;*W ■..-■*
f. -m^-
Ä»»i^.
T^sjfäfssr^Mp^r^sirr^
^ cf, ^ <t ^ #> ^ cf. ^ß'^^^ ^ßßßß^
Ät,^ A V A V A ^ JLV A « A^V A *A*,^*AoA«A«.A^«^^^«A.<^^
I-Af- 'f'.t' ^,^ ^,^,^,^ ^,^ß,^,^,^,^ß
0 A V A V A ♦ A V A ♦ A V A ♦ A 0 Ju * -A. ^ -A. ♦ A^ <^ A. ♦ -A, ^ ^ ♦ ^^ ^ *
K€,*^>i:€*>^^:#^:c€#>J'J
Ä-oA^ A. OA.^ A/ «jA ♦A.«A*A<>A^A<>A^A«A,^A<>A^A<>^
^.t» «t,^ 'i',^ t'.'i' ^ß,^,^,^ßß,^,^ß
0 A V A V A * A V A V A 0 A V A VA % A. ^ A^^ A. o A^ * A. o \A- « A * A ♦
fe. * A/ 0 A/ ♦ A^ ♦ A ♦ A/ ^ A ♦ A» * A ♦ A. * j&, * A/- o A A A^ o A ^ A^ o A^ <^ A
^ ^,^ ^,^ ^,^ ^,^ ^,^,^,^ß,^ ^,^ß
♦ A VA V A V A V A <>\^ ♦ A V A V A V A ♦ ^V A V A o A. V a V ,A V A. o
K#;ccc€ccccf^^^
-- .. .- ,, -- .« -, .w -- ww ^y^ ^^<i ^V6 i^(i i^- .^ -w
ß^ * A. ♦ A ♦ A/ <> -^ * A. 0 A * A> * A ♦ A>. * -^ ♦ A. ^ A, <> A. * -ä, ^ A. ♦ ,4. ♦ ^^
♦ A V A V A V A ♦ A V A V A V A ♦ .A-V A ♦ A V A V A V A o a V A ♦ A «
<L 0 A ♦ -A- * A * A^ <^ A^ ^ A- 0 A, <f A, o A^ <> A/ o A. ^ Jl o A^ <^ JL o Ar * A» * jÄ
^ßßßßßßßßßßßßßßß ^ß
0 A ♦ ^V A « A « A 4 A 0 A V A ^ A * A_V A V A V A ♦ A ^ A % A V A *
»ificficf:»:*:^^^^
^^A^^Al^A,<^Al^A.<^ A/ * -4- ♦ A. * -Ä, ♦ A> 0 A ^ A/ * A ♦ Ai. 0 A V A. V A
^(¥h^A^^A.*A.^A^^A^**A.^A.^A^^ A. 0 A. * A. o A.^ A, o A. ^ A V A ♦
.•f,* f. * f. * * * * * $ * f. sf. $ .# ».
K^.Wj^^W'^^aTJ^j3^^^j3^^^^
\ jj^^^jt^l^^ jfi^^^^ Jf^^^<^^
x
' ♦ VA Iva, * Ju * r^ * r^ * r^ * r^ ♦\A. V A ♦ A^ ♦ A ♦ A. * A ♦ A. * A, ♦ A ♦
A A 0 A - ♦ A. 0 A ♦ -A ^ A ^ -A * A ♦ A. V A V-A * A * A o A ^ ^V A * A.
. <y A ♦ A. * A, ♦ A 0 A ♦ A *A-*Jk*^^A *A* A ♦ A ♦ A * A ♦ A V A
A ♦ A % A ♦ A ♦ A- ♦ A ♦ A. ♦ A ♦ .&, * A * A. * A^ A ♦ A * A. ♦ A^A ♦
' «A* A. ^A^ A/ *A^-A*A* A*A*A»A^A«A^A«A*-A«A
^^ ^,^ sf'.'i' ^,^ ^,^ß,^ ^,^ß,^ßß
^
♦ -A * -A ♦ -A * -A ♦ ^ * A * A/ * A ♦ .A ♦ ^ * A ♦ A. * -A ^ JL ^ A/ ♦ ^ ♦ .A
A ♦ A ♦ A « A ♦ A. * A ♦ A 0 A ♦ A V A ♦ A V A ♦ A * A ♦ A o A * A *
' * -A ^ ^ * ^ * r^ ^ A. * ^^ A ^ ^ * A> ♦ -A V A. ♦ -A * J^ ♦ -A * A * .A <^ ^
*A ♦ A * A ♦ A ♦ -^ * A * A * A « A ♦ A * A ♦ A « A_ ♦ AV A_ V a * A ♦
^... ,.. , ,., ,., ,,, ,,, ,^ ,., ,.. ,., ,,, ,., ,,, ,.
*A * JL ♦ A ^ A« ♦ A * A. ♦ A ♦ A ♦ A ♦ A ♦ A ^ A. ♦ A. * A ♦ A^A ♦ A ♦"
^ r^ ^ r^ * c^ * »^ * r^ * A» ♦ -A * ^ ♦ -A^ A. ♦ ^ * A, * ^ * -r^ * -A ♦^A * ^A
^JiMC^^j-^:* :€*:€#^>:#: ^
^:f;i>:f:*:f;^:*:4;#?;*;4';*:*:'i''*:'#'^
> * f ^-> ^ 4-^ * r4. * A * ^ * AV A V A V A V A V A Va V^V A V A V
^T,"^^,'^.^ ^,# ^.^ t'.'f' sf-'t <f .t» «f-,^ ^
A * f4. * r4. * A ♦ A^ A ♦ A VA. ♦ A <> A ♦ A VA ♦ A <> A ♦ AV A V^
l\Ä^y
Lehrbuch
der
kosmischen Physik
von
Dr. Svante August Arrhenius
Professor der Physik an der Hochschule .Stockholm.
Erster Teil
Mit 166 Abbildungen im Text und 2 Tafeln.
-'^m^
1
>;
d^
Leipzig
Verlag von S. Hirzel
1903.
Das Reelit der Üebersetzuiig ist vorbehalte«.
Vorwort.
Wenige Zweige der Wissenschaft haben in der jüngsten Zeit so
grosse Fortschritte gemacht, wie die kosmische Physik. Dies beruht
wohl in erster Linie auf dem alleinstehenden Fleiss, mit welchem in
den letzten Jahrzehnten Thatsachenmaterial gesammelt worden ist, wo-
durch unsere Kenntnisse in höchstem Grade bereichert und unsere An-
sichten in vielen Fällen befestigt, in anderen aber bedeutend verändert
worden sind. Es giebt beinahe keine einzige Abteilung dieser so ausser-
ordentlich vielseitigen Wissenschaft, welche nicht in dieser Hinsicht
gerade jetzt eine Blüteperiode durchlebt.
Andererseits hat die theoretische Physik, ebenso wie die damit
verwandte Chemie, ähnliche Stadien von einer kräftigen Entwickelung
durchgemacht, wodurch neue Gesichtspunkte zur Verwertung des Be-
obachtungsmaterials gewonnen worden sind.
Unter solchen Umständen scheint es wohl erwünscht, eine Bearbei-
tung der kosmischen Physik zu erhalten, bei welcher die modernen An-
sichten der rationellen Wissenschaften berücksichtigt werden.
Als die Yerlagsfirma S. Hirzel mir den Auftrag gab, eine solche
Bearbeitung auszuführen, habe ich denselben nur mit Zögern ange-
nommen. Es ist ja so gut wie unmöglich, alle die verschiedenartigen
Verwendungen der Physik und Chemie auf kosmische Gegenstände zu
beherrschen. Da ich aber an der Hochschule zu Stockholm Vorlesungen
über alle Teile der kosmischen Physik gehalten habe, fasste ich
dieselben zusammen und revidierte und ergänzte sie. Dabei habe
ich kräftige Unterstützung von mehreren befreundeten Fachgenossen
erhalten, unter denen ich hier Dr. Ekholm und Dr. v. Euler
nennen will.
jy Vorwort.
Das Kapitel XI der Physik der Atmosphäre ist von Herrn J. W.
Sandström in Stockholm geschrieben und von mir nur so weit umge-
formt, dass es in den vorliegenden Rahmen einpassen würde. Auf diese
Weise ist es mir möglich gewesen, eine Darstellung der neuesten
theoretischen Behandlungsweise der atmosphärischen Bewegungen zu
gehen, welche mir in vielen Beziehungen vor den alten Auslegungen
bedeutende Vorteile zu bieten scheint.
Meinem Freunde Dr. Alexis Finkelstein in Bernburg a. S. bin
ich zu vielem Danke verpflichtet für seine bereitwillige Hilfe bei der
Richtigstellung des deutschen Textes und bei der Korrektur.
Die meisterhaften Lehrbücher der Meteorologie von Prof. A. Angot
und besonders Prof. J. Hann sind mir bei der Ausarbeitung des ersten
Teiles der Physik der Atmosphäre von grösstem Nutzen gewesen.
Bei der Behandlung des vorliegenden Themas habe ich die rein
astronomischen, hydrographischen, geologischen und meteorologischen
Fragen zu vermeiden gesucht und soweit möglich nur solche Probleme
zur Behandlung aufgenommen, welche mit der Physik und Chemie innige
Berührung haben.
Für die sorgfältige und prächtige Ausstattung des so entstandenen
Buches bin ich der Firma S. Hirzel sehr verpflichtet.
Stockholm, im Dezember 1902.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis
zum 1. Teil
Physik des Himmels.
I. Die Fixsterne
Einleitung 1
Maasse der Länge und der Zeit 2
Bestimmung der Lage eines
Punktes auf dem Himmel.
Sternbilder 5
Die Helligkeit der Sterne. . . 9
Sternörter 11
Die relative Menge der Sterne
verschiedener Grössen ... 11
Die Sternparallaxe 13
Die Aberration 13
Parallaxenmessungen und Stern-
abstände 15
Absolute Helligkeit der Sonne
und der Sterne 17
Eigenbewegung der Sterne . . 18
Spektralanalyse 21
Sternspektra 23
Das Prinzip von Doppler . . 28
Bewegung der Sterne in der
Sichtlinie 29
Einfluss des Druckes auf die
Lage der Spektrallinien . . 30
Eigenbewegung des Sonnen-
systems 32
Nebel 33
Die Milchstrasse 41
Seite I Seite
Der physikalische Zustand der
Nebel 43
1 Doppelsterne 46
Das Verhältnis der weissen und
der gelben Sterne zum Sonnen-
system 52
Veränderliche Sterne vom Algol-
typus 53
Andere veränderliche Sterne . . 55
Mira-Sterne 57
Neue Sterne 60
IL Das Sonnensystem. ... 65
Die (scheinbare) Bahn der Sonne 65
Die Bahnen der Planeten . . 66
Die absoluten Entfernungen im
Sonnensystem 68
Bestimmung der Entfernung der
Planeten durch Parallaxen-
messungen 69
Die ümlaufszeiten der Planeten 71
Das Gravitationsgesetz .... 73
Die Massen der Planeten ... 79
Die elliptischen , parabolischen
und hyperbolischen Bahnen
der Körper um die Sonne . 80
Die potentielle Energie eines
beweglichen Körpers ... 81
Die aktuelle Energie eines be-
wegten Körpers 83
VI
Inhalfcsverzeiclinis.
Seite
Die Neigung und Excentricltät
der Bahnen 84
' Die Bahngeschwindigkeiten . 85
Die Ursache der Gravitation . 87
Titius-Bodes Gesetz und die
kleinen Planeten 88
III. Die Sonne 91
Licht- undWärmestrahlung der
Sonne 91
Das Aussehen der Sonnenober-
fläche. Granulation .... 94
Fackeln 94
Flecke 95
DieWilsonsche Fleckentheorie 97
Das Spektrum der Sonnenflecke 99
Die ümkehrung der Spektral-
linien 100
Die Natur der Flecke . . . 102
Die Chromosphäre und die Pro-
tuberanzen 104
Spektroskopie der Sonne . . 105
Die metallischen Protuberanzen 108
Ruhende Protuberanzen . . . 113
Die Corona 114
Spektrum der Corona .... 117
Die Natur der Corona . . . 119
Der Druck und die Dichte in
der Sonne 121
Rotation der Sonne .... 123
Frequenz der Flecke, Fackeln
und Protuberanzen .... 126
Die Temperatur der Sonne . . 130
Die Periodicität der Sonnen-
flecke 132
Zusammenhang der Sonnen-
fieckenfrequenz mit dem Erd-
magnetismus . . . . . . 134
Sonnenflecke und Nordlichter . 137
Fortpflanzung der magnetischen
Störungen 137
Sonnenflecke und Lufttempe-
ratur 140
Sonnenflecke, Wolken und
Niederschlag . .• . . . . 141
Die elfjährige Periode anderer
irdischer Erscheinungen . . 143
Die nahezu 26tägige Periode . 146
Theoretisches 149
Seite
Die Entstehung von Meteoriten 155
Die Wärme der Sonne . . . 158
IV. Die Planeten, ihre Satel-
liten und die Kometen. . 164
Die Temperatur der Körper im
Sonnensysteme 164
Die Atmosphäre der Planeten . 173
Der Mond 177
Der Merkur und die Venus . 181
Mars 183
Jupiter 191
Saturn 194
Uranus •...-. 197
Neptun 197
Die Satelliten 197
Das Tierkreislicht 200
• Die Kometen 202
Moldavite 219
V. Kosmogonie 221
Physik der Erde.
Gestalt, Masse und Be-
wegung der Erde .... 234
Kugelform der Erde .... 234
Die Gradmessungen .... 235
Die Abplattung der Erde . . 238
Direkte Messung des Erdradius 239
Erddrehung 239
Die Centrifugalkraft an der
Erdoberfläche 241
Veränderung der Schwere nach
dem Beobachtungsort. Pen-
delmessungen 242
Das Bathometer von W. Sie-
mens 245
Das Gasvolumeter von Issel . 246
Die Methode von Mohn . . 247
Bestimmungen der absoluten
Masse der Erde. Das Hori-
zontalpendel 247
Die Drehwage 248
Wägungsmethoden 249
Die Methode der Pendelschwin-
gungen 250
Messungen in Schachten . . 251
Inhaltsverzeichnis.
Vll
Seite
Die Zunahme der Schwere mit
der Tiefe 252 ^
Änderung der Schwere mit der |
Höhe 253 I
Änderung der Schwere mit der |
geographischen Breite . . . 255
Resultate der Schwerenmessun-
gen 256
Messungen von Eötvös . . 262
Das Geoid 262
Andere Folgen der Erdum-
drehung 264
Präcession und Nutation . . 268
Verschiebungen der Erdachse
im Erdkörper 270
Die langsame Änderung der
Erdbahn 272
Kleinere Schwankungen der
festen Erdkruste 276
IL Die feste Erdkruste und
das Erdinnere . . . . . 278
Die Zunahme der Bodentempe-
ratur mit der Tiefe .... 278
Der Zustand des Erdinnern . 282
Wärmeverlust der Erde nach
Aussen 284
Alter der Erde 285
Die Gesteine der Erdkruste . 288
Vulkane 296
Thermen, Geysire und Schlamm-
vulkane 304
Die Verteilung der Vulkane . 306
Der innere Bau der Vulkane . 307
Die Entstehungsweise der Vul-
kane 311
Erdbeben 316
Entstehungs weise der Erdbeben 323
Die Physik der Erdbeben . . 328
Die Entstehungsweise der Erd-
kruste 336
Die nivellierenden Kräfte . . 341
Die Verteilung von Land und
Meer 346
in. Das Meer 348
Die Ausmessung der Meeres-
tiefen 348
Seite
Die Meerestiefe 352
Die Bodenbeschaifenheit . . . 353
Die Zusammensetzung des Meer-
wassers 359
Die Verteilung der Salze im
Meere 362
Die Temperatur des Meeres . 367
Maximale Dichte des Meeres-
wassers 373
Die Farbe der Meere .... 373
DieDurchsichtigkeit des Wassers 375
Die Meeresströmungen. Theo-
retisches ........ 377
Methoden zur Beobachtung der
Meeresströmungen .... 381
Die wichtigsten Meeresströmun-
gen 383
Das Meereis 387
Das Polareis 391
IV. Das Wasser auf dem Fest-
lande 394
Die geographische Verbreitung
des Eises auf dem Festlande 394
Periodische Änderungen der
Gletschergrösse 396
Zusammensetzung der Gletscher 397
Transporttahigkeit der Glet-
scher 399
Gletscherlawinen 400
Eishöhlen, fossiles Eis . . . 401
Das Inlandeis auf Grönland . 402
Die Eiszeit . 403
Die Süsswasserseen .... 405
Abflusslose Seen ..... 407
Die Farbe und Temperatur der
Binnenseen 409
Binnensee-Eis ...... 413
Sümpfe und Moore .... 414
Das Grundwasser 415
Quellen und Brunnen .... 415
Flüsse 418
Normalgefälle 418
Seitliche Erosion 420
Veränderungen im Gefälle . . 421
Wasserfälle 422
Die ökonomische Bedeutung der
Wasserfälle 423
Unterirdische Wasserläufe . . 425
VllI
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Ablenkung der Flösse durch
die Erddrehung und durch
Winde 425
Die Wassermenge eines Flusses 427
Wasserscheiden 429
Abflussteil 430
Transport von Schlamm und
Geschiebe ......* 430
V. Die Wellenbewegung des
Meeres und der Seen . . 436
Entstehung der Wellen . . . 436
Experimentaluntersuchungen
über Wellen 439
Brandungsvt^ogen 442
Seespiegelschwankungen. Sei-
ches 445
Beruhigung der See durch Fett-
schichten 447
Gezeiten 448
Seite
Gezeiten nach verschiedenen
Perioden 452
Neuere theoretische Unter-
suchungen 453
Anwendung der harmonischen
Analyse 456
Untersuchungen von G.H.Dar-
win 460
Vergleich der Theorie mit der
Erfahrung 461
Gezeitenströme 463
VI. Die Wechselwirkung
zwischen Land und See.
Küsten 465
Küstenverschiebungen. ... 465
Einwirkung der Härte der Küste 468
Konservierende Wirkung der
Organismen 470
Physik des Himmels.
I. Die Fixsterne.
Einleitung. Von allen Naturwissenschaften ist die Astronomie die
älteste. Schon den niedrigst stehenden Völkern konnte es nicht ent-
gehen, dass im Laufe der Zeit viele mächtig eingreifende Erscheinungen
nach gewissen Zeiträumen sich wiederholen. Die auffallendste dieser
lOrscheimmgen ist der regelmässige Wechsel von Tag und Nacht. Dem-
nächst kommt diejenige der Jahreszeiten, welche sich äussert in der Auf-
einanderfolge von heissen und kalten, von trocknen und regnerischen
Zeiten und in den damit zusammenhängenden Erscheinungen der Schnee-
bedeckung der Erdoberfläche und Vereisung der Seen, bezw. in Über-
flutungen (z.B. des Nils) oder inEintrocknen von Sümpfen, Morasten u. s. w.
Diese für den Haushalt der Völker überaus wichtigen Umstände
traten regelmässig dann auf, wenn die Himmelskörper (Sonne, Mond und
die Sterne) eine bestimmte Stellung auf dem Himmelsgewölbe einnahmen.
Um im voraus wissen zu können, wann diese Zeiten wiederkehren würden,
beobachtete man die Sonne, den Mond und die Sterne und fand bald,
dass dieselben viel regelmässiger ihre Stellungen ändern als die vorhin
genannten periodischen Erscheinungen aufeinander folgen. Es war da-
nach mehr angemessen, die Länge der Periode nach der Stellung der
Himmelskörper zu berechnen, als nach den Witterungserscheinungen zu
bemessen. Die so ermittelte Hauptperiode wurde ein Jahr genannt, und
ein siderisches Jahr wird danach definiert als die Zeitdauer, welche ver-
tliesst zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten, in welchen die
Stellung der Sonne unter den Sternen so nahe wie möglich die gleiche ist.
Unterabteilungen dieser Hauptperiode ergeben sich durch die Stellung des
Mondes. So entstand das in zwölf Monate eingeteilte Jahr. Die kleinste
Zeiteinheit war der Tag (Gesamtdauer von Tag und Nacht), dessen Länge
nur von der Stellung der Sonne in Bezug auf den Horizont des Beobachters
Arrhenius, Kosmische Physik. 1
2 Physik des Himmels.
abhängt. Bndlich wurde dieser in vier Teile: Nacht, Morgen, Tag und
Abend eingeteilt. Zu einer ähnlichen Zeiteinteilung sind schon die
niedrigsten Völker gelangt.
Ausser den genannten Witterungserscheinungen waren es auch andere
Umstände, welche zu Beobachtungen der Himmelskörper anregten. Es
dämmerte schon früh bei den meisten Völkern auf, dass die Quelle alles
Lebens (und aller Bewegung) in den Strahlen der Sonne zu suchen
ist. Im Anschluss an diese Auffassung bildete sich eine göttliche Ver-
ehrung der Sonne aus, welche in den meisten Keligionen aufzufinden
ist. Danach lag es nahe dem Monde als Lichtspender eine, wohl etwas
untergeordnete, aber doch hervorragende Stelle neben der Sonne einzu-
räumen. Und allmählich wurden auch die Sterne als Göttlichkeiten auf-
genommen. Demnach lag es den Priestern, welche die gebildete Klasse
der verschiedenen Völker ausmachten, ob, astronomische Beobachtungen
anzustellen, um die mächtigen Herrscher über Leben und Tod und über
das Schicksal der Menschen näher kennen zu lernen. Und so sehen
wir, wie schon in den ältesten Zeiten menschlicher Kultur Sternwarten
errichtet wurden, wo der Gang der Himmelslichter verzeichnet wurde.
Ganz enormes Aufsehen erregten dabei die Verfinsterungen, besonders
der Sonne. Diese Erscheinungen wurden deshalb sorgfältig als Wahr-
zeichen in die Chroniken eingetragen, wodurch uns ausserordentlich wert-
volle Bestimmungen zur Feststellung des genauen Zeitpunktes histori-
scher Ereignisse erhalten worden sind. Besondere Beamten hatten den
Auftrag, solche Verfinsterungen im Voraus zu berechnen und mussten
häufig mit ihrem Leben für die Richtigkeit ihrer Prophezeiungen ein-
stehen.
Es wurde also schon seit dem Beginn der historischen Zeit emsig
ein Material betreffs der Himmelserscheinungen gesammelt, welches jetzt
die Gnmdlage der Astronomie ausmacht. Aus diesem ist durch die
Naturforscher als reinstes Produkt eine Anschauung gewonnen über
die Kräfte, welche im Weltall walten, und über die Bausteine, woraus
dieses aufgebaut ist.
Maasse der Länge und der Zeit. Bevor wir die wichtigsten
Punkte dieser Anschauung darlegen, wollen wir einige Maasseinheiten
uns auswählen, mit welchen wir später die Grössen, welche eine Bolle
im Weltall spielen, bestimmen können. Bekanntlich ist unser Erdkörper
ein Sphäroid, dessen Aquatorialradius 6378,25, und dessen Polarradius
6356,52 Kilometer beträgt. Die Erde dreht sich um ihre Achse einmal
in einem Sterntag, der in 24 Stunden Sternzeit eingeteilt wird und
I. Die Fixsterne. ;^
23 's 5(3"', 4,09 P mittlerer Somienzeit beträgt. Mit anderen Worten,
wenn wir zwei aufeinanderfolgende Momente beobachten, in welchen ein
beliebiger Stern durch die Meridianebene, d. h. die Vertikalebene, welche
durch die Erdpole und den Beobachtungsort gelegt ist, hindurchgeht,
tinden wir, dass zwischen diesen Zeitpunkten eine Zeit von 23'* , 56"*,
1,091^ vergeht.
Aus diesen Angaben können wir berechnen, dass die Umdrehungs-
geschwindigkeit eines Punktes am Erdäquator (an der Meeresoberfläche)
165 Meter per Sekunde beträgt.
Die Erde bewegt sich in einer nahezu kreisförmigen Bahn um die
Sonne, die im Mittel in einem Abstand von 149,5 Millionen Kilometer
entfernt ist, der also etwa 2344(1 mal grösser als der Erdradius (am
Äquator) ist. Diese Bahn wird von der Erde in einem Jahr beschrieben.
Daraus lässt sich berechnen, dass die mittlere Geschwindigkeit der Erde
in ihrer Bahn 29,7 Kilometer per Sekunde beträgt. Wegen der grossen
Entfermmgen zwischen den Himmelskörpern benutzt man häufig den Erd-
bahnradius (die Sonnenweite) als Maasseinheit für dieselben. Für die
Abstände in unserem Sonnensystem ist diese Längeneinheit sehr ge-
i'ignet; die Ausdehnung des Sonnensystems möge durch den Abstand
des äussersten bekannten Planeten, des Neptun, von der Sonne, welcher
etwa 30 Erdbahnradien ausmacht, charakterisiert sein.
Bei der Ausmessung der Abstände zwischen Sternen ist aber häufig
diese Längeneinheit zu klein, um bequem zu sein. Man giebt dann die
Länge entweder in Millionen Sonnenweiten oder auch in Lichtjahrweiten
an, d. h. giebt die Anzahl Jahre an, welche das Licht brauchen würde,
um die betreffende Länge zurückzulegen. Da die Geschwindigkeit des
Lichtes 300000 Kilometer pro Sekunde beträgt, so entspricht eine Licht-
jahrweite 9,47 Billionen Kilometer oder 63300 Erdbahnradien, und eine
Million Sonnenweiten ist gleich 15,8 Lichtjahrweiten.
Anstatt des Sterntages benutzt man im täglichen Leben den mitt-
leren Sonnentag, der in 24 Stunden eingeteilt wird. Ein Sonnentag ist
der Zeitraum, welcher verstreicht zwischen zwei aufeinander folgenden
M(jmenten, in welchen der Mittelpunkt der Sonne dieselbe Meridian-
ebene passiert. Da nun die Erde, von einem Punkt über dem Nordpol
gesehen, sich in umgekehrter Richtung wie die Zeiger einer Uhr
')ewegt (vgl. Fig. 1) und die Achsenumdrehung der Erde (E) in der-
selben Richtung vor sich geht, so wird ein Stern (S), welcher an einem
Tag genau gleichzeitig mit der Sonne (Ä), d. h. am Mittag, durch die
Meridianebene geht, am folgenden Tag, wenn die Erde bei jE7, steht, die
1
*
Physik des Himmels.
Meridianebene etwas früher passieren, während dieselbe die mit ES oder
EA parallele Kichtnng Ei S^ enthält, wie die Sonne, welche die Meridian-
ebene in dem Moment passiert, wenn sie die Linie E^Ä enthält. Auf diese
Weise wird der Meridianendurchgang der Sonne für jeden Tag etwas (im
Mittel 235,909 Sekunden) nach denjenigen des Sterns verspätet. Aber
nach genau einem Jahr, wenn die Erde wieder die Stelle E erreicht hat,
trifft offenbar wieder die erste neue Koincidenz der Meridianendurch-
gänge der Sonne und des betreffenden Sterns ein. Daraus folgt, dass
ein Jahr genau einen Sterntag
mehr, als die Anzahl der Son-
nentage pro Jahr, enthält.
Man hat gefunden, dass die
Länge des nach der Stellung
der Sonne am Sternhimmel be-
stimmten sogenannten sideri-
schen Jahres, nicht vollkommen
mit der Länge des aus dem
Wechsel der Jahreszeiten er-
mittelten, sogenannten tropi-
schen Jahres übereinstimmt.
Dieser Wechsel beruht darauf,
dass im Winter die Tage kür-
zer, im Sommer dagegen län-
ger als 12 Stunden sind. Im
Frühling geschieht es jedes
Jahr einmal, dass die Länge
des Tages genau 12 Stunden
wird. Der Moment, in welchem dies eintrifft, wird Frühlingsäquinoctium ge-
nannt, und die Sonne steht dann in dem sogenannten Frühlingspunkte.
Das tropische Jahr wird als die Zeitdauer zwischen zwei aufeinander fol-
genden Frühlingsäquinoctien definiert. Da in dem praktischen Leben der
Wechsel der Jahreszeiten viel wichtiger als die Stellung der Sonne ist, so
rechnet man für gewöhnlich mit tropischen Jahren die im Mittel etwa
20 Minuten kürzer als die siderischen Jahre sind. Ein tropisches Jahr
umfasst im Mittel 365,242 Tage, während ein siderisches Jahr gleich
365,256 Tagen ist. Der Unterschied zwischen dem siderischen und dem
tropischen Jahr rührt daher, dass der Frühlingspunkt nicht auf dem
Himmel still steht, sondern sich allmählich zwischen den Fixsternen ver-
schiebt, und zwar so, dass er, vom Nordpol gesehen, jährlich einen Bogen
Fig. 1.
I. Die Fixsterne. 5
von etwa 50" in retrograder Richtung-, d. h. im selben Sinne wie die Zeiger
einer Uhr, beschreibt. Die Erde bewegt sich um die Sonne in der ent-
gegengesetzten Richtung.
Bestimmung der Lage eines Punktes auf dem Himmel.
Stornbilder. Die Lage eines Sterns in einem bestimmten Augenblick
kann in mehreren Weisen bestimmt werden, erstens aus seiner Zenit-
distanz und seinem Azimut. Unter Zenitdistanz versteht man den Winkel
zwischen der Lotlinie und der Sichtlinie des Sternes, unter Azimut den
Winkel, welcher von der Meridianebene des Beobachtungsortes und der
Vertikalebene, welche durch den Stern und den Beobachtungsort geht,
eingeschlossen ist. Unter Höhe eines Sterns versteht man den kleinsten
Winkel seiner Sichtlinie mit der Horizontalebene. Die Höhe und die
Zenitdistanz eines Sterns bilden zusammen einen rechten Winkel.
Anstatt einer von diesen Koordinaten kann man auch im Allgemeinen
den Stundenwinkel des Sterns angeben, d. h. den Winkel, welcher von
der Meridianebene des Beobachtungsortes und der durch den Stern und
die Erdpole gelegten Ebene eingeschlossen ist. Der Stundenwinkel wird
gewöhnlicherweise im Sinne der täglichen (scheinbaren) Bewegung, d. h.
\ on Ost nach West gerechnet und in Stunden (Sternzeit) von 0^^ bis
24/i oder in Bogengraden von 0^ bis 360^ gezählt. In dem ersten Maass
ausgedrückt giebt der Stundenwinkel an, wie viele Stunden seit dem
letzten Durchgange (Kulmination) des betr. Sterns durch die Meridian-
ebene des betr. Ortes verflossen sind. Auch der Stundenwinkel und die
Deklination (vgl. unten) werden häufig als die Koordinaten eines Sterns
benutzt.
Da aber zufolge der Umdrehung der Erde um ihre Achse die' Zenit-
distanz, der Azimut und der Stundenwinkel eines Sterns stetig mit der
Zeit sich verändern, und übrigens vom Beobachtungsorte abhängen, hat
man die Lage eines Sterns auf dem Himmelsgewölbe in anderen, sehr
langsam sich ändernden Grössen angegeben, nämlich Deklination (Ab-
weichung) und Rektascension (gerade Aufsteigung). Durch den Stern
kann man einen sogenannten Stundenkreis legen, welcher der Erdachse
parallel ist und den Beobachtungsort als Mittelpunkt hat. Derjenige Bogen
dieses Stundenkreises, welcher zwischen der Richtung der Erdachse und der
Sichtlinie des Sterns liegt, wird Poldistanz, derjenige, welcher zwischen der
Richtlinie und der Äquatorialebene liegt, wird Deklination des Sterns genannt
und im Folgenden mit D bezeichnet. Poldistanz und Deklination er-
gänzen sich offenbar zu einem rechten Winkel. Die Erdbahn bildet eine
Ebene, die Ekliptik genannt wird. Die Ekliptik und dje Äquatorialebene
ß Physik des Himmels.
der Erde schneiden sich längs einer geraden Linie. Diese Linie geht
durch zwei Punkte auf dem Himmel, welche die Äquinoctial- oder Nacht-
gieichpunkte genannt werden, weil Tag und Nacht gleich lang sind, wenn
die Sonne sich in einem dieser beiden Punkte befindet. Der eine dieser
Punkte, welchen die Sonne am 2L März von Süd nach Nord durch den
Äquator gehend passiert, wird Frühlingspunkt genannt, der andere, welchen
die Sonne von Nord nach Süd durch den Äquator gehend am 22. Sep-
tember trifft, heisst der Herbstpunkt (vgl. S. 4).
Der Frühlingspunkt wird als Ausgangspunkt benutzt für die Bestim-
mung der für gewöhnlich mit Ä R bezeichneten Rektascension (geraden
Aufsteigung) eines Sterns, welche den Bogen bedeutet, der auf dem
Äquatorialkreis zwischen dem Frühlingspunkt und dem Schnittpunkt des
Stundenkreises des Sterns mit dem Äquatorialkreise eingeschlossen wird.
Die Rektascension wird im Sinne der wahren Bewegung der Sonne (von
Westen nach Osten), also in entgegengesetzter Richtung wie der Stunden-
winkel gerechnet. Hieraus folgt, dass die Rektascension eines Sternes
die Sternzeit eines Ortes in dem Augenblicke der (oberen) Kulmination
des Sternes angiebt.
Anstatt der Äquatorialebene kann man die Ekliptik zur Bestimmung
der Lage eines Sternes benutzen. Der Winkel zwischen der Sichtlinie
des Sternes und der Ekliptik wird Breite des Sterns und das Bogenstück
zwischen dem Frühlingspunkt und dem Schnittpunkt eines durch den
Stern gelegten auf der Ekliptik senkrechten grössten Kreises mit dem
Ekliptik-Kreise wird Länge des Sternes genannt. Man rechnet bei der
Bestimmung von Sternlängen ebenso wie bei denjenigen von Rektascen-
sionen immer (von Nord gesehen) von West gegen Ost.
Wegen der langsamen Änderung dieser Koordinaten ist zur ge-
nauen Bestimmung auch ein Datum der Zeit anzugeben. Die unten
angeführten Grössen der Rektascension und Deklination beziehen sich
auf das Jahr 1900.
Die Ekliptik hat jetzt eine mittlere Neigung von 23®, 27' gegen
die Äquatorialebene. Dieser Winkel wird Schiefe der Ekliptik genannt.
Eine durch den Beobachtungsort gezogene, gegen die Ekliptik senkrechte
Gerade nennt man Achse der Ekliptik, und der Punkt, gegen welchen
der nach Norden gehende Teil dieser Achse gerichtet ist, der nördliche
Pol der Ekliptik. Dieser Pol liegt gegenwärtig im Sternbilde des Drachen,
Der Frühlingspunkt befindet sich jetzt im Sternbilde der Fische, der
Herbstpunkt in demjenigen der Jungfrau. Vor etwa 2000 Jahren, als
diese Koordinaten von den griechischen Astronomen eingeführt wurden.
I. Die Fixsterne. 7
lag der Frühlingspunkt im Sternbilde des Widders (Aries) und der Herbst-
punkt im Sterne der Waage (Libra). Die Astronomen bezeichnen deshalb
noch immer diese beiden Punkte mit den Zeichen des Widders CY) und
i]n' Waage (£lz).
Zur Orientierung auf dem Himmelsgewölbe hat man sich sogenannte
Sieme
Slemliaiifm XpbelQo
Vrraixdei-lifltc St^nie far
»ue Stenw .Vara.
Fig. 2. Karte des mittleren Teiles des nördlichen Sternhimmels.
Sternbilder erdacht. Zwölf derselben liegen in der Ekliptik, in welcher
demnach die Sonne, der Mond und die Planeten nahezu stehen. Diese
zwölf Sternbilder, welche von den Assyriern erdacht wurden, heissen
mit einem gemeinsamen Xamen der Tierkreis (Zodiak.) Sie sind: Widder,
Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage, Skorpion, Schütze,
8
Physik des Himmels.
Steinbock, Wassermann und die Fische. Ein lateinischer Gedächtnisvers
fasst sie folgendermassen zusammen:
Sunt Aries, Taurus, Gemini, Cancer, Leo Virgo,
Libraque, Scorpio, Arcitenens, Caper, Amphora, Pisces.
Jedes von ihnen umfasst etwa 30 Grade von der Ekliptik. Betreffs der
Sterac
Stenihaiifeii <. Nebeineckt- »
Vaiu
Neue
Fig. 3. Karte des mittleren Teiles des südlichen Sternhimmels.
Lage und dem Namen der wichtigsten Sternbilder wird auf die neben-
stehenden Sternkarten verwiesen (Tafel I und Fig. 2 und 3). Auf dem
nördlichen Sternhimmel dienen zur Orientierung grosser und kleiner Bär,
Cassiopeja, Fuhrmann, Schwan, am Äquator Adler und Orion, auf dem
südlichen Sternhimmel Grosser Hund und Südkreuz. Die Sterne werden
KASH lü^ Ai^i.AruKi.ii.Z4ISi KS ^SIB^KTEK
1P Wf
*V7,-.,
r
f
'«*^ r
iMM«aaeaiii 1 1 ' 1 1 ' %!
*^ -Stoni;
-
T*»-
3*
««^
■""Ä"
«%
fl
li
>
V 4
~ «• !
»
•
1
V,
.
*
«i'
?• '.
r ;-
;
-v^:^.
■
-it;
••**
-Sv,».'
• ••
lDf»»t<1r
C • t K i
* •-
ZWlSCUliN :vr m\m.. UNU suhl DKKllNAiH^N.
• rwr. ih*yt
«v
13*
^ " h* i II C Jfk
»^
fit rplnsj.
*...
0 mit
Wwtrf(»it»'ii*'to
'-■■^
,»") *•
• !
\
/n
... -y-. -
* «Aw:»# •▼
u,**
fV
\^
v'*..
LUlP tt t I I
•t
V i
r'.
Spieii
M»
TT~inr\
iTF
I *
„•iL
Co rv u%
79^ :/ • 'V.l
x
rru
l^
.
u t
14%
1t>
ii
«?•
lith AnstJuliiis Kiinkhardt Leipzi;;
I. Die Fixsterne. g
mit einem griechischen Buchstaben und dem Namen des Sternbildes be-
zeichnet, wobei für gewöhnlich der hellste Stern mit dem Buchstaben «,
der nächst-hellste mit ß und so weiter bezeichnet werden. So ist a Lyrae
der hellste Stern im Sternbilde der Leier und führt somit, wie sehr viele
hellere Sterne einen eigenen Namen, „Wega", a Leonis ist „Regulus", der
hellste Stern im Löwen, a Canis majoris ist der „Hundestern", „Sirius", der
hellste von allen Sternen. Da diese Bezeichnungen nicht auf die Dauer
ausreichten, benannte man die Sterne nach der Nummer, unter welchen sie
in den grösseren Katalogen aufgeführt sind, z. B. „Groombridge 1520"
bedeutet den Stern No. 1520 im Katalog von Groombridge, „Lacaille
9352" den unter No. 9352 im Katalog von Lacaille aufgeführten Stern,
„G. C. 1050" das im General-Katalog unter No. 1050 aufgeführte Him-
melsobjekt.
Die Helligkeit der Sterne. Die Sterne haben sehr verschiedene
Helligkeit. Als Einheit hat man die Helligkeit der Wega gesetzt. Der
hellste Stern ist, wie gesagt, Sirius, welcher, obwohl auf dem südlichen
Himmel befindlich, auf unserer Breite sehr häufig (im Winter) sichtbar
ist. Seine Helligkeit wird nach unten angegebenen Gründen durch die
Zahl 4,28 ausgedrückt. Die Helligkeit eines Himmelsobjektes ist recht
stark von seiner Höhe auf dem Himmelsgewölbe abhängig. Dies beruht
auf der mit der Höhe veränderlichen Länge der atmosphärischen Dunst-
schicht, welche seine Strahlen zu durchqueren haben, bevor sie unser
Auge erreichen. Diese Erscheinung ist am auffallendsten bei dem Mond
und der Sonne, welche am Horizont stehend viel dunkler erscheinen, wie
höher auf dem Himmel. Infolge derselben Ursache leuchten die Sterne
viel heller auf hohen Bergen, als an der Meeresoberfläche und die Stern-
bilder, z. B. dasjenige derPlejaden, erscheinen, wenn sie von hochgelegenen
Punkten in den Bergen gesehen werden, viel reicher an Sternen, wie wir
gewohnt sind. So z. B. sieht man bei der Sternwarte in Arequipa auf
der peruanischen Hochebene (2457 m über dem Meer) elf Sterne in der
Plejaden-Gruppe, während man an der Meeresoberfläche deren fünf, unter
günstigen Umständen, in sehr reiner Luft, sieben zählen kann. Dieser
Umstand gab die Veranlassung zur Yerlegung der besten Sternwarten
auf hochgelegene Punkte, z. B. die Licksternwarte auf Mount Hamil-
ton (1480 m), die Sternwarten auf dem Ätna und dem Montblanc (2942 und
4600 m Höhe) und die genannte Arequipa-Sternwarte. Man hat auch
diesen Sternwarten die grössten Erfolge der jetzigen Astronomie zu ver-
danken.
Argelan der versuchte die Helligkeit der Sterne mit blossem Auge
10 Physik des Himmels.
ZU schätzen, und stellte Helligkeitsklassen auf. Zur ersten Klasse, die
leuchtendsten Sterne umfassend, gehören 20 Sterne, zur zweiten 51, zur
dritten 200, zur vierten 595, zur fünften 1213 und zur sechsten, welche
die schwächsten, mit blossem Auge sichtbaren Sterne enthält, 3640
Sterne. Später hat man durch genaue photometrische Messungen die
Lichtstärke der verschiedenen Sterne bestimmt. Man beobachtet dann
den fraglichen Stern mit einem Fernrohr, in welches auch das Bild eines
kleinen Lichtpunktes durch Spiegelung hineingeworfen wird, so dass man
das Bild des Sterns und dasjenige des Lichtpunktes — des sogenannten
künstlichen Sterns — nebeneinander scharf sieht. In den Weg des Licht-
strahles von dem Lichtpunkt sind zwei Nicoische Prismen gestellt. Wenn
die Polarisationsebenen dieser beiden Nicols zusammenfallen, geht das
Licht ungeschwächt durch diese Vorrichtung, wenn die beiden Polarisa-
tionsebenen dagegen senkrecht aufeinander stehen, wird das Licht aus-
gelöscht. Im Allgemeinen, wenn die beiden Polarisationsebenen einen
Winkel von a Grad bilden, so ist die Lichtstärke
J .cos 2 a,
wenn J die Lichtstärke des künstlichen Sterns bei Zusammenfallen der
beiden Polarisationsebenen darstellt. Den Winkel zwischen den beiden
Polarisationsebenen kann man durch Drehung des einen Mcols beliebig
verändern, und durch Ablesung auf einer damit verbundenen Kreisteilung
kann man diesen Winkel messen. Es ist demnach, wenn nur die Hellig-
keit J grösser ist, als diejenige des zu untersuchenden Sterns, nicht schwer,
durch Drehung des Nicols einen solchen Wert von / cos ^ « herzustellen,
dass die beiden Sterne gleich hell erscheinen. Yergleicht man dann einen
zweiten Stern mit dem künstlichen und findet, dass dabei eine Drehung
a nötig ist, so verhalten sich die Helligkeiten der beiden Sterne wie
cos 2« : cos 2«. Dieses Photometer rührt von Zöllner her.
Da die Sterne häufig verschiedene Farben besitzen, und die Hellig-
keit von verschieden gefärbten Objekten sehr schwer zu vergleichen ist,
brachte auch Zöllner eine Vorrichtung an, um die Farbe des künst-
lichen Sterns beliebig zu ändern.
Durch solche Messungen hat man gefunden, dass die Sterne der
ersten Grössenklasse im Mittel etwa 2,52 mal stärker leuchten, als diejenigen
zweiter Klasse, diese wiederum etwa 2,52 mal stärker als diejenigen dritter
Klasse u. s. w.
Was die absolute Stärke der Sternenstrahlung angeht, so fand Zöllner,
dass das Lieht der Sonne etwa 56000 Millionen mal heller als dasjenige
der Capeila strahlt, welche etwa um 18 Prozent von Wega, deren Licht-
I. Die Fixsterne. w
stärke als Einheit angenommen ist, übertroffen wird. Dieser Stern
leuchtet demnach etwa 46000 Millionen mal schwächer als die Sonne.
Der am stärksten leuchtende Stern Sirius erscheint folglich etwa 11000
Millionen mal lichtschwächer als die Sonne.
Sternörter. Die Lage der Sterne ist schon lange Gegenstand
von Katalogisierungsarbeit gewesen. Etwa 150 Jahre vor unserer Zeit-
rechnung bestimmte Hipparch mit einfachen instrumentellen Hilfs-
mittelnmehr als 1000 Sternörter. Dieses Verzeichnis, welches bis auf unsere
Zeit erhalten worden ist, giebt sehr wichtige Daten zur Bestimmung der
Ortsveränderungen, welche die Fixsterne in den danach verflossenen
2000 Jahren erlitten haben. In der Mitte des 15. Jahrhunderts be-
obachtete Ulugh-Bey dieselben Sterne und in neuerer Zeit haben mehrere
immer reichhaltigere und genauere Bestimmungen der Sternörter statt-
gefunden. Sehr wertvolle Angaben über Sternörter enthält der Katalog
von Bradley vom Jahre 1755. Die grössten neueren Unternehmungen
in dieser Hinsicht sind die Katalogarbeiten von Ar gelander und der
Zonenkatalog der astronomischen Gesellschaft, in welchem alle Sterne
bis zur neunten Grösse verzeichnet sind, und woran die grösseren Stern-
warten aller civilisierten Nationen mitarbeiten.
Den grossartigsten Fortschritt auf diesem Gebiet verdanken wir
aber der photographischen Abbildung des Himmelsgewölbes. Ein inter-
nationaler Astronomenkon gross zu Paris 1887 beschloss, dass photo-
graphische Aufnahmen von dem Sternhimmel gemacht werden sollten,
wobei noch die Sterne bis zur 13. Grösse mitgenommen werden. Man
wird auf diese Weise die Lage von etwa drei Millionen Sternen in
unserer Zeit feststellen. Die helleren Sterne geben bei gleich langer
Belichtung (Exposition) auf gleiche photographische Platten ein stärkeres
(und mehr ausgedehntes) Bild als die weniger hellen. Auf diese
Weise ist es gelungen , die Helligkeit der Sterne photographisch zu ver-
gleichen.
Da die chemische Wirksamkeit der blauen, violetten und ultra-
violetten Strahlen auf der photographischen Platte am stärksten ist,
während die gelben und grünen Strahlen am kräftigsten auf das Auge
wirken, so stimmt die photographisch gemessene Stärke eines Sternes
im allgemeinen nicht mit der optisch gemessenen genau überein. Es
ist deshalb nötig, beide Methoden nebeneinander zu verwenden.
Die relative Menge der Sterne verschiedener Grössen. Da
die Helligkeit eines aus der Ferne gesehenen Lichtpunktes dem Qua-
drate der Entfernung umgekehrt proportional ist, so müssen die
\2 Physik des Himmels.
Sterne zweiter Grössenordnimg im Mittel etwa y^2,52, d. h. 1,59 mal
weiter entfernt sein als diejenigen erster Grössenordnimg, wenn man
nämlich, was ja von vornherein wahrscheinlich erscheinen mag, annimmt,
dass die Sterne verschiedener Klassen im Mittel gleiche Lichtmengen
aussenden. Die relativen Abstände der Sterne der sechs ersten Grössen-
ordnungen würden sich nach dieser Annahme verhalten wie die Zahlen:
1:1,59:2,52:4,60:6,35:10,08.
Wenn nun die Sterne gleichmässig imEaum verteilt wären, so müsste
die Anzahl der Sterne in einer Kugel vom Radius 2 achtmal so gross
sein, wie diejenige in einer Kugel vom Radius 1, oder im allgemeinen
in einer Kugel vom Radius r müssten r^ so viele Sterne sich befinden,
wie in der Kugel mit dem Einheitsradius. Wenn wir als diese Kugel
diejenige nehmen, welche die Sterne erster Grössenordnung umfasst, so
müssten die Mengen der Sterne der ersten Ordnung zu der Summe der
Mengen der Sterne erster und zweiter Ordnung u. s. w. sich ver-
halten wie:
1 : (1,59)3 . (2,52)3 : (4,00)3 : (6,35)» : (10,08)^,
d. h. wie: 1 : 4 : 16 : 64 : 256 : 1024.
Mit anderen Worten, die Zahl der Sterne einer Grössenklasse sollte
drei mal grösser sein, als die Zahl aller Sterne höherer Grössenordnung
zusammen. Anstatt der Zahl 3 finden wir aber folgende Zahlen:
^1 = 2,55; 2ÖÖ = 2,82; ^^ = 2,20; ^^^ = 1,40; ^'^ = 1,75,
20 '71 271 866 2079
alles Zahlen, welche nicht unbeträchtlich unter 3 liegen.
Dieser Umstand zeigt, dass entweder die Verteilung der Sterne im
Räume nicht gleichmässig ist, oder dass die Voraussetzung nicht richtig
ist, welche verlangt, dass die Lichtstärke dem Quadrat der Entfernung
umgekehrt proportional sei. Wenn man auch die Möglichkeit der ersten
Annahme zugeben muss, so scheint doch die Abweichung zwischen der
Rechnung und der gemessenen Zahl manchen Astronomen zu gross, als
dass sie aus der Ungleichmässigkeit der Verteilung zu erklären wäre.
Man muss denn die zweite Annahme zugeben. Diese wäre am leich-
testen zu verstehen, wenn man annähme, dass sich in dem Raum ein
lichtabsorbierendes Medium befindet. Dieser lichtabsorbierende Stoff
kann nicht wohl gasförmig sein, denn in diesem Fall würde sich sein
Absorptionsspektrum im Spektrum aller Fixsterne zeigen, was, wie wir
sehen werden, nicht mit der Erfahrung übereinstimmt. Es muss also
fest oder flüssig sein, d. h. eine Art Trübung hervorbringen (vgl. weiter
unten S. 22 und 44). Viele Umstände scheinen darauf hinzudeuten, dass
w
L Die Fixsterne. 13
luiiiiiiiale Spuren eines solchen Stoffes im Raum verteilt seien und schon
die geringsten Spuren würden für eine genügende Absorption in so riesigen
Entfernungen wie denjenigen der Fixsterne ausreichen.
Der Durchmesser der Sonne von der Erde gesehen beträgt im Mittel
31' 59" oder 1919". Wenn man also die Sonne in eine Entfernung von
einem Lichtjahr von der Erde verlegt denkt, so würde ihr Durchmesser
einen Winkel von 1919" : 63300 == 0,03" aufnehmen. Da nun, wie wir
demnächst sehen werden, die nächstliegenden Fixsterne in einer Ent-
fernung von etwa 4 Lichtjahren liegen, und der Durchmesser eines Sterns
wenigstens 0,2" aufnehmen muss, um mit unseren jetzigen Hilfsmitteln
gemessen werden zu können, so ist es selbstverständlich, dass diese
Sterne einen Durchmesser von etwa 25 mal grösserer Dimension als die
Sonne haben müssten, um nicht als Lichtpunkte zu erscheinen. Unter
solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass die Sterne in den
Fernröhren als Lichtpunkte beobachtet werden. Mit dem blossen Auge ge-
sehen scheinen sie aber eine Ausdehnung und strahlige Gestalt zu haben,
was auf Diffractions- und Brechungserscheinungen in der Atmosphäre
und im Auge zurückzuführen ist. Die Ausdehnung der Sterne, wenn
man sie mit blossem Auge sieht, ist so täuschend, dass Kepler und
Tycho Brahe den Sternen einen Durchmesser zuschrieben, z. B. dem
Sirius einen von 4' bezw. 2' 20".
Die Sternparallaxe. Wenn wir uns einen Stern denken, der
genau in der Achse der Ekliptik liegt, so wird von da aus gesehen die
f]rde in ihrer Bewegung um die Sonne einen Kreis beschreiben, dessen
Durchmesser um so geringer erscheint, je weiter der Stern entfernt liegt.
Es wird demnach die Sichtlinie Stern-Erde einen Konus um die Achse
der Ekliptik beschreiben. Diese Bewegung der Sichtlinie können wir
auf der Erde ebenso gut wie auf dem Sterne wahrnehmen. Es erscheint
danach, als beschriebe der Stern einen kleinen Kreis auf dem Himmels-
gewölbe. Ebenso scheinen Fixsterne, die in der Ebene der Ekliptik
liegen, sich geradlinig zu bewegen und die dazwischen liegenden be-
schreiben Ellipsen. Für alle Sterne in derselben Entfernung wird die
urosse Achse der Ellipse gleich sein. Die Sterne in unendlich grosser
l'^ntfernung werden scheinbar stille stehen. Es wird demnach aussehen,
als bew^egten sich die näher gelegenen Sterne in kleinen Ellipsen auf
dem Himmelsgewölbe. Die halbe grosse Achse der Ellipse wird Paral-
laxe des Sternes genannt.
Die Aberration. Die Erscheinung der Parallaxe wurde von Koper-
nicus, Tycho Brahe und Galilei vorausgesehen. Vergeblich suchten
14
Physik des Himmels.
die Anhänger Galileis eine solche Bewegung zu entdecken, bis Bradley
im Anfang des vorigen Jahrhunderts eine ähnliche Bewegung eines Sternes
auffand. Bei näherer Betrachtung fand er aber, dass diese Bewegung in
anderer Weise stattfand, als die Berechnung ihm angab, um den Unter-
schied deutlich zu machen, denken wir uns einen Stern (Ä), der gerade in
der Ekliptik liegt. Wenn die Erde im Kreise E C E' G E (Fig. 4) sich be-
wegt, beschreibt der Stern eine gerade Linie a h auf dem unendlich
weit entfernten sog. Firmament, d. h. scheinbar feststehenden Stern-
himmel.
Der Stern {Ä) würde sich scheinbar in a befinden, wenn die Erde
sich in E befände, und in &, wenn die Erde in E' wäre. Von C oder
G gesehen, würde der Stern seine mittlere Lage einnehmen. Nun fand
aber Bradley, dass der von ihm beobachtete
Stern gerade umgekehrt sich verhielt. Die mitt-
lere Lage wurde eingenommen, wenn die Erde
sich in E und e! befand, die äussersten Lagen
wenn die Erde in G und G stand.
Diese Thatsache wurde in folgender Weise
erklärt. Angenommen, eine Kugel werde in A
(Fig. 5) in der (vertikalen) Richtung AB mit
einer Geschwindigkeit v abgefeuert. Bei B stelle
man ein Rohr BC auf, worin die Kugel aufge-
fangen werden soll, so dass sie sich längs der
Röhrenachse bewegt. Wenn die Röhre still
steht, muss natürlicherweise die Achse von BC
in der Verlängerung von AB liegen. Wenn
aber die Röhre mit einer Geschwindigkeit a
senkrecht zur Richtung AB sich bewegt, so
muss der Punkt B gerade unter A liegen,
sobald die Kugel da ankommt, G dagegen
erst, wenn die Kugel in G' anlangt. Wenn h der Höhenunterschied
von B und G ist, wird die Kugel die Zeit hjv zur Zurücklegung des
Weges BG benutzen. Während dieser Zeit hat sich G um die Weg-
h
länge a - nach links verschoben (von G bis G'). Es folgt hieraus, dass
die Röhre BG um einen Winkel a gegen die Vertikale geneigt werden
muss, wobei offenbar:
GG' a
''""-BG-v
I. Die Fixsterne.
15
Zu Bradleys Zeit betrachtete man die Lichtstrahlen als durch aus-
geschleuderte Partikelchen verursacht, und dann hatte die oben gegebene
Ableitung volle Giltigkeit. Nunmehr ist man dagegen der Ansicht, dass
die Lichstrahlen von tranversalen Schwingungen im Lichtäther her-
rühren. Es ist aber aus dem Umstand, dass ein Lichtstrahl sich in
gerader Linie fortpflanzt, leicht einzusehen, dass im leeren Kaum, oder
in der Luft, wenn, wie thatsächlich, die Lichtbewegung nicht durch die Be-
wegimg der Luft gestört wird, dieselben Verhältnisse, wie für die abgeschos-
sene Kugel obwalten werden. Es folgt daraus, dass, wenn man einen Stern
in der Kichtung BA beobachtet, und das Fernrohr sich mit einer ge-
wissen Geschwindigkeit (a) senkrecht zum Lichtstrahl bewegt, so muss
man das Fernrohr um einen Winkel a gegen die Verbindungslinie
zwischen Stern und Beobachtungsort neigen, wobei
a
^ V
worin v die Geschwindigkeit des Lichts bedeutet. Falls die Bewegung
des Fernrohrs von der Bewegung der Erde in ihrer Bahn bei C' her-
rührt, so ist a die Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn.
Diese ist, wie vorhin gesehen, 29,7 Kilometer pro Sekunde.
Es wird also tg a = 29,7 : 300 000 = tg 20,5". In G (Fig. 4)
wird die Abweichung zur anderen Seite ebenso gross sein,
also die totale Abweichung 4l". In der That beschrieben
alle von Bradley untersuchten Sterne eine Ellipse, deren
grösste Achse einen Bogen von 4l" aufnimmt, d. h. gerade
die vorhin berechnete Grösse. Die Grösse 20,5" wird die
Aberration genannt. Die Existenz der Aberration giebt offen-
bar einen sehr kräftigen Beweis für die Bewegung der Erde
um die Sonne.
Parallaxenmessungen und Sternabstände. Man
fand aber durch diese Messung keinen Anhalt zur Beurtei-
lung des Abstandes der Sterne. Die dadurch verursachte
scheinbare Bewegung ist viel geringer als die Aberration. Die
Parallaxe (a) eines Sternes ist offenbar durch folgende Relation gebunden.
Wenn in Fig. 4 D den Abstand AS des Sterns von der Sonne bezeich-
net und R die Länge >S'^ des Radius der Erdbahn, so ist:
R
Fig. 5.
^^ « == sm « =
D
Bei so geringen Winkeln «, wie die hier in Frage kommenden, kann
man nämlich sin a = tg a setzen.
jß Physik des Himmels.
Einer Bogoiisokunde im Wert von a entspricht ein Wert von D,
welcher 206 206 Erdbahnradien beträgt. Die grössten gemessenen Stern-
|)aranaxen betragen nicht völlig eine Sekunde, sie verschwinden also gänz-
lich gegen die Aberration. Es ist daher natürlich, dass man nicht die
Parallaxe in ihrer absoluten Grösse aus der Neigung der Sichtlinie gegen
die Weltachse berechnet, sondern dass man eine relative Bestimmung
macht. Dies hat den Vorteil, dass man nicht wegen der Aberration
und vielen zufälligen Fehlern zu korrigieren braucht. Dabei nimmt man
an, dass die kleineren Sterne, wenigstens in der Mehrzahl, so weit ent-
fernt sind, dass sie keine nennenswerte Parallaxe zeigen. Der Stern,
dessen Parallaxe gemessen werden soll , wird in seiner Lage zu einem
solchen als unbeweglich angenommenen Stern bestimmt. Die Verände-
rung in dieser Lage giebt die Grösse der Parallaxe.
Die erste gelungene Ausführung einer Parallaxenbestimmung ver-
danken wir Bessel, welcher den Doppelstern 61 im Schwan beobachtete,
und die Parallaxe gleich 0,348" fand. Um zu zeigen, wie grosse Unsicher-
heit diesen Messungen anhaftet, mögen die verschiedenen Beobachtungen
betreffs dieses Sterns angeführt werden. Dieselben sind:
0,314" und 0,348" (Bessel), 0,360" und 0,349" (Peters), 0,564"
(Auwers), 0,468" (Bale), 0,270" (A. Hall), 0,429" (Pritchard) und
0,525" (Bjelopolsky).
Der mittlere Wert dieser Ziffern beläuft sich zu 0,4". Demnach
wäre der Abstand dieses Sterns von der Sonne nicht weniger als
500 000 Erdbahnradien oder rund 8 Lichtjahre.
Von allen gemessenen Sternen hat a Centauri, der in Bezug auf
Helligkeit dritte aller Sterne, welcher 33 Prozent stärker als Wega
leuchtet, die grösste Parallaxe von nicht völlig einer Bogensekunde (0.8");
sein Abstand ist demnach etwa 4 Lichtjahre. Natürlicherweise suchte man
die nächstliegenden Sterne, d. h. diejenigen mit grosser Parallaxe unter
den hellsten Sternen. Dass es aber nicht immer zutrifft, dass die hellsten
Sterne auch die grössten Parallaxen besitzen, wird durch die neuerdings
gemachte Entdeckung von Schur erwiesen, welcher einen Stern im
Schwan fand, der obgleich nur von der 8. Grösse, doch nur etwa
7 Lichtjahre von der Sonne entfernt liegt. Damit möge verglichen
werden, dass Sirius, der unvergleichlich hellste von allen Sternen, etwa
12 Lichtjahre (Parallaxe 0.25") entfernt ist.
Wega würde in einem Abstand von etwa 20 Lichahren liegen
(Parallaxe 0,15"), Capella, die 82 Procent der Helligkeit von Wega be-
sitzt, zeigt eine Parallaxe von 0,053", liegt demnach in einer Entfernung
Won etwa
I. Die Fixsterne. ^7
R)n etwa 56 Lichtjahren. Canopus (« Carinae), der eine kaum mess-
bare Parallaxe (0,03") besitzt, dürfte in etwa 100 Lichtjahren Ent-
fernung liegen, obgleich er nächst Sirius der hellste von den Sternen
erster Grösse ist. Absolut genommen muss dieser Stern viel grfeser
als alle anderen Sterne der ersten Grösse sein.
Es wäre offenbar sehr erwünscht, wenn die Parallaxenmessungen
mit grösserer Genauigkeit ausgeführt werden könnten. Für die meisten
Sterne kann man bisher keine einigermaassen zuverlässige Schätzung
ihres Abstands angeben.
Absolute Helligkeit der Sonne und der Sterne. Wir können
uns nun eine Vorstellung von der absoluten Lichtmenge machen, welche
die uns am nächsten stehenden Fixsterne aussenden, indem wir dieselbe mit
der von der Sonne ausgesandten vergleichen. Wählen wir dazu die
vier Sterne Sirius, a Centauri, Wega und Capella. Ihre scheinbare
Lichtstärke ist, wie leicht aus den vorhin gegebenen Ziffern berechnet
werden kann, 11000, 34 000, 46 000 und 56 000 Millionen mal geringer
als diejenige der Sonne. Ihre Abstände betragen 12, 4, 20 und 56 Licht-
jahre. Da nun die scheinbare Lichtstärke eines leuchtenden Körpers
dem Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional ist, so würde die
Sonne, wenn sie in derselben Entfernung verlegt wäre, wie Sirius,
(12x63 000)2 = 577 000 Millionen mal schwächer die Erde beleuchten
als jetzt. Sie wäre demnach absolut genommen 53 mal schwächer als
Sirius. In derselben Weise findet man, dass sie 1,88, 35 und 224 mal
schwächer als die a Centauri, Wega und Capella wäre, wenn sie neben
diesen auf dem Firmament leuchtete.
Da die Helligkeit dieser vier Sterne durch die Zahlen 4,28, 1,33,
1,00 und 0,82 ausgedrückt wird, so wäre demnach die Leuchtkraft der
Sonne, wenn sie in derselben Entfernung wie die vier genannten Sterne
verlegt wäre, durch folgende Zahlen
0,0815, 0,706, 0,0287 und 0,00365
dargestellt. Wenn also die Sonne ebenso w^eit von uns entfernt wäre,
wie der uns nächste Fixstern, würde sie wie ein Stern der ersten Grösse
(etwa wie Procyon = a Canis minoris) leuchten. In der Entfernung von
Sirius würde sie nur wie ein Stern zweiter bis dritter, in der Entfernung
\on Wega wie ein Stern fünfter und in derjenigen von Capella wie ein
Stern sechster Grösse erscheinen. Im letzten Fall wäre also die Sonne
gerade mit blossem Auge sichtbar. Wir führen hier einige Ziffern nach
den neuesten Messungen über diese Verhältnisse an. jt bedeutet die
Parallaxe, D die Entfernung in Lichtjahren der betreffenden Sterne und
Arrbenius, Kosmische Physik. 2
18 Physik des Himmels.
)§ die Grössenklasse der Sonne, wenn sie ebenso weit weg verlegt wäre
wie der fragliche Stern.
Stern
7t
D
S
Aldebaran
0,107"
30,5
5,1
Capella
0,081
40,2
5,7
Beteigeuze
0,023
141,7
8,4
Procyon
0,325
10,0
2,6
Pollux
0,056
58,2
6,5
Eegulus
0,092
35,4
5,4
Arctur
0,024
135,8
8,3
Wega
0,082
39,7
5,7
Atair
0,231
14,1
3,4
Die angeführten Ziffern mögen genügen, um anzudeuten, wie an-
spruchslos die enorm scheinende Helligkeit der Sonne ist, wenn sie mit
kosmischen Maassen gemessen wird. In der Entfernung von Beteigeuze
oder Arctur, die etwa 1500 mal so viel Licht wie die Sonne ausstrahlen,
würde die Sonne mit blossem Auge absolut unsichtbar sein.
Eigenbewegung der Sterne. Wir kommen jetzt zu einer
anderen sehr interessanten Frage, nämlich ob, ausser der genannten
scheinbaren Bewegung, die Sterne eine wirkliche Ortsveränderung er-
leiden oder ob sie ihren Namen Fixsterne verdienen.
Diese Frage kann man mit Hilfe des Vergleichs zwischen der
jetzigen Lage eines Sterns und derjenigen nach älteren Messungen ent-
scheiden. Dabei sind die ältesten Beobachtungen von Hipparch, obgleich
nicht sehr genau, doch von grossem Wert durch ihr Alter. Danach hat
der helle Stern Arcturus sich seit Hipparch s Zeiten um nicht weniger
als IV4 Grad, d. h. 2V2 Vollmondbreiten verschoben. Man wäre be-
rechtigt zu vermuten, dass die hellsten Sterne, welche uns am nächsten
liegen, die grösste Eigenbewegung besässen. Denn bei gleicher absoluter
Geschwindigkeit verschiedener Sterne muss (im Mittel) die gemessene
Winkelgeschwindigkeit der Entfernung umgekehrt proportional sein.
Eigentümlich genug aber besitzen drei schwache Sterne die grösste
Eigenbewegung senkrecht zur Lichtlinie. Der erste derselben, von 8. Grösse,
ist von Kapteyn entdeckt (Rectascension 5^, 7*^, Declination — 45^), im
Sternbild der Taube, der zweite ist ein Stern 7. Grösse (Rectascension
ll^ 47^, Declination 38 ^ 26'), welcher nach dem Kataloge „Groom-
bridge 1830" benannt wird.
Diese Sterne verschieben sich nicht weniger als 8,7" resp. 7,9" pro
I. Die Fixsterne. 19
Jahr. Danach kommt der Stern „Lacaille 9352" mit 6,9". Die Parallaxen
(lieser beiden letzteren Sterne sind 0,127" und 0,285", Entfernungen von
25 bezw. 9 Lichtjahrweiten entsprechend. Sie liegen uns demnach ganz
nahe, obgleich sie sehr lichtschwach sind.
Unter Sternen mit grosser Eigenbewegiing befinden sich auch die
durch grosse Parallaxe ausgezeichneten, oben erwähnten 61 Cygni und
a Centauri, welche ähnliche Eigenbewegungen von 5,2" und 3,7" be-
sitzen. Sirius dagegen hat nur eine Eigenbewegung von 1,25", Capella
eine von 0,44" und Wega eine von 0,35" pro Jahr. Eine sehr grosse
Eigenbewegung, 2,28" pro Jahr besitzt Arctur {a Bootis), welcher eine
Parallaxe von nur 0,024" aufweist. Aus der Kenntnis der Parallaxe
und der Eigenbewegung können wir die absolute Greschwindigkeit dieser
Sterne senkrecht zur Lichtlinie berechnen. Wir finden so für:
km. pr. Sek.
Arctur
450
Groombridge 1830
280
Lacaille 9352
109
61 Cygni
60
Capella
35
a Centauri
22,5
Sirius
22,5
Wega
10
Die kolossale Geschwindigkeit, mit welcher Arctur durch den Weltraum
hindurcheilt, ist, soweit bekannt, die grösste. Wegen der Unsicherheit
in der Parallaxenbestimmung kann sie vielleicht um die Hälfte
fehlerhaft sein.
Durch die Eigenbewegung der Sterne ändert sich allmählich das
Aussehen des Sternhimmels. In historischer Zeit ist wohl diese Ver-
änderung nicht sehr auffallend; es ist aber leicht unter der Annahme,
dass die Verschiebung der Fixsterne mit konstanter Geschwindigkeit
nach einer geraden Linie vor sich gegangen ist, die Veränderungen zu
berechnen, welche in ausgedehnteren Zeitintervallen vor sich gegangen
sind. Auf diese Weise kann man z. B. rekonstruieren, wie das charak-
teristische Sternbild des grossen Bären vor 50 000 Jahren sich aus-
genommen hat oder wie es wahrscheinlicherweise nach 50000 Jahren
aussehen wird. Man erhält dann die nebenstehenden Figuren I und HI
in Fig. 6, während die mittlere Figur II das wohlbekannte jetzige Aus-
chen dieses Sternbildes darstellt.
Wenn, wie im vorliegenden Beispiel mehrere nebeneinander liegende
20
Physik des Himmels.
Sterne in ihrer Eigenbewegung nicht miteinander folgen, so schliesst
man daraus, dass sie keinen inneren Zusammenhang besitzen. Wenn
aber im Gegenteil mehrere benachbarte Sterne sich einander parallel
verschieben, so dass die Konfiguration des Sternbildes sich nicht im
Laufe der Zeit verändert, so hat man guten Grund anzunehmen, dass
diese Sterne demselben Sternsystem angehören. Dies ist z. B. der Fall
mit den Sternen in dem schönen Sternbild der Plejaden.
Da es wohl anzunehmen
ist, dass die helleren Sterne
uns näher liegen, als die we-
niger hellen, ebenso wie dass
die Sterne in verschiedenen
Entfernungen im Mittel dieselbe
absolute Eigenbewegung be-
sitzen, so folgt es, dass die hell-
sten Sterne eine grössere rela-
tive Eigenbewegung, wenn man
dieselbe in Bogenmaass aus-
drückt, besitzen, als die weni-
ger hellen. Denn wenn von
zwei Himmelskörpern, welche
gleich schnell sich senkrecht
zur Sichtlinie bewegen, der
eine uns doppelt so nahe liegt
wie der andere, so wird jener
in derselben Zeit einen doppelt
so grossen Bogen auf dem Fir-
mament beschreiben, wie dieser.
Dies wird auch durch die Er-
fahrung bewahrheitet, wie fol-
gende Zusammenstellung der
mittleren jährlichen Eigenbewegung der zu verschiedenen Grössenklassen
gehörigen, in Bradleys Katalog verzeichneten Sterne zeigt.
65 Sterne erster und zweiter Grösse 0,222"
Fig. 6.
154
dritter
312
vierter
696
fünfter
994
sechster
921
siebenter
Grösse
0,168
0,137"
o,iir
0,090"
0,086".
i. Die Fixsterne. 21
Die Abnahme der Eigenbewegiing bei abnehmender Helligkeit ist
>ehr deutlich ausgesprochen. Sie ist aber jedenfalls nicht so gross, wie
man erwarten könnte, wenn die Entfernung der Sterne für eine Grössen-
klasse im Mittel 1,52 mal grösser wäre als für die nächst vorangehende.
Anstatt der Verhältniszahl 1,52 zwischen den Eigenbewegungen
zwei nach einander folgenden Grössenordnungen findet man aus den
oben angegebenen Zahlen, einen Mittelwert, der nur 1,21 beträgt.
Zum Vergleich mit obenstehender Tabelle möge eine Berechnung von
Kapteyn betreffs der mittleren Parallaxe der Sterne vo'q verschiedenen
Grössenordnungen mitgeteilt werden. Dabei unterscheidet Kapteyn Sterne
des ersten und des zweiten Spektral typus, weisse und gelbliche Sterne.
(Vergl. weiter S. 24 — 25). Die von ihm gegebenen Zahlen sind:
Photometrische
Parallaxe
der Sterne.
Grösse
1. Typus
2. Typus
Generalmittel
1,0
0,0446"
0,1010"
0,0750"
2,0
0,0315
0,0715
0,0530
3,0
0,0223
0,0505
0,0375
4,0
0,0157
0,0357
0,0265
5,0
0,0111
0,0253
0,0187
6,0
0,0079
0,0179
0,0132
7,0
0,0056
0,0126
0,0094
8,0
0,0039
0,0089
0,0066
9,0
0,0028
0,0063
0,0047
Die Werte für höhere Grössenklassen sind nur durch Extrapolation
aus einer Formel gewonnen, welche ausdrückt, dass ein Stern einer
Grössenklasse y^ mal grössere Parallaxe hat, als ein Stern folgender
Grössenklasse. Mit anderen Worten: die mittlere Helligkeit der Sterne
einer Grössenklasse wäre doppelt so gross wie diejenige der Sterne folgender
Klasse, wie es bei der Bestimmung der photometrischen Grösse voraus-
gesetzt wird. Die Grössenklasse, 6,0 nach der photometrischen Grössen-
bestimmung entspricht derselben Grössenklasse nach Argelanders
Schätzung.
Wie aus den Werten ersichtlich, stehen die Sterne vom 2. Typus
(die gelblichen) uns etwa 2,25 mal näher als die gleich hellen Sterne
vom 1. Typus.
Spektralanalyse. Mit Hilfe des Spektroskopes ist es gelungen
die absolute Geschwindigkeit der Sterne in Eichtung der Sichtlinie zu
bestimmen. Man erhält auf diese Weise, die im Folgenden näher be-
22 Physik des Himmels.
schrieben wird, Zahlen der Geschwindigkeit, welche von derselben Grössen-
ordnung sind wie die oben für die Bewegung senkrecht zur Sichtlinie
angeführten.
Wenn man einen schmalen Lichtspalt durch ein durchsichtiges
Prisma, dessen Kanten dem Spalte parallel gerichtet sind, betrachtet,
so sieht man ein sogenanntes Spektrum, in welchem das durch den
Spalt einfallende Licht in seine verschiedenen Farben von rot bis violett
zerlegt ist. Erzeugt man mit Hilfe einer oder mehrerer Linsen ein
Bild des Spaltes und schiebt in den Weg der Lichtstrahlen ein Prisma
ein, so erhält man ein objektives Spektrum, bestehend aus den neben-
einander gelagerten verschiedenfarbigen Bildern des Spaltes. Dieses
Spektrum kann man auf eine photographische Platte fallen lassen und
erhält auf diese Weise eine Spektralphotographie. In diesem photo-
graphischen Bild sind nicht nur die sichtbaren, und vorwiegend die
gegen das violette Ende des Spektrums liegenden Teile, sondern
auch die ausserhalb des sichtbaren Spektrums belegenen sogenannten
ultravioletten Teile abgebildet. Dieses Spektrum oder das photographische
Bild davon giebt uns darüber Aufschluss, welche Lichtsorten durch den
Spalt hineinstrahlen. Fehlt die eine oder die andere Lichtsorte in der
genannten Lichtquelle, so wird dies dadurch gekennzeichnet, dass an
der betreffenden Stelle des Spektrums eine dunkle Stelle auftritt. Sind
nur wenige nebeneinander liegende Lichtwellenlängen im Spektrum nicht
vertreten, so ist die dunkle Stelle schmal linienförmig, fehlt aber Licht
von mehreren solchen aufeinander folgenden Wellenlängen, so treten im
Spektrum breitere dunkle Bänder auf. Es ist nun für das von festen oder
flüssigen Körpern ausstrahlende Licht charakteristisch, dass im allge-
meinen darin keine dunkeln Linien oder Bänder vorkommen. Eine Aus-
nahme von dieser Eegel machen nur die Verbindungen einiger seltenen
Erdartmetalle, was indess für die Himmelsphysik ohne Bedeutung ist.
Man sagt deshalb, dass die von einem glühenden festen oder flüssigen
Körper ausgesandten Lichtstrahlen ein kontinuierliches Spektrum geben.
Je heisser der glühende Körper ist, desto mehr tritt das stärker brech-
bare (blaue) Ende hervor. Ganz anders bei den Gasen. In ihren Spektren
treten nur vereinzelte helle Linien hervor, welche dem betreffenden Gas
eigentümlich sind. Nimmt aber die Dichte der strahlenden Gasmenge
zu, so verbreitern sich die hellen Linien und zwischen ihnen entsteht
ein schwacher Lichtschimmer, welcher den Anfang eines kontinuier-
lichen Spektrums bildet. Nun kann man die Dichte des Gases sehr,
stark durch Erhöhung des Druckes vergrössern, so dass sie am Ende
I. Die Fixsterne. 23
>ich derjenigen einer Flüssigkeit nähert — speciell kann man voll-
kuramene Gleichheit der Gas- und Fltissigkeitsdichte bei dem kritischen
Punkt erreichen. In diesem Fall nähert sich das Spektrum des Gases
immer mehr demjenigen der entsprechenden Flüssigkeit und bei dem
kritischen Punkte müssen die beiden Spektren identisch sein.
Nachstehende Tafel (Taf. II) giebt die Spektren einiger der wichtig-
sten Himmelsobjekte wieder. Das Spektrum eines festen oder flüssigen
Körpers oder eines sehr stark kondensierten Gases erhält man, wenn
man in der Tafel die schwarzen Linien des Sirius- oder des Sonnen-
Spektrums mit Farbe von den nächstliegenden Teilen überdeckt. Typische
Gasspektren, die aus einzelnen hellen Linien mit dunklen Zwischenräumen
bestehen, sind dagegen die beiden in der Tafel wiedergegebenen
Spektren der Protuberanzen und des Nebelflecken im Drachen. Ein
anderes typisches Gasspektrum ist dasjenige des Äthylengases. In
diesem Falle, welches für zusammengesetzte Gase zuzutreffen scheint,
gruppieren sich die vielen feinen Linien so, dass kanellierte Bänder ent-
stehen (s. g. Bandspektren). Das Spektrum der Sonne ist, wie gesagt,
ein kontinuierliches durch viele schwarze Linien durchzogenes. Von diesen
Linien fallen einige, die mit C, F und h bezeichneten, auf dieselben
Stellen, wie die hellen Linien des Wasserstoffspektrums. (Diese hellen Linien
kommen, wie die Tafel zeigt, auch im Spektrum des Protuberanzen vor.)
Man erklärt bekanntlich diesen Umstand so, dass man annimmt, in den
äussersten Schichten der Sonne befinde sich in grosser Menge Wasser-
stoff, welcher die für dieses Element charakteristischen Lichtsorten in
dem durchstrahlenden Licht des Sonnenkörpers, welches für sich ein
kontinuierliches Spektrum giebt, absorbiert. Die anderen dunklen Linien
im Sonnenspektrum, welche Fraunhofersche Linien nach ihrem fleissigen
Beobachter Fraunhofer genannt werden, sind Folge der Absorption durch
andere in der Sonnen- oder Erdatmosphäre befindliche Gase. Die für
die Erdatmosphäre charakteristischen Linien sind in der nachstehenden
Tafel wiedergegeben. Sie rühren von der Absorptionswirkung des in
der Luft befindlichen Sauerstoffes und Wasserdampfes her. Die anderen
Frauenhoferschen Linien entsprechen Stoffen, deren Anwesenheit in den
äusseren Schichten der Sonne zur Erklärung der Linien voraus-
gesetzt werden muss (Kirchhoff). Auf diese Weise hat man die
Anwesenheit von Calcium, Natrium, Eisen, Titan und mehreren anderen
Körpern in der Sonnenatmosphäre nachgewiesen, worauf wir später zurück-
kommen werden.
Sternspektra. In derselben Weise kann man das Spektrum .der
24 Physik des Himmels.
Sterne nntersiichen. Da aber jeder Stern punktförmig aussieht, wird
das Spektrum des Sternes nicht bandförmig, wie dasjenige eines Licht-
spaltes, sondern linienförmig aussehen. Da in diesem unendlich schmalen
Band die Absorptionsstellen schwer zu entdecken sind, so verwandelt man
das Spektrum in ein Band mit endlicher aber geringer Breite dadurch,
dass man eine Cylinderlinse in den Weg des Lichtstrahles einschiebt,
so dass die Achse der Cylinderlinse parallel dem ursprünglichen Linien-
spektrum liegt. Oder, bei der Aufnahme von Photogrammen, verschiebt
man die photographische Platte langsam in einer Kichtung senkrecht
zur Eichtung des linienförmigen Spektrums, wodurch man ein Spektral-
photogramm erhält, das demjenigen eines durch einen Spalt gegangenen
Lichtbündels ähnelt.
Auf diese Weise haben viele Beobachter, worunter als der erste
Fraunhofer und in neuerer Zeit Secchi, Huggins, Vogel, Duner,
Bjelopolsky und mehrere amerikanische Astronomen, vor allen Picke-
ring, zu nennen sind, eine grosse Anzahl von Spektren der helleren
Sterne untersucht. Es hat sich herausgestellt, dass die Sternspektren
sehr verschieden sind, man kann dieselben aber unter verschiedenen
Haupttypen klassificieren. Die von Vogel aufgestellten Haupttypen
sind drei,
1. Weisse Sterne. Der blaue und violette Teil des Spektrums
tritt sehr kräftig hervor. Die Metalllinien sind schwach ausgeprägt und
gehören den Elementen Eisen, Natrium und Magnesium an (z. B. in Sirius
und Wega) oder sie fehlen gänzlich (z. B. in Regulus = a Leonis). Da-
gegen sind die Wasserstofflinien sehr stark vertreten und verbreitert
(Sirius, Wega), bisweilen sogar umgekehrt, d. h. teilweise hell, was auf
eine sehr dichte Wasserstoffatmosphäre hindeutet (z. B. ß Lj^rae). In diesen
letzterwähnten Fällen tritt auch die Heliumlinie D3 umgekehrt auf. In
einigen Fällen (/9, 7, 6 und e Orionis, Algol u. a.) fehlen die Wasser-
stofflinien und sind durch Heliumlinien ersetzt, w^orunter eine Linie früher
unbekannten Ursprunges (die sog. Orionlinie, Wellenlänge 447,14 (i^.)
besonders kräftig hervortritt.
Alle Umstände deuten auf eine sehr hohe Temperatur der Sterne
dieser Klasse. Sie scheinen von sehr dichten Atmosphären von Wasser-
stoff und Helium oder einem dieser Gase umgeben zu sein. Die
„Heliumsterne" (mit der Orionlinie) sind wahrscheinlich heisser als die
Wasserstoffsterne, wo das Wasserstoffspektrum überwiegt.
Bisweilen können auch in den Spektren vom ersten Typus diffuse
Bänder vorkommen, wie das Spektrum von Atair {a Aquilae) beweist. Es
Spectral- Tafel.
S. 24-^ 25.
I^ordlicht
Nebelflecken
im Drachen
Protiiberanz en.
T CoTOTiae.
Sirius
I. Typus
a Orioiüs
m. Typus
Atmospliärische
Linien.
Sonne
n. Typus
Aethylen
Winneckes
Komet H 1868.
Verlag von S.Hirzel, Leipzig.
üth AnstJulius Klinkhardt Leipzig
1. Die Fixsterne. 25
g-olang- Scheiner durch unscharfe Einstellung der Linien im Sonnen-
spektrum Bilder zu erhalten, welche den Bändern im Atair- Spektrum
sehr ähnlich sind. Sc he in er nimmt deshalb an, dass die eigentümlichen
Bänder von der Eotation des Atair herrühren, wodurch die Linien ver-
schoben werden je nach der (in Bezug auf den Beobachter) relativen
Geschwindigkeit der leuchtenden Punkte (vergl. weiter unten). Nach
dieser Annahme kann man berechnen, dass ein Punkt am Äquator des
Atair eine Geschwindigkeit von 27 km. pr. Sek. besitzen sollte, etwa
dreizehn mal derjenigen des Sonnenäquators und zweimal derjenigen des
Jupiteräquators.
2. Gelbe Sterne. Die Metalllinien treten sehr ausgeprägt auf,
das blaue Ende des Spektrums ist durch zahlreiche Absorptionslinien
geschwächt. Zu dieser Klasse gehören die Sonne und einige ihr sehr
ähnliche Sterne, wie Capeila, Pollux, Procyon, Arcturus {a Bootis) und
Aldebaran (a Tauri). Die typischen Spektrallinien sind in der Haupt-
sache dieselben wie diejenigen der Sonne und man hat auf diese Weise in
ihrer Atmosphäre Wasserstoff, Natrium, Eisen, Calcium, Baryum, Magne-
sium, Chrom, Mangan, Wismuth, Antimon, Quecksilber und Tellur
nachgewiesen.
In vielen Fällen treten in dem rötlichen Ende des Spektrums schwache
Bänder hervor. Dabei ist das Spektrum durch sehr viele dicht stehende
Linien, worunter die Wasserstofflinien zurücktreten, charakterisiert. Von
dieser Art ist das Spektrum des Arcturs und des Aldebarans, weshalb
die betreffenden Sterne als Sterne vom Arcturtypus bezeichnet werden.
Die mehr der Sonne ähnlichen Sterne, bei welchen die Wasserstofflinien
im Spektrum stark hervortreten, werden nach einem der charakteristischen
Sterne, Capella, als Sterne von Capeilatypus bezeichnet. Diese sind offen-
bar heisser wie die Sterne vom Arcturtypus. In einigen wenigen Fällen
(z. B. T Coronae) sind die Linien teilweise umgekehrt. Wahrscheinlich sind
die von Wolf und Ray et beobachteten Sterne mit dichter Gasatmosphäre
zu dieser Gruppe zu zählen. Die Wasserstoffatmosphäre dieser Sterne
ist bisweilen so ausgedehnt, dass sie bei weit geöffnetem Spektroskop-
spalt als Scheibchen erscheinen. Wenn man das Fernrohr durch ge-
linden Druck etwas zur Seite schiebt, so dass der Stern nicht sichtbar
ist, so enthält man doch ein Spektrum der //-Linien. Man hat berechnet,
dass diese Wasserstoffatmosphäre, wenn sie die Sonne umgäbe, die
Neptunbahn ausfüllen könnte. Ein solches gleichzeitiges Auftreten von
dunklen und hellen Linien zeigen die Spektra der sog. „neuen" Sterne,
wie die beigefügte Abbildung (Fig. 7) des Spektrums von „Nova Aurigae",
26
Physik des Himmels.
dem (1892) neuen Stern im Fuhrmann zeigt. Die plötzliche Lichtent-
wickelung dieser neuen Sterne dürfte demnach von mächtigen Gasaus-
brüchen herrühren, welche in irgend einer Weise bei einem schon ziem-
lich stark abgekühlten und deshalb wenig sichtbaren Stern auftreten und
dadimjh dem Stern plötzlich grosse Helligkeit verleihen.
cm DtNa)
hAUij) :Vob F(H)
(H)
Fig. 7.
Die Sterne der zweiten Klasse sind offenbar nicht unbedeutend kälter
wie diejenigen erster Klasse. Noch mehr abgekühlt sind
3) Die rötlichen Sterne. Ausser den Metalllinien kommen in den
Spektren dieser Sternklasse starke Bänder im ganzen Spektrum vor. Bei
den meisten dieser Sterne (z. B. a Orionis, a Herculis, o Ceti, ß Pegasi,
Antares etc.) sind die Bänder gegen Violett hin scharf abgegrenzt, gegen
Rot aber verschwommen. Zu dieser Gruppe gehört die überwiegende
Anzahl der veränderlichen Sterne. Die Bänder deuten an, dass
die Hitze in ihrer Atmosphäre so weit gesunken ist, dass chemische Ver-
bindungen darin existieren können. Einige der Metalllinien sind sehr
breit und verschwommen, wie z. B. die Natriumlinie. Der Wasserstoff
tritt sehr stark zurück und ist nur unsicher im Spektrum wiederzu-
erkennen. Wahrscheinlicherweise giebt der Wasserstoff in diesem Fall
schwache helle (umgekehrte) Linien, welche sich nicht merklich gegen
den hellen Hintergrund abheben. Wie wir unten sehen werden, haben
die Spektra der Sonnenflecken in vielen Hinsichten eine gewisse Ähnlich-
keit mit diesen Sternspektren. Die Metalllinien gehören vorwiegend dem
Natrium, Calcium, Eisen und Magnesium, sowie geringeren Mengen von
anderen Metallen an. Eine andere Unterabteilung der dritten Gruppe
hat so stark ausgeprägte Absorptionsbänder, dass die helleren Partieen
wie helle Bänder aussehen, welche bisweilen von hellen Linien durch-
zogen sind. Bei diesen durchwegs sehr lichtschwachen Sternen, die hellsten
sind sechster Grösse, sind die Bänder nach dem violetten Ende des Spek-
trums hin verwaschen. Man hat geglaubt, in den Spektren dieser Stern-
gruppe Kohlenwasserstofflinien identifiziert zu haben.
1. Die Fixsterne. 27
Offenbar sind die Sterne dieser Gruppe noch kälter, wie alle die
vorhin genannten, wodurch ihre geringe Helligkeit und ihre rote Farbe
verursacht sind.
Zur ersten Gruppe gehört etwa die Hälfte, zur zweiten ein Drittel
aller untersuchten Sterne. Der dritten Gruppe gehören nur etwa
hundert der helleren Sterne an.
Bei Durchmusterung der Spektra der verschiedenen Sterne kann man
sich nicht des Gedankens erwehren, dass die verschiedenen Stern-
'^Tuppen verschiedenen Entwicklungsstadien entsprechen. Die jüngsten und
wärmsten aller Sterne wären (nach der allgemeinen Ansicht, vgl. weiter unten
Kap.Kosmogonie) diejenigen der ersten Gruppe. Das kontinuierliche Licht,
welches von dem eigentlichen Sternkörper ausstrahlt, rührt hauptsächlich
von Kondensationen, wolkenartigen Bildungen in der Atmosphäre der
Sterne, zum geringeren Teil von den stark verdichteten Metalldämpfen
im Inneren des Sterns her. In den höheren Schichten dieser Atmosphäre
befinden sich die leichten Gase, Wasserstoff oder Helium oder alle beide,
weiter unten Metalldämpfe. Bei den Sternen erster Klasse ist die At-
mosphäre der leichten Gase so dick und heiss, dass die für uns sicht-
baren Kondensationen beinahe alle in diesen oberen Schichten vor sich
gehen. Wir sehen deshalb keine oder nur schwache Metalllinien, dagegen
sehr starke Wasserstoff- oder Heliumlinien. Bisweilen ist die Menge
und Temperatur der leichten Gase genügend, um helle Umkehrungen
dieser Linien zu verursachen. Bei dem zweiten Spektraltypus ist die Ab-
kühlung weiter fortgeschritten, so dass Kondensationen nicht nur in den
höchsten Schichten der Atmosphäre, sondern auch innerhalb der Metall-
atmosphäre vorkommen. Man sieht dann die dunklen Metalllinien scharf
hervortreten. Das Zurücktreten des violetten Endes des Spektrums und
einige schwache Bänder im roten Teil deuten auf niedrigere Temperatur
hin. Bei den rötlichen Sternen treten tiefe Temperatur andeutende Er-
scheinungen noch mehr hervor. Die bei denselben gewöhnlich vorkom-
mende Veränderlichkeit lässt auf das Vorkommen von kälteren und
wärmeren Perioden schliessen, wie solche in geringerem Maassstab bei
unserer Sonne durch die Fleckenperiode sich kundgeben. Zuletzt
wird die Leuchtkraft der Sterne sehr schwach und das Licht ausgeprägt
rot, der relativ niedrigen Temperatur entsprechend. Nach diesem Stadium
kommt dasjenige, worin die dunklen ultraroten Strahlen allein herrschen,
der Stern ist in einen nichtleuchtenden Himmelskörper übergegangen
(vgl. weiter unten Kap. Kosmogonie).
Im Grossen und Ganzen zeigen die Sterne dieselbe chemische Zu-
28 Physik des Himmels.
sammensetzung wie die Sonne. Die hervorragende KoUe des Wasser-
stoffs und Heliums, sowie des Eisens, Natriums, Calciums und Magnesiums,
macht sich überall bemerkbar. Es ist dann kein Zweifel, dass unsere
Sonne mit den Fixsternen sehr nahe verwandt ist, und zwar ist sie als
ein Fixstern der ersten Abteilung in der zweiten Klasse anzusehen.
Das Prinzip von Doppler. Nehmen wir an, eine Person bei 5 (Fig. 8)
beobachtet eine schwingende Stimmgabel in A, welche ot Schwingungen
pro Sekunde macht. Die Entfernung AB
A C B
I i 1 möge gleich der Schallgeschwindigkeit v
Fig. 8. (330 m. pro Sekunde bei 0^) sein. Steht
nun die Stimmgabel in ^, so hört die
Person in B gerade n Schwingungen pro Sekunde. Bewegt sich aber
die Gabel mit einer bestimmten Geschwindigkeit c {= A C) von A
gegen B, so werden die Verhältnisse etwas verändert, indem die
Person mehr als n Schwingungen pro Sekunde hört. Um dies zu
berechnen, bemerken wir uns, dass die Gabel nach der Zeit vje Sek.
in B anlangt. Bezeichnen wir den Zeitpunkt, in welchem die Stimm-
gabel A passiert, mit 0, so ist die Zeit 1 Sek., als die Schwingung,
welche die Gabel in A produziert, nach B anlangt. Weiter gelangt die
Gabel selbst zur Zeit vjc Sek. nach J5 an, und die dann ausgeführte Schwingung
wird gleichzeitig von der Person in 5 vernommen. Die Schwingungen, welche
während der Zeit vjc Sek. entstehen, also nv:c Schwingungen, werden
also von dem Beobachter in B während der Zeit zwischen 1 Sek. und
vjc Sek. vernommen. D. h. in der Zeit vjc — 1 Sek. werden n vjc Schwing-
ungen in B vernommen, während einer Sekunde also:
n vi V
^ C V ^ V — c
1
c
Die Schwingungszahl n der Gabel steigt durch ihre Bewegung schein-
bar zu n^ d. h. im Verhältnis v : {v—c), oder die Wellenlänge der ausge-
sandten Schallwellen nimmt im Verhältnis {v—c) :v oder M j:lab.
Bewegte sich die Gabel in der Richtung von B gegen A mit der Ge-
schwindigkeit c, so würde, wie leicht einzusehen, die Wellenlänge im Ver-
hältnis fl H — ): 1 zunehmen. Dies stimmt auch mit der Erfahrung
über die Änderung in Tonhöhe beim schnellen Vorbeibewegen einer Ton-
quelle (angeblasenen Trompete) an einem Beobachter.
I. Die Fixsterne.
29
Bewegung" der Sterne in der Sichtlinie. Dasselbe Verhalten
müssen die Lichtwellen zeigen, wenn wir in den vorhin abgeleiteten Aus-
drücken V die Lichtgeschwindigkeit (300000 km. pro Sek.) und c die Ge-
schwindigkeit der Lichtquelle in der Kichtung der Sichtlinie bedeuten
lassen. Fizeau war der erste, welcher die grosse Brauchbarkeit des
D oppler sehen Prinzipes zur Berechnung der Bewegungen von leuchtenden
Körpern hervorhob (1848).
Wenn also ein Fixstern sich auf uns in der Kichtung der Sicht-
linie mit einer Geschwindigkeit von 1 km pro Sek. zu bewegt und eine
Strahlenart aussendet, deren Wellenlänge 600 fift (fifi = 10-^ Millimeter),
so wird die Wellenlänge um 600 : 300000 ////, d. h. 1/500 fifi scheinbar
abnehmen, eine Grösse, die bei äusserst genauer Beobachtung gerade
gemessen werden kann.
Da nun die Verschiebung der Spektrallinien im allgemeinen sehr
gering ist — sie erreicht höchstens den Wert von 0,1 fifi — so kann
man diese Linien doch ohne Schwierigkeit identifizieren, und aus der
Abweichung von der in gewöhnlicher Weise gemessenen Wellenlänge
die Geschwindigkeit des strahlenden Körpers ausmessen. Man hat auf
diese Weise für die Geschwindigkeit in der Sichtlinienrichtung folgende
Werte gefunden, wobei ein + andeutet, dass der Stern sich von der
Sonne entfernt, ein — dass er sich der Sonne nähert.
a Can. maj. (Sirius)
a Tauri (Aldebaran)
61 Cygni
Orionnebel
a Aurigae (Capeila)
a Leonis (Eegulus)
ß Orionis (Rigel)
a Orionis (Beteigeuze)
km/Sek. km/Sek.
+ 75 a Oygni (Deneb) — 6
+ 49 a Bootis (Arcturus) — 8
+ 43 a Can. min. (Procyon) — 11
+ 27 a Cassiopejae — 15
+ 25 a Aquilae (Atair) — 34
+ 24 g Herculis ■— 70
+ 24 a Lyrae (Wega) — 81
+ 14 fj Cephei —87
Wenn man diese Ziffern mit den oben für die Bewegung senkrecht
zur Sichtlinie gegebenen vergleicht, so findet man, dass dieselben von
der gleichen Grössenordnung sind. Wenn man mit a und b die Ge-
schwindigkeiten senkrecht zur und in der Sichtlinie bezeichnet, so wird
die totale Geschwindigkeit:
30 Physik des Himmels.
Sie ist für die vier Sterne:
Wega Sirius öl Cygni
y23 2 + sr^ = 84 y"23 2 + 75 2 = 78 /ÖPTl^P = 74 km/Sek.
Capella
■/Sö^-j- 25"2 = 43 km./Sek.
Die letztgenannte von diesen Geschwindigkeiten dürfte etwas grösser
(um 15 Prozent) als die mittlere der bei den Fixsternen beobachteten
sein. Die drei ersten gehören zu den grössten unter allen beobachteten
(vgl. S. 19). Da Wega sich gegen die Erde mit einer Geschwindigkeit
von 84 km pro Sek. hinbewegt, so kann man sich fragen, wie lange Zeit
sie wohl brauchen wird, um die 20 Lichtjahre zurückzulegen, die uns
von diesem Stern trennen. Man findet leicht, dass diese Zeit 20 • 300000 : 84
= 71000 Jahre beträgt. Diese Zeit könnte wohl lang erscheinen; misst
man aber mit geologischem Zeitmaass, so ist das Kesultat nicht auffallend,
indem die Periode, welche nach der Eiszeit verflossen ist, dieselbe
Grössenordnung besitzt.
Einfluss des Druckes auf die Lage der Spektrallinien. In
jüngster Zeit haben Humphreys und Mohler eine Beobachtung gemacht,
welche wohl verdient, bei ähnlichen Berechnungen beachtet zu werden.
Diese beiden Forscher fanden nämlich, dass das Emissionsspektrum eines
glühenden Gases von dem Druck des Gases abhängt. Dabei hat man
nicht mit dem Partialdruck, sondern mit dem Totaldruck zu rechnen,
welcher durch Einpressen von Luft in einem Behälter, worin ein Licht-
bogen mit dem zu untersuchenden Stoff brannte, verändert wurde. Wenn
der Druck erhöht wird, so verschieben sich die Spektrallinien nach der
roten, wenn er vermindert wird, nach der blauen Seite des Spektrums
hin. Die Verschiebung ist dem Druck proportional und bei einem ge-
gebenen Stoff ist die Änderung der Wellenlänge dieser Grösse selbst
proportional. Sie ändert sich von Stoff zu Stoff, indem sie in einer
Gruppe von Metallen sich ziemlich proportional der dritten Wurzel aus
dem Atomgewicht zeigt. Bei einigen Metallen (die Mg-Ca-Gruppe) ist
die Verschiebung nicht für alle Linien gleichmässig, sondern man erhält
zwei charakteristische Werte. Sie ist für eine Wellenlänge von 480 ^^
und eine Druckzunahme von einer Atmosphäre:
bei Natrium 108.10 -5 /f^/^ bei Calcium 54.10-^oder27.10"^^//
„ Lithium 85 „ „ Strontium 65 „ 37 „
„ Kalium 132 „ „ Barium 58 „ 34 „
1.
Die Fixsterne.
bei Chrom
26
(ili
bei Magnesium 44
„ Eisen
25
V
„ Titan 22
„ Nickel
28
11
„ Aluminium 55
„ Kobalt
24
11
„ Wismuth 49
„ Cyan
0
11
„ Uran 9
31
oder 30 ^i
Wenn sich demnach der Druck um eine Atmosphäre erhöht, so wird
die Natriumlinie ihre Wellenlänge um 108 • 10*^ : 480 = 2,25 • lO'^ ihres
Betrages ändern. Da nun eine Geschwindigkeit von 1 km pro Sek. einer
Änderung von 3,3 10-^ entspricht, so ersieht man daraus, dass eine Zu-
nahme des Druckes von einer Atmosphäre, d. h. ein Druck von zwei
Atmosphären nach den älteren Ansichten als eine Geschwindigkeit von
0,67 km gedeutet werden könnte, wenn man aus der Verschiebung der
Natriumlinie nach dem Doppler sehen Prinzip die Geschwindigkeit be-
rechnete. Da nun bei Natrium die Verschiebung ungewöhnlich gross ist,
z. B. 5 mal so gross wie beim Eisen und wahrscheinlicherweise — nach
dem Kubikwurzelgesetz — 3 mal so gross wie für Wasserstoff, so ist es
ersichtlich, dass erst ziemlich grosse Drucke einen merklichen Fehler in
den früher ermittelten Geschwindigkeiten verursachen können.
In dieser Beziehung ist es interessant, dass Je well aus der Ver-
schiebung der dunklen Sonnenlinien den (mittleren) Druck berechnet hat,
welcher in der sog. umkehrenden Schicht, wo die hauptsächliche Absorj)-
tion vor sieh geht, herrscht. Er fand so folgende Zahlen:
Ato
m-Gew.
Atom-Gew.
Aluminium 2 Atm.
27
Mangan 5 Atm.
55
Silicium 4 ,,
28
Eisen 6 „
56
Calcium (a) 6 „
40
Nickel 7 „
59
„ (b) 3 „
40
Kupfer 7 „
63
Chrom 5 .,
52
Kobalt 4 ,,
59
Der Druck in der umkehrenden Schicht scheint etwa 5 Atmosphären
zu sein und dürfte auf anderen Himmelskörpern von derselben Grössen-
ordnung sein. Für Körper mit niedrigem Atomgewicht fällt dieser Druck
relativ gering aus, was darauf hindeutet, dass dieselben hauptsächlich
in den äusseren Schichten konzentriert sind, worauf viele andere Um-
stände schliessen lassen (vgl. weiter unten Kap. Die Sonne). Wenn man
die Verschiebung der Wasserstoff- oder Eisenlinien misst, so beträgt sie in
diesem Fall nicht mehr als was einer Bewegung von 1 km pro Sek. in der
Sichtlinie entsprechen würde. Eine solche Genauigkeit ist (für die Sterne)
nur in den seltensten Fällen erreicht. Man kann demnach wohl behaupten
32 Physik des Himmels.
dass die aus der Verschiebung' der Spektrallinien gezogenen Schlüsse in
Bezug auf die Bewegung der Sterne nicht in bedeutendem Grade durch
die Entdeckung von Humphreys und Mo hl er geändert werden.
Dies gilt ganz besonders für solche Fälle, in welchen die Änderung
der Verschiebung mit der Zeit beobachtet wird, woraus man geschlossen
hat, dass einige Sterne sich um einen Punkt herum bewegen (vgl. unten
über Doppelsterne).
Die Beobachtung von Humphreys lässt uns hoffen, dass es mit ver-
feinerten Messapparaten möglich sein wird, sowohl den Druck in den
Licht emittierenden oder absorbierenden Teilen der Sternenatmosphäre,
als auch die Bewegung der Sterne in der Sichtlinie zu messen. Dabei
wird der Umstand von Bedeutung sein, dass Linien, welche verschiedenen
chemischen Elementen angehören, zufolge der Bewegung sich alle gleich
stark verschieben, zufolge des Druckes aber sehr verschiedene Verände-
rungen erleiden.
Eigenbewegung des Sonnensystems. Es fiel dem berühmten
Astronomen W. Herschel bei Durchmusterung der Eigenbewegungen der
Sterne auf, dass im allgemeinen die Sterne eines Teils des Himmels sich
von einander entfernen, andere dagegen sich einander nähern. Dies
könnte einer perspektivischen Wirkung der Eigenbewegung des Sonnen-
systems zugeschrieben werden. Er suchte in dieser Weise den Konver-
genzpunkt der säkularen Eigenbewegungen und erhielt einen Punkt im
Sternbild Herkules, gegen welchen sich nach dieser Anschauung das
Sonnensystem hinbewegt. Struve fand für diesen Punkt
J.i^=261,50, Z) = + 37,60.
Wenn man die Lage der hellsten Sterne, welche oben in Bezug auf
ihre Geschwindigkeit in der Sichtlinie angeführt sind, auf einer Stern-
karte nachsieht, so findet man, dass diejenigen, welche sich uns nähern,
auf einem Teil, diejenigen, welche sich von uns entfernen, auf einem
andern Teil des Himmelsgewölbes liegen. So z. B. liegen die beiden hellen
Sterne, welche die grössten Geschwindigkeiten besitzen, Wega und Sirius,
beinahe auf diametral entgegengesetzten Stellen des Himmels und die
Sterne, welche sich gegen uns hinbewegen, liegen alle in derselben Ge-
gend wie Wega (mit Ausnahme von Procyon), diejenigen, von welchen
wir uns entfernen, in der Umgebung von Sirius.
Es erschien deshalb natürlich, den Himmel in zwei Hälften einzu-
teilen, so dass die mittlere Eigenbewegung, in der Kichtung der Sicht-
linie für die eine Hälfte so ^ross wie möglich und positiv, für den andern
Teil so gross wie möglich und negativ wurde. Der Mittelpunkt der
I. Die Fixsterne. 33
letzteren Hälfte kann offenbar als derjenige Punkt angesehen werden,
gegen welchen das Sonnensystem hinstrebt. Vogel fand für 51 Sterne
in dieser Weise den Punkt ÄR=20Q,^ /) =-= + 45,9^ also nicht allzu weit
von dem Herschelschen Konvergenzpunkt entfernt.
Neuere Bestimmungen geben den Punkt AR = 2ß4 bis 284^,
O = 4\^ bis — 1^ wie folgende Daten angeben:
AR D
Porter 281,2 + 40,7
Engelmann 267 +31
Kobold 267 — 1,1
Ristenpart 284 + 32
Bakhuyzen 264 -|- 30
Die Geschwindigkeit des Sonnensystemes in dieser Richtung wird zu
etwa 17 km pro Sek. geschätzt.
Nebel. Man trifft häufig auf dem Himmelsgewölbe mehr oder
weniger ausgedehnte Gebilde, welche offenbar aus sehr fein verteilter
Materie aufgebaut sind und deshalb den Namen Nebel erhalten haben.
Sie zeigen keine Eigenbewegung (senkrecht zur Sichtlinie) noch Parallaxe,
welche übrigens schwer zu messen ist. Man hat daher allen Anlass
anzunehmen, dass sie sehr weit von uns entfernt sind. Ihr Spektrum ist
entweder kontinuierlich, ähnlich dem Sternspektrum, in diesem Fall nimmt
man an, dass sie aus Ansammlungen von grossen Mengen Sternen, sog.
Sternhaufen, bestehen. Oder es zeigt das Spektrum, wie ein Gas, einige
helle Linien (vgl. Taf. H, 2). Die am meisten charakteristischen von diesen
haben die Wellenlängen 575, 500,7, 495,9, 486,1 und 435 fifi. Die erste und
die letzte Linie sind sehr schwach und finden sich nur in einigen wenigen
Nebelspektren mit genügender Schärfe wieder. Die Linien 486,1 und
435 gehören dem Wasserstoff. Die Linie 500,7 wird als von Stickstoff
herrührend angegeben (was immerhin näher untersucht zu werden ver-
dient). Die Linie 495,9, die in allen Gasnebeln wiederzufinden ist, kann
mit keinem bisher bekannten Körper identifiziert werden, sie wird par pre-
ference die Nebulosa-Linie genannt. Mit Hilfe des Spektrums von einigen
Nebeln hat man auch Helium (besonders die Orionlinie kommt häufig vor),
und vielleicht Eisen und Magnesium in diesen Himmelskörpern nachgewiesen.
Peinige Nebel werden „planetarisch" genannt, weil sie in dem Fern-
rohr als kleine Scheibchen, d. h. wie Planeten, aussehen.
Wie gross die Ausdehnung der Nebel erscheint, hängt von den mehr
oder weniger günstigen äusseren Umständen bei der Beobachtung ab.
Arihenius, Kosmische Physik. * 3
34 Physik des Himmels.
Die Zeichnungen, welche verschiedene Beobachter von demselben Nebel
gegeben haben, zeigen deshalb gewaltige Unterschiede. Man findet häufig
bei sehr genauer Betrachtung dieser Gebilde, dass sie eine eigentüm-
liche spiralige Struktur besitzen. In dieser Beziehung ist der Nebel in
den Jagdhunden {A i^. = 13^ 25"^ 6 Z)= + 47,7^, vgl. Fig. 9) hervorzu-
heben. Man sieht hier in der Mitte eine mehr kondensierte Partie, von
welcher eine fast regelmässige Spirale ausgeht. In einigen Stellen dieser
Fig. 9. Spiralnebel in den Jagdhunden
(nach Isaac Roberts).
Spirale finden sich kleinere Kimdensationscentren vor, wo die Nebelmaterie
sich zu leuchtendere Körper gesammelt zu hal)en scheint. Wenn man
einen solchen scheibenförmigen Spiralnebel von der Seite sieht, so wird
er spindelförmig erscheinen. Von dieser Form ist der grosse Nebel in
Andromeda (Fig. 10). In einigen Aufnahmen von diesem Nebel sieht man
noch Andeutungen von den Spiralbogcn in den helleren gebogenen Par-
tien am Ilande. Bei anderen linsenförmigen Nebeln ist dies nicht der
Fall. Diese regelmässig gebildete Nebel haben im allgemeinen kontinuier-
liche Spektra. Sie scheinen selbständige Fixsternsysteme auszumachen,
die in ungeheurer Entfernung von uns liegen. Wegen der grossen Licht- j
I. Die Fixsterne.
35
.schwäche dieser Objekte gelang es erst 1899 Prof. Scheiner in Pots-
dam ein Spektrum von einem dieser Nebel, nämlich demjenigen in An-
dromeda, ÄR=0\ 37^ 2 £) = + 40M3', nach 71/2 stündiger Exposition
zu erhalten, welches deutliche Details enthält. Darin kommen dunkle
Linien vor, welche den Spektren von Sternen des 2. Typus charakteristisch
Fig. 10. Spindelförmiger Nebel in Andromeda (nach Bond).
sind, also auch unsrer Sonne. Die Ähnlichkeit mit dem Sonnenspektrum
tritt auch in den Helligkeitsverhältnissen der verschiedenen Teile des
Spektrums hervor.
Die spiralförmigen Nebel, welche eine sehr grosse Gruppe bilden,
sollten demnach als Sternhaufen zu betrachten sein. Ganz anders ist
das Verhältnis mit den wirklichen Gasnebeln. Dieselben sind entweder
elliptisch geformte planetarische Nebel von geringer Ausdehnung. Oder
3*
36 Physik des Himmels.
sind sie sogenannte Ringnebel, wie diejenigen in der Leier [AR ==1S\ 50"',
7J = + 32,9, vgl. Fig. 1.1), wo die Nebelmaterie sich in einem elliptischen
Eing von den Durchmessern 72,2" und 60,4" kondensiert zu haben scheint.
Bei photographischer Aufnahme giebt aber die mittlere Partie dieses Nebels
den relativ stärksten Lichteindruck. Es scheinen infolgedessen die cen-
Fig. 11. Ringnebel in der Leier (nach Holden).
traleren Partien aus einer anderen Materie als die äusseren zai bestehen.
Zu dieser Gruppe gehören auch die unregelmässig geformten Nebel, welche
häufig ganz enorme Ausdehnungen besitzen, und von welchen der Orion-
nebel im Schwertgehänge des Orion (Fig. 12,ÄR= 5^ 30»« 3, D = — 5^ 28)
das berühmteste Beispiel ist. Dieser Nebel nimmt nach der Schätzung
von Littrow und Weiss 4,6 Quadratgrade ein. Wenn derselbe in der
Entfernung von nur einer Million Sonnenweiten von uns läge (d. h. etwa
T. Die Fixsterne. 37
wie Sirius und Wega), was jedenfalls stark unterschätzt ist, so würde die
Ausdehnung etwa fünf Millionen mal so gross wie diejenige der Sonne
Fig. 12. Der grosse Nebel im^ Schwertgehänge des Orion (nach Sir J. Roberts).
in linearer Eiehtung- sein, d. h. etwa 800 mal den Durchmesser der
Neptunbahn übertreffen.
38 Physik des Himmels.
In dem Orionnebel kommt die Orionlinie, 447,2 /^//, vor, welche einige
Sterne im Orion charakterisiert. Es scheint schon dadurch ein geneti-
scher Zusammenhang zwischen den Sternen und dem Nebel im Orion
zu bestehen. Noch mehr tritt dies hervor, wenn man das Spektrum der vier
im Nebel befindlichen sog. Trapezsterne mit demjenigen des Nebels ver-
gleicht. Die beiden Spektren zeigen dieselben Linien an denselben Stellen,
nur'dass die Sternlinien teilweise dunkel, diejenigen des Nebels hell
sind. In einigen Fällen konnte man sogar beobachten, dass inmitten
der dunklen Sternlinien helle Nebellinien auftreten, was vielleicht darauf
hindeutet, dass die Nebelatmosphäre wenigstens teilweise zwischen uns
und den Trapezsternen liegt. Demnach scheinen diese unregelmässigen
und unerhört weit ausgedehnten Nebel nicht so weit von uns entfernt
zu sein, wie man im allgemeinen von den Nebeln annimmt.
Sehr eigentümlich erscheint es, dass die Wasserstofflinie Ha (der
C-Linie im Sonnenspektrum entsprechend) nicht in den Nebelspektren
vorkommt. Keelerhatsienur einmal in einem Nebelspektrum beobachtet
(G.G. 4390). Dies beruht nach Scheiner auf physiologischen umständen,
indem die rote Wasserstofflinie viel früher bei Abschwächung des Lichtes
unsichtbar wird, als die anderen. Auffallend ist es ebenfalls, dass die
relative Lichtstärke der Nebellinien im Orionnebel an verschiedenen
Stellen verschieden ist. So z. B. ist die Nebulosalinie die stärkste auf
der einen, eine Wasserstofflinie auf der anderen Seite dieses Nebels.
Dies deutet auf verschiedene Zusammensetzung oder ungleichmässige
physikalische Verhältnisse in den verschiedenen Teilen des Nebels hin. Sehr
interessant ist in dieser Hinsicht die Beobachtung von Campbell über
einen kleinen planetarischen Nebel in der Nähe des Orionnebels. Er
beobachtete den Nebel in derselben Weise, wie man sonst die Protube-
ranzen der Sonne aufnimmt, d. h. mit weit geöffnetem Spektroskop-Spalt.
Er fand auf diese Weise, dass der bekannte Nebelstoff ein viel kleineres
Bild ergab, als die hellste Wasserstofflinie. Danach scheint es natürlich
anzunehmen, dass der Nebelstoff hauptsächlich in der Mitte, der Wasser-
stoff gleichmässig in allen Teilen des Nebels vorkommt. Ähnliche weit
ausgedehnte Nebel wie der Orionnebel befinden sich in der Umgebung
der Plejadengruppe, im Sternbild des Schwanen, auf der südlichen Hemi-
sphäre in den beiden sog. Capwolken u. s. w.
Unter den Nebeln giebt es einige, die aus zwei zusammengeflossenen
Nebelballen bestehen; sie werden Doppelnebel genannt und entsprechen
gewissermaassen den Doppelsternen.
Als Herschel mit seinem Eefraktor nicht weniger als 2500 Nebel
I. Die Fixsterne.
39
^entdeckte (jetzt sind etwa 30 000 Nebel katalogisiert) und es ihm gelang,
einen grossen Teil derselben in Einzelsterne zu zerlegen, d. h. nach-
zuweisen, dass sie aus Sternhaufen bestehen, wurde die Ansicht allgemein
angenommen, dass die Nebel alle, wenn man nur genügend starke
optische Hilfsmittel zu ihrer Zerlegung hätte, sich als Sternhaufen ent-
Fig. 13. Photographische Aufnahme des Steinhaufens im Hercules
(nach Sir J. Roberts).
liüllen würden. Diese Ansicht kann jetzt nicht mehr für die wahren
Gasnebel aufrecht erhalten werden, wie die Spektroskopie zeigt. Die
Sternliaufen sind auch für gewöhnlich so gruppiert, dass in ihrer Mitte
oder zur einen Seite derselben eine starke Konzentration der Sterne statt-
findet, wie die nebenstehenden Abbildungen (Figg. 13 und 14) der Sternhaufen
im Hercules {AR ^= 1Q\ 38"': D = 36,39<^) und in den Zwillingen
40
Physik des Himmels.
(Fig. 15 ^i?=6^ 2,7^^ :D = 24,210) zeigen. Im letzten Falle zeigen
die Sternhaufen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Aussehen eines Kometen.
Auch die Gasnebel zeigen eine fortschreitende Bewegung in Rich-
tung der Sichtlinie. Keelerfand in dieser Beziehung Zahlen von der-
selben Grössenordnung wie für die Bewegung der Fixsterne, indem die
•
•
,
•
1
•
i
,
•.
•
•
'
•
• ^
•
^
*•
.
• •
•
. .
•
.
- 1
0
+1
fj
♦ 4
*-J
■Iß'
i7
_
•
1 •
*
•
' _ V
• ••
•
0
•..
•
••
• •
•* •
• »
•
•
■fc*'
.<•:*:
W
'■. ;•
• • **
-
••
•'... .
•
• •
'• • • •,
,
••
.
•
* •
•
*
. •
•
•
r '
•
V Ü
•
•.
•
•
•
••
•
\
,
•
•
•
•
•
•
•
•
0
•
•
•
•
•
r -,. -5'
-4' -3' -2- -V 0- •*■!' -f-i- *3-
•*4:
i-j- *
ff'
M
\\
Fig. 14. Schematische Zeichnung des Sternhaufens im Hercules (nach Scheiner).
mittlere Geschwindigkeit etwa 20, die grösste {G. C. 4373) — 64,7 Kilo-
meter pro Sekunde betrug. Dabei muss man wegen der Eigenbewegung
des Sonnensystems, 17 km. pro Sek., korrigieren, und erhält so— 50,9 km.
pro Sek. als Maximum.
Die Nebel scheinen auf dem Himmel nicht ganz regelmässig ver-
teilt zu sein. An einigen Stellen kommen sie viel häufiger als an
I. Die Fixsterne.
41
anderen vor. Wenn man die Stellen ihrer grössten Häufigkeit unter
einander verbindet, so erhält man einen Gürtel auf dem Himmel, der
etwa senkrecht zur Milchstrasse vom Centauren durch die Jungfrau und
das Haar Berenices über den grossen Bären und Cassiopeja zur Andro-
ineda verläuft. Neuere Untersuchungen mit Hilfe von lichtstarken In-
strumenten scheinen anzudeuten, dass die Nebel ausserordentlich häufig
am ganzen Himmelsgewölbe vorkommen.
Die Milchstrasse. (Die Lage der Milchstrasse ist durch [Punktie-
rimg in Taf. I und Figg. 2 und 3 angegeben.) Seit den ältesten Zeiten ist es
wohlbekannt, dass auf dem Himmelsgewölbe ein nebelartiger Lichtstreifen
verläuft, der den Namen „die Milchstrasse" erhalten hat. Im Teleskop löst
sich derselbe in ein ganz ungeheures Ge-
wirre von Sternen auf. Seine schwächste
Stelle liegt im Sternbild Orion. Von da geht
die Milchstrasse durch das Einhorn, zwischen
den Zwillingen und dem Stier zum Fuhrmann,
indem sie immer glänzender hervortritt. Da-
nach wendet sie sich zum Perseus und Cassio-
peja und erreicht ihre grösste Helligkeit im
Schwanen. Da teilt sie sich in zwei Teile,
wovon die lichtkräftigere südliche durch den
Adler, Sobieskis Schild und den Schützen
geht. Das schwächere nördliche Lichtband
geht durch die Schlange, wo es beinahe un-
sichtbar wird, zum Skorpion hin, wo es sich
mit dem andern Zweig wieder vereinigt und danach das Südkreuz durch-
läuft. Später finden wiederholte Abbrechungen, wie im sog. Kohlen-
sack, und Schwächungen statt, bis sie durch das Schiff zum Einhorn
wieder zurückkehrt.
Dieses Gebilde verläuft im grossen und ganzen wie ein Ring rund
um das Firmament, so dass, wenn wir einen Himmelsglobus so hin-
legen, dass das Sternbild Berenices Haar am höchsten liegt, die ganze
Milchstrasse etwas unter den horizontalen Grosskreis des Globus fällt.
Der Nordpol der Milchstrasse liegt an der Grenze zwischen Berenices
Haar und den Jagdhunden (Ä R-= 12 ^ 42% D = 27^).
Es ist schwer, sich der Vorstellung zu enthalten, dass die Milch-
strasse ein nebelartiges, etwa dem Andromedanebel gleiches Gebilde sei,
von welchem das Sonnensystem einen Teil ausmacht, welcher in der
Mitte des Nebels etwas excentrisch, näher am Teil der Milchstrasse, wo
Fig. 15. Sternhaufen in den
Zwillingen.
42 Physik des Himmels.
sie durch die hellsten Stellen im Schwanen geht, verlegt ist. Dieser Nebel
giebt natürlicherweise wie der Andromedanebel ein kontinuierliches
Spektrum imd zwar, da die meisten von uns untersuchten Sterne der
Milchstrasse angehören und dem weissen Typus sich anschliessen,
wird der Totaleindruck von diesem Sternhaufen, von der Ferne gesehen,
derjenige eines weissen Sterns sein. Die Milchstrasse ist demnach als
ein heisseres Gebilde als der Andromedanebel, welcher zum zweiten
Typus der (gelblichen) Sterne gehört, anzusehen. Die verschiedenen Aus-
buchtungen und Abbruche würden der ungleichmässigen Lichtverteilung
in den Spiralnebeln entsprechen. Demnach müsste die weitaus vor-
wiegende Zahl der Sterne in der Ebene der Scheibe liegen, worin die
Spirale aufgerollt liegt.
Um ein Bild von der durch diesen Umstand veranlassten Verteilung
der Sterne zu geben, nahm W. Herschel sogenannte Aichungen der
Sternhäufigkeit vor, indem er die Zahl der Sterne im Gesiclitfeld eines
Teleskopes ausmaass, gänzlich von der Grösse der Sterne absehend. Auf
dem Parallelkreis, welcher durch den Milchstrassenschimmer geht, welcher
also in der Ebene der Nebelspirale liegt, fand er die Kelativzahl 122,
15 Grad nördlich davon 30, 30 Grad nördlich davon 18, 45 Grad 10,
60 Grad 6 bis 7. Näher beim Milchstrassenpol kommen die Sterne sehr
spärlich vor. Durch diese scharf hervortretende Regelmässigkeit wird die
Ansicht, wovon wir ausgingen, stark bestätigt.
Wenn man nur die grösseren Sterne berücksichtigt (von 1. — 9. Grösse)
ist die Zunahme der Sternhäufigkeit zur Milchstrassenebene hin viel
geringer, nämlich wie 2,5 : 1, wenn wir dem Gebiet, was 60 Grad von
der Milchstrasse entfernt, die Sternhäufigkeit 1 erteilen, während nach
HerschelsAichung sich die Zahl 14:1 ergiebt. Dieswird verständlich, wenn
man in Betracht zieht, dass in den entferntesten Teilen der Sternhaufen-
scheibe, welche sich gerade in der Nähe der Milchstrassenebene geltend
machen, wegen des grossen Abstandes auch die hellsten Sterne nur sehr
lichtschwach erscheinen können.
Sehr auffallend ist, dass die allermeisten Sternhaufen, oder in Stern-
haufen auflösbaren Nebel sich in der Umgebung der Milchstrasse be-
finden. Dieser Umstand deutet darauf hin, dass diese Sternhaufen nicht
als selbständige Gebilde anzusehen sind, sondern als Verdichtungen in
dem grösseren Sternhaufen der Milchstrasse. Dagegen scheint zwischen
den nicht auflöslichen Nebeln ein solcher Zusammenhang mit der Milch--
Strasse nicht zu bestehen, vielmehr konzentrieren diese sich um den
Milchstrassenpol.
I. Die Fixsterne. 43
Der physikalische Zustand der Nebel. Was das von den
echten Gasnebeln ausgestrahlte Licht angeht, so sind die meisten Forscher
mit Seh ein er der Ansicht, dass die Temperatur der Gasnebel sehr niedrig
sein muss und nicht weit von dem absoluten Nullpunkt entfernt sein kann.
Anderenfalls würden die schwachen Anziehungskräfte, welche in den un-
geheuren Entfernungen zwischen den Nebelteilchen obwalten, nicht aus-
reichen, um der mit der Temperatur proportionalen Neigung der Gas-
]>artikelchen auseinanderzugehen, Gleichgewicht zu halten. Die kinetische
Theorie der Gase verlangt, dass von der ungeheuren Menge der Molekeln
l)ei niedriger mittlerer Temperatur doch einige solch grosse Bewegungen
besitzen, die einer viel höheren Temperatur entsprechen, und demnach
Licht ausstrahlen würden. Als Stütze für eine solche Ansicht führt man
an, dass in Geisslerschen Röhren unter Einfluss von elektrischen Schwing-
ungen verdünnte Gase Licht emittieren können, obgleich die mittlere
Temperatur sehr niedrig liegt. (Man hat diesbezügliche Versuche bis zu
Temperaturen von — 200^ angestellt.) Demgegenüber ist einzuwenden,
dass unter dem Einfluss der elektrischen Schwingungen die Molekeln
zerlegt und wiedervereinigt werden, was ohne Zweifel im engsten Zu-
sammenhange mit der Lichtemission steht. Wenn man also nicht der-
gleichen elektrische Schwingungen in den Gasnebeln annehmen wollte,
so wäre es wohl das richtigste, den Gasnebeln eine nicht so sehr niedrige
Temperatur zuzuerteilen, wie man für gewöhnlich anzunehmen pflegt.
Wie unten gezeigt werden soll, deutet vieles darauf hin, dass in den
Weltraum negativ elektrische Partikelchen von den Sonnen ausgestrahlt
werden. Dieselben werden natürlicherweise von den Gasnebeln, welche
eine unerhörte Ausdehnung besitzen, eingefangen und verursachen dann
elektrische Entladungen in den Nebelgasen, welche infolgedessen, trotz
ihrer nahe am absoluten Nullpunkt liegenden Temperatur, Licht aus-
senden.
Dieser Umstand würde auch eine andere Eigentümlichkeit erklären.
Wenn ein planetarischer Nebel aus einem lichtaussendenden (glühenden)
Gasball bestände, so müsste man erwarten, dass die centralen Teile, in
welchen mehr glühende Gasteilchen auf der Sichtlinie belegen sind, als
in den mehr peripherischen, stärker leuchten sollten, als diese. Dies ist
nun nicht der Fall; in den Ringnebeln strahlen sogar die peripherischen
Teile in hellerem Licht. Dies entspricht dem Fall, der eintritt, wenn
die elektrisch geladenen Teile in den Oberflächenschichten der Nebel-
gasmassen ihre Geschwindigkeit einbüssen, was wenigstens bei einiger-
maassen bedeutenden Gasansammlungen eintreffen wird.
44 Physik des Himmels.
Nach dieser Vorstellungsweise ist es sehr wohl möglich, dass grosse
Gasnebel vorkommen, die uns nicht sichtbar werden, weil in ihrer Nähe
keine genügende Zahl von Sonnen sich befinden, welche elektrisch ge-
ladene Teilchen aussenden.
Man hat vielfach darüber nachgedacht, warum in den Gasneboln,
woraus, wie man annimmt, die Sonnen sich allmählich ausbilden, so
ausserordentlich wenige chemische Elemente vorkommen, und vorzugs-
weise die leichtesten, Wasserstoff und Helium. Wenn nur die Ober-
flächenschichten der Nebel glühen, ist dies sehr leicht verständlich.
Denn ebenso wie in der Sonne müssen die schweren Molekeln sich zu
den centralen Teilen des Nebels konzentrieren und die leichtesten Molekeln
in den äusseren Teilen eine stark vorwiegende Eolle spielen. Die schweren
Elemente können demnach sehr wohl in den Nebeln vorkommen, ohne
dass wir sie an ihrer Lichtemission zu entdecken im Stande sind. Dabei
muss man auch berücksichtigen, dass einige Gase (z. B. Stickstoff)
ausserordentlich viel leichter unter dem Einfluss elektrischer Entladungen
glühen als andere.
Dagegen werden die im Nebelinneren befindlichen Stoffe Licht von
hinter ihnen gelegenen Sternen absorbieren. Und es ist sehr wohl denk-
bar, dass zufolge der Menge und Mannigfaltigkeit der absorbierenden
Gase diese Absorption kontinuierlich erscheint. Mit anderen Worten,
es ist wohl denkbar, dass die Gasnebel, welche sehr ausgebreitet sind,
den lichtabsorbierenden Stoff, wovon oben (S. 12) geschrieben wurde,
zum Teil enthalten. Der grösste Teil der Lichtabsorption ist jedoch
kleinen festen oder flüssigen Partikelchen zuzuschreiben, welche von den
Sonnen abgestossen im Weltraum herumschwirren.
In den Nebelspektren kommen einige noch nicht bekannte Linien vor.
Es ist jedoch nicht undenkbar, dass dieselben trotzdem bekannten irdischen
Stoffen angehören. Diese höchst unerwartete Thatsache ist neuerdings durch
eine der merkwürdigsten Entdeckungen erwiesen worden. In dem Spek-
trum des Sternes g Puppis hatte Picke ring sechs neue Linien gefunden
von den Wellenlängen 381,4, 385,7, 392,3, 402,8, 420,3 und 450,5 ////.
J Puppis hat auch die Orionlinie 447,2 ^^i. Kays er vertrat darauf die
Ansicht, dass die sechs Linien, welche bisher unbekannt waren, doch dem
Wasserstoff zuzuschreiben seien. Man findet nämlich die Wellenlängen
[X) des Wasserstoffs, wenn man in die Bai morsche Formel:
X = 364.61 —2 777 m-
n^ — 16 "^
I. Die Fixsterne. 45
V durch die geraden Zahlen ersetzt. Die neuen Linien gehören der-
selben Formel, wenn man für n die ungeraden Zahlen einsetzt.
Man hat übrigens diese neuen Linien in den Spektren von anderen
Sternen wiedergefunden wie 29 und 30 Can. maj. und einem neuen ver-
änderlichen Stern {ÄR=1^, 14,5' D = — 24^ 47'). Diese Sterne liegen
alle recht nahe aneinander und in der Nähe der Centrallinie der Milch-
strasse. Die berechneten Wellenlängen für die sechs Linien sind nach
Kydberg, welcher die Formel angegeben hat:
w 1 1
109 675 4 (m + 0,5)2'
worin n die Schwingungszahl und m die konsekutiven ganzen Zahlen
bedeuten:
l beob. 420,0 402,6 392,5 385,9 381,6 378,3
X her. 420,2 402,7 392,5 386,0 381,5 378,3
Kydberg l)ercchnet die Wellenlängen der Wasserstoffslinien (so-
wohl die alten wie die neuen) nach der Formel:
n 1 1
109 675,00 (mi + 1)-^ {m^ + 0,5)'-^
worin n=^W \X der Schwingungszahl der Linie proportional ist. In der
einen (sog. prinzipalen oder diffusen) Keihe ist m^ = 1, dagegen kann
w?2 die Werte 1, 2, 3, 4, 5 etc. annehmen, in der anderen (der sog.
scharfen) Keihe ist ^2 = 1 und m^ kann die verschiedenen Werte 1, 2,
3, 4 etc. annehmen. Eine Linie ist für die beiden Keihen gemeinsam,
l)ei welchem m^ = m.2 = 1 ist. Diese Linie sollte, nach anderen Spektren
zu urteilen, besonders hell erscheinen. In dieser Weise hat Kydberg
folgende von Maury und Pickering verzeichnete helle Spektrallinien,
welche in einigen Sternspektren vorkommen, als Wasserstoö'linien
identificiert.
X
i
X
*
H{D, 7)
388,9
1
^(>S^,5)
420,0
3
H{S, 7)
392,6
1
H{D, 4)
434,0
3
H {D, 6)
397,0
1
H{S,A)
454,4
2
II {S, 6)
402,6
1
461,4
2
405,9
4
H{S,i)
468,8
10
H (A 5)
410,2
5
H{D, 3)
486,2
1
46 Physik des Himmels.
Die mit S bezeichneten Linien gehören der scharfen Eeihe, die
mit D bezeichneten der diffusen Reihe der (bekannten) Wasserstoff-
linien an.
Die Ziffer in der Klammer giebt an, was für einen Wert [man
der variablen Zahl (m^ für die aS- Gruppe, Wj für die Z>- Gruppe) er-
teilen soll.
Unter i steht die Intensität der betreffenden Linien. Wie man
sieht, ist H (S, 1), welche sowohl der „principalen" als auch der „scharfen"
Reihe angehört, die hellste von allen den beobachteten Linien, sie kommt
auch in gewissen Nebelspektren (468,7) vor. Sie ist dagegen im Sonnen-
spektrum und im irdischen Wasserstoftspektrum unbekannt. Dagegen
sind H (D, 5) und // (D, 3) die bekannten Wasserstofflinien /// und F
ebenso wie H (D, 4), H (D, 6) und H {D, 7) aus dem Sonnenspektrum
wohlbekannt.
Die neuen, in C Puppis entdeckten Linien wären mit H {S, 9), E (*S, 8)
H{S, 4) zu bezeichnen. Von den fehlenden Linien glaubt Ry dberg
H{S, 3) mit der von Campbell in mehreren Sternspektren gefundenen
Linie 541,24 identifizieren zu können xmd H {D, 2) sollte //« sein. Es
unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die übrigen Linien, die noch nicht
entdeckt sind, mit der Zeit in den Sternspektren wiedergefunden werden.
Jedenfalls ist diese Auffindung von neuen Wasserstofflinien eine der inter-
essantesten Bestätigungen davon, wie weit man durch kritische Sich-
tung und rationelle Berechnung der schon gekannten Daten in Bezug
auf Voraussagungen über noch nicht bekannte Erscheinungen kommen
kann.
Doppelsterne. Man bemerkt häufig, dass zwei Sterne einander
sehr nahe stehen, besonders wenn man die Sterne mit einem kräftigen
Fernrohr beobachtet. Anfangs glaubte man, es sei nur ein Zufall,
dass die beiden Sichtlinien nahe aneinander liegen. Dies ist ja auch
in vielen Fällen richtig, und man nennt solche Doppelsterne optisch.
Je mehr man aber den Himmel durchmusterte, desto auffälliger wurde
es, dass die Anzahl der Doppelsterne zu gross ist, als dass man sie alle
als nur optisch ansehen könnte (W. Herschel).
Unter Annahme, dass die Sterne auf dem Himmelsgewölbe gleich-
massig verteilt sind, und bis zur 8. Grösse 40 000 an Zahl betragen,
berechnete Struve, wie viele Fälle von Doppelsternen von mehr als
achter Grösse vorkommen sollten, wenn die Distanz der beiden Kom-
ponente weniger als l", zwischen l" und 2" u. s. w. ist, und fand
folgende Zahlen:
Distanz.
0"-
- 1"
1"-
- 2"
2"-
- 4"
4"-
- 8"
8"-
-12"
12"-
-16"
16"-
-24"
24"-
-32"
I. Die Fixsterne. 47
Opt. Doppelst. Beobachtete Doppelst.
0,007 62
0,023 116
0,089 133
0,358 130
0,596 54
0,835 52
2,384 54
3,338 52
Wie man aus dieser kleinen Tabelle ersieht, ist der Unterschied
zwischen der berechneten Zahl, welche den optischen Doppelsternen ent-
spricht, und der beobachteten Zahl um so grösser, je enger die Sterne
aneinander liegen. Es ist infolgedessen höchst wahrscheinlich, dass ein
ph3^sikalischer Zusammenhang zwischen den l)eiden Komponenten der
meisten beobachteten Doppelsterne besteht. Diese Wahrscheinlichkeit
hat durch neuere Beobachtungen in hohem Grad zugenommen, so dass
man es jetzt als eine typische Erscheinung betrachten muss, dass zwei
oder mehrere Sterne zum selben System gehören.
Natürlicherweise ist der gewöhnlichste Fall derjenige, dass die beiden
Sterne verschiedener Grösse sind. So z. B. enthält der Polarstern einen
Stern zweiter und einen neunter Grösse, zu welchem Campbell neuer-
dings einen dritten schwächeren gefügt hat. Castor besteht aus einem
Stern zweiter und einem dritter Grösse u. s. w. Bisweilen sind die
beiden Sterne nahezu gleich hell, wie z. B. in / Virginis, wo beide Sterne
dritter Grösse sind.
Da die Doppelsterne einen physikalischen Zusammenhang besitzen,
so müssen sie sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt drehen. Dies
hat man für eine grosse Anzahl derselben nachgewiesen. So z. B. war
in 1718 der Abstand der beiden Komponenten von 7 Virginis 7" nach
Bradley. Dieser Abstand nahm immer mehr ab, bis im Jahre 1836 die
beiden Sterne so nahe aneinander standen, dass sie wie ein einziger Stern
aussahen. Seitdem ist ihre Entfernung wieder gewachsen und man hat
berechnet, dass 1903 die Sterne dieselbe gegenseitige Lage wie bei
Bradleys Beol)achtung einnehmen werden. Mit anderen Worten die
Umlaufszeit beträgt 185 Jahre. Die gegenseitige Lage der beiden Sterne
geht aus der nebenstehenden Zeichnung hervor (Fig. 16).
Folgende Tabelle giebt die Umlaufszeiten von einigen dieser soge-
nannten teleskopischen Doppelsterne wieder. ,
48 Physik des Himmels.
g Herculis
34 Jahre
Sirius
49 „
a Centauri
88 „
7 Coronae
96 „
ö Cygni
415 „
61 Cygni
783 „
Castor
1000 „
Die Bahnen der Doppelsterne erscheinen natürlicherweise von uns
gesehen in Verkürzung. Es ist nicht schwer aus dieser Verkürzung die
wirkliche Bahn mit Hilfe des zweiten Keplerschen Gesetzes zu kon-
struieren.
Ausser diesen Doppelstemen hat man mit Hilfe des Spektroskops
sog. spektroskopische Doppelsterne entdeckt. So z. B. fand Vogel, dass
der helle Stern Spica {a Virginis) periodische
Verschiebungen der Spektrallinien zeigt, welche
andeuten, dass dieser Stern bald sich uns
nähert, bald wiederum sich von uns entfernt.
Diese Bewegung kann nicht gern anders
erklärt werden als durch die Annahme, Spica
bewegt sich um einen Punkt im Kaume. Die
Umlaufszeit beträgt nur etwas über vier Tage
l^ig iß^ und die Geschwindigkeit des Sterns ist 89 km
pro Sekunde, vorausgesetzt, dass die Bahn
die Sichtlinie enthält. Ist die Bahn kreis -förmig, so erhält man den
Umkreis der Bahn durch Multiplikation der Anzahl Sekunden in
vier Tagen mit 89, und daraus lindet man den Durchmesser der Bahn
gleich nahezu 10 Millionen km, eine Entfernung, die nicht mehr als etwa
der dreissigste Teil des Durchmessers der Erdbahn um die Sonne ist.
In dem Falle der Spica ist der Begleiter unsichtbar, in anderen
Fällen wie bei ^ im Fuhrmann und g im grossen Bär sind die beiden
Komponenten leuchtend. In solchen Fällen bewegt sich der eine Stern
auf uns zu, während der andere von uns weggeht und umgekehrt. Man
erkennt deshalb solche Sternpaare an einer Verdoppelung der Linien,
welche bisweilen verschwindet. Die Umlaufszeiten dieser beiden Sterne
wurde von Pickering zu 4 resp. 104 Tagen bestimmt.
Bei den beiden Sternen Sirius und Procyon bemerkte man, dass
ihre Eigenbewegungen am Himmel durch eine Wellenlinie beschrieben
wird. Es erschien deshalb wahrscheinlich, dass die beiden Sterne eine
drehende Bewegung um zwei andere bis dahin nicht entdeckte Sterne in
I
I. Die Fixsterne. 49
ihrer Nähe ausführen. Diese beiden Begleiter sind seitdem von Clark e
1862) und Schaeberle (1896) entdeckt. Derjenige von Sirius ist ein
Stern 9.— 10. Grösse, derjenige von Procyon ein Stern 13. Grösse. In
lern hellen Licht der Hauptsterne sind sie sehr schwer aufzufinden,
wodurch sie bis in die letzte Zeit der Beobachtung entgangen waren,
chon 1844 hatte Bessel die Umlaufszeit des Siriusbegleiters zu etwa
0 Jahre bestimmt, später hat man sie zu 53 Jahre fixiert. Der Sirius-
begleiter bewegt sich um den Hauptkörper in einer stark elliptischen
Bahn, indem die Maximaldistanz ll", die Minimaldistanz nur 2,4" be-
trägt. Für den Begleiter von Procyon ist eine Umlaufszeit von etwa
40 Jahren berechnet worden. Auch seine Bahn ist stark excentrisch.
In solchen Fällen bewegen sich alle beiden Sterne um einen Punkt
zwischen ihnen, nämlich um den gemeinsamen Schwerpunkt. Dazu
kommt die gemeinsame Eigenbewegung der beiden Sterne senkrecht
zur Sichtlinie. Aus den Beobachtungen kann man leicht diese beiden
Bewegungsarten von einander sondern. Wenn man weiter die Be-
wegungen der beiden Sterne, jede für sich, um den gemeinsamen
Schwerpunkt kennt, so kann man aus der relativen Grösse dieser Be-
wegungen das Verhältnis der beiden Massen berechnen. Auf diese
Weise hat man geschätzt, dass der Siriusbegleiter etwa halb so gross
wie Sirius selbst ist, obgleich er 5000 mal schwächer leuchtet. Der
Siriusbegleiter ist infolgedessen als ein sehr grosser Stern zu betrachten,
welcher sehr nahe dem Erlöschen ist.
Wenn man nun weiter die Umlaufszeit und die wahre Distanz der
beiden Komponenten des Doppelsternsystemes kennt, so kann man auch
die Grösse der Anziehung, d. h. die damit proportionale wirksame Masse
der beiden Sterne berechnen. Die Distanz der beiden Sterne kann man
leicht berechnen, wenn ihre Parallaxe bekannt ist. Obgleich diese wohl
nicht sehr genau bestimmt ist, so sind doch die so gefundenen Zahlen
nicht ohne Interesse. Der Hauptstern im a Centauri, dem uns am
nächsten liegenden Stern, sollte in einer Entfernung von 24 Erdbahnradien
von seinem Begleiter liegen und etwa doppelt so grosse Masse wie
unsere Sonne besitzen. Der Stern ri Cassiopejae hat etwa 7 mal grössere
Masse als die Sonne, sein Begleiter etwa 2 mal. Sirius sollte 14, sein
Begleiter 7 mal an Masse unsere Sonne übertreffen. Procyon sollte 4,
sein Begleiter 0,7 Sonnenmassen enthalten. Diese beiden Sterne liegen
in einer Entfernung von 18 Erdbahnradien. Der Doppelstern Mizar
sollte 40 mal grössere Masse als die Sonne und einen gegenseitigen Ab-
stand der Komponente von 900 Erdbahnradien besitzen.
Arrhenius, Kosmische Physik. * 4
50 Physik des Himmels,
Jedenfalls ist diese Schätzung- mit grosser Unsicherheit behaftet, so
sollte nach neueren Bestimmungen Sirius nur doppelt so gross sein, sein
Begleiter eben so gross wie die Sonne sein. Die Masse des Doppelsterns 61
Cygni ist ausnehmend gering, sie soll nur ein Viertel der Sonnenmasse
betragen.
Wie man aus diesen Ziftern sieht, sind die Massen der beobachteten
Sterne im allgemeinen sehr gross und ebenfalls ihre gegenseitigen Ab-
stände höchst bedeutend, oft viel grösser als der Radius der Neptun-
bahn (30 Erdbahnradien). Dies letzte kommt daher, dass wir bisher in dieser
Beziehung nur die teleskopischen Doppelsterne betrachtet haben, deren
Begleiter noch mit unseren optischen Hilfsmitteln von ihren Hauptsternen
getrennt werden können. Ihre gegenseitige Entfernung ist dementsprechend
recht gross, wodurch auch die Umlaufszeit lang wird. Inzwischen hat man
in letzter Zeit teleskopische Doppelsterne von relativ kurzer Umlaufszeit
entdeckt. Zur Zeit John Herschels hatte C, Herculis unter allen be-
kannten Doppelsternen die kürzeste Umlaufszeit von 34 Jahren. Später
fand man bei 42 im Berenices Haar eine Umlaufszeit von 25 Jahren.
Eine noch bedeutend kürzere Periode von 11,5 Jahren fand man 1887 bei
6 im Füllen. Etwa dieselbe Zeit braucht auch x Pegasi zu einem Umlauf.
Diese Sterne werden jedoch bedeutend an Schnelligkeit von dem Stern
Lalande 9091 {ÄR= 4^S 45'^ 6 und D = -f 10^, 54') übertrofifen, da
die Periode dieses Doppelsterns nach Sees Beobachtungen nur etwa
5,5 Jahre beträgt.
Andererseits ist bei den spektroskopischen Doppelsternen die Umlaufs-
zeit relativ kurz, weil sie nur entdeckt werden können, wenn sie einander
recht schnell umkreisen. Den teleskopischen Doppelsternen scheint ?] Pegasi
am nächsten zu kommen, welcher nach Campbells Beobachtungen
eine Umlaufszeit von ungefähr zwei Jahren besitzt.
Eine sehr interessante Beobachtung hat man in letzter Zeit betreffs
Capeila gemacht. Dieser Stern hat sich als ein spektrakopischer Doppel-
stem von 104 Tagen Umlaufszeit erwiesen. Der eine Komponent besitzt
ein Spektrum, das an dasjenige der Sonne stark erinnert, der andere
ähnelt in dieser Beziehung dem Procyon. Bei genauer Untersuchung
fand man in Greenwich, dass Capeila ein längliches Aussehen zeigt,
und dass ihre Längsachse eine Umdrehungszeit besitzt, welche der aus
spektroskopischen Beobachtungen abgeleiteten nahe kommt. Aus der
Grösse der Parallaxe (0,08" nach Elkin) hat man berechnet, dass die Ent-
fernung der beiden, annähernd gleich grossen, Komponente etwa doppelt
so gross (300 Millionen km) ist, wie der Erdbahnradius. Demnach beträgt
T. Die Fixsterne. 5I
ihre Gesamtmasse etwa 100 mal der Sonnenmasse. Capella ist der erste
Doppelstern, welcher sowohl spektroskopisch als teleskopisch ist. Die
Bahn der beiden Sterne liegt sehr schräg gegen die Sichtlinie, sie bildet
damit einen Winkel von etwa 74 *\
Die Häuligkeit der verschiedenen Umlaufszeiten bei den tele-
skopischen Doppelsternen ersieht man aus folgender Zusammenstellung
von See.
8 Doppelsterne haben 11 — 25 Jahre Umlaufszeit
lo „ „ 2o oO „ „
19 „ „ 50- 100 „
27 „ „ 100- 200 „
12 „ „ 200- 400 „
6 „ „ 400-1800 „
In einer Beziehung unterscheiden sich die Doppelsterne höchst be-
deutend von den in unserem Sonnensystem herrschenden Verhältnissen.
Während die grossen Planeten alle eine Excentricität besitzen, die ge-
ringer als 0,1 ist, kommt eine so geringe Excentricität bei keinem der
40 von See berechneten Doppelsterne vor. Sechs haben Excentricitäten
zwischen 0,1 und 0,3, 17 zwischen 0,3 und 0,5, 11 zwischen 0,5 und 0,7
und sechs zwischen 0,7 und 0,9. Der Mittelwert beträgt etwa 0,45.
Ebenso auffallend ist die nahezu gleiche Grösse der Komponenten,
während im Sonnensystem der grösste Planet Jupiter nicht den tausendsten
Teil der Masse des Centralkörpers besitzt.
Von den bemessenen teleskopischen Doppelsternen sind weitaus die
meisten vom Typus 2 (Capella), nur sehr wenige, etwa 14 Proc, vom
Typus 1 (Sirius) oder vom Arkturtypus (7 Proc). Keine derselben ge-
hört dem Typus 3 (der rötlichen Sterne).
Häutig sind die beiden Teile des Doppelsterns verschieden gefärbt,
z. B. der eine blau, der andere gelb.
Zum Teil kann dies von physiologischen Umständen herrühren, indem
neben einem gefärbten Gegenstand ein rein weisser Gegenstand in der
komplementären Farbe gefärbt erscheint. Dass aber in vielen Fällen diese
Erscheinung ganz objektiv ist, davon kann man sich leicht dadurch über- .
zeugen, dass man den einen Stern im Gesichtsfeld verdeckt. Dies ist auch
aus Spektraluntersuchungen deutlich. So z. B. zeigte Huggins, dass im
Doppelstern ß Cygni der schwächere Stern, von der Grösse 5,3, blau-
weiss erscheint und das für weisse Sterne charakteristische Spektrum
zeigt, während der hellere Stern, von der Grösse 3, den gelblichen Sternen
4*
52 Physü des Himmels.
angehört, und ein wenig wärmer als die Sonne sein dürfte (indem die
Calcium-Linie K im Spektrum dünner ist als die i?-Linie). Das sonder-
bare ist nun, dass in den meisten beobachteten Fällen der kleinere Stern
ein blaueres Licht aussendet wie der grössere. Man hätte wohl sonst
zu erwarten, dass, wie in unserem Planetensystem, die grösseren Körper
im allgemeinen die wärmeren wären. Wenn die beiden Körper gleich-
zeitig entstanden sind, z. B. durch Trenmmg aus einer gemeinsamen
Masse müsste man wohl erwarten, dass der kleinere Körper sich schneller
abkühlte. (Vgl. weiter unten Kap. Komogonie.)
Das Verhältnis der weissen und der gelben Sterne zum
Sonnensystem. Die Sterne vom Typus 2 haben viel grössere Eigen-
bewegung als diejenigen vom Typus 1. Von 108 Sternen mit grosser Eigen-
bewegung (über 0",5 pro Jahr) gehören 92 dem Capellatypus, 9 dem
Siriustypus, 6 dem Arkturtypus und 1 dem Typus 3. Dagegen haben
die Sterne vom 1. und 2. Typus dieselbe Bewegung (17,4 resp.
1 7,6 km pro Sekunde) in der Sichtlinie. Alle Umstände deuten darauf,
dass die relativ wenigen Sterne vom Capellatypus uns relativ sehr
nahe stehen. Das Sonnensystem ist demnach von einer Gruppe gelb-
licher Sterne umgeben, zu welcher offenbar die Sonne gehört. Nun sind
aber die weissen Sterne im allgemeinen viel heller als die gelblichen,
welche uns gleich nahe stehen. So z. B. leuchtet Sirius 53 mal stärker
als die Sonne, hat aber nur 14 mal so grosse Masse. Der weisse Algol,
der eine Parallaxe von 0,036" besitzt, liegt demnach in einer Entfernung
von 80 Lichtjahren und ist etwa 7 mal heller als die Sonne, hat aber nur
die halbe Masse derselben.
Man könnte nun fragen, ob diese relativ geringe Helligkeit der
gelben Sterne davon herrühren könnte, dass sie im allgemeinen geringere
Masse besässen, als die weissen Sterne. Dies ist aber nicht der Fall,
denn dann würden die Begleiter der gelben Sterne im Mittel eine grössere
Umlaufszeit als diejenigen der weissen Sterne besitzen, während um-
gekehrt das Gegenteil zuzutreffen scheint. Die relativ grosse Helligkeit
der Sterne vom Typus 1 ist folglich nur ihrer hohen Temperatur zuzu-
schreiben. Wie bekannt nimmt ja auch die Wärmestrahlung eines
heissen Körpers kolossal schnell mit der Temperatur zu. Stefans Gesetz
verlangt, dass die Wärmestrahlung proportional der vierten Potenz der
absoluten Temperatur steige. Noch rapider steigt die Lichtemission
mit der Temperatur, und es ist dann nicht zu verwundern, dass die
heissesten Sterne eine in Anbetracht ihrer Masse enorme Helligkeit
besitzen.
w
I. Die Fixsterne. 53
Veränderliche Sterne vom Algoltypus. Unter den Doppel-
sternen nehmen einige sog. veränderliche Sterne eine besondere Stellung
(^in. Von diesen sind die nach ihrem am besten untersuchten Vertreter
Algol {ß Persei) genannten Sterne die am leichtesten verständlichen.
Algol ist ein Stern zweiter (2,2.) Grösse. Während 2 V2 Tagen leuchtet er
mit konstanter Lichtstärke, danach fängt diese an abzunehmen und
sinkt in 4'/2 Stunden um 1,5 Grössenklassen, dann nimmt sie wieder
in 4^/9 Stunden auf die alte Helligkeit zu. Die ganze Periode dieses
Lichtwechsels beträgt 2 Tage 20 Stunden 48 Minuten 53,8 Sekunden.
Man nimmt an, dass diese relativ kurz dauernde starke Abnahme der
Helligkeit von einer Verfinsterung herrührt, welche dadurch zu Stande
kommt, dass ein dunkler Begleiter alle 69 Stunden sich in der Sicht-
linie zwischen uns und Algol befindet und dabei Algol
teilweise verdeckt. Picke ring bestimmte die Hellig-
keit des Algols zu verschiedenen Zeiten und fand, dass
der Begleiter 0,584 des von Algol ausgesandten Lichtes
uns abblendet. Angenommen der Begleiter stände
gänzlich vor der Algolscheibe, so muss seine Oberfläche
0,584 des Algols, folglich sein Durchmesser 0,764 des
Algoldurchmessers und seine Masse 0,446 der Algol-
raasse betragen, falls beide Körper dasselbe spezifische
Gewicht besitzen. Nun wissen wir weiter aus spektro-
<kopischen Messungen, dass die Bahngeschwindigkeit Al-
töls (die Bahn enthält ja in diesem Falle die Sichtlinie Fig. 17.
in ihrer Ebene) 42 km pro Sekunde beträgt. Daraus
finden wir, unter Voraussetzung, dass die beiden Bahnen kreisförmig
sind, die Geschwindigkeit des Begleiters um den gemeinsamen Schwer-
punkt = 42 : 0,446 = 94 km pro Sekunde. Wenn wir uns Algol fest-
stehend denken, beschreibt der Begleiter einen Kreis mit einer relativen
Geschwindigkeit von 42 + 94 km pro Sekunde. Dieser Kreis wird in
2^, 20^ 48^ 53^ 8 = 247 734 Sekunden beschrieben, sein Umkreis ist
folglich 3,37. 10' km und der Bahnenradius 5,36. 10^ km. Nun beträgt
die Zeit, welche zwischen dem Anfang und Ende des Verdunkeins von
Algol verstreicht, 9 Stunden 10 Minuten. Wenn A (Fig. 17) den
Durchschnitt des Algols, B denjenigen des Begleiters am Anfang, B' am
Ende der Verdunkelung darstellt, so tangiert die Sichtlinie SS sowohl
den Begleiter als Algol am Anfang der Verdunkelung, ebenso wie die
Sichtlinie S' S' am Ende der Verdunkelung. Es ist leicht einzusehen,
dass, wenn B central an A vorbei passiert, so wird der Abstand B B'
54 Physik des Himmels.
der Mittelpunkte des Begleiters in den beiden Lagen gleich der Summe
der beiden Durchmesser (d und d^) des Algols und des Begleiters.
Weiter ist, wenn der Begleiter zwischen Anfang und Ende der Verdun-
kelung einen Winkel von 2 a beschrieben hat, und R den Bahnradius
darstellt,
— ^r— ^ = R sm a.
2
Da nun 247734 Sek. der Passage der ganzen Bahn (=360^) ent-
sprechen und 9^ 10''^ = 33000 Sek. der Beschreibung des Winkels 2«,
so findet man a = 23^ 58'. Folglich wird d ^ d^ = 4,35. 10^ km,
woraus c? (Durchmesser des Algols) =2,47. 10'' und d^ (Durchmesser des
Begleiters) =1,88. 10^ km. Weiter kann man aus den Kepl ersehen Ge-
setzen ableiten, dass, für zwei Sonnen mit den Massen M und if, und
zwei zugehörige Planeten in den Entfermmgen R und R^, mit den Massen
m und m, , und den Umlaufszeiten T und T, , die Beziehung gilt (vgl. S. 77) :
M+ m _ T\R^
Ml + mj T^R^^'
Nehmen wir als die beiden Sonnen unsere Sonne und den Algol, als
Planeten die Erde und den Algol-Begleiter, so sind
R = 149.106 km, !r= 365 Tage
i?i =5,36.106 km, T^ =2,87 Tage.
Hieraus erhält man
M^ -{- mi= 0,75 (M + m).
Da nun die Erdmasse m ohne Fehler gegen die Sonnenmasse ilf ver-
nachlässigt werden kann, und die Masse des Begleiters (?w.,) etwa die
Hälfte derjenigen des Algols (ifj beträgt, so findet man, dass der Algol
etwa die Hälfte, sein Begleiter etwa ein Viertel der Masse unserer Sonne
besitzt.
Der Sonnendurchmesser beträgt etwa 1,38 • 10 ^ km, ist also nur
etwas mehr als halb so gross, wie derjenige Algols. Daraus berechnet
man, dass die Materie des Algols 11,3 mal weniger dicht ist, wie diejenige
der Sonne. Da Algol ein weisser Stern ist und bedeutend heisser als
die Sonne, so ist es ja in der Ordnung, dass die Materie da weniger ver-
dichtet ist, wie in der Sonne.
I. Die Fixsterne.
55
Man kennt nun eine ganz beträchtliche Anzahl von Sternen, die
sieh wie Algol verhalten. Sie werden Sterne vom Algoltypus genannt.
Sie bieten ein ganz ungewöhnliches Interesse, weil man bei ihnen die
wesentlichsten Grössen- und Massenverhältnisse zu bestimmen im Stande
ist. Zwar muss man, so lange diese Sterne als spektroskopische Doppel-
Sterne zu behandeln sind, d. h. so lange man noch nicht im Stande ist,
die wahren Bahnen durch direkte Beobachtung zu bestimmen, sich mit
einer Annäherungsrechnung begnügen, wonach die Bahn als kreisförmig
behandelt und der Begleiter als gänzlich vor dem Hauptstern stehend
angenommen wird. Man
wird doch wenigstens die
Grössenordnung richtig be-
kommen, und dies ist ja
in vielen Fällen die Haupt-
sache.
Bei den Algolsternen
hat man eine relativ lange
Periode von konstanter
Lichtstärke mit einem
kurzen, relativ starken
Minimum. Die Periode
des Lichtwechsels bleibt
konstant; jedoch haben
üfenauere Untersuchungen
schwer erklärliche Verän-
derungen in der Perioden-
länge festgestellt. Ferner
hat Plassmann nachgewiesen, dass etwa in der Mitte der konstanten
Lichtperiode eine sehr geringe Lichtabnahme stattfindet, welche darauf
hinzudeuten scheint, dass der Begleiter nicht völlig dunkel ist. Die
Fig. 18 stellt graphisch die Änderungen der Lichtstärke (in Grössen-
klassen) von Algol und einigen anderen veränderlichen Sterne um das Mi-
nimum dar. Die Zeit, in Stunden, ist Abscisse, die Lichtstärke Ordinate.
Die Perioden der bisher bekannten Algolsterne fallen zwischen 20,1
Stunden (C/Ophiuchi) und 9,5 Tagen (S Cancri). Die Stärke des Licht-
wechsels liegt zwischen 0,7 und etwa 3 Grössenklassen.
Andere veränderliche Sterne. Eine noch verwickeitere Ver-
änderlichkeit des Lichtes zeigt der Stern Y Cygni, welcher zwei Minima
zeigt und von Duner untersucht wurde.
Fig. 18.
56 Physik des Himmels.
Er erklärte die Veränderlichkeit von Y Cygni so, dass der eine Stern
zwischen dem ersten und zweiten Minimum durch das Periastrum geht,
d. h. sich so weit wie möglich dem anderen Stern nähert und dem-
zufolge nach dem zweiten Kepl ersehen Gesetz kürzere Zeit braucht, als
zwischen dem zweiten und dritten (= ersten) Minimum, in welcher
Zeit er das Apastrum (den grössten Sternabstand) passiert. Die beiden
Perioden sollten 34^* , 11'", 10^ und 37^^ , 43"^, 43* sein, zusammen 3 Tage
weniger 307 Sekunden. Die Längen der Perioden für die beiden Minima
sind einander nicht ganz gleich, indem sie für das eine 18^,66 länger
als für das andere ist, was eine Verschiebung der Apsidlinie andeuten
soll (vgl. unten Kap. Das Sonnens3^stem).
Duner hat nachgewiesen, dass der Hauptstern im Doppelstern f Her-
culis ein veränderlicher Stern von derselben Art wie F Cygni ist. Die
Lichtverhältnisse dieses Sterns werden verständlich, wenn man annimmt,
dass er aus zwei Komponenten besteht, wovon der eine doppelt so hell
ist wie der andere. Sie drehen sich umeinander in einer Zeit von drei
Tagen, 23 Stunden, 48 Minuten und 3 Sekunden in einer elliptischen
Bahn, deren grosse Halbachse sechsmal so gross ist als der mittlere
Durchmesser der Sterne. Die Bahnebene geht durch die Sonne und die
Excentricität beträgt 0,2475.
Den Algolsternen schliessen sich einige Sterne nahe an, bei denen
das Lichtminimum aber einen sehr bedeutenden Bruchteil der Periode
ausmacht, wie z. B. S in der Luftpumpe, wo die Periode nur 7 Stunden
46 Minuten beträgt. In diesem Fall beginnt die Zunahme der Licht-
stärke unmittelbar nach dem Ende der Abnahme. Diesem Stern ähnlich
verhalten sich einige Sterne, die vielfache Unregelmässigkeiten aufweisen
wie 6 Cephei (Fig. 19) und ß Lyrae. Nur ist die Periode hier viel länger
(5^ , 8^ , 47"% 40* resp. 12^ , 22'* ). Im allgemeinen verläuft die Zunahme
der Lichtstärke für diese Sterne, wie für die Mirae, schneller wie die
Abnahme. Einige von ihnen haben doppelte, verschieden kräftige Maxima
oder Minima.
Sehr gewöhnlich ist es, dass die Minima bei diesen Sternen nicht
zu der Zeit eintreffen, in welcher die Sterne in Konjunktion stehen,
was man aus den Verschiebungen der Spektrallinien bestimmen kann.
Bei ?] Aquilae z. B., welcher einen dunklen Begleiter besitzt und einen
Lichtwechsel nach einer Periode von 7,176 Tagen erleidet, und der eine
Bahn mit der Excentrizität 0,49 beschreibt, treffen die Lichtminima 2,1
resp. 1,4 Tage vor der Konjunktion ein. Man ist durch solche Erschei-
nungen zu der Ansicht geführt worden, dass die Helligkeit dieser Sterne
I. Die Fixsterne. 57
von einer Flutwelle bedingt ist. Ebenso wie die Flutwelle der Meere
auf der Erde nicht gerade dann eintrifft, wenn der Mond im Zenith steht,
so kann dies sehr wohl auch auf diesen Himmelskörpern der Fall sein.
D. h. die Flutwelle, welche durch die stark absorbierende kältere Gas-
hüUe die Helligkeit des Sterns beeinträchtigen sollte, braucht nicht gerade
dann die uns zugewendete Seite des Sternes. zu passieren, wenn der dunkle
Begleiter gerade vor oder hinter dem Stern in der Sichtlinie steht.
In jüngster Zeit hat man sehr viele veränderliche Sterne dieser Art
entdeckt. Die kürzeste Periode (0,23 Tage) hat ZJPegasi {Ä R=2^^\ 53"%
B= + 150 24'), danach kommt R Muscae {ÄR==12\ 36^1)=— 68^52')
mit 0,88 Tagen. Die Algolsterne sind alle weiss und befinden sich dem-
nach in dem ersten Stadium der Entwickelung. Die Sterne von dem
T3'pus ß Lyrae scheinen noch weniger entwickelt zu sein, sie enthalten
37
4.9-
O 6 7i> W 24 30 35 ^2 4S S4 60 66 7Z 78 Ö4 SO S6 WZ 70S ri4^ 120 726 7J2
Fig. 19. Die zeitHche Veränderung der Grösse von 6 Cephei.
alle Heliumlinien, darunter auch die Orionlinie, und sind von einer
dichten Wasserstoffatmosphäre umgeben. Sie sind gewissermaassen sehr
heisse Sterne in einer Nebelhülle eingeschlossen. Sie sind nach dem
spektroskopischen Charakter sehr enge Doppelsterne.
Sehr eigentümlich verhalten sich einige veränderliche Sterne, welche
keine regelmässige Periode der Lichtschwankung besitzen.
Dieser Gattung gehört Beteigeuze (« Orionis) an, welcher unregelmässig
zwischen den Grössenklassen 1,0 und 1,4 schwankt. Ein anderer ähn-
licher Stern ist Um den Zwillingen, welcher ein weisser Stern 13. Grössen-
klasse ist, der gelegentlich um drei Grössenklassen anwächst.
Mira-Sterne. Schon lange ist eine sehr zahlreiche Klasse von
veränderlichen Sternen bekannt, welche nach dem ersten Beispiel, der
sog. Mira Ceti, dem „wunderbaren" Stern im Walfisch, Mira-Sterne ge-
nannt werden. Sie haben eine recht lange Periode, von ein paar Monaten
bis zu mehreren Jahren. Schon im 17. Jahrhundert wusste man, dass
Mira (o) Ceti sehr bedeutenden Lichtwechseln unterworfen ist. In ihrem
58 Physik deB Himmels.
hellsten Glanz strahlt sie bisweilen wie ein Stern erster bis zweiter
Grösse, aber jedenfalls mehr als fünfter Grösse. 10 Wochen nach diesem
Maximum ist sie nicht mehr mit unbewaffnetem Auge sichtbar; ihre
Helligkeit sinkt bis zur 9,5 Grösse. Danach nimmt ihr Licht wieder zu,
so dass sie mit blossem Auge sichtbar wird, und nach weiteren sechs
Wochen hat sie das Maximum der Lichtstärke erreicht. Die ganze Periode
beträgt etwa elf Monate und schwankt zu beiden Seiten dieser mitt-
leren Zeit.
Dieser Stern gehört zu den roten Sternen mit hellen Linien und
Bändern im Spektrum. Er entfernt sich von uns mit einer bedeutenden
Geschwindigkeit von etwa 63 km pro Sek. Die hellen Linien gehören
dem Wasserstoff an. Diese verbreitern sich häufig und geben drei Linien,
bei welchen beispielsweise die Geschwindigkeiten + 35, + 60 und + 82 km
gemessen worden sind. Vielleicht beruht aber diese temporäre Zerspal-
tung der Wasserstoff linien nicht darauf, dass drei Körper um einander
rotieren, sondern nur auf Druck Verschiedenheiten (? Campbell).
Die Periode der Mirasterne wechselt zwischen 65 Tagen bis gegen
zwei Jahre. Wahrscheinlich giebt es ähnliche Sterne von noch längerer
Periode, die sich bisher der Beobachtung entzogen haben.
Etwa 60 Prozent derselben gehören den roten Sternen an, 27 Prozent
liegen zwischen gelb und rot, die übrigen sind zur Hälfte gelb, zur Hälfte
weiss oder gelblichweiss. Diese Sterne ändern ihre Helligkeit ganz enorm
bisweilen im Verhältnis 1 : 100. Die Veränderung der Periodenlänge
ist auch für die Mirasterne charakteristisch. Sehr auffallend ist die
Eigentümlichkeit, dass die Periodenlänge (P) mit der Rotfärbung zu-
nimmt. Die folgende kleine Tabelle giebt die Stufe der Rotfärbung (F)
an, wo 0 weiss und 10 dunkelstes Rot, „Rubinrot", bedeuten, n ist die
Anzahl der Sterne von jeder Gruppe:
F
P
n
9
445
Tage
5
8
418
»
1
7
399
5>
6
6
372
»!
17
5
339
»
14
F
P
n
4
301
Tage
17
3
279
»
21
2
274
»
23
1
251
??
12
0
134
??
5
Die längsten Perioden besitzen die sehr roten Sterne S Cassiopejae
(611 Tage) und FHydrae (575 Tage). Die genannte Regelmässigkeit
wurde von Chan d 1er nachgewiesen.
Wie schon oben betreffs der Spektraltypen angedeutet wurde, zeigen
I. Die Fixsterne. 59
R Spektra der roten Sterne eine gewisse Ähnlichkeit mit demjenigen
der Sonnenflecken, indem die dunklen Metalllinien stark verbreitert und
])isweilen von hellen Linien begleitet sind. Man hat sich die Sache
folgendermaassen ausgelegt. Die Sonne ist gewissermaassen als ein ver-
änderlicher Stern von elfjähriger Periode anzusehen, indem die Sonnen-
flecken alle elf Jahre stärker auftreten. Die Sonnenfleckenperiode ist
dadurch charakterisiert, dass das Maximum der Sonnenflecken steiler
ansteigt, als es abfällt, die Helligkeit der Sonne verhält sich danach
wie diejenige der Mira-Sterne unter der wahrscheinlichen Annahme, dass
die Sonne bei hoher Fleckenzahl stärker leuchtet als bei niedriger.
Die Veränderlichkeit der Lichtstärke der Sonne ist jedenfalls so
gering, dass sie nur wenige Prozent der Totallichtmenge umfasst. Denken
wir ims aber die Sonnenfleckenthätigkeit bedeutend verstärkt und ihre
Periode verkürzt, so erhalten wir Verhältnisse, welche an die bei Mira-
Sternen herrschenden erinnern. Man könnte sich wohl denken, dass die
Flecken Zeichen zunehmenden Alters seien; dann würden diese eine
grössere Kolle bei den alten roten Sternen als bei unserer Sonne spielen.
Man braucht aber die Periode der Mira-Sterne nicht mit der langen
elfjährigen Periode der Sonnenflecken zu vergleichen, sondern die Flecken
könnten bei den Mira-Sternen sehr ausgedehnt sein und an derselben
Stelle auf der Sternenscheibe vorzugsweise vorkommen. In diesem Falle
würde die Periode mit der Rotationsperiode des Sterns zusammenfallen.
In dieser Weise werden die Schwankungen in der Periodenlänge ver-
ständlich (sie kommen auch bei der Sonne vor). Schliesslich hat man ver-
mutet, dass die Gezeitenerscheinung etwas mit dieser Veränderlichkeit
zu thun hätte. Diese Idee scheint schwer durchzuführen. Lockyer end-
lich nimmt an, dass diese variablen Sterne eine Bahn beschreiben und
dabei Meteorschwärmen begegnen, wie „unsere Erde in ihrer Bahn und
zwar wie diese zu bestimmten Jahreszeiten." Die grossen Schwankungen
der Periodenlängen scheinen damit schwer in Einklang zu bringen,
ebenso wird das Chandlersche Gesetz schwer verständlich. Man müsste
dann annehmen, dass die „ältesten Himmelskörper" die längste Umlaufs-
zeit hätten; während kein Zusammenhang zwischen Alter und Umlaufs-
zoit in der Bahn natürlich erscheint. Dagegen könnte wohl ein Abnehmen
der Rotationsgeschwindigkeit oder der Flutwellengeschwindigkeit mit zu-
nehmendem Alter der Gestirne natürlich erscheinen.
Die veränderlichen Sterne sind nicht gleichmässig auf dem Himmel
verteilt. In einigen Sterngruppen, wie O C 5272 im Bootes und 5904 in
der Schlange sind unter 900 Sternen 132 resp. 85 ^veränderliche ; in
ßO Phyik des Himmels.
anderen, wie G G 869 und 884 im Perseus, kommt nur ein veränder-
licher auf 1050 Sternen. Im allgemeinen kommen die veränderlichen
Sterne am häufigsten in solchen Sterngruppen vor, wo die Sterne sehr
dicht liegen. Ebenso können sie auf einer Seite einer Sterngruppe ge-
drängt sein, auf der anderen beinahe fehlen.
Neue Sterne. Mit diesem Namen bezeichnet man Sterne, die
plötzlich erscheinen, eine Zeit leuchten, bis sie allmählich an Lichtkraft
verlieren und zuletzt verschwinden. Der bekannteste unter allen neuen
Sternen ist nach dem berühmten dänischen Astronomen Tycho Brahe
der tychonische genannt worden. Am 8. November 1572 war nichts
auffälliges in dem Sternbild Cassiopeja zu sehen, am folgenden Tag trat
aber daselbst ein Stern auf, welcher alle anderen Fixsterne weit über-
glänzte, so dass er zur Mittagszeit gesehen werden konnte. Einige
Wochen behielt der neue, von Tycho Brahe beobachtete Stern seinen
ausserordentlichen Glanz, . nachher fing seine Helligkeit an zu sinken, und
vier Monate nach dem Aufflackern erreichte sie nur diejenige eines
Sterns erster Grösse. Zugleich wurde allmählich die anfangs weisse
Farbe immer röter. Im Mai 1573 war er 2. bis 3. Grösse und etwas
weisslicher. Im November war er kaum sichtbar, und nach März 1574
wurde er nie mehr gesehen. Heutzutage sieht man an dem von Tycho
Brahe angegebenen Orte ein Sternchen 11. Grösse, das vielleicht ein
Überbleibsel des einst so strahlenden tychonischen Sternes ist.
Man kann sich nun fragen, ob nicht vielleicht dieser neue Stern
ein veränderlicher Stern von sehr langer Periode gewesen sein kann.
Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass der tychonische Stern der Auf-
merksamkeit entgangen wäre, wenn er früher in dem Glänze von Nov. 1 572
aufgeleuchtet hätte. Es scheint deshalb nicht wohl möglich, diesen Stern
unter die Mira-Sterne einzuordnen, obgleich er in vielen Beziehungen
eine entschiedene Ähnlichkeit mit diesen besitzt.
Die chinesischen Chroniken haben das Auftreten von mehreren neuen
Sternen aufbewahrt und die Örter ihres Erscheinens angegeben. Siel
stimmen nicht mit demjenigen des tychonischen überein. Vom Mittel- *
alter werden auch einige ähnliche Erscheinungen erzählt, aber erst in
der neueren Zeit solche, die in nennenswertem Grade zur Kenntnis der
neuen Sterne beitragen.
In den Jahren 1600 und 1604 erschienen zwei neue Sterne. Der erst-
genannte war 3. Grösse und schwankte nachher mehrere mal zwischen
dieser Grösse und ünsichtbarkeit, bis er endlich auf 0. Grösse verblieb;
er führt jetzt die Bezeichnung 34 oder P Cygni. Der letztgenannte war
L Die Fixsterne. ß\
I. Grösse, Avurde von Kepler studiert und verschwand nach 16 Monaten.
Dann kommen zwei Novae auf die Jahre 1612 und 1670, worauf erst 1848
wieder eine Nova verzeichnet wurde, als Hind einen Stern 4,5. Grösse
entdeckte, welcher im Jahre 1850 auf 11. Grösse gesunken war.
Später wurden neue teleskopische Sterne gefunden, der erste von
Auwers im Skorpion 1860, und in neuester Zeit hat man die kräftigsten
spektroskopischen Hilfsmittel angewandt, um ihre Entdeckung zu ermög-
lichen. Seit dieser Zeit haben wir relativ viele neue Sterne zu verzeich-
nen, von denen die merklichsten erschienen 1 866 in der nördlichen Krone,
1876 im Schwan, 1885 im Andromedanebel, 1892 im Fuhrmann, 1893
in der Norma und 1895 im Centauren.
Die beiden letztgenannten sind an der Arequipa-Sternwarte von
Mrs. Fleming entdeckt worden, welche seit 1885 die Novae mit 7 neuen
Sternen vermehrt hat. Man hat in jüngster Zeit beinahe eine neue Nova
jedes Jahr, wodurch die Kenntnis von diesen eigentümlichen Himmels-
gebilden bedeutend bereichert wurde. Vor 1895 waren im ganzen nur
14 Novae bekannt.
Der neue Stern der nördlichen Krone (T Coronae) erschien in der
Nacht am 12. Mai 1866 als Stern 2.-3. Grösse an der Stelle, wo
frühere Kataloge einen 9.— 10. Grösse verzeichnet hatten. Er muss in
wenigen Stunden um mehrere Grössenklassen zugenommen haben. Er
nahm bald wieder ab, sodass er am Ende des Monats zur ursprüng-
lichen Grösse herabsank, bei welcher er nachher geblieben ist. Die
spektroskopische Untersuchung von Huggins ergab eine Mischung von
hellen (Wasserstoff-) und dunklen Linien. • (Vgl. Taf. ü, 4.)
Der neue Stern im Schwan wurde als rötlicher Stern 3.-4. Grösse
von Schmidt in Athen am 14. Nov. 1876 entdeckt; er nahm langsam
an Lichtstärke ab, war im Okt. 1877 10., im Febr. 1878 kleiner als
II. Grösse. Das Spektrum dieses Sterns wurde von vielen Beobachtern
untersucht. Die Wasserstoff linie IIa [G der Sonne == 658 iifi) nahm
schnell ab, während Hß (486,2 [ly) ziemlich unverändert blieb. Dagegen
nahm die Nebellinie 500,7 ^(i immer zu, bis sie die hellste war. Dieses
Verhalten scheint für die neuen Sterne charakteristisch zu sein. Die
anderen Linien waren 594?, 588 He, 581 Linie der Wolf-Ray etsterne
530 Coronium, 516?, 501 und 496 Nebulosalinien, 468 neue Ä-Linie
(vgl. S. 45), 456 Z?-Linie, 451?, 435 iiT-Linie.
Das kontinuierliche Spektrum des neuen Sterns verblasste schnell,
erst am violetten Ende, und das Spektrum ging allmählich in ein
typisches Spektrum eines Nebels über, in welchem die G^se der höchsten
62 Physik des Himmels.
Sonnenatmosphäre (Wasserstoff, Helium und Coronium) neben dem Nebel-
stoff vorwiegen.
Etwas anders verhielt sich die Nova 1885 im Andromedanebel. Sie
war bei der Entdeckung am 17. Aug. 1885 6., Anfang Sept. 8., Okt. 10.,
Nov. 11. und Jan. 1886 12. Grösse und verschwand danach allmählich.
Wie die Nova 1860 befand sie sich in einem Sternhaufen. Sie zeigte
nur ein kontinuierliches Spektrum, das allmählich erblasste.
Am genauesten ist der neue Stern Nova Aurigae studiert worden.
Er wurde zuerst am 23. Jan. 1892 gesehen, hatte aber dann das Maximum
seiner Helligkeit überschritten, wie ältere photographische Beobachtungen
von der Harvard-Sternwarte in Cambridge U. S. A. zeigten. Er lief im
Anfang des Jahres mehrere unregelmässige Lichtschwankungen durch.
Ende April war er gänzlich verschwunden, wurde aber August 1892
wieder in Form von Nebel entdeckt. Sein Spektrum, das nach Campbells
Zeichnung vom 28. Febr. 1 892 (Fig. 7 ^) wiedergegeben ist, zeigt dieselben
Linien wie die vorhin genannte Nova Cygni. Fig. 7^' deutet die rela-
tive Lichtstärke in verschiedenen Teilen des Spektrums an. Die Linien sind
sehr breit und hell mit breiten dunklen Begrenzungen nach Violett hin. Nach
dem Wiederlinden (1892) gab dieser Stern, wie gesagt, Nebelspektrum,
worin zuerst die Linien 436 und 575 vorkamen, die aber bis zum Zehntel
der ursprünglichen Intensität im Jahre 1896 abgenommen hatten und
jetzt verschwunden sind. Diese Linien sind in einigen wenigen Nebeln
(5 resp. 3) wiedergefunden worden. Sie scheinen nach dem Vorkommen
in Nova Aurigae nur für den heissesten Nebelzustand charakteristisch
zu sein. Die beiden Nebellinien 500 und 496, ebenso wie die Wasser-
stofflinien Hß (486,2) und Hy (410,2) sind aber seit 1892 ungeschwächt
geblieben.
Die Nova Normae vom 10. Juli 1893, welche, anfangs 7. Grösse, bis
Febr. 1894 auf die 10. Grösse gesunken war, ist wie ihr Vorgänger und
Nova Cygni zu Gasnebel übergegangen. Der neue Stern Nova Centauri
(der Harvard-Stern) von 1895 gab aber die ganze Zeit ein kontinuier-
liches Spektrum. Er hatte folgende Grössen: Bei der Entdeckung 1895:
10. Juli 7.2 Gr., 19. Dec. 11. Gr., 1896: 11. Juni 14.4 Gr., 9. Juli 16. Gr.
und war seit Anfang 1897 nicht mehr zu entdecken. Hussey fand ihn
(Juni 1896) von einem Nebel umgeben mit ganz anderem Spektrum
(500,7, 495,9, 486,2 und 469,0?, die zwei Nebellinien und zwei ZZ-Linien.
vgl. S. 33 und 45). Vielleicht war dieser Nebel wegen des relativ starken
Lichtes der Nova vorher der Entdeckung entgangen.
Einen relativ lichtstarken neuen Stern fand Mrs. Fleming im März
1. Die Fixsterne. 63
4898 an der Grenze zwischen Schützen und Adler (AR = 1S'\ 56,2 "^
^ = — 13^18'"). Er war bei der Entdeckung 5., ein Jahr später nur
Kl. Grösse.
Die eigentümlichen Verschiebungen im Spektrum der Nova Aurigae
haben zu vielen Spekulationen Anlass gegeben. Die hellen Linien, welche
nach violett hin von dunklen Linien begrenzt sind, geben zu der Deutung
Anlass, man hätte hier mit einem Gasnebel und einer Sonne (die dunkeln
Linien) zu thun, welche sich gegeneinander mit einer Geschwindigkeit
von 9(10 km pro Sek. bewegten. Diese Geschwindigkeit erhielt sich
konstant und eine ähnliche wird bei der Nova Normae (1893), ebenso wie
l)ei den Sternen ß Lyrae und P Cygni (die Nova von 1600), beobachtet.
Bei diesen letzten treten auch periodische Linienverschiebungen ein,
welche auf eine kreisende Bewegung dieser Doppelsterne hindeuten. Da
nun ähnliche grosse Geschwindigkeiten nicht wohl die Folge von Massen-
anziehungen sein können, und jedenfalls nie sonst bei Sternen mit
Sicherheit beobachtet worden sind, so scheint es doch sehr eigentümlich,
wenn diese Geschwindigkeiten gerade in so vielen Fällen bei den Novae und
damit verwandten Sternen vorkämen. Wilsing hat deshalb versucht, die
eigentümliche Linienverteilung als Folge der Druckverhältnisse zu er-
klären. Er liess Funken zwischen zwei Elektroden unter Wasser über-
springen. In diesem Fall entstehen sehr grosse Drucke (Hunderte von
Atmosphären) von kurzer Dauer. Die Elektroden bestanden aus
Metallen, wie Eisen, Nickel, Platin, Kupfer, Silber, Zink, Zinn, Cadmium
und Blei. Das Eisenspektrum zeigte helle Linien, die (gegen die Lage
der Eisenlinien in Luft) nach rot verschoben und auf der violetten
Seite von dunklen Linien begrenzt waren; es zeigte demnach eine auf-
fallende Ähnlichkeit mit dem Spektrum von Nova Aurigae. In den
anderen Metallspektren traten Verbreiterungen, Verschiebungen und
Verdoppelungen der Linien ein. Silber gab ein kontinuierliches Spektrum.
In Übereinstimmung mit Humphreys Untersuchungen wurde gefunden,
dass der Effekt bei Zinn und Zink und besonders bei Cadmium viel
Grösser ist als bei Eisen und Platin.
Wilsing hält es somit für wahrscheinlich, dass die Linieneigentüm-
lichkeiten von dem hohen Gasdruck herrühren, welcher nach dem, was
vorher bekannt war, in dem Dunstkreis solcher Sterne wie ß Lyrae herrscht.
Das Vorkommen von Novae in Sternhaufen oder in Nebeln macht
s wahrscheinlich, dass sie von Zusammenstössen eines Sterns mit einem
anderen in einem Sternhaufen oder mit einem Nebel herrühren (Seeliger).
Da der Nebel an verschiedenen Stellen verschieden dicht jst, können solche
ß4 Physik des Himmels.
Schwankungen in der Lichtstärke wie diejenige der Nova Aurigae erklär-
lich werden. Sowohl der Stern wie der Nebel wird durch den Zusammen-
stoss erhitzt. Je nach der Natur des Sterns und des Nebels kann es vor-
kommen, dass das Spektrum des einen oder anderen überwiegt, oder alle
beide gleichzeitig auftreten. Danach tritt schnelle Abkühlung ein, wo-
nach das Nebelspektrum vorherrscht und einen immer kälteren Zustand
andeutet. Bei den Zusammenstössen in Sternhaufen kann natürlicher-
weise das Nebelspektrum ausbleiben.
Auffallend ist es, dass die meisten neuen Sterne in der Milchstrasse
oder ihrer Nähe aufgefunden wurden. Eigentlich ist es nur ein ein-
ziger der neuen Sterne (N. Coronae), welcher sehr weit von der Ebene
der Milchstrasse (46,8^) liegt. Die neuen Sterne in der Andromeda und
dem Centaur hatten im Gegensatz zu anderen Novae keine hellen Linien
im Spektrum. Schliesst man diese beiden und Nova Coronae aus, so
ist der mittlere Abstand der übrigen 12 neuen Sterne (vor 1895) 3,8^
von der Centrallinie der Milchstrasse. Diese Verteilung dürfte kaum
dem Zufall zuzuschreiben sein, obgleich im allgemeinen die Sterne sich
an die Milchstrasse häufen.
Jedenfalls ist das Aufflammen einer Nova am einfachsten als die
Folge eines Zusammenstosses anzusehen. Durch einen solchen Zusammen-
stoss kann offenbar ein altes Weltsystem wieder zu Jugend erweckt
werden, d. h. gesteigerte Temperatur und Leuchtkraft annehmen.
Die nicht unbeträchtliche Zahl der Novae in neuester Zeit, etwa ein
Fall pro Jahr, zeigt, dass eine solche Wiederbelebung der Sterne gar
nicht als etwas sehr ausserordentliches anzusehen ist. Die bisweilen
enormen und gewöhnlicherweise grossen relativen Geschwindigkeiten der
Sterne geben die Erklärung dafür, dass die Novae ziemlich schnell nach-
einander auftauchen, trotzdem die Sternkörper einen äusserst geringen
Teil des Weltraumes einnehmen (vgl. weiter unten die Komogonie).
n. Das Sonnensystem.
Ausser den im vorigen behandelten Himmelskörpern, welche im
Jtertum als auf dem Himmelsgewölbe gegeneinander feststehend an-
gesehen wurden und deshalb den Namen Fixsterne erhielten, fand man
einige wenige andere Himmelskörper auf, welche im Gegensatz zu den
Fixsternen schnell ihre Stellung zu diesen veränderten und deshalb
Wandelsterne genannt wurden. Diese Wandelsterne sind ausser Sonne
und Mond, die Planeten und ihre Begleiter, Monde oder Satelliten ge-
nannt, sowie die Kometen.
Die (scheinbare) Bahn der Sonne. Die Hauptaufgabe der alten
Astronomen war diejenige, die Lage der Wandelsterne zu jeder beliebigen
Zeit in Bezug auf die „stillstehenden" Fixsterne am Himmelsgewölbe zu
bestimmen. Am einfachsten gelingt dies für die Sonne.
Aus der direkten Beobachtung des Momentes, in welchem die Sonne
durch den Meridian geht, erhält man ihre Deklination. Um die Rektascension
zu bestimmen, kann man nicht die Mittagszeit benutzen, weil die Fix-
sterne dann nicht sichtbar sind. Man wählt deshalb eine andere Zeit, eine
bekannte Anzahl (a) Sternstunden nach dem Mittag, bestimmt einen
Stern, welcher dann kulminiert, und welcher eine bekannte Rektascension
{b) besitzt. Danach rechnet man zurück, und erhält die Rektascension
der Sonne durch Abzug der Zahl (a) von der Rektascension b des be-
tretfenden Sternes (in Sternstunden angegeben). Wenn man z. B. be-
obachtet, dass am 9. Januar um Mitternacht (12 Sternstunden nach
Mittag) ein Stern im Sternbilde der Zwillinge oder im kleinen Hund
kulminiert, dessen Rektascension 7^ 23^, 2 (= 31^ 23"*, 2) ist, so folgt
daraus ein um 12'* geringerer Wert der Rektascension der Sonne also 19^
23'", 2. Die entsprechende Deklination ist — 22^ 4', 6. Aus diesen
Arrhenius, Kosmische Physik. • 5
66
Physik des Himmels.
o
Daten ersieht man, dass die Sonne im
genannten Augenblick am Mittag (Ber-
liner Zeit) des 9. Januar im Sternbilde
des Schützen steht und die angeführten
Koordinaten besitzt.
Im Laufe eines Jahres durchwan-
dert die Sonne (scheinbar) einen grossen
Kreis auf dem Himmelsgewölbe und zwar
mit nahezu konstanter Geschwindigkeit.
(Die Abweichungen davon sind leicht
mit Hilfe des zweiten Kepl ersehen Ge-
setzes aus der bekannten Excentricität der
Erdbahn abzuleiten). Die Sonne passiert
dabei den Tierkreis und steht (etwa)
einen Monat in jedem Zeichen dieses
Kreises.
Zufolge der mit Jahreszeit wech-
selnden Stellung der Sonne am Himmel
bietet der Nachthimmel je nach der Jahres-
zeit einen verschiedenen Anblick. Um zu
wissen, welche Sterne zu einer bestimmten
Zeit, z. B. um 11 Uhr N. M. kulminieren,
hat man zu der Kektascension R der
Sonne am Mittag des betreffenden Tages
ll'* mittlere Sonnenzeit = ll^ 1«\ 48«
Sternzeit zu addieren. Die Sterne, welche
die Kektascension AR ^ 11^1*^,48« be-
sitzen, befinden sich also im betreffenden
Augenblick gerade in der Meridianebene,
woraus leicht der sichtbare Teil des Him-
melsgewölbes zu konstruieren ist. Im
Winter (15. Januar) kulminieren zur
Mitternacht die Zwillinge, der Luchs, im
Frühling (15. April) Bootes, die Jagd-
hunde, im Sommer (15. Juli) der Adler,
der Schwan und im Herbst (15. Oktober)
Andromeda und Cassiopeja.
Die Bahnen der Planeten. In
ähnlicher Weise, wie die Stellung der
II. Das Sonnensystem.
67
Sonne, verzeichneten die alten Astronomen diejenigen der Planeten
in Bezug auf die Fixsterne. Die betreffenden Bahnen sind bei weitem
nicht so einfach zu beschreiben wie diejenige der Sonne. Fig. 20 giebt
z. B. die Bahn der Venus im Jahre 1847 wieder, wobei zur besseren
Beurteilung ihrer Lage die Ekliptik, d. h. die scheinbare Bahn der
Sonne eingezeichnet ist. Wie man sieht, beschreibt die Venusbahn eine
Fig. 21.
geschlossene Schlinge im Herbst. Eine ähnliche Bahn kann natürlicher-
weise auch nicht angenähert durch einen Kreis dargestellt werden.
Die Alten fanden, dass diese Bahnen durch sog. epicyklische
Linien dargestellt werden können (das Ptolemäische System). Aber
schon Hipparch (vgL weiter unten) verstand, dass, wenn man die Planeten-
bahnen auf die Sonne bezieht, dieselben annäherungsweise um die Sonne
gelegte Kreise bilden. Diese Wahrheit, welche im Mittelalter verloren
ging, wurde von Kopernikus wieder entdeckt, wodurch eine neue
5*
58 Physik des Himmels.
Aera der Astronomie begründet wurde. Fig. 21 stellt die Planetenbahnen
nach ^dem Kopernikanischen System dar.
Die absoluten Entfernungen im Sonnensystem. Die
astronomischen Messungen bestehen in Bestimmungen der Lagen der
Himmelskörper, welche durch Winkel angegeben werden. Nach
diesen Messungen kann man sich ein Modell machen, welches die re-
lativen Lagen der Planeten und der Sonne mit sehr grosser Genauigkeit
wiedergiebt. Um die absoluten Entfernungen der Planeten kennen zu
lernen, braucht man danach nur eine Entfernung auszumessen, so kann
man daraus alle anderen ableiten. Zu diesem Zweck wählt man einen
Planeten, welcher der Erde relativ nahe kommt, und bestimmt mittelst
Triangulation (vgl. unten) von zwei weit voneinander (in bekannter
Entfernung) belegenen Punkten der Erde seinen Abstand. Zu diesem
Fig. 22.
Zweck sind die kleinen Planeten und ausserdem Mars und Venus (bei
Durchgängen) sehr brauchbar. Besonders gute Bestimmungen verspricht
man sich aus den Beobachtungen des kleinen neuentdeckten Planeten
Eros, welcher bisweilen der Erde sehr nahe kommt.
Eine andere Methode, welche auf eine physikalische Bestimmung
begründet ist, benutzt die Beobachtung der Verfinsterung der Jupiter-
monde. Diese werden nach gleich langen Intervallen verfinstert, wenn
sie in den Schatten des Jupiter treten, z. B. für den ersten Jupitermond
alle 42^ 28»^, 35*.
Beobachtet man aber die Verfinsterungen, wenn die Erde in h steht
(siehe Fig. 22, wo S die Sonne, ho g kh die Erdbahn, 7 Jupiter und J
seinen ersten Mond bezeichnet), d. h. wenn die Erde sich dem Jupiter
nähert, so findet man die genannte Periode etwa um 6 Sek. verkürzt
Um ebensoviel erscheint sie verlängert, wenn die Erde sich in g befindet
m
IL Das Sonnensystem. 59
und sich von dem Jupiter entfernt. Dies beruht darauf, dass im ersten
Falle das Licht bei der nachfolgenden Verfinsterung nicht so lange Zeit
braucht, um von / nach der Erde zu gelangen, wie bei der ursprüng-
lichen, da die Erde sich inzwischen dem Monde / genähert hat. Aus
der Änderung der Yerfinsterungsperiode kann man in ähnlicher Weise
wie aus der Änderung der Schwingungsperiode einer Lichtschwingung
nach dem Dopplerschen Prinzip das Verhältnis der Lichtgeschwindigkeit
zur Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn bestimmen.
Wenn man nun den Eintritt der Verfinsterungen beobachtet, einmal
wenn die Erde nahezu in Opposition mit Jupiter im Punkte a, ein anderes
mal, wenn sie nahezu in Konjunktion mit diesem Planeten im Punkte c
steht, und die Verspätung im letzten Fall gegen den ersten beobachtet,
so entspricht diese Verspätung, welche gleich 16*^, 26* = 986* gefunden
ist, gerade der Zeit, welche das Licht braucht, um den Weg a c, d. h.
zwei Sonnenweiten zu durchlaufen. Da nun nach den Messungen der
Physiker die Lichtgeschwindigkeit 300 000 km pro Sek. beträgt, so ist
der Durchmesser der Erdbahn 986. 3. 10^ km. = 296 Millionen km und
die Sonnenweite 148 Millionen km anstatt 149,5, welche Zahl aus den
astronomischen Messungen folgt.
Bestimmung der Entfernung der Planeten durch
Parallaxenmessungen. Schon im Altertum führte man Messungen
aus, welche zur Bestimmung des Abstandes des Mondes und der Sonne
von der Erde dienen sollten. Man ging dabei von der bekannten Methode
der Triangulation aus; von den beiden Enden einer Basis, deren Länge
ausgemessen wurde, maass man die beiden Winkel, welche die Sicht-
linien zum Himmelskörper mit der Basis bildeten. Anstatt dessen kann
man die beiden Winkel messen, welche die Sichtlinien mit der Sicht-
linie zu einem Fixstern bilden und daraus die Grösse der vorhin ge-
nannten Winkel ableiten.
Dieser Winkel lässt sich zu der sog. Parallaxe des Himmelskörpers
umrechnen. Unter Parallaxe eines zum Sonnensystem gehörigen Himmels-
körpers versteht man denjenigen Winkel, unter welchem der äquatoriale
Halbmesser der Erde von einem Punkt des betreffenden Himmelskörpers
gesehen wird, wenn die Sichtlinie gegen den Halbmesser senkrecht steht.
Auf diese Weise bestimmte schon Hipparch die Parallaxe des Mondes
zu 47,5 — 55,5 Bogenminuten und diejenige der Sonne zu 3 Bogenminuten.
In neuerer Zeit verfährt man bei Bestimmung der Mondparallaxe am
einfachsten so, dass man die Zenithdistanz des nördlichen oder südlichen
Mondrandes bei seinem Gang durch die Meridianeb(ine an zwei (nahezu)
70 Physik des Himmels.
auf demselben Meridian gelegenen Sternwarten ermittelt. Die wahre
Mondparallaxe ist etwas mit der Zeit veränderlich, nachdem der Mond
uns nicht immer gleich nahe steht, und beträgt im Mittel 57', 2", 3.
Dies entspricht einer Entfernung des Mondmittelpunktes zum Mittel-
punkt der Erde von 60,27 Äquatorialradien oder 384 400 km.
Man ersieht hieraus, dass die Bestimmung des Mond-
abstandes von Hipparch annähernd richtig war. Dagegen
hatte er die Sonnenparallaxe viel zu hoch geschätzt. Die
Entfernung der Sonne war zu gross, als dass sie auf
diese Weise genau von Hipparch hätte bestimmt werden
können. Aristarch wendete in diesem Falle eine in-
direkte Methode an. Er maass den Winkel (a) zwischen
den Sichtlinien der Sonne und des Mondes (Fig. 23), als
er gerade halb erschien und folglich der Winkel zwischen
Fiff. 23. ^^^ Verbindungslinien Sonne — Mond und Erde — Mond
90^ betrug. Es war offenbar dann, wenn R den Abstand
Sonne — Erde und r denjenigen Erde — Mond bezeichneten,
r == E cos a.
Da r und a bekannt waren, konnte R berechnet werden. Diese Methode
hat nur historisches Interesse. Sie scheitert daran, dass man nicht den
Moment, in welchem der Mond genau halb erscheint, scharf bestimmen
kann.
Andere indirekte Methoden beruhen auf der Bestimmung der
Entfernung eines Planeten, der uns nahe kommt, wie Venus, Mars oder
die kleinen Planeten. Kennt man beispielsweise die Entfernung von
Venus , und beobachtet an zwei weit voneinander gelegenen Orten den
Durchgang dieses Planeten durch die Sonnenscheibe, so kann man die
Entfernung der Sonne feststellen. Man befolgt dabei folgendes Prinzip.
Es seien (in Fig. 24) a und b zwei Beobachtungsorte auf der Erde (E).
Der Mittelpunkt des Planeten Venus (F) scheint von a gesehen, eine
Bahn d' d" über die Sonnenscheibe zurückzulegen. In derselben Weise
beschreibt der Mittelpunkt der Venus von b aus gesehen die Bahn c c\
während ihres Ganges an der Sonnenscheibe vorüber. Nun bestimmt man
den Winkel «, unter welchem die Entfernung a b von Venus erscheint.
Andererseits kann man aus dem scheinbaren Sonnendurchmesser sehr
genau den Winkel (/?) bestimmen, unter welchem cd von der Erde ge-
sehen wird. Wenn die Entfernungen Venus — Erde und Venus — Sonne
mit e und D bezeichnet werden, so gilt offenbar:
IT. Das Sonnensystem. 7j^
a D -\- e
ß ^ '
Aus der Entfernung a h und dem Winkel a kann man nun e be-
stimmen, woraus nachher D berechnet wird.
Wegen der dichten Atmosphäre der Venus giebt diese Methode nicht
die theoretisch zu erwartende Genauigkeit.
In neuerer Zeit benutzt man bei diesen Bestimmungen der Sonnen-
entfernung sowohl wie bei denjenigen aus Bahnbestimmungen des Mars und
der kleinen Planeten, die Kenntnis der später zu erwähnenden Kepl ersehen
Gesetze (mit Korrektionen für die Störungen). Die mit Hilfe der kleinen
Planeten ausgeführten Messungen haben bisher die genauesten Resultate
ergeben, weil ihre Scheiben so klein sind, dass die Winkelmessung sehr
genau ausfällt.
Als Endresultat aller dieser astronomischen Messungen kann man
die Sonnenparallaxe gleich 8", 80 setzen, woraus sich die Entfernung
der Sonne von der Erde zu 149,5 Millionen
Kilometer berechnen lässt.
Bei der Feststellung der nach ihm
benannten Gesetze kannte Kepler nicht
die absoluten Entfernungen der Planeten,
sondern nur die relative Grösse ihrer Bah-
nen, welche er den Beobachtungen Tycho
Brahes über die Stellung der Planeten ^^' ^^'
am Himmel entnahm.
Die TJmlaufszeiten der Planeten. Schon im Altertum hatte
man eingesehen, dass es einfacher wäre anzunehmen, dass die Planeten
und damit die Erde sich um die Sonne bewegen, als dass die Erde
fest im Räume stehe und alle Himmelskörper sich darum drehen, wie
man anfangs glaubte. Diese Ansicht geriet aber im Mittelalter in
Vergessenheit und wurde erst von Kopernikus wieder aufgenommen.
Er hatte die Meinung, dass die Planeten und die Erde in Kreisen um
die Sonne sich bewegen. Die Planeten haben konstante Umlaufszeiten, d. h.
es vergeht eine bestimmte und in allen Fällen nahezu gleiche Zeit zwischen
zwei nacheinander folgenden Konjunktionen der Sonne und eines Planeten,
in welchem Falle die Rektascension der beiden Himmelskörper gleich
ist. Diese Zeit wird die synodische ümlaufszeit genannt. Um einen nahe-
liegenden Vergleich zu nehmen, betrachten wir die Spitzen der Zeiger einer
Uhr, bei welcher der Minutenzeiger der kürzere ist. Die Spitze des
Minutenzeigers möge der Lage von Venus entsprechen, diejenige des
72 Physik des Himmels.
Stundenzeigers der Lage der Erde, so entspricht die Achse, um welche
sich die Zeiger drehen der Lage der Sonne. Die synodische Umlaufs-
zeit des Minutenzeigers ist die Zeit, welche zwischen zwei Augenblicken
verstreicht, in welchen die beiden Zeiger übereinander stehen und be-
trägt iVii Stunde. Aus dieser und der bekannten Umlaufszeit des
Stundenzeigers (12 Stunden) lässt sich leicht die Umlaufszeit des Minuten-
zeigers zu einer Stunde berechnen. Weil die beiden Zeiger in derselben
Eichtung sich um den Mittelpunkt bewegen, ist die scheinbare (synodische)
Umlaufszeit des Minutenzeigers länger als die wirkliche. Ebenso ist
die synodische Umlaufszeit der Venus (1,60 Jahre) länger als die wirk-
liche (siderische), weil sich die Erde in derselben. Eichtung um die
Sonne in einem Jahr herumbewegt. Aus diesen beiden Daten lässt sich
leicht die siderische Umlaufszeit der Yenus, d. h. die Zeit, in welcher sie
sich 360 Grad um die Sonne bewegt, zu 0,61 Jahren bestimmen.
Auf diese Weise wurden die folgenden Umlaufszeiten der Planeten
bestimmt:
Umlaufszeit
synodische siderische
Merkur 0,31 Jahre 0,24 Jahre
Venus
1,60
0,61
Mars
2,13
1,88
Jupiter
1,09
11,87
Saturn
1,03
29,47
Uran
84,02
Neptun
—
164,8
Streng genommen, ist nur die siderische Umlaufszeit der Planeten
genau konstant, die synodische kann wegen der ungleichmässigen Ge-
schwindigkeit der Planeten ein wenig schwanken.
Um die Bewegungen der Planeten so weit als möglich genau wieder-
zugeben, nahm Kopernikus, wie vor ihm schon Hipparch an, dass die
Sonne nicht genau im Mittelpunkt des Kreises stände, auf welchem der
betreffende Planet als mit gleichmässiger Geschwindigkeit sich bewegend
gedacht wurde.
Indessen entsprach diese Annahme nicht den sehr genauen Be-
stimmungen, besonders der Bewegung von Mars, durch Tycho Brahe,und
dieser Umstand veranlasste Kepler nach einer der Wirklichkeit besser
entsprechenden Darstellung der Bewegungen der Planeten zu suchen.
Er formulierte sie in drei Sätzen, welche den Namen der drei Keplerschen
Gesetze erhalten haben. Sie lauten:
IL Das Sonnensystem. "73
Die Planeten bewegen sich um die Sonne in Ellipsen, in deren
einem Brennpunivte die Sonne steht.
Der von der Sonne zum Planeten gezogene Leitstrahl überfährt in
i^deichen Zeiten gleich grosse Flächen.
Die Quadrate der IJmlaufszeiten verschiedener Planeten verhalten
sich wie die dritten. Potenzen ihrer mittleren Entfernungen von der Sonne.
Das Gravitationsgesetz. Es gelang dem Genius von Newton,
die drei Kepler sehen Gesetze in ein einziges zusammenzufassen, wonach
alle Bewegungen der Himmelskörper dadurch erklärt werden, dass man
annimmt, sie werden gegeneinander angezogen mit einer Kraft, die
ihren Massen direkt und dem Quadrate ihrer Entfernung umgekehrt pro-
portional ist; ferner, dass die im leeren Kaume sich bewegenden Himmels-
körper wegen ihrer Trägheit ihre Geschwindigkeit unverändert beibehalten,
wenn keine von fremden Körpern ausgehende Kräfte auf sie einwirken.
Alle Kräfte zwischen wägbaren Massen treten paarenweise auf, d. h. sind
gleich gross und entgegengesetzt gerichtet.
Um dies zu beweisen, untersuchte Newton erst die Bewegung des
Mondes. Dieser bewegt sich in einer nahezu kreisförmigen Bahn von dem
Durchmesser gleich 60,27 Erddurchmessern in einer Zeit von 27^, 7^ 43*^,
11,5* um die Erde (siderische Umlaufszeit). Da nun der Mond von der
Erde angezogen wird, so gehorcht er demselben Gesetz wie ein fallender
Körper, d. h. die Beschleunigung des Mondes gegen die Erde soll gleich
cm
derjenigen eines fallenden Körpers (981 ^2) dividiert durch (60,27) ^
cm
oder 0,270 —T 2 sein. Aus der Lehre von der Kraft, welche nötig ist,
seK
um einen Körper im Kreis um einen Punkt zu bewegen, weiss man,
dass die Beschleunigung in diesem Fall gleich dem Quadrat der Ge-
schwindigkeit dividiert durch den Eadius des Kreises ist. Nun kennen
wir die Geschwindigkeit des Mondes in seiner Bahn, sie ist gleich der
Länge der Bahn (2 jt . 60,27 . Erdradien), dividiert durch die Umlaufszeit
(2 360 591,5 Sek.). Die Beschleunigung ist. folglich (wenn R den Erdradius
= 6 378 249 cm darstellt)
(2 Jt 60,27 Ey 1^ =0 272^
(2 360 591,5)2 * 60,27 R ' sek^*
Wie man sieht, stimmt dieser Wert sehr nahe mit demjenigen überein,
welcher oben unter der Annahme berechnet wurde, dass die Schwer-
kraft dem Quadrate der Entfernung umgekehrt proportional ist. (Noch
74 Physik des Himmels.
grösser wird die Übereinstimmimg-, wenn man in der letzten Formel den
Halbmesser der Mondbahn um '/ss vermindert. Der Mond kreist nämlich,
wie unten (S. 77) gezeigt wird, nicht um den Erdmittelpunkt, sondern um
den gemeinsamen Schwerpunkt des Mondes und der Erde, welcher dem
Monde um '/sa näher liegt als der Erdmittelpunkt. Dadurch erhält man
im letzten Fall die Ziffer 0,269). Newton fand eine weniger gute Über-
einstimmung, weil er ungenauere Werte hatte. Er erhielt später bessere
durch die französische Gradmessung.
Wir können nun weiter gehen. Nehmen wir an, ein Planet befinde
sich in Ä (in Fig. 25), die Sonne dagegen in S. In einer Sekunde l)ewegt
sich der Planet längs ^5, welche Strecke wegen der kurzen Zeit als eine
Gerade angesehen werden kann. Wenn nun keine Kraft auf den Planeten
wirkte, so würde er seine Bahn mit konstanter Geschwindigkeit in gerader
Linie fortsetzen und das Bahnelement BC in der zweiten Sekunde
beschreiben, wo BG = AB ist. Wegen der Wirkung der Sonne fiele
aber der Planet in der zweiten Sekunde ein Stück BE gegen die Sonne,
falls er am Anfang dieser Zeit still stände. Die wirk-
liche Bahn des Planeten setzt sich nach dem Parallelo-
grammengesetze zu einer Resultante BD aus den beiden
Komponenten BC und BE zusammen. Da nun nach dem
Parallelogrammengesetz CD und BE einander parallel sind,
Fig. 25. so hat das Dreieck BDS dieselbe Oberfläche wie das Drei-
eck BGS. Dieses ist aber seinerseits gleich gross wie das
Dreieck ABS. Folglich streicht der Leitstrahl von S zum Planeten in
der zweiten Sekunde über eine ebenso grosse Fläche SBD wie in der
ersten Sekunde SAB und ebenso in allen folgenden gleich langen Zeiten
(Sekunden).
Wie man sieht, ergiebt sich das zweite Kepler sehe Gesetz als Folge
der Annahme, dass die Anziehung der Planeten gegen die Sonne ge-
richtet ist, welche Grösse diese Anziehung auch habe.
Das dritte Kepler sehe Gesetz lässt sich ebenso leicht ableiten. Es
seien zwei Planeten mit den Bahnradien R und i?j und den ümlaufs-
zeiten T und Tj , welche von derselben Sonne angezogen werden. Dann
ist die Beschleunigung {A) der Anziehungskraft für den ersten Planeten^
wenn v seine Bahngeschwindigkeit bedeutet,
A — fi^ (2 ^ ^Y _ 4 Jr^i?
II. Das Sonnensystem.
75
'ür den anderen Planeten gilt ebenso:
Ä,
Nun soll nach Newton, da die Anziehung in beiden Fällen von der
Gravitation gegen denselben Körper verursacht wird:
oder:
woraus folgt;
A
Ä2
4
jr2
272
R
. 4 jr2
Ri
Ti
2 ~"
7;2_
R^
r
'l*^r analytische Ausdruck des dritten Kepler sehen Gesetzes.
Das erste Kepler sehe Gesetz wird leicht mit Hilfe eines Satzes aus
der analytischen Geometrie bewie-
sen. Dieser Hilfssatz lautet folgen-
dermaassen: Bei Kegelschnitten
verhalten sich die Längen der an
verschiedenen Stellen gezogenen
Krümmungshalbmesser (z. B. (> in
Fig. 26) umgekehrt wie die dritten
Potenzen von den Cosinen der ent-
sprechenden Winkel (a) zwischen
Leitstrahl r vom Brennpunkt F und
Krümmungshalbmesser q. Diese Eigenschaft ist nur für die Kegel-
schnitte charakteristisch.
Nach dem zweiten Kepl ersehen Gesetz ist nämlich das in einer ge-
gebenen Zeit t überfahrene Flächenstück FPQ dieser Zeit proportional.
Wenn nun PQ so kurz ist, dass es als ein Stück, von der Länge s^
einer geraden Linie betrachtet werden kann, so verlangt das zweite
Kepl ersehe Gesetz, dass:
-| r s cos a = ctf
Fig. 26.
worin c eine Konstante bedeutet.
76 Physik des Himmels.
Die Kraft /; welche ein Gramm des Planeten in P gegen die Sonm
in F treibt, kann in zwei Komponente zerlegt werden, wovon der eine
b in der Eichtung des Krümmungshalbmessers q, der andere m senk-
recht dazu nach der Tangente im Punkte P gerichtet ist. m strebt dit
Geschwindigkeit des Planeten in seiner Bahn zu vermindern, b giebt der
Bahn ihre Krümmung. Für solche Kräfte wie b gilt folgende Relation,
in welcher v die Bewegungsgeschwindigkeit des Planeten im Punkte P
bedeutet(vgl. S. 73):
f cos a = b= — •
Q
Führt man nun in den letzten Ausdruck den aus der vorletzten
Gleichung gewonnenen Wert:
.9 2 c
ein, so erhält man:
t r cos a
r^Q cos ^a
Nun verlangt das Newtonsche Gesetz, dass
worin k die Gravitationskonstante und M die Sonnenmasse bedeuten.
Da diese letztere nicht variiert, kann man für KM die Konstante K^
einführen. Die beiden letzten Ausdrücke für f können nur dann zu-
treffen, wenn für die Kurve der Planetenbahn gilt:
\c^
Q cos ^« = ^^ = Ä2,
d. h. Q cos 3« muss konstant sein. Diese Bedingung erfüllen nun nach
dem vorhin gesagten nur die Kegelschnitte, von welchen die Ellipsen
eine Unterabteilung ausmachen. Die Planeten müssen sich also, wief
das erste Kepler sehe Gesetz verlangt, auf elliptischen (d.h. geschlossenen)
Kegelschnittkurven um die im Brennpunkte gelegene Sonne bewegen.
Wenn zwei Himmelskörper aufeinander wirken, so treibt die An-
ziehiiiiüf den einen gegen den anderen mit eben derselben Kraft P wie
IT. Das Sonnensystem. 77
li'ii anderen gegen den ersten. Die Beschleunigungen A und Ä^ der
beiden Körper werden:
^woraus folgt:
AM= Ä^M^.
Die Weglängen S und S^, welche diese Körper in einer gegebenen
Zeit zurücklegen, verhalten sich wie die Beschleunigungen, folglich
ist auch:
Nun gilt für den Schwerpunkt der beiden Körper, wenn seine Ent-
fernung von diesen a und «^ ist, die Gleichung:
Folglich wird, nachdem die anziehende Kraft eine Zeit lang ge-
wirkt hat,
(L — S) M={L^ — S^) Ml,
d. h. mit anderen Worten, der Schwerpunkt des Systems erleidet durch
diese Anziehungskraft keine Änderung. Da nun die Kräfte, welche
zwischen mehreren Körpern wirken, nach dem Parallelogrammen gesetz
gleich der Summe der Kräfte zwischen den einzelnen Körpern zu setzen
sind, und dasselbe für die durch die Kräfte verursachten Verschiebungen
gilt, so lässt sich leicht beweisen, dass der Schwerpunkt eines Systems,
zwischen dessen einzelnen Teilen Kräfte nach dem Newtonschen An-
ziehungsgesetz, oder andere Centralkräfte, wirken, durch die Wirkung
dieser Kräfte nicht verschoben wird.
Es drehen sich folglich die einzelnen Planeten in unserem Sonnen-
system nicht um die Sonne, sondern um den Schwerpunkt des Systemes,
um welchen auch die Sonne sich herumbewegt. Wegen der geringen
Masse der anderen Körper im Sonnensystem, verglichen mit derjenigen
der Sonne, fällt der gemeinsame Schwerpunkt in den Sonnenkörper selbst.
Betrachten wir nun wiederum den Fall, dass zwei Körper, wie die
beiden zum Algolsystem gehörigen, sich um den gemeinsamen Schwer-
punkt in kreisförmigen Bahnen herumdrehen, so ist die Anziehungs-
78 Physik des Himmels.
kraft der beiden Körper, wenn k^ wie gewöhnlich, die Gravitationskon-
stante bedeutet:
F
woraus folgt:
MM^ ^M{2jcLy _Mi {2jtL^y
k==
4 Jt^ L(L + i.|)2
r^ Ml
Nun ist weiter T=^ T^, indem die beiden Körper immer auf der
entgegengesetzten Seite des Schwerpunktes liegen, und weiter ist:
Ml L
M Li
woraus folgt:
Ml L
M-{- Ml L + Li
oder:
L L ^ Li
Ml if + M,
Durch Einführung dieses Wertes in den Ausdruck für K erhalten wir :
k = A jt
,iL±L^ __ 1_
T^ M-\-Mi
Da nun das Newtonsche Gravitationsgesetz verlangt, dass die Gravi-
tationskonstante immer dieselbe ist, so linden wir, dass, wenn wir
L-{- Li = D setzen und zwei Systeme betrachten von je zwei Körpern,
in der Entfernung Z), mit der Umlaufszeit T und den Massen M und
Ml im einen System, bzw. in der Entfernung d, mit der Umlaufszeit t und
den Massen m und m, im anderen System, die Beziehung besteht:
K= 4 Jt^ ~ ^r .W = 4 jr2 '^' ^
r-^ M + i/| l'^ m-]- mi
oder:
M+ Ml ^D^^ (P
II. Das Sonnensystem. 79
"W Es ist diese Gleichung, welche wir oben bei der Berechnung der
Massen des Algolsystems benutzt haben.
Die Massen der Planeten. Mit Hilfe der letzten Gleichung
kann man, wenn M und i/j die Massen der Erde und Sonne, m- und m^
die Massen eines anderen Planeten und der Sonne bedeuten, die Ent-
fernungen der Planeten aus ihren ümlaufszeiten berechnen. Dabei kann
man, wie unten gezeigt wird, die Massen der Planeten in Vergleich mit
derjenigen der Sonne vernachlässigen, wodurch das linke Glied der
Gleichung den Wert 1 erhält.
In eben derselben Weise kann man die Masse von Sonne und Erde
mit derjenigen des Mondes und der Erde vergleichen, wobei man in
erster Annäherung die Masse des Mondes gegen diejenige der Erde ver-
nachlässigen kann. Weiter kann man die Massen aller Planeten, welche
Monde besitzen, mit derjenigen der Erde aus den Umlaufszeiten ihrer
Monde und den Distanzen derselben von den Planeten berechnen. Die
Entfernungen der Monde von ihren Planeten werden durch Winkel-
messungen und aus dem bekannten Abstand der Planeten von der Erde
berechnet.
Für Planeten, welche keine Monde besitzen, wie Merkur und Yenus,
berechnet man die Masse aus den Störungen, welche diese Planeten auf
die Bewegung von anderen Himmelskörpern, wie Kometen, ausüben. Die
Masse des Erdmondes kann man ebenso aus einem genauen Studium
der Bewegungen der Himmelskörper ermitteln.
Wenn man nun die Entfernungen und die in Winkelmaass aus-
gedrückten Durchmesser der Planeten, Sonne und Mondes kennt, so ist
es leicht, daraus die wirklichen Durchmesser und Volumina dieser Körper
zu bestimmen. Durch Vergleichung der Masse mit dem Volumen kann
man die Dichte dieser Körper bestimmen, wobei die Dichte der Erde
gleich 1 gesetzt wird. Nun hat man, wie wir weiter unten sehen werden,
das spezifische Gewicht der Erde zu 5,5 bestimmt. Mit Hilfe dieser
Zahl kann man die Dichte der zum Sonnensystem gehörigen Körper
mit derjenigen des Wassers vergleichen.
Weiter kann man aus dem Durchmesser und der Masse der
Himmelskörper leicht berechnen, wie viel die Masse eines Gramms an
der Oberfläche eines anderen Planeten wiegt. In der folgenden Tabelle
sind die betreffenden Grössen zusammengestellt, wobei alle entsprechenden
Grössen auf der Erde als Einheit genommen sind.
§0 Physik des Himmels.
Entfernung
von der Sonne Masse Radius Dichte Schwere
Merkur 0,387 0,0324 0,37 0,63 0,237
Venus 0,723 0,805 1,00 0,80 0,805
Erde 1,00 1,00 1,00 1,00 1,00
Mond — 0,0122 0,27 0,62 0,167
Mars 1,524 0,105 0,53 0,705 0,374
Jupiter 5,203 309,5 11,6 0,23 2,54
Saturn 9,55 92,6 9,30 0,115 1,07
Uran 19,22 14,7 4,23 0,194 0,822
Neptun 30,12 16,5 3,80 0,301 1,14
Sonne — 324,439 108,56 0,25 27,4
Die kleinen Planeten 1,46 bis 4,27. — — — —
Die elliptischen, parabolischen und hyperbolischenBahnen
der Körper um die Sonne. Es lässt sich, wie oben gesagt, be-
weisen, dass, wenn ein Körper, welcher von einem anderen, als fest an-
gesehenen, nach dem Newton sehen Gesetz angezogen wird, eine anfäng-
liche Bewegung erhält, welche nicht in der Verbindungslinie mit dem
anziehenden Körper liegt, so beschreibt der bewegliche Körper eine Bahn
um den festen Körper, welche Bahn die Form eines Kegelschnittes hat,
in dessen einem Brennpunkte der feste Körper sich befindet. Die Kegel-
schnitte können nun von zwei verschiedenen Arten sein, entweder ge-
schlossene Kurven, Ellipsen oder ungeschlossene Kurven, Hyperbeln.
Zwischen diesen beiden Arten liegen die Parabeln, welche auch un-
geschlossene Kurven sind und als Ellipsen von äusserst grosser Excen-
tricität oder als Hyperbeln, deren beiden Asymptoten eine unendlich
kleine Neigung gegeneinander haben, betrachtet werden können.
In dem Falle, dass der bewegliche Körper eine Ellipse beschreibt,
muss er nach einer endlichen Zeit zu seinem Ausgangspunkt zurück-
kehren. Denn da der Leitstrahl nie unendlich lang wird, so muss nach
dem zweiten Kepler sehen Gesetz der Körper einen endlichen Teil seiner
Bahn in jeder Sekunde durchlaufen und nach einer genügenden Zahl
von Sekunden muss er die Bahn durchgelaufen haben.. Danach fängt
ein neuer Umlauf in ganz derselben Weise an. Wenn aber der be-
wegliche Körper eine parabolische oder hyperbolische Bahn beschreibt,
so wächst der Leitstrahl über alle erdenkliche Grenzen und der Körper
kehrt nie wieder zurück. Nur diejenigen Körper, welche sich in ellip-
tischen Bahnen bewegen, haben infolgedessen eine Umlaufszeit und
II. Das Sonnensystem.
81
K
K-
gehören zu demselben System wie der feste Körper, sind gewissermaassen
an ihn gebunden. Alle Körper, welche zum Sonnensystem gehören, be-
sehreiben also elliptische Bahnen um die Sonne. Körper, welche ge-
legentlich erscheinen und eine parobolische oder hyperbolische Bahn um
die Sonne beschreiben, stammen aus unendlich weit entfernten Gegenden
und sind nur als zufällige Besucher im Sonnen-
system anzusehen.
Es ist deshalb von grossem Interesse, be-
stimmen zu können, ob ein Himmelskörper eine
elliptische Bahn um die Sonne beschreibt oder
nicht. Dies kann man mit Hülfe seiner Bahn-
geschwindigkeit ermitteln.
Die potentielle Energie eines beweg-
lichen Körpers. Denken wir uns einen beweg-
lichen Körper mit der Masse m in K und einen
anziehenden als fest gedachten Körper, wie die Sonne, mit der Masse M
in S (Fig. 27). Die Kraft, welche K gegen S treibt, ist:
Fig. 27.
F= k
M 7)1
wenn r den Abstand K S bezeichnet. Angenommen jetzt, wir verschieben
den beweglichen Körper von ^zu K^ längs der Richtung S K, so leisten
wir eine Arbeit (^1), welche nach den Regeln der Mechanik gemessen
wird durch das Produkt der überwundenen Kraft und der Weglänge.
Wenn demnach F die Kraft und r^ das Stück Z^ S darstellt, so ist die
ausgeführte Arbeit:
A = F (r^^ — r).
Nun ist die Kraft F etwas veränderlich, im Punkte Kist ihr Wert:
F =
. Mm
im Punkte K^ dagegen:
F^ k
Mm
und im Mittel kann sie gleich:
F== k
Mm
r r,
A r r U e u i u s , Kosmische Physik.
§2 Physik des Himmels.
gesetzt werden. Dieser Ausdruck enthält einen um so geringeren Fehler,
je weniger r und 7\ voneinander verschieden sind, und wenn sie äusserst
wenig voneinander abweichen, so ist der Ausdruck exakt richtig. Folg-
lich wird für eine kleine Verschiebung:
A = F ir, — r) = k 31 m = k Mm ( )•
Wenn ich den Körper von K nach K^ verschiebe, wobei der Abstand
K2 S ebenfalls gleich r^ angenommen wird, so kann ich mir diese Operation
in der Weise ausgeführt denken, dass ich den Körper erst nach K^ bringe
und dann auf einem Kreisbogen um fi' von Ky nach K2. Bei dem letzten
Teil dieser Verschiebung wird keine Arbeit verbraucht, denn die Kraft
zwischen dem Körper und der Sonne geht in der Eichtung des Leitstrahls,
folglich ist ihre Komponente längs des dazu senkrechten Kreisbogens
K^ K2 gleich Null. Auf dem Wege K^ K^ wird infolgedessen keine Kraft
überwunden, d. h. keine Arbeit geleistet. Die Arbeit um den Körper auf
einem anderen Wege, z. B. längs einer geraden Linie von K nach K.y
zu bringen, muss nach dem ersten Hauptsatze der mechanischen Theorie
der Wärme genau dieselbe wie die bei der Fortführung des Körpers von
K nach K2 längs des Weges K K^ K^ sein. Und zwar wenn der Körper
anfangs in der Entfernung r von S und am Ende in der Entfernung
rj von S liegt, so ist die geleistete Arbeit (falls rj — r im Vergleich zu
r gering ist):
Ä=k Mm (
\r 7*1
Wir wollen jetzt den Fall betrachten, dass wir den Körper zu einem
Punkt Kq führen in der Entfernung r» , wo rn ^ — r nicht im Vergleich
zu r gering ist. Wir führen dann den Körper in kleinen Intervallen
nach Ky K2 . . . Kn-i, Kr, , so dass die Entfernungen (r^ — r), (^2 — r, )
(rn — Tn-i) gering sind im Vergleich zu r, rj . . . rn-i, und zuletzt
in Kreisbogen um S von Kn nach Kq. Die Arbeit wird dann:
{\r rj \r^ r2J Vn-i rn J)
/l 1
= kMm
Es gilt also auch in diesem Fall dasselbe Gesetz wie für geringe
Verschiebungen.
II. Das Sonnensystem. 83
Wir können r« beliebig gross werden lassen; lassen wir vn unendlich
gross werden, so wird die geleistete Arbeit:
A 7 Tir 1 /^^^
A^ = k Mm ' — ==m
r
1
Der Ausdruck — h Mm - wird die potentielle Energie des Körpers
im Punkte K in der Entfernung r von dem anziehenden Körper, und der
Ausdruck — k M - das (Schweren-)Potential in dem Punkte K genannt.
Alle beiden Ausdrücke wachsen mit zunehmendem r. Die Arbeit, welche
ausgeführt wird bei der Verschiebung eines Körpers von der Entfernung
r zu der Entfernung r^ von einem festen nach dem Newtonschen Gesetz
anziehenden Körper, ist demnach gleich dem Unterschied der potentiellen
Energie des Körpers im zweiten und im ersten Punkt. Oder diese Arbeit
ist gleich dem Produkt seiner Masse und der Differenz des Schweren-
potentials im zweiten und ersten Punkt.
Die aktuelle Energie eines bewegten Körpers.
Angenommen, wir halten jetzt einen Körper in K^ fest, welcher von
dem festen Körper in S (Fig. 27) angezogen wird. Lassen wir den
Körper los, so bewegt er sich gegen S hin, nachdem die Anziehungs-
kraft dahin wirkt, und zwar mit einer immer stärker beschleunigten
Geschwindigkeit, nachdem die anziehende Kraft immer mehr wächst,
je näher der Körper nach S kommt. Dagegen nimmt die potentielle
Energie immer mehr ab. Durch seine Geschwindigkeit {v) besitzt der
bewegliche Körper eine bestimmte Energie, die sogenannte aktuelle
Energie oder lebendige Kraft (£J)., welche durch den Ausdruck ge-
messen wird:
E= — mv'^
Nennen wir nun die potentielle Energie in den Punkten K^ und K
I\ und P, die aktuelle E^ und E, so verlangt das Energieprinzip, dass
die totale Energie sich nicht ändert, also dass:
P, + E, = P + E.
In unserem speziellen Fall ist £', =0, nachdem es vorausgesetzt
wurde, dass die Geschwindigkeit des beweglichen Köj^pers in ^, Null war.
6*
84 Physik des Himmels.
Es folgt hieraus durch Einführung der vorhin gegebenen Werte für die
potentielle Energie:
E—E^ =lm«;2 = Pi — P=— m-^if f- —
oder
^ = Y2(jti — Jt)
wenn jr^ und jt das Schwerenpotential in den Punkten Ky und K be-
deuten.
Verlegen wir nun K^ in unendliche Entfernung, so wird:
v = Y—2jt.
Wenn ein von unendlicher Entfernung kommender Körper in das
Sonnensystem hineingezogen wird, und er keine Anfangsgeschwindigkeit
besitzt, so wird seine Geschwindigkeit in einem gewissen
Punkt gleich der Wurzel aus dem doppelten Potential
in diesem Punkte mit umgekehrtem Zeichen. Das
Zeichen muss gewechselt werden, weil jiach der oben
Fiff. 28. gegebenen Darstellung das Schwerenpotential immer
negativ ist.
Die Neigung und Excentricität der Bahnen. Wenn nun ein
Himmelskörper in P (Fig. 28) liegt, und der anziehende Centralkörper (die
Sonne) in /S'und jener eine anfängliche Geschwindigkeit in der Pfeilrichtung
hat, so wird die ganze Bahn in einer Ebene verlaufen, die das Bahnenelement
bei P (die Pfeilrichtung) und den Centralkörper S enthält. Denn, da
die Anziehung zwischen P und ^S immer längs der Verbindungslinie
geht und der Leitstrahl PÄ' anfangs in der Ebene des Papieres (derjenigen,
welche die Pfeilrichtung und S enthält) liegt, so wird die Beschleunigung
in dieser Ebene liegen, d. h. die aus der alten Bewegung und der Be-
schleunigung zusammengesetzte neue Bewegung wird auch längs einer
Linie in der Ebene des Papieres liegen. Die Bahn eines Planeten um
die Sonne liegt folglich in einer für immer bestimmten Ebene. Diese
Ebene hat eine bestimmte Neigung gegen die Ekliptik, welche unten
tabelliert ist. Die Tabelle enthält ausserdem die Excentricität der be-
treffenden Bahnen und die siderische Umdrehungszeit der Planeten um
ihre Achse.
IL Bas Sonnensystem.
85
Neigung der
Bahnebene
Excen-
tricität
Umdrehungs-
zeit
Sonne
24^ ,84
Merkur
70,0'
0,2056
87^,97
Venus
3,24
0,0068
224^,70 (23^95?)
Erde
0,0
0,0168
23^ ,94
Mars
1,51
0,0933
24^ ,62
fdie kleinen
\ Planeten
0,41
bis 34,43
0,000
bis 0,383
unbe-
kannt
Jupiter
1,19
0,0482
9S92
Saturnus
2,30
0,0561
10S27
Uranus
0,46
0,0464
unbekannt
Neptun
1,47
0,0090
unbekannt.
Wie man aus dieser Tabelle ersieht, ist die Neigung der Planeten-
bahnen gegen die Ekliptik, wenn man von einigen kleinen Planeten ab-
sieht, sehr gering. Am grössten ist sie beim Merkur (7^,0), danach
kommt die Venus (3^24'). Ebenso sind die Excentricitäten, wenn man von
einigen kleinen Planeten absieht, sehr gering. Der grösste Wert kommt
auch in diesem Falle dem Merkur zu (0,2056), danach kommt der Mars
(0,0933). In dieser Beziehung verhalten sich die Planeten des Sonnen-
systems ganz anders wie die Komponenten der Doppelsterne, welche stark
excentrische Bahnen besitzen (vgl. oben S. 51).
Die Bahngeschwindigkeiten. Für einen Planeten (Masse m)
der sich in einer kreisförmigen Bahn (Radius r) um die Sonne (Masse M)
bewegt, ist die Anziehungskraft (FJ durch die Ausdrücke gegeben:
„ , mM v'^
F = k — s- = m —
r^ r
und die Beschleunigung 7 = Flm durch die Ausdrücke
7 =
kM
.2
woraus folgt:
^=K^-/^-
Damit ein Himmelskörper sich also in einer kreisförmigen Bahn um die
Sonne herumbewegt, muss seine Geschwindigkeit gleich^der Quadratwurzel
86 Physik des Himmels.
aus dem negativen Schwerenpotential längs seiner Bahn sein. Für die Erde,
deren Bahnradius gewöhnlicherweise gleich der Einheit genommen wird,
haben wir die Bahngeschwindigkeit gleich 29,5 km pro Sekunde gefunden.
Für einen anderen Planeten, dessen Abstand von der Sonne n ist {n mal
grösser als derjenige der Erde) wird die Geschwindigkeit in der Bahn
_29-5km.
Yn Sek.
Aus den oben (S. 80) ^gegebenen w-Weiten ist folglich die Bahnge-
schwindigkeit leicht zu berechnen.
Wir haben oben gesehen, dass ein Körper, welcher von unendlicher
Entfernung ohne Anfangsgeschwindigkeit in das Sonnensystem hinein-
kommt, in einem bestimmten Punkte seiner Bahn eine Geschwindigkeit
besitzt, welche gleich der Quadratwurzel aus dem doppelten Potential
in diesem Punkte ist. Es lässt sich beweisen, dass ein solcher 'Körper
eine parabolische Bahn besitzt. Nach seinem Lauf um die Sonne ent-
fernt sich der Himmelskörper immer mehr von der Sonne und geht auf
der Parabellinie unendlich weit hinaus. Wenn also die Geschwindigkeit
eines Körpers die genannte Grösse hat, so verläset er das Sonnensystem.
Wenn er aber eine geringere Geschwindigkeit besitzt, so kann er das
Sonnensystem nicht verlassen, denn wenn auch seine ganze aktuelle
Energie sich in potentielle Energie umsetzte, so würde die potentielle
Energie doch nicht den Wert Null erreichen, sondern immer darunter
bleiben. Das heisst, der Körper kann nie höhere Potentialwerte als einen
bestimmten annehmen und nie weiter von der Sonne sich entfernen,
als wo dieses maximale Potential herrscht. Diese Körper bewegen sich
folglich auf geschlossenen Kurven, d. h. hier Ellipsen um die Sonne {B).
(Vgl. Fig. 29).
Wenn dagegen ein Körper grössere Geschwindigkeit in seiner Bahn
hat als derjenige Vergleichskörper, welcher eine parabolische Bahn be-
schreibt, so wird die Sonne seine Bahn nicht so stark krümmen, wie die-
jenige des Vergleichskörpers, weil sie nicht so lange Zeit auf jenen wie auf
diesen in der Nähe der Sonnennähe (bei A) einwirkt. Die krumme Linie,
welche der fragliche Körper beschreibt, wird deshalb ausserhalb des
Parabels fallen und eine hyperbolische Form haben. Es ist leicht zu
verstehen, dass der Vergleichskörper eine parabolische Bahn beschreibt,
denn da alle Körper, welche geringere Geschwindigkeit in der Sonnen-
nähe besitzen, Ellipsen beschreiben mit immer grösserer Excentricität,
je näher die Geschwindigkeit sich demjenigen des Vergleichskörpers
II. Das Sonnensystem.
87
K
nähert, so muss auch dieser eine Ellipse von grösstmögiicher Excentri-
eitiit (1), d. h. eine Parabel beschreiben.
Wenn also ein Himmelskörper (Komet) in einem Punkte seiner
Bahn geringere Geschwindigkeit besitzt, als v = Y^^, so beschreibt er
eine elliptische Bahn und bleibt im Sonnensysteme, wenn nicht, gehört
er diesem Systeme nicht an.
Die Ursache der Gravitation. Newton sagt ausdrücklich in
^seiner Untersuchung über die Schwere, er sei nicht der Ansicht, dass
ie schweren Körper aufeinander wirken. Vielmehr müsste man an-
nehmen, dass die Wirkung durch Vermittelung eines zwischenliegen-
len Mediums geschehe. Alle Versuche, welche gemacht worden sind,
lie Schwerkraft als Folge einer Bewegung in dem zwischen den Kör-
)ern liegenden Medium abzuleiten, leiden an der Schwierigkeit, dass
lie Schwere ungeschwächt durch die Körper hindurchgeht, sie mögen
loch so dick und dicht sein. So z. B. wirkt die Anziehung von der
Jonne auf einen im Mittelpunkt der Erde liegenden Partikel durch alle
lie zwischenliegenden Lagen hindurch. Da nun die Wirkung irgendwie
einer Bewegungsveränderung an dem bewirkten Körper bestehen
luss, so wird es nötig, anzunehmen, dass eine Partikel, welcher hinter
Kner anderen bewirkten Partikel liegt, dadurch, wenigstens teilweise,
ler Wirkung entzogen wird. Es würde demnach auf der Verbindungs- '
Inie zwischem einer Partikel in der Mitte der Erde und einem be-
liebigen Punkte auf der Sonne keine einzige schwere Partikel von den
inendlich vielen in den oberen Erdschichten liegen. Man müsste folglich
foraussetzen, dass die Partikelchen, auf welche die Schwerkraft wirkt,
§g f hysik des Himmels.
eine unendlich geringe Ausdehnung hätten und als mathematische Punkte
zu betrachten wären. Diese Anschauung ist physikalisch unfassbar.
Ebenso ist es unmöglich, sich vorzustellen, wie eine Bewegung durch
mathematische Punkte gestört werden kann. Es ist wohl eine sonder-
bare Erscheinung, dass diejenige Naturkraft, welche wir am genauesten
durch Rechnung verfolgen können, das grösste Rätsel in physikalischer
Hinsicht darbietet.
Wenn die Schwere durch die Bewegungen in einem zwischenliegen-
den Medium zu Stande kommt, so erscheint es natürlich, dass sie nicht
augenblicklich wirken kann, sondern eine bestimmte Zeit verlangt, um
von dem wirkenden zu dem bewirkten Körper zu gelangen. Es würde
offenbar in diesem Falle die Wirkung auf einen in Bewegung begriffenen
Körper nicht diejenige sein, welche aus seiner Lage berechnet werden
könnte. In eben derselben Weise sehen wir einen Stern, welcher ein
Lichtjahr entfernt ist, nicht da, wo er jetzt sich befindet, sondern wo
er sich vor einem Jahr befand. Wenn also z. B. die „Fortpflanzung" der
Schwerenwirkung von der Sonne zur Erde in t Sekunden erfolgte, so wäre
die Schwerenwirkung in einem bestimmten Zeitabschnitt nicht nach der
wirklichen Lage der Erde, sondern aus ihrer Lage vor t Sekunden zu be-
rechnen. Trotzdem die astronomischen Messungen mit einer ganz be-
sonderen Genauigkeit geschehen und eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Schwere, die 10^ mal die Lichtgeschwindigkeit überstiege, wohl zu
entdecken wäre (Lehmann-Filhes), hat man keine Spur einer solchen
Wirkung gefunden. Es scheint demnach, als ob die Schwerenwirkung
sich mit unendlicher Geschwindigkeit durch den Raum fortpflanzt,
was ebenfalls schwer zu verstehen ist.
Titius-Bodes Gesetz und die kleinen Planeten. Bei der
Beobachtung der Angaben über die Abstände der Planeten von der
Sonne fand Titius eine bestimmte Regelmässigkeit, indem die Entfer-
nungen der Planetenbahnen von der Merkurbahn einigermaassen nach
Potenzen von zwei zunehmen, so dass diese Abstände bei jedem folgen-
den Planeten auf das Doppelte steigen, wie die folgende Tabelle zeigt.
Entfernung
von der Sonne vom Merkur abgerundet
Merkur 0,37 0 0
Venus 0,72 0,35 0,30
Erde 1,00 0,63 0,59
Mars 1,52 1,15 1,17
IT. Das Sonnensystenl. §9
Entfernung
von der Sonne vom Merkur abgerundet
X 2,35
Jupiter 5,20 4,83 4,7
Saturnus .... 9,56 9,19 9,4
Uranus 19,22 18,85 18,8
Neptun 30,12 . 29,75 (37,6)
Um jedoch diese Eegelmässigkeit aufrecht zu erhalten, muss man
annehmen, dass zwischen Mars und Jupiter ein damals unentdeckter
Planet ( X ) sich in einer Sonnenentfernung von 2,72 Erdbahnradien be-
findet. Aus diesem Grunde suchte man nach einem Planeten auf dieser
Stelle, und Piazzi fand am 1. Januar 1801 einen solchen, der wie ein
Stern 8. Grösse erscheint und von ihm den Namen Ceres erhielt.
Nachher hat man etwa 450 solche kleine Planeten entdeckt. Mit Hilfe,
der Photographie werden jetzt mehrere in jedem Jahre aufgefunden.
Eichtet man nämlich mit Hilfe eines Uhrwerkes die Camera so ein,
dass sie bei der Aufnahme der scheinbaren Bewegung des Himmels-
gewölbes folgt, so geben die Sterne Bilder, welche wie Punkte aus-
sehen, während der Planet zufolge seiner Bewegung auf dem Himmels-
gewölbe ein linienförmiges Bild ergiebt, wie die umstehende Abbildung
zeigt (Fig. 30).
Ein grosses Aufsehen erregte die Entdeckung d§s kleinen Planeten
Eros durch Witt am 13. August 1898. Dieser Planetoid hat nur eine
mittlere Entfernung von 1,46 Erdbahnradien von der Sonne, liegt folg-
lich zwischen der Erde und Mars. Zufolge der grossen Excentricität
(0,23) seiner Bahn übersteigt der Sonnenabstand im Aphelium (der
grössten Entfernung von der Sonne) denjenigen des Mars, während der
Planetoid im Perihelium (Sonnennähe) nur in der Entfernung von 1,13
Erdbahnradien von der Sonne steht. Demzufolge kann dieser Planet
ausserordentlich nahe zur Erde kommen, und man hofft aus Messungen
an diesem Planeten die Sonnenparallaxe mit einer bisher unerreichten
Genauigkeit messen zu können (vgl. oben S. 68). An der anderen
Seite giebt es Planetoiden, welche im Aphelium nur um einen halben
Erdbahnradius von der Jupiterbahn entfernt sind. Diese Himmels-'
körper sind folglich nicht auf einen so geringen Kaum beschränkt, wie
man nach der Titius-Bo de sehen Kegel vermutete. Dass diese Kegel
übrigens nur sehr grob sich der Erfahrung anpasst, ersieht man aus
der Entfernung des Planeten Neptun.
90 Physik des Himmels.
Mit Hilfe des Refraktors der Lick-Sternwarte ist es gelungen, den
Durchmesser einiger Planetoiden zu messen. Man hat für drei der
grössten, Ceres, Vesta und Pallas, die Werte 960, 380 und 440 km ge-
funden. Aus der Lichtstärke derselben schätzt man die Grösse der-
jenigen, welche nicht direkt messbar sind, und ist zu dem Resultat ge-
kommen, dass die kleinsten entdeckten einen Durchmesser von nur
etwa 10 km besitzen.
Wegen der grossen Mannigfaltigkeit in Abständen zu den nächsten
Fig. 30. Planetoid Svea, photogiaphisch entdeckt von Max Wolf in
Heidelberg am 21. März 1892.
Planeten und Umlaufszeiten bieten die Planetoide ein grosses Interesse
beim Studium der Bewegungserscheinungen unter dem Einfluss von
starken Störungen.
Man hat berechnet, dass alle bekannten Planetoiden, in eine ein-
zige Kugel gesammelt, einen Himmelskörper ergeben würden, der einen
Halbmesser von einem Zwanzigstel der Länge des Erdradius aufweisen
würde. Die gesamte Masse des noch fehlenden Planeten zwischen Mars
und Jupiter würde demnach nicht ein Procent des Volumens des Erd-
mondes aufnehmen. Dabei muss man aber bedenken, dass wir noch
nicht alle Planetoiden kennen.
III. Die Sonne.
Licht- und Wärmestrahlung der Sonne. Der für uns weit-
aus wichtigste von allen Himmelskörpern (die Erde ausgenommen) ist
der Regent des Sonnensystems, die Sonne selbst. Von ihr stammt alle
Kraft und Bewegung, alles Leben und Treiben auf der Erde. Und docli
bietet unsere Bekanntschaft von dem Gestirn des Tages, trotz all den
emsigen Untersuchungen, besonders der letzten Zeit, ausserordentlich
viele Rätsel.
Die Sonne ist ein glühender Körper von so kolossalen Dimensionen,
dass sie etwa 750 mal so grosse Masse besitzt, wie alle die Planeten
und Monde zusammen. Ihr Durchmesser beträgt 1,8 mal der Grösse
des Mondbahndurchmessers und ihr Volumen ist eine und eine viertel
Million grösser als diejenige der Erde. Und doch ist die Sonne, wie
wir gesehen haben, sehr klein (lichtschwach) gegen die kolossalen Sonnen,
welche, wie Sirius, Wega und noch mehr Canopus und Arctur, als Sterne
erster Grösse erscheinen^
Von der Erde aus gesehen, erscheint die Sonne als eine hellleuch-
tende Scheibe von 3l'59" Durchmesser, deren Helligkeit am grössten
in der Mitte ist und gleichförmig nach allen Seiten abnimmt, wovon
man sich überzeugen kann, wenn man die Sonne durch ein stark ge-
schwärztes Glas betrachtet. Sowohl das Licht als auch die Wärme-
strahlung und die chemische Wirksamkeit der Strahlen nimmt stetig
von der Sonnenmitte zum Rande ab, wie folgende Tabelle zeigt, wo die
Entfernung 0,0 den Mittelpunkt, die Entfernung 1,00 den Sonnenrand
angiebt.
Entfernung
Wärme-
Licht-
Chemische
vom Sonnencentrum
Strahlung
0,0
100
100
100
0,2
99,5
98
98
92
Physik des Himmels,
Entfernung
, Wärme- Licht-
Chemische
vom Sonnencentrum
Strahlung
0,4
97,2 94
94
0,6
92,2 87
83
0,8
82,5 75
58
0,9
72,0 64
37
0,95
61,8 55
25
1,00
42,9 37
13
Die Wärmemessung rührt von Wilson, die Messung der Licht-
stärke von Picke ring und diejenige der photochemischen Strah-
lung von H. C. Vogel her. Wie aus diesen Ziffern ersichtlich, nimmt
die chemische Strahlung am geschwindesten von dem Centrum nach
dem Kande ab, die Lichtstrahlung nimmt eine mittlere Stellung ein,
und die Wärmestrahlung nimmt relativ langsam nach dem Kande
hinaus ab.
Es ist leicht zu verstehen, wovon dies abhängt.
Die Strahlung geht von verschiedenen mehr oder
weniger tief liegenden Schichten der Sonne aus.
Die Dicke der strahlenden Schicht {d, r/^, d^^ d^
in Fig. 31) zwischen zwei koncentrischen Schalen
der Sonne nimmt stark mit der Entfernung
vom Sonnenmittelpunkt zu. Nun absorbieren die
Fig. 31. höher liegenden Schichten das von den tieferen
kommende Licht, folglich werden die tieferen
Schichten ihre Strahlung um so mehr geltend machen, je dünner die
zwischen ihnen und dem ßeobachtungsinstrument liegenden Schichten
sind, d. h. je näher man zum Mittelpunkt der Sonnenscheibe beobachtet.
Je tiefer eine Schicht liegt, um so heisser muss sie aber sein. Folglich
kommt die Strahlung von um so heisseren Schichten, je näher man zum
Mittelpunkt misst. Nun ist es wohlbekannt, dass die Strahlung eines
Körpers in der Weise mit seiner Temperatur zunimmt, dass die Strah-
lung der Wärme am wenigsten, die Lichtstrahlung viel mehr und am
meisten die aus den brechbarsten Lichtsorten bestehende photochemi-
sche Strahlung wächst. Dadurch wird die oben gegebene Verteilung
der relativen Stärke der Strahlungen leicht verständlich. Da weiter die
Dicke der zwischen zwei koncentrischen Schalen liegenden Schicht bei
Entfernung von der Sonnenmitte erst langsam und nahe am Rande sehr
schnell wächst, so nehmen die Strahlungen in der Nähe der Mitte erst
III. Die Sonne. 93
sehr langsam, gegen den Rand aber sehr schnell ab, wenn man von der
Mitte zum Kand sich entfernt.
Man schätzt, dass die Sonnenatmosphäre etwa die Hälfte der vom
eigentlichen Sonnenkörper ausgehenden Strahlung verschluckt.
Die Licht- und Wärmemengen, welche die Sonne nach allen Seiten
ausstrahlt, sind ganz enorm. Man hat die Lichtstrahlung der Sonne bei
heiterem Himmel und hohem Sonnenstand zu 288000 Meterkerzen be-
stimmt, d. h. das Sonnenlicht ist ebenso kräftig wie die Beleuchtung
mittelst 288000 Normalkerzen in einer Entfernung von 1 m. Nach
Bond ist das Sonnenlicht 470000 mal kräftiger als dasjenige des Voll-
mondes, nach Zöllner 55000 Millionen mal stärker als das Licht von
Capella.
Im folgenden werden wir sehen, wie man die Wärmemenge misst,
die auf eine Fläche von einem Quadratcentimeter, die senkrecht zu den
Strahlen steht, von der Sonne in einer Minute fällt. Man berechnet
daraus, dass an der Grenze der Erdatmosphäre diese Wärmemenge, die
sogenannte Sonnenkonstante, etwa 2,5 Grammkalorien beträgt. Auf den
ganzen Erdquerschnitt, die eine Ausdehnung von 10000 (20000000)^: jr
= 1,277.10'*^ cm2 besitzt, erreicht folglich die Sonnenstrahlung 3,2.10^^
Grammkalorien pro Minute, d. h. 1,68.1 0^* Grammkalorien pro Jahr.
Da nun die Erde eine Kreisscheibe von 17,"6 Durchmesser von der
Sonne gesehen ausmacht, so ist es leicht zu berechnen, dass nur der
Teil 1:2260000000 von der ganzen Sonnenwärme der Erde zugute
kommt. Darnach erreicht die totale von der Sonne in den Weltraum
hinausgeschleuderte Wärme den ganz unfassbaren Betrag von 3,8.10^^
Grammkalorien pro Jahr.
Da nun das specifische Gewicht der Erde gleich 5,5 angenommen
wird, beträgt die Masse der Erde ^Jtr 15.5 = 6.10'^^ Gramm. Die Sonne
ist 324 000 mal schwerer als die Erde, besitzt folglich eine Masse von
1,9.10"^^^ Gramm. Jedes Gramm der Sonnenmasse verliert demnach
jährlich nicht weniger als 2 Grammkalorien. Es scheint deshalb sehr
eigentümlich, dass die Sonne nicht längst in der unmessbaren Zeit ihren
Wärmevorrat eingebtisst hat. Wir werden weiter unten sehen, wie man
sich vorstellt, dass die Sonne ihre kolossalen Wärmeverluste deckt.
E. F. Nichols hat in jüngster Zeit die Wärmestrahlung einiger der
hellsten Fixsterne, nämlich Arctur und Wega, mit Hilfe des Radio-
niikrometers gemessen. Diese beiden Sterne strahlen ebenso grosse
Wärmemengen aus wie eine Normalkerze in Entfernungen von 8,5 bezw.
18 km. Aus diesen Ziflern kann man berechnen, (^ss die Sonne die
94 Physik des Himmels.
genannten Sterne in Bezug auf Wärmestrahlung etwa in demselben
Maasse tibertrifft, wie in Bezug auf Lichtstrahlung.
Das Aussehen der Sonnenoberfläche. Granulation. Wenn
man die Sonnenoberfläche mit Hilfe von sehr starken Instrumenten be-
obachtet oder ein grosses Sonnenbild photographiert, findet man, dass
die Helligkeit nicht gleichmässig ist, sondern es kommen körnerartig(
helle Bildungen auf dunklem Grunde vor. Man hat diese Erscheinung
mit dem Aussehen von Keiskörnern oder Weidenblättern verglichen.
Langley charakterisiert ihr Aussehen als Schneeflöckchen auf einem
grauweissen Tuche. Zwischen diesen helleren Bildungen finden sich hier
und da dunklere Fleckchen, welche als „Poren" bezeichnet werden. Die
helleren Körnchen, welche einen Durchmesser von 2" bis 4" besitzen,
zerfallen bei sehr bedeutender Vergrösserung in Lichtpünktchen von
etwa 0",3 Durchmesser. Diese Bildungen scheinen an einigen Stellen
scharf ausgeprägt, an anderen etwas verwaschen. Häufig wechseln diese
Gegenden schnell Form und Ausdehnung, wodurch starke Strömungen
auf der Sonnenoberfläche angedeutet werden. Seh ein er ist der Ansicht,
dass diese sogenannte Granulation der Sonnenfläche von wolkenartigen
Bildungen herrührt, welche am ehesten mit den Cirrhus- Wolken in
unserer Atmosphäre zu vergleichen sind, und die nach der Theorie von
Helmholtz (vgl. weiter unten) durch Wellenbildung an der Grenze
von zwei Schichten der Atmosphäre sich bilden sollten, welche sich
aneinander vorbeischieben. In der Nähe der Flecke ziehen sich häufig
die Körner in die Länge und werden Strohhalmen ähnlich, was vielleicht
auf heftige Bewegungen deutet. Da eine Sekunde einer Länge von
720 km auf der Sonnenoberfläche entspricht, haben die kleinsten Körner
einen Durchmesser von etwa 200 km, was jedenfalls die Grösse der
Cirrhuswolken ausserordentlich übertrifft.
Fackeln. Von bedeutend grösserer Ausdehnung als die Körner
sind die Fackeln, unregelmässige häufig langgezogene Streifen von
grösserer Helligkeit als die übrige Sonnenoberfläche, welche viel deut-
licher in der Nähe des Sonnenrandes als in der Mitte der Sonnenscheibe
sichtbar sind . Sie sind sehr beweglich und treten besonders in der Nähe
der Flecke auf und haben einen Zusammenhang mit den Protube-
ranzen.
Durch Anwendung einer sehr starken Dispersion des Lichtes kann
man, wie es zuerst mit den Protuberanzen geschah, alles andere Licht
abblenden als dasjenige, welches von einer bestimmten Wellenlänge ist,
welche sich durch ihr starkes Hervortreten auszeichnet, So z. B. geben
ITT Die Sonne. 95
die PrutiiberaDzen einige Wasserstofflinien, C, F und /?, ebenso wie die
Heliiinilinie (vgl. Tab. II, 3) sehr kräftig, sonst sehr wenig Licht. Jede
Protuberanz giebt, durch ein Prisma betrachtet, ein Bild für jede Wasser-
stofflinie. Durch Abblenden des anderen Lichtes, als z. B. der Linie C,
kann man folglich eine Abbildung von den Sonnenprotuberanzen er-
halten. Dasselbe Prinzip haben Deslandres und Haie auf Gebilden
auf der Sonnenscheibe verwendet. Durch Einstellung auf die Calcium-
linien //oder K erhielt Haie Sonnenphotographien von Gebilden, die
Calciumlicht ausstrahlen, und welche sehr grosse Ähnlichkeit mit den
Fackeln besitzen. Deslandres bestreitet aber ihre Identität mit den
Fackeln. Bei ähnlichen Aufnahmen kann man nur sehr kleine Partieen
der Sonnenoberfiäcbe gleichzeitig photographieren, weshalb man zur Dar-
stellung eines solchen Sonnenbildes etwa hundert Einzelaufnahmen be-
darf. Da die Helligkeit der Fackeln am Sonnenrande gegen diejenige
der Oberfläche viel stärker als an der Mitte hervortritt, so beweist dies,
dass die Strahlung der Fackeln relativ wenig von den obenliegenden
Schichten beeinflusst wird. Mit anderen Worten, sie liegen höher als
die Granulation der Sonnenoberfläche, welche sonst die Hauptstrahlung
aussendet. Je well und Mohler fanden auch die Wellenlänge der He-
liumlinien in den Fackeln kürzer als nebenan an der Sonnenoberfläche,
was entweder eine aufsteigende Bewegung oder wahrscheinlicher einen
niedrigeren Druck in den Fackeln andeutet. Am Sonnenrand gelangt,
zeigen sich auch die Fackeln bisweilen als deutliche Erhebungen.
Die Fackeln und besonders die Granulation geben deii überwiegenden
Hauptteil des Sonnenlichtes und werden deshalb Photosphäre genannt.
Flecke. Das auffallendste Gebilde auf der Sonnenfläche besteht
aus den FJecken (vgl. Fig. 32), welche bisweilen so gross sind, dass sie
mit dem blossen Auge beobachtet werden können. So z. B. nahm ein
Sonnenfleck am 13. Februar 1892 nicht weniger als 3,5 Tausendstel der
ganzen Sonnenoberfläche auf. Noch viel grösser war ein Fleck im Jahre
1 858, welcher 28 Tausendstel der Sonnenfläche aufnahm. Da die Sonnen-
Scheibe etwa 12000 mal grösser als der grösste Durchschnitt der Erde
ist, ersieht man, dass die Flecke bisweilen bis hundertemal grösser
als der Durchschnitt der Erde sind.
Die Sonnenflecke bestehen aus einem mittleren dunklen Kern, Um-
bra oder Schatten genannt, umgeben von einer mehr oder weniger breiten
sogenannten Penumbra oder Halbschatten, die eine strahlige Structur
aufweist. Die relative Helligkeit dieser Teile ist etwa 0,05 und 0,25,
wenn diejenige der Photosphäre gleich 1 gesetzt wird. ^ Dieses Verhältnis
9Ö Physik des Himmels.
ist nicht gleich auf der ganzen Oberfläche, indem zum Rand hinaus die
Helligkeit der Flecke relativ zu den umliegenden Teilen zunimmt,
was darauf hindeutet, dass die strahlenden Teile der Flecke haupt-
sächlich über der Photosphäre liegen. Die Fäden, aus welchen die
Penumbra besteht, erscheinen häufig heller an ihren inneren Enden
und lösen sich da bisweilen zu Lichtkörnern auf. Ein Fleck ent-
steht gewöhnlicherweise durch Erweiterung von einer Pore oder Zu-
sammenschmelzen von mehreren an Stellen, wo eine lebhafte Fackelbil-
dung eine gewisse Unruhe der Sonnenmaterie andeutet. Sie kommen
Fig. '62. (ilruppe von Flecken.
meist in Gruppen vor. Ein grosser Fleck wird häufig von mehreren
kleinen umgeben, welche wenig oder nur einseitig ausgebildete oder gar
keine Halbschatten besitzen. Bisweilen bilden die Fäden der Penum-
bra helle Brücken quer über den Fleck, die dann entweder wieder ver-
schwinden oder bestehen bleiben, in welchem Fall der Fleck in zwei
geteilt wird. Diese Teile scheinen oft voneinander abgestossen zu
werden, wie überhaupt häufig eine Art Abstossung zwischen naheliegen-
den Flecken zu wirken scheint.
Die Flecke sind meist von Fackeln umgeben und bisweilen sieht
man in ihrer Umgebung fackelartige Erscheinungen von ungewöhnlich
starkem Glanz plötzlich hervorbrechen, sich mit grosser Geschwindigkeit
bewegen, um nachher zu verschwinden. So z. B. sahen Carrington
uad Hodg'son am 1. September 1859 zwei sichelartige Fackeln von
ITI. Die Sonne. 97
etwa 13000 km Länge und 300 km Breite am Rande eines Fleckes her-
vorbrechen. Sie standen etwa 20000 km voneinander und bewegten
sich über den Fleck hinweg in parallelen Bahnen. In 5 Minuten, wäh-
rend welcher Zeit sie 50000 km durchlaufen hatten, verschwanden sie.
Ihre Helligkeit wurde sechsmal so hoch geschätzt, wie diejenige der
Photosphäre.
Bisweilen, aber selten, sind die Fasern des Halbschattens nicht ra-
diell zum Fleckenmittelpunkte angeordnet, sondern liegen schräg, was
auf eine drehende Bewegung des Fleckes hinzudeuten scheint. Dieser
Umstand wurde von Faye zur Erklärung der Erscheinungen auf der
Sonnenoberfläche benutzt, indem er glaubte, die Flecke wären cyklonen-
artige Erscheinungen.
Die Flecke wandern allmählich von dem Ost- nach dem Westrande
der Sonne, woraus man zuerst auf eine Rotationszeit der Sonne geschlossen
hat. Nachdem der Fleck am Sonnenrande untergetaucht ist, erscheint
er wieder auf der anderen Seite nach einer halben Umdrehung der
Sonne (die synodische Umdrehungszeit beträgt etwa 27 Tage). So kann
er wieder eine Umdrehung mitmachen u. s. w. Für gewöhnlich ändert
er stark die Form während seiner Existenzzeit, die im Mittel 2 bis 3
Monate beträgt. Einige Flecke dauern nur einige Stunden, andere
einige Tage, und man hat solche beobachtet von IV2 Jahren Dauer
(1840—1841).
Die Wilsonsche Fleckentheorie. Die Flecke ändern ihr Aus-
sehen bei ihrem scheinbaren Gang über die Sonnenscheibe nicht nur
durch Verschiebungen ihrer verschiedenen Teile, sondern auch zufolge
perspektivischer Gründe. Wenn nämlich ein Fleck an der Sonnenmitte
kreisförmig erscheint, so besitzt er am Sonnenrand ein elliptisches in der
Vquatorialrichtung stark verkürztes Aussehen. Dabei sah Wilson, dass in
der Mehrzahl der Fälle der Halbschatten auf der dem Beobachter näheren
Seite des Fleckes in der Nähe des Sonnenrandes entweder verschwand
• »der wenigstens viel schmäler aussah als der Halbschatten auf der
entfernteren Seite. Ganz am Sonnenrande erschienen ihm die grösseren
Flecke als dunkle Ausschnitte im hellen Sonnenrande. Dieser Um-
stand wurde so gedeutet, dass ein Fleck als eine Vertiefung anzusehen
ist, an dessen Boden die Umbra liegt, und dessen Seiten konisch ab-'
fallen und den Halbschatten ausmachen. In einigen Fällen verhielt sich
der Fleck in umgekehrter Weise, was also darauf hindeuten sollte, dass
der betreffende Fleck vielleicht als eine Erhebung zu betrachten wäre.
Es ist mm kein Zweifel, dass in vielen Fällen der Halbschatten auf
Arrhenius, Koamische Physik, • 7
gg Physik des Himmels.
beiden Seiten eines Fleckes, der nahe der Sonnenmitte steht, sehr
verschieden breit ist. Um also die Frage zu entscheiden, ob die
Flecke als Vertiefungen anzusehen sind, müsste man eine Art Sta-
tistik über das Aussehen dieser Objekte in der Nähe des Sonnen-
randes machen. Eine solche Statistik wurde von De 1 a R u e ,
Stewart und L o e w y für 600 Flecke beschafft. 75 Proz. der Fälle
waren für die Wilson sehe Ansicht günstig, 12 ungünstig, der Rest
unentschieden.
Jedoch ist diese Frage in neuester Zeit wieder aufgenommen worden,
und zwar ist man in den meisten Fällen zu Schlüssen gekommen, die für
die Wilsonsche Theorie ungünstig sind. So fand z. B. Sidgreaves
in Stonyhurst, dass imter 171 Sonnenflecken 42 für, 121 gegen die Wil-
sonsche Theorie sprachen, während 8 unentschieden waren. Auf der
anderen Seite fand Riccö in Catania ein für die Wilsonsche Theorie
günstiges Resultat, indem von 185 untersuchten Sonnenflecken 131 der
Theorie günstig, 18 ungünstig, und die übrigen 36 nicjit entscheidend
ausfielen. Die jetzt vorherrschende Ansicht dürfte diejenige sein, dass
die ruhigen, grossen, nahezu kreisförmigen, Flecke als Vertiefungen an-
zusehen sind, während die anderen häufig als Erhebungen hervortreten.
In der That hat Ricco unter mehr als 3000 Flecken nur die 185 runden
ausgesucht. Auch Frost, Howlett, Evershed u. a. schliessen sich
nicht der Wilsonschen Ansicht an.
Die ersten Entdecker der Flecke waren Fabricius, Scheiner
und Galilei. Scheiner hielt sie zuerst für kleine Planeten, die an
der Sonnen Scheibe vorbei passierten, aber später schloss er sich der all-
gemeinen Ansicht an, dass die Flecke wirklich auf der Sonne selbst
gelegen seien, und er bestimmte aus ihrer Bewegung die Lage der Ro-
tationsachse und die Umdrehungszeit der Sonne mit sehr grosser Genauig-
keit. Später kam die oben angeführte Wilsonsche Theorie, welche
von Herschel gestützt wurde und allgemeine Anerkennung fand.
Secchi gab ihr die moderne Form, nach welcher ein Fleck als
eine Einsenkung in der Photosphäre zu betrachten ist, durch welche die
Produkte vorhergegangener Eruptionen wieder in den Sonnenkörper hin-
einfallen, indem sie grosse Wolken von stark absorbierenden kühleren
Dämpfen bilden. Am Platze des Fleckes sollte demnach zuerst eine
kurzdauernde Eruption stattfinden. Die dadurch in die Höhe ge-
schleuderten Substanzen sollten eine kurze Zeit in den höheren Schichten
schweben und sich abkühlen, um danach auf die Photosphäre hinunter-
zufallen und den eigentlichen Fleck zu bilden. In der That muss man
III. Die Sonne.
99
Dl Da
zur Erklärung der beobachteten Strömungen eine starke Abkühlung der
äusseren Schichten zufolge der Ausstrahlung annehmen.
Das Spektrum der Sonnenflecke zeigt viele Eigentümlich-
keiten. Die dunklen Fraunhoferschen Linien, welche dem Sonnen-
lichte eigentümlich sind, finden sich auch im Fleckenspektrum zum
grössten Teil wieder. Einige von ihnen fehlen aber, andere sind neu-
gekommen, wie die charakteristische Linie
D^, welche dem Helium entspricht (s. Fig. 33).
(In den Figg. 33 und 34 ist der Spalt des
Spektroskopes mit seiner Mitte auf einen
Fleck eingerichtet, während sein oberer
und unterer Teil auf die Photosphäre ein-
gestellt ist. Man erhält infolgedessen das
Spektrum des Fleckes umgeben von einem
oberen und einem unteren Spektrum der
Photosphäre.) Andere Linien, wie die Na-
triumlinien 2), und D2, sind stark verbreitert und umgekehrt, d. h. in der
Mitte der breiten dunklen Linie erscheint eine schmale helle Linie. Einige
Linien zwischen den Fraunhoferschen Linien A und B oder C und D
sind zu Bändern ausgezogen (vgl. Fig. 34), welches auf Vorkommen von
Fig. 33. Umkehrung der
Z>-Linien in Sonnenflecken.
Fig. 34. Teil des Sonnenfleckenspektrums zwischen
G und D.
chemischen Verbindungen in den Fleckengasen hindeutet. Die dem
Calcium angehörigen Linien //und iT, welche schon in den Protuberanzen
und der Chromosphäre (vgl. weiter unten) und in den Fackeln für ge-
wöhnlich doppelt umgekehrt vorkommen, d. h. als zwei durch einen
dunklen Streifen getrennte helle Linien auf dunklem Gnmd erscheinen,
kommen auch in den Flecken, aber nur als einfach verdoppelt, vor.
Das Spektrum ist in der Nähe dieser Linien (äusserstes Violett) sehr
• 7*
IQQ Physik des Himmels.
wenig leuchtend. Wenn die Fleete zum Sonnenrand gelangen, er-
scheint die Penumbra nicht als die Umbra, was wohl der Fall sein würde,
wenn der Fleck eine Einsenkung in der Photosphäre wäre, welche
zufolge der Absorption der darin gelegenen (relativ) kühlen Gase ent-
stände. Auch der oben erwähnte Umstand, dass die Sonnenflecke bei-
nahe ebenso stark am Sonnenrande strahlen, wie in der Mitte der Sonnen-
scheibe, sowie die Beobachtungen über das Aussehen des Halbschattens
mancher Flecke deutet an, dass sie eher als Erhebungen zu betrachten sind.
Die Umkehrung der Spektrallinien. Um diese Frage, die
jetzt das höchste Interesse in Anspruch nimmt, zu diskutieren, unter-
suchen wir näher, was die Umkehrungen der Linien wohl bedeuten.
Eine schmale helle Linie entsteht, wenn ein Gas in dünner Schicht
leuchtet. Wird die Schicht dichter oder dicker, so verbreitert sich die
Linie und der ganze Hintergrund fängt an mit einem schwachen kon-
tinuierlichen Licht zu leuchten. Die scharfen Linien des gewöhnlichen
Sonnenspektrums deuten an, dass die absorbierende Schicht relativ ge-
ringe Mengen von jedem absorbierenden Gas über der strahlenden
photosphärischen Schicht enthält, die aus wolkenartigen Bildungen von
flüssiger oder fester Form (vielleicht Kohle) bestehen. Die Fackeln oder
die photosphärischen Wolken, welche viel heller als der gasförmige
Hintergrund leuchten, entsprechen etwa einem Platindraht, der in einer
Bunsenflamme glüht. Obgleich dieser keineswegs heisser ist als die
Flamme (sondern umgekehrt), leuchtet er viel mehr als diese. Aber
auf der anderen Seite unterscheidet sich dieser Fall von demjenigen der
Sonne, indem die strahlende Gasschicht in diesem als unendlich dick,
bei der Flamme aber als sehr dünn anzusehen ist. Wenn man nun
mehrere schwach absorbierende und lichtaussendende Schichten hinter-
einander verlegt, so strahlt das Licht von den hinten gelegenen Flam-
men durch die vor ihnen stehenden, die nur wenig absorbieren. Nimmt
man eine genügende Anzahl von Schichten, so wird die Strahlung aller
zusammen sich derjenigen eines absolut schwarzen Körpers nähern.
Das heisst, der Platindraht sollte in einer unendlich dicken Bunsen-
flamme nicht leuchten, sondern eher, da er nicht absolut schwarz ist,
dunkel gegen den Hintergrund sich ausnehmen.
Diese Verhältnisse gelten, wenn tiberall in dem leuchtenden Gas
eine einheitliche Temperatur herrscht. In diesem Fall können nie dunkle,
sondern nur helle Linien entstehen, die um so breiter werden, je mäch-
tiger die strahlenden Schichten sind. Ganz anders liegen die Umstände,
wenn eine kühlere Schicht desselben Gases zwischen der Lichtquelle
m. Die Sonne. 101
und dem beobachtenden Auge liegt. Das kühlere Gas sendet bedeutend
weniger Licht aus, als das wärmere, indem die Ausstrahlung eines
„schwarzen" Körpers bei einer gegebenen Wellenlänge nach Paschens u.a.
Untersuchungen etwa exponentiell mit steigender Temperatur zunimmt.
Dagegen ist die Absorptionsfähigkeit, soweit man bisher weiss, relativ
sehr wenig mit der Temperatur veränderlich. Eine relativ kühle und
genügend dicke Schicht eines Gases kann daher die Strahlung von be-
stimmter Wellenlänge einer dahinter stehenden wärmeren Gasmasse,
oder eines anderen Körpers, so gut wie vollkommen absorbieren, ohne
selbst eine merkliche Lichtmenge auszusenden. Den einfachsten Fall
bildet ein kaltes Gas (unter 500^), welches nach dem Drap er sehen
Gesetz keine merkliche Licht-, sondern nur Wärmestrahlung aussendet,
dagegen stark absorbierend wirken kann (z. B. Jod- oder Natrium-
dämpfe). In der Sonne liegen nun Gasschichten von sehr verschiedener
Temperatur übereinander gelagert. Ob eine bestimmte Lichtart in über-
wiegender Menge (verglichen mit den benachbarten Teilen des konti-
nuierlichen Spektrums) von diesem Gaskomplex emittiert oder absorbiert
wird, hängt von dem Temperaturgefälle und dem Konzentrationsgefälle,
sowie von dem Absorptionskoefficienten des Gases ab. Wenn dieser
letzte sehr gering ist, so dass nur sehr tiefe und dichte Schichten zur
Strahlung beitragen, wie dies der Fall ist mit dem äussersten Saum bei
den verbreiterten Linien, so erhält man einen Lichteindruck und das
so entstandene Licht bildet wohl den hellen Boden des relativ schwachen
Fleckenspektrums. Bei etwas stärkeren Absorptionskoefficienten dagegen
gewinnen die äusseren kühlen Schichten an Bedeutung, und man erhält
ein Absorptionsband. Bei noch grösseren Absorptionskoefficienten, wo
also die hinteren Schichten immer mehr an Bedeutung einbüssen, kann
es, wenn das strahlende Gas nicht zu den relativ kältesten Schichten
der Sonnenatmosphäre sich erstreckt, vorkommen, dass der wirklich
strahlenden Schicht eine annähernd konstante Temperatur zugeschrie-
ben werden kann, d. h. wir erhalten wiederum einen Lichteindruck.
Dieser Fall entspricht den umgekehrten Linien, wo auf dem hellen
Hintergrund ein dunkles Band liegt, welches in der Mitte einer hell-
leuchtenden Linie Platz giebt. Dieses Spiel kann sich wiederholen, so-^
dass die mittlere helle Linie wiederum von einer schwarzen Linie ent-
zwei geschnitten wird. In diesem Falle muss aber der Absorptionskoef-
licient kolossal gross sein, sodass die verschwindenden Mengen in der
äussersten Sonnenatmosphäre doch eine KoUe spielen. Dass dabei nicht
immer eine sehr dicke Schicht nötig ist, sondern vielmehr ein grosser
IQ2 Physik des Himmels.
Absorptionskoefficient und ein sehr starker Temperaturfall genügen,
ersieht man daraus, dass das Na-Spektrum im Flammenbogen bisweilen
„doppelt umgekehrt" erscheint.
Die Natur der Flecke. Die Spektra der Flecke und der um-
gebenden Fackeln bieten Beispiele dieser verschiedenen Erscheinungen.
Das Helium, welches nur in den äussersten Schichten der Sonne vorzu-
kommen scheint, giebt bei jenen eine dunkle Linie, Wasserstoff, Calcium
(H- und Z-Linie) und Natrium, welche hoch in der Sonnenatmosphäre, aber
auch in tieferen Schichten, vorkommen, geben sehr häufig umgekehrte
Linien, ebenso bisweilen das Magnesium. Die Linien des Eisens und Titans,
sowie die schwächeren Linien des Calciums, welche einer geringeren Ab-
sorption entsprechen, zeigen starke Verbreiterungen. Viele Linien, welche
im gewöhnlichen Sonnenspektrum vorkommen, sind im Fleckenspektrum
sehr stark geschwächt und rühren vielleicht von reflektiertem, soge-
nanntem „falschen" Licht her.
Alle diese Umstände deuten an, dass die Flecke von hinunter-
sinkenden Gasströmungen in den äusseren Schichten der Sonne her-
rühren, welche beim Hinuüterf allen sich sehr stark erwärmen und die
stark leuchtenden photosphärischen Wolken, welche der Granulation ent-
sprechen, auflösen. Genau in derselben Weise lösen sich die Wolken
unserer Atmosphäre in hinuntersinkenden Luftströmungen (bei den baro-
metrischen Maximis) auf. Man wird also bei den Flecken sehr dicke,
aussen kühle und innen sehr heisse Schichten von den Gasen, die
sonst in der Chromosphäre und der sogenannten umkehrenden Schicht
(vgl. weiter unten), d. h. den äusseren Teilen der Sonnenatmosphäre,
vorkommen, vor sich haben. Die Abwesenheit von strahlenden festen
oder flüssigen Körpern verursacht die geringe Lichtintensität der Flecken-
strahlung. Da die Strahlung der inneren Gasschichten von den viel
kühleren äusseren absorbiert wird, so gelangen die meisten Wärme-
strahlen zu uns von den obersten kühlen Schichten dieser Gasmasse.
Diese Strahlung von hochliegenden Teilen wird nicht in so hohem Maasse
bei der Annäherung zum Sonnenrand geschwächt, wie diejenige der nie-
driger liegenden wärmeren photosphärischen Wolken, deren Licht am
Sonnenrand eine viel dickere kühle Gasschicht als in der Sonnenmitte
passieren müssen.
Die in Auflösung befindlichen geschwächten Teile der Photosphäre
bilden den Halbschatten, welcher zufolge der abwärts gerichteten Gas-
strömung, an deren Rande sie liegen, eine strahlige Struktur erhalten.
Die Penumbra liegt deshalb in vielen Fällen nur unbedeutend tiefer
III. Die Sonne. 103
als die Photosphäre, da schon eine unbedeutende Senkung genug Wärme
zur Auflösung produciert. Um die Flecke herum steigen die Gase
wieder in die Höhe, starke Kondensationen und Wolkenbildungen finden
statt, wodurch die Strahlung stark erhöht wird. Dies ist für die Fackeln
charakteristisch. Bei diesen kommen doppelte Umkehrungen der Linien
mit den allergrössten Absorptionskoefficienten (die H- und Ä-Linie) vor.
Die Flecke sind infolgedessen gewissermaassen Vertiefungen oder viel-
mehr Löcher in der photosphärischen Wolkenschicht. Kiccö versuchte
die Tiefe dieser Löcher in der Weise zu ermitteln, dass er die schein-
bare Breite ihrer Wände, d. h. der Halbschatten, und der Bodenteile,
* d. h. der Schatten, am Rande und in der Mitte der Sonne maass.
Aus diesen Messungen schätzte er die Höhe der Wände zu einem
Sechstel (im Mittel) von der Breite des Bodens. Die hauptsächliche
Strahlung gelangt zu uns aus den höheren Schichten des Fleckes, aber
auch die tieferen Schichten nehmen etwas teil daran, wie die Bänder
zwischen Ä und D zeigen (vgl. w^eiter unten).
Bisweilen, aber relativ selten, bemerkt man in den Linien des
Fleckenspektrums Verzerrungen, die auf relative Bewegungen der Gas-
raassen hindeuten. Diese Verzerrungen sind, wie zu erwarten steht,
gewöhnlicher am Rand des Fleckes als in seiner Mitte. Dabei ver-
schieben sich bisweilen einige Linien, während andere, die für andere
Körper charakteristisch sind, richtig stehen. Dies giebt einen Finger-
zeig, dass die Bewegung sich nicht über alle Schichten der Flecke er-
streckt, indem die verschiedenen Körper in ihrer Hauptmasse ver-
schieden tief liegen.
Bei der doppelten Umkehrung der H- und /f-Linien in den Fackeln
hat man bemerkt, dass die innerste dunkle Linie nach Roth verschoben
ist. Dies würde bedeuten, dass die höchsten Gasschichten bei den
Fackeln auch in einer niedersinkenden Bewegung begriffen sind, wie
die Fleckengase im allgemeinen, während der leuchtende Hauptteil der
Fackeln sich in aufsteigender Bewegung befindet. Danach würde das
hinuntersinkende Gasgebiet einen trichterförmigen Vertikaldurchschnitt
besitzen (vgl. Fig. 35), was wohl von der stark zunehmenden Dichte
nach unten bedingt wird. Bisweilen bemerkt man in der Nähe der
Flecke gewaltige Ausbrüche von Gasen, besonders von Wasserstoff, welche
wahrscheinlicherweise von derselben Art, wie die Protuberanzausbrüche
sind. Einen solchen Ausbruch einer Wasserstoffmasse von 200000 km
Länge und 30000 km Breite aus der Grenze des Halbschattens be-
schreibt Young.
104
Physik des Himmels.
f
Die Chromosphäre und die Protuberanzen. Ausserhalb des
eigentlichen leuchtenden Teils der Sonne liegen ausgedehnte Gasmassen,
welche wegen ihrer geringen Dichte und relativ niedrigen Temperatur,
obgleich sie Licht aussenden, neben dem ausserordentlich starken Licht
der Photosphäre für gewöhnlich nicht sichtbar sind. Diese Teile sah
man erst bei Sonnenfinsternissen. Unmittelbar über der Photosphäre
liegt eine relativ dünne Schicht von rosenroter Farbe, die Chromosphäre,
welche plötzlich aufblitzt, wenn der Mond den äussersten Rand der Photo-
sphäre bedeckt, und die kurze Zeit dauert, bis der Mond auch den Rand
der Chromosphäre überdeckt. Man hat aus dieser Dauer die Tiefe
dieser Schicht zu etwa lO" — 12" (zu je 720 km) berechnet.
Aus diesem Lichtmeer erheben sich sogenannte Protuberanzen von
derselben Farbe, die sich häufig von der Chromosphäre loslösen und als
Wolken schweben. Bisweilen sind
diese Gebilde blasser, weisslicher ge-
färbt. Sie wurden zuerst von einem
schwedischen Gymnasiallehrer Vasse-
nius (1733) erwähnt, und haben beson-
ders seit Mitte des neunzehnten Jahr-
hunderts grosse Aufmerksamkeit erregt.
Ausserhalb dieser liegt die Corona,
welche mit einem aluminium- oder
perlen weissen Licht von strahliger Struktur, an das Nordlicht erinnernd,
sich sehr weit, 2 — 3 Sonnendurchmesser oder mehr, mit immer ab-
nehmender Intensität hinausstreckt. Die Corona war schon im Alter-
tum bekannt. Auch die Chromosphäre scheint eigentümlicherweise vor
den Protuberanzen (1706 von Capitän Stannyan) entdeckt worden
zu sein.
Erst glaubte man, dass diese Erscheinungen mit dem Monde in
Zusammenhang stünden, aber später, besonders nach der Einführung der
Photographie und des Spektroskopes zur Untersuchung dieser Gebilde,
wurde ihre Zugehörigkeit zum Sonnenkörper unzweifelhaft.
Schon nach der ersten Sonnenfinsternis, bei welcher das Spektro-
skop benutzt wurde, bemerkte Janssen nach Ende der Verfinsterung,
dass die hellen Linien im Protuberanzlicht auch ohne Yerdeckung der
Sonnenscheibe sichtbar sind. Zu demselben Resultat war Lockyer
durch theoretische Betrachtungen gelangt, und es war nachdem un-
zweifelhaft, dass die Protuberanzen bei weit geöffnetem Spalt sichtbar
sein würden. Dabei wurde zum ersten Male dasselbe Prinzip benutzt,
Fig. 35.
m. Die Sonne. 105
welches Haie und Deslandres später für die Untersuchung von Ob-
jekten auf der Sonnenscheibe verwendeten. Dieses Prinzip beruht, wie
wir oben gesehen haben, darauf, dass ein Gegenstand, welcher einige
wenige Lichtarten aussendet und wegen starker Beleuchtung durch
andere Lichtarten in der Umgebung nicht sichtbar ist, deutlich sich
hervorhebt, sobald man das fremde Licht abschwächt. Dies geschieht am
einfachsten durch starke spektrale Zerlegung des störenden Lichtes und
Abbiendung der fremden Lichtarten. Als Spektroskope verwendet man
sowohl Prismensätze als auch Gitter. Man hat versucht, dieselbe Me-
thode auf die Corona zu verwenden, ist aber nicht zu gutem Erfolg ge-
langt, weil das Coronalicht hauptsächlich kontinuierlich ist.
Die erste gelungene Aufnahme einer Protuberanz mit weit ge-
öffnetem Spalt rührt von Huggins her. Für gewöhnlich verwendet
man dazu das Licht der Wasserstofflinie G oder der Calciumlinien
E und TT, die letzteren besonders beim Photographieren von Protu-
beranzen.
Spektroskopie der Sonne. Die Sonnenlinien (Taf. H, 8) geben
uns einen Aufschluss darüber, welche Stoffe in der Sonnen atmosphäre
vorkommen. Die wichtigsten Sonnenlinien entsprechen folgenden che-
mischen Elementen:
G 656,3 iiy, Wasserstoff
l Natrium
Calcium
Magnesium
Magnesium
Magnesium und Eisen
Wasserstoff
Wasserstoff
Eisen und Calcium
Wasserstoff
l Calcium
Die Linien A (759,4 ////), a (718,6 (i^) und B (686,7 ^i^) gehören der
irdischen Atmosphäre an (vgl. Taf. II, 7). Auf der Sonne in dem Licht
der Photosphäre sind alle irdischen Elemente, mit Ausnahme der Metall-
oide Stickstoff, Chlor, Brom, Jod, Fluor, Schwefel, Selen, Tellur, Phosphor,
Arsen und Bor, Argon und die anderen neuen Elemente der Luft, sowie
A
589,6
A
589,0
E
527,0
h
518,4
h
517,3
h
516,9
F
486,1
0,
434,0
0
430,8
h
410,2
H
396,9
K
393,4
\0ß Physik des Himmels.
der Metalle Antimon, Wismuth, Gold, Platin, Iridium, Osmium, Thallium,
Quecksilber und einige seltene Metalle, wiedergefunden worden.
Bis in der letzten Zeit war es zweifelhaft, ob Kohle und Sauer-
stoff, diese auf der Erde so wichtigen Körper, auf der Sonne vor-
kommen. Man suchte dieselben sehr eifrig und glaubte mehrere
Mal ihre Anwesenheit im Sonnenkörper nachgewiesen zu haben, erst
in jüngster Zeit scheint dies mit grosser Sicherheit, besonders für
Kohlenstoff, gelungen zu sein. Einige Forscher glauben sogar, dass
Kohlenstoff eine bedeutende Rolle in den Wolken der Photosphäre
spielt.
Sehr auffallend ist der Umstand, dass die meisten Metalloide —
zu diesen kann man auch Antimon und Wismuth zählen — nicht auf
der Sonne aufgefunden sind. Es ist aber doch kein Zweifel, dass diese
Elemente, welche auf der Erde teilweise eine sehr wichtige Eolle spielen,
wie z. B. Stickstoff, Chlor, Fluor und Schwefel, auch in der Sonne vor-
kommen. Diese Stoffe geben aber nur mit Schwierigkeit ein Spektrum,
wenn sie nicht elektrischen Entladungen ausgesetzt werden, und es ist
höchst wahrscheinlich, dass sie zwar in glühender Form in der Sonne
anwesend sind, aber doch nur ein so schwaches Licht aussenden, dass
sie uns im Sonnenspektrum entgehen. Weiter ist es auffallend, dass
unter den Metallen, wenn man von einigen sehr seltenen absieht, die
wahrscheinlicherweise in zu geringer Menge auf der Sonne vorhanden
sind, um da wahrgenommen zu werden, nur einige mit sehr hohem
Atomgewicht fehlen. Von den Elementen mit Atomgewicht über 180
fehlen nämlich alle, ausser Blei und Uran, darunter Gold und die
Platinmetalle mit hohem Atomgewicht, Quecksilber und Thallium. Von
diesen sind Gold, Platin und Quecksilber nicht so selten, dass man sie
deshalb nicht erwarten könnte, da Rowland doch so äusserst seltene
Elemente, wie Scandium und Germanium, in der Sonne nachgewiesen
hat. Es verhält sich aber so, dass in einer Gasmasse, welche mehrere
Gase enthält, die schweren, d. h. diejenigen mit hohem Molekulargewicht,
das für Metalle wahrscheinlicherweise mit dem Atomgewicht zusammen-
fällt, sich nach unten konzentrieren. Diese Konzentration muss auf der
Sonne, wo die Schwere ausserordentlich viel kräftiger als auf der Erde
wirkt, und wo die vertikalen Abstände, verglichen mit denjenigen
auf der Erde riesig sind, ungeheuer ausgeprägt sein. Es ist dem-
nach zu vermuten, dass die schwersten Metalle in den tiefsten
Schichten der Sonne konzentriert sind. Andererseits sind die leich-
testen Elemente, sofern sie leicht ein Spektrum ergeben, wie Wasser-
III. Die Sonne.
107
Stoff, Helium, (Lithium), Natrium, Magnesium, Calcium in den aller-
höchsten Schichten der Sonne in grosser Menge nachgewiesen.
Gerade diese Elemente sind nun am stärksten in der Chromosphäre
vertreten. Nach der photographischen Aufnahme von Evershed während
der Sonnenfinsternis 1898
(vgl. Fig. 36) sind die Linien
der etwa 8" = 5700 km
dicken Chromosphäre, de-
ren tiefster Teil die etwa
1,5" = UOOkm dicke soge-
nannte umkehrende Schicht
(weil darin die hauptsäch-
liche Absorption stattfindet)
bildet, ziemlich genau die-
selben, wie die dunklen
Sonnenlinien, nur sind sie
im Gegensatz zu diesen
hell. Auffallend ist das
Vorkommen der Helium-
linie (587,49 (in) in der
Chromosphäre, während sie
nicht als dunkle Linie in
dem Sonnenlicht vorkommt.
Dasselbe ist der Fall mit
der Coronalinie (53 1,59 ^im).
Die wichtigsten Linien der
Chromosphäre gehören den
Elementen Wasserstoff, He-
lium, Calcium, Strontium,
Baryum, Eisen, Magnesium,
Natrium, Mangan, Chrom,
Aluminium, Nickel (?) und
Titan. Eigentümlich er-
scheint das Vorkommen
von Strontium und beson-
ders Baryum(mit den A tom-
gewichten 87 und 137),
obgleich sie relativ schwere
Elemente sind. Dies rührt
bc.2
'S ^
M 1=1
r^ T-i
^^
rH ^
^ ö^
O ®
^,2 a
O w
M ü OJ
^ 3 a
•^ CO
o) o a>
^ o S
o o n
ö a>
o.S
O
CO Ö
^ ^ CO
Ö ü i-<
^ 50
. '^'^
••2 ^ 0)
a bßa:
o ö
i~i .;c^
2^
^ OJ
<X) J^
CO
• O
CO d
..• ^
[Qg Physik des Himmels.
aber ohne Zweifel davon her, dass sie äusserst leicht Spektra geben (sogar
in der Bunsenflamme). In gleicher Weise erklärt sich das Vorkommen
des Calciums in den Protuberanzenlinien. Oberhalb der umkehrenden
Schicht kommen in normalen Fällen nur Wasserstoff, Helium, (Coronium)
und Calcium vor. Die Eisenmetalle und das mit ihnen vorkommende Titan
spielen auch eine grosse Kolle in der Sonnenatmosphäre. Sie scheinen
auch die verbreitetsten Elemente zu sein, wie ihr Vorkommen in den Me-
teoriten zeigt. Die Linien der starke Spektra gebenden Metalle, Natrium
und Magnesium sind in derChromosphäre bisweilen doppelt umgekehrt. Auf-
fallend ist das Fehlen des Kaliums, welches, obgleich es nicht eine so grosse
Kolle wie Natrium in der Natur zu spielen scheint, doch sehr verbreitet ist,
und als Alkalimetall ein kräftiges Spektrum bei niederer Temperatur giebt.
Das Spektrum der Protuberanzen unterscheidet sich in vielen Fällen,
nämlich bei den sogenannten metallischen oder eruptiven Protuberanzen,
nur wenig von demjenigen der Chromosphäre. Diese Art von Protube-
ranzen tritt gewöhnlich in der Nähe der Flecke auf und kommt nie
an den Polen vor. Sie enthalten, ausser den Bestandteilen der gewöhn-
lichen sogenannten Wasserstoffprotuberanzen, sehr viele metallische
Dämpfe, wie von Natrium, Magnesium, Calcium, Baryum, Eisen, Titan,
Chrom und Mangan. Diese Metalldämpfe kommen eigentlich nur an der
Basis der Protuberanzen vor; je höhere Punkte der Protuberanz man
beobachtet, desto seltener sind die Metalllinien, und an ihrer Spitze sieht
man für gewöhnlich nur die Linien des Wasserstoffs, Heliums, Coroniums
und die Calciumlinien H und K.
Die metallischen Protuberanzen (Fig. 38). Diese metallischen
Protuberanzen zeigen eine so rasche Formänderung (vgl. Fig. 38 a — c),
welche auf ausserordentlich schnelle Bewegungen zurückzuführen ist, dass
man an ihrer realen Existenz zu zweifeln sich berechtigt glaubte. So z. B.
sah der bekannte Solarphysiker Tacchini am 16. November 1892 eine
Protuberanz, deren Höhe über der Sonnenoberfläche um 9^*131,8", um 1^35^"
534,3" betrug. Um 12^35"* löste sie sich von der Sonnenfläche, um l'*
war ihr unterer Band 62,5" um 1^ 19^ 208" vom Sonnenrand entfernt.
Um 1^ 35"^ bewölkte sich der Himmel und wurde erst um 3^* 49"* wieder
hell. Die Protuberanz war dann verschwunden. Wenn man bedenkt, dass
eine Bogensekunde, l", einer Entfernung von 720 km entspricht, versteht
man, um wie enorme Strecken die-Protuberanzenmaterie sich in kurzer Zeit
verschoben hat. Die maximale Höhengeschwindigkeit wurde um 1'* 32*"
beobachtet und erreichte 248 km pr. Sek. Tacchini spricht deshalb
die Vermutung aus, dass vielleicht das ganze als eine Explosionswelle
in. Die Sonne.
109
zu betrachten wäre. In der Sonnenatmosphäre sollten explosive Gas-
geraische vorkommen, die plötzlich entflammten, und das gerade
brennende Gebiet erschiene als Protuberanz. Man hätte danach, im
Gegensatz zu unseren Erfahrungen an irdischen Explosivstoffen, anzu-
nehmen, dass die Entflammungstemperatur dieser Gasgemische weit über
1000^ C. läge. Die genannte Ansicht ist auch deshalb unhaltbar,
weil dergleichen Verschiebungen in Richtung der Sichtlinie sich durch
eine unerhört starke Verzerrung der Spektrallinien kundgeben. Und
man hat keinen Anlass zu vermuten, dass die Fortpflanzung einer Ex-
plosionswelle zu solchen Verzerrungen Anlass geben würde. So z. B.
beobachtete Young in Sherman am 3. August 1872 eine Protuberanz,
deren Enden (vgl. Fig. 37) sich mit Geschwindigkeiten von 370 resp.
410 km pro Sekunde bewegten, das eine von der Erde weg, das andere
gegen sie hin. Diese Bewegung war an den Wasserstofflinien und den
Fig. 37. Linienverschiebun^ (der Wasserstoölinie F) einer Protube-
ranz, deren beide Enden heftige Verschiebungen erleiden.
Calciumlinien II und K ersichtlich, dagegen zeigten die zu derselben
Protuberanz gehörigen Magnesium- und Natriumlinien keine nennens-
werte Bewegung an. Es waren also nur die äussersten, dünnsten, Teile
der Protuberanz, welche diese kolossale Massenverschiebungen anzeigten.
Die Linien des Baryums und des Coroniums zeigten gar keine Bewegung
an. Das Baryum kommt in noch dichteren Teilen als Magnesium und
Natrium vor, wie durch das hohe Atomgewicht (Ba = 137, gegen Na = 23
und Mg =24) wahrscheinlich gemacht wird. Das Coronium, d. h. der
unl)ekannte Körper, welcher dem Coronaspektrum den Charakter giebt,
gehörte wahrscheinlicherweise nicht der Protuberanz, sondern der ausser-
halb liegenden Corona.
Ein paar andere Beispiele von einem der üeissigsten Protuberanzen-
j^lQ Physik des Himmels.
forscher, Fenyi in Kalocsa (Ungarn) mögen zur Erläuterung dieser inter-
essanten Frage angeführt werden. Am 19. September 1893 beobachtete er
eine Protuberanz, die um 2'*, 21"* 368", 7,3 Minuten später 497", hoch war,
welches einer mittleren Geschwindigkeit von 212 km pro Sek. entspricht.
Ihre stärkste Bewegung in der Sichtlinie war 300 km pro Sek., also von
derselben Grössenordnung. Am folgenden Morgen um 8^ 55"* schoss eine
Protuberanz aus der Sonnenoberfläche heraus, welche 12 Minuten später
eine Höhe von 486", entsprechend einer mittleren Geschwindigkeit (senk-
recht zur Sichtlinie) von 488 km pro Sek., erreichte, um in den folgen-
den 8 Minuten bis zu 691" zu steigen. Ihre stärkste Bewegung in
Eichtung der Sichtlinie war 250 km von der Erde weg. Noch viel
grösser war die Geschwindigkeit einer von demselben Forscher beob-
achteten Protuberanz vom 15. Juli 1895, indem die spektroskopisch ge-
messene Geschwindigkeit in der Sichtlinie 859 km pro Sek. betrug.
Eine andere Protuberanz lag am 30. September 1895 als eine breite Er-
hebung von 22 Graden Ausdehnung (= Vi r. des Sonnenumkreises) an dem
Östlichen Eande der Sonne. Sie erhob sich später plötzlich zu einer
Höhe von 688" (=500000 km) mit einer maximalen Geschwindigkeit
von 842 km pro Sek. Sie löste sich danach schnell auf
Einige Forscher wollen in den Protuberanzen nur Schlieren sehen,
welche zufolge von eigentümlichen Dichteverhältnissen in der Sonnen-
atmosphäre entstehen. Diese Ansicht ist eine Folgerung aus der
Schmidt sehen Sonnentheorie. Man müsste aber dann, um die Ver-
schiebungen der Protuberanzlinien zu erklären, annehmen, dass im In-
nern des Sonnenkörpers, von wo das Licht zu diesen Schlieren reflektiert
wird, solche gewaltsame Massenbewegungen, wie die beobachteten, vor-
sichgehen. Dadurch wird die Schwierigkeit nicht nur nicht entfernt,
sondern vermehrt. Denn die inneren Massen sind Millionen mal dichter
als die Gase am Aussenrand der Protuberanzen, so dass die für eine
Bewegung mit gegebener Geschwindigkeit auf der Sonne nötige Energie
viel grösser wird, wenn die Bewegung im Innern der Sonne als in der
ausserordentlich dünnen, dem leeren Kaum nahe kommenden Corona-
masse, sich abspielt. Weiter ist die innere Keibung, welche alle Be-
wegungen hemmt, in dem Innern der Sonne wegen der grossen Hitze
und Dichte kolossal gross, so dass man die Beweglichkeit der inneren
Sonnengase mit derjenigen von Honig oder Theer (nach Young) ver-
glichen hat. Dagegen ist die Reibung in der verdünnten Coronamaterie
relativ gering. Es wäre auch schwer zu verstehen, warum nur die
äussersteu Teile (die leichtesten Gase) an den heftigen Bewegungen teil-
in. Die Sonne.
111
nehmen sollten, wenn die Beleuchtung aus dem Innern käme, und warum
die Protuberanzen nur an ihrer Grenze gegen die Chromosphäre das Licht
von Metallgasen (ausser H und K) aufweisen sollten. Es ist also wohl un-
umgänglich, die kolossalen Geschwindigkeiten bei den Protuberanzen als
reell anzusehen. Sie werden einigermaassen verständlich durch den ausser-
■M^^-^SMii,.
Fig. 38 a. Protuberanz 25. Juli
1872. 2^15"*.
Fig. 38 d. Degenförmige Protu-
beranzen.
Fig. 38 b. Dieselbe Protuberanz
Fig. 38 e. Garbenförmige
Protuberanzen.
Fig. 38 c. Dieselbe 3^,30»^.
Fig. 38. Metallische Protuberanzen (nach Young). Maasstab 1 cm = 66000 km.
Fig 38 f. Wasserstrahlfbrmige
Protuberanzen.
ordentlich geringen Druck in den Aussenteilen (vielleicht dem Druck
von 0,001 mm Quecksilber entsprechend), durch das geringe spezifische
Gewicht der strömenden Gase (hauptsächlich Wasserstoff und Helium),
durch die ausserordentlich geringe Eeibung bei der Ausströmung in den
nahezu leeren Kaum und durch die hohe molekulare Energie (Tempera-
tur) dieser Gasmassen. Einigermaassen ähnliche Bedingungen können wir
112
Physik des Himmels.
bei Strömungen auf der Erde nicht realisieren. Es möge nur darauf
hingewiesen werden, dass in unserer Atmosphäre die Geschwindigkeiten
der Luftströmungen um so bedeutender werden, je weiter entfernt von
der Erdoberfläche dieselben stattfinden.
Fig. 39 a. Wolkenförmige
Protuberanzen.
Fig 39 d. Verschwommene
Pro tuberanz.
Fig. 39 b. Fadenförmige
Protuberanz.
Fig. 39 e. Baumförmige
Protuberanzen.
Fig. 39 c. Federförmige
Protuberanzen.
Fig. 39 f. Hörner.
Fig. 39. Ruhende Protuberanzen (nach Young). Maassstab 1cm = 50000 km
Die Formen dieser höchst interessanten Erscheinungen entsprechen
gänzlich der kolossalen Unruhe in ihren Massen (vgl. Fig. 38). Bisweilen
gleichen sie zugespitzten Strahlen, die mit Heftigkeit auseinanderspritzen.
In anderen Fällen ähneln sie parabolischen Wasserstrahlen, aus Köhren,
III. Die Sonne. 113
die schräg nach oben gerichtet sind. Nicht selten rollen sich die oberen
Teile zu horizontalen Wirbeln zusammen, die den Windungen am Ka-
pital einer jonischen Säule ähneln. In anderen Fällen sind die faden-
förmigen Elemente der Protuberanz umeinander gezwirnt. In wiederum
anderen Fällen bilden sie mächtige Garben von Flammen.
Ruhende Protuberanzen. Die ruhenden Pro tuberanzen (vgl. Fig. 39)
kommen auf der Sonnenoberfläche in allen Gegenden vor. Sie können eben-
so hoch liegen, wie die vorhin erwähnten, aber zeigen eine relativ grosse
Beständigkeit, so dass sie bisweilen, wie man in der Nähe der Sonnen-
pole beobachten kann, während einer ganzen Umdrehung der Sonne be-
stehen bleiben. Sie gleichen meistens Wolken, die in der Sonnenatmo-
sphäre schweben, oder Rauchmassen von einem Schornstein, indem sie
an der Basis schmal, oben ausgespreizt sind. Bisweilen ist die Basis
breiter, in w^elchem Fall man sie hörnerförmig nennt. Sie enthalten
hauptsächlich Wasserstoff und Helium und zeigen auch die Linien H und
A". Bisweilen verirren sich Spuren von Natrium und Magnesium sogar
zu den höheren Teilen dieser Wolken.
Die Protuberanzen sind im Mittel etwa 50" hoch, zwei Drittel der-
selben erreichen 40", ein Viertel 60". Einige gehen, wie obige Beispiele
zeigen, zu kolossalen Höhen. So beobachtete Langley (7. Okt. 1880) eine
Protuberanz von nicht weniger als 780" Höhe, d. h. beinahe der Länge
des halben Sonnendurchmessers. Die Höhe der höchst gehenden Pro-
tuberanzen verändert sich etwas mit der Zeit und hat dieselbe Periode
wie die Sonnenflecken. So z. B. war die maximale Höhe dieser Gebilde
nach Fenyi in den Jahren:
1886
212"
1891
358"
1896
406'
1887
165"
1892
531"
1897
196'
1888
158"
1893
691"
1898
197'
1889
203"
1894
661"
1890
323"
1895
688"
Im Jahre 1893 trat ein Sonnenfleckenmaximum, 1888 ein Sonnenflecken-
minimum ein. Zufolge dieses Umstandes wird auch die mittlere Höhe
der Protuberanzen in sonnenfleckenreichen Jahren grösser als gewöhn-
lich. So war sie nach Fenyi 1893 70". Erhebungen von 15"— 20" über
der Sonnenoberfläche werden nicht zu den Protuberanzen gezählt. Diese
geringeren Gaseruptionen kommen in solcher Menge vor, dass einige
Forscher die Sonnenoberfläche mit einem Grasbett verglichen haben,
worin die Grasblätter den Gasausströmungen entspreche^ sollten. Diese
Arrbenius, Kosmische Physik. 8
114 Physik des Himmels,
an und für sich mächtigen Ausbrüche — sie können ja eine Höhe von
14000 km erreichen — bilden einen charakteristischen Hauptteil der
Chromosphäre.
Man glaubt häutig bemerkt zu haben, dass diametral gegenüber
der Ausbruchsstelle einer auffallenden Protuberanz eine starke Pro-
tuberanzthätigkeit sich entwickelt. Dies sollte darauf hindeuten, dass
die protuberanzenbildenden Kräfte diametral durch den Sonnenkörper
wirken, was jedenfalls sehr unwahrscheinlich ist. Im Gegenteil scheint
die Zusammensetzung der Protuberanzen anzudeuten, dass die in ihnen
Fig. 40. Corona von 1807 (nach Grosch).
vorkommenden Stoffe nur den höchsten Schichten der Photosphäre
entnommen sind.
Die Corona. Wie gesagt, strahlen von allen Seiten der Sonne
eigentümliche Lichtbüschel hinaus, welche die Corona bilden. Diese
Strahlung hat in der Nähe des Sonnenrandes eine intensive Helligkeit,
doch nicht so gross, wie die rotgefärbten Protuberanzen, welche durch
die Corona durchleuchten. Dieses innere hell strahlende Licht bildet
einen Ring von 3— 4 Minuten Durchmesser, welcher gegen das äussere
schwächere Licht ziemlich scharf begrenzt ist. Man unterscheidet des-
halb die innere und die äussere Corona. Die letztere erstreckt sich
häufig sehr weit hinaus, besonders in der Äquatorialgegend. Bisweilen
erreichen die Lichtströmungen der äusseren Corona eine Länge von drei-
bis viermal der Länge des Sonnendurchmessers. Das gesamte Corona-
licht ist gemessen worden, es wurde gleich der Lichtstärke t^n 3 V-i Amyl-
acetatlampen in 1 m Entfernung geschätzt (1893). Wahrscheinlicher-
weise ist es ziemlich verschieden stark in verschiedenen Jahren. Lockyer
III. Die Sonne.
115
bat die Ansicht ausgesprochen, dass das Licht der Corona bei Sonnen-
lieckenmininia bedeutend stärker wäre als bei Sonnenfleckenmaxima.
Andere Beobachter teilen seine Meinung nicht. So z. B. soll nach den
meisten Beobachtern die Corona im Jahre 1878 (vgl. Fig. 43) viel
schwächer gewesen sein als 1869. Im Jahre 1878 war ein Minimum-,
1869 nahezu ein Maximumjahr der Sonnentlecke. Häufig sind die Strah-
lungen scliwächer an den Polen und dem Äquator als an anderen Stellen
der Sonne ausgebildet, so dass die Corona eine viereckige Form erhält
Fig. 41. Corona von 1871 (nach Foenander).
(vgl. Figg. 43, 44 und 45); dies trifft besonders in sonnenfl eckenreichen
Jahren ein. Gewöhnlicherweise kommen in der Corona Einschnitte vor,
welche sich bis zum Sonnenrand erstrecken. Sie beruhen nicht auf
Schatten, denn sie sind häufig etwas gekrümmt. Die innere Corona ist
an den Polen bedeutend, am Äquator ein wenig dünner als an anderen
Stellen der Sonne. Auch die äussere Corona ist für gewöhnlich an den
Polen schwächer entwickelt als an anderen Stellen. Sie erstreckt sich
sehr weit hinaus. In älteren Zeiten konnte man dieselbe nicht photogra-
8*
116
Physik des Himmel;
phieren, sondern nur zeichnen. Diese Zeichnungen, die, nach allem zu
urteilen, sehr viel Subjektives einschliessen, zeigen in Jahren von wenig
Sonnenflecken eine sehr grosse Ausdehnung in der Nähe des Äquators
(1867, vgl. Fig. 40). In Jahren mit einer mittleren Zahl von Sonnen-
flecken liegen sie nicht gerade am Äquator, sondern entsprechen mehr
der viereckigen Form (1S78, vgl. Fig. 43). In jüngster Zeit (22. Januar
1898) ist es Herrn Mann der gelungen, eine solche Corona zu photo-
Fig, 42. Corona von 1871 (Photographie von Davis).
graphieren (Fig. 45), in welchem Fall ein Strahl eine Länge von etwa
6 Sonnendurchmessern erreichte. Die zwei auf der entgegengesetzten Seite
gelegenen Strahlen waren etwa 4 Sonnendurchmesser lang und lagen etwa
24*^ N. und S. vom Äquator. Der vierte Strahl, von 3 Sonnendurch-
messern Länge, lag etwa ebenso weit vom Nordpol der Sonne. Zur
Zeit der Sonnenfleckenmaxima scheint die Strömung in der Corona mehr
gleichmässig verteilt zu sein, wie die Zeichnung von Secchi und die
Photographien von der Sonnenfinsternis 1871 (vgl. Figg. 41 und 42)
zeigen. Nach Picke ring war die strahlige Struktur der Corona im
in. Die Sonne. ^17
SonnonÜeckenjahr 1893 nicht so stark ausgedehnt, wie in den Minima-
jahren 1878 und 1S89.
Spektrum der Corona. Das Spektrum der Corona zeigt sehr viele
Eigentümlichkeiten. Die äussersten Teile der Corona geben kontinuier-
hches Licht mit den Absorptionslinien der Sonne (besonders D, h und F),
bestehen folglich aus reflektierenden festen (oder flüssigen) Partikelchen,
was damit übereinstimmt, dass das Coronalicht teilweise polarisiert ist.
Fig. 43. Corona von 1878 (Kombination aus verschiedenen Zeichnungen).
Die inneren Teile der Corona geben ausserdem Gaslinien, worunter die
bekannte Coronalinie (/ = 531,59 ,w//) die interessanteste ist. Man hielt
diese Linie anfangs für dem Eisen zugehörig, weil eine Eisenlinie ganz
nahe (bei 531,6 ,(/^) liegt. Man fand es aber sonderbar, dass Eisengase
^0 hoch hinauf in der Sonnenatmosphäre vorkommen sollten. Eine
nähere Prüfung zeigte indes, dass diese Linie keiner bekannten irdischen
Substanz angehört. Zwar ist in letzter Zeit von Nasini, Anderlini
und Salvatori angegeben worden, dass man diese Linie im Spektrum
von Gasen, die aus den Solfataren bei Puzzuoli ausströmen, angetroffen
118
Physik des Himmels.
hat. Diese Angabe scheint sieh später nicht bestätigt zu haben. Die
Substanz, welche dieses Licht ausstrahlt, ist vermutlich viel leichter
als Wasserstoff, nachdem sie in höheren Schichten (bis 20' vom Sonnen-
rand) vorkommt als dieser Körper (der nur bis etwa 10' hinaufreicht).
Diese beiden Gase sind gleichmässig in der inneren Corona verteilt,
Fig. 44. Sonnencorona (hauptsächlich innere) von 1898 nach Photographie.
Scheitelpunkt liegt nach rechts unten in der Richtung der Mondbahn.
Der
indem sie auch- da ebenso hell strahlen, wo Einschnitte in den Licht-
strömungen vorkommen. In nächster Nähe der Chromosphäre übertreffen
die Wasserstofflinien die Coronalinie bedeutend an Helligkeit.
Die Coronalinie, welche man einem hj^pothetischen Stoff Coronium
zuschreibt, kommt als dunkle Linie im Sonnenspektrum vor und wurde
auf Kirchhoff s Skala beim Strich 1474 eingezeichnet, weshalb sie
häufig die Bezeichnung 1474 K. trägt. In dem Chromosphä renlicht wird
111. Die Sonne. 119
sie als dunkle oder helle Linie je nach den Umständen gesehen. In dem
Chromosphärenspektmm war die Linie als dunkle Linie von Lockrer
sogar einige Wochen früher beobachtet worden, als sie in der Corona
entdeckt wurde (1869). In dieser Hinsicht unterscheidet sich das Coro-
nium von dem Helium, welches (in dicker Schicht) in den Sonnenfiecken
(ine dunkle Linie giebt und sonst nur als helle Linie im Chromosphären-
imd Protuberanzenlicht vorkommt.
Ausser diesen Linien des Coroniums und des Wasserstoffs kommen
auch einige andere Linien im Grüngelben bisweilen in der Corona vor,
die von Young als zweifelhaft bezeichnet wurden, eine andere Linie
;t = 398,7 im Violett soll so normal vorkommen, dass sie zum Photo-
Fig. 45. Sonnencorona (äussere) von 1898 nach Photographie von Maunder.
graphieren der Corona und Beobachtung ihrer Bewegungen vorgeschlagen
wurde. In sonnenfleckenarmen Jahren ist die Coroniumlinie sehr schwach
aus'geprägt, so z. B. wurde sie im Jahre 1878 von vielen Beobachtern
nicht gesehen. Im Spektrum der Coronastrahlen hat Tacchini Linien
gefunden, welche er dem Kohlenstoff zugehörig hielt.
Die Natur der Corona. Man hat in älteren Zeiten häutig ge-
glaubt, eine Verändenmg der Corona, d. h. eine Bewegimg senkrecht
zur Sichtlinie während kurzer Zeit (einer Finsternis), bemerkt zu haben. -
Diese Beobachtungen werden nicht durch die Photographien gestützt;
auf diesen macht die Corona den Eindruck von Kühe. Zwar hat
Deslandres 1893 aus der Verschiebung der Spektrallinien von beiden
Seiten der Corona geschlossen, dass sie mit dem Sonnenkörper rotiert
(mit Geschwindigkeiten, die bis 7 km pro Sek. erreichen können).
120 Physik des Himmels.
Leider hat man nur bei totalen Sonnenfinsternissen Gelegenheit, die
Corona zu beobachten. Diese treffen nur etwa alle zwei Jahre ein, und
häufig wird man dann von Wolken (wie auf den meisten Stationen 1896)
gestört. Deshalb können wir uns nicht wundern in vielen Fällen ganz
widersprechende Angaben über das Aussehen der Corona zu finden, be-
sonders betreffs der mystischen Strahlung der äusseren Corona, welche
erst in 1898 von Maunder in ihrer ganzen Ausdehnung photographiert
wurde. Jedoch scheint so viel sichergestellt zu sein, dass die längsten
Strahlen mit Vorliebe in den Gegenden auftreten, wo die Flecken vor-
kommen. In jüngster Zeit, besonders bei der Finsternis 1896 (Norden-
m a r k und B a c k 1 u n d) hat man die grösste Ausdehnung der Co-
rona über Gegenden wahrgenommen, wo am Sonnenrande starke Pro-
tuberanzen vorkamen. Auch in älteren Photographien und Zeichnungen
sieht man häufig Andeutungen, dass die kräftigsten Coronastrahlen über
protuberanzreichen Gegenden stehen. 1898 konnte man aber nach
Evershed keinen Zusammenhang zwischen Corona und Chromosphäre,
bezw. Protuberanzen, finden, ebensowenig 1900.
Die häufig und besonders an den Sonnenpolen etwas gekrümmte
Form der Coronastrahlen (vgl. Figg. 40 u. 42) erinnert einigermaassen an
die Form von rnagnetischen Kraftlinien. Man hat daraus, und besonders
aus dem Umstände, dass die Sonne auf den magnetischen Zustand der Erde
einen sehr ausgeprägten Einfluss ausübt, geschlossen, die Sonne sei ein ko-
lossaler Magnet, welcher (elektrische) Strömungen im Magnetfelde nach den
Kraftlinien orientiere, ebensowie die Kraftlinien des erdmagnetischen Feldes
den Nordlichtstrahlen Richtung geben. Die Vergleichung der späteren Co-
ronaphotographien mit den Linien eines Magnetfeldes um zwei Pole fällt
nicht für diese Betrachtungsweise günstig aus. Ausserdem verlieren
irdische magnetische Stoffe bei höheren Temperaturen (Eisen, Nickel
und Kobalt bei Weissglut) ihre magnetischen Eigenschaften. Wie sollten
denn magnetische Körper bei der ausserordentlich viel höheren Tempera-
tur der Sonne bestehen können? Der Magnetismus soll ja auf einer fixier-
ten Lage der Molekeln beruhen; je höher die Temperatur steigt, desto
schwerer wird es den Molekeln bei ihren kolossal zunehmenden Be-
wegungen eine fixierte Lage innezuhalten.
Man sieht häufig von Solarforschern die Ansicht ausgesprochen,
dass die Corona sehr an die Kometenschweife und an das Nordlicht er-
innere. Die hauptsächliche radiale Richtung der Coronastrahlen deutet,
wie diejenige der Kometenschweife, auf eine abstossende Wirkung der
Sonne hin, welche zu sehr viel Nachdenken Anlass gab. Mangels anderer
111. Die Sonne. 121
bekannter Kräfte hat man an eine elektrische Abstossung geglaubt, die
zwischen den Staubpartikelchen in den Coronastrahlen und der Sonne
stattfände, welche demnach mit der gleichen Art von Elektricität ge-
laden sein sollten.
Man braucht indessen nicht diesen Ausweg zu wählen. Die Max-
well sehe Elektricitätstheorie verlangt, und Lebe de w hat neuerdings
experimentell nachgewiesen, dass die Strahlung wie ein Druck wirkt,
Avelche der Intensität der Strahlung proportional ist. Diese ist nun viel
(46518 mal) grösser in der Nähe der Sonne (an der Oberfläche) als auf
der Erde. Folglich könnte es wohl möglich sein, dass die Sonnenstrahlung
daselbst ihre hinwegstossende Eigenschaft zum Vorschein brächte. In
der That findet man, dass ein kugelft)rmiger schwarzer Tropfen von
der Dichte des Wassers über der Sonne gerade schweben würde, zufolge
der Gleichheit der Lichtabstossung und der Schwere, w^nn sein Durch-
messer 1,5 ^i betrüge. Der entsprechende Durchmesser bei einem anderen
«pecifischen Gewicht ist, wie leicht einzusehen, diesem umgekehrt pro-
portional, z. B. für das specifische Gewicht 2,5 (gewöhnliche Bergarten)
600 [j^ imd für Tropfen vom specifischen Gewicht 6,88 (Eisen) 220 fi^i.
Schw^arze Tröpfchen mit grösserem Durchmesser fallen auf die Sonne
zurück, solche mit geringerem Durchmesser werden dagegen ins Unend-
liche abgestossen.
Diese Abstossung geschieht proportional der Lichtstärke, d. h. wenn
man von der durch die im Raum schwebenden Partikelchen verursachten
Schwächung der Lichtstrahlung absieht, nach demselben Gesetz wie
•lie Schwerenwirkung oder umgekehrt proportional dem Quadrat der
Entfernung. Mit anderen Worten, die Körper, welche sich in der Nähe
der Sonne befinden, verhalten sich, als hätten sie einen Teil ihrer
Masse verloren, und zwar sphärische Körper vom spec. Gew. 1 und
nicht zu unbedeutenden Dimensionen, so viel Masse, wie eine Schicht von
etwa 250 [ip, Dicke. Die Erde verliert folglich durch die Sonnenstrah-
lung so viel an Anziehung, wie wenn sie etwa 250:5,5 = 45 ,</,« kleineren
Radius hätte, was natürlich absolut unmerklich ist. Bei sehr kleinen
Körperteilchen dagegen überwiegt die Abstossung, so dass man sie be-
handeln kann, als hätten sie negative Masse.
Der Druck und die Dichte in der Sonne. Wie unerhört ge-'
ring die Masse der Corona ist, kann man daraus ersehen, dass mehrere
Male Kometen tief durch die innere Corona gegangen sind, ohne dass
<ie merklich zurückgehalten wurden. So, um ein Beispiel anzuführen,
ging der grosse Komet von 1843 dicht bei der Sonne vorbei in einem
^22 Physik des Himmels.
Abstand von 3—4 Minuten, lief folglich durch die dickeren Schichten
der Corona, ohne die geringste merkliche Störung zu erleiden. Damit
möge verglichen werden, dass die Sternschnuppen, die mit einer Ge-
schwindigkeit von 40 — 60 km in die Erdatmosphäre hineintreten, schon
in einer Höhe von etwa 100 km ihre Bewegung gänzlich einbüssen und
in Gas und Staub verwandelt werden. Da der Druck in dieser Höhe
etwa 0,01 mm beträgt, so dürfte der Druck in 3 — 4 Min. Höhe über der
Sonne nicht mehr als höchstens die Grösse eines tausendstel Millimeters
erreichen. Man hat guten Grund, anzunehmen, dass an der Basis der
Corona der Druck höchstens etwa 1 mm (vgl. weiter unten) Quecksilber
beträgt. Nach Frost s Schätzung sinkt (in Fällen von sogenanntem
adiabatischen Gleichgewicht) der Druck über der Sonne auf die Hälfte,
wenn man 104 km in die Höhe steigt. Dies entspricht für eine Se-
kunde (=720 km) einer Abnahme im Verhältnis 1:128 und für eine
Minute lilO^^ß, eine ganz unfassbar geringe Zahl. Danach dürfte es
eher zu verwundern sein, dass die Coronasubstanz so dicht sein kann,
dass sie noch in 10' — 20' Entfernung von der Sonne sichtbares Licht
abgiebt. Dies kann nur in der Weise verständlich sein, dass heftige
aufsteigende Gasströme über der Sonne Platz finden. Dies stimmt
auch damit überein, dass in den (fleckenlosen) Euhezeiten der Sonne
das Coronium sich nicht kundgiebt (z. B. 1878). Bei dieser Berech-
nung sind die festen rauchartigen Partikelchen nicht mitgezählt. Diese
besitzen teilweise zufolge der Sonnenstrahlung ein negatives Gewicht,
und können folglich zum Hinausbefördern von Gasen dienen. Wegen
der intensiven Beleuchtung können diese Staubkörner sich auch dann
kundgeben, wenn sie sehr spärlich vorkommen, z. B. ein Staubkörn-
chen im Kubikkilometer (New comb). Es ist also sehr wohl möglich,
dass Himmelskörper, welche die Corona durchwandern, keine Spur von
Störung zeigen, trotzdem die Corona ein ziemlich starkes Licht zurückwirft.
Wegen der starken Bewegungen der Teile der Chromosphäre hat
man allen Anlass, einen nicht allzu hohen Druck in den oberen Teilen
dieser Gasschicht anzunehmen, Lord Kelvin schätzt ihn zu etwa 1 mm
Quecksilber, was wahrscheinlich zu hoch ist.
Den Druck in dem untersten Teil der Chromosphäre, d. h. der umkeh-
renden Schicht, hat Je well mit Hilfe der Verschiebung der Spektrallinien
bestimmt und dabei Werte von im Mittel etwa 5 Atmosphären gefunden
(vgl. oben S. 31). Wegen der zunehmenden Dichtigkeit nimmt der
Druck in diesen Teilen der Sonnenatmosphäre anfangs viel schneller zu
als in den höher liegenden. Die Zunahme der Temperatur, und näher
III. Die Sonne. 123
dem Mittelpunkte die Abnahme der Gravitation (zufolge der Einfluss-
losif^keit der äusseren Schichten), ebenso wie die Abweichung der Gase
von dem Boyl eschen Gesetz bei hohen Drucken verhindern eine Zu-
nahme des Druckes nach einem Exponentialgesetz wie in den oberen
Teilen. Lord Kelvin berechnet den Druck im Mittelpunkt zu 40. 10^
Ekholm zu 14.10^ Atmosphären. Wir können folglich sagen, dass der
Dmok im Mittelpunkte der Sonne vermutlich die Grössenordnung 10 '^
Atmosphären erreicht.
Bei diesem hohen Druck muss die Dichte ziemlich gross werden,
obgleich der Gaszustand herrscht. In der umkehrenden Schicht herrscht
ein Druck von etwa 5 Atmosphären. Setzt man nun das mittlere
Molekulargewicht der Gase in dieser Schicht gleich dem Atomgewichte
des Eisens, was bei der vorwiegenden Rolle dieses Metalles recht nahe
zutreffen mag, so erreicht die Dichte daselbst bei einer Temperatur (vgl.
unten) von etwa 7000*^ C, nur etwa ein halbes Tausendstel derjenigen
des Wassers, während sie im Mittel für den Sonnenkörper 1,4 beträgt.
Zufolge der Konzentration der schwereren Bestandteile nach dem In-
nern der Sonne dürfte die Dichte etwas mit der Tiefe zunehmen, aber
kaum den Wert 10 im Mittelpunkte erreichen. Lord Kelvins Wert 30,9
dürfte bedeutend zu hoch sein, weil er bei seiner Berechnung die
Giltigkeit des Boyl eschen Gesetzes voraussetzt.
Rotation der Sonne. Wie schon vorhin erwähnt, bewegen sich
lue Flecke über die Sonnenscheibe von Osten nach Westen. Man hat
-chon frühzeitig angenommen, dass dies von einer wirklichen Drehung
der ganzen Sonne herrührt, denn die Bewegung geschieht sehr gleich-
massig. Seh ein er berechnete schon aus dieser Erscheinung die side-
rische ümdrehungszeit der Sonne zu etwa 25 Tagen, woraus die syno-
dische Umdrehungszeit auf etwa 27 Tage kommt. Die verschiedenen
Flecke gehen nicht gleich schnell und bewegen sich auch etwas in der
Richtung des Meridians, so dass man ein Mittel aus sehr vielen Beob-
achtungen nehmen muss, um ein zuverlässiges Resultat zu erhalten.
Aus den Beobachtungen von Carrington und Spörer über die Be-
wegungen der Flecke geht eine mittlere Rotationszeit der Sonne von
25,3 Tagen hervor.
Carrington, der wohl diese Fleckenbewegung genauer als irgend
einer seiner Vorgänger untersucht hat, fand das eigentümliche Verhältnis,
dass die Winkelgeschwindigkeit der Flecke um so geringer ist, je weiter
sie vom Pole entfernt liegen. In der Nähe des Äquators wird die „side-
rische" Rotationszeit der Sonne 25 Tage, 20^ vom Äquator erreicht sie
124 Physik des Himmels.
25,75 Tage, 30*^ davon 26,5 und 45*^ davon 27,5 Tage. Die Flecke sind
nun hauptsächlich in den Sonnenbreiten 10^—35*^ vertreten, folglich
kann man aus der Bewegung derselben nicht viel über die Umdrehungs-
geschwindigkeit der Sonne in anderen Entfernungen vom Äquator
schliessen. Carrington stellte die Formel auf:
X= 865— 165' sin'/* 5,
worin X die Bogenlänge in Minuten bedeutet, welche ein Fleck in der
Breite 5 Grad vom Sonnenäquator in einem Tag beschreibt. Für^ = 0,
d. h. für den Sonnenäquator erhält man den Wert X= 865'= 14,41",
d. h. die Umdrehungszeit (siderische) der Sonne wird in diesem Falle
360^:14,410 = 24,98 oder rund 25 Tage. Die Beobachtungen von
Carrington sind in späterer Zeit durch Spörer, Young, Tacchini
u. a. aufs beste bestätigt worden.
Um die Kotationszeit der Sonne in anderen Breiten kennen zu
lernen, hat Duner die Bewegung der Photosphäre (eigentlich der um-
kehrenden Schicht, w^ elcher die Photosphäre unmittelbar überlagert) in
der Sichtlinie mit Hilfe des Doppl ersehen Prinzips aus der Verschie-
bimg der Spektrallinien an den beiden Sonnenrändern bestimmt. Er
erhielt die folgenden täglichen Bogen g oder siderischen Umdrehungs-
zeiten U in den Breiten rp.
(p
§
U
^P
g
U
0,4«
14,14*^
25,46^
45'^
11,990
30,03*^
15,0
13,66
26,35
60
10,62
33,90
30,0
13,06
27,57
74,8
9,34
38,55
Diese Zahlen bestätigen das aus der Beobachtung der Flecke ge-
wonnene Resultat, dass der Sonnenäquator die kürzeste Umdrehungszeit
besitzt, und dass diese um so länger wird, je mehr man sich dem Pole
nähert.
Endlich hat der russische Physiker Stratonoff die scheinbare Be-
wegung der Fackeln dazu benutzt, die Umdrehungsgeschwindigkeit der
Sonne zu bestimmen. Er fand folgende Zahlen:
9>
g
U
<P
g
U
(50) 0—90
Ufii^
24,64^^
(25) 20-29
14,140
25,46^
(15) 10—19
14,24
25,29
(35) 30—40
13,61
26,46
III. Die Sonne. |25
welche wiederum in dieselbe Richtung gehen. Danach wäre der täg-
liche Rotationsbogen am Äquator etwa 14,8^ und die entsprechende Ro-
tationszeit etwa 24,32 Tage.
Es ist nun sehr auffallend, dass diese Bestimmung der Rotations-
zeit am Äquator recht verschieden ausfällt, indem dieselbe für die
Fackeln die kürzeste (24,32 Tage), für die umkehrende Schicht die längste
(25,46) und für die Flecke eine mittlere (24,98 Tage) Zeit verlangt.
Auch für andere Breiten gilt dasselbe Verhältnis, dass sich die Fackeln
am schnellsten, die umkehrende Schicht am langsamsten umdreht, wie
folgende kleine Tabelle anzeigt:
Breite Siderische Umclrehungszeit der
Fackeln
Flecke
Photosphäre
()0
24,32
24,98
25,46
150
25,26
25,44
26,35
30^^
25,48
26,53
27,57
Je näher die untersuchte Gegend zum Pole liegt, desto grösser
scheint der Unterschied zu werden.
Wir wissen nun, dass die Fackeln höher liegen als die übrige
Photosphäre. Wir kommen folglich zu dem Schluss, dass die äusseren
Partieen der Sonne (soweit wir dieselben wahrnehmen können), grössere
Winkelgeschwindigkeit besitzen als die tiefer liegenden. Zu demselben
Schluss ist Je well gelangt aus Beobachtungen über die Verschiebung
der Spektrallinien in verschiedenen Tiefen (unter verschiedenen Drucken
bei verschiedenen chemischen Bestandteilen der Sonne, vgl. oben S. 31).
Eine Folgerung aus dieser Deutung der Thatsachen ist, dass die Flecke
etwa in der mittleren Höhe zwischen Fackeln und der umkehrenden
Schicht, folglich (im Mittel) über dieser, gelegen sind, was mit den
neueren Ansichten aufs beste übereinstimmt.
Diese Erscheinung, dass die äquatorialen Teile grössere Winkel-
geschwindigkeit besitzen, ist sehr auffallend. Denn, wenn auf der
Sonnen- wie auf der Erdoberfläche Strömungen vom Pol zum Äquator
und umgekehrt stattfänden, so würde, wie im Luftmeer der Erde, das
Gegenteil von dem beobachteten Thatbestand zutreffen, die äquatorialen
Gegenden würden die geringste Winkelgeschwindigkeit besitzen. Es
müssen vielmehr vertikale Strömungen zu Hilfe gezogen werden. Schon
John Herschel war der Ansicht, dass in die Sonne hineinfallende
Meteore, welche hauptsächlich in der Nähe des Äquators hineinstürzen
sollten, die betreffende Erscheinung hervorrufen. Man müsste dann
126 Physik des Himmels.
annehmen, dass die Meteore im Mittel sich in derselben liichtiing be-
wegten, wie die Sonnenrotation verlangt, aber mit grösserer Geschwin-
digkeit als die Sonnenoberfläche. Obwohl dies nicht ganz undenkbar
wäre, ist es wohl doch ziemlich unwahrscheinlich und stösst auf eine
entschiedene Schwierigkeit. Es müsste nämlich nach dieser Ansicht
die drehende Bewegung der Sonne beschleunigt werden, und dies ist
seit Scheiners Zeit (nahezu 300 Jahren), nach seinen Sonnenflecken-
beobachtungen zu urteilen, nicht der Fall gewesen. Und doch müsste
diese Beschleunigung dazu genügen, um, nach Dun er s Messungen, die
Umdrehungsgeschwindigkeit des Sonnenäquators trotz .der Reibung etwa
50 Proz. über derjenigen der polaren Gegenden zu erhalten.
Mehr Beachtung verdient die Erklärung von Young. Wir wissen
nach Deslandres, dass die höheren Schichten (der Corona) etwa die-
selbe Winkelgeschwindigkeit besitzen, wie die unterliegenden Oberflächen-
schichten der Sonne. Wenn also Körper von den höheren Schichten
auf die Oberfläche (Photosphäre) hinunterfallen, so muss die Winkelge-
schwindigkeit beschleunigt werden. Diese Wirkung ist unter übrigens
gleichen Umständen am grössten beim Äquator und am geringsten an
den Polen. Es muss aber eine ausserordentlich starke und deshalb un-
wahrscheinliche Strömung angenommen werden, um die beobachtete Er-
scheinung zu erklären.
Die Äquatorialebene der Sonne bildet einen kleinen Winkel mit der
Ekliptik. Dieser Winkel beträgt etwa 7^. Die beiden genannten Ebenen
schneiden einander längs einer Geraden, die durch die zwei sogenannten
Noden oder Knoten auf der Ekliptik geht, welche eine Länge von etwa
70 resp. 250^ besitzen. Diese beiden Knoten werden von der Erde am
3. Juni und am 5. Dezember durchlaufen. Die Sonnenachse geht durch
einen Punkt auf dem nördlichen Himmel, welcher ungefähr in der
Mitte zwischen Wega und Polarstern liegt.
Frequenz der Flecke, Fackeln und Protuberanzen. Wolfer
fand, dass die Flecke und die Fackeln einander folgen, was scheinbar
mit der Str ateno ff sehen Auffassung in Widerspruch steht. Es lassen
sich aber die beiden Ansichten vereinigen, wenn man annimmt, dass
immer neue Fackeln um die Flecke entstehen, dann durch die un-
gleiche Bewegung von den Sonnenflecken getrennt werden und allmäh-
lich zugrunde gehen, wonach neue Fackeln wieder in der Nähe der
Flecke gebildet werden. Es wird folglich das Fackelmaximum in der
Nähe des Fleckenmaximums verbleiben. Die Fackelmaxima waren in
den Jahren 1887 — 89 um zwei Punkte konzentriert, die einander im-
III. Die Sonne.
127
<'efähr diametral gegenüberlagen (sie waren nach Wolf er 155^ von-
einander entfernt). Dies deutet darauf hin, dass die grösste Eruptions-
thätigkeit an bestimmte Stellen gebunden ist.
Im allgemeinen zeigt die südliche Halbkugel der Sonne eine leb-
haftere Wirksamkeit als die nördliche. Die Flecke kommen in zwei
Zonen auf der Breite von 5 — 30^ nördlich und südlich vom Äquator vor.
Über dem 35. Breitegrad sind sie sehr, über dem 45. ausserordentlich
selten. In der Nähe der Pole werden sie nie beobachtet. Die Fackeln
gehen etwas weiter hinaus, besonders auf der südlichen Hemisphäre.
Nördlich von + 30^ und südlich von — 50^ sind sie recht selten. Noch
Ficr. 46.
gleichmässiger sind die (ruhenden) Protuberanzen verteilt, sie sind sogar
bei den Polen nicht selten, am meisten erscheinen sie in einem Gebiet
zwischen +60^ und —70^.
Die Figur 46 giebt zum Vergleich ein Diagramm über die Ver-
teilung von 1386 Flecken in den Jahren 1853 — 61 nach Carrington
und von 2767 Protuberanzen im Sonnenfleckenjahr 1871 nach Secchi.
Man sieht, dass in diesem Jahre die Protuberanzenzahl in der Nähe
<les Äquators ein sehr schwaches Minimum besass, um nach zwei ziem-
lich flachen Maximis zu zwei recht scharfen Minimis in der Nähe des
60. Breitengrades abzunehmen. An den Polen nehmen die Protuberanzen
wieder etwas zu und zeigen ein neues Minimum am Pole selbst.
-[28 Physik des Himmels.
Die punktierte Linie in Fig 46 giebt die Zahl der höheren Protu-
beranzen (über l' = 43000 km) an verschiedenen Breitegraden an.
Diese zeigen dieselbe Veränderlichkeit, wie die Totalzahl der Protube-
ranzen, aber noch etwas ausgeprägter.
Carrington hat gefunden, dass die Flecke zwischen 20'^ nörd-
licher und südlicher Breite sich gegen den Äquator langsam mit einer
mittleren Geschwindigkeit von l' — 2' pro Tag hinbewegen. Dagegen
streben die Flecke in höheren Breiten etwas dem Pole zu. Eine ähn-
liche Bewegung hat Stratonoff bei den Fackeln konstatiert. Es ver-
hält sich demnach so, als ob diese Gebilde von dem Gebiet, wo sie in
maximaler Häufigkeit auftreten (etwa 20^ n. und s. Br.), abgestossen
würden. Ebenso stossen sich die verschiedenen Flecke gegenseitig ab.
Bei schnellen Veränderungen eines Fleckes verschiebt sich dieser häufig
sozusagen sprungweise in der gewöhnlichen Bewegungsrichtung.
Nach diesen Messungen von Carrington und Secchi ist die Son-
nenwirksamkeit etwas grösser auf der südlichen Sonnenhälfte, indem auf
dieser 708 Sonnenflecke und 1459 Protuberanzen vorkamen, gegen 673
Flecke und 1308 Protuberanzen auf der nördlichen Hemisphäre. Eine
eigentümliche, aber wahrscheinlich bedeutungsvolle Ausnahme von
diesem allgemeinen Verhalten zeigen die Gegenden in der Nähe des
Sonnenäquators, was Flecke und Fackeln betrifft. So ist die Zahl der
Flecke auf 5*^ südlicher resp. nördlicher Breite 31 bez. 85 (vgl. Fig. 46).
Zu denselben Schlüssen gelangen wir aus den folgenden Daten,
welche einer Statistik über die Verteilung der Flecke, Fackeln und
Protuberanzen für die Periode von 1890 Juli bis 1897 September nach
den Berechnungen von Tacchini in Eom entnommen sind.
Verteilung der Flecke.
Breite . .
..+40«^ 30 20 10 0 —10
— 20
-30
— 40
Fleckenzahl
. . 12 194 512 297 252
Verteilung der Fackeln.
601
295
27
Breite . .
. . +50" 30 20 10 0 -10
-20
— 30
— 500
Fackelzahl .
. . 124 581 1009 798 758
1137
894
335
Verteilung der Protuberanzen.
Breite . . .
+ 90"^ 60 40 20 0 —20
-40
— 60
— 90
Pro tuberanz -
zahl . . .
381 1CC9 2305 1716 1899
2797
1193
633
Diese Zusammenstellung zeigt für alle drei Phänomene eine stärkere
Frequenz auf der südlichen Hemisphäre der Sonne. Das Maximum
III. Die Sonne. 129
der Flecke bei etwa ±15^ ist sehr scharf ausgeprägt, weniger scharf das-
jenige der Fackeln an derselben Stelle und am wenigsten tritt das
Maximum der Protuberanzen (um etwa +25^^) hervor.
Die Überlegenheit der südlichen Hemisphäre zeigt sich hier noch
deutlicher als in den oben gegebenen Daten von Carrington und Secchi,
indem die Anzahl der Erscheinungen auf der nördlichen und der süd-
lichen Sonnenhalbkugel folgendermaassen verteilt ist:
nördl.
südl.
5"N.
50 s.
Flecke . . .
. 1015
1175
297
252
Fackeln . .
. 2512
3124
798
758
Protuberanzen
. 5471
6522
—
—
Zum Vergleich ist unter 5^N. und 5-S. die Anzahl der Flecke
und Fackeln zwischen Äquator und 10^ nördlicher bezw. südlicher Son-
nenbreite angegeben. Es verhält sich gewissermaassen so, als ob der
meteorologische Äquator mit dem Sonnenfleckenminimum etwas süd-
lich vom geographischen Äquator läge. In ähnlicher Weise liegt der
meteorologische Äquator der Erde etwas nördlich vom geographischen.
Die Maxima verschieben sich in den Jahren von geringer Sonnen-
tleekenfrequenz nach dem Äquator hin, wie die folgenden Daten zeigen:
Flecke 1897 Jan.— Sept.
Breite . . . 40o 30» 20« 10» 0 —10» —20» —30« —40»
Frequenz . . 0 0 11 33 49 39 0 0
Fackeln 1895 Okt. — 1896 Dez.
Breite ... 50« 30^ 20» 10» 0 —10 —20 —30 — öO»
Frequenz . . 24 47 90 122 154 149 73 47
Protuberanzen 1897 Jan. — Sept.
Breite ... 90 60 40 20 0 —20—40—60 —90^
Frequenz . . 10 128 112 129 2S1 134 112 16
Die Ursache der ungleichmässigen Verteilung der Flecke ist un-
bekannt. Sie steht ohne Zweifel mit der ungleichmässigen Oberfläehen-
bewegung in Zusammenhang. Man hat häufig Schwierigkeiten gehabt,
die ausserordentliche Kraft der Eruptionen auf der Sonne zu erklären,
da doch keine starre Kruste einen schnellen Ausgleich der Druckdiffe-
renzen verhindert. Diese Schwierigkeit dürfte aber zum Teil ver-
schwinden, wenn man bedenkt, dass die Gase der Sonne zufolge der
hohen Temperatur und Dichtigkeit eine grosse innere Reibung besitzen,
so dass sie nach ihrer Konsistenz am ehesten mit Theer oder Honig
Arrhenius, Kosmische Physik. * 9
j^30 Physik des Himmels.
ZU vergleichen sind (nach Young). Die oberen Schichten geben dem-
nach nur langsam einem inneren Drucke nach. Man kann sich dann
den Vorgang so vorstellen: Im Innern der Sonne existieren sehr stark
kondensierte Gase, die sehr viele Atome in einer Molekel enthalten und
deren Bildung mit einer ganz enormen Energieaufspeicherung verbunden
ist. Diese Umstände entsprechen dem kolossalen Druck und der nach
Millionen Graden zählenden Temperatur im Sonneninnern. Angenommen,
es findet durch irgend eine Ursache eine Verschiebung einer solchen
Gasmasse zu höheren Schichten mit niedrigerer Temperatur und gerin-
gerem Druck statt, so zerfallen die stark zusammengesetzten Molekeln
ausserordentlich schnell, explosionsartig, denn alle Reaktionsgeschwindig-
keiten verlaufen bei sehr hohen Temperaturen unerhört schnell. Da-
durch entsteht eine heftige Zunahme des Druckes und der Temperatur,
welche kurze Zeit weiteren Zerfall verhindert, bis die umliegenden
Schichten zur Seite gedrückt und erwärmt worden sind, wonach neuer
Zerfall eintritt. Wahrscheinlicherweise spielt der Wasserstoff und
der Kohlenstoff in diesen vielatomigen chemischen Verbindungen eine
grosse Rolle, wie ja diese Bestandteile das hauptsächlichste Material zu
den am meisten zusammengesetzten Stoffen, die wir auf der Erde
kennen, liefern. Es ist demnach zu vermuten, dass bei der grossen
Rolle, welche Wasserstoff und Kohlenstoff auf der Sonne spielen, kom-
plicierte Hydrüre und Carbide, sowie Kohlenwasserstoffe einen bedeu-
tenden Teil der zerfallenden Gase ausmachen. Beim Zerfall entstehen
Wasserstoff, Kohlenstoff und freie Metalle, welche mit grosser Gewalt
zur Oberfläche hinstürzen. Da fällt der Kohlenstoff aus und bildet
Fackeln, die Metalle und der Wasserstoff bilden die Protuberanzen,
welche den Fackeln folgen. Durch diese Eruptionen steigt der Gas-
druck in den oberen Schichten, die Gase fallen zurück und bilden ein
Druckmaximum mit hinabsteigender Gasbewegung, welches dem Fleck
entspricht. Ein Fleck mit umgebenden Fackeln wäre demnach als
ein Gasdruckmaximum mit umgebenden kleinen Minimis anzusehen.
Der Fleck ist, wie das Barometermaximum, relativ ruhig, die Fackeln,
wie die Minima, bewegen sich relativ schnell und ändern dabei ihre
Form.
Die Temperatur der Sonne. Es ist natürlich eine sehr hohe Tem-
peratur in der Sonne anzunehmen. Die Temperatur der Sonne, welche
wir schätzen können, ist diejenige der Photosphäre. In älteren Zeiten be-
trachtete man sie, nach ihrer Strahlung, als sehr hoch, so z. B. schätzte
sie Secchi zu 5 Millionen Grad, Ericsson zu 2,5 Millionen Grad.
III. Die Sonne. 13 j
Inzwischen hat man immer mehr der Ansicht zugeneigt, dass die
Temperatur der Photosphäre nicht allzu sehr die höchsten irdischen
Temperaturen (in sehr intensiven Lichtbogen), welche gegen 4000^ C.
erreichen, übertreffe. Die Schätzungen der jüngsten Zeit stimmen recht
gut untereinander. So z. B. maass Le Chatelier diejenige Wärme-
strahlung von Körpern bei verschiedenen Temperaturen, w^ eiche durch
ein rotes Glas gehen. Damit verglich er die entsprechende Strahlung
der Sonne und gelangte so zu einem Wert von etwa 7600^ C. Aus der
Lage des Strahlungsmaximums im Sonnenspektrum, welches bei 0,5 //
liegt, und derjenigen für strahlende Körper (Kupferoxyd, Eisenoxyd und
Russ), welche dem Gesetze gehorchen:
lmaxT=29bO
(worin Xmax die Wellenlänge in ,m des Strahlungsmaximums und T die
absolute Temperatur des strahlenden Körpers angiebt), erhält man den
Wert 'r=5400 (nach Paschen). Wilson und Gray fanden aus der
Strahlungsintensität der Sonnenmitte, wobei sie annahmen, dass die
Erdatmosphäre 29 Proz. der Strahlung von der im Zenith stehenden
Sonne verschluckt, 6200^ C, welchen Wert sie später auf 8000^ C. korri-
LTierten. Als Strahlungsgesetz benutzten sie dasjenige von Stefan.
Warburg findet in ähnlicher Weise etwa 6000^ C.
Zuletzt wollen wir eine Schätzung von Seh ein er erwähnen. Er
fand die Magnesiumlinie 448,2 fifi sehr stark im Spektrum der Sterne
vom Typus 1, z. B. Sirius, entwickelt. Dieselbe Linie war schwächer in
den Sternspektren vom Typus 2 a (z. B. Sonne) und fehlte in den-
jenigen vom Typus 3 (z. B. a Orionis). Sie wird auch im Funken-
spektrum, dessen Temperatur Scheiner ziemlich willkürlich auf 15000^0.
schätzt, wiedergefunden, dagegen nicht im Bogenspektrum (etwa 4000^ C).
<Tanz umgekehrt verhält sich die Magnesiumlinie 435,2 fifi, welche im
Bogenlicht, sowie in den Sternenspektren von den Typen 3 und 2 a
zu sehen ist, dagegen nicht in dem Funkenspektrum noch im Sternen-
-pektrum vom Typus 1. Daraus schliesst Seh ein er, dass die Tempe-
ratur der umkehrenden Schicht der Sonne zwischen 4000^ und 15000^ C.
liegt, dagegen hat die umkehrende Schicht des a Orionis (Beteigeuze)
• ine Temperatur von nur 3—4000 ^ C. Diese Schätzung dürfte etwas
unsicher sein, da die Masse der strahlenden Dämpfe auch eine grosse
Rolle bei der Emission spielt, und wir sehr wenig über diese Grösse
unterrichtet sind.
Die Temperatur des Innern der Sonne ist natürlicherweise viel
. 9*
X32 Physik des Himmels.
höher als diejenige der Photosphilre. Aus der sogenannten adiabatischen
Wärmeverteilung auf der Sonne, d. h. der Wärmezunahme der Sonnen-
gase, wenn man sie von der Photosphäre zu einer bestimmten Tiefe mit
bekanntem höheren Druck führte, könnte man sie berechnen. Es ist
aber für diese Berechnung eine Kenntnis der specifischen Wärme der
Sonnengase nötig, welche wir keineswegs besitzen.
Schuster berechnet die Zunahme an der Oberfläche zu etwa 200^ C.
pro Kilometer, was 15000^0. pro Bogensekunde ausmacht. Oppolzer
schätzt die letzterwähnte Grösse zu ungefähr 600(1 ^ C. pro Bogensekunde.
Da der Sonnenradius rund 16' =960" lang ist, würde nach diesen Be-
rechnungen die Temperatur im Centrum der Sonne den enormen Wert
von etwa 6 — 15 Millionen Grad betragen. Da aber das dichte Gas
im Sonneninnern bei weitem nicht so kompressibel ist, wie ein ideales
Gas, dürften diese Extrapolationen zu allzu hohen Werten führen.
Zu einem noch höheren Wert, 200 Millionen Grad, führt die Theorie
von Lord Kelvin, zu einem niedrigeren, etwa 5 Millionen Grad, eine Be-
rechnung von Ekholm. Der letzterwähnte Wert, der mit dem Op-
polzerschen gut stimmt, dürfte unter den angeführten der wahrschein-
lichste sein.
Die Periodicität der Sonnen flecke. Bei Beobachtungen
über die Sonnenflecke fand man schon früh, dass dieselben in einigen
Jahren ausserordentlich spärlich vorkommen, in anderen Jahren dagegen
ungewöhnlich häuflg sind. Die Veränderung in der Anzahl der Sonnen-
flecke geht nach einer bestimmten Regelmässigkeit vor sich, und
Schwabe fand (1843), dass diese Anzahl eine periodische Änderung er-
leidet, deren Länge etwa 11 Jahre beträgt. Dieser Befund ist nachher
von allen Solarforschern bestätigt worden und speciell von dem bekannten
Physiker Wolf, welcher die sogenannten Relativzahlen eingeführt hat.
Die Sonnenflecke, deren Anzahl f an einem bestimmten Tage sein
mag, kommen gnippenweise verteilt vor. Wenn die Anzahl der Gruppen
q war, berechnete Wolf eine Relativzahl (r) der Sonnenflecke nach der
Formel:
r=109 + /'.
Er maass also einem einzelnen Fleck eine weit geringere Be-
deutung zu als einer Fleckengruppe. Aus diesen Relativzahlen für
jeden Tag bildete er Monats- und Jahresmittel. Mit Hilfe älterer Beob-
achtungen konnte er die Relativzahl auch für ältere Zeiten berechnen.
We^en der enormen Wichtigkeit dieser Relativzahlen der Sonnenthätig-
III. Die Sonne.
133
keit teilen wir dieselben hier für die Jahre mit, in welchen Maxima
und Minima vorkommen (vgl. Figg. 47c und 49^):
1750
55
61
66
69
75
78
84
87 98
83,4
9,6
85,8
11,4
106,1
7,0
154,4
10,2
132,0 4
1804
10
16
23
30
33
37
43
48
73,1
0,0
46,4
1,8
70,7
8,5
138,2
10,7
124,3
1856
60
67
70
78
84
89
93
1900
4,3
95,7
7,3
139,1
3,4
63,7
6,3
85,2
lOV
Vor dieser Zeit traten Maxima in den Jahren 1616, 26, 40, 49, 60, 75,
85, 93, 1705, 18, 28 und 39, Minima in den Jahren 1611, 19, 34, 45,
55, 66, 80, 90, 99, 1712, 24, 34 und 45 ein. Die Periodenlänge ist, wie
^^^f:_\H' 1 M 1 1 II 1 1 II>N M IMiril
^oo\^ \4-ti M \im\i\ \\\ \w\
^'W-l± == -----±----'' ==.i i^±^iiii=iii=
Itordliditen co 60 J- v 7 ~^\
'-^ 1 V 1 \rwC\ \vA-\ V / mrn
20 J r'-'T SI^---a^ä__
/l **— -*— ■■^'^^ ^ ^^
— T^ f\
11 -]-{-- i^
MiunuStörmuiai h '"' S Jl ^it t^ J 1 \ S -I-
^ ^ ^ S^ ^ + J \l ^. t v^ - ^s-,T
II ^ -v^^i ^^\^ / l X V _ S V- All
l ^^^^1 ^^,-^ ^^'it ^-f ^L :\
ioo\r ^ ^ ^ IK i'~
80 '^- ± - t J- \
Samienfleckafv c 60A-Az j^f ?t- -^ f-S 1-
„oi Is i \- =/=v = ? S -X i---^~- K'-'-
yal $-:i'^irs3E-;^-'st-^---rff--^-^- i^-i-V p-
^''f=— ±i— ^^z^±-^£-t~~-° ^Ei-i^ii
/?»'» 1790 1S00 tStO IS 20 1830 ISW 1850 1860 1870
Fig. 47.
aus den Zahlen ersichtlich, nicht immer gleich, wie man von astrono-
mischen Perioden gewöhnt ist, sondern schwankt zwischen 7 (1830-37)
und 17 (1787—1804) Jahren. Die mittlere Länge hat Wolf zu 11,2
Jahren ermittelt. Die unterste Kurve, Fig. 47 und die oberste in Fig. 49,
lebt die Schwankung der Kelativzahlen seit 1784 an.
Eine sehr bemerkenswerte Eigentümlichkeit bietet der Umstand,
dass der aufsteigende Teil der Kurve sehr steil verläuft, indem derselbe
sich nur über etwa 4,5 Jahre erstreckt, im Vergleich zum absteigenden
Ast, der etwa 7 Jahre ausfüllt (vgl. Figg. 47 und 49). Kleine Erhebungen
auf dem absteigenden Ast sind sehr häufig. In den letzen Jahren des
achtzehnten und den ersten dreissig Jahren des neunzehnten Jahrhun-
«lerts war die Schwankung relativ unbedeutend.
Dieser Umstand ist höchst bemerkenswert, da gerade für diese Zeit
in den ßegelmässigkeiten der meteorologischen Erscheinungen (vgl.
unten), die mit den Sonnenflecken zusammenhängen,, ein sehr wenig
134 Physik des Himmels.
ausgeprägter bisweilen sogar entgegengesetzter Gang beobachtet worden
ist, verglichen mit demjenigen in anderen, normalen, Zeitabschnitten.
Die Ursache dieser eigentümlichen Periodicität ist Gegenstand sehr
eingehender Discussionen gewesen, jedoch bisher ohne nennenswerten
Erfolg. De la Rue und Balfour Stewart glaubten schliessen zu
können, dass die Konjunktion von grösseren Planeten, besonders Jupiter,
dessen Umlaufszeit (11.87 Jahre) nicht allzu weit von der Länge der
Sonnenfleckenperiode entfernt ist, mit Yenus und Merkur, von Einfiuss
ist. Es ist schwer einzusehen, wie die Planeten dabei wirken sollten.
Am ehesten wäre an eine Art Gezeitenwirkung zu denken, wobei Kon-
junktionen eine Art Springflut zustande bringen würden. Wenn man
aber bedenkt, dass die Wirkung von Venus auf die Sonne etwa den
750. Teil derjenigen von der Sonne auf die Erde und diejenige des Ju-
piter und Merkur auf die Sonne nur den 1000. Teil dieser erreicht, so
verliert diese Art, die Sache anzugreifen, gänzlich den Boden (Young).
Die Sonne bewirkt nämlich auf tiefen Wässern eine Flutwelle von etwa
30 cm Höhe um den Äquator der Erde. Es würden danach die drei
Planeten im Stande sein, eine Welle von etwa 1 mm Höhe auf der Sonne
zu erregen. Diese Ziffer giebt jedenfalls die Grössenordnung richtig an.
Eher wäre die Meteorenhypothese zu verwenden. Der Meteoren-
schwarm, welcher nach Her seh eis Ansicht die Sonnenflecke verursacht,
könnte eine Umlaufszeit von etwa 11,2 Jahren besitzen und dadurch eine
periodische Wirkung ausüben. Eine Schwierigkeit bietet in diesem Fall
die Verteilung der Flecke, welche gerade am Äquator, wo sie nach der
Meteorenhypothese am häufigsten vorkommen sollten, sehr spärlich er-
scheinen.
Übrigens hat diese Hypothese, wie alle anderen astronomischen
Hypothesen, die Schwierigkeit zu überwinden, welche in der grossen
Schwankung der Periodenlänge begründet ist und mit einer astrono-
mischen, von den Bewegungen anderer Himmelskörper herrührenden
Ursachen vollkommen unvereinbar erscheint. Vielmehr erinnert die Er-
scheinung an die Periodicität der Ausbrüche von Geysirn. Man hat
demnach bisweilen versucht, die Entstehung der Sonnenflecke in der-
selben Weise wie diejenige der Geysirausbrüche zu erklären.
Zusammenhang der Sonnenfleckenfrequenz mit dem Erd-
magnetismus. Es hat sich nun herausgestellt, dass die Sonnenflecken-
periode sich in vielen irdischen Erscheinungen geltend macht. Beson-
ders ist dies der Fall mit den Variationen der Stellung der Magnet-
nadel und der Häufigkeit der Nordlichter, welche beiden Erscheinungen
111. Die Sonne. 135
miteinander sehr nahe verknüpft sind. Der Zusammenhang ist ohne
weiteres aus den Kurven in Fig. 47 ersichtlich, von welchen die oberste
die Anzahl der Nordlichter, die mittleren die Frequenz der magnetischen
Stöningen und die untere die Frequenz der Sonnenfiecke in jedem
Jahre von 1784 bis 1871 wiedergiebt. Jedoch ist dieser Zusammenhang
von Faye und Lord Kelvin bestritten worden. Dieser berühmte For-
seher denkt sich die Sache folgendermaassen. Damit die Sonne die
Stärke des erdmagnetischen Feldes um 0,001 ihres Betrages beeinflussen
könnte, müsste die Sonne ein Magnet von 12 000 mal so grosser Stärke
als der Erdmagnet sein. Nun kommen Störungen, die der Sonnenthätig-
keit zugeschrieben werden, vor, welche das Erdmagnetfeld um den 30.
Teil verändern. Man müsste demnach plötzliche ausserordentlich starke
Änderungen des Sonnenmagneten annehmen. Übrigens verhält sich der
Gang der irdischen Magnetnadel nicht so, wie man aus der Annahme,
die Sonne sei ein ungeheuerer Magnet, zu schliessen berechtigt wäre.
Da also der übereinstimmende Gang der Sonnenflecke und der Magnet-
nadel nicht durch eine ähnliche Annahme erklärt werden kann, so be-
hauptet Lord Kelvin, dass die erwähnte Übereinstimmung nur zufällig
sei. Man muss aber die Elemente der Wahrscheinlichkeitsrechnung
ganz ausser Acht lassen, wenn man den parallelen Gang der Kurven
h und c in Fig. 48 für ein Spiel des Zufalls erklärt. „Dass die Sonnen-
rtecke mit dem Erdmagnetismus im Zusammenhange stehen, unterliegt
keinem Zweifel" (Young).
Kurz nachdem Schwabe seine Beobachtungen über die Veränder-
lichkeit der Sonnenflecke in den Jahren 1826 — 1851 veröffentlicht hatte,
machten gleichzeitig Sabine in England, Gautier in Frankreich und
Wolf in der Schweiz auf das Zusammenfallen der Maxima und Minima
der von Lamont 1850 nachgewiesenen Periode der magnetischen Schwin-
gungen mit den Maxima und Minima in der Sonnenfleckenperiode auf-
merksam. Um das nahe Zusammenfallen der beiden Perioden in neuerer
Zeit hervorzuheben, mögen folgende Jahreszahlen und Werte der Maxima
und Minima der täglichen Veränderlichkeit der Deklination in Prag und
die Jahre der Extremwerte in der Zahl der Sonnenflecke angeführt werden.
Jahr 1856 1859 1867 1871 1878 1883 1889 -
Variation, beob. . 5,98' 10,36' 6,95' 11,43' 5,65' 8,34' 5,99'
ber. . 6,08 lo,20 6,22 12,15 6,04 8,76 6,17
Jahr 1856,0 60,1 67,2 70,6 78,9 84 89
Sonrienfleckenzahl 4,3 95,7 7,3 139,1 3,4 63,7 6,3
136
Physik des Himmels.
Die Übereinstimmung im Gange der beiden Erscheinungen ist so
ausgeprägt, dass man die tägliche Veränderlichkeit der Deklination v für
verschiedene Orte nach folgender Formel berechnen kann:
v = a -{- b r,
worin r die Relativzahl der Sonnenflecke, a und b zwei Konstanten
bedeuten, welche für Prag den Wert 5,89' resp. 0,045' besitzen. Die so
berechneten Werte stimmen vorzüglich mit den beobachteten überein,
nicht nur für die Jahre der Maxima und Minima, wie obenstehende
Daten zeigen, sondern ebensogut in anderen Jahren.
Die Grösse von a und b an verschiedenen Orten ist in f<^lgender
Tabelle wiedergegeben.
Breite a b A,
Christiania 59,55 4,94' 0,037 0,032
Barnaul (Sibirien) . . 53,19 3,53 0,028 0,023
Berlin 52,30 6,62 0,042 0,042
Greenwich 51,30 6,67 0,039 0,042
Prag 50,5 6,12 0,040 0,039
Wien 48,13 5,13 0,039 0,033
München 48,9 6,74 0,042 0,043
Mailand 45,28 5,28 0,043 0,034
Toronto 43,40 7,96 0,040 0,051
Trevandrum (Indien) . 8,30 0,24 0,007 0,002
Batavia — 6,11 —3,16 —0,016 —0,016
Hobarton (Tasmanien) . —42,53 —7,17 —0,032 —0,046
Ein — Zeichen giebt an, dass das nach Norden gerichtete Ende
des Magneten am Tage mehr gegen Osten zeigt als in der Nacht, in
den anderen Fällen bewegt sich das Nordende am Tage mehr gegen
Westen als in der Nacht. Die beiden Grössen a und h laufen nahezu
miteinander parallel, wie aus den mittels der Formel a=\hlb berech-
neten, unter b^ stehenden, Werten hervorgeht, gehen etwas nördlich
vom Äquator durch Null, sind noch nördlicher positiv, südlicher ne-
gativ. Sie nehmen mit steigender Breite erst zu, gehen durch ein
Maximum auf etwa 47^ Breite und nehmen wieder gegen die Pole hin
ab. Schuster hat gezeigt, dass die Ursache dieser Schwankungen ausser-
halb der Erdoberfläche (vermutlich in der Luft) liegt.
Ebenso wie die Deklination erleiden die anderen magnetischen Ele-
III. Die Sonne. X37
ente, Horizontalintensität und Inklination Schwankungen, welche der
iSonnentieckenperiode folgen.
Sonnenflecke und Nordlichter. Da die magnetischen Varia-
tionen äusserst eng, wie Celsius und Hiorter entdeckten, mit den
Nordlichtern verknüpft sind, so lag die Vermutung nahe, dass die
Nordlichter derselben Periode wie die Sonnenflecke folgen würden. Dies
wurde auch von Loomis und später von Fritz nachgewiesen, wie die
Kurven a und c in Fig. 47 sehr deutlich machen. Indessen scheint der
Zusammenhang nicht sehr einfach zu sein. Tromholt glaubte für einige
Stationen in Island und Grönland einen entgegengesetzten Gang des
Nordlichtes gegen denjenigen der Sonnenflecke nachweisen zu können.
Spätere Beobachtungen aus diesen Gegenden lassen keinen deutlichen Zu-
sammenhang dieser beiden Erscheinungen erkennen. Auch neuere Beob-
achtungen aus Schweden und Norwegen, sowie Nordamerika, zeigen bei
weitem keine so gute Übereinstimmung wie die Kurven a und c in
Fig. 47. Dagegen ist die Übereinstimmung der Periode der Sttdlichter
mit derjenigen der Sonnenflecke eine noch viel auffälligere als diejenige
<ler Nordlichter. Überhaupt scheint es, dass, wenn man die Polarlichter
möglichst vollständig notiert, ihre ausgesprochene elfjährige Periodicität
zum Teil verloren geht. Dies muss ja der Fall sein, wenn man in solchen
Gegenden beobachtet, wo Nordlichter beinahe in jeder Nacht, sow^ohl in
sonnenfleckenreichen als auch in sonnenfleckenarmen Jahren vorkommen.
Wenn man aber nur die auffälligsten Polarlichter notiert oder in solchen
Gegenden arbeitet, wo diese seltene Erscheinungen sind, so tritt die
elfjährige Periode sehr scharf hervor, wie die Zusammenstellungen von
Loomis und Fritz (Kurve a in Fig. 47) aus älteren Jahren zeigen.
Noch mehr tritt dies bei den relativ spärlich beobachteten Südlichtern
hervor.
Fortpflanzung der magnetischen Störungen. Es ist viel
darüber geforscht worden, wie lange Zeit die magnetischen Störungen
und die Nordlichter nach den Störungen auf der Sonne erscheinen.
Wenn man dies feststellen könnte, so hätte man ein Maass für die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des erwähnten Einflusses und könnte
Schlüsse in Bezug auf dessen Natur ziehen. Unmittelbar nach der von
Carrington und Hodgson beobachteten grossen Eruption vom 1. Sep-
tember 1859 (vgl. S. 96) auf der Sonne zeigte die Magnetnadel einen
heftigen magnetischen Sturm an. Auch Young hat am 3. und 5. August
1872 ähnliche Koinzidenzen von Störungen auf der Sonne und magne-
tischen Störungen beobachtet. Es giebt wohl auch einige spätere der-
;[38 Physik des Himmels.
artige Beobachtungen (von Wild), welche eine Fortpflanzungsgeschwin-
digkeit der magnetischen Störung, die der Lichtgeschwindigkeit gleich-
käme, andeuten. Aber eine genaue Prüfung dieses schwierigen Gegen-
standes hat die Vorstellung von einer solchen Koinzidenz stark er-
schüttert. So z. B. spricht sogar Sidgreaves die Ansicht aus, dass
wegen der mangelnden Gleichzeitigkeit der magnetischen Stürme und
der Störungen auf der Sonnenoberfläche kein direkter Zusammenhang
zwischen diesen beiden Erscheinungen bestehe, sondern „die gemeinsamem
Ursache beider Erscheinungen liege in Anhäufungen von kosmischem
Staub, welche das Sonnensystem bei seiner Wanderung durch den Raum
passiert". Ebenso bemerkt Palazzo, dass die Ansicht von Marchand,
dass Sonnenflecke bei ihrem Durchgang durch den mittleren Meridian
der Sonne magnetische Störungen hervorrufen, nicht gern richtig sein
könne. Denn bei der Passage eines kolossalen Sonnenfleckens über die
Sonnenmitte am 6 — 7. August 1893 trat wohl eine magnetische Störung
ein, eine andere Störung, die noch heftiger war, ging aber 12 Stunden
voraus, und als der Fleck das nächste Mal am 2.-3. September durch
die Sonnenmitte ging, war nicht die geringste magnetische Störung zu
bemerken. Eine Ansicht, die von Yeeder ausgesprochen wurde, dass
die Flecke dann Störungen hervorrufen, wenn sie gerade am Sonnen-
rande stehen, zeigt nur, wie unsicher die Ideen auf diesem Gebiete sind.
Riccö, wie Marc band, und wohl die meisten sind darüber einig, dass
nur der Passage über die Sonnenmitte eine bevorzugte Bedeutung zu-
geschrieben werden kann. Tacchini macht dazu die Bemerkung, dass
nur falls starke Bewegungen bei den Sonnenflecken vorkommen, wäh-
rend diese die Sonnenmitte durchgehen, magnetische Störungen auf-
treten. Später hat er die Ansicht ausgesprochen, dass die Fackeln
und (metallischen) Protuberanzen viel eher mit den Nordlichtern und
den magnetischen Störungen in Zusammenhang stehen als die eigent-
lichen Flecke. Dies schliesst er aus dem Umstände, dass im Jahre 1893
die Flecke im Zunehmen begriffen waren, während die Anzahl der Pro-
tuberanzen und Nordlichter abnahm. Dagegen muss man bemerken,
dass andere Fackeln als diejenigen, welche die Flecke umgeben und
andere Protuberanzen als die metallischen wohl keine Wirkung auf die
magnetischen Yerhältnisse ausüben, denn ihre Veränderlichkeit in der
Sonnenfleckenperiode ist, nach Tacchinis Ziffern zu urteilen, nicht sehr
stark hervortretend. Ausserdem, wenn man alle Fackeln mitrechnet, so
giebt es, wie Haie bemerkt, keinen Augenblick, in welchem nicht eine
Fackel die Sonnenmitte überschreitet. Aber ü'erade den Fackeln und
III. Die Sonne. • I39
Protuberanzen im Sonnenfleckengebiet ist ohne Zweifel die eigentliche
wirkende Rolle zugeteilt, und sie ändern sich nahezu in derselben Pro-
portion wie die Sonnenflecke. Denn diese Gebilde zeigen vor allen
anderen die enorme Unruhe, welche als Grund der stossweise erschei-
nenden magnetischen Störungen angesehen werden kann.
Am ehesten wird man wohl zum Ziel kommen, wenn man Flecke
und ihre Umgebungen zu Zeiten untersucht, während welcher sie und
die magnetischen Störungen relativ selten sind. Als Beispiel eines
solchen Falles möge der grosse Fleck vom September 1898, welcher von
Mau n der untersucht wurde, dienen. Dieser, oder richtiger die Flecken-
gruppe (vgl. Fig. 48), erreichte am 8. — 10. September seine grösste Aus-
dehnung, indem die Länge des unruhigen Gebietes etwa 220000 und
ihre Breite etwa 70000 km betrug. Etwa 14 Stunden, nachdem
der grösste Fleck durch den mittleren Meridian der Sonne ging,
-etzte ein ausserordentlich scharfer magnetischer Sturm ein, welcher
das Maximum seiner Stärke etwa 7—8 Stunden später, am Abend des
9. September 8 — 10 Uhr entwickelte. Gleichzeitig entfaltete sich ein
prachtvolles aus weissen Strahlen bestehendes Nordlicht um 8'' 45*" bis
10^30'" mit einem Maximum der Unruhe um 9^ Nach einem anderen
<'nglischen Beobachter erschien ein schwaches Licht, wie leuchtende
Wolken, um 8^ um 8^30"^ schössen kräftige weisse Strahlen am nörd-
lichen Horizont auf, welche Erscheinung bis 9^ anhielt. Die Seitenstrahlen
waren etwas schwächer und etwas purpurfarben. Um 8^* 40"* war die Licht-
«ntfaltung so stark, dass der Beobachter seine Uhr ablesen konnte. Ein
sehwaches Licht blieb am nördlichen Horizont bis 11^30"' (Greenw, Zeit).
Um 10'' bildete sich ein Nordlichtbogen von hellem gelben Licht aus,
welcher um 11^*15"^ seine schärfste Begrenzung hatte und um 11/* 45"*
beinahe verschwunden war.
Etwa 20 bis 21 Stunden, nachdem der Fleck den mittleren Sonnen-
nieridian erreichte, machte sich sein grösster Einfluss auf den magne-
tischen Zustand der Erde geltend.
Zu ungefähr demselben Schluss gelangte Maunder aus der Unter-
suchung eines Fleckes vom Jahre 1892.
Zu ähnlichen Folgerungen ist der hervorragende Forscher Ricco,
liolangt, welcher die Zeitdifferenz zwischen dem Durchgang der Sonnen-
tiecke durch den centralen Meridian der Sonne und dem Auftreten von
magnetischen Störungen auf der Erde zu 38 bis 51 Stunden schätzt.
Es scheint demnach, dass die durch Sonneneruptionen verursachte
Störung eine nicht unbedeutende Zeit braucht, um die Erde zu er-
140
Physik des Himmels.
reichen. Es ist folglich nicht wohl möglich, die Wirkung irgend einer
Lichtstrahlung zuzAischreiben, welche elektrische Wirkungen auszAÜösen
vermöchte.
Fig. 48. Gruppe von Sonueiiflecken vom 8. — 10. September 1898 nach Maunder. Die
obere Figur zeigt ein Bild von dem Moment, als der grösste Fleck den mittleren
Meridian der Sonne erreicht, die untere zeigt ein 48 Stunden später aufgenommenes
Bild, wodurch die grossen in der Zwischenzeit erfolgten Änderungen hervortreten.
Sonnenflecke und Lufttemperatur. Auch bei anderen me-
teorologischen Erscheinungen hat die Sonnenfleckenperiode einen, wenn
auch nicht grossen, so doch interessanten Einfluss gezeigt. Eine aus-
III. Die Sonne. 141
tuhrliche Zusammenstellung über diese Fragen hat H. Fritz 1878 ge-
liefert. Nur die wichtigsten Beziehungen mögen hier kurz erwähnt
werden. Koppen fand, dass im allgemeinen die Temperatut in den
xtnnenfleckenreichen Jahren niedriger ist als in den sonnenfleckenarmen.
Am regelmässigsten ist diese Erscheinung in den Tropen entwickelt, wo
die Amplitude 0,73*^ C. beträgt. Das Temperaturmaximum tritt etwa
1 eTahr vor dem Fleckenminimum ein, das Temperaturminimum koinzi-
(liert mit dem Fleckenmaximum wie folgende Tabelle zeigt:
Jahr. Fleckenmin. +1 -j- 2 +3 +4
Temp. -f 0,33 +0,15 —0,04 —0,21 —0,28
Jahr. Fleckenmax. +1 +2 -|-3 +4 4-5
Temp. —0,32 —0,27 —0,14 +0,08 +0,30 +0,41
Die Einwirkung ist in aussertropischen Gegenden geringer —
Koppen fand im Mittel für die aussertropischen Stationen eine Ampli-,
tude von 0,54^ C. — und der Gang der Periode war viel mehr ver-
wischt. Dieser Umstand steht nur scheinbar im Widerspruch mit der
von Saweljew gefundenen, aber noch nicht genug konstatierten That-
sache, dass die Sonnenstrahlung in fleckenreichen Jahren bedeutend
stärker ist als in fleckenarmen. Er fand nämlich in den Sommern 1890,
1891 und 1892 einen Wert der Wärmestrahlung pro Stunde und cm'^
zu Kijew von 29,8, bezw. 32 und 36 cal., w^ährend die Relativzahlen der
Sonnenflecke 7, bezw. 47 und 86 betrugen.
Diese Beobachtung ist a priori wahrscheinlich, denn die Sonnen-
ttecke entsprechen einer „Umrührung" auf der Sonne, welche wohl eine
Temperatursteigerung der strahlenden Oberflächengebiete, besonders der
Fackeln, herbeiführen muss. Die Temperatursenkung auf der Erde in
sonnenfleckenreichen Jahren sollte danach von der gleichzeitig ein-
tretenden Erhöhung in der Bewölkung, trotz der stärkeren Wärme-
strahlung, herrühren (vgl. weiter unten).
Sonnenflecke, Wolken und Niederschlag. Die Bewölkung
scheint insofern mit den Sonnenflecken in Zusammenhang zu stehen,
als besonders die höchsten Wolken in Zeiten von vielen Flecken häu-
flger vorkommen als in fleckenarmen Jahren.
So z. B. fand Klein für folgende Wolkenarten in den Jahren
1850-1870 nachstehende Frequenzzahlen (für Köln).
Jahre Rel.-Zahl Cirrhus Cirrhosfcratus Cirrhocumulus Summe
1850—52 178,6 122 187 49 358
1853—55 63,6* 89* 186 5* 280*
142 Physik des Himmels.
Jahi-e Rel.-Zahl
Cirrhus
Cirrhostratus
Cirrhocumulus
Summe
1856—58 76,7
164
122*
51
337
1859—61 272,4
286
149
40
475
1862-64 150,9
361
123
11
495
1865—67 58,0*
225=^
95^
0
320'=
1868-70 263,9
248
163
0
411
Wie ersichtlich, fallen die Maxima und die Minima nahezu auf
dieselben Epochen, wie die Maxima und Minima der lielativzahlen der
Sonnenflecke.
Diese höchsten Wolken geben durch ihre Eisnadeln zu Höfen um
den Mond und die Sonne Anlass. Diese sind in der That häufiger bei
den Sonnenfleckenmaxima als bei den Minima. Schon aus Tycho Brahes
Tagebuch geht hervor, dass die Höfe in nordlichtreichen Zeiten häu-
figer als sonst auftreten.
Auch für die Bewölkung im allgemeinen hat man für deutsche
Stationen eine, obgleich ziemlich schwach ausgeprägte, Zunahme mit
den Sonnenflecken nachgewiesen. (Diese Beziehung scheint nicht all-
gemein giltig zu sein, so ist man z. B. in England zum entgegenge-
setzten Resultat gekommen).
Nach den Untersuchungen von Meldrum und Lockyer sind die
Niederschläge bei Sonnenfleckenmaxima reichlicher als sonst. Die Regel-
mässigkeiten treten stärker in den tropischen Gegenden hervor, als
ausserhalb derselben. Aber auch da kommt bisweilen ein entgegen-
gesetzter Gang vor, wie Archibald und Hill für die Regen in Nord-
Indien gefunden haben. Auf dem Kontinent von Europa sollte die
Amplitude etwa 2 englische Zoll (= 51 mm) und in Amerika und Eng-
land etwa doppelt soviel betragen.
Eine Folge der zu Sonnenfleckenzeiten vergrösserten Niederschlags-
menge zeigt sie in dem gleichzeitig erhöhten Pegelstande der euro-
päischen Flüsse. Aus Untersuchungen des Pegelstandes der grossen
Ströme: Elbe, Rhein, Oder, Weser, Donau, Weichsel und Seine hat man
gefunden, dass der mittlere Pegelstand in den drei Jahren um das
Maximum sich zu demjenigen in den drei Jahren um das Minimum der
Sonnenflecke wie 1,26 : 1,18 = 1,05 : 1 verhält. Auch der Nil zeigt ent-
schiedene Maxima in Jahren 1828, 1841, 1849, 1861 und 1870, welche
den Sonnenfleckenmaxima (1830, 1837, 1848, 1860 und 1870) nahe
liegen. Die entsprechenden Minima fallen in die Jahre 1835, 1845, 1857
und 1866 resp. 1833, 1843, 1856 und 1867.
III. Die Sonne. j^43
Auch die Hagelfällc sollen bei Sonnentieckenmaxima häuliger auf-
treten als bei Minima. Die Schwankung ist nicht sehr ausgeprägt.
Die elfjährige Periode anderer irdischer Erscheinun-
<j:en. Meldrum zeigte, dass die Cy klonen zwischen dem Äquator
und 25*^ s. Breite bei Sonnenfleckenmaxima häuliger und kräftiger sind
als bei Minima. Zu demselben Resultat ist Poey für das Antillen-
<?ebiet gelangt. Auch die Verlustziffern der Seeversicherungsgesellschaften
sprechen für die Richtigkeit des Befundes von Meldrum. Eine der
sonderbarsten Erscheinungen ist die, dass die Thätigkeit der Vulkane
kräftiger zu sein scheint in den Zeiten der Sonnenfleckenminima als in
denjenigen der Maxima, wie Kluge und De Marchi nachgewiesen
haben. Nach De Marchi sollte die Variation sogar im Verhältnisse
2 : 1 stehen.
Dass diese meteorologischen Einflüsse (besonders die Schwankung
der Temperatur und des Niederschlages) eine Wirkung auf biologische Ver-
hältnisse ausüben können, ist leicht einzusehen. Man hat nach Herschel
in dieser Weise einen Zusammenhang zwischen Sonnenflecken und Ernte,
Weizenpreise, Handelskrisen und Hungersnot in Indien gesucht, aber
mit zweifelhaftem Erfolge. Jedoch scheinen einige sogenannte phänolo-
«,nsche Erscheinungen mit den Sonnenflecken in deutlichem Zusammenhang
zu stehen. So z. B. traf die Zeit der Weinlese bei Wien (Maulern) im
Mittel 4,6 Tage später in den fleckenreichen Jahren als in den flecken-
armen ein (7,2 Oktober bezw. 2,6 Oktober in der Zeit 1754 — 1853). Auch
die Quantität und Qualität des produzierten Weines scheint von den
Sonnenflecken begünstigt zu werden. Die Weinerträge in Nassau zeigen
nach Sartorius eine Periodicität, deren Maxima auf folgende Jahre
fallen:
1704, 1718, 1725, 1738, 1749, 1761, 1773, 1782, 1834, 1847, 1857,
1869, während die Sonnenfleckenmaxima in folgenden Jahren fielen,
1706, 1718, 1728, 1739, 1750, 1761, 1769, 1778, 1837, 1848, 1860, 1870.
In den Jahren 1785 — 1830 ist der Gang der Kurve sehr unregel-
raässig und nicht gut mit der Sonnenfleckenkurve in Übereinstimmung
zu bringen.
Auch andere Pflanzen zeigen eine ähnliche Abhängigkeit, wie aus,
den Kurven (Fig. 49) hervorgeht. Die ^-Kurve stammt von Flammarion
und zeigt die Blütezeit der Edelkastanie in der Nähe von Paris in ver-
schiedenen Jahren. Je höher die Ordinata, desto früher trat die Blüte-
zeit ein. Der Abstand zwischen zwei horizontalen Strichen entspricht
6 Tagen. Die 5-Kurve zeigt, dass die Blütezeit im Jahre 1889
144
Physik des Himmels.
19 Tage später eintrat, wie im Jahre 1894. Diese Kurve zeigt einen sehr
übereinstimmenden Gang mit der oben stehenden SonnenÜeckenkurve (A).
Dasselbe ist der Fall mit den Kurven D und E, welche nach denselben
1850
1850
Fig. 49.
III. Die Sonne. I45
Prinzipien konstruiert sind und die mittlere Blütezeit von 5 Pflanzen
(Windröschen = Anemone nemorosa, Huflattich = Tussilago farfara,
Schlehe = Prunus spinosa, weisse Wucherblume = Chrysantemum Leu-
canthemum und Hagebutte = Kosa canina) im Distrikt Hants in Eng-
land, sowie diejenige von Ribes sanguineum bei Edinburgh darstellen.
Ebenso verhält sich die Kurve C, welche die Rückkunftszeit der Schwalben
nach Frankreich (Moulins in Mittelfrankreich) darstellt.
Diese phänologischen Erscheinungen hängen alle auf das innigste
mit einer anderen meteorologischen zusammen, nämlich der, dass die Früh-
lingsmonate in fleckenreichen Jahren (in unseren Gegenden) wärmer
sind als in fleckenarmen. Dies hat Flammarion für Juvisy in Mittel-
Frankreich gefunden. Seine Beobachtungen umfassen nur ziemlich w^e-
nige Jahre. Zu demselben Schluss führen auch die schwedischen Beob-
achtungen aus den Jahren 1860 — 1893. Als das deutlichste Beispiel
dieser Erscheinungen wird in Fig. 40 Kurve / die Abweichung der Tem-
peratur (in ^ C.) von dem Mittel in den Frühlingsmonaten (März) in Nord-
schweden (Norrland) wiedergegeben. Die mittelst der Formel von Galle ^)
ausgeglichenen Daten zeigen einen mit demjenigen der Sonnenflecken-
kurve auffallend ähnlichen Verlauf.
Wenn der Frühling warm ist, so schmilzt die Schneedecke früh-
zeitig, ebenso brechen die Flüsse ihre Eisdecke früher als in anderen
Jahren. Folglich treten diese Erscheinungen in sonnenfleckenreichen
Jahren früher als in fleckenarmen ein, wie die Kurve H in Fig. 49 zeigt,
welche die Zeit (Tag des Monats März) des Eisganges im Fluss Kumo-
elf in Finnland in den Jahren 1850 — 1884 darstellt. Auch diese Zif-
fern sind mittels der Galle sehen Formel ausgeglichen. Die Überein-
stimmung mit der Sonnenfleckenkurve ist stark ausgeprägt. (Für den
Anfang des vorigen Jahrhunderts ist dies aber nicht der Fall, was mit
vielen ähnlichen Erscheinungen zutrifft.)
Den Grund aller dieser Erscheinungen hat man wahrscheinlicher-
weise in der herrschenden Windrichtung zu suchen. Wenn im Früh-
ling südliche Winde vorherrschen, so wird er mild. Mac Do wall hat
1) a, b, c, d, e, f und // mögen sieben aufeinander folgende Werte einer Grösse
angeben (z. B. der Temperatur um 12^* in sieben nacheinander folgenden Tagen). Diese
Grössen schwanken stark durch zufällige Einflüsse. Um einen Teil dieser Schwan-
kung zu eliminieren, berechnet man ausgeglichene Werte nach verschiedenen Formeln.
Der nach Galle 's Formel ausgeglichene Wert di von d ist di = ;^ö (a + 46 + 9c
+ 12(^ 4- 9e + 4/ + 5f). Eine gewöhnliche Ausgleichung ist auch di = }, {b + e
Arrhenius, Kosmische Physik. • 10
^46 Physik des Himmels.
nun auch für Greenwich erwiesen, dass in sonnenfleckenreichen Jahren
die Tage mit Südwinden viel häufiger in der Frühlingszeit vorkommen als
in sonnenfieckenarmen. In der Kurve G ist die Anzahl der Tage mit
Nordwind in den drei ersten Monaten dargestellt und wie in den oben
gegebenen phänologischen durch Mittelnahme von je fünf und fünf kon-
sekutiven Werten ausgeglichen. Die Kurve ist umgekehrt, so dass der
Nordwind um so seltener war, je höher die Kurve im entsprechenden
Jahr liegt. Einen sehr ähnlichen Gang zeigt die Kurve F, welche die
Anzahl der Frosttage in der Nähe von London in den drei ersten Mo-
naten des Jahres angiebt. xiuch diese Kurve ist umgekehrt. Die Über-
einstimmung der Kurven F — / ist sehr deutlich hervortretend.
Man kann nun weiter gehen und fragen, weshalb die Südwinde (in
England und wahrscheinlich auch in unseren Gegenden) die genannte
Periodicität aufweisen. Dies kann nicht anders verstanden werden, als
durch die Annahme, dass in sonnenfleck enreichen Jahren in den ersten
Monaten des Jahres ein ungewöhnlich starkes Barometerminimum im
Atlanten (westlich von Europa) liegt. Im allgemeinen liegt ein solches
Minimum an der betreffenden Stelle und Zeit, welches von der starken
Erwärmung der Luft durch den Golfstrom über die Temperatur der Um-
gebung herrührt. Man wird also zur Annahme geführt, dass der Golfstrom
in sonnenfl eckenreichen Jahren (in den ersten Monaten) kräftiger ist als
sonst. Dies hängt ohne Zweifel mehr oder wenig eng damit zusammen,
dass im Gebiet der Antillen die Cyklonen in sonnenfleckenreichen Jahren
viel stärker ausgeprägt sind, als sonst.
Die genannte Erscheinung des Zusammentreffens von milden Früh-
lingen mit sonnenfleckenreichen Jahren, ist also wahrscheinlicherweise
lokaler Art und in anderen Gegenden kann die Regelmässigkeit, wie
leicht einzusehen, in umgekehrter Richtung ausfallen. Aber trotzdem
sind diese Erscheinungen von einer so grossen Bedeutung für die
menschliche Kultur (z. B. für den Ackerbau und die Schiffahrt), dass
sie wohl verdienten einer genauen und eingehenden Untersuchung unter-
worfen zu werden. Man würde bei solchen Unternehmungen wahrschein-
licherweise auf eine überraschende Fülle von höchst interessanten Be-
funden treffen.
Die nahezu 26tägige Periode. In vielen meteorologischen Er-
scheinungen, besonders denjenigen des Erdmagnetismus, der Luftelek-
tricität, Gewitter und Nordlichter hat man eine Periode nachgewiesen,
welche nicht völlig 26 (nach neueren Bestimmungen 25,929) Tage lang
ist. Da nun alle Vors'äng-e auf der Erde so ^mi wie ausschliesslich von
III. Die Sonne. 147
der Sonne geregelt werden, hatte man Ursache, eine ebenso lange pe-
riodische Änderung in der Sonne zu suchen. Diejenige Sonnen-
periode, welche dieser Länge am nächsten kommt, ist ihre Rotations-
zeit und bevor man diese näher kannte, setzte man den Zusammenhang
als sicher festgestellt voraus und bestimmte aus der Periodenlänge
die Umdrehungszeit „genauer als mit Hilfe astronomischer Beobach-
tungen."
Die Umdrehungszeit der Sonne, welche hier in Frage kommen kann,
ist die synodische, d. h. diejenige Zeit, welche zwischen zwei Augen-
blicken vertliesst, in welchen genau derselbe Teil der Sonne von der Erde
sichtbar ist. Wenn S die Länge der synodischen Umlaufszeit und TT
diejenige der siderischen ist, so enthält ein Jahr genau eine f /-Periode
mehr als die Anzahl der iS-Perioden beträgt. Der Beweis ist ganz wie
der obige zu fähren, dass ein Jahr genau einen siderischen Tag mehr als
gewöhnliche (synodische) Sonnentage enthält (vgl. S. 3). Wenn also X
die Zahl der siderischen Umdrehungen der Sonne in einem Jahr ist, so
erhalten wir zur Berechnung der synodischen Umlaufszeit:
X C/=(A— 1) 5=365,256 Tage.
Hieraus geht hervor, dass S etwa 2 Tage länger ist als U. Unten
ist in einer kleinen Tabelle angegeben, um wie viele Tage {S — U) die
synodische Umlaufszeit, S, die siderische, U, übersteigt, wenn diese
zwischen 24 und 40 Tagen sich ändert, wie es der Fall auf der
Sonne ist.
U=24 25 26 28 30 35 40 Tage.
S—U=-. 1,69 1,84 1,99 2,32 2,69 3,71 4,80 Tage.
Nun hat die Sonnenphotosphäre, eigentlich die umkehrende Schicht,
nach Duner Umdrehungszeiten C7, welche zwischen 25,46 (am Äquator)
und 38,55 Tage (am 75. Breitegrad der Sonne) variieren. Wenn folglich
eine Periode in meteorologischen Erscheinungen von der Rotationszeit der
Photosphäre herrührt, sollte ihre Länge zwischen 27,37 und etwa 43 Tagen
fallen. Folglich kann die Umdrehung der Photosphäre nicht die kürzere
Periode von 25,929 Tagen hervorrufen. Da nun die meisten Wirkungen
der Sonne mit den Sonnenflecken in Zusammenhang gestellt werden,
so könnte man versuchen, ob nicht die Erscheinungen, welche mit den
Sonnenflecken in Zusammenhang stehen, die richtige Periodenlänge be-
sässen. Da weiter die Sonnenflecke ihr Maximum bei etwa 15^ Breite
besitzf^n. so hat man in erster Linie an die Rotationszeit der Flecke
10*
148 Physik des Himmels.
und Fackeln auf dieser Breite zu denken. Diese beträgt 25,26 bezw.
25,44 Tage, entsprechend Längen der synodischen Periode von 27,13 und
27,34 Tage, folglich mehr als 25,93 Tage. Man wird daher genötigt, die
Werte am Sonnenäquator zu prüfen, welche für Fackeln, Flecke und
Photosphäre 24,32 24,98 und 25,46 Tage betragen. Hieraus resultieren
die synodischen Umlaufszeiten 26,06, 26,82 resp. 27,37 Tage. Der erste
Wert stimmt schon bedeutend besser mit der Länge der fraglichen
Periode (25,93 Tage). Da nun die Umdrehungszeit immer kürzer wird,
je weiter man sich von dem Mittelpunkt der Sonne entfernt, so ersieht
man hieraus, dass die Umdrehungszeit 25,93 Tage einer Sonnenschicht
zukommt, die in der äquatorialen Gegend ungefähr ebenso hoch wie die
höchsten Teile der Fackeln liegt (^/g weiter von den Sonnenflecken in
vertikaler Richtung entfernt als die mittlere Höhe der Fackeln).
Die Erscheimmgen, welche nach dieser Periode variieren, sind die
folgenden mit daneben angegebenen mittleren Amplituden:
Erdmagnetische Horizontalintensität 0,2 — 0,3 Proz.(Makerstoun,Hobartonl844 — 45).
„ Deklination 1,2 — 2,2 Bogenminuten (Prag, Wien 1870).
„ Inklination 0,8 Bogenminuten (Prag 1870).
„ Störungen der Deklination 0,3—0,5 „ (Wien 1882—83).
„ „ „ „ 1,1 „ (Pawlowsk 1882-83)..
„ „ „ Intensität 0,044 Prozent „ „
Nordlichter (Anzahl beobachtete) 12 — 25—45 Proz. (Island, Schweden, Norwegen).
Südlichter „ „ 100 „
Gewitter 18 — 29 „ (Schweden, Süddeutschland).
Luftdruck 5—3 — 0,5 mm (Makerstoun, Hobarton 1844—45,
Prag 1870).
Es war Hornstein, welcher diese Periodicität entdeckte. Er
fand, dass 1870 die Deklination der Magnetnadel zu Prag eine Pe-
riode von etwa 26,5 Tagen Länge mit einer Amplitude von etwa 1,4'
besitzen sollte. Schuster, welcher die Hornsteinsche Berechnung
einer äusserst interessanten Kritik unterworfen hat, gelangt zu dem
Kesultat, dass der Befund von Hornstein sehr zweifelhaft ist. Noch
mehr gilt dies für die Periodicität der anderen Erscheinungen, welche
Hornstein untersuchte, nämlich des Luftdruckes und der Horizontal-
intensität des Erdmagnetismus. Dagegen sind einige auffällige Eegel-
mässigkeiten in den Ergebnissen der neueren Untersuchungen von
Müller, Liznar und Ad. Schmidt vorhanden, die auf eine wirkliche
Existenz der nahezu 26tägigen Periode deuten. Diese Meinung wird
durch V. Bezold's Untersuchungen unterstützt, wonach die Gewitter in
Süddeutschland eine Periode von 25,84 Tagen besitzen sollen (1880 — 87).
III. Die Sonne, ^49
p]. Hamberg- untersuchte die Gewitter in Schweden (1880—90), um
die Periode v. Bezolds nachzuweisen, fand dieselbe aber sehr zweifelhaft.
Ekholmund Arrhenius untersuchten danach die Nordlichter und
fanden eine Periode von 25,929 Tagen, die sehr ausgeprägt war in den
Beobachtungen aus Schweden und Norwegen, und in den Südliehtern.
Weniger deutlich war diese Periode in den Nordlichtern aus Island und
Grönland und gar nicht in denjenigen von Nordamerika zu erkennen. Eine
starke Stütze erhielt diese Periodicität dadurch, dass die Gewitter, ge-
ordnet nach der neuen Periode für Schweden, zu sehr nahe demselben
Resultat wie für Süddeutschland führten. Die Grösse der wahrschein-
lichen Fehler in der Amplitude der Periode zeigen, dass in allen diesen
Fällen die Periodicität so gut wie sicher konstatiert ist.
Wenn aber die Nordlichter diese Periodicität besitzen, so kommt
dieselbe wahrscheinlicherweise auch den mit den Nordlichtern so nahe
verwandten magnetischen Störungen zu. Vergeblich wurde aber nach
einer ähnlichen Periode in der Häufigkeit der Sonnentlecke gesucht.
Auch bei der sogenannten Luftelektricität tritt eine Periodicität
deutlich hervor, wenn man die Daten nach einer Periodenlänge von
25,929 Tagen ordnet.
Es möge hier bemerkt werden, dass sowohl die Nordlichter wie die
Luftelektrizität (auf Stationen, die nicht allzu weit von den Polen ge-
logen sind) eine andere Periodicität zeigen, indem sie nach dem tro-
pischen Monat variieren, so dass die Frequenz der Nordlichter und die
Stärke der Luftelektricität auf der nördlichen Halbkugel am grössten
sind, wenn der Mond seine grösste südliche Deklination besitzt (am
südlichen Lunistitium). Auf der südlichen Halbkugel verhält es sich
umgekehrt, so dass die Maxima in der Nähe des südlichen Lunisti-
tiums eintreten. Für die Luftelektricität gilt dies nur betreffs nahe
an den Polen gelegenen Stationen (Cap Thordsen auf Spitzbergen, Cap
Hom) und einigermaassen für St. Petersburg und Helsingfors. Bei süd-
licher gelegenen Stationen wird die luftelektrische Wirkung sehr
schwach (Perpignan) und zeigt nicht so grosse Regelmässigkeit.
Wenn man die Anzahl der Sonnenflecke und der Polarlichter Monat
für Monat oder Tag für Tag zusammenstellt, findet man keine deutliche
Übereinstimmung im Gang der beiden Erscheinungen.
Theoretisches, um nun den unzweifelhaften Einfiuss der Sonne
auf die Nordlichter und die erdmagnetischen Störungen zu verstehen, kann
man sich folgende Vorstellung machen. Bei den Ausbrüchen aus der
Sonne entstehen durch Gaskondensation in der äusserst verdünnten Gas-
150 Physik des Himmels.
Schicht der Corona Meine flüssige und feste Partikelchen. Nach neueren
Untersuchungen ist es gelungen, Flüssigkeitshäutchen von 5 [i(i Dicke
darzustellen. Es ist folglich wohl denkbar, dass Tröpfchen von so ge-
ringem Durchmesser in der Natur vorkommen können. Da nun un-
durchsichtige Tröpfchen von dem Durchmesser 1500, 600, bezw. 220 .w//,
wenn sie das specifische Gewicht des Wassers, Granits oder Eisens besitzen,
ebenso stark durch die Sonnenstrahlen abgestossen, wie von der Sonnen-
schwere angezogen werden, so müssen noch kleinere Tröpfchen mit
einer Kraft fortgetrieben werden, die mit der Kleinheit der Tröpfchen
zunimmt (vgl. S. 121). Wenn die Partikelchen Licht reflektieren, wird
die Abstossung verstärkt. Bei einem Ausbruch aus der Sonne eilen
infolgedessen die kleineren Tröpfchen den grösseren in den Raum hin-
ein voraus. Genau dieselbe Erscheinung sieht man an den Kometen-
schweifen, welche, wie die Coronamaterie, teilweise aus festen oder
flüssigen Partikelchen bestehen. Aus der Krümmung der Kometen-
schweife kann man folgern, dass die Abstossung der Partikelchen um-
gekehrt dem Quadrate der Entfernung proportional ist, wie es aus dem
Gesetze der Strahlungsintensität folgt. Die Abstossung ist in verschie-
denen Fällen aus der Grösse der genannten Krümmung berechnet und
gleich 18,5, 3,2, 2,0 bezw. 1,5 mal der Schwere gefunden.
Es eilen folglich nach allen Seiten von der Sonne Staubpartikelchen
hinaus, deren Richtung anfänglich von den atmosphärischen Strömungen
der Sonne beeinflusst wird, sich aber später einer Geraden nähern muss,
die durch d«n Sonnenmittelpunkt gelegt ist. Wahrscheinlicherweise sind
zufolge der langsamen Achsendrehung der Sonne diese Ausströmungen
wie diejenigen, die Kometenschweife bilden, schwach gekrümmt, da aber die
Erde nicht weit von der Ebene des Sonnenäquators liegt, können wir diese
Krümmung nicht wohl beobachten. Diese Strömungen von Sonnenstaub
sollten die eigentümlichen Strahlen der äusseren Corona bilden, welche
hauptsächlich über den Gebieten der maximalen Unruhe des Sonnen-
körpers sich ausdehnen.
Nun ist es höchst wahrscheinlich, dass diese Tröpfchen elektrisch,
und zwar negativ elektrisch, sind. Bei den Ausbrüchen auf der Sonne
entstehen nämlich, wie Zöllner imd vor ihmRespighi und Tacchini
meinten, gewaltige Elektricitätsentwickelungen und Entladungen, wie bei
den vulkanischen Ausbrüchen auf der Erde. Nur ist vorauszusetzen,
dass alles auf der Sonne nach einem viel gewaltigeren Maassstab geht.
Infolge dieser Entladungen, besonders derjenigen, welche in den
äusseren Teilen der Sonnenatmosphäre stattfinden, entstehen Kathoden-
^ IIT. Die Sonne. 151
m
strahlen. Diese besitzen die merkwürdige Eigenschaft, Gase in der
Weise leitend zu machen, dass sie die Molekeln derselben in positive und
negative Ionen zerlegen. Diese Ionen besitzen wiederum, nach Unter-
suchungen von J. J. Thomson Und seinem Schüler C. T. E. Wilson, die
wichtige Eigenschaft als Kondensationskerne zu dienen für Gase, die in
den flüssigen Zustand übergehen. Und zwar wirken die negativ gela-
denen Ionen viel stärker kondensierend als die positiven.
Die aus der Sonne ausgeschleuderten Gase werden deshalb bei ihrer
Kondensation hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich, negative Tröpf-
chen bilden. Die grössten derselben fallen auf die Sonne zurück und
erteilen derselben eine negative Ladung, andere werden in den Eaum
hinausgestossen und die äusseren Teile der Sonnenatmosphäre behalten
eine stark positive Ladung.
Die hinausgestossenen negativen Tröpfchen unterliegen also nicht
nur der Schwere und der Abstossung zufolge der Strahlung, sondern
auch elektrischen Kräften, welche sie zur Sonne zurückzuführen streben.
Alle diese Kräfte wirken aber nach demselben Gesetz, umgekehrt pro-
portional dem Quadrate der Entfernung vom Mittelpunkte der Sonne;
die resultierende Kraft wird also in derselben Weise wirken.
Dieser Sonnenstaub breitet sich nun von den Eruptionen auf der
Sonnenoberfläche nach allen Kichtungen in den Raum aus. Damit ein
solches Körnchen die Erde in 20—30 Stunden erreicht, wie Maunder
und Ricco meinen, müsste die totale abstossende Kraft etwa 3,5 bis
2,3 mal diejenige der Schwere übertreffen.
Natürlicherweise werden diese Tröpfchen einen Teil des Sonnen-
lichtes wegnehmen und in Wärme verwandeln. Es ist aber leicht zu
zeigen, dass sie in einer geringen Entfernung (etwa 10 Sonnendurch-
messern) und weiter hinaus mit sehr nahe konstanter Geschwindigkeit
sich bewegen. Daraus folgt, dass in grösseren Entfernungen als der ge-
nannten (etwa Vs der Merkurbahn) die Lichtabsorption nur einen geringen
Bruchteil von der in kleineren Entfernungen absorbierten Menge aus-
macht. In grösseren Entfernungen kann die Sonnenstrahlung folglich
als nahezu ungeschwächt angesehen werden.
In ähnlicher Weise kann man schliessen, dass die Massen dieser
Tröpfchen allzu unbedeutend sind, um eine Störung der Planetenbe-
wegungen im Sonnensystem zu verursachen.
Einige von diesen negativ geladenen Tröpfchen gelangen in die
Erdatmosphäre und werden von den höchsten Schichten derselben wie
Sternschnuppen verzögert. Wie die Sonnenstrahlen, fallen die allermeisten
J[52 Physik des Himmels.
da, WO die Sonne am höchsten steht, d. h. zwischen den Wendekreisen;
^ehr wenige fallen auf die polaren Gegenden. Die höchsten Schichten
der Atmosphäre werden demzufolge stark mit negativen Partikelchen
geladen. Dieselben werden mit den Winden zu höheren Breiten ge-
führt. Infolge der negativen so entstandenen Ladung der höheren Luft-
schichten, erfolgen Entladungen, und Kathodenstrahlen entstehen in diesen
Schichten.
Neuerdings hat Paulsen bei seiner Untersuchung des Nordlichts
nachgewiesen, dass dasselbe die Eigentümlichkeiten der Kathodenstrahlen
besitzt. Er liess die schwierige Frage, woher die Kathodenstrahlung aus
den höchsten Luftschichten herrührt, unbeantwortet. Diese Schwierig-
keit fällt nach dem oben stehenden gänzlich weg.
Die Kathodenstrahlen zeigen auch eine Tendenz parallel den
Kraftlinien eines Magnetfeldes zu verlaufen. Folglich bleiben sie in
der Nähe des Äquators in der Höhe, indem sie sich in der Richtung
der mit der Erdoberfläche parallelen Magnetkraftlinien bewegen. In
sehr dünner Luft sind aber die Bahnen der Kathodenstrahlen schwer
sichtbar. Infolgedessen werden Polarlichter in der Nähe des Äquators
selten sein, in einer gewissen Entfernung von dem Pole, wo die Ka-
thodenstrahlen in genügend tiefe Schichten gelangen, dass die phos-
phorescierende Luftmasse zu stärkeren Lichtentfaltungen ausreicht,
werden sie am gewöhnlichsten sein. Man erhält auf diese Weise
einen den Nordpol und den Magnetpol umgebenden Bing, wo die
Nordlichter am gewöhnlichsten sind. Weiter ersieht man, dass die
Höhe der Nordlichter über der Erdoberfläche um so grösser sein wird,
je weiter sie vom Pole vorkommen, was auch mit der Erfahrung über-
einstimmt.
Nehmen wir jetzt an, die Sonnenthätigkeit schwanke, so folgt daraus,
dass in den eruptionsreichen Jahren mehr Polarlichter vorkommen als
sonst. Offenbar werden die in höheren Luftschichten vor sich gehenden
elektrischen Entladungen, die relativ nahe am Äquator stattfinden, am
meisten durch eine erhöhte Sonnenwirkung begünstigt werden. Infolge
der Mitführung der Partikelchen mit dem Wind werden elektrische
Strömungen verursacht, welche die magnetischen Störungen hervorrufen.
In der Natur derselben kann man deutlich den Einfluss der in höheren
Schichten herrschenden Windrichtungen erkennen. Weiter kann man
verstehen, dass einige Aktionscentra auf der Sonnenoberfläche wirksam
sind, wodurch die 25,93 tägige Periode der Sonnendrehung am Äquator
verständlich wird. Denn die Staubteilchen, welche zu uns gelangen.
III. Die Sonne. 153
sind hauptsächlich von den uns gegenüberliegenden Teilen der Sonne,
d. h. von der Nähe des Sonnenäquators ausgeschleudert.
Die Polarlichter haben eine jährliche Periode mit einem Maximum
im März und September. Dies tritt dann ein, wenn die Erde so weit
wie möglich von den Knoten des Sonnenäquators steht. Denn die
Aktivität der Sonne hat ein Minimum am Sonnenäquator und die Erde
steht gegenüber dem Sonnenäquator am 5. Dezember und 3. Juni. Das
Frühlingsmaximum, bei welchem die Erde gegenüber der Südseite der
Sonne steht, wo die Frequenz der Flecken und Fackeln zwischen 0^
und 10^ Br. schwächer als auf der Nordseite ist (vgl. oben S. 128),
scheint etwas schwächer als das Herbstmaximum zu sein.
Infolge der Einstrahlung des Sonnenstaubes in der Nähe des
Äquators wird die negative Ladung der Erdoberfläche von da zu der
nicht bestrahlten Hälfte der Erde getrieben. Folglich wird die ne-
gative Ladung der Erdoberfläche, die sogenannte atmosphärische Elek-
tricität, im Winter und in der Nacht kräftiger sein wie im Sommer und
am Tag. Die negative Ladung der Erde rührt wahrscheinlicherweise
von durch Eegen hinuntergeführten negativen Ionen aus der durch das
Nordlicht ionisierten Luft. Die stärkere Entwickelung der hochgehen-
den Cirrhuswolken in sonnenfleckenreichen Jahren ist durch die kon-
densierende Wirkung der ionisierten Luft leicht verständlich.
Nach dieser Anschauung lassen sich die tägliche Veränderung der
erdmagnetischen Kraft und die elfjährigen Schwankungen derselben er-
klären. Wir werden darauf im betreffenden Kapitel zurückkommen.
Natürlicherweise kann diese Einstrahlung von negativer Elektricität
nicht ins Unendliche fortsetzen, ohne dass derselben ein Abfluss bereitet
wird. Nun wissen wir von negativ geladenen Körpern, dass dieselben
bei Belichtung mit ultraviolettem Licht ihre Ladung langsam verlieren.
Dies rührt ohne Zweifel zum Teil davon her, dass die umgebenden Gase,
welche von ultraviolettem Licht durchstrahlt werden, ein wenig in ihre
Ionen zerlegt sind. Ultraviolette Strahlen kommen in Menge in dem
Sonnenlicht vor, und obgleich, wegen der kolossalen Verdünnung der Luft
in den vom Sonnenstaub geladenen Schichten, die Leitfähigkeit ausser-
ordentlich gering ist, so wird jedoch zuletzt bei genügend hoher Ladung'
die Entladung ebenso kräftig, wie die Ladung wirken. Die Ladung zieht
die positiven Ionen der Luft an, während die negativen sich entfernen
und dabei, anfangs in der Kichtung des Erdradius, sich in den Weltraum
hinausbegeben. Ein Teil dieser Ionen kondensiert kleine Tröpfchen aus
den umliegenden Gasen (welche Kohlensäure und wohl immer etwas
J54 Physik des Himmels.
Wasserdampf enthalten) und werden danach der abstossenden Wirkunfr
der Sonnenstrahlung unterworfen, wodurch ihre Bahn allmählich gebogen
wird und zuletzt in annähernd gerader Linie von der Sonne verläuft
etwa wie die Fig. 50 andeutet.
Da nun die stärkste Ladung sich gerade da befindet, wo die Sonne
am höchsten steht und ebendaselbst die stärkste ultraviolette Strahlung
stattfindet, so wird die Entladung ein Maximum in der Ebene der Eklip-
tik besitzen. Ebenfalls werden da ohne Zweifel zufolge der aufsteigenden
stark feuchten Luftströme die gUnstigsten Bedingungen der Kondensation
vorherrschen. Die Folge davon wird sein, dass in der Ebene der Ekliptik
(des Papieres in Fig. 50) ein starkes Maximum der Frequenz der negativ
geladenen Partikelchen vorkommt. Es wird das Aussehen haben, als gingen
von den Umgebungen der beiden Punkte, wo die Ekliptik den Band
der beleuchteten Erdhälfte
durchschneidet, zwei kometen-
schweifartige Lichtbüschel in
der Ebene der Ekliptik nach
der Nachtseite der Erde hin-
aus. Diese Lichtbüschel neh-
men nach den Seiten und mit
der Höhe über dem Horizont
an Stärke ziemlich schnell ab
"if^ Sonne (Ictztercs wcgcu der zunchmen-
Fig. 50. den Entfernung). Wo die bei-
den Lichtbüschel zu konver-
gieren scheinen, d. h. diametral gegenüber der Sonne, entsteht aus perspek-
tivischen Gründen der sogenannte Gegenschein. Dieser Gegenschein wird
durch die zur Sonne zurückfallenden Partikelchen verstärkt, welche durch
Zusammenstoss von zwei oder mehreren Tröpfchen entstanden und nachher
zu gross sind, um weiter von den Sonnenstrahlen gegen der Schwer-
kraft weggetrieben zu werden.
Es ist leicht ersichtlich, dass der in Fig. 50 gezeichnete Büschel
auf der rechten Seite mehr Partikelchen enthalten wird wie derjenige
auf der linken. Denn während des Tages sammelt sich immer
mehr Ladung auf der belichteten Erdseite, dagegen relativ wenig
auf der unbelichteten wegen der nach der Sonne zurückkehrenden
Partikelchen. Durch die Erddrehung wird folglich die rechte
Seite, welche dem Abendhimmel entspricht, eine stärkere Licht-
erscheinung aufweisen. Dies stimmt in allen Details mit dem Aus-
, III. Die Sonne. 155
sehen des Zodiakal- oder Thierkreisliehtes überein, dessen Erklärung
bisher so viele Schwierigkeiten geboten hat. Man hätte allen Anlass
7Ä\ vermuten, dass in sonnenfleckenreichen Jahren das Zodiakallicht
sich kräftiger entfaltete, wie in lieckenarmen, es giebt aber Angaben
über ein entgegengesetztes Verhalten, die jedoch als sehr unsicher
bezeichnet werden. Yielleicht rühren diese Angaben davon her, dass
der Himmel in sonnenfleckenreichen Jahren unreiner ist als in sonnen-
fleckenarmen (vgl. oben S. 141).
Alle Himmelskörper im Sonnensystem werden nach dieser An-
schauung in ihrer nächsten Umgebung eine Art von Schweif besitzen,
bestehend aus den negativen Ionen ihrer Atmosphäre mit darauf kon-
densierten kleinen Tröpfchen. Je nach der Grösse dieser Tröpfchen
werden diese Schweife der Sonne zu- oder abgewendet sein. Im Falle,
dass keine Kondensation um diese Ionen entstanden ist, werden sie von
der beleuchteten Seite des Himmelskörpers in der Richtung der Radien
des Planeten ausströmen.
Zufolge der negativen Ladung der Himmelskörper wird auch ein
Teil von den von der Sonne kommenden negativ geladenen Partikelchen,
welche in die Nähe dieser Himmelskörper kommen, eine gekrümmte Bahn
erhalten, so dass diese Partikelchen Hyperbelbogen beschreiben. Hinter
den Himmelskörpern, von der Sonne aus gerechnet, wird eine Art von
elektrischem Schatten sich ausbilden, welcher von negativen Par-
tikelchen frei ist, ungefähr wie die Achse eines Kometschweifes. An
den Seiten dieses Schattens wird dagegen eine relative Anhäufung der
geladenen Teile stattfinden. In eben derselben Weise wird Sonnen-
staub, der nach der Sonne zurückkehrt, von den Himmelskörpern aus
der Bahn gelenkt und eine Art Schatten auch auf der Sonnenseite des
Himmelskörpers bilden.
Auf diese Weise wird es möglich sein, die elektrische und mag-
netische Einwirkung des Mondes auf die Erde zu erklären. Bei Mond-
finsternissen glaubt man bisweilen beobachtet zu haben, dass der Schatten
der Erde in der Umgebung des Mondes sichtbar gewesen ist. Dies hat
man als den Schatten der Erde auf dem in der Nähe des Mondes be-
findlichen Staube gedeutet. Man glaubte früher, dass dieser Staub von
der Erde herrührt; es erscheint aber wahrscheinlich, dass er zum Teil
vom Monde kommt oder aus Sonnenstaub besteht.
Die Entstehung von Meteoriten. Wenn nun die Sonne Tag
aus Tag ein geladene Tröpfchen nach allen Seiten aussendet, und das-
selbe in ähnlicher Weise an anderen Fixsternen vor sich geht, so wird in
j^56 Physik des Himmels.
der Länge der Zeit eine Menge Substanz den Sonnen entwendet und
auf den Himmelsraum verteilt. Zwar läuft dieser Prozess sehr langsam
ab, nachdem der Nachthimmel auch nicht im entferntesten so hell leuchtet
wie die Kometenschweife, und diese durch ihre unerhört geringe Masse
gekennzeichnet sind, aber in einer unendlich langen Zeit müssten doch
die Sonnen stark abgenommen haben. Der unvergleichlich grösste Teil
fällt ohne Zweifel in der nächsten Nähe der Sonnen zurück und zwar
solche Partikel, die zu gross sind, um abgestossen zu werden, sei es, dass
sie von Anfang an so gross gewesen sind, sei es, dass sie durch fort-
laufende Kondensation oder Zusammenstoss mit ähnlichen Partikelchen
diese Grösse erhalten haben. Diese Partikelchen bilden wohl die Haupt-
masse der festen Teile der Sonneneorona.
Zufolge sowohl dieses Zurückfallens als auch der in der Nähe der
Sonne beschleunigten Bewegung des Sonnenstaubes muss dieser mit
zunehmender Entfernung von der Sonne schneller an Frequenz ab-
nehmen als proportional dem Quadrate der Entfernung vom Sonnen-
mittelpunkt.
Etwas weiter hinaus werden die Zusammenstösse relativ seltener
sein. Aber auf alle Fälle kommen sie doch hin und wieder vor. Ein
kaum merklicher Teil wird von Planeten, Monden und Kometen einge-
fangen. Die meisten Partikelchen setzen aber ihren Weg durch den
unendlichen Raum fort. Ein Teil von ihnen stürzt in andere Himmels-
körper ein und zwar vorzugsweise in diejenigen, welche die grösste
Flächenausdehnung besitzen. Dies trifft ohne Zweifel für die Nebel
zu und wir können somit verstehen, wie diese durch die eingeführten
negativen Ladungen trotz der sehr niedrigen Temperatur Licht aussenden
können (vgl. S. 43).
Ein anderer Teil erleidet Zusammenstösse mit ähnlichen Partikelchen
und zwar werden diejenigen, welche die geringste Geschwindigkeit be-
sitzen, wieder nach der Ausgangsquelle zurückkehren. Andere gelangen
durch ihre grosse Geschwindigkeit aus dem Anziehungsbezirk dieser Quelle,
wachsen allmählich in Grösse durch neue Zusammenstösse und bilden
zuletzt selbständige Anziehungscentren. Anfangs spielen wohl die kapil-
lären Kräfte die Hauptrolle beim Zusammenhalten dieser Aggregate. Die
Kohlenwasserstoffe, die im Weltraum und besonders in der Nähe der
Sonne, obgleich in äusserst verdünnter Form, wahrsöheinlicherweise verteilt
sind, oder andere kondensierbare Gase, die sich am Tröpfchen nieder-
geschlagen haben, dienen wohl dabei als Haftmittel und in der Länge
der Zeit als Lösungsmittel, wodurch Verwachsungen zustande kommen
III. Die Sonne. 157
können. Nachdem grössere Mengen auf diese Weise gesammelt sind,
würde die elektrische Ladung ein weiteres Zusammenballen verhindern,
wenn sie nicht unter Einfluss von ultravioletter Strahlung allmählich
schwinden würde.
Wenn nur grössere Körnchen zusammentreffen, können dieselben nur
in geringem Grade zusammensintern. Es ist nach Nordenskiöld für
die Meteorite charakteristisch, dass sie äusserst schwachen Zusammen-
hang besitzen. Sie können häutig durch Druck zwischen den Fingern zer-
quetscht werden, wodurch Nordenskiöld zu dem wohl etwas zu ex-
pressiven Ausdruck veranlasst wurde, dass die Meteorite müssen „Atom
für Atom" angewachsen sein. Auch Daubree macht auf diese cha-
rakteristische Eigenschaft aufmerksam. Schmilzt man nämlich einen
Steinmeteoriten im Feuer, so erhält man nach dem Erkalten eine Samm-
lung von grossen Krystallen der Einzelbestandteile. Der Meteorit selbst
besteht aber aus kleinen verschwommenen Krj^ställchen von Silikaten,
zwischen welche zahllose Eisenkörnchen regellos eingesprengt sind. Der
Meteorit kann also nie aus einem geschmolzenen und nachher erstarrten
Klumpen bestanden haben, sondern seine Teile müssen gesondert Partikel-
chen für Partikelchen in den festen Zustand übergegangen sein und nachher
durch Zusammenballen sich gebildet haben. Dies entspricht vollkommen der
Yorstellung von der Art und Weise, wie die Tröpfchen aus den Sonnen
sich zu grösseren Stücken sammeln. Es ist wohl demnach anzu-
nehmen, dass die Meteorite und damit die Kometenmaterie in dieser
Weise entsteht.
Die Kometen dunsten wiederum, wenn sie in die Nähe einer Sonne
kommen, die flüchtigen Substanzen wie Kohlenwasserstoffe ab, welche
sich sodann kondensieren und zur Bildung der Kometenschweife Anlass
geben. Die Schweifmaterie wird ihrerseits von den Sonnenstrahlen abge-
stossen und geht in den unendlichen Raum hinaus. Die Hauptteile der Ko-
meten werden wohl allmählich in Form von Sternschnuppen und Meteoriten
von den grösseren Himmelskörpern, Sonnen und Planeten, eingefangen.
Auf diese Weise kommt ein, wenn auch ausserordentlich langsam
vor sich gehender Austausch von Materie zwischen den Himmelskörpern
zustande. Teils werden durch Meteoriten zu den Sonnen Körper ge-
führt, welche zum grösseren oder geringeren Teil anderen Sonnen ent-
stammen. Aber im grossen und ganzen verlieren die Sonnen, während die
kälteren Himmelskörper, vor allem die Nebel, gewinnen. Dies geschieht
nach dem allgemeinen Gesetz, dass Materie von warmen nach kalten
Stellen wandert.
158 Physik des Himmels.
In dieser Weise wird in der Unendlichkeit der Zeit die Ungleichheit
in der Zusammensetzung der Himmelskörper allmählich ausgeglichen.
Natürlicherweise werden die verschiedenen Stoffe zu diesem Transport
in verschiedenem Maass geeignet sein. Diejenigen, welche sich leicht
kondensieren, werden, wenn sie überhaupt vorhanden sind, vorgezogen.
In dieser Beziehung spielen die Kohlenwasserstoffe eine hervorragende
Rolle. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass sie bei den Kometen,
wie weiter unten gezeigt wird, am meisten vorkommen. Dagegen würde
man vermuten, dass ein Körper wie Helium zum Transport sehr wenig
geeignet ist, weil er so gut wie unkondensierbar ist und keine (konden-
sierbaren) Verbindungen bildet. Man hat jedoch Helium in Meteorsteinen
absorbiert aufgefunden, natürlicherweise nur in sehr geringer Menge.
Wie oben angedeutet, ist auch Helium (im Gegensatz zu Wasserstoff)
ziemlich ungleichmässig unter den Sternen verteilt.
Die Wärme der Sonne. Da die Sonne jährlich so viel Wärme
verliert, dass auf jedes Gramm ihrer Masse 2 cal. kommen, so
würde sie nicht lange diese ungeheuren Verluste aushalten, ohne dass
ihre Temperatur stark sinken würde. Wäre auch ihre Temperatur
im Mittel 10 Millionen Grad und ihre spezifische Wärme doppelt so
gross wie diejenige des Wassers (bekanntlich steigt die spezifische Wärme
der Körper mit der Temperatur), so würde sie doch nicht 10 Millionen
Jahre mit der jetzigen Haushaltung ihre Glut behalten können. Nun
schliessen die Geologen aus ihren Untersuchungen, dass das Leben auf
der Erde mindestens 100 Millionen Jahre bestanden hat, in welchem
Zeitabschnitt die Sonnenstrahlung sich nicht besonders stark hat än-
dern können. Da aber nach Stefans Gesetz die Wärmestrahlung der
vierten Potenz der absoluten Temperatur proportional wächst, so müsste
die jetzige Wärmestrahlung einen Bruchteil von einem Prozent der-
jenigen am Anfang der Periode sein. Dies ist aber nicht wohl möglich,
man muss sich also fragen, woher nimmt die Sonne die ungeheure
Wärmemenge, die sie auf den kalten Weltraum verschwendet, und wo-
von nur der 2200000000. Teil auf das Loos der Erde kommt.
Diese Frage beantwortete der berühmte Begründer der mechanischen
Wärmetheorie Rob. Mayer so: Die Himmelskörper, welche in die Sonne
hineinstürzen, besitzen eine grosse Geschwindigkeit, welche sich in Wärme
umsetzt. Auf diese Weise kann die Sonne, wenn sie immer mit Meteoriten
gefüttert wird, ihre Temperatur konstant erhalten. Auch die Planeten
sollten allmählich zum Mutterschoos der Sonne zurückkehren und ihre
eigene Existenz aufopfernd, die Kraft ihrer Urheberin, aber nur für kurze
in. Die Sonne. 159
Zeit — Mayer berechnete für die Erde nicht völlig hundert Jahre — auf-
recht erhalten. Da nun die Masse der Sonne etwa 324 000 mal grösser
als diejenige der Erde ist, so mtisste zur Aufrechterhaltung . der Sonnen-
wärme während 10 Mill. Jahren eine Meteormasse in die Sonne eingestürzt
sein, welche etwa ein Drittel der Sonnenmasse ausmacht. Es zeigt aber
die Beobachtung, dass keine Meteormassen von genügender Menge in der
Nähe der Sonne (in unserem Planetensystem) vorhanden sind. Und warum
sollten die blindlings herumlaufenden Meteormassen eher die Sonne treffen
als die Planeten? Diese müssten w^ohl auch durch Meteorfall aufgeglüht
werden wie die Sonne. Man hat auch gegen Mayers Hypothese ein-
gewendet, dass die Rotationsgeschwindigkeit der Sonne durch das
Herabfallen der Meteore abnehmen (um einen Tausendstel in etwa
30 Jahren) und in der Länge der Zeit ganz verloren gegangen sein
müsste (vgl. jedoch S. 125).
Aus diesen Schwierigkeiten fand Helmholtz einen Ausweg. Er
machte auf den grossen Energievorrat aufmerksam, welcher durch das
Fallen der Sonnenmasse selbst, d. h. durch die Zusammenziehung der
Sonne frei werden kann. Falls die Sonnenmasse 2 • 426 : 27,4 = 31,1
Meter fiele, würde dies zur Erwärmung um 2 cal. pro Gramm der
Sonnenmasse genügen, da 1 cal. 426 Grammeter entspricht und die
Schwerkraft auf der Sonne 27,4 kräftiger wirkt als auf der Erde. Diese
Ziffer gilt für die Oberfiächenteile. Da nun die tiefer liegenden Teile
eine kürzere Strecke fallen und teilweise einer geringeren Schwerkraft
unterworfen sind, erhält man eine grössere Ziffer für die zur Erhaltung
der Sonnenenergie nötige Zusammenziehung. Helmholtz berechnete, dass
eine Verminderung des Sonnenhalbmessers um 6 km im Jahrhundert zur
Deckung der Wärmeausgabe genügen würde. Eine solche Schrumpfung
wäre für astronomische Messungen ganz unmöglich wahrzunehmen. In
älteren Zeiten, als die Sonne viel grösseren Durchmesser hatte und infolge-
dessen die Schwere auf und in der Sonne viel geringer war wie jetzt,
musste die Schrumpfung viel geschwinder vor sich gehen. Wenn die
Sonne sich von unendlicher Ausdehnung aufihre jetzige Grösse zusammen-
gezogen hätte, würde die Wärmemenge zur Deckung der Ausgabe von
Sonnenwärme, wenn sie immer gleich gross wie jetzt gewesen wäre,
nicht um mehr als etwa 10 Millionen Jahre ausgelangt haben. Und
wenn die Sonne sich zusammenzöge, bis sie die Dichte der Erde er-
reichte, d. h. auf etwa ein Viertel ihres jetzigen Volumens, so würde
die so erlangte Wärme etwa 17 Millionen Jahre ausreichen. Aber schon
lange vordem müsste man erwarten, dass eine feste Kruste die Sonne
160 Physik des Himmels.
bedeckt hätte, wodurch ihre Ausstrahlung- so stark gesunken wäre, dass
kein Leben mehr auf der Erde existierte. Helmholtz schätzte deshalb
die Dauer des jetzigen Zustandes auf höchstens 6 Millionen Jahre.
Die Berechnung von Helmholtz ist in späterer Zeit von Lord
Kelvin mit den besseren Daten, die von der messenden Physik in der
Zwischenzeit geschaffen worden sind, umgerechnet worden. Zwar ist da-
durch eine geringe Erhöhung von etwa 25 Prozent in Helmhol tz's Ziffern
entstanden. Wir müssen aber doch zugeben, dass eine Existenzzeit des
Lebens von gegen 15 Millionen Jahren vor uud halb so lange nach
unserer Zeit viel zu knapp zugemessen ist. Die Geologen sind auch
keineswegs mit den Resultaten von Lord Kelvins Rechnung zufrieden,
und ein heftiger Streit ist in den naturwissenschaftlichen Kreisen Eng-
lands wegen dieser Frage entstanden. Man scheint immer mehr ge-
neigt, den Geologen Recht zu geben, wonach folglich die ergiebigste
Wärmequelle der Sonne von Helmholtz nicht gefunden wäre.
Man hat wohl vor allen anderen Versuchen zur Erklärung der
Sonnenwärme an chemische Prozesse gedacht. Sind doch die che-
mischen Yerbindungswärmen weitaus die ergiebigsten Wärmequellen
auf unserer Erde, mit denen die Wärmequellen, die durch Verwendung
mechanischer Energie gespeist werden, in keiner Weise verglichen werden
können. Denken wir uns aber, die Sonne bestände aus Kohle, so würde
ihre Verbrennung zu Kohlensäure nur dazu genügen, um etwa 8000 cal.
für jedes Gramm zu entwickeln. Diese Wärmemenge würde ja höchstens
gegen 4000 Jahre die Wärmeverluste der Sonne decken können. Diese
Rechnung schreckte die meisten vor weiteren Ausführungen auf diesem
Gebiete ab. Nur der französische Astronom Faye glaubte mit dem Wert
der chemischen Prozesse in diesem Fall rechnen zu dürfen. Er sagte: Im
Inneren der Sonne ist wegen der hohen Temperatur alles in seine
elementaren Bestandteile zerlegt. Kommen aber die zersetzten Körper
(Atome) zur Oberfläche der Sonne, vereinigen sie sich da in der relativen
Kälte und geben zu grossen Wärmeentwickelungen Anlass. Diese Ansicht
ist aber vollkommen unhaltbar. Entweder sinken die neuentstandenen
chemischen Verbindungen nach einiger Zeit in das Innere der Sonne
zurück und zerfallen wiederum in Atome, wodurch folglich genau so
viel Wärme wieder verbraucht wird, wie bei ihrem Hinaustreten produ-
ziert wurde. Oder bleiben die Verbindungen an der Sonnenoberfläche
bestehen, in welchem Fall eine dicke Schicht von chemisch verbundenen
Körpern die äussersten Teile der Sonne ausmachen müsste. Solche Ver-
bindungen zeigen aber, wie die roten Sterne, kannelierte Spektra. Da
111. Die Sonne. ]ß\
dies aber nicht für die Atmosphäre der Sonne zutrifft, so bestehen gerade
in ihren äussersten Schichten unverbundene Gase der chemischen Ele-
mente. Ausserdem würde wahrscheinlicherweise die Energie auch in diesem
Falle ganz unzureichend sein. Denn nach den einzigen Versuchen, die
Dissociationswärme eines Körpers beim Zerfall seiner Molekeln, H2 bezw. ,/j,
in Atome, 2// bezw. 2J, zu berechnen, welche von E. Wie de mann und
Boltzmann ausgeführt wurden, beträgt diese Wärmemenge 126000 bezw.
28500 cal., ist also von derselben Grössenordnung wie die Verbren-
nungswärme des Wasserstoffs, 58000 cal. pr. 2 g Il2- Mehrere Umstände,
wie das Bestehen von Einzelatomen der Metalle bei sehr niedrigen
Temperaturen, wie die Gefrierpunkts versuche von Tammann an Amal-
gamen zeigen, deuten darauf hin, dass im Falle der Metalle die Wärme
beim Zerfall der aus mehreren Atomen bestehenden Moleküle in ein-
fache Atome überaus gering, vielleicht negativ, sein muss. Alles
deutet darauf hin, dass diese Energiequelle nicht bedeutend ergiebiger
sein könnte, als die vorhin untersuchte, wonach die Sonnenwärme viel-
leicht durch Verbrennungsprozesse geschaffen werden könnte.
In den Sonnenteilen, welche vorwiegend der Beobachtung zugäng-
lich sind, nämlich die Gasschichten oberhalb der Photosphäre, herrschen
nahezu dieselben Verhältnisse, welche wir bei hohen Temperaturen auf
der Erde realisieren können. Die Temperatur ist nicht übermässig viel
grösser als wir sie erreichen können (2 bis 3 mal), der Druck wechselt
nach den wenigen Messungen, die darüber vorliegen, zwischen einigen At-
mosphären (dicht über der Photosphäre) und weniger als einem Millimeter
Quecksilber (in der äusseren Chromosphäre). Wir haben deshalb allen Grund,
unsere aus den Laboratoriumsversuchen gewonnenen Erfahrungen auf die
Verhältnisse daselbst anzuwenden. Alle Metallverbindungen zerfallen in
ihre aus Atomen bestehenden metallischen Bestandteile, wie auch das
Sonnenspektrum anzeigt. Wie es aber mit den Metalloiden geht, darüber
belehrt uns die Spektralanalyse nicht. Kohlenstoff kommt wohl als Gas
und in fester Form (in den Wolken der Photosphäre) vor. Wasserstoff,
welcher hauptsächlich in den oberen dünnen Schichten gesammelt ist,
kommt wohl auch, wegen des geringen Druckes daselbst, in Form von
einfachen Atomen vor. Aber der Sauerstoff und der Stickstoff, von
ihnen wissen wir sehr wenig. In der Hitze des elektrischen Lichtbogens
entstehen nun aus Sauerstoff und Stickstoff Ozon und die niederen
Oxydationsprodukte des Stickstoffs, welche alle bei ihrer Bildung Wärme
absorbieren, z. B. Ozon pro Grammolekel (=48g) 36200 cal., Stick-
stoffoxydul pro Grammolekel (=44 g) 18000 cal., Stickstoffoxyd (=30 g)
Arrbenius, Kosmische Physik. • H
\Q2 Physik des Himmels.
21600 cal., salpetrige Säure (=72 g) 6800 eal., Stickstoffsuperoxyd
(= 46 g) 7700 cal. Ebenso vereinigt sich Kohlenstoff mit Schwefel
und Stickstoff zu Schwefelkohlenstoff und Cyan unter Absorption von
28700 cal. (für 76 g CS2) bezw. 71000 cal. (für 52 g CaiVa), und
Stickstoff mit Schwefel oder Selen unter Absorption von 31900 bezw.
42600 cal. (für 46 g NS bezw. 94 g NSe). Die Verbindungen von
Chlor mit Stickstoff und von Wasserstoff' mit viel Schwefel unter Bil-
dung von Chlorstickstoff und Persulfid verbrauchen auch Wärme bei
ihrer Entstehung aus den Elementarstoffen. Da nun bei hoher Tem-
peratur diejenigen Verbindungen begünstigt werden, welche Wärme bei
ihrer Bildung verbrauchen, haben wir uns die Metalloide in der Sonnen-
atmosphäre, an Stellen, wo der Druck nicht allzu gering ist, mitein-
ander (zum grössten Teil) verbunden zu denken. Vielleicht sind sie aber
in der Corona, wenn sie daselbst vorkommen, weil da ein ausserordentlich
geringer Druck bei recht hoher Temperatur herrscht, in Elementar-
atome zerfallen. Aber in den etwas tieferen Schichten mit höherem
Druck werden sie ohne Zweifel grösstenteils als die oben genannten
oder andere bei ihrer Bildung noch mehr Wärme absorbierenden uns
unbekannten Verbindungen bestehen, gänzlich im Gegensatz zu den
bisher angenommenen Vorstellungen (Ostwald).
Betrachten wir die Verhältnisse in tieferen Schichten der Sonne,
so lehrt die Erfahrung betreffs des Spektrums der tiefsten Stellen in
dem Schatten der Sonnenflecke, dass da chemische Verbindungen vor-
walten. Der nach innen immer steigende Druck begünstigt immer
stärker kondensierte und zusammengesetzte Verbindungen, welche zu-
folge der immer steigenden Temperatur immer mehr Wärme bei ihrer
Bildung verbrauchen. Alle denkbaren Körper müssen da repräsentiert
sein und miteinander in chemischem Gleichgewicht stehen. Und wenn
wir uns eine Vorstellung von den dort herrschenden Verhältnissen aus
den uns bekannten bilden wollen, so scheint folgende Überlegung viel-
leicht darüber einen Anhalt zu geben.
Die chemischen Verbindungen in der Sonne befinden sich im Gas-
zustande gemischt und stehen untereinander in sogenanntem chemischen
Gleichgewicht. Dieses Gleichgewicht verschiebt sich allmählich bei
Änderung des Druckes und der Temperatur. Diese Verschiebung
geht immer so vor sich, dass bei zunehmendem Druck solche Ver-
bindungen sich bilden, welche unter Volumabnahme entstehen, bei
steigender Temperatur solche, die bei ihrem Entstehen Wärme absor-
bieren. Es ist offenbar, dass wir sehr wenig Vorstellung von den in
111. Die Sonne. 163
der Sonne vorkommenden wichtigsten Verbindungen besitzen, da sie bei
den niedrigen Temperaturen, welche wir realisieren können, nicht stabil
sind. Jedenfalls ist die Ansicht nicht stichhaltig, dass bei chemi-
schen Processen in der Sonne nicht viel mehr Wärme als bei Ver-
brennung von Kohle frei werden könnte. Im Gegenteil, man hat allen
Anlass, anzunehmen, dass die bei hohen Temperaturen (hauptsächlich)
verlaufenden Processe viel mehr Wärme (bei Abkühlung) entwickeln,
als die bei niedriger Temperatur verlaufenden. Wenigstens deuten die
Erfahrungen, welche wir über chemische Gleichgewichte bei niederer
Temperatur besitzen, auf diesen Umstand hin. Die einfachste Annahme,
für welche man übrigens einige Wahrscheinlichkeitsgründe anführen
könnte, ist diejenige, dass die Wärmeentwickelung der Temperatur pro-
portional sei, bei welcher der Process hauptsächlich vor sich geht. Da-
nach würden die chemischen Processe, welche der Hauptsache nach bei
der Abkühlung der etwa drei bis vier Millionen Grad heissen Sonne sich
abspielen, etwa zehntausend mal mehr Wärme abgeben, als die wärme-
ergiebigsten Processe, welche wir kennen. Weiter ist das Temperatur-
intervall, welches die Sonne bei ihrer Abkühlung durchlaufen muss, sehr
umfassend, sodass eine ganze Menge von chemischen Processen nach-
einander während des Erkaltens verlaufen können. Diese Überlegung
zeigt, dass es nicht unmöglich ist, anzunehmen, dass die chemischen
Processe, welche sich bei der Abkühlung der Sonne abspielen, ausreichen
können, um die Ausstrahlung der Sonne während Hunderten von Mil-
liarden Jahren auf ihrer jetzigen Stärke zu erhalten. Danach ist es
sehr wohl möglich und sogar wahrscheinlich, dass die chemische Energie
der Sonne bei weitem die mechanische übertrifft und auch die bedeu-
tendste Kolle zur Erhaltung der Sonnenstrahlung spielt, ungefähr wie
für uns auf der Erde die chemischen Wärmequellen ohne Vergleich die
wichtigsten sind.
11*
IV. Die Planeten, ihre Satelliten nnd die Kometen.
Die Temperatur der Körper im Sonnensysteme.
Die Sonne strahlt Wärme nach allen Eichtungen aus und ein geringer
Teil dieser Wärme kommt den anderen Körpern des Sonnensystemes
zu Gute. Die Wirkung davon ist sehr verschieden, je nachdem der ge-
troffene Himmelskörper eine feste Kruste hat oder nicht. Die Planeten
können in zwei Gruppen nach ihrer Dichte eingeteilt werden, die erste,
in welcher die Dichte über 0,6 ist (diejenige der Erde, welche etwa 5,5 mal
dichter als Wasser ist, gleich 1 gesetzt), die zweite, in welcher die Dichte
0,3 oder weniger beträgt. Zur ersten Gruppe gehören der Planet
Mars (Dichte 6=0,11) und die der Sonne näher gelegenen Planeten
Erde {ö= l), Venus ((J=0,8) und Merkur (d = 0,63). Zu dieser Gruppe
kann auch der Mond gezählt werden (d = 0,62). Zu der zweiten Gruppe
gehören die äusseren Planeten Jupiter (J=0,23), Saturn (d = 0,12),
Uran ((J = 0,19) und Neptun (6=0,3). Zu dieser Gruppe kann gewisser-
maassen die Sonne selbst (6= 0,2b) gezählt werden. Man hat allen
Anlass anzunehmen, dass die Himmelskörper der ersten Gruppe der
Erde sehr ähnlich sind, indem sie eine feste Kruste von massiger Tem-
peratur und ein wärmeres Innere besitzen. Sie sind sozusagen in einem
weit vorgeschrittenen Stadium der Entwickelung. Die anderen Planeten
dagegen, welchen eine mit derjenigen der Sonne vergleichbare Dichtig-
keit eigentümlich ist, sind noch in einem relativ unentwickeltem Stadium,
indem sie wahrscheinlicherweise, wie die Sonne, gasförmig sind und keine
feste Kruste besitzen.
Dies stimmt auch damit überein, dass die Planeten der erstgenannten
Gruppe relativ unbedeutende Masse haben, sich also relativ schnell ab-
kühlen konnten. Die grössten sind die Erde und Venus (relative Masse
M=l bezw. M=0,S1), die kleinsten Merkur (1/= 0,032) imd Mars
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 165
{M=i),iOb); noch geringere Masse hat der Mond (if= 0,0122). Da-
gegen ist die Masse der weniger dichten Planeten sehr gross, Uran
(if=14,7) und Neptun (i/= 16,5) sind Zwerge gegen Saturn (if=92,6)
und Jupiter (M= 309,5), aber noch mehr gegen die Sonne {M= 324 000).
Die grossen Planeten, welche keine feste Kruste haben, besitzen
Temperaturen in ihren äusseren und sichtbaren Schichten, von welchen
wir sehr wenig aussagen können. Jedenfalls können sie nicht gern für
Lebewesen zuträglich sein. Die anderen Planeten mit fester Kruste be-
sitzen eine Oberflächontemperatur, welche hauptsächlich von der Sonnen-
strahlung und nicht von der inneren Wärme abhängt. Auf der Erde
zum Beispiel haben die gewöhnlichen Bergarten eine Leitungsfähigkeit
für Wärme, welche nicht 0,01 erreicht, d. h. eine Platte derselben, die
ein Centimeter dick wäre, würde, falls sie auf der einen Seite einen
Grad wärmer als auf der anderen wäre, zur kälteren Seite eine Wärme-
menge von weniger als 0,01 cal. pr. Sek. hinüberbefördern. Nun ist das
Wärmegefälle in der Erdkruste etwa 3000 mal geringer, folglich wird
jedem Quadratcentimeter der Erdoberfläche aus dem Erdinneren pro Se-
kunde weniger 0,01:3000 = 3,3. 10- ^ cal. zugeleitet. Pro Minute macht
dies weniger als 2.10"^ cal. aus, was etwa ein Tausendstel von der im
Mittel von der Sonne empfangenen Wärmemenge ausmacht, wenn man
die Schattenwirkung der Wolken berücksichtigt. Man kann infolge-
dessen für die Erde die Wärmeleitung aus dem Inneren im Ganzen
gegen die Wärmestrahlung aus der Sonne vernachlässigen. Ohne Zweifel
gilt dieselbe Aussage für die anderen Himmelskörper im Sonnensystem,
welche eine feste Kruste besitzen.
Es ist deswegen für die Kenntnis der Oberflächentemperatur dieser
Himmelskörper von grösster Wichtigkeit, den genauen Betrag der Sonnen-
strahlung angeben zu können. Die Ausführung der Messungen dieser
Grösse werden wir später besprechen. Vorläufig wollen wir uns damit
begnügen mit Rizzo anzunehmen, dass der wahrscheinlichste Wert
für einen Körper, der ebensoweit wie die Erde von der Sonne entfernt
ist, 2,5 cal. pro Minute und cm- ausmacht. Mit anderen Worten: Auf
eine Platte von 1 cm^ Grösse, welche in derselben Entfernung von der
Sonne wie die Erde belegen ist (149,5.10^ Kilometer), und die senk-
recht gegen die Sonnenstrahlen steht, fällt in jeder Minute eine Wärme-
menge von 2,5 cal.
Eine solche Platte bietet ein horizontaler Teil des Mondes, welcher
gerade gegenüber der Sonne steht. Angenommen, der Mond besässe
keine Atmosphäre, was jedenfalls sehr nahe mit dei; Wirklichkeit über-
Ißß Physik des Himmels.
einstimmt, so würde dieser Teil sich allmählich so stark erwärmen, dass
die zuletzt in einer Minute ausstrahlende Wärme gerade 2,5 cal. aus-
machen würde. Dann würde Wärmegleichgewicht eintreten. Für die
Ausstrahlung der Wärme aus einem schwarzen Körper gilt das Stefan-
sehe Gesetz:
worin T die absolute Temperatur des strahlenden Körpers, t diejenige der
Umgebung, auf welche die Strahlung fällt, bedeuten. Die Konstante K
beträgt nach den neuesten Bestimmungen (von Kurlbaum) 1,28. lO'i^,
wenn die Sekunde als Zeiteinheit genommen wird, 0,768.10-^^, wenn als
Zeiteinheit die Minute gewählt wird.
Nun wird ein Teil der Sonnenstrahlung vom Monde reflektiert, diesen
können wir folgendermaassen schätzen. Nach Langley beträgt der helle
Teil der Sonnenstrahlung etwa 40 Prozent, nach Zöllner reflektiert der
Mond 12 Prozent dieser hellen Strahlung, d. h. der absorbierte Teil ist
2,5, 0,4 0,88 = 0,88 cal. von heller Strahlung. Dagegen kann die Mond-
oberfläche in Bezug auf die dunkle Strahlung der Sonne, welche 1,5 cal.
beträgt, als absolut schwarzer Körper angesehen werden. Es gilt also
für diesen Teil des Mondes:
W= 1.5 + 0.88 = 0,768 {T^ — t% 10"i«.
t wäre als die mittlere Temperatur des Weltraumes zu bezeichnen. Für
diese Grösse hat Langley nachgewiesen, dass sie ohne nennenswerten
Fehler gleich 0 gesetzt werden kann. Aus dieser Gleichung berechnet
man die Temperatur der heissesten Teile des Mondes (über welche die
Sonne senkrecht steht) zu ^=419^ abs. oder 146^ C. Auf einer anderen
Stelle, die w Grad von dem Mittelpunkt der Mondscheibe des Voll-
mondes entfernt ist, fällt nicht die Wärmemenge Tr = 2,38 cal. pro
cm 2, sondern, da der Winkel zwischen der Normale (= dem Mondradius)
und der Richtung der Sonnenstrahlen offenbar w ist, eine geringere
Menge PF, =2,38 cos i^? cal pro cm-^. Die Temperatur wird folglich:
2,38 cos 2^; = 0,768 74.
Auf diese Weise berechnet man folgende Werte Tber.
10 =
Tber
t
Tbeob.
V. M. N. M.
Mitt
0
419
146
454 454
454
10
418
145
453 453
453
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 167
tv =
Tber.
t
V. M
Tbeob.
N. M.
Mitt€
20
413
140
447
450
448
30
403
130
430
440
435
40
392
119
400
424
412
50
376
103
365
400
382
60
353
80
331
365
348
70
321
48
292
318
805
80
271
— 2
227
240
239
85
228
— 45
87,5
192
— 81
90
0
—273
0
75
38.
Wir wollen jetzt die mittlere Strahlung des ganzen Vollmondes
gegen die Erde berechnen. Zu diesem Zwecke denken wir uns Kreise
um den Mittelpunkt der Mondscheibe gelegt und zwar so, dass die
Breite eines Kreises vom Mittelpunkt des Mondes gesehen, einen Bogen
von einem Grad beträgt. Nun ist die Strahlung einer Scheibe, welche
in der Eichtung der Normale die Strahlung S aussendet, in einer anderen
Richtung, welche den Winkel w mit der Normale bildet, Sqo^w. Es
strahlt also die Scheibe genau so viel Wärme aus, wie ihre Projektion
senkrecht zur Strahlungsrichtung in der Richtung ihrer Normale aus-
senden würde. Der Vollmond strahlt also genau so viel Wärme aus,
wie eine Scheibe von derselben Temperatur. Die Oberfläche jedes strah-
lenden kreisförmigen Elementes besitzt einen Wert von T\ welches dem
(to^w proportional ist. Die Strahlung ist demnach mit 2,38 cos 2^; für jede
Fläche von 1 cm^ Grösse proportional. Der Umkreis eines Elementes
der Mondscheibe ist IjirÜMw^ wenn r der Mondradius ist. Die Breite
von jedem Element ist d {rsmw) = rQOSw dw. Mit anderen Worten
die Strahlung von einem Element ist ausgedrückt durch:
2,38 cos w. 2Jtr sin w. r cos wdw
und für die ganze Mondscheibe durch
t/2
2,38.2 jrr^/"
0
cos^ ws\nwdw = ^ 2,38.2 Jt r^.
Wenn wir nun eine wirkliche Scheibe an Stelle des Mondes hätten, so
wäre ihre Strahlung":
2,38 :Tr2.
'ö
16§ Physik des Himmels.
Die Strahlung des Vollmondes ist folglich '% so gross wie die
Strahlung einer Scheibe von gleicher Winkelgrösse, die senkrecht gegen
die Sonnenstrahlen steht. Die Temperatur einer solchen Scheibe, die
gleich viel Wärme ausstrahlte, wie der Vollmond kommt auf den Wert
"V^2/3 . 2,38.10 ' 0 : 0,768 = 379« abs. Temp. = 1060C.
Lord Rosse, der die ersten Versuche über die Grösse der Wärme-
strahlung des Mondes ausführte, fand, dass der Mond ebensoviel Wärme
ausstrahlt, wie eine schwarze Scheibe von gleichem Gesichtswinkel
und 110^ C. Temperatur, was ja sehr gut mit der obigen Berechnung
übereinstimmt.
In neuerer Zeit sind Messungen über die Wärmestrahlung des
Mondes von Very ausgeführt worden. Die von ihm berechneten Werte
der Mondtemperatur sind oben unter Tbeob. angeführt. Wie ersichtlich,
sind die Temperaturen auf dem Vollmond nicht gleich gross zu den
beiden Seiten des Mittelpunktes der Mondscheibe. Dies rührt davon her,
dass die Punkte, welche „Nachmittag" auf dem Monde haben, länger
und intensiver beleuchtet gewesen sind, als diejenigen, welche Vor-
mittag haben, d. h. wo die Sonne im Steigen begriffen ist. Und es ist
natürlich, dass es einige Stunden erfordert, bis die Oberfläche des Mondes
auf die definitive Temperatur erwärmt werden kann. Die Berechnungs-
weise von Very scheint zu hohe Werte geliefert zu haben, welche auch
die theoretisch berechneten übertreffen. Eine Überschlagsrechnung,
die ich betreffs der Daten von Very ausführte, gab eine Temperatur
von etwa 140^ C. an der wärmsten Stelle, also in sehr guter Überein-
stimmung mit der theoretischen Berechnung. Auch für die anderen
Teile des Mondes stimmte meine Berechnung von Verys Originaldaten
sehr gut mit den theoretischen Werten Tber. Als mittlere effektive Tem-
peratur der Mondscheibe fand ich etwa 100^ C. in bester Übereinstim-
mung mit dem theoretischen Wert.
Wie aus diesen Ziffern hervorgeht, wechselt die Temperatur auf
dem Monde riesig schnell. Auf der von der Sonne gekehrten Seite sinkt
die Temperatur während der nahezu 15 Tage betragenden Nacht immer
tiefer, so dass sie zuletzt nur wenige Grad der absoluten Temperatur-
skala beträgt. Die Wärme wird durch die Zuleitung aus dem Innern
aufrecht gehalten, und da die Temperatur, wie für die Erde, in einigen Me-
tern Tiefe ohne Zweifel nahezu konstant und am Äquator des Mondes
im Mittel etwa —60^0. ist, wird die Oberflächentemperatur daselbst wahr-
scheinlicherweise nie unter +100^ abs. Temp. sinken. In der Nähe der
Mondpole wird sie dagegen sehr nahe zum absoluten Nullpunkt kommen.
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 169
Auf dem Planeten Merkur herrschen ziemlich dieselben Verhältnisse
wie auf dem Monde. Immer ist dieselbe Seite dieses Planeten der Sonne
zugekehrt, und wenn er eine Atmosphäre besitzt, so ist sie sehr dünn.
Die Sonnenstrahlung ist da 6,7 mal grösser als auf dem Monde, wodurch
die absoluten Temperaturen 1,6 mal höher werden. So wäre die Tem-
peratur auf dem heissesten Punkte 670^ abs. = 397^ C. Auf der Hinter-
seite, welche nie von der Sonne beleuchtet wird, kann die Temperatur
nur wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt liegen.
Umgiebt eine geringe Atmosphäre, wie ja wahrscheinlich ist, diesen
Planeten, so wird eine stetige Luftströmung in den Gegenden der wärm-
sten Teile aufsteigen, in den höheren Luftschichten radiell nach allen
Seiten sich zerstreuen, um in den von der Sonne entferntesten Gegenden
wieder hinunterzusteigen und längs dem Boden zum sonnennächsten
Punkte zurückzufliessen.
Diese Luftbewegung wird von relativ sehr grossen Kräften getrieben
und besitzt dadurch eine ungemein grosse Intensität. Infolgedessen ist
es wohl denkbar, dass auf Merkur ein Ausgleich der Temperatur statt-
findet.
Um die Temperatur eines anderen Planeten zu berechnen, muss
man seinen Albedo kennen, d. h. denjenigen Bruchteil des einfallenden
Sonnenlichtes, welcher von ihm reflektiert wird. Diese Grösse wurde von
Zöllner bestimmt, in neuerer Zeit liegen genauere Bestimmungen vor;
besonders diejenigen von G. Müller beanspruchen grosse Genauigkeit.
Neuere Bestimmung
0,14
0,76
0,22
0,62
0,72
0,60
0,52
Eine entsprechende Ziffer für die Erde ist natürlicherweise nicht
direkt beobachtet worden. Die wahrscheinlichste Annahme, die man
wohl machen kann, ist, dass sie derjenigen der Venus am nächsten kommt.
Denn kein anderer der Planeten besitzt eine Atmosphäre, welche so nahe
derjenigen der Erde steht. Wahrscheinlicherweise ist der Albedo der
Der Albedo beträgt:
nach Zöllner
für den Mond .
0,119
Merkur
0,114
Venus .
0,623
Mars .
0,267
Jupiter
0,624
Saturn .
0,498
Uran .
0,640
Neptun
0,465
170 Physik des Himmels.
Erde etwas geringer, weil ihre Atmosphäre dünner ist (vgl. unten).
Annäherungsweise kann man wohl damit rechnen, dass die Erde etwa
2/3 des einfallenden Sonnenlichtes und etwa % der einfallenden Sonnen-
wärme wieder in den Weltraum hinaussendet.
Es wäre demnach, da die strahlende Erdoberfläche 4 mal grosser
ist als de^^ Durchschnitt des Cjlinders von Sonnenstrahlen, welche die
Erde treffen, die mittlere Temperatur T der Erde aus folgender Gleichung
zu berechae»
2,5 (1 — V3) = 4 . 0,768 . 10-10 T\
woraus r== 271,3 oder —\,1^C. Nun ist es wohlbekannt, dass die
Temperatur der Erde im Mittel bedeutend höher ist, ungefähr +15^0.
Eine Erklärung dieser scheinbaren Discrepanz ist nicht schwer zu
finden. Bei der oben gegebenen Berechnung wurde vorausgesetzt, dass
die ganze Erdwärme von der Erdoberfläche ausstrahlt. Dies würde der
Fall sein, wenn, wie beim Monde, keine Atmosphäre vorhanden wäre,
oder, wenn die Atmosphäre keine Absorption auf die Wärmestrahlung
der Erde ausübte und dementsprechend keine Strahlung in den Welt-
raum aussendete. Die Gase der Atmosphäre verhalten sich nun in dieser
Beziehung sehr verschieden. Die Hauptmasse der Luft, Stickstoff, Sauer-
stoff und Argon, scheint keine Absorption auf die dunkle Wärmestrah-
lung der Erde auszuüben. Ganz anders verhalten sich zwei Gase, die
nur in geringer Menge in der Luft vorkommen, nämlich Wasserdampf
o
und Kohlensäure. Diese Gase besitzen nach den Messungen von Ang-
ström, Paschen und Eubens und Aschkinass im ultraroten sehr
starke und breite Absorptionsbänder. Infolgedessen absorbieren sie einen
bedeutenden Teil der Wärmestrahlung der Erde und strahlen ebenso
viel Wärme in den Weltraum hinaus. Bei dieser Strahlung ist die
Temperatur des strahlenden Körpers, also der strahlenden Schichten von
Kohlensäure und Wasserdampf, maassgebend. Die Hauptmasse des
Wasserdampfes ist gegen die Erdoberfläche hin konzentriert und die höheren
Luftschichten enthalten, hauptsächlich zufolge ihrer niederen Temperatur,
sehr wenig Wasserdampf. Dagegen ist die Kohlensäure zufolge der
Luftströmungen ziemlich gleichmässig durch die ganze Atmosphäre ver-
teilt, und die strahlenden Schichten der Kohlensäure besitzen deshalb
eine sehr niedrige Temperatur (nach den Bestimmungen bei Ballonfahrten
im Mittel etwa 75^ C. unter derjenigen der Erdoberfläche).
Die Temperatur — 1,5, welche oben erhalten wurde, ist also eine
mittlere Temperatur der von der Erde in den Weltraum strahlenden
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 171
Teile der Erdoberfläche und der Atmosphäre, wobei jeder Teil im Mittel
mit einem Anteil eingeht, welcher dem in den Weltraum eindringenden
Anteil seiner Strahlung proportional ist. Je stärker der Kohlensäure-
<>ehalt in der Luft ist, um so höher liegen die hauptsächlich strahlenden
Schichten dieses Gases, um so niedriger wird ihre Temperatur und in-
folgedessen die mittlere Temperatur der Erde als Strahlungskörper be-
trachtet; um so weniger Wärme verliert also die Erde. Die Kohlen-
säure, und in gleicher Weise der Wasserdampf der Atmosphäre, wirkt
infolgedessen als eine schützende Decke, deren Dicke und wärme-
schützende Eigenschaft mit der Kohlensäuremenge (und dem Wasser-
dampfgehalt) zunimmt.
Aus Beobachtungen über die Wärmeabsorption der Kohlensäure
habe ich berechnet, dass eine Senkung der Kohlensäuremenge von dem
jetzigen Betrag (0,03 Proz. der Luft) auf etwa die Hälfte eine Tempe-
raturerniedrigung bewirken würde von 4 bis 5^ C, gegen die jetzigen Ver-
hältnisse. Dies würde etwa dem Einbrechen einer neuen grossen Eis-
zeit entsprechen. Dagegen würde eine Erhöhung des Kohlensäurege-
haltes der Luft auf den dreifachen Betrag des jetzigen Wertes die
Temperatur so stark erhöhen — um etwa 8^ C, dass das Klima etwa
demjenigen der Eozenzeit entsprechen würde. In dieser Zeit gediehen
edle Baumarten auf Spitzbergen und Grönland, wogegen bei der
grossen Eiszeit Europa bis Mitteldeutschland ganz mit Eis bedeckt war.
Dieser Effekt wird noch sehr dadurch verschärft, dass in den polaren Gegen-
den die Ausdehnung der die Wärme stark reflektierenden Schneedecke
sich verändert, wodurch der Verlust an Sonnenwärme in diesen Gegen-
den noch stärker schwankt als in Gegenden, wo Schneebedeckung nie
vorkommt. Es ist dies der wahrscheinliche Grund, dass die geologischen
Klimaschwankungen sich in ganz unerhörtem Grade in den polaren Ge-
bieten l3emerklich gemacht haben.
Noch deutlicher tritt dieser Umstand hervor, wenn man die Ver-
hältnisse auf dem Planeten Mars ins Auge fasst. Die Temperatur der
Marsoberfläche würde nach der oben gegebenen Berechnungsweise sich
zu — 37^ C. belaufen. Es ist nun aber aus allen Umständen deutlich
dass die Temperatur auf dem Mars ungefähr dieselbe ist, wie auf der Erde.
Dies beruht auf zwei Umständen. Teils ist die Atmosphäre des Mars
viel durchsichtiger als diejenige der Erde und es kommen ausserordent-
lich wenige Wolken in ihr vor. Wahrscheinlicherweise ist auch der in
der Marsatmosphäre schwebende feine Staub, welcher das violette Ende
des Spektrums abschneidet, ganz verschwindend gegen denjenigen in
172 Physik des Himmels.
der Erdatmosphäre. Den grössten Einttuss übt aber ohne allen Zweifel
irgend ein stark wärmeabsorbierendes Gas in der Marsatmosphäre aus.
Durch verschiedene Umstände ist es wahrscheinlich, dass die Menge
von Wasserdampf in der Marsatmosphäre sehr unbedeutend ist. Man
hat danach an die Kohlensäure in erster Linie zu denken. Der Kohlen-
säuregehalt der Marsatmosphäre könnte gut diejenige der Erdatmosphäre
um das hundertfache übersteigen (sie würde dann einem Druck von etwa
30 mm Quecksilber entsprechen), ohne dass dieser Umstand irgendwie mit
dem dünnen Zustande der Marsatmosphäre unvereinbar wäre. Diese
Kohlensäuremenge würde aber ohne Zweifel mehr als genügen, um die
Temperatur des Mars auf einer höheren Stufe, als diejenige der Erde,
zu erhalten.
Was die übrigen Planeten betrifft, so sind die Kenntnisse über ihre
Temperatur sehr gering. Nach einer Berechnung von Christiansen,
die der oben gegebenen (S. 166) entspricht, wäre sie auf Yenus 65*^ C,
auf Jupiter — 147« C, auf Saturn — 180^ C, auf Uran —2070 C. und
auf Neptun — 221^ C. Betreffs der Temperatur auf Venus ist zu be-
merken, dass dieser Planet nach Schiaparellis Beobachtungen immer
dieselbe Seite der Sonne zuwendet, d. h. sich ähnlich dem Merkur ver-
hält. Auf der zur Sonne gewendeten Seite würde demnach eine mitt-
lere Temperatur von 143 ^ C. herrschen, mit einem Maximum von etwa
187 0 C. Auf der von der Sonne gewendeten Seite würde die Tem-
peratur sich nicht viel vom absoluten Nullpunkt unterscheiden. Diese
kolossalen Differenzen werden natürlicherweise in hohem Grade durch
die dichte Atmosphäre der Venus ausgeglichen, welche in einem enorm
kräftigen Winde in den oberen Schichten von der Sonnen- zur Schatten-
seite strömen muss, um in den tieferen Schichten in umgekehrter Kich-
tung zurückzukehren.
Nach neueren Beobachtungen scheint Schiaparellis Annahme
unzutreffend zu sein, und die Verhältnisse auf der Venus wären dem-
nach denjenigen auf der Erde sehr ähnlich. Wegen des grösseren Al-
bedos der Venus ist ihre mittlere Temperatur wohl etwas niedriger als
die berechnete (65*^ C). Dieser Planet kann folglich, besonders in den
circumpolaren Gegenden, sehr wohl organisches Leben beherbergen.
Was die Planeten ausserhalb Mars betrifft, so deutet ihre geringe
Dichte, welche derjenigen der Sonne sehr nahe kommt, darauf hin, dass
sie aus lauter Gasen bestehen. Es kann deshalb nicht gern von einer
Oberflächentemperatur dieser Himmelskörper, ebensowenig wie von einer
solchen bei der Sonne, die Rede sein. Die Temperatur nimmt von den
I
IV Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 173
äiissersten Schichten ihrer Atmosphäre, wu sie von dem absoluten Null-
punkte nicht allzu entfernt sein dürfte, auf immer höhere Werte zu, je
näher zum Mittelpunkt sie gemessen wird. Im Mittelpunkt erreicht sie
äusserst hohe Werte, die gegen Millionen von Graden zu schätzen sind.
Bei diesen Planeten, wo also keine feste Kruste einen merklichen
Wärmetransport aus dem Innern verhindert, wird kein Gleichgewicht
zwischen hinein- und hinausgestrahlter Wärme stattfinden, wie oben bei
der Berechnung der Temperaturverhältnisse auf Planeten mit starrer
Oberfiäche vorausgesetzt wurde. Im Gegenteil wird, wie bei der Sonne,
die Ausstrahlung die Einstrahlung enorm überwiegen und eine allmäh-
liche Abkühlung stattfinden.
Die grossen Planeten sind mit Monden reichlich versehen. Wahr-
scheinlicherweise sind die Trabanten meistens so weit abgekühlt, dass sie
oine feste Oberfläche haben. Die Temperatur derselben wäre demnach auf
dieselbe Weise wie diejenige des Mars und der sonnennäheren Planeten
zu berechnen. Ihre Oberflächentemperatur würde also nach dem vorhin
gesagten weit unter Null liegen, wenn sie nur auf die Sonne als Wärme-
quelle angewiesen wären. Nun kommt aber die Strahlung der Planeten
hinzu, welche nicht unbeträchtlich sein dürfte. Es wäre demnach denk-
bar, dass diese Trabanten teilweise zur Entwickelung von organischem
Leben geeignet sein könnten.
Die Atmosphäre der Planeten. Eine ganz interessante Bemer-
kung betreffs der Atmosphäre der Planeten hat Johnstone Stoney
gemacht. Nach den Ansichten der kinetischen Gastheorie, welche all-
gemein angenommen ist, besitzen die Gasmoleküle eine bestimmte mitt-
lere Geschwindigkeit, die bei 0^ C. für Sauerstoff 461, für Stickstoff
492, für Wasserstoff 1848 M. pro Sekunde beträgt. Diese Geschwin-
digkeit ist übrigens der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur
direkt und der Quadratwurzel aus dem Molekulargewicht umgekehrt
proportional. Wenn also ein Himmelskörper eine sehr geringe Anzie-
hungskraft besässe, so würden die Gasmolekeln von ihm wegfliegen.
Mit Hilfe der oben gegebenen Entwickelungen über das Schweren-
potential finden wir, dass die Geschwindigkeit v eines Körpers, welcher
aus unendlicher Entfernung auf einen Planeten hinunterfällt mit der
Masse m. und dem Radius r bestimmt ist durch die Gleichung:
worin /,• die Gravitationskonstante bedeutet (vgl, S. 84).
174 Physik des Himmels.
Für die Erde ist nun k .„ d. h. die Beschleunigung eines fallenden
cm
Körpers 981 -^p- und, da der Erdradius 6400.10'' cm lang ist, so wird
17)
^;2 = 2Ä;-^.r = 2.981.6400.l0^
woraus v=- 1,12. 10'' cm = 11200 m.
An der Sonnenoberfläche ist die Gravitation 27,47 mal grösser als
auf der Erde, der Sonnenradius 109 mal länger als der Erdradius. Folg-
lich wird die Geschwindigkeit eines aus unendlicher Entfernung in die
Sonne hineinstürzenden Körpers etwa 50 mal grösser, oder genau
613 km pro Sekunde. Ein solcher in die Sonne hineinstürzender Körper
läuft schon, wenn er die Erdbahn durchquert, welche einen 215,68
Sonnenradien langen Halbmesser besitzt, mit einer Geschwindigkeit von
41,7 km.
Viel geringere Werte besitzen der Mond und Mars, indem ihr Halb-
messer 0,27 bezw. 0,53 des Erdhalbmessers beträgt, die Gravitation auf
diesen Himmelskörpern 0,167 bezw. 0,38 derjenigen auf der Erde er-
reicht. Daraus folgt, dass die Geschwindigkeit eines von diesen Him-
melskörpern angezogenen Körpers 2380 bezw. 5030 m pro Sekunde be-
trägt, wenn er in sie aus unendlicher Entfernung hineinstürzt.
Ebenso grosse Geschwindigkeiten müssen die aus den Atmosphären
der Planeten hinausschiessenden Körper besitzen, damit sie sich aus der An-
ziehungsphäre dieser Himmelskörper entfernen können, um nie mehr zu-
rückzukehren. Daraus scheint es hervorzugehen, dass sogar der Mond die
Wasserstoffmolekeln bei sich fesseln könnte, nachdem ihre mittlere Ge-
schwindigkeit (bei 0^ C.) nur 1848 m beträgt. Bei der maximalen Tem-
peratur des Mondes (etwa 150^ C.) würde die betreffende Geschwindig-
keit 2300 m pro Sekunde betragen. Nun verhält es sich aber nach
Maxwell so, dass diese Ziffer nur die mittlere Geschwindigkeit der
Wasserstoffmolekeln bei 150^ C. darstellt, einige von ihnen besitzen die
doppelte, andere, aber verschwindend wenige, die zehnfache Geschwin-
digkeit u. s. f. Es folgt hieraus unzweifelhaft, dass nach der kinetischen
Gastheorie kein Wasserstoff auf dem Mond existieren kann.
Auch andere Gase werden allmählich aus den Atmosphären der
Planeten verschwinden, sie werden aber um so länger bleiben, je grösser
die Planeten sind und je schwerer die Gase. Daraus sollte es verständ-
lich sein, dass die Erdatmosphäre weder Wasserstoff noch Helium (Mo-
lekulargewichte 2 bezw. 4) enthält, obgleich das erste Gas den Vulkanen,
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 175
das zweite einig(m Quellen entweicht. (In jüngster Zeit hat man wohl
diese beiden Gase in minimalen Spuren in der Erdatmosphäre nachge-
wiesen. Dies ist aber kein Beweis gegen die Behauptung, dass die Erde
diese Gase, welche in so ungeheuerer Menge in der Sonnenatmosphäre vor-
kommen, nicht an sich zu fesseln vermag). Noch schwächer ist die Fähig-
keit des Mars seine Atmosphäre zu behalten. Nach Campbells Schätz-
ung ist die Atmosphäre des Mars wahrscheinlicherweise etwa doppelt
dünner als die Luft auf den höchsten Bergen der Erde. Nach Stoneys
Berechnungen soll Wasserdampf (Mol. Gew. 18) da nicht bleiben können,
wogegen Stickstoff (M. G. = 28), Sauerstoff (M. G. -= 32) und Kohlen-
säure noch da festgehalten wären. Nach ähnlichen Berechnungen
von Bryan soll aber Wasserdampf vom Mars festgehalten werden.
Jedenfalls ist es höchst wahrscheinlich, dass Wasser und infolgedessen
Wasserdampf auf Mars vorkommen, aber in bedeutend geringerer Menge
als auf der Erde. Zuletzt kommen solche Körper wie der Mond, welche
keine nennenswerte Atmosphäre zurückzuhalten vermögen. Nach Sto-
neys Berechnungen sollte kein Trabant der Planeten, vielleicht mit
Ausnahme des grossen Neptunmondes imstande sein, eine Atmosphäre
um sich zu konzentrieren. (Auch für die Jupitermonde wird man eine
ähnliche Ausnahme machen müssen.) Die Berechnungen von Stoney
scheinen ein wenig übertrieben zu sein, indem er nicht genügend in Be-
tracht gezogen zu haben scheint, dass die hinausfliegenden Gasmolekeln
von den äussersten Schichten der Atmosphäre stammen, wo die Tem-
peratur und infolgedessen die Geschwindigkeit der Gasmoleküle viel ge-
ringer ist als in der Nähe der festen Kruste des Himmelskörpers.
Für Venus sollten ungefähr dieselben Verhältnisse wie für die Erde
obwalten, indem die Schwere daselbst ungefähr gleich gross wie die-
jenige auf der Erde ist (das Verhältnis ist wie 4 : 5) und die Halbmesser
der beiden Planeten ziemlich genau gleich gross sind. Demnach könnte
man erwarten, dass die Atmosphäre der Venus etwas dünner wäre, wie
diejenige der Erde. Die direkten Beobachtungen zeigen aber, dass das
Umgekehrte zutrifft. Venus besitzt eine so starke atmosphärische Re-
fraktion, dass sie, wenn sie der Sonne sehr nahe steht, wie bei den
Venusdurchgängen durch die Sonne, wie ein Lichtring erscheinen kann,
indem das Sonnenlicht so kräftig durch die Atmosphäre der von der- Sonne
entfernteren Seite abgelenkt wird, dass es zur Erde gelangt. Nach den
Berechnungen von Mädler würde die Atmosphäre der Venus etwa 1,7
mal dichter als diejenige der Erde sein. Auf diesen Umstand deutet
auch der ungewöhnlich hohe Albedo dieses Planeten hin, indem dieser
176 Physik des Himmels.
durch starke Wolkenbildung erklärt wird. Die Wolken können sich näm-
lich in der dichten Atmosphäre sehr lange schwebend erhalten. Als
Gegensatz dazu können die Verhältnisse auf dem Mars angeführt werden,
wo die Atmosphäre ausserordentlich durchsichtig ist wegen sehr geringer
Wolkenbildung, indem die Niederschläge in der dünnen Atmosphäre sehr
bald heruntersinken.
Auf dem Merkur (Halbmesser 0,37, Schwere 0,24) sind die Verhält-
nisse sehr ungünstig für das Bestehen einer Atmosphäre. Die direkten
Beobachtungen deuten auch darauf hin, dass seine Atmosphäre sehr
dünn sei.
Noch geringere Dimensionen haben die kleinen Planeten. Der
grösste von ihnen, Ceres, erreicht nicht einmal 1000 km Durchmesser.
Dementsprechend ist ihr Albedo sehr gering. Vesta besitzt wohl einen
Albedo gleich demjenigen von Mars. Ceres und Pallas, die beiden
grössten, kommen in Bezug auf Albedo unter Merkur. Dieser geringe
Albedo deutet auf Abwesenheit von Atmosphäre, wie nach Stoney zu
erwarten ist.
Die Spektra der Planeten zeigen im allgemeinen den Charakter des
Sonnen Spektrums. Dasjenige des Mondes unterscheidet sich davon aus-
schliesslich durch seine Intensität. Die Spektren von Venus und Mars (?)
zeigen die sogenannten tellurischen Linien, welche von Sauerstoff und
Wasserdampf herrühren, verstärkt, woraus man geschlossen hat, dass diese
Körper und besonders Wasserdampf in ihren Atmosphären vorkommen
sollten. In den Spektren von Jupiter und Saturnus erscheint ausserdem
ein intensives Band im Kot (um 618 fif^i^ Fig. 51). In den Spektren
von Uran und Neptun (vgl. Fig. 52) treten noch neue Bänder, besonders
eins im Grün und eins im Blau auf, welche in den Spektren der anderen
Planeten nicht vorkommen.
Die theoretischen Betrachtungen von Stoney zeigen, obgleich sie
in den meisten Fällen keine absolut scharfen Schlüsse erlauben, doch
eine so gute Übereinstimmung mit der Erfahrung, dass sie volle Auf-
merksamkeit verdienen. Die von den Planeten sich entfernenden Gas-
molekeln würden zum grössten Teil in der Anziehungssphäre der Sonnen-
masse verbleiben. Denn wenn eine Geschwindigkeit von 11,2 km
genügt, um eine Molekel aus dem Wirkungsgebiet der Erde zu ent-
fernen, so würde diese Geschwindigkeit bei weitem nicht genügen, um
die Molekel von der Sonne zu entfernen. Eine Molekel an der Erdbahn,
welche nicht von der Erde angezogen wird, braucht nämlich eine Ge-
schwindigkeit von 41,7 km, um aus dem Bereich der Sonne geschleudert
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
177
zu werden. Für eine Molekel an der Erde, welche also sowohl der An-
ziehung der Erde als der Sonne unterworfen ist, wird demnach eine
Geschwindigkeit nötig sein, die gleich ist
«^ = y 11,22+41,72 = 43,2 km pro Sekunde.
Unter den sich von der Erde entfernenden Molekeln, deren Geschwindig-
keit 11,2 km pro Sekunde übersteigt, wird nur eine absolut verschwin-
Fig. 51. Spektrum des Jupiter nach H. C. Vogel.
dende Zahl die genügende Geschwindigkeit besitzen, um sich aus dem
Sonnensystem entfernen zu können. Man könnte vielleicht vermuten, dass
die Gasmolekeln ebenso wie Tröpfchen von der Sonne hinweggestossen
werden würden. Indes absorbieren imd reflektieren die Gase in dünner
Schicht so wenig Licht, dass eine solche Abstossung unwahrscheinlich
ist. Es wird sich infolgedessen eine ausserordentlich dünne Atmo-
sphäre im ganzen Sonnensystem bilden, welche durch die Gravita-
tion . der Sonne beherrscht und wohl allmählich durch Zusammenstösse
50 52 5% 56 58 60
Fig. 52. Spektrum des Uranus nach Keeler.
62
6^
66
zwischen den Einzelmolekeln zur Sonnenatmosphäre hinübertransportiert
wird. Im Sonnensystem wird infolgedessen die Atmosphäre der Sonne
auf Kosten derjenigen der Planeten imd ihrer Monde wachsen, und
dies um so schneller, je geringer das Molekulargewicht der betreffenden
atmosphärischen Gase ist. Was die verschiedenen Sonnen betrifft, werden
sie wohl auch ähnliche Verluste erleiden, obgleich in ausserordentlich
geringem Maasstabe, und dabei werden die leichtesten und heissesten
Sterne die relativ grössten Verluste erfahren, welche dann ohne Zweifel
allmählich den schwereren und kälteren zu gute kommen.
Der Mond (Fig. 53). Auf dem Monde kommen, wie man schon mit
Arrhenius, Kosmische Physik. • 12
178
Physik des Himmels.
unbewaffnetem Auge bemerken kann, dunkle unregelmässig ausgebreitete
Flecke vor. Schon früh nannte man diese dunklen Stellen, welche im
Gegensatz zu den lichteren Teilen des Mondes relativ frei von Un-
ebenheiten sind, „Meere". Sie befinden sich zum überwiegenden Teil
E
N
S
Fig. 53. Der Mond.
auf der Südseite des Mondes. Von diesen „Meeren" breiten sich zu den
Seiten weniger dunkle „Buchten", „Seen" und „Sümpfe" („Palus") aus.
Obgleich man jetzt nicht mehr glaubt, dass diese Meere von Wasser
erfüllt sind, so haben sie doch viele Ähnlichkeiten mit dem Boden eines
Meeres auf der Erde. Ihr mittlerer und überwiegender Teil ist konvex
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. j79
und beinahe ausschliesslich an ihren Kändern kommen, wie bei den ir-
dischen Meeresböden, konkave Teile vor. Man hat deshalb eine ähnliche
Bildung'sweise der „Mondmeere" wie der Meere auf der Erde anzunehmen.
Durch die allmähliche Zusammenziehung des Mondinnern mussten J]in-
sttirze vorkommen, welche die Bildung der Meere veranlassten.
Die charakteristischsten Erscheinungen auf dem Monde sind die
stark entwickelten Ringgebirge, welche unseren Vulkanen entsprechen.
Am nächsten scheinen die Mondvulkane in ihrer Thätigkeitszeit den
Lavaseen Mauna Kea und Mauna Loa auf Havaii entsprochen zu haben.
Sie sind von bedeutend grösseren Dimensionen als die irdischen Vulkane.
Es giebt Wallebenen, wie Clavius, Maginus u. s. w., von über 200 km
Durchmesser und Kraterchen von etwa 1 km Durchmesser. Die Eing-
gebirge haben im Mittel etwa 40—80 km Durchmesser. Von solchen f
giebt es mehrere Hunderte, von Kratern viele Tausende auf dem Monde.
Besonders ist die Höhe der Mondberge, nach dem Schatten, den sie
werfen, bedeutender als auf der Erde. Der höchste gemessene Ringberg,
Curtius, nahe dem Südpol, erhebt sich teilweise über die umschlossene
Fläche mit etwa 8000 m. Die Wälle der grossen Ringgebirge erreichen
etwa 4000 m Höhe über der Umgebung. Die grosse Unebenheit der
Mondoberfiäche rührt wohl daher, dass auf dem Monde kein Wasser vor-
handen gewesen ist, um die Erhöhungen abzutragen. Jedenfalls müssen die
Vulkane auf dem Monde einst viele Gase und auch Wasserdampf ausge-
schleudert haben, welche jetzt von dort so gut wie gänzlich verschwunden
sind. Auf die einstige Anwesenheit einer Atmosphäre deuten mehrere
Umstände, unter anderem das Vorfinden von Staubmassen, die man als
vulkanische Asche gedeutet hat, in Entfernungen von gegen tausend Kilo-
metern von ihren Ausbruchsstellen. Diesen langen Weg sind allem An-
schein nach die Aschen von dem Winde getragen worden. Auch die Rillen,
schmale bis zu mehreren hundert Kilometer lange Schluchten, welche
Wälle, Berge und Niederungen ohne Hinsicht auf die Topographie durch-
setzen, bieten einige Ähnlichkeiten mit alten Flussbetten, obgleich sie
auch in vielen Beziehungen davon abweichen. Diese Umstände machen
es fraglich, ob jede Spur einer Atmosphäre jetzt von unserem Satelliten
verschwunden sein kann. Natürlicherweise kann man nichts anderes
behaupten, als dass die Mondatmosphäre eine gewisse Grösse nicht über-
steigen kann. Man schätzt diese Grösse jetzt zu etwa 2 mm Quecksilber
(Vioo der Erdatmosphäre).
Eine Frage von grossem Interesse, welche in letzterer Zeit mehr-
fach diskutiert worden ist, ist diejenige, ob Veränderungen auf der Mond-
• 12*
IgQ Physik des Himmels.
Oberfläche jetzt noch vorkommen. Sehr eigentümlich in dieser Beziehimg
ist die Beobachtung von Klein, welcher 1877 einen neuen Krater in der
Nähe von (dem in der Mitte der Mondscheibe gelegenen Krater) Hygi-
nus entdeckte. Nachdem diese Gegend sich besondere Aufmerksamkeit
zugezogen hat, sind daselbst zwei neuentstandene Rillen aufgefunden
worden (22. Januar 1896), welche „unmöglich hätten übersehen werden
können, wenn sie (bei der Beobachtung) am 10. Juni 1894 bereits vor-
handen gewesen wären". Es giebt viele andere ähnliche Beispiele. Es
wäre nicht undenkbar, dass die kolossalen Temperaturschwankungen,
welche die Oberflächenteile des Mondes in der Nähe des Äquators ein-
mal im Monat erleiden — die Schwankung kann unter Umständen bis
gegen 300*^ C. erreichen — das Entstehen von Rissen begünstigt, wo-
durch allmählich tiefer greifende Veränderungen veranlasst werden
könnten. Die Gegenden, wo man Veränderungen beobachtet zu haben
glaubt, sind wirklich in der Nähe des Äquators gelegen.
Die Abwesenheit von Wasser giebt sich auch dadurch kimd,
dass eigentliche Gebirgsketten auf dem Monde relativ selten sind, —
die einzige Bildung, welche diesen Namen in höherem Grade verdient,
ist die Apenninenkette (in der Mitte der Nordhälfte). Die Gebirgs-
ketten auf der Erde werden nämlich unter normalen Umständen durch
die Wirkung des Wassers aus einer Hochebene herausmodelliert. Die
Mondberge, welche alle vulkanischen Ursprung verraten, besitzen auch
im allgemeinen viel steilere Wände als die entsprechenden Gebilde auf
der Erde, sie sind nicht durch die Wirkung des Wassers abgetragen
worden.
Eine sehr eigentümliche Bildung findet sich in den Strahlensystemen
vor. Die beiden bedeutendsten Strahlensysteme gehen von den Ring-
gebirgen Tycho (links am Südpol) und Copernikus (links unten von den
Apenninen) aus. Diese Strahlen, die ganz geradlinig verlaufen, ohne Rück-
sicht auf die Topographie des Mondes, bestehen nicht in Erhebungen
oder Vertiefungen in der Mondkruste, sondern nur aus einem hel-
leren Material als die Umgebungen. Ihre Entstehung erscheint sehr
rätselhaft. Meistens hält man dieselben für Sprünge, die durch eine
hellere Substanz eruptiver Art ausgefüllt worden sind.
Aus seinen Beobachtungen über das vom Mondkörper reflektierte
Licht hat Langley geschlossen, dass die Gesteinsarten des Mondes
einen gelblich -grauen Ton, demjenigen gewisser Sandsteine ähnlich,
besitzen. Nach den Untersuchungen von Landerer über den Po-
larisationswinkel der Mondesgesteine sollen dieselben mit vulka-
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. Igl
nischen Gesteinsarten wie Obsidian und besonders Vitrophyr Ähnlich-
keit zeigen.
Der Merkur und die Venus. Schiaparelli fand bei seinen Unter-
suchungen, dass diese beiden Planeten immer dieselbe Seite der Sonne
zukehren. Er kam zu diesem Schluss aus der Beobachtung der Flecke auf
diesen Planeten. Da diese Flecke sehr schwer wahrnehmbare Objekte
sind, ist die Ansicht von Schiaparelli, besonders betreffs der Umdrehung
der Venus (Fig. 54) vielfach bestritten worden, fand aber später allgemeine
Anerkennung. In jüngster Zeit sind die Einwände gegen Schiaparelli
wieder schärfer geworden. Nach den Beobachtungen von Villiger soll
die Umdrehungszeit der Venus 23^57^^36^ betragen. Die auf konstanten
Stellen in Bezug auf die Sonne belegenen Flecke sollten nicht reell,
sondern durch die Beleuchtung hervorgerufen sein. Auch für den
Merkur wollten einige Astronomen eine kurze Kotationsdauer annehmen
(etwa 1,5 Tage nach Leo Brenner).
In der That muss zugegeben werden, dass die starke Wolken-
bildung auf der Venus, ebenso wie das Vorkommen von merklichen
Mengen von Wasserdampf in ihrer Atmosphäre sehr gegen Schiapa-
rellis Ansichten spricht. Denn nach dieser müsste die nicht beleuchtete
Seite der Venus mehr als hundert Grad unter dem Nullpunkt abgekühlt
sein. Zu diesen Stellen hin müsste sich aller Wasserdampf kondensieren
und kein merklicher Teil davon in der Atmosphäre als Dampf oder in
Wolken niedergeschlagen vorhanden sein (Antoniadi).
In allerjüngster Zeit hat auch Bjelopolsky aus den Verschiebungen
der Spektrallinien im Venuslicht auf eine Umdrehungszeit von etwa 24^^
geschlossen.
Eine sehr eigentümliche Erscheinung, welche auf der Venusscheibe
mehrmals wahrgenommen wurde, ist ein bläulicher Schimmer, welcher
gelegentlich die Nachtseite dieses Planeten erhellt, ungefähr wie das
aschenfarbene Licht den von der Sonne nicht beleuchteten Teil des
Mondes uns sichtbar macht. Während nun das aschenfarbene Licht
des Mondes als von der Erde reflektiert angesehen wird, kann eine
gleichartige Erklärung für das bläuliche Licht der Venus nicht auf-
gefunden werden, da in der Nähe dieses Planeten kein anderer Himmels-
körper vorkommt, der auf ihn so viel Sonnenlicht zurückstrahlen könnte.
Man hat deshalb schon lange daran gedacht, dass dieses Licht derselben
Natur sei, wie unsere Polarlichter. Es tritt, wie dies, zu unregelmässigen
Zeiten auf und verschwindet dazwischen. Nach einigen Beobachtungen
(von Vogel und Lohse) soll sich dieser Schein nicht über die ganze Nacht-
182
Physik des Himmels.
Fig. 54. Venus im Jahre 1897, beobachtet zu Juvisy. 1. Juni 11., 2. Juni 23.,
3. Juli 12., 5. 6. und 7. Juli 14. (nach Zeichnungen von Antoniadi, Mathieu
und Flammarion), 8. Juli 24., 9. August 30. Die Zeichnungen 1—5 und 8—9
sind von Antoniadi.
N
|fc IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 183
Seite ausbreiten, sondern sich nur bis 30—40^ von der Beleuchtungs-
grenze (sogenanntem Terminator) erstrecken. Es muss zugegeben werden,
dass die modernen Ansichten über die Natur der Polarlichter sehr zu
Gunsten dieser Deutung sprechen.
Mars. Wenn unsere Kenntnisse über die inneren Planeten sehr
gering sind, so trifft dies nicht mehr für Mars zu. Der Unterschied
rührt von zwei Umständen her. Teils kehrt Mars seine beleuchtete Seite
der Erde zu, wenn er am nächsten der Erde steht, während das umge-
kehrte für die inneren Planeten, Merkur und Venus, stattfindet; teils
ist die Atmosphäre von Mars ungewöhnlich durchsichtig. Dadurch treten
die Details auf der Marsoberfläche sehr deutlich hervor, so dass die Ro-
tationszeit genau bestimmt werden konnte. Sie ist sehr nahe gleich
derjenigen der Erde und übertrifft sie mit 37 Min. 22,65 Sek.
Unter den auffallendsten Objekten auf der Marsoberfläche ist die
Stundenglas-See („Syrtis major" von Schiaparelli, „Mer du Sablier"
von Plammarion), welche schon im Jahre 1659 von Huyghens ge-
zeichnet wurde. Sie bildet eine triangelförmige Figur mit der Spitze
nach unten (Norden). Von dieser See mit Umgebungen enthält Fig. 55
vier Zeichnungen aus den Jahren 1888 — 1896. Diese zeigen, wie ver-
änderlich die Details auf der Marsoberfläche sind. Besonders deutlich
tritt die Verdoppelung der Kanäle hervor. Ein anderes auffälliges Ob-
jekt auf der Marsoberfläche ist das unter dem südlichen Wendekreis
90^ östl. L. belegene „Auge" („Lacus Solis" von Schiaparelli, „Mer
de Terby" von Flammarion). Fig. 56 giebt die Marskarte nach Flam-
marions Zeichnung wieder.
Die eigentümlichsten Objekte auf der Marsoberfläche sind die Polar-
kappen von weisser Farbe, welche schon von Huyghens und Maraldi
(1704) gesehen wurden. Herschel machte ferner die auffallende Ent-
deckung, dass diese Kappen wechselweise ab- und zunehmen, so dass
die Kappe um den Pol herum zunimmt, wenn er Winter hat, d. h. von
der Sonne abgewendet ist. Herschel war deshalb schon der Ansicht,
dass diese Polarkappen von einer Schneebedeckung der Polargegenden
herrühren, welche sich im Winter zu tieferen Breiten ausdehnt. Die
grösste Ausdehnung der Polarflecke beträgt 60— 70^ die geringste einige
Grad. Bisweilen verschwindet die Polarkappe gänzlich, wie der Süd-
polarfleck im Jahre 1894. Bei der Abnahme der Polarflecke bleibt nicht
immer der letzte Rest rund um den Pol gehäuft, so dass bisweilen der
Pol unbedeckt sein kann, während in seiner Nähe Schnee liegen bleibt.
Um einen Begriff zu geben, wie schnell die Polarkappen abthauen, mögen
184
Physik des Himmels.
einige Beobachtungen über die Ausdehnung der nördlichen Polarkappe
mitgeteilt werden. Es bedeutet a den Winkel, welchen der Durchmesser d
der Polarkappe einnimmt, h ist die Höhe der Sonne über dem Nordpol,
t die Anzahl Tage vor dem Sommersolstitium.
Fig. 55. Die Stundenglas-See (Schiaparellis Syrtis major) nach Zeichnungen
von Schiaparelli 1888 Juni 2 und 1890 Juni 20, Lowell Oktober 1898 und
Phillips 1896 Dezember 3.
1898/99 ad h t
22. Okt 60^ 3540 km — 3,2« 220
18. Nov 56 3300 „ + 2,4 193
22. Dez 43 2540 „ 9,2 159
28. Jan 43 2540 „ 15,6 122
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. |§5
1898/99 ad ' h t
24. Febr 42 2480 km 19,4 95
14. März 35 2060 „ 21,4 77
2. April 33 1950 „ 23,4 58
19. April- 30 1770 „ 24,3 41
Im allgemeinen wird die ganze Farbe der Winterseite von Mars
heller und bietet weniger Einzelheiten, die Farbe der Sommerhälfte
dunkler sowohl betreffs der „Festlande" wie der „Meere", wovon unten
die Rede sein wird.
Wenn die Polarflecke des Mars im Sommer bisweilen gänzlich ver-
schwinden, während dies auf der Erde nie geschieht, so kann dies durch
zwei Umstände bedingt sein. Teils kann dort das Klima milder sein als
hier, teils können die Anhäufungen von Schneemassen unbedeutender sein
als bei uns. Das letzte trifft wahrscheinlicherweise zu, weil auf Mars
viel weniger Wasserdampf in der Atmosphäre vorkommt als auf der
Erde, und folglich die Kondensationen relativ unbedeutend sind. Dazu
kommt, dass die Neigung der Marsachse etwas grösser ist als diejenige
der Erdachse, wodurch die Marspole im Sommer relativ mehr Wärme
erhalten, als wenn die Neigung geringer wäre. Noch mehr trägt zu
diesem Resultate die Durchsichtigkeit und Wolkenlosigkeit der Mars-
atmosphäre bei, wodurch die Sonnenstrahlen bis zur Marsoberfläche ge-
langen und direkt zur Schneeschmelzung beitragen, während sie auf der
Erde zum weitaus grössten Teil von Wolken aufgefangen und zu ihrer
Schmelzung oder Verdampfung verbraucht oder reflektiert werden.
Man hat häufig behauptet, dass es unmöglich Wasser sein könnte,
welches sich zu Schnee um den Marspolen kondensierte, da er wegen
seiner grossen Entfernung von der Sonne, nur % der auf die Erde
fallenden Sonnenwärme pro Flächeneinheit und Zeiteinheit erhält.
Wenn Mars keine schützenden Gase in der Atmosphäre besässe, würde
auch ohne Zweifel seine Temperatur nirgends den Gefrierpunkt des
Wassers übersteigen. Es ist aber sehr wohl denkbar, wie oben erwiesen
wurde, dass durch einen Gehalt an Kohlensäure (von ein paar Pro-
zenten) die mittlere Temperatur des Mars ebenso hoch ausfallen kann,,
wie diejenige der Erde. Dadurch wird auch der Unterschied zwischen
den Temperaturen an verschiedenen Breitegraden vermindert. Dieser
Umstand trägt auch etwas dazu bei, dass die Kondensationen von Wasser-
dampf geringer und die Winde auf Mars schwächer sind als auf der
Erde, wodurch die Schneeanhäufungen an den Polen vermindert werden.
186
Physik des Himmels.
J3j
Oi
CD
<x>
es
SS
B
B
S3
i-i
o
1=1
'5
o
•-<
a>
O
I—'
Ca
ct-
a>
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. Ig7
Einige Forscher haben geglaubt, dass die „Schneebedeclningen" an den
Polen von fester Kohlensäure herrühren. Damit diese sich bei dorn
niederen Drucke auf Mars kondensiert, muss die Temperatur unter etwa
— 90^ C. liegen. Aber man kann nicht gern annehmen, dass die Mars-
atmosphäre aus lauter Kohlensäure besteht. Die Erdatmosphäre enthält
etwa 0,05 Proz. Kohlensäure, man kann demnach kaum mehr als 2,5 Proz.
Kohlensäure in der Marsatmosphäre annehmen. Dann würde der Kon-
densationspunkt bei etwa — 140^ C. liegen. Wenn nun die Verhältnisse
wie auf der Erde sonst wären, würde die Temperatur des Mars doch
etwa — 40^ C. sein. Die Schwierigkeiten würden also durch die Kohlen-
säureschnee-Hypothese nicht verringert werden, besonders wenn man
ins Auge fasst, dass der Polarschnee des Mars offenbar schmilzt und
die daraus entstandene Flüssigkeit die nächstliegenden Gegenden über-
flutet. Und flüssige Kohlensäure kann nicht unter niedrigerem Druck
als etwa 4 Atmosphären bestehen, ist also auf Mars undenkbar.
Die Wolken, aus welchen diese Schneemassen herunterfallen, hat
man bisweilen in Form von Trübungen beobachtet. Sie sind jedenfalls
sehr selten. Den Mangel an Wolkenbildung in der Marsatmosphäre
setzt Ekholm in Zusammenhang mit der geringen Schwerkraft auf
Mars (0,37 mal derjenigen auf der Erde). Demzufolge ist die prozen-
tische Abnahme des Luftdmckes mit steigender Höhe (wenn die Luft
wie auf der Erde zum grössten Teil aus Stickstoff besteht) auf Mars
2,7 mal langsamer als auf der Erde und infolgedessen werden die auf-
steigenden Luftströme, welche durch ihre Abkühlung zu Wolkenbildung
Anlass geben, bei weitem nicht so schnell wie bei uns ihre Wärme
verlieren. Kurzdauernde weisse Flecke sieht man gelegentlich auf
der Marsoberfläche bis zum Äquator. In vielen Fällen erscheinen diese
weissen Flecke an bestimmten Stellen, die ihre rötliche Farbe in weiss
tauschen, um nach einigen Tagen ihre alte Farbe zurückzunehmen. Man
bekommt die deutliche Vorstellung, dass Schneeböen die genannten Gegen-
den mit Schnee überschütten, und dass die dabei bevorzugten Stellen
Erhebungen an der Marsoberfläche kennzeichnen. Solche Erhebungen
hat man auch, wie am Mond, dadurch aufgefunden, dass die Grenze
zwischen der hellen und dunklen Seite des Planeten (der Terminator) nicht
ganz eben und bogenförmig aussieht, sondern helle Ausbuchtungen aufweist.
Dieselben kommen nur in den lederfarbenen Gegenden vor, welche man
sich als festes Land vorstellt. Ebenso finden sich daselbst Thälem ent-
sprechende Einbiegungen. Diese Gebilde sind zu dauerhaft, um als
Wolkenbildungen angesehen zu werden. Sie erscheinen wieder an den-
18S
Physik des Himmels.
selben Stellen, wenn man die Marsobertläche bei der nächsten Opposi-
tion beobachtet. Man hat berechnet, dass zur Erklärung einer solchen
Beobachtung die Annahme einer Bergkette von 140 km Länge und 3 km
Höhe genügen würde.
Eine sehr eigentümliche und interessante Beobachtung machte Schia-
Fig. 57. Helle Streifen vom Nordpol des Mars ausgehend nach einer Zeichnung
von Schiaparelli 1882.
parelli 1882 (vgL Fig. 57). Von dem Nordpole gingen mehrere weisse
Streifen nach dem Süden mit starker Ablenkung nach rechts hinaus. Dies
war im Winterhalbjahr. Als dann die Sonne höher stieg, verschwanden
allmählich die weissen Streifen. Die Streifen gingen von Vorsprüngen
an der Nordpolarkalotte aus. Wenn von diesen Vorsprüngen ein kühler
Wind ausgegangen wäre, würden die Luftteüchen in diesem Winde zu-
IV. Dio rianoten, ihre Satnllitdti utnl dio Komet-int. 189
fol^c (Inr Achsonuindn^lnin^' drs IMaiictcn Holdiif ^jrdn'liir Hiiliiicn bn-
schrirlx'ii liiibcn, wio sie von den w«aHH('n Ht-r(üf<m dur«:(mkdli nind. Muri
l»rk(miinl innvillkürlic-h dio Vorstidhin)?, dasH kohb? Windo von don nUd-
lichstcn Sli'llcfi der Nor<l|Md}irkaloU(i liinmis^'cfloHHon Hind, um in ddri
inildorrn IjuftstriclKfn KondcnsjitiuiKUi horvorztibringon, wodurch Hcbnne-
ni('d<irs(hlii^(i iiliif^H don Windbiibncn v^TurHucht sind.
Zwischen den weissen Pohirfbioknn sieht man auf der MarHoberlllUho
eine Mon^o von oi^(mtnmlich(!n I)«!tails. KOtlich-g^dbc« hcUc. I'arti(!«!n
W(M'hseln mit l)ljlnli(h-<,'r;Mien diinkb'njn ab. Dir; dirnkb-ron St<dlon hält
man für Moore, die hidifinsn t(ir festes Land. Wi(! auf der Kuh
sind die Meere hauptsächlich auf d(jn Südt(5il des Himmelskörper»
verlegt (vgl. Fig. 56). Das einzige; grosse Mof^r bedec^kt die ȟdliche cir-
cumpolarc Gegend. Anf der nördliclxri Kilhku^« I kommen nur Seen
und dieselben verbindende Kanäle vor. Den verschicdf^ncn I^and- und
Mec^respartien hat man Namen erteilt, die hauptsächlich ans der ÜeAf
graphie der alten Welt geholt sind. Sehr eigentümlich ist, das» die
Farbe nicht konstant bleibt; wie oben bemerkt, schwellen die dnnklen
Partieen zur Zeit der S(;hneeschmelze an den Polen an, di(5 hellen da-
ircgen wachsen während der Winter/eit. Dies kann ho weit gehen, das«
nicht nur Kontinente von Kanälen durchquert werden odf^r ganze Fest-
länder zu Seen werden, -sondern Seen auch durch gelbgefärbtc Wälle in
zwei oder mehrere kleine Teile zergliedert oder sogar gänzlich aus-
getrocknet werden. Alles dies deutet darauf hin, davSS der gr/isste Teil
fies Festlandes von Mars aus Niederungen besteht, welche bei den See-
schmelzen von sehr dttnnen Wasserschichten bedeckt werden, die ziem-
lich leicht verdunsten. Man hat im Anschlnss an diese Thuimehe
das Klima auf Mars als sehr gleichförmig anzusehen mit einer Tem-
peratur, die den Gefrierpunkt des Wassers nur wenig überschreitet Da»
Wasser hat längst die grösseren Unebenheiten abgetragen und die grdssten
Partieen der Oberfläche zu sehr niederem Flachland anggehüdet, welche»
von sehr seichten, ausgedehnten Wasserbecken, die leicht gefdllt
werden cjder austrocknen, umgeben ist Das meiste Wawer fet durch Ver-
witterung (Hydratisierung) gebunden worden, so dass nur sehr wenig
noch in flflssiger oder Gasform Torfaanden ist* Die geringen Waiser-
mengen, die noch fihrig sind, besitzen nur wenig Kraft, die Demida^
tion weiter zu fuhren. Ebenso wie das Klima zwl«fchen den Polen mid
Äquator sehr wenig versehieden wt, so treten die Untersduede zwischen
«>mmer und Winter und besondeis zwischen Tag vaä Kadit fehr
tark zurück« Dies hängt mil dai w&naesdißtoaiäm ISI^eumhMm
190 Physik des Himmels,
der Atmosphäre auf das innigste zusammen. Da die Excentricität der
Marsbahn beinahe sechsmal grösser als diejenige der Erde und die Nei-
gung der Achse gegen die Ekliptik grösser als für die Erde ist (27'^
anstatt 23 V2^)? so würde für diejenige Halbkugel, welche Sommer in
der Nähe des Perihels (Sonnennähe) besitzt (der Südpol), sonst ein
starker Unterschied der Temperatur zwischen Sommer und Winter
herrschen.
In dieser Beziehung möge es bemerkt werden, dass man hier ein aus-
gezeichnetes Beispiel für die Unzulänglichkeit der Groll sehen Theorie be-
sitzt, denn diese Theorie verlangt, dass der genannte Pol eine Eiszeit
besässe, d. h. viel kälter und stärker vereist wie der Nordpol sein mtisste.
Zufolge des geringen Temperaturunterschiedes zwischen Tag und Nacht
geht der grösste Teil der Fähigkeit des Wassers, Felsen zu demolieren, ver-
loren. Wegen den geringen Wassermengen können nur verschwindend kleine
Mengen von Calciumbicarbonat in dem Wasser gelöst und zum Meer aus-
gespült werden. Die Kohlensäure wird nach kurzer Frist aus dem Bicar-
bonat freigemacht (durch die Wirkung von Seetieren und -pflanzen, wenn
solche existieren). Das ganze Land ist mit sedimentären Ausfällungen
bedeckt, sodass keine Kohlensäure zur Verwitterung von Urgesteinen
verwendet wird. Die Kohlensäuremengen, welche durch Meteore (oder
vielleicht noch vorhandene Spuren von Vulkanismus) zugeführt werden,
können zum grössten Teil erhalten bleiben, sodass dadurch ein grösserer
Kohlensäuregehalt des Mars erklärlich wird.
Im allgemeinen kann man behaupten, dass die Veränderungen auf
Mars höchst unbedeutend sind, und dass dieser Planet sich gewisser-
maassen in einem hohen Alter befindet. Es ist jedoch ein grosses Inter-
vall zurückzulegen, bis Mars so weit gekommen ist, wie unser Mond.
Als Gegensatz von Mars kann die Venus betrachtet werden (wenn nicht
die Ansicht von Schiaparelli sich bewährt). Auf Mars eine ausser-
ordentliche Haushaltung mit den geringen Wärmemitteln, die von der
Sonne auf diesen Planet gespendet werden; auf Venus dagegen eine
hochgradige Verschwendung durch den grossen Albedo.
Sehr viele Diskussionen haben die Kanäle auf Mars verursacht. Bei
einigen Gclngenheiten erscheinen dieselben verdoppelt (vgl. Fig. 55). Wie
diese Eigentümlichkeit zu erklären ist, bleibt wohl noch lange ein Rätsel.
Die Kanäle laufen ganz schnurgerade und enden in Seen. Dieser Umstand
hat sogar den Gedanken aufkommen lassen, dass dieselben Produkte von ;
intelligenten Wesen seien. Da aber die Kanäle, um sichtbar zu sein,
wenigstens 60 km breit sein müssen, so kann diese Frage nicht gern
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
191
unter Diskussion kommen. Um das plötzliche Auftreten der Seen und
Kanäle zu erklären, hat man auch angenommen, dass dieselben nur von
Vegetation bedeckten Flecke im rötlich gefärbten Wüstengebiet dar-
stellen. Bei der Schneeschmelzung füllen sich geradlinige Graben mit
Wasser, welches zur Bewässerung der umliegenden Landstriche dient.
S
w
E
N
Fig. 58. Jupiter nach einer Zeichnung von N. E. Green, 17. April 1885. Die
schwarze Ovale in der Nähe vom Äquator ist der Schatten des zweiten Jupiter-
mondes. Etwas südlich vom Äquator liegt der rote Fleck, umgeben von weissen
Wolken.
Diese bedecken sich dabei mit Vegetation, welche die rotgelbe helle,
Wüstenfarbe in eine dunklere bläuliche Nuance überführen. Einige
Forscher (z. B. Cerulli) versuchen die geradlinige Form der Kanäle
als eine subjektive Erscheinung zu deuten.
Jupiter (Fig. 58). Bei diesem Planeten kann man leicht eine Abplat-
tung wahrnehmen, die bei den früher genannten und der Sonne nicht
192 Physik des Himmels.
beobachtet werden kann. Es hängt dies von der erheblichen Grösse der
Centrifugalkraft auf diesem Planeten ab. Sein Durchmesser ist etwa
elfmal grösser als derjenige der Erde, und doch geht seine Achsen-
umdrehung in kürzerer Zeit als 10 Stunden vor sich. Mit der Sonne
teilt er die Eigenschaft, dass die Rotationszeit am Äquator kürzer ist,
als näher bei den Polen. So fand z. B. Denning folgende Rotationsdauer:
Für Äquatorialflecke 9^ 50*^ 24,6^
„ Flecke 12—15^^ N 9 55 28,8
25—300 N 9 55 29,8 — 9'^ 55"^ 53,5^.
25— 30<>S 9 55 18,6
40—500 S 9 55 9,2.
Es ist also eigentlich der Äquator, welcher sich etwas schneller be-
wegt wie die anderen Teile, welche untereinander ziemlich gleich schnell
rotieren. Die Winkelgeschwindigkeit scheint wiederum zu den Polen
hin etwas beschleunigt zu werden, im Gegensatz zu den Verhältnissen
auf der Sonne. Nach diesen Angaben ist die Centrifugalkraft am Äquator
des Jupiter etwa 70 mal grösser als auf der Erde, während die Schwere
daselbst nur 2,5 mal diejenige auf der Erde übertrifft. Es ist deshalb
kein Wunder, dass die Abplattung des Jupiter sich sehr bemerkt macht.
Die Achsenlängen verhalten sich wie 15:16. Die eine Seite bewegt sich
zu uns, die andere von uns mit einer Geschwindigkeit von 12,4 km.
Deslandres hat mit Hilfe des Doppler sehen Prinzipes aus den Ver-
schiebungen der Sonnenlinien diese Geschwindigkeit gemessen und gleich
11,8 km gefunden. In dem reflektierten Licht (von einem Planeten) ist
die Linienverschiebung zufolge einer bestimmten Geschwindigkeit doppelt
so gross, wie oben (S. 29) für einen selbstleuchtenden Körper berechnet
wurde, weil wegen der Reflexion der Weg des Lichtstrahls um den
doppelten Betrag der Verschiebung geändert wird. Eine andere Eigen-
tümlichkeit, als betreffs der Umdrehung, teilt Jupiter mit der Sonne,
indem der Planet heller in seiner Mitte als an den Seiten erscheint.
Man kann nämlich nur auf diese Weise erklären, dass seine Monde
beim Vorübergang vor der Planetscheibe an deren Seite hell, in ihrer
Mitte dagegen dunkel erscheinen.
Die Oberfläche des Jupiter zeigt viele Streifungen die parallel dem
Äquator verlaufen, deren Helligkeit und Farbe zwischen gelblichweiss
und dunkelrötlich wechseln. Die dunkleren Streifen zeigen stärkere Ab-
sorptionsbänder als die helleren. Man sieht also bei den ersteren tiefer
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. I93
in die Atmosphäre des Jupiter hinein, d. h. die reflektierenden Bestand-
teile (Wolken) liegen da tiefer als in den helleren Gebieten. Es
ist offenbar derselbe Umstand, welcher veranlasst, dass die Ränder des
Planeten dunkler erscheinen als die Mitte seiner Scheibe. Eigentümlich
ist, dass Vogel Helligkeits- und Spektralschwankungen festgestellt hat,
welche anzudeuten scheinen, dass die Wolkenbildung (und daraus fol-
gende Lichtreflexion), wie auf der Erde, am stärksten ist, wenn die
Sonnenthätigkeit ihr Maximum hat. Die Streifen haben eine ziemlich
unveränderte Lage. Der Äquator ist durch einen starken hellen Gürtel
gekennzeichnet (von etwa 37000 km Breite), zu dessen beiden Seiten dunkle
Bänder liegen, welchen wiederum hellere und dunklere Streifen folgen.
Die Polarkappen sind dunkel und zeigen keine Details. Die stark ausge-
prägte Parallelstreifung der Jupiterscheibe hängt ohne Zweifel mit der
starken Geschwindigkeit der
Umdrehung zusammen.
Die Flecke des Jupiter
sind am stärksten auf der
südlichen Halbkugel ausge-
bildet (ebenso wie bei der
Sonne), Unter den Flecken
ist der eigentümlichste und
auffallendste der rote Fleck
vom Jahre 1872, der erst
recht unansehnlich war, dann pig. 59. Der rote Fleck auf Jupiter,
an Schärfe und Deutlichkeit
stark zunahm und später langsam erblasste (Fig. 59). Sein grösster Durch-
messer war (5. Sept. 1889) etwa 30000 km. Die Wolken entweichen diesem
Fleck. Dies deutet darauf, dass der rote Fleck eine abgekühlte Stelle sei,
zu dem ein Luftstrom wie zu den Sonnenflecken niedersinkt. Wir könnten
deinnach am roten Fleck tiefer in die Jupitermasse hineinschauen als sonst
wo. Man hat früher häufig gemeint, Jupiter sende eine merkliche Menge
Eigenlicht aus, dies steht doch mit dem Umstände in Widerspruch, dass
seine Monde dunkel erscheinen, sobald sie in den Kernschatten des
Planeten eintreten.
Die dunklen Bänder Jupiters scheinen mit einer Periode von etwa
12 Jahren Farbe zu wechseln. Wenn die Bänder der nördlichen Halb-
kugel tiefrot sind, sind diejenigen auf der südlichen blass und gehen
sogar in bläulich über und umgekehrt. Da die Umlaufszeit des Jupiter
11,86 Jahre beträgt, steht dieser Farbenwechsel wahrscheinlicherweise
Airhenius, Kosmische Physik. • ••^^
194
Physik des Himmels.
mit den Jahreszeiten in Zusammenhang, obgleich die Jupiterachse sehr
nahe senkrecht auf die Jupiterbahn steht.
Die äussere Erscheinung des Jupiter ändert sich häufig sehr schnell
dadurch, dass die Wolken in seiner Atmosphäre sich rasch ver-
schieben. Dies kann natürlicherweise nicht von der Wärmewirkung der
Sonne abhängen, da sie auf dem Jupiter nur V27 derjenigen auf der Erde
entspricht. Die Bewegungsursache muss also im Planeten selbst liegen.
Aus dem Innern dieses Planeten müssen deshalb bedeutende Wärmemengen
in kurzer Zeit hinauftransportiert werden. Dies könnte nicht gern ein-
treffen, wenn der Planet eine feste Kruste besässe. Auch seine Dichte
Fig. 60. Saturn im Februar 1887 nach F. Terby.
(0,24), welche derjenigen der Sonne (0,25) äusserst nahe kommt, deutet
darauf hin, dass der Aggregationszustand des Jupiter ungefähr derselbe
ist, wie derjenige der Sonne, d. h. gasförmig.
Ob Jupiter noch eigenes Licht aussendet, kann man nicht mit
Sicherheit sagen. Es ist ja immerhin höchst wahrscheinlich, dass die
inneren Teile dieser Gasmasse stark glühen. Jedenfalls strahlt aber nichts
davon durch die dicke Wolkenhülle hindurch, denn, wie oben gesagt,
sobald seine Monde in den Jupiterschatten hineintreten, entziehen sie
sich der Beobachtung gänzlich.
Saturn (Fig. 60). Dieser Planet ist, abgesehen von seinem eigentüm-
lichen Ringensysteme, dem Jupiter sehr ähnlich, sein Albedo ist noch etwas
grösser wie derjenige des Jupiter und kommt demjenigen der Venus
sehr nahe. Seine Abplattung ist wegen der geringen Dichte (Hälfte der-
jenigen von Jupiter) noch grösser, so dass sich der Polar- zum Aquatoriel-
halbmesser wie 9,7 : 10,7 verhält. Sein Durchmesser (9,30 mal derjenigen
der Erde) erreicht auch fast den Jupiterdurchmesser (11,06). Die Um-
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. I95
laiifszeitcn sind auch nahezu gleich. Aus den Bewegungen der Flecke
dos Saturn bestimmt man die Kotationszeit zu 10^14,5"^ zwischen 17^ und
37^ Breite, zu 10^l3"* also 1,5 Minuten kürzer, von ß^n.Br. bis 120 s. Br.
(am Äquator). Dies entspricht einer Drehungsgeschwindigkeit am Äquator
von 10,4 km pro Sek., während aus spektroskopischen Messungen 10,3 km
gefunden wurden. Infolge dieser grossen Geschwindigkeit bilden sich
ähnliche mit dem Äquator parallele Streifen wie beim Jupiter aus. Der
äquatoriale Streifen ist heller gefärbt, die anderen dunkler rötlich. Die
Neigung der Äquatorialebene gegen die Bahnebene ist ganz bedeutend
und beträgt 28^. Deshalb werden die Jahreszeiten während des 29,5
Jahre umfassenden Umlaufs da sehr ausgeprägt sein. Her schal glaubte
zu bemerken, dass ein Pol, welcher gerade aus der 15jährigen Polar-
nacht heraustritt, heller erscheint, als der andere Pol, welcher einen
ebenso langen Sommer genossen hat. Es kann diese hellere Farbe der
Pole nach der Polarnacht natürlicherweise nicht von Eis- und Schnee-
massen herrühren, sondern man muss annehmen, dass die Wolkenbil-
dung kräftiger ist auf dem aus dem Nachtdunkel heraustretenden Ge-
biet, als auf den längere Zeit beleuchteten Teilen. Da die Dichtigkeit
des Saturn nur die Hälfte derjenigen von Jupiter erreicht, so scheint
man dem Schluss nicht entgehen zu können, dass auch Saturn ganz gas-
förmig sei und wahrscheinlicherweise heisser wie Jupiter.
Die eigentümlichste Erscheinung am Saturn ist der Ring, welcher
in seiner Aquatorialebene liegt. Wegen der starken Neigung dieser
Ebene gegen die Ekliptik, welche nur um 2,5 ^ gegen die Bahn
des Saturn geneigt ist, erscheint der Ring unter verschiedenen Um-
ständen sehr verschieden. Wenn wir denselben von der scharfen Kante
sehen, entzieht er sich wegen seiner geringen Dicke der Beobachtung;
man hat seinen Durchschnitt zu unter 100 km geschätzt. Wenn der Ring
sehr schräg gegen die Sichtlinie steht, umgiebt er den ganzen Planeten
mit seinem elliptischen Umriss (Fig. 60). Davon rühren die grossen Ver-
änderungen im Aussehen dieses Planeten her, welche dem ersten Beob-
achter desselben, Galilei, so sonderbar vorkamen, dass er an der Richtig-
keit seiner Beobachtungen und der Anwendbarkeit seines Fernrohres
zweifelte. Er soll sogar längere Zeit den Saturn nicht haben beobachten
wollen. Die Lösung der Rätsel fand Huyghens um 1655.
Die Dimensionen des Ringes und seiner Entfernungen sind aus
Figg. 60 und 61 (nach Barnard) ersichtlich.
Der Ring ist durch dunkle Einschnitte in drei ineinander gelagerte
Kreisscheiben geteilt. Der äusserste Teil (AB) erstreckt sich zwischen
13*
196 Physik des Himmels.
138400 km und 119700 km vom Saturnmittelpunkt. Etwa in seiner Mitte
liegt ein schmaler Einschnitt, die Enckesche Trennung (Fig. 60). Der
zweite Teil {CD) ist vom ersten durch die 2800 km breite nach dem
Entdecker benannte Cassinische Trennung {BG) geschieden. Er er-
streckt sich von 116900 bis zu etwa 86500 km vom Saturnmittelpunkt.
Er geht ohne scharfe Grenze in den innersten „dunklen Ring" (Fig. 60)
über, welcher aus einem schwachen bläulichen Schimmer besteht und
deshalb erst ziemlich spät von Bond entdeckt wurde. Er erstreckt sich
bis zu etwa 72600 km von dem Mittelpunkt und ist durch 11600 km
von dem äusseren Ende des 61000 km be-
tragenden Saturnradius entfernt.
Das Spektrum des Ringes wurde von
Keel er untersucht. Er fand, dass in dem-
Fig. 61. Die Dimensionen des ggi^e^ (j^s rote Band, welches für Jupiter
Saturnsystems nach Barn ard. ^
A5=18700km,B(7=2800km, und Saturn charakteristisch ist, nicht vor-
(7Z)=^30^00km,D^=25500km, ^^^^^^ ^^^^ ^^^ j^.^^ f^^^^-^j^ wahrschein-
licherweise keine Atmosphäre oder wenig-
stens nicht eine so dichte wie die Saturnkugel selbst besitzt.
Die Beobachtung über die Grösse der Verschiebung der Fraun-
hofer sehen Linien ergab weiter, dass die äusseren Teile des Ringes
sich langsamer bewegen, als die inneren, während, wenn sie fest zu-
sammenhängen würden, das Umgekehrte zutreffen müsste. Die Um-
laufszeiten an verschiedenen Stellen verhielten sich so wie sie aus dem
dritten Kepler sehen Gesetz für einen an derselben Stelle befindlichen
Mond zu berechnen wären. Keel er schloss daraus, dass der Ring aus
einer grossen Zahl von kleinen Satelliten bestehen. Zu dem ähnlichen
Schluss war man übrigens aus der Natur (Polarisation) des von den
verschiedenen Teilen des Ringes reflektierten Lichtes gelangt. In der
ältesten Zeit glaubte man natürlicherweise mit einem festen Ring zu thun
zu haben, später ging man zur Annahme über, dass er flüssig sei, l)is
Maxwell zeigte, dass diese beiden Gebilde instabil sind, so dass man
annehmen muss, dass der Ring aus diskreten Teilen besteht, eine
Ansicht, die, wie oben erwähnt, durch die optische Untersuchung völlig
bestätigt wurde.
Im dunklen Ring kommen wahrschoinlicherweise die kleinen Par-
tikelchen des Ringes weniger häufig vor, wodurch die geringere Hellig-
keit leicht verständlich wird. Man hat viel darüber spekuliert, ob der
Ring sich seit seiner Entdeckung durch Galilei 1612 oder richtiger
Huyghens 1655 dem Planeten genähert hat. Dies scheint aus
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. . 197
den älteren Beobachtungen hervorzugehen. Es ist aber immerhin sehr
unwahrscheinlich, dass so grosse Veränderungen in historischer Zeit hätten
stattfinden können. Denn gäbe es eine den Saturn mit Kingsystem
umhüllende Atmosphäre, welche in historischer Zeit die Ringbahn ver-
mindert hätte, so wäre ohne Zweifel der Ring in der Länge der Zeit
auf die Saturnkugel eingestürzt.
Uranus wurde von Herschel am 13. März 1781 entdeckt. Wegen
seiner grossen Entfernung kann man keine nennenswerten Details auf
ihm entdecken. Man glaubt bisweilen Spuren von Streifen, die den-
jenigen des Jupiter und des Saturn ähnlich waren, auf ihm gesehen zu
haben. Von seiner Umdrehungszeit hat man keine Vorstellung. Viele
Beobachter wollen eine starke Abplattung (etwa i/j^ bis Vi 9) bemerkt
haben, welche eine bedeutende Rotationsgeschwindigkeit wahrscheinlich
machen würde, was ja übrigens wegen seiner Ähnlichkeit mit den
grossen Planeten zu erwarten wäre.
Wie oben angedeutet, macht sein Spektrum es wahrscheinlich, dass
er eine ungewöhnlich dichte Atmosphäre besitzt.
Neptun. Wegen Störungen in der Uranusbahn berechneten Adams
und Leverrier die Lage und Grösse eines neuen Planeten, welcher
diese Störungen veranlassen sollte. Galle suchte diesen Planeten an der
angegebenen Stelle und fand ihn da (1846). Dieser neue Planet ist
etwas unansehnlicher als seine nächsten Nachbarn. Seine Umlaufszeit
ist 60181 Tage (164 Jahre 280 Tage), während diejenige des Uranus
30688 Tage (84 Jahre 7 Tage) und diejenige von Saturn 10759 Tage
(= 29 Jahre 167 Tage) beträgt.
Trotz der grösseren Dichte und des geringeren Albedo dieses Pla-
neten ist man der Ansicht, dass seine physische Beschaffenheit derjenigen
des Uranus nahe kommt. Darauf deutet auch die spektroskopische Unter-
suchung hin.
Die Satelliten. Von der Erde ab gerechnet, besitzen alle die
äusseren Planeten einen oder mehrere Monde (Trabanten oder Satelliten).
Diese Monde bewegen sich für gewöhnlich in einer Ebene, welche wenig
von der Äquatorialebene des Hauptplaneten abweicht. In dieser Hin-
sicht scheint der Erdmond sich unregelmässig zu verhalten, indem die
Neigung seiner Bahn gegerP die Ekliptik nur 5^8', 10" beträgt, während
die Äquatorialebene der Erde um 23^2^ gegen die Ekliptik geneigt ist.
Unser Mond ist auch ungewöhnlich gross im Verhältnis zum Haupt-
körper, indem sein Halbmesser 1740 km (= 0,27 Erdradien) beträgt.
Er besitzt weiter eine ungewöhnlich grosse Bahnexcentricität 0,055.
198 Physik des Himmels.
Im Jahre 1877 fand A. Hall in Washington zwei Begleiter des
Mars, die Phobos und Deimos genannt wurden. Ihre Bahnneigungen
sind 26*^, 17' bezw. 25^,47', also sehr nahe gleich derjenigen des Planeten-
äquators. Das sonderbarste bei diesen Monden ist, dass der innere,
Phobos, welcher nur 9300 km von dem Marscentrum (6900 km von der
Oberfläche) entfernt ist, eine bedeutend kürzere ümlaufszeit 7^,39"* als
der Hauptkörper (24^ 37***) besitzt. Er geht also, von Mars gesehen,
in West auf und in Ost unter.
Deimos befindet sich in der Entfernung 23000 km vom Marscen-
trum und durchläuft seine Bahn in 30^18**^ Die beiden Monde sind
äusserst unbedeutend, sie haben Durchmesser von nur etwa 10 km. Die
Excentricitäten ihrer Bahnen sind 0,032 bez. 0,006.
Vieles Aufsehen erregte die Entdeckung Galileis von vier Jupiter-
monden. Ihre Entfernungen von dem Jupitermittelpunkt betragen 420 000,
669000, 1067000 und 1877000 km (6, 9,5, 15 bezw. 26,5 Jupiter-
halbmessern). In neuester Zeit wurde ein fünfter Mond von Barnard
entdeckt, dessen Entfernung höchstens 1,7 Jupiterhalbmesser beträgt.
Ihre Umlaufszeiten, Entfernungen (in Tausenden von Kilometern), Durch-
messer und Massen (verglichen mit denjenigen unseres Mondes), Dichten
(Erde = l) und Neigungen der Bahnen sind in folgender Tabelle zu-
sammengestellt:
Mond
Umlaufszeit Entfernung
Durchmesser
Masse
Dichte
Neigun
V
12^ 126.10^
'km
—
—
—
I
1^ 18^ 420
4070 km
0,43
0,17
2,8 0
II
3 13 669
3430
0,50
0,32
1,37
III
7 4 1067
5790
2,23
0,29
2,0
IV
16 17 1877
4830
1,07
0,25
1,57
Vom Jupitermond V ist es sicher, dass seine Bahn keine grössere
Neigung gegen den Jupiteräquator als etwa 20' besitzt. Am Jupiter-
mond I hat man einen ähnlichen Äquatorialstreifen gesehen wie beim
Jupiter. Ausserdem giebt sein Spektrum denselben Absorptionsstreifen
im Kot wie dieser Planet selbst; es ist demnach wahrscheinlich, dass seine
physische Beschaffenheit mit derjenigen Jupiters übereinstimmt. Dass
dieser Mond gasförmig sei, darauf deutet au^h seine geringe Dichte hin.
Aus dem Vorkommen des Äquatorialstreifens schliesst man, dass er rotiert
und nicht immer dieselbe Seite dem Hauptplaneten zukehrt. Letzteres
scheint dagegen für die Jupitermonde III und IV der Fall zu sein. IV
erscheint in verschiedenen Lagen verschieden hell, sodass die zum Ju-
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. |99
piter gewendete Seite die hellere ist. Nach den Beobachtungen von
Douglass über Flecke am III. Monde ist dieselbe Drehungsweise für
diesen Körper wahrscheinlich. Die Jupitermonde III und IV sind die
grössten Satelliten im Sonnensystem. Der erstgenannte übertrifft nicht
unbedeutend Merkur (Durchmesser 4800 km), der zweite ist mit diesem
Planeten gleich gross. Der Mond n ist ziemlich genau gleich gross
wie unser Mond und I liegt in der Mitte zwischen Erdmond und
Merkur. Ihre Bahnexcentricitäten sind äusserst gering, am grössten
bei III und lY (0,0013 bezw. 0,0072).
Saturn ist sehr stark mit Monden versehen. Dieselben besitzen
ziemlich unbedeutende Dimensionen, sodass man nur für den grössten
derselben, Titan, direkt den Durchmesser hat bestimmen können. Der-
selbe wurde von B a r n a r d gleich etwa 4000 km gefunden. Aus
photometrischen Bestimmungen hat man ihre Grösse abgeleitet, indem
man annahm, dass sie denselben Albedo wie Saturn besitzen. Diese
Annahme ist, wenigstens für die äusseren Monde, unrichtig und man
wird wahrscheinlicherweise der Wahrheit näher kommen, wenn man die
unten gegebenen Ziffern für die auf die genannte Weise berechneten
Durchmesser als für die entsprechenden Halbmesser gültig annimmt.
Dies trifft offenbar für Titan ziemlich zu. Ihre wichtigsten Eigen-
schaften sind in folgender Tabelle verzeichnet.
Umlaufszeit Entfernung Durchmesser Excentr, Neigung
Mimas. . 22^^ 37«^ ISG.lO^km 470 km — —
Enceladus 1^ 8 53 238 594 — —
Thetys . 1 21 18 294 916 0,011 28^,10'
Dione . . 2 17 41 379 871 0,003 28, 10
Rhea . . 4 12 25 526 1197 0,001 28, 8
Titan . . 15 22 41 1222 2259 0,028 27, 37
Hyperion 21 7 28 1480 310 0,125 28, 10
Japetus .79 7 54 3538 783 0,028 18, 38
Beim Japetus hat man ähnlichen Lichtwechsel (etwa im Verhältnis
1 : 4) wie beim vierten Jupitermond gefunden. Es ist deshalb wahr-
scheinlich, dass Japetus immer dieselbe Seite dem Saturn zukehrt. Das
Eigentümliche trifft nun ein, dass die hellste Seite nicht zum Saturn
gerichtet ist, sondern etwa die halbe helle und die halbe dunkle Seite.
Japetus ist dementsprechend am wenigsten sichtbar in seiner östlichen
Elongation, am meisten in seiner westlichen.
Die Saturnmonde beschreiben alle, mit Ausnahme des äussersten,
200 Physik des Himmels.
Japetus, Bahnen, welche sehr nahe in die Äquatorialebene des Haupt-
planeten fallen. Hyperion ist dadurch merkwürdig, dass seine Bahn
die grösste Excentricität von allen Satellitenbahnen besitzt, etwa 2,2 mal
diejenige des Erdmondes, welcher die nächste Stelle in dieser Be-
ziehung einnimmt.
Uranus besitzt vier Monde, von welchen die beiden äusseren nach
photometrischen Messungen einen Durchmesser von 900 km haben. Dabei
wird angenommen, dass der Albedo der Monde demjenigen des Haupt-
planeten gleichkommt, wodurch man in diesem Falle wahrscheinlicher-
weise Zahlen bekommt, die im Verhältnis 1;1,75 zu klein sind. Die
inneren Monde haben nach ihrer Lichtstärke etwa 1,5 mal geringeren
Durchmesser als die äusseren.
Die diese Monde betreffenden Daten sind im Folgenden zusammen-
gestellt:
Umlaufszeit
Entfernung
Excentricität
Neigung
Ariel 2^, 52
194.10H^m
0,02
970,58'
ümbriel 4, 14
271
0,01
98, 21
Titania 8, 71
444
0,0011
97, 47
Oberon 13, 46
593
0,0038
97, 54.
Die Neigungen der Bahnen dieser Monde stimmen sehr gut unter-
einander überein und übersteigen 90 ^ d. h. die Mondbahnen bilden einen
nahezu rechten Winkel mit der Ekliptik und sind etwas rückläufig (re-
trograd). Während also die Bahnen der meisten Monde und Planeten
von der Nordseite der Achse der Ekliptik gesehen sich in umgekehrter
Richtung wie die Uhrzeiger drehen, bewegen sich die Uranusmonde in
demselben Sinne wie Uhrzeiger. Dies ist noch mehr für den Neptun-
mond der Fall, dessen Bahn eine Neigung von 145,7^ besitzt. Da nun
die Mondbahnen im allgemeinen sehr nahe mit den Äquatorialebenen
der Hauptplaneten zusammenfallen, so ist es wahrscheinlich, dass die
Achsendrehung von Uran sowohl wie von Neptun rückläufig ist. (Ihre
Bahnen um die Sonne gehen aber in der normalen Richtung.) Der
Neptunmond läuft in einer Entfernung von 454000 km (=14,54 Nep-
tunhalbmessern) in 5,88^ um seinen Hauptplaneten. Seine Grösse wird
nach der Lichtstärke etwa gleich demjenigen des Erdmondes geschätzt.
Die Excentricität seiner Bahn ist sehr gering, nämlich 0,0088.
Das Tierkreislicht. Unter den Tropen und, bei besonders gün-
stigen äusseren Bedingungen der Beobachtung, in unseren Breiten nimmt
man in der Nähe der Sonne ein schwaches Licht wahr. Dieser Lichtschein
steigt vom Horizont in Form von einer Pyramide auf (Fig. 62), deren
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
201
Fig. 62. Tierkreislicht in den Tropen.
202 Physik des Himmels.
Mittellinie in den Tierkreis fällt, woher der Name abgeleitet ist. Er ist bei
uns am leichtesten im Frühling (am Abend) und im Herbst (am Morgen)
zu sehen, weil die Ekliptik dann die grösste Neigung gegen den Hori-
zont (am Untergang bezw. Aufgang der Sonne) besitzt. Er ist am Abend-
himmel lichtstärker als am Morgenhimmel. Bisweilen erstreckt sich der
Lichtschein höher hinauf, sodass er auf dem Himmelsgewölbe einen
schwachen Lichtring bildet, dessen Lichtstärke in dem gerade der Sonne
gegenüberliegenden Punkte ein Maximum besitzt, welches Gegenschein
genannt wird (von Brorsen 1854 zuerst gesehen).
Nach der ältesten, noch nicht verlassenen, Auffassung wird das
Tierkreislicht von einer Menge von kleinen Partikelchen veranlasst,
welche die Sonne innerhalb eines linsenförmigen Raumes, der in der
Ekliptik seine grösste Ausdehnung besitzt, umgiebt. Aus seinem Spek-
trum hat man geschlossen, dass das Zodiakallicht von festen (oder flüs-
sigen) Partikelchen reflektiert wird. Es ist nämlich polarisiert und giebt
ein kontinuierliches, die Sonnenlinien enthaltendes Spektrum.
Zur Erklärung des Gegenscheins hat man angenommen, dass un-
zählige Mengen von kleinen Körperchen (Sternschnuppenmaterie) von
der Sonne oder zu der Sonne ziehen. Zufolge der perspektivischen Wir-
kung Würde man eine Art Corona, wie beim Nordlicht sehen, welche
gerade gegenüber der Sonne liegen müsste, wenn nämlich die kleinen
Körperchen in der Richtung der Sonnenradien sich bewegen. Die mut-
maassliche Ursache des Tierkreislichtes haben wir oben (S. 154) an-
gegeben.
Die Kometen. Während die bisher behandelten Körper des Sonnen-
systems sich in einer nahezu kreisförmigen Bahn um die Sonne herum-
bewegen, ist dies nicht mehr bei den Kometen der Fall, welche nahezu
parabolische Bahnen beschreiben. Einige von denselben bewegen sich
in elliptischen Bahnen, die unter Umständen nicht allzu weit von der
Sonne sich entfernen. Diese, unter welchen die sogenannten periodischen
Kometen mehrmals beobachtet sind, gehören dem Sonnensystem dauernd
an. Die Bahn eines solchen Kometen liegt in beinahe allen Fällen in einem
Punkt sehr nahe an einer Planetenbahn. Man hat deshalb Anlass, zu ver-
muten, dass die betreffenden Kometen, ebenso wie diejenigen, welche para-
bolische Bahnen besitzen, aus unendlicher Entfernung zum Sonnensystem
gelangt sind und wieder in die Unendlichkeit sich entfernt hätten, wenn
sie nicht durch die Anziehung eines sehr nahe stehenden Planeten ein-
gefangen wären. Von 70 solchen Kometen sind 4 durch Merkur, 7 durch
Venus, 10 durch die Erde, 4 durch Mars, 23 durch Jupiter, 9 durch Saturn,
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. ' 203
8 durch Uran und 5 durch Neptun mit unserem Sonnensystem einver-
leibt worden. Es giebt noch einige Kometen, deren Bahnen die Ekliptik
in einer Entfernung von der Sonne von etwa 70 Erdbahnradien durch-
schneiden. Man hat aus diesem Grunde die Anwesenheit eines extra-
neptunellen Planeten in dieser Entfernung vermutet.
Jedenfalls verhalten sich die Kometen ganz anders wie die anderen
Mitglieder des Sonnensystems. Die grosse Excentricität ihrer Bahnen
und die grosse Neigung der Bahnebenen gegen die Ekliptik deutet auf
ihren fremden Ursprung. Da die Kometen so leicht in das Planeten-
system eingezogen werden können, so können sie auch leicht aus ihrer
Bahn geworfen werden; bei einer nahezu parabolischen Bahn genügt
eine sehr geringe Störung, um eine sehr grosse Änderung in der Um-
laufszeit zu bewirken.
Da nun die Kometen so stark von den Planeten gestört werden,
liegt es nahe, zu fragen, ob nicht die Planeten an der anderen Seite
durch die Kometen beeinträchtigt werden. Dies ist nun nicht der Fall.
Demnach muss man annehmen, dass die Masse dieser Himmelskörper
ganz ausserordentlich gering ist, ein Umstand, welcher schon Newton
wohlbekannt war. Dies stimmt auch damit überein, dass, wenn man
Sterne durch die Nebelmassen eines Kometenkopfes gesehen hat, die von
ihnen ausgehenden Lichtstrahlen keine merkliche Abweichung zufolge
der Kometenatmosphäre gezeigt haben. Nach einer Messung von
W. Meyer sollte es gelungen sein, bei dem Kometen vom Juli
1881 eine atmosphärische Refraktion nachzuweisen, wonach die Dichte
der Gashülle des Kometen umgekehrt proportional dem Quadrat der
Entfernung von dem Mittelpunkt des Kometenkopfes sich ändern sollte
und die Menge Substanz pro Volumeneinheit in einer Entfernung davon
von 10200 km ebenso gross wäre wie in einem Vakuumrohr, dessen Gas-
druck 5 mm entspricht. Daraus berechnete er, dass die ganze Kometen-
masse etwa 300 mal geringer sein sollte, als die Masse des Erdmondes,
(un Resultat, welches viel zu hoch geraten zu sein scheint.
Die Kometen kommen nicht immer gleich oft vor. Berber ich
hat gezeigt, dass sie häufiger zu beobachten sind in Jahren von starker
Sonnenthätigkeit. Ebenso hat ein Komet einen grösseren oder richtiger
mehr leuchtenden Schweif in Jahren von hoher Sonnenthätigkeit.
Nicht alle Kometen besitzen Schweife. Die sogenannten teleskopischen
Kometen sind nur durch ihre Bewegungen von kleinen Planeten oder
Sternen zu unterscheiden. Für gewöhnlich besitzen sie jedoch eine sehr
ausgedehnte Dunsthülle, die einen leuchtenden Kern umgiebt. Bis-
204 * Physik des Himmels.
weilen ist der Kern so schwach ausgebildet, dass er nicht sichtbar ist.
Von dem Kern gehen häufig speichenförmige Gebilde aus, welche an der
s. g. Haube enden. Erst wenn der Komet in die Nähe der Sonne kommt,
entwickelt er den Schweif, welcher immer mehr zunimmt, bis der Komet
seine Sonnennähe erreicht hat. Danach nimmt der Schweif allmählich
an Grösse ab, aber gewöhnlicherweise langsamer als er zugenommen hat
und zuletzt verschwindet er. Die Materie im Schweife geht von der
paraboloidischen Haube aus, welche den Kopf des Kometen zur Sonne
hin umgiebt. Diese Haube entsteht offenbar durch Verdunstung von
einer Substanz im Kometenkörper. Bisweilen geschieht dies stossweise,
sodass die Haube doppelt oder dreifach wird. Sie zieht sich in der Sonnen-
nähe zusammen.
Die Haube hat man spektroskopisch untersucht und gefunden, dass
sie teils ein kontinuierliches Spektrum mit Sonnenlinien giebt, welches die
Anwesenheit von festen oder flüssigen Partikelchen anzeigt, teils auch
sich als aus gasförmigen Bestandteilen zusammengesetzt erweist. Ein Gas,
welches typisch bei den Kometen sich vorfindet, ist ein Kohlenwasserstofif-
gas, oder die damit verwandten Kohlenoxyd- und Cyangase. Kohlenwasser-
stoffe geben ein Spektrum mit drei Bändern, eins in gelb, eins in grün
und eins in blau, welche mehr oder weniger ausgeprägt bei allen Kometen
vorkommen (vgl. Tafel 2). Wenn diese näher zur Sonne kommen, passiert
es, dass sie die Natriumlinien zeigen, bisweilen treten, wenn die Hitze
sehr stark geworden ist, auch Eisenlinien auf (grosser Komet 1882).
Die Gase treten erst auf, wenn der Komet in genügender Nähe zur
Sonne gekommen ist. Eine bleibende Atmosphäre würden die Kometen
ebensowenig wie der Mond an sich fesseln können. Eine andere Schwie-
rigkeit bieten die Gase der Kometen insofern, als sie leuchten, wenn
sie in einer Entfernung von der Sonne sind, wo die Temperatur nicht
wohl höher sein kann als auf dem heissesten Punkte des Mondes. Dies
zeigt, dass wahrscheinlicherweise elektrische Vorgänge hier vor sich
gehen. Dies kann durch die Theorie erklärt werden, wenn man an-
nimmt, dass von der Sonne nach allen Seiten negativ geladene kleine
Körper ausgestrahlt werden. Diese treffen den Kometen und bewirken
da Entladungen, welche die Gase zum Glühen bringen. Die Gase sind
von dem Kern absorbiert oder zu festem Zustande erstarrt, bis der Komet
nahe genug zur Sonne kommt. In der kurzen Zeit der Sonnennähe ver-
schwinden die Gase nicht gänzlich. Vielleicht sammeln auch die Kometen
schwere Kohlenwasserstoffe bei ihrem Zuge durch den Weltraum auf.
Auch andere Umstände, wie derjenige, dass das Kohlenwasserstoffspektrum
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
205
häufig verschwindet, sobald das Natriumspektmm erscheint, was mit den
Erscheinungen bei Durchgang von elektrischen Entladungen durch Gel ss-
ler sehe Köhren Ähnlichkeit bietet, haben zur Annahme, dass das Leuchten
durch elektrische Entladungen hervorgebracht wird, beigetragen.
Das grösste Eätsel haben die Schweife den Astronomen geboten.
Häufig haben die Kometen mehrere Schweife, wie der prachtvolle Dona-
tische Komet von 1858 (Fig. 63) oder die grossen Kometen von 1744 und
1861, die nicht weniger als sechs bezw. fünf ungefähr gleichmässig ent-
wickelte Schweife besassen. Grewöhnlicherweise sind diese Schweife ver-
Fig. 63.
schieden stark gekrümmt. Sie sind für gewöhnlich von der Sonne abge-
wendet und ihre Krümmung so gerichtet, als ob sie Widerstand gegen die
fortschreitende Bewegung in der Kometenbahn erlitten. Newton grün-
dete darauf eine Methode, die Geschwindigkeit zu berechnen, mit welcher
die Schweifmaterie von dem Kometen ausströmt. Es sei ah (Fig. 64)
die Bahn des Kernes, welcher sich in c befindet, wenn ein Punkt des
Schweifes in g steht. Die Verbindungslinie gS zur Sonne möge ah in
/.• schneiden, dann hat, da die Schweifmaterie von der Sonne in Rich-
tung der Sonnenstrahlen wegtiieht, diese Materie den Weg kg be-
schrieben, während der Kometenkern das Bahnstück kc zurückgelegt
206
Physik des Himmels.
hat. Da die Geschwindigkeit des Kometenkerns leicht festzustellen
ist, kann man auch diejenige der Schweifmaterie leicht berechnen.
01b ers fand auf diese Weise für den Schweif des Kometen von 1811
eine mittlere Geschwindigkeit von etwa 90 km pro Sekunde. 01b ers
schloss aus der Form des Schweifes, dass die Materie desselben so-
wohl von dem Kometenkopf, als auch von der Sonne selbst abgestossen
wurde. Es ist einfacher, aus der Grösse der abstossenden Kraft
der Sonne, als aus derjenigen der Geschwindigkeit Schlüsse über diese
eigentümliche Erscheinung zu ziehen. Kepler war der Ansicht, dass
diB Lichtmaterie, welche nach der damals herrschen-
///y/f den Emissionstheorie aus der Sonne ausströmt, gegen
die Schweifteile stösst und auf diese Weise einen
Druck auf dieselben ausübt. Diese Ansicht kommt
der aus der Maxwell sehen Lichttheorie folgenden,
dass die Licht- (und Wärme-) Strahlung einen Druck
auf die bestrahlten Körper ausübt, ganz nahe. Die
Kepler sehe Ansicht wurde von Newton verlassen,
welcher meinte, dass die Kometenschweife leichter
sind als die umgebende Materie und deshalb einen
von der Sonne weg gerichteten Auftrieb erleiden, un-
gefähr wie die Eauchsäule, welche aus einem
Schornstein aufsteigt, weil sie leichter ist als die
umgebende Luft. Nun hat man wohl bei mehreren
Kometen, speciell beim Enck eschen, geglaubt, einen
reibenden Widerstand gegen ihre Bahnbewegung wahr-
genommen zu haben. Genauere Untersuchungen haben aber dargethan,
dass dieser Widerstand von vorübergehender Natur und bisweilen sogar
negativ gewesen ist, was mit der Natur der Eeibung unvereinbar ist. Die
grossen Kometen von 1843 und 1880 gingen so nahe an der Sonne vorbei,
dass sie weniger entfernt von der Sonne waren als einen halben Sonnen-
radius und besassen dabei Geschwindigkeiten, die 570 bezw. 540 km pro
Sek. erreichten. Obgleich nun eine die Sonne umgebende Atmosphäre in
ihrer Nähe besonders dicht sein und der Widerstand enorm mit der
Geschwindigkeit zunehmen muss, bemerkte man keine Störung dieser
beiden Kometen in ihren Bahnen. Man wird dadurch zu dem Schlüsse
geführt, dass sich keine nennenswerte Menge Materie, welche einen
Auftrieb der Ausströmungen aus dem Kometenkopf bewirken könnte, in
der Umgebung der Sonne befindet. Die Ansicht von Newton wurde
bald aufgegeben und man nahm an, dass die Wirkung der Sonne
s
Fig. 04.
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 207
durch eine Ladung derselben, und wahrscheinlich eine solche negativer
Elektricität bedingt sei.
Was die abstossende Kraft betrifft, so ist dieselbe nach den Mes-
sungen von 01b ers und Bessel dem Quadrate der Entfernung des
Schweifteilchens von der Sonne umgekehrt proportional, folgt also dem-
selben Gesetze, wie die Sonnenstrahlung. Bessel fand für den Halley-
schen Kometen von 1811, dass die Abstossung etwa 12 mal so gross
war wie die entgegengesetzt gerichtete Anziehung der Sonne. Diese
Zahl ist indes in verschiedenen Fällen verschieden. Bei sehr wenig ge-
krümmten Schweifen, wo die Abstossung relativ gross ist, kann sie das
17,5 fache der Schwerenwirkung erreichen. In einem Fall, für Komet
1893 II glaubte Hussey sogar auf eine abstossende Kraft gleich 247 mal
der Schwere schliessen zu können. In anderen Fällen erreicht sie nur
einen 1,33 mal so grossen Wert. Bredichin, der diese Verhältnisse
genauer untersucht hat, glaubte, die verschiedenen Schweife in dieser
Beziehung in drei bis vier verschiedene scharf getrennte Klassen ein-
teilen zu können. Er vermutete, dass der Stoff, aus dem der Schweif
besteht, um so leichter ist, je grösser die abstossende Kraft relativ zur
Schwere ist. Es scheint indessen schwer, die Klassen von Bredichin
streng voneinander zu trennen, vielmehr kommen Übergänge vor. Es
ist dies auch nach der oben gegebenen Theorie ganz natürlich, da ja
die abstossende Kraft (bei gleicher Entfernung von der Sonne) dem
Durchmesser des Kometenstaubes und ihrem specifischen Gewicht um-
gekehrt proportional ist. Da nun wohl alle möglichen Durchmesser
der Kondensationsprodukte aus den Ausströmungen des Kometen-
kopfes denkbar sind, je nach den äusseren Umständen, so können
offenbar alle möglichen Grössenordnungen der abstossenden Kraft vor-
kommen. Damit stimmt auch die Beobachtung von Zöllner, dass
diese Kraft bei demselben Schweif mit der Zeit wechseln kann. Dass
die Lichtstärke der Kometen mit der Sonnenthätigkeit zunimmt, wie
Berber ich für den Enck eschen Kometen erwiesen hat, wird auch
verständlich. Denn bei starker Sonnenthätigkeit ist die Anzahl der
Nuclei, an welchen Kondensationen stattfinden können, in der Nähe
der Sonne bedeutender, folglich werden die Schweife dichter und stärker
leuchtend.
Die Kometenmaterie, welche sich im Kometenschweif kondensiert
wird sich auf negativen Partikelchen in der Nähe der Kometen nieder-
schlagen und nachher diese Partikelchen wegschleppen. Wenn demnach
die Erde durch einen Kometenschweif durchgeht, wird dies nach dem
208 Physik des Himmels.
vorhin gesagten zu einer nordlichtähnliehen Lichtentwickelung Anlass
geben, was auch in ähnlichen Fällen beobachtet worden ist.
Die Haube der Kometen kommt in der Weise zu stände, dass bei
der starken Bestrahlung des Kometenkopfes in der Sonnennähe grosse
Massen von flüssigem Kohlenwasserstoff verdampfen, welche beim Auf-
steigen sich abkühlen und an Staubpartikelchen kondensieren. In der
Nähe der Sonne befindet sich eine Masse solcher Staubpartikelchen,
welche zu Kondensation Anlass geben. Die Verdampfung wird der Son-
nenstrahlung ziemlich proportional, d. h. dem Quadrate der Sonnenent-
fernung umgekehrt proportional sein. Wenn nun die Menge von Staub-
partikelchen in der Sonnennähe in demselben Verhältnisse zunähme, so
würde die Haube, welche die Kondensationsstelle angiebt, immer gleich
weit vom Kometenkopf verbleiben. Da aber der Sonnenstaub in
der Nähe der Sonne viel schneller zunimmt als nach diesem Gesetz,
so wird die Folge davon sein, dass die Haube in der Sonnennähe zu-
sammenschrumpft (vgl. S. 156).
Die speichenförmigen Strahlen, welche vom Kometenkopf zur Haube
hinauslaufen, sind als Wolkensäulen anzusehen (nach Zöllner). Bessel
beobachtete bei einer solchen Bildung eine pendelartige Bewegung in
der Bahnebene um den zur Sonne gehenden Leitstrahl, zu deren Er-
klärung er die Beteiligung von „polaren" Kräften annahm. Diese Be-
wegung hat Zöllner aus der Verdampfungstheorie zu erklären gesucht.
Eine Eigentümlichkeit der Kometen, welche von der Geringfügigkeit
ihrer Masse und der grossen Excentricität ihrer Bahnen abhängt, ist
ihre Unbeständigkeit. Teils verlieren die Kometen in der Nähe der
Sonne die Materie, welche zur Schweifbildung dient und welche ins Un-
endliche weggestossen wird. Diese Verluste glaubt man in einigen
Fällen konstatiert zu haben, indem bei einigen periodischen Kometen
die Schweifgrösse abgenommen hat. Teils auch wird der Kern kolossale
Temperaturveränderungen erleiden. Da ihre grösste Entfernung von
der Sonne häufig ausserordentlich gross ist und in den meisten Fällen
4 — 5 Erdbahnradien übersteigt, sinkt ihre Temperatur zufolge der ge-
ringen Wärmestrahlung der Sonne auf etwa — 150^, oder wenn nur
eine Seite der Sonne zugekehrt wird, erreicht sie auf den heissesten
Stellen derselben etwa — 100^ C. In ihrer geringsten Entfernung stehen
sie der Sonne ausserordentlich viel näher, sagen wir viermal, was
eine relativ niedrige Ziffer darstellt. Die absolute Temperatur steigt
dann plötzlich auf einen viel höheren, im vorliegenden Falle den dop-
pelten Betrag (um 120^ bis 170^). Da diese Temperaturänderungen re-
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 209
lativ häufig bei den periodischen Kometen vorkommen, kann man sich
leicht vorstellen, dass sie zerbersten können. Noch mehr ist dies der
Fall mit den grossen Kometen, welche, wie diejenigen von 1843 und 1880,
aus praktisch genommen unendlicher Entfernung kommen, um in der
Sonnennähe so stark erhitzt zu werden, dass sie* Natrium- und Eisen-
linien zeigen. Durch den ausserordentlich lockeren Zusammenhang
der Kometen- und Meteoritenmaterie wird der Zerfall noch erleichtert
(vgl. S. 157). Zufolge der geringen Masse üben die Kometenteile keine
nennenswerte Anziehung aufeinander aus, sondern sie bleiben getrennt.
Eine ausserordentlich geringe Kraft, welche bei der Zersetzung wirkt,
genügt, um den Teilen merklich verschiedene Bahnen mit recht stark
verschiedener Umlaufszeit zu geben. Aus dem einen Kometen sind in
dieser Weise zwei oder mehrere entstanden. Solche Teilungen hat man
in einigen Fällen beobachtet, wie beim Biela sehen Kometen 1845 und
beim grossen Kometen vom September 1882. Die gegenseitige Ent-
fernung der beiden Teile des Bielaschen Kometen, welche 1845 etwa
300000 km betrug, war im Jahr 1852 zu 2500000 km gestiegen. In dieser
Weise erklärt es sich, dass mehrere Kometen nahezu in derselben Bahn
wandern, sie sind vermutlich Teile von einem einzigen Himmelskörper. In
eben derselben Weise sind nach Schiaparelli die Schwärme von Stern-
schnuppen zu erklären. So z. B. ist ein Sternschnuppenschwarm an Stelle
des seit 1852 verschwundenen Bielaschen Kometen, der eine Umlaufszeit
von 6,6 Jahren besass, getreten. Diese Sternschnuppen fallen am Ende No-
vember (27.) und haben eine stärkere Intensität alle dreizehn Jahre, wenn
die Erde und der Komet wieder nahezu dieselbe Stelle im Weltraum
einnehmen. Solche Sternschnuppenregen traten auch 1872 und 1885
mit grosser Pünktlichkeit ein. Sie blieben aber am 27. Nov. 1898 bei-
nahe gänzlich aus. Diese Sternschnuppen werden auch Andromediden
genannt, weil sie von dem Sternbilde Andromeda auszugehen scheinen.
Die Bahnen der verschiedenen Sternschnuppen, welche demselben
Kometen entstammen, sind untereinander sehr nahe parallel. Infolge-
dessen scheinen diese Bahnen aus perspektivischen Gründen einander
in einem Punkte auf dem Himmelsgewölbe zu schneiden. Gegen diesen
Punkt, der Radiationspunkt genannt wird, zielt die Tangente der Ka-
metenbahn im Punkte, wo sie die Erdbahn schneidet, hin, wie leicht
einzusehen ist. Da dieser Punkt in den meisten Fällen weit von der
Ekliptik entfernt ist, ersieht man, dass die Neigung der betreffenden
Kometenbahnen gegen die Ekliptik sehr beträchtlich ist.
Die wichtigsten Sternschnuppen gehören den Gruppen der Perseiden
Arrhenius, Kosmische Physik. * 14
210 Physik des Himmels.
und der Leoniden an. Sie werden so genannt, weil ihre Kadiations-
punkte in den Sternbildern des Perseus und des Löwen (Leo) liegen.
Diese beiden Sternschnuppenschwärme bewegen sich in retrograder
Richtung um die Sonne. Die Bahn der Perseiden liegt der Erde um
den 10. August — dem Tage des heiligen Laurentius, weshalb diese
Sternschnuppen Thränen des heiligen Laurentius genannt werden —
am nächsten. Schiaparelli wies nach, dass dieser Schwärm die-
selbe Bahn besitzt wie der von Tnttle entdeckte Komet 1862 lU.
Ebenso kommt die Bahn der Leoniden, welche mit derjenigen des
Kometen 1866 I (Tempels Komet) übereinstimmt, der Erde etwa
am 13. November am nächsten. Die Umlaufszeiten sind in den beiden
Fällen etwa 123 und 33 Jahre. Bei den Perseiden hat man keine
besonders auffälligen Sternschnuppenfälle in bestimmten Jahren wahr-
genommen; es scheint denn, dass der entsprechende Komet sich so
stark aufgelöst hat, dass er einen einigermaassen gleichmässigen Ring
von Staub gebildet hat. Bei den Leoniden muss dagegen eine starke
Anhäufung von Materie noch an einer Stelle des Schwarmes vorhanden
sein, nachdem die Sternschnuppen von diesem Schwärme alle 33 Jahre
viel stärker entwickelt sind wie gewöhnlich. So beobachtete Humboldt
einen ausserordentlich kräftigen Fall von Sternschnuppen im No-
vember 1799. Es wurde ihm erzählt, dass man einen ähnlichen Fall
im Jahre 1766 beobachtet hatte. In den Jahren 1832 und 1833 wieder-
holte sich die Erscheinung, ebenso wie im Jahre 1866, alle beide Male
sehr glänzend. Eigentümlicherweise war der Sternschnuppenfall der
Leoniden am 12.— 16. November 1899 sehr schwach. In York Factory,
westlich von Hudsons Bay, sollen jedoch starke Sternschnuppenfälle am
15.— 17. November 1899 beobachtet worden sein.
Dieses unvermutete Ausbleiben der glänzenden Sternschnuppen-
regen der Bieliden und der Leoniden ist ein neuer Beweis für die grosse
Instabilität im Reiche der Kometen. Wahrscheinlicherweise sind die
Meteorschwärme in der Zwischenzeit seit der letzten glänzenden Ent-
faltung nahe an einen Planeten gekommen und haben dadurch Stö-
rungen in ihren Bahnbewegungen gelitten. In derselben Weise ist ver-
mutlich der Komet von Brorsen, welcher im Jahre 1846 entdeckt
wurde, wieder aus dem Sonnensystem entfernt worden, da er vergeblich
in den Jahren 1884 und 1890, als er sehr günstig stehen sollte,
gesucht worden ist. Sicher trifft dies für den Lexellschen Kometen
zu, welcher im Jahre 1770 entdeckt wurde und wahrscheinlicherweiso
zufolge der Einwirkung Jupiters im Jahre 1767 dem Sonnensysteme
I
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. ^\\
einverleibt wurde. Die Umlaufszeit betrag 5 ','2 Jahre und er sollte dem-
nach in den Jahren 1775 und 1781 zurückkehren. Die Stellung von
1786 war für die Entdeckung des Kometen sehr günstig, trotzdem wurde
er aber weder damals noch später wiedergefunden. Man hat berechnet
dass er im Jahre 1779 dem Jupiter sehr nahe kam und dann auf solche
Weise beeinflusst wurde, dass er aus dem Sonnensystem hinausgeworfen
wurde.
Von den periodischen Kometen giebt es eigentlich nur einen einzelnen,
den H all ey sehen, welcher besonders auffällig und lichtstark ist. Sonst
sind alle grossen Kometen, welche so viel Aufsehen erregt haben, nicht mit
Sicherheit mehr als einmal im Sonnensystem beobachtet. Der Halley-
sche Komet bewegt sich in 'retrograder Kichtung, d. h. in umgekehrter
Richtung wie die Planeten um die Sonne, während die anderen sechzehn
periodischen Kometen sich wie die Planeten verhalten. Seine grösste Ent-
fernung von der Sonne ist 35,4 Erdbahnradien, während die geringste
etwa 0,5 solche Radien beträgt. Die Umlaufszeit ist 76,3 Jahre. Seine
Bahn wurde von Halley nach den kurz vorher von Newton gegebenen
Prinzipien der Schwerkraft berechnet, und es war danach höchst wahr-
scheinlich, dass er, welcher damals zum letztenmal 1682 erschien, mit
den grossen Kometen von 1607 und 1531 identisch war. Man hat so-
gar sein Auftreten zurück bis zum Jahr 14 v. Chr. verfolgt. Das
nächste Mal erschien er in den Jahren 1759 und 1835. Es wird er-
wartet, dass er sein Perihel das nächste Mal am 17. Mai 1910 durch-
läuft. Sein Schweif besitzt eine Länge von etwa 20^.
Ungefähr ebenso lange Umlaufszeit wie der Halley sehe besitzen
zwei andere periodische Kometen, darauf folgt einer mit etwa 14-jähriger
Umlaufszeit, und zuletzt kommen dreizehn, welche zur Familie des Jupiter
gehören und Perioden von 7,6 bis 3,3 Jahren besitzen. Unter diesen
sind auch die oben genannten Kometen von Biela und Brorsen mit-
gezählt. Die kleinste Umlaufszeit besitzt der Enckesche Komet, näm-
lich 3,3 Jahre. Die grossen nur einmal beobachteten Kometen haben
auch häufig so genau bestimmte Bahnen, dass man ihre Umlaufszeiten
ziemlich genau bestimmen kann. Sie erreicht mitunter sehr beträchtliche
Werte, z. B. für die Kometen von 1881 und 1882 etwa 3000 Jahre.
Die Sternschnuppen kommen gar nicht so selten vor, wie man
glauben könnte. Ein Beobachter nimmt etwa 10 Sternschnuppen in der
Stunde auf dem von ihm überblickbaren Teil des Himmels wahr. Da
dieser Teil ungefähr ein Viertel des Himmelsgewölbes ausmacht, so
könnten von einem Beobachtungsorte pro Stunde 40 Sternschnuppen beob-
14*
212
Physik des Himmels.
I Mittag
s
achtet werdeD. Man hat daraus berechnet, dass innerhalb eines Tages etwa
10 Millionen Sternschnuppen auf die Erde niederfallen. Bei den grossen
Sternschnuppenregen kann die Häufigkeit nach einigen Schätzungen
1000 mal, nach anderen 10000 mal grösser sein. Nimmt man ein Ge-
wicht von 5 g für jede Sternschnuppe an, so würde die Erde jährlich
um 20 Millionen Kilogramm an Gewicht (etwa 3.10'^ mal weniger als
das Gewicht der Erde) zunehmen.
Die grösste Häufigkeit der Sternschnuppen trifft in den Morgen-
stunden (3—4 Uhr V. M.) ein, und sie ist dann, nach Schmidt in
Athen, etwa 2,5 mal grösser als zwischen 8 — 9 Uhr N. M. Wenn das
Tageslicht nicht die Beobachtungen störte, so würde wahrscheinlicher-
weise das Minimum um 6^ abends, das
Maximum um 6^* früh eintreffen. Man
erklärt dies so, dass der Punkt (Fig. 65),
wo die Uhr 6^* früh zeigt, an der Vor-
derseite der Erde in ihrer Bewegung im
Weltraum (mit 30 km pr. Sek.) liegt,
während der Punkt, wo die Zeit 6'* N. M.
ist, an der Hinterseite liegt. Infolge-
dessen erreichen in der letzteren Lage
nur diejenigen Meteoren die Erde,
welche eine grössere Geschwindigkeit
in der Richtung der Erdbahn als 30 km
pr. Sek. besitzen. An der Morgenseite
trifft die Erde nicht nur alle Meteore,
welche in entgegengesetzter Richtung
wie die Erde, sich im Raum bewegen,
sondern auch diejenigen welche in der-
selben Richtung wie die Erde hinstreben, deren Geschwindigkeit aber
nicht 30 km pr. Sek. erreicht. Ebenso ist (auf der nördlichen Hemi-
sphäre) die Häufigkeit der Sternschnuppen (auch abgesehen von den
grossen ausserordentlich reichen Sternschnuppenschwärmen) bedeu-
tender im zweiten Halbjahr als im ersten. Dies wird so erklärt, dass
der vorderste Punkt in der Erdbewegung, im ersten Halbjahr (21. De-
zember bis 21. Juni) auf der südlichen, im zweiten Halbjahr dagegen
auf der nördlichen Halbkugel liegt.
Von den Sternschnuppen zu den Meteoriten oder Feuerkugeln (Boliden)
ist der Übergang kontinuierlich. So z. B. wurde die grosse Feuerkugel vom
12. März 1899 um 9'*, 47*^ abends in Riga als Sternschnuppe beobachtet'
J^ig. 65.
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
213
in kurzer Zeit nahm ihre Lichtintensität kolossal zu, sodass die Gegen-
stände scharfe Schatten warfen und diese Lichtentfaltung fand über
grosse Strecken von Schweden, Finnland und den Ostseeprovinzen statt,
bis die Feuerkugel in der Nähe der finnländischen Stadt Borgo aufs Eis
des finnischen Meerbusens niederfiel und in dasselbe ein Loch von 9 m
Durchmesser schlug. Danach fiel sie auf den lockeren Meerboden, wo sie
sich ziemlich tief im Schlamm vergrub. Nachher hat man grosse Stücke
aufgenommen. Dieser grösste Meteorit (325 kg), den man bisher fallen
sah, war ein sogenannter Steinmeteorit, dessen hauptsächliche Bestandteile
nichtmetallisch sind. Die gewöhnlichsten Mineralien darin sind Olivin,
Bronzit, Troilit, Chromeisen und Nickeleisen (in Körnern) und glasartige
Massen. Zu eben derselben Gattung gehörte die Feuerkugel, welche
am 10. Februar 1896 über Madrid unter einer gewaltigen Detonation
niederging, aus deren Zeitdifferenz, 1,5 Min. von der Explosionszeit, die
Höhe, auf welcher die Explosion stattfand, zu 30 km bestimmt wurde.
Die Meteoren können alle möglichen Grössen besitzen bis zu dem kleinsten
Hagel oder Staub. Nur werden diese kleinen Körner ausschliesslich bei
sehr günstigen äusseren Umständen entdeckt. Ein solcher Fall trat in Kessle
in Schweden am Neujahrstag 1869 ein, als unter starkem Knall eine
Menge von grösseren und kleineren Steinen bis zu 0,06 g Gewicht und
Staub aufs Eis des Mälarsee niederfielen. Es ist natürlich anzunehmen,
dass unter Umständen die Meteore sich in Staub verwandeln, bevor sie
die Erdoberfläche erreichen, was wahrscheinlicherweise für die meisten
Sternschnuppen zutrifft. Unter solchen Umständen fällt ein sogenannter
„kosmischer Staub". Dass derselbe kosmischen Ursprungs ist und nicht
von vulkanischen Ausbrüchen oder anderen terrestren Quellen abstammt,
muss mit Hilfe der chemischen Analyse nachgewiesen werden. Bis-
weilen soll Salz vom Himmel gefallen sein. Die Feuerkugeln hinter-
lassen häufig am Himmel eine erst glühende, dann wolkenartige Spur
(am Tage eine Staubwolke), welche lange Zeit (bis Stunden) am Himmel
sichtbar bleibt. Diese Spur besteht ohne Zweifel aus Massen von glü-
hendem kosmischen Staub. Eine solche Erscheinung auf 35 km Höhe
ist in Fig. 66 nach einer Zeichnung von Nordenskiöld wieder-
gegeben.
Während man unter 400 Steinmeteoriten 260 fallen sah, so trifft
dies für nur 9 unter den etwa 100 bekannten Eisenmeteoriten zu. Die-
selben bestehen aus Eisen als Hauptmasse mit einem starken Gehalt
an Nickel und bisweilen etwas Kobalt; dagegen kommt nie Mangan in
denselben vor, im Gegensatz zum Eisen irdischem Ursprungs. (Von
214 Physik des Himmels.
dieser Regel machen jedoch die Eisenfunde aus Ovifak auf der
Discoinsel bei Grönland, welche von Nordenskiöld nach Schweden ge-
bracht wurden, eine Ausnahme. Sie enthalten nämlich Nickel und Ko-
balt, aber nicht Mangan, trotzdem sie für terrestren Ursprungs erachtet
werden.) Das Eigentümliche für die Meteoreisen ist das Auftreten von
Fig. 66. Spur eines in der Nähe von Upsala, Schweden, am 20. April 1877
Qh 37m N. M. beobachteten Boliden nach A. E. Nordenskiöld. Dauer des Leuch-
tens 25 Minuten.
sogenannten Widmanstättenschen Figuren, welche bei Anätzen (mit
verdünnter Salpetersäure) einer plangeschliffenen Fläche des Eisens in
Form von drei 60^ untereinander bildenden Liniensystemen hervortreten
(vgl. Fig. 67). Auch für einige Legierungen von Eisen und Nickel sind
diese Figuren charakteristisch.
In den Meteorsteinen hat man bisher folgende Grundstoffe aufge-
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen.
215
funden: Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff', Silicium, Schwefel,
Phosphor, Chlor, Brom, Lithium, Natrium, Kalium, Kubidium, Calcium,
Strontium, Baryum, Blei, Magnesium, Silber, Kupfer, Aluminium, Gal-
lium, Mangan, Eisen, Nickel, Kobalt, Chrom, Platin, Iridium, Titan,
Arsen, Zinn, Argon und Helium. Eigentümlich ist das Fehlen von Zink
und von den Elementen mit hohem Atomgewicht, z. B. Quecksilber,
Antimon und Wismut, wie in der Sonne. Lockyer hat Steinmeteoriten
im Lichtbogen geglüht und ein Spektrum gefunden, das mit demjenigen
der Sonne ausserordentlich grosse Ähnlichkeit bietet. Die Sternschnuppen
und Meteore werden durch den Reibungswiderstand gegen die^ Luft
glühend; erst besitzen sie
eine Geschwindigkeit kosmi- -^*?^^
scher Ordnung (30 — 100 km
pr. Sek.), später werden sie
zufolge des Luftwiderstandes
gehemmt und erhalten eine
massige Geschwindigkeit, wie
ein fallender Körper. Je
geringer die Eintrittsge-
schwindigkeit in die Atmo-
sphäre, desto früher werden
im allgemeinen die Meteore
gehemmt und desto geringer
ist die Detonation. Die
Sternschnuppen glühen auf
in 200 bis HO km Höhe und
erlöschen auf einer Höhe
von 100 bis 90 km. Für
die Perseiden sind die mittleren Höhen -des Aufleuchtens 114 und des
Erlöschens 89 km, für die Leoniden sind sie 151, bezw. 97 km. Bis-
weilen sind Meteoren beobachtet, die auf 300 bis 400 km Höhe zu
glühen anfingen (nach Schiaparelli und Liais). Die Meteo-
riten sind in dieser Beziehung sehr verschieden. Was an diesen Kör-
pern am meisten interessiert, ist die Frage, ob sie dem Sonnen-
system angehören oder nicht, oder was auf dasselbe auskommt, ob ihre
Geschwindigkeit (relativ zum Sonnencentrum) bei Ankunft auf der Erde
unter oder über 43,2 km pr. Sek. liegt (vgl. S. 177). Es hat sich ge-
zeigt, dass die meisten Feuerkugeln Fremde im Sonnensystem sind,
während die Sternschnuppenschwärme als seit einiger Zeit dazu ange-
Fig. 67. Widmanns tat tensche Ätzfiguren.
216 Physik des Himmels.
hörig zu betrachten sind. Es giebt nun auch bei grossen Sternschnuppen-
regen Feuerkugeln, welche offenbar als grössere Sternschnuppen anzu-
sehen sind. Eine solche Feuerkugel, welche als ein Eisenklumpen
von 4,1 kg aufgefunden wurde, fiel am 27. November 1885 in Mazapil,
Mexiko. Dieses Meteoreisen stammt von einem bekannten Himmels-
körper, dem Kometen von Biela. Gleichzeitig beobachtete der Direktor
der Sternwarte Zacatecas, Bouilla, das Spektrum der Sternschnuppen und
glaubte darin Linien mit solchen von Eisen, Nickel, Kohlenstoff, Mag-
nesium und Natrium identifizieren zu können. Das Spektrum einer
Feuerkugel ist in Arequipa (von Pickering am 18. Juni 1897) beobachtet
worden. Er fand darin vier Wasserstofflinien {Hji Hy Hg und Hs) und zwei
andere Linien 419,5 bezw. 463,6 /t/^, die er nicht indentifizieren konnte.
Vermutlich gehört der glühende Wasserstoff eigentlich der Atmosphäre
der Erde an (aus Wasserdampf). Eine andere Feuerkugel vom 27. No-
vember 1897, wahrscheinlicherweise eine Bielide, fing seine Bahn auf
90 km Höhe über Kent an und explodierte auf 22 km Höhe über
St. Omer; er bewegte sich dabei mit einer Geschwindigkeit von 31 km
pr. Sek. Natürlicherweise kann man in solch einem Falle nicht sicher
sein, dass die Anfangsgeschwindigkeit nicht bedeutend die beobachtete
Geschwindigkeit, welche für eine relativ tiefe Lage gilt, übertroffen hat
und vielleicht grösser war als 43,2 km.
Als Beispiel von Feuerkugeln mit Geschwindigkeiten von über
43,2 km pr. Sek. möge eine, die am 20. November 1898 in Nieder-
österreich beobachtet wurde, erwähnt werden. Sie blitzte auf in 123 km
Höhe, ihr Explosionspunkt lag in 44 km Höhe und ihre grösste beobachtete
Geschwindigkeit war 61 km. Sie war sichtbar vom Kiesengebirge bis
Görz. A-m 16. Januar 1895 wurden in Brunn und Wien drei Feuer-
kugeln beobachtet, von welchen eine die heliozentrische Geschwindigkeit
von 54 km pr. Sek. besass, eine andere, die zwei Minuten später er-
schien, hatte eine Geschwindigkeit von nur 30,7 km pr. Sek. Die drei
Meteore waren nicht zusammengehörig. Am 25. Januar 1895 traf in
derselben Gegend ein Meteorfall ein, bei welchem die heliozentrische
Geschwindigkeit zu 56 km pr. Sek. berechnet wurde (von v. Niessl).
Da das Sonnensystem sich gegen einen Punkt im Sternbild Her-
kules hinbewegt, sollte man vermuten, dass mehr Feuerkugeln von
dieser Seite auf die Erde hinstürzen als von der entgegengesetzten, da
die Feuerkugeln grösstenteils nicht unserem Sonnensystem angehören.
Die Berechnung zeigt nach v. Niessl, dass die Erwartung zutrifft, aber
der Unterschied zwischen den beiden Seiten ist höchst gering.
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 217
Die grossen Feuerkugeln bewegen sich nur in dem ersten Teil ihrer
Bahn mit kosmischer Geschwindigkeit. Schon in dem Punkte, wo sie
aufleuchten — vordem kann man sie nicht beobachten — müssen sie
einen Teil ihrer Anfangsgeschwindigkeit eingebüsst haben. Sie kommen
dann in immer dichtere Luftschichten herein, wodurch die Reibung ver-
mehrt wird, sodass sie mit immer heftigerem Glanz glühen. Durch die
ungleichmässige Erwärmung, welche nicht Zeit hat, in die Tiefe des
Meteorinnem einzudringen, entstehen Spannungen und zuletzt birst
die Feuerkugel unter explosionsartigem Getöse und Licht entfaltung. Von
diesem Punkte ab, welcher Hemmpunkt genannt wird und in einer Höhe
von 3 bis 47 (im Mittel etwa 20) km liegt, ist die Geschwindigkeit der
herabfallenden Bruchstücke stark reduciert und nicht viel grösser als
diejenige von irdischen Projektilen. Am meisten wird die Geschwindig-
keit der kleinsten Stücke beeinträchtigt. Infolgedessen entsteht ein so-
genanntes Streufeld y in welchem die grösseren Stücke an der Vorder-
seite, die kleineren an der Hinterseite, gerechnet nach der Richtung der
Feuerkugel, hinunterfallen. So z. B. hatte das Streufeld des Meteor-
falles vom 1. Jan. 1869 bei Hessle in Schweden, wobei etwa 500 Steine
im Gewicht zwischen 0,06 und 1800 g aufgefunden, eine Länge in nord-
nordwestlicher Richtung von 16 km und eine Breite von 5 km. Das
grösste Stück wurde am weitesten nach NNW aufgefunden, die kleinsten
Stücke, unter 1 g, am weitesten nach SSO auf dem Eise des Mälarsees.
Das Gesamtgewicht der herabgefallenen Masse wurde zu etwa 50 kg
geschätzt, wovon 25 aufgefunden wurden. Etwas ausgedehnter war das
Streufeld des Meteorfalles am 30. Januar 1868 zu Pultusk. Die Flug-
richtung des Meteoros war von WSW nach ONO gerichtet, die Streu-
tiäche hatte aber ihre grösste Ausdehnung, 17 km, in der Richtung SSW
nach NNO. Diese Abweichung von 45^ zwischen den beiden Richtungen
wird dem beim Hinunterfallen vorherrschenden heftigen Nordwestwind zu-
geschrieben. Die Breite war 6 km und etwa 100000 Steine von unter
0,1 g bis 9 kg fielen dabei. Das grösste Streufeld besass der Meteor-
fall von Mocs bei Klausenburg in Siebenbürgen am 3. Febr. 1882. Das-
selbe erstreckte sich in der Flugrichtung des Meteoriten von NW nach
SO in einer Länge von 25 km mit einer Breite von 7,5 km. Mehr- als
100000 Steine sollen dabei gefallen sein. Das grösste Stück wog 35 kg
und das Gesamtgewicht der gefallenen Masse wird auf 400—500 kg
geschätzt.
Zufolge der Erwärmung der Oberfläche der Meteorsteine überziehen
sie sich mit einer schwarzen Schmelzkruste und kleine Bruchstücke mit
218 Physik des Himmels.
muschelförmigem Bruch bersten aus (vgl. Fig. 68). Dieselben kommen
bisweilen ausschliesslich auf einer Seite des Steines vor (der Stirnseite),
wenn aber, wie in den meisten Fällen, der Meteor sich beim Fallen
gedreht hat, bedecken sie den ganzen Stein. Eine solche Struktur,
die den Meteoriten eigentümlich ist, kommt in geringerem Grade
Steinen zu (Wüstensteinen), aus welchen durch heftige Sonnenstrahlung
Bruchstücke herausbersten. An Bruchflächen, die ganz nahe an der
Erdoberfläche gebildet sind, kann die ganze Schmelzkruste fehlen.
Man soll sogar an solchen frischen Bruchflächen bisweilen eine so
niedrige Temperatur wahrgenommen haben, dass sie bei Berührung ein
Fig. 68.
heftiges Schmerzgefühl von Kälte erweckten (Dhurmsala in Ostindien
am 14. Juli 1860).
Nach einer statistischen Untersuchung von HOgbom sind von acht
Howarditen (eine seltene stark Ca- und ^/- haltige Art der Meteorite)
mit bekannter Fallzeit drei am 2. — 7. August, drei am 5.— 12. De-
zember und zwei an anderen Zeiten gefallen, was darauf hindeutet,
dass sie wenigen bestimmten Himmelskörpern entstammen. Ähnliches
gilt auch für andere Gruppen der Meteorite, wie beispielsweise für die
Euchrite, von welchen zwei am 13. — 15. Juni gefallen sind. Nur drei
Euchrite haben bekannte Fallzeit. Dies erinnert stark an die zu regel-
mässigen Zeiten zurückkehrenden Sternschnuppenschwärme.
Es . mag nochmals hervorgehoben werden, dass die Meteorite,
welche ohne Zweifel von den entferntesten Weltgegenden abstammen,
doch viele Ähnlichkeit besitzen mit den uns bekannten mineralischen
Körpern, indem sie aus denselben Bestandteilen aufgebaut sind,
IV. Die Planeten, ihre Satelliten und die Kometen. 219
welche auch auf der Erde vorkommen. Besonders scheint die Beob-
achtung über ihre Identität in Bezug auf Zusammensetzung mit dem
Erdinnern, so weit dies durch vulkanische Auswürfe bekannt ist und mit
der Sonnenhülle bemerkenswert. Vermutlich sind die Steinmeteorite, d. h.
die überwiegende Mehrzahl der Meteorite, aus den Staubmassen auf-
gebaut, welche durch Strahlung der Sonne und ähnlicher Himmels-
körper aus der Sonne selbst und aus den Kometen in den Kaum hinaus-
getrieben werden (vgl. S. 157).
Moldavite. Nach den eingehenden Untersuchungen von Franz
Suess sind die eigentümlichen Glaskörper, welche man in Böhmen, bei
Budweis, und in Mähren, bei Trebitsch, in Schotterlagern von der Spät-
tertiärzeit (Miozän) in recht grosser Menge auffindet, und welche den
Namen Moldavite erhalten haben, zu den Meteoriten zu zählen. Die-
selben wurden früher für vulkanische Auswürflinge oder für Über-
reste einer uralten Glasindustrie gehalten. Gegen die erste Hypo-
these streitet die Thatsache, dass seit der Tertiärzeit keine Vulkane
noch vulkanische Gesteine jüngeren Alters in der Nähe vorkommen.
Durch die Luft können sie wegen ihrer Grösse (ihre Dimensionen er-
reichen mehrere Centimeter) mit den Winden nicht weit geschleppt
sein; ebensowenig deutet ihr Vorkommen und Aussehen — sie sind
nicht abgerollt — auf eine weite Verschleppung durch Wasser. Ausser-
dem enthalten sie kein Wasser, wie Gläser vulkanischen Ursprungs.
Alte künstliche Gläser können sie auch nicht sein, da sie erst mit
Hilfe von Siemensschen Eegenerativöfen (1400^ C.) geschmolzen
werden können.
Ahnliche Glaskörper findet man in Ostindien (besonders auf
der Insel Billiton) und über ganz Südaustralien in solcher Lage, dass
sie nicht ohne Schwierigkeiten als irdische Produkte erklärt werden
können.
Man hat sie deshalb für Aerolithe der Tertiärzeit angesehen. Ihre
Oberfläche zeigt deutliche Spuren von Schmelzung und ähnliche muschel-
förmige Eindrücke, wie die Meteorite. Wegen ihrer relativ leichten
Schmelzbarkeit kommen häufig tiefere Rillen und Furchen auf Molda-
viten vor, welche auf den Luftwiderstand deuten. Ähnliche Bildungen
hat Suess auf Kolophoniumkugeln, gegen welche ein 300^ C. heisser
starker Luftstrom getrieben wurde, hervorgerufen.
Es kann dann sonderbar erscheinen, dass die Meteorite aus der
neueren Zeit ganz anderes Aussehen haben. Dagegen ist zu bemerken,
dass gewöhnliche Steinmeteorite wegen ihrer tuffartigen Struktur schnell
220 Physik des Himmels.
verwittern, sodass sie sich kaum vom Tertiär hätten erhalten können.
Gewöhnliche Meteorite enthalten auch Glassubstanz (vgl. S. 210).
Es ist denn nicht undenkbar, dass hin und wieder ein grösserer Me-
teorit, wie einige Kometen (vgl. S. 206) so nahe an die Sonne ge-
kommen wäre, dass er zu einem grossen Klumpen schmolz. Dann hätte
er in die Erdatmosphäre hineinkommen können, wonach er zufolge
der plötzlichen Erwärmung der Oberfläche zerbersten und zu einem
Regen von Moldaviten Anlass geben müsste. Bemerkenswert ist, dass
einige Moldavite, wie Bologneser Tropfen, explodieren, wenn ihre Ober-
fläche verletzt wird, was auf eine plötzliche Abkühlung (Abschreckung
in Wasser?) hindeutet.
V. Kosmogonie.
Wir haben im vorhin Gesagten mehrere Fälle gefunden, bei welchen
die Himmelskörper mit der Zeit grosse Änderungen erlitten haben, vor
allem zeigte sich dieser Fall mit den neuen Sternen und den Kometen.
Dagegen zeichnet sich unser Planetensystem durch eine sehr grosse Be-
ständigkeit aus, welche zum grössten Teil darauf gegründet ist, dass die
demselben angehörigen Himmelskörper sich in nahezu kreisförmigen
Bahnen um den Centralkörper bewegen, sodass ihre Entfernungen unter-
einander sehr gross bleiben und sie keine beträchtlichen Störungen auf-
einander ausüben. Diejenigen Körper, welche wegen ihrer Nähe solche
grössere Störungen in dem Sonnensystem hervorrufen könnten, die Ko-
meten, besitzen nach den bisher gemachten Erfahrungen eine so uner-
hört geringe Masse, dass der Einfluss derselben gänzlich vernachlässigt
werden kann.
Man könnte wohl deshalb der Meinung zuneigen, dass die Himmels-
körper in unserem Planetensystem immer in denselben Bedingungen
wie jetzt geblieben wären und bleiben würden, wenn nicht im neun-
zehnten Jahrhundert das Studium der Wärmeerscheinungen zu dem
Schluss geführt hätte, dass Wärme oder überhaupt Energie etwas ebenso
Bestehendes (Substantielles) sei, wie die Materie. Wenn nun die Sta-
bilität der Massen unseres Sonnensystems in ihren Bahnen nicht ge-
fährdet zu sein scheint, so ündet genau das Gegenteil für die Energie-
mengen des Sonnensystems statt, indem die Sonne ungeheure Wärme-
mengen zum Weltraum hinaus verschleudert, wovon nur ein höchst
minimaler Teil (etwa ö.lO^^) den anderen Himmelskörpern des Systems
zu gute kommt. In der That ist dies absolut nötig für die Existenz von
organischem Leben auf unserer Erde; denn wenn die Sonnenwärme nicht
ins Unendliche wegfiiessen würde, sondern ausschliesslich zur Erwärmung
der Planeten gebraucht werden würde, so müssten dieselben sehr bald
222 I*hysik des Himmels.
dieselbe Temperatur wie die Sonne (Photosphäre) annehmen. Die Pla-
neten würden nämlich dann notwendigerweise einen ebenso geringen
Bruchteil ihrer Wärmestrahlung wie die Sonne zum Weltall verlieren,
und nur mit der Sonne und miteinander in Wärmeaustausch stehen.
Ein solcher Zustand könnte nur zum Ausgleich der Temperaturunter-
schiede im Sonnensystem führen, und da die Sonne an Masse die Pla-
neten und ihre Monde enorm überwiegt, so würde bald die mittlere
Temperatur nicht merklich von derjenigen der Sonne abweichen. Es
wäre demnach für uns gar nicht glücklich, wie Einige sich vorstellten,
wenn es in der Natur so angeordnet wäre, dass unsere Sonne nur den
Planeten ihren Energieüberfluss zuwendete.
Um nun verstehen zu können, wie die Sonne ihre Wärmever-
luste deckt, ist man konsequenterweise dazu geführt worden, dass sie
sich zusammengezogen hat und noch zusammenzieht, obgleich dies
in der kurzen Zeit, in welcher genaue Messungen ausgeführt wurden,
nicht zu beobachten gewesen ist (vgl. S. 159). Die Sonne muss dem-
nach früher einen grösseren Kaum als jetzt eingenommen haben, und
wenn man lange genug in der Zeit zurückgeht, wird die Materie der
Sonne sich vielleicht über das ganze Planetensystem ausgedehnt und
nicht grössere Dichte besessen haben, wie. die Nebelflecke, welche wir
jetzt auf dem Himmelsgewölbe beobachten.
Schon viel früher, als es Zeit war, um ähnliche Betrachtungen
ül)er die Wärmeverluste des Sonnensystems anzustellen, ist man zu
ähnlichen Schlüssen gelangt. Swedenborg dachte sich den Urzustand
des Sonnensystems als ein Chaos von nebeliger Materie, welches all-
mählich durch Kräfte, die den elektrischen und magnetischen analog
wären, geordnet wurde, bis es zuletzt die jetzige Anordnung annahm.
Kant wies darauf hin, dass sich die seiner Zeit gekannten sechs Pla-
neten und neun Monde alle in Kreisen bewegen, die nahezu in der-
selben Ebene wie der Sonnenäquator liegen, und ausserdem dieselbe
Bewegungsrichtung haben wie die Drehung der Sonne. Dies kann nicht
gern Folge eines Zufalls sein, sondern es muss für diese Erscheinungen
eine gemeinsame Ursache gegeben haben. Er stellte sich infolgedessen
den Anfangszustand des Sonnensystems so vor, dass die Materie, welche
jetzt in der Sonne, den Planeten, ihren Monden und den Kometen sich
vorfindet, einst in feinster Verteilung in einer Art von labilem Gleich-
gewicht gestanden hat, „sodass innere Anziehungskräfte leicht eine Stö-
rung hervorbringen und einzelne dichtere Klumpen bilden konnten, auf
welche sich dann die benachbarten Teilchen zubewegen mussten". Die
Y. Kosmogonie. 223
hauptsächlich wirkende Kraft war die Newtonsche Gravitation, Kant
nahm aber auch eine eigentümliche Art von Zurückstossungskräften an,
welche die anfangs ganz gleichförmige geradlinige Bewegung der Einzel-
teilchen in kreisförmige verwandelt hätte. Diese letzte Annahme ist mit
den Prinzipien der Mechanik unvereinbar.
Bald nach dieser Zeit fand die grosse Durchmusterungsarbeit von
Herschel statt, durch welche er eine grosse Menge von Nebelflecken
und Sternhaufen entdeckte und klassifizierte. Durch diese Beobachtungen
von verschiedenen Nebelflecken wurde er zu der Ansicht geführt, dass
einige, welche ein sehr schwaches, verschwommenes Licht zeigen, sich
im Urzustände befinden, während andere deutliche Kondensationen auf-
weisen, die sich unter Umständen zu Sternen verdichten können. In
anderen Fällen (bei den Sternhaufen) war die Kondensation so weit vor-
sichgegangen, dass die nebelige Materie sich zu lauter Sternen ange-
sammelt hatte.
Diese Erfahrungen stützten ja in der Hauptsache die Ansichten,
welche der Kant sehen Hypothese zugrunde liegen. Dieselbe wurde
von Laplace wieder aufgestellt und insofern in verbesserter Form, als
er beim Urnebel eine anfängliche Drehung um eine Achse annahm.
Diese Drehung war so kräftig, dass in den äusseren Teilen um den
Äquator die Centrifugalkraft genau mit der Gravitation im Gleichgewicht
stand. In der Mitte des Nebels befand sich eine Kondensation, welche
die Stelle der jetzigen Sonne einnahm. Die ganze Gasmasse war
stark glühend und kühlte sich allmählich ab. Dabei zog sie sich
zusammen. Zufolge des zweiten Kepler sehen Satzes, dass der Kadius-
vektor eines Himmelskörpers in derselben Zeit in verschiedenen Teilen
seiner Bahn dieselbe Fläche überfährt, musste das Produkt von der Ge-
schwindigkeit (v) und der Entfernung (r) vom Mittelpunkt konstant bleiben.
Die Centrifugalkraft wird durch den Ausdruck mv'^:r = mvh''^:r^ = K:r^
dargestellt, die Anziehung zum Massencentrum dagegen durch m:r\
Wenn also r abnimmt, wird die Centrifugalkraft schneller zunehmen
als die Gravitation, und da sie anfangs einander gleich waren, wird
nach der geringsten Zusammenziehung die erste Kraft obwalten und ein
Teil des Gasnebels sich von der Hauptmasse in Form eines Kinges -ab-
lösen. Ein solcher Ring könnte aber nicht lange bestehen, sein Gleich-
gewicht ist labil. Sobald eine geringe Störung eintrat, musste er in
mehrere kleine Teile zerfallen, wie der Saturnring, oder sich zu einem
Einzelkörper zusammenziehen. Derselbe würde wiederum wegen der
grösseren Geschwindigkeit der äusseren Teile des Ringes sich im
224 Physik des Himmels.
selben Sinne drehen, wie früher der ganze Gasball. Danach ist
ein solcher Körper der Urheber eines Planeten und besteht aus
einem grossen, um eine der Drehungsachse des Nebelsystems parallele
Achse sich drehenden Gasball. Dieser zieht sich weiter zusammen und
infolgedessen tritt weitere Ringbildung und danach Bildung von Pla-
neten zweiter Ordnung, Monden oder Satelliten ein, die ebenso um eine
Achse in derselben Richtung sich drehen wie ihre Hauptkörper. Die
Kometen haben kein Heimatsrecht im Planetensystem, sondern sind
durch den Zufall von aussen dahin gekommen.
Diese Hypothese leidet jedenfalls unter nicht unbedeutenden Schwie-
rigkeiten. Zwar hat die Entdeckung der kleinen Planeten uns eine
ganze Masse, etwa 450, von Himmelskörpern gezeigt, welche im rich-
tigen Sinne um die Sonne sich bewegen. Die grösste Neigung einer
dieser Planetenbahnen beträgt 34*^ 43'. Die Bahnen der Uranus- und
Neptunmonde weichen aber viel zu stark von den Forderungen der
Hypothese ab, als dass man nicht einen störenden Eingriff von aussen
annehmen müsste. Auffallend ist es, dass gerade die äussersten
Planeten, bei welchen man am ehesten ein solches fremdes Eingreifen
vermuten könnte, diese Eigentümlichkeit darbieten.
Weiter könnte man ja vermuten, dass, nachdem die Zusammen-
ziehung des Gasballes allmählich und kontinuierlich geschehen ist, auch
die Absonderung von Planeten hätte stetig vorsichgehen müssen, woraus
ein System hervorgegangen wäre, das etwa der Ansammlung der kleinen
Planeten entspräche.
Die grösste Schwierigkeit der Laplac eschen Annahme bietet wohl
die hohe Temperatur des Gasballes, welche die Hypothese voraussetzt.
Nach den Berechnungen von Stoney und Bryan kann die Erde keinen
Wasserstoff in ihrer Atmosphäre behalten. Noch weniger würde, wie
leicht zu berechnen, die Sonne das haben thun können, wenn sie so aus-
gedehnt gewesen wäre, dass sie die Neptun- oder Uranbahn erfüllt hätte,
wenn nämlich ihre Temperatur nicht tiefer als diejenige der Erde
(+ 15 ^ C.) gewesen wäre. Wohl aber ist es wahrscheinlich, dass
der Urnebel noch grössere Dimensionen gehabt hat. Man muss denn
annehmen, dass in diesen ausgedehnten Nebeln, in welchen wegen der
grossen Verdünnung der Materie keine nennenswerten Anziehungskräfte
wirken, die Gase, unter welchen der Wasserstoff eine besonders hervor-
ragende Rolle spielt, eine Temperatur besitzen, die nicht viel von dem
absoluten Nullpunkte entfernt sein kann. Es entsteht denn die Frage,
wie wohl diese Himmelskörper Licht aussenden können. Die Antwort
V. Kosmogonie. 225
lautet, dass man in diesem Falle auf dieselbe Lichtquelle angewiesen
ist wie bei den Kometen, die ebenfalls zu niedrige Temperatur besitzen,
um selbständig zu leuchten (vgl. S. 43).
Jedenfalls ist die Regelmässigkeit der Bewegung der Himmelskörper
in unserem Sonnensystem so ausserordentlich auffallend, dass man die
Richtigkeit der Kant-Laplac eschen Hypothese in ihren Hauptpunkten
nicht leugnen kann. Es ist aber schwer, die Notwendigkeit einzusehen,
warum ein Gebilde von der ausserordentlich grossen Regelmässigkeit
des Planetensystems entstanden ist und nicht vielmehr ein Aggregat von
sehr vielen kleinen Körperchen, wie im Saturnringe, oder von Himmels-
körpern, die in Bahnen von sehr grosser Excentricität in einem ziem-
lichen Gewirre umeinander laufen, und wo der grösste Körper nicht bei-
nahe die ganze Masse (bis auf 0,16 Proz.) auf sich verdichtet hätte, wie
am Beispiel vieler Doppelsterne zu ersehen ist. Man bemerkt häufig
in den Nebeln mehrere Kondensationskerne. Man könnte sich viel-
leicht vorstellen, dass in dem Nebel, woraus unser Sonnensystem her-
vorging, schon innerhalb der Gasmasse, an den Stellen, wo die Pla-
neten nachher kamen, Verdichtungen entstanden. Diese würden die grosse
allgemeine Drehung mitmachen und nachher allmählich in dem Gebiete,
durch welches sie hindurchzogen, einen Gasball um sich ansammeln.
Infolgedessen würden sie eine genau ebenso beschaffene Rotation er-
halten, als wenn sie aus einem geborstenen Ringe sich zusammen-
gezogen hätten. Auf diese Weise wären die Planeten gewissermaassen
als gleich „alt" anzusehen und die äussersten Planeten nicht als die
ältesten, wie die ursprüngliche Hypothese von Laplace verlangt.
Im Anschluss an die Kant-Laplac eschen Hypothese und die Er-
gebnisse der modernen astronomischen Wissenschaft hat man sich als
„Urnebel des Sonnensystems" einen weit ausgedehnten, äusserst dünnen
Nebel zu denken, welcher, ähnlich demjenigen in Orion und den Ple-
jaden, eine Ausdehnung von mehreren tausend Neptunbahnen besitzen
konnte. In diesen unregelmässigen Bildungen ist die Konzentration der
Materie so gering, dass keine merklichen Anziehungskräfte herrschen,
sondern dieselben müssen durch Millionen von Jahren wirken, um
merkliche Verschiebungen zwischen den verschiedenen Teilen hervor-
zubringen. Die leichtesten Gase, wie Wasserstoff und Helium, befinden
sich in den äussersten Schichten dieser Gasmassen, ebenso wie sie die
äussersten Teile der Sonne einnehmen. Nur diese senden Licht nach
aussen durch die elektrischen Entladungen, welche in den äusseren
Schichten zufolge des Einfangens von negativ geladenen Teilchen ent-
Arrhenius, Koamische Physik. * 15
226 Physik des Himmels.
stehen. Wenn diesen Gebilden Wärme zugeführt wird, so entfernen
sich die Gase immer mehr von dem Mittelpunkt und kühlen sich da-
durch ab (vgl. unten S. 228).
Es sind also diese Nebel grosse Aufspeicherungsplätze der Wärme-
energie, welche von den Sonnen zu ihnen gestrahlt wird. Diese Energie
kommt ihnen nachher bei ihrer Kondensation zu gute, welche im näch-
sten Stadium erfolgt. Die inneren Teile der Nebel schliessen die schwe-
reren chemischen Elemente ein; Verbindungen werden nicht bei der
ungeheuren Verdünnung bestehen können. Diese Elemente besitzen eine
so geringfügige Geschwindigkeit, dass sie dem Nebel nicht zu entfliehen
vermögen. Sie besitzen aber eine höhere Temperatur, als die äusseren
aus den leichten Gasen bestehenden, und zwar denselben Umständen
zufolge, welche bewirken, dass beim sogenannten adiabatischen Gleich-
gewicht in der Erdatmosphäre die Temperatur mit der Tiefe zunimmt.
Trotzdem diese Körper anwesend sind, verraten sie sich doch nicht
durch Lichtentwickelung, da sie nicht in den äusseren Teilen vor-
kommen, welche von den negativ geladenen Partikelchen getroffen
werden. So erklärt sich die sonderbare Erscheinung, dass die Urmaterie
nur einige leichte Elemente zu enthalten scheint (Wasserstoff, Helium
und das Gas, welches der Nebellinie 496 [ifi entspricht). Zur Erklärung
dieses Umstandes nahm man früher an, dass in äusserster Verdünnung
alle chemischen Elemente sich in Wasserstoff zersetzen, eine Annahme,
welche mit der chemischen Erfahrung in Widerspruch steht. In dem
Lichte einiger Nebel hat man ausserdem einige schwache Linien ge-
funden, welche dem Magnesium und Eisen entsprechen. Diese rühren
vielleicht von dem Eigenlicht dieser Gase her, denn im Innern des
Nebels kann wohl die Temperatur hoch genug sein.
Die Zustände in einem solchen Nebel sind nicht stabil, sie können
aber zufolge der ausserordentlich geringen wirkenden Kräfte sehr lange
(praktisch genommen unendlich lange) bestehen. Im Laufe der Zeit
müssen die Anziehungskräfte dieselben zu regelmässigeren rundlichen
Formen zusammenballen. Diese Zusammenballung kann aber dadurch
verhindert werden, dass Kondensationskerne von aussen in die Nebel-
materie eindringen, wie die Kometen ins Sonnensystem. Diese dich-
teren Anhäufungen ziehen allmählich die Materie in ihrer Nähe zu-
sammen, sodass eine Art Lichtungen um diese Centra im Nebel ent-
stehen. Diese Ansammlungen gravitieren gegeneinander und werden
wohl zum Teil miteinander vereint, da die übrig gebliebene Nebel-
materie ihre Bewegungen hemmt.
V. Kosmogonie. 227
Wenn nun die Nebelmaterie von Anfang an eine ausgesprochene
Drehung um eine Achse vollführt, werden diese Kondensationspunkte
mitgeführt und machen allmählich die gemeinsame drehende Bewegung
mit. Durch die partielle Kondensation entstehen Zusammenziehungen
in der Umgebung, welche zuletzt ihre Wirkung auf den ganzen Nebel
ausüben. Die Centrifugalkraft wird vergrössert und anstatt einer grossen
Dunstkugel mit einheitlicher Bewegung bildet sich eine Scheibe aus.
Durch die Kondensation der Materie um bestimmte Punkte herum, und
durch ihr gleichzeitiges Verschwinden aus den zwischenliegenden Teilen,
erhalten dieselben eine immer selbständigere Stellung, bis alle Teile
der Scheibe beinahe ausschliesslich dadurch bestimmt sind, dass die
Centrifugalkraft genau die Schwere aufwiegen soll. Mit anderen Worten,
die Bewegungen nähern sich immer mehr denjenigen in einem Planeten-
system. Diesem Zustande entsprechen die spiralförmigen Nebel, welche
überaus gewöhnlich sind. Dieselben sind sehr flach, scheibenförmig,
welches zeigt, dass die Gravitation durch eine Centrifugalkraft in der
Ebene der Scheibe aufgewogen wird. Die spiralige Struktur kann aus
dem Umstand erklärt werden, dass die Kondensationspunkte nicht die
Bewegungen der sie umgebenden Materie gänzlich beherrschen, wie
Wilczynski näher ausgeführt hat. Diese Nebel zeigen ein kontinuier-
liches Spektrum, woraus zu schliessen ist, dass die Strahlung der Kon-
densationskerne, die beinahe alle die potentielle Energie der diffusen
Nebelmaterie auf sich verdichtet haben, diejenige der Nebelgase voll-
kommen überwiegt.
Man könnte sich auch vorstellen, dass die anfängliche Drehung des
Nebels relativ schwach gewesen ist. Es entsteht dann kein ausge-
prägtes Centrum, um welches herum die Bewegung stattfindet und
keine kreisende Bewegung. Die Kondensationen können mehr durch
Zufall bestimmt werden und um mehrere sekundäre Centren sich
ausbilden. Dieselben werden dann später ziemlich regellos aufeinander
hin gravitieren und Bahnen von allen möglichen Verhältnissen der Ex-
centricität bilden. Dieser Fall scheint, wie gesagt bei den Doppelsternen
sehr häufig zu sein (vgl. S. 51).
Wir haben jetzt die Entwickelung bis zu der Periode verfolgt, wo 5ich
Planetensysteme oder Sternsysteme gebildet haben. Die Körper derselben
nehmen bei ihrer Kondensation aus der umgebenden Materie immer
mehr zu. Anfangs steigt ihre Temperatur durch die Kondensation,
dann tritt starke Strahlung und damit Abkühlung (wenigstens in den
höheren Schichten) ein. Dieser Zustand wird endlich dazu führen, dass
15
*
228 Physik des Himmels.
sich eine feste Kruste bildet, worauf der Wärmeverlust nach aussen so
gut wie gänzlich abgebrochen ist. So z. B. ist der jetzige Wärme Verlust
der Sonne 1,2.10^ cal. pro cm^ und Minute. Derjenige der Erde beträgt
nicht einmal 2.10-^ cal. pro cm- und Minute. Wenn einmal die Sonne
mit einer ebenso dicken Kruste wie die Erde (aus denselben eruptiven
Gesteinen) bedeckt ist, wird sie also in tausend Millionen Jahren nicht
viel mehr Wärme verlieren, als jetzt in einem einzigen. Man kann wohl
sagen, dass in diesem Euhezustand die Energie der Himmelskörper auf
unermessliche Zeiten aufbewahrt wird.
Vor dem Festwerden der äusseren Einde steigt der Druck im In-
nern des Himmelskörpers stetig. Denken wir uns, dass alle die linearen
Dimensionen zwischen den Zeitpunkten ^ und ^2 auf die Hälfte gesunken
seien. Eine horizontale Oberfläche von (2 cm)^ wird zur Zeit t^ durch
das Gewicht der darauf lastenden Gassäule 4 p, d. h. p auf 1 cm^ ge-
drückt. Die Oberfläche 1 cm^ hat sich zur Zeit ^2 auf 0,25 cm^ zusammen-
gezogen, auf welcher das Gewicht Ap lastet, nachdem die oben liegen-
den schweren Teile alle doppelt so nahe zum Centrum gekommen sind.
Der Druck ist also pro Quadratcentimeter auf Ißp gewachsen. Wenn
nun die Masse des Himmelskörpers dem Boyle-Gay-Lussacschen
Gesetze folgen würde, was anfangs wohl zu einem gewissen Grade gelten
mag, so nimmt der Druck im selben Verhältnis wie die Konzentration,
d. h. im Verhältnis 8:1 zu, falls die Temperatur konstant bleibt. Da
nun der Druck thatsächlich auf den 16 fachen Betrag gestiegen ist,
muss, damit Gleichgewicht obwalten kann, die absolute Temperatur
auf den doppelten Wert hinaufgehen. In dieser einfachen Weise be-
weist Newcomb in Anschluss an Lane, dass die Temperatur mit
dem Drucke steigen muss. Später, wenn grössere Verdichtung einge-
treten ist, werden bald die Abweichungen von dem Gasgesetz so gross
werden, dass der Druck der Potenz 1,333 der Konzentration propor-
tional zunimmt, wonach also die Temperatur zur Erhaltung des Gleich-
gewichts nicht mehr zu steigen braucht. Dann kommt aber die Bildung
von stark kondensierten Molekeln, welche die steigende Abweichung von
dem Gasgesetz kompensiert, sodass das Intervall, in welchem die Tem-
peratur bei der Zusammenziehung wächst, sich noch weiter erstreckt,
als es sonst thun sollte.
Auf diese Weise hat man erwiesen, dass die Sonne und die Sterne zu-
folge von Wärmeverlust sich in ihren älteren Entwickelungsstadien zu-
sammengezogen und gleichzeitig ihre Temperatur erhöht haben. Umge-
kehrt, wenn eine Gasmasse von grosser Verdünnung, wie in den Nebeln,
V. Kosmogonie. 229
Wärme von aussen aufnimmt und sich dabei ausdehnt, so muss ihre Tem-
peratur sinken.
Man kann nun fragen, ob eine Gasmasse bei ihrer Zusammen-
ziehung ohne äussere Wärmezufuhr sich so stark erwärmt, dass ihre
Temperatur auf den doppelten Betrag oder mehr steigt, wenn der Druck
im Verhältnis 1 : 16 zunimmt. Für diesen Fall gilt die Gleichung (T^^
und 72, bezw. ^1 undp2 seien Temperatur und Druck vor und nach der
Zusammendrückung) :
k-l
^ J
Falls — - — , worin k das Verhältnis der specifischen Wärmen bei
konstantem Druck und bei konstantem Volumen, grösser als 0,25 ist,
wird die Bedingung erfüllt. Dies trifft ein, wenn ä^1,33 ist. Diese
Bedingung wird von den einatomigen Gasen, wie Metallgasen und
Helium {k = 1,67) erfüllt. Auch die gewöhnlichen Gase, deren Moleküle
aus zwei Atomen bestehen, wie Sauerstoff (O2), Wasserstoff {E2), Stick-
stoff (A^2) ^^^ Kohlenoxyd {CO) haben ä;>>1,33, indem ihr k=\,Al
beträgt. Die Nebel erfüllen demnach unzweifelhaft die Bedingung.
Wenn die Kontraktion sehr weit gegangen ist, nimmt die Beweg-
lichkeit der Gasmolekeln in hohem Grade ab, sodass die reine Wärme-
leitfähigkeit eine Rolle zu spielen anfängt, in welchem Fall der Wärme-
verlust von der Sonnenoberfläche nicht durch die vom Innern zugeführte
Wärme ersetzt werden kann, wonach offenbar eine starke Abkühlung der
äusseren Teile und zuletzt die Bildung einer starren Kruste erfolgt.
Der Endzustand der aus den Nebeln entwickelten Himmelskörper
ist demnach durch grosse Körper von unerhört hohem Druck und
Temperatur in ihrem Innern charakterisiert, welche von einer festen
schlechtleitenden Kruste umgeben und als beinahe absolute Behälter
von Energie anzusehen sind. Zufolge der hohen Temperatur und des
hohen Druckes in ihrem Innern sind die Atome darin zu Verbindungen
von ungeheurem Energieinhalt bei ausserordentlich geringem Volumen
zusammengeschlossen.
Diese Körper würden nun in unermesslichen Zeiten umeinander
kreisen, wenn für die Stabilität des Universums ebensogut gesorgt wäre
wie für diejenige des Sonnensystems. Dies ist nun aber nach der Meinung
der einsichtsvollsten Astronomen nicht der Fall. Im Raum irren Sterne
herum mit Geschwindigkeiten so gross, dass sie von keinem Himmels-
körper der jetzt bekannten Dimensionen in feste Jahnen gelenkt werden
230 Physik des Himmels.
können. Arctur und 1830 Groombridge (vgl. S. 19) geben die auffallendsten
Beispiele dieser eilenden Himmelskörper. Sie müssen die Gegenden des
einen Sonnensystems nach dem anderen durchstreichen, bis sie in der
Unendlichkeit der Zeit zuletzt gegen einen zweiten Weltkörper stossen.
Wenn dieser ein Nebel ist, und der irrende Stern ihn nicht durchbricht,
so entsteht ein neues Anziehungscentrum im Nebel. Ist dagegen der
angetroffene Körper eine erloschene Sonne, so erfolgt eine ungeheure Ex-
plosion. Die hoch temperierten, energiereichen und stark kondensierten
Verbindungen im Innern der Sonne kommen zum Teil unter geringere
Drucke, sie explodieren unter ausserordentlich starker Wärmeentwicke-
lung. Zu den Energieen der beiden Himmelskörper kommt diejenige des
Stosses hinzu. Durch die Explosion werden die Trümmer der beiden
Weltkörper wieder auseinandergestossen, sodass ihre Gase zufolge der
verminderten Schwerkraft ausserordentlich diffuse Atmosphäre bilden,
die dem Nebularzustande entsprechen. Ein neuer Nebel ist wieder ge-
bildet und das Spiel kann von neuem anfangen. Zufolge der gewalt-
samen Ausdehnung wird beinahe die ganze Energiemenge in potentielle
Energie wieder verwandelt sein. Die Temperatur ist auf massige Beträge
gesunken und steht in den äussersten Schichten nicht viel über dem
absoluten Nullpunkt.
Im allgemeinen wird der Stoss beim Zusammentreffen der beiden
Himmelskörper nicht central, sondern schräg sein. Demzufolge wird der
neugebildete Nebel von Anfang an eine Achsendrehung erhalten.
Viele Astronomen haben eine Extinktion zufolge dunkler Materie
im Weltraum angenommen. Diese verlorene Licht- und Wärmemenge
kommt schliesslich den Nebeln zu gute, teils durch ihre Absorption der
Strahlung der Sonnen, teils durch Aufnehmen der einstürzenden ge-
ladenen Partikelchen. Alle von den Sonnen der Welt ausgestrahlte
Energie wird schliesslich von diesen Nebeln aufgenommen, welche wegen
ihrer niedrigen Temperatur keinen merklichen Teil davon durch Strah-
lung verlieren (sie strahlen übrigens gegeneinander). Die Energie wird
in ihnen durch die Lockerung und Ausdehnung der äussersten Gas-
schichten aufgespeichert. Eventuell werden dabei Gasmolekeln von
höherer mittlerer Bewegung in den Weltraum hinausgetrieben, wo sie
den Wärmevorrat anderer Himmelskörper (Nebel) bereichern können.
Es ist also eine stete Wechselwirkung. Neue Nebel entstehen aus
erloschenen Sonnen; vielleicht entspricht dieser Vorgang demjenigen, der
in einigen Fällen beobachtet wurde, bei welchen neue (durch Zusammen-
stoss entstandene) Sterne nach kurzer Zeit verblassten und einem Gas-
V. Kosmogonie. 231
nebel Platz Hessen. Aus den Nebeln entstehen Sonnen, wobei die
(strahlende) Energie und Materie, welche von anderen Sonnensystemen
ins Bereich der Nebel gekommen sind, sich wieder konzentrieren. Da-
durch entstehen heisse Sonnen, grosse Konzentrationen von Kraft und
Materie, welche anfangs, unter Zunahme von Temperatur und Druck,
durch Strahlung unerhörte Wärmemengen und etwas Materie verschleu-
dern, welche in Nebeln angehäuft werden. Danach kühlen sie sich ab,
erhalten später eine feste Kruste und gehen, wie die Sporen der Lebe-
wesen, in einen Ruhezustand über, wo sie nur minimale Mengen Energie
und so gut wie keine Materie verlieren. Zu neuem Kreislauf werden
sie wieder erweckt, wenn sie mit einem anderen Weltkörper dieser
Art zusammenstossen, wobei durch Explosion ein neuer Nebel entsteht.
Die Entwickelungszeit der Sonnen dürfte der kürzeste Abschnitt in
dieser Entwickelungsgeschichte sein, der Ruhezustand des dunklen Him-
melskörpers der längste und der Nebularzustand eine mittlere Länge
einnehmen. Es wäre demnach zu vermuten, dass der grösste Teil der
Materie sich in dunklen Himmelskörpern eingeschlossen befindet, die
geringste in heissen Sonnen. Das grösste Volumen nehmen dagegen
die Nebel ein, welche auch die niedrigste Temperatur besitzen. Die
Oberflächentemperatur der dunklen Körper wird, falls sie nicht, wie die
Planeten des Sonnensystems in der unmittelbaren Nähe eines mächtigen
strahlenden Körpers sich befinden, nahezu auf die Temperatur der Körper,
gegen welche sie strahlen, d. h. der Nebel, oder mit anderen Worten,
auf den absoluten Nullpunkt sinken. Es wird demnach die mittlere
Temperatur des Weltalls (unsere Sonne abgerechnet), mit welcher man
bei Strahlungsversuchen zu rechnen hat, zum überaus überwiegenden
Teil von den Nebeln (und den dunklen Weltkörpern) bestimmt werden,
d. h. nur wenige Grade über dem absoluten Nullpunkt liegen, was nach
Langleys Versuchen gänzlich der Erfahrung entspricht.
Die jetzt gewöhnlich angenommene Ansicht, welche von Helm-
hol tz und besonders von Lord Kelvin entwickelt wurde, geht dahin,
dass alle Sonnen ihre Energie in den unendlichen Weltraum hinaus-
strahlen, ohne dass diese Energie anderen Körpern, sondern nur dem
Lichtäther zu gute kommt.
Diese Abkühlung der Sonnen sollte nach der genannten Ansicht in
einem Zeitraum ablaufen, der mit den geologischen Zeitmaassen ver-
glichen werden könnte. So z. B. sollte die Dauer unserer Sonne als
lichtspendender Körper zu etwa 15 Millionen Jahren vor und 8 Millionen
Jahren nach unserer Zeit beschränkt sein (vgl. S. 160). Etwas ahn-
232 Physik des Himmels.
liches würde für andere Sonnen gelten, wenn auch einige derselben,
welche grösser als unsere Sonne sind, länger gedauert hätten. Dabei
ist zu bemerken, dass eine Sonne, deren lineare Dimensionen zehnmal
diejenigen unserer Sonne überträfen, die also 1000 mal grösser wäre, doch
nur etwa zehnmal länger in jeder Phase aushielte, da die strahlende
Oberfläche 100 mal, die Wärmekapacität 1000 mal grösser als ent-
sprechende Eigenschaften bei unserer Sonne wären. Man kommt nach
der erwähnten Auffassung zu dem Schluss, dass dem Weltsystem eine
endliche Zeit zugemessen ist.
Eine solche Anschauung ist schwerlich mit unseren Begriffen über
die Unzerstörbarkeit der Energie und der Materie in Einklang zu bringen.
Auch wenn man die früher angenommene Zeit von etwa 20 Millionen
Jahren, die jedem Sonnensystem zugemessen ist, auf Hunderte von
Milliarden Jahren vergrössert, was unseren jetzigen Erfahrungen nicht
widerspricht, so ist die Vorstellung von einem einmaligen Bestehen der
Sonnen in einer messbaren Zeit wenig befriedigend. Diese Schwierigkeit
wird durch die oben gemachte Annahme entfernt, dass die einmal er-
loschene Sonne nach einer ihre Strahlungsperiode vielleicht millionenmal
überlegene Ruheperiode wieder durch Zusammenstoss zu einer neuen
Periode von kräftiger Entwickelung, erst im Nebel-, dann im Sonnen-
zustande, zurückgebracht wird. Wenn nun dieser Prozess beliebig oft
wiederholt werden könnte, so würde unser Verlangen nach einem Be-
stehen des Weltsystems in unabsehbaren Zeiträumen befriedigt sein.
Wie wir gesehen haben, verschlucken die Nebel die Strahlungs-
energie der warmen Weltkörper und setzen dieselbe teilweise in poten-
tielle Energie um. Ein bestimmter Bruchteil der einstrahlenden Energie
muss aber, nach den Forderungen des zweiten Hauptsatzes der Wärme-
theorie, als Wärmeenergie erhalten bleiben. Dieser Bruchteil kann aber
beliebig klein sein, wenn nur die Temperatur des bestrahlten Körpers
dem absoluten Nullpunkt beliebig nahe liegt. Nun besitzen die Nebel
eine Temperatur, die sehr wenig von dem absoluten Nullpunkt entfernt
ist. Es besteht kein Hindernis, diese Temperatur beliebig gering an-
zunehmen. Wir können folglich ohne Widerspruch mit unseren jetzigen
Erfahrungen uns vorstellen, dass die oben geschilderte Wechselwirkung
zwischen Nebeln und Sonnen sich unbegrenzt viele Male wiederholt.
Weiter als zu diesem Punkt zu kommen, in welchem es erwiesen
wird, dass in erdenklichen Zeiten die Entwickelung der Welt möglicher-
weise unter ähnlichen Umständen geschieht, wie die jetzt vorherrschen-
den, kann man nicht hoffen. Denn eine wirklich unendliche Ausdehnung
V. Kosmogonie. 233
der Zeit und des Raumes lässt sich nicht mit naturwissenschaftlichen
Spekulationen fassen. Und so oft unsere Vorstellungen über den jetzigen
Zustand sich ändern, müssen wir auch unsere Anschauungen über die
Vergangenheit und die Zukunft modifizieren, sodass eine endgiltige Lösung
der berührten Fragen unmöglich erscheint.
Es giebt eine andere Ansicht über die Art und Weise, in welcher
die Himmelskörper sich gebildet haben. Wir haben schon früher ge-
sehen, dass nicht unbedeutende Mengen von Meteorstaub auf die Erde her-
unterfallen. Dieser Umstand veranlasste einige Forscher zu der Hypothese,
die ganze Erde und alle Himmelskörper seien aus Meteoriten aufgebaut.
Wir haben aber eine entgegengesetzte Erfahrung. Die Kometenkörper
sehen wir allmählich in Staub zerfallen. Aber nicht so sehr dieser Um-
stand, sondern derjenige, dass die genannte Bildungsweise das Vor-
kommen von allen möglichen Arten von Excentricitäten und Neigungen
der Bahnen verlangt, zeigt, dass unser Planetensystem wohl nicht in
dieser Weise entstanden sein kann.
Physik der Erde.
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
Kugel form der Erde. In der ältesten Zeit stellten sich die
Menschen die Erde als eine flache Scheibe vor, welche vom Himmels-
gewölbe überdeckt wird. Schon früh machten die etwas kultivierten
Völker die Erfahrung, dass diese Ansicht nicht stichhaltig sei, sondern
dass vielmehr die Erde Kugelgestalt habe. In der antiken Welt war es
die Schule der Pythagoräer, welche (um 500 v. Chr.) diese Lehre ent-
wickelten. Diese Ansicht drang auch gänzlich in das Bewusstsein des
Yolkes ein, und Aristoteles gab drei Beweise für die Kugelform der Erde.
Im Mittelalter ging diese Einsicht gänzlich verloren, ein Anzeichen
des Zurückgehens der Kultur. Die damaligen Philosophen, die Kirchen-
väter, fallen gänzlich auf die ursprüngliche naive Ansicht zurück. Jedoch
veranlasste das Studium des hochgeschätzten Aristoteles, dass einige
begabtere Geister die Lehre von der Kugelgestalt wieder aufnahmen.
Andererseits wurde durch arabische Gelehrte diese Anschauung aufrecht
erhalten, und bekanntlich veranlasste dieselbe Columbus zu seiner
Reise, durch die er einen westlichen Weg nach Indien, ausser dem be-
kannten östlichen, zu entdecken suchte.
Als Beweis für die Kugelgestalt der Erde wurde angeführt, dass
der Schatten der Erde auf dem Monde bei partiellen Mondfinsternissen
von einem Kreisbogen eingeschlossen ist. Weiter beobachtete man, dass
ein Schiff, welches sich auf einer Wasseroberfläche entfernt, immer mehr
unter diese herunterzusinken scheint. Dies kommt daher, dass man von
einer bestimmten Höhe über der P^rdoberfläche (oder besser Meeresober-
fläche, weil die Erdoberfläche immer und überall etwas uneben ist) nur
einen Kreis von bestimmtem Radius überblicken kann. Dieser lässt
sich leicht berechnen aus folgendem Satz, welcher der Geometrie ent-
T. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
235
nommen ist. Verlängern wir (Fig. 69) den Durchmesser BÄ eines
Kreises bis zum Punkte D und ziehen von D eine Tangente DE a.n den
Kreis, welchen sie im Punkte E berührt, so ist das Produkt DBxDA
gleich dem Quadrat der Länge DE. Setzen wir AC=BC=r, AD = h
und DE=t, so wird:
oder für Höhen h, welche im Vergleich mit dem Erdradius (r) zu ver-
nachlässigen sind:
t kann als der Halbmesser des von D aus überblickten Kreises an-
gesehen werden, dieser wächst also der Quadratwurzel aus der Beob-
achtungshöhe proportional. Man findet für:
h=10 20 30 40 50 60 70
if=ll,3 16,0 19,6 22,6 25,3 27,7 29,9
80 90 100 m
31,9 33,8 35,7 km.
Den besten Beweis für die Kugelform der Erde findet man aber
in den Änderungen der Höhe von der Sonne und anderen Gestirnen,
welche man bemerkt, wenn man sich in nord-
südliclier Richtung, und die Änderung der Kul-
minationszeit der Sterne und Sonne, wenn man
sich in ost-westlicher Richtung bewegt. Da zu der
letzteren Beobachtung sicher gehende Uhren nötig
sind, konnte sie in der antiken Welt in PJrmangelung
guter Zeitmesser nicht gemacht werden. Dagegen
veranlasste die Änderung der Sonnenhöhe mit der
geographischen Breite Eratosthenes (276 — 195
V. Chr.) die erste Gradmessung zur Bestimmung
der Dimensionen der Erde vorzunehmen.
Die Gradmessungen. Eratosthenes ging von der Voraus-
setzung aus, dass die Stadt Alexandrien gerade nördlich von der Stadt
Syene in Egypten liegt. Der Abstand war nach officiellen Angaben
5000 Stadien = 787,5 km. Von Syene (Z in Fig. 70) wurde auch an-
genommen, dass sie unter dem nördlichen Wendekreis liege, da es an-
gegeben wurde, dass daselbst am längsten Tag die Sonne gerade im
Zenith steht. Eratosthenes brauchte dann nur am selben Tage die
Sonnenhöhe (^) in Alexandrien (A) am Mittag zu bestimmen. Der Unter-
schied (90 — <p) zwischen den Sonnenhöhen in Z und A ist offenbar gleich
Fig. 69.
236
Physik der Erde.
Fig. 70.
dem Winkel ÄCZ, welchen der Abstand AZ auf einem Meridiankreise
der Erdoberfläche aufnimmt. Eratosthenes fand 9 = 82^ 48'. Nun
muss der Erdumkreis (JJ) sich zu AZ verhalten wie 360 zu (90 — (p).
Man findet dies Verhältnis 360: 7« 12' = 50, woraus ü gleich 250000
Stadien = 39 375 km hervorgeht. Wie
man sieht, ist die Abweichung vom
richtigen Wert (40000 km) gar nicht
so sehr bedeutend.
Einige solche Gradmessungen
wurden von späteren Forschern im Altertum ausgeführt, eine weitere
im Mittelalter auf Befehl des Khalifen AI Mamun. Die grösste Unge-
nauigkeit bei dieser alten Methode rührt von der Schwierigkeit her, den
Abstand der zwei gerade in Nord und Süd voneinander belegenen
Punkte durch direkte Ausmessung richtig zu bestimmen.
Um diesem Übelstande zu entgehen, schlug Snellius vor, man
sollte diesen Abstand nicht direkt bestimmen, sondern eine andere Basis
(AB Fig. 71), deren Länge bequem
genau bestimmt werden konnte, aus-
messen. Danach sollte man die Lage
der Fixpunkte E, F, G, H, J, K und
L durch Triangelmessung genau be-
stimmen, wonach die Lage der beiden
gerade nord- südlich voneinander bele-
genen Punkte C und D ebenfalls in
derselben Weise in ihrer Lage zu E
undF, bezw.Xund L bestimmt wurden.
Der Abstand CD wurde gleich der
Summe aller Projektionen CF^ -jr F^G^
4- G^jJ, +JiK^ -{-K^D von CF, FG,
GJ, JK und KD gesetzt, welche Pro-
jektionen in Bezug auf ihre Länge aus
den ausgemessenen Winkeln genau be-
stimmt werden konnten. Die Basis
AB braucht gar keine ausserordent-
liche Länge zu besitzen (einige Kilometer), um genaue Resultate zu
gestatten.
Es ist von der grössten Bedeutung, die Basis AB mit einer ge-
nügenden Genauigkeit auszumessen, sodass die Fehler in der Messung
von CD zur Hauptsache von der Genauigkeit der Winkelmessungen ab-
Fig. 71.
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 237
hängt. Zur Bestimmung der Basislänge AB werden gewöhnlicher-
weise sehr solide Maassstäbe längs der Strecke aufgelegt, sodass ihre
Enden einander berühren. Die Messung kann noch weiter in der Weise
verfeinert werden, dass auf jedem Maassstab das eine Ende mit einem
Mikroskop, das andere mit einer scharfen Querritze versehen ist. Durch
Schrauben Vorrichtungen wird der Maassstab, der gerade angelegt wird,
so eingestellt, dass das Bild der Eitze auf das Haarkreuz des Mikro-
skopes fällt. Da die Länge der Stäbe in vorhin ermittelter Weise von
der Temperatur abhängt, sind sie gegen Wärmezuleitung durch iso-
lierende Mäntel und gegen Sonnenstrahlung durch Zeltdächer geschützt
und zur Temperaturablesung mit eingesetzten Thermometern versehen.
In unkultivierten Ländern ist es häufig nicht möglich, die Basis
auf der beschriebenen umständlichen Weise auszumessen. Man ver-
wendet deshalb häufig in neuerer Zeit — z. B. an der 1900 — 1901 statt-
gefundenen Gradmessung auf Spitzbergen — Metalldrähte, die zwischen
festen Stützen gespannt werden. An den Enden der Metalldrähte sind
Federdynamometer angebracht, welche die Spannung im Draht angeben.
Das Verhältnis zwischen der Entfernung der Stützen und der Länge
des Drahtes bei gegebener Spannung und Temperatur ist durch Vor-
versuche bekannt. Zur Verminderung der Temperaturkorrektionen be-
nutzt man Drähte aus Materialien (Mckel-Stahl-Legierungen), deren
Wärmeausdehnung beinahe Null ist, und überzieht dieselben mit einer
stark reflektierenden galvanisch ausgefällten Schicht (von Silber).
Man misst die Temperatur durch Vergleichung der Länge des
Drahtes mit einem Draht aus anderem Metall, z. B. Stahl oder Messing,
welcher mit dem Messdraht parallel aufgehängt ist. Dieser Draht ist
mit demselben Stoff überzogen wie der Messdraht. Diese beiden Drähte
zusammen bilden eine Art von Metallthermometer.
Man kann die Fehler bei der Bestimmung der Länge eines Grad-
bogens zu etwa 1 m (ein Hunderttausendstel) herabsetzen.
Zur Bestimmung der Entfernungen in Europa hat man diesen Welt-
teil mit einem Netz von Dreiecken überspannt, die sich zu an günstigen
Plätzen gelegenen Basislinien anschliessen. Dieses Netz erstreckt sich
von Hammerfest im nördlichsten Norwegen bis zu den südlichsten
Punkten von Europa (35 Breitengrade), wo es an Punkte in Nord-
afrika angeschlossen ist. In west-östlicher Richtung erstreckt sich dieses
Netz von Valentia in Irland bis nach Orsk im Gouvernement Orenburg
(69 Längengrade). Man beabsichtigt, ähnliche Ausmessungen in Afrika
vorzunehmen.
238 Physik der Erde.
Die Gradmessungen sind immer von einer Präcisionsnivellierung
begleitet, wodurch die vertikalen Entfernungen der betreffenden Triangel-
punkte mit der grösstmöglichsten Genauigkeit bestimmt werden.
Snellius führte selbst eine Gradmessung nach seinen Prinzipien
aus. Er fand den Meridianquadranten gleich 9665 km. Yiel genauer
war jedoch die Messung von Picard am Ende des 17. Jahrhunderts,
wobei er zum erstenmal Fernrohre zur Messung von Winkeln benutzte.
Er fand in dieser Weise den ganz guten Wert 10009 km für einen
Meridianquadranten. Diese Bestimmung war insofern von grosser Be-
deutung, als sie die Ausarbeitung von Newtons Gravitationstheorie er-
möglichte.
Die Abplattung der Erde. Frühzeitig entstanden Zweifel, ob
die Gestalt der Erde genau kugelförmig sei. Dies lässt sich durch
Gradmessungen an verschiedenen Stellen der Erde entscheiden. Die
Gradmessung giebt nämlich einen Wert des Krümmungshalbmessers an
der betreffenden Stelle. Die Gradmessung von Cassini 1680 schien
anzudeuten, dass die Krümmung der Erde am Pole die grösste sei.
Wenn nun, wie thatsächlich, die Erde nahezu eine Umdrehungsellipsoide
bildet, deren kürzester Durchmesser durch die zwei Pole geht, so muss der
Krümmungsdurchmesser eines Meridianbogens oder die daraus berech-
nete Länge des Meridianquadranten vom Äquator zum Pole stetig zu-
nehmen. Um dies festzustellen, wurden Kommissionen vom König
Ludwig XV. in Frankreich abgesandt, welche zwei Gradmessungen aus-
führen sollten, die eine in Schweden (nahe am Pole), die andere in
Peru (nahe am Äquator). Es zeigte sich, dass der Meridianquadrant
nach den betreffenden Messungen folgende Werte erhielt:
Land Beobachter Polhöhe Meridian quadrant
Peru Bouguer, De la Condamine — 1^31' 9952 km
Frankreich Picard 49M3' 10009 „
Schweden Maupertuis 66^20' 10075 „
Nach diesen Messungen hat also die Erde die Gestalt einer schwach
abgeflachten Ellipsoide mit der kürzesten Achse durch die beiden Pole.
Solche Gradmessungen wurden nun in den verschiedenen Welt-
teilen ausgeführt. Diese Messungen gewannen noch mehr an Bedeu-
tung, als die französische Regierung beschloss, die Länge des Erdmeri-
dianquadranten als Grundlage des Maasssystems anzunehmen. Ein Aus-
schuss sollte die Länge des Meters, welcher als der zehnmillionste Teil
des Meridianquadranten definiert wurde, feststellen. Nach neueren Be-
T. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 239
Stimmungen soll der Meridianqiiadrant eine Länge von 10000856 des
im Jahre 1790 festgesetzten Meters (des sogenannten Archivmeters) be-
tragen.
Es entstand mm die Frage, ob nicht vielleicht die Erdellipsoide
drei verschieden lange Achsen habe, seitdem Jacobi einen Beweis ge-
liefert hatte, dass ein solches Ellipsoid in diesem Falle eine Gleich-
gewichtsfigur sein kann. Nach Messungen von Clarke sollte ein kleiner
Unterschied der beiden Äquatorialachsen zum Belang von etwa 0,72 km
vorkommen, während der Unterschied des Polarhalbmessers und des
mittleren Äquatorialhalbmessers 21,33 km beträgt. Die Abplattung oder
das Verhältnis dieser Differenz zum Äquatorialhalbmesser sollte demnach
1:299 betragen.
Man ist jetzt allgemein der Ansicht, dass die Erdellipsoide am ein-
fachsten als eine Umdrehungsellipsoide mit einigen unregelmässig^en
Stellen angesehen werden kann. Die grössten Unebenheiten auf der
Erdoberfläche, wie der Berg Gaurisankar (8840 m Höhe), erreichen nur
den siebenhundertsten Teil des Erdhalbmessers, übersteigen aber 12 mal
den eventuellen Unterschied zwischen den beiden Äquatorialhalbmessern.
Direkte Messung des Erdradius. Wenn man an zwei hoch-
gelegenen Punkten, welche in grosser Entfernung, aber doch gegenseitig
sichtbar, gelegen sind, die sehr nahe gleichen Winkel zwischen der
Sichtlinie und den beiden Lotlinien bestimmt, so kann man mit Kennt-
nis des Abstandes zwischen den beiden Punkten die beiden anderen
Seiten in dem Dreieck bestimmen, dessen Eckpunkte in den beiden Beob-
achtungspunkten und dem Erdmittelpunkte liegen. Auf diese Weise
machte Oberst Klose Messungen zwischen dem Strassburger Münster
und der Durlacher Warte, deren Entfernung voneinander 71,058 km
beträgt. Die beiden Winkel waren 89^ 48' bezw. 89^ 35', woraus der
Erdquadrant zu 10370 km berechnet wurde, in überraschend guter An-
näherung an die Wahrheit. Bei dieser Methode spielt die atmosphä-
rische Refraktion eine stark störende Rolle, weshalb dergleichen Messungen
in keiner Weise mit den Gradmessungen konkurrieren können.
Erddrehung. Die Abplattung der Erde kann als eine Folge
ihrer Drehung um eine durch die Pole gehende Rotationsachse erklärt
werden. In der That sieht man, wie alle Gestirne in einem Sterntage
sich rund um die Himmelsachse drehen, wenn man den Standpunkt des
Beobachters als fest ansieht. Diese vom Anfang an einfachste Annahme
wurde aber schon früh verlassen, indem man einsah, dass die Bewegung nur
relativ ist. Es macht nämlich auf unsere Sinne denselben Eindruck, wenn
240 Physik der Erde.
das Himmelsgewölbe sich an einem Tage von Ost nach West um eine
Achse dreht, während die Erde still steht, wie wenn die Gestirne still
stehen und die Erde in derselben Zeit in entgegengesetzter Richtung
um die Achse rotiert. Da nun die Fixsterne auch nach alten Be-
griffen viel weiter von uns entfernt liegen wie Mond und Sonne, so muss
man bei der Annahme, dass das Himmelsgewölbe sich dreht, eine ganz
ausserordentlich grosse Geschwindigkeit annehmen, die viel unwahr-
scheinlicher vorfällt, als die zwar nach gewöhnlichen Begriffen ganz
grosse Drehungsgeschwindigkeit der Erde um ihre Achse (465 m pr. Sek.
für einen Punkt an der Meeresoberfläche am Erdäquator).
Die Achsendrehung der Erde war den' denkenden Geistern der alten
Zeit, wie Plato, 429—348 v. Chr., und seinen Schülern und besonders
dem Aristarch aus Samos, um 265 v. Chr., nicht unbekannt. Die
Kenntnis davon wurde aber im Mittelalter verloren und erst von Co-
pernicus wieder als einer der Grundsteine seines Systems aufge-
nommen (1542).
Die Copernicanische Lehre wurde in der gehässigsten Weise von den
kirchlichen Autoritäten unterdrückt. Copernicus selbst entging durch
seinen Tod dem Märtyrertum, welches dafür Giordano Bruno und
Galileo Galilei traf. Dass selbst sonst sehr klarsehende Männer
die Lehren von Copernicus verliessen, sieht man aus dem Verhalten
Tycho Brahes, welcher wieder die Erde in die Mitte der Welt ein-
setzte. Durch Galilei und Kepler wurde endlich die Copernicanische
Ansicht zum Siege geführt.
Die oben genannte Abplattung der Erde gegen die Pole ist einer
der Beweise für ihre Achsendrehung.
Man kann nun die Frage aufstellen, ob die Achsendrehung der
Erde immer gleich schnell vorsichgegangen ist oder nicht. Um dies zu
entscheiden, kann man die Länge des Tages nur mit anderen Perioden
bestimmter Länge vergleichen, wozu die Zeit zwischen Finsternissen be-
nutzt wurde. In dieser Weise glaubte Laplace den Schluss ziehen zu
dürfen, dass seit 729 v. Chr. der Sterntag seine Länge nicht um ^j^qq Se-
kunde verändert hat.
Es giebt zwei Umstände, welche die Länge des Sterntages beein-
flussen müssen, die bremsende Einwirkung der Gezeiten und der be-
schleunigende Einfluss der Zusammenziehung. Diese beiden Umstände
scheinen einander ziemlich genau zu kompensieren. Einige astrono-
mische Beobachtungen scheinen anzudeuten, dass in einigen Zeitepochen,
T. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 241
wie 1769 -1789 und 1840 — 1861 der Sterntag an Länge zugenommen,
dagegen in den sechziger Jahren wieder abgenommen habe.
Die Centrifugalkraft an der Erdoberfläche. Diese rotierende
Bewegung verursacht, dass ein schwerer Körper am Äquator weniger
als am Pole wiegt, indem ein Teil der Anziehung dazu verbraucht wird,
dem Körper die Krümmung seiner Bahn zu geben, d. h. zu verhindern,
dass er in den leeren Kaum hinausfliegt. Diese Kraft K ist nach den
Ableitungen der Mechanik ausgedrückt durch die Formel:
worin r die Länge des Krümmungsradius der Bahn in Centimetern (hier
den Abstand des Körpers zur Drehungsachse), m die
Masse, v die Geschwindigkeit, T die Umdrehungszeit
des Körpers (hier die Länge des Sterntages in Sekun-
den) und Jt die Zahl 3,14159 bedeuten. Wenn q) die
geographische Breite des Ortes und E die Länge des
Erdradius darstellen, so ist in nebenstehender Figur
(Fig. 72), die ein Viertel des Erddurchschnittes dar-
stellt, 0 der Mittelpunkt, OA der Äquatorialhalbmesser, DOA = %
DE=K, CD = r und man findet:
r = i?cos^.
Weiter kann man die Kraft K = DE in zwei Teile zerlegen, von welchen
der eine DF in Eichtung der Schwere geht, der andere dazu senk-
recht, es ist dann:
I)F= DEcosq=m- , y 'Rcos'^(p.
Dies ist der Ausdruck des Anteiles der Centrifugalkraft, welcher
die Schwere vermindert. Für die Masseneinheit (m=1) beträgt sie
3,39 cm/sek.'-^ am Äquator (cosgD = l). Da nun die Beschleunigung der
Schwere am Äquator nach den neuesten Messungen 978,125 cm/sek.^
beträgt, so würde die Schwere eines Körpers am Äquator zufolge der
Centrifugalkraft um '/jgg geringer sein als am Pole.
Wenn nun die Erde flüssig wäre und sich um ihre Achse drehte,
so würde sie zufolge der Centrifugalkraft, wie schon Newton einsah,
die Form eines IJmdrehungsellipsoides annehmen. Newton dachte
sich dies folgendermaassen: Es sei die Erde fest wid zwei Bohrlöcher
A;ri'heniii9, Kosmische Physik. IG
242 Physik der Erde.
A und B von 1 cm^ Querschnitt (Fig. 73) längs eines polaren und
eines äquatorialen Halbmessers hineingetrieben. Es sei Wasser in die
beiden Bohrlöcher gefüllt. Wenn die Erde sich nicht um ihre Achse
drehte, so würde natürlicherweise das Wasser in den beiden im Erd-
mittelpunkt 0 kommunizierenden Köhren OA und OB {B am Pole) gleich
hoch stehen.
Durch die Schwungkraft wird aber eine Flüssigkeitsschicht von 1 cm
Dicke (und 1 cm'^ Durchschnitt) bei A um V2S9 leichter als bei B
{0A== OB). In einem Punkte a, der n mal näher dem Erdmittelpunkte
als A liegt, wird die Centrifugalkraft n mal geringer sein als in
A. In demselben Verhältnis nimmt aber auch, wie Newton zeigte
(wenn die Dichte der Erde überall gleich ist, vgl.
unten), die Schwere von einem cm^ Wasser ab.
Es ist also eine bei a befindliche 1 cm dicke
Schicht um ^'259 leichter, als eine ebenso weit
von 0 belegene gleiche Schicht bei h. Die ganze
Wassersäule OA wird also um ^289 leichter als
die Wassersäule OB, Um diesem Unterschied ent-
Fig. 73. gegenzuwirken und Gleichgewicht herzustellen, muss
man dann jedes Element von 289 cm Länge in OA
mit einem von 290 cm Länge in OB ersetzen oder auf OA eine Schicht
giessen, die V289 der Höhe von OA besitzt.
In der That stimmt diese Ableitung sehr gut mit den Resultaten
der Gradmessungen. Die Übereinstimmung ist aber zufällig, weil die Ent-
fernungen von 0 der einander kompensierenden Elemente in OA und OB
nicht gleich gross sind. Zwar sollte nach Clairaut die Abplattung
1,25 mal grösser sein, als das Verhältnis der Centrifugalkraft am Äquator
zur Schwere am Pole, woraus der Wert V231 hervorgeht. Diese Be-
rechnung ist aber unter Voraussetzungen gemacht, die sicherlich nicht
erfüllt sind.
Veränderung der Schwere nach dem Beobachtungsort.
Pendelmessungen. Um die Ungleichheit der Schwere an verschie-
denen Stellen zu messen, hat man verschiedene Apparate konstruiert.
Der einfachste ist das Pendel. Nach dem Pendelgesetze sind die
Schwingungszeit ^, die Länge / des Pendels, sein halber Schwingungswinkel
(p und die Beschleunigung g der Schwerkraft durch die Beziehung:
^ = ^^(l + isin2<p-|-....)
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
243
verbunden. Aus dieser Formel kann man g berechnen, wenn man /
und / kennt. Will man nun die örtlichen Veränderungen der Schwer-
kraft g kennen lernen, so braucht man nur an den verschiedenen
Örtlichkeiten t zu bestimmen. / hält sich nämlich für dasselbe Pendel
konstant, insofern die Temperatur sich nicht verändert. Man darf auch
nur kleine Schwingungsbogen
(2 9)) verwenden, sonst ist auf
der rechten Seite auf die in
Klammer gesetzte Keihe
Kücksicht zu nehmen. Die
Änderung der Länge / mit
der Temperatur wird in einem
festen Observatorium ein
für allemal festgestellt. Die
Temperatur des Pendels in
einem bestimmten Zeitmo-
ment wird danach an einem
in das Pendel eingesenkten
Thermometer abgelesen. Et-
was Einfluss auf die Schwin-
gungsdauer hat auch der
Luftdruck, weshalb man astro-
nomische Uhren in Pendel-
kasten, die bis zu einem be-
stimmten geringen Luftdruck
ausgepumpt sind, einsetzt.
In den meisten Ländern
benutzt man zu der geodetischen Ausmessung das Pendel v. Sternecks
(Fig. 74). Die Linse dieses Pendels besteht aus einem aus zwei ab-
gestumpften Kegeln zusammengesetzten schweren Stück, welches an
der massiven cylindrischen Pendelstange befestigt ist. Diese ist an
zwei Achatschneiden über einer mit eingelegten Achatplatten ver-
sehenen Messingplatte, die auch eine Wasserwage trägt, aufgehängt.
Von der Messingplatte gehen drei solide Stativfüsse mit Stellschrauben
aus. Zum Schutz gegen Luftströmungen ist der ganze Apparat unter
einen Kasten gestellt. Die Pendelstange ist arretiert, solange Be-
obachtungen nicht angestellt werden. Die Ausschläge werden sehr
gering genommen, nur einige Minuten gross, sodass die Schwingungen
als vollkommen isochron betrachtet werden können. Die Grösse des an-
IG*
Fig. 74.
244 Physik der Erde.
fängliclien Ausschlages kann nach Belieben mit Hilfe einer eigens dazu
eingerichteten Anordnung genommen werden. Zur Beobachtung dienen
ein Lichtspalt, Fernrohr mit Fadenkreuz und ein an den Aufhänge-
schneiden befestigter Spiegel. Das Bild des Lichtspaltes, worauf das
Fernrohr eingestellt ist, passiert dann zweimal während jeder Schwin-
gung an dem horizontalen Faden des Fadenkreuzes vorbei.
Um die Schwingungszeit ganz genau festzustellen, verwendet man
die sogenannte Methode der Koinzidenzen. In diesem speziellen Fall
lässt man den Anker eines Elektromagneten durch Verbindung mit
einem unter dem Pendel einer Sekundenuhr befindlichen Kontakt Se-
kunden schlagen. Der Anker ist mit einem Schirme verbunden, welcher
eine feine horizontale Spalte trägt. Einmal pro Sekunde liegt diese
Spalte in gerader Linie zwischen Lichtquelle und der einen Hälfte der
vorhin genannten Spalte. In diesem Augenblicke blitzt eine Lichtlinie
in der einen Hälfte des Gesichtsfeldes auf. Wenn nun auch das
St erneck sehe Pendel eine Schwingungszeit von genau einer Sekunde
besässe, so würde diese Lichtlinie immer an derselben Stelle im Fern-
rohr erscheinen, findet ein (geringer) Unterschied zwischen den beiden
Schwingungszeiten statt, so verschiebt sich die Lichtlinie (langsam). Man
bestimmt die Zeiten, in welchen die aufblitzende Lichtlinie gerade mit
dem Fadenkreuz zusammenfällt. Schwingt dann das Pendel langsamer
wie das Sekundenpendel und sind n Sekunden zwischen zwei solchen
nach einander folgenden Koincidenzen verstrichen, so hat 'das Pendel
n — 1 Schwingungen in n Sekunden vollführt. Auf diese Weise lässt
sich die Schwingungszeit ausserordentlich scharf ausmessen.
Ähnlich sind die Verhältnisse, wenn das Stern ecksche Pendel, wie
gewöhnlich, ungefähr doppelt so schnell schwingt, wie das Sekunden-
pendel der Komparationsuhr, welche in einer Sternwarte aufgestellt und
durch elektrische Leitung mit dem Beobachtungsort verbunden ist.
Früher benutzte man vielfach das sogenannte Reversionspendel.
Dieses besitzt zwei Schneiden, wovon die eine beweglich ist. Durcli
Verschiebung derselben bewirkt man, dass die Schwingungszeit sich nicht
verändert, wenn man das Pendel um die eine Schneide statt um die
andere schwingen lässt. Es wird in der Mechanik bewiesen, dass die
Pendellänge, welche in die obenstehende Formel in diesem Falle ein-
zuführen ist, gleich der Entfernung zwischen den beiden Schneiden zu
setzen ist.
Die beiden Schneiden korrespondieren miteinander, sodass die eine
das sogenannte Schwingungscentrum zu der anderen als Aufhängeachse
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 245
ausmacht. Wenn nun die beiden Schneiden unsymmetrisch zum Schwer-
punkt des Pendels liegen, so übt der Luftwiderstand einen verschieden
verzögernden Einfluss, jenachdem die eine oder die andere Schneide als
Aufhängeachse benutzt wird. Kückt man nun die eine vom Schwer-
punkt ferner liegende Schneide näher zu diesem Punkt, so muss man
die andere Schneide von demselben Punkt entfernen, damit die Korre-
spondenz bestehen bleibt. Zuletzt kann man erreichen, dass die beiden
Schneiden gleich weit vom Schwerpunkt liegen. Bessel zeigte, dass
ein solches Pendel, das vollkommen symmetrisch ist, nicht nur den
Vorteil bietet, dass der Luftwiderstand bei Schwingungen um die beiden
Achsen gleich ist, sondern ausserdem viele andere, indem verschiedene
Fehler bei der Messung leicht entfernt werden können. Eine Fehler-
quelle, die darauf beruht, dass die Aufhängungsvorrichtung des Pendels
in Mitschwingungen gerät, kann durch Verwendung von zwei Pendeln
von gleichem Gewicht aber verchicdener Länge und deren Schwerpunkte
in ähnlicher Lage zu den beiden Schneiden sich befinden, eliminiert
werden.
Die Reversionspendel, welche von Dcfforges verwendet werden,
schlagen etwa dreiviertel Sekunden. Die beiden Schneiden aus Stahl
sind unverrückbar an der Pendelstange befestigt. Durch Einschrauben
einer Silbcrmasse an das eine oder das andere Ende des Pendels kann
der Schwerpunkt verschoben und damit die Schwingungszeit verändert
werden, ohne dass die Symmetrie verloren geht. Dieses Pendel beweist
seine Unveränderlichkeit dadurch, dass die beiden Schwingungszeiten in
den beiden Fällen in einem unveränderlichen Verhältnis stehen. Bei
den St erneck sehen Pendel versuchen werden mehrere Pendel zur
Untersuchung mitgenommen, um wahrscheinlich zu machen, dass die
einzelnen keine Veränderung erlitten haben.
Jedenfalls ist die Bestimmung der Änderung der Schwerkraft mit
Hilfe von Pendelmessungen eine sehr schwierige Aufgabe, welche nur
sehr geübten und mit guten Hilfsmitteln versehenen Beobachtern ge-
lingt. Man hat sich deshalb sehr bestrebt, die Pendelmcssungen durch
andere zu ersetzen, wovon die wichtigsten unten erwähnt werden;
jedoch, wie es scheint, bisher mit zweifelhaftem Erfolg.
Das Bathometer von W. Siemens. Die Veränderung der
Schwere kann man mit Hilfe einer Federwage messend verfolgen. Eine
gewöhnliche Wage kann diesen Dienst nicht leisten, weil die Gewichts-
stücke ihre Schwere im selben Verhältnis ändern, wie der zu wägende
Körper. Dagegen ist dies nicht mit den elastischen Kräften der Feder-
246
Physik der Erde.
wage, welche der Schwere des zu wägenden Körpers Gleichgewicht halten
soll, der Fall. Auf das Prinzip der Federwage ist die Konstruktion
des Bathometers (Tiefenmessers) von Siemens begründet (Fig. 75). Es
besteht aus einer langen vertikalen Stahlröhre (/t), welche unten in einer
grossen Stahldose (D) endet, deren Boden mit einem Wellenblech (W)
aus Stahl geschlossen ist. Nimmt nun die Schwere
zu, so wird durch den vergrösserten Druck des
Quecksilbers das Wellenblech stärker hinunterge-
presst wie vorhin. Demzufolge sinkt das Quecksilber
in der Röhre t. Damit dieses Sinken nicht den Druck
allzusehr vermindere und den Apparat unempfindlich
mache, endet die Stahlröhre t auch oben in einer
weiten flachen Quecksilberdose {D^ ). Über das Queck-
silber ist Öl geschichtet, welches seine freie Oberfläche
in einem langen engen, an der Quecksilberdose be-
festigten mit ihr kommunizierendem, Rohr {S) besitzt.
An einer nebenliegenden Skala wird die Lage des
Ölmeniskus und damit die Schwerkraft gemessen.
Fig. 75. Das Instrument ist in einer C ard an i sehen Auf-
hängung montiert und muss auf genau konstanter Tem-
peratur gehalten werden. In einigen Konstruktionen ist der Ausschlag
des Instrumentes ziemlich von der Temperatur unabhängig, indem die
scheinbare Zunahme des Druckes, welche von der Wärmeausdehnung
des Quecksilbers und des Öls herrührt, durch die Verlängerung einiger
den Wellenboden tragenden Federn (ff) nahezu kompensiert wird. Leider
giebt diese Methode nicht die erwünschte Genauigkeit.
Das Gasvolumeter von Issel. Anstatt Federkraft kann man
die Elasticität eines Gases zur Messung der Schwere benutzen. Mascart
ji konstruierte ein U-förmiges Glasrohr, dessen einer
Schenkel V (Fig. 76) eine abgesperrte Gasmasse,
dessen anderer H Quecksilber enthielt, welches
oben in einer horizontalen Kapillare R endete. Bei
Zunahme der Schwere wird das Gas (einige be-
nutzen anstatt dessen flüssige schweflige Säure,
welche stark kompressibel ist) in V zusammengepresst und der Queck-
silbermeniskus in R verschiebt sich nach links. Der Apparat ist gegen
Änderungen des Luftdruckes und der Temperatur sehr empfindlich, wes-
halb Issel eine abgesperrte Gasmasse vom selben Stoff wie der in V
befindliche und vom selben Volumen in dem an R luftdicht befestigten
Fig. 76.
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 247
Rohre V^ zur Kompensation einlegte. Wenn die Schwere sich nicht
ändert, bleibt der Quecksilbermeniskus vom Luftdruck unabhängig. Ob-
gleich der Einfluss der Temperatur in diesem Falle stark reduziert ist,
muss man sehr genau darauf achtgeben, dass die Temperatur in V und
Vi gleich ist. Eine Differenz von 0,01^ C. führt einen Fehler von einem
Dreissigtausendstel mit sich.
Die Methode von Mohn. Diese Methode beruht darauf,
dass man mit einem sehr empfindlichen Thermometer durch eine
Siedepunktsbestimmung den wirklichen Luftdruck ermitteln kann
(das Instrument wird sonst zu Höhenmessungen benutzt und deshalb
Hypsometer genannt). Diese Luftdruckmessung, die auf etwa 0,03 mm
(0,001^ C. entsprechend) genau gemacht werden kann, braucht nicht
wegen der Schwere korrigiert zu werden. Gleichzeitig liest man ein
genaues Quecksilberbarometer ab. Der von diesem angegebene Druck soll
mit dem am Hypsometer abgelesenen gleich sein. Beim Barometer
muss zur Berechnung des Druckes ein Korrektionsfaktor angewandt
werden, welcher das Verhältnis der Schwere am Beobachtungspunkt zu
derjenigen an der Meeresoberfläche bei 45^ Breite angiebt. Auf diese
Weise kann man die Intensität der Schwere auf etwa ein Zwanzig-
tausendstel genau ermitteln.
Bestimmungen der absoluten Masse der Erde.
Das Horizontalp ende 1. An einer schweren Stange PQPi (Fig. 77)
sind an zwei Stellen P und Q Aufhängefäden befestigt, welche von den
Punkten A und B gespannt sind. Der
Schwerpunkt T der Stange PP^ möge
rechts von Q liegen, so wird der schwere
Körper PP^ sich so einstellen, dass sein
Schwerpunkt so tief wie möglich liegt,
welches eintrifft, wenn P und Q in der ^ 'ßT
selben Ebene wie Ä und B und der von Fig. 77.
Ä gegen die Horizontalebene HH^ ge-
fällten Lotlinie AL liegt. Es entspricht dies der sogenannten bifilaren
Aufhängung, bei welcher ein schwerer Körper mittelst zwei Fäden
aufgehängt ist, in welchem Falle Gleichgewicht dann herrscht, wenn
die beiden Aufhängefäden in derselben Ebene liegen.
Die Empfindlichkeit ist um so grösser, d. h. die Kraft, mit welcher
das Pendel zu der Gleichgewichtslage zurückgeführt wird, nachdem es
daraus verschoben worden ist, fällt um so geringer aus, je näher die
Punkte B und L aneinander liegen, je geringer der Abstand PQ und
248 Physik der P]ide.
die Entfernung QT genommen sind, sowie je geringer das Gewicht der
Pendelstange ist. Durch Justierschrauben und Verschiebungen von Ideinen
Justiergewichten auf der Stange PP^ kann man die Empfindlichkeit
beinahe beliebig weit steigern. Die Torsion in den Aufhängefäden
erlaubt aber nicht, eine gewisse Grenze zu überschreiten. Der Aus-
schlag wird an einer Skala S^ gewöhnlich mit Hilfe von Spiegel und
Fernrohr, abgelesen. Die Verwendung ist ähnlich derjenigen der
Drehwage.
Die Drehwage ist viel einfacher wie das Horizontalpendel und
giebt bessere Eesultate. Im Instrumente von Cavendish (Fig. 78) sind
zwei Bleikugeln a und h von 5 cm Durchmesser an den beiden Enden
einer leichten (180 cm langen) Stange aufge-
LJ '^>' hängt. Die Stange selbst hing an einem
HO • — 0\y 100 cm langen Silberdrahte, der bei c be-
O festigt war, von einer Stütze herab. An a
^ T.- na ' und b konnten zwei grosse Bleikugeln Ä und
Flg. 78. ° °
B (Durchmesser 30 cm) von der Seite ge-
nähert werden. Befanden sich diese in A^ und B^ , so zogen sie a und
b an, dass die Auf hängestange, von oben gesehen (wie in der Figur), sich
wie ein Uhrzeiger drehte. Der Drehungswinkel zwischen der neuen und
der alten Gleichgewichtslage wurde mit Hilfe von zwei Skalen bei a und b
gegenüber Marken an den Kugeln a und b bestimmt. Zur Verbesserung
der Resultate wurden A und B nach A2 und B2 hinübergeführt und eine
andere Gleichgewichtslage bestimmt. Durch besondere Bestimmungen
des Trägheitsmomentes und der Schwingungszeit konnte Cavendish
die Kraft ausmessen, welche einem bestimmten Drehungswinkel ent-
spricht, welche beiden Grössen einander proportional sind. Die stärk-
sten Störungen bei dieser Methode rührten, wie Cavendish fand, von
den Luftströmungen her, welche in dem relativ grossen Holzkasten ent-
standen, welcher die Stange umgab. Um diesen zu entgehen, hat man
bei neueren Bestimmungen teils die Dimensionen des Apparates vermin-
dert, teils auch die Luft entfernt.
Diese ausgezeichnete Methode, die Schwere der Erde mit derjenigen
einer Bleikugel zu vergleichen, gab in den Händen von Cavendish (1798)
den sehr guten Wert der mittleren Dichte der Erde 5,45. Baily fand
später in derselben Weise 5,67 (1841). Reich führte die Winkelmessung
mit Hilfe von Spiegel und Skala aus. Er fand Werte zwischen 5,49 (1837)
und 5,58 (1852). Cornu und Baille ersetzten (1870) die Bleikugeln A
und B durch Glasreservoire, in welche Quecksilber hinaufgepresst werden
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 249
konnte. In dieser Weise konnten die starken Erschütterungen, welche
bei der Bewegung der grossen Bleikugeln erfolgten, vermieden werden.
Die Dimensionen des Apparates waren etwa ein Viertel von den früher
benutzten. Sie fanden 5,50 bis 5,56.
Boys verfeinerte die Methode durch Verwendung von Quarzfäden
an Stelle der Aufli im ge drahte. Er reduzierte auch stark die Dimen-
sionen des xipparates. Die Aufhängestange war nur 2,3 cm lang, die
Kugeln a und h wogen je 1,3 bis 4 g, die Kugeln A und B je 7,4 kg.
Er fand (1895) den Wert 5,527. Am genauesten sind wohl die gleich-
zeitigen Messungen von Pater Braun, welcher die Aufhängestange in
nahezu luftleerem Eaume aufliing. Die kleinen Kugeln a und h, welche
auf einer leichten Aluminiumstange in 24,6 cm gegenseitiger Entfernung
befestigt waren, wogen je 54 g, die grossen, A und 5, waren mit Queck-
silber gefüllte Hohlkugeln aus Gusseisen vom Totalgewicht 9,15 kg. Er
fand 5,5271, wonach das Gewicht der Erde 5,985.10'^^ kg betragen
sollte.
Die Gravitationskonstante k in der Newtonschen Formel (S. 81)
erhält, wenn A = 5,527 gesetzt wird, den Wert
/^ = 6,67-10-8c. g. s.
In ähnlicher Weise fand Eötvös mit einer Drehwage, die unten
beschrieben ist, die Dichte A der Erde gleich 5,55.
Wägungsmethoden sind in letzter Zeit sehr viel verwendet
worden. Jolly belastete (1880) die zwei Schalen einer Präcisionswage
mit je 5 kg und brachte eine grosse Bleikugel von 50 cm Durchmesser
und 5775 kg Gewicht unter der einen Schale an, welche an 20 — 25 m
langen Drähten aufgehängt war. Es entstand dadurch eine Gewichts-
vermehrung von 0,589 mg. Jolly fand die Zahl A = 5,7. Dieselbe
Methode mit einigen Verfeinerungen gab (1891) Poynting die Zahl
A = 5,49.
In neuerer Zeit ist eine Messung nach dieser Methode von König,
Richarz und Krigar-Menzelin Spandau ausgeführt worden. Sie stell-
ten eine Präcisionswage über einen aus ziegeiförmigen Stücken zusam-
mengesetzten, 100000 kg wiegenden, Bleiklotz auf. Die Wage trug
vier Schalen, zwei über, zwei unter dem Bleiklotze. Jede obere Schale
war mit der einen, senkrecht unter ihr hängenden, durch Drähte ver-
bunden. Zwei Massen von je 1 kg wurden auf eine obere und die
nicht damit verbundene untere Schale gelegt. Danach wurden die
Schalen gewechselt. Man fand so A = 5,505 + 0,009,
250 Physik der Erde.
Bei der Wägungsmethode wirken Luftströmungen sehr störend.
Wilsing benutzte ein Differentialpendel, d. h. ein Pendel, an dessen
Stange sich zwei Linsen (kugelförmige) befinden, die eine oberhalb, die
andere unterhalb der Aufhängungsschneide, sodass die Schwingungszeit
sehr lang wird. Wilsing näherte (325 kg) schwere Eisencylinder einmal
der oberen, ein anderes Mal der unteren Linse, und die neuen Schwin-
gungszeiten wurden abgelesen. In anderen Versuchen maass er die neue
Gleichgewichtslage, welche entstand, wenn schwere Körper zur Seite der
Linsen aufgestellt wurden. Er fand A = 5,579.
Die Methode der Pendelschwingungen wurde zuerst (1821)
von Carlini ausgeführt. Er maass die Schwere an verschiedenen
Höhen des Mont Cenis. Die Masse von Mont Cenis und diejenige der
Erde beeinflussten die Schwere in verschiedener Weise an verschiedenen
Stellen. Aus der Dichtigkeit des Berges berechnete er diejenige der
Erde zu 4,39—4,95.
Die gleiche Methode wurde (1880) von Mendenhall an dem japani-
schen Berge Fusi-yama benutzt, dessen Gestalt sehr nahe einem Kegel
entspricht und dessen Schwerenwirkung deshalb relativ sicher berechnet
werden kann. Das Ergebnis war A = 5,77.
In ähnlicher Weise fand Pres ton durch Messungen am Yulk an-
borge Habakala auf Hawai A = 5,13 (1895).
Anstatt Pendelschwingungen kann man in diesem Falle die Ände-
rung der Gleichgewichtslage des Pendels, d. h. die Lotabweichung messen.
Die Methode wurde von Bouguer (1749) auf Chimborazo und nachher von
Maskelyne am Berge Shehallien in Schottland (1775) angewandt. Durch
Triangulation maass er die Entfernung zweier Punkte nördlich und süd-
lich vom Berge. Daraus war es leicht, ihre Polhöhendifferenz zu be-
rechnen. Diese wurde nun in gewöhnlicher Weise bestimmt und grösser
gefunden. Dies rührt davon her, dass die Lotlinien nicht gegen den
Mittelpunkt der Erde, sondern gegen einen zufolge der Wirkung des
Berges höher liegenden Punkt gerichtet sind. Aus dem Unterschied
der beobachteten Polhöhendistanz und der berechneten, sowie der Grösse
und Dichte des Berges, lässt sich die Dichte der Erde berechnen.
Maskelyne fand den Wert 4,7. In neuerer Zeit haben James und
Clarke ähnliche Messungen am Berge Arthurs Seat bei Edinburgh
ausgeführt (1856). Sie fanden A = 5,32.
An diese Messungen erinnern stark diejenigen von Berget, welcher
Wasser in einen Teich einfüllte oder abliess. Für die Messung ver-
wendete er ein Instrument von Mascart (vgl. S. 246). Er fand A = 5,41.
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 251
Messungen in Schachten. Newton erwies in folgender ein-
fachen Weise, dass bei einer Messung unter der Erdoberfläche die über
dem Beobachtungspunkte liegenden Schichten nicht auf die Schwere
einwirken. Denken wir uns eine dünne Kugelschale (Fig. 79) zwischen zwei
konzentrischen Kugelflächen eingeschlossen. Wir wollen beweisen, dass
die Einwirkung dieser Kugelschale auf einen in ihr befindlichen schweren
Punkt (0) Null ist. Nehmen wir ein kleines Stück AB auf der Oberfläche
der Kugel und ziehen gerade Linien nach 0 von dem Rande der AB
einschliessenden Kurve, so begrenzen diese durch eine ähnliche Kurve ein
Stück CD auf der anderen Seite der Kugeloberfläche. Der Winkel,
welchen die Flächenstücke AB und CD mit dem Radiusvektor aus 0
bilden, ist für beide gleich (a), nachdem eine beliebige Sehne AD den
gleichen Winkel mit den beiden Seiten des durch sie gelegten grössten
Kreises der Kugel bildet. Da nun AB als sehr klein vorausgesetzt wird,
so kann dieser Winkel übrigens als für alle Seh-
nen gleich («) angesehen werden. Die Volumina
der beiden unter AB und CD belegenen Stücke
der Kugelschalen verhalten sich wie ABd zu
CDd, worin d die Dicke der Kugelschalen be-
deutet. Da nun w^eiter AB und CD den gleichen
Winkel mit dem Radiusvektor aus 0 einschliessen,
so verhalten sich die Flächen AB zu CD, wie Fig. 79.
die Quadrate der Radiivektoren CA bezw. OD.
Die beiden Massen der Kugelschalenstücke verhalten sich demnach
ebenso, und da die Schwerenwirkung der Masse direkt und dem Quadrate
der Entfernung umgekehrt proportional ist, so wird die anziehende
Wirkung der beiden Stücke AB und CD gleich aber entgegengesetzt
gerichtet. Mit anderen Worten, die beiden Anziehungen heben ein-
ander auf. In derselben Weise beweist man, dass alle Teile der Kugel,
welche weiter entfernt von dem Mittelpunkt der Kugel liegen als der
Punkt 0, keine Schwerenwirkung in 0 ausüben.
Airy machte nun Pendelversuche in einem 300 m tiefen Schacht
einer Kohlengrube zu Harten (1854), ebenso wie an der Tagöff"nung dieses
Schachtes. Er kam zu dem eigentümlich erscheinenden Resultat, dass di-e
Schwere mit der Tiefe zunimmt. Man könnte nämlich nach Newtons
Ableitung vermuten, dass, da das Volumen der einwirkenden Masse propor-
tional der dritten Potenz der Entfernung von dem Erdmittelpunkte und
die Schwerenwirkung der zweiten Potenz derselben Entfernung umgekehrt
proportional ist, die ganze Wirkung, d. h. die Schweife dieser Entfernung
252 Physik der Erde.
proportional wäre. Dies setzt aber voraus, dass die Dichte überall im
Erdkörper gleich ist, was nicht zutrifft. Die mittlere Dichte der Erde
beträgt nach den zuverlässigsten Messungen etwa 5,527, die Dichte
an der Oberfläche (der verschiedenen ßergarten) wird zu etwa 2,6 an
der festen Erdkruste und etwa 1,04 an der Oberfläche des Meeres ge-
schätzt.
Diese Zunahme der Dichte mit der Tiefe bewirkt es, dass die
Schwere anfangs nach unten zunimmt. Airy schätzte aus der Dichte
der Kohlenlager, die oberhalb dem Beobachtungsorte lagen, die Dichte
der Erde zu 6,56. Aus neueren Bestimmungen haben Haughton die
Zahl 5,48, Schmidt 4,84 abgeleitet. Diese Methode giebt demnach
sehr unsichere Resultate, wie man auch wegen der Schwierigkeit, die
Dichte der oberhalb des Beobachtungspunktes liegenden Schichten zu
schätzen, erwarten kann.
V. Sterneck hat dieselbe Methode in dem etwa 1000 m tiefen
Schacht von Pribram benutzt, er fand A zwischen 5,71 und 5,81 (Mittel
5,77) wechselnd (1883). Ähnliche Messungen in den Schächten von Frei-
berg (1885) ergaben ihm mit der Tiefe stark ansteigende Werte von A
zwischen 5,66 und 7,60. Dieser Umstand scheint die Anwesenheit einer
sehr stark störenden Lokalwirkung (vgl. weiter unten) anzuzeigen. Diese
störenden Einflüsse, welche man nie berechnen kann, machen alle Be-
stimmungen der Erddichte, welche durch Vergleichung mit der Dichte
von Erdschichten erhalten wurden, in hohem Grade unsicher.
Die Zunahme der Schwere mit der Tiefe. Aus den erwähnten
Messungen im Pribramer Schachte hat v. Sterneck geschlossen, dass
die Schwere mit der Tiefe anfangs zunimmt, und zwar so, dass sie in
einer Tiefe von 991 m 10,000885 mal grösser als an der Erdoberfläche
ausfällt. Diese Zunahme dauert nur bis zu einer gewissen Tiefe, denn
am Erdmittelpunkte ist die Schwere Null. Man schätzt, dass die Schwere
ihr Maximum, das um etwa 5 Proz. den Wert an der Erdoberfläche
übersteigen dürfte, in einer Entfernung von etwa 0,82 Erdradien vom
Mittelpunkt der Erde erreicht.
Die hohe mittlere Dichte der Erde nötigt zur Annahme, dass das
Erdinnere aus ganz anderen Bestandteilen als die Erdkruste (Silicate,
Carbonate) besteht. Ein genügend hohes specifisches Gewicht besitzen
nur wenige Verbindungen von relativ seltenen Elementen; Blei, Queck-
silber und Jod sind darunter die gewöhnlichsten. Da diese nicht wohl
in nennenswerter Menge im Erdinnern vorkommen können, wird man
zu dem Schluss geführt, das Erdinnere bestehe hauptsächlich aus metalli-
1. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 253
sehen Körpern, und zwar vorzugsweise Eisen und damit verwandten
Metallen. Dafür spricht die grosse Rolle, welche das Eisen in kosmischen
Beziehungen, z. B. der Zusammensetzung der Meteorite und der Sonne
spielt. Weiter deuten die eruptiven Eisenmassen auf der grönländischen
Disco-Insel und die erdmagnetischen Verhältnisse darauf hin. Das speci-
lische Gewicht des Eisens ist 7,8 in festem, 6,6 in geschmolzenem Zu-
stande. Der grössere Teil der Erde hestünde demnach aus Eisen (und
verwandten Metallen), der kleinere aus den Materialien der Erdrinde.
Die mittlere Dichte der Erdkruste (vom Wasser abgesehen) wird
zu etwa 2,6 geschätzt. Über die Dichte der tieferen Schichten ist sehr
schwer etwas auszusagen, nur muss sie im Mittel -bedeutend grösser
sein, nachdem die mittlere Dichte der Erde 5,53 erreicht. Man hat For-
meln gegeben, um die mittlere Dichte in einer bestimmten Tiefe zu
berechnen. Diese sind natürlicherweise sehr hypothetisch, sie führen
zu der Annahme, dass ebenso, wie die Dichte an der Oberfläche etwa
halb so gross ist, wie die mittlere Dichte der Erde, so auch diese an
ihrer Seite etwa halb so gross ist, wie die Dichte am Mittelpunkt
der Erde.
Änderung der Schwere mit der Höhe. Jelly benutzte zu den
betreffenden Messungen seine oben erwähnte Wage, deren Schalen in
verschiedener Höhe lagen. Gewichte von 5 kg wurden auf die beiden
Schalen gelegt und äquilibriert. Danach wurde das Gewicht auf der
tieferen Schale hinaufgenommen und ganz nahe am Wagebalken ange-
hängt. Der Höhenunterschied betrug etwa 21m. Nach der Yerschie-
bung musste man 32 mg mehr zum verschobenen Gewicht hinlegen,
um wieder Gleichgewicht zu erhalten. ♦
Wenn nun die Entfernungen von dem Mittelpunkt der Erde in den
beiden Fällen R und R + h sind, so müssen sich die Schweren desselben
Körpers in den beiden Fällen verhalten wie:
G ~"(Ä+/0'^~ b'
Da nun Oi das Gewicht an der Erdoberfläche (in der tieferen Lage)
5 kg = 5.106 mg beträgt, 7^ (der Erdradius) 6 370000 m und h 21 m
lang sind, so wird C^ (5.10^* — 33) mg. Das heisst, in der höheren
Lage wiegt der 5 kg schwere Körper 33 mg weniger als in der tieferen
Lage, was gut mit der Erfahrung übereinstimmt.
In einer Höhe von 3 km wird die Schwere um 0,1 Proz. geringer
sein als an der Erdoberfläche, und sonst ist die Gewichtsabnahme der
254 Physik der Erde.
Höhe sehr nahe proportional. Diese Abnahme gilt für frei in der Luft
gelegene Punkte, wie Luftballons oder Türme etc.
Dagegen ist die Formel für eine Hochebene nicht giltig, weil da-
selbst die Wirkung der darunterliegenden Gebirgsmasse dazukommt.
Es sei h die Dicke einer solchen Gebirgsmasse (die Höhe über dem
Meeresniveau). Man kann dann die Wirkung folgendermaassen berech-
nen (Fig. 80). Wie vorhin, wird es erwiesen, dass die Wirkung der Teile
AB und CD einer Kugelschale (von gleichmässiger Dichte) auf einen
ausserhalb der Kugelschale belegenen schweren Punkt gleich gross ist,
wenn AB und CD von derselben konischen Fläche abgeschnitten werden,
deren Spitze in 0 liegt. Die Wirkung der Kugelkalotte MABM^ wird
demnach ebenso gross sein wie diejenige der Kalotte MCDM^. Wird
nun 0 immer näher zur Oberfläche geschoben, so
wirken schliesslich nur die in ihrer nächsten Nähe
liegenden Teile des Gebirgsmassives, die weiter ent-
fernten wirken nach horizontalen Linien, tragen
also nichts zur vertikal gerichteten [Schwere bei.
Die Wirkung des Gebirgsmassives wird also gleich
derjenigen der oberen Kalotte sein und halb so
Fi^y. 80. gross wie die Wirkung einer die ganze Erde um-
gebenden Hohlkugel von der Dicke h und derselben
Dichte A'*7 wie das Gebirgsmassiv. Die Masse {G) einer solchen Hohl-
kugel wäre aber G^ = '^l^jt{(R-\-h)^~-R^}A\ diejenige (G^j) der Erde
dagegen G=%jtR^A, wenn A die mittlere Dichte ist. Da weiter
die Wirkungen von Kugeln und Hohlkugeln gerade so ist, als wären ihre
ganzen Massen in ihre Mittelpunkte verlegt, und diese für beide ge-
meinsam sind, so werden die Anziehungen der beiden Körper auf einen
schweren Körper an der Oberfläche der Hohlkugel sich verhalten wie:
G,: 0 = {{R + hy - B^} A :R^ A = l + ^^'
Da nun der Berg eine halb so grosse Einwirkung besitzt, wie die
erwähnte Hohlkugel, so wird die Schwere G2 auf dem Hochplateau in
der Mereshöhe h sich zu derjenigen (Go) an der Meeresoberfläche ver-
halten wie:
Go \ ^/ \ 2RAJ
Da nun A' nahezu die Hälfte von A beträgt, so können wir
schreiben:
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 255
S=('-")('+IS=('-ll
Der Ausdruck in der ersten Klammer bezieht sich auf die Ver-
minderung der Schwere zufolge der Entfernung vom Erdmittelpunkte,
derjenige in der zweiten Klammer auf die Zunahme der Schwere zu-
folge der Wirkung des Bergmassivs. Die Totalwirkung giebt, wie er-
sichtlich, eine Abnahme der Schwere mit steigender Hohe.
Die obenstehende Formel (von Bouguer) wird dazu benutzt, um
Schwerenmessungen zur Meeresoberfläche zu reduzieren.
Aus der vorletzten Formel ersieht man, dass, wenn man eine sehr
weitgehende Aushöhlung in der Erde unter dem Beobachtungspunkte
zu einer Tiefe von 1000 m zustande brächte, die Schwere um A':235
Prozent, oder wenn für die Oberflächenschicht A' = 2,6 wäre, um
^90 Proz. abnehmen würde. Da die Schwere durch die Beschleunigung
der Schwerkraft, ^ = 980 cm, gemessen wird, so entspricht eine Aus-
höhlung oder einem sogenannten Massendefekt von 1000 m einer Ab-
nahme in g von 0,11 cm. Man kann auf diese Weise die Abweichung
der gemessenen Schwere von einem berechneten Wert so ausdrücken,
dass diese Abweichung einem Massendefekte oder einem Massenüber-
schusse von einer bestimmten Dicke entspricht.
Änderung der Schwere mit der geographischen Breite.
Aus dem vorhin Gesagten fanden wir, dass zufolge der Achsenumdrehung
der Erde die Schwerkraft am Pole diejenige am Äquator um ^290 über-
steigt. Zu diesem durch die Centrifagalkraft verursachten Unterschied
kommt noch einer, der davon herrührt, dass der Erdmittelpunkt weiter
(6377,4 km) vom Äquator als von den Polen (6355,6 km) entfernt ist.
Wenn die schwere Masse ebenso wirkte, wie wenn sie in den Mittelpunkt
verlegt wäre, so würde der diesbezügliche Unterschied nicht weniger
als Vi 47 betragen. Dieser Wert ist aber beinahe viermal zu gross;
der Unterschied erreicht nach genauer Eechnung nur den Wert ^jr^^^-
Danach wäre, falls ^90 den Wert der Beschleunigung der Schwere
am Pole darstellt, g^p den entsprechenden Wert an der geographischen
Breite (p bezeichnet:
5'</=5'!)o(l— ■5r9öCOs2f/)) (1 — ;5-i.jCOs2 9))=^yo (1 — liycos^^p).
Man kann nun, anstatt der Beschleunigung der Schwere g^>^ die
Länge des Sekundenpendels dtp angeben, welche nach der Pendelformel
mit g,f, durch folgende Relation verknüpft ist:
256
Physik der Erde.
/^, =^^:jr2 = 0,10129 ^y.
Diese Länge haben verschiedene Forscher bestimmt, als Mittelzahl hat
Broch daraus berechnet:
L
^ = (1 — 0,00259 cos2 (p) (1 — 196.10-9 h),
worin h die Höhe in Metern über die Meeresoberfläche bedeutet. In
diese Formel wäre einzusetzen
^^5=980,635 cm/sek.2 Z45 = 99,329 cm.
Die Schwerkraft, bezogen auf diejenige bei 45^ Breite wäre danach für:
Seehöhe
Seehöhe
Amsterdam .
4 m
1,000483
London . .
5,5 m
1,000582
Athen . .
. 120
0,999347
Lissabon . .
. 95
0,999417
Batavia .
8
0,997468
Madrid . .
. 663
0,999457
Berlin
. 35
1,000664
Melbourne .
30
0,999353
Bern . .
. 572
1,000064
München . .
525
1,000181
Boston .
. 38
0,999753
New^^orlv . .
56
0,999605
Breslau .
. 118
1,000526
Paris . . .
. 64
1,000333
Brüssel .
. 19
1,000522
Pest . . .
. 70
1,000211
Christiania
. 23
1,001284
Petersburg .
20
1,001287
Dublin .
. 16
1,000745
Quebec . .
70
1,000149
Edinburgli
71
1,000952
Rio de Janeiro
64
0,998182
Hamburg .
7
1,000760
Rom . . . .
53
0,999 710
Helsingfors .
16
1,001305
Stockholm . .
20
1,001239
Kairo . . .
29
0,998702
Warschau . .
110
1,000624
Konstantinopel
50
0,999630
Wien . . .
. 150
1,000260
Kopenhagen
10
1,000942
Zürich . .
470
1,000123
Anstatt der letzten Formel auf S. 255 kann man ebenso gut schreiben:
^y =5'o (1 + m sin'^r/)) =^45 (1 — -jj^ cos 2 9)),
wenn g^ die Schwere am Äquator ^,5 diejenige unter dem 45. Breite-
grade darstellt.
Resultate der Schwerenmessungen. Schon durch Messungen
der Lotabweichungen hatte man die Anziehung von grossen Gebirgs-
massen konstatiert. Diese Anziehung macht sich überall in der Nähe
von grösseren Gebirgsstöcken geltend. Sie kann, je nach der Lage der
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 257
Felsen, sowohl positiv wie negativ sein. Positiv wird die Abweichung
genannt, wenn die am Ort beobachtete Breite grösser ist als die aus
der geographischen Lage berechnete. Die Harzgegend zeigt recht grosse
positive Lotabweichungen; so z. B. am Brocken + 9,44", in Ilsenburg
-|- 11,11", dagegen südlicher gelegene Stellen negative, so z. B. bei Mühl-
hausen i. Th. ■ — 4,00", bei Tettenborn — 4,84". Noch grössere Lotab-
weichungen kommen in der Schweiz und im Kaukasus vor, so z. B. zu
Chaumont 17,80", in Wladikawkas, nördlich vom Kaukasusgebirge 35,8",
in Duschet, südlich davon, 18,3".
Bisweilen können die Bergmassen nicht nur nicht anziehend, son-
dern sogar scheinbar abstössend wirken. Es sieht demnach so aus, als
ob die Bergmassen nichts wiegen würden, sondern unter ihnen im Erd-
boden grosse Löcher befindlich wären. Man sagt dann, dass an der
betreffenden Stelle ein Massendefekt sich vorfindet. Solche Defekte
sind durch Lotabweichungen an mehreren Stellen konstatiert, wie in
der Nähe von Moskau, an einigen Stellen im Kaukasus u. s. w.
Viel ergiebiger sind die Pendelmessungen gewesen, welche beson-
ders in den Alpenländern ausgeführt sind. Man erhielt da grosse Ab-
weichungen von den nach der B roch sehen Formel berechneten Werten
von ^, und zwar meist negative, so z. B. bei Innsbruck — 0,121 cm, was
einem Massendefekte einer Rinde von der Dicke 1100 m und der Dichte
2,6 entspricht. Massenüberschüsse kommen dagegen in der norddeut-
schen und in der lombardisch -venetianischen Ebene vor. Andere
Massendefekte sind für den Schwarzwald und die indischen Gebirgsgegen-
den nachgewiesen: Dagegen giebt die Beobachtung auf isolierten Inseln
grössere Werte der Schwere als die berechneten.
Als Beispiel, wie die Abweichungen der Pendelschwingungszeiten
von den für dieselbe Breite berechneten Werten, durch Annahme von
Massendefekten oder Massenüberschüssen erläutert werden können, möge
folgendes Profil (nach Galle) betreffs der Intensität der Schwere
längs dem Meridian Schneekoppe-Kolberg reproduziert werden (Fig. 81
S. 261).
Der obere Teil giebt das Höhenprofil nach der beigegebenen Skala.
Der untere Teil der Zeichnung stellt die Dicke der an der Erdoberfläche
der betreffenden Stelle anzubringenden Schicht von der Dichte des vor-
handenen Erdbodens, welche genügen würde, um die beobachtete Ab-
weichung zu erklären. Wo Massenüberschüsse vorkommen, ist die Zeich-
nung schraffiert, wo Massendefekte anzunehmen sind, ist die Zeichnung
weiss gelassen. Die Dicke wird durch die Entfernung zwischen den
Arrhenius, Kosmische Physik. »17
258 Physik der Erde.
zwei stark gezeichneten symmetrisch liegenden Linien und in derselben
Skala wie das obere Profil wiedergegeben.
Wie wir oben gesehen haben, beschleunigt ein unterhalb des Beob-
achtungsortes gelegenes Bergmassiv die Schwingungen des Pendels. In
entgegengesetzter Richtung wirkt die Abnahme der Schwere mit der
Höhe. Zur Berechnung wegen dieser Umstände einzuführenden Korrek-
tion (vgl. S. 254), ist die Formel von Bouguer gegeben. Mit Hilfe
dieser Formel kann man die Beobachtungen wegen der Höhe über
der Meeresoberfläche korrigieren, wie dies von den meisten Beobachtern
gethan wurde. Einige wollen aber die Korrektion wegen der Einwirkung
des Bergmassivs nicht einführen, nachdem mehrere auf diese Weise kor-
rigierte Beobachtungen aus dem Himalaja sehr starke negative Ano-
malien aufwiesen, welche Anomalien teilweise oder gänzlich (z. B. für die
4700 m hohe Station More) verschwinden würden, wenn man die Wir-
kung des Bergmassives gleich Null setzen würde. Indessen hat diese"
Meinung nicht gesiegt. Helmert hat sogar die Beobachtungen auf
eine Niveaufläche 21 km unter der Meeresoberfläche (der sogenannten
Kondensationsfläche) zurückgeführt.
Um die genannten Abweichungen, sowohl die Massendefekte wie die
zu grosse Schwere auf Inseln, zu erklären, hat man mehrere Hypothesen
aufgestellt, von denen jedoch bisher keine allgemeine Anerkennung ge-
funden hat. Die Massendefekte der Gebirgsketten sollten z. B. davon
herrühren, dass ihr Baumaterial leichter wäre als das flüssige Erdinnere
und dass sie, ungefähr wie Eisberge im Meere, auf dem flüssigen Erd-
innern schwimmen würden, worin ihr Unterteil tief hineinragen sollte.
Diese Anschauung lässt sich schwer zur Erklärung der positiven Ab-
weichung auf oceanischen Inseln verwenden. Vielmehr hat Faye zur
Erklärung derselben die Hypothese aufgestellt, dass die Erdkruste unter
dem Meeresboden viel dicker ist als unter dem Festland. Dazu sollte
die niedrige Temperatur (etwa +1^0.) des Wassers am Meeresboden
in der Länge der Zeit geführt haben. Da aber, wie wir unten sehen
werden, das Temperaturgefälle in der Erdkruste etwa 3^ C. pro
100 m beträgt, und der Meeresboden nicht mehr als etwa 20^ kälter
als die angrenzende Landesoberfläche ist, so kann man nicht wohl an-
nehmen, dass die Erdkruste unter dem Meere in Dicke diejenige unter
dem Festlande mit mehr als etwa 1 km übertrifft. Dieser Dickenunter-
schied könnte sogar nicht ausreichen, um die etwa 2,5 mal geringere
Schwerenwirkung des Wassers als des festen Erdbodens zu kompen-
sieren.
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 259
Man hat denn auch angenommen, dass die Festlandmassive wegen
ihrer Schwerenwirkung das Meereswasser zu sich ziehen würden. Ganz
besonders würde dies an Küstenstrecken stattfinden, welche steil in das
Meer hinuntertauchen, wie z. B. an der Westküste von Südamerika. Da-
durch würde die Meeresoberfläche in der Mitte des Oceans viel näher
dem Erdmittelpunkt liegen als an seinem Rande, und infolgedessen
würde die Schwere auf den oceanischen Inseln viel grösser sein als an
der Küste. Die Erfahrung zeigt aber, dass auch bedeutende Bergmassen
in einer Entfernung von mehr als etwa 6 km keine nennenswerte
Schwerenwirkung ausüben. Eine Insel, welche, wie Hawa'i, eine
Länge von gegen 100 km besitzt, oder eine Inselgruppe, wie die Sand-
wichinseln (über 16000 km^), würde demnach nicht viel anders wie ein
Kontinent wirken. Trotzdem kommen gerade auf diesen Inseln ausser-
ordentlich grosse Abweichungen vor. So z. B. ist auf Hawai die Schwere
um 0,03 Proc, an der Spitze des Vulkans Mauna Kea (4000 m) um 0,07
Proc. zu gross, wobei jedoch keine Korrektion wegen des Bergmassivs
eingeführt ist. Zur Erklärung der erstgenannten Differenz müsste man
annehmen, dass das Meer bei Hawa'i etwa 1000 m tiefer liegen würde
als an der Küste des Kontinents. Der grosse Wert der Schwere auf
dem Mauna Kea zeigt keine Massendefekte an. Auch die Hypothese
von Faye zeigt sich hier untauglich. Die Erdkruste ist nämlich in der
Nähe von Vulkanen nicht als sehr dick, sondern umgekehrt als relativ
dünn anzunehmen (vgl. weiter unten). Auffallend ist auch, dass auf
dem nördlichen Eismeer, unter welchem die Erdkruste wohl relativ dick
sein müsste, nach den Messungen der Fram-Expedition unter Nansen,
die Schwere keine Abweichung von der Berechnung zeigt, bei welcher
man die Clairaut-Laplaceschen Formeln benutzt:
9pol — gaf.q
ifaeq
im — e;gcp =-gaeq + {9poi — gaeq) sm V)
worin m das Verhältnis, ^^^, der Centrifugalkraft am Äquator zu der
Schwere daselbst und e die Excentricität des Erdsphäroides darstellt, g^,
ist die Schwerkraft an der Meeresoberfläche an der geographischen
Breite q). Nach Helmerts Berechnung ist an der Meeresoberfläche
//4;, =980,5966 cm/sek.^ woraus 5r^o/ = 983,136, ^'aeg = 978,057.
Als Beispiele mögen folgende Messungen angeführt werden. Die
Abweichung A = beob.-ber. ist für Greenwich gleich Null gesetzt.
17
^60
Physik der Erde.
Küstenstationen
Nordsee, Dünkirchen
„ Greenwich .
„ Lihons . .
„ Leith . . .
„ Hamburg .
„ Leyden . .
Toulon
Marseille
Nizza
Barcelona ....
Alger
Ajaccio
Port-Vendres . . .
Philippeville ....
Bastia
Corte (605 m) . . .
Lipari
Formentera (203 m) .
Capri (95 m) . . .
Bari
Eismeer, Spitzbergen
Süd-Shetland . . .
Cap Hörn ....
Staaten- Eiland . . .
Indien, Punud . . .
„ Kudankolam
Allepy . . .
„ Mangalore .
„ Madras . .
„ Cocanada . .
„ Calcutta . .
Melbourne, Austr.
Insulare Stationen
Sanct Thomas ... .
Fernando do Norunha
Ascension . .
St. Helena . .
üalan, Carolinen
Guam, Ladronen
Bonin-lnseln
Ile de France (Mauritius)
Mauwi, Hawa'i-Inseln
Mauna Kea „ (3981 m)
Waihihi, „ ...
Honolulu, „ . . .
Kontinentalstationen
Clermont (400 m) .
[I
981,231
981,264
981,117
981,681
981,406
981,318
980,531
980,551
980,618
980,397
980,008
980,454
980,515
980,022
980,575
980,504
980,245
980,213
980,364
980,411
983,181
982,279
981,676
981,613
978,174
978,177
978,243
978,311
978,387
978,524
978,853
979,969
978,297
978,344
978,372
978,736
978,452
978,599
979,513
978,959
978,959
978,994
979,023
979,059
A
+ 0,005
0
— 2
35
46
3
10
14
32
30
47
40
18
41
93
56
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ 135
+ 86
+ 169
+ 164
-f 88
+ 88
+ 39
+ 68
— 67
— 52
— 22
— 68
— 71
— 36
— 26
+ 15
+ 176
+ 192
+ 150
+ 225
+ 283
+ 197
+ 326
+ 224
+ 183
+ 280
+ 222
+ 257
Kontinentalstationen
Lyon (286 m) . . .
Pic du Midi (2877 m)
Montlouis (1620 m) .
Paris (60 m) . . . .
Madrid (662 mj . .
Berlin (38 m) . . .
Strassburg (143 m) .
München (529 m) . .
Genf (405 m). . . .
Trafoi, Tyrol (1541 m)
Landeck, „ (794 m)
Rom (59 m) . . . .
Wien (183 m) . . .
Budapest (122 m) . .
Warschau (109 m)
St. Petersburg (8 m).
Moskau (142 m) . .
Tiflis (471 m) . . .
Taschkent (400 m) .
Bokhara
üzun Ada ....
Constantineh, Algier
(655 m) ....
Medeah, Algier (930 m)
Uled Rhamun, Algier
(687 m)
Batna, Algier (1050 m)
El Kantara, Algier
(525 m) ....
Biskra, Algier (187 m)
Laghouat, Algier
(755 m) ....
Chicago (165 m) .
Salt Lake City (1288 m
Denver, Col. (1645 m
M:t Hamilton (1282 m)
More, Indien (4696 m
Mussoori, „ (2109 m
980,696 — 63
Dehra, „
Nojli,
Kuhana, „
Datairi, „
Usira, „
Kalianpur, „
Badgaon, „
Somtana, ,,
Bangalore, „
Mallapatti,,,
(683 m
(269 m
(247 m
(218 m
(247 m
(538 m
(542 m
(522 m
(950 m
(88 m
9
980,747
980,406
980,370
980,980
980,151
981,312
980,944
980,850
980,677
980,570
980,790
980,373
980,913
980,887
981,224
981.880
980,944
980,32
980,25
980,20
980,07
979,877
979,888
979,903
979,732
979,695
979,701
979,564
980,375
980,050
979,983
979,916
979,169
979,306
979,224
979,398
979,280
979,262
979,147
978,950
978,728
978,627
978,304
978,233
+
+
+
+
+
+
z/
0,003
98
97
37
32
43
23
31
28
167
154
56
26
64
20
10
23
79
199
19
139
52
32
— 9
— 126
— 135
148
30
262
252
94
498
136
208
106
89
48
31
31
40
46
81
31
T. Gestalt., Masse und Bewegung der Erde.
261
Stationen, bei welchen die Höhe nicht in Klammern angegchfin
ist, liegen nahe an der Meeresoberfläche. Die angegebenen ^-Werte
sind nach der Bouguer sehen Formel (S. 254) korrigiert.
Wie aus dieser Zusammenstellung nach Bourgeois ersichtlich, ist
die Abweichung an der Nordsee nahezu gleich Null (offenbar weil Green-
wich ganz nahe daran liegt), dagegen geben die Stationen am Mittelmeer
etwas positive, diejenigen an der ostindischen Küste etwas negative Ab-
weichung. Diese negative Abweichung steigt im Innern des Landes gegen
den Himalaja hin, wo sie gegen — 0,5 cm erreicht. Die grössten po-
Fig. 81.
siti\ ('11 Aliweichungen kommen auf Inseln im Grossen Ocean (Bonin-In-
seln 0,326 cm, Hawai 0,25 cm) vor. Danach kommen die Inseln im
Indischen Ocean (Mauritius 0,22 cm) und im Süd -Atlant (St. Helena
0,225 cm). Recht grosse negative Abweichungen zeigen, ausser den
Stationen im Himalaja, diejenigen in Transkaspien (Taschkent 0,2 cm,
Uzun Ada 0,14 cm) und noch mehr die hoch gelegenen Stationen auf
dem nordamerikanischen Kontinent (Salt Lake City 0,20, Denver 0,25 cm).
Die grössten Abweichungen auf dem europäischen Kontinent (Trafoi
und Land eck) erreichen nur etwa 0,16 cm.
Diese Beobachtungen sind von solcher Wichtigkeit, dass in den
verschiedenen Ländern die geodätischen Institute und die Wissenschaft-
9ß2 Physik der Erde.
liehen Gesellschaften Organisationen eingerichtet haben, wodurch die In-
tensität der Schwerkraft nach einem gemeinsamen Plan an verschiedenen
Punkten der Erde gemessen werden soll.
Messungen von Eötvös. Wie oben angegeben, hat Eötvös die
Beobachtungen mit der Drehwage zu einer sehr hohen Vollendung und
Empfindlichkeit getrieben. Die schweren Massen von etwa 25 g Ge-
wicht sind dabei an den Enden eines 40 cm langen leichten Messingrohres
befestigt, welches an einem 0,04 mm dicken Platindraht in einer mes-
singenen Dose von 5 — 10 mm innerer Höhe aufgehängt ist. Das
eine Gewicht kann auch an einem (55 cm langen) Draht aufgehängt
werden. Die Dose schützt gegen Luftströmungen, elektrische und ther-
mische Störungen. Der Platindraht ist oben in einer metallenen Röhre
befestigt, und seine Drehung kann mit Spiegel und Skala abgelesen
werden. Die ganze Dose kann mit einer Schraube um ihre Achse ge-
dreht werden. Die Schwingungszeit des Pendels ist 600 — 1200 Se-
kunden. Mit diesem Instrument kann man die Änderung der Kom-
ponenten der Schwerkraft in horizontaler Richtung messen. Die be-
treffenden Bestimmungen können sowohl mit Hilfe von Ablenkungen
der Röhre aus ihrer Gleichgewichtslage wie von Schwingungsversuchen
ausgeführt werden.
Die Drehwage von Eötvös kann so empfindlich gemacht werden,
dass, wenn sie 1 m von der Meeresküste aufgestellt wäre, eine Stei-
gung des Meeres um 1 mm sich durch eine Ablenkung von einer halben
Bogenminute kundgeben würde. Mit dieser Drehwage hat Eötvös die
Fortsetzung von Felsen unter der Erde wahrscheinlich gemacht.
Das Geo'id. Geo'id nennt man diejenige Oberfläche, welche das
Meer der Erde bildet und welche unter den Kontinenten fortgesetzt ge-
dacht werden kann.
Von der Potentialtheorie übernehmen wir den Satz, dass die Rich-
tung der Kraft immer auf den Äquipotentialflächen senkrecht steht. In
einer Flüssigkeitsmasse, die nur der Schwere unterworfen wäre, würden
die Kraftlinien alle nach dem gemeinsamen Schwerpunkt gerichtet sein
und infolgedessen die Äquipotentialflächen kugelförmig verlaufen. Die
Meeresoberfläche stellt sich auch senkrecht auf die Komponente der
wirkenden Kräfte. Sie ist eine Niveaufläche und die Äquipotentialflächen
werden aus Analogie häufig als Niveauflächen bezeichnet.
Wenn nur die Schwere wirkte, so wäre das Potential in einem Punkte:
r
. Cdvi
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 263
worin k die Gravitationskonstante bedeutet, dm einen Massenteil der Erde
und r die Entfernung dieses Massenteiles zum betreffenden Punkte. Die
Integration wäre auf die ganze Erdmasse auszudehnen.
Zu den von der Schwere herrührenden Kräften kommen in diesem
Falle die von der Centrifugalkraft stammenden hinzu. Wenn ein Körper
sich um eine Drehungsachse dreht, so besitzt die Centrifugalkraft in
der Entfernung q von der Achse, pro Masseneinheit den Wert:
Q ^
wenn mit v die Geschwindigkeit und mit w die Winkelgeschwindigkeit
der drehenden Bewegung bezeichnet wird. Die dem Potential ent-
sprechende Arbeit, welche geleistet wird, wenn die Masseneinheit von der
Drehungsachse zur Entfernung q gebracht wird, ist ausgedrückt durch
die Formel:
Die totale Kräftefunktion zufolge der beiden Umstände wird:
W=P-\-jt,
Der Ausdruck Tr= Konstant stellt die Gleichung einer Niveau-
fläche, in diesem Falle einer Geoidenfiäche dar. Für den speziellen
Fall, dass die Konstante denselben Wert besitzt, wie an der Meeres-
oberfläche, erhalten wir die ihr entsprechende Geoidenfiäche und können
daraus ihren Verlauf unter den Kontinenten berechnen.
Die Intensität {J) der Schwerkraft, welche durch Pendelmessungen
festgestellt werden kann, soll dem Ausdruck genügen:
j dW
an
worin n der Richtung der Normale zur Niveaufläche, d. h. der Lotlinie
entspricht. Je dichter die Niveauflächen liegen, desto grösser ist .die
Intensität der Schwere, und zwar ist sie der Entfernung zweier benach-
barter Niveauflächen umgekehrt proportional.
Durch Nivellierungen kann man sich einen recht genauen Begriff
bilden, wie das Geoidensystem über den Kontinenten verläuft. Durch
Pendelbeobachtungen ermittelt man die relative Entfernung der Geoiden-
264 Physik der Erde.
flächen und durch Gradmessungen ihre Krümmung. Auf diese Weise
kann man die Form dieser Flächen bestimmen.
Die Geo'idenfläche, welche die Meeresoberfläche in sich schliesst, ist
so wenig von einer Rotationsellipsoide verschieden, dass es nach Her-
gesells Messungen möglich ist, eine Fläche dieser letzten Art zu
wählen, welche an keiner Stelle um mehr als 250 m von dem Geoid
entfernt ist.
Andere Folgen der Erdumdrehung. Da verschiedene Teile
der Erde je nach ihrer geographischen Breite und ihrer Höhe über dem
Meere eine verschiedene absolute Geschwindigkeit besitzen, welche ihrer
Entfernung von der Erdachse proportional ist, so werden bei Verschie-
bungen eines Körpers sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Rich-
tung Richtungsänderungen entstehen, welche bei stillstehender Erde
nicht vorkommen würden.
Schon früh erkannte man (Newton), dass ein frei von einer Turm-
spitze fallender Stein den Boden östlich von der Lotlinie durch die Turm-
spitze treffen muss, weil die Spitze des Turmes eine grössere
Drehungsgeschwindigkeit besitzt, als die Erdoberfläche
(und zwar in Richtung von West nach Ost). Es wurden
auch Versuche, um diesen Effekt nachzuweisen, von
^- ^ Newtons Zeitgenossen H o o k e angestellt, aber mit ne-
gativem Erfolg. Der Effekt ist auch sehr gering.
Wenn der h m hohe Turm am Äquator steht, ist die Geschwindig-
keit der Turmspitze um w = 2 Jt h:S()iQ4: = l,29.\i)-^ h = xh m pr. Sek.
grösser als diejenige des Turmfusses, indem die Spitze in einem Stern-
tag (=86164 Sek.) den Weg 2jt{R-^h), der Fuss dagegen nur den
Weg 2jiR, worin R den Erdradius bedeutet, zurücklegt. Ist die Fall-
zeit t, so gilt die Relation h=igt\ und der von der Turmspitze fallende
Körper trifft den Boden:
nach Osten von der durch die Turmspitze gezogenen Lotlinie.
Weil aber diese für den Anfang des Fallens giltige Lotlinie zufolge
der Erddrehung nicht mit der Richtung der Schwerkraft, d. h. dem Erd-
radius während des Fallens zusammenfällt, sondern mit dieser Richtung
einen Winkel x ^j worin z die nach dem Beginn des Fallens verflossene
Zeit bedeutet, einschliesst, so erhält der Fallkörper eine Beschleunigung
nach Westen, die g^=x^9 beträgt, x ist wie vorhin 7,29.10"^ = 41,8.10'*
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
265
BogengradeiL Die hiervon herrührende Geschwindigkeit v und die zu-
rückgelegte Wegstrecke s^ nach Westen erhalten die Werte:
X t
^'=1 X9^d^^iX9^''^ Sx=kX9 j ^^^d%-=^X9^^^
kli. der geographischen Breite (p (Fig. 82) ist die Entfernung e^
des Turmfusses und diejenige (ej der Turmspitze von der Drehungs-
achse der Erde dem cos 9) proportional. Infolgedessen sind die ohen
gegebenen Ausdrücke für w^ ;c, s, g^^ v und s, mit cos^ zu multipli-
zieren, und mai\ erhält für die Abweichung {d) nach Osten:
2i/¥
d^s — s^=lygt'^ = — ^^ X ^'^' = 2,19.10-^ cos (f> h'l^. m.
öyg
Solche Versuche wurden von Guglielmini in Bologna, Benzen-
berg in Hamburg und später von Keich in Freiberg in einem 158,5 m
tiefen Schacht ausgeführt. Eeich fand eine Abweichung d von 28,4 mm,
während die obige Formel (^ = 50^53') 27,6 mm ergiebt.
Zufolge desselben Umstandes wird eine vertikal hinaufgeworfene Kugel
beim Herunterfallen nicht zum Ausgangspunkt zurückkehren. Sichere Ver-
suche über diesen Gegenstand liegen nicht vor.
Eine sehr grosse praktische Bedeutung hat
die Abweichung, welche ein in horizontaler Eich-
tung sich bewegender Körper zufolge der Erd-
drehung erleidet. Es sei AB^d (Fig. 83) die
Weglänge, welche ein Körper an der Erdober-
fläche zufolge der Erddrehung in einer Sekunde
beschreibt. AB ist infolgedessen dem Äquator
parallel. Die zwei Tangenten der Meridiankreise
durch A und B mögen AP und BP sein, sie
schneiden einander offenbar in einem auf der
Erdachse gelegenen Punkte P, wo sie den Win-
kel 6 (APB) einschliessen. Da die beiden Lotlinien auf die Erdachse
aus A und B den Winkel x (^i^B= 7,29.10-^ = 41,8.10-* Grad) ein-
schliessen, so ist, wie aus Fig. 83 hervorgeht, AB^=AP'6=AL-X'
Weiter ist APL gleich A OB, wenn OR der Äquatorialhalbmesser in der
Ebene APO ist. AOB ist nun gleich der geographischen Breite <p des
Punktes A. Folglich wird:
266 Physik der Erde.
ö = X ^^' ^P = X sin 9).
Es bewege sich nun ein Körper mit der Geschwindigkeit (relativ zur
Erdoberfläche) c {= AE) längs der Eichtung AE (Fig. 84), welche einen
Winkel a mit dem Meridian AP einschliesst, so wird dieser Körper
auch an der Erddrehung mit der Geschwindigkeit d (= AB) teilnehmen.
Infolgedessen wird die totale Geschwindigkeit des Körpers die Kesultante
AE der Geschwindigkeiten c {= AE) und d {= AB) ausmachen, d. h.
eine Sekunde, nachdem der Körper A verlassen hat, wird er sich in E
belinden. Da nun nach einer Sekunde die stillstehenden (d. h. nur an
der Erddrehung teilnehmenden) Körper in A nach B angelangt sind,
so hat der bewegliche Körper relativ zu diesen ruhen-
den den AVeg BE beschrieben. Dieser schliesst mit
dem Meridian BP nicht den Winkel «, sondern einen
anderen, a^, ein. Ziehen wir BE aus, bis sie AP
in G trifft, so ist AGB = EAG = a und AGB =
GPB + PBG oder a = 6 -\- a^. Die Winkelab-
lenkung pr. Sek. a — «^ ist also gleich 6. Die
scheinbare Längenablenkung finden wir, wenn wir
BE^=AE so absetzen, dass E^BP = EAP = a.
BEi bezeichnet den Weg, welchen der bewegliche
Körper auf der Erdoberfläche beschrieben, wenn die
Erde stillgestanden hätte, BE den thatsächlich zurückgelegten Weg.
Die Längenablenkung ist also E^^E = c ö.
Die Ablenkung zeigt sich folglich unabhängig Aon dem Ausgangs-
winkel a und die Winkelablenkung auch von der Geschwindigkeit c.
Da nun die Erddrehung in der Richtung AB von West nach Ost er-
folgt, so wird auf der nördlichen Halbkugel, wo P nördlich von (ober-
halb) AB liegt, die Ablenkung nach rechts geschehen, d. h. im selben
Sinne, wie die Zeiger einer Uhr. Das Gegenteil wird auf der südlichen
Halbkugel stattfinden, wo der Punkt P südlich von (unterhalb) AB liegt.
Die Folgen dieser durch die Erddrehung bewirkten Abweichung
sind von grosser Bedeutung. Beim Scheibenschiessen (auf der nörd-
lichen Halbkugel) wird die Kugel immer etwas rechts vom Ziel auf-
treffen, und zwar um so mehr, je langsamer das Projektil sich bewegt.
Am Nordpol würde die Abweichung nach einer Sekunde 7,29. 10'^ be-
tragen. Nehmen wir an, das Projektil beschriebe in einer Sekunde eine Bahn
von 700 m, so würde die Seitenabweichung nach derselben Zeit 51.10"^ m
= 51 mm sein, nach 2 Sekunden wäre die Winkelabweichung verdoppelt
und ebenso die Bahnlänge, folglich die Seitenabweichung 204 mm. Im
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 267
allgemeinen wird die Seitenabweichung proportional der Geschwindigkeit
(v) und dem Quadrate der Zeit (t) ausfallen. Auf einer anderen Breite
ist sie (öA) proportional dem Sinus derselben, also im allgemeinen:
ÖA = 7,29.10-5 'V-t^'S'mq).
Auf der südlichen Halbkugel geschieht die Abweichung in umge-
kehrtem Sinne, d. h. nach links von der Bewegungsrichtung.
Wie leicht ersichtlich, würde ein Projektil, wenn es nicht zum Erd-
boden hinabfiele, sondern in einer Ebene verbliebe, welche mit genügen-
der Annäherung als mit der Erdoberfläche zusammenfallend gedacht
werden könnte, einen Kreis beschreiben, welcher am Pole in 24 Stunden
(eigentlich einem Sterntage) von dem Projektile durchlaufen wäre. Auf
einer anderen Breite (9)) würde die Zeit umgekehrt proportional dem
sin q) sein. (Dabei wird vorausgesetzt, dass die Geschwindigkeit so ge-
ring ist, dass man die Polhöhe (p als konstant betrachten darf.)
Diese Abweichung ist von der grössten Bedeutung in der Lehre
von der Entstehung der Winde. Alle Winde auf der nördlichen Halb-
kugel werden zufolge der Erddrehung nach rechts, alle auf der süd-
lichen Halbkugel nach links abgelenkt. Dasselbe gilt von den Meeres-
strömungen. Wir werden später ausführlicher auf diese Umstände
zurückzukommen Gelegenheit haben.
Ebenso soll die Erddrehung auf das strömende Wasser der Flüsse
einwirken, v. Baer glaubte dies für die russischen Flüsse konstatiert
zu haben, indem das rechte Ufer stärker erodiert sein soll als das linke.
In der südlichen Hemisphäre sollte das Gegenteil stattfinden. Auch auf
diesen Gegenstand werden wir später zurückkommen.
Man hat auch daran gedacht, dass ein ähnlicher Einfluss bei den
Eisenbahnzügen zur Folge haben würde, dass dieselben mehr nach
rechts als nach links entgleisen sollten. Die Wirkung ist jedoch so
gering, dass eine Hebung der rechten Schiene von 0,4 mm ausreichen
würde, um diese Tendenz eines Blitzzuges nach rechts zu entgleisen
bei 25 m Geschwindigkeit pro Sekunde und einer Spurweite von 1,5 m
zu kompensieren.
Am meisten Aufsehen hat diejenige Verwendung obiger Schlüsse
erweckt, welche nach dem Urheber der Foucaultsche Pendelversuch
genannt wurde. Wenn der bewegliche Körper sich wie eine Pendel-
kugel hin und her bewegt, so wird seine Schwingungsebene immer im
selben Sinne, auf der nördlichen Halbkugel nach rechts, gedreht. Am
Pole würde die ganze Umdrehung 24 Stunden (richtiger einen Sterntag)
268 Physik der Erde.
erfordern. Auf einer anderen Breite, 9, wird die nötige Zeit länger sein,
und zwar im Versältnis 1 : sin (p. Schon früher scheint man die Ablen-
kung der Pendelebene dnrch die Erddrehung gekannt zu haben, aber
erst Poucault führte den Versuch in genauer Weise aus, um so ob-
jektiv die Erddrehung zu demonstrieren. Er benutzte ein Pendel von
11 m Länge. Wie beim gewöhnlichen Pendel wird die Formel nicht
ganz richtig, wenn man grosse Schwingungsbogen verwendet, deshalb ist
es vorteilhaft, grosse Pendellängen zu benutzen. Dieser Versuch wurde
in den meisten grösseren Städten wiederholt, indem man sein Gelingen
als den besten Beweis für die Erddrehung ansah.
Präcession und Nutation. Im engsten Zusammenhange mit der
Erddrehung stehen die in der Astronomie wohlbekannten Erscheinungen,
welche die Kamen Präcession und ISTutation erhalten haben. Im Jahre
130 V. Chr. fand Hipparch, als er die Sternörter mit denjenigen älterer
Beobachter verglich, dass die Sterne alle ihre Breite (vgl. S. 6 — 7) be-
halten, ihre Länge aber sämtlich vergrössert hatten. Mit anderen
Worten, ihre Lage hatte sich vom Frühlingspunkt, d. h. demjenigen
Punkte entfernt, in welchem die Ekliptik die Äquatorialebene schneidet
und wo die Sonne am Frühlingsäquinoctium sich befindet. Die natürliche
Erklärung ist, dass dieser Punkt sich in der entgegengesetzten Richtung
verschiebt, während die Sterne am Himmel still stehen. Die Verschie-
bung ist so gross, dass sie 26000 Jahre braucht, um die Ekliptik zu durch-
laufen, d. h. in jedem Jahre werden etwa 50 Bogensekunden zurückgelegt.
Ebenso verhält sich ein drehender Kreisel, dessen Achse nicht senk-
recht steht. Die Achse beschreibt eine Kegelfläche um die Lotlinie um
so geschwinder, je höher der Schwerpunkt über dem Unterstützungs-
punkt sich befindet. Dieser Kegel erhält einen immer geringeren Scheitel-
winkel, was mit dem Reibungswiderstande gegen die Kreiselbewegung
zusammenhängt. Diese allmähliche Verschiebung der Drehungsachse
hängt von der Schwere ab und beruht darauf, dass sie die Kreiselachse
hinunterzuneigen strebt.
Wie Newton hervorhob, wirkt eine durch die Schwerenwirkung
der Sonne verursachte Kraft, sodass sie bestrebt ist, die Drehungsachse
der Erde aufzurichten. Infolgedessen würde, wenn die Erdbewegung
nicht reibungslos wäre, zuletzt die Erdachse auf die Ekliptik senkrecht
zu stehen kommen» Man kann sich die Erde als aus zwei Teilen be-
stehend denlven, einem inneren sphärischen, welcher die Pole der Erde
tangiert und einen äusseren hohlen, der seine grösste Dicke am Äquator
besitzt. Existierte nicht dieser letzte Teil, d. h. wäre die Erde ganz
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
269
P
r^
kugelförmig", so fände keine Piäzession statt. Nun werden die beiden
Seiten des äusseren Teiles von der Sonne S angezogen, und zwar das nach
der Sonne zu gelegene Stück A (Fig. 85) stärker wie die Erde im all-
gemeinen, das Stück B dagegen schwächer. Die Folge davon ist, dass
die Sonne strebt, die Wülste des äusseren Teiles ungefähr wie die Ge-
zeitenwelle so einzustellen, dass die dicksten Stellen in der Verbindungs-
linie der Mittelpunkte von Sonne und Erde liegen. Mit anderen Worten
die Schwerenwirkung der Sonne strebt die Erdachse senkrecht zu dieser
Verbindungslinie und damit zur Ekliptik einzustellen.
Die Folge davon ist, dass die Erdachse um ihre mittlere Lage (die
Achse der Ekliptik) einen Kegel beschreibt, dessen Öffnungswinkel 47*^
beträgt. Dies hat auf astronomische Beobachtungen einen sehr grossen
Einfluss. Der Frühlingspunkt, welcher jetzt im Sternbilde der Fische,
nahe an demjenigen des Widders liegt, war zu Aristarchs Zeiten (250
V. Chr.) um 30*^ verschoben und lag im Widder in
der Nähe des Stieres. Sternbilder sind jetzt in unse-
ren Gegenden sichtbar, welche in früheren Zeiten nie
über den Horizont kamen, und umgekehrt. Am
leichtesten lassen sich diese Verschiebungen an der
Lage der „Weltachse" oder rich-
tiger der Erdachse im Himmels-
raume verfolgen. Zu Hipparchs Zei-
ten war der jetzige Polarstern um
12^ von dem Himmelspol entfernt,
hatte also kein wirkliches Anrecht
auf seinen jetzigen Namen. Noch
steht dieser Stern etwa 1,5^ vom Nordpol, welcher sich ihm nähert bis zum
Jahre 2095, zu welcher Zeit der Abstand nur 26 Bogenminuten betragen
wird. Nachher entfernt sich der Nordpol von dem Polarstern und seinem
Sternbilde, dem kleinen Bären, um in das Sternbild Cepheus hineinzu-
gehen. Nach 12000 Jahren wird der hell leuchtende Stern, Vega, a
Lyrae, dem Nordpol nahe stehen und als Polarstern betrachtet' werden
können.
Bei der Präzession wirkt nicht nur die Sonne, sondern auch
der Mond. Der letztere allein bewirkt eine kleine Störung in der Prä-
zession, welche Nutation genannt wird. Die Mondbahn liegt nämlich
nicht gänzlich in der Ekliptik, sondern weicht um 5^ davon ab. Die
Mondbahn schneidet nicht immer die Ekliptik längs derselben Kichtung,
sondern diese Kichtung wandert sehr schnell. Sie beschreibt nämlich
Fig. 85.
270 Physik der Erde.
in 18,7 Jahren einen Kreis auf dem Sternhimmel. Dies veranlasst, dass
die Kraft, welche die Nutation bewirkt, in ihrer Eiehtung eine etwa
19jährige Periode besitzt. Dadurch entsteht eine ebenso lange Periode
in der Bewegung der Erdachse, welche sich wie eine leichte Kräuselung
über die grosse Präzessionsbewegung überlagert. Zufolge der kurzen
Wirkungszeit ist die durch diesen Umstand entstehende Schwankung sehr
gering, indem ihre Amplitude höchstens 18 Bogensekunden beträgt, wäh-
rend durch die Präzession die jährliche Änderung 50 Sekunden und die
totale 47 ^ erreicht. Die Nutationsbewegung wird infolgedessen die
Kegel, welche die Erdachse zufolge der Präzessionsbewegung beschreibt,
ein klein wenig verunstalten, indem sie ihr eine ausserordentlich flache
Cannelierung (Amplitude < 0,02 der Länge) erteilt.
Es war Bradley, welcher beim Suchen der Sternparallaxen die
Nutationsbewegung auffand.
Yerschiebungen der Erdachse im Erdkörper. Während die
Änderung der Lage der Erdachse im Räume deinen nennenswerten Ein-
fluss auf die terrestren Verhältnisse (speziell das Klima, vergl. weiter
unten) ausübt, wäre das Gegenteil zutreffend, wenn die Erdachse im
Erdkörper ihre Lage veränderte. In der That haben auch die Geologen
versucht, in dieser Weise die grossen Klimaschwankungen, welche durch
die Eiszeiten bezeichnet werden, zu erklären. Diese Erklärungsweise,
welche einst sehr beliebt war, ist indessen durch nähere Forschungen
als unhaltbar erwiesen. Schon früh (zu Copernicus Zeiten), stellte
man Vermutungen auf, dass die Polhöhe eines Ortes nicht unveränder-
lich sei. Die experimentellen Hilfsmittel langten aber nicht aus, um
diese Frage zu lösen. Dagegen wurden mehrere wichtige theoretische
Untersuchungen, besonders von L. Euler, über diese Frage ausge-
führt. Erst in der neuesten Zeit sind Polhöhonschwankungen sicher
konstatiert worden. Wenn die Erdachse sich verschiebt, so dass sie
sich z. B. Berlin nähert, so muss sie sich von einem 180^ davon in
geographischer Länge gelegenen Punkte um ebensoviel entfernen und
umgekehrt. Um dies zu konstatieren, wurde eine Expedition nach
Honolulu gesandt, welches eine solche Lage hat. Diese Expedition
sollte die Polhöhenschwankungen daselbst beobachten, während ähnliche
Messungen in Berlin (Potsdam), Prag und Strassburg ausgeführt wurden.
Das Ergebnis wird durch die nebenstehenden Kurven (Fig. 86) darge-
stellt, welche zeigen, dass thatsächlich die Polhöhenschwankung in Berlin
sich wie ein Spiegelbild zu derjenigen in Honolulu verhält. Die Schwan-
kung hatte an den beiden Stellen, auch innerhalb der Beobachtungs-
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
271
fehler, dieselbe Amplitude (0,53" bezw. 0,58"). Da eine Bogensekunde
31 m entspricht, so ersieht man, dass die Amplitude sehr unbedeutend
ist und nicht mehr als einer Verschiedenheit von 17 m beträgt.
Die Schwankungen der Erdachse seit 1890 ist neuerdings von Al-
brecht aus den Beobachtungen mehrerer Sternwarten berechnet und
durch folgende Kurve dargestellt worden (Fig. 87 S. 272). Wie aus dieser
ersichtlich, beschreibt der momentane Pol der Erde eine vielfach ver-
schlungene unregelmässige Kurve um die mittlere Lage. Die grösste
Mete Jftc7%c kJ^-Uc Jtio. Wtfii Octoö jibirC^cz ^«^11 J-e^. .yi^xz j^t. .^fUto J^-n^^
V 9/ t^ s.-i on n ""on ja s DS vr f 07 v/4 ■f ^J" ^A .f ^f /ST •4' 2'^
1
SS°3o" j-ö-j"
o'to
^■<^
'-'^M^^l !
^7 '6a ,'5:::d
c5o
./
y
/
^\i.
//. So j6. fO
CS'ä
..;-■"
A
/
'%
\
y/ yjo ^ö CO
0.40
/
/
j
s
s>
// 30 VJ- jTJ
C.3»
C 2o
B^
/
/
's..
^.^^
X,
V
r
'\
■v.
\
et:
-P^
"""'■^■:^.-..,.
•a»"»
\ —
i 1 1 1 1
1
a^Co nc-Cc c^^^
1
-^
\
2s. jo
\
/
Y"
2S.00
\
/
/
2^.^Q
^4. so
\
\a
/
N
^
V
y
^4. 60
"^
^
i— _
'
Fig. 86.
Entfernung beträgt nicht mehr als etwa 10 m. Der erste Tag jedes
Monats ist durch einen Kreis bezeichnet.
Aus dieser Kurve kann man schliessen, dass die Bewegung eine
kurzdauernde Periode von etwa 14 Monaten besitzt. Auf eine sekuläre
Bewegung kann aus dem bis jetzt vorliegenden Material nicht geschlossen
werden.
Aus anderen Umständen hat man berechnet, wie grosse Änderungen
der Lage des Poles Folgen von bestimmten Massenverschiebungen auf
der Erde sein könnten. Wenn die Erde als ein starrer Körper zu be-
handeln ist, so wird eine Steigung des Wassers im Mittelmeer mit 1 m
die Hauptträgheitsachse und damit die Drehungsachse der Erde um nur
etwa 1 m verschieben. Könnte man die ganze Gebirgsmasse des asia-
272
Physik der Erde.
tischen Kontinentes abheben und in den indischen Ocean verlegen, so
würde der Pol sich nur um etwa 40 km verschieben. So gewaltige ein-
seitige Massenverschiebungen können auch kaum in geologischen Zeiten
.Hi^O
+dio
doo
-m
■t-0.10 —
+ 0.30 —
•fOt.30
+0:30
0.10
* U^'JO
/ 0 10
Fig. 87.
stattgefunden haben, so dass man den Pol als selir nahe fix anzu-
sehen hat.
Anders werden wohl die Bedingungen, wenn man annimmt, die Erde
sei nicht als ein starrer Körper, sondern als eine flüssige Masse, von
einer dünnen Kruste umgeben, zu betrachten. In diesem Falle wären
grössere Folgen der Massenverschiebungen möglich. Indessen zeigen die
Beobachtungen (vergl. unten), dass man mit Eecht die Erde in dieser
Beziehung als einen starren Körper behandeln kann. '
D i e 1 a'n g s a m e Ä n d e r u n g d e r E r d b a li n. Im allgemoi nen rechnet
man so, als ob die Planetenbahnen unverändert ihre Lage im Himmels-
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. O73
rauiii auf ewige Zeiten behalten würden. Dies würde auch der Fall
sein, wenn nur ein einziger anziehender Körper (die Sonne) auf den be-
treffenden Planeten durch seine Schwere einwirkte. Thatsächlich ist ja
auch die Masse der Sonne so überaus gross im Vergleich zu derjenigen
der Planeten, dass die oben gemachte Annahme als mit grosser Annäherung
erfüllt angesehen werden kann. Aber wie gering auch die Massen der
Planeten gegen diejenige der Sonne sein mögen, so verursachen sie
doch in der Länge der Zeit merkliche Veränderungen der Bahnen
der Erde und anderer Planeten. Diese sogenannten Störungen zu be-
rechnen, bildet das Hauptproblem der rechnenden Astronomie, und die
bedeutendsten Mathematiker haben sich an der Lösung dieses Problems
beteiligt.
Diese Eechnungen haben nun zu dem Schluss geführt, dass die von
den Störungen herrührenden Änderungen in den Planetenbahnen perio-
discher Natur sind, obgleich die Perioden für unsere Verhältnisse nahezu
als unendlich lang anzusehen sind, indem sie zwischen 50000 und 2 000 000
Jahren betragen. Die Perioden sind ebenso viele wie die Zahl der stö-
renden Körper. Wie nun die kurzen astronomischen Perioden der Erd-
umdrehung und des Erdumlaufes um die Sonne die Periodicität aller
irdischer Erscheinungen, vor- allem der Temperatur und der Belich-
tung, hervorrufen und deshalb der Zeitmessung zu Grunde gelegt
worden sind, so könnte man sich vorstellen, dass vielleicht diese langen
Perioden natürliche Zeitmesser wären für die grossen Veränderungen,
welche im Laufe der geologischen Epochen aufgetreten sind. Man könnte
sich z. B. vorstellen, dass die Excentricität der Erdbahn einst sehr gross
werden könnte, wie diejenige einer Kometenbahn. Die Sonnenstrahlung
würde dann in einem Jahre ganz gewaltige Veränderungen durchlaufen,
welche so bedeutend sein könnten, dass alle auf dem festen Lande le-
bende Organismen zugrunde gerichtet werden würden und die Tiefen
des Meeres allein hinreichend konstante Temperatur hätten, um orga-
nisches Leben hegen zu können. In der That haben Ad he mar und
noch mehr CroU u. A. versucht, in ähnlicher Weise die gewaltigen
Veränderungen in geologischen Perioden zu erklären.
Die nähere Untersuchung hat gezeigt, dass diese langperiodischen
Änderungen der Bahnen der Erde und anderer Planeten sehr gering
ind. Die Gefahr von Zusammenstössen der Planeten, welche even-
tuell bei stark excentrischen Bahnen auftreten könnte, ist nicht vor-
handen. Man sagt deshalb häufig, die Stabilität des Planetensystems
sei erwiesen. Wenn aber eine Gefahr die Existenz dej; Menschheit oder
Arrheniua, Kosmische Physik. 18
274 Physik der Erde.
überhaupt der Lebewesen unserer Erde bedroht, so ist sie viel weniger
von einem Zusammenstosse — am wenigsten mit einem anderen Pla-
neten, dann viel eher mit einem aus unbekannten Welträumen herbei-
eilenden Himmelskörper — als vielmehr von einem Versiegen der
Wärmequelle der Sonne zu befürchten.
Was nun die Änderung der Excentricität der Erdbahn betrifft, so
kann dieselbe, welche jetzt 0,01677 beträgt, nach Leverrier zwischen
den extremen Werten 0,07775 und 0,003314, nach Stockwell zwischen
0,0677 und 0,0000 schwanken. Sie wird also nie die jetzige Excentricität
der Marsbahn (0,0933), noch weniger diejenige (0,206) der Merkurbahn
erreichen, andererseits aber kann sie geringer werden als diejenige der
Yenusbahn (0,00684), welche im Planetensystem jetzt am meisten kreis-
förmig ist. Seit etwa 18000 Jahren sinkt die Excentricität der Erdbahn
von dem damaligen Wert 0,019 und sie wird nach etwa 25000 Jahren
durch ein Minimum gehen. Die Maxima und Minima erreichen nur in den
seltensten Fällen die von Leverrier und Stockwell angegebenen Ex-
tremwerte.
In ähnlicher Weise verändert sich die Lage der Sonnennähe (Peri-
helium) im Laufe der Zeit. Diese trifft jetzt am Neujahr (2. Jan.) etwas nach
der Wintersonnenwende (21. Dec.) ein. Wegen des immer früheren Ein-
tretens des Frühlingspunktes und der damit folgenden Sonnenwende wird
diese ZeitdiflPerenz immer zunehmen. Aber auch die Lage des Perihe-
liums verschiebt sich am Himmel und zwar in entgegengesetzter Kich-
tung wie der Frühlingspunkt, nämlich mit 11,15" pro Jahr, während der
Frühlingspunkt in entgegengesetzter Richtung sich mit 50,2 1" pro Jahr
ändert. Die relative Verschiebung dieser beiden Punkte wird also im
Jahre 61,36", d. h. etwas mehr als eine Minute betragen. In etwa 21000
Jahren ist die Verschiebung 360 ^ d. h. diese Zeit entspricht der Perioden-
länge. Nach etwa 10000 Jahren wird die Sonnennähe zur Zeit der
Sommersonnenwende eintreffen statt wie jetzt nahe an der Wintersonnen-
wende. Es wird dann auf der nördlichen Halbkugel der Sommer wärmer
und der Winter kälter als jetzt sein, da dann die Sonne gleichzeitig
am tiefsten steht und am weitesten von der Erde entfernt ist. Ausser-
dem ist wegen der schnelleren Bewegung der Erde in ihrer Bahn (nach
dem zweiten Kepplerschen Gesetze) bei der Sonnennähe das Winter-
halbjahr jetzt auf der nördlichen Halbkugel 8 Tage kürzer als das Sommer-
halbjahr. Das Gegenteil wird nach 10000 Jahren eintreffen, das Winter-
halbjahr wird länger, das Sommerhalbjahr kürzer sein wie jetzt. Der
Einfluss dieses Umstandes wird wohl etwas dadurch vermindert, dass
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde.
275
dann die Excentricitiit der Erdbahn vermindert sein wird. Wenn wir
aber zeitlich zurückgehen, finden wir viele Epochen, in welchen die
stärkere Excentricität der Erdbahn die Unterschiede in der Länge
des Winters und des Sommers vergrösserte. Groll sprach die An-
sicht aus, dass durch diese Umstände die warmen und kalten Pe-
rioden (diesen entsprechen die Eiszeiten) der Erde veranlasst worden
seien, und zwar sollte eine kalte Periode eintreten, wenn das Winter-
halbjahr übermässig lang werden würde. Demnach würde man jetzt
auf der südlichen Halbkugel eine, obgleich schwache, Kälteperiode haben,
auf der nördlichen eine Wärmeperiode. Es sollte immer eine warme
Zeit auf der einen Halbkugel gleichzeitig mit einer kalten Zeit auf der
anderen eintreffen. Zu diesen beiden sekularen Veränderungen, welchen
Taitsende von Jahren vor 1850
100 .90 so 70 60 60 UO
30
^ Taiisaid&von Jahre)inax;h 1S50
0 10 20 30 w so
Fig. 88.
Groll den grössten Einfluss auf das Klima zuschrieb, kommt noch eine,
welche nach Groll eine geringere Bedeutung haben sollte, nämlich die
Schwankung in der Neigung der Erdachse gegen die Ekliptik. Die neben-
stehende Fig. 88 stellt die Grösse dieser Schwankungen in den ver-
flossenen 100000 und den künftigen 50000 Jahren nach Stockwells
Rechnungen dar. Die Extremwerte dieser Neigung sollten 68,02^ und
65,40^ betragen. Wie aus der Zeichnung ersichtlich, hat die Neigung
in der angeführten Zeit nie die Extremwerte erreicht. Die Minima und
Maxima fallen auf die folgenden Zeiten und erreichen die daneben
angegebenen Beträge. Dabei ist die Zeit vom Jahr 1850 als Nullpunkt
•gerechnet.
Jahr
Minimum
Jahr
Maximum
— 91014
65,69^
— 68759
67,78 ö
— 48022
65,53
28296
67,87
9076
65,76
+ 10144
67,47
-f 31387
65,99
+ 51018
67,58
• 18=^-
276 Physik der Erde.
Eine Yergrösserung der Neigung der Erdachse, d. h. eine Aufrich-
tung derselben gegen die Ekliptik vermindert die Sonnenstrahlung im
Sommer nach den polaren Gegenden. Nach neueren Ansichten (von
Ekholm) ist dieser klimatische Faktor von grösserer Bedeutung wie
die beiden vorhin erwähnten.
Kleinere Schwankungen der festen Erdkruste. Ebenso wie
im Meer eine Gezeitenwelle durch die Schwerenwirkung des Mondes (und
in geringerem Grad der Sonne) entsteht, so könnte man sich denken,
dass sich eine solche Welle in der festen Erdkruste unter der Ein-
wirkung von ähnlichen Druckkräften ausbildet. Wenn z. B. die Erd-
kruste als eine sehr dünne elastische Haut auf einem leichtflüssigen
Kern schwimmen würde, so könnten die Gezeiten ebenso stark auf die
Lage der festen Erdkruste sich geltend machen, wie auf diejenige der
Meeresoberfläche.
In diesem letzteren Falle würde das Anschwellen des Meeres bei
Flutzeit ebensowenig von dem Ufer wie von einem auf dem Meere
schwimmenden Schiff bemerkt werden. In der That sind die beobach-
teten Gezeiten als die Differenzen der Gezeiten der festen Erdkruste
und des Meeres anzusehen. Da nun die Gezeiten sehr ausgeprägt am
Ufer sich geltend machen, muss man daraus schliessen, dass die Ge-
zeiten der festen Erdkruste viel unbedeutender sind, als diejenigen des
Meeres. Da ferner dies davon abhängen könnte, dass die Reibung im
Erdinnern ganz ausserordentlich gross ist, so hätte man diese Er-
scheinung nicht so sehr an der täglichen als viel mehr an lang-
periodischen Schwankungen zu suchen. Solche kommen nun vor
infolge der Veränderung in der Entfernung des Mondes (wie 35 zu
41) und zufolge der in einem siderischen Mondumlauf erfolgenden
Änderung der Deklination des Mondes. Die Beobachtungen zeigten aber
anfangs keine merkliche Gezeiten der festen Erdkruste zufolge dieser
langperiodischen Schwankungen — die beiden Perioden betragen etwa
27 Tage. Man hat daraus den Schluss gezogen, dass die Starrheit der
Erde eher grösser als geringer wie diejenige von Stahl ist.
In neuerer Zeit haben sehr genaue Beobachtungen von v. lie-
beur-Paschwitz an Horizontalpendeln in Strassburg i. E. gezeigt,
dass eine vom Mondstande abhängige Welle an der Lage der festen Erd-
oberfläche sich geltend macht. Diese Schwankung ist jedenfalls ausser-
ordentlich gering.
Eine andere, gerade noch merkbare Bodenschwankung ist durch
Beobachtungen in Genf entdeckt worden und durch andere in München
I. Gestalt, Masse und Bewegung der Erde. 277
konstatiert. Die Blase einer Wasserwage schwankt sehr langsam hin
und zurück, damit angebend, dass die Unterlage, d. h. der Boden, lang-
samen Schwankungen ausgesetzt ist. Diese Bodenschwankung sieht
man als eine Folge von elastischen Nachwirkungen an, die durch Ver-
schiebungen von Luftmassen über deni Erdboden entstehen. Ebenso
steigt das Wasser an der Seite eines grossen Sees, wo der Luftdruck
niedrig ist, sinkt dagegen an der Seite, wo er höher ist, nach den Ge-
setzen, welche für Flüssigkeiten in kommunizierenden Röhren gelten.
Der T^nterschied gegen die Bodenschwankung liegt in der grossen Ver-
schiedenheit der Fluidität des Wassers und der unter dem Erdboden
befindlichen Massen.
Einige Geologen glauben in der sekularen Hebung Skandinaviens
eine ähnliche elastische Nachwirkung sehen zu können. Während der
Eiszeit wurde Skandinavien, wie jetzt Grönland, niedergepresst durch
eine mehr als tausend Meter mächtige Eisschicht. Als diese abthaute,
strebte die Erdkruste ihre alte Form unter dem Druck der inneren zäh-
flüssigen Massen wieder anzunehmen. Die Zähflüssigkeit des Erdinneren
sollte so gross sein, dass Gleichgewicht noch nicht nach zehntausenden
von Jahren erreicht wäre.
Alles führt uns dahin, im Inneren der Erde eine plastische, aber
äusserst zähflüssige Masse anzunehmen. Diese Masse würde etwa die
Eigenschaft von Asphalt bei niedriger Temperatur oder von Glas be-
sitzen, welche Kör[)er gegen plötzliche deformierende Kräfte sich als
sehr hart und spröde wie feste Körper erweisen und zerbrochen werden,
?ehr langsam wirkenden, anhaltenden Kräften aber nachgeben und sich
wie wahre Flüssigkeiten, aber mit ausserordentlich geringer Fluidität
verhalten.
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
Die Zunahme der Bodentemperatur mit der Tiefe. Schon
früh l)emerkte man in Bergwerken, dass die Temperatur im allgemeinen
um so höher wird, je tiefer man unter die Erdoberfläche geht. Dabei
hat man von der geringen Tiefe abzusehen, zu welcher die jährliche
Wärmewelle in merklichem Grade hineindringt, und welche von der
Jahresschwankung der Oberflächentemperatur, sowie der Wärmeleitfähig-
keit des Bodenmateriales abhängt. Diese Tiefe dürfte selten 20 m
erreichen. Eine in diese Tiefe verlegte Fläche wird die neutrale Fläche
genannt.
Als Beispiel der Zunahme der Temperatur nach unten mögen fol-
gende Beobachtungen über die Temperatur der Gesteinwände im Adalbert-
schachte zu Pribram und im Bohrloch bei Sperenberg, 42 km südlich
von Berlin, angeführt werden:
Ad
ilbertschac
at zu Pribram
Sperenberg
Tiefe
Temp.
Tiefe
Temp.
Tiefe
Temp.
Tiefenst.
74,5 m
9,4 0
505,6 m
16,5 0
26,7 m 9 0
15,5 m
145,0
11,5
581,5
17,8
223
21,6
26,5
190,7
12,0
661,8
19,2
350
26,4
28,2
280,8
13,8
737,3
20,4
477
30,9
38,4
359,8
14,2
832,2
21,1
669
35,9
38,8
432,7
15,1
889,3
21,8
1080
1268
46,5
48,1
117,5
Mittlere Tiefenstufe 66 m
Mittel 31,7.
Man nennt geothermische Tiefenstufe den Höhenunterschied zweier
übereinander gelegenen Punkte, deren Temperaturunterschied 1 ^ C. beträgt.
Im Mittel beträgt die geothermische Tiefenstufe für den Adalbertschacht;
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 279
66 ni, für Sperenberg 31,7 m. Sie ist, wie leicht ersichtlich, ziemlich
schwankend, und zwar im Adalbertschacht in recht unregelmässiger
Weise, in Sperenberg nimmt sie mit der Tiefe zu. Im Bohrloch zu
Schladebach bei Merseburg ist sie sehr nahe konstant in den ersten 600 m
37,2, in den folgenden 600 m 35,9 und zwischen 1206 und 1716 m Tiefe
37,5, im Mittel 36,9 m pro Grad Celsius.
An mehreren Stellen wird die Temperatur der Erdschichten durch
Luft- oder Wasserströmungen gestört, in anderen Fällen spielen che-
mische Prozesse eine grosse störende Eolle. Dies ist in Kohlenbergwerken
und petroleumführenden Erdschichten besonders häufig der Fall, aber
auch andere Bergarten, wie z. B. die gewöhnlichen Silikate, können zu be-
deutenden Wärmeentwickelungen durch langsam verlaufende chemische
Prozesse (Bildung von Kaolin) Anlass geben. In dieser Art ist wohl
auch die starke Temperaturzunahme gleich unter dem Meeresboden an
der dänischen Küste (von — 0,1 ^ bis + 7 ^ C. zwischen Boden und
ein Meter Tiefe in der darunter befindlichen Schlammschicht) zu erklären.
Ohne Zweifel enthält der Schlamm viele organische Beste, die langsam
unter Wärmeentwickelung vermodern. In solchen Fällen erhält man
gewöhnlich (in der Nähe der Erdoberfläche) abnorm niedrige geother-
mische Tiefenstufen.
In neuerer Zeit hat man häufig sehr tiefe Bohrlöcher in die Erde
hineingetrieben (bis zu etwa 1000 bis 2000 m) und es wurde dabei die
Temperatur in verschiedenen Tiefen, gewöhnlich mit Hilfe von Maximai-
Thermometern ausgemessen. Man hat auf verschiedenen Stellen ver-
schiedene Werte für die Tiefenstufe erhalten, so z. B. in den brittischen
Inseln 26,6 — 42,1 m, in belgischen Kohlenbergwerken 30 m, in Oester-
reich 27 m (Niederösterreich) und 32 m (Sauerbrunn in Böhmen), in
}>reussischen Bergwerken 15,5 — 115,3 m (Mittel 54,3 m), in Sachsen
41,8 m (Mittel), bei Schemnitz im Mittel 41,4 m, in Wheeling (Westvir-
ginien) 44 m, in Cremorn (Neu Süd- Wales) 48 m.
Sehr niedrige Tiefenstufen findet man in Gegenden, welche vulka-
nische Erscheinungen aufweisen oder in kürzlich verflossenen Zeiten auf-
wiesen. So z. B. fand man zu Macholles in einem ehemals vulkanischen
Gebiet der Limagne 14,4 m, zu Neufifen in der schwäbischen Alb in einem
tertiären Vulkangebiet nur 11,3 m, in einem Kohlenbergwerk bei Monte
Massi in Toscana 13,7 m. Ungewöhnlich niedrige Werte gelten für das
Petroleumgebiet nördlich von Strassburg i. E., so zu Pechelbronn 13,9 m,
zu Oberkutzenhausen 13,9 m und zu Oberstätten sogar nur 7,8 m.
Ein umgekehrtes Verhältnis zeigt sich in der Umgebung des Oberen
2§Q Physik der Erde.
Sees in Nordamerika, dessen Wassermassen einen abkühlenden Einfliiss
auszuüben scheinen. Während man sonst in dieser Gegend eine mitt-
lere Tiefenstufe von etwa 30 m gefunden hat, steigt dieselbe in der
Osceola-Grube zu 42 m (8 km vom See) und in näher belegenen Berg-
werken bis zu 55—67 m.
Auch bei Bohrungen von artesischen Brunnen hat man häufig An-
lass zu Temperaturmessungen in verschiedenen Tiefen gehabt. Man
fand so:
Tiefe Geoth.
^^'^ des Bohrlochs Tiefenst.
Küdersdorf (bei Berlin) 696 m 26,9 m
Neusalzwerk (Westf.) ...... 671 29,6
Mondorf — 28,6
Pitzpuhl (Magdeburg) — 25,1
Sudenburg (do.) 568 32,3
Sennewitz (Halle) 1084 36,6
Lieth (Altena) 1259 35,9
Artern (Thüringen) — 37,7
Sulz am Neckar 710 24,0
Sauerbrunn (Böhmen) — 32,0
Grenelle (Paris) 547 32,6
St. Andre (do.) 253 30,7
Ronen — 28,5
La Rochelle — 19,0
Bootle (Liverpool) 434 71,3
Scarle (Lincoln) 609 37,8
Kentish-Town 307 36,8
Mittel 33,3.
Bei den Tunnelbohrungen hat man auch reiche Gelegenheit gehabt,
die Temperatur im Erdinnern zu messen. Die Isothermenflächen bilden
nämlich nicht sphäroidische Flächen um den Erdmittelpunkt, sondern
sie verlaufen etwa parallel der Erdoberfläche. Erst in einer Tiefe von
etwa 4500 m sind die Unebenheiten entfernt und die Flächen als
sphäroidisch anzusehen (nach Supan). Kennt man also die Tem-
peratur an einer Stelle des Tunnels und den kürzesten Abstand von da
zur Erdoberfläche, so kann man daraus die geothermische Tiefenstufe er-
mitteln. Man fand auf diese Weise für den Gotthardtunnel die mitt-
lere geothermische Tiefenstufe gleich etwa 50 m und die Temperatur in
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 281
der Mitte des Tunnels gleich 30,4^ C. Diese Temperatur sank übri-
gens nach der Durchbohrung nur unbedeutend durch den Luftzug.
Im Tunnel unter dem Mont Cenis hat man ebenfalls eine Tiefenstufe
von 50 m gefunden. In den Tunneln ist die Tiefenstufe aus leicht
ersiehlichen Gründen unter den Bergspitzen geringer als unter den
Thälern.
Diese Verhältnisse sind von grosser Wichtigkeit für die Praxis.
Wegen der Zunahme der Hitze mit der Tiefe wird die Arbeit an tieferen
Stellen der Schachte sehr erschwert und verteuert. So z. B. hat man
die Bearbeitung des ausserordentlich reichen Comstock-Ganges in Nevada
auf Silber und Gold wegen der hohen Temperatur teilweise aufgeben
müssen. Man sucht dieser Unannehmlichkeit vielfach so abzuhelfen,
dass die Bohrmaschinen mit zugeleiteter komprimierter Luft getrieben
werden, welche bei ihrer Ausdehnung sich stark abkühlt und so eine
erfrischende Ventilation zustande bringt.
Da nun die Temperatur mit der Tiefe zunimmt und kein Grund
vorliegt, anzunehmen, dass die Zunahme in der Nähe der Erdoberfläche
(man hat nur 2 km tiefe Bohrlöcher gebohrt, d. h. man ist nur bis zu
dem 3200. Teil ins Erdinnere eingedrungen) anders wäre als in tieferen
Schichten, so hat man allen Anlass, zu schliessen, dass die Erdtempe-
ratur bis zu grossen Tiefen ungefähr ebenso schnell zunimmt wie in den
Bohrlöchern gefunden ist. Dies muss in der That der Fall sein. Denn
zufolge des Temperaturfalles nach aussen fliesst Wärme aus den obersten
Erdschichten immer zum Weltraum hinaus. Der stationäre Zustand,
welcher jetzt herrscht, verlangt aber, dass ebensoviel Wärme von den
weiter innen belegenen Erdschichten nachfliesse, was einen ähnlichen
Temperaturfall in diesen Schichten als nötige Vorbedingung voraussetzt.
In denjenigen Erdschichten, welche ungefähr so zusammengesetzt sind
wie die feste Erdkruste, ist auch der Temperaturfall ungefähr ebenso
gross wie in den oberen Erdschichten. Die geothermische Tiefen-
stufe beträgt in den meisten Fällen zwischen 25 und 50 m; es sollte
demnach die Temperatur bei 1000 m Tiefenzunahme um 40 bis 20^ an-
steigen, oder im Mittel mit 30^. Demnach wäre eine Temperatur von
2000*^ C. in einer Tiefe von nur 50 bis 100 km erreicht. Bei dieser
Temperatur sind beinahe alle Stoffe, die wir kennen, speziell die ge-
Avöhnlichen Bestandteile der Erdkruste und das Eisen des Erdinnern
geschmolzen. Einige Stoffe, besonders Kohle, und einige Oxyde halten
wohl diese Temperatur noch aus, sie lassen sich aber ohne Zweifel in
den anderen Stoffen, wie Eisen, bezw. Silicaten, lösen oder geben zu
282 Physik der Erde.
Keaktioncn mit den anderen Körpern Anlass, wodurch sie in leichter
flüssige Verbindungen übergehen.
Man muss demnach annehmen, dass schon in etwa einem Hundertstel
der Tiefe eines Erdhalbmessers die Erde ausschliesslich aus geschmol-
zenen feurigflüssigen Massen bestehen würde. In vulkanischen Gegen-
den hat man das flüssige Erdinnere als noch viel näher der Erdober-
fläche liegend vorauszusetzen, indem die geothermischc Tiefenstufe da-
selbst relativ gering ist. Wahrscheinlich giebt es da Stellen, wo das
flüssige Magma nicht viel tiefer als einige Kilometer unter der Erd-
oberfläche liegt, was auch von den Vulkanologen meistens voraus-
gesetzt wird.
Dagegen ist die Einw^endung geltend gemacht worden, dass die
meisten Körper bei der Schmelzung sich ausdehnen, und der Schmelz-
punkt dieser Körper steigt mit zunehmendem Drucke. Unter den ausser-
ordentlich hohen Drucken im Erdinnern — bei einem spezifischen Ge-
wicht der Erdkruste von 2,6 nimmt der Druck um etwa 250 Atmo-
sphären pro Kilometer zu, in einer Tiefe von 60 km wäre demnach der
Druck 15000 Atmosphären — könnte, nach Ansicht einiger For-
scher, der Schmelzpunkt der Körper so stark gestiegen sein, dass man
in grossen Tiefen, ungeachtet der da herrschenden hohen Temperatur,
das Bestehen von festen Körpern voraussetzen könnte. Neuere Unter-
suchungen, besonders von T am mann, bestätigen diese Schlussweise
nicht, sondern machen es wahrscheinlich, dass bei genügend hohen
Drucken alle Körper sich wie Wasser bei Atmosphärendruck verhalten,
d. h. niedrigeren Schmelzpunkt bei zunehmendem Drucke erhalten. Ja
es ist sogar nach diesen Untersuchungen wahrscheinlich, dass bei ge-
nügend hohen Drucken der feste Zustand nicht stabil ist. Man hat
deshalb allen Grund, sich der früher allgemein angenommenen von
Arago und Humboldt stammenden Ansicht anzuschliessen, wonach
die feste Oberflächenschicht der Erde nur eine unbedeutende Tiefe
besitzt.
Der Zustand des Erdinnern. Gegen diese Annahme scheinen
wohl die Berechnungen von Darwin und Lord Kelvin über die Ge-
zeiten als auch diejenige von Hopkins über die Präcession und Nuta-
tion zu streiten. Aus diesen letzteren schloss Hopkins, dass mehr als
die Hälfte der Erde eine feste Kruste bildet, deren Dicke mehr als ein
Viertel des Erdhalbmessers aufnimmt. Über diese scheinbare Differenz
zwischen Beobachtung und Rechnung ist schon oben (S. 276) etwas gesagt
worden. Jedenfalls muss unter den hohen Drucken im Erdinnern die Masse in
11. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 283
oinem sehr konipriiiiierten Zustande sich befinden. Dadurch werden die
Molekularkräfte stark gesteigert und die Zähflüssigkeit bedeutend erhöht.
Die Flüssigkeiten im Erdinnern benehmen sich demnach viel eher wie
Flüssigkeiten von der Natur des Peches oder Siegellackes, welche wir
für gewöhnlich als feste Körper ansehen, als wie gewöhnliche Flüssig-
keiten (z. B. Wasser oder Quecksilber Runter Atmosphärendruck). Es
geben ja auch unter genügendem Druck die gewöhnlichen Metalle nach
und lassen sich deformieren, d. h. verhalten sich wie Flüssigkeiten. Auf
diesen Umstand ist die Münzenprägung begründet. Auch einige Gesteine
sind, wie Kick gezeigt hat', unter hohem Druck plastisch. Man findet
auch häufig in der Natur Flintenballen und andere Steine, die durch
Druck abgeplattet sind.
Eine ähnliche Plasticität charakterisiert den innersten Teil der Erde,
wo die Temperatur etwa von der Grössenordnung 100000^ sein mag. Bei
dieser Temperatur ist der kritische Punkt jeder Substanz überschritten.
Es gilt demnach für die mittleren Teile der Erde dasselbe wie für die
Sonne. Es dürfte der grösste Teil der Erdmasse sich in gasförmigem
Zustande befinden. Dessen ungeachtet sind die schwersten Körper (Me-
talle) am stärksten in der Nähe des Mittelpunktes vertreten. Unter
dem hohen Drucke und in der hohen Hitze bestehen auch Verbindungen,
die bei gewöhnlichem Druck und Temperatur keineswegs existenzfähig
sind, und die demnach, wenn sie plötzlich zu weniger tiefen Stellen
verlegt werden würden, unter ungeheurer Wärmeentwickelung und Aus-
dehnung explodieren würden (vgl. S. 230).
Wir kommen also zu dem Schluss, dass die feste Erdrinde nur
eine unbeträchtliche Dicke hat und in einer Tiefe von etwa 60 km in
eine feurig-flüssige Masse übergeht — das sogenannte Magma — welches
wohl hauptsächlich aus einem Schmelzfluss von Silicaten besteht. Noch
tiefer, etwa 300 km unter der Erdoberfläche, nimmt alles den Gas-
zustand an. Der physikalische Unterschied dieser drei Aggregatzustände
ist aber zufolge der Zähflüssigkeit des Magmas und der inneren Gase
(wegen des hohen Druckes) nicht sehr gross, sondern praktisch ge-
nommen verhalten sie sich gegen nicht sehr langdauernde deformie-
rende Kräfte wie feste Körper. Kräfte von kurzer Dauer können nur
sehr geringfügige Verschiebungen bewirken. In dieser Weise werden
die Resultate von Hopkins, Darwin und Lord Kelvin verständlich.
Der Druck und die Temperatur steigen immer weiter gegen den Erd-
mittelpunkt hin. Die Zunahmen pro Kilometer müssen aber in tie-
feren Schichten, wegen der da abnehmenden Schwere und steigenden
2^4 Physik der Erde.
Wärmeleitfähigkeit, geringer sein als in höheren. Im Mittelpunkt selbst
werden sie, wie leicht ersichtlich. Null sein. Der Druck daselbst wird
gewöhnlich zu etwa 3 Millionen Atmosphären, die Temperatur zu etwa
20000^ C. geschätzt. Diese letzte Ziffer dürfte zu gering sein und dafür
eher etwa 100000^ C. angesetzt werden.
Wärmeverlust der Erde nach Aussen. Da die Temperatur
der Erde kontinuierlich vom Mittelpunkte zur Oberfläche abnimmt, so
muss zufolge der Gesetze der Wärmeleitung Wärme vom Erdinnern
hinaus befördert werden, wo sie in den leeren Raum hinausstrahlt.
Diese Zufuhr von Wärme aus dem Erdinnern ist, wie wir vorhin sahen,
gegen diejenige von der Sonne so verschwindend, dass man sie bei der
Berechnung der gewöhnlichen Wärmehaushaltung gänzlich ausser Acht
lassen kann (vgl. S. 165).
Eine andere Folge wird aber dieser Wärmeverlust in der Länge
der Zeit haben. Die ganze Erde zieht sich, wie die Sonne, zusammen,
und dadurch entstehen aus der potentiellen Energie der Schwere neue
Wärmemengen, welche die Zusammenziehung verlangsamen. Jedenfalls
muss aber die Erde allmählich zusammenschrumpfen. Dies gilt zwar
hauptsächlich für das Innere der Erde, denn die Erdoberfläche besitzt
eine Temperatur, die beinahe ausschliesslich von der Sonnenstrahlung
(und in geringerem Grade von der Beschaffenheit der Atmosphäre) ab-
hängt. Von der Sonnenstrahlung und der Beschaffenheit der Atmo-
sphäre wollen wir annehmen, dass sie im grossen und ganzen als kon-
stant gesetzt werden können, was wohl auch nahezu erfüllt ist. Dem-
zufolge wird die Erdkruste dem Erdinnern bei der Zusammenziehung
nicht folgen. Sie bekommt dadurch Falten und Runzeln, und man
ist einig darüber, diesen Umstand als den wichtigsten bei der Bildung
von Gebirgsketten anzusehen.
Um eine Vorstellung von der Grössenordnung dieser Wärmeverluste
zu erhalten, machen wir mit Nathorst die Annahme, dass der Erd-
halbmesser sich seit der silurischen Zeit um etwa 5 km zusammengezogen
habe. Danach wird, zufolge einer Berechnung von Ekholm, je nachdem
man den linearen Ausdehnungskoefficienten der Erdmasse gleich 2.10"^
oder 5.10"^ setzt, die Verminderung der Erdtemperatur in dieser Zeit
16—40^ C. betragen haben. Unter Annahme, dass die Wärmeleitfähig-
keit der Erdschichten ungefähr so gross wie diejenige des Marmors sei
(0,002) und dass die Wärmekapacität eines cm^ der Erdkruste die Hälfte
derjenigen des gleichen Volumens Wasser erreicht, sowie dass die geo-
thermische Tiefenstufe 33 m beträgt, erhält man das Resultat, dass eine
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 285
Zeit von etwa 8 Millionen Jahren nötig ist, damit die mittlere Tempe-
ratur der Erde um 1^ C. sinkt. Danach wären nach der Silurzeit etwa
120 bis 320 oder in rundem Maass etwa 200 Millionen Jahre verstrichen.
Aus dieser Schätzung ersieht man, wie ungeheuer langsam dieser Wärme-
verlust stattfindet, und wie ausserordentlich lange Zeiträume nötig sind,
damit die Erdkruste zufolge dieses Umstandes merklich zusammen-
schrumpft und sich mit Gebirgsketten überzieht
Der Wärmezustand der Erde kann daher im grossen und ganzen
als ein stationärer angesehen werden.
Alter der Erde. In letzter Zeit hat man häufig die Frage auf-
gestellt, wie alt die Erde ist. Damit meint man gewöhnlich: wie lange
Zeit ist verflossen, seitdem die Erde eine feste Kruste erhielt, und wie
lange hat das Leben auf der Erde gedauert?
Diese beiden Fragen müssen in der That nahezu in gleicherweise
beantwortet werden, denn wie Lord Kelvin hervorgehoben hat, sobald
eine feste Kruste gebildet war, wurde die Wärmezufuhr vom Innern
stark herabgesetzt, und die Oberflächentemperatur musste zufolge der
Strahlung nach aussen sehr schnell sinken. Wie wir oben gesehen
haben, beträgt die Wärmezufuhr aus dem Innern nicht mehr als un-
gefähr 0,1 Proz. von der mittleren Wärmezufuhr durch die Sonnen-
strahlung. Als demnach die Erdkruste etwa tausendmal dünner
war wie jetzt, d. h. nur etwa 60 m, war die Wärmezufuhr von Innen
von derselben Bedeutung wie die Sonnenwärme. Zu dieser Zeit strahlte
also die Erde doppelt so viel Wärme aus wie jetzt, ihre Temperatur
war infolgedessen nach dem Stephan sehen Gesetz (vgl. S. 166) nach
der absoluten Skala 19 Proz. höher. Die Temperatur der Erde war
folglich, schon als die Dicke der Kruste nicht mehr als 60 m er-
reichte, nur 70^ C. Bei dieser Temperatur oder sogar bei 80—90^ C. können
Algen gedeihen, wie die Algenvegetation der Geysirs bezeugt. Die
grosse Menge von Wasserdampf in der Atmosphäre und die damit fol-
gende starke Wolkenbildung diente w^ohl der Erde zu einem bedeuten-
den Wärmeschutz, aber trotzdem kann nicht lange Zeit verflossen sein,
zwischen dem Moment, in welchem die Erde sich mit einer festen Kruste
bedeckte, und demjenigen, in welchem die Kruste eine Dicke von 60 m
erreicht hatte, wonach Organismen auf ihrer Oberfläche fortkommen
konnten. Lord Kelvin schätzt sie zu weniger als 100 Jahren. Keines-
falls dürfte sie mehr als 10000 Jahre betragen haben.
Lord Kelvin hat ausserdem einige Berechnungen ausgeführt,
welche zur Schätzung der Länge der seit der Krustenbildung verflossenen
286 Physik der Erde.
Zeit dienen sollen. Bei diesen Berechnungen sind die eingehenden
Grössen, Wärmeleitungsvermögen der Erdkruste, geothermischer Gra-
dient, Wärmekapazität und Erstarrungstemperatur mit grossen Unsicher-
heiten behaftet.
Bei einer Berechnung nimmt Lord Kelvin an, dass, als die feste
Kruste sich abschied, die Erdkugel eine einheitliche Temperatur von
7000^ Fahrenheit besass und gegen ein Medium strahlte von —7000*^ F.
(Annahmen, die offenbar sehr wenig der Wirklichkeit entsprechen). Er
erhielt auf diese Weise eine Zeit von etwa 100 Millionen Jahren. Je
nach den numerischen Werten, welche er den obengenannten Grössen
zuerteilte, konnte er Grenzen von zwischen 20 und 400 Millionen Jahren
für die seit dem Anfang der Krustenbildung verflossenen Zeit fest-
stellen. Seitdem hat er die Rechnung wiederholt — er nahm dabei die uni-
forme Ausgangstemperatur gleich 1200*^ C. an — und fand die Grenzen
zu zwischen 20 und 40 Millionen Jahren zusammengedrängt. An der
anderen Seite möge es erwähnt werden, dass Perry, welcher die Kel-
vin sehe Rechnung mit anderen, ihm als mehr naturgemäss erscheinen-
den Daten wiederholte, einen Wert von 9600 Millionen Jahren erhielt.
Wenn man die Rechnung so macht, dass man nicht eine gleichmässige
Anfangstemperatur annimmt, sondern, wie wohl nahe richtig, die nach
aussen abnehmende Temperatur im Erdcentrum gleich 100000^ C.
setzt, so erhält man einen Wert von 65000 Millionen Jahren (Ek-
holm).
Eine andere Methode ist diejenige, von welcher wir oben nach
Ekholms Rechnung ein Beispiel gegeben haben. Die neueste Berech-
nung der Oberflächenschrumpfung von Rudzki führt zu dem Schluss,
dass etwa 12 Prozent der Erdoberfläche Faltungen seit der Silurzeit
unterworfen gewesen sind. Die gesamte Faltung sollte nach einer
niedrigen Schätzung einer Oberflächenverminderung von 8 Millionen km^
oder etwa 1.6 Proz. der jetzigen Erdoberfläche entsprechen. Demnach
hätte der Erdhalbmesser um 0,8 Proz., d. h. rund um 50 km seit der
Silurzeit abgenommen. Diese Schätzung kommt derjenigen von Heim,
welcher 64 km für die genannte Grösse annimmt, ganz nahe. Danach
wären die oben angegebenen Daten von Ekholm mit 10 zu multipli-
zieren, und wir erhielten als Endresultat etwa 2000 Millionen Jahre.
Bei dieser Rechnung ist es angenommen, dass die geothermische
Tiefenstufe seit der Silurzeit unverändert geblieben ist. Rudzki macht
eine andere Annahme, dass sie früher geringer war wie jetzt, und
zwar (nach Kelvin) proportional der Quadratwurzel aus der Zeit, welche
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 287
seit der Entstehung der ersten festen Erdkruste verflossen ist. In dieser
Weise erhält er einen Wert von etwa 500 Millionen Jahren.
Eine dritte Methode geht von der Betrachtung aus, dass alle Kalk-
steine in der Erdkruste aus dem Calciumcarbonat gebildet sind, welches
von dem Wasser der Flüsse zum Ozean geschleppt wird. Die letzte
Schätzung dieser Grösse stammt von E. Dubois, welcher von der An-
nahme ausgeht, dass die Luft 2432 mal mehr Kohlensäure enthält, als die
Menge von Calciumcarbonat, welche jährlich zum Meer geführt wird.
Die sedimentären Kalksteinlager sollten 18 550 mal so viel Kohlensäure
enthalten wie die Luft, folglich wären zur Bildung dieser Lager 2432 x
18550 = 45 Millionen Jahre nötig. Nachdem er einige Korrektionen
eingeführt hat, kommt er zu dem Schluss, dass seit der Erstarrung der
Erdkruste wenigstens einige zehn Millionen und möglicherweise mehr
als 1000 Millionen Jahre verflossen sind.
Joly findet in ähnlicher Weise, dass dieselbe Zeit nicht wohl 95
Millionen Jahre überschreiten kann. MellardEeade schätzt die Menge
Kochsalz, welche pro Jahr dem Ozean zugeführt wird, und kommt zu
dem Schluss, dass 166 Millionen Jahre nötig waren, um die jetzige Koch-
salzmenge im Weltmeer durch die Flüsse hinunter zu transportieren.
Da nun in früheren Zeiten kolossale Salzlager (z. B. bei Stassfurt) aus
dem Weltmeere auskrystallisiert sind, muss man die genannte Zahl ver-
vielfachen, um richtig zu treff"en.
Die Schätzung, welche am bündigsten für das hohe Alter der Erde
spricht, ist auf geologische Betrachtungen gegründet. Die Rinne, welche
der Lorenzofluss unter Niagara in den Felsen hineingeschnitten hat, ist
60 — 90 m tief uud 11 km lang. Nach dem jetzigen Fortschreiten dieser
Aushöhlung schätzt man, dass die Bildung der Rinne 10000 Jahre in An-
spruch genommen hat. Wie viel längere Zeit wird zur Ausgrabung
des berühmten Canon des Coloradoflusses, welcher 480 km lang und bis-
weilen über 1^2 km tief ist, nötig gewesen sein? Und dieser Caiion
hat sich in den letzten geologischen Zeiträumen gebildet.
In den Appalachen Nordamerikas giebt es sedimentäre Schichten
von mehr als 12000 m Gesamtdicke, welche alle seit dem Beginn der
Silurzeit gebildet sind. Si*^ haben sich im Meere abgesetzt. Ähnlitihe
massive Bildungen schreiten jetzt vorwärts mit einer Geschwindigkeit,
die selten nach Millimetern pro Jahr gerechnet werden kann.
Archibald Geikie macht folgende Schätzung. Die sedimentären
Schichten der Erdkruste würden übereinandergelagert eine Dicke von
ungefähr 30000 m aufnehmen. Die Bildungsgeschwindigkeit solcher
288 Physik der Erde.
Schichten wird zu 1 m in 2900 bis 22700 Jahren geschätzt. Folglich
verlangte die Bildung der sedimentären Schichten eine Zeit von zwischen
73 und 680 Millionen Jahren. Sederholm findet in ähnlicher Weise
1000 Millionen Jahre.
Die Zeit, welche nach der grossen Vereisung verflossen ist, wird zu
etwa 100000 Jahren geschätzt. Diese Zeit ist nur eine kurze Episode,
im Vergleich zur vorvergangenen Tertiärzeit, deren Dauer zu mehreren
Millionen von Jahren geschätzt werden muss. Und diese Zeit ist wieder-
um nur ein kleiner Bruchteil der seit der Silurzeit verflossenen Epoche,
deren Länge von Arch. Geikie zu wenigstens 100 Millionen Jahren an-
genommen wird. Und man ist allgemein der Ansicht, dass der vor der
Silurzeit oder richtiger vor der kambrischen Zeit vergangene Zeitraum,
in welchem organisches Leben auf der Erde existierte, bedeutend viel
grösser ist als der nachher kommende. Darauf deutet die starke Diffe-
rentiation der in den ersten petrifikat-führenden Schichten aufbewahrten
Eeste von Organismen, welche ja nach der jetzt vorherrschenden dar-
winistischen Anschauung alle sich aus ähnlichen Urahnen haben ent-
wickeln müssen. Die spätere Evolution der Organismen ist nur ein ge-
ringer Bruchteil von dem nach der Darwinschen Theorie postulierten
präkambrischen.
Nach den geologischen Daten ist man daher geneigt, die Grössen-
ordnung der Existenzzeit von Organismen auf unserer Erde zu einer
Milliarde von Jahren zu schätzen. Wir kommen offenbar auf diesem
Wege zu Zeiträumen, welche merkliche Bruchteile der oben für die
Existenzzeit der Sonne berechneten (vgl. S. 163) ausmachen.
Die Gesteine der Erdkruste. Bei vielen Gesteinen fällt es
sofort auf, dass sie aus parallelen Schichten, die aufeinander gelagert
sind, bestehen (vgl. Fig. 89). Die Geologen erklären diese Erschei-
nung so, dass die betreffenden Erdmassen sich am Boden von Wasser-
becken abgesetzt haben Die Flüsse schleppen Partikelchen von den
durchströmten Gegenden zum Meere mit. Die gröbsten werden nahe
an der Flussmündung als Sandschichten abgelagert, die feineren werden
weiter hinaus als Thon abgesetzt. Wegen der raschen Sedimentation
in salzhaltigem Wasser geschieht dieser Absatz nicht weiter als
einige hundert Kilometer von der Küste auf der sogenannten Konti-
nentalstufe.
Nun geschieht es, dass der betreffende Fluss zu einigen Zeiten an-
schwillt und mehr und gröberen Detritus ablagert, als zu anderen Zeiten,
in welchen er weniger Wasser und Schlamm führt. Demzufolge wird
II. Die lestc Krdkruslc und dxis Kidinnere.
289
die Ablagerung periodische Wechsel in Korn, Dichte, Farbe und Festig-
keit zeigen.
Da der Meeresboden zum weit überwiegenden Teil horizontal ist, so
waren diese sedimentären Schichten anfangs horizontal. Wenn sie dies
noch sind, haben sie ihre alte Lage in der Hauptsache behalten. Sehr
Fig. 81). Sedimentäre Scliieliten vom Yellowstone-Thal, Nordamerika.
häufig sind sie aber zufolge der Schrumpfung der Erdkruste aufgerichtet
und in der mannigfaltigsten Weise verbogen.
Häufig haben sich auf solchen aufgerichteten Schichten neue hori-
zontale Schichten aufgelagert, welche wiederum aus der horizontalen
Lage verschoben sein können.
Bei der Faltung sind die Schichten häufig so stark gebogen, dass
ihre Einzelteile notwendig zerbrochen werden mussten. Trotzdem
zeigen diese Schichten meistens makroskopisch keine Bisse. Dies beruht
offenbar darauf, dass die Biegung unter sehr hohem Druck der oben-
liegenden Schichten stattfand, sodass die Bruchstücke sich nicht zur
Seite verschieben konnten. Unter dem Mikroskop zeigen sich aber die
kleinen Risse deutlich.
Häufig entstehen aber bei solchen Deformationen grosse Risse, die
mehrere Schichten durchsetzen. Längs einer solchen Spalte verschieben
Arrhenius, Kosmische Physik. • 19
290
E'bysik der Erde.
sich die Schichten gegeneinander. Die Verschiebung oder Verwerfung
kann sehr verschiedene Dimensionen nehmen, von einigen Millimetern
(Fig. 90) bis zu Tausenden von Metern. Diese Verschiebungsspalten
spielen eine sehr grosse Rolle bei den Erdbeben und den vulkanischen
Erscheinungen.
Die meisten sedimentären Gesteine sind bei ihrer Ablagerung
durch das darin enthaltene Wasser ganz weich wie Thon oder wenig
zusammenhaltend wie Seesand. Wenn sie unter hohen Druck zufolge
von überlagernden Schichten geraten,
und besonders wenn sie durch tiefe
Lage eine erhöhte Temperatur er-
halten, werden sie hart und gehen
in wirkliche Gesteine über. Häufig
wird dieser Prozess dadurch be-
schleunigt, dass durchsickerndes
Wasser ein Cement absetzt, welches
die verschiedenen Teile zusammen-
kittet. Vielleicht löst auch das Was-
ser unter hohem Druck und bei
hoher Temperatur einen Teil (die
kleinsten Partikelchen) des Sedi-
mentes auf und krystallisiert es an
anderen Stellen (den grösseren Par-
tikelchen) aus, wodurch eine Cemen-
tation ohne Zufuhr von fremden ge-
lösten Körpern zustande kommt.
Ausser diesen Gesteinen, welche
aus Bruchstücken von anderen Ge-
steinen gebildet sind und „klas-
tische Sedimente" genannt werden, kommen sogenannte chemische Se-
dimente vor. Diese bestehen in Verbindungen, welche sich aus gesät-
tigten Lösungen am Boden abscheiden, wie ohne Zweifel im Toten Meer
jetzt geschieht. Die wichtigsten dieser Ablagerungen sind Steinsalz, Gips
und Anhydrit.
Einige von den Verbindungen, welche in diesen chemischen Sedi-
menten vorkommen, haben ein hohes Interesse dadurch erhalten, dass
sie unter einer bestimmten Temperatur nicht bestehen können. So z. B.
ist Tachhydrit, der unter den Stassfurter Salzen vorkommt, nur ober-
halb 22^^ (bei Atmosphärendruck) beständig, bei niedrigeren Tempera-
Fig. 90. Gefalteter Schiefer mit zwei
kleinen Verschiebungen (nach Heim).
n. Die feste Erilkruste und das P]rdinnere. 291
turen zerfällt er unter Wasseraufnaliine in Clilormiignesium und Chlor-
calcium nach der Formel:
CaCli 2 MgCl^ 12 //^O + 6 11^0 = 2 [MgCl^ 6 II^O) + üaCli^ 6 1^0.
Tachhydrit Wasser Chlormagiiesium Chlorcalcium
Anwesenheit von fremden Salzen, wie Chlornatrium und Chlorkalium
in der Sättigung entsprechenden Mengen übt keinen merklichen Ein-
fluss auf die genannte Übergangstemperatur. Ebenfalls übt der Druck
eine ausserordentlich geringe Wirkung aus, indem die Umwandlungstem-
peratur bei einer Drucksteigenmg von 1 Atmosphäre um nur 0,017 "^ C.
zunimmt. Es erscheint demnach der Schluss berechtigt, dass die Tach-
hydrit-Ablagerungen in Stassfurt aus einem Wasser von über 22^ C.
abgesetzt sind. (Die mittlere Jahrestemperatur ist daselbst jetzt nur
etwa 9^ C.) Die Bedeutung dieses von van't Hoff und seinen Schülern
festgestellten Umstandes für die geologische Forschung braucht nicht
besonders hervorgehoben zu werden.
Eine relativ untergeordnete Eolle spielen die chemischen Sedimente
von Kieselsäure (Kieselsinter) und Kalk (Kalktuff, Travertin). Dieselben
setzen sich gewöhnlich in der Nähe stark kieselsaure- oder kalk-haltiger
Quellen ab. Die bekanntesten Ablagerungen dieser Art finden sich an
den Geysirs (Kieselsinter), an Wasserfällen, z. B bei Tivoli (Travertin) und
an Thermen, beispielsweise der Karlsbader Quelle (Sprudelstein). Diese
Ablagerungen sind insofern von Wichtigkeit, als dieselben die Abdrücke
von organischen Bildungen enthalten, welche in der Nähe der Quelle
gelebt haben (vgl. Fig. 91). Diese Absätze gehören zu jungen Zeit-
epochen und ihre Fossile entsprechen noch lebenden Landpflanzen und
Tieren. Sie geben infolgedessen sehr interessante Aufschlüsse über die
Änderung des Pflanzen- und Tierlebens und damit des Klimas in jüngst
vergangener Zeit.
Grosse Ablagerungen von kohlensaurem Kalk finden sich in den
Stalaktiten- und Stalagmitenbildungen der unterirdischen Höhlen. Auch
in vom Meer abgeschlossenen Teilen hat es passieren können, dass das
Wasser an Calciumkarbonat übersättigt wurde und dasselbe am Boden
absetzte. Diese Bildungsweise besitzen wahrscheinlich die sogenannt-en
Oolithe, kugelförmige Konkretionen von Kalkstein, der lithographische
Schiefer von Solnhofen, u. s. w.
Sonst wird das Calciumkarbonat aus dem Wasser durch Mitwirkung
von Tieren oder Pflanzen abgesondert. Die abgestorbenen Teile dieser
Organismen liefern das Material der sogenannten organogenen Sedi-
19*
292
riiysik iler Erde.
mente. Da das Meereswasser, wenigstens in der Gegenwart, in Bezug auf
Kalk nicht gesättigt ist, so kann der Kalk auf diesen Organismen nicht
durch eine einfache Auskrystallisation ausgeschieden werden. Vielmehr
findet ein chemischer Ausscheidungsprozess statt, und der Kalk wird von
organischen Geweben eingekapselt, wodurch er vor der Auflösung bewahrt
wird. Diese organischen Gewebe schützen auch den Kalk einige Zeit
Fig. 91. Travertin 'mit Blattabdrücken von Tivoli.
nach dem Tod und haben auf diese Weise mächtig zur Fossilbildung
beigetragen. Andere organogene Sedimente sind die Steinkohlen- und
Braunkohl enlager, der Torf u. s. w. Sie spielen in Bezug auf Häufigkeit J
eine untergeordnete, in wirtschaftlicher Hinsicht aber eine sehr bedeu-
tende Kolle.
Ganz anders verhalten sich die Massengesteine, von welchen das ver-
breitetste der Granit ist. Diese Gesteine treten nicht geschichtet, son-
dern in Kuppen, Decken, Gängen auf. Sie sind durch Erstarrung des
Magmas aus dem Erdinnern entstanden und entstehen noch als vulka-
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
293
niselie Bildungen.
Sie nehmen nach Tille etwa 4 Proz. der unter-
suchten Erdoberfläche ein. Die Granite kommen wahrscheinlich als
Unterlage der sedimentären Schichten überall vor.
Die Massengesteine haben eine ziemlich einförmige Zusammensetzung.
Sie bestehen aus Kieselsäure und Silikaten, hauptsächlich von Alkali-
metallen, Magnesium, Kalk, Eisen und Thonerde. Der Kieselsäuregehalt
kann zwischen 85 und 40, selten 30 Proz. schwanken. Je nach der
Fig. 92. Die Fingalshöhle auf Staffa, Schottland.
Grosse derselben werden die Gesteine sauer oder basisch genannt.
Einige Analysen der gewöhnlichsten Massengesteine sind auf folgender
Seite zusammengestellt.
Je nach der Länge der Zeit, welche den Magmen zu ihrer Abküh-
lung gegeben wurde, besitzen die daraus entstandenen Massengesteine
mehr oder weniger entwickelte Krystalle. Die grössten Krystalle be-
sitzen die Pegmatite, bei deren Erstarrung wahrscheinlich grosse Meng-en
von Wasserdampf das Magma relativ leichtflüssig machten. Danach
kommen die gewöhnlichen Granite, welche tief unter der Erdoberfläche
erstarrt sind. Eine mikrokrystallinische Struktur besitzen die Basalte,
welche häuflg wie in der berühmten Fingalshöhle auf Staffa senkrecht
zur külilcn Oberfläche säulonartig zerklüftet sind (vgl. Fig. 92).
294
Physik der Erde.
o
CD
CO
PK
CfQ
CD
o
ts:
ert-
CO
CfQ
CD -
0
CD
t— "•
CD
o
o
00
hj
t-s
o
tS3
I— '• ti^
g- I
CD _
ert- -S
aq
CD
CD
CD
CD IC^
^
CD
P
CO
CO
CD
t-i
CD
o
IS
CS
CfQ
P
O
P-
es
CD
CO
<rt-
CD
CD
^5
CD
Hj
CO
crt-
P
aq
CD
ts
PS
0
CD
P
CfQ ^'
C^ 00
fe;
><i
CD
CO
CD
CD
CD KS^
HO i=
Hi CO
Q
P
I— '
CD
CD CD
0
CO
g
C3-
CO
CO
CD
0
O
p
_. CO
CfQ ^
P <rf-
CS --
CD >-^
C/2
CO
CD
o
CSI
ts
P
I ^
ts CO
CD p:
P
P "
CD t*
CfQ J^^
CD ^
P p
P
ts
Pj
i-J CO
w
^
^
<1
Pi
CD
CD
t3
p^ t:.
tr-
CD
P
P-
P S
<-< I— >•
P -f^
ert-
P.
P h^
p, PT
P
C5" tri
CD CfQ
ö p
CO
CD Co
B p:
• CfQ
s ^
^ (M cfl cfl ST^ tr^' t:^' tr H-.
CD
CD
P
CfQ
CD
CO
ei-
CD
>—"
P
CD
CZ2
c-t-
CD
P
:^
P
P
P-
<1
O
P
o
P
CD
V td
p
o
p'
>^
P H^
i ^
O: CD
o
CD
PD
Ps
O
P-
CD
P
CfQ
CD
«3
«rt-
CD
I— !•
P
o
CO
p-
O
t-j
P
P
CD
HJ
P
CD
CO
o
p-
CD
P
X
C«
P
CfQ
P
P
aQ
i-i
O
CO
CO
p
p-
CD
Pj
CD
P
o
p-
:^
P
►-$
N
CD
P
CD
t-i
CfQ
CD
td
p
c:!
P
<
CD
P.
CD
P CO
^ P-
CD CD
ö
O
I ^
er CD
P CO
(72 c^.
p
CG
PJ
O
P
PJ
^Ö
1— '•
02
CD
e-t-
O
CO
P
p
T)
o
t3-
P
CIQ*
P-
CD
CO
I
1^
P
CO
CO
<1
w
O
i-i
P
er
►— '
CD
P
P^
CD
aQ
p
CD
P
CO
<rf-
O
c:>
o
P
P.
O
I
m
CD
CD
P-
P
P
CD
^ i
p
CD
CD
CD
td
t-i
P
P
ö ^
P o
o
t-4
P
o-
CD
P
P^
CD
CO
k>^ CD
P P.
< =^
O ^
P
CD
CD
hj
P ^ ^
CO ^' l-J
C/2 O
2 P
i= i^ '^^
P, P CO
^ CfQ CD
P
CD
co_
p'
p
o
X
02
CD
P
o
X
pj P.
P
P-
o
p
CD
pj
CD
CD
O)
CD
t— '
CO
ps
p
CD
o o
o
o ^ "^
o c o
^ 5p
O .O "
o
CO CO
Cd
O ^ jt^ CO oy
C5 "h^^ "ii. "bo ^
05 05 "lO ^ "rfi.
O j-1
00 oo
00
Ol
CO
•4
11,0
C"
lo
1-^ c;iT
CO JO j-a jPi» N£> ^ _CO
ls2 00 ~co o o ^ "Ij
Oh^c:^ COOOCO^
<W00N»l>5rfi.C0O00
i"^ i-^ J^ i"* ^ w ^ CO ^
"es <io"o^^co'fc>sto~co
C0rfs^C^H>>O<c0^t^C5
C?x~^-»•~M•oo'rfi.^o'oCO
^^C:)COcOcO"^'^^
^COOW C^OiOOjO
"fc>i>"h^CO~^05'cO'b"«~N5
Ni^C^OOCilOOOh^— l
r-
(;0 ^ CO ü^ O' ><i»- !-
~^ CO 'cO "cn '^ CO ~c
CO ^ O CO rf^ CO I-
1-^ Ht*
j>a C"
'co ^1
CO CO
p
lO «^
n ji.
CO
CO
OS
to
4^
CO
p
CD
P
CO
H^
CO
4i*
O
CO
p
o
r^
o
CO
-4
h^
1— !-•
1—'
CD
a«
■^^
lo
o
CO
N5
NS
Oi
t^
-1
CO
In»
^
^-*
■—
o
^
<1
<1
<!
<
X
X
X
o
ES
CD
P
<r+-
*-"
CO
et»
p-
CD
P
p
CD
P
02
CD
<rh
CS
P
P
CfQ
CD
t— »•
P
I— !•
CfQ
CD
t-i
P
«3
CO
CD
P
CfQ
CD
C/3
ts
p
c«
p
CD
P
CfQ
CD
02
P
P
o
p-
o
02
CD
P
P
CO
o
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
295
Als Glas erstarren die Obsidiane, Bimssteine und ähnliche Produkte.
Amorphes Glas kommt auch in krystallisierten Massengesteinen häufig
vor, ihre Erstarrung aus feurig-flüssigem Zustand angebend.
In diesen Gesteinen trifft man häufig andere interessante Ein-
schlüsse, die bei der Erstarrung entstanden sind und zufolge der Zu-
sammenziehung nicht ihren ursprünglichen Raum ausfüllen, wodurch ein
Bläschen gebildet wurde (Fig. 93). Sie sind meistens mikroskopisch Aus
der Grösse dieses Bläschens relativ zur umgebenden Flüssigkeit kann man
den Druck schätzen, welcher bei der Erstarrung herrschte. Da die
Bläschen im allgemeinen sehr klein sind, muss man auf einen sehr
hohen Druck schliessen. Die Flüssigkeit besteht für gewöhnlich aus
Wasser, häufig mit darin gelösten Salzen, welche bisweilen auskrystalli-
sieren, sehr oft auch aus Kohlensäure. Diese
letzte kann man daran erkennen, dass bei
einer massigen Erhitzung (über 33^ C.) das
Bläschen verschwindet, indem die Kohlensäure
den kritischen Punkt überschreitet.
Sehr eigentümlich sind die krystallinischen
Schiefer, welche gewissermaassen einen Über-
gang zwischen den geschichteten und den
Massengesteinen bilden. Diese Gesteine, deren
wichtigste Vertreter Gneis, Glimmerschiefer,
Chloritschiefer, Talkschiefer und Marmor (Ur-
kalk) sind, zeigen durch ihre Parallelstruktur
eine gewisse Ähnlichkeit mit den sedimentä-
ren Ablagerungen, mit den Massengesteinen
wiederum dadurch, dass sie krystallinisch sind. Es giebt auch alle mög-
lichen Übergänge zwischen beispielsweise Glimmerschiefer und dem sedi-
mentären Thonschiefer auf der einen, zwischen Gneis und Granit auf
der anderen Seite.
Ein grosser Teil der krystallinischen Schiefer ist unzweifelhaft durch
Verschieferung unter hohem Druck aus Massengesteinen entstanden.
Seitdem Keusch gezeigt hatte, dass in der Umgebung der Stadt
Bergen in Norwegen krystallinische Schiefer zu finden sind, welche Fossile
enthalten, war es deutlich, dass diese durch Metamorphosen an sedimen-
tären Schichten haben entstehen müssen. Ähnlich ist das Verhalten
der teilweise fossilführenden Marmorlager bei Carrara, welche aus einer
so späten Epoche wie der Tertiärzeit stammen.
Eine solche Umwandlung kann dadurch zustande kommen, dass ein
Fig. 93. Einschlüsse. Die un-
tere Blase enthält einen wür-
felförmigen Kochsalzkry stall.
296 Physik der Erde.
Magmastock zwischen sedimentären Bergarten einsetzt und dieselben
hoher Temperatur und hohem Druck aussetzt. Unter diesen Bedin-
gungen steigt die lösende Kraft des anwesenden Wassers bedeutend und
in genügend langer Zeit kann eine starke Krystallisation eintreten.
Noch gewöhnlicher als diese sogenannte Kontaktmetamorphose scheint
die Dynamometamorphose zusein. Lossen beobachtete zuerst, dass die
jüngeren krystallinischen Schiefer sich vorzugsweise da gebildet haben, wo
die ursprüngliche Schichtung stark verbogen ist, eine Beobachtung, welche
sich bewährt hat. Diese Teile sind einem sehr starken Druck unter-
w^orfen gewesen. Damit die für die Krystallisation nötige hohe Temperatur
erreicht wurde, mussten die Schichten dem Druck nachgeben. Die
dabei entstandene Keibung und die Kompressionsarbeit unter Drucken,
die gegen Hunderttausende von Atmophären erreichen mögen, können
eine für das Zustandebringen der Krystallisation nötige Wärme erzeugen.
In Fällen, wo der Druck nicht genügend war, trat die Verbiegung ohne
krystallinische Umwandlung ein.
Es ist auch wohl denkbar, dass am Boden des Urmeers die Tem-
peratur genügte, um die daselbst abgelagerten Sedimente allmählich in
krystallinische Schiefer umzuwandeln. In dieser Weise sind, nach der
Ansicht einiger Forscher, die ältesten Gneise, die sogenannten Funda-
mentalgneise, entstanden.
Vulkane. Unter den Bergen der Erde haben die Vulkane lange
die besondere Aufmerksamkeit durch ihre Wirksamkeit auf sich ge-
zogen. Sie fördern nämlich aus dem Erdinnern kolossale Massen zu
Tage und geben dadurch zu Bergbildung Anlass. Das gewöhnlichste
Eruptionsprodukt ist wohl Wasserdampf, weshalb der thätige Vulkan
beinahe immer zu einer starken Wolke an seiner Spitze Anlass giebt.
Diese Wolke giebt häufig ausserordentlich heftige Niederschläge, oft
unter Entladung von ungeheuren Mengen von Elektrizität. Dies trifft
besonders bei den gewaltigen Explosionen ein, bei welchen die Wolke
eine Höhe von gegen 10 km erreicht. Häufig nimmt die Wolke (bei
ruhiger Luft) eine pinienförmige Gestalt an, wie schon Plinius im Jahre
79 beim heftigen Ausbruch des Vesuvs bemerkte. Die Grösse der Wolke
in den nebenstehenden Figg. 94 — 96 kann man schätzen, wenn man
weiss, dass der Vesuv sich etwa 1300 m über den Meeresspiegel erhebt.
In zweiter Linie kommt das andere einflussreiche Gas der Atmosphäre,
Kohlensäure, in grosser Menge vor. Freier Wasserstoff, w^ elcher mit Flamme
verbrennt, ist auch (bei Kilauea in Hawa'i) konstatiert worden. Ausser-
dem finden sich in geringerer Menge andere Gase, wie Srliwofd, Schwefel-
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
297
Wasserstoff, Chlorwasserstoff, Salmiak, seltener flüchtige Metallver-
hindimgeu, wie Chloride von Eisen und Kupfer, Borsäure u. s. w. in
den gasförmigen Eruptionsprodukten vor. Von den festen Produkten
Fig. 94. Pinientormige Wolke über dem Vesuv beim Ausbruche im Jahre
1822, nach Ponlett Scrope.
sind der Bimsstein und die Asche die wichtigsten. Diese beiden Pro-
dukte sind eigentlich Lava, welche durch heftiges Freiwerden von Wasser-
dampf, Kohlensäure und anderen Gasen in äusserst kleinen Staub zer-
sprengt oder mit Blasen gefüllt ist. Grössere Gesteinsfragmente werden
298
Physik der Erde.
Sand und noch grossere Bomben oder Lapilli genannt. Diese sind oft
gewunden (Fig. 97), welches zeigt, dass sie in zähflüssigem Zustande aus-
Fig. 95. Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, nach Photographie v. Sommer.
geworfen, in der Luft durch deren Widerstand geformt und nachher
erstarrt sind.
Fig. 96. Der Vesuv von der Insel Nisita gesehen. Die vulkanische Tliäfcigkeit
ist massig.
Fallen diese losen Auswürfe ins Meer, wie bei unterseeischen
Eruptionen, so entstehen sedimentäre Lager von vulkanischem Tuif,
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
299
Yon
welche die Abgüsse der in ihnen beerdigten Seetiere enthalten,
dieser Art ist die Landschaft Campagna Feiice bei Neapel.
Die Wolke über dem Vulkan löst sich bei der Eruption in einem
äusserst heftigen Gewitterregen, einem wahren Wolkenbruch, auf.
Beim gleichzeitigen Herunterfallen von Regen und Asche entsteht
ein breiartiger Schlamm, wozu auch die lockeren Teile des Vulkankegels
beitragen, welcher die schwersten Verheerungen anstellt. So z. B. über-
deckte solch' ein Brei Pompeji (79 n. Chr.) in einer Höhe von 7 Meter.
Dabei schmiegte sich dieser Brei gänzlich an die Oberfläche der davon
Fig. 97. Eine „gedrehte Bombe" vom Vesuvausbruch im Jahre 1872.
getroffenen Gegenstände an und erhärtete danach als eine Art von Tuff,
welcher getreue Abgüsse von den darin begrabenen, organischen, zum
grossen Teil verschwundenen, Körpern lieferte.
Das Magma, welches nicht durch die Gewalt des Ausbruches in die
Atmosphäre getrieben wird, fliesst häufig durch Risse im Vulkanberge
und breitet sich als ein Lavastrom aus. Anfangs ist die Lava leicht-
flüssig, besonders wenn sie stark wasserhaltig ist. Später, wenn sie er-
kaltet, bedeckt sie sich mit einer festen Kruste und fliesst dann immer
langsamer. Das gewöhnliche ist deshalb, dass der Lavafluss nicht be-
sonders grosse Dimensionen annimmt und folglich keine grösseren Ver-
heerungen anstellt. Die Kruste ist häufig durch Entweichen von Gasen
ausserordentlich stark zerbrochen, so dass es oft unmöglich ist, einen
solchen erstarrten Lavastrom zu passieren. Bisweilen breitet sich die
Lava aus sehr grossen Rissen nach allen Seiten aus und überflutet
dann grosse Lnn<lstro('kon von mohrcrm tausenden Quadratkilometern,
300 Physik der Erde.
Tliäler ausfüllend und Hügel überdeckend. In solchen Fällen bilden sich
grosse Plateaus. Dies scheint auf der stark vulkanischen Insel Island
besonders häufig einzutreffen. In älteren Schichten der Erde trifft
man nicht selten Bildungen dieser Art.
Sonst fallen die festen Auswurfstoffe zum grössten Teil in der Nähe
der Auswurföffnung nieder, und in dieser Weise bilden sich die kegel-
förmigen Berge, welche die charakteristische Form der Vulkane besitzen.
Die Neigung dieser Berge gegen den Horizont hängt von dem Büschungs-
winkel der Auswurfstoffe ab. Bei den leichten Aschenbestandteilen ist
dieser Winkel recht gross, bis 25— 30^, wie bei dem grossen vulka-
nischen Feuerberg Popocatepetl und bei dem prachtvollen japanischen
Vulkane Fusi-Yama, welcher von den japanischen Künstlern so häufig
wiedergegeben ist. (Fig. 98). Die niederen Abhänge des Berges, welche
Fig. 98. Der japanische Vulkan Fusi-Yama.
unter dem Einfluss des Kegens abgesetzt sind, haben eine geringere
Neigung (10 — 15^). Auch die höheren Teile des Aschenkegels werden
von Niederschlägen mit Kannelierungen ausmodelliert, welche zu Thälern
sich verbreitern, die häufig mit der üppigsten Vegetation bedeckt sind.
Viel geringere Neigung haben die relativ wenigen Vulkane — die
typischen sind die hawa'ischen Feuerberge Mauna Kea und Mauna Loa —
welche durch ruhiges Ausfliessen von Lava gebildet sind. Trotz ihrer
gewaltigen Höhe, welche beinahe diejenige vom Montblanc erreicht, be-
sitzen diese Vulkankegel eine Neigung von nur etwa 9^. An dem Mauna-
Loa ist der bekannte grosse Kraterkessel Kilauea (Figg. 101 und 102)
gelegen, welcher in einer Ausdehnung von etwa 12 km^ mit glühender
Lava gefüllt ist. Diese wallende Lavamasse giebt durch Gasentbindung
zu stetigen kleinen Explosionen Anlass, bei welchen die Feuerfontänen
IJ. Die feste Eiilkiusie and das Erdinnere.
301
etwa 20 in hoch hinaufspritzon. Bisweilen giesst sich dieser Lavasee
durch Risse in den Kraterrändern aus und speist einen Lavafluss über
die Bergabhänge, wonach die Lavamasse schnell zurücksinkt.
^."'' Die leichtere vulkanische Asche kann sehr weit durch Luftströ-
Fig. 99.
Der Kraterkessel Kilauea nach C. E. Dutton.
inungen geführt werden, so z. B. von Island herüber nach dem euro-
päischen Kontinent, von amerikanischen Vulkanausbrüchen quer über
den Ozean nach der alten Welt. Am weitesten wurden die Aschenbe-
tandteile beim Krakatauausbruch umhergeschleudert. Die feinsten Staub-
^Irt.
1
V88B — j
_
1 V 1868 y 1
IB'Kl
1832
Fig. KX). Querschnitt des Kilauea-Kraters zu verschiedenen Zeiten nach J. D. Dana.
teile wurden über 30000 m in die Höhe getrieben und breiteten sich
über die ganze Erde aus. Sie gaben sich mehrere Jahre lang durch
prächtige „rote" Sonnenuntergänge kund. Bei derselben Eruption wurden
iinaeheuere Massen von Bimsstein ins Meer geworfen, welche die Schiff-
302
Physik der Erde
fahrt in diesen Gegenden stark gefährdeten. Der Bimsstein, welcher
häufig auf dem Meer herumtreibt, wird entweder zu den Küsten ge-
worfen, wo er sich allmählich in Meeressand- verwandelt oder er sinkt zum
Meeresboden und bildet da vulkanische Schichten.
Bei den meisten Vulkanen Jvommen Lavaschichten abwechselnd mit
Aschenschichten vor.
Die Eruptionen der Vulkane können sehr verschieden sein. Bis-
weilen verlaufen sie sehr ruhig wie in HawaL Dasselbe ist der Fall
Fig. 101. Die Innenwand des Rakata-Kegels nach Judd.
mit den Ausbrüchen des Liparischen Insel vulkanes Stromboli, welcher
seit Jahrtausenden in stetiger Thätigkeit mit Intervallen von weniger
als einer bis zwanzig Minuten ist, so dass er als der beste Leuchtturm
für die Schiffahrenden mit seinen Flammen in der Nacht und seinem
Rauch am Tage dient. Ganz anderer Art war der gewaltige Krakatau-
Ausbruch vom 26.-27. August 1883. Dabei wurden etwa 18 km'^ in
die Luft gesprengt. Mehr als die Hälfte der alten Vulkankegel wurde
in die Höhe geblasen (vgl. Fig. 101). Von den 33 km^ dieser Insel
blieben nur 10,5 zurück. An der anderen Seite entstanden durch die
II. Die feste Erdkruste und das lOrdinnore. 303
Auf liäutung der Auswurfstoöe zwei neue Inseln und andere Inseln wurden
vergrössert. Trotz der w^nig dichten Bevölkerung in diesen Gegenden (der
Krakatau selbst war unbebaut) war der angerichtete Schaden sehr gross,
man schätzt die Zahl der Opfer der Katastrophe zu 40000. Ein ähn-
licher Ausbruch war derjenige des Vesuv (79 n. Chr.), wobei ein grosser
Teil des alten Vulkans, dessen Überbleibsel unter dem Namen Monte
Somma bekannt sind, in die Luft geblasen wurde. Bei dieser Gelegen-
heit wurden blühende Städte, wie Herculanum und Pompeji, unter Lava
oder Asche begraben. Gerade diejenigen Vulkane, welche sehr lange
Ruheperioden zwischen ihren Ausbrüchen besitzen, sind es, welche die
grössten Verheerungen anstellen. Es wird die Ausflussröhre, welche im
Krater mündet, durch erstarrte Lavamassen zugestopft, sodass die dar-
unter entwickelten Dämpfe einen enormen Druck entwickeln müssen,
bevor sie die hemmende Schicht wegreissen können. Nach 79 hat der
Vesuv in den Jahren 203, 472, 512, 685, 993, 1036, 1139, 1500, 1631
und 1660 Ausbrüche gehabt. Seitdem ist er in beinahe unausgesetzter
Thätigkeit. Sehr heftige Ausbrüche kamen in den Jahren 1794, 1822,
1872 und 1900 vor.
Wenn einmal die erstarrte Kruste in der Vulkanröhre so dick wird,
dass sie nicht mehr dem Drucke der Lavamassen nachgiebt, so ist der
Vulkan als erloschen anzusehen. Wie der Vesiiv vor dem Jahre 79 n.
Chr. zeigt, ist es häufig schwer zu sagen, ob ein Vulkan wirklich er-
loschen ist, oder nur seit historischer Zeit ruht. Wirklich erloschene
Vulkane und Anzeichen ihrer Thätigkeit giebt es massenweise auf der
ganzen Erde. Zu diesen gehören einige der höchsten Berge der Erde,
wie Aconcagua in Südamerika (6970 m) und Kilimandjaro (6010 m) in
Mittelafrika. Die bekanntesten Beispiele erloschener vulkanischer Thätig-
keit bieten das Eifelgebiet in Deutschland, die Vulkane der Auvergne
und die Phlegräischen Felder in Italien. Auch in England und Schott-
land trifft man häufig Basalte an, welche an eine in ziemlich neuer geolo-
gischer Zeit geschwundene vulkanische Thätigkeit erinnern. Von diesen
Basalten sind wegen ihrer regelmässigen schönen säulenförmigen Bil-
dung diejenigen der Fingalsgrotte berühmt (vgl. Fig. 92). Eine ähn-
liche sonderbare Bildung ist die Teufelswand in Nordostböhmen. Ln
mehreren der erwähnten Gebiete finden sich noch Spuren einer vulka-
nischen Thätigkeit vor, welche in heissen Quellen, Gasausströmungen
und Schlammvulkanen zu Tage treten.
Wassergase entströmen den Fumarolen, welche in Italien (z. B.
Ischia), Griechenland (Melos), Island, Java, Neuseeland, Südamerika sehr
304 Physik der EnU;.
g-ewölmlich sind. Kohlensäure ist das Hauptgas der Mofetten, die im
Eifelgebiet, besonders im Brohlthal, sehr gewöhnlich sind. Die Hunds-
grotte bei Neapel und das Todesthal auf Java gehören dieser Gruppe
an. Die Solfataren lassen Schwefeldämpfe, schweflige Säure und Schwefel-
wasserstoff entweichen. Sie kommen häufig in Italien (die Phlegräischen
Felder bei Neapel) und in Griechenland vor.
Thermen, Geysire und Schlammvulkane. Wo das Boden-
wasser in die Nähe von alten oder neuen vulkanischen Herden gelangt,
wird dasselbe erhitzt und erhält eine stark gesteigerte Fähigkeit,
Mineralstoffe zu lösen. Die in dieser Weise entstehenden Quellen, die
sogenannten Thermen, befördern deshalb grosse Mengen von gelösten
Mineralbestandteilen zur Erdoberfläche, wo sie durch Auskrystallisieren
besondere Bildungen — häufig in Kraterform — absetzen. Dies ist beson-
ders der Fall mit den sogenannten Geysiren oder intermittierenden heissen
Quellen, welche aus Island, Yellowstone Park (Fig. 102) in Nordamerika
(altes Vulkangebiet) und Neuseeland bekannt sind.
Einige künstliche Quellen bieten eine gewisse Ähnlichkeit mit den
Geysiren. Aus einem 2000 m tiefen Bohrloch bei der Stadt Kane in
Pennsylvanien, sprang (Januar 1879) eine 30—50 m hohe Wasser- und
Gassäule, die sich bisweilen entzündete, etwa alle 13 Minuten auf.
Während das treibende Gas in diesem Falle Kohlenwasserstoff ist, wird
die periodische Springquelle bei Kaschau in Ungarn, die etwa dreimal
täglich Eruptionen hat, durch Kohlensäure getrieben. Nach der Erup-
tion müssen neue Gasmassen eine Zeit lang zuströmen, um die zur
Hebung der in der Köhre stehenden Wassersäule nötige Spannung zu
erhalten.
Man erklärt die Unstetigkeit der Geysire so, dass man annimmt,
das Wasser stehe in einem mehr oder weniger vertikalen Kanal aufgestaut.
Die unteren Teile desselben befinden sich unter sehr hohem Druck. Wenn
durch Wärmezufuhr aus dem Erdinnern der hoch über 100 ^ C. belegene
Siedepunkt (in 10, 50 bezw. 100 m Tiefe 121, 159 bezw. 185<^ C.) am
Boden erreicht ist, entstehen Gasblasen, die in höheren Lagen sich stark
ausdehnen, wodurch das Wasser ausgetrieben wird und der Druck sich
stark vermindert. Das Sieden geht darauf nahezu explosionsartig vor
sich, bis die Wasser masse sich so stark abgekühlt hat, dass Ruhe ein-
tritt. Das ausgeschleuderte Wasser fliesst zum Teil zurück und neues
Wasser wird von unten zugeführt, so dass, nachdem genug Wärme von
unten zugeleitet ist, das Spiel wieder anfangen kann.
Etwas Ähnlichkeit mit den Vulkanen besitzen die Schlammvulkane,
II. Die feste Ertlkruste und das Erdinnere.
305
gewöhnlicherweise relativ unansehnliche Bildungen, die Schlamm, Salz-
wasser und Gase (gewöhnlich Kohlensäure und Kohlenwasserstoffe) aus-
schleudern. Viele derselben liegen auf altem oder neuem vulkanischen
Fig. 102. „Old Faithful", ein Geysir im Yellowstone-Park.
Boden, wie bei Parma und Modena, bei Kronstadt in Siebenbürgen, auf
Java, Borneo und Island, andere scheinen aber mit dem Vulkanismus
nichts gemeinsam zu haben. Ihre Hitze ist in diesem Falle durch
lokale chemische Prozesse (langsame Verwesung organischer Bestandteile)
entstanden.
Arrlieuius, Kosmisebe Physik. • 20
306
Physik der Krdc.
Die Schlammvulkane küimen bisweilen erhebliche Dimensionen er-
reichen. Bei Baku geben sie zu Schuttkegeln von über 1000 m Höhe
Anlass. Sie werfen Petroleumgase aus, die sich entzünden und häufig
grosse Dimensionen (600 m Höhe bei dem Ausbruche von Lok Botan
am 5. Jan. 1887) erreichen.
Die Verteilung der Vulkane. Sehr auffallend bei den Vul-
kanen ist ihre Verteilung auf der Erdoberfläche, wie aus der folgenden
Zusammenstellung nach Fuchs hervorgeht:
Thätige
Festland von Europa (Vesuv) 1
Inseln im Mittelmeer . . 6
Afrika, Festland .... 17
„ Inseln 10
Westindien 5
Arabien 1
Centralasien 2?
Pondichery (submariner V.) 1
Kamtschatka 12
Alaska 4
Vereinigte Staaten .... 11
Mexiko 10
Centralamerika 26
Ecuador 14
Peru und Bolivia .... 6
Chile 17
Feuerland 1
Neu-Guinea 5
Vulkane.
Neu-Seeland 4
Aleüten 31
Kurilen 27
Japan 24
Inseln südlich von Japan . . 8
Philippinen, Molukken, Sunda-
Inseln 49
Island
Jan Mayen
Azoren
Kanaren
Cap Verde-Inseln ....
Antillen
Atlant. Ozean (submarine V.)
Indischer Ozean, Inseln . .
Stiller Ozean, „ . .
.Südpolarkontinent ....
1
6
3
26
2
Summa: 355
Das Verzeichnis dieser 355 Vulkane muss natürlicherweise einen grossen
Teil Willkür enthalten, indem es sehr schwer ist, zwischen thätigen und
erloschenen Vulkanen zu unterscheiden. So ist, um ein paar Beispiele
aus Europa zu nennen, der im Jahre 1538 entstandene Vulkan Monte
Nuovo in den Phlegräischen Feldern ebensowenig genannt wie der Vulkan
Epomeo auf Ischia, der mehrere Ausbrüche in historischer Zeit, das letzte
Mal im Jahre 1302, gehabt hat.
Die allermeisten Vulkane liegen rund um den Stillen Ozean ver-
teilt und auch die anderen befinden sich beinalie immer in der Nähe des
Ozeans, besonders häufig auf vulkanischen Inseln. Ausserdem sind, wie die
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 307
boigefügto Kartenskizze (Fig. 103) andeutet, die mit schwarzen Punkten
bezeichneten Vulkane häufig in langen Linien angeordnet (in solchen
Fällen sind schwarze Striche gezeichnet). Dies deutet darauf hin, dass
die Vulkane an langen Eissen im Erdhoden entstanden sind. In Europa
heiindet sich auf dem Festland nur ein Vulkan, Vesuv, die anderen, wo-
runter die wichtigsten die isländischen, ferner Aetna, Stromholi (Liparische
Inseln) und im griechischen Archipel Santorin, sind auf Inseln gelegen.
Am Nordpol ist ein recht grosses vulkanfreies Gebiet. Zwar sind
in nicht allzu entfernten geologischen Epochen Franz-Josephs-Land und
Spitzbergen Schauplätze starker vulkanischer Thätigkeit gewesen. Der
nördlichste jetzige Vulkan, Jan-Mayen liegt unter dem 71. Breitengrade.
In den Stidpolarländern scheint die eruptive Thätigkeit sich weit hef-
tiger zu entwickeln. Zwei sehr kräftige Vulkane wurden von Lord Koss
in Viktoria-Land unter 78^ s. Br. entdeckt, welche die Namen Erebus
und Terror erhielten. Sehr vulkanisch ist Island, welches vielleicht auf
einem Riss in der Mitte des Atlanten liegt, welcher von Jan-Mayen
bis Tristan verläuft, und auf welchem auch die vulkanischen Azoren und
Canaren sowie andere Inseln liegen.
Die centralasiatischen Vulkane sind zweifelhaft, die afrikanischen
Vulkane liegen, wenn nicht am Meer, so doch bei grossen Binnenseen.
Am weitesten von grossen Wässern entfernt liegen die Vulkane in
Mexiko und Ecuador (Tolima 300 km vom Meer).
Auch die Vulkane vergangener geologischer Epochen sind, so viel
man feststellen kann, im allgemeinen in der Nähe der Meere gelegen
gewesen.
Der innere Bau der Vulkane. Die Vulkankegel sind grössten-
teils aus sehr lockeren Stoffen zusammengesetzt. Deshalb werden sie
sehr leicht weggewaschen, nachdem der Vulkan erloschen ist, und man
erhält auf diese Weise einen Einblick in den inneren Bau der Vulkane.
Erst spült das Wasser tiefe Rinnen in dem lockeren Material der Vul-
kanabhänge aus. Wenn der" ganze Kegel weggewaschen ist, bleibt ein
Stock von dem härteren Gestein zurück, welches die Vulkanröhre aus-
gefüllt hat. Solche konische Reste (vgl. Fig. 104) kommen sehr häufig
in Schottland und Nordamerika vor, wo sie „Necks" genannt werden. .
Ein solcher Kegel steht auch in der Mitte des Rakataberges auf
Krakatau, welcher Vulkan bei der letzten Eruption entzweigeschnitten
wurde. Man sieht (Fig. 101) deutlich diesen centralen Kegel, welcher
seitlich von Tuffbetten mit dazwischen gelagerten Lavadecken um-
geben ist.
• 20*
308
Physik der Erde.
.«
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
309
Fig. 104. Mato Tepee in Wyoming
Nordamerika, ein typischer vulka-
nischer „Neck".
Bei der Verwitterung solcher Feuerberge (vom Vesuvtypus,
welcher am gewöhnlichsten ist), schützen die härteren Lavagänge
die unterliegenden Massen gegen die Abtragung, es entstehen dann
Bergrücken, welche radial von der alten Eruptionsstelle auslaufen. Ein
solcher Fall kommt bei Monte Venda
in den Euganeen bei Padua vor.
In diesem Falle sind auch die sedi-
mentären Schichten, auf welchen der
ehemalige Vulkan aufgebaut wurde,
blossgelegt. Sie bestehen zum grossen
Teil aus Kalksteinen, welche an der
Kontaktstelle mit der warmen Lava
zu etwa 1 m Dicke in Marmor um-
gewandelt sind. Diese Kontaktmeta-
morphose trifft nun nicht nur die
unter den Lavagängen liegenden Ge-
steine, sondern auch zum grossen
Teil die darüber liegenden. Dies beweist, dass die Lava nicht nur an
der Oberfläche der sedimentären Schichten ausgeflossen, sondern auch
zwischen dieselben eingedrungen ist.
Ähnliche Ausgüsse zwischen sedimentären Schichten bilden die im
Staate Utah gewöhnlichen
Lakkolithen, welche Gil-
bert beschrieben hat. Die-
selben bestehen aus kup-
peiförmigen Trachytmassen,
welche zwischen sedimentäre
Schichten hineingedrungen
sind und die obenliegenden
trotz des gewaltigen Druckes
gehoben haben. In die Sprün-
ge, welche dabei entstanden,
sind Gänge von Trachyt hin-
eingegossen (vgl. Fig. 105). Der grösste von ihnen ist Hill er s Lak-
kolith, seine Höhe wird zu 2, seine Basis auf 6,4 und 5,6 km geschätzt.
Von diesen Bildungen hätte man keine Kenntnis, falls nicht die Denu-
dation die obenliegenden sedimentären Schichten weggeführt und die
Trachytkuppen blossgelegt hätte.
Von ähnlicher Art sind die tief liegenden Batholithen, granitische
Fig. 105, Schematische Darstellung eines Lak-
kolithen.
310 Physik der Erde.
Massen vun grosser Ausdehnung, welche unter sedimentären Schichten
eingedrungen sind. Sie kommen unter anderem im Harz, in Böhmen,
Norwegen, Island, Schottland und in den Alpen vor.
Eigentümlich ist, dass in mehreren Gegenden das Vorkommen von
Erzgängen an die Grenzzone zwischen diesen Batholithen und dem an-
liegenden sedimentären Gestein geknüpft ist. Es scheint, als hätte sich
bei der allmählichen Abkühlung des Granitmassivs der Wasserdampf
mit den darin löslichen Körpern von der Silikatmasse getrennt und
wegen ihres niedrigen specifischen Gewichtes an der (oberen) Grenzfläche
zum Sediment hin gesammelt. Von da drangen die flüchtigeren Be-
Fig. 106. Vulkanische Gänge mit Aufschüttungskegel am Toroweap-Cafion des
Colorado-Plateaus nach C. E. Dutton.
standteile, wie Wasserdampf, Kohlensäure, Schwefelwasserstoff" u. s. w.
durch die nebenliegenden Schichten, während die darin gelösten Stoffe
als Mineralgänge von Sulfiden und Oxyden zurückgelassen wurden. Diese
Gänge zeichnen sich auch als Fundorte von seltenen Mineralien und
grossartig ausgebildeten Krystallen aus.
Die grosse Gewalt, welche bei der Füllung der vulkanischen Gänge
entwickelt wurde, geht auch aus einem interessanten Fall vom Colorado-
Plateau hervor, welcher nach Dutton in Fig. 106 abgebildet ist. Mehrere
äusserst schmale Gänge haben eine mehr als 800 m dicke Schicht von
sedimentärem Gestein ohne zu erstarren durchsetzt und an der Oberfläche
Aschenkegel aufgeworfen. Dies kann kaum anders aufgefasst werden, als
dass die Risse schon vorhanden waren, das Magma aber nicht erreichten.
Plötzlich wurden sie aber dem Magma geöffnet (wahrscheinlich durch den
stark wachsenden Druck desselben) und wurden von diesem ausgefiiUt.
II. Die feste Erdkrastö und das F^rdinnere. 3 j ]
Übrig'ens ist es ja selbstverständlich, dass sehr grosse Druckkräfte
nötig- sind, um das Magma durch den Schlot eines Vulkans, z. B. Vesuv,
liinaufzudrücken. In diesem Falle ist das umgebende Niveau ungefähr
dasselbe wie das Meeresniveau. Der Druckunterschied an der Aussen-
seite und der Innenseite des 1300 m hohen Vulkanrohres im Meeres-
niveau beträgt nicht weniger als etwa 330 Atmosphären. Bei den höch-
sten Vulkanen würde man bis zu etwa viermal grösseren Druckkräften
kommen.
Diese Untersuchungen zeigen auch, dass die Ansicht von Hum-
boldt, nach welcher die Vulkane durch Hebung der sedimentären
Schichten entstehen, nicht stichhaltig ist. Solche Hebungen kommen
wohl bei den Lakkolithen vor, und sind, obwohl ziemlich selten, bei
vulkanischen Ausbrüchen konstatiert, z. B. bei der Hebung der Vul-
kaninsel Pantellaria am 14. Oktober 1891 um 0,8 m längs einer Küsten-
strecke von 10 km. Aber die Feuerberge bestehen nicht aus geho-
benen sedimentären Schichten, sondern aus den aufgeschichteten Aus-
wurfstoffen, die durch den Krater herausgeschleudert oder herausge-
fiossen sind.
Die Entstehungsweise der Vulkane. In älteren Zeiten glaubte
man, die Vulkane seien durch lange Kanäle mit dem feurig-flüssigen
Erdinnern verbunden. Bei der Schrumpfung des Erdkörpers werde das
innere Magma hinausgedrückt, wobei auch das Wasser in Form von
hochgespanntem Dampf einen grossen Einfluss ausübe. Sodann ver-
breitete sich die Ansicht, das Innere der Erde sei fest, und man musste
die bis dahin herrschende Anschauung verlassen. Man nahm vielmehr
an, dass bei der Schrumpfung der Erde Bewegungen der Erdkruste ent-
stimden, welche später die zum Schmelzen des Gesteines nötige Wärme
hervorbrächten und auf diese Weise lokale Lavaherde bildeten. Da nun
die speciüsche Wärme der meisten Materialien der Erdkruste 0,2 be-
trägt, so muss ein Teil der Erdkruste bei einem Fall von 425 m Höhe
sich um nur 5^ erwärmen. Damit eine Schmelzung eintrete (bei etwa
1000*^) müsste man ein Sinken der Erdkruste von etwa 85 km annehmen,
was nicht wohl möglich vorfällt. Nun könnte zwar durch Gleitung
zweier Flächen gegeneinander die Wärmeentwickelung stark konzen-
triert werden, sodass an der Gleitfläche eine Schmelzung entstünde.
Dadurch würde aber die Eeibung und damit die Möglichkeit einer
Lokalisation der Wärme vermindert werden. Und eine stark lokali-
sierte" Schmelzstelle würde bald die Wärme an die Umgebung verlieren.
Jedenfalls scheinen die Bewegungen, welclie mit der Schrumpfung der
312 Physik der Erde.
Erdkruste verbunden sind, all zu unerheblich zu sein, um das Entstehen
von grossen Schmelzherden zu ermöglichen.
Vielmehr müssen wir annehmen, dass die Erdkruste an einigen
Stellen sehr dünn ist, sodass an diesen Stellen das innere flüssige Magma
recht nahe an die Oberfläche kommt. Dies kann natürlicherweise am
leichtesten an solchen Stellen eintreffen, wo bei Faltungen die Erdkruste
geborsten ist. Man war auch bis auf die jüngste Zeit allgemein darüber
einig, dass die Vulkane längs grossen Bissen in der Erdkruste gelegen
sind, sodass das heisse Erdinnere da relativ nahe an der Oberfläche liegt.
In neuester Zeit hat man diese Ansicht vielfach bestritten und mehrere
Fälle hervorgesucht, wo Vulkane nicht auf Spalten liegen (Stübel,
Branco). Wenn^; wir das Erdinnere als flüssig, obgleich sehr lang-
sam äusseren Kräften nachgebend, annehmen, bietet es keine Schwierig-
keit, eine solche Eigentümlichkeit zu erklären. Die innere flüssige Masse
muss aber wegen des hohen Druckes viel zähflüssiger sein wie die leicht-
flüssige Lava, die wir von der Erdoberfläche kennen.
Um nun weiter zu gehen, benutzen wir die Beobachtung, dass die
Lava um so leichter fliesst, je grösser ihr Wassergehalt ist. Wenn
Wasser durch feine Kisse oder zufolge von Diffusion durch die Erd-
kruste zum flüssigen Magma hineintritt, wie Angelot, Tscher mak
und Key er hervorheben, so geht es in Gasform über, da die kritische
Temperatur desselben nicht höher als 365 ^ liegt, und löst sich zu einem
gewissen Grad in dem flüssigen Magma. Sehr bedeutend würde wohl
diese gelöste Menge nicht sein, wenn nicht gleichzeitig chemische Pro-
zesse sich abspielten. Bei 18 ^ C. ist Wasser, nach den thermochemischen
Messungen von Thomson, als Säure betrachtet, etwa hundertmal schwä-
cher als Kieselsäure. Diese Stärke reicht aber dazu aus, in verdünnter
wässeriger Lösung die Alkalisilikate zum grossen Teil hydrolytisch (in
Alkali und Kieselsäure) zu spalten. Wäre nun nicht Wasser in sehr
überwiegender Menge vorhanden, so würde diese Spaltung beinahe ver-
schwindend oder jedenfalls sehr unbedeutend sein. Es verschiebt sich aber
die relative Stärke dieser beiden Säuren ganz enorm bei steigender Tem-
peratur. Während die Neutralisationswärme der Kieselsäure andeutet,
dass sich ihre Stärke nicht in nennenswertem Grad mit der Temperatur
verändert, nimmt die Stärke des Wassers ganz bedeutend mit der Tem-
peratur zu. Aus den Daten für Temperaturen zwischen 0^ und 50^
kann man berechnen, dass es bei 300^ ungefähr an Stärke der
Kieselsäure gleichkommt, um bei 1000*^ dieselbe etwa achtzigmal,
bei 2000^ etwa dreihundertmal, zu übertreffen. Bei noch, höheren
Tl. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 313
Temperaturen verschieben sich die Verhältnisse noch mehr zu Gunsten
des Wassers. Die Folge davon ist, dass bei der hohen Temperatur der
Lava, welche auf etwa 2000*^ geschätzt wird, die absorbierte Wasser-
menge zum allergrössten Teil sich mit den Silicaten chemisch umsetzt,
so dass stark saure und stark basische Silicate entstehen. Die Span-
nung des Wasserdampfes wird demzufolge stark herabgesetzt, und relativ
grosse Wassermengen können von dem Magma aufgenommen werden.
Durch die Wasseraufnahme schwillt das Magma und wenn eine Öffnung
der Erdoberfläche sich in der Nähe befindet, steigt es darin auf. Es
ist dies ein Fall von osmotischem Druck, das Wasser kann nämlich
durch die Erdkruste dringen, das Magma aber nicht. Da bei gewöhn-
licher Temperatur osmotische Drucke von einigen hundert Atmosphären sehr
häufig vorkommen, und diese Drucke der absoluten Temperatur propor-
tional steigen, so ist es keineswegs erstaunlich, dass bei der absoluten
Temperatur des Magmas diese Druckkräfte auf tausende von Atmo-
sphären steigen können (vgl. S. 311). Wenn keine Austrittsöffnung für
das Magma vorhanden ist, kann es höhere Schichten heben und Lak-
kolithen bilden oder eventuell schwächere Stellen der Erdkruste durch-
brechen (S. 312).
Da ferner die sauren Silicate bedeutend leichter sind als die basi-
schen, so findet unter der Einwirkung der Schwere, bei den bedeutenden
Tiefen, die hier in Frage kommen, grosse Differenziierungen statt, wo-
durch die sauren Bestandteile sich nach oben, die basischen sich nach
unten konzentrieren.
Zufolge der starken Wasseraufnahme ist jetzt das Magma leicht-
flüssig geworden und zwar die basischen Bestandteile mehr wie die
sauren. Wenn das Magma durch Aufnahme von Wasser schwillt, ver-
schiebt es diejenigen Magmateile, welche zwischen der Eintrittsstelle
des hineingesickerten Wassers und den Kissen sich befinden oder es ver-
mischen sich diese verschiedenen Magmateile. Neugebildete verflüssigte
Magmamassen dringen nach, und verursachen ein stetiges Ansteigen in
den Rissen. Das verflüssigte Magma oder mit anderen Worten das Ur-
material der Lava steigt zu kälteren Teilen hinauf. Dabei verschiebt
sich das chemische Gleichgewicht zwischen Wasser und Kieselsäure mit
zunehmender Abkühlung immer mehr zu Gunsten der letzteren. Immer
wachsende Wassermengen gehen aus dem chemisch gebundenen in den
freien Zustand über, wodurch die Spannung trotz des Sinkens der Tem-
peratur stark steigt. (Bei diesen hohen Temperaturen kann das Wasser
als ein Gas behandelt werden, demzufolge der Einfluss der Temperatur
314
Physik der Erde.
auf die Spaimung einer konstanten Wasserdampfmassc von konstantem
Volumen recht gering ist). Zuletzt wird die Spannung des Wasserdampfes
so hoch, dass sie den von oben lastenden Druck zu überwinden vermag,
es entsteht eine Explosion ungefähr wie in einem Geysir. Bei der ge-
Avaltsamen Entfernung des obenliegenden Druckes entweichen die Wasser-
dampfmassen in ungeheurer Menge, kleine Lavatropfen als Asche
mitschleppend. Die Lavamassen, welche zurückbleiben, sind zum
Fig. 107. Blocklava bei Hilea, Hawai; im Hintergrund Mauna Loa.
grossen Teil des Wassergehaltes entlastet, sie fliessen hinaus und
scheiden bei noch weiter gehender allmählicher Abkühlung das übrig-
gebliebene Wasser aus. Wenn dann, wie bei den leichtflüssigen Lava-
strömen, der Wasserrest noch ziemlich gross ist, so zerfetzt sich die
Oberfläche beim Erstarren und bildet Blocklava (Fig. 107), anderen-
falls wird sie mehr glatt erhalten (Gekröselava, Fladenlava, die auf
Hawai und Island gewöhnlich sind). Der Lavastrom ist gewöhnlich im
unteren Laufe mit einer starren zerbrochenen Kruste umgeben, welche
bei der Vorwärtsbewegung des Stromes ihn ungefähr wie ein Sack ein-
schliesst, jn dem der Strom über die Bruchstücke der Kniste fortrollt.
TT. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 315
Nach dieser Anschauungsweise treten im allgemeinen die höchst-
liegenden sauren Gesteine zuerst aus dem Yulkan hinaus, die mehr
basischen werden für spätere Ausbrüche gespart. In der That zeigt
sich eine solche zeitliche Veränderung in der Zusammensetzung der
Lava in sehr vielen Fällen, z. B. beim Vesuv. Auch in vulkanischen
Ergüssen von älteren geologischen Zeiten hat man eine ähnliche
Verteilung wahrzunehmen geglaubt. In anderen Fällen, wie bei den
Vulkanen in Ungarn und dem westlichen Nord -Amerika sind, wie
V. Eichthofen zeigte, die Verhältnisse nicht so einfach. Daselbst
sind die ältesten Lavaströme basisch (Propylit und Andesit), nachher
werden sie saurer (Trachyt und Ehyolit) und zuletzt steigt wiederum
die Basicität (Basalt). Es ist sehr wohl denkbar, dass, falls der Vulkan-
schlot nicht ganz nahe an der Eintrittsstelle des Wassers liegt, die
leichtflüssigen basischen Bestandteile sich zuerst zur Ausflussöffnung hin-
begeben. Später, wenn das Magma so viel Wasser aufgenommen hat,
dass die Fluidität der sauren Teile hinreichend gewachsen ist, um sich
über den basischen Teilen, der geringen Dichte entsprechend, ausbreiten
zu können, fliesst nur saure Lava ab und wenn diese erschöpft zu sein an-
fängt, kommen basischere Produkte zum Vorschein. Diese Reihenfolge
scheint recht gewöhnlich zu sein.
Wenn man zu den ältesten geologischen Zeiten zurückgeht, in wel-
chen das Magma an der Oberfläche der Erde sich im Kontakt mit dem
Wasserdampf befand, so fand eine ähnliche Differentiation statt und die
sauren Bestandteile verlegten sich zur Oberfläche. Aus diesen entstanden
bei der Erstarrung die Granite, welche das Urgebirge bilden und im
Mittel stark sauer sind. Zufolge ihres relativ geringen specifischen Gewichtes
blieben sie an der Oberfläche und sanken nicht hinunter. Es fand also
die Erstarrung der Erdkruste von aussen nach innen statt. Dadurch
verfällt ein Hauptgrund für die Annahme, dass die Erstarrung der Erd-
rinde von innen nach aussen geschehen müsste, indem man sich vor-
stellte, die starre Kruste müsste in die leichtere homogene flüssige
Masse hineinsinken. Diese Betrachtungsweise, die als Grund für die
Annahme eines festen Erdinnern angeführt worden ist, kann keineswegs
als stichhaltig angesehen werden. Man möge dabei auch die enorme
innere Reibung des Magmas in Betracht ziehen. Diese verhindert, dass
die Erstarrungskruste eines Lavastromes die Oberfläche verlässt (vgl.
S, 314). Je älter die Erde wurde, desto basischer sind im allgemeinen
die vulkanischen Gesteine geworden, eine natürliche Folge davon, dass
die Erdkruste mit der Zeit an Dicke zugenommen hat und Magma aus
316 Physik der Erde.
immer tieferen Schichten zur Lavabildung genommen wird. In den
jüngsten geologischen Epochen überwiegen auch die stark basischen
Basalte, in welchen Körner von reinen Basen (Sauerstoffverbindungen
von Eisen) abgeschieden sind.
Wie eng die vulkanische Thätigkeit mit dem Vorkommen von
Wasser verbunden ist, ersieht man nicht nur aus deren Verteilung rund
um das Weltmeer. Auch der Umstand deutet darauf hin, dass an
Stellen, wo grosse Spalten in der Erdkruste vorkommen, wo aber keine
grossen Wassermengen in der Nähe sind, keine vulkanischen Erschei-
nungen sich abspielen. An solchen Stellen sind aber Erdbeben recht
häufig (vgl. unten S. 324).
Erdbeben. Bei den vulkanischen Ausbrüchen bemerkt man sehr
häufig ein Erzittern der Erdkruste, welches Erdbeben genannt worden
ist. Diese Erdbeben sind seit dem grauen Altertum bekannt und haben
seit den ältesten Zeiten Erklärungsversuche veranlasst. Sie haben die
Aufmerksamkeit durch den von ihnen angerichteten häufig grossen
Schaden erregt. Zufolge der Erderschütterungen entstehen grosse Erd-
spalten, stürzen Häuser zusammen und begraben unter den Euinen
Menschen, Thiere und Eigentum. Unter den schwersten Erdbeben-
katastrophen sind folgende zu nennen: Lima, welches im Jahre 1682
durch Erdbeben schwer heimgesucht war, wurde am 28. Oktober 1746
beinahe gänzlich zerstört; von den 53 000 Einwohnern wurden nur wenige
gerettet. Am 1. November 1755 wurde Lissabon durch Erdbeben ver-
ödet, wobei 30000 Menschen in den Ruinen begraben wurden. Am
5. Februar 1783 wurde Messina zerstört. In diesem und dem folgenden
Monat trafen mehrere Erdstösse Sicilien und Calabrien, wodurch etwa
100000 Menschenleben verloren gingen. Die Provinzialhauptstädtc
Agram und Laibach erlitten ausserordentlich starken Schaden bei den
Erdbeben von 1880 und 1893. Ischia wurde 1883, Zante 1893 von
verheerenden Erdbeben heimgesucht. Das heftigste Erdbeben Nord-
amerikas traf die Stadt Charleston und Umgebung im Jahre 1886,
wobei 27 Menschenleben verloren gingen. Am schwersten wurde wohl
Japan von Erdbeben getroffen, wobei bisweilen die Verheerung und der
Verlust an Menschenleben ebenso bedeutend waren, wie in den vorhin
genannten Fällen.
Kein Land ist absolut frei von Erdbeben. In Ländern, deren Erd-
kruste aus sehr alten geologischen Perioden herstammt, sind jedoch die
Erschütterungen sehr schwach. Besonders gilt dies für solche Gegen-
den (z. B. Russland, Schweden), wo die alten Scliichten nicht gefaltet
II. Die feste Failkruste und da« Erdinnere. 3 [7
sind. In Europa sind Italien und die Balkanlialbinsel am meisten lieim-
uesucht, danach kommen die iberische Halbinsel und die österreichischen
Karstländer. In der Schweiz sind sie ziemlich häufig, in Deutschland
werden Vogtland i. S. und die Rheingegenden am meisten betroffen.
Tnter allen Ländern der Welt scheint Japan die meisten Erdbeben
aufzuweisen, wenn es nicht von einigen Ländern in Centralamerika
(San Salvador) und an der Westküste von Südamerika übertroffen
wird. Die Lehre von den Erdbeben (Seismologie) ist auch sehr be-
trächtlich durch Gelehrte in Japan befördert worden.
Bis auf die neueste Zeit verzeichnete man nur Erdbeben von
urosser Heftigkeit, wobei materieller Schaden angerichtet wurde. Dies
gilt noch und in sehr hohem Grade für die weniger kultivierten Länder.
Wenn man, wie jetzt in den Kulturländern geschieht, alle Erdstösse
notiert, so sind sie auch in Ländern, wo keine verheerenden Erdbeben
jetzt vorkommen, keine Seltenheit. So z. B. giebt die Statistik für die
Schweiz 1880 — 1896 118 Erdbeben mit 699 Stössen, für Österreich im
Jahre 1897 203 Erdstösse an. In Sachsen und Böhmen fällt das Maximum
der Erdstösse auf Oktober bis Dezember und 12^* — 8^* Vormittags, in Triest
dagegen fällt das Maximum in den August und um Mittag, das Minimum
im November und um Mitternacht. In Japan fällt das Maximum im
Frühling, das Minimum in den Sommer. Die zerstörenden Erdbeben haben
daselbst ihr Maximum im August, das Minimum im Januar. Wie er-
sichtlich scheinen keine allgemein gültigen Gesetzmässigkeiten vor-
zuliegen.
Die Erdstösse kommen selten allein, sondern meistens in Gruppen,
sogenannten „Erdbebenschwärmen", vor. So z. B. zählte man im März
1868 mehr als 2000 Erdbewegungen auf Hawai, während einer mehrere
Monate dauernden Erdbebenzeit. Bei dem Erdbeben, das Phokis in
Griechenland 1870 — 1873 heimsuchte und von Julius Schmidt be-
chrieben ist, kamen bisweilen kleine Stösse alle drei Sekunden vor, die
schweren, mit Zerstörungen verbundenen Erschütterungen in den drei
Jahren 1. Aug. 1870 bis 1. Aug. 1873 schätzt derselbe Forscher zu 300—320,
und von diesen zogen sich nur 35 allgemeine Aufmerksamkeit zu, sodass
^ie in den Zeitungen erwähnt wurden. Im ganzen trafen in der 3V2
Jahre dauernden Erdbebenzeit ungefähr eine halbe Million Erderschüt-
terungen und eine viertel Million unterirdische Detonationen ein.
Infolge des häufigen Auftretens der schwächeren Erdstösse ver-
dichen mit den gefährlichen, dienen jene oft als eine Art Warnungs-
zeichen. Die verheerenden Stösse werden häufig von einem vorangehen-
318
Physik der Erde.
den Geräusch verkündet, so z. B. zu Charleston am 31. Aug. 1886, wo nach
einem 12 Sekunden anhaltenden Getöse zwei heftige Stösse mit einem
ruhigeren Intervalle im Laufe von 50 Sekimden den Boden erschütterten,
wonach bis in 1887 mehrere schwache Stösse eintrafen.
Ungefähr ebenso oft kommt jedoch der verheerende Stoss unvorbe-
reitet; dies war beispielsweise der Fall bei den Erdbeben zu Lissabon
Fig. 108. Erdbebenspalte in Midori, Japan, vom Erdbeben am 20. Okt. 1891.
1755, zu Caracas 1812, zu Agram 1880 und zu Ischia 1881, dagegen war
das viel mehr verheerende Erdbeben auf der letzterwähnten Insel im
Jahre 1883 von mehreren kleinen Erschütterungen angekündigt. Die
schwere Katastrophe zu Lissabon war ein sogenanntes Einzelbeben, bei
welchen nur ein oder einige wenige Stösse in einer sehr kurzen Zeit
(einigen Sekunden oder Minuten) wahrgenommen werden. Diese sind
relativ selten.
Die Erdbeben werden gewöhnlich von Spaltenbildungen in der Erd-
kruste begleitet, wobei bisweilen starke Verschiebungen entstehen.- So
z. B. wurde bei dem Erdbeben in Japan im Jahre 1891 eine von Nord-
west nach Südost laufende Spalte von etwa 65 km gebildet, wobei ver-
fl. Die feste Erdkrii.sle und das Krdiiiiicie.
;}i9
tikale Verschiebungen bis zu 6 ni und horizontale bis zu 4 m vorkamen,
indem das nach Nordost liegende Land in nordwestlicher Kichtung
verschoben wurde und sich zugleich an den meisten Stellen senkte
(Fig. 108).
Zufolge dieser Spaltenbildung folgen den Erdstössen heftige Berg-
stürze, wie in der Gegend von Delphi beim phokischen Erdbeben (1870
Fig. 109. Sandkrater und Spalten am achäischen Erdbeben vom 26. Dez. 18G1.
Im Wasser sieht man Aste versunkener Bäume (nach J. Schmidt).
bis 1873). Ein solcher Fall war auch der Bergsturz von Dobratsch in
Kärnthen am 25. Januar 1348, wobei zwei Marktflecken und 17 Dörfer
begraben wurden.
Bisweilen strömt das Grundwasser aus den so entstandenen Spalten
und schleppt Schlamm, Sand und Steine (bisweilen Eis, auf Island) mit
sich, welche beim Herunterfallen kraterförmige Anhäufungen bilden
(Fig. 109).
Auch Schallerscheinungen, wie von einem unterirdischen Donner,
begleiten die Erdbeben, bisweilen sind die Erdstösse dabei zu schwach,
um bemerkt zu werden.
320
Physik der p]rde.
Bei näherer Untersuchung findet man, dass ein Erdbeben an einer
Stelle seine grösste Intensität hat, welche durch die verheerende Wir-
kung gemessen wird, und daselbst am frühesten eintritt, weiter davon
Fig. 110. Isoseis tenkarte des Erdbebens zu Charleston im Jahre 1886. Nach
Ch. Dutton.
wird der Erdstoss immer ungefährlicher. Die Figur 110 giebt, durch
Linien verbunden, die Stellen gleicher, so gemessener, Erdbebenintensität
(Isoseisten) im Gebiete, das vom Charlestoner Erdbeben getroffen wurde.
Wenn die Erdkruste nach allen Richtungen hin gleichmässig wäre, so
würden ohne Zweifel diese Linien kreisförmig sein, während sie that-
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 321
sächlifli durch die Ungleichmässigkeit der Erdkruste sehr verwickelte
Formen annehmen können.
Die Karte Fig. HO zeigt, dass die feste Erdkruste im AUeghany-
gebirge die Heftigkeit derStösse vermindert hat, wogegen der lockere Erd-
boden am Mississippi und an den grossen Seen in entgegengesetzter Eich-
tung wirkte. Man sieht weiter, dass der Punkt, von welchem aus das
Erdbeben nach allen Seiten sich verbreitet hat, nahe der Küste im Meere
liegt. Auch die japanischen Erdbeben führen zu ähnlichen Schlüssen.
Durch seine Untersuchungen ist Milne dazu geleitet worden, anzu-
nehmen, dass diese Beben von der westlichen Grenze der ausserordent-
lich (8000 m) niedrig liegenden Tuscaroratiefe, westlich von Japan, her-
kommen (vgl. Fig. 111).
Wenn die Ausgangsstelle im Meere liegt, werden mächtige Erd-
bebenfluten erzeugt, welche noch schwerere Verheerungen anstellen, als
das Erdbeben selbst. So brach beim Lissaboner-Erdbeben eine 5 m hohe
Welle über die Stadt ein und tötete 60000 Menschen. Im Jahre 1510
riss eine solche Welle in Konstantinopel 109 Moscheen und 1070 Wohn-
häuser mit sich. In Japan sind sie sehr häufig. Am 15. Juni 1896
zerstörte eine solche Flutwelle von 15 m Höhe bei Kamaischi 7600
Wohnhäuser und tötete 27000 Menschen. Fischer, die 30— 40 km von
der Küste sich in ihren Booten befanden, bemerkten nichts von diesem
riesigen Erdbeben.
Diese Seebeben verursachen auch häufig Schädigungen der trans-
marinen Telegraphenkabel und dadurch grosse materielle Verluste. Bis-
weilen ist das Guttapercha dieser zerstörten Kabel geschmolzen, was auf
heftige unterseeische Vulkanergüsse hindeutet.
Man hat auch versucht, die sogenannten Sintfluten, von welchen die
Tradition bei manchen Völkern und besonders die Keilschriften von
Niniveh berichten, als grosse Erdbebenfluten zu deuten (E. Suess).
Häufig werden auch Schifi'e auf dem Meer von Seebeben getroffen.
Die Insassen des Schiffes haben dabei gewöhnlich das Gefühl, als ob
das Schiff plötzlich gegen einen Felsen gerannt wäre.
Es lässt sich theoretisch ableiten, dass diese Wellen sich mit einer
Geschwindigkeit {v) fortpflanzen, die durch den Ausdruck:
^ = Y^9^
'largestellt werden kann, worin g die Beschleunigung der Schwerkraft
und h die Tiefe des Meeres bedeuten.
Arrhenius, Kosmische Physik. • 21
322
Physik der Erde.
Fig. 111. Tiefenkarte der „Tuscaroratiefe" bei Japan nach Milne. In den Pro-
filen geben kleine Kreise die Stellen an, von welchen die Erderschütterungen ver-
mutlich herrühren.
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 323
Man hat für viele Erdbeben Karten gezeichnet, welche die Plätze
anzeigen, an welchen die Erdbebenwellen nach einer bestimmten Zeit
angelangt sind. Man ersieht daraus, wie diese Wellen sich über den
grösseren Meerestiefen mit grösserer Geschwindigkeit ausgebreitet haben,
als über den seichteren Stellen. Besonders stark tritt dies an den beim
Krakatau-Ausbruch entstandenen Wellen hervor. Aus den beobachteten
Fortpflanzungsgeschwindigkeiten v hat man mittelst der letztgenannten
Formel die mittlere Tiefe {h) der betreffenden Meeresteile berechnet
und so Werte gefunden, die gut mit den bekannten Tiefendaten über-
einstimmen (vgl. Fig. 112).
Entstehungsweise der Erdbeben. Ursache der Erdbeben kann
jede Gleichgewichtsstörung der festen Erdkruste sein. Solche kommen,
wie oben bemerkt, bei den vulkanischen Ausbrüchen vor und sind als
Folgen von Gasexplosionen anzusehen (Explosionsbeben). Weiter können
durch Erdstürze zufolge von Auslaugung der Erdkruste, besonders in Boden-
schichten von Steinsalz, Gips, Anhydrit und Kalkstein Erderschtitterungen
hervorgebracht werden (Auswaschungsbeben). Milne ist der Ansicht, dass
die grossen japanischen Erdbeben, welche ihren Ausgangspunkt am West-
rande der Tuscaroratiefe haben, durch kolossale Erdstürze am Meeres-
boden erfolgen (vgl. Fig. 111). Die Sedimente werden von den Ufern
ins Meer hinausgeschwemmt und setzen sich ziemlich bald in der Nähe
der Küste ab. Dadurch entstehen sehr starke Neigungen am Meeres-
boden, sodass zuletzt die unterliegenden durch den Wassergehalt plasti-
schen Lager nicht mehr den Druck der Sedimentbelastung aushalten
können, sondern in die Tiefe hinausrutschen. Dies scheint die ausgie-
bigste Quelle der Erdbeben zu sein. Andere Erdbeben entstehen durch
den Ausgleich von Spannungen in der Erdkruste wie an der Mürzlinie
in Steiermark (Dislokations- oder tektonische Beben).
Die Karte Fig. 113 stellt die Haupterschütterungslinien in der
Nähe von Wien dar. Eine dieser Linien AB verläuft von Wien bis
Wiener Neustadt. Diese Linie ist eine an der Grenze der Alpenkette
gelegene Bruchlinie, welche durch mehrere heisse Quellen bei Meidling,
Baden, Vöslau u. s. w. gekennzeichnet ist und deshalb „Thermallinie"
genannt wird. Eine Fortsetzung dieser Linie bildet die dem Mürztjial
entlang verlaufende „Mürzlinie" EF^ welche, wie die vorhin genannte,
der Schauplatz von vielen Erdbeben gewesen ist, deren Jahreszahlen
zum Teil in der Kartenskizze eingezeichnet stehen. Quer zu diesen,
längs dem Streichen des Alpenmassivs hinziehenden Longitudinalbrüchen
liegt die zum Teil entlang dem Kampfluss verlaufende „Kamplinie" CD.
• 21*
324
Physik der Erde.
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
325
Diese Querbruchlinie wird ebenfalls häufig von Erdbeben betroffen. Die
Grenzlinie des Haupterschütterungsgebietes bei einer solchen Erderschüt-
Fig. 113. Die Haupterschütterungslinien in Niederösterreich.
326
Physik der Erde.
terung vom 3. Januar 1873 ist in der Figur mit xx bezeichnet. Der Ver-
lauf dieser Linie zeigt, dass das Beben von der Bruchlinie ausgegangen
ist, von wo es sich zur Seite verbreitet hat. Dabei fällt es auf, dass
die festen Bergmassive der Alpen und der böhmischen Masse der Ver-
breitung der Erschütterimg einen viel grösseren Widerstand geleistet
haben, als die lockeren Erdschichten der dazwischen gelegenen Ebene
(vgl. oben S. 321).
Am Schnittpunkt der Thermallinie mit der Kamplinie sind die be-
■T. Paxitellarin.
Fig. 114. Die ErdbebenHnien Süditaliens und SiciHens nach E. Suess.
deutendsten heissen Quellen des Gebietes gelegen und kommen die Erd-
erschütterungen am häufigsten vor.
Ein ähnliches Bild giebt Suess von den süditalienischen und sicilia-
nischen Erdbeben. Dieselben treten am häufigsten längs eines (in der
Fig. 114 punktierten) Kreisbogens auf, welcher den Bruchrand eines grossen
vom Südteil des Tyrrhenischen Meeres grösstenteils eingenommenen
Senkungsfeldes bildet. Radial zu dieser bogenförmigen Bruchlinie ver-
laufen andere Bruchlinien, die mit punktierten Strichen bezeichnet sind.
Diese radialen Bruchlinien, auf welchen die Vulkane Aetna, Vulcano
und Stromboli gelegen sind, konvergieren gegen Lipari. Längs dieser
Radialbrüche treten auch häufig Erdbeben auf.
IT. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 327
Das grossartigste unter den Erdbeben dieser Gegenden war das kala-
brische Beben von 1783, welches von Suess als ein peripherisches, d.h.
von dem Kreisbogen ausgehendes Senkungsbeben charakterisiert wird.
Eine wichtige Bruchzone liegt westlich von der messenischen Küste
und an der Aussenseite der ionischen Inseln. Sie begrenzt die 4400 m
erreichende „Polatiefe" im ionischen Meere. Von dieser Bruchlinie rühren
viele Erdbeben her, darunter einige sehr bedeutende, wie das messi-
nische von 1886, das ligurische von 1887 und das zantiotische Beben
von 1893.
Aus dem Obenerwähnten scheint es hervorzugehen, dass die wich-
tigsten Erdbeben von Verschiebungen, besonders in vertikaler Kichtung,
längs Spaltflächen in der Erdkruste herrühren.
Man hat sehr vielfach versucht, die Tiefe des Erdbebencentrums
unter der Erde zu bestimmen. Dazu wollte man Beobachtungen über
die Eintrittszeit der* Erdstösse an verschiedenen Beobachtungsorten be-
nutzen, und man nahm dabei an, dass die Fortpflanzungsgeschwindig-
keit der Bebenwelle überall in der Erdkruste gleich sei. Dies ist nun,
wie sowohl die Theorie wie die Erfahrung zeigt, nicht der Fall, sondern
die Fortpflanzungsgeschwindigkeit ändert sich sehr stark nach dem Ma-
terial, seiner Porosität (Zahl der Sprünge) und seinem Wassergehalt. So
z. B. fanden Michel Levy und Fouque folgende Zahlen:
Fortpflanzungsgeschwindigkeit
In Granit 2450—3141 m/sek.
„ kompaktem Sandstein . 2000 — 2526 „
„ lockerem „ . . 1190 „
„ Marmor ...... 632 „
„ lockerem Sand .... 300 „
Der Sand, die Sandsteine und der Granit enthalten wohl Material von
annähernd gleicher Elastizität, sind aber verschieden kompakt. Weiter wollte
man aus der Fallrichtung umgestürzter Gegenstände oder der Kichtung
der Sprünge in Gebäuden Schlüsse in Bezug auf den Winkel der Wellen
mit der Erdoberfläche ziehen. Diese Schätzungen scheinen nicht der
aufgewendeten Mühe entsprochen zu haben (so z. B. findet Dutton
für das Centrum des Charlestoner Bebens eine Tiefe von 13 — 19 km.
A. Schmidt dagegen über 100 km). Wahrscheinlich geht das Erd-
beben nicht von einem Punkt, sondern von einer Fläche aus. Von der
alten Anscliauung stammt die Bononnung „Epicentmm" für den Mittel-
punkt der Erdl)o])onzone.
328
Physik der Erde.
Die Physik der Erdbeben. Die wichtigsten Eigenschaften der
Erdbeben sind mit Hilfe eigenartiger Apparate, Seismoskope oder Seis-
mographen ermittelt worden. Ältere Seismographen waren flache mit
Quecksilber gefüllte Schalen, an deren Seiten mehrere (8 oder 16) kleine
Kinnen nach den verschiedenen Weltgegenden orientiert waren. Unter
jeder Kinne stand eine Auffangetasse. Das Quecksilber war so hoch
aufgegossen, dass es bei der geringsten Erschütterung durch eine
der Kinnen hinausfloss. Aus der ausgeflossenen Quecksilbermenge und
aus der Lage der Kinnen, durch welche es ausgeflossen war, zog man
Schlüsse über die Stärke und Fortpflanzungsrichtung des Erdbebens.
In Italien verwendet man teils dieses Instrument, teils lange (über 2 m)
mit kolossalen Kugeln (bis über
100 kg) belastete Pendel, welche
bei jeder Gleichgewichtsstörung
in Schwingungen geraten. Die
Schwingungen werden gewöhn-
licherweise durch zwei lange
Hebel in zwei Komponenten, eine
nordsüdliche und eine ostwest-
liche, zerlegt. Die Hebel zeich-
nen mit leichten Glasstiften auf
berusste Papierstreifen, die durch
ein einfaches Uhrwerk unter den Spitzen vorwärts geschoben werden.
Das Uhrwerk markiert auf die Papierstreifen die Stunden- und Minuten-
schläge.
Die Vertikalpendelapparate sind durch die grosse Keibung sehr un-
empfindlich. Dies ist nicht der Fall mit dem Horizontalpendelapparat
von Milne (Fig. 115). An dem Stativ H ist das etwa 1 m lange Pendel
Ips, dessen längerer Teil Ip aus einem sehr leichten Aluminiumdraht be-
steht, an zwei Punkten jo, mittelst des Aufhängefadens pq, und s, mittelst
einer an // anliegenden scharfen Spitze, unterstützt. Der ganze Apparat
ist auf einem erdfesten Pfeiler aufgestellt und zum Schutze gegen Luft-
strömungen in ein Blechgehäuse eingeschlossen. Das Pendel ist so em-
pfindlich gegen Erschütterungen, dass eine Neigung des Bodens von
0,2" bei einer Schwingungszeit von 30 Sek. einer Ablenkung des Punktes
/ von 1 mm entspricht. In F steht eine Lampe, deren Licht von dem
Spiegel M zum Punkte / gesandt wird, wo es durch ein ausgebohrtes
Loch auf einen Streifen N von photographischem Papier fällt, welches
mittelst eines Uhrwerkes über die Kollen u u fortgeschoben wird.
Fig. 115. Horizontalpendel von Milne.
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
329
Wenn nun / sich hin und her bewegt, so erhält man auf X nach Ent-
wickelung eine Kurve, welche die Grösse der Bewegungen angiebt.
In eben derselben Weise geraten andere aufgehängte Gegenstände,
wie die Magnete in den magnetischen Observatorien, bei Erdbeben in
Schwingungen und registrieren dieselben, falls die Lage der Gegen-
stände aufgezeichnet wird.
Eine Probe einer solchen in der Station Shide auf der Insel Wight
aufgenommenen Kurve wird in der nebenstehenden Figur 116 gegeben.
Man bemerkt auf dieser eine Stelle, bei welcher die erste Störung ankam,
in diesem Falle 31. Aug. 1898 um 20'* 5"* 2^. Diesem entspricht eine
20. 36. 25.
20. 31. 21. I 20. 42. 29.
20. 3. 2
Fig. 116. In Shide aufgenommenes Seismogramm vom 31. Aug. 1898.
sehr schwache Verdickung der Linie, welche auf dem photographischen
Papier gezeichnet wird. In dem Diagramm ist diese Stelle durch einen
Pfeil angedeutet. Etwas später (5—6 Minuten) kamen andere Störungen,
die, anfangs schwach, auf ein starkes Maximum um 20^ 36"* 25^ an-
wuchsen. Dieses Maximum entsprach Schwingungen von 9 mm Am-
plitude, einer Neigung von 5,4" entsprechend. Danach kamen mehrere
starke Stösse und später schwächere, die allmählich an Stärke ab-
nahmen.
Die ersten Anzeichen dieser Erderschütterung kamen an folgenden
Orten an und erreichten ihre Maxima zu den folgenden Zeiten:
Ankunftszeit
Maximum
Shide England . . .
20^ 5«
i 2«
20^ 36"* 25-^
Kew „ ....
20 4
0
20 35 0
Nikolaiew, Eussland .
20 39
0
20 42 0
Rocca di Papa, Italien
20 3
40
20 31 0
Ischia „
20 3
45
20 30 0
Catania „
20 4
3
20 12 33
Toronto, Canada . . .
20 17
53
21 3 20
Batavia, Java ....
20 1
18
Madras, Indien . . .
20 2
5
20 18 0
330 Physik der Erde.
Aus diesen Daten kann man konstruieren, dass die Erschtitterungs-
stelle im südlichen Teil des indischen Oceans lag, östlich von Mada-
gascar.
An den Kurven sieht man kleine Vibrationen von 12 Sek. Dauer
im ersten Teil, von 15,4 Sek. im Hauptteile des Diagrammes.
Wie aus der Diskussion von Milne ersichtlich, treffen die Erdbeben
die ganze Erde. Nur in der unmittelbaren Umgebung, in einer Ent-
fernung von 50—150 km, erschüttert ein massiges Erdbeben die Schorn-
steine oder wirft die Dachziegel ab. Es wird erst als vorlaufende Schwin-
gung vernommen, wonach ein oder mehrere Stösse kommen, denen eine
Keihe von absterbenden Schwingungen folgt. In grösseren Entfernungen,
bis 500 km, werden die Stösse weniger scharf und ähneln mehr un-
regelmässigen Wellen von langer Periode. Aufgehängte Gemälde ge-
raten daselbst in Schwingungen, ebenso andere freihängende Gegen-
stände. Weiter hinaus sind die gewöhnlichen Erdbeben für das Gefühl
nicht merkbar, sie machen sich aber bei den feineren Seismographen
wahrnehmbar.
Die vorlaufenden Schwingungen pflanzen sich, nach an verschiedenen
Orten aufgenommenen Seismogrammen, mit einer Geschwindigkeit von
etwa 2,5 km pr. Sek. in der Nähe des Epicentrums fort. Nach den
Aufzeichnungen von Seismographen mit grosser Eeibung ist die Periode
dieser Schwingungen etwa 0,05 bis 0,2 Sek. Die Zeit, welche zwischen
diesen vorlaufenden Schwingungen und den starken Wellen verstreicht,
ist um so bedeutender, je weiter die Beobachtungsstation von dem Epi-
centrum abgelegen ist. So beträgt diese Zeit für ein Erdbeben aus
Haiti: in Toronto etwa 4 Minuten (20*^ Entfernung), in Shide 20 Minuten
(62 ö Entfernung). Für Erdbeben, die aus Japan oder Borneo stammen,
ist die betreffende Zeit in Shide 32 Minuten, bezw. 40—43 Minuten,
während die Bogenentfernung 85^ bezw. 112^' beträgt. Dies giebt ein
Mittel, um aus einem Seismogramm die Entfernung des Epicentrums
annähernd zu ermitteln.
Aus den Aufzeichnungen an verschiedenen Beobachtungsorten kann
man die Geschwindigkeit messen, mit welcher diese ersten Wellen sieh
rund um die Erde fortpflanzen. Wenn die Entfernung vom Epicentrum
nicht 20*^ erreicht, kann man mit einer mittleren Geschwindigkeit von
2,5 km pr. Sek. rechnen. Bei grösseren Entfernungen wächst die Ge-
schwindigkeit ungefähr wie die Kubikwurzel aus der grössten Tiefe der
Sohne, welche den Beobachtungsort mit dorn Epicentrum vorbindet, wie
folgende Tabelle zeigt:
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 33 1
ernung
Dgengr.
Sehnenlänge
in km
Grösste
Tiefe km
y^n
Geschw. {v)
km pr. Sek.
■y^n
20
2208
97
4,60
2,75
0,598
60
6360
853
8,47
5,7
0,673
80
8175
1487
10,17
7,5
0,672
110
10419
2712
12,55
9,3
0,741
140
11952
4197
14,66
9,9
0,675
180
12720
6360
17,21
11,1
0,645
Die Amplitude dieser ersten Schwingungen ist nach den Seismogrammen
sehr gering, etwa 0,05 mm.
Die kräftigen Stösse kommen, wie gesagt, um so später nach der
ersten Erschütterung, je grösser die Entfernung vom Epicentrum ist.
Man hat für die Geschwindigkeiten dieser Stösse folgende Zahlen er-
halten:
Geschwindigkeit
Entfernung
längs dem
Bogen
längs der Sehne
nach
in Bogengraden
Milne
V. Rebeur
Cancani
200
2,1
2,1
1—2,5
2,5
60
2,8
2,7
2,7
80
2,9
2,7
3—3,5
—
110
3,3
2,8
3,1
Diese Ziffern geben zu sehr interessanten Schlüssen Anlass. Die
starken Erschütterungen besitzen eine Geschwindigkeit, welche nur lang-
sam mit der Entfernung zunimmt. Dies zeigt, dass sie durch ziemlich
gleichartiges Material fortgepflanzt werden. Ihre bedeutende Kraft deutet
an, dass sie relativ wenig geschwächt werden. Es ist natürlich anzunehmen,
dass sie in der elastischen festen Erdkruste vorsichgehen. Die Elastizität
derselben wird mit der Tiefe zunehmen, da alle Körper bei hohen Drucken
eine bedeutend verminderte Kompressibilität besitzen. Zwar nimmt
auch die Dichte etwas zu, aber nicht in so beträchtlichem Grade, wie
die Kompressibilität abnimmt. Die Folge davon wird sein, dass die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit, welche der Quadratwurzel aus dem Pro-
dukt der Dichte und der Kompressibilität umgekehrt proportional ist,
etwas mit der Tiefe zunehmen muss. Da aber die feste Erdkruste nur
bis zu einer massigen Tiefe (etwa 30 — 50 km) hinunterreicht, so wächst
die Geschwindigkeit der durch sie fortgepflanzten Wellen nur bis zu
einem bestimmten Maximalwert (etwa 3,4 km pr. Sek.) von einem Mini-
mum (von etwas unter 2 km pr. Sek.) in der Nähe der Erdoberfläche.
332 Physik der Erde.
Wenn die Entfernung des Beobachtungsortes vom Epicentrum sehr ge-
ring ist (unter 10^), fallen diese starken Wellen mit den schwachen
Vorläufern zusammen, d. h. letztere verschwinden. Diese besitzen auch
eine Geschwindigkeit von etwa 2 km pr. Sek. bei Entfernungen unter lO^.
Diese Umstände zeigen, dass die Elastizität der festen Erdkruste
in ihren tiefsten Schichten etwa viermal grösser, d. h. ihre Kompressi-
bilität viermal geringer, als an der Erdoberfläche sein^würde. Dies ist an
und für sich nicht sonderbar. Da die Kompressibilität (c) von Kiesel-
säure, welche einer der wichtigsten Mineralbestandteile der Erde aus-
macht, 2,7.10-<5 nach Voigt und ihre Dichte ((>) 2,7 ist, erhält man eine
Fortpflanzungsgeschwindigkeit {v) in derselben gleich:
1/1,0133.106 _ i/i;öl33lÖ^ oß.iA^ / 1
v=y --— — = y '-j2^^— = ^M'^0^ cm/sek.
Die Zahl im Zähler unter dem ersten Wurzelzeichen ist der Wert einer
Atniosphäre in Dynen pr. cm-, denn die Kompressibilität (c) ist pro Atmo-
sphäre gerechnet. Ungefähr ebenso giwss ist die Kompressibiltät der Gläser
im Mittel, welche die grösste Ähnlichkeit mit den hauptsächlichen Be-
standteilen der festen Erdkruste (Granite, Gneise) besitzen. Die Zahl
3,(34 ist um 14 Proz. grösser, als die grösste für Granit gefundene Zahl
3,14. Es ist demnach natürlich, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
festen Erdkruste etwa so hoch zu taxieren.
Die eben berechnete Fortpflanzungsgeschwindigkeit stimmt sehr gut
mit der maximalen Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erdstösse in der
festen Erdkruste überein. Dass die Geschwindigkeit in der Nähe der
Erdoberfläche geringer ist, rührt wohl daher, dass dieselbe viel lockerer
als die tieferen Erdschichten ist, und dass Wasser, in welchem die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit nur 1,4 km pr. Sek. beträgt, darin eine
grosse KoUe spielt.
Es ist wohl teilweise als ein Zufall zu betrachten, dass die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit in tieferen Erdschichten so nahe mit dem
für Quarz bei gewöhnlichem Druck und Temperatur übereinstimmt.
Denn mit steigendem Druck nimmt die Kompressibilität ab, mit stei-
gender Temperatur dagegen zu, und es ist wohl sehr eigentümlich,
wenn diese beiden Änderungen einander so gut wie gänzlich kompen-
sieren.
Ganz anders wie diese relativ wenig gedämpften Schwingungen
der festen Erdkruste verhalten sich die schwachen vorlaufenden Schwing-
ungen, welche die erste Botschaft von dem Erdbeben mit sich bringen.
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 333
Sie verlaufen offenbar nicht längs der Erdoberlläehe oder in einigen
hundert Kilometern unter derselben, sondern sie dringen allem Anschein
nach tief in das zähe Erdinnere hinein. Ihre Geschwindigkeit nimmt höchst
bedeutend mit der Tiefe der Verbindungslinie zwischen Epicentrum und
Beobachtungsort zu, und zwar sehr nahe, wie die dritte Wurzel aus -der
grössten Tiefe. Um längs einem Halbmesser der Erde zu passieren,
brauchen sie 1145 Sekunden oder etwa 19 Minuten. Da die feste Erd-
kruste etwa 40 km tief auf jeder Seite der Erde hinunterreicht, zu dessen
Durcheilen der Stoss etwa 23 Sek. nötig hat, so bleiben für die übrigen
11920 km nur etwa 1122 Sek. übrig, d. h. die Fortpflanzungsgeschwin-
digkeit im Erdinnern beträgt etwa 10,6 km pr. Sek. Da nun die Dichte
des grössten Teiles dieser Strecke ungefähr 2,5 mal grösser ist wie die
Dichte der festen Erdkruste, so muss die mittlere Kompressibilität des
inneren Erdkerns ungefähr 21 mal geringer sein, als diejenige des Quarzes,
und ungefähr fünfmal geringer als diejenige von festem Stahl nach
Amagats Messungen.
Trotz der hohen Temperatur muss der unerhörte Druck diese grosse
Abnahme der Kompressibilität bewirken. Die gasförmigen Bestandteile
des Erdinnern weichen also in dieser Beziehung ganz enorm von den
uns bekannten Gasen ab. Wenn man aber aus den uns bekannten
Thatsachen über die Kompressibilität der Gase bei sehr hohen Drucken
-ich eine Vorstellung über die Kompressibilität von Gasen unter Drucken,
welche dem Erdinnern entsprechen, zu bilden versucht, stösst man nicht
auf Widersprüche. Mit stetig zunehmendem Druck nähert sich nämlich
das Volumen der Gase asymptotisch emem bestimmten von der Tem-
peratur abhängigen Wert, dem sogenannten Covolumen. Mit anderen
Worten, die Kompressibilität nähert sich mit steigendem Drucke dem
Werte Null.
Da nun die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nicht in allen Tiefen
gleich ist, so folgt daraus, dass der erste Stoss nicht den geradlinigen
Weg vom Epicentrum (E) zum Beobachtungsorte (B) gegangen ist.
Vielmehr ist der Weg dieser Welle ein solcher, dass der Stoss längs
demselben in der kürzesten Zeit nach dem Beobachtungsorte anlangt.
Die entsprechende Kurve ist eine Brachystochrone.) Demzufolge ist der
Weg vom Epicentrum E nach innen gebogen, etwa wie die Kurven in
Fig. 117. Wenn auch die Verbindungslinie zwischen E und dem Beob-
achtun^spunkt B nur durch die feste Erdkruste verläuft, so wird doch
meistenteils ein sehr grosser Teil des Weltenweges im flüssigen Magma
liegen. Besonders ist dies in seismischen Gegenden der Fall, wo das
334
Physik der Erde.
Magma relativ nahe an die Erdoberfläche kommt. Dieser Umstand er-
klärt, dass, nur wenn EB sehr kurz ist (unter 100 km), der erste Stoss
von dem Hauptstoss nicht zu unterscheiden ist.
Zufolge der starken Zunahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit
mit der Tiefe verläuft die Fortpflanzungskurve EB in E und B nahezu
senkrecht zur Erdoberfläche, wenn die Entfernung EB nicht allzu ge-
ring ist.
Ebenso grosses Interesse wie die Betrachtung der Fortpflanzungs-
geschwindigkeit im Erdinnern bietet die Thatsache, dass auch bei den
allerheftigsten Erdbeben der erste Stoss unerhört schwach ist, sobald
die Welle einen merkbaren Teil des flüssigen und gasförmigen Erd-
innern durchlaufen hat. Dieser Umstand zeigt, dass die Stosswelle
im Erdinnern durch die Zähflüssigkeit ganz enorm gedämpft wird. Wäre
nun das Erdinnere ein starrer Körper, wie
Einige meinen, so müsste der erste Stoss
kräftiger sein als der Anteil des Stosses,
welcher sich durch den unbedeutenden Teil
der festen Erdkruste mit einer maximalen Ge-
schwindigkeit von 3,5 km pr. Sek. sich fort-
pflanzt. Da nun gerade das Umgekehrte in
höchst ausgeprägtem Maasse stattfindet, so
müssen wir schliessen, dass das Erdinnere eine
ungeheuere Zähflüssigkeit besitzt. Dies trifft
nun nicht nur für das flüssige Magma, sondern
auch für sehr heisse komprimierte Gase zu. Die Schlüsse, welche wir
aus dem Verhalten der Erdstösse in Bezug auf das Erdinnere ziehen,
stehen also im allerbesten Einklang mit dem, was oben (S. 281) aus
der Zunahme der Temperatur mit der Tiefe geschlossen wurde.
Die Beobachtungen ergeben demnach drei verschiedene Wellenzüge,
die von dem Erschütterungsgebiet nach dem Beobachtungsorte hin sich
verbreiten. Am schnellsten geht der Wellenzug durch das Erdinnere,
indem die Fortpflanzungsgeschwindigkeit da im Maximum 10.6 km pr.
Sek. beträgt. Das Maximum trifft ein, wenn die Punkte E und B auf
demselben Erddurchmesser liegen. Wegen der grösseren Kompressibilität
des Erdinnern in der Nähe der Erdoberfläche wird die Geschwindigkeit
um so geringer, je kürzer EB ist und sinkt bis auf ein Minimum von
2,75 km pr. Sek., wenn die Entfernung EB sehr gering wird (unter ,
20 Gradbogen).
Diese Wellenbewegung wird zufolge der grossen inneren Reibung
Fig. 117.
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 335
im Erdinnern stark gedämpft und giebt deshalb mir zu einem kaum
merklichen Stosse Anlass.
Der kräftige Stoss pflanzt sich durch die feste Erdkruste fort. Die
Geschwindigkeit dieses Wellenzuges beträgt 2 — 3,5 km pr. Sek. je nach
der Entfernung.
Schliesslich kommt die transversale Meereswelle (das Seebeben),
welche wie gewöhnliche Wellen durch die Schwerenwirkung fortgepflanzt
wird. Wenn man die mittlere Tiefe des Oceans gleich 3500 m annimmt,
so wird die Fortpflanzungsgeschwindigkeit dieser Wellenbewegung 0,185 km
pr. Sek. Sie ist übrigens der Quadratwurzel aus der Tiefe proportional
(vgl. oben S. 3*21). Etwa doppelt so schnell schreitet die Schallwelle
in der Luft fort.
An den Erdbebenbeobachtungen nehmen jetzt (1899) folgende Sta-
tionen teil: Shide, Kew, Toronto, Victoria (Brit. Col.), San Fernando
(Spanien), Madras, Bombay, Calcutta, Batavia, Mauritius, Capstadt, Are-
quipa (Mexiko), Philadelphia, Tokio, Cordoba (Argentina), Neuseeland,
Kairo, Paisley, Mexico, Beyrut, Honolulu, Trinidad, Mkolaiew, Potsdam,
Triest, Rocca di Papa, Ischia, Catania, Bidston und Edinburg. Erdbeben,
welche an wenig'stens zwei nicht all zu nahe aneinander gelegenen Sta-
tionen bemerkt werden, treffen etwa einmal jede Woche ein.
Obgleich die grossen Erderschütterungen vom Boden des Oceans
nicht notwendigerweise direkt mit den vulkanischen Erscheinungen ver-
bunden sind, so liegen doch die steilen Abfälle im Ocean in der un-
mittelbaren Nähe von stark vulkanischen Gebieten. Dies ist z. B. der
Fall mit folgenden wichtigsten Erdbebendistrikten, neben welchen die
Neigung des Meeresbodens verzeichnet ist:
Westküste von Südamerika, bei Aconcagua Neigung 1 : 20,2
Die Kurilen bei der Insel Urup .... „ 1:22,1
Japan, Westküste der Insel Nippon ... „ 1 : 30,4
Sandwich-Inseln nach Norden „ 1:23,5
Die grössten Neigungen des Meeresbodens in nicht seismischen Gebieten
beträgt: an der Südküste von Norwegen etwa 1:73 und an der Küste
von Australien 1:91. Die starke Neigung des Meeresbodens in seisnji-
schen Gebieten giebt ein Maass der Verbiegung des Meeresbodens. Es
ist natürlich anzunehmen, dass die Zahl und Grösse der kleinen Risse
im Meeresboden, durch welche das Wasser zum Magma hineinsickert,
mit dieser Verbiegung zunimmt. Übrigens wird das flüssige Erdinnere
an solchen einspringenden Ecken die feste Erdkruste auflösen und nur
336
Physik der Erde.
eine dünne Kinde zurücklassen. In der Nähe dieser grossen Buden-
neigungen des Meeres liegen deshalb die wirksamsten Vulkandistrikte
der Erde.
Die Entstehungsweise der Erdkruste. Sobald die Temperatur
genügend tief gesunken war, erstarrte die Erdoberfläche als eine Kruste
von Silikaten. Später, nachdem die Temperatur unter die kritische Tem-
peratur des Wassers — etwa 365^ — gesunken war, entstand der Ocean,
welcher stark dazu beitrug, das Aussehen des Meeresbodens umzu-
gestalten. Nachdem nun eine feste Erdkruste vorhanden ist, deren
Temperatur nur massigen Schwankungen ausgesetzt war, wie in der
jetzigen Zeit, konnte nur das Erdinnere zufolge der langsamen Wärme-
^■^.£
MJÄ^it^K;IS?l>??
N>c;v:-.'
Fig. 118. Schematisches Bild der „Kalkkeile" (a) im Gneise, (h) vom Berner Ober-
land; nach Baltzer.
abgäbe vermittelst Wärmeleitung in der Kruste sich abkühlen und damit
sich zusammenziehen. Die Erdkruste musste dann zusammenschrumpfen,
ungefähr wie die Haut eines eintrocknenden Apfels. Dadurch entstanden
gewaltige Überschiebungen, welche in mehreren Gegenden konstatiert
sind, und grosse Falten, welche in den Gebirgsgegenden so auffällig
sind. P Je nach der Plasticität der verschiedenen Erdlager, welche wohl
zum grössten Teil von ihrem Wassergehalt abhing, und der Grösse und
Eichtung des Druckes konnten die verwickeltsten Yerbiegungen entstehen
(vgl. Figg. 118 und 119). Die eben gebliebenen Stellen sanken teil-
weise nach und wurden vom Weltmeer bedeckt. Auf diese Weise ent-
stand in der Hauptsache die Verteilung zwischen Land und Meer. Viele
Forscher sind der Ansicht, dass die tiefsten Stellen des Meeres seit der
Silurzeit vom Meere bedeckt geblieben sind.
Durch ein genaues Studium der Verbiegungen kann man eine
II. Die feste Erdl<ruste und das Erdinnere.
337
Schätzung ausführen, eine wie grosse Oberiläche ursprünglich von den
gebogenen Schichten bedeckt war und diese mit dem jetzigen Horizontal-
querschnitt derselben Schichten vergleichen. Solche Schätzungen der
Zusammenziehung sind von Heim und anderen ausgeführt worden. Sie
leiden jedenfalls an einer bedeutenden Unsicherheit. Zur Orientierung
^J>V^
Fig. 119. Überschiebung im Appalachen- Gebirge. 1. Coosa-Schiefer. 2. Rome-
Sandstein und Quarzit. 3. Connasauga- Schiefer. 4. Knox-Dolomit. 5. Chickar
mauga-Kalkstein und Rockmart- Schiefer. G. Rockwood-Bildung. 7. Fort-Payne-
Hornstein. 8. Floyd- Schiefer. 1—3 gehören der kambrischen, 4 — 6 der siiurischen
und 7—8 der untersten Kohlenformation an (nach C. W. Hayes). Die Verschiebung
wird dadurch gekennzeichnet, dass mit niederen Ziffern bezeichnete ältere Schichten
stellenweise über mit höheren Ziffern bezeichneten jüngeren Schichten liegen.
gebe ich nach Penck einige solche Ziffern an, in welchen a die ursprüng-
liche Breite der gefalteten Fläche, h die jetzige Breite derselben (die
Länge ist unverändert geblieben) und a\b die Zusammenziehung bedeuten.
a h ajb
Schweizer Jura bei Genf (nach Heim) 22 17 1,29
„ „ Bicl „ „ 29 24 1,21
Kettenjura „ „ 12 7 1,71
Schweizer Nord- und Central-Alpen „ „ 158 82 1,93
Ostalpen (nach Rothpletz) 253 222 1,14
Appalachen, Teil 1 (nach Claypole) 161 105 1,53
Teil 2 „ „ 97 79 1,22
Californisches Küstengebirge (nach Leconte) 24—29 10 2,4 — 2,9.
Rudzki nimmt an, dass die mittlere Zusammenziehung nur 1,14 be-
trägt. Die Grösse der von Faltung betroffenen Oberfläche schätzt er
folgendermaassen:
In Europa 4,64.10*^ km^
„ Asien 24,88 „ „
„ Nordamerika 14,16 „ „
Arrhenius, Kosmische Physik. • 22
338 Physik der firde.
In Südamerika 3,15.10^ km-
„ Afrika 0,72 „
„ Australien 1,05 ,,
Auf Inseln des Stillen Ocean . . . 3,53 „ ,,
Unter dem Meer an der Küste . . . 13,25 „ „
Summa: 65,38.10^' km2.
Da die ganze Erdoberfläche 509,9.10^ km^ beträgt, so macht der
'gefaltete Teil davon 12,8 Proz. aus. Die totale Zusammenziehung der
Erdkruste würde 0,14 davon ausmachen, d. h. 9,1 Millionen km"^ oder
1,8 Proz. der jetzigen Erdoberfläche. Davon gehen die Durchschnitte
der durch vulkanische Ausgüsse gebildeten Gänge ab, welche zu 1 Mil-
lion km'-^ geschätzt werden. Danach wäre die wirkliche Zusarnmen-
ziehung der Erde 8,1 Millionen km^ oder 1,6 Proz. der jetzigen Erd-
oberfläche. Daraus folgt, dass der Erdradius um 0,8 Proz. oder um
51 km geschrumpft ist.
Bei solchen Schätzungen muss man natürlicherweise die durch Ver-
witterung und Abtragung entfernten Teile der Gebirgsketten rekonstru-
ieren. Auf ähnliche Weise hat Heim geschätzt, dass die ganze Zusam-
menziehung des Erdballes, seitdem die jetzt vorhandenen Gebirgsketten
sich zu bilden anfingen, nicht ganz 1 Proz. des jetzigen Erddurchmessers
beträgt Der Erdhalbmesser sollte sich demnach nicht um völlig 64 km
verkürzt haben. Eine viel niedrigere und wahrscheinlich zu geringe
Ziffer ist die oben angeführte von Nathorst, welcher annimmt, dass
seit der Silurzeit der Erdhalbmesser nur um etwa 5 km geschrumpft sei.
Diese Schrumpfung geht, wie oben gezeigt wurde (vgl. S. 282), ganz
ausserordentlich langsam vor sich, denn sie beruht auf der Abkühlung
der Erdmasse, welche ausserordentlich zähflüssig ist, sodass die Wärme-
abfuhr auf die langsam wirkende Leitung der Wärme beschränkt ist.
Die relativ zu den Dimensionen des Erdinnern sehr dünne Erdkruste
kann, wie Ekholm gezeigt hat, während dieses langsamen Prozesses zu-
folge veränderter Ausstrahlung relativ kurzperiodische Schwankungen,
deren Längen jedoch nach Millionen oder wenigstens Hunderttausenden
von Jahren zu rechnen sind, durchmachen. Wenn also, z. B. während
einer langen p]iszeit, die ganze Erdkruste abgekühlt wird, so ist es sehr
wohl möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass diese Abkühlung so schnell
vor sich geht, dass das Erdinnere nicht mitfolgen kann. Es ist haupt-
sächlich die unter dem Festland befindliche Erdkruste, welche von dieser
Abkühlung betroff"en wird. Es werden dann Risse an den schwächsten
IL Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 33g
Stellen der Erdkruste entstehen und dadurch das Hinaufdringen des
flüssigen Magmas begünstigt werden. Mit anderen Worten: der Vulka-
nismus wird danach steigen. Dadurch kommen ganz andere gebirgs-
bildende Kräfte ins Spiel. Die Vulkane schütten grosse Mengen von
festen Stoffen aus und dadurch heben sich allmählich diejenigen Erd-
teile, wo der Vulkanismus seinen Hauptsitz hat. So wird wahrschein-
licherweise im Laufe der Zeit Kamtschatka durch die. Kurilen mit Japan
verbunden werden, die amerikanische Küste am Stillen Ocean höher
hinaufsteigen. Vielleicht wird auch die vulkanische Wirksamkeit lange
genug dauern, um die Umgebungen des Längsrisses im Atlantischen
Ocean zu Tage zu befördern. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass
gerade in der Gegenwart die Kälte der letzten Eiszeit noch in die tieferen
Lagen der Erdkruste hineindringt und so eine langsame Zunahme des
Vulkanismus zu stände bringt.
Wir besitzen demnach zwei verschiedene gebirgs- und festlandsbil-
dende Agentien, welche wechselweise in Wirkung treten, die relative
Schrumpfung des Erdinnern, welche als der Hauptprozess anzusehen ist,
und der auf lange dauernde Abkühlungen der Erdkruste folgende ge-
steigerte Vulkanismus. Durch den erstgenannten Prozess entstehen die
grossen Gebirgsfalten , welche für die meisten Gebirgsketten, wie den
Himalaja, die Alpen etc., charakteristisch sind. Durch den zweiten Pro-
zess heben sich Teile am Meeresboden, wo Spalten vorkommen, nebst
ihren Umgebungen. Neben diesen beiden Prozessen scheinen die an-
deren von sekundärer Bedeutung zu sein. So z. B. hebt sich nach der
Meinung vieler Forscher die skandinavische Halbinsel durch langsame
elastische Nachwirkung aus der niedergepressten Lage, in welche sie
durch die Belastung der Eismassen der Eiszeit gezwungen wurde. Diese
Hebung, seit der letzten postglacialen Meeresbedeckung, erreicht im in-
nern Nordschweden etwa 180 m (nach De Geer). In ähnlicher Weise
hat sich das östliche Nordamerika nach der Vereisung aufgewölbt. Eine
gleichartige Hebung ist in Utah erfolgt (um etwa 150 m nach Gilbert).
Auch am Nordrande der Schweizer Alpen sind die quartären Schichten
gehoben (Heim). Überhaupt zeigen die Kontinente an vielen Stellen
Massendefekte unter ihnen. Die Erde strebt aber einem Gleich-
gewichtszustande zu, in welchem diese Massendefekte ausgeglichen
sind. Folglich wirken Kräfte zu dem Endziel, die betreffenden Stellen
in die Höhe zu schieben. Die Plastizität des Erdinnern wird einen lang-
samen Nachschub erlauben, ob derselbe aber nennenswert ist, rauss künf-
tigen Untersuchungen vorbehalten bleiben.
• 00*
340 Physik der Erde.
Diese Ansicht ist von Dutton zu einer sogenannten isostatischen
Theorie entwickelt. Die nivellierenden Kräfte streben die Gebirgshöhen
abzutragen und in Form von Sediment in der Nähe der Küsten abzu-
lagern. Wenn also einmal Gleichgewicht (Isostasie) in der Schweren-
wirliung stattgefunden hätte, so würde es gleich wieder gestört werden,
so lange Nivellierungen noch auf der Erdkruste vorkommen. Die Iso-
stasie strebt sich wieder durch Senkung der Küste und Hebung des
Festlandes herzustellen. Die Erdkruste besitzt bei der Senkung der
Küstenstrecke den geringsten Widerstand landeinwärts, wo die hebenden
Kräfte wirksam sind; die sinkende Küstenmasse wird gleichsam unter
das Festland hineingeschoben. Ein gewisser äusserst langsamer Kreis-
lauf des Materials der Gebirgsketten würde daraus resultieren. Nach
Duttons Meinung soll das Hineindringen der Küstenablagerungen unter
den Festland so mächtig sein, dass es vermag, der Erdkruste langge-
streckte und tiefe Faltungen, in Form von Küstengebirgsketten, zu erteilen.
Wie Ekholm gezeigt hat, ist die Natur bestrebt, eine Art Oscilla-
tion zwischen den beiden Prozessen der Schrumpfung der Erdkruste
und des Vulkanismus zu erhalten. Die vulkanischen Ausbrüche fördern
nämlich nicht nur feste, sondern auch gasförmige Bestandteile zur Atmo-
sphäre hinauf. Unter diesen Gasen ist die Kohlensäure von besonders
grosser Bedeutung, indem sie die Wärmedurchlässigkeit der Atmosphäre
vermindert und dadurch eine Steigerung der Erdoberflächentemperatur
verursacht. Nach genügend langer Zeit dringt die Temperaturerhöhung
von der Erdoberfläche in die Erdkruste hinein und veranlasst einen tan-
gentialen Druck in derselben. Dadurch entstehen teils Falten, d. h. Ge-
birgsketten, teils werden die Spalten zusammengedrückt und die vulka-
nische Thätigkeit vermindert, wobei auch die zufolge der vulkanischen
Thätigkeit hinauf beförderten festen Stoffe mächtig mitwirken. Die Kohlen-
säureproduktion wird stark vermindert, dagegen trifft dies nicht für
den Verbrauch dieses Gases zufolge der Verwitterung zu. Es wird
die Atmosphäre wieder durchlässiger für Wärme und eine langsame Ab-
kühlung erst der Erdoberfläche, dann der tiefer liegenden Teile der
Erdkruste, fängt an. Wenn diese Abkühlung weit genug fortgeschritten
ist, fängt das Spiel wieder an, indem neue Spalten in der Erdkruste
entstehen, und dadurch eine neue verstärkte vulkanische Thätigkeit ver-
ursacht wird. Die Periodicität hängt also von dem ausserordentlich
langsamen Eindringen der Wärmewelle von der Oberfläche in die tieferen
Schichten der Erdkruste ab. Je dicker die Erdkruste wird, desto länger
werden die betreffenden Perioden ausfallen, und zwar wird nach dem
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 341
Gesetze der Wärmeleitung die Periodenlänge dem Quadrate der Dicke
der festen Erdkruste proportional zunehmen.
Diese Veränderungen gehen immer sehr langsam vor sich. Man
erklärt auf diese Weise den Umstand, dass Flussläufe nicht selten Berg-
rücken durchqueren. Der Bergrücken hat sich auf der Stelle gehohen,
wo ein altes Flusshett lief. Die Hebung geschah aber so langsam, dass
das fliessende Wasser sein Bett ebenso schnell aushöhlen konnte. Ebenso
wirkten die bergabtragenden Kräfte an anderen Teilen des sich heben-
den Berges, sodass kein Teil desselben die Höhe besitzt, welche er ge-
habt hätte, falls solche Kräfte nicht wirksam gewesen wären. Infolgedessen
gehören die Bergkämme, welche in relativ späten geologischen Zeiten
sich gehoben haben, zu den höchsten auf der Erde.
Die nivellierenden Kräfte. Wenn die Erde flüssig wäre, so
würde sie, wie oben gesagt, die Form eines Umdrehungsellipsoides an-
nehmen. Die wirkenden Kräfte streben auch der festen Erdkruste diese
Form zu erteilen, die festen Körper geben aber nicht, wie flüssige und
gasförmige, den kleinsten Kräften nach. Durch die Bewegung flüssiger
oder gasförmiger Körper werden aber kleine feste Körper von ihrer
Unterlage gehoben und können demnach dem nivellierenden Bestreben
der Schwere Folge leisten. So führen die Bäche und Flüsse, welche
aus dem Kegenwasser entstehen, feste Körper zu tiefer liegenden Stellen.
Die kleinsten Partikelchen werden als Schlamm zum Meere mitgeschleppt,
wo sie im salzigen Wasser schnell sich absetzen. Salzhaltiges Wasser
besitzt nämlich die sonderbare Eigenschaft, dass darin schwebende schwe-
rere Teilchen sich zusammenballen und deshalb viel schneller zu Boden
fallen, als in reinem Wasser. Diese Eigenschaft nimmt mit dem Salz-
gehalt schnell zu, sodass sie im stark salzigen Meereswasser ausserordent-
lich viel mehr ausgeprägt ist, als im salzarmen Flusswasser. Diese
Eigentümlichkeit, von welcher man sich leicht durch einen Versuch über-
zeugen kann, ist für die Sedimentbildung in der Natur von der aller-
grössten Bedeutung.
Durch den Kreislauf des Wassers werden folglich die leichteren
Partikel, wie Sand, Lehm etc. von den höheren Punkten der Erde zu
den niederen und besonders zu den Meeresböden in der Nähe der Küste
hinuntergeschleppt. Dabei ist die Mitwirkung der festen Mineralpar-
tikelchen höchst wichtig, indem sie wie eine harte Feile gegen die Unter-
lage wirken, welche dem Wasser allein vollkommen Widerstand leisten
würde. Die erodierende Wirksamkeit der Flüsse beruht demnach
hauptsächlich auf ihrem Schlammgehalt. In ebenderselben Weise wirken
342 Physik der Erde.
die Winde, obgleich in unseren Gegenden viel schwächer. In Wüsten-
gegenden geben sie aber der Landschaft das charakteristische Gepräge.
Die heftigen Winde, welche Sandstaub mitschleppen, wirken sogar als
Sandgebläse und können die härtesten Gesteine allmählich abschleifen.
Auch das feste Wasser, in Form von Gletschereis, schleppt die lockeren
Bestandteile aus ihren Betten heraus und gräbt tiefe Killen in die
unterliegenden harten Felsen mit Hilfe von an ihrer Unterseite festge-
frorenen Steinen ein.
Auf diese Weise würde es allmählich dahin kommen, dass der feste
Erdboden aus reingewaschenem Felsen bestehen würde, und damit die
Wirkung der Wasser- und Luftströmungen unbedeutend werden. Dass
das nicht so geschieht, verdanken wir der allmählichen Verwitterung.
Bei derselben spielt die Kohlensäure die Hauptrolle. Von den an-
deren Gasen der Atmosphäre hat Sauerstoff und in geringem Maasse
Ammoniak eine Bedeutung, die jedoch keineswegs mit derjenigen der
Kohlensäure zu vergleichen ist. Die Kalksteine werden vom kohlen-
säurehaltigen Wasser unter Bildung von Bicarbonat gelöst und mit zum
Meere oder zu den Binnenseen geschleppt, wo das Bicarbonat unter
Freiwerden von Kohlensäure das Material zum Aufbau der Gehäuse
der Schalentiere und der Korallen liefert.
Ebenso löst die Kohlensäure aus den Silikaten die Basen heraus und
lässt Kaolin oder Thon zurück. Die gelöste Kohlensäure ist nämlich
viel kräftiger als die Kieselsäure, und die Beständigkeit der Silikate
hängt nur von ihrer ausserordentlichen Schwerlöslichkeit ab. Durch den
Gehalt des Wassers an Kohlensäure wird gewissermaassen die Löslich-
keit des Silikates bedeutend vergrössert. Das lockere Kaolin wird weg-
gewaschen, und zuletzt bleibt aus manchen Bergarten, wie aus Granit,
nur Kieselsäure als Quarzsand zurück. Quarzsandsteine mit quarzigem
Bindemittel liefern deshalb die unvergleichlich wetterbeständigsten Ma-
terialien für Bauten.
Der Sauerstoff, welcher sich auch im fliessenden Wasser löst, be-
wirkt hauptsächlich, dass Eisenoxydulverbindungen, z. B. in Basalten, oxy-
diert werden, wodurch das Gestein gelockert wird, sowie Schwefelverbin-
dungen zu Sulfaten umgebildet werden, welche zum grossen Teil lös-
lich sind und somit weggewaschen werden können.
Die Verwitterung muss stark mit dem Kohlensäuregehalt zuneh-
men. Wenn übrigens die Verhältnisse (Niederschlagsmenge und Tem-
peratur) gleicli blieben, so würde ohne Zweifel, nach den Gesetzen für
gewöhnliche chemische Umsetzungen, die Verwitterung proportional mit
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 343
dem Kohlensäuregehalt der Luft zunehmen. Durch die Zunahme des
Kohlensäuregehaltes der Luft steigt aber auch die Temperatur und da-
mit der Wasserdampfgehalt der Luft und folglich die Niederschlags-
menge aus dei Atmosphäre. Diese beiden Umstände unterstützen die
fraglichen Umsetzungen in hohem Grade. Die Verwitterung wächst
demnach schneller als dem Kohlensäuregehalt der Luft proportional, so
viel man jetzt schätzen kann, ungefähr proportional dem Quadrate dieses
Gehaltes.
Ungefähr in derselben Weise verhält sich die Vegetation, welche
durch den Kohlensäuregehalt bedingt ist. Versuche von Godlewsky
scheinen anzudeuten, dass, wenn Temperatur und Wasserdampfgehalt
unverändert bleiben, das Wachstum (von Typha latifolia, Kohrkolben) dem
Kohlensäuregehalt der Atmosphäre proportional zunimmt. Die Zunahme
des Wasserdampfgehaltes und der Temperatur der Luft erhöhen diese
Wirkung vermutlich ungefähr wie bei der Verwitterung.
Es würde demnach der Umsatz in der unorganischen und in der
organischen Natur etwa im Verhältnis 1 : 4 zunehmen, wenn der Kohlen-
säuregehalt der Luft auf das Doppelte des jetzigen Wertes anstiege.
Es giebt keinen anderen Körper, welcher dieselbe Bedeutung für den
Haushalt der Natur besässe.
Übrigens hat auch die Vegetation einen nicht unbedeutenden Ein-
fluss auf die Verwitterung. Die härtesten Granitfelsen bekleiden sich
mit einer Decke von Flechten und später, wenn diese den Boden aufge-
lockert haben, siedeln sich höhere Pflanzen an. Alle diese Pflanzenarten
treiben ihre Wurzeln in die Risse des Steines hinein. Dadurch entsteht
teils eine mechanische Wirkung, indem die Wurzelfasern beim Zuwachs
oder beim Anschwellen nach Regen einen Druck auf die Teilchen des
Steines ausüben, teils auch eine chemische Wirkung, intern die Wurzeln
eine saure Lösung absondern. Diese Lösung zersetzt teilweise die Al-
kalisilikate im Gestein, deren Salze nachher zur Nahrung der Pflanzen
dienen. Die verschiedenen Pflanzen tragen auch dazu bei, das Wasser
am Felsen zurückzuhalten, welches mit Hilfe der absorbierten Kohlen-
säure der Luft die Verwitterung beschleunigt.
Die Pflanzen geben auch nach ihrem Tode zur Bildung von
Humussäuren Anlass, welche eine der Kohlensäure ähnliche zer-
setzende Wirkung auf das Gestein ausüben. Besonders in den kälteren
p]rdteilen und auf den Bergen tritt diese Wirkung der Humussäure
stark hervor.
Das Wasser wirkt nicht nur chemisch auf das Gestein ein, sondern
344 Physik der .Erde.
auch, und zwar in hohem Grade, mechanisch. In höheren Breiten oder
auf hohen Bergen, wo die Temperatur häufig unter den Gefrierpunkt
des Wassers sinkt, ist diese Wirkung höchst bedeutend. Das flüssige
meteorische Wasser (am Tage im Sonnenschein) dringt in die kleinen
Risse des Felsens hinein und friert nachher bei Abnahme der Tempe-
ratur unter Null (in der Nacht). Wenn dabei die nach aussen liegen-
den Teile, wie natürlich, zuerst frieren, und nachher die unten liegen-
den, so üben diese bekanntlich, infolge der Ausdehnung des Wassers
beim Frieren, eine bedeutende Sprengwirkung aus. Die anfangs unbe-
deutenden Risse nehmen an Grösse immer mehr zu, bis ein Felsenstück
ausgesprengt wird.
Von geringerer Bedeutung ist die Wärmewirkung, welche haupt-
sächlich in wärmeren Gegenden hervortritt. Die meisten Gesteine be-
stehen aus verchiedenen Mineralien, welche einen etwas verschiedenen
Ausdehnungskoefficienten besitzen. Bei starken Wärmeveränderungen
kann es deshalb geschehen, dass der Zusammenhang zwischen den Be-
standteilen des Gesteins gelockert wird. Wenn man ein Stockfeuer auf
einem Granitfelsen brennen lässt, so lösen sich nachher leicht schalen-
förmige Stücke von dem Gestein ab. Dies geschieht noch leichter, wenn
das Gestein eine natürliche der Oberfläche parallele Schichtung besitzt.
Eine ähnliche schuppen- oder schalenförmige Ablösung der äusseren
Felspartien ist nach heftiger Sonnenwirkung beobachtet worden.
Auch senkrecht zu dieser Richtung entstehen bisweilen Sprünge durch
die Wärmewirkung, in welchem Fall der Felsen in Blöcke zerlegt wird.
Bei heftiger Bestrahlung lösen sich auch kleine Schuppen mit muschel-
förmigem Bruch ab, ganz wie bei den Meteoriten bei ihrer Erhitzung
durch Reibung gegen die Luft. Dies gilt besonders für Steine von nicht
zu harter Struktur, wie Kalksteine. Die mechanische Verwitterung strebt
nicht die Steine so fein zu zerteilen, wie die chemische. Bekleidung
mit Vegetation schützt sehr sowohl gegen mechanische Verwitterung
als auch gegen Abschwemmung der Partikelchen durcli Wasser.
Alle diese Umstände bewirken, dass Steingetrümmer sich von den
Felsen ablösen, und wenn diese genügend steil sind, herunterfallen und
den Fuss des Berges mit sogenannten Schutthalden umgeben.
Wenn nun nicht die transportierende Fähigkeit des Wassers und
der Luft sich geltend machte, sondern die Felsen nur der Verwitterung
ausgesetzt wären, so würden sie sich allmählich mit einer schützenden ver-
witterten Schicht bedecken, welche weitere Einwirkung verhindern würde.
Es ist also die Vereinigung von Verwitterung und Denudation, welche
IT. Die feste Erdkruste und das Erdinnere. 345
die Nivelliening zu stände bringt. Den Betrag der Abtragiing in einigen
Fällen ersieht man aus folgender Schätzung Brückners, welche das
Sinken der Erdoberfläche in Millimetern pro Jahr infolge der Weg-
<chwemmung in den Stromgebieten folgender Flüsse angiebt (nach
Penck):
Rhein 0,041
Elbe (oberhalb Tetschen) 0,012
Seine (oberhalb Paris) 0,024
Maas (oberhalb Lüttich) 0,050
Donau (oberhalb Wien) 0,056
Arve (oberhalb Genf) 0,210
Reuss (oberhalb Flüelen) 0,180
Rhone (oberhalb Villeneuve) 0,440
Kander (oberhalb des Thuner Sees) . . 0,280
Amu Darja 0,120
Indus 0,270
Ganges 0,300
Irawaddy 0,310
Yangtsekiang 0,070
Nil 0,013
Mississippi . 0,045
Die reissenden Bergflüsse haben, wie leicht ersichtlich, die kräftigste
Wirkung. Obgleich diese Mengen unbedeutend erscheinen, so üben sie
in der Länge der Zeit, z. B. während einer geologischen Epoche, einen be-
deutenden Einfluss aus. So z. B. würde in 100000 Jahren die Abschwem-
mung in den verschiedenen Fällen zwischen 1,2 und 44 m betragen.
Im allgemeinen ist die Abtragung grösser in warmen als in kalten
Gegenden, was mit der grösseren Niederschlagsmenge zusammenhängt.
Zufolge der unter der Erde vor sich gehenden Ausspülung treten
bisweilen Erdstürze auf, wobei unter Umständen Häuser einstürzen und
grosse Verluste verursacht werden. In Kalkgebirgen graben, sich die
Flüsse unterirdische Läufe und bilden Höhlen, wie dies z. B. viele
Grotten im Karst, worunter die Adelsberger Grotte die berühmteste
ist, zeigen. Eine solche Landschaft, die nach dem am besten be-
kannten Beispiele Karstlandschaft genannt wird, kommt in sehr vielen
Weltgegenden vor, wo der Berggrund aus Kalkstein besteht. Diese Land-
schaft ist wirtschaftlich sehr schlecht wegen Wasserarmut, indem das
Regenwasser in den Kalkboden schnell nach dem Herunterfallen versinkt.
•
346 Physik der Erde.
Die Verteilung von Land und Meer. Die Landoberfläche nimmt
nur etwa 26,6 Proz. von der bekannten Erdoberfläche auf. Sie ist sehr
verschieden auf die nördliche und die südliche Halbkugel verteilt, indem
der Ocean viel stärker auf der südlichen Halbkugel vertreten ist, als
auf der nördlichen. Dies entspricht dem Verhalten auf dem Planeten
Mars. Die Verteilung von Wasser und Land auf verschiedenen Breiten
ist aus der folgenden Tabelle von v. Tillo ersichtlich:
Breite Land o/^ Wasser % Breite Land % Wasser o/o
70— 80N 28,8 71,2 0— 10 N 22,8 77,2
60—70 71,4 28,6 0—10 S 23,6 76,4
50-60 56,9 43,1 10—20 22,1 77,9
40—50 52,3 47,7 20—30 23,1 76,9
30—40 42,8 57,2 30—40 11,4 88,6
20—30 37,6 62,4 40—50 3,2 96,8
10-20 26,3 73,7 50—60 0,8 99,2
Die Landoberfläche ist in den verschiedenen Weltteilen sehr ver-
schieden durch Meeresbuchten, Fjorde u. s. w. zergliedert. Bildet man
den Quotient von Küstenlänge und Landoberfläche und setzt diesen Quo-
tienten, der ein Maass der Zergliederung ist, für Europa gleich 1, so
wird er für die verschiedenen Weltteile:
Europa 1
Nordamerika 0,66
Australien 0,55
Südamerika 0,38
Asien 0,35
Afrika 0,22
Diese Ziffern geben gewissermaassen einen Anhalt für die Kultur-
fähigkeit der Weltteile, welche in hohem Grade von der Zugängiichkeit
des Oceans abhängig ist.
Die Höhe des Landes ist in verschiedenen Weltteilen sehr ver-
schieden. Die mittlere Höhe der verschiedenen Erdteile ist in folgender
Tabelle angegeben:
Balkanhalbinsel .... 580 m Frankreich 394 m
Belgien 136 m Grossbritannien . . . . 218 m
Dänemark (mit Island) . 352 m Holland 49 m
Deutsches lieich . . . . 214 m Iberische Halbinsel . . 701 m
II. Die feste Erdkruste und das Erdinnere.
347
Italien 517 m
Österreich-Ungarn . . . 518 m
Rumänien . . . . . . 282 m
Russland 167 m
Schweiz 1300 m
Skand. Halbinsel .... 428 m
Europa 300 m
Asien 950 m
Nordamerika 700 m
Südamerika 650 m
Afrika 650 m
Australien 300 m
Die mittlere Landhöhe beträgt etwa 700 m, welche auf eine Ober-
fläche von 135,7 Millionen km^ einen Raum von 95.10*^' km^ einnimmt.
Die entsprechenden Ziffern für das Meer sind mittlere Tiefe 3500 m,
Oberfläche 374.10^ km2, Inhalt 1309.106 km^.
Die Kontinente und Weltmeere nehmen folgende Oberflächen ein:
Europa . . .
Asien r . .
Afrika . . .
Nordamerika .
Südamerika ,
Australien u. Oceanien
Polarg'ebiete . . . .
9,81.106 km'^
44,34 „ „
ZV, i t 11 „
20,56 „ „
17,83 „ „
8,96 „ „
4,38 „ ,,
Grosser Ocean 1 75,6.10 ^ km^
Atlant. „ . 88,6 „ „
Indischer „ . 74,0 „ „
Südl. Eismeer 20,5 „ „
Nördl. Eismeer 15,3 „ „
Summe Meer: 374,0.10- km«
Festland: 135,65.102 km«
Summe Land und Meer: 509,65.10« km^.
III. Das Meer.
Die Ausmessung der Meerestiefen. Wie schon bemerkt, über-
trifft die mittlere Tiefe des Meeres etwa fünfmal die mittlere Höhe des
Festlandes. Die grösste gelotete Meerestiefe zwischen den Ladronen
und den Midway-Inseln erreicht 9635 m, übertrifft also nicht unbedeu-
tend die grösste Berghöhe, Gaurisankar, 8840 m.
Zum Studium der Meerestiefe werden Lotapparate benutzt. Bei ge-
ringen Tiefen genügt es, ein gewöhnliches Lot oder Senkblei mit Hilfe
einer Leine zum Meeresboden hinunterfallen zu lassen. Die Geschwin-
digkeit des Lotes nimmt anfangs zu und wird bald zufolge der Keibung
des Lotes und der Leine am Wasser und an der Ablaufsvorrichtung
konstant, bis es mit einem Ruck am Meeresboden stehen bleibt. An
der Leine sind Marken (Knoten) in bestimmten Entfernungen angebracht,
vermittels welcher man die Leinenlänge und damit die Tiefe beim Stoss
des Lotes gegen den Boden bestimmt. Das Lot ist an dem unteren
Ende ausgehöhlt und wird mit einem zähen Körper, wie Talg, bestrichen,
in welchem feste Teile vom Boden haften bleiben, wodurch man Proben
von der Bodenbeschaffenheit erhält.
Wenn man grössere Tiefen ausloten will, so muss das Lot sehr
schwer genommen werden, damit der Ruck empfunden wird. Dies gilt
besonders, wenn man anstatt einer Hanf leine, welche unter dem starken
Druck leidet, einen Stahl- (oder Bronze-)Draht zur Aufhängung des
Lotes benutzt. Je grösser die Masse des Drahtes, d. h. je beträchtlicher
die Tiefe, desto bedeutender muss die Masse des Senklotes sein, damit
sein Gewicht sich neben demjenigen des Drahtes bemerklich macht und
also einen deutlichen Ruck beim Stosse gegen den Meeresboden giebt.
Die Fallgeschwindigkeit des Lotes ist anfangs sehr bedeutend (183 m
== 100 Faden in 40 Sek.), nimmt dann infolge der Reibung ab, sodass
in Das Meer.
349
die zehnten 100 Faden 75 Sek., die zwanzigsten 100 Faden 110 Sek.
zum Auslaufen brauchen. Diese Geschwindigkeiten sind empirisch ge-
nau ermittelt. Sobald das Lot den Boden berührt hat, sinkt die Aus-
laufgeschwindigkeit stark unter die für mit Lot belasteten Draht gül-
tigen. Daraus wird häufig die Tiefe ermittelt. Um das Gewicht des Stahl-
drahtes zu kompensieren, legt man bisweilen eine Bremse gegen die
rrommel, von welcher sich der Stahldraht abwickelt. Je mehr Draht
ausgelaufen ist, desto stärker muss die Bremse wirken. Die Kraft der
Bremse kann man mit einer Schraube so regulieren, dass eine voll-
kommene Kompensation nahezu erreicht ist. In diesem
Falle hört die Abwickelung des Drahtes sehr bald nach
dem Stosse des Lotes gegen den Meeresboden auf.
Der Zeitverlust wird bei Anwendung dieser Lotungs-
methode etwas grösser, das Resultat aber genauer.
Der Lotdraht ist für alle 10 und 100 Faden (oder raehn
mit Marken versehen. Häutig läuft er auch über ein Zähl-
werk, das die ausgelaufene Länge angiebt.
Es ist nun mit grossem Zeitverlust verbunden, diese
schweren Lote wieder heraufzuheben, deshalb führte Brooke
eine Einrichtung ein, deren Wirkungsweise leicht aus neben-
stehender Figur verständlich ist und wodurch das Lot sich
am Meeresboden von dem Aufhängedraht ablöst. Als Lot
wurde früher eine achsial durchbohrte Kanonenkugel ge-
nommen, jetzt zieht man ein cylindrisches Lot (K Fig. 120)
vor, welches auf einer ebenfalls durchbohrten Scheibe (s)
ruht. Durch die Bohrungen hindurch geht ein leichter
Stab cd, welcher an dem Aufhängedraht (/) mit Hilfe zweier
um eine horizontale Achse leicht beweglichen Teile a und b mittelst
kleiner Ketten befestigt ist. In zwei Kerben an den Stücken a und b
liegen die Ösen zweier Drähte, welche die Scheibe s tragen. Sobald d
gegen den Meeresboden stösst, fallen die Stücke a und b herunter, die
beiden Ösen gleiten aus ihren Kerben und das Lot K sammt Scheibe s
bleibt auf dem Meeresboden liegen.
Um die Schwere des Lotes nach Belieben verändern zu können,
verwendete Baillie anstatt des Cylinders K mehrere Cylinderscheiben,
die aufeinander gestapelt wurden.
Der Stab cd dringt gewöhnlicherweise 30—60 cm tief in den lockeren
Meeresboden hinein, wobei die Aushöhlung bei d sich mit Bodenproben
erfüllt. Damit diese beim Heraufziehen nicht hinausfallen, ist ein so-
350
Physik der Erde.
genanntes Schmetterlingsventil an der Unterseite von d angebracht,
welches d beim Hinaufziehen selbstthätig abschliesst.
Oberhalb des Lotes ist an dem Aiifhängedraht ein Wasserschöpfer
und ein Thermometer befestigt. Damit der Wasserschöpfer nur Wasser
an einer bestimmten Stelle, nämlich der tiefsten, nimmt, ist er so ein-
gerichtet, dass er aus einem Hohlcylinder mit zwei Böden besteht. Der
untere Boden ist an zwei Haltern befestigt, der Cylinder und der obere
Boden sind dagegen in grossen Entfernungen voneinander
und von dem unteren Boden mittelst Sperrhaken festgehalten.
Sobald der Aufhängedraht hinaufgezogen wird, setzt sich
durch den Widerstand des Wassers ein propellerförmiger Kör-
per in Bewegung, welcher vermittelst eines daran befestigten
von einem Schraubengewinde geführten Conus die Sperrhaken
zur Seite schiebt, wonach der obere Boden gegen den Cy-
linder und dieser gegen den unteren Boden fällt. Diese drei
Teile schliessen danach mittelst Gummiverpackungen eine
Wassermenge ein, welche da genommen ist, wo der W^asser-
schöpfer hinaufgezogen zu werden anfing. Bisweilen ist der
Hohlcylinder mittelst mehrfacher Wandungen in mehrere
konzentrische Schichten eingeteilt, und die Böden sehr wärme-
isolierend gemacht, in welchem Falle die Temperatur des
Wassers, wenn es nicht von allzu grosser Tiefe geholt ist,
sich erhält, sodass sie nach Ankunft des Wasserschöpfers
zur Oberfläche abgelesen werden kann. Sonst wird das
Thermometer mit dem Wasserschöpfer verbunden und ist
nach Negretti-Zambras Konstruktion (Fig. 121) so einge-
richtet, dass es bei dem Aufziehen des Aufhängedrahtes mit
einem Stoss umkippt, sodass die Kugel A nach oben kommt.
Das Thermometerrohr ist an einer Stelle (bei D) stark ver-
jüngt; an dieser Stelle bricht der Quecksilberfaden beim Auf-
ziehen. Man liest die Länge des abgebrochenen Fadens
ab, wodurch die Temperatur in dem Moment des Aufziehens bekannt
wird. Zur Kontrolle hängt man häufig ein Minimumthermometer daneben
auf. Die Thermometerkugeln müssen mit starken Kapseln (aus Glas)
umgeben sein, damit der äussere Druck sich nicht zur Thermometer-
kugel fortpflanzt und den Quecksilberfaden hinaufpresst. Wenn man eine
Keihe von Temperaturmessungen, z. B. für je 100 m machen will, be-
festigt man ein Thermometer auf jeder 100 m-Länge des Lotdrahtes.
Da bisweilen bei grossen Tiefen das Lot durch Meeresströmungen
so
20
10
1
^
c
Fig. 121.
lll. Das Meer. 35 t
zur Seite getrieben wird und dadurch die abgelesene Tiefe zu gross er-
scheint, benutzt man als Kontroll apparat zur Messung der Tiefe eine
Art Maximum -Manometer. Ein solches ist von Lord Kelvin kon-
struiert. Eine lange, durch eine Blechkapsel geschützte Glasröhre ist
in vertikaler Lage an der Lotleine befestigt. Die Glasröhre, welche
oben zugeschmolzen, unten aber offen ist, ist inwendig mit einer dünnen
Haut von Silberchromat überzogen. So hoch wie das Salzwasser ein-
dringt, verwandelt sich das rote Silberchromat in weisses Chlorsilber.
Man kann in dieser Weise bestimmen, wie stark das Volumen der das
Kohr füllenden Luftsäule komprimiert gewesen ist, woraus der Druck
vermittelst Tabellen berechnet werden kann. Um eine genauere Ab-
lesung des Druckes zu ermöglichen, kann man die Röhre nach oben
konisch sich verjüngen lassen.
Die Lotleine läuft über eine Rolle mit Zählwerk, welches die ab-
gelaufene Leinenlänge angiebt. Zur Sicherung gegen plötzliche Stösse
beim Rollen des Schiffes läuft die Leine über einen Block, welcher mittelst
einer elastischen Feder oder mittelst Kautschukschnüren an einem heraus-
ragenden Teil (einer Raae) des Schiffes aufgehängt ist. Dieser federnde
Auf hängeapparat wird Akkumulator genannt. Er ist um so nötiger, als
die meisten auf die Lotleine aufgehängten Apparate funktionieren, wenn
die Leine hinaufgezogen wird. Beim Rollen des Schiffes könnte dies
leicht unfreiwillig geschehen, wenn nicht der Akkumulator plötzliche
Stösse ausgliche.
Man hat viele besondere Einrichtungen zur Temperaturbestimmung in
Anwendung gebracht, welche dazu dienen sollten, die Temperatur an
jeder beliebigen Tiefe bei derselben Lotung kennen zu lernen. So z. B.
hat man selbstregistrierende Thermometer benutzt, deren Fadenlängen
photographisch registriert wurden. Dabei lieferte eine kleine Glühlampe
oder ein Geisslerrohr das nötige Licht. Oder man maass nach Werner
Siemens Vorschlag den Widerstand eines Drahtes in verschiedenen
Tiefen; dieser Widerstand ist von der Temperatur abhängig. In beiden
Fällen muss man zur Zuleitung des Stromes lange isolierte Drähte,
welche mit der Lotleine folgen sollen, verwenden, wodurch nicht unbe-
deutende Schwierigkeiten entstehen.
Auf obengenannte Weise hat man die Tiefe des Meeres an verschiedenen
Stellen gemessen und Wasserproben, die nachher analysiert wurden aus
verschiedenen Tiefen, deren Temperaturen gemessen wurden, geholt.
Ebenso erhielt man gleichzeitig mit den Tieflotungen Proben von der
Zusammensetzung des Bodens.
352 Physik der Erde.
Da diese Erforschung der Meerestiefen von grosser praktischer Be-
deutung ist, sowohl für die Legung von Telegraphenkabeln als auch für
die Fischereien, haben die verschiedenen Kegierungen mehrere Expedi-
tionen ausgesandt, welche die wichtigsten Beiträge zur Oceanographie
geliefert haben.
Die Meerestiefe. Längs der Küste zieht sich für gewöhnlich
ein sehr langsam abfallendes Gebiet hin, welches Litoralzone oder Konti-
nentalstufe genannt wird. Seine Tiefe geht bis zu etwa 200 m, wonach
eine sehr schnelle Zunahme der Tiefe bis zu etwa 2000 m oder 1000 Faden
stattfindet, die Kontinentalböschung genannt. Die Untiefe rund um die
Küste gehört eigentlich mit zum Kontinent selbst und der Ocean
fängt erst an der Kontinentalböschung an. Danach nimmt die
Tiefe noch weiter hinaus zu, aber für gewöhnlich nicht so schnell,
wie zwischen 200 und 2000 m Tiefe. Ferner kommt ein ausserordent-
lich flaches Gebiet von 2000 bis 6000 m Tiefe, in welchem noch grössere
Tiefen als vereinzelte Senkungen vorkommen. Die grösste bekannte
Tiefe war bis vor kurzem (1895) die nach dem Expeditionsschiffe be-
nannte „Tuscarora-Tiefe" (Fig. 111), welche etwa parallel der japanischen
Küstenlinie und der Inselreihe der Kurilen verläuft, wo an einer Stelle
das Lot den Boden erst auf 8513 m Tiefe traf. Seitdem ist eine ähn-
liche Tiefe, die „Penguin-Tiefe" vom Expeditionsschiffe Penguin etwas
östlich von Neuseeland aufgefunden worden, wo auf einer Stelle (38^
28' s. Br. 176^ 39' westl. L. von Greenwich) 9427 m gelotet wurden.
Diese Tiefe liegt aber, wie die meisten ähnlichen in der Nähe des
festen Landes. Diese wird etwas übertroffen von der oben (S. 348) ge-
nannten Tiefe „Neros Graben", welche vom amerikanischen Schiff Nero
1900 gelotet wurde und 9635 m erreichte.
Wie früher erwähnt, kommen nur selten stärkere Böschungen am
Meeresboden vor. Einige Ausnahmen von dieser Kegel sind vorhin als
Ausgangsstellen vulkanischer und seismischer Störungen angeführt. Ausser-
ordentlich starke Böschungen kommen in der Umgebung der vulkani-
schen Inseln, besonders im Karaibischen Meer und Stillen Ocean vor.
Andere steile Abfälle ganz anderer Natur finden sich bei den Ko-
rallenriffen und Inseln. Die Korallen bauen nahezu vertikal hinauf und
nur durch den Abfall von abgestorbenen Korallen (Korallensand) wird der
Boden in der Umgebung ausgeebnet. Es dürfte daher nicht Wunder
nehmen, dass dabei Böschungen von 40—60^ in den Umgebungen solcher
Inseln vorkommen können, wie z. B. bei den Bahama-Inseln.
Inmitten des Oceans kommen an mehreren Stellen Erhebungen
III. Das Meer. 353
vor, wt'ldie bedeutende Strecken aufnehmen. Eine solche Erhebung
ist der mittelatlantische Kücken, welcher etwa in der Mitte des atlan-
tischen Oceans verläuft und deshalb im grossen den Küstenkontouren
parallel läuft. Dieser Rücken ist von Island bis Tristan da Cunha mit
Vulkanen besetzt. Durch Ausläufer steht er mit dem amerikanischen
und dem afrikanischen Kontinent in Verbindung. Die tiefste Stelle im
Atlanten ist an 19*^ 39' n. Br. und 66^ 26' w. L. v. Gr. gelotet worden.
Sie beträgt 8341 m. Die Umgebung dieser Stelle wird die „westindische
Tiefe" genannt.
Der Meeresboden ist, verglichen mit der Landesoberfläche äusserst
eben. Dies rührt daher, dass keine Wasserflüsse den Boden im Meere
ausmodellieren (vgl. S. 358).
Die mittlere Tiefe des Meeres beträgt, wie erwähnt, etwa 3500 m.
Die wichtigsten Meeresteile haben mittlere Tiefen, welche zu folgenden
Werten geschätzt werden:
Atlantischer Ocean
3760 m
Rotes Meer. . .
460 m
Indischer „
3650 m
Karaibisches Meer
2090 m
Stiller
4080 m
Nordsee ....
90 m
Mittelmeer . . .
1430 m
Ostsee ....
70 m
Man glaubte früher, dass das nördliche Polarmeer sehr flach sei.
Durch Nansens Tiefenlotungen ist es erwiesen, dass die Annahme un-
zutreffend ist, indem zwischen Franz-Josephs-Land und den neusibiri-
schen Inseln mehrere Male 3000, einmal sogar 3800 m Tiefe gelotet
wurde. Die Behringsstrasse ist sehr flach, nicht mehr als 52 m tief im
Maximum. Gewissermaassen hängen also die neue und die alte Welt
an dieser Stelle zusammen. Deshalb giessen sich die grossen Wasser-
und Eismassen aus den grossen sibirischen Flüssen nördlich von Spitz-
bergen längs der Ostküste von Grönland in den Ocean aus. Das Kärtchen
auf Fig. 122 giebt die Tiefe des Meeres an verschiedenen Stellen an.
Die Bodenbeschaffenheit. Man glaubte früher, dass in grösseren
Tiefen alles Leben verschwunden wäre. Es erweckte deshalb grosses
Aufsehen, als beim Heraufheben eines Telegraphenkabels aus dem Mittel-
meere aus sehr grossen Tiefen Lebewesen zu Tage gebracht wurden. Seit-
dem hat man sich bemüht, durch Bodenkratzungen und Dredschen (Fig.
123) Material, lebendiges und totes, vom Meeresboden sich zu ver-
schaffen. Es zeigten sich dabei bedeutende Regelmässigkeiten, nach
welchen der Meeresboden je nach der Tiefe in recht verschiedene Zonen
eingeteilt werden kann. In der Litoralzone, d. h. im Gebiet von 0 bis
A 1 r li e n i u s , Kosmische Physik. • 23
354
Physik der Erde.
200 m Tiefe, finden die grossen Al)lagenmgen des Abfalles der Kontinente
statt, welcher mit dem Wind, den Flüssen und durch die Meereswogen
hinausbefördert werden. In vulkanischen Gegenden sind diese Abfälle
häufig zun! bedeutenden Teil mit Auswurfstoffen der Vulkane vermischt.
to
W
^
CD
Cu
CD
CD
CD
CD
ö
O
pr
CD
CD
00
B
III. Das Meer. 355
In diesem Ge])iete leben auch die meisten kalkausscheidenden Tiere
(Mollusken) und Algen von höheren Klassen. Sie scheiden ausser Kalk
auch etwas Magnesia und Eisen aus und nach ihrem Tode werden die
organischen Bestandteile von den mineralischen Kalkausscheidungen weg-
gewaschen. Diese letzteren werden von ausgeschlemmtem Sediment ein-
Fig. 123. Schleppnetze oder Dredschen zur Untersuchung des Meeresbodens.
gebettet und bilden nachher, wenn das Sediment gehärtet wird, die in
sedimentären Ablagerungen gewöhnlichen Versteinerungen.
In der Nähe der Küste werden auch grösstenteils die von den
Flüssen und der Meeresbrandung hinaustransportierten Massen abgeschie-
den, welche einen Thon bilden. Dieser ist in der Nähe von Küsten,
die aus älteren Sedimentsteinen oder krystallinischen Schiefern bestehen,
von einer grünen oder blauen Farbe. Diese Thone finden sich besonders
in abgeschlossenen Meeresbecken, wie in den Banda-, Celebes- und China-
23*
356
Physik der Erde.
Seen. Der grüne Thon geht nicht gern tiefer als 1300 m, der blaue
aber bis zu 5000 m, ausnahmsweise (bei St. Thomas) zu einer der tiefsten
Stellen des Atlanten (7086 m).
Längs der Ostküste von Südamerika ist die Farbe des Thones rot,
infolge von ockerhaltigen Massen, welclie von den Flüssen in grosser
Menge hinausbefördert werden. Er geht hier bis 3800 m Tiefe.
In der Nähe von vulkanischen Küsten nimmt der Schlamm eine
graue Farbe an, während der entsprechende Sand schwarz oder dunkel-
grau sein kann. Wo die Lavaergüsse augithaltig sind (Sandwich-Inseln
und Kanaren), findet man Braunsteinknollen in dem Küstenthon. Dieser
graue Thon ist bis zu Tiefen von 5250 m angetroffen worden.
In grossen Tiefen (unter
400 m) verschwinden die hö-
heren Organismen zum aller-
grössten Teil und werden
durch Foraminiferen ersetzt.
Von diesen beherrschen Glo-
bigerina- und Orbulinaarten
die Tiefenvon 450 bis 3500 m,
während in noch grösseren
Tiefen der Schlamm haupt-
sächlich durch Radiolarien
charakterisiert ist. Die Glo-
bigerinen und Orbulinen son-
dern Kalkschalen aus, welche nach dem Tode des Tieres zu Boden fallen
und den bläulich- grauen Globigerinenschlamm bilden (Fig. 124). Die
Kalkschalen werden bei ihrem Heruntersinken teilweise gelöst, sodass
sie gewöhnlich ein angefressenes Aussehen besitzen.
Die Globigerinen und verwandten Foraminiferen leben nicht in der
Tiefe, sondern in den höchsten Meeresschichten, wo sie einen bedeuten-
den Teil des „Planktons" ausmachen. Sie halten sich mit Hilfe von
winzigen Kalknädelchen, die von ihrer Kalkschale " radiell ausstrahlen,
im Wasser schwebend (vgl. Fig. 125). Diese Nädelchen fallen nach dem
Tode des Foraminiferen ab, wonach sein Kalkhäuschen langsam zum
Boden hinuntersinkt. Da solche Foraminiferen auch über den grössten
Meerestiefen leben, könnte man erwarten, dass auch in diesen Globi-
gerinenschlamm angehäuft wäre. Da aber dies nicht der Fall ist, schliesst
man, dass die Kalkreste beim Heruntersinken in die tiefsten Schichten
von der Kohlensäure des Wassers aufofelöst werden.
Fig. 124. Globigerinenschlamm vom Boden
des Ozeans.
I
JH. Das Meer.
357
Im Globigerinenschlamm trifft man auch Massen von Ealkalgen-
resten, die Rhabdolithen und Kokkolithen genannt werden. Ausserdem
gehen darin Nadeln von den Kieselsäureskeletten der Kieselschwämme
als charakteristischer Bestandteil ein.
Ähnliche Ablagerungen haben in vergangenen geologischen Zeiten
eine sehr grosse Rolle gespielt. So z. B. ist der sehr verbreitete Num-
mulitenkalk der Tertiärzeit aus Foraminiferenschalen aufgebaut.
An der Grenze der Litoralzone und der Globigerinenzone bildet
sich eine charakteristische Ablagerung von Glaukonitsand. Glaukonit
ist ein Silikat, welches nur als Ausfüllungsmasse von Foraminiferen-
schalen vorkommt. Zu seiner Bildung sind demnach die in den Fora-
miniferen enthaltenen organi-
schen Bestandteile nötig. Solcher
Glaukonitsand kommt in den Ab-
lagerungen aller geologischen
Epochen vor, von den ältesten
fossilführenden an bis zu den
jüngsten.
Die Radiolarien scheiden nicht
Kalk, sondern Kieselsäure aus.
Dasselbe ist der Fall mit den
Diatomaceen, Algen, welche Kie-
selpanzer nach dem Tode zurück-
lassen. In einigen Meeresströmen
sind die Diatomaceen so stark
vertreten, dass sie dem Meerwasser
eine charakteristische Färbung er-
teilen. Durch Diatomaceen grün gefärbte Wasserflächen kommen be-
sonders im ostgrönländischen Meere vor. Der von Diatomaceenschalen
gebildete Diatomaceenschlamm ist am stärksten am Boden der süd-
lichen Meere, besonders zwischen 53^ und 63^ s. Br., entwickelt. Die
Tiefe ist da 2300—3600 m.
In den tieferen Teilen des Oceans herrscht ein rötlicher Thon, dessen
Farbe bisweilen in Grau oder Braun übergeht. In diesen Tiefen wird
kein Kalk abgesetzt, sondern nur schwere lösliche Substanzen in den
Tierschalen halten die langsame Sedimentation durch das kalkauflösende
Wasser aus. In diesem Sediment sind vulkanische Produkte wie Bims-
stein eingebettet, welcher von der Meeresoberfläche hinuntergesunken
ist. Ausserdem finden sich darin nicht selten kosmischer Staub und
Fig. 125. Orbulina mit Kalknadeln; nach
Bütschli.
358 Physik der Erde.
Fragmente von Meteoriten. Diese werden oft durch den Gehalt von
Schreibersit charakterisiert, ein Mineral, dass nur in Meteoriten gefunden
worden ist. Sehr gewöhnlich sind darin Braunsteinknollen und Körner
von Mineralien vulkanischer Natur, wie Quarzkörner, Glimmerblätter,
Hornblendeschuppen, welche andeuten, dass unterseeische Yulkanaus-
brüche eine grosse EoUe spielen. Wahrscheinlicherweise sind diese
Ausbrüche die Quelle der grossen Mengen Kohlensäure, welche bisweilen
im Meervvasser angetroffen werden.
In einigen Meerestiefen, besonders in den äquatorialen Teilen des
Grossen Oceans, überwiegen die Kieselskelette der Kadiolarien so stark,
dass man den Bodenabsatz daselbst als Kadiolarienschlick bezeichnet.
Unter organischen Überresten, welche diese Ablagerungen kennzeich-
nen, mögen die Haifischzähne und die Ohrknochen von Walen hervor-
gehoben werden. Sie kommen massenweise vor und sind die einzigen
Überreste von den Leichen der entsprechenden Tiere, welche in den
höchsten Teilen des Meeres lebten und deren Überbleibsel zum Boden
des Oceans heruntersanken. Nicht nur die Weichteile, sondern auch
alle Skelettenteile dieser Körper sind aufgelöst worden bis auf die aller
widerstandsfähigsten Stücke. Man kann sich sehr wohl vorstellen, welche
ungeheuren Zeiten verflossen sein müssen, bis Massen von Haifischzähnen
angesammelt werden konnten. In dieser Vorstellung wird man noch
mehr durch den Umstand befestigt, dass unter den Haizähnen auch
solche von jetzt ausgestorbenen Gattungen, z. B. dem in Tertiärablage-
rungen vorkommenden Carcharodon, sich befinden.
Auch giebt es ja viele, welche die Ansicht hegen, dass diese Ab-
gründe des Meeres, so lange Organismen auf der Erde lebten, von Wasser
bedeckt waren und dass sie, allen Hebungen trotzend, immer dem Meere
angehören werden, so lange ein Meer noch auf der Erde existiert. Die
Teile der Erdkruste, welche von den tiefen Meeren bedeckt werden,
sind wahrscheinlich dicker und fester als die Kontinentalmassen — dar-
auf deuten auch die Pendelmessungen — sie haben eine durch ungeheure
Zeiträume kaum veränderliche Temperatur und erhalten deshalb keine
Bisse, deshalb fallen sie nicht der Faltung anheim, welche sich auf die
Landmassen und naheliegenden Meeresteile beschränkt.
Das Gebiet des Tiefseethons imd dasjenige des Globigerinenschlam-
mes decken ungefähr gleichgrosse Flächen des Meeresbodens, deren jede
etwa ein Viertel der Erdoberfläche einnimmt. Der Tiefseethon über-
wiegt etwas. Seine grösste Ausbreitung ist im Grossen Ocean, danach
im Indischen und etwas im Atlantischen Ocean. Die Litoralzone nimmt
III. Das Meer. 359
eine bedeutend geringere Fläche ein, welche jedoch für die Menschheit
von grösster Bedeutung ist, da in derselben der grosse Fischfang be-
trieben wird. Die grössten Theile davon liegen, wie die Tiefenkarte
zeigt, in der Nähe der östlichen und südlichen Küste von Asien, in
der Nord- und Ostsee, an der Mittelmeerküste, besonders im Adriati-
schen Meer, im Schwarzen und Kaspischen Meer an der Nordküste
Europas, an den Küsten Australiens, Nord- und besonders Südamerikas.
Die kalkabsondernden Organismen des Meeres nehmen alle an
Häufigkeit stark ab, sobald man sich den kälteren Teilen des Oceans
nähert. Sie kommen deshalb in den arktischen und antarktischen Wäs-
sern und ihren Umgebungen sehr spärlich vor, sind dagegen in den tro-
pischen und subtropischen Wässern am häufigsten. Noch mehr ist dies
mit den rififenbildenden Korallen der Fall, welche nicht tiefer als 30 m
unter der Meeresoberfläche leben können und keine niedere Tempe-
ratur als 20^ C. aushalten. Sie kommen deshalb in einem Gürtel rund
um die Mitte der Erde vor. Dass sie in früheren geologischen Epochen
in allen Weltmeeren verteilt waren, giebt einen der besten Beweise für
eine bedeutend höhere Temperatur dieser Zeiten über die jetzige. Der
Korallensand bildet einen beträchtlichen Teil des Seebodens in der Nähe
von Korallenriffen. Besonders sind das Karaibische Meer, die Umgebung
der Inseln des Grossen Oceans, sowie die Strecken nördlich von Mada-
gaskar, Australien und Neuguinea dadurch charakterisiert.
Die Zusammensetzung des Meerwassers. Da kein Körper in
Wasser absolut unlöslich ist, so ist es natürlich zu vermuten, dass das
Meerwasser durch die Flüsse alle möglichen Erdbestandteile zugeführt
erhält. Die Grundstoffe, welche in nennenswerter Menge im Meerwasser
vorkommen, sind ausser den Bestandteilen des Wassers (Wasserstoff und
Sauerstoff), Chlor, Natrium, Schwefel (in Sulfaten), Kohlenstoff (in Kar-
bonaten), Magnesium, Calcium, Kalium und etwas Brom. Etwa zwanzig
andere Grundstoffe sind im Meerwasser nachgewiesen, darunter die Edel-
metalle Silber und Gold, die seltenen Alkalimetalle Cäsium und Eubi-
dium, aber in kaum nachweisbarer Menge.
In einer metrischen Tonne Meerwasser sollen 19 mg Silber und
6 mg Gold gelöst sein. Der Totalgehalt des Meerwassers an Gold be-
trägt 8 Milliarden Tonnen, etwa so viel, dass auf jeden Erdbewohner
5000 kg bei einer Yerteilung käme.
Die relative Menge der verschiedenen gelösten Körper im Meer-
wasser ist sehr wenig veränderlich und der mittlere Salzgehalt im offenen
Meere ebenso, er beträgt etwa 34,3 per Mille. $
360
Physik der Erde.
Nach Dittmar ist die Zusammensetzung des Meerwassers in fol-
gender Tabelle wiedergegeben. Daselbst steht erst der Prozentgehalt
angegeben (vom totalen Salzgehalt), danach kommt eine Angabe über
die totale Menge des betreffenden Körpers im Meere (in Billionen
Tonnen). Zum Vergleich ist danach eine Tabelle gegeben, welche
nach Mellard Eeades Schätzung die mittlere Zusammensetzung der
zum Meere strömenden Flusswässer, und die totale Menge von zuge-
ftihrten gelösten Körpern in Millionen Tonnen pro Jahr, angiebt:
Salz im Meerwasser
Chlornatrium NaCl . .
Chlormagnesium Mg Cl^
Magnesiumsulfat Mg SO^
Calciumsulfat Ca SO^ .
Kaliumsulfat Zj SO^
Calciumkarbonat Ca C0._^
Brommagnesium Mg Br2
Prozent
77,758
10,878
4,737
3,600
2,465
0,345
0,217
Totalgehalt
in 10^2 Tonnen
35990
5 034
2192
1666
1141
160
100
100,000
Prozent
(approx.)
Salz im Flusswasser
Calciumkarbonat 50
Calciumsulfat 20
Magnesiumkarbonat 4
Magnesiumsulfat 4
Chlornatrium 4
Sulfate und Karbonate 1
der Alkalimetalle J ' ' '
Kieselsäure 7
Andere Körper 5
46283
Menge pro Jahr
in 10^ Tonnen
2700
1080
216
216
216
324
378
270
100
5400
Natürlicherweise sind die verschiedenen Bestandteile des Meer-
wassers nicht in der angegebenen Weise verbunden, wonach z. B. kein
Chlorkalium und kein Natriumsulphat im Meerwasser vorkommen würde.
Die angegebene Tabelle soll nur bedeuten, dass, wenn man die ange-
führten Salze in den angegebenen Verhältnissen in richtiger Totalmenge
in Wasser auflöst, so entsteht eine Lösung, welche der Zusammensetzung
des Meerwassers entspricht. Mit Hilfe der Berechnungsweisen der phy-
sikalischen Chemie kann man dann für jedes mögliche Salz, wie Chlor-
kalium etc., l)erechnen, zu welchem Grade es in der Lösung existiert.
III. Das Meer. 3ßj^
Dies bietet aber kein besonderes physikalisches Interesse. Eine ähn-
liche Bemerkung lässt sich über die Zusammensetzung des Flusswassers
machen.
Da nun alles Salz im Meerwasser durch die Flüsse zugeführt ist, so
ersieht man aus den vorhin gegebenen Tabellen, dass es 166 Millionen
Jahre in Anspruch nehmen würde, alles im Meerwasser befindliche Chlor-
natrium zum Meere zu führen. Wir erhalten in dieser Weise eine Be-
stätigung der kolossalen Ausdehnung der geologischen Zeiten, welche
vorhin berechnet wurde (S. 287).
Ganz anders verhält sich das Calciumkarbonat. Schon eine halbe
Million von Jahren würde genügen, um die jetzt im Meerwasser befind-
liche Menge des Calciumkarbonates durch die Flüsse zuzuführen. Die
kolossalen Mengen von Calciumkarbonat, welche in geologischen Zeit-
räumen zum Meere hinuntergeführt wurden, sind zum unvergleichlich
grössten Teil zum Meeresboden von Organismen geführt worden und
bilden zum Teil die grossartigen sedimentären Kalksteinablagerungen
der Erdkruste.
Die Löslichkeit des Calciumkarbonates im Meerwasser hängt zum
grossen Teil davon ab, dass im Meerwasser freie Kohlensäure vorkommt,
welche zur Bildung von Bikarbonat Anlass giebt. Ausser der Kohlen-
säure sind die anderen Gase der Atmosphäre im Meer gelöst. Sauer-
stoff und Stickstoff kommen an der Meeresoberfläche im Verhältnis 1:2
vor, gegen 1 : 4 in der Atmosphäre. Auch der Prozentgehalt der im
Meerwasser gelösten atmosphärischen Gase an Argon ist bedeutend grösser
als derjenige der Luft. Der Sauerstoff ist insofern von Bedeutung, als
er zur Unterhaltung des Lebens der Tiere nötig ist. Der Umstand, dass
tierisches Leben, obgleich in ziemlich geringer Menge, auch in den grössten
Meerestiefen vorkommt, beweist, dass daselbst auch Sauerstoff, wenn auch
in geringerer Menge als an der Oberfläche, vorhanden ist. Dieses kann
kaum in anderer Weise dahin gelangen, als durch die Meeresströmungen.
Denn in den grossen Tiefen giebt es wegen des Lichtmangels keine
(chlorophyll-führenden) Pflanzen, welche Kohlensäure ein- und Sauer-
stoff ausatmen. Die Meeresströmungen führen also Sauerstoff von der
Oberfläche (in arktischen Gebieten) mit sich zu den tieferen Punkten
und der Umsatz muss ziemlich beträchtlich sein, da der Sauerstoff immer
wieder von den Tieren verbraucht wird. Als Nahrung dieser dienen die
organisierten Beste von abgestorbenen Lebewesen, welche aus höheren
Schlechten heruntersinken.
Der Sauerstoffgehalt des Wassers steigt mit sinkender Temperatur
352 Physik der Erde.
sowohl absolut als auch relativ zum absorbierten Stickstoff. Bei Tromsö
(70^ n. Br.) ist das Verhältniss Sauerstoff: Stickstoff 35:65, zwischen
70^ und 80^ n. Br. sogar 35,6:64,4, während im Passatgebiet das Ver-
hältnis 33:67 beträgt. ^
Dieses Verhältnis ändert sich auch mit der Tiefe. In den po-
laren Meeren ist diese Änderung relativ unbedeutend. In niedrigeren
Breiten findet ein anderes Verhalten statt. Buchanan fand für die
äquatorialen Calmen des Atlanten folgenden Sauerstoffgehalt:
Tiefe 0 m
Gehalt 33,7 Proz
370
23,4
550
11,4
800
15,5
1600
22,6
unter 2000
23,4
Die grosse Abnahme bis zu 600 m hängt von dem reichen Tier-
leben in diesen Schichten ab. Im südlichen Eismeer ist die Sauerstoff-
variation mit der Tiefe ungefähr so gross wie im nördlichen.
Was die absolute Menge der Luftgase im Wasser betrifft, so ist
der Stickstoffgehalt sehr nahe so gross, wie der Stickstoffgehalt eines
Wassers von gleichem Salzgehalt und derselben Temperatur, welches mit
Stickstoff von 1 Atmosphäre Druck gesättigt ist. Nach T o r n ö e s
Messungen enthält 1 Liter Meerwasser (von mittlerem Salzgehalt) Ncm^
Stickstoff bei der Temperatur t^ C, welche durch folgende Formel ver-
bunden sind:
N= 14.4 — 0,23 t
Was die Kohlensäure im Meerwasser betrifft, fand Tornöe (für das
Nordpolarmeer) pro Liter 53 mg in Form von Karbonat und 43 in Form
von Bikarbonat gebunden. Betreffs dieser Zahlen, welche auch für andere
Meere giltig sein dürften, ist dieselbe Berechnung wie oben betreffs des
ganzen Salzgehaltes zu machen (vgl. S. 360), indem immer ein Teil der
Kohlensäure frei ist.
Das schwarze Meer enthält, wenn man von den Oberflächenschichten
absieht, nicht unbedeutende Mengen von Schwefelwasserstoff, welcher
durch Keduktion der Sulfate vermittelst niederer Organismen ent-
standen ist.
Die Verteilung der Salze im Meere. Man hat schon lange
bemerkt, dass die relativen Mengen der verschiedenen Salze in den ver-
III. Das Meer. 353
schiedenen Meeren in einem nahezu konstanten Verhältnis zueinander
stehen. Dies hängt natürlicherweise von dem Umstände ab, dass
starke Strömungen, wie wir unten sehen werden, zwischen den ver-
schiedenen Teilen des Weltmeeres die eventuellen Differenzen aus-
gleichen. So z. B. beträgt die Menge des Chlors zwischen 55,21
und 55,34 Proz. der ganzen Salzmenge, eine ganz unbedeutende
Schwankung. Man kann folglich, wenn nicht eine extreme Genauigkeit
nötig ist, den Salzgehalt des Wassers, wie Pettersson vorgeschlagen
hat, mit Hilfe einer äusserst schnell ausgeführten Chlortitration ermitteln.
Ebenso kann eine einzige spezifische Gewichtsbestimmung dazu
genügen, um den Salzgehalt eines Meereswassers zu charakterisieren.
Man nimmt dabei als spezifisches Gewicht das Verhältnis der Gewichte
gleicher Volumina Meereswassers und destillierten Wassers bei Zimmer-
temperatur (17,5 0). Wenn s das so bestimmte spezifische Gewicht und />
den Prozentgehalt an Salz bedeuten, besteht die Eelation:
p = 131,5 {s — 1) oder 5=1 + 0,0076 i^.
Diese Formel ergiebt beispielsweise für das spezifische Gewicht
s = 1,025 : p = 3,28 Proz. für s = 1,029 : i? = 3,8 Proz.
Eine allgemeinere Formel lautet:
5 = 1,0267 + 0,0076 (p — 3,5)
— {0,000154 (t — 17,5) + 0,00000674 {t — 17,5)^},
wo t die Temperatur in Celsiusgraden angiebt.
Man hat auf diese Weise den Salzgehalt der verschiedensten Meeres-
teile untersucht. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung sind
betreffs der Meeresoberfläche die folgenden:
Der mittlere Salzgehalt des Weltmeeres ist 3,43 Prozent. Der
Salzgehalt nimmt zu, wenn man sich von der Küste entfernt. Er
nimmt auch von den polaren Gegenden im allgemeinen gegen die
Passatregionen hin zu, erreicht da ein Maximum, von wo er zur äquatorialen
Calmenregion abnimmt. Die Karte Fig. 126 zeigt nach Cha 11 engers
Aufnahme die Verteilung des Salzgehaltes in den verschiedenen Meeren.
Der Atlantische Ocean zeigt einen geringen Salzgehalt (32 — 33 %o)
längs der norwegischen und der nordamerikanischen Küste (wo der
Polarstrom läuft), ebenso wie in der Nähe der Südspitze von Südamerika.
Etwas weiter hinaus streckt sich das Wasser mit einem Salzgehalt
zwischen 33 und 34 %o? welches nur im südlichen Teil eine grössere
Ausbreitung gegen niedrigere Breiten hin besitzt. Das Wasser von
364
Physik der Erde.
t\3
Tfl
CfQ
dl
P-.
o
o
0
►ö
vn
O
O
CD
o
fr'
ct-
O
o
ro
:^
So
o
O
P
I— '
CD
ö
CD
^
ü
crq
CD
p
ö
CD
CD
CO
III. Das Meer. 3^5
34 — 35 %o ^^^^^t <li6 Nordsee und eine breite Zone parallel der nord-
amerikanischen Ostküste (speziell bis zu Neufundland). Eine ähnliche
Zone um 40^ s. Br. ist auch von diesem Wasser aufgenommen, ebenso
wie eine grosse Strecke ausserhalb der Kongoküste.
Den Hauptteil des Nordatlanten (bis zum 40. Breitegrad) nimmt
das Wasser von 35—36 ^/oo ein. Im Südatlanten wird es durch einen
grossen Bogen um den östlichen Teil Südamerikas vom Wasser von
mehr als 36 \o getrennt, welches den übrigen Teil des Atlanten ein-
nimmt mit Ausnahme zweier Maxima, eines an der brasilianischen
Küste, das andere im sogenannten Sargassomeer, welche über 37 %o
halten. Dies ist die salzreichste Stelle an der Oberfläche des Oceans, wie
die nach Ch all engers Eeiserapport gezeichnete Karte zeigt.
Der Salzgehalt der Nordsee wird durch folgende Messungen der
„Pommerania" (1872) charakterisiert.
Teil der Nordsee
Nördliche Nordsee
Norwegische Küstenfjorde . .
Südwestliche Nordsee . . .
Skagerrak
Kattegat, Belte, Westl. Ostsee
Der Salzgehalt ist grösser im nördlichen als im südlichen Teil,
ebenso grösser im westlichen als im östlichen, was von den grossen
Flüssen, die im südöstlichen Teil einmünden, abhängt. In der längs
der norwegischen Küste verlaufenden tiefen „norwegischen Rinne"
wechselt der Salzgehalt sehr mit der Tiefe. Er ist an der Oberfläche
2,80 Proz., in 40 m Tiefe 3,44 Proz., in 100 m Tiefe 3,55 Proz. Diese
Ziffern gelten für die Strecke Mandal — Korsfjord (südlich von Bergen),
d. h. für die Südwestküste Norwegens. Dieser Umstand zeigt, dass über
dem eigentlichen in der Tiefe befindlichen Nordseewasser eine salzarme
Strömung hinläuft, die das Wasser der Ostsee abführt.
In der Ostsee wird das Wasser um so salzarmer, je weiter man
sich von seinem Auslauf in die Nordsee entfernt. Der Salzgehalt steigt
wegen des in der Tiefe einströmenden Nordseewassers und an der
Oberfläche abfliessenden Ostseewassers immer mit der Tiefe, besonders
in dem westlichen Teil (westlich von der Linie Darsserort-Falster). So
ist noch im Öresund bei Helsingför der Salzgehalt an der Oberfläche
nur 0,925 Proz., in 36 m Tiefe 3,35 Proz. Im grossen Belt war der
Spez. Gew.
bei 17,50
Salzgehalt
in Proz,
Oberfläche
Boden
Oberfläche
Boden
1,0263
1,0268
3,45
3,51
1,0198
1,0267
2,59
3,50
1,0257
1,0258
3,37
3,38
1,0227
1,0270
2,97
3,54
1,0164
1,0223
2,15
2,92
360 Physik der Erde.
Salzgehalt des Oberflächenwassers (Sommer 1871) 1 Proz. bis zu etwa
17 m Tiefe, in 20 m Tiefe traf man den salzreichen Nordseestrom, der
am Boden 3,026 Proz. hielt. Weiter nach Osten nimmt der Salzgehalt
ab, von Sonderburg an (Oberfläche 1,97 Proz., 18 m Tiefe 2,12 Proz.) bis
Heia (Oberfläche 0,75 Proz., 22 m Tiefe 0,76 Proz). Der Salzgehalt an
der Oberfläche beträgt über 0,8 Proz. bis zu einer Linie zwischen dem
südlichsten Punkt von Seeland nach dem nördlichsten Punkt von
Mecklenburg, über 0,7 Proz. bis zu einer Linie quer über Öland und
Gotland bis zur nordwestlichen Ecke von Estland, über 0,6 Proz. bis
o
zur Linie Stockholm- Abo. Von da sinkt er allmählich bis zu 0,5 Proz.
(Sundswall-Wasa) und dann sehr schnell bis zu 0,1 Proz. bei Haparanda.
Im Finnischen Meerbusen ist der Salzgehalt 0,35 Proz. bei Nervo
(28^ w. L. V. Gr.) und 0,1 Proz. bei Kronstadt. Im Eigaerbusen steigt er
zu 0,57—0,58 Proz.
Im westlichen Teil der Ostsee ändert sich der Salzgehalt mit den
Jahreszeiten, er ist geringer im Frühling und Sommer, und ist auch in
verschiedenen Jahren nicht gleich. Auch die Windverhältnisse beein-
flussen den Salzgehalt.
Wegen der starken Abdampfung des Wassers weisen das Mittel-
meer und noch mehr das rote Meer sehr hohe Salzgehalte (37 — 39 %o
bezw. 40 — 41 %q) auf. Sehr eigentümlich und lehrreich ist das Ver-
halten des Kaspischen Meeres. An der Wolgamündung ist der Salzgehalt
natürlicherweise sehr gering, nämlich 1,5 %o, erreicht bei der Halbinsel
Apscheron (wo die Petroleumquellen liegen) 13,2 und in der Kaidakbay
56,3 %o- 1^1 <iGr grossen, gegen die asiatische Seite liegenden Bucht
Karabugas steigt der Salzgehalt bis auf 285 %o. Durch die ausser-
ordentlich starke Abdunstung konzentriert sich da die Salzlösung so,
dass sich Salze ausscheiden. Ein stetiger Strom führt neue Wassermengen
zum Ersatz der verdunsteten zu dieser natürlichen Salzpfanne. Ungefähr
in derselben Weise verhält sich das tote Meer. Man hat hier gross-
artige Beispiele, wie die in den geologischen Ablagerungen sehr ge-
wöhnlichen und wertvollen Salzablagerungen zustande gekommen sind.
Betreffs des Salzgehaltes in verschiedenen Tiefen sind auch sehr
zahlreiche Messungen gemacht worden. Derselbe hängt ebenso wie
derjenige der Meeresoberfläche zum grössten Teil von Strömungen ab.
In Seen, wo viel Flusswasser zur Oberfläche geführt wird, wie in der Ostsee
und Nordsee, nimmt der Salzgehalt mit der Tiefe zu, in Meeren wo die
Abdunstung stark die Wasserzufuhr überwiegt, findet das Gegenteil
statt (z. B. im Mittelmeer). Durch die von der Sonnenstrahlung hervor-
in. Das Meer. 3ß7
gerufene hohe Temperatur der Oberfläche können s<alzhaltigere Schichten
auf salzärmeren schwimmen. In Wässern von geringerer Ausdehnung
und nahe den Küsten kann der Salzgehalt zufolge der jährlichen Ver-
änderung der Abdunstung und der Wasserzufuhr durch Flüsse jährliche
Schwankungen erleiden, z. B. an den Küsten der Nordsee. Diese
Schwankungen sind für die Wanderungen der Fische, speziell des
Herings, welcher einem Wasser von 32 — 33 %o folgt, maassgebend und
besitzen deshalb eine sehr grosse ökonomische Bedeutung.
Die Temperatur des Meeres. Diese Temperatur ist im höch-
sten Grade von den Meeresströmungen abhängig. Die Temperatur der
Oberfläche zeigt eine jährliche Yeränderung, wie die Erdoberfläche.
Diese Temperaturvariation dringt wegen den Strömungen des Meeres-
wassers bis zu einer Tiefe von etwa 300 m ein, während sie in dem Erd-
boden nur bis zu etwa 10 m Tiefe sich geltend machen. Sie ist sehr
gering am Äquator (etwa 1^ C), nimmt bis auf ein Maximum (15^ C.)
in einer Breite von etwa 35^ zu und nimmt danach langsam gegen die
Pole hin ab. Nahe an der Küste können die Temperaturvariationen
noch grösser werden, so in Kattegat 20^ C. Im Nordatlanten zeigt die
östliche Küstenzone wegen des Vorherrschens des Golfstroms eine viel
höhere Temperatur als die westliche Küstenzone, wo der Polarstrom nach
Süden geht (Fig. 127). Etwas weiter hinaus sind die Verhältnisse um-
gekehrt, sodass die Westseite bis zu 1000 m Tiefe die wärmere ist.
In grösseren Tiefen kehrt sich das Verhältnis wieder um.
Die mittlere Temperatur der Meeresoberfläche ist aus der Isother-
menkarte Fig. 128 ersichtlich. Für den Atlantischen Ocean sind die
Temperaturverhältnisse in etwas grösserer Skala in Fig. 127 dargestellt.
Die Temperatur nimmt allmählich gegen grössere Tiefen ab , so-
dass sie am Boden der tropischen Meere etwa -f 2^ C. und am Boden
der polaren Meere — 2^ beträgt. Die Abnahme von der Oberfläche
hinab geschieht mit zunehmender Tiefe immer langsamer, wie die neben-
gezeichneten Diagramme (Fig. 129 — 131) erweisen. Die niedrige Tem-
peratur des Bodenwassers hängt von Strömungen kalten Polarwassers
ab, wie man leicht am Verhalten des Mittelmeeres (Fig. 129) sehen
kann, wo die Temperatur nicht unter 11 ^ C. sinkt.
Dieses Verhalten des Mittelmeeres ist für tiefere Binnenmeere (wie
das Rote Meer, das Ochotskische Meer u. s. w.) charakteristisch, welche
durch hohe Schwellen vom angrenzenden Ocean getrennt sind. Die
mittlere Temperatur, welche in unter diesen Schwellen liegenden Schich-
ten herrscht, ist gleich der niedrigsten Temperatur, welche die Ober-
368
f'hysik der Erde.
fläche desselben Meeres im Winter annimmt. Dieses schwerste Wasser sinkt
dann herunter und bildet das Bodenwasser. Infolge der gleichmässigen
Fig. 127. Temperatur der Oberfläche des Atlantischen Oceans im Monat März
nach Krümmel.
III. Das Meer.
369
Arrhenius, Kosmische Physik
370
Physik der Erde.
15*=
20°
r/'
500 m
tooom
1500 m
'2000 m
2500 m
Temperatur in diesen tieferen Schichten findet daselbst kein Umsatz
von Wasser in nennenswertem Grade statt. Kein Sauerstoff wird zu
diesen Schichten geführt, die deshalb des Tierlebens — die Pflanzen
gehen überhaupt nie so tief — nahezu entblösst sind. Da das Mittelmeer
zuerst näher untersucht wurde, glaubte
man anfangs, dass ein ähnliches Verhalten
für alle tiefen Meere charakteristisch
sein würde. Die Untersuchungen in nor-
dischen Meeren (von Sars und Torell)
bahnten einer richtigeren Anschauung den
Weg. Ohne Zweifel würde der Ocean sich
auch so verhalten, falls nicht ein steter
Unterstrom von mit Luft wegen der nie-
deren Temperatur stark beladenem Wasser
reichliche Mengen von Sauerstoff zur At-
mung der Tiere in tieferen Schichten
mitbrächte.
In dem westlichen Teil des Stillen
Oceans und dem ostindischen Archipel ist die gleichförmige Temperatur
der niedrigsten Schichten nicht durch die tiefste Wintertemperatur der
Oberfläche, sondern durch die Temperatur an der tiefsten Stelle der
Schwelle gegen den Ocean bestimmt. Dies muss natürlich eintreffen,
3000 m
^** Therm. Veph.d. Atlantik.
.,- Therm. Veph.d.MittelmefiP3S.
Fig. 129.
eooo
Bermudas
1000
2000
3000
Aropcn
Madefrfl
&000km
Fig. 130. Temperatur der verschiedenen Meerestiefen zwischen Sandy-Hook und
Madeira.
sobald diese Temperatur niedriger als jene ist (bei tief liegender Schwelle
und kleinen jährlichen Temperaturvariationen). Für das Mittelmeer fallen
die beiden Temperaturen nahe zusammen; die Schwellontiefe bei Gibraltar
ist 950 m.
Die Diagramme Figg. 129—131 stellen einige dieser charakteristi-
schen Verhältnisse dar. Fig. 129 ist eine Darstellung der Temperatur
ITT. Das Meer. 37 1
in einem Ocean (Atlantischen) und einem Binnenmeer (Mittelmeer) un-
weit des verbindenden Sundes (bei Gibraltar). Fig. 130 zeigt die Tem-
peratur im Atlantischen Meer auf der Linie Sandy-Hook-Madeira, wor-
aus es hervorgeht, wie ausserordentlich dicht die Isothermen nach oben
gelagert sind, d. h. wie dünn die warme Oberfläche des Oceans ist. Dies
ist im grossen Ocean noch auffallender (nahe dem Äquator). Fig. 131
endlich zeigt (nach Wilds Bearbeitung der Challenger-Messungen) die
komplizierten Verhältnisse in und um die Meeresströmungen. Die äusserste
Kurve entspricht 36^ n. Br. und 70^ w. L., die mittlere 36^ 23' n. Br.
und 71^ 5r w. L., und die unterste 37^ 25'
n. Br. und 71^ 51' w. L.
Noch kompliziertere Verhältnisse kön-
nen eintreten, wenn, wie in arktischen
Gegenden gewöhnlich, ein kalter Wasser-
strom zwischen zwei warme Wasserschich-
ten oder ein warmer Strom zwischen
zwei kalte eindringt. Im ersten Falle ^ ^^«^^fTtFBre- - j -^
erhält man ein Minimum der Temperatur ^ «ssc&^ mooü
imd, wegen der tiefen Bodentemperatur, Fig. 131.
darunter ein Maximum, im zweiten nur
ein Maximum. Dies letztere trifft nach Nansens Messungen für
das Nordpolarbassin zu, wo der Golfstrom unter der Eisdecke einsetzt.
So lange es Eis an den Polen gegeben hat und noch giebt, hat
und wird der Boden des Oceans die jetzige niedrige Temperatur sehr
nahe konstant erhalten. Der Meeresboden ist demnach in langer Zeit
keinen, und überhaupt sehr geringen, Temperaturverzerrungen in geo-
logischen Epochen ausgesetzt gewesen. Die Bildung von Bergmassiven
ist deshalb hauptsächlich auf die Kontinente beschränkt.
Im Gegensatz zum Luftmeer wirkt der Ocean stark kühlend auf
die Temperatur seines Bodens. Dies hängt von der ausserordentlich ge-
ringen Kompressibilität und Wärmeausdehnung des Wassers ab, im
Gegensatz zu den Gasen.
Die mittlere Temperatur der Meeresoberfläche ist immer höher als
diejenige der benachbarten Luftschichten (etwa 1^— 1,5^ in der Nähe der
Oberfläche). Dies hängt ohne Zweifel damit zusammen, dass das Meer-
wasser viel durchlässiger ist für die Sonnenwärme als für die Wärme-
strahlung zum Welträume hinaus. In Binnenmeeren kann die be-
trofiPonde Differenz 2^ C. erreichen.
Das wärmste Meer der Erde ist das Rote Meer, welches im nörd-
24*
372 Physik der Erde.
liehen Teile eine Oberflächentemperatur von im Maximum 25,9 ^ im
südlichen Teile von 29,5^ aufweist. Von da ab nimmt die Temperatur
bis zu einer Tiefe von 700 m ab, wo sie 21,5^ beträgt und bis zum
Böden sich konstant erhält.
Diese Temperatur entspricht sehr nahe der Wintertemperatur in
der Umgegend des Eoten Meeres.
Ähnliche Verhältnisse machen sich in Meeresteilen, welche, wie
die sogenannte Sulusee zwischen Borneo Mindanao und den Suluinseln,
scheinbar in freier Kommunikation mit dem Ocean stehen. Durch eine
Bodenerhebung von etwa 730 m Tiefe wird dieser Meeresteil vom Ocean
abgeschlossen, wodurch die Temperatur zwischen dieser Tiefe und dem
Boden (4670 m) sich konstant auf einer höheren Temperatur (10,2 ^ C.)
als die gleichen Tiefenstufen des Oceans erhält (vgl. S. 367).
Eigentümliche Temperaturverhältnisse zeigen das Schwarze Meer
und die Ostsee, deren Oberflächenwasser durch Zufluss von Flusswasser
einen geringen Salzgehalt gegenüber dem aus den naheliegenden Teilen
des Oceans zuströmenden salzigen Wasser am Boden aufweist.
Als Beispiel mögen folgende Messungen betreff's der Temperatur
und des Salzgehaltes im Schwarzen Meere im Sommer 1890 dienen:
Tiefe 0 25 50 75 100 200 1800 2200 m
Temperatur 23,2 11,6 7,2 7,4 8,0 8,9 9,0 9,3» C.
Dichte (bei 17,5« C.) 1,0136 1,0138 1,0142 1,0148 1,0153 1,0164 1,0172 —
Durch die Zunahme des Salzgehaltes mit der Tiefe wird das kühle
Wasser in der Tiefe 50 m verhindert zum Boden zu sinken.
Infolgedessen ist die vertikale thermische Cirkulation des Meer-
wassers im Schwarzen Meere zu einer Oberflächenschicht von etwa
100 m beschränkt. Dieses Meer verhält sich folglich in seiner wärme-
regulierenden Eigenschaft wie ein relativ seichter See von ausserordent-
lich grosser Oberfläche. Die tieferen Schichten stagnieren gänzlich, kein
Säuerstoff wird zu ihnen von der Oberfläche hingeführt. Durch die
hinuntersinkenden organischen Bestandteile werden die Sulfate dieser
Schichten reduziert und geben Schwefelverbindungen und Schwefel-
wasserstoff. Diese Verunreinigung, die in 90 m Tiefe unmerklich ist,
erreicht in 125, 200 und 500 m Tiefe 71, 215 bezw. 570 cm^ Schwefel-
wasserstoff (bei 0^ und 760 mm) pro Liter. Dadurch wird alles Leben in
grösseren Tiefen als etwa 180 m vernichtet.
Ahnliche Verhältnisse, obgleich nicht so stark ausgeprägt, gelten
auch für die Ostsee. Im Sommer sinkt die Temperatur von etwa 10^
III. Das Meer. 373
bis 15^ C. an der Oberfläche zu einem Minimum Von 1,5^—2^ in 30
bis 70 m Tiefe. Da nimmt wieder die Temperatur zu und bleibt kon-
stant auf 2,5^—3,5^ C. bis zum Boden. Die Wassercirkulation geschieht
bloss zu einer Tiefe von etwa 55 m. Unter dieser Schicht nimmt der
Sauerstoffgehalt stetig ab, der Kohlensäuregehalt dagegen zu, eine starke
Verarmung des Tierlebens mitführend. An vereinzelten Stellen, z. B.
an dem tiefsten Punkte der Ostsee bei Landsort (S. S. von Stockholm),
kommt es sogar nach neueren Untersuchungen zu Schwefelwasser-
stoffbildung am Boden, ohne dass jedoch das Leben daselbst gänzlich
unterdrückt wird.
Maximale Dichte des Meereswassers. Bekanntlich ist es von
grösster Bedeutung für die Temperatur der Binnenseen, dass ihr Wasser
ein Dichtemaximum bei 4^ C. besitzt, welches oberhalb des Gefrier-
punktes liegt. Dadurch wird die Eisbildung an der Oberfläche hervor-
gerufen, und tiefere Wasserteile bleiben bei einer Temperatur von etwa
4^ C. erhalten.
Ein ähnliches Verhältnis trifft nur für schwache Salzlösungen zu,
für starke dagegen nicht, wie u. a. Eosettis Untersuchungen beweisen.
Bei zunehmendem Gehalt einer Lösung von Chlornatrium sinkt das
Dichtemaximum erst langsamer, dann schneller, und zwar bis zu einem
Salzgehalte von 4 Proz. mit etwa 2,4^ C. für jeden Prozent. Dagegen
sinkt der Gefrierpunkt einer Chlornatriumlösung anfangs etwas schneller,
dann etwas langsamer, mit steigendem Salzgehalte, und zwar nimmt der
Gefrierpunkt im Mittel 0,58^ C. für jedes Prozent Chlornatrium ab. Eine
vierprozentige Salzlösung hat demnach ein Dichtemaximum bei etwa
— 5,6^ seinen Gefrierpunkt aber bei — 2,32^. Der Gefrierpunkt liegt
also, umgekehrt wie beim Wasser, oberhalb des Dichtemaximums. Dies
trifft für Salzlösungen von höherem Salzgehalte als 2,2 Prozent zu. In
ähnlicher Weise verhält sich das Meereswasser, dessen Hauptsalzgehalt
aus Chlornatrium besteht. Meereswasser von mittlerem Salzgehalte hat
sein Dichtemaximum bei etwa — 3,6^ und den Gefrierpunkt um —2,2^ C.
Diese Eigenschaft, oberhalb der Temperatur des Dichtemaximums zu
gefrieren, besitzen die Meereswässser, die mehr als etwa 2,5 Proz. Salz
enthalten.
Die Farbe der Meere. Die Farbe des Meereswassers wechselt
innerhalb sehr weiter Grenzen, die gewöhnlichsten Farben sind grün
und blau und Übergänge zwischen diesen. Man hat viel darüber ge-
stritten, woher diese Farbe hauptsächlich herrührt. Sicher ist, dass die
Färbung auf den im Wasser suspendierten Teilchen organischen und
374 Physik der Erde.
anorganischen Ursprunges beruht. Keines Wasser absorbiert das rote
Ende des Spektrums in höherem Grade als das blaue. Deshalb
enthält Licht, welches durch eine längere Wassersäule gegangen ist,
einen Überschuss an blauen Strahlen, gegenüber den roten, und erscheint
bläulich. Wenn also die reflektierenden Teile im Wasser sehr tief
liegen, sollte es blau erscheinen. Wahrscheinlicherweise bildet jedoch
dieser Umstand nicht den Hauptgrund der Blaufärbung des Meeres,
sondern die Blaufärbung des Meeres hat dieselbe Ursache wie diejenige
der Luft. Kleine suspendierte Teilchen reflektieren alle Farben, aber
je kleiner sie sind, desto stärker wird die Reflexion im Blau (und Ultra-
violett) gegenüber derjenigen im Rot.
Wenn aber sehr grosse Körner im Wasser schweben, so werden
alle Lichtgattungen ungefähr gleich stark reflektiert, das Wasser er-
scheint grau oder weiss. Dies ist der Fall mit Flüssen, welche von
Gletschern herunterkommen und sehr viel und groben Detritus mit sich
schleppen. Sie werden auch auf Island und in Norwegen „hvit-aar",
d. h. weisse Bäche, genannt. Infolge der Eigenfarbe des Schlammes
kann die Färbung einen gelblichen bis bräunlichen Ton annehmen, wie
man häufig an Flüssen, welche ihr Wasser von lehmhaltigen Gegenden
erhalten, beobachten kann. Derselbe Fall trifft für das „gelbe Meer" zu,
in welches Hoang-ho („der gelbe Fluss") kolossale Mengen von fein ver-
teiltem Löss hineinschwemmt, ebenso für das Meer ausserhalb der
Kongomündung. Senken sich nun die gröberen Partikelchen zum Boden,
so verschwindet erst das Rot des Spektrums im reflektierten Licht, das
Meer sieht grün aus. Dies ist die gewöhnliche Farbe des Meeres in
nicht all zu tiefen Teilen, wie z. B. der Ostsee (flaschengrün), der Nord-
see, der Bank- und Küstengewässer, ebenso wie der meisten Flüsse und
Binnenseen. Am schönsten ist die grüne Farbe (aquamarin) über Kreide-
boden, wie im englischen Kanal, ist der Boden schlammig, wie in der Nord-
see, wird das Grün gelblich und trübe. Weiter von der Küste, wo weniger
Sediment sich befindet, also die schwebenden Partikelchen noch winziger
sind, geht auch die Reflexion des gelben im Spektrum verloren und
man erhält Farbentöne, die in grünblau bis reinblau übergehen. Die
blaue Farbe ist in allen tiefen Meeren vorherrschend. Diese Farbe ist
um so tiefer, je stärker die Sedimentation, d. h. je höher die Temperatur
und der Salzgehalt sind. Deshalb zeichnen sich der Golfstrom und der
Kuro-Schio („der blaue Strom") durch tiefblaue Farbe gegen die Um-
gebung ab. Dabei kann aber bisweilen das Wasser sehr viele kleine
Organismen enthalten, wie z. B. in dem Californischen Meerbusen und
l III. Das Meer. 375
dem Koten Meer, deren Wasser durch kleine rote Krustaceen bczw.
durch rote Korallenstöcke rötlich gefärbt erscheint.
Ebenso sind Streifen im grönländischen Meer von Diatomaceen grün
gefärbt. Solche Färbungen können ganz zufällig sein, wie z. B. die an
Bord der „Gazelle" im Nov. 1875 beobachtete grüne Färbung des Meeres
zwischen Neu-Seeland und den Fidschi-Inseln. Diese ungewöhnliche Fär-
bung stammte von Massen von Salpen.
Sehr sonderbar ist die bisweilen — nur bei Nacht — auftretende
Milchfarbe des Meeres, wodurch dasselbe einer schneebedeckten Land-
schaft ähnelt, und welche durch phosphoreszierende Organismen hervor-
gerufen wird. Sie kommt am häufigsten im Indischen Ocean vor.
Das allerreinste Wasser sollte aus mangelnder Keflexion schwarz
erscheinen. Diese Farbe wird auch als für einige Alpenseen charak-
teristisch angegeben. Die schwarzen Gewässer, welche man im Norden
häufig beobachtet, erhalten ihre Farbe für gewöhnlich aus Humussäure,
welche von vermodernden Organismen herstammt.
Zur genauen Bestimmung des Farbentons eines Wassers bedient
man sich einer Farbenskala, welche von gelb (Lösung von Kalium-
chromat) bis blau (Lösung von Kupfersulfat) geht.'
Die Durchsichtigkeit des Wassers. Schon seit mehr als
hundert Jahren misst man die Durchsichtigkeit eines Wassers in der
Weise, dass man eine weiss angestrichene Holzplatte, welche durch Be-
lastung wagerecht gehalten wird, in das Wasser hineinsenkt, bis man
sie nicht mehr wahrnehmen kann. Die entsprechende Tiefe wird als
Maass der Durchsichtigkeit des betreffenden Wassers angesehen. Für
gewöhnlich verschwindet die Sichtbarkeit schon in einer Tiefe von etwa
10 m; im klaren blauen Wasser des Genfer Sees fand Forel diese Tiefe
im Sommer gleich 6,6 m, im Winter gleich 12,7 m.
Ein anderes Maass hat man in neuerer Zeit verwendet, indem man
in Glas eingeschlossene photographische Platten bis zu verschiedenen Tiefen
ins Meer hineinsenkte und die Tiefe beobachtete, in welcher nach einer
bestimmten Expositionszoit keine Lichtwirkung auf die Platte zu finden
war. Diese Verschwindungstiefe ist viel grösser als die vorhin erwähnte
(im Mittel bei den von Forel getroffenen Anordnungen etwa acht mal).
Die beiden Bestimmungsweisen ergeben nicht einander proportionale
Tiefen, weil ganz andere Strahlengattungen auf das Auge, als auf die
empfindliche Platte einwirken.
Die Verschwindungstiefe ist natürlicherweise (an klaren Tagen)
um so grösser, je höher die Sonne steht. So veränderte sich im Golfe
376 Physik der Erde.
von Neapel die Verschwindungstiefe, photographisch gemessen, zwischen
400 und 465 m, wenn die Sonnenhöhe zwischen 50^ und 68^ zunahm.
Wegen der Schnelligkeit des Sinkens von suspendierten Partikeln in
Salzwasser, verglichen mit derjenigen in Süsswasser, ist das Meer viel
durchsichtiger als die süssen Binnenseen. Den Zusammenhang mit der
auch von suspendierten Partikelchen abhängigen Farbe des Meeres
ersieht man aus folgender kleinen Tabelle von Forel:
Mittlere Verschwindungstiefe (optisch): 15,8 10,2 23,2 26,7 m
Färbung des Meerwassers: grün grünblau mattblau blau.
Durch Versuche mit reinem Wasser in Röhren hat man nach
photometrischen Methoden ermittelt, dass eine Wassersäule von 5 m
Länge zwei Drittel des einfallenden Lichtes verschluckt. Durch 300 m
Wasser vermag kaum eine Spur von Licht durchzudringen. Diese Ver-
suche zeigen auch, dass die Durchsichtigkeit des Wassers mit steigender
Temperatur abnimmt.
Es ist denn offenbar, dass kein Licht in die grösseren Tiefen des
Meeres hineindringt. Infolgedessen kann auch kein Pflanzenleben, das
zur Assimilation Licht nötig hat, in tieferen Schichten des Meeres vor-
kommen. Das Pflanzenleben erreicht eine Maximaltiefe von etwa 360 m.
Die grüne Farbe der in höheren Schichten lebenden Vegetation geht
in tieferen Schichten, zu einer violetten oder rötlichen über. Unter
80 m Tiefe ist die Flora sehr spärlich. In den grossen Tiefen kommt
auch nur animalisches Leben vor. Sehr eigentümlich erscheint es, dass
eine grosse Menge dieser in grossen Tiefen lebenden Tiere mit eigenen
Organen zur Entwickelung von phosphorescierendem Licht versehen sind,
was darauf hindeutet, dass das Licht für sie von grosser Bedeutung ist;
es dient wahrscheinlicherweise als AbschreckmitteL
Eine ähnliche Phosphorescenz zeigen auch mehrere näher an der
Oberfläche lebende Tiere, welche das Meeresleuchten zustande bringen.
Dieses Leuchten kommt in allen Zonen vor, so auch in der Ostsee und
der Nordsee (im Herbst), aber am prächtigsten entwickelt es sich in den
Tropen. Das Leuchten ist am hellsten, wo das Wasser umgerührt wird.
Das Wasser am Buge und an den Rudern eines Bootes glänzt bisweilen
wie Feuer. Das Phosphorescenzlicht ist kontinuierlich mit einem Maximum
im Grün und sehr schwach gegen die Enden des Spektrums. Es sind
zum grössten Teil die kleinen Organismen, welche zum „Plankton",
d. h. der in dem Meer herumtreibenden grossen Menge von kleinen
Lebewesen, gehören, welche dieses Leuchten hervorbringen. Das Plankton
III. Das Meer. 377
ist für die Charakterisierung des Meerwassers von sehr grosser Bedeutung,
weil es den höheren darin befindlichen Tieren zur Nahrung dient, wes-
halb sie das Vorkommen dieser höheren Tiere, z. B. des Herings, in ge-
wissen Wässern bedingen. Es giebt sowohl animalisches als vegeta-
bilisches Plankton. Die nordischen Gewässer sind relativ reich an
Plankton, das aber wenige Arten enthält.
Auch von höheren Organismen giebt es ungeheure Mengen, welche
auf dem Meere herumtreiben. Besonders Stücke von Tangen, welche
durch die Meereswogen losgerissen werden, spielen dabei eine grosse
Rolle, w^eil sie durch Luftblasen schwimmend erhalten werden. Von
den Luft- und Meeresströmungen werden sie auf dem Meere herum-
getrieben und sammeln sich da an in grossen Mengen, wo Windstille
herrscht und keine Meeresströmungen vorkommen. Sie bilden da die
sogenannten Sargassomeere, wovon das bedeutendste im Atlantischen
Ocean zwischen 21^ und 34^ n. Br. und 39^ und 75^ w. L. liegt.
Die Meeresströmungen. Theoretisches. Schon bei der Be-
sprechung des Salzgehaltes und der Temperatur in den verschiedenen
Teilen des Weltmeeres musste bei mehreren Gelegenheiten auf den
grossen Einfluss der Meeresströmungen hingewiesen werden. Sie sind
auch von der allergrössten Bedeutung in klimatologischer Hinsicht.
Es giebt viele Ursachen, welche eine Cirkulation des Meereswassers
bedingen. In der Nähe des Äquators bewirkt die starke Sonnenstrahlung
eine viel grössere Abdunstung als diejenige, welche von der Wasser-
zufuhr durch die Flüsse und dem Niederschlag gedeckt werden kann.
Andererseits verhält es sich gerade umgekehrt in den polaren Gegen-
den, wo von dem Niederschlag und den Flüssen kolossal viel Wasser
dem Meere zugeführt wird und die Verdunstung wegen der niedrigen
Temperatur ausserordentlich gering ist. Es muss also fortwährend
von den polaren Gebieten Wasser zu den äquatorialen hinströmen, wo
es allmählich verdunstet. Der zweite Teil des Kreislaufes des Wassers
geht durch die Luft und die Flussläufe.
Zufolge der niederen Temperatur sinken die polaren Gewässer,
welche wohl zum grössten Teil bei dem Schmelzen des arktischen
Eises entstanden sind, in die Tiefe hinab und gelangen längs dem
Meeresboden zu den äquatorialen Gebieten. Dadurch bewirken sie die
eigentümlich erscheinende niedrige Temperatur am Meeresboden.
Durch diesen Umstand wird ein allmähliches Nachsinken des Polar-
wassers gegen den Äquator bewirkt.
Die häufig starken Strömungen, welche an der Meeresoberfläche
378 Physik der Erde.
beobachtet werden, verdanken ihr Dasein hauptsächlich dem Stoss des
Windes, wie schon lange die Seeleute sich den Vorgang vorgestellt
haben. Damit ein erheblicher Strom entsteht, müssen aber die Winde
lange Zeit in derselben Richtung wirksam sein. Die Luft und das Wasser
l)ilden zwei Kontinua mit einem sehr plötzlichen Übergange an der Ober-
tiäche. Wenn nun die beiden Kontinua sich gegeneinander verschieben,
so ist das Gleichgewicht, wie Helmholtz gezeigt hat, nicht länger
stabil, falls die ßegrenzungsfläche eben ist, sondern es entsteht eine
Wellenbewegung, worüber unten mehr berichtet werden soll. Ausserdem
linde t aber auch eine Reibung an der Grenzfläche statt, welche bestrebt
ist, die relative Geschwindigkeit zu vermindern. Die obersten Schichten
des Wassers werden infolgedessen von dem Winde mitgeschleppt. Diese
Schichten ziehen andere tiefer liegende zufolge der inneren Reibung mit.
Die Bewegung dringt also tiefer und tiefer hinein, je länger die Be-
wegung an der Oberfläche dauert. Die Mitteilung der Bewegung nach
unten geschieht nach Gesetzen, die sehr ähnlich denjenigen der Wärme-
leitung sind.
Eine nähere Untersuchung der theoretischen Seite dieses Gegen-
standes ist von Zöppritz ausgeführt worden.
Die Tiefe, zu welcher eine hin- und hergehende Bewegung, wie der täg-
lich periodische Land- und Seewind in die Wogen hineindringt, wird eine
sehr massige, ebenso wie die tägliche Wärmeschwankung zufolge der Sonnen-
strahlung nur in sehr geringe Tiefen unter der Erdoberfläche fühlbar ist.
Dabei ist es zu bemerken, dass die innere Reibung mit steigender Tem-
peratur stark abnimmt, sie ist etwa halb so gross bei 25 ^ wie bei 0^,
weshalb die Bewegung in kältere Wässer tiefer als in wärmere, und
in 25^ warmes Wasser halb so tief wie in solches von 0*^ hineindringt.
Auch der Salzgehalt hat einen Einfluss auf die innere Reibung des Was-
sers, derselbe ist aber sehr gering, indem die Reibung durch Zusatz
von 1 Proz. Salz um etwa 0,015 zunimmt. Da nun der Salzgehalt im
Ocean nahezu konstant ist, so können wir von diesem Einfluss absehen.
Zöppritz hat eine Berechnung ausgeführt, wie schnell die Be-
wegungen bei einer Temperatur von 10 ^ C. ins Meer hineindringen.
Er fand, dass 239 bezw. 41 Jahre nötig sind, damit die Bewegung in
einer Tiefe von 100 m die Hälfte, bezw. ein Zehntel der Geschwindigkeit
der als konstant angenommenen Bewegung an der Oberfläche erreicht.
Dabei wird vorausgesetzt, dass am Anfang alle Teile stillstanden
ausser denjenigen in der Nähe der Oberfläche. In Wasser von 0^ bezw.
25^ C. würde die erreichte Tiefe in derselben Zeit 1,37 bezw. 0,68 mal
M
III. Das Meer. . 37g
SO gross sein. Die Keibimg entspricht dem Wärmeleitungsvermögen
bei den thermischen Untersuchungen.
Ebenso wie die Wärme dringt die Bewegung zu Tiefen hinein, die
der Quadratwurzel aus der Wirkungszeit proportional sind. Damit also
die Bewegung in 10 m Tiefe 0,5 v bezw. 0,1 v betrage, wenn v die Ober-
flächengeschwindigkeit bezeichnet, sind 2,39 bezw. 0,41 Jahre erforder-
lich. Man sieht daraus, wie äusserst wenig tief die Bewegungen von
nicht sehr langer Periode eindringen. Die Monsunwinde in Indien haben
eine Periode von einem Jahre, sodass man sagen kann, dass sie etwa
ein halbes Jahr in die eine (von Osten längs der indischen Küste im
Dez. — Febr.), das andere halbe Jahr in die andere Kichtung wehen.
Diese Monsune bringen Meeresströmungen von derselben Periode an
der Meeresoberfläche hervor."
Es dringt diese Bewegung nach der Theorie nur zu etwa 10 m
Tiefe mit 0,1 ihrer Amplitude hinein, nach dem was oben gesagt
wurde. Wegen der höheren Temperatur an der Oberfläche (als 10^)
wäre das genannte Hineindringen sogar auf etwa 9 m beschränkt.
Noch weniger wirksam sind die Luftbewegungen von täglicher
Periode, welche 1/^365, d. h. etwa 1 9 mal weniger tief als die jährlichen,
hineindringen, deren Amplitude also schon in 0,4 m Tiefe auf 0,1 der-
jenigen der Oberfläche reduziert sein sollte.
Die Abnahme der Amplitude mit der Tiefe geschieht so wie die-
jenige der Temperatur, wenn dieselbe an der Oberfläche schwankend ist:
Wenn die Tiefen nach einer arithmetischen Reihe zunehmen, so nehmen
die Amplituden der periodischen Schwankung nach einer geometrischen
Keihe ab. Die Maxima und Minima sind in der Tiefe gegen diejenigen
an der Oberfläche verspätet, ebenso wie bei der Wärmeleitung durch
die Erdkruste. Zöppritz hat berechnet, dass bei einer Periode von
1 Jahr Länge ein Minimum in 11,9 m Tiefe gleichzeitig mit dem Maximum
an der Oberfläche eintrifft. Für eine Schwankung, deren Periode einen
Tag beträgt, ist der Abstand zwischen einem Maximum und dem darauf
folgenden Minimum 1^365 mal geringer, d. h. etwa 0,6 m.
Bei der Ableitung dieser Sätze wird es vorausgesetzt, dass gar keine
mechanische Umrührung stattfindet, was natürlicherweise keineswegs, er-
füllt" ist (vgl. S. 410). Dies geschieht, wenn nicht in anderer Weise,
dadurch, dass in der Übergangszone zwischen zwei Flüssigkeitsschichten
von verschiedener Geschwindigkeit Wirbelbewegungen entstehen. Die
dadurch hervorgerufene Umrührung bringt immer ein tieferes Ein-
dringen zustande als die Theorie verlangt.
380 - Phj'sik der Erde.
Wie man aus dem Gesagten ersieht, können die periodischen
Strömungen nur eine unbedeutende Mächtigkeit erreichen. Die bedeu-
tendste Strömung dieser Art ist der im indischen Ocean nördlich vom
Äquator herrschende Monsun -Strom, welcher im Sommer nach Osten,
im Winter nach Westen gerichtet ist. Damit die mächtigen Ströme
entstehen, welche die grosse Cirkulation im Weltmeere hervorbringen,
müssen Winde von stetigem Charakter wirksam sein, wie dies in den
Passatregionen zutrifft.
Wenn ein stetiger Wind über einer Wasseroberfläche von einer
gewissen Tiefe weht, so wird, theoretisch genommen, der Endzustand
sich so verhalten, dass die Geschwindigkeit linear mit zunehmender
Tiefe abnimmt. Wenn also die Geschwindigkeit an der Oberfläche v
genannt wird, so ist sie am Boden (Tiefe h) 0, in der Tiefe 0,1 h bezw.
0,5 h erreicht sie die Werte 0,9 v bezw. 0,5 v u. s. w. Dies entspricht
gänzlich der Temperaturverteilung in einer gleichförmig leitenden Masse,
die von zwei parallelen Oberflächen begrenzt wird, welche die Temperaturen
V und 0 besitzen.
Da nun entgegen dieser theoretischen Ableitung die grossen Meeres-
ströme im allgemeinen nicht bis zum Meeresboden gespürt werden, so
kann dies nur davon abhängen, dass in tieferen Schichten andere
Strömungen herrschen. Der Golfstrom erreicht eine sehr beträchtliche
Tiefe, welche häufig 1000 m tibersteigt, an der Westküste von Irland
sogar bis zu 1800 m hinuntergeht.
Krümm el hat einige interessante Versuche gemacht, um den
Mechanismus nachzuahmen, welcher die Meeresströme hervorruft. In
ein rechteckiges Gefäss (siehe die Figur 132) legte er zwei feste Körper
a und h ein, welche ungefähr die Kontouren der westafrikanischen und
brasilianischen Landmassen in der Nähe des Äquators darstellen. Den
übrigen Teil des Gefässes füllte er mit Wasser, welches demnach dem
Atlantischen Ocean entsprechen soll. Über der Wasseroberfläche brachte
er mit Hilfe von Gebläseröhren Luftströmungen p^ und p^ zustande,
welche den in diesen Gegenden herrschenden Passatwinden ähnlich ge-
richtet waren. Mit Hilfe von kleinen Schwimmkörpern konnte er den
Bewegungen des Wassers an der Oberfläche folgen. Die Richtung dieser
Bewegungen werden durch die Pfeile in der Figur gekennzeichnet. Er
erhielt auf diese Weise eine dem thatsächlich in der Nähe des Äquators
im Atlantischen Meere herrschenden Strömungssystem ähnliche Strom-
verteilung. Die in der Figur nach links gerichteten Strömungen ent-
sprechen dem Nord- bezw. Südäquatorialstrom. Die Rückströmung in
in. Das Meer.
381
der Mitte und längs der unteren Seite von h entspricht dem Guinea-
strom, die oben und unten nach rechts verlaufenden Ströme repräsen-
tieren den Golfstrom bezw. den 'Westwindtrift.
Aus diesem Beispiel ist auch der Einfluss der Landkonturen er-
sichtlich. Die hervorragenden Ecken von a und h teilen die Strömungen
entzwei, wie es in der Natur geschieht. Ein anderer Umstand, welcher
in geringerem Grade die Richtung der Ströme beeinflusst, ist die Achsen-
drehung der Erde (Mohn), welche die Strömungen auf der Nordhalbkugel
nach rechts, diejenigen auf
der Südhalbkugel nach links
abbiegt. Einen modifizieren-
den Einfluss können zufällige
Winde und ungew^öhnliche
Luftdruckverhältnisse aus-
üben.
Methoden zur Beob-
achtung der Meeres-
strömungen. Die Anwe-
senheit von Meeresströmun-
gen ist schon lange bekannt.
Die Seefahrer haben den Fig. 132.
störenden Einfluss derselben,
seitdem Oceanfahrt betrieben wurde, erkannt. Die Notizen über die an
Schiffen beobachteten Stromversetzung, wodurch der Kurs des Schiffes
von dem berechneten sich unterscheidet, haben wichtige Beiträge zur
Kenntnis der Meeresströmungen geliefert (Maury).
Zur Bestimmung der Geschwindigkeit der Meeresströmungen werden
Schwimmkörper von einem verankerten Schiffe ausgeworfen, deren Bahn
in einer bestimmten Zeit ermittelt wird. Gewöhnlich wird dazu der
Schififslog benutzt, mit dem man für gewöhnlich unter Annahme, dass
das Wasser still steht, die Geschwindigkeit des Schiffes misst.
Schwimmende Körper treiben häufig auf dem Meere herum und können,
wie Hölzer, Früchte oder Pflanzenfceile, Wrackteile (vgl. S. 384) oder Flus's-
körper der Fischernetze, oft in Bezug auf ihre Herkunft bestimmt werden.
Dadurch kann man interessante Schlüsse über das Bestehen von Meeres-
strömungen zwischen zwei Orten ziehen; über die Geschwindigkeit er-
hält man meistenteils keine Anhaltspunkte. Als Beispiel, wie weit
solche Körper treiben können, möge angeführt werden, dass man auf Spitz-
bergen Bohnen der tropischen Pflanze Entada gigalobium gefunden hat.
382
Physik der Erde.
Von Schiffen werden häufig sogenannte Flaschenposten ausgeworfen.
Dieselben bestehen aus einer sehr gut verkorkten Flasche, worin ein
Papier mit den gewünschten Notizen und ausserdem Angaben von Ort
und Zeit beim Hinauswerfen eingelegt
wird. Sie werden von anderen Schiffen
oder Fischerbooten oder endlich von
Strandbewohnern nach ihrer Strandung
^ I -r \M y~~p aufgenommen. In vielen Fällen kann
\ 1 man dann die Treibezeit bestimmen und
Fig. 133. auf diese Weise eine Nachricht über die
Strömungsgeschwindigkeit erhalten. Solche
Flaschenposten werden häufig eigens zur Ermittelung des Ganges der
Meeresströmungen hinausgeworfen.
Zur Untersuchung von tieferen Strömungen verwendet man einen
Apparat von Aime (Fig. 133). Dieser Apparat besteht aus einer Art
Windfahne P, welche in das Meer zur gewünschten Tiefe hinunterge-
senkt wird. An der Windfahne, welche sich in
der Richtung der Meeresströmung einstellt, ist oben
eine dicht verschlossene Dose (M) mit Glasdeckel be-
festigt. In derselben schwingt eine Magnetnadel frei
auf einer Spitze. Durch irgend eine Vorrichtung kann
diese Nadel in ihrer Gleichgewichtslage arretiert wer-
den, bevor der Apparat hinaufgezogen wird. Man
liest nachher den Winkel zwischen dem magnetischen
Meridian und der Stromesrichtung ab.
Man kann auch die Geschwindigkeit von der un-
teren Strömung mit Hilfe des folgenden Apparates be-
stimmen. An einer Boje A (Fig. 134) ist mittelst
eines Drahtes h von bestimmter Länge ein grosser Rah-
men c befestigt, in welchem zwei grosse Segeltuch-
stücke senkrecht zu einander ausgespannt sind. Unten
ist ein Senkblei s. Die Strömungsrichtung und Stromstärke ist sowohl
aus der Bewegung wie aus der Neigung von A zu ermitteln.
Schliesslich kann man die Geschwindigkeit der tieferen Ströme mit
Hilfe von einer Schraube ermitteln, die ein Zählwerk in Gang setzt und
nach Zurücklegung von je hundert Umdrehungen ein elektrisches Signal
zum Schiffe absendet (Amsler-Laffon). Die Schraubenachse wird
durch eine Art Windfahne parallel der Stromesrichtung gehalten. Kin
anderer Apparat ist auf das Prinzip des Robinson sehen Schalen- Anemo-
Fig. 134.
III. Das Meer. 3§3
meters zum selben Zweck konstruiert (von Arwidson). Derselbe kann
in einem gegebenem Moment vom Schiff aus arretiert oder in Gang ge-
setzt werden.
In neuester Zeit hat Nansen einen „Strommesser" konstruiert,
welcher als eine Verbesserung des später zu besprechenden Stromqua-
dranten anzusehen ist. Eine hohle Glaskugel ist an einer Pendelstange
befestigt, welche mittelst eines biegsamen Fadens oben an einem mit
Senkblei versehenen Kahmen befestigt ist. Durch ein längs der Stange
verschiebbares Metallgewicht kann der Auftrieb des aus Kugel und
Stange bestehenden Systemes nach Belieben reguliert werden. In dieser
Weise kann die Empfindlichkeit des Apparates beliebig gesteigert werden.
Die Geschwindigkeit der Meeresströmung in einer bestimmten Tiefe,
zu welcher der Kahmen hinuntergelassen wird, kann aus der Ablenkung
der Pendelstange von der vertikalen Lage bemessen werden. Diese Ab-
lenkung und die Eichtung einer in der Nähe befindlichen Magnetnadel
werden vor dem Aufziehen durch mechanische Mittel fixiert. Die Ab-
lenkung ist dem Quadrat der Wassergeschwindigkeit nahezu propor-
tional.
Mit Hilfe aller der so gewonnenen Erfahrungen hat man Karten
(Fig. 135) über die Eichtung der Meeresströmungen entworfen. Zuerst
möge bemerkt werden, dass die Winde auch etwas zu den vertikalen
Strömungen beitragen. Wo der Wind stetig von der Küste weg weht,
wird das Wasser weggefegt und neues strömt aus der Tiefe zu. Dieses
Bodenwasser macht sich durch seine Kälte bemerklich. Solche Auf-
triebe von kaltem Wasser befinden sich an der Westküste Amerikas
(Canada und Vereinigten Staaten, sowie Peru) und Afrikas (Marokko,
Kongo und Benguelaküste)", ebenso wie an der Somaliküste (Ostafrika).
Die wichtigsten Meeresströmungen. Die Horizontalströmungen
des Meeres sind in der nachstehenden Karte (Fig. 135) eingezeichnet. Die
Hauptströmungen bilden Wirbel, deren Drehrichtung auf der zum Äquator
gewandten Seite von 0 nach W gehen. Es giebt zwei solche grosse Wirbel
auf der nördlichen Halbkugel im Stillen Ocean zwischen 10^ und 50^
n. Br. und im Atlantischen Ocean zwischen 10^ und 30^ n. Br., drei
auf der südlichen, einer im Stillen Ozean zwischen 5^ und 45^ s. Br.,
einer im Atlantischen Ocean zwischen 0^ und 40^ s. Br. und einer im
Indischen Ocean zwischen denselben Breiten. Von diesen sind die zwei
Wir])el im Stillen Ocean die bei weitem bedeutendsten. Südlich von
den drei Wirbeln der südlichen Hal])kugel herrscht der von West nach
Ost gerichtete antarktische Strom. Im hohen Norden geht ein Strom
384
Physik der Erde.
ITT. Das Meer.
385
von Ost nach West nördlich von der sibirischen Küste bis Nordost-
gTönland, dann folgt sie der Ostküste Grönlands bis sie an der Südspitze
verschwindet (sich mit einem Zweig des Golfstromes längs der West-
küste Grönlands mischt). Von Baffinsbay geht ein zweiter Polarstrom
aus („the cold wall"), welcher der Ostküste Nordamerikas folgt. Ein
ähnlicher Polarstrom, von Behringssund und dem Ochotskischen Meer
anfangend, kühlt die ostasiatische Küste ab.
Die für uns interessanteste Meeresströmung ist der Golfstrom,
welcher in der Meeresenge südlich von Florida anfängt. Sie ist eigent-
lich eine Abzweigung des nördlichen Äquatorialstroms. In der Yucatan-
strasse hat sie eine Tiefe von nur 400 m und transportiert etwa 17000
Kubikkilometer in 24 Stunden, d. h. 0,2 Kubikkilometer pro Sekunde.
Im Floridakanal ist ihre Tiefe etwa 800 m, ihre Geschwindigkeit in der
Mitte beträgt nach Bartlett und Sigsbee im Mittel 134 km pro Tag,
mit einem Maximum von 220 km pro Tag, entsprechend 1,5 bis 2,5 m
pro Sekunde. Dies sind Geschwindigkeiten, die der Rhein bei Koblenz
kaum bei Hochwasser erreicht (1,88 m pro Sekunde). Nachher folgt
sie der amerikanischen Küste, bis sie auf dem 40. Breitegrade in nahezu
gerade östlicher Richtung abbiegt. Weiter nach Osten tritt die Zer-
faserung des Golfstromes ein, indem ein Teil nach Südost abbiegt und
parallel der marokkanischen Küste als nordafrikanische Strömung fliesst.
Ein anderer Zweig sucht sich nach Nordost zur Küste Irlands, wovon
Abzweigungen zur Dänemarkstrasse (zwischen Island und Grönland)
und zur norwegischen Küste ausgehen, welche letztere dann nach
Osten zur Küste von Novaja Semlja und Sibirien hinstrebt. Eine
andere Verzweigung bespült die Westküste von Spitzbergen und hält
das Meer da offen. Sie hebt sich durch ihre blaue Farbe gegen das
grünliche Polarmeer ab. An der Bäreninsel, in der Mitte zwischen
Spitzl)ergen und der norwegischen Küste begegnet sie einer polaren
Strömung, wodurch diese Gegend durch starke Nebelbildung charakteri-
siert wird.
Der grosse Ocean besitzt im Kuro-Schio eine dem Golfstrom ähnliche
Strömung, welche durch ihre tiefblaue Farbe sich vom übrigen Meer
unterscheidet. Sie zweigt in der Nähe von Mindanao von der nördlichen
Äquatorialströmung ab, bespült die Küsten von Formosa und Japan,
bildet dann einen mächtigen Bogen nach Osten und fliesst als Cali-
fornischer Strom an der Westküste Nordamerikas zum nördlichen Äqua-
torialstrom zurück.
Diese Meeresströme führen einen ungelieuren Wärmevorrat mit sich
Arrhenius, Kosmische Physik. 25
3 §(3 Physik der Erde.
und bilden dadurch einen höchst bedeutenden klimatischen Faktor,
indem sie einen. Teil ihrer Wärme an die Luft abgeben. Das Gegen-
teil gilt für die vom Norden kommenden kalten Ströme. Die Biegungen
der Jahresisotherme des Meeres (Fig. 127 — 128) zeigen auch deutlich
die Anwesenheit der betreffenden Ströme an; indem sie bei warmen
Strömungen lange Zungen gegen Norden, bei kalten gegen Süden aus-
senden.
Bei seinem Gang durch die Floridastrasse besitzt der Golfstrom eine
Temperatur von nahezu 30^ C, also 5^ mehr als das umgebende
Meer. In der Höhe von Newfoundland überstieg seine Temperatur
diejenige der Umgebung mit nicht weniger als 10— 15^ C. im Winter.
Der Kuro-Schio besitzt ebenfalls an der japanischen Küste eine Temperatur,
welche diejenige der Umgebung mit 5 — 10^ C. übertrifft.
Die Temperatur des kalten Stromes an der Küste von Peru beträgt
15-^16 ^ während das umgebende Meer eine Temperatur von 28*^ C.
besitzt. Der Polarstrom an der Ostküste Nordamerikas (der Labrador-
strom) drückt dort die Temperatur bedeutend herab.
Die verschiedene Dichte der verschiedenen Meereswasserschichten
übt nur in besonders begünstigten Fällen eine stromerweckende Wirkung
aus. Dies trifft in den Meeresengen zu, wo zwei Meere von verschiedenem
Salzgehalt aneinander stossen und wo deshalb die Linien für gleiches
spezifisches Gewicht (oder Salzgehalt) sehr dicht aneinander liegen. Es
streben daselbst die verschieden dichten Schichten gewissermaassen umzu-
kippen, sodass die schwereren nach unten fallen, die leichteren sich
auf der Oberfläche ausbreiten. Ein solcher Fall trifft an der Grenze
(Kattegat) zwischen Ostsee und Nordsee ein. Das Ostseewasser breitet
sich auf der Oberfläche aus und nimmt langsam durch Diffusion und
Wirbelbildung an Salzgehalt zu. An der anderen Seite dringt das
Nordseewasser längs dem Boden in die Ostsee hinein und die verschieden
salzhaltigen Schichten bilden keilförmige Ausläufer, welche weit in die
Ostsee hinein sich geltend machen. An der Grenze zu den weniger
salzhaltigen Schichten verlieren die tieferen von der Nordsee hinein-
geströmten Wassermassen allmählich ihr Salz, werden durch Wirbel
mit dem Ostseewasser mitgeschleppt und strömen zum Kattegat zurück.
Ein ähnliches Verhältnis herrscht an dem Eingange zum Mittelmeer
(Gibraltar-Strasse) und es dringt ebenfalls ein Strom (mit einer Ge-
schwindigkeit von 3 — 8 km pro Stunde je nach der Windrichtung) von
relativ salzarmen Wasser aus dem Atlanten hinein, während in grösseren
Tiefen ein salzreicher Gegenstrom vom Mittelmeer hinausgeht. Der Ober-
III. Das Meer. 3g 7
Hächeustrom fliesst danach längs der nordafrikanischen Küste bis nach
Cypern hin. Diese Strömungsweise ist durch die starke Ahdunstung
im Mittelnleere bedingt. Eine gleichartige Einströmung findet in das
Rote Meer statt.
Den grossen Zufiuss von Flusswasser giesst das Azowsche Meer in
einem mächtigen Strom bei Kertsch in das Schwarze Meer aus, welches
wiederum an den Dardanellen mit einem Strom, dessen Oberflächen-
geschwindigkeit 9 — 10 km pro Stunde beträgt, ins Ägeische Meer sein
Wasser ergiesst.
Bei der Mündung der Flüsse nimmt man ähnliche Ströme wahr.
In diesem Fall kann sogar (nach Ekman) die hydrodynamische Wir-
kung der grossen AusÜussgeschwindigkeit bewirken, dass die salzhaltigen
Schichten des Meeres gehoben werden und in entgegengesetzter Richtung
gegen die Flussmündung hinaufsteigen, wovon sie sich längs dem Boden
des Flusses keilförmig ausbreiten.
Die Meeresströme sind für die Schiffahrt insofern von grösster
Bedeutung, als man mit ihrer Hilfe viel schneller vorwärts segeln kann,
als ohne sie. Man hat deshalb „Seewege" auf Karten ausgelegt, bei
welchen immer die Meeresströme förderlich wirken. So z. B. gehen
Segelschiffe von England nach Australien an Südafrika vorbei, während sie
bei der Rückfahrt Kap Hörn passieren. Es ist in gewissen Fällen
gelungen, in dieser Weise die Fahrzeit nahezu auf die Hälfte zu ver-
mindern (Maury).
Das Meereis. Bei genügend niedriger Temperatur geht das
Wasser in feste Form, Eis, über und die Eismassen spielen eine nicht
zu vernachlässigende Rolle in der Cirkulation des Meerwassers und in
der Bestimmung seiner Temperatur, weshalb sie besondere Erwähnung
verdienen.
Das meiste Eis, welches auf dem Meer herumtreibt, ist im Meer
gebildet. Durch Schraubungen werden häufig Eisblöcke aufeinander
geschoben, wodurch die Eisschollen, welche zusammen sogenanntes
„Packeis" bilden, bedeutende Mächtigkeit erhalten können. Sehr grosse
Eisberge werden von den Gletschern abgestossen, wo sie ins Meer aus-
münden. Ein relativ geringer Teil des Meereises ist in den Flüssen
oder Seen gebildet und zum Meer hinausgeschwemmt.
Beim hinreichenden Abkühlen einer Salzlösung unter Null scheidet
sich entweder Eis oder festes Salz aus, das letzte, wenn die Lösung
gesättigt ist. So z. B. friert reines Eis aus nicht all zu gesättigter
Chlornatriumlösung aus, und die Gefriertemperatur sinkt allmählich, je
25*
388 Physik der Erde.
konzentrierter die Lösung* durch die Ausscheidung wird. Anfangs sinkt
die Gefriertemperatur mit etwa 0,58^ für jedes Prozent des Salzgehaltes,
später schneller. Zuletzt sinkt die Temperatur unter — 21^ C, 24pro-
zentiger Lösung entsprechend. Bei dieser Temperatur ist die Lösung
gesättigt, d. h. beim Ausfrieren von Eis muss eine entsprechende Menge
Salz auch aus der Lösung ausscheiden. Es entsteht also bei dieser
Temperatur durch Wärmeentziehung eine Mischung von Eis- und Salz-
krystallen. Bei anderen Salzlösungen liegt dieser Punkt an einer
anderen Stelle der Temperatarskala, z. B. für Kaliumsulfatlösungen
schon bei — 1,9^ (7,5 prozentige Lösung) wegen der verschiedenen Lös-
lichkeit und der verschieden grossen erniedrigenden Einwirkung des
Salzes auf die Gefriertemperatur.
Nach diesem kann man sich leicht eine Vorstellung bilden über
die Art und Weise, in welcher das Meer zufriert. Bei sinkender
Temperatur scheidet sich Eis in Nadeln aus und bildet mit dem dadurch
eingeengten Salzwasser eine Art Brei, wovon das Salz allmählich in die
tiefer liegenden salzärmeren Wasserschichten hineindiffundiert oder teil-
weise in Flüssigkeitsfäden hineinströmt. Später kann es passieren, dass
die Kälte zunimmt, neues Eis sich bildet und dadurch die salzreichen
Wassermassen teilweise ins Eis eingeschlossen werden. Wegen der
geringen Löslichkeit der Sulfate und der starken Abnahme derselben
bei sinkender Temperatur (besonders beim Natriumsulfat, welches das
hauptsächliche Sulfat des Meerwassers ausmacht), frieren diese vor den
Chloriden aus (dasselbe dürfte auch für die geringen Mengen von
Karbonaten im Meereswasser gültig sein). Wenn die Temperatur tief
genug ist und plötzlich sinkt, friert alles in der Nähe der Oberfläche aus,
in tieferen Schichten geht das Ausfrieren langsamer, und die Salze
finden besser Zeit wegzudiffundieren. Deshalb ist, wie Weyprecht
fand, das Eis um so salzhaltiger, je näher die Proben an der Oberfläche
des Eises genommen werden. Bei wiederum zunehmender Temperatur
schmilzt dann erst Eis in der Nähe der Krystalle der Chloride (das
Chlorcalcium dürfte dabei zuerst kommen), löst diese auf, aber lässt die
ausgeschiedenen Sulfatkry stalle ungelöst. Durch aufgespültes Meeres-
wasser, durch Schmelzwasser von der Oberfläche oder durch Regen
werden diese konzentrierten Lösungen ausgewaschen. Es bleiben aber
immer Sulfate (und Karbonate) in grösserer Proportion relativ zu den
Chloriden als in dem Meereswasser zurück. Je älter das Eis ist, desto
besser werden die Salzeinschlüsse entfernt. Altes Meereis wird deshalb
von Polarfahrern zur Trinkwasserbereitung verwendet.
III. Das Meer. 3 §9
Beim Gefrieren einer Salzlösung scheidet sich das Eis in Nadeln,
beim Gefrieren von reinem Wasser dagegen (erst in Nadeln und dann)
in Schollen aus. Deshalb ist das Salzwassereis viel poröser, weisser
(nicht so durchsichtig) und weniger fest als das Süsswassereis. Deswegen
löst jenes sich auch schneller bei steigender Temperatur auf als dieses.
Die Schneemengen, welche auf die polaren Eisfelder niederfallen und
das Regenwasser, welches den Schnee nachher zusammenkittet, überdecken
das ursprüngliche Seeeis mit einer Kruste von Süsswassereis.
Da die Eisbildung auf dem Hineindringen niedriger Temperatur
beruht und dies Hineindringen immer um so langsamer erfolgt, je
dicker die Eiskruste wird, und zwar so dass unter übrigens gleichen
äusseren Verhältnissen zur Entstehung einer Eisschicht von 2 oder
3 cm vier- bezw. neunmal so lange Zeit vergeht wie zur Bildung einer
1 cm dicken, so ersieht man leicht, dass eine übermässig starke Eis-
bildung nicht auf dem Meer stattfinden kann. Die Eisfelder sind auch
selten mehr als etwa 6 — 7 m dick. Im Mittel friert in einem Winter,
nach Weyprecht, eine Eisschicht von 2 — 2,5 m Dicke aus. Im Sommer
taut oder dunstet eine Schicht von 1 — 1,5 m ab. Das unter dem Eis
befindliche Oceanwasser führt Wärme zu, welche die Bildung sehr
dicker Eiskrusten verhindert. Wo das Eis in geschützter Lage gegen
Wind- und Wasserströmungen liegt, kann es sehr dick werden. So
fand Sir Na res im arktischen Nordamerika ein Eisfeld von 46 m
Dicke. Hayes beobachtete ein ähnliches im Smithssund.
Das Eis hat in dickeren Schichten dieselbe blaue Farbe wie
das Wasser. Die Risse und Aushöhlungen in den Eisbergen zeigen
dieselbe prachtvolle himmelblaue Farbe wie die Klüfte im Gletscher-
eis, was wohl hauptsächlich von reflektiertem blauen Himmelslicht
herrührt.
Ganz andere Dimensionen als dieses Eis der Eisfelder können die
Eisberge annehmen, welche von Gletschern herrühren. Sie bersten von
Gletscherwänden von bedeutender Höhe (häufig mehr als 100 m) ab
und besitzen entsprechende Höhen. Da das Eis ein spezifisches Gewicht
von 0,9167 besitzt und die Eisberge nicht ganz dicht sind, etwa einem
spezifischen Gewicht von 0,91 entsprechend, so ist der unter dem Wasser
(im Meere), liegende Teil derselben etwa acht- bis neunmal grösser und
fünf- bis siebenmal höher als der heraufragende Teil. Da die Eisberge
bisweilen höher über die Meeresfläche aufsteigen als die Masten eines
Schiffes, kann man sich leicht eine Vorstellung von ihren ungeheuren
Dimensionen bilden. Man hat sie auch auf Tiefen von 180 m stranden
390 Physik der Erde.
sehen. Nare g'iebt die durchschnittliche Höhe der antarktischen Eis-
berge, wenn sie frisch sind, zu 70 m über dem Wasser an. Sie tauen
aber allmählich im warmen umgebenden Wasser auf, dessen Wellen-
schlag sie auch zerkleinert, aber die grösste zerstörende Einwirkung übt
das in sie hineindringende und zufrierende Wasser aus. Dadurch ent-
stehen die häufig phantastischen Formen, welche den arktischen Meeres-
landschaften einen eigentümlichen Reiz geben. Sie können auch bis-
weilen aus Trümmern wieder zusammenfrieren. Um den südlichen Pol
bildet das Eis eine grosse Eismauer, welche das Vordringen gegen Süden
verhindert, und es unmöglich macht, sich von der geographischen Kon-
figuration dieser Erdteile eine Vorstellung zu bilden. Die Höhe dieser
Wand beträgt 40 — 60 m über der Meeresoberfläche und von derselben
stammt das Eis, welches auf der südlichen Halbkugel gegen den Äquator
strömt. Wenn im nördlichen Eismeer das dünne Eis von den Eisfeldern
auf dem Polarmeer vorwiegt, so gilt das Umgekehrte für das südliche
Eismeer, wo die Eisberge gänzlich vorherrschen. Die Eisberge halten
wegen ihrer grossartigen Dimensionen einen viel längeren Transport
aus, als die relativ dünnen Eisschollen. Die Eisberge dringen auch viel
näher gegen den Äquator vom Süden wie vom Norden her. Sie werden
in der Nähe des Caps der guten Hoffnung (35^ s. Br.) gesehen, ja, am
30. April 1894 fand das Schiff „Dochra" ein Stück Eis auf 26,30^ s. Br.,
welches jedoch unbedeutend war. Auf der nördlichen Halbkugel gehen
sie (im West- Atlanten) bis zu etwa 43 ^ n. Br. bisweilen unter 40^, indem
sie den Golfstrom durchqueren. Der Golfstrom zerätört sie im östlichen
Atlanten.
Die Eisberge sind für die Schiffahrt sehr gefährlich. Teils kippen
sie häufig um und veranlassen dadurch Havarien, teils ist in ihrer
Umgebung das Meer wegen der grossen Temperaturunterschiede von
Nebeln bedeckt, in welchen leicht Zusammenstösse mit Fahrzeugen
oder mit Eisbergen entstehen können. Die Nähe der Eisberge ver-
rät sich indessen schon in ziemlicher Entfernung durch das schnelle
Sinken der Wasser- und Lufttemperatur in ihrer Nähe, wodurch man
gewarnt wird.
Die Eisberge führen häufig bedeutende Massen von Steinabfall mit,
sodass sie bisweilen schmutzig-grau oder sogar schwarz aussehen. Man
hat in früheren Zeiten diesen mitgeführten Mineralbestandteilen grosse
Bedeutung zugeschrieben, jetzt ist man der Ansicht, dass diese Art
Massentransport zu geringfügig ist, um merkliche Folgen zu haben.
Die Steine und der Schutt, welche auf den Eisbergen vorkommen, rüliren
Iir. Das Meer. 39 1
hauptsächlich von Moränenhildimgen auf den Gletschern her. Diese Mo-
ränengesteine fehlen auf den antarktischen Eisbergen, welche nur aus-
nahmsweise Steine von der Küste mitschleppen (vgl. S. 399).
Das Polareis. Durch die Wirkungen von Ebbe und Flut, Wind
und Meeresströmungen entstehen im Eisfeld über dem Polarmeer ge-
waltsame Verzerrungen, Schraubungen, wodurch die Eisschollen auf-
und durcheinander geschoben werden. Im Eis befindliche Gegenstände
erleiden unter solchen Umständen vom Eis ausserordentlich starke
Pressungen. Dadurch sind sehr viele Schiffe, die ins Polareis eingesperrt
wurden, rettungslos zermalmt worden. N ans en baute seine „Fram" absicht-
lich so, dass sie ausserordentlich kräftigen Druck aushalten könnte und
durch Seitendruck in die Höhe geschoben werden würde, was auch gelang.
Durch die Schraubung entstehen massenweise Unebenheiten auf dem
Polareis, wodurch dasselbe beinahe unfahrbar wird. Es erforderte die
ungeheuere Ausdauer von Nansen und Johannsen, von Kapitän
Cagni und seiner Begleiter, um in der Eis wüste vorwärts zu kommen.
Die ganze Eismasse im nördlichen Polarmeer bildet einen ge-
waltigen Eisstrom, indem sie durch den Wind und den Zufluss aus den
sibirischen Flüssen fortgeschoben wird und sich zwischen Spitzbergen
und Grönland ausgiesst. Dabei folgen die Eismassen der Ostküste von
Grönland, indem sie durch den Golfstrom von Spitzbergen ferngehalten
werden. Man hat berechnet, dass jährlich ein Eisfeld von 2 '/4 Millionen
Quadratkilometer mit einer mittleren Dicke von 6—7 m, einem Total-
volumen von 15000 km^ entsprechend, aus dem Polargebiete hinaus-
geschoben wird. Wie gross auch diese Masse erscheinen mag, so ist
sie doch relativ gering gegen die Wassermassen, welche von den grossen
Meeresströmungen befördert werden. Der Golfstrom (in der Yucatan-
strasse) führt z. B. eine gleich grosse Wassermasse in einem Tage, wie
der Polareisstrom in einem Jahre. Es darf natürlicherweise nicht vergessen
werden, dass der Polarstrom nicht nur Eis-, sondern auch noch viel
bedeutendere Wassermassen mitführt.
Die Eisströmung findet hauptsächlich im Sommer statt. Auf den
Eisfeldern, die zufolge der durch Wind und Strom entstehenden Eis-
pressungen mit grobem Packeis erfüllt sind, schmilzt der Schnee vom
Winter und dann der obere Teil des Eises. Das so gebildete Süss-
wasser fliesst zu grossen Tümpeln und seichten Süsswasserseen zusam-
men, welche allmählich durch Risse abfliessen.
In dieser Weise wird das Eis des nördlichen Polarmeeres in einigen
Jahren umgesetzt und es giebt deshalb kein „uraltes Meereis" in den
392 Physik der Erde.
Polarregionen, wie man sich früher häufig vorstellte. Wie aben-
teuerliche Vorstellungen man im Mittelalter von dem alten Eise
hegte, geht aus der Erzählung Adams von Bremen hervor, dass
es auf Island Eis gäbe, das wegen hohen Alters eine schwärzliche
Farbe angenommen hätte und so trocken wäre, dass man es in Brand
stecken könne.
Eine Eigentümlichkeit, die von der Erddrehung herrührt, ist der Um-
stand, dass die Ostküsten der Polarländer und Inseln viel mehr durch Eis
heimgesucht sind als die Westküsten. Sehr auffallende Beispiele bieten
Nowaja Semlja, Franz Josephs-Land, Spitzbergen und Grönland.
Die Eisfelder geben sich in grosser Entfernung durch den „Eisblink"
kund, indem der Himmel (am Horizont) über den Eisfeldern einen hellen
(weissen) Widerschein giebt. Im Gegensatz dazu zeigt der Himmel am
Horizont über Wassermassen einen dunklen Ton. Dieser Unterschied
rührt natürlich von der stark verschiedenen Keflexion des Lichtes an
den Eisfeldern und am Wasser her.
Die Eeise von Nansen bis zum 86. Breitegrad und die Tiefsee-
lotungen, welche dabei gemacht wurden, wobei das Meer eine Tiefe von
mehreren tausend Metern (bis 3800) zeigte, ebenso wie die regelmässige
Eistrift über das polare Gebiet, macht es höchst wahrscheinlich, dass
um den Nordpol herum tiefes Meer liegt. Es scheint also nach Nansens
Meinung nicht wahrscheinlich, dass neue Nordpolarfahrten Entdeckungen
von grösserer Tragweite, sei es in geographischer oder in physikalischer
Beziehung bringen könnten.
Ganz anders liegen die Verhältnisse betreffs des südlichen Erdpols.
Der Umstand, dass man beinahe überall bei der Annäherung zu dem
Antarktis einem dicken Eiswall begegnet, von welchem Eisberge sich
ablösen, deutet darauf hin, dass die Umgebungen des Südpols als festes
Land anzusehen sind. Man hat auch an verschiedenen Stellen grosse
Massen von Festland angetroffen, wie Victorialand und damit zusammen-
hängende Landpartieen (Wilkes Land) südlich von Australien, Enderby-
Land, südlich von der Kergueleninsel und Graham-Land, südlich von
Südamerika. Dicht an dem grossen Eiswall südlich von der Kerguelen-
insel hat die „Challenger'-Expedition Grundproben von grünem und
blauem Thon in Tiefen von 2400—3300 m gewonnen, was auf die Nähe
von Landmassen auch da hindeutet. Diese Landmassen bestehen haupt-
sächlich aus Granit und Gneiss und sind insofern als geologisch zu-
sammengehörig zu betrachten. Wenn nun auch bei einem eventuellen
Abschmelzen des Südpolareises es sich zeigen würde, dass grosse Teile
lil. Das Meer. 393
der Südpolarkalotte vom Meer bedeckt wären, so sind wohl doch diese
Vertiefungen jetzt durch Landeis vollkommen ausgefüllt, wie die Ostsee in
der grossen Eiszeit war und sie spielen deshalb genau dieselbe Rolle
wie eine kontinentale Masse.
Wegen der unzureichenden Kenntnisse, welche wir betreffs dieses
grossen Erdteils besitzen, hat seine Erforschung immer mehr das Inter-
esse der Kulturvölker in Anspruch genommen. Biologische, hydrogra-
phische, geologische, paläontologische, erdmagnetische und meteorolo-
gische Fragen von grosser Bedeutung sind mit dieser Erforschung innig
verknüpft.
IV. Das Wasser auf dem Festlande.
Die geographische Verhreitung des Eises auf dein Fest-
lande. Im Winter fällt in Gegenden, die dem Äquator nicht allzu
nahe liegen, der Niederschlag in fester Form als Schnee. Gleich nach
dem Fallen ist der Schnee von sehr lockerer Konsistenz, indem er sehr
grosse Mengen von Luft (nach schwedischen Messungen) bisweilen bis
zu 11 mal des eigentlichen Schneevolumens einschliesst. Dadurch ist
die Wärmeleitfähigkeit der Schneedecke auf ein Minimum herabgesetzt,
was für die schlummernde Vegetation im Winter von grösster Bedeu-
tung ist. Sie' wird dadurch gegen allzu heftige Abkühlung, welche sie
töten würde, geschützt.
Auch im Schnee können Organismen leben, wie der sogenannte
„rote" oder „grüne Schnee" beweist. Die Färbung rührt von einer Un-
masse kleiner Algen her. Dieselben kommen nur in Gegenden vor, wo
der Schnee das ganze Jahr liegen bleibt.
Wie lange die Schneedecke liegt, hängt von meteorologischen Um-
ständen ab. Diese Zeit kann deshalb in verschiedenen Jahren und zu
verschiedenen Epochen sehr ungleich lang ausfallen.
Der anfangs lockere Schnee verwandelt sich bald unter dem Ein-
flüsse des Auftauens und Wiedergefrierens in einen körnigen Schnee,
Firn genannt. Dieser spielt eine grössere Kolle nur in Gegenden, wo
er das ganze Jahr liegen bleibt, d. h. oberhalb der sogenannten Schnee-
grenze.
Die Höhe der Schneegrenze hängt nicht nur von der Temperatur,
sondern auch in hohem Grade von der Niederschlagsmenge, besonders
der Schneemenge, ab. Die trockne Seite eines Berges hat deshalb eine
viel höhere Schneegrenze als die feuchte. So z. B. liegt die Schnee-
grenze auf der Nord- bezw. Südseite Himalajas auf 5670 bezw. 4930 ni
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 395
Höhe. Im Nordkaukasus, wo der trockne Wind von der Steppe weht,
liegt die Schneegrenze 300—450 m höher wie in den südlicheren Teilen.
An der Magalhaesstrasse, wo der Niederschlag äusserst reichlich ist,
sinkt die Schneegrenze auf 800 m über das Meer.
Die Schneegrenze wird so definiert, dass an derselben im Winter
ebenso viel Schnee fällt, wie im Sommer wegschmilzt. Nach dieser
Definition geht die Schneegrenze nirgends auf der ganzen Erde bis zum
Meeresspiegel. Die niedrigste bekannte Lage hat sie im Kerguelen-
Archipel (300 m), die höchste in den Anden oberhalb von Atacäma
(6000 m) und in Karakorum (Tibet, 5910 m). Ungewöhnlich hoch liegt
sie in Sibirien wegen des trocknen Klimas daselbst. In den Alpen
wechselt sie zwischen 2500 m (nördliche Kalkalpen) und 2900 m (Ortler-
gebiet).
Penck hat folgende Tabelle über die Höhe der Schneegrenze in
verschiedenen Breiten zusammengestellt:
Breite
Nördliche Halbkugel Südliche Halbkugel
0—100 420C— 4700 m (Anden v. Columbia) i 4510—5050 m (Anden v. Ecuador)
10-200 4280—4900 m (Mexiko) 4760-5920 m (Anden)
20—300 3700 (Birma)— 5300 m (Himalaja) 4500 (Ostcordilleren)— 6000 m (Anden)
30-400 2920 (Taurus)-5910 m (Karakorum) 1600—4480 m (Anden)
40—500 1590 (Kaskadengebirge)— 3810 m 300 (Kerguelen)— 2380 m (Neuseel.)
(Kaukasus)
50—600 1 1360 (W. Norwegen)— 3230 m (Sibir.)
60—700 ; 760 (Alaska)-1630 m (0. Norwegen)
550 (Süd-Georgien) -1220m (Feuerl.)
Ein Teil der Schneeanhäufungen, welche oberhalb der Schneegrenze
sich bilden, gleitet in Form von Lawinen (vgl. unten S. 400) zu niedriger
gelegenen Stellen, ein nicht unbedeutender Teil dunstet ab.
Wenn aber der Schnee nicht in der einen oder anderen Weise von den
Gebieten oberhalb der Schneegrenze entfernt wird, so packt sich immer
mehr Schnee und Firn zusammen, bis unter dem wachsenden Drucke
derselbe zusammenschmilzt und einen Gletscher bildet. Solche finden sich
auch in allen Gegenden, welche über die Schneegrenze hinaufragen. Am
mächtigsten sind sie da entwickelt, wo grosse Landstrecken über 'der
Schneegrenze liegen und wo sie ein zusammenhängendes sog. Inlandeis
bilden wie in Grönland und Spitzbergen. Einige Eispartieen in Skan-
dinavien erinnern etwas an das Inlandeis (z. B. Justedalsbräen im west-
lichen Norwegen). Wenn der Boden sehr stark ausmodelliert ist, wie
396 Physik der Erde.
in den Alpen, drängen sich die Firnmassen in enge Thäler zusammen
und üben einen kolossalen Druck aus. Unter solchen Umständen bilden
sich die langen Gletscherzungen, welche tief unter die Schneegrenze
hinunterreichen. Gletscher giebt es auch in der Nähe vom Äquator
auf den Anden und auf dem Kilimandjaro.
Die Bewegung der Gletscher wird durch die Regelation bedingt,
d. h. die Eigenschaft, des Eises unter Druck zu schmelzen, um
bei Nachlassen des Druckes wieder zu frieren. Dadurch erhält das
Eis eine gewisse Plastizität und kann fliessen. Die Geschwindig-
keit nimmt wie in einem gewöhnlichen Flusse vom Rande bis zur
Mitte zu. Um dies zu untersuchen, hat man markierte Steine ausge-
legt und deren Verschiebungen in Bezug auf feste Marken an der Berg-
wand annotiert. Die grösste Geschwindigkeit unter alpinen Gletschern hat
der Mont Talefre- Gletscher, sie beträgt 36 cm pro Tag. Im allgemeinen
variiert die Geschwindigkeit der al-
pinen wie der skandinavischen Glet-
scher zwischen 40 und 100 m pro Jahr
(für die Mittellinie). Diese Bewegimg
ist etwa 10^ — 10^ mal langsamer als
diejenige der Flüsse. Höhere Ge-
iig. 136. schwindigkeiten kommen da vor, wo
riesige Niederschlagsmassen durch re-
lativ enge Thäler Ausfluss finden? wie im Himalaja und bisweilen in
den Abflüssen des Islandeises. Für einen grönländischen Gletscher
hat Heiland sogar eine Geschwindigkeit von 14 mm pro Minute (über
7000 m pro Jahr) konstatiert.
Am Rhonegletscher hat Forel die Änderung der Geschwindigkeit
mit der Entfernung von der Mittellinie gemessen. Wenn die Ge-
schwindigkeit in der Mitte 98 m pro Jahr betrug, war sie in Va dieser
Entfernung 90 m, in der Hälfte 75 m, in ^/^ 50 m, in % 12 m, wie die
nebenstehende Kurve (Fig. 136) angiebt.
Periodische Änderungen der Gletschergrösse. Es ist in den
Alpenländern sehr wohl bekannt, dass die Gletscher bisweilen tiefer ins
Thal hinunterdringen, bisweilen sich aber zurückzielien. Dies kann man
auch sehr deutlich erkennen an der Lage der Endmoränen, welche aus
Steinen bestehen, die vom Gletscher mitgeschleppt an dem Abschmelzungs-
punkte abgeladen wurden. Im Jahre 1897 waren von den 56 Schweizer-
gletschern 12 im Anwachsen begriffen, 5 stationär und 39 rückschreitend.
Im Ortler- und Adamellogebiet nahmen sie zu (etwa 7—8 m pro Jahr).
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 397
In Norwegen, Italien und Kaukasus sind die Gletscher in der letzten
Zeit zurückgegangen.
Nach einer jüngst von Kabot gemachten Zusammenstellung über
die Schwankung der Gletschergrösse sind die wichtigsten Züge derselben
die folgenden: Yor dem 18. Jahrhundert hatten die Gletscher eine viel
geringere Ausdehnung als jetzt. Dies gilt für eine Periode von meh-
reren Jahrhunderten und trifft in höherem Grade für die nördlichen
Länder, besonders Island und Norwegen, als für die Alpenländer, zu.
Während des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts fand ein ausser-
ordentlich grosses Wachstum der Gletscher statt. So z. B. verlängerte
sich der Breidamerkur-Gletscher in Norwegen zwischen 1750 und 1880
um etwa 10 km, Am Ende des 19. Jahrhunderts war meistens ein
kleiner Rückgang zu konstatieren, besonders in den Alpen.
Diese Schwankung der Gletscher hängt mit Klimaschwankungen
zusammen. Besonders hat man dabei an die Brückner sehe 35 jährige
Periode gedacht, in welcher kalt-nasse mit warm-trockenen Jahren ab-
wechseln. Die kalt-nassen Perioden sind natürlicherweise für das An-
wachsen der Gletscher förderlich. Jedenfalls bietet der Wechsel in der
Ausdehnung der Gletscher ein sehr interessantes und scharfes Mittel,
um klimatologische Änderungen mit der Zeit festzustellen. Er ist des-
halb Gegenstand der Forschung einer internationalen Kommission ge-
worden.
Zusammensetzung der Gletscher. Das Gletschereis besteht,
wie man leicht durch Aufguss von einer gefärbten Flüssigkeit nach-
weisen kann, aus ziemlich unregelmässig geformten Körnern, die bis ein
paar Centimeter grosse Dimensionen erreichen können. Diese Körner
nehmen an Grösse stetig vom Firnfelde bis zum Endpunkte des Glet-
schers zu. Dieser Zuwachs beruht auf dem Zusammenschmelzen von meh-
reren kleinen Körnern unter Druck. Die Körner erweisen sich unter
dem Polarisationsmikroskop als doppelbrechend, die Molekeln des Eises
sind also in ihnen nach einer bestimmten Richtung orientiert. Während
bei Eis, welches auf einer freien Wasserfläche sich bildet, die Krystall-
achse auf dieser Fläche senkrecht steht, so kann man nichts bestimmtes
von der Orientierung der Krystallachsen in den Gletscherkörnern sagen.
Während der Bewegung des Gletschers wird die Lage der Körner auch
fortwährend verändert.
Wegen des ungleichmässigen Druckes werden die Eiskörner zer-
brochen, wodurch ein stetiges Knistern des Gletschers entsteht. Die
zerbrochenen Stücke frieren dann wieder zusammen. Ausserdem ist es
398 Physik der Erde.
eine allgemeine auf der Wirkung der Kapillarkräfte beruhende Eigen-
schaft, dass zerbrochene Krystalle wieder ausheilen, und dass grosse
Krystalle auf Kosten kleinerer anwachsen.
Das Eis bekommt Risse, wenn es über Unebenheiten gleitet, be-
sonders an solchen Stellen, wo ein „Eisfall" sich bildet. Diese Spalten
erfüllen sich teilweise mit Schnee (im Winter) und dieser wird zusammen-
gepresst zu weissen Bändern. Eine andere Struktur des Eises giebt
sich als blaue „Blätter" (Risse) im Eise, besonders am unteren Ende
des Gletschers kund. Diese Blaublätterstruktur entspricht der Schie-
ferung bei den Bergarten und hängt mit dem Drucke zusammen, sie
steht auf der Richtung des stärksten Druckes senkrecht.
Zufolge der Zerspaltung geht die ebene Oberfläche der Gletscher
häufig in eine Menge von Spitzen und Zinnen (Seracs) über.
Da das Eis eine höhere Temperatur als diejenige seines Schmelz-
punktes nicht erreichen kann, und da dieser Schmelzpunkt mit steigen-
dem Drucke um etwa 0,0075^ pro Atmosphäre sinkt, so folgt hieraus,
das an dem abschmelzenden Ende des Gletschers die Temperatur von
der Oberfläche, wo sie Null ist, fortwährend mit zunehmender Tiefe
sinkt, und zwar um etwa 0,0007 ^ pro Meter. Diese unbedeutende
Temperaturänderung mit der Tiefe ist auch konstatiert worden. Am
Boden des Gletschers dringt Wärme aus dem Erdinnern hinauf, wo-
durch immer eine dünne Wasserschicht unter dem eigentlichen Gletscher
liegt. Von der unteren Seite des Gletschers strömt für gewöhnlich
ein Fluss aus dem sogenannten Gletscherthore heraus. Diese Wassermasse,
welche aus Schmelzwasser des Gletschers besteht, wird teils aus der
Unterseite des Gletschers gebildet, teils strömt Wasser zu ihr hinzu
durch Risse, Spalten und Löcher von der Oberfläche durch den Gletscher
hindurch. Auf der Oberfläche des unteren Teils des Gletschers sammelt
sich das Schmelzwasser häufig in grösseren Rinnen und Teichen, durch
welche das blaue Eis hindurchschimmert. Zuletzt stürzt das Wasser
durch eine Spalte, woraus es einen „Eisbrunnen" häufig aushöhlt. Der
Gletscherbach hat, zufolge der Veränderlichkeit der Abschmelzungsge-
schwindigkeit, eine Tagesperiode und eine Jahresperiode der Mächtigkeit.
Von den Felswänden, unter welchen der Gletscher hervorschreitet,
fallen stetig Steine und Geröll auf ihn herunter und werden von ihm
mitgeführt. Diese Steine, die, wenn sie liegen geblieben wären, Schutt-
halden aufgebaut hätten, bilden die sogenannten Seitenmoränen. Wenn
zwei Gletscher zusammenfliessen, bilden die beiden aneinander gren-
zenden Seitenmoränen eine gemeinsame sogenannte Mittelmoräne auf
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 399
dem gemeinsamen Eisbette. Durch Zusammenfliessen von mehreren
kleinen Gletschern können mehrere Mittelmoränen entstehen. Am
Boden des Gletschers bilden sich aus Steintrümmern vom Gletscherbette
und aus hinuntergefallenen Steinen und Sand eine sogenannte Grund-
moräne, welche vom Gletscherbach bearbeitet wird. Durch Reibung
gegeneinander und gegen den Boden bedecken sich diese Steine mit
Schrammen und geben ein feines Pulver ab. Dabei entstehen auch die
in der Bewegungsrichtung des Gletschers verlaufenden Furchen in dem
unterliegenden Felsbette, welche als das beste Kennzeichen einer ver-
gangenen Vereisung dienen. Auch im Innern des Gletschers kommen
vereinzelte Steine vor, die von den Bergwänden zur Seite des Gletschers
abstammen (Innenmoräne).
Alle diese Sammlungen von Steinen und Sand werden an der Ab-
schmelzstelle des Gletschers abgeladen und bilden daselbst eine bogen-
f(3rmige Endmoräne. An der Verschiebung derselben kann man Schlüsse
ziehen über die vormalige Ausdehnung des Gletschers. Alte Endmoränen
bezeichnen auch die Enden der Gletscher, welche nach der Eiszeit sich
allmählich zurückzogen und diese Denkmäler ihrer Wirksamkeit hinter-
liessen. Die Gletscher, welche von dem Inlandeise, z. B. auf Spitzbergen
und Grönland, herrühren, besitzen nur schwache, diejenigen des antark-
tischen Kontinents beinahe gar keine Moränenbildung an der Oberfläche,
weil sie nur kurze Strecken längs Gebirgswänden hingeglitten sind.
Grössere Steine auf dem Gletscher schützen ihre Unterlage vor
Abschmelzen und Verdunstung. Auf diese Weise entstehen die
„Gletschertische". Sand- und Schlammmassen geben in ähnlicher Weise
zur Bildung von schuttbedeckten Eiskegeln Anlass.
Transportfähigkeit der Gletscher. Das an der Endmoräne
abgelagerte Material wird zum Teil von dem Gletscherbache weiter be-
fördert. Dies ist speziell mit dem feineren Staub der Fall, weshalb die
Gletscherbäche eine charakteristische milchige Farbe besitzen. Ihr
Schlammgehalt ist auch viel grösser als derjenige gewöhnlicher Flüsse
(vgl. S. 431), indem pro m^ in den Abflüssen folgender Gletscher
folgende Anzahl Gramm Sinkkörper vorkommen (Zusammenstellung
von Penck):
vier Gletscher auf Montblanc 237—887
Unteraargletscher 132
Memuruelf, Norwegen 1391
sieben Gletscher in Norwegen, Mittel . . 148
400 Physik der Erde.
zehn Gletscher auf Grönland, Mittel . . 634
Isländische Gletscher, „ . . 975
Isortok- Gletscher, Grönland 943
Nassugtok-Gletscher, Grönland .... 207
Die Schwankung dieser Zahlen ist sehr bedeutend, so fand Duparc
für die vier erstgenannten Gletscher im August 1890 und August 1891
folgende Zahlen:
1890 1891
Tcmrgletscher 243 31
Argentieregletscher 535 139
Mer de Glace 483 452
Bossongletscher 2287 385
Mittel 887 237
Öyen fand in einem norwegischen Gletscherbach an einem Tage
(28. Juli 1891) 547 g, am folgenden nur 36 g pro m^.
Aus ähnlichen Daten und der Grösse der Moränablagerungen hat
Öyen versucht, die jährliche Abtragung im Gletschergebiete zu be-
rechnen und hat dabei grössere Zahlen als für die Flüsse gefunden
(trotz der grossen Langsamkeit der Fortbewegung der Gletscher),
nämlich:
Abtragung in mm pro Jalir.
VatnajökuU, Island 0,647
Justedalsbräen, Norwegen 0,079
Galdhöitindgegend, Norwegen 0,054.
Nach dem Zurückziehen der Gletscher bleiben die Moränen zurück,
welche meist nicht als Ackererde tauglich sind, und deshalb bewaldet
sind. Sie geben der Landschaft häufig ein eigentümliches Gepräge. In
Schweden, wo das Inlandseis stossweise abschmolz, liegen die Erdmo-
ränen oft als lange Streifen von Schotter. Sie haben häufig zur Auf-
dämmung von Seen beigetragen. In Nordamerika werden einige charak-
teristische Moränen „Drumlins" genannt. Eigentümlich für die nor-
dische Landschaft sind auch die mehrere hundert Kilometer langen,
aus abgerollten Steinen und Sand bestehenden, bis 50 m mächtigen,
einige hundert Meter breiten „Asar" („Kames"), welche von den unter dem
Inlandseis hervorfliessenden Glacierflüssen abgesetzt sind. Die Berghügel
werden vom Eis glattgeschliffen und als „Rundhöcker" nachgelassen.
Gletscherlawinen. Häufig passiert es, dass die herunterfallenden
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 401
Steine nicht auf dem Gletscher ruhig liegen bleiben, sondern längs der
Gletscherfläche rutschen, wobei sie Furchen in die Oberfläche des
Gletschers ritzen. Dieser Steinschlag kann für den Gletscherwanderer
recht gefährlich werden, ist aber ganz unschuldig im Vergleiche zu den
Gletscherlawinen. Bei diesen fängt ein Teil des Gletschers, gewöhn-
licherweise eines sog. Hängegletschers, welcher nicht in ein Thal ein-
gebettet ist, sondern über eine konvexe Felswand hinaushängt, an, auf
seiner Unterlage zu rutschen und fällt zuletzt ins untenliegende Thal.
So z. B. löste sich ein Teil, etwa 4^2 Millionen Kubikmeter, eines un-
bedeutenden Gletschers auf Alteis' in der Schweiz am 11. Sept. 1895 von
der Umgebung ab und fiel längs der um etwa 30 ^ geneigten 3 km
langen Bergseite ins untenliegende Thal. Es wurden 6 Menschen und
169 Haustiere getötet. Die Eismassen wurden durch den entgegen-
stehenden Luftdruck und durch die Zermalmung während des Gleitens
in einen feinen Eisregen zerstäubt. Wie gewöhnlich bei Lawinen
stellte der starke Gegenluftdruck grosse Verheerungen an.
Dies sind die sogenannten Grundlawinen. Weniger verheerend,
aber gewöhnlicher, sind die „Staublawinen", welche aus frischem Schnee
bestehen, und über die Gletscheroberfläche hinweggleiten. Diese
können eine ganz rasende Geschwindigkeit erhalten und reissen dadurch
grosse Steinmassen, Bäume und Erdmassen mit. In dem Hochgebirge
sind keine Stellen von Lawinen geschont, sie werden deshalb von den
Schneemassen geradezu reingefegt. Tiefer herunter gehen die Lawinen
häufig längs bestimmten Bahnen (Lahngänge), wovon z. B. im Gotthard-
gebiete nicht weniger als 530 auf 325 km'^ von Coaz gezählt wurden.
Die Schneemassen mit darin eingeschlossenen Körpern bilden
nach ihrem Herunterfallen die Lawinenkegel, welche bisweilen beim
Auftauen ganz bedeutende Mengen von Schutt hinterlassen.
Eishöhlen, fossiles Eis. Bisweilen trifft man tief unter der
Schneegrenze geschützte Stellen, wo der Schnee nicht schmilzt, sondern
von Jahr zu Jahr liegen bleibt und sich zu Eismassen zusammenpackt.
Dies kann nur geschehen bei einer Lage, wo Sonnenschein und starke
Luftcirkulation ausgeschlossen sind, d. h. in Höhlungen, weshalb die
Fundorte dieser Eisansammlungen Eishöhlen genannt werden. Die
Eishöhlen, welche in einer Anzahl von 52 in den Alpen bekannt sin.d,
enthalten im Innern grossartige Formationen von Eisstalaktiten. Im
Karst und in dem Juragebirge sind sie auch nicht selten, dagegen
kommen sie nicht in der skandinavischen Urgebirgsformation vor. Im
allgemeinen soll die Lage dieser Eishöhlen eine solche sein, dass im
Arrhenius, Kosmische Physik. 20
402 Physik der Erde.
Winter die kalten Luftmassen hineindringen und uachher nicht umge-
setzt werden, sondern stagnieren, sodass die Sonnenwärme nur geringe
Wirkung ausübt.
In Sibirien und auch auf Alaska trifft man sog. fossiles Eis oder
Steineis. Man ist der Ansicht, dass dieses Eis aus alten eingebetteten
Gletschern entstanden ist. Das Eis ist durch eine Lehmschicht bedeckt,
welche auch in die Risse und Spalten des Eises hineingedrungen ist.
Diese Lehmmassen enthalten zahlreiche Reste einer alten Fauna und
unter anderem wohlerhaltene Exemplare des Mammuts, sowie Massen
von fossilem Elfenbein. Diese schlechtleitendcn Ablagerungen haben
das Eis bis auf unsere Zeit bewahrt.
Die Bildungsweise von fossilem Eis kann sehr gut an dem unter
dem St. Eliasberg in Alaska befindlichen Malaspina -Gletscher studiert
werden. Am äusseren Umrisse der aus mehreren grossen Gletschern
zusammengeschmolzenen Eismasse ist dieselbe mehr als kilometer-
breit von Geröll bedeckt, auf welchem Wald wächst. Diese Decke
schützt den Gletscher vor vollständigem Abschmelzen in abseh-
barer Zeit und verwandelt den äusseren Gletscherrand in eine Art fos-
siles Eis.
Das Inlandeis auf Grönland. Die mächtigste Eismasse auf
der Erde, diejenige ausgenommen, welche wahrscheinlicherweise den
südpolaren Kontinent überlagert, ist die Eisdecke Grönlands. Man war
früher gar nicht sicher, dass das Innere von Grönland mit Eis bedeckt
sei, sondern man glaubte, dass vielleicht hinter den längs der Küste
verlaufenden eisbedeckten Bergen ein eisfreies Binnenland sich ausbreite.
Die Reisen von Nordenskiöld und Nansen haben diesem Glauben ein
Ende gemacht. Nordenskiöld drang vom Sophia-Hafen auf etwa 70^
n. Br. auf der Westseite von Grönland hinein, und sandte zwei mitge-
nommene ski- laufende Lappländer weiter ins Innere des Landes. Nach
den Berichten dieser Lappländer dürften sie etwa die Mitte der Insel
Grönland erreicht haben, ohne jedoch etwas anderes als eine nach allen
Seiten sich ausbreitende Schneeebene gesehen zu haben. Diese Schnee-
ebene wird zu den Seiten hin von schwer fahrbaren unebenen Teilen
umgeben. Dieses Resultat wurde durch die grossartige Reise Nansens
quer durch Grönland auf dem 64. Breitegrade völlig bekräftigt; wie ein
kolossaler Schild von annähernd parabolischer Biegung deckt das Eis
die grönländische Insel. Nur an vereinzelten Stellen ragen die höchsten
Berggipfel, die sog. Nunataks, durch die Eisdecke, welche auf der Route
Nansens eine maximale Höhe von etwa 2700 m erreichte. Die Eisdecke
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 4()3
ist danach an dieser Stelle wahrseheinlicherweise gegen ein paar tausend
Meter dick.
Das Inlandeis ist nicht ganz frei von Vegetation, indem die Schnee-
algen auf ihr gedeihen; auch die Nunataks beherbergen eine kümmer-
liche niedrige Flora. Bis zu einer gewissen Höhe kommt auf dem In-
landeis ein eigentümlicher Staub, sogenanntes Kryokonit vor, welchem
Nordens kiöld einen kosmischen Ursprung zuschrieb. Der Umstand,
dass Nansen ihn nicht auf den höchsten Teilen vorfand, macht N er-
den ski öl ds Ansicht ziemlich unwahrscheinlich. Auch auf den Glet-
schern der Alpen kommt solcher Staub vor.
Die Vereisung der übrigen arktischen Inseln nimmt etwa 250000 km'-^
ein. Die Gletscher der nichtarktischen Erdteile decken etwa 1,7 Proz.
der entsprechenden Gebirgsfläche oder etwa 50000 km"^, wovon die Glet-
scher der Ostalpen 1803 km^ ausmachen. Die vereiste Landoberfläche
schätzt Penck zu 7,4 Proz. des gesamten Festlandes (Antarktis ein-
gerechnet).
Die Eiszeit. Diese Eismasse giebt ein getreues Bild von dem
Zustand der nördlichen Länder Europas und Amerikas zur Zeit der
grossen Eiszeit. Man ist jetzt darüber einig, dass es vor der gegen-
wärtigen Epoche wenigstens zwei Vereisungen gegeben hat, von welchen
die erste durch grössere Ausbreitung gekennzeichnet war. Die nach-
stehende Kartenskizze (Fig. 137) zeigt die grösste Ausdehnung der Eis-
decke. Von Skandinavien und Finnland breitete sich die Eismasse nach
allen Seiten hinaus und wanderte in Kichtungen, welche jetzt im Berg-
grund durch Glacialrisse gekennzeichnet sind. Die Westküste von Ir-
land und Holland, der Harz und das Kiesengebirge, die Gegenden von
Kiew und Nischnij -Nowgorod wurden von diesen riesigen Eismassen be-
rührt. Ost- und Nordsee wurden alle beide von den riesigen gleitenden,
mehr als 1000 m dicken Eismassen ausgefüllt. Diese Eisdecke nahm
eine Oberfläche von etwa 6 Mill. Quadratkilometer in Europa ein, wäh-
rend die grönländische Vereisung nur über ein Drittel dieses Gebietes
ausgedehnt ist. Noch ausgedehnter war das damalige Inlandeis von
Nordamerika, etwa 9 Mill. km 2.
Das Eis streckte sich bis zum Missisippi hinunter und ging
auf der Ostseite bis zum 38. Breitegrad, wie die nachstehende Karte
zeigt, während die Westseite Nordamerikas nicht völlig so stark vereist
war. Gleichzeitig erstreckten sich die Eismassen in den Alpen, Kaukasus
und anderen Bergketten gewaltig über ihre jetzigen Grenzen hinaus.
Man hat beinahe auf der ganzen Erde Spuren einer starken Vereisung
2G*
404
Physik der Erde.
I
Crq
CO
OQ
Pi
CD
tr'
P
pj
(D
&■
a>
o
CD
:^
tJ'
i-i
CD
P
P-
CD
^
CD
mmw*^^
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 405
gefunden. Wahrscheinlicherwei^^e trat die „grosse Eiszeit" gleichzeitig
auf der ganzen Erde ein, sie scheint aber in Europa und den östlichen
Teilen Nordamerikas am stärksten entwickelt gewesen zu sein. Gleich-
zeitig traf auch nach aller Wahrscheinlichkeit die grösste Vereisung Südame-
rikas von Aconcagua (33^ s. Br.) längs der chilenischen Küste und von den
südlichen Provinzen Argentinas ein. Ebenso zeigt die Südinsel Neuseelands
Spuren einer vollkommenen Vereisung, welche gleichzeitig eingetroffen sein
dürfte. Schätzungen über die Temperaturverhältnisse an der jetzigen
Eisgrenze und der damaligen führen zum Schluss, dass die Temperatur
damals um etwa 4 — 5^ niedriger als jetzt gewesen sein mag.
Nach dieser Eiszeit kam eine sogenannte Interglacialzeit, in welcher
das Klima ungefähr wie das jetzige gewesen sein mag, und danach kam
eine zweite, aber bedeutend geringere Vereisung in Europa, während
welcher eigentlich nur Skandinavien und Finnland vereist waren.
Man hat sehr fleissig nach Eiszeiten in vergangenen geologischen
Epochen gesucht, und die Mehrzahl der Geologen ist der Ansicht, dass
nach Ende der Karbonzeit eine solche eingetroffen sei. Diese Vereisung
hatte eine sehr eigentümliche Ausbreitung, indem Länder in der Nähe
des Äquators davon betroffen wurden. Man hat Spuren derselben in
den sogenannten Gondwana- Schichten in Afghanistan, in Indien, in
Australien und in Afrika gefunden. Dagegen scheinen von dem Äqua-
tor entferntere Erdteile nicht von der Vereisung betroffen worden
zu sein.
Man schätzt, dass seit Ende der zweiten Eiszeit etwa 50000 (zwischen
18000 und 100000) Jahre verflossen sind. Diese Schätzung kann natür-
licherweise keine grossen Ansprüche auf Genauigkeit machen, sie zeigt
nur, wie sehr kurze Zeit, geologisch gesprochen, nach derselben ver-
flossen ist. Demnach wäre es auch nicht undenkbar, dass dieselben Ur-
sachen sich nochmals geltend machen könnten und eine annahende
neue Eiszeit die Kultur von Europa und Amerika vertreiben könnte.
Deshalb bietet die Ergründung der Ursache der Eiszeiten ein ungemein
grosses Interesse.
Die Süsswasserseen. Im Vorigen haben wir die Hauptmasse
des Wassers auf der Erdoberfläche, den Ocean, behandelt. Es erübrigt
jetzt einige Worte über die Binnenseen zu sagen, welche bisweilen eine
sehr ausgedehnte Oberfläche einnehmen und eine dementsprechend grosse
Wassermenge enthalten. Die grössten Süsswasserseen befinden sich in
Nordamerika, wo die zum selben System gehörigen Superior (83627 km^),
Huron- (61340 km2), Michigan- (etwa 60000 km 2), Erie- (25000 km^)
406 Physik der Erde.
und Ontario-Seen (19823 km^) ein wirkliches Binnenmeer bilden von
zusammen 250000 km"^. Von den kanadensischen Seen haben viele eine
grosse Ausdehnung; der grösste ist der grosse Sclavensee (21700 km-).
Der grösste See Südamerikas ist Titicaca (8331 km 2). In Asien kommt
an Grösse zuerst der Baikalsee von 30180 km 2. Sehr grosse Flächen
nehmen auch die afrikanischen Seen ein (Victoria Nyanza 84000 km-,
Tanganyika 32700 km-, Tsad 27000 km 2), sie sind nicht genau aus-
gemessen. Die grössten Seen Europas sind Ladoga und Onegasee (18130
bezw. 9752 km^) und die schwedischen Seen Wenern, Wettern und Mä-
laren mit 5568, 1900 und 1163 km'-^ Oberfläche. Andere bedeutende
Seen in Europa sind die schweizerischen (Genfer-See 578 km 2, Boden-
see 539 km^, Vierwaldstädtersee 113 km 2), der Plattensee in Ungarn,
einige Alpenseen in Bayern und Österreich.
Aus dem Studium der Fauna der Binnenseen und der Flora an
ihren Küsten hat man geschlossen, dass sie im allgemeinen relikte Teile
von alten Meeren sind. So zeigte zuerst Loven, dass der schwedische
See Wettern in ganz später Zeit mit dem Kattegat in Verbindung ge-
standen haben muss, was sich auch später bestätigt hat. De Geer
hat gezeigt, dass am Ende der Eiszeit, als noch das Landeis über dem
grösseren Teil Schwedens lag, Mittelschweden, wo jetzt die grossen Seen
sich vorfinden, unter der Meeresoberfläche sich befand, sodass die Ost-
see einen grossen Busen von der Nordsee ausmachte. Gleichzeitig
waren die grossen Seen Ladoga und Peipus und das kolossale finn-
ländische Seensystem nur Ausbuchtungen der damaligen Ostsee
(„Yoldiameer"). Später hob sich das Land, sodass die Ostsee ein
kolossales Süsswassermeer (Ancylussee 570000 km-, während die jetzige
Ostsee 415480 km^ enthält) bildete, wobei Wenern noch der Nordsee
angehörte. Zuletzt wurde nach Senkung von Dänemark die Ostsee
durch die beiden Belte und den Sund mit der Nordsee vereinigt („Litto-
rinameer"), wonach allmählich die jetzige Ostsee durch Hebung entstand.
In eben derselben Weise ist man der Ansicht, dass die oberitalie-
nischen Seen (Lago maggiore 210 km^, L. di Garda 350 km 2, L. di Como
193 km^ und L. di Lugano 50 km 2) als Fjorde einer einstigen Ausbuchtung
des Adriatischen Meeres, welcher jetzt durch Hebung des Landes ge-
schwunden ist, betrachtet werden können. Ebenso wären die schottischen
Lochs als alte Fjorde anzusehen. Durch Rückgang des Meeres kann
eine ähnliche Wirkung zustande gebracht werden, so z. B. sind das
Kaspische Meer, der Aral- und der Balkasch-See als Überreste eines
grossen „sarmatischen Meeres" anzusehen. Der eigentümlichste Relikten-
1
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 407
sce ist der Tanganyikasee, in welchem man in letzter Zeit eine Fauna
angetroffen hat, welche auffallend an diejenige der Meere der Jurazeit
erinnert (vgl. S. 465).
Die Natur strebt die Seen zu entfernen, und zwar in zweierlei
Weise. Teils strebt der Abfluss des Sees eine immer tiefere Rinne zu
graben und dadurch den See abzuzapfen; in dieser Beziehung sei an
den Niagarafall erinnert, welcher allmählich zurückschreitet und zuletzt
den Wasserspiegel der grossen nordamerikanischen Seen bedeutend
senken wird. An der anderen Seite wird von den Zuflüssen Schlamm
zum See geführt, welcher sich im Seebecken absetzt und dasselbe all-
mählich ausfüllt. Diese Zufuhr von Schlamm kleidet auch den Seeboden
(ähnlich dem Boden des Oceans) mit einer wasserdichten unteren Schicht
aus, welche verhindert, dass Wasser davon durch unterirdische Gänge
abfliesst. In den Karstgegenden ist diese Zustopfung der unterirdischen
Gänge nicht gänzlich ausgeführt, wie z. B. bei dem bekannten Zirknitzer
See, dessen Wasserstand durch diese unterirdischen Kanäle geregelt
wird, sodass er plötzlich anschwellen oder austrocknen kann.
Ein anderer Prozess, welcher zur Vertilgung der Seen in tempe-
rierten Gegenden beiträgt, ist die Vermoorung derselben. Die See-
pflanzen bilden eine dicke Decke, welche allmählich unten abstirbt und
in Torf übergeht, während sie oben zuwächst. Zuletzt können sich höhere
Landpflanzen ansiedeln, der See ist verschwunden und hat einem Torf-
moor Platz gegeben.
Massenweise, wie in einigen Teilen von Nordamerika, Skandinavien
und speziell Finnland treten deshalb Seen nur da auf, wo der Boden
vor verhältnismässig kurzer Zeit durch andere Umstände, als fliessendes
Wasser, profiliert , worden ist. Im erwähnten Beispiel war es die Eiszeit,
welche hauptsächlich durch Moränenablagerungen die jetzigen Formen
der Seen und die vielen Wasserfälle bedingte. Andere Seen sind durch
Verwerfungen der Erdkruste entstanden.
Abflusslose Seen. Das Wasser der Binnenseen kann nicht auf
absolute Reinheit Anspruch machen. Die zufliessenden Ströme führen
aus dem durchströmten Boden Salze hinzu und der Abfluss führt
solche weg. Wenn kein Abfluss vorhanden ist, wie bei mehreren Seen
in wärmeren Gegenden, wo der Wasserstand durch die Abdunstung
konstant gehalten wird, nimmt die Salzmenge immer mehr zu und es
entstehen Salz- oder Bitterseen. Sonderbarerweise enthalten jedoch
einige dieser Seen rein süsses Wasser, wie der Tsadsee in Centralafrika,
was nur davon abhängen kann, dass die Zuflüsse sehr salzarm sind oder
408
Physik der Erde.
hauptsächlich Salze enthalten (Eisen- und Kalksalze), welche bald von
Organismen ausgefällt werden. Die Salzseen kommen hauptsächlich in
den subtropischen Gegenden vor. Ihr Salzgehalt nimmt stark gegen
die Oberfläche hin ab. Besonders im Winter ist ihre Oberfläche relativ
süss. Dies hängt von dem Zufluss von süssem Flusswasser und von
ßegenwasser ab, welches im Winter am langsamsten verdunstet. Die
. A^
SUTSTi
Fig. 138. Abflusslose Gebiete der Erde.
Erdteile, welche keinen Abfluss zum Meer besitzen, sind in der Karte
Fig. 138 durch Schraffierung gekennzeichnet.
Die Salzseen sind teilweise von grosser industrieller Bedeutung, in-
dem man aus ihnen nützliche Salze gewinnt. So z. B. liefert der Elton-
see jährlich 100000 Tonnen Kochsalz, seine Nachbarseen 150000 Tonnen.
Die gewöhnlichsten Salze, welche aus solchen Seen erhalten werden
können, sind Chlornatrium, Natriumkarbonat, Natriumsulfat, Magnesia-
salze, Gips und an einigen Stellen Borax. In Europa befinden sich
ein paar kleine Natronseen nahe Debreczin in Ungarn und der Eltonsee
auf der südrussischen Steppe, welcher hauptsächlich Chlormagnesium
und Chlornatrium enthält. Der letztere ist mit den Salzseen Südsibi-
riens verwandt, welche Kochsalz, Magnesiumsulfat und Gips ausscheiden.
Von dem Karabugasbusen des Kaspischen Meeres (439418 km'-), welches
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 409
diesem Meerbusen jährlich 350000 Tonnen Salz ahgiebt und vom Toten
Meer (1595 km'^), dessen Salzgehalt 25 Proz. erreicht, ist schon oben die
Rede gewesen. Der grosse Aralsee (69685 km 2) enthält nur 1,5 Proz.
Salze. In Kleinasien giebt es mehrere kleine Salzseen, welche auf
Kochsalz verarbeitet werden. Sehr salzig sind ausserdem' die armeni-
schen Seen Urmiah, der salzhaltiger als das Tote Meer und speziell
reich an Jod ist, und Wan, mehrere Seen in Iran und nördlich von dem
Himalaj^a. Am Suezkanal liegen einige Bitterseen, an der Grenze
zwischen Tunis und Algier die „Schotts". Diese, ebenso wie die im
Kapland und Rhodesia massenhaft vorkommenden „Brakpans" und
„Zoutpans" (zu welchen der grosse Ngami-See als abflusslos, obgleich er
süsses Wasser hat, zu rechnen ist), geben Kochsalz. Grosse Salzseen
finden sich auch in Nordamerika, wovon Great Salt-Lake (4691 km 2)
der bekannteste ist, dessen Wasser 22 Proz. Kochsalz und ausserdem
andere Salze enthält. Ein anderer Salzsee ist der Monrosee. Mehrere
Seen in Kalifornien liefern Borax, ebenso wie die Seen bei Copiapö in
Chile, Südamerika.
Diese Salzseen sind insofern von Bedeutung, als aus ihnen Salz-
lager sich absetzen, welche denjenigen entsprechen, welche, wie z. B. die
Stassfurter und Wieliczka-Salzablagerungen, sich in geologisch sehr ent-
fernten Zeiten absetzten und jetzt in grösstem Maassstabe von der In-
dustrie in Anspruch genommen werden. Über die Art und Weise, in
welcher die Salzablagerung stattgefunden hat, werden seit einiger Zeit
von van t'Hoff und seinen Schülern sehr eingehende Untersuchungen
ausgeführt, welche teilweise zu sehr interessanten Schlüssen geführt
haben (vgl. S. 291).
Die Farbe und Temperatur der Binnenseen. Die Farbe der
Binnenseen folgt im allgemeinen denselben Gesetzen wie diejenige des
Oceans. Sehr klares Wasser haben im allgemeinen die Salzseen wegen
der schnellen Sedimentation. Die Farbe hängt von der Menge und
Art des zugeführten Flussschlammes ab (vgl. S. 374). Sie wechselt
häufig mit der Jahreszeit, indem zu verschiedenen Jahreszeiten eine
verschiedene Tegetation in ihnen herrscht. Dies hängt mit der Tempe-
ratur, besonders in den Oberflächenschichten der Seen, zusammen. Diese
bietet eine Eigentümlichkeit, indem in einer gewissen Tiefe die Tem-
peraturveränderung mit der Tiefe kolossal schnell, häufig zum Betrag
von A^ pro Meter, vor sich geht, während oberhalb und unterhalb dieser
Stelle, der sogenannten Sprungschicht, die Temperaturänderung sehr
allmählich vor sich geht. Diese Sprungschicht liegt in verschiedener
410 t^hysik der Erde.
Tiefe, meist zwischen etwa 10 und 20 m. Die Sonnenwirkung dringt nicht
sehr tief ins Seewasser hinein. Wegen des Dichtemaximums des Was-
sers bei +4^ sinkt in der gemässigten Zone im Winter die Temperatur
des Seewassers auf + 4^ C, wonach das so abgekühlte Wasser zu Boden
sinkt, bis die ganze Wassermasse -|- 4^ C. besitzt. Spätere Abkühlungen
erhöhen das Volumen des Wassers, sodass die abgekühlten Wasser-
massen nicht mehr heruntersinken, sondern oben bleiben, wonach die
weitere Temperaturerniedrigung nur durch Leitung äusserst langsam
vor sich geht. Im Winter ist infolgedessen ein solcher See oben am
kältesten und unten am wärmsten. Das Gegenteil findet im Sommer
statt; nachdem der ganze See auf +4^C. durchgewärmt ist, werden
die oberen Schichten noch mehr erwärmt, aber bleiben wiegen der ge-
ringeren Dichte oben liegen, sodass die Temperaturzunahme in unteren
Schichten nur infolge von langsam vor sich gehender Leitung erfolgen
kann. Im Sommer wird also die Temperatur oben am höchsten sein.
Die polaren Seen, bei welchen die Temperatur nicht über 4^ C. steigt,
verhalten sich wie die Seen der gemässigten Zone im Winter, die tro-
pischen Seen, bei welchen die Temperatur nie unter -f 4^ C. sinkt, da-
gegen wie die Seen der gemässigten Zone im Sommer.
Man hat das Vorkommen der Sprungschicht in der Weise erklären
wollen, dass an der Oberfläche des Sees eine tägliche Periode der Tem-
peratur vorkommt. Durch die nächtliche Abkühlung wird eine Art
Cirkulation zustande gebracht, welche sich bis zu einer gewissen
Tiefe erstreckt, bei welcher die Temperatur genau so hoch ist, wie
diejenige der in der Nacht von der Oberfläche herabsinkenden Massen.
Bis dahin herrscht also (nachts) eine sehr gleichmässige Temperatur, und von
da ab findet die eigentliche Wärmeleitung statt, welches zur Folge hat,
jdass in den nächsten Schichten der Temperaturfall sehr hoch ausfällt.
Bei seichten Seen kann natürlicherweise im Winter die Tem-
peratur am Boden unterhalb +4^0. sinken und im Sommer diesen
Wärmegrad tibersteigen, da in ihnen gewissermaassen die unteren
Schichten fehlen. Ebenso kann der Zufluss von kälterem Wasser oder
die Cirkulation im Winter so stark sein, dass die Temperatur stellen-
weise unter 4^ sinkt.
Zufolge der Zunahme der Kompressibilität des Wassers bei sinken-
der Temperatur liegt das Dichtemaximum bei höheren Drucken (in tie-
feren Seen) unter 4<^.
Als Beispiele der Wärmeverhältnisse der Binnenseen gebe ich fol-
gende Daten über die Temperatur für das Jahr 1900 nach Forel:
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 411
Genfer See, 46« 2l' K Br., 0^ 38' E. L. v. Gr.
Tiefe 12. März 7. Mai 16. August 14. Nov.
0 m 6,90 13,90 19,1« 11,6^
5 6,2 11,0 17,6 —
10 6,1 8,0 16,8 —
15 6,0 7,1 12,6 —
20 5,95 6,7 9,8 , 11,6
30 5,9 6,5 8,1 8,8
40 . 5,9 6,3 6,9 7,5
60 5,85 6,0 6,2 6,5
80 5,8 5,8 5,9 6,1
100 5,8 5,8 5,8 6,0
150 5,8 5,8 5,8 5,8
280 5,8 5,3 5,5 5,6
309 5,1 5,2 5,3 5,3
Mjösen, Norwegen, 60^ 22' N. Br., 11^ 15' E. L. v. Gr.
Tiefe 11. März 18. April 6. Juni 10. Sept. 18. Nov.
0 m
0,330
1,400
4,90^
12,600
5
0,63
1,40
4,65
12,70
5,800
10
0,98
1,40
5,60 (?)
12,50
5,80
20
1,84
1,85
4,10
10,50
5,80
40
2,59
2,75
4,00
6,30
5,80
60
3,10
3,25
4,00
4,75
4,90
80
3,45
3,60
4,00
4,30
4,60
100
3,60
3,85
4,00
4,10
4,30
150
,3,80
3,80
3,90
3,90
4,60 (?)
200
'3,80
3,80
3,80
3,80
4,00
300
3,75
3,75
3,65
3,75
3,80
420
3,70
3,70
3,80
3,60
3,80
Ladoga, 61« 22' N. Br., 30« 42' E. L. v. Gr.
Tiefe 24. April G. Juni 29. Juli 11. Sept. 17. Okt.
0 m
0,240
2,070
8,560
9,090
7,720
10 .
0,25
8,35
9,12
20
0,39
2,05
7,85
7,38
7,77
30
0,81
—
4,90
5,87
40
1,15
2,08
4,20
4,69
7,72
60
1,81
2,10
3,95
4,39
7,52
80
2,10
2,06
3,94
4,34
6,47
412
Physik der Erde.
Ladoga, 61^ 22' N. Br., 30 ^ 42' E. L. v. Gr.
Tiefe 24. April 0. Juni 29. Juli 11. Sept. 17. Okt.
100 m
2,20«
2,06«
3,930
4,28«
5,61«
150
2,46
2,08
3,85
4,15
4,60
200
2,67
2,07
3,75
4,00
4,25
Enare, Lappland, 69« 34' N. Br., 27« 50' E. L. v. Gr.
Tiefe 23. März 30. Mai 7. Juli 6. Aug. 2. Sept. 2. Okt. 1. Nov.
0 m
0,1«
1,4«
6,2«
13,1«
8,1«
6,0«
1,5«
5
1,3
7,5
12,4
8,2
6,2
2,0
10
0,6
—
—
8,5
—
2,5
20
0,7
1,3
5,5
12,0
9,0
6,2
2,6
30
0,8
1,4
5,2
11,9
9,3
6,2
3,2
40
1,4
1,4
5,1
11,8
9,6
6,1
3,2
50
5,0
—
9,5
6,2
3,4
60
1,6
10,5
9,0
6,2
3,4
70
4,5
—
—
80
1,6
—
10,0
8,2
6,2
Diese Daten scheinen zu bestätigen, dass bei hohen Drucken das
Dichtemaximum unter 4« liegt (vgl. die Ziffern für Mjösen). Die
jährliche Wärmeschwankung dringt viel tiefer hinein als man vermuten
'könnte. Forel schätzt die Tiefe, deren Temperatur sich ändert, für den
Genfer See zu 100 — 150 m, für Loch Katrine, Schottland, zu mehr als
150 m, für Mjösen und Ladoga zu mehr als 220 m. Die genannte Tiefe
scheint demnach um so grösser zu sein, je nördlicher der betreffende
See liegt. Dies kann nicht von dem Eindringen der Sonnenstrahlung
herrühren, die schon in einigen Metern Tiefe äusserst schwach ist. Die
wahre Ursache ist noch unbekannt. Ebenso nimmt sonderbarerweise
der tägliche Wärmegewinn in der warmen Jahreszeit mit der geogra-
phischen Breite zu. So war in den folgenden Zeitabschnitten vom Jahre
1900 die Zunahme der Wärmemenge (A W in cal) pro Tag und cm^
in folgenden Seen:
N. Br.
Genfer See ... 46
Loch Katrine . . 56
Wettern, Schweden 58
Mjösen 60
Ladoga . . . .61
Enare 69
Zeitraum
17. März bis 16. Aug.
10. März bis 6. Sept.
3. Juni bis 2. Sept.
18. April bis 10. Sept.
24. April bis 17. Okt.
23. März bis 6. Aug.
w
Tage
A PF cal
23850
157
152
41610
180
231
27640
91
304
43880
145
302
89300
176
507
82400
136
606
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 41 3
Dieses anfangs sehr eigentümlich erscheinende Kesultat stellt Forel
in Zusammenhang mit der jährlichen Schwankung der Lufttemperatur,
welche (auf der nördlichen Halbkugel) stetig mit der Breite zunimmt.
Sie beträgt nämlich für:
Nördl. Br. 0 20 40 60 80^
Schwankung 0,8 6,4 19,1 29,8 35,3^ C.
Zum Vergleich mit diesen Zfffem möge die Temperaturverteilung
in Alands-Haf (Ostsee) auf 60^ 13' n. Br. und 19^ 3' E. L. v. Gr. am
23. Juli 1900 dienen (die erste Ziffer giebt Tiefe, die zweite Tempera-
tur an):
0 m
14,440
60 m
1,440
150 m
2,940
10
12,57
70
1,97
175
3,17
20
6,55
80
2,33
200
2,57
30
1,41
90
2,44
225
3,07
40
0,96
100
3,26
250
2,36
50
1,04
125
1,63
Diese unregelmässige Verteilung hängt, wie oben angedeutet wurde,
mit dem nach unten zunehmenden Salzgehalt zusammen. Sonst könnten
die Schichten in 40 m und 100 m Tiefe nicht ihre Lage beibehalten.
Binnensee-Eis. Nachdem die Temperatur des Oberflächen-
wassers in Süsswasserseen unter 0^ C. gesunken ist, fängt die Eisbildung
an. Man sieht, wie lange Eisnadeln über die Wasserfläche von be-
stimmten Krystallisationscentren auswachsen, gewöhnlicherweise von dem
Ufer, wo die Abkühlung wegen der geringen Tiefe am schnellsten fort-
schreitet. Zwischen diese Eisnadeln legen sich Querstäbe und zuletzt
ist die ganze Oberfläche mit einer dünnen Eishaut überzogen. Dauert
die Kälte an, so verbreitet sie sich nach unten durch Wärmeleitung
und zufolge der Gesetze der Wärmeleitung geschieht dies um so lang-
samer, je dicker die Eisdecke wird, sodass bei konstant bleibender Kälte
eine viermal so lange Zeit vergeht, um eine doppelt so dicke Eisdecke
zu bilden, wie zur Bildung einer Eisdecke von der einfachen Dicke.
Durch dieses immer langsamer geschehende Gefrieren wird die Eisdecke
verhindert, an unseren Flüssen und Seen eine übermässige Dicke an-
zunehmen.
Im Frühling, wenn das Eis zu schmelzen anfängt, wird es locker
und porös und nimmt demzufolge eine mehr schneeweisse Farbe an.
Zuletzt zerbröckelt es unter dem Einflüsse von Wind und Wasserströ-
414 Physik der Erde.
mimgen und wird von den Wogen fortgetragen. Die Zeit der Eistegung
und des Aufganges von Seen und Flüssen ist an vielen Örtlichlveiten
seit langer Zeit annotiert worden. Daraus kann man viele interessante
Schlüsse über klimatische Verhältnisse in alten Zeiten ziehen. Das Auf-
gehen der Flüsse und Seen im Frühling hängt natürlicherweise mit dem
Vorrücken der Wärme nach dem Norden zusammen. Dies hängt wieder-
um teils von denselben Umständen ab wie das Abschmelzen der Schnee-
decke, von welchem oben gesprochen wurde. Woeikof zeigte, dass die
grossen Flüsse von Nord- und Westrussland, besonders die Neva, aber
auch Düna (bei Eiga) und Dwina (bei Archangelsk) alle zwei Jahre,
nämlich den Jahren mit geraden Jahreszahlen ihre Eisdecken früher
abwerfen als in den Jahren mit ungeraden Zahlen. Dieselbe Regel-
mässigkeit gilt im allgemeinen für das Abschmelzen der Schneedecke
in Upsala, und diese Regelmässigkeit hängt wiederum mit dem An-
schwellen des „europäischen" Zweiges des Golfstromes zusammen, wie
Pettersson gezeigt hat. Interessant ist es, dass nach Woeikof die
Flüsse von Süd- und Südostrussland, namentlich Wolga (bei Astrachan)
und der Don an seinem unteren Lauf das umgekehrte Verhalten zeigen.
Natürlich ist es, dass daselbst der Einfluss des Golfstroms sehr zurück-
tritt, warum aber eine Umkehr stattfindet, ist noch nicht klargestellt.
Der finnländische Meteorologe Levänen zeigte, dass der Eisgang
im Kumo-Fluss in Finnland um so früher vor sich geht, je höher die
Sonnenfleckenfrequenz ist, wie oben hervorgehoben wurde (vgl. S. 145).
Sümpfe und Moore. Bisweilen sind die Seen sehr seicht und
voll Vegetation, sie gehen dann in den Sumpf- oder Moorzustand über.
Das Wasser in diesen braucht nicht gänzlich zu stagnieren, sondern
kann langsam cirkulieren, wie z. B. in den Zjpressensümpfen am niederen
Laufe Missisippis. Die Sümpfe nehmen in den Tropen eine grosse Ober-
Üäche ein, so z. B. sind grosse Teile Afrikas versumpft. Im hohen
Norden werden sie durch die Tundren repräsentiert, welche nur einige
Wochen im Sommer aufgetaut sind. Die Tundren breiten sich von der
Halbinsel Kola nach Osten längs der russischen und sibirischen Nord-
küste zu einer Breite von 400 bis 800 km aus. Grosse Sümpfe kommen
in Europa in den polnischen Grenzlandschaften Rasslands vor. Be-
rüchtigt sind als Malariaherde die pontinischen Sümpfe und die toska-
nischen Maremmen in Italien. Ist die Vegetation auf einem Sumpfe so
kräftig und dicht, dass derselbe trafikabel ist, wird er Moor genannt.
Die gewöhnlichsten Pflanzen in dieser Siimpfflora in Europa sind
Sphagnum-Arten. Moore sind in Holland, Deutschland, besonders dem
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 415
nordwestlichen Teile, und Skandinavien sehr gewöhnlich. Der Torf wird
an vielen Stellen aus den Mooren ausgegraben, getrocknet und als Brenn-
stoff verwendet. Auch wird daraus Torfstreu dargestellt, welches wegen
seinen desinficierenden Eigenschaften Anwendung findet. In Irland
kommt es bisweilen vor, dass Moore plötzlich ihren Inhalt über nahe-
liegende Gegenden ausschütten, wodurch bisweilen nicht unbedeutende
Verheerungen entstehen.
Das Grundwasser. Von den Niederschlagsmengen, welche auf
den Boden fallen, verdunstet ein Teil als Wasserdampf in die Luft, ein
anderer Teil fliesst zu Flüssen und anderen Wasserzügen ab. Ein nicht
unbeträchtlicher Teil dringt aber in das Erdreich hinein und giebt da
zum Grundwasser Anlass. In Deutschland sind die drei Teile ungefähr
gleich gross. Dieses Grundwasser dringt so tief hinein, bis es eine un-
durchlässige Erdschicht antrifft, wo es zur Seite abfliesst oder liegen
bleibt. Der Stand des Grundwassers schwankt je nach dem Zu- und
Abfluss und folgt in dieser Beziehung nahezu den Schwankungen des
Fluss Wasserstandes.
Das Grundwasser ist in hygienischer Beziehung von grosser Wichtig-
keit. Ein gleichbleibender Grundwasserstand ist der nützlichste, wogegen
ein heftiges Sinken desselben nach einem vorangegangenen Steigen der Ent-
wickelung von krankheitserregenden Bakterien sich sehr förderlich zeigt.
Die Trockenlegung des Bodens, die Abführung des Tageswassers und be-
sonders der Auswurfstoffe dicht bevölkerter Gegenden durch Drainierung
ist deshalb eine von den wichtigsten Maassregeln zur Schöpfung eines
günstigen sanitären Zustandes. Deshalb sind die Städte, deren Grund-
wasser in älteren Zeiten durch das mit allen möglichen Krankheitskeimen
aus dem Abfall inficiert waren und die infolgedessen eine hohe Sterb-
lichkeit aufwiesen, durch die Kanalisationsanlagen der neueren Zeit auf
eine ebenso gute oder bisweilen bessere sanitäre Stufe als das Land
gebracht. ^
Quellen und Brunnen. An einigen Stellen tritt das Grundwasser,
indem es längs einer undurchlässigen Schicht läuft, ans Tageslicht, wo
eben diese Schicht selbst an die Oberfläche tritt. Eine solche Stelle heisst
Quelle. An anderen Stellen geschieht dies nicht, sondern man muss,
um zu den wasserführenden Schichten zu gelangen, ein Loch (Brunnen)
in die überlagernden Schichten bohren.
Ein Teil des Grundwasssers sickert direkt in die Flüsse oder in
das Meer.
Die Quellen halten eine nahezu konstante Temperatur im ganzen
41 ß Physik der Erde.
Jahre, weil das Wasser durch so tiefe Schichten gelaufen ist, dass in
denselben die jährliche Temperaturschwankung sich nicht geltend macht.
Weil sie aus tieferen Schichten stammen, ist das Wasser gewöhnlicher-
weise etwas wärmer als die mittlere Jahrestemperatur am betreffenden
Ort. An Bruchstellen in der Erdoberfläche und besonders in vulkanischen
Gegenden, wo relativ heisse Erdlager nahe an die Oberfläche hinauf-
reichen, sind die Quellen häufig sehr warm, sie werden dann Thermen
genannt und werden zu Bädern benutzt. Häufig halten diese warmen
Wässer relativ grosse Mengen Mineralbestandteile aufgelöst, sie dienen
dann zu medicinischen Zwecken (Mineralquellen).
Die gewöhnlichen Quellen halten in erster Linie die Gase der Luft
aufgelöst, nämlich Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure und geringe
Mengen von Argon und Helium. Durch die Anwesenheit der Kohlen-
säure wird das Wasser befähigt, Oalciumkarbonat in grösserer Menge
aufzulösen. Aus den Mineralstoffen in der Erde löst das Wasser auch
Chlornatrium, Gips, Phosphate und geringe Mengen Kieselsäure. Ge-
wöhnliches Quellenwasser enthält im Mittel auf 100000 Teile Wasser
etwa 32 Teile feste Stoffe, darunter 8 Teile Calciumkarbonat und ebenso
viel Kochsalz. Brunnenwasser dagegen hält im Mittel 89 Teile feste
Stoffe, worunter 15 Teile Calciumkarbonat und 28 Teile Kochsalz auf
100000 Teile. Ammoniak und Nitrate im Wasser sind Anzeichen, dass
es organische Substanzen aufgenommen hat. Die Thermen enthalten
sehr grosse Mengen Mineralbestandteile, Schwefelwasserstoff, Kohlensäure,
bisweilen Borsäure {in Italien) und Chlorwasserstoff oder Schwefelsäure
(in Japan). Die Mineralwässer sind ausgezeichnet durch Gehalt von
Eisenoxydulsalzen (speziell Karbonat), Magnesiumsulfat (Bitterwasser),
Lithiumsalzen, Natriumsulfat, Natriumkarbonat, in seltenen Fällen
Strontium, Mangan (Pyrmont), Arseniate u. s. w. Sie werden gerade
wegen des Gehaltes an diesen Salzen aufgesucht. Es verdient vielleicht
erwähnt zu werden, dass Bunsen Salze der seltenen Metalle Rubidium
und Caesium in Quellenwasser entdeckte. Zu den Mineralquellen gehören
auch die Geysire, von welchen oben die Rede war (vgl. S. 304).
Als Beispiele der Temperaturen in heissen Quellen mögen folgende
Daten für einige der wichtigsten derselben angeführt werden (nach
von Haas).
Abano in den Euganeen . . 84,5 Wiesbaden, Kochbrunnen . 69
Karlsbader Sprudel . . . 73,8 Baden-Baden, Hauptquelle . 68,6
Plombieres 71 Mehadia (Maximum) . . . 62,5
IV. Das Wasser auf dem Festlande.
Aachen, Kaiserquelle .
. . 55
Lucca
. . 54
Lenk
. . 51
Gastein (Maximum)
. . 49,6
Bath (Maximum) . .
. . 48,9
Baden LS
. . 48
Teplitz (vor 1879) . .
. . 48
417
Pjätigorsk, Kaukasus (Maxim.) 47,5
Pfäffers 37,5
Wildbad (Mittel) .... 37,4
Artesische Brunnen.
Neusalzwerk, Westfalen . . 34
Rüdersdorf bei Berlin . . . 33,6
Grenelle bei Paris .... 27,7
Die Temperatur kann ganz bedeutend schwanken, wie zu Herkules-
bad bei Mehadia in Süd -Ungarn, wo die Temperaturextreme 17^ und
41^ sind, was jedoch eine ungewöhnliche grosse Schwankung darstellt.
Wenn die Thermen keine grossen Salzmengen enthalten (sogenannte
indifferente Thermen oder Wildbäder, wie Gastein, Lenk, Wildbad in
Württemberg), ist keine Grenze zwischen ihnen und den artesischen
Brunnen zu ziehen.
Nachstehend sind die Hauptbestandteile einiger der gewöhnlichsten
Mineralwässer verzeichnet.
Alkalescens
In 100000 Teilen enthält jy^ (jq
Apollinaris 207
Biliner 364
Emser Kesselbrunnen . . . 173
Karlsbader Sprudel .... 183
Kissinger ßacoczy . . . . 115
Marienbader Kreuzbrunnen . 228
Ofener, Hunyadi Janos . . 178
Vichj, Grande Grille . . . 423
Wildunger . 161
Chlor Schwefelsäure
Cl SOs
82.4 15,9
23,2 52,5
62,6 3
62.5 141,2
391 62
103 282
79 1968
32,4 16,4
0,5 4,4
Kalk Wasserfreie
Ca 0 Salze
14,7
22,5
8,5
16,9
75,8
29,2
52
16,0
27,7
364
496
283
543
856
897
3505
525
102
Das Chlor und die Schwefelsäure sind hauptsächlich als Chlornatrium
und Natriumsulfat vorhanden ; in Hunyadi Janos ist der grosse Schwefel-
säuregehalt durch Magnesiumsulfat bedingt.
Stark kalkhaltiges Wasser wird hart, weniger kalkhaltiges weich
genannt. Wenn der Gehalt von 100 Litern Wasser 20 g Kalk (Ca 0
+ Mg 0) und 50 g an gelösten festen Stoffen übersteigt, so wird das
Wassf^r nicht mehr als ein gutes Trinkwasser angesehen. Bei Gehalt
von Magnesia rechnet man, dass 1 g Magnesia ebenso viel zur Härte
des Wassers beiträgt wie 1,4 g Kalk. Der Härtegrad eines Wassers
wird als Anzahl Gramm Kalk auf 100 Liter Wasser angegeben. Die
Kenntnis des Härtesrrades des Wassers ist in technischer Hinsicht
Arrhenius, Kosmische Physik.
27
418 Physik der Erde.
von grosser Bedeutung, da die Bildung von Kesselstein in Dampfkesseln
damit zusammenhängt. Ein weiches Wasser ist für den Dampfkessel-
betrieb von sehr hohem Werte.
Die Mineralbestandteile des Quellenwassers werden oft bei der Mün-
dung der Quelle abgesetzt und werden dann Sinter oder Tuff genannt.
Solche Bildungen kommen in recht grossen Mengen in verschiedenen
geologischen Schichten vor; sie schliessen häufig interessante Versteine-
rungen ein von Gegenständen, die ins Wasser gefallen sind (vgl. S. 291).
Bisweilen tritt das Wasser beim Bohren eines Brunnens als Wasser-
strahl in die Luft ein. Dies kann davon herrühren, dass der Brunnen
in einem Thale liegt, sodass die wasserführende Schicht einen konkaven
Bogen bildet, von dem die Teile am Thalrande höher liegen als die
Thalsohle. Das Wasser fliesst in diesem Falle aus wie aus der Röhre
einer Fontäne, welche mit einem höher liegenden Wasserreservoir in
Verbindung steht. Diese Brunnen werden artesische Brunnen genannt
und spielen eine recht grosse Rolle in Algier, wo man durch Öffnung
von artesischen Brunnen Oasen in der Wüste geschaffen hat.
In anderen Fällen kann das Wasser durch starke Gasentwickelung
hinaufgepresst werden, wie bei den Öl- und Naturgas-Quellen.
Öfters kommen Quellen vor, die nicht kontinuierlich fliessen, soge-
nannte intermittierende Quellen. In anderen Fällen wechselt die ge-
lieferte Wassermenge periodisch. Man kann sich verschiedene mecha-
nische Anordnungen denken, durch welche ein solcher Zustand entsteht,
und die vermutlich irgendwie durch den Zufall von der Natur realisiert
worden sind.
Flüsse. Die Quellen geben zur Bildung von Bächen Anlass, welche
Rinnen in den Boden hineingraben, sodass stetige Wasserläufe, Fluss-
bette, entstehen. Man kann sich vorstellen, dass die Rinne anfangs
ganz flach war. Je geringer die Wassermasse oder je schmäler der
Wasserlauf ist, desto grösser muss das Gefälle sein, damit sie abfliessen
kann. In der Nähe des Meeres, wo mehrere Bäche und Flüsse sich
vereinigt haben, ist dieses Flussbett flacher.
Normalge fälle. Nehmen wir an, die Wasserfläche des Meeres sei
////(Fig. 139) und ein Teil der festen Erdoberfläche werde plötzlich gehoben,
sodass er die Lage QR einnimmt. Eine Quelle befinde sich in Q, wovon
das Wasser längs der schiefen Ebene QM zum Meere fliesst, so ist M
die Mündung des von der Quelle Q stammenden Flusses. Das Wasser
führt feste Bestandteile mit zum Meere, das anfängliche Flussbett
ist QM. Allmählich gräbt sich der Fluss eine Rinne. Am Ober-
IV. Das Wasser auf dem Festlande.
419
lauf des Flusses werden Erdpartikelchen abgeschwemmt, um am Unter-
lauf des Flusses abgesetzt zu werden. Zwischen dem Oberlauf und dem
Unterlauf des Flusses liegt eine, häufig lange, Strecke, wo der Fluss bis-
weilen erodiert, zu anderen Zeiten aber ablagert, dieselbe wird Mittel-
lauf genannt. Infolgedessen baut sich der Strom einen neuen Lauf,
(), i/i, der im oberen Teile niedriger, im unteren Teile dagegen höher wie
QM liegt. Bei noch weiter verlaufendem Prozesse nimmt der Flusslauf eine
noch niedriger liegende Rinne, 02-^21 ^^^- Zugleich verschiebt sich die
Mündung immer weiter ins Meer hinein. Das Gefälle wird immer steiler
im Oberlauf, immer flacher im Unterlauf. Zufolge des steilen Abfalles
in der Nähe der Quelle rutschen auch Teile vom Bergrücken hinter Q
ab, wodurch die Lage der Quelle stetig sinkt. Der Fluss hat daselbst
Fig. 139. Schematische Darstellung der Entwickelung eines „Normalgefälles".
den Charakter eines Wildbaches, welcher bei starkem Eegen enorm
schwillt und wegen des starken Gefälles oft sehr grosse Mengen von Ge-
schiebe heruntertransportiert und als Schuttkegel auf die unterliegende
sanftere Böschung ablagert. Solche Schuttkegel werden bisweilen von
Nebenflüssen in das Hauptthal hinuntergespült und können dadurch Ver-
änderungen im Laufe des Hauptflusses hervorbringen.
Wenn das Geschiebe im Wildbach den grösseren Teil von seinem
Inhalte ausmacht, spricht man von Murbrüchen oder Murgängen. Die-
selben richten häufig grosse Verheerungen an.
Die Form, welcher das Stromgefälle zustrebt, wird Normalgefälle
genannt. Als Beispiel eines solchen möge nebenstehende Figur, das
Gefälle des Wienflusses und seiner Nebenflüsse oberhalb Wiens dar-
stellend, wiedergegeben werden (Fig. 140). Dasselbe hat eine hyberbel-
ähnliche Gestalt mit nahezu konstantem Gefälle im untersten Teil.
ZoUikofer hat auch dafür eine dementsprechende Formel:
27*
420
Physik der Erde.
Ä =
m
n -{• l
pl
vorgeschlagen, worin h die Höhe des Flusslanfes, / die Entfernung von
der Quelle, m, n und p Konstanten bedeuten.
In der Wirklichkeit ändert sich die Härte der Unterlage während
des Flusslaufes, sodass keine so regelmässige Form desselben, wie die
obengenannte, sich entwickeln kann. Das Gefälle braucht demnach nicht
kontinuierlich von der Quelle bis zur Mündung abzunehmen, sondern in
gebirgigen Gegenden, wo Steine von den Bergabhängen in die Flussrinne
hineinfallen, können Stromschnellen und Wasserfälle entstehen.
Oppikofer glaubte, dass die Rinne des Normal gefälles einem
Cjkloidenbogen entspreche. Diese Kurve entspricht der Bedingung,
-600
-500
-uoo
-300
-200
0 W 20 W a^Kni-
Fig. 140. Gefällskurve des Wienfiusses und ihrer Zuflüsse (nach Penck).
dass eine Wasserpartikel, welche in einen Punkt der Kinne fällt, so
schnell wie möglich zur Mündung gelangt. Es wird dabei aber voraus-
gesetzt, dass die Reibung verschwindend sei, was nicht zutrifft. In der
That bilden sich die Flussrinnen so aus, dass sie immer geschwinder
das W^asser abfliessen lassen.
Dieser Umstand ist gewissermaassen nicht nützlich. Das Binnenland
wird ausgetrocknet und bei den Schneeschmelzen entstehen verheerende
Überschwemmungen. Die künstliche Drainierung des Bodens trägt auch
zum schnellen Abfluss des Regenwassers bei. Dagegen wirken Seen,
Sümpfe und Wälder als grosse Regulatoren der Abflussmenge. In den
Wäldern ist es nicht nur das Bodenmoos, welches den Regen ansammelt^
sondern die Löcher im Boden nach alten vermoderten Wurzeln wirken
vielleicht noch kräftiger.
Seitliche Erosion. Gleichzeitig mit der rinnenbildenden Wirkung
IV. Das Wasser auf dem Fesfclande.
421
des Flusses bewirkt die Verwitterung die Verbreiterung des Flussthaies.
In der Jugend des Flusses ist die ausgrabende Wirkung des Flusses
die vorwiegende. Wenn die Verwitterung sehr gering ist, was z. B.
eintrifft, wenn der Fluss durch trockene Gegenden in harten Felsen
fiiesst, so bildet sich eine Rinne
mit steilen Wänden aus, wie dies
am meisten typisch in dem Caiion
des Coloradoflusses (Fig. 141) her-
vortritt. Ähnliche Bildungen in ge-
ringerer Skala kommen in den
„Klammen" in Europa vor. Der
Fluss hat also in seiner Jugend ein
Bett, dessen Profil der Figur 142a
entspricht. In späteren Zeiten ent-
wickelt sich das Flussbett zufolge
der Verwitterung und nimmt die
Formen 6, c h nacheinander an.
In vielen Fällen hat der Fluss
das ganze Flussthal ausgegraben.
In anderen Fällen, wie häufig in
der Schweiz, hat der Fluss eine alte,
von geologischen Ursachen herrüh-
rende Einbiegung als Flussbett
benutzt. In solchen Fällen wird
das Flussthal eine Art Kombination
der geologischen und hydrographi-
schen Wirkungen.
Veränderungen im Gefälle.
Wenn die Landmasse gehoben wird,
so wird der Fluss so zu sagen ver-
jüngt, er fängt an, eine neue
Einne in sein altes breites Thal
hineinzuschneiden. Im Gegenteil
i
Hj^
^SHHIlk..^
V**v* ^ ^,. - v
■' ■^'■^^♦Vj^*
^ß
^■VbVk ^-^^^^^^^^^^^^H
^^#
|y;^g|ap-/-
■-%,%^
^'^'^W
•v.^>^^
'> '"^^^Ä
■^'■'^ -— — ^"L»-
'^v«§^^MH»'
,., ^-^
--^^^':^i^;g^w^
Fig. 141. Canon des Coloradoflusses.
^;^*Ä=
V \ \ \
,f
-----f?
■-9
Fig. 142. Schematische Darstellung
der Entwickelung eines, jungen" Fluss-
thales aa zu immer „älteren" Formen
(bis hh)
wenn der Boden sich senkt, tritt das Seewasser in die alten Flussthäler
hinein und bildet dadurch ein verzweigtes Fjord- System.
Hebt sich das Land lokal unter einem Fluss, so kann es geschehen,
dass der Fluss sein Bett ebenso schnell aushöhlt. Beispiele solcher
Wirkung sind die Poprad, welche die Karpathen durchdringt, der den
Olj^mpos durchsetzende Salamvriasfluss und der Susquehanna, welcher die
422
Physik der Erde.
vielen Faltungen des Alleghany- Gebirges überquert. Oder was das ge-
wöhnlichere ist, der Pluss wird aufgedämmt, es entsteht ein See und
der Abfluss wird zur Seite abgelenkt.
Durch die Schuttmassen, welche von den Bergen in Flüsse hinunter-
rutschen, können Flussläufe stark geändert werden. Ebenso können
vulkanische Ergüsse quer über Flussbette die Stromverhältnisse ändern.
Die grossen Schuttmassen, welche während der Eiszeit abgeladen wurden,
veränderten stark die Flussläufe.
In allen diesen Fällen entsteht eine Verjüngung des Flussbettes
mit zahlreichen Wasserfällen und Stromschnellen und schwacher
Drainierung.
Wasserfälle. Wenn bei der Aushöhlung des Flussbettes ver-
schieden harte Schichten an verschiedenen Stellen des Flusslaufes vor-
kommen, so entsteht an der Begrenzungslinie
ein Wasserfall, oder wenn der Übergang mehr
kontinuierlich vor sich geht, eine Stromschnelle.
Als typischer Wasserfall kann der Niagara be-
trachtet w^erden. Der Niagarafluss fliesst hi
einem Bett von hartem Kalkstein, unter welchem
weichere Schichten liegen. Allmählich bröckelt
der Fluss den Kalkstein unter dem Falle her-
unter und die tiefer liegenden Schichten werden
ohne Mühe weggespült (vgl. Fig. 143). Wahr-
scheinlich werden die weicheren unteren Schich-
ten so ausgewaschen, dass eine Höhlung unter
den Kalksteinschichten entsteht, welche dann
um so leichter abbröckeln. In dieser Weise
schreitet der Niagarafall um etwa 1,5 m pro Jahr zurück. Da die
Kalksteinschichten eine geringe Neigung nach dem Inneren des Kon-
tinents besitzen , so sinkt gleichzeitig auch das Flussbett ein wenig und
damit der Erie-See. Der Wasserfall ist jetzt 48 bis 50 m hoch, war
aber in der ersten Zeit, als der Auslauf 10 km weiter entfernt lag
(bei Queenstown), beinahe doppelt so hoch. Man hat daraus be-
rechnet, dass etwa 15000 Jahre vergangen sein sollen, seitdem der
Niagarafall anfing, sein Flussbett auszuhöhlen. Dies geschah am Ende
der Eiszeit, als das Eis abschmolz und die alte Flussrinne gefüllt zurück-
liess, sodass der Fluss sich einen neuen Weg bahnen musste. (Dass
mehr als 15000 Jahre seit der Eiszeit verflossen sind, wird jedoch von
den meisten aus triftigen Gründen angenommen (vgl. S. 405).
Fig. 143. Schematische
Darstellung des Nia-
garafalles, a Harter
Kalkstein, b Weichere
Schichten.
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 423
In ebenderselben Weise sind die meisten Wasserfälle entstanden
(in Gegenden, wo die Vereisung während der Eiszeit auftrat). Das In-
landeis hatte die alten Flussläufe mit Geröll und Geschieben ausgefüllt.
Dadurch entstanden beim Zurückziehen des Eises Stauungen des Wassers,
mit anderen Worten Seen wurden gebildet. Einige Seen wurden gegen
den Eisrand des Eises selbst aufgestaut. Das Wasser musste sich neue
Auswege suchen und fiel dann häufig über steile Abhänge und bildete
Wasserfälle. Beispiele davon giebt es sehr viele in Skandinavien.
In dieser Weise wurde die Salzach von dem Eise aufgedämmt und
bohrte sich ein neues Bett durch die Taxenbacher Kluft. Ihr altes Bett,
worin jetzt die Saalach fliesst, hat sie nicht wiedergefunden. Ebenso kann
eine Schutt- oder Lavamasse einen Fluss aufdämmen und zur Bildung
von Seen und Wasserfällen Anlass geben.
Die ökonomische Bedeutung der Wasserfälle. In den
Wasserfällen findet man einen Teil der Sonnenwärme in Form von me-
chanischer Energie wieder. Die Sonne hebt die Wasserdämpfe, welche
in den Bergen als Kegen hinabfallen und nachher durch das Flussbett
zum Meer zurückkehren Wie oben angedeutet, ist das Gefälle gewöhn-
lich am grössten im oberen Lauf der Flüsse und folglich wird die im
Wasser aufgespeicherte Energie in diesen Teilen am leichtesten zurück-
gewonnen. Diese Energie wird schon jetzt, besonders in der Schweiz,
Norditalien und Teilen von Nordamerika ausgenutzt und obgleich bisher
nur sehr geringe Bruchteile der Wasserfallkraft verwendet werden, haben
sie schon einen bedeutenden Umschwung der Industrie hervorgerufen.
Um dies zu verstehen, brauchen wir nur daran zu erinnern, wie
die jetzige Industrie auf die kohlenproduzierenden Gegenden konzen-
triert ist, weil daselbst die zur Speisung der Dampfmaschinen benutzte
Kohle einen relativ niederen Preis hat. Die ganze Kohlenproduktion
der Erde beläuft sich (1900) zu etwa 700 Mill. Tonnen. Wenn diese
Kohlenmasse in Dampfmaschinen von sehr guter Konstruktion, welche
etwa 0,7 kg pro Pferdekraftstun de verbrauchen, verbrannt werden würde,
könnte man daraus etwa 120 Mill. Pferdekräfte bei stetigem Betrieb
gewinnen. Man schätzt, dass etwa die Hälfte der Kohlen zu anderen
(hauptsächlich Heizungs-) Zwecken verbraucht werden, und dass im Mittel
die Maschinen dreimal weniger ökonomisch arbeiten als oben angenommen
wurde. (Kleine Maschinen verbrauchen viel mehr Kohle pro Pferde-
kraft als grosse.) Demnach entspräche die von der jetzigen Industrie
verbrauchte Energiemenge etwa 20 Millionen Pferdekräften.
Die Energiemengen, welche sich aus den Wasserfällen gewinnen
424 Physik der Erde.
lassen, konnten bisher nur roh geschätzt werden. Man ist der Ansicht,
dass die benutzbaren Wasserkräfte der Schweiz, Italiens und Frank-
reichs in jedem der drei Länder zwischen drei und fünf Millionen Pferde-
kräfte repräsentieren. Die skandinavischen und Alpenländer würden
zusammen ohne Zweifel ihren Wasserfällen so viel Energie entnehmen
können, dass diese den Kraftbedürfnissen der ganzen jetzigen Weltindustrie
entspräche. Wenn man bedenkt, einen wie kleinen Teil diese Länder
auf dem Erdball ausmachen, kann man leicht die grosse zukünftige Be-
deutung der Wasserfälle für die Industrie verstehen.
Obgleich durch den immer mehr ermöglichten Elektricitätstransport
die Energie der Wasserfälle nicht streng an den Produktionsort ge-
bunden ist, so ist doch zur Zeit keine Aussicht vorhanden, dass die
Wasserfallenergie eine mit derjenigen der Kohlen vergleichbare Trans-
portfähigkeit erhalten wird. Die Ausnutzung jener Energie wird demnach
eine noch stärkere Konzentration der Industrie als der Kohlenverbrauch
herbeiführen.
Die Energiemenge eines Wasserfalles wird folgendermaassen be-
rechnet. Eine Pferdekraft entspricht 75 Meterkilogramm pro Sekunde.
Wenn demnach ein Fluss n m^ Wasser pro Sekunde führt und dieses
Wasser h m hoch fällt, so ist die Energiemenge E:
E= n.h.lOOO:1b = n,dn.h. Pferdekräfte.
Von dieser Energiemenge verliert man schon einen bedeutenden Teil
(im günstigsten Falle etwa 20 Proz.) bei der Übertragung der Kraft
auf die Turbinenwelle. Weitere Verluste entstehen bei der Überfüh-
rung der mechanischen Energie in elektrische und bei dem Transport
derselben wie bei ihrer Umsetzung in mechanische Arbeit an der Yer-
brauchsstelle.
Noch grössere Verluste entstehen durch den ungleichmässigen Zufluss
des Wassers. Wenn der Niagarafluss bei dem Niagarafalle gleichmässig
fortfliessen würde, so könnte dieser Wasserfall nicht weniger als sieben
Millionen Pferdekräfte der Industrie abgeben. Wegen des ungleich-
mässigen Wasserzuflusses könnte wohl jetzt kaum eine Million Pferde-
kräfte mit Vorteil abgezweigt werden, wovon bisher nur der zwanzigste
Teil „montiert" ist. Dieses Verhältnis kann sich natürlich mit der
Zeit je nach den äusseren Umständen stark verschieben.
Im allgemeinen dienen die Seen in einem Flusssystem als grosse
Regulatoren des Wasserzuflusses und die Wasserfälle sind deshalb um
so wertvoller, je grösser die oben liegenden Seereservoire sind. In ahn-
ly. Das Wasser auf dem Festlande. 425
lieber Weise wirken auch Gletscher und in geringerem Maasse Wälder
und Sümpfe.
Der Schlammgehalt der Flüsse wirkt auch ungünstig auf die Tur-
binen, weshalb die Klärung der Flüsse in einem Seebecken sehr nützlich
ist. Unter den grössten Wasserkraftanlagen in Europa sind die Wasser-
werke bei Schaff hausen-Neuhausen, Rheinfelden (17000 PK.), Chevres bei
Genf (18000 PK.), Paderno-d'Adda und Vizzola bei Mailand (13000,
bezw. 12000 PK.), Jonage bei Lyon (10000 PK.), Etschwerke bei Meran
(7200 PK), Brennerwerke bei Matrei, Tyrol (6000 PK.), Gersthofen bei
Augsburg (5000 PK.).
Unterirdische Wasserläufe. In Karstgegenden verschwinden
häufig die Gewässer im Boden und haben einen unterirdischen Lauf,
wie der Poikfluss in der Nähe von Laibach zweimal unter der Erde ver-
schwindet. Um den Zusammenhang dieser verschiedenen Flussteile zu
konstatieren, löst man verschiedene Körper, wie Kochsalz und in neuerer
Zeit Fluorescem in dem einen Fluss auf und sieht nach, ob der andere
Fluss Spuren von dem ausgeschütteten Salz nach einer bestimmten Zeit
enthält. Das Fluorescem hat auch in den minimalsten Spuren die
Eigenschaft, dem Wasser eine stark grasgrüne Färbung zu erteilen.
Auf diese Weise hat man nachgewiesen, dass die Donau und der
Rhein in unterirdischer Verbindung stehen. In dem Juragebiet hat man
ebenfalls viele unterirdische Verbindungen zwischen den Wasserläufen
auf diese Weise entdeckt.
Ablenkung der Flüsse durch die Erddrehung und durch
Winde. Wie wir oben (S. 267) gesehen haben, glaubte v. Baer aus
theoretischen Gründen schliessen zu können, dass nordsüdlich verlaufende
Flüsse ihre rechten Ufer stärker als die linken corrodieren, und er wollte
diese Ansicht durch das Verhalten der grossen sibirischen Flüsse bekräftigt
sehen. Nun gilt die oben gegebene Ableitung nicht nur wie die von
Baer sehe für nordsüdlich sich bewegende Wässer, sondern für alle
Flüsse und Strömungen, sie mögen eine beliebige Richtung haben.
Verglichen mit der Schwerkraft {g) ist die ablenkende Kraft {p):
p 2.0,7 3. 10-* sin ^ __ 2^- sin g)
^ _ ^^ „_ ^ _ ^7 200 '
Bei einer geographischen Breite {(p) von 45 ^ was einigermaassen
für Mittel-Europa und Nord-Amerika zutrifft, wäre -= q. \o- Nimmt
426 Physik der Erde.
man den Rhein als Beispiel, für welchen im Unterlauf t'=l,5 m/sek.
sein mag, so erhält man ^ ==0,016 %o (9>==50^).
Wenn die Schwerkraft allein wirkte, so würde der Flussspiegel senk-
recht zur Strömungsrichtung sich horizontal stellen. Zufolge der Ein-
wirkung der ablenkenden Kraft der Erddrehung bildet er einen Winkel
t/; mit der wagerechten Linie, der so gross ist, dass
^^1^ = 0,016 %o.
Da nun bei Mannheim das Rheingefälle etwa 0,1 \o heträgt, so
ersieht man aus diesem Beispiel, dass unter günstigen Umständen das
von der Erddrehung bewirkte Gefälle von rechts nach links nahezu
dieselbe Grössenordnung erreichen kann, wie das Gefälle des Flussbettes.
Man ist dann berechtigt zu schliessen, dass unter Umständen die
genannte Kraft einen merklichen Einfluss auf den Flusslauf ausüben
kann. Man hat auch gefunden, dass auf der nördlichen Halbkugel die
rechten Prallstellen in regulierten Flüssen im allgemeinen etwas tiefer
sind als die linken. So z. B. ist für den Rhein auf der Strecke Strass-
burg-Maxau die mittlere Tiefe der rechten Prallstellen 6,23, diejenige
der linken 5,98 m einer Differenz von 4,1 Proz. entsprechend. Für
die regulierte Donau bei Wien gelten die entsprechenden Ziffern 6,1
bezw. 5,8 m mit einer Differenz von 5 Prozent.
Diese Wirkung ist jedoch bei den meisten natürlichen Flüssen nur
ein Bruchteil von der durch die Schlängelung entstehenden Centrifugal-
kraft, zu welcher sie sich als ein Korrektionsglied hinzufügt. So fand
z. B. Gilbert, dass in den Serpentinen des unteren Mississippi die
erodierende Kraft im Mittel um 9 Proz. grösser auf der rechten als auf
der linken Seite ist.
Anfangs tiberschätzte man etwas die Wirkung der Erddrehung,
später, als D unk er die viel grössere Bedeutung der Centrifugalkraft bei
der Serpentinisierung nachwies, wurden mehrere als Beispiele der erst-
genannten Wirkung angesehene Fälle ausgemustert. Auch muss
man bei solchen Untersuchungen die verschiedene Härte der beiden
Flussufer, die Streichung der Schichten und andere Umstände in Be-
tracht ziehen, welche häufig einen bedeutenden Eintiuss auf die Aus-
grabung des Flussbettes ausüben.
Auch die Winde können einen Einfluss auf die Uferbildung aus-
üben, besonders bei Wässern von massiger Geschwindigkeit. Damit ein
merklicher Einfluss ausgeübt wird, muss eine ziemlich ausgeprägte
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 427
überwiegende Windrichtung am betreffenden Platze herrschen. Die Winde
treiben auch wie in den Seen das Oberflächenwasser gegen die Leeseite
hinauf, wo es hinuntersinkt, um in tieferen Schichten zurückzukehren,
wodurch Strömungen entstehen.
Die Wassermenge eines Flusses. Um diese Grösse zu er-
mitteln, braucht man die Kenntnis der Geschwindigkeit, mit welcher
das Wasser sich bewegt. Um diese zu messen, hat man verschiedene
Apparate, von welchen einige gelegentlich der Bestimmung der Stärke
der Meeresströmungen oben erwähnt sind. Um die Oberflächengeschwin-
digkeit zu messen, kann man am einfachsten die Bewegung von aus-
geworfenen Schwimmkörpern zeitlich verfolgen. Ein einfaches, nicht
sehr genaues Instrument, um die Geschwindigkeit an beliebigen Stellen
zu messen, ist der Stromquadrant, bei welchem man die Abweichung
des Aufhängefadens eines Bleilotes von der Lotlinie abliest. Das Lot
wird an die Stelle gebracht, an welcher man die Geschwindigkeit messen
will. Man nimmt an, dass die Kraft, welche das Lot in Kichtung des
Stromes treibt, dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional sei. In-
folgedessen ist die Geschwindigkeit proportional der Quadratwurzel aus
der Tangente des Ablenkungswinkels, Der Proportionalitätsfaktor ist für
verschiedene Lote verschieden.
Durch ähnliche Messungen hat man gefunden, dass die Geschwin-
digkeit allmählich vom Eande oder Boden des Flusses, wo sie Null ist,
gegen die Mitte hin zunimmt. Das Maximum der Stromgeschwindig-
keit {Gmax) liegt nicht an der Oberfläche, sondern ein wenig darunter
(vgl. Fig. 144).
Von diesem Punkt ab nimmt die Geschwindigkeit G nach allen
Seiten hin ab, und zwar lassen sich die Geschwindigkeiten in ver-
schiedenen Tiefen ungefähr durch eine parabolische Linie darstellen,
welche ihren Scheitelpunkt in dem betreffenden Punkte besitzt. Auch
die Geschwindigkeiten an verschiedenen Stellen eines horizontalen
Durchschnittes lassen sich angenähert durch parabolische Linien dar-
stellen.
Aus den ermittelten Geschwindigkeiten an verschiedenen Stellen
des Flusses nimmt man ein Mittel, welches die mittlere Geschwindig-
keit darstellt. Diese hängt natürlicherweise vom Gefälle {x) und ausser-
dem von dem Verhältnis der Wassermenge zur Berührungsfläche mit
dem Boden des Flusses oder, was dasselbe ist, dem Verhältnis vom Quer-
schnitt (f) und Länge der Begrenzungslinie zwischen Wasser und festem
Erdboden {p) ab. Man hat zur Berechnung der mittleren Geschwin-
428
Physik der Erde.
digkeit {v) mehrere Formeln dargestellt, unter welchen die folgende den
Vorzug der Einfachheit besitzt:
v^xy xf:p.
Das Gefälle wird gleich der Tangente des Neigungswinkels des
Flussbettes gesetzt. Die Konstante K wechselt zwischen Werten von
36 für kleine und Gebirgsströme bis etwa 48 für den Unterlauf
der Flüsse. Bei viel Geschiebe führenden Gebirgsströmen kann K
r--^
Oherfl^iche^ des
Yhisses
\
-\
(r maa'^.
-, >
)
•
a
/
^oderv
Fig. 144. Geschwindigkeiten in verschiedenen Tiefen eines Flusses.
auf 12 sinken, bei sehr wasserreichen Strömen im Unterlaufe zu 70
steigen. Dabei werden als Einheiten Meter und Sekunde benutzt.
Die pro Sekunde vorwärtsfliessende Menge ist das Produkt von Ge-
schwindigkeit V und Querschnitt J. Sie ist natürlicherweise für ver-
schiedene Ströme sehr verschieden und auch für denselben Strom mit
der Jahreszeit sehr veränderlich. In unseren Breiten schwellen die
Flüsse häufig enoripa zu der Zeit der Schneeschmelze, die jährlichen
Überschwemmungen des Nils rühren von dem Märzregen in seinem
Quellengebiet her. Als Beispiel solcher Schwankungen möge angeführt
werden, dass die Wolga bei Moskau im Mittel 29 m^ pr. Sek. liefert,
während beim Hochwasser im Jahre 1879 die Ziffer auf nahezu den
hundertfachen Betrag stieg (2892 m^ pr. Sek.). Einige Flüsse, wie z. B.
in Centralasien, trocknen sogar in den trockenen Jahreszeiten aus.
Als Beispiele der Mächtigkeit der Flüsse mögen einige Ziffern über
ihte Wassermengen an der Mündung angeführt werden:
IV. Das Wasser auf dem Festlande.
429
Wolga giebt .
9900 in3
pr. Sek.
Donau giebt
. 8500 m3
pr. Sek.
Mississippi . .
17440 „
Ganges . .
. 5800 „
Neva . . .
3000 „
Indus . .
. 5700 „
Thames . .
63 „
Nil. . .
. 3700 „
Amazonfluss
. 70000 „
Hoangho . .
. 3300 „
Congo . .
51000 „
Rhone
. . 2400 „
Yangtse . .
22000 „
Rhein . .
. 2000 „
La Plata .
. 20000 „
Der grösste Fluss von Europa ist die Wolga. Sie liefert dem
Kaspischen Meere pro Jahr etwa 312 km^ Wasser, welches da verdunstet,
und noch etwas mehr, indem der Seespiegel dieses Meeres langsam sinkt
(er steht jetzt 26 m unter der Oberfläche des Schwarzen Meeres).
Woeikoff hat berechnet, dass alle Flüsse der Welt etwa 600000 m^
pro Sek. oder 16800 km^ pro Jahr dem Oceane abliefern. Nach einer
anderen Schätzung sollte diese Zahl 25000 km=^ erreichen. So gross
auch diese Menge ist, so ist sie sehr unbedeutend gegen die Wasser-
massen, welche von den grösseren Meeresströmungen transportiert werden
(vgl. S. 385), sie erreicht nicht den tausendsten Teil vom Golfstrom in der
Yucatanstrasse.
Man rechnet, dass ein massiger Strom mit einer Geschwindigkeit
von etwa 2 km pro Stunde fliesst, während die stärksten Ströme eine
Geschwindigkeit von etwa 10 km pro Stunde (= 2,8 m pro Sek.) er-
reichen. (Wildwässer können den doppelten bis dreifachen Wert er-
reichen.) Damit ein Fluss schiffbar sei, darf sein Gefälle nicht allzu
stark sein, sondern geringer als etwa 1 : 5000.
Wasserscheiden. Wieviel Wasser ein Fluss führt, hängt von
mehreren Umständen ab. In erster Linie kommt sein Niederschlags-
gebiet in Betracht, welches durch die Wasserscheide von dem Nieder-
schlagsgebiet anderer Flüsse geschieden wird. Vordem die Flüsse ihre
abtragende Arbeit angefangen haben, z. B. in Skandinavien und dem
nördlichen Nordamerika nach Abschmelzen des Inlandeises, ist die
Wasserscheide sehr wenig ausgeprägt und besteht häufig aus weit aus-
gedehnten Sümpfen. Bisweilen fliesst auch ein kleiner Gebirgssee zu
zwei verschiedenen Flüssen ab. Später, wenn die abfliessenden Gewässer
den Erdboden profiliert haben, wird das Gefälle in den oberen Teilen
der Wasserläufe steiler und die Wasserscheide stärker markiert. Zugleich
verschiebt sich die Wasserscheide durch die Abtragung des Wassers.
Ist die Regenmenge auf der einen Seite der Wasserscheide grösser als
430 Physik der Erde.
auf der anderen, so ist die Verwitteruug auf der ersten Seite im allge-
meinen grösser als auf der zweiten und die Wasserscheide verschiebt
sich so, dass das Niederschlagsgebiet des zur ersten Seite gehörigen
Flusses auf Kosten des anderen wächst. Dasselbe trifft ein, wenn der
Boden auf der einen Seite weniger fest ist wie auf der anderen. Durch
Durchstechung der Wasserscheide kann das Niederschlagsgebiet eines
Flusses plötzlich verändert werden, dies kann natürlicherweise ohne
menschliche Hilfe zufolge eines Durcbbruchs, gewöhnlicherweise bei
Hochwasser, geschehen.
Abflussteil Nicht alles Wasser, welches in dem Niederschlags-
gebiete eines Flusses fällt, wird durch die Flüsse zum Meere transportiert.
Eine grössere oder geringere Menge dunstet ab. Dies kann in so hohem
Grade der Fall sein, dass das Wasser des Flusses überhaupt nicht zum
Ocean kommt, wie es z. B. mit der Wolga, dem Jordan und den Flüssen
eines grossen Gebietes in Afrika, Asien, Australien und im Westen Nord-
amerikas der Fall ist. Das letzterwähnte Gebiet enthält den grossen
Salzsee. In älteren Zeiten stand das Wasser, wie alte Strandlinien zeigen,
viel höher in diesem See, welcher mit mehreren anderen Seen zusammen
einen grossen See, den sog. Lake Bonneville bildete, welcher einen Ab-
fluss zum Golf von Kalifornien hatte. In diesen Zeiten muss der Nieder-
schlag viel reichlicher und das Klima daselbst viel feuchter gewesen sein.
Man hat ein paar solcher Schwankungen zwischen feuchtem und trockenem
Klima in der erwähnten Gegend nachgewiesen. Das gleiche ist früher
mit dem Kaspischen und dem Toten Meere der Fall gewesen.
Meist führt der Fluss einen Teil des Niederschlagswassers zum Meere
oder zu einem grösseren Flusse. Man nennt denjenigen Teil des Nieder-
schlages, welcher vom Niederschlagsgebiete weg befördert wird, Abfluss-
teil. Er ist für verschiedene Flüsse sehr verschieden und zwar im all-
gemeinen um so grösser, je kürzer der Fluss und je feuchter das Klima.
So z. B. beläuft sich dieser Teil für die kleinen Nebenflüsse des
Mississippi zu 0,9, während er für die grossen Nebenflüsse Ohio, Missouri
und Red River auf 0,24, 0,15 bezw. 0,15 sinkt. Für das ganze Mississippi-
gebiet ist der Abflussteil 0,25. Für deutsche Flüsse ist nach MöUen-
dorff der mittlere Abflussteil etwa 47 Proz., nach Gräve nur 31,4
Prozent. Durch die Elbe bei Tetschen fliesst im Mittel 27 Pruz. des
Niederschlags in dem oberhalb liegenden Niederschlagsgebiete ab. Für
die nördlichen Flüsse Skandinaviens steigt dieser Teil noch mehr, z. B.
für Lule-elf bei Mälstorp und für Klarelf bei Skäre zu 87 Proz.
Transport von Schlamm und Geschiebe. Das Flussvvasser
Das Wasser auf dem Festlande. 43]^
führt eine sehr grosse Menge von festen Bestandteilen mit sich. Die-
selbe ist je nach der Stromgeschwindigkeit sehr verschieden, d. h. sie
verändert sich für denselben Fluss mit dem Beobachtungsort und mit
der Jahreszeit. So z. B. führt die Rhone bei Lyon nur 1 g feste Be-
standteile auf 17000 cm^ Wasser mit, dagegen weiter unten bei Arles
im Mittel 1 g auf 2000. An der letzterwähnten Stelle schwankt die
betreffende Zahl zwischen 1 auf 7000 bei niedrigem, und 1:230 bei
hohem, stark fliessenden Wasser. In exceptionellen Fällen kann diese
letzte Ziffer sogar auf 1 : 45 steigen. Die Flüsse von Mittel-Europa sind
relativ schlammarm, für gewöhnUch ist ihre Ziffer unter 1 : 10000. Die
Alpenflüsse haben häufig die Zahl 1 : 1000. Der Bhein hat vor der
Teilung in Holland nur die Zahl 1 : 18000, höher hinauf (bei Bonn)
steigt sie auf 1 :8000, mit Schwankungen zwischen 1 :4878 und 1:57800.
Die Elbe (bei Hamburg) ist relativ rein, die Ziffer ist nur 1 : 32000,
bei Tetschen ist sie 1:13000, die Donau hat die Zahl 1:7000 bei ,
Budapest und 1 : 2400 bei der Sulinamündung, der Mississippi in seinem
niederen Laufe 1 : 1500, Po 1 : 900 und Ganges und Indus sogar 1 : 510
bezw. 1 : 400.
Diese Mengen von festen Substanzen setzen sich an den Fluss-
müudungen in Binnenseen oder im Meere ab, oder auch teilweise in
den Flussläufen selbst. In den Seen oder dem Meere entstehen dadurch
Deltabildungen. Die Sinkstoffe w^erden von den Meereswogen und be-
sonders von den Gezeitenwellen in tieferes Wasser geführt, deshalb
finden grosse Deltabildungen nur in Seen oder Meeren statt, wo die
Gezeiten schwach ausgeprägt sind, wie im Golf von Mexiko, im Mittel-
meere, im Schwarzen und Kaspischen Meere, in der Nordsee u. s. w.
Ausser diesen suspendierten festen Teilen enthalten die Flusswässer
grosse Mengen von gelösten Substanzen. Als Beispiele mögen folgende
Ziffern, welche die Anzahl Gramm von gelösten Körpern pro m^ an-
geben, mitgeteilt werden:
Rhein bei Köln 200 Hudson . 142
Elbe bei Hamburg .... 237 Mississippi 170
Weichsel bei Kulm . . . . 201 Amazonfluss 59
Dwina 187 La Plata bei Buenos Aires . 237
Rhone bei Lyon 145 Nil bei Kairo 231
Donau bei Budapest . . . 187
Im Mittel führen die Flüsse gelöste Substanzen etwa zum Betrage
1 : 6000 ihrer Wassermenge.
432 Physik der Erde.
Nach Springs Schätzung führt die Maas durch die Stadt Lüttich
jährlich 362 Millionen Kilogramm feste Körper. Von diesen sind
22 Millionen organische, 238 Millionen suspendierte und 102 Millionen
Kilo gelöste anorganische Substanzen. Die Donau führt 14300 Millionen
Kilo feste Körper jährlich durch Wien. In 18000 Jahren würde dem-
nach das Niederschlagsgebiet der Donau oberhalb Wiens um 1 m
abgetragen werden. Andererseits setzt die Donau ein Delta an ihrer
Mündung ab, wodurch die 7 m - Tiefenlinie jährlich sich um etwa
100 bis 125 m verschiebt. Das 25000 km^ umfassende Deltaland vom
Mississippi rückt jährlich um 90 m in den mexikanischen Golf hinaus.
Nach den Berechnungen von Mellard Reade führen die drei grossen
chinesischen Flüsse Sediment genug, um das Gelbe Meer in etwa 100000
Jahren auszufüllen. Die grösste Deltabildung ist diejenige der beiden
Flüsse Ganges und Brahmaputra; sie umfasst nicht weniger als etwa
100000 km 2.
Auch in den Binnenseen kommen mächtige Deltaablagerungen vor.
Wenn der See schmal ist, kann es geschehen, dass sich ein Delta an der
Mündung des Flusses und ein anderes an der gegenüberliegenden Seite
absetzt. Dies trifft z. B. bei Interlaken zu, wo die Thuner- und
Brienzer-Seen voneinander getrennt worden sind. In ebenderselben Weise
ist der Mezzola-See von dem Corner- See durch eine Deltabildung der
Addä getrennt worden. In einem solchen Falle wird allmählich der See
in zwei zerlegt. Durch die grosse Zufuhr von Sinkstoffen zu den Binnen-
seen haben diese nur eine sehr beschränkte Lebensdauer, besonders die
kleineren. Binnenseen finden sich in grosser Menge deshalb nur in
solchen Gegenden, wo die Flüsse nicht lange ihre Nivellierungsarbeit
ausgeführt haben, z. B. in den Teilen der Erde (Skandinavien, Finnland,
nördlichen Teile von Nordamerika), wo Eiszeit bis vor, geologisch ge-'
sprechen, ganz kurzer Zeit herrschte. Auch in Flussläufen kommen
deltaförmige Bildungen vor, z. B, da, wo ein steiler Bergbach in die
Ebene tritt.
Im Flusslaufe selbst setzt sich das grössere Gerolle, Sand u. s.w. als
Sandbänke an Stellen ab, wo die Stromgeschwindigkeit massig wird.
Besonders geschieht diej?, wenn der Fluss über seine Ufer steigt, z. B. zur
Zeit der Schneeschmelzung, wobei er für gewöhnlich grosse Mengen von
Sinkstoffen mitführt. In dieser Weise bildet der Fluss allmählich eine
grosse Ebene, in deren Mitte er durch ein gewöhnlicherweise schlängeln-
des Flussbett hinzieht. An solchen Stellen, wo der Fluss sich krümmt,
setzt er seine Sedimente da ab, wo er am langsamsten fliesst, d. h. wo
IV. Das Wasser auf dem Festlande.
433
die Ufer konvex sind (bei a\ untergräbt dagegen die gegenüberliege!] de
Stossseite (bei h Fig. 145). Dadurch werden die Bogen immer grösser
und der Fluss mehr schlängelnd. Der Fluss beschreibt Mäander oder
serpentinisiert. Zuletzt passiert es, dass bei einer Überschwemmung das
Wasser den kürzeren Weg zwischen den beiden Enden eines ßogens
findet und einen Kanal ausgräbt. Der alte Flusslauf wird dann bald in
der Nähe des Stromes eingesandet, sodass von dem früheren
Flussbogen ein hufeisenförmiger See übrig bleibt (sog.
Altwässer (Fig. 146), sie sind längs des Mississippi sehr
gewöhnlich). Solche entstehen auch häufig bei Fluss-
regulierungen. Die Altwässer werden häufig zu Hoch-
wasserzeiten durch Sand zugeschüttet und verlieren ihr
Wasser, sie werden dann „Eideaus" oder „Wagrame" ge-
nannt. Solche kommen in der Theissniederung häufig vor, auch am Nord-
ende der oberrheinischen Tiefebene (z. B. alte Neckar- und Mainläufe).
Je mehr Sand und Geschiebe ein Fluss enthält, desto kräftiger wirkt
er aushöhlend auf sein Flussbett. Nach dem Austritt aus einem See
Fig. 145.
Fig. 146. Hufeisensee und Porter See, „Altwässer" am Mississippi.
besitzt deshalb der Fluss viel weniger Fähigkeit, sein Flussbett auszu-
meisseln, wie vorher. Die' Vernichtung der Seen hat man deshalb viel
weniger der Vertiefung der Flussrinne an dem Ausflusse als der Aus-
füllung des Sees beim Einlaufe des Flusses zuzuschreiben.
Auf der Flussebene treten die Nebenflüsse unter sehr spitzem
Winkel in den Hauptfluss ein. Das Gefälle ist sehr gering, sodass eine
sehr grosse Menge von Sediment beim spitzen Winkel des Einlaufes ab-
gesetzt wird. Dadurch verschiebt sich allmählich die Einlaufstelle gegen
Arrhenius, Kosmische Physik. 28
434
Physik der Erde.
die
sich
p
CD
CO
r\0
o
FlussmünduDg und es kann so weit gehen, dass die beiden Flüsse
voneinander trennen und gesondert ins Meer münden.
Die Sedimente bilden in den Flussläufen grosse Bänke, die gewöhn-
lich abwechselnd auf der einen und der
anderen Seite des Flusses liegen (Fig.
147). Diese Bänke wandern allmählich
den Fluss hinunter. So z. B. sollen
nach Grebenau im mittleren Khein
die Bänke sich jährlich um 200 bis 400 m
verschieben. Nach 7 Jahren ist eine
Bank an Ort und Stelle der unter ihr
liegenden gelangt. Die Bänke der re-
gulierten Donau wandern jährlich etwa
100 bis 140 m. Noch viel rapider be-
wegen sich die Sandbänke der Loire nach
Partiot (vgl. die Tabelle S. 435 oben).
Ihre jährliche Bewegung wäre dem-
nach 4000, 1800, 1800 bezw. 730 m. Der
Zusammenhang mit dem Gefälle tritt
deutlich zu Tage.
Dieses Geschiebe wird auch allmäh-
lich zu den Binnenseen oder zum Meere
hinausbefördert. Die Menge desselben
beträgt für folgende Gebirgsflüsse, be-
rechnet auf jeden ausströmenden Kubik-
meter Wasser: Reuss (ürner See) 400 g,
Kander (Thuner See) 600 g, Achen
(Chiemsee) 250 g. Für gewöhnliche
Flüsse im Unterlauf ist dieser Ge-
schiebetransport viel unbedeutender. Wie
man daraus ersieht, erreicht seine Be-
deutung nicht diejenige des Schlamm-
transportes. Die Kiesbänke haben oft
eine nicht unbedeutende Dicke. So z. B.
werden die Kiesbänke der regulierten
Donau bei Wien zu einer Mächtigkeit
von etwa 4 m geschätzt.
Bei Hochwasser wird ein Teil des
Inhaltes der Kiesbänke vom Fluss auf-
Juni — Nov.
Dez. — Mai
Mittel
3,6 m
18,6 m
1,1 m
1 7
8,4 „
5 „
1,7 „
8,6 „
5,1 „
1,9 „
0 4
2,1 „
IV. Das Wasser auf dem Festlande. 435
gewirbelt und als Schlamm mitgenommen und umgekehrt setzt sich der
Schlamm bei Niederwasser auf den Kiesbänken zum grossen Teile ab.
Departement Gefälle ^ • xt '^'^^^'^J^^ Bewegung
Loiret 0,45 \o
Loire et Isere . . . 0,39 „
Indre et Loire . . . 0,39 „
Maine et Loire . . . 0,28 „
Die maximale Grösse der Geschiebe- und Schlammteile, welche ein
Fluss zu befördern vermag, hängt von seiner Geschwindigkeit ab. Es
ist natürlich anzunehmen, dass die bewegende Kraft dem Quadrate der
Geschwindigkeit proportional ist. Denn jeder Stoss von einem Wasser-
teilchen ist seiner Geschwindigkeit {v) proportional und die Anzahl der Stösse
unter übrigens gleichen Umständen ebenfalls der Geschwindigkeit pro-
portional. Weiter ist die Treibkraft der gestossenen Oberfläche propor-
tional. Bei gleichgeformten Steinen ist diese proportional dem Quadrate
des (grössten) Durchmessers {d), das gehobene Gewicht dem Kubus des-
selben. Wenn infolgedessen ein Stein gerade vom Wasserstosse bewegt
wird, so ist:
oder:
K^ cp = K2 ^^^
d. h. das Gewicht der fortgeschobenen Stücke wächst proportional der
sechsten Potenz der Geschwindigkeit, eine Beziehung, die von Black well
experimentell bekräftigt ist.
Suchier beobachtete die Grösse des mitgeschleppten Gerölls im Rhein
bei Briesach. Bohnengrosse Steine wurden bei einer Geschwindigkeit des
Wassers am Boden von 0,9 m pr. Sek. mitgeführt. Bei 1,6 m Geschwin-
digkeit waren die Steine bis taubeneigross, bei 1,7 m konnten sie bis 1,5 kg
wiegen und bei 2,1 m wurde sogar das grösste Geröll mittransportiert.
Das Geschiebe verkleinert sich schnell während des Transportes.
So ist (nach v. Hochenburger) die Mittelgrösse des Geschiebes in
der Mur:
bei Graz Landscha Leitersdorf Ünter-Mauthdorf
km von Graz 0 43 83 120
224 117 50 21 cm3.
Die Grösse nimmt nahezu nach einer geometrischen Reihe ab,
während die Weglängo nach einer arithmetischen Reihe zunimmt. Zu
ähnlichen Resultaten sind Daubree und Erdmann durch Experimente
mit Trommeln oder schaukelnden Trögen gekommen.
28*
Y. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen.
Entstehung der Wellen. Wenn ein Windstoss gegen eine glatte
Wasseroberfläche trifft, so sieht man erst eine schwache Kräuselung der
Fläche, welche dabei eine tiefblaue Färbung annimmt. Hört der Wind
auf, glättet sich bald die Oberfläche wieder. Die kleinsten Wellen,
welche von Rüssel den Namen „kapillare Wellen" erhielten, kann man
leicht in der Weise zustande bringen, dass man einen in Wasser unter-
tauchenden senkrecht gehaltenen dünnen Draht (unter 1 mm Dicke)
mit einer Geschwindigkeit von 0,3 bis 0,5 m pr. Sek. in horizontaler
Richtung durch das Wasser führt. Rüssel maass diese Wellen und
fand, dass sie eine Länge von 5 — 8 mm hatten. Die längsten befanden
sich in der Nähe des Drahtes. Etwa zwölf Wellenkämme konnten wahr-
genommen werden.
Um solche kapillare Wellen auf einer freien Wasserfläche zu erregen,
muss der Wind auch eine Geschwindigkeit von wenigstens 0,2 m pr. Sek.
besitzen. Setzt der Wind fort und nimmt an Stärke zu, werden die Wellen
immer höher und damit auch länger. Ihre Höhe wächst auch allmählich
von der Luvküste ins freie Meer hinaus. Stevenson hat über diesen
Umstand Messungen ausgeführt (in den schottischen Fjorden). Er hat
folgende Formel gegeben, worin die Wellenhöhe H in Metern, die Ent-
fernung D von der nächsten Küste in Kilometern gezählt ist:
Ä=
= f +
\Yd-
^i/A
ende
Einzelwerte berechnet sind:
D
H
D
H
D
H
0
0,75
20
1,71
200
4,52
1
0,83
80
2,23
300
5,48
2
0,92
70
2,84
500
7,05
5
1,12
100
3,28
1000
9,87
10
1,35
150
3,97
2000
13,93
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen.
437
Diese Daten mögen als Relativzahlen betrachtet werden. Die Höhe
der Wellen ist nämlich nicht nur von der Windstärke (vgl. unten),
sondern auch von der Zeit, während welcher der Wind gewirkt hat,
abhängig. Die Werte von Stevenson scheinen ziemlich den
Maximalwerten zu entsprechen, welche bei dem höchsten Wellengang
auf der See beobachtet werden.
Über den Zusammenhang zwischen Wellenhöhe und Windgeschwindig-
keit auf offener See giebt es eine ziemlich grosse Zahl von Beobachtungen,
welche bis zum 18. Jahrhundert zurückgehen. Dieselben sind nicht
leicht unter einander in Übereinstimmung zu bringen. Die Messungen
vom Admiral Coupvent des Bois scheinen nach der Bearbeitung von
Krümm el eine sehr einfache Beziehung zwischen Wellenhöhe (//) und
Windgeschwindigkeit (F) anzugeben, indem es annähernd zutrifft, dass:
H-iV,
folgender Zusammenstellung hervorgeht:
V= 3 5,5 7 8 10 14
18
25 m.
H{beob.)— 1,4 2,0 2,7 3,8 5,2 7,0
9,3
12,0 m.
Hiher.)— 1,5 2,7 3,5 4,0 5,0 7,0
9,0
12,5 m.
Zu ähnlichen Beziehungen leitet das von Antoine gegebene Material,
Dagegen zeigen die Beobachtungen von Paris eine bedeutend stär-
kere Zunahme der Wellenhöhe {H) als die Proportionalität mit der
Windgeschwindigkeit (F) verlangen würde, wie aus folgender Tabelle
(von Krümm el) hervorgeht, worin (/) die Wellenlänge bedeutet.
l"(met.)
fi'(met.)
l:H
Seegang
max.
Mittel
min.
max.
Mittel
min.
Sehr hohe See
. 16
11,5
7,75
6,5
22,5
19,1
15,4
Hohe See . .
. 13
7,5
5,05
3,5
23,0
21,0
15,0
Grobe See . .
. 10
6,5
3,55
2,3
30,0
21,6
13,3
Hohe Dünung.
. 8
7,0
4,1
3,0
48,6
29,3 .
18,4
Dünung . . .
7
4,5
2,4
1,0
63,3
32 5
15,3
Leichter Seegang
. 6,8
4,0
1,6
0,8
80,0
38,7
21,6
Die Höhe der Wellen kann man in der Weise bestimmen, dass
man so hoch in die Wanten des Schiffes hinaufsteigt, bis man gerade, wenn
das Schiff in einem Wellenthal sich befindet, über die Wellenberge den
Horizont visieren kann. In neuerer Zeit hat man empfindliche Aneroid-
baronieter zur Bestimmung der Höhenschwankung des Schiffes ange-
438 Physik der Erde. ,
wandt und angenommen , dass diese der Wellenhöhe entspricht. Die so
gefundenen Wellenhöhen stimmen mit den nach der alten Methode ge-
messenen recht gut überein. Wellenhöhen von mehr als 15 Meter dürften
nach Schott nie auf dem offenen Meere vorkommen. Sogar Wellen
von über 10 Meter Höhe sollen zu den Seltenheiten gehören. In Binnen-
meeren sind die Wellenhöhen (auf offenem Meer) noch geringer.
Die Wellenlänge wird so gemessen^ dass man zwei Punkte beobachtet,
wo sich Wellenberge gleichzeitig bilden. Die beiden Punkte können an
der Seite eines Schiffes sich befinden, wenn die Wellen kurz sind, oder
der eine Punkt an einem Schiff, der andere an einem in bestimmter
Entfernung davon befindlichen mit dem Schiff durch eine Leine ver-
bundenen Schwimmkörper. Die Schwingangsperiode wird aus der Zeit
bestimmt, welche vergeht zwischen Ankunft zweier Wellenberge, wobei
für die Eigenbewegung des Schiffes korrigiert werden muss.
„Die Wellen im offenen Ocean haben eine Länge von 60 bis 140 Meter,
durchschnittlich 90 bis 100 m, eine Geschwindigkeit von 11 bis 15 m
pro Sek., eine Periodenlänge von 6 bis 10 Sek. Passatbrisen massiger
Intensität bringen Wellen hervor, deren Länge 35 bis 40 m, deren Ge-
schwindigkeit 7 bis 8 m pro Sek. und deren Schwingungszeit 4,5 bis
5 Sek. beträgt" (nach Paris Zusammenstellung). Wellen von 800 m
Länge und 24 Sek. Schwingungszeit sind beobachtet, aber äusserst
selten.
So lange der Wind dauert, treibt er die Wellen in die Windrichtung.
Dabei fasst er die Wassermengen der Wellenkämme und bringt sie zum
Überstürzen ins vorangehende Wellenthal. Dieses Überstürzen der
Wellen (die „Sturzseen") bringt die grösste Gefahr für den Segler mit,
indem es ganze Schiffe unter Wasser begräbt; die Wucht der herab-
fallenden Wogen zerbricht im Wege stehende Gegenstände und spült
sie mit unwiderstehlicher Kraft über Bord.
Nachdem die Wellen einmal in Gang gesetzt sind, fahren sie fort,
eine lange Zeit sich zu bewegen, wie ein Pendel, das in Gang gesetzt
ist. Die Keibung des Wassers ist bei dem grossen Durchschnitt der
Wellen sehr gering, deshalb hört die Bewegung nur langsam auf. Diese
Bewegung wird Dünung genannt. Sie unterscheidet sich von dem ur-
sprünglichen Seegang durch die abgerundeten Wellenkämme, von welchen
kein Wasser überstürzt.
Die Dünung kann sich aus einem Gebiet fortpflanzen, wo Sturm
herrscht, in ein anderes, wo die Luft relativ ruhig ist. Die Seefahrer
schliessen auch häufig aus der Fortpflanzungsrichtung der Dünung, dass
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 439
Sturm in der entgegengesetzten Richtung herrscht, wodurch die Dünung
gewissermaassen als Sturmwarnungszeichen dient.
Zwei Dünungen können einander kreuzen, oder, was viel häu-
figer eintrifft, der Wellengang einer Dünung kann den unter dem
Einflüsse eines Sturmes sich ausbildenden Wellenzug schneiden. Dabei
entstehen durch Interferenz Wellen, die im Gegensatz zu den ge-
wöhnlichen, nach parallelen Kämmen angeordneten, Hügel- oder PjTa-
miden-Form annehmen (Fig. 148.) Dieselben sind viel gefährlicher
als die gewöhnlichen Wellen, deren Wucht man zum grössten Teil
Fig. 148. Hügelförmige Wellen von zwei einander kreuzenden Wellensystemen
herrührend.
dadurch entgeht, dass man das Schiff senkrecht zu den Wellenkämmen
stellt und vor dem Sturme »hinläuft („lenzt").
Experimentaluntersuchungen über Wellen. Wenn man von
einem festen Punkt z. B. dem Decke eines verankerten Schiffes den See-
gang betrachtet und einen Schwimmkörper hinauswirft, sieht man, wie
derselbe auf dem Wellenkamm sich vorwärts in der Fortpflanzungs-
richtung des Wellenzuges verschiebt, um nachher im Wellenthal unge-
fähr gleich viel zurückzugehen. Im Ganzen bewegt er sich (wenn ihn
der Wind nicht fasst), kaum von der Auswurfstelle weg. Der Schwimm-
körper bewegt sich demnach sowohl in vertikaler wie in horizontaler
440
Physik der Erde.
Eichtung hin und her. Ähnlich sind die Bewegungen der Wasserpar-
tikelchen, welche sich demnach in elliptischen oder kreisförmigen Bahnen
bewegen.
Zu demselben Schluss ist man durch Studium der Bewegungen von
aufgeschlämmten Körpern gekommen, welche in langen Wassertrögen
sich befinden, in welchen man durch Zulass von Wasser, Eintauchen
von Verdrängungskörpern oder ähnlichen Mitteln eine Wellenbewegung
hervorruft. Solche Versuche sind von den Brüdern Weber, von Scott
Bussel, Hagen u. a. ausgeführt worden. In genügend tiefem Wasser
schliesst sich die Bewegung der Wasserpartikelchen um so näher einer
kreisförmigen Bahn an, je tiefer sie liegen.
Mit zunehmender Tiefe nehmen aber die Durchmesser dieser kreis-
förmigen Bahnen schnell ab. Diese Abnahme erfolgt nach einer Formel
Fig. 149. Trochoide, PÄa und Cykloide, R^R.
von Bertin, sodass, wenn / die Länge der Welle darstellt, der Durch-
\
messer in der Tiefe — ~ / halb so gross ist wie an der Oberfläche, in der
2
Tiefe ^-^ l viermal kleiner als oben u. s. w. Die Abnahme geschieht nach
einer geometrischen Reihe. In einer Tiefe von 50 — 100 m ist deshalb
der Wellenschlag kaum merklich.
Wenn wir annehmen, dass die Wasserpartikelchen kreisförmige
Bahnen beschreiben, so wird die Wellenlinie eine sogenannte Trochoide
bilden [Ph^ i^ Fig. 149). Diese Kurve wird von einem Punkte P einer
Kreisscheibe QR^ beschrieben, wenn dieselbe längs der Geraden QR rollt.
Ist der beschreibende Punkt P am Umkreise der Kreisscheibe z. B. in
i?, gelegen, so geht die Trochoide in eine Cykloide R^ TR über.
För die Schwingungszeit {t) eines solchen Partikels leitet man in
der Mechanik die Beziehung ab:
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 44-1^
= ^2ir J_
worin / die Wellenlänge in Metern, jr = 3,14 . . und ^ -= 9,81 . . sind. Da
nun V = Ijt ist, wo v die Fortplianzungsgeschwindigkeit der Wellen-
bewegung bedeutet, so folgt:
f 2jt
Diese Formel gilt nur so lange die Meerestiefe {h) die Wellenlänge
(/) übertrifft. In anderen Fällen erhält man die Formeln:
V ^y^ g . h bezw. v = y"| gh.
Die zweite dieser Formeln soll gelten, falls die Wasserteilchen kreis-
förmige Bahnen, die erste, wenn sie geradlinige Bahnen beschreiben.
In der Wirklichkeit liegen diese Bahnen zwischen den beiden ge-
nannten Extremen. Die Versuche, welche in Wasserrinnen angestellt
sind, scheinen sich der ersten Formel (von Lagrange) recht genau an-
zuschliessen. So fanden die Brüder Weber:
Wassertiefe h . .
2,71
5,41
8,12
10,83
16,24
62,26 cm
Geschwindigkeit v
55
76
85
90
94
172 .,
Vgh
52
73
89
103
126
247 „
Bei den grösseren Tiefen ist die Abweichung bedeutend, wahrschein-
lich weil die Wellen nicht genügend lang sind.
Ebenso fand Haffen:
h . . .
. 2,62
3,92
5,23
6,54
7,85 cm
V . . .
. 50,5
65,1
72,7
86,8
98,6 „
Vgh . .
. . 50,7
62,0
71,6
80,1
87,8 „
Jedenfalls stimmen die i; -Werte besser mit dieser Formel als mit
der 23 Proz. höhere Werte ergebenden zweiten Formel.
Auch Scott Bussel fand für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von
Einzel wellen („solitary waves"), die er durch plötzlichen Zulass von
Wasser hervorbrachte, folgende Formel geltend:
v==Yg(fi+p),
worin p die Erhebung der Welle über das mittlere Niveau bedeutet.
442
Physik der Erde.
Dagegen sind einige Versuche im freien Meere (von Duhil 'de
Benaze und Kapitän Knoop) nicht mit der ersten Formel in Überein-
stimmung zu bringen. Wahrscheinlich sind die Versuchsbedingungen
den theoretischen Voraussetzungen nicht entsprechend.
ßrandungswogen. Eine Welle, die auf eine Untiefe kommt oder
gegen ein Ufer schlägt, nimmt eine besondere Form an und wird Bran-
dungswoge genannt. Wenn der Wellenzug gegen einen steilen Felsen
schlägt, so wird derselbe nach den gewöhnlichen Gesetzen der Wellenlehre
reflektiert und es entstehen in dieser Weise stehende Wellen, welche,
theoretisch genommen, nahezu die doppelte Höhe der ursprünglichen
Fig. 150. Brandung an einer seichten Küste.
Wellen erreichen können. Zu dieser Wirkung der Rückwerfung gesollt
sich für gewöhnlich eine andere, welche auf der Abnahme der Tiefe be-
ruht. Schon bei gewöhnlichen Wellen werden die Wellenkämme, welche
dem Winddrucke mehr ausgesetzt sind wie die anderen Teile der Welle,
vom Winde mitgerissen, sodass sie ins nächste Wellenthal hineinstürzen.
Dadurch wird das Schäumen der Wellen bedingt. Eine ähnliche Wirkung
hat die abnehmende Tiefe. Die Reibung der tieferen Teile der Welle
gegen den Boden und gegen die angrenzenden Wasserschichten ver-
hindert das normale Fortschreiten dieser Teile, wodurch die Wellenkämme
vorauseilen und umkippen. Dadurch entstehen die schönen Brandungs-
wogen (Fig. 150), welche beinahe immer gegen flache Ufer rollen. Dabei
macht sich auch ein anderer Umstand geltend. Bei geringer Tiefe der
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen.
443
See, wie in der Nähe der Küste oder über Untiefen ist die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Quadratwurzel aus der Tiefe umgekehrt proportional.
Eine Welle {Ä Ä Fig. 151), deren verschiedene Teile verschieden tief sind,
indem sie sich z. B. gegen eine Küste (K) hin bewegt, wobei die Ktisteniinie
und der Wellenkamm nicht einander parallel sind, pflanzt sich auf den
tieferen Stellen schneller fort wie auf den seichteren, näher der Küste
gelegenen. Folglich wird der nächste Wellenkamm nicht A Ä parallel
verlaufen, sondern etwa wie A^ A^, der danach folgende wird etwa wie
A2 A2, der danach kommende wie A^ A^ verlaufen. Der Wellenkamni
verbiegt sich so, dass er zuletzt annähernd der Küste parallel verläuft.
Die Zunahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wasserwellen
mit der Wassertiefe erkennt man sehr schön an den Aufzeichnungen
über die Wellen der Seebeben (Fig. 112). So lagen z. B. die Wellen-
Fig. 151.
Fig. 152.
kämme gar nicht symmetrisch rund um Krakatau, sondern sie ver-
schoben sich mit einer viel grösseren Geschwindigkeit über den grossen
Tiefen des Indischen Oceans als nach anderen Kichtungen.
Es ist sehr leicht, diese Verzögerung der Wellen an der Wasser-
oberfläche einer kreisförmigen Fontäne wahrzunehmen, in deren Mitte
eine kleine Insel (/ Fig. 152), sich befindet, aus welcher ein vertikaler
Wasserstrahl heraussprudelt. Das Wasser möge sonst überall gleich tief
sein; von J zur Mitte zwischen J und dem Eande nehme die Tiefe lang-
sam zu. Solche Fontänen sind in Gärten sehr gebräuchlich. Bei leisem
Winde fällt der Wasserstrahl unweit der mittleren Insel herunter (bei a).
Die dabei entstehenden Wellen pflanzen sich dann mit grösserer Ge-
schwindigkeit zum Rande der Fontaine hin fort als in der Richtung
gegen die mittlere Insel. Die Wellenkämme bilden auch nicht Kreise
um den Punkt, wo der Wasserstrahl hineinfällt, sondern ellipsenähnliche
Figuren um Mittelpunkte, welche näher am Rande der Fontäne liegen,
wie die Figur andeutet.
444
Physik der Erde.
Scu
Nehmen wir jetzt an, wir haben eine Untiefe im Punkte X (Fig.
153) und ein Wellenzug komme vom offenen Meer^, sodass der
Wellenberg die Form einer geraden Linie AA hat. Zufolge der
Tiefenverhältnisse, welche als symmetrisch um X gedacht werden,
geht der mittlere Teil der Welle etwas langsamer als die äusse-
ren, der Wellenkamm wird nacheinander die Formen 2, 3, 4 und
5 annehmen. Zuletzt zerlegt sich die Welle in zwei, 6 und 6a, wovon
die erste zu den immer mehr kreisrunde Form annehmenden Wellen-
bergen 7 und 8 übergeht, während 6a zu la und dieser zu 8a An-
lass giebt, welche immer mehr der ersten Welle AA parallel werden.
Die Energie der Welle 6 wird auf
die Welle 7 übertragen. Da diese
wegen der abnehmenden Fortpflan-
zungsgeschwindigkeit geringere W el-
lenlange besitzt, als die erstgenannte,
und ausserdem viel geringere Länge
des Wellenkammes, so müssen die
Wasserpartikelchen in der Welle 7
in viel heftigerer Bewegung sein,
wie diejenigen in 6, d.h. die Wellen-
höhe nimmt von 6 bis 7 zu. Noch
stärker wird die Zunahme in Welle
8 und wenn zuletzt die Wogen über
X zusammenschlagen, können sie
eine kolossale Höhe erreichen. Man
beobachtet auch über solchen Stellen eine stetige Brandung, wenn auch
der See einen noch so leisen Wellengang besitzt. Nach Stevensons
Messungen erreicht die Höhe der Brandungswoge das siebenfache der
normalen Meereswellen und die höchsten Leuchttürme, die auf Scheeren
gelegen sind, wie zum Beispiel der bekannte Turm auf Eddystone bei
Plymouth, dessen Feuer 41 m über mittlerem Wasserstand steht, werden
gelegentlich von den rasenden Wogen überspült.
An einem langen Ufer kann die Brandung nie diese Gewalt er-
reichen. Nehmen wir an, die Tiefe nehme proportional der Entfernung
{d) von der Küste zu, so wird die Wellenlänge (/) einer gegen das Ufer
hineinrollenden Woge der Quadratwurzel aus d proportional sein und
da die potentielle Energie jeder Welle gleich sein muss, so nimmt die
Höhe der Länge umgekehrt proportional zu, d. h. die Höhe der Bran-
dung wächst annähernd umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus
^
^
Fig. 153
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen.
445
der Entfernung von der Küste. Wegen der Reibung geht die Zunahme
langsamer vor sich.
Man hat die Energie der Brandung mit Hilfe von Federdynamo-
metern zu messen versucht. Das Dynamometer (Fig. 154) war eine an
der Hinterseite in einer Kulissenführung bewegliche Metallplatte, welche
vertikal gegen den Anprall der Wogen aufgestellt wurde. Dieser war
in einem von Stevenson beobachteten Falle so heftig, dass das
Dynamometer einen Druck von 30 Metertonnen pro Quadratmeter an-
gab (= 3 kg pro cm 2, also etwa das dreifache des Luftdruckes).
Nach diesen Beobachtungen kann man verstehen, mit welcher ge-
waltigen Kraft die Brandungswoge die Küste abzutragen vermag. Jeder
Wellenkamm stürzt auf das Land ein, in jedem Wellenthal schiebt sich
das Wasser hinaus. Die Steinfrag-
mente, welche den Wellen in den
Weg kommen, werden gegeneinander
gerollt, bis sie abgerundete Formen
erhalten. Gleichzeitig zerkleinern sie
sich und geben Material zu dem
feinsten Meeressande. Die Kraft der
Wellen macht sich unter solchen Um-
ständen in der auffallendsten Weise
geltend, wenn das Wasser infolge von
Flut, Windstau oder niedrigem Baro-
meterdruck (z. B. in der Mitte einer
Cyclone) — oder noch mehr durch
gleichzeitige W'irkung mehrerer dieser Umstände — höher als gewöhn-
lich steht, sodass Gegenstände, Bauten u. s. w., welche sonst ausserhalb
des Wirksamkeitsfeldes der Wellen stehen, in dieses Feld hineinkommen.
Unter solchen Umständen können riesige Verheerungen entstehen.
Das bei den Brandungen vom Ufer zurücklaufende Wasser giebt
zu dem sogenannten „Sog" (Saugen) Anlass, welche bei hohem Seegang
eine ernste Gefahr für Badende veranlasst.
Bisweilen bilden sich sogenannte „Seebären" (Einzelwellen, solitary
waves), wie z. B. bei Erdbeben. Häufig kennt man nicht die nähere
Ursache dieser Einzelwellen. Sie kommen ganz unerwartet und richten
dadurch, wenn sie gegen die Küste schlagen, bisweilen viel Schaden an.
Seespiegelschwankungen. Seiches. Bisweilen, besonders nach
starken Luftdruckschwankungen, gerät das Wasser in Binnenseen in
stehende Schwingungen, sodass es z. B. an der einen Seite eines Sees
Vi ^
Fig. 154. Stevensons Wellen-
dynamometer.
446 Physik der Erde.
einige cm über, an der entgegengesetzten Seite ebensoviel unter dem mitt-
leren Niveau steht. Diese Erscheinung, welche an die leicht zu erregende
Schwankung des Wassers in einer Badewanne erinnert, ist zuerst an
schweizerischen Seen, besonders dem Genfer See (wo die Wellenhöhe
bis über 1 m erreichen kann) beobachtet worden und hat den da ge-
bräuchlichen Namen Seiches erhalten.
Es können auf dem See eine oder mehrere Knotenliaien entstehen,
wo das Wasser in Ruhe bleibt. Der einfachste Fall ist derjenige, dass
eine Knotenlinie in der Mitte der See bei K sich befindet (wie in
Fig. 155 a).
Die Fig. 155 & und c zeigen die Einteilung eines Seebeckens mit zwei
bezw. drei Knotenlinien. Im Plattensee hat man sogar Seiches mit fünf
Fig. 155. Selieraatische Darstellung der „uninodalen" (a), „binodalen" {h) und
„trinodalen" (c) Seespiegelschwankung.
Knotenlinien aufgefunden. Die Einteilung ist genau dieselbe wie die-
jenige einer offenen Pfeife. Die Schwingungszeit gehorcht der Formel:
Ygh'
worin l die Entfernung der beiden Ufer oder für höhere Seiches der
Abstand zwischen zwei Bäuchen (oder zwei Knoten = die halbe Wellen-
länge) und h die (mittlere) Tiefe des Sees ist.
Die Seiches werden am besten mit Hilfe eines selbstregistrierenden
Pegels beobachtet, bei welchem ein Schwimmkörper, der auf der Ober-
fläche des Wassers ruht, seine Höhe auf einem durch ein Uhrwerk vor-
wärts getriebenen Koordinatenpapier einzeichnet.
Bei näherer Nachforschung hat man gefunden, dass die Seiches an
vielen anderen Stellen als in der Schweiz schon am Ende des 17. Jahr-
hunderts beobachtet wurden, so z. B. an den grossen amerikanischen
Seen und im Wetternsee in Schweden. In späteren Zeiten hat man
diese Erscheinung in allen grösseren Seen, die man untersucht hat,
nachgewiesen (z. B. im Bodensee, in norwegischen Seen); in letzter Zeit
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 447
ist der Starnberger See von Ebert untersucht worden, welcher daselbst
Wellenhöhen bis zu 5 cm fand. Die Schwingungszeit ist meistens
sehr lang. Für die Hauptschwingung mit einem Knoten beträgt sie
z. B. für den Plattensee 12 Stunden, für den Genfer See 73 Minuten,
für den Starnberger See 25 Minuten. Die Perioden der höheren Schwin-
gungen sind halb, ein Drittel, ein Viertel u. s. w. so lang. So fand
Forel für die zweite Schwingung im Genfer See 35 Minuten.
Bei unregelmässiger Bodenform des Sees können die Oberschwin-
gungen andere Werte der Schwingungszeit annehmen, so z. B. ist die
Periodenlänge der ersten Ob er Schwingung des Starnberger Sees 15,8
Minuten, anstatt 12,5 Minuten, welche Zeit aus der letzten Formel in
Übereinstimmung mit dem Werte für die Grundschwingung zu berech-
nen wäre. Diese Abweichung lässt sich nach Ebert als Folge einer
Bodenschwelle im See bei TJnter-Zaismering auffassen.
Die Seiches beruhen meistenteils auf Barometerschwankungen, wo-
von man durch Vergleich von Barogrammen mit den Aufzeichnungen
der Pegel sich leicht überzeugen kann. Natürlicherweise kann jede Stö-
rung des Gleichgewichts der Wasseroberfläche, wie z. B. Erdstösse, Seiches
hervorrufen.
Man hat auch das Vorkommen von Seiches in Meeresengen, wie im
Euripus zwischen Negroponte und Griechenland, in dem Malteser See,
am Fundy-Bay u. s. w., nachgewiesen. Vielleicht ist ein Teil der „See-
bären" als eine Art Seiches anzusehen.
Beruhigung der See durch Fettschichten. Schon in der
alten Zeit scheint es nicht ganz unbekannt gewesen zu sein, dass Aus-
giessen von Öl auf die Wellen eine beruhigende Einwirkung auf den
Seegang ausübt. Eine ähnliche Wirkung übt Seifenlösung (2—10 Proz.)
aus, wobei ohne Zweifel die Seife in der grossen Wassermasse sich zu
Öl-, bezw. Palmitinsäure und Lauge umsetzt. Die ausgeschiedene fette
Säure wirkt dabei wie eine Ölhaut. Das Öl breitet sich auf das Wasser als
eine sehr dünne Haut aus — man ist neuerdings zu Werten von ö.lO"'^ mm
der Dicke ähnlicher Häute gelangt.
Über die Art und Weise, wie diese Ölschicht wirkt, ist man nicht
ganz einig. Einige meinen, die Luft habe eine geringere Eeibung gegen
das Öl als gegen Wasser, sodass der Wind nicht die Wellen hervor-
bringen kann. Diese Deutung scheint nicht genügend zu sein, da rund
um die Stelle, wo das Öl ausgegossen wird, sich eine ruhige Stelle in
der Mitte der brandenden Wellen ausbildet. Andere glauben, dass die
Erscheinung mit der verminderten Oberflächenspannung zusammenhängt.
448 Phyfk der Erde.
Es scheint, als ob die Schwingungszeit durch die dünne Ölschicht
verändert werden würde und vielleicht in ungleichem Grade je nach
der an verschiedenen Stellen verschiedenen Dicke der Ölhaut. Dadurch
würde die geölte Stelle verhindert sein, im Takt mit der übrigen Wasser-
fläche zu schwingen, wodurch bald Beruhigung der Schwingungen ein-
treten würde. In ungefähr derselben Weise verhält sich das arktische
Meer, sobald es von Eisstücken bedeckt ist. Die Partikelchen im Eis-
stück können nicht dieselben Bahnen beschreiben, wie die benachbarten
Wasserpartikelchen, dadurch entstehen Reibungen, welche die Wellen-
bewegung vernichten. In der That wird der Wellengang nach Aussage
der Seeleute in arktischen Meeren stark durch die auf der Oberfläche
schwimmenden Eisstücke beruhigt. Ebenso bedient man sich, wenn
man Wasser in einem Eimer trägt, eines hölzernen Kreuzes, welches
auf die Wasseroberfläche gelegt wird, um das Schwanken des Wassers
über die Ränder des Eimers zu verhüten. Die Schwingungen, welche
durch die kleinen Stösse beim Gehen dem Wasser mitgeteilt werden,
und welche durch eine Art Resonanzerscheinung bei jedem Schritt ver-
stärkt werden, entsprechen nicht den Eigenschwingungen des Holz-
kreuzes, welches infolgedessen als Dämpfer wirkt. In ebenderselben
Weise sollten die Ölpartikelchen nicht die Schwingungen der Wasser-
partikelchen mitmachen können. Dabei spielt jedenfalls die Zähigkeit
des Öls eine grosse Rolle. Petroleum, das keine besonders grosse Zähig-
keit besitzt, ist sehr wenig wirksam, dagegen haben Lein- und Terpen-
tinöl, sowie Fischthran und die Säuren der Seifen, welche alle sehr
schwerflüssig sind, eine sehr starke Wirkung.
Man beobachtet häufig auf den Seen blanke Stellen, welche so gut
wie keinen Wellengang zeigen, und welche sich von der benachbarten
stark gekräuselten Oberfläche unterscheiden. Besonders häufig kommt
es vor, dass das Kielwasser eines Bootes eine Zeit lang einen solchen
glatten Streifen bildet. Es ist höchst wahrscheinlich, dass dies von
kleinen Ölmengen herrührt, welche vom Boot zum Wasser übergehen,
z. B. aus der Ölfarbe, aus den Schmiermitteln der Maschinen, besonders
der Schraube. Auch für andere ähnliche Fälle ist man der Ansicht,
dass eine dünne Fettschicht, wozu das Fett von Tieren oder Algen des
Wassers geliefert ist, die blanken Stellen verursachen.
Gezeiten. Die wichtigste Wellenbewegung des Meeres sind die
sogenannten Gezeiten. An der Küste der grossen Meere findet man,
dass das Wasser periodisch steigt und sinkt mit einer Periode von
I2Ä 25W Diege geit entspricht genau der halben (scheinbaren) Umlaufs-
V. Die Wellenbewegung dee Meeres und der Seen.
449
zeit des Mondes um die Erde. Man brachte deshalb schon lange diese
beiden Umstände in Zusammenhang und nahm an, dass die Gezeiten
von dem Monde verursacht werden. Es war Newton vorbehalten, dies
näher zu erläutern.
Er ging dabei von folgender Betrachtungsweise aus. Es sei (Fig. 156)
ÄNBZÄ ein Durchschnitt der Erde. Der Mond befinde sich in der
Verlängerung des Durchmessers NZ. Er wirkt anziehend auf eine
Partikel in Z ebenso, wie auf eine in A oder in N. Die Anziehung
ist aber am grössten auf die Partikel in Z, am geringsten auf die-
jenige in i\^, und die Anziehung auf eine Partikel in A kann als die
Richtung xum Mond
mittlere Anziehung des Mondes auf eine Partikel (nehmen wir an, sie
habe die Masse Eins) der Erde angesehen werden.
Wenn die Entfernung der Mittelpunkte von Mond und Erde gleich
a gesetzt wird, wobei der Erdradius als Einheit genommen wird, so ist
der Unterschied d der Anziehung der Masse 1 in Z und A gegen den
Mond (Masse m) folgender Bedingung unterworfen:
d m
m m
m ^* />, _i 2
k (a-1)'^
a2 a2_2a+l
a2 ^2U-r^---
1)
2 m
Das Anziehungsfeld kann nun dargestellt werden als die Summe von
drei Kraftfeldern, ein konstantes Feld, wo überall dieselbe Kraft wie in A
wirkt, ein zweites Feld zufolge der Anziehung der Erde und ein drittes
Feld, wo die Kraft in Z gleich d ist und gegen den Mond gerichtet, in
N auch gleich d aber vom Monde abgewendet. Alle Punkte links von AB
in diesem letzten Felde werden nach links gezogen, alle diejenigen rechts
von AB nach rechts mit Kräften die der Entfernung von AB proportional
sind. Das erste Kraftfeld strebt, die Erde dem Monde zu nähern
Arrlienius, Kosmische Physik. 29
450 Physik der Erde.
und bewirkt die Drehung der Erde um den gemeinsamen Schwerpunkt
der Erde und des Mondes. Das zweite Feld bewirkt die Schwere der
Körper und das dritte Feld eine geringe Änderung dieser Schwere.
Die Anziehung der Erde ist g = kM:l'^, worin ilf ihre Masse. Da
M=SO m ist und a = 60, so ersieht man daraus, dass ^ = 8640000 d ist,
d. h. eine Masse von 8 Kilogramm beim Äquator verliert nicht völlig
ein Milligramm an Gewicht, wenn der Mond gerade über ihr steht.
Da nun die grösste Entfernung des Mondes von der Erde 407110
Kilometer, die geringste dagegen nur 356650 Kilometer beträgt, so ver-
ändert sich die Kraft d im Verhältnis 1 : 1,49. Sie ist also, wenn der
Mond im Perigäum steht, etwa 23 Proz. grösser, wenn er im Apogäum
steht, etwa 21 Proz. geringer wie im Mittel.
Wir wollen nun berechnen, um wie viel der Mond die Meeresober-
lläche zu heben vermag. Diese Rechnung können wir mit Newton so
ausführen, dass wir annehmen, die Deformation der Erde sei proportional
der wirkenden Kraft. Wir kennen nämlich die Deformation der Erde
(die Abplattung = ^^T,) zufolge der Centrifugalkraft der Erddrehung.
Die Centrifugalkraft beträgt (vgl. S. 242) -^i^ der Schwere, die fluterzeugende
Kraft des Mondes ^öi^xjüit derselben Kraft. Folglich soll die Abplattung
der Erde (falls sie mit vollkommen beweglichem Stoff bedeckt ist, welche
Bedingung Wasser genügend erfüllt) zufolge der Flutkraft des Mondes
^ül"§i)TJ7T • ¥¥ir = 1»12 • 10 *^ betragen. Da der Äquatorialhalbmesser der
Erde 6,378.10^ m beträgt, so würde demnach die Deformation nicht
mehr als 0,714 m erreichen. Diese Ziffer giebt den Niveauunterschied
an, wenn der Mond im Zenith und am Horizont steht.
Eine ähnliche Wirkung hat die Sonne; sie liegt uns 392 mal ent-
fernter wie der Mond im Mittel, dagegen übertrifft ihre Masse diejenige
des Mondes 2640000 mal. Die Wirkung der Sonne verhält sich demnach
zu derjenigen des Mondes wie 2640000 zu (392)^ oder wie 0,438 zu 1.
Die Höhe der von der Sonne erzeugten Flutwellen sollte demnach nur
0,313 m erreichen.
Wie wir unten sehen w^erden, stimmt die Mondwirkung allein an
Grösse mit derjenigen überein, welche man thatsächlich an im Ocean
gelegenen isolierten Inseln beobachtet. Diese Wirkung gilt nur für
Punkte, über denen der Mond im Zenith steht und sie nimmt schnell
zur Seite ab. Dieser Umstand, wie auch mehrere Störungen zufolge von
Eeibung oder ungenügender Breite der Meeresteile, verursacht, dass die
beobachtete Wirkung (an stark isolierten Oceaninseln) meist geringer ist
(0,3—0,7 m), als die berechnete.
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen.
451
Die Oberfläche der Erde wird nahezu eine ümdrehungsellipsoide
mit der längsten Achse nach NZ (Fig. 156) bilden, wenn ihre Form vor-
her sphärisch war. Bezeichnet h die Erhebung bei Z und bei iV,
dagegen h^ die Senkung der Meeresoberfläche bei A und B^ so muss
die neue ümdrehungsellipsoide hinsichtlich des Volumens gleich der
alten Erdkugel (Radius = i?) sein, folglich:
oder:
Daraus folgt für die Mondwir-
kung, da /i+/ii =0,714 m,/j= 0,476
und /i 1=0,238 m.
Durch eine ähnliche Rechnung
für die Sonne findet man Werte,
die 0,209 bezw. 0,104 m erreichen.
Es ist leicht, die Punkte zu
bestimmen, wo die Einwirkung des
Himmelkörpers Null ist. Diese
Punkte bestimmen die Grenze zwi-
schen Gegenden mit Ebbe und Ge-
genden mit Flut.
Es bezeichne in Fig. 157 BAB^A^B den Durchschnitt der Erde, als
kugelförmig angenommen, und YXY^X^Y ^qr Durchschnitt der ellip-
tischen Meeresoberfläche, welche zufolge des in der Richtung XM stehen-
den Mondes deformiert ist.
Für den Kreis gilt die Formel:
Fig. 157.
für die Ellipse dagegen:
X
x"^ -\- y'^ = R^^
y
-Vt.- z.^-R
(l + 2a)2 ' (1 — a)2
wenn Za die Abplattung ist. Man findet durch Elimination zwischen
diesen beiden Gleichungen für den Durchschnittspunkt D: ,
oder:
x'^:y'^=^\'.2 = ig-B0D.
BOD = ZbHi<.
29
4^2 Physik der Erde.
Es entsteht also gerade unter dem Himmelskörper M eine An-
schwellung des Meeres, welche einen Winkel von 54^ 44' (DOif) bildet.
Der übrige Teil des Meeres hat Ebbe.
Da der Himmelskörper im allgemeinen nicht gerade über dem
Äquator steht, zerlegt man seine Wirkung in zwei Komponenten, wovon
die eine längs der Erdachse, die andere senkrecht dazu gerichtet ist.
Die Flutwirkung der ersten Komponente ist sehr einfacher Natur. Sie
besteht in einer Erhebung des Meeres rund um die Pole und einer
Senkung desselben in der Nähe des Äquators. Die Zone um den Äquator,
welche zufolge dieser Kraft Ebbe besitzt, nimmt eine Breite von 35^ 16'
nördl. und südl. vom Äquator ein. Die auf der Parallele 35^ 16' gelegenen
Punkte erleiden nie eine Gezeitenwirkung zufolge der längs der Erd-
achse gerichteten Flutkomponente.
Zufolge der Anwesenheit der Kontinente tritt eine kleine Ver-
schiebung ein. Darwin hat berechnet, dass die neutrale Zone im
Atlantischen Ocean auf 34^ 40' n. Br. liegt.
Über diese Flutwirkung superponiert sich diejenige zufolge der in
der Äquatorialebene gelegenen Kraftkomponente, welche in einem Mond-
tag rund um die Erde wandert.
Nun sind die Fluten bei Z (Zenithfluten) und iV (Nadirfluten) ein-
ander nicht ganz gleich, jedoch ist der Unterschied so gering, dass man
ihn nicht bemerkt (^V)- Wenn aber die Sonne und der Mond ein-
ander unterstützen (bei den Syzygien, wo Erde, Mond und Sonne in
gerader Linie stehen), so entsteht eine viel grössere Wirkung, wie wenn
sie einander entgegenwirken (bei den Quadraturen). Im ersten Fall
spricht man von Springzeit, im zweiten von tauber Zeit (Nippzeit).
Auch die Sonne steht der Erde zu einigen Zeiten etwas näher (am
2. Jan. geht die Erde durch das Perihel) als in anderen. Die dadurch
verursachte Schwankung der fluterzeugenden Kraft erreicht nur 10 Proc.
des Mittelwertes.
Ausserdem spielen die Perioden ein, welche sich bei der Nutation
und Präzession geltend machen und welche 18,6 bezw. 21000 Jahre
erreichen. In einer Periode von 21000 Jahren durchlaufen die Gezeiten
alle möglichen Kombinationen von verschiedenen Kraftwirkungen der
Sonne und des Mondes. Diese Kraftwirkungen können im Verhältnis
1 : 4,5 schwanken.
Gezeiten nach verschiedenen Perioden. Kehren wir jetzt zu
unserer Fig. 156 zurück. Es seien P und P^ die beiden Pole der Erde.
Der bei D gelegene Ort wird teils Flut haben, wenn D so liegt wie in
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 453
der Figur, teils auch einen halben Mondtag (12'* 25'") später, wenn er zum
Monde dieselbe Stellung, wie in der Zeichnung der Ort E^ einnimmt.
Im ersten Fall wird die Flut höchst gering sein, im zweiten Fall ein
Maximum erreichen. Mau kann deshalb sagen, dass der Ort D zwei
Gezeitensystemen unterworfen ist, einem „halbtägigen", bei welchem Flut
sowohl in der Stellung bei D und bei E eintrifft, und einem „eintägigen",
bei welchem in der Stellung D Ebbe, in der Stellung E dagegen Flut
eintrifft. Diese beiden Systeme überlagern einander und bewirken zu-
sammen eine sehr schwache Flut (es kann auch Ebbe eintreffen) in der
Lage D, eine sehr starke dagegen in der Lage E.
Die Linie ZN ändert ihre Lage im Verhältnis zur Erdachse PP^
einmal in jedem tropischen Monat (27,3 Tage) je nach der Deklination
des Mondes. Dadurch wird auch das Gezeitenphänomen im Punkte D
beeinflusst. Infolgedessen entsteht eine halbmonatliche Schwankung in der
Stärke der Gezeiten. Auch diese Schwankung kann als ein eigenes Ge-
zeitensystem aufgefasst werden, welches über die anderen superpo-
niert ist.
Weiter schwankt die Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik in
18,6 Jahren zwischen + 5^ 8,S' und — 5^ 8,8'. Die Neigung der Ekliptik
gegen den Äquator beträgt 23^ 27,3'. Demzufolge schwankt die maxi-
male Deklination des Mondes zwischen den Werten 28^ 36' und 18^ 18,5'.
Das halbmonatliche Gezeitenphänomen wird dadurch Schwankungen
unterworfen werden, die einer Periode von 18,6 Jahren folgen.
In ebenderselben Weise hängt die 21000jährige Periode der Sonnen-
gezeiten von der gleichzeitigen Schwankung der Sonnendeklination ab.
Die durch diese Umstände erfolgenden Schwankungen können als
selbständige langperiodische Gezeiten aufgefasst werden.
Jedenfalls sind die halbtägigen, eintägigen und halbmonatlichen
Gezeiten die drei unvergleichlich wichtigsten, deren Berücksichtigung
für praktische Zwecke genügend genaue Resultate ergiebt.
Wenn die Schwingungsamplituden der Wasserteilchen sehr erheb-
lich werden, entstehen Erscheinungen, die dem Auftreten von Obertönen,
Differenz- und Summationstönen entsprechen. Bei einer vollständigen
Behandlung des Gezeitenproblems sind auch diese schwächeren Schwan-
kungen in Betracht zu ziehen. Dies geschieht durch die unten näher zu
besprechende harmonische Analyse, mit deren Hilfe man alle diese Va-
riationen voneinander trennen kann.
Neuere theoretische Untersuchungen. Die oben durchge-
führten Betrachtun<?en rühren von der von Newton erdachten söge-
^rj^ Physik der Erde.
nannten statischen Theorie her. Sie stimmen nur bezüglich der Perio-
denlänge mit der Erfahrung tiberein. Dagegen treten die Erscheinungen,
wie man schon zu Newtons Zeit kannte, zu ganz anderen Zeiten ein,
als die Theorie voraussehen lässt. So z. B. bemerkte schon Newton,
dass Springflut in Bristol nicht bei den Sjzjgien eintritt, sondern erst
43 Stunden später. Auch die halbtägige Periode verhält sich ganz
anders als die statische Theorie voraussehen lässt. So z. B. sollten die
Zeiten des Hochwassers zur Zeit des Voll- oder Neumondes, die soge-
nannten Hafenzeiten, für die verschiedenen britischen Hafenorte um
weniger als eine Stunde untereinander verschieden sein, während sie,
wie die beigedruckte Karte (Fig. 158) zeigt, um mehr als 12 Stunden
sich unterscheiden. Eine Betrachtung dieser Karte zeigt deutlich, wie
eine Gezeitenwelle von dem Atlanten in den Kanal hineindringt, und
zwar mit grösserer Geschwindigkeit in dem tieferen Wasser. Eine andere
Gezeiten welle schiebt sich längs der englischen Ostküste vom Nord-
atlanten hinein. Zwei ähnliche Wellen dringen von Norden und von
Süden in die Irische See hinein.
Es ist offenbar, dass diese Gezeitenwellen als „freie" Einzelwellen
aus dem umgebenden Meer hineinwandern, unabhängig von der Stellung
des Mondes und der Sonne am Himmel. Die Gezeitenerscheinung auf
dem offenen grossen Meer wäre demnach als eine „gezwungene", an der
Stellung der Himmelskörper gebundene, Welle anzusehen. Die Gezeiten-
wellen in den weniger offenen Seitenmeeren wären als von der grossen
„gezwungenen" Welle abgezweigte „freie" Wellen zu betrachten.
Es haben viele Mathematiker ersten Banges, wie Laplace, Young,
Airy und andere ihren Scharfsinn auf die Lösung des verwickelten Ge-
zeitenproblems angewandt, und doch kann man kaum sagen, dass seine
Rätsel nennenswert vermindert sind. Die Konfiguration der Kontinente
und der Verlauf der Meerestiefen, welche beide bei der Lösung des
Problems berücksichtigt werden müssen, sind viel zu verwickelt, als das
sie mit unzweifelhaftem Erfolg der abstrakten mathematischen Analyse
unterworfen werden können.
Da die statische Theorie von Newton unzweifelhaft für ein überall
gleich tiefes (nicht allzu seichtes) Weltmeer gelten würde, hat Airy
in seiner Kanaltheorie die Gezeitenerscheinung in engen Becken von
grosser Länge (Kanälen), die rund um die Erde gehen, betrachtet. Die
Annahme von solchen Becken entspricht einigermaassen einigen in der
Wirklichkeit vorkommenden Fällen, weshalb die Airy sehe Theorie eine
gewisse Anerkennung gefunden hat.
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 455
Es bleibt der reinen Empirie überlassen, die Gezeiteuersclieiniingen mit
Hilfe von registrierenden Pegeln so genau wie möglich zu messen, um die so
Fig. 158.
erhaltenen Resultate mit Hilfe der harmonischen Analyse zu bearbeiten.
Durch diese Bearbeitung sind sehr viele interessante Einzelheiten zu Tage
befördert und sehr wichtige Fragen, wie wir sehen werden, angeregt worden.
^5g Physik der Erde.
Anwendung der harmonischen Analyse. Um alle diese ver-
schiedenen Einflüsse auseinander zu sondern, hat man zu dem Hilfs-
mittel der harmonischen Analyse gegriffen, welche in letzter Zeit zur
Auffindung und Untersuchung von periodischen Erscheinungen eine immer
grössere Verwendung findet.
Diese von Fourier ursprünglich stammende und von.Bessel
weitergeführte Berechnungsweise gründet sich darauf, dass die Stärke
(Amplitude) einer periodischen Erscheinung, deren Periode T ist, nach
einer Reihe sich entwickeln lässt, welche folgende Form erhält:
Hi = (//) + ^i QO^vt^ B^ ^mvt-\- Ä2 cos2r^ + ^2 sin2z^/+ ...
worin Ht die Amplitude der Erscheinung (in diesem Fall die Höhe des
Wasserstandes an einem bestimmten Ort an der Küste) zur Zeit t^ (//) der
Mittelwert der /f< -Werte in einer langen Reihe Beobachtungen von
einer ganzen Anzahl Perioden und ^^ ,^2 --'-^i •^2«-- ^Koeffizienten
darstellen^ welche die Stärke der Schwankung angeben, v bedeutet die
Zahl 2jt:T. Wie aus der Form ersichtlich, erhält Ht denselben Wert,
wenn man einmal t, ein anderes Mal t + T oder t-{- aT einsetzt, worin
a eine ganze Zahl bedeutet. Dieser Umstand ist nur ein Ausdruck
dafür, dass die Erscheinung die Periode T besitzt.
Mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate berechnet man die
wahrscheinlichsten Werte der Koeffizienten und findet dafür die fol-
gende Form:
A, = "2'// Gos V t ; ^1 ^= ^ IL^ sin v t
1 n 0 '" "' n 0 in m.
A2 = 2^ ^Jm COS 2 V Un ; B^ =- 7" -S'^4 «in 2 V tm.
n bedeutet die ganze Zahl, welche T a,m nächsten kommt.
Um die Bedeutung dieser Rechenoperationen zu erläutern, führen
wir ein Beispiel aus. Wir wollen nun z. B. die Periodicität nach
dem halben einfachen Mondumlauf von 12^^ 25"^ untersuchen. Nehmen
wir an^ der Stand des Wassers werde alle halbe Stunden beobachtet, so
ist es am einfachsten als Zeiteinheit die halbe Stunde zu nehmen.
T wird dann 24,83 und n die nächtsliegende ganze Zahl 25. t möge
von einer bestimmten Zeit als Nullwert ab gerechnet werden, z. B. von
einer Zeit, in welcher der Mond durch die Meridianebene des Ortes geht
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 457
(zu welcher nach der einfachen Newton sehen Theorie Flut eintreffen
sollte). Auf jeden halben Mondunilauf kommen also 25 Beobachtungen
mit Ausnahme jeder sechsten, auf welchen nur 24 Beobachtungen fallen.
Wir ordnen nun eine Tabelle nach dem folgenden Schema:
\. Hq H^ H2 ^^23 ^hi
2. 7/25 ^26 ^hl ^48 ^^49
3. //50 H51 II52 ^^73
4. 7J74 ^75 iJ^R ^97 F98
8. //i74 ^^175 i/^176 ^197 ^198
^' ^^199 ^^200 ^201 -^222
10. 1/223 -^224 ^^225 . • . • . 7^246 ^^247
Die erste Beobachtung Hq kommt zuerst und danach alle die in der
ersten Periode fallenden bis 7/24. Die 26. Beobachtung, 1^2 5 > ^^11^ nahezu
eine Periode (fünf Minuten mehr) nach 7fo und wird deshalb unter 77o
geschrieben; dasselbe gilt für die Beobachtung 7/50, welche zwei Perioden
später als 77^ (auf 10 Minuten nahe) eintrifft. Dagegen ist die nächste
Beobachtung, welche so nahe als möglich dem Wert 77o entspricht, nicht
7775, welches drei Perioden + 15 Minuten, sondern 77,4, welches drei
Perioden — 10 Minuten später als 77o eintrifft. Die vierte Reihe fängt
also mit 77^4 an und die letzte Stelle der dritten Reihe ist unbesetzt.
Wenn man da einen Wert einschalten will, nimmt man den Mittelwert
zwischen 7/73 und 7^74. Die folgenden vier Zeilen enthalten wiederum
je 25 77- Werte tabelliert, die danach folgende neunte Zeile wird wie die
dritte und die zehnte wie die vierte behandelt u. s. w.
Auf diese Weise kommen unter 77o alle diejenigen Beobachtungen,
welche 77o am meisten entsprechen (an einer ganzen Anzahl Perioden
+ 10 Minuten nach 77o angestellt sind). Ebenfalls kommen unter H^
die anderen Beobachtungen, welche so nahe wie möglich eine ganze An-
zahl von Perioden nach 77i angestellt sind u. s. w.
Wenn nun die Periodicität nach der untersuchten Periode von 12 '* 25"'
der alleinige. Faktor wäre, welche das Gezeitenphänomen beherrschte, so
würden alle Beobachtungen unter 77o mit dieser gleich sein, oder richtiger
einen sehr geringen Unterschied von 77o zeigen, den Abweichungen
von +10 Minuten von den ganzen Perioden entsprechend.
Es zeigt sich aber, dass dies gar nicht zutrifft, und dies hängt von
458 Physik der Erde.
störenden Umständen al). welche teils von den anderen periodisclien
Einflüssen von anderer Periodenlänge (wie Sonnenumlauf, tropischem
Monat u. s. w. sich geltend machen), teils auch von zufälligen nicht periodi-
schen Störungen, wie Windrichtung, Barometerdruck u. s. w. herrühren.
(Wenn der Wind von der See weht, wird das Wasser gegen das Land
aufgestaut, ehenso drückt ein hoher Luftdruck das Wasser herunter, was
man am leichtesten an Binnenmeeren, z. B. der Ostsee, nachweisen kann,
wo keine merklichen Gezeiten stören.) Wenn man aber eine genügend
grosse Anzahl von Beobachtungen besitzt, so gleichen sich diese perio-
dischen und unperiodischen Störungen aus, indem sie ebenso häufig in
der einen wie in der andern Richtung liegen, und zwar um so mehr, je
länger die Beobachtungsreihe ist.
Ist die Beobachtungsreihe lang genug, so nimmt man als einen
nahezu richtigen Wert von H^ das Mittel aus ^o ^iid allen anderen
Werten, welche unter H^ stehen. Dieser Mittelwert, den wir künftighin
//o heissen, wird in die Formeln auf S. 456 unter dem Zeichen -2" ein-
geführt. In ähnlicher Weise bildet man Mittelwerte H^ , 7/2 u. s. w. bis
J/23 und F24.
Mit Hilfe dieser Werte werden jetzt die Koeffizienten yl, , A^^ B^
und B2 berechnet nach den Formeln:
2 24 2 24
A^ = ^ 2 Hm cos V tm j5j = ^- 2 Hm siu V tm
2 24 2 2^
A2=^2 Hm cos 2 V tm B^ = ^- 2J Hm siu 2 V tm
u. s. w.
V ist gleich 2jt : n oder in Bogengraden ausgedrückt 360 : n
== 14,4^, da ja w = 25 ist. tm bedeutet die ganzen Zahlen 0 bis 24.
Folglich wird
2
A = 9ri i^k COS 0^ -I- //i cos 14,40 + H2 cos 28,8» +
25
+ 7/23 cos 331,20 + 7724 cos 345,6«).
Nachdem nun A^ u. s. w. berechnet sind, kann man den Wert 77^
anders ausdrücken, nämlich folgendermaassen:
Ht = (77) -f K^ cos v{t— «i) + i\'2 cos 2 j^ (/ — «2) + • • • • ('^)
worin:
V. Die Wellen) )ewegung des Meeres und der Seen. 459
vv.
tg i; «1 = 2 ; tg 2 a^ «2 == — % 11. s. w.
«i ist die sogenannte Phasendifferenz, welche in diesem Falle an-
giebt, wie spät die Fluterscheinung nach dem Durchgang des Mondes
durch den Meridian sein Maximum erhält (dem höchsten Wasserstande
entsprechend). Wenn man diese Verspätung in Stunden ausdrücken
will, und a wie gewöhnlich in Bogengraden ausgedrückt ist, so hat man
zu bemerken, dass eine Stunde in diesem Falle 28,6^ entspricht
(12^ 25''^ entsprechen 360^).
Die mit 2 indicierten Koeffizienten gehören einer eventuellen viertel-
tägigen Periode an. «2 ist ebenfalls die Verspätung des Maximums in
dieser Periode nach dem Durchgange des Mondes durch den Meridian.
Ob nun die gefundene Periodicität eine reelle Bedeutung hat, oder
nur den unvermeidlichen zufälligen Fehlern zuzuschreiben ist, kann rhan
durch Vergleichung der Grösse von Ä\ und von ^^2 ^^^ ^^^^ wahrschein-
lichen Fehler dieser Grössen entscheiden. Der wahrscheinliche Fehler r
einer einzelnen Beobachtung lim beträgt nach den Regeln der Wahr-
scheinlichkeitsrechnunof :
r = + 0,674 1/^^^',
f n — 5
worin:
^m = {Hm ) beoh. — [Hm ) her.
{Hm)heoh. ist der oben gefundene aus den Beobachtungen folgende
Mittelwert von Ä, wogegen (Hm) her. den aus der Formel (2) mit Hilfe
der Koeffizienten Ny und N2 berechneten Wert darstellt. Am ist also
die Abweichung zwischen Beobachtung und Berechnung. Hat man zwei
i\^- Werte {N^ und N^), so kommt in den Nenner unter dem Wurzelzeichen
im Ausdrucke für r der Wert {n — 5), hat man aber nur einen i\^-Wert,
kommt {n — 3) an Stelle von (w — 5), hat man drei iV- Werte, muss
man den W^ert [n — 7) verwenden u. s. w.
Aus dem wahrscheinlichen Fehler r einer Einzelbeobachtung lässt
sich derjenige R eines Koeffizienten N nach folgender Formel be-
rechnen:
R=r]/
f n
^gQ Physik der Erde.
Wenn nun die iV -Werte nicht grösser als R sind, ist das Vorhanden-
sein der betreffenden Periode sehr zweifelhaft; ist dagegen N: R eine
grosse Zahl, so wächst die Wahrscheinlichkeit der Periodicität schnell
mit diesem Werte. Auch wenn N:R geringer ist als 2, kann man
noch eine zufällige Periodicität vermuten. Je grösseres Material man
verwendet, desto bedeutender muss N:R ausfallen und zwar nahezu
proportional der Quadratwurzel aus der Anzahl der benutzten Beobach-
tungen, wenn eine wirkliche Periodicität vorhanden ist.
Untersuchungen von G.H.Darwin. Diese immer mehr ange-
wandte Methode zur Untersuchung von periodischen Erscheinungen hat
Darwin ganz besonders für die Gezeitenerscheinung entwickelt. Die
Theorie von Newton, welche später von Laplace, Stokes, Lord Kel-
vin und Darwin ausgebaut wurde, setzt nun voraus, dass im Meeres-
wasser die Keibung so gering ist, dass die Gezeitenwelle nicht nach der
die Gezeiten bewirkenden Kraft verspätet ist. Dies trifft wohl nicht für
die Gezeiten von halbtägiger Periode zu, dagegen kann man mit Recht
annehmen, dass es für diejenigen, welche von der verschiedenen Ent-
fernung des Mondes und von seiner Deklination herrühren, erfüllt ist.
Was diese langperiodischen Gezeiten angeht, so sollten sie ebenso
wenig an der Küste w^ahrnehmbar sein, wie auf einem Schiffe im offenen
Meere, wenn die Erdkruste als eine auf einem flüssigen Erdkern schwim-
mende Scholle zu betrachten wäre. Man beobachtet nun eine Senkung
oder Hebung des Meeres nach diesen Perioden. Folglich muss das Erd-
innere weniger leichtflüssig sein wie das Meer. Man kann aber aus der
Potentialtheorie mit grösserer Genauigkeit, wie nach der oben ausge-
führten Rechnung (vgl. S. 450), ableiten, wie hoch das Meer an der
Küste steigen würde, wenn die Erde sich wie ein absolut starrer Körper
verhielte. Weil die Erde nicht absolut starr ist', so wird die Gezeiten-
welle niedriger erscheinen, als theoretisch berechnet worden ist. Dar-
wins Berechnungen zeigen nun, dass die Welle dieser langperiodischen
Gezeiten etwa um 32 Proz. geringer ausfällt, als die Rechnung verlangt.
Die Erde giebt also ein klein wenig nach, und Darwin berechnet daraus,
dass die Starrheit der Erde ungefähr so gross wie diejenige des Stahls
bei gewöhnlicher Temperatur und normalem Druck ist.
Die Zuverlässigkeit dieser Rechnung wird dadurch bedeutend ge-
schwächt, dass die aus Indien herrührenden Beobachtungsreihen eine
noch bedeutend grössere Starrheit der Erde ergeben, indem die Nach-
giebigkeit derselben nur einem Unterschied von etwa 5 Proz. zwischen Be-
obachtung und Berechnung entspricht. Die wahrscheinlichen Fehler
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 4g j
der beiden Berechnungen sind so gering, dass ihre Resultate als mit-
einander unvereinbar zu betrachten sind.
Man muss deshalb nähere Untersuchungen über diese höchst inter-
essante Frage abwarten. Es möge nur darauf hingewiesen werden,
dass, wenn man auch eine Starrheit der Erde finden würde, die grösser
ausfiele, wie diejenige des festen Stahles, man nicht berechtigt wäre,
daraus zu schliessen, dass das Erdinnere fest sei. Flüssigkeiten und
Gase bei so hohem Druck und so hoher Temperatur, wie diejenigen,
welche im Erdinnern herrschen, können sehr wohl, wie oben bei den
Betrachtungen über Vulkanismus gezeigt wurde, sich in dieser Hinsicht
ungefähr wie feste Körper 'Verhalten (vgl. S. 283).
Vergleich der Theorie mit der Erfahrung. Bei den Gezeiten
von halbtägiger Periode sind die Regelmässigkeiten so stark verwischt,
dass die Theorie sehr wenig Hilfe leistet, ausser in der Beziehung, dass
die Wellenhöhe einigermaassen der wirkenden Kraft proportional ist.
Aber die absolute Höhe und die Eintrittszeit lässt sich nur aus der Er-
fahrung bestimmen. Nach der Theorie sollte die Gezeitenwelle dem
Monde von Ost nach West in seiner scheinbaren täglichen Bewegung
folgen. Einigermaassen trifft dies für die südliche Erdhalbkugel zu, wo
das W^asser tief genug ist und wenige Kontinente und Inseln stören.
Aber auf der nördlichen Halbkugel stimmt nicht einmal die Bewegungs-
richtung der Welle mit der Erfahrung. Die Gezeitenwelle, welche süd-
lich von Afrika fortschreitet, sendet eine Abzweigung in den Atlantischen
Ocean hinein, welche in den tieferen Stellen viel schneller als an den
Küsten fortschreitet, sodass die Fortpflanzungsrichtung bald nach Norden
geht, um später nach Nordosten parallell zu der Hauptrichtung der euro-
päischen Westküste abgelenkt zu werden. Zwischen Norwegen, Spitzbergen
und Nowaja Semlja ist die Fortpflanzungsrichtung sogar entgegengesetzt
der theoretischen, von W^est nach Ost gerichtet.
Ähnliche Abweichungen, obgleich nicht so aufiallend grosse, kommen
im Indischen und im nördlichen Stillen Ocean zum Vorschein.
Diese Nachwirkung macht sich besonders im Meer rund um die
britischen Inseln geltend. Die Wellenbewegung schreitet da ziemlich
schnell in den grossen Meerestiefen rund um Schottland fort und biegt dann
in die Nordsee hinein. Ein anderer Teil der Welle geht viel langsamer
durch den flachen englischen Kanal und begegnet auf diesem -Wege
den von Norden kommenden Hauptteil (vgl. Fig. 159 S. 455).
Die Höhe der Gezeitenwellen beträgt auf frei im Meere gelegenen
kleinen Inseln nur 0,8—1,0 m. Ganz anders werden die Verhältnisse in
4ß2 Physik der Erde.
geschlossenen Meeren, welche nur durch eine enge Meeresstrasse mit
dem Ocean in Verbindung stehen, wie das Mittelmeer. Längs der spa-
nischen Küste ist die Welle im Mittel etwa 1,5—1,8 m hoch. Dieselbe
Höhe gilt für die Aussenseite der Gibraltarstrasse. Durch diese enge
Strasse giesst sich das Wasser hinein, breitet sich aus und verliert immer
mehr an Wellenhöhe. Ganz umgekehrte Verhältnisse können an solchen
Stellen eintreten, wo die Wasserwelle zusammengepresst wird. Am be-
kanntesten in dieser Hinsicht ist Fundybay in Nordamerika (innerhalb
Neuschottland), wo das Wasser bis 15 oder 20 m steigen kann. Unter
solchen Umständen geschieht es auch, dass die langsam steigende und
sinkende Gezeitenw^elle einen plötzlichen Verlauf nimmt und wie eine
gewöhnliche Welle in Flussmündungen eindringt (Sprungwelle, mas-
caret). Diese Erscheinung kommt nicht in deutschen, wohl aber in
den meisten französischen Flüssen (nicht in der Loire) vor. Auch in
dem englischen Flusse Severn (bei Swansea 9 m, bei Chepstow 15 m
Springflut), im Amazonenflusse und den Flüssen des brasilischen Guyana,
sowie einigen indischen und anderen asiatischen Flüssen hat man
Sprungwellen beobachtet.
Als Beispiele einiger Fluthöhen mögen folgende Werte angeführt
werden: Sandwichsinseln 0,28 m, Tahiti 0,3 — 0,5 m, Fidschiinseln und
Neue Hebriden 1,0 — 1,3 m, St. Helena 1 m, Rodriguez 0,6 m, Azoren
und Kanaren 1,5—2,5 m, Boston 3 m, Küste von Neuengland 6 m, Fundy
Bay (Mittelwert) 12 m, Brest 4,5 m, Liverpool 6 m, Irische Küste 3 m,
London 5 m, westliches Mittelmeer 0,6 m, Genua 0,24 m, Ischia 0,2 m,
Venedig 0,5 m, Korfu 0,1 m, Ostsee, dänische Küste 0,3—0,4 m, deutsche
Küste 0,1 m (W.) — 0,01 m (0.).
Die Gezeiten sind von grosser Bedeutung für die Schiffahrt. Viele
Häfen sind für grössere Schiffe nur bei Flutzeit zugänglich.
Wo das Gezeitenwasser in Flussmündungen hineinsteigt, hemmt es das
Hinausfliessen des Flusswassers und durch dieses Stillstehen und die Bei-
mengung von Salzwasser kommt eine starke Sedimentation zustande,
wodurch Verkehrswege und Häfen ihre Tiefe einbüssen.
Man hat vielfach vorgeschlagen, die Energie der Gezeitenwellen
durch Anlegung grosser Teiche auszunutzen, in w^elchen das Wasser
w^ährend der Flutzeit angesammelt werden würde, um nachher während
der Ebbezeit ausgelassen zu werden. Der dabei entstehende Wasserfall
könnte Mühlen treiben. In Nordamerika (und England) giebt es viele
solche Mühlen, sie können aber natürlich nur wenige Stunden im Tage
laufen; ihre ökonomische Bedeutung ist massig.
V. Die Wellenbewegung des Meeres und der Seen. 4ß3
In den Binnenseen sind die Gezeiten verschwindend. Nur die
grossen Seen von Nordamerika zeigen eine Spur davon, in Chicago am
Michigausee ist der Höhenunterschied zwischen Ebbe und Flut etwa
4 cm, bei Springzeit 7 cm, im Eriesee etwa 2 cm.
Gezeitenströme. Die Gezeitenwelle auf dem offenen Meere gleicht
einer anderen Welle , indem wie bei dieser die Wasserpartikelchen eine
elliptische Kurve beschreiben. Diese Wasserteilchen verschieben sich
auf dem Wellenkamm in der Fortpüanzungsrichtung der Welle, im
Wellensattel dagegen in der entgegengesetzten Richtung. Die Umkehr
der Bewegungsrichtung tritt, wie leicht einzusehen, in der Mitte ein
zwischen den Zeiten, wobei ein Wasserpartikelchen ihre höchsten und
ihre tiefsten Lagen einnimmt. Dies tritt 3^ 6"^ vor und nach der höchsten
Flut ein. In diesen Augenblicken „kentert" der Strom.
Ganz anders verhält es sich an solchen Stellen, wo die Gezeiten-
welle eine Wassermasse gegen das Ufer oder in eine Bucht hinaufpresst.
Da hat das Wasser keinen freien Ausweg zur anderen Seite, sondern,
damit das Wasser sinkt, muss es wegfliessen, entgegen der Fortpflanzungs-
richtung der Welle zum Meer hinaus. Es kentert in solchen Fällen
also der Strom bei dem höchsten und dem niedrigsten Wasserstand.
An seichten Stellen des Meeres oder bei Verengerungen desselben,
können Zwischenstufen zwischen den beiden genannten Grenzfällen vor-
kommen, so z. B. (alle möglichen Übergänge) im englischen Kanal. An
der Küste kann eine starke Strömung vorkommen, während in der Mitte
des Kanals die grosse Gezeitenwelle in Ruhe bezüglich horizontaler Ver-
schiebung ist. Dadurch erklären sich eigentümlich erscheinende Wirbel-
ströme, welche den Seefahrern daselbst w^ohl bekannt sind.
Diese Wirbelströme erreichen bisweilen recht grosse Geschwindig-
keiten und werden dadurch für Segler, die mit den lokalen Verhältnissen
unbekannt sind, gefährlich. Bekannt in dieser Hinsicht ist der „Mal-
ström" innerhalb der Lofoteninseln in Norwegen und in noch höherem
Grade die Strasse von Messina. Diese Strudel waren den Alten als
Scjdla (bei der engsten Stelle an der italienischen Seite) und Charybdis
(vor dem Hafen von Messina) bekannt. Die Gezeitenströme in der
Strasse von Messina erreichen Geschwindigkeiten von 1,5 bis 3,5, stellen-
weise sogar 5 m pro Sekunde (2,9, 6,8 bezw. 9,7 Seemeilen pro Stunde).
Die Fluthöhe schwankt zwischen 5 und 45 cm.
Da die abströmende Wassermasse proportional der Wellenhöhe ist
und das Wasserbecken bis zum Boden ausfüllen kann, so muss die Ge-
schwindigkeit der Strömung der Wellenhöhe h direkt und der Tiefe (/>)
464 Physik der Erde.
des Wasserbeckens umgekehrt proportional sein. In der That findet man
nach einer einfachen von Comoy eingeführten Betrachtung, dass die
Strömungsgeschwindigkeit (v) sich zur Fortpflanzungsgeschwindigkeit (c)
der Flutwelle wie h zu p verhält. Führt man nun c=Y9P (^8"^- ^- 441)
ein, so erhält man:
^ V h
oder:
Vi
1
Ist z. B. für den Kanal /^ = 1,5 m und ^ = 30 m, so wird v = 0,858 m pro
Sek. = 3,1 km pro Stunde (oder 1,66 Seemeilen pro Stunde), eine Strö-
nmng, die offenbar für die Seefahrt von Bedeutung ist. In engen Meeres-
armeu, „Sunds", können noch viel stärkere Gezeitenströmungen vorkommen.
Im offenen Meere sind sie ohne Bedeutung {p ist sehr gross, h dagegen
gering, für;? = 5000 m und /i = 0,65 m wird sie etwa 100 m pro Stunde).
Wegen der grösseren Fortpflanzungsgeschwindigkeit in grösserer
Tiefe breitet sich die Gezeitenwelle (wie die Brandungswoge) nahezu
parallel zur Küste aus. Gute Beispiele dieser Wirkung giebt die Figur
158 betreffs der Küste des Biscayabusens und der portugiesischen und
irischen Küste.
Die Gezeitenwelle wird auch, wie andere Strömungen, durch die
Erddrehung nach rechts abgelenkt (vgl oben S. 267). Vermutlich ist
dieser Umstand der Grund dafür, dass die vom Südatlanten durch den
Kanal hineindringende Welle sich an der holländischen Küste geltend
macht, während die vom Norden kommende Gezeitenwelle sich längs
der englischen Ostküste entwickelt (vgl. Fig. 158, S. 455).
VI. Die Wechselwirkung zwischen Land und See. Küsten.
Küstenverschiebungen. An der Küste erkennt man sehr häufig,
dass die Grenzlinie zwischen Land und Wasser sich allmählich ver-
schiebt. Höher hinauf auf dem Land bemerkt man oft terassenförmige
Bildungen, die aünähernd horizontal liegen, und welche offenbar alte
Strandlinien von Seen sind. Solche kommen sowohl in Amerika, besonders
rund um die grossen Seen (der alte Lake Warren) und an der Begren-
zung des alten Lake Bonneville vor, als auch in Europa, z. B. in Schweden
und Norwegen, wo mau die Lage des alten Ufers mit Hilfe dieser Strand-
linien rekonstruiert hat. Man bemerkt auch häufig hoch über dem
jetzigen Ufer Muschelbänke, wo alte Muschelschalen andeuten, dass die
betreffenden Stellen einst unter Wasser lagen.
Viel seltener sind naturgemäss die deutlichen Merkmale von Land-
senkunge^. Ein klassisches Beispiel einer solchen Senkung giebt der
sogenannte Serapistempel bei Puzzuoli (in der Nähe von Neapel).
In diesem Tempel, der jetzt gänzlich über Wasser steht, wie wohl
auch bei seiner Erbauung, findet man drei Säulen, welche auf ihrer
mittleren Höhe von Bohrmuscheln angegriffen sind. Es muss also dieser
Tempel und die umgebende Landmasse in relativ kurzer Zeit einer ganz
bedeutenden Senkung und danach einer ungefähr ebenso grossen Hebung
unterworfen gewesen sein. An anderen Stellen findet man alte Strassen
oder Mosaikböden unter dem Meere, ferner sind Inseln, die den See-
fahrern bekannt waren, unter Wasser getaucht, was eine Senkung in
historischer Zeit andeutet.
Die ersten direkten Beobachtungen über die Landhebung wurden
in Schweden gemacht, indem im Jahre 1731 Wassermarken an Felsen
bei der Küste eingehauen wurden. Danach wurde ihre Lage zur Meeres-
oberfläche der Ostsee zu bestimmten Zeiten beobachtet. Das Maximum
der Hebung tritt an dem Nordteil des bottnischen Meerbusens ein, wo
Arrhenius, Kosmische Physik. 30
4ßß Physik der Erde.
es etwa 1 m in hundert Jahren beträgt, von da ab vermindert sich die
Hebung, sodass Schonen beinahe still steht. Die Verschiebung scheint vor
hundert Jahren schneller vor sich gegangen zu sein, als in der Gegen-
wart. Eine ähnliche Hebung ist für die ganze Nordktiste Europas cha-
rakteristisch, ebenso für die nördlich davon gelegenen Polarinseln. Die
britannische Küste scheint abwechselnden Hebungen und Senkungen
unterworfen gewesen zu sein; in letzter Zeit scheint die Senkung zu
überwiegen. Die Südküste der Ostsee steht still; die Nordseeküste scheint
langsam vom Wasser erobert zu werden. Im allgemeinen scheint auch
die europäische Atlantküste langsam zu sinken. Dagegen heben sich
die grössten Teile der Mittelmeerküste an der europäischen Seite; an
mehreren Stellen sind abwechselnde Hebungen und Senkungen konsta-
tiert. Griechenland hebt sich teilweise sehr schnell, wie der vormals enge
Pass von Thermopylae zeigt, welcher in eine breite Strandwiese verwandelt
ist. Die Küsten des Schwarzen Meeres heben sich ebenfalls.
Ausserhalb Europas sind die auffallendsten Hebungen im japanischen
Inselreich, in Südamerika, südlich vom Äquator, an den Ufern des Roten
Meeres, an der vorderindischen Halbinsel, an der sibirischen Küste, west-
lich von Kap Tscheljuskin, an den meisten Teilen der afrikanischen Küste
(mit Ausnahme vom Nildelta, Tripolis, Senegambien, Guineabucht und
Zanzibar).
Dagegen sinken die Ostküsten der Vereinigten Staaten von Neu-
Schottland ab und die oben nicht erwähnten Teile der asiatischen Küste.
Die Landhebung geschah nicht gleichförmig. So haben sich die
centralen Teile Nord - Skandinaviens seit Ende der Eiszeit um ungefähr
300 m gehoben, die Küstenlinie weniger, von 0 im Süden bis 250 m im
Norden. (Vgl. die beigefügte Karte, welche die seit der Eiszeit ge-
schehenen Höhenänderungen in Skandinavien und umliegenden Ländern
darstellt Fig. 159.)
Das Aussehen einer in Hebung begriffenen Küste ist im allgemeinen
von demjenigen einer in Senkung begriffenen sehr verschieden. Der
Meeresboden ist in den meisten Fällen als nahezu ganz flach zu be-
trachten, indem seine Unebenheiten durch das ausgespülte Sediment
erfüllt werden. Steigt nun ein solcher Meeresboden über die Meeres-
oberfläche, so zeichnet sich die Küstenlinie durch ihre Einförmigkeit,
durch die Abwesenheit von Inseln, ins Meer hinausragenden Felsen und
Halbinseln aus. Die Uferbestandteile sind alte Sedimente, Sand und Thon.
Gerade das Gegenteil trifft ein, wenn das Land sich unter den
Meeresspiegel senkt. Das Land hat durch die Wirkung des Wassers
VI. Die Wechselwirkung zwischen Land und See. Küsten.
467
eine meistens recht scharfe Profilierung. Teils haben die Flüsse ihr
verzweigtes Drainierungs^etz gegraben, teils hat das Wasser (oder das
Eis der Eiszeit) die harten Felsen stehen lassen, während es die weicheren
Erdbestandteile zum Thal oder zum Meer verschleppt hat. Wenn dem-
nach das Meer über solche alte Landteile steigt, bildet sich ein Archipel
von Inseln, fortgesetzt durch
weit ins Meer hinausra-
gende Halbinseln; welche
früher die Wasserscheide
zwischen zwei Flüssen aus-
machten.
Als Typen der sich he-
benden Küsten können die
Westküste der Vereinigten
Staaten Nordamerikas und
die Küste der baltischen
Provinzen angesehen w^er-
den. Typen der sinkenden
Küsten sind dagegen die
Ostküste von Nordamerika
und die dalmatinische
Küste.
Jedoch muss man
diese Kennzeichen mit
einer gewissen Vorsicht
benutzen. So z. B. ist der grösste Teil der schwedischen Küste und die
südfinnländische Küste durch ihre Zersplitterung in kleine Inseln und
Halbinseln charakterisiert, obgleich sie sich stetig seit Ende der Eiszeit
gehoben haben. Dies hängt aber damit zusammen, dass während der Eis-
zeit die Ostsee nicht eigentlich als See angesehen werden konnte, indem
sie das Eis bis Ende der letzten Eiszeit an den genannten Küsten aus-
füllte, sodass da kein Absatz von Sediment stattfinden konnte. In der
kurzen Zeit, welche nachher verflossen ist, hat die geringe Ablagerung
von Sediment nicht die ursprüngliche Profilierung zu verwischen vermocht.
Andererseits zeigt die jütländische Küste, welche in lang-
samer Senkung begrijffen ist, einen nahezu geradlinigen Verlauf. Teils
ist hier die sinkende Landmasse ausserordentlich wenig profiliert, teils
schwemmen die Wogen den abgetragenen Sand zur Küste zurück und
lagern ihn an Einbuchtungen ab, wo er von den Küstenströnmngen nicht
30*
Fig. 159. Hebung Skandinaviens seit der Eiszeit.
^ßg Physik der Erde.
weggespült wird. Auf diese Weise kann eine sinkende Küste auch einen
geradlinigen Verlauf nehmen.
Die Wogen bearbeiten das Sediment, welches von den ufern dem
Meerwasser zugeführt wird. Bisweilen führen sie dasselbe zu den Meeres-
tiefen hinaus, wenn es aber sehr reichlich zugeführt wird (und die Küste
sehr langsam abfällt), bilden sich Deltas an den Flussmündungen oder
die Wellen werfen das Material in langen Sandbänken auf, welche als
langgestreckte Inseln oder Halbinseln parallel zur Küste laufen, von
welcher sie durch seichte Verzweigungen des Meeres getrennt sind.
Beispiele solcher Bildungen finden sich an der friesischen Küste und in
den Haffen an der Ostsee. Sie sind übrigens an den Küsten sehr ge-
wöhnlich. Diese Sandbänke sind häufig beweglich und wandern, je nach
den Meeres- und Luftströmungen, wie die Dünen an der Nordseeküste.
An Stellen, wo die Küsten sehr stark dem Wellenspiel ausgesetzt
sind, wie an freiliegenden Inseln, kann die zehrende Wirkung der Wellen
ausserordentlich kräftig abtragend wirken. Auch die härtesten Felsen
werden von den Wellen untergraben. Diese höhlen grosse Einschnitte
im Felsen aus, bis die tiberliegenden Stücke von der Schwere niederge-
brochen werden. Teile von der englischen Küste weichen in dieser Weise
um ein paar Meter jährlich zurück. Am meisten bekannt in dieser
Hinsicht ist die Insel Helgoland, deren Zerstörung jedoch früher stark
überschätzt wurde. Ebenso verliert die Westküste von Schleswig immer
mehr.
Einwirkung der Härte der Küste. In Senkungsgebieten macht
sich die verschiedene Härte der verschiedenen Gesteine, woraus die
Küste zusammengesetzt ist, sehr stark geltend. Die harten, in das Meer
hinausragenden Felsen leisten den längsten Widerstand, während
zwischen solchen Felsen das Meer schnell die lockeren Materialien weg-
spült. Dadurch bilden sich zwischen zwei solchen Felsen lange Bogen
aus, welche gegen das Meer konkav sind. Die von den Felsen herunter-
fallenden Fragmente werden von den Wogen bearbeitet und in immer
feinere Stücke zersplittert. Diese Splitter werden von den Wellen ins
Meer hinausgetragen und teilweise wieder auf die Küste hinaufgespült.
Die grössten Fragmente bleiben dann in der Nähe der Felsen liegen und
je weiter man sich von ihnen entfernt, desto kleinere Steine umranden
die See, bis an der Mitte des Bogens gewöhnlicherweise ganz feiner Sand
vorherrscht.
Ausserdem, dass die Abtragung durch die Wellen viel langsamer
geht, wenn die Küste aus härterem Material besteht, äussert sich die
VI. Die Wechselwirkung zwischen Land und See. Küsten.
469
Widerstandsfähigheit der Küste in der Küstenform. Hagen hat die in
der Natur herrschenden Verhältnisse experimentell nachzuahmen gesucht.
Er legte in seiner Wellenrinne auf die eine Seite eine Sandböschung
'mit einer Neigung von 17^ auf (Fig. 160) und liess die Wellen dagegen
Fig. 160. Wirkung des Wellenschlages auf eine sandige Küste.
schlagen. Die obenstehende Figur zeigt die Veränderung nach 300
und 1200 Wellenschlägen. Die nachfolgende Figur (Fig. 161) zeigt die
Wirkung des W^ellenschlages auf ein Kiesufer (die Korngrösse des Kieses
erreichte etwa 2 mm).
Der Sand oder Kies wird vom W^ellenschlag abgetragen und unweit
der Küste wieder abgelagert, weil der Sand nicht lange im Wasser zu
schweben vermag. Ausserhalb der Küste entstehen gewöhnlich ein oder
mehrere Riffe. Der Sand lagert sich nämlich mit Vorliebe ab, wo die
zurückfliessende mit Sand beladene Welle des „Sogs" dem nächsten
hineinstürzenden Wellenkamm begegnet, wo ein relativer Stillstand der
Wassermassen erfolgt. Ein ähnlicher Vorgang kann sich an den nächsten
Fig. 161. Wirkung des Wellenschlages
auf ein Kiesufer.
Fig. 162. Wirkung des Wellen-
schlages auf ein Thonufer.
Wellenbergen wiederholen, wodurch mehrere Parallelriffe entstehen. Solche
Riffe sind an der jütländischen Küste sehr stark entwickelt und verhin-
dern, dass man auch in kleinen Kähnen den Strand erreichen kann.
Sie sind als Badestrand (z. B. bei Sylt) sehr vorteilhaft, für die Schiff-
fahrt dagegen verhängnisvoll.
Die feine Rippelung des Meeresbodens an Sandufern rührt von ahn-
470
Physik der Erde.
Fig. 163. Wirkung des Wellen-
schltiges auf ein Felsenufer.
liehen Umstiiuden her. Sie entspricht der Anordnung in parallelen
Rippen des feinen Korkstanbes bei dem Kun dt sehen Schallversuch.
Die Rippelung des Meeresbodens ist bisweilen in ziemlieh grosser Tiefe
— bis gegen 200 m — beobachtet worden.
Etwas anders wie das Sandufer verhält sich das Thonufer (Fig. 162)^
Die Partikelehen, welche vom Wasser hinausgespült werden, sind so
fein, dass sie nicht in der unmittelbaren
Nähe der Küste abgelagert werden, es bil-
det sich kein flaches Ufer mit Riffen, sondern
eine konkave tiefe Aushöhlung, welche nach
oben mit einem ziemlich vertikalen Abhang
der Küste endet. Solehe Formen erhalten
auch die Moor-, Lehm- und Kreideküsten
(z. B. am englischen Kanal, Rügen, Möen etc.).
Ganz anders verhält sich das Felsen-
ufer; je nach der Richtung der Lagerung
können verschiedene Formen entstehen.
Neigt sich die Schichtung von der See ab,
so entsteht eine stark ausgeprägte Hohl-
kehle (Fig. 163), neigt sie sich dagegen zum Meer hinaus, so wird das
Ufer nicht so stark angegriffen und nimmt die in Fig. 164 angegebene
Form an.
Urgesteine und krystallinische Schiefer, die wenig Risse enthalten, wo-
durch das Wasser sie zerklüften könnte, ragen gewöhnlich wie Massive mit
rundlichen Formen aus den Wogen.
Abgebröckelte Teile umgeben diese
Felsen häufig mit einem Gürtel von
Steinblöcken und grossen Steinen, die
w^eiter hinaus im Meer in Sand über-
gehen.
Konservierende Wirkung der
Organismen. Die Algen des Meeres spielen eine stark konser-
vierende Rolle. Sie werden auf die Küste hinaufgeworfen, etwa so
w^eit als der mittlere Wasserstand reicht oder noch etwas höher. Mit
ihren weichen, beinahe gelatinösen Teilen legen sie sich in den Weg des
gewaltsamsten Wellenschlages und schützen auf diese Weise die Küste
gegen den heftigsten Anprall. Sonst würde die Küste viel schneller de-
moliert werden.
Einige Bäume, wie der Mangrove, verwandeln allmählich Untiefen
Fig. 164.
VI. Die Wechselwirkung zwischen Land und See. Küsten. 47 j
nahe der Küste in sumpfiges Land. Dieser Baum entwickelt Lutt-
wurzeln, welche in seichte Teile des Meeres hineindringen und den auf
die Küste aufgeworfenen Schlamm zurückhalten. Nach dem Tode des
Baumes hleiben diese Wurzeln stehen und bilden allmählich grosse
Sümpfe. la ebenderselben Weise wirken auch andere Bäume. Der
Mangrove ist sehr verbreitet in Amerika (z. B." in Florida, vgl. die Ab-
bildung Fig. 165), an der Westküste Afrikas, und in dem'' Indischen
Archipel.
Vielleicht noch kräftiger wirken durch ihre ausserordentlich starke
Verbreitung die Gras- und Schilfarten, welche in seichtem Wasser ge-
Fig. 165. Mangrove-Sumpf, Florida.
deihen. Sie verhindern das Ausschwemmen des Sedimentes mit den
Flüssen und bilden ausgedehnte Sümpfe an der Grenze gegen das Meer.
Auch Tiere sind bei der Bildung von Küsten sehr wirksam. In aller
erster Linie sind in dieser Beziehung die Korallen zu nennen. Sie treten
nur in den warmen Zonen auf, weil sie in einem Wasser von niederer
Temperatur als 20 "^ C. nicht gedeihen können. Tiefer als 30 m unter
dem Wasserspiegel können sie auch nicht leben. Nach ihrem Tode
geben sie zu Kalksteinbildung Anlass. Die Kalkbäume der Korallen
gedeihen längs der Küste und bilden lange Riffe (Fig. 166). Bisweilen
liegen die Korallenriffe in einiger Entfernung von der Küste, sie werden
dann Barrierenriffe genannt. Ein solches läuft etwa 1400 km längs der
australischen Küste in einer Entfernung, welche bisweilen 80 km' er-
reichen kann. Seine Breite an der Meeresoberfläche übersteigt selten
2 km.
^rj2 Physik der Erde.
In vielen Fällen liegen solche Korallenbildungen isoliert im Ocean
und bilden sogenannte Atollen, ringförmige schmale Riffe, welche einen
seichten Salzsee einschliessen, der an einer oder einigen wenigen Stellen
mit dem Meere in Verbindung steht.
Da alte Korallenbäume viel tiefer als 30 m unter der jetzigen
Meeresoberfläche und in Gegenden (z. B. Spitzbergen), wo jetzt die Tem-
peratur weit unter 20^ C. liegt, in älteren geologischen Epochen vor-
kamen, so kann man aus diesen Umstünden schliessen einerseits, dass
der Meeresboden sich stark gesenkt hat, andererseits, dass an den be-
Fig. 166. Korallenriff.
treffenden Stellen in den erwähnten geologischen Zeiten eine viel höhere
Temperatur wie jetzt herrschte. Die alten Korallenbäume sind deshalb
von der allergrössten Bedeutung für die Kenntnis der Entwickelung
der Erde.
Sehr bekannt ist die Darwinsche Hypothese, dass die jetzigen
Atollen oder Ringriffe, die hauptsächlich im Stillen Ocean vorkommen,
einst Küstenriffe um eine centrale Insel waren. Dieselbe versank all-
mählich durch Bodensenkung in die Meerestiefe, während die Korallen
immer weiter ihre Bäume auf den absterbenden unteren Teilen in die
Höhe bauten. Diese sinnreiche Hypothese ist jedoch nicht unwider-
sprochen geblieben, so plausibel sie auch erscheint.
^
^ A 0 A
^
A V A ♦
4
^^¥^¥¥¥^¥¥¥^¥.^¥.W¥.^
y- 4 A «
A % A *
♦ A 0 _A. % A
L> A>* Ar* A
^^^^^ 4
♦ A ^ A ♦ A %
^ A^ ^ A. ^ A *
<> A
ß
A
;^
» A. »
♦ A
A V A
- ^ *
♦ A ♦
A VA
A.V A
1
A.T A
^A* A ^A^A*^
♦ A V A ♦
^ ^ J^<> A^<> ^
^ A 0 -A ♦ A
* -A * -A ♦ -A * A ♦ -A
... , ... .. , ... 9i
♦ A 0 A ♦ A
A ♦ A ♦ A *
« A * A ♦ A *
Ä« * A ♦ A- ♦
♦"A*** A VA '
♦ A_ * A ♦ -A <* A ♦ A^
K'#:'i':#';*:^:^:#:4:#':*:*:*:#':*:€#:#
hß.
^ß
A « A
A V A V A ♦ A 0 A ♦
* -A ^ -A ♦ -A *
I
<?
♦ A ♦ A ♦ A'
0 A * A 0 A * A * A
^ A ♦ A * _A
A A A * A *
♦ A ♦ A ♦ ^
K#:#:#:*:#:*:4:*'*;'|.'^:#:'#:*:#:#:#
A ^ A ♦ A *
« A ♦ A ♦ -A
V A V A ♦ A
4 A V^V^
^
t> 0 A_ ♦ ^ *
* A VA % J
i
i:f«
' * . . . -
2,^<|,^ 806
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
n«
Arrhenius, Svante August
Lehrbuch der
kosmischen Physik
(^ I P&ASci
^5
^f "* A. * ,^
* 4- ♦ -A, *
«4, * ^
VA, VA, 0 ^
^
♦ A *
A ♦
.♦, <> A * A
> A,V^ ♦ c^
I
0* A V A- «
«*/ V A * ^ ^
^.A VAV A