und der Giessbeckenknorpel durch
andere Muskeln fixirt sind. Von beiden MuaculM tht/reo-ari/taenoulels setzen sich
Faserbündel an die hintere Flüche der Cartüoffine* arytaenoideae fort, und fliessen
mit den ArytaciwideU obliquis zusammen. — Santorini beschrieb noch einen
Musailus Uii/reo-an/iaenoideus superior im oberen Stimmritzenband.
6) In der Schleimhautfaltc des Ligamentum epiglottideo-aryiaenoi'
deum liegt eine dünne, aber breite Muskelschichtc eingetragen, an
welcher sich zwei Abtheilungen unterscheiden lassen. Die eine der-
selben entspringt auswäi-ts und oberhalb des Thtjreo-art/taenoideus
am Schildknorpel, die andere am Giessbeckenknorpel oberhalb der
Insertion des oberen Stimmritzenbandes. Beide befestigen sich am
Seitenrande der Epiglottis. Sie können als lliyreo-epiglotticus und
Ary-epiglotticus benannt werden.
§. 284. Luftröhre nnd deren Aeste. 721
Die Varietäten der Kehlkopfmuskeln wurden von Tourtual, Merkel,
Grub er, Turner, u. A. sorgfältig untersucht, worüber Henle ausführlich han-
delt (Anat. 2. Bd.). Einen Musculus hyo- und genio-epiglotUcus beschreibt
Luschka, dessen Hauptwerk Über den Kehlkopf (Tübingen, 1871, mit 10 Tafeln)
alles enthält, was die sorgfältigste anatomische Untersuchung dieses Organs, in
allen Bestandtheilen desselben zu eruiren vermochte. Sehr verdienstlich ist
Fürbringer's Schrift: Beiträge zur Kenntniss der Kehlkopfmuskeln. Jena, 1875.
Nicht die Luft, sondern die unteren Stimmritzenbänder erzeugen primär im
Kelilkopfe den Schall, dessen Höhe und Tiefe als Ton, von der Länge und Span-
nung der Stimmritzenbänder, wohl auch von der Stärke des Anblasens durch die
ansgeathmete Luft, abhängt. — Der Kehlkopf des Weibes, dessen Durchmesser
beiläufig nm ein Viertel kürzer sind, als jene des männlichen, hat ein höheres
Tonregister, als der Kehlkopf des Mannes. Ebenso ist es bei Knaben vor dem
sogenannten Mutiren, welches einige Zeit vor der Geschlechtsreife stattfindet. Um
zur Ehre Gottes weibliclien Sopran mit männlicher Stärke zu singen, hat man zu
Ende des vorigen Jahrhunderts nocli — castrirt. — Die oberen Stimmritzenbänder
und die knorpeligen Wände des Kehlkopfes, verstärken den Ton durch Mit-
schwingen, und die Ventriculi Golem durch Resonanz ilirer Luft. — Da die ans-
geathmete Luft durch die Bachen-, Mund- und Nasenhöhle streicht, so werden
diese Höhlen den Timbre des Schalles wesentlich modificiren. — Elasticität,
Feuchtigkeit, und ein zureichender Spannungsgrad der Stimmbänder, sind un-
erlässliche Erfordernisse für die Tonbildung; Abwesenheit dieser Bedingungen
bewirkt Heiserkeit, selbst Stimmlosigkeit — Aphonie. — Durch den verschiedenen
Tensionsgrad der Stimmbänder lässt sich gewöhnlich eine Tonfolge von zwei
Octaven (Brusttöne) erzielen. Nie erreichte der Stimmumfang einer Sängerin drei
Octaven. Bei Falsetttönen schwingen nur die inneren Ränder der Stimmbänder.
— Die Stimmkraft des männlichen Kehlkopfes äussert sich zwar dröhnender, aber
auch unbeholfener als jene des weiblichen, wegen der Grösse der Knorpel und der
Dicke der Bänder. Der Bass hält darum volle Noten, während der Sopran eine
Roulade in Vienmdsechzigsteln ausführt — Die Stimmritze erweitert sich auch
bei jedem Einathmen, und verengert sich beim Ausathmen. Beim Anhalten des
Athems mit gleichzeitigem Drängen, schliesst sie sich vollkommen, so wie beim
Schlingen, wo der Kehldeckel zugleich wie eine Fallthüre auf den Aditus luryngis
durch die Zunge niedergedrückt, und durch die Musculi ary-epiglüttici nieder-
gezogen wird. Man hat deshalb die letzteren Muskeln auch als Sphincter laryngis
aufgefasst, was sie aber nicht sind, und ihrer Schwäche wegen auch nicht sein
können.
§. 284. Luftröhre und deren Aeste.
Die Luftröhre, Trachea 8. Aspera arteria (xpaxs^a apriQpfa,
rauhes Luft röhr, wegen seiner quer geringelten Oberfläche, wie
in §. 45 erklärt wurde), mag als eine Fortsetzung des Kehlkopfes
angesehen werden, wie die Speiseröhre als eine Fortsetzung des
Rachens. Sie bildet ein elastisch-steifes Rohr, dessen hintere Wand
plan, weich und nachgiebig ist. Sie hat hinter sich den Oesophagus,
welcher zugleich etwas nach links abweicht. Die Ausdehnung des
Oesophagus durch den verschlungenen Bissen, erfordert, dass die
vor ihm liegende hintere Wand der Luftröhre nachgiebig sei. Die
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. 4<^
722 §• 284. Luftröhre und deren Aeete.
Länge der Luftröhre misst drei einhalb bis vier einhalb Zoll.
An ihrem oberen und unteren Ende ist sie etwas enger, als in
der Mitte.
Der Anfang der Luftröhre entspricht dem fünften Halswirbel.
Sie wird in ihrer zum Thorax senkrecht absteigenden Richtung, von
dem tiefen Blatte der Fascia colli, von der Schilddrüse, und unterhalb
dieser, von den unteren Schilddrüsen venen bedeckt, und geht hinter
der Indsura semilunaris stenii beim Manne bis zum dritten Brust-
wirbel, bei Weibern bis zum vierten herab. Hier theilt sie sich
in zwei divergente Aeste (Bronchi, richtiger Broiichia), deren jeder
Einer Lunge angehört. Der Bronchus dexter ist kürzer, weiter, und
mehr quer gerichtet, als der linke. Jeder Bronchus theilt sich
wieder in so viele Zweige, als seine Lunge Lappen hat, — der
rechte in drei, der linke in zwei.
Anch die Luftröhre hiess bei den Alten hronchua. Die Gescluchte lehrt
uns, d&88 Plato nur die Speisen durch den Oesophagas gehen liess, die Getränke
aber durch die Luftröhre und ihre Aeste, welche also von ihnen befeuchtet werden
(ßp^)^a>), und somit sprachlich consequent, aber physiologisch ganz unrichtig, den
Namen 6 ßpö^yo^ und Ta ßpoY/ia erhielten. Der Luftröhrenschnitt heisst heut zu
Tage noch Bronchotomie, und der dazu verwendete Troicart: Hronchotom.
Als der Platonische Irrthum durch Aristoteles gestürzt wurde, behielt man das
Wort ßp^f/.o; eine Zeitlang noch für die vordere Halsgegend bei, deren Kropf-
geschwulst von Paulus Aegineta als Bronchocele erwähnt wird.
Die Luftröhre benöthigt eine gewisse Steifheit. Eine blos
häutige Röhre wäre der Gefahr ausgesetzt, beim Kinathnien durch
den Druck der äusseren Luft coniprimirt zu w^erdcn. Die erforder-
liche Steifheit erhält sie durch eine Schaar transversal in ihre
Wand eingewachsener Knorpclstreifen, Cartilagines tra^heahs, welche
zu den Hyalinknorpeln gehören. Mau zählt ihrer sechzehn bis
zwanzig. Sie gehen nicht um die ganze Peripherie der Luftröhre
herum, deren hintere Wand blos häutig ist. Sie sind also C-fiirmi*]:.
Die Oeffnung des (■ sieht nach hinten. Die C -förmigen Knorpel
geben der T^uftröhre ein unebenes, geringeltes Ansehen, woher der
alte Name Aspera nrteria stammt. Die Knorpel bestimmen die
Gestalt und Weite der Luftröhre und ihrer Aeste, stossen aber
nicht mit ihren oberen und unteren Rändern an einander, sondern
werden durch elastische Faserbänder an einander gekettet. Dieser
Umstand macht Verlängerung und Verkürzung der Luftnilire
möglich. Organische Muskelfasern verbinden die beiden Enden
der C-förmigcn Knorpel, deren Krümmung sie durch ihre Wirkung
vermehren, und den Durchmesser der Luftröhre verkleinern. Schleim-
haut mit Flimmerepithel, und eine elastische Faserhaut, kleiden das
Innere der Luftröhre aus. Kleinste acinöse Schleimdrüschen finden
sieh in grosser Menge an jenen Stellen der Luftröhrenschleimhaut,
wo die Knorpel fehlen.
S. S85. Longen. Ilir A«nu«rei. 723
An den beiden Theilungsästen der Luftröhre (Bronchi) wieder-
holt sich der Bau der Luftröhre. Der Bronchus dexter enthält sechs
bis acht, der linke neun bis zwölf Knorpel.
Nur selten finden sieh in der hinteren Wand der Trachea eingesprengt
Knorpelstückchen, CartUagines intercalarea. Luschka entdeckte anch in der
hinteren Wand der Luftröhre longitudinale Muskelfasern, welche mit der Läng^-
faserschichte der Speiseröhre in Zusammenhang stehen. — Die gprössere Weite
des rechten Bronchus beding^ einen stärkeren Luftstrom zur rechten Lunge. Des-
halb werden fremde Körper, welche in die Luftröhre gelangen, in der Regel in
den rechten Bronchus hineingerissen. Man weiss auch durch Leichenbefunde von
Neugeborenen, welche nach den ersten Athemztigen starben, dass die rechte Lung^,
eben ihres weiteren Bronchus wegen, frülier atlimet als die linke.
Der Name Luftröhre ist eine wörtliche Uebersetzung des Ausdruckes:
spiritaUs fisttda, welchen Lactantius gebraucht. Die LcUmo-barbari schreiben
Canna pulmonum.
§. 285. Lungen. Ihr Aeusseres.
Die Lungen, Pulmones, sind paarige Organe. Sie hiessen bei
den Griechen TCveu|ji.ov£<;, von dem xveujjia des Hippocrates, d. i. die
durch das Athmen eingezogene Luft, oder der Lebensgeist (Wurzel
Tr/£(i), athmen, o\ Tcv^ovre«;, die Lebenden, bei Sophocles). Sie nehmen
als zwei stumpf-kegelförmige, weiche, elastische, und ungemein
gefiissreiche Eingeweide, die beiden Seitenhälften des Thoraxraumes
ein, und fassen das Herz zwischen sich. Sie bilden den Herd für
den chemischen Act der Respiration, welcher das venöse Blut in
arterielles umwandelt.
Ihre Farbe ist nach Verschiedenheit des Alters, des Blutreichthums, und
der gesunden oder kranken Verfassung ihres Parenchjms, sehr different, und bietet
alle Nuancen zwischen Bosenroth und Blauschwarz dar. Ihr Gewebe fühlt sich
weich an, knistert beim Druck, und lüsst beim Durchschnitt schaumiges, mit Luft-
bläschen gemengtes Blut ausfliessen. Ihr absolutes Gewicht beträgt, bei massiger
Fttllung mit Blut, beiläufig zweieinhalb Pfund, beim Weibe etwas weniger. Ihr
specifisches Gewicht wird, der im Parenchjm enthaltenen Luft wegen, geringer
als jenes des Wassers sein. Lungen, welche geathmet haben, schwimmen des-
halb, als Ganzes oder in Theile zerschnitten, auf dem Wasser. Lungen, welche
noch nicht geathmet haben, also keine Luft enthalten, wie jene von Embryonen
oder todtgeborenen Kindern, haben eine derbere Consistenz, sind specifisch
schwerer, und sinken im Wasser zu Boden. In einem gewissen Stadium der
Lungenentzündung wird ihr Gewebe durch Exsudate impermeabel filr die Luft
Werden diese Exsudate so fest, dass die kranke Lunge das Ansehen und die
Dichtigkeit der Leber annimmt, so heisst sie in diesem Zustande hepatisirt
Jede Lunge (Pulmo dexter et sinistei') stellt die Hälfte eines
senkrecht durchschnittenen Kegels dar, dessen concave Basis auf
dem convexen Zwerchfell aufruht, dessen abgerundete Spitze in die
Apertura thoracU superior hineinragt, dessen äussere convexe Fläche
46»
724 S- S^> Langen. Ihr Aeusseres.
an die Concavität der Seitenwand des Thorax anliegt, und dessen
innere ausgehöhlte Fläche, mit derselben Fläche der gegenüber
stehenden Lunge, eine Nische für das Herz bildet. — Die rechte
Lunge ist, wegen des höheren rechtseitigen Standes des Zwerchfells,
niedriger, aber breiter als die linke, und zugleich etwas grösser. —
Die Ränder zerfallen 1. in den unteren halbkreisförmigen, welcher
die äussere Fläche von der unteren scheidet, 2. in den vorderen
schneidenden, und 3. in den hinteren stumpfen. Die beiden letz-
teren trennen die äussere Fläche der Lunge von der inneren. An
der inneren Fläche findet sich, nahe am hinteren Rande, und näher
dem oberen Ende als dem unteren, ein Einschnitt, durch welchen
die Gefösse der Lunge aus- und eintreten (Hilus s, Porta pulmoms).
Ein anderer sehr tiefer Einschnitt zieht vom hinteren stumpfen Rande
jeder Lunge, schräg über die äussere Fläche nach abwärts, zum
vorderen schneidenden Rande derselben. Er theilt sich an der
rechten Lunge gabelfbrmig in zwei Schenkel, bleibt aber an der
linken ungetheilt. Die linke Lunge wird dadurch in zwei, die rechte
in drei Lappen geschnitten (Lohi pulmonum), von welchen der mitt-
lere der kleinste ist.
Die das Athmungsgeschäft vermittehiden Oefasse jeder Lunge
treten nur am Hilus aus und ein. Sie sind: 1. der Bronchus, 2. die
Arteria pulmoticdis, 3. die zwei Venae pulmonales. Sie werden mit
den die Ernährung des Lungenparenchyms besorgenden Arteriae et
Venae bronchiales, und den Saugadern der Lunge, durch Bindegewebe
zu einem Bündel vereinigt. Dieses Bündel heisst Lunge nwurzel,
Radix 8, Pedunculus pulmonis, an welcher die Lunge hängt, wie die
Frucht am Stiele. Eine Duplicatur der Pleura erstreckt sich von
der Lungenwurzel längs des hinteren Lungenrandes bis zum Zwerch-
fell herab, als Ligamentum latum pulmonis.
Die Oberfläche der Lunge wird von der Pleura pulmonalis
überzogen (§. 288), welche sich in die tiefen Trennungseinschnitte
zwischen den Lungenlappen hineinsenkt, ohne jedoch ganz bis auf
ihren Grund zu gelangen. Sie hängt fest an die Lunge an, und
kann nur mit grosser Vorsicht streckenweise abgezogen werden.
Die Oberfläche der Lunge zeigt sich ferner im frischen und ge-
•sunden Zustande, in kleinere, eckige, und durch dunklere Linien
von einander getrennte Felder (Insulae pulmonales) getheilt. Die
dunklen Linien sind die Begrenzungsfurchen der eckigen Felder.
Sie enthalten in einem bindegewebigen Stroma, Blut- und Lymph-
gefasse, so wie eine besonders im höheren Alter zunehmende Menge
körnigen Pigments, und erscheinen deshalb dunkel. Die eckigen Felder
sind die Basen von pyramidalen Läppchen des Lungengewebes (Lohuli
pulmonales), .deren jedes an seiner nach innen gerichteten Spitze,
mit einem feinsten Ast der Luftröhrenverzweigung, so wie mit einer
§. f86. Bau der Langen. 725
Arterie und Vene zusammenhängt. Jeder LohuLus ptdmonalis stellt
sonach eigentlich „eine Lunge im Kleinen" dar, mit allen^ der
ganzen Lunge zukommenden anatomischen Elementen, wie im
nächsten Paragraphe gezeigt wird.
§. 286. Bau der Lungen.
Jeder der beiden Bronchien theilt sich in so viel Aeste, als
Lappen an der betreffenden Lunge vorkommen. Jeder Ast theilt
sich wiederholt und meist gabelförmig in kleinere Zweige, Syringea
8. Canales aenferi. Sind die Zweige fein genug geworden (etwa
0,1 Linie Durchmesser), so treten sie, wie oben bemerkt, in die
Spitzen der Lohiili pulmonales ein, theilen sich in diesen noch einige-
mal, und erweitern sich hierauf trichterförmig (Infundibula). Um
jedes Infundibulum schaart sich rings herum eine Anzahl bläschen-
artiger Ausbuchtungen, deren Zahl nach der Grösse der Lobuli
vielfach variirt (zwanzig bis sechszig). Diese Ausbuchtungen sind
die Lungenbläschen (Cellnlae s» Vesiculae dereae pulmonum), oder
die Alveoli der neueren Autoren. Man möchte einen Vergleich zu-
lassen zwischen den bläschentragenden Bronchusenden und den
Acini eines Drüsenausführungsganges. Die auf der Seitenwand der
Infundibula aufsitzenden oder wandständigen Lungenbläschen, können
nach Moleschott: Cdlidae parietales, — die auf dem, gegen die
Oberfläche der Lunge gerichteten breiteren Ende der Infundibula
befindlichen: Cellulae terminales genannt werden. Die Grösse und
Form dieser Bläschen variirt begreiflicherweise nach Verschieden-
heit ihrer Füllung mit Luft. Die Grösse nimmt überdies mit dem
fortschreitenden Alter zu. Ihren Durchmesser auf 0,06 Linien bis
0,2 Linien anzugeben, mag nur so beiläufig richtig sein. Bei krank-
hafter Ausdehnung kann er bis zwei Linien betragen (Emphysema
vesicylare). Die Lungenbläschen der Infundibula eines Lobulus
communiciren nicht mit jenen benachbarter Lobuli. Wohl aber
stehen sie unter einander in Höhlencommunication, indem die durch
die Verschmelzung der Wände benachbarter Alveoli gegebenen Septa
hie und da durchbrochen sind, nicht selten sogar in den Lungen
alter Leute auf feine Bälkchen reducirt erscheinen. Hierin liegt der
wesentliche Unterschied zwischen dem Bau der Lunge und einer
acinösen Drüse. Bei letzterer stehen die traubig aggregirten End-
bläschen nie mit einander in Höhlencommunication.
Die Arteria ptdmonalis, welche aus der rechten Herzkammer
entspringt, und venöses Blut führt, folgt den Verästlungen des
Bjonchus, und löst sich endlich in das capillare Netz der Vesictdae
a'ereae auf, aus welchem die ersten Anfange der Venae pulmonales
726 |. S86. Baa d«r Langen.
entspringen. Während das venöse Blut durch dieses Capillargelass-
netz strömt^ tauscht es seine Kohlensäure gegen das Oxygen der
in jedem Lungenbläschen vorhandenen Luft aus, wird arteriell, und
kehrt durch die Lungenvenen, deren jede Lunge zwei hat, zur
linken Herzvorkammer zurück.
Die Lungenbläschen werden in den beiden Langen von H n s c h k e auf die
Kleinigkeit von 1700 — 1800 MiUionen geschätzt. Ihre Flächen, in eine Ebene
zusammengestellt, würden eine Area von 2000 Quadratfuss geben.
Die Aeste und Zweige der Bronchien verlieren, je mehr sie sich im Paren-
chym der Lunge durch Theilung verjüngen, ihre Knor])eIringe nach und nach,
indem diese an den grösseren Bronchialverzweigungen noch als Querstreifen
vorhanden sind, an den kleineren aber zu eckigen oder rundlichen Scheibchen
eingehen, welche in der Wand dieser Luftwege wie eingesprengt liegen, dann
aber in Bronchialästen von 0,5 Linien Durchmesser spurlos verschwinden. — Die
ans einer äusseren, knorpclfiihrenden Faserschichte und inneren Schleimhaut be-
stehende, mit zahlreichen Schleimdrüschen ausgestattete Wand der grösseren
Bronchialverzweig^ngen geht in den letzten Verästlungen derselben, so wie in den
Lungenbläschen selbst, zu einer structurlosen, mit elastischen Fasern umsponnenen
Membran ein. Die queren Muskelfasern, welche die Enden der C-f<>rmigen Knorpel
der Luftröhre und ihrer Verzweigungen mit einander verbanden, entwickeln »ich
in dem Maasse, als die Knorpel schwinden, zu Kreisfasern, welche sich zwar bis
an die Lungenbläschen liin erhalten, jedoch letztere nicht mehr einzeln, sondern
Gruppen derselben umgeben. — Die Zellen des flimmernden Cylinderepithels der
grösseren Bronchialästo werden in den feineren Bronchialramificationen immer
niedriger, nehmen in den feinsten die Form von Pflasterzellen an, und verlieren
als solche ihre Flimmerhaare. In den Lungenbläschen werden diese Epithel ial-
zellen so niedrig, dass sie nur mehr Plattenform besitzen. Wie verhält sich nun
dieses Plattenepithel zum xespiratorischen Gefassnetz der Lungenbläschen? Dieses
Capillargefässnetz liegt in der structurlosen Wand der Lungenbläschen derart ein-
getragen, dass seine Stämmchen nur zum Theil in diese Wand eingebettet sind,
mit dem übrigen Theil ihrer Oberfläche aber frei in die Höhle der Lungen-
bläschen hineinragen, ja selbst schlingenartig sich in dieselbe vordrängen. Während
nun einige Mikrologen behaupten, dass das Plattenepithel der Lungenbläschen
nur die Maschen des Capillargeßissnetzes einnimmt, die freie (»)erfläche der
Capillargefässe aber nicht überzieht ( R a i n e y , J. Arnold), spreclien »ich Andere
für eine continuirliche Epithelschichte der Lungenbläschen aus, und wieder Andere
stellen das Vorkommen von Epithel gänzlich in Abrede (Schultz, Gerlach,
Heule). Quot capita, tot genlenUae.
Die Nerven der Lunge stammen vom Vagus und Sympathicus, und biKien
um die Lungenwurzel den PlexM pulvionaluf, dessen Grösse zum Vulumen der
Lunge gering genannt werden kann. Die Verästlungen des Plexiut puhnonaliji
folgen grösstentheils den Aesten der Bronchien, verlieren sich in ihnen, und be-
Bit2^n die von Kemak in so vielen Parenchymen entdeckten, von Schiff auch
an den feineren Bronchien nachgewiesenen mikroskopischen Ganj^lien. Der Vagus
scheint der Emi)findlichkeit der Luftwege vorzustehen, der Sympathicus ihrer
organischen Contractilität und ihrer Emähning. Die Empfindlichkeit der Lunge
ist so gering, dass selbst weit ausgedehnte Zerstörungen ihres Parenchyms, ohne
intensive Schmerzen verlaufen, und das verfallene Leben der Phthisiker gewöhn-
lich mit der Ruhe des Entschlummems schliesst : non moriuntur, sed vivere ce^sanl,
— ex9tinguurUur uH eüi/ehnium (Lampendocht), deficienle oleo (P. Frank).
S. W7. Ein- und AuMthmen. 727
Die oberfläclilichen Lymphgefässe bilden nnter der Pleura ptämonalü an-
sehnliche Netze. Die tieflieg^enden folgen dem Zuge der Bronchienäste, und
passiren durch kleine, linsen- oder hanfkomg^osse Drüsen, Glandulae pulmancUea,
welche auch ausserhalb der Lungen die Wurzel derselben umlagern, und dann
Glandulae bronchiales heissen. Letztere erreichen zuweilen, besonders im Theilungs-
winkel der Trachea, eine stattliche Grösse. Ihr g^au- und schwarzgesprenkeltes
Ansehen, verdanken sie einer Ablagerung von kömigem, sternförmige Gruppen
bildendem Pigpnent. Sie erscheinen häufig im höheren Alter zu Säcken mit schmie-
rigem, schwarzem Inhalt metamorphosirt
Ausser den grossen Luft- und ßlutkanälen, welche die Alten als Vtua
publica piämonum bezeichneten, hat die Lunge auch ein besonderes, auf ihre Er-
nährung abzielendes Gefässsystem — Vaga privata. Diese sind die Arteriae et
Venae bronchiales, welche ebenfalls die Eadix pulmonis bilden helfen. Die Arteriae
fjronchitdes nehmen, nachdem sie die Wand der Bronchialverästlungen und der
grossen Blutgefässe mit Capillargefässen versorgten, auch an der Bildung der
respiratorischen Capillargefässnetze der Lungenbläschen entschiedenen Antheil.
Isolirte Injection der Arteriae bronchiales gsbh mir immer dasselbe Resultat:
Füllimg des respiratorischen Capillargefässnetzes der Vesiculae aereae. Die den
Bronchialarterien entsprechenden Venae bronchiales, entleeren sich theils in die
Vena azygos, also in die Blutbahn der oberen Hohlvene, theils in die Venae pul-
monales selbst.
Die Literatur über den Bau der Lunge, hat F. E. Schulze vollständig
zusammengestellt (Stricke r^s Gewebslehre, Cap. XX.).
§. 287. Ein- und Ausathmen.
Durch die Inspirationsmuskeln wird der Thorax erweitert, und
die Luft in die Lungen eingezogen. Die Lunge vergrössert sich
um so viel, als die Erweiterung des Thorax beträgt. Sie bleibt
hiebei mit der inneren Fläche der Brusthöhle in genauem Contact.
Die einstnimende Luft erzeugt durch Reibung an den Theilungs-
winkeln der Bronchialvcrzweigungen , und durch Ausdehnen der
zahllosen Vesiculae aereae, ein knisterndes Geräusch, welches in
jenen Krankheiten, wo die Luftwege mit Exsudaten gefüllt sind,
fehlt, und deshalb von den Aerzten als Hilfsmittel benutzt wird,
die Wegsamkeit des Lungenparenchyms zu untersuchen. — Das
Ausathmen erfolgt durch Verkleinerung des Thoraxraumes. Diese
Verkleinerung stellt sich schon durch die Elasticität der Thorax-
wände imd der Lungen von selbst ein, wenn die Inspirationsmuskeln
zu wirken aufhören. Nur wenn das Ausathmen forciii; wird, wie
z. B. beim Schreien, müssen Muskelkräfte den Thoraxraum ver-
kleinern helfen. — Beim Ausathmen wird nicht alle Luft, welche in
den Lungen war, herausgetrieben. Es bleibt ein Quantum zurück,
da die Luftwege sich nicht vollends entleeren. Die Leichenlunge
ist deshalb nicht luftleer.
Das elastische Gewebe in der Lunge sucht auch in der Leiche
noch das Lungenvolumen zu verkleinern. Es kommt jedoch nicht
.i
728 S- SS7- Eifl- und Antathmen.
ZU dieser Verkleinerung, da die Lunge sich von der geschlossenen
Thoraxwand nicht entfernen kann. Eine solche Entfernung der
Lunge von der Thoraxwand, würde zwischen beiden einen
leeren Raum schaffen. Wird aber die Thoraxwand eingeschnitten,
so bringt das elastische Element im Lungengewebe, das Lungen-
volumen auf sein Minimum, und einströmende Ijuft füllt das
zwischen Lunge und Thoraxwand entstehende Vacuum aus.
Bei ruhigem Athmen beträgt das ein- und ausgeathmcte Luft-
quantum 16 — 20 CubikzoU. Die in den Lungen zurückbleibende
nicht ausgeathmcte Luft, wird auf 170 CubikzoU angeschlagen.
Hutchinson's Untersuchungen zeigten, dass ein Mann von fünf
bis sechs Schuh Körperhöhe, nach vorausgegangener tiefer Inspira-
tion, 225 CubikzoU Luft durch die möglichste Verkleinerung des
Thorax ausathmet. Dieses Luftquantum nennt man vitale Capa-
cität der Lungen. 225 + 170 rrr 395 CubikzoU wäre somit die
absolute Luftmenge, welche eine Lunge enthalten kann. Die vitale
Capacität der Lungen nimmt mit der Zunahme der Körperhöhe zu,
nicht aber mit dem Körpergewichte. Für jeden Zoll über die
früher angegebene Körperhöhe, steigt die vitale Lungencapacität
um einen CubikzoU. Vom 15. — 35. Lebensjahre nimmt die vitale
Capacität der Lungen zu; vom 35. — 65. Lebensjahre nimmt sie
jährlich um einen CubikzoU ab. Bei Lungensucht vermindert sie
sich, nach dem Grade der Krankheit, um 10 — 70 Procent.
Die ausgeathmcte Luft enthält, statt des Oxygens, welches sie
an das venöse Blut abgegeben, um arterielles daraus zu machen, eine
entsprechende Menge Kohlensäure, Wasserdampf und flüchtige
thierische Stoffe (wie z. B. beim stinkenden Athem). Mit jeder
Inspiration, deren im Mittel, bei ruhigem Körper und Geist, sech-
zehn auf die Minute kommen, binnen welcher Zeit der Puls fünf-
und sechzigmal schlägt, ändern die vorderen Ränder der Lungen
ihre Lage, und schieben sich vor den Herzbeutel, nähern sich also,
umschliessen das Herz vollkommener, und dämpfen seinen Schlag.
Die Seitenflächen der Lungen gleiten zugleich an der Brustwand
herab, und die Spitzen der Lungenkegel erheben sich hinter dem
Scalenns anticus etwas über den Rand der ersten Rippe. VieUeicht
bedingt die an letzterem Orte stattfindende Reibung, das häutige
Vorkommen von Tuberkeln an der Lungenspitze. Die hinteren
Ränder der Lungen bleiben in den Vertiefungen zwischen der
Wirbelsäule und den Rippen, und verrücken sich niclit.
' Man kann an der Leiche diese Bewejjung der Liinji^e durch Aufhhisen
nachahmen, und sich überzeugen, dass sie flir die Gefährlichkeit der HniHtwunden
und für die aoscultatorische Untersuchung der BniKteinge weide von Wichtigkeit ist.
S. 288. BraitfeUe. 729
§. 288. Brustfelle.
Es finden sich in der Brusthöhle drei seröse, vollkommen ge-
schlossene Säcke. Zwei davon sind paarig, und zur Umhüllung der
rechten und linken Lunge bestimmt. Der dritte ist unpaarig, liegt
zwischen den beiden paarigen, und schliesst das Herz ein. Die
paarigen heissen: Brustfelle, Pleurae, — der unpaarige: Herz-
beutel, Pericardtum, dessen Beschreibung erst bei der speciellen
Beschreibung des Herzens an die Reihe kommt. Das griechische
Wort rXsupa bedeutet sowohl Seite, als Rippe, und auch Brustfell.
Das Verhältniss der Pleurae zur Thoraxwand und zu den
Lungen, wird man sich auf folgende Weise am besten klar machen.
Man denke sich jede Hälfte der Brusthöhle, durch eine einfache
seröse Blase eingenommen (Pleura), und die Lungen noch fehlend.
Jede Blase sei an die innere Oberfläche der Rippen und ihrer
Zwischenmuskeln angewachsen, als Pleura costalis, Rippenfell, so
wie auch an die obere Fläche des Zwerchfells als Pleura phrenica.
Beide Blasen stehen mit ihren einander zugewendeten Seiten nicht
in Berührung. Es bleibt somit ein freier Raum zwischen ihnen,
welcher sich vom Brustbeine zur Wirbelsäule erstrecken wird. Dieser
Raum heisst Mittelfellraum, Cavuni mediastini, und seine durch die
Pleurae gegebenen Seitenwände sind die Mittel feile, Mediastina.
Das barbarische Wort mediastinum scheint aus mediatentis, bis zur
Mitte, entstanden zu sein; nach Spigelius aber, quod per medium
stet Galen bezeichnete die Laminae media>stini als jjjli^v B'.a^parcwv,
was Vesal mit memhrana thoracem mtersepieiis, richtig übersetzt. In
dem Mittelfellraum lasse man nun beide Lungen entstehen und
gegen die Seiten des Thorax zu sich vergrössern, was nur dadurch
geschehen kann, dass jede Lunge das ihr zugekehite Mittelfell, in
die Höhle der serösen Blase der Pleura einstülpt, und dadurch von
ihr einen Ueberzug erhält, welcher sl\s Pleura pulmonalis (Lungen-
fell) von der Pleura costalis umschlossen sein wird. Die Stelle,
wo das Mittelfell in die Pleura pulmonalis übergeht, wird von der
Lungenwurzel eingenommen. Auch das Herz denke man sich, sammt
seinem Beutel, in dem Mittelfellraum entstehen, denselben aber
nicht ganz ausfüllen, weshalb denn vor und hinter ihm ein Theil
dieses Raumes frei bleibt, und als vorderer und hinterer Mittel-
fcllraura, Cavum mediastini anterius et post&i*ius, bezeichnet wird
Hier muss bemerkt werden, dass der vordere Mittelfellraum bei
uneröffnetcm Thorax nicht bestehen kann, da das Herz an die vor
dere Thorax wand anliegt. Nur am geöflFneten Thorax der Leiche
fallt das Herz durch seine Schwere gegen die hintere Thoraxwand
so dass, wenn man das ausgeschnittene Brustblatt wieder auflegt
730 §.288. Brustfelle.
ein Raum zwischen demselben und dem Herzen enthalten sein muss.
— Der Mittelfellraum kann vorn nur so lang sein als das Sternum,
hinten wird er, wegen der nach hinten abschüssigen Lage des
Zwerchfells, so lang sein, als die Brustwirbelsäule, welche seine
hintere Wand bildet. Besser wäre es, den vorderen und hinteren
Mittelfellraum ganz aufzugeben, und nur von Einem Mittelfellraura
zu reden, welcher sich vom Sternum bis zur Wirbelsäule erstreckt,
und das Herz, dessen grosse Gefiisse, die Thymus, die Luftröhre,
und alles Andere enthält, was durch den Thorax auf- oder nieder-
zusteigen hat. Die Seitenwände dieses Mittelfellraums werden durch
das rechte und linke Mittelfell gegeben.
Wir erkennen, dem Gesagten zufolge, in jeder Pleura einen
serösen Sack, welcher sich nur an Einer Stelle einstülpt, um Ein
Eingeweide (die Limge) zu überziehen, und somit zwei Ballen
bildet, einen äusseren und einen inneren. Der äussere Ballen ruht
unten auf dem Zwerchfell als Pleura phrenica, und wird an dieses,
so wie an die innere Oberfläche der Brustwand als Pleura costalis,
durch kurzes Bindegewebe angeheftet. Dieses subpleurale Binde-
gewebe nimmt gegen die Wirbelsäule hin an Mächtigkeit zu, gewinnt
festere Textur, und wird dadurch zu einer besonderen Schichte,
welche von mir als Analogen der Fascia transversa abdominis be-
trachtet, und als Fascia endoihoracica beschrieben wurde.
Betrachtet man die vorderen Umbeugungsstellen der Pleuras
costales zu den beiderseitigen Mittelfell wänden, und letztere selbst
etwas näher, so findet man, dass sie nicht mit einander parallel
laufen. Sie nähern sich vielmehr von den Rändern des Manubrium
stemi nach abwärts, kommen am Corpus stemi zusammen, um gegen
das untere Ende des Brustbeins wieder auseinander zu weichen,
wo dann die linke Mittelfellwand hinter den äusseren Enden der
linken Rippenknorpel, die rechte dagegen hinter der Mitte des
Sternum, zuweilen selbst am linken Rande desselben hcrabgeht. Der
Mittelfellraum hat somit, wenn er von vorn her angesehen wird,
die Form eines Stundenglases.
Bei Erwachsenen begegnet man, häufig genug, Adhäsionen der Lunge an
der Thoraxwand (das will sagen: der Pleura pvlmonalis an die Pleura cotttnliM)
durch organisirte Exsudate nach Lungen- und Bnistfellentziindungen. Seit man
die pathologische Entstehung dieser Adhäsionen kennt, ist der Name derselben :
Ligamenta npuria, in der Anatomie verschollen.
Ueber die Pleurae handelt ausführlich: mein Handbuch der topogr. Anat«
I. Bd., femer Luschka im Archiv fiir path. Anat. Bd. XV, und Bochdalek: Ueber
das Verhalten des Mediastinum, in der Prager Vierteljahrsschrift, Bd. IV. — Ueber
die Fascia endothoracica, und den Herzbeutel, liegt eine treffliche Abhandlung
von Luschka im XVII. Bde. der Denkschriften der kais. Akad. vor.
§. 289. Nebendrüsen der Bespiratiomorgane. Schilddrüie. 731
§. 289. üfebendrüsen der Respirationsorgane. Schilddrüse.
Mit dem Hals- und Brusttheil der Athmungsorgane stehen
zwei Drüsen in näherer anatomischer Beziehung, deren physio-
logische Bedeutung noch unbekannt ist: die Schilddrüse und die
Thymusdrüse.
Die Schilddrüse, Glandula thyreoidea, hat die Gestalt eines
Hufeisens oder Halbmondes, mit sehr stumpfen Hörnern. Ihr Mittel-
stück, welches gewöhnlich weniger massig ist, als ihre Seiten-
lappen, und deshalb Isthmus heisst, liegt auf den oberen Luftröhren-
knorpeln auf, ihre paarigen Seitenlappcn, Cornua lateralia, an und
auf der CartUago thyreoldea, Ihre vordere Fläche wird von den
Muscvlis stemO'thjreoideis bedeckt. Die hintere Fläche der Seiten-
lappen berührt die Arteiia carotis communis, und erhält, wenn die
Drüse sich zum Kröpfe vergrössert, von diesem Gefiiss einen
longitudinalen Eindruck. Das sehr gefilssreiche Parenchym dieses
Organs (daher der ältere Ausdruck: Ganglion vasculosum) wird von
einer dünnen, aber festen Bindegewebsmembran, Tunica propria,
umschlossen, welche Fortsetzungen in die Tiefe schickt, um die
Masse der Drüse in grössere und kleinere Läppchen abzutheilen.
Die Trennungsfurchen der Lappen und Läppchen, werden an der
Oberfläche der Drüse durch die grösseren Blutgefässe eingenommen.
Das Parenchym selbst besteht, wenn es gesund ist, aus einem
Bindegcwebslager, mit einer zahllosen Menge kleiner, rundlicher,
vollkommen geschlossener Bläschen, von verschiedener Grösse (0,02
bis 0,2 Linien), mit flüssigem albuminösem Inhalt, und einer ein-
fachen Epithelschicht aus cubischen Zellen. Bei zunehmendem
Alter treten in diesen Bläschen Veränderungen ein, welche man
als colloide Metamorphose bezeichnet. Der Inhalt der Bläschen
wird nämlich in eine gallertartige, bernsteinfarbige Masse um-
gewandelt, und die Bläschen vergrössern sich. Die Grössenzunahme
der Bläschen kann so bedeutend werden, dass das umhüllende
Bindegewebe verdrängt wird, und die Bläschen zu immer grösseren
Höhlen zusammenfliessen, wodurch endlich die ganze Drüse zum
Cyste nkropf entartet.
Die Schilddrüse hat nicht die entfernteste Achnlichkeit mit einem SchUde,
und sollte deshalb richtiger Schildknorpeldrüse genannt werden, weil sie in
der Nachbarschaft dieses Knorpels liegt Dann müsste auch der Ausdruck Glan-
dula thyreoidea (schildähnlich) in ParcUhyreon umgeformt werden {izxpi und Ojpsd; —
neben dem Schilde). Aber den Anatomen ist an Sprachrichtigkeit sehr wenig
gelegen, sonst würden sie so viele unsinnige Benennungen in ihrer Wissenschaft
nicht so lange geduldet haben.
Ausführungsgänge, von welchen Schmidtmüller und Vater träumten,
existiren weder im Erwachsenen noch im Embryo, wo sie Meckel für möglich
732 §.890. ThymQB.
hielt. — Den LevcUor glandulär thyreoideae, welcher vom Zungenbein herabkommt,
and sich in der Tunica proprio der Drüse verliert, kann man bei grossen Kröpfen
deutlich sehen. — Vom Isthmus geht häufig ein unpaariger Processus pyra-
midalis 8. Oomu inedium aus, welcher über die linke, seltener über die rechte
Schildknorpelplatte (oder auch median) bis zu deren oberen Rand, und selbst
darüber hinaus sich erhebt. Zuweilen schnürt sich der Processus pyramidalis vom
Körper der Schilddriise vollkommen ab, und wird dadurch zur einfachen oder
doppelten Glaiidtda thyreoidea accessoria. Solche accessorische Schilddrüsen
kleinerer Art, finden sich auch zuweilen, einfach oder mehrfach, im laxen Binde-
gewebe hinter dem unteren Rande der Schilddrüse eingebettet.
Dass die Schilddrüse mit dem Kehlkopfe in näherer phy8iologiacher Be-
ziehung steht, ist eine blosse Vermuthung, welche allerdings durch die Nähe dieser
beiden Organe, und durch die Beobachtung einen Schein von Berechtigung erhält,
dass in der Klasse der Vögel, wo der Stimmkehlkopf in die Brusthöhle an die
Theilungsstelle der Luftröhre herabrückt, auch die Schilddrüse in den Thorax
versetzt wird. Da aber auch stimmlose Amphibien eine Scliilddrüse besitzen, und
bei den Schlangen, deren Kehlkopf am Boden der Mundhöhle sich öffnet, die
Schilddrüse weit von diesem Kehlkopf entfernt liegt, so fehlt es nicht an Gründen
zum Geständniss, dass wir die fiinctionelle Bedeutung der Schilddrüse noch nicht
verstehen gelernt haben. Selbst an Hypothesen hat man sich nicht gewag^.
Bei Unterbindungen der Carotis, dem Speiseröhren- und Luftrölirenschnitt,
sind die anatomischen Verhältnisse der Schilddrüse von grossem Belange. Die nach
imten zimehmende Vergrösserung des Isthmus der Drüse bei Erwachsenen, und
seine geringe Höhe bei Kindern, macht, dass die Luftröhre der Kinder dem Messer
zur Tracheotomie leichter zugänglich ist, während bei Erwachsenen die Laryngo-
tomie häufiger geübt wird. — Der Gefässreichthum der Drüse ist so bedeutend,
dass ihre Venvundung bei Selbstmordversuchen tödtlich werden kann, ohne dass
die grossen GefKssstämme des Halses verletzt wurden. — Man hat die Schilddrüse
durch Eiterung (Thyreophyma acttinm) zerstört werden gesehen, ohne nachtheilige
Folgen für Gesundheit und Sprache. Dieses war bei dem gefeierten Kliniker
Peter Frank der Fall, welcher sich rühmen konnte, am Tessin, an der Neva,
und an der Donau, den Jüngern Aesculaps seine jetzt vergessene Lehre gepredigt
zu haben.
§. 290. Thpius.
lieber der physiologischen Bestimmung der Thymusdrüse
(Thymus 8. Lactes, im Wiener Dialekt Bries oder Briescl) schwebt
dasselbe physiologische Verhängniss, wie über jener der Schilddrüse,
d. h. man weiss über ihre Function so viel, wie nichts, obwohl ihre
Structur ebenso genau bekannt ist, wie jene der Glandula thjreoidea.
Sie existirt in ihrer vollen Entwicklung nur im Embryo, luid im
frühen Kindesalter. Um die Zeit der Geschlechtsreife herum, ist
sie entweder ganz verschwunden, oder auf einen unansehnlichen
Rest reducirt, der sich auch durch's ganze Leben erhalten kann.
Sie hat beim Neugeborenen das körnige Ansehen einer Speichel-
drüse, und besteht aus zwei durch Bindegewebe, zu einem läng-
lichen platten Körper vereinigten, ungleich grossen Seitenlappen,
weiche wieder in kleinere Läppchen zerfallen. Ihr unterer Hand
§. 890. Thymas. 733
ist concav, und seitlich in zwei stumpfe Hörner verlängert. Sie
liegt hinter dem Manuhrium stemi, wo sie die grossen Gelasse der
oberen Brustapertur und theilweise den Herzbeutel bedeckt. Beim
Embryo reicht sie bis zum Zwerchfell hinab.
In der Axe der beiden Thymuslappen findet sich eine Höhle,
als Gang, welcher zwei blinde Enden hat, und verschiedentlich
geformte Ausbuchtungen zeigt. Den Inhalt des Ganges und seiner
Ausbuchtungen bildet eine eiweissreiche, milchige, schwach sauer
reagirende, freie Kerne und Lymphkörperchen führende Flüssigkeit.
Um Gang und Ausbuchtungen herum gruppiren sich die Läppchen
der Drüse, welche selbst wieder hohl sind, und durch schlitzförmige
OeiFnungen mit den Ausbuchtungen des Ganges im Verkehr stehen.
Jedes Läppchen besteht aus einem blutgefassreichcn Bindegewebe,
welches theils die Oberfläche des Läppchens überzieht, theils im
Inneren des Läppchens ein Netzwerk bildet, in dessen Maschen
Gruppen von Lymphkörperchen lagern, wie in den Alveolen der
Lymphdrüsen. — Die Hauptstämme der Blutgefässe der Thymus
liegen nicht auf ihrer Oberfläche, wie jene der Schilddrüse, sondern
dringen in die Axe ein, wo sie sich an die Wand des centralen
Ganges anlegen, und von hier aus ihre zahlreichen, feinen Aeste
in die Läppchen der Drüse entsenden. — Das Vorkommen eines
centralen Ganges in den Lappen der Thymus ist nicht constant,
denn es finden sich Thymusdrüsen mit solidem Parenchym. Brücke
lässt den Gang durch einen, im Inneren der Drüse stattfindenden
Erweichungs- und Schmelzungsprocess entstehen, welcher die Rück-
bildung der Drüse einleitet, und nach und nach die ganze Drüse
aufzehrt. Das Vorhandensein des Ganges in Thymusdrüsen, welche
noch in der Blüthe ihrer Entwicklung stehen, wie bei Embryonen
und Kindern, steht dieser Annahme entgegen.
Ob durch Vergrösserang der Thymusdrüse, die Luftröhre und die grossen
BlutgefUsse hinter dem Manuhrium stenii comprimirt, und dadurch das sogenannte
Astknia thj/miaim bewirkt werden könne, muss verneint werden. Man findet in
den Leichen von Kindern, welche nicht am Asthma starben, oft genug die Thymus
den ganzen vorderen Mittelfellraum einnehmen. Die Vorschläge Allan ßurns,
wie man sich zu benehmen habe, um eine vergrösserte Thymus zu exstirpiren,
wird also hoffentlich Niemand am Lebenden in Ausführung bringen.
Da» Wort Thymus wird in verschiedenem Sinne angewendet. Butxo? ist
Leben (Oujxbv a;:o7:vc{u>v, das Leben aushauchend), dann Gefühl, Muth, und Wille.
Bu[jL05 und Ou{jLov heisst auch der Quendel (Thymian). Von keinem dieser Worte
kann die Thymus der Anatomie abgeleitet sein. Bei Pollux finde ich Oujxo; fttr
eine Fleischgeschwulst oder Feigwarze gebraucht, deren lappige Oberfläche an
jene unserer Drüse erinnert. — Das deutsche Kälbermilch, ist wohl eine
Uebersetznng von dem Worte kictes (Plural von lac), mit welchem Asellius die
von ihm entdeckten Chylusgefasse, ihres milchweissen Inhaltes wegen, belegt
(De lactibu», a. lacteis venis, Mediolan,, 1627), Er sah diese milchweissen GeflUse
zu einer grossen Drüse gehen, welche in der Wurzel des Mesenterium liegt, und
Pancreaa AaeUi, auch Z>ac^ 'genannt wurde. Die Aehnlichkeit der gelappten
734 S. 891. Lage der Eingeweide in der BnuthOhle.
Thymus mit dem Pancrea« Aselli, erklärt den Namen der ersteren: lade». Auch
der milchige Saft in der Höhle der Drüse, kann die Benennung lacles veranlasst
hahen. Bei den Classikem kommt lade», als Benennung für Eingeweide von
weisslicher Farbe vor, wie Darm, Netz, Gekröse, welche von Schafen als lade»
agninae gerne gegessen wurden.
Das altdeutsche Bries stammt ohne Zweifel von Brose, oder Bröse (ein
Krümmchen), und dieses von dem angelsächsischen bry»an, zerreiben (französisch
bri»er, und englisch to brui»e). Das kleinkörnige, krümelige Ansehen der Thymus-
drüse, wird also durch die Benennung Bries ausgedrückt.
§. 291. Lage der Eingeweide in der Brusthöhle.
Die Lage der Brusteingeweide zu untersuchen, erfordert weit
weniger Mühe, als jene der Bauchorgane, indem es sich im Thorax
nur um drei Eingeweide handelt, welche nach Entfernung der vor-
deren Brustwand leicht zu übersehen sind. Zwei davon — die
Lungen — bilden Kegel mit nach oben gerichteter Spitze; das
dritte — das Herz — einen Kegel mit unterer Spitze. Die seitlichen
Räume des Thorax, aus welchen sich die Lungen herausheben
lassen, bedürfen keiner besonderen Präparation. Der Mittelfellraum
dagegen, in welchem das Herz und die grossen Gefösse liegen,
wird durch den Verkehr dieser Gefösse unter einander, und ihre
Beziehungen zu den Lungen, etwas complicirter. Man untersucht
die Contenta des Mittelfellraumes, von vorn nach rückwärts, auf
folgende Weise. Man trägt die vordere Brustwand, nicht wie ge-
wöhnlich an der Verbindungsstelle der Rippen mit ihren Knorpeln
ab, sondern sägt die grösste Convexität, also beiläufig die Mitte der
Rippen und der Clavicula durch, wozu eine feingezahnte Säge ver-
wendet wird, da die gewöhnlichen grobgezahnten Amputationssägen
mehr reissen als schneiden, wodurch die Schnitte der unter den
Sägezügen hin- und herschwankenden Rippen nicht rein und eben,
sondern zackig werden, und zu den bei dieser Arbeit häufig vor-
kommenden Verletzungen der Hände Anlass geben. Man bedeckt
den Schnittrand der Thoraxwand mit einem dicken Leinwandlappen,
oder besser noch mit der abgelösten Cutis, welche man mit ein
Paar Nadelstichen befestigen kann, um sich gegen die erwähnten
Verletzungen zu sichern.
Ist dieses geschehen, so reinigt man den Herzbeutel von dem
laxen Bindegewebe, welches ihn bedeckt, und überzeugt sich von
seiner Einschiebung zwischen die beiden Mittelfelle. Der Zwerch-
fellnerv liegt an seiner Seitenfläche dicht an. Gegen die obere
Brustapertur hinauf, wird das Bindegewebe copiöser, und schliesst,
wenn man an einer Kindesleiche arbeitet, die Thymusdrüse ein.
Hinter diesem Bindegewebslager trifft man, an der rechten Media-
stinumwand anliegend; die obere Hohlvene, welche durch die beiden
|. 991. Lage der Eingeweide in der Bmetlifthle. 735
ungenannten Venen (Venae innomincUae) zusammengesetzt wird. Die
rechte ist kürzer^ und geht fast senkrecht zur Hohlvene herab^ die
linke muss einen weiteren Weg machen^ um von links zur rechts
gelegenen Hohlvene zu gelangen, und läuft deshalb fast quer über
die, in der Medianebene des Thorax auf- und absteigenden Gef&sse
herüber, wo sie die unteren Schilddiüsenvenen und wandelbare
Herzbeutel- und Thymusvenen aufnimmt. Jede ungenannte Vene,
nach aussen verfolgt, fährt zu ihrer Bildungsstelle aus der Vena
jugidaris communis und subclavia. Nun wird der Stamm der oberen
Hohlader vorsichtig isolirt, wobei man die in seine hintere Wand
sich einpflanzende Vena azygos gewahr wird, welche im Cavum
mediastini posterius an der rechten Seite der Wirbelsäule nach auf-
wärts zieht, und sich über den rechten Bronchus nach vom krümmt,
um zur Cava superior zu stossen. — Hinter den genannten Venen
liegt der Bogen der Aorta, aus dessen convexem Rande von rechts
nach links 1. die Arteria innominata, 2. die Carotis sinistra, und
3. die Arteria subclavia sinistra entspringen. Man versäume nicht,
auf etwa vorkommende Ursprungsvarietäten dieser Gefasse zu achten.
— Hinter dem Aortenbogen stösst man auf die Luftröhre, und
hinter dieser, etwas nach links, auf die Speiseröhre. — Die Arteria
innominata theilt sich in die Arteria subclavia und Carotis dextra.
Man verfolgt diese Gefösse des Aortenbogens so weit, als es nöthig
ist, um den Durchgang der Subclavia zwischen dem vorderen und
mittleren Scalenus, und die geradlinige Ascension der Carotis zu
sehen. Vor der Arteria subclavia dextra sieht man den Vagus, und
am inneren Rande des Sccdenv^ anticus den Nervus phrenicus in die
obere Brustapertur eindringen. Hinter der Subclavia steigt der Nervus
sympaihicus in die Brusthöhle herab, und umfasst diese Arterie mit
einer Schlinge — Ansa VieussenU,
Jetzt wird der Herzbeutel, der mit seiner Basis an das Centrum
tendineum diaphragmatis angewachsen ist, geöffiiet. Man gewahrt,
dass er, nebst dem Herzen, einen Theil der grossen Gefösse ein-
schliesst, welche vom oder zum Herzen gehen. Er schlägt sich an
diesen Gefössen nach abwärts um, um einen kleineren Beutel zu
bilden, welcher an die Oberfläche des Herzens angewachsen ist.
Der Herzbeutel verhält sich somit zum Herzen, wie die Pleura zur
Lunge, — er ist ein seröser Doppelsack. Der äussere Ballen
dieses Doppelsackes, ist mit dem fibrösen Herzbeutel innig ver-
wachsen, dessen Zusammenhang mit der Fasda endothoracica von
Luschka nachgewiesen wurde.
Der Herzbeutel wird nun von den grossen Gefössen abgelöst,
um diese isoliren zu können. Man sieht die obere Hohlader gerade
zur rechten Herzvorkammer herabsteigen. Wird das Herz auf-
gehoben, so bemerkt man auch die imtere Hohlader durch das
736 |. S91. La^ der Eingeweide in der Brusthöhle.
Zwerchfell zur selben Vorkammer ziehen. Von der Basis des
fleischigen Herzkörpers, welcher die beiden Herzkammern enthält,
findet man die Arteria pulmonalis und die Aorta abgehen. Erstere
entspringt aus der rechten Herzkammer, und geht nach links und
oben; letztere aus der linken Kammer, und läuft nach rechts und
oben. Beide Gefasse decken sich somit gleich nach ihrem Ur-
sprünge, so dass die Arteria pvlmonalts auf dem Anfange der Aorta
liegt. Man reinigt nun den Aortenbogen, und verfolgt ihn, um
seine Krümmung über den linken Bronchus zu finden. — Am con-
caven Rande des Aortenbogens theilt sich die Arteria pulmonalis in
den rechten und linken Ast. Der rechte Ast ist länger, geht hinter
dem aufsteigenden Theile des Aortenbogens und hinter der Cava
9uperior zur rechten Lungenpforte; der linke, kürzere, hängt durch
das Aortenband (obsoleter Ductus arteriosus Botalli des Embryo) mit
dem concaven Rande des Arcus aortae zusammen und geht vor
dem absteigenden Theile der Aorta zu seiner Lungenpfortc, aus
welcher (wie aus der rechten) zwei Venen zur linken Ilerzvor-
kammer zurücklaufen. Um letztere zu sehen, muss auch die hintere
Wand des Herzbeutels entfernt werden. Alle diese Arbeiten er-
fordern eine vorläufig durch Leetüre der betreflFenden Beschreibun-
gen erworbene Kenntniss des relativen Lagenverhältnisses, und
können ohne einen Gehilfen, welcher durch Finger oder Haken die
bereits isolirten Gefässe auseinander hält, um Raum für das Auf-
finden der tieferen zu schaffen, kaum unternommen werden.
Hat man den Bronchus, die Arteria und Vena pulmonalis, bis
zur Pforte der Lunge dargestellt, so kann man an ihnen die Lunge,
wie an einem Griffe, aus der Brusthöhle heben, auf die andere Seite
legen, und durch Klammern befestigen, und sich dadurch die Seiten-
wand des hinteren Mittelfellraums zugänglich machen. Diese Seiten-
wand wird eingeschnitten, und gegen die Rippen zu abgezogen,
worauf die hintere Wand des Bronchus erscheint, welche der Vagus
kreuzt, der hier seine Contingente zur Erzeugung des Plexus pul-
monalis abgiebt. Wurden beide Wände des Mediastinum vor der
Wirbelsäule eingeschnitten und weggenommen, so zeigt sich, wie
der Aortenbogen auf dem linken Bronchus gleichsam reitet, ebenso
wie rechts der Bogen der Vena azjfgos über dem rechten Bronchus
wegschreitet. Werden nun Herz und Lungen ganz entfernt, der
Aortenbogen aber gelassen, so überblickt man die oben geschilderte
Verlaufsweise des Oesophagus, §. 258 (lange Spiraltour um die
Aorta), und den Inhalt des hinteren Alittelfellraumes: die Vena
azygos rechts, die nur halb so lange Vena liemiazfjgos links von der
Aorta descendens, den fettumhüllten Ductus thoracicus zwischen Vena
azygos und Aorta. Verfolgt man den Ductus thoracicus nach aufwärts,
80 findet man ihn hinter der Speiseröhre nach links und oben
g. S92. Eintheilnng der Harn- nnd UeschlechUorgane. 737
gehen, und in die hintere Wand des Vereinigungswinkels der Vena
jugtdaris und suhdavia sinistra einmünden. Beide Vagi begleiten, von
der Lungenwurzel an, den Oesophagus; der Knotenstrang des Sym-
pathieus läuft an den Rippenköpfchen herab, und liegt schon nicht
mehr im Cavum medicistini.
A. W, Otto, von der Lage der Organe in der Bmsthöhle. Berlin, 1829. —
C. Ludwig, icones cavitatum thoracis et abdominis. Lips., 1750. — H. Luschka,
Bmstorgane des Menschen. Tübingen, 18&7.
HI. Harn- und Gheschlechtsorg'ane.
§. 292. Eintheilung der Harn- und öesclileclitsorgane.
Die Harn- und Geschlechtswerkzeuge des Mannes (Organa
uro-genitalia) stehen durch ihre Entwicklungsgeschichte, und durch
das Zusammenfliessen ihrer Ausführungsgänge zu einem, beiden
Werkzeugen gemeinschaftlich angehörigen, unpaarigen Ausmün-
dungsschlauch (Harnröhre), in so naher Verwandtschaft, dass sie,
ungeachtet ihrer sehr verschiedenen Functionen, als Einem ana-
tomischen Systeme angehörend betrachtet werden. Diese Einheit,
welche im männlichen Geschlechte vollständiger hervortritt, als im
weiblichen, spricht sich am deutlichsten durch das Verhalten der
Schleimhaut aus, welche ohne Unterbrechung, die innere Oberfläche
der Harn- und der Geschlechtsorgane, als Zweige desselben Stammes,
auskleidet.
Die männlichen und weiblichen Hamwerkzeuge bestehen aus
paarigen, den Harn absondernden Drüsen mit deren Ausführungs-
gängen (Nieren und Harnleiter), und aus einer unpaarigen
Sammlungsblase des Harns (Harnblase), welche durch die Harn-
röhre an der Leibesoberfläche ausmündet.
Dieselbe Eintheilung lässt sich auch auf die Geschlechtswerk-
zeuge anwenden. Sie bestehen in beiden Geschlechtern 1. aus einer
die Zeugungsstoffe absondernden paarigen Drüse (Hode — Eier-
stock), 2. aus deren Ausfuhrungsgängen (Samenleiter — Ei-
leiter), 3. aus einer Sammlungs- und Auf bewahrungsblase, welche
im männlichen Geschlechte paarig (Samenbläschen), im weib-
lichen Geschlechte unpaar ist (Gebärmutter), und 4. aus einem
Excretionswege , welcher gleichfalls im Manne doppelt (Aus-
spritzungskanäle), und im Weibe einfach erscheint (Scheide).
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. 47
738 §. MS. Nieren und Harnleiter.
A. Harnwerkzeuge.
§. 293. Meren und Harnleiter.
Die durch den Stoffwechsel gebildeten stickstoffreichen Zer-
setzungsproducte der Gewebe des menschlichen Körpers, werden
durch die Nieren aus dem Blute ausgeschieden. Abstrahirt man von
der sehr geringen Stickstoffmenge, welche durch die Absonderung
der äusseren Haut, wohl auch durch die Excremente des Darmkanals,
aus unserem Leibe entfernt wird, so sind die Nieren die einzigen
Excretionsorgane, welche den Stickstoff der Gewebe in Form eigen-
thümlicher Verbindungen, deren wichtigste der Harnstoff und die
Harnsäure sind, aus der Sphäre des Organismus hinauszuschaffen
haben. Das Verbleiben dieser stickstoffhaltigen Zersetzungsproducte
im menschlichen Leibe, ist mit dem Fortbestande des Lebens un-
verträglich, und führt durch eine rapid verlaufende, unheilbare
Krankheit (Uraemta) zum Tode.
Die Nieren, Renes, können ihren griechischen Namen: vc^^pol,
nicht, wie Spigelius sagt, von vei^eiv haben, da dieses Wort, so
wie visd), schneien, nicht harnen bedeutet. Ihr deutscher Name
ist von dem celtischen nera entstanden.
Die Nieren liegen in der Regio lumbcdü der Bauchhöhle, extra
cavum peritonei, an der vorderen Seite des Musculus quadratus lum-
horum. Sie grenzen nach vom unmittelbar an das über sie weg-
streichende Bauchfell, und mittelst dieses an das Colon ascendens
(rechts), Colon descendens (links), nach innen an die Pars lumbalis
des Zwerchfelles, und nach oben an die Nebenniere. Die rechte
Niere liegt etwas tiefer als die linke, da sie durch die voluminöse
Leber mehr herabgedrückt wird. — Die Gestalt der Nieren ist
bohnenförmig, der äussere Rand convex, der innere concav, und
mit einem Einschnitte (das Stigma der Bohne) versehen, welcher
als Aus- und Eintrittsstelle der Nierengefasse dient, und deshalb,
wie bei der Lunge, Leber, und Milz, Hüus s. Porta renis, genannt
wird. Ihre Farbe ist rothbraun, bei Blutcongestion dunkler und
blauroth; ihre Consistenz bedeutend; ihre Länge fast das Doppelte
der Breite. Da die Nieren um so flacher erscheinen, je länger sie
sind, so bleibt ihr Volumen und ihr Gewicht ziemlich constant.
Letzteres beträgt durchschnittlich vier Unzen. Ein ziemlich dickes
Lager fettreichen und lockeren Bindegewebes (Capsula adiposa) um-
giebt sie, und sichert ihre Lage, jedoch nicht so genau, dass nicht in
Folge mechanischer Einwirkungen, z. B. Schnüren bei Frauen, Druck
von benachbarten Geschwülsten, consecutive Lageveränderungen
§. 293. Nieren und Harnleiter. 739
einer oder beider Nieren auftreten. Die Nieren können aber selbst
ausnahmsweise, durch Lockerung ihrer Verbindungen mit der Um-
gebung, und durch Verlängerung der Gefilsse, an welchen sie hängen,
eine solche Verschiebbarkeit erlangen, dass die praktischen Aerzte
sie als wandernde Nieren zu bezeichnen pflegen. Man hat solche
wandernde Nieren vor der Wirbelsäule, am Promontorium des
Kreuzbeines, in der Fossa üiaca, in der kleinen Beckenhöhle, selbst
zwischen den Platten des Dünndarmgekröses angetroflfen. Es lässt
sich leicht entscheiden, ob eine abnorme Nierenlage angeboren oder
erworben ist, da sich im letzteren Falle der Ursprung der Nieren-
arterien normal, im ersteren abnorm verhalten wird. — Angeborene
Verschmelzung beider Nieren an ihren unteren Enden, welche sich
vor der Wirbelsäule und der auf ihr liegenden Aorta begegnen,
wird als Hufeisenniere nicht so selten beobachtet.
Die äussere glatte Oberfläche der Nieren, wird von einer dicht
anschliessenden fibrösen Hülle (Tunica propria s. Capsula fihrosa)
überzogen, welche sich sehr leicht abziehen lässt, und am Hilus in
das Parenchym der Nieren eindringt, um auch jene Höhle des
Nierenkörpers auszukleiden, in welcher das später zu erwähnende
Nierenbecken sammt den Stämmen und primären Zweigen der
Blutgefässe lagert. Diese Höhle nennt Henle: Sinus renis.
Schneidet man eine Niere ihrer Länge nach, vom convexen
gegen den concaven Rand durch, so findet man, dass ihre Substanz
keine gleichförmige ist. Man bemerkt grauliche, dreieckige, mit
der Basis gegen den convexen Rand gerichtete Stellen (Substantia
medullaris), und eine sie umgebende braunrothe Masse (Substantia
corticalis). Diese Benennungen, die dem blossen Ansehen entnommen
wurden, sind jedoch veraltet. Ich gebrauche aus gleich zu erörtern-
den Gründen für Substantia medvllaris den Namen Substantia tvhvr
losa, und fiir Substantia corticalis, lieber Substantia vasculosa s. glome-
ndosa. Die dreieckigen Stellen an der Durchschnittsfläche der
Niere sind die Durchschnitte der Malpighi'schen Pyramiden,
deren nach dem Hilus gerichtete, abgerundete Spitzen Nieren-
wärzchen, Papulae renales, heissen. Die Zahl der Pyramiden in
einer Niere überschreitet nur sehr selten sechzehn. Sind ihrer
weniger, so erscheinen sie breiter und dicker.
Die zwischen den M»lpighi*8chen Pyramiden eindringenden Massen von
Corticalsabstanz, heissen Cohimnae BerUni. Nicht selten fehlen zwischen zwei
nachbarlichen Pyramiden die entsprechenden Columnae, wodurch es zur Ver-
schmelzung dieser Pyramiden kommt, imd sogenannte Zwillingspyramiden
entstehen, deren Wärzchen doppelt so gross sind, als jene der einfachen. Bei
sehr vielen S&ugethieren fehlen die Oolunmae Bertini gänzlich, wodurch sämmt-
liehe Pyramiden ihre gegenseitige Isolinmg einbüssen, und zu einer einzigen
grossen Pyramide, mit einfacher, breiter Nierenwarze verschmelzen.
47*
740 S 293. Nieren und Harnleiter.
Die Nieren Neugeborener sind an ihrer Oberfläche nicht glatt, sondern mit
Furchen gezeichnet, also gelappt (Benea lobatij. Jeder Lappen entspricht einer
Pyramide, mit zugehöriger CorticaLsubstanz. Bei vielen Säugethieren (Fischotter,
Bär, Seehund, Delphin) greifen die Furchen so tief ein, dass die gesammte Niere
in viele, völlig isolirte Keilstücke (Benunculi) zerfällt, deren jedes seine besondere
Mark- und Rindensnbstanz besitzt.
Ich erwähne noch, dass man an den Pyramiden auch kleine, konische, in
die Rindensubstanz eindringende, nicht immer deutlich hervortretende Fortsätze,
als Pyramidenfortsätze anführt. Sie werden wohl nur dadurch erzeugt, dass
die von der Rinde in die Pyramide übergehenden Hamkanälchen und Blutgefässe,
sich schon früher, bevor sie die eigentliche Pyramide betreten, zu kleineren Bün-
deln sammeln.
Der Bau der Nieren, im allgemeinen Umriss nur gezeichnet,
giebt folgendes Bild.
Die sehr mächtige Arteria renalis verästelt sich nur in der
Sfubstantia corticalis, Sie dringt, vom Hilus aus, mit mehreren Aesten
zwischen den Malpighi'schen Pyramiden gegen die Oberflüche
der Niere vor. Sie spaltet sich in immer kleiner und kleiner werdende
Zweigchen, welche nie mit einander anastomosiren, und bevor sie
capillar werden, sich aufknäucln, und die sogenannten Gefäss-
knäuel, Glomeruli renales s. Corptiscula Malpighii bilden. Diese
Knäuel werden von häutigen Kapseln umgeben (von Bowman ent-
deckt). Während der Aufknäuelung spaltet sich die Arterie mehrmal,
geht aber, nachdem sie durch die Vereinigung ihrer Spaltungsäste
wieder einfach geworden, an derselben Stelle aus dem Knäuel
wieder heraus, an welcher sie in ihn eintrat, und löst sich nun erst
in capillare Verzweigungen auf, aus welchen sich die Anfange der
Venen hervorbilden. Die Grösse der Knäuel beträgt zwischen
0,10 bis 0,06 Linien. Ihre Zahl ist Legion. An wohl gelungenen
Injectionspräparaten, scheint die Substantia corticalis nur ein Aggregat
derselben zu sein, weshalb sie eben Substantia glomerviosa genannt
wurde. — 'Die Hamkanälchen (Tubuli uriniferi) nehmen ihren
Anfang aus den Kapseln der Malpighi'schen Körperchen. Jede
solche Kapsel hat nämlich eine Oefl'nung, welche der Eintrittsstelle
der Knäuelarterie m die Kapsel gegenüber liegt. An dieser OefFnung
beginnt ein Hamkanälchen. Die Hamkanälchen, deren es also so
viele als Kapseln giebt, verlaufen anfangs geschlängelt durch die
Corticalsubstanz als Tubuli contorti, treten dann in die Pyramiden
ein, um in ihnen früher oder später schlingenförmig umzubeugen
(Ansäe Henlei), und zur Corticalsubstanz zurückzukehren, in welcher
sich mehrere derselben, unter mannigfaltigen Krümmungen, zu
einem grösseren Stämmchen verbinden. Diese Stämmchen treten
neuerdings unter dem Namen der Tubvli Bdliniani s. recti in die
Pyramiden ein, in welchen sie vollkommen geradlinig, und progressiv
ie zwei und zwei unter sehr spitzigen Winkeln zusammenfliessend.
§. 293. Nieren nnd Harnleiter. 741
gegen die Warze der Pyramide verlaufen. Die spitzwinkelige Ver-
schmelzung je zweier Tuhtdi Bdliniani wiederholt sich so oft, dass
an der Warze selbst von der sehr grossen Anzahl der in die Pyra-
mide eingetretenen Tubuli, nur noch ohngefahr vierzig, — nicht
vier- bis fünfhundert, wie die mit Zahlen freigebigen Schulbücher*)
sagen, — erübrigen, welche dann auch an der Oberfläche der Warze
mit feinen OeflFnungen münden, deren Summe bei den alten Ana-
tomen den sonderbaren Namen des Cribrum benedictum führt. Jede
Malpighi'sche Pyramide der Marksubstanz ist somit nur ein
Bündel von Tubidi BdlinianL Ich gebrauche deshalb den Namen
Substantia tuhxdosa statt medullaris. Durch die wiederholte gabel-
förmige Verschmelzung der Tubuli, und die dadurch gegebene,
gegen die Warze fortschreitende Verminderung ihrer Zahl, wird
eben die Pyramidenform des Bündels gegeben. Da nicht alle Harn-
röhrchen einer Pyramide in ein einziges zusammenfliessen, sondern
circa 40 Oeflfnungcn an der Warze einer Pyramide vorkommen, so
muss das Röhrchenbündel einer Malpighi'schen Pyramide aus eben
so vielen Theilbündeln (Ptjramides Ferreinii) bestehen, als Oeflfnun-
gcn an der Warze vorkommen.
Die Pyramiden enthalten aber, ausser den Ansäe Herdei und
den Tvhvli Beiliniani, auch ebenso zahlreiche Capillargefasse, welche
aus dem Capillargclasssysteme der Substantia corticalis abgehen, tief
in die Pyramiden hineindringen, und sich durch bogenförmige Ueber-
gänge gegen die Nierenwarze zu, an Zahl so rcduciren, dass in der
Warze selbst, nur etwa ebensoviel Capillargefassschlingen vor-
kommen, als Tubuli Bdliniani daselbst ausmünden. Diese Blut-
getassschlingen liefern offenbar das Materiale, aus welchem die
zwischen ihnen lagernden Ansäe Henlei und Tubuli Beiliniani, den
Harn bereiten, welcher aus den OeflFnungen der Papulae renales
ab träufelt.
Die Tubuli Beiliniani waren schon dem Eustachins bekannt, welcher sie
Sulci und Canaliculi nannte. Laur. Bellini erkannte zuerst ihre Verwendung als
harnbereitende Kanäle (De atructura renum. Flor., 1662),
Die Papulae renales werden von kurzen häutigen Schläuchen
umfasst, in welche die Papillen wie Pfropfen hineinragen. Diese
Schläuche sind die Nierenkelche (Calices renales minores), welche
zu zwei oder drei in weitere Schläuche übergehen (Calices majores),
durch deren Zusammenfluss endlich der grösste Calix entsteht
— das Nierenbecken, Pelvis renalis. Das Nierenbecken liegt
hinter der Arteria und Vena renalis im Hüus und Sinus renis,
*) Nach Huschke vier- bi» fOnfhundert weitere, und eben so viel engere,
— wir wollen um eine Nulle mehr oder weniger nicht rechten. Ich zähle an den
dicksten Papillen nicht mehr als höchstens vierzig Oeffnungen B e 1 1 i n i'scher
Röhrchen.
742 S> 298. Nieren und Harnleiter.
und geht, trichterförmig sich verengend, in den Harnleiter über
(Ureter, von cupsstv, harnen), welcher an der vorderen Fläche des
Psoas magnus herabsteigt, sich mit der Artsria und Vena Uiaca com-
munis am Eingange des kleinen Beckens kreuzt, in der Plica Dou-
glasä, mit dem entgegengesetzten Ureter convergirend, zur hinteren
Wand der Harnblase tritt, sich hier (beim Manne) neuerdings mit
dem Vas deferens kreuzt, und am Grunde der Harnblase, deren
Muskel- und Schleimhaut schief durchbohrt wird, in die Blasen-
höhle einmündet. Der aus den Papulae renales hervorquellende
Harn, durchströmt also, auf seinem Wege zur Harnblase, die kleine-
ren und grösseren Nierenkelche, das Nierenbecken, und den Harn-
leiter. Im weiblichen Geschlechte fassen beide Ureteren, bevor sie
zum Blasengrunde kommen, den Cervix uteri zwischen sich, woraus
es sich erklärt, warum mit Anschwellung verbundene Erkrankungen
der Gebärmutter, ein mechanisches Impediment der Harnentleerung,
mit consecutiver Erweiterung der Ureteren, und der mit ihnen zu-
sammenhängenden übrigen Hamwege im Nierenparenchym ab-
geben können.
Grosse und kleine Nierenkelche, Nierenbecken und Harnleiter, bestehen
ans einer äusseren Bindegewebsmembran, worauf eine zweischichtige, längs- und
quergefaserte organische Muskelschichte, und zuletzt eine Schleimhaut mit mehr-
fach geschichtetem Epithel folgt, dessen oberflächlichste Schichte aus niedrigen
Cjlinderzellen besteht, welche, ihrer gegenseitigen Abplattung wegen, auch für
Pflasterzellen ausgegeben werden können.
Meine Abhandlung : lieber das Nierenbecken des Menschen und der Säug^-
thiere, im XXXI. Bande der Denkschriften der kais. Akad. der Wissensch. ent-
hält bisher unberücksichtigt gebliebene, makroskopische Verhältnisse der Niere,
insbesondere der Hamwege. — lieber die topographischen Verhältnisse der weib-
lichen Ureteren handelt Luschka, im Archiv für Gynaecologie. III. Bd.
Unterwirft man eine durch Arterien injicirte Niere der Corrosion, welche
das gfanze Nierenparenchym zerstört, und nur den injicirten Gefässbaum unver-
sehrt übrig lässt, so kann man mittelst einer, zwischen die beiden primären Spal-
tungsäste der Nierenarterie eingeführten geschlossenen Pincette, welche man federn
lässt, den Gefässbaum in zwei Schalen, wie eine gähnende Auster, auseinander
legen, eine dorsale und ventrale. Die beiden Schalen stehen in gar keiner
Gefäss Verbindung untereinander, d. h. eine Arterie der dorsalen Schale, greift nie
in die ventrale Schale über, und umgekehrt. War auch das Nierenbecken injicirt,
so sieht man dieses zwischen den beiden Schalen eingeschlossen liegen. Da
das Gesagte für alle Säugethiemieren gilt, machte ich aus ihm das Gesetz der
natürlichen Theilbarkeit der Niere. Eine, den grössten Umfang der Niere
umsäumende Linie, durch welche die dorsale und ventrale Schale derselben von
einander abgemarkt werden, mag Nierenäquator heissen. Die Sache ist nicht
Mos ein anatomisches Curiosum, — sie lässt sich auch pathologisch verwerthen.
Meine Corrosionspräparate über die natürliche Theilbarkeit der Niere, erregten
auf den Weltausstellungen solches Aufsehen, dass ich Jahre lang beschäftigt
war, fremde anatomische Museen damit zu versehen.
{. S94. Niheres über Einselnheiten der Nieroimii»toiiiie. 743
§. 294. Näheres über Einzelnheiten der Merenanatomie.
1. Malpighi'sche Körperchen.
Sie gehören, wie gesagt, nur der Rindensubstanz an. Die in
ein Malpighi'sches Körperchen (Gefössknäuel) eintretende Arterie
ist nicht capillar. Sie löst sich erst nach ihrem Austritte aus dem
Knäuel in capillare Aestchen auf. In das Malpighi'sche Körperchen
eingetreten, theilt sich die Arterie mehrmal in kleinere Zweigchen,
welche sich wieder zu einem einfachen austretenden Stämmchen
vereinigen. Das Zerfallen einer Arterie (gross oder klein) in Aeste,
und das Wiedervereinigen der Aeste zu einem einfachen Stämmchen,
nennt man: bipolares Wund er netz, ein Name, welcher schon
von Galen fiir Geflechte grösserer Arterien an der Gehirnbasis
gewisser Säugethiere gebraucht wurde (StxToeTSe? wXijYiJLa). Die Mal-
pighi'schen Körperchen sind also wahre Wundemetze, aber nicht
in der Fläche liegend, sondern aufgeknäuelt. — Das austretende
Geföss eines Knäuels hat ein kleineres Kaliber als das eintretende, —
ein Umstand, welcher den Gedanken anregt, dass in Folge der Blut-
stauung im Knäuel, welche durch die Ungleichheit des Zufuhrs-
und Abzugsweges gegeben ist, der wässerige Bestandtheil des Blutes
durch die Wände der Knäuelgefösse durchgepresst wird, das Blut
in den Knäuelgefassen somit an Quantum verliert und an Consistenz
gewinnt, d. h. eingedickt wird.
Lndwig meint, dass das austretende Gefilss eines injicirten Knäuels nur
deshalb enger als das eintretende erscheine, weil der Injectionsdruck stärker auf
das eintretende als auf das austretende wirkt. Ich kann er^Hldemd nur anführen,
dass, wenn diese Meinung berechtigt wäre, das austretende Gefass eines Knäuels
um so enger erscheinen müsste, je zahlreicher die Theilungen und Auf knftuelungen
des eintretenden Qefässes sind, und umgekehrt. Aber gerade bei beschuppten
Amphibien, deren kleine Knäuel nur wenig Krümmungen aufweisen (wie bei
Testudo, Coluber, Pseudopus) ist der Dickenunterschied des austretenden
Gefässes zum eintretenden sehr auffallend, so wie gegentheilig, bei nackten Am-
phibien, deren Knäuel gross und sehr verschlungen sind, der Unterschied weniger
in die Augen fällt.
Weder grössere, noch kleinere Zweige der Arteria reruUis treten je mit
einander in anastomotische Verbindung. Jedem Aste der Nierenarterie entspricht
somit ein, nur von ihm allein versoi'gter Bezirk der Rindensubstanz. Die Venen
fügen sich dieser Regel nicht. Die in den Coluninae Bertini verlaufenden grösseren
Stämme derselben, bilden um die Malp ig hinsehen Pyramiden hemm kranz-
förmige Anastomosen. — Die in den Wänden des Nierenbeckens und der Nieren-
kelche sich verzweigenden Arterien, bilden keine Knäuel.
2. Capillarge&ssnetze der Niere.
Erst die aus den Knäueln herausgetretenen Arterien werden
capillar, und bilden in der Rindensubstanz der Niere durch Ana-
stomosen Netze^ in welchen die Malpighi'Boken Knftuei wie
744 S* S^- MiherM ftber Einzelnheiten der Nierenanatomie.
gesprengt liegen, und durch deren Maschen sich die in der Rinde
vorfindlichen Ilarnkanälchen hindurchwinden. Aus diesen (^apillar-
gefassnetzen gehen lange und unverästelte Zweige hervor, welche
in die Malpighi'schen Pyramiden eindringen, zwischen den Tubuli
Belliniam gegen die Papilla renalis verlaufen, und während dieses
Laufes, oder erst am Ende desselben (in der Papilla selbst) schlingen-
fiirmig in einander übergehen. Diese Schlingen sind überaus zahl-
reich. Sie ähneln an Zahl und Form den im vorhergehenden Para-
graphe erwähnten Alisas Ilenlei, Nur diese Aehnlichkeit habe
ich in meiner Abhandlung (Ueber Injection der Wirbelthierniere,
Sitzungsberichte der kais. Akad. 1863) erwähnt. Es fiel mir nicht
ein, Henle eine Verwechselung dieser Gefassschlingen mit den von
ihm entdeckten Schlingen zuzumuthen, wie mich Jene beschuldigen,
welche meine Schrift nur oberflächlich oder gar nicht gelesen haben.
Die Venen des Nierenparenchyms ergiessen sich in grössere Venenstämme,
welche die Basen der Nierenpyramiden kranzartig umgeben (Arnvi venosij. Die^c
Arcus sammeln das Blut aus der Cortical- und Marksubstanz. Die kleinen Venen
der Corticalsubstanz verbinden sich sternförmig zu grösseren Stämmchen. Die
sternförmigen Venen6g^ren, welche man in ihrer natürlichen Blutfüllung an der
Oberfläche der Corticalsubstanz wahrnimmt, sind die sogenannten SteUuhe Ver-
het/enii, — Ueber die Venen der Niere handelt ausführlich Lenhossek, im Archiv
für path. Anat 08. Bd.
3. Kapseln der Malpighi'schen Körperchen, und Harn-
kanälchen.
Die häutige Kapsel, von welcher jedes Malpighi'sche Körper-
chen umschlossen wird, hat zwei OefFnungen, eine für die ein- und
austretenden Blutgefösse des Malpighi'schen Kcirperchens; — eine
zweite, der ersten gegenüber stehende, als Beginn des Ilarnkanälchens.
Die Kapsel besteht aus structurloser oder undeutlich gefaserter
.Wand, mit Pflasterepithel. Sie umschliesst das in ihr liegende
Malpighi'sche Körperchen ziemlich lose. Ob die Ilarnkanälchen
der Rindensubstanz nur mit Einer, oder mit mehreren Knäuelkapseln
in Zusammenhang stehen,^ ist noch unentschieden.
Liegt der Malpighi'sche Gefassknäuel nackt in der Kapsel, oder erhält
er einen Ueberzug von ihr? Es fehlt nicht an Autoritäten, welche in der Kaj>sel
der Malpighi'schen Köq>erchen nur Eine Oetfnung, jene des beginnenden Harn-
kanälchens annehmen, und sich das Verhältniss der Kapsel zum Kürperehen so
vorstellen, wie jenes der serösen Häute zu den von ihnen umschlossenen (Organen,
d. h. sie lassen die Kapsel durch das Malpigh lösche Krirperchen eingestülpt
sein, und letzteres somit nicht frei in der Höhle der Kapsel liegen, sondern von
dem eingestülpten Antheil der Kapselwand überzogen werden. Ich kann dieser
Ansicht nicht beipflichten, weil sie eben nur eine Ansicht ist. Nicht die Kapsel,
wohl aber ihr Epithel setzt sich auf die Oberfläche des Malpighi'schen Körper-
chens fort. Es wäre der Ausscheidung von Blutserum aus den Malpighi'schen
Knäueln in die Höhle der Kapsel, wahrlich nicht geholfen, wenn die Knäuel, der
eben gerügten Vorstellung nach, ausser der Kapsel lägen. Die Kapsel verwächst
§. 294. Niheret Aber Einzelnlieiten der Nierenanatomie. 745
vielmehr an der Eintrittsstelle der Arterie des Malpighi^schen Körperchens mit
dieser Arterie, ohne sich auf das Körperchen umzustülpen, welches somit frei in
der Höhle der Kapsel liegt.
4. Harnkanälchen.
Vom Urspnmge eines Harnkauälchens aus der Kapsel des
Malpighi'schen Körperchens, bis zur Mündung desselben an der
Papula renalis, lassen sich an ihm vier Abtheilungen unterscheiden.
1. der Tvbvlus contortua in der Rinde, 2. die Aiua Herdei in der
Malpighi'schen Pyramide, 3. das geschlungene Verlaufsstück des
rückläufigen Schenkels der Ansa in der Rinde, und 4. der gerad-
linige Tvhvlus Bdiinianus in der Pyramide. — Die Harnkanälchen
bestehen, in allen diesen vier Kategorien aus structurloser Wand
und Epithel. Das Epithel ändert sich aber nach dem Kaliber der
Kanälchen, an den verschiedenen Abschnitten derselben. So findet
sich in den, 0,02 Linien weiten Tubuli contorti ein, dieselben fast
ganz ausfüllendes Epithel aus Pflasterzellen, mit feinkörnigem, den Kern
verdeckendem Inhalt; — in den engen Ansäe Henlei (0,008 Linien),
ein Epithel aus hellen ovalen Zellen, welche aber in dem auf-
steigenden, sich etwas erweiternden Schenkel der Ansäe, wieder
feinkörnigen Inhalt führen. In den stärkeren Tubuli Bdliniani findet
sich Cylinderepithel, — in den feineren, und in den geschlängelten
Verbindungsge&ssen derselben mit den Ansäe Henlei helles Pflaster-
epithel.
Diese Structurverschiedenheiten verschiedener Abschnitte der Harnkanäl-
chen, lassen auch auf einen verschiedenen Antheil derselben an der Harnbereitung
schliessen. Worin dieser Antheil bestehe, kann zur Zeit Niemand sagen. Ebenso
verschieden sind die pathologischen Zustände der Bell in loschen und He nl ersehen
Harnkanälchen. Der Hamsäure-Infarct beschränkt sich nur auf erstere, — die
Incnistation mit Kalksalzen und die Fettinfiltration, nur auf letztere.
5. Vorgang der Harnbereitung.
Wenn die gewundenen Arterien eines Malpighi'schen Kör-
perchens, zufolge des in ihnen gesteigerten Blutdruckes den wässe
rigen Blutbestandtheil (Serum) durchsickern lassen, so muss dieser
von der Kapsel, welche das Körperchen umgiebt, aufgefangen
werden, und da die Kapsel sich in ein Harnkanälchen fortsetzt,
so wird er sofort in letzteres einströmen. Die gewundenen Harn-
kanälchen sind aber in der Rindensubstanz der Niere mit den
Maschen der Capillargefässe in innigem Contact; und ebenso stehen
auch die Fortsetzungen der gewundenen Harnkanälchen als Ansäe
Henlei, und die geradlinigen Harnkanälchen (Tabuli Bdliniani) in
der Substanz der Nierenpyramiden, mit langgestreckten Gefilss-
schlingen, welche mit dem Capillargefässnetz der Rindensubstanz
zusammenhängen, in allseitiger Berührong. Dm CapillargefiUsnets
der Rindensubstanz, und die mit il
746
FT WnHliihciMa »n infrsnHittat*.
in den Pyramiden, führen aber eingedicktes Blut, weil sie jenseits
der Oeßlseknäuel der RiudenBubatanz liegen. Dieses eingedickte Blut
enthält die stickstoffreichen , zur Ausscheidung beBtiinmten Zer-
setzungsproducto der Gewebe , während die HarnkanUlchen blos
Blutwasser führen. Wenn nun zwei chemisch verschiedene Flüssig-
keiten dui'ch eine thierischc Haut (hier die äasserst dünnen Wan-
dungen der Harnkanälchen und der CapUlargeJUsse) von einander
getrennt sind, so geschieht, durch die trennende Wand hindurch,
ein wechselseitiger Austausch ihrer Bestandthcile, in Folge dessen
das Serum der Harnkanälchen, durch Aufnahme der auszuscheiden-
den, stiekstoffigen Bestandthcile des Blutes, unter welchen der Harn-
stoff und die Harnsäure die wichtigsten sind, zu Harn wird.
Dieies Wenige mag genügen, um dem AnfUn^r beiläufig eine Idoe vom
Herg&nge der Hsmbereituiig xn geben, and en ihm TerstXndlii^li zn machen,
witnim die Nieren, welcbe dieser Darsteünng zufolge Reinigungsnrgane des Blntoi
von nnbrftocliharen, ja hJJchst schldlichen Auswurf astoffen sind, so nahe an dem
Ilanptfltamnie des Artarions/BtemB liegen, to grosse Schlagadern erhalten, und eins
grössere Mungti AbsondBrnngsflUaBigkoit liefern, als die um so viel umfang-
reichere JLelter.
Die Schlingen der HamkauNIchen in den Pyramiden der Nieren, wurden
durch Henle entdeckt (Zur Anatomie der Nieren, GHtt., 1862), Henle war aber
der Meinung, daas »eine Sulilingun mit den Tu/iuli Beüiniani nicht lusamroen-
bflngen, sondern, wie ihr absteigender Schenkel aus dem Tiihutiu cotUoriut einet
Bowman'sohen Ka[iscl hervorgeht, so auch ihr rückläufiger Schi'nkel auf dieselbe
Weise mit einer Dowman'scben Kai>ael xusanimenhSngt. Henle nahm also die
Schlii^on als ein ftir sich bestehendes, besonderes Kanalsystem iii der Miere,
welches, xum Gegensatz des an der Nierenwarze uffenen Systems der TulmU
BeUiniani, als geschlossenes Kanalsystem zu betrachten sei. Eine Unsahl TOn
Spedalabhandlimgen Über diesen Gegenstand, hat es nun, mit mehr weniger Be-
weiskraft dargelegt, dnes d>9 von Hente als nnatomisch eelbststfindig aufgefasste
System der narnkanSlchen, mit dem Be lliiiiani'schen Kanalsystem ein Ca n-
ünuiim bildet.
Der Harnweg wurde durch Henle's Entdeckung nur um ein anselmlicbes
Einschubstttck (Schlingen in den Pyramiden) verlängert, — die oben gegebene
Eikliining der UamsecretJon bleibt demnach dieselbe. Interessant ist, dass auch
Ludwig, welcher vor Uenle, eine Detailarbeit über die Anatomie der Nieren im
Handwörlerlmch der Physiologie lieferte, und daselbst von „nniShligcn" Unter-
suchungen spricht, die Schlingen der Harngetilsse in den Pyramiden nicht gesehen
hat, gleichwohl aber als einer der ersten gegen das Abgeschloseensein der Henle-
sc^en Schlingenge Pisse anfatand. Was von dieser Seite gegen die Henle'iobe
Ansicht vorgebracht wurde, hat ihr wenig Eintrag getlian. Schemaäsche Zeich-
nungen lassen sich ja auch erfinden, und sind deshalb nicht beweiskrüftig. Hit
stirkeren Waffen haben Roth, Hertz, Kollmann, Steudener und Schweig-
ger-Seidel gestritten. Denn es gab nnr Einen Weg, die Frage zu schlichton,
und dieser war die (^Unng der Bowman'schen Kapseln vom Ureter aas, bei
welcher Füllung die Injectiunsmaese durch die Tiiliuli lieliintani in die Aniae
Renlei, von diesen in die Tubiäi amtorCi, und so fort in die Kapseln der Mal-
pighi'ichen Kürperchen gelrieben werden miiaste, um die Cnntinuilit diese«
Ungen Weges sicbenniatellen. Dieses Kunststück gelang Schweigger-Seidel
an du Niere einea fDnfmooatlicben Embiyo. Mir ist «i nicht gelungen.
§. »96. l^ebennieren. 747
6. Intermediäre Nierensubstanz.
Ausser Blut- und Harngefössen besitzt die Niere noch eine
eigenthümliche, zwischen den Blut- und Harngefässen eingelagerte,
und diese verbindende, intermediäre Substanz. Blut- und Harn-
gefässe allein könnten dem Nierenparenchym nicht jene Derbheit
verleihen, welche ihm thatsächlich zukommt. Bowman nennt die
Zwischensubstanz ein granulirtes Blastem, Toynbee lässt sie
aus Zellen bestehen. Wir betrachten sie als ein mehr weniger homo-
genes Bindegewebe, dessen fibrillärer Zerfall besonders in der Nähe
der Gefässwandungen deutlich hervortritt. Organische Muskelfasern
wurden in ihm, entlang den Blutgefässen, nachgewiesen. Blattartige
Ausbreitungen dieser Bindegewebssubstanz sollen ferner lappen-
förmige Abtheilungen des Nierenparenchyms umschliessen, und um
sie herum förmliche Kammern bilden, welche mit den Saugadem
in oflFener Verbindung stehen.
§. 295. Ifebeimiereii.
Nebennieren oder Obernieren, Renes succenturiati, Glan-
dvlae mprareiicdes 8. Capsvlae atrabiliariae, nennt man zwei, dreiseitige,
flache, gelbbraune, drüsige Organe ohne Ausfuhrungsgang, welche
mit einer concaven Fläche am oberen Ende der Nieren aufsitzen,
ohne mit ihnen in directem Gefassverkehr zu stehen. Ihre hintere
convexe Fläche liegt auf der Pars lumbalis diaphragmaiis ; die vor-
dere, mehr geebnete Fläche der rechten Nebenniere berührt die
Leber, jene der linken den Magengrund. Beide Flächen sind ge-
furcht. An der vorderen Fläche findet sich, nahe der Basis, ein
tiefer Einschnitt, Haus, durch welchen die Hauptvene des Organs
und grössere Lymphgef&ssstämme hervortreten. Die Arterien benützen
wohl den Hilus als Eintrittspforte, treten aber auch von anderen
Seiten her in die Drüse ein.
Die Nebenniere besitzt eine fibröse Umhüllungshaut, und inner-
halb derselben eine derbere Rinden- und eine weichere, wie
schwammige Marksubstanz. Von der Umhüllungshaut dringen
Faserzüge in die Rindensubstanz ein, um sie fächerig abzutheilen.
Die einzelnen Fächer erscheinen bei mikroskopischer Untersuchung
mit Zellen gefüllt, welche sich der Länge nach aneinander reihen.
Die mittleren Zellen einer Reihe verschmelzen zu länglichen
Schläuchen, während die an den Endpunkten einer Reihe liegenden
isolirt bleiben. Die Zellen beherbergen nur einen Kern; die Schläuche
mehrere — bis zwanzig. Was das für Zellen sind, weiss man bis
jetzt noch nicht. Sie haben deshalb auch nooh keinen Namen er-
halten. — Die Marksubstanz beflelit f»« weiten
748 § 296. HftrnblaM.
Capillargefiissen und lockerem Bindegewebe, in welchem dreierlei
Formen von Zellen lagern : 1. kernführende Zellen, von cylindrischer
oder prismatischer Gestalt, jenen in der Corticalsubstanz ähnlich,
und eben so namenlos wie diese. 2. Wahre kleine Ganglienzellen,
aber ohne Aeste, also insular. 3. Wahre grosse Ganglienzellen mit
verästelten Fortsätzen. 1. und 2. sind weitaus zahlreicher vorhanden
als 3. Die Fortsätze der grossen Ganglienzellen haben mehrere
Autoren mit den Primitivfasern der in der Nebenniere sehr zahl-
reichen Nervengeflechte im Zusammenhang stehen gesehen. Es
wurde deshalb die Nebenniere bereits als Nervendrüse classificirt.
Was mit diesem Worte gesagt sein soll, wissen wir ebensowenig
als Jene, welche es erfunden haben.
Die unbekannte Function der Nebennieren sichert dieses Organ vor lästigen
Nachfragen in der • Heilwissenschaft. Die nach Addison^s Beobachtungen bei
Erkrankung der Nebennieren vorkommende livide Färbung der Haut, mag wohl
einen nicht in der Nebenniere zu suchenden Grund haben. Wir haben beide
Nebennieren durch Krebs desorganisirt gesehen, ohne livide Hautfarbe. Dass sie
bei Acephalen fehlen, wurde durch Bischoffs Erfahrungen widerlegt. Ange-
bome abnorme Lagenmg der Nieren bedingt keine entsprechende Lageverändenuig
der Nebennieren. — In den Erstlingsperioden der Entwicklung der Hamwerkzeuge
sind die Nebennieren selbst zweimal grösser, als die Nieren; im Erwachsenen
beträgt ihr Gewicht nur ein Viertel Loth. — Wenn man die Nebenniere zwischen
den Fingern knetet, und die ohnedies weiche Marksubstanz ganz zerquetscht, so
kann man die letztere durch einen Stich in die derbere Rindensubstanz als Brei
fatra hilü der Alten) herausdrUcken, worauf die Rindensubstanz als leere Schale
zurückbleibt. Dies veranlasste die Benennung der Nebenniere, als Capsula atra-
hüiaria. Kleine, hirse- bis hanfkomgrosse Körperchen in der Nähe des Hilus
der Nebenniere, und von gleicher Structur mit dieser, sind wahre Nebenneben-
nieren, Benunctdi »uccenturiati. Die Nebennieren der Schlangen haben eine Pfort-
ader, wie die Leber.
£u stach ins entdeckte diese Drüsen, und beschrieb sie in seinem Libelbts
de renihuSf Venet,, 1563, Den Namen Renes siiccenturiati legte ihnen Casscrius
bei. Spigelius wusste nicht mehr von ihrer Verrichtung, als wir heut zu
Tage wissen. Ut aliquid dixiase videatur, sagt er treuherzig, /actae hhiü ad im-
plendum vaaium, quod inier renes ei diaphragma iiüeralat (De corp. hum. fahr,
lib, VIII. cap, 15).
§. 296. Harnblase.
Die Harnwerkzeuge besitzen in der Harnblase, Vesica uri-
naria 8. Urocfiatis (von t6 supsv, Harn), einen häutig muskulösen
Behälter, in welchem der Harn, welcher fortwährend durch die
Ureteren zufliesst, aufbewahrt wird, um nicht ununterbrochen ab-
zuträufeln.
Thiere, deren Harn so reich an harnsauren Salzen ist, dass bei längerem
Verweilen in einer Blase, Sedimentining derselben eintreten, und Harnsteine gebildet
§. S96. Harnblase. 749
werden müssten, besitzen keine Harnblase, sondern die Ureteren münden in das
als Cloake benannte untere Mastdarmende (Amphibien, Vögel).
Die Harnblase hat eine ovale Gestalt, mit stärkerer Wölbung
der hinteren, als der vorderen Wand. Sie liegt hinter der Sym-
physis ossium pubis, über deren oberen Rand sie sich im vollen
Zustande erhebt, und den Punctionsinstrumenten zugänglich wird.
Nach hinten grenzt sie an das Rectum beim Manne, an die Gebär-
mutter beim Weibe, und besitzt deshalb in letzterem Geschlechte
von vorn nach hinten weniger Tiefe, was aber durch ihre grössere
Seitenausdehnung so reichlich compensirt wird, dass die weibliche
Harnblase die männliche überhaupt an Geräumigkeit übertrifft. Die
Weiber uriniren aber nicht aus diesem Gininde allein seltener als
die Männer, sondern auch deshalb, weil vieles Trinken nur eine
männliche Tugend ist.
Der Scheitel der Blase hängt durch das Ligamentum vesico-
umbilicale medium, welches der obsolet gewordene embryonische
Urachus ist, mit dem Nabel zusammen. Verlängerungen der Längs-
muskelfasern der Blase, setzen sich in dieses Band fort. — Auf
den Scheitel folgt der Körper der Blase, und auf diesen der
breiteste Theil oder Grund, welcher beim Manne auf dem Mittel-
fleische und einem Theil der vorderen Mastdarmwand aufruht, beim
Weibe dagegen auf der vorderen Wand der Mutterscheide. Die
Seitenwände der Blase werden durch die Ligamenta vesico-umbüi-
calia lateralia (obliterirte Nabelarterien) mit dem Nabel verbunden.
Aus Lnschka*s Untersuchungen über die Reste des embryonischen Ura-
chus im Erwachsenen (Archiv fQr path. Anat. Bd. XXIII), hat sich ergeben, dass
der Urachus nicht immer zu einem soliden Bindegewebsstrang eingeht, sondern,
wenigstens theilweise, seinen ursprünglichen Charakter als Hohlgang beibehält.
Es erstreckt sich nämlich zuweilen eine röhrenartige Verlängerung der Blasen-
schleimhaut in seiner Axe mehr weniger weit gegen den Nabel hinauf. Diese
Verlängerung kann sich von der Blasenhöhle abschnüren, durch Verwachsung
ihres Anfangsstückes am Blasenscheitel. Ihr Verlauf gegen den Nabel kann Win.
düngen bilden, und durch grössere oder kleinere Ausbuchtungen knotig er-
scheinen. Die Ausbuchtungen können auch durch Abschnürung zu selbstständigen
Cysten werden.
Jenen Theil des Blasengprundes , von welchem die Harnröhre abgeht,
Blasenhals (Collum vesicae), zu nennen, ist wohl üblich, aber unpassend. Ebenso
unrichtig ist es, diesem Blasenhalse eine trichterförmige Gestalt zuzuschreiben,
deren weites Ende gegen die Blase sieht, deren engeres Ende in die Harnröhre
fortläuft. Keine anatomische Autopsie rechtfertigt diese Annahme, welcher nur von
den Chirurgen gehuldigt wird. Man sieht an aufgeblasenen und getrockneten
Harnblasen, die Harnröhre immer nur mit einer scharf gerandeten, nicht trichter-
förmig gestalteten Oeffhung beginnen, und wenn man den Terminus eines Blasen-
halses schon nicht aufgeben will, so kann nur der erste Abschnitt der Harn-
röhre, welcher von der Prostata umwachsen ist (Pars proataUca urethrae), mit
diesem Namen bezeichnet werden.
750 S* S96. HurnblMe.
Man unterscheidet an der Blase^ von aussen nach innen gehend,
folgende Schichten:
1. Einen nur an ihrem Scheitel, an der hinteren und an der
seitlichen Wandung vorhandenen Bauchfellüberzug.
2. Eine aus Längen- und Ringfasern bestehende organische
Muskelhaut, deren Längenfasern als Detitisor urinae benannt werden,
und deren Kreisfasem um die Blasenöffhung der Urethra herum
den SpMncter vedcae bilden.
3. Ein submucöses Bindegewebe, mit elastischen Fasern reich-
lich gemischt, und
4. eine Schleimhaut, welche im leeren Zustande unregelmässige
Falten bildet, und besonders gegen den Blasenhals hin, zahlreiche
kleine Schleimdrüschen enthält. Ein mehrschichtiges Epithel, die
Mitte haltend zwischen Pflaster- und Cylinderepithol, überzieht die
Schleimhaut der Harnblase.
Am Blasengrunde münden die Ureteren in die Blase ein, mit
spaltförmigen Oeffnungen, welche ohngefilhr anderthalb Zoll von
einander entfernt liegen, und mit dem Anfange der Harnröhre, die
Ecken eines gleichschenkeligen Dreieckes darstellen (Trigonum
limtavdvi), an welchem die Muskulatur der Harnblase stärker ent-
wickelt ist, und die einzelnen Bündel derselben dichter zusammen-
gedrängt sind, als sonst wo. Jos. Lieutaud, Professor in Aix,
beschrieb dieses Gebilde, welches schon lange vor ihm bekannt
war, und den gesammtcn Blasengrund, sehr ausführlich in den
M4moires der Pariser Akademie, 1753. — Die Schleimhaut des Tri-
gonum, welcher man eine grosse Empfindlichkeit zuschreibt, hängt
an der unterliegenden Muskelschicht so fest an, dass sie sich bei
entleerter Blase daselbst nicht in Falten legt. Die gegen die Harn-
röhrenöffnung gerichtete, etwas aufgewulstete und abgerundete Spitze
des Trigofium Lieutaudü, heisst bei französischen Autoren luette visi-
ccUe (Uvula vesicae). An den Seitenrändern des Trigonum sieht
man gerade Muskelbündel vom hinteren Rande der Voi*steherdrüse
zur Einmündung der Ureteren ziehen. Diese Muskelbündel haben
die Bestimmung, auch bei voller Blase die Mündungen der Ure-
teren klaffend zu erhalten, und dadurch das Einströmen neuer Ab-
souderungsquantitäten des Harns möglich zu machen.
Ueber die Befestii^^bänder der Blase siehe §. 323.
In morphologischer und anatomischer Beziehung lehrreich sind Barkow^s
Untersuchungen Aber die Harnblase des Menschen. Breslau, 1858, fol. mit
13 Tafeln.
§. 297. Praktische Bemerkongen ftber die HurnbUse. 751
§. 297. Praktisclie Bemerkimgen über die Harnblase.
Die Lage der Harnblase genau zu kennen, ist für den Chirur-
gen von hoher Wichtigkeit. Man kann sich von ihren Beziehungen
zu den iibrigen Beckeneingeweiden nur dadurch eine richtige Idee
bilden, wenn man sie nicht, wie gewöhnlich in den Secirsälen ge-
schieht, aus der Beckenhöhle sammt den Geschlechtstheilen heraus-
nimmt, und im aufgeblasenen Zustande studirt, sondern an dem
Becken einer Leiche ein Ob innominatam so entfernt, dass die
Symphysis pvbis ganz bleibt. Man hat sich dadurch die Beckenhöhle
seitlich geöffnet, und sieht die Harnblase im Profil. — Ist die Blase
leer, so liegt sie, klein und zusammengezogen, genau hinter der
Symphysis, und ein Theil des Heum lagert sich zwischen sie und
das Rectum in die ExcavcUio recto-vesiccdis. Wird sie aufgeblasen,
so nimmt sie den Raum des kleinen Beckens so sehr in Anspruch,
dass sie in denselben fest eingepflanzt erscheint, und die Schlingen
des Ileum in die grosse Beckenhöhle hinaufgedrängt werden. Man
bemerkt zugleich, dass sie nicht vollkommen senkrecht steht, sondern
mit ihrem Scheitel etwas nach rechts abweicht, wegen linkseitiger
Lage des Mastdarms.
Von jener Stelle an, wo das Peritoneum die hintere Blasen-
wand verlässt, um stth foinna der Plica Dougladi zum Mastdarm zu
treten, bis zum Blasenhals herab, erstreckt sich der Fu7idus vesicae,
welcher auf dem Rectum aufliegt, und seitwärts durch laxes Binde-
gewebe mit den Samenbläschen verbunden ist. Der in den Mastdarm
eingeführte Finger erreicht leicht die Mitte des Blasengnmdes, und
kann ihn empordrängen. Die Exploration eines Blasensteines, und
die Möglichkeit eines Recto-Vesicalschnittes, um ihn auszuziehen,
beruhen auf diesem anatomischen Verhältnisse. — Der Fundus
vesicae steht bei voller Blase tiefer, als bei leerer, nähert sich somit
der Ebene des Mittelfleisches, und es soll deshalb, wenn ein Stein-
schnitt durch das Mittelfleisch ausgeführt werden muss, eine Injec-
tion der Blase vorausgeschickt werden. — Der Scheitel der Blase
ragt im gefüllten Zustande, besonders bei Kindern, stark über die
Symphyse hinaus. Demgemäss wäre bei Kindern die Eröffnung
der Blase über der Symphysis (Sectio hypogastrica), um so mehr
dem Perinealschnitte vorzuziehen, als der Fundus der kindlichen
Blase, wegen Enge des Beckens, weit weniger entwickelt ist, und
das Peritoneum weiter an ihm herabgeht als bei Erwachsenen, wo-
durch eine Verletzung der Excavatio recto-vesicaiis nur schwer ver-
mieden werden könnte. — Im weiblichen Geschlechte überzieht das
Peritoneum einen kleineren Theil der hinteren Blasenfläche als beim
Manne, indem es bald an die vordere Gebärmutterwand übertritt.
752 8. 298. Harnröhre.
Drängt sich durch pathologische Bedingungen die Schleimhaut
aus dem Gitter der Muskelbündel beutelähnlich heraus, so entstehen
die Dioerticida vesicae urinariae, welche nie am Grunde, sondern an
der Seite der Blase vorkommen. Bilden sich Harnsteine in diesen
Divertikeln, was um so leichter geschehen kann, als die Diverticula
einer Muskelhaut entbehren, und der in ihnen befindliche Harn bei
längerem Verweilen daselbst Niederschläge ablagert, so heissen
diese Harnsteine eingesackt. Eingesackte Steine sind von an-
gewachsenen zu unterscheiden. Unter letzteren versteht man
solche, welche entweder durch Exsudate an die innere Oberfläche
der Harnblase geheftet, oder durch Wucherungen derselben um-
schlossen und festgehalten werden. — Durch Hypertrophie der
Muskelbünde] der Blase, welche ein gewöhnlicher Begleiter chroni-
scher Blasenentzündung ist, und in seltenen Fällen bis zur Dicke
eines halben Zolles sich entwickeln kann, entsteht die sogenannte
Vessie ä colonnes.
Grösse nnd Capacität der Harnblase variiren so sehr, dass vienindzwanzig
Unzen nur als beUänfiges Maass ihres Inhalts angenommen werden können. Bei
Harnverhaltungen kann sich die Blase bis zum Nabel, und darfiber ausdehnen. —
Die Ursache, warum die Ureteren sich in den Grund der Blase, und nicht in den
Scheitel einmünden, liegt darin, dass in letzterem Falle die Ureteren bei der Zu-
sammenziehung der Blase eine Zerrung hätten erleiden müssen, welche bei ihrer
Einmündung am Grunde der Blase gar nie vorkommen kann.
§. 298. Harnröhre.
Die Harnröhre, ist nicht Urethra, sondern Urethra zu sprechen,
da sie bei Aristoteles oupiiJOpa heisst, von cup^w, pissen; — Celsus
nennt sie Fistula urinaria. Sie stellt den Ausführungsgang der Harn-
blase dar. Im Manne dient sie zugleich als Entleerungsweg des
Samens; — im Weibe gehört sie nur dem uropoctischen Systeme
an. Die männliche und weibliche Harnröhre unterscheiden sich in
so vielen Punkten, dass beide eine besondere Schilderung erfordern.
a) Männliche Harnröhre.
Die männliche Harnröhre stellt einen sechs bis sieben Zoll
langen Schlauch dar, welcher einen so hohen Grad von Ausdehn-
barkeit besitzt (bis*auf vier Linien Durchmesser), dass er die Ein-
führung der dicksten Instrumente zur Steinzertrümmerung gestattet.
Stellt man sich das männliche Glied in Erection vor, so beschreibt
die Harnröhre, von ihrem Beginne am Orißcium ve»ic(de, bis zu ihrer
äusseren Mündung an der Eichel (Orißcium cutaneum), einen nach
unten convexen Bogen, dessen Centrum in der Sehamfugc liegt.
§. 298. Harnröhre. 753
Denkt man sich nun das Glied in ErschlaflFong übergehen, und
herabhängen, so muss zu dieser Krümmung noch eine zweite, nach
oben convexe, hinzukommen, und zwar an jener Stelle der Harn-
röhre, an welcher der dem Gliede angehörige, und mit ihm be-
wegliche Theil der Harnröhre, mit dem im Mittelfleische liegenden,
und mannigfach fixirten Theile zusammenstösst. Die Verlaufs-
richtung der Harnröhre bei erschlafftem Gliede, ist somit S-förmig.
Die erste, d. h. die der Blase nächste Krümmung des S, liegt
hinter dem Schambogen, als Curvatura postpubica, und kehrt ihre
Concavität nach vorn. Die zweite Krümmung liegt unter dem
Schambogen, als Curvatura mbpvhica, ist viel schärfer als die erste,
und nach unten concav. Sie ist eigentlich mehr eine Knickung,
als eine Krümmung. Durch Aufheben des Gliedes gegen die
Bauchwand kann diese zweite Kiiimmung der Harnröhre aus-
geglichen werden, wie es bei der Einführung eines Katheters in die
Harnblase jedesmal geschieht.
Man bringt die ganze Länge der Harnröhre in drei Abschnitte,
welche sind: 1. die Pars prostatica (Blasenhals), 2. der hthmua 8.
Pars membranacea (häutiger Theil der Harnröhre, auch Harnröhren-
enge), 3. die Pars cavemosa (Gliedtheil der Harnröhre).
1. Die Pars prostatica durchbohrt bei Individuen mittleren
Alters die Vorsteherdrüse nicht in ihrer Axe, sondern in der Regel
der vorderen Fläche näher als der hinteren, und liegt oft genug nur
in einer Furche der vorderen Fläche der Drüse. Die Schleimhaut,
welche sie auskleidet, bildet an ihrer hinteren Wand eine longi-
tudinale, acht Linien lange Falte, den sogenannten Schnepfen-
kopf (Caput galUnaginis, bei Eustachius Caput galUnaceum, oder
Colliculus sendnalis, seltener auch Caruncula urethras BavJdni, Veru
montanum, Crista urethrae). Das von der Harnblase abgekehrte
Ende der Falte intumescirt zu einem rundlichen Hügel, welcher
sich zum schmalen Theile der Falte, wie der runde Kopf einer
Schnepfe (Scolopax gallinago) zu seinem langen und dünnen Schnabel
verhält, — woher der curiose Name Caput galUnaginis stammt,
welchen Regnerus de Graaf {de virorum organis, Lugd., 1668)
zuerst gebrauchte. Auf der Höhe dieses rundlichen Hügels mündet
das schon von Morgagni gekannte, von H. Weber als Vmcuia
prostatica s. Sinus pocularis bezeichnete Schleimhautsäckchen aus,
welches einen in die Prostata mehr oder wenig«* tief eingelagerten
Blindsack von ohngefahr zwei bis drei Linien Länge darstellt. Die
Gestalt des Blindsackes ist phiolenförmig, was der Name Sinus
pocularis richtig ausdrückt. — Dicht am Rande der Oeffnung der
Vesicula prostatica münden rechts und links die beiden Ductus e/o-
culat(yrü in die Harnröhre ein, und seitwärts vom Schnepfenkopfe
Ujrtl, Lehrbuch der Atuitomie. 14. Aofl. 48
754 §. S9ft. HarnrAhre.
findet man die feinen und zahlreichen Oeffnungen der Ausführungs-
gänge der Prostata (§. 305).
Das Vera nwntanum verdient eine kleine Castigation. Es ist das un-
sinnigste Wort in der anatomischen Sprache. Veni ist ein Spiess, Wurf- aucli
Bratspiess bei Virgil, wie man denn auch die spitzzackige Siäura »agitUilU
des Schädeldaches, Sutura vemcuicUa nannte, in wörtlicher Uebersetzung von
Galen's oßsX'.a'irj (von oßsXo;, Spiess). Der Schnepfenkopf ist nun wahrlich kein
Spiess, und ein bergiger Spiess, wie das numtanum ausdrtickt, ist ein Ifnding.
(Trotzdem findet sich das Veru mmdanum AVich in Haller's Elein, i^hysiol. T. VII.
l. 27, §, 26),
2. Der Isthmus urethrae (Pars membranacea) ist nicht der engste,
aber der am wenigsten erweiterbare Theil der Harnröhre. Da er
weder von der Prostata (wie der Anfangstheil der Hamröhre), noch
von einem Schwellkörper (wie der Gliedtheil der Harnröhre) um-
geben wird, sondern blos aus Schleimhaut, aus einer dünnen Schichte
von organischen Kreismuskelfasern, und aus einem umhüllenden
Bindegewebe besteht, wird er auch allgemein häutiger Theil der
Harnröhre genannt. — Der Isthmus urethras bildet, zusammt der
Pars prostatica, die Ourvatura postpubica, deren Convexität gegen
das Mittelfleisch sieht, deren Concavität gegen den unteren Rand
der Schamfuge gerichtet ist, diesen aber nicht berührt, sondern fast
einen Zoll von ihm entfernt bleibt. — Das libröse Verschlussmittel
des Schambogens, welches durch die später zu schildernde Fascia
perinei propria gegeben ist, muss durch die Pars membranacea tire-
thrae pc^rforirt werden, damit diese an die Wurzel des Gliedes ge-
langen könne. Die Fascia perinei propna heisst nun, weil sie
gewissermassen die Urethra in der Ebene des Schambogens lixirt,
auch Ligam£7itum triangidare urethrae. Nach geschehener Durch-
bohrung der, die Ebene des Schambogens als Ligam^itum triangidare
ausfüllenden Fascia pennei propria, wird der weitere Verlauf der
Harnröhre zur:
3. Pars cavemosa urethrae. Sie führt ihren Namen von dem
Schwellkörper (Corpus caverjiosum urethrae), welcher sie umgiebt,
mit ihr zur Wurzel des Gliedes aufsteigt, und von da an sich mit
ihr in den hängenden Theil des Gliedes umbiegt, um sie bis zum
Orificium cutaneum zu begleiten. Dieser Schwellkörper hat dieselbe
Textur, wie die später zu erwähnenden beiden Schwellkörper des
Gliedes (Corpora cavemosa penis). Jenes Stück des Corpus caver-
nosum urethrae, welches mit der Harnröhre bis zur Wurzel des
Gliedschaftes aufsteigt, heisst, seiner Dicke wegen, Har n röhre n-
zwiebel, Bulbus urethrae. Das vom Bulbus umfasste Stück der
Harnröhre zeigt eine Ausbuchtung an ihrer unteren Wand. In
dieser Bucht münden die Ausführungsgänge der hinter dem Bulbus
gelegenen beiden Glandulae Cowpert. In derselben Vertiefung werden
§. 298. HArnrfthra. 755
auch unter besonderen ungünstigen Verhältnissen die Instrumente
aufgehalten, welche in die Harnblase geführt werden sollen. Sucht
man sie trotz des Hindernisses mit Gewalt weiterzustossen, so können
sie, nachdem sie die untere Wand der Harnröhre im Bulbus durch-
brochen haben, in das benachbarte Zellgewebe gelangen, und die
so gefürchteten falschen Wege in das Mittelfleisch bohren.
Die Schleimhaut der Pars cavemosa ist im leeren Zustande in
niedrige Längenfalten gelegt, welche eben die grosse Erweiterungs-
fahigkeit der Harnröhre bedingen. Zwischen diesen Falten finden
sich die, nur bei kranker Harnröhrenschleimhaut vorkommenden,
taschenartigen Vertiefungen der Schleimhaut, Lacunae Morgagni,
welche namentlich an der unteren Wand so tief werden können,
dass sie den Lauf eingeführter dünner Sonden aufzuhalten im Stande
sind. Die kleinen acinösen Drüschen der Pars cavemosa sind als
Glandvlae Littrianae bekannt. — Bevor die Harnröhre an der Eichel
mit einer, durch zwei seitliche Lippen begrenzten, senkrechten
Oeffnung mündet, senkt sich ihre untere Wand zur schiffförmi-
gen Grube ein (Fossa navicularis), in welcher die ersten Erscheinun-
gen der syphilitischen Harnröhrenentzündung (Tripper) auftreten.
Die Harnröhre besteht 1. aus einer, an elastischen Fasern
sehr reichen Schleimhaut, mit winzigen kegelförmigen Papillen,
besonders an der unteren Wand; 2. aus dem submucösen Binde-
gewebe, welches seines vernetzten Baues, und seines Reichthums
an Venen wegen, einem cavernösen Gewebe ähnlich sieht; 3. aus
einer Schichte organischer Kreis- und Längsmuskelfascrn , deren
Mächtigkeit in den verschiedenen Abschnitten der Harnröhre
wechselt, und 4. aus einer, die Harnröhre mit ihren nachbarlichen
Organen verbindenden fettlosen Bindegewebsschichte. — Das Epithel
der Harnröhre ist ein mehrfach geschichtetes. Jene, welche nicht
wissen, ob sie das Epithel Pflaster- oder Cylinderepithel nennen
sollen, weil die niedrigen, und gegen einander abgeplatteten Cylinder-
zellen, auch für Pflasterzellen angesehen werden können, haben
kluger Weise den Namen: Uebergangsepithel erfunden. Li der
Nähe der Fossa navicularis hat das Harnröhrenepithel den unver-
kennbaren Charakter eines geschichteten Pflasterepithels.
Die Längen der drei beschriebenen Abschnitte der Harnröhre
verhalten sich beiläuflg wie 1" : 1" : 4" oder 5". Die Pars pro-
statica membranacea und das im Bulbus enthaltene Anfangsstück der
Pars cavemosa, bilden zusammen die erste Krümmung der Harn-
röhre (von der Blase aus gerechnet), — die zweite Krümmung ge-
hört dem vor dem Bulbus befindlichen Theile der Pars cavemosa an.
Mündet die Harnröhre nicht an der Eichel, sondern an der unteren Flfiche
des Gliedes aus, so heisst dieser BUdnngsfehler Hjpospadie. Aasmündung der
Harnröhre auf der Bückenfläche des Gliedes (Anaspadie) kommt ungleich
48»
756 §. ^8. Harnröhre.
seltener, und in der Kegel nur mit anderen Bildungsabweichungen der Harnorgane
yergeselUchaftet vor.
Das zur Besichtigung der Lage der Harnblase benützte Präparat dient zu-
gleich zur Untersuchung des Verlaufes der Harnröhre, welche eine genaue Be-
kanntschaft mit den topographischen Verhältnissen des Mittelfleisches voraussetzt
(§. 321 — ä'25), und deshalb hier schon dasjenige nachzusehen ist, was später über
die Anatomie des Mittelfleisches gesagt wird. Erst wenn man mit dem Verlaufe
der Harnröhre in*s Klare gekommen ist, wird sie herausgenommen, ihre Pars
proftatica und memhranacea von oben gespalten, und der Schnitt bis zum Scheitel
der Harnblase verlängert. Die aufgeschlitzte Harnröhre und Harnblase werden
mit Nadeln auf einer Unterlage befestigt, um das CaptU gallinayinU mit der Mün-
dung der Vesicula pro»talica, 'die Oeffhungen der Ductus ejacfdcUorü und der
Prostatagänge, das Trigonum Lieutaudü, und die Insertionen der Harnleiter zu
sehen. Man bemerkt hiebei zuweilen, besonders bei Greisen, dass von dem gegen
die Harnblase gerichteten Ende des Caput gdlUnagmu, zwei halbmondförmige,
niedrige, symmetrisch gestellte Schleimhautfalten seitwärts auslaufen, welche ihre
Concavität nach vorn kehren. Sie können ein Hindemiss beim Katheterisircn ab-
geben. Ebenso trifft es sich, dass bei abnormer Vergrösserung der Prostata, ihr
mittlerer Lappen, die Schleimhaut des Blasenhalses in die Höhe hebt, imd einen
queren Vorsprung erzeugt welcher von Amussat (Becherches sur Vurhtre de
Vhomme et de la femtne, Ärch. gin. de mSd, tom, IV,) als Valvula pylorica vesicae
beschrieben wurde.
h) Weibliche Harnröhre.
Die weibliche Harnröhre ist nur anderthalb Zoll lang. Sie
kann durch ihre Lage und Structur nur dem häutigen Theile der
männlichen Harnröhre verglichen werden, ist aber weiter als dieser,
und lässt sich überdies bis auf sechs Linien Durchmesser und dar-
über ausdehnen. Instrumente sind deshalb leicht in sie einzufuhren,
und ziemlich grosse Blasenstcine können mit dem Strahle des Harns
(welcher bei Weibern ein dickerer ist, weshalb auch das Harnen
kürzer dauert), oder durch die Zange herausbefördert werden. Sie
hat eine schwach bogenförmige, nach oben concave, nach vorn und
unten abschüssige Richtung. Ihre Befestigung durch das Ligamentum
trianguläre urethrae ist dieselbe, wie beim Manne. Während ihres
ganzen Verlaufes steht sie mit der vorderen Wand der weiblichen
Scheide in so inniger Verbindung, dass sie nur mit grosser Behut-
samkeit von ihr lospräparirt werden kann. Ihre äussere Mündung
liegt in der Tiefe der Schamspalte, dicht über dem Scheidenein-
gange, und hat eine rundliche (i estalt mit etwas gewulstetem Rande,
welcher bei einiger Hebung im Untersuchen der äusseren Genitalien
des Weibes, leicht zu fühlen ist.
Wie gross die Erweiterungsf&higkeit der weiblichen Harnröhre ist, hat
mir ein Fall bewiesen, wo ein sieben Linien Querdurchmesser haltender Blasen-
stein, welchen ich aufbewahre, von selbst, ohne alle Kunsthilfe abging, und ein
zweiter, noch seltenerer, und vielleicht beispiellos, wo ein Frauenzimmer mit
§. 299. BiDth. d. OMeblecbiswerks. — §. 800. Hod« u. Neb«nhode. Sporraa a. SpermfttocoöD. 757
angeborener completer Airetia vof/inae, durch die Harnröhre, welche bei der
ärztlichen Untersnchnng der Geschlechtstheile den Zeigefinger leicht in die Blasen-
höhle gelangen Hess, oftmals begattet wnrde.
B. Geschlechtswerkzeuge.
§. 299. Eintheilung der öeschleclitswerkzeuge.
Die Geschlechts- oder Zeugungs-Organe, Organa sexualia
5. genitalia, bestehen aus denselben Abtheilungen, wie die Harn-
werkzeuge. Eine doppelte, den ZeugungsstofF secernirende Drüse
mit ihrem Ausführungsgange, ein Behälter zur Aufbewahrung und
Reifung desselben, und ein Ausführungsgang dieses Behälters, sind
ihre wesentlichen Bestandtheile. Ihre Bestimmung zielt nicht, wie
die aller übrigen Eingeweide, auf die Erhaltung des Individuums,
sondern auf die Fortpflanzung seiner Art hin. Ihre Eintheilung in
äussere, mittlere, und innere, lässt sich nicht auf beide Geschlechter
anwenden, da die den inneren weiblichen Genitalien entsprechenden
männlichen, ausserhalb der Bauchhöhle liegen. Besser ist die Ein-
theilung in eigentliche Zeugungs- und Begattungsorgane. Die
Zeugungsorgane bereiten die Zeugungsstoffe, die Begattungsorgane
vermitteln die durch die geschlechtliche Vereinigung zu Stande
kommende Befruchtung. Zeugungsorgane sind im männlichen Ge-
schlechte: die Hoden, die Samenleiter und die Samenbläschen; —
im Weibe: die Eierstöcke, die Eileiter, und die Gebärmutter; Be-
gattungsorgane im Manne: das Zeugungsglied; — im Weibe: die
Scheide und die äusseren Geschlechtstheile.
I. ]VEännliche G^eschlechteorgane.
§. 300. Hode und Nebenhode. Sperma und Spermatozoen.
Die Hoden, als Zeichen und Zeugen der Mannheit, heissen
Testes, und als relativ kleine Organe, auch Testvcidi; bei den Griechen
8{$'j|jioi, d. i. Zwillinge, auch ol 5px£i?; — Poma amoris bei Riolan,
altdeutsch: Gailen und Geilen (noch in den Worten Geilheit
für lascivitas, und Bibergeil erhalten). Sie sind als Secretions-
organe des männlichen befruchtenden IZeugungsstoffes, das Wesent-
liche am männlichen Generationssystem, und bedingen allein den
Geschlechtscharakter des Mannes. Castraten und verschnittene
Thiere dienen als Zeugen, dass der Verlust dieser Organe das
758 §. 800. Hode and Nebenhode. Sperma und 8p«nBfttozo«n.
Zeugungsvermögen vernichtet, und die übrigen Attribute des Ge-
schlechtes nutzlos werden, oder schwinden.
Die Hoden hängen an ihren Samensträngen, und liegen im
Grunde des Hodensackes so neben einander, dass der rechte meistens
eine etwas höhere Lage als der linke einnimmt. Jeder Hode be-
steht aus dem eigentlichen Hoden (lestis), und dem Nebenhoden
(Epididymis 8. Parastata varicosa). Ohne auf die in den folgenden
Paragraphen zu betrachtenden Hüllen dieser beiden Organe Rück-
sicht zu nehmen, befassen wir uns hier blos mit der Kenntniss-
nahme ihres Baues.
a) Der Hode hat eine eiförmige, etwas flachgedrückte Gestalt,
mit einer äusseren und inneren Fläche, einem vorderen und hinteren
Rande, einem oberen und unteren Ende. Er liegt nicht ganz senk-
recht, indem sein oberes Ende etwas nach vorn und aussen, sein
unteres nach hinten und innen, sein vorderer Rand etwas nach
unten, und sein hinterer nach oben gewendet ist.
b) Der Nebenhode schliesst sich als ein länglicher, spangen-
förmiger Körper an den hinteren Rand des Hoden an. Sein dickes
oberes Ende heisst Kopf, sein unteres dünneres und in den Samen-
leiter (Vas deferens) sich fortsetzendes Ende Schweif.
Das weiche Parenchym des Hoden wird von einer fibrösen
Haut umschlossen, Tunica alhuginea, welche von ihrer inneren Ober-
fläche eine Menge sehr zarter bindegewebiger Scheidewände (Septula
testis) aussendet, um den Hodenraum in kleinere Fächer abzutheilen.
Gegen die Mitte des hinteren Randes des Hoden, strahlt ein ganzes
Bündel solcher Scheidewände von einem niedrigen, und sechs bis
acht Linien langen, keilförmigen Fortsatz der Albuginea aus, welcher
Corpus Highmori s, Mediastinum testis genannt wird. Die Scheide-
wände theilen das Hodenparenchym in sehr viele Läppchen (man
spricht von zwei- bis vierhundert), deren jedes ein Convolut von
zwei bis fiinf samenabsondernden Röhrchen, Tubuli semintferi, ent-
hält. Der Hode repräsentirt somit jene Drüsenform, w^che ich
Glandula tubulosa composita genannt habe (§. 90). — Die Wand der
Tubuli seminiferi besteht aus einer structurlosen Membran, mit
bindegewebiger Umhüllung. Die Tubuli haben einen Durchmesser
von circa 0,05 Linien, und sind zu Knäueln zusammengeballt, deren
breitere Basis gegen die Flächen des Hoden, deren Spitze gegen das
Corpus Highmori sieht. Ihr Inneres fiihrt Zellen. Die der Wand
nächst gelegenen polygonalen Zellen sind Epithel; — die der Ge-
fässaxe näheren, rundlichen, sind Secretionszellen, d. h. Erzeugungs-
stätten der wirksamen Bestandtheile des Samens. — Die aus einem
Läppchen herauskommenden Samenkanälchen treten in das Corpus
Highmori ein, und bilden daselbst durch Anastomosen mit den übrigen,
das Rete Halleri, aus welchem zwölf bis neunzehn geradlinige und
§.800. Hode nnd Nebenhodc. Sperma nnd 8pennfttozo§n. 759
stärkere Ductuli efferentes hervorgehen, welche die Albuginea durch-
bohren, und sich neuerdings in zahlreiche und dicht gedrängte Win-
dungen legen, welche kleine kegelförmige Läppchen bilden. Diese
Läppchen kehren ihre Spitze gegen den Hoden, ihre Basis gegen
den Kopf des Nebenhoden. Der Kopf des Nebenhoden ist, genau
genommen, nichts Anderes, als die Summe aller dieser Läppchen,
welche, ihrer umgekehrt kegelförmigen Gestalt wegen. Com vasca-
lod HcUleri genannt werden. Durch den Zusammenfluss aller Cwii
Hallen entsteht ein einfaches Samengeföss, welches eine Unzahl
von sehr regelmässigen, dicht an einander liegenden Krümmungen
erzeugt. Eine, mit organischen Muskelfasern reichlich dotirte Binde-
gewebshaut hält diese Krümmungen zusammen, und vereinigt sie
so zur Wesenheit des Nebenhoden. — Das einfache, in zahllose
Windungen und Krümmungen verschlungene Samengefäss des Neben-
hoden, nimmt gegen die Cauda hin an Dicke zu, und geht mit
successiver Abnahme seiner Schlängelungen, am unteren Ende des
Nebenhoden in den geradlinig aufsteigenden Samenleiter (Vas
deferens) über. Das Vas deferens wird auch, seiner vom Hoden
gegen den Bauch gehenden Richtung wegen, zurücklaufendes
Samengefäss genannt. Es steigt im Samenstrange, in welchem
es, seiner Härte wegen, leicht gefühlt werden kann, gegen den
Leistenkanal auf, dringt durch diesen in die Bauchhöhle, biegt sich,
die Arteria epigastrica infenar kreuzend, zur hinteren Wand der
Harnblase herab, und läuft nun, mit dem der anderen Seite con-
vcrgirend, zum Blasengrund, wo es an der inneren Seite seines
zugehörigen Samenbläschens (§. 304) anliegt, und nachdem es den
Ausführungsgang des letzteren aufgenommen hat, als Ductvs eja-
cidatoinus am Caput gallinaginis der Pars prostatica urethrae, wie
früher gesagt (§. 298), ausmündet.
Selten sind beide Hoden gleich gross; die Vergrösserung betrifft
gewöhnlich den linken Hoden, welcher auch meist tiefer hängt als
der rechte. Würden beide Hoden gleich hoch aufgehangen sein,
so wäre es besonders bei relaxirten Hodensäcken unvermeidlich,
dass sich die Hoden beim Sprung und Lauf an einander stiessen,
was für so delicate Organe nicht ganz gleichgiltig wäre.
Partielle Anschwellungen des Nebenhoden, oder Cysten im Samenstrange,
haben die älteren Berichte (Varol, Borelli, Graaf) von Männern mit drei,
vier, ja selbst fünf Hoden, veranlasst. Fernel erwähnt eine Familie, deren
sämmtliche männliche Sprossen drei Moden hatten. Cryptorchiamus nnd Moncr-
ckümiiis, d. i. Verbleiben beider oder eines Hoden in der Bauchhöhle, sind Ent-
wicklungshemmungen; wahrer Defect der Hoden (AnorchüviWfJ wurde nur bei
Missgeburten gesehen.
In den TubiUi tternmiferi des Hodenparenchymn finden sich, wie im Text
gesagt, Zellen. Die der Wand der Tubuli zunächst anliegenden Zellen, welche
als ein Epithel angesprochen werden können, sollen, nach Sertoli, sich durch
760 6' 800. Hode und Nebenhode. Spema und SpermatozoSn.
fadenfönnige Anslfinfer netzförmig nnter einander verbinden, nach Merkel aber
darch anastomosirende platte Fortsätze ein vielfach durchbrochenes Gerüste dar-
stellen, in dessen communicirenden Lücken, die eigentlichen Samenzellen ent-
halten sind. Letztere sind die Erzengungsstätten der die befruchtende Wirkung
des Samens vermittelnden Spermatozoon (§. 304).
Der Same (Spenna, orspfjia. Alles, woraus etwas entstellt),
welcher bei der Begattung entleert wird, stammt aus den Samen -
bläschen, wo er die zur Befruchtung nothwendige Reife erhalten
hat. Seine chemische Zusammensetzung ist bis jetzt für die Physio-
logie der Zeugung weit weniger belehrend gewesen , als seine
scheinbar lebendigen Inwohner — die Samenthierchen, Samen-
fäden, Spei^nuUozoa, von (Jem Leydner Studiosus Ludwig v. Ilam-
men, 1677 entdeckt. Ueber ihre Thiernatur wurde seit Langem
verneinend entschieden. Sie bedingen die Zeugungskraft des Sperma,
welche mit ihrem Fehlen verloren geht. Schon Prevost hat gezeigt,
dass der Froschsame seine befruchtende Eigenschaft verliert, wenn
seine Spermatozoen abfiltriii; werden. Die Spermatozoon bestehen
aus einem dickeren Kopfende, und einem fadenförmigen Schwanz.
Sie zeigen keine Spur von innerer Organisation, aber eine sehr
lebhafte, scheinbar willkürliche Bewegung. Die Anatomie erklärt
sie für einhaarige Flimmerzellen, deren Protoplasma aber um den
Kern herum geschwunden ist. Der Kern ist der Kopf des Sperma-
tozoon. An der Basis des als Schweif bezeichneten langen FHmmer-
haares findet man öfters noch Reste des Protoplasmas anhängen.
Henle mass die Schnelligkeit ihrer Bewegungen, und fand sie
= 1 Zoll in 7'/.2 Minuten. Kölliker hat gezeigt (die Bildung der
Samenfaden in Bläschen. Neuenburg, 1846), dass die Samenfäden
in den Zellen der Samenkanälchen (Samenzellen) dcis Hoden ent-
stehen. Jede Samenzelle bildet nur einen Samenfaden. — Ueber
die Spermatozoen aller Thierclassen handelt La Vallette, in
Stricker's Histologie, (.^ap. XXIV. — Ausser den Samenfaden
finden sich in der entleerten Samenfiüssigkeit 1. noch Elementar-
körnchen, und 2. crystallinische (iebilde (Rhomboeder von phosphor-
saurem Kalk), welche sich aber erst während der Untersuchung
des Samens auf dem Objectträger, durch Verdunsten des Wasser-
gehaltes, bilden.
Am Kopfe des Nebenhoden kommt häutig ein kleines, ge9tielte^«, hirne- bis
hanfkorngrosses Bläschen vor, welches klare Flüssigkeit mit Zellen und Zellen-
kemen enthält, und dessen solider Stiel sich bis in das Bindegewebe des Samen -
:<tranges verfolgen lässt. — Fast constant ist <nn zweite?« bläschenförmiges, abt*r
nicht gestieltes Gebilde am Kopf des Nebenhoden, dessen Höhle entweder für
sich abgeschlossen ist, oder mit dem Samenkanal des Nebenhoden in offener
Verbindung steht. Im letzteren Falle enthält die Höhle des Bläschens Sperma-
tozoi*n. Man hat dieses (iebilde auch ohne Höhlung angetroffen. Ohne Zweifel
repräsentirt es ein Ueberbleibsel eines Kanälchens des Wolffschen Körper«
(§. :^29). Beide Formen sind schon lange bekannt, und führen den Namen:
|. 800. Rode und Nebenhode. Sperma and Spennfttoso^ii. 761
HydaU» Morgttgnif nicht die kleinste Entdecknng des grossen anatomischen Lehrers
in dem altbertthmten Padoa, im Yorigen Jahrhundert, welcher in seinen Adver-
tariU anaiomieia nns einen Schatz von neuen Fanden in der feineren Anatomie
hinterlassen hat Ausführliches über diese Hydatide, so wie über andere Accesso-
rien der Tunica vaginalis propriOf giebt Luschka in Virchow^a Archiv, 1863,
unter dem Titel: Die Appendiculargebilde des menschlichen Hoden. Nach FleischTs
Untersuchungen (Med. Centralblatt, 1871) stellt die nngestielte Morgagni*tohe
Hydatide, ein solides Körperchen dar, dessen Stroma ein zartes, gefässreiohes,
kemführendes Bindegewebe ist. Rings um die Basis dieses Körperchens hört das
Pflasterepithel der die äussere Fläche des Nebenhoden überziehenden Tunica
vaginalia propria mit einem scharfen Rand auf, und wird zu Flimraerepithel,
welches (wie am Ovarium) schlauchartige blinde Fortsätze in das Stroma absendet.
Fleischl adoptirte deshalb für diese Form der Mo rgagn loschen Hydatide, den
Namen: Ovarium masculinum.
Zwischen dem Kopf des Nebenhoden und dem Vas deferen» entdeckte
Giraldös (Bulletin de la #Soc. anal, 1857, pag. 789) noch ein anderes accessorisches
Organ. Es besteht aus einer TerHnderlichen Anzahl platter weisslicher Körper, von
zwei bis drei Linien Durchmesser, deren jeder einen Knäuel eines, an beiden
Enden blinden Kanälchens darstellt Girald^s nannte seinen Fund: Corps in-
ncmind (Parepididymia, He nie). Aller Wahrscheinlichkeit nach ist auch dieses
Organ ein verkümmerter Ueberrest des Wolf fachen Körpers.
An dem mit Quecksilber injicirten Samenkanal des Nebenhoden, zeig^ sich
häufig ein AnhängHel von gleicher Stnictur, und eben so gewunden, als Vasculum
aberrans Halleri. Seine Krümmungen bilden entweder ein langes, selbstständiges,
am Rande der Epididymis sich hinziehendes Läppchen, oder es steigt nur wenig
geschlängelt im Samenstrange auf, um blind zu endigen. Letztere Form wird von
Haller, Sömmerring, und Huschke, allein erwähnt. Wenn es am Neben-
hoden anliegt, endigt ef« nicht immer blind, sondern mündet öfters in den Samen-
kanal desselben wieder ein. Ein mit dem Ko« defe.rens aufsteigendes und blind
endigendes Vascufum afterrawf, erinnert an die auch an anderen Drüsengängen
zufällig vorkommenden Diverticula, welche die Eigenschaften des normalen Aus-
führungsganges besitzen, und deshalb am Vas deferens sich durch Länge und ge-
wundenen Verlauf auszeichnen müssen.
Die Frage, wie die feinsten Tubuli »emimferi entspringen, kann ich nach
den vollkommensten Injection^n derselben, welche ich anfertigte, dahin beant-
worten, dass ihr Ende nie blind ist, sondern immer mit den Enden zweier benach-
barter Samengefässchen durch Schlingen zusammenhängt. Solche Endschlingen
werden nicht blos zwischen den Samengeflisschen Eines Läppchens, sondern auch
in angrenzende Läppchen hinüber gebildet.
Könnte man sämmtliche Tubuli seniiniferi herausnelimen, ihre zahllosen
Krümmungen ausgleichen, und sie in gerader Linie an einander stückeln, so er-
hielte man ein Samengefäss von circa tOöO Fuss (Krause), nach Monro sogar
von 5208 Fuss Länge. Was an den Speicheldrüsen durch wiederholte Spaltungen
der Ausführungsgänge an Grösse der absondernden Fläche gewonnen wurde, wird
also in den Hoden durch die Länge der Samenwege erreicht
Die Wand des Vas deferens besteht aus einer inneren Schleimhaut mit
Cylinderepithel, einer darauf folgenden, relativ dicken Schichte organischer Längs-
und Kreismuskelfasem, und einer äusseren Bindegewebshaut Im Nebenhoden
finden sich dieselben Elemente in den W^andungen seines vielfach gewundenen
Samenganges, mit dem bemerkenswerthen Unterschiede, dass in jenem Theile des
Vas deferens, welcher den Kopf des Nebenhoden bildet, so wie in den Ooni
vasculosi Halleri, und in den Thtctuli efferenles des Rete lesUs kein Cylinderepithel,
sondern Flimmerepithel vorkommt, dessen Flimmerbeweg^ng vom Hoden gegen
762 §• 301. Verh&Uniss des Hodon 7.am PeritoneuiD. Tunten vaginalis proprio tejilis.
da» Vaa defereiui f^erirlitet ist. — Je näher dan Vru deferetiM den Samenbläschen
kommt, desto zahlreicher treten in seiner Schleimhaut niedere, sich zu eckigen
Maschen gnippirende, faltige Erhebungen, und acinöse Drüschen auf. — lieber
den Bau der Samenkanälchen im Hoden handeln Ebneres Untersuchungen, Leip-
zig, 1871, und Merkel im Archiv für Anat 1871 (Stützzellen).
Die Arterien des Hoden sind die Arteria spemuUica interna, und die Arteria
vasia deferenÜ» Cooperi. Erstere stammt ans der Bauchaorta, letztere aus einer
Arterie der Harnblase. Beide anastomosiren mit einander, bevor sie am Corpus
Highmori die Albng^ea durchbohren, um Capillarnetze zu bilden, welche aber
nicht jedes einzelne Samenkanälchen, sondern Gruppen melirerer umspinnen. Die
Venen des Hoden bilden im Samenstrang, bis zum Leistenkanal hinauf, ein
mächtiges Geflecht fPleoetu pampini/ormisj, dessen krankhafte Ausdehnung die
Varicocde erzeugt. Erst im Leistenkanal, oder an der Bauchöffnung desselben,
vereinfacht sich dieses Geflecht zur einfachen oder doppelten V'ena spemiatica
interna. Es darf nicht wandern, dass die Arterien und Venen des Hoden aus
den gössen Gelassen der Bauchhöhle stammen, da der Hode sich nicht im Hoden-
sacke, sondern in der Bauchhöhle des Embryo bildet, und somit seine Blutgefässe
aus den nächstgelegenen Stämmen des Unterleibes (Aivrta und Vena cava aacen-
dena) bezieht — Die im Samenstrang^ aufsteigenden Ljmphgefässe des Hoden
münden in die Lymphdrüsen der Lendengegend. Sie passiren somit den Leisten -
kanal, während die Saugadem der Scrotalhaut und der Scheidengebilde des
Samenstranges, sich zu den Leistendrüsen begeben. Es lässt sich demnach aus
den Anschwellungen dieser oder jener Drüsengruppe entnehmen, ob z. B. ein
Krebsgeschwür am Hodensack, schon in das Parenchym des Hoden selbHt eingreift
oder nicht. Die Lymphgefasse des Hoden, sollen nach Ludwig und Tomsa,
ans weiten, zwischen den Tiihnli apermatophori befindlichen wandlosen Lymph-
ränmen CLacunae) hervorgehen, welchen Frey und His einen Epithelialbeleg
zusprechen, wie er in den Lymphgefässen überhaupt vorkommt. — Die Nerven
der Hoden entspringen theils aus dem sympathischen Plexiut »peinaatiaia internuM^
welcher die Arteria ftpermaUca interna umstrickt, theils aus den Spinalnerven
(Lendengeflecht) als Nervi apermntici extemi. Erstere sind für das Parenchym
des Hoden und Nebenhoden, letztere vorzugsweise fflr die Hüllen de» Samen-
stranges bestimmt. Nach Letzerich endigen die Axencylinder der Primitiv-
fasern in der Wand der Samenkanälchen, und zwar zwischen der structurlosen
Membran und dem Epithel, mit knopffÖrmigen Anschwellungen.
§. 301. Verhältniss des Hoden zum Peritoneum. 7\uuca
vaginalis propria testis.
Wenn man auf die (lenesis des Hoden zurückblickt, lernt man
die Bildung der besonderen Scheidenhaut, Tunica rafjiuah's
proprui testis verstehen, welche zwei Ballen bildet, deren innerer
mit der äusseren Oberfläche der Albuginea testis fest verwachsen
ist, und deren äusserer den Hoden nur lax umgiebt, ohne irgend-
wo mit ihm verwachsen zu sein. Der Hode entwickelt sich in
den Erstlingsperioden des Fötuslebens, in der Bauchhöhle, an der
unteren Fläche eines drüsigen Organs, welches zu beiden Seiten
der Wirbelsäule liegt, in der Entwicklungsgeschichte als Wol ff scher
Körper bekannt ist, und in demselben Maasse schwindet, als Hode
§. SOt. Verh&ItniM des Hoden zam Peritoneam. Tnniea vaginalit proprio Utii». 763
und Niere sich ausbilden. Das Bauchfell bildet, von der Lende
her, eine Einstülpung, um den embryonischen Hoden zu über-
ziehen, — das Mesorchtum (Seiler). Das Vas deferens und die Blut-
gefässe senken sich in die hintere Wand des Hoden ein, welche
nicht vom Peritoneum überzogen wird, und liegen somit extra cavum
peritonei. Das Mesorchium reicht bis zur Bauchöffnung des Leisten-
kanals als Falte herab, und schliesst einen wahrscheinlich contractilen
Strang ein, welcher vom Hodensack durch den Leistenkanal in die
Bauchhöhle und bis zum Hoden hinaufgeht, mit welchem er ver-
wächst. Denkt man nun, dass dieser Strang sich allmälig verkürzt,
so leitet er den Hoden gegen den Leistenkanal, und, durch diesen
hindurch, in den Hodensack herab. Er heisst darum Leitband des
Hoden, Guberyuumlum Hunteri. Da der Hode fest mit dem Bauch-
felle verwachsen ist, so muss dieses, als beutelfiirmige Ausstülpung
(Processus vaginalis peritonei) dem herabsteigenden Hoden folgen.
Es wird in diesem Stadium des Herabsteigens des Hoden möglich
sein, von der Bauchhöhle aus mit einer Sonde in den offenen
Leistenkanal einzudringen, da dieser von dem mit dem Hoden
herausgeschlcppten beuteiförmigen Peritonealfortsatz ausgekleidet
wird. Die Blutgefässe und das Vas deferens werden, da sie ursprüng-
lich extra cavum peritonei lagen, nicht in der Höhle dieses Beutels
liegen können. Nach der Geburt verwächst er, von der Bauch-
öffnung des Leistenkanals an gegen den Hoden herab. Die Ver-
wachsung hört aber dicht über dem Hoden auf, und dieser muss
somit in einem serösen Doppelsack Hegen, dessen innerer Ballen
mit seiner Tunica albuginea schon in der Bauchhöhle verwachsen
war, dessen äusserer Ballen sich erst durch das Nachziehen des
Peritoneum, während des Descensus testicvli durch den Leistenkanal^
bildete. Beide Ballen kehren sich ihre glatten Flächen zu, und
fassen einen Raum zwischen sich, welcher, so lange der Pro-
cessus vaginalis peritonei nicht zugewachsen und geschlossen ist,
mit der Bauchhöhle communicirt. In diesem Räume, welcher nur
wenig Tropfen gelblichen Serums enthält, entwickelt sich durch
Uebermaass seröser Absonderung, der sogenannte Wasserbruch
— Hydrocele,
Schlitzt man den äusseren Ballen der Tunica vaginalia proprio auf, und
drückt man den Hoden heraus, so sieht man, dass auch der Nebenhode einen,
wenn auch nicht ganz vollständigen Ueberzug von dieser Haut erhält. Während
die Tunica vaginalis propria vom Nebenhoden auf den Hoden übersetzt, schiebt
sie sich beutelförmig zwischen die Contactflächen beider Organe hinein, und er-
zeugt dadurch eine blinde Bucht, deren Eingangsöffnung nur dem mittleren Theile
des Nebenhoden entspricht. Die halbmondförmigen Ränder dieser Oeffhung bilden
die sogenannten Ligamenta epididi/miditt. Die SteUe der Albuginea Ustui, wo die
Samengefässe aus- und eingehen, wird, da sie schon beim Embiyo vom Perito-
neum unbedeckt war, auch im Erwachsenen t«« <*•» '■ — «-wt!«» nromia
nicht tiberzogen sein können. — ISiii Aa«^
764 S> SO'* SaneDstran^ and dessen Hflllen.
Embryo, findet flieh auch bei weiblichen Embryonen, indem das Peritoneum hei
letzteren gleichfalls eine Strecke weit sich in den Leistenkanal als blind abge-
schlossener Fortsatz längs des runden Mutterbandes aussackt. Dieser Fortsatz ist
das Dioertiailum Nuchii, welches ausnahmsweise auch im erwachsenen Weibe
offen bleiben kann. Sollte der Processus vaginalis periUmei bei Embryonen männ-
lichen Geschlechts, nicht verwachsen, so können sich Baucheingeweide in seine
Höhle Yorlagem, und den sogenannten angeborenen Leistenbruch bilden,
welcher sich von dem nach vollendeter Verwachsung des Processus entstandenen
sogenannten erworbenen Leistenbruch dadurch unterscheidet, dass er keinen
besonderen Bruchsack hat, wenn man nicht den offenen Processus periUmei selbst
dafür ansehen will, und dass das vorgefallene Eingeweide mit dem Hoden selbst
in unmittelbare Berührung kommt. — Ein dünner Bindegewebsfadcn im Samen-
strang ist Alles, was vom eingegangenen und verödeten Processus vaginalis peri-
Umei im Erwachsenen erübrigt Haller nannte ihn Ruinae processtis vaginalis.
Ich will ihn Ligula nennen. Zieht man an ihm, so wird jene Stelle des Peri-
toneum, welche die Bauchöffnung des Leistenkanals deckt, und von welcher aus
der Processus vaginalis zuerst sich zu schliessen begann, trichterförmig in den
Leistenkanal hineingezogen.
§. 302. Samenstrang und dessen Hüllen.
Durch den Samenstrang, Punicultis spermaticus, wird der
Hode im Hodensack suspendirt. Er enthält alles was zum Hoden
geht und vom Hoden kommt, und stellt somit ein Bündel von Ge-
ßissen und Nerven dar, welche durch lockeres Bindegewebe zu-
sammengehalten werden, und überdies durch besondere Scheiden-
bildungen die Form eines Stranges annehmen. Die Scheide, welche
zunächst die Elemente des Samenstranges umhüllt, führt den Namen
der Tnnica vaginalis communis, da sie den Samenstrang und den
Hoden gleichmässig umftlngt. Wir betrachten sie als eine Fort-
setzung der Fa^cia transversa abdomtnis, welche den durch den
Leistenkanal heraustretenden Samenstrang trichterförmig umschliesst,
und daher auch Fascia infundibuUformis heisst. Sie bildet keine
Höhle, d. h. ihre innere Oberfläche ist nicht frei, indem sie am
Samenstrange mit dem Bindegewebe um die Gefasse herum, am
Hoden aber mit dem äusseren Italien der Tunica vaginalis propria
verwächst. Ihre äussere Fläche wird von den schlingenformigen
Bündeln des vom inneren schiefen und queren Bauchmuskel ab-
geleiteten Crema^ter (Hebemuskel des Hoden) bedeckt, worauf nach
aussen noch eine feine, fibröse Membran folgt, welche von den
Rändern der äusseren Oeffnung des Leistenkanals sich über den
Samenstrang hin verlängert, und als Fascia Cooperi in der chirur-
gischen Anatomie bekannt ist.
Verfolgt man den Samenstrang nach aufwärt« durch den Leistenkanal in
die Bauchhöhle, ho tindet man ihn, von der Knsseren Oeffnung de» Leistenkanaln
an, immer dttnner werden. Er verliert Kuerst die Fascia Cooperi (an der äusseren
§. 303. Hodentfftck und Timiea tlarto». 765
Oeffiiung des Leiatenkanals), hierauf den Cremaster (im Leistenkanal), dann die
Tunica vagmaUa communis (an der Banchöffhnng des Leistenkanals). Nach seinem
Eintritt in die Bauchhöhle ist er durch Verlust seiner Hüllen, und das Ablenken
des VcL» defertTi» in die Beckenhöhle hinab, auf ein einfaches, aus der Arteria,
der Vena und dem Plexus »permaUcus mtemtia bestehendes Gefässbündel reducirt,
welches hinter dem Bauchfelle zur Lendengegend aufsteigt, um jene grossen
Blutgefässe des Bauches zu erreichen (Aorta und Vena cava ascendenaj, aus
welchen der Hode die zur Samenbereitung nothwendigen Gefässe bezieht.
Der Samenstrang besitzt, ausser den zum Hoden gelangenden Arterien
(SpermaUca inlema und Arteria vaais defererUis, §. 800), noch eine dritte Schlag-
ader, welche blos für die Scheidengebilde des Samenstranges und Hoden bestimmt
ist. Sie entspring^ als Arteria spermatica externa (auch Arteria cremaaterica Cooperi
genannt), aus der Arteria epigaatrica inferior.
Ein interessantes mikroskopisches Vorkommen an der gemeinschaftlichen
Scheidenhaut, bilden die von Bektoriik aufgefundenen, kolbenförmigen Excres-
cenzen auf derselben, welche aus Bindegewebs- und elastischen Fasern bestehen,
und in Form und Bau den Pacch ionischen Granulationen der Arachnoidea ver-
wandt sind (Sitzungsberichte der kais. Akad. 23. Bd.).
§. 303. Hodensack und Tunica dartos.
Hode und Saraenstrang liegen in einem, durch die Haut des
Mittelfleisehes und der Schamgegend gebildeten Beutel — dem
Hodensack, Scrotum (Bursa testium, Marsupium, auch Scortum, —
bei Aristoteles cc/so;), an welchem eine mediane Leiste (Raphe)
zwei nicht ganz gleiche Seitenhälften unterscheiden lässt. Das
dünne, durchscheinende, und gebräunte Integument des Hodensacks,
faltet sich bei zusammengezogenem Scrotum in quere Runzeln.
Krause und kurze Haare, so wie zahlreiche Talgdrüsen, statten das-
selbe aus. Unter der Haut, und mit ihr durch fettloses Binde-
gewebe zusammenhängend, liegt die sogenannte Fleischhaut des
Hodensackes, Tunica dartos, so genannt, weil sie sich sehr leicht
abziehen lässt (ospo), excorlo). Sie besteht aus Bündeln glatter
Muskelfasern, deren vorwaltend longitudinale Richtung, während '
ihrer Contraction, eben die queren Runzeln der Hodensackhaut
hervorruft. Ihrer röthlichen Farbe wegen, führt sie bei den Alten
den Namen Tunica erythroides, von epjOpo;, roth. Sie hängt mit der
Fascia superficialis abdominis et perinei zusammen. Eine der Raphe
entsprechende Scheidewand, Septum scroti, theilt die Höhle der
Dartos in zwei Fächer, in welchen die Hoden und Samenstränge
so lose eingesenkt sind, dass sie leicht aus den Fächern heraus-
gezogen werden können.
Den Namen Bursa und Bursula testium führt der Hodensack seit Bau hin
(Theatrum anal, lib, I. cap. 17). Da die gegerbten Hodensäcke der Hausthiere
die ersten Geldbeutel Ufififirtea. wird bursa auch für Geldsftckel (Börse), und
s«lbiit • «cmtimnUJ, Wohlthätige Stiftungen
766 I* SOi. Samenblisehen und AnssprilsQngtkanile.
ZOT Verpflegung armer Stndenten hiessen ebenfalls burtMie, woraus Bursche
(bursarituj und Burschenschaft abssuleiten ist. Die Franzosen gebrauchen
fturaa nur im Plural für Hodensack: le9 houraea. Im Altdeutschen hiess das
Scrotum: Gemächt (von machen, t. e. erzeugen), auch Geschäft, und
Gromensack (in der deutschen Uebersetzung des Fabr. Hildanus) — beim
Hengst: das Geschröt, von schroten, d. 1. castriren.
Die Ungleichheit der beiden Hodensackhälften (indem die linke meistens
tiefer herabreicht, als die rechte), lässt sich nicht leicht erklären. Wäre die
Compression, welche die Vena spermaUca vntema aimatra durch die CurtxUura
aigmoidea recU erfährt (Blandin), der Grund einer grösseren Turgescenz und
somit grösserer Schwere des linken Hoden, so müsste bei allen Männern der linke
Hode tiefer hängen, als der rechte. Allein nach Malgaigne^s Beobachtungen
an 65 Individuen, war dieses nur an 4H der Fall.
Die Baphe ist der bleibende Ausdruck der ursprünglichen Bildung des
Hodensackes aus seitlichen Hälften. Kommt es nicht zur Verwachsung der beiden
Hälften, bleiben zugleich die Hoden in der Bauchhöhle, und ist das männliche
Glied klein, so wird der gespaltene Hodensack einer weiblichen Sohamspalte
älmlich sehen, und das betreffende Individuum mit scheinbar weiblicher Bildung
der äusseren Genitalien, dennoch männlichen Geschlechtes sein (Hermaphrodüis'
mtia apuriua).
§. 304. Samenbläschen und Ausspritzungskanäle.
Die Samenbläschen, Vesicvlae seminales, liegen am Blasen-
gründe hinter der Prostata. Sie haben die Gestalt von anderthalb
Zoll langen und einen halben Zoll breiten, flachen und ovalen
Blasen mit höckeriger Oberfläche. Sie schliessen aber keine einfache,
sondern eine vielfach gebuchtete Höhle ein, welche dadurch zu
Stande kommt, dass jedes Samenbläschen eigentlich ein zwei bis
drei Zoll langer, häutiger, mit kurzen blinden Seitenästen besetzter
Schlauch ist, welcher nicht ausgestreckt, sondern zusammengebogen
am Blasengrunde liegt, und durch das ihn umgebende, mit glatten
Muskelfasern reichlich versehene Bindegewebe, zur gewöhnlichen
Form eines Samenbläschens gebracht wird. Entfernt man dieses
Bindegewebe, so kann man das Samenbläschen, bei einiger Vorsicht
und Geschicklichkeit, als Schlauch entwickeln. Besitzt der Schlauch
die oben angegebene Länge nicht, so sind dafür seine blinden
Seitenäste länger.
Der aus dem vorderen, etwas zugespitzten Ende eines Samen-
bläschens hervorkommende Ausführungsgang, mündet in das Vds
deferens ein, welches jenseits dieser Einmündung : Ausspritzungs-
kanal, Ductus ejaculatorius, heisst. Beide Ductus ejaculatorii conver-
giren mit einander. Sie gehen zwischen der Prostata und der hin-
teren Wand der Pars prostcUica Urethren zum Caput galltnaginis, wo
sie mit separaten Oeffnungen, zu beiden Seiten der Vesicula pro-
»taUca ausmünden (§. 298). — Samenbläschen und Ausspritzungs-
§. 305. Vorsteberdrftse. 767
kanäle besitzen im Wesentlichen denselben Bau, wie die Enden der
Vcua deferentia (§.300), aber sie führen kein Cy linder- sondern
Pflasterepithel.
Der Ductus ejaculatoritia ist viel dünnwandiger als das Vas deferen», und
wird deshalb von dem derben Gewebe der Prostata leicht comprimirt. Diesem
Umstände, so wie seinem gegen die AusmUndnngsstelle in der Urethra bis auf
0,3 Linien abnehmenden Lumen, mag es zugeschrieben werden, dass der Same
nicht fortwährend abfliesst, und erst durch stärkere vis a tergo stossweise entleert
wird. — Der Drüsenreichthum der Schleimhaut der Samenbläschen, lässt auf
reichliche Absondenmg schliessen. Worin diese bestehe, und welchen Einfluss
sie auf die Veredlung des Samens ausübe, ist unbekannt — Der Same der
Samenblasen enthält weit weniger Samenthierchen, als jener des Vcks deferens,
J. Hunter hielt die Samenbläschen nicht für Aufbewahrungsorgane des Samens,
sondern für besondere Secretionswerkzeuge, deren Absonderung vom Samen ver-
schieden ist. Die vergleichende Anatomie giebt zur Lösung dieser Frage keine
Behelfe an die Hand, da die Samenbläschen bei Säugethieren häufig fehlen. Der
Umstand, dass bei Castraten die Samenbläschen nicht schwinden, was sie als
blosse EeceplaciUa seminis wohl thun müssten, scheint für ihre Selbstständigkeit
als secretorische Apparate zu sprechen. Schon Rufus Ephesius, Cap. XIV.,
sag^: eunuchi semen quidem, sed infecunduvi, ^iciunt. — G ruber (MÜUer^a Archiv,
1847) fand bei einem Castraten die Samenbläschen zwar verkleinert, aber doch
mit einem schleimigen Fluidum gefüllt. Ebenso Bilharz, welcher die Genitalien
von schwarzen Eunuchen untersuchte. Am auffallendsten war bei letzteren der
Schwund der Prostata.
Durch die Feststellimg der Thatsache, dass die Spermatozoon nicht blos
mit dem zu befruchtenden Ei in Contact kommen, sondern sich durch die Dotter-
haut des Eies durch eigene Poren, welche Micropylen genannt werden, in
das Innere desselben einbohren, wurde eine der wichtigsten Entdeckungen in der
Geschichte des Erzeugens gemacht. Newport hat das Eindringen der Sperma-
tozoon in das Froschei, Barry in das Kaninchenei zuerst gesehen, und täglich
mehrt sich die Zahl der hieher gehörigen Beobachtungen. Das Eindringen ge-
schieht mit dem Kopfende voraus, unter bohrender Bewegung des Schwanzendes.
Was im Ei aus den Spermatozoon wird, weiss man nicht. — W. Bischoff, Be-
stätigung des Eindringens der Spermatozoon in das Ei. Giessen, 1 844, und G. Meiss-
ner, über das Eindringen der Samenelemente in den Dotter, in der Zeitschrift für
wissenschaftl. Zoologie. 6. Bd.
§. 305. Vorsteherdrüse.
Die Vorsteherdrüse, Prostata (von xpotdTotfxat, vorstehen, woher
xpoora-cr^q, Vorsteher) heisst bei griechischen Autoren auch Parastata
adenoides, von TrapiTnQjjii, zur Seite stellen. Der Beisatz adenoides^
drüsig, diente dazu, den Unterschied der Prostata von dem Neben-
hoden auszudrücken, welcher ParastcUa drsoides hiess, wo cirsoides
die vielfachen Windungen des Samenganges im Nebenhoden aus-
drückt, von >t'.pc6^, d. i. cirrhtu, krauses gelocktes Hp*»
Die Prostata hat eine herz- oder kas
hinterer Basis und vorderer Spita^
7()8 §. 305. Vonteherdrfise.
uinfasst mehr weniger vollständig den Anfang der Harnröhre (Pars
prostatica urethrae), grenzt nach hinten und oben an die Samen-
bläschen, nach vorn an das Litjamentum trianguläre urethrae, nach
unten an die vordere Mastdarmwand, durch welche sie mit dem
Finger gefühlt werden kann.
Sie wird durch gewisse, an sie geheftete Abtheilungen der
Fascia pelvis (§. 323) in ihrer Lage erhalten. Deutliche Lappen
kommen an der Prostata nicht vor. Was man gewöhnlich Lohns
meditis nennt, ist nur das zwischen den beiden Ductus ejacvlatorii
liegende Parenchym der Drüse, welches zuweilen, besonders im
vorgerückten Alter, so anschwillt, dass es die Schleimhaut der Pars
pi*ostatica urethras hügelartig emporwölbt. Das an Blutgefässen arme
Gewebe der Drüse wird von einer unablösbaren, bindegewebigen
Hüllungsmembran umschlossen, ist derb und compact, und äusserst
reich an glatten Muskelfasern, welche theils eine, der Oberfläche der
Drüse parallele Schichte bilden, theils von der Gegend des Caput
galliiiaginis strahlig gegen die Oberfläche der Drüse ziehen, und das
Drüsenparenchym in undeutliche Läppchen thcilen. Die Ausfiihrungs-
gäuge der Prostata tragen aber keine aciuösen Endbläschen, sondern
endigen blindabgerundet, wie in den tubulösen Drüsen. Sie ver-
einigen sich zu zwoiundzwanzig bis zweiunddreissig grösseren Gängen,
welche die. hintere Wand der Pais prostatica urethrae durchbohren,
und zu beiden Seiten des Collictilus seminalis ausmünden. Druck
auf die Prostata, macht die Einmündungsstellcn dieser Ausiuhrungs-
gänge in die Harnröhre durch Entweichen des Secretes der Drüse
sichtbar. Eine Summe vorderer Bündel des Levator ani tritt an
die Seitenränder der Prostata, und wurde im §. 270 als Ijevator
prostatae erwähnt.
Bei ftltertfn Individuen findet man öfter» in den ProHtatagängen, wie auch
in den Samenbläschen, kleinere, gelblich weittse, concentrisch geschichtete Con-
cremente, als sogenannte Pros tataste ine. In der Prostata de» Igels habe ich
sie in grosser Menge, und ron schöner, rosenrother Farlie angetroffen.
Die Venicula proHtaticn ». Sinujt pociilarut war als eint» kleine, in der Prostata
gelegene, und am CapiU fjcUlincnjinia zwischen den Oeffnungen der Ihictun eja-
culcLtorU mündende Blase, schon Morgagni und Albin bekannt. E. H. Weber
(Aimoi, aiuU. et phyti. Prot. 1.) hat ihre in der Entwicklungsgeschichtt^ gegründete
Bedeutung als unpaarige Geschlechtshöhle des Mannes (dem weiblichen Uterus
analog) zuerst hervorgehoben. Welchen Grad von Ausbildung sie annelimen könne,
zeig^ der v<m mir beschriebene Fall einer unpaaren Geschlechtshöhle im Manne
(Oesterr. med. Wochenschrift 1841. Nr. Aii)^ wo auch beide Ductus ejactdatorii in
sie einmündeten. Ausführliches über die Vesictäa prontatica giebt Iluschke^s
Eingeweidelehre, pag. 408, sqq. und J. van Deen, in der Zeitschrift für wissen-
schaftliche Zoologie. 1. Bd. — F. Betz, über den Uterus maaculinus, in MülUr*a
Archiv, 1H50. Ausgezeichnet sind die von Prof. Leuckart verfassten Artikel:
„ Vesiada protttatica'* , in der Cyclopaedia of AncUonii/ and Physiolofjy, so wie ,. Zeu-
gung" in R. Waffners Handwörterbuch der Physiologie.
S. S06. Cowper*icbe DrUsen. — §. 807. M&nnliclies Glied. 769
§. 306. Cowper'sclie Drüsen.
Ueber die Co w per* sehen Drüsen lässt sich nur wenig sagen.
Sie sind erbsengrosse, rundliehe, acinöse Drüsen, welche vor dem
Ligamentum trianguläre urethrae, und hinter dem Bvlhus urethrae an
der unteren Wand der Pars membranacea urethrae liegen, und von
den Fasern der Musculi transversi perinei umgeben werden. Ihre
nach vom gerichteten langen Ausführungsgängo , münden in die
untere Wand des vom Bulbus umgebenen Anfangsstückes der Pars
cavemosa urethrae ein. Ihre Bestimmung ist ebenso wenig, als jene
der Prostata bekannt. Auch haben sie, ihrer Kleinheit wegen, keine
besondere praktische Wichtigkeit, welche aber der Prostata um so
mehr zusteht, da ihr Kranksein, der damit verknüpften Verengung
und VerSchliessung der Harnröhre wegen, die drohendsten Zufalle
veranlassen kann.
Win slow nannte die Cowper'schen Driisen: ÄnUproatatae, Mery kannte
aie schon 1684; — Cowper beschrieb sie nur ausführlicher 1699. — Eine mitt-
lere, unpaare Cowper'sche Drüse, welche von einigen Anatomen erwähnt wird,
habe ich nie gesehen.
§. 307. Männliches Glied.
Das männliche Glied, die Ruthe, hcisst Penis, von pen-
dere (Synonyma: Membrum virile, Veretrum, Virga, Coles, Verpa, Phal-
lus, Fascinus, Priaj)us, Nervus fistularis, und Mentula, welch' letzteres
Wort Adr. Spigclius damit erklärt: „quod rigida hasc pars, viro
mentem enjriat'^). Dieses Organ vermittelt die geschlechtliche Ver-
einigung der männlichen und weiblichen Sexualorgane. Da die
Harnröhre zugleich Entlee iningskanal des männlichen Zeugungsstoffes
ist, und dieser bei der geschlechtlichen Vereinigung, seiner Be-
stimmung gemäss, tief in die inneren Genitalien des Weibes gebracht
werden miiss, so macht die Harnröhre einen Theil des männlichen
Zeugungsgli('(l(\s aus. Für einen blossen Entleerungskanal des
Harnes, würde eine einlache Ausmündung an der Leibesoberfläche
genügt haben, wie sie im weiblichen Geschlechtc angetroffen wird.
— Das Zeuglingsglied erfiillt, nebst Entleerung des Samens, früher
noch eine andere, auf die Steigerung des Geschlcchtsgefuhls im
weiblichen Begattungsorgan gerichtete Bestimmung, auf mechanische
Weise. In dieser Erregung der weiblichen Begattungsorgane liegt
eine wesentliche Bedingung für die Aufnahme des Samens in das
innere GeschlechtBorgan. ^ «^ mtiss somit eine
Einrichtung besitK^ ^ desselben
Hyrtl, UkrbMkir
770 !• 307. MOnnlichM Glied. •
mit gleichzeitiger Rigidität (Erection) raciglich wird. Ohne diese
würde es weder durch Druck noch Reibung reizend wirken können.
Das männliche Glied hat nun zu diesem Zwecke drei Schwell-
körper, Corpora cavemosa, zwei paarige und einen unpaaren.
Letzterer gehört der Harnröhre an. Sie werden deshalb in die
zwei Corpora cavernosa penü, und das Corpus cavemosum urethrae
eingetheilt.
a) Corpora cavemosa penis.
Die zwei Corpora cavemosa penis sind walzenförmige, nur an
beiden Enden sich etwas verschmächtigende Körper von schwammiger
Textur, welche sich durch Blutstauung erigii'en und steifen, und in
diesem Zustande dem Gliede hinreichende Festigkeit geben, um in
die Geschlechtstheile des Weibes einzudringen. Sie entspringen,
als Crura penis, an den aufsteigenden Sitzbeinästen, fassen hier den
Bxdbus urethrae zwischen sich, steigen gegen die Schamfuge auf,
legen sich hier an einander, und verwachsen zu einem äusserlich
scheinbar einfachen, aber im Inneren durch eine senkrechte Scheide-
wand getheilten Schaft, welcher im erschlafften Zustande an der
vorderen Seite des Scrotum herabhängt. — Durch die Aneinander-
lagerung beider Schwellkörper der Ruthe, muss an der oberen und
unteren Gegend des Gliedes eine Furche entstehen, wie zwischen
den beiden Läufen eines Doppelgewehrs. Die obere Furche enthalt
eine einfache Vena dorscUis und zwei Artetiae dorsale, — die untere
grössere die Harnröhre mit ihrem Corpus cavemosum.
Die äussere Oberfläche jedes Schwellkörpers wird von einer
fibrösen, mit elastischen Fasern reichlich versehenen Haut überzogen
(Tunica albuginea) , welche von der Vereinigung beider Schwell-
körper an bis zur Eichel, ein senkrecht stehendes Septum im Inne-
ren des Penis bildet. Dieses Septum ist durch mehrere Oeffnungen
durchbrochen, so dass die Höhlen beider Schwellkörper mit ein-
ander communiciren. Von der inneren Oberfläche der Tunica albu-
ginea und des Septum, zweigt sich eine grosse Anzahl von Bälkchen
als sogenannte Traf)eculae ab. Die Bälkchen bestehen aus elastischen
Fasern, Bindegewebe, und glatten Muskelfasern. Sie verstricken
sich zu einem Netzwerk, und erzeugen dadurch ein System viel-
gestaltiger, unter einander communicirender Maschenräume (Cavernae),
welche, in der Axe des Schwellkörpers am grösstcn, je näher der
Oberfläche aber, desto kleiner getroffen werden. Sic stehen mit den
zuführenden Arterien, und mit den abführenden Venen in unmittel-
barem Verkehr, und werden somit auch von der inneren Cfcfasshaut
ausgekleidet. Diese bluthältigen Räume bilden das sogenannte
Schwellnetz des Penis.
Der Mterielle üftuptstamm für jeden Schwellkörper verlftuft, »Is
ItrojHnda itetM, nahe aiu Septum, und sendet innerhalb der Balken des cayeniOaen
§. 807. M&nolielies Glied. 771
Gewebes seine dendritischen Verästlnngen ans, welche zuletzt capillar werden,
jedoch keine Netze bilden, sondern direct in die Cavcmen des Schwellnetzes ein-
mflnden. Man spriclit auch von directen Einmündungen grösserer Arterienzweig-
clien in die Cavemen. — Ein sonderbares Vorkommen sind die, besonders in der
Peniswurzel gesehenen, korkzieherartig gewundenen Arterienftstchen , welche
J. Müller zuerst als Vaaa heUcina beschrieb, und blind endigen Hess. Andere
läugnetcn ihr blindes Ende, und Hessen sie, trichterförmig erweitert, in das
Schwellnetz einmünden. Ich habe die Arteriae hdicinae mit blinden, kolbigen
Enden, zwar nicht in den Schwellkörpem der männHchen Ruthe, aber in anderen
erectilen Organen der Thiere unzweifelbar beobachtet. (Med. Jahrb. Oesterr.
1838.) Dass sie keine abgerissenen und eingerollten Arterienästchen sind, wie
Valentin sie deutete, zeigt ihr Verhalten im Kopfkamme des Hahnes, imd in
den Karunkeln am Halse des Truthahnes, wo ihre blinden Endkolben dicht unter
der Haut Hegen.
A. KöUiker erklärt die Erschlaffung der Muskelfasern im Haikengewebe
der Scliwellkörper, als Hauptbedingung der Erection. Durch diese Erschlaffung
werden die venösen Hohlräume erweitert, und fassen mehr Blut. Wird zugleich
der Rückfluss des venösen Blutes aus den Schwellkörpem, durch Compression
des Hauptstammes der Schwellkörpervenen (am aufsteigenden Sitzbeinast durch
den Musculus transversus perinei proßtndiM, §. 322) behindert, so muss das
Schwellen des Gliedes bis zur rigiden Steifheit zunehmen. Schon Günther hat
die Beobachtung gemacht, dass, nach Trennung der Nerven am Pferdepenis, wo-
durch Lähmung jener Muskelfasern entsteht, unvollkommene Steifung der Schwell-
körper eintritt. — Iletüe, Mechanismus der Erection (Zeitschrift für rat. Med.
3. R. 28. Bd.).
b) Corpiis cavemosum urethrae.
Ebenso gebaut, nur von zarterem Gepräge, ist das einfache
Corpus cavemoaum urethrae. Es wird seiner ganzen Länge nach,
von der Harnröhre durchbohrt, stellt somit eine Röhre dar. Das
Schwellgewebe desselben liegt aber nicht gleichförmig um die Harn-
röhre herum vertheilt. Am hinteren Ende verdickt es sich kolben-
fiirmig, und bildet dadurch die am Mittelfleisch fühlbare Zwiebel
der Harnröhre (Bulbus urethrae), während die kegelförmige Ver-
dickung seines vorderen Endes, die Eichel des Gliedes (Glans
penis, ßaAavo<;) erzeugt. Der Schwellkörper der Harnröhre hat
kleinere Maschenräume, strotzt während der Erection nicht so be-
deutend, wie die Corpora caveimosa penis, und bleibt deshalb weicher.
Die Glans sitzt auf dem vorderen, abgerundeten Ende der Schwell-
körper des Gliedes wie eine Kappe auf. Die Eichel hat eine stumpf-
kegelförmige Gestalt. Ihre schief abwärts gerichtete Spitze, Apex
glaiidis, wird durch den zweilippigen Hamröhrenspalt senkrecht
geschlitzt. Ihre Basis bildet einen wulstigen Rand, Corona glandisy
hinter welchem eine Furche als Collum, die Grenze zwischen Eichel
und Gliedschaft bezeichnet.
Nach Mayer {Fnmep's Notisen, 1884, Nr. 883) boU in der Eichel grosser
Glieder ein prismatischer Knorpel eiistiren, welokiT' ^^ Vorkommen
sichergestellt wäre, eine entlenito Aiipl
thiere (Affen, Nager, reiaMnd» ?
772 9. 807. MAnallehM Glied.
ist jedoch nichts Anderes, als eine median gelegene, verdickte Stelle in der
Scheidewand der vorderen Enden der Bathenschwellkörper, ohne Knorpelzellen.
Die Haut des männlichen Gliedes ist sehr verschiebbar, un-
behaart, und ihr Unterhautzellgewebe fettlos. Um die Verlängerung
des Gliedes während der Erection zu gestatten, bildet sie eine die
Glans umgebende Duplicatur — die Vorhaut, Pra^putium. Das
Wort Praeputium erscheint zuerst bei Juvenal (Sat, XIV.), und
ist verdorben aus zpoTcocOtov, von irpb und ^ccOtq s. iroaOccv (penU), somit
vi nominis die Haut vom am Gliede. Die Vorhaut läuft nämlich
vom Collum glandis frei über die Eichel herab, schlägt sich dann
nach innen um, und geht wieder zum Collum glandis zurück, um
nun erst die Eichel als sehr feiner, mit ihrem schwammigen Ge-
webe innig verwachsener Ueberzug einzuhüllen, welcher am Ort-
fidum cutaneum urethrae in die Schleimhaut der Harnröhre übergeht.
Die Vorhaut wird durch eine für Friction sehr empQndliche, longi-
tudinale Falte — das Bändchen, fVenvIum praeputit — an die
Hntere Fläche der Eichel angeheftet. — Die Fascia superficialis des
Bauches setzt sich unter der Haut des Gliedes als Fasda penis
fort, bis zur Corona glandis, wo sie mit der Tunica aibuginea der
Schwellkörper verschmilzt. Sie wird am Rücken der Wurzel des
Gliedes durch ein Bündel von Bandfasern verstärkt, welches von
der vorderen Fläche der Schamfuge als Ligamentum suspefiisorium
penis entspringt.
Hei der Erection gleicht sich die Hantduplicatur des Präputium nur znm
Theil ans, und ihre beiden Platten werden zur Deckung des verlängerten Penis
in Anspruch genommen, wodurch die Eichel mehr weniger frei wird. Die innere
Platte der Vorhaut, so wie der EicheKtberzug, ähnelt durch ihr Ansehen einer
Schleimhaut, besitzt wohl auf der Eichel kleinste, und gruppenweise beisammen-
stehende Tastwärzchen in grosser Zahl, aber keine Talgdrfisen, obwohl solche in
allen Httchem unter dem Namen der GlandiUae Tysanianae angeführt werden.
Diese Driisen sollen in der Furche hinter der Corona ylandia vorhanden sein.
Was man jedoch für Ty so nasche Driisen angesehen hat, ist nichts anderes, als eine
Anzahl von papillenähnlichen Erhebungen des Ilautüberzuges der Eichelkrone,
welche, ihrer weissgelblichen Farbe wegen, flir Talgdrüsen genommen wurden.
Das käsartige, stark riechende, weisse Sebum praepuUaU ist sonach kein Drüsen-
secret, sondern ein mit abgestossenen Epithelialzellen reichlich gemengtes Abson-
derungsproduct des Hautüberzuges der Eichel, besonders der Furche hinter der
Corona ylandü, und der inneren Platte der Vorhaut, wo allerdings einige un-
constante acinöse Drfischen mit fettigem Inhalt vorkommen, welche aber öfter
gänzlich vemiisst werden (He nie). — Die Präputialabsondenmg ist in heissen
Ländern copiöser, als in der gemässigten Zone. Die mit ihrem Ranzigwerden
verbundene örtliche Reizung, bedingte ohne Zweifel den medicinischen Ursprung
der Beschneidung, welche sich im Oriente aus wohlverstandenen Gründen die
Geltung eines volksthümlichen Gebrauches erwarb, in kalten Breiten dagegen
walirlich überflüssig wird. Bei den Hebräern hatte die Beschneidung überdies,
und hat noch gegenwärtig, die Bedeutung eines Zeichens der Glaubensweihe :
„Beschneiden sollt ihr das Fleisch eurer Vorhaut, zum Zeichen des Bimdes
„zwischen mir und euch''. (Moses, I. B. c. 17.)
S. SOd. Aoat. Q. phjsiol. Charakter der weibl. Oeschlechtsorgane. — §. S09. Eierstdcke. 773
Der äusserst laxe Zusammenhang der Haut des Penis mit dem eigentlichen
Ruthenschafie erklärt es, warum bei grossen Geschwülsten in der Schamgegend,
so wie bei hohen Graden von örtlicher oder allgemeiner Wassersucht, das Glied
immer kürzer und kürzer wird, und zuletzt nichts von ihm zu sehen bleibt, als
die nabelähnlich eingezogene Präputialöflfnnng. — Eine sehr genaue Detailunter-
suchung der erectilen Gefössbildungen in den männlichen und weiblichen Geni-
talien ist in G, L, KobeWa Werk zu finden: Die männlichen und weiblichen
Wollustorgane. Freiburg, 1844.
11. AV^eibliche Gheschlechtsorgane.
§. 308. Anatomischer und physiologischer Charakter der
weiblichen Geschlechtsorgane.
Die weiblichen Geschlechtsorgane sind mehr in die Leibes-
höhle zurückgezogen als die männlichen, und bilden eine Folge
von Schläuchen oder Höhlen, welche zuletzt zu einer paarigen
Drüse — den Eierstöcken — führen. Die Eierstöcke bestimmen,
als keimbereitende Organe, den weiblichen Geschlechtscharakter.
Die männlichen Genitalien bestanden vom Anfange bis zum
Ende aus paarigen Abtheilungen (die unpaarige Harnröhre gehörte
dem Harn- und dem Zeugungsapparate gemeinschaftlich an); bei
den weiblichen Genitalien ist nur der Eierstock und sein Aus-
führungsgang (Tuba) paarig; Gebärmutter und Scheide unpaar. —
Da die weiblichen Zeugungsorgane während des Begattungsactes
einen Theil der männlichen in sich aufnehmen, und der befruch-
tete Keim sich in ihnen zur reifen Frucht entwickelt, so müssen
die Durchmesser ihrer unpaarigen Abschnitte absolut grösser als
die der männlichen sein, und in der Schwangerschaft und dem
Geburtsacte noch bedeutend vergrössert werden können. — Der
Mann ist bei der Zeugung nur im Momente der Begattung interessirt;
das Geschlechtsleben des Weibes dagegen erhält durch das perio-
dische Reifen seiner Eier (Menstruation), und durch die lange
anhakende Steigerung seiner bildenden Thätigkeit in der Schwanger-
schaft, eine grössere Bedeutung, und greift in die übrigen Lebens-
verrichtungen so vielfach ein, dass Störungen seiner Functionen weit
häufiger als im männlichen Geschlechte zu krankheiterregenden
Momenten werden.
§. 309. Eierstöcke.
Die Eierstöcke, Ovaaria, sind fUr das ireihliQhe GteiGhieohL
was die Hoden für das männliche wamiu J
774 9* S09. Eierat«ek6.
somit das Wesentliche im ganzen Zeugungssystem. Ihre Gestalt
erinnert an jene der Hoden. Sie wurden deshalb von den Alten
Testes mtdiebres genannt.
Die Eierst<)cke liegen, nach der Ansicht der alten anatomischen
Schule, in einer Ausbuchtung des hinteren Blattes des breiten Ge-
bärmutterbandes. Denkt man sich nämlich die Excavatio recto-
vesicalis durch eine, quer von einer Seite des kleinen Beckens zur
anderen gespannte Bauehfellfalte, deren freier Rand nach oben sieht,
in eine vordere und hintere Abtheilung gebracht, und stellt man
sich vor, dass die Gebärmutter mit ihren beiden Trompeten (Eileiter)
von unten her in die Mitte dieser Falte hineingeschoben wird, ohne
sie ihrer ganzen Breite nach auszufüllen, so werden die zwei un-
ausgefüllten Seitenflügel derselben, die breiten Mutterbänder vor-
stellen. Denkt man sich zugleich die Eierstöcke in eine Aussackung
des hinteren Blattes der breiten Mutterbänder aufgenommen, so hat
man einen Begriff von ihrer Lage und ihrem Verhältniss zum Peri-
toneum im alten Styl. Untersucht man jedoch die Oberfläche des
Eierstockes etwas genauer, so überzeugt man sich, dass sie keinen
wahren Bauchfellüberzug besitzt, indem das Peritoneum rings um
den vorderen Rand des Eierstockes, mit einer scharf gezeichneten
weissen Linie aufhört, von welcher Linie an die Oberfläche des
Eierstockes nur einen aus Cylinderzellen bestehenden Epithelialüber-
zug führt, welcher vom Pflasterepithel des Bauchfells sehr auffallend
diflferirt. — Der zwischen Eierstock und Tuba beflndliche Theil des
breiten Mutterbandes, heisst bei älteren Autoren Ala vespertüionis,
Altersverschiedenheiten und krankhafte Zustände haben auf die Lage der
EiersÜJcke Einfluss. Beim Embryo liegen sie, so wie die Hoden, in der Lenden-
gegend. Während der Schwangerschaft erlieben sie sich mit dem in die Höhe
aufwachsenden Uterus, und liegen an den Seiten des letzteren an. Kurz nach der
Geburt finden sie »ich in der Fos/ta ilinca. Nicht selten sieht man einen der-
selben an der hinteren Fläche der Gebärmutter anliegen. Krankhafte Adhärenzen
der Eierstöcke an benachbarte Organe, bedingen eine bleil)ende Lageveränderung
derselben.
Die Gestalt der Eierstöcke kann eiförmig genannt werden.
Das stumpfe Ende des Eies sieht nach aussen, das schmächtige
gegen die Gebärmutter, und wird durch das Ligamentum ovarii pro-
prium an letztere gebunden. Dieses Band hielt man vor Alters für
den Ausführungsgang des Eierstockes, daher sein Name: Vas eja-
culatorium seminis muliebris. Erst Regnerus de Graaf, 1672, er-
kannte seine wahre Natur als Band, und nannte es Ligamentum
teaticuli muliebris.
Man unterscheidet an jedem Eierstocke eine obere und untere
Fläche, einen vorderen und hinteren Rand. Bei Mädchen, welche
noch nicht menstruirten, sind beide Flächen glatt, — nach wieder-
§. 310. Bau der BienMeke. Nebeneiantoek. 775
holter Menstruation^ rissig oder gekerbt. Unmittelbar vor dem Ein-
tritte der ersten Menstruation sind die Eierstöcke am grössten, und
zwei ein halbes Loth schwer. Im vorgerückten Alter verlieren sie
an Grösse, ändern ihre Gestalt, werden flacher, härter und läng-
licher, und schwinden in hochbejahrten Frauen auf ein Drittel ihres
Volumens.
§. 310. Sau der Eierstöcke. ISTebeneierstock.
Unmittelbar unter dem Cylinderepithel des Eierstockes, liegt
die fibröse Umhüllungshaut dieses Organs (Tunica propria 8. aibu-
ginea). Am vorderen Rande des Eierstockes besitzt diese Um-
hülliingshaut einen Schlitz (Hüm ovarii), durch welchen die durch
ihren korkzieherartig gewundenen Verlauf ausgezeichneten Blut-
gefässe ein- und austreten. Das Parenchym des Eierstockes besteht
aus einem äusserst gefassreichen, organische Muskelfasern enthalten-
den Bindegewebe, Stroma ovarii, in welchem eine sehr gi*osse
Anzahl vollkommen geschlossener, mikroskopischer Bläschen ein-
gesenkt liegt. Henle giebt ihre Menge in dem Eierstocke eines
achtzehnjährigen Mädchens auf 36,000 an; Sappey bei einem drei-
jährigen Kinde auf 400,000. Die grosse Mehrzahl derselben verfällt
aber der Verkümmerung, und nur wenige reifen zu voller Aus-
bildung heran. Nur die grossen und reifen Bläschen verdienen den
Namen der Graafschen Follikel, da Regnerus de Graaf von
den früher erwähnten mikroskopischen Bläschen keine Kenntniss
hatte. Die Graafschen Follikel werden von einer besonderen gefass-
reichen Bindegewebshaut (Theca folliculi) gebildet, deren Innenfläche
mit einer structurlosen Membran (?) und einem auf dieser haftenden,
mehrschichtigen Cylinderepithel ausgekleidet ist (Membrana graniUosa
der Autoren). Sic enthalten eine gerinnbare Flüssigkeit (Liquor folli-
culi). An der, der Oberfläche des Ovariums zugekehrten Seite des
Graafschen Follikels (nach Anderen an der entgegengesetzten)
formiren die Zellen des Epithels eine dickere Scheibe. Diese Scheibe
heisst Discus oophorm, in dessen Mitte das von Baer im Jahre
1827 entdeckte menschliche Ei liegt. Das mit freiem Auge sicht-
bare Menschenei (Ovulum) ist ein rundes Bläschen von nur 0,1 Linie
Durchmesser. Es besteht aus Dotterhaut (Zona pellucida) und
Dotter (Vitellus). Der Dotter ist eine halbflüssige eiweissartige
Substanz, welche viele, das Licht stark brechende Bläschen (Körn-
chen) enthält, und dadurch mehr weniger undurchsichtig wird.
Drückt man das Ei durch ein aufgelegtes Glasplättchen flach^ so
platzt die Dotterhaut mit einem scharfrandigen Riss, und die zähe
Dotterflüssigkeit tritt heraus. Der Dotter enthält bei reifen Eiern,
776 S* SlO. Bau d«r EiantAeke. Nebeneientook.
das von Purkinje entdeckte, 0,02 Linien im Durchmesser haltende
Keimbläschen (Vesicula germinadva), welches mit einer unmessbar
feinen Hülle einen albuminösen Inhalt umschliesst. Das Keim-
bläschen lässt an sich einen weisslichen Fleck unterscheiden, den
Keim fleck (Macula germinativa), welcher an die Wand des Keim-
bläschens anliegt. — Vergleicht man nun das Ei mit einer Zelle,
so entspricht die Dotterhaut der Zellenwand, der Dotter dem Zellen-
inhalt, das Keimbläschen dem Kern, und der Keimfleck dem Kern-
körperchen. — Wenn das Ei von oben besehen wird, so bildet die
Dotterhaut einen kreisförmigen durchsichtigen Gürtel um den Dotter.
Daher rührt der sonst nicht zu verstehende Name Zona pellucida.
Sie ist somit kein ringfiirmiges Gebilde, wie der Name Zona ver-
standen werden könnte, sondern der optische Ausdruck einer durch-
sichtigen, dickwandigen Blase um einen undurchsichtigen Inhalt
(Dotter) herum.
Der Discos oophoi'^us hat an den Metamorphosen, welche das
befruchtete Ei erleidet, keinen Antheil. Er streift sich schon theil-
weise während des Austrittes des Eies aus dem Graafschen Follikel,
und gänzlich während seiner Fortbewegung durch die Tuba vom
Ei ab.
Die Graafschen Follikel entwickeln sich, nach Pflügor's und
Waldeyer's Entdeckung, nicht aus dem bindegewebigen Stroma
des Ovarium, sondern als schlauchartige Einsenkungen des Eierstock-
epithels, welche sich durch Abschnürung zu selbstständigen Hohl-
gebilden umwandeln, als erste Anlagen der G raaf sehen Follikel.
Die Bchlauchartigcn Einsenkungen sind natürlich mit dem Eierstock-
epithel ausgekleidet. Einzelne Zellen dieses Epithels vergrössern
sich, während andere sich nicht vergrössern. Die vergrösserten
Zellen lösen sich ab, werden frei, und sind die zukünftigen Eier.
Die sich nicht vergrössernden Zellen bilden die Membrana granulosa
des Graafschen Follikels, und den Discos oophorus desselben.
An dem Ovarium eines gesunden Mädchens, welches während der ersten
Menstruation eines zufälligen Todes starb, und durch Prof. Bochdalek*» Güte
völlig frisch, mir zur Untersuchung zugestellt wurde, fand ich den geplatzten
FolHcidtu Graafii filnf Linien im längsten Durchmesser haltend, und ein Ei von
0,13 Linien Dnrclimesser im Eileiter. Es bestand aus einer durchsichtigen Hülle,
in welcher eine Dotterkugel von 0,0*25 Linien eingeschlossen war. Den Raum
zwischen Hülle und Dotterhaut schien eine Flüssigkeit einzunehmen, da die
Dotterkugel in der Dotterhaut durch Druck verschiebbar war.
Was wir FoUictdi Graaßi nennen y hielt der niederländische Arzt, Regnerus
de Graaf, für die menschlichen Eier, benannte sie als Ova, und beschrieb sie
ausführlicher in seiner Schrift: de nmlierum organis; Lugd. 1072, cap. 12, Der
eigentliche Entdecker der (rraafschen Follikel ist aber Nie. Stenonins (Spec
iiiyol, FloreiiL lfjb'7, ptu/. 117), Er hielt sie für Eier, und nannte deshalb das
Organ, in welchem sie sich bilden, euerst Ovariuni, (rraafs Werk de mulierum
organi», erschien filnf Jahre später, 1672, zu Leyden. Die in der praktischen
§. 810. Bau der EienMeke. Nebeii«ientoek. 775
holter Menstruation, rissig oder gekerbt. Unmittelbar vor dem Ein-
tritte der ersten Menstruation sind die Eierstöcke am grössten, und
zwei ein halbes Loth schwer. Im vorgerückten Alter verlieren sie
an Grösse, ändern ihre Gestalt, werden flacher, härter und läng-
licher, und schwinden in hochbejahrten Frauen auf ein Drittel ihres
Volumens.
§. 310. Sau der Eierstöcke. ISTebeneierstock.
Unmittelbar unter dem Cy linde repithel des Eierstockes, liegt
die fibröse Umhüllungshaut dieses Organs (Ihnica propria 8. albur
ffinea). Am vorderen Rande des Eierstockes besitzt diese Um-
hüllungshaut einen Schlitz (Hüiis ovarii), durch welchen die durch
ihren korkzieherartig gewundenen Verlauf ausgezeichneten Blut-
gefässe ein- und austreten. Das Parenchym des Eierstockes besteht
aus einem äusserst ge&ssreichen, organische Muskelfasern enthalten-
den Bindegewebe, Stroma ovarii, in welchem eine sehr grosse
Anzahl vollkommen geschlossener, mikroskopischer Bläschen ein-
gesenkt liegt. He nie gicbt ihre Menge in dem Eierstocke eines
achtzehnjährigen Mädchens auf 36,000 an; Sappe y bei einem drei-
jährigen Kinde auf 400,000. Die grosse Mehrzahl derselben verfällt
aber der Verkümmerung, und nur wenige reifen zu voller Aus-
bildung heran. Nur die grossen und reifen Bläschen verdienen den
Namen der Graafschen Follikel, da Regnerus de Graaf von
den früher erwähnten mikroskopischen Bläschen keine Kenntniss
hatte. Die Graafschen Follikel werden von einer besonderen gefass-
reichen Bindegewebshaut (Theca folliculi) gebildet, deren Innenfläche
mit einer structurlosen Membran (?) und einem auf dieser haftenden,
mehrschichtigen Cylinderepithel ausgekleidet ist (Membrana granulosa
der Autoren). Sic enthalten eine gerinnbare Flüssigkeit (Liquor folli-
culi). An der, der Oberfläche des Ovariuras zugekehrten Seite des
Graafschen Follikels (nach Anderen an der entgegengesetzten)
formiren die Zellen des Epithels eine dickere Scheibe. Diese Scheibe
heisst Discus oophorm, in dessen Mitte das von Baer im Jahre
1827 entdeckte menschliche Ei liegt. Das mit freiem Auge sicht-
bare Menschenei (Ovulum) ist ein rundes Bläschen von nur 0,1 Linie
Durchmesser. Es besteht aus Dotterhaut (Zona pellucida) und
Dotter (Vitellus). Der Dotter ist eine halbflüssige eiweissartige
Substanz, welche viele, das Licht stark brechende Bläschen (Köm-
chen) enthält, und dadurch mehr weniger undurchsichtig wird.
Drückt man das Ei durch ein aufgelegtes Glasplättchen flach^ so
platzt die Dotterhaut mit einem scharfrandigen Riss, und die sstthe
Dotterflüssigkeit tritt heraus. Der Dotter enthält bei reifen *
778 9* Sil« ScbickMle dos FoUieulut Qraafii und des Eies.
einnimmt^ und, seiner gelbröthlichen Farbe wegen, Corpus luteum
genannt wird. Die vernarbte Oeffniing des Follikels heisst Cicatfix.
Die gelbe Farbe verdanken die Corpora lutea dem llämatoidin,
welches in ihnen ebenso abgelagert wird, wie in allen Blutextra-
vasaten. Da dieser Stoff in Weingeist sich entfärbt, so erklärt sich
hieraus, wai*um die gelben Körper, wenn sie in Spiritus aufbewahrt
worden, ihre Farbe verlieren. Je grösser die Zahl der voraus-
gegangenen Menstruationen, also je älter das Individuum, desto
narbonreicher zeigt sich die Oberfläche der Eierstöcke. Bei einem
Mädchen, welches nach der achten Menstruation an Lungenentzün-
dung starb, fand ich in jedem Eierstocke vier Narben. Wurde das
Ei, welches aus dem Graafschen Follikel austrat, befruchtet, und
tritt Schwangerschaft ein, so wird das nun sich bildende Corpus
luteum viel grösser sein, als wenn keine Schwangerschaft erfolgte.
Der lang andauernde Reizungszustand, welchen die fortschreitende
Entwicklung eines befruchteten Eies während der Schwangerschafts-
dauer im weiblichen Geschlechtsorgan unterhält, wird nämlich eine
copiösere Ausschwitzung von plastischen Stoffen im geborstenen
Graafschen Follikel und eine reichlichere Neubildung veranlassen,
als die nach wenig Tagen wieder schwindende Gefassaufreguug im
Eierstocke während der Menstruation. Man unterscheidet deshalb
wahre und falsche Corpora lutea. Ein wahres Corpus luteum er-
hält sich durch die ganze Schwangerschaftsdauer; ein falsches ver-
schwindet schon nach sechs bis acht Wochen. Die falschen sind
immer klein; — die wahren können selbst grösser als der Eier-
stock sein.
Dass sieh auch ausser der Menstruationszeit durch einen be-
fruchtenden Beischlaf ein Graaf scher Follikel öffnen, und sein Ei
entleeren könne, ist eine Vermuthung, welche durch Bisch off s
Arbeiten zwar nicht als unmöglich erscheint, aber. Alles erwogen,
sehr unwahrscheinlich klingt. — Da der Same in der That durch
die Tuben bis auf den Eierstock gelangt, und daselbst seine be-
fruchtende Kraft einige Zeit bewahrt, so wird wohl in der Regel
die Befruchtung des Eichens unmittelbar bei seinem Austritt vom
Eierstock selbst stattfinden. Es ist jedoch nicht unmöglich, dass
ein bei der Menstniation in die Tuba gelangtes Ei, in ihr oder
vielleicht erst in der Uterushöhle, durch den Samen einer bereits
vorausgegangenen, oder nun erst stattfindenden Begattung be-
fruchtet wird.
/ So weit wäre nun Alles recht. Nur begreift man dabei nicht,
warum die Frauen nicht fortwährend schwanger sind, und aus dem
Schwangersein ihr I^ebelang nicht herauskommen, da es doch bei
gesundem Zustande des Eierstockes nicht an der inneren Bedingung
S. SU. 0«b&nnnttar. Aeass«re YerhUtniM« daraalben. 779
dazu^ und ebensowenig an der objectiven äusseren Bedingung^ legaler
oder illegaler Weise fehlt.
Dass auch Mädchen, welche noch nicht menstruirt haben, und
Frauen, welche schon aufgehört haben zu menstruiren, schwanger
geworden sind, ist durch Beobachtungen constatirt, welche aller-
dings zu den Seltenheiten gehören. Es lässt sich daraus nur
schliesson, dass das Bersten eines Follikels, und die Entleerung
seines Eies auch stattfinden könne, ohne von einer solchen Gefkss*
aufrcgung im Sexualorgan begleitet zu sein, welche zum Blutabgang
führt. Das Menstrualblut ist übrigens ganz gewöhnliches Blut,
welchem Schleim aus den Gcschlcchtswegen, insbesondere aus der
Scheide, in grösserer oder geringerer Menge beigemischt ist. Blut-
flecken in der Wäsche sind deshalb, wenn sie von Menstrualblut
herrühren, steifer als Blutflecken von Verwundungen. Erstere haben
auch einen lichten Kand, weil sich der Schleim weiter in der I ^ein-
wand fortsaugt, als die rothen Blutkörperchen des Blutes. Dieser
Unterschied der Blutflecken und Blutspuren kann bei einem ärzt-
lichen Gutachten in gerichtlichen Fällen sehr gut verwerthet werden.
Ausführliches über die Corpora lutea gab Uia im Archiv für mikroskopische
Anat. I. Bd.
Wenn nun das Ovarium bei jeder Menstruation ein £i verliert, und dessen
Graafsche Hülle zu einem Corptu luteum verödet, so muss sein Vorrath an Eiern
einmal erschöpft werden, und entwickeln sich mittlerweile keine neuen mehr, so
erlischt das weibliche Zeugungsvermögvn, was durch das Schweigen der Men-
struation vor den Fünfziger Jahren fanni climactericij angezeigt wird.
§. 312. öebärmutter. Aeussere Verhältnisse derselben.
Die Gebärmutter heisst auch Fruehthälter, Bärmutter,
und Mutter kurzweg, Uterm*) s. Matrix, von (AifiTpa, daher ü/e^rä^
(Gebärmutterentzündung). Der Ausdruck ücrcepa, woher HyUeria (Mutter-
krampf) abgeleitet ist, stammt von üoTspo;, der letzte, indem der Ute-
rus das unterste oder letzte Eingeweide im Leibe des Weibes ist.
Die Gebärmutter lagert als ein unpaariges, hohles, und sehr
dickwandiges Organ, zwischen Blase und Mastdarm. Sie brütet, so
zu sagen, das empfangene und befruchtete Ei aus, dessen Ent-
*) Uteru/i stammt von tUer, ntrü, Hchlanch, da der Uterus bieornia der
Hausthiere, welchen man frülier kannte, als den einfachen Utems des menschlichen
Weibes, zwei lange häutige Schläuche repräsentirt, besonders im geschwängerten
Zustande. Matrix, woher das französische la ruatrice, für Uterua, finden wir suent
bei Seneca. — Das deutsche Wort Mutter drückt etwas Hohles, Enthaltendet,
auch Entwickelndes aus, wie wir aus Perlmutter, Schraubenmatter, Esaigmattor,
und Muttcrgcstein (welches andere Mineralien einschliesst) ersehen. Gebftrmiitt''*
aber ist wohl nur ans Bärmutter, d. L Tragmatter entstanden, Yon dem i|lldi
baeren, gothisch hairan, beide verwandt mit ^ipciv, d. L trugen (englf^^*'
noch in Bahre erhalten. Der Nfttorphilosoph Oken nennt den Uti
780 S* SIS- Geb&rmatter. Aeassere Verhftlftnisse denelbAn.
Wicklung bis zur Reife des Embryo in ihr von Statten geht. Sie
hat eine länglich birnförmige, von vorn nach hinten etwas ab-
geplattete Gestalt. Ihre lange Axe steht nahezu senkrecht auf der
Conjugata^ mit geringer Abweichung nach rechts, wahrscheinlich
wegen linkseitiger Lage des Mastdarmes. Ihr breiter und dicker
Grund, Fundus, liegt in der Ebene der oberen Beckenapertur. Er
ist nach oben und vorn gerichtet, während der sich verschmächtigende,
cylindrische Hals, CoUum s. Cervixy nach unten und hinten sieht.
Zwischen Grund und Hals liegt der Körper der Gebärmutter. Die
Insertionsstellen der beiden Eileiter bilden die Grenze zwischen
dem Körper und dem Grunde der Gebärmutter. Eine, besonders
bei jugendlichen Personen deutliche Einschnürung, bezeichnet jene
zwischen Körper und Hals. Der unterste Abschnitt des Halses ragt
wie ein Pfropf in die Mutterscheide hinein, welche sich rings um
ihn anschliesst, wie eine Calix renum um eine Nieren warze, und
heisst Scheidentheil der Gebärmutter, Portio vaginalis uteri,
Mntterkegel unserer Hebammen. — Die vordere Fläche des
Körpers der Gebärmutter ist flacher als die hintere, und zugleich
von oben nach unten etwas concav, um sich besser an die hintere
Fläche der vollen Harnblase anzuschmiegen. Die Seitenränder,
welche die vordere und hintere Utemsfläche von einander trennen,
dienen den breiten Mutterbändem, Ligamenta lata, welche in den
äusseren serösen Ueberzug der Gebärmutter übergehen, zum Ansatz.
Die Grösse der Gebärmutter anzugeben, ist eine missliche Sache.
Begreiflicherweise wird sie bei Jungfrauen und Müttern eine andere
sein. Zwei Zoll Länge, auf anderthalb Zoll Breite und ein Zoll
Dicke am Grunde, mag als beiläufiges Maass eines jungfräulichen
Uterus gelten. Am meisten individuelle Verschiedenheiten bietet
die Portio vaginalis uteri dar. Ihre Länge misst circa drei Linien;
kann aber abnormer Weise bis auf anderthalb Zoll zunehmen
(Lisfranc).
Die runden Mutterbänder, Ligamenta rotunda, sind wahre
Verlängerungen der Gebärmuttersubstanz, welche von den Seiten
des Grundes als rundliche, in der vorderen Lamelle der breiten
Mutterbänder eingeschlossene Stränge abgehen, und durch den Leisten-
kanal zur äusseren Schamgegend verlaufen, wo sie sich im Gewebe
der grossen Schamlippen verlieren. Nebst den breiten und runden
Mutterbändern tragen die faltenaitigen Uebergangsstellen des Bauch-
fells von der Blase zum Uterus (Ligamenta vesico-uterina), und vom
Rectum zum Uterus (Ligamenta recto-uierina) zur Sicherung der
Lage der Gebärmutter bei, und werden dies um so leichter thun,
da sie wirkliche Bandfasern von bedeutender Stärke einschliessen,
welche der Fascia hypogastrica angehören.
9. 818. Gebirnntterbdlile. 781
Für die manaelle Exploration der Gebärmutter zu praktischen Zwecken, ist
es nothwendig zu wissen, dass sie, durch ihre eigene Schwere, bei aufrechter
Stellung des Leibes tiefer zu stehen kommt, ja der Scheidentheil so weit herab-
rückt, dass er mit dem Finger leicht erreicht werden kann. Jede Action der
Bauchpresse treibt den Uterus tiefer in die Beckenhöhle herab. — Nach voraus-
gegangenen Geburten nimmt der Uterus nie wieder seine jungfräulichen Dimen-
sionen an, und rückt, wegen Relaxation seiner Befestig^gen, etwas tiefer in die
Beckenhöhle herab, was auch vorübergehend bei jeder Monatreinigung der Fall
ist. — Die Nachbarorgane der Gebärmutter, welche bei deren Vergrösserung in
der Schwangerschaft, durch Druck zu leiden haben, erklären die Stuhl- und Harn-
beschwerden, das schwere Athmen, die Gelbsucht, das Anschwellen der Füsse, das
Einschlafen derselben, das Wölben und Hartwerden des Unterleibes, und die da-
durch bedingte stärkere Bieg^g des Oberleibes nach hinten, mit Vermehrung der
Lendencurvatur der Wirbelsäule, um die Schwerpimktslinie zwischen den Beinen
zu erhalten. Man kennt es aus letzterem Grunde einer Frau auch von rückwärts
an, ob sie guter Hoffiiung ist.
§.313. öebärmutterliölile.
Die Gebärmutterhöhle (Cavum uteri) muss, im Verhältnisse
zur Grösse des Organs, klein genannt werden. Ihre Gestalt gleicht
im Durchschnitte (bei Frauen, welche noch nicht geboren haben),
einem Dreieck mit eingebogenen Seiten. Die Basis des Dreieckes
entspricht dem Grunde der Gebärmutter, — die beiden Basalwinkel
enthalten die Einmündungen der beiden Eileiter, — die untere
Spitze des Dreieckes setzt sich in einen, durch die Axe des Gebär-
mutterhalses in die Scheide herabführendeu Kanal fort, Canalü
cervicis ut&ii. Dieser Kanal ist in der Mitte seiner Länge weiter
als an seinem oberen und unteren Ende. Das mit der Gebärmutter-
höhle in Zusammenhang stehende obere Ende des Kanals heisst:
innerer Muttermund (Chificium uteHnum), und das untere, in die
Scheide führende: äusserer Muttermund (Orißdum vaginale).
Der äussere Muttermund ist bei Frauen, welche noch nicht geboren
haben, eine quere Spalte, mit einer vorderen längeren, und einer
hinteren kürzeren Lippe (Lahium ant&rivs et posterius) ; bei Weibern
dagegen, welche schon öfters geboren haben, von rundlicher Form.
— Die vordere und hintere Wand der Uterushöhle stehen in Con-
tact, und die Höhle kann somit kein eigentlicher Hohlraum mit ab-
stehenden Wänden sein, sondei*n bildet sich erst, wenn die zusammen-
schliessenden Wände durch was immer für einen Einschub von
einander entfernt werden.
Durch Schwangerschaft ausgedehnt, nimmt der äussere Muttermund nie
wieder seine querspaltige Gestalt an, sondern wird rundlich, klafft mehr, und
seine Umrandung erscheint gekerbt, durch Temarbte Einrisse an derselben. Solche
Einrisse ereignen sich gMii f*^ '*' '***' aUen Entgeblrenden, und sind nicht
gef&hxlich, vüiftimr^ ^^ der Regel auch der
782 §. 814. Ban d«r Gebärmatter.
Fall ist. — Bei bejahrten Frauen, welche oft geboren haben, kann die Portio
vaginaUft uteri ganz verstreichen, und der Muttermund steht dann am obersten
blinden Ende der Scheide. Das knorpelharte Anfühlen der Lippen eines jung-
fräulichen Muttermundes (ähnlich der Mundspalte einer Schleie, Cyprintia tmca),
hat XU der Benennung Os Uncae (Schleienmaul) Anlass gegeben, welches zu
meiner Schülerzeit noch mit Tinkaknochen übersetzt, und selbst zu Os tineae
(tinea ist Kopfgrind) corrumpirt wurde. Lieutaud hat diese Benennung zuerst
in die Anatomie eingeführt, als muaeau de tanche. — Zuweilen erscheint die Portio
vaginalis schief abgestutzt, welche Form Ricord als col tapirdid bezeichnet
(Schweinsrüssel, Hundsschnauze unserer gebildeton Hebammen).
§. 314. Bau der öebännutter.
Man unterscheidet an der Gebärmutter drei Schichten.
Die äussere gehört dem Bauchfell an, welches von der hin-
teren Blasenfläche auf die vordere Gebärmutterfläche gelangt, den
Grund und die hintere Fläche des Uterus überzieht, und an den
Seiten wänden mit den breiten Mutterbändern zusammen fliesst.
Die innere ist eine Schleimhaut, welche sich in die Eileiter
fortsetzt. Sie besitzt, wie ich mit Sicherheit behaupten kann, bei
Jungfrauen Flimmerepithel bis beiläufig in die Mitte des Canalis
cervicis ut&i^i herab, wo geschichtetes Pflasterepithel beginnt. Die
Verschiedenheit der Angaben über die Ausdehnung des Flimraer-
epithels in der Gebärmutterhohle, lässt sich vielleicht daraus er-
klären, dass das Alter und die Menstruation, bei welcher das Epithel
streckenweise abgestossen wird, auf diese Angaben Einfluss ge-
nommen haben. — Die Schleimhaut der Gebärmutter lässt sich
nur mit der grössten Vorsicht und nur streckenweise, als continuir-
liche Membran anatomisch darstellen, da sie mit der nächst an sie
grenzenden, mittleren Schichte der (Gebärmutter, ohne Vermittlung
eines subraucösen Bindegewebes, auf das Genaueste zusammenhängt.
Im Cervix uteri bildet sie, an der vorderen und hinteren Wand des
Canalis cervicls, eine longitudinale Falte, von welcher seitwärts
kleinere Fältchen schief abgehen, welche zusammengenommen dem
Schafte einer Feder mit der Fahne gleichen, und Palmas plicatae
8. Arbor vitae 8. Lyra genannt werden. Zwischen den Fältchen
finden sich einfache, schlaucliförmige, aber kurze Buchten, welche
man für Schleimdrüschcn hält, so wie auch zerstreute, vollkommen
geschlossene, über die Fältchen vorragende, mit schleimiger oder
colloider Flüssigkeit gefiillte Bläschen (vielleicht infarcirtc Schleim-
drüschcn), welche Ovula NabotJu heissen. Martin Naboth, Pro-
fessor zu Leipzig, ein sonst ganz unbekannter Mann, suchte diesen
Bläschen, welche die Anatomen bisher für Hydatiden hielten, die
Bedeutung der wahren menschlichen Eier zu vindicircn (DUs. de
8terüitate, Lip8. 1707, §, 12. 13). — In der unteren Hälfte des
§. 914. Bau der Qebännntter. 783
CanaJU cet^vicü, so wie auf der Gesammtoberfläche der Pars vagi-
nalis uteri, besitzt die Sehleimhaut eine bedeutende Menge nerven-
reicher Papillen, und erhält dadurch einen Grad von Empfindlichkeit,
welcher den eigentlichen Sitz des weiblichen Wollustgefühles bei
der Begattung, in dem Scheidentheil der Gebärmutter annehmen
lässt. — Im Cavura uteri erscheint die Schleimhaut vollkommen
faltenlos, und überaus reich an mikroskopischen, tubulösen, un-
getheilten oder ästig gespaltenen Drüschen (Glandulae utriculares),
welche bis in die muskulöse Gebärrauttcrsubstanz (mittlere Schichte
der Gebärmutter) hineinreichen. Die Menge derselben ist so be-
deutend, dass das, was man Schleimhaut des Uterus nennt, eigent-
lich nur als die Summe dieser Drüschen angesehen werden muss.
Das flimmernde Epithel der Uterusschleimhaut kleidet die Schläuche
der Drüschen aus. — In der Periode der monatlichen Reinigung
lockert sich die Uterusschleimhaut auf, wird drei- bis viermal
dicker, und wirft ihr Epithel ab, welches alsbald durch neue» er-
setzt wird. In der Schwangerschaft schält sich die Schleimhaut
gänzlich vom Uterus ab, und wird als Membrana decidua sammt
den Hüllen der Frucht ausgestosscn. Schon während des Abschälens
der alten Schleimhaut, beginnt die Bildung einer neuen.
Die mittlere Schichte der Gebärmutter bildet die eigent-
liche Gebärmuttersubstanz, welche, bei dem Missverhältnisse
des Volumens zur kleinen Höhle des Uterus, eine bedeutende Dicke
haben muss, und zugleich ein so dichtes Gewebe besitzt, dass, nach
dem Gefühle zu urtheilen, die Gebärmutter nächst der männlichen
Prostata, das härteste Eingeweide ist. Vielleicht beruht eben hierauf
die grosse Geneigtheit beider Organe zu jenen Erkrankungen,
welche man unter dem Namen Verhärtungen zusammenfasst. —
Die eigentliche Gebärmuttersubstanz besteht vorzugsweise aus Bün-
deln organischer Muskelfasern, welche sich vielfiiltig durchkreuzen,
und durch ein spärliches homogenes, oder schwach gefasertes, kern-
führendes Bindegewebe, so innig mit einander verbunden werden,
dass eine Trennung derselben in einzelne Schichten kaum ausführ-
bar wird. Man kann an durchschnittenen und gehärteten Uteri,
nebst Längen- und Kreisfaserbündeln, auch schief von einer Uterus-
hälfte auf die andere übersetzende, und somit sich in der Median-
linie kreuzende Bündel unterscheiden. Die Kreisfasern haben die
drei Oeffnungen des Uterus zu ihren Mittelpunkten; die Längen-
fasern gehen schlingenförmig von der vorderen zur hinteren Fläche.
Bindegewebe, Blutgefässe, und Nervengeflechte, welche aus spinalen
und sympathischen Elementen bestehen, lagern in den Zwischen-
räumen der Muskelbündel.
Die MaskeUehichte der Gebinmiller ist es, welofae sich an der Znni^nie
der Wanddicke eines sohwangenn ii^rt. 8i6 hat ja die
784 S. 815. Eileiter.
Kraft aufzubringen, durch welche der reife Embryo aus seinem bisherigen Anf-
enthalteorte ausgetrieben werden muss. Die Dicke dieser Muskelschichte wird in
der Schwangerschaft durch Neubildung von Muskelfasern an Zahl so bedeutend
vermehrt, dass die Zusammenziehungen der Gebärmutter die g^össten Geburts-
hindemisse zu überwältigen vermögen, und selbst Schwangere, an denen der
Kaiserschnitt vorbereitet wurde, durch eine letzte Wehenanstrengung, auf natür-
lichem Wege gebaren. — Die organischen Muskelfasern der Gebärmutter setzen
sich in die runden Mutterbänder, in das Ligatnentum ovarü proprium, und in die
Eileiter fort Auch zwischen den Blättern der breiten Gebärmutterbänder hat man
Muskelfasern gefunden, welche mit jenen der Gebärmutter in Verbindung stehen.
— TJeber Verbreitung und Verlauf der Muskelfasern in der nicht schwangeren
Gebärmutter, wurden von R. Kreitzer in der Petersburger med. Zeitschr., 1871,
umfassende Untersuchungen veröffentlicht
Die Arterien der Gebärmutter verlaufen im schwangeren und nicht schwan-
geren Zustande in kurz gewundenen Spiralen. Die Venen sind mit der sie um-
gebenden Uterussubstanz auf das Innigste verwachsen, und klaffen deshalb an
der Schnittfläche einer Gebärmutter. Sie nehmen während der Schwangerschaft
in so erstaunlicher Weise an Dicke zu, dass sie sich beim Durchschnitte als finger-
grosse Lücken zeigen, welche man früher ftir Sinus hielt
Es handelt sich in praxi öfters dämm, zu entscheiden, ob eine tiefere
Stellung des Uterus im Becken, durch abnorme, angebome Kürze der Vagina,
oder durch Relaxation der Befestigung^mittel des Uterus beding^ ist Im ersteren
Falle kann der Uterus durch den in die Vagina eingeführten Finger nicht empor-
gedrängt werden, was im letzteren Falle leicht gelingt. Die angeborene Kürze der
Vagina ist ein wichtigerer Formfehler, als es auf den ersten Blick erscheint Er
macht die Begattung schmerzhaft, und unterhält dadurch einen chronischen Bei-
ztuigszustand in der Gebärmutter, welcher zu bedenklichen Folgeübeln führen kann.
Cruveilhier hat in einem solchen Falle das OaUitm uteri so erweitert gefimden,
dass kein Zweifel obwalten konnte, der Penis habe, durch sein Eindringen bis in
die Höhle des Uterus, diese Erweiterung erzeugt. Eine andere Consequenz der
abnormen Künse der Scheide ist eine durch die Begattung bedingte, derartige
Verlängerung de» hinter der Par« vaginalis uteri befindlichen Fornix vaginae (le
vagin artificiel bei französischen Autoren), dass diese künstlich entstandene Scheiden -
Verlängerung, die Länge der natürlichen Scheide noch übertrifft
§. 315. Eileiter.
Hinter den runden Mutterbändern gehen vom Fundus der
Gebärmutter die beiden Eileiter oder Muttertrompeten ab, Ovi-
ductus 8. Tubae Fallopianae, welche mehr weniger geschlängelt, im
oberen freien Rande der breiten Mutterbänder liegen. Ihre mit der
Gebärmutter zusammenhängende innere Hälfte, zeigt am Querschnitt
nur ein äusserst enges punktförmiges Lumen, und heisst deshalb
Isthmus. Ihre äussere Hälfte dagegen erweitert sich zur sogenannten
AmpuUa. Während man im Alterthume das vom Eierstock zum
Gebärmuttergnmd gehende Ligamentum ovarii proprium für den
Ausfuhrungsgang des Eierstockes hielt, und ihn, dieser Idee ent-
sprechend, Ductus ejaadatarius femininus nannte, zeigte Fallopia
§. 915. Eileiter. 785
zuerst, (lass die von ihm als Tubae bezeichneten Kanäle, die wahren
Ausführungsgänge des Eierstockes sind, obwohl sie mit dem Eier-
stock nicht continuirlich zusammenhängen. Deshalb fuhren sie auch
seinen Namen. Jede Tuba bildet einen, etwa vier Zoll langen Kanal,
welcher zwar mit der Höhle der Gebärmutter durch das sehr enge
Ostium tubae uterinum zusammenhängt, an seinem äusseren Ende
aber, welches vor und unter dem Ovarium liegt, nicht mit dem
Eierstocke in Verbindung steht, sondern mit einer weit offenen
Mündung (Ostium tubae abdominale) in den Bauchfellsack sich öffnet.
Diese Oeffnung erscheint trichterförmig, als Infundibulum, und ist
mit ästigen Fransen, Fimbriae 8. Laciniae, besetzt. Lacitiia stammt
von Xaxi<;, Franse oder Fetzen, woher lacerare. Die Fransen geben
dieser Oeffnung das Ansehen, als wäre sie durch Abbeissen oder
Abreissen entstanden. Daher schreibt sich der bei den Alten ge-
bräuchliche Name: Morsus diaholi. Der böse Feind hat, seit Eva's
Zeiten, mehr mit der Weiber- als Männerwelt zu schaffen gehabt.
Der Schwabenspiegel (1273) sagt deshalb : Mulier est malleus, per
quem diabolus mollit et malleat Universum mundum, — Die Benennung
aber Morsu^s diaboli, ist aus der Botanik entlehnt. Eine Pflanze,
welche einst ihrer adstringirenden Wirkung wegen, zur Heilung von
Wunden und Geschwüren sehr stark im Gebrauche war, führt den
Namen Scabiosa succisa. Ihre ausgefaserte Wurzel sieht wie ab-
genagt aus (Radix praemorsa), indem der Teufel, aus Verdruss über
die guten Dienste, welche diese Pflanze der leidenden Menschheit
erwies, ihr in seinem Ingrimm, die Wurzel abbiss. So sagt das
Mährchen der alten abergläubischen Kräutersammler.
Die Eileiter besitzen drei Wandschichten: eine äussere Peri-
tonealhülle, eine innere Schleimhaut mit Flimmerepithel, und eine
dazwischen liegende, aus einem äusseren longitudinalen, und inneren
kreisförmigen Stratum bestehende Muskelhaut. Die aus reticulärem
Bindegewebe aufgebaute Schleimhaut, besitzt nur in der Ampulla
blinddarmförmige Drüschen, und eben daselbst auch mehrere faltige
Erhebungen, mit seitlichen Nebenfalten, wodurch die aufgeschnittene
Tuba an dieser Stelle ein geftlchertes Ansehen darbietet. Das
Fliraraerepithel der Schleimhaut der Tuba setzt sich, über den Rand
des Ostium abdominale tubas hinaus, auch auf die äussere Fläche
der Fimbrien fort. — Am Ostium abdominale tubae geht die Schleim-
haut der Tuba in das seröse Bauchfell über, — der einzige Fall
des Uebergangs einer Schleimhaut in eine seröse Haut.
Nach Richard^s Beobachtun^n (Thhae inau^rale, Pari*, 1851) kommen
zuweilen an den Tuben, ausser den beiden endständigen Oeffhungen, noch ge-
franste Seitenö&iungen vor. Sie wurden in dreissig untersuchten Fällen fOnfmal
gesehen, und zwar entweder in der Nähe des OffKiim abdmiiiiindU, oder in der
Längenmitte der Tuba. In einem FftUe wir ^ '*^"*
kurze membranöse Bohre aoigesogen. W"
Hyrtl, Lehrbneb der Anatomie. 14. Alf
einiuat in lii'r nnuiittp:
^troffen. Audi amlei
I Nilh.' de." oigentüchen OHium abdami
nicht glflcklictii^r.
dsBa diu KranBon des Olli
c tubue an-
n abdoBXinale
tuliae das Ovarium in jenem Momente umfasson, in welcheoi durvli Buralunj; einns
Oraarachen Follikvli, uin Ei &U9 dein Eierstocke abgebt. Et leuelitel mir nicht
ein, wie dit^ Ksrlrn FrainiicD sicli zu i-iner «olchen Um k lamme mng anacbicken
tollen. Es mangflt j» an freiem BewegungBB|>ieIr»nm der unter Hem Druck der
Banehprease stellenden UnterleiliBbülile. Man niilaate femer den Fransen d«i
Eileiters eine Art von Inatinct ziiaclireilHn, sicli gerade an jenen SleUen dei
Eieretockea anzuklamoieni, wu elieii ein Follikel kh beraten im Begriffe Ut. Ich
war nicht im Stande, dnreli Üalraniairen der Eileiter bei Tliieren, eine Umklan-
mernng der EiersUleke dnrch die Fransen des InfondibiUum hervoraanifen. Die
Art lind Weise, wie der Ueliertritt de« Eies aiia dem Eierstock in die Tnba be-
werkstelligt wird, liegt also nucb im Dunkel. Daas die rnn Delille xncrat
erwSbntc, und von Henle als fimMa onrica bexeithnete Franse, bei der lieber-
fltlming des Eies in die Eileiter betlieiligt sein kann, will ich nicht in Abrede
■teilen. Dies« Franse ist Ifinger und breiter als die flbrigen, gebt mit dem Kusu^ren
Endo des Eierstocke« ainii Vorbindung ein, und faltet «ich «ugUii-h der Uüi^
nach so. dass aie eine Kinne bildet, llings welcher das El unter dem ElnSuu«
der Flimmerliewt'gnng in der Binne, seinen Weg Knm Trichter der Tal>a Bnden
mag.
l&Bst das vom Ovarinm ausgestosaenu Ei, durch die Flimmer-
bewegnng der Fimti>-ia oariea gleichaam einfangen, und in das 0*liuiii tubae ge-
leiden. Die Beobachtung Tbiry's (GUttinger Naohiichten, 18*12), das« sich Lei
den Hatraebieni, deren Oviducto siuli weit vom Eierstock entfernt iiffnen, wSlinnd
der Brunnt fUrmliohe Straaaen von Flimmcrapithel auf dem Peritoneum entwickeln,
welelie gegen die Oeffnung <ler Oviduule uonvergiren, guwührt dieser Ansicht eiiw
micbtigo BlUbie. — Du von der Tuba aufgefangene Ei, wird durch sie in den Uterus
geleitet, in dessen Höhle es, wenn es mittlerweile nicht befruchtet wurde, dnrcb
Aufsaugung verschwindet, aber weiten- Ifmbildnngen erfiihrl, wenn es die be-
lebende Einwirkung des minnlicben Samens erfahr.
Bevor Fallopia den Eileitern den Namen Tubae gab, Messen aie Oomua
uteri (Galen), auch Uealta temümUi, Vaaa itmen de/eretUia «. rjacuUUoria ovarii,
indem man vor Altera die Ansieht hegte, daaa der in den Eierstöcken abgesonderte
weibliche Same, durch die Tnben in die Gebttrmntter geleitet wllrdo, um sich
dort mit dem [nflnnlichen Samen üu mischen, ans welcher Mixtnr sofort die Fmcht
entstehen sollte.
l
§. 311.1. Mutterscheide.
Dio MuttefBcheidc oder Scheide, Vagina, v^hmz, (ganz
gegen die Regel : proprta quae marUms, im FranzöBiaehen als „h
Vagi»" geTisria mateuUni), führt vom Utcrue zur iiasoeren Hcliam. Im
Paarungsacte nimmt sie däu mStinliche (ilied vaginae ad inttar
auf, — daher ihr Name. Ihre LSuge wird «uf vier Zoll angegeben.
Dieses ist unrichtig für die Vai/ina in silu, welehe in der Regel
nur zwei und ein halb Zoll lang gefunden wird. Wo müsste bei
vier Zoll Länge der Scheide, der zwei Zoll lange Uterus mit seinem
Grunde stehen? Gewiss nahe zwei Zoll über dem Niveau der
oberen Beckenapertur, v/na nicht der Fall ist. — Der Querdurch-
measer der Scheide beträgt, bei gebührlicher Weite, nur einsn Zoll.
S. 916. Mttitoneheide. 787
Die Scheide beginnt in der äusseren Schamspalte mit dem
senkrecht elliptischen Scheideneingang, Ostium vcyintxe, welcher
der engste and am wenigsten nachgiebige Theil der ganzen Scheide
ist, und bei der ersten Begattung dem Eindringen des Penis stärkeren
Widerstand leistet^ als das Jungfernhäutchen. Er steht noch über-
dies unter dem Einfluss eines der Willkür gehorchenden Muskels,
des Scheid en seh nur ers, Constrictor cunni, von welchem später mehr.
Die Scheide liegt zwischen Harnblase und Mastdarm (inter
fecea et urinas iiascimur, klagt der Kirchenvater), und endigt nach
oben mit dem Scheidengewolbe, Fomix, in welches die Pars
vaginalis uteri als stumpfer kegelförmiger Voi*sprung hineinragt, und das
Scheidengewölbe in ein vorderes seichteres, und hinteres tieferes
trennt. Die Axe der Scheide stimmt mit der Axe des kleinen Beckens
überein, ist somit ein Segment einer Kreislinie, dessen Concavität
nach vom sieht. Dieses Umstandes wegen wird die vordere Wand
der Scheide etwas kürzer sein müssen, als die hintere, und das
Scheidengewölbe hinter der Portio vaginalis Vieri tiefer erscheinen,
als vor derselben. — Die vordere und die hintere Wand der Scheide
stehen im Leben nicht von einander ab, sondern berühren sich, so
lange nichts dazwischen kommt. — Der Peritonealüberzug der hin-
teren Fläche des Uterus erstreckt sich auch auf den obersten Theil
der hinteren Scheidenwand herab. Die vordere Wand der Scheide
steht mit der Harnblase nicht blos in Contact, sondern in Binde-
gewebsverbindung , und entbehrt somit des Peritonealüberzuges
gänzlich.
Die Wand der Scheide wird durch eine dicke, mit einer
Schichte organischer Muskelfasern umgebene Bindegewebsmembran,
welche mit elastischen Fasern durch webt ist, und durch eine
Schleimhaut gebildet, welche spärliche Schleimdrüsen, aber zahl-
reiche Papillen, und ein mehrfach geschichtetes Pflasterepithel
besitzt, dessen beträchtliche Dicke die Schleim hautpapiUen fast voll-
kommen verdeckt, und dessen massenhaft sich abstossende, und mit
krankhaften Secreten der Scheide sich mischende ZeUen, diesen
Secreten eine weissliche Farbe verleihen, woher der Name weisser
Flu SS (Fluor albus, Leucorrhoe) stammt, — eine Plage vieler Frauen,
auch mit reinem ehelichen Gewissen. Durch Erschlaffung der
Schleimhaut bedingt, muss dieser Fluss, als Fluor benignus, von dem
durch Ansteckung hervorgerufenen Fluor malignus wohl unter-
schieden werden.
Die Schleimhaut bildet an der vorderen und hinteren Wand
der Scheide ein System quer übereinander liegender, gekerbter
Falten (Runzeln), Columna fUcarwn anterior et posterior, welche dicht
hinter dem Ostium vaginae extemum am entwickeltsten und, a|id
gegen den Fomix hinauf allmälig
788 S. 317. Hymen.
Durch häufige Beg^attung*, und nocli mehr durch öftere Geburten, werden
die Runzeln der hinteren Wand der Scheide geglättet; die vorderen erhalten sich
besser. Ihre Consistenz ist bei weitem härter, als jene anderer Schleimhautfalten.
Ihre Empfindlichkeit steigert während der Begattung die Geschlechtslnst des
Weibes, imd vermehrt, durch Reibung an der Olans, den Impetua coeundi des
Mannes. Bei Jungfrauen fühlen sie sich fast knorpelhart an. Es sind jedoch
diese Falten oder Runzeln nicht als Schleimhautduplicaturen aufzufassen. Ich sehe
in ihnen vielmehr nur Riflfe, welche auf einer ungefalteten Schleimhaut, als ver-
dickte und aufgeworfene Stellen derselben aufsitzen. Nichtsdestoweniger behält
man den Namen der Falten oder Runzeln bei, obwohl der Ausdruck CriaUiey
Kämme, wie mir scheint, bezeichnender wäre.
§. 317. Hymen.
Die Schleimhaut des Scheideneingangs bildet im jungfräulichen
Zustande y durch Faltung von unten auf, eine halbmondförmige
Duplicatur — die Scheidenklappe, das Jungfernhäutchen
(Hymen*), Membi*ana mrginttatis, Claustrum mrgvnale, Zona castifafts,
Sigülum et Custodia virginitatis, von den Hebammen auch Jungfern-
schlö sslein und Jungfernschatz genannt). Ihr oberer concaver
Rand lässt nur so viel von der ScheidenöflFnung frei, als der Ab-
fluss der monatlichen Reinigung erheischt. Nach Zerstörung der-
selben, bleiben die sogenannten Cai^uiicula^ mifrüfarmesy als warzen-
ähnliche gekerbte Reste der zerrissenen Schleimhautlappen zurück.
Ein zerstörter Hymen regenerirt sich nie:
„NuUa reparabilia arte
yfLaesa pudicüia est; — (leperii iüa seiiiel*^,
(Ovid.)
Die Form der Scheidenklappe unterliegt, so wie ihre Festig-
keit, mancherlei Verschiedenheiten. Bei alten Jungfern erreicht sie
eine lederartige Zähigkeit, wie schon Spigelius wusste. Gewöhnlich
erscheint sie halbmondförmig. Zuweilen ist sie ringförmig (Hymen
annulat'is}, und die Oeffnung nicht in der Mitte, sondern mehr
nach oben gelegen. Viel seltener hat sie mehrere ( )effnungen (Hymeit
cribrifoi*nUs), Der Hyvieji imperfitratus, welcher gar keine Oeffnung
hat, verfallt dem chirurgischen Messer, um durch einen Einschnitt
dem Menstrualblut Ausgang zu verschaffen. — Von Luschka wurde
eine, in gerichtlich-medicinischer Hinsicht wichtige, bisher nicht
*) Das griechische 0[jl/jv bedeutet überhaupt jede Haut (Bauchfell, Herz-
beutel, Trommelfell, Mittelfell, n. s. w.), und unter Beziehung auf das Schicksal
der Jungfemhaat einer Braut, auch Hochzeitsgesang. Die lateinischen Dichtt^r
^besonders Catullns) besingen diese Membran als FIm (cttm autum amisä, jfoUu^o
corpore ßorernj. Ich erwHhne dieses, um es verständlich zu niHclien, warum in der
gerichtlichen Medicin die Entjungfenmg Deßoratio heisst. — Merkwürdig bleibt es
immer, dass es Anatomen gab, welche die Existenz eines Jungfernhäutchens durch-
aus leugneten, wie Vamlius. Lanrentius. und Pareus. Vesalius und Co-
lumbu.H hielten dasselbe für eine grosse Seltenheit, selbst für etwas Krankhaftes.
§.818. Aenssere Scham. 789
bekannte Form des Hymen, als Hymen ßvibiiatus beschrieben. Der
Rand der HymenöflPhung erscheint nämlich wie durch tiefe Kerben
gelappt oder gefranst, und erregt dadurch den Gedanken an ver-
suchte oder vollzogene mechanische Sprengung oder Zerreissung
desselben.
Da»8 ein fehlender Hymen den Verlust der Jnngfrauschaft nicht verbürgt,
ebensowenig als ein vorhandener ein untrüglicher Zeuge jungfräulicher Reinheit
ist, war schon lange den Gerichtsärzten bekannt. Es wurden angeborener Mangel
des HymeUf und sniföUige Zerreissung desselben im zarten Kindesalter (durch Ver-
wundung, durch Bohren mit dem Finger in der Scheide bei Pruritus vermmonu)
beobachtet Dass aber durch Reiten, Springen, oder einen Fall mit ausgespreizten
Füssen, das PeUladium virtjinüatia abhanden komme, gehört nach Versuchen mit
zwei Cadavem, welche ich 1836 anstellte, zu den Unmöglichkeiten. Auch an
Fällen, wo der H3rmen erst durch die Geburt zerrissen, oder bei Prostituirten,
(j^iae jiuso corpore questum faciurU, unversehrt gefunden wurde, fehlt es nicht. —
Einen Hymen in Form eines breiten Querbandes in der Scheidenöffnung, habe ich
einmal gesehen.
Die Festigkeit des Hymen kann ein unbesiegbares Begattung^hindemiss
abgeben, und die Trennung desselben durch den Schnitt nothwendig machen. —
Da der Hymen als Duplicatur der Schleimhaut aufgefasst wird, somit auch Blut-
gefässe enthält, so wird der mit der ersten Begattung verbundene Blutverlust
bei vielen Völkern als Zeichen der Jungfrauschaft der Braut genommen, wie noch
heutzutage bei den Mauren, den Juden im Orient, den Kirgisen und Samojeden.
Auf Sierra Leona wird, bei Fehlen dieses Zeichens, die Ehe nichtig erklärt. —
Einhufer, Wiederkäuer, Fleischfresser und Affen, haben ein Analogon des Hymen ;
die übrigen Thiere nicht. — Die Zerstörung des Hymen bei der ersten Begattung
giebt wohl das einzige Beispiel einer auf rein mechanischem Wege bewerkstellig-
ten, physiologischen Vernichtung eines Organs. Bei sehr verweichlichten und
verkommenen Völkern des Alterthums, war die Entjungferung den Götzenpriestem,
im Mittelalter auch dem Gutsherrn überlassen (Jus primae noctis), — Im Prager
Museum beünden sich die Genitalien eines nocli jungfräulichen Mädchens mit
doppelter Scheide. Das Mädchen war noch nie menstruirt. An beiden Scheiden-
eingängen fehlt der Hymen, als angeborener Bildungsmangel.
§. 318. Aeussere Schajn.
Die Faltenbildung, welche in der Gebärmutter als Palmae
plicatae, und in der Scheide als Columnae rugayiim auftrat, erhält
in der äusseren Scham ihre grösste Entwicklung. Die weibliche
Scham, Pudendum muliebre, s, Vulva, 8. Cwanus, besteht nämlich
aus zwei concentrischen Faltenringen — den grossen und kleinen
Schamlippen, zwischen welchen eine senkrechte Spalte (Rima
pvdendiy Sdasuraj t/iJ-^v^ol) liegt, welche die Mündungen der Harn-
röhre und der Scheide enthält.
Die grossen Schamlippen, Labia majara, erstrecken sich
vom Schamhtigel zum Mittelfleisch , wo sie duroli daf
labiorum mit einander verbanden werden*: 1
790 S. 318. AeaMf re Scham.
Frenulum, vertieft sich die Schamspalte zur schiffförmigen
Grube, Fossa navicidaris, einem Lieblingssitz der venerischen Con-
dylome. Der Schamhügel (Mons Veneris, Pubes crinosa, bei alten
Anatomen, eleganter Weise auch Hebe, von i)ßrj, Schamhaar, und
bei den Franzosen Penil), ist nichts anderes, als ein durch reich-
liche Fettablagerung im PanniculuB adiposus polsterartig erhobenes
Integument.
Die äussere Fläche der grossen SchamUppen besitzt noch den allgemeinen
Charakter des Integnments, mit Haarbälgen und Talgdrüsen; die inneren Flächen
beider Lippen haben schon das Ansehen einer Schleimhaut, entbehren aber der
Schleimdrüsen^ welche durch Glamltdae »eb<iceae vertreten werden. Die grossen
Schamlippen schliessen durch wechselseitige Berührung bei jungffräulichen Indi-
viduen die Schamspalto genau zu, welche erst durch wiederholte Begattung oder
Gebarten klaffend wird. Fettreiches und dichtes Zellgewebe, vom Motu Veneris
bembkommend, g^ebt ihnen bei jugendlichen Personen, welche ihre Geschlechts-
tbeile . geschont haben, eine gewisse Prallheit, welche im späteren Frauenalter
schwindet. Eine dieses Zellgewebe deckende contractile Faserlage, erinnert an
die Dartos des männlichen Hodensackes.
Vftlva bedeutet bei Celsus, dem einzigen römischen Schriftsteller ttber
Medicin aus der aettu aurea, das gesammte weibliche Genitale, sofern es unpaar
ist, also ohne Eierstöcke. Spigelius leitet das Wort von valva ab: quod
propter lonffam fisMuram, qua labia genUalium disparantttr, valvas aemuUUur, Bei
Seneca wird auch Votva gelesen. Bei Horaz ist Volva ein Leckerbissen der
römischen Feinschmecker, nämlich die gebratene Bauchwand eines säugenden
. Mutterschweins, mitsammt den Milchdrüsen. Hieraus erklärt sich, warum die
Vulva auch Porcu» und Porea bei Varro heisst, und vendere porcum gleich-
bedeutend ist mit prostituiren.
Zwischen den grossen Schamlippen, und mit ihnen parallel,
finden sich die kleinen, Labia minora 8, Nj/mphae (ut enim Nymphae
icaturienttbus aquis praesunt, sie ha^ urinae rivtUo praefectae videntur,
sagt Adr. Spigelius). Sie reichen von der Clitoris bis zur Seite
des Scheideneinganges herab, und sollen bei conservirten (renitalien
mit ihren freien gekerbten Rändern, nicht über die grossen Lippen
hervorragen. An der inneren Oberfläche der kleinen Schamlippen
nimmt die sie bildende Haut den Charakter einer wahren Schleim-
haut mit FoUiculü mudparU an. Der zwischen den inneren Flächen
beider kleinen Schamlefzen befindliche Kaum, welcher sich von der
Clitoris bis zum Scheideneingang erstreckt, heisst in der chirur-
gischen Anatomie Vestibulum vaginae. Diesem Vcstibulura gehören
zwei, gleich unter der Schleimhaut gelegene, dicke Venengeflechte
an, welche den erectilen Schwellkörpern zwar scheinbar ähneln,
aber durch den Mangel aller contractilen Elemente sich anatomisch
von ihnen unterscheiden. Man nennt sie BuLbi vesttbtdi (Wollust-
organe). Sie sind keulenförmig gestaltet, mit vorderem dünnen,
an die Clitoriswurzel hinaufreichenden £nde. Das hintere dickere
Ende schiebt sich an den Seitenrand des Scheideneinganges hin.
8- 918. Aeassere Scham. 791
Ihr Bau befähigt sie wohl zur Intumescenz (Schwellung); aber nicht
zur Erection (Steifung). — Gegen die Clitoris zu, spaltet sich jede
kleine Schamlippe in zwei Fältchen, deren eines, mit demselben
der anderen Seite verbunden, sich als Frenidum clitoridis an die
untere Fläche der Glans ditoridis inserirt, deren anderes über die
Glans hinaufsteigt, um sich mit demselben Fältchen der gegen-
ständigen kleinen Schamlippc zu verbinden, und die Vorhaut der
Clitoris zu bilden.
Der Kitzler (Clitoris, y-XsiTop^o), titülare, bei Martial Venus,
bei Juvenal Tentigo vulvae), einem männlichen Gliede en miniature
ähnlich, ist wie dieses gebaut, aber viel kleiner und undurchbohrt.
Nur bei zwei Säugethieren — Maulwurf und Lemur — wird er
von der Harnröhre durchbohrt. Er besteht, wie der Penis des
Mannes, aus zwei Schwellkörpem, welche getrennt von den Sitz-
beinen entspringen, sich dann an einander legen, und einen, durch
Gestalt und Lage dem Penis gleichenden, crectilen Körper bilden,
welcher eine Glans, ein Präputium, ein doppeltes Frenulum, Musculi
ischio-cavemosi, aber keine Harnröhre besitzt. Die weibliche Harn-
röhre mündet vielmehr dicht über dem Scheideneingang, zwischen
den kleinen Schamlippen, mit einer rundlichen und an ihrem hin-
teren Rande gewulstetcn Oeffnung, um welche herum, so wie an
den Seiten des Scheidencinganges, schon acinösc Schleimdrüschen
auftreten.
Am Scheideneingauge münden links und rechts die Barth'o-
lin'schen oder Tiedemann'schen Drüsen aus, welche den Cow-
pcr'schcn Drüsen der männlichen Harnröhre analog gebaut sind,
aber sie an Grösse etwas übertreffen. Ist ein Hymen noch vor-
handen, liegen die Mündungen dieser Drüsen vor demselben.
Man findet diese DHisen bei unzüchtigen Mädchen und Frauen grösser als
bei schamhaften. Sie liegen hinter dem Conatrictor ainni, und vor dem TranS'
versfUf perinei, im hinteren Theile der grossen Schamlippen, und können daselbst
zuweilen durch Druck zwischen Daumen und Zeigefinger geffthlt werden. Com-
prirairt man auf diese Weise den hinteren Theil der grossen Schamlippen, so ent-
leert sich gewöhnlich eine gelbliche, nicht specifisch riechende Flüssigkeit aus
ihrer Mündung. Diese Mündung liegt ziemlich weit von der Drüse entfernt, so
dass die Länge des Ausführungsganges sieben bis acht Linien beträgt. Schlüpfrig-
machen des Scheideneinganges für den Penis, scheint die Bestimmung dieser
Secretionsorgane zu sein, denn sie nässen nur durante prurüu.
Die kleinen Schamlippen haben nur bei Frauenzimmern, bei welchen sie
nicht über die grossen Lippen herausragen, eine rosenrothe Schleimhautfarbe.
Ragen sie über diese vor, so werden sie trockener, härter und brauner, und bei
Prostituirten ehrwürdigen Alters zuweilen so lang, dass sie wie laxe, hahnen-
kammförmige Lappen, einen Zoll weit aus der welken Schamspalte herabhängen.
Bei den Weibern der Hottentotten und Buschmänner erreichen sie die excessive
Länge von sechs bis acht Zoll, und sind als Schürze (tahUer) von Cuvier be-
schrieben worden (M^m, du mus6e d'kist. not. Tom, IIIJ, Ihre bei einigen Völ*"*^
im nördlichen Africa angeborene, excessiye Länge, erfortot dl^ ^
792 §. 819. Brüste.
derselben. — Die Clitoris wird in südlichen Zonen grösser, als in den gemässigten
und kalten Breiten. Bei den Abjssinierinnen, den Mandingos und Ibbos, so wie
bei den Androgynen und lasciven Frauen überhaupt, nimmt ihre Grösse bedeutend
zu, und hat bei ersteren selbst die Beschneidung als volksthümliche Operation
sanctionirt. Als bei der Bekehrung der Abjssinier zum Christenthume, die Mis-
sionäre die weibliche Beschneidung als Ueberrest des Heidentliums abstellten,
machten die Männer Revolution, welche nicht früher beigelegt wurde, als bis ein
von der Propaganda in Rom abgesandter Wundarzt, die Nothwendigkeit des alten
Brauches feststellte. — Bei besonderer Entwicklung, wie .sie Thom. Bartho-
linuB gesehen (sechs Zoll lang, und fingerdick), kann diu Clitoris die Stelle des
männlichen Gliedes vertreten, und eine Anomalie geschlechtlichen Umganges ver-
anlassen (Anwr lesbicu»), wie die lascive Muse MartiaTs singt:
y,IfUer 8€ gemmoa andenb commiUere cimnos,
„MerUiturque virum, prodigioaa Venus^.
Solche Frauenzimmer hiessen bei den Griechen Tpißctöe^, bei den Römern
Frkiricea. Auch imsere Sittenpolizei und gerichtliche Medicin kennt sie.
Die Barth olin'schen Drüsen wurden zuerst von J. G. Duverney in der
Kuh gefunden, dann vergessen, und erst durch Tiedemann der Vergessenheit
entrissen. (Von den Duverney'schen, Barth olin*schen oder Cowper'schen
Drüsen des Weibes. Heidelberg, 1840). Die Mündungen dieser Drüsen am
Scheideneingang, waren schon dem Spigelius bekannt: noii aeglujtuda sunt dfto
coeca foramina, in quibus aeroftis hunujr non parca qitantUale prodit, qui inarU
pubem in coUu nutde/(icü.
§. 319. Brüste.
Der lateinische Name der Brüste, Mammae, stammt von ixapLpLr^.
Das griechische Wort [LotT^oi bedeutet sowohl Brüste als Brust-
warzen. Man liest auch \ki1^o\j woher Amazo7ies, Bei Thieren spricht
man nur von Ubera, Euter, welcher Ausdruck von dem griechi-
schen o56ap herrührt. Die Brüste sind der anatomische Aus-
dnick des ganz nach aussen gekehrten, und für die Erhaltung eines
fremden Daseins wirkenden, weiblichen Zeugungslebens. Sie sitzen
bei den meisten Säugethieren am Unterleibe, und rücken beim
Menschen und bei den Affen (wo die obere Extremität am freicsten
wird, und den Säugling trägt), an die seitliche (legend der vorderen
Brustwand. Die erste Klasse der Wirbelthiere führt von dem aus-
schliesslichen Besitze dieser Organe, den Namen Mammalia. Leben-
dig gebärende Thiere anderer Klassen haben keine Brüste.
Die Mammae liegen auf dem grossen Brustmuskel, von der
dritten bis sechsten Rippe. Eine dem Brustbein parallele Furche —
der Busen, Sintis — trennt sie von einander. Ihre O estalt ist
halbkugelig, unterliegt jedoch, wie ihre Grösse und ihre C^onsistenz,
sehr vielen Verschiedenheiten, welche durch physiologische l^ebens-
zustände, durch Klima, Nationalität, Alter, selbst durch die Tracht
bestimmt werden. — An der höchsten Wölbung der Brüste ragt
die sehr cmpiindliche, durch mechanische Reize sich verlängernde
§. 319. Brftfte. 793
und steifende Brustwarze (Papilla, 6>5ay;) hervor, bei Thieren
Zitze (von titö6c), welche, wie die Brust selbst, nicht dircct nach
vorn, sondeni etwas nach aussen sieht. Sie ist, so wie der sie um-
gebende Warzenhof (Areola), von bräunlicher Farbe, mehr weniger
vorstehend, nicht gar selten auch in ein Grübchen zurückgezogen.
Ihre Oberfläche sieht wie runzelig aus, und ist reich an kleinen
Tastwärzchen. Talgdrüsen münden zwischen den Runzeln der Brust-
warze, und auf ihrer Spitze öffnen sich, wie gleich erwähnt wird,
die sechszehn bis zwanzig Ausführungsgänge der Brustdrüse. —
Nicht immer sind beide Brustwarzen an Dicke und Länge einander
gleich. Stillende Frauen reichen ihren Säuglingen lieber und öfter
jene Brust, welche die grössere Warze hat.
Die Grösse der Brust, ihre halbkugelige Form, und ihre weiche
Consistenz, hängt weniger von der Entwicklung des eigentlichen
Drüsengewebes, als von der Prävalenz des fettbeladenen Umhüllungs-
Bindegewebes ab. Deshalb sind es nicht immer grosse Brüste,
welche viel Milch geben.
Die linke Brust ist gewöhnlich etwas grösser als die rechte. Dieses scheint
mir dadurch bedingt zu sein, dass die Mutter den Säugling, um den rechten Arm
frei zu behalten, auf dem linken Arme trägt, und deshalb die linke Brust häufiger
zum Stillen verwendet. — Am männlichen Thorax steht ausnahmsweise eine
Brustwarze höher als die andere. Ihr Standort entspricht gewöhnlich dem Zwischen-
raum der vierten und ftlnften Rippe, nur selten der fünften und sechsten, und
steigt zuweilen in den nächst unteren Zwischenrippenraum herab.
Die Brustdrüse kommt beiden Geschlechtern zu. Die männlichen Brüste
(Mammillae)^ welche bis zur Pubertätszeit den Brüsten der Mädchen desselben
Alters vollkommen gleichen, verkümmern bei Erwachsenen, ohne jedoch gänzlich
zu schwinden. Es gehört unter die seltensten Curiositäton, wenn ihre Vitalität sich
bis zur Erzeugfung wahrer Milch steigert. Dieses kommt um die Pubertätsperiode
von Knaben vor (Hexenmilch). Der merkwürdigste und verbürgteste Fall von
Milchabsonderung in männlichen Brüsten, wird von A. Humboldt (Reise in die
Aequinoctialgegenden des neuen Continents, 2. Bd. pag. 40) erzählt, wo ein Mann,
während der Krankheit seiner Frau, sein Kind fünf Monate lang stillte. Ein
neuerer Fall der Art wird von Häser, in dessen Archiv, 1844, pag. 272, be-
richtet. In unseren Schafzüchtereien kommen milchende Böcke nicht so selten
vor. — Vermehrung der Warzen auf Einer Brust (Tiedemann, Siebold), Ver-
mehnmg der Brüste bis auf f{inf (Haller, Moore, Percy), abnorme Lage der-
selben als Mammae erraiicae in der Achsel, auf dem Rücken, am Schenkel
(Bartholin, Siebold, Robert), gehören unter die Seltenheiten. — Sehr ge-
wöhnlich findet man bei Schwangeren und Säugenden, zehn und mehr kleine,
milchsecernirende Drüschen im Bereiche des Warzenhofes, wo sie die Haut des-
selben hügelig emporwölben, und auf der Höhe dieser Hügel münden. Morgagni
hat sie als Tuberada areolae erwähnt, ohne ihre Natur zu kennen. Luschka
bezeichnet sie als Glandul/ie lacUferoß afjerrantes, — Vollkommenen Mangel der
Brustwarzen, und Ausmündung der Milchgänge in einer Grobe statt auf der Warze,
hat Cruveilhier bei einer dreiundfünfögjährigen Frau beobachtet.
794 §. 320. Bau der Brflste.
§. 320. Bau der Brüste.
Die Structur der Brust untersucht man am besten an milch-
hältigen Brüsten von Leichen schwangerer oder stillender Frauen.
Nur an solchen Brüsten zeigt es sich deutlich, dass sie nach dem
Typus einer acinösen Drüse gebaut sind. Sic lassen sich aber nicht
durch das Messer in mehrere, der Zahl der Ausfiihrungsgänge ent-
^sprechende Lappen zerlegen, da die bindegewebige Grundlage des
Drüsenparenchyms ein continuirliches Gerüste bildet, an welchemi
sich keine Septa, als Scheidewände einzelner Drüsenlappen darstellen
lassen. Die sechszehn bis zwanzig baumartig verzweigten Aus-
führungsgänge der Brustdrüse (Ductus lactiferi 8. galactophori) con-
vergiren gegen die Brustwarze, erweitern sich unter dem Hof der
Warze, als Sinus lactei, ohne zu anastomosiren, verengern sich hier-
auf, und steigen zuletzt gegen die Spitze der Warze auf, wo sie,
zu zwei oder drei, zwischen den Runzeln der Warze mit feinen
Oeffnungen münden. Ihre Wand besteht aus Bindegewebe mit
elastischen Fasern, aber ohne organische Muskelfasern. An den
traubig gruppirten Endbläschen (Acini) der Ductus lactiferi ver-
dünnt sich die bindegewebige Wand sehr auffallend und wird
structurlos. Der Hohlraum der Drüsengänge und der Acini wird durch
ein hohes Cylinderepithel bedeutend verengt. In den Zellen dieses
Epithels (Enchymzellen) sind Fetttröpfchen in grosser Menge ent-
halten. Die Fetttröpfchen werden durch Bersten der Zellen frei,
und bilden, als Milchkörperchen, den Hauptbestandtheil der
Milch. Es werden aber auch, besonders in den Tagen kurz vor
und nach der Geburt, unversehrte grössere, rundliche Epithelial-
zellen mit ihrem Inhalt von Fetttröpfchen abgestossen, und schwimmen
frei in der Milch als sogenannte Colostrum kugeln.
In den Brüsten von neugeborenen Knaben und Mädchen finden
sich nur die Hauptstämme der Milchgänge vor, an welchen, als
Andeutung der erst später hinzukommenden Verzweigung, kolben-
förmige Anhängsel aufsitzen. Diese Verzweigungen, so wie die auf
ihnen aufsitzenden Acini, entwickeln sich aber erst in bereits gc-
schlechtsreifen Mädchen, — bei Knaben unterbleibt diese Entwick-
lung, und selbst die Ilauptstämme der Milchgänge schwinden in
der Regel. — In den climacterischen Jahren der Frauen beginnt
der Schwund der Brustdrüsen. Es erhält sich von ihnen, im hohen
Alter der Frau, nur eine dünne Bindegewebsscheibe, in welcher
die ihrer acinösen Endbläschen verlustig gewordenen, dünnwandi-
gen und collabirten Milchgänge, mit spärlichen Ausläufern blind
endigen.
$. 820. Bau der Brtst«. 795
Die Brustwarze und der Warzenhof besitzen g^latte Muskelfasern. In der
Warze bilden sie ein Netzwerk von Lüngs- and Kreisfasem, durch dessen Maschen
die DuctU9 UtcUferi gegen die Spitze der Warze aufsteigen. Die Kreisfasern der
Brustwarze bedingen durch ihre Zusammenziehung die Verlängerung, und zugleich
mit den Längsfasem das Hartwerden der Warze auf mechanische Beize (Kitzeln,
Saugen). Im Warzenhofe erscheinen die Faserzüge mehr concentrisch geordnet,
und nehmen gegen die Papille hin an Stärke zu. Die dunkle Färbung der Brust-
warze und ihres Hofes rührt von Pigmentirung der unteren Schichten des Mucui
Malpighü her.
Die Arterien der Brust stammen aus der Arieria mammaria interna und
der Arteria axillaris. Die Venen übertreffen die Arterien so sehr an Um^Mig,
dass ihre hochliegenden Zweige auch bei gesunden Brüsten durch das zarte
Integfument als blaue Stränge durchscheinen. Der von H a 1 1 e r und später von
Sebastian (De circfUo venoso aredae, Groeningae, 1837 J beschriebene Venenkreis
im Warzenhofe ist an zwei Exemplaren, die ich vor mir habe, nicht geschlossen,
sondern umgiebt nur zwei Drittel der Brustwarze. Die Saugadem verbinden sich
mit den Lymphdrüsen des vorderen Mittelfellraums, und mit jenen der Achsel-
höhle. Auch eine oder zwei an der Clavicula liegende Lymphdrüsen nehmen
Saugadem aus der Brust auf. — Zufolge einer von C.Eckhard vorgenommenen
genauen Untersuchung der Nerven der Brust (Beiträge zur Anatomie und Physio-
logie. 1. Heft. Giessen, 1855) zerfallen diese in Haut- und Drüsennerven. Die
Hautnerven entspringen: 1. aus dem zweiten bis sechsten Nervus intercostalis, und
zwar aus jenen Aesten derselben, welche als Nervi cutanei pectoris laterales und
anteriores bezeichnet werden, und 2. aus den vom Armnerveng^flecht abgegebenen
Nervi pectorales anteriores. Die eigentlichen Drüsennerven sind Aeste des vierten
bis sechsten Nervits ctUaneus pectoris lateralis, und jener sympathischen Zweige,
welche mit der Arteria thoracica longa und mit den vorderen Bami perforantes
der Arteriae intercostales in die Brustdrüse gelangen. Die Drüsennerven halten
sich an die grösseren DuctiAs laciiferi, und kommen mit diesen bis in die Haut
der Areola. Nicht alle Tastwärzchen der eigentlichen Cutis des Warzenhofes
enthalten Nerven. Viele derselben besitzen blos Gefassscblingen. In den nerven-
haltigen Papillen wurden bald Tastkörperchen, bald Pacini*sche Körperchen
aufgefunden.
Die Muttermilch, Lttc, ist die naturgemässcste Nahrung des Neugebore-
nen bis zum Ausbruche der Zähne, und die einzige, welche nichts kostet. Wir
sehen in ihr eine Fettemulsion, welche aus Wasser, Käsestoff, Fett (Butter), Milch-
zucker, und einem geringen Antheil mineralischer Salze besteht. Mikroskopisch
untersucht zeigt sie: 1. die bereits im Text erwähnten Milch körperchen, von
0,050 bis 0,005 Linien Durchmesser. Sie sind Fetttröpfchen, mit einer dünnen
Hülle von Käsestoff, fliessen beim Stehenlassen der Milch zu grösseren Kügelchen
zusammen, und bilden den Rahm. 2. Colostrumkugeln (Donn^), viel
grösser, von 0,01 bis 0,05 Linien Durchmesser. Sie finden sich nur in der, durch
einige Tage vor und nach der Geburt abgesonderten Milch (Colostrum). Sie sind
abgestossene, von Milchkörperchen strotzende Enchymzellen der Ductus laciiferi
der Brust und ihrer Acini. Es werden an ihnen amöboide Bewegungen wahr-
genommen, wie an den Lymphkörperchen. — Durch Filtriren lassen sich die
geformten Bestandtheile der Milch von dem flüssigen Menstruum derselben, Plastna
lactis, abscheiden. Das Plasma aber trennt sich, durch den Act des Gerinnens,
in Käsestoff und Molkenflfissigkeit {Serum lactis), welche letztere aus Wasser,
Milchzucker und Salzen besteht — Pferde- und Eselsmflch stehen, in Hinsicht
ihrer chemischen ZusammeatetKang, der menaohHehMi Ifileli aa nldiateii. Dto
Kirgisen, welche ein ans Pferdeniloh .Imv
796 §■ 321. Ansdehnnng nnd Grenton des Mittelfleiscbes. — §. 322. Muskeln des Mittelfleiiches.
Getränk — den Cumis — geniettsen, kennen die Lungensucht nicht. Man hat
darum neuester Zeit die Bereitung und den Gebrauch des Cumis, auch bei uns
als Vorbauungs- und Palliativmittel dieser mörderischen Krankheit empfohlen.
III. ]SJ:ittelflei8ch.
§. 321. Ausdehnung und &renzen des Mittelfleisches.
Das Mittelfleisch oder Damm, Perineum (7:£p{v£ov bei Galen,
7:£p{vaiov bei Hippocrates), heisst die zwischen After und Hoden-
sack bei Männern, zwischen After und hinterem Winkel der Scham-
spalte bei Weibern liegende Gegend. Das weibliche Perineum wird
deshalb viel kürzer sein, als das männliche. Aeltere Schriftsteller
fuhren es als Interfemineum an, qtUa tnter femina (alte Diction statt
femora) jacet. Man kann also auch das männliche Mittelfleisch sehr
wohl InterfenuneuMy aber niemals Intelfemininum nennen, was gar
keinen Sinn hat. Das Wort Perineum von irsptvsw, um fli essen,
abzuleiten, weil diese Gegend stärker schwitzt als andere, ist wohl
etwas gewagt. Würde es aber von zY;p'.; oder :n5pa, Beutel, stam-
men, als Gegend hinter dem Hodensack, müsste es :n;p'va'.cv, nicht
aber '::£p{va'.cv geschrieben werden, wie es von Hippocrates ge-
schrieben wird, und könnte nur das männliche Mittelfleisch be-
deuten.
Bei äusserer Besichtigung geht das Mittelfleiseh seitwärts, ohne
bestimmte Grenze, in die innere Fläche der Schenkel über. Die
Verbindungslinie beider Sitzknorren trennt es von der Aftergegend.
In der Tiefe bestimmt der knöcherne Schambogen, von den Sitz-
knorren bis zur Schamfuge hinauf, seine Breitenausdehnung.
Die hier folgende Beschreibung gilt nur vom männlichen Peri-
neum. Ich gebe sie so, dass ich zuerst die Muskeln schildere, welche
die Ebene des Schambogens einnehmen, und in einem näheren
Verhältniss zu den bereits bekannten Geschlechts- und Harnwerk-
zeugen (Harnröhre und Wurzel des Gliedes) stehen, und dann auf
die Fascien übergehe, welche den Ausgang des kleinen Beckens
verschliessen.
§. 322. Muskeln des Mittelfleisches.
a) Der paarige Sitzknorren-Schwellkörpermuskel, Mu^-
culus ischiO'Cavemosus, Er liegt auf der unteren Fläche der Wurzel
des SchwcUkörpers des Gliedes auf, entspringt, wie dieser, am
Siizknorren, schlägt sich um den Schwellkörpcr herum zu dessen
S. S»2. Matk«ln dat MittolfleitelMt. 797
Aussenfläche, und verliert sieh in der fibrösen Hülle desselben. Bei
Weibern hat er dieselbe Beziehung zum Schwellkörper der Clitoris.
Zuweilen geht eine fibröse Fortsetzung desselben, auf dem Rücken
des Gliedes, mit demselben Muskel der anderen Seite eine Ver-
bindung ein, wodurch eine Schlinge über die Rückengefasse des
Gliedes gebildet wird. Die Schlinge kann durch Compression der
Dorsalvene vielleicht Einfluss auf den Mechanismus der Erection
nehmen.
Dieser Maskel soU die Wurzel des Schwellkörpers gegen den Sitzknonren
drücken, und dadurch den RüclrBuss des venösen Blutes hemmen, — somit Erec-
tion yeranlassen, weshalb er früher Ereelor penis genannt wurde. Da er will-
kürlich wirkt, die Erection dagegen häufig unwillkürlich eintritt, und mitunter bei
dem besten Willen unmöglich wird, so kann in der Compression der Wurzel der
Schwellkörper des Gliedes, wenn sie wirklich stattfindet, nicht die einzige Bedin-
gung der Erection liegen.
Hier mag auch der von Santo rini zuerst beobachtete (Tab. XV. Fig. 3),
aber seither vergessene, von P. V lacovich in Padua wieder aufgefundene, anomale
MusaduB ischia-ptUnctis erwähnt werden, dessen Ursprung und Ende der Name
sagt Ausführliches über ihn entliält To/. .V der AUi deW IstUtUo Veneto.
h) Der unpaare Zwiebel-Schwellkörpermuskel, Musculus
buJbo'cavemosus, Er umfasst den Bulbus urethrae von unten. Nach
hinten hängt er mit dem vorderen Ende des Sphinct&i* ani extei*ims
und dem oberflächlichen Musculus transversus perinei zusammen. Er
fehlt, sammt dem Bulbus, im weiblichen (ieschlechte, und wird durch
den Cüiistrictor cunni ersetzt. Man kann an ihm zwei ganz symme-
trische Seitenhälften unterscheiden, welche von einem tendinösen
Längsstreifen (Kaphe) an der unteren Fläche des Bulbus entspringen.
Die hintersten seiner Fasern inseriren sich in das Ligamentum
trianguläre urethrae, die mittleren und vorderen Fasern gehen in
die fibröse Haut der Schwellkörper des Gliedes über. Beide Hälften
des Muskels und ihre mediane Raphc, bilden somit eine Art Halfter
um den Bulbus urethrae, kfinnen diesen durch Heben seiner unteren
Wand verengern, und wenn dieses Heben zuckend geschieht, Harn
und Samen aus der Harnröhre stossweise hervortreiben. So dachte
man wenigstens, und diese gedachte Wirkungsweise veranlasste auch
die alte Benennung Ejaculatw seminis. Auch von seinen vordersten
Fasern wird gesagt^ dass sie auf dem Rücken des Gliedes, über der
Veua dorsalis penis, sich aponeurotisch verbinden.
c) Die queren Dammmuskeln, Mu^sculi transversi perinei.
Der oberfläehHche entspringt vom aufsteigenden Sitzbeinaste,
nahe am luber ischii, geht nach ein- und etwas nach vorwärts,
und verbindet sich in der Mittellinie theils mit dem entgegen-
gesetzten, theils mit dem Bulbthcavemosus, Sphimder am extemua und
Levator ani. Die Stelle^ an welcher die ftp^»^ ^' In, theils
fleischig, theils sehnig sich mit
798 8- SM* MoBkeln das Mittelfleisches.
Autoren nicht mit Unrecht den Namen: Centrum cameo-tendineiifn
perinei, — Der tiefe quere Dammmuskel entspringt über dem
vorigea, aber weiter nacli vorn, vom absteigenden Schambein- und
aufsteigenden Sitzbeinast, und liat dieselbe Richtung und Insertion,
wie der oberflächliche. Er lässt durch eine Lücke zwischen seinen
Fasern, die Vena profwida penis zur Vena pudenda gelangen, und
übt somit eine verengernde Wirkung auf dieses Gefass aus, welche
unverkennbaren Antheil nimmt an der Erection des Gliedes.
d) Der Zusammenschnürer der Harnröhre, Mascultis con-
itridoT urethral (besser wohl Compressor partis membranaceae urethrae).
lieber diesen Muskel weichen die Angaben von Wilson, Guthrie,
und J. Müller bedeutend ab. Ich fasse ihn nach der einfachen
Schildeining von Santorini (simplex gigälum veri) so auf. Die hinter
dem Ligamentum trianguläre urethrae gelegene Pars msmbranacea
ureihrae wird in ihrer ganzen Länge von zwei Muskelbündeln um-
geben, welche vom absteigenden Schambeinaste entspringen, und
zwar in gleicher Höhe mit der Durchbohrungsstelle des Ligamentum
trianguläre urethrae durch die Harnröhre. Das obere dieser beiden
Bündel geht über, das untere unter der Pars membranacea urethrae
bogenförmig weg, und beide verwachsen in der Medianlinie mit
ihren von der anderen Seite herüberkommenden Gegnern, so dass
eine breite muskulöse Zwinge gegeben wird, welche die Harnröhre
zusammenpressen kann.
Der Tran8ver»iu perinei pro/undiu schliesst sicli an das untere Bündel des
Oompre»9or urethreie an, von welcliem er oft nicht zu trennen ist. Die Gland^dae
Omoperi werden von den unteren Bündebi de» Compresscr urethrae (und Trfm»-
vertua perinei profundus) förmlich umwachsen.
Im weiblichen Geschlechte ündet sieh am Scheideneingang der
Scheidenschnürcr, Constrictor cunni. Es ist nicht sehr schwer,
sich durch Präparation dieses Muskels zu überzeugen, dass die
grössere Anzahl seiner Fasern dem Sphincter ani extemus angehört,
dessen rechte Hälfte zur linken Wand des Scheideneinganges, und
dessen linke zur rechten Wand dieser Oeffnung übergeht, um sich
an der Wurzel der Corpora cavemosa ditoiidis zu inseriren, wodurch
Sphincter ani extemus und Constrictor cunni sich als Ein Muskel von
der Gestalt einer 8 auffassen lassen, welche oben durch die Clitoris
geschlossen wird. Da der Sphincter ani externus ein willkürlicher
Muskel ist, erklärt es sich, dass die Weiber einen gewissen Grad
von Verengerung des Scheideneinganges, durch stärkere Zusammen-
ziehung des Afters erzielen können.
Literatur über die Mittclfleischmuskeln: J. Wilson, Description of two
Mnscles surrounding the Membranous Part of the Uretlira, in Lond. Med. Surg*.
Tnuisact. 1809. Wilson würdig^ besonders die von der hinteren Schamfngen-
fliehe cur Pars memhranaeea urethrae herabkommenden MuskelbOndel (W i 1 s o n*scher
S. S2S. Fascien det MittolfleiüchM. Faacia ptM§. 799
■
Muskel d«*r Antoren), welche, seiner Angabe nach, eine Schlinge um die llam-
rühre bilden sollen, was allerwärti in Abrede gestellt wurde. — O. J. Gtithrie,
Beschreibung des Miuiculut coniprr^ntor. Leipzig, 1830. Nach SanlorirWa Ansicht,
aber bei weitem ausführlicher. — C. Houget, sur les appareils musculaires du
p^rinee. Gaz. med. 1855. Nr. 41. — //. Lujtchka, über die Muskulatur des weib-
lichen Perineum, in den Denkschriften der kais. Akad. Bd. XX. — Vorzügliche
Beachtung verdient KMrau*rJi, zur Anatomie und Physiologie der Beckenorgane.
Fol. Mit 3 Tafeln. Leipsig, 1864. Diese Schrift reformirt viele herkömmliche An-
sichten über Lagerungs- und Fonnverhältnisse der Beckenorgane, und ist durch-
aus auf eigene Untersuchungen gegründet.
§. 323. Fascien des Mittelfleisches. Fasda pelvis.
Die Fascien des MittelfleiHches sind: 1. Die Fascia perinei
supefjicialis, 2. die Fascia perinei propria, und 3. die Fascia pelvis.
Keine dieser drei Fascien gehört dem Mittelfleisch allein an. Wir
werden von jeder derselben sehen, dass sie sich in Nachbarsregionen
des Mittelfieisches fortsetzt. So verlängeit sich die Fascia superficialis
in den 1 lodensack hinein als Tunica dai'tos, während die Fascia
j)erinei propria und Fascia pelvis sich nacli hinten in die Aftergegend
fortsetzen, und dadurcli zu waliren Verschlussmitteln der ganzen
unteren Beckenapertur (Ausgang des kleinen Beckens) werden. Wir
wollen die genannten drei Fascien in umgekelirter Ordnung durch-
gehen, und mit der letzten, als Fascia j^dvis beginnen.
Icli glaube dem leichteren Verständniss dieser Fascie dadurch
Vorschub zu leisten, dass ich an ihr ein parietales und vis-
cerales Blatt unterscheide. Das parietale Blatt entspringt an der
hinteren Wand der Symphysis ossium pttbis, an der Crista ossis pviis,
so wie an der Linea arciiata interna ossis Hei, Es hängt an diesen
Stellen mit den sich das(*lbst festsetzenden Fascien des grossen
Beckens (Fa^scia üiaca) und der Bauch wand (Fasda transversa) zu-
sammen, steigt bis zu einer gewissen Tiefe in die kleine Becken-
höhle hinab, kleidet sie aus, und überzieht daselbst drei Muskeln,
welche an der inneren Wand des kleinen Beckens angetroffen
werden: ObturcUor internus y Coccygeus , und Pyriformis. Auf dem
Obturator inte^mus erstreckt sich das parietale Blatt (hier Fascia
obturntoria genannt) bis zu dessen unterem Rande herab, und ver-
schmilzt daselbst mit dem Processus faldfoinnis des Ligamentum
tuherosO'Sacrum (§. 146). Auf dem Coccygeus und Pyriformis erscheint
es dünner, und befestigt sich, einen halbmondförmigen Bogen bil-
dend, an die vordere Kreuzbeinfläche, einwärts von den Forandna
sacralia antica, so wie am Steissbein. Unter dem freien, concaven,
nach innen sehenden Rande diätes Bogens, treten die Vota gfudami
und der Nervus iaekiadimi Baii6^|roB8en F*
800 !• SM* Aueia perinei proprta tt »uperßeialit.
m
Das parietale Blatt hat demnach mit dem Verschluss der
unteren Beckenapertur nichts zu schaffen. Dieser wird durch das
viscerale Blatt der Fascia pelvis auf folgende Weise zu Stande ge-
bracht. Man denke sich vom parietalen Blatte das viscerale längs
einer Linie abtreten, welche die Schamfuge mit dem Sitzstachel
verbindet. Diese Abgangsstelle des visceralen Blattes vom parietalen
bildet einen weissen Streifen, welcher als Arcus tendineiis bezeichnet
wird, und dem Levator ani (§. 270) zum Ursprung dient. Vom
Arcus tendineus wendet sich das viscerale Blatt der Beckenaxe zu,
und gelangt dadurch an jene Organe, welche wie Prostata, Blase
und Rectum, eine Fixirung und Sicherung ihrer Lage in der
unteren Beckenapertur benöthigen. Das viscerale Blatt bildet also,
indem es diese Organe iixirt, zugleich das hauptsächlichste Ver-
Bchlussmittel der unteren Becken apertur. Der Weg, welchen das
viscerale Blatt einschlägt, um zu den genannten Organen zu gelangen,
folgt der oberen Fläche des Levator ani. Da nun die vordersten
Bündel dieses Muskels an die Prostata treten, wird auch der vor-
derste Abschnitt des visceralen Blattes zu diesem Organe als Liga-
mentum puho'prastaticum medium et laterale gelangen. Diese Liga-
mente bilden, indem sie die Prostata umschliessen, die äussere
fibr(>se Membran dieser Drüse. Sie tixiren recht augenscheinlich die
Prostata, und durch sie auch die Harnblase. Sie werden deshalb
auch als Ligamenta pubo-vesicaUa erwähnt. — Der mittlere Ab-
schnitt des visceralen Blattes dringt als Fascia recto-vesvcfdis zwischen
Biasengrund und Mastdarm ein, um mit demselben Antheil der
entgegengesetzten Beckenseite zu verwachsen, und dient somit vor-
zugsweise als Fixirungsmittel der vollen Blase. — Der hintere
Abschnitt des visceralen Blattes verliert sich als dünne l^indegewebs-
schichte auf der Aussenfläche des Mastdarms.
§. 324. Fascia perinei propria et sfiperficialis.
Die Fasda perinei jrropi^ia ist uns zum Theile schon als Liga-
mefitum tnangidare urethrae bekannt. So heisst nämlich der vordere
Abschnitt derselben, welcher den Schanibogen ver.sclili(»sst, und von
der Harnröhre durchbohrt wird. Die Basis des Ligamentum trian-
guläre urethrae entspricht der Verbindungslinie beider Sitzknorren;
die Spitze dem unteren Kande der Schamfuge. Hinter der Verbin-
dungslinie beider Sitzknorren nimmt die Stärke der Fascia perinei
propt*ia plötzlich ab, so dass sie nur mehr eine dünne l^indegewebs-
membran darstellt, welche die untere Fläche des Levat&r ani so
überzieht, wie das viscerale Blatt der Fascia pelvis die obere Fläche
dieses Muskels bekleidet. — Man lässt allgemein das Ligametitum
§. »5. Topographie des Mittolfleisehee. 801
trianguläre aas zwei Blättern bestehen. Das vordere stärkere er-
zeugt, an der Durchbruchstelle der Urethra, für diese eine Scheide,
welche in die Hülle des Coiyus cavemosum urethral übergeht. Das
hintere hängt mit der fibrösen Hülle der Prostata zusammen.
Zwischen beiden Blättern liegt der Compressor urethrae (§. 322, d).
Die Fascia perind mpei;ficialis lässt uns gleichfalls zwei Blätter
unterscheiden. Das oberflächliche Blatt, fettreich, und deshalb
von einiger Mächtigkeit, adhärirt nirgends an die Knochen, sondern
verhält sich wie gewöhnliches subcutanes, fetthaltiges Bindegewebe.
Es geht nach vorn, unter Verlust seines Fettgehaltes, in die Dartos
des Hodensackes über. — Das tiefe Blatt der Faada perinei super^
fidalis hängt am hinteren Rande des Ligamentum trianguläre urethrae
und an den Knochen fest, welche den Schambogen bilden, deckt
als fettlose und dünne Fascie den Ischio- und Bulbo-cavemosus, so
wie den Transv&i'sus perinei superficiaiis zu, folgt diesen Muskeln zur
Wurzel des Gliedschaftes, und verliert sich in die ebenso fettlose
Fascia penis.
Wir haben nicht ver^ssen, dMs die beiderseitigen Levatores ani, von den
Seitenwänden des kleinen Beckens gegen das untere Mastdarmende convergiren
und somit einen Trichter bilden, dessen concave Fläche von der Fascia pdviä,
dessen conveze Fläche von der dünnen Fortsetzung des Ligamentum trianffulare
urethrae (Faada perinei propria) ttberKOgen wird. Die Aussenwand dieses Trich-
ters ist zugleich die innere Wand eines Raumes, dessen äussere Wand durch das
Sitzbein gegeben wird. Dieser fettgefüllte Raum heisst Cavum iachio-rectale.
Seine hintere Wand wird durch die unteren Fleischbündel des GhUacua magnua
gebildet. Nach vom zu verflacht er sich, und würde sich ununterbrochen in die
Furche zwischen dem Bulbua urethrae und der Wurzel der Schwellkörper des
Gliedes fortsetzen, wenn nicht der Tranaveraua perinei auperficialia ihm seine vor-
dere Grenze anwiese.
Im weiblichen Geschlechte verhalten sich die Fascien des Mittelfleisclies
der Hauptsache nach, wie im männlichen. Der einzige Unterschied von Bedeutung
liegt darin, dass, während im 'männlichen Geschlechte die Mittclfleischfascien
blos zwei Oeffnungen, für Mastdarm und Harnröhre, frei zu lassen hatten, im
Weibe noch eine dritte (mittlere) für den Durchgang der Scheide hinzukommt.
Luschka, die Faada pdvia, Sitzungsberichte der kais. Akad. 1859.
§. 325. Topographie des Mittelfleisches.
Die Präparation des Mittelfleisches ist eine der schwierigsten
Aufgaben für den Neuling in der praktischen Zcrgliederungskunst,
und wird wohl kaum beim ersten Versuch gelingen, wenn nicht
eine cxacte Vorstellung über die localen Verhältnisse der Fascien
und Muskeln das Messer fiihren hilfk.
Hat man die Haut, und das hochli^ende Blatt der Fatda
perinei superfidalia lospräpmiirti und aich ^^ ^«^ es aich
nicht in die Aftergegend fiirtw
Hjrtl, Uhrbnck dtr Aaatmto. i^
802 §. S25. Topographie des Hiifcelfleieches.
cavemosi, bulbo-cavemosl, und transverd perinei superfidcdes vor sich.
Sie sind vom tiefen, fettlosen Blatte der Faacia perinei miperficUdiM
bedeckt. Nach Entfernung des Transverms perinei superficialis, gerüth
man auf die Glandtdae Cowperi. — Der Isdiio-cavernosus bildet die
äussere, der Bulbo-cavemosus die innere, der Iransversus perinei
superficialis die hintere Wand eines dreieckigen Raumes, in welcheiu
Arteria, Vena, und Nervus perinecdis superficialis, nach vom gegen
das Scrotum hinziehen. In diesem Dreiecke (Triangulus pubo-ure-
throUis), wird auch beim Steinschnitt die erste Eröffnung der Harn-
röhre gemacht, um das Steinmesser auf der Furche der in die
Harnröhre vorher eingeführten Leitungssonde, bis in die Blase vor-
zuschieben. Hat man in die Harnröhre der vorliegenden Leiche
einen Katheter eingeführt, was nie unterkssen werden soll, so fiihlt
man denselben durch den Bulbus urethrae durch, und kann hierauf
den Musculus bulbo-cavemosus und den transversus perinei superficialis
ganz entfernen, um die Art und Weise kennen zu lernen, wie der
Katheter am leichtesten in die Blase gleitet. Dieses nützliche Ex-
periment kann überhaupt nicht häufig genug vorgenommen werden,
und wird dem Studirendcn eine gewisse Fertigkeit in einer chirur-
gischen Manipulation verleihen, welche er am Krankenbette sich
nicht so bald eigen machen dürfte. Gewöhnlich stellt sich der Ein-
führung des Katheters dort ein kleines Hinderniss entgegen, wo die
Pars membranacea ureüiras das ligainentum trianguläre urethrtie durch-
bohrt. Vor diesem Ligament liegt der Bulbus urethrae, in welchem
die untere Wand der Harnröhre sich etwas ausbuchtet. Ist der
Schnabel des Katheters in diese Bucht gerathen, und die untere
Wand der Bucht stark vertieft worden, was bei allzugrossem Druck
des Katheters nach abwärts immer der Fall sein wird, so miiss,
wenn man den Griff des Katheters senkt, in der Meinung, seinen
Schnabel durch die Pars membranacecC urethrae weiter gleiten zu
lassen, der Schnabel sich vielmehr am Ligamentum trianguläre
stemmen. Senkt man den Griff noch mehr, und mit Gewalt, so
wird der Schnabel das Ligament durchbohren, und sich einen
sogenannten falschen Weg bahnen, welcher sicher nicht in die
Harnblase fuhrt. Am Lebenden kann das Nämliche geschehen.
Das beste Mittel diesem geflihrlichen Accidens vorzubeugen, besteht
darin, das Glied auf dem in seiner Harnröhre steckenden Katheter,
so viel als möglich in die Höhe zu ziehen. Dadurch wird die
Urethra gespaimt, ihre untere ausgebuchtete Wand im Bulbus ge-
hoben, und der Katheter gleitet nicht selten von selbst durch seine
eigene Schwere über diese gefährliche Stelle weg. Das anatomische
Präparat des Mittelfleisches vor Augen, wird sich jeder Schüler die
Kegeln des Kathcterisirens selber entwerfen können, welche, wenn
sie nur aus Büchern memorirt werden, kaum zu verstehen sind.
S. 325. Topographie des Mittelfleisches. 803
Räumt man nun das Fett aus dem Cavum ischio-rectcde heraus,
so kann man gewahren, wie die Fascia lyerinei propria sich vom
liinteren Rande des Ligamentum trianguläre, als dünne Bindegewebs-
binde auf die untere Fläclie des Levator ani fortsetzt, und wird
hierauf der Ti^ier isdiü abgesägt, so sieht man den Zug der Fasern
des Musculus levator ani, welche gegen den After herab convergiren.
Die genüge Spannung dieses Muskels erschwfirt seine Darstellung
bedeutend, und es ist deshalb unerlässlich nothwcndig, den Mastdarm
mit einem cylindrisch zugeschnittenen Schwämme massig anzufüllen,
und ein mit einem Faden versehenes Querhölzchen über dem Limhus
ani in der Mastdarmhöhle zu tixiren, damit man das Rectum nach
unten anspannen, und dadurch die zum (Jrificium ani convcrgirenden
Muskeln deutlicher unterscheiden kann.
Wurde der ganze Hodensack entfernt, und nur das Glied
belassen, so wird man, bei starkem Ilcrabscnkcn des letzteren, und
einiger Nachhilfe mit dem Scalpell, jenes Stückes des lÄgamentum
trianguläre ansichtig werden, welches zwischen der Durchtrittsstelle
der Urethra und dem Ligamentum arcuatum puhis liegt, und ober-
halb der Urethra durch die Rückengefösse des männlichen Gliedes
perforirt wird.
Die Fascia pelvis, die Ligamenta puho-prostatica oder cesicalia,
können nur von der Beckenhöhle aus präparirt werden. Es wird
die Beckenhöhle, durch Abtragung des linken ungenannten Beins,
seitwärts eröflfnet. Ist die Harnblase mit Wasser massig gefüllt,
und vom rechten ungenannten Beine abgezogen, so spannt sich das
Peritoneum, welches von der Seitenwand des kleinen Beckens zur
Harnblase geht, und muss entfernt werden, um den Arcus tendineus
der Fascia i}elms sehen zu können. Wird nun auch die Fascia pdvis
entfernt, so übersieht man die ganze Ausdehnung des Ursprungs des
Afterhebers, von der Symphysis bis zur Sinna isdiii. Hat man den
Schnitt nicht durch die Symphysis, sondern links von ihr geführt,
so überblickt man das relative Verhältniss der Fascia pelvis und
Fascia perinei j)ropiia, und die Organe, welche zwischen diesen
Fascien eingelagert sind. Die Ligamenta puho-pi'ostaiica werden
sich, beim Zurücklegen der Blase gegen das Kreuzbein, anspannen.
Zwischen ihnen und dem Jjigamentum trianguläre urethrae liegt die
Prostata. Auch iinden sich daselbst, mehr gegen den Knochenrand
des Schambogens hin, die Arteria und Vena pudenda communis,
sammt dem gleichnamigen Nervengeflecht. — Oefteres Wiederholen
dieser schwierigen Zergliederung wird nicht ermangeln, jenen Grad
von befriedigender Ortskenntniss zu erzeugen, welcher unerlässlich
ist, um die Technik des Steiaschnittes, und die PatholoiriA dAr
Mastdarmabscesse und Mastdarmfistebi ^
804 §. 386. Die SteissdrUie.
Aasftihrliches enthält der 2. Bd. meiner topogr. Anat. 6. Anfl. — Special >
Schriften über das Mittelfleisch sind: Froriep, über die Lage der Eingeweide im
Becken. Weimar, 1816. — J. Houston, Views of tho Pelvis. Dublin, 1829. fol. —
A. Monro, The Anatomy of the Pelvis of the Male. Edinb., 1825. fol. — C Denon-
vüliers, snr les aponeuroses da p^rin6e. Arch. g^n. de m<^d. 1837. — Th, Mortati,
Sargical Anatomy of the Perineum. London, 1838. — A. Betzitu, über das Liga-
mentum pelvuhprosUUicum, in MiUler's Archiv. 1849.
§. 326. Die Steissdrüse.
Luschka entdeckte bei der anatomischen Untersuchung der
Muskeln des Mittelfleisches und der Aftergegend, diese merkwürdige
Drüse. Ich schalte sie deshalb am Schlüsse des Perineum ein, und
widme ihr einen eigenen Paragraph, zu Ehr' und Preis des hoch-
verdienten Mannes, dessen Namen sie verewigt. Wer hätte geahnt,
4aBS die präparirende Anatomie im menschlichen Leibe noch ein
neues Organ finden könne. Um so grösser der Ruhm des ana-
tomischen Meisters, welcher unsere Wissenschaft mit diesem schönen
Funde beschenkte, und dessen Name noch lange, lange fortleben
wird, im Munde aller Anatomen, welche Fleiss und Gründlichkeit
der anatomischen Arbeit zu schätzen und zu bewundern wissen.
Ich möchte sagen, anatomische Entdeckungen sind um so
grösser, je kleiner das Gefundene. Und klein ist diese Drüse für-
wahr, sonst wäre sie nicht so lange ungekannt geblieben. Sie liegt
unmittelbar vor der Steissbeinspitze, als ein kaum hanfkorngrosses
Klümpchen, mit hügeliger Oberfläche. Man hat den Steissbein-
ursprung des Sphincter ani extenuis abzutragen, um auf ein fibröses
Blatt zu treff^en, mittelst dessen die hinter dem After vorbei-
ziehenden Fasern der beiderseitigen Levatores ani unter einander
zusammenhängen. Auf diesem fibrösen Blatte liegt die Steissdrüse
auf, und erhält durch eine kleine (Jeff^nung desselben, Getasse und
Nerven, erstere aus der Arteria sacralis media, letztere aus dem
sympathischen Ganglion coccf/geum. Ein aus Bindegewebe und orga-
nischen Muskelfasern bestehendes Fasergerüste, welches einfache
und verästelte Schläuche einschliesst , bildet die Grundlage des
winzigen Organs. Die Schläuche enthalten Kerne und Zellen. Auf-
fallend erscheint der Keichthum der Drüse an sympathischen Nerven-
faden, welche mit kolbenförmigen Anschwellungen endigen. Arnold
erklärte sich gegen die Existenz von geschlossenen Schläuchen,
indem er dieselben von den Arterien aus injicirt zu haben ver-
sichert. Die Schläuche wären somit Blutgeßisse. Dieses Umstandes
und der zahlreichen organischen Muskelfasern wegen, könnte man
die Steissdrüse als eine Art Caudalherz ansehen, wie ein solches
im Schwänze des Aales vorkommt. Doch das ist Metapher.
S. 3S7. YerindeniDgtn dM Eies im Eileiter, etc. 80Ö
Geziemender ist es, ehrlich zu bekennen, dass wir nicht wissen,
was die Steissdrüse für eine functionelle Verwendung hat. Man liat
aus ihr, ihres Nervenreichthums wegen, auch eine Nervendrüse
gemacht, wie aus der Nebenniere und dem Gehirnanhang. Was
denkt man sich wohl bei solchem Namen?
H, Luschka, Himanhang und Steissdrüse. Berlin, 1860. — W. Krause, anat.
Untersuchungen. 1861. - Arnold, Archiv für path. Anat 32. Bd. -— E, Serloli,
über die Structar der Steissdrüse, ebend. 42. Bd.
B. Fragmente aus der Entwicklungs-
geschichte.
§. 327. Veränderungen des Eies im Eileiter bis zum Auftreten
der Keimhaut
Das hier zu Erwähnende ist meistens Beobachtungen an
Thieren entnommen. Um erschöpfende Umständlichkeit handelt es
sich wohl nicht, indem die Schüler diese Fragmente ohnedies ge-
wöhnlich überschlagen. Wer sie aber liest, wird die den Geburts-
helfer zunächst intercssirenden anatomischen Attribute eines zur
Geburt reifen Embryo und seiner Hüllen, leichter verstehen (§. 332
bis 336).
Das reife und zum Austritt vorbereitete Ei des Eierstockes
besteht, wie früher gesagt wurde, 1. aus einer durchsichtigen, stmc-
turlosen, ziemlich dicken und festen Hülle, Dotterhaut, Zona
pdludda, 2. aus dem Dotter, Vitdlits, einer kugeligen, zähen, aus
körnigen, ihres Fettgehaltes wegen das Licht stark brechenden
Elementen bestehenden Masse, 3. aus dem Keimbläschen, Vesicvla
germinativa, welches anfangs in der Mitte des Dotters, später an
der inneren Wand der Dotterhaut liegt, in einer durchsichtigen
Hülle eine klare, eiweissartige Flüssigkeit enthält, und an seiner
inneren Oberfläche den Keimfleck zeigt.
Hat sich das Ei vom Eierstock getrennt, so wird es von den
offenen Abdominalenden der Muttertrompeten aufgenommen, und
durch den Kanal der Tuba in die Gebärmutterhöhle geleitet, wobei
die contractileu Fasern der Tuba und die Flimmerbewegung ihres
Epithels als bewegende Kräfte wirken. Die Veränderungen, welche
das befruchtete Ei während dieses Weges, welcher ziemlich langsam
zurückgelegt wird (bei Kaninchen in drei bis vier; bei Hunden in
acht bis vierzehn Tagen), sind im MeDsohen ni^^*
legenheit, verlässliche Beobachtungen
806 §• 327. Veränderongen das Eies im Eileiter, etc.
des menschlichen Eies im Eileiter und in der Gebärmutter an-
zustellen, ereignet sich nur sehr selten, indem das Weib, welches eben
auf die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes bedacht gewesen,
sich in solchen Gesundheitsumstünden beflnden wird, dass sein
ph'itzlicher Tod nur durch Zufall oder Gewalt erfolgen kann. Auch
sind die Beobachtiuigen über solche Fälle, oder über abortive Eier
aus den ersten Schwangerschaftsperioden, so unbestimmt, und 80
wenig übereinstimmend, dass es nothwendig wird, diese Vorgänge
am Thiere zu studiren, und durch vorsichtige Anwendung der ge-
wonnenen Resultate auf die menschliche Entwicklungsgeschichte,
eine liücke der anatomischen Wissenschaft auszufiillen. Was die
Untersuchung des Thiereies über diesen Fragepunkt lehrte, lässt
sich in folgenden Pimkten formuliren.
1. Das Ei erscheint auch im Eileiter von einem Reste des
Discus oophorus, in welchem es im Eierstocke eingebettet war, um-
hüllt. Dieser Rest stellt ein unregelmässiges, an mehreren Stelleu
wie eingerissenes Zellenstmtum dar, welches, während der Wan-
derung des Eies durch den Eileiter, allmälig abgestreift wird und
schwindet, so dass beim Eintritte des Eies in den Uterus nichts
mehr von ihm übrig ist.
2. Die Zona pellucida schwillt auf, tränkt sich durch Im-
bibition von Flüssigkeit, und das Ei wird grösser, indem sich an
die äussere Oberfläche der Zona noch eine neue Schichte Eiweiss
ablagert.
3. Der Dotter wird consistenter, und seine Körnchen häufen
sich so an, dass sie das Keimbläschen vollständig bergen. Man
sieht es also nicht mehr, und viele Beobachter glauben deshalb, es
habe aufgehört zu existiren. Der Dotter fliesst beim gewaltsamen
Zersprengen des Eies nicht mehr als körnige Masse aus, sondern
hält zusammen. Es bildet sich eine Furche um ihn herum, die immer
tiefer und tiefer wird, und endlich den Dotter in zwei Theile theilt,
deren jeder einen hellen Fleck, wahrscheinlich das gleichfalls ge-
theilte Keimbläschen enthält. Eine zweite Furche, senkrecht auf
die erste entstehend, theilt den doppelten Dotter in vier kleinere
kugelige Massen. An jeder Kugel wiederholt sich diese l'heilung.
Die Zahl der immer kleiner und kleiner werdenden Kugeln wächst
somit in geometrischer Progression. Jede Kugel lässt noch immer
einen hellen Kernfleck unterscheiden. Man nennt diese Theilunir
des Dotters in kleinere und kleinste Kugehi, den Furchungs-
process, und die Kugeln selbst: Furchungskugeln. Durch das
Zerfallen des Dotters in kleinere Kugeln, welche noch immer von
der Zma pellucida zusammengehalten werden , verliert er seine
Kugelform, und erhält, um einen rohen Vergleich zu machen, das
höckerige Ansehen einer Maulbeere. Die Furchungskugcdn haben
§.SS8. VarinderaDgeB des Eies im üterns, etc. 807
keine besondere Hülle, und müssen daher, wenn man für sie den
Namen Zellen beibehält, als nackte Zollen bezeichnet werden.
4. Während des Furchungsprocesses hat das Ei, durch Ver-
grösserung seiner Zona pdlucida, so an Umfang zugenommen, dass
die Furchungskugeln , welche sich nicht so rasch vermehren, als
die Grösse des Eies zunimmt, auseinander weichen, sich an die
innere Oberfläche der Zona als einfaches Stratum von Zellen an-
legen, und so eine mit der Zona concentrische Blase bilden, welche
als Keim blase oder Keimhaut (Blastoderma) den hellen Dotter-
rest umschliesst. Nur an einer bestimmten Stelle der Keimhaut finden
sich mehrere Schichten von Zellen. An dieser Stelle wird die Keim-
haut weiss und opak erscheinen; — sie wird einen Fleck zeigen —
und dieser Fleck ist der Ausgangspunkt aller ferneren auf die
Bildung eines Embryo abzweckenden Vorgänge, weshalb er Keim-
hügel, Discus proligej'USj genannt wird (Teiche embryonatre der Fran-
zosen). Die Zellen, aus welchen der Discos proligerus besteht, sind,
so zu sagen, die Bausteine, aus welchen der spätere Leib des Embryo
sich aufbaut. Sie werden deshalb Embryonalzellen oder Bil-
dungszellen genannt.
So YcrhUlt »icli der Hergang nach Bischoffs Beobachtungen am Kanin-
chenei. Ob das menschliche Ei analoge Veränderungen während des Durchgangs
durch den Eileiter erleide, ist bis jetzt nur Sache des Vermuthens. Wie lange ea
im Eileiter verweile, kann bei dem Mangel aller hier einschlagenden Beobachtun-
gen nicht gesagt werden. Bisch off meint, dass es vor dem zwölften bis vier-
zehnten Tage nicht in den Uterus gelangen dürfte. — Die Auffindung des Eies
im Eileiter ist oft sehr schwierig, besonders dann, wenn die anhängenden Keste
des DiscHs oophorti« verschwunden sind. Zur Untersuchung in iliesem Stadium
empfiehlt sich besonders das Uundeei, dessen dichter, und bei auffallendem Lichte
weiss erscheinender Dotter, dasselbe viel leichter auffinden lässt, als das fast
durchsichtige Ei anderer Haussäugethiere. Man befestigt den von seinem Peri-
tonealüberzug gereinigten, und mit einer kleinen Scheere der Länge nach ge-
öffneten Eileiter einer kürzlich läufig gewordenen und belegten Hündin, auf einer
scliwarzen Wachstafel mittelst Nadeln, und durchsucht die innere Oberfläche des-
selben genau mit der Loupc. Man findet die Eichen gewöhnlich als weisse, sehr
kleine Pünktchen, auf einer Stelle des Eileiters zusammengehäuft, kann sie mit
einer Scalpellspitze aufheben, und mit einem Zusatz von Speichel oder Eiweiss,
um das schnelle Vertrocknen so zarter Gebilde zu verhüten, unter das Mikro-
skop bringen.
Ueber den Furchungsprocess handelt liekhert in Müllers Archiv, 1846.
§. 328. Veränderungen des Eies im Uterus. Erscheinen
des Embryo.
Auch hierüber liegen moist nur Beobachtungen an Thier^i«
vor. — Das während seines Ganges durch den EUi«**^ "
Kaninchenei; war am Ende des Bileiters Tor
808 8' 9m. YerlDderuDgen des Eies im üftanis, eie.
EiweiBS umgeben, und sein Dotter in zahlreiche Furchungskugeln
zerlegt, welche die Keimhaut und den Keimhügel bildeten.
Die ersten Veränderungen, welche das Kauinehenei in der
Gebärmutter erleidet, betreffen seine Zona pdlucida. Von ihrer
ganzen äusseren Oberfläche nämlich wuchern fadenförmige Fortsätze
hervor, welche in die erweiterten Drüsen der Gebärmutterschleim-
haut (Glandulae tUrictdares, §. 315) hineinwachsen. Sic sind keine
bleibenden Gebilde, sondern verschwinden wieder, zusammt der
Zofia pellucida selbst, deren Bestand somit nur ein sehr kurzer war.
Man nennt die von der Zona ausgehenden, vergänglichen Zotten:
primäre, und ihren Complex: primäres Chorion. Für diese
vergänglichen primären Zotten, entstehen später neue, aus der
ganzen äusseren Oberfläche der Keimhaut selbst, und diese sind die
secundären, aus denen sich in der Folge der Mutterkuchen, als
Verbindungsorgan zwischen Embryo und Mutter, entwickeh. Der
mit Zotten besetzte Theil der Keimhaut heisst secundäres oder
permanentes Chorion.
Das Ei besteht somit nun aus zwei in einander eingeschlossenen
Blasen, einer äusseren (Chorion), und einer inneren (Keimblase,
Blattoderma), An der Stelle der Keimhaut, welche als Embryonal-
flecH im vorigen Paragraph erwähnt wurde, trennt sich die Keim-
blase in zwei Blätter. Beide Blätter liegen dicht an einander, können
aber mittelst Nadeln von einander getrennt und untersucht werden.
Die Differenzirung beider Blätter schreitet rasch, unter fortwähren-
der Proliferirung der Zellen durch Theilung, über den ganzen
Umfang der Keimblase fort, so dass endlich die ganze Keimblase
zweiblättrig werden muss. Beide Blätter sind Aggregate von Bil-
dungszellen, mit dem Unterschiede, dass die Zellen des äusseren
Blattes dichter an einander liegen , während jene des inneren
noch lose zusammenhängen, rundlicher und zai*ter sind, und weniger
granulirt erscheinen. Bischoff nennt, der Analogie mit der Keim-
haut des Vogeleies zufolge, das äussere Blatt das seröse oder ani-
malische, das innere das Schleimblatt oder das vegetative. Baö r
hat diese Benennungen zuerst für das Hühnerei gebraucht, dessen
Entwicklung sich am leichtesten studiren lässt, da man mittelst
künstlicher Bebrütung, sie in allen Stadien verfolgen kann. Baer
war nun der Ansicht, dass sich aus dem serösen oder animalischen
Blatt, die Muskeln, Knochen, und Nerven, also die Organe des
animalischen Lebens entwickeln, während aus dem Schleimblatt die
Organe des vegetativen Lebens, die Eingeweide, entstehen sollen.
Zwischen den beiden Blättern der Keimhaut nahm er noch ein
intermediäres Blatt an, welches aber nicht über die Ränder des
gleich zu erwähnenden Fruchthofes hinauswächst, also nicht zu
einer Blase wird, wie die beiden anderen Blätter, sondern die
S. 919. Weitere FortochriUe der Entwicklung de« Emlryo. 809
Uranlage des GefUsssystems darstellt, weshalb er ihm den Namen
Gefässblatt gab. Das Irrige dieser Ansicht wurde durch Reichert
nachgewiesen, welcher feststellte, dass aus dem äusseren Blatt der
Keimhaut nur die Oberhautgebilde des Embryo, aus dem inneren
nur das Epithel des Darmrohres entsteht, während alles üebrige
aus einer zwischen beiden Blättern sich entwickelnden, und durch
rasche Proliferation sich bedeutend verdickenden Zellenschichte
hervorgeht, welche er als Membrana intermedia sicherstellte.
Bei weiterer Entwicklung der Eier, bis auf einen Längen-
durchmesser von vier Pariser Linien, sind die Stellen, wo sie im
Uterus liegen, schon äusserlich als Anschwellungen kennbar, welche
zugleich dünnwandiger erscheinen, als der übrige Uterus. Am
neunten Tage ist das Ei von der Uterus wand, wie von einer fest
anliegenden Kapsel umschlossen, welche nur die beiden Pole des
Eies frei lässt.
Der Keimhügel selbst erscheint in diesem Stadium der Ent-
wicklung des Kanincheneies, nicht mehr rund, sondern oval, und
zuletzt birnförmig. Seine äusserste Umrandung bildet ein dunkler
Saum, welcher, der Analogie mit dem Vogelei wegen, dunkler
Fruchthof, Area vasculosa, genannt wird, der von ihm eingeschlos-
sene lichtere Theil, heisst durchsichtiger Fruchthof — Area
peUucida, Der Unterschied beider Fruchthöfe beruht auf der grösseren
oder geringeren Anhäufung von Bildungszellen. In der Axe des
durchsichtigen Fruchthofes tritt ein heller Streifen auf, der Primitiv-
streifen, Stria primitiva, welcher sich bei genauerer Betrachtung
als eine Rinne oder Furche herausstellt. Zu beiden Seiten des
Primitivstreifens erheben sich ein paar längliche Kämme, die
Rückenplatten^ Laminae dorsales, welche sich über der Rinne
zusammenneigen, und einen Kanal bilden, in welchem später das
Gehirn und Rückenmark sammt ihren Hüllen entstehen. Nach
aussen von diesen Kämmen treten ein paar neue Längen wülste auf,
welche sich gegen die Höhle der Keimblase zu entwickeln, und
die erste Anlage der zukünftigen Rumpfwandungen des Embryo
darstellen. Sie werden Visceral- oder Bauchplatten, Laminae
ventrales s. viscerales, genannt. Unter der Stria primitiva bildet sich
die strangförmige Chorda dorsalis, um welche herum sich die Körper
der Wirbel entwickeln.
§. 329. Weitere Fortschritte der Entwicklung des Embryo.
Die bis jetzt geschilderten Vorgänge der IKMong eauM 1^^*^"
Streifens (Primitivrinne)^ der Rücken- imd ^
Chorda dorsalii, gehen von Beicher/
810 g. 329. Weitere Fortschritte der Entwicklnng des Embryo.
Die Rückenplatten schlicssen sicli anfangs nicht in der ganzen
Länge ihrer convcrgirenden Ränder; die Verwachsung beginnt viel-
mehr zuerst in ihrer Mitte, und schreitet von hier aus gegen beide
Enden vor. Hat sich der Kanal für das Rückenmark ganz ge-
schlossen, so erweitert er sich an seinem vorderen Ende blasenartig^,
und bildet drei hinter einander liegende Ausbuchtungen. Die diese
Ausbuchtungen allmälig füllende Nervenmasse, wird zum Gehirn.
Gegen das hintere Ende schliesst sich der Kanal erst später, und
bildet, so lange er offen bleibt, eine lanzettförmige Spalte (Sinus
rlwmhoidalU des Vogelembryo). Sobald sich das Kopfende dos
Kanals als blasenartige Erweiterung zu erkennen gicbt, erhebt es
sich über die Ebene der Keimhaut, tritt aus ihr heraus, und schnürt
sich gleichsam von ihr ab. Zugleich krümmt es sich der Länge
nach so, dass die drei Ausbuchtungen nicht mehr in einer geraden,
sondern in einer gebogenen Linie liegen, deren höchsten Punkt die
mittlere Ausbuchtung einnimmt.
Hat sich der Embryo noch nicht seiner ganzen Länge nach,
sondern blos mit seinem Kopfende aus der Ebene der Keimhaut
emporgehoben, und legt man ihn, während er noch mit der Keim-
blase in Verbindung ist, auf den Rücken, so sieht man von der
Keimblase her, das Kopfende nicht, da es unter der Keimhaut liegt,
und von ihr verdeckt wird. Die Eingangsstelle von der Höhle der
Keimblase in die im Kopfende enthaltene Visceralhöhle wird nach
der von Wolff beim bebrüteten Hühnchen gewählten Bezeichnung:
Fovea cardmca, — der das Kopfende verdeckende Theil der Keim-
haut: Kopf kappe genannt.
Rings um den Embryo erhebt sich das äussere Blatt der Keim-
haut in eine Falte, als erste Anlage des Amnion. Diese Falte
überwächst von allen Seiten her den Embryo, so dass ihre Ränder
über dem Rücken desselben zusammenstossen , wo sie sich auch
schliessen (Amnionnabel). Das innere Blatt dieser Falt(i wird, wenn
es bis zur Verwachsung gekommen ist, einen Beutel oder Sack
vorstellen, dessen untere Wand der Embryo selbst ist. Beide Blätter
der Falte liegen anfangs dicht an einander, und uinschliessen den
Embi*yo ziemlich eng. Sammelt sich in der vom inneren Blatte der
Falte gebildeten Blase Flüssigkeit an, so wird sie ausgedehnt, und
wächst zu einer grösseren Blase an, welche Amnion, Schaf- oder
Wasserhaut, und deren flüssiger Inhalt Schafwasser, Liquor
amnii, genannt wird.
Nachdem sich das Amnion gebildet, beginnt auch der übrige
Embryo, von welchem nur das Kopfende bisher über die Ebene
der Keimhaut sich erhob, sich von der Keim haut zu erheben. Es
wiederholt sich zuerst am Schwänzende derselbe Vorgang, wie am
Kopfende. Indem es sich erhebt, das Schleimblatt nachzieht, und
$.889. Weitere Fortsehritte der Entwicklung des Embryo. 811
die Visceralplatten sich aufeinander zuneigen, entwickelt sich eine
vom Schicimblatt ausgekleidete Höhle in ihm, als hinteres Ende der
Visceralhöhle. Das abgeschnürte Schwanzende des Embryo wird,
von der Keimblase aus gesehen, ebenfalls durch einen Theil der
Keimhaut verdeckt, und dieser ist die Schwanzkappe.
Zuletzt kommt die Reihe des Convergirens auch auf die mitt-
leren Theile der Visceralplatten. Ihr Verschluss, und die dadurch
bewirkte Bildung der Rumpfhöhle, erfolgt aber viel langsamer. Der
sich über die Fläche der Keimhaut erhebende Embryo zieht das
mit seiner unteren Fläche verwachsene Schleimblatt nach, welches
somit eine gegen die Höhle der Keimblasc offene Rinne (Darm-
rinne) bilden muss. Diese wird durch die, von vorn und von
hinten gegen die Mitte vorschreitende, allmälige Schliessung der
Visceralplatten, in ein Rohr umgewandelt, — der einfache und
geradlinige Darmkanal. Ist die Schliessung der Visceralplatten
bis zur Mitte der Darmrinne gelangt, so geht die Verwachsung bis
zur vollkommenen Abschnürung weiter. Es wird somit das Darm-
rohr, d. i. der in der Rumpfhöhle des Embryo zwischen den Vis-
ceralplatten eingeschlossene, und durch sie gleichsam eingeschnürte
Theil des Schleimblattes der Keimblase, mit dem ausserhalb der
Rumpfhöhle verbliebenen Theil der Keimblase durch eine Oeffnung
communicircn. Die Oeffnung heisst: Darmnabel, und der eivtra
emhryonem liegende Theil der Keimblase: Nabel blase, Vesicida
umbUicalis. Die Communicationsstelle der Nabelblase mit dem Darm-
rohr zieht sich nach und nach in einen Gang aus, Nabelblasen-
oder Dotter gang, Ductus omphalo-enterictts. Der kreisförmige Rand
der um den Ductus omphalo-entencus zusammengezogenen Visceral-
platten, ist der sogenannte Hautnabel oder eigentliche Nabel.
Die Nabelblase ist sehr gefassreich. Da nun das in der Rumpf höhle
des Embryo enthaltene Darmrohr ebenfalls ein Theil der Keimblase
ist, so müssen Blutgefässe vom Embryo zur Nabelblase und um-
gekehrt verlaufen. Diese Blutgefässe liegen am Ductus omphalo-
entericus, und werden Vasa omphalo-mesenterica genannt. Sic bestehen
aus einer Arterie und zwei Venen.
Nebst der Nabelblase entstellt um dieselbe Zeit noch eine »weite Blase,
welche für die Entwicklung des Embryo, und seine einzuleitende Verbindung mit
der Gebärmutter, von grösster Wichtigkeit ist Sic heisst AUantouty Harn haut,
lieber ihre Entstehung sind die Meinungen getheilt. Bise hoff leitet die erste
Anlage der Allantois von einer ans Bildungszellen bestehenden, nicht hohlen
Wucherung der Visceralplatten des Schwanzes ab. Diese Wucherung ist sehr
gcfÄssreich, indem die beiden EndAste der Aorta (Arteriae iliacae) sich in ihr ver-
zweigen, und ihre Venen sich eu zwei ansehnlichen Stämmchen vereinigen, welche
zum Herzen zurücklaufen. Hat sich die Allantois, durch Verflüssigung ihrer inneren
Zelle nmasse, in eine Blase umgestaltet, so commuxdcirt sie allerdings mit dea
Darmende, und kann, der Form nach, als Ausstfllpung desselben grenn^
werden. Die Allantois wächst nach, tmd errdeht wobiir'' **^
812 S. 390. WollTscher K«rp«r.
Grösse, dass sie durch die zum Hautnabel connivirenden Visceral platten in zwei
Theile ^etheilt wird, deren einer innerhalb, der andere ausserhalb des Embryo
lieget. Der innerhalb des Embryo lieg^ende Theil der Blase, wird in seiner unteren
Hälfte zur Harnblase, in seiner oberen dagegen zum Harnstrang, Urachits.
Der Urachus ist hohl, also ein Kanal, durch welchen die Harnblase mit der
ausserhalb des Embryo befindlichen Allantois in Verbindung steht. Der Harn
wird somit durch den Urachus aus der Blase in die Höhle der Allantois geschafTl.,
woraus der Name Urachtt« sich ergiebt (oupov, Harn, und y-w, giessen). — Die
Arterien der Allantois sind die Fortsetzungen der beiden oben er>vähnten Aorten-
äste (Arteriae üiacciej und werden Nabelarterien genannt Die Venen vereinigen
sich beim Menschen zu einem Stamm — Nabelvene — welche sich in die mittler-
weile entstandene Hohlader ergiesst. Wir sehen nun durch die eigentliclie Nabel-
öffnung der Bumpfwand folgende Theile treten: 1. den Diicttu omphcdo-enterictis,
mit den VasU omphah-megerUericu, und 2. den Urachus, mit den doppelten Ar-
Uriae umhUicaUt, und der einfachen Veita umbUiceUis. Eine vom Amnion für diese
Gef&sse gebildete Hülle heisst Nabelscheide, und geht an der Peripherie des
Nabels in die äussere Haut des Embryo über. Der Complex aller dieser Gebilde
ist der Nabelstrang, Funiculua umbüicaUa. — Der ausserhalb des Embryo
liegende grössere Abschnitt der Allantois wird dazu verwendet, eine Gefässver-
bindung zwischen dem Embryo und der Gebärmutter «inzuleiten, und zwar auf
folgende Weise. Er wächst nämlich so rasch, dass er die äussere Eihaut (Chorion)
erreicht, sich an ihre innere Fläche anlegt, mit ihr verwächst, und seine Arterien
in sie eindringen lässt. Ist dieses geschehen, so schwindet dieser extra-embryonale
Abschnitt der Allantois vollständig. Nur seine Blutgefässe verbleiben. Seine
beiden Arterien, welche, wie gesagt, Verlängerungen der Arteriae iHac€te des
Embryo sind, verlängern sich bis in die, an der Aussenfiäche des Eies aufsitzen-
den Zotten, und beugen sich in diesen schlingenformig um, um in Venen über-
zugehen, welche sich zu einem einfachen Stamm vereinigen, als Vena umhilicali».
Gleichzeitig entwickeln sich die Blutgefässe an der Innenwand des ITtenis, be-
gegnen jenen des Chorion, und münden zwar nicht mit ihnen zusammen, gerathen
jedoch mit ihnen in eine so innige Beziehung, dass ein Austausch der Bestand -
theile beider Blutsorten diu'ch Diffusion möglich wird. Diese Verbindung der
Gefässsysteme des Uterus und des Embryo bilden den Mutterkuchen, /'/^icertto,
dessen genauere Untersuchung im §. 836 folgt.
Der zuerst von Galen gebrauchte Name AUantoiM (aXXavroei^r];) stammt
von oXXa;, gen. otXXivro;, eine Wurst. Diese sackförmige Haut ist nämlich bei
Schafen und Kälbern so gross und geräumig, dass man sie mit gehacktem Fleisch
zu füllen, also zum Wurstmachen zu verwenden pflegt; daher aXxavrorioiog bei
Diog. Laertius ein Wurstmacher, und aXAavTonrjjAr,; bei Aristophanes ein
Wursthändler. So wird nun auch die Benennung Menihrana farnminalis ver-
ständlich, welche ihr von Vesal gegeben wurde. Farcimen, von faj'cirr, füllen,
ist eine Wurst
§. 330. WolfPscher Körper.
Unter den hier gegebenen Fragmenten der Entwicklungs-
geschichte, mag auch dem Wolffschen Körper ein Platz gegönnt
sein. Er verdient ihn schon wegen seiner Beziehungen zur Ent-
wicklung der Genitalien. Der Wolffsche Körper ist ein paariges
Organ y welches die ganze Bauchhöhle sehr junger Embryonen
§. 830. Wolff*8cher Kftrper. 813
einnimmt; und steht in jener Periode des embryonalen Lebens im
grössten Flor, in welcher von Harn- und Geschlechtsorganen noch
nichts zu sehen ist. Der Wolffsche Körper ist eine tubulöse Drüse,
welche, so lange noch keine Nieren gebildet sind, mit der Aus-
scheidung der stickstoffhaltigen Zersetzungsproducte des embryo-
nischen Stoffwechsels betraut ist, daher sein Name: Primordial-
niere. Die quer liegenden Kanälchen der Primordialnieren endigen
an ihrem inneren Ende blind, an ihrem äusseren Ende aber gehen
sie in einen Ausfuhrungsgang über, welcher in das untere Ende der
Allantois einmündet. Am inneren Rande des Wolf f sehen Körpers
entsteht ein Organ, welches zum Hoden- oder Eierstock wird. Aus-
wäi*ts von diesem Organe zieht sich der Müller'sche Faden an
der unteren Fläche des Wolf f sehen Körpers hin. Er ist hohl,
also eigentlich ein Gang, endigt vorn blind und mündet hinten
zwischen den Insertionen der Wolffschen Ausfuhrungsgänge in
die Allantois ein. Wird das am inneren Rande des Wolffschen
Körpers sich bildende Organ zu einem Hoden, so schwindet der
Müller' sehe Faden der Art, dass nur sein hinteres, in die Allan-
tois einmündendes Ende pcrennirt, welches dann mit demselben
Ende des anderen Müller'schen Fadens zu einem Säckchen zu-
sammenfliesst — die in §. 298 erwähnte Vesicula prostatica. Die
Samenkanälchen des neu entstandenen Hoden münden in die Quer-
kanäle des Wolffschen Körpers ein. Was von letzteren diesseits
dieser Einmündung liegt, schwindet, während das jenseits der Ein-
mündung liegende, mit dem Ausfuhrungsgang des Wolffschen
Körpers zusammenhängende Stück derselben, sich zu den Com
vasculosi Hcdlen (§. 300) umwandelt, und der Ausführungsgang
selbst zum Nebenhoden wird. Von den vordersten Querkanälchen
des Wolffschen Körpers kann eines oder das andere als eine Form
der Morgagni'schen Hydatide (§. 301) perenniren; — während
eines der hintersten sich zum Vascidum aberrans (§. 300) umbildet.
Ob auch die Parepididymis (§. 300) als ein Residuum des Wolff-
schen Körpers zu nehmen sei, ist nicht bewiesen, aber sehr wahr-
scheinlich.
Wird aber das anfangs indifferente Organ am inneren Rande
des Wolffschen Körpers zu einem Eierstocke, so schwindet der
MüUer'sche Faden nicht, wohl aber der Wolffsche Ausführungs-
gang. Der Müller'sche Faden öffnet sich an seinem vorderen
Ende und wird zur Tuba Fallopiae. Die hinteren Enden beider
verschmelzen zu einem unpaaren Schlauch, welcher sich in Uterus
und Vagina sondert. Einige Querkanälchen des Wolffschen Körpers
können (wie im männlichen GescUechte) perenniren, und bilden
sodann den im §. 309 erwähnten Nebeneierato^lr
814 §. SSI. Menschliche fiier aus dem eraUn Schwangerschaflsmonate.
Ich will nicht so unbescheiden sein, den Autorc^n i'ilier Entwicklungs-
geschichte länger in's Handwerk zu pfnschen, und verweise den Wissbegierigen
auf die einschlägigen, schon öfters citirten Sclirlften.
§. 331. MenscUiche Eier aus dem ersten Schwangerschafts-
monate. Membranae deciduae.
Der Vergleich sehr junger menschlicher Eier mit den in den
vorausgegangenen Paragraphen behandelten Säugethiereicrn zeigt,
bis auf minder wesentliche DiflFerenzen, eine grosse Uebereinstimmung.
Nach Thomson's Beobachtungen eines zwölf bis vierzehn Tage
alten menschlichen Eies, hatte dieses einen Durchmesser von fünf
Zehntel Zoll. Sein Chorion war mit Zotten besetzt. In diesem
befand sich eine zweite Blase, welche die Höhle des Chorion nicht
ganz ausfüllte, und auf welcher der Embryo dicht auflag. Die
Seitentheile des Embryo gingen ohne Erhebung in diese Blase über.
Sie war also die Keimblase. Von Amnion und AUantois war nichts
zu sehen.
In einem von R. Wagner untersuchten Ei von tiinf Linien
Durchmesser, war bereits das Darmrohr gebildet, und hing durch
einen kurzen Kanal, Ductus omplialo-entericus, mit der Nabel blase
zusammen. AUantois und Amnion waren gleichfalls schon entwickelt.
Das Alter dieses Eies betrug drei Wochen. Ein dritter Fall, von
Müller beschrieben, stimmt mit diesem genau überein, und ebenso
ein vierter, von Coste, welcher auf zwanzig Tage geschätzt war.
Diese wenigen Data genügen, um aus der Uebereinstimmung der
ersten embryonalen Anlagen, auf eine gleiche Entwicklungs weise zu
schliessen.
In den sogenannten hinfälligen Häuten, Membranae deciduae,
liegt ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal des menschlichen Eies
vom Säugethierei. Die Membrana^ decidtiae sind Eihülleii, welche
nur im Menschen (wahrscheinlich auch bei den Affen) vorkommen.
Ihre Entstehung geht aber nicht vom Ei aus, wie die des Amnion
und Chorion, sondern von der Gebärmutter. Es ist hinlänglich oon-
statirt, dass, bevor noch das menschliche Ei in die (Jebärmutter
gelangt, an der inneren Oberfläche der letzteren eine Haut entwickelt
wird, welche gegenwärtig von allen Anatomen als die hypertrophirte
Uterusschleimhaut selbst anerkannt wird. Sie wurde von Hunter
zuerst untersucht und beschrieben, und fuhrt, weil sie während der
Dauer der Schwangerschaft eine vollständige Rückbildung erleidet,
den Namen: Membrana decidua Hunteri, Sie ist weich, weisslich,
und einem plastischen Exsudate ähnlich, wie es bei Entzündungen
gebildet wird. Ihre Dicke beträgt^ in ihrem höchsten Entwicklungsäor,
§. SSL Menfchlicho Eier aus dem eriten Sehwangersehftftemonate. 815
bis drei Linieu. Als aufgelockerte Uterinalschleimliaut besitzt die
Decidua vergrössorte und verlängerte Glaiididas utricidares in
grösster Anzahl, deren erweiterte Mündungen das siebförmige An-
sehen der freien Fläche der Decidua bedingen. Kommt nun das
Ei durch die Tuba in den Uterus, so soll es den, das Ostium
uterinum verschliessenden Theil der Decidua vor sich her drängen,
und von ihm umwachsen werden. So entsteht die Membrana decidua
reflexa, durch welche das Ei, bevor es noch mit der Gebärmutter-
wand in Contact geräth, gleichsam wie in einer Schwebe aufgehan-
gen wird.
Man darf sich aber die Einstülpung der Decidua Hunteri zur
Decidua reflexa, nicht als ein gewaltsames mechanisches Vordrängen
der ersteren vorstellen, wozu das kleine Ei wohl schwerlich genug
Gewicht haben wird. Es ist im Gegenthcil sehr wahrscheinlich, dass
das Orißcium uterinum der Tuba, durch die Decidua gar nicht ver-
schlossen wird, und das Ei somit frei in die Gebärmutterhöhle
schlüpft, worauf es von einem aus der Uterusschleimhaut sich rings
um das Ei erhebenden Wall umschlossen, und gänzlich von ihm*
umwachsen wird. Die Einstülpungstheorie hat jedoch hierin einigen
Halt, dass der Mutterkuchen in der Regel auf oder nahe an einem
Orificium uterinum tubae sitzt, was nicht so gewöhnlich vorkommen
könnte, wenn das Ei frei in die Uterushöhle gelangte, und somit
eine tiefere Anheftungsstolle erhalten müsstc. Genau genommen,
ist die Sache mehr ein Wortstreit, als eine wirkliche Ansichtsver-
schiedenheit, denn es wird sehr schwer sein, zu beobachten, ob ein
so kleines Körperchen, wie das Ei um diese Zeit, bei seinem An-
langen in der Uterushöhle die aufgelockerte, und die TubenöfFnung
überragende Schleimhaut vor sich herdrängt, oder von der ge-
wulsteten Schleimhaut umwachsen wird. Es kommt, scheint mir,
beides so ziemlich auf dasselbe hinaus.
Die Bildung einer Decidua lässt sich nicht blos auf den Fall einer ge-
schehenen Befnichtung des Eies zurUckftUiren. Ich fand in zwei Uteri von
Mädchen, welche während der Reinigung eines plötzlichen Todes starben, und
deren eine ein vollkommen tadelloses Hymen bcsass, die Uterinalschleimhaut ver-
dickt, aufgelockert, ihre Drüsenschläuche verlängert und erweitert, — kurz einer
beginnenden Decidua älmlich. Man darf somit annehmen, dass die mit jeder
Menstruation eintretende Vitalitätssteigerung des Utenis, die Entwicklung einer
hinfälligen Haut involvirt, welciie theils durch Aufsaugung, theils durch Abstossung
wieder schwindet, wenn nicht der, durch eine stattgefundene Befruchtung gegebene
Impuls, eine weitere Ausbildung derselben einleitet Dass das Ei selbst auf die
Entstehimg der Decidua vera keinen Einfluss nimmt, beweist die durch zahlreiche
Erfahrungen bestätigte Wahrheit, dass auch in Fällen, wo das befruchtete Ei gar
nicht in die Uterushöhle gelangt, sondern in der Tuba oder selbst in der Bauch-
höhle seine Schwangerschaftsstadien durchmacht (OravidiUu exira-tUennaJ^ dennoch
die Decidua vera sich, wie bei normaler Schwangersduift» entwickelt
816 §. Stt. MtBtchliche Bier ans dem iweiten Schwangertchaftsraonate.
§. 332. Menschliche Eier aus dem zweiten Schwangerschafts-
monate.
Ueber menschliche Eier aus dem zweiten Schwangerschafts-
monate sind die Beobachtungen ziemlich zahlreich. Ein im Anfange
des zweiten Monats durch Missfall (Aborttis) abgegangenes Ei, hat
acht bis zwölf Linien Durchmesser. Es ist von der Decidua reflexa
umhüllt. Die Decidua vera erscheint an ihrer äusseren Fläche rauh
und zottig; an ihrer inneren glatt und glänzend. Den Kaum zwischen
Deddtui reflexa und vera nimmt geronnenes Blut ein, wodurch das
ganze Ei meistens für einen Blutklumpen gehalten, und statt in
anatomische Hände, in den Abort gelangt. Das Ei ist mit Zotten
oder Flocken besetzt, welche durch die Decidua reflexa hindurch-
wachsen. Die Zotten stehen an jener Stelle des Chorion, wo sich
später die Placenta entwickelt, besonders dicht, und sind mit seit-
lichen Aestchen besetzt, wodurch sie das Ausehen von kleinen
Bäumchen erhalten. Der Embryo selbst ist zwei bis drei Linien
lang. Die Allantois existirt nicht mehr. Dagegen findet sich ein
aus dem Nabel des Embryo kommender, und zu jener Stelle des
Chorion verlaufender Strang, wo die Zotten bereits die Baumfomi
angenommen haben. Dieser Strang enthält, nebst dem Nabclb las-
chen und dessen Ductus omphcUo-entericus, auch die Nabelgefässe :
zwei Arteriae und eine Vevia umbilicalis. Die Arterien senken ihre
Zweige in die baumförmigen Zotten des Chorion ein, an deren
Enden sie schlingenförmig in Venen umbeugen. Der Stiel, an
welchem das Nabelbläschen hängt, ist länger als bei irgend einem
Säugethiere, obliterirt aber schon um diese Zeit vollkommen, so
dass das Bläschen zur weiteren Entwicklung des Darmkanals
keinen Bezug haben kann. Dasselbe rückt sofort vom Nabel weg,
und entfernt sich so weit von ihm, dass es in den Raum zu liegen
kommt, wo das peripherische Amnion sich zur Nabebcheide ein-
stülpt. Zwischen Chorion und Amnion befindet sich ein noch immer
ansehnlicher Zwischenraum, mit einer gallertähnlichcn Flüssigkeit
gefüllt (Magma reticuU, Velpeau).
Das frühzeitige Schwinden der AUantois ist eine dem menschlichen Ei
eigrenthümliche Erscheinung. Die Allantois hat die Bestimmung, die NabelgefRsse
des Embryo in das Chorion zu leiten, in dessen Zotten sie ihre letzte VerÄstlnng
haben. Da nun im menschlichen Ei nur jene Zotten Gef&sse erhalten, welche der
Insertionsstelle der Placenta entsprechen, so braucht die Allantois niclit weiter ru
wachsen, als bis sie diese Stelle des Chorion erreicht. Sind ihre GefKsse t*inraal
in die Zotten eingetreten, so hat sie ihre Rolle ausgespielt, und ihre Rück-
bildung beginnt.
|. 8S8. Zur Geburt reifet Ei. Schafhavt. — §. S34. Frachtwaner. 817
§. 333. Zur Geburt reifes Ei. Schafhaut.
Die Schafhaut (Amnion) des reifen Eies, umschliesst zu-
nächst den Embryo, und stellt die innere Eihaut desselben dar.
Gefäss- und nervenlos, bildet sie eine weite Blase, welche das Aus-
sehen einer serösen Membran besitzt, und mit einer trüben, dick-
lichen Flüssigkeit — dem Frucht-, Geburts- oder Schafwasser,
Liquor amnii — gefüllt ist. Ihre innere Oberfläche ist glatt, ihre
äussere liegt entweder am Chorion an, und verklebt so lose mit
ihm, dass sie leicht abgezogen werden kann, oder wird von ihm
durch eine dem Liquor amnii ähnliche, grössere oder geringere
Flüssigkeitsmenge getrennt, welche falsches Fruchtwasser,
Liqtior amnii spurium, heisst. Dass das Amnion aus kernhaltigen
Zellen besteht, lässt sich nur bei jungen Eiern erkennen. Um die
Zeit der Geburt, ist seine Zusammensetzung aus Zellen nicht mehr
deutlich. Ein sehr schönes Pflasterepithel lagert an seiner inneren
Oberfläche.
Man liest Amnion nnd Amnios, to ajjivfov ist eigentlich die Schale, mit
welcher das Blut der Opferthiere aufgefangen wurde, und nach Pollux die frag-
liche Eihaut. "AfjLvio^ = a^jivd; ist Schaf, und «(jlveTo^, was vom Schafe kommt,
also auch hei Empedocles die Schafhaut. Spigelius meint (de form, foet.
eap. 6)^ dass die älteren Anatomen, welche ihre Untersuchungen über den Fötus,
nur an trächtigen Schafen anstellen konnten, den Schaffbtus in seiner Totalität,
durch diese durchsichtige Haut hindurch wahrgenommen haben, und ihr deshalb
den Namen Amnios , Schafhaut, beilegen, welcher auch in der menschlichen
Anatomie sich das Bürgerrecht erwarb.
Der Nabelstrang, welcher den Embryo mit den ausserhalb des Amnion
liegenden Mutterkuchen verbindet, durchbohrt nicht das Amnion. Es stülpt sich
letzteres vielmehr um den Nabelstrang herum ein, bildet eine Scheide für ihn,
gelangt an ihm zum Nabel des Embryo, und verschmilzt daselbst mit den
Banchdecken.
§. 334. Fruchtwasser,
Die Menge des Frucht- oder Schafwassers^ Liquor amnii,
ist in verschiedenen Schwangerschaftsstadien, und um die Geburts-
zeit, bei verschiedenen Frauen sehr ungleich. Seine Quantität nimmt
bis zur Mitte des Fruchtlebens zu, und gegen die Geburt wieder
ab, wo es im Mittel ein Pfund beträgt. Ebenso variirt seine Zu-
sammensetzung, und die bisher vorgenommenen chemischen Analysen
stimmen deshalb nicht überein. Man findet es bei sehr jungen Em-
biyonen wasserhell. Später wird es gelblich, schmeckt salzig, und
hat den thierischen Geruch vieler organischer Flüssigkeiten. Es
enthält im vierten Monate 97, im sechsten aber 99 Procent W««^»«
das übrige sind Salzspuren und Eiweiss. Der geringe £i^
Hyrtl, Lehrbuch der Anfttoml«. li. Aufl.
818 §. 985. Oefftsshaat.
macht es unwahrschemlicli, dass, wenn das Fruchtwasser vom Em-
bryo verschluckt wird, es als Nähr ungsstoflF verbraucht werden könne.
Die Verwendung des Fruchtwassers liegt auf der Hand. Seine
Gegenwart schützt den Embryo vor den Gefahren mechanischer
Beleidigungen, welche bei der Zartheit und Vulnerabilität der Frucht,
ihre normgemässe Entwicklung leicht beeinträchtigen könnten.
Nimmt die Menge des Fruchtwassers ab, wie es in den letzten
Schwangerschaftsmonaten Regel ist, so werden die Bewegungen der
Frucht fiir die Mutter lästig und schmerzhaft. — Der im Fi-ueht-
wasscr flottirende Nabelstrang weicht den Bewegungen des Embryo
aus, und kann somit weder gedrückt, noch gczerrt werden, wo-
durch die Ab- und Zufuhr des Fruchtblutes gesichert wird. —
Allzufrüher Abgang des Fruchtwassers bedingt Abortus. Das Ein-
dringen der Amnionblase in den Muttermund am Beginn der Ge-
burt, und der Dinick, welchen diese Blase, bei den als Wehen
auftretenden Zusammenziehungen der Gebärmutter, auf den Mutter-
mund ausübt (das sogenannte Einstellen der Blase), erweitert gleich-
förmig den engsten Theil der Geburtswege, und befeuchtet ihn
sammt der Scheide beim Platzen der Blase. Sind die Fruchtwässer
abgelaufen, und die Geburtswege trocken und heiss geworden, so
wird die Geburt mit namhaften Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Es kommt als grosse Seltenheit vor, dass der praevia capttt
zu gebärende Embryo, das Amnion nicht, wie das Chorion durch-
reisst, sondern der Kopf des Kindes, eine förmliche Mütze von dem
im Kreise gesprungenen Amnion, mit sich auf die Welt bringt. So
geborene Kinder hält der Volksglaube für Glückskinder (ttfe coiffee
der Franzosen). Ein Sohn des Caracalla, welcher mit einer solchen
Mütze auf dem Kopfe geboren wurde, erhielt davon den Beinamen :
Diadunxeno8,
§. 335. aefasshaut
Die Gefässhaut des reifen Embryo, (Jhorion, umschliesst das
Amnion, und heisst deshalb auch äussere Eihaut. Der Name
Chorion, wurde von Aristoteles der Gefässhaut des Eies beigelegt.
Er stammt von /sptcv, welches überhaupt eine Haut bedeutet,
und in diesem Sinne auch als corium in der lateinischen Sprache
sich einbürgerte. Kernhaltige Zellen mit granulirtem Inhalt, bilden
ihre Wesenheit. Den Namen einer Gefässhaut, erhielt sie nur wegen
ihrer Beziehung zur Placenta. — ¥jS wurde bereits erwähnt, dass
das Chorion bei sehr jungen Eiern an seiner ganzen äusseren Fläche
zottig ist, während seine innere Fläche glatt erscheint. Man kann
diesen Unterschied immerhin durch die Ausdrücke Chorion fun-
go9um s.frondosum, und Choriwi Uteve s. glabrum bezeichnen, vorauis*
§. 8S6. Mattorkachen. 819
gesetzt, dass man darunter keine besonderen Häute, sondern nur
Flächen Einer Haut versteht. Mit dem fortschreitenden Wachsthume
des Eies, und der damit verbundenen Ausdehnung des Chorion,
werden die Zotten an der unteren Gegend des Chorion spärlicher,
häufen sich dagegen in der oberen Peripherie, und besonders an der,
der zukünftigen Placentarinsertion zugekehrten Stelle mehr und mehr
an. Dieses soll aber nicht als ein Wandern der Zotten ausgelegt
werden, sondern ergiebt sich als Folge einer numerischen Zunahme
der Zottenbildung an der oberen Gegend, während die Zotten an
der unteren Peripherie des Chorion, schon der zunehmenden Aus-
dehnung dieser Haut wegen, weiter aus einander rücken, durch
Druck atrophisch werden, und beim reifen Ei in so grossen Ab-
ständen stehen, und zugleich so verkümmert sind, dass man diesen
Abschnitt des Chorion immerhin zottenlos nennen kann. Die dicht-
gedrängten, baumförmigen und gefasshältigen Zotten an der oberen
Peripherie des Chorion, bilden den Körper des Mutterkuchens
— Placefita.
Die zerstreuten, verkümmerten Zotten des Chorion eines reifen Eies, haben
ein ganz anderes Ansehen als die wahren Placentarzotten. Sie sind fadenförmig,
gehen mit breiterer Basis vom Chorion ab, und senken sich mit ihren zugespitzten
Enden in die Decidua ein, mit welcher sie oft so innig zusammenhängen, dass
die Trennung beider Häute Schwierigkeiten macht Sie enthalten keine Gefässe;
nur die der Placenta näher stehenden, bekommen zuweilen Aestchen aus den
Nabeigefassen.
§. 336. Mutterkuchen.
Der Mutterkuchen, Placenta, vermittelt als ein äusserst ge-
fiissreiehes (Jrgan, den Blutverkehr zwischen Mutter und Frucht.
In ihm erfahrt das Blut des Embryo jene Veränderung, durch
welche es zur Ernährung desselben befähigt wird. Bevor der
Mutterkuchen durch Fallopia den Namen Placenta erhielt (von
7:Äay.oi>^, im Genitiv TrXaxoOvTOj;, ein platter, aus Honig und Mehl be-
reiteter Kuchen, bei Horaz, Ep. I. 10, 11), hiess er Hepar ute-
rinum, da man ihm ganz richtig das Geschäft der Blutbereitung
für den Embryo zuschrieb, welches Geschäft man damals, auch
unrichtiger Weise der Leber des Erwachsenen zumuthete. Er hat
die Gestalt eines länglich-runden, convex-concaven Kuchens, dessen
grösster Durchmesser fünf bis acht Zoll, und dessen Gewicht ein bis
zwei und ein halb Pfund beträgt. Seine convexe oder äussere Fläche
sitzt an der inneren Oberfläche des Fundvs uteri fest^ jedoch nicht
in dessen Mitte, sondern gegen das eine oder andere Orifici»m v^^
rinum tubae. Das Amnion überzieht seine i|iiij9Vf
Fläche^ in welche sich der Nabektraag nichit j
820 §. 836. Mnttorkuchen.
excentrisch und in schräger Richtung einpflanzt. Seine weiche,
schwammige Masse ist sehr reich an Blutgefässen, welche, indem
sie theils dem Embryo, theils dem Uterus angehören, nach alther-
kömmlicher Vorstellung die £intheilung des Mutterkuchens in einen
Gebärmutter- und einen Fötaltheil (Pars placentae uterina et
foetalis) veranlassten.
A) Fötaltheil des Mutterkuchens. Es wurde früher er-
wähnt, dass die ganze Aussenfläche des Ohorion, anfänglich mit
Zotten besetzt erscheint, und dass diese später sich an jener Stelle
des Chorion anhäufen und stärker entwickeln, wo das Ei sich mit
der Gebärmutter in GefKss Verbindung setzen soll. Die Zotten wachsen
an dieser Stelle zu kleinen Bäumchen an, und gruppiren sich zu dicht
gedrängten Büscheln, welche selbst wieder grössere, an der Aussen-
fläche einer vollkommen ausgetragenen Placenta noch erkennbare
Lappen oder Inseln, Cott/ledones, bilden. Die Gefässe des Nabel -
Stranges theilen sich an der inneren Fläche der Placenta in Aeste
und Zweige, welche in diese Lappen eindringen, und sich durch
wiederholte Theilung in kleinere Gefasse auflösen, welche zu den
Zotten gehen. Das in die Zotte eindringende arterielle Gefasschen,
folgt allen Aesten und Reiserchen der Zotte, macht also so viele
Schlingen oder Schleifen, als die Zotte Aeste hat, und geht zuletzt
in die Vene der Zotte über, welche, durch allmälige Vereinigung
mit allen übrigen Zottenvenen, die Vena umbilicalis zusammensetzt.
Es muss also das durch die beiden Arteriae umbüicales in die Pla-
centa foetalis geführte Blut, durch die Vena umbilicalis wieder zum
Embryo zurückfliessen; — es gelangt, wegen vollkommenen Ab-
geschlossenseins der Gefössschlingen in den Zotten, nicht in die
Gefasse der Gebärmutter, und die Placenta verhält sich in dieser
Hinsicht wie jedes andere innere Organ des Embryo.
Da noch keine Nerven in der Placenta entdeckt wurden, so lle^t in der
durch Kolli ker experimentell constatirten Contractu ität der Placontargefäase, ein
wichtiges Moment fUr die Beantwortung der Frage, ob die Contractilität vom
Nervensystem abhängig ist oder nicht
B) Gebärmutterthcil des Mutterkuchens. Man stellt
sich die Theilnahme des Uterus an der Placentabildung auf folgende
Weise vor. Die zur Placenta sich zusammendrängenden Zotten des
Chorion, wachsen in die gleichfalls vergrösserten Glandulae utri-
cvJares der Decidua hinein. Zugleich entwickelt sich ein kolossales
Blutgefiissnetz in der Decidua, dessen Artenen in sehr weite, und,
wie man sagt, wandlose, d. h. nur von den Resten der Decidua
gebildete Venen übergehen. In dieses GefUssnetz sind die Zotten
der Placenta embrt/onica so eingetaucht, dass sie vom Blute der
Mutter bespült werden, und somit ein gegenseitiger Austausch der
beiderseitigen Blutströme durch Diffusion und Filtration eingeleitet
9. S87. NabelBtraoff. 821
werden kann. — Man kann sich die Wechselwirkung zwischen dem
Blute des Embryo und der Mutter so vorstellen, wie jene in den
Lungen zwischen dem venösen Blute und der atmosphärischen Luft,
nur handelt es sich in der Placenta nicht blos um den Uebertritt
gasförmiger StoflFe, sondern auch wirklicher Nahrungsbestandtheile
aus dem Mutterblut in das Blut der Frucht. Es klingt deshalb
immer nur figürlich, die Placenta einen Pidmo uterwus zu nennen.
Der normale Geburtsact geht gewöhnlich in der Weise vor
sich, dass die in Folge der Contractionen des Uterus blasenförmig
durch den Muttermund herausgedrängten Eihäute platzen (Springen
der Blase), das Fruchtwasser abfliesst, und hierauf der Embryo
praevio capite ausgetrieben wird. Die Eihäute mit dem Mutterkuchen
folgen durch eine erneuerte Contraction des Uterus, in einer län-
geren oder kürzeren Pause nach, imd werden deshalb von den Ge-
burtshelfern Nachgeburt, Secundinae, genannt.
Die Stnictar der Placenta uterina dürfte noch weitere Arbeit yeranlassen.
Seit Jahren wurde in dieser Richtung nichts mehr unternommen. Der Punkt, auf
welchen es am meisten ankommt, ist die Nichtcommunication des embryonischen
und mütterlichen Gefässsystems. Dieser ist wohl vollkommen sichergestellt. —
Insertionsanomalien der Placenta können, ssur Zeit der Geburt, für Mutter und
Kind sehr gefahrUch werden. Sitzt die Placenta auf dem Muttermunde auf, als
sogenannte Placenta praevia, so muss bei der Erweiterung desselben im Beginne
der Geburt, die Placenta theilweise aus ihrer Verbindung mit dem Uterus ge-
waltsam gerissen werden, und eine Blutung entstehen, welcher nur durch Be-
schleunigung der Geburt mittelst künstlicher Lösung der Placenta, Einhalt gethan
werden kann.
Mein Werk: die Blutgefässe der menschlichen Nachgeburt in
normalen und abnormen Verhältnissen. Fol. mit XX Taf. Wien, 1870,
enthält Alles, was eine genaue und sorgfaltige Untersuchung an den Gefässen
der Placenta und des Nabelstranges eruiren konnte.
§. 337. Nabelstrang.
Nabelstrang oder Nabelschnur, Fanieulus umbüicalü, heisst
im reifen Embryo ein nahezu fingerdickes Bündel von Blutgefilssen,
durch welches der Embryo mit dem Mutterkuchen in Verbindung steht.
Seine Länge stimmt gewöhnlich mit jener des reifen Embryo über-
ein, und beträgt somit im Mittel achtzehn Zoll; jedoch sind Aus-
nahmen dieser Regel nicht ungewöhnlich. Man hat an ausgetragenen
Leibesfrüchten Nabelstränge von zwei ein halb Zoll Länge gesehen
(Guillemot), und in meiner Sammlung befindet sich einer, von
zweiundsechzig Zoll Länge.
Die erste Entstehung des Nabelstranges fällt, zugleich mit der Bildung des
Nabels, in jene Periode, wo sich der Embryo von der Keimblaae absasohnfiren
begann, und die aus dem Unterleibe des Embryo heratuwaehsende Allantoiiai p**^
ihrer doppelten Arterie und einfachen Vene, bis an die innere Fliehe im '
822 S. 897. Nab«l8tnng.
g^elangte. Die AlUntois vergeht, aber ihre Blutgefässe persistiren bis an das
Ende der Schwangerschaft als Nabelgefüsse.
Der Nabelstrang besteht aus folgenden Ingredienzien :
a) Zwei Nabelarterien. Sie sind Fortsetzungen der beiden
Arteriae hypogastncae des Embryo. Selten fehlt eine derselben. Sie
streben von den Seiten der Harnblase, welchen sie anliegen, dem
Nabel zu, wo sich die Vena umbilicalis zu ihnen gesellt. In der
Regel an Volumen gleich, treten sie durch den Nabel in den Nabel-
straug ein, in welchem sie, in linksgedrehten Schraubentouren, zur
Placenta verlaufen, um dort mit ihren letzten Verzweigungen die
Schlingen in den Zotten zu bilden. An der Eintrittsstelle in die
Placenta communiciren sie durch einen starken Verbindungszweig.
Sie bleiben während ihres ganzen Verlaufes im Nabelstrang unver-
ästelt, und besitzen (mit Ausnahme ihres Bauchsttickes) keine V(isa
vasorum, keine elastischen Fasern, sondern nur organische Muskel-
fasern in ihrer Wand, und keine bindegewebige Adventitia, Die
Umwandlung des Bauchstückes der Nabelarterien nach der Geburt
in die Ligamenta vesico-umbilicalia laieralia, ist bereits bekannt. Da
das gesammte arterielle Ocfasssystem des Embryo kein rein arte-
rielles, sondern gemischtes Blut fuhrt, werden auch die Nabelarterien
nur gemischtes Blut dem Mutterkuchen zuführen.
Unter zweihundert injicirten Placenten, welche ich besitze, befinden sich
nur sechs, deren Nabelarterien an der Insertionsstelle des Nabclstranges nicht
miteinander anastomosiren. Bei den übrigen finde ich die Art der Anastomose
sehr verschieden. — Stellenweise Aufknäuelungen der Arter%€Ut ninbilicales, be-
dingen die unter dem Namen „falsche Knoten" bekannten localen Intumescen-
zen des Nabelstranges. Knoten des Nabelstranges, welche ganz auf dieselbe Weise
entstehen, wie beim Knüpfen eines Fadens, heissen wahre. »Sie kommen nur an
langen Nabel strängen vor.
h) Eine Nabclvene. Sie ist voluminöser, aber gewöhnlich
weniger gewunden als die Arterien, und nicht ganz klappenlos. Die
Spiraltouren der Nabelarterien umwinden sie (vom Embryo aus-
gehend) entweder von rechts nach links, oder (der seltenere Fall)
von links nach rechts. Neugebauer fand unter 1(50 Nabelsträngen
114 links gewundene, 39 rechts gewundene, und 7 mit parallelem
Gefössverlauf. — Innerhalb des Embryo verlässt die Nabelvene die
Arteriae umbüicales, und geht vom Nabel zum vorderen Abschnitt
der Fossa lonffitudinaiis sinistra der Leber hinauf. Während dieses
Laufes ist sie im unteren Rande des Ligamentum sm2)eJisorium ein-
geschlossen. Am linken Ende der Querfurche der Leber angelangt,
theilt sie sich in zwei Zweige, deren kürzerer in den linken Ast
der Pfortader einmündet, während der längere durch den hinteren
Abschnitt der linken Längenfurche, als Ductus venosus Arantii, zum
Stamme der unteren Hohlvene oder zu einer Lebervene tritt. Oft
S. 8S7. Vabelstrang. 823
hat es den Anschein, dass der Ductus vmosus ArantU, nicht aus der
Nabelvene, sondern aus dem linken Pfortaderaste hervorgeht, in
welchen sich die Nabelvene ergiesst. Der Xlmwandlung des Bauch-
stückes der Nabelvone in das runde Leberband, wurde bereits mehr-
fach gedacht. — Immer giebt die , Nabelvene, während sie durch
den vorderen Abschnitt der Fossa lonffitudiiwlis sinistra der Leber
verläuft, Aeste in das Leberparenchym ab. Von der Abgangsstelle
dieser Aeste bis zur Einmündung in den linken Pfortaderast, ver-
wächst die Vena umbäicalis nach der Geburt nicht. Dieses oflFen
bleibende, kurze Stück verliert nur an Kaliber, und erscheint somit
als ein Zweig des linken Pfortaderastes, in welchem das Blut von der
Pfortader wegströmen muss, während es, so lange die ganze
Nabel vene offen war, der Pfortader zuströmte, — der einzige
Fall von Aenderung der Stromrichtung in einem und demselben
Blutgefäss.
Da die Blutgefässe des Nabebtranges keine Vtua vasorum besitzen, mnss
das gemischte Blnt der Arteriae umbiUcaleM, und das arterielle Blut der Nabel-
vene, für die Ernährung des Nabelstranges sorgen. Der Mangel der Vota vcuonwi
erklärt es nun auch, warum, wenn nach der Geburt kein Blut mehr durch die
Vasa umbüicalia strömt, der am Neugeborenen zurückbleibende Theil der durch-
schnittenen Nabelschnur (vier Zoll lang), gänzlich und sehr schnell abstirbt,
während die intraabdominalen Stücke der Nabelgefässe, welche Veua voacrum be-
sitzen, nicht absterben, sondern sich nur innerhalb der sie einschliessenden Peri-
tonealscheide zurückziehen, und zu soliden Strängen umgebildet werden.
c) Die Wharton'öchc Sülze. So heisst jene Masse gallertigen
Bindegewebes, welche die Blutgeßisse des Nabelstranges umgiebt
und zusammenhält. Locale Anhäufungen von Wh arton'scher Sülze
passiren ebenfalls als falsche Knoten.
d) Die Scheide des Nabelstranges. Sie wird durch die Ein-
stülpung des Amnion gebildet, und geht an der Peripherie des
Nabels in das Integument des Embryo über.*
Wenn man einen Nabelstrang entzwei zu reissen versucht,
wird man sich wundem, dass dieses Entzweireissen an einem Bündel
von drei Blutgefässen mit weicher, sulziger Umgebung, so äusserst
schwer gelingt. Es gehört wirklich grosser Kraftaufwand dazu.
Die Ursache dieser Widerstandskraft des Nabelstranges gegen Deh-
nung und Riss, liegt in der Gegenwart mehrerer Schnüre von dicht-
gefasertem Bindegewebe, welche, wenn man ihrer einmal an der
Querschnittfläche des Nabelstranges ansichtig geworden , mittelst
Spaltung der Scheide des Stranges, sich in längeren Strecken ana-
tomisch darstellen, oder auf rohere Weise von den Ge&ssen los-
reissen lassen. Ich habe sie als Chordae fvmcvli umbüicalü beschrieben.
Das Vorkommen von Nerven im Nabelitniig h»t Schott (die Controvw
über die Nerven des NabelstnngeB, Frankfurt, 1886) aieheigettellt Sl« sl»
aus den Lebergeflechten (für die UmbiUc»lveiie), and mm dem
824 i. 887. Nabelitruig.
(för die Umbilicftlarterien). Valentin hat sie im Nabelstrang^, drei bis vier Zoll
weit vom Nabel, mikroskopisch nachgewiesen. Was wir von ihnen noch zu wissen
brauchen, wären die Antworten auf zwei Fragen: wie weit erstrecken sie sich?
und was wird zuletzt aus ihnen? — Lymphgefllsse des Nabelstranges wurden
zuerst Ton Fohmann Injicirt (Tiedemann und JVeviranti», Zeitschrift IV. pag. 276).
Wie bei so vielen F oh mann*schen ^Präparaten, von welchen ich Einsicht ge-
nommen, bleibt ei auch hier unentschieden, ob die Bäume, welche im Nabel-
strang mit Quecksilber gefüllt wurden, Lymphgefässe, oder, was viel wahrscheinlicher
ist, wandlose Lacunen zwischen den faserigen Elementen der W bar tonischen
Sülze sind.
Excedirende Länge des Nabelstranges veranlasst verschiedene
Uebelstände. Diese sind:
a) Umschlingung desselben um die Körpertheile des Embryo
(HalS; Schulter y Gliedmassen). Ist die Umschlingung mit Ein-
schnürung verbunden^ so kann es bis zur sogenannten spontanen
Amputation der Gliedmassen, selbst zur Strangulation des Embryo
kommen.
b) Wahre Knoten^ wie beim Knüpfen eines Fadens. Die
Bewegungen des Embryo, welcher sich in seinem langen Nabel-
strange verwickelt, bedingen die Umschlingungen; — das Durch-
schlüpfen des Embryo aber durch eine gedrehte Schlinge des Nabel-
stranges, die Knoten. Beide Fälle können ohne Nachtheil für das
Leben des Embryo vorkommen. Wird aber die Umschlingung zur
Umschnürung, oder wird ein wahrer Knoten fest geschürzt, so
werden beide für das Leben des betreflFenden Körperthciles, oder
des ganzen Embryo höchst gefährlich.
c) Vorfälle. Sie entstehen, wenn beim Sprengen der Amnion-
blase im Anfange der Geburt, das abströmende Fruchtwasser den
Nabelstrang mit sich herausschwemmt.
Wenn sich der Nabelstrang nicht direct in die Placenta, son-
dern in die Eihäute einpflanzt, und von hier aus seine Blutgef&sse
vereinzelt an die Placenta herantreten, heisst diese Anomalie: In-
sertio velamentosa. — Ich besitze mehrere Placenten, deren Nabel-
stränge zur Hälfte linksgewundene, zur Hälfte rechtsgewundene
Nabeigefasse zeigen. Beide Abschnitte trennt ein Zwischenstück von
drei bis fünf Zoll Länge, in welchem die Nabelgefässe parallel
neben einander liegen. An einer anderen Placenta meiner Samm-
lung findet sich ein Nabelstrang, dessen Arterien, jede für sich, die
eine eine rechtsgewundene, die andere eine linksgewundene enge
Spirale beschreiben, zwischen welchen eine vollkommen geradlinige
Nabelvene liegt.
L, Ä, Neugebauer, Morphologie des menschlichen Nabelstrang^s. Breslau,
1858. — Ueber die Rückbildung^ der NabelgcHisse handelt: Ch, Hobin, in den
M6ni. de TAcad. de m^d. 1860. — K. KöHer, die feinere Structur der menach-
lichen Nabelschnur. Wttnbnrg, 1868.
8. S88. Veriadaningeii der Oebirmatter in der Sohwaogencliaft. 825
AuafUhrliches über alle in diesem Paragraph nur flüchtig berührten Einzel-
heiten des Nabelstranges, enthält mein, im vorigen Paragraph citirtes Hauptwerk,
über die Blutgefässe der menschlichen Nachgeburt. — Ueber die von mir an den
Arteriia umbüicalUms aufgefundenen BuUn, welche man, pretentiöser Weise,
Placentarherzen nennen könnte, handelt mein Aufsatz: Die Bulbi der Placentar-
Arterien, im XXX. Bd. der Denkschriften der kais. Akad.
§. 338. Teränderungen der Gebärmutter in der
Schwangerschaft.
Die Gebärmutter nimmt während der Schwangerschaft an
Grösse und Gewicht in auffallender Weise zu. Sie wird also nicht
blos passiv ausgedehnt. Nach MeckeTs, an zwölf Gebärmüttern,
nach regelmässig erfolgter Niederkunft vorgenommenen Wägungen,
betrug das Gewicht derselben zwischen zwei und drei Pfund. Die
Zunahme der Dicke ihrer Wandungen erfolgt vorzugsweise durch
Massenzunahme der Muskelschichte, und durch Ei^weiterung des ge-
sammten venösen Gefasssystems des Uterus. Die Arterien sind bei
diesem Vorgange weit weniger interessirt. Das Anwachsen der
Wanddicke hört aber in den letzten Schwangerschaftsmonaten auf,
so dass das femer noch zunehmende Grössen wach sth um des Uterus
nur auf Kosten der Dicke seiner Wände zu Stande gebracht wird.
Diese Verdünnung der Uteruswand tritt namentlich in der nächsten
Umgebung des Muttermundes so deutlich hervor, dass der Rand
dieser OefFnung nur zwei Linien Dicke besitzt, und deshalb Einrisse
des Muttermundes, namentlich bei Erstgebärenden, fast regelmässig
vorkommen.
In den ersten beiden Monaten der Schwangerschaft sinkt die
vergrösserte, und dadurch schwer gewordene Gebärmutter, tiefer
in das kleine Becken herab. Ihr Muttermund lässt sich mit dem
Finger leichter erreichen. Vom dritten Monate an, wo sich die
Placenta bildet, hat der Uterus im kleinen Becken nicht mehr
Raum genug. Er erhebt sich aus dem kleinen Becken, und seine
Vaginalportion steht höher. Der Grund des Uterus lässt sich im
vierten Monate etwas über dem Schambogen fühlen. Im fünften
Monate steht er zwischen Schamfuge und Nabel, im sechsten in
gleicher Höhe mit dem Nabel, im siebenten über demselben, im
achten und neunten erreicht er die Herzgrube, und im zehnten
(Mondmonat) steht er wieder etwas tiefer. Die Bauchdecken wölben
sich kugelig hervor, die Nabelgrube verflacht sich, die Vaginal-
portion wird allmählich zur Vergrösserung des Uterus, der CanalU
cermds zur Vergrösserung der Uterushöhle verwendet. Am Mutter-
mund verstreicht die vordere und hintere Lefize, er wird nuMcL-
öffnet sich vom ftinften Monat angefangen, uBd wird in letvter i
826 §• SS9. Lage des Bmbiyo in der C^ebinnntter.
80 weit, dass man durch ihn mit dem Finger die gespannte Blase
der Eihäute fühlt.
Die Vergrösserung der Gebärmutter kann nur dadurch vor
sich gehen^ dass die Nachbarsorgane^ weiche sie beschränken könnten,
aus ihrer Lage weichen, wodurch das topographische Verhältniss
der Baucheingeweide einige Störungen erfahrt. Die Gedärme sind
zur Seite gedrängt, die Rippenweichen werden deshalb voller, der
Uterus liegt an der vorderen Bauchwand dicht an, und kann leicht
gefühlt werden. Der Druck auf die Eingeweide erzeugt Störungen
der Verdauung, auf den Mastdarm Stuhlverstopfung, auf die Gallen-
gefilsso Gelbsucht, auf die Harnblase Unregelmässigkeiten in der
Urinentlecrung , auf die Venen des Beckens Varicositäten der
Saphena interna, auf die Lymphdrüsen ebendaselbst Oedem der
Füsse, — Zufalle, welche sich mindern, wenn bei längerer Rückenlage
der Frau, der Druck der Gebärmutter auf andere Gebilde gerichtet
wird. — Die Bewegung des Zwerchfells wird ebenfalls beeinträch-
tigt; Gehen, Laufen, Stiegensteigen, wird häufig nicht gut vertragen;
der Gang ist wackelnd, mit stark gestrecktem Rücken, um die
Schwerpunktslinie des nach vorn belasteten Leibes, noch zwischen
den Fusssohlen durchgehen zu machen. — Hat der Utei-us durch
die Geburt sich seiner Bürde entledigt, so verkleinert er sich so
rasch, dass er schon in der ersten Woche nach der Entbindung,
auf seine früheren Durchmesser zurückgeführt erscheint.
Merkwürdig ist es, dass, während der Schwangerschaft, nicht blos die
Venen der Gebärmutter, sondern auch jene benachbarter Organe (Scheide, Harn-
blase, breite Mntterbänder) an Weite zunehmen, und luiter den Gebärmutterv'enen
jene des Gnmdes »ich viel mehr erweitern, als jene dos Halses. — Die Nerven
des Uterus gewinnen erwiesener Weise in der Schwangerrtchaft an Stärke, und es
sind vorzugsweise die grauen Fasern, welche durch ihre Vermehnuig die Dicken-
zunahme der Uterinalnerven bedingen. Man überzeugt sich durch Auscultation
des Unterleibes einer Schwangeren, dass der Embryonalkreislauf einen schnelleren
Rhythmus hat, als aus dem Puls der Mutter zu schliessen wäre.
§. 339. Lage des Embryo in der ftebämiutter.
Der Embryo liegt, in, der weitaus grösseren Mehrzahl der
Fälle, so in der Gebärmutterhöhle, dass der Kopf nach abwärts,
und der Rücken nach vorn gekehrt ist. Es scheint der Häufigkeit
dieser Lagerung ein rein mechanisches Verhältniss zu Grunde zu
liegen. Der Kopf, als der schwerste Körpertheil, sinkt nach unten,
und der stark gekrümmte Rücken legt sich an die vordere Uterus-
wand, weil diese, der Nachgiebigkeit der Bauchdecken wegen, weiter
ausgebaucht ist, als die hintere, welche durch die nach vom convexe
Lendenwirbelsäule in ihrer Ausdehnung beschränkt wird. Da zugleich
S. 8S0. L«^ dM Embryo in der Oebftrmiitter. 827
der Kopf des Embryo gegen die Brust geneigt ist, so wird das
Hinterhaupt — nicht die Stirn oder das Gesieht — auf dem Mutter-
munde stehen. Man fühlt deshalb beim Touchiren vor der Geburt,
die kleine Fontanelle (Hinterhaupt-Fontanelle) im Muttermunde.
Der gerade Durchmesser des Kopfes kann aber nicht mit dem geraden
Beckendurchmesser (Conjugata) übereinstimmen, da letzterer nicht
die hiezu gehörige Länge besitzt. Der Kopf muss also derart schief
stehen, dass sein langer Durchmesser, in der Richtung eines schiefen
Durchmessers des Beckeneinganges liegt, was durch die Richtung
der leicht zu fühlenden Pfeilnaht ausgomittelt wird.
Wir wissen nicht zu sagen, warum die schiefe Stellung des
Kopfes meistens (unter vier Fällen dreimal) mit dem linken schiefen
Durchmesser des Beckeneinganges übereinstimmt, d. h. das Hinter-
haupt der Fnicht gegen die linke Schenkelpfanne, das G esicht gegen
die rechte Stjmplifjsis sacro-Uiaca gerichtet ist. Nach Schweig-
häuser soll der Gioind davon in der grösseren Länge dieses schiefen
Beckendurchmessers liegen.
Während des Durchganges durch das Becken, muss sich die
Richtung des Kopfes ändern, so dass der längste Durchmesser des-
selben in den längsten Durchmesser des Beckens fallt. Der längste
Durchmesser liegt aber für die obere Beckenapertur schief, für die
Beckenhöhle und die untere Beckenapertur gerade. Der Kindskopf
wird somit eine Drehung auszuführen haben, um seinen längsten
Durchmesser in den längsten Durchmesser der Beckenhöhle und
ihres Ausganges zu bringen.
Die Gesichtslage der Frucht gestaltet sich für die Geburt weit
weniger günstig als die Hinterhauptslage, da wegen des zum Nacken
zurückgebogenen Hinterhauptes, nebst dem senkrechten Durch-
messer des Kopfes zugleich der Hals in das Becken tritt. Die
Häufigkeit der Gesichtslagc verhält sich zu jener der Hinterhaupts-
lage nach (Jarus wie 1 : 92. — Die Steisslage bringt für die Geburt
den Nachtheil mit sich, dass der am schwersten zu gebärende Theil
der Frucht — der Kopf — zuletzt hervortritt, wozu die durch
frühere Anstrengungen erschöpften Wehen, häufig nicht mehr aus-
reichen, und deshalb die Geburt durch Kunsthilfe vollendet
werden muss.
Geht bei Steisslage des Kindes, die Nabelschnur zwischen den
Füssen desselben durch, und wird sie nicht gelöst, so wird der auf
ihr reitende Embryo, bei seinem Vorrücken sie so zerren und com-
primiren, dass Unterbrechung des Kreislaufes eintritt, welche um
so gcßihrlichere Folgen für das Leben des Kindes haben wird, ab
der noch in der Gebärmutter verweilende Kopf nicht athmen kann,
um das Vonstattengehen des Kreislaufes durch die Lungen ei
zuleiten.
828 §. S40. Litontar der Einffeweidelahre.
Unter den übrigen abnormen Fruchtiagen, zählt die Fusslage
wohl zu den häufigeren. Sie wird minder gefährlich sein, wenn
beide Füsse, als wenn nur einer zur Geburt vorliegt, in welchem
Falle die Kunsthilfe noth wendig intervoniren muss, um den soge-
nannten Partus agrippinus zu vollziehen, dessen Namen Plinius
erklärt (Not. hist VII, 8) : in pedes procedere nascentem contra naturam
est, quo argumento eos appellavere Agrippas, ut aegre partos. Krause
(kritisch-etymolog. Lex. pag. 39) leitet den Ausdruck von or^pia,
nnca, irfpiiTJza^ wilde Stute, ab, weil die griechischen Nomaden so
viel Gelegenheit hatten, das Werfen der Stuten zu beobachten, und
dabei zwei Füsse vorauskommen sahen.
AnatomiBch-physiolog^sche Urtheile über die verschiedenen Fruchtiagen,
enthält, Burdaeh's Physiologie, 8. Bd. §. 486.
§. 340. Literatur der Eingeweidelehre.
/. Verdauungsorgan.
Die Literatur des Verdauungsorgans besteht, mit Ausnahme
der ausführlichen anatomischen Handbücher, grösstentheils nur in
Specialabhandlungen über die einzelnen Abschnitte dieses Systems.
So weit es sich dabei über Structurverhältnissc handelt, sind nur
die neueren Arbeiten brauchbar. Sie wurden in den betreflfenden
Paragraphen bereits angeführt.
Kopf-, Hals- und Brusttheil des Verdauungsorgans.
E, H, Weber, über den Bau der Parotis des Menschen. In
Meckd's Archiv. 1827. — C H. Dzondi, die Functionen des weichen
Gaumens. Halle, 1831. — F. H, Bidder, neue Beobachtungen über
die Bewegimgen des weichen Gaumens. Dorpat, 1838. — Sebastian,
recherches anat. physiol., etc. sur les glandes labiales. Groning.,
1842. — C, Th, lourtual, neue Untersuchungen über den Bau des
menschlichen Schlund- und Kehlkopfes. Leipzig, 1846. — R, Froriep,
de lingua anatomica quaedam et semiotica. Bon., 1828. — Mayer,
neue Untersuchungen, etc. Bonn, 1842. — Fleischmann, de novis
sub lingua bursis mucosis. Norimb., 1841. — H, Saclis, observationes
de linguae structura penitiori. Vratisl. , 1857. — G. Flckard, zur
Anat. der Zungendrüsen und Tonsillen, im Arch. für path. Anat.
1859. — H. SddiUer, de glandulis salivalibus. Vratisl., 1865. —
Luschka, der Schlundkopf des Menschen. Tüb., 1868.
§. MO. Litontnr der Eiiigeweid«l«kre. 829
Magen und Darmkanal.
L. Bischoffy über den Bau der Magenschleimhaut, in MÜUer's
Archiv. 1838. — A, Wasmann, diss. de digestione nonnulla. BeroL,
1839. — T. Schwann, über das Wesen des Verdauungsprocesses.
Miüler's Archiv. 1836. — A. Retzivs, Bemerkungen über das Antrum
pylori, in MiUler's Archiv. 1857. — H. Luschka, das Antrum car-
diacum des menschlichen Magens, im Archiv für path. Anat. 1857.
— J. C. Peyer, exercitatio anat. de gland. intestin. Scaphus. 1677.
— J. C. Brunner, novarum glandularum intestinaliura descriptio;
in den Miscell. acad. nat. curios, Dec. II. 1686. — J. N. Lieber-
kühn, diss. anat. physiol. de fabrica et actione villorum intest. I^ugd.
Bat., 1745. — L. Böhm, de glandularum intestinalium structura peni-
tiori. BeroL, 1835. — J. Goldschmid Nanninga, de processu vermi-
formi. Qroning., 1840. — M, J. Weh&i*, über die Valvula coli, im
Organ für die gesammte Heilkunde. 1843. 2. Bd. — PA. Middd-
dorpf, de glandulis Brunnianis. 1846. — E. Brücke, über den Bau
der Peyer'schen Drüsen, in den Denkschriften der kais. Akad.
n. Bd. 1850. — Derselbe, über das Muskelsystem der Magen- und
Darmschleimhaut, in den Sitzungsberichten der kais. Akad. 1851.
— R. Heidenhain, Beitrag zur Anat. der Peyer'schen Drüsen, in
Midieres Archiv. 1859. — C, Friedreich, Einiges über die Structur
der Cylinder- und Flimmerepithelien, im Archiv für path. Anat.
1859. — Dönitz, über die Schleimhaut des Dai*mes. Berlin, 1864.
— W, His, Untersuchungen über den Bau der Peycr'schen Drüsen,
und der Darmschleimhaut. Leipzig, 1861. — Schwalbe, Drüsen der
Darmwandungen, im Archiv für mikrosk. Anat. 8. Bd. — H, Frey,
die Lymphwege der Peyer'schen Drüsen, in Virchow's Archiv. 1863.
— H. Baur, die Falten des Mastdarms. Giessen, 1861.
Bauchfell und dessen Duplicaturen.
F, M. Langenbeck, comment. de structura peritonei, etc. Gotting.,
1817. — C. J. Baur, anatomische Abhandlung über das Bauchfell.
Stuttgart, 1838. — C. H. Mejfer, anatomische Beschreibung des
Bauchfells. Berlin, 1839. — J. MüUer, über den Ursprung der Netze
und ihr Verhältniss zum Peritonealsack, in Meckd's Archiv. 1830.
— H. C, Hennecke, comm. de ftmctionibus omentorum. Gott, 1836.
— H, Meyer, über das Vorkommen eines Processus peritonei vagi-
nalis beim weiblichen Fötus, in Müllers Archiv. 1845. — J. Cldand,
The mechaniame of the Gubernaculum testis. Edinb., 1856. —
W, Treitz, Hernia retroperitonealis. Pragae, 1856.
Ueber den Situs viscertmi handeln alle chirurgischen Anatomien
ausführlich, und eine sehr getreue bildliche DarBtellung deaaelben
gab Ortatti, Abbildungen der Eingeweide der Schädel-, Ifourt-
830 §• 340. Literatur der EinsreweideUhr«.
Bauchhöhle des menschliehen Körpers in süu naturali. Mainz, 1838.
fol. Hieher gehört auch : Engel, einige Bemerkungen über I^age Ver-
hältnisse der Baucheingeweide. Wien. med. Wochenschr., Nr.30 — 41,
und E. Hoffmamiy die Lage der Eingeweide, etc. I^eipzig, 1863. Letz-
teres Werk für Aerzte und Studirende gleich empfehlenswerth.
Leber, Pankreas und Milz.
F. Kiemcm, Anatomy and Physiology of the Liver, in Philos.
Transact. 1833. P. 11. — E, H. Weher, über den Bau der Leber,
in Midler's Archiv. 1843. — A, Krvkenberg, Untersuchungen über
den feineren Bau der menschlichen Leber. Midieres Archiv. 1843.
— L. J. Backer, de structura subtiliori hepatis. Traj. ad. Rh., 1845.
— A, R^dus, über den Bau der Leber, in Mililers Archiv. 1849.
— R. Wagner, Handwörterbuch der Physiol. Art. Leber, von Pro-
fessor TheUe, — M, Rosenberg, de recentioribuB structurae hepatis
indagationibus, Vratisl., 1853. — L. S, Beale, On some points in
the Anat. of the Liver. London, 1855. — Mac Gülavry, Wiener
Sitzungsber. 1864. — Brücke, ebenda. 1865. — G, Asp, zur Anat. der
Leber, in den Berichten der königl. Gesellschaft der Wissenschaften
in Leipzig. 1873. — M, Deutsch, Anat. der Gallenblase. Berlin,
1875. — J. G, Wirmng, ligura ductus cujusdam cum multiplicibus
suis ramulis noviter in pancreate observati. Patav., 1643. — F» TXede-
mann, über die Verschiedenheiten des Ausführungsganges der Bauch-
speicheldrüse, in MeckeVs Archiv. IV. — Veimeuü, Gaz. med. 1851.
V. 25. — Bemard, M^m. sur le pancröas. Paris, 1856. — J, Ijatschen-
berger, über den Bau des Pancreas, mit Tafel. — M. Malpighi, de
liene, in ejusdem exercitat. de viscenim structura. Bonon., 1664.
— J. Müller, über die Structur der eigenthümlichen Körperchen
in der Milz einiger pflanzenfressender Säugethiere, im Archiv für
Anatomie und Physiologie. 1834. — C. G. Giesker, anat. physiol.
Untersuchungen über die Milz des Menschen. Zürich, 1835. —
Gray, On the Structure and Use of the Spleen. London, 1854. —
— Bülroth, im XX. und XXHI. Bde. des Archivs für patholog.
Anat., und Schweigger' Seidel, ebenda. Letzterer, disquisitiones de
liene. Halis, 1861. — Basler, über Milzgefösse. Würzburg, 1863. —
W. Müller, über den feineren Bau der Milz. Leipzig, 1865.
n. ReqnrcUionsorgane.
Kehlkopf.
J. D, Santorini, de larynge, in ejus obs. anat. Venet., 1724.
— J. B, Morgagni, adversaria anat. Lugd. Bat., 1723. adv. I. —
S. Th. Sömmerring, Abbildungen des menschlichen Geschmack- und
Sprachorgans. Frankfurt a. M., 1806. — C 27*. Tourtual, neue
§. S40. Literatur der Eiofl^weidelebre. 831
Untersuchungen, etc. liCipzig, 1846. — H, Rheiner, Beiträge zur
Histologie des Kehlkopfes. Würzburg, 1852. — C L, Merkd, Anat.
und Physiol. des menschl. Stimm- und Sprachorgans. Leipzig, 1857,
reich an anatomischen Details. — HcUbertsma, Mededeelingen der
königl. Akad. XI. 3. — Düse, Beitrag zur Anat. des Kehlkopfes.
Jena, 1875. — Hauptwerk über den Kehlkopf von Luschka, Tüb.,
1871, mit 10 Tafeln.
Luftröhre, Lungen und Pleura.
J. Mohsdiott, de Malpighianis pulmonum vesiculis, Heidelberg,
1845, und in den Holländischen Beiträgen zu den anat. physio-
logischen Wissenschaften. 1. Bd. — Wate/ra, The Anatomy of the
Human Lung. Ijondon, 1860. — Rossignol, Recherches sur la struc-
ture du poumon de Thomme, etc. Bruxelles, 1846. — A. Adriani,
de subtiliori pulmonum structura. Trajecti ad Rh., 1847. — Le Fort,
Recherches sur Tanatomie du poumon. Paris, 1859. — E, Schultz,
disquisitiones de structura canalium aeriferorum. Dorpat, 1850. —
Beichler, Beitrag zur Histologie des Lungengewebes. Gott., 1861.
— A. Zenker, Beiträge zur normalen und path. Anat. der Lunge.
Dresden, 1862. — J, N, Becde, A treatise on the Physiol. Anat. of
the Lungs. London, 1862. — Köttner, über das Lungenepithel. Archiv
für path. Anat. 66. Bd.
Schilddrüse und Thymus.
A, F. Bopp (und Rapp), über die Schilddrüse. Tübing., 1840.
— S, C\ Lucae, anat. Untersuchungen der Thymus im Menschen
und in Thieren. Frankfurt a. M., 1811, 1812. — A. Cooper, Ana-
tomy of the Thymus Gland. London, 1832. — F, C, Haugsted,
thymi in hom. et per seriem animalium descriptio anatom. physiol.
Hafn., 1822. — J. Simon, Physiological Essay on the Thymus
Gland. London, 1845. — A. Ecker, in der Zeitscjirift für rat. Med.
VI. Bd., und Th. Frerichs, über Gallert- und Colloidgeschwülste.
Gott., 1847. — Ferner der Artikel: Blutgefössdrüsen, in R. Wag-
ner's Handwörterbuch. — C. Rokitansky, zur Anatomie des Kropfes.
Denkschriften der kais. Akad. 1. Bd. — F. Giinsburg, Notiz über
die geschichteten Körper der Thymus. Zeitschrift für klin. Med.
1857. — His, Zeitschrift für wissensch. Zoologie. 10. Bd.
///. Hamwerkzeuge,
Nieren.
Aeltere Schriften, nur von historischem Werth:
L. Bellini, exercitationes anat. de structura et usu renum.
Florent., 1662. — M. Malpighi, de renibus^ in ejusdem Exeroitat.
f.Mt.
de Tiscemiii nmctom. Bonoiu« 1666. — A. SdkmwJ/nuk^, disB. de
stmcluni renniD. Argent.. 1782. — Ch. Ca^a^ Observation s d*aiuit.
mieroacopiqae sur le rein de nuimniiferes. Paris. 1S39. v Nimmt
Verbindttngen der Ilamkanalchen mit den CapUlar^etsUsen An.)
Xeuere Arbeiten:
B^Acman, in Lond. Edinb. and Dublin Phil«>s. Mairaz. 184^. —
J. Gtrlaehf Beiträge zur Structurlehre der Xierc. MiilUr'* Archiv.
l>54ij. (Lässt mehrere Malpighi'sche Kapseln auf Einem Harn*
kanalehen aufsitzen.) — F, Bidder, über die Malpighi'schen Körper
der Xiere. Ebendas. pag. 508. seqq., und dessen vergleichend-ana-
tomische Untersuchungen über die männlichen Oresehleehts- und
Hamwerkzeuge der nackten Amphibien. Dorpat, 1840. t Lässt die
Malpighi*schen Korperchen nicht in der Hohle der Kapsel, son-
dern ausserhalb derselben liegen, und dieselbe mehr weniger ein-
stülpen.) — C Ludwig, Nieren, in Waijner's Handwörterbuch. —
r. Patruban, Beitrage zur Anatomie der menschlichen Xiere, in der
Prager Vierteljahrsschrift, Bd. XV. (sah in der Schlangenniere nrei
Hamkanälchen aus Einer Kapsel entspringen). — r. Cams, über
die Malpighi'schen Körper der Xiere, im 2. Bde. der Zeitschr. für
wissenschaftl. Zoologie. (Der Knäuel liegt entweder in einer er-
weiterten Stelle eines Hamkanälchens [Triton], oder in dem blinden,
angeschwollenen Ende desselben [die übrigen Thiere], und wird von
einer einfachen Schichte Pflasterepithel überzogen.) — Hessiing,
Histologische Beitrage zur Lehre von der Harnseeretion. Jena,
1851. — J, Mariauen, über das Verhältniss der Malpighi' sehen
Körperchen zu den Hamkanälchen , in den Verhandlungen der
Petersburger Akademie. 1851. — W. Busch, Beitrag zur Histologie
der Xieren, in Müller's Archiv. 1855. — R. Mrchotc, über die Cir-
culationsverhältnisse in den Xieren, im Archiv iiir pathologische
Anatomie. 1857. «— Af. Schmidt, de renum structura questiones.
Gott., 1860. — Wenn nach so zahlreichen Vorarbeiten Henle (zur
Anatomie der Xiere, 1862) noch ein ganz neues Element im Baue
der Xiere — die iiitrapyramidalcn Schlingen der Hamkanälchen
auffinden konnte, wirft dieses ein eigenthümliches Streiflicht auf
die relative Genauigkeit der vorhergegangenen l-utersuchung:en.
Folgende Schriften befassen sich ausschliesslich mit der überraschen-
den Entdeckung Henlt's: A. Colhenj, im ( Vntralblatt der medicinischen
Wissenschaften. 1863. S. 48 u. 49. — Ludtcig und Zaican/kin, zur
Anatomie der Xiere, in den Wiener Sitzungsberichten. 18G4.
— 3/. Kotty Drüsensubstanz der Xiere. Bern, 1864. — E. Bidder,
Beiträge zur Lehre von den Functionen der Xieren. Mitau, 1863.
— J. Kollmann, Zeitschrift för wissenschaftliche Zoologie. 1864. —
iSdiweiggtr-iSeidel, die Xieren des Menschen und der Säugethiere
8.SiO. LItwaiar d«r Biiif«w«id«lt)ir«. 833
Halle, 1865. — Th. Stein, Ham- und Blutwege der Niere. Würzb.,
1865. — Axel Key^ Om Circulations förh&llandena i Njurarne. Stock-
holm, 1865. — G. Jurid, Bau und Verrichtung der Blase und Harn-
röhre. Wiener medicinische Jahrbücher. IV. — Ueber Injection
der Wirbelthier-Niere und deren Resultate handelt mein Aufsatz in
den Sitzungsberichten der kais. Akad. 1863.
Nebennieren.
H. B. Bergmann, diss. de glandulis supraren. Gott., 1839. —
Schwager-Bardeleben, diss. observ. microsc. de glandulis ductu ex-
cretorio carentibus. Berol., 1842. — A. Ecker, der feinere Bau der
Nebennieren. Braunschweig, 1846. (Auf gründliche, vergleichend-
anatomische Untersuchungen basirtes Hauptwerk.) — B. Werner,
de capsulis suprarenalibus. Dorpat, 1857. — Herde, über das Ge-
webe der Nebennieren, Zeitschrift für rat. Med. 3. R. 24. Bd. —
J. Arnold, in FtrcÄou?'» Archiv. 35. Bd.
Harnblase und Harnröhre.
Ch. Bell, Treatise on the Urethra, Vesica urinaria, Prostata
and Rectum. London, 1820. — J. Wilson, Lectures on the Structure
and the Physiology of the male Urinary and Genital Organs.
London, 1821. — J. Houston, Views of the Pelvis, etc. Dublin,
1829. — G, J, Guthrie, On the Anatomy and Diseases of the
Neck of the Bladder, and the Urethra. London, 1834. — C. Sap-
pey, sur la conformation et la structure de Furfetre de Thomme.
Paris, 1854.
Die chirurgisch-anatomischen Schriften von Leroy d'Etoües,
Amussat, Civiale, Cazenave, widmen diesem in operativer Beziehung
höchst wichtigen Capitel besondere Aufmerksamkeit. Ebenso die
für die topographische Anatomie aller Beckenorgane sehr lehrreiche
Schrift von 0. KoMrauech: Zur Anatomie und Physiologie der Becken
Organe. Leipzig, 1854.
IV. Männliche Geschlechtsorgane*
Hoden.
R. de Grraaf, de virorum organis generationi inservientibus.
Lugd. Bat., 1668. — A. Halter, Observationes de vasis seminalibus.
Gottingae, 1746. — A. Cooper, Observations on the Structure and
Diseases of the Testis. London, 1830. Deutsch, Weimar, 1832. —
K A. LauA, m^ ^ in Mämoires de la
Hyrtl, UUk 68
834 i S40. Literatur der Bingvweideielire.
Bociätö de rhistoirc naturell de Strasbourg. Tom. I. livr. 2. —
C. Krause, in MüUer's Archiv. 1837. — H. lAischka, die Appen-
diculargebilde des Hoden, im Archiv fbr pathologische Anatomie.
Bd. 6. Heft 3. — L, Fick, über das Vas deferens, in MüUer's Archiv,
1856. — Ueber die Lymphwege des Hodens handelt Ludwig und
Tamsa, im 46. Bde. der Sitzungsberichte der kais. Akademie. —
Neumann, über Spermatozoiden. Archiv für mikroskopische Ana-
tomie. 11. Bd.
Samenbläschen, Prostata und Cowper'sche Drüsen.
J, Hunter, Observations on the Glandes between the Rectum
and Bladder, etc., in dessen Observations on Certain Parts of the
Animal Oeconomy. London, 1786. — E, Home, On the Discovery
of a Middle Lobe of the Prostata. Philos. Transactions. 1806. —
W. CowpeTy glandularum quarundam nuper detectarum descriptio, etc.
London, 1702. — A. Haase, de glandulis Cowperi mucosis. Lips.,
1803. — ' E. H. Weber, über das Rudiment eines Uterus bei männ-
Kchen Säugethieren, über den Bau der Prostata, etc. 1846. —
R. Leuckart, das Weber'schc Organ und seine Metamorphosen, in
der illustrirtcn medicinischcn Zeitung. 1852. — Fr, Wül, über die
Secretion des thierischen Samens. Erlangen, 1849. — Langerhans,
accessorische Drüsen der Geschlechtsorgane. Archiv für pathologische
Anatomie. 61. Bd.
Penis.
F, Jtedemann, über den scliwammigen Körper der Ruthe, etc.,
Meckel*8 Archiv. 2. Bd. — A, Moreschi, comment. de urethrac cor-
poris glandisque structura. Mediol., 1817. — J, C. Matjer, über die
Structur des Penis. Fro^iep'e Notizen. 1834. N. 883. — B, Panizza,
osservazioni anthropo-zootomico-tisiolog. Pavia, 1836. — «/. Müller,
in dessen Archiv, 1835. Krause, ebenda. 1837. Valentin, 1838. Erdl,
1841. (Ueber die Vasa helicina.) — G, L, Kabelt, über die männ-
lichen und weiblichen Wollustorgane. Freiburg, 1844. — Kölliker,
über das Verhalten der cavernösen Körper, in den Würzburger
Verhandlungen. 1851.
V, Weibliche Geschlechtsorgane,
Eierstöcke.
R. de Graaf, de mulierum organis. Lugd. Bat., 1672. —
F. Autenrieth, über die eigentliche Lage der inneren weiblichen
§. S40. Literatur der Eingeweidelekre. 835
Geschlechtstheile^ in ReiVs Archiv. VII. Bd. — C. Negrier, recherches
anatomiques et physiologlques sur les ovaires. Paris, 1840. —
G. C. Kohdt, der Nebeneierstock des Weibes, etc. Heidelberg, 1847.
— W, Steinlein, über die Entwicklung der Graafschen Follikel. In
den Mittheilungen der Züricher naturforschenden Gesellschaft. 1847.
— Ueber Structur der Eierstöcke handelt Pßüger's Monographie.
Leipzig, 1863, und Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig, 1870. Die
gesammte, sehr reiche, neuere Literatur, findet sich im 25. Capitel
der Gewebslehre von Stricker, — Kopf, Beziehung des Ovarium
zum Peritoneum. Berlin, 1872.
Gebärmutter.
C. G. Jörg, über das Gebärorgan des Menschen. Leipzig,
1808. — G. Kasper, de structura fibrosa uteri non gravidi. Vratisl.,
1840. — ParTdnje, in FVoriep'e Notizen. N. 459. — Bischoff, über
die Glandulae utriculares des Uterus und ihren Antheil an der
Bildung der Decidua. Miüler's Archiv. 1846. — Ch. Robin, mömoire
pour servir a Thistoire anatomique de la membrane muqueuse
utörine, de la caduque, et des oeufs de Naboth. Archives gön^rales.
1848. — A, KöUiker, Zeitschrift fiir wissenschaftliche Zoologie. I.
(glatte Muskelfasern). — V. Schwartz, de decursu musculorum uteri
et vaginae. Dorpat, 1850. — M. Küian, die Nerven des Uterus, in
Henle's und Pfeuffer's Zeitschrift. X. Bd. — J. Lott, Anatomie und
Physiologie des Cervix uteri. 1872. — Hagemann, über die Uterus-
höhle. Archiv für Gynäkologie. V. 2. — Ed. Mariin, Lage und
Gestalt der Gebärmutter. Zeitschrift für Geburtshilfe. 1. Bd. —
Blacher, Bau der menschlichen EihüUen, im Archiv für Gynä-
kologie. 10. Bd.
Aeussere Scham und Brüste.
A. Vater, de hymene. Gott., 1742. — B. Oslander, Abhand-
lung über die Scheidenklappe, in dessen Denkwürdigkeiten für
Geburtshilfe. 2. Bd. — C Devüliers, nouvelles recherches sur la
membrane hymen et les caroncules hym^nales. Paris, 1840. —
Mandt, zur Anatomie der weiblichen Scheide, in Henle^s und Pfeuf-
fers Zeitschrift. VII. Bd. — G. L, Roheit, die männlichen imd
weiblichen Wollustorgane. Freiburg, 1844. — J. G, Klees, über die
weiblichen Brüste. Frankfurt a. M., 1795. — A. Cooper, On the
Anatomy of the Breast. London, 1839. — Fetzer, Dissertation über
die weiblichen Brüste. Würzburg, 1840. — Ueber die männliche
Brustdrüse handelt Grüber, in den M^moires de TAcad^mie de
St. Pötersbourg, VII. S^rie, T. X., und Luschka, in Midler's Archiv.
1852. — Langer untersuchte in den Denkschriften der hais. Akad.
63*
836 §• MO. Literatur der Eingeweidelthre.
in. Bd. die histologischen Schicksale der Brustdrüse in den ver-
schiedenen Lebensepochen.
Ueber die Metamorphose des Eies und die Veränderungen der
weiblichen Geschlechtstheile in der Schwangerschaft handeln die
in der allgemeinen Literatur (§. 16) angeführten Schriften über
Entwicklungsgeschichte. Ueber die Uebereinstimmungen im Baue
der Harn- und Geschlechtsworkzcuge der Wirbelthiere : H. Meckel,
zur Morphologie der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der Wirbel-
thiere. Halle, 1848, und R. Leuckart, in dem Artikel „Zeugung"
im Handwörterbuch der Physiologie.
SECHSTES BUCH.
Gehirn- und Nervenlehre.
A. Centraler Theil des animalen Nerven-
systems.*)
Ghehirn und [Rtickenraark.
§. 341. Hüllen des ßeliinis und Bückenmarks. Dura mater.
Das Gehirn und Rückenmark besitzen^ innerhalb der sie um-
schliessenden knöchernen Hirnschale^ noch drei häutige Hüllen^
welche als Vdamenta cerebri et medtdlae spinalü zusammengefasst
werden.
Die harte oder fibröse Hirnhaut^ Dura mcUer, Meninx
ßbrosciy stellt die äusserste Hülle des Gehirns und Kückenmarks dar.
Spigelius erklärt in Einfalt die Benennung mater, welche die
Hirnhäute führen^ mit den Worten: qaia mater na quadam cura,
cerebri incolumitati protpiciunt, continendo älud, integrumque praestando.
Die harte Hirnhaut ist, wie die fibrösen Häute überhaupt, binde-
gewebiger Natur, mit geringer Zugabe elastischer Elemente. Dicker
und häi*ter, als die übrigen Hirnhüllen, bildet sie einen geschlossenen
Sack, welcher an die innere Oberfläche der Schädelhöhle dicht
anliegt, und für die Schädelknochen zugleich die Stelle einer inneren
Beinhaut vertritt. Die Dura mater dringt in alle Oeffnungen ein,
durch welche die Nerven des Gehirns und Rückenmarks austreten,
und umhüllt dieselben scheidenartig als Neurilemm. Zieht man sie
von den Schädelknochen ab, so findet man ihre äussere Oberfläche
rauh, indem von ihr aus zahlreiche Blutgefässe und faserige Fort-
sätze in die Diploe der Schädelknochen eindringen, welche Fortsätze
beim Ablösen der harten Hirnhaut, wozu bei jungen Individuen
*) Ueber Histologie des Nerrensystems mögen §. G7 — 74 durchgelesen werden.
Ueber die Präparfttion des Nerrensystems findet man alles Nothwendige im fünften
Buche meines Handbuches d«r praktfaehm Zergliederangskunst.
840 §. 84L HftUMi dM 0«]ünM and BAckttBAiki. i>Mr«
eine gewisse Gewalt gehört, zerrissen werden müssen. Ihre innere
Oberfläche dagegen ist glatt und glänzend^ und besitzt eine einfache
Lage von Pflasterepithel, welche man bis auf die neueste Zeit für
die äussere Lamelle der Arachnoidea hielt. — Man nimmt an der
Dura maier zwei Schichten an, welche zwar durch das Messer nicht
isolirt darstellbar sind, aber an gewissen Stellen von selbst auseinander-
weichen, wodurch es zur Bildung von Hohlräumen kommt, welche,
da sie das Venenblut des Gehirns sammeln, bevor es in die Abzugs-
kanäle der Schädelhöhle einströmt, Blutleiter (Sinus durae mcUris)
genannt werden. — Man unterscheidet einen Gehirn- und Rücken-
markstheil der hai*ten Hirnhaut.
Ä) Der Gehirntheil der harten Hirnhaut hängt in der Richtung
der Suturen, und der an der inneren Oberfläche der Hirnschale
vorspringenden Leisten und Kanten (Crista frontalis, oberer Winkel
der Felscnpyramide , hinterer Rand der schwertförmigen Keilbein-
flügel, kreuzförmige Erhabenheiten des Hinterhauptbeins, etc.), so
wie an den Rändern aller Löcher der Hirnschale, ziemlich fest mit
den Knochen zusammen. Er ist bei weitem reicher an Blutgefässen^
als der Rückenmarkstheil der harten Hirnhaut. Die Blutgefässe
halten sich an die äussere Oberfläche der Dura mater cerebri, in
jener Richtung, welche durch die Stdd arteriosihvenosi an der inneren
Schädelknochentafel vorgezeichnet wird.
Der Gehirntheil der harten Hirnhaut erzeugt einen senk-
rechten und einen queren, in die Schädelhöhle vorspringenden
Fortsatz, deren Richtungen sich somit kreuzen, und deshalb zu-
sammengenommen Processus crudatus durae mattns genannt werden.
Auf der Protuherantia occipüalis interna stossen die Schenkel dieses
Kreuzes zusammen. Jeder derselben führt einen besonderen Namen.
a) Der Processus fatciformis major, Sichel des grossen Ge-
hirns, schaltet sich senkrecht zwischen die Halbkugeln des
grossen Gehirns ein. Sein oberer, convexer, befestigter Rand,
entspricht der Mittellinie des Schädeldaches, von der Protu-
herantia occipüalis interna angefangen bis zur Crista gaUi des
Siebbeins. Sein unterer concaver und scharfer Rand ist frei,
und gegen die obere Fläche des, beide Halbkugeln des Gehirns
verbindenden Corpus callosum gerichtet, ohne jedoch diese
Fläche zu berühren. — Da man sich die Himsichel durch
Faltung (Einstülpung) der inneren Lamelle der harten Hirn-
haut entstanden denkt, so muss am oberen Befestigungsrande
derselben eine Höhle — sichelförmiger Blutleiter, Sinus
falciformis major — existiren. Eine im unteren Rande der
Sichel verlaufende, nicht constante Vene, wird von vielen
Anatomen als Sinus falciformis minor bezeichnet. Ich finde
die Hirnsichel sehr häufig, selbst an jugendlichen Individuen, i»
|. Sil. HUUn dM 6«kinii «ad BtckeiiBarks. Jhtra «Mtor. 841
der Nähe ihres unteren Randes siebartig durchbrochen. — Die
Krümmung^ und die von hinten nach vom abnehmende
Breite dieses Fortsatzes der harten Hirnhaut^ ist der Grund
seiner Benennung als Hirn sie hei.
b) Der bei weitem weniger vorspringende Procesms faldformis
minor, Sichel des kleinen Gehirns, schaltet, sich von
hinten her zwischen die Halbkugeln des kleinen Gehirns ein,
und erstreckt sich, von der ProtuberanHa occipitcUis interna an,
bis zum hinteren Umfange des Foramen ocdpitale magnum
herab, wo er in der Regel gabelförmig gespalten endet. Er
ist in allen Dimensionen viel kleiner als die grosse Hirnsichel,
und schliesst auch, wie diese, einen kleineren, aber nicht immer
vorfindlichen Sinus in sich ein.
c) Das Tentorium cerehdli, Zelt des kleinen Gehirns, bildet
den Querschenkel des Processus crudatus. Er schiebt sich
zwischen die Hinterlappen des grossen und die Halbkugeln
des kleinen Gehirns ein, um letztere ebenso gegen die Last
der ersteren zu schützen, als die grosse Hirnsichel den nach-
theiligen Druck beseitigt, welchen, bei Seitenlage des Schädels,
eine Hemisphäre des grossen Gehirns auf die andere ausüben
müsste. — Um dem Zelte mehr Tragkraft zu geben, befestigt
sich sein vorderer Rand an die oberen Kanten beider Pyra-
miden der Schläfeknochen, und an die Processus dinoidei der
Sattellehne. Hinter der Sattellehne ist die Mitte des vorderen
2feltrandes wie ein gothisches Thor mit nach hinten und oben
gerichteter Spitze ausgeschnitten, wodurch eine Oeffnung ent-
steht (Indsura tentorii s. Foramen Pa^cchioni), welche von dem
Vierhügel und der Varolsbrücke des grossen Gehirns aus-
gefüllt wird.
Die Ebene des Gezeltes ist aber nicht plan. Die Mitte
der oberen Fläche wird durch die mit ihr zusammenhängende
Sichel des grossen Gehirns so in die Höhe gezogen und ge-
spannt (tendo, spannen, daher tentorium), dass zwei seitliche
Abdachungen entstehen, wie bei einem Zelt (le dos ddne,
Eselsrücken, bei alten französischen Anatomen). Durch
diese Verbindung zwischen Zelt ,'und Sichel, erhalten beide
den erforderlichen Grad von Straffheit, welcher augenblicklich
in beiden Gebilden nachlässt, wenn eines derselben durch-
geschnitten wird. — Tentorium hiess übrigens nur ein auf
Stricken gespanntes Zelt; — auf Stangen hiess es Tabemaculum.
Diesen Fortsätzen der harten Hirnhaut kann man noch einen vierten hinzu-
fügen, welcher über die Sattelgprube des K^ilbeinkörpers horizontal wegstreicht,
und in seiner Mitte durchbrochen ist, um den Stiel der in der Sattelgmbe liegen-
den Hypophysi» cereM durchgehen m laitwi. E» mag dieaer Fortsatz den Namen
842* f. Sil. HftllM dM (Hhfnit und RftekanaiArl». Dura mmUr.
OpereiUum teüae turdeae, Satteldecke (von openo, bedecken), führen. Die
Sattelgrabe, mit dem daranfliegenden, in der Mitte perforirten Deckel, Hast uns
an einen Nachtstahl denken, woraus sich der bei Uteren, massiven Anatomen
zu findende Ausdruck 8eüa pertuaa und SeXia famtUarit erklärt, welcher auch bei
den Classikem vorkommt
Das fMerige Gewebe, mittebt dessen die harte Himhaut an den Qrund
des Tfirkensattels adhärirt, dringt an den Sch&deln von Neugeborenen und von
Kindern in den ersten Lebensmonaten, eine Strecke weit in den Keilbeinkörper
als zapfenförmiger Fortsatz ein, welcher zuweilen hohl gefunden wird (CanaUa
crcmio-pharyngeusj. Dieser Fortsatz durchsetzte in hundert Fällen zehn Mal die
ganze Höhe des Keilbeinkörpers, und hing mit der Beinhaut an der unteren, dem
Rachen zugekehrten Fläche des Keilbeinkörpers zusammen. lieber die Entstehung
und Bedeutung dieses Fortsatzes, so wie über seine Beziehungen zu gewissen
angeborenen Himbrüchen siehe Th. Lamert, in der Petersburger med. Zeitschr.
14. Bd. 1868.
B) Der Kückenmarkstheil der harten Hirnhaut. Dadurch
alle Löcher der Hirnschale scheidenförmige Fortsätze der harten
Himhaut austreten, so muss durch das grösste Schädelloch (Foramen
oedpäale magnum) die ansehnlichste Verlängerung dieser Himhaut
in den Rückgratkanal gelangen, als Hülle für das Rückenmark.
Indem aber der Rückgratkanal bereits mit einem eigenen Periost
versehen ist, so verliert der Rückenmarkstheil der harten Hirnhaut
seine Verwendung als Beinhaut, welche er in der Schädelhöhle hatte.
Er erstreckt sich in Form eines langgestreckten Sackes, durch den
ganzen Rückgratkanal, füllt ihn aber nicht so genau aus, wie dieses
in der Schädelhöhle geschah, indem zwischen ihm und der Wand
des Wirbelkanals ein, durch starke Venengeflechte (Plexus venosi
spiiudes) eingenommener Raum übrig bleibt. Er endigt als Blindsack
am Hiatus sdcro-coccygeus. An jenen Stellen, wo die Beweglichkeit
der Wirbelsäule gross ist, ist auch der Sack der Dura mater spinalis
weit, wie am Halse und an der Inende; im Bruststück der Columna
vertebralis dagegen liegt er knapper an die Medtdla spinalis an.
Seine innere Oberfläche ist mit einem einfachen Pflasterepithelium
überzogen, welches sich von der Arachnoidea auf sie fortsetzt. Von
dieser inneren Fläche gehen zwanzig bis dreiundzwanzig paarige,
zackenähnliche Fortsätze nach innen zur Seitenfläche der Medtdla
spinalis. Diese Zacken sind sämmtlich dreieckig, mit Ausnahme der
untersten, fadenförmigen. Sie kehren ihre Spitze nach aussen, und
ihre mit der Pia mater des Rückenmarks verschmolzene Basis nach
innen. Sie sind als eben so viele Befestigungs- oder Suspensions-
mittel des Rückenmarks zu nehmen, und bilden, als Qanzes be-
trachtet, das gezahnte Band, Ligamentum denticuiatum, des Rücken-
marks. — Jeder Rückenmarksnerv erhält von der Dura mater
spinalis eine Scheide, welche ihn durch das entsprechende Foram,en
intervertebrale geleitet, und im weiteren Verlaufe zu dessen Neuri-
lemma wird.
§. S4S. Arachnoidea. 843
Die drei Aeste des Nervus trigetninus, und der Vagus, versorgen die harte
Hirnhaut mit animalen Neryen£Mem. Auch vom Sympathicus erh< sie Zweige,
worüber Luschka (die Nerven des menschlichen Wirbelkanals, Ttlbingen, 1850,
und desselben: Nerven der harten Hirnhaut, Tübingen, 18&0), und Büdinger
(über die Verbreitung des Sjmpathicus, München, 1868) ausführlich handeln.
Verknöcherungen kommen an der harten Hirnhaut, besonders in der Nähe
der Sichel, oder auf dieser, nicht selten vor. Sie gehören eigentlich der inneren
Oberfläche der harten Hirnhaut an, und hängen mit ihr nur lose zusammen. Vor
dem dreissigsten Lebensjahre treten sie nicht auf. Ihre Grösse variirt von dem
Umfange einer Linse, bis zu jenem eines Kreuzers, und darüber. In ihrer Mitte
sind sie am dicksten, und schärfen sich gegen den Rand zu. Sie besitzen wahre
Knochentextur.
§. 342. Araclmoidea.
Die Spinnw ebenhaut ^ Arachnoidea s. Mentnx serosa {oLpT/;iTiy
Spinne)^ wurde seit Bichat allgemein als ein seröser Doppelsack
aufgefasst, dessen äusserer Ballen fest mit der inneren Oberfläche
der Dura mater, dessen innerer mit der äusseren Oberfläche des
Gehirns und Rückenmarks lose zusammenhängen soll. Man unter-
schied deshalb eine Arachnoidea meningea, und eine Arachnoidea
cerebrospinalis. Der Zusammenhang beider sollte dadurch zu Stande
kommen, dass jeder vom Gehirn und Rückenmark abgehende Nerv,
eine Scheide vom inneren Ballen erhält, welche, bevor der Nerv
durch die harte Hirnhaut austritt, in den äusseren Ballen übergeht.
Kölliker hat jedoch gezeigt, dass die Arachnoidea nur aus einem
einfachen Ballen — der Arachnoidea cerebrospinalis der Autoren —
besteht, und dass die angenommene Arachnoidea meningea weiter
nichts, als das Pflasterepithel der harten Hirnhaut ist. Die Arach-
noidea schlägt sich also nicht auf die innere Fläche der harten
Hirnhaut um. Es lässt sich auch durch das Scalpell nachweisen,
dass jene scheidenartigen Fortsätze derselben, welche die Gehirn^
nerven intra cranium begleiten, an den betreffenden Austrittslöchern
dieser Nerven blind endigen. — An der Oberfläche des Gehirns
sinkt die Arachnoidea nicht in die Vertiefungen zwischen den Hirn-
windungen ein, sondern geht brückenförmig über sie weg. Ebenso
setzt sie über die Einschnitte und Spalten an der Gehirnbasis
hinüber, deckt als gerade gespanntes Fell die zwischen der Varols-
brücke und der Sehnervendurchkreuzung befindlichen, vom Circulus
Wülisii umschlossenen Gebilde der Gehirnbasis, und überbrückt
somit gewisse Räume, welche man als Cavum subarachnoideale zu-
sammenfasst. Diese Räume werden durch Bindegewebsbündel in
verschiedener Richtung durchsetzt, und enthalten eine veränderliche
Menge Serum (Idquo}' eerebro-ipinaUBj. — Mit der Auskleidung der
844 S* 34S« Arachnoidea.
Gehirnkammern hat die Arachnoidea keinen nachweisbaren Zu-
sammenhang.
Die äussere Oberfläche der Arachnoidea ist, so wie die ihr zugekehrte
innere Fläche der Dura maUr, mit seröser Feuchtigkeit bethant. Krankhafte Ver-
mehrung dieser Serosität bedingt den Hydrocephahu menhu/eiis s. exlernus, zum
Unterschiede des Hydrocephcdiis venlricHlorum a. internus.
Durch das grosse Hinterhauptloch heraustretend , wird die
Arachnoidea cerebralts zur Arachnoidea spinalü. Diese umschliesst
das Rückenmark lange nicht so knapp wie das Gehirn, sondern als
verhältnissmässig weite Umhüllung. Da sie weder an die Dura noch
Pia mater sich anschliesst, sondern frei zwischen ihnen sich ein-
schiebt^ muss sie auch zwei freie Flächen haben, von welchen aber
nur die äussere Pflasterepithel führt. Sie erzeugt für jeden Rücken-
marksnerv eine anfangs weite, dann sich verschmächtigende, und
im betreffenden Foramen intervertebrale , als Blindsack endigende
Scheide. — Rückenmark und Rückenmarks-Nervenwurzeln werden
von dem serösen Inhalt der Arachnoidea spinalis (Liquor cerebro-
spinalis) umspült^ — eine Einrichtung, welche zunächst den Vortheil
bringt, dass Stösse und Erschütterungen des Rückgrats, sich durch
Vertheilung auf eine so ansehnliche Flüssigkeitsschichte, bedeutend
abschwächen müssen, bevor sie auf das Rückenmark übertragen
werden. — Von der Medianlinie der hinteren Rückenmarksfläche
(Sulcus longitudinaiis posterior) geht ein Septum zur inneren Ober-
fläche des Arachnoidealsackes, welches in der Halsgegend undurch-
bohrt, weiter unten durchbrochen, ja selbst auf eine Succession
breiter Fäden reducirt gesehen wird. — Der Arachnoidealsack des
Rückenmarks ist an seiner Abgangsstelle von der Arachnoidea cerebri
am weitesten.
Wenn man an einer frischen Leiche den hinteren Hogen des Atlas aus-
bricht, und die Dura mater durch einen Kreuzschnitt ai)altet, sieht man die
Arachnoidea, als ein dünnes flottirendes Iläutchen, von der Sohädelhöhle in die
Rückgratshöhle übergehen. Wurde auch die Ilinterhauptschuppe ausgesägt, so
lässt sich dieses Häutchen, nach aufwärts bis auf die liemisphären des kleinen
Gehirns verfolgen. Unter diesem Blatte der Arachnoidea befindet «ich das grösste
Catum »uharachiwideale. — Die Subarachnuidealräume des Gehirns und Rücken-
marks verkehren durch das grosse llinterhauptloch mit einander, und der in ihnen
angesammelte Lu^iior cerehro-npinalift, kann zwischen beiden Organen zu- und ab-
strömen. Wird nämlicli der Hlutgehalt des Gehirns vermehrt, wie es bei jeder
Ausatlimung geschieht, und das Gehirnvolumen dadurch vergrössert, so muss der
Liquor rerehro-spinalia aus der Schätlelhöhle in die Rückgratiihöhle ablaufen.
Letztere ist ganz geeignet, ein plun dieses Liquors aufzunehmen, da sie nicht wie
die Schädelhöhle aus starren, durcliaus knJW^hernen Wänden besteht, sondern in
den Interstitien je zweier Wirbelbogen durch elastische, nachgiebige Membranen
abgeschlossen wird. Nimmt der Blutgehalt, und somit das Volumen des Gehirns
während der Inspiration wieder ab, so geht der Lu/uor reref/ro-ftphuUis wieder in
die Schädelhöhle zurOck, von welcher er so zn sagen zurückgesaugt wird. Diese
§. 848. Pia nater. 845
Stetig wechselnde Ebbe und Fluth der serösen Flüssigkeit in den Subarachnoideal-
rftumen, lässt sich durch ein in die Schädeldecke eines lebenden Thieres ein-
geschraubtes, mit Wasser gefülltes, graduirtes Glasrohr, zur Anschauung bringen,
wenn es überhaupt nothwendig erscheinen sollte, an und ftir sich klare Thatsachen
durch grausame Experimente zu erhUrten. Das Heben und Sinken der Stirn-
fontanelle an Kindsköpfen liefert den besten und harmlosesten Beweis für die
Bewegung des Gehirns und des Liquor cerebro-spincdia.
Zu beiden Seiten der grossen Sichel, seltener an der Basis des Gehirns,
linden sich auf der Arachnoidea cerehralis die sogenannten Otandidae Pacchioni
CA. Pacchioni, diss. phys. anat. de dura meninge. Romae, 1721). Sie zeigen sich
als weissliche oder gelbgraue, rundliche oder plattgedrückte, einzeln stehende oder
zu Gruppen aggregirte Granulationen, welche auf einer milcliig getrübten Stelle
der Arachnoidea aufsitzen. Ihre Entwicklung kann unter Umständen so zunehmen,
dass sie die harte Hirnhaut durchbohren, und an der inneren Fläche der Schädel-
knochen entsprechende Vertiefimgen erzeugen. Aus diesem Grunde hat man sie
lange Zeit als der harten Hirnhaut angehörige Gebilde betrachtet. Bei Menschen,
welche an habituellem Kopfschmerz leiden, und bei Säufern, welche am Delirium
tremens zu Grunde gingen, werden sie besonders gross gefunden. Bei Kindern
habe ich sie nie angetroffen. Die mikroskopische Untersuchung schliesst sie aus
der Klasse der Drüsen aus, und reiht sie unter die organisirten Producte krank-
hafter Ausschwitzungen. — Luschka erklärt die Pacchioni'schen Drüsen,
ihres Vorkommens an bestimmten Orten, und ihres mit der Arachnoidea überein-
stimmenden Baues wegen, für normale Gebilde, welche er mit den zottenartigen
Verlängerungen anderer serösen Häute auf dieselbe Stufe stellt (MüUer's Archiv.
1852). Ich stimme dieser Ansicht nicht bei, da das öfters vorkommende Hinein-
wuchem der PacchionTschen Granulationen in die Sinus durae maJtris, dem
Verhalten eines normalen Gebildes widerspricht.
Bochdalek hat zahlreiche Nervenfasern beschrieben, welche von der
Wurzel des dritten, fünften, sechsten, neunten und eilften Hirnnervenpaares, und
vom Oliven- und Pyramidenstrang des verlängerten Markes zur Arachnoidea
treten. (Prager Vierteljahrsschrift. 1849. 2. Bd.) Ebenso Luschka, weicherauch
Theilungen der Primitivfaseru beobachtete. Kölliker erklärt dagegen diese
Funde von Nervenfasern sämmtlich für Bindegewebe.
Neue Aufschlüsse über das Verhalten der Arachnoidea zu den Himven-
trikeln, g^ben Key und Relzius, im Nordisk medicinskt arkiv. VI. Auszug im ana-
tomischen Jahresbericht. 3. Bd. pag. 197.
§. 343. JFVa mater.
Die weiche Hirnhaut, Pia mater s. Meninx vascidosa, um-
hüllt genau die Oberfläche des Gehirns und Rückenmarks, accommo-
dirt sich allen Unebenheiten derselben, und schiebt sich mit zahl-
reichen Faltungen in alle Furchen der Gehirnrinde ein. Sie ist eine
dünne Bindcgewebsmembran, und überreich an Blutgefässen, welche
sie theils aus dem Gehirn empfängt (Venen), theils in dasselbe
entsendet (Arterien). Dieser GefUssverbindungen wegen, hängt sie
innig mit der Oberfläche des Gehirns zusammen, und lässt sich nur
mit Gewalt, durch welche alle GeffLssverbindungen abgerissen werden
müssen, in grösseren Partien abziehen. Am Rückenmark adhli"
846 §. MS. Pia mattr.
öie noch viel fester, ist bedeutend ärmer an Grefassen, und uni-
schnüii; es so knapp, dass das Mark an seiner Querschnittfläche
nicht plan ansteht, sondern sich convex hervordrängt. Zu beiden
Seiten des Rückenmarks hängt sie mit den Basen der dreieckigen
Zacken des Ligamentum denüculatum zusammen. — Vom unteren
Ende des Rückenmarks an, welches in gleicher Höhe mit dem
ersten oder zweiten Inenden wirbel liegt, setzt sich die Pia mater
als sogenannter £nd faden, FUum terminale, bis zum unteren Ende
des im Kreuzbeinkanal befindlichen Blindsackes der Dura mater
foii;. Das Füum terminale enthält Blutgefässe und das letzte Paar
der Rtickenmarksnei'ven (Nervi coccygei). Hall er hatte somit seine
Benennung dieses Fadens, als Nervus impar, nicht so unpassend
gewählt. Der Ccntralkanal des Rückenmarks setzt sich in das
Füum terminale fort. Es versteht sich von selbst, dass das Filum
tei'minale, eine Arachnoidealscheide besitzt.
Die Pia mater gelangt durch den Querschlitz des grossen Ge-
hirns in die mittlere Gehirnkammer, und bildet daselbst die Tela
choroidea supeiior, von welcher seitliche Verlängerungen, als Plexus
choraidei laterales^ in die seitlichen Gehirnkammern abgehen. Ebenso
schiebt sie sich zwischen dem Unterwurm und dem verlängerten
Mark als Tela choroidea inferior ein, und erzeugt dadurch die hin-
tere, blos häutige Wand der vierten Gehirnkammer. Der sonstige
Ueberzug der Wände der Gehirnkammern (Ependi/ma, besser En-
dymn), ist aber kein Erzeugniss der Pia mater, sondern nur eine
einfache I^age von P]pithelialzellen, welche an gewissen Bezirken
der Wände flimmern. Einige sprechen noch von einem feinsten
structurlosen Häutchen, unter dem Epithel.
Luschka läsdt das Vorkommen von Flimmerepiihel in den Uimhöhleii
nur für Embryonen und für die ersten Lebensjahre des Kindes gelten. Ger lach
hat jedoch nachgewiesen, dass wenigstens im Aqu<ieduclu9 St/lvii, das flimmernde
Epithel perennirt (Mikroskopische Studien, Erlangen, 1858, pag. 27). Er beschrieb
auch fadenförmige Fortsätze der einzelnen Flimmerzellen, welche in die Wand
des Aquaediidtut S^loü eindringen, und mit den diese Wand zunächst bildenden
Zellen der grauen Substanz eine Verbindung eingehen sollen. — Purkinje hat
organische, Bochdalek animale Nervenfasern in der Pia nuUer beschrieben.
In einigen Gehirnen enthalten die Adergeflechte (besonders die seitlichen)
kleine kaum durch das Gesicht, aber besser durch das Gefühl wie Sandkörner
zu imterscheidende , krystallinisehe , ninde oder höckerige Concremente von
phosphorsaurem und kohlensaurem Kalk, welche mit dem später zu ervir'ähnenden
Himsand an der Zirbeldrüse, denselben Ilrspning und gleiche Beschaffenheit haben.
Zorn Verständniss der sonderbaren Benennungen, welche die drei Hirn-
häute führen, diene folgende geschichtliche Bemerkung. Das Wort [XT^vi^i, welches
überhaupt Haut bedeutet, wurde zuerst von Aristoteles auf die Gehirnhäute
angewendet, welchen es auch ausschliesslich verblieb. Galen, welcher nur die
harte und die weiche Hirnhaut kannte, nannte entere oxXrjpov xa\ 3:a)^6tav, d. i.,
arÜaiin et crattam, letstere Xenr^v, d. i. tenuetn, Galen^s griechische Schriften
worden meni dorch jüdische Aente in das Syrisch- Aramäische übersetzt, nnd
S. 344. Einthtilmng des Oehiras. 847
später aus dieser Sprache in*s Arabische. Nur Honain Ben Isaak über-
setzte im neunten Jahrhundert den griechischen Text des Galen, unmittelbar
in*s Arabische. Durch beide Uebersetzungen wurde, nach dem Geiste dieser
Sprachen, der griechische Urtext nicht wenig entstellt. Die Mönche Unteritaliens,
welche die Heilkunde betrieben, und während der Occupation Sidliens durch die
Sarazenen, so wie durch den Besuch der von den ersten Chalifen gegründeten
gelehrten und medicinischen Schulen su Bagdad und Bassora, mit dem Arabischen
▼ertraut wurden, übersetzten den arabischen Galen in*8 Lateinische (im eilften
Jahrhundert). Dieses Latein war aber ein wahrhaft fürcliterliches, und ist noch
jetzt als MOnchslatein verschrieen, obwohl dasselbe bis zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts die Sprache der medicinischen Gelehrten nnd Professoren war,
welche im Mittelalter zumeist dem geistlichen Stande angehörten, wie denn auch
die ältesten Universitäten geistliclie Institute waren, und deshalb selbst die
Disputationen und Promotionen der Doctoren nur in den Kirchen vorgenommen
wurden. Kein Wunder also, dass jene Mönche das arabische Wort, welches
Umschliessendes, Umhüllendes, und Erzeugendes bedeutet, durcli mater aus-
drückten. Wenn nun auch eine dttra nuUer hingehen mag, so kann die Ver-
anlassung, zart und weich durch pitu auszudrücken, nur im Gehirne der
frommen Mönche gesucht werden, welche in ihrem religiösen Eifer sich auch
mehrerer anderen Wortentstellungen schuldig machten, z. B. die Arteriae apo-
plecÜcae (Carotiden) in Arieriae apostolicae umwandelten. — Die Arachwidea
cerebri kannten die Griechen und Römer gar nicht. Sie wurde erst von Con-
stantius Varolius in Bologna, 1573, entdeckt. Dagegen nannten sie die Netz-
haut des Auges Arachnoidea, weil das strahlige Ansehen der Zonttla Zinmi
welche sie für einen Theil der Netzhaut hielten, an die Radiärfaden des Netzes
einer Kreuzspinne (oLpiyyr^) erinnert.
§. 344. Eintheilung des (xeMms.
Das Centraiorgan des animalen Nervensystems besteht aus
dem Gehirn, Encephalon (von ev-xs^aXT^, was im Kopfe ist), und
dem Rückenmark (MeduUa spinalis). Das Gehirn ist die in der
Schädelhöhle eingeschlossene Hauptmasse des Nervensystems. Das
Rückenmark dagegen erscheint als strangförmige Verlängerung des
Gehirns in den Rückgratkanal hinab. Das Geh im hat einen weit
complicirteren Bau als das Rückenmark, mit welchem es gleich-
zeitig entsteht, und deshalb nicht als ein Anwuchs, oder, wie man
zu sagen pflegte, als die Blüthe des Rückenmarks genommen werden
kann. — Der Hauptsache nach ist das Gehirn symmetrisch gebaut,
d. h. es besteht aus paarigen Hälften, und selbst seine unpaaren
medianen Organe, sind durch einen mittleren Längenschnitt in
gleiche Hälften' zu theilen. Allein die Einzelnheiten der Seitenhälften
sind nicht durchwegs congi'uent, sondern variiren mehr weniger in
Grösse und Gestalt.
Bie wenigen Worte, welche Fantoni vor hondertfliiifiB
Jahren über das Gehirn gesprochen: obicura Uffctßnray ßkmm
848 §. 844. Eintheilnnf dM QtYkimB,
morbi, fuiictiones obscurismaae, können auch heute als Einleitung fUr
jede Anatomie^ Physiologie und Pathologie des Gehirns dienen.
Die Anatomie des Gehirns beschäftigt sich theils mit der
Beschreibung der Form, theils mit der Erschliessung des inneren
Baues. Die Anatomie der Form darf man wohl für vollendet an-
nehmen, da man an keinem anderen Organe des menschlichen
Körpers jedes, auch noch so unscheinbare äussere Merkmal, mit
solcher redseligen Umständlichkeit beschrieb, als eben am Gehirn.
Die Anatomie des inneren Baues des Gehirns ist dagegen, und
bleibt wahrscheinlich fiir immerdar, ein mit sieben Siegeln ver-
schlossenes, und überdies noch in Hieroglyphen geschriebenes Buch.
Und was die Functionenlehre des Gehirns anbelangt, beugen die
arrogantesten Physiologen demüthig ihr Haupt, und bekennen, dass
sie von der menschlichen Seele nicht mehr wissen, als dass sie
keine Flügel hat. Keine mechanische oder chemische Ansicht über
die Hirnthätigkeit kann und wird es uns erklären, wie und wodurch
den Factoren dieser Thätigkeit (Ganglienzellen der grauen Sub-
stanz) Bewusstsein innewohnen kann. Da aber über Dinge,
welche man nicht versteht, von jeher die Meinungskämpfe am
bittersten waren, erklärt es sich, warum der Streit über die mensch-
liche Seele einen so gehässigen Charakter angenommen hat. Der
Materialismus hat sich zwar bemüht, zu beweisen, dass das un-
bekannte Seelenwesen nur die Summe der materiellen Vorgänge im
Gehimorganismus sei. Diese materiellen Vorgänge aber erfolgen
in allen Organen mit unbezweifelbarer Nothwendigkeit, und laufen
in einer bestimmten Reihe ab, an welcher die Organe selbst nichts
ändeiii können. Dasselbe müsste also auch im Gehirn der Fall
sein. Ist die Seele nur eine Erscheinungsform des materiellen
Himlebens, so ist sie auch in dieselben Fesseln der Nothwendigkeit
gelegt, wie dieses. Selbstbestimmung, Spontaneität, Freiheit, und
was wir sonst noch der Seele zuzumuthen gewohnt sind, fällt alles
hinweg, und es muss mit der neuen Lehre, auch eine neue Welt-
ordnung geschaffen werden, welche sicher keine moralische sein
wird. Doch damit hat es noch keine Eile. Denn die materiellen
Vorgänge im Gehirn, können nur als Bewegung aufgefasst werden,
als Stoffwechsel, Atomengruppirung , oder Schwingung. Nun muss
aber auch der Materialismus zugeben dass kein Ding aus sich
selbst in Bewegung gerathen kann. Er hat also noch zu suchen
und zu finden, von wo der erste Anstoss zu diesen Bewegungen
ausgeht, und wie sofort der materielle Vorgang, in das geistige
Wesen der Gedankenwelt umgesetzt wird. Mit der Behauptung,
dass dieser Umsatz stattfindet, wurde er nicht zugleich bewiesen
und verstanden, und das erste Glied der materialistischen Qe-
dankenkette, ist somit die bypothetiscbe Annahme ihrer Richtigkeit.
§. Sit. Eintheilung de« Gehirns. ^49
Die Psychologie aber fiir ein Capitel der Hirnanatomie zu erklären,
konnte nur ein Franzose wagen (Broussais).
Das Gehirn wird in das grosse und kleine (Cerebrum et
Cerebellum) eingetheilt. An jedem derselben werden zwei paarige
seitliche Hälften, als Halbkugeln oder Hemisphären, und
ein unpaares Mittelgebiet unterschieden. — Die Fortsetzung
des Kückenmarks, welche durch das Foramen occipüale magnum in
die Schädelhöhlc aufsteigt, und sich an das Gehirn anschliesst,
wird als verlängertes Mark (Medvlla ohlongata) noch zum Ge-
hirne gerechnet. — Das grosse Gehirn verhält sich zum kleinen
wie 8:1. Das Gewicht beider zusammen beträgt im Mittel drei
Pfund. Das weibliche ist um eine bis zwei Unzen leichter (ahdt
tnnidia dicto).
Die Hemisphären des grossen Gehirns sind bei der Ansicht
von oben her, ihrer ganzen Länge nach, durch eine tiefe, mediane
Spalte getrennt, in welche sich der grosse Sichelfortsatz der harten
Hirnhaut hineinsenkt. Vorn und hinten dringt diese Spalte von der
oberen bis zur unteren Fläche des Grosshirns durch, so dass die
vorderen und hinteren I^appen beider Halbkugeln auch bei unterer
Ansicht von einander getrennt erscheinen. In der Mitte dagegen
erreicht der Spalt nur eine gewisse Tiefe, indem das sogenannte
Mittelgebiet des grossen Gehirns nicht durchschnitten wird. Am
kleinen Gehirn fehlt dieser Spalt, und wird nur durch einen Einbug
seines hinteren Randes, in welchen sich der kleine Sichelfortsatz
der harten Hirnhaut einschiebt, unvollkommen repräsentirt. Dagegen
hat die untere Fläche des kleinen Gehirns einen longitudinalen tiefen
Eindruck (Vcdlecula), in welchen das verlängerte Mark zu liegen
kommt. Bei oberer Ansicht werden somit die Halbkugeln des kleinen
Gehirns, in der Mittellinie ununterbrochen in einander übergehen,
und das verlängerte Mark bedecken.
Man unterscheidet an den Hemisphären des grossen Gehirns
drei, an jenen des kleinen Gehirns nur zwei Flächen. Für die
Halbkugeln des grossen Gehirns giebt es eine untere, äussere
(obere), und innere Fläche. Die untere Fläche wird durch eine,
dem schwertförmigen Keilbeinflügel entsprechende tiefe Furche
(Fossa Si/lvii) in einen vorderen kleinen, und hinteren grösseren
Lappen geschnitten. Der vordere prominente Abschnitt des hinteren
grösseren Lappens, welcher in der mittleren Schädelgrube liegt,
und zunächst an die Fossa Sylvii grenzt, wird auch als unterer
Lappen bezeichnet, so dass also jede Hemisphäre, bei unterer An-
sicht drei Lappen gewahren lässt, von welchen der vordere und
der untere auf der Schädelbasis, der hintere aber auf dem Zelte
des kleinen Gehirns lagert. — Die äussere convexe Fläche der
Hemisphären, liegt an der Schädelwand an. Sie geht, in der
Hyrtl, Lehrbach der Anatomie. 14. Anfl. 54
850
Richtung der Pfeiiiiftht, in die innere, ebene und senkrechte
Fläche über, welche derselben FlSche der anderen Hemisphäre zu-
gekehrt ist, und sie borühreu würde, wenn der grosse Sichelfortsutz
nicht dAzwiBchen träte. Bei Mangel der Sichel, iu Folge angeborener
[lemmungsbildung des Gehirns, verschmelzen auch beide Hemi-
sphären zu Einer Sphäre.
Für die Hemiaphären des kleinen Gehirns giebt es nur eine
obere und untere Fläche, welche beide convex aind, und durch
einen abgerundeten Rand in einander übergehen. Die obere Fläche
berührt das Zelt, die untere liegt in den unteren Gruben des Hinter-
hHaptbeins.
Alle Flächen der Hemisphären dea grossen und kleinen Ge-
hirns, aind mit den sogenannten Windungen (Gyri a. Anfrachu
». Intentinula cerebii) besetzt. Die Gehirnwindungen, in welchen
Willisius den Sitz des Gedächtnisses atatuirte, präaentiren sich
uns am grosaen Gehiru als darmähnlich verschlungene, am kleinen
Gehirn als mehr parallel und einfach bogeufiirmig gekrümmte graue
Wülste. Hie bestehen oberflächlich aus grauer Rindensubstanz
(Sitbstantüi cinerea s. corttcalü), im Inneren aus weisser Masse (Sub-
slantia medvUaris). Die graue Rindenaubstanz der Gyri läast zu-
nächst an der Marksubstanz, also in ihrer tiefsten Schichte, eine
eigenthümliche, ia's Rothbraune spielende Farbennuance erkennen,
wodurch man sich berechtigt hielt, sie als Siihstantia ferrugiitea bo-
aondcrs zu benennen, — Die Gyri werden durch mehr weniger
tief penetrirende Furchen fSida) von einander getrennt, in welche
Falten der weichen Hirnhaut eindringen. Die Gyri und Sulci
aind, wenigstens am grossen Gehiru, nicht symmetrisch in beiden
Halbkugeln. Dass Unsymmetrie und Vermehrung der Gyri, so wie
bedeutendere Tiefe der Zwischenfurchen, bei geistvollen Menschen
vorkommen, mag seine Richtigkeit haben, wurde jedoch von mir
und Anderen auch im höchsten Grade des Blödsinns (CretüÖBmut)
gefunden.
Wenn man sich vorutcllt, dMs die embryonischen Goliimblasen rftseher »o-
wacIiBen, ala die aie iimscIilicasendoD Hülkn, »o mtlssen Faltnngen der Blsien
eotatehen, luid dieie eind das Bedingcniie der Gehirn vrin düngen. Anfangs treten
nnr wenige solcher Faltnageo aln Furchen auf. Sie heiasen die primAren, und
unterscheiden sich von den später entelchonden seciindHrcn Furchen, durch
ibrp Tiefe, welche sie durch du ganEe Lehen liindurch beiliehalten. üo lisst
sich X. B. eine besonders tiefe, die Mitlo der Hemisphären whief nach auBien
nnd anlen schneidende Furche, «Is Centralfnrche durch alle Altorsperioden
hindurch erkennen. Zwischen dan Fnrchen liegen Ak Geh im Windungen (Oyri).
li&II hat die Gehirnwindungen als Gchirnurgane aufgefaHst Abgeeeheu dsTon,
dass es ganx unstatthaft ist, ein umsch riebe nes, mehr oder minder schürferei Her-
vilrtreli-n der OherflHche eines Organs, selbst nieder ein Organ üu nennen, indem
dann, um ein Heispiel 7,n geben, die Lappen der Leber, und die fTGcker der*
•elben, wieder »U besondere Leberoqc&ne betrachtet werden mUsiten, werden <&e
§. 345. GiosBeü Gehirn. 8öl
Gal rächen Organe des Gehirns schon dadurch eine Chimäre, dass sie von ihrem
Entdecker nur an die obere Fläche der Hemisphären gewiesen wurden, während
doch an der inneren und unteren Fläche derselben, gleichfalls Gehirnwindungen,
und zwar in gleichem Entwicklungsgrade, vorkommen, welche jedoch von Gall
gänzlich ausser Acht gelassen wurden, da sie sich nicht abgreifen lassen.
Einzelne Windungen, und Gruppen von Windungen, mit besonderen Namen
zu unterscheiden, mag für die Zukunft der Gehirnanatomie von Nutzen sein. Weit-
läufig hierüber liess sich Valentin aus f Si'mwierrin^'' 8 'S ervenlehrej pag. 170, seqq.).
lieber die Hirnwindungen des Menschen handeln Th. Bisch off und A. Ecker
in besonderen Schriften.
Die Eintheilung des Gehirns in das grosse und kleine, fusst auf dem
äusseren Habitus des Gehirns. Die auf die Entwicklung des Gehirns basirte
Eintheilung in Vorder-, Mittel- und Hinter h im, klingt allerdings wissen-
schaftlicher, ist aber minder praktisch. Streng genommen kann man unter Mittel-
gehim (MesencephcUon) nur das Corpus quadrigeminum, welches sich aus der
mittleren embryonalen Himblase entwickelt, verstehen, und würde dadurch einem,
der Grösse nach sehr untergeordneten Gebilde, die Bedeutung einer Haupt-
abtheilung anweisen.
Es soll in den folgenden Paragraphen die Anatomie des Gehirns auf jene
Weise geschildert werden, wie sie sich bei der Zergliederung von oben und von
unten her erg^ebt, ohne Rücksicht auf den inneren Zusammenhang der einzelnen
Gehimorgane, welcher uns ohnedem nur wenig bekannt ist. Ein kurzer Ueber-
blick der Verbindung der Einzelheiten zum Ganzen, bildet den Inhalt des §. 351.
§. 345. Grosses &eliirii.
Um die Auffindung der hier zu erwähnenden Gebilde zu er-
leichtern, wii'd die Beschreibung derselben mit der Zergliederungs-
raethode verbunden.
Wurde die Schädelhöhle durch einen Kreisschnitt geöffnet,
welcher zwischen den Arcus superciliares und Titiera froiitalia be-
ginnt, und dicht über der Pivtuberanüa occipitalis externa endet, und
das Schädeldach abgetragen, was zuweilen bei festeren Adhäsionen
der harten Hirnhaut an die Schädelknochen einige Gewalt erfordert,
so untersucht man vorerst die häutigen Hüllen des Gehirns, so
weit dieses von oben her möglich ist. Die harte Hirnhaut wird
durch zwei zu beiden Seiten des grossen Sichelfortsatzes laufende
Schnitte gespalten. Von der Mitte dieser Schnitte wird beiderseits
einer gegen die Schläfe herab geführt, wodurch vier Lappen der
harten Hirnhaut gebildet werden, welche man herabschlägt. Die
Anheftung des grossen Sichelfortsatzes vom an der Crista galli
wird durchschnitten, und der ganze Fortsatz nach hinten zurück-
geschlagen. Die von der Oberfläche des Gehirns in den oberen
Sichelblutleiter eindringenden Venen müssen mit der Scheere ge-
trennt werden, um dieses Zurückschlagen vornehmen zu können.
Man überblickt nun die äussere Oberfläche beider Hemisphären,
und legt durch vorsichtiges Abziehen der Arachnoidea und Pia
64*
ftfi2
nut(er dir Wiudniigeii blosB. Man «i^lit beide Hemisphären etwa»
von einander ab, um die Tiefe des longitudiualen Zwisclieitflpaltes
zu prüfen, und dadurch zu erfahren, wie weit man die Ilemiaphäi-en
dureh HorizontalBchnittc mit einem breiten und liitigen Meseer ab-
tragen darf, ura die Seiten kam raern nicht zu eröffnen. Ist man durt'h
diese Selinitte bia zur oberen Fläche des Balkens eingedrungen, so
bemerkt man, dass der Balken (Corpus calloaum s. Commüsara
maxima s. Trabs cerehri) ein Bindungsmittel zwischen der rechten
und linken Homisphäre abgiebt. Die beiden Seitenränder desselben
strahlen nämlich in die Markmasue der beiden Hemisphären aus,
welche, in gleieher Höhe mit dem Balken, die grüsato Aiisdehnimg
erreicht, und die Decke der Seitenkammern, als Tegmentum venlri-
ctdonem s. Centrum semiovah Vieussenü, darstellt. Raymond Vieas-
sens, Professor lu Montpellier, nahm in diesem seinen Gehirn-
centrum, den Sitz des Denkvermögens an (Nmirogn^liia um'veraalis.
Lyim, 1685).
An der oberen Flüche des Balkens zeigt sieh eine, zwischen
8wci Längenerhabenheiten (Striae longibidinale» Lnncmi) von vorn
nach rückwärts verlaufende Furche (Raphe mpenor corporia callosi),
welclie durch ein System querer Streifen (Striae, unrichtig Chordae
transversales Wülim), rechtwinkelig gekreuzt wird. Ich finde mich
veranlasst, hier die historische Berichtigung einzureihen, dass
Willis nicht die erwähnten queren Streifen des Balkens, sondern
die in der Höhle des Sitau falciformts major vorkommenden Ver-
bin du ngsbälkchen seiner rechten und linken Wand, Ckordae fraru-
VBJ-sales nannte. — An der unteren, bei dieser Behandlung nicht
sichtbaren Balkenfläche, verläuft die Raphe inferior. Die Striae tratu-
vm'sales Willisii sind hier viel schärfer markirt, als an der oberen
Fläche des Balkens. Der vordere Rand des Balkens biegt sich
nach ab- und rückwärts bis zur Basis dos (iehirns herab , wo er
den grauen Hügel, Diher cinereum, erreicht. Der durch den
Umbug des vorderen Balkenrandes gebildete Winkel, heiset das
Balkeuknie, Genu corporis callosi. Der hintere, verdickte Rand
des Balkens ist die Balkeuwulst, Splenium corporis calloai.
Bnllconknio und BalkpinrnlBt worden am bi>Bten geai-hen, wenn man den
Balken vertical dnrch die Baplie ditrchsrh neidet, vtm an dem Gehirne, welchei inr
llnlermiuhung vorliegt, und an tvelcLem mligtiuhet viele Or^ne gsna erhalten
werden sollen, nicht gemacht werden kann. Man riehl an dienern Durohschnitto
ungleich, duaa d^r Balken kein planes, sondern ein mit oberer convexer FUcfae
von vom nach hinten g^ekriimmtea Gebilde int.
Corpii* callofuvi ut die wnrtliche UeboraetKung den Oalen'achen nloEiS^t
iTiüiia, »chwielenar liger K'lrper, von rWoi, Wulst Der Ausdruck Com-
mittura mojhaa, »lammt von eommiUo, zuBammenCügen, weil der Balken beide
HemiaphSren de> grouen Gehirn« verbindet. Trab» ist das denlMbe Balken.
§. S45. OroBSM Gebiru. 853
Wo die Seitenränder des Balkens in die Hemisphären über-
gehen, wird durch einen verticalen Schnitt die Seitenkamraer (Ventri-
culm lateralis) geöffnet, und von ihrer Decke so viel abgenommen,
bis man ihre ganze Ausdehnung übersieht. Jede Seitenkammer
schickt von ihrem mittleren Raum (Cdla media) drei bogenförmig
gekrümmte, sich nach verschiedenen Richtungen in die Markmasse
einbohrende Fortsätze oder Hörn er aus, und heisst deshalb auch
Ventriculus tricornia. Das Vorderhorn kehrt seine Concavität nach
aussen, das Hinterhorn nach innen, und das bis an die Basis des
Gehirns sich hinabkrümmende lange Unterhorn nach vorn. Um
die den Sehnervenhügel umgreifende, nach vorn und unten ge-
richtete Krümmung des Unterhorns zu sehen, muss ein grosser Theil
der Seitenmasse der Hemisphäre durch einen senkrecht geführten
Schnitt abgetragen werden.
Man findet im Vorderhorn der Seitenkammer:
a) den Streifen hügel, Corpus striatum, dessen freie birn-
förmige Oberfläche mit ihrem dicken kolbigen Ende nach vorn und
innen, mit ihrem zugespitzten Ende (Schweif) nach rück- und aus-
wärts gerichtet ist. Er besteht vorzugsweise aus grauer Masse, welche
seine freie Fläche ganz einnimmt, und im Inneren desselben, mit
der weissen, abwechselnde Schichten bildet — nach Art der Platten-
paarc einer Volt ansehen Säule. Nicht der Hügel ist gestreift, son-
dern sein Durchschnitt erscheint so.
Schneidet man die Markmasse der Hemisphäre, welche an der äusseren
Seite des Streifenhtigels liegt, schief nach aus- und abwärts durch, so findet man
in ihr den Linsenkern, Xucletu lenUfomiis, als einen ringsum von weisser
Marksubstanz umschlossenen, flachen, biconvexen Klumpen grauer Masse, dessen
Flächen nahezu senkrecht stehen. Vor und unter dem Linsenkern liegt der
Mandelkern, Nucleus amygddUu, ein kleineres, ebenfalls vollkommen von Mark -
Substanz eingeschlossenes graues Lager, und nach aussen vom Linsenkem, eine
fast lothrecht stehende graue Schicht, die Vormauer, ClaiMtrum 9. Nucletu
taeniaefomiis. Die weisse Markmasse, welche den Linsenkem vom Streifenhügel
trennt, heisst die innere Hülse, Capsula interna, jene zwischen Linsenkern und
Claustrum, äussere Hülse, Capsula externa. Die weisse Masse der Capsula
interna wird durch zahlreiche gpraue Blätter durchsetzt, welche vom Corpus striatum
zum Nucleus lentifomUs ziehen. Die grau- und weissgestreifte Zeichnung, welche
der Durchschnitt zeigt, verschaffte eben dem Streifenhügel seinen Namen.
b) den Seh hügel, Thalamus opticus (gleichsam die Behausung
des N&rvus opticus, denn OaXa[JLO(; ist bei den Griechen überhaupt
Wohnung, bei den Römern auch Ehebett). Er liegt hinter dem
Streifenhügel, dessen Schweif sich an seiner äusseren Peripherie
hinzieht, und scheint bei dieser Ansicht, wo die mittlere Hirnkammer
noch nicht geöflfnet ist, kleiner als der Streifenhügel zu sein.
Seine volle Ansicht gewinnt man erst nach Eröffnung der dritten Kammer,
und des Unterhorns der Seitenkammer, welches ihn umgreift. Seine Farbe ist
854 §. 345. Grosses Gehirn.
(mit Ausnahme seiner inneren grauen Fläche) markweiss. Im Inneren enthält er
drei graue Kerne: einen äusseren, inneren und oberen. — Zwischen ihm und dem
Streifenhügel zeigt sich:
c) der Hornstreifen, Stria comea, welcher, von einer anliegen-
den Vene (Vena terminalü) begleitet, als ein graugelblicher Streifen,
die Grenze zwischen Streifen- und Sehhügel bildet. Der Hornstreif
ist nur der freie Rand einer von unten nach aufwärts, zwischen
Seh- und Streifenhügel eingelagerten, vom Pedunculus cerebii aus-
strahlenden Markplatte, — der Taenia semidrcularis.
Im Hinterhome finden sich:
1. der Vogelsporn oder kleine Seepferdefuss, Calcar avis
8. Pes hippocampi minor. Er bildet eine, an der inneren Wand
des Hinterhorns hinziehende Erhabenheit. Die obere Wand des
Hinterhorns fiihrt, ihrer gestreiften Zeichnung wegen, den Namen
der Tapete;
2. die seitliche Erhabenheit, Eminentia collateralis Meckdii,
deren Namen von ihrer Nachbarschaft an dem gleich zu erwähnenden
grossen Seepferdefuss herrührt, an dessen äusserer Seite sie in das
Unterhom hinabläuft. Sie beginnt schon im Hinterhorn mit einem
dreieckigen Wulste, welcher an der unteren Wand des Hinterhorns
hervorragt.
Im Unterhorne wird gesehen:
a) der grosse Seepferdefuss oder das Ammonshorn, Pes
hippocampi major 8, Comii Ammonis, Er fiihrt seinen erstcren Namen,
seit Arantius, von einer Formähnlichkeit seines unteren Endes
mit den Pfoten eines fabelhaften Thieres, dessen pferdeähnlicher
Leib mit einem Fischschwanz, und mit Schwimmfüssen versehen
abgebildet wurde (Seepferd, Hippocampus). Dieses l^hier wird als
Wasserthier öfter an monumentalen Brunnen angebracht, wie z. B.
an jenem herrlichen Monolith in Salzburg, und an Bernini^s Spring-
brunnen auf der Piazza Navona in Rom. Sein zweiter Name schreibt
sich von jenen Petrefacten vorweltlicher Conchylien her, welche,
ihrer Krümmung wegen, Comua Ammoni8 genannt wurden. 'Er um-
greift als ein nach aussen, vorn, und unten gekrümmter Wulst, den
Sehhügel, durchmisst die ganze Länge des Unterhorns bis zu dessen
unterem Ende, wo er mit drei bis vier gerundeten Höckern, den
Klauen (Digitatione8) endigt. Genauer untersucht, weist sich der
grosse Seepferdefuss als eine Einstülpung der Substanz des Unter-
lappens aus, und entspricht somit einem, in gleicher Richtung mit
ihm, an der Oberfläche dieses Lappens hinziehenden Sulcus.
An dem concaven Rande des Seepferdefusses verläuft, als
Fortsetzung der hinteren Schenkel des weiter unten zu beschreiben-
den Gewölbes:
§. 345. QroBseB Qehirn. 855
ß) der Saum, Fimbrta, als ein dünnes, sichelförmig gekrümmtes
Markblatt, welches, nach unten zu, sich in die gekräuselte graue
Leiste, Fascia dentata, fortsetzt.
Nach genommener Einsicht dieser in die Hörner der Seiten-
kammer hineinragenden Vorsprünge, schreitet man zur Eröffnung
der unpaaren dritten Kammer, Ventriculua tertivs, welche vom
Balken und dem unter ihm liegenden Gewölbe bedeckt wird.
Hebt man den Balken in die Höhe, so findet man zwischen
seiner vorderen Hälfte, und dem unter ihm gelegenen Gewölbe,
senkrecht gestellt: die durchsichtige Scheidewand, Saturn
pelluddum. Sie bildet eine verticale Wand zwischen den beiden
Vorderhömem der Seitenkammern, und besteht aus zwei Lamellen,
zwischen welchen ein schmaler, vollkommen geschlossener, nur im
Embryo mit der mittleren Kammer communicirender Zwischenraum
sich befindet. Dieser Zwischenraum ist der Ventricidus septi pdlu-
cidi. Er wird von Einigen auch Duncan's Höhle genannt, welcher
Name aber nicht von dem schottischen König Duncan, sondern
von einem Arzte in Montpellier, Daniel Duncan, herrührt, dessen
kleine Schrift: Easplication nouvelle, etc. Paris, 1678, eine neue Art,
das Gehirn zu zergliedern, enthielt. — Die hintere Hälfte des
Balkens liegt unmittelbar auf dem Gewölbe auf. Hier fehlt somit
das Septum pdlucidum. — Man gelangt am besten zur Ansicht des
Septum pelluddum und seiner Kammer, wenn man den Balken etwas
vor seiner Mitte quer durchschneidet, und die vordere Hälfte des-
selben mit den Fingern oder mittelst zwei Pincetten in die Höhe
hebt, um sie nach vorn umzuschlagen, was aber nur an zähen und
frischen Gehirnen nach Wunsch gelingt.
Das Gewölbe, Fomix tricuspidalis, liegt in der Furche, welche
zwischen den sich an einander lehnenden Sehnervenhügeln nach
oben übrig bleibt. Dasselbe geht nach vorn und hinten in zwei
Schenkel über. Die vorderen Schenkel heissen Säulen des
Gewölbes, Columnae fcyt'nicis. Sie hängen mit den beiden Blättern
des Septum pdlucidum zusammen, senken sich bogenförmig vor den
Sehhügeln in die Tiefe, und steigen zuletzt geradlinig zu den beiden
Markhügeln (Coipara mammillaria, §. 346) der Hirnbasis herab.
Sic liegen auf den Sehhügeln nur lose auf, ohne mit ihnen zu ver-
schmelzen. Es existirt also eine Zwischen^paltc, welche sich nach
vorn, unmittelbar hinter den Columnae fornicis, zu einem Loche er-
weitert — Foranien Monroi, — durch welches das bei der Pia mater
erwähnte mittlere Adorgeflecht (Tela choroidea superior), eine Fort-
setzung in die Seitenkammer gelangen lässt. Die absteigenden vorderen
Gewölbschenkel bilden die dritte Seite eines dreieckigen Raumes,
dessen beide andere Seiten durch das Balkenknie gegeben sind.
Dieser dreieckige Raum wird durch das Septum pdlucidum ausgefüllt.
856
Nach hiiiteu spaltet sich das Gewölbe in die beiden hinteren
Schenkel (Crura posteriora), zwischen welchen ein einspringender
Winkel mit vorderer Spitze frei bleibt. In diesem Winkel wird man,
bei der Ansicht von unten her, ein dreieckiges Stück der anteren
quergeBtreiften Balkenfläche zu Gesichte bekommen. Die Streifen
ähneln den in einem dreieckigen Rahmen ausgeepnnnten Saiten einer
Harfe, oder den parallel aufgeworfenen Rändern der Blätter eines
viel gelesenen Buches (^ehrenhalber Psalra- oder Gebetbuch), wes-
halb im ersten Sinne der Name: Leier, Lijra Davidis, und im zweiton
Sinne der Name: Psaltermm, für sie nicht unpassend gewählt wurde.
— Jeder hintere Gewölbschenkel geht in die Fimbria des Seepferde-
fuBses über.
M^iXTifpiov, ist eig'entlich ein Saite ninstnmient, CitLer. Das zmn SutHtiapiel
^aungene beilige Lied (Psalm), hieas TiXpx, woher Ssmmlimg; dieecr Lieder:
Pialleriun, ein Pulter oder Gebetbuch. — Der Name fonttx wurde mient von
Willi« gebranclit, Et bedealet Gewölbe oder Scli wibbogen, aber anoh
eine vemifeno, stinkende Hoble, nia Aufenthalt der gemeiiwte" öffentlichen Dirnen
falent /omix bei Horaz and Juvenal), daher /araicatio, die Hurerei.
Schneidet man nun den Fomix in seiner Mitte quer durch,
und schlägt man seine beiden Hälften nach vor- und rückwärts
zurück, so hat man die dritte Kanimer noch nicht geöffnet. Sie
wird vielmehr noch durch eine sehr getassreiche Membran zugedeckt,
welche, als Fortsetzung der Pia mater, unter dem Balkenwulst und
über dem Vierhügel zur dritten Hirnkaramer gelangt, und sich
nach vorn bis zu den Säulen des Fornix erstreckt. Sie hcisst Tda
ckoToidm mperior. Sic enthält Verzweigungen der Artsria profunda
cerebri, und führt in ihrer Mitte zwei grössere Venenstärame, welche
unter dem Balkenwulste zur unpaaren Vnna cerebri magna zusammen-
treten. Die Tda ckoroidea superior zeigt zwei strangartige Ver-
dickungen von rother Farbe und köi'nigem Ansehen. Diese werden
durch Verknäuelungen der Gelasse der Tela erzeugt, und heiesen
Plesrus clioToidei. Anfangs liegen beide, als Plexus chorotdeua mediua,
dicht an einander, lenken aber hierauf, als Plexus clioroidei laterale»,
durch die Foramina Monroi in die Seitenkammem ab, wo sie sieb
längs des Aramonshomes bis in den Grund des Unterhornes ver-
folgen lassen.
Flexal, das Geflochtene, ist das Parllcip von pleclo, flechten, kein Sub-
etantiT. — Die Adergeflecht« heisien bei Galen fitpoKä^ j0.i-j^a,i:ii, weil er aie
mit dem Charion den Eies rergliuh. — TeUt, teile der FranKoaen, aUunint von
lexo, weben, griechisch veraltet Tcxitv.
LöBt man nun die Tda choroideu von der convexen Sehhügei-
tläche vorsichtig los, und zieht man hierauf beide Sehhügel, welche
in der Leiche mit ihren inneren, fast ebenen Flächen an einander
schliessen, von einander ah so überblickt man die dritte Gehint-
§. S46. Orosses Oehirn. 857
kammer. Man kann an ihr sechs Wände unterscheiden. Die
obere war durch die Tela dioroidea superim* gebildet, — die beiden
seitlichen sind durch die inneren planen Sehhügelflächen gegeben,
— die untere entspricht der Mitte der Hirnbasis, — die vordere
wird durch die vorderen absteigenden Schenkel des Gewölbes
(Säulen, Columnae), die hintere durch den sich zwischen beide
Sehhügel hineinschiebenden Vierhügel (Corpm quadrigeminum) dar-
gestellt. — Die beiden Seitenwände der dritten Kammer stehen
durch drei Querstränge (Comimssurae) in Verbindung. Die Commis-
mra anterior liegt an der vorderen Wand, vor den absteigenden
Schenkeln des Fornix, und kommt zu Gesicht, wenn man diese
Schenkel auseinander drängt. Die Comnmsura posterior liegt an der
hinteren Wand, vor dem Vierhügel. Beide Commissuren sind mark-
weiss und rund. Unter der Commissitra anterior vertieft sich der
Boden der dritten Kammer zum weiten T vichteve ingang^ Adittis
ad infundibidum, und unter der Commisaura poatemor befindet sich
die kleine dreieckige Eingangsöfl'nung in die Sylvi'sche Wasser-
leitung (AditU8 ad aquasductum Sylvii), welche unter dem Vier-
hügel zur vierten Hirnkammer führt. — Die breite und weiche
Commissura media 8, mollis ist grau und weich. Sie fehlt zuweilen,
und stellt nur eine locale Verschmelzung des grauen Beleges dar,
mit welchem die inneren Flächen beider Sehhügel überzogen sind.
Der Vierhügel würde besser Corpus bigeminum als quadri-
geminum genannt werden, da letzterer Ausdruck acht Hügel be-
deutet. Er ist ein unpaarer, durch eine Kreuzfurche in vier Hügel
getheilter, weisser Höcker, welcher zwischen der dritten und vierten
Hirnkammer steht, und unter welchem die Sylvi'sche Wasserleitung
eine Verbindung dieser beiden Kammern unterhält. Sein vorderes
Hügelpaar ist grösser, und steht höher; das hintere ist kleiner und
niedriger, ein Verhältniss, welches sich bei allen pflanzenfressenden
Thieren findet. VesaHus nannte das vordere Paar die Hinterbacken
(Nates), das hintere die Hoden (Testes) des Gehirns.
Bei seitlicher Ansicht des Vierhtigels bemerkt man, dass beide Hügelpaare
seitwärts in zwei walzig-mndliche Erhabenheiten übergehen, welche als Brachia
corporis quadrigemini, nnd zwar als vorderes und hinteres unterschieden
werden. Das vordere hängt mit einer, am hinteren Ende des Tkedamus opticus
gelegenen, und von ihm überragen Anschwellung (vorderer Kniehöcker, Corpus
geniculalum anlicwn s. extemumj zusammen, und geht ganz und gar in den Seh-
hügel über. Das hintere Brachium corporis quadrigemini geht eine Verbindung
mit dem zwischen beiden Brachiis lagernden Corpus geniculatum posticum s. inter-
num ein, und gelangt hierauf tbeils zum Sehhügel, theils zur Haube.
Auf dem vorderen Hügelpaare ruht die sogenannte Zirbel-
drüse, Glandula pinealis s, Conarium, obscöner Weise auch Penis
cerebri genannt. In ihr suchte Cartesius den Sitz der Seele, —
S58
fnnd ihn aber nicht, Sie besteht überwiegend aus grauer Substanz,
mit spärlicben markweissen Streifen im Inneren. Sie ist, so wie
(He obere Fläche des Vierhügels, auf welcher sie liegt, von der
Tela choroidm mperiov bedeckt, an deren unterer Fläclie sie so fest
adhSrJrt, dass sie an ihr hilngcn bleibt, wenn man die 'IVla vnra
Vierhügel lüftet,
Dip Gestalt dor Zirliotdriis* Blinelt einem koiii»«]ieii Tit[iiieiiiui|ifen, rail
liintiTcr fipltKC. Tanne isl Pinut, und i'iniu zrnJtFo ist Zirhe]1i»aai (Zirm in
T}-Tol). Dnher der Name Kirhel und Qlmuluta pinoili*. Canarium ist aber
kein InteiniicheB Wnrt, nondem die von den Ijtlino-liar/inri stammende Uebei^
■etxung; des Oftlen'adien xaiia^isv, flir Zirbeldriljte, Diminativ von x'7;vn;, Kegel,
dessen GceUlt die Zirbeldrllse hat.
Die ZirbeldrAse hingt niuht mit dem Vierlilt^l, wolil alter mit der hinteren
Conimisanr diireh weisse F»denbUndi?l lusaimnen. Von ihrem vorderen abgerun-
deten Ende, laufen zwei weisse BHndehen, Zirhelstiele ans — die PetltmaOi
nttiarii, — welehe «ieh an die SfliliUgei anschmiegen, daselbat als TWniae medu^
\artt die Orenze der inneren nnd oberen FlKehe derselben beieiciinen, nnd nach
vor- und abwHrts bis in die vorderen GetrHlbsehenkel xn verfolgen sind. — Zu-
weilen entliHlt die Zirbel eine kleine Hnhie, welche zwisnlien den Anheftunga-
■teilen der ZirbeUtiele mflndel. — Theiln in der Masie der Zirbel, theiU in d
sie KiiiiXuliBt nnigebenden Ttia fkmvidra ttipeivyr, Sndel mui, jedacli nie vor d<
aeehsldn Lebensjahre, einFache oder dnisig RUBatiimengebackene, ans phoiiphi
sanrem nnd kohIeni<anreni Kalk nebst Kieselerde bestehende kryefallinisube C«
oremento (Aexnniltu glandtdar. jihtudit), von der Orilss« eines Band- oder Mohn-
komn, auch darllber. Sie wurden von SDininerring entdeckt (de lapälu ml
prope erf intra ^1. pliiealeM tUü. ilof/iinl,,, tlsßj. Man hat sie anch in den Adei
geflechten der Heitonkammem gefunden. — Wollte man schon einen Theil dei
Gehirns als VWcq rerebri bezeichnen, wie es den alten Anatomen gefällig ww
*o wHre die Ittnglii-Ii elliptische S|.alte, welche dicht vor der Zirbel xwiscLun
beiden ZirbeUtielen lii'gt, am nieisloii daau geeignet. Die .Sehncn'cnliügcl iteUeo
gewissermaasen diK inj eoiltim celjtfti-andma aufgestellte n oder angexogenen Schenkel
dar, lim diese Vniva fflr dfln Pmü ftrehri (Zirbel) xngKnglich xa machen.
Der Vierhügel hat über sich den Balkenwulst. Herde berühren
»ich nicht, sondern lassen eine OefTnung zwischen sich, den Quer-
schlitz des grossen Oehirns, durch welchen die Ha mater als Tda
choroidea superüa; zur mittk-reu Kammer gelangt, ücr Qucrachlitz
setzt sich zu beiden Seiten in eine Spalte fort, welche, dem Pes
hippocampi major folgend, bis an den Grand des Unterhorna hinab-
reicht, 80 dasB also das Unterhorn in seiner ganzen Länge von der
Ilirnoberfläche her zugängig ist, und factisch eine Fortsetzung der
Pin mater zur Verstärkung des Plexus choroldeus lateralia ein-
dringen lässt.
dass auch eilte rOliroiiartige Verlüiigeriing der Araclinoidea,
in die dritte Kammer eingehe, um zum Eperuli/ma venlrt-
Der Querschnitt dieser VerlSngening, erhielt auch den
ati. Alle Anatomen der Gegenwart stimmen darin flberein,
dau dies« Vorstellung Bicbat'* unhaltbar geworden.
§. 346. Grosses Gehirn tod unten nntersncht. 859
Im Verfolge dieser Zergliedemng wnrde vom kleinen Qelnrn keine Er-
wähnung gethan, da es unter dem Tentorium verborgen liegt, und die Hinterlappen
des grossen Gehirns noch nicht abgetragen wurden.
Da sich die ganze Hirnanatomie nicht an einem Hirne durchmachen lässt,
so kommt es nun darauf an, sich zu entscheiden, ob man mit der eben geendeten
Untersuchung des grossen Gehirns von oben her, auch jene des kleinen verbinden
will, in welchem Falle die Hinterhauptschnppe, die Hinterlappen des grossen Ge-
hirns, und das Tentorium cerebefU abzutragen wären, oder ob man das grosse und
kleine Gehirn zugleich aus der Schädelhöhle herausnehmen, und die Organe der
Gehimbasis vornehmen will. Letzteres ist jedenfalls gerathener. Die Untersuchung
des kleinen Gehirns von unten her, soll mit jener des verlängerten Markes ver-
bunden werden, und bleibt dem §. 347 vorbehalten.
§. 346. örosses öehirn von unten untersucht
Wurde das Tentorium vom oberen Rande der Felsenbein-
pyramiden abgetrennt, die Ursprünge der Gehirnnerven an der
Hirnbasis, die Carotis interna, und das verlängerte Mark sammt den
Wirbelarterien im grossen Ilinterhauptloche durchgeschnitten, so
lässt sich das Gehirn mit der seine Basis umgreifenden Hand, aus
der Schädelhöhle herausnehmen oder herausstürzen. Jede Geföss-
oder Nervenverbindung zwischen Gehirn und Schädel muss richtig
durchgeschnitten sein, damit bei der Herausnahme des Gehirns,
nichts mehr von selbst entzwei zu reissen habe, wodurch die Rein-
heit der Basalansicht gefährdet werden könnte.
Man übersieht nun, nachdem auch hier die Arachnoidea und
Pia mater vorsichtig weggeschaflFt wurden, die untere Fläche (Basis)
des grossen Gehirns, mit Ausnahme der Hinterlappen, welche durch
das kleine Gehirn verdeckt werden, ferner die untere Fläche des
kleinen Gehirns, der Varolsbrücke, und des verlängerten Marks.
Im Mittelgebiete dieser Ansicht lagern, von vorn nach hinten
gezählt, folgende Gebilde :
a) Die vordere durchlöcherte Lamelle, Svhstantia perfo-
rata anterior, Sie liegt vor der Sehnervenkreuzüng (b), ist mark-
wciss, und zerfallt in eine mittlere und zwei seitliche perforirte
Stellen, welche letztere sich gegen den Anfang der Sylvi'schen
Gruben hinziehen. Die mittlere Stelle ist nur wenig durchlöchert,
und wird erst gesehen, wenn man die Sehnervenkreuzung, welche
sie überlagert, nach hinten umlegt.
Die Löcher der Stibstantia per/orata anterior sind eben so viele Durch-
gangspunkte von Blutgefässen, weshalb sie am besten während des Abstreifens
der weichen Hirnhaut, bevor noch die Gefasse gerissen sind, gesehen werden.
Vor den Seitentheilen der SubstarUia per/orata anterior liegt an der unteren Fläche
jedes Vorderlappens eine dreiseitig pyramidale, graue Erhabenheit (CarunctUa
mammillaris «. Trigonuni olfactoriumj, welche sich nach vom in den Nervus ol/ac'
Uniua fortaatst.
oOO §. 84i{. OroKReM Gehirn von unten antersncht.
h) Die Sehnerve nkreuz im g, Chiasma 8. Decusaatio nervorum
opHcortim. Sie ähnelt einem griechischen X (Chi, woher der Name
Chiasma), und hängt vorn mit der mittleren perforirten Stelle, hinten
mit dem grauen Hügel zusammen. Die in das Chiasma eintretenden
Stücke der Sehnerven, welche den Pedunculus cerebri von aussen
nach innen umgürten, heissen, ihrer Plattheit wegen, Tractus optici.
Man sieht sie erst, wenn man die stumpfe Spitze des Unterlappens
vom Pedunculu^ cHrehri etwas abzieht. Die aus dem (Miiasma aus-
tretenden runden Stücke der Sehnerven, sind die eigentlichen
Nerri optid,
Kh ist noch immer nicht mit Bestimmtheit entschieden, oh sich alle Fasern
heider Sehnerven im Chiasma kreuzen, oder nur die inneren, so dass jeder AVruw*
optirujt Fasern vom rechten und linken TniHtu optictu enthalten würde. — Han-
nover erwfthnt am v«>rderen und Iiinteren Rande des Chiasma hogenft^rmig^e, von
einer Seite aur andern laufende Fasern, als Oommusurfi armcUtt atU^rior et po9U>
t^n Die Fasern tler Owmmiwmivi anterior verbinden, ohne zum Gehirn zu gelangen,
die beiden .NVrei ojUiri mit einander; — die Fasern der Cmnmuntura posterior ver-
binden die beiden Trartuä ojttiri, ohne in die eigentlichen Sehnerven überzugeben. —
Hei einigen Knorpelfischen (Myxinoiden^ kreuzen sich die Sehnerven gar nicht.
Bei den Kochen, Haifischen und Sttiren, stehen sie durch eine Querbinde in Zn-
Munmenhang. Bei den Knochenfischen ist die Kreuzung eine vollkommene, — ein
Sehnerv gt»ht über den andern hinüber, oder schiebt sich ^lurch eine S|>alte des-
selben durch, wie beim Hftring.
c) Der jjraue Hügel mit dem Trichter, Tuber cintreum cum
infnudibulo. Er liegt hinter dem Chiasma, und bildet einen Theil
des Hodens der mittleren Hirnkammer, ist weich, grau von Farbe,
und verlüngt^rt sich zu einem kegelförmigen, nach vorn und unten
gerichteteu Zapfen. Dieser Zapfen ist, wie der graue Hügel selbst,
hohl, und heisst deshalb Trichter, LtfundibiJum. Seine Höhle ist
eine Fortsetzung der Höhle des Ventncnlus tertius, welche sich
unter der Commufsunt anterior der beiden Sehnervenhügel, als Aditu^
ad infundibulum in den Trichter hinab verlängert. Die Höhle er-
streckt sieh jedoch nicht bis in die Spitze des Trichters, welche
solide ist, und sich mit der Hifpophifsis cerebri verbindet. Die Alten
meinten, dass die Excremente des Gehirns, aus der dritten Kammer«
durch das InfuHiUbHlHm, in die Nasenhöhle geschaHt werden.
IHe vorder«' Wand de< grauen Hügels und de« Trichters hängt innig' oüt
dem hinteren Rande de« Chiasma rasammen. ^e ist zugleich so sart und dünn,
dass sie scb^ui bei der Herausnahme eines nicht ganz frischen C^hims zemeUst.
Man zeichnet <ie wohl auch mit einem besonderen Namen, al* Laoünn rii^rrn
trrvuHnii* aus* Wanim, wird die Folge lehren.
d} IVr Hirnanhang, H^poph'tsi* certbri i von /::: und ^
unten wachsend. Er heisst auch GlattdtJa pituitaria eenehri #.
CtJatortHm jl ^^fiiM. lauter Xameu, welche die Vorstellung aiu^
drücken, welche die Ahen über die Function dieses rathseDuiteii
3. 348. (tlUMI üthini Vi
SRI
Hiniorgaiis li.itl<iii. »Sie gUubten nämlicli. Aans der iliniiinhiing liiu^
Drüse sei, welche Sclileim absondert, der durch die Nasenliöhlf^
oiitleeit wird. — Der Hirnauhang Hegt im T iirke.n Mattel , welchen
CT ganz aiiHfuUt. Da die harte Hirnbaut, als 'Jperculum sellae tur-
cicae, über den Sattel hillübergespannt ist, und nur eine vcrhsltniss-
mäasig kleine Oeffnuiig hat, durch welche das Infundibulum sich
mit dem Hirnauhang vorbinden kann, so mnsa, wenn man den
Kirnanhang sammt dem Gehirne herausnehmen will, die harte
Hirnhaut durch einen, rings um die Sattelgi-ube laufenden Einschnitt
getrennt, und ein scheibenförmiges Stück derselben mit der Hypo-
physia herausgehoben werden.
Hei genauer Ilnteraticliiing fiadet tunn an dem Uirnanhnfif; einen vurderen
bintaren l>»ppen. Der vordere (fröBsere Lappen, von rKthlicher Farbe,
enthält entaubieden weder Nerrenfasem noch CianglienEclIen, «indem besteht an*
einem ^fSureic.Len Bindegewebe, in welcliem eine Menge voll kommen gescldoMener
BlSsuhen van 0,03 bis 0,U9 Millimeter lagern, wulehe in einer stratturluBen Halle
einen feinktlmigen Inbalt mit kemartigen Gebilden, niid ipürliclien, vollkommen
iggebildeten Zelten fUbren. lattreB^ant i»t es in dieeer Beziehung, dasa die
BlÜHchen dieses Lappens, itie die Blitrahen der SchUddrUae beim Kröpfe, »ich
bn höheren Alter gewöhnlich vergröiaem, nnd mit einer Masae füllen, welche die
patliulagiauhe Anatomie mit dem Namen Colloid bezeichneL Der Idntere, kleinere
granliclio Lappen, enthält in einer feinkSmigen, kemfllhrendcn RnuidaitbsUlu,
wahre Nervenfasern, welche ihm vom Gehirn »na dnrch den Trichter zngefllhrt
werden.
werden auch Woiberbrüate, Globuli medulläre» und BtUbi fornida
genannt (letzteres wegen ihrer Verbindung mit den vorderen Schenkeln
des Gewölbes). Sie sind zwei weisse, halbkugelige, orbaengrosse,
dicht neben einander liegende Markkörper, zwischen den Pedtinculit
cereiiri, und hinter dem grauen Hügel.
f) Die hintere, graue, durchlöcherte Lamelle, Sub-
utantia perforata pobtei'tor, ist dreieckig, da sie den durch die
Divergenz der Pedunculi cerebri entstehenden Winkel ausfüllt. Ihr
vorderer Kand gehl in die hintere Wand des Tuiei- cinereitm und
dea Trichters über; ihre hintere Spitze stiisat an die Varolsbrlieke.
g) Die Schenkel des grossen Gehirns, Pbdimciäi s. Crura,
8. Caudex cere/>ct, kommen divergent aus der Varolsbrücke hervor,
und stellen längsgefaeertc weisse Markbündel dar, welche sich von
unten her in die Hemisphären einsenken, und, als directe Fort-
setzungen des verlängerten Markes, dieses mit jenen in Verbindung
bringen. Schneidet mau einen Gehirnachenkel senkrecht auf seine
Lüngenaxe durch, so findet man, daea er aus einem unteren, breiten
und flachen, und einem obrrf.m, »tiirkeron Bündel von Markliisern
besteht, awischeu welchen eine S
•«tantiu nigra peduncui
^^^8ub«tat
■
862 §. 347. Anatomie des kleinen Gehirns von unten. VarolsbrAcke. Verl. Hark.
bündel des Himschenkels^ welches eiue flache Kinne für das obere
bildet^ heisst Pedunculus 8. Caudex, das obere fuhrt den Namen der
Haube, Tegmentum caudicis.
Caudex ist synonym mit Codex, Beide bedeuten Stamm, Baumstamm,
und da aus letzterem die Holztafeln geschnitten wurden, welche, mit Wachs über-
zogen, zum Schreiben mit dem Stylua dienten, hiess eine Summe solcher Tafeln,
also ein Buch, auch Codex, welches Wort jetzt nur noch für alte Handschriften
übUch ist
Die Gyn an der unteren Fläche des grossen Gehirns sind in der Regel
durch seichtere Furchen getrennt, als jene der oberen Fläche. Jener Gyrus,
welcher den Tradu» opUcu» bedeckt, und gelüftet werden muss, um diesen za
sehen, heisst, seiner Beziehung zum Fes hippocampi major wegen, Gyrtu hippo-
campi $, Subieulum comu ÄmmoniM, Sein vorderes Ende krümmt sich hinter dem
Seitentheile der LanUna perforata anterior nach innen und hinten, und bildet den
Haken, Ganglion uncmatum. Seine hintere Fortsetzung umgreift als Gyru*
fomicatw die Backenwulst nach oben, und zieht an der inneren Fläche der Hemi-
sphäre des Grosshims dicht über dem Seitenrande des Balkens nach vom.
In der Fogsa St/lvü liegt die Insel, eine Gruppe von sechs bis acht mit
einander zusammenfliessenden Gehirnwindungen. Die Insel wird von einigen
überhängenden Gyri des unteren Lappens der Hemisphäre (dem sogenannten
Klappdeckel, Operculum) so verdeckt, dass sie erst nach Abtrag^g dieser Gyri
in ihrem ganzen Umfange gesehen werden kann. Schneidet man sie schief nach
innen und oben durch, so bemerkt man, dass ihre Basis nach dem Linsenkem
gerichtet ist.
Sommerrmg, de basi encephali, etc. Gott., 1778. 4. — Ejusdem tabula
baseos encephali. Francof., 1799. — «/. Engel, über den Gehimauhang und den
Trichter. Wien, 1839.
§. 347. Anatomie des kleinen öehirns von unten. Varolsbrücke.
Verlängertes MarL
Bei der vorausgegangenen Behandlung der unteren Fläche des
grossen Gehirns, blieb das kleine Gehirn unbeachtet. Die Detail-
untersuchung desselben folgt nun in diesem Paragraph. Man be-
merkt zuerst, dass die beiden Halbkugeln des kleinen Gehirns
durch eine Querbrücke mit einander verbunden sind. Diese Quer-
brücke ist der Pons Varoli. Hinter dem Pons Varoli sieht man die
MeduUa oblongcUa, welche als ein unpaarer Markzapfen sich zwischen
beide Halbkugeln einlagert.
Die Varolsbrücke, Hirnknoten, Pons Varoli, «. Nodus
cerebri, s. Protuberantia hagilarU nach Willis, ruht theils auf der
Par8 basUarü des Hinterhauptbeins , theils auf der Lehne des
Türkensattels, und besitzt eine untere, zugleich vordere, und eine
obere, zugleich hintere Fläche, einen vorderen Rand, aus welchem
die Schenkel des Grosshims divergent hervortreten, und einen
hinteren, an die Medulla oblongata stossenden Rand. An ihrer
%. 347. Anatomie des kleinen Geliirns von anteu. Varolsbrtcke. Verl. Mark. 863
unteren Fläche findet sieh ein seichter Längeneindruck, Stdcua
hasüaris, ein Abdruck der hier verlaufenden unpaaren Arteria hasi-
laris. Ihre Seitentheile setzen sich mit den beiden Halbkugehi des
kleinen Gehirns durch die sogenannten Brücke uarme^ Processus
cerehdli ad pontem, in Verbindung. — Ueber dem Pons liegt der
Vierhügel, und zwischen beiden der Agiuzeductus SylviL Da ein
Theil der Stränge der Medvlla ohlongata sich durch die Brücke
durchschiebt, um in die Grosshirnschenkel überzugehen, so wird
man im Pons Quer- und Längenfasern antreffen müssen, von welchen
oberflächlich nur die Querfasern zu sehen sind. Der horizontale
Durchschnitt der Brücke zeigt, dass zwischen den weissen Fasern
derselben, stellenweise graue Substanz eingelagert ist. Const. Varo-
lius, Professor in Bologna, beschrieb diesen Hirn theil schon 1578,
mit viel Genauigkeit (de nervis optids, pag. 191),
Das verlängerte Mark, Medtdla ohlongata s. Btdbus medidlae
spinalis, ist ein weisser Markzapfen, welcher durch das Forameii
occipUale magnum in das Kückenmark übergeht. In seiner Mitte
verläuft der Suicus longüudinalis anterior, zu dessen beiden Seiten
die Pyramiden, und auswärts von diesen die Oliven gesehen
werden. Den Pyramiden und Oliven entsprechen strangförmige
Abtheilungen im Inneren der Marksubstanz der Medulla ohlongata,
als Pyramidenstränge und Olivenstränge. Neben den Oliven
bemerkt man die sträng förmigen Körper (Corpoi'a restiformia),
welche von der Medtdla ohlongata zu den Hemisphären des kleinen
Gehirns treten, und weil sie sich in diese so einsenken, wie die
Pedunculi cerehri in die Halbkugeln des grossen Gehirns, auch
PedxmcuU cerehdli, Schenkel des kleinen Gehirns, genannt
werden. Sucht man durch Auseinanderziehen der beiden Pyra-
miden, eine tiefere Einsicht in den Suicus longitudinalis anterior zu
gewinnen, so erblickt man gekreuzte Bündel von einer Pyramide
zur anderen gehen (Decussatio pyramidum). Schneidet man die Olive
ein, so sieht man in ihr einen weissen, mit einer dünnen, grauen,
zackig ein- und ausgebogenen Lamelle umgebenen Markkern —
den Nucleits s. Corpus dentatum olivae.
Um auch die obere Fläche der Medulla ohlongata zu Gesicht
zu bekommen, genügt es nicht, sie einfach umzubeugen; man würde
dadurch nur das hintere Ende der Schreibfeder, d. h. den in
den Stdcus longitudinalis posterior sich fortsetzenden hinteren Winkel
der Rautengrube sehen. Es ist vielmehr nothwendig, vor der Hand
von der Medulla ohlongata abzustehen, und die untere Fläche des
kleinen Gehirns zu untersuchen. Um diese Fläche ganz zu über-
sehen, exstirpirt man die Medulla ohlongata durch Trennung der
C * vom Ponis Vardi, worauf man die
H(i4 l MT. AnilDinla «« klulDMi »■h<rt» vgn nun. TKreXliTach!. TtrI. Mtit,
unkrt: Fiftcho des kleinen Gehirna ia ihrer ganzen Ansdehnuug
vor sich hat.
Mftn tindet nnn beide HemiBphären des kleinen Gehirns zwar
mit einander in Verbindung Btehend, aber durch eine tiefe, mittlere
I Furche, in welcher die Medulla oblongata lag, von einander getrennt.
I Diese Furche ist das Thal, Vullecula Reilii. Sic endet nach hinten
I in der Incieura margtnalüs posterio}; einem IJmbug zwischen den
hinteren convexen Rändern beider Hemisphilren dea kleinen Gebims.
I Beide Kleinhim-HemisphMren xeig^ii an ihrer tintcren flfiche vier Lappen,
deren jeder ans mebrereii, parallelen, aber Rclimalen Oyri Ueatelit:
I 1. Den iiinteren Unterlappen, Labut inferior ptuteriin' : tewiitmtaria,
den binteren Kand der unteren Fläche entlang.
^^^ 2. Den koi I färmi^en Lappen, Lobim ciinei/ormiii. Er era treckt sich Tfrn
^^^L aagsen und Tom nach liinlen nnd innen xnm Thals, und nimmt auf diegem Zuge
^^^H an Breite ab, wodurch er keilfHrmi^ wird.
^^^1 3. Die Mandel, Toniilla, liegt an der inneren Heile des varigfn, lanSohat
^^^1 am Tbale, und ragt unter allen Lappen am meialen nach unten hervor,
^^^H Die Furchen, welche diese dri<i Lappen von einander trennen, sind mit dem
^^^P liinteron Rande der Hemisphlire laut parallel, nnd erscheinen bedeutend tiefer als
^^^ jene, welche die einzelnen Gyri Eines Lappena von einander scheiden.
' 4. Die Flocke, Flotcuha «. Loliulia, ist ein loses Büschel kleiner nnd
kuraer Qjti, welches auf dem Proasiiu ctrehcUi ivl ponttm liigt. Und sich In den
I markweiaaen Stiel, Feituncalut Jloccali, fortsetst, welcher sich his lum Unterwnnu
ala hinteres Marknegel verfolgen IKmL
Der, nach Herauunahme des verlängerten Markes, im Thale
sichtbare mittlere Bezirk des kleinen Gehirna, heisst Untcrwarm,
Vermis infenoi: Er besteht aus vielen schmalen, parallel hinter
einander liegenden, queren Gyri, welche wieder in vier grössere
Gruppen zusanunengefaset werden.
Diese sind, von rUck- nach vorwärts ge/ählt;
a) Die KlapponwnUt. oder die kurze Commlsaur (Keil), weil ihre
Qfri jene der hinteren I/nterlappen verbinden.
ti) Die Wtirmpyraniide, eine ans stark nach hinten gebogenen trän«-
I verealen fJyri bestehende CoramisBUr, welche die Lobi timei/ormai verbindet.
c) Das ZXpfchen (Uvula ctreheUij. Diese passende Benennung führt jener
Abschnitt des Unturwurmea, welcber zwischen den Mandeln KU liegen kommt.
d) Das Knötchen ('.VkIm/iu Malacamij hcgrenxt aU kleiner, rundlicher
KCrper, mit nchwach angedeuteter LAppchenahtbeilnng, den Unterwnrm nach vom,
und hfingt rechts und links durch eine xarle, durchscheinende, halbmondfttnni^
Markfalte (die beiden hinteren Marksegel, Vela ctrebd-U potttrioFa : TariaiJ
mit den Flocken stielen Kusamnien. Jedes hintere Marksegel kehrt seinen freien
concBven Kand scliief nach vom nnd unten, bildet also eine Art Tasche, in
welche man mit dem Scalpeltheft vingvlion, und das Segel aufheben kann, nm
es deutlicher xn sehen. Thnt man es nicht, su hat man oft Mühe, die Segel,
■ ihrer Diirelisiahtigkeit und ihres Ankleben« an die Nachbarwand wegen, wahr-
^^^H Knnebmen.
Man bemerkt bei dieser Ansicht noch die beiden Bindearme
des kleinen Gehirns, Procaasas eenhdli ad corput quaängeminum.
§. M%. Anatomie des kloinen Gehirns von oben. Vierte Gehimkammer. 865
Sie erstrecken sich — auf jeder Seite einer — von den Kleinhirn-
Hemisphären scheinbar nur zum hinteren Paar des Vierhügels^ setzen
sich jedoch unter dem Vierhügel in die Haube fort. Ihr Austritts-
punkt aus dem kleinen Gehirn liegt vor und über der Eintrittsstelle
des Peduncidus cerehdli, Sie convergiren gegen den Vierhügel zu,
und fassen ein dünnes ^ graulich durchscheinendes Markblättchen
zwischen sich, welches graue Qehirnklappe, vorderes Mark-
segel, VcUvtda cerebdli 8, Vdum medulläre anterius genannt wird.
Die graue Gehirnklappe grenzt vorn an das hintere Vierhügelpaar,
und hängt rückwärts mit dem Vordertheile des Unterwurmes zu-
sammen.
Zieht man beide Mandeln von einander, so bemerkt man, dass
das Thal des kleinen Gehirns sich rechts und links in eine blinde
Bucht, die sogenannten Nester, fortsetzt. Diese liegen zwischen
dem Marklager des kleinen Gehirns und der oberen Fläche der
Mandel. An ihrer oberen Wand haftet das hintere Marksegel mit
seinem convexen Rande.
Es lässt sich leicht verstehen, dass zwischen der Medulla
ohlongata und dem Unterwurme ein freier Raum übrig bleiben
muss, in welchen man von hinten her, durch eine, zwischen dem
hinteren Rande des Wurmes und der Medvlla ohlongata befindliche,
und nur durch die darüber wegziehende Arachnoidea verdeckte
Oeffnung eindringen kann. Diese Oeflfnung ist der Qu er schlitz
des kleinen Gehirns. Der freie Raum selbst, ist die vierte
Gehirnkammer. Ihre obere Wand wird durch den Unter wurm
und die graue Gehirnklappe, ihre Seitenwände durch die Mandeln,
ihre untere Wand durch die Rautengrube der Medvlla ohlongata
dargestellt. Ihre paarigen seitlichen Ausbuchtungen sind die bereits
erwähnten Nester.
§. 348. Anatomie des kleinen Geliirns von oben. Vierte
öeliirnkammer.*)
Die beiden Hemisphären des kleinen Gehirns hängen an ihrer
oberen Fläche in der Mittellinie durch den massig aufgewölbten
*) Zur Vornahme dieser Untersuchung soll ein frisches Gehirn verwendet
werden. Nur im Nothfalle könnte jenes, an welchem das kleine Gehirn von unten
auf studirt wurde, benutzt werden, wobei das abgeschnittene verlängerte Mark mit
einem dünnen Holzspan der Länge nach durchstochen, und in der Varolsbrilcke
wieder befestigt werden müsste. Instructiver ist es, an einem zweiten Schädel die
Decke desselben sammt den Hirnhäuten abzutragen, hierauf durch zwei im Foranien
occipUaU niagnum convergirende Schnitte die Hinterhauptschuppe herauszusagen, und
die Hinterlappen des grossen Gehirns senkrecht abzutragen, um das Tentorium frei
zu machen und zu entfernen. Man kann, um grösseren Spielraum zu gewinnen, noch
die hinteren Bogen des Atlas und Epistropheus ausbrechen, wodurch der Uebergang
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. 14. Aufl. ^^
866 8. 848. Anatomie des kleinen Oehirns von oben. Vierte Oehirnkammer.
Oberwurm, Vermis superior, zusammen, indem die Gyri, meist
ohne Unterbrechung, von einer Hemisphäre in die andere übergehen.
Der Ober wurm ist also das schmale Verbindungsglied der beiden
Hemisphären des kleinen Gehirns. Der dem vorderen und hinteren
Ende des Oberwurms entsprechende Einbug, heisst Incisura margi-
nalis antei*ior et po8terio7\
Die obere Fläche beider Kleinhirn-Hemisphären wird von der
unteren durch einen tiefen, an der äussersten Umrandung des kleinen
Gehirns herumlaufenden Einschnitt, Sulcus magntis horizontcJis, ge-
schieden.
Man unterscheidet an der oberen Fläche jeder Hemisphäre nur zwei, durch
eine tiefe, nach hinten convexe Furche getrennte Lappen: aj den vorderen oder
ungleich vierseitigen Lappen, Lobus superior anterior 8. quadrangularü,
und bj den hinteren oder halbmondförmigen Lappen, Lohus superior
posterior s. semilunaris.
Der Oberwurm besteht aus einer Colonne querer und parallel
hinter einander folgender Gyri, welche zusammengenommen einen
erhabenen, beide Hemisphären vereinigenden Rücken darstellen,
dessen quere Furehung allerdings mit dem geringelten Leibe einer
Raupe Aehnlichkeit hat, wodurch der sonderbare Name des Wurmes
(Vermis homhfdnus) entstand.
Vemiis ist bei Galen: £;ii9uai; ax'oXsxocioyJ;, von ixwArj^,' »Spul-, Seiden-
und Regenwurm.
Die Summe der Gyri des Oberwurms wird durch tiefe Furchen, wie es am
Unterwurme der Fall war, in drei Abtheihmgen gebracht. Diese sind, von vor-
nach rfickwärts gezählt, folgende:
a) Das Cent ra Häppchen, Lobulus centralis^ eine Folge von acht bis
zehn Gyri, welche in die vordersten Gyri der vorderen Lappen der Hemisphären
übergehen.
h) Der Borg, MoiUicultts, dessen höchste Stelle (Jacnmen (Wipfel), und
die darauf folgende, schief nach hinten und unten abfallende Neige Dec/ive (Ab-
hang) genannt wird. Er ist die grösste Abtheilung des 0}»erwunnes, und ver-
bindet die hinteren Gyri der vorderen Lappen.
c) Das Wipfelblatt, Foluim caaiminis, besser Conuiivt/tura loftoruni senii-
lunarium, liegt als einfache, kurze und quere Commissur, zwischen den inneren
Enden der JA)bi senUhtnare«, «licht fiber dem Anfange des IJnterwurmes, in der
Incistira niaryinalifi posterior.
Biegt man das Centralläppchen mit dem »Scalpellhefte zurück, »o sieht man
beide Bindearme des kleinen Gehirns zum Vierhiigel aufsteigen, und zwischen
ihnen die graue (lehimklapiie ausgespannt, welche aber nicht, wie bei der unteren
Ansicht, eben un<l glatt, sondern mit fünf sehr kleinen und flachen, grauen und quer-
gestelltenWülstchen besetzt ist. Diese bilden zusammengenommen ein zungenfßrmige»,
nach vom abgerundetes graues Blatt — die Zunge, JAngiäa. Die Zunge hängt
des verlängerten Markes in das Kückenmark zur Ansicht gelangt. Diese Behand-
lungsweise gewährt den grossen Vortheil, die Theile in ihrer natürlichen Lage tiber-
blicken zu lassen, und die Stellung des Gehinistammes in situ beurtheilen zu lernen,
was am herausgenommenen Gehirne, welches auf einer Horizontalebene liegt, nicht
zu erreichen ist. Man bedient sich jedoch meistens eines herausgenommenen Ge-
hirns, weil an ihm die Arbeit leichter.
(. 848. Anatomie des kleinen (Gehirne von oben. Vierte OehirnknmiMr. 867
nach hinten mit dem Centralläppchen zusammen. Sie bedeckt nicht die i^anze
graue Klappe. Ein kleines Stück derselben bleibt vom von ihr unbedeckt, und
zu diesem sieht man von der mittleren Furche des hinteren Vierhügelpaares das
kurze Frenulum veli tneduUarU heruntersteigen. — Zieht man den Lobus tuperior
anterior stärker vom Vierhügel ab, um den Bindearm frei zu bekommen, so sieht
man, hinter dem hinteren Brachium corporis quadrigemku, noch die Schleife,
Letnniscus, neben dem vorderen Ende des Bindearmes.
Wird der Wurm vei-tical durchgeschnitten, so übersieht man
an seiner Schnittfläche sein weisses Mark. Dasselbe giebt sieben
bis acht Aeste ab, welche in die Abtheilungen des Ober- und Unter-
wurms eindringen, und mit ihren Nebenästen, welche sämmtlich
mit grauer Rindensubstanz eingefasst werden, den Lebensbaum
des Wurms, Arbor vitae veiinis, bilden. Aehnlich findet man das
Marklager der Kleinhirn-Hemisphären bei jedem Durchschnitte mit
allseitig herauswachsenden, grauumsäumten Markästen und Zweigen
besetzt, als Arbor vitae cerebdli.
Die alten Botaniker nannten die Thuja ocddentaUt, weil sie immer grünt,
Arhov vitae. Die Aehnlichkeit, welche die Ansicht der eben erwähnten Durch-
schnittsflächen des Wurmes und des kleinen Gehirns, mit den zackigen Blättern
dieses Baumes hat, veranlasste die Benennung: Lebensbaum.
Nun exstirpirt man die durch den Vcrticalsehnitt schon ge-
trennten Hälften des Wurms, um eine freiere Einsicht in die vierte
Hirnkammer zu eröffnen, und die obere (hintere) Fläche des ver-
längerten Markes blosszulegen , welche den Boden der vierten
Kammer bildet. Man bemerkt nun, dass die beiden hinteren Stränge
des Riiekonmarks, zwischen welchen der Siilcus longitudinalis poste-
rior liegt, nach vorn divergiren, um als Coipoiu resttformifi zum
kleinen (iehirn zu treten. Durch diese Divergenz entsteht zwischen
ihnen ein nach hinten spitziger Winkel , welcher in den Sulcus
longitadimüh posterior übergeht. Setzt man an diesen Winkel jenen
an, welcher durch die aus dem kleinen Gehirn zum hinteren Vier-
hügelpaar convergent aufsteigenden Bindearme gebildet wird, so
erhält man eine Raute mit einem vorderen und hinteren Winkel,
und zwei Seitenwinkeln. Dieses ist die Rautengrube, Fovea rhom-
hoidea, — der Boden der vierten Hirnkammer. Ihre Grundfläche
erscheint grau, als Lamina cinerea fossae rhomboideas. Die Lamina
cinerea ist eine Fortsetzung der grauen Kernsubstanz des Rücken-
marks, und wird durch eine, vom vorderen zum hinteren Winkel
der Rautengrube herablaufende Medianfurehe, in zwei Seitenhälften
getheilt.
An der Stelle, an welcher die Corpora restiformia auseinander zu weichen
heginnen, macht sich an ihnen eine Furche kenntUch, durch welche vom inneren
Kande der Corpora restiformia, ein schmaler Streifen als zarter Strang, Funi-
cuhu gracUis, abgemarkt wird. Derselbe schwillt dicht am hinteren Winkel der
Rautengrube zur sogenumten Keale uk CClava). Der nach Abzug des larten
65»
868 (. M8. Aufttomie des kleinen Gehirns r6n oben. Vierte Gehirnkaintner.
Stranges bleibende ansehnliche Rest des Corpus restifomie, heisst Keilstrang,
Funiculfu cuneeUtu. Wo die Ckfrpora reatiformia in das kleine Gehirn eintreten,
enthalten sie einen grauen Kern, Tuberculum dnereum. — Zu beiden Seiten der
Medianfurche der Rautengmbe wölben sich die runden Stränge, FunicuU tereie*,
etwas vor, welche im hinteren Theile der Rautengrube durch zwei zungenähnlich
gestaltete Blätter grauer Substanz (Älae cinereaej verdeckt werden. — Weisse
Querfasern in der Lamina cinerea der Rautengrube werden als Chordae ttcusUcfte
fflr die Wurzeln der Hömerven gehalten, und ein Paar feine Markstreifen, welche
sich längs den Keulen der zarten Stränge, an die Corpora rejitifomUa anscliliessen,
heissen Riemchen, Ttieniae fossae rhomboideae.
Der zwischen den divergirenden Corpora restifoinnia ein-
geschlossene hintere Winkel der Rautengrube, hat eine augenfällige
Aehnlichkeit mit dem Ausschnitte einer Feder, deren Spalt durch
den Sidcua longitudinalis posterior vorgestellt wird , und fuhrt des-
halb den schon von Herophilus gebrauchten Namen der Schreib-
feder, Calamus acriptorius*). Der vordere Winkel der Rautengrube,
welcher erst nach Entfernung der grauen Gehirnklappe zu Gesichte
kommt, hängt durch den Aquaeductus Sylvii, dessen Endöffnung bei
den Alten auch Anus cerebri hiess, mit der dritten Kammer zusammen.
Die Seitenwinkel buchten sich, wie gesagt, zu den Nestern
(Kecessus laterales) aus, welche unvollkommene Wiederholungen der
Seitenkammern des grossen Gehirns sind. Der graue Beleg nimmt
hier (dicht am Austritte der Bindearme), als Locus caeruleiis , eine
auffUUige dunkle Färbung an.
Der zwischen dem Unterwurm und der Rautengrube befindliche
Raum stellt mm die vierte Hirnkammer dar. Sie wurde von den
alten Anatomen, welche sämmtliehe Nerven in ihr entstehen liessen,
Veiitriculus nobUis genannt. Und in der That verdient sie auch
heute noch diesen Namen, da wir sehen werden, das» acht Ilirn-
nerven, entweder ganz oder zum Theil, aus grauen Kernen ihrer
Basis (Rautengrube) entspringen.
So wie die dritte Hirnkammer nach oben nicht zunächst durch Mark, son-
dern durch eine Fortsetzung der Pia maler, als Tela choroidea superior, begrenzt
wurde, so wird auch der Raum der vierten Hirnkammer nach hinten nicht durch
Markwand, sondern durch die Pia mater, als Tela choroidea inferior, zum Ah-
schluss gebracht Durch ihre Verbindung mit den Riemchen (aiu hinteren Winkel
der Rautengmbe), mit den Flockenstielen, und mit den hinteren Marksegeln, wird
die Tda choroidea inferior, wie in einem Rahmen 6xirt. In dieser häutigen Ver-
schlusswand soll nach Magen die eine Oeflfnung existiren, durch welche der
vierte Ventrikel mit dem über ihm b<*findlichen Subarachnoidealraum verkehrt.
Die Tela choroidea inferior bildet in der vierten Himkanuner den ]>aarigen, an
die Auskleidungshaut der Kammer ad!iHrent4Mi Pfextut chontideuM rentriculi ifunrfi,
welcher sich mit zwei Flügeln längn den Flockenstielen hin erHtreokt, mit d«Mn
Adergeflecht der dritten Kammer aber nicht zusammenhängt.
*) "Omp 'HpociAo; £uca^ev avayXu^>5 xsXijiou, Ilerophihm cwiii exritum
calaini camparatnff Oalennii, de nfuit, odminiMtr, L. IX. cap, 4,
§. 349. Embryohirn. 869
Wird eine Hemisphäre des kleinen Gehirns quer durch-
geschnitten, so sieht man in ihrem mit Aesten und Zweigen be-
setzten weissen Marklager, nach vorn und innen den gezackten
Körper, Nudem dentatus, Corpus rhomboideum s. ciliare, als einen
weissen, mit einem grauen zackigen Saume eingehegten Kern der
Hemisphäre.
§. 349. Embryoliirn.
In den ersten Entwicklungsstadien besteht das Embryohirn
aus drei hinter einander liegenden, und unter sich communicirenden,
häutigen Blasen, deren dritte mit dem gleichfalls häutigen Rücken-
marksrohr zusammenhängt. Die häutige Wand der Blasen ist die
zukünftige Ka mater. Man nennt die drei Blasen: Vorder-, Mittel-
und Hinterhirn. Sie sind mit gallertigem Fluidum gefüllt. Auf dem
Boden der hinteren und mittleren Blase, und an den Seiten der
vorderen entstehen Ablagerungen festerer Nervensubstanz, welche
sich allmälig längs der Wände der Blasen nach oben ausdehnen.
Die hintere Blase bildet das Substrat der Entwicklung des kleinen
(lehirns; aus der mittleren Blase wird der Vierhügel; aus der vor-
deren entwickeln sich zunächst nur die beiden Sehhügel. Die
durch Nervensubstanz nicht ausgefüllten Höhlenreste der Blasen
sind, für die hintere Blase: die vierte Hirnkammer, für die mittlere:
der Aquaeductus Sjjlvii, für die vordere: die dritte Gehirnkammer.
Da an der vorderen Blase die Ablagerung von Nervensubstanz
nicht auch die obere Wand der Blase in Anspruch nimmt, erklärt es
sich, warum die dritte Gehirnkammer auch im fertigen Gehirn, oben
nur durch den als lela choroidea superior erwähnten Antheil der Pia
mater abgeschlossen erscheint.
Die Hemisphären des grossen Gehirns entstehen als Aus-
buchtungen der vorderen Blase. Es wuchern nämlich aus der unteren
Wand dieser Blase, zwei in der Mitte miteinander verlöthete Bläs-
chen hervor, welche an ihrer oberen Fläche eine Furche zeigen,
welche mit der spaltförmigen Höhle der dritten Gehirnkammer zu-
sammenhängt. Dieses Doppelbläschen, an dessen Grunde sich die
Corpora striata entwickeln, imd dessen mittlere Verlöthung dem
zukünftigen Corpus adlosum entspricht, wächst sehr rasch nach
oben, und dann nach hinten an, so dass es die drei primären Blasen
gänzlich von oben her überlagert. Die beiden Furchen des Doppel-
bläschens kommen durch dieses Umschlagen des Bläschens an seine
untere Fläche zu liegen, und stellen, unter zunehmender Vertiefung
und Ausweitung ihres Grundes, die e»*** ^ * * '" Seitenkammem
des grossen Gehirns dar, J " "depde
870 §. 850. Rftdcenmirlc.
Einfaltung scheidet die sich eben entwickelnden beiden Grosshim-
Hemisphären immer mehr von einander ab. Das rasche Anwachsen
der, den beiden Grosshirn - Hemisphären zu Grunde liegenden
Doppelblase im engen Räume der Schädelhöhle, bedingt nothwendig
Faltungen ihrer Oberfläche, welchen die Gyri ihre Entstehung
verdanken.
An der hinteren Hirnblase müssen zwei Theile unterschieden
werden. In dem vorderen Theile wölbt sich die Nervensubstanz
oben vollständig zusammen, und bildet dadurch die erste Anlage
des kleinen Gehirns, während die untere Wand sich zur Varols-
brücke entwickelt. In dem hinteren Theile dagegen wuchert die
Nervensubstanz nur auf dem Boden desselben, es entsteht kein
Gewölbtheil, und die Höhle des Hinterhirns ist somit nach oben
und hinten offen, als Kautengrube.
§. 350. Mckenmark.
Der in der Rückgratshöhle eingeschlossene, platt-cylindrische
Abschnitt des centralen Nervensystems, heisst Rückenmark, 3/e-
didla spincUis ([/.ueXö? ^oc/ivq^ bei Galen, [/.usXo^ vwnaCo; bei Hippo-
c rat es, von v(i)TO?, Rücken, woher phthisis notias, Rückcnmarks-
darre bei älteren Nosologen). Dasselbe verhält sich, dem Scheine
nach, zum knöchernen Rückgrat, wie das Mark zu den lang-
röhrigen Knochen. Dieser rohe Vergleich veranlasste seinen Namen.
Es geht ohne scharfe Grenze nach oben in die Medvlla ohlo7igata
über, und endigt unten schon am ersten oder am zweiten l-«enden-
wirbel mit einer stumpf kegelförmigen Spitze (Conus terminalis),
von welcher das Füum terminäh (§. 343) sich bis zum Ende des
Sackes der harten Rückenmarkhaut erstreckt.
Mit jeder Beugung des Rückgrats rückt der Con^is medullär^ etwas hciher.
Ein durch das Ligamentum intervertebrale zwischen letzten Brust- und ersten
Lendenwirbel eingestossenes Scalpell, trifft den Conus medttUaris nicht mehr, wenn
der Rücken der Leiche gebogen war. Aus diesem Gnmde wird auch bei Buckligen
das Rückenmark höher als sonst, nämlich schon am letzten Rückenwirbel, enden.
— Das Rückenmark bildet keinen gleichförmig dicken Strang; denn am Halse
imd gegen sein unteres Ende zu, erscheint es dicker als in der Mitte Heines
Brustsegments. An beiden genannten Orten (Hals- und Lendenanschwellung')
treten die stärksten Nerven des Rückenmarks ab. Es kann überhaupt als Regel
gelten, dass die Dicke des Rückenmarks im geraden Verhältniss mit der Dicke
der stellenweise abzugebenden Nerren zunimmt Die vergleichende Anatomie
liefert die triftigsten Belege dafür. 8o erscheint bei jenen Fischen, deren Brust-
flossen sich zu mächtigen Schwingen entwickeln, wie bei den fliegenden Fischen,
jener Theil des Rückenmarks, welcher die Nerven zu den Flossen entsendet, un-
verhältnissmässig dick. Bei den Fröschen ist jene Anschwellung des Rückenmarks,
aus welcher die Nerven für die hinteren, muskelstarken Extremitäten entstehen,
§. 350. Rftckenmark. 871
ungleich grösser, als die vordere Anschwellung, welche den Nerven der vorderen
schwächeren Extremitäten ihre Entstehung giebt. Bei den Schildkröten, deren
Rumpfherven, wegen des unbeweglichen Rückenschildes, sehr mangelhaft ent-
wickelt sind, bildet das Rückenmark am Ursprung der Nerven der vorderen und
hinteren Extremitäten zwei ansehnliche, nur durch einen relativ dünnen Strang
mit einander verbundene Intumescenzen.
Das Kückenmark besteht aus zwei halbcylindrischen Seiten-
hälften, mit äusserer mark weisser Rinde und innerem grauen
Kern. Beide Seitenhälften liegen ihrer ganzen Länge nach so dicht
an einander, dass sie nur Einen Cylinder zu bilden scheinen, an
welchem jedoch die Gegenwart eines vorderen und hinteren
Sulcus longttudincdis, den Begriff der Paarung seitlicher Hälften auf-
recht erhält. Der seichte Sulcus longäudinalis posterior ist nur am
Ilalssegment des Kückenmarks, und gegen den Conus termincUis zu,
deutlich ausgesprochen: der tiefere anterior erstreckt sich aber durch
die ganze Länge des Kückenmarks. Beide Sulci nehmen falten-
förmige Fortsätze der Pia mater auf.
Man spricht auch von zwei Stäci laterale*, einem anterior und posterior,
an der Seitenfläche des Rückenmarks. Wenn man unter StUci laterale» die Ur-
spnmgslinien der vorderen und hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven versteht,
mögen sie hingehen. Wahre Furchen, mit faltenförmiger Verlängerung der Pia
niater in sie, sind sie aber nicht.
Die grauen Kernstränge beider Seitenhälften des Rückenmarks
werden durch eine mittlere graue Commissur unter einander
verkoppelt. Unmittelbar vor dieser greift auch eine Verbindung der
Marksubstanz beider Seitenhälften durch die vordere weisse
(Kommissur Platz, welche dem Grunde des Suiciis longitudinalis
anterior entspricht. Zwischen beiden Commissuren befindet sich der,
an dünnen Querschnitten leicht erkennbare, sehr feine, mit Flimmer-
epithel ausgekleidete Central kanal des Rückenmarks.
Gegen die Spitze des Conua termmalvt verschwindet die graue Commissur,
wodurch das Ende des Centralkanals mit der hinteren Längenfurche zusammen-
fliesst, somit an der hinteren Seite der Conusspitze eine spaltf^rmige Oeffnnng
sich herstellt, welche, ihrer nach aussen etwas umgelegten Seitenränder wegen,
Simu rhomboidal i» benannt wird.
Querschnitte des Rückenmarks in verschiedenen Höhen geführt,
belehren über das räumliche Verhältniss der weissen Rinden- und
grauen Kernmasse. Das Bild gestaltet sich aber anders, je nach
der Höhe, in welcher das Rückenmark durchschnitten wurde. Im
Allgemeinen lässt sich sagen, dass jeder Seitcntheil des grauen
Kerns die Gestalt einer nach aussen concaven, nach innen convexcu
Platte hat. Die convexen Flächen beider Platten hängen durch die
mittlere graue Commissur zusammen, und gewähren somit im Quer-
durchschnitt die Gestalt eines J{, Die beiden hinteren Hörner dieser
Figur sind länger und dünner, um dii po&tmor
872 §. SM. Rftckennark.
gerichtet, welchen sie fast erreichen. Die vorderen Hörner sind
kürzer und dicker, und sehen gegen den Sulcus lateralis anterior.
Die hinteren Hörner verdanken ihre grössere Länge einer Auf-
lagerung von gelblicher, gelatinöser, zellenführender, aber ihrem
Wesen nach nicht näher bekannter Substanz (Suistantia gelatinoaa,
Rolando), welche auch die nächste Umgebung des Central-
kanals bildet.
Der Vergleich vieler, in verschiedenen Höhen des Rückenmarks gelegter
Querdorchschnitte lehrt femer, dass die weisse Masse stetig von unten nach oben
an Mächtigkeit gewinnt, die graue Masse dagegen durch ihr stellenweises An-
wachsen, die stellenweisen Verdickungen des Rückenmarks (Hals- und Lenden-
anschwellung) bedingt.
Die weisse Rindensubstanz des Rückenmarks besteht nur aus Nervenfasern,
mit theils longitudinalem, theils transversalem Verlauf. Die longitudinalen Faser-
züge erzeugen die gleich näher zu betrachtenden Rückenmarksstränge; die
transversalen dagegen sammeln sich zu den Wurzeln der Rückenmarks-
nerven. — Der graue Kern des Rückenmarks besteht, nebst grauen Nerven-
fasern, vorzugsweise aus multipolaren, granulirten Ganglienzellen, mit verästelten
Fortsätzen, von welchen es feststeht, dass sie theils in die Fasern der Rückenmarks-
nerven, theils in die Fasern der Rückenmarksstränge übergehen, tlieils aber zur
Verbindung der Zellen unter einander verwendet werden. Der Zusammenhang
der Wurzeln der Rückenmarksnerven mit den Rückenmarkssträngen ist somit kein
directer, sondern ein durch die Zellen des grauen Kernes vermittelter. Dieses
wurde wenigstens für die vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven mit Bestimmt-
heit erkannt. — Die Frage, ob jede vordere Nervenwurzelfaser mit einer Faser
der vorderen Rückenmarksstränge correspondirt, muss verneinend beantwortet
werden, denn genaue und übereinstimmende Zählungen haben nachgewiesen, dass
die Menge der Fasern im Halssegment der Rückenmarksstränge dreimal kleiner
ist, als die Summe der Fasern der vorderen Nerven wurzeln. Die Fasern der
vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven mussten also durch die Zellen der
grauen Substanz gnippenweise zusammengefasst , und die Verbindimg dieser
Gruppen mit dem Gehirne, gemeinschaftlichen Leitungswegen übertragen worden
sein. — Wir wissen femer mit Bestimmtheit, dass die Fasern der vorderen moto-
rischen Wurzeln der Rückenmarksnerven, aus den Ganglienzellen der vorderen
Homer des grauen Kernes, die Fasern der hinteren sensitiven Wurzeln der
Rückenmarksnerven dagegen, aus den Ganglienzellen der hinteren Homer ihren
Ursprung ableiten. Beide Arten von Ganglienzellen sind in ihrem Habitus sehr
verschieden. Die Ganglienzellen der vorderen Homer sind gross, unregelmässig
an Gestalt, mit zahlreichen Fortsätzen, und einem Kern (ohne Kemkörperchen),
welcher sich durch Karmin viel stärker färbt als der Zelleninhalt, während die
Zellen der hinteren Homer kleiner sind, zugleich auch mndlicher, und einen Kern
enthalten, welcher durch Karmin sich viel weniger färbt als der Zelleninhalt.
Man hat es erst in neuester Zeit erkannt, dass auch das Bindegewebe ein
berücksichtigenswerthes Constituens des Rückenmarks abg^ebt. Bindegewebige
Fortsätze der Pia maier nämlich, welche in das Innere der Rückenmarksmasse
eingehen, bilden eine Art von Gerüste, für die Einlagemng der faserigen und
zelligen Elemente des Rückenmarks. In der grauen Substanz des Rückenmarks
wurde dieses Gerüste mit Sicherheit constatirt, ja man ist selbst geneigt, die Siib-
»tanUa gdatmoaa ganz und gar für hyalines Bindegewebe anzusehen.
§. S51. Einiges fiber Stnxetnr des Oebirns und Rflekenmarks. 873
Durcli die Riclitung der Sulci wird die Oberfläclic des Rücken-
marks in sechs longitudinale markweisse Stränge getheilt. Diese sind:
a) Die beiden vorderen Stränge, rechts und links vom
Sidcus longüuJmalia anterior. Ihre innersten und zugleich tiefsten
Fasern kreuzen sieh im Grunde des Sulcus longitudinalü anterior,
wodurch die früher erwähnte vordere, weisse Commissur des
Rückenmarks entsteht.
h) Die beiden Seitenstränge, zwischen den Ursprüngen der
vorderen und hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven.
c) Die beiden hinteren Stränge, zu beiden Seiten des
Sulcus longitudinalis posterior»
Die Zahl dieser Stränge wird gegen den ersten oder zweiten Halswirbel
hinauf, durch einige neue, zwischen ilinen auftauchende Strangbildungen vermehrt.
So schieben sich zwischen beiden vorderen Strängen die beiden Pyramide n»
stränge ein, welche im Aufsteigen breiter werden, und in die beiden Pyramiden
der Medidia oblongata übergehen. Im Atlasring kreuzen sich die inneren Faser-
bündel der Pyramidenstränge im Sulnu hnigitudirudi» aiüerior (Decusaalio jpyro-
niidumj. Zwischen den beiden hinteren Strängen tritt zunächst am Sulcus longi-
tudincUin podlerior ein neues Strangpaar auf — die zarten Stränge, und der
noch übrige Rest der hinteren Stränge, führt von nun an den Namen der Keil-
stränge. Die zarten und die Keilstränge bilden das Corpus rfistifornip der be-
treffenden Kleinliirn-TIemisphäre.
§. 351. Einiges über Structur des Gehirns und Rückenmarks,
Was in den vorausgegangenen Paragraphen gesagt wurde, be-
trifft nur die Lage, Gestalt, und die Art des Nebeneinanderseins
der einzelnen Gehirnorgane. Ihr innerer Zusammenhang unter sich
und mit dem Rückenmark, ist der Gegenstand einer besonderen
Untersuchung eigens hiezu vorbereiteter und in Chromsäure ge-
härteter Gehirne. Die schönsten und lehrreichsten Gehirnpräparate
dieser Art, hat Professor Betz in Kiew, nach einer von ihm er-
fundenen Methode bereitet. Ich habe Gelegenheit gehabt, sie auf
der Wiener Weltausstellung zu bewundern.
Die Ergebnisse der Untersuchung gehärteter Hirnschnitte sind
jedoch noch nicht so weit gediehen, um Anspruch auf Vollkommen-
heit machen zu können, und es dürfte, wenn es je geschehen sollte,
einer späten Zukunft vorbehalten sein, diese Lücke der anatomischen
Wissenschaft auszufüllen.
Die bisherigen Versuche, den Gehirnorganismus unter einem
einheitlichen Gesichtspunkte aufzufassen, waren auf Verfolgung der
Markfasern vom Rückenmark zum Gehirn, und ihre Beziehungen
zu der grauen Substanz gerichtet. Einen gedrängten Ueberblick
874 S* ^1* Einiges fib«r Stnietur dos Gehirns and Uücksnmarks.
dessen, was man bereits in dieser Richtung gewonnen, enthält
folgende Schilderung.
1. Die graue Substanz des Gehirns und Kückenmarks enthält
bei weitem mehr Ganglienzellen als Nervenfasern, und erzeugt des-
halb für sich allein keine gefaserten Bündel oder Stränge. Sie setzt
sich vom Kückenmark, dessen grauen Kern sie bildet, längs des
Bodens der vierten und dritten Kammer durch den grauen Hügel
bis in den Trichter fort. Andererseits erscheint sie theils als con-
tinuirliche Belegungsraasse der Windungen des grossen und kleinen
Gehirns, theils in Form von selbstständigen, grösseren oder kleineren
Klumpen grauer Masse, welche theils Markfasern des Gehirns und
des Kückenmarkes zugeführt erhalten, theils auch neue Faserzüge
aus sich entstehen lassen, welche sich an dem Aufbau des Gehirn-
organismus und an der Erzeugung der Wurzeln der Gehirn- und
Kückenmarksnerven betheiligen. Solche selbstständige graue Massen
im Grosshim und im verlängerten Marke sind: die grauen Kerne
der Oliven, der Hemisphären des kleinen Gehirns, der Vier-, Sch-
und Streifenhügel, die graue Einschaltungsraasse der Varolsbrücke,
das Tubercidum dnereum der Corpora restiformia, die grauen Ur-
sprungskerne mehrerer Hirnnerven im Boden der vierten Gehirn-
kammer, der Linsenkern, die Vormauer, die Mandel des grossen
Gehirns, u. a. m.
2. Die drei weissen paarigen Stränge des Rückenmarks gehen
in die drei Stränge der MediUla ohlongata über, welche früher als
Pyramidenstränge, Olivenstränge, nnA Coiyora restiformia angeführt
wurden. Der Uebergang vollzieht sich aber mit einer bemerkens-
wcrthen IJmordnung der Fasern, so zwar, das» die Seitenstränge
des Kückenmarks in die Pyramiden, die vorderen Stränge in die
Oliven, und die hinteren in die Onpora restifonnia sich umwandeln.
Die Pyramiden verlängern sich sodann in die Pedimcidi cerehri,
die Oliven gehen in die Vierhügel über, und die Coiyora resti-
fonnia streben, als Pedunculi cerehel/i, dem kleinen Gehirn zu.
Genauer betrachtet, ereignet sich hiebei Folgendes. Nicht die Ge-
sammtheit der Fasern der hinteren Kückenmarksstränge geht in
die Coi'pora restiformia über. Ein Theil dieser Fasern begiebt sich
auch zur Haube. Der Seiten st rang zerlegt sich in drei Bündel.
Das hintere hilft das Corjms restiforme erzeugen; das mittlere wird
zum runden Strang der Kautengrube, welcher zugleich mit den
Crara cerebelli ad corpora quadrigemina, die (irundlage der Haube
bildet; — das vordere wird zur Pyramide. Da nun der vordere
Kückenmarksstrang zur Olive wird, und diese zum Vierhügel geht,
welcher hinter und über dem Fedunculus cerehri und der Haube
liegt, so müssen die vorderen Kückenmarksstränge in ihrem Auf-
steigen zum Vierhügel den runden Strang und die Pyramide ihrer
§. S51. Einiges üb«r Stnictnr Am Gehirni und Rückenmarks. 875
Seite schliiigeiiförmig umfassen^ wodurch die Schleife^ LemmscuSj
gegeben ist.
3. Die soeben angeführten Faserzüge bilden den Stamm des
grossen und kleinen GebinuL Er besteht für das Grosshirn aus
Peduncidtis cerebri und Haube, ftkr das Kleinhirn aus dem Peduneulua
cerebdlu Die grauen Massen, in weldie sich der Hirnstamm ein-
senkt, wei-den als Stammganglien bezeichnet. Sie sind bereits in
1. dieses Paragraphen genannt.
4. Aus den Stammganglien gehen wieder massenhafte Faser-
züge hervor, welche, anfangs in dickere Bündel zusammengefasst,
dann in verschiedener Richtung auseinanderstrahlend, zur Rinde
des Gross- und Kleinhirns aufsteigen, und Stabkranz, Corona
radiata, benannt werden. Die Fasern der Corona radiata stehen
mit Aesten der Ganglienzellen der Rindensubstanz in Zusammenhang.
5. Die Radiationen des Stabkranzes werden aber zugleich
durch Faserzüge durchsetzt und umfasst, welche theils die Hemi-
sphären unter einander, theils das Kleinhirn mit dem Grosshim,
theils einzelne Stammganglien gegenseitig verbinden. Sie heissen:
Coramissuren. Die Commissuren zwischen den Hemisphären des
Grosshirns sind: Das Corpus callosum und die Commissura anterim*
et posterior der dritten Kammer. Die Commissuren der Kleinhim-
hemisphären sind: Der Pons Varoli und der Wurm, — die Commis-
suren zwischen Gross- und Kleinhirn sind: die Ci*ura cerebdli ad
Corpora quadrigemma, — zwischen Vierhtigel, Haube und Sehhügel:
das BracMum anticum und posticum des Vierhügels. Das Braddum
anticum verbindet den Vierhügel mit dem Sehhügel, das posticum
mit der Haube. — Die Cinira cerebelll ad corpora quadrigerruna zeigen
noch die auffallende Einrichtung, dass sie sich nicht ganz an die
runden Stränge anschliessen, sondern ein unteres Bündel derselben
sich unter den runden Strängen mit dem der anderen Seite im
Bogen vereinigt, wodurch die sogenannte hufeisenförmige Com-
missur entsteht. Aus dieser treten dann die vom rechten Crus
cerebdli stammenden Fasern zur linken Haube, und umgekehrt, so
dass die hufeisenfiirmige (^ommissur eigentlich eine Kreuzung der
unteren Bündel der Crura cerebdli darstellt. — Stabkranz, (Kommis-
suren und Rindenwindungen (Gyri) werden als Hirnmantel dem
Hirnstamme (3.) gegenüber gestellt.
6. Von der grössten (^mraissur — dem Balken — lassen sich
Faserzüge weit in das Marklager der Grosshirnhemisphären ver-
folgen. So z. B. werden jene, welche als Strahlungen des Splenium
corporis callosi beiderseits in die Hinterlappen der Hemisphären ein-
treten, ihrer gegen einander gerichteten concaven Krümmungsseiten
wegen, hintere Zange (Forceps posterior) genannt. Ein anderer
Theil der ßalkenstrahluug, we' ' hinteren and
876 §. SA2. Entet Pur.
unteren Hornes der Seitenkaramer bilden hilft, ist die Tapete, und
die seitlichen Ausstrahlungen des Balkenknics in die Vorderlappen
des Grosshirns werden, eines ähnlichen Verhaltens wegen, wie wir
es an den Strahlungen des Splenium erwähnt haben, als vordere
Zange (Forcepa anterior) aufgeführt.
7. Die äussere Oberfläche der Qyri und die innere Oberfläche
der Wände der Ilirnkammern wird mit einer äusserst dünnen Lage
weissgelblicher Substanz überzogen, welche an der Oberfläche des
Gehirns die graue Rindensubstanz durchscheinen lässt, und deshalb
sich lange der Beobachtung entzog. In den Kammern bildet diese
Lage Faltungen, welche wie Streifen oder Schnüre aussehen, und
als sogenanntes Chordensystem der Gegenstand einer ausfuhrlichen
Untersuchung wurden, deren sich grösstentheils auf den Fundort
derselben beziehende Resultate in Bergmannes Untersuchungen
über die innere Organisation des Gehirns, Hannover, 1831, nieder-
gelegt wurden. Die Wandelbarkeit dieser Chorden, ihr wahrschein-
lich durch den Collapsus des Gehirns im Cadaver mitunter bedingter
Ursprung, und der durch sie in die Gehirnanatomie eingeführte
Wust von neuen Namen, lässt sie hier füglich übergehen.
Dieses Wenige mag dem Anfänger genfigen, der gewöhnlich schon mit der
Nomenclatnr der Himtheile sich zufrieden g^ebt. WiH er in einem so dunklen,
aber anregnngsvollen Gebiet sich weiter umsehen, als der enge Horizont eines
Schulbuches gestattet, findet er in den in der Literatur angegebenen Werken,
Stoff genug für die Befriedig^ing seiner Wissbeg^erde.
B, Peripherischer Theil des animalen
Nervensystems.
Nerven.
1. (t 0 li i r n n e r V e n.
§. 352. Erstes Paar.
Da8 erste Paar der zwölf Uehirnnervcn*), ist der Riech- oder
Geruchsnerv, Nervus olfactorius. Er entspringt am inneren Ende
*) Auf hartmäuligem Pegasus wurden von mir folgende lateinische Gedächt-
nissverse über die Succession der zwölf Gehirnnerven geschmiedet!
Nervonira capitis ducit olfactorius agmen,
Succedit f6r»i«7w, oc»i/o#que moveiif, peUienaqu*".
Trifidtis, abducena, facialis, arusticiis, inde
Gtossophari/ngeiis, deincwp» uayus atque reatrreiu,
Bis seni ut fiant, hypoylosso clauditur agmen.
S. 952. Entes Paar. 877
der Fo88a Sylvii aus der Ca^'uncula mammülaris 8, Triganum olfac-
torium, als ein anfangs breiter, aus drei eonvergenten Wurzelsträngen
(deren mittlerer grau ist) gebildeter, dann sieh dreikantig ver-
schmälemder Streifen (Tractti8 olfactoriu8). Der reelle Ursprung
seiner Wurzeln im Gehirn wird im Streifenhügel und in der vor-
deren Commissur angenommen.
Ich unterscheide hier, wie bei allen übrigen Himnerven, einen schein-
baren, und einen wirklichen Ursprung. Der scheinbare ist durch den Ort ge-
geben, wo ein Himnerve sich von der Oberfläche eines bestimmten Himtheiles
abzweigt Der wirkliche oder reelle Ursprung ist für alle Gehimnerven nur theil-
weise bekannt. Ich sage theilweise, da man allerdings die Himnerven eine
Strecke weit in das Gehirn hinein, bis zu gewissen grauen Herden desselben ver-
folgte, ohne jedoch sicher zu sein, dass der betreffende Nerve sich nicht auch
weiter fort zu anderen Ursprungsherden verfolgen Hesse.
Der Riechnerv verläuft in einer Furche der unteren Fläche
des Vorderlappens^ mit dem der anderen Seite etwas convergirend
nach vorn, und schwillt auf der Lamina cribrosa des Siebbeins zu
einem länglich runden, flachen, grauen Kolben (Riechkolben,
Bulbus olffictorivs) an. Von der unteren Fläche dieses Kolbens gehen
zwei Reihen dünner und weicher Faden ab, welche, mit scheiden-
artigen Fortsätzen der harten Hirnhaut umhüllt, durch die Löcher
der Lamina cribrosa in die Nasenhöhle treten. Hier bilden sie durch
Spaltung und Vereinigung Netze, welche an der Nasenscheidewand
und an der inneren Fläche der beiden Siebbeinmuscheln sich nach
abwärts erstrecken, und pinselartig gruppirte, kurze Fädchen in
die Nasenschleimhaut schicken. Diese sollen in die von M. Schnitze
entdeckten, zwischen den Epithelialzellen eingeschalteten Riech-
zellen (§. 215) so übergehen, wie die Fasern dos Opttcwt in die
Stäbe der Netzhaut. Am mittleren Theile der Nasenscheidewand
langen die Netze des Riechnerven fast bis auf den Boden der
Nasenhöhle herunter, am Siebbeinlabyrinth dagegen nur bis zum
unteren Rande der mittleren Nasenmuschel. Bis zur unteren Nasen-
niuschel reicht kein Olfactoriusast herab. — An der Bildung der
Netze des Nei*vu8 olfactorius haben die Nasenäste des fünften Paares
keinen Antheil.
Der Tractm olfactorius ist eine wirkliche Fortsetzung der Mark-
substanz des Gehirns, und besteht aus denselben marklosen Fasern,
wie diese. Ebenso gleichen die Oanglienzellen des Riechkolbens,
jenen der grauen Hirnsubstauz. Es liesse sich somit der Tracius
olfactorius und sein Bulbus, eigentlich als ein vorgeschobener Posten
des Gehirns, nicht als ein Nerv ansehen. Die Bedeutung wahrer
Nerven kommt erst den Nasenästen des Riechkolbens zu, welche
aber ausschliesslich aus grauen (gelatinösen) Fasern zusammen-
gesetzt sind.
878 §. 358. Zweites Paar.
Man sieht den Tracttu ol/aclorius, ohne alle Präparation, ait der unteren
Fläche der Vorderlappen des Grosshims frei verlaufen. Die schwer zu pr&parirenden
Verzweigungen des Nervus olfactariiu in der Nasenschleimhaut, lassen sich am
oberen Theile der senkrechten Nasenscheidewand am besten darstellen.*)
An den Durchschnitten in Weingeist gehärteter Riechkolben trifft man sehr
häufig eine kleine Höhle an, als Ueberrest der embryonalen röhrenförmigen Bil-
dung des Riechnerven, als Ausstülpung der vorderen Gehimblase. Bei vielen
Säugethieren kommt sie regelmässig vor.
Der Nervus olfactorins gilt für den einzigen Vermittler der Geruchsempfin-
dungen. Die Nasenäste des fünften Paares sind für Gerüche unempfänglich, und
erregen, als Tastnerven, nur besondere Arten von TastgefUhlen, wie Jucken, Kitzel,
Beissen, Stechen, u. s. w. , welche allerdings die Intensität der Geruchswalir-
nehmungen deutlicher zum Bewusst^ein bringen, aber von den specifischen Gemclis-
eindrücken wohl zu unterscheiden sind. — Zerstörung des Nervus dfactoriuSf
Atrophie, Compression durch naheliegende Geschwülste, vernichtet diMi Geruchs-
sinn, während die Nasenschleimhaut für Reize anderer Art noch empfindlich
bleibt. Magendie^s Angaben, dass die Nasenäste des fünften Paares, nach
Durchschneidung des Olfactorius bei Hunden und Kaninchen, noch den Geruch
vermitteln, lassen sich gründlich widerlegen. Wenn die Thiere, deren Riechnerven
durchgeschnitten wurden, auf Ammoniakdämpfe durch Schnauben und Niessen
reag^rten, so wirkten diese Dämpfe gewiss nicht als Riechstoffe, sondern als
chemische Reize, für welche die Nasenäste des fünften Paares eben so gut
empfänglich sind, wie die Tastnerven der Haut, welche auf Einreibung von Ae^z-
ammoniak, durch prickelnde und stechende Gefühle reagiren. Solche Gefühle, in
der Nase erregt, führen nothwendig zur Reflexbewegung des Niessens. — Mir ist
ein Fall bekannt, wo eine Exostose der Crista galli, den Geruch in der rechten
Nasenhöhle verlieren machte.
Die Physiologie des Geruchsinnes hat noch viel Dunkles, wozu die so gut
als unbekannte Natur der Riechstoffe das Ihrige beiträgt. Wenn der in §. 215
erwähnte Zusammenhang der Riechzellen mit den Primitivfasern des Nervus
ol/actorius, nicht blos Annahme, sondern Thatsache wäre, so würde sich das
Geruchsorgan in der beispiellosen Lage befinden, dass seine Nerven frei an der
Luft endigen, imd somit durch die Riechstofi'e direct afficirt werden können.
Sehr genaue Zusammenstellungen aller Ansichten über den centralen Ur-
sprung des Riechnerven enthält PresacWs Dissertation: Sur un cas d^absence du
nerf olfactif. Paris, 1837. Ueber die periphere Endigung des Riechnerven siehe
K Oehl, sulla terminazione apparente del nervo olfattorio. Milano, 1857. — Nach
Meynert steht die vordere Commissur der dritten Hirnkammer, in derselben Be-
ziehung zu den beiden Riechnerven, wie das Chiasma zu den Sehnerven. Es sollen
Kreuzungen stattfinden.
§. 353. Zweites Paar.
Das zweite Paar, der Sehnerv, Nervtis opticus, Porus opticus,
wie ihn Galen nannte, entspringt aus dem Thalamm opticus, dem
Corpus quadrigeminum und geniculatum extemum, schlingt sich als ein
platter, bandartiger und weicher Streif (Tractus opticus) um den
*) Als Hauptregel für die Präparation aller Kopfnerven gelte: den Verlauf
derselben bereits gründlich zu kennen. Alles Technische dazu enthält das fUnfte
Buch meiner praktischen Zergliederungskimst.
$ 353. ZwvitM Vu^. 879
Hirnschenkel von aussen nach unten und innen herum^ und nähert
sich dem der anderen Seite so sehr, dass beide vor dem grauen
Hügel zusammenstossen, und durch Decussation ihrer Fäden die
sogenannte Sehnerve nkreuzung, Chiasma, bilden. Von dieser
aus werden beide Sehnerven als rundliche und harte Stränge diver-
gent, treten durch das entsprechende Foramen opticum des Keilbeins
in die Augenhöhle, und gelangen durch das Fettlager, welches den
pyramidalen Raum zwischen den geraden Augenmuskeln ausfüllt,
zum Bulbus, dessen Sclerotica und Choroidea sie durchbohren, um
sich zur Faserschicht der Netzhaut zu entfalten. Das durch die
Augenhöhle ziehende Stück des Nerven ist etwas nach aussen ge-
krümmt, und besitzt unter allen Nerven das dickste Neurilemm,
welches von der harten Hirnhaut stammt, und in die Sclerotica
übergeht.
Herkömmlichen Ansichten nach, Hess man im Chiasma nur die inneren
Fasern beider Sehnerven sich durchkreuzen. Biesiadecki dagegen steUte ihre
vollständige Kreuzung fest. (Sitzungsberichte der kals. Akad. 1860, N. 21.) — Am
vorderen Rande des Chiasma, sollen bogenförmige Verbindungen der Fasern beider
Sehnerven, imd am hinteren Rande des Chiasma ebensolche Verbindungen beider
Tractua opUci vorkommen (Majo, Hannover).
Der Sehnerv enthält in seiner Axe, die Arteria centralis retinae, welche,
nahe am Foranien opUcuMy in ihn eindringt, und mit ihm zur Netzhaut geht Man
könnte also insofeme den Sehnerv hohl sein lassen, um den Gale naschen Aus-
druck: Portu opticus zu retten. Aber an dieses Hohlsein hat Galen sicher
nicht gedacht.
Der Sehnerv reagirt, als specifischer Sinnesnerv, nur durch Licht- und Farben-
empfindung auf Reize aller Art, welche ihn treffen. Er ist kein Leiter für
Empfindungen anderer Art. Bewegungen veranlasst er, wie der Riechnerv, nur
auf dem Wege der Reflexion, in Theilen, zu welchen er selbst nicht geht.
J, Müller, vergleichende Physiologie des Gesichtssinnes. Leipzig, 1826. —
W. Stein^ diss. de thalamo optico et origine nervi optici, etc. Hafn., 1834. —
Nicolucci, sul chiasma dei nervi ottici (Filiatre, Sebezio, 1846, pag. 321). — B. Beck,
über die Verbindungen des Sehnerven mit dem Augen- und Nasenknoten. Heidelb.,
1847. — J, Wagner, über den Ursprung der Sehnervenfasern. Dorpat, 1862. —
J, Hirschberg, zur Sehnervenkrenznng, in Virchow^s Archiv, 66. Bd.
Die guten Wiener werden sich freuen, dass schon im Jahre 1676, in Wien, wo
\nt^ zu dieser Zeit kein einziges anatomisches Opus gedruckt wurde, ein Werk,
in Folio, über den Sehnerv, von Zacharias Traber veröffentlicht wurde,
welches, anno 1690, eine zweite Auflage erlebte. Der dünne Foliant enthält aber
leider nichts, was nicht schon in Const. Varolius', de nervis opt., Patav., 1573,
zu finden ist. Der erste Wiener Anatom, welcher gegen Ende des siebenzehnten
Jahrhunderts, in den Ephemeridibus naturae curiosorum, Ann, I, et IL, etwas von
sich hören Hess, war Laurentius Wolfstriegel. Er gab daselbst Einiges über
die Anatomie des Löwen und des Tigers, über das Keilbein, über Herzpolypen,
und über einen an einem Kinde beobachteten verwachsenen After.
880 §. S&4. Drittes, viertes und sechstes Paar.
§• 354. Drittes, viertes und sechstes Paar.
Diese drei Paare versorgen die in der Augenhöhle befindlichen
Bewegungsorgane des Augapfels und des oberen Augenlids, wie
auch einige Binnenmuskeln des Auges. Ich behandle sie, der
Gleichheit ihrer Bestimmung wegen, unter Einem. Das vierte Paar
• innervirt von den sieben Muskeln in der Orbita nur den Musculus
iA^^-*A<.*-*or^j|j^^^^ ß^uyp^plop^ dag sechste nur den Musculus ofttiateiu; das dritte
Paar sendet seine Aeste zu den übrigen fünf Muskeln in der Augen-
höhle, zum Tensor choroideae und Sphincter pupillae.
Das dritte Paar, der gemeinschaftliche Augenmuskel-
nerv, Nervus oculomotorius, löst sich vom inneren Rande des Pedun-
cul'US cerebri ab, dicht vor der Varolsbrücke. Seine Fasern ent-
springen aus einem grauen Nucleus im Boden des Aquaeductus
Sylvii. Der Stamm des Nerven verlīfk anfangs zwischen der
Arteria cerebri profunda und Arteria cerebelli superior, schief nach
vorn und aussen, und lagert sich in die obere (äussere) Wand des
Sinus cavernosus ein, wo er sich mit den die Carotis interna um-
spinnenden sympathischen Geflechten durch ein bis zwei Fädchen
verbindet. Longet lässt ihn daselbst auch eine Anastomose mit
dem ersten Aste des Trigeminus eingehen. Hierauf betritt er, nach-
dem er sich in zwei Aeste getheilt, durch die Fissura orbitalis supe-
rior die Augenhöhle, und lässt an der äusseren Seite des Nervus
opticus seine beiden Aeste nach oben und unten divergiren. Der
Ramus superior ist kleiner, und versieht blos den Musculus levator
palpebrae sujyerioiis und den Rectus superior; der grössere Ramus
inferior zerföllt in drei Zwuige, welche den Rectus internus, Rectus
inferior, und Obliquus inferior versorgen. Der Zweig zum Obliquus
inferior muss unter allen der längste sein, weil der Muskel, welchem
er bestimmt ist, nicht wie die anderen, hinten am Foramen opticum,
sondern am unteren Kande der vorderen AugenhöhlenöfFnung ent-
springt. Dieser längste Zweig des Oculomotorius giebt die kurze
oder dicke Wurzel des Ciliarknotens ab (Radix brevis ». motoria
ganglii ciliaiis), deren Fasern in den Bahnen der ^em ciliares zu
den organischen Binuenmuskcln des Auges (Tensor choroideae und
Sphincter pupillae) gelangen.
Das vierte Paar, der Roll nerv, Nervus trochleaiis s, patheticus,
ist d<T dünnste Hirnnerv. Er hat unter allen Gehirnnerven, seines
weit nach hinten fallenden Ursprunges wegen, den längsten Verlauf
in der Schädelhöhle. Seine Fasern stammen aus zwei grauen Kernen
am Boden der vierten Cichirnkammcr. Sie laufen bogenförmig zur
grauen Gehirnklappc hinauf, wo man sie von beiden Seiten her
sich kreuzen Hess, was aber ganz gewiss nicht der Fall ist. Er
§. 854. Drittes, viertet und sechstes Pur. 881
schlägt sich hierauf um den Processus cerebdli ad corpora quadH-
gemina, und um den Pedunculus cerebri, nach vorn und innen herum,
liegt dicht unter dem freien Rande des Gezeltes, durchbohrt die
harte Hirnhaut hinter dem Processus clinoideus posterior, geht hier
mit dem ersten Aste des fünften Paares eine Verbindung ein, und
entsendet einige feine Fädchen in das Zelt des kleinen Gehirns
(Bidder). Er tritt dann durch die Fissura orhitalU superior in die
Augenhöhle, wo er über die am Foramen opticum entspringenden
Augenmuskeln weg nach innen ablenkt, um sich einzig und allein
im Musculus ohliquus superior zu verlieren. Zuweilen giebt er zur
Thränendmse einen Ast. Meinen Erfahrungen nach kommt dieser
Thränendrüsenast nur dann vor, wenn die Verbindung des Troch-
learis mit dem ersten Aste des Trigeminus fehlt, oder schwach ist.
Das sechste Paar, der äussere Augenmuskelnerv, Nervus
ahducens, entwickelt seine Fasern aus einen am Boden der Rauten-
grube dicht an der Medianfurche liegenden grauen Kern, aus welchem
auch die vordere Wurzel des siebenten Paares sich hervorbildet.
Er zieht nach vorn zur hinteren Wand des Sinus cavernosus, welche
er durchbohrt. Im Sinus cavernosus liegt er an der äusseren Seite
der Carotis cerebralis. Beide erhalten Ueberzüge von der Aus-
kleidungsmembran des Sinus. Wo er auf der Carotis aufliegt, er-
scheint er etwas breiter, und nimmt zwei Fäden vom Plexus caroticus
des Sympathicus auf. Hat er den Sinus cavernosus verlassen, so
geht er durch die Fissura orbitalis superior in die Augenhöhle, durch-
bohrt den Ursprung des Rectus extemus, und verliert sich nur in
diesem Muskel.
Die grauen, in der Basis der yierten Gehimkammer eingesprengten Kerne,
aus welchen die drei hier beschriebenen motorischen Nerven des Auges ent-
springen, bestehen aus Ganglienzellen, welche durch ihre Grösse, ihre zahlreichen
Aeste, und ihre unregelmässige Gestalt, vollkommen mit jenen Ganglienzellen
übereinstimmen, welche die vorderen Homer des grauen Kernes des Rücken-
marks bilden.
Die drei Nerven der Augenmuskeln sind vorzugsweise motorischer Natur.
Auf Reizung ihrer Ursprünge folgt keine Schmerzäusserung, welche erst eintritt,
wenn diese Nerven an entlegeneren Punkten, jenseits ihrer Anastomosen mit den
sensitiven Aesten des fUnften Paares, gereizt werden. — Die fünf Muskeln, welche
vom Nervus octUomotorius versorgt werden, haben ausgesprochene Tendenz zur
Mitbewegung, d. h. sie wirken immer in beiden Augen zugleich. — Die Ver-
engenmg der Pupille hängt von den motorischen Fäden ab, welche der XerviM
oadwnotoriwt zum Ganglion ciliare schickt, und welche in der Bahn der Nervi
ciliares zum Sphincter pupiÜM und zum Musculua eiliaris (Temor choroideae)
treten. Deshalb hat Durch schneidang oder Lähmung des Oculomotorius, Erweite-
rung der Pupille zur Folge. Richtet man das Auge nach innen and oben (darch
den vom unteren Zweige des Nervu» oeuUmOtoHnu hmiMr^'^— ■^-
inferiar), so verengert sieh die Pupille. — •'Di^
steht unter dem Einfliias dee B^WKfS^
Hyrtl, Uhrbnek d«r AaatMÜ«. 14. A
882 9. 355. Fünftes Paar. Erster Ast desselben.
Oruveilbier bat gezeigt, dass die aufl dem Trochlearis in das Zelt des
kleinen Oehirns abtretenden Nervenfaden, Aeste des Bamug jyrimu» trUjentini sind,
welcbe sieb an den Trocblearis nnr anlegen, um ihn alsbald als Zeltnerven ivieder
zu verlassen. — Die sympatbiscben Fäden, welcbe im Simi^ cavernojtiut an den
Abducens treten, bilden in der Regel ein oder zwei grössere, graue Stämnicben.
welche man früher für Aeste des Abducens und zugleich für die Hanptwurzeln
des Sympatbicus gehalten hat
§. 355. Fünftes Paar. Erster Ast desselben.
Das fünfte Paar, der dreiget heilte Nerv, Nervm trigeniinu^,
übertrifft alle anderen Hirnnerven an Stärke. Er entspringt, wie
ein Klickenmarksnerv, mit zwei getrennten Wurzeln. Die hintere,
stärkere, aus nahe hundert Fadenbündeln bestehende Wurzel taucht
aus einer Furche der vorderen Fläche des Cnis cerehdU ad pontem
auf. Sie ist sensitiv. Ihre Fasern lassen sich bis in die hinteren
Stränge des Rückenmarks verfolgen. Die vordere, viel schwächere
Wurzel wird von der hinteren bedeckt, stammt aus einem grauen
Nucleus, welcher im vorderen Theile des Bodens der vierten Ge-
hirnkammer liegt. Sie tritt zwischen den vorderen Querfasern des
Pon8 Varoli hervor. Sie ist rein motorisch. Beide Wurzeln legen
sich, ohne zu verschmelzen, an einander, werden durch die von
der Spitze des Felsenbeins zur Sattellehne ausgespannte Fortsetzung
des Gezeltrandes überbrückt, und gelangen in einen von der Dura
mater gebildeten, und über dem inneren Ende der oberen Fläche
der Felsenpyramide gelegenen Hohlraum (Cavum Meckeln). In
diesem Räume bildet die hintere Wurzel, durch Spaltung und Ver-
strickung ihrer Faserbündel, ein Geflecht, dessen Zwischenräume
Ganglienzellen einnehmen, so dass ein wahrer halbmondförmiger
Knoten — Ganglion Gasseri «. semilunare — entsteht, an dessen
Bildung die vordere Wurzel keinen evidenten Antheil hat.
Aus dem nach vorn, unten und aussen gekehrten convexen
Rande des Ganglion Gasseri, treten die drei bandartig flachen Aeste
des Quintus hervor, welche, ihrer Verästlungsbezirke wegen, JRamus
ophthalmiats, Ramus swpra- und inframaa^iUaris genannt werden.
Der erste Ast des Quintus, Itamus Ophthal micuSy ist sensitiv,
und der schwächste von den dreien. Er läuft, anfangs in die obere
äussere Wand des Sintis cavernosus eingewachsen, nach vom, nimmt
Fäden aus dem die Carotis interna umgebenden , sympathischen
NervcBgeflechte auf, anastomosirt mit dem Xerrus troddearis, und
sendet den feinen Nervus recurrens Arnoldi nach rückwärts zum
Tmitorium cerebelli. Dann geht er durch die Fissura orhitalis superior
in die Augenhöhle, wo seine, schon vor dem Eintritte in diese Höhle
$. 866. FftaftM Paw. Enter Ast deM«lb«n. 883
sich isolirenden drei Zweige, zu ihren verschiedenen Territorien aus
einander treten. Diese Zweige sind:
a) Der Thränennerv, Nervus lacrymalü. Er geht am oberen
Rande des Recttts extemus zur Thränendrüse , verbindet sich ge-
wöhnlich durch einen Nebenast mit dem Jochwangennerv, versorgt
die Glandula lacrymcMs, die Conjunctiva, und die Haut in der Um-
gebung des äusseren Augenwinkels.
£r ist der Secretionsnerv der Thränendrüse. Da nun aUe bekannten
Secretionsnerven motorischer Art sind, der Bamua primus trigemini aber, als Er-
zeuger des Nervus lacrymalia, sensitiy ist, so kann der Nervus lacrymaUa nur
durch die Anastomose, welche der erste Ast des Quintus mit dem motorischen Nervus
trochUaris eingeht, motorische Fasern zugeführt erhalten. Daraus erklärt es sich
auch, warum der Nervus trocJdearis nur dann einen Ast zur Thränendrüse schickt,
wenn die Anastomose des ersten Quintnsastes mit dem Trochlearis fehlt oder
schwach ist (§. 354).
h) Der Stirnnerv, N&nms frontalis. Er liegt gleich unter
dem Dache der Orbita, und theilt sich, halbwegs zwischen Foramen
opticum und Margo supraorhüaHs, in zwei Aeste:
a) Der Nervus suprairochlearis, läuft über den Musculus trochlearis nach
innen und vom, geht mit dem Nervus infratrochlearis eine Verbindung ein, und
verlässt über der Rolle die Augenhöhle, um die Haut des oberen Augenlids und
die Stime zu versehen.
ß) Der Nervus supraarbUalis, die unmittelbare Fortsetzung des Nervus fron-
talis, begiebt sich, gewöhnlich in zwei Zweige getheilt, durch die Incisura supra-
orbitalis zur Stime, um in der Haut derselben bis zum Scheitel hinauf sich
zu verbreiten. Das obere Augenlid und dessen Bindehaut, erhält von ihm seine
Nervi palpebrales superiores. Der Nervus supraorbUalis soll noch Überdies in der
Incisura supraorbitalis einen feinsten Zweig zur Auskleidungsmembran des Sinus
frontalis senden. Die sensitiven Bindehautzweigehen dieses Nerven (so wie jene
des Nervus naso-dliaris und infraorbitalis) lösen das, durch Reizung des Auges
hervorzurufende Blinzen der Augenlider, als Reüexbeweg^g ans.
Ist die Incisura supracrbitalis zu unbedeutend, um den Nervus supreutrbi-
talis aufnehmen zu können, so geht nur ein Zweig des Nerven durch die Incisur,
— der andere Zweig aber schwingt sich einfach um das innere Ende des Margo
supracrbitalis zur Stirn empor. Ist ein Foramen supraorbitale statt der Incisur
vorhanden, so tritt der Nerv nicht durch das Loch, sondern Über den Margo
supraorbiUUis weg zur Stirn. So sehe ich es wenigstens an den Präparaten dieses
Nerven, welche ich verglichen habe.
c) Der Nasen-Augennerv, Nervus naso-dliaris, liegt anfangs
neben der Arteria ophthcUmica an der äusseren Seite des Sehnerven,
also tiefer als die beiden vorhergegangenen Zweige a und b, tritt
mit dem Abducens durch den gespaltenen Ursprung des Musculus
rectus extemus hindurch, giebt hierauf die lange Wurzel des Ciliar-
knotens ab (Radix longa s. sensitiva ganglii cüiaris, §. 360), schlägt
sich über den Nervus opticus nach innen, schickt hier nodh einen bis
zwei Ciliamerven ab^ and theilt sich zwischen ObUquus superior und
Rectus intemMS in den N0
— *
884 §. 856. Zweiter Ast des fünften Paares.
a) Der Nervus ethmoidaU» drin^ darcli das Foramen ethmaidcUe a/nteriu»
in die Schftdelhöhle, und von da gleich wieder darch das vorderste Loch der
Lamina cribroaa in die Nasenhöhle. Hier giebt er einen liamits »epU narium zum
vorderen unteren Abschnitt der senkrechten Nasenscheidewand, lagert sich sodann
in einer Furche an der inneren Fläche des Nasenbeins ein, entsendet daselbst
sswei bis drei Fäden ssum vorderen Bezirk der äusseren Nasenhöhlenwand, and
gelangt schliesslicli zwischen dem Nasenbein und der Cartüago triang^darU nasi
zur Haut der äusseren Nase. Die in der Schleimhaut der Nasenhöhle verbleiben-
den Zweige dieses Nerven^ und die Nasalästc des Ganglion »pheno-palalinum
(§. 361) erzeugen gleichfalls Reflexbewegung, und zwar jene des Niessens.
Luschka entdeckte einen sehr feinen und constanten Ast des Nervus naso-
cÜiaris, welcher durch das Foramen ethmoidale posterius in die Schädelhöhle, and
von da unter dem vorderen Rande der oberen Fläche des Keilbeinkörpers in den
Sinus sphenoidaUs nnd in eine hintere Siebbeinzelle gelangt, wo er sich in der
Schleimhaut dieser Cavitäten auflöst. Luschka nannte diesen Nerven: Nervus
spheno-ethmoidalis (Miüler*s Archiv. 1857). Er hat die Feuerprobe des Mikroskops
bestanden.
ß) Der Nervus infratrochlearis geht an der inneren Augenhöhlenwand, mit
dem Nervus supratrochlearis anastomosirend, zur Rolle. Er verlässt, unter dieser
hervorkommend, die Augenhöhle über dem Ligamentum palpebrale intemum, and
verliert sich in der Haut der Nasenwurzel, im oberen Augenlid, und in der 61a-
bella. Thränensack, Tbränenkarunkel, Bindehaut, werden von ihm noch vor seinem
Anstritte aus der Orbita versehen.
§. 356. Zweiter Ast des fünften Paares.
Der zweite Ast des Quintus, Ramus gupramcixiUaris , sensitiv
wie der erste, verlässt die Sehädelhöhlc durch das Foramen rotun-
dum des Keilbeins, durchzieht die Flügel-Gauraengrubc in der
Richtung zur FUsura orhitalis inferior, und entlässt während dieses
Laufes folgende Aeste:
a) Den Nervus zt/gomaticus s. subcutanem malae, Jochwangen-
nerv. Dünn und weich, tritt er durch die Fissura orhitalis inferior
in die Augenhöhle, und theilt sich alsbald in zwei Zweige, welche
als Ramus temporalis und molaris unterschieden werden.
Der Ramus temporalis anastomosirt mit dem Thränennerv, zieht an der
äusseren Wand der Orbita nach vom, um durch einen Kanal des Jochbeins
(Canalis zggotnaUcus temporalis) in die Schläfegrube überzutreten, in welcher er
sich nach vor- und aufwärts richtet, um am vorderen Rande des Schläfemuskels,
einen Zoll über dem .Jochbogen, die Fascia temporalis zu durchbrechen, und in
der Haut der Schläfe sich zu verbreiten. Der Hamus malaris, näher an dem
Boden der Augenhöhle nach vom ziehend, gelang^ durch den Canalis zygomaticus
facialis zur Haut der Wangengegend.
b) Den Nervus alveolaris superior, oberer hinterer Zahn-
nerv. Er zieht am Tvher maxillare herab, und theilt sich in zwei
Zweige. Der erste durchbohrt den Ursprung der oberen Portion
des Buccinator, und geht zur Mundhöhlenschleimhaut und zum
S. 356. Zweiter Ast des fQnften PaarM. 885
Zahnfleisch des Oberkiefers. Der zweite tritt durch ein Foramen
maocälare mperius in den oberen Alveolarkanal ein, als Nermis den-
talis mperior posterior, läuft zwischen den beiden Platten der Qe-
sichtswand des Oberkiefers bogenförmig nach vorn, um theils die
Schleimhaut der Highmorshöhle und die Pulpa der Mahlzähne zu
versorgen, theils mit dem gleich anzuführenden, vom Nervus infra-
orbitalis entstehenden Nertms dentalis superioi' anterior schlingenförmig
sich zu verbinden.
c) Die Nervi pterygo-palatini s, spheno-palatini, K ei Igaum cn-
ner ven, zwei kurze Nerven, welche zu dem in der Tiefe der Fossa
pterygO'palatina gelegenen Flügel-Gaumenknoten (Ganglion pterygo-
s, sphenO'palatinum, §. 361) treten.
d) Den Nervus infraorbitalis. Er ist die eigentliche Fortsetzung
des zweiten Quintusastes. Er gelangt durch den Cancdis infraorbitalis
zum Antlitz, und zerföhrt daselbst, bedeckt vom Levator lahii supe-
rioris, in eine Menge strahlig divergirender Aeste, die häufig mit
einander und mit den Endästen des Communicans faciei anastomo-
siren, und dadurch den sogenannten kleinen Gänsefuss bilden (Pes
anserinus minor). Die Haut und die Bindehaut des unteren Augen-
lids, der Wange, der Nase, und der Oberlippe wird von seinen
Zweigen versorgt. Während des Laufes durch den Canalis infra-
orbitalis giebt er den Nervus dentalis superior anterior ab, welcher
zwischen den Platten der Gesichtswand des Oberkiefers, und später
in einer Furche an der inneren, die High morshöhle begrenzenden
Fläche des Knochens herabsteigt, und mit dem Nervus dentalis supe-
i-ior posterior (b) eine Schlinge (Ansa supram^iAcillaris) bildet, welche
sich in einem nach unten convexen Bogen längs des Bodens der
Highmorshöhle, vom Eckzahn bis zum Weisheitszahn erstreckt.
Die aus dem convexen Rande der Schlinge hervorgehenden Aestcheu
bilden den Plexus dentalis. Dieser Plexus durchzieht die kleinen
Kanälchen des Processus alveolaris des Oberkiefers, schickt seine
grösseren Zweige zu den Wurzelkanälen der Mahl- und Backen-
zähne, seine feineren Zweigchen aber in die schwammige Knochen-
masse zwischen den S^ahnwurzeln, von welcher sie in das Zahn-
fleisch übertreten.
Einen halben Zoll über der Wurzel rle« Aiig^enzalinii bilden einige vom
Xerviis derUalia superior anterior abgegebene Zweigeken, durch Anastomose mit
einem Faden des Nervus nasalis posterior ineditts, welcher die seitliche Nasenwand
nach aussen durchbohrt, einen platten, eine Linie breit«;n und rundlichen Knoten,
Ganglion BochdaUkii s, supramaxiUare (oft nur ein Geflecht), welcher in einer
kleinen Höhle der vorderen Wand der Ilighinorshohle eingeschlossen ist Dieses
Ganglion steht auch mit den Zweigchen dtti^ I'lextts denlalis in Verbindnog.
Aestchen des Ganglion durchdringen die schwammige Knocbensubstanz des Pro-
cessus alveolaris des Oberidefen, und venorgwa mit ihren letzten Aoslliifeni dit
Schleimhaut des Bodens der NMenhöble, die Hehneidexiline, den Eckzalin, dm
886 S- 951. Dritter Art des ftaften Pseree.
Zftbnfleisch, and die vorderste Partie des harten Gaumens, wo sie mit den hieher
gelangten Aesten der Nervi tuueUe» und des Nervus ntuo-paUUinus anastomosiren.
Zuweilen tritt zwischen dem Nervus denlalis superior anterior and posterior
noch ein medius auf, welcher sich gleichfalls an der Bildung des Plexus detUalis
beiheiligt — Aach der zweite Ast des Quintas sendet noch in der Schädelhöhle
einen Ramus recurrens zur harten Hirnhaut, welcher den Stamm, oder den vorderen
Ast der Ärieria meningea media begleitet. Ebenso der dritte Ast des Qointas.
(F. Arnold, über die Nerven der harten Hirnhaut, in der Zeitschrift der Gesell-
schaft der Wiener Aerzte, 1861.)
§. 357. Dritter Ast des fünften Paares.
Der dritte Ast des Quintus, Ramus inframaxiUaris, wird
durch eine Summe von Fasern, welche aus dem Ganglioti Gassen
stammen, und durch die ganze vordere motorische Wurzel des
Quintus, welche an der inneren Seite des Ganglion tangirend vor-
beiziehty zusammengesetzt. Beide mischen sich alsbald zu einem
kurzen, platten, grobgeflochtenen Nervenstamm. Dieser tritt durch
das Foramen ovale des Keilbeins aus der Schädelhöhle heraus, sendet
einen von Luschka als Nervus spinosus beschriebenen Ast durch
das Foramen spinosum des Keilbeins zur mittleren harten Hirnhaut-
arterie, und theilt sich, gleich unter seinem Austrittsloche, in zwei
Gruppen von Zweigen.
I. Die schwächere dieser beiden Gruppen, der Lage nach die
äussere, enthält die grössere Summe der Fäden der motorischen
Wurzel des Quintus, und erzeugt deshalb vorzugsweise nur moto-
rische Aeste fiir die Muskulatur des Unterkiefers (mit Ausnahme
des Biventer) und für den Tensor veli palatinü Diese Aeste sind:
o) Der Nervus massetericus. Er dringt durch die Incisura semi'
lunaris zwischen Kronen- und Gelenkfortsatz des Unterkiefers
von innen her in den Musculus masseter ein. Zweigchen zum
Kiefergelenk.
b) Die Nervi temporales profundi, ein vorderer und hinterer,
krümmen sich an der Schläfenfläche des grossen Keilbeinflügcls zum
Musculus temporalis empor, an dessen Innenfläche sie eintreten.
Der vordere stärkere ist nicht selten ein Ableger des Nervus hucdnaiorius
(daher die von Pftlett» gebrauchte Benennung für beide al« Nervus crotaphitico-
buccinalorius), und der hintere, schwächere, ein Zweig des Nervus jnasseterictt^.
c) Der Nervus bucdnaiorius zieht zwischen Schläfen- und
äusserem Flügelmuskel, oder letzteren durchbohrend, zum Musctdus
hucdnator herab. Er lässt unstreitig Fasern in diesem Muskel zu-
rück, giebt auch zu einigen Muskeln der Mundöffhung Zweige, ver-
liert sich aber vorzugsweise in der Schleimhaut der Backe.
g. S57. Dritter Ast dM fftoften Putm. 887
d) und e) Der Nervus pterygoideus internus et extemus, für die
gleichnamigen Muskeln des Unterkiefers. Der internus und ein für
den Tensor veli palaiint bestimmter Zweig desselben, durchbohrt das
GanfjUon oticum (§. 362).
Der extemits ist oft ein Ast des Nervus buccinatoriits, und zuweilen auch
doppelt. Der interntis entspringt in der Regel aus der inneren Fläche des noch
luigetheilten dritten Quintnsastes, dicht luiter dem Foramen ovale.
II. Die zweite, stärkere (truppe von Zweigen des dritten Astes,
der Lage nach die innere, wird vorwaltend durch die sensitiven,
aus dem Ganglion Gasseri kommenden Fäden gebildet, und besteht
aus folgenden drei Nerven:
a) Der oberflächliche Schläfenerv, Nervus temporalis
superficialis s, auriculo-temporalis , umfasst mit seinen beiden Ur-
sprungswurzeln die mittlere Arterie der harten Hirnhaut, und
schwingt sich hinter dem Gelenkfortsatz des Unterkiefers, und von
den Acini der Parotis umgeben, zur Schläfegegend auf, wo er in
zwei Endäste zerfiillt, deren hinterer den Attrahens auriculae, die
Haut der concaven Fläche der Ohrmuschel, und theilweise auch
jene des äusseren Gehörganges (vordere Wand) versorgt, während
der vordere dicht hinter der Arteria tempoi'olis superficialis liegt,
und sich als Hautnerv in der Schläfegegend ausbreitet.
Während der oberflächliche Schläfem?rv von der Parotis umschlossen wird,
theilt er dieser Drüse Fädehen mit, deren Einfluss auf die Speichelsecretion durch
Versuche sichergestellt ist. Kr anastomosirt daselbst auch mit den Oesichtsästen
de» Coinmumcaiut faviei durch zwei Zweige, welche aber nicht bei ihm bleiben,
sondern als Secretionsnerven sich in der Parotis auflösen. Ein Zweigchen seines
hinteren Astes (Nervus memhranae tyinpani) dringt an der oberen Wand des Gehör-
ganges bis zum Trommelfell vor.
b) Der . Z u n g e n n e r v , Nervus lingualls , nimmt bald unter
seinem Ursprünge die Chorda tijmpani (§. 363) unter einem spitzigen
Winkel auf, und geht mit ihr vereinigt, zwischen dem Unterkieferast
und dem inneren Seitenbande des Kiefergelenkes, anfangs an der
äusseren Seite des Musculus sff/lo-glossus, dann an jener des kyo-
glosifus bogenftirmig nach vorn und unten. Er versorgt den Arcus
palato-glossus, die Schleimhaut des Bodens der Mundhöhle, und
schickt, während er über die Glandula suhma^illaris weggeht, ein
bis zwei Zweigchen zum Ganglion suhmaxillare und zur Glandula
suhlingualis, VjY anastomosirt mit den Aesten des Zungenfleisch-
nerven, und spaltet sich in acht bis zehn eigentliche Zungen-
nerven, welche zwischen Hyoglossus und Genio-glossus in das Fleisch
der Zunge eindringen, dasselbe von unten nach oben durchsetzen,
und sich in den Papillen der Zunge, mit Ausnahme der vallata^e,
und auch vieler jiI|/V. 'onentachieden,
8 88 §. 35B. Physiologisches über das f&nfte Nerrenpaar.
ob der Nervus lingualia mehr als Tastnerv, oder als Geschmacks-
nerv der Zunge angesehen werden muss.
Remak entdeckte an den feineren Ramificationen des Nervus linguaUs
zahlreiche kleine Ganglien. An den stärkeren Aesten dieses Nerven finden sie
sich beim Menschen nicht, wohl aber beim Schafe und beim Kalbe. (MüUer's
Archiv. 1852.)
c) Der eigentliche Unterkiefernerv, Nervus mandibularis,
liegt hinter dem Nervus lingualis, mit welchem er durch einen oder
zwei Fäden zusammenhängt, steigt an der äusseren Seite des Mus-
culus pterygoideus internus zur inneren OefFnung des Uuterkiefer-
kanals herab, und theilt sich hier in drei theils motorische, theils
sensitive Aeste:
a) Nervus mylo-hyoideua, welcher in dem Sulcus mylo-hyoideua des Unter-
kiefers nach vom zieht, und sich im Musculus mylo-hyoideus, und im vorderen
Bauche des Biventer maxiUae verliert.
ß) Nervus alveolaris inferior^ welcher mit dem gleich zu erwähnenden Nervus
mentalis in den Unterkieferkanal einzieht, und sich in diesem zu einem Geflechte
auflöst, welches die Arteria alveolaris inferior umstrickt, durch jeden Zahnwurzel-
kanal einen Aussendling zur Pulpa dentis gelangen lässt, und die schwammige
Substanz des Zahnlückenrandes des Unterkiefers, so wie das Zahnfleisch desselben
mit seinen letzten Zweigchen versorgt.
Y) Der Nervus mentalis trägt zur Bildung des Geflechtes im Unterkiefer-
kanal bei, durch Abzweigung feiner Fädchen, deren Verlust ihn jedoch nicht sehr
schwächt. Er kommt vielmehr als ein noch ganz ansehnlicher Nervenstamm, durch
die vordere oder Kinnöffnung des Kanals heraus, um, bedeckt vom Depressov
angtdi oris, in einen Fächer von Zweigen zu zerfallen, welche die Haut, »Schleim-
haut, und Muskulatur der Unterlippe und des Kinns versorgen, und mit dem
Nervus subaitaneus niaxillae inferioris vom Conimunicafis faciei anastoraosiren.
§. 358. Physiologisches über das fünfte Nervenpaar.
Durch Vivisectioncn und durch pathologische Erfalirungeu kam
man zur üeberzeugung, dass die hintere Wurzel des Quintus sen-
sitiv, die vordere motorisch ist, — ein Verhältniss, welches bei allen
Rüekenmarksnerven wiederkehrt. Das Ganglion Gassen entspricht,
wenn auch nicht durch seine Lage, doch gewiss durch seine Structur,
den Intervertebralganglien der Rüekenmarksnerven. Reizung der
vorderen Wurzel, welche an der Bildung des Ganglion GasseH keinen
erwiesenen Antheil hat, erregt bei Vivisectioncn Beissbewegungen
des Kiefers und Klappern der Zähne, — an der hinteren Wurzel
dagegen die heftigsten Schmerzäusserungcn.
Nach der Trennung der hinteren Wurzel des Quintus, oder Aufhebung ihrer
Leitung durch patliolog^sche Momente, verlieren die Haut der Stirn und Schläfe,
die Conjunctiva, die Nasen- und Mundschleimhaut, die Lippen und die Zunge
ihre Empfindung, während durch Trennung der vorderen Wunsel Lähmung der
Kiefermuskeln eintritt Die Vernichtung der Empfindung in den genannten Flächen
§. 358. Physiologisches über das fOinfte Nenrenpaar.* 889
wird es nie zu Reflexbewegungen kommen lassen, welche sonst auf die Reizung
derselben zu erfolgen pflegen. Die Augenlider schliessen sich nicht mehr, wenn
die Conjunctiva mechanisch gereizt wird; auf Kitzeln in der Nase entsteht weder
Schnauben noch Niessen; die Zunge fühlt den Contact der Nahrungsmittel nioht,
obwohl sie, wegen Unverletztheit des Xermts glosao-pharyngeuSf noch für gewisse
Geschmackseindrücke erregbar bleibt. Ein Thier, welchem die sensitiven Quintus-
wurzeln an beiden Seiten durchgeschnitten wurden, überlebt diese Operation längere
Zeit, und benimmt sich, da es an dem g^össten Theile seines Kopfes keine
Empfindung hat, so, als wenn der Kopf nicht mehr zu seinem Rumpfe gehörte.
— Findet am Menschen die Lähmung der sensitiven Wurzel nur auf einer Seite
statt, so wird auch die Empfindungslosigkeit (Anästhesie) nur eine halbseitige sein
können. Ein Glas an die Lippen, oder ein Löfl'el in den Mund gebracht, werden
nur auf der einen Seite empfunden werden, und den Eindruck hervorbringen, als
wären sie gebrochen. Kommt der Bissen beim Kauen auf die gelähmte Seite der
Mundhöhle, so meint der Kranke, dass er ihm aus dem Munde gefallen sei. Er
fühlt es nicht, wenn er sich in die Zunge beisst, und dieser Unempfindlichkeit
wegen erleidet die Zunge beim Kauen die grössten mechanischen Unbilden, welche
zu hartnäckigen Geschwüren führen können.
Die Gesichtszweige des zweiten und dritten Quintusastes sind vorzugs-
weise der Sitz der als Fothergill'scher Gesichtsschmerz bekannten Neuralgie.
Der erste Ast unterliegt dieser furchtbaren Krankheit weit seltener. Vielleicht
liegt die Ursache darin, dass die sensitiven Zweige des zweiten und dritten
Astes, durch mehr weniger lange und enge Knochenkanäle ziehen, in welchen es
durch krankhafte Veranlassungen der verschiedensten Art weit leichter zu einem
Missverhältnisse zwischen Kanal und Inhalt kommen kann, als an den Ge-
sichtszweigen des ersten Astes, deren Verlauf durch keine Knochenkanäle vor-
geschrieben ist.
Auf Resection des Quintus stellen sich auffallende Ernährungsstörungen
ein, welche sich durch Entzündung und Schwellung der Conjunctiva, vermehrte
Schleimabsonderung, Füllung der vorderen und hinteren Augenkammer mit Ex-
sudat, Mattwerden imd Erosionen der Hornhaut, acute Erweichung derselben und der
übrigen Augenhäute, welche zum Bersten des Bulbus führt, so wie auch durch Schorf-
bildnng an Nase, Kinn, Zunge, und Wange, aussprechen. Man hat diesen Complex
von Erscheinungen, als nenro-paralytische Entzündung benannt Sie er-
klären sich durch die Trennung der dem Quintus beigemischten sympathischen
Fasern aus dem Plexus caroticwt. In neuester Zeit läugnet man den Einfluss der
Trennung der sympathischen Fasern im Quintus auf diese Erscheinungen. Man
hält sie vielmehr für die Folge des Reizes äusserer Schädlichkeiten, welche nicht
mehr abgehalten werden können, da die Schleimhaut der Conjunctiva, der Nasen-
und Mundhöhle, durch die Resection des Quintus, ihre Empfindlichkeit verlor,
und somit nicht mehr, durch Hervomifung von Reflexbewegungen, auf die Ab-
haltung und Entfernung dieser reizenden Schädlichkeiten einwirken kann.
Longe t erhebt den Nervus Ungualis zum Geschmacksnerv. Auch mir
scheint Panizza's Ansicht, nach welcher dieser Nerv keine specifische Geschmacks-
empfindung erregen, sondern nur der Tastnerv der Zunge sein soll, um so mehr
zweifelhaft, als chirurgische Erfahrungen die Theilnahme des Nervus Um/ualis am
Geschmackssinne bestätigen. Lisfranc sali nach Exstirpation eines Unterkiefer-
stückes, mit welchem zugleich ein Stück des Nervus Ungualis herausgenommen
wurde, den Geschmack auf der entsprechenden Zungenhälfte verschwinden. Ich
kann überhaupt die Berechtig^ung nicht einsehen, einen specifischen (xeschmacks-
nerven in der Zunge zu statnireo, d* nuui doreh sehr einfache Versuche an sich
selbst die Ueberzengoo' »nen Nerven aller den
890 $• S^' (Haglien am fünften Paure. OangUon Ooittri.
Isthmus fauchtm umgebenden Schleimhatitpartien, zur Vermittlnng von Gescbmacks-
empfindangen concurriren, und man den Geschmack eines auf die Zunge gelegten
Körpers um so deutlicher wahrnimmt, je allseitiger er mit den Wänden der Mund-
höhle beim Kauen in Contact gebracht wird, und je leichter er im Speichel lös-
lich ist. (Sieh' §. 365.)
Von den* älteren Schriften über das fünfte Paar verdienen genannt* za
werden: J. F, Meckel, de quinto pare nervorum. Gotting., 1748. Ein noch immer
classisches Werk. — i?. B. Hirsch, dlsqnisitio anat. paris quinti. Vindob., 1705.
— Specielle Beschreibungen einzelner Quintusäste gaben: J. B. Paletia, de nervis
crotaphitico et buccinatorio. Mediol., 1784. — J, G. Haase, de nervo maxlUari
superiore. Lips., 1793. — G, Schumacfier, ttber die Nerven der Kiefer und des
Zahnfleisches. Bern, 1839. — J. A, Hein, über die Nerven des Gaumensegels, in
Müller* s Archiv. 1844. — V, Bochdalek, neue Untersuchungen der Nerven des
Ober- und Unterkiefers, in den medicin. Jahrbüchern Oesterr. 1836. XIX. Bd.
Derselbe, Über die Nerven des harten Gaumens, ebendaselbst, 1842. 1. Heft. —
Luschka, die Nerven der harten Hirnhaut. Tübingen, 1860, und MiiUer's
Archiv. 1853.
§. 359. öanglien am fünften Paare. Ganglion Gasseri.
Die mit dem Quintus in Verbindung stehenden Ganglien gö-
hören nicht ihm allein, sondern zugleich dem Sympathicus an, da
sich in jedes derselben sympathische Nervenfäden verfolgen lassen.
Sie können jedoch hier am passendsten ihre Erledigung finden, weil
die Betheiligung des fünften Paares an ihrer Bildung, jene des
Sympathicus in sehr auffallender Weise tiberwiegt.
Das erste imd zugleich grösste Ganglion am Quintus ist das
Ganglion aemilunare Gassen, Seine Lage und (i estalt ist aus
§. 355 bekannt. Es hat nicht die ovale Form gewöhnlicher (ian-
glien, sondern ist halbmondförmig. Nur die hintere sensitive
Wurzel des fünften Nervenpaares tritt in den concaven Rand des
Ganglion ein, während aus dem convexen die drei Zweige dieses
Paares abgehen.
Seine plattgedrückte Gestalt wird durch den iiltoren Namen: Taenia
nervosa Hrdleri ausgedrückt. Hai 1er zählte seine Taenia nervosa nicht unter die
Ganglien. Ein Wiener Anatom, Raymund Balthasar Hirsch, wies ihr erst
in seiner Disquisilio paris quinti, Vimloö., I7oT}, pa/j. ti, diese Stellung zu, und
nannte sie, seinem stmst nioht bekannten Lehrer Joli. Laur. Gasser zu Ehren,
Gmujlion Gasseri. Die untere innere Fläche des Gaw/lion Gasseri nimmt aus den
sympathischen Nervengeflechten, welche die Carotis interna im Sinus cavernosus
umspinnen, Verbindungsfaden auf. Sein mikroskopischer Hau stimmt mit jenem
der Intervertcbralganglicn überein, §. .STO.
S. 860. OangUan eiiian. 891
§. 360. Ganglion ciliare.
Das Ganglion ciliare ist ein rundlich viereckiges Knötchen
von einer Linie Durchmesser, liegt im hintersten Theile der Augen-
höhle zwischen Eectus extemus und Nervus opticus, nimmt an seinem
hinteren Rande drei Wurzeln auf, und giebt am vorderen Rande
eine Anzahl Aeste, die sogenannten Ciliarnerven, ab.
a) Wurzeln des Ciliarknotens sind:
a) Die Radix brevis 8. motoria vom NervtAS oculomotorius, ^^f^^^^ ^/^^^
ß) Die Radix longa 8. sensitiva vom Nermis na^o-ciliaris, /jo!*-»*'*^
y) Die Radix sympathica (trophica, Romberg). Aus dem
Plexus caroticus im Sinus cavernosus entsprungen, geht sie
durch die Fissura orbitalis superior zum Ganglion ciliare
selbst, oder zu dessen Radix longa.
Diese ausnahmslos vorkommenden Wurzeln werden zuweilen durch andere
vermehrt. Solche sind : 1 . Die von mir heschriebene Badix mferior longa a. recur-
rens, aus dem Xerüus naao-ciliaris jenseits des Sehnerven, oder aus einem freien «
Ciiiarnerven stammend. Sie läuft unter dem Nervus opUcua zum Ciliargangllon
zurück, und bildet mit dem über ihm liegenden Stücke des Nervus naso-ciUaris
einen Nervenring, durch welchen der Nervus opticus durchgesteckt ist. Häufig
geht sie nicht direct zum Knoten, sondern zu einem Nenms ciUariSf an welchem
aie zum Ganglion ciliare zurückläuft. (Sieh' meine Berichtigungen über das Ciliar-
system des menschlichen Auges, in den medic. Jahrbüchern Oesterr. 28. Bd.) Ihr
Vorkommen erklärt hinlänglich das von mehreren Autoren beobachtete Fehlen der
Radix longa, da beide, als Zweige desselben Nerven, einander vertreten können.
— 2. Eine Wurzel aus dem Nervus lacrimalis , welche sich zur Radix longa be-
gicbt (Schlemm, Observ. neurol. Berol., 1834. pag. 18). — 3. Eine vom Ganglion
spheno-peUatinum durch die Fissura orbitalis inferior heraufkommende Wurzel
(Tiedemann),' welche ich jedoch, auf mikroskopische Untersuchung ihrer Fasern
gestützt, für eine fibröse Trabecula halte, was von Beck auch für die vom Gan-
glion spheno-palatinum zum Stamme des Sehnerven entsandte Anastomose bestätigt
wurde. — Der von Otto gesehene Fall, wo die Radix longa (und der Nervus
naso-ciliarisj ans dem Nervus abdticens entsteht, ist eine der seltsamsten Ano-
malien, lieber diese Anomalien enthält Weitläufiges Müller's Archiv, 1840, und
Scitzer, Bericht von einigen nicht häufig vorkommenden Variationen der Augen-
nerven, Kopenhagen, 1845, so wie Beck, über die Verbindung des Sehnerven mit
dem Augen- und Nasenknoten, Heidelberg, 1847. — M, Reichart, Ganglion ophthal-
micum. München, 1876.
b) Aestc des Ciliarknotens.
Sie heissen Ciliar nerven, und gehen zehn bis sechzehn an
Zahl, aus dem oberen und unteren Ende des vorderen Randes des
Ganglion in zwei Bündeln hervor. Das schwächere Bündel geht
zwischen dem Nervus opticus und dem Rectus extermis, das stärkere
zwischen Nervus opticus und Rectus inferior zur hinteren Peripherie
des Bulbus^ dessen S< * ''^e durchbohren, um zwischen ihr
und Chorn" ri$ (Tensor choroideae)
892 $. 961. Oamgliom tpheno-palatmum.
zu ziehen, in welchem sie sich zu einem Geflechte verbinden.
Aus diesem Geflechte entspringen: 1. die eigentlichen Irisnerven,
2. die Nerven des Musculus cäiaris, und 3. die Hornhautnerven
(Bochdalek).
Der Ciliarknoten wurde von dem durch seine zahlreichen kleinen Schriften
bekannten, sehr gelehrten Leipziger Professor, Polycarp Gottl. Schacher, in
einem Büchlein zuerst erwähnt, welches über den grauen Staar handelt: Düp. de
ccUaracta. Lip»., 1705.
Einer der inneren Ciliarnerven wird nach Hirzel zur Bildung des die
ArUria ophthalmica umstrickenden sympathischen Geflechtes einbezogen, ans
welchem ein sehr feiner Faden mit der Arieria centralis retinae in den Xervus
opticus eindringen, und sofort zur Retina gelangen soll. Dieser von vielen Seiten
angefeindete Faden kann auch aus dem Ganglion ciliare stammen. Die mikro-
skopische Untersuchung desselben wies mir aber in ihm nur Bindegewebe und
Blutgefässe, aber keine Nervenelemente nach.- — Da auch aus dem Nervus naso-
ciliaris freie Ciliarnerven entstehen (einer bis zwei), welche wie die aus dem Gan-
glion entsprungenen Ciliarnerven verlaufen, so nennt man erstere Nervi ciliares
Umgif letztere breces. Ein longus und ein brevis vereinigen sich zu einem gemein-
schaftlichen, unter dem Sehnerven verlaufenden Stämmchen. — Beck sah vom
Ganglion ciliare feine Aestchen zum Eectus inferior treten. Sie waren gewiss nur
Fortsetzungen der Fasern der Radix brevis s. tnotoria.
§. 361. Ganglion spheno-palatinum.
Der Keilgaumen- oder Flügelgauraenknoten, Ganglion
sphenO' «. pterygo-palaünum, s, Meckelii, s. rhinicum (piv, Nase) liegt,
von reichlichem Fett umhüllt, in der Tiefe der Fossa pterygo-pala-
iina, hart am Foramen spheno-palatinum. Er ist zwei bis drei Mal
grösser, als das Ganglion ciliare, aber bedeutend weicher, und nicht
so scharf begrenzt. Er hängt mit dem zweiten Aste des fünften
Paares durch zwei kurze Fäden, Nervi pterygo- s, spheno-palatini
zusammen, welche die Radix sensitiva des Ganglion darstellen. Sein
nach hinten gerichtetes, sich zuspitzendes Ende wird vorzugsweise
aus grauer Gauglienmasse gebildet, während sein vorderer breiter
Theil, in welchem die Nervi pterygo-palatini eintreten, nur Spuren
grauer Substanz zeigt. Die Aeste, welche von ihm abgesendet
werden, sind:
a) Ramuli oi-bitales, fein und zart, dringen durch die untere
Augengrubenspaltc in die Orbita, und verlieren sich in der Peri-
orbita. Man hat Reiserchen derselben bis in das Neurilemma nervi
optici verfolgt (Arnold, Louget).
Hie her gehören auch zwei Nervi tqiheno-ethnwldales, deren EnUlecknng wir
Luschka verdanken. Beide gehen durch die Fis nur a orbital is inferior zur inneren
Augenhühlenwand. Der eine gelangt durch das Foramen eth»u>Ula(c posticumy der
andere durch die Naht zwischen Papierplatte des Siebbeines und Keilbeinköriiers
zu den hintersten Siebbeinzellen und zum Sinus sphenoidalis.
§.361. QanfUon »phimo-paioiinum. 893
b) Der Nervus Vidianus, unrichtig ViduaniLs. Er liegt in der
nach hinten gedachten Verlängerung des Ganglion. Man hat ihn
lange für einen einfachen Nerven gehalten. Er zeigt sich jedoch
bei näherer Untersuchung aus grauen und weissen Fasern zusammen-
gesetzt, welche, jede Art für sich, zwei dicht über einander liegende
Bündel bilden. Beide Bündel laufen durch den Vidiankanal von
vor- nach mckwärts, und trennen sich am hinteren Ende des Kanals
von einander. Das graue oder untere Bündel geht zu dem, die
Carotis cerebralts vor ihrem Eintritt in den Canalis caroticus um-
strickenden sympathischen Geflecht, oder kommt richtiger von
diesem Geflechte zum Ganglion splieno-palatinum hinauf. Es wird
als Nervus petrosus profundtis benannt. Das weisse oder obere
Bündel ist der Net^tms petrosvs superficialis major. Er durchbohrt
die Faserkorpelmasse, welche die Lücke zwischen Felsenbeinspitze,
und Körper des Keilbeins ausfüllt (Fihrocartilago basilaris), gelangt
dadurch in die Schädelhöhle, wo er sich in die Furche der oberen
Fläche des Felsenbeins legt, und durch sie zum Hiatus canalis Fol-
lopiae geführt wird, um sich mit dem Knie des Communicans facisi
zu verbinden. So lautet die gewöhnliche anatomische Beschreibung.
Nach unserem Dafürhalten dagegen besteht der Nervus petrosus
superficialis major theils aus Fasern, welche vom Ganglion spheno-
palatinum zum Communicans ziehen, um diesem motorischen Nerv
sensitive Fasern zuzuführen, theils aus solchen, welche umgekehrt
vom Communicans zum Ganglion spheno-palatinum herüberkommen,
und es ermöglichen, dass die weiter unten zu erwähnenden (f)
Nervi palatini descendentes auch gewisse Gaumenmuskeln versorgen
können. Die Verbindung zwischen Ganglion spheno-palatinum und
Communicans ist also eine Anastomosis mutua (§. 363). — Dieser
Anschauung zufolge wäre der Nervus Vidianus nicht so sehr ein
Ast, als vielmehr eine Wurzel des Ganglion splieno-palatinum, und
zwar die vereinigte motorische (grössere Menge der Fasern des
oberen weissen Bündels) und trophische oder sympathische (unteres
graues Bündel).
c) Die Rami pharyngei sind an Zahl , Stärke und Ursprung
nicht immer gleich. Oft ist nur einer vorhanden, welcher von dem
unteren grauen Bündel des Nervus Vidianus abgeht.
Sie begeben sich in einer Furche der unteren Fläche des Keilbeinköq)er8,
welche durch den Keilbeinfortsatz des Gaumenbeins zu einem Kanal geschlossen
wird, nach hinten zur Schleimhaut der obersten Rachenpartie. — Der erwähnte
Kanal an der unteren Fläche des Keilbeinkörpers heisst bei den Autoren: Caiuilis
pterygo-palaUmia, Ich verwerfe diese Benennung, da sie bereits an den Canaiis
pcUatmus descendena vergaben ist, und gebrauche statt ihrer den richtigen Ausdruck:
öaneUU 8pkeno-palatinu$.
d) Die zwei bis ^« ^' narium ziehen durch das
Forcmm iphe»^ '^nen und zur
894 |. Ml. Omntßwm
Nasenscheidewand. Einer von ihnen ist durch Grösse und Länge
ausgezeichnet. Er heisst Nervus naso-pakUinus Scarpae, Er geht
längs der Nasenscheidewand nach vom und unten zum Canalis
ntuo-pcdaünusy in welchem er sich mit dem der anderen Seite ver-
bindet, und durch welchen er zur vorderen Partie des harten
Gaumens, so wie zum Zahnfleisch der Schneidezähne gelangt. So
heisst es allgemein bei den deutschen Anatomen. Scarpa erwähnt
aber ausdrücklich, dass die beiden Nervi naso-pcJ-atini nicht durch
den Canalis naso-palatinus, sondern durch besondere Kanälchen in
der Sutur der beiderseitigen Processus palcUim zum harten Gaumen
gelangen. Beide Kanälchen liegen nicht neben, sondern hinter ein-
ander. Der linke Nerv geht durch das vordere, der rechte durch
das hintere Kanälchen. (Annöt anat. 1785. lib. IL cap, 5.)
Cloquet hat an der angenommenen VerbindongssteUe beider Nemi tuuo-
pdUUini im Canalia ruuo-paiaUnus, ein Ganglion beschrieben, welches er Oanglion
naso-ptUaUnum nannte. Dieses Oanglion existirt nicht. Cloquet wnrde dadurch
getinscht, dass er die verdickte und etwas härtliche Wand des hantigen Duettu
ntuo-palaünus, für ein Oanglion ansah.
Der Nervus naso-palatmus Scarpae war schon Siteren Anatomen bekannt.
Scarpa erwähnt selbst, dass, als seine Abhandlung dmckfertig war, er eine von
Cotugno, viemndzwanzig Jahre früher angefertigte Tafel zur Hand bekam,
welche den Verlauf dieses Nerven darstellte. John Hnnter hatte ebenfalls den
Nervus ruuo-palatinus schon 1704 abgebildet, bediente sich der Abbildung bei
seinen Demonstrationen, und zeigte sie 1782 dem in London anwesenden Scarpa,
welcher somit kein anderes Verdienst hat, als der Entdeckung Anderer seinen
Namen hinterlassen zu haben.
■
e) Die Nervi nasales posteriwes, nach Arnold vier bis fünf an
Zahl, sind vorzugsweise für den hinteren Bezirk der äusseren Wand
der Nasenhöhle bestimmt. Man theilt sie in die oberen (zwei bis
drei), den mittleren, und unteren ein. Der mittlere bildet die
oben (§. 356, d) erwähnte Verbindung mit dem Ganglion des
Plexus dentalis superior. Die oberen gelangen durch das Foramen
splieno-palatinum in die Nasenhöhle. Der mittlere und untere be-
gleiten die gleich zu erwähnenden Nervi palatini descendentes, und
zweigen sich während ihres absteigenden Verlaufes durch den
Canalis palatinus anteriory zur mittleren und unteren Nasenmuschel
von ihm ab.
f) Die Nervi palatini descendentes, drei an Zahl, steigen durch
den in drei Arme getheilten Canalis palatinus descendens zum
Gaumen herab. Durch die Foramina palatina postica aus den ge-
nannten Kanälen hervorkommend, versorgen sie die Schleimhaut
des weichen und harten Gaumens, und den Levator palati und Azygos
uvulae. Der stärkste von den dreien ist der Nervus palathms anterior.
Er verbreitet sich in der Schleimhaut des harten Gaumens bis zu
$. 862. Ganglion »upramamülarff oMciin, ef nthmaaMare. 895
den Schneidezähnen hin, wo er mit dem Nervus naso-pcdatinus Scarpae
anastomosirt.
Da der zweite Quintnsast sensitiv ist, so können die von den Nervi pala-
Uni descenderUes zu gewissen Gaomenmuskeln abgesandten Zweige, nur durch eine
Aneutomoifw recepHonis von einem motorischen Himnerv erborgt sein. Dieser ffim-
nerv ist, wie früher gesagt, der Communicans, welcher in der Bahn des Nervus
petrosus superficialia major dem Ganglion spheno-palcUinutn motorische Elemente
zuschickt. — Die Ne7*vi sepli narium und nasales posteriores sind wirkliche Ver-
längerungen der aus dem zweiten Aste des Quintus stammenden sensitiven Wurzeln
des Ganglion spheno-palatinum (Nervi spheno-palalini). — Versucht man, die Wurzeln
unseres Ganglion mit jenen des Ganglion ciliare in eine Parallele zu stellen, so
wären die Nervi spheno-palaUni die sensitiven Wurzeln desselben, der im oberen
weissen Büschel des Nervus Vidianus enthaltene Faserantheil des Communicans
die motorische, und der graue Nervus petrosus profundus die sympathische oder
trophische Wurzel des Ganglion spheno-palatinum.
§. 362. Ganglion supramnocillarey oticurrij et suhmaxillare.
1. Das Ganglion supramaxiUare wurde sclion (§. 356, d) be-
schrieben. Zuweilen findet sich noch ein hinteres im Plexus dentalis
superiar, und Bochdalek hat noch kleinere Ganglien abgebildet,
welche in die, die Zwischenwände der Zahnzellen durchziehenden
Nervengeflechte eingesenkt sind. Oefters hat das Ganglion nur das
Ansehen eines feingenetzten Plexus, wie an einem von Bochdalek
dem Wiener anatomischen Museum geschenkten, überaus schönen
Präparate zu sehen ist. Arnold bestreitet mit scharfen WaflFen die
Existenz dieses Ganglion, und erklärt es für ein Geflecht, ohne
Beimischung von Ganglienzellen (Handbuch der Anatomie. 2. Bd.
pag. 892).
2. Der Ohrknoten, Ganglion oHcum s. Amoldi, eine der
schönsten Entdeckungen der neueren Neurotomie, liegt knapp unter
dem Foi^amen ovale, an der inneren Seite des dritten Quintusastes,
mit welchem er durch kurze Fädchen (Radix brevis, Arnold) zu-
sammenhängt. Er ist länglich-oval, zwei Linien lang, sehr platt,
gelblich-grau, und von weicher Consistenz. Er wird vom Nervus
ptertjgoideus internus, und von jenem Aste desselben durchbohrt,
welcher zum Tensor palati moUis geht. Beide lassen Fäden im
Ganglion, welche als dessen motorische Wurzel gelten können,
während die Radix brevis, aus dem Stamme des Ramus tertius quinti,
die sensitive, und der gleich unten in e) erwähnte Faden, die Radix
trophica s. sympathica repräsentiren. Es mag diese Aniioht tfeswnngen
erscheinen, — aber angreifbar «■'
widerlegbar«
896 §• S6S. Oanglion »upramaMiüare, otieum et tubmazillare.
Die Constanten Aeste des Ganglion otlcum sind:
a) Der Nervus ad tensorum tympanl. Er gelangt über der
knöchernen Ohrtrompete zum Spannmuskel des Trommelfells.
h) Der Nervus petrosus superficialis minor geht durch ein eigenes
Kanälchen des grossen Keilbeinflügels, hart am Foramen spinosum
in die Schädelhöhle, und in Gesellschaft des Nervus petrosus super-
ficialis major zum Knie des Pallopi'schen Kanals, wo er sich in zwei
Zweigchen theilt, deren eines sich zum Nervus communicans fabelet
gesellt (am Ganglion geniculi), deren zweites, unter dem Semicanalis
tensoris tt^mpani, in die Paukenhöhle herabsteigt, um sich mit dem
Nervus Jacobsonii (§. 365) zu verbinden. Nach anderer Ansicht geht
der Nervus petrosus supeificialis minor, nicht vom Ganglion otieum
zum Communicans, sondern umgekehrt, führt also diesem Ganglion
motorische Fasern zu, welche durch die Verbindungszweige des
Ganglion zum Nervus auriculo-temporalis (d) geleitet werden , und
von diesem Nerv in die Parotis als Secretionsnerven übertreten.
c) Ein Verstärkungszweig zum Nervus ad tensorem veli paJatini
(§. 357, I. d, e).
d) Verbindungszweige zum Nervus auriculo-temporalis.
e) Ein Faden zu den sympathischen Nervengeflechten, welche
die vor dem Ganglion aufsteigende Arteria meningea media um-
stricken. Wir fassen ihn richtiger als von diesen sympathischen
Geflechten zum Ganglion otieum gehend, und somit als dessen
Radix trophica auf.
Mehr weniger nicht ganz sichergestellte Verbindungsfäden des Ganglion
otieum zu anderen Nerven sind: a) zur Chorda tt/mpani, ß) zum Nervtts petrostis
pro/undiUy y) zum Ganglion Gaaaeri, durch den Canaliculus aphenoidaJis extemu».
Die Beziehung des Ganglion otieum zum Mttsculus tensor tympani, und die
von dem Entdecker des Knotens ausgesprochene Ansicht, dass der Nervus ad
tensorem tympani durch Reflex, Contractionen dieses Muskels, und dadurch ver-
mehrte Spannung des Trommelfells bedingt, wodurch die Grösse seiner Excur-
sionen bei intensiven Schallschwingungen verringert werden soll, veranlasste die
Benennung „Ohrknoton". — R. Wagner, über einige neuere Entdeckungen
(Ganglion oticuvij, in Ueuaingers Zeitschrift. Bd. 3. — F. Schlemm, in Froriep^s
Notizen. 1831. Nr. G60. — J. Müller, über den Ohrknoten, in MeckeVa Archiv. 1832.
3. Das Ganglion suhmaxillare Meckelii s. linguale, hat öfters
nur die Form eines unansehnlichen Plexus gangliiformisj und fehlt
auch zuweilen gänzlich. Ks Hegt nahe am Stamme des Nervus lin-
gualis, oherhalb der Glandula submaxillaris . Obwohl kleiner als
das Ganglion ciliare, verhält es sich doch, hinsichtlich seiner Wurzeln,
jenem analog, indem es 1. von den sensitiven Fasern des Nervus
lingiuüis, 2. von den motorischen der Chorda tympaiii, und 3. von
den die Arteria maxillaris externa umspinnenden sympathischen Ge-
flechten seine Wurzeln bezieht. Die Aeste des Knotens gehören
theils den Verzweigungen des Ductus Whartonianus an, theils gesellen
§. 868. Siebentes Paar. 897
I
sie sieh zum Nervus lingualia, um mit diesem zur Zunge zu gehen.
Der copiöse Speichelzufluss auf Reizung der Mundschleimhaut
durch scharfe oder gewürzte Speisen, lässt sich als Reflexwirkung
ansehen, durch welche der chemische Reiz diluirt werden soll, und
das Ganglion steht somit zum Geschmacksiim in demselben Bezüge,
wie das Ganglion ciliare und oHcum zu ihren betreffenden Sinnes-
werkzeugen.
lieber einzelne Ganglien an den Aesten des Qaintus handelt Arnold*»
Schrift: über den Ohrknoten. Heidelberg, 1828. — Bochdalek, das Oanglion aupnt'
maxülare, in den Oesterr. med. Jahrb. 19. Bd. — Ferd. Muck, de ganglio Ophthal-
mico. Landish., 1816. — M, Reichart, Ganglion ophthalmicum. München, 1876. —
G. WtUzer, de gangliorum fabrica atque usu. Berol., 1817. — J, F. Meckel, de
ganglio secundi rami quinti paris, in Ludwig, Scriptores neuroL minores, Tom. IV,
und dessen vortreflfliches Werk, de qninto pare nervorum, Gott, 1748. — F. Ar-
nold, der Kopftheil des veget. Nervensystems. Heidclb., 1831. — L. Hirzel, diss.
sistens nexum nervi sympatli. cum nervis corebralibus. Heidelbergensis, 1824. —
F. Tiedemann, über den Antheil des sympathiachen Nerven an den Verrichtungen
der Sinne. — J. O. Varrenirapp, de parte cephalica nervi sympathici. Francof.,
1H3*2. — Benz, de Anastomosi Jacobsonii et Ganglio Amoldi. Hafniae, 1833. —
H. Hom, gangliorum capitis glandulas omantium expositio. Wirceb., 1840. —
Valentin in MüUer^a Archiv. 1840. — Gros, description nouvelle du Ganglion
spheno-palatin. Gaz. möd. de Paris, 1848. Nr. 12. 24. (Die neue Beschreibung
enthält aber nur Altes.)
§. 363. Siebentes Paar.
Das siebente Paar, der Antlitznerv, Nervus communicans
faciei 8, facialis, tritt am hinteren Rande des Po7is Varoli, auswärts
der Oliven, vom Stamme des verlängerten Markes ab. Von seinen
beiden Wurzeln entspringt die vordere, grössere, aus demselben
grauen Kern am Boden der vierten Himkammer, aus welchem der
Abducens entsprang. Die hintere kleinere Wurzel, besitzt einen
eigenen Ursprungskern, ebenfalls am Boden der vierten Kammer,
zu beiden Seiten der Medianfurche. Diese Wurzel führt einen be-
sonderen Namen, als Portio intermedia Wrishergii. Der Name ent-
stand in jener Zeit, in welcher man den Nervus facialis und Nervus
acusticvs als siebentes Paar zusammen fasste , und die hintere
Wurzel des Facialis, so lange sie sich nicht mit der vorderen ver-
einigt hatte, als einen besonderen Antheil dieses siebenten Paares
auffasste, welcher, seiner Lage zwischen vorderer Wurzel und
Acusticus wegen, Portio intermedia dieses Paares genannt wurde.
Beide Wurzeln legen sich in eine Rinne des Nervus acusticus,
scheinen mit diesem nur Einen Nerven auszumachen, und worden
auch früher als Portio dAura^ — der Nermm aamüeu^
Portio moüis paris septimi benannt, bis Sörnm«
Hyrtl, Lelirbiieh dtr Anatomit. 14. Ast.
898 §. 863. Siebentes Paar.
fiir selbstständigc Gehimnerven erklärte. Im inneren Gehörgange
anastomosirt die Portio Wrisherg^U durch ein feines Reiserchen mit
dem Nervus cumsticus, und verschmilzt dann mit der vorderen Wurzel.
Am Grunde des Gehörganges trennt sich der Communicans vom
Aeusticus, betritt den Caiialia Fallopiae, und schwillt am Knie des-
selben, nur mit einem Theil seiner Fasern, zum Ganglion gefiictdi 8.
IntumescenHa ganglüformis an. Dieses Ganglion verbindet sich mit
dem Nervus petrosus superficialis major, mit einem Theil des minor,
und erhält constanten Zuzug von dem sympathischen Geflecht um
die Arteria meningea media herum. Vom Geniculum an, schlägt der
Communicans, über der Fenestra ovalis der Trommelhöhle, die Rich-
tung nach hinten ein, und krümmt sich dann im Bogen hinter der
Eemmentia pyramidalis zum GriflFelwarzenloch herab. In diesem letzten
Abschnitt seines Verlaufes im Felsenbein, verbindet er sich durch
zwei Fäden mit dem Ramus auricidaris nervi vagi,
lieber die Anastomosen des Acusticus mit dem Communicans bandelt weit-
läufig Arnold, und besonders Beck (sieh' Literatur dieses Paragraphen). —
Bald hinter dem Geniculum, sendet der Communicans zwei Aeste ab. Beide ver-
laufen in der Scheide des Communicans noch eine Strecke weit. Vis-ä.-vi8 der
EmirwnUa pyramidalü der Trommelhöhle, trennt sich der kleinere derselben von
ihm, und geht zum Musculus stapedius. Ueber dem Foramen »ti/lo-inastoideum ver-
lässt ihn auch der zweite, und geht als Chorda tympani durch den Canaliculut
chordae in die Trommelhöhle, schiebt sich zwischen Manubriwn mallei und Crus
longum incudia durch, verlÄsst die Trommelhöhle durch die Glaserspalte, und biegt
sich zum Nervus lingualis herab, in dessen Scheide er weiter zieht, um theils bei
ihm zu bleiben, theils als motorische Wurzel in das Ganglion submaxVlare über-
zusetzen. Der Einfluss, welchen der Communicans, durch die Chorda iyiupani,
auf die Speichelsecretion in der Glandula snhmaxUlaris nimmt, ist durch Versuche
sichergestellt.
Durch die, im Nervus petrosus superficialis major, vom Communicans zum
Ganfflion spheno-palatinum wandernden Fasern, wird es erklärlich, dass das Gan-
glion spheno-palatinum, welches dem sensitiven Ramus secundus quinU pari» an-
gehört, in der Hahn der Nervi palalini descendetUes auch motorische Aeste zu ge-
wissen Muskeln des Gaumens (Levator palati, und Azygo» uvulaej entsenden kann^
wodurch bei einseitiger Lähmung des Facialis, das Zäpfchen eine Abweichung
nach der gesunden Kopfseite zeigt (nicht constant).
Nach seinem Austritte aus dem Foramen stt/lo-mastoideum zweigen
sich von ihm folgende drei Aeste ab:
1. Der Nervus auriculans posterior profundus, welcher mit dem
Ramus auricularis nerm vagiy und mit den von den oberen Hals-
nerven stammenden Nervus auriculans magnus und occlpitalis minor
anastomosirt, den Retraliens auriculae sammt dem Muscidus occipitdlis
betheilt, und in dem Hautüberzug der convexen F'läche der Ohr-
muschel, 80 wie in der Hinterhauptshaut, sich verliert.
2. Der Nervus stf/Io-htfoideus und digastricus posterior für die
gleichnamigen Muskehi. Er giebt einen Verbindungszweig zum
Nervus glosso-pharijngeus.
§. 368. SieUntet Paar. 899
3. Die Rami ancLstomatid zum Ramus auricvlo-temporalis des
dritten Quintusastes. Es sind ihrer gewöhnlich zwei, welche die
Arteria temporcUü umfassen, und eigentlich sensitive Fasern des
Quintus in die motorische Bahn des Communicans hinüberleiten.
Um zu den Antlitzmuskeln zu kommen, durchbohrt nun der
Communicans, in einen oberen und unteren Ast gespalten, die Parotis.
Beide Aeste sollen nach Arnold, den Acini dieser Drüse feinste
Zweige mittheilen, welche von den Physiologen als Secretionsnerven
beansprucht werden. Sie lösen sich sodann, noch in der Substanz
der Parotis, in acht bis zehn Aeste auf, welche durch bogenförmige
oder spitzige, auf dem Masseter aufliegende Anastomosen ein Netz-
geflecht, den grossen Gänse fuss, Pes aiiaerinus major, bilden.
Dieser Name wurde dem Geflechte durch Winslow zuerst bei-
gelegt, par-ce-quU ressemhle ä une patte d*oye (Exposition anat. Pains,
1732. Traite des nerfs, n. 9L)
a) Rami temporo-froiitales, zwei bis drei über dem Jochbogen
aufsteigende Aeste, welche mit dem Nervus auricvlo-temporalis, den
Nervis temporalibus profundis, dem Stirn- und Thränennerven ana-
stomosiren, und sich in dem Attrahens und Levator auriculaSj Fron-
talis, dem Orbicnlaris palpehrarum, und Corrugator supercüii, auflösen.
h) Rami zj/gomatici, welche parallel mit der Arteria transversa
faciei zur Jochbeingegend ziehen, um mit dem Nervus zygomaticus
malae, lacrfjmali^, und infraorbitalis sich zu verbinden, und den
Musculus zt/gomcUicus, orbicularis, levator labii superioris et cUas nasi
zu versehen.
c) Rami buccales, welche mit dem Nervus infraorbitalis und
buccinatonus des fünften Nervenpaares Verbindungen eingehen, und
die Muskeln der Oberlippe und der Nase betheilen.
d) Rami subcutanei maxiUae inferioris, zwei mit dem Nervus
bu^xinatorius und mentalis des fünften Paares anastomosirende Aeste,
für die Muskeln der Unterlippe.
e) Nervus svbcutaneus colli superior, welcher sich mit dem Nervus
subcutaneus colli medius, und auricularis magnus aus dem Plexus
cet^icalis verbindet, und das Platysma myoides innervirt.
Die Anastomosen des Communicana faciei mit anderen Gesichtsnerven sind
nicht blos auf seine ^össeren Zweige beschränkt Anch die zartesten Ramificationen
seiner Aeste and Acstchen bilden unter einander, und mit den Veräatlungen des
Quintus, schlingenförmige Verbindungen, welche theils die Muskeln des Antlitzes,
oder einzelne Bündel derselben, theils die grösseren Blutgefässe des Gesichtes,
insbesondere die Vena facialia anterior umgreifen, und sSmmtlich so liegen, dass
die convexe Seite der Schlingen der Medianlinie des Gesichtes zugekehrt ist
Der Communicang faciei ist ein rein motorischer Nerv. Die sensiblen Fftden,
welche er enthalt, werden ihm durch die Anastomosen mit dem Quintus und Vago*
zugeführt. Seine Durchschneidung im Thiere, oder seine Unthfttigkeit durch patho-
logische Bedingungen im Menschen, erzengt Lähmung aämmtlicher Antlilnniiikttlii
67 •
900 §. 964. Achtes Ptar.
— Prosopoplegie. Nur die Kaamnskcln, welche vom dritten Aste des Qaintns
iimervirt werden, stellen ihre Bewegungen nicht ein. — Da das Spiel der Ge-
sichtsmuskeln der Physiognomie einen veränderlichen Ausdmck verleiht, so wird
der Communicans auch als mimischer Nerv des Gesichtes aufgeführt; and da
die Muskeln der Nase und Mnndspalte bei leidenschaftlicher Aufregung in con-
vulsivische Itewegungen gcrathen, und bei den verschiedenen Formen von Athmung«-
beschwerden, in angestrengteste Thätigkeit versetzt werden, führt er, seit Ch. Bell,
den physiologisch nicht ganz zu rechtfertigenden Namen: Athmnngsnerv des
Gesichtes. Dass jedoch diese Benennung nicht einzig und allein auf einem
geistreichen Irrthnm beruht, können die unordentlichen, passiven, nicht mehr durch
den Willen zu regulirenden Bewegungen der Nasenflügel, der Backen und Lippen,
bei Gesichtslähmungen, Apoplexien, und im Todeskampf beweisen, wo sie wie
schlaffe Lappen durch den aus- und einströmenden Luftzug mechanisch hin und
her getrieben werden. — Die in einzelnen Fällen von Lähmung des Facialis vor-
kommende Beizbarkeit gegen laute Töne, erklärt sich vielleicht aus der Lähmung
des vom Facialis versorgten 3fusculu8 atapediu», zufolge welcher der Steig'büg^el
im ovalen Fenster schlottert
«/. F. Meckel, von einer ungewöhnlichen Erweiterung des Herzens und den
Spannadem (alter Name für Nerven) des Angesichtes. Berlin, 1775. — Z>. ^. Esch-
richt, de fhnctionibus septimi et quinti paris. Hafn., 1825. — G. Morganti, ana-
tomia del ganglio genicolato, in den Annali dl Omodei. 1845. — B. Beck, anat.
Untersuchungen über das siebente und neunte Gehimnervenpaar. Heidelb., 1847.
— Zf. Calori, sulla corda del timpano. Mem. della Accad. di Bologna. T. IV.
§. 364. Achtes Paar.
Das achte Paar, der Gehörnerv, Nervus acusHcus, entspringt
nach Stieda, aus zwei grauen Kernen, deren einer am Boden der
Rautengrube, der andere im Corpus restiforme liegt. Die Ursprungs-
fasern vereinigen sich zu jenen markweissen Querbündeln, welche
am Boden der vierten Kammer als Chordae acusttcae angeführt
wurden. Ich sah diese Chordae bei Taubstummen fehlen. Seine
Ursprungsfasern sammeln sich zu einem weichen, von der Arach-
noidea locker umhüllten Stamm, welcher zwischen der Flocke und
dem Brückenarm nach aussen tritt, mit einer Furche zur Aufnahme
des Communicans versehen ist, und mit ihm in den Meatiis audi-
torius intetmus eintritt, wo seine Spaltung in den Schnecken- und
Vorhofsnerven stattfindet.
Der stärkere Schneckennerv, Xervus cocfileae, wendet sich zum TractuM
/orammulenlu», drelit seine Fasern etwas schraubenH)rmig zusammen, und schickt
sie durch die Löcherchen des Tractus zur Lamiiui npiraiü, wo sie nach Corti
ein dichtes Geflecht bilden, in welchem bipolare Ganglienzellen vorkommen. Wahr-
scheinlich treten die Primitivfasem des Schneckennerven durch diese Ganglien-
zellen hindurch, und werden jenseits derselben neuerdings zu einem Geflechte
vereinigt, dessen austretende Fasern zur LamiiM sinrali» memhranacea gelangen,
um mit den im Canala Cochleae enthaltenen terminalen Endapparaten in Ver-
bindung zu treten (§. 237). Endschlingen existiren ganz gewiss niclit. — Bevor
der Schneckennerv cum Tradu* foraminuleiüut gelangt, giebt er den Nervut
S. 865. Ntnntes Pmt. 901
aaccuU hemitpkaerici ab, welcher durch die Mcunda cribrota des Beceaaiis aphaericut,
in den Vorhof und som ninden Sftckchen geht. — Der schwächere Vorhofs-
nerv, Nervus vestibuU, liegt hinter dem vorigen. Er zerfällt in vier Aeste, von
welchen der stärkste zum Sacctdtts eUipUcua, die drei übrigen zu den Ampullen
der drei Canales aemidrculare», durch die betreffenden Maculae cribroeae gelangen.
Das eigentliche Ende der Primitivfasern des Vorhofsnerven ist unbekannt. — Die
Verbindungszweige des Acusticus mit dem Communicana faciei sind ein oberer
und unterer (Arnold, Swan). Ersterer kommt aus der Portio Wriabergii, letz-
terer aus dem Ganglion geniculi, — Die ganze Masse des Gehörnerven am Grunde
des Meahia audiloriua irUemua, welche sich durch grauröthliche Färbung von dem
Stücke desselben extra meatum unterscheidet, enthält bipolare Ganglienkugeln,
welche Corti auch an den Verästlungen des Vorhofsnerven beobachtete. —
Delmaa, recherches sur les nerfis de Toreille. Paris, 1834. — Ä. Böttcher, observ.
microsc. de ratione, qua nervus Cochleae mammalium terminatur. Dorpat, 1856.
§. 365. Ifeiiiites PaÄT.
Die Anatomen sind unter sieh nicht einige ob sie das neunte
Paar, den Zuhgenschlundkopfnerv, Nerom glosso-pharyngeus, i\xT
einen gemischten Nerv, oder für einen sensitiven halten sollen. Die
Anhänger der sensitiven Natur dieses Nerven, berufen sich auf das
Vorkommen eines Ganglion (Ganglion petrosum) an ihm, und Gan-
glien kommen nur sensitiven Nerven zu. Die Vertheidiger der ge-
mischten Qualität des Glosso-pharyngeus , stützen sich auf einen
gewichtigeren Grund, auf das factische Vorhandensein von Muskel-
ästen dieses Nerven. Ich schliesse mich den letzteren an. — Der
Glo88o-pharyngeu8 entspringt aus einem grauen Kern des verlängerten
Markes, welcher vor dem Kern des Vagus liegt, und oft nur eine
Verlängening desselben ist. Vor der Flocke des kleinen Gehirns
zieht er zum oberen Umfange des Foramen juguLare, wird hier von
einer besonderen Scheide der Dura mater umgeben, und durch sie
von dem dicht hinter ihm liegenden Vagus, als dessen Bestand-
theil er lange Zeit galt, getrennt. Im Foramen jugulare bilden seine
hinteren Fasern einen kleinen, nicht constanten Knoten — das
Ganglion jugulare, an welchem sich die vorderen Fasern des Nerven-
stammes nicht betheiligen. Dieses Ganglion erhält vom ersten Hals-
ganglion des Sympathicus einen Verbindungszweig. Nach dem
Austritte aus dem Loche schwillt der Nerv zu einem zweiten,
grösseren und constanten Knoten an, — das von Andersch ent-
deckte Ganglion petrosum, — welches sich in die Fosmla petrosa
des Felsenbeins einbettet, und mit dem Ganglion cemicale primum
des Sympathicus, so wie mit dem Ramus auricularis vagi durch eine,
hinter dem Bulbus der Vena jugtUaris nach aussen laufende Ana-
902 §. S65. Nenntcs Puar.
Der wichtigfste Ast des Ganglion petro9um ist der Nenms Jacobsonii. Dieser
geht durch ein Kanälchen der unteren Felsenbeinfläche, welches zwischen Fo9»a
jugularis und Anfang des Canalis caroUcus beginnt, nach aufwärts in die Panken-
höhle, wo er in einer Rinne des Promontorium liegt Hier sendet er ein AeMtchen
zur Tuba Eitstachii, ein zweites zur Schleimhaut der Paukenhöhle und erhält von
den carotischen Geflechten zwei feine Nervi carotico-tt^npanici. Er verbindet picli
zuletzt, nachdem er unter dem Setnicanalis tensoria tympani zur oberen Pauken-
höhlenwand, und durch ein Löchelchen derselben auf die vordere obere Fläche
des Felsenbeins kam, mit jenem Antheile des Nervus pelroaua superficialis niirtor,
welcher nicht an das Ganglion geniculi tritt.
Am Halse legt sich der Zungenschlundkopfnerv zwischen die
Carotis interna und externa, steigt an der inneren Seite des Musculus
8tyl(hpharyngeu8 herab, und erzeugt:
a) Verbindungszweige für den Vagus.
b) Verbindungszweige für die carotischen Geflechte.
c) Einen Verbindungszweig für den Ramus digastricus und
styl(hhyoideus des Communicans faciei. Auch dieser Zweig ist als vom
Communicans kommend, nicht zu ihm gehend, zu nehmen.
d) Einen Muskelzweig für den Muscidus stylo-pliaryngeus.
Man hat durch Reizungsversuche des Glosso-pkaryngeus an Thieren, auch
Contractionen im Levalor palati moUis, im Azygos uvulae, und im Oonstrictor
pharyngis medius eintreten gesehen. Die anatomische Präparation hat aber directe
Zweige des Glosso^aryngeus zu diesen Muskeln noch nicht dargestellt, wohl aber
solche vom Vagus kommend nachgewiesen. Es ist möglich, dass die fraglichen
Muskelzweige des Ghsso^hargngeus , durch die Verbindungszweige zwischen
Glosso-pfiari/ngeus und Vagus (aj, in den letzteren gelangen, und durch ihn den
genannten Muskeln zugeführt werden.
e) Drei oder vier Rami pharyngei für den oberen und mitt-
leren Rachenschnürer.
Die Fortsetzung seines Stammes geht zur Zunge, als Rumus
lingualis. Er erreicht unter der Tonsilla den Seiten rand der Zungen-
wurzel, versieht die Schleimhaut des Arcus glosso-palatimis^ der
Tonsilla, des Kehldeckels (vordere Seite), und der Zungen wurzel,
und verliert sich zuletzt in den Papillis vallatis. Seine Aeste in der
Zungensubstanz besitzen nach Remak zahlreiche mikroskopische
Ganglien. Bis zur Spitze der Zunge reicht kein Zweig des Glosso-
pharyngeus, obwohl es von Hirschfeld angegeben wird.
Es liegt die Frage vor, ol) der GloHso-pharynj^eus von aeinem Ursprung an
ein gemischter Nerv ist, oder es erst durch die Aufnahme von Fasern anderer
Hirnnerven wird. Wie üheralU wo Vivi.sectionen sich der Entscheidung einer Frage
in der Functionenlehre der Nerven hemächtigen, stellen sicli auch hier zwei feind-
liche Gnippen gegenüber. Arnold und Joh. Müller erklärten den Glosdo-
pharyngeus für einen gemischten Nerv; J. Keid, Longet, Valentin, für einen
rein sensitiven, da alle Fasern des Glosso-pharyngeus in das Ganglitm petrosum
eingehen, und Ganglien sich nur an sensitiven Ner\'en vorfinden. Die motorischen
' Aeste, welche er zu den Rachenmuskeln sendet, können ihm durch die Anastomoa«
§. 366. Zehntes Pmt. 903
mit dem Commonicans and Vagos (welcher sie vom Recurrens WÜlisH empfängt)
prociirirt worden sein.
Nach Panizza (Ricerche sperimentali aopra i nervi, Pavia, t834) wäre der
Glo880-pharyngeu8 der wahre Geschraacksnerv der Zange. Die Versache von Joh.
Mü Her nnd Longet, sprechen aber dem Ramus linguafU vom Quintns specifische
Geschmacksenergien, und dem Glosso-pharyngeus nur Tastempfindungen zu. Aach
Volkmann's Erfahrungen lauten gegen Panizza^s Behauptung, welche in
neuerer Zeit durch Stanniu» wieder eine Stütze erhielt. Stannius glaubt auf
dem Wege des Experimentes Panizza^s Ansicht bestätigt zu haben. £r fand,
dass junge Katzen, denen beide Ncrüi glosso-pharyrujei durchschnitten wurden,
Milch, welche mit schwefelsaurem Chinin bitter gemacht wurde, so gierig, wie
gewöhnliche süsse Milch verzehrten. Der Glos80-]>haryngeus wäre demnach der
Geschmacksnerv für Bitteres. (Wohl gemerkt, man gab den Thieren keine süsse
Milch zugleich neben der bitteren. Nur wenn dieses geschehen wäre, hätte das
Experiment einigen Sinn. Was aber das gequälte Thier empfindet, wenn es
Chininmilch trinkt, hat es noch Keinem geklagt.) Biffi und Morgan ti fanden,
dass die Durchschneidung des Glosso-pharjngens nur die Geschmacksempfindung am
hinteren Theile der Zunge aufhebt, dass sie aber an der Zungenspitze verbleibt.
(Su H nervi della lingua. Annali di Omodei. 1840. J Müller, dem ich vollkommen
beistimme, hält auch die Gauraenäste des Quintus für GeHchmackserregung empfang-
lich. Die usurpirte Würde des Glosso-pharyngeu» als specifischer Geschmacksnerv
ist also noch sehr in Frage gestellt. Die pathologischen Data, welche zur Lösung
dieser Frage herbeigezogen werden könnten, sind zu wenig übereinstimmend, um
Schlüsse darauf zu basiren.
Das Gamjlion jugtünre des Glosso-pharyngeus wurde von einem Wiener
Anatomen, Ehrenritter (Salzburger med. chir. Zeitung. 1790. 4. Bd. pag. 320),
zuerst beobachtet. Die Präparat« verfertigte er selbst für das Wiener anatomische
Museum, wo sie zur Zeit meines Prosectorats noch vorhanden waren. Es wurde
aber diese schöne Entdeckung von den Zeitgenossen nicht beachtet, und erst
durch Joh. Müller der Vergessenheit entrissen (Medicinische Vereinszeitung.
Beriin, 1833).
IT, F, Kilian, anat. Untersuchungen über das neunte Nervenpaar. Pesth,
1822. — C. Vogt, über die Function des Nervfi« ImgtMfis und glmMo-pharynfjewt.
Miiilcr^8 Archiv. 1840. — John Reid in Todd^a Cyclopaedia of Anatomy and
Physiology. Vol. II. — B. Reck, lib. cit. — O, Jacof), Verbreitung des Nei'vua
glostto-phargnt/eua in Schlundkoi»f und Zunge. München, 1873. — Das (ranfflion
petroanm wurde von C. S. Andersch (De nervis hnm. corp, aluiuWua, V, I.
pag. 6) zuerst beschrieben.
§. 366. Zehntes Paar.
Das zehnte Paar, der herumschweifende oder Lungen-
Magen nerv, Nervus vagus s, pneumo-ijcistricus, ist der einzige Gehirn-
nerv, dessen Trennung auf beiden Seiten eines lebenden Thieres,
Tod zur nothwendigen Folge hat. Seine Betheiligung an den zum
Leben unentbehrlichen Functionen der Athmungs- und Verdauungs-
organe, bedingt seine relative Wichtigkeit — ' • '^nauM
erhielt er schon von Fallopia, ^
904 §• 366. Zehnte« Paar.
organo ad alia multa, weshalb er auch bei Vesling (Syntagma ancU,
Patav., 1641) Nervus ambulatorius heisst.
Er tritt mit zehn bis fünfzehn Wurzelstämmchen in der Furche
hinter der Olive vom verlängerten Marke ab. Arnold verfolgte
seine Wurzeln bis in den grauen Kern der Corpora reatiformia,
Stilling bis in den sogenannten Vaguskern des hinteren Winkels
der Rautengrube.
Der Vagus geht mit dem Nervus glosso-pliart/ngeus und recur-
rens WllUsii durch das Foramen jugulare aus der Schädelhöhle
heraus. Durch eine besondere Brücke der harten Hirnhaut wird
er wohl von ersterem, nicht aber von letzterem getrennt. Sein
weit verbreiteter Verästlungsplan macht, zur leichteren Uebersicht
desselben, die Eintheilung in einen Hals-, Brust- und Bauehtheil
nothwendig. Noch bevor er die Schädelhöhle verlässt, sendet er
einen feinen Ramus recurrens zur harten Hirnhaut der hinteren
Schädelgrube (Arnold, Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener
Aerzte, 1862).
A) HalstheiL
Der Halstheil bildet schon im Foramen jugulare einen kleinen
rundlichen Knoten, an welchem, wie es den Anschein hat, alle Fäden
des Vagus Theil nehmen, und welcher von seiner I^age Ganglion
jugulare heisst. Er hängt constant mit dem Ganglion c^srvicale
primum des Sympathicus durch eine graue Anastomose zusammen.
Sein Bau stimmt mit jenem der Spinalganglien überein, d. h. die
Fasern des Vagus treten zwischen den Ganglienzellen durch, und
werden durch neue, aus den meist unipolaren Ganglienzellen ent-
springende Fasern vermehrt. Unterhalb des Foramen jugulare
schwillt der Vagus durch Aufnahme von Verbindungsästen von
benachbarten Nerven des Halses (Recurrens Willisii, Ht/poglossu^,
und den zwei ersten Spinalnerven) zu dem ungeföhr einen halben
Zoll langen, und zwei Linien dicken, Knotenge flechte an, Plexus
nodosus s, gangliiformis Meckelil , welches Ganglienzellen enthält.
Unter dem Knotengeflecht wird der Vagus wieder dünner, und läuft
zwischen Carotis communis und Jugulare interna zur oberen Brust-
apertur herab. Die Zweige, welche er giebt und erhält, sind folgende :
a) Ramus auricidaris vagi. Dieser von Arnold zuerst im
Menschen aufgefundene Ast des Vagus, entspringt aus dem Ganglion
jugulare, oder dicht unter ihm aus dem Vagusstamme. Er verstärkt
sich durch einen Verbindungszweig vom Ganglion petrosum, geht in
der Fossa Jugularis des Schläfebeins um die hintere Peripherie des
Bulbus der Drosselader herum, tritt durch eine besondere Üeffnung
in der hinteren Wand dieser Fossa in das Endstück des Falle pirschen
(. 866. Zehntes Piar. 90Ö
Kanals, kreuzt sich daselbst mit dem Communicans, und verbindet
sich mit ihm durch zwei Fäden, dringt dann durch den Cancdictdtts
mastoideus hinter dem äusseren Ohre hervor, und zerfallt in zwei
Zweige, deren einer mit dem Nervus auricularis profundus vom Com-
municans sich verbindet, deren anderer sich in der Auskleidungshaut
der hinteren Wand des Meatus auditorius extemus verliert.
Näheres über ihn gab £. Zucke rkandel, in den Sitzungsberichten der
kais. Akad. 1870. *
b) Ein Verbindungsast vom Nervus recurrens Wülisü und, wie
es heisst, auch vom Hypoglossus. Durch sie erhält der Vagus,
welcher vorzugsweise als sensitiver Nerv entspringt, motorische Fasern
zugeführt, die er später wieder theils zum Glosso-pharyngeus sendet,
theils als liami pharyngd und laryngei von sich entlässt, wodurch
die Stelle des Vagus, welche zwischen Aufnahme und Abgabe dieser
motorischen Fäden liegt, dicker sein muss, und zugleich einem Ge-
flechte ähnlich wird, was der oben angeführte Name Plexus nodosus
ausdrückt.
c) Verbindungsäste zum Ganglion cerviccde primum des Sym-
pathicus, und zum Plexus nervorum cerviccUium, Sie kommen aus
dem Plexus nodosus, so wie d) und e).
d) Nervus pharyngeus superior et inferior. Zwei aus dem oberen
Theile des Plexus nodosus entspringende, zwischen Carotis externa
und interna zur Seitengegend des Pharynx laufende Äestc, welche
sich mit den Ramis pharyngeis des Glosso-pharyngeus und des oberen
Halsganglion des Sympathicus, zu einem die Arteria phart/ngea a^cen-
dens umgebenden Geflecht (Plexus pharyngeus) verbinden, dessen
Aeste die Muskeln und die Schleimhaut des Rachens versorgen.
Arnold erwähnt, dass der Nervus phart/ngemt inferior, auch Fäden in den
Levator pcUati moUia und Azygos uvulae gelangen lässt. Der Ast zum Levator
palati wurde durch Wolfert (De nervo musctdi levatori» pcUali, BeroL, 1855)
bestätigt. Wahrscheinlich sind diese Fäden vom Glosso-phaiyngeus in den Vagus
übergegangen (§. 365, a),
e) Nervics laryngetis superior. Er tritt aus dem unteren Ende
des Knotengeflechtes hervor, geht an der inneren Seite der Carotis
int&ma zum Kehlkopf herab, und theilt sich in einen Ramus extemus
und internus. Der extenvus sendet zuweilen einen Verstärkungsfaden
zum Nervus cardiacus longus des ersten sympathischen Halsganglion,
und endet im Musculus constrictor pharyngis inferior und crico-thyreoi-
deus. Der internus, welcher complicirter ist, folgt anfangs der Ar-
teria thyreoidea supein,or, und später dem als Arteria laryngea be-
kannten Zweige derselben, tritt mit diesem durch die Membram^
hyo'thyreoidea in das Innere des Kehlkopfes , un^ "
hintere Fläche des Kehldeckels (die TordeMi
906 §. 866. Zehntes Paar.
pharyngeus verpflegt) und die Sehleimhaut des Kehlkopfes bis zur
Stimmritze herab.
Der Ramu8 iiUeniua anastomosirt regelmässig durch einen zwischen Schild-
und Ringknorpel herabziehenden Faden mit dem Nervus lart/ngeus recttrreiu, so
wie, obwohl unconstant, mit dem Bamtts extermis, durch einen feinen Zwei^,
welcher durch ein unconstantes Loch in der Nähe des oberen Schildknorpelrandea
geht. — Dass der Ramivt internus während seines Verlaufes von der Durch-
bohrungsstelle der Membrana hyo-thtp'eoidea bis zur Basis der Carliloffo ari/taenoidea
die Schleimhaut des Kehlkopfes als Falte atifhebt (Vlica nervi laripujei), wurde
schon bei der Beschreibung des Kehlkopfes erwähnt, §. *281. — Der Ramtis in-
ternus des Nervus laryngeus superior ist vorzugsweise sensitiver Natur. Auch jene
Aeste desselben, welche in die Verengerer der Stimmritze eintreten (Arytnenoideus
ohliquus und transversus), bleiben nicht in ihnen, sondern durchbohren sie, um in
der Schleimhaut zu endigen. So behauptet man wenigstens. Dagegen sind moto-
rische Zweige zu den im Ligamentum epiglottideo-arytaenoideum eingeschlossenen
Muskelfasern (als Thyreo- und Ary-epiylotticus in §. 283 erwähnt) sichergestellt.
f) Ein constanter Verbindungsfaden zum Kamus descendena
hypoglosd, und mehrere unconstante, zum Plexus caroticus internus.
Der erstere scheint es zu sein, welcher den Ramm cardiaciis des
Hypoglossus bildet (§. 369).
g) Zwei bis sechs Rami cardiaci 8, Nervi molles, welche theil-
weise auch erst aus dem Bruststück des Vagus austreten, die Rami
carduici der Halsganglien des Öympathicus verstärken, oder direct
zum Plexus cardiacus herablaufen.
B) Brusttheil,
In der oberen Brustapertur liegt der Vagus, hinter der Vena
anont/ma. Hierauf geht der rechte Vagus vor der Arteria suhdama
dextra, der linke vor dem absteigenden Stück des Aortenbogens
herab. Jeder tritt dann an die hintere Wand des Bronchus seiner
Seite, an welche er durch kurzes Bindegewebe angeheftet wird.
Unter dem Bronchus legt sicli den- rechte Vagus an die hintere,
der linke an die vordere Seite des Oesophagus (als Chordae oeso-
phageas der Alten). Beide verbinden sich zum Plexus oesapliageus.
Die Aeste des Brusttheils sind:
aj Der vorzugsweise motorische Nervus laryngeus recurrens.
Der rechte ist kürzer, da er sich schon in der oberen Brustapertur
um die Arteria subclavia dextra nach hinten und oben herumschlägt;
der linke umgreift in derselben Richtung tiefer unten den Aorten-
bogen. Beide Recurrentes laufen in den Furchen zwischen Luft-
und Speiseröhre zum Kehlkopf hinauf und erzeugen: Verbindungs-
äste zu den Rami cardiaci des Ganglion cervicale inftrius und medium
des Sympathicus, feine Aestchen zum Herzbeutel (nach Luschka nur
vom rechten Recurrens), so wie auch für Trachea und Oesophagus.
|. 366. Zehntel Paar. 907
Nach Absendung dieser Zweige dnrchbohrt der Recurrens den unteren
Corulrktor pharyngis hinter dem unteren Home der Cartilago Üii/reoidea, und zer-
fällt in einen Ramtia extemus et irUemua. Der extemfts versorg^ den Thyreo-
art/taenoidewt und Crico-arytaeiioideiis luteralia; der intenitu anastomosirt mit dem
Bamua hüemus des Laryntjetu tmperhr, und verliert sich im Muacitltu cnco-ary-
taeiioideua poaUciu, arytaenoidetu obliqnua und tranaverftia, so wie in der Schleim-
haut des Kehlkopfes unterhalb der Stimmritze. Alte Namen: Palyitdromua und
Nervus rev€r«ivtts.
h) Die Nervi bronchiales anteriores et posteriores. Die anteriores
verketten sich mit Antheilen der Nei-vi cardiaci des Sympathicus zu
einem Geflechte, welches an der vorderen Wand des Bronchus, als
Plexus lyronchialis anterior zur Lunge geht. Die posteriores sind
stärker als die anteriores, und verweben sich mit diesen und den
später anzurührenden Zweigen der oberen Brustganglien des Sym-
pathicus zum Plexus bronchialis posterior, welcher die Ramificatiouen
des Bronchus im Lungenparenchym begleitet.
Sind die Plexus bronchiales einmal in das Lungengewebe eingegangen, so
heissen sie Plexus pulmonales. Merkwürdig ist, dass die Nervi bronchiales poste-
riores beider Seiten sich so mit einander verketten, dass jeder Plexus bronchialis,
und dessen Fortsetzung als Plexus pulnumalis, Elemente beider Vagi enthält. Die
Plexus pulmonales lösen sich in der Schleimhaut und in den contractilen Bestand-
theilen der Bronchialverzweigungen auf, sind also gemischter Natur. Dass der
motorische Antheil derselben aus dem Recurrens Wülisii stammt, lässt sich aller-
dings vcrmuthen.
c) Der Plexus oesopliageus, durch Spaltung und Verstrickung
des linken und rechten Vagus entstanden, läuft an der vorderen
und hinteren Wand der Speiseröhre herab, und besorgt Schleimhaut
und Muskelhaut der Speiseröhre.
C) BauchtheiL
Der Bauchtheil des Vagus besteht nur in den Fortsetzungen des
Plexus oesopliageus, welcher sich in den, an der vorderen und hinteren
Wand des Magens unter der Bauchfellhaut befindlichen Plexus
gastricus anterior et posterior auflöst. Der Plexus gastriais anterior
sendet zwischen den Blättern des kleinen Netzes Strahlungen zum
Plexus hepaticus; der Plexus gastricus posterior aber ein nicht unan-
sehnliches Strahlenbündel zum Plexus coeliacus, zuweilen auch Fasern
zur Milz, zum Pankreas, selbst zum Dünndarm, und zur Niere.
F, G. Theile, de musculis nervisque laryngeis. Jenae. 1825. — A. Solin-
ville, anat. disquisitio et descriptio nervi pneumogastrici. Turici, 1838. — E. Traube,
Beiträge zur experim. Pathologie. Berlin, 1846. — Schiß, die Ursache der Lungen-
veränderung nach Durchschneidung der Vagi, in Griesinyer's Sechswochenschrift,
7. und 8. Heft. — E. Wolff, de fiinctionibus nervi vagi. Berlin, 1856. — Luschka,
Nerven des menschl. Stimmorgans, in der Prager Vierteljahressohiift, 1869.
908 §• 8^> Pli7>iologiiohea übtr den Vagus.
§.367. Physiologisches über den Vagus.
Die von Arnold zuerst ausgesprochene Ansicht, dass der
Vagus, seinem Wurzelverhalte nach, ein rein sensitiver Nerv sei,
und dass er seine motorischen Aeste nur der Anastomose mit dem
Recurrens Wülim zu verdanken habe, welcher sich zu ihm, Tvie die
vordere, ganglienlose Wurzel des Quintus zur hinteren verhält,
wurde von Scarpa, Bischoff, Valentin, durch Versuche am
lebenden Thiere, und durch comparativ anatomische Erfahrungen
in Schutz genommen. Nach Müller's und Volkmann's Versiehe-
rungen dagegen, soll der Vagus ursprünglich schon, wenigstens bei
Thiereu, motorische Elemente einschliessen, welche an dem Ganglion
jugulare nur vorbeigehen, ohne an seiner Bildung zu participiren.
Ich schliesse mich der Ansicht über die gemischte Natur der Ur-
sprungsfasern des Vagus an, da die motorischen, oder doch theil-
weise motorischen Aeste des Vagus : Rami pharyngei, laryngeus superior
et inferior, Plexus pulmonalis, oesophageus und gastrjums zu zahlreich
sind, um allein von der verhältnissmässig schwachen Anastomose
mit dem Recurrens Wülisii abgeleitet werden zu können.
Die sensitiven Verästlangen des Vag^s lösen folgende Keflexbeweg'un^n
• ans: 1. Erbrechen, durch Reizung der Gauraenbögen, oder der oberen Partie
der hinteren Pharynxwand, wobei auch Glosso-pharyngcusfasern interveuiren.
2. Schlingen, durch mechanische Reizung der unteren Partie der hinteren
Rachenwand. 3. Schluchzen (SingultitsJ, durch Erregung der Magengeflecht«,
z. B. bei vielen Menschen durch einen kalten Schluck. 4. Krampfhafter Ver-
schluss der Stimmritze, durch Reizung des Adütia ad larf/iujevi und der
oberen Fläche der Stimmbänder, ö. Husten, durch jeden Reiz der Kehlkopf-
schleimhaut unter den Stimmbändern. 6. Hemmung der Respirations-
bewegung bis zum Stillstand, welchen man an Thieren durch Trennung des
Vagus, und Reizung seines zum Gehirn gehenden Stückes, also sicher nur durch
Reflex, henrormfen kann.
Die sensitiven Qualitäten des Vagus äussern sich in Hunger und Durst,
Sättigungsgefühl, Athemnoth, Beklemmung, Schmerz, etc. Trennung des Vagus
am Halse auf beiden Seiten (Über dem Ursprung des Nervus lari/iujetis ftujyeriorj
ist absolut tödtlich. Die Erscheinungen, die man hiebe! beobachtet, erklären die
physiologischen Thätigkeiten der einzelnen Vag^isäste. Sie sind : 1 . Unempfindlich-
keit der Kehlkopf-, der Luftröhren-, und der Speiseröhrenschleimliaut, und deshalb
Schweigpen aller Reflexbewegungen, z. B. Husten, Würgen, Schlingen. '1. Heisere,
matte Stimme, oder complete Aphonie, wegen Erschlaffung der Stimmritzenbänder.
3. Athemnoth, bei jüngeren Thieren bis zur Erstickung. Da der vom Xervn^
lari/ngeu8 recurrens innervirte Crico-aryttienoideus posticua die Stimmritze erweitert,
(eine Bewegung, die mit jedem Einathmen eintritt), so wird die Durchschneidung
beider Recurrentes, oder beider Vag^ über dem Ursprung der Recurrentes, diese
Erweiterung aufheben. Der Luftstrom, welcher durch den Inspirationsact in den
Kehlkopf eindringt, kann dann die Bänder der Stimmritze, besonders wenn diese
schmal ist, wie bei allen jungen Thieren, aneinander drücken, und Erstickungstod
verursachen, welcher bei alten Thieren, deren Stimmritice weiter ist, nicht so leicht
§. 868. Eilft68 Paar. 909
eintreten wird. 4. Hyperämie, Apoplexie der Lungen, und seröse Infiltration,
welche dadarch entstehen soll, dass, der Lähmung der Glottis wegen, Speichel
und Schleim vom Pharynx in die Luftwege gelangt, und der aufgehobenen Reflex-
bewegung wegen nicht mehr ausgehustet werden kann. 5. Lähmung der Speise-
röhre; daher Unvermögen zu schlingen, indem das Verschlungene auf halbem
Wege stecken bleibt, und durch Erbrechen wieder ausgeworfen wird, um, neuer-
dings verschlungen, wiederholt dasselbe Schicksal zu haben, woraus sich die
scheinbar grosse Gefrässigkeit der operirten Thiere erklärt 6. Träge Bewegung
des Magens, und dadurch bedingte unvollkommene Dnrchtränkung der Nahrungs-
mittel mit Magensaft, dessen Absonderung durch die Trennung des Vag^ nicht
sistirt wird 7. Den Einfluss des Vagus auf die Herzthätigkeit hat man als einen
hemmenden oder regulatorischen bezeichnen zu müssen geglaubt. Reizung
des Vagus soll die Zahl der Herzschläge vermindern, und selbst Stillstand des
Herzens bewirken. He nie hat an der Leiche eines geköpften Mörders, fünfzehn
Minuten nach dem tödtlichen Streiche, mittelst Durchführung eines Stromes des
Rotationsapparates durch den linken Vagus, das Herzatrium, welches sechzig bis
siebenzig Contractionen in der Minute zeigte, plötzlich im Expansionszustande stille
stehen gemacht. Stromleitung durch den Sympathicus rief die Bewegung des
Atrium wieder hervor. Der Vagus scheint sonach eine Hemmungswirkung auf die
llerzbewegung, welche primär vom Sympathicus angeregt wird, zu äussern. Man
ist aber sehr früh aus diesen schönen Träumen erwacht, als man vernahm, dass
nur intensive Reizung des Vagus die Zahl der Herzschläge vermindert,
schwache Reizung desselben aber das Gegentheil bewirkt. — Eine bethätigende
Einwirkung auf die Bewegung des Dickdarms wurde dem Vagus auf Grundlage
sehr zweifelhafter Vivisectionsresultate zugesprochen.
§. 368. Eilftes Paar.
Das eilfte Paar, der Beinerv, Nervus recurrens s. accessortu^
Willisü, dessen motorische oder gemischte Natur durch die contra-
dictorisch lautenden Vivisectionsresultate nichts weniger als sicher-
gestellt wurde, hat einen sehr veränderlichen, und selbst auf beiden
Seiten nicht immer symmetrischen Ursprung. Er entspringt vom
Seitenstrange des Halsrückenmarks, und unterscheidet sich dadurch
von allen anderen, aus dem Rückenmark hervortretenden Nerven,
welche mit doppelten Wurzeln aus dem Sulcics lateralis anterior et
posterior auftauchen. Seine längste Wurzel kann bis zum siebenten
Halsnerven herabreichen, oder schon zwischen dem dritten und
vierten entspringen. Während sie zum Foramen occipitis magnum
aufsteigt, zieht sie neun bis zehn neue Wurzelßlden an sich, und
wird dadurch zum Hauptstamm unseres Nerven, welcher zwischen
den vorderen und hinteren Wurzeln der betreffenden Halsnerven
(und hinter dem Ligamentum denticukUum) zum grossen Hinterhaupt-
loch gelangt, und durch dasselbe die Schädelhöhle betritt. Hier
nimmt er vom Corpus restiforme seine letzte Ursprungswurzel auf^
und schliesst sich sofort an den Vagus an^ woher sein Name stai*
Accessorius ad par v(tgum. Mit dem Vagus krttmmt
910 $.368. Eilftes Paar.
aussen zum Foramen jugtdare hin, in welchem er hinter dem Gan-
glion jugulare vagl herabsteigt, und sich zugleich in zwei Portionen
theilt. Die vordere schwächere Portion verbindet sich einfach
oder mehrfach mit dem Ganglion jugtdare vagi, und geht in den
Vagus und dessen Plexus nodosua über. Sie ist es, welche in den
motorischen Bahnen des Nervus pharyngeus, und laryngetis superior
et inferior, wieder aus dem Vagus hervorkommt. Die hintere
zieht hinter der Vena ju,gulari8 interna nach aussen, durchbohrt den
Kopfnicker, theilt ihm Zweige mit, und bildet mit Aesten der
oberen Halsnerven ein Geflecht, welches sich nur im Musculus
cueuUaris ramificirt. — Der Grund des sonderbaren, vom Rücken-
mark zum Vagus hinauf strebenden Verlaufes des Recurrens, scheint
mir der zu sein, dass der Vagus, welcher gleich nach seinem Aus-
tritte aus dem Foramen jugulare mehr motorische Aeste abzugeben
hat, als er kraft seines Ursprungs besitzt, einen guten Theil der-
selben schon in der Schädelhöhle durch den Accessorius zugeführt
erhalte.
An die hintere Wurzel des ersten Halsnerven liegt der Accessorius Willisii
fest an, und nimmt anch nicht selten diese Wurzel gänzlich in seine eigene Scheide
auf, nm sie erst weiter oben wieder von sich abgehen zu lassen. — Der Acces-
sorius Willisii g^lt allgemein ftir die motorische Wurzel des Vagus. Die von mir
constatirte Thatsache des Vorkommens halbseitiger Ganglien am Accessorius, in
welche ein Theil seiner Fasern Übergeht, lässt sich mit der rein motorischen
Natur des Nerven nicht wohl vereinbaren. Oanglien kommen nur an sensitiven
oder gemischten Hirnnerven vor, nie an motorischen. Es sind diese Ganglien
nicht zu verwechseln mit jenem, welches an der Verbindung des Accessorius mit
der hinteren Wurzel des ersten Halsnerveu vorkommt, und eigentlich das GangUon
irUervertehrale dieses Nerven ist. Die halbseitigen Knoten des Accessorius liegen
über jener Verbindungsstelle, neben dem Eintritte der Arteria vertehralis in die
Schädelhöhlc. Sie finden sich auch in jenen Fällen, wo der Accessorius keinen
Faseraustausch mit dem ersten Halsnerven eingeht. Sehr wichtig für die theil-
weisc sensitive Natur des Accessorius ist der von Müller (Archiv, 1834, pag. 12
und 1837, pag. 279) beobachtete Fall, wo der Accessorius allein die hintere sen-
sitive Wurzel des ersten Cervicalnerven erzeugte. Auch Kemak hat ein Knöt-
chen am Accessorius im Foramen jmfulare gesehen. — Da nach Trennung des
Nervus accessorius die respiratorischen Bewegungen des Cucullaris und Stemo-
cleidoraastoideus aufhören (Ch. Bell), führt er auch den Namen Nervus respi-
rcUorius colli exlemus superior. — Thom. Willis, Professor in Oxford, hat diesen
Nerv zuerst als selbstständigcn Hirnnerv erkannt (Cerehri anatome. Loiid., t664).
J, F, Lofßsleiiif diss. de nervo s])inali ad par vagum accessorio. Argent.,
17Ü0. — A. Scarpa, comment. de nervo spinali ad octavum cerebri accessorio,
in actis acad. med. chir. Vindob. Tom. I. 17S8. — W. Th. Bischoff, comment de
nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Darmst., 1832. — C. B. Bendz,
tractatus de conn«xu inter nervum vagum et accesaorium. Hafn., 1836.
g. 869. Zwölftes Paar. 911
§. 3G9- Zwölftes Paar.
Das zwölfte Paar, der motorische Zungen fleischnerv, Nervus
hyj>oglo88U8 8. motorixia linguae, 8, loquens, tritt zwischen Olive und
Pyramide vom verlängerten Mark ab. Ein grauer Kern unter dem
Boden des Calamus scnptorius, am hinteren Winkel der Rauten-
grube, giebt ihm seinen Ursprung. Der Kern heisst deshalb Hypo-
glossuskern. Die Wurzelfiiden, welche hinter der Wirbelarterie
zum Foramen condyloideum anteriu8 quer nach aussen ziehen, und
zuweilen sich durch einen Faden von der hinteren Wurzel des
ersten Cervicalnerven verstärken, sammeln sich entweder zu einem
einfachen, oder doppelten Stamm, welcher durch das Foramen
condyloideum anterius den Schädel verlässt. Am Halse umgreift er,
im Trigonum cervicale 8upenu8, die Carotis und Jugularis interna, mit
einem vom hinteren Bauche des Biventer maxillae bedeckten, nach
vorn und innen gerichteten Bogen, welcher bis zum Zungenbein-
horn herabreicht, dann sich an dem Musculus hyo-glossus nach auf-
wärts schwingt, um unter den hinteren Rand des Mylo-hyoideus zu
gerathen, wo seine Endäste den Genio-, Hyo- und Stylo-glossvs, so
wie den GenlO'Iiyoideus versehen.
Der Name Hypoglossus wurde diesem Nerven zuerst von Win slow g^egeben
(Anat. Abhandl. Deutsch, Bert, 1738, 8. Bd. pag. 212). Motoriiu linffuae wurde
er von Heister genannt, im Compendium anat. edU. 2, pag. 135.
Bach und Arnold erwähnen einer bogenförmigen Anastomose zwischen
dem rechten und linken Hy^pogloastut im Fleische des Genio-hyoideus, oder zwischen
diesem und Oenio-glossus. Ich nenne diese Anastomose (welche nicht constant ist)
die Ansa auprahyoidea hypogloaai. Da die Fäden der Ansa suprahyoidea von
einem Nypoglossus zum anderen hinüberbiegen, um an letzterem nicht centrifngal,
sondern centripetal zu verlaufen, geben sie ein gutes Beispiel der von mir als
„Nerven ohne Ende" beschriebenen Nervenfasern ab (§. 71). Ausführlicher
hierüber handelt mein betreffender Aufsatz in den Sitzungsberichten der kais.
Akad. 1865.
Gleich nach seinem Freiwerden unter dem Foramen condyloi-
deum anteriuSy geht er mit dem Ganglion cermcale primum des Sym-
pathicuS; mit dem Plexus nodosus des Vagus, und mit den ersten
beiden Cervicabierven Verbindungen ein, erhält auch constant einen
Faden von einem Uamus pharyngeus vagi (Luschka), und schickt
etwas tiefer seinen Ramus cervicalis descendens ab. Dieser steigt auf
der Scheide der grossen Halsgefasse herab, und verbindet sich mit
Aesten des zweiten und dritten Cervicalnerven zur Halsnerve n-
schlinge, Ansa hypoglossi, aus welcher die Herabzieher des Zungen-
beins und Kehlkopfes mit Zweigen versorgt werden. Sehr gewöhnlich
geht auch ein längs der Carotis communis zum Herznervengefleciht
verlaufender Ramus cardiacus aus der Ansa hypoglossi ab, P
912 §. S70. Allgemeiner Charakter der Rflckenmarksnerren.
am Halse^ bis zu welcher die Alisa hypogload herabreicht, unterliegt
zahlreichen Verschiedenheiten.
Sehr selten, und bisher nur ron Mayer beobachtet (Neue Verhandl. der
Leop. Oarol. Akad. Bd. XVI), tritt eine mit einem Knötchen versehene hintere
Wurzel des Hypoglossus auf, welche bei mehreren Säugethieren normal zu sein
scheint. — lieber die motorische Wirkung dieses Nerven herrscht kein Bedenken.
Seine Durchschneidung an Thieren, und seine Lähmung beim Menschen erzeugt
jedesmal Zungenifthmung (Glossopleg^e)^ ohne Beeinträchtigung des Geschmacks
und der allgemeinen Sensibilität der Zimge. Die für den Omo- und Stemo-hyoi-
deus, so wie flir den Stemo-thyreoideus und Thyreo-hyoideus aus der Ansa hypo-
glossi entspringenden Filamente, scheinen dem Hypoglossus nicht ah origine eigen
zu sein, sondern ihm durch die Anastomosen mit den Cervicalnerven eingestreut
zu werden, da Volk mann durch Reizung des Ursprungs des Hypoglossus nie
Bewegfung dieser Muskeln erzielen konnte, wohl aber durch Reizung der Cervical-
nerven.— Die von Luschka aufgefundenen sensitiven Zweige des Hypoglossus,
welche als Knochennerven des Hinterhauptbeins, und als Venennerven des Sintu
occipücUia und der Vena jugvlaria interna bezeichnet werden, stammen sonder
Zweifel aus Fasern des Vagus (oder rückläufigen Fäden des Nervus lingfialUJ,
welche dem Hypoglossus auf anastomotischem Wege einverleibt wurden. Luschka,
über die Nervenzweige, welche durch das Foramen condyloideum anticum in die
Schädelhöhle eintreten, in der Zeitschrift für rat. Med. 1863.
Man kann, dem Ursprünge nach, die Wurzelfäden des Hypoglossus mit
den vorderen Wurzeln der Rückenmarksnerven vergleichen. Da nun der Hypo-
glossus nach der früher citirten Beobachtung Mayer*s, auch eine hintere Wurzel
mit einem Knötchen besitzen kann, so bildet dieser Nerv den schönsten Ueber-
gang der Hirn- zu den Rückenmarksnerven, und erscheint, den comparativen Beob-
achtungen von Weber und Bisch off zufolge eher in die Kategorie der Nervi spina-
les, als der Nervi cerebrales gehörig, ebenso wie der Accessorius, dessen Wurzeln sich
gewiss nur aus losgerissenen Antheilen der Cervicalnerven innerhalb des Rückenmarks
construiren. Bei den Fischen ist der Hypoglossus entschieden ein Spinalnerv.
C, E. Bachj annot anat de nervis hypoglosso et laryngeis. Turici, 1835.
— Holl, über die Anastomosen des Hypoglossus, in der Zeitschrift für Anat. und
Entwicklungsgeschichte. 2. Bd.
II. Rückenmarksnerve n.
§. 370. Allgemeiner Charakter der Rückeninarksiierveii,
Die Rückenmarks- oder Spinalnerven, deren eiuund-
dreissig Paare vorkommen, sind bis auf untergeordnete Kleinig-
keiten, nach Verlauf und Vertheilung symmetrisch angeordnet. Nur
einmal hat Schlemm zweiunddreissig Paare gefunden, indem statt
eines Steissbeinnerven, deren zwei vorhanden waren.
Die Rückenmarksnerven werden in acht Halsnerven, zwölf
Brustnerven, fünf Lendennerven, fünf Kreuzbeinnerven, und einen
Steissbeinnerven eingetheilt. Jeder Spinalnerv entspringt mit einer
vorderen und hinteren Wurzel. Die hintere übertrifft, mit Aus-
nahme der zwei oberen llalsnerven, die vordere an Stärke. Die
§. 870. Allgemeiner Charakter der Bückenmarkenenren. 913
Wurzeln bestehen aus mehreren platten Faserbündeln, welche am
vorderen und hinteren Rande des Seitenstranges des Rückenmarks
auftauchen, von der Arachnoidea nur lose umfasst werden, gegen
das betreffende Foramen intervertehrale, durch welches sie aus dem
Rückgratskanal heraustreten, convergiren, und nach ihrem Austritte
zu kurzen, rundlichen Stämmen verschmelzen. Die hintere Wurzel
schwillt im Foramsn intervertehrale zu einem Knoten an (Ganglion
intervertehrale), an dessen vorderer Fläche die vordere Wurzel blos
anliegt, ohne Fäden zur Bildung desselben beizusteuern. Die vor-
dere, ganglienlose Wurzel ist rein motorisch, die hintere sensitiv.
Die Fasern der hinteren Wurzel gehen zwischen den Ganglienzellen
der Knoten durch, ohne mit ihnen sich zu verbinden. Aus den
Fortsätzen der Ganglienzellen entstehen aber neue Nervenfasern,
welche sich zu den durchgehenden hinzugesellen, und somit die
Summe der austretenden Fasern eines Ganglion grösser als jene
der eintretenden ist.
Haben sich beide Wurzeln jenseits des Ganglion zu einem
kurzen Stamme vereinigt, so zerföllt dieser Stamm alsogleich in
einen vorderen und hinteren Zweig. Jeder dieser Zweige enthält
Fasern der vorderen und hinteren Wurzel, und wird somit gemischten
Charakters sein. Der vordere Zweig ist, mit Ausnahme der zwei
oberen Halsnerven, stärker als der hintere, steht durch einen oder
zwei Fäden mit dem nächsten Ganglion des Sympathicus in Zu-
sammenhang, anastomosirt durch einfache oder mehrfache Ver-
bindungszweige mit dem zunächst über und unter ihm liegenden
vorderen Spinalnervenzweig, und bildet mit diesen Schlingen
( Ansäe)*) j welche an den Hals-, Lenden-, Kreuz- und Steissbein-
nerven sehr constant vorkommen, an den Brustnerven dagegen
unbeständig sind. Die Summe dieser Schlingen an einem bestimmten
Segmente der Wirbelsäule, wird als Plexus bezeichnet, und es wird
somit ein Plexus cervicalis, lumbalis und sacralis existiren. Der hin-
tere Zweig geht zwischen den Querfortsätzen der Wirbel (am
Kreuzbein durch die Foramina sacralia posteriora) nach hinten,
anastomosirt weit unregelmässiger mit seinem oberen und unteren
Nachbar, und verliert sich in den Muskeln und der Haut des
Nackens und Rückens. Die von den hinteren Zweigen der Rücken-
marksnerven versorgten Muskeln sind nur die langen Wirbel-
säulenmuskeln. Die breiten : Oucullaris, Latissimus dorsi, Rhomboideus,
Levator scapulae, und Serratus posticus superior, erhalten ihre moto-
rischen Aeste aus dem Plexus der vorderen Zweige der Halsnerven.
— Die Plexus der vorderen Aeste der Rückenmarksneryen sind
*) Die zwei ersten Schlingen Mn Habe And aehr ergiebi|fe Fon^^wte
Nervenfasern ohne £nde. §. 71.
Ujrtl, Lehrbach der Anatomie. 14. Aufl.
914 §. 870. All^emeiuer Charakter der RflckeDmarkantnren
darauf berechnet, den aus ihnen hervorgehenden peripherischen
Zweigen, Fasern aus verschiedenen Rückenraarksnerven zuzuRlhrenu
Da das Rückenmark nur bis zum ersten oder zweiten Lenden-
wirbel herabreicht, wo es als Markkegel aufhört, so werden nur
die Wurzeln der Hals- und Brustnerven nach kurzem Verlaufe,
(welcher für die Halsnerven quer, für die Brustnerven aber schief
abwärts gerichtet ist) ihre Faramina intervertebralia erreichen. Die
Nervi lumbales, sacrcdes, und coccygei dagegen, deren Austrittslöcher
sich immer mehr vom Ende des Rückenmarks (Conus termincdts)
entfernen, müssen einen entsprechend langen Verlauf im Rück-
gratkanal nach abwärts nehmen, um an ihre Austrittslöcher zu
gelangen. So geschieht es, dass vom ersten oder zweiten Lenden-
wirbel an, der Rest des Rückgratkanals nur von den nach abwärts
strebenden Lenden- und Kreuznerven eingenommen wird, welche,
ihres parallelen und wellenförmigen Verlaufes wegen schon von
dem französischen Anatomen Andrö Du Laurens (genannt Lau-
rentius), mit einem Pferdeschweif (cavda equina) verglichen
wurden, welche Benennung ihnen fortan geblieben. Seine Worte
lauten: Medulla, quum ad dorsi finem pervenit, tota in funiculos,
caudam equinam referentes, aisumitur. Hist, corp, 1mm, Parisiis^ 1600,
lib. X, cap, XIL Ich finde jedoch die Cauda eqidna schon im Talmud
erwähnt (Günzburger, medicina ex Talmudicis illustrata, pa>g, 10).
— Indem ferner das Rückenmark sich am Conus terminalis zuspitzt,
müssen nothwendig die vorderen und hinteren Wurzeln der Steiss-
beinnerven so nahe an einander liegen, dass sie scheinbar zu einem
einstämmigen Ursprung verschmelzen.
Die harte Hirnhaut schliesst sich nicht in gleicher Höhe mit dem C(mu9
teitninalia der Medulla aphudU ab, sondern erstreckt sich als Blindsack bis zum
Ende des Canalia aacralia herab. Die Nervi lumbcUes, aacrales, und coccygei, werden
deshalb eine läng^ere Strecke im Sacke der harten Hirnhaut verlaufen, als die
übrigen Spinalnen'en. — Die Ganglia intervertebralia der Hals-, Brust- und
Lendennerven liegen in ihren Zwischenwirbellöchem; jene der Kreuznerven aber
noch im Wirbelkanale, ausserhalb der harten Hirnhaut; das Knötchen der Nervi
coccygei sogar nocli innerhalb derselben. — Die Stärke der Nervi spinale« richtet
sich nach der Menge der Organe, welche sie versorgen. Die unteren Cervical-
nerven, welche die oberen Extremitäten versorgen, und die Nervi »acrale«, welche
die unteren versehen, werden deshalb dicker und markiger als die oberen Hals-
nerven, die Brust- und Lendennerven sein. Die Nervi »acrales sind absolut die
kräftigsten, die Nervi tkoracici viel schwächer, und der Nermu coccygeua der
schwächste. — An den hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven ausnahmsweise
vorkommende kleine Knötchen sind von mir als Ganglia aberranUa beschrieben
worden.
Ueber das Verhältniss der Fasern der sensitiven und moto-
rischen Wurzel eines Rückenmarksnerven zur weissen und grauen
Masse des Rückenmarks lehrt das Mikroskop:
§. 871. Die vier oberen Helsnerren. 915
1. Die Fasern der vorderen, motorischen Wurzeln durchbrechen
die longitudinalen Fasern der weissen Rückenmarkstränge in querer
Richtung, und treten in die vorderen Hörner der grauen Substanz.
In diesen verfolgen sie einen zweifachen Verlauf: a) Die inneren
Fasern der motorischen Wurzel gehen mit den grossen Ganglien-
zellen der Vorderhörner der grauen Rückenmarksubstanz eine Ver-
bindung ein, und setzen sich jenseits dieser Zellen in jene longi-
tudinalen Fasern der Vorderstränge fort, welche sich an der
sogenannten weissen Commissur mit den entgegengesetzten kreuzen.
Der rechte Vorderstrang z. B. wird somit einen Theil der Fasern
der linken motorischen Nervenwurzeln aufnehmen, und umgekehrt.
b) Die äusseren Fasern der motorischen Wurzeln dagegen setzen
sich, ohne Ki-euzung, in die longitudinalen Fasern der vorderen
Bündel der Seitenstränge fort.
2. Die Fasern der hinteren sensitiven Wurzeln treten in die
graue Substanz der hinteren Hörner, und krümmen sich daselbst
bogenförmig nach aufwärts, um sich in die longitudinalen Fasern
der Hinterstränge und der hinteren Bündel der Seitenstränge fort-
zusetzen. Ob sie mit den kleinen runden Ganglienzellen der Hinter-
hörner der grauen Rückenmarksubstanz sich verbinden, oder blos
zwischen ihnen durchgehen, ist nicht eruirt.
Das Gesagte enthAlt nicht viel, aber doch Alles, was man gegenwärtig über
den realen Urspmng der vorderen und hinteren Wurzeln der Rflckenmarksnerven
mit Gewissheit sagen kann. Die mikroskopische Anatomie des Rückenmarks bat
wohl zu schematischen Darstellungen der Nervenursprünge, aber keineswegs zu
definitiv festgestellten Lehrsätzen über diesen hochwichtigen Gegenstand geführt.
§. 371. Die vier oberen lalsnerven.
Von den acht Halsnerven tritt der erste zwischen Hinter-
hauptbein und Atlas, durch die hinter der Massa IcUeralü des Atlas
befindliche Incisur am oberen Rande des Bogens dieses Wirbels
hervor. Er heisst deshalb Nervus suboccipäalis. Der achte verlässt
durch das Foramen interverfebrcUe zwischen dem siebenten Halswirbel
und ersten Brustwirbel den Rückgratkanal.
Jeder Halsnerv spaltet sich alsogleich in einen vorderen und
hinteren Zweig. Die vorderen Zweige, von welchen der erste zwischen
Rectus capitis anticus minor und lateralis, die sieben übrigen zwischen
dem vorderen und hinteren Intei-transversarius nach vom treten,
bilden vor oder zwischen den Fascikeln des Scalenus medius und
LevcUor scapiUae durch ihre Verbindangsschlingen unter sich, usid
mit dem vorderen Zweige des ersten Bnutnerven, ein Q^
welches für die vier oberen Halaj^erven Pkxu» emfm
916 §.371. Die vier obtreo Halsnerren.
vier unteren aber Plexus brackialis heisst. Die hinteren Zweige der
Halsnei^ven richten sich, mit Ausnahme der beiden ersten, welche
gleich näher geschildert werden sollen, nach den im vorhergehenden
Paragraphe erwähnten allgemeinen Regeln.
Der hintere Zweig des ersten Halsnerven geht zu dem drei-
eckigen Raum, welcher vom Rectus capitis posticus major, Obliquus
swperior et inferior begrenzt wird, und versorgt, nebst den hinteren
geraden und schiefen Kopfmuskeln, auch den Biventer cervicis und
Complexus. Er wird Nervus infra^ccipitalis genannt. — Der hintere
Zweig des zweiten Halsnerven giebt Zweige zu den Nackenmuskeln,
mit Ausnahme des Cucullaris, und steigt, nachdem er letzteren
durchbohrte, mit der Arteria occipitalis zum Hinterhaupt empor, wo
er sich bis zum Scheitel hinauf als Nervus occipitalis magnus in der
Haut verästelt.
Der durch die vorderen Zweige der vier oberen Halsnerven
gebildete Pleocus cervicalis, giebt folgende zahlreiche theils motorische,
theils gemischte Aeste ab:
1. Verbindungsnerven zum Ganglion cerviccUe primum des Sym-
pathicus, drei bis vier an Zahl.
Sie bestehen, wie die Verbindang'sßiden aller übrigen Rückenmarksnerven
mit den entsprechenden sympathischen Ganglien, aas einer doppelten Gruppe von
Fasern. Die eine Gruppe geht von den Spinalnerven zum Ganglion des Sympathicas
und ist weiss. Die andere (graue) zieht umgekehrt vom Ganglion des Sjmpathicus
zu den Spinalnerven, und längs diesen rückläufig zum betreffenden Ganglion
intervertebraie.
2. Verbindungsnerven zum Plexus nodosus nervi vagi, zum
Stamme des Nei*vus hypoglossus, und zu seinem Ramus descendens.
Letztere stammen aus dem zweiten und dritten Halsnerven, und
bilden mit dem Ramus descendens hypoglossi die Halsschlinge dieses
Nerven.
3. Verbindungsnerven zu jenem Antheil des Recurrens Wülisii,
welcher den Sternocleidomastoideus und Cucullaris versieht.
Sie gehen ans dem dritten und vierten Cervicalnerv hervor, und bilden mit
dem Recurrens ein Geflecht, welches sich unter dem vorderen oberen Rand des
Cucullaris eine Strecke weit hinzieht, bis es in die untere Fläche dieses Muskels
eindringt, und sich in demselben verliert.
4. Muskeläste für die Scaleni, den Longus colli, Rectus capitis
anticus major und minor, und Levatar scapiUae.
5. Den Nervus occipitalis minor, welcher am hinteren Rande
des Insertionsendes des Sternocleidomastoideus zum Hinterhaupte
emporsteigt. Er verbindet sich mit dem Nervus occipitalis major
und auriculaiis profundus, und versorgt die Haut, so wie den Mtu-
culus occipitalis. Er besteht vorzugsweise aus Fasern des dritten
Nervus cervicalis. *
S. 871. Die Tier oberen Halsnerren. 917
6. Den Nervus auriculaiis niagnus. Dieser construirt sich, wie
der Ocdpttalis minoi', vorwaltend aus den Fasern des dritten Nervus
cervicalis. Er tritt etwas über der Mitte des hinteren Randes des
Kopfnickers aus der Tiefe hervor, geht über die äussere Seite
dieses Muskels bogenförmig nach vorn und oben zur Parotis, wo er
in einen Kamus auricularis und mastoideus zerföllt.
Der Ranuis auriailavM anastumosirt mit dem Aui-icularia pro/undu» vom
CommnnicanH, und versorgt die convexe FlHche der Ohrmuschel (so wie einen
Theil der concaven, durch ein perforirendes Zweigchen). Der Ramtts maaUndeua
gehört der Haut hinter dem Ohre an, zuweilen auch dem Muaculu» occipitalit,
7. Den Nervus subcutaneus colli. Er wird aus Antheilen des
zweiten, besonders aber des dritten Halsnerven construirt, dessen
eigentliche Fortsetzung er ist. Er umgreift etwas tiefer als der
Auricularis magnus den Kopfnicker von hinten nach vorn, und theilt
sich in zwei Zweige: Nervus svbeutaneus colli medium und inferior.
Der erste zieht längs der Vena jugularis externa empor, und ana-
stomosirt mit dem Nervus subcutaneus colli superior vom Commuuicans.
Beide sind für das Platysma, und die vordere und seitliche H ais-
haut bestimmt.
8. Die Nervi supraclavicularis. Sie stammen aus dem Nervus
cervicalis quartus. Man findet deren meistens drei bis vier, welche
am hinteren Rande des Kopfnickers zum Schlüsselbein herablaufen,
dasselbe überschreitön, und sieh in der Haut der vorderen Brust-
und Schultergegend verbreiten.
9. Den Nervus jthrenicus, Z w e r c h f e 1 1 s n e r v , welcher in der
Regel aus der vierten Schlinge des Pleusus cervicalis stammt, vor
dem Scalenus anticus schräg nach innen zur oberen Brustapertur
geht, und auf diesem Wege durch wandelbare Anastomosen mit
dem Plexus brachialis, Ganglion cervicale medium et infimum, verbunden
wird. An der äusseren Seite der Arteria mammaria interna (zwischen
Vena anoiypna und Arteria subclavia) gelangt er in den Thorax, wo
er zwischen Pericardium und Pleura zum Zwerchfelle herabsteigt,
und sich in der Pars costalis, so wie mittelst durchbohrender Zweige
auch in der Pars lumbcdis dieses Muskels verästelt.
Seine Endäste verbinden sich mit dem Zwerchfellgeflecht des Sympathicos,
und bilden in der Sul)stanz des Zwerchfells den Plexus phreniciu, in welchem ein
grösseres, hinter dem Foramen pro veiia caca liegendes, und mehrere kleinere
Ganglien vorkommen. — Luschka hat in seiner Monographie des Phrenicus
Tübingen, 1853, Aeste des Phrenicus zur Thymus, zur Pleura, zur Vena etwa
ascetidens, zum Peritoneum, so wie Verbindungen des Plexu» phremetu mit dem'
PlextM »oluri», hepaiiau, und auprarenalii nachgewiesen.
Ueber einzelne Halsnerven bandeln: J, B^mg^ luamunm oer
tome, in Ludwig, scriptores nenrol. Tom. I. — Th* A§dk$ d*
918 §. 372. Die Tier nnt. HalsneiYen. — §• 373. Par§ »upraelavieulari» des Annnervengeflecbts.
med. spin. Gott., 1750. — G. F. Peipers, tertii et quarti nervomm cervicalium
descriptio. Halae, 1798. — W, Volkmcmriy über die motorischen Wirkungen der
Halsnerven. Müllers Archiv. 1840.
§. 372. Die vier unteren Halsnerven.
Die vier unteren Halsnerven sind den vier oberen an Stärke
weit überlegen^ da sie, ausser den langen Rückgratsmuskeln, auch
jene zu innerviren haben, welche das Schulterblatt, den Oberarm,
den Vorderarm und die Hand bewegen, und überdies noch sich
in der Haut der Brust, des Rückens und der ganzen oberen Extre-
mität ausbreiten.
Die hinteren Zweige der vier unteren Halsnervcn verhalten
sich, hinsichtlich ihrer Verästlung, wie jene der vier oberen Hals-
nerven. Sie versorgen die tiefen Muskeln und die Haut des Nackens.
Die Hautäste durchbohren den Splenius capitis und Ciumllaris, ohne
ihnen Zweige zu geben.
Die vorderen Zweige der vier unteren Halsnerven bilden,
nachdem sie zwischen dem vorderen und mittleren Scalenus oberhalb
der Arteria snhdama in die Fossa supraclamcularis gekommen sind,
und der vordere Zweig des ersten Brustnerven sich zu ihnen ge-
sellte, das Armnervenge fl echt, Plexus brachialis. Dieses Geflecht
wird, da es unter dem Schlüsselbein sich in die Achselhöhle fortsetzt,
auch Plexus subclavius genannt. Man unterscheidet an ihm einen
kleineren, über dem Schlüsselbeine gelegenen, und einen grösseren,
unter dem Schlüsselbeine befindlichen Antheil. Alle an der Bildung
des Armnervengeflechtes theilnehmenden Nerven, senden Verbin-
dungsäste entweder zum Stamm des Sympathicus, oder zum mittleren
und unteren Halsganglion; der erste Brustnerv zum ersten Brust-
ganglion.
§. 373. Pars supraclavicularis des Arninervengeflechts.
Sie liegt am Grunde der Fossa supraclavicularis, und wird vom
Platysma mtjoides, dem hohen und tiefen Blatte der Fascia colli, und
der Clavicularportion des Kopfnickers bedeckt. Sie hat, genau ge-
nommen, keineswegs das Ansehen eines Plexus, welches erst ihrer
Fortsetzung: der Pars infraclavicularis, in vollem Maasse zukommt.
Aus ihr entspringen, nebst Zweigen für die Scaleni und den Longus
colli folgende, nur für die Schultermuskeln bestimmte Zweige:
a) Die Nervi thoracici anteriores et postenores. Die zwei ante^dores
gehen unter der Clavicula zum Musculus subclavius, pectorcUis major^
§. 874. Part in/raelaviculari* des Arronervengeflechts. 919
minor, zur Schlüsselbeinportion des ddtoides, und zur Haut der
oberen Gegend der weiblichen Brustdrüse (Eckhart). Die zwei
bis drei postsfiores durchbohren, nach hinten gehend, den Scalenus
medim, und suchen den Musculus levcUor scapulae, rhomhoideus, und
serratus posfictis 9iiperi(yr auf. Einer von ihnen imponirt durch Grösse
und Tiänge. Es ist der Nenms thorcicicus longus, für den Serratus
anticus major.
Man kann die zwei Xervi thor<icici anterioref, als extemu» und iiUemita
unterscheiden. Der extemiu geht über die Arteria giibclama schief nach innen
und unten zum grossen Brustmuskel. Der inUrnua drangt sich zwischen Arteria
und Vena subclavia durch» und geräth unter den kleinen Brustmuskel. Beide
sind durch eine Schlinge mit einander verbunden, welche die innere Peripherie
der Arteria subclavia umgreift.
b) Der Nervus siiprcLScapidaris. Er zieht mit der Arteria trans-
versa scaptdas nach aussen und hinten zum Ausschnitt des oberen
Schulterblattrandes, durch diesen zur Fossa supraspinata, und von
dieser zur infraspinata. Er gehört dem Musculus supra- et infra-
spinatus, und dem Teres minor an, und sendet auch einen Zweig
zur Kapsel des Schultergelenkes.
c) Die drei N&rvi subscaptdares zum Muskel desselben Namens,
zum Laiissimus dorsi und Teres major.
Die Nervi thoracici anteriores und die Nervi subscapularea gehen gewöhn-
lich tiefer als die übrigen hier genannten aus dem Plexus ab, weshalb sie von
einigen Autoren (Sharpey) schon zu den Zweigen der Pars infr<iclaviciUari$ des
Armgeflechtes gerechnet werden.
§. 374. Pars infraclavicularis des Arnmervengeflechts.
Sie gattert mit drei gröberen Nervenbündeln die Achselschlag-
ader ein, und heisst deshalb auch Plexus axillaris. Aus ihr tritt eine
Phalanx von sieben Aesten hervor:
a) Nertnis aitaneus brachii internus. Er stammt aus dem achten
Halsnerven und dem ersten Brustnerven, geht hinter der Achselvene
herab, verbindet sich in der Regel mit einem Aste des zweiten
Brustnerven (Nervus inteixosto-humeralis) , welcher ihn auch mehr
weniger vollständig vertreten kann, durchbohrt die Fascia brachii
in der Mitte der inneren Oberarmseite, und verliert sich als Haut-
nerv bis zum Ellbogengelenk herab.
b) Nervus cutaneus brachii medius. Er entspringt vorzugsweise
aus dem ersten Brustnerven, liegt in der Achsel an der inneren
Seite der Vena axillaris, und weiter unten an derselben Seite der
Vena basäica, mit welcher er die Fascia brachii durchbohrty w<»^
er sich in den Ramiu cutaneus palvMris and tilnarit d
920 S- SV^- ^A**' infraclavieulari* des Annnervengeileohts.
Kreuzen die Vena mediana hasüica im Ellbogenbug. Sie gehen öfter
unter als über derselben weg. Der Cutanetis palmaiis kommt in der
Mittellinie des Vorderarmes bis zur Handwurzel herab; der Cutaneus
idnaris begleitet die Vena basilica, und anastomosirt über dem Carpus
mit dem Handrückenast des Nervus ulnaris. Endverästlung beider
in der Haut der inneren und hinteren Seite des Vorderarms.
■
Die Theilnngsstelle des CSUanetis brachii mediiut in den Ramtut palmaris
und ukiaris föllt bald höher, bald tiefer. Liegt »ie nahe an der Achsel, so kreuzt
sich nur der Ramus cutaneiu pcdmaris im Ellbogenbug mit der Vena mediana
bariUca, und der Ramus cutanetM ulnarut lenkt schon über dem Condylw* iiitemtis
humeri von seinem Genossen so weit nach innen ab, dass seine Endverästlungen
weit mehr der hinteren als der inneren Seite des Vorderarms angehören. — Viele
Autoren beschreiben unseren Cutaneus medius als internus, und unseren internus
als Cutaneus internus minor. So wurde die Sache auch von Wrisberg genommen,
welcher den Cutaneus internus minor zuerst unter diesem Namen aufführte.
c) Nervus cutaneus brachii extemus s, my^sctdo-ciUaneus, Da der
Name: Nervus musculo-cutaneus, auch für alle übrigen Zweige des
Acbselgeflechtes passt, indem sie sich in Muskehi und Haut auf-
lösen^ so könnte er für den Cutaneus extemus durch den passen-
deren: Nei'vus perforans Casserü ersetzt werden, weil dieser Nerv
den Musculus coraco-brachiaiis durchbohrt. Er ist stärker, als die
beiden anderen Cutanei, und ist gewöhnlich an seinem Beginn mit
dem Nervus medianv^ verschmolzen. Er durchbohrt den Musculus
coraco-brachiaiis schief von innen und oben nach aussen und unten,
und schiebt sich zwischen Biceps und BrachiaJis internus durch, um
in den Sulcus bidpitalis externus zu gelangen, in welchem er gegen
den Ellbogen herabzieht. Hier durchbohrt er die Fascia bracJiii
zwischen Biceps und Ursprung des Sujnnator longus, und folgt, meist
in zwei Zweige gespalten, der Vena cej)haUca bis zum Handrücken,
wo er mit dem Handrückenast des Nervus radialis anastomosirt.
Noch während seines Verlaufes am Oberarm giebt er dem Coraco-
brachialisj Biceps und Brachialis internus motorische Zweige. Erst
am Vorderarm wird er ein reiner Hautnerv für die Radialseite
desselben.
Ein feiner Zweig dieses Nerven tritt an die Arteria profunda brachii, und
umstrickt sie mit einem Geflechte, aus welchem ein Aestchen mit der Arteria
nutriens brachii in die Markhöhle des Oberarmbeins eindringt. — Sehr selten
durchbohrt der Nervus aUaneus externus nicht blos den Coj'aco-brachialis, sondern
auch den Brachialis iTüernus. Es liegt dann ein Theil dieses Muskels vor ihm,
ein Theil hinter ihm. Der vordere steht immer dem hinteren an Stärke nach.
Eine Reihe von mir aufgestellter Präparate macht es anschaulich, wie das vor
dem Nerven liegende Fleisch des Brachialis internus , sich so von dem hinteren
absondert, dass es sich gänzlich von ihm emancipirt, und als dritter Kopf des
ßiceps sich an die Sehne dieses Muskels ansetzt. — Oefters sendet der Cutaneus
extemus, und zwar nur wenn er stärker als gewöhnlich ist, dem Nervus medianus
einen Verstärk nngszweig zu. Dieser löst sich vor oder nach der Dnrchbohrung
\
§. 374. PoT» it^raelaviculari* des Annnerrenfreflechto. 921
des Coraco-brachialis von ihm ab, oder entspringt auch von ihm, während er im
Fleische des genannten Maskeis steckt. In diesem Falle durchbricht der Ver-
stärkungsast zum Medianus das Fleisch des Coraco-brachialis direct nach vom, so
dass der genannte Muskel von zwei Nerven (Stamm des Xerviuf pev/orans und
Verstärkungsast zum Medianns) durchbohrt wird.
d) Xervvs axillaris 8, drcumßexns. Er Hegt hinter der Arteria
axillaris, und umgreift mit der Arteina circumßexa posterior den
Oberarmknoehen, unter dem Caput humeri. Hart an seinem Ur-
sprung sendet er einen Zweig zur hinteren Wand der Schulter-
gelenkkapsel, giebt einen erhebliehen Hautast zur hinteren Gegend
der Schulter und des Oberarms, Muskelzweige zum Teres minor,
und endigt im Fleisch des Deltamuskels.
e) Nei^iis medianus, Mittelarmnerv. Sein Ursprung aus dem
Achselnervengeflecht ist zweiwurzelig. Beide Wurzeln fassen die
Arteria axillaris zwischen sich. Er setzt sich aus allen das Achsel-
geflecht bildenden Nerven, vorzugsweise aus den zwei Bündeln des
Geflechtes, welche an der inneren und äusseren Seite der Artsria
axillaris liegen, zusammen. Im Suicus bicipitalis internus herab-
laufend, hält er sich an die vordere Seite der Arteria brachialis,
geht aber oberhalb des Ellbogens über die Arterie weg an ihre
innere Seite, wird in der Plica cubiti vom iMcertus fihrosus der
Bicepssehne bedeckt, durchbohrt den Pronator teres, und tritt unter
dem Radialis internus in die Medianlinie des Vorderarms ein. Hier
treflfen wir ihn zwischen Radialis internus und hochliegendem Finger-
beuger. Er geht dann mit den Sehnen des letzten unter dem
Ligamentum carpi transversum zur Hohlhand, wo er sich in vier
Nervi digitorum volares spaltet. Der erste ist nur für einige kleine
v/^Jtfuskeln (Abductor brevis, Opponens, hochliegender Kopf des Flexor
vrevis) und für die Haut der Radialseite des Daumens, die folgenden
drei für die drei ersten Musculi lumbricales und für die Haut von
je zwei einander zusehenden Seiten des Daumens und der drei
nächsten Finger bestimmt. Der letzte von ihnen nimmt die gleich
zu erwähnende Anastomose vom Hohlhandast des Nervus ulnaris auf.
Am Oberarm erzeugt er keine Aeste, da der Coraco-brachialis,
Biceps, und Brachialis internus bereits vom Cutaneus extemus ver-
sorgt wurden. Am Vorderarm dagegen lösen sich von ihm folgende
Zweige ab:
a) Muskeläste Air alle Muskeln an der Beugeseite des Vorderarms, mit
Ausnahme des Uhiaris internus. Der zum Pronator terea gehende Ast giebt einen
Zweig zur Kapsel des EUbogengelenks (Rüdinger).
ß) Einen nicht constanten Verbindungsast für den Nervus cutaneus extemus
und Nervus ulnaris. Ueber den letzteren handelt ausführlich Grober, im Archiy
für Anat und Physiol. 1870.
Y) Den Nervus interosseus internus, welcher auf dem Liffomeniwn h
zwischen Flexor digitorum, profundus und Fleaoor poUieU hmfm, beiden A«
tretend, zum Pronator quadraiui htmhMhi, in wdohMi «r
922 §. 374 Pttrs infraelavietUari» des A rmnervenpeflcchtJi.
8) Einen Nervus cutaneus antibrachii palniarU^ welcher nnter der Mitte de»
Vorderarmes die Ftucim anHfjrtxchii perforirt, um in der Richtung der Sehne de«
Palntaria hm/u» als Haatnerv zur Hohlhand zu verlaufen.
f) Nei^vm idnaris, Ellbogen nerv. Er construirt sich aus allen
Nerven des Plexus hrachialis, vorzugsweise aus dem achten Halsnerven
und ersten Brustnerven, Hegt anfangs an der inneren und hinteren
Seite der Arteria und Vena axillariSj durchbohrt das Ligamentum
intermusculare intemum von vorn nach hinten, um sich in die Furche
zwischen Condylus internus humeri und Olekranon einzulagern, durch-
bricht hierauf den Ursprung des Ulnaris internus, nimmt zwischen
diesem Muskel und dem tiefen Fingerbeuger Stellung ein, theilt
beiden Aeste mit, und zieht mit der Arteria ulnaris, an deren
innerer Seite er liegt, zum Carpus. Auf diesem Wege versorgt er
auch durch einen die Fascia antibrachii perforirendon Hautast die
innere Seite des Vorderarms, so wie mehrere feine Aeste desselben
in die hintere Wand der Kapsel des Ellbogengelenks gelangen
(Rüdinger). Eine Verbindung mit dem Medianus ist nicht constant.
6 ruber sah den Nervus ulnaris vor dem Condylus humeri internus
gelagert, — vielleicht ein Verrenkungsfall, wie deren einige in
neuester Zeit bei Turnern vorkamen.
Ueber dem Carpus spaltet er sich in den Rücken- und
Hohlhandast.
a) Der schwächere Rückenast erreicht zwischen der Sehne des
Ulnaris internus und dem unteren Ende der Ulna die Dorsal-
seite der Hand, wo er die Fascia durchbohrt, die Haut mit
unbeständigen Zweigen versieht, und sich gewöhnlich in fünf
subcutane Nervi digitorum dorsales theilt, welche an die beiden
Seiten des kleinen und des Ringfingers, und an die Ulnarseite
des Mittelfingers treten, sich aber nicht in der ganzen Länge
dieser Finger, sondern nur längs der Phalanx prima derselben
verzweigen. — Eine Anastomose dieses Astes mit dem Rücken-
ast des Nervus radialis scheint nicht constant zu sein.
Sehr oft finden sich nur drei Zweige des Kiickenastes des Nervus ulnaH»
vor: und zwar für beide Seiten des kleinen Fingers, und die Ulnarseite des Ring-
fingers. Was er unversorgt lässt, bringt der zum Handrücken gehende Ast des
Nervus radialis ein.
ß) Der stärkere Hohlhan dast geht am Os pisiforme über dem
lÄgamentum carpi transversum, und unter dem Palmaris brevis
zur Vola manus, wo er in einen oberflächlichen und tiefen
Zweig gespalten wird. Ersterer sendet drei Aeste zu jenen
Fingern, welche vom Nei^us medianus nicht verschen wurden
(beide Seiten des kleinen Fingers, und Ulnarseite des Ring-
fingers), und anastomosirt mit dem vierten Ramus volaris des
Medianus. Der tiefe Zweig senkt sich zwischen den Ursprüngen
§. 374. Part i^fraelavirulari» de$ Armnenrengeilechts. 923
des Abductor uiid Flexor digiti minimi in die Tiefe der Hohl-
hand; und versorgt, der Richtung des Arc^ volarü profundus
folgend, die Muskulatur des kleinen Fingers, die Musculi inter-
ossei, den vierten Lumbricalis, den Adductor pollids und den
tiefen Kopf des Flexor pollids brevis, also alle jene kurzen
Muskeln der Finger, welche vom Nervus medianus nicht inner-
virt wurden.
An den HauptKsten des Nervus medianus und vlnaris in der Hohlhand und
an den Fingern, finden sich die in §. 70 als Pacini*sche Körperchen beschriebe-
nen terminalen Nervenkörperchen.
g) Nervus radialis, Armspindel- oder Speichennerv. Er
übertrifft alle vorhergehenden Zweige des Achselnervengeflechtcs an
Stärke, sammelt seine Fäden aus den drei unteren Halsnerven, und
liegt anfangs hinter der Arteria axillaris. Er geht zwischen dem
mittleren und kurzen Kopfe des Triceps, begleitet von der Arteria
profunda hrachiiy um die hintere Seite des Oberarmknochens herum
nach aussen (daher the spiral nerve der Engländer), um sich zwischen
den ßrachialis internus und dem Ursprünge des Supinator longus
einzulagern. Auf diesem Laufe gicbt er dem Triceps, Brachialis
internus, Supinator longus, und Radialis extemus longus Zweige. Der
Zweig, welcher dem kurzen Kopfe des Triceps gehört, sendet einen
Ast im Geleite der Arteria collateralis vlnaris superior zur Kapsel
des Ellbogengelenks herab. Auch Hautäste entlässt er, und zwar
den einen, bevor er in die Spalte zwischen mittleren und kurzen
Kopf des Triceps eindringt, zur inneren Oberannseite, und einen
zweiten nach vollendetem Durchgang durch den Triceps, zur Haut
der Streckseite des Ober- und Unterarms. Vor dem Condylus humeri
extemus theilt sich der Stamm des Nermis radialis in zwei Zweige.
a) Der tiefliegende Zweig durchbohrt den Supinator brevis,
gelangt dadurch an die äussere Seite des Vorderarms, und
verliert sich als Muskelnerv in sämmtlichen hier vorhandenen
Muskeln, mit Ausnahme des Supinator longus und Radialis
extemus longus. Sein längster und tiefst gelegener Ast ist der
Nervus interosseus extemus, welcher, von der gleichnamigen
Arterie begleitet, bis zur Kapsel des Handgelenks herab ver-
folgt werden kann, in welcher er schliesslich sich verliert.
ß) Der hochliegcnde Zweig ist schwächer als der tiefe. Er
legt sich an die äussere Seite der Arteria radialis, mit welcher
er zwischen Supinator longus und Radialis internus zur Hand
weiter zieht. Im unteren Drittel des Vorderarms lenkt er,
zwischen der Sehne des Supinator longus und der Armspindel,
auf die Dorsalseite des Carpus ab, erhält hier den Namen
eines Handrückenastes des Nervus radialis, und theilt sich
924 S- S75. Brnstnerren.
in zwei Aeste, von welchen der schwächere mit den End-
zweigen des Nervus cutaneus extemtis anastomosirt, und als
Rückennerv an der Radialseite des Daumens sich verliert.
Der stärkere versorgt die übrigen Finger, welche vom ITand-
rückenast des Nei^us tdnaris unbetheilt blieben. — Die Rücken-
nerven der Hand und der Finger besitzen keine Pacini'schen
Körper chen.
A, Murray f nervorum cervicalium cum plexa brach, descriptio. Upsal.,
1794. - F. Kriujer, dias. de nervo phrenico. Lips., 1758. — H, Kronenbertj,
plexuum nervonim structura et virtutes. Berol., 1836. — J, J. KliiU, de nervis
brachii, in Ludwiff, scriptores neurol. T. III. — CamiM, sur la distribution de
nerfs dans la main. Arch. gin, de ra^d. 1845. — N. Rüdinger, die Gelenknerven
Erlang., 1857. — lieber den Ramus coUcUeraUa ubiarU des Radialnerven iiandelt
W. Kratufe, im Arch. für Anat. 1868. — H. Frey, die Gefassnerven des Armes.
Arch. für Anat. und Physiol. 1874. — Clement- Lucas, Plexus brachialis, in Gtu/'s
Hosp. Reports. 3. Ser. Vol. 20.
§. 375. Brustnerven.
Die zwölf Brustnerven, Nervi thoracici, bieten einfachere
und leichter zu übersehende Verzweigungsweisen dar als die Hals-
nerven. Der erste Brustnerv tritt durch das Foramen intervertebrale
zwischen dem ersten und zweiten Brustwirbel, der zwölfte zwischen
dem letzten Brustwirbel und ersten Lendenwirbel hervor.
Der erste Brustnerv ist der stärkste von allen; die folgenden
nehmen bis zum neunten an Stärke ab, und gewinnen vom neunten
bis zum zwölften neuerdings an Dicke. Der auf das Ganglion inter-
vertebrale folgende Stamm jedes Brustnerven ist kurz, und theilt
sich schon am Hervortritt aus dem Foramen interv&tiebrale in einen
stärkeren vorderen, und schwächeren hinteren Ast. Die Verbindungs-
filden zum nächstliegenden Ganglion des Sympathicus sind an den
zwei bis drei oberen und unteren Brustnerven häutig doppelt.
Die hinteren Aeste der Brustnerven begeben sich zwischen
dem inneren und äusseren Rippenhalsband nach hinten, und zerfallen
regelmässig in einen inneren und äusseren Zweig.
Der innere liegt am entsprechenden Wirbeldome, und versieht die tiefen
Muskeln des Rückens. Zweige desselben durchbohren die Ursprünge der Serrati
postici, Rliomhoidei, des CnadlarU und Latumimus dorni, um nich in der Haut des
Rückens zu verlieren. Der äussere dringt zwischen dem Loiifjutttiinns dorH und
Sacro-lumhalis durch, versorgt diese und die Jjevatorett costarum, und sendet dünne
Zweige zur Haut des Rückens bis zur Darmbeincrista herab. Sie durchbohren den
Lati»»im^ts dorai, CuctdUirig, und SerreUus iwstiai^ inferior.
Die vorderen Aeste der zwölf ''Brustnerven suchen vor dem
inneren Rippenhaisbande ihre entsprechenden Zwischenrippenräume
auf; — der letzte den unteren Rand der zwölften Rippe. Sie liegen
$. 876. Brnttnerren, 925
im Sulcus costae unterhalb der Arteria intercostalis, zwischen den
inneren und äusseren Zwischenrippenmuskeln, und werden allgemein
als Zwischenrippennerven, Nervi intercostales, bezeichnet. Sie
verbinden sich nicht wie die übrigen Rückenmarksnerven durch
auf- und absteigende Schlingen zu Plexus. Nur die drei bis vier
oberen Intercostalnerveu schicken einander zuweilen Verbindungs-
föden zu. — Beiläufig in der Längenmitte des unteren Kippen-
randes giebt jeder Zwischenrippennerv einen Nervus cutaneus pectoris
lateralis ab.
Die sechs oberen Nervi cutanei pectoris laterales durchbohren
den Intercostcdis extemus und Serratus antums major, um sich in
vordere und hintere Zweige zu spalten, welche als Nervi cutanei
laterales pectoris anteriores und posteriores unterschieden werden.
Die anteriores umgreifen den Aussenrand des Pectoraiis major, streben
dem Brustbein zu, und versorgen die Haut der Brustdrüse und die
Drüse selbst; die posteriores umgreifen den äusseren Rand des
Latissimus dorsi, um zur Haut des Rückens zu kommen.
Nach Abgabe der Nervi cutanei pectoris laterales verfolgen die
vorderen Aeste der sechs oberen Brustnerven ihren weiteren Lauf
durch die Intercostalräume, versehen die Musculi intercostales und
den Triangulai*is sterni, und gehen, am Rande des Brustbeins an-
gelangt, durch den Pectoralis m^jor hindurch als Nervi cutanei pec-
toris anteriores zur Haut der vorderen Brustgegend.
Der vordere Ast des ersten und zweiten Brustneryen weicht von dieser
Hegel ab. Der vordere Ast des ersten, welcher, wie früher gesagt, ganz in das
Achselnervengeflecht einbezogen wird, erzeuget gewöhnlich keinen Nervus cutaneus
pectoris lalercUis. Der vordere Zweig des zweiten giebt zwar einen solchen ab,
lässt ihn aber nicht (wie die folgenden vier) zur Haut des Thorax gelangen, son-
dem sendet ihn dem Nerxms cutaneus brachii internus (aus dem Achselnerven-
geflecht) als Verstärkung zu. Dieser Nervus cutaneus lateralis des zweiten Brust-
nerven wird durch einen besonderen Namen vor den übrigen ausgezeichnet. Er
heisst Nervus intercosto-humeralis.
Die sechs unteren Nervi cutanei pectoris laterales durchbohren
den zuständigen Intercostalis extemus und Obliquus abdominis extemus
(dessen Ursprung den sechs unteren Rippen angehört), und theilen
sich, wie es die sechs oberen gethan, in vordere und hintere Zweige.
Die vorderen streben im subcutanen Bindegewebe der vorderen
Bauchwand gegen den Rectus abdominis hin, die hinteren um-
greifen den Latissimus, um zur Rückenhaut zu kommen. Sie werden
demzufolge als Nervi cutanei laterales abdominis anteriores et poste-
riores benannt werden können.
Jeder der sechs unteren Zwischenrippennerven setzt sich, nach-
dem er sein Spatium intercostale durchmessen, in die vordere
Bauch wand fort, liegt daselbst zwischen Obliquus internus und
transversus, sucht die Scheide des Rectus auf; und durchbohrt diese^
926 §• 876. LendennerreB.
um in das Fleisch des Kectus einzudringen, und seinen letzten Rest
nahe an der weissen Bauchlinie in das Integument des Unterleibes
als Nervus cutcmeus ahdominis anterior (deren es somit sechs geben
muss) übertreten zu lassen.
Der vordere Ast des letzten Bmstnerven fÜ^ sich dieser Norm insofeme
nicht, als er, begreiflicher Weise, in keinem Spatium intercostale verlaufen, sofort
auch nicht zwischen MuscuUa irUercostalibus gelagfert sein kann, wenn nicht eine
dreizehnte Rippe vorhanden ist. £r gehört also ganz nnd gar der Banchwand,
nicht der Bmstwand an, und wurde deshalb von einigen Autoren nicht mehr zu
den Brustnerven gezählt. Er zieht über die Insertion des QtmdraUu lumbortini
an der letzten Rippe nach aussen, und muss die Ursprungsaponeurose des Trans-
versus durchbohren, um zwischen Transversus und Ohliqwis internus zu kommen,
wo seine Genossen zu finden sind. Sein Ramtu cutaneus lateralis wird die beiden
Obliqui durchbohren müssen, und theilt sich nicht in einen vorderen und hinteren
Zweig, sondern steigt einfach über die Crista ossis ilei bis in die Gegend des
grossen Trochanters herab.
C, O, Bauer, de nervis anterioris superficiei trunci hum. Tub., 1818. —
Ä. Murray, descriptio nervorum dorsalium, lumbalium et sacralium, cum plexa
ischiadico. Upsal., 1796.
§. 376. Lendennerveii.
Die fünf Lendennerven ( Nervi lumbales)^ welche sich nicht
blos wie die Brustnerven in den Rumpfwänden, sondern auch in
den Gesehlechtstheilen, und in der mit den kräftigsten Muskeln
ausgestatteten unteren Extremität verzweigen, werden eben dadurch
ungleich wichtiger, als die Brustnerven. Der erste von ihnen tritt
durch das Foramen intervertebrale zwischen dem ersten und zweiten
Lendenwirbel, der letzte zwischen dem letzten Lendenwirbel und
dem Kreuzbein hervor. Sie nehmen von oben nach unten an Stärke
zu. Ihre hinteren Aeste sind im Verhältnisse zu den vorderen
schwach, und verlieren sich, wie die hinteren Aeste der Brustnerven,
in äussere und innere Zweige gespalten, in den Wirbelsäulenmuskeln
und in der Haut der Lenden- und Gesässgegend. Die ungleich
mächtigeren vorderen Aeste, hängen jeder mit dem entsprechenden
Ganglion lumbale des Sympathicus zusammen, und vereinigen sich
durch ab- und aufsteigende Schlingen zum Plexus lumbalis, welcher
theils hinter dem Psoas magnus liegt, theils zwischen den Bündeln
dieses Muskels steckt.
Der fünfte Lendennerv participirt nicht an der Bildung dieses Geflechtes,
sondern geht, als Nervus lumho-sacralis, in den Plexus sacralis fin. Dagegen hän^
der letzte Brustnerv sehr oft durch einen alisteigenden Zweig seines vorderen
Astes, mit dem ObertheU des Plexus lumbalis zusammen. Man könnte diese häufig
zu sehende Verbindung^schlinge, Nervus dorso-lurtibcUis nennen.
Der Plexus lumbalis erzeugt, nebst unbeständigen Zweigen für
den Psoas major, minor, und Quadratus lumborum, folgende Aeste:
§. S76. LMtdennerrtD 927
1. Den Hüft -Beckennerv, Nenms äeo-hypogastricus. Dieser
gemischte Nerv versorgt den Traiisvertsus abdominis, Obliguus iiitemug,
80 wie die Haut der Regio hypogastrtca, und theilweise auch jene
des Gesässes. Er stammt vom ersten Nervus lumbaUs.
£r durchbohrt (obwohl nicht immer) den Pmxu major, streift über den
Quadratu» lumbarum weg, zur Innenfläche des Transver^u» cMommi« dicht über
der Orista oaaia üei, tritt hier dnrch den Transversns hindurch, und theilt sich
zwischen ihm und dem Obliqwu inlemus in zwei Endzweige. Der erste, Samti»
iliacfu zu nennen, dringt über der Crista ilei, durch beide Obliqui, um in der
Haut der äusseren Gesässpartie sich zu verlieren. Der zweite, Ramu» hypogtutricut,
geht anfangs zwischen Transvcrsns und Ohliquus intemus, dann zwischen OhUquus
internus und extemit», bis über den Canalia ingumafis nach vorn und innen, wo er
entweder die Aponeurose des Obliquits extemua durchbricht, oder durch den
Leistenschlitz derselben, zur Haut der Regio hypogastrica abdominia gelangt. Er
anastomosirt gewöhnlich, aber an wandelbaren Stellen, mit dem vorderen Aste des
letzten Intercostalnerven, und mit dem zweiten Aste des Plexus lumbalie. — Es
lässt sich nicht verkennen, dass der Bamua iliacus des Ueo-hypogtutricua den Rami»
cutarma leUertäibus der Brustnerven, — der Ramus hypogcutricus dagegen den
Ramia cutaneis anterioribu» morphologisch entspricht.
2. Den Hüft -Leistennerv, Nervus ileo-inguinalis. Er ist
sensitiv, und hat mit dem früheren gleichen Ursprung, wird auch
zuweilen von ihm abgegeben. Er steigt, nachdem er den Psoas
major in der Richtung nach aussen durchbohrte, auf der Fascia
des lliactis internus zum Po upar tischen Bande herab, über welchem
er den Musculus transversus durchbricht (weiter nach vorn, als es
sein Vorgänger gethan hat), um in den Leistenkanal einzudringen^
und, nachdem er ihn durchlaufen, bei beiden Geschlechtern in der
Haut der Schamfugengegend, und bei Männern noch in der Haut
des Gliedes und des Hodensackes, bei Weibern in der Haut der
grossen Schamlippen zu endigen (Nervi scrotales et labiales anteriores).
1. und *1, compensiren sich in so fem, als, wenn der Ileo-inguinaiis so
schwach gefunden wird, dass er den Leistenkanal gar nicht erreicht, der Reo-
hgpogastricus aushilft, und einen Ast zur Haut der äusseren GenitaUen entsendet.
3. Den Scham -Schenkelnerv, Nervus genito-crurcUis. Er
entsteht aus dem zweiten Lendennerv, ist theils motorisch, theils
sensitiv, und durchbohrt den Psoas major, auf dessen vorderer Fläche
er herabsteigt. Er theilt sich bald höher bald tiefer in zwei Zweige:
den Nervus spermaticus extemus (a) und den Nervus lumbo-inguinalis (ß),
welche auch gesondert aus dem Plexus Ivmbalis entspringen können,
und vielen Spielarten in Stärke und Verlauf unterliegen.
a) Der Nervus spemuUiais extemus (auch Nervus pudendus extemus) folgt
so ziemlich dem Zuge der Ärteria Uiaca externa, ver welcher er herabsteigt. Er
sendet ein Aestchen längs der Vena cruralia an die Haut der inneren oberen
Gegend des Oberschenkels, durchbohrt die hintere Wand des Leistenkanals, ge-
sellt sich zum Samenstrang, versorgt den Cremaster und die Dartos, und nimmt
selbst an der Bildung des Plexu» apertnaäcus im Hoden und Nebenhoden Theil.
928 §. 876. Lendennenren.
Und 80 hätten denn die Lenden wirklich einen Einfluss auf das Erzeii^ngsgeschäft»
nnd die Worte der Schrift „der Herr wird deine Lenden se^en*' haben ^aach
anatomischen Sinn. Das lateinische Wort elumbü bezeichnet Zeugungfsunfähigkeit.
— Beim Weibe folgt der Xervus spermaticits externus dem runden Mutterbande
zum Schamhügel, und zur grossen Schamlefze.
ß) Der NervitH lumbo-iiiguinalis geht vor dem Psoas herab, um unter dem
P Ott parf sehen Bande, an die Haut des Oberschenkels unterhalb der Leistenbeuge
zu gelangen. Er ist im Manne ansehnlicher als im Weibe, nnd kreuzt sich in
beiden Geschlechtern mit der Arieria drcumflexa üei.
4. Den vorderen äusseren Hautnerv des Oberschenkels,
Nervus cutaneus femoris anterior externus. Er entspringt aus der
Schlinge zwischen dem zweiten luid dritten Lendennerven, und
zieht auf dem Musculus iliacus intemu^s zum Poupart'schen Bande
herab, wo er dicht unter dem oberen Darmbeinstachel, die Ver-
bindungsstelle der Fascia lata mit dem genannten Bande durch-
bricht, über den Ursprung des Sartorius sich nach aussen wendet,
und an der äusseren Seite des Oberschenkels, vor dem Vastus
extenmsy als Hautnerv bis zum Knie herab sich verästelt.
5. Den Verstopfungsnerv, besser Hüftlochnerv, Nervus
obturatorius s. cruralis internus. Er wird aus Fasern des zweiten,
dritten und vierten Lendennerven zusammengesetzt, und steigt hinter
dem Psoas major in das kleine Becken herab, an dessen Eingang
er sich mit der Arteria und Vena iliaca communis kreuzt, hinter
welchen er lagert. An der Seiten wand der kleinen Becken höhle
hält er sich an die Arteria ohturatoria, welche unter ihm liegt, und
findet durch den Canalis obturatorius seinen Austritt aus dem Becken,
worauf er sich in einen vorderen und hinteren Ast theilt. Der
hintere durchbricht die oberen Bündel des Ohturator externus, giebt
einen Zweig zum Hüftgelenk, und verliert sich als motorischer Nerv
im Musculus ohturator externus und addux^tov magnus. Der vordere
stärkere, versorgt den Gracüis, Addv>ctor loiigus und hrevis, durch-
bohrt zuletzt die Fascia lata, und verbindet sich entweder mit dem
inneren Hautnerven des Oberschenkels, oder verliert sich, selbststündig
bleibend, an der inneren Seite des Oberschenkels bis zum Knie-
gelenk herab.
Es möge hier eines, von dem Wiener Anatomen Adam Schmidt zuerst
erwähnten (Comm. de nervi« lumbal. §. 40), seither aber vergessenen Nervus
obturatorius accessorius, gedacht sein. Entsprungen aus dem Anfangsstiick des
eigentlichen Nervus obturatoriiis^ läuft er unter dem inneren Rande des Psoas zum
horizontalen Schambeinast, kreuzt diesen, tritt hinter den Pcctineus, bildet mit
dem aus dem Foramien ohturatorium hervorgekommenen Nervus obturatoriuM eine
Schlinge, und sendet überdies dem Pectineus, dem Adducior brevis und dem
Hüftgelenk Zweige zu. Schmidt fand ihn unter siebenzig Extremitäten acht
bis neun Mal, — Prosector Pokorny, welcher ihn aufhierksam untersuchte, nur
zwei Mal. — Von dem für den Addudor magnus bestimmten Muskelzweige des
Nervus obturatorius, sah ich öfters einen Faden abgehen, welcher den genannten
§. 376. Lendennenren. 929
Muskel nach hinten durchbohrt, in die Kniekehle gelang auf der Ärteria popUtea
weiter herab zieht, am darch das lAgaanentum popUteum zur Kapsel des Knie-
gelenks zu treten.
6. Den Schenkelnerv, Nervus cruralü 8. femoralis. Er ent-
wickelt sich aus der ersten bis dritten Lendenschlinge, und über-
trifft an Stärke die übrigen Zweige des Plexus lumhalis. Anfanglich
hinter dem Psoas major gelegen, lagert er sich weiter unten zwischen
Psoas und Eiacus internus, welchen er Aeste giebt, und gelangt mit
ihnen durch die Lacuna muscularis aus dem Becken zum Ober-
schenkel, wo er sich in der Fossa üeo-pectinea in Haut- und Muskel-
äste theilt. Beide variiren an Zahl und Verlaufsweise.
Die Hautäste sind:
a) Der Nervus cutaneus femoris Tnedius oder Nervus perforans,
welcher gewöhnlich den Sartorius und die Fascia lata im
oberen Drittel des Oberschenkels durchbohrt, und häufig in
zwei Zweige gespalten, in der Mitte der Vorderfläche des
Oberschenkels subcutan herabsteigt.
h) Der Nervus cutaneus femoris internus oder Nervus sapkenus
minor, zieht in kurzer Strecke an der Scheide der Schenkei-
gefasse herab, durchbohrt die Fascia lata etwas über der Mitte
des Oberschenkels, verbindet sich gewöhnlich mit dem vorderen
Aste des Nervus ohturatoriv^, welcher ihn auch ganz vertreten
kann, und entsendet seine Zweige zur Haut der inneren Seite
des Oberschenkels.
c) Der Nervus saphenus major folgt der Scheide der Arteria und
Vena cruralisj über deren vordere Peripherie er schräg nach
innen herabsteigt, bis zur Durchbohrung der Sehne des Adductor
magnus durch die genannten Geiiisse. Von hier verlässt er die
Scheide der Schenkelgefiisse , und wendet sich zur inneren
Seite des Kniegelenks, dessen Kapsel er mit einem Aestchen
versorgt. Hinter der Sehne des Sartorius durchbohrt er die
breite Schenkelbinde, und steigt mit der Vena saphena interna
zum Fusse herab. Auf diesem Laufe giebt er den NervtbS
cutaneus surae internus zur inneren Gegend der Wade, tritt
vor dem inneren Knöchel zum inneren Fussrand, versorgt die
Haut daselbst, und verbindet sich regelmässig mit dem Nervus
cutaneus pedis dorsalis internus, aus dem Nervus pero7iaeus super-
fidalis (§. 377).
So lange er am Oberschenkel verweilt, schickt er zwei Zweige ab, deren
einer beiläufig in der Mitte des Oberschenkels, deren anderer am Condylus internus
durch die Fascia lata zur Haut tritt — Ich habe es oft gesehen, dass der Nervus
saphenus major, zugleich mit der Ärteria und Vena cruraÜs, durch den Schlitz
der Adductorensehne in die Kniekehle eingeht, gleich darauf aber diese Sehne
wieder nach vom zu durchbohrt, um in die Furche zwischen Veutus internus und
Adductor magntts Kurttctorakelire**
H 7 r 1 1 , Ukrbneh d«r Anatr '^
930 §• 377. Kreasnerren und SteiMnenren.
Selten endet der Nervus sttphenus major schon in der Höhe des Kniej^elenks.
Seine Unterschenkelzweige kommen dann aus dem Nerous tiltiaUa antictis.
Die Nervi ciUaitei aus dem Cruralis und Obturatorian variiren übrigens so
sehr in ihren Verbreitungen und Verbindungen, dass die Beschreibungen derselben
unter der Feder verschiedener Autoren sich sehr verschieden gestalten. Ich habe
mich an das häufigere Vorkommen gehalten.
Die Muskelästc, sechs bis acht an der Zahl, gehören den
Muskeln an der vorderen Peripherie des Oberschenkels, mit Aus-
nahme der Adductoren und des Gracilis, welche vom Nervus obtu-
raiorius betheilt wurden. Der längste derselben geht auf der Vagina
vasorum cruralium zum Vaatus internus herunter, und schickt auch
einen Ast zur Kapsel des Kniegelenks. Einen ähnlichen Kapselnerven
erzeugt auch der Muskelast zum Vastas extemus.
Ausser den Haut- und Muskelästen erzeugt der Nervus cruraliSf gleich nach
seinem Hervortritt unter dem Poupart^schen Bande, noch einen bis zwei Zweigte
zur ArUria cruralis, Sie lassen sich weithin an den Aesten der Cruralis verfolgen.
Von ihnen gelangt auch ein Aestchen mit der Arteria nulriUa femoris in die Mark-
höhle des Knochens.
J. A, Schmidt, comment. de nervis lumbalibus eorumque plexu. Vindob.,
1794. — L. Fischer, descriptio anat. nervorum lumbalium, sacralium, et extremi-
tatum inf. Lips., 1791. — A\ Stix, descriptio anat. nervi cruralis et obturatorii.
Jenae, 1782. — C. BosenmüUer, nervi obturatorii monographia. Lips., 1814. —
Oöring, de nervis vasa adeuntibus. Jenae, 1834. — B. Beck, über einige in den
Knochen verlaufende Nerven. Freiburg, 184r>. — RUdinyer, Gelenknerven. Er-
langen, 1867.
§. 377. Kreuznerven und Steissnerven.
Die fünf Kreuznerven, Nervi sacrales, sind die stärksten^ —
der einfache Steissnerv, Nervus cocci/gev^y der schwächste unter
allen Rückenmarksnerven. Die Kreuznerven nehmen von oben nach
unten schnell an Dicke ab. Ihre Ganglia intervertebralia liegen
noch im Rückgratskanal, wo auch ihre Theilung in vordere und
hintere Aeste stattfindet, welche durch verschiedene OefFnungen
diesen Kanal verlassen. Die schwachen hinteren Aeste des ersten
bis vierten Kreuznerven treten nämlich durch die Foramina sacralta
postica, jene des fünften Kreuznerven und des Steissnerven durch
den Hiatus sacro-cocci^geus nach rückwärts aus. Sie verbinden sich
durch zarte, auf- und absteigende, einfache oder mehrfache Ana-
stomosen, zum schmalen und unansehnlichen Plexus sacralis poste-
rior, aus welchem die den Ursprung des Glutaeus magnus durch-
bohrenden Hautnerven der Kreuz- und Steissgegend entspringen.
Die ungleich stärkeren vorderen Aeste der Kreuznerven gehen
durch die Foramina sacralia anteriora, der fünfte durch das Foravnen
sacro'coccygeuin nach vorn in die kleine Beckenhöhle, und bilden
§. 377. Kreniner?«!! und Steitanerren. 931
durch auf- und absteigende Verbindungszweige unter sieh, und mit
dem vorderen Aste des Nervus coccygeus, den Plexus sacro-coccygem,
welcher zwischen den Bündeln des Musculus pyrifornds und coccygeus
durchdringt, mit den vier Oanglüs sacrcdibus und dem Ganglion
coccygeum des Sympathicus zusammenhängt, und den grössten Theil
des vierten und den ganzen fünften Nervus lumbalis in sich auf-
nimmt. Er theilt sich in drei untergeordnete Plexus, welche von
oben nach unten als Plexus ischiadicus, pudendalis, und coccygeus auf
einander folgen.
A) Der Plexus ischiadicus, Hüftgeflecht.
Er liegt vor dem Musculus pi/rlformis, und hinter der Arteria
hypogastrica. Seine Richtung geht schräg von der vorderen Kreuz-
beinfläche gegen das Foramen ischiadicum majus hin. Er besteht
aus dem, dem Plexus sacro-coccygeus einverleibten Antheile der
Nervi lumbales, und den zwei oberen Ansäe sacrales. Innerhalb
des Beckens erzeugt er nur zwei unbedeutende Muskelzweige für
den Pyriformis und Obturator internus. Seine Verzweigungen extra
pelvim sind:
a) Der obere Gesässnerv, Nervus glutaeus superior. Er geht
in Begleitung der gleichnamigen Blutgefässe am oberen Rande des
Muscvlvs pyriformis, durch das Foramen ischiadicum majus zum Ge-
sässe, wo er sich in dem Musculus glutaeus msdiusy minimus, und
Tensor fasdae verliert.
h) Der untere Gesässnerv, Nervus glutaeus inferior, geht
unter dem Musculus pyriformis mit der Arteria ischiadica durch das
grosse Hüftloch zum Musculus glutaeus magnus.
c) Der hintere Hautnerv des Oberschenkels, Nervus
cutaneus femoris posterior, welcher ebenfalls unter dem Muscidus
pyriformis zum Gesäss tritt, mit dem Nervus perinealis und glutaeus
inferior anastomosirt, und seine Endzweige theils über den unteren
Rand des Musculus glutaeus magnus zur Haut der Hinterbacke
hinaufschickt, theils selbe an der hinteren Seite des Oberschenkels
herabgleiten lässt.
d) Der Hüftnerv, Nervus ischiadicus, ist die eigentliche Fort-
setzung des Plexus ischiadicus, und zugleich der stärkste Nerv des
menschhchen Körpers. Seine Breite verhält sich zu seiner Dicke
wie 5 : 2 Linien. Er geht wie b) und c) unter dem Musculus pyri-
formis, durch das grosse Hüftloch zum Gesäss, und steigt über die
von ihm versorgten Auswärtsroller des Schenkels (Oemdli, Obtu-
rator internus, Quadratus femoris), zwischen Trochanter major und
Tuberositas ossis isckü zur hinteren Seite des Oberschenkels herab.
Hier bedecken ilm die vom Sitsknorren ^ ''en Beuger des
932 §• 877. Erenznenren und StaiasnerTen.
Unterschenkels so lange^ bis er, ihrer Divergenz wegen, zwischen
ihnen Platz nehmen kann, wo er dann höher oder tiefer sich in
zwei Zweige theilt, welche in der Kniekehle den Namen Nervus
poplüeu8 extemus und internus fuhren, und in ihrem weiteren Ver-
laufe als Wadenbein- und Schienbeinnerv unterschieden werden.
a) Der Wadenbein nerv, Nervus peranaeus (oder peroneus), zieht
sich am inneren Rande der Sehne des Biceps femoris zum Köpfchen des
Wadenbeins hin, theilt der Kapsel des Kniegelenks ein Paar feinster
Aestchen mit, und giebt zwei Ilautnerven ab, welche als Nervus
cutaneus surae extemus et medius (der internus war ein Ast des
Nervus saphenus major) die Fascia poplitsa durchbohren, und in der
Haut der Wade bis zur Achillessehne herab sich verbreiten. Hinter
dem Köpfchen des Wadenbeins theilt sich der Nervus peronaeus in
einen oberflächlichen und tiefliegenden Ast, welche den Hals
des Wadenbeins umgehen, und so an die vordere Seite des Unter-
schenkels gelangen.
1. Der oberflächliche Ast, Nerviu peronaeus superfidalU, lieg^ anfan^
tief, zwischen dem Fleisch der Peronaei und des Extensor digüorum pedü Imuftu,
welchen er Zweige giebt. Erst unter der Mitte des Unterschenkels durchbricht
er die Faacia crurig, und theilt sich bald darauf in zwei Zweige, welche über die
vordere Seite des Sprunggelenks zum Fussrücken herablaufen, wo sie als Nervus
cutaneus pedis dorscUw medius et internus bezeichnet werden. Der medius verbindet
sich mit dem aus dem Schienbeinnerven entsprungenen Nervus suraliSf — der
intemus mit dem Ende des Nervus saphenus major^ und einem Endaste des Nervus
peranaeus profomdus. Beide senden Zweige zur Haut des Fussrücken», und bilden
zuletzt durch gabelförmige Spaltungen, sieben Zehenrückennerven, welciie
die innere Seite der grossen Zehe, die äussere der zweiten, beide Seiten der
dritten und vierten, und die innere Seite der fünften Zehe versorgen, jedoch für
alle nicht über die Phalanx prima hinaus.
2. Der tiefliegende Ast, Nervus peronaetts profundus, lagert sich auf die
vordere Fläche des Zwischenknochenbandes, wo er »ich zur Arteria Uhialis anticn
gesellt, an deren äusserer Seite er liegt. Er wird deshalb auch Nervus tifßiali*
anticus genannt. Er betheilt alle an der vorderen Seite des Unterschenkels ge-
legenen Muskeln mit Zweigen. Im weiteren Verlaufe nach abwärts kreuzt er die
Arteria tibialis anticn^ und legt sich an ihre innere Seite, wo er anfangs zwischen
Extensor dufitoritm lontjuft und Tihialis anticus ^ weiter unten zwischen Exteiisor
lonffus haUucis und TibiaHs aiUicus zum Sprunggelenk herabzieht. Hier geht er
durch das mittlere Fach des Ligamentum cruciatum zum Fussrücken. wo er in
zwei Endäste zerfällt, den äusseren und inneren. Der äussere ist Hir den
Extewtor digitorum f/revis bestimmt; der innen* verbindet sich mit dem aus dem
Nervus peranaeus superficialis stammenden Nervus cutaneus jßfdis dorsalis internus,
und versorgt mit zwei Zweigen die einander zugekehrten Seiten der grossen nnd
der zweiten Zehe, welch«* vom Nervus peranams superficialis nicht berücksich-
tigt wurden.
Es hätten nun beide Seiten der ftinf Zehen — nur die äussere Seite der
kleinen Zehe nicht — ihre inneren und äusseren Rückennerven erhalten.
Letztere wird nicht vom Nervus peranaeus, sondern von einem Aste des Nervus
libialis, dessen Beschreibiuig folg^ mit einem äusseren Rücken-Zehennerven
rersorgt.
S. t77. Kreunenren und Bteittnerren. 933
Was ist richtiger, percnaeua oder peroneuaf nepowj ist Wadenbein, somit
izzpo^nioi, was zum Wadenbein gehört, wie der fragliche Nerv, nepovaio; in's
Latein übertragen, gibt aber peronaeiu, nicht peroneti», es sei denn, dass man
nichts dagegen hat, einem griechischen Substantiv, durch den allerdings guten
lateinischen Ausgang in eus, in ein Adjectiv zu verwandeln, wo dann aber nicht
peroneus, sondern peronhu gesprochen werden muss, wie z. B. in plumbeua und
auretu,
ß) Der Schien bei 11 nerv, Nervus tibialis, steigt in der Mittel-
linie der Bossa poplitea unmittelbar unter der Fascia poplitea herab.
Seine Verlaufsrichtung kann bei mageren Individuen bei gestrecktem
Knie nicht nur leicht gefühlt, sondern auch gesehen werden. Da
er der hinteren Seite des Unterschenkels angehört, wird er auch
Nervus tibialis posticus genannt, zum Unterschiede vom anticus,
welcher der tiefliegende Ast des Nervus peronaeus war. Er dringt,
nachdem er kleine Zweige in die hintere Wand der Kniegclenk-
kapsel abgab, zwischen den beiden Köpfen des Gastrocnemius auf
den oberen Rand des Soleus ein, und geht unter diesem zur tiefen
Schicht der Wadenmuskulatur, wo er mit der Arteria tibialis postica,
hinter dem Musculus tibialis posticus nach abwärts läuft, um unter
dem inneren Knöchel bogenförmig zum Plattfuss zu gelangen. Im
Plattfuss theilt er sich unter dem Sustentaculum cervids taii in d§n
Ramus plantaris externus et internus.
In der Kniekehle erzeugt er:
1. Den Nervtut suralis s. communicana surae. Dieser zieht in der Furche
zwischen beiden Köpfen des Gastrocnemius herab, durchbohrt das hochliegende
Blatt der Fascia surcu:, gesellt sich zur Vena saphena posterior s, minor an der
äusseren Seite der Achillessehne, und verbindet sich mit dem Nervus ctUaneus
surae extemits vom Nervus peronaeus — daher der Name: Communicans surae.
Unter dem äusseren Knöchel auf den Fussriicken Übergehend, nimmt er hier den
Namen Nervus culanetts pedis dorsalis externus an (der medius und internus waren
Erzeugnisse des Nervus peronaeus superficialis), anastomosirt mit dem meditis, und
endigt, als letzter Zehenrückennerv, an der äusseren Seite der kleinen Zehe.
*2. Den einfach entspringenden, aber bald in zwei Zweige zerfallenden
Ramus gastrocnemius, dann den starken Ramus ad soleum, und einen schwächeren
Ramus ad popliteum.
Der Zweig, welcher zum Musculus popliteus geht, sendet einen langen Ast
ab, welcher auf der hinteren Fläche des Zwischenknochenbandes eine kurze Strecke
weit herabläuft, dann zwischen die Fasern dieses Bandes eintritt, am unteren
Ende desselben wieder frei wird, imd sich in der Bandmasse zwischen den unteren
Enden des Schien- und Wadenbeins verliert. Er wurde von Halbertsma als
Zwischenknochennerv des Unterschenkels zuerst beschrieben.
Während seines Verlaufes in der tiefen Schichte der Waden-
muskeln giebt er ab:
1. Zweige zu den tiefliegenden Muskeln der Wade, und einen Faden zur
Arteria nutritia des Schienbeins.
2. Drei oder vier Hautnerven für die Umgebun]; der Knöchel und den
hinteren Theil der Sohle.
934 §• 377. Krensnerrcn und Bteissnerven.
In der Sohle verhalten sich die beiden Endäste des Nervus
tibialis posticus folgendermassen:
1. Der Nervus pinntarM internus tritt zwischen dem Abdtictor hcUluds nnd
Flexor digilorum brevis nach vorn, versieht diese Muskeln, so wie den ersten and
zweiten Lnmbricalis, und löst sich durch wiederholte Theilung in sieben Nervi
digitales plantares auf, welche die Fascia plantaris durchbohren, nnd an beiden
Seiten der drei ersten Zehen und an der inneren Seite der vierten sich verlieren.
Er hat somit dasselbe Verhältniss zu den Zehen, wie der Nervus niedianus zu den
Fingern.
2. Der Nervus plantaris extemus entspricht durch seine Verästlung ganz
genau dem Nervus ulfiaris. Er liegt zwischen Flexor brevis digilorum und Portio
quadrata Sglüii, nnd theilt sich in einen hoch- und tiefliegenden Zweig. Der
hochliegende giebt dem dritten und vierten Lumbricalis Aestchen, und zerfallt in
drei Nervi digitales plantares für beide Seiten der kleinen Zehe und die äussere
Seite der vierten. Jener für die äussere Seite der vierten Zehe verbindet sich
durch eine Bogenanastomose mit dem vom Nervus plantaris internus abgegebenen
Hautnerven der inneren Seite derselben Zehe. Der tiefliegende Zweig begleitet den
Arcus plantaris profundus, und verliert sich in den bis jetzt noch unversorgt ge-
bliebenen kleinen Muskeln der Sohle, wie auch in den inneren und äusseren
Zwischenknochenmuskeln. — Die Zehenäste der beiden Nervi plantares geben
auch Zweigchen für die Dorsalfläche der zweiten und dritten Zehenglieder ab. —
An den Hautästen des Plantaris extemus imd mtemus finden sich Pacini*sche
Körperchen (§. 70).
J. H. Jordens, descriptio nervi ischiadici. Erlangae, 1788. — F. Schlemm,
observ. neurol. 18H4, handelt über die Ganglien der Kreuz- und Steissnerven. —
J, Halbertsma, über einen in der Membrana interossea des Unterschenkels ver-
laufenden Nerven, in Milüers Archiv. 1847.
B) Der Plexus pudendalis, Schamgeflecht.
Er ist nur ein unterer Anhang des Plexus ischiadicus, verstärkt
durch einige Zuzüge des vierten und fünften Nervus sacralis, während
die grössere Menge der Fasern dieser beiden Nerven in die dem
Sympathicus angehörigen Plexus h/pogastrid übergeht. Er liegt am
unteren Rande des Musculus pyriformis, und löst sich in zwei kleinere
geflechtartige Nervenzüge auf, welche sind:
a) Der mittlere und untere Mastdarmnerv, Nervus
haemorrhoidalis medius et inferior. Beide zerfallen, nachdem sie mit
dem Beckengeflechte des Sympathicus zahlreiche Verbindungen
eingegangen haben, in Zweige, welche den T^vator ani, den Fundus
vesicae uiinarlae (bei Weibern auch die Vagina), den Sphincter ani
extemus et internus, und die Haut der Aftergegend versehen.
h) Der Schamnerv, Nei^us pudendus. Er geht mit der Ar-
teria pudenda communis durch das grosse ITüftloch aus der Becken-
höhlc heraus, und durch das kleine wieder in sie zurück, steigt mit
ihr an der inneren Fläche des aufsteigenden Sitzbcinastes empor,
und theilt sich in zwei Zweige, welche sind:
g. 378. Ral8tli«il des Sympatbicu. 935
a) Der Mittelfleisch nerv, Nenma perinealis, zieht mit der
Arteria perinei nach vorn zum Mittelileisch, und schickt seine
obei'flächlichen Aeste zur Haut des Dammes, seine tieferen zu
den Musculi transverd perinei, hvlbo-cavernosus, »phincter ani
extemus (vorderer Theil desselben), und zuletzt zur hinteren
Wand des Hodensackes (Nervi scrotales postenores); im
weiblichen Geschlechte zu den grossen und kleinen Scham-
lippen, und zum Vorhof der Scheide (Nei'üi labiales posteriores).
ß) Der Ruthennerv, Nervus penis dorsalis, steigt zwischen dem
Musculus bulbo- et ischio-cavemosus, letzterem einen Zweig mit-
theilend, bis unter die Schamfuge hinauf, legt sich mit der
Arteria penis darsalis, an deren äusserer Seite er verläuft,
in die Furche am Rücken des Gliedes, sendet mehrere Rami
cavemosi in das Parenchym der Schwcllkörper, welche die
Plexus cavemosi verstärken, theilt der Haut des Gliedes und
der Vorhaut Aeste mit, und verliert sich endlich in der Haut
der Glans und im vorderen Ende der Harnröhre. Beim Weibe
ist er ungleich schwächer, und für die Clitoris und das obere
Ende der kleinen Schamlippen bestimmt.
C) Der Plexus coccygeus, Steissgeflecht.
Er verdient kaum diesen Namen, da er nur aus Einer
Schlinge zwischen dem fünften Kreuz- und dem einfachen Steiss-
beinnerven besteht. Er liegt vor dem Musculus coccygevs, und sendet
vier bis fünf feine Zweige zum Ursprünge des Sphincter ani ex-
temus, zu den hinteren Bündeln des Levator ani, und zur Haut der
Aftergegend.
C. Vegetatives Nervensystem.
§. 378. Halstheil des Sympathicus.
Das vegetative Nervensystem, Nervus sympathicus, beherrscht
die Bewegungserscheinungen im Herzen und im gesammten Geföss-
system. Die Physiologen nennen es deshalb das vaso-mo to-
rische Nervensystem. Der Sympathicus hat auch auf die Er-
nährungsvorgänge einen, wenn auch nicht ausschliesslichen, doch
durch physiologische Versuche hinlänglich sichergestellten Einiluss.
Was der Sympathicus leistet, leistet er unwillkürlich, d. h. ohne
unserem Bewusstsein davon Kunde zu geben.
Der Sympathicus besteht:
1. Aus zwei längs der '*"* ''^' '^Uäule, voin
Atlas bis zum Ste ^^^
•J,
936 S* S79* Halstheil des Sympatbicus.
an gewissen Stellen durch Ganglien unterbrochen werden, und
deshalb Knotenstränge, auch Grenzstränge des Sympathicus
heissen.
- Der Bau der Ganglien des Sympathicus unterscheidet sich von jenem der
Ganglien der Rückenmarksnerven dadurch, dass erstere mehr multipolare Gan-
glienzellen enthalten, als letztere. Jedes dieser Ganglien steht mit dem vorderen
Zweig des entsprechenden Rückenmarksnerven durch einen Hamus communicaru
in Verbindung. Die Rami caiamtinicantes bestehen aus doppelten Faserzügen,
welche theils von den Rückenmarkanerven zu den Ganglien, theils von den Gan-
glien zu den Rückenmarksnerven ziehen. Die von den Rückenmarkanerven zu den
Ganglien des Sympathicus kommenden Faserzüge, schlagen in diesen eine doppelte
Richtung ein: nach oben und unten. Diese auf- und absteigenden Fasern gehen,
höher oder tiefer, in jene peripherischen Aeste des Knotenstranges über, welche
die Geflechte für die verschiedenen Eingeweide bilden.
2. Aus einer Anzahl von Geflechten, mit und ohne eingestreute
Ganglien, welche aus den Knotensträngen entspringen, und längs
der in ihrer Nachbarschaft verlaufenden Arterienstärame zu den
verschiedensten Organen gelangen.
Man theilt jeden Knotenstrang in einen Hals-, Brust-, Lenden-
und Kreuzbeintheil ein.
Der Halstheil des Knotenstranges, Pars cervicalis n, sympathid,
besitzt drei Ganglien, Ganglta cervicalia,
A) Das obere Halsganglion, das grösste von allen, hat in
der Regel eine länglich ovale, am oberen und unteren Ende zu-
gespitzte Gestalt, ist meistens etwas platt gedrückt, und variirt in
Grösse und Configuration so häutig, dass es die mannigfaltigsten
Formen, von der spindelförmigen bis zur eckig-verzogenen An-
schwellung, annehmen kann. Seine Länge steht zwischen acht bis
sechzehn Linien, seine Breite zwischen zwei bis drei Linien, seine
Dicke beträgt etwa anderthalb Linien. Es liegt auf dem Musculus
rectus capitis anttcus major, vor den Querfortsätzen des zweiten bis
dritten oder vierten Halswirbels hinter der Carotin intei^ia, und
hinter dem Nervus vagus und hypoglossus , an deren Scheiden es
mehr weniger innig adhärirt. Die Aeste, die es aufnimmt oder
abgiebt, halten, von oben nach unten, folgende Ordnung ein:
a) Gcfassäste zur Carotis interna, um welche herum sie den Pleoms caro-
tictts intenm« bilden. Ihre Zahl steigt nie über zwei. Sie sind in der Regel an-
fänglich zu einem einfachen Stamme verschmolzen (Nervint carotiais), welcher
in der Verlängerung des oberen sjützen Endes des ersten Halsganglion lieget.
Seine Spaltung und Verkettung zum Plexus caroticus findet erst im carotischen
Kanäle statt.
b) Verbindungszweige zum Neroiis hypoyloaajis , Gaiujlion jinjulare und
Plexus nodosits des Vagus, zum Gatv/lion jugulnre und petrosum des Nervus f/los^o-
pharyTigeiu.
c) Verbindungszweige mit den vorderen Aesten der drei oder vier oberen
Halsnerven. Sie gehen vom äusseren Rande des Knotens ab.
§. 878. Halstbeil des »Tspfttliiciis. 937
d) Zwei bis acht zarte Nervi moUes, welche an der CctroHt irUema bis snr
Theilungsfltelle der CaroUa communis herabsteigen, um in den Plexus earoUeue
extemus überzogehen.
e) Zwei bis vier Rami pharyngeo-laryngei. Sie lösen sich von der inneren
Peripherie des Knotens ab, und helfen mit den Rami» pharyngeis des Glosso-
pharyng^ns und Vagus den Plexfts pharyngeus bilden. Einer von ihnen geht eine
Verbindung mit dem äusseren Aste des Laryngeus superior ein.
f) Der Xerous cardiacus superior 9, laugu», langer Herznerv, welcher
vom unteren Ende des Knotens entspringt, und an der inneren Seite des Stammes
des Sjrmpathicus zum Herznervengefiechte herabsteigt. Zuweilen leitet er mit den
Herzästen des Vagus Verbindungen ein. Er entspringt mitunter nicht aus dem
Knoten, sondern auch aus dem Stamme des Sympathicus, verbindet sich unstät
mit Reiserchen der Nervi laryngei, der Anaa cervicali» hypogloasi, des Nervus
phrenicus, und der beiden anderen Halsknoten des Sympathicus, erscheint an
variablen Stellen knötchenartig verdickt, und ist auf beiden Seiten nicht ganz
gleichmässig angeordnet; denn der rechte geht an der Arteria innaminata zum
tiefliegenden Herznervengeflecht, der linke an der Carotis sirUstra zum hoch-
liegenden.
g) Der Verbindungpsstrang zum zweiten Halsknoten geht, als die Fortsetzung
des unteren Knotenendes, auf dem Musculus rectus capitis anticus major bis zur
Arteria thgreoidea inferior herab. Er liegt an der inneren und hinteren Seite des
Vagus und der Carotis communis, und theilt sich ausnahmsweise, bevor er sich in
das mittlere Halsganglion einsenkt, in zwei Zweige, welche die Arteria thyreoidea
inferior zwischen sich nehmen.
B) Das mittlere Halsganglion, fehlt häufig, ist viel kleiner
als das obere, und liegt an der inneren Seite der Arteria thyreoidea
inferior, wo diese ihre aufsteigende Richtung in eine quere, nach
innen gehende verändert. Es schliesst Verbindungen mit dem fünften
und sechsten Halsnerven, sendet graue Fäden zum Plexus thyreoideus
inferior, und giebt den Nervus cardiacus medius, mittleren Herz-
nerven, ab, welcher rechts hinter der Arteria anonyma, links hinter
der Arteina subclavia, zum Herznervengeflecht gelangt.
C) Das untere Halsganglion liegt vor dem Processus trans-
versus des siebenten Halswirbels, am Ursprung der Arteiia vertebralis
aus der Arteria subclavia. Es ist gross, und von unregelmässig
eckiger Gestalt. Häufig verschmilzt es mit dem ersten Brustknoten
des Sympathicus. Es erhält constante Verbindungszweige von dem
siebenten und achten Halsnerven, und ersten Brustnerven. Ein Ver-
bindungsfaden zum ersten Brustknoten umgreift die Arteria sub-
clavia als Ansa Vieussenii, Da das untere Halsganglion mit der
Arteria subclavia in so innige Berührung kommt, so versendet es
seine Aeste an alle aus diesem Gcfasse entspringenden Zweige.
Sein wichtigster Ast ist der Nervus cardiacus inferior s. parvus zum
Herznervengeflecht, welcher sich häutig (besonders gern auf der
linken Seite) mit dem Nervus cardiacus medius zu Einem Stamme
vereinigt. Dieser heisst dann Nervus cardiacus erassus s. magnus.
Das fUr die Ganglien des Bnut-, Bauch- undBeekiniÜ
aufgestellte Gesetz, daas jedem Forttmm
938 f. VI9. Bmtthtll dM STnpftthient.
Rflekenmftrkiinervenf ein if^nnpathiAcher Knoten entspricht, ist fSr den Halstheü,
wo aaf acht Ualsnerven nur drei Gan^^lien kommen, nicht anwendbar. Die
CHttin^keit des OesetKes wird nur dadurch einigermassen aufrecht erhalten, dass
das r)here Ilalsganglion als eine Verschmelzung von vier, das mittlere und untere
als eine Verschmelzung von zwei sympathischen Oangliia cerviccUibus betrachtet
werden kann.
Zuweiten werden zwischen den drei constanten Halsknoten noch Zwischen-
knötchen eingeschoben (QarujUa intermedia s, intercalariaj, welche durch das Zer-
fallen eines der drei normalen Halsknoten entstehen, und ein Annäherungsversuch
cur Vermehnmg der Ganglien auf die den acht Halsnerven entsprechende Zahl
sind. Die am ersten Hatsknoten öfters vorkommenden Einschnürungen, und die
dadurch bedingte tuberöse Form desselben, haben dieselbe Bedeutung. Da der
vordere Ast jedes Rttckenmarksnerven mit dem correspondirenden Ganglion des
Bympathicus eine Verbindung eingeht, so muss der erste Halsknoten, welcher
aus der Verschmelzung von vier Halsganglien hervorgegangen zu sein scheint,
mit den vier oberen Nervi» cervicalibus, der mittlere mit dem fünften und sechsten,
und der untere mit dem siebenten und achten Net*vwi cervicalis anastomosiren.
Hind Onnffiia iiUennedia vorhanden, so verbinden sie sich jedesmal mit dem ihnen
nächst gelegenen Nerviia cervicaiis, wodurch auf die normalen Halsganglien
weniger Anastomosen mit den Rückenmarksnerven kommen werden.
«/. C y Albaner ^ descriptio anat nervorum cardiacorum. Francof., 1772. —
//. i4. Wriitberff, de nervis arterias venasque comitantibus, in Comment. GotL,
1800. — A, Scarpa, tab. neurol. Ticini, 1794.
§. 379. Brusttheil des Sympathicus.
Der Brusttheil des Sympathicus, Pars thoracica n, 8 f^mpathid,
liegt vor den Rippenköpfen, und besteht aus eilf Ganglien (Ganglia
thonmcn), welche vom ersten bis zum sechsten an Grösse ab-, dann
bis »um eilften wieder zunehmen, eine flache, spindelförmige Gestalt
haben, und durch einfache, oder (besonders an den oberen Knoten)
doppelte Verbindungsstränge unter sich und mit den betreffenden
AVn*iV» intftrostaUhm zusammenhangen.
l>«s or>to Hni9t(rangflion zeichnet sich durch seine Gri^sse vor den übrif^eii
aus. Seiner auffallend eokifjen Gestalt wegen erhielt dasselbe den Namen: Gon-
tfikm .«fWM/MiH. Die j^ranxe («anglionkette des Hmststranges wird von der Pleura
cotttnli* betleckt, und liegt somit ausserhalb des hinteren Mittel feil räum ?. Vom
letzten Hnistknoten wendet sieh der Stamm des Sympathicus, nachdem er d^n
Äusserten Schenkel des Lendentheils des Zwerchfells durchbrochen, oder zwischen
dem Äusseren und mittleren Si*henkel desselben durchgegangen ist, etwas luick
einwÄrt*, und nJihert sich mit seinem Lendentheile der Mittellinie der Wirbel-
säule witnler ^^wie am Halstheile^, wtnlurch der Rnisttheil des Sympathicus al*
eine nach aussen gt»riohtete Ausbeugimg des ganzen Svmpathicusst ränge s erscheint.
Aus den tunf bis sechs obertMi Brustganglien entstehen: 1. peri-
pherische Strahlungt'»n, welche die in der Brusthöhle vorkommenden
lioflochto ( /Yätmjs ♦lorftriw, hnmchinJis^ |>f*/im>na/Mt, i>r,«'>»>^'7.7^nj* ,
stJirken: 2, aus dem ersten Brustknoten ein Xt-mts r/irc/iVirw^ ii
weicher entweder selbst^tändig, oder dem Xenrus cardiacus ir^erior
§. 880. Lendenllieil und Kmubeiiith«il des SjmpatUeu. 939
einverleibt, zum Herznervengeflecht zieht. — Die unteren Brust-
knoten schicken ihre peripherischen Zweige, unter dem Namen der
Nervi splanchnid, nicht zu den Geflechten der Brusthöhle, sondern
zu jenen der Bauchhöhle.
Es finden sich in der Regel zwei Nervi aplanchnici vor. Beide sind, ab-
weichend von der grauen Farbe und weichen Consistenz des Sjmpathicusstranges,
weiss und hart. Sie werden schon aus diesem Grunde allein, nicht als eigent-
liche Erzeugpüsse des Sympathicus, sondern als Fortsetzungen jener Eami com-
munkarUeg anzusehen sein, welche die aus dem Rückenmark stammenden Nervi
thoracici, den Bnistganglien des Sympathicus zusenden. Wie sich dieses verh<,
darüber handelt ausführlich Rüdinger, über die Rückenmarksnerven der Bauch-
eingeweide. München, 1866. — Der Nervua »planchnicut major bezieht seine
Fasern aus dem sechsten bis neunten Brustknoten, sehr oft auch noch höher.
Sein Stamm geht auf den Wirbelkörpem nach ein- und abwärts, läuft vor den
Viuis intercoataUbua im hinteren MittelfeUraume herab, dringt zwischen dem mitt-
leren und inneren Schenkel der Pars lumbaU» diaphragmaUa (selten durch den
Hiatus aortictu) in die Bauchhöhle, und verliert sich im PUxua coeUacua. Der
Nervus splanchnicus minor sammelt seine Elemente aus dem zehnten und eilften
Brustknoten, verläuft wie der major, oder durchbohrt den mittleren Zwerchfell-
schenkel, und senkt sich mit einem kleineren Faserbündel in den Plexus coeliacus^
mit einem stärkeren als Nervus renalis posterior s, superior in das Nierennerven-
geflecht ein.
Nach Ludwig (Scriptores neuroL min, Vol, HL pag. 10) und Wrisberg
(Comment. Vol, L pag. 261) existirt in seltenen Fällen auch ein Nervus splanch-
nicus supremus. Er soll aus den oberen Brustganglien und aus dem Plexus car-
diacus entspringen, im hinteren MittelfeUraum nach abwärts laufen, und ent-
weder in die Plexus oesophagei des Vagpis, oder in den Nervus splanchnicus major,
oder in das Ganglion coeliacum übergehen. — Das Ganglion thoracicum pHmum
geht zuweilen mit dem secundum eine mehr weniger complete Verschmelzung
ein. — H, Retxius, über den Zusammenhang der Pars thoracica nervi st/mpathici
mit den Wurzeln der Spinalnerven, in MeckeTs Archiv. 1832. — J, J. Huber,
de nervo intercost, etc. Gott, 1744.
§. 380. Lendentheil und Kreuzbeintheil des Sympathicus.
Der Lenden-Kreuzbeintheil des Sympathicus, Pars lumbo-
sacralis nervi sympathici, besteht aus fünf, zuweilen nur aus vier
Lendenknoten (Ganglia lumbcdia), und eben so vielen Kreuzbein-
knoten (Ganglia sacrcdia).
Die Lendenknoten liegen rechts hinter der Vena cava, links
hinter und neben der Aorta abdominalis, am inneren Rande des
Psoas major, sind kleiner als die Brustknoten, und hängen mit den
Nervis lumbalihus durch lange Verbindungsßlden zusammen, welche
die Ursprünge des Psoas major durchbohren. Sie schicken peri-
pherische Strahlungen zu den Geflechten in der Bauchhöhle : Plexus
renalis, spermaticus, aorticus und hfpogastrieus iuperiar, der erste
und zweite Lendenknoten aiuuuüimsweui*
940 S- 9Sl. Oefleehte des STnpatliieat.
terteus superior. Nach Arnold verbinden sich die rechten und
linken Lendenknoten durch quer über die vordere Fläche der
Wirbelsäule ziehende Fäden.
Die Kreuzbeinknoten nehmen nach unten an Grösse zu-
sehends ab, und bilden eine am inneren Umfange der Foramina
sacralia herablaufende Reihe, welche mit jener der anderen Seite
nach unten convergirt, bis beide am Steissbcin in einen unpaaren
kleinen Knoten, das Ganglion coccygeum impar 8, Walthert (nicht
Walteri), übergehen. Die Krcuzbeinknoteu senden, nebst den Ver-
bindungszweigen zu den Nervis sdcralibiLS , und den nicht immer
evidenten Communicationsfiiden der rechten und linken Ganglien-
reihe, noch Zweigchen zum Plexus hypogastricus inferior, — der
Steissbeinknoten auch zum Plexus coccygeus, und zum bindegewebigen
Stroma der Steissdrüse (Luschka). Der Inhalt dieser Drüse ist,
neben seinen bläschenförmigen Hohlgebilden, so reichlich mit
Nervenelementen versehen, dass die Steissdrüse, mit dem Him-
anhang und der Nebenniere, zu einer eigenen Drüsengruppe —
den Nervendrüsen — vereinigt wurde. Was dieses Wort eigent-
lich sagen soll, wissen nur Jene, welche es erfunden haben.
Oefters fehlt das Ganglion coca/ffeum, und wird durch eine plexusarti^e
oder einfach schlingenförmige Verbindung der unteren Enden beider Knotensträng«
des Sjmpathicus (Anaa aacrtUiaJ ersetzt, wie es schon Willis und Vieussens
beschrieben haben. J. Georg Walther gab der erste eine gute Abbildung dieses
Knötchens, in seinen TabitUte nervorum thorac, et abdomin. BeroL, 1783. Tab. L
Fig. 2. — J. Theoph. Walter, Professor in Berlin, nach welchem das Gan-
glion coccygeum von Einigen, und selbst von mir in den früheren Auflagen dieses
Buches, in Folge eines übersehenen Druckfehlers, als Ganglion Walteri benannt
wird, hat nur über trockene Knochen, (nie aber über Ganglien) geschrieben
(Berlin, 1763).
Die Verbindungsfaden zu den Rückenmarksnerven sind am Lenden-Kreuz-
beiiitheil des Sjmpathicus häufig doppelt, und treten nicht immer von den
Knoten, sondern auch vom Stamme des Sympathicus ab. Verschmelzung einzelner
Ganglien kommt nicht selten vor. — Am Kreuzbeintheile liegen die Ganglia
sacrcdia dicht an den Stämmen der. durch die Foramina sacralia anteriora hervor-
kommenden Kreuznerven an. Die Verbindungsfaden zwischen beiden werden des-
halb sehr kurz ausfallen.
§. 381. (leflechte des Sympathicus.
Die am Hals-, Brust- und Bauchtheil des sympathischen
Nervenstranges beschriebenen Knoten, welche deshalb auch Strang-
knoten des Sympathicus genannt werden, senden, wie schon im
Vorausgegangenen gesagt wurde, Strahlungen zu den die grossen
Gefasse umstrickenden Plexus. Dass an der Bildung dieser Plexus
auch die Gehirn- und Rückenmarksnerven, welche ihre Contingente
dem Sympathicus zusenden, entschiedenen Antheil haben, wurde
S. 382. Kopfii^Mlit« dM SympathioM. 941
gleichfalls schon erwähnt. Die in den Plexus eingeschalteten kleinen
Knoten, sind ebenfalls als untergeordnete Centra anzusehen, in
welchen neue Nervenfasern cutstehen, die sich den von den Strang-
knoten herbeikommenden Fasern associiren.
Die BUdnng neaer Nervenfasern in den Knoten der Geflechte, ist um so
nothwendiger, als die peripherischen Verftstlnngen der Plexus zu zahlreich sind,
um sich nur auf die Wurzeln des Sjrmpathicus aus den Rückenmarksnerven, oder
auf die Strahlungen der Strangknoten zu den Ganglien der Geflechte reduciren
zu lassen. Es muss in dieser Beziehung jedes Ganglion sich wie ein untergeordnetes
Gehirn verhalten, welches neue Nervenelemonte entwickelt, und den von anderen
Entwicklungsstellen abstammenden beiordnet.
Die vom ersten Halsknoten entspringenden, mit der Carotis interna in die
Schädelhöhle eindringenden grauen Nerven, so wie deren weitere Ramificationen
und Verbindungen mit den Ganglien der Gehimnerven, werden auch als Kopf-
theil des Sympathicus zusammengefasst. Da jedoch der Hals-, Brust- und
Lenden-Kreuztheil des Sympathicus eine gewisse Uebereinstimmung in der Lage-
rung, Verbindung, und Verästlung ihrer Ganglien darbieten, welche für den
Kopftheil schwieriger nachzuweisen ist, so glaubte ich dem Bedürfnisse des An-
fängers besser zu entsprechen, wenn ich die den Kopftheil des Sympathicus bilden-
den Strahlungen dieses Nerven in die Kategorie der Geflechte stelle.
§. 382. Kopfgeflechte des Sympathicus.
Sie sind der Plexus caroticus extemus et internus,
1. Plexus caroticus interuus»
Das obere spitzige Ende des ersten Halsknotens verlängert
sich, wie früher gesagt, in einen ziemlich ansehnlichen, grauen,
etwas platten Strang, welcher mit der Carotis interna in den Canalis
caroticus eindringt, und sich im Kanal in zwei Aeste theilt, welche
durch fortgesetzte Theilung und wiederholte Vereinigung ein Ge-
flecht um diese Schlagader bilden (Plexus caroticus internus). Dieses
Geflecht, welches die Carotis fortan begleitet, wird im Sinus caver-
nosus, durch welchen die Carotis interna passirt, Plexus cavernosus
genannt. Die Fäden des Plexus cavernosus lassen sich, über die
Theilung der Carotis interna hinaus, bis zur Arteria fossae Sylvii,
corporis cailosi und ophthalmica verfolgen, wo sie, ihrer Feinheit
wegen, aufhören ein Gegenstand anatomischer Präparation zu sein.
Im Plexus cavernosus findet sich nicht ganz selten, an der äusseren
Seite der Carotis, ein sternförmiges Knötchen, welches Ganglion
cavemosum s. caroticum genannt wird. Dasselbe wird aber meistens
durch ein engmaschiges Geflecht ersetzt.
Aus dem Plexus caroticus internus treten, der Ordnung nach
von unten nach oben gezählt, folgende Aeste hervor:
a) Die Nervi earoHohiympamei, swei an ZaIü, ein euperior und inferior,
beide sehr dünn. Der inferior geht dimh ain T-'^ «n bi der hinteren Wand
942 §• 882. Kopfg«fl«chte des Sympathiena.
des Oanidis carotkua; der auperior geht an der inneren Mündung des CanaU»
caroUctu durch ein zwischen diesem und der Pars onsea tubae Etuitachü aus-
gegrabenes Kanälchen in die Paukenhöhle zum Nervus Jacobsimii. Der superiar
wird auch von älteren und neueren Anatobien Nervus pelrosus pro/u»du9
minor genannt.
b) Ein Verbindungsast zum Oanglion apheno-jKdatinum, Et wurde bei der
Beschreibung dieses Knotens als Nervus petroaus profundus bereits abgehandelt.
Benennt man den Nervus caroUco-iympemicus superior als Nervus pelrosus profundus
minorf so muss bj als major bezeichnet werden.
Aus dem Flexas caveniosua entspringen:
a) Feine Verbindungsfäden zum Ganglion Oasseri, zum Oculomotorius und
liamus primus trigeminiy welche die äussere Wand des Sintis cavernosus durch-
<. bohren, um zu diesen Nerven zu gelangen.
bJ Zwei Fäden zum Nervus abducens, wo er die Carotis interna im Sinus
cavernosus kreuzt. Einer von ihnen ist besonders stark, und galt früher, als man
den Sympathicus mit zwei Wurzeln aus den Gehimnerven ableitete, als eine der-
selben. Die andere war der Nervus petrosus profundus,
c) Die Radix sympathica des Ciliarknotens, bereits erwähnt, §. .360.
dj Etwas zweifelhafte Verbindungszweige zum nervenfUhrenden, hinteren
Theile des Gehimanhangs.
ej Gefässnerven für die aus der Carotis interna entsprungene Arteria oph-
thalmica, welche mit haarfeinen Zweigen des Nervus naso-ciliaris, und einiger
Nervi ciliares , den* Plexus ophthcUmicus zusammensetzen, aus welchem, wie
allgemein angenommen wird, ein winziges Fädchen (welches auch aus dem Gan-
glion ciliare stammen kann), mit der Arteria centralis retinae in den Sehnerven
eintreten soll. Es ist jedoch weder durch anatomische Darlegung, noch durch
mikroskopische Untersuchung bewiesen, dass ein solches Fädchen überhaupt
existirt. Man g^ebt sich leicht der Annahme hin, dass ein die Arteria Ophthal-
mica umstrickendes Geflecht, jedem Ast und Aestchen derselben, somit auch
der Arteria centralis, einen Faden mitgeben muss.
Mit Hilfe des Mikroskops lassen sich selbst an den kleineren, mit Kreosot
behandelten Verzweigungen der Arteria carotis interna sympathische Nervenfaden
erkennen. Ich besitze ein Präparat, an welchem der die Arteria corporis callosi
begleitende Zug sympathischer Fasern, mit mikroskopischen Knötchen eingesprengt
erscheint, und ein an der Anastomose beider Balkenartcrien qucriaufender Faden,
die recht- und linkseitigen Geflechte in Verbindung bringt.
2. Plexus caroticus extemus.
Dieses Geflecht kommt durch die Verkettung der vom ersten
Halsknoten des Sympathicus entsprungenen Nervi molles zu Stande,
welche theils an der Carotis interna bis zur Theilungsstelle der
communis herabsteigen, theils direet zwischen der Carotis interna und
externa zur letzteren gelangen.
An der inneren Fläche des Stammes der Carotis communis, unmittelbar
vor seiner Theilung, liegt das von den älteren Anatomen also benannte Ganglion
intercaroticum, welches neuester Zeit, der schlauchartigen Hohlgebilde wegen,
welche sein bindegewebiges Stroma einschliesst, und welche mit denselben Ge-
bilden in der Steissdrüse, und in der Hypophysis cerebri übereinstimmen, von
Luschka als Glandula carotica bezeichnet wurde. Näheres hierüber enthält:
8. Mayer, über das Ganglion intercaroticum, Tübingen, 1865, und Heppncr, im
Archiv für path. Anat. 46. Bd.
$. 388. HalHrefleckt« des STspathieni. 943
Ist die Succ«8sion der Zweige der CaroUa externa bekannt (§. 395), so
bedürfen die Strahlungen des Plexus caroUcus extemus nur nomineller Erwähnung.
Sie sind: der Plexus Uiifreoideus superior, linguaUs, maxillarü extemua, pharyn-
geus^ occipUalis, aurictdaria posterior, niaxUlaris internus, und temporaHs. — In
einigen dieser Geflechte kommen wandelbare Knötchen (Schaltknoten, Ganglia
intercalariaj vor, welche, nach der Gegend, wo sie liegen, oder dem Organe,
welchem sie angehören, verschiedene Namen erhalten: Ganglion pharyngeum
(Mayer) — temporale (Faesebeck). — Treffen die carotischen Geflechte
während ihres Verlaufes an den gleichnamigen Kopfschlagadem auf Ganglien,
welche den Gehimnerven angehören (irangUon submaxillare, oticum, etc.), so ver-
binden sie sich mit ihnen durch Fäden, so dass jedes Kopfganglion auf diese
Weise mit dem Sympatlücus mittelbar verbrüdert wird. — Unter den älteren
Nervenpräparaten der Prager Sammlung (von Prof. Bochdalek und Prosector
Grub er) finden sich zwei schöne Fälle von Schaltknoten, der eine am Ur-
sprünge der Arteria laryngea, der zweite an jenem der Arteria maxillaris interna,
— Siehe ferner H, Hom, reperta quaedam circa nervi Sympathie, anatomiam.
Wirceb., 1840.
§. 383. Halsgeflechte des Sympathicus.
Die Halsgeflechte umgeben die in den Weichtheilen des
Halses sich verzweigenden Arterien. Nebst dem Plexus jpharyn-
geus und thyreoideus superior, welche aus dem Plexus carotkus ex-
temus und somit aus dem Ganglion ceruiccde primum stammten^
gehören hieher:
aj Der schwache Plexus laryngeus, theils durch eine Fortsetzung des
Plexus thyreoideus superior, theils durch Zweige der Laryngealäste des Vagus
gebildet.
bj Der Plexus thyreoideus inferior, durch Aeste des mittleren und unteren
Halsknotens zusammengesetzt. Wandelbare Knötchen (von Andersch zuerst be-
obachtet) kommen nicht selten in ihm vor.
c) Der viel stärkere Plexus vertebralis dringt mit der Arteria vertebraUs
in den Wirbelschlagaderkanal ein. Er bildet sich ans aufsteigenden Aesten des
letzten Hals- und ersten Brustknotens. Die zahlreichen und starken Anastomosen,
welche er mit den vier bis sechs unteren Halsnerven eingeht, lassen ihn haupt-
sächlich als eine Nervenbahn betrachten, durch welche Spinalnervenfasem dem
Brusttheil des Sympathicus zugeführt werden.
Die Stärke des Plexus vertebraUs, seine regelmässige Verbindung mit den
Halsnerven, und der Umstand, dass bei gewissen Thieren der freie Halstheil des
Sympathicus fehlt, während der Plexus vertebralis in namhafter Entwicklung vor-
handen ist, haben es veranlasst, dass mehrere Anatomen ihn als tiefen Hals-
theil des Sympathicus bezeichnen.
944 §. 384. Bni8ftg«flechte. — $. 385. Bauch- und Beckengeflechte des Sympfttbicns.
§. 384. Brustgeflechte des Sympathicus.
Die Brustgeflechte gehören theils dem Gefässsystem als Plexus
cardiacus und aorticus, theils den Lungen und der Speiseröhre als
Plexus pulmonal^is und oesophagetis an.
Das Herznerven^eflecht, Plexus cardiacus, erstreckt sich vom oberen Rande
des Aortenbogens bis zur Basis des Herzens herab, und wird aus dem Nerous
cardiacus superior, itiedius et inferior, so wie aus den Rami cardiaci des Vagus,
Hypoglossus, und des ersten Brustknotens gebildet Es umgiebt das aufsteigende
Stück des Aortenbogens und den Stamm der Arteria pulmmialis. Der schwächere
Antheil des Geflechtes, welcher am concaven Rande des Aortenbogens und vor
der rechten Arteria pulnwnalis liegt, wird als oberflächliches Herznerven-
geflecht, von dem hinter dem Aortenbogen (zwischen diesem und der Luftröhren-
theilung) gelegenen stärkeren, tiefliegenden unterschieden. Das hochliegende
Herznervengeflecht enthält Über der Theilungsstelle der Arteria pubtionalis, ein
einfaches oder doppeltes Ganglion. In letzterem Falle ist das rechte bedeutend
grösser als das linke, was mit dem Vorkommen der Arteria innaminata auf
der rechten Seite zusammenzuhängen scheint. Ist nur ein einfaches Ganglion
vorhanden, so wird es gewöhnlich Ganylion cardiacum Wrisbergii s. magnum
genannt, da ausnahmsweise auch kleinere nebenbei vorkommen. — Das Herz-
nervengeflecht sendet Zweige an die primitiven Aeste des Aortenbogens, an
die rechte und linke Arteria pulmonalis, die Hohl- und Lungenvenen, und
schickt mit den Arteriis coranariis des Herzens Verlängerungen in das Herzfleisch
als Plexus coratiaritts cordis anterior et posterior, welche, nach Remakes Ent-
deckung, zahlreiche kleine, fast mikroskopische Knötchen enthalten. — Diese
Ganglien, welche man am schönsten, ohne alle Präparation, in der durch-
sichtigen Scheidewand der Vorkammern eines Frosch- oder Salamanderherzcns
beobachten kann, sind als eben so viele motorische Centra für die Herzbewegung
anzusehen, und erklären es, warum ein ausgeschnittenes Herz noch lange fort
pulsiren kann.
Der Plexus aorticus geht theils aus dem cardiacus, theils aus den
Strahlungen der obersten Hrustknoten hervor, und begleitet die Aorta bis in die
Bauchhöhle.
Der Plexus oe^ophageus und pulmotuUis gehören vorzugsweise dem Brust-
theile des Vagus an, und erhalten nur wenige sympathische Fäden aus den Herz-
und Aortengeflechten, und den oberen Brustganglien.
§. 385. Bauch- und Beckengeflechte des Sympathicus.
Die sympathischen Geflechte der Bauch- und Beckenhöhle
halten sich an den Stamm und an die Verzweigungen der Bauch-
aorta. Der Antheil des Vagus an der Bildung dieser Geflechte ist
nur tiir den Plexus coeliacus evident. Sie sind im Allgemeinen sehr
dicht genetzt und schliessen zahlreiche Ganglien ein. Man unter-
scheidet folgende:
§. 385. Baneh- and B«ckengeflechto des Sjmpatiiiew. 945
1. Plexus codicums. Er ist das grösstc und reichste Geflecht
des Sympathicus, und wird durch beide Nervi splanchfiid , durch
die Fortsetzung des Plexus aorticus thoraciais, einen kleinen An-
theil des Plexus gastricus posterior (vom Vagus), und von Fäden
der zwei oberen Lendenknoten des Sympathicus gebildet. Er
Hegt auf der vorderen Aorten wand, dicht unter und vor dem
Hiatus aorticus, und umgiebt die Arteria coeliaca, ist somit unpaar.
Seine strahlig divergircnden Zweige rechtfertigen die ältere Be-
nennung: Plexus solaris, Sonnengeflecht. Unter den gangliösen
Anschwellungen, die er enthält, zeichnen sich zwei Anhäufungen
von Ganglienmassc aus, welche eine halbmondfiirmigc Gestalt be-
sitzen, ihre Concavitäten einander zukehren, und wohl auch durch
Verschmelzung ihrer Ilörner, die Hufeisen- oder selbst Ringgestalt
annehmen. Sie heissen, wenn sie getrennt bleiben, Ganglia coeliaca,
semilunaria, abdominalia maxima, — wenn sie aber zu einer Masse
verschmelzen, Ganglion solare, Cerebrum abdominale s, Centrum ner-
vosum Wülissii.
Der Plexus coeliacus sendet folgende Strahlungen ab:
a) den nnpaarig^en Plexus diaphragmatictu, welcher mit den Arteriis phreniciä
infertoribiu zum Zwerchfell geht,
ß) den Plexus corcnariua ventricuU superior, welcher mit der Arteria conh
naria verUriculi ainistra ziim kleinen Magenhogen hinzieht,
f) den Plexus hepaHcus, welcher, die Arteria hepaUca nmgehend, zur Leber
nnd deren Zngehör tritt, zum Pankreas und Duodenum Zweige giebt, und zur
unteren Kranzschlagader des Magens den Plexus coronarius verUriculi inferior
ausschickt,
B) den Plexus lienalis, für die Milz und den Fundus veniricuH,
t) den Plexus suprarenalis, dessen Fasern ein histologisches Constituens der
Marksubstanz der Nebenniere bilden.
2. Plexus mesentericus superior. Er ist unpaar, und theils
eine Fortsetzung des Plexus coeliacus, theils des Plexus aorticus
abdominalis, enthält weit weniger und kleinere Knötchen als der
Hexus coeliacus, und verbreitet sich mit der Arteria mesenterica supe-
rior, an deren Verlauf er gebunden ist, am Dünndarm und Dick-
darm, mit Ausnahme des Rectum und Colon descendens.
3. Plexus renales, Sie sind paarig, ganglienarm, aus Contin-
genten des Plexus mesefitericus superior und aorticus, so wie des
Nervus splandmicus minor aus dem Brusttheile des Sympathicus zu-
sammengesetzt, umspinnen die Arteria renalis, und schicken einen
Antheil zum Plexus suprarenalis, welcher mit dem Plexus phrenicus
und coeliacus anastomosirt.
4. Plexus spermaiicL Sie begleiten die Arteria spermaiica in-
terna auf ihrem Li ' Hoden (zum Eierstock bei
946 §• S85. Bauch- und Bcckens^eflechte des Sympathicoi.
Weibern), entspringen aus dem Plexus aorticus und renalis, und
erhalten auch Fäden vom Nervus spermaticiis extemus, aus dem
Nervus genito-crurcdis des Plexus lumbalis,
5. Plexus mesentericus inferior. Unpaar, versieht das Colon de-
scendens und das Rectum, letzteres mit den Nervig haemorrlioidalibus
superioribv^s. Der Nervus haemorrhoidalis medius und inferior wurden
vom Plexus pudendalis der Nerm sacrales abgegeben.
6. Plexus aorticus abdominalis. Er zieht mit weiten Maschen
und Schlingen an der Bauchaorta herab, hängt mit allen voraus-
gegangenen Geflechten zusammen, bezieht seine Elemente vorzugs-
weise aus den Gangliis lumbalibus des Sympathicus, und geht in
den Plexus hypogastincus superior über, welcher auf der Gabel der
Aorten th eilung aufliegt, imd die Vasa iliaca communia mit seinen
Fortsetzungen begleitet. In der kleinen Beckenhöhle zerfällt er in
die beiden
7. Plexus hypogastrici inferiores, welche an den Seiten des
Mastdarms liegen, durch sehr unbedeutende Fäden der Ganglia
sacralia, wohl aber durch ansehnliche Ableger des Plexus pudendalis
des vierten und fünften Kreuznerven verstärkt werden, grössere
und kleinere Knötchen in variabler Menge enthalten, und sich in
folgende untergeordnete Geflechte auflösen.
a) Plexus tUerintu. Er lie^t zwinchen den Blättern des Ligamentum laium.
uteri. Die in das Gewebe des Utenis selbst eindringenden Fortsetzungen dieses
Geflechtes, führen zahlreiche kleine Ganglien. Dieoe sind eben so viele Be-
wegnngscentra des Uteni», und machen es verstMndlich, dass Frauen im bewusst-
losen Znstande, ja selbst als Leichen, geboren haben. Der letzte Fall dieser
Art ereignete sich in Spanien, während des letzten Bürgerkrieges, wo eine
schwangere Frau, von den Carlisten gehängt, vier Stunden nach ihrem Tode am
Galgen gebar!
ß) Plexus vesicalis zur Harnblase, Samenbläschen, Vas de/efens and ProsUUa
(im Weibe zur Vagina, als Plexus vesico-vayincUis),
Y) Plexus cavernosus. Er ist eine Fortsetzung des Plexus vesicalis, durch-
bohrt mit der Arteria pudenda communis das Ligamentum trianguläre urethrae,
und gelangt dadurch an die Wurzel des Penis; hier theilt er sich in Zweige,
von welchen die meisten in die Wurzel der 8chwellköq)er eindringen, während
die übrigen ein auf dem Rücken des Penis fortlaufendes Geflecht bilden, welches
mit dem Nervus penis dorsalis anastomosirt, und in seine letzten Filamente sich
auflösend, vor der Mitte des Penis ebenfalls die Faserhaut der Schwellkörper
durchbohrt, um im Parenchym derselben unterzugehen. — Im Weibe ist dieses
Geflecht viel schwächer und für die Clitoris bestimmt. Es erscheint hier nur als
Anhang des Plexus vesico-vaginalis.
Es leuchtet von selbst ein, dass, wenn man alle Geflechte ausführlich
schildern wollte, welche zu den verschiedenen Organen der Körperhöhlen aus-
laufen, die engen Grenzen eines Lehrbuches bald überschritten sein würden.
Dieses ist hier weder th unlieb, noch überhaupt nöthig. Auch häufen sich die
Varietäten so sehr, dass durch ihre Zusammenstellung wahrscheinlich mehr
§. 886. Literatur de« geiammten NenreniTsteme. 947
Verwimmg als Licht in den Geg^enstand g^ebracht würde. Der Umstand, dass
die Geflechte grösstentheils den Schlagfaderverzweig^ngcn folgen , giebt dem
Schdler ein leichtes Mittel an die Hand, die Quellen anzugeben, ans welchen die
Organe ilire sympathisclien Geflechte ableiten.
Ch, Theoph, Litdwig , de plexihos nervomm abdominalinm. Lipsiae, 1772.
— A, Wrisberg, de nenris yiscemm abdominis, in Commentat. Vol. II. —
J, G, Walter, tabnlae nervomm thoracis et abdominis. Berolinnm, 1784. fol.
- Tiedeniarm, tabnlae nervorum uteri. Heidelbergae, 1822. fol. — J. MiUler,
über die organischen Nerven der Geschleclitsorgane, etc. Berlin, 1836. — A. Oötz,
neurologiae partium genitalium masculinarum prodromns. Erlangae, 1823. — Beck
und Lee, On the Nerves of the Uterus. Philosopliical Transactions. Vol. 41
und 42. — Th. Kih-ne?-, de nervis uteri. Vratisl., 1863. — R Retnak, über ein
solbstständiges Darmnervensystem. Berlin, 1847.
§. 386. Literatur des gesammten Uervensystems.
Die neueste Literatur über die einzelnen Nerven ist in den
betreffenden Paragraphen der Nervenlehre angegeben.
Gesammte beschreibende Nervenlehre.
C. Fried, Ludwig, sammelte unter dem Titel: Scriptores neuro-
logici minores, IV. Vol. Lipsiae, 1791 — 1795, die besten Mono-
graphien einzelner Gehirn- und Rückenmarksnerven. — M. J. Lan-
genheck, Nervenlehre. Göttingen, 1831. Mit Hinweisung auf dessen
Icones neurologicae. Fase. I — III. — J, Q^ain and W. E. Wilson,
The Nerves, including the Brain and Spinal Marrow, and Organs
of Sense. London, 1837. — J. B. F. Froment, trait^ d'anatomie
humaine. Nevrologie. Tom. I. et II. Paris, 1846. (Compilatorisch.)
— L. Hirschfeld und B, Leveille, Nevrologie. Paris. Giebt Be-
schreibungen und Abbildungen des Nervensystems und der Sinnes-
organe, mit Angabe der Präparationsmethode. — Der Icon ner-
vorum von R, Froriep, Weimar, 1850, enthält auf Einer Tafel das
gesammte Nervensystem dargestellt. — Eine vollständige Zusammen-
stellung älterer und neuerer Literatur bis zum Jahre 1841, findet
sich in Sömmemng's Hirn- und Nervenlehre, umgearbeitet von
G, Valentin.
Gehirn- und Rückenmark.
F. J, Gall et G. Spurzheim, recherches sur le Systeme ner-
veux en gön^ral et sur celoi du cerveau en particulier. Paris,
1809—1819. 4 Vol. 100 planches. fol. — K. F. Burdadi, yom
Bau und vom Leben des Qe^'
948 §• S86. Literatur des geMininten Nerven Systems.
S. Th, Sömmerring , de basi encephali et originibus nervorum.
Gottingae, 1778. — Ejusdera, quatuor hominis adulti enceplialum
describentes tabulas commentario illustravit E, d' Alton, Berolinum,
1830. — J, C, Wenzel, de penitiori structura cerebri et niedulla
spinalis. Tubingae, 1816. — F, Arnold, Tabulae anatomicae. Fase. I.
Icones cerebri et meduUa spinalis. Turici, 1838. — F, Tiedemann,
das Hirn des Negers mit dem des Europäers und Orang-Utangs
verglichen. Heidelberg, 1837. — B, Stüling, über die Medidia obl^jn-
gata. Erlangen, 1853. — Desselben Untersuchungen über Bau und
Verrichtungen des Gehirns, I. Jena, 1846. — A. Förgy Beiträge
zur Kenntniss vom inneren Baue des menschlichen Gehirns. Stutt-
gart, 1844. — R, B, Todd, The Descriptive and Physiological Ana-
tomy of the Brain, Spinal Cord, etc. London, 1845. — J. L. Clarke,
Philosophical Transactions. 1851, 1853. (Mikroskopische Unter-
suchungen.) — E, Stephaniy Beiträge zur Histologie der Hirnrinde.
Dorpat, 1860. — Freiherr v. Bibra, vergleichende Untcrsucliungen
über das Gehirn des Menschen. Mannheim, 1853. — v. Lenhoasek,
neuere Untersuchungen über den feineren Bau des centralen Nerven-
systems, in den Denkschriften der kais. Akademie. 10. Bd. —
P, Gratiolet, memoire sur les plis cerebraux de Thomme et des
primates. Paris, 1854. Avec 13 planches. — E, Huschke, Schädel,
Gehirn und Seele des Menschen. Jena, 1855. Mit 8 Tafeln. —
H, Luschka, die Adergeflechte des menschlichen Gehirns. Berlin,
1855. Mit 4 Tafeln. — F. Bidder und C, Kupffer, Untersuchungen
über die Textur des Rückenmarks, etc. Leipzig, 1847. — B. Stil-
ling, neue Untersuchungen über den Bau dos Kückenmarks, 5 Lie-
ferungen. Cassel, 1858, in welchen die gesammte übrige Literatur
dieses so hochwichtigen und zugleich so schwierigen Gebietes an-
gegeben ist. — Fr. Goll, in den Denkschriften der medicin isch-
chirurgischen Gesellschaft zu Zürich, 1860. — N. Jacuhavifsch,
über die feinere Structur des Gehirns und Kückenmarks. Breslau,
1857. — C. B, Keicliert, Bau des menschlichen Gehirns, etc. Leip-
zig, 1860 — 1861. — C, Frommann, Untersuchungen über das
Rückenmark. Jena, 1864. — 0, Deiters, Untersuchungen über
Gehirn und Rückenmark. Braunschweig, 1865. — W, Twmer, the
Convolutions of the Cerebrum. Edinburg, 1866. — Th, Bischoff,
die Hirnwindungen des Menschen. Mit 7 Tafeln. München, 1868.
— L, Fick, Phantom des Menschenhirns. Marburg. 4. Auflage. —
/?. Stüling, über den Bau des kleinen Gehirns, mit 25 Tafeln, Cassel,
1878. — Ueber die Entwicklungsgeschichte des Gehirns handelt
(ausser den in der allgemeinen Literatur angeführten Entwieklungs-
schriften) das noch immer classische Werk: 2\ Tiedemann, Anatomie
des Gehirns im Fötus des Menschen. 1816.
§. 386. Literatur des geMiniDt«n Nenrensystenu. 949
Hirnnerven.
F, Arnold, icones nervorum capitis. Heidelberg, 1834. Neue
Auflage. 1860. Das beste und vollständigste Kupferwerk, da es
durchaus nach eigenen Untersuchungen des Verfassers ausgeführt
wurde. — Bidder, neurologische Beobachtungen. Dorpat, 1836. —
G. F. Faesebeck, die Nerven des menschlichen Kopfes. Braun-
schweig. 2. Auflage. 1848. Mit 6 Tafeln. — Rildinger, Photo-
graphischer Atlas des peripherischen Nervensystems. 2. Auflage.
Stuttgart, 1872. — Desselben Anatomie der Hirn- und Rücken-
marksnerven, mit Tafel. München, 1868—1872. — PA. E. Bischoff,
mikroskopische Analyse der Kopfnerven. München, 1865. —
W. Krause, Neurologie der oberen Extremitäten. Leipzig, 1865. —
Polle, die Nervenverbreitung in den weiblichen Genitalien. Göttin-
gen, 1865. — Krause, Nerven Varietäten beim Menschen. Leip-
zig, 1868.
Die Literatur der Bückenmarksnerven ist in den betreffenden Paragraphen
enthalten.
Sympathicus.
C. G. Wutzer, de corporis hum. gangliorum fabrica atque usu.
Berol., 1817. — F. Arnold, Kopfthcil des vegct. Nervensystems.
Ileidelb., 1830. — A, Scarpa, de nervorum gangliis et plexibus, in
ejusdem Annot. anatom. Lib. H. — J, F. Lobstein, comment. de
nervi sympathctici hum. fabrica, usu et morbis. Paris, 1834. —
Th, Krause, Synopsis icone illustrata nervorum systematis gangliosi
in ciipitc hominis. Hanno vcrae, 1839. — C. W. Wutz&i% über die
Verbindung der Intcrvcrtebralganglien und des Rückenmarks mit
dem vegetativen Nervensystem, in Midier s Archiv. 1842. — Bidder
und Volkmann, die Selbstständigkeit des sympathischen Nerven-
systems, durch anatom. Untersuchungen nachgewiesen. Leipzig, 1842.
— C. A, Pieschel, de parte ccphalica nervi sympathici. Lipsiae,
1844 (vom Pferde). — Reich an physiologisch wichtigen anatomischen
Thatsachen über das Verhalten des Sympathicus zu den Wänden
des Wirbelkanals imd der Schädelhöhle, so wie zu den Häuten des
Hirns und Rückenmarks, ist N, Rüdinger's ausgezeichnete Arbeit:
lieber die Verbreitung des Sympathicus, etc. München, 1863. —
Der Kopfthcil des Sympathicus wurde einer neuen gründlichen
Untersuchung unterzogen von A. Kaubet*: TIeber den sympathischen
Grenzstrang des menschlichen Kopfes. München, 1872.
Ung^eachtet des Umfang^s der neiirolog^uchon Literatur, und der danken«-
werthen Bereicherungen, welche der Fleis» der Zergliederer diesem Zweige der
anatomischen Wissenschaft zuwege brachte, ist die PhTsiologie des Nenrei^ysteir
950 |. SM. Litentur des gMammten NenrenfystCBS.
noch lange nicht zu jenem Grade von Bestinmitheit gelangt, dessen sich andere
Capitel der Physiologie erfreuen, imd welchen wir gerade bei diesem System so
ungern vermissen. Erst in neuerer Zeit hat sich durch J. Müller, eine Physio-
logie der Nervenwirkungen zu bilden begonnen, und man hat die Kunst erlernt,
die Lösung der Räthsel des Nervenlebens durch das Experiment anzustreben.
Leider haben die Experimente am lebenden Thiere nur zu oft zu contradicto-
rischen Resultaten geftihrt. Wo auf so verschiedenen Wegen dem Einen Ziele
nachgestrebt wird, kann es an Verschiedenheiten der Auslegimgen und Ansichten
nicht fehlen, um so mehr, als man nicht sieht, was die operirten Thiere fühlen.
Der schwächste Theil des Ganzen ist die mikroskopische Gehirn- imd Rücken-
marksanatomie, und so lange die Sammlungs- und Vereinig^ngsweise der Nerven
in den Centralorganen nicht besser bekannt sein wird, als gegenwärtig, werden
die Hypothesen nicht so leicht von ihrem Throne zu stossen sein.
SIEBENTES BUCH.
Gef&sslehre.
A. Herz.*)
§. 387. AUgemeine Beschreibimg des Herzens.
Die Gefä sslehre, Ängiologia (örfY^^ov, Gefass), umfasst die
specielle Beschreibung der vierHauptabtheilungen des Gefasssy stems :
Herz, Arterien, Venen und Lymphgefösse.
Das Herz, Cor (von xsap, contrahirt x^p, auch xap3(a, woher
Carditis) ist das Centralorgan des Gefasssystems. Es stellt einen
hohlen, halbkegelförmigen, muskulösen Körper dar, welcher in der
Brusthöhle, dicht hinter dem Brustbein, und zwischen den concaven
Flächen beider Lungen liegt. Man kann im Allgemeinen sagen,
dass die Lage des Herzens, der Vereinigungsstelle des oberen
Drittels der Körperlänge mit dem mittleren entspricht, somit die
Organe der oberen Körperhälfte unter einem unmittelbareren Einfluss
des Herzens stehen, als jene der unteren.
Der Herzkegel kehrt seine Basis nach oben, seine Spitze
(Apex 8, Mucro) nach links und unten, und besitzt eine vordere
(obere) convexe, und eine hintere (untere) plane Fläche, nebst zwei
Seitenrändern. An der vorderen Fläche zieht eine Furche herab,
welche nicht über die Spitze weg, sondern etwas rechts von ihr,
zur hinteren Fläche sich umbiegt, und an ihr bis zur Basis zurück-
läuft — die Längen furche des Herzens, SiUcus longittidincUis. Sie
theilt äusserlich das Herz in eine rechte und linke Hälfte, und ent-
spricht der in der Höhle des Herzens angebrachten longitudinalen
Scheidewand. Sie wird durch die Ring- oder Querfurche (Sidcua
circularis 8. coroncUü) rechtwinkelig geschnitten. Diese Querfurche
zeigt sich aber nur an der hinteren Herzfläche besonders ausgeprägt,
an der vorderen dagegen wird sie durch die Ursprünge der Arteria
aorta und pulmoncdis verdeckt.
*) Die §. 46—69 des ersten Baches (Gewalis
gelesen werden, beyor man an das Studium der •»•
9<>4 S* ^7* Allgemeine Beschreibong des flertene.
Die absolute Grösse des Herzens stimmt gewöhnlich mit der Grösse der
Faust überein. Sein Gewicht beträgt im Mittel zwanzig Loth, seine g^sste L&ngpe
verhält sich zur grössten Breite wie 5 : 4. Im weiblichen Geschlechte nehmen Ge-
wicht und Grösse beiläufig um ein Sechstheil ab. — Kein Organ bietet übrigens
so auffallende Schwankungen seiner Grösse und seines Gewichtes dar, wie das
Herz. Die auf krankhafter Verdickung der Herzwand beruhende Herzhyper-
trophie vermehrt seine Grösse und sein Gewicht so bedeutend, dass die für
diese Abnormität von französischen Anatomen gebrauchte Benennung, als cceur de
bceuf, entschuldigbar wird. Die Deutschen wählten für geringere Grade dieses
Leidens, welche bei sitzender Lebensweise sich einzustellen pflegen, den minder
bedenklichen Namen: cor lüeratorum.
Das Wort Herz aber ist dem griechischen ^lop verwandt (häufig bei
Homer), aus welchem durch Versetzung des p das angelsäclisische heori, das
gothische hairto, das englische heart, und das deutsche Herz abzuleiten ist.
Die Lage des Herzens ist eine schiefe, indem sein langer
Durchmesser mit dem verticalen Brustdurchmesser einen Winkel
von circa fünfzig Grad bildet. Ersterer wird von letzterem nicht
in seiner Mitte, sondern einen Zoll über derselben geschnitten, wo-
durch ein grösserer Theil des Herzens der linken, ein kleinerer der
rechten Thoraxhälfte angehört. Bei den Säugethieren, und im frühen
Embryoleben des Menschen, ist die Herzlage eine verticale.
Die Basis des Herzens lieg^ hinter dem Corpm stemi, in gleicher Höhe
mit dem sechsten Bnistwirbel, oder dem Zwischenräume des vierten imd fünften
rechten Rippenknoqicls, die Spitze hinter den vorderen Enden der sechsten und
siebenten linken Rippe. Die Richtung des langen Durchmessers des Herzens
geht somit schief von rechts, oben, und hinten, nach links, unten, und vom.
Zwischen der Basis des Herzens und der Wirbelsäule, liegen die Content« des
hinteren Mittelfellraumes.
Die Herzhöhle wird durch eine, dem Stdcm longiUidinalis ent-
sprechende Scheidewand, in eine rechte und linke Hälfte abgetheilt.
Jede dieser Hälften besteht aus einer Kammer, Ventriculu^, und
einer Vorkammer oder Vorhof, Atrium. Jede Vorkammer besitzt
ein nach vorn und innen gekrümmtes Anhängsel, das Herzohr, Auri-
cida cordis. Die Basis der linken Auricula wird von der zugehörigen
Vorkammer durch eine halsartige Einschnürung sehr scharf ab-
gemarkt, während an der rechten Auricula eine solche Einschnürung
fehlt. — Der Sulcm circularts bestimmt äusserlich die Grenze
zwischen Vorkammern und Kammern. Beide Vorkammern werden
durch das Septtim atriorum, beide Kammern durch das Septum uew-
tricidorum von einander geschieden. Die Kammern haben bedeutend
fleischigere Wandungen als die Vorkammeni, weshalb man früher
die Kammern als muskulöses, die Vorkammern als häutiges
Herz unterschied (Cor muscidosum, Cor membranaceum) .
Bei den französischen Autoren wird das Wort Auricula foreilleUe) nicht für
unser Herzohr, sondern für die ganze Vorkammer gebraucht. Ebenso bei den
Engländern das Wort auricle.
§. 887. Allgemein» BeeclireibQDg de« Henens. 955
Jede Kammer zeigt ^ der Kegelform des Herzens wegen, im
verticalen Durchschnitt eine dreieckige Gestalt, mit oberer Basis
und unterer Spitze. — Die rechte Kammer ist dünnwandiger als
die linke, die Höhlen beider sind aber einander und jenen der
Vorkammern gleich, wenn nicht krankhafte Differenzen obwalten.
Die innere Oberfläche der Kammern ist, so wie jene der Vor-
kammern und Herzohren, nicht glatt und eben. Denn die Muskel-
bündel, welche die Herzwand zusammensetzen helfen, springen
gegen die Höhle des Herzens mehr weniger vor, i*agen auch frei
in sie hinein, so dass sie mit einer Sonde umgangen und aufgehoben
werden können, oder laufen, wie es in den Herzohren, und in der
Nähe der Spitzen der Kammern zu beobachten ist, quer von einer
Wand zur anderen. Sie heissen in den Kammern, wo sie die ver-
schiedensten Richtungen zeigen, Fleischbalken des Herzens, Tra-
becidae cameae. In den Vorkammern dagegen, wo ihre Richtung
eine mehr parallele wird, wie bei den Zähnen eines Kammes,
pecten, führen sie den Namen: Kammmuskeln, Musculi peciinati.
— (Trabectda ist das Diminutiv von traba, griechisch TpawQ§, ein
Balken oder Stamm.)
In die Vorkammern münden die grossen Venenstämme ein,
und zwar die beiden Hohlvenen und die Herzvene in die rechte,
die vier Lungenvenen in die linke. Aus jeder Vorkammer fuhi*t
eine geräumige Oeffnung, das Ostium cUrio-ventriculare, 8. Ostium
venosum ventriculi, in die entsprechende Kammer, und aus der
Kammer eine ähnliche OcflFnung (Ostium arte^iosum ventriculi), in
die aus ihr entspringende Arterie. Das Ostium arteriosum der rechten
Kammer i\ihrt in die Lungenschlagader, jenes der linken in die
Aorta. Beide Ostia einer Kammer befinden sich an der nach oben
gekehrten Basis derselben.
Am Ostium arteriosum und venosum jeder Kammer ist ein
Klappenapparat angebracht, welcher zum Mechanismus der Herz-
thätigkeit in der innigsten Beziehung steht, und dessen sinnreiche
Einrichtung an jene der Pumpenventile erinnert. Der Bau der
Klappen an den venösen Ostien lässt sich so auffassen. Die innere
Auskleidungshaut der Herzhöhlen heisst Endocardium, Das Endo-
cardium geht am Rande des Ostium venosum nicht einfach aus der
Vorkammer in die Kammer über, sondern stülpt sich im ganzen
Umfang dieses Ostiums in die Höhle der Kammer ein, und erzeugt
dadurch eine Falte in Gestalt einer kurzen Röhre, welche zwischen
ihren beiden Blättern eine blattförmige Verlängerung jenes fibrösen
Ringes enthält, welcher das Ostium venosum der Kammer umgiebt,
und im nächsten Paragraphen als Ännulus ßbro-cartHagiMUs erwähnt
wird. Diese nach abwärts in die Kammer hineinragende EiiiAtiilDaiut
des EndocardiumS; denke num sich «Qf
956 8* ^7* Allgemoin« Besohreibang des Henens.
zugeschnitten^ welche Zipfe Klappen (ValrnUae cUrio-ventrictdares)
genannt werden. Das Ostium venomm der rechten Kammer besitzt
drei, jenes der linken Kammer nur zwei solche Klappenzipfe. Man
bezeichnet deshalb die ersteren als VcUvula tricuspidalia 8. triglodds
(von Y^^X^^5 Spitze, Winkel), die letzteren als VcdvtUa bicuspidalis s.
müralis. An den freien Rand und an die der inneren Oberfläche
der Kammern zusehenden Flächen der Klappen, setzen sich ein-
fache, oder mehrfach gespaltene sehnige Fäden (Chordae tertdineae)
fest, welche grösstenthcils von zapfenförmigcn, derben, aus der
Kammerwand hervorragenden Muskelbündeln ausgehen. Diese Muskel-
bündel heissen Musculi papälarea, Warzenmuskcln. Die weisse
Farbe der Chordae tendineae verleitete Aristoteles, sie für Nerven
zu halten, und die von Galen widerlegte Ansicht zu hegen, dass
alle Nerven aus dem Herzen entspringen. In den Orificiis arteriosis
der Kammern faltet sich das Endocardium ebenfalls, um in jedem
derselben drei halbmondförmige Klappen (Valwlde semüimares
8. 8igmoideae) zu bilden, welche so gestellt sind, dass sie mit ihren
freien concaven Rändern^ von der Kammer weg, gegen den weiteren
Verlauf der am Ostium ai^te^iosum entspringenden Arterie gerichtet
sind, ihren befestigten convexen Rand aber in der Peripherie des
Ostium artenosum einpflanzen. In der Mitte des freien Randes jeder
halbmondförmigen Klappe, findet sich eine Verdickung als Nodulus
Arantii 8, Morgagni, welche in den Semilunarklappen der Aorta
immer stärker, als in jenen der Arteria pidmonalis entwickelt ist.
Anch am freien Rande der Atrio-Ventricnlarklappen kommen solche Knöt-
chen vor, welche von Albini besclirieben wurden (Wochenblatt der Zeitschrift
der Wiener Aerzte, 1856, Nr. 26). Dieselben waren jedoch schon älteren Anatomen
bekannt, und Cruveilhier erwähnt ihrer ausdrücklich mit den Worten: la
circoiifdrence libre de la valvule, priaentc queUjwfois de pelits iwdulea, TraiU d^ana-
taniie descriptive, 3, edit, Tom, IL pag, 626,
Der Mechanismus der Herzklappen lässt sicli leicht verstehen. Da die Herz-
kammern in einem ununterbrochenen Wechsel von Ausdehnung imd Zusaminen-
ziehiuig begriffen sind, und dadurch das Blut bald aus den Vorkammern in »ich
aufnehmen, bald in die Arterien hinaustreiben, so müssen die Klappen so an-
gebracht sein, dass sie dem Eintritte des Blutes durch das Orificium venosum, und
dem Austritte durch das Orificium arteriosum^ kein Hiiiderniss entgegenstellen. Ya
sind deshalb die freien Rander der Vcdvulu trictiapidcdis und mitrcdi» gegen die
Höhle der Kammer gekehrt, jene der Valvulae aeiuilunares aber von ihr abgewendet.
Dehnen sich die Kammern aus, so strömt das Blut durch die geöffnete Schleusse
der Valvula tricuspidaliti und mitralis ungeliindert in «ie ein. Folgt im nächsten
Moment die Zusammenziehung der Kammer, so würde das Blut theilweise den
Weg wieder zurücknehmen, auf welchem es in die Kammer gelangte. Um dieses
zu verhüten, stellen sich die Zipfe der Valvula tricimpidalis und milralis so, dass
sie das Ostium cUrio-veiUriculare schliessen und das Blut somit durch die andere
Oefl&iimg der Kammer (Ostium nrteriosumj in die betreffende Sclilagader getrieben
wird. Die Valvulae semünnaren sind, wälirend die Kammer sich zusammenzieht,
und das Blut in die Arterie treibt, geöffnet. Hört die Zusammcnziebung der
§. 388. Bau der Herzwand. 957
Kammer auf, so sncht die Elasticität der Arterie einen Theil des Blutes wieder
in die Kammer zurückzutreiben. Dieses Zuriickstanen des Blutes scliliesst die
Vahulae aeniUwiareSf inid versperrt der einmal aus dem Herzen getriebenen Blut-
säule, den Rücktritt in dasselbe. Das Klappenspiel des Herzens wiederholt somit
die bekannte Ventilation einer Druck- und Saugpumpe.
§. 388. Bau der Herzwand.
Man unterscheidet am Herzen einen äusseren und inneren
häutigen Ueberzug, und eine zwischen beiden liegende Muskel-
schicht, welche an den Kammern bedeutend stärker als an den
Vorkammern, und an der linken Kammer stärker als an der
rechten ist.
Der äussere häutige Ueberzug des Herzens, gehört dem Herz-
beutel an (Pericardium, §. 391), dessen inneren oder eingestülpten
Ballen er darstellt. Dünn, glatt, und sehr reich an elastischen Fasern,
hängt er durch kurzes Bindegewebe, welches in den Sulcis ge-
wöhnlich mehr weniger Fett enthält, so fest mit der Muskelschichte
zusammen, dass er nur schwer, und nie als Ganzes abgelöst werden
kann. Stellenweise Verdickung dieses Bindegewebes durch plastische
Exsudate, erzeugt die sogenannten Sehnenflecke des Herzens. —
Die innere Auskleidung der Herzhöhlen (Endocardium) ist eine
dünne, mit einschichtigem Pflasterepithel versehene, vorzugsweise
aus elastischen Fasern bestehende Membran, welche durch Faltung
die Klappen bildet, und alle Hervorragungen an der inneren Ober-
fläche der Kammern und Vorkammern (Trabeculae cameae, Mmculi
papilläres, und Chordae tendineae) mit Ueberzügen versieht.
Die groben Muskelbüudel der Kammern und Vorkammern
beider Hälften des Herzens sind; wie überhaupt alle Muskeln, aus
kleineren Fleischbündeln zusammengesetzt. Diese Bündel gehen
von einem fibrösen Gewebe aus, welches als vollständiger oder un-
vollständiger Ring jedes OsHum venomm umgiebt. Der Ring heisst
Anindus ßbro-carülagineus, obwohl er nur faserige Structur besitzt.
Er bildet auch durch eine blattförmige Fortsetzung die Grundlage
der Valvtda tricuspidalis und mürcdis, und giebt diesen Klappen
jenen Grad von Festigkeit, welchen sie als einfache Duplicaturcn
des dünnen Endocardium nicht besitzen könnten. Auch die Ostia
arteriosa der Kammern werden von ähnlichen, aber schwächeren
Faserringen umgeben, deren blattförmige Verlängerungen die Grund-
lage der Valv^ulae semilunares bilden.
Die zwischen Peri- und Endocardium eingeschaltete Muskel-
schichte — das sogenannte Herzfleisch — besteht^ obwohl das
Herz zu den unwillkürlichen Muskeln zählt^ ans qaergestreif'
Muskelfasern, welche sonst nur in den der WiDkilr
958 S*S88. Ban der Henwand.
animalischen oder Skeletmiiskeln angetroffen werden. Die quer-
gestreiften Muskelfasern des Herzens, unterscheiden sich aber von
jenen der Skeletrauskeln erstens dadurch, dass sie dünner sind, und
netzartig untereinander zusammenhängen, und zweitens durch ihre
Kerne, welche nicht wie bei den Primitivfasern der Skeletmuskcln,
unmittelbar unter ihrem Sarcolemma, sondern im Inneren ihrer
contractilen Substanz liegen. — An den Vorkammern gehören die
oberflächlichen Muskelbündel beiden zugleich an, d. h. sie gehen
um beide herum. Die tiefer gelegenen entspringen und endigen an
den Annulis fibro^cartüagineis, und umgreifen schlcifenai*tig nur Eine
Vorkammer. An den Einmündungsstellen der Körpervenen, der
Kranzvene des Herzens, und der Lungenvenen in die betreffenden
Vorkammern, so wie an dem embryonischen Foramen ovale im
Septum atriorum, nehmen die Muskelbündcl die Gestalt von Kreis-
muskeln an. — Die Muskelfasern der Vorkammer setzen sich auch
auf die grossen Venenstämmc fort, welche in die Vorkammer ein-
münden. Sie erstrecken sich an den llohlvenen bis zur Stelle, wo
der Herzbeutel sich auf dieselbe umschlägt, — an der Lungenvene
bis zu ihren primären Zweigen. — Au den Kammern wird die
Anordnung der Muskelbündel eine viel complicirtcre. Sie ist, offen
gestanden, nicht ganz genau bekannt. Die oberflächliche Fleischlage
besteht aus Bündeln, welche schief über beide Kammern weglaufen,
und nachdem sie die Spitze des Herzens umschlungen haben (wo-
durch der sogenannte Herzwirbel gebildet wird), in die tiefste
Fleischlage der Kammerwand übergehen, welche durch die Musculi
papilläres in Beziehung zum Klappenapparat steht. Sie beschreiben
also im Ganzen Achtertouren. Die folgenden Faserlagen verhalten
sich ähnlich. Jede rollt sich am Herzwirbel ein, um in die tieferen
Schichten der Kammerwand, oder in das Septum ventriculorum zu
gelangen. Eine Anzahl von ihnen endet auch in den Musculi papil-
läres. Li der Nähe der Herzbasis kommen auch breite Ringe von
Kreisfasern vor, welche nur Einer Kammer angehören, und zwisclien
der, den beiden Kammern gemeinschaftlichen oberflächlichen und
tiefen Fleischlage, eingeschaltet liegen.
Die fibrösen Ringe um die Ostia vetiosa werden, ihrer Beziehungen zu den
Muskelbündeln des Herzens wegen, auch als Tendiiies cordis, oder, ihrer Festig-
keit wegen, als Circuli caUosi HaUeri bei älteren Schriftstellern 1)enannt. — lieber
die ilrmti^t fihro-cartilaginei an beiden Osticn der Kammern, und ihre Beziehung
zu den Klappen, handelt ausfülirlich : L. Jotteph, im Archiv ftir pathologische
Anat. 14. Bd.
Die besten Arbeiten Über die Muskulatur des Herzens stammen von
C. Ijudwig (Henle's und Pfeuffer'a Zeitschrift, VII. Bd.), und von J, R PeUigrew
(Phil. Transactions).
Zwischen den Muskel1)Ünde]n des Herzfleisches findet sich nur spärliches
Bindegewebe. Es erklärt sich daraus die auffallende Härte des gesanden
|. 889. Speeielle BMchreibnng der einxelnen Abtheiliingen dM Herzens. 959
Herzfleisches. — Die sich kreuzenden, relativ spärlicheren Mnskelbündel der Vor-
hOfe, lassen Maschen zwischen sich frei, in welchen das Peri- und Endocardium
mit einander in Berttlirung kommt.
Mein ehemalig^er Schüler, Prof. Hauschka, fand, dass im obersten Bezirke
der Kammerscheidewand, an einer g^enau umschriebenen Stelle, dicht unter dem
Winkel, welchen die rechte und linke ValvuJa seimüunari» der Aortenwurzcl bilden,
die Muskelfasern fehlen, und die Endocardien beider Ventrikel zu einer dünnen,
durchscheinenden, häutigfen Platte verschmelzen, welche den schwächsten Theil
der Kammerscheidewand bildet. Unter pathologisclien Bedingimgen kann es selbst
zum Durchbruch dieser dünnen Stelle kommen. Die durchscheinende muskelfreie
Stelle wurde als ein constantes Vorkommen erklärt, da sie sich an dreihundert
untersuchten Herzen, mit geringen Variationen ihrer Grösse, vorfand. (Wiener
medicinische Wochenschrift, 1855, Nr. 9.) Historisches und Pathologisches hier-
über giebt Remhartf im Archiv für path. Anat. 1857, und Virchow, ebenda, 1868.
§. 389. Speeielle Beschreibung der einzelnen Abtheilungen
des Herzens.
1. Rechte Vorkammer, Atrium dextrum.
Da man sieh die rechte Vorkammer als durch den Zusammen-
fluss beider Hohlvenen gebildet dachte, wurde sie auch Sintis vena-
rum cavarum genannt. Sie liegt, wegen der linkseitigen Axendrehung
des Herzens, mehr nach vom, als die linke, und hat — das rechte
Herzohr abgerechnet — im ausgedehnten Zustande die öestalt eines
irregulären Würfels mit abgerundeten Rändern. Die rechte oder
äussere Wand des Würfels ist die kleinste. Die linke oder innere
Wand gehört dem Septum atriorum an. Sie zeigt an ihrer hinteren
Hälfte eine eiförmige Grube, Fossa ovalisj in welcher die Endo-
cardien beider Vorhöfe, wegen Fehlens der Muskelschichte, in Be-
rührung kommen. Der Boden der Fossa ovalia ist somit blos mem-
branös. Ein fleischiger Wulst , Ldmbus foraminis ovalis «. IstJimus
Vietissenii, umgiebt die Fossa ovalis, jedoch nur an ihrer vorderen
Peripherie. Er wird nur von der rechten Vorkammer aus gut
gesehen.
Sehr oft bemerkt man an der rechten Seite des Septum, unter dem freien,
nach hinten sehenden concaven Bande des Limbus, eine Art von Tasche oder
Grube, aus welcher eine Sonde in den linken Vorhof hinübergfeführt werden kann.
In diesem Falle findet man auch an der linken Seite des Septum einen mit seiner
Concavität nach vom sehenden Halbringf, als vorderen Rand des membranösen
Bodens der Fosga avaiü. Wir haben also dann in der Fo89a ovali» zwei einander
mit ihren Concavitäten entgegen stehende Bogen, deren vorderer, fleischig^er, der
Limfma Vieusgenii ist, deren hinterer, membranöser, dem Boden der Fossa an-
gehört. Beide Bogenconcavitäten sind so übereinander geschoben, dass sich ihre
Ränder decken, welche nun g^nz oder nur theilweise mit einander verwachsen.
Verwachsen sie nur theilweise, so wird die oben erw&hnte Communication zwischen
rechter und linker Vorkammer gegeben sein. Das EmbiyY^ens giebt uns hierüber
näheren Aufschluss. Denn beim Embryo ist die Fo99a ovalia in ihrer ganzen
960 S* 8^' Specielle BMehreiban; der einzelnen Abtheilangen doB Heneni.
Grösse ein offenes Loch, und heisst Foramen ovcUe (Trau de Botal der Franzosen).
Der Verschluss dieses Loches wird durch das Hervorwachsen einer halbmond-
förmig^en Falte am hinteren Rande des Loches erzielt, welche Falte sich immer
mehr und mehr vorschiebt, bis sie den vorderen Umfang des Loches erreicht,
and sich daselbst an die linke Seite des Linibtu Vieu8»etm schieberartig anlegt,
nm mit ihm vollständig, oder mit Zurückbleiben einer Spalte zu verwachsen.
Perennirt eine solche Spalte auch im geborenen Menschen, so unterhält sie eine
offene, wenn auch sehr enge Verbindung zwischen beiden Vorkammern. Sie wird
aber dennoch das Blut nicht aus einer Vorkammer in die andere strömen lassen,
weil die Über einander geschobenen Ränder der Spalte, durch den in beiden Vor-
höfen gleichen Blutdruck aneinandergedrückt erhalten werden.
An der hinteren Wand der rechten Vorkammer pflanzt sich
die Vena cava inferior ein. Von der vorderen erhebt sich die
Auricula dextra, welche sich als pyramidale, vielfach eingekerbte
Verlängerung der Vorkammer, vor der Wurzel der Aorta nach
links heriiberlegt. In der oberen Wand mündet die Vena cava
auperior. Die untere enthält das in die rechte Kammer führende
Oatium venosum. An der inneren Oberfläche der rechten Vorkammer,
besonders an ihrer vorderen Wand, sind die Muscvli pectinaU sehr
markirt.
Man findet in der rechten Vorkammer noch:
a) Die Valvtda Thebesii,
Da die rechte Vorkammer alles Voncnblut des Leibes zu sammeln hat, so
muss die Kranzvenc des Herzens, welche sich weder fnit der oberen noch mit
der unteren Hohlvene verbindet, sich isolirt in diese Vorkammer entleeren. Die
Einmündung^stelle der Kranzvene in die reclite Vorkammer, liegt an der Zu-
sammenkunft der inneren und hinteren Wand. Sie wird durcli eine halbmond-
förmige, sehr oft gefensterte Klappe, Valvula Thebesii, deren concaver Rand
gegen die Scheidewand beider Vorkammern gerichtet ist, gewöhnlich nur theil-
weise bedeckt. Kleinere Herzvenen entleeren sich ebenfalls durch besondere,
an Zahl variirende Oeffnungen (Foramina Thebesii) in die rechte Vorkammer,
worüber Bochdalek juiu im Archiv für Anat., 1868, ausführlich handelt. Die Val-
vtda Thebesii führt ihren Namen von dem schlesischen Arzte, Ad. Chr. Thebe-
sius, welcher sie in seiner Inauguralsclirift, de circulo aafiguinis in corde^ Lttgd»,
1708, sehr gut beschrieb, olme zu wissen, dass die Klappe schon von En stach ins,
de veiia sine pari, in Opusc, anat. VeneL, 156,'), erwähnt und auch abgebildet
wurde, Tab. 8, Fig. 6, und Tab. 16, Fig. 1.
h) Die Valvula EvstachiL
Sie findet sich nur im Embryo in voller Entwicklung vor, wo ihre Wirk-
samkeit während des Offenseins des Foramen ovale, besonders in Anspruch
genommen wird. Reste derselben bei Erwachsenen, sind ohne functionelle Wichtig-
keit. Ihre Gestalt ist sichelfl)rmig, ihr freier Rand nach innen und oben ge-
richtet, ilir Befestigungsrand erstreckt sich vom recliten Umfange der unteren
Hohlvenenmündung zum vorderen Schenkel des Isthmus Vieussenii empor. Ihre
Verwendung im Embryo scheint darin zu bestehen, dass sie, nach Art eines
Wehres, den Blutstrom der unteren Cava gegen das Foramen ovale hinlenkt. Sie
schliesst deutliche Muskelfasern ein. Im Erwachsenen trifft man nur einen Beat
dieser Klappe, welcher überdies noch durchlöchert sein kann.
§. 888. Spaeiell» BMcbreibnng dtr eiaMlnra Abth«nung«ii dM Heneni. 961
c) Das Hiherculum Loveii,.
Dasselbe wird als ein, hinter der Faota ovdUt, zwischen den Oeffiinngen beider
Hohlvenen, mehr weniger vorsprin^nder Wnlst angegeben. Im Embryo dient
dieser Vorsprang dazu, die Blutströme beider Cavae sm verhindern, sich scheitel-
recht sm treffen, zugleich aber auch den Strom der Caoa mperior zum Ostium
(UruhverUriculare dextrum zu dirigiren, wie die Valwda Eustachü den Strom der
Cava inferior zum Faramen ovale leitet. Da nun der Strom der Caoa tuiperior
blos venOses Blut führt, jener der Cava inferior aber durch den Duc^ut venoaua
Arantn auch arterielles Blut aus der Nabelvene erhlUt, so wird im Embryo vor-
waltend venöses Blut durch das OsUum atrio^ventriculare dextrum in die rechte
Kammer, von dieser in die Arteria pulmonalia, und sofort durch den Dudtut
BotaUi in die Aorta thoracica descendens gelangen, welche die untere Körperhälfte
versieht, w&hrend das gemischte Blut der unteren Hohlader, direct durch das
Foramen owUe in die linke Vorkammer, aus dieser in die linke Kammer, und
somit in den Aortenbogen gelangt, dessen drei Cardinalftste es in die obere
Körperhälfte vertheilen. Aus diesem Verhältnisse soll sich der raschere Wachs-
thum der oberen Körperhälfte des Embryo gegen die untere ergeben. — Das
Tuberculum wurde von Richard Lower zuerst an Thierherzen entdeckt, und
im Tractatus de corde, London, 1669, pag, 34, beschrieben. Im Herzen des ent-
wickelten Menschen scheint es mir so unerheblich, dass es füglich unerwähnt
bleiben könnte. Nach He nie verdankt das Tuberculum seine Existenz einer
Ablagerung von Fett zwischen den beiden Schichten der Muskulatur des Atrium,
deren innere durch dieses Fett gegen das Atrium vorgewölbt wird. Halle r
verwirft es gänzlich, und viele Neuere mit ihm.
2. Linke Vorkammer^ Atriwn dnUtrum.
Die linke Vorkammer wird auch Sinus venarum pulmcnaUum
genannt^ und hat im Ganzen dieselbe cubische Gestalt; wie die
rechte. Die obere Wand nimmt die vier Lungenvenen auf; an der
linken Wand erhebt sich die Auricula sinistray welche an ihrer
Basis tie^ eingeschnüii; ist^ und sich an die Wurzel der Lungen-
arterie legt. Musculi pecHnati springen an der inneren Wand dieses
Vorhofes nicht vor.
3. Rechte Kammer^ Ventrictdus dexter,
Sie zeigt, wie die linke, im verticalen Durchschnitt eine drei-
eckige Gestalt, mit unterer Spitze und oberer Basis. Schneidet man
das Herz quer durch, so erscheint der Durchschnitt der rechten
Kammer als Halbmond. Die concave Seite des Halbmonds gehört
dem Septwm ventriculorum an, welches nicht plan, sondern gegen
die rechte Kammer zu convex ausgebogen ist. Das Ostium venosum
und arteriosum liegen an der Basis der Kammer. Sie berühren
sich nicht, wie im linken Ventrikel, sondern sind durch ein circa
fünf Linien breites Interstitium von einander getrennt. Die am
Umfange des Ostiwm venosum haftende Valwda tricuspidalis , ragt
mit ihren drei Zipfen, von welchen der vordere der grösdte ist,
weit in die Kammerhöhle herab. Nicht alle Chardae tendineae der
Valmda trieuspiddlis gehen aus Papillarmuskeln hervor. Es finden
Hjrtl, Lskrbuoli dsr Aiuktomi«. U. Aufl. ^\
962 §. 889. Spezielle Beschreibung? der einzelnen Abtheilnngen des Herzens.
sich immer einige in der rechten Kammer, welche aus der Fläche
des Septum veniricvloi^m auftauchen. — Das Ostium arteriosum der
rechten Kammer befindet sich am linken Winkel der Kammer-
«
basis, neben und vor dem Ostium venosum. Zwischen beiden hängt
der innere Zipf der Valvula tricuspidalis herab. Man nennt jenen
Winkel der Kammer, welcher mittelst des Ostium arteriosum in die
Lungenschlagader führt, Conus arteriosus, oder Infwidibidum.
Der Stand der PapiUarmnskeln entspricht nicht den Spitzen der Klappen,
sondern der Spitze des zwischen zwei Klappen befindlichen Winkeleinschnittes.
Dadurch wird es möglich, dass ein Papillarmuskel seine Chordae tendineete zu
den einander zugekehrten Rändern zweier Klappenzipfe schickt, somit, nebst der
Spannung der Klappen, auch auf ihren festeren Zusammenschluss einwirkt. Jene
Chordae bendvneae, welche nicht an den Rand der Klappen, sondern an die der
Wand des Ventrikels zusehende Fläche derselben treten, spalten sich an ihrer
Insertionsstelle dichotomisch oder mehrfach, und die Spaltnngsästchen mehrerer
Chordae verbinden sich zu einem Netzwerk, welches die Stärke und Widerstands-
kraft der Klappen bedeutend vermehrt, und ihre Ausbauchung gegen die Vor-
kammer während der Znsammenziehung der Kammer verhindert.
Die drei Valvtdae aeniilwMreg am Ursprung der Arteria ptdnumatUf werden
in eine vordere, rechte, und linke, eingetheilt. Sie sind breiter als der
Halbmesser des Offtinm arterionum, und müssen deshalb, wenn sie während der
Diastole der Kammer zuklappen, durch Flächencontact ihrer Ränder, die Oeffhang
um so verlässlicher schliessen. Jede Valvula j*einüunarU stellt eine gewöhnliche
Wandtasche (wie sie an Kutschenschlägen angebracht werden) von massiger Tiefe
vor. Die Ränder dieser Taschen pressen sich im gefüllten Zustande gegenseitig
aneinander, so dass durch das Einstellen der drei Klappen, die Gestalt eines @
entsteht. Sehr selten werden die Valvtdae semilunarrs der Arlerla imlmmialh auf
zwei vermindert, oder auf vier vermehrt (Wiener Museum). Die Noduli Armitii der
Arteria jjuhionalM sind oft Mehr klein, fehlen aber nie gänzlich.
4. Linke Kammer, Ventnculus sinister.
Die Wand der linken Kammer ist beim Erwaclisenen mehr
als dopj)elt so stark, als jene der rechton, ihr Lumen am Quer-
schnitte des Herzens jedoch kein Halbmond, sondern ein Kreis.
Das Ostium veiwsuvi und arteriosum liegen, wie in der rechten
Kammer, an der Basis derselben, und sind so nahe aneinander
gerückt, dass sie sich berühren. Die Valvtda viitrcdi^ am Ostium
venosum (quam mitrae episcopcdi non inej)te contxderis, Vesal.) ist so
gestellt, dass ihre zwei Zipfe in einen vorderen und hinteren ein-
getheilt werden können. Die freien Ränder, und die der Kammer
zugekehrten Flächen der Klappenzipfe, sind immer mit den Cliordae
tendineete zweier Papillarmuskel n in Verbindung, welche an der
vorderen und hinteren Kammerwand, nicht auf dem Septum auf-
sitzen. Die Valwlae mitrales enthalten, so wie die tiicuspiduUsy
quergestreifte Muskelfasern, jedoch nur an ihrer Basis, nicht an
ihrer Spitze. — Die Valvtdae semilunares des Ostium arteriosum
stehen so, dass man eine rechte, linke, und hintere, unter-
scheidet. Bei ihrem Schluss bilden sie also die Gestalt eines @.
§. 390. MfchuDisrnuK der Herzpampe. 963
Sie sind, so wie die V^alviJ'a mUralis, dicker als die Klappen in
der rechten Kammer. Voji den ansehnlichen Nodvlis Arantii, welche
die Mitte jedes freien Klappenraudes einnehmen, sieht man zuweilen
bogenförmig geschwungene Fasern zu den zwei Endpunkten des
freien Klappenrandes hinlaufen. Diese bilden dann die sogenannten
Lunulae valvularum, deren natürlich nm* zwei an einer Klappe vor-
kommen können. Obwohl die freien Ränder der Valvulae semilunares
gar nicht selten durchlöchert erscheinen, beirrt dieses Vorkommen
den Verschluss des Ostium arieriosum gar nicht, da ja die Semi-
lunarklappen sich, während ihres Zusammenschlusses, wie früher
erwähnt, mit einer breiteren Randzone aneinanderlegen.
Glückliche Injectionen haben in allen Klappen des Herzens
das Vorkommen feinster und sehr spärlicher BlutgefUsse nach-
gewiesen. — Wie sich die Valvulne semüunares zu den Ursprungs-
öftnungen der Kranzschlagadern verhalten, wird in §. 393 gesagt.
Der Schüler thut am besten, wenn er, um die genannten Ge^nstände in
der Leiche zxi besichtigen, das Herz in seinen Verbindungen mit den grossen
Gcfössen lässt, und die Anatomie des Herzens zugleich mit der Topographie der
lirusteingeweide studirt. Die häufig angewendeten Richtung«- und Lagerungs-
bestimmungen (rechts, links, vorn, hinten) sind, wenn das exstirpirte Herz zum
Studium benützt wird, nicht so anschaulich, als wenn Alles in natürUcher Lage
verbleibt. Man öffnet den Herzbeutel, trägt ihn an seiner Umstülpungsstelle zu
den grossen Gefössen ab, um Raum zu gewinnen, und folgt in der Zergliede-
rung des Her/ens dem Wege, welchen das Blut durch das Herz nimmt, d. h.
man beginnt mit der rechten Vorkammer, und endet mit der linken Kammer.
Dil* Schnitte werden an den Vorkammern an ihrer vorderen Wand gemacht, und
gegen die Spitze der Kammern am rechten und linken Rande des Herzens hinab-
geführt. Eine richtige Ansicht der bei der Topographie der Brusteingeweide er-
örterten Verhältnisse der grossen Gefasse, ist der beste Führer bei der Zer-
gliederung des Herzens. Besondere praktische Regeln giebt das dritte Capitel
meines Handbuches der praktischen Zergliederung^kunst. Wien, 1860.
§. 390. Mechanismus der Herzpumpe.
Die Vorkammern und Kammern des Herzens nehmen während
ihrer Erweiterung (Diastole) Blut auf, und treiben es während ihrer
Zusammen Ziehung (Systole) wieder aus. Die Erweiterung ist ein
passiver, die Zusammenziehung ein activer Zustand des Heinzens.
Dass die Erweiterung des Herzens kein activer Zustand sei, lässt
sich schon daraus entnehmen^ dass am Herzen kein einziges Muskel-
bündel existirt, welches durch seine Zusammenziehung die Herz-
höhlen vergrössern könnte. Man kami aber nicht in Abrede stellen,
dass das nach vollendeter Systole in die Diastole zurückkehrende
Herz, wie jeder andere erschlaffende Muskel, eine Verlängerung
aller seiner Muskelbündel erleidet^ welche Verlängerung auf die
964 §• 390. MeehaniBiniis der Henpamp«.
Vergrösserung der Herzräume nicht ohne Einfluss sein kann, und
somit die Saugwirkung des Herzens nicht gänzlich aufgegeben zu
werden braucht.
Während der Diastole der Kammern, welche mit der Systole
der Vorkammern auf dasselbe Zeitmoment fällt, füllen sich die
Kammerräume mit Blut, welches durch die nächst folgende Systole
der Kammern in die Lungenarterie und in die Aorta getrieben wird,
und die elastischen Wände dieser Gefasse ausdehnt. Das rechte
Herz nimmt nur Venenblut auf, welches ihm die beiden Hohladern
zufuhren, und treibt es durch die Lungenarterie zur Lunge, wo es
oxydirt wird, und, arteriell geworden, durch die vier Lungenvenen
zur linken Vorkammer und Kammer gelangt, um sofort in die
Aorta, und durch sie in alle Theile des Körpers getrieben zu
werden. Das rechte Herz kann insofern auch Cor venosum oder
pulmonale, das linke Cor arteriosum 8, aortkum genannt werden. Der
Mensch hat also eigentlich zwei Herzen, welche aber nur Ein Ein-
geweide bilden, weil sie sich aus Einem embryonalen Blutschlauche
entwickeln. Da nun das Blut auf dem Wege vom rechten Herzen
zum linken, die Lunge passiren muss, so könnte man sagen, dass
die Lungenfunction zwischen die Function des rechten und linken
Herzens eingeschaltet ist. Der Umstand, dass wenigstens die Kreis-
muskelfasern beider Kammern nicht in einander übergehen, sondern
jeder einzelnen Kammer besonders angehören, beurkundet zum
Theil die fuuctionelle Unabhängigkeit beider Herzhälften, deren
anatomische Trennung durch den schwachen Einschnitt an der
Spitze des Herzens angedeutet wird.
Bei pflanzenfressenden Walfischen dringt dieser Einschnitt tief in das Septum
veiUriculorum ein, wodurch am Herzen ein Spalt entsteht, welcher die rechte und
linke Kammer von einander trennt. An einem männlichen At^ncephalus der Prager
Sammlung, ist ebenfalls das Herz bis zur Basis der Kammern gespalten. Von
vollkommener Spaltung oder Halbirung des Herzens kennt die Anatomie nur
Einen Fall von Meckel (de duplicitate monstrosa. pag. 53).
Die Systole beider Vorkammern ist synchronisch , wie jene
der beiden Kammern. Auf die Systole der Vorkammern folgt jene
der Kammern nach einem kaum messbaren Intervall nach. Die
Vorkammersystole verhält sich zur Kammersystole, wie in der Musik
die Vorschlagnote zur Haltnote. Auf die Kammersystole folgt nach
einem längeren Intei'valle die nächste Vorkammersystole, und der
Wechsel der Bewegimg geht überhaupt so vor sich, dass jede Höhle
sich beim erwachsenen, gesunden Menschen in Einer Minute sechzig
bis achtzig Mal zusammenzieht und erweitert. — Die Vorkammern
werden, da die Einmündungsstellen der Hohl venen durch keineKlappen
geschützt sind, während ihrer Systole einen kleinen Theil des auf-
genommenen Blutes in die Venen zurückwerfen; die Kammern
§. 390. MeehaDiBmaB der Herapnmpe. 965
dagegen alles Blut, was sie enthalten, bis auf den letzten Tropfen in
die Schlagadern treiben, da die Ostia venosa während der Systole,
durch den Klappenschluss, den Rücktritt des Blutes in die Vor-
kammer verweigern. Nur wenn dieser Klappenschluss durch krank-
hafte Momente unvollständig wird, wie es häufig bei Insufficienz
der Vcdvtda tricuspidalü in der rechten Kammer der Fall ist, wird
Kammerblut in die Vorkammer, und von der Vorkammer in
die Hohlvenen zurückgeworfen, so dass auch diese Venen syn-
chronisch mit der Kammersystole pulsiren, und der Puls, bei hohen
Graden der Klappenerkrankung, sich selbst über das ganze Hohl-
venensystem, bis auf die Venen des Hand- und Fussrückens, er-
strecken kann.
Damit die Etappen am Ostium venosum der Kammer, während
der Kammersystole nicht in die Vorkammer umschlagen, sind sie
durch die Chordae tendineae an die Musculi papilläres befestigt. Da
sich aber das Herz während der Systole verkürzt, und die Chordae
tendinme dadurch so weit erschlafft würden, dass trotz ihrer Gegen-
wart, die Etappen in die Vorkammer zurückgeworfen werden
könnten, so sind die Chordae an die Papillarmuskeln geheftet,
welche, während das Herz sich von unten nach oben verkürzt, sich
von oben nach unten zusammenziehen, und dadurch jenen Spannungs-
grad der Chordae bedingen, welcher erforderlich ist, um die Etappen
nicht überschlagen zu lassien.
Während der Ventricnlarsjstole sind die Chordae, wie die Leinen vom
Wind geschwellter Segel, straff ang^ezog^en; ihre Insertionspnnkte an den Klappen
werden somit festgestellt sein, and nnr jene Stficke der Klappe, welche zwischen
den netzförmig verstrickten Anheftungen der Chordae sich befinden, werden sich
durch den Druck der Blutmasse der Kammern, etwas in die Vorkammern aus-
bauchen. Wie nothwendig der genaue Verschluss der Ostia der Kammern fUr
die Erhaltung der Gesundheit und des Lebens ist, beweist die sogenannte Insuffi-
cienz der Klappen, welche lange, qualvolle, und unheilbare Leiden mit sich bringt.
Ist das Blut der Kammern durch die Systole in die Arterien
getrieben, und folgt die Diastole, so föngt sich die, durch die
elastische Contraction der Arterien gegen die Kammern zurück-
gestaute Blutsäule, in den Taschenventilen der Ostia arteriosa,
schliesst diese, und wird durch sie so lange aufgehalten, bis die
nächste Systole eine neue Welle in die Arterien treibt, durch deren
Impuls die ganze Blutsäule in den Arterien weiter geschoben wird.
Der Stoss der neu ankommenden Blutwelle, welcher sich durch
den ganzen Inhalt des Arteriensystems fortpflanzt, bedingt eine
Erweiterung der elastischen Arterie, welche als Pulsschlag gefühlt
wird. Der Puls ist somit ein Ausdruck der Propulsivkraft des
Herzens. Er wird deshalb in Organen, deren Distanzunterschied
vom Herzen ein bedeutender ist, nicht vollkommen isochronisch
966 §. 990. HechaniBmas dor Herzpumpe.
sein. Man tuhle mit der einen Hand den Puls der Art&iia ttbtalis
postica am inneren Knöchel, und mit der anderen jenen der Ar-
tena inaadllains exteima am Unterkiefer, um sich von der Retardation
des Pulses an weit entlegenen Körpertheilen zu überzeugen.
Jede Kammersystole erzeugt eine Erschütterung des Thorax, welche man
als sogenannten Herzschlag sieht und fühlt. Die exacte Physiologie hat mehrere
Erklärungen dieses Phänomenn, aher keine einzige genügende, gegeben. Man nahm
bisher an, dasn die Her/spitze sich während der Systole hebt, und zwischen der
fünften und sechsten linken Rippe an die Brustwand anschlägt. Die Ursachen
dieses Hebens »lichte man Üieils im Muskelbau des Herzens selbst, theils in
einem mouvenrnnt de hasctde, welches die sich abwechselnd erweiternden und ver-
engernden Herzräume, durch Verrückiing ihres Schwerpunktes bedingen. Beide
Erklänuigsarten genügen nicht G u t b r o t und Skoda haben den physikalischen
Grundsatz des hydrostatischen Druckes auf die Erklärmig des Herzschlages an-
gewendet (Siehe Jos. ITeiiie, über die Mechanik der Herzbeweg^ng, in Henle'a
und Pfettffer^g Zeitschrift. 1. Bd.) — Eine andere Erklärung des Herzschlages
wurde von Ki wisch versucht (Prager Vicrteljahrsschrift, 1846), indem er auf
den von allen früheren Theorien übersehenen Umstand aufmerksam machte, daaa
das Herz an die Thoraxwand nie anschlagen könne, weil es nie von ihr sich ent-
fernt, sondern während der Systole imd Diastole immer mit seiner vorderen
Fläche an der inneren Oberfläche der Tlioraxwand genau anliegt, etwa'w^ie der
volle und 'teere Magen immer in Contact mit der Bauchwand ist. Würde das Herz
sich von d^r Tlioraxwand entfernen, so müsste ein leerer Raum entstehen, welcher
in geschlossenen Körperhöhlen niemals vorkommen kann. Der Impuls, welchen
die Thoraxwand voijgi^em sich contraliirenden Herzen erhält, ist nach Kiwi seh
nur durch das momentane Schwellen der Muskelsubstanz des Herzens, während
seiner Systole, bedinget. Allein hierauf lässt sich entgegnen, dass dieses Schwellen
der Muskel Substanz kein Dickerwerden des Herzens bedingt, da es bekannt ist,
dass das Herz während der Systole nach allen Durchmessern kleiner wird. Viel-
leicht hat das wälirend der Systole stattfindende Strecken des Aortenbogens, und
das dadurch bedingte Angedrängtwerden des Herzens an die Tlioraxwand einiges
Gewicht bei der Erkläning dieser noch immer nicht genügend enträthselten Er-
scheinung. — Komi tz er löste das verwickelte Problem des Herzschlages auf
folgende einfache Weise. Der aufsteigende Theil der Aorta und die Lungen-
schlagader sind so umeinander gewunden, dass sie einen halben Schraubengang
einer link« gedrehten Spirale bilden. Am unteren Ende dieser Spirale hängt das
freibewegliche Herz. Die Verlängenmg der Spirale, welche während des Ein-
dringens der Blutwellc in die Aorta und Pulmonalarterie, nach unten zu erfolgt,
bedingt eine entsprechende Rotations- und llebelhewegung des Herzens, durch
welche dasselbe an die Hriistwand angedrängt wird, und ihr jene Erscliüttening
mittheilt, welche als Herzschlag wahrgenommen wird. F. KoniUza; in den Denk-
schriften der kais. Akad. 15. Bd.
Den Klappenmechanismus una das Tiiherculum Loveri behandelt A, Itelzius,
in Müller^ 8 Archiv, 1843 und 1865. — Ueber das Foramen ovale schrieb Hruch
im 14. Bd. der Schriften der Senkciiht'Vfjarheii Gesellschaft. Die Stnictur des
Endocardium und der Klappen des Herzens schildert Lu-tchka, im Archiv für
pathol. Anat 18ö'i, so wie im Archiv für physiol. Heilkunde 1856, und die Blut-
gefässe der Klappen, in den Sitzungsberichten der kais. Akad. 1869. — Ueber
den angeborenen Defect der Herzscheidewand handelt Rokiiaiiaky in einer Special-
schrift. Wien, 1875.
§. S91. Hersl>eiit«1. 967
§. 391. Herzbeutel.
Das Herz wird von einem häutigen Beutel umschlossen, welcher
Pericardium heisst (zepi Ty;v /.apciav, um das Herz). Aeltere Be-
nennungen sind: Capsula cordis bei Harvey, bei Hippoerates
TÖ y.s'jXs6v, L e. vagina cordis. Er liegt zwischen den beiden Pleura-
säcken, und ist mit ihnen, so weit er sie berührt, innig verwachsen.
Der Herzbeutel hat wohl im Allgemeinen die Gestalt des Herzens,
ist somit kegelfiirmig, kehrt aber seine Basis nach unten, wo sie
mit dem Centrum tendineum des Zwerchfells fest verwächst, und
seine stumpfe Spitze nach oben. Er besteht aus einem äusseren,
fibrösen, und einem inneren, serösen Blatte. Beide Blätter sind
untrennbar mit einander verschmolzen. Das fibröse Blatt wird
vorzugsweise von der Fasclu endothoi'acica (§. 169) gebildet, und
hängt besonders am vorderen Rande des Centrum tendineum dia-
phragmatis fest an. Dasselbe ist durch zwei von Luschka ent-
deckte Bänder (Ligam&iitmn steimo-cardiacum superius et inferius) an
die Hinterflächc des Sternum geheftet, wodurch der Druck des
Herzens auf das Zwerchfell vermindert wird. Es geht oben in die
äussere Haut der grossen Arterien über, welche aus dem Herzen
entspringen (Artiiria pulmonalis aus der rechten, Aorta aus der
linken Herzkammer). Der Ort, wo dieses geschieht, ist für die
vordere Wand des Herzbeutels die vordere Fläche des Aorten-
bogens, und für die hintere Wand die Theihmgsstelle der Arteria
pidmonalis. Die vordere Herzbeutel wand reicht also höher hinauf
als die hintere. Das seröse Blatt geht nicht in die äussere Haut
der grossen Arterien über, sondern stülpt sich an ihnen nach ein-
und abwärts, gleitet an ihnen zum Herzen herab, und überzieht
dessen äussere Oberfläche. Das seröse Blatt des Herzbeutels ver-
hält sich somit zum Herzen, wie die Pleura zu der Lunge. Das-
selbe besteht sonach aus einem parietalen, und aus einem visceralen
(umgeschlagenen) Blatt, welches letztere nicht blos das Herz, sondern
auch die grossen Blutgefässe, welche zum Herzen oder vom Herzen
kommen, eine Strecke weit überzieht. Aorta und Pulmonalschlag-
ader, welche Blut vom Herzen wegführen, erhalten zusammen einen
gemeinschaftlichen scheidenartigen äUeberzug vom umgeschlagenen
Blatt des Pericardium, so dass man beide Gotasse mit dem Finger
umgreifen kann. Jedes der übrigen grossen Ge&sse, welche Blut
zum Herzen führen (Hohlvenen und Lungen venen), erhält nur einen
unvollständigen Ueberzug, und kann somit nicht mit dem Finger
umgriffen werden. Beide Blätter des serösen Herzbeutels sind an
ihren einander zugekehrten freien Flächen, mit einem einschichtigen
Pflasterepithel überkleidet.
968 8* SM> Aorta, Arttria pulmomali§, und Duthu BotaUi.
Da das Herz seinen Beutel nicht vollkommen ausfttllt, so wird der disponible
Baum von einem serösen Fluidum, Liquor pericardii, eingenommen, dessen Menge
von einer halben Drachme bis eine halbe Unze beträgt
• B. Arterien.
§. 392. Aßftdkj Arteria pulmonaiis^ und Dtictus Botalli.
Die Aorta ((i6{pü), erheben, i. e. pulsiren) repräsentirt den
Hauptstamm des gesammten Arteriensystems , durch welches alle
Organe des Leibes das Blut, als die Bedingung ihres Lebens und
ihrer Thätigkeit zugeführt erhalten, wie das alte Testament sagt:
anima carrda in aanguine est (Levit. XVU, 14). Aus dem linken
Ventrikel des Herzens entsprungen, zeigt sie, dicht über dem Ostiwni
arteriosum, eine Anschwellung (Bulhua aortae), welche aus drei, den
Valmdis aemüunaribus entsprechenden, flachen Ausbuchtungen (Sinus
Vaisedvae) gebildet wird. A. M. Valsalva, Professor in Bologna,
gedenkt zuerst dieser Sinus, in seinen Dissertationes posthumae,
Venet., 1740.
Der BvHms aortae wird von der Wurzel der Arteria pulmo-
nalis, welche eine ähnliche Anschwellung bildet, bedeckt. Die Aorta
steigt anfangs hinter der Wurzel der Lungenschlagader nach rechts
und oben auf, als Aorta ascendeiis, und krümmt sich dann bogen-
förmig über den linken Bronchus nach links und hinten, zum
hinteren Cavum mediastini, als Arcus aortae, um dann als abstei-
gende Aoita (Aorta descendena), an der linken Seite der Brust-
wirbelsäule gegen das Zwerchfell herabzusteigen, durch dessen
Hiatus aoriicus sie in die Bauchhöhle als Aorta abdominalis eintritt.
Sie steigt in der Bauchhöhle nur bis zum vierten Lendenwirbel
herab, wo sie gabelförmig in die beiden Arterias üia^cae communes
zei*fallt. Man kann somit die Brustaorta, quoad formam, mit einem
Heberrohre vergleichen, dessen kurzer Schenkel Aorta ascendena,
dessen Bug Arcus aortas, und dessen längerer Schenkel Aorta
descendens heisst.
Die Arteria pidmonalis entspringt an der Basis der rechten
Herzkammer, und zwar aus jenem Theile derselben, welcher früher
als Conus arteriosus bezeichnet wurde. Ihr Verlauf und ihre Ver-
zweigung ist bereits in §. 291 geschildert, auf welchen hier ver-
wiesen wird. Der Vorwurf, welcher mir von achtbarer Seite gemacht
wurde, die Arteria piUmonalis in diesem Lehrbuche übergangen zu
haben, ist somit ein unverdienter. Die gedrängte Kürze des Buches
S. 383. PrimitiTe Aette Am Aortenbogtos. 969
erlaubt mir nicht^ mit Wiederholungen bereits gesagter Dinge seine
Seiten zu füllen.
Der DuduB arterumu Botaüi, durch welchen beim Embryo der linke Ast
der Pnlmonalarterie mit dem concaven Bande des Aortenbog^ens (richtiger mit
dem Beginn der absteigenden Aorta) commnnicirt, geht beim geborenen Menschen
zu einem Bande ein, welches als LigamerUum aortae magnum perennirt. Was ist
nun der Ductus BotaUif Die aus der rechten Herzkamnier entsprungene Arteria
pulmonalu des Embryo, existirt schon, bevor es noch Lungen g^ebt. Sie senkt
sich um diese Zeit, in die absteigende Aorta ein. Der Embryo hat also eigentlich
zwei Aorten, — eine rechte und linke, welche sich zur absteigenden Aorta ver-
einigen. Treten nun, mit der Entwicklung der beiden Lungen, aus der rechten
Aorta Aeste zu diesen Lungen hervor, so wird das zwischen der Abgangsstelle
dieser Lungenäste, und der Einmündung in die absteigende Aorta befindliche
GefKssstOck, det Ductus BotaiH Bein, — Der Scliliessungsprocess des Bota Hinsehen
Ganges erfolgt in der Art, dass, vom dritten Tage nach der Geburt an, in der
Mitte des Ganges, durch Wucherung der Epithelialzellen, und Fibrinablagerung
zwischen denselben, eine Verengerung eintritt, welche gegen die Arteria pulmonalia
zu vorschreitet, während gegen die Aorta zu, eine trichterförmige Stelle des
Ganges offen bleibt. Vom vierzehnten Tage an verkürzt sich der unwegsam ge-
wordene Gang, wodurch an den einander zugekehrten Wandungen der Aorta und
Lungenschlagader, konische Grübchen entstehen müssen, welche erst später ver-
streichen. Der gänzliche Verschluss des Ganges tritt erst im Beginn des zweiten
Lebensmonates ein, und geht dem Verschluss des Foramen ovale voraus. — Im
Ductus BotalU prävaliren, wie in den Nabelarterien, die muskulösen Elemente
über die elastischen. Walkoff, Zeitschrift für rat. Med. 36. Bd. — Der Entdecker
dieses Ganges war kein geringerer Mann, als der Leibarzt Wilhelms I. von
Oranien, Namens Leonardo Botal, aus Asti in Piemont, und Schüler des
Fallopia. Man soll deshalb richtig Ductus Botali schreiben und sprechen.
§. 393. Primitive Aeste des Aortenbogens.
I. Aus der Aorta ascendens, welche noch im Cavum perkarcUi
liegt, entspringen nur die beiden Kranzarterien des Herzens —
eine rechte und linke. Da das Herz ein Theil des Gefasssystems
ist, so können die Kranzarterien immerhin als riesige Vcisa vasorum
angesehen werden.
a) Die rechte Kranzarterie, Arteria coronaria dextra 8, poste-
rior, läuft im Stdcus ciradaris der vorderen Herzfläche gegen
den rechten Herzrand, und um diesen herum zur hinteren
platten Fläche des Herzens, wo ihre Fortsetzung im Sulcus
longitudinalia posterior bis zur Herzspitze herabgelangt. Sie
versorgt vorzugsweise die Wände des Atiium dextrum und des
Ventriculiis dexter, zum Theil auch jene des sinister.
ß) Die linke Kranzarterie, Arteria coronaria sinistra s. ante-
rior, ist in der Regel etwas schwächer als die rechte. Sie
geht im Sidais drcidaris um den linken Herzrand herum,
970 §. 393. Primitive Aeste des Aortenbogens.
seudet anfangs in der vorderen Längenfurehe einen Ast bis
zur Herzspitze herab, welcher mit dem Ende der Ai'tena coro-
naria dextra anastomosirt (jedoch nur durch Capillargelasse),
und verliert sich selbst an der hinteren platten Fläche des
Herzens, wo man sie ira Sidcus drcidarU mit der dextra ana-
stomosircn lässt, was jedoch gleichfalls nur für Capillar-Ana-
stomosen gilt. Ausser den von der Coronaria dextra nicht ver-
sorgten Wandungen der linken Kammer und Vorkammer,
erhält auch das Septum ventriculorum seine Arterien aus der
Coronaria sinistra,
lieber die Blutgefässe in den Ualbmondklappen bandelt Luschka, In den
Sitzungsbericbten der kais. Akademie, 18ö9. — Es sind Fälle verzeichnet, wu nur
Eine Coronaria cordis vorhanden gewesen sein soll (Harrison). Diese Anomalie
wäre als Thierähnlichkeit interessant, indem bei Elephas auch nur Eine ArUria
coronaria vorkommen soll. Ich bezweifle dieses. — Die Kranzschlagadern des
Herzens sind imter allen Arterien des mensclilichen Körpers am meisten den Ver-
knöchenmgen unterworfen.
Beide Kranzarterien -ITrsprünge werden während der Systole der linken
Kammer durch die Halbmondklappcn in der Aortenwurzel nicht verschlossen. Oft
stehen diese UrsprangsöfTnungen so hoch, dass die Ränder der Halbmondklappen
nicht bis an sie hinaufreichen. Aber auch wenn sie tiefer stehen, können sie
durch die Ifalbmondklappen nicht versclilossen werden, da diese Klappen nie an
die Wand der Aorta angedrückt werden. Indem nämlich die Aorta während der
Kammersystole durch das einströmende Blut ausgedehnt wird, werden die VoZ-
vnlae nemilnnares so gespannt, dass das zwisclien ihnen befindliche Aortenlumen,
die Gestalt eines Dreieckes annimmt, wie sich an jedem Injectionspräparat der
Aorta oder der Pulmonalis demonntriren länst. Werden aber die UrsprungsÖflfnungen
der Kranzarterien durch die Valvulae MemUunnres nicht verschlossen, so muss der
Puls der Kranzarterien mit jenem der übrigen Arterien des menschlichen Körpers
isochron sein, wie es laut übereinstimmender Beobachtungen am lebenden Thiere
wirklich der Fall ist.
lieber das Verhältniss der Ursprünge der Kranzarterien zu den Halbmond-
klappen handelt ausführlich ein von mir geschriebener Artikel, im Decemberhefl
der Sitzungsberichte der kais. Akademie, Jahrgang 1851, so wie meine Schrift:
lieber die Selbststeuenmg des Herzens. Wien, 1855. Als Nachtrag hiezu siehe
mein Handbuch der topographischen Anatomie, ^, Auflage, §. CXXXIV. — Be-
stätigungen meiner Angaben lieferten: Endemnnn, Beitrag zur Mechanik des Kreis-
laufes des Her/ens, Marburg, 1856, — Rüdintjer, Beitrag zur Mechanik der Aorten-
und Herzklappen, Erlangen, 1867, — Mieraxca, Deutsche Klinik, 1859, Nr. 19, u. v. a.
— Küdinger verwirklichte selbst den originellen Einfall, die Stellung der Val-
vulae seniilfnmren während der Systole und Diastole der Kammern sichtbar zu
machen, auf die gelungenste Weise. Wie man, auch nur bei Erwägung des
einzigen Factums, das» der Stumpf einer durchschnittenen Coronaria, synchronisch
mit dem Puls aller anderen Arterien spritzt, noch gegen die Richtigkeit meiner
Behauptung Einwendungen machen kann, begreife ich nicht. Prof. Brücke
suchte zwar das mit der Herzsystole synchronische Pulsiren der Coronar-Arterien
dadurch zu erklären, dass er sagte: „weil das Herz während seiner Zusammen-
.jziehung auf die tiefliegenden arteriellen Ramificationen seiner muskulösen Wand
.,einen Druck ausübt, müsse das Blut in den hochliegenden Stämmen der Coronar-
S. 893. Primitivo Aoste dos AortonbogenB. 97 1
„Arterien gestaut nnd dadurch ihr mit der Herzaystule gleichzeitiger Puls be-
^dingt werden'^ Ich gebe jedoch zu bedenken, dass, wenn die Stämme der
Coronar- Arterien »ich, dieses angenommenen Druckes wegen, während der Systole
des Herzens erweitern, und dasselbe auch während der elastischen Contraction
der Aorta, welche mit der Diastole des Herzens zusammenfällt, geschieht (wie
meine Oeg^ier gleichfalls behaupten), die Coronar-Arterien aus der Erweiterung
gar nie herauskommen, und somit auch gar nicht pulsiren könnten. Was
in dieser nun schon tädios gewordenen Sache noch zu sagen war, habe ich in
meiner topographischen Anatomie, und hat G. Ceradini in seiner Abhandlung:
// niecariMnio delle valvole aemiluruwi, Milaiw, iHll, deutsch Leipzig, 1872, gesagt.
So wird denn endlich einmal Ruhe werden! Ks ist aber nicht Ruhe geworden.
Brücke hat über den Verschluss der Coronar-Arterien durch die Halbmond-
klappen, neuerdings acht Seiten geschrieben (Phjsiol. Vorlesungen, pag. 177 bis
185). Das ist Hühnermilch; — ich kann's nicht anders nennen. Man empfängt
den Eindruck, dass der Schreiber jener Seiten selbst nicht glaubt, was er vor-
bringt Aber der Schein musste auch um solchen Preis gerettet werden.
II. Der eigentliche Arcus aoHae gicbt an seinem oberen oder
convexen Rande drei Getassen den Ursprung: der Artef*ia anonyma,
Arteria carotis und suhdavui sinistra,
a) Die Arteria anonyma steigt schräg vor der Luftröhre und
hinter der Vena anonynui sinistra nach rechts und oben,
spähet sich hinter der Articulatio sternodacicularis in die Ar-
teria subclavia und Carotis dextra, und wird deshalb auch
Truncus hrachio-cephalicm genannt. Die Arteria subclavia dextra
krümmt sich, nachdem sie durch die obere Brustapertur ge-
treten, zwischen Scalenus anticus und medius über die erste
Rippe zur Achselhöhle, und gesellt sich somit dem durch die
vier unteren llalsnerven und den ersten Brustnerven gebildeten
Plexus brachialis bei, so zwar, dass sie vor dem letztgenannten
Nerven zu liegen kommt. — Die Carotis dextra geht, ohne
Zweige abzugeben, bis zum oberen Rande des Schildknorpels
am Halse hinauf, wo sie in die rechte Carotis externa und tV
tema zerfällt.
ß) Die Carotis sinistra ist um die Länge der Arteria innominata
länger als die rechte. Sie liegt auch etwas tiefer, wegen
schräger Richtung des Aortenbogens von vorn nach links
und hinten, imd steigt mehr geradlinig am Halse hinauf als
die rechte.
y) Die Arteria subclavia sinistra wird gh^ichfalls länger sein und
tiefer liegen, als die dextra, stimmt jedoch in allem Uebrigen
mit der dextra überein.
Hl. Die AoHa descendens gicbt in der Brusthöhle meistens
paarige, und, mit Ausnahme der Zwischenripponarterien , nur
schwache Aeste ab, während sie in der Bauchhöhle auch sehr
972 §. 894. Yarietitoa der ans dem Aortenbogen entopringonden 8clilag»d«ni.
ansehnliche unpaarige Aeste erzeugt, welche in den späteren Para-
graphen nach der Beschreibung der Kopf- und Armpulsadem ab-
gehandelt werden.
§. 394. Yarietaten der aus dem Aortenbogen entspringenden
Schlagadern.
Nicht immer ist das Verhältniss der aus dem Aortenbogen
entspringenden Arterien das geschilderte. Es kommen zahlreiche
Anomalien vor, welche theils ihrer praktischen Bedeutsamkeit, theils
ihrer Uebereinstimmung mit thierischen Bildungen wegen, von
Interesse sind. Diese Abweichungen lassen sich auf drei Typen
reduciren: Vermindeining, Vermehrung, und normale Zahl mit ab-
normer Verästlung der Aortenäste.
a) Verminderung.
Sie erscheint in drei Formen:
a) Zwei Artericbe anonymae, deren jede in eine Carotis communis
und Subclavia zerföllt, wie bei den Fledermäusen und einigen
Insectivoren. Dieser Fall ist sehr selten.
ß) Die Arteria carotis sinistra ist sehr oft ein Zweig der Anonyma,
welche somit in drei Aeste zerfallt. (Einige AflFen, reissendc
Thiere, Beutler und Nager.)
y) Alle Aeste des Aortenbogens sind in einen Stamm verschmolzen
(vordere Aorta), welcher erst später sich in die gewöhnlichen
drei Aortenäste theilt. Dieser Fall, welcher bisher nur einmal
von Klinz (Abhdl. der Josephin. Akad. Wien, 1787, 1. Bd.),
und ein zweites Mal von mir, in einem Embryo mit Synoph-
thalmie, beobachtet wurde, lindet sich als Regel bei den Ein-
hufern und Wiederkäuern, deren Aorta, ohne einen Bogen zu
bilden, sich in eine vordere und hintere theilt.
b) Vermehrung.
Sie begreift folgende Spielarten:
a) Die Arteria vertebralis sinistra entspringt zuweilen, wie beim
Seehund, zwischen Carotis und Subclavia sinistra. Da die Ar-
teria vertebralis sinistra aus der Subclavia sehr nahe am Ur-
sprung dieses Oefasses aus dem Aortenbogen entsteht, so wird
es eben die Vertebralis sinistra sein, deren Ursprung vor allen
übrigen Aesten der Subclavia auf den Aortenbogen übertragen
werden kann.
§. SM. Yariettten der aas dem Aortenbogfen entspringenden Schlagadern. 973
ß) Eine überzählige unpaare Schilddrüsenarterie (Arteria ikyreoidea
ima 8. Neuhaueri) entspringt zwischen Anonyma und Carotis
sinistra, und steigt auf dem vorderen Umfange der Trachea
zur Schilddrüse empor. (Bei der Tracheotomie zu berücksich-
tigen.) Sie kommt mit und ohne Mangel einer der beiden
normalen unteren Schilddrüsenarterien vor, und ist im ersteren
Falle stärker.
y) Eine Arteria mammaiia interna oder thymica entspringt von
der vorderen Wand des Aortenbogens. Ich besitze einen in
seiner Art einzigen Fall vom Ursprung der Coronaria ventri-
coli einiatra superior aus dem Aortenbogen (beschrieben im
Not. Hist, Review, 1862, Juli),
3) Fehlen der Anonyma, und dadurch bedingter isolirter Ursprung
der Subclavia und Carotis dextra aus dem Aortenbogen (Wal-
fischbildung).
Im Falle 8) können auch Versetzungen Platz greifen, worunter
jene die merkwürdigste ist, wo die Subclavia dextra hinter der
Subclavia sinistra entspringt, und, um zur rechten Seite zu gelangen,
zwischen Luft- und Speiseröhre, oder Speiseröhre und Wirbelsäule,
nach rechts hinüberläuft. Dass durch diesen anomalen Verlauf der
rechten Subclavia, Compression der Speiseröhre, und dadurch die
sogenannte Dysphagia lusoria entstünde, scheint mir nur bei aneu-
rysmatischer Ausdehnung des Gefasses möglich. Dass aber diese
Abweichung ohne Dysphagie bestehen kann, wurde durch zahl-
reiche Beobachtungen constatirt. — Ich halte es für ausgemacht,
dass die Versetzung des Ursprungs der Subclavia dextra hinter jenen
der sinistra, in Folge der durch sie gegebenen Abschwächung des
Kreislaufes in der rechten Extremität, den Gebrauchsvorzug der
linken bedingt. Hiermit wäre die Causa anatomica der bisher un-
erklärt gebliebenen Linkhändigkeit aufgefunden.
Die so eben ang^efübrten Abweichungen setzen eine Vermehrung auf vier
Stamme. Vermehrung auf fünf oder sechs, ist äusserst selten, und entsteht durch
Zerfallen der Anonyma, mit gleichzeitiger Isolirung beider Arteriae vertebralet
(Tiedemann). — Da die Theilungsstelle der Carotis eommunia so hoch am Halse
liegt, so werden es nur die Aeste der Arteria »ubclavia sein, welche eine Vermehrung
der Bogenäste der Aorta bedingen. Nur in einem von Malacarne beobachteten
Falle entsprangen die Carotis externa und itUema beider Seiten symmetrisch aus den
beiden Schenkeln eines gespaltenen Aortenbogens, welche sich erst an der Wirbel-
säule zur einfachen Aorta vereinigten. (Ringförmiger Aortentypus bei Amphibien.)
c) Normale Zahl mit abnormer Verästlung.
Sie äussert sich:
a) Als Verschmelzung beider Carotiden zu einer Anonjrma, welche
zwischen Subclavia dextra und sinistra entspringt, wie beiElephas.
974 ' $. 395. Verästlang der Carotis externa.
ß) Alö Einbeziehung der Carotis dnütra in den Stamm der Ano-
nyma^ mit gleichzeitigem isoKrtem Ursprung der VertebrcUts
ainiatra, oder einer Mamniaria inteinui.
Nebst dietien Ursiirungsahwcichiuig^en, kann der ganze Bog«n der Aorta
eine abnorme Richtung nehmen, und sicli, wie es in der Klaase der Vögel norm-
gemäss vorkommt, über den rechten, statt über den linken Bronchus krümmen,
um entweder an der rechten Seite der Wirbelsäule zu bleiben (wie bei Ver-
setzung der Eingeweide), oder noch in der Hrusthöhle sich zur linken Seite hin-
über zu begeben.
§. 395. Verästlimg der Carotis externa..
Der Name Carotis stammt nicht von xapa oder xopt;, Kopf,
sondern von xapO(;, mit welchem Ausdruck die ältesten griechischen
Aerzte jene Form von Sopor bezeichneten, welclie in Folge schwerer
Kopfverletzungen vorkommt, und mit sehr schwacher und lang-
samer Pulsation der grossen Halsarterien einhergeht. Bei Vesalius
heisst die Carotis deshalb Arteria soporifera, bei anderen alten
Autoren auch apoplectica oder lethargica, selten Arteria sonmi.
Die Carotis communis durchläuft, während ihres Aufsteigens
am Halse, ein Gebiet, welches durch die Aeste der Arteria subclavia
(§. 398) mit Blut versorgt wird. Aus diesem Grunde erzeugt sie
daselbst keine Zweige. Erst in gleicher Höhe mit dem oberen
Schildknorpelrande, theilt sie sich in die Carotis externa und interna.
Eine tiefere Thcilung gehört zu den Seltenheiten.
üie äussere Kopf Schlagader, Carotis eootsma s, faciafis^
versorgt die Weich th eile des Kopfes, mit Ausschluss des (iehirns,
des Sehorgans und der Stirne. Sie liegt im Trigonum cervical^ su]>eriu8,
vor und einwärts von der Carotis interna. Sie wird vom Pla^i/sma
myoides, dem hochliegenden Blatte der Fascia colli, und der Vena
facialis communis bedeckt, steigt anfangs zwischen dem hinteren
Bauche des Biventer maxillae und dem Musculus stylo-glossus, später
durch die Substanz der Parotis empor, und theilt sich, hinter dem
Halse des Gelenkfortsatzes des Unterkiefers, in ihre beiden Knd-
äste: die oberflächliche Schläfe-, und innere Kieferarterie.
Auf diesem Laufe cntsprosst ihr ein Strauss mehrerer Aeste (le
büuquet de liiolan bei älteren französischen Anatomen), welche sich
füglich in drei Gruppen unterabtheilen lassen, je nachdem sie aus
der vorderen, inneren, oder hinteren Peripherie der Carotis
hervortreten.
A) Erste Gruppe von Aesten aus der vorderen Peripherie der
Carotis.
1. Die obere Schilddrüsenarterie, Arteria thyreoidea supe^
rior, Sie entspringt dicht au der Wurzel der Carotis externa, und
§. SKt. Verwtlnng der Carotin externa. 975
gellt, vom oberen Bauche des Musculus omo-hfoideus bedeckt, bogen-
förmig zum oberen Rande der Schilddrüse herab. Sie erzeugt auf
diesem Wege gewöhnlich die Arteria lar/jngea, welche die Memlrrana
hßO'thyreoidea durchbohrt, um sich im Inneren des Kehlkopfes zu
verästeln. Hierauf schickt sie Muskeläste zum omo-, stemo-, Üiyreo-
hifoideus, und sternchtht/reoideus, und verliert sich zuletzt, nachdem
ihre Endzweige eine Strecke weit an der vorderen Fläche der
Schilddiüse geschlängelt herabliefen, im Parenchj'm derselben.
Nicht g^anz selten hat es den Anschein, als ob die Arteria thtfreoidea Mupe-
riov aus dem Stamme der Carotis conimHniSf dicht vor ihrer Theilung in die
externa und irUenia, entstfinde. — Ein das Ligamentum crico-thyreoideitm durcli-
bohrender Zweig der Arteria Üiyreoidea »uperiar, verdient, nicht seiner Grösse,
sondern seines constanten Vorkommens wegen, angeführt zu werden. — Ausnahms-
weise ist die Arteria laripigea ein selbstständiger Zweig der Carotis extemaf und
zwar der zweite.
2. Die Zungenarterie, -4rterta ZimjuoZm, entspringt in gleicher
Höhe mit dem Coimu magiium des Zungenbeins, und dringt dicht
über dem grossen Zungenbfeinhorn und bedeckt vom Musculus
htßoglossus nach innen und oben in das Zungenfleisch ein. Ihre
Aeste sind:
a) Der liamus hi/otdeuSy welcher längs des oberen Zungenbein-
randes mit dem der anderen Seite anastomosirt. Fehlt zu-
weilen, und ist, wenn er vorkommt, meistens von unerheblicher
Stärke. Haller sagt von ihm: Ramus perjyetuus quidem, rtMgni'
tudine vero diversus,
ß) Die schwache Arteria dorsalis Ungucte zur Schleimhaut der
Zungen Wurzel. Sehr oft verbindet sich ein Zweig derselben
mit einem Zweige der gegenseitigen Dorsalis linguae zu einer
unpaaren oberflächlichen Schlagader, welche in der Median-
linie des Zungenrückens gegen die Zungenspitze verläuft. Ich
habe sie als Arteria azf/gos linguae beschrieben. Sie ist immer
sehr schwach.
7) Die Arteria sublinguales, welche zwischen Muscidus mylo-hyoideus
und Glandula subungualis verläuft, und den Boden der Mund-
höhle ernährt.
c) Die Arteria ranina s, profunda lingual, als Foi*tsetzung des
Stammes der Arteina lingiudis. Sie dringt neben dem Zungen-
bändchen von unten her in die Zunge ein, und geht an der
Zungenspitze nicht bogenförmig in die der anderen Seite über,
sondern anastomosirt mit ihr nur durch Capillaräste. Mikro-
skopische Injectionen durch Eine Arteria ranina gemacht^ füllen
nie die Gefasse der anderen Zungenhälfte. Krause föhrt
eine, über der Insertion des Zungenbändchens befindliche.
976 §. 995. Yer&atliiDgr der CanÜM externa.
schwache Anastomose zwischen den beiderseitigen Arteriae
raninae an.
Wir beobachteten mehrmals eine Ärteria lingualia, welche am unteren Bande
des vorderen Bauches des Biventer maasiUae bis in die Kühe des Kinns verlief,
dort den Mylo-hycideua durchbohrte, und mit derselben Arterie der andern Seite,
welche denselben Verlauf nahm, zwischen den beiden QenithhyMei, in den ChnUy-
gloasua eindrang. — Zwischen dem Ursprünge der Arteria thyreoidea »uperiar und
linguaUa entsteht öfter noch aus der Carotü eoßtema ein ansehnlicher Ramus mus-
ctdaris pro stemocleidomeutoideo, welcher am vorderen Rande des genannten Muskels
eine Strecke weit herabsteigt, bevor er sich in ilin einsenkt. Oft ist er nur ein
Zweig der oberen Schilddrüsenarterie. Im hiesigen Museum befindet sich ein Fall,
wo dieser Ramua atemodeidonuutoideua mit einem ähnlichen aus der Äuricularis
posterior, welcher gleichfalls am vorderen Bande des Kopfnickers herabl&nft, im
starken Bogen anastomosirt.
3. Die äussere Kieferarterie, Artetia maxälaris externa,
ist so stark wie die lingualis, mit welcher sie zuweilen aus einem
kurzen gemeinschaftlichen Stamme entspringt. Sie zieht in einer
Furche der Unterkieferspeicheldrüse nach vorn, krümmt sich am
vorderen Rande der Kiefcrinsertion des Masseter zum Antlitz
hinauf, und verläuft in starken Schlangenkrümmungen gegen den
Mundwinkel, dann zur Seite der Nase, um als Arteria angularis
unter dem inneren Augenwinkel mit dem Ramua dorsalü nasi der
Arteria ophthalnUca zu anastomosiren. Ihre bedeutenderen Neben-
äste sind:
a) Die Arteria »nbmefitcdis, Sie versorgt den vorderen Bauch des
Bivcnter, den Mylo-hyoideus , die Glandula mbinrutxülaris und
ihre Nachbarschaft, und biegt sich zum Kinn hinauf, wo sie
mit den von anderen Stämmen hier anlangenden Schlagadern
(Arteria mentalis, coronaria lahii inferioris und mbme^italia der
anderen Seite) in Haut und Muskeln sich verliert.
ß) Die Arteria palatina ascendens s. pharifngo^alatina, steigt an
der Seiten wand des Pharynx in die Höhe, und versorgt den
inneren Flügelrauskel, den weichen Gaumen, und die Schleim-
haut des Rachens in der Gegend der Rachenmündung der
Tuba Ev^stacldi, Ihr stärkster Zweig aber gehört der Mandel
als Artei*ia tonsillaris,
y) Muskeläste zu den Kaumuskeln und Antlitzmuskeln um die
Mundspalte herum, worunter die AHeria cwonaria lahii supe-
rioris et inferioris besonders bemerkenswerth sind. Beide ver-
laufen im wulstigen Theile der Lippe, der Schleimhaut näher
als dem Integument, anastomosiren im Bogen mit ihren gleich-
namigen Gegnern, und bilden dadurch einen Kranz um die
Mundöffhimg, welcher jedoch zuweilen nicht vollständig ist.
Aus dem oberen Bogen dieses Kranzes entspringt die unwichtige
Arteria septi mobäis nasi.
§. 895. Ter&stlaDg der CaroU* externa. 977
Stülpt man die eigene Oberlippe vor dem Spiegel um, so kann man den
Puls der Arteria coronaria in der Nähe des Mundwinkels sehr deutlich sehen. Die
übrigen Muskeläste, deren Grösse, Zahl und Ursprung sehr differirt (Rami huccalea,
masaeterici, etc.) anastomosiren vielfach mit der Arteria infraorbilalig, transversa
faciei, buccinatoria, etc., wodurch es möglich wird, dass im Verkümmerungsfalle
der einen der genannten Schlagadern, eine andere für sie solidarisch einsteht.
Selbst von der anderen Gesichtshälfte kann ein aushelfender Zweig herüberkommen.
— An einem Präparate der hiesigen Sammlung kommt die Arteria angularis aus
der Transversa faciei, indem die Maxillaris externa als Coronaria labii infe-
rioris endet
B) Zweite Gruppe von Aesten, aus der inneren Peripherie der
Carotis externa,
Sie bestellt nur aus der
4. aufsteigenden Rachenarterie, Arteria pharyngea ascen-
dens. Diese entspringt entweder in gleicher Höhe mit der Arteria
lingualisj oder tiefer als diese, steigt an der Seitenwand des Pharynx
empor, und verliert sich gewöhnlich in der hinteren Rachenwand
mit zwei Zweigen.
Oft entlässt sie einen, zum Foramen jugtdare aufsteigenden Ast, welcher
die hier austretenden Nerven mit Zweigen versorgt, und hierauf selbst in die
Schädelhöhle eindringt, um als accessorische Arteria meningea zu enden. — Die
Arteria palatina ascendens, welche in der Regel ein Ast der Maxillaris externa
ist, entspringt gleichfalls nicht selten aus der Pharyngea ascendens, — Es ereignet
sich öfter, dass die Arteria pharyngea ascendens von der Carotis interna abgegeben
wird. Dasselbe g^t auch für die gleich folgende Arteria ocdpitalis, — Ich habe
zwei Fälle vor mir, in welchen das Ende der Pharyngea ascendens mit der Carotis
interna durch den Canalis caroticus in die Schädelhöhle eindringt, und sich in
jener Partie der harten Hirnhaut verästelt, welche die Sella turcica umgiebt, und
den Sinus cavernosus einschliesst.
C) Dritte Gruppe, aus der hinteren Peripherie der Carotis
externa :
5. Die Hinterhauptarterie, Arteria ocdpitalis, entspringt
etwas über der Arteria maxillaris externa, wird vom hinteren Bauche
des Biventer maxillae bedeckt, und geht unter der Insertion des
Kopfnickers am Warzenfortsatz zum Hinterhaupt, wo sie vom MtLS-
cultts trachelo-mastoideus und Splenius capitis bedeckt wird, und
zwischen letztcrem Muskel und dem Cucullaris, an die Oberfläche
tritt, um, in zwei Endäste gespalten, bis zum Scheitel hinauf sich
zu verästeln. Sie giebt nur zwei besonders benannte Zweige ab:
a) Die Arteria niaatoidea durch das Foramen mastoideum zur harten
Hirnhaut.
ß) Die absteigende Nackenarteric, Arteria cervicalis descen-
dens, zwischen Splenius und Complexus nach abwärts zu den
Nackenmuskeln.
Wir sahen mehrmals den vorderen Endast der Arteria ocdpitaUs an der
Sutura mastoidea in die Diplol! eindringen, and nach kurzem Verlauf daselbst,
Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie. U. Aufl. ^^
978 §. S96. End&ste der Oaroth externa.
wieder zur Oberfläche zurückkehren. — Immer läset die Ärteria nuutoidea,
während sie durch das Foramen tnastoideum hindurchzieht, einen Ast in die Diplo€
abgehen. (Hyrtl, über den Bamua diplcetku» der Arteria occipUcUis, in der österr.
Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1859, Nr. 29.)
6. Die hintere Ohrarterie, Arteria auricidarü posterior,
welche am vorderen Rande des Processus mastoideus aufsteigt, und
die feine Arteria stylo-mastotdea durch das Griflfelwarzenloch in den
F all 0 pirschen Kanal absendet. Hinter dem Ohre theilt sie sich
in zwei Zweige, deren vorderer die Ohrmuschel, deren hinterer
die Weichtheile hinter dem Ohre ernährt, und zuletzt mit den
Nebenästen der Arteria occipitalis und temporalis superficialis ana-
stomosirt.
Die Ärteria gtylxHntutoidea gelang^ aus dem Fallo pirschen Kanal durch
den Canalicultu chordae tympam in die Paukenhöhle, um die Schleimhaut der
hinteren Abtheilung derselben, so wie der CeUtdae mattoideae und die Membrana
tympani (mit einem hinter dem Manubrium maUei herablaufenden Zweigchen) zu
versorgen. Sie geht in seltenen Fällen, deren ich zwei besitze, nicht durch das
Griffelwarzenloch, sondern durch eine eigene Oeffnung der unteren Paukenhöhlen-
wand in das Cavum tympani, steigt über das Promontorium, wo sie in einem
knöchernen Kanal oder Halbkanal lagert, zum Stapes empor, läuft zwischen den
Schenkeln desselben durch, und begiebt sich durch eine Oeffnung der oberen
Wand der Paukenhöhle zur harten Hirnhaut. — Ich finde einen constanten tief-
liegenden Ast der Auricularia posterior, durch die ganze Länge der Indtura
mastoidea verlaufen.
§. 396. Endäste der Carotis externa.
Nachdem die Carotis externa durch die Substanz der Parotis
hindurchgetreten, und diese Drüse mit Zweigen versah, spaltet sie
sich, hinter dem Halse des Gelenkkopfes des Unterkiefers, in ihre
beiden Endäste. Diese sind:
1. Die oberflächliche Schläfenarterie, Arteria temporalis
superficialis, Sie steigt über die Wurzel des Jochfortsatzes zur
Schläfegegend auf, liegt auf der Fascia temporalis, und zerfallt in
zwei Zweige, den vorderen und hinteren. Der vordere bildet
einen Bogen nach vorn und oben, versorgt mit seinen Aesten die
Haut der Schläfe und Stirngegend, und anastomosirt mit den Zweigen
der Arteria frontalis. Der hintere, schwächere, steigt zum Scheitel
empor, um gleichfalls an der Bildung der Blutgefassnetze der Kopf-
schwarte Anthcil zu nehmen. Bei bejahrten Individuen sieht man
den geschlängelten Verlauf der Arteria temporalis durch die Haut-
bedeckung hindurch. Vom Stamme der Arteria temporalis zweigen
sich folgende Aeste ab:
a) Die Arteria transversa facieL Sie entspringt sehr häufig, noch
während die Carotis externa in der Parotis steckt, und geht
§. 396. End&s(e der Caroii» externa, 979
über dem Ductiis Stenonianus quer bis in die Gegend des
Foramen infraorhitale. Sie giebt Aeste zur Parotis, zum Kau*
und Backenmuskel, zum Orbicularis pcUpebrarum, Zygomaticus
und Levator anguli oris, und anastomosirt mit der Arteria
infraorbitalis, mit den Muskelästen der Arteria maxülaris ex-
terna, und mit der von der Arteria maxillaris interna stammen-
den Arteria buccinatwia. Sie ist zuweilen doppelt, zuweilen
sehr schwach, kann aber so stark werden, dass sie die fehlen-
den Gesichtsverästlungen der Arteria maxillaris externa ersetzt.
ß) Die viel schwächere Arteria temporalis media durchbohrt die
Fascia temporaiis, um sich im Fleische des Musculus temporcUis
aufzulösen.
y) Zwei bis drei unwichtige Arterias auricuLares anteriores infe-
riores, und die Arteria auricidaris anterior superior zum äusseren
Gehörgang und zur Ohrmuschel.
B) Die Arteria zygomaticO'Orbitalis entspringt über dem Jochbogen,
und geht schief über die Fascia temporaiis nach vorn und oben
gegen den Margo supraorbitalis, wo sie mit der Stirn-, Thränen-
und vorderen Schläfenarterie anastomosirt.
2. Die innere Kieferarterie, Arteria maxiUaris interna. Da
sie zu allen Höhlen des Kopfes Aeste sendet, werden ihre Ver-
ästlungen überhaupt tiefer liegen und schwerer präparirbar sein,
als die übrigen Schlagadern des Gesichtes. Um den Stammbaum
ihrer Verzweigung leichter zu überblicken, soll der Lauf der Arterie
in drei Abschnitte gebracht werden. Der erste liegt an der inneren
Seite des Processus condyloideus des Unterkiefers, der zweite auf der
äusseren Fläche des Pterygoideus extemus (oder zwischen den beiden
Ursprungsköpfen dieses Muskels), der dritte in der Fossa pterygo-
palatina.
A) Aus dem ersten Abschnitte treten folgende Aeste ab:
a) Die Arteria auricularis profunda zum äusseren Gehörgang.
b) Die AHeria tympanica durch die Fissura Olaseri zur Schl*^"
haut der vorderen Abtheilung der Trommelhöhle.
c) Die Arteria cHveolaris inferior geht, bedeckt vom inneren j?*®^"
bände des Unterkiefergelenkes, zur inneren Oeflfnun ^^^
Unterkieferkanals herab, durchläuft diesen Kanal, gi<** ^^^
Wurzeln der Zähne haarfeine Ramxdi dentales, tritt du^^ ^^^
Kinnloch hervor, und anastomosirt durch ihre Endzw^ig® ™^*
der Arteria coronaria labii infenoris und submentalis. '^or ihrem
Eintritte in den Unterkieferkanal entsendet sie die ^ Svlcus
mylo-hyoideus verlaufende Arteria mylo-hyoidea z\^ gleich-
namigen Muskel.
6?*
980 §. S96. End&ct« der Carotis externa,
B) Aus dem zweiten Abschnitte entstehen:
OL) Die mittlere Arterie der harten Hirnhaut, Arteria
mentngea media «. spinosa. Oft genug entspringt sie noch aus
dem ersten Abschnitte der Maxillaris interna, und zwar vor
der Arteria alveolarin inferior, Sie steigt an der inneren Fläche
des Musculus pterygoideus extemus zum Foramen sptnosuni auf,
und betritt durch dieses Loch die Schädelliöhle, mto sie in
einen vorderen grösseren, und hinteren kleineren Ast zer-
fallt, welche in den GefUssfurchen des grossen Keilbeinflügels,
der Schuppe des Schläfebeins und des Scheitelbeins, sich
baumförmig verzweigen, und die Dura mater, wie auch die Diploe
des Schädelgewölbes versorgen. — Zuweilen existirt noch eine
accessorische Arteria meningea media ^ als Ast der eben be-
schriebenen. Sie betritt hinter dem Kamus teiiius paris quinti
durch das Foramen ovale die Schädelhöhle, wo sie sich im
Ganglion Gasseri und in der diesen Knoten umgebenden Partie
der harten Hirnhaut auflöst.
Gleich nach ihrem Eintritte in die Schjidelh()hle, sendet sie die Arteria
p^roaa in der Furche der oberen Fläche der Felgenpyramide zur Apertura »puria
canalis Fallopiae. Diese kleine und somit l>edentimg^lose Arterie theilt »ich in
zwei Zwei^chen, deren eines in die Trommellii>hle gelang^, den Tensor tt/tnpam
und die Schleimhaut der mittleren Partie des Cavum ti/mpani ernährt, während
das andere den Nervu/t facialijf im Fall opi'schen Kanal begleitet, und sich mit
der Arteria atylo-mantoidea verbindet. — Im hiesigen Museum befinden »ich zwei
Injectionspräparate der Arteria meningea metlia von Kindesleichen, an welchen
starke Aeste dieser Arterie durch die ötirnfontanelle, und durch die Sutum seu/it-
talis in die weichen Schädeldecken übergehen. Als ein constantes Vorkommen
erwähne ich noch der feinen Rami per/oranteM dieser Arterie, welche die Schädel-
knochen und ihre Nähte durchsetzen, um sich in den weichen Auflag'en der
Hirnschale zu verlieren (Hyrtl, über die liavii perforaiüen der vieningea media, in
der österr. Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1859, Nr. 9). — Ich habe die Arteria
rymalis mehrmal aus dem vorderen AsU' der Meniw/ea media entstehen g'esehen.
i) Muskeläste, welche sich mit dem vom dritten Aste des
Quintus entsprungenen Muskelnerv^en vergesellschaften.
Wir zählen: einen f(ir den Masseter als liamua mamtelericw*^ welcher durch
^\Inci9ura Hemilunarvt des Unterkieferastes zu seinem Bestimmungsorte g'elangt;
^JJ^ für den Huccinator als liamiis huccinaloritut, zwischen Unterkiefera«t und
Mu^litft hnrciiuUor zum Antlitz gehend, wo seine Aeste mit den Zweigten der
Arte^ infraorbital ijty traiutverMa faciei, und Arteria inaxUlarin externa anastonio-
8»ren\niehrere kleine Zweige für die beiden Flügel muskel als liami pterytjoidei ;
so wA für den Schläfemuskel die b«*iden Arteriac temporale« profundaey eine
a»*/«r«H^nnd poitterior. Die vordere schickt durch den Canalis zyyomatictu teinpo-
ratis eii^n Ast in die Augenhöhle, welcher mit der Arteria lacrymalis anastomosirt,
C) 6lus dem dritten Abschnitte gehen hervor:
«) Die Art^ria alveolaris superior, deren Zweige durch die Tjöcher
an dkr luberosifas maanllae superioris zu den hinteren Zähnen
und äir Schleimhaut der Highmorshöhle gelangen.
§. 897. TerftstluDg der Conti* inUma. 981
ß) Die Arteria infraorhitalis. Sie verläuft durch den Kanal; der
ihr den Namen gegeben, schickt Zweigchen in die Augen-
höhle • zur Periorbita, zum Rectus und Obliquus inferior, abwärts
laufende Aestchen zur Schleimhaut der Highmorshöhle und
zu den vorderen Zähnen, zertheilt sich nach ihrem Austritte
in die Muskeln, welche den Raum zwischen Margo infraorhi-
talis und Oberlippe einnehmen, und anastomosirt in zweiter
und dritter Instanz mit den übrigen Antlitzarterien.
y) Die Arteria pcdatina descendens 8, pterygo-palatina. Sie giebt
zuerst die Arteria Vidiana ab, welche mit dem Nerven dieses
Namens durch den Canalis Vidiamis zur oberen Partie des ^
Pharynx zieht, wo sie mit der Arteria pharyngea ascendens ana-
stomosirt. Dann steigt sie, in drei Aestc gespalten, durch die
Canales pcdatini descendetites herab, versieht den weichen
Gaumen und die Mandeln, und schickt ihren längsten und
stärksten Ast (Arteria palatina anterior), den harten Gaumen
entlang, bis zum Zahnfleisch der Schneidezähne. Ein feiner
Ast derselben dringt durch den Canalis naso-pcUatimis zum
Boden der Nasenhöhle.
B) Die Arte}na spheno-palatina 8. nasalis posterior. Sie kommt durch
das Foramen spheno-palatinum in die Nasenhöhle, deren hintere
Schleimhautpartie sie versorgt. Ein Ast derselben läuft am
Septum narium herab, und anastomosirt mit der Arteria pala-
tina anterior, und der Arteria septi, — einem Aste der Coro-
naria lahii sujyerioris.
Der Stammbaum der Arteria jnaxillaris interna behauptet insofern eine ge-
wisse Selbstständigkeit, als nicht leicht einer seiner Zweige von einer anderen
Kopfschlagader entspringt, oder er selbst einen Ast abgiebt, der nicht unter den
angeführten steht. Die Abweichungen in Zahl und Ursprung der ihm angehörigen
Aeste haben, ihrer tiefen Lage und Unzugänglichkeit wegen, kein besonderes
chirurgisches Interesse. Mein Museum besitzt den höchst merkwürdigen Fall, wo
eine fehlende MaxUlaris interna durch eine colossale Entwicklung der Ärteria
palatina Mcendens ersetzt wird (beschrieben in der österr. Zeitschr. für prakt. Heil-
kunde, 1859, Nr. 30).
F, Schlemm, de arteriarum, praesertim faciei anastomosibus. Berol., 1821. —
Ejusdem, arterianim capitis superficialium icon nova. Berol., 1830. fol. — Eine
Reihe vortreflTIicher Präparate über die Verästlungen der Carotis externa und ihrer
zahlreichen Varianten, wird im Wiener anatomischen Museum aufbewahrt
§. 397. Verästlung der Carotis interna.
Die Carotis interna s. cerebralis liegt anfangs an der äusseren
Seite der Carotis externa, macht dann, hinter ihr weg, eine Krüm-
mung nach innen und oben, und wird von ihr durch den Musculus
stylo-glossus und stylo-pharyngeus getrennt. Bevor sie in den CanaliA
982 §. 897. Yerftttlnng der Caroti* inUrma.
caroticus eindringt, bildet sie noch eine zweite Krümmung, deren
Convexität nach innen sieht. Ihr Verlauf ea^ra canedem caroticum
ist somit umgekehrt S-förmig gekrümmt. Diese Kiiimmungen sieht
man im injicirten Zustande des Gefasses besonders ausgesprochen.
Im Canalia caroticus des Felsenbeins tritt eine dritte, und im Sinus
cavernosus, welchen die Carotis interna durchsetzt, noch eine vierte
Krümmung hinzu. Die letzte übertrifft an Schärfe die drei voraus-
gegangenen. — Im Canalis caroticus sendet die Carotis interna ein
feines Aestchen zur Schleimhaut der Trommelhöhle (Ramtdus carotico-
tympanicus), und im Sinus cavernosus erzeugt sie mehrere kleine
Zweige für das Ganglion Gasseri, die Hypophysis cerebri, und die
um den Türkensattel herum befindliche Partie der harten Hirnhaut.
Ihr Hauptast aber ist die Arteria ophthalmica. Diese, die Contenta
der Augenhöhle und die Stirngegend versorgende Schlagader, ent-
springt aus dem convexen Rande der letzten Krümmung der Carotis
interna, bevor dieses Gefiiss an die Gehirnbasis" tritt. Sie gelangt
mit dem Nervus opticus, an dessen äusserer unterer Seite sie liegt,
durch das Foramen opticum in die Augenhöhle, schlägt sich hierauf
über den Sehnerven nach innen, geht unter dem Muscidtis ohliquus
superior an der inneren Orbitalwand nach vorn, und zerfallt unter
der Rolle in die Arteria fr&iitalis und dorsalis nasi. Auf dieser
Wanderung erzeugt sie folgende Zweige:
1. Die sehr feine Arteria centralis retinae, welche in der Axe des
Sehnerven zur Netzhaut verläuft.
2. Die Arteria lacrymalis, Sie zieht an der äusseren Orbital wand
nach vorn zur Thränendrüse.
Sie g^ebt eine oder zwei hintere Ciliararterien ab, sendet Zweige in den
Canalia zygomatiau facialis und temporalig^ versorgt die Thränendrfise, und theilt
sich am äusseren Augenwinkel in eine Ärteria palpebralis externa superior et in-
ferior, — Nicht selten schickt sie durch die Fissura orhitalis superior einen Itamus
recurrens zur Schädelhöhle, welcher sich in der harten Hirnhaut ramificirt, oder
mit dem vorderen Aste der Arteria meningea media anastomosirt.
3. Muskeläste für den Bewegungsapparat des Bulbus. Ihre Zweig-
chen verlängern sich theils über die Insertionsstelle der Muskeln
hinaus bis in die Conjunctiva hulhi hinein, theils durchbohren
sie den vorderen Abschnitt der Sclerotica, um zur Iris und
zum Musculus cUiaris (Tensor choroideae) zu gehen.
4. Die Arteriae ciliares posticas longae et breves. Es linden sich
immer nur zwei longae, und mehrere breves. Sie durchbohren
die Sclerotica um die Eintrittsstelle des Sehnerven herum. Die
longae verlaufen (als äussere und innere) zwischen Choroidea
und Sclerotica an der Schläfen- und Nasenseite des Augapfels
nach vom^ zum Musculus cüiaris und zur Iris. Die breves
§. 397. Ver&stliing der CiroTi« inUma. 988
verästeln sich nur in der Choroidea (§. 223 lässt sich über
diese Arterien ausführlicli aus).
Eine Arteria ciliarü postica tonga durchbohrt, wie ich öfters sah, das Gan-
glion ciliare. — Jene, welche sechzehn Arteriae ciliares posticae ftrevfs anftihren,
haben nie injicirte Geßisse dieser Art gesehen und gezählt, tind Hessen sich durch
die Meinung irreführen, dass die Zahl der Arterien jener der Neroi ciliares gleichen
müsse. Diese kann allerdings bis auf sechzehn anwachsen.
5. Die Arteria supraorhitalU gebt über dem Levator palpebrae
8upe)ioris durch das F(yramen mpraorhitale, oder eine gleich-
namige Incisur, zur Stirne.
6. Die Arteria ethmoidalis anterior et poat&r^ior. Die anterior geht
durch das gleichnamige Loch in die Schädelhöhle, giebt hier
die unbedeutende Art4iria meningea anterior ab, dringt mit
dem Nervus ethmoidalis des ersten Trigeminus-Astes durch das
vorderste Loch der Siebplatte in die Nasenhöhle, und ver-
schiedet ihre- Zweige zu den vorderen Siebbeinzellen, zur
Schleimhaut des Sinnet frontalis und der vorderen Abtheilung
der Nasenhöhle. Die posterior ist viel kleiner, und geht durch
das Foranwn ethmaidale posterius direct und ohne Umweg zu
den hinteren Siebbeinzellen.
7. Die Arteria palpehralis interna superior et inferior, welche am
inneren Augenwinkel unter der Holle entspringen, den Saccus
lacrifmalisy die Caruncuhi, und die Conjunctiva palpebrarum mit
feinen Zweigen betheilen, dann in die betreffende Palpebra
eindringen, und zwischen dem Tarsusknorpel und dem Sphinc-
ter, höchstens eine Linie vom freien Lidrand entfernt, nach
aussen laufen, um den von der Arteria lacri^malia abgegebenen
Arteriis pidpebralibus externis zu begegnen, und mit ihnen
direct zu anastomosiren, wodurch der sogenannte Arcus tarseu»
superior et inferior zu Stande kommt.
8. Die Arteria frontalis schlägt sich um das innere 'Ende des
Margo supraarbitalis zur Stirn empor, wo sie mit allen hier
ankommenden Arterien (Arteria temporalü anterior, zygomaiiott
arbitalis, supraorbitalis) anastomosirt.
9. Die Arteria dorsalis nasi durchbohrt, über dem lAgammn^
palpebrale internum, den Muscidus orbieularis, und anaatom*
neben dem Nasenrücken herabsteigend, mit dem Sn«
Artef'ia maxillaris externa (Angularis), oder mit einem
rückenast derselben.
Cruveilhier citirt einen von Prof. Dubrenil in Moii^IU«rlMob
Fall, in welchem die Arteria ophthalmica nicht ans der ChreÜK
ans der Metüngea rnedia entsprang, und nicht doroh das Foramm
durch die Fissura orbilalis sttperior in die AugenhOUfi gslaagto« DlS
ffefUhrtc Beobachtung des Ursprungs der ArteH» laerfmnUt •» i
984 S* S98. Verftttlmig der Schlütselbeinarterie.
Aste der Meningea media (§. 396. B, a) kann als ein Vorspiel dieser merkwürdigen
Anomalie angesehen werden.
Nach Abgabe der Arteria ophthalmica treten, aus dem concaven
Rande der letzten Carotiskrümmung, noch zwei Arterien hervor,
deren eine, als Arteria communicans posterior, neben dem Infundi-
bulum nach rückwärts läuft, um mit der aus der Arteria basüaris
entstandenen Profunda c&i*ehri zu anastomosiren, und den Circidus
Wülim (§. 398) schliesscn zu helfen, während die andere als
Arteria choroidea, längs des Tractus opticus zum Adergeflecht der
Seitenkammer sich begiebt. — Zuletzt zerföUt die Carotis interna in
ihre beiden Endäste, welche sind:
a) Die Arteria corporis callosi. Sic convergirt, in vorwärts
strebender Richtung, mit jener der anderen Seite, verbindet sich
mit ihr durch einen Querast (Arteria communicans anterior) j und
steigt vor dem Balkenknie zur oberen Fläche des Corpus callosum
hinauf, liegt aber nicht in der Längenfurche derselben, sondern an
der inneren Seite der Hemisphären, in deren Windungen sie ihre
Zweige versendet.
b) Die Arteria fossae Sylvii folgt dieser Grube, und schickt
ihre Zweige zum vorderen und hinteren Gehirnlappen, zwischen
welchen eben die Sylvi'sche Furche liegt.
Alle Verzweigungen der Carotis interna in der Scbädeliiöhle, haben auf-
fallend schwächere Wandungen, als gleich starke Arterien anderer Körpergegen-
den. Sie werden nie von Venen begleitet, welche andere Wege einschlagen, als
die Arterien. Es lässt sich speciell von der Carotv* interna sagen, dass sie viel
Blut zum Gehirn, aber wenig in dasselbe ftlhre. Nur die graue Substanz des
Gehirns, welche die Rinde aller Gyn bildet, ist im hohen Grade gefassreich, die
weisse oder Marksubstanz dagegen sehr gefässarm.
Die Endäste der Carotis interna sind reich an Varietäten. Oft stammt die
rechte und linke Arteria corporis callosi aus Einer Carotis, wo dann die Arteria
communicans anterior fehlt. Die Arteria communicans posterior fehlt zuweilen auf
Einer Seite, und variirt an Grösse sehr auffallend. Ich sah selbst die Arteria
fossae Si/lvii auf der linken Seite nicht als Ast der Carotis interna, sondern der
Arteria profunda cerebri. Das Gegentheil dieser letzteren Abnormität wird da-
durch gegeben, wenn sich eine starke Arteria communicans posterior unmittelbar
in die Arteria profunda cerebri verlängert, welche mit der Arteria basilaris (§. 398)
gar nicht, oder nur durch einen dünnen Zweig zusammenhängt.
Für descriptive und chirurgische Anatomie der inneren und äusseren
Carotis wichtig ist: John Wyeth, The Surgical Anatomy of the Carotid Arteries.
New-York, 1876.
§. 398. Terästlung der Sclilüsselbeiiiarterie.
Die Schlüsöclbeinarterie, Arteria subclavia, führt in den
Handbüchern diesen Namen nur von ihrem Ursprünge bis zur
Austrittsstelle aus dem Zwischenspalt des vorderen und mittleren
S. Sd8. Yerftstlnng der 8chlfl>aelb«inarterie. 985
Scalenus. Diese Grenzbestimmung der Arteria subclavia steht mit
dem Namen des Gefösses im Widerspruche, indem das Stück der
Arterie, welches vom Ursprung bis zum Austritt zwischen den Sca-
leni reicht, mit dem Schlüsselbein in gar keine Beziehung tritt.
Richtiger ist es, das Geföss, von seinem Ursprung bis unter das
Schlüsselbein hinab. Subclavia zu nennen. Die rechte ist gewöhnlich
etwas stärker, und um die ganze Länge des Truncus anonymus
kürzer als die linke. Der Verlauf beider bildet einen nach unten
concaven Bogen über die erste Rippe weg. Dieser Bogen ist für
die linke Subclavia schärfer gekrümmt als für die rechte.
Kommt über der ersten Brustrippe noch eine sogenannte Halsrippe (Note
zu §. 121) vor, so krümmt sich die Schlüsselbeinarterie über diese, mid nicht
über die erste Brustrippe weg;. Dieses ist jedoch nur dann der Fall, wenn die
Länge der Halsrippe nicht unter zwei Zoll beträgt. Ist sie kürzer, so reicht sie
nicht so weit nach vorn, um auf den Verlauf der Schlüsselbeinarterie einen ab-
lenkenden Einfluss nehmen zu können.
Die Schlüsselbeinarterie erzeugt fünf Aeste. Vier davon ent-
springen aus ihr, bevor sie in den Zwischenraum des vorderen und
mittleren Scalenus eingeht; der fünfte zwischen diesen Muskeln,
oder jenseits derselben. Diese fünf Aeste sind:
a) Die Wirbelarterie, Arteria vertebralis. Als der stärkste
von den fünf Acsten der Arteria subclavia, läuft sie eine kurze
Strecke am äusseren Rande des Museidus longus colli herauf, und
begiebt sich durch das Loch im Querfortsatz des sechsten Hals-
wirbels (nur sehr selten schon des siebenten) in den Schlagader-
kanal der Halswirbelquerfortsätze , in welchem sie emporsteigt.
Wegen stärkerer Entwicklung der Massae laterales des Atlas, kann
aber die Richtung der Arteria certebralis, vom zweiten Halswirbel
an, keine senkrecht aufsteigende sein. Sie muss nämlich vom Quer-
fortsatz des Epistropheus zu jenem des Atlas nach aussen ablenken,
um dann, nachdem sie ihn passirte, sich hinter dem oberen Gelenk-
fortsatz des Atlas nach einwärts zum grossen Hintcrhauptloch zu
wenden. Hier durchbohrt sie die Membrana obturatoria posterior und
die harte Hirnhaut, und umgreift die Mednlla oblongata so, dass sie
an der unteren Fläche derselben, mit jener der anderen Seite con-
vcrgiren, und schliesslich sich mit ihr am hinteren Rande des Pons
Varoli zur unpaarcn Arteria basilaris vereinigen kann.
Von ihrem Ursprünge bis zum Eintritte in die Schädelhöhle entsprossen
der Arteria vertehralia folgende schwächliche Zweige:
a) Ravii mtisculares, für die an den Wirbelquerfortöätzen entspringenden
Muskeln.
ß) Bami spinales, welche durch die Faramina inlervertebralia in den Kück-
gratkanal eindringen, die Dura nuUer spinaUs, die Wirbel, so wie den Band-
apparat im Inneren der Wirbelsliile enihreiiy und dM BOokenmaric selbst mit
986 S« 998, Terftstlang dor SehlftMelbeinarterie.
Torderen und hinteren Aestchen umgpreifen, welche mit der vorderen und hinteren
Bückenmarksarteiie, so wie mit den nächst oberen und unteren Hamis tpmaUbtu
derselben Seite anastomosiren.
Y) Die Arteria meningea posterior, welche zwischen Atlas und Foramen
occipitale entspringt, mit dem Stamme der Arteria vertebralia in die Schädelhöhle
gelang^, und ihr schwaches Geäste in der harten Hirnhaut der unteren Gruben
des Hinterhauptbeins ausbreitet
Nach dem Eintritte der Wirbelarterie in die Schädclhöhle,
bis zur Vereinigung beider Wirbelarterien zur Arteria bcusüaris, giebt
jede ab:
a) Eine vordere und hintere Bückenmarksarterie, Arteria »pinalit
anterior et posterior. Die vordere verbindet sich mit jener der anderen Seite zu
einem einfachen Stämmchen, welches längs des StUcus Umgitttdinalia anterior der
MedtiUa spinalis etwas geschlängelt herabläuft, und mit den Bamia spinalibus,
welche die Arteria vertebralia, die Intercoatalea, die Lumbales und Sacrales durch
die Foramina intervertebralia dem Rückenmark zusenden, einfache oder insel-
fÖrmige Anastomosen bildet. Die hintere fliesst mit der anderseitigen nicht zu
Einem Stämmchen zusammen, anastomosirt aber wohl durch vermittelnde Bogen
mit ihr und den liamis spinalibus.
ß) Die Arteria cerebeUi inferior posterior, zu dem hinteren Abschnitt der
unteren Gegend des kleinen Gehirns. Sie giebt Aeste zum Untorwurm, und zum
Plexus choroideus des Ventriculus quartus,
Y) Die Arteria cerebeUi inferior anterior, zum vorderen Abschnitt der unteren
Kleinhimgegend, und zur Flocke.
Die aus der Vereinigung beider Arteri<ie vertebrales hervor-
gegangene Arteria hasilaris geht in der Längenfurcho des Pwi8
Varoli nach auf- und vorwärts, bis sie jenseits des Pons in die
beiden tiefen Gehirnarterien, Arteria profunda cerebn dextra et
ginistra, zerfallt. Aus der Arteria basüaris selbst entspringen:
a) Die Arteria auditiva interna, welche in den inneren Gehörgang eintritt,
und ihre Zweigchen durch die grösseren Löcher der Maculae cribrosae, und des
Tractus spiralis, zu den häutigen Bläschen des Vorhofs, und zur X*amtna
spiralis schickt.
ß) Die Arieria cerebeUi stiperior. Diese geht am vorderen Rande des Pons
nach aussen, und neben dem Corpus quadrigeniinum zur oberen Fläche des kleinen
Gehirns.
Am vorderen Rande der Varolsbrücke theilt sich die Arteria
hasilains stark gespreizt in die beiden Arteriae profundae cerehri.
Diese nehmen die Artenae communicantes posteriores von den inneren
Carotiden auf, schlagen sich um die Pedimculi cerehri nach rück-
und aufwärts, schicken Aeste durch den Querschlitz zum Plexus
choroideus medius, und verbreiten ihre Endzweige an den hinteren
Lappen des grossen Gehirns.
Durch die Verbindung beider ^Werme communicantes posteriores
mit den als Arteriae profundae cerehri bezeichneten Spaltungsästen
der unpaaren Arteria basüaris, wird die Carotis interna mit der
§. 888. Yer&stliing der SehlfiMelbeinarterie. 987
Arteria vertelrcdis in eine fiir die gleichmässige Blutvertheilung im
Gehirn höchst wichtige Anastomose gebracht, welche als Circidus
arteriostis Wülisii bezeichnet wird. Der Circvlua WtUidi ist, genau
genommen, kein Kreis, sondern ein Polygon (und zwar ein Heptagon).
Er schliesst das Chiasma, das Tuber cineretim mit dem Trichter, und
die Corpora mammillaria ein, und entspricht somit, der Lage nach,
der Sella turcica.
Eine bisher nicht beobachtete abnorme Urspmngsweise der Wirbelarterie
sahen wir kürzlich an einer Kindesleiche. Die Arteria verUhralia dextra entsprang
nämlich hinter der Subclavia siniatra, und lief in schiefer Richtung hinter der
Speiseröhre und vor der Wirbelsäule nach rechts hinüber zum Foramen trans-
veraarium des sechsten Halswirbels. Sie hatte somit denselben anomalen Ursprung
und Verlauf, welchen man bisher nur von der Subclavia dextra kannte.
Die Wirbelarterie betritt nicht selten erst am fünften oder vierten Wirbel
den Schlagaderkanal. Sie kommt auch doppelt, selbst dreifach vor, in welchem
Falle ihre Wurzeln nicht in dasselbe Qnerfortsatzloch eintreten. Immer vereinigen
sich die vervielfältigten Wirbelarterien im Querfortsatzkanal zu einem einfachen
Stamm. — Die Basilararterie bildet in seltenen Fällen durch Spaltung und Wieder-
vereinigung ihres Stammes Inseln, wodurch ihre Verwandtschaft mit den Ärteriit
apinalibtu sich kundgiebt — J. Davy (Edinb, Med. and Surg, Joum. 1838) er-
wähnt in der Basilararterie eine senkrechte Scheidewand, als Trennung^spur
zwischen den verschmolzenen Wirbelarterien, und Uebergang zur Juxtaposition.
— Weber sah die Basilararterie durch ein Loch in der Satteilehne gehen. —
Ueber Abnormitäfen der Wirbel- und Basilararterie, handelt mein Aufsatz in den
med. Jahrb. Oesterr. 1842. Juli, und A, F. Walter, de vasis vertebralibus. Lips.,
1730. — A. Barbiert, Monographia dell* arteria vertebrale. Milano, 1868.
b) Die innere Brustarterie, Arteria mammaria interna* Sie
entspringt von der unteren Peripherie der Arteria subclavia, gegenüber
der Arteria vertebralis, und läuft zur hinteren Fläche der vorderen
Brustwand, wo sie hinter den Rippenknorpeln, und neben dem Seiten-
rande des Brustbeins gegen das Zwerchfell herabsteigt. Während
dieses Laufes erzeugt sie, nebst den unbedeutenden Arteriae media-
stinicae, thymicae, und der einfachen oder doppelten bronckialis ante-
rior, noch folgende Aeste:
a) Die Arteria pericardiaco-phrenica, welche mit dem Nermu phreniau an
der Seitenwand des Herzbeutels zum Zwerchfelle gelangt.
ß) Die Arteriae intercostales anteriores, zwei fllr jeden der sechs oberen
Intercostalräume, eine obere stärkere, und untere viel schwächere, welche auch
oft mittelst eines kurzen gemeinschaftlichen Stämmchens entstehen, und mit den
eigentlichen oder hinteren Zwischenrippenschlagadern anastomosiren, welche ihnen
entgegenkommen. Sie schicken gleich nach ihrem Ursprünge Rami perforantea
zur Haut und den Muskeln der vorderen Thoraxwand. Im weiblichen Geschlechte
sind die Bami per/orantes des zweiten bis fünften Intercostalraumes stärker als
die übrigen, da sie ansehnliche Aeste (Arteriae mammariae extemaej zur Brust-
drüse abzugeben haben. — Oefters entspringt von der Mamimana intema, noch
bevor sie den ersten Bippenlmorpel erreiehti «tu atM^u**»^ a«* wcdeher alt
ArUria coitalü nUertnedia an der inneno 01
988 S* 398. Yoriftlnng der Schlflatelbeinarterie.
schief nach aus- und abwärts gehender Richtnng, über mehr wenig'er Rippen
hinabstreicht.
Zwischen dem sechsten Rippenknorpel und dem Procesmu
xiphoideus stemi spaltet sich die Mammaria interna in die Arteria
epigastrica superior und mu^fculo-phrenica.
Die Arteria niu^ndo-phrenica zieht sicli längs des Urspronges der Pars
contalU diaphragmatls schief nach aussen und unten an der Seitenwand des Thorax
hin, und giebt die Arteruie ifUercostales anteriores für die fünf imteren Zwischen-
rippenräume ab. — Die Arteria epigastrica superior dringt zwischen dem siebenten
Rippenknorpel und dem Schwertfortsatz, selten durch ein Loch des letzteren, in
die Scheide des geraden Bauch muskels, wo sie auf der hinteren Fläche des ge-
nannten Muskels, gegen den Nabel herabzieht, ihre Aeste theils in dem Fleische
des Rectus lässt, theils als perforirend zur Haut der Begio epigastrica schickt, und
allenthalben mit der Arteria epigastrica inferior (aus der Arteria cruralisj und den
übrigen Bauchmuskelarterien anastomosirt.
Ich sah die Epigastrica superior öfters mit der entgegengesetzten durch
einen hinter dem Schwertfortsatz vorbeilaufenden Verbindungsast anastomosiren.
Cruveilhier sah diesen Verbindungsast vor dem Schwertknorpel vorbeiziehen.
Feine Aestchen der MuscuUhphrenica laufen im Ligamentum Suspensorium hepatis
zur Leber. — Die Arteria mammaria interna entspring^ abnormer Weise aus der
Anonyma, dem Aortenbogen, dem Truncus thi/reo-cervicalis, und wird auf beiden
Seiten oder nur auf einer doppelt. Einen höchst merkwürdigen Fall und einzig
in seiner Art besitze ich, wo die Arteria mammaria dextra im vierten Zwischen-
rippenraum aus dem Thorax heraustritt, den fünften Rippenknorpel umgreift, und
sich unter diesem Knorpel wieder in den Thorax zurückbeg^ebt.
c) Die Schilddrüsenarterie , Arteria thyreoidea inferior^
welche, weil sie Zweige zu gewissen Nackenmuskeln gibt, auch
Trnncics tht/reo-cervicalis genannt wird. Sie steht der Arteina verte-
hralis nur wenig an Stärke nach. Am inneren Kande des Scalenus
andern steigt sie bis zum fünften Halswirbel empor, krümmt sich
hinter den grossen llalsgefössen nach innen und oben, versieht die
Luft- und Speiseröhre mit kleinen Zweigen, und gelangt mit zwei
Endästen an den unteren Rand und an die hintere Fläche der
Schilddrüse, wo diese Aeste weder mit den Zweigen der Thyreoidea
superior, noch mit jenen der entgegengesetzten Thyreoidea tnferiar
anastomosiren, obwohl ein allgemeiner Usus dicendi es so haben will.
Ein J^amus laryngeus findet unter dem Constrictor pharyngis inferior
seinen Weg zur hinteren Kehlkopfwand. Er anastomosirt mit der
Arteria laryngea aus der Thyreoidea superior. — Muskeläste dieser
Arterie sind:
1. Die aufsteigende Nackenarterie, Arteria cervicalis ascenden*. Sie
zieht auf den Muskeln vor den Wirbelquerfortsätzen empor, versorgt dieselben, und
anastomosirt mit den Muskelästen der Arterin vertebralis, cervicalis descendetut, und
cervicalis pro/umla,
*2. Die oberflÄchliche Nackenarterie, Arterin cervicalis superßcitUi*,
Sie entspringt fast immer aus der Arteria cervicalis ascemlens, läuft parallel mit
dem Schlüsselbein nach aus- und rückwärts durch die B^ossa supradaviculari».
§. 399. Ver&stlnDg der Acluelarterie. 989
wird hier nur durch das Platysma und das hocbliegende lUatt der Fcuida cervicalv»
bedeckt, und verbirgt sich dann unter dem Miutaäus cuctiUaris^ in welchem sie
sich, so wie in den beiden Splenüs und Wiomboideut, auflöst.
3. Die quere Schulterblattarterie, Arteria Iranaversa scapulae, Sie
verläuft hinter dem Schlüsselbein quer nach aussen, sendet den Ramus cun-omiafU
zur Schulterhöhe, geht durch die Incisura acapulae, oder über das Deckband der-
selben, zur oberen Gräteng^be, und hinter dem Collum scaptdae zur unteren
Gräteng^be herab, und verliert sich in den Muskeln, welche diese Gruben
innehaben.
d) Die Rippen-Nackcnschlagader^ Truncus costo-cerviccUts.
Ein kurzer Stamm, welcher hinter dem ScaUnvs anticua aus der
Subclavia entsteht, und sich in folgende zwei Zweige theilt:
1. Die obere Zwischenrippenarterie, Arteria inJtercostalis suprema,
Sie geht vor dem Halse der ersten und zweiten Rippe herab, und sendet die
Arteriae irüercostales für den ersten und zweiten Zwischenrippenraum ab.
2. Die tiefe Nackenarterie, Arteria cervicalis profunda, welche zwischen
dem Querfortsatz des siebenten Halswirbels und der ersten Rippe nach hinten,
und in den tiefen Nackenmuskeln nach aufwärts läuft, um in den Nackenmnskeln
sich zu ramificiren.
e) Die quere Halsarterie, Arteria transversa coUi, Sie ent-
springt als ein stattliches Gcföss, entweder zwischen den Scaleni,
oder jenseits derselben. Letzteres kommt häufiger vor. Sie durch-
bohrt den Plexus bra^chiaiis von vorn nach hinten, und zieht, tief-
gelegen, durch die Fossa supra-davicularis nach aussen, um den
oberen Rand der Scapula zu erreichen, an dessen innerem Ende
sie einen Ast zum Musadus cucidlaris, deltoideus, levator scaptdae,
und zum Akromion aussendet, und hierauf als Arteria dorsalis
scapulae endet, welche den inneren Rand des Schulterblattes ent-
lang, zwischen dem Rhomboideus und Serratus anticus major ver-
schwindet.
§. 399. VeräsÜung der Achselarterie.
Die Arteria axillaris ist die Fortsetzung der Arteria subclavia.
Vom Schlüsselbein bis zum unteren Rande der vorderen Wand der
Achselhöhle herab, fiihi-t sie diesen Namen.
Die Achselarterie begleitet das Achselnervengeflecht, an welches
sie sich bei ihrem Austritte aus der Scalenusspalte anschliesst, und
wird von den drei Hauptbündeln desselben umgeben. Sie hat über
sich das Schlüsselbein und den Musculus subdavius, vor sich und
etwas nach innen die Vena axülaiis. Vom Oberarmkopf wird sie
durch den Musadus subscapvlaris getrennt. Die Vena cephalica geht
vor ihr weg zur Achselvene. Nach innen wird sie nur von der
Haut und der Fascie der Achselhöhle bedeckt, und kann deshalb
990 S* ^^' Verftitlvng der Armarterie.
leicht gefühlt und gegen den Knochen angedrückt werden. Die
beiden Wurzeln des Nervus medianus umgreifen sie gabelförmig.
Nebst kleinen Zweigchen zu den Lymphdrüsen der Achsel,
treibt sie folgende Aeste aus:
a) Die Arteria thoracica suprema, dringt zwischen PectorcUis
major und minor ein.
b) Die Ärteria acromialis entspringt neben der vorigen, oder
häufiger mit ihr vereinigt als Thoracico-acromialis. Sie geht vor der
Anheftuug des PectorcUis minor am Rabenschnabelfortsatz nach
aussen und oben, verbirgt sich unter dem Clavicularursprung des
Deltamuskels, schlägt die Richtung gegen das Akromion ein, giebt
der Kapsel des Schultergelenks Zweigchen, und sendet mehrere
Rami acromiales zur oberen Fläche der Schulterhöhe, welche mit
den Verästlungen des Ramus acromialis der Arteria transversa scaptdae
das Bete acromiale bilden.
c) Die Arteria thoracica longa läuft an der seitlichen Brust-
wand auf dem Serratus anticvs major mit dem Nervus thoracicus
longus herab, verliert sich grösstentheils im Muscvltis serraius anticus
major, und mit zwei bis drei Zweigen in der Mamma.
d) Die Arterias subscapulares. Sie kommen in variabler Menge
und Stärke vor. Ihre Bestimmung drückt ihr Name aus. Gewöhnlich
sehe ich zwei bis drei obere kleinere, und eine untere grössere.
Letztere theilt sich in zwei Aeste: a) Bamua thorcusico-doraaUa, welcher
parallel mit dem äusseren Schulterblattrande herabsteigt, und sich in den unteren
Zacken des SerrcUus anticus major und den Rippenursprüngen des LaUasimus dorn
yerliert. ß) Arteria drcumflexa »capulae. Diese schlägt sich, zwischen Muacuiui
tuhacapularia und Teres major, um den äusseren Band der Scapula, und geht zu
den Muskeln in der Foaaa mfraspinata.
e) Die Arteria drcumflexa humeri anterior, welche vor dem
CoUvm chirurgicum humsri, und
f) die weit stärkere Arteria drcumflexa posterior, welche hinter
demselben dicht am Knochen verläuft, das Schultergelenk und die
darüber wegziehenden Muskeln versieht, und mit der drcumflexa
anterior anastomosirt.
§. 400. Verästlung der Armarterie.
Ist die Arteria axillaris am unteren Rande des Pectoralis major
aus der Achselhöhle hervorgetreten, so heisst sie Armarterie,
Arteria hracMalis, und verläuft im Svlcus hidpitalis internus gegen
den Ellbogen weiter. Sie wird von zwei Venen begleitet. Im oberen
Drittel des Oberarmes hat sie den Nervus medianus an ihrer vor-
deren, den Nei'vus ulnaiis an ihrer inneren Seite. Im Herabsteigen
§. 400. VerftüilaDg der Armarterie. 991
gegen den Ellbogenbug entfernt sich der Mediannerv etwas von
ihr nach innen zu^ was der Nervus vlnaris schon höher oben thun
muss^ da er zur hinteren Seite des Ellbogens zu gehen hat. In
der ganzen Länge des Suhus bicipitalü wird sie nur durch Haut
und Fascie bedeckt; im Ellbogenbug dagegen versteckt sie sich
unter dem Lacertus ßbrosus, welchen die Sehne des Biceps zur
Vagina antibrachü sendet. — Ausser einigen kleineren, an un-
bestimmten Stellen entspringenden Muskelästen, erzeugt sie folgende
Zweige:
a) Die Arteria profunda hrachii, Sie entspringt in gleicher
Höhe mit dem unteren Rande der Sehne des Terea major j geht mit
dem Nervus radialis durch die Spalte zwischen dem mittleren und
kurzen Kopf des Triceps zur äusseren Seite des Oberarmknochens,
giebt dem Triceps Zweige, aus deren einem die Arteria nutritia
humeri entspringt, und verläuft sodann hinter dem Ligamentum inter-
muscvlare extemum als Arteria coUateralis radialis herunter zum
Ellbogen, wo sie gewöhnlich in einen vorderen und hinteren End-
zweig zerfallt.
Der vordere durchbohrt das Ligamentum hUermusculare e^eiemum von hinten
nach vom, und anastomosirt mit dem Ramua recurrens der Radialarterie, der
hintere mit der gleich zu erwähnenden CoüatereUia tUnaria inferior.
h) Die Arteria coUateralis ulnaris superior entspringt nahe unter
der Arteria profunda hrachii, und folgt dann dem Nervus vlnaris,
Sie giebt dem Musculus brachieUis internus und triceps Zweige, und ana-
stomosirt in der Furche zwischen Chndylus humeri internus und Olekranon, mit
dem Bamus recurrens poeterior der Ulnararterie.
c) Die Arteria colUUercdis ulnaris inferior entsteht in geringer
Höhe über dem Condylus internus, gegen welchen sie ihre Richtung
einschlägt.
Sie versorgt die von diesem Condjlus entspringenden Muskeln, besonders
die oberflächlichen derselben, anastomosirt mit dem Ramus recurrens anterior der
Ulnararterie, und umgreift dann den inneren Band des Oberarmknochens, um an
der hinteren Fläche desselben mit einem Endzweige der Profunda hrachii über
der Fossa supratrocJUearis posterior zusammenzufliessen. Dieses Umstandes wegen
heisst sie bei den englischen Anatomen: Arteria anastomotica.
Die sub a), h) und c) angeführten Arterien unterliegen, hinsichtlich ihres
Ursprunges, mancherlei Varianten. Morphologisch bedeutsam ist eine seltene
Variation^ wo a), h) und c) aus einem kurzen gemeinschaftlichen Stamme hervor-
treten, welcher überdies noch die Circumflexae humeri und die Circumflexa
scapulae erzeugt. Dieser gemeinschaftliche Stamm erscheint dann fast ebenso
stark wie die Arteria brachialis selbst, welche, da ihr so zu sagen alle für den
Oberarm abzugebenden Aeste durch jenen Stamm abgenommen wurden, unver-
zweigt zum Ellbogen herabsteigt. Dieses Verhältniss ist aber an der unteren
Extremität zur Segel erhoben, da alle fUr den Oberschenkel bestinmiten Zweige der
Arteria cruralis aus Einem Mutterstamme (Arteria profunda femoris, §. 410) her-
vorgehen.
992 %-4(n. Vcr&stlang der Vorderarmarterien.
Im Ellbogen liegt die Arteria hracMalü auf dem unteren Ende
des Musculus bracliialis internus, an der inneren Seite der Sehne
des Biceps, und theilt sieh in der Höhe des Processus coronoideus
vlnae in die beiden Schlagadern des Vorderarms: die Armspindel-
und Ellbogenarterie.
Kommt am Oberarmbein ein Processus supracondylotdeus vor
(§. 137)^ so liegt die Arteria brachiaiis mit dem Nervus mecUanus
hinter ihm, auf welches Vorkommen der Operateur, bei Unter-
bindungen der Arteria brachiaiis am unteren Ende des Oberarms,
Acht zu nehmen hat.
Nenn bis zehn Linien über Ihrer Theilnng, sendet die Arteria bmehialig
von ihrem inneren Rande eine kleine, aber constante Schlagader ab, welche unter
dem LiicerUu fibrosus der Bicepssehne, zu der am Condylua internus hunteri ent-
springenden Muskolmasse zieht, und den Nervu« mediantu hiebe! kreuzt. Grube r
beschrieb sie als Arteria plicae cubiti superficiali», Sie ist darum interessant, weil
sie, bei starker Entwicklung, entweder eine Arteria mediana superficicUis, oder
Arteria idnaris superficial Ut, darstellt. — lieber die Varietäten der ang-e führten
Aeste der Arteria hrachialia handelt A. Haller, dissert. de arteria brachial!.
Gott., 1745.
§. 401. Verästiung der Vorderarmarterien.
Die Armspindel- und die Ellbogenarterie verbleiben im
weiteren Verlaufe an der inneren Seite des Vorderarms. In der
Hohlhand verbinden sie sich zum hoch- und tiefliegenden Arcus
volaris, aus welchem die Weichtheile der Hohlhand versehen werden,
und die Fingerarterien entstehen. Die Ellbogenarterie giebt bald
nach ihrem Ursprünge die Zwischenknochenarterie ab.
A) Die Armspindelarterie, Arteria radialis, liegt in der
oberen Hälfte des Vorderarms zwischen Supinator longus und Pro-
nator* teres, in der unteren aber zwischen Supinator longus und Flexor
carpi radialis. An ihrer äusseren Seite befindet sich der Nervus
radialis superficialis. Gegen die Handwurzel zu, wendet sie sich
zwischen dem Processus stt/loideus radii und dem Os scaphx>ideum
auf den Rücken der Hand, wo die Sehnen des Abductor pollids
longiis und Extensoi* brevis über sie wegziehen, und dringt zwischen
den Basen der Ossa metacarpi des Daumens und des Zeigefingers in
die Hohlhand ein, um mit dem tiefen Hohlhandast der Ellbogen arterie
den tiefen Hohlhandbogen, Arcus volaris profundus, zu bilden.
Sie giebt, von ihrem Ursprünge bis zum Ucbcrtritt auf den Hand-
rücken, folgende Aeste ab:
a) Den Eamus recurrens radialis. Er läuft zwischen SupincUor
longus und brevis zum Condylus humeri extemus zurück, und anastomo-
sirt sofort mit dem vorderen Endast der Arteria profunda hrctcktL
S. 401. Yer&stlang der Vordenimiarterien. 993
b) Kamt muscidares. Sie gehören den Muskeln, zwischen
welchen der Stamm der Arterta radialis hinzieht. Einer derselben
erzeugt die Arteria nutritia radii.
c) Den Ramus volaris superficialis, dessen Kaliber und Ursprung
vielen Schwankungen unterliegt. Gewöhnlich entsteht er in der
Höhe der Insertion des SupincUor longtis, und geht, über dem queren
Handwurzelband, zu den Muskeln des Daumenballens, in welchen
er sich entweder gänzlich verliert, oder mit einer über diese
Muskeln weglaufenden Fortsetzung, den Arcus volaris svblvmis (§. 402)
bilden hilft. In letzterem Falle wird er zuweilen so stark, dass man
ihn auf dem Daumenballen pulsiren sehen und fühlen kann.
Auf dem Handrücken entstehen aus der Arteria radialis:
a) Ein Ramus carpi dorsalis. Er verzweigt sich auf der Rücken-
seite der Handwurzel, und bildet mit den Endverzweigungen
der Interossea externa das Rete carpi dorsale,
ß) Die Artetia interossea dorsalis prima, Sie löst sich in drei
Zweige auf: für beide Seiten des Daumens und die Radial-
seite des Zeigefingers.
In die Hohlhand eingetreten, giebt die Arteria radialis, bevor
sie mit dem tiefliegenden Hohlhandast der Arteria vlnaris zum
Arcus volaris profundus (§. 402) bogenförmig zusammenfliesst, die
Arteria digitalis communis volaris prima ab. Diese verläuft unter der
Sehne des Flexor poüicis longus, am Os metacarpi pollicis bis zu
dessen Capitulum, und theilt sich, nachdem sie die Arteria volaris
indids radialis abgegeben, in die Arteria volaris pollicis radialis
et vlnaris.*
Varietäten schUdert eingehend W. Q ruber: Zar Anat. der Ärteria radialig,
im Archiv fUr Anat und Phys. 1864.
B) Die Ellbogenarterie, Arteria vlnaris, begiebt sich unter
der ersten und zweiten Schichte der vom Condylus humeri internus
entspringenden Muskeln zur Ulna, wo sie zwischen Vlnaris internus
und den Fingerbeugem zur Handwurzel herabsteigt. Auf diesem
Wege hat sie den Nervus vlnaris an ihrer inneren Seite. Ueber dem
queren Handwurzelband zieht sie, am Os pisiforme vorbei, zur Hohl-
hand, wo sie sich in den oberflächlichen und tiefliegenden
Endast spaltet. Der oberflächliche Ast bildet mit dem gleichen Ast
der Arteria radialis den hochliegenden, der tiefliegende Ast aber
mit dem Ende der Arteria radialis den tiefliegenden Hohlhand-
bogen. Bis zu ihrer Spaltung erzeugt sie:
a) Zwei Raml recurrentes ulnares, einen anterior und posterior.
Der anterior zieht in der Furche zwischen Pronator teres und BrachialU
intemut zum inneren Condylus humeri hinauf, wo er mit der CoUatercdis ulnaria
inferior anastomosirt Der posterior, stärker als der anterior, geht hinter dem
Oondylui nUemue humeri auf die CMlaterali» ulnaris euperior zu, mit welcher er
Hjrtl, L«krbBck d«r Aniktomi«. 14. Attfl. 63
994 S- 402. Die beiden Hoblhitndbogon.
zusammenmündet. Durch die erwähnten mehrfachen Anastomosen der üami
coUaUralea der Armarterie mit den Ramis recurrenHlnu der Vorderarmarterien
kommt um das Ellhogengelenk herum ein weitmaschiges Netz zu Stande — das
EeU cuhiU.
ß) Rami mtLsadares zu ihrem Muskelgeleite, deren einer die Ar-
teria nutritia tUnae erzeugt.
7) Die Arteria interossea antibrouJm communis, welche gleich nach
ihrem Abgange in die Interossea externa et interna zerfUllt.
Die externa (auch perforaru* auperiorj durchbohrt die Membrana interotsea,
sendet hierauf einen Ranws recttrren» zur hinteren Gegend des Ellbogens hinauf,
bleibt aber nicht auf der Aussenfläcbe des Zwischenknochenbandes, sondern er-
hebt sich von ihr, indem der Mnscuhu abductor und exlenaor paUicü longiu sich
unter sie einschieben, theilt allen Aussenmuskeln des Vorderarms Aeste mit, und
erschöpft sich dadurch so sehr, dass am Carpus nur ein unbedeutendes Gef&ss
übrig bleibt, w^elches mit dem Hamus carpi dortcUi» der Radialarterie das Hele
carpi dortale erzeugen hilft. — Die interna geht mit dem Nervtu interoaseu*
mtemus dicht am Zwischenknochenbande bis zum oberen Rande des Pronator
quadratu» herab, giebt den tieferen Muskeln des Vorderarms Zweige, verbirgt sich
unter dem Pronator quadrahiSf und geht, nachdem sie einen Ast zum Bete carpi
volare abgegeben, durch das Liyamientum interosteum zur Aussenseite des Vorder-
arms, wo sie im Rete caipi dar9{Ue untergeht. Dieses Endstück der Arteria inter-
ossea heisst perforaiut inferior,
3) Den Ramus dm^salis, welcher zur Erzeugung des Rete carpi
dorsale vei'wendet wird.
§. 402. Die beiden Hohlliaiidbogeii.
Der 0 b e r f 1 ä e h 1 i c h e H o h 1 h an d b o g e n , Arcxts volaris sublimis,
dessen Oonvexität gegen die Finger gerichtet ist, liegt zwischen der
Aponeurosis palmaris und den Beugesehnen der Finger, einen halben
Zoll vom Ligamentum carpi traiisversum entfernt. Er entsteht durch
die Anastomose der oberflächlichen llohlhandäste der Ulnar- und
Aadialarterie, von welchen der crstere viel stärker als der letztere
zu sein pflegt, weshalb sich der Bogen ^^^en die Radialseite ver-
jüngt. Nur in jenen Ausnahmsfallen, wo der oberflächliche Hohl-
handast der Radialarterie stark entwickelt ist, muss auch der Arcus
volaris superficialis ein durchaus gleichweiter Gefassbogen sein. Aus
seiner convexen Seite entspringen, nebst übergehenswerthen Zweig-
chen tur die Haut und die kleinen Muskeln der Hohlhand, drei
Arteiiae digitales volares communes, die zweite, dritte und vierte,
welche zwischen den Scheiden der Beugesehnen gegen die Finger
laufen, wobei jede sich gabelförmig in zwei Zweige theilt (Artei*iae
digitales wolares propriae), welche an den einander zugekehrten Flächen
§. 402. Die beiden Hohlhandbogen. 995
je zweier Finger bis zu deren Spitze verlaufen. Die beiden Arteriae
volares propricte Eines Fingers anastomosiren durch wandelbare
Querbögen oberhalb der Fingergelenke, und gehen an der Tast-
fläche des dritten Gliedes bogenförmig in einander über.
Die erste Arteria digüalia communis volarU entstand, wie in §. 401, A, an-
gegeben warde, aas der yom Handrücken in die Hohlhand eingetretenen Arteria
radialis. Sie versorgte die Radialseite des Daumens, nnd die einander zugekehrten
Seiten des Daumens und Zeigefingers. Die grosse Abductionsfähigkeit des Daumens
scheint es zu verlangen, dass seine Arterien nicht aus dem Arcus volaris sublimis,
wie jene der übrigen Finger entspringen. Die Ulnarseite des kleinen Fingers
erhAlt ihre Schlagader aus dem tiefliegenden Hohlhandaste der Arteria tänaris.
Es bleiben somit die einander zugewendeten Seiten der vier Finger übrig, welche
aus dem Arcfts volaris sublimis ihre filutzufuhr zu erhalten haben, nnd für diesen
Zweck genügen die oben genannten drei Arteriae digitales communes volares des
oberflächlichen Hohlhandbogens.
Der tiefliegende ^ohlhsLudho gen, Arcus volaris profundus,
ist schwächer und weniger convex, als der sublimis, liegt auf den
Bases ossium metacarpi, und gehört mehr der Arteria radialis als der
ulnaris an. Er sendet nur drei Arteriae interosseae volares ab^ welche
den Interstitiis interosseis der vier Finger entsprechen^ und die Rami
interossei perforantes zum Handrücken schicken^ wo sie in das Rete
carpi dorsale übergehen.
Das lieU carpi dorsale g^ebt die zweite, dritte und vierte Arteria interossea
dorsalis ab, da die erste aus dem Handrückenstück der Arteria radialis entsprang.
Die erste Interossea externa (§. 401. A. ß) theilte sich in drei dorsale Finger-
zweige. Jede der übrigen drei Interosseae extemae theilt sich, zwischen je zwei
Fingern, in zwei Arteriae digitales dorsales, welche viel schwächer als die volares
sind, und nur bis zum zweiten Fingergliede sich erstrecken.
Die Enden der Arteriae interosseae volares anastomosiren gewöhnlich mit
der Spaltung^stelle der Arteriae digitales volares communes in die Digitales propriae,
Ist eine Arteria digitalis communis schwach, so wird die mit ihr anastomosirende
interossea volaris um so stärker, was am Zeige- und Mittelfinger gewöhnlich der
Fall ist.
Der hoch- und tiefliegende Hohlhandbogen sind ohne Zweifel in der Ab-
sicht geschaffen worden, dass bei Compression des hochliegenden fiogens während
des Anfassens und Festhaltens harter Gegenstände, der tiefliegende die Circulation
in den Weichtheilen der Hand übernehme. Der tiefliegende Hohlhandbogen kann
bei dem genannten Gebrauche der Hand nicht comprimirt werden, da alle Sehnen,
welche die Finger zum Faustschluss beugen, sich während dieser Verwendung
von den Metacarpnsknochen, auf deren Basis der tiefe Hohlhandbogen liegt, etwas
erheben. — Doppeltwerden des Arcus volaris superficialis ist im Wiener Museum
mehrfach vertreten.
es»
996 §• ^8- Wichtige Abnormit&ten d«i Ursprangs der Vorderannarterien.
§. 403. Wichtige Abnonnitaten des Ursprungs der Vorderarm-
arterien.
Sie verdienen ihrer chirurgischen Bedeutsamkeit wegen, eine
besondere Schilderung.
Jede der drei Vorderarmarterien kann ausnahmsweise höher
als im Ellbogen^ also schon am Oberarm^ selbst in der Achselhöhle,
ihren Ursprung nehmen. Am häufigsten betrifi^t der hohe Ursprung
die Artef^ia radialis, und zwar meist im oberen Drittel des Ober-
arms, — sehr selten schon in der Achselhöhle.
Unter vierundzwanzig Fällen von hohem Ursprung der Vorderannftrterien,
die ich aufgezeichnet habe, betreffen achtzehn die Arteria radiaiia. Diese An-
ordnung wurde sogar, nach einer Bemerkung von Wo 1 ff (Ob^. nied. chir, pac/, 64j,
von Biddloo für die regelmässige gehalten. Da man in den anatomischen
Museen die Fälle von hohem Ursprung der Vorderarmarterien aufzubewahren
pflegt, so kann es wohl kommen, dass man mehr abnorme als normale Specimina
daselbst antrifft. Biddloo^s Irrthum wäre somit erklärlich.
Die hoch entsprungene Arteria radialis liegt an der inneren
Seite der Arteria brachiaJis, geht aber bald über sie weg zu ihrer
äusseren. Sie bleibt eine Strecke weit unter der Fasda brachii, wird
erst im weiteren Verlaufe subcutan, geht über den Lacertus fibrosus
der Bicepssehne weg, kreuzt sich mit den Hautvenen des EUbogen-
buges^ und kann deshalb bei Aderlässen verletzt werden. Ihre
oberflächliche Lage ist der Grund, warum sie die Arteria recurrens
radialis in der Regel nicht abgiebt. Diese entsteht vielmehr aus der
Arteria vlnaris, oder seltener aus der Arterixi interossea.
Als Uebergang zum hohen Ursprung der Arteria radialis kann
jener Fall angesehen werden, wo aus der Arteria brachicUis ein
überzähliger Ast, von Hall er Vas aberrans genannt, entspringt,
welcher entweder weiter unten wieder in die Brachialis einmündet^
oder mit ihr nur durch einen Verbindungszweig anastomosii*t, und
dann zur Arteria radialis wird.
Ist die Arteria ulnaris das hoch entspringende Geföss, so fallt
ihr Ursprung meistens noch in das Gebiet der Achselhöhle. Ich
besitze nur einen Fall (rechter Arm eines Kindes), wo sie aus der
Arteria profunda brachii entspringt. Die hoch entstandene Arteria
vlnaris geht in der Regel über die vom Condylus internus humeri
entspringende Muskelmasse weg, und lagert sich erst unterhalb dieser
in die Furche zwischen Ulnaris internus und Flexor digitorum sublimis,
Sie giebt nie die Arteria interossea ab. — Der hohe Ursprung der
Arteria interossea ist viel seltener als jener der Arteria radialis und
tUnaris.
{. 404. lesie der »biteigenden BrustMrta. 997
Aüch die zuweilen vorkommende Vervielfliltigung der Vorder&rmarterien
gehört hieher. Sie erscheint entweder als Daplicität einer normalen Schlagader, wie
ich an der Ärteria radialw sah, welche schon auf dem Supinator brevia sich in
zwei Aeste theilte, die sich als Raiaua volaria und doraoLut im weiteren Verlaufe
herausstellten, oder es kommt zu den reg^ären drei Vorderarmarterien eine
Schlagader hinzu, welche aus Aet Arteria vrUeroasea oder ulnari» entspring^ und
an dem Nervus medianiu zum Carpus herabläuft, wo sie über oder unter dem
Ligamentum tremsveratim carpi in den Arcwt volaria aublimia übergeht. Man kann
sie immerhin Arteria mediana nennen, obwohl sie nicht immer an den Nervua
mediantta gebunden ist In Fällen, wo die Arteria radialia ungewöhnlich schwach
ist, und nicht bis zur Hand gelangt, sah ich die Arteria mediana oberhalb
des Carpus rechtwinklig zur Speiche ablenken, und als Arteria radialis weiter
verlaufen.
Der Nervua medianua wird regelmässig von einer feinen Arterie begleitet,
welche ein Ast der Ulnaris oder Interossea ist. Die früher als Arteria mediana
angeführte Anomalie, lässt sich sonach als ein höherer Entwicklungsgrad eines
normal vorkommenden Gefösses auffassen. Grub er nennt dieses Gefäss: Arteria
mediana profunda, da seine im §. 400 erwähnte Arteria plicae cubüi, bei ab-
normer Entwicklung, die Arteria mediana super/icialia darstellt. — Es muss
noch erwähnt werden, dass auch der Ursprung der Arteria mediana höher rücken,
und auf die firachialis, selbst auf die Axillaris fallen kann.
Der hohe Ursprung und der oberflächliche Verlauf der Vorderarmarterien
scheinen das Bestreben auszudrücken, die Arterien der oberen Extremität den
Venen zu verähnlichen, indem die hoch entspiiingene Arteria rtidialia der Vena
cephalica, und die hoch entsprungene Arteria uinaria der baaiUca entspricht. Bei
gewissen Operationen in der Verlaufssphäre dieser GefKsse, soll der Chirurg von
dem möglichen Vorhandensein dieser Anomalien wohl unterrichtet sein.
C, G. Ludwig, de variantibus arteriae brachialis ramis. Lips., 1767. —
F. Tiedemann, über die hohe Theilung der Armschlagader, im 6. Bande der
Münchner Denkschriften, und dessen Suplementa ad tabulaa arteriarum. 1846. —
J. F. Meckel, im 2. Bande des deutschen Archivs für Physiologie. — H. Meyer,
über die Arteria mediana antibrachU und die Arteria artictilaria m^iana cubiti,
in HenU'a und Pfeuffer'a Zeitschrift. 7. Bd. 2. Heft — Langer, Varietät der Ar-
teria brachialia, in der Zeitschrift der Wiener Aerzte. 1851. Mai. — A. Baader,
Varietäten der Armarterien. Bern, 1866. — Zahlreiche Beobachtungen über Varie-
täten der Brachialis und ihrer Aeste verdanken wir Oruber, Sie sind theils im
Archiv für Anatomie, theils in der Österr. Zeitschrift fUr praktische Heilkunde
enthalten. — Sehr reich an Beobachtungen ist die Abhandlung von C. Qiacommi:
Della prematura divisione dell* arteria del bracdo. Torino, 1874. Con 5 tavole.
§. 404. Aeste der absteigenden Brustaorta.
Die Aorta thoracica descendens giebt viele, aber meist kleine
Schlagadern ab, und behält deshalb in ihrem Laufe so ziemlich
gleiches Kaliber. Ihre Aeste sind theils für die Organe im hinteren
Mittelfellraume, theils für die Brustwand bestimmt. Diese Aeste sind:
a) Die zwei Arteiiae bronchiales posteriores. Sie treten zur
hinteren Wand der Luftröhrenäste, und begleiten sie durch das
Lungenparenchym. Da die Aorta auf der linken Seite liegt, so wird
998 I* *M. A«*t« der ftb«toifeo4«n BnutaorU.
die Arteria broncfdalü dextra häufig nicht aus ihr, sondern aus der
dritten oder vierten Arteria intercostalis dextra entstehen.
Die sehr wandelbaren Bronehialu anteriore» entstehen, wie im §. 398, b)
Migeftihrt wurde, ans der Mammaria intema. Schon Hall er hatte es g^ekannt,
dass die Ärteriae brcnchiaU» im Lungenparenchym kein abgeschlossenes, f&r sich
bestehendes nntritives GefHsssjstem der Lunge bilden, sondern mit den Ver-
zweigungen der Arteria piUmonaU» in anastomotiscbe Verbindung treten. Ich ertialte
durch isolirte Injection der Ärteriae bronchiale*^ das respiratorische Gefissnetz der
VetieuUu aXreat eben so gefüllt, als wenn die Injection durch die Arieria jpmbno-
nali» gemacht worden wäre. — Es kommt vor, dass beide hintere Bronchial-
arterien aus einem nnpaaren Stämmchen entstehen.
h) Zwei bis vier Ärteriae oesophzgeae. Ein Zweig der letzten
geht mit dem Oesophagus durch das Zwerchfell^ und anastomosirt
mit einem entgegenkommenden Aste der Arteria coronaria ventri-
eidi sinistra.
c) Einige feine Zweige (Ärteriae mediaetinicae) zu der Pleura
des hinteren Mittelfellraumes, b) und c) geben dünne Reiserchen
zur hinteren Herzbeutelwand, als Ärteriae pericardiacae posteriores.
d) Die Arteriös intercostales (posteriores). Da die Arteria sub-
clavia durch den Trunctis costo-cervicalis bereits die beiden oberen
Spatia intercostalia versorgte, so werden für die Aorta nur die neun
folgenden Zwischenrippenräume übrig bleiben. Da man aber die am
unteren Rande der letzten Rippe verlaufende Arterie, obwohl gegen
alle Sprachrichtigkeit, noch als intercostal bezeichnet, so wird die
Aorta zehn Paare Ärteriae intercostales abgeben. Die linken werden,
wegen Hnkseitiger Lage der Aorta, kürzer als die rechten sein.
Am Beginn des Zwischenrippenraumes theilt sich jede Arteria
intercostalis in einen Ramm dorsalis und Ramus intercostalis. Der
Ramus dorsalis geht zwischen je zwei Querfortsätzen zur Rücken-
muskulatur, und schickt durch das Foramen intervertebrale einen Ast
zur Medvlla spinalis und deren Häuten. Dieser Ast verhält sich
wie die Rami spinales der Arteria vertebralis. Der Ramus intercostalis
läuft gegen den unteren Rand der nächst oberen Rippe, und im
Sulcus costae nach vorn gegen das Brustbein. Er sendet zum oberen
Rande der nächst unteren Rippe einen schwachen Ramus supra-
costalis. Dieser und der eigentliche Ramus intercostalis anastomosiren
mit den Aiieriae intercostales anteriores von der Mammaria interna,
— Die Artenae intercostales versorgen nicht blos die beiden Zwischen-
rippenmuskeln, sondern auch den Pectoralis, Serratus anticus major,
und die Costalursprünge der Bauchmuskeln. Beim Weibe gehen aus
der dritten bis sechsten Artena intercostalis stärkere Aeste für die
Brustdrüse hervor.
Die Ursprünge je zweier Ärteriae intercoataUa rücken an der hinteren Peri-
pherie der Aorta um so näher zusammen, je tiefer sie stehen. — Abweichungen
greifen insofern Platz, als mehrere Ärteriae intercrnttUee (zwei bis drei) aus einem
S. 405. Unpaaro Aeite der BanchaorU. 999
gemeinschaftlichen Stamme entspringen können, welcher, wie die Arieria intercoatalU
suprema, vor den Rippenköpfcheii herabsteigt, und in den betreffenden Jntercostal-
räamen einen Ast zurücklässt. Auch ist es nicht ungewöhnlich, dass eine starke
Arteria intercoatalis, nachdem sie schon eine Strecke im Rippensulcus verlief, sich
über die nächst untere, oder Über zwei folgende Kippen schräg herabsenkt. —
Die letzte Arteria intercoatalis könnte besser costo-lunihalis genannt werden. Es
wäre richtiger, sie, weil sie unter dem Rippenurspmnge des Zwerchfells verläuft,
den Aesten der Bauchaorta als Arteria lumbali* pritna zuzuzählen. — So lange
eine Zwischenrippenarterie im hinteren Theile des Sulcus cottalis eingebettet lieg^
ist sie durch dessen längeres Labium extemum vor Verwundung hinlänglich ge-
sichert. Nach vorn zu, wo der Sulcus verstreicht, wird ihr Kaliber so klein,
dass ihre Verletzung unmöglich ernste Gefahr bringen kann. Es fehlt noch viel
zu sehr an authentischen Beobachtungen über wirkliche Verletzungen dieser Ge-
fässe^ und die vorgeschlagenen sinnreichen Methoden, ihnen zu begegnen, dürften
weniger am Lebenden bewährt, als am Cadaver versucht worden sein. — Die
oberen Arteriae irUercostales aus der Aorta, entspringen häufig tiefer als der Inter-
costalraum liegt, zu welchem sie gehen, und sind dann Arteinae recurrentes. Die
mittleren haben einen rechtwinkeligen Ursprung^ und die untersten einen etwas
spitzwinkeligen. Diese Regel, welche besonders bei Thieren mit vielen Rippen
in die Augen fallt, erleidet beim Menschen zahlreiche Ausnahmen. — lieber die
Verästlung der Rami spinales im Rückgratskanal siehe N. Rüdinger, über die
Verbreitung des Sympathicus. München, 1863.
§. 405. "Unpaare Aeste der Bauchaorta.
Von der Aorta abdominalis haben wir, auf der kurzen Strecke
vom zwölften Brustwirbel bis zum vierten Lendenwirbel, eine reiche
Phalanx unpaariger und paariger Aeste zu schildern. Die drei
unpaarigen entspringen aus der vorderen Peripherie der AoiiÄ, und
sind für die Verdauungsorgane, — die übrigen, seitwärts abtretenden,
für die paarigen Harn- und Gcschlechtswerkzeuge und für die Bauch-
wand bestimmt.
Die unpaarigen Aeste der Bauchaorta sind:
a) Die kurze Baucharterie, Arteria coeliaca. Sie führt seit
Riolan diesen Namen, welcher von ifj xoiXia, Bauchhöhle, stammt,
deren wichtigste Eingeweide sie versorgt. Dieser, einen halben bis
einen Zoll lange, starke, von den Nervenstämmon des Plexus coeliacus
dicht umstrickte Gefassstamm, entspringt aus der Aorta, während
diese noch zwischen den Schenkeln des Zwerchfells liegt, tritt über
den oberen Rand des Pankreas weg nach vorn und etwas nach
links, und giebt gleich nach seinem Ursprung die beiden unteren
Zwerchfellarterien, Arteriae phrefiicae, ab, welche auch zu einem
kurzen Stämmchen verschmolzen sein können. Die Arteriae phrenicae
verästeln sich, nachdem sie Zweige zur Nebenniere abgegeben, in
der Pars lumbalis und costalis diaphragnuitis, und anastomosiren da-
selbst mit einander, so wie mit den Arteriae intercostales und muscido'
phrenicae.
X
.*
1000 I. «s. ü
Der Stamm der Arteria coeliaca zerßült, wie Haller sich sob-
drUckt: tripodis ad instar, in drei divergirende Zweige:
1. ÄTteria coronaria ventricvli superior tinütra, linke obere
Mageakranzarterie. Sie läuf\ in der kleinen Curratur des Magens
von links nach rechts, und sendet an dessen vordere und hintere
Fläche ihre Zweige aus, welche mit der Arteria coronaria tuperior
dextra, den Arleriis coronarO» inferiorihus, and den Vatis hrevihus der
MUzarterie sehr zahlreich anastomosiren.
3. Arteria heptUica, Leberarterie. Sie dringt zwischen die
Blätter des Idgameiitum hepato-duadencUe ein, wo sie an der linken
Seite der Vetia portae liegt. Sie schickt zum kleinen Magenbogen
die mit der Arteria coronaria sinistra anastomosirende Coronaria
niperior dexfra, deren erster Nebenzweig als Arteria pylorica zum
Pförtner geht. — Ira Ligamentum hepato-duodenale zerfällt die Ar-
teria hepatica in einen auf- und absteigenden Ast von gleicher
Stärke.
Der aufsteigende ist der eigentlich fUr die Leber bestimmte
Ge&ssaat, Arteria hepaUca proprio.' T^r divergirt in der Leberpforte
t^ in zwei Zweige. Der stärkere Romas dexter giebt der Gallenblase
die kleine Arteria cyslica.
Der absteigende Ast findet im Magen und ZwölfUngerdarm
seine Auflösung, und heisst deshalb Arteria gastro-duodenalis. Kr
geht hinter dem oberen Querstück des Zwölffingerdarms herab, und
theilt sich ebenfalls in zwei Zweige:
, ^ aa) die Ärlavi pancrtatico-diiodfnalU , vrflvbe am conCST«n Bande Ati
^^ J^ J Duodenum mit einem ihr entgegenkomineiiden Ast der Maaiterica tuperior, welcher
Inferior dextra, welche
Arteria dnodenalit inferior heiast, im Boj^n »naBtomoHirt. Dieser Bogen venorft
das Duodenum und den Kopf des Pankreas.
^ ^ { an der grossen Magencurvatur zwischen den Blättern des grossen Netzes von
recliCs nach links läuft, dem Magen aufsteigende, dem Netze absteigende Aeale
siuchickt, tud mit der Arttria gailio-epiptoica linitira aus der Milzarterie zn-
samm enmllndet.
3. Arteria splenica, Milzarterie — der stärkste Zweig der
^^ coeliaca. Er zieht am oberen Rande des Pankreas nach links, giebt
ihm Zweige, und betritt, zwischen den Blättern des Ligamentum
gastro-lienale eingesehloBsen, den Hilug lienis. Er erzeugt, bevor er
in die Milz eingeht:
aa) Die Arteria ffogiro-epip/oica a. coronaria verUriciiH inferior a\i\itlra.t welche
der deOra entgegenläuft, um in sie eininmtlnden.
bh) Die Va»a brrvm ». Arl^riae gaitricat brtve», vier bis sechs, welche zum
Fandnt venlricuit treten, und eigentlich nur auf den Stapim der Milzarterie über-
setzte MagenSste der Arieria ffoitro-epiploica tiiiislra darstellen.
Die Gaetro-^ploica dextra et ainistra bilden am grossen Magen-
bogen durch ihre wechselseitige Zusammenkunft den Arcus arteriosut
1.409. Dupuis Ahm im Bkulimorta. 1001
^ ventriadi inferior, »o wie die beiden Coronariae lupmorea am kleinen
Magenbogen den Arcus arterionu guperior.
b) Die obere Darm- oder Gekrösearterie, Arteria mesen-
Urica i. mesaraica superior. Sie ist ctwaa stärker als die codiaca,
dicht unter welcher sie entspringt. Hinter dem Pankreas und dem
unteren Queratück des Duodenum geht sie zur Wurzel des Gekröses,
y in welchem sie einen, mit seiner Oonvexität nach links sehenden
, 1 Bogen besehreibt. Die Ernährung des unteren QucrstUcks des Duo-
sä denura, das ganze Jejunum, Ileum, Coecum, und das Colon mcendetu
\ ^el tranaveraum, fallt ihr anheim. Ihre Aeste, ungefähr zwanzig an
tO Zahl, lassen sich in zwei Gruppen eintheilen. Die eine entspringt
Jl ,J aus der convexen, die andere aus der coiicaven Seite des Bogens.
,5 •* Aus der convexen Seite des Bogens treten hervor:
j\J a) Die Arteria duodenali» inferior zum unteren Querstück des
j V Zwölftingerdarms und zum Kopf des Pankreas.
\ 5 ß) Die Arteriae j^unales et Üeae, vierzehn bis sechzehn an Zahl.
|! l Sie verlaufen zwischen den Blättern des Gekröses zu den
.y 5 DarmstUcken, deren Namen sie tragen. Jede derselben theilt
^*^., sich auf diesem Wege in zwei Zweige, welche mit den Zweigen
^ der nächsten bogcnfbrmig anastomosiren. Aus diesen Bogen
i ^ entspringen kleinere Aeste, welche abermals zu kleineren
> Bogen sich verbinden, und aus diesen ti-eten neuerdings bogen-
yi «förmig anastomosiren de Geftlsse hervor, so dass drei Bogen-
^ NW kategorien auf einander folgen, welche an den längeren Ar-
y j *A V teriae Üeae noch um eine oder zwei Bogenreihen vermehrt
>t \ y t werden können. Es zieht sich also durch das ganze Dünn-
^ Sv ^ darmgekröse ein aus übereinandel- aufgethürmten Gef^as-
NA^^arkaden construirtes Netz hin, aus welchem endlich viele
S S 2 ,a kurze Ranuäi inietlinalea entspringen , welche das Darmrohr
•i fcW^ umgreifen, und seine Häute mit ihren Reisern versorgen.
I V^. J Auf^ der concaven Seite des Bogens der oberen Gekrösarterie
< s fi4spriri<;eii viel weniger Zweige. Diese sind:
y^V jl- I^'ß Arteria üeo-colica. Sie zieht nach rechts und unten zur
^ ^ Einmündungsetelle des Dünndarmes in den Dickdarm, und
' j theilt sich in zwei Zweige. Der untere anastomosirt mit dem
^ \ * Ende des Stammes der Arteria mesenterica tupertor, der obere
' -, *l mit der Art^a colica dextra.
^2. Die Arteria colica dextra zum Colon ascendetis, und
5 ^ { 3. Die Arteria colica media zum Colon transversum. 2. und 3.
fcj ^f gehen aus einem gemeinschaftlichen Wurzelgefass hervor.
^, ., ]., -2. und 3. bilden untereinandeT ühDÜche Bogen wie die Arterien des
r ^ l DUandariDB, »lier grQsser, nnd nicht ao oft sich wiederholend. Am »ufeteigenden
4 f ^imd qaeren Colon Endet mui Öfter nnr eine ein&tehe Bo(renr«ihe. An den Winkeln,
j^^w^^nreh welche du mnfateig'ende Colon in du qnere, nnd du qnere in dM
1002 9- 406. Paarige Aeste der Banchaorta.
absteigende übergeht, kommt noch eine zweite, selbst eine dritte Bogenreihe hinzu.
— Die nur im frühesten Embryoleben vorfindliche Ärteria omphcUa-tnegaraica zur
Veaicula umbUicali9f ist ein Ast der Meaenterica guperior. Bei allen blindgebomen
Säugethieren findet sie sich noch um und nach der Geburtszeit, bis zum Nabel
offen und wegkam. Ich habe sie auch im geborenen Menschen vorhanden und
wegsam gefunden. Sie verlor sich im geraden Bauchmuskel. Das betreffende
Präparat — ein Unicum — wurde von mir in der Osterr. Zeitschrift für prakt.
Heilkunde, 1859, Nr. 10, beschrieben.
c) Die untere Darm- oder Gekrösarterie, Arteria mesen-
terica inferior, entspringt ungefähr einen Zoll über der Theilungs-
stelle der Aorta in ihre beiden Hauptäste (Arteriae iliacae communes).
Sie spaltet sich alsogleich in zwei Zweige, deren einer als Colica
sinistra zum Colon descendens, der andere, als Arteria haemorrhoidalis
superior, zur Oiirvatura sigmoidea und zum Mastdarm geht. Die
Zweige dieser Aeste zeigen dieselben bogenförmigen Anastomosen-
reihen, wie sie bei der Mesenterica superior angegeben wurden.
Den Beinamen haemorrhoidales, führten ursprünglich nur die Venen des
Mastdarms, und besonders jene, welche bis zum After herabreichen. Da aus ihnen
das Blnt kommt, welches sich beim sogenannten Hämorrhoidalfluss ergiesst (alp-a,
Blut, ^/ü>, fliessen), mag diese Benennung hingehen. Die Arterien des Mastdarmes,
welche sich an dieser Blutung nicht betheiligen, erhielten erst später den Namen
haemorrhoidales, nur den Venen zu liebe, welche sie begleiten.
§. 406. Paarige Aeste der Bauchaorta,
a) Die Nebennierenarterien, Arteriöse suprarenales, ge wöh n-
lich zwei Paare, nicht erheblich.
b) Die Nierenarterien, Arterias renales (emulgentes bei Be-
rengarius Carpensis), entspringen einen Zoll unter der Arteria
mesenterica superior, die linke unter einem rechten, die rechte, wegen
tieferer Lage der rechten Niere, unter einem mehr spitzigen Winkel.
Sic geben einen stärkeren Ast zum Nierenfett (Arteria capsidaris),
und kleine Zweige zum Nierenbecken und zum Harnleiter.
lieber bisher unbeachtet gebliebene Verhältnisse der Nierenarterie, über ihre
Bami perforanten und recurrentea, so wie über die Rami niUrientes für das Nieren-
becken, giebt Näheres meine Abhandlung: Das Nierenbecken des Menschen und
der Säugethiere, im XXXI. Bd. der Denkschriften der kais. AkaiL
c) Die inneren Samenarterien, Arteriös spermaticae intei-nae.
Nur die linke entspringt unter einem sehr spitzigen Winkel aus der
Aorta, nahe an der linken Nierenschlagader, die rechte dagegen
gewöhnlich aus der rechten Arteria renalis. Beide laufen in Be-
gleitung der gleichnamigen Venen neben den Harnleitern gegen das
Becken herab, gehen beim Manne vor den Vasis iliasis zum Leisten-
kanal, werden in den Samenstrang aufgenommen, und erreichen
mit vielen rankenförmigen Krümmungen den Hoden, in dessen
§. 4(Mt. VsLATigc Aesto der Banchaorta. 1003
Parenchym sie untergehen. Beim Weibe dringen sie vom Seiten-
rande des Beckeneingangs in die breiten Mutterbänder ein, und be-
geben sich zum Eierstock, wo sie aber nicht endigen, sondern sich
bis zum Seitenrande der Gebärmutter erstrecken, und mit der Ar-
teria uterina anastomosiren. In beiden Oeschlechtern geben sie feine
Reiser zum Harnleiter, zum subserösen Bindegewebe des Bauchfells,
und zu den Lymphdrüsen der Lenden. Sehr oft sind sie auf beiden
Seiten doppelt, eine obere stärkere, und drei bis fünf Linien tiefer,
eine untere schwächere. Die Arterias spermaticae, und ihre be-
gleitenden Venen, fuhren, in Ansehung der hochwichtigen Secretion,
welcher sie zu dienen haben, bei älteren Anatomen den Namen Va^a
praeparantia, was doch im Grunde alle Secretionsgefösse sind.
d) Die Lendenarterien, Arteriae lumbales. Es finden sich
nur vier Paare derselben. Sie entspringen, wie die unteren Arteriae
intercostales, aus der hinteren Peripherie der Aorta, und gehen hinter
den Schenkeln des Zwerchfells, und hinter dem Psoas major, nach
aussen zu den Zwischenräumen je zweier Processus transversi (Pro-
cessus costarii) der Lendenwirbel. Jede Lendenarterie theilt sich in
zwei Zweige:
«) Der Ramus posterior entspricht dem üamus dorsalis einer Zwischen-
rippenarterie, sendet einen Ramua apinalU durch das Foramen intervertebrcde zara
Rückenmark und dessen Hüllen, und löst sich in den Rückenmuskeln auf.
ß) Der BamiM anterior wiederholt typisch den Ramwt intercoatali» einer
Zwischenrippenarterie. Er durchbricht den Qwidratun lumborum, und gehört den
breiten Bauchmuskeln. Alle Hami anteriores Einer Seite anastomosiren unter
einander, der erste überdies noch mit der Intercostalis uUiTna, der letzte mit der
Arteria üeo-lumhftlis aus der Hypogastrica, und der Circtimßexa ilei aus der
Cruralis.
Wird die unter der letzten Rippe verlaufende Arterie nicht als Intercostalis
ultima (Sömmerring), sondern als Arteria lumhalis prima gezählt (Hai 1er),
»o müssen fünf Lendenschlagaderpaare angenommen werden, welche aber nicht
mit den fünf Lendenwirbeln übereinstimmen, da die Arteria lumhalis prima dem
letzten Brustwirbel entspricht.
Die Aorta abdominalis nimmt, durch die Abgabe so vieler und
grosser Aeste, an Volumen bedeutend ab, und theilt sich vor dem
vieiiien Lendenwirbel in die beiden Arterias iliacae communes, welche
gabelförmig unter einem spitzen Winkel (65 Grad beim Manne,
75 Grad beim Weibe, wegen grösserer Amplitudo pelvis) divergiren.
Sie gehen zur Seite des ftlnften Lendenwirbels, einwärts vom Psoas
major, gegen die Si^mphysis sacro-iliaca herab, werden vom Ureter
gekreuzt, und geben gar keine nennenswerthen Aeste ab. Sie
können, wegen der Lagerung der Aorta auf der linken Seite der
Wirbelsäule, nicht gleich lang sein. Die rechte muss etwas länger
sein als die linke. In gleicher Höhe mit der Knorpelscheibe zwischen
1004 §. 407. VerftstlQDg der B«ck«iiart«rie.
dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein^ theilt sich jede Ar-
teria üiaca communis in die Arteria hypogastrica und Arteria crurcdis.
Die zwischen beiden Arteriae iliacae communes liegende Arteria
sacralis media kann eigentlich als die Fortsetzung der Aorta abdomi-
nalis angesehen werden, in deren verlängerter Richtung sie bis zum
Steissbein herabkommt.
Die geringe Entwicklung der Vertebrae coccygeae des Menschen bedingt die
Kleinheit der Arteria »acrcUü media. Bei ThiereD mit langem Schweif, ist die
Bedeutung der Arteria sacralis media als Fortsetzung der Bauchaorta nicht zu
verkennen, und die beiden Arteriae iliacae communes treten in die untergeordnete
Stellung seitlicher Aortenäste. — Die Arteria sacralis media giebt, während ihres
Laufes über die vordere Fläche des fünften Lendenwirbels, sehr oft rechts und
links einen Ast ab, welcher sich wie eine Arteria lumboHs verhält, einen RatMis
spinalis durch das letzte Foramen intervertebrale lumbale zum Rückenmark sendet,
und mit einem vorderen und hinteren Aste endet. Ersterer zertheilt sich im Psoas
und Iliacus internus, letzterer in den Rückenmuskeln. Im Herabsteigen g^ebt die
Arteria sacralis media den Weichtheilen an der vorderen Kreuzbeinfläche an-
bedeutende Aestchen, und, der vierten Vertebra sacraUs gegenüber, einen etwas
stärkeren Zweig zum Mastdarm.
Die häufig zu beobachtenden Varietäten der Aortenäste haben wenig prak-
tische Bedeutsamkeit, da in der Bauchhöhle, an jenen Stellen, wo diese Blut-
gefässe verlaufen, nicht operirt wird. Ich will nur einige derselben anführen. Die
Coeliaca zerfällt nicht in drei Aeste (Tripus HaUeri), sondern in zwei, indem die
Arteria cartmaria sinistra ein Zweig der Lienalis oder Hepatica wird. — Die
Coeliaca und Mesenterica superior gehen aus einem kurzen IVuncus communis her-
vor, wie bei den Batrachiem. — Die Arteria hepatica ist ein selbstständig ge-
wordener Ast der Aorta. Der Bamus dexter derselben wird von der Arteria
mesenterica superior abgegeben (kommt oft vor). — Die Arteria splenica wird
doppelt; die Arteria mesenterica inferior entspringt aus der Arteria Viaea communis
sinistra (Petsche), oder fehlt gänzlich, indem die obere Gekrösarterie sie ersetzt
(Fleisch mann). — Die Nierenarterien werden doppelt bis fünffach (Prager
Museum). Bei tiefer Lage einer Niere entspringt die Arteria renalis aus der //ioca
communis, hypogastrica, selbst aus der sacralis media (Hyrtl, über ein wahres Ren
tertius, österr. med. Wochenschrift, 1841). Beide Nierenarterien können aus einem
Truncus communis hervorgehen (Portal). — Die Arteria iliaca communis dextra
fehlt (Cruveilhier), indem Hypogastrica und Cruralis ohne Truncus communis
entspringen (Säugethiertypus). Die Sacralis media ist ein Zweig der Iliaca com-
munis dextra. — Einen starken anautomotischen Ast zwischen Renalis und Riaca
communis dextra beobachtete ich an einem Neugeborenen, und eine Mesenterica
media für das Colon transversum und descendens an einem Erwachsenen. An einem
Aöncephalus mit angeborener Bauchdeckenspalte, war die Arteria hepatica ein
Zweig der Brustaorta. An einem Foetus mit Ectropium vesicae urinariae, entsprang
eine starke Arteria vesicalis aus der Iliaca communis dextra.
§. 407. Verästlung der Beckenarterie.
Die Beckenarterie, Arteria hypogastrica s. iliaca interna, ist
beim Erwachsenen schwächer, beim Embryo aber, wo sie durch
die Arteria umbilicalis auch den Placentarkreislauf treibt, stärker,
S. 407. Yerftatlnng der Backenartarie. 1005
als die Arteria crurcdü, Sie steigt bei Erwachsenen vor der Si/m-
physis 9acr0'üiaca in das kleine Becken herab. Im neugeborenen
Menschen dagegen krümmt sie sich schon im Niveau der oberen
Beckenapertur^ in einem nach unten convexen Bogen zur Seiten-
gegend der in die Bauchhöhle hinaufragenden Harnblase hin, und
erhebt sich von da als Arteria umbüicalis zum Nabel. Alle Aeste
der embryonischen Arteria hypogastrica (selbst die Arteria cruralis)
entspringen aus dem convexen Rande dieses Bogens. Beim Er-
wachsenen kann man diese Aeste in hintere und vordere ein-
theilen, nach Verschiedenheit der Richtung, welche sie einschlagen.
Beide Arten von Aesten versorgen die Eingeweide des Beckens,
das Gesäss, und die äusseren Geschlechtstheile.
A) Hintere Aeste:
a) Die Arteria ileo-lumbalis, Hüft-Lendenarterie. Sie geht
wie eine Arteria lumbalis, hinter dem Psoa^ major, nach oben und
aussen, und theilt sich in einen Ramus iliacus für den Musculus
iliacus, und in einen aufsteigenden Ramus lumbaiis, welcher sich im
Psoas und den Lendenmuskeln verästelt. Der Ramus iliacus ana-
stomosirt mit der Arteria drcumßexa Hei, und der Ramus lumbaiis
mit der letzten Arteria lumbaiis, Ersterer ernährt durch einen Ramus
nutriens das Darmbein.
b) Die Arteriae sacrales laterales, seitliche Kreuzbein-
arterien. Es finden sich deren eine obere grössere, und untere
kleinere, welche vor den Nervis sacrcdibus nach innen und unten
laufen, mit der Arteria sacralis media anastomosiren, und dem Mus-
culus pyriformis, Levator ani, und Coccygeus Aeste abgeben. Stärkere
Zweige derselben dringen durch die Foramina sacraUa anteriora zur
Cauda equina, und ihre Verlängerungen gelangen durch die hinteren
Kreuzbeinlöcher zu den Kreuzbeinursprüngen der langen Rücken-
muskeln.
c) Die Arteria glutaea superior, obere Gesässarterie. Sie
ist der stärkste Ast der Hypogastrica, und geht über dem Musculus
pyriformis, den oberen Rand der Incisura ischiadica major umgreifend,
aus der Beckenhöhle zum Gesäss, wo sie von dem Musculus glutaeus
magnus und medius bedeckt wird. Sie spaltet sich hier in zwei
Zweige, deren einer zwischen Glutaeus magnus und medius fast in
horizontaler Richtung nach vorn verläuft, während der andere,
stärkere, zwischen Glutaeus medius und minimvs eindringt.
«
Beide theilen sich neaerdlngs in vier bis sechs Aeste für die Gesässmofl-
keln. Die oberen Aeste werden mit der letzten Lendenarterie, die hinteren mit
den hinteren Zweigen der Krenzbeinarterien, die vorderen und unteren mit der
Arteria iichiadica, drcmr^kxa ilei, und den beiden Cfircun\/kxae femorii anastomo-
firen. — aj und bj sind in der Begel Aerte von ej.
1006 §. 407. Veristlnng der Beckenarterie.
B) Vordere Aeste:
a) Die Arteria dbturatoria, Verstop fungs- oder Hüftbein-
locharterie. Ihre oft vorkommenden Ursprungs Varietäten geben
dieser Arterie ein besonderes Interesse. Entspringt sie y was als
Regel angesehen werden kann^ aus der Hypogastrica^ so zieht sie
unterhalb des Nervus obturatoritis, an der Seitenwand des kleinen
Beckens nach vorn, verlässt das Becken durch den Canalis obtura-
torius, und theilt sich am oberen Rande des Obturator esctemus in
einen Ramus anterior et posterior. Der Ramus anterior schaltet sieh
zwischen Adductor femoris brevis und longus ein, verästelt sich in
ihnen, so wie in dem Pectineus und Gracilis, und anastomosirt mit
der Arteria drcumßexa femoris interna. Der Ramus posterior sendet
einen Nebenzweig (Artei'^ia acetahvli) durch die Incisura (icetabuli
zum runden Bande des Caput femoris, geht zwischen Obturator
extemus und Quadratur femoris nach aussen, und löst sich in Muskel-
zweige für die Auswärtsroller auf, deren einige mit den Aesten der
Arteria drcumßexa externa anastomosiren.
Im Becken g^ebt die Arteria obluratoria dem Iliacu» intemua, Obturator
internus and Levator ani kleine Reiser, und sendet vor ihrem Austritte den
schwachen Ramus anastmiwticus pubicus zur hinteren Schamfugenfläche, ^wo er mit
dem Ramus anastomoiicus pubicus der Arieria epigastrica (§. 409), eine Ver-
bindung eingeht.
Die noch in das Bereich der hinteren Beckenwand faUenden Ursprungs-
varietäten der Arteria obturaloina sind ohne praktische Wichtigkeit Dagegen ver-
dient der in operativer Hinsicht wichtige Verse tzungsfaU des Ursprunges der
Obturatoria auf die Schenkelarterie, besondere Aufmerksamkeit. Entspring;! nJim-
lich die Arteria oftturatoria aus der Cruralis unter dem Poupar tischen Hände,
so fliesst ihr Urspnmg gewJihnlich mit dem der Arteria epif/astrica inferior xu-
saramen, so das» beide Gefasse einen kurzen Truncus communis haben. Sie
schlägt sich dann über die Vena cruralis weg, luid geht an der hinteren Flüche
des Litjamenlum GimftcmcUi und des Ramfts horizatUalis ossis pubis, zum Canalis
otAuratorius herab. Ist ein 8chenkelbmch vorhanden, so muss sie sich um seinen
Hals herumschlingen, und kann bei der Operation desselben im Fall einer Ein-
klemmung, bei jeder iiichtung des Erweiterungsschnittes, nur bei der nach onten
gehenden nicht, verletzt werden. Nach den verschiedenen Nuancen, welche
dieser abnorme Ursprung der Arteria obturatoria darbieten kann, nach Ver-
schiedenheit der Länge des TruncitM communis y und dem dadurch bedingen
Lagerungsverhältnins der Obturatoria, wird sie einen grr»sseren oder kleineren
Theil des Schenkelbruchhalses umfassen. Jedenfalls ist das An- oder Durch-
schneiden des Gefösses ein Zufall, welcher die < )peration auf gefahrdrohende Weise
complicirt, und mit aller Vorsicht vermieden werden soll. Da man von dem Vor-
handensein der Anomalie, von der Art und dem Grade derselben, in vorhinein
sich niclit unterricliten kann, so dürfte vom anatomischen Standjtimkte ans, die
Hebung der Einklemmung des Sclienkelbniches durch Incision des LiganxerUuni
pubicum Cooperi nach unten (nach Verpi Hat's Methode) das sicherste sein. Bei
jeder anderen Erweiterungsrichtung wären wiederholte, seichte Einschnitte, einem
einzigen tieferen vorzuziehen. Trotz der Häufigkeit dieses abnormen Ursprun|^c»
der Arteria o/duratoria, sind Verletzungen derselben beim Brucbschnitte doch
seltene Vorkommnisse. — Nach J. Cloquet's, an *J60 Leichen vorgenommenen
§. 407. Ver&stlang der Beckenarterie. 1007
Erhebung^en dieses Geg^enstandes, stellt sich das Verhältniss des normalen und
abnormen Ursprungs der Arteria obturatoria wie 3 : 1 dar.
Normaler Ursprung
160
87 Männer
73 Weiber
Aus der Arteria epigtutrica auf
21 Männer
beiden Seiten
6G
86 Weiber
Aus der Arteria epigagtrica auf
15 Männer
einer Seite
28
13 Weiber
Aus der Arteria cruralis
6
2 Männer
4 Weiber
250
Diese Häufigkeit des anormalen Ursprungs erklärt sich aus dem, was
später in §. 409 über die Anastomosen der Arteria epigtutrica inferior mit der
(Muratoria angeführt wird. — Viel seltener ereignet es sich, dass eine aus der
Hypogastrica stammende schwache Arteria Muratoria, mit einer aus der Arteria
epigastrica entsprungenen, sich vor dem Eintritte in den Canalia obturatorius ver-
bindet. Lauth war der Meinung, dass diese Entstehung der Obturatoria aus
zwei Wurzeln, beim Embryo Kegel sei. Je nachdem nun die eine oder die andere
Wurzel im weiteren Verlaufe der Entwicklung eingeht, wird die Obturatoria ein-
fach aus der Hypogastrica oder aus der Cruralis entspringen.
b) Die Arteria glutaea inferior s. ischiadUca, untere Gesas s-
arterie^ g^ht unter dem MtMctUtM pt^riformis mit dem Nervus ischia-
(Heus aus der Beckenhöhle heraus. Sie ist bei weitem schwächer
als die Glutaea superior, und hat ihre Verästlungssphäre in den
Auswärtsrollem, und den vom Sitzknorren entspringenden Beugern
des Unterschenkels.
Ihre Aeste anastomosiren mit denen der Olutaea superior, Obturatoria, und
den beiden Circumßeoßae femori». Ein langer und feiner Ast derselben lässt sich
weit im Nervus ischiadicus verfolgen. Er wird von einigen Autoren als Arteria
come» nervi ischiadici benannt.
c) Die Arteriae vesicales, Harnblasenarterien. Gewöhnlich
finden sich zwei, eine mperior und inferior»
Die »uperior, welche öfters doppelt wird, verästelt sich an der hinteren
Wand und an dem Scheitel der Harnblase, bis in den Urachns hinauf. Die in-
ferior geht zum Blasengrund, betheilt die Vesiciäae aeniinales und die Prostata,
beim Weibe auch die Mutterscheide (Arteria vesico-vaginalisj. Im männlichen
Oeschlechte giebt sie die Arteria vaain deferentia zum zurücklaufenden Samen -
gefäss, welche an diesem bis in den Leistenkanal, ja selbst bis zum Nebenhoden
gelangt, und mit den Nebenästen der Arteria /tpermatica interna anastomosirt.
Diese Anastomosen sind der Grund, warum von der Unterbindung der Arteria
npermatica interna, welche man unternahm, um Entartungen und Geschwülste des
Hodens ohne Exstirpation, durch Emährungsmangel zum Schwinden zu bringen,
kein Erfolg zu erwarten steht.
d) Die Arteria uterina. Gebärmutterarterie. Sie wird von
Einigen als die Fortsetzung der Arteria hypogastrica angesehen, ent-
springt aber öfters aus der Pudenda communis. Sie begiebt sich zum
Collum uteri, und steigt am Seitenrande desselben und des Körpers
der Gebäi*mutter nach aufwärts bis zum Fundus. Ihr gewundener
1008 §. 407. Yerästlnng der Beckenarterie.
Verlauf, welcher auch in der letzten Schwangerschaftsperiode nicht
verschwindet, ja selbst noch schärfer hervortritt als im nicht-
schwangeren Zustande, zeichnet sie vor den übrigen Aesten der
Arteria hypogastrica aus. Sie giebt dem Fornix vaginde und der Pan
vaginalis uteri Zweigchen, versorgt die Gebärmuttersubstanz^ und
anastomosirt mit der zum Uterus gelangenden Fortsetzung der Ar-
teria »permatica interna (§. 406. c).
Ein Ast derselben g^eht mit dem I/igamentum uteri rotunduni in den Leisten-
kanal, nnd verbindet sich daselbst mit einem Zweige der Arteria epigaatriea m-
ferior. Da diese letztere mit der Arteria epigcutrica auperior aoa der Mammaria
interna anastomosirt, und die Mammaria interna perforirende Zweige in die weib-
liche Brust absendet, so suchte man in der mittelbaren Verbindung der Ärteria
uterina mit der mammaria den Grund der Sympathie zwischen Uterus und Mammae.
Nach M. J. Weber geht yon der Arteria uterina, bevor sie noch den
Fundus uteri erreicht, ein Ast zwischen den Blättern des lAgamentuni latnan nach
aussen, welcher Zweige zur Tuba sendet, und mit dem Ligamentum, ovay-w com
Eierstock gelangt, welchen er allein versorgen soll. Die weibliche Arteria •ftr-
matica interna wäre somit bei der Ernährung des Eierstocks nicht betheiligt. Ich
habe an Kindesleichen, deren feine Injectionen, anderer Zwecke wegen, von mir
häufig vorgenommen werden, die Sache nachuntersucht, und jedesmal eine starke
anastomotische Verbindung der Arteria apermatioa interna mit dem "EientockMsU
der Uterina gefunden. Das Ovarium wird somit wohl von beiden Arterien sein
Blut erhalten. — Merkwürdig bleibt es immer, dass der Uterus von zwei Seiten
her (Arteria uterina und »peittuUica interna) sein Blut bezieht. Vielleicht erklärt
sich hieraus, warum die Volumvergrösserung des Uterus in der ersten H&lfte der
Schwangerschaft nur den Köqier betrifft, und erst gegen das Ende der Gravidität
auch den Gebärmutterhals in Anspruch nimmt.
e) Die Arteria pvdenda communis, gemeinschaftliche Scham-
arterie. Sie geht, wie die Arteria glutaea inferior, durch das Foramen
ischiadicum majus, am unteren Rande des Musculus piriformis aus
der Beckenhöhle heraus, und durch das Foramen iscMadicum mi$ms
wieder dahin zurück, umgreift somit die hintere Fläche des Liga-
mentum spinoso-sacrum, oder die Spina ossis ischU selbst. An der
inneren Fläche des Sitzbeines steigt sie eine Strecke weit herab,
krümmt sich aber bald nach vor- und aufwärts, steigt in der Rinne
zwischen dem Processus faldformis des Ligamentum tuberoso-sacrum
und dem aufsteigenden Sitzbeinast, gegen den Schambogen empor,
und theilt sich unter diesem, bevor sie das Ligamentum triangtdare
ureihrae durchbohrt, in die Arteria profunda und dorscdis penis
(s, ditoridis),
Ihre Aeste sind folgende:
1. Die Arteria haemorrhoidcdis media, mittlere Mastdarm-
arterie.
Ihr Ursprung fällt noch vor den Austritt der Arteria pudenda aiia der
Beckenhöhle. Sie giebt dem Blasengmnde, der Prostata, der Scheide NebenSste,
imd verzweigt sich vorzugsweise in der vorderen Wand des vom Peritoneom pjfiht
S. 407. YerSaUnng der Beekeaarterie. 1009
mehr amkleideten Mastdarmendes, wo sie mit der HaemorrkoidalU superior et in-
ferior anastomosirt
2. Zwei bis drei Arteriae huemorrhoidales inferiores, untere
Mastdarmarterien.
Sie entspringen gleich am Wiedereintritt der Pndenda in die BeckenhQhle,
gehen schief nach innen und onten durch das Oatmm ischio-rtdale m den Schliess-
mnskeln und zur Haut des Afters. Die vorderste von ihnen ist heim Seitenstein-
schnitt der Verletzung ausgesetzt, wenn der erste Hautschnitt zu weit nach hinten
verlängert wird. Man schont dieses Gefäss g^z sicher, wenn man den Haut-
schnitt in der Mitte des Ahstandes des Tuber iichii vom After enden lässt.
3. Die Arteria perinei, Dammarterie.
Sie durchbohrt die Ftucia perinei proprio, wodurch sie oberflächlich wird,
geht über dem Musculus traruverttu perinei superficialis (selten zwischen superficialis
und profundus) nach vom, und verliert sich mit mehreren Zweigen an der
hinteren Seite des Hodensacks (Arteriae scrotales posteriores), bei Weibern am
hinteren Theile der grossen Schamlippen (Arteriae labiales posteriores). Sie giebt
zu den Muskeln des Mittelfleisches, namentlich dem Ischio- und Bulbo-cavemosus,
Aeste. — Sie erzeugt, während sie den Transversus perinei kreuzt, die Arteria
trtmsversa perinei, welche die Gegend zwischen After und Bulbus urethral mit
ihren Zweigen versorgt Beim Seitensteinschnitt ist diese Arterie der Verletzung
ausgesetzt, wenn der Schnitt zu weit vom am Mittelfleisch beginnt Sie kann auch
ein selbstständiger Ast der Pudenda communis sein.
4. Die Artefia bvlbo-urethralis, welche den Bvlhus urethrae, und
die von ihm umschlossene Urethraportion, so wie die Co wper* sehen
Drüsen mit Zweigen versieht.
5. Die Arteria profunda penis (s. ditoridis) anastomosirt immer
mit derselben Arterie der anderen Seite, und dringt, von innen her,
in die Wurzel des Schwellkörpers ihrer Seite ein.
Eine für das Gelingen des Steinschnittes höchst gefährliche Abweichung
der Arteria pudenda communis ist jene, wo das Gefäss in seinem ganzen Verlaufe
in der Beckenhöhle bleibt, und längs der Seite des Blasengrundes und der Vor-
steherdrüse, oder diese Drüse durchbohrend, zum Gliede aufsteigt (Bums, Tiede-
mann, Shaw). Letzterem starb ein Operirter unter den Händen durch Ver-
blutung. (Magaz. der ausländ. Lit d. Heilkunde. Bd. XI.)
6. Die Arteria dorsalis penis s. ditoridis legt sich in die Furche
am Rücken des Penis, und nimmt mit jener der anderen Seite die
einfache Rtickenvene des Gliedes zwischen sich. Sie versorgt die
Glans penis, und anastomosirt durch penetrirende Zweige mit den
Ramificationen der Arteria profunda penis.
Man hat sie zuweilen aus der Arteria obturatoria, nach ihrem Austritte aus
dem Becken, entspringen gesehen. Ich habe einen Fall vor mir, wo sie aus der
Arteria pudenda externa, einem Aste der Arteria crurtdis, entsteht — Friedkwsky
lieferte interessante Beiträge zur Angiologie der männlichen Geschlechtsorgane,
mit besonderer Berücksichtigung der Entstehung gewisser Anomalien (Wiener
akad. Sitzungsberichte. 1868).
Hyrtl, Lehrbnek dtr Anatomi«. 14. Atta. 64
1010 §. 408. VtrUuf d«r SckeBkelurterie.
7. Im Embryoleben verlängeii; sich die Arterta hypogcutriea
zur Umbiliealarterie, welche alle übrigen Aeste der Hypogastrica
an Stärke übertrifft, und an der Seite der Harnblase zui* vorderen
Bauch wand aufsteigt, an welcher sie zum Nabel, durch diesen in
den Nabelstrang, und sofort zur Placenta gelangt.
Nach der Geburt obliteriren die Nabelarterien vom Nabel akugettuigen bis
zur Ursprungsstellc des ersten Collatenüastes der Hjpog^astrica im Becken fAr-
teria vesicalis »uperiar), und werden zu bandähnlichen Strängen, Chordae umbät-
caUs s, Ligamenta vesico-umbüicalia UUeriUia, welche entweder bis sum Nabel
reichen, oder , in Folge der mit der Verwachsung zugleich auftretenden Retraction
der Nabelarterien, sich nicht bis zum Nabel verfolgen lassen. Schreitet die Obll-
teration einer Nabelarterie nicht so weit vor, oder gedeiht sie nicht bis znm roll-
kommenen Verstreichen des Lumen, so wird ein Stück, oder die ganze Arieria
unibUicalia bis zum Nabel wegsam bleiben, und sich an der Ernährung' eines Be-
zirkes der vorderen Bauchwand betheiligen können, — gewiss ein sehr seltener
Fall. Ich habe denselben an der Leiche eines anderthalbjährigen Kindes an-
getroffen. Er betraf nur die rechte Arteria umbilicatu, welche bis einen Zoll
vom Nabel für die Injectionsmasse wegsam blieb. Die rechte Arteria epiytutrica
inferior war selir schwach. — Es ist eigentlich unrichtig, die Arteria utu,biiicaU»
des Embryo eine Fortsetzung der Arteria hypogastrica zu nennen. Sie ist in der
That vielmehr eine unmittelbare Verlängerung der Arteria iliaca canimurU», und
steht zu der Arteria cntralis und hypogastrica in dem Verhältniss des Stammes
zu seinen Aesten. Erst gegen die Zeit der Geburt gewinnt es, wegen stärkeren
Anwachsens der Arteria cruralia und der Beckenzweige der Hypogastrica den
Anschein, als sei die Umbilicalis eine Fortsetzung der Hypogastrica. — Sehr
selten fehlt der Stamm der Hypogastrica, und die Aeste desselben entspringen ein-
zeln, jeder für sich, aus der Iliaca externa (Zeitschr. für rat Med. 31. Bd.). Bei
sehr jungen Embryonen habe ich es immer so gefunden.
§.408. Terlauf der Schenkelarterie.
Die Schenkelarterie, Arteria cruralis, ist der äussere, und
zugleich längere Theilungsast der Arteria iliaca communis. Sie geht
an der inneren Seite des Psoa^ major, von welchem sie durch die
Fa^cia iliaca getrennt wird, zur Lacuna vasorum cruralium herab,
hat die Vena cruralis nach innen neben sich, und gelangt unter
dem Poupar tischen Bande zur vorderen Gegend des Oberschenkels.
Eine, durch eine Zwischenwand getheilte Bindegewebsscheide, Vagina
vasorum cruralium, umschliesst sie und die Vena cruralis, Sie zieht
anfangs durch die Fossa lleo-pectinea, und später in der Furche
zwischen Vastus internus und den Sehnen der Adductoren, bedeckt
vom Sartor ius, am Schenkel herab, legt sich unter der Mitte des
Oberschenkels vor die Vena cruralis, durchbohrt die Sehne des
grossen Zuziehers dicht am Schenkelknochen, und gelangt dadurch
in die Kniekehle, in welcher sie anfangs auf der hinteren Fläche des
unteren Endes des Schenkelbeins, später auf der Kniegelenkkapsel
aufliegt, dann über den Musculus popliteus wegstreif):^ unter dem
§. 409. Aeeto des Baachstftckn der Sckenkelarterie. 101 1
oberen Rand des Soleus in die tiefe Schichte der Muskeln an der
hinteren Seite des Unterschenkels eintritt, und sich gleich nach diesem
Eintritt in die vordere und hintere Schienbeinarterie theilt.
Die Länge des von der Schenkelarterie durchmessenen Laufes
erheischt es, drei Stationen desselben zu unterscheiden, deren erste
sich vom Ursprung des Gefässes bis zum Austritt unter dem Pou-
part'schen Bande erstreckt, deren zweite vom Poupart'schen
Bande bis zur Durchbohrung der Sehne des grossen Zuziehers, und
deren dritte vom Eintritt in die Kniekehle bis zur Theilung in die
vordere und hintere Schienbeinai-terie reicht. Die auf diese Weise
fest bestimmten Verlaufsstücke der Schenkelarterie sind : das Bauch-
stück, Schenkelstück, und Kniekehlenstück.
§. 409. Aeste des Bauchstückes der Schenkelarterie.
Das Bauchstück der Schenkelarterie wird gewöhnlich Arteria
iliaca externa genannt. Man kennt nur zwei bedeutende Aeste des-
selben, welche einander fast gegenüber von der inneren und äusseren
Peripherie des Ge&sses, in gleicher Höhe mit dem Ligamentum
Poupartii entspringen, weshalb sie auch von Einigen den Aesten der
eigentlichen Schenkelarterie zugezählt werden. Sie sind:
a) Die Arteria epigastrica inferior^ untere Bauch decken-
arterie. Sie entspringt nicht immer in gleicher Höhe mit dem
Ligamentum Powpartii, sondern auch etwas tiefer, selten höher. Sie
geht anfangs nach innen, biegt sich dann nach oben, und erzeugt
somit eine Krümmung mit oberer Concavität, welche einwärts von
der Bauchöffnung des Leistenkanals liegt, und sich mit dem Va^
defereris (bei Weibern mit dem Ligamentum uteri rotundum) kreuzt.
Da ihre fernere Verlaufsrichtung nicht vertical nach oben, sondern
zugleich schief nach innen geht, so erreicht sie bald den äusseren
Rand des Rectus abdominis, und steigt auf dessen hinterer Fläche
bis über den Nabel empor, wo sie der aus der Arteria mammaria
hervorgegangenen Arteria epigastrica superior begegnet und mit ihr
anastomosirt. Ihre Zweige sind:
a) Der Ramus anaatomoUcua pubicug. Er ist unbedeutend, entspring dort,
wo der Stamm der Epig^astrica die aufsteigende Richtung annimmt, und läuft ein-
wärts zur Schamfuge, hinter welcher er mit demselben Aste der anderen Seite
und mit dem Ramus aruutomoUctu pubictu der Arteria obluratoria seiner Seite,
eine Verbindung schliesst — Es leuchtet ein, dass diese Anastomose zwischen
den Ramig pubicig der Epigastrica und Obturatoria, die Bedingung und somit auch
die Erklärung in sich enthält, warum der Ursprung der Obturatoria so oft auf
die Epigastrica übertragen erscheint.
ß) Die Arteria tpermatka externa dringt in den Oanalit inguinaU» durch
dessen hintere Wand ein, und gleitet ao der vorderen Fläche des Samenstran^ea
1012 §.410. Aeite der eigeBÜiehen Schenktlarteri«.
bis zum Hoden herab. Sie vertheilt sich jedoch nicht im Hodenparenchjm,
sondern in den Scheidenhftnten und dem Cremaster, wird deshalb »ach Arteria
crenuuterica genannt. Im weiblichen Geschleohte ist sie ganz unbedeutend^ and
nnr für das Ligamentum uteri rotwndum bestimmt. Eine Anastomose derselben mit
einem Aste der Arteria uterina, welcher gleichfalls mit dem lAgamentw/n uteri
rotuTkdum in den Leistenkanal eindringt, wurde früher (§. 407, B, d) erwähnt.
Y) Viele Rami mtuculares für den Rectns und die seitlichen breiten Bauch-
muskeln. Sie anastomosiren in letzter Instanz mit den Lombalarterien und den
Zweigen der Arteria circun\flexa ilH,
b) Die Arteria drcumflexa üei, umschlungene Darmbein-
arterie. Sie läuft unter der Vereinigungsstelle der Fascia tUaca
mit dem hinteren Rande des Poupart'schen Bandes nach aus- und
aufwärts gegen die Spina anterior superior des Darmbeins^ und zieht
längs der inneren Lefze der Crüta ossis üei nach hinten. Sie giebt
den vom Darmbeinkamm entspringenden Muskeln Aeste^ und ana-
stomosirt durch diese mit den Zweigen der Arterixi Ueo-lumbcdis und
epigastrica inferior. — Oefters kommt noch eine Arteria drcumflexa
ilei superficialis vor, welche dem Poupar tischen Bande folgt, und
sich als Hautast ramificirt.
§. 410. Aeste der eigenüichen Schenkelarterie.
Das Schenkelstück bildet die eigentliche Schenkel-
arterie, Arteria cruralis 8. femoralie. Diese reicht von der Austritts-
stelle unter dem Po upar tischen Bande bis zum Durchgange durch
die Sehne des grossen Zuziehers. Während ihres Laufes durch die
Fossa ileO'pectinea erzeugt sie folgende Aeste:
\, Ramtdi inguinales, für die Lymphdrüsen und die Haut der
Leistengegend.
2. Arteria epigastrica superficialis s. abdominalis subcutanea
Halleri, Sie durchbohrt das obere Hörn des Processus falciformis
der Fossa ovalis, steigt vor dem Poupar tischen Bande zur Regio
hßpogastrica hinauf, und verästelt sich in der Haut, bis zum Nabel
hinauf.
3. Arteriae pudendae extemae, äussere Schamarterien. Ge-
wöhnlich finden sich zwei, welche über die Vena cruralis weg, quer
nach innen den äusseren Genitalien zustreben.
Die obere tritt durch die Fovea ovalis der Fascia lata hervor, und steigt
schief nach innen and oben zur Schamgegend hinan, wobei sie sich mit dem
Samenstrange kreuzt. Die untere geht über den Musculus pectineus quer nach
innen, wird von der Portio pectinea feuciae Uttae bedeckt, und durchbohrt diese
schliesslich, um zu den äusseren Genitalien zu kommen, in welchen sich beide
Fudendae extemae als Hautarterien des Hodensacks oder der grossen Schamlippen
(Arteriae scrotales s, labiales anteriores) auflösen.
$.410. A«tta der eigentlieheii Sohenkelart«rie. 1013
4. Arteria profunda femoria, tiefliegende Schenkelarterie.
Nachdem sich, wie überall; die Kleinen vorgedrängt haben, folgt
zuletzt der stärkste Ast der Arteria crurcdia nach. Im Grunde ge-
nommen haben wir in der Profunda femoria die eigentliche Arterie
des Oberschenkels vor uns, da sie alle seine Muskeln ernährt,
während die Fortsetzung der Arteria cruralis, welche weiter keine
nennenswerthen Zweige an die Muskeln des Oberschenkels abgiebt,
die Blutzufuhr zum Unterschenkel leistet. Die Profundafemoris ent-
springt einen bis anderthalb Zoll unter dem Poupart'schen Bande.
Man trifft sie gewöhnlich so stark an Kaliber, dass sie der Fort-
setzung der Arteria cruralis wenig nachgiebt. Ihrem Namen zufolge
geht sie vor dem Pectineus in die Tiefe zu den inneren Schenkel-
muskcln. Ihre durch Abgabe starker Muskeläste sehr geschwächte
Fortsetzung, durchbohrt zuletzt den Adductor magmia, nicht weit
über dem Durchbruche der Arteria cruralis durch denselben Muskel.
Die Aeste, welche sie erzeugt, lassen sich als umschlungene und
durchbohrende rubriciren.
o) Umschlungene Aeste, Arteriae drcumßexae femoris, Sie
entspringen in der Regel aus dem Anfangsstück der Profunda
femoris, und zerfallen in eine innere und äussere.
a) Die Arteria circttmflexa femoru interna 8. poaterior tritt unter der In-
sertion des vereinigten Psoas und lUacos am kleinen Trochanter nach hinten,
giebt den an der inneren Seite des Oberschenkels gelegenen Muskeln und der
Capsula femoris Zweige, und zerföUt in einen auf- und absteigenden Endast.
Der aufsteigende sucht zwischen dem Quadr<Utu femori» und OUureUor extemua
die Foasa trochanterica auf, und anastomosirt mit der Ärteria glutaea inferior und
drcumßexa externa. Der absteigende Endast gehört den langen Muskeln an
der hinteren Seite des Oberschenkels.
ß) Die Ärteria dreumfi/exa femori» eoUertia «. anterior übertrifft die interna
an Stärke. Sie geht unter dem Eectua femoris nach aussen, schickt den an der
vorderen und äusseren Seite des Oberschenkels gelegenen Muskeln zahlreiche auf-
und absteigende Aeste zu, deren einer unter dem Vaatus extemut bis zum Knie
herabreicht (Ramus musctUo-articularisJ, durchbohrt hierauf den Vastua extemu»
hart unter dem grossen Trochanter, und gelangt so in die hintere Gegend des
Oberschenkels, wo ihre Endäste mit der Circumßexa interna und den Gesässarterien
anastomosiren.
Die häufigen Variationen der Lage der Profunda zum Stamme der Cruralis
(aussen, hinten, oder innen von letzterer), so wie die damit zusammenhängenden
Ursprungsabweichungen der beiden Circumflexae, hat Srb zum Gegenstände einer
sehr fleissigen Detailuntersuchung gemacht, deren Resultate in der Oesterr. Zeit:
Schrift für prakt. Heilkunde, 1860, Nr. 1 und 3, niedergelegt wurden.
b) Durchbohrende Aeste, Arteriae perforantes, heissen jene
Muskelzweige der Profunda femoris, welche, um zur Muskulatur
an der hinteren Seite des Oberschenkels zu gerathen, die Insertioii
der Adduetorensehnen am Oberschenkelknochen durchbohren. Sie
machen es also ebenso wie der Hauptstamm der Arteria cruraUs,
1014 §.411. Aesto der Kniekehlenarteri«.
welcher auch eine Arteria perforans wird, indem er die Sehne des
Addvctor magnua durchbohrt^ um in die Kniekehle zu kommen. Die
Arteriös perforantes geben zu dieser Durchbohrung gleichsam das
Vorbild. Man zählt gewöhnlich drei Arteriae perforantes.
Die Perforcma prima geht unter dem kleinen Trochanter nach rückw&rts,
und theilt sich in einen auf- und absteigenden Ast Der aufsteigende
versorgt Antheile des Qlutaetu magnus und den Qiiadratu» fenioria, und anastomo-
sirt mit der Arteria glutaea inferior, und der Circumßexa femoris interna. Der
absteigende giebt Aeste zu den Beugern des Unterschenkels, dem Adductor
magntis, dem Schenkelknochen (die Arteria ntUi^ia superiorj, und anastomosirt
mit der Perforana »ecunda. — Die Perforana secunda und tertia durchbohren tiefer
unten die Sehne des Adductor magnus. Die tertia sendet die Arteria nutritia in-
ferior des Schenkelknochens ab. Das durch so zahlreiche Astbildung bedeutend
abgeschwächte Ende der Profunda, durchbohrt gleichfalls die Sehne des grossen
Adductor, um theils mit der Perforana tertia, theils mit der Circumßexa genu »uperior
interna aus der Po))litea zu anastomosiren. Man kann somit füglich noch eine
Perforana quarta zählen.
5. Einige unerhebliche Rami musadares,
6. Arteria superficialis genu s. anastomotica magna, oberfläch-
liche Kniegelenkarterie. Sie entspringt vor dem Durch tritte
der Arteria centralis durch die Sehne des Addttctor magnus, und
muss somit die Astfolge der Arteria cruralis schliessen.
Vor der Sehne des Addtictor m<ignus^ bedeckt vom Sartorius, geht sie auf
den Oondgltt» intemtia femori» zu. Ihre daselbst vorkommende Anastomose mit der
Arteria circttvißexa auperior interna aus der Poplitea verschaffte ihr den Namen
Anastomotica magna. Sie löst sich im Rete articulare genu auf, unter welchem
Namen wir ein auf den Gelenkenden des Schenkel- und Schienbeins anfliegendes,
weitmaschiges Arteriennetz zu verstehen haben, an dessen Bildung auch der
Ramus musculo-articularis dfer Circumßexa femori« externa, die Perforana quarta,
die Circumflexae genu aus der Poplitea, so wie der Ramua reairrena tibialia an-
terior et poaterior Antiieil nehmen.
§. 411. Aeste der KniekeMenarterie.
Das Knicke hlens tu ck der Schenkelarterie, Arteria poplitea,
wird unrichtig poplitaea geschrieben, weil das lateinische Wort
PopleSj kein Adjectiv mit dem griechischen Ausgang in aia geben
kann. Es liegt am Grunde der Kniekehle, und reicht bis zur
Spaltung in die beiden Schienbeinarterien herab. Die Arteria
Poplitea erzeugt Muskel- und Gelenkarterien. Erstere versorgen
die Muskeln, welche die Kniekehle begrenzen. Unter ihnen zeichnen
sich die aus einem kurzen gemeinschaftlichen Stamme hervor-
gehenden Arteriae gastrocnemias aus. Die Gelenkarterien umgreifen
bogenförmig die Gelenkenden der im-Kniegelenk zusammenstossenden
Knochen, und concurriren zur Bildung des Rete articulare genu. Man
zählt zwei obere, zwei untere, und eine mittlere Kniegelenkarterie.
§. 41S. Anomalien der Schenkelarterie and ihrer Ae3te. 101 5
a) Die beiden Arteriae articulares a. drctm^flexae genu auperiorea werden als
grössere externa, und kleinere interna unterschieden.
bj Diu beiden Arteriae artictdarea s. circumßexae genu inferiores verhalten
sich, der Stärke nach, verkehrt wie die auperiores. Die äussere folg-t dem Rande
des äusseren Zwischenknorpels des Kniegelenks, die innere umgreift den Condylua
Uhia^ internus nach vorn.
cj Die Arteria articulationis genu media a. azggoa ist oft ein Ast der Arteria
articnlaris auperior externa. Sie durchbohrt das Ligamentum popliteum und die
hintere Kapsel wand, und verliert sich in den Kreuzbändern und den als falsche
Bänder bekannten Falten der Sjnovialmembran des Kniegelenks.
§. 412- Anomalien der Schenkelarterie und ihrer Aeste.
Abweichungen der Schenkelarterie kommen viel seltener vor,
als jene der Arteria brachialis»
Chirurgische Wichtigkeit beansprucht jener Fall (Froriep'a Notizen. Bd, 34.
pag. 45), wo die Arteria cruralia als Profunda femoria endigte. Dagegen kam ein
starker Ast der Arteria hypoga^atrica mit dem Nervua iachiadicua in die Kniekehle
hinab, wo er die Arteria poplitea vertrat Da in der Regel die Arteria glutaea
inferior dem Nervua iachiadicua einen langen und feinen Begleitnngszweig (Arteria
Cornea) mitgiebt, so sehe ich in diesem Falle nur eine stärkere Entwicklung der
Arteria comea. — Im Mns^e Clamar zu Paris wird ein Präparat von M a n e c auf-
bewahrt, an welchem die Arteria cruralia nur die Dicke einer Arteria radiaXia
besitzt, und in den Muskeln an der vorderen Seite des Hüftgelenks endigt. Auch
in diesem Fall war es die Arteria glutaea inferior , welche »ich längs des Nervua
iachiadiaia in die Poplitea fortsetzte. — Ein überzähliger Ast der Arteria cruralia
begleitet die Vena aaphena major bis zum Sprunggelenk herab. Er wurde bisher
nur einmal gesehen. (Zagoraky, M6m. de TAcad. de St. P^tersbourg, 1 809). — Die
Arteria profunda fenuiria entspringt in seltenen Fällen in gleicher Höhe mit dem
P o u p a r tischen Baude, selbst über demselben (Otto, Tiedemann). Dieser hohe
Ursprung kommt nach Tiedemann häufiger bei Weibern von kleiner Statur als
bei Männern vor. Portal sah den hohen Ahguig der Profuxtda femoria mit hoher
Theilnng der Arteria hrachialia vergesellschaftet. (Anal, m4d. T. IIL pag, 289,) —
Einen schönen Fall von hohem Ursprung der Profunda giebt Zaaijer (Nederl.
Tijdachriß, 1865), — Prosector Dr. Friedlowsky beschrieb in der allg. Wiener
med. Zeitung, 1867, Nr. 13, einen Fall, wo die Profunda die Schenkel- und die
Saphenvenc nach innen umschlang, bevor sie in die Tiefe eindrang. — Höchst
selten gehen die Zweige der Profunda, einzeln und isolirt aus dem Stamme der
Cmralis hervor, wo dann natürlich die Profunda fehlt. Zuweilen entspringt eine
oder die andere Circumflexa femoria nicht aus der Profunda, sondern aus der
Cruralis.
Die Theilnngsstelle der Poplitea in die vordere und hintere Schienbeinarterie
rückt nie so hoch an den Schenkel hinauf, wie es jene der Arteria brachialia
so häufig am Arme zu thun pflegt. Für die vordere Schienbeinarterie lässt sich
der Grund leicht einsehen. Sie müsste über die Streckseite des Kniees weglaufen,
was gegen die allgemeinen Gesetze des Schlagaderverlaufes wäre. Ich kenne nur
einen nicht hinlänglich verbürgten Fall, wo die rechte Arteria cruralia, angeblich
dicht unter dem Poup arischen Bande, in die beiden Schienbeinarterien zerfiel.
Sandifori, Observ. anat path, lob. IV. pag. d7. — Z^iiüUn der Schenkelarterie
!
1016 S- ^^S* Yerftstlaog der Arterien des UnteTsekenkeli.
unter dem Ursprnnge der Profond», in iwei Zwei^, welche sp&ter wieder zu
einem einfachen Stamme conflniren, wurde yon Ch. Bell (Med. u. Phys. Journal,
Vol. LVI.) beschrieben.
§. 413. Verästiung der Arterien des TTntersclienkels.
Die Arteria poplitea theilt sich, nachdem sie den Musculus
popliteus überschritten, und sich unter den oberen Rand des Soleus
begeben hat, in die vordere und hintere Schienbeinarterie.
a) Vordere Schienbeinarterie, Arteria labialis antica, Sie
tritt durch den oberen, vom Ligamentum interoaseum nicht ver-
schlossenen Winkel des Spatium interosseum an die Vorderfläche des
Zwischenknochenbandes, wo sie mit dem Nervus tibialis anticus
zwischen Musculus tibialis anticus und Extensor digitorum communis
longuSj weiter unten zwischen Tibialis anticus und Extensor haüucis,
zum Sprunggelenk herabgleitet. Etwas über dem Sprunggelenk ver-
lässt sie das Zwischenknochenband, und liegt auf der äusseren
Fläche des Schienbeins auf. Am Sprunggelenk zieht sie durch das
mittlere Fach des Ringbandes zum Fussrücken, wo sie Arteria dor-
scdis pedis heisst, oder im barbarischen Style pediaea, da ein latei-
nisches Wort nicht mit einem griechischen Ausgang verunglimpft
werden soll (latino capiti cervicem graecam)» Die Arteria dorsalis
pedis lagert zwischen den Sehnen des Extensor haüucis longus und
brevis, schlägt die Richtung gegen das erste Interstitium intermeta-
tarseum ein, und biegt sich am Beginn desselben in den Plattfuss
hinab, um mit der Arteria plantaris externa, einem Endaste der
Arteria tibialis postica, im starken Bogen zu anastomosiren. — Aus
dem Verlaufe der Tibialis antica auf dem Fussrücken, und dem
Eindringen derselben in den Plattfuss durch das erste Interstitium
intermetatarseum, ergiebt sich die Uebereinstimmung derselben mit
der Arteria radialis des Vorderarms.
Von ihrem Ursprünge bis zum Fussrücken sendet sie folgende
minder bedeut^me Aeste ab :
a) Zwei rücklaufende Schienbeinarterien, Arteritie recurrentes Ubiales,
zum Rete articularfi genu; eine vor, die andere nach g^eschehenem Durchgang zur
vorderen Seite des Zwischenknochenbandes. — ß) Zehn bis zwanzig namenlose
Muskeläste von geringem Kaliber für die Muskeln an der vorderen Seite des
Unterschenkels. — y) Zwei vordere Knöchelarterien, Arteriae nuUleolarea
anteriores, eine äussere stärkere, und innere schwächere. Beide umgreifen die
Malleoli, in deren Periost sie eingewachsen sind. Sie bilden mit den hinteren
Knöchelarterien und den Fnsswurzelschlagadern, die Retia maUeolaria,
Am Fussrücken giebt die Arteria tibialis antica, welche hier
Dorsalis pedis heisst, ausser einigen unwichtigen Zweigen zum inneren
Fussrand, die Arteria tarsea und metatarsea ab.
§. 418. YerfeUnng der Artarien des Unterschenlcels. 1017
Die Arteria tarsea entspringt am Collum oder CaptU tcUi, lenkt
unter dem Extensor dtgüorum communis brevis zum äusseren Fuss-
rand ab^ verbindet sich nach hinten mit der Arteria moUleolaris
anterior externa, und nach vorn mit der Arteria metatarsea. — Die
Arteria metatarsea zweigt sich am Rücken des Oa acaphoideum, oder
auf dem ersten Keilbein von der Arteria dorscUis pedis ab, oder besitzt
einen kurzen Trunctts communis mit der Arteria tarsea. Diese Ur-
sprungsvarianten werden ihre Verlaufsrichtung am Fussrücken sehr
beeinflussen, und deshalb herrscht wenig Uebereinstimmung in den
Sagen über sie. Am äusseren Fussrand fliesst sie mit der Arteria
tarsea bogenförmig zusammen, als Arcus pedis dorsaiis.
Aus der Arteria metatarsea entspringen, bevor sie mit der Tarsea den Arcu9
pedis dorsaUa schliesst: 1. drei Arteriae interosaeae dorsales, welche im zweiten,
dritten und vierten Interstitium der Metatarsnsknochen nach vom lanfen, und sich
in zwei Zweige theilen, welche als Arteriae digitales pedis dorsales die einander
zugekehrten Seiten der zweiten, dritten, vierten und fünften Zehe bis zur ersten
Artictdatio interphalangea hin versehen, und 2. eine Arteria digitalis dorsaiis externa
für die äussere Seite der kleinen Zehe. Das erste Interstitium interosseum erhält
seine Arteria inlerossea dorsaiis aus dem Stamme der Arteria dorsaiis pedis, bevor
sie in die Planta eindringt. Sie versorgt nicht nur die zugewendeten Seiten der
ersten und zweiten Zehe, sondern auch die innere Seite der ersten, theilt sich
also in drei Arteriae digitales dorsales, während die übrigen Arteriae mterosseae
dorsales nur in zwei Zweige gabeln.
Nach Abgabe dieser Aeste dringt die Arteria dorsaiis pedis,
wie schon gesagt, zwischen den Bases des ersten und zweiten Meta-
tarsusknochens in die Planta, wo sie sich mit der Arteria plantaris
externa zum tiefen Plattfussbogen verbindet, von welchem später.
b) Hintere Schienbeinarterie, Arteria tibicdis postica ; wohl
der Stärke, nicht aber der Richtung nach, ist sie die eigentliche
Fortsetzung der Arteria poplitea. Sie läuft mit dem Nervus tibialis
posticus, welcher an ihrer äusseren Seite liegt, im tiefen Stratum
der Wadenmuskeln auf dem Muscvlus tibialis posticus und Flexor
digitorum longus zum Sprunggelenk herab. Hinter dem Malleolus
internus wird sie nur durch die Haut und die Fasda suras bedeckt.
Unterhalb des MaUeolus internus krümmt sie sich an der inneren
Fläche des Calcaneus in die Planta hinab, und zerfällt unter dem
Ursprung des Abductor hallucis in zwei Endäste — Arteria plantaris
externa et interna, Ihr stattlichster Zweig ist die Wadenbein-
arterie, Arteria peronaea (unrichtig peronea, weil aus dem grie-
chischen xepsvY), nur ein Adjectiv in aia gebildet werden kann).
Diese entspringt einen bis zwei Zoll unter dem Ursprünge der
Arteria tibialis postica, und läuft anfangs mit ihr fast parallel, und
nur durch den Nervus tibialis posticus von ihr getrennt, an der
hinteren Seite des Wadenbeins herab. Hier begegnet sie dem FleiBche
des Flexor JuMuds longus. In diesem^ oder awischen ihm imd je>
1018 §. 4t4. Artarien des PlattfiiBses.
des Tibicdis posticus, wandert sie weiter, giebt allen Muskeln der
tiefen Wadenschicht Zweige, auch eine Arteria nutriens zur Fibula,
und theilt sich, oberhalb des äusseren Knöchels, in die Arteria
peranaea anterior et posterior.
Die anterior darchbohrt das lAgamentum irUerotteum, wird daher auch
Peronaea perforaru g^enannt, und hilft mit ihren Aestchen das Bete maUeolare
extemum bilden. Die posterior geht hinter dem Malleoltu extemua zur äusseren
Seite des Calcaneus herab, wo sie ebenfalls dem Bete maUeolare extemum Zweig-
chen mittheilt, und sich in den Weichtheilen am äusseren Fussrand auflöst.
Die übrigen Aeste der Tibicdis postica sind :
a) Die Arteina nutritia tibiae. Sie ist die grösste aller ernährenden
Arterien. Man kann deshalb sagen, dass das Schienbein mehr
von der Markhöhle aus, als vom äusseren Periost ernährt
wird, und versteht es zugleich, warum gerade das Schienbein,
mehr als andere Röhrenknochen, von Osteitis centralis be-
fallen wird.
ß) Rami, muscvlares, zehn bis fünfzehn.
Y) Ein nicht ganz constanter Ramus anastomoticus zur Arteria
peronaea.
Der Bamtis ancistomoHcua entspringt einen bis anderthalb Zoll über dem
inneren Knöchel aus der Tibialis postica, und geht niemals über, sondern immer
unter den Sehnen der tiefen Wadenmuskeln quer zur Arteria peronaea herüber.
Richtiger sollte man sagen, dass der Ramus anastomotictts von der Peronaea zur
Tibialis postica herüber kommt, als umgekehrt; denn die Uebersicht einer
Reihe von Injectionspräparaten, welche mir hierüber vorliegt, zeigt es augen-
scheinlich, dass die Tibialis postica unterhalb eines stärkeren Itamus anastomoticus
dicker wird, während sie doch dünner werden müsste, wenn dieser Ramus von
ihr abgegeben würde. — Hinter dem Sprunggelenk folgt öfters noch ein zweiter,
viel schwächerer Ramus anastomoticus, welcher aber nicht unter, sondern immer
über den Sehnen der tiefen Wadenmuskeln wegläuft.
S) Die Arterias mcUleolares posteriores, eine externa und interna,
welche mit den anterioribus die Retia malleolaria bilden.
e) Rami calcanei intemi, welche die Haut der Ferse, die Tarsal-
gelenke, und die Ursprünge der kleinen Muskeln des Platt-
fusses mit Blut versehen, und mit den Verzweigungen der
Arteria peronaea posterior das Rete calcanei netzen helfen.
§. 414. Arterien des Plattfusses.
Wir treffen im Plattfusse die zwei Endäste der Arteria tibialis
postica an, welche wir als Arteria plantaris interna und externa unter-
schieden haben.
Die Arteria plantaris interna ist bei weitem schwächer als die
externa, und lagert zwischen dem Abductor poUicis und Flexor
§. 414. Arterien dee PlattftisBet. 1019
communis digitorum brevis. Es gehen aus ihr Rami superficiales und
profundi ab, welche die Haut und die Muskulatur am inneren Rande
des Plattfusses versorgen. Sie verlängert sich öfters in die Arteria
dorsalis interna der grossen Zehe.
Die Arteria plantaris externa geht über dem Flexor brevis digi-
torum nach aussen gegen die Basis metcUarsi qmnti, und lagert sich
zwischen Flexor hrevis digiti minimi und Caro quadrata» Sie erzeugt
kleine Zweige für die Haut und Muskeln des äusseren Fussrandes,
und sendet zur äusseren Seite der kleinen Zehe die Arteria digi-
talis plantaris externa. Hierauf krümmt sie sich von der Basis des
fünften Mittelfussknochens weg bogenförmig in der Tiefe der Fuss-
sohle nach innen, um mit der Arteria dorsalis pedis, welche im
ersten Interstiiium interosseum in den Plattfuss eintrat, zu anastomo-
siren, wodurch der Arcus plantaris zu Stande kommt. Dieser liegt
auf den Bases der Metatarsusknochen, und giebt vier Arteriae inter-
osseae plantares ab, welche, wie am Dorsum pedis, von innen nach
aussen abgezählt werden. Sie senden perforirendo Aeste zwischen
den Bases ossium mstatarsi nach aufwärts zum Fussrücken, wo sie
mit den Arteriae interosseae dorsales anastomosiren.
Jede Arteria irUerosaea plantaris entspricht einem InUrsHtium interosseum,
und theilt sich an dessen vorderem Ende gabelförmig^ in zwei Arteriae digitales
pedis plantares, welche für die einander zugewandten Seiten je zweier Zehen be-
stimmt sind. Die Arteria interossea plantaris prima wird sich in drei Zweige zer-
spalten müssen, damit auch die innere Seite der grossen Zehe eine Arteria digi-
talis plantaris interna erhalte. Dass es im Plattfuss vier Interosseae plantares, in
der Hohlhand aber nur drei Interosseae volares giebt, erklärt sich wohl aus der
Unbeweglichkeit des Metatarsus der grossen Zehe, in Vergleich zur Beweglich-
keit hIcs Metacarpus des Daumens. — Das übrige Verhalten der Zehenarterien
weicht von dem Vorbilde der Fingerschlagadern nicht ab.
Es ergiebt sich aus der vergleichenden Betrachtung der Ar-
terien des Unterschenkels mit jenen des Vorderarms, dass die
Arteria tibialis postica die Arteria tdnaris der oberen Extremität, und
die Peronaea die Interossea repräsentirt. — Warum am Plattfuss
nur ein einfacher, und zwar nur ein tiefliegender arterieller Gefass- ;
bogen vorkommt, während in der Hohlhand noch ein hochliegender ;
hinzukommt, Hesse sich auf folgende Weise erklären. Die Con- j
cavität des Plattfusses wird weder beim Gehen, noch beim Stehen,
in ihrer ganzen Ausdehnung durch Druck in Anspruch genommen,
während die Hohlhand, beim Umfassen runder Körper in ihrer
ganzen Fläche, und somit auch der Arcu^ volaris sublimis in seiner
ganzen Länge gedrückt wird (§. 402), wobei der Arcu^ volaris pro-
fundus die Blutzufuhr zur Mittelhand und zu den Fingern leistet.
Der Plattfuss hat also an Einem Arcus hinlänglich genug, und wird
dieser Arcus, weil er factisch ein tiefliegender ist^ gar nie einer
CompreQsion aus^setzt sein können.
1020 §. 416. Variet&ten der Arterien des Uotertehenkele.
§. 415. Varietäten der Arterien des TTntersclienkels.
Der Ursprung der Arteria tibialis antica rückt zuweilen etwas
höher an die Poplitea hinauf, aber nie über die Durchbohrungs-
stelle der Sehne des Adductor magnus. Ein tieferes Herabrücken der
Theilungsstelle der Arteria poplüea in die Tibialis antica und postica
ist nie beobachtet worden.
Die Stärke der Tibialis antica steht mit jener der Tibtalia
postica im verkehrten Verhältnisse. Sie wird somit den Arcus plan-
taris entweder allein, oder gar nicht bilden können. Sie fehlt auch
mehr weniger vollkommen, und wird durch den vorderen £nda8t
der Arteria peronaea (Peronasa perforans) vertreten.
Dieselben Spielarten bietet auch die Arteria tibialis postica dar.
In Fällen, wo sie sehr schwach ist, hilft ihr der Ramtis anastamo-
ticus von der Peronaea aus, um die zu den Plattfussverästlungen
nöthige Stärke zu gewinnen. Fehlt sie, so wird sie durch die Arteria
peronaea ersetzt, welche sich in der Gegend des Sprunggelenks gegen
den inneren Knöchel wendet, um in die beiden Arteriae plantares
überzugehen. — Ein im Sinus tarsi enthaltener starker Verbindungs-
zweig zwischen der Arteria tarsea und der Tibialis postica wurde
von mir beobachtet.
Die Varietäten der Arteria peronaea betreflFen ihre hohe oder
tiefe Theilung, und ihre Stärke. Fehlen der Arteria peronaea ist viel
seltener, als jenes der Tibialis postica. Im Breslauer Museum wird
ein solcher Fall aufbewahrt. — Wenn man ein injicirtes Arterien-
präparat des Unterschenkels aufmerksam betrachtet, fallt es auf,
dass nicht die stärkere Arteria tibialis postica^ sondern die schwächere
Arteria peronaea in der verlängerten Richtung der Arteria poplüea
liegt. Die Peronaea muss somit als die eigentliche Fortsetzung der
Poplitea angesehen werden, woraus sich denn auch ihr höchst
seltenes Fehlen, und ihre Substitution für die fehlende Tibialis
postica von selbst ergiebt. — Wir besitzen drei Fälle, in welchen
die Peronaea kein Ast der Tibialis postica, sondern der antica ist.
Sie entspringt aus letzterer, vor ihrem Durchtritt durch den oberen
Winkel des Spatium interosseum,
lieber Varietäten der Unterschenkelscblag-adern handelt ausführlich meine
Schrift: lieber normale und abnorme Verhältnisse der Schlagadern des Unter-
schenkels. Wien, 1864, mit 10 Tafeln.
f. 416. ZaMummeosetinag der oberen HohlTeoe. 1021
C. Venen.
§. 416. Allgemeine ScMlderuiig der Zusammensetzung der
oberen HoMvene.
Während das Arterienblut durch einen einzigen Hauptstamm
aus dem Herzen ausgetrieben wird, kehrt das Venenblut durch
zwei Hauptstämme zum Herzen zurück. Diese sind die obere und
untere Hohlvene, Vena cava aupemor und inferior. Das Venen-
blut aller Organe des menschlichen Körpers strömt der einen oder
anderen dieser beiden Venen zu. Alles, was über dem Zwerchfell
liegt, gehört der oberen, was unter dem Zwerchfell liegt, der unteren
Hohlvene an. Nur das Venenblut der Herzwand gelangt, mittelst
der im Sulcus circularia des Herzens liegenden Kranz vene (Vena
coronaria cordis) direct in die rechte Vorkammer.
Da doch aUe Venen hohl sind, beg^reift der Schüler nicht, wamm man
blos den oberen und unteren Hauptstamm des Venensystems, Hohlader, Vena
Cava nennt Aufklärung hierüber g^ebt das Alterthum. Nach Rufus Ephesins
nannten die Alten jede g^rosse Vene: xoiXia, d. i. Höhle (für Blut), welche Be-
nennung von Praxagoras nur für die obere und untere Hohlader beibehalten
wurde, als i^ xoCXy] ^X^«]», lateinisch Vena c<»va, Aristoteles gebraucht auch die
Benennung: (jtEYotXY] f^i^, Vena magna, und Galen: [le^flaxri fX^^, Vena niaxima,
jedoch nur für die untere Hohlader.
Würden die Venen mit den Arterien überall gleichen Schritt
halten, so brauchte man nur den Stammbaum des arteriellen Qe-
fasssystems umzukehren, seine Aeste zu Wurzeln zu machen, und
die Beschreibung der Venen wäre hiemit abgethan. Allein .die
Venen haben stellenweise andere Verlaufs- und Verästlungsnormen,
als die Arterien. Diese DiflFerenzen müssen hervorgehoben werden,
während, wo die Venen mit den Arterien übereinstimmen, alles
Detail, unter Berufung auf die bereits bekannten Verhältnisse der
Arterien, übergangen werden kann.
Die obere Hohlvene, Vena cava superior, ist der obere
Hauptstamm des venösen Systems, welcher in der Brusthöhle, rechts
von der aufsteigenden Aoi-ta liegt, und, vor den Gefässen der rechten
Lungenwurzel herabsteigend, in die rechte Herzvorkammer ein-
mündet. Der obere, hinter dem ersten und zweiten Rippenknorpel
liegende Theil des Gefässes, wird von der Thymus, oder deren
Bindegewebsresten, bedeckt; der untere ist im Herzbeutel ein-
geschlossen, dessen inneres umgeschlagenes Blatt ihn nur unvoll-
kommen, d. h. nur an seiner vorder^* '^'^
überzieht.
1022 §. 416. ZaBammensekznng der oberen HohlTene.
Die Vetia cava superior wird hinter dem ersten Rippenknorpel
durch den Zusammenfluss zweier Venen gebildet. Sie heissen Venae
innominatae s. anonymae. Während die Cava superior zum rechten
Atrium des Herzens herabsteigt, nimmt sie an ihrer hinteren Wand
auch die unpaare Blutader des Brustkastens (Vetia azygos) auf.
Die Vena^ innominatae führen das Blut vom Kopf, Hals, und
von den oberen Extremitäten, — die V&na azygos aus den Wänden
des Thorax zurück.
Jede der beiden Vefiiae innominatae wird durch den Zusammen-
fluss zweier Venen gebildet: 1. Vena jugvXaris communis, 2. Vena
svhdavia. Diese Venen vereinigen sich hinter der Artundatio stemo-
davicidaris. Die Vena anonyma dextra steigt vor der Arteria ano-
nyma senkrecht herab, und ist kürzer als die sinistra, welche fast hori-
zontal hinter dem Manvhrium stemi, und vor den grossen Aesten
des Aortenbogens, nach rechts hinübergeht. Bald nach Vereinigung
der drei genannten Venen, nimmt die rechte und die linke Vena
anonyme noch 1. die Venae vertebrcUes (die linke Anonyma auch die
Vena ihyreoidea ima), 2. einige Venen des Brustkastens (Venae mam-
mariae intemae et intercostales superiores), und 3. die aus dem vor-
deren Mittelfellraume aufsteigenden kleinen Venae thymicae, peri-
cardiacae, phreiiicae superiores, und mediastinicae anteriores auf.
Die Vena juguiaris interna erstreckt sich, von der Bildungs-
stätte der Vena anonyma, bis in das Foramen jugtdare hinauf. Sie
bildet, entsprechend dem Zwischenräume der beiden Ursprungs-
köpfe des Kopfnickers, eine besonders auf der rechten Seite an-
sehnliche Erweiterung (Bulbus venae juguiaris inferior), liegt an der
äusseren Seite der Carotis communis, und nimmt, in gleicher Höhe
mit der Theilungsstelle der Carotis communis, die Vena faciaiis com-
muniSj sehr oft auch die Vena ihyreoidea superior und Vena laryn-
gea auf.
Alle bisher angeführten, in das System der oberen Hohlvene einmündenden
Blutadern sind klappenlos, mit Ausnahme der Vena jugulurix communis, welche
unterhalb des Bulbus, eine einfache oder doppelte Klappe besitzt, deren Varie-
täten Gruber (Abhandlungen aus der med. chir. Anatomie. Berlin, 1847, pag. 31)
beschrieb. Das Anschwellen und Abfallen des Bulbtts inferior der Vena jugularia
communis bei angestrengter Respiration lässt sich bei mageren Individuen sehr
deutlich beobachten. — Ueber die sackartige Erweiterung (Sinus) und die Klappen
der Kranzvene des Herzens, so wie über Duplicität der oberen Hohlvene, handelt
W. Gruber in den M^moires de TAcad^mie de St. Petersbourg. VII. S6rie,
Tome VII. N. 2. — Selten kommen, wegen fehlender Vereinigung der Venae
anom/mae, zwei obere Hohlvenen, und deshalb keine eigentlichen Anonymtu vor.
Die linke Hohlvene krümmt sich in diesem Falle um die hintere Wand der
linken Herzvorkammer zur unteren Wand der rechten, in welche sie, zugleich
mit der Vena coronaria cordis einmündet. Die hieher gehörigen Beobachtungen
sind bei Otto (Patholog. Anat. pag. 347) und E. H. Weber fHildebrancWs Anat.
3. Bd. pag. 261) gesammelt.
§.417. Inner« DrosMlvene und Blntleiter der harten Hirnhant. 1023
Es folgt in den nächsten Paragraphen die Beschreibung der wichtigeren
Zweige der Venae anom/mae von den entlegeneren angefangen, also dem Blat-
laufe entsprechend.
§. 417. Innere Drosselvene und Blutleiter der harten
Hirnhaut.
Die innere Drosselvene, Vena jugvlarU interna^ fuhrt das
Blut aus dem Gehirn, aus den häutigen Hüllen desselben, so wie
aus der Diploe der Schädelknochen zum Herzen zurück. Sie tritt
aus dem Foramen jugtUare hervor, in welchem sie eine der Fosaa
jugtUaris entsprechende Anschwellung (Bidbiu venae jugularü aup»-
rior) bildet. Während sie an der Seitenwand des Pharynx bis zu
ihrer Vereinigung mit der Vena facialis communis herabsteigt,
sammelt sie die aus dem Plexus venosus pharyngeus stammenden
Venae pharyngeal, und öfters eine unansehnliche Vena lingualis. Kurz
bevor sie sich mit der Vena subclavia zur Anonyma vereinigt, nimmt
sie die Vena jugvlaris externa auf. Das kurze Stück des Ge&sses,
welches zwischen dieser Aufnahme der Vena jugvlaris externa, und
seiner Verbindung mit der Vena subclavia Hegt, nenne ich Vena
jugularis communis. Viele Autoren verstehen unter Vena jugvlaris
communis unsere interna, Ergiesst sich aber die Vena jugularis ex-
terna nicht in die interna, sondern in die Vena subclavia, so giebt
es wirklich keine Vena jugularis communis, wenn man nicht die
Jugularis interna als solche gelten lässt. Im Foram^^i jugvlare hängt
die Vena jugularis interna mit dem queren Blutleiter der harten
Hirnhaut, und durch diesen mit allen übrigen Blutleitern zusammen.
Blutleiter (Sinus durae matris) sind Hohlräume zwischen den
beiden Blättern der harten Hirnhaut. Sie führen Venenblut, und
werden an ihrer inneren Oberfläche mit einer Fortsetzung der inneren
Haut der Drosselvene ausgekleidet, in welch' letztere sie alle über-
gehen. Die Blutleiter haben, wie die Venen der harten Hirnhaut,
keine Etappen.
Die Sache lässt sich aach so ausdrücken, dass die Drosselvene, nachdem
sie in die Schädelhöhle eingetreten, ihre äussere und mittlere Haut verliert, nur
die innere behält, und der Abgang der ersteren durch die Lamellen der harten
Hirnhaut ersetzt wird. Da nun diese Lamellen starr sind, und selbst von den
Schädelknochen gestützt werden, können die Sinns weder eine namhafte Erwei-
terung durch Blutüberfüllung erleiden, noch beim Querschnitt coUabiren. Streng
genommen, besitzen alle Venen der harten Hirnhaut, nicht blos die Sinus der-
selben, diesen anatomischen Charakter. Die Venen der harten Hirnhaut sind dem-
nach eben&Us Sinus. Man unterscheidet jedoch beide dadurch von einander,
dass die eigentlichen Sinus der harten Hirnhaut beim Durchschnitt nicht zu-
sammenfiftUen, die Venen dagegen collabiren. Beachtet man diesen Unterschied
nicht, 80 ist die Yerwechflliing Ton Biniu und Venen der harten Hirnhaut sehr
leicht, und yUiU.jJksiUitmi 1^1 "'*"- - ^-t von anderen als Vene ge-
nommen wild *
1024 $. 417. Innere Droeselrene und Blotleiter der hüten Himhnut.
Sinua drückt sehr viele Dinge »as, vom Sehlnpfvrinkel bis Kum Meer-
baten; am ftUerletsten aber einen Blntleiter. Bei den Römern war Sinau, der
vor der BniBt zur linken Schalter gehende Faltenwarf der Toga: Sitnan ex toga
fticere^ Livius. Mit dem Begaff „Höhlung" wurde 8mus von Vesal and
Realdus Columbus auf die BlaÜeiter der harten Hirnhaat angewendet, dem
Galen zu Ehren, welcher sie ttJ; r^oL-ftlA^ pi7)v(YY0( xoiXfa; nannte (d. L eavüaU»
durae matrUJ.
Die Blutleiter sind theils paarig, theils iinpaar.
1. Ein ansehnlicher unpaarer Sinus Hegt vor der JProtttberantia
occipitalis interna, zwischen den Blättern des Tentorium cerebellL Da
er mit den anderen Blutleitem direct oder indirect zusammenhängt,
wird er Confluens sinuum s. Torcvlar Herophäi genannt, obgleich
man nicht bestimmt weiss, was eigentlich Herophilus unter tor-
cular (wörtliche Uebersetzung des bei Galen zu lesenden Wortes
Xy)v6?, ein Weinkeller) verstanden hat.*)
2. Der quere Blutleiter, Sinus transversus. Er ist paarig,
geht also beiderseits vom Torcular hervor, läuft am hinteren Rande
des Tentorium quer nach aussen, und krümmt sich über den
Warzenwinkel des Scheitelbeins, die Pars mastoidea des Schlftfe-
beins, und die Pars condyloidea des Hinterhauptbeins, in den für
ihn bereit gehaltenen Furchen, zum Foramen jugulare herab, wo er
in den BtUbus superior venae jugularis übergeht. Zwei Emissaria San
toiini führen aus ihm zu den äusseren Schädelvenen. Das eine
geht durch das Foramen mastoideum, das andere durch das jForamen
condyloideum posterius. Je kleiner das Foramen jugulare, desto grösser
sind diese Emissaria.
3. Der obere Sichelblutleiter, Sinus faldformis major #.
longitvdinalis superior. Er liegt im oberen Rande des Sichelfortsatzes
der harten Hirnhaut, erweitert sich von vor nach rückwärts, hängt
im Foramen coecum mit den Venen der Nasenhöhle zusammen, und
geht nach hinten und unten in den Confiuens sinuum über. Fibröse
Bälkchen ziehen im Inneren desselben von einer Seitenwand zur
andern. Emissaria Santoinni treten von ihm durch die Foramina
parietalia zu den äusseren Schädel venen.
Sehr oft mUndet der Sinus falcifomiis major nicht in den Conflaens, son-
dern geht unmittelbar in den rechten Sinus trantveraua über. Hieraus erklärt sich
sodann die auffallende Weite des rechten Foramen jugulare.
*) GalenuSf de usu partium, lib. IX. cap. 6, sagft: Ooihmie* m vertiee
meningis duplicaturae, quae »anguineni deducunt in loaim quemdam vacuutn, qu4Msi
cistemam, quem aane, ob id ipsum, Herophilus torcular seiet nominare. Ich ^lÄabe
diese Worte am richtigsten auf den Confluens sinuum beziehen zu müssen. Oof^kten»,
Con/hentes, und Confluges, sind bei Livius und Tacitus die Zasammenmflndiiii|^n
Bweier Flüsse, an welchen die römischen Heere ihre Lager aufzuschlag^en pflegten.
Noch heisst die Stadt an der Einmündung der Mosel in den Rhein: Coblens, d.L
doch Oof^luens. Nicht weniger als drei Ortschaften in Frankreich, and eine Stndt
im Herzogthum Savoyen, führen heute noch aus demselben Grande den Jft
Conflans.
S. 417. Inn«re DrosMlTene und Blatleitor der barien Hirnkavt. 1025
4. Der untere Sichelblutleiter, Sintis faldformia minor 8.
inferior, verläuft im unteren scharfen Rande der Sichel, und geht
in den folgenden über.
5. Der gerade Blutleiter, Sinua rectus s. perpendictdaris,
liegt in der Uebergangsstelle der Hirnsichel in das Zelt des kleinen
Gehirns, und entleert sich, schräg nach hinten absteigend, in den
Confluens sinuum, — 3., 4. und 5. sind unpaar.
6. Der paarige Zellblut leiter, Sinus cavernosus, liegt an
der Seite der Sella turcica und fuhrt seinen Namen von den fibrösen,
ein zelliges Fachwerk bildenden Bälkchen, welche seinen Hohlraum
durchsetzen. Er schliesst die Carotis interna nebst ihrem sym-
pathischen Geflecht, so wie den NervxM ahducens ein. Längs des
hinteren Randes des kleinen Keilbeinflügels zieht sich eine Ver-
längerung desselben als Sinus alas parvae hin.
Beide Zellblutleiter hängen durch zwei Verbindungskanäle zu-
sammen, welche vor und hinter der Hypophysis cerebri die Sella
turcica umgreifen. Sie sind bogenförmig gekrümmt, kehren einander
ihre Concavitäten zu, und werden zusammen als Sinus drcxdaris
Ridlei erwähnt; — genauer beschrieben, nicht aber entdeckt, von
dem Engländer H. Ridley, Anatomy of the brain, 1695, pag, 43.
Nach Rektor zik's Entdeckung erstreckt sich eine Fortsetzung des Skma
cavemonu durch den Cancdis carodctu nach abwärts, und verbindet sich ausser-
halb des Schädels mit den in der Gefilssscheide der Carotis verlaufenden Venen
(Sitzungsberichte der kais. Akad. 1858). — Nach den Untersuchungen von Eng-
lisch findet sich eine constante Verbindung des Sinus cavemonu mit dem gleich
zu erwähnenden Sinus petrosus inferior ausserhalb des Schädels (Sitzungsberichte
der kais. Akad. 1863).
7. Der obere Felsenblutleiter, Sinus petrosus superior, ent-
springt aus dem Sinus cavernosus, und zieht am oberen Rande der
Felsenbeinpyramide zum Eintritte des Sinus transversus in die Fossa
sigmoidea des Schläfebeins.
8. Der untere Felsenblutleiter, Sinus petrosus inferior^
liegt zwischen dem Clivus und der Pyramide, und geht aus dem
Sinus cavernosus zum Bulbus venae ju^gvlaris, häufiger aber zur Vena
jugtUaris interna unterhalb des Foramen jugulare. — 7. und 8. sind
ebenfalls paarig.
Ein die Sutura petnmhsquamosa entlang laufender Sinus, verbindet die
durch das Faramen spinosum passirenden Venae meningeae mediae mit dem Sinus
transversus. Von ihm gelangt, durch das im §.101, Note 6, erwähnte anomale
Foramen jugulare spurium (Luschka), ein Emissarium zur Vena jugularis
externa,
9. Der Hinterhauptblutleiter, Sinus occipitalisj besteht
eigentlich atui mehrfachen, das grosse Hinterhauptloch umgebenden,
und vielfach uiter eir««^«^ »ninioirenden Venenkanälen der
1026 S* 418* Venen, welche sich in die 8inu$ dura» wuUrü entleeren. t
Er hftt für das Hinterhauptloch dieselbe Bedeutang, wie die im §. 341, bj,
und in der Notiz zu §. 420 erwähnten Plexus venon spinale» für den Rück^rati-
kanal, und communicirt vielfältig mit den beiden Sinua petroai inferiore; so wie
auch mit der Einmündungsstelle des Smus transveraus in den Confluens, durch
zwei im Processus falcifarmis minor aufsteigende Yerbindongswege.
§. 418. Tenen, welche sich in die Sinics durae matris
entleeren.
Die Blutleiter der harten Hirnhaut sammebi das Blut a) aus
den Venen des Gehirns, h) aus den Hirnhäuten, c) aus der Diploe
der Schädelknoehen, und d) theilweise aus den Organen des Ge-
sichtes, des Geruches, und des Gehörs.
a) Die Gehirnvenen, Venae cerebrales, tauchen theils zwischen
den Windungen des Gehirns auf, theils treten sie durch die natür-
lichen Zugänge der G^hirnkammern an die Oberfläche.
Sie lassen sich folgendermassen übersichtlich zusammenstellen :
a) Die Venae cerehraies superiores beider Hemisph&ren entleeren sich in den
Sinus UmgitudindUs superior, dessen Seitenwand sie in schief nach vom gehender
Rlehtong durchbohren.
ß) Die Vena cerebri magna s. Golem, welche ihre WunEeln in der Tda
ckoroidea superior sammelt, und durch den Querschlitz zum Sinus perpendicularis
geht. Die ansehnlichste Wurzel der Vena cerebri magna ist die, längs der Stria
Cornea hinziehende Vena temiinaUs. — Bevor die Vena magna sich in den SinMS
perpendicularis entleert, nimmt sie die von den Organen der Gehimbasis ent-
springende, und sich um den Pedunculus cerebri nach oben schlagende Vena basi-
laria Roaenthalii auf. f Rosenthal, de intimis cerebri venis, im 12. Bande der Acta
acad. Leop. Carol.)
Y) Die Venae cerebrales inferiores, von der imteren Fläche des gfrossen
Gehirnes abgehend, entleeren sich in die nächsten Sinuse, — die vorderen in den
Sinus cavernosus, die mittleren in den Sinns petrosus superior, die hinteren in den
tSintis transversus. Aus dem Chiasraa, Ttil^er cinereum, dem Gehimanliang, dem
Trichter, und der Snfjslanlia perforata media, gehen kleine Venen zum Sittus circu-
laris Ridlei. Die grösste Vena cerebralis inferior ist die Vena fossae S^lviL Sie
geht zum Zellblutleiter, oder zum Sinus alae parvae.
8) Die Venae cerebelli superiores entleeren sich in den Sinus perpendicu-
laris, und
e) die Venae cerebelli inferiores kommen vom Pens Varoli, der AieduUa
oblongata^ und der imteren Fläche des kleinen Gehirns, und ergiessen sich in den
Sinus petrosus inferior, transversus, und ocdpitalis.
h) Die Hirnhautvenen, Venae meningeae, werden sich in die
ihnen zunächst liegenden Blutleiter entleeren. Die immer doppelte
Vena meningea media ergiesst sich theils in den Sinus cavemamu,
theils verlässt sie die Schädelhöhle durch das Foramen tpinotum
(auch ovale), um sich in den Plexus maxiUaris internus zu entleeren.
S. 418. Ven«B, welche tieh in die Simu» dwra% mntri* entlMren. 1027
c) Die Venen der Diploe stellen weite, blos aus der inneren
Venenhaut gebildete, die Diploe in verschiedenen Richtungen durch-
ziehende Kanäle dar. Sie entleeren sich theils in die Sinus durae
matrü, theils in die äusseren Schädel venen. Breschct, dem die
Wissenschaft ihre genauere Kenntniss verdankt, unterscheidet:
a) Eine Vena diploeUca frcnlalü, welche im Stirnbein sich verzweig and
ihren Stamm durch ein Löchelchen an der IncUura sisprcufrbiUUü zur gleich-
genannten Vene treten lässt.
ß) Eine Vena diploetica temporalia anterior et posterior. Die anterior mündet
durch eine Oeffnung in der äusseren Flilche des grossen Keilbeinflügels in die
Vena temporali» profunda, oder sie entleert sich in den SinuB alae parvae. Die
posterior gehört dem Scheitelbein an. Sie mündet am Ängulus mastoideus in den
Sinus transversus, oder in eine äussere Schädelvene.
Y) Eine Vena diploetica ocdpitalis, welche in der Gegend der Linea semi-
circularis inferior in die Hinterhauptvene, oder nach imaen in den Sinus ocdpitalis
übergeht.
Ausführliches giebt G, Breschet, im 13. Bande der Acta acad. Leop.
Carol. — In der Wurzel des Jochfortsatzes kommt ein anomales Foramen vor,
welches an einem Kopfe unserer Sammlung fast drei Linien Durchmesser hat Es
führt in die DiploS des Schläfebeins, und communicirt durch einen schräg auf-
steigenden Kanal mit dem Sitlcus nieningeus der Schuppe. Dasselbe lässt eine
Vena diploiUica zur Vena facialis posterior austreten. Bei vielen Säugethieren
existirt es als Norm, und wird von den Zootomen als MeeUus temporalis be-
zeichnet — Die Venen der Gruppen aj, b) und c) besitzen in ihren Wandungen
keine contractilen Elemente.
d) Von den Venen der Sinnesorgane sind die Veiiae audi-
tivae intemae, welche durch den Meatus auditoriaa internus zum
Sinus transversus, oder petrosus inferior gehen, und die durch den
Aquaeductus vestämli aus dem Gehörlabyrinth in eine Vene der
harten Hiimhaut sich entleerende Vena vestihtäi, so wie auch die
durch die Hssura petroso-squamosa aus der Trommelhöhle hervor-
kommende Vena tympanica, welche gleichfalls sich in eine Vene
der harten Hirnhaut ergiesst, sehr unbedeutend. Die in den Anfang
des Sinus longitudinalis superior an der Crista galli sich ergiessenden
Venae nasales, sind wo möglich noch unansehnlicher; — nach Theile
nur bei Kindern nachweisbar.
Die Vena ophihalmica dagegen ist ein stattliches Gefass, und
stimmt mit den Verästlungen der Arteria ophthalmica im Wesent-
lichen überein. Sie beginnt am inneren Augenwinkel, wo sie mit
der vorderen Gesichtsvene anastomosirt, und mit den Venen des
oberen und unteren Augenlides Verkehr unterhält, zieht an der
inneren Augenhöhlenwand nach hinten, geht aber nicht durch das
Foramen opticum, sondern durch die Fissura orbitalis superior in die
Schädelhöhle, und entleert sich in den Sinus cavernosus.
Die Venen, welche durch die Vena ophthalmica zuAammenge&sst werden, sind:
a) Die Vena ßrmUaUs. Sie geht nach meinen Beobachtungen eben so oft
in die Vena fodaUs atderier tfb«r, «li In die Vena ophthalmiea.
6ö»
1028 i- *!>' ÜamtludAfllicIU Ouleklivna.
ß) Die Vena laeci laeri/malit.
•() Die Veime munaitan» di>r Augenmiitkelii.
3) Die Venae dliaret. Ea sind ihrer vier oder fünf. Sie gehen >na dei
venDaen Vota vortkota >n der AuBsuntliiclic der Chomidek hervor (g. 2113), nnr
dambbohren die Sclerotica hinter ihrem griJasten Umfang, nm »Icli entweder i:
HmkelTenen, oder (die innere in iler Re^l) in den Bluuin der Vena ophthaimif
ctrtbraiü ra entleeren.
i) Die Vena glaniiiilae lactymalit.
C) Die rejio ernli-alit rrtiiute.
7|) Die l'ena t^lhalmira in/rrior. 8ie wird dureli einige untere Aogen
miukelvencn, 1 — 2 Ciliarvenen, und eintn VerbindungsEweig mit der Vena iy\fra
orbäati» gebildet, und entleert «icli entweder in die Aogenvene, ndur auch Beibat
aULndig in den Siniu caventotiu.
J. G. H'aUJier, de venia ucali. Reroi-, 17T8. — Eine aehr acbXtxenBwerthi
Arbeit Über die Orbitalvenen, und ihren Zaaammenhang mit den oberflXchllchei
Venen dea Kopfea, verdanken wir Herrn E. Setemann (Archiv für Ankt. am
Phyriol. 1869).
%. 419. Gemeinschaftliche Gesichtsvene.
Die gemeinschaftliche Gesichtsvcne, Vena facialü com
mimi$, bildet einen, einen halben bia einen Zoll langen Stamm
welcher, von Heiner Entleerung» stelle in die Vena jugularis intenu
angefangen, durch das Trigowim cervicah »uperiug acliiäge nscli
oben gegen den Angulua maxiUae infei-iim» verläuft. Auf dieseir
Woge nimmt sie die Vena tlir/reoidea miperior auf, wenn diese sict
nicht in die Vena juifuUiris interna entioert, zuweilen auch die X'enat
plutri/mjeae und die Zmigenvenc. In die Vetia fhi/reoidea gupertor ent-
leert sich gewölinlich die Vena lar'/ngea. — Unter dem Ängultu
moicillae wird die Vena facialis comminu'« durch den Zui^amnienfluss
der vorderen und hinteren Gesiehtsvene gebildet.
Ea kommt aller oft genug vor, dasH die Untere Geaichtavene nicht in die
Vena /acialii fomiaiinii fllH'rgolit, aondeni in die Vena j'iiyu/on» f-xt^ma. Viele
ScIinfLiteller stAtiiiren diexeK Vorkommen selli^'t aU Norm.
AuBfllhrliclien lllier die Venen de» Ki'hlkopfea giebt Liuchka, im Archiv
für Anat. niid l'hyaiol. 1KR9.
A) Die vordere Oesiehtavenc, Vena fticlaU» anterior, ent-
spricht der Arteria maxiüarlK enterna. Hegt jedoeli etwas hinter ihr,
und verläuft nicht so gesehlängelt wie diene. Sie beginnt an der Seite
der Nasenwurzel als Vena niufidarU, anastoinusirt daselbst mit der
Vena ophthalmica, nimmt sehr oft die Vnna frontolt» auf, und geht,
in das Fettlager des Antlitzes eingehüllt, gegen den Anguht* maaxllae
herab. Es entleeren sieli in dieselbe:
a) Dil" l>no supraorhUali». wi-lche in der Hiehtuug dea COrmgaUtr inip«r-
eitii verianfeiid, die l>n<ir palpeliraln mperüiren aufnimmt.
§. 419. Gemeinschaftliche GesichtsTene. 1029
h) Die Venae naaales dorsales and laterales. Eine der letzteren hängt mit
den Venen der Nasenschleimhaat durch Yerbindongsäste zusammen.
cj Die Venae paipebrales inferiores, zwei bis drei.
d) Die Venae labiales superiores et inferiores,
e) Die Venae mtuctdares huccales und nuusetericae,
f) Die Vena submentaUs.
g) Die Vena palatma, welche aus dem weichen Gaumen und der Mandel
ihre Zweig-e bezieht, und
h) Die Vena ranina, von der unteren Fläche der Zunge, dicht am Frenulum
herabkommend.
Sehr constant ist eine Verbindung der Vena facialis anterior, oder eines
ihrer Zweige, mit den Geflechten der inneren Eliefervene. Es lieg^ nämlich am
hinteren Umfange des Oberkiefers, unter der Fissura orbitalis inferior, ein mäch-
tiger Plexus venosus, welcher durch die Vena infraorbitaUsj nasalis posterior, und
alveolaris superior gebildet wird, mit der Vena ophthalmica inferior und dem
Plexus ptert/goideus der inneren Kiefervene zusammenhängt, und einen oder
mehrere Rami anastomotici nach rom zur Vena facialis anterior sendet Die Ana-
stomose der Arteria maxillaris externa mit dem Ramus bucdnatorius der Maxillaris
interna, entspricht dieser Venen Verbindung. Da durch diese Venenanastomose das
Blut zum Theil aus der Vena ophthalmica inferior in die oberflächlichen Gesichts-
venen abfliessen kann, so wurde die Vena ophthalmica inferior auch Vena ophthal-
mica facialis benannt.
B) Die hintere Gesichtsvene, Vena fadalia posterior, ent-
spricht den Verästlungen der Arteria temporalut und maxillaris interna,
Sie wird über der Wurzel des Jochfortsatzes durch den Zusammen-
fluss der Vena temporalis superficialis und media gebildet, und zieht
in der Substanz der Parotis zum Angvlus m^ucillae herab, wo sie sich
meist in zwei Zweige spaltet, deren einer sich mit der Vena facialis
anterior verbindet, während der andere in die Venajugularis externa
übergeht. Sie nimmt auf:
aj Die Vena temporalis superficialis. Diese lieg^ auf der Fasda temporalis,
und ist, wie die Ärteria temporalis, in zwei Zweige gespalten. Der vordere
anastomosirt mit der Stimvene, der hintere mit der Hinterhauptveno.
b) Die Vena temporalis media liegt unter der Fascia temporalis, kommt
aus den Venennetzen der Stime, und geht oberhalb des Arcus zt/gomaticus nach
rückwärts, durchbohrt endlich die Fascia temporalis, und verbindet sich mit
aJ zum eigentlichen Anfang der Vena facialis posterior. — Ich habe diese Vene,
welche der gleichnamigen Arterie, und zugleich der Arteria zygomatico-orbitalis
entspricht, nie einfach, sondern immer als Plexus gesehen^ welcher mit den tiefen
Temporalvenen, und durch perforirende Aeste mit den subcutanen Venengeflechten
des Antlitzes in Verbindung steht
c) Die Venae auriculares anteriores, worunter eine profunda.
d) Die Venae transversae faciei, welche vor und hinter dem Masseter mit
den Geflechten der inneren Kiefervene Verbindungen haben.
ej Die Venae parotideae.
f) Die Ve:na maanllaris interna. Sie ist kurz, meistens doppelt, und ent-
wickelt sich aus einem reichen Venengeflecht, welches die Tiefe der Fossa tem-
paraÜs antfilllt, nod t^*^ ' ^'^ -"« ^Mtiden Flttgelmuskeln hineinschiebt Dieses
. Geflacht — * lattea der Artfna maapillarii
1030 S- i>0. 0b«rflftoliliok6 und ti«f6 HüsTtnen.
mterna analogen Venen, and steht anf die oben angegebene Weise mit den Ver-
zweigungen der Vena fcusidU» anterior in Rapport.
Da nun, wie aus dem gegebenen Schema erhellt, die vordere nnd hintere
Gesichtsvene keine Venen aufnehmen, welche der Arteria occipUaUs nnd auricularia
potterior entsprechen, so mtlssen diese einen besonderen Venenstamm bilden.
Dieser ist die im folgenden Paragraphen zu schildernde Vena jugtUaria eoctema. An
mehreren gut injicirten Köpfen finde ich von der Vena facialis posterior einen
starken Ramus anastomoticus, unter dem Ohre weg, zu den Venennetzen des Hinter-
hauptes verlaufen« Zuweilen wird das Stromgebiet der Vena jugtdaris eoßtema
bedeutend dadurch vergrössert, dass, nebst der Vena facialis posterior, auch die
(mterior ganz oder theilweise in sie übergeht
§. 420. Oberflächliche und tiefe Halsvenen.
Die oberflächlichen Halsvenen (Drosselvenen) liegen
zwar unter dem Platysma myoides, sind aber dennoch am Lebenden
schon bei massiger Stauung des Blutes in ihnen, durch die Haut
abzusehen.
a) Die äussere Drosselvene, Vena jugularis externa, entsteht
aus oberflächlichen Zweigen der Venae occipitales und auriculares
posteriores, und erhält durch das Emissarium des Warzenloches auch
Blut aus dem Si7ius traiisversns. In der Regel hängt sie auch mit
der hinteren Gesichtsvene zusammen. Sie steigt senkrecht über den
Kopfnicker herab, nimmt einen oder zwei Zweige auf, welche den
tiefen Verästlungen der Arteria occipitalis und auriculams posterior
entsprechen, und vom Nacken an sie heran treten (Jugularis externa
posterior), und geht in der Fossa supraclavicvlaris, unter dem hinteren
Rande des StemodMo-m^Lstoideus, in die Tiefe zum Stamme der
Vena jugulaiis interna oder der Vena subclavia. Zuweilen entleert sie
sich in den Vereinigungswinkel der Vena subclavia und Vena jugularis
interna.
Rathke zeigte, dass im frühesten Fötalleben, der aus dem Sinus transversus
ableitende Venenstamm nicht durch das Foramen lacenim der Schädelbasis, son-
dern durch eine zwischen dem äusseren Gehörgang und dem Kiefergelenk befind-
liche Oeflfnung hervorkommt. Dieser ableitende Venenstamm kann somit nicht die
später entstehende Vena jurfularis iiüerna sein, sondern ist vielmehr die Vena
jugularis externa. Bei manchen Säugern (Kalb, Hund) bleibt diese Einrichtung
durch das ganze Leben, und selbst beim Menschen erhält sich eine Erinnerung
an diese primitive ableitende Blutbahn, in dem Emissarium, welches durch das in
der Note 6 zu §. 101 angeführte Foramen jugularis spurium unter der Wurzel des
Jochfortsatzes, aus dem Sinus petroso-squamosus hervortritt.
b) Die vordere Drosselvene, Vena jugularis anterior. Sie
ist ein durch den Zusammenfluss mehrerer oberflächlichen Venen
der Unterkinngegend gebildeter Stamm, welcher mit dem Strom-
gebiet der Vena ju^gularis interna und facialis anterior Verbindungen
eingeht, und, vom Zungenbein angefangen, am vorderen Rande des
§. 480. Oberflichliche nad tief« HftltTeB«n. 1031
Kopfnickers zur foBsa jugtUaris herabsteigt, wo er gewöhnlieh mit
dem der anderen Seite durch ein Bogengefäss (Arcus venosus jugvli)
anastomosirt, hierauf in horizontaler Richtung unter dem Ursprung
des Kopfnickers nach aussen ablenkt, und sich entweder mit der
Vena jugtUaris interna verbindet, oder auch in das Ende der Vena
jugtdaris externa einmündet.
Sie variirt so hSafig, dMs ihre Beschreibnng eigentlich in einer Auf-
zählung von vielen Spielarten besteht, deren untergeordnete Wiehtigkeit sie hier
übergehen lässt.
c) Die mittlere Drosselvene, Vena mediana colli, entspringt
wie die Jugidaris anterior, und steigt in der Medianlinie des Halses
zur Fossa jugularis herab, wo sie entweder in den die beiden Venae
jugulares extemae anteriores verbindenden Arcus venosus j^g^h oder,
und zwar häufiger^ in eine Jugularis anterior, selbst in die interna,
einmündet. Sie fehlt oft, und erscheint, wenn sie vorkommt, um so
stärker, je schwächer die Vena jugularis anterior gefunden wird.
Fehlt letztere, so leistet eine stärkere Mediana colli für diesen Ab-
gang genügenden Ersatz.
Ueber die oberflächlichen Halsvenen handelt Luschka: Das Foramen jugu-
lare »purium, etc., in der Zeitschrift fttr rat. Med. 1859, so wie dessen Abhand-
lung: Die Venen des menschlichen Halses, in den Denkschriften der kais. Akad.
20. Band.
Als tiefe Halsvenen bezeichnet man alle unter dem hoch-
liegenden Blatte der Fascia colli gelegenen Blutadern. Da die Vena
pharyngea, lingualis und thyreoidea superior bereits erwähnt wurden,
so erübrigen nur noch die Vena vertebralis und Vena thyreoidea
inferior.
1. Die Wirbelvene, Vena vertebralis, liegt mit der Arteria
vertebralis im Kanal der Querfortsätze der Halswirbel, und sammelt
das Blut aus dem Wirbelkanal, und den tiefen Nacken venen. Sie
ergiesst sich in die Vena anonyma, oder in die Vena subclavia.
Die Wirbelvene verhält sich zu den Venen der Wirbelsäule auf gleiche
Art, wie die VerMe intercoHcUe», lumbales^ und sacrales laterctUs, Es finden sich
nämlich in der ganzen Länge der Wirbelsäule reiche Venennetze — Plexus spinales
— welche als äussere auf den Wirbelbogen aufliegen, und als innere im
Wirbelkanal, zwischen den Knochen und der harten Hirnhaut, eingeschaltet sind.
Die inneren zerfallen wieder in vordere und hintere, welche durch Ver-
bindungsgeflechte zusammenhängen, so dass um den Sack der harten Hirnhaut
hemm, eben so viele ringförmige Venenanastomosen (CirceUi venosij, als Wirbel
vorkommen. Der in §. 417 erwähnte Sinus occipitalis ist, dieser Darstellung zu-
folge, die erste, oberste ringförmige Anastomose der vorderen und hinteren Plexus
spinales mtemi. Die Plexus spinales inUmi nehmen die starken, aber dünnhäutigen
Venen der Wirbelkörp«r, 4m BtekeimiMkM, «ad aeiner Hlitte auf, hängen durch
dio Forwmiinm ißrienmiiAraMm m)! 4«9, li|iiMt— Wifbalf «m* nuMnoMn, und ent-
leeren eiehi mb Halte f* "^ ^^tereo Aetle
1032 §. 4SI* VeDsn dar oberen Extremität.
der Intercostalvenen, an den Lenden in die Venae lumbale$, in der kleinen Becken-
böhle in die Venae scusralea laterales,
O, Breschel, essai sur les veines da rachis. Paris, 1819. 4.
2. Die untere Schilddrüsenvene, Vena thyreoidea inferior.
Sie entspringt aus dem Isthmus und den Seitenlappen der Schild-
drüse, und nimmt auch aus dem Pharynx und Larynx Zweige auf.
Während sie vor der Luftröhre zur oberen Brustapertur herabsteigt,
bildet sie, mit demselben Gefass der anderen Seite, den Plexus
thyreoideus imus, welcher sich durch einen kurzen einfachen Stamm
(Vena thyreoidea impar) in die Vena anonyma sinistra entleert.
Der Verlauf der Vena thyreoidea inferior entspricht, dem eben Gesagten
zufolge, nicht dem Verlaufe der Arteria thyreoidea inferior, wohl aber der Arteria
thyreoidea ima Neubaueri, §. 394, b.
§. 421. Tenen der oberen Extremität
In der Schlüsselbeinvene, Vena subclavia, ist der Haupt-
stamm für die Venen des Arms und der Schulter gegeben. Sie
liegt vor dem Scalenvs anticus, und hinter dem Ursprung des Kopf-
nickers. Sie kreuzt die erste Rippe. Als unmittelbare Fortsetzung
der Vena axillaris hat sie keinen festgestellten Anfang, weshalb das
obere Stück der Achselvene häufig noch als Vena subclavia benannt
wird. Sie nimmt folgende klappenreiche Zweige auf:
A) Die tiefliegenden Venen des Arms, Vena^ profunda^
brachiu Sie halten sich genau an den Verlauf der Af'teria braxJiialis
und ihrer Zweige. Sie beginnen in der Hohlhand als Venae digi-
tales volares, welche in einen hoch- und tiefliegenden Arcus venosus
übergehen. Aus diesen entwickeln sich die doppelten Venae radiales
und vlnares. Die Vena^ tdnares nehmen die doppelten Venae inter-
osseae auf. In der Ellbogenbeuge fliessen die Venae radiales und
ulnares zu den beiden Venis bra^hialibus (einer externa und interna)
zusammen, welche die Arteria brachialis zwischen sich fassen. Die
Vena brachialis interna ist stärker als die externa, und nimmt ober-
halb der Mitte des Oberarms die Vena ba^ilica auf. Die Aeste,
welche sich in beide Venas brachiales entleeren, folgen in derselben
Ordnung, wie die Zweige, welche die Arteria brachialis abgab.
Gegen die Achselhöhle zu vereinigen sich die beiden Venas
brachiales, welche in ihrem ganzen Laufe durch Queranastomosen
in Verbindung stehen, zur einfachen Vena axillaris, welche am
inneren und vorderen Umfange der Arteria axillaris aufsteigt, und
unter dem Schlüsselbein, nachdem sie die Vena cephalica aufge-
nommen hat, in die Vena subclavia übergeht.
§. 4SI. Venen der oberen Bxtrem|t&t. 1033
Selten wird auch die Vena aaaüari» nnd aubcUMiia doppelt gefimden. Ich
sah in einem solchen Falle, von den beiden Venia subclavia eine vor, die andere
hinter dem Scalentis anticua zur oberen Brustapertur gelangen.
B) Die hochliegenden oder Hautvenen des Arms, Vencie
gubcutaneae brachii, sind chirurgisch wichtiger als die tiefen, unter-
liegen aber weit mehr Spielarten in ihrem Verlaufe, als letztere.
Sie liegen zwischen Haut und Fascia, im Panniculits adipomis, welcher
sie bei fettleibigen Personen (wo die Hautvenen überdies sehr dünn
zu sein pflegen) einhüllt, und nur dort, wo er schwach ist, wie am
Handrücken, durch die Haut durchscheinen lässt. Sie anastomo-
siren schon in ihren gröberen Ramificationen häufig mit einander,
und höchst constant auch mit den tiefliegenden Armvenen. Sie
beginnen aus einem Venennetze des Handrückens, Rete venosum
manus dorsale, in welches sich die geflechtartigen Venae digitorum
dorsales entleeren. Man unterscheidet folgende Hautvenen des Arms.
a) Vena cephalica. Ihr Name rührt daher, dass aus ihr nur bei
Kopfleiden, von den alten Aerzten zur Ader gelassen wurde (Spi-
gelius, L. 5. cap. 7). Sie sammelt ihre Wurzeln vorzugsweise aus
der Gegend des Daumenrückens, krümmt sich um den Radialrand
des Vorderarms zu dessen innerer Seite, und steigt über den Ellbogen
in den Sulcus bicipitalis extermis hinauf, um zwischen PectorcbUs
major und Deltoides, in die Fossa infraclavicularis zu gelangen, wo
sie sich in die Tiefe senkt, um in die Vena axillaris einzumünden.
Nicht ganz selten trifft es sich, dass sie über das Schlüsselbein zur Fosaa
9upraclavicularis anfsteigt, wo sie sich in die Vena subclavia entleert.
b) Vena basüica, Sie folgt nicht genau dem Ulnarrand des
Vorderarms. Gewöhnlich finden wir sie in zwei Zweige getheilt, —
einen an der Aussenseite, den anderen an der Innenseite des Vorder-
arms. Ersterer führt in specie den Namen Vena salvaiella, oder
salvadella, welcher aus dem arabischen Worte Almadel gebildet
wurde. Mehr weniger tief unter dem Ellbogenbug, verbinden sich
beide Zweige der Basilica zu einem einfachen Stamm, welcher im
Sulcus bicipitalis internus aufsteigt, und beiläufig in der Mitte des
Oberarms die Fascia brachii durchbohrt, um sich in die Vena bra-
chialis interna zu ergiessen.
Der Name Vena haailica wurde von den lateinischen Uebersetzem des A vi-
ce nna in die anatomische Sprache eingeführt. Damals herrschenden Ansichten
znfolge, Hess man aus der Basilica des rechten Armes bei Leberleiden, aus der
Basilica des linken Armes bei Milzleiden zur Ader. Erstere wurde deshalb auch
Vena jecoraria, letztere Vena lienaria genannt. Aus der Vena »alvateUa des
linken Armes, wurde nur bei Melancholischen Blut gelassen. — Da die Araber
sicher nicht Latein verstanden, kann das Wort Salvaiella ganz gewiss nicht von
»alvare abgeleitet worden sein, wie das DicUonnaire de m4d, angiebt
c) Vena mediana, Sie erscheint unter doppelter Form: 1. als
Yerbindu^««« Rasilka im Ellbogenbug, welcher
\
1034 f. 4». TeMB dtt Brastkuteu.
schräge über den Lacertus ßbrosus der Bicepssehne hinübergeht,
oder 2. als lange mediane Hautvene der inneren Vorderarmseite,
weiche sich etwas unter der Plica cubüi in zwei Zweige theilt, deren
einer als Vena mediema cepheUica in die Vena c^fthaKca, deren anderer
als Vena mediana baeUica in die Vena baeilica mündet. Die erste
Form tritt in jenen Fällen auf, wo die Vena cephalica nahe an der
Medianlinie der inneren Vorderarmseite verläuft.
Die Verta mediana banliea übertrifft an Kaliber die Vena mediana cepha^
liea, und wird deshalb yorzugsweise fftr die Aderl&Me gewählt, obwohl ihre
Kreaznng mit den beiden Zweigen des Nervtu cuUmeua braehU mediua, ihre £r-
öffirang mit der Lanzette oder dem Schnäpper gefährlicher macht, als jene der
Vena m/ediana cephaiica. Da jedoch diese Nerven hänfiger unter als fiber der
Vena mediana banUca weglaufen, so lässt sich ihre Verletzung bei einer kunst-
gerecht gemachten Venaesection, wo nur die obere Wand der Vene eröffnet wird,
wohl rermeiden.
Die Vena mediana, mag sie in der ersten oder zweiten Form
auftreten^ steht regelmässig in der Hica cubid mit einer tiefen Vena
radialis oder brachialis durch einen starken Ramus anaetomoticus in
Commonication. Er ist es^ durch welchen^ wenn die tiefliegenden
Venen bei Muskelbewegung gedrückt werden, ihr Blut in die hoch-
liegenden Venen des Armes abgeleitet wird. Deshalb lässt sich der
schwach gewordene Strom des Blutes bei einem Aderlasse, durch
Fingerbewegung wieder anfachen.
SpecieU aber die Venen der oberen Extremität handelt das Prachtwerk
Barkow*8 mit Tafeln und Holzschnitten. Breslau, 1868.
§. 422. Yenen des Brustkastens.
Nebst den sich in die Venas anonymae entleerenden Venae
mammariae intemae, thymicae, pericardiacae, und intercostales mpremae,
existirt für die Venen der Thoraxwände ein eigenes Sammelsystem,
die unpaare Blutader, Vena azygos, Sie wird in der Bauchhöhle
auf der rechten Seite der Wirbelsäule, aus Wurzeln construirt,
welche aus den Venis lumbaltbus stammen. Zwischen dem inneren
und mittleren Zwerchfellschenkel gelangt sie in die Brusthöhle, liegt
im hinteren Mediastinum an der rechten Seite des Ductus thoracicusy
steigt bis zum dritten Brustwirbel empor, und krümmt sich von
hier an über den rechten Bronchus nach vorn, um in die hintere
Wand der Vena cava descendens einzumünden. Sie nimmt das Blut
auf, welches der Luftröhre, Speiseröhre und den Brustwänden durch
die Aeste der Aorta thoracica zugeführt wurde. Auf der linken Seite
entspricht ihr die halb unpaare Vene, Vena hemiazygos, welche
\ wie die Azygos entsteht und verläuft, aber nur bis zum siebenten
\
$. 4S8. unter« HoUT«ne. 1036
oder achten Brustwirbel aufsteigt, dann aber hinter der Aorta nach
rechts geht, um sich mit der Azygos zu verbinden. Da, dieses
frühen Ablenkens wegen, die oberen VerMe intercostaiUs sinistrae sich
nicht in die Hemiazygos direct entleeren können, so vereinigen sie
sich gewöhnlich zu einem gemeinschaftlichen Stamm (Vena hemi-
azygo8 superior oder Vena intercostalts communis ainieh'a), welcher
vor den Köpfen der linken oberen Rippen herabsteigt, um in die
eigentliche Hemiazygos, vor ihrem Uebertritte nach rechts, ein-
zumünden. Die Hemiazygos superior hat aber auch eine obere Ein-
mündung in die Vena anonyma sinistra. Dadurch erscheint sie uns
als eine grosse Anastomose zwischen dieser Vene und der Hemi-
azygos. Durch die Rückenäste der Venae intercostales und lum-
bales, verkehrt das System der Azygos auch mit den venösen
Geflechten des Rückgrats. — Die linke Vena renalis giebt oft eine
Wurzel für die Hemiazygos ab.
Zuweilen lenkt die HemiaEjgoB nicht nftcb rechts ab, sondern bleibt »iif
ihrer Seite, und steigt bis zur linken Vena anonyraa auf, in welche sie sich er-
giesst. Sie verdient in diesem Falle ihren Namen (halbnnpaare Vene) nicht, und
könnte füglich Äzygot »inistra benannt werden. — Abnormitäten im Unprange
und Verlaufe der Vena azygos und hemiazyyot sind etwas sehr Gewöhnliches. Man
hat sie aus der Vena Uiaca communU oder ihren Aesten entspringen, und alle
Lendenvenen sammeln gesehen, so dass ihr also das ganze Gebiet der Rumpfvenen
des Bauches zufiel. Sehr selten steigt der Stamm der Azygos bis zur ersten
Rippe empor, und kriimmt sich Über die Spitze des rechten Lungenflügels (welche
tiefgefurcht erscheint) zum Stamme der Cava »ttperior. Sommer ring sah die
Vena (usygoa sich in die Cava inferior innerhalb des Herzbeutels entleeren. —
Die Verbindung der Azygos mit den Aesten der Ca^a inferior macht es möglich,
dass bei Compression oder Obliteration des Stammes der unteren Hohlvene, das
Blut desselben mittelst der Azygos in die obere Hohlvene geschafft werden kann.
Ja es kann das System der Azygos selbst für den angeborenen Mangel der Cana
mferior als Ersatz einstehen. Variet&ten findet man bei E, H, Weher, Meckel,
Tkeile, und C, Q, Stark, comment anat physiol. de venae azygos natura, vi et
munere. Lips., 1835. — lieber die Klappen und Varietäten der Azygos handelt
Gruber, im Archiv für Anat. 1866.
Da Wirbelsäule und Rumpfwände im Embryo früher gebildet werden, als
die Brust- und Bauchorgane, muss auch das System der Azygos und Hemiazygos
der Entstehung der oberen und unteren Hohlvene vorangehen.
§. 423. Untere HoMvene.
Die untere Hohlvene, Vena cava inferior, wird hinter und
etwas unter der Theilungsstelle der Aorta abdominalis, auf der rechten
Seite des fünften Lendenwirbels durch den Zusammenäuss der
rechten und link«» ff-^^ li) (Vma Uiaca communis) gebildet.
Von hier ' " ^deawirbelfttaU
1088 S* ^^ Venen dee Beckens.
fuhrt, im unteren Rande des Aufhängebandes der Leber zur Fassa
longüvdinalü ainistra gelangt, und sich in zwei Zweige theilt, deren
einer sich mit dem linken Aste der Pfortader verbindet, während
der andere, als Ductus venosus Arantii, zur grössten Lebervene, oder
unmittelbar zur Cava ascendefis tritt.
Nach Bnrow (MüUer'a Archiv, 1838) empfUngt die Nabel vene, beror ne
in die Leber eintritt, eine feine Vene, welche mit symmetrischen Wurseki aas
den beiderseitigen Venae epigaatricae in/eriarea hervorgeht, and überdies noch
einen, ans den Venen der Harnblase entspringenden, und Hag« des UrachBs
aufsteigenden Ast aufnimmt. Die Burow*sche Vene war aber schon Haller
bekannt.
Die Anomalien der unteren Hohlvene betreffen mehr ihre Aeste als ihren
Stamm. Die von Stark, Otto, Gurlt, und mir beschriebenen Fälle, constatiren
das mögliche Fehlen der Cava inferior, wo nur der Stamm der Lebervene dweh
das Zwerchfell zum Herzen ging, alle übrigen sonst zur Cava i/afericr tretenden
Venen aber, von dem ungemein entwickelten System der Azygos aufg-enommen
wurden. — Versetzung der Cava inferior auf die linke Seite der Wirbelsäule
(ohne gleichzeitige Versetzung der Eingeweide) beobachtete Harrison (Sur^,
AruU, of the Arteries. Vd. 2. pag, 22). — Die Venae Uiacae eommuneM kOnnen
sich auch erst höher oben, als am fünften Lenden¥rirbel, zur Oay»a inferior ver-
einigen (Pohl). Ich habe sie beide parallel aufsteigen, und jede derselben
eine Nierenvene aufnehmen gesehen. Einmündung der Chna inferior in den linken
Vorhof (King, Lemaire) bedingt Cjanose. — lieber den Bau des im Hersbeutel
eingeschlossenen oberen Endstücks der Cava inferior, handelt Luschka, im Archiv
für Anat und Phys. 1860.
§. 424. Yenen des Beckens.
Als gemeinschaftliches Sammelgeföss der Venen des Beckens
und der unteren Extremität, dient die Hüft- oder Beckenvene
Vena äiaca communis. Sie wird vor der Symphysis sacro-üiaca durch
die Vena hypogastrica s. äiaca interna, und durch die Veiia cruralis
s. üiaca externa zusammengesetzt.
Die Vena hypogastrica kommt aus der kleinen Beckenhöhle
herauf, wo sie durch den Zusammenfluss der doppelten, den Aesten
der Arteria hypogastrica analogen, grösstentheils klappenlosen Venen
gebildet wird. Die doppelten Venae ghitaeae superiores et inferwreSy
ileO'lumbaUs und obturatoriae, begleiten die gleichnamigen Arterien.
Die Venae sacrales laterales bilden mit den mittleren Kreuzbeinvenen
den Plexus sacralis anterior, welcher sich vorzugsweise in die Vena
üidca communis sinistra, theilweise aber auch in die Vena hypogastrica
entleert, oder auch in die Vena lumbalis ascendens übergeht
Die Venen des Mastdarms, der Harnblase und der Geschlecht»-
theile, bilden Geflechte, welche durch zahlreiche Anasti
einander in Verbindung stehen. Diese Geflechte '
hAniASAwk
S. 4S5. Yenea der nntoren Extremit&t 1039
a) Der Plexus htnemarrhoidalü, Mastdarmgeflecht. Er hängt
durch die Vena haemorrhoidcUis interna mit dem Pfortadersystem
zusammen.
b) Der Plexus vesiccdis, Harnblasengeflecht, umgiebt den
Grund der Harnblase, und steht mit dem Plexus haemarrhoidalis
und pudendcUis in Verbindung.
c) Der Plexus pudendalis, Schamgeflecht, umgiebt bei
Männern die Prostata, empfangt sein Blut aus dieser, so wie aus
den SamenbläBchen, und nimmt die Venae profwndo/s penis, welche
aus den Venengeflechten der Schwellkörper abstammen, imd die
grosse Vena dorsalis penis auf. Letztere entsteht hinter der Corona
glandis aus zwei die Eichelbasis umgreifenden Venen, zieht zwischen
den beiden Arterien penis dorsales gegen die Wurzel der Ruthe,
durchbohrt das Ligamentum trianguläre urethrae, und theilt sich in
zwei Zweige, welche oberhalb der Seitenlappen der Prostata in den
Plexus pudendalis übergehen.
Beim Weibe wird der Plexus pudendalis minder mächtig, und
heisst: Pl^cus utero^aginalis. Er umstrickt die Wände der Vagina,
und dehnt sich an den Seiten der Gebäi*mutter, längs der Anheftung
des breiten Mutterbandes, bis zum Fiindus uteri aus. Er anastomosirt
mit allen übrigen Venengeflechten der Beckenhöhle, und entleert
sich durch die kurzen, aber starken Venae uterinae, in die Vena
kypogastrica.
Eine eingehende Untersnchong über die venösen Plexus im männlichen
Becken, verdAnken wir Lenhoss^k. (Das venöse Convolat der Beckenhöhle;
Wien, 1871.) — Im Inneren der den Plextu pudendaUa zusammensetzenden Venen,
findet sich eine ähnliche Balkenbildnng, wie sie in den Schwellkörpem des Gliedes
vorkommt Die Balken sind reich an organischen Muskelfasern.
§. 425. Venen der unteren Extremität
Sie bilden den Hauptstamm der Vena cruralis s. iliaca externa,
welcher, so wie die Schenkelarterie, in ein Bauch-, Schenkel- und
Kniekehlenstück eingetheilt wird. Vom Poupart' sehen Bande ab-
wärts, sind Stamm undAeste der Schenkelvene mitKlappen versehen.
Da die Bildangsstelle der Vena cava inferior von der Theilnngsstelle der
Aorta nach rechts abweicht, beide Venae iliacae extemae aber unter dem Ponpart-
schen Bande an der inneren Seite ihrer Arterien liegen, so mnss die rechte Vena
iliaca externa hinter der Arteria iliaca externa vorbeilaofen, während die Unke
immer an der inneren Seite ihrer Arterie bleibt.
Die Schenkelvene bleibt in der Regel einfach, bis unter die
mkehlei wo sie durch die tiefliegenden Venen des Unterschenkels
>6tst wird. Es kommen jedoch ganz constant, neben
kelvene, wie auch der Vena popUtea, noch
1036 §. 488. Untere HohWeiie.
zum hinteren stampfen Leberrande empor, lagert sich in dessen
Sulcus pro Vena cava, und dringt durch das Faramen pro vena cava
des Zwerchfells in den Herzbeutel, wo sie sich in die hintere Wand
der rechten Herzvorkammer einsenkt. Sie ist wie die beiden Venae
äiacae communes klappenlos.
Jede Vena üiaca communis entsteht durch den Zusammenfluss
einer Vena cruralts und hypogastrica.
Da die Theiltingsstelle der Aorta abdomvnedia, der Bildongss teile der Vena
cava inferior nicht genau entspricht, sondern letztere etwas tiefer fällt, und zu-
gleich etwas auf die rechte Seite der Wirbelsäule rückt, so wird sich die Gabel
der Arteriae iliacae communes zu jener der Venae üiacae communes verhalten, wie
ein umgekehrtes und zugleich verschobenes W. Die linke Vena üiaca communis
wird begreiflicher Weise länger als die rechte sein müssen, da sie über die
Mittellinie des fünften Lendenwirbels weg, nach rechts zu ziehen hat. Sie wird
deshalb die doppelte Vena sacraUs media^ welche in der Medianlinie der vorderen
Kreuzbeinfläche heraufsteigt, aufnehmen.
Im Laufe durch die Bauchhöhle sammelt die Cava inferior
folgende Aeste auf:
a) Die Lendenvenen, Venae lumbales, folgen dem Vorbilde
der Lendenailerien. Sie hängen unter einander durch auf- und
absteigende Anastomosen zusammen. Dieses giebt den sogenannten
Plexus venosus lumbalis. Die oberen oder alle Lendenvenen setzen
sehr oft durch kurze Ableger einen hinter dem Psoas major gerad-
linig aufsteigenden Stamm zusammen, welcher als Vena lumbalis
ascendens von den übrigen Lendenvenen unterschieden wird, und
nach oben rechts in die Azygos, links in die Hemiazygos fortläuft.
b) Die inneren Samenvenen, Venae spermaticae interna^,
entwickeln sich aus dem ansehnlichen Venengeflecht im Samen-
strang (Plexus pampiniformis, von pampinus, Weinranke), welches
sich vom Hoden bis in den Leistenkanal erstreckt, dort sich zu
zwei, und an der Bauchöffnung des Leistenkanals zu einem ein-
fachen Blutgefilss reducirt. Dieses ergiesst sich , rechterseits als
Regel, in den Stamm der Cava inferior, linkerseits aber sehr oft in
die Vena renalis sinistra. Sind auf beiden Seiten zwei Venae spei*-
maticae internae vorhanden, so entleert sich die eine gewöhnlich in
die Vena renalis, die andere in die Cava infeHor.
Nach U. Brinton findet sich nur an der Ginmündungsstelle der rechten
Vena spemiatica in die Cava inferior eine Klappe. Stauung des Blutes in der
Cava inferior, wird somit nur auf den Blutlauf in der linken Vena spermeUica
hemmend einwirken. Hieraus erklärt sich einfach und ungezwungen die Häufigkeit
der Varicocele (krankhafte Ausdehnung der Venen des Samenstranges) auf der
linken Seite (Amer. Jouma/. of the Med, Sciences^ 1866, Juli), — Der Plexus pam-
piniformis des Eierstockes erscheint nicht so entwickelt, wie jener des Hodens,
und deshalb steht auch die Vena spermatica des Weibes hinter jener des Mannes
an Stärke zortlck. Sie ist klappenlos.
§. 428. Untere HohlTene. 1037
c) Die Nierenvenen, Venae renales 8, emvlgentes, tauchen aus
dem Hütts renalis auf. Die rechte steigt etwas schräge auf, um an
den Stamm der Cava zu kommen; die linke geht in der Regel
quer über die Aorta herüber, und mündet höher als die rechte in
die Cava ein.
Den Namen Venae emulgerUe* führten die Nierenvenen während jener langen
Zeit, in welcher man den Kreislauf des Blutes nicht kannte, und sich vorsteUte,
dass die Nierenvenen Blut den Nieren zuführen, welche aas diesem Blute
aUes Wässerige extrahiren (emülgent), um den Harn daraas zu bereiten, wie es
bei Spigelius klar und deutlich zu lesen: quidquid aeroii e»t in ^anguine, per
heu venas renea emuigere et ad ae trahere videntur. Es ist deshalb nicht richtig,
auch die Nierenarterien Arteriae emtUgentea zu nennen, wie es häufig noch ge-
schieht, obwohl sie mit dieser alten Vorstellung über Hambereitung gar nichts
zu schaffen haben.
Durch Vervielfältigung können die Nierenvenen bis auf fünf anwachsen.
Ist die linke Nierenvene doppelt, so geht häufig die eine vor, die andere hinter
der Aorta vorbei nach rechts. Selbst die einfache Nierenvene der linken Seite
wird ziemlich oft hinter der Aorta verlaufend gesehen. Die häufigen Hyperämien
der linken Niere sollen hierin begründet sein. (Ch. Bell.)
d) Die Nebennierenvenen, Venae suprarenales,
Sie sind im Verhältniss zur Grösse der Nebenniere sehr entwickelt. Die
linke geht in der Regel zur linken Nieren vene.
e) Die Lebervenen, Venae hepaticae, entleeren sich in die
Cava inferior, während diese am hinteren Rande der Leber, in der
Fossa pro vena cava, zum Zwerchfell aufsteigt.
Oeffnet man die Cava an dieser SteUe, so kann man zwei bis drei grössere,
und mehrere kleinere Insertionslumina der Lebervenen zählen. Sehr selten münden
die zu einem gemeinschaftlichen Stamm vereinigten Lebervenen in das Äirium
cordis dextrum.
f) Die Zwerchfellvenen, Venae diaphragmaticae s. phrenicae,
quas nominasse suffidt.
Aus der Folge der von a) bis f) angeführten Venen ergiebt
sich, dass die untere Hohlvene alles Blut, welches durch die
paarigen und unpaarigen Aeste der Bauchaorta den Wänden und
den Eingeweiden der Bauchhöhle zugeschickt wurde, zum Herzen
zurückführt. Nur findet der Umstand statt, dass die den un-
paaren Aesten: Arteria coeliaca, mesenterica superiar et inferior ent-
sprechenden Venen, nicht direct zur Hohlvene treten, sondern sich
zum Pfortaderstamme (§. 426) vereinigen, welcher sich in der Leber
nach Art einer Arterie ramificirt, und ein Capillargefasssystem
bildet, aus welchem sich die Wurzeln der Lebervenen hervorbilden.
Die Lebervenen bringen somit nicht blos Leberblut, sondern auch
Magen-, Milz- und Darmblut zur (xwa
Im Embryo nimmt die *
auf, welche aus dem Mq
1088 §• AM- ▼«n«n des B«ek«n8.
führt, im unteren Rande des Aufhängebandes der Leber zur Fossa
longüudinalü ainistra gelangt, und sich in zwei Zweige tfaeilt, deren
einer sich mit dem linken Aste der Pfortader verbindet, während
der andere, als Ductus venosus Araniü, zur grössten Lebervene, oder
unmittelbar zur Cava ascend&na tritt.
Nach Bnrow (MüUer'a Archiv, 1838) empf&ngt die Nabel vene, bevor tie
in die Leber eintritt, eine feine Vene, welche mit symmetriBchen Worseln mib
den beiderseitigen Venae epigcutricae inferiorea hervorgeht, und überdies noeh
einen, ans den Venen der Harnblase entspringenden, und llng« des Uradnu
aufsteigenden Ast aufnimmt. Die Büro wasche Vene war aber schon Haller
bekannt.
Die Anomalien der unteren Hohlvene betreffen mehr ihre Aeste als ihren
Stamm. Die von Stark, Otto, Gurlt, und mir beschriebenen Fälle, constatiren
das mögliche Fehlen der Cava inferior, wo nur der Stamm der Lebervene durch
das Zwerchfell zum Herzen ging, alle übrigen sonst zur Cava imferior tretendem
Venen aber, von dem ungemein entwickelten System der Azygoa aofg'enommen
wurden. — Versetzung der Cava inferior auf die linke Seite der WirbelsXule
(ohne gleichzeitige Versetzung der Eingeweide) beobachtete Harriso n (Stay,
Änat. of the Arieries. Vd, 2. paff. 22). — Die Venae üiacae eomniuneM können
sich auch erst höher oben, als am fünften Lendenwirbel, zur Cava inferior ver-
einigen (Pohl). Ich habe sie beide parallel aufsteigen, und jede derselben
eine Nierenvene aufnehmen gesehen. Einmündung der Cava inferior in den linken
Vorhof (King, Lemaire) bedingt Cyanose. — lieber den Bau des im Hersbeutel
eingeschlossenen oberen Endstücks der Cava inferior, handelt Luschka, im Archiv
für Anat und Phys. 1860.
§. 424. Yenen des Beckens.
Als gemeinschaftliches Sammelgefäss der Venen des Beckens
und der unteren Extremität, dient die Hüft- oder Becken vene,
Vena äiaca communis. Sie wird vor der Symphysis sacro-iliaca durch
die Vena hypogastrica s. üiaca interna, und durch die Vena cruralis
s. üiaca externa zusammengesetzt.
Die Vena hypogastrica kommt aus der kleinen Beckenhöhle
herauf, wo sie durch den Zusammenfluss der doppelten, den Aesten
der Arteria hypogastrica analogen, grösstentheils klappenlosen Venen
gebildet wird. Die doppelten Venae glvtaeas superiores et inferiores,
üeo-lumbales und obturatoriae, begleiten die gleichnamigen Arterien.
Die Venae sacrales laterales bilden mit den mittleren Kreuzbeinvenen
den Plexus sacrcdis anterior, welcher sich vorzugsweise in die Vena
äiaca communis sinistra, theilweise aber auch in die Vena hypogaetrica
entleert, oder auch in die Vena lumbalis ascendefis übergeht.
Die Venen des Mastdarms, der Harnblase und der Geschlechts-
theile, bilden Geflechte, welche durch zahlreiche Anastomosen unter
einander in Verbindung stehen. Diese Geflechte sind:
S. 4S5. Yenen der oDtoren Extremit&t 1039
a) Der Plexus JiaemorrhoidaUa, Mastdarmgeflecht. Er hängt
durch die VeTia haemorrhoidcUis interna mit dem Pfortadersystem
zusammen.
b) Der Plexus vesvcalis, Harnblasengeflecht, umgiebt den
Grund der Harnblase, und steht mit dem Plexus haemarrhoidcdis
und pudendcUis in Verbindung.
c) Der Plexus pudendalis, Schamgeflecht, umgiebt bei
Männern die Prostata, empfangt sein Blut aus dieser, so wie aus
den Samenbläschen, und nimmt die Venae profunda^ penis, welche
aus den Venengeflechten der Schwellkörper abstammen, und die
grosse Vena darsalis penis auf. Letztere entsteht hinter der Corona
glandis aus zwei die Eichelbasis umgreifenden Venen, zieht zwischen
den beiden Arteriae penis dorsales gegen die Wurzel der Ruthe,
durchbohrt das Ligamentum trianguläre urethrae, und theilt sich in
zwei Zweige, welche oberhalb der Seitenlappen der Prostata in den
Plexus pudendalis übergehen.
Beim Weibe wird der Plexus pudendalis minder mächtig, und
heisst: Pleicus utero^aginalis. Er umstrickt die Wände der Vagina,
und dehnt sich an den Seiten der Gebärmutter, längs der Anheftung
des breiten Mutterbandes, bis zum Fundtis uteri aus. Er anastomosirt
mit allen übrigen Venengeflechten der Beckenhöhle^ und entleert
sich durch die kurzen, aber starken Venae uterinae, in die Vena
hfpogastrica.
Eine eingehende Untersuchung über die venösen Plexus im männlichen
Becken, verdanken wir Lenhoss^k. (Das venöse Convolut der Beckenhöhle;
Wien, 1871.) — Im Inneren der den Plexut pudewUUi» zusammensetzenden Venen,
findet sich eine ähnliche Balkenbildung, wie sie in den Schwellkörpem des Gliedes
vorkommt Die Balken sind reich an organischen Muskelfasern.
§. 425. Venen der unteren Extremität
Sie bilden den Hauptstamm der Vena cruralis s. üiaca externa,
welcher, so wie die Schenkelarterie, in ein Bauch-, Schenkel- und
Kniekehlenstück eingetheilt wird. Vom Poupart'schen Bande ab-
wärts, sind Stamm und Aeste der Schenkelvene mit Klappen versehen.
Da die Bildnngsstelle der Vena cava inferior von der Theilungsstelle der
Aorta nach rechts abweicht, beide Venae iliacae extemae aber unter dem Poupart-
schen Bande an der inneren Seite ihrer Arterien liegen, so muss die rechte Vena
iliaca externa hinter der Arteria iliaca externa vorbeilaufen, während die linke
immer an der inneren Seite ihrer Arterie bleibt.
Die Schenkelvene bleibt in der Regel einfach, bis unter die
Kniekehle, wo sie durch die tiefliegenden Venen des Unterschenkels
zusammengesetzt wi "^ «anz constant, neben
dem Stamme d iUa, noch
1088 §. 4M. Yaii«!! des B«ek«n8.
fiihrt, im unteren Rande des Aufhängebandes der Leber zur Foaaa
longitudinalis ainistra gelangt^ und sich in zwei Zweige theilt, deren
einer sich mit dem linken Aste der Pfortader verbindet, während
der andere, als Ductus venosus ArarUii, zur grössten Lebervene, oder
unmittelbar zur Cava aseendefis tritt.
Nach Bnrow (MüUer'a Archiv, 1838) empfängt die Nabelvene, bevor sie
in die Leber eintritt, eine feine Vene, welche mit symmetrischen Wurzeln ans
den beiderseitigen Venae eptgtutricae inferiores hervorgeht, und überdies noch
einen, aus den Venen der Harnblase entspringenden, und Ungs des Urachns
aufsteigenden Ast aufnimmt. Die Burow*sche Vene war aber schon Haller
bekannt.
Die Anomalien der unteren Hohlvene betreffen mehr ihre Aeste als ihren
Stamm. Die von Stark, Otto, Gurlt, und mir beschriebenen Fälle, constatiren
das mögliche Fehlen der Cava inferior, wo nur der Stamm der Lebervene durch
das Zwerchfell zum Herzen ging, alle übrigen sonst zur Cava inferior tretenden
Venen aber, von dem ungemein entwickelten System der Azygos aufgenommen
wurden. — Versetzung der Cava inferior auf die linke Seite der Wirbelsäule
(ohne gleichzeitige Versetzung der Eingeweide) beobachtete Harri so n (Swy,
AneU. of the Ärteries. Vol, 2. pag, 22), — Die Venae üiacae commune* können
sich auch erst höher oben, als am fünften Lendenwirbel, zur Cava inferior ver-
einigen (Pohl). Ich habe sie beide parallel aufsteigen, und jede derselben
eine Nierenvene aufnehmen gesehen. Einmündung der Ciiva inferior in den linken
Vorhof (King, Lemaire) bedingt Cyanose. — lieber den Bau des im Herzbeutel
eingeschlossenen oberen Endstücks der Cava inferior, handelt Luachka, im Archiv
für Anat und Phys. 1860.
§. 424. Yenen des Beckens.
Als gemeinschaftliches Sammelgeföss der Venen des Beckens
und der unteren Extremität^ dient die Hüft- oder Beckenvene,
Vena üiaca communis. Sie wird vor der Symphysis sacro-iliaca durch
die Vena hypogastrica s, üiaca interna, und durch die Vena cruralis
s. üiaca externa zusammengesetzt.
Die Vena hypogastrica kommt aus der kleinen Beckenhöhle
herauf, wo sie durch den Zusammenfluss der doppelten, den Aesten
der Arteria hypogastrica analogen, grösstentheils klappenlosen Yenen
gebildet wird. Die doppelten Venae glvtaeae superiores et inferiores,
üeo-lumbdUs und obturatoriae, begleiten die gleichnamigen Arterien.
Die Venae sacrcUes laterales bilden mit den mittleren Kreuzbeinvenen
den Plexus sacralis anterior, welcher sich vorzugsweise in die Vena
äiaea commvnis sinistra, theilweise aber auch in die Vena hypogastrica
entleert, oder auch in die Vena lumbcUis a^cendens übergeht.
Die Venen des Mastdarms, der Harnblase und der Qeschlechts-
thcile, bilden Geflechte, welche durch zahlreiche Anastomosen unter
einander in Verbindung stehen. Diese Geflechte sind:
§. 4S6. Pfortad«r. 1041
rerrichten, wie die Tischler und Sclilosner. — Der Name Saphena ist nicht, wie
man glauht, griechischen, sondern arabischen Ursprungs. Kein griechischer Autor
kennt dieses Wort. Avicenna war es, welcher diese Vene zuerst Safina nannte
(im Vulgär- Arabischen Safena). Man soll also correct Safina schreiben und Safina
sprechen. Da die Saphenrene von der Gegend des inneren Knöchels (a^upov),
heraufkommt, hiess sie bei den griechischen Aerzten: Sphyritei, bei Celsus:
Vena ad maleolum,
h) Die kleine Rosenvene, Vena saphena minor s, posterior^
geht vom äusseren Fussrande aus. Sie steigt hinter dem äusseren
Knöchel, anfangs neben der Achillessehne, und, wo diese aufhört^
zwischen den beiden Köpfen des Gastrocnemius, zur Kniekehle
hinauf, durchbohrt die Fascia poplitea, und entleert sich in die Vena
Poplitea.
Die Vena saphena major und mvnor anastomosiren mehrfach mit den inner-
lialb der Fascie der unteren Extremität gelegenen Venia profundis durch per-
forirende Zweige. — Die Varietäten der Saphena minor sind nicht selten, aber
unerheblich. Merkwürdig ist ihr in der Kniekehle stattfindendes Zerfallen in zwei
Zweige, deren einer zur Vena poplitea geht, deren anderer am Nervus isehiadiau
nach aufwärts läuft, um in die Vena glutaea inferior einsumünden. — Die Vena
popUlea besitzt, bei älteren Individuen, eine so mächtige Adventitia, dass sie, wie
eine Arterie, quer durchschnitten nicht zusammenfällt. — lieber die Venen der
unteren Extremität findet sich reiclies Detail in C. Otaeommiy osservazloni anat
Torino, J873.
§. 426. Pfortader.
Die Pfortader, Vena portae, wurzelt in den Verdauungs-
organen, aus welchen sie das durch die drei unpaaren Aeste der
Bauchaorta zugefiihrte Blut aufsammelt, um es in die Leber zu leiten.
Die den Truncus venae portae bildenden Venen des Verdauungsorgans,
mögen dessen Wurzeln, seine Aeste im Leberparenchym dessen
Verzweigung heissen. Beide sind klappenlos. Nur in der Pfortader
der Nagethiere, habe ich eine sehr schöne, drei bis acht Umgänge
bildende Spiralklappe vorgefunden.
Die Wurzeln der Pfortader entsprechen nicht genau den
Verhältnissen der Arterien, d. h. sie treten auf andere Weise zu
grösseren Venen zusammen, als die Arterien sich verästeln. .Sie sind:
a) Die Vena gastrica superior, Sie läuft in der Curvatura ven-
triadi minor von links nach rechts zum Pfortaderstamm, imd nimmt
das Blut aus dem oberen Bezirk der Magenwände, von der Cardia
bis zum Pylorus, und vom oberen Querstück des Duodenum auf.
h) Die Vena m^enterica magna s, superior liegt in der Wurzel
des Gekröses, an der rechten Seite der Arteria mesenterica superior,
Sie correspondirt mit den Aesten der oberen Gekrösarterie, und des
Ramus pancreatico-duodenaiis der Ärteria hepatica.
In den «ralep — ^*— ^■■»«■»ftten erhält die Vena mesenUrica
magna mp^ '^■**- welche bei blind-
felM»raf* "^^
1042 i- «M- PttrUdn.
c) Die Vena meaenferica inferior, der gleichnamigen Arterie
zngehörend, entteert eich nur Belten in die superior, gewöhnlich aber
in die Vena eplenica. Ihr grösster Zweig ist die vom Mastdarm her-
aufkommende Vena haemon-hotdalis interna, welche viel mehr Blut
aus den venösen Geflechten des Mastdarms ableitet, als die dem
System der Beckenvene, also der Cava inferior Angehörigen Venae
haemorrhoidaleg extemae, Blutungen aus den HämorrhoidalveneD
bringen häufig gewissen Unterleibskrankheiten einige Erleichtemng,
und verdienten sich dadurch den Namen: Goldadern. „Venae
„haemorrhoidales, quae in ano et recto intesHno adsunt, statia tempori-
„bua »ponte aperiuntar, et sangtUnis craasioris evacuatione, samtati
„mvltum conducunt", sagt C Bartholinus.
d) Die Vena apUnica liegt am oberen Rande des Pankreas,
and stimmt in ihrer Zusammensetzung mit der Astfolge der Arteria
^pleitica überein.
Die Vena metenierica magna und eplenica vereinigen sich nun
hinter dem Eopfe des Pankreas, zum einfachen Truncut venae portae,
welcher erst etwas später die Vena gattrica, und kurz vor seiner
Theilung in der Leberpforte, die Gallenblasenvene aufnimmt.
Die Verzweigungen des JVwnciM venae portae in der Leber
gehen aus einem rechten und linken primären Spaltungsaste deBsefben
hervor, und bilden mit den Endzweigehen der Arteria hepatica, das
Capillar System der Leberläppchen.
Unter aocesioriaohen Pfortadern beschreibt S&ppe7 fOnf Gmppen
von kleinen Venenittinnicben, welche in den znr Leber tretenden Bknchfell<en
eiogeechloMeo sind, und sich theila in die primSren' Spaltungsineige der Pfort-
ader erg^eisen, theils »her BelbstetSndig in das Leberp&ienchj'in eingehen. Letztere
exisüren sicliei nicht kU lelbstsMndige kleine Pfartadersj'ateme, da sie vom Stammfl
der Pfortader aus injicirbar sind. Erstere waren zum Theil schon vor Sappey
bekannt. Die irichtigsten von ilinen sind nnn jene, welche aus den Venen der
vorderen Bauchwand stammen, die obliterirte Nabelvene (rundes Leberband) be-
gleiten, und sieh in den linken Pfortaderaat entleeren. Sie erklären uns, wamm
bei StHning des Kreislaufes im Pfortade rsystem, nie sie bei Cirrheta hepatU
vorkommt, das Pfortaderblut, durch Erweiterung der das runde Leberband be-
gleitenden Venen, in die ßaucbdeckenvenen abstrftmt, welche dadnrdi einen
solchen Orad von Ausdehnung, zugleich mit rankenfBrmiger KrUmmnng erleiden,
dau sie durch die Haut des Unterleibes hindurch, als ein mSchtiges und ver-
schlungenes Geflecht wahrgenommen werden, dessen Form durch die treffende Be-
zeichnung „Caput Btediitat' ausgedruckt wird.
Meni^re (Ärchio gin. de viid. Aoril, 1826. pag.38lj berichtet Über einen
fingerdicken Commnnicationsann zwischen der Veno iliaca dexira und dem Pfort-
aderstamm, welcher hinter der Linea allia emporstieg. Serres (Ardiiv gia. de
«idd. Dicetii'-re, 1823) beschrieb einen Hlmlichen Befund. Man kann es als sicher
betrachten, dass diese beiden Fälle, nur eine Auedebnang der von der Baachwand
kommenden, und längs des ninden Leberhand es zur Pforlader ziehenden Sapp ey-
e Wiedereröffnung und Anadehnung der verwacbsenen
§. 487. HanpUtamni des Lympligef&ssiystanit. 1043
Das Pfortadersystem behauptet keine vollkommene Unabhängigkeit von den
Verzweigungen der unteren Hohlader. Nebst den älteren Beobachtungen liegen
hierüber die von Betzius (Tiedemann und Treviranu», Zeitschr. für PhysioL Bd. 6)
gemachten Erfahrungen über constante Anastomosen der Venae meaentericae mit
den Aesten der unteren Hohlvene vor, welche von mir (Oesterr. medic. Jahr-
bücher, 1838) bestätigt und erweitert wurden. Ich besitze ein Präparat, wo die
hinteren Scheiden- und G^bärmuttergeflechte von der Vena meaerUerica aus ixgidrt
wurden, und ein zweites, wo die Vena colica awnistra eine Hamleitervene auf-
nimmt. — Man hat als g^össte Seltenheit den Stamm der Pfortader nicht zur
Leber, sondern zur Cava inferior , oder zur Azt/go§ (Abernethj, Lawrence )i
oder zum Atrium cordis dextrum (Mende) treten gesehen. — Herhold fand bei
einer Missgeburt alle Zweige der fehlenden Cana inferior zur Pfortader gehen. —
Ueber accessorische Pfortadem handelt C Sappey, in der Gaz. m^d. de Paris,
1859, und in dessen Trait^ d*anat. descript T. III. pag. 291.
D. Lymphgefasse oder Saugadern.
§. 427. Eauptstamm des Lympligefässsysteiiis.
Der Hauptstamm des Lymphgef&sssystems ist der Milch-
brustgang, Ihicttis thoradcus 8. Pecqmtianvs , ein Kanal von circa
zwei Linien Durchmesser. Sein Entdecker im menschlichen Leibe
war aber nicht der Franzose Pecquet (welcher ihn an Thieren
zuerst sah), sondern der Schwede Olaus Rudbeck, welcher ihn
selbst der Königin Christina zu demonstriren die Ehre hatte (1650).
Er entsteht an der vorderen Fläche des zweiten oder dritten Lenden-
wirbels, hinter der Aorta, und etwas rechts von ihr, aus der Ver-
einigung dreier kurzen und weiten LymphgefUssstämme (Radices ductus
tharadd). Der rechte und linke entwickeln sich als Trunci lym-
phatid lumbales aus den beiden drüsenreichen Plexus lumbales,
welche die Lymphgefösse des Beckens, der unteren Extremitäten,
der Geschlechtsorgane, und eines grossen Theils der Bauchwand auf-
nehmen. Der mittlere wird, als Truncus lymphaticus intestiiialis, in
der Wurzel des Gekröses durch den Confluxus der Chylusgefösse des
Verdauungskanals erzeugt. Dieser mittlere Stamm, und zuweilen
noch der Anfang des Ihictus tharacicus, zeigen gewöhnlich eine be-
sonders im injicirten Zustande sehr ansehnliche, oblonge Anschwel-
lung — Cistema chyli, s, Receptaculum chyli, s, Saccus lacteus. — Die
Benennung Cistema ist nicht gut gewählt. Die Cisternen der Römer
sammelten das Wasser von den Dächern der Häuser auf, während
Wasserbehälter, welche durch natürlichen Quellenzufluss gespeist
wurden, putei hieasen, welcher Name also fUr das fragliche Reser-
voir passender wäre.
Der Hüchbrnstgang gdamt.
hinteren MiUdfefliMuai flU
1044 i. 488- Saa^ern des Kopfes und Halses.
Fett eingehüllt^ zwischen Aorta und Veyxa azygos, steigt bis zum
vierten Brustwirbel empor, wendet sich nun hinter der Speiseröhre
nach links, und geht, auf dem linken langen Halsmuskel bis zum
sechsten Halswirbel hinauf, biegt sich hier bogenförmig nach aussen
imd vorn, und mündet in den Bildungswinkel der Vena innondnata
ainistra. Er nimmt auf diesem Wege die Saugadem der ganzen
linken, und des unteren Theiles der rechten Brusthälfte, desgleichen
der linken Hals- und Kopf hälfte, und überdies noch jene der linken
oberen Extremität auf.
Die Saugadern der rechten und linken Bmsthälfte, und ihrer Eingeweide
entleeren sich in ihn an verschiedenen SteUen, ohne einen gemeinschaftlichen
Stamm zn bilden ; — jene des Halses und Kopfes senken sich mittelst des Truncu*
jugtdaria tinister, und jene der oberen Extremität mittelst des Truncu» »ubclavius
siiwier in ihn ein.
Die Saugadern des oberen Theiles der rechten Binisthälfte,
der rechten Hals- und Kopf hälfte, so wie der rechten oberen Ex-
tremität, verbinden sich zu einem, nur zweidrittel Zoll langen
Hauptstamm (Ductus thoracicus dexter 8. minor), welcher seine Lymphe
in den Bildungswinkel der rechten Vena anonyma ergiesst.
Warum der Ductus thoracicut, von seinem Ursprung bis zu seiner Ein-
mündung, einen so grossen Umweg macht, erklärt sich folgendermassen. Das
Bauchstück des Ductus thoracicus steht unter dem Drucke der Bauchpresse, welcher
grösser als der Respirationsdruck ist, unter welchem dieser Gang in der Brust-
höhle steht Beide Arten von Druck fehlen am Halse. Der Inhalt des Ductus
thoracicus wird also gegen jene SteUe strömen, welche am wenigsten gedrückt
wird, und die Ueberführung des Chjlus in das Blut, wird somit erst am Halse
den zweckmässigsten Ort dazu finden. — Beide Ductus thoracici sind mit zahl-
reichen Klappenpaaren versehen, welche im oberen Theil'e des Ductus thoracicus
major niedriger werden, und weiter auseinanderstehen, als im luiteren. — Es ist
nichts Ungewöhnliches, dass der Ductus thoracicus major Inseln, oder selbst in seinen
Stamm eingeschobene Geflechte bildet. Sandifort, Walter, Sömmerring und
Otto sahen ihn, seiner ganzen Länge nach, in zwei Aeste getheilt, welche sich
erst vor der Einsonkung in die Anonyma vereinigten. Cruikshank fand ihn
sogar dreifach. Er kann sich auch in die Vevia azygos münden (Albin, Wutzer),
oder in die rechte Anonyma (Fleischmann). Alle diese Abnormitäten haben
wenig praktischen Werth, da der Ductus tlioracicus nur an seiner Insertionsstelle
in den Bildnngswinkel der linken Vena anonyma, in das Bereich chirurgischer
Operationen fallen könnte.
§. 428. Saugadern des Kopfes und Halses.
Die Saugadern des Kopfes und Halses lassen sich in ver-
schiedene Bezirke eintheilen^ deren jeder seine bestimmten Sammel-
di-üsen hat. Diese Drüsen liegen in Gruppen zu zwei bis sechs^
und darüber, entweder oberflächlich oder tief. Die aus ihnen her-
vorkommenden Vasa efferentia gehen als Vasa inferentia zu den
nächst unteren Drüsen, und zuletzt in den, in der Fossa supraclavi-
cularü eingetragenen Plexus jugviaris über, dessen meist einfaches
§. 428. Sangadem des Kopfes und Heises. 1045
Föw efferens, als Truncus jugularia, zum Ductus ihoracums der betreffen-
den Seite tritt. Die leicht aufzufindenden Drüsengruppen sind:
a) Die Glandulae aurictUares anteriores et posteriores.
Erstere (zwei bis drei) liegen auf der Parotis, vor dem MeaUts auditorius
extemus, letztere (drei bis vier) hinter dem Ohre auf der Insertion des Kopf-
nickers. Sie nehmen die Sangadem von den äusseren Weichtheilen des Schädels auf.
b) Die Glandulae faddles profunda^. Sechs bis acht an Zahl,
liegen sie in der Fossa spheno-maxUlaris, und an der Seitenwand des
Schlundkopfes.
Sie sammeln die LjmphgefUsse aus der Augenhöhle, Nasenhöhle, dem
Schlundkopfe, der Keil-Oberkiefergrube, und erhalten nach Arnold noch einen
Antheil der Saugadern des Gehirns, welche durch das Foramen »pinosum und
oüdU aus der Schädelhöhle kommen.
c) Die Glanduläre submaonllares. Man sieht und fühlt sie ziem-
lich zahlreich bei scrophulösen Individuen längs des unteren Randes
des Unterkiefers lagern, wo sie vom hochliegenden Blatte der Fascia
colli bedeckt werden.
Die Sangadern, welche ihnen zuströmen, kommen zum Theil im Gefolge
der Vena fctdalit anterior , zum Theil vor dieser Vene über den Unterkiefer herab,
und entwickeln sich aus allen Weichtheilen des Antlitzes. Die Saugadem des
Bodens der Mundhöhle und der Zunge treten von innen her in diese Drüsen ein.
d) Die Glandulae cervicales superficiales, welche am oberen
Seitentheile des Halses vor und auf dem Kopfnicker liegen.
Sie nehmen oberflächliche vordere und hintere Halssaugadem auf, welche
gewöhnlich schon andere Lymphdrüsen durchwanderten. £s finden sich nämlich
sehr gewöhnlich in der Mitte des Halses vor den Musculi stemo-ht/oidei, seltener
auch auf dem Musculus cucuUaris im Nacken, kleine Sammeldrttsen fUr die ober-
flächlichen Saugadem des Halses.
Die austretenden Geßlsse der genannten Drüsengruppen ent-
leeren sich in:
e) die Glandtdae jugvlares superiores im Trigonum cervicale
superius. Sie sind die ersten Vereinigungsdrüsen für die durch
das Foramen jugulare austretenden Lymphgefässe des Grehirns, und
sammeln auch vom Schlundkopf^ der Zunge^ dem Kehlkopfe und
der Schilddrüse Zweige auf.
Die Existenz der LymphgefiUse im Gehirn (nicht in der harten Hirnhaut)
wurde von Arnold durch Iiyection nachgewiesen. In der Pia maier unterscheidet
er drei auf einander gelagerte Lymphgefässnetie. Sie folgen dem Zuge der Venen
zwischen den Gyri. Die Saugadem der Kammern des Gehirna veremigen doh wx
einem, der Vena magna Oaleni folgenden Hiuiptituiiv* ^
Saugadem des Hims, in dessen Bemeikiiiiff^ *
Bttckenmiurks. Zfirich, 1888. — DI« lam
worden von mir meist miefat i
Heükmide, 1860.
1046 §• iS9. Sangadern der oberen Eztremitikt nnd der Bmttwand.
Die Vasa efferentia von d) und e) ziehen längs der Vena jugu-
laris interna herab, und begeben sich in:
f) die Glandulae jugtdares inferiores 8. avpraclaviculares. Sie
lagern im laxen Bindegewebe der Fossa supradavicularis, und nehmen
somit alle bisher angeführten Kopf- und Halssaugadern, und nebstbei
jene der Schilddrüse, des Kehl- und Schlundkopfes, der tiefen Hals-
muskeln, und die mit den Vertebralgefassen aus dem hinteren Theile
der Schädelhöhle und dem Canalis spinalis hervorkommenden Saug-
adern auf. Da die Zahl dieser Drüsen sehr bedeutend ist (fünf-
zehn bis zwanzig), und die sie unter einander verbindenden Va^a
in- et efferentia sich netzartig verstricken, so entsteht dadurch der
früher genannte Plexus jugtUaris, welcher, wenn man die Glandvias
jugulares superiores noch zu ihm zählt, sich längs der grossen Blut-
gefässe des Halses bis unter das Drosseladerloch ausdehnt.
§. 429. Saugadern der oberen Extremität und der Brustwand.
Die Lymphgefässe der oberen Extremität, der zugehörigen
Brustwand und Schulter, haben ihren Sammelplatz in dem Plexus
lymphaticus axillaris, welcher acht bis zwöf Glandulae axilläres, auch
alares genannt, einschliesst. Der Plexus axillaris hängt mit dem
Plexus jugularis durch Anastomosen zusammen, und vereinigt seine
dicken kurzen Vasa efferentia zu einem einfachen Truncus lympha-
ticus subclavius, welcher in den Milchbrustgang seiner Seite inosculirt.
Die Glandulae axillares liegen in dem lockeren Umhüllungsgewebe
der grossen Blutgefässe der Achsel. Es finden sich jedoch auch
einzelne am unteren Rande des grossen Brustmuskels, und in dem
Spalt zwischen Pectoralis major und Deltoides.
a) Lymphgefässe des Armes. Sie verlaufen theils extra^
theils intra fasciam, und werden deshalb, wie die Venen, in hoch-
liegende und tiefliegende abgetheilt.
a) Die hochliegenden stammen theils von der Volar-, theils von
der Dorsalseite der Finger. Erstere steigen an der Innenseite
des Vorderarms, letztere anfangs an der Aussenseite, dann
aber über den Ulnarraud des Vorderarms umbiegend, eben-
falls an dessen innerer Fläche zum EUbogenbug empor. Hier
treten einige durch eine bis zwei Lymphdrüsen (Glandulae
cubitales), welche vor dem Condylus internus an der Vena basi-
lica liegen ; alle aber streben zur Achselhöhle hin, um sich in
die Glandulae axillares einzusenken. Mehrere von ihnen ge-
langen auf demselben Wege, wie die Vena cephalica, zur
Achselhöhle.
§. 430. Sangadern der Bnutköhle. 1047
ß) Die tiefliegenden anastomosiren nur am Carpus und in der
Plica cvMti mit den hochliegenden^ und folgen genau der
Richtung der tiefliegenden Armvenen. Sie sind — so viel
das Ansehen der Injectionspräparate lehrt — weit weniger
zahlreich als die oberflächlichen, passiren aber zwei bis fiinf
Glandidcte cuhitcdes profundae und eine bis zwei GlanduUie hror
chiales profundae.
h) Lymphgefädse der Brustwand. Ihr Bezirk erstreckt
sich vom Schlüsselbein bis zum Nabel herab. Sie bilden zwei
Gruppen :
a) Die oberflächlichen treten theils durch den Spalt zwischen
Ddtoides und Pectoralis major, in welchem das erste vor-
geschobene Drüsenbündel des Plexus axillaris liegt, in die
Tiefe, theils laufen sie den unteren Rand des Pectoralis major
entlang, wo ebenfalls vereinzelte Drüsen vorkommen, zur
Achselhöhle. Die von der Regio epigastrica heraufkommenden
Lymphgefksse passiren gewöhnlich eine kleine, zwischen Nabel
und Herzgrube gelegene OlandtUa epigastrica.
ß) Die tiefliegenden folgen den Vasis thoradeis, und nehmen
die Saugadern der Mamma, und, durch Anastomose mit den
Vasis lymphaticis intercostalibus , Verbindungszweige mit den
inneren Brustsaugadern auf.
c) Lymphgefässe der Schulter. Sie gehören der Nacken-,
Rücken- und Lendengegend an. Die hochliegenden schwingen sich
um den Rand des breiten Rückenmuskels herum; die tiefen halten
sich an den Verlauf der Schulteräste der Arteria axillaris.
%. 430. Saugadern der Brusthöhle.
Die Lymphgefksse der Brusthöhle lassen sich übersichtlich in
vier Rubriken ordnen: die Zwischenrippensaugadern, die
Mittelfell-, die inneren Brust-, und die Lungensaugadern.
a) Die Zwischenrippensaugadern verlaufen mit den Va^
intercostalibus. Sie entwickeln sich aus der seitlichen Brust- und
Bauchwand, dem Zwerchfelle, der Pleura, den Rückenmuskeln, und
der Wirbelsäule, durchsetzen die Glandulae intercostales , deren
sechzehn bis zwanzig in der Nähe der Rippenköpfchen auf jeder
Seite vorkommen, und stehen mit den folgenden in Zusammenhang.
h) Die Mittel fellsaugadern entspringen aus der hinteren
Herzbeutelwand, dem Oesophagus, und den Wänden des hinteren
Mediastinum, passiren acht bis zwölf Glandulae mediastini posteriores,
und entleeren sich rechts in den Ductus thoracicus, links dagegen
in die Okmdulae bronchiales.
1048 §• Ml« Sangadern der unteren Extremitäten and dee Beckens.
c) Die inneren Brustsaugadern entsprechen den Vasi» mam-
marüs intemis, Sie entstehen in der Regio epigastrica aus der Bauch-
wand, nehmen die im Ligamentum Suspensorium hepatis aufsteigenden
oberflächlichen Lebersaugadern auf, durchlaufen sechs bis acht
Glandulae stemales, und hängen mit den! hinter dem Stern um ge-
legenen Lymphdrüsen des vorderen Mittelfellraumes zusammen.
Diese, zehn bis vierzehn an Zahl, liegen theils auf dem Herzbeutel,
theils auf den grossen Gefässen extra pericardium, und nehmten die
Saugadem des Pericardium, der Thymus, und die an der Aorta
und Arteria pulmorudis aufsteigenden Saugadern des Herzens auf.
Die inneren Brustsaugadern bilden durch ihre Verkettungen den
paarigen Plexus mammarius internus, welcher mittelst des Truncus
mamma,rius in der oberen Brustapertur in den rechten und linken
Ductus thoracicus einmündet.
d) Die Lungensaugadern zerfallen in oberflächliche und
tiefe, welche an der Lungenwurzel sich vereinigen, die Glandidae
bronchiales durchsetzen, und links in den Ductus thoracicvs gehen,
rechts aber mit den hinteren Mittelfellsaugadern, den Truncus brancho-
msdiastinüms bilden, welcher in den rechten kleinen Brustgang ein-
mündet.
Die Oiandulae bronchialesj deren einige schon im Lungenparenchym vor-
kommen, haben im kindlichen Alter das Aussehen gewöhnlicher Lymphdrüsen,
werden aber bei Erwachsenen — unabhängig von Alter, Krankheit oder Lebens-
art — grau, selbst schwarz pigmentirt. Ihre Zahl beläuft sich beiderseits auf
zwanzig bis dreissig. Sie sind sehr häufig Sitz von tuberculöser Infiltration, und
werden bei alten Leuten oft im Zustande vollkommener Verkalkung (nicht Ver-
knöcherung) angetroffen.
§. 431. Saugadem der unteren Extremitäten und des Beckens.
Das Stelldichein aller Lymphgefösse einer unteren Extremität
sind die Leistendrüsen — Glandulae inguinales — in der JFossa
üeO'pectinea, Diese Drüsen zerfallen in hochliegende und tief-
liegende, welche durch den Processus falciformis der Fascta lata
getrennt sind, aber durch zahlreiche Verbindungsgänge zum Pleocus
inguinalis vereinigt werden. Die oberflächlichen Leistendrüsen
erstrecken sich in variabler Anzahl vom Ligamentum Poupartii bis
zur Fovea ovalis herab, wo sie die Vena saphena magna umgeben.
Die tiefen liegen auf den Schenkelgefässen bis zum Septum cru-
rede hinauf. Die letzte derselben, auch die grösste, führt Rosen-
müller^s Namen.
Die Lymphgefösse, welche die Leistendrüsen aufsuchen, sind :
a) Die Lymphgefesse des Schenkels. Sie verlaufen theils ausser-
halb, theils innerhalb der Fascia lata, — also hoch- oder tiefliegend.
S. 439. SMffadern der BftnchhöUe. 1049
1. Die hochliegenden kommen theils vom Fossrttcken, theils von der
Fusasohle herauf. Entere folgen dem Laufe der Vena saphena major, sind sehr
zahlreich, und vergesellschaften sich mit einer Partie der aus der Sohle kommen-
den, und über den Condyltu itUemus femoria zur inneren Seite des Oberschenkels
aufsteigenden Saugadem, um endlich in die hochliegenden Leistendrüsen über-
zugehen. Letztere ziehen unter der Haut der Wade dahin, und theilen sich in
zwei Züge, deren einer sich in die tiefen ölandulae poplUeae entleert, während
der andere den eben angegebenen Verlauf zu den Leistendrüsen einschlägt.
2. Die tiefliegenden verlassen die BlutgefKssbahn nicht, und werden, wie
diese, eing^theilt ^d benannt. Iii der Kniekehle dringen sie durch eine bis vier
Glandulae poplüeae pro/undae,
h) Die Lymphgefässe der Regio hypogastrica des Unterleibes
steigen schief über das Ligamentum Poupartii zu den obersten Leisten-
drüsen herab.
c) Die Lymphgefilsse der äusseren Genitalien.
Sie sind es, welche den Ansteckungsstoff von den Geschlechtstheilen auf
die Leistendrüsen verschleppen, und dadurch die primären Bubonen (Leisten-
benlen) veranlassen. Die Lymphgefässe des Penis (oder der Clitoris) treten zuerst
in das Fettlager des Man* Veneris, und beugen von hier zu den oberflächlichen
Leistendrüsen um. Jene des Hodensackes und der grossen Schamlippen g^hen mit
den Vans pudendis extemia quer nach aussen zu denselben Drüsen.
Die ausführenden Saugaderstämme der Leistendrüsen, deren
einige schon die Dicke einer Rabenfeder erreichen, begeben sich
mit den Vasis cruralibus durch die Ixicuna vasorum crtiralium in die
Beckenhöhle. Einige derselben durchbohren auch das Septum crurcde,
und krümmen sich über den horizontalen Schambeinast in die
kleine BeckenhöUe hinab. Die an den grossen Blutgefässen hin-
ziehenden Saugadern nehmen die benachbarten Saugadern von der
vorderen und den Seitenwänden der Bauchhöhle auf, durchwandern
mehrere Lymphdrüsen, und bilden durch ihre Vei-kettung den
Plexus iliacus extemvs, welcher gegen die Lendengegend hinzieht,
und sich in die Glandulae lumbales inferiores entleert. Der Plexu»
iliacus externus nimmt während dieses Laufes den Plexus hypogastricus
und sacralis msdius auf.
Der Pleosu» ht/pogcutricu» erstreckt sich an den Verästlungen der Ärteria
hypogcutrica hin, und bezieht seine contribuirenden Saugadem aus allen jenen
Theilen, zu welchen die Arteria hypogastrica ihre Zweige versandte. — Der
Plexus sacraUa mediu» dehnt sich vom Promontorium zum Mastdarmende herab,
und nimmt seine Saugadem aus der hinteren Beckenwand, dem Oanalis sacraUs,
und dem Mastdarme auf.
§. 432. Saugadem der Bauchhöhle.
Es wurde oben bemer)' ' ~ ^horadeus durch den
Zosammenfluc» drei' ^ (der
1050 S- ^S- Sangadeni der Banehhdhle.
beiden Trunci lymphatici lumbales, und des einfachen Truncus lym-
phaticus intestinalia) gebildet werde. Diese Lymphstämme sind nun
die Vcisa efferentia von eben so vielen drtisenreichen Lymphgefkss-
geflechten^ welche als paariger Fkxm lumbcdis, und einfacher Plexus
coeliacus s. mesentericus beschrieben werden.
a) Der paarige Plexus lumbcUis nimmt die Lymphgefösse jener
Organe auf, welche von den paarigen Aortenästen Blut erhielten.
Beide liegen, wie ihr Name sagt, vor dem Quadratus lumbarum und
Psoas major, und auf der Lendenwirbelsäule, hängen durch Ver-
bindungskanäle, welche über und unter der Aorta weglaufen, zu-
sammen, und schliessen zwanzig bis dreissig Glandulae lumbales ein,
welche in superiores et infei^iores zerfallen. Jeder Plexus lumbalis
nimmt den Plexus iliacus extemus, und durch diesen den Plexus
hypogastricus und sacralis msdius auf, und versammelt noch überdies
folgende schwächere Lymphgefösszüge :
1. Die Samensaugadern, welche vom Hoden und seinen
Hüllen, oder von dem Eierstocke abstammen, und mit den
Vasis spermatids ifitemis zur Lendengegend gelangen. Im weib-
lichen Qeschlechte nehmen sie noch die Saugadem des Fundus
uteri und der Tuia Failopiana auf.
2. Die Nieren- und Nebennierensaugadern.
3. Die Lendensaugadern von der seitlichen Bauch wand.
4. Auf der linken Seite die Saugadern der Flexura sigmoidea und
des Rectum,
b) Der unpaare Plexus coeliacus ist von den beiden Plexus lum-
bales nicht scharf getrennt. Er umgiebt die Aorta und die beiden
ersten unpaaren Aeste derselben, so wie die Pfortader, erstreckt sich
bis hinter den Kopf des Pankreas, und hat ungefähr sechzehn bis
zwanzig Lymphdrüsen, Glandulae codiacae, eingeschaltet, welche
von folgenden Organen Lymphgefösse aufnehmen.
a) Vom Magen.
Die Lymphg^fäftfte des Magens bilden drei Geflechte, in welchen kleine
Drüftchen vorkommen : 1. daa linke, welches vom Fundus verUriculi zum Milz-
geflechte geht; 2. das obere, welches in der Cfurvatura verUriculi minor liegt,
zwischen den Blättern des kleinen Netzes nach rechts sich erstreckt, und meistens
mit dem Lebergeflechte sich verbindet; 3. das untere, an der Curvatura major
befindliche, holt seine Saugadern aus dem Magen und dem grossen Netze, und
geht hinter dem Pylorus in die oberen Glandulae coeliacae ein.
ß) Vom Dünndarm.
Die Saugadem des Dünndarms heissen vorzugsweise Milch- oder Chylus-
gefässe, Vasa lactea s. chyliferaf weil sie während der Dünndarmverdauung
durch den absorbirten Chylus das Ansehen bekommen, als wären sie mit Milch
injicirt Sie verlaufen zwischen den Platten des Gekröses, und durchsetzen eine
§. 488. Litentvr des geiammten GeflMsysteiDt. 1051
dreifache Reihe yon zahlreichen Drüsen — Glandulae meaaraicae. Die erste,
dem Darme nächste Reihe, enthält nur kleine, und ziemlich weit von einander
abstehende Gekrösdrüsen ; die der zweiten Reihe werden grösser, und rücken
näher zusammen; die der dritten liegen schon in der Wurzel des Gekröses, am
Stamme der Arteria meaenterica »iiperior. Die Veua efferenUa der ersten und zweiten
Reihe werden also Va»a inferentia der zweiten und dritten Reihe sein. Die Vasa
efferentia der dritten werden theils Vaaa inferentia für die Glandulae coeliacae^
theils gehen sie, ohne Zwischenkunft einer Drüse, in den Truncua lymphatictu
intestinaliSf und somit in den Anfang des Ductut thoracicus über.
Y) Vom Dickdarm.
Die Saugadem des Dickdarms verhalten sich ähnlich jenen des Dünndarms,
nur sind die Drüsen, durch welche sie verlaufen, kleiner, weniger zahlreich, und
nur in eine bis zwei Reihen gestellt Da sich die Saugadem der Flexura ngmoidea
und des Mastdarms zum linken Plexue lumhaUs begeben, so werden nur jene der
übrigen Dickdarmabtheilungen zum Plexus coeUacu», oder zur dritten Reihe der
Glandulae metaraicae gelangen.
B) Von der Milz- und Bauchspeicheldrüse.
Die Lymphgefässe dieser Organe folgen dem Zuge der Vena splenica von
links nach rechts, und entleeren sich in die oberen Glandulae coeliacae,
e) Von der Leber.
Die Saugadern der Leber zerfallen, wie bei allen parenchymatösen Organen,
in oberflächliche und tiefe. Die tiefen treten aus der Porta hervor, durch-
laufen mehrere Glandulae hepattcae, verbinden sich mit dem oberen Magengeflecht,
und treten mit ihm in die Glandulae cadiacae ein. Die oberflächlichen ver-
halten sich an der concaven Fläche der Leber anders, als an der convexen. An
der convexen Fläche treten sie, nachdem sie sehr reiche Netze bildeten, in das
Ligamentupi guspensarium hepatia ein, gelangen dadurch zum Zwerchfell, und
hinter dem Sehwertknorpel zu den Plexibu* mammanis. Allein nicht alle Saug-
adem der convexen Leberfläche nehmen diesen Verlauf. Viele vom linken Leber-
lappen verbinden sich vielmehr, nachdem sie durch den linken Flügel des Liga-
mentum alare hepatis nach links verliefen, mit dem oberen Magen- oder
Milzgeflechte. Einige Saugadem des rechten Lappens durchbohren am hinteren
Leberrande das Zwerchfell, und suchen die Glandulae mediaatinicae posteriores auf,
so dass die Leberlymphe die verschiedensten und ganz divergente Abzugsbahnen
einschlägt. Die oberflächlichen Saugadem der unteren concaven Leberfläche g^hen
sämmtlich zur Pforte, verbinden sich mit den tiefen, und finden mit ihnen den
Weg zu den Glandulae coeliacae.
§. 433. Literatur des gesammten &efösssysteiiis.
Vollständige Beschreibungen des ganzen Ge&sssystems ent-
halten die zweiten Auflagen von Sömmerring's und Hüdebrandt's
Anatomien, und die Gefösslehren von C. A. Mayer, F. A. Walter,
und M. Langenheck. Die besten Abbildungen finden sich in den
Werken von Langenbeck, TXedemann, Quudn, Wüeon, und Bierkoveki
1052 §. 488. Literatur det gM»inint«n 6«flU..78t«iDB.
(Abbildungen der Puls-, Blut- und Saugadern. Berlin, 1825. fol.).
Die Leichtigkeit, mit welcher Präparate injicirter Gefässe an jeder
gut eingerichteten anatomischen Anstalt zu haben sind, macht das
Studium der Gefösslehre an Tafeln überflüssig.
Herz.
R, Lower, tractatus de corde. Edit. sept. Lugd. Bat., 1740.
(Tuberctdum Loveri). — A, C. Thebemis, diss. de circulo sanguinis
in corde. Lugd. Bat., 1708. (Valmda Thebestu) — R, Vteussens,
trait^ de la structure du coeur. Toulouse, 1715. (Isthmus Vieussenü.)
— J. B. Morgagni, adversaria anat. Patav., 1706 — 1719. Adv. 1. 2.
(Nodtdi Morgagni,) — J. Reid und H. Searle „Heart^ in Todd's
Cyclopädia. Voll. 11. — J. Müller, in der medicinischen Vereins-
zeitung. 1834. (Dimensionen und Capacität des Herzens.) —
R. Wagiier's Handwörterbuch der Physiologie (Herz). — C. Ludicig,
über Bau und Bewegungen der Herzventrikel, in Henles unf Pfeuf-
fer's Zeitschrift. VH. Bd. — Luschka, das Endocardium, etc., in
Virchow's Archiv. IV. — Reinhard, zur Kenntniss der dünnen Stelle
in der Herzscheidewand in Virchow*s Archiv. XIL — Luschka, der
Herzbeutel und die Fascia endothoracica, in den Denkschriften der
kais. Akad. 16. Bd. — C Binich, Schriften der Senkenberg'schen
Gesellschaft. 1857. — C, Langer, Zeitschrift der Gesellschaft der
Wiener Aezte. 1857. (Foi^amen ovale).
Arterien.
Hallers Icones anatomicae. Gottingae, 1743, können noch
immer als Muster graphischer Genauigkeit dienen. — F. Ttede-
mann^s tabulae arteriarum. Carlsruhe, 1822, und der Nachtrag von
1846, sind der Varietäten wegen wichtig. — R. Harrison, Surgical
Anatomy of the Arteries. Dublin, 1839. 4. edit. Enthält viele gute
praktische Bemerkungen. — R. FroHep, chirurgische Anatomie der
Ligaturstellen. Weimar, 1830. — Ä. Quain, the Anatomy and Ope-
rative Surgery of the Arteries. London, 1838. Plates in fol. —
N, Pirogoff, chirurgische Anatomie der Arterienstämme und der
Fascien, mit 40 lithographirten Tafeln in fol. Dorpat, 1838. —
Durch Correctheit ausgezeichnet, ist Ä. Froriep's Icon arteriarum,
Weimar, 1850, auf Einer Tafel das gesammte Arteriensystem in
das Skelet eingetragen, in Lebensgrösse dargestellt. — Barkotv,
die Blutgefässe, insbesondere die Arterien des Menschen, in ihren
minder bekannten Verzweigungen. Fol. mit 43 Tafeln. Breslau,
1866. Derselbe: die angiol. Sammlung des anat. Museums zu Breslau.
Breslau, 1869, mit zahlreichen Abbildungen.
§. 488. Literatur des fesaauiten Gefisaeyttenis. 1053
Varietäten der Arterien.
Nebst den pathologischen Anatomien von Meckd, Otto, Cru-
veähier, gehört vorzugsweise hieher:
R. Quain, on the Arteries of the Human Body, etc. London,
1844. — F. Tiedemann, Supplementa ad tabulas arteriarum. Heidel-
berg, 1846. — Herberg, über die Ein- und Austrittspunkte der
Blutgefässe an der Schädeloberfläche, in Wcdiher und Ammon's
Journal. IV. Bd. — R, Siebold, über den anomalen Ursprung und
Verlauf der in chirurgischer Beziehung wichtigen Schlagader-
stämme. Würzburg, 1837. — Schiobig, observationes de varia ar-
te riae obturatoriae 'origine et dccursu. Lipsiae, 1844. — Patruban,
üefiissanomalien. Prager Vierteljahresschrift. 17. Bd. (Aortenbogen
über den rechten Bronchus gehend. Vas aberrans aus der Arteria
brackicdis. Hoher Ursprung der Ulnaris.) — Demarquay, sur les
anomalies de Tartere sousclaviere. Comptes rendus. Tom. 27. Nr. 5.
— Struthers, On a Peculiarity of the Humerus and Humeral Artery.
Monthly Journal. New Series. XXVIU. — W. Gruber, Abhand-
lungen aus der menschlichen und vergleichenden Anatomie. Peters-
burg, 1852. (Schätzbare Angaben über numerische Verhältnisse
der Varietäten.) — H, Mayer, über die Transposition der aus
dem Herzen hervortretenden grossen Arterienstämme ^ in Virchow's
Archiv. XII. — Schwegel, Prager Viertcljahresschrift. 1859. —
J, Htjrtl, Oesterreichische Zeitschrift fiir praktische Heilkunde.
1859, Nr. 29, seqq. (Arteria palatina ascendenSj vertebralis, occipitalis,
lingualis und thyreoidea.) — Hyrtl, über normale und abnormale
Verhältnisse der Schlagadern des Unterschenkels. Wien, 1864, mit
10 Tafeln. — Eine reiche Zusammenstellung aller bisher bekannt
gewordenen Varietäten der Arterien, lieferte Krause, im 3. Bande
von Herders anatomischen Handbuch. — Viel Interessantes über
diesen Gegenstand findet sich in dem Werke von Giov. Zoja: H
gabinetto di anatomia normale della Universitk di Pavia. Angio-
logia. Pavia, 1876, und in W, Gruber's Abhandlungen im 66., 67.
und 68. Bande des Archivs fiir pathologische Anatomie, welche
auch Venenanomalien betreflfen.
Venen.
lieber das gesammte Venensystem existirt nur Ein Haupt-
werk:
G. Breschet, recherches anat. physiol. et pathol. aar le Systeme
veineux. Paris, 1829. fol.
1054 §• 4S8. Litantar des gMammten GefäsMystems.
Ueber die Siniis durae matris handelt Morgagni , in dessen
Adversariis anatomicis. VI, und Vicq-d/Azyr, recherches sur la struc-
ture du cerveau, in den M^moires de racad(5mie des sciences. 1781
und 1783. lieber die Emissaria siehe: D, Santorini, observ. anat.
cap. in., und J. Theoph, Walter, de emissariis Santorini. Franeof.
ad Viadr., 1757. Hieher gehört auch: Englisch, über eine con8ta:iite
Verbindung des Sinus cavernosus mit dem petrosus inferior ausser-
halb des Schädels (Sitzungsberichte der kais. Akademie. 1863).
Ueber Venenanomalien handelt Krause a. a. O. und C H. Hallett,
General Remarks on Anomalies of Venous System. Med. Times,
Nov. Nr. 423. — Braune und Triünnger, die Venen der menschl.
Hand. Leipzig, 1873. — Chahbert, les veines de la face et du cou.
Paris, 1876. — Für die Entwicklungsgeschichte interessant ist
J. MarshalVs Abhandlung: On the Development of the great an-
terior Veins in Man and Mammalia, in den Phil. Transactions,
1850. Part. I.
Pfortader.
A. F, Weither, de vena portae exercitationes anatomicae.
Lipsiae, 1739 — 1740. — A, Murray , delineatio sciagraphica venae
portae. Upsal., 1796. — K. Höhnlein, descriptio anatomica syste-
matis venae portae in homine et quibusdam animalibus. Mogunt.,
1808, fol. — Retzius, in Tiedemann's und Tremranus* Zeitschr. 1833.
Lymphgefässe.
C A, Asellius, de lactibus s. lacteis venis, etc. Mediol., 1627.
— «7. Pecquet, experimenta nova anatomica, quibus incognitum hac-
tenus chyli receptaculum et vasa lactea deteguntur. Paris, 1651. —
A. Monro et J, F. Meckel, opuscula anatomica de vasis lymphaticis.
Lipsiae, 1760. — Will. Hewsony experimental inquiries, etc. P. H.
London, 1774. — W. Cruikshank, the Anatomy of the absorbing
Vessels, deutsch von C. F. Ludwig, Leipzig, 1793. — P. Mascagni,
prodromo sul systema dei vasi limfatici. Siena, 1784. Ausgabe von
Fr. Antommarchi, Firenze, 1819. fol. mit 20 Tafeln. — E, A. Lauth,
sur les vaisseaux lymphatiques. Strasbourg, 1824. — F. Fohmann,
m^moires sur les vaisseaux lymphatiques de la peau, etc. Li^ge,
1833. — G. Breschet, le systfeme lymphatique, consid^r^ sous le
rapport anat., physiol. et pathol. Paris, 1836.
Ueber einzelne Abtheilungen des Lymphgefasssystems handelt:
A, Hallerj resp. Bussmann, observationes de ductu thoracico.
Gottingae, 1741. — B. S. Albin, tabula vasis chyliferi cum vena
$. 4SS. Literatur daa geflammten GefiisBystema. 1055
azyga. L. B., 1757. — F. J. Hunaidd, observations sur les vaisseaux
lymphatiques dans le poumon de rhomme, in M^moires de Facad.
de Paris. 1734. — J, G, Haase, de vasis cutis et intestinorum ab-
sorbentibus, etc. Lipsiae^ 1786. — S, Th. Sömmfrrtng, de trunco
vertebrali vasorum absorbentium ; in Comment. soc. reg. Gottingae.
Vol. XIII. — Patruban, Einmündung eines Lymphaderstammes in
die Vena anonyma drmtra, Midler's Archiv. 1845. — Svitzer, Beob-
achtung einer Theilung des Ductus thoradcus. ibid. pag. 21. —
Nuhn, Verbindung von Saugadern mit Venen. Müller's Archiv. 1848.
— Jarjavay, sur les vaisseaux lymphatiques du poumon. Archives
gen^r. de medecin. Tom. XIII. — Dubois, des ganglions lympha-
tiques des membres sup^rieures. Paris, 1853. — Die schon früher
citirten Schriften von Teichmann, Hü, Frey, Recklingshausen, Ludimg,
Tomsa und Schwalbe, so wie mein Aufsatz über die Injection der
Lymphcapillaren in der Österreich. Zeitschrift für praktische Heil-
kunde 1860.
Eine Reihe von Versuchen über die bewegende Kraft der
Lymphe, enthält der Aufsatz von F, Noll: über den Lymphstrom
imd die wesentlichen Bestandtheile der Lymphdrüsen, in Henle's
und Ffeuffer's Zeitschrift. 9. Bd. Ebenso Schwanda, über die Quan-
tität der in bestimmten Zeiten abgesonderten Lymphe, in dem amt-
lichen Berichte über die 32. Versammlung deutscher Aerzte und
Naturforscher. Wien, 1858.
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