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LEHRBUCH
DER
VERGLEICHENDEN
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER
WIRBELLOSEN THIERE
VON
Dr. E. KORSCHELT und Dr. K. HEIDER,
PR1VATDOCENTO A. D. ICGL. UNIVERSITÄT ZU BERLIN.
SPECIELLER THEIL.
ZWEITES HEFT.
MIT 315 ABBILDUNGEN IM TEXT.
-3>>-l~"s—'^»
JENA.
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1891.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
"RqI fruit» ^"rancis M., M.A.> F.R.S., Fellow and Lecturer of Trinity College, Cambridge,
JjdllüUTj Handbuch der vergleichenden Embryologie, zwei Bände.
Mit Bewilligung des Veriassers aus dem Englischen übersetzt von Dr. B. Vetter.
Professor am Polytechnikum in Dresden.
I. Band. 580 S. und 275 Holzschnitte. 1880. Preis: 15 Mark.
II. Band. 740 S. und 429 Holzschnitte. 1882. Preis: 18 Mark.
"RoVPVl ^r Theodor, Privatdocent an der Universität München, Zcllcil-Studien.
' Heft I. Die Bildung der Richtungskörper bei Ascaris megaloeephala und
Ascaris lumbrieoides. (Aus dem Zoologischen Institut zu München.) Mit 4 litho-
graphischen Tafeln. Preis: 4 Mark 50 Pf. — Heft II. Die Befruchtung und
Teilung des Eies von Ascaris megaloeephala. (Aus dem Zoologischen Institut zu Mün-
chen.) Mit 5 lithographischen Tafeln. Preis: 7 Mark 50 Pf. — Heft III. üeber das
Verhalten der chromatischen Kernsubstanz bei der Bildung der Richtungskörper und
bei der Befruchtung. Mit 3 lithographischen Tafeln. Preis: 4 Mark. t.
Da IIa Torrp Dr* K w> v' Professor' Die Fauna von Helgoland.
Utilld) J-Ullt?j Zoologische Jahrbücher herausgegeben von Prof. Dr. J. W.
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worbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens. Ein Beitrag zur
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Ursprung und Entwickchmg der thierischen Gewebe. 1884.
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Pelagischen Fauna und Flora. 1891. Preis: 2 Mark.
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Wissenschaft. Erste bis dritte Lieferung. Mit 296 Abbildungen im Text. 1888 — 1891.
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Tj 1 • Dr. Richard, o. ö. Professor der Zoologie und Direktor des zoologischen
XleriWlg'j Instituts der Universität München, Lehrbuch der Zoologie.
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TT Ort "W-! CT Dr. Richard, Professor der Zoologie und Direktor des zoologischen
Xlt;ilWlg? Museums an der Universität München, Der Organismus der
Eadiolarien. Mit 10 lithographischen Tafeln. 1879. Preis: 25 Mark.i
Die Actinien der Challengerexpedition. Mit u nthogr. Tafein.
1882! gr. 4U. Preis: 20 Mark.
tj j- • Oscar und Richard, Der Organismus der Medusen und
nerLVVlg, sejne Stellung zur Keimblättertheorie. Mit 3 lithogra-
phischen Tafeln. 1878. Preis: 12 Mark.
LEHRBUCH
DER
VERGLEICHENDEN
j
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE
DER
WIRBELLOSEN THIERE
VON
Dk E. KOKSCHELT und De. K. HEIDER,
PR1VATDOCENTEN AN DER KGL. UNIVERSITÄT ZU BERLIN.
SPECIELLER THEIL.
ZWEITES HEFT.
MIT 315 ABBILDUNGEN IM TEXT.
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JENA.
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1892.
XV. Capitel.
CRUSTACEEN.
Systematik: A. Entomostraca.
f I. Branchiopoda[(fpu%B^nchV
{ tt m i l Pus> Esthena).
[IL C 1 a d o e e r a.
a. Phyllopoda j £ g — c
b. Ostracoda
c. Cirripedia,
d. Copepodaj L Encopepoda(J
l II. Branchiu r a (Arg
B. Malacostraca.
Gnathostomata.
Parasita.
(Argulus).
a. Leptostraca (Nebalia).
I. S C b i Z 0 p 0 d a (Euphausia, Mysis).
1. Macrura.
IL Decapoda
b. Thoracostraca
(Podophthalmata)
2. Anomura.
3. Brachyura.
[I. Stomatopoda.
IV. Cumacea.
I. Anisopoda (Tanais, Apseudes).
% Arthrostrac a n j Ad
hdnophthalmata TTT . L , .
III. A m p h i p o d a.
I. Embryonalentwicklung.
1. Eiablage, Brutpflege.
Die Eier der Crustaceen weisen meist vollständige Kugelform auf;
nur in einzelnen Fällen sind sie etwas mehr ellipsoidisch gestaltet
(Oniscus, Gammarus, Ligia, Palaemon, Atyephyra, Crangon etc.). In
jenen Fällen, wo die Eier in einem Brutraum eine gedrängte Lagerung
einnehmen (z. B. bei den Arthrostraken) , kann die Gestalt der Eier in
den ersten Stadien durch den gegenseitigen Druck wohl auch eine etwas
unregelmässigere werden.
Es wurde bei verschiedenen Crustaceen beobachtet, dass der Ablage der
Eier eine Häutung des Mutterthieres vorhergeht, z. B. bei einigen Cladoceren
vor Ablage der Sommereier (Jueine, Geobben), bei Gammarus (Della Valle),
bei Atyephyra (Ischikawa).
Korsch elt- Heider, Lehrbuch. 21
310 x^- Capitel.
Sehr mannigfaltig sind die Einrichtungen zum Schutze der Eier. Nur
selten werden nämlich die Eier einzeln (Cypris, ferner Cetochilus, Dias,
Centropages unter den Copepoden), oder in Streifen (Argulus) sowie zu Klum-
pen vereinigt (Stomatopoden) abgelegt. Die Wintereier der Cladoceren
werden entweder bloss von den eigentlichen Eihüllen oder ausserdem von
einer cuticularen, sattelförmigen Bildung, dem sog. Ephippium (cuticulare
Verdickung der Rückenhaut des Mutterindividuums), umschlossen abgesetzt.
Die Sommereier dagegen entwickeln sich hier in einem von der Schale der
Mutter umhüllten Brutraum ; in einem ähnlichen Matricalraum durchlaufen die
Eier der Notodelphyiden (Copepoden) ihre Entwicklung. Bei den Branchio-
poden finden sich mannigfache Einrichtungen zum Schutze der Eier, welche
bis zur Erreichung eines gewissen Stadiums von der Mutter umhergetragen
werden. So finden wir bei Apus aus klappenförmigen Anhängen des 11. Bein-
paares gebildete Eierbehälter, bei Branchipus einen taschenförmigen Brutraum
im Abdomen, während bei Estheria die Eier zwischen den Schalen der Mut-
ter an fadenförmigen Anhängen getragen werden. Erst nach vollendeter
Blastodermbihlung und Entwicklung der äusseren Keimschale werden die
Eier in den Schlamm abgelegt. Während bei den Ostracoden die Eier
im Allgemeinen einzeln abgelegt werden (Cypriden), werden sie bei den
Cypridinen im Schalenraume der Mutter bis zum Ausschlüpfen der Jungen
aufbewahrt; ähnlich verhält sich die Sache bei den Leptostraken (Ne-
balia) und den Cirripedien. Bei letzteren sammeln sich die Eier in
lamellösen Schläuchen (Lepaden) oder verästelten Eiersäcken (Rhizocephalen)
an. Bei den Copepoden werden die Eier mit Ausnahme der erwähnten
Fälle (Cetochilus, Notodelphyiden) in Eiersäcken getragen, welche aus dem
Secret einer eigenen Kittdrüse gebildet werden und am Genitalsegment be-
festigt sind. Bei den Arthrostraken, Cumaceen und Mysideen
liegen die Eier in einem an der Ventralseite des Thorax befindlichen Brut-
raum, welcher durch lamellöse Anhänge des Coxalgliedes der entsprechenden
Thoraxbeine nach Aussen abgeschlossen wird. Bei den Decapoden hin-
gegen werden die Eier meist mittelst des Secretes besonderer Kittdrüsen an
die Extremitäten der Abdominalsegmente (Pleopoden) angeheftet.
2. Furchung und Blastoderinbildung.
Das Ei der Crustaceen zeichnet sich im Allgemeinen durch seinen
beträchtlichen Gehalt an Nahnmgsdotter aus. Letzterer besteht aus
rundlichen Kügelchen und dazwischen gelegenen Fetttröpfchen. In den
meisten Fällen zeigt sich der Nahrungsdotter gleichmässig im Eie ver-
theilt; doch dürften im Allgemeinen die Dotterkügelchen an der Ober-
fläche des Eies ein geringeres Volumen besitzen. Nur in einzelnen
Fällen kommt es hier bei Eiern mit geringerem Nahrungsdottergehalt zur
Ausbildung einer oberflächlichen Schicht von Protoplasma (Bildungsdotter),
z. B. bei den Eiern vieler Cladoceren und Cetochilus. In den
meisten Fällen dagegen ist der Bildimgsdotter zum Theil gleichmässig
zwischen den Nahrungsdotterpartikelchen vertheilt, zum Theil in der
Nähe des ersten Furchungskernes angehäuft. Nur in seltenen Fällen,
wie bei Moina, lässt sich an der ungleichmässigen Vertheilung des
Nahrungsdotters die polare Differenzirung des Eies erkennen, indem der
vegetativen Eihälfte eine grössere Dotteransammlung zukommt. Hier
findet sich auch der erste Furchungskern (wie auch bei Cetochilus)
nicht völlig im Centrum des Eies, sondern excentrisch, etwas näher dem
animalen Pole. Der erste Furchungskern liegt sammt einer ihn um-
Crustaceen. 311
gebenden Plasmaansammlung meist im Inneren des Eies, in der Nähe
des Mittelpunktes desselben; auch bei jenen Formen, denen eine discoi-
dale Furchung zukommt (z. B. bei Mysis), weist er anfangs eine ähn-
liche Lagerung im Inneren auf.
Das Ei der Crustaceen ist meist nach Ausstossung der Richtungs-
körperchen und erfolgter Befruchtung zunächst nur von einer homo-
genen, cuticularen Hülle umgeben, welche wahrscheinlich von dem Eie
selbst abgeschieden wird und demnach als Dotterhaut bezeichnet
werden muss.
Es ist noch nicht allgemein anerkannt, dass die Deutung dieser Membran
als Do tt er haut die richtige ist. Die Bildung derselben geht entweder in
den unteren Abschnitten des Eileiters, oder erst nach erfolgter Eiablage (und
der gleichzeitig eintretenden Befruchtung) vor sich. Schon Claus hat die-
selbe vom Eie aus als Abscheidung oder Erhärtung der Randschicht des
Dotters entstehen lassen und dieselbe demnach als Dottermembran in An-
spruch genommen, während E. tax Beneden (No. 1) ihre Entstehung von
den Zellen des Follikels oder des Eileiterepithels (in jenen Fällen, in denen
kein Follikel zur Ausbildung kommt) für wahrscheinlich hielt und demnach
diese Membran als Chorion bezeichnete. Letztere Bezeichnung wurde von
vielen neueren Autoren festgehalten. H. Blanc (No. 35) hat für diese Auf-
fassung angeführt, dass bei Cuma die fragliche Membran den Follikelzellen
inniger adhärirt, als der Eioberfläche. Für die Deutung dieser Membran als
Dotterhäutchen, der sich auch Ludwig anschloss, sprechen vor Allem die Be-
obachtungen von Ceaus, welcher an Chondracanthus gleichzeitig mit dem Auf-
treten dieser Membran eine Verkleinerung des Eivolumens durch Messung
nachweisen konnte und die Beobachtungen Gkobben's an Cetochilus (No. 21),
bei welcher Form diese Membran erst nach der Eiablage unter Auftreten
einer ähnlichen Contraction des Eies gebildet wird. Diese Beobachtungen
stehen in Uebereinstimmung mit denen Weismanns, welcher für verschiedene
Cladoceren den Uebertritt des nackten Eies in den Brutraum und die erst
später erfolgende Bildung der Dotterhaut beobachtete. Neuerdings hat Delea
Vaele (No. 76) für Gammarus nachgewiesen, dass auch hier die Eier ohne
Hülle in den Brutraum entleert werden und erst nach erfolgter Befruchtung
die Dotterhaut ausscheiden.
Vielfach kommen zu dieser Hülle noch äussere secundäre Eihüllen
hinzu, welche als Secrete besonderer Drüsen gebildet werden. Hieher
sind zu rechnen die äussere harte Schale der Dauereier der Phyllo-
poden (pag. 313, Fig. 227 r?), die Eiersäckchen der Copepoden und
Cirripedien und die gestielte, das Ei nicht immer vollständig um-
schliessende Anheftungsmembran der Decapoden.
Die Furchmig' der Crustaceen weist bei den einzelnen Formen viel-
fache Verschiedenheiten auf. Die mannigfaltigen Furchungstypen sind
hiebei nicht auf die einzelnen Unterabtheilungen der Crustaceengruppe
regelmässig vertheilt, sondern es zeigen sich oft verschiedene Furchungs-
arten bei nächstverwandten Formen. Ein Beispiel hiefür liefert die
Gattung Gammarus, innerhalb welcher die einzelnen Species hinsicht-
lich der Furchung gewisse Unterschiede aufweisen, welche allerdings nach
den Mittheilungen von Della Valle (No. 76) nicht so bedeutend sind,
als man nach den älteren Beobachtungen von La Valette St. George
(No. 77), sowie Van Beneden (No. 1) und Bessels (No. 2) anzunehmen
berechtigt war. Aehnliche Beispiele Hessen sich aus der Gruppe der
21*
312
XV. Capitel.
parasitischen Copepoden und der Cladoceren anführen. In letzterer
Gruppe zeigt sich besonders deutlich, wie die Menge des vorhandenen
Nahrungsdotters und die Möglichkeit einer anderweitigen Versorgung des
Eies mit Nährmaterial von Einfluss auf den Furchungstypus ist. Bei
manchen Formen weist hier das nahrungsdotterreiche Wintere! einen
anderen Furchungstypus auf, als das dotterarme Sommerei, welchem
während der ganzen Dauer seiner Embryonalentwicklung von Seiten der
Mutter flüssige Nahrungssubstanzen durch den eiweissführenden Inhalt des
Brutraums zugeführt werden (Weismann, Claus). Wir können bei den
Crustaceen im Allgemeinen vier Furchungstypen *) unterscheiden:
I. Typus. Eier mit reiner totaler und äqualer Furchung. Dieser
Furchungstypus steht unter den Crustaceen ganz vereinzelt da. Er-
findet sich aber an dem sehr dotterarmen Eie von Lucifer (Brooks
Nr. 43, Fig. 226). Hier bildet sich nach einer äusserst regelmässig ab-
laufenden Furchung eine aus wenigen Zellen bestehende Coeloblastula
(Fig. 226 B) mit geräumiger , centraler Furchungshöhle , aus welchem
Stadium eine ungemein ursprüngliche Invaginationsgastrula (Fig. 226 C)
\ !
Fig. 226. Drei Entwicklungsstadien des Eies von Lucifer (nach Brooks).
A achtteiliges Furchungsstadium, B Blastulastadium mit centraler Furchungshöhle,
C Gastrulastadium, d dotterhaltige Theilstücke von der Zelle c stammend.
hervorgeht. Alle Zellen erscheinen anfangs gleich gestaltet und in gleicher
Weise mit Dotterkörnchen versehen. Zu Beginn des Invaginations-
processes jedoch zeichnet sich eine am vegetativen Pol gelegene Zelle
(Fig. 226 B c) durch ihren grösseren Dotterreichthum aus. Durch Thei-
lung trennen sich von derselben zunächst zwei, dann vier Theilstücke ab,
(Fig. 226 Cd), welche, aus dem Verband des Entoderms rückend, im
Inneren der primären Leibeshöhle am Gipfel der Urdarmeinstülpung ge-
legen sind. Die Bedeutung dieser Theilstücke ist noch unklar (vgl.
unten pag. 330).
II. Typus. Eier mit anfänglich totaler, in späteren Stadien
superfizieller Furchung. Dieser Typus ist unter den Crustaceen vielfach
verbreitet. Die Furchung beginnt hier mit einem totalen und in den
meisten Fällen auch äqualen Zerklüftungsprocess (vgl. Fig. 227 B u. C).
Das Ei zerfällt zunächst in 2, 4, 8, 16 gleich grosse Furchungskugeln,
welche in ganz gleichmässiger Weise mit Dotterkügelchen erfüllt sind.
Im Inneren dieser Furchungskugeln liegt ein Zellkern, der von einer
l) Es muss erwähnt werden, dass J. Ndsbadm (No. 39) für die Crustaceen in
ähnlicher Weise wie wir vier Furchungstypen unterscheidet. Doch stimmen die von
ihm aufgestellten Typen I und II mit unseren nicht überein.
Crustaceen. 313
sternförmigen, zahlreiche Ausläufer entsendenden Protoplasmamasse um-
geben ist. Je weiter die Furchung fortschreitet, um so mehr nähern sich
diese einzelnen Furchunoskerne der Oberfläche des Eies. In Folge dessen
verlieren dieselben die Fähigkeit, die nach dem Inneren sich erstreckenden
Theile der prismatischen Furchungszellen zu beherrschen. Es resultirt
hieraus ein Stadium, an welchem wir an der Oberfläche durch Furchen
getrennte Zellregionen erkennen, während im Inneren des Eies die Zell-
antheile untereinander verschmolzen sind (Fig. 227 D). Die Furch ung
ist eine super ficielle geworden. Gleichzeitig vollzieht sich eine
immer schärfere Sonderung des Bildungsdotters vom Nahrungsdotter. Die
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Fig. 227. Furchung von Branchipus (nach A. Brauer).
A Befruchtung, B und C jüngere Stadien mit totaler Furchung, I) älteres Stadium
mit superficieller Furchung, c Dotterhäutchen, d secundäre Eischale, / Furchungshöhle,
pf weiblicher Pronucleus, pm männlicher Pronucleus, r Eichtungskörperchen.
Zellen an der Oberfläche enthalten schliesslich bloss mehr Bildungsdotter und
grenzen sich durch eine deutliche Linie gegen den Nahrungsdotter ab.
Wir erhalten so zum Schlüsse ein Blastulastadium (Fig. 228 D), welches
aus einer an der Oberfläche gelegenen, gleichmässigen Zellenlage und
einer inneren (nun anscheinend die Furchungshöhle erfüllenden *) Dotter-
l) Streng genommen liegt der Nahrungsdotter nicht in der Furchungshöhle,
sondern nimmt einen beträchtlich grösseren Raum ein, als die ursprüngliche Furchungs-
höhle besass. Wir müssten daher eigentlich an dem Nahrungsdotter zwei Parthien
unterscheiden: eine centrale, welche den Raum der ursprünglichen Furchungshöhle
erfüllt, und eine periphere, welche den verschmolzenen proximalen Theilen der Bla-
stomeren entspricht. Nur die distalen Hälften der Blastomeren sind in die Bildung des
Blastoderms eingegangen.
314 XV. Capitel.
masse besteht. An letzterer kann man meist keine deutliche Abgrenzung
des den einzelnen Blastodermzellen zugehörigen Antheils mehr erkennen.
Doch finden sich Andeutungen dieser Abgrenzung erhalten durch radiäre
Furchen, die sich besonders deutlich bei dem dem folgenden Furchungs-
typus zugehörigen Ei von Astacus (Fig. 232, pag. 318) vorfinden, wo die
centrale Dottermasse in die sog. primären oder Rathke'schen
Dotterpyramiden (später von Lereboullet (No. 58) und Bobretzky
(No. 41) beobachtet) und einen rundlichen Centralkörper (Reichenbach
No. 64, 65) zerfällt. Die Dotterpyramiden stellen hier die Dotterantheile
der einzelnen Blastomeren dar, während der Centralkörper ungefurchte
Dottermasse repräsentirt , welche die eigentliche Furchungshöhle erfüllt.
Aehnliche Dotterpyramiden wurden von Bobretzky bei Palaemon beob-
achtet, wo sie jedoch im Centrum des Eies untereinander verschmolzen
erscheinen. In gleicher Weise verhalten sich Alpheus, Palaemonetes
und Hippa (nach Herrick).
Es wurde beobachtet, dass in einzelnen Fällen nicht sämmtliche Furchungs-
kerne an die Oberfläche rücken, um das Blastoderm zu bilden, sondern dass
einzelne in der centralen Dottermasse zurückbleiben können (Atyephyra
Ischikawa; Crangon Kixgsley No. 53). Die Bedeutung dieser Zellen ist
noch nicht ganz klar. Kixgsley glaubt, dass wir es mit Nachzüglern zu
tbun haben, welche sich beim Process der Blastodermbildung verspätet haben.
Möglicherweise sind sie jedoch als frühzeitig auftretende Vitellophagen (vgl.
unten pag. 336) zu betrachten.
Eine sehr ursprüngliche Furchungsart, welche diesem oben beschriebenen
Typus einzureihen ist , finden wir nach den noch nicht veröffentlichten Be-
obachtungen von A. Brauer bei Branchipus (Fig. 227). Diese Form
zeichnet sich dadurch aus, dass der totale Furchungstypus lange Zeit verfolgt
wird und erst in späten Stadien dem superficiellen den Platz einräumt *),
und dass es zum frühzeitigen Auftreten eines sich allmählich vergrössernden
Blastocoels (f) kommt. Letzteres ist bei Crustaceeneiern des vorliegenden
Furchungstypus in der Regel nicht zu beobachten. Die prismatischen oder
pyramidalen Blastomeren stossen meist im Centrum aneinander.
Bei genauerem Studium dotterreicher Crustaceeneier , welche diesem
Furchungstypus zugehören . kann man bemerken , dass die Blastomeren oft
schon in den ersten Stadien kaum mehr im Stande sind, die ihnen zukom-
mende Nahrungsdottermasse beisammen zu halten und ein Zusammenfliessen
mit benachbarten Blastomeren zu vermeiden. In einzelnen Fällen kann man
ein förmliches Ringen der Blastomeren nach dieser Dotterbeherrschung con-
statiren. So fand Ischikawa (No. 51) für Atyephyra, dass nach der Zwei-
theilung die beiden Blastomeren wieder vollständig zu einer einzigen ellipsoidischen
Masse zusammenfliessen. Ebenso wird die Viertheilung durch eine Sonderung
der vier Blastomeren eingeleitet, welche jedoch bald ihre Selbstständigkeit
aufgeben, um mit einander völlig zu verschmelzen. Erst in späteren Stadien
bleiben die Blastomeren selbstständig. In das Bereich dieser Störungen
scheint auch der eigentümliche Furchungstypus zu fallen, welchen Paul
Mayer (No. 59) bei Eupagurus Prideauxii beobachtet hat (Fig. 228).
Hier theilt sich zunächst der erste Furchungskern in zwei, vier und acht
J) Nach neueren, inzwischen fortgeführten Untersuchungen von Db. Brauer
scheinen sich die Verhältnisse bei Branchipus insoferne etwas anders zu gestalten,
als das letzte, als superficielle Furchung gedeutete Stadium (Fig. 227 D) bereits in das
Stadium der Keimblätterbildung getreten ist und die Furchungshöhle durch das Ein-
wandern von Entodermzellen erfüllt wird.
Crustaceen.
315
c
D
Kerne, ohne dass es zu einer Trennung der einzelnen Blastomeren kommt;
erst dann tritt eine anfangs totale Durchfurchung des Eies auf. Vom 16-
zelligen Stadium an folgt das Ei dann schon dem superficiellen Typus.
Ausser den angeführten For-
men (Branchipus, Atyephyra, Eu- A B
pagurus) gehören noch folgende
Crustaceeneier diesem Furchungs-
typus zu: 1) die Sommer eier
mancher Cladoceren (Polyphe-
mus und Bythotrephes nach Weis-
mann und Ischikawa (No. 6), letz-
tere Form mit Blastocoel). 2) Die
Eier der Ostracoden (Cypris
reptans nach Weismann und
Ischikawa No. 6). 3) Die Eier
der freilebenden Copepoden
(nach Claus No. 18, 19; Hoek
No. 22, Cetochilus nach Grobben
No. 21, Cetochilus und Harpacti-
cus nach Van Beneden und
Bessels No. 2). 4) Chondracan-
thus unter den parasitischen Cope-
poden (nach Van Beneden und
Bessels). 5) Die meisten Amphi-
poden (nach den Beobachtungen
von Ul janin (No. 75), Pereyas-
lawzewa und Rossi.iskaya (No. 70
bis 73). Für die einzelnen Gammarusarten
obachtungen von La Valette St. George
Bessels (No. 1 u. 2) eine beträchtliche
kennen zu können, indem
Gammarus locusta sich
nach dem vorliegenden
Typus furchen sollte, wäh-
rend die Süsswasserarten
(G. pulex und fluviatilis)
unserem dritten Typus
angehören sollten. Doch
hat Della Valle (No. 76)
in Bestätigung älterer Be-
obachtungen Leydig's
nachgewiesen , dass auch
bei letzteren die Furchung
in den ersten Stadien
eine totale ist, so dass wir
sämmtliche Gammarus-
arten dem in Rede stehen-
den Furchungstypus zu-
rechnen müssen. 6) Viel-
leicht sind noch mehrere Decapoden hieherzurechnen, so ausser Eupagurus
und Atyephyra möglicherweise auch Palaemon (nach Bobretzky No. 41)
und Palaemon et es (nach W. Faxon No. 46).
Fig. 228. Vier Furchungsstadien von
Eupagurus Prideauxii (nach P. Mayer, aus
Balfour's Handbuch).
bl das fertig ausgebildete Blastoderm.
glaubte man nach den Be-
(No. 77), Van Beneden und
Differenz der Furchungsart er-
Fig. 229. Drei aufeinander folgende Furchungs-
stadieii von Baianus (nach Lang).
A Stadium der Zweitheilung, B die obere Zelle a
hat sich in zwei getheilt, C dieselbe hat sich in vier
Zellen getheilt.
316 XV. Capitel.
Diesem Furchungstypus schliessen sich vielleicht auch die Cirripedien
an, deren erste Entwicklungsstadien ziemlich eigenartig abzulaufen scheinen.
Bei Baianus (Lang No. 28, Hoek No. 27, Nassonow No. 13 u. 29, Nuss-
baüm No. 30, 31) scheint die Furchung anfangs eine totale, aber etwas
inäquale zu sein (Fig. 229), so dass wir den seltenen Fall einer inäqualen
Furchung bei Crustaceen vorliegen hätten. Das längliche Ei weist einen ab-
gerundeten und einen spitzen Pol auf. Durch die erste Furche, welche quer
oder etwas schräg verläuft, zerfällt das Ei in zwei ungleiche Furchungskugeln.
von denen die vordere, ausschliesslich aus Bildungsdotter bestehende (a) das
spätere Ectoderm liefert, während die dem spitzen Pol genäberte, nahrungs-
dotterreiche Kugel (6) die Elemente des Mesoderms und Entoderms erzeugt.
Zunächst theilt sich nun die Ectodermkugel und liefert eine kappenförmige
Zellansammlung (Fig. 229 B, C), welche allmählich die nahrungsdotterreiche
Kugel umwächst (pag. 329 Fig. 236 A). Dieses Umwachsen wurde als epi-
bolische Gastrulation gedeutet (Lang). Es muss aber noch fraglich sein, ob
wir mit dieser Deutung das Richtige treffen. Nach Abbildungen Nassonow' s
(No. 13) scheint es, dass zum Schluss der Blastodermbildung auch aus der
centralen Nahrungsdotterkugel die zelligen Elemente ausgeschieden werden
und sich mehr oberflächlich in der Umgebung des von der Umwachsung zu-
letzt betroffenen Punktes (Blastoporus Lang, Nassonow) anhäufen. Wir
hätten dann vielleicht doch nur einen modificirten Vorgang, welcher auf eine
anfangs totale , später superfizielle Furchung zurückzuführen wäre. Das
Gastrulastadium wäre erst später bei dem Auftreten einer kleinen Einsenkung
der Oberfläche (pag. 329 Fig. 236 B, bl) an dem erwähnten Punkte und einer
gleichzeitigen Einwanderung der Entodermzellen (m) in die Nahrungsdotter-
masse zu suchen. Diese Art der Blastodermbildung würde sich jenen Fällen
von superficieller Furchung anschliessen, bei der das Blastoderm ursprünglich
nur als Scheibe auftritt. Es würde sich von dieser aber dadurch unterscheiden,
dass der Punkt, an welchem diese Scheibe auftritt, hier dem späteren Blasto-
porus gegenüberliegt, während er in den übrigen Fällen mit demselben
zusammenfällt. (Vgl. pag. 319.)
Etwas anders verläuft die Furchung bei Sacculina (Van Beneden No. 25,
Kossmann). Hier vollzieht sich die Trennung des Biblungsdotter- und
Nahrungsdotterantheils erst im -Izelligen Stadium , welches durch totale und
regelmässige Furchung erreicht wurde. Wir haben dann vier aus Bildungs-
dotter bestehende Micromeren und vier nahrungsdotterreiche Macromeren.
Während die Micromeren durch Theilung sich vermehren und als Blastoderm-
schicht die Oberfläche des Eies umwachsen, tritt eine Fusion der Macromeren
zu einer einheitlichen centralen Nahrungsdottermasse ein. Die von Koss-
mann beobachtete Dotterfurchung scheint auch hier ein den späteren Stadien
zukommender, seeundärer Vorgang zu sein. Da die Furchung von Sacculina
sich an unseren unten (pag. 319) unterschiedenen Typus IIb anzuschliessen
scheint, so wird hiedurch die oben gewählte Auffassung der Furchung von
Baianus gestützt.
III. Typus. Eier mit rein superficieller Furchung. Hier fehlt dem
Bildungsdotter von allem Anfange an die Fähigkeit zur Beherrschung der
Nahrungsdottermasse. Der im Centrum des Eies gelegene erste Furchungs-
kern (Fig. 230 Ä) theilt sich in regelmässiger Weise in 2, 4, 8 etc.
Furchungskerne (Fig. 2301?— D, Fig. 231^4), welche von strahligen Proto-
plasmaanhäufungen umgeben sind. Es kommt aber nicht zur Abgrenzung
der einzelnen Zellterritorien durch das Auftreten durchschneidender
Furchen. In einzelnen Fällen sind jedoch diese Furchen als Einkerbungen
Crustaceen.
317
der Eioberfläche (Fig. 230 E) schon in frühen Stadien angedeutet. Je
mehr die Furchungskerne an Zahl zunehmen, um so mehr rücken sie
nach der Oberfläche (Fig. 230 D u. 331 B), und schliesslich bildet sich
Fig. 230. Schematische Darstellung der Furchung von Callianassa sub-
terranea (nach Mereschkowski).
In den Stadien F — H ist der Nahrungsdotter auf den centralen Antheil des Eies
beschränkt.
hier ein gleichförmiges Blastoderm auf dieselbe Weise, wie wir dies für
den IL Typus geschildert haben (Fig. 230 F—H).
Man hat vielfach die hier im Inneren des Eies sich vollziehende Thei-
lung der Furchungskerne und das Auseinanderrücken der dieselben umgeben-
den sternförmigen Plasmainseln als Furchung bezeichnet. Ja, man hat diese
B
/■■
Fig. 231. Zwei Furchungsstadien des Astaeus-Eies (nach Mokin).
A jüngeres Stadium mit spärlichen Furchungskernen im Inneren, B älteres Stadium
mit oberflächlicher Vertheilung der Furchungskerne und dementsprechend welliger
Oberfläche.
Plasmainseln selbst als Furchungszellen benannt, welche dann in einen
gewissen Gegensatz zur Nahrungsdottermasse gestellt erscheinen. Insoferne
wir aber dem gesammten Eie den Werth einer Zelle zuerkennen und die
bei der totalen Furchung aus demselben hervorgehenden 2, 4, 8 etc. geson-
derten Furchungskugeln als Zellen betrachten, kann es nicht zweifelhaft sein,
318
XV. Capitel.
dass wir diese als „Furchungszellen" bezeichneten Plasmainseln nicht als voll-
werthige Blastomeren anerkennen dürfen. Sie repräsentiren nur die Centreu
von Blastomeren, deren Territorien wegen des Ausfalls der Furchung nicht
abgegrenzt sind. Das Ei steht in den ersten Stadien der superficiellen
Furchung auf der Stufe einer mehrkernigen Zelle. Diese Anschauung wird
gestützt durch die mehrfach beobachtete Thatsache, dass die sogenannten
n Furchungszellen*' durch ein Reticulum feiner Plasmaausläufer unter einander
in Verbindung stehen. Wenn wir nun unter Furchung hier wie überall den
Act der Abgrenzung gesonderter Zellterritorien verstehen, so ergiebt sich,
dass der Ausdruck superficiale Furchung für den vorliegenden Typus
ein zutreffender ist, da die Furchung sich thatsächlich hier bloss auf die
oberflächlichen Parthien des Eies erstreckt.
Ä
B
Fig. 232. Spätere Furchungsstadien des Astacuseies (nach Reichenbach, aus
Hatschek's Lehrbuch).
A Durchschnitt eines Furchungsstadiums. Das Protoplasma hat sich an der
Oberfläche angesammelt. Der Nahrungsdotter ist in einzelne Dotterpyramiden getheilt.
Im Inneren der Centralkörper. B späteres Stadium, die Blastodermzellschicht (1) hat
sich von den Dotterpyramiden (2) gesondert,
Dieser Furchungstypus ist gleichfalls bei den Crustaceen sehr verbreitet.
Wir finden ihn: 1) bei den Sommereiern vieler Cladoceren (Moina,
Daphnia, Sida, Leptodora, Daphnella nach Weismann und Ischikawa No. 6)
und bei sämmtlichen Wintereiern (Moina, Daphnia, Sida, ßythotrephes,
Polyphemus, Leptodora nach Weismann und Ischikawa No. 16). Es giebt
hienach unter den Cladoceren eine Reihe von Formen (ßythotrephes, Poly-
phemus), deren Soramereier sich nach dem II. Typus furchen, während die
Wintereier den III. Typus einhalten. 2) bei mehreren Isopoden: Asel-
lus1) nach Van Beneden (No. 79), Porcellio nach Reinhard (No. 91) und
Roüle (No. 92). Vielleicht ist dieser Furchungstypus unter Isopoden-Eiern
verbreiteter, als man bisher angenommen. 3) bei Penaeus (nach Haeckel
*) Nach neueren, nicht ganz klaren Mittheilungen von Roule (No. 92) möchte es
scheinen, als wenn die Furchung von Asellus anfangs eine totale und erst später
eine superficielle wäre. Dagegen hebt Van Beneden (No. 79) ausdrücklich hervor, dass
anfangs bloss eine Vermehrung der Kerne im Inneren des Dotters vor sich geht, dass
diese Kerne sich später an der Oberfläche des Eies verbreiten, und dass daselbst eine
Abgrenzung der einzelnen Zellterritorien stattfindet, während im Inneren eine un-
gefurchte Dottermasse zurückbleibt. Es kann demnach nicht zweifelhaft sein, dass
Asellus unserem III. Typus angehört.
Crustaceen. 3] 9
No. 47), Callianassa subterranea (nach Mereschkowski No. 60), Astacus
(nach Morin No. 61), Homarus nach Herrick (No. 50a).
Es ist von grosser Wichtigkeit, bei der als Abschluss der super-
ficiellen Furchung erfolgenden Blastodermbildung zwei Unterarten scharf
auseinanderzuhalten, welche im Folgenden mit a und b bezeichnet
werden sollen:
a) Mit allseitig gleichzeitig erfolgender B 1 a s 1 0 d e r m -
b i 1 d 11 n g. Die Entwicklung des Blastoderms geht an der ganzen Ober-
fläche des Eies gleichzeitig vor sich, z. B. bei Astacus, Branchipus, den
freilebenden Copepoden.
b) Mit vorzeitiger Entwicklung des Blastoderms an
der Ventralseite des Eies. Die Blastodermbildung beginnt an
einem Punkte der Eioberfläche und schreitet von hier aus allmählich vor.
Dabei entspricht der Beginn der Blastodermbildung stets der späteren
Ventralseite des Eies und bei den Decapoden dem hintersten Ende der
Ventralseite oder jener Stelle, an welcher später die Gastrulaeinstülpung
auftritt. Dies ist für Palaemon und Eriphia beobachtet, wo die Blasto-
dermbildung im ganzen Umkreise des Eies erst vollendet wird und an
der Dorsalseite zum Abschlüsse kommt, wenn an der Ventralseite schon
die Embryonalanlage zu erkennen ist.
Da die erwähnten Modificationen der Blastodermbildung sowohl bei un-
serem Typus II, als auch bei Typus III sich vorfinden, so ergeben sich hier-
aus vier Untertypen (IIa, IIb, lila, III b) der Furchung, welche im Einzelnen
besprochen zu werden verdienen.
Typus IIa. Mit anfangs totaler, später superficieller Furchung und
allseitig gleichzeitig erfolgender Blastodermbildung; Branchipus, freilebende
Copepoden, Sommereier von Polyphemus und Bythotrephes, Eupagurus.
Typus IIb. Mit anfangs totaler, später superficieller Furchung und
vorzeitiger Entwicklung des Blastoderms an der Ventralseite. Dieser Furchungs-
typus ist unter den Amphipoden ungemein verbreitet. Da bei diesem Typus
die Zellen an der späteren Ventralseite sich rascher theilen und daselbst
frühzeitig eine Abtrennung der Blastodermzellen von dem Nahrungsdotteran-
theil eintritt, so ergiebt sich ein beträchtlicher Grössenunterschied zwischen
den Zellen der Ventralseite und den noch grossen, dotterreichen der späteren
Dorsalseite. Man sieht, dass dieser Furchungstypus, für den die verschiede-
nen Amphipoden (vor Allem Gammarus locusta nach van Beneden und
Bessels No. 2) ein Beispiel liefern , in seinen ersten Stadien sehr an die
totale inäquale Furchung erinnert. Aber es ergiebt sich ein wesentlicher
Unterschied in dem Umstände, dass hier der Pol der kleinen Zellen der ve-
getativen Eihälfte angehört, jenem Theil der Oberfläche, an welchem sich
später die Entodermbildung geltend macht, während die grösseren Zellen
mehr der animalen Sphäre (der späteren Dorsalseite) angehören. Allerdings
scheinen die beiden hier verglichenen Axen (animal — vegetativ und klein-
zellig — grosszellig) nicht zusammenzufallen, sondern sich schräg zu kreuzen
(vgl. unten pag. 343).
Typus III a. Mit rein superficieller Furchung und allseitig gleichzeitig
erfolgender Blastodermbildung. Viele Decapoden (Penaeus, Astacus, Callia-
nassa), sämmtliche Wintereier und viele Sommereier der Cladoceren.
Typus III b. Mit rein superficieller Furchung und vorzeitiger Ent-
wicklung des Blastoderms an der Ventralseite des Eies. Hier treten von den
zahlreichen im Inneren des Dotters befindlichen Elementen zunächst einige an
320 xv- Capitel.
eine bestimmte Stelle der Oberfläche des Eies, um sich daselbst zu Blasto-
dermzellen umzugestalten. Es entsteht so eine kleine Blastodermscheibe,
welche der Lage nach der späteren Ventralseite entspricht und sich allmäh-
lich vergrössert, indem an ihrer Peripherie immer neue Elemente aus dem
Inneren des Dotters auftauchen und sich zu Blastodermzellen umgestalten. Es
ergiebt sich hieraus, dass dieser Fall grosse Aehnlichkeit mit der gleich zu
besprechenden discoidalen Furchung haben muss. Der Unterschied zwischen
beiden Typen besteht darin, dass in dem einen Falle (III b) das Anwachsen
der Blastodermscheibe auf einem Hinzutreten neuer aus dem Inneren kom-
mender Elemente beruht, während bei der echten discoidalen Furchung (IV)
die Vergrösserung derselben ausschliesslich durch Theilung der bereits in der
Blastodermscheibe vorhandenen Elemente sich vollzieht. Da bisher in vielen
Fällen, in welchen man das Vorkommen einer discoidalen Furchung bei
Crustaceen behauptet hat, die Beobachtung nicht unter systematischer An-
wendung der Schnittmethode ausgeführt wurde, so liegt die Vermuthung nahe,
dass man häufig die discoidale Furchung und den vorliegenden Furchungs-
typus verwechselt hat. So ist es uns wahrscheinlich, dass die meisten para-
sitischen Copepoden, denen Vax Beneden und Bessels (No. 2) eine discoidale
Furchung zuschreiben , thatsächlich sich nach dem Typus III b entwickeln.
Das Gleiche ist möglicherweise bei den Isopoden (Oniscus, Ligia x), für welche
von Bobeetzky (No. 80) und Van Beneden (No. 1) die discoidale Furchung
behauptet worden war) der Fall. Ja, es ist gerechtfertigt, die Frage aufzu-
werfen, ob echte discoidale Furchung bei den Crustaceen überhaupt vorkommt,
oder ob bei genauerer Untersuchung der IV. Furchungstypus in den Typus
III b vollkommen aufgehen dürfte. Auch unter den Decapoden folgen einige
diesem letzteren Typus, so Homarus, Eriphia und vielleicht auch Palaemon.
Letztere Gattung ist möglicherweise mit Rücksicht auf die in den ersten
Stadien totale (?) Furchung ebenso wie Atyephyra unserem Typus IIb zu-
zurechnen.
IV. Typns. Eier mit discoidaler Furchung. Bei den bisher be-
trachteten Furchungstypen laufen zwei Processe gleichzeitig nebeneinander
her: 1) die Vermehrung der Elemente, 2) die Loslösung der Blastomeren
vom Nahrungsdotter (Trennung des plastischen vom nutritiven Antheil
des Eies). In dem bei Typus II und III zum Schlüsse resultirenden
Blastulastadium finden wir dann eine oberflächliche, aus zahlreichen Zellen
gebildete Epithel Schicht und im Inneren eine Nahrungsdottermasse, in
der sich in der Regel keine Zellkerne oder sonstige plastische Antheile
mehr vorfinden. Denken wir uns nun jene Trennung der Blastomeren
vom Nahrungsdotter in die frühesten Furchungsstadien verlegt, so ge-
langen wir zu einer Erklärung für die discoidale Furchung, wie dieselbe
fi'u Mysis (Van Beneden No. 37, Nusbaum No. 38, 39) und Ciima
(Blanc No. 35) sowie einige andere Formen beobachtet worden ist. Hier
löst sich schon die erste Furchungszelle vollständig vom Nahrungsdotter
ab , an dessen Oberfläche sie sich lagert. Der Nahrungsdotter enthält
von nun an keine Furchungskerne mehr. Die Bildung des Blastoderms
geht von der oberflächlich gelagerten Furchungszelle aus, welche sich
theilt (Fig. 233 A) und so eine Kappe von Blastomeren (Fig. 233 5)
liefert, die durch fortgesetzte Theilung sich vermehren und allmählich
die ganze Oberfläche der Nahrungsdotterkugel umwachsen. Es entspricht
x) Auch neuerdings' wurde noch von Nusbaum für Ligia das Vorhandensein
discoidaler Furchung behauptet (No. 85 a).
Crustaceen.
321
hiebei der Ausg
Gastrulabildung
das Blastoderni
jener ventralen
das Blastoderm
hieselbst höher
angspunkt der Blastodermbildung der Stelle der späteren
(hinteres Ende der Ventralseite des Embryos), während
an der Dorsalseite zuletzt vollständig wird. Entsprechend
Stelle, von welcher die Blastodermbildung ausging, zeigt
von Anfang an eine dichtere Lagerung der Zellen, welche
sind und eine rundliche Verdickung (Keimscheibe) bilden.
J
Das Vorkommen des IV. Furchungstypus ist, ausser für Mysis und
Cuma, noch für mehrere Isopoden (Oniscus nach Bobretzky No. 80, Ligia
nach Van Beneden No. 1) behauptet worden. Ausserdem sollte er sich bei
zahlreichen parasitischen Copepoden (Anchorella, Caligus, Clavella,
Lernaea, Lernaeopoda, Brachiella etc.) finden (Van Beneden und Bessels
No. 2). Es muss jedoch als wahrschein-
lich bezeichnet werden, dass die Mehrzahl
der hieher gerechneten Fälle in "Wirklich-
keit dem Typus III b zuzurechnen ist. Mit
der letzteren Annahme würden die Be-
obachtungen von Buczynski (No. 37 a) in
Uebereinstimmung stehen, welcher — wie
aus den Tafeln seiner russisch geschriebenen
Arbeit zu ersehen ist, bei Parapodopsis
c o r n u t a eine einfache superficielle Furchung
beobachtet hat. Wenn wir an der Aufstel-
lung des Typus der discoidalen Furchung
für Crustaceen bislang noch festhalten, so
geschieht dies nur mit Rücksicht auf die
neueren Mittheilungen Nusbaum's , nach
Fig. 233. Zwei Furchungs-
stadien von Mysis (nach Van
Beneden) als Beispiel der dis-
coidalen Furchung.
A an der Oberfläche des Dot-
ters sind zwei Zellen erkennbar,
B letztere sind durch Theilung ver-
mehrt und bilden eine Kappe.
dessen Schilderung bei Ligia oceanica
thatsächlich ein mit dem oben für Mysis
geschilderten übereinstimmender Furchungs-
typus vorkommen soll (No. 85 a).
Der hier entwickelte Typus der dis-
coidalen Furchung weist einige oberfläch-
liche Aehnlichkeit mit jener Art von dis-
coidaler Furchung auf, welche sich in manchen Thiergruppen (z. B. Cepkalo-
poden) aus der totalen, inäqualen Furchung herausgebildet hat. Bei genauerer
Betrachtung ergiebt sich jedoch, dass hier ein eigenartiger Process vod
discoidaler Keimentwicklung vorliegt, welcher sich offenbar im Be-
reich der Crustaceen selbstständig aus dem superficiellen Furchungs-
typus herausgebildet hat. Denn wo sich discoidale Furchung aus der totalen,
inäqualen Furchung entwickelt hat, finden wir, dass der Bildungspol der Keim-
scheibe dem animalen Pole, ihr allmählich sich ausbreitender Rand dem Blasto-
porus und der Dotterpropf dem vegetativen Pole des Eies entspricht. Hier aber
(bei der discoidalen Furchung der Crustaceen) liegen die Verhältnisse wesent-
lich anders. Der Bildungspol der Keimscheibe entspricht der Ventralseite des
Embryos und alle Beobachtungen deuten darauf hin, dass auch hier die Keim-
blätterbildung, vor Allen der etwas verwischte Process der Gastrulation ein-
geleitet wird. Die Umwachsung des Nahrungsdotters vollzieht sich hier von der
Ventralseite gegen die Dorsalseite zu und diese Umwachsung hat hier offen-
bar mit der Gastrulation Nichts zu thun, weil wir sonst zur Annahme ge-
nöthigt wären, dass bei den Crustaceen mit discoidaler Furchung ein dorsal-
wärts sich schliessender Blastoporus vorhanden wäre, was mit den Verhält-
nissen bei den übrigen Crustaceen in Widerspruch stünde.
322 xy- Capitel.
Wir werden durch die erwähnten Ueberlegungen dazu geführt, in der
discoidalen Furchung der Crustaceen einen extremen Fall des oben unter III b
beschriebenen Furchungstypus zu erblicken. Bei der discoidalen Furchung
kommt die Blastodermbildung an dem entsprechenden Pole des Eies so früh-
zeitig zur Durchführung, dass die Anlage des Blastoderms ursprünglich aus
einer einzigen Blastodermzelle besteht, welche durch später successive er-
folgende Theilungen aus sich das ganze Blastoderm hervorgehen lässt.
Wenn wir die aus dem verschiedenen Organisationsplane der Wirbel-
thiere sich ergebenden Differenzen berücksichtigen, so erscheint zwischen der
discoidalen Furchung der Vertebraten und der Crustaceen ein gewisses Ver-
gleichsmoment in dem Umstände gegeben, dass in beiden Fällen eine Ver-
lagerung der Nahrungsdottermasse zur Seite der Hauptaxe stattfindet und den
eigentümlichen Entvvicklungstypus bedingt. Bei den Vertebraten mit dis-
coidaler Furchung eilt die Dorsalseite des Körpers in der Entwicklung voraus,
während die Entwicklung der Ventralseite durch die Nahrungsdotteransamm-
lung behindert isi. Der Blastoporus ist hier nach der Dorsalseite verlagert.
Bei den Crustaceen mit discoidaler Furchung dagegen wird die ventrale
Körperseite zuerst angelegt und der Blastoporus nimmt, entsprechend dem
Organisationsplane dieser Gruppe, eine ventrale Lagerung ein. Hier ist die
Dorsalseite des Körpers in ihrer Ausbildung durch die Nahrungsdotteran-
sammlung beeinträchtigt.
Bei vielen Crustaceen findet nach vollendeter Blastodermbildung an
der Oberfläche der Blastodermzellen die Ausscheidung einer Cuticula
statt. Wir bezeichnen diese Membran nach dem Vorgange von Van
Beneden (No. 79) als B 1 a s t o d e r m h a u t (C u t i c u 1 a b 1 a s t o d e r m i c a).
Ihr Auftreten ist wohl nur durch einen in frühe embryonale Perioden
verlegten Häutungsprocess zu erklären. Aehnliche Membranen werden
bei den Eiern der Araclmiden und des Limulus abgeschieden.
Die Bildung einer Blastodermhaut ist vorzugsweise bei den Malacostraken
beobachtet. Doch wurde sie auch bei den parasitischen Copepoden
durch Van Beneden (No. 17) erkannt. In der Gruppe der Malacostraken
scheint sie vielfach verbreitet. Wir finden sie hier beiNebalia (Van Be-
neden No. 79), bei denCumaceen (H. Blanc No. 35), bei vielen Deca-
poden (Lereboullet und Reichenbach No. 64, 65 für Astacus, P. Mayer
für Eupagurus No. 59, Bobretzky No. 41 für Palaemon, Kingsley No. 53
und Van Beneden No. 79 für Crangon, Dohrn für Portunus) , bei den
Amphipoden (Van Beneden und Bessels No. 2 für Gammarus locusta,
Van Beneden No. 79 für Caprella, Uljanin No. 75 für Orchestia), endlich
bei den Isopoden (Van Beneden für Asellus No. 79, Bobretzky No. 80
für Oniscus). Für Tanais wird sie von Dohrn erwähnt.
Nach der Bildung dieser Blastodermhaut werden bei manchen Crusta-
ceen in späteren Embryonalstadien noch weitere Häutungen durchgemacht.
Es ist dies besonders bei abgekürzter Entwicklung der Fall, wo zahl-
reiche Entwicklungsstadien in das Embryonalleben verlegt sind. Die bei
diesen Häutungen gebildeten Cuticulae zeichnen sich meist durch den
Extremitätenanlagen entsprechende Aussackungen aus. Man bezeichnet
diese Membranen als Larvenhäute.
Da in der Zeit des Auftretens aller dieser cuticularen Membranen ge-
wisse Schwankungen erkennbar sind, ist es in den einzelnen Fällen oft
schwierig, die eigentlichen Eihäute, die Blastodermhaut und später auftretende
Crustaceen. 323
Larvenhäute klar auseinanderzuhalten, und die Homologie der betreffenden
Cuticularbildung für jeden bestimmten Fall in exacter Weise festzustellen.
Doch ist es zweifellos, dass die bei Ligia von F. Müller (No. 4) beobach-
tete und bei den Arthrostraken sehr verbreitete Cuticula, ferner die bei
Mysis und den Decapoden nach Vollendung des Naupliusstadiums sich
entwickelnde Haut die Bedeutung von Larvenhäuten haben (vgl. Van
Beneden No. 79). Bei den Decapoden kommt es vielfach noch zur Ent-
wicklung einer zweiten, in späteren Stadien auftretenden Larvenhaut, von
welcher die ausschlüpfenden Zoeen umhüllt erscheinen und welche von
Conn als Cuticula des Protozoeastadiums in Anspruch genommen wurde. Bei
den Anchorellen und Lernaeopoden (Van Beneden No. 17) macht der Embryo
während seiner Entwicklung eine dreimalige Häutung durch: 1) bei der Bil-
dung der Blastodcrmhaut , 2) bei der Ausbildung der Nauplius - Cuticula,
3) beim Uebergang in das Cyclops-Stadium. Das Vorhandensein von Larven-
häuten wird vor Allem in den verschiedenen Arbeiten von Dohrn erwähnt.
(Vergleiche dessen Angaben über die Larvenhaut bei Cumaceen , bei Tanais
und an dem Nauplius -Stadium im Eie von Daphnia longispina). Bei der
grossen Mannigfaltigkeit , die unter den Crustaceen vorherrscht und der Un-
sicherheit der Identificirung der Cuticulae in den verschiedenen Fällen würde
es den Rahmen dieses Buches überschreiten, wenn wir auf sämmtliche hier-
her gehörige Fälle eingehen wollten.
Zeitlich mit den Furchungserscheinungen zusammenfallend spielen sich
jene eigenthümlichen Processe ab, welche von Weismann und Ischikawa
(No. 16) an dem Winterei zahlreicher Cladoceren beobachtet und als
Paracopulation bezeichnet worden sind. Hier findet sich im Eie nach
Ausstossung der Richtungskörperchen und erfolgter Befruchtung ein kernähn-
licher Körper mit einer umgebenden Protoplasmaansammlung, die sogenannte
Copulationszelle. Während der ersten Theilungen des Furchungskernes,
durch welche die hier dem reinen superficiellen (III.) Typus angehörende
Furchung eingeleitet wird, verhält sich die Copulationszelle anscheinend passiv
in der Nähe des vegetativen Eipoles, nähert sich aber bald einem der durch
die Theilung entstandenen Furchungskerne , um mit demselben eine innige
Verschmelzung einzugehen. Die weiteren Schicksale der von der Paracopu-
lation betroffenen Furchungszelle wurden nicht verfolgt. Es ist eine blosse
Vermuthung , dass sie bestimmt sei , die Genitalanlage zu liefern. Die erste
Entstehung der Copulationszelle fällt in die Zeit der Eibildung. Es werden
im reifenden Eierstocksei Chromatinpartikelchen aus dem Keimbläschen aus-
gestossen. Diese vereinigen sich, um den Kern der Copulationszelle zu bilden,
welcher später mit einer — wahrscheinlich dem Zellkörper entstammenden
— Protoplasmamasse umhüllt wird. Ueber die Bedeutung des Processes der
Paracopulation fehlt uns bisher noch jede Hypothese. Die Entstehung der
Copulationszelle eriunert an die von Stuhlmann und Blochmann an Insecten-
eiern beobachtete Ausstossung von Chromatinpartikeln aus dem Keimbläschen.
Aehnliche Vorgänge sind auch an den reifenden Eiern von Myriopoden (Balbiani)
und Spinnen (Leydig) und in anderen Thiergruppen beobachtet worden.
3. Keiinblätterbildung.
A. Copepoden.
Unter sämmtlichen Crustaceen — soweit wir deren Entwicklung
bisher kennen gelernt haben — bietet die Entwicklung der Copepoden
Verhältnisse, welche sich am nächsten an die der Anneliden anschliessen.
Wir finden hier eine Invaginationsgastrula und Mesodermbildung durch
324
XV. Capitel.
Sonderung zweier Urmesodermzellen. Die Keimblätterbildung bei Cope-
poden ist durch die Untersuchungen von Grobben (No. 21), Hoek (No. 22)
und Urbanovicz (No. 23 , 24) bekannt geworden. Wir legen unserer
Darstellung die eingehenden Untersuchungen Grobbens für Cetochilus
zu Grunde.
Cetochilus folgt, wie die meisten freilebenden Copepoden, unserem
IL Furchungstypus. Die Furchung ist anfänglich eine totale, in späteren
Stadien eine superficielle (vgl. pag. 312 u. ff). Schon im 32zelligen Stadium
wird der Uebergang zum eigentlichen Blastulastadium eingeleitet und
machen sich die Anfänge der histologischen Differenzirung der einzelnen
Keimblätter geltend. Wir finden im Inneren dieses Stadiums eine
kugelige Furchungshöhle von geringer Ausdehnung, in welcher der Nah-
Fiar. 234. Vier Entwicklungsstadien von Cetochilus (nach Grobben).
A 32zelliges Stadium von der Bauchseite betrachtet ; B späteres Stadium, dieselbe
Ansicht; sämmtliche Keimblätter sind bereits gesondert; C Gastruladium im Längsschnitt;
D Gastrulastadium von der Bauchseite gesehen. Schliessung des Gastrulamundes.
cn centrale Entodermzelle, gm Gastrulamund, m Mesodermzelle, sn seitliche Ento-
dezmizellen, um Urmesodermzellen, vn vordere Entodermzellen.
rungsdotter gelegen ist und in welche auch der Richtungskörper ein-
wandert. Eine ähnliche Einwanderung des Richtungskörpers wurde von
Weismann und Ischikawa (No. 6) an den Sommereiern von Bytho-
trephes beobachtet. Wahrscheinlich ist die von Urbanovicz in der
Furchungshöhle von Cyclo ps beobachtete kleine Zelle auch auf den
Richtungskörper zu beziehen.
Wenn wir den vegetativen Pol des 32zelligen Stadiums von Ce-
tochilus ins Auge fassen, so erkennen wir eine entschiedene bilaterale
Anordnung des Blastomeren (Fig. 234 Ä). Wir finden eine grössere,
durch ihr grobgranulirtes Plasma sich auszeichnende Zelle (cn) und vor
derselben eine kleinere Zelle (vn). Beide liegen in der Medianebene
und liefern später ausschliesslich Entodermelemente. Sie werden als
centrale (cn) und als vordere Entodermzelle^«) unterschieden.
Crustaceen. 325
Die vier symmetrisch an den Seiten dieser beiden Zellen vertheilten
Blastomeren (Seitenzellen) liefern durch spätere Theilungen sowohl
Elemente des Entoderms, als des Ectoderms. Von Wichtigkeit erscheint
auch die hinter der centralen Entodermzelle gelegene Furchungskugel (u).
Sie theilt sich später in vier Elemente, von denen die beiden grösseren
vorderen die Urmesodermz eilen (Fig. 234 #, um) repräsentiren, wäh-
rend die beiden hinteren zu Ectodermelementen werden.
Fig. 234 B zeigt uns die centrale Entodermzelle in zwei Blasto-
meren (cn) zertheilt; ferner haben sich die seitlichen Entodermelemente
(sri) durch Theilung der Seitenzellen abgesondert. Wir haben demnach
hier eine aus sieben Zellen bestehende Entodermanlage , hinter welcher
die zwei Urmesodermzellen (um) gelegen sind. Es vollzieht sich nun
zunächst die Einwanderung der Mesodermelemente in das Innere des
Embryos. Die Urmesodermzellen liefern durch Theilung zwei lateral
gelegene Elemente (Fig. 234 C, m) und diese vier Mesodermzellen (von
denen die beiden medialen als die Polzellen der späteren Mesoderm-
streifen betrachtet werden müssen) rücken nun in die Furchungshöhle
(Fig. 234 C). Bald darauf vollzieht sich die Einstülpung der Entoderm-
elemente (en) , wodurch das Gastrulastadium (Fig. 234 C) erreicht
ist. Das in die Tiefe gerückte Entoderm wird durch den Schluss des
Blastoporus zu einem rings abgeschlossenen Säckchen umgebildet. Der
Gastrulamund stellt im Moment seines Verschlusses eine Längsspalte
dar (Fig. 234 D) ; der Verschluss desselben vollzieht sich in der Richtung
von vorne nach hinten. Es scheint, dass der Blastoporus seiner Lagerung
nach der späteren Ventralseite des Embryos entspricht. Die am spätesten
zum Verschlusse kommende Parthie würde demnach in der Nähe der
späteren Afteröffnung gelegen sein.
Der Vorderdarm und Enddarm entstehen nach den Untersuchungen
von Urbanovicz (an Cyclops) als Ectodermeinstülpungen, und zwar
fällt die Entstehung des Vorderdarms noch in das Bereich der Embryonal-
entwicklung, während das Proctodaeum erst in dem frühesten Larven-
stadium zur Ausbildung kommt. Beide verbinden sich sodann mit dem
Mitteldarmsäckchen.
Das Gastrulastadium der Copepoden wurde zuerst von Hoek erkannt
und beschrieben.
Die Angaben von Urbanovicz über die Keimblätterbildung bei Cyclops
lassen sich mit denen Grobben's in Uebereinstimmung bringen. Hier ist es
zunächst nur eine Entodermzelle, welche in die Tiefe versenkt wird und über
welche der Blastoporus sich schliesst, worauf aus dieser Zelle durch Theilung
die gesammte Entodermanlage hervorgeht. Hierauf soll durch Abschnürung
von Ectodermelementen ein Mesenchym geliefert werden, aus welchem die
meisten mesodermalen Bildungen des Nauplius hervorgehen , während das
eigentliche Mesoderm eine spätere secundäre Bildung sei, welche wahrschein-
lich dem Entoderm entstamme und ausschliesslich den Mesodermstreif liefert.
Wenn wir jedoch bedenken, dass im Umkreis der centralen Entodermzelle
bei Cetochilus Elemente lagern, welche durch Theilung in Ectoderm- und
Entodermzellen zerfallen, so muss es als möglich erscheinen, dass Urbanovicz
diesen Process als Mesenchymbildung aufgefasst hat.
Das spätere Schicksal des Mesoderms ist für die Copepoden noch
nicht völlig klar gestellt. Es scheint jedoch, dass die Elemente desselben
in den Segmenten des Naupliusstadiums sich mehr unregelmässig nach
Art eines Mesenchyms vertheilen und sehr bald zu den Organen des
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 22
326 x^ • Capitel.
Nauplius sich gruppiren. Gewisse Zellen lagern sich dem Darm an, um
dessen Musculatur zu bilden, andere werden zu Extremitätenmuskeln
oder vereinigen sich zur Bildung der Antennendrüse. Die Leibeshöhle
weist hier den Charakter eines Pseudocoels auf. In der hinteren Körper-
region, welche die weiteren Leibessegmente liefert, kommt es dagegen
zur Ausbildung eines wirklichen paarigen Mesodermstreifs , in welchem
nach Urranovicz (No. 23) und Fritsch (No. 20) echte Coelomsäcke an-
gelegt werden. Das vorderste Paar derselben entspricht dem Maxillar-
segmente. Die Dissepimente zwischen den aufeinanderfolgenden Coelom-
säcken, welche auch Grobben (No. 21) im Abdomen von Cetochilus
beobachtet zu haben scheint, schwinden in späteren Stadien, dagegen
sollen ein dorsales und ventrales Mesenterium zeitlebens persistiren
(Fritsch). Das dorsale fügt sich dem Rücken mittelst eines in zwei
Blätter gespaltenen Endes an und so entsteht ein Rückensinus, welcher
als Blastocoel Überrest und als Homologon der Herzhöhle zu deuten ist.
Dieser Rückensinus steht mit dem als Pseudocoel entwickelten vordersten
Theil der Leibeshöhle im Zusammenhang. Schon frühzeitig kann man
an dem noch kurzen Mesodermstreifen eine vergrösserte Zelle, die
Genitalzelle unterscheiden, welche sich jederseits zur Anlage der Ge-
schlechtsdrüse umbildet.
Der Nahrungsdotter ist bei Cetochilus nur in geringer Menge vor-
handen und spielt keine grosse Rolle. Bei den dotterreicheren Eiern
der parasitischen Copepoden dagegen scheint es (Van Beneden), dass
die Zellen des Entoderms sich anfangs im Nahrungsdotter vertheilen und
denselben in sich aufnehmen, wodurch das Bild der secundären Dotter-
furchung zu Stande kommt. Später treten die Zellen jedoch wieder an die
Oberfläche der Nahrungsdottermasse, um daselbst ein Epithel zu bilden,
aus welchem die Wand des Mitteldarmsäckchens hervorgeht (pag. 348,
Fig. 250 C, en). Letzteres umschliesst demnach zuletzt die durch all-
mähliche Resorption sich verringernden Reste des Nahrungsdotters (vgl.
unten die Bildung des Mitteldarms bei den Cirripedien pag. 329 u. 373).
B. Phyllopoden.
Hier ist die Keimblätterbildung vor Allem für das Sommerei von
Moina, einer Cladocere, durch die eingehenden Untersuchungen
Grobben's (No. 11) bekannt geworden. Die Verhältnisse schliessen sich
ziemlich nahe den für Cetochilus geschilderten an ; doch müssen wir uns
vor Augen halten, dass zwei Momente auf die Entwicklung dieses Eies
verändernd eingewirkt haben: 1) die Ernährung mittelst des in den Brut-
raum transsudirten Blutplasmas, welche wahrscheinlich zu einer secun-
dären Verringerung des Nahrungsdotters führte (auch bei Cetochilus
scheint die Nahrungsdottermasse secundär verringert zu sein, aber aus
anderen Ursachen) und 2) die Paedoparthenogenese, welche mit der ab-
norm frühzeitigen Anlage einer gesonderten Genitalzelle im Zusammen-
hang steht.
Die Furchung ist hier — wie bei den meisten Cladoceren — eine
rein superfizielle (III. Typus, vgl. pag. 316). Wir finden schon im
32zelligen Stadium die Blastomeren an der Oberfläche ziemlich scharf
von der centralen Nahrungsdotteransammlung gesondert. Wie bei Ce-
tochilus, so bereiten sich auch hier am vegetativen Pole des Eies die
Anfänge jener Sonderung vor, unter welcher die Keimblätterbildung ein-
hergeht. Es liegen hier jene Anlagen, welche später (wohl nach einer
Crustaceen.
327
gewissen Verschiebung) an der Ventralfläche des Embryos gelagert sind.
Wir finden liier eine central gelegene, körnchenreiche Zelle, welche als
Genitalzelle (Fig. 235 #) zu bezeichnen ist. Aus ihr geht später die
paarige Genitalanlage hervor. Hinter dieser Zelle liegt eine in Theilung
begriffene Zelle, welche die Anlage des gesammten Entoderms darstellt,
die Entodermzelle (en). An einem etwas späteren Stadium finden
wir diese beiden Anlagen durch Theilung mehrzellig geworden. Wir sehen
ein Feld von zahlreichen Entodermzellen (Fig. 235 B, en) und vor dem-
selben vier Genitalzellen (g). Im Umkreis derselben ist eine Anzahl von
Zellen erkennbar, welche die Meso der m anläge (ms) darstellen. Alle
übrigen Zellen bilden nun das Ectoderm.
Schon in diesem Stadium zeigt die Mesodermanlage
unter die Genitalzellen in die Tiefe zu rücken (Fig. 235 B).
Stadien hat sich dieser Process vollzogen (Fig. 235 0, ms)
die Tendenz
In späteren
Das Meso-
derm liegt nun völlig im Inneren des Embryos. Gleichzeitig stülpt sich
das Entodermfeld (b) ein. Es wird hiermit das Gastrulastadium
erreicht (Fig. 235 C).
ms
en
Fig". 235. Drei Entwicklungsstadien des Sommereies von Moina (nach Grobben).
A Ei im 32zelligen Stadium vom vegetativen Pole aus gesehen, B Blastula-
stadium in derselben Ansicht, C Gastrulastadium im Medianschnitt.
b Blastoporus, cn Entodermzellen, g Genitalzellen, ms Mesodermzellen, n Nahrungs-
dotter, s Scheitelplatte.
Bald darauf schliesst sich der Gastrulamund vollständig und es
rücken nun auch acht Genitalzellen, welche durch Theilung aus den
vieren hervorgegangen sind, in die Tiefe und legen sich unter das Ento-
derm (vgl. unten pag. 347 , Fig. 249 A, g). Gkobben ist der Ansicht,
dass die Stelle, an welcher der Blastoporus zum Verschlusse kommt, der
späteren Oesophaguseinstülpung entspreche. Es würde jedoch mit den
Verhältnissen der übrigen Crustaceen, vor Allem der Decapoden, besser
stimmen, wenn wir annehmen dürften, dass sie in der Nähe des späteren
Afters gelegen ist.
Während der Embryo sich streckt, die Naupliusgliedmassen hervor-
sprossen und an dem Vorderende seiner Dorsalseite die Gehirnanlage als
symmetrische Ectodermverdickung (Scheitelplatte) deutlich wird (Fig.
249 A, pag. 347), erleiden auch die Anlagen der inneren Organe eine ent-
sprechende Weiterbildung. Die Entodermanlage (en) wächst zu einem
cylindrischen Körper aus. Die Zellen desselben zeigen am Querschnitt
eine radiäre Anordnung; doch lässt sich zunächst noch kein Lumen er-
kennen. Vorderdarm (m) und Enddarm (Fig. 249 B, af) entstehen als
Ectodermeinstülpungen ; ersterer ist schon im Nauplius, letzterer erst in
späteren Stadien erkennbar. Sie treten mit der Mitteid armanlage in
22*
328 xv- Capitel.
Verbindung. Das Mesoderm (ms) hat sich längs der ganzen Ventralseite
und nach vorn bis unter die Scheitelplatte ausgedehnt. Es liegt zu
beiden Seiten der Darmanlage und zeigt eine bilateral-symmetrische An-
ordnung; doch kommt es nicht zur vollständigen Scheidung paariger
Mesodermstreifen. Die Genitalanlage theilt sich in eine paarige zu den
Seiten des Darmcanals gelegene Zellenmasse.
Der Nahrungsdotter liegt ursprünglich in der primären Leibeshöhle.
Er wird in dem Masse resorbirt, in welchem die inneren Organe die
Leibeshöhle erfüllen. In späteren Stadien trennen sich einzelne Zellen
vom Mesoderm ab, um den Nahrungsdotter zu durchwachsen. Sie liegen
sodann an der Dorsalseite des Embryos und werden zum Fettkörper des
Thieres.
Es würde von Interesse sein, über die Bildung des Mitteldarms und über
die Rolle, welche der Nahrungsdotter hierbei spielt, an dotterreicheren Eiern
von Cladoceren oder Branchiopoden etwas zu erfahren. Moina bietet durch
seinen Dottermangel einen entschiedenen Ausnahmsfall dar. An den jungen
Larven der Branchiopoden (Branchipus) erscheinen sämmtliche Gewebe, auch
die des Ectoderms, mit Nahrungsdotterkörnchen durchsetzt (vgl. Claus No. 9).
Bei Daphnia similis bildet sich nach neueren Untersuchungen von
Lebedixsky (No. IIa) zunächst durch superfizielle Furchung ein das Ei voll-
ständig gleichmässig überziehendes Blastoderm. Erst später wird dasselbe
entsprechend den Kopflappen und der Ventralseite des Eies durch Höher-
werden der Zellen verdickt. Die Bildung der Keimblätter wird eingeleitet
durch Auftreten einer seichten Vertiefung (Blastoporus), von welcher aus eine
Einwanderung amoeboider Zellen in den Dotter vor sich geht. Letztere re-
präsentiren das Meso-Entoderm. Während die Mesodermzellen sich in zwei
vom Blastoporus nach vorn verlaufende symmetrische Streifen anordnen (Meso-
dermstreifen), bildet das Entoderm einen soliden Strang, in welchem sich erst
später eine Höhle entwickelt. An dem Aufbau dieses Stranges (Mitteldarm)
nehmen aber nicht alle Entodermzellen Theil. „Einige von ihnen überziehen
den Nahrungsdotter und bilden zwei grosse, symmetrisch liegende, proviso-
rische Lebersäcke" (?).
Ein Zerfall des Mesoderms in Somiten und die Ausbildung eines
eigentlichen Cöloms wurde bei Moina nicht beobachtet. Anders verhält
sich dies bei den Branchiopoden, deren Keimblätterbildung bisher
noch nicht bekannt geworden ist. Wir sind auf die Angaben, welche an
den jüngsten Larvenstadien gewonnen wurden, angewiesen. Hier scheint
an den frühesten Nauplien von Arte mia, wie aus den Abbildungen von
Nassonow (No. 13) zu schliessen ist, die vorübergehende Ausbildung
paariger Coelomsäcke vorzukommen. Dagegen liegen bei Branchipus,
dessen jüngste als Metanauplien zu bezeichnende Stadien von Claus
(No. 9) genau untersucht sind, andere Verhältnisse vor. Hier hat das
Mesoderm im Bereich der eigentlichen Naupliussegmente und des End-
segmentes sich bereits zu Organbildungen umgewandelt und die definitive
histologische Differenzirung gewonnen. Das gleiche ist mit dem splanch-
nischen Blatte im Bereiche des ganzen Darmcanals der Fall (pag. 377,
Fig. 265^4, sp). In jenen Segmenten, welche zwischen dem Mandibel-
segment und Endsegment eingeschoben und im Entstehen begriffen sind,
weist das somatische Blatt mehr embryonales Gepräge auf. Es ist hier in
paarigen Mesodermstreifen angeordnet, dessen Zellen in bestimmter Weise
segmental angeordnet erscheinen. Diese Anordnung beruht nur auf einer
regelmässigen Gruppirnng der Mesodermzellen, welche einigermassen an die
Crustaceen.
329
unten (pag. 339) für die Isopoden zu schildernden Verhältnisse erinnert. Im
hintersten Körperabschnitte sind die Mesodermstreifen zu einer unter dem
Darm gelegenen Platte vereinigt und hier findet sich die Knospungszone,
von welcher die Bildung neuer Segmente ausgeht. Grobben glaubte
zwei hinter dieser Knospungszone, an der Grenze gegen das Endsegment
gelegene Zellen als Urmesodermzellen in Anspruch nehmen zu dürfen;
doch hat Claus nachgewiesen, dass diese Zellen, deren jederseits zwei
vorhanden sind, in den bisher untersuchten Stadien sich an der Pro-
duction von Mesodermelementen nicht betheiligen. Am auffallendsten
muss für Branchipus erscheinen die frühzeitige Selbstständigkeit, welche
das Darmfaserblatt aufweist.
C. Cirripedien.
Nach vollendeter Blastodermbildung (vgl. pag. 316) weist der Embryo
von Bai an us eine über die ganze Oberfläche verbreitete Zellschicht (Ecto-
derm) und eine centrale Nahrungsdottermasse auf (Fig. 236 B). In der Nähe
des hinteren Eipoles, wo sich eine unbedeutende Einsenkung (bl) erkennen
Fig. 236. Längsschnitte durch drei Embryonalstadien von Baianus im-
pro visus (nach Nässonow).
A späteres Furchungsstadium (vgl. oben Fig. 229, pag. 315), B und C Stadien mit
Keimblätterbildung, bl Blastoporus, ec Ectoderm, en Entoderm, ms Mesoderm.
lässt (Blastoporus), ist das Blastoderm mehrschichtig. Die tieferen Schichten
repräsentiren die Anlage des Entoderms (en) und Mesoderms (ms). Von hier
aus vertheilen sich die Mesodermelemente längs der Ventralseite des Eies
(Fig. 236 C) in Form einer symmetrischen Mesodermplatte , entsprechend
welcher auch das Ectoderm etwas verdickt wird, so dass auf diese "Weise
eine einem Keimstreif ähnliche ventrale Verdickung der oberflächlichen Schich-
ten des Embryos zu Stande kommt. Die Elemente des Entoderms dagegen
scheinen sich gleichmässig im Nahrungsdotter zu vertheilen (Fig. 236 C, en),
worauf durch eine secundäre Dotterfurchung die Abgrenzung der entsprechen-
den Zellterritorien erzielt wird. Schliesslich rücken die Kerne der dotter-
reichen Entodermkugeln an die Oberfläche, um hier das Mitteldarmepithel zu
bilden, während durch Verflüssigung des Nahrungsdotters die Darmhöhle zu
Stande kommt (vgl. unten pag. 373). Ueber das Detail aller dieser Vor-
gänge bei Cirripedien herrscht noch manche Unklarheit. Da der Text der
Abhandlung Nassoxow's (No. 13) russisch ist, so konnten wir nur aus den
Abbildungen das Wichtigste erschliessen. Es scheint, dass der Blastoporus
330 xv- Capitel.
der Lage nach der späteren Afteröffnung entspricht. Vgl. über diese Ent-
wicklungsstadien auch die neueren Angaben von Nussbaum (No. 30 u. 31),
welche im Wesentlichen mit der hier gegebenen Darstellung übereinstimmen.
Nach Nussbaum liefert die bei der ersten Zweitheilung entstehende vordere
Furchungskugel eine Zellkappe, welche die zweite Furchungskugel vollkommen
umwächst. Sobald diese Umwachsung beinahe vollendet ist, beginnt in der
oberflächlichen Zellschicht in der Nähe des spitzen Eipoles ein starker Zell-
theilungsprocess und hier bildet sich nun eine Gastrulaeinstülpung. Die durch
diese Einstülpung gelieferte, nach Innen umgeschlagene Schichte umwächst nun,
von spitzem Pol einseitig ausgehend, die innere (Nahrungsdotterkugel) gegen
den stumpfen Pol zu. „Inzwischen hat sich auch diese innere Kugel (oder
die zweite untere Furchungskugel) getheilt ; ihre Theilung schreitet weiter vor ;
doch geht sicher die innere Lage von Zellen der Gastrula nicht aus den Ab-
kömmlingen der inneren oder unteren Furchungskugel hervor." Nach Nuss-
baum würde demnach die vordere Furchungskugel nicht bloss das Ectoderm,
sondern auch das Entoderm liefern. Der Gegensatz seiner Auffassung gegen-
über der von Nassonow wird jedoch sehr gemildert, wenn wir annehmen
dürfen, dass die oberflächliche Zellschicht nicht ausschliesslich durch Theilung
von der vorderen Furchungskugel aus entsteht, sondern dass an derselben
sich auch Elemente betheiligen , welche durch Micromerenbildung von der
hinteren Furchungskugel erzeugt wurden. Es würde letztere dann dieselbe
Rolle spielen, wie die centrale Nahrungsdotteransammlung bei den übrig super-
ficiell sich furchenden Crustaceeneiern.
Die Vertheilung der Mesodermelemente ist in den späteren Embryonal-
stadien , sowie in den jungen Cirripediennauplien eine anscheinend unregel-
mässige. Doch fand Grobben (No. 21) im hinteren Körperabschnitte der
Nauplien von Sacculina und Baianus einige grosse, offenbar in Pro-
liferation begriffene Zellen jederseits zu einem kurzen Mesodermstreifen an-
geordnet.
D. Decapoden.
Wir haben schon oben (pag. 312) der sehr ursprünglichen, aus einer
Coeloblastula sich entwickelnden Invaginationsgastrula (Fig. 226 C) von
Lucifer Erwähnung gethan, welche uns durch Brooks (No. 42, 43) be-
kannt geworden ist. Leider sind die Stadien, welche diese Gastrula mit
dem Nauplius verbinden, nicht bekannt geworden.
Die Entwicklung des Lucifer -Eies ist charakterisirt : 1) durch die
geringe Menge von Nahrungsdotterkügelchen, welche in den Blastomeren an-
fangs gleichmässig zerstreut erscheinen , 2) durch die sehr regelmässig ab-
laufende Furchung und Ausbildung eines verhältnissmässig umfangreichen
Blastocöls, 3) durch Ausbildung einer Invaginationsgastrula. Das hiebei ent-
stehende Mitteldarmsäckchen zeigt an seinem Gipfel vier durch Theilung von
den benachbarten Entodermzellen abgeschnürte, nahrungsdotterreiche Ballen
von unbekannter Bedeutung. Brooks erblickt in ihnen rudimentäre Dotter-
pyramiden, welche den primären Dotterpyramiden von Astacus und Palämon
entsprechen würden. An Lucifer schliesst sich vielleicht am nächsten
P e n a e u s an, insofern vielleicht auch hier der Mitteldarm direct aus dem in-
vaginirten Säckchen entwickelt wird (Haeckee No. 47).
Unter den übrigen Decapoden nimmt Astacus, dessen Entwicklung
uns hauptsächlich durch Bobretzky (No. 41) und Reichenbach (No. 64, 65)
Crustaceen.
331
bekannt geworden ist1),
eine verhältnissmässig ur-
sprüngliche Stellung ein,
insofern hier die Zellen
der Gastrulaeinstülpung
in ihrem ursprünglichen
Zusammenhange verblei-
ben, so dass das Säck-
chen des Urdarms bis zu
seiner Umbildung in den
Mitteldarm als solches
erhalten bleibt , wenn-
gleich die Beziehungen
zu dem umfangreichen
Nahrungsdotter hier
schon auf die Entwick-
lung modificirend ein-
wirken.
Bei Astacus ent-
steht das Blastoderm
durch reine superficielle
Furchung (Morin (No.
61). Nachdem die Fur-
chungskerne sich an der
Oberfläche des Eies angeordnet
haben, zerfällt der Nahrungsdotter,
den einzelnen Furchungszellen ent-
sprechend (pag. 318, Fig. 232), in
die sog. p r i m ä reu od . R a t h k e '-
sehen Dotterpyramiden,
wobei ein rundlicher Centralkörper
von dieser Durchfurchung des Nah-
rungsdotters ausgeschlossen bleibt
(vgl. oben pag. 314). Nach der
Loslösimg der Blastodermzellen
vom Nahrungsdotter und der voll-
ständigen Ausbildung des Blasto-
derms fliessen die primären Dotter-
pyramiden wieder unter einander
zusammen. Jetzt wird an der
Ventralseite des Eies die Embryo-
nalanlage in der Form einer Bla-
stodermverdickung kenntlich , in
welcher wir die Anlage des späteren
Keimstreifs erblicken. Ursprüng-
lich bemerkt man im Bereich
dieser Anlage fünf
Verdickungen (Fig.
Fig". 237. Kugelabschnitt des Eies mit Embryonal-
anlage von Astacus fluviatilis (nach Reichenbach,
aus Laxg's Lehrbuch).
BM Bildungszone des Mesoderms, ES Entoderm-
scheibe, K Kopf läppen (Augenanlage), TA Thoraco-
abdominalanlaoen.
ms
P
gesonderte
237) : die
paarigen Augenlappen- (K)
Fig". 238. Längsschnitt durch das
Gastro] astadium von Astacus fluviatilis
(nach Reichenbach, aus Hatschek's Lehrb.).
D Dotter, ms Mesoderm, P Blastoporus,
* bezeichnet die Stelle, an welcher das
Vorderende des Körpers sich entwickelt.
!) Hinsichtlich der Angaben Morin's (No. 61) konnten wir nur die Abbildungen
vergleichen. Die Angabe Rossuksaya's (No. 72, pag. 570), dass Morin für Astacus
fluviatilis eine gleiche Art der Entodermbildung beschrieben habe, wie sie von Bobretzky
für Oniscus angegeben worden war, beruht wohl nur auf einem Irrthum.
332 XV. Capitel.
und T h o r a c o a b d o in i n a 1 a n 1 a g e n (TA) und eine unpaare, hinter diesen
gelegene Verdickung, die Ento-dermscheibe (ES), welche in den folgen-
den Stadien durch Einstülpung das Gastrulasäckchen (Fig. 238) liefert. Die
Einstülpung dieser Scheibe wird durch Ausbildung einer halbmondförmigen
Furche, welche den vorderen Rand derselben umgiebt und sich bald
durch Ausbildung im hinteren Theile zu einer ringförmigen Furche er-
gänzt, eingeleitet. Es resultirt hieraus, dass die mittlere Partie der in
die Tiefe versenkten Entodermscheibe eine Zeit lang hügelartig (Ento-
dermhügel) gegen das Lumen des Urdarmsäckchens vorspringt (Fig. 239 eh).
Noch bevor der Einstülpungsprocess eingeleitet ist, macht sich am
vorderen Rande der Entodermscheibe eine rege Zeilproliferation (Fig. 237
BM) geltend, durch welche eine Anzahl von Zellen geliefert wird, welche
unter das Blastoderm rücken (Fig. 238, 239me.s). Es ist die erste An-
lage des Mesoderms, welches demnach bei Astacus an einer be-
stimmten Stelle am vorderen Rande des Blastoporus an der Uebergangs-
stelle des Ectoderms in das Entoderm seinen Ursprung nimmt.
Nachdem die Ein-
stülpung des Gastrula-
säckchens sich voll-
zogen hat, scbliesst sich
der Blastoporus. Die
Stelle, an welcher der-
selbe zum Verschlusse
kommt, entspricht dem
liinterstenTheil derEm-
bryonalanlage. Nach
v. Oo0 ,r ,. T .. ... , , , n , Reichenbach liegt sie
rig. z6v. Medianer Längsschnitt durch das Gastrula- , ,. , eV n
Stadium von Astacus (nach Reichenbach). etwas JllllterjenerbteJle.
d Nahrungsdotter, ec Ectoderm, eh Entodermhügel, all welcher 111111 bald die
en Entoderm, in secundäres Mesoderm, mes Mesoderm. ectodermale Ellddarill-
einstülpung zu erken-
nen ist.
Das durch die Einstülpung entstandene Urdarmsäckchen ist ursprüng-
lich im Verhältniss zur Grösse des Eies wenig umfangreich. Später ver-
grössern sich seine Zellen durch Aufnahme von Nahrungsdotter (Fig. 240
Ä, en) , welche innerhalb jeder einzelnen Entodermzelle in der Weise
abgelagert wird, dass der Zellkern und die Hauptmasse des Zellplasmas
an die äussere Oberfläche des Urdarmsäckchens zu liegen kommen. An
dieser Aufnahme des Nahruiigsdotters betheiligen sich am regsten die
dorsalen und seitlichen Parthien des Urdarmsäckchens, während die ven-
tralen Theile desselben, welche mit der übrigen Embryonalanlage in
innigerem Contact stehen, weniger daran participiren (Fig. 240).
Schliesslich ist die gesanimte Nahrungsdottermenge in den Entoderm-
zellen deponirt. Da letztere hiedurch zu ungemein grossen, säulen-
förmigen , radiär angeordneten Elementen (Fig. 240 B, dp) ausgedehnt
wurden, so kommt es auf diese Weise zur Bildung der sog. se Clin-
da ren D otter py ramiden. Aus diesem (in späteren Stadien an der
Oberfläche in Lappen zertheilten) Mitteldarmsäckchen geht der definitive
Mitteldarm und die Leber (Mitteldarmdrüse) des Flusskrebses hervor.
Indem die Entodermzellen einer Vermehrung unterliegen, sich von den
ihnen zugehörigen secundären Dotterpyramiden loslösen und sich dicht
aneinanderschliessen , kommt es zur Entwicklung des Mitteldarmepithels,
während die secundären Dotterpyramiden zerfallen und resorbirt werden.
(Ueber die Ausbildung des Mitteldarms siehe unten pag. 373.)
Crustaceen.
333
en
Ein merkwürdiges Verhalten der Mitteldarmanlage des Astacus - Eies,
welches von Bobketzky und Reichenbach nicht erwähnt wird und daher
wohl bloss die Bedeutung eines gelegentlichen Vorkommnisses haben dürfte,
wird von Schimkewitsch (No. 66) mitgetheilt. Dieser Beobachter fand im
Inneren des Mitteldarmsäckchen ein zweites, aus Zellen bestehendes Säckchen,
welches in den Stadien vor Schliessung des Gastrula-Mundes durch einen De-
laminationsprocess von den
Entodermzellen abgespal- t Ad
ten worden sei. Dieses A -vd
innere Säckchen werde
wahrscheinlich in späteren
Stadien resorbirt. Schim-
kewitsch vergleicht es
mit jenen inneren Zellen
des Darmdrüsenkeims bei
Palaemon, welche nicht an
die Oberfläche treten, um
das Mitteldarmepithel zu
bilden, sondern im Inneren
einer Auflösung anheim-
fallen (vgl. unten pag.334).
Das charakteristi-
scheste Verhältniss in
der Entwicklung des
Mitteldarms von Astacus
liegt in dem Umstände,
dass die Nahrungsdotter-
masse, ursprünglich aus-
serhalb des Gastrulasäck-
chens gelegen, die Fur-
chungshöhle erfüllt, wäh-
rend sie später in die
Wand des Entoderm-
sackes aufgenommen
wird, um schliesslich bei
Ausbildung des definiti-
ven Mitteldarms in das
Lumen desselben zu ge-
langen. — Die übrigen
bisher untersuchten De-
capoden unterscheiden
sich von Astacus dadurch,
dass die Zellen des Ento-
dermsäckchens ihren epi-
thelialen Zusammenhang
aufgeben , als Wander-
zellen den Dotter durch-
setzen und erst später
wieder an der Oberfläche desselben zur Bildung des Mitteldarmepithels
zusammentreten. Bei diesen Formen schwindet das Lumen des ursprüng-
lichen Entodermsäckchens ; der Darmdrüsenkeim ist, währenddem die
Entodermzellen den Dotter durchsetzen, solide, und das Lumen des
Fig". 240. Mediaue Längsschnitte durch zwei Em-
bryonen des Flusskrebses (nach Reichenbach).
A durch das Naupliusstadium, B durch das Stadium
mit angelegten Gangbeinpaaren.
d Nahrungsdotter, dp secundäre Dotterpyramiden,
ec Ectoderm, en Entoderm, ep Entodermplatte, g Anlage
der Bauchganglienkette, h Herzanlage, hd Hinterdarm,
m Mesoderm, md Mitteldarm, og oberes Schlundgang-
lion, sp splanchnisches Blatt des Mesodernis, vd Vorder-
darm, t Thoracoabdominalanlage.
334
XV. Capitel.
Mitteldarms stellt sich erst bei der später erfolgenden Auflösung und
Resorption des in seinem Inneren gelegenen Dotters her.
So entwickelt sich z. B. bei Palaemon (nach Bobretzky No. 41)
zu einer Zeit, wo das Blastoderm noch nicht vollständig ausgebildet ist,
d. h. wo die Trennung der Blastodermzellen von den zugehörigen Dotter-
pyramideu sich noch nicht im ganzen Umkreise des Eies vollzogen hat,
eine kleine Gastrulaeinstülpung (Fig. 241 A), deren Zellen nach erfolgtem
Schluss des Blastoporus ihren epithelialen Zusammenhang verlieren
(Fig. 241 B). Aus den Seitenwänden des Entodermsäckchens (ms) stammen
Elemente, welche später, dem Keimstreif angelagert, das Mesoderm dar-
stellen, während die dem Boden des Säckchens entspringenden Ento-
dermzellen (eri) in den Dotter eindringen, denselben nach Art von
Wanderzellen durchsetzen und sich daselbst vermehren. Jede dieser
Entodermzellen nimmt die umgebenden Nahrungsdotterparthien amöben-
artig in sich auf und formirt dieselben zu einem rundlichen Ballen, so
m s
Fig. 241. Drei Schnitte durch den Embryo von Palaemon zur Darstellung
der Keimblätterbildung (nach Bobretzky, copirt aus W. Faxox. Selections from Em-
bryological Monographs).
A Gastrulastadium, B Schliessung des Gastrulamundes, C Längsschnitt durch ein
späteres Stadium.
d Nahrungsdotter, ec Ectoderm, en Entoderm, ep Entodermplatte, g Bauchgang-
lienkette, h Herzanlage, lul Enddarmeinstülpung, ms Mesoderm, og oberes Schlund-
ganglion, vd Vorderdarmeinstülpung.
dass der ganze Nahrungsdotter durch einen Act secundärer Furchung
(sog. Dotterfurchung) in rundliche Dotterballen zerfällt wird, deren jeder
einer Entodermzelle entspricht und welche das Honiologon der secun-
dären Dotterpyramiden von Astacus darstellen. In späteren Stadien
treten die Plasmaantheile mit den Kernen zum Theil an die Oberfläche
des Nahrungsdotters und ordnen sich daselbst zu einem Epithel an,
welches die Wand des Mitteldarms darstellt (Fig. 241 C), der nun auch —
wie bei Astacus — den Nahrungsdotter in seinem Inneren beherbergt.
Ein anderer Theil der Entodermzellen scheint jedoch an der Bildung
des Mitteldarmepithels keinen Antheil zu nehmen, sondern, im Inneren
des Dotters verbleibend, mit diesem dem Zerfall und einer schliesslichen
Resorption anheimzufallen. In diesen Zellen würden wir das Honiologon
Crustaceen. 335
der später für Mysis (pag. 336) zu erwähnenden Vitellophagen zu erblicken
haben. (Vgl. auch Bobretzky No. 80.)
Bei H omar us findet sich nach Herrick: (No. 50 und 50a) an Stelle
des sich einstülpenden Gastrulasäckchens nur eine ganz flache Einsenkung,
von welcher aus eine solide, keilförmige Zellwucherung (the keel) in den
Dotter eindringt. Die Zellen dieser Wucherung nehmen bald Dotterelemente
in sich auf.
Die Einwanderung der amöbenartigen Entodermzellen in den Nahrungs-
dotter und die Entstehung des Mitteldarmepithels an der Oberfläche desselben
scheint in vielen Fällen auf die angegebene Weise abzulaufen. Doch ist das
Verhalten der wandernden Entodermzellen zum Nahrungsdotter in den einzel-
nen Fällen ein wechselndes. So zerfällt nach P. Mayer's Angaben bei Eu-
pagurus (No. 59) nach der Einwanderung der Entodermelemente der
Nahrungsdotter allerdings in eine Anzahl von unregelmässigen Theilstücken
und erleidet eine Art Umordnung, doch sind die Entodermkerne mit ihren
Piasmatheilen hier nicht im Inneren der einzelnen Dotterschollen gelegen,
sondern nehmen die sie trennenden Räume ein. Aehnlich verhält sich viel-
leicht Atyephyra (nach Ischikawa No. 51). Bei Crangon und Al-
pheus dagegen scheint nichts der secundären Dotterfurchung einigermassen
Aehnliches sich vorzufinden (nach Kingsley No. 53 und Herrick No. 49).
In allen diesen Fällen wird die Keimblätterbildung durch die Ausbildung
eines Gastrulasäckchens eingeleitet. Neuerdings sind von Lebedinsky (No. 57)
Mittheilungen über die Keimblätterbildung einer Krabbe, Eriphia spini-
frons, gemacht worden, die, wie uns scheint, noch einigermassen der Auf-
klärung bedürfen. Auch hier findet sich eine Gastrulaeinstülpung, aus deren
Boden die in den Dotter einwandernden Entodermzellen hervorgehen, während
aus den Seitenwänden des Säckchens das Mesoderm hervorsprosst. Trotzdem
war aber schon vor Ausbildung dieser Einstülpung an der mehrschichtigen
Keimscheibe die Trennung in den drei Keimblättern entsprechende über-
einanderliegende Schichten zu erkennen. Ausserdem soll das Ectoderm des
Keimstreifs in seiner ganzen Ausdehnung durch Theilung seiher Zellen nach
Innen Mesodermelemente abspalten. Die im Nahrungsdotter zerstreuten Ento-
dermelemente begeben sich zum Schluss an die Oberfläche desselben , und
ordnen sich daselbst zur Mitteldarmwand an. Gleichzeitig zerfällt jedoch der
Nahrungsdotter in den einzelnen Zellterritorien entsprechende Säulen, so dass
es auch hier — in ganz späten Stadien — zur Ausbildung der secundären
Dotterpyramiden kommt.
Das Mesoderm entsteht, nach den Beobachtungen von Bobretzky
(No. 41) und Reichenbach (No. 64, 65) für Astacus und von P. Mayer
(No. 59) für Eupagurus von einer bestimmten Stelle am vorderen
Rande des Blastoporus (Fig. 237 BM, 239 nies). Andere Angaben haben
den Ursprung desselben weniger bestimmt in den Umkreis des Blastoporus
( Kingsley No. 53 für Crangon, H aeckel No. 47 für P e n a e u s) oder an die
Seitenwände des eingestülpten Gastrulasäckchens (Bobretzky für Palaemon
[No. 41] und Lebedinsky für Eriphia [No. 57]) verlegt. Stets ist die
erste Anlage des Mesoderms bereits eine vielzellige. Die Mesoderm-
zellen, welche sich durch Theilung rasch vermehren, breiten sich an-
scheinend regellos zwischen dem Ectoderm des Keimstreifs und dem
Nahrungsdotter aus (Fig. 240 m). Nur in wenigen Stadien ist die Ver-
keilung der Mesodermelemente in paarige Mesodermstreifen andeutungs-
weise zu erkennen. Ebenso spärlich sind die Hinweise auf eine segmen-
tale Gliederung. Nur im Abdomen eines ganz späten Stadiums des
336 XV. Capitel.
Flusskrebses (mit bereits angelegten Abdominalbeinen) konnte Reichenbach
eine Gruppirung der Mesodermelemente zu paarigen, segmentweise an-
geordneten Cölomsäcken erkennen. In den vorderen Körperparthien kommt
es entschieden nicht zur Entwicklung von Cölomsäcken; die Leibeshöhle
trägt hier den Charakter eines Pseudocöls.
Neben den gewöhnlichen Mesodermzellen findet Reichexbach in der
Mesodermanlage kleinere Elemente von eigentümlich schaumigem Protoplasma
(Fig. 239 m, u. pag. 361 Fig. 259 A, smj, welche mehrere sehr kleine, stark
tingirbare Kerne enthalten, und welche von ihm als Elemente des secundären
Mesoderms unterschieden werden. Diese sollen durch einen Process endogener
Zellbildung in den Entodermzellen des Gastrulasäckchens und zwar in der ven-
tralen Wand desselben ihren Ursprung nehmen. Später verschwinden diese
secundären Mesodermzellen und Reichenbach meint, dass sie sich in Blut-
körperchen umgewandelt hätten. Ein ähnliches secundäres Mesoderm wurde
von Ischikawa für Atyephyra und von Lebedinskt für Eriphia, sowie
von Hekkick für Alpheus und Homarus beobachtet.
E. Schizopoden.
Hinsichtlich der Keimblätterbildung bei den Schizopoden sind wir vor
Allem auf die Beobachtungen von J. Nusbauju für Mysis chamaeleo
(No. 38, 39) angewiesen. Die Furchung verläuft hier nach dem discoidalen
Typus (vgl. pag. 320). Der erste Furchungskern gewinnt eine ganz ober-
flächliche Lagerung und aus ihm geht durch Theilung eine rundliche Blasto-
dermscheibe hervor. Dieselbe entspricht der Lage nach der Ventralseite des
Eies und zwar dem späteren hinteren Körperende. Schon von den ersten
Stadien an kann man an der Blastodermscheibe eine Zusammensetzung aus
zwei Schichten erkennen. Während die oberflächliche Lage sich immer mehr
und mehr ausbreitet, um schliesslich das ganze Ei als zartes Blastoderm zu
überwachsen , treten die Zellen der unteren Schicht in den Nahrungsdotter
ein, vertheilen sich in demselben und tragen zur Auflösung des Nahrungs-
dotters wesentlich bei, indem sie denselben nach Art von Amöben auffressen
und verdauen. Diese sogenannten Vitellophagen nehmen an dem späte-
ren Aufbau des Embroys keinen Antheil. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass
aus ihnen später Blutkörperchen hervorgehen.
Nach vollständiger Ausbildung des Blastoderms ist die Stelle der frühe-
ren Blastodermscheibe noch immer durch eine Blastodermverdickung kenntlich,
an welcher wir bald eine Trennung in drei Lappen erkennen können. Zwei
seitliche paarige Lappen wachsen nach vorne zur Bildung der seitlichen
paarigen Hälften des Keimstreifs aus, während der unpaare, mediane, etwas
nach hinten gelegene Lappen als C au dal- oder Abdominalanlage be-
zeichnet werden muss (vgl. Fig. 254 A, pag. 353). Im Bereich der letzteren
und zwar unterhalb einer queren Furche, welche wohl auf die einwachsende
Schwanzfalte zu beziehen ist , entsteht das Entoderm durch Abspaltung von
den Zellen der oberen Schichte. Das Mesoderm dagegen soll in der ganzen
Länge der paarigen seitlichen Hälften des Keimstreifs vom Ectoderm durch
Abspaltung entstehen, indem einzelne Blastodermzellen sich theilen und ein
unteres Theilstück in die untere Mesodermschicht einrückt, oder wohl auch
ganze Blastodermzellen nach unten wandern. Im Naupliusstadium zeigt die
so entstandene Mesodermschicht nicht bloss eine deutliche Anordnung in
paarige Mesodermstreifen, sondern auch eine Gliederung derselben nach den
einzelnen Segmenten; dagegen konnte niemals die Bildung von Cölomsäcken
beobachtet werden.
Crustaceen.
337
Was uns an der Mysis-Entwicklung - - vorausgesetzt, dass die angeführ-
ten Beobachtungen sich bestätigen — vor Allem auffallen rauss, ist (abge-
sehen von dem Mangel der Gastrula-Einstülpung l)) das Verhalten des Ento-
derms zum Nahrungsdotter. Die Entodermanlage bleibt hier in inniger Ver-
bindung mit dem Keimstreif (Fig. 242 en, l, Fig. 243 I) und tritt in keine
näheren Beziehungen zum Nahrungsdotter, ausser zum Schlüsse der Entwick-
lung, wo sie denselben umwächst, um das Mitteldarmsäckchen zu liefern. Die
Verflüssigung des Nahrungsdotters liegt hier nicht den eigentlichen Entoderm-
zellen ob, sondern den oben erwähnten Vitellophagen. Nichtsdestoweniger
werden wir durch den Vergleich mit Astacus und Palaemon dazu geführt, in
beiden Elementen zusammengehörige Parthieen des Entoderms zu erblicken.
Schon bei Astacus konnten wir beobachten, dass die Zellen der ventralen
Wand des Entodermsäckchens sich wenig an der Nahrungsdotteraufnahme
Fig. 242. Etwas seit-
licher Längsschnitt durch das
Naupliusstadium (vgl. Fig.254(7)
von Mysis (nach Ndsbaüm).
«' erste Antenne, a" zweite
Antenne, d Xahrungsdotter, ec
Ectoderm, en Entoderm, k Keim-
streif, l Leberanlage, md Man-
dibel, og Anlage des Ganglion
opticum.
Fig. 243. Querschnitt durch ein etwas
älteres Stadium von Mysis (nach Nusbaüm).
d Nahrungsdotter, ec Ectoderm, g Bauch-
ganglienkette, l Leberanlagen, ms Mesoderm.
betheiligen. Von hier und vor Allem von jener
Stelle, welche dem blinden Ende des Enddarms
zunächst gelegen ist (vgl. Fig. 240 B, ep),
geht bei den Decapoden (vgl. unten pag. 373)
die Ausbildung der definitiven Mitteldarmwand
aus. Andererseits konnten wir bei Palaemon beobachten, dass nicht alle
im Dotter befindlichen Entodermzellen an die Oberfläche treten, um in
die Bildung des Mitteldarmepithels einzugehen, sondern dass einzelne im
Inneren des Dotters zurückbleibende später aufgelöst werden. Hier haben
wir also die Anfänge einer Theilung des Entoderms in zwei Parthien: einer
J) Nach Wagner, von dessen vorl. Mittheilungen uns nur die zweite vorgelegen
hat, scheint bei Mysis die Gastrulaeinstülpung durch eine Zeileinwucherung repräsentirt
zu sein, in welcher später eine spaltförmige Höhle auftritt (No. 40).
338
XV. Capitel.
plastischen, welche zum Aufbau des späteren Mittehlarmsäckchens verwendet
wird, und einer abortiven, deren Zellen ausschliesslich als Vitellophagen
fungiren. Wir werden später verschiedentlich und vor Allem im Bereiche der
Insecten ganz ähnliche Verhältnisse vorfinden.
F. Arthrostraken und Cumaceen.
Den Beobachtungen Nusbaum's über die Keimblätterbildung der
Mysideen schliessen sich die Studien dieses Autors an Ligia oceanica
(No. 85 a) innig an und liefern zum Theil den Schlüssel für das Ver-
ständniss der Keimblätterbildung in der ersteren Gruppe. Auch hier
findet sich nach vollendeter Ausbildung des Blastoderms eine der späteren
Ventralseite entsprechende Verdickung desselben, die Keimscheibe,
an welcher man bald einen Zerfall in drei Parthien erkennen kann
(Fig. 244). Von letzteren stellen die zwei vorderen paarig angeordneten
(Fig. 244 w) die Wucherungsstellen für die Elemente des Mesoderms
dar, während die hintere unpaarige Verdickung (en) durch eine besonders
a
c
Fig. 244. Oberflächenansicht
des Eies von Ligia oceanica im
Stadium der Keimblätterbildung (nach
Nusbaüm).
en Eimvucherungsstelle des En-
toderms, k Blastodermkerne, m paarige
Eimvucherungsstelle des Mesoderms.
W~-- -V/^ •
Figf. 245. Zwei Querschnitte durch dieKeim-
scheibe von Ligia oceanica (nach Nusbaum).
A Querschnitt durch die vordere Parthie auf
der Höhe der Linie ab in Fig. 244, B Querschnitt
durch die hintere Parthie auf der Höhe der Linie
cd in Fig. 244.
d Dotterzellen, ec Ectoderm, en Entoderm,
m Mesoderm, c centrale Einsenkung der Keim-
scheibe (Blastoporus).
in ihrem centralen Theile sehr lebhafte Zelleinwucherung die Elemente
des Entoderms liefert (vgl. die Querschnitte Fig. 245^1 und B). Die
hier vorliegenden Verhältnisse lassen sich sehr leicht mit dem Typus der
Keimblätterbildung von Astacus in Verbindung setzen. Wir werden die
hintere unpaare Wucherungszone von Ligia dem sich später einstülpenden
Entodermfelde (Eig. 237 Es) von Astacus vergleichen dürfen, vor welchem
sich die Wucherungszone für das Mesoderm (BM ) findet. Letztere zeigt
auch bei Astacus nach Reichenbach schon in frühen Stadien eine deut-
liche bilateral-symmetrische Vertheilung der Elemente. Bei Ligia finden
wir sie, entsprechend den beiden Hälften des späteren tveimstreifs, in zwei
paarige Wucherungsstellen vertheilt. In welcher Weise die Bildung des
eigentlichen Keimstreifs von diesen Wucherungszonen ausgeht, ist im
Einzelnen nicht bekannt. Doch werden wir annehmen dürfen, dass die
Elemente des Mesoderms unter dem Ectoderm nach vorne rücken, und
Crustaceen.
339
dass gleichzeitig der darüber gelegene Theil des Ectoderms sich verdickt.
Auf jeden Fall liefern uns spätere Stadien von Ligia und Cymothoa
den deutlichsten Beweis, dass wir die erwähn-
ten Wucherungszonen des Mesoderms, als dem
hintersten Ende des späteren Keimstreifs ent-
sprechend, uns vorstellen müssen. Denn im
Naupliusstadium von Ligia (Fig. 246) finden
wir hinter dem dritten Extremitätenpaare (3)
eine vor der Anlage der Afteröffnimg (a) sich ein-
schiebende Bildungszone (K) für die daselbst
sich neu anlegenden hinteren Körpersegmente.
Diese Bildungszone besteht bereits aus zwei
Zellschichten (Ectoderm und Mesoderm), deren
Zellen durch Vermehrung einer ganz hinten
vor der Afteröffnung («) gelegenen Querreihe
grosser Bildungszellen hervorgegangen sind
und sowohl im Ectoderm als auch im Meso-
derm eine äusserst regelmässige Anordnung in
Querreihen und Längsreihen aufweisen. Nach
Patten (Quart. Jourm Micr. Sc. Vol. XXXI 1890,
pag. 371) liegen in jeder Querreihe jederseits
bei Cymothoa vier Mesodermzellen (Fig.
247 ms), aus deren Vermehrung in den vorderen,
ausgebildeteren Segmentanlagen das Mesoderm-
material des gesammten Segmentes in der Weise
sich herausbildet, dass die Abkömmlinge der
drei lateralen Zellen sich vereinigen, während die der vierten medianwärts
Fig'. 246. Keimstreif im
Naupliusstadium von Ligia
oceanica (nach Nusbälm).
a After, h Entoderm-
lappen (Leberanlagen) , o
Augenlappen. 1, 2, 3 erstes,
zweites, drittes Paar von
Naupliusgliedmassen. olOher-
lippe, k Segment-Knospungs-
zone.
gelegenen
Zelle
mit
samen Complex sich
ordnen. Diese ungemein
gesetzmässige Anordnung
des Zellmaterials in den
neu entstehenden- Seg-
menten des hinteren Kör-
perabschnittes erinnert an
ganz ähnliche Verhält-
nisse, wie sie von Claus
für Branchipus an der
gleichen Stelle beobach-
tet wurden. Andererseits
fordert aber die Anord-
nung der Mesodermzellen
in den durch sämmtliche
Segmente nach vorne ver-
laufenden Längsreihen zu
einem Vergleich mit den
von Wilson und neuer-
dings von Bergh bei den
Oligochäten (vgl. oben
pag. 195) beobachteten
Verhältnissen heraus. Aus
dem gesetzmässigen An-
wachsen der Mesoderm-
denen der anderen Körperhälfte zu einem gemein-
an-
A
Fig. 247. Ein Stück der segmentbildenden Zone
des Keimstreifs von Cymothoa (nach Patten).
A medianer Längsschnitt, B Innenansicht des
hinteren Endes des Keimstreifs (vgl. Fig. 246). Kechts
sind die Zellen der Mesodermschicht in der Zeichnung
weggelassen.
ec Ectoderm, ms Mesoderm.
340 XV. Capitel.
streifen scheint jedoch hervorzugehen, dass bei Ligia und Cyinothoa
die beiden urspünglichen Wucherungszonen des Mesoderms der Lage
nach dem hintersten Ende des späteren Keimstreifs entsprechen. Wir
werden daher auch für Mysis vermuthen dürfen, dass ähnliche Verhält-
nisse vorliegen und dass die beiden, oben erwähnten, lateralen Lappen
der Keimscheibe den paarigen Wucherungszonen des Mesoderms ent-
sprechen. Dann würden wir annehmen dürfen, dass das gesammte
Mesoderm des Keimstreifs durch Proliferation von diesen Wucherungs-
stellen aus entsteht und nicht — wie Nusbaum für Mysis annimmt —
durch eine Art Delamination von der Innenfläche des Ectoderms des
Keimstreifs sich abspaltet.
Bei Ligia und überhaupt bei den Isopoden finden sich nur spär-
liche Dotterzellen, welche dieselbe Rolle spielen, wie die von Mysis. Sie
lösen sich in frühen Stadien von den unteren Schichten der Embryonal-
anlage los, wandern in den Dotter ein, um sich als Vitellophagen an
dessen Auflösung zu betheiligen, und gehen schliesslich zu Grunde. Das
eigentliche Entoderm tritt hier nicht in das Innere des Dotters ein, son-
dern bildet eine mit dem Keimstreif in inniger Verbindung bleibende,
bald in zwei Hälften angeordnete paarige Zellmasse (Fig. 246 h). Wie
aus diesen Anlagen der definitive Mitteldarm gebildet wird, darüber sind
die vorläufigen Mittheilungen Nusbaum's etwas undeutlich. Die beiden
Anlagen vereinigen sich im Vordertheile des Embryos und bilden daselbst
die Mitteldarmwand; ausserdem wachsen zwei rinnenförmige, nach dem
Dotter offene und concave, nach Aussen convexe, dem Keimstreifen dicht
anliegende Fortsätze nach hinten: die Anlagen der primären Leber-
schläuche, welche sich erst später durch Längseinschnürung in vier
theilen; die Mitteldarmanlage ist nach hinten und dorsalwärts von der
Dottermasse überlagert. Letztere wird erst allmählich, indem sich die
Entodermzellen durch Theilung vermehren, von dem Epithel der Mittel-
darmanlage völlig umwachsen, wodurch die in jüngeren Stadien dorsal-
wärts offene Mitteldarmanlage dann ihren dorsalen Abschluss erhält.
Letztere ist bei Ligia, wie bei Porcellio ziemlich umfangreich, während
sie bei Oniscus sich auf die Leberausstülpungen und die ihrer Ein-
mündung zunächst gelegene Darmparthie zu beschränken scheint.
Die Verhältnisse der Keimblätterbildung, wie wir sie nach Nusbaum für
Ligia geschildert haben, dürften vielleicht im Bereiche der Isopoden weitere
Verbreitung haben, wenngleich unsere Kenntnisse über diese Verhältnisse noch
zu ungenügende sind, um ein Urtheil hierüber aussprechen zu dürfen. Am
Genauesten ist noch die Keimblätterbildung von Oniscus bekanntgeworden.
Auch hier soll das Blastoderm nach Bobretzky (No. 80) durch discoidale
Furchung gebildet werden, doch möchte dieselbe vielleicht in Wirklichkeit
unserem Typus III b (vgl. oben pag. 319) zuzurechnen sein1). Jene Stelle
der Eioberfläche , von welcher die Bildung des Blastoderms ausging, ist wie
*) Mit letzterer Auffassung lassen sich auch die Beobachtungen von Roule
(No. 92) in Uebereinstimmung bringen, obgleich sie manche Unklarheit enthalten. Nach
Roule bildet sich bei Porcellio eine oberflächliche Zellscbicht, welche am Rande
durch Anfügung neuer, aus der Tiefe des Dotters kommender Plasmaparthien vermehrt
wird. Die Kerne sollen jedoch in dieser Zellschicht spontan (!) entstehen. Diese Zell-
schicht (Blastoderm), welche Roule als Ectoderm bezeichnet, zeigt sich zuerst in den
vorderen Partbien des Embryos, breitet sieb von hier über die ventrale Fläche nach
hinten aus und erstreckt sich zum Schluss auch auf die dorsale Seite. Die innere,
von dieser Zellschicht umschlossene Nahrungsdottermasse wird von Roule als Meso-
entoderm in Anspruch genommen.
Crustaceen.
341
bei Mysis und Ligia auch späterhin durch eine rundliche Blastodermverdickung,
die Keimscheibe, gekennzeichnet. Die Keimscheibe entspricht der späteren
Ventralfläche des Embryos; aus ihr geht der Keimstreif hervor. Die Keim-
blätterbildung wird (ähnlich wie bei Ligia, doch ohne vorhergehende Ab-
grenzung des mesodermalen und entodermalen Bezirkes) durch eine Ein-
wanderung von Zellen im Centrum der Keimscheibe eingeleitet. Die Gastrula-
einstülpung ist hier durch eine einfache Zeileinwucherung ersetzt. Durch
letztere wird die Keimscheibe mehrschichtig. Während ihre äusserste (oberste)
Schicht zum Ectoderm des Keimstreifs sich umwandelt, liefert die untere
Schicht das Mesoderm und Entoderm. Bobretzky (No. 80) , dem wir eine
grundlegende Darstellung der Oniscusentvvicklung verdanken, beobachtete, dass
von dieser unteren Schicht einzelne Zellen in den Nahrungsdotter einwandern,
denselben durchsetzen und, indem sie sich daselbst vermehren, durch einen
Act secundärer Dotterfurchung den Zerfall des Dotters in einzelne Zell-
territorien bewirken (Fig. 248 liy). Diese Zellen sollten das Entoderm re-
präsentiren und später — ähnlich wie die Zellen im Dotter von Palaemon
Fig. 248. Zwei Längsschnitte durch den Embryo von Oniscus murarius
(nach Bobretzkv, aus Balfour's Handbuch).
A jüngeres, B älteres Stadium.
do Dorsalorgan, hy Nahrungsdotter mit Dotterzellen, ld Herzanlage, li Leber, m,
mb Mesoderm, ol Oberlippe, pr Enddarm, sg Gehirn, st Vorderdarm, vg Bauchganglien-
kette, zp Anlage des Kauapparates.
— zur Bildung des Mitteldarms (vor Allem der Leber) Anlass geben. Die
dicht an der Keimscheibe verbleibenden Zellen der unteren Schicht dagegen
sollten das Mesoderm (Fig. 248 m) repräsentiren. Diesen Angaben ist
neuerdings Nusbaum (No. 85) entgegengetreten mit der Behauptung, dass die
Dotterzellen, welche übrigens nicht bloss von der Keimscheibe, sondern von
dem ganzen Umkreis des Blastoderms ins Innere einwandern, an dem weiteren
Aufbau des Embryos keinen Antheil nehmen, sondern bloss, wie bei Mysis und
Ligia, als Vitellophagen fungiren. Das eigentliche Entoderm liegt bei
Oniscus nach Nusbaum ursprünglich mit den Elementen des Mesoderms vereinigt,
in den unteren Schichten der Keimscheibe, ordnet sich jedoch bald zu zwei
lateralen Zellanhäufungen an, welche mit einander verwachsen und die Mittel-
darmanlage, sowie die Leberausstülpungen (Fig. 248 B, li) bilden. Bei
Oniscus scheint die Ausbildung zweier primärer Lebersäcke der Entwicklung des
Mitteldarms voranzugehen, indem sich eine von den genannten Zellanhäufungen
ausgehende, streifenförmige Entodermanlage jederseits zur Bildung eines Leber-
säckchens einkrümmt, welche erst später unter Entwicklung eines sehr kurzen
Mitteldarmantheils unter einander in Verbindung treten. Bei Porcellio da-
gegen scheint nach Reinhard (No. 91) die Bildung des Mitteldarmantheils
Korschelt -H eider, Lehibucb. &>
342 xy. Capitel.
der Abschnürung der Lebersäcke vorauszueilen. Die beiden primären Leber-
schläuche theilen sich durch Längseinschnürung später in vier. Es ist zu
bemerken, dass der Mitteldarm bei Oniscus — wie überhaupt bei den höheren
Crustaceen — auf ein sehr kurzes Stück in der Umgebung der Lebereinmün-
dungsstellen beschränkt ist, während der grösste Theil des Darmcanals dem
Vorderdarm und Enddarm entstammt. Während dieser Entwicklungsvorgänge
breitet sich die Schicht der Mesodermzellen unter dem in die Länge wachsen-
den Keimstreif gleichmässig aus und tritt in das Innere der Extremitäten-
anlagen. Es verdient jedoch Erwähnung , dass Wasil.jeff (No. 84) bei
Oniscus einen Zerfall des Mesoderms in segmentale Somiten beobachtet zu
haben glaubt.
Mit dieser Darstellung der Keimblätterbildung bei Ligia und Oniscus,
welche hauptsächlich auf den Angaben Nusbaum's beruht und welche mit den
Mittheilungen Bullar's (No. 81) für Cymothoa in Uebereinstimmung steht,
lassen sich die Ergebnisse, zu denen Pereyaslawzewa (No. 70 u. 71) und
Rossiiskaya (No. 72 — 78) an den Eiern verschiedener Amphipoden
(Gammarus poecilurus, Orchestia, Caprella, Sunamphithoe, Amphithoe) gelangt
sind, ziemlich gut in Uebereinstimmung bringen. Hier entstammen die Ele-
mente des Entoderms einer Einwanderung einzelner Blastodermzellen in tiefere
Schichten und ordnen sich bald , nachdem sie vorübergehend im Nahrungs-
dotter zerstreut waren, zu zwei lateralen Entodermstreifen an, welche zunächst
in den vorderen Parthien des Embryos auftreten und sich zur Bildung
des Mitteldarmrohres aneinanderschliessen. Durch Abfaltung von letzterem ent-
stehen dann die primären Leberschläuche, welche sich bald durch Theilung
bis auf vier vermehren. Von diesem Verhalten weicht Caprella und Sunamphithoe
insofern ab, als sich hier die Anlagen der Leberschläuche vor Ausbildung des
übrigen Theiles des Mitteldarms differenziren. Sie schliessen sich in dieser
Hinsicht an Oniscus an. Dagegen soll das Mesoderm erst in verhältnissmässig
späten Stadien durch eine Art Delaminationsprocess vom Ectoderm in den
einzelnen Extremitätenanlagen entspringen (?).
Die Cumaceen schliessen sich durch die Verhältnisse der Keimblätter-
bildung, durch die Lage und Gestalt des Keimstreifs und des Dorsalorgans
am nächsten an die Isopoden an. Hier bildet sich durch discoidale Furchung
zunächst eine rundliche Scheibe aus, welche allmählich die Oberfläche des
Eies überwächst. Bevor jedoch auf diese Weise das Blastoderm vollständig
gebildet ist, macht sich im Centrum dieser Scheibe eine Zellproliferation
geltend, welche zur Anhäufung von Zellen unterhalb des Blastoderms führt.
An diesen inneren Zellen lassen sich bald zwei Schichten , Mesoderm und
Entoderm unterscheiden. Diese Processe zeigen grosse Aehnlichkeit mit den
von Bobretzky für Oniscus beschriebenen. Die beiden erwähnten unteren
Schichten verbreiten sich hierauf längs eines an der Ventralseite des Eies
gelegenen streifenförmigen Bereiches , welcher auf diese Weise zu der als
„Keimstreif" zu bezeichnenden Embryonalanlage ausgebildet wird. Dieselbe
bleibt nicht bloss auf die Ventralseite beschränkt, sondern greift bald mit
ihrem vorderen und hinteren Ende auf die dorsalen Parthien des Eies über.
Gleichzeitig entwickelt sich an der Dorsalseite eine als „Dorsalorgan" zu be-
zeichnende Zellanhäufung (vgl. unten pag. 351). An allen diesen Entwick-
lungsvorgängen nimmt der Nahrungsdotter anscheinend keinen activen Antheil.
Es lassen sich in demselben anfangs auch keinerlei zellige Elemente wahr-
nehmen. Nach Ausbildung des Keimstreifs treten jedoch in der Nähe des-
selben im Nahrungsdotter vereinzelte halbmondförmige Zellen auf, welche ein
Dotterkorn umschliessen. Ausserdem finden sich noch ganz vereinzelte grössere,
feingranulirte Elemente im Nahrungsdotter. Die Rolle dieser Elemente ist
Crustaceen. 343
nicht genau erkannt. Es scheint, dass sie an der Mitteldarmentwicklung
keinen Antheil nehmen. In späteren Stadien (zur Zeit der Extremitäten-
entwicklung) wurde ein Zerfall des Nahrungsdotters in grössere Ballen be-
obachtet (H. Blanc No. 35).
G. Allgemeines.
Wir müssen zunächst die Lagebeziehungen des Blastoporus ins Auge
fassen. Wenn wir die Verhältnisse verwandter Gruppen, vor allem der
Anneliden (vgl. das oben pag. 174 über den Verschluss des Blastoporus
bei Eupomatus Gesagte), zum Vergleiche heranziehen , so würden wir
geneigt sein, auch bei Crustaceen die ganze, zwischen Mund und After-
öffnung sich hinziehende Strecke für die Lage des Blastoporus in Anspruch
zu nehmen. Für eine solche Ausdehnung finden sich aber nur in der
Ontogenie ganz weniger Formen gewisse Andeutungen, so z. B. in dem
spaltf örmigen , von vorne nach hinten sich schliessenden Urmunde von
Cetochilus (nach grobben, vgl. oben pag. 325) und in dem Fortsatz,
mittelst welchen die Einwucherungsstelle des Entoderms bei Ligia
(vgl. oben pag. 338 Fig. 244) sich nach vorne zwischen die beiden
Mesodermkeime erstreckt. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
lauten die Angaben dahin, dass der Blastoporus seiner Lage nach dem
hintersten Ende des Keimstreifs und ungefähr der Stelle der sich später
bildenden Afteröffnung entspricht. Wir werden aber hier die ungemeine
Kürze der ersten Embryonalanlage (Keimscheibe) bei vielen Crustaceen
in Berücksichtigung ziehen müssen und uns vorstellen dürfen, dass bei
dem Auswachsen dieser kurzen Anlage zur Bildung des gestreckteren
Keimstreifs Elemente, welche ursprünglich im Bereich des sich
schliessenden Blastoporus waren, durch Wachsthunisverschiebungen weiter
nach vorne verlagert werden, so dass im Grunde vielleicht dem
Blastoporus doch eine grössere Ausdehnung nach vorne zugesprochen
werden müsste, als man dies im Allgemeinen für die Crustaceen zuzu-
geben geneigt ist.
Wenn wir durch den sich schliessenden Blastoporus die Lage des
späteren hinteren Körperendes und des vegetativen Eipoles gekennzeichnet
annehmen, so würden wir für die durch die Bildung der Kopf läppen
(Augenlappen) deutlich werdende Anlage des Vorderendes, unter Berück-
sichtigung der bei den Anneliden zu beobachtenden Verhältnisse, den
diametral gegenüberliegenden Punkt der Eiperipherie in Anspruch nehmen.
Eine solche Lagerung weisen die Kopf läppen aber nur in wenigen Fällen
[z. B. bei Moina (Fig. 235 C, b, s) und Cetochilus] annäherungsweise auf.
Bei den dotterreicheren Eiern gehören die Kopf läppen und der Blastoporus
derselben Hemisphäre des Eies an und erscheinen einander mehr oder
weniger genähert (vgl. Fig. 238 pag. 331, an welcher das spätere Vorder-
ende des Körpers durch ein * gekennzeichnet ist). Man erkennt hieraus,
dass die Anlage der späteren Ventralseite im Eie bedeutend kürzer ist,
als die der Dorsalseite oder — mit anderen Worten - die Dorsalseite
des Embryos erscheint durch Einlagerung von Nahrungsdottermassen
beträchtlich aufgequollen und dementsprechend in ihrer Entwicklung
verzögert. Die Lage der Nahrungsdotterkugel ist demnach im Verhältniss
zur Längsaxe des sich entwickelnden Embryos eine excentrische und
zwar dorsalwärts verschobene. Ein Vergleich der bei den Vertebraten
zu beobachtenden Verhältnisse, wo wir eine dorsale Lagerung des
Blastoporus und eine Verlagerung der Nahrungsdottermasse nach der
23*
344 XV. Capitel.
Ventralseite vorfinden, ist nach mancher Hinsicht lehrreich. Vgl. das
oben pag. 322 über diese Verhältnisse Gesagte.
Fassen wir die Art und Weise der Keimblätterbildung und zwar
zunächst die Entstehung des Entoderms ins Auge, so sind es nur
verhältnissmässig wenige Formen mit dotterärmeren Eiern, bei denen
ursprüngliche , direct auf die Entwicklungsweise der Anneliden zu
beziehende Verhältnisse zu bemerken sind. Auch hier wäre in erster
Linie Cetochilus zu nennen, bei welchem ein durch Invagination ent-
standenes Urdarmsäckchen nach Schluss des Blastoporus sich wahrscheinlich
direct in die Mitteldarmanlage umwandelt. Auch Moina, vielleicht auch
Lucifer und Penaeus scheinen diesen Verhältnissen noch nahe zu stehen.
Im Allgemeinen ist die Entodermbildung durch Invagination unter den
Crustaceen ziemlich verbreitet. In anderen Fällen [Artlirostraken,
Mysideen, Cumaceen, Cirripedien (?)] unterbleibt die Bildung einer
Einstülpung und die Sonderung des Entoderms vollzieht sich in der
Form einer soliden Zeilein Wucherung (vgl. Fig. 245 B, pag. 338).
Wichtige und charakteristische Verschiedenheiten ergeben sich in
der Entwicklung der dotterreicheren Crustaceeneier, insofern die
späteren Schicksale der Entodermzellmasse in Frage kommen. Bei jenen
Umbildungen, durch welche aus dem Material des Entoderms die Anlage
des Mitteldarms mit seinen Leberausstülpungen hervorgeht, machen
nämlich die Beziehungen dieser Anlage zur Nahrungsdotteranhäufung
ihren bestimmenden Einfluss geltend. Im Anfange der Entwicklung
erscheint nach Ablauf der Blastodermbildung das Blastocöl von Nahrungs-
dotter erfüllt. Es geht hieraus hervor, dass bei dem Eintritt der
Gastrulation der Nahrungsdotter ausserhalb des Urdarmsäckchens in
der sog. primären Leibeshöhle gelegen ist. Später aber wird die
Mitteldarmanlage in der Regel in der Weise gebildet, dass sie die ge-
sammte Nahrungsdottermenge in ihrem Inneren beherbergt. Es hat
demnach in den relativen Lageverhältnissen der Entodermanlage und
des Dotters eine Veränderung stattgefunden. Dieselbe kann bei den
Crustaceen auf dreierlei verschiedene Art vollzogen werden, so dass
sich drei verschiedene Typen der Entwicklung des Mitteldarms ergeben,
welche in folgender Weise charakterisirt werden können:
I. Entwicklung des Mitteldarms unter Filtration des Nahrnngs-
dotters, z. B. bei Astacus (Fig. 240 pag. 333). Der Nahrungsdotter,
welcher in der primären Leibeshöhle gelegen ist, wird successive in das
Innere der Entodermzellen aufgenommen. Wenn diese Aufnahme unter
Entwicklung der secundären Dotterpyramiden beendet ist, erscheinen die
Kerne der Entodermzellen an die Oberfläche des Nahrungsdotters gerückt.
Dort bildet sich das Epithel des Mitteldarmsäckchens aus, in dessen
Inneren schliesslich die ganze Dottermasse gelegen ist. Das Typische
an diesem Vorgange ist, dass das durch die Invagination entstandene
Gastrulasäckchen während der ganzen Dauer dieser Processe in seinem
Zusammenhange erhalten bleibt, wie denn auch das Lumen dieses
Säckchens in das Lumen des späteren Mitteldarms übergeht. Die
Entodermzellen verlieren hier niemals ihren epithelialen Zusammenhang.
Der Nahrungsd otter — ursprünglich ausserhalb des Entodermsäckchens
gelegen ■ tritt zunächst in die Wand dieses Säckchens und schliesslich
in das Lumen des Säckchens selbst ein. Diese Art der Mitteldann-
bildung scheint sehr vereinzelt da zu stehen. Bisher bildet Astacus den
einzigen bekannt gewordenen Fall dieser Art, der aber von um so
Crustaceen. 345
grösserem Interesse ist, als er uns den Schlüssel für das Verständniss
der beiden anderen Entwicklungstypen abgiebt.
II. Entwicklung des Mitteldarms unter Dnrchwanderuug des
Nahrungsdotters, z. B. bei Palaemon (Fig. 241, pag. 334). Hier ver-
lieren die Zellen des durch Invagination entstandenen Gastrulasäckchens
sehr bald ihren epithelialen Zusammenhang, so dass das Säckchen selbst
unter diesem Auflösungsprocess scheinbar verschwindet. Die Entodermzellen
treten vereinzelt in der Form amoeboider Wanderzellen in den Dotter
ein, welchen sie durchziehen, um sich schliesslich an der Oberfläche
desselben zur Bildung des Mitteldarmepithels anzuordnen. Man sieht,
dass auch in diesem Falle die Bewegungsrichtimg der Entodermzellen
die gleiche ist, wie bei dem oben geschilderten Typus. Der einzige
Unterschied gegenüber demselben besteht darin, dass in dem hier vor-
liegenden Falle die Wand des Gastrulasäckchens zeitweilig ihren epithe-
lialen Zusammenhang verliert. Um diesen Typus von dem vorher-
gehenden ableiten zu können, dürfen wir uns nur vorstellen , dass bei
geringer Anzahl der Entodermzellen und grosser Nahrungsdottermenge
die Abstände der bei der Vergrösserung des Gastrulasäckchens aus-
einanderrückenden Entodermzellen so beträchtliche werden, dass der
Zusammenhang des Epithels nicht erhalten bleiben konnte. Thatsächlich
erscheint aber mit dem zeitweiligen Selbstständigwerden der entodermalen
Wanderzellen eine Vereinfachung des Entwicklungsprocesses gegeben,
durch welche der Beginn der Einwanderung in den Dotter in früheren
Stadien ermöglicht wurde. Der vorliegende Entwicklungstypus scheint
unter den Crustaceen grosse Verbreitung zu besitzen. Wir finden ihn
bei den meisten Decapoden und wahrscheinlich auch bei den dotter-
reicheren Eiern vieler Entomostraken (der Cirripedien, Copepoden,
Cladoceren). Wir werden ihn ausserdem später bei manchen anderen
Arthropodengruppen, z. B. bei Limulus, den Spinnen etc., wiederkehren
sehen. Vielfach kommt es während der Durchwanderung des Nahrungs-
dotters zu einer nachträglichen Abgrenzung der Zellterritorien der im
Dotter zerstreuten Entodermzellen. Diesen Process hat man als
Dotterfurchung bezeichnet. Er hat aber natürlich mit der eigent-
lichen Furchung durchaus Nichts zu thun. Denn diese müssen wir ja
mit der vollendeten Ausbildung des Blastoderms als abgeschlossen
betrachten.
III. Entwicklung des Mitteldarms unter Uniwaclisung des
Nahrungsdotters , z. B. bei Mysis und Ligia (vgl. oben pag. 337,
Fig. 243). Hier trennen sich, ähnlich wie bei dem vorhergehenden
Typus von der (bei den hierhergehörigen Formen wohl stets durch
solide Einwucherung entstandenen) Entodermzellenmasse einzelne Zellen
ab, und treten in den Dotter ein, um sich in demselben zu zerstreuen.
Diese Zellen nehmen aber an dem späteren Aufbau des Mitteldarms
keinen Antheil; sie dienen als Vitellophagen der Assimilation des
Nahrungsdotters und gehen später zu Grunde oder werden vielleicht in
Blutkörperchen umgewandelt. Der Hauptantheil der Entodermzellen
betheiligt sich aber nicht an dieser Einwanderung, sondern bleibt nahe
seiner Ursprungsstelle an der Oberfläche des Nahrungsdotters liegen, um
sich später in zwei paarige, unter dem Keimstreif gelegene, scheiben-
förmige Entodermzellschichten umzuwandeln (Fig. 243 1 und 246 h),
welche, indem sie sich durch Theilung der Zellen vergrössern , sich an
der Oberfläche des Nahrungsdotters ausbreiten und denselben allmählich
346 XV. Capitel.
umwachsen. Hier hat sich demnach das Entoderm — wie wir dies
bereits oben pag. 337 auseinandergesetzt haben — in zwei differente
Antheile, einen plastischen und einen abortiven, getrennt. Wir werden
uns hierbei daran zu erinnern haben, dass auch bei dem II. Entwicklungs-
typus nicht sämmtliche im Dotter zerstreute Wanderzellen an die Ober-
fläche treten (vgl. oben pag. 334), um sich an der Bildung des Mittel-
darmepithels zu betheiligen, sondern dass eine Anzahl derselben im
Dotter zurückbleibt, um schliesslich zu Grunde zu gehen. Diese letzteren
entsprechen offenbar den Vitellophagen des vorliegenden Typus. Den
eigentlichen Schlüssel für die Erklärung der hier gegebenen Verhältnisse
liefert eine genaue Betrachtung der für Astacus beschriebenen Ent-
wicklungsweise. Wir haben oben (pag. 332) erwähnt, dass die Zellen
des Entodermsäckchens sich bei Astacus nicht in gleicher Weise an der
Aufnahme des Nahrungsdotters betheiligen. Am meisten werden hierzu
die Zellen der dorsalen Hälfte herangezogen, während die der ventralen
Hälfte von der Filtration des Nahrungsdotters weniger afficirt werden.
Von letzterer Parthie geht aber gerade die Bildung des definitiven
Mitteldarmes zuerst aus. Wir finden zunächst in der Nähe des blinden
Endes des Proctodäums eine Entodermzellplatte (Fig. 240 B, ep), welche
bereits die Charaktere des definitiven Mitteldarmepithels aufweist und
sogar eine gewisse Tendenz zur Ueberwachsung der übrigen, noch nicht
modificirten Entodermparthien zeigt. Eine ganz übereinstimmende
Entodermzellplatte wird auch bei dem II. Entwicklungstypus gebildet
(Fig. 241 C, ep), so dass auch dort ein Theil der im Dotter zerstreuten
Entodermzellen grössere, plastische Fähigkeiten beweist, als die übrigen.
Hier finden wir demnach die Anfänge einer Arbeitsteilung gegeben,
welche im III. Entwicklungstypus zur vollen Ausbildung gekommen ist.
(Vgl. das oben pag. 337 über diese Verhältnisse Gesagte.) Dem vor-
liegenden Entwicklungstypus gehören die Mysideen, Arthrostraken und
Cumaceen (?) an. Er findet sich jedoch auch sonst im Kreise der Arthro-
poden in mannigfachen Modifikationen wieder. Wir werden ihm
beispielsweise bei den Scorpionen und den Insecten begegnen.
Was das 3Iesoderm anlangt, so finden Mir nur bei dem kleinen
Cetochilusei eine Anlage desselben aus paarigen Urmesodermzellen. Bei
den meisten Crustaceen ist die Anlage eine von Anfang an vielzellige.
Gegenüber den verschiedenartigen Angaben über die erste Entstehung
und Lagerung des Mesoderms in den einzelnen Crustaceengruppen
werden wir die Entstehung desselben an der vorderen Parthie der
Urmundlippe (bei Decapoden) als einen verhältnissmässig ursprünglichen
Vorgang zu betrachten haben, von welchem sich die Verhältnisse bei
Ligia (vgl. oben pag. 338) und durch Vermittlung dieser Form vielleicht
die vieler anderer Crustaceen ableiten lassen.
Auffallend ist die geringe Tendenz der Mesodermzellen, sich von An-
fang an einer gesetzmässigen Lagerung einzufügen. Nur andeutungsweise
erkennen wir eine Anordnung in paarige Mesodermstreifen und eine seg-
mentale Gliederung derselben. Auch hier sei wieder auf die Verhältnisse
von Ligia und Cymothoa hingewiesen. Hinsichtlich des Auftretens
metamerer Cölomsäcke finden sich nur einige, obenerwähnte (pag. 326,
228, 336 u. 342), spärliche Angaben. Im Allgemeinen entwickelt sich die
Leibeshöhle der Crustaceen nach Art eines Pseudocöls als ein System
unregelmässig begrenzter, lacunärer Räume innerhalb des Lagers der
Mesodermzellen. Je mehr diese Bäume sich ausweiten, muss der Abstand
der Körperoberfläche von der im Inneren gelegenen Nahrungsdottermasse
Crustaceen.
347
sich vergrössern. Im Allgemeinen sind die Räume der Leibeshöhle von
Serum erfüllt; doch verdient hier die Angabe Nusbaum's erwähnt zu
werden, dass im vorderen Theile des Embryos von Mysis Nahrungs-
dottermassen zur Erfüllung der
kommen.
Räume der Leibeshöhle in Verwendung
4. Entwicklung der äusseren Körperform.
A. Entomostraken.
Bei den Eiern vieler Entomostraken, welche nur in beschränk-
terer Weise mit Nahrungsdotter versehen sind und deren Embryo vielfach
schon in frühen Entwicklungsstadien (als Nauplius) ausschlüpft, entwickelt
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Fig. 249. Drei Embryonalstadien von Moina recticostris in seitlicher Ansicht
(nach Grobben), im Anschlüsse an die Stadien Fig. 235, pag. 327.
A Naupliusstadium , B Stadium mit vier Thoracalfüssen und der ersten Anlage
der Schale, C Stadium mit fünf Thoracalfüssen und den beiden Maxillenpaaren.
«' erste Antenne, a" zweite Antenne, «/"After, en Entoderm, /' /" /'" etc. erster,
zweiter, dritter etc. Thoracalfuss (in Stad. C mit Anlage der Kiemensäckchen), g Genital-
anlage, gh' primäres Gehirn, gh" secundäres Gehirn, m Mund, md Mandibel, ms Meso-
derm, mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, n Nackendrüse, ob Oberlippe, oe Oesophagus,
s Schale, seh Scheitelplatte, sd Schalendrüse, za zusammengesetzte Augen.
sich die Körperform des Nauplius durch ganz allmähliche Umbildungen
aus der kugeligen Gestalt des Eies. Indem eine Streckung des Eies sich
bemerkbar macht, zeigen sich durch quere Einschnürungen die Grenzen
der einzelnen Segmente des Naupliuskörpers, während die Extremitäten
als Ausstülpungen der Körperoberfläche angelegt werden (Fig. 249 A),
an denen sowohl das Ectoderm als die darunter liegende Zellmasse des
Mesoderms betheiligt ist. Solche Verhältnisse finden wir sowohl an den
Embryonen der Branchiopoden, freilebenden Copepoden und Cirripedien,
als auch bei gewissen, durch geringen Nahrungsdotter ausgezeichneten
Cladoceren-Embryonen (Moina, Grobben) (Fig. 249). An den Embryonen
jener Formen, welche über das Naupliusstadium hinaus im Eie verweilen,
macht sich mit der Entwicklung der hinteren Körpersegmente und der
dieser entsprechenden Streckung des Embryos eine dorsale Einkrümmung
348
XV. Capitel.
Ventralseite gelagerten Embryonalanlage und
derselben geltend [Apus productus (Brauer), Moina (Fig. 249 B und C)
Grobben]. Hier wird schon frühzeitig an einer der Maxillarregion ent-
sprechenden Stelle die Schalenanlage (s) in Form einer Duplicatur des
Rückenintegumentes kenntlich.
Anders liegen die Verhältnisse an den dotterreicheren Eiern mancher
Cladoceren (so z. B. bei der von Dohrn No. 10 untersuchten Daphnia
longispina und auch bei Leptodora nach P. E. Müller No. 12), an denen
sich bereits ein gewisser Gegensatz zwischen der ursprünglich an der
der dorsal aufliegenden
Nahrungsdottermasse er-
kennen lässt. Noch deut-
licher tritt dieser Gegen-
satz an den Embryonen
der parasitischen Copepo-
den (Fig. 250 A und B)
(nach Rathke No. 89 und
Van Beneden No. 17) zu
Tage, bei denen man be-
reits deutlich einen kurzen
ventral en Keimstreif
von einer dorsalen Dot-
termasse trennen kann.
Hinsichtlich derReihen-
folge in der Entwicklung
der einzelnen Körperseg-
mente gilt im Allgemeinen
das Gesetz, dass die vor-
dersten Körpersegmente
zuerst angelegt werden,
während von einer am
hinteren Körperende, aber
vor dem frühzeitig ausge-
bildeten End- oder After-
segmente gelegenen Knos-
pungszone successive neue
Körpersegmente geliefert
werden. Dementsprechend
ist auch die Entwicklung
der Extremitätenpaare im
Allgemeinen eine von
vorne nach hinten fort-
schreitende, wenngleich in
Fig. 250. Drei Entwicklungsstadien parasitischer
Copepoden (nach Van Beneden).
A Naupliusstadium von Brach iella Thynni,
B späterer Embryo mit den Anhängen des ersten
Cyclopsstadiums von A n c h o r e 1 1 a , C embryonales
Cyclopsstadium von Hessia colorata.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, d Nahrungs-
dotter, en Entoderm (Mitteldarmwand), k Keimstreif,
m Mandibel, mx erste Maxille, mf erster Maxillarfuss,
mf" zweiter Maxillarfuss, oe Oesophagus, ol Oberlippe,
p* p" erstes und zweites Thorax-(Kuder-)fusspaar.
der Zeit des Auftretens der
einzelnen Körperregionen Unterschiede erkennbar
Naupliusextremitäten häufig gleichzeitig oder in
sich das Naupliusstadium meist durch eine
Extremitäten für die
sind. So treten die
rascher Folge auf, worauf
Ruhepause (und öfters durch Ausbildung einer Larvencuticula) documentirt,
während die Ausbildung der hinteren Extremitätenpaare mehr successive
zu erfolgen pflegt. Für die Phyllopoden macht sich, entsprechend der
kümmerlichen Entwicklung der Maxillenpaare, im ausgebildeten Zustande
ein verspätetes Auftreten derselben im Embryo geltend (Fig. 249 B u. C)
(Zaddach).
Crustaceen.
349
B. Arthrostraken und Cumaceen.
Bei den Arthrostraken ist die
später die Embryonalanlage ausbildet,
durch die daselbst gelegenen kleineren
findende frühzeitigere Ausbildung des
Stelle des Eies, an welcher sich
häufig schon bei der Furchung
Blastomeren oder die dort statt-
Blastoderms gekennzeichnet. Es
tu
II y ;y
Fig. 251. Zwei Entwicklungsstadien von Asellus in seitlicher Ansicht. Schematisch.
^4 Naupliusstadium (nach Van Beneden), B älteres Entwicklungsstadium nachDoHKN).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, af After, l lappenförmige Anhänge, md Man-
dibel, mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, mf Maxillarfuss, 1— FI erstes bis sechstes
Gangbeinpaar, 1 — 5 erstes bis fünftes Pleopodenpaar, m Mund, x Dotterhaut, y Blasto-
dermhaut.
entwickelt sich eine anfangs rundliche Keimscheibe, welche sich bald zu
einem die ganze ventrale Fläche des Eies bedeckenden und gelegentlich
auch an den Enden dorsälwärts übergreifenden Keimstreifen (Fig. 251 Ä)
streckt, Das vorderste Ende des Keimstreifs ist durch paarige Aus-
breitungen, die Kopf läppen (pag. 339 Fig.
246 0), gekennzeichnet, welche vorzugsweise die
Anlagen der Augen und des Gehirns enthalten,
während der Keimstreif selbst bald durch auf-
tretende Querfurchen in die einzelnen Körper-
segmente getheilt erscheint (Fig. 251 B). Diese
Segmentirung, sowie das Auftreten der Glied-
maassenpaare erfolgt auch hier in der Reihenfolge
von vorne nach hinten; doch macht sich häufig
diese Gliederung in allen Körperregionen fast
gleichzeitig bemerkbar. Da der sich in die Länge
streckende Keimstreif keinen Raum zur freien
Entfaltung besitzt, so treten bald charakteristische
Krümmungsverhältnisse zu Tage. Bei den Iso-
poden wird die ursprüngliche dorsale Krümmung
(Fig. 251 B) erst gegen das Ende des Embryonal-
lebens mit einer entgegengesetzten Lage vertauscht , während die Am-
phipoden das letztere Verhalten in frühe Entwicklungsstadien verlegt
zeigen und demzufolge während des ganzen Embryonallebens ein
ventralwärts eingeschlagenes Abdomen aufweisen (Fig. 252).
Während im Allgemeinen die Extremitäten sämmtlich sich fast gleich-
zeitig anzulegen scheinen, zeigt Asellus, in dessen Embryonalentwicklung
mehrfach ursprüngliche Züge erhalten sind, ein durch das Auftreten der
beiden Antennenpaare und die Abscheidung einer Larvenhaut charakterisirtes
Fig. 252. Embryo
eines A m p h i p o d e n
(Corophium) (nach F.
Müller).
K kugelförmiges Organ.
350 XV. Capitel.
Naupliusstadium *) (Fig. 251 Ä), später treten die Mundtheile und 6 Thorax-
beinpaare und zum Schluss die Abdominalbeinpaare auf (Fig. 251 B). Nach-
dem die Extremitäten angelegt sind , bilden sich hinter dem Munde paarige
Höcker (Paragnathen) aus, welche zur Anlage einer zweilappigen Unterlippe
werden.
Den für die Ausbildung des Keimstreifs von Asellus beobachteten
Verhältnissen schliesst sich Ligia durch das Vorhandensein eines deutlich
erkennbaren Naupliusstadiums (pag. 339 , Fig. 246) an. An den späteren
Stadien der Embryonalentwicklung dieser Form ist vor Allem der Umstand
bemerkenswerth, dass die Anlagen der Thoraxextremitäten ursprünglich einen
zweiästigen Bau aufweisen (Nusbaum No. 85 a), so dass die definitiven Gang-
beine aus diesen unter Rückbildung des Aussenastes hervorgehen, ein Ver-
halten , welches in Uebereinstimmung mit dem Vorhandensein rudimentärer
Exopoditen an den zwei vordersten Thoraxbeinpaaren der Scheerenasseln
(Anisopoden) für die Ableitung der Isopoden und somit aller Arthrostraken
von schizopodenähnlichen Vorfahren spricht.
Es scheint ein sämmtlichen Isopoden zukommendes Verhalten zu sein,
dass von den 7 Gangbeinpaaren (Thoraxbeinpaaren) das letzte im Embryo
unterdrückt ist und erst nach dem Ausschlüpfen aus dem Eie angelegt wird.
Die Ausbildung ähnlicher Larvenhäute, wie die für den Nauplius von Asellus
erwähnte, ist ein bei den Arthrostraken sehr weit verbreitetes Vorkommen.
Von der angeführten Kegel, dass der Keimstreif der Isopoden in den
ersten Stadien eine dorsale Krümmung aufweist, macht der von Bullae
(No. 81) studirte Embryo von Cymothoa nur eine scheinbare Ausnahme.
Der an der Ventralseite des hier sehr grossen , dotterreichen Eies gelegene
Keimstreif zeigt in dem hauptsächlichsten Verlauf seiner ganzen Ausdehnung
dieselbe dorsale Krümmung wie bei den übrigen Isopoden. Nur das hinterste
Ende (Anlage des Telson) ist ventralwärts umgeschlagen.
Bei dem in späteren Stadien zunehmenden Breiten wachstimm rücken
die lateralen Parthien des Keimstreifs an dem dorsal aufliegenden
Nahrungsdotter empor und geben so zur Ausbildung der Seitentheile des
Embryos Veranlassung. Die gleiche Wachsthumstendenz führt schliesslich
zur Vereinigung der Seitenränder des Keimstreifs in der dorsalen Mittel-
linie, wodurch die Aufnahme der Nahrungsdottermasse in das Innere des
Embryos vollendet wird. Man beachte, dass hierbei jener Theil des
Ectoderms, welcher früher die dorsale Nahrungsdotteranhäufung bedeckte,
auf einen kleineren Raum zusammengedrängt wird und schliesslich der
Rückbildung anheimfällt. Hiermit scheint die Ausbildung eines in der
Dorsalregion des Embryos bei vielen Arthrostraken sich entwickelnden
Organes in Zusammenhang zu stehen, welches von Meissner für
Garn mar us entdeckt und als Micro pylapparat beschrieben, später
bei zahlreichen Amphipoden und einigen Isopoden aufgefunden wurde
und als kugelförmiges Organ oder Dorsalorgan die mannig-
fachsten Deutungen erfahren hat. Bei den Amphipoden entwickelt sich
das Dorsalorgan zur Zeit der Ausbildung des Keimstreifs als eine dorsal
gelegene, scheibenförmige Blastodermverdickung (Fig. 252 K), welche
nach Innen gegen den Dotter vorspringt und nach Ausbildung der
Larvenhaut eine besondere Adhärenz an diese zeigt. Hier soll in
M Während die älteren Beobachter an dem Naupliusstadium von Asellus das
Vorhandensein einer Mandibularanlage nicht erkennen konnten, gelang es Eoas (No. 3
des Litt. Verz. über die Crustaceen-Metamorphose) an einigen Individuen die Anwesen-
heit einer solchen nachzuweisen.
Crustaceen.
351
derselben eine Durchbohrung sich entwickeln (Micropyle), während die
mittleren Parthien der Scheibe sich zur Bildung einer kleinen Höhlung
einstülpen (Fig. 253). In späten Stadien der Embryonalentwicklung,
wenn die Ausbildung des Herzens unter dem Dorsalorgan vor sich geht,
wird dasselbe rückgebildet, indem Mesodermzellen zwischen seine Zellen
einwandern und wahrscheinlich an der Auflösung des Dorsalorganes
activen Antheil nehmen (Rossijskaya No. 72).
Ein derartig entwickeltes Dorsalorgan wurde von Fr. Müllee für zahl-
reiche Amphipoden nachgewiesen; doch wurde es in ähnlicher Ausbildung
auch bei Isopoden (Fig. 253) beobachtet (bei Cymothoa von Claus und
Bullae No. 81 , bei Praniza von Dohen). Von Interesse ist unter den
Amphipoden die Gattung Orchestia, deren Dorsalorgan ursprünglich asymme-
trisch einem Seitenrande des Keimstreifs angelagert sich entwickelt und erst
später nach der dorsalen Mittellinie rückt (Uljanin No. 75, Rossijskaya
No. 72). —
Eine andere Entwicklungsform des
Dorsalorgans zeigt sich bei Oniscus
(Dohen No. 83, Bobretzky No. 80), bei
welcher Form die Zellen eines grösseren
Bereiches sich zur Bildung einer der
Larvenhaut adhärenten , sattelförmi-
gen Platte (pag. 341, Fig. 248 A, do)
verdicken. Letztere wird im Verlauf
der weiteren Entwicklung durch ein-
dringende Hautfalten immer mehr vom
Embryo abgeschnürt, welcher schliess-
lich mit derselben nur mehr durch
einen dünnen Strang verbunden ist.
Zum Schluss scheint diese Platte unter
Lösung dieser Verbindung dem Zerfall
entgegengeführt zu werden. Ein ähn-
liches Dorsalorgan findet sich bei
Ligia (Fe. Müllee No. 4, Rosalie
Nusbaum No. 39).
Ein Dorsalorgan, welches dem der
Amphipoden ähnlich ist, wurde bei den Cumaceen (Dohen No. 36) beobachtet.
Bei Mysis ist es ursprünglich paarig entwickelt (vgl. unten pag. 353, Fig.
254 d). Ebenso dürften die bei Tanais gefundenen (Fe. Müller No. 4)
paarigen, mit der Larvenhaut zusammenhängenden Scheibenwülste hierauf zu
beziehen sein. Unter den Decapoden findet es sich in sehr rudimentärer
Form bei C rang on (Kingsley No. 53) und vielleicht (?) auch bei Pandalus
und Palinurus (Dohen No. 45), sowie bei Homarus (Herrick: No. 50).
Unter den verschiedenen Deutungen, die man diesem embryonalen Organ
hat zukommen lassen, hat die von Fe. Müllee (No. 4) ausgesprochene, später
von Grobben (No. 11) eingehender begründete, am meisten Anklang gefunden.
Hienach hätten wir in dem Dorsalorgan den embryonalen Ueberrest eines bei
den Jugendstadien der Phyllopoden fungirenden, theilweise sich zeitlebens er-
haltenden Anheftungsorganes, der sog. Nackendrüse (Fig. 249 C, n) vor uns.
Eine solche Nackendrüse wurde von Grobben und Uebanovicz auch bei Cope-
poden (Cyclops, Ergasilus) und von Geobben bei Euphausia vorgefunden. Wenn
auch der Vergleich mit der Nackendrüse viel Wahrscheinlichkeit zu haben
seheint, so dünkt uns doch die Homologie beider Bildungen noch nicht völlig
Fig. 253. Schematischer Querschnitt
durch den Embryo von Cymothoa (nach
Bullar, aus Balfour's Handbuch).
Unten der quergetroffene Keimstreif,
oben das Dorsalorgan.
352 xv- Capitel.
sicher gestellt. Es ist die Möglichkeit, die wir oben andeuteten, nicht aus-
geschlossen, dass in dem Dorsalorgan bloss die Involutionsform des den
Nahrungsdotter bedeckenden Blastodermtheils vorliegt. Die Involution
würde sich dann bei dem Amphipoden-Typus durch Einstülpung, bei dem
Oniscus-Typus durch Amputation einleiten. Diese Vorgänge haben vielleicht
in der Bildung des Rückenorgans bei den Insecten ihre Analoga.
In die Reihe der mit dem Dorsalorgan zu homologisirenden Bildungen
wurden vielfach auch die paarigen, lappenförmigen Anhänge (Fig. 251 l)
der Asellus-Embryonen gestellt, deren wahre Bedeutung erst durch Claus
(No. 82) unter Vergleich der von ihm beobachteten Jugendstadien von Apseudes
klargestellt wurde. An letzteren beobachten wir der Maxillarregion zugehörende,
flügeiförmige Integument - Duplicaturen , die Anlagen einer über eine kleine
Athemhöhle sich ausdehnenden Schale, unter welcher die Taster der vorderen
Maxille und die schwingende Epipodiallamelle des Maxillarfusses zu liegen
kommen. Bei Asellus ist diese Schalenduplicatur auf ein dreilappiges Rudiment
reducirt, welches - wie schon Rathke (No. 88) annahm — als embryonale
Kieme fungiren dürfte.
Die soeben herangezogenen Anisopoden (Tanais, Apseudes) schliessen
sich in der Conformation ihres Embryos am nächsten den Isopoden an , mit
denen sie die dorsale Einkrümmung und das Fehlen des 7. Brustbeinpaares
gemein haben. Dagegen mangeln den aus dem Ei schlüpfenden Jungen noch
sämmtliche Abdominalbeinpaare mit Ausnahme der des letzten (6.) Paares,
ein Verhalten , wodurch sie sich den Cumaceen nähern (Fr. Müller
No. 4, Claus No. 78). Dass die paarigen, von Fr. Müller am Tanais-
Embryo beobachteten Scheibenwülste wahrscheinlich auf das Dorsalorgan zu
beziehen sind, haben wir oben (pag. 351) erwähnt.
Auch die Embryonen der Cumaceen schliessen sich durch ihre dorsale
Einkrümmung, durch das Fehlen des 7. Brustbeinpaares und durch ein (wohl
dem von Cymothoa ähnliches) Dorsalorgan den Isopoden an. Wie bei den
Anisopoden besitzt der ausschlüpfende Embryo bloss ein (das 6.) Abdominal-
beinpaar.
C. Leptostraken, Schizopoden, Decapoden.
Zwei Momente sind es, durch welche die Embryonalentwicklung
dieser Gruppen im Allgemeinen beeinflusst wird: 1) die in den meisten
Fällen sehr beträchtliche Ansammlung von Nahrungsdotter, wodurch die
Grösse des Eies und die in den ersten Stadien völlig flächenhafte
Ausbreitung der Embryonalanlage bedingt ist und 2) die allmähliche
Entwicklung des gestreckten Keimstreifs aus einer ursprünglich kurzen,
aus wenigen Segmenten bestehenden Anlage (deutliche Ausprägung des
Naupliusstadiums).
Ueber die vermuthlich sehr ursprüngliche Verhältnisse aufweisende Ent-
wicklung des Larvenkörpers in den Eiern jener Gattungen, welche das Ei
als Naupliusform verlassen (Euphausia, Penaeus, Lucifer) ist bisher nichts
Näheres bekannt geworden.
Wir können die Entwicklung von Mysis zum Ausgangspunkte
unserer Darstellung nehmen, indem wir vor Allem den Angaben von
E. van Beneden (No. 37) und Nusbaum (No. 39) folgen. Die Eier von
Mysis entwickeln sich (wie die der Cumaceen und Arthrostraken) in
einer von Epipodiallamellen der Brustbeine überdeckten Bruttasche. Die
erste Entwicklung des Embryos geht hier von derselben Stelle aus, von
Crustaceen.
353
welcher die Bildung des Blastoderms ihren Ursprung nahm und welche
dem hinteren Theile der späteren Ventralfläche entspricht. Wenn die
Bildung des Blastoderms durch Entwicklung einer rundlichen Scheibe
eingeleitet wurde, so zeigt sich bei fortschreitender Weiterentwicklung
Fig. 254. Fünf Embryonen von Mysis (nach Nüsbaum).
A jüngstes Naupliusstadimn , B älteres Nauplinsstadium im Profil, C Nauplius
nach Abstreifung der Dotterhaut im 3k Profil, D späteres Naupliusstadimn mit der
Naupliushaut («), E Larve mit Thoraxbeinen.
a! erste Antenne, a" zweite Antenne, c Dotterhaut, d Dorsalorgan, md Mandibel,
n Naupliushaut, o Augenlappen, p Anlage des zusammengesetzten Auges, s Schwanz-
abschnitt.
354 XV. Capitel.
der Keimbaut eine ähnliche rundliche Blastoderm Verdickung (Keimscheibe),
welche die erste Embryonalanlage darstellt, jedoch bald in drei Lappen
zerfällt, von denen der mittlere, etwas nach hinten gelegene die Anlage
des Schwanzabschnittes darstellt, während die paarigen, seitlichen Lappen
die Anlagen des Keimstreifs repräsentiren. Letztere wachsen thatsächlich
bald in zwei nach vorne divergirende Streifen aus, an denen die Anlagen
der Nauplius - Extremitäten als rundliche Höcker hervorsprossen (Fig.
254 A). Das verbreiterte Vorderende (o) dieser paarigen Keimstreif-
hälften entspricht den Kopflappen des Entomostraken- und Arthrostraken-
Keimstreifs. Da sich hier aus ihnen ausschliesslich die Anlage des
zusammengesetzten Auges und des Ganglion opticum entwickelt, so
wollen wir sie mit dem präciseren Namen: Augen läppen bezeichnen.
Zu beiden Seiten dieses kurzen Keimstreifs, ungefähr in der Höhe
zwischen dem ersten und zweiten Antennenpaar liegt die scheibenförmige,
paarige Anlage des Dorsalorgans (d). Die plattenförmige Anlage des
Schwanzabschnittes (s) wird nach vorne durch eine quere Einsenkung
begrenzt (Abdominalfalte). Letztere wird bald von dem nach vorne in
zwei Zipfel auswachsenden hinteren Körperende (Fig. 254 B, s) überdeckt.
Wir gelangen auf diese Weise zu einem Naupliusstadium mit ventral-
wärts eingeschlagenem Schwanzabschnitt (Fig. 2541?).
Nach Erreichung dieses Stadiums wird die Dotterhaut gesprengt,
gleichzeitig aber eine neue Cuticula (die Naupliushaut) abgesondert. Der
Embryo liegt nun frei in der Bruthöhle, bloss von der ziemlich lose
anliegenden Naupliuscutieula umhüllt. Das Abdomen hat sich mittler-
weile gestreckt (Fig. 254 C) und füllt sich immer mehr und mehr durch
die sich gleichmässiger im Inneren verteilenden Nahrungsdottermassen
(Fig. 254 D), während die Gesammtkörperform schliesslich eine deutliche
dorsale Krümmung annimmt. Wir können nun (wie bei den Arthrostraken)
einen ventralen Keimstreif von der dorsal aufliegenden Nahrungsdotter-
masse unterscheiden. Letztere zeigt besonders im Kopftheile eine
beträchtliche Anschwellung. Es werden nun die hinteren Parthien des
Embryos deutlicher segmentirt. Von den Gliedmassen treten zunächst
die Mundtheile und Thoraxbeinpaare gleichzeitig auf (Fig. 254 .E), während
die Anlage der Abdominalbeine in ein späteres Stadium fällt. Während
dieser Umwandlungen haben sich die scheibenförmigen Dorsalorgane in
der Mittellinie des Rückens vereinigt und weisen, indem sich eine Ein-
stülpung daselbst etablirt. jetzt nach Lage und Form Verhältnisse auf,
welche dem Dorsalorgan der Amphipoden vergleichbar sind.
Der Embryo von Nebalia erinnert nach Metschnikoff's (No. 33)
Darstellung sehr an die Gestaltung desjenigen von Mysis. Auch hier haben
wir das ventralwärts eingekrümmte Naupliusstadium, sowie die nach dem Ver-
lassen der Eihaut erfolgende Streckung und dorsale Einkrümmung etc. Doch
ist — wie es scheint — das Vorhandensein eines Dorsalorgans für diese
Form bisher nicht beobachtet (vgl. unten pag. 440).
Von den für Mysis geschilderten Verhältnissen unterscheiden sich
die Eier der Decapoden hauptsächlich durch die Körperhaltung,
indem hier die dem Nauplius von Mysis anfangs zukommende ventrale
Einkrümmung (das ventralwärts eingeschlagene Abdomen) auch noch viel
späteren Stadien, bis zum Ausschlüpfen der Larven, erhalten bleibt, was
mit dem viel später erfolgenden Zerreissen der Eihüllen in Zusammenhang
steht. Im Uebrigen sind die Entwicklungsvorgänge sehr ähnliche. Bei
Astacus, in dessen Entwicklung wir durch die Beobachtungen von
Crustaceen.
355
Rathke (Xo. 63), Lereboullet (No. 58), Bobretzky (No. 41) und
Reichenbach (No. 64, 65) sehr genauen Einblick gewonnen haben,
machen sich nach Ausbildung des Blastoderms die ersten Embrvonal-
anlagen in der Gestalt von fünf aus einer einfachen Zellschichte be-
stehenden Blastodermverdickungen (Fig. 255) bemerkbar. Von diesen
entspricht das vordere Paar (K) den Augenanlagen von Mysis und kann
auch hier als Augenlappen bezeichnet werden; das hintere Paar
(TA) mehr einander genäherter Bildungscentren entspricht der impaaren
Schwanzanlage von Mysis. Da hier nicht bloss die Segmente des
Abdomens, sondern auch Brustsegmente an dem ventralwärts ein-
geschlagenen Körpertheile angelegt werden, so bezeichnen wir diese
Scheiben als die Tho-
racoabdominalan-
lagen. Die hinterste
unpaare Scheibe ist die
Entodermscheibe
(ES). Vor dieser finden
wir eine Stelle, an wel-
cher durch rege Zell-
proliferation Zellen ge-
liefert werden, welche
unter der Blastoderm-
zellschicht sich ausbrei-
ten; es ist die Bil-
dungsstelle des
M es od er ms (BM).
Während nun durch
Entwicklungsvorgänge,
welche wir oben ge-
nauer geschildert haben
(pag. 331 u. ff.), die Ein-
stülpung der Entoderm-
scheibe und der allmäh-
lich sich vollziehende
Verschluss des Gastrula-
mundes erfolgt, rücken
die Thoracoabdominalanlagen zur Bildung einer unpaaren Platte (Fig. 256
TA) zusammen, in deren Mitte sich bald die Aftereinstülpung (A) er-
kennen lässt. Der vordere Rand dieser Platte wird bald durch eine sich
daselbst geltend machende quere Einsenkung (die Schwanz falte)
schärfer markirt, welche im Verlauf der weiteren Entwicklung sich tiefer
und schräg nach hinten einsenkt. Indem gleichzeitig die Thoracoab-
dominalplatte über diese Einsenkung nach vorne auswächst, kommt es zur
Ausbildung eines längeren, ventralwärts eingeschlagenen, der übrigen
Embryonalanlage dicht anliegenden, hinteren Körperabschnittes (Fig. 257
u. 240 B auf pag. 333).
Während sich diese Vorgänge in der hinteren Körperhälfte vollziehen,
machen sich jederseits in einem die Augenlappen mit der Thoracoabdo-
minalanlage verbindenden Streifen regere Wachsthumsprocesse geltend
(paarige Anlage des Keimstreifs), welche schliesslich zur Ausbildung von
drei Extremitätenpaaren (Naupliusgliedinassen) führen (Fig. 256). Von
diesen treten nach Bobretzky und Reichenbach die Mandibeln etwas
früher auf, als die beiden Antennenpaare. Die mittlere Region zwischen
Fig. 255. Kugelabschnitt des Eies mit Embryonal-
anlage von Astacus fluviatilis (nach Reichenbach,
aus Lang's Lehrbuch).
BM Bildungszone des Mesoderms, ES Entoderm-
scheibe, K Kopflappen (Augenanlage), TA Thoraco-
abdominalanlag-en.
356
XV. Capitel.
diesen Anlagen zeigt längere Zeit die Charaktere des unveränderten
Blastoderms , doch macht sich bald in dem vorderen Abschnitte eine
unpaare Aufwulstung als Anlage der Oberlippe (7) und die dahinter
gelegene Vor d er d arme in stülpung geltend, während an der Innen-
seite der Extremitätenanlagen die zugehörigen Ganglienpaare (ga2,
gm) als Ectodermverdickungen erkennbar sind. Mit dem so erreichten
Naupliusstadium begrenzt sich ein natürlicher Abschnitt der
Embryonalentwicklung des Flusskrebses, was auch durch die Entwicklung
einer Larvenhaut (Nauplius-Cuticula) angedeutet ist.
Es ist zu bemerken, dass
in dem Naupliusstadium die
einzelnen Theile des Embryos
einander näher liegen, als bei
ihrer ersten Anlage (vgl. die
bei gleicher Vergrösserung
gezeichneten Figg. 255 und
256). Eine solche Zusam-
menziehung der Embryo-
nalanlage scheint bei Deca-
poden in diesen Stadien ganz
allgemein vorzukommen.
Das Naupliusstadium
der übrigen Decapoden ent-
wickelt sich im Allgemeinen
in ganz ähnlicher Weise, wie
bei Astacus. Doch tritt in
den meisten Fällen die Em-
bryonalanlage erst nach er-
folgtem Verschluss des Ga-
strulamundes zu Tage; wir
finden dann in der nächsten
Umgebung des verschlossenen
Blastoporus eine unpaare
rundliche Vorwölbung, in
welcher wir die Anlage des
hinteren Körperendes erken-
nen , welches demnach hier
nicht, wie bei Astacus, paarig angelegt wird. Letztere können wir bei den Lo ri -
caten nach den Beobachtungen voiiDohrn(No. 45), wie bei Astacus, als Thoraco-
abdominalanlage bezeichnen , während sie in anderen Fällen ausschliesslich
Segmenten des Abdomens den Ursprung zu geben scheint. Frühzeitig gewinnt
diese Anlage paarige nach vorne ziehende, flügeiförmige Auswüchse, welche
die Verbindung mit den inzwischen kenntlich gewordenen Augenlappen her-
stellen. Im Bereich dieser Verbindungsstränge machen sich dann die Anlagen
der Nauplius-Extremitäten bemerkbar.
Eine quere Vorwölbung, welche die hinteren Parthien der Augenlappen
mit einander verbindet, wird zur Anlage der Oberlippe, hinter welcher bald
die Vorderdarmeinstülpung zu erkennen ist. Letztere liegt in der Regel iu
dem Räume zwischen dem ersten und zweiten Antennenpaare; doch wird von
Kingsley für Crangon die ursprünglich postorale Lagerung des ersten An-
tennenpaares ausdrücklich hervorgehoben. Paarige, nahe dem hinteren Rande
der Mundöffnung auftretende Vorwölbungen machen sich als Anlagen der
Paragnathen, eine Art zweilappiger Unterlippe bildend, bemerkbar.
Fig. 256. Embryo im Naupliusstadium von
Astacus fluviatilis (nach Reichenbach, aus
Lakg's Lehrbuch).
A (vorne) Augenanlage, ax a2 erste und zweite
Antenne, G Gehirnganglion, ga2 Antennenganglion,
gm Mandibelganglion, m Mandibel, l Oberlippe,
TA Thoracoabdominalanlage, A (in TA gelegen) After.
Crustaceen.
357
Die späteren Stadien (Fig. 257, 258 und 260) sind durch das An-
wachsen der Thoracoabdominalanlage, an welcher bald ein Zerfall in
Segmente deutlich wird , sowie durch die Entwicklung der hinteren
Extremitätenpaare , die in der Reihenfolge von vorne nach hinten
hervorsprossen, cbarakterisirt. Gleichzeitig macht sich an den zuerst
angelegten, vorderen Extremitäten die Ausbildung der typischen zwei-
ästigen Form und eine weitere, der zu entwickelnden Gestalt entsprechende
Gliederung bemerkbar. (Ueber die in den einzelnen Gruppen der
Decapoden sehr variirende Zahl und Gestalt der Extremitäten an der
aus dem Eie schlüpfen-
den Larve siehe unten
pag. 445 unter : Metamor-
phose der Decapoden.)
Die Augenanlagen ge-
winnen an Selbstständig-
keit, indem sie sich vor-
wölben und allmählich
von ihrer Unterlage ab-
heben, so dass die keulen-
förmige Gestalt des Stiel-
auges in der Anlage kennt-
lich wird. (Fig. 258.)
Wichtige Verände-
rungen betreffen das hin-
tere Körperende. Wir
müssen an diesem ein
frühzeitig ausgebildetes
End- oder After-
segment (Fig. 257,
258 T) von einer vor
demselben (an dem Em-
bryo aber weiter nach
hinten) gelegenen , aus
grossen Zellen bestellen-
den Knospungszone
unterscheiden. Während
die Afteröffnung ur-
sprünglich an jener Flä-
che des Endsegmentes
zur Anlage kam, welche
später zur dorsalen sich
lappig gestalteten Endsegmente in die Bucht zwischen beiden Lappen
und durch diese allmählich auf die spätere Ventralseite, wodurch das
definitive Lagerungsverhältniss erreicht ist.
Dicht hinter der Thoracoabdominalanlage, an jener Stelle, wo
dieselbe mit dem übrigen Körper zusammenhängt, kann man in späteren
Stadien eine Anhäufung von Mesodermzellen als erste Anlage des
Herzens erkennen (vgl. Fig. 240, 241, h pag. 333, 334).
Die Thoracoabdominalanlage ist in frühen Stadien (Fig. 256) wie
von einem hellen Hof umgeben, welcher nach aussen von dichter
gestellten Blastodermzellen umgrenzt ist. Letztere heben sich später
zu einer besonders in den seitlichen Theilen deutlich werdenden Falte
Embryo von Astacus fluviatilis
der Thoracalfüsse (nach Reichenbach,
Fig. 257.
mit den Anlagen
aus Lang's Lehrbuch).
A Augen, ax a2 erste und zweite Antenne, ab Ab-
domen , g Gehirnanlage (Procerebrum -f- Antennular-
ganglion), go Ganglion opticum, l Oberlippe, m Mandibel,
mxx mx2 erste und zweite Maxille, TTelson, ^-/8 Thoral-
füsse (^1-/3 Maxillarfiisse, <4-^8 Gangbeine), ts Thoracal-
schildanlage.
entwickelt, rückt dieselbe an dem bald zwei-
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
24
358
XV. Capitel.
empor, der ersten Anlage des Thoraxschildes (Fig. 257 ts). Jener
helle Hof ist demnach auf die Anlage der Kiemenhöhle zu beziehen.
Eine merkwürdige, als dorsale Scheibe dem Embryo aufliegende Anlage
des „Carapax" wurde von Ischikawa für frühe Stadien von Atyephyra
angegeben.
*&-£ ^idiils
Fig. 258. Embryo von Astacus fluviatilis mit den Anlagen sämintlicher
Gliedmassenpaare (vgl. Fig. 260 pag. 362) (nach Eeichenuaoh, aus Lang's Lehrbuch).
Das in Wirklichkeit ventralwärts eingeschlagene Thoracoabdomen ist lospräparirt und
zurückg-eschla^en.
ad Antennendrüse, ab Abdomen, t4 erstes Gangbeinpaar (Scheerenfuss), t&-ts zweites
bis fünftes Gangbeinpaar, T Telson.
Die Entwicklung der Decapoden ist hauptsächlich durch den Umstand
charakterisirt , dass die ganze Nahrungsdottermasse der Dorsalseite des
vorderen Körperabschnittes angehört, während die Thoracoabdominal-
Crustaceen. 359
anläge des Nahrungsdotters entbehrt. Noch in späten Stadien, an denen
die Form des ausschlüpfenden jungen Thieres bereits völlig angelegt
ist, erscheint das Kopfbruststück durch den Nahrungsdotter kugelig
aufgetrieben.
5. OrganMldung.
Unsere Kenntniss über die Entwicklung der einzelnen Organe im
Embryo der Crustaceen ist noch eine ziemlich beschränkte. Am ein-
gehendsten sind die Verhältnisse bei den Decapoden durch die Unter-
suchungen von Bobretzky (No. 41), Reichenbach (No. 64, 65) und
Kingsley (No. 52—55) bekannt geworden. In zweiter Linie kommen
die Beobachtungen von Nusbaum (No. 39) an Mysis, Bobretzky (No. 80)
und Nusbaum (No. 85) an Oniscus, Grobben (No. 11, 21) an Moina
und Cetochilus, Claus (No. 8, 9) an Branchipus und Apus und andere
in Betracht.
A. Aeussere Haut
Indem die oberflächliche, ectodermale Zellschicht des Embryos an
ihrer Aussenseite das cuticulare Chitinscelet der Larve zur Ausscheidung
bringt, gewinnt sie allmählich die Charaktere der als Hypo dermis
zu bezeichnenden Matricalschicht dieses Exosceletes. Es wurde neuer-
dings von T. Tullberg für den Hummerpanzer nachgewiesen, dass die
Entstehung dieses Chitinsceletes auf eine directe Umbildung (Chiti-
nisirung) des Zellleibes zurückzuführen sei. Es ist von Interesse, dass
die Hypodermiszellen nicht bloss die Fähigkeit haben, sich in ihrem
äusseren der Körperoberfläche zugewandten Theile in Chitinsubstanz um-
zuwandeln, sondern dass auch gelegentlich ihre basalen Theile eine
derartige Modifikation erfahren. So hat Reichenbach beobachtet, dass
bei Astacus einzelne Hypodermiszellen, sich nach Innen verlängernd, zu
chitinisirten Balken und Pfeilern auswachsen, welche zum Theil als
Stützen des Panzers , zum Theil als Ansatzstellen der Muskelgruppen
functioniren. Im einzelnen Falle ist es oft unmöglich zwischen solchen
eingewucherten Ectodermparthien und wirklichem Bindegewebe zu unter-
scheiden. In sehr reicher Entwicklung wurde dies dem Ectoderm zuge-
hörige, chitinisirte innere Stützgewebe von Claus (No. 9) bei Branchipus
angetroffen.
B. Endoscelet.
Zu einer umfangreicheren Ausbildung innerer Chitintheile führen
Einfaltungen und Einstülpungen der äusseren Haut. So entwickeln sich
jene röhrenförmigen, in ihrem Inneren chitinisirten Ein Wucherungen,
welche, den wichtigeren Muskeln zum Ansatz dienend, als Chitinsehnen
bezeichnet und zum Theil sogar — wie Baur für den Mandibularmuskel
von Astacus nachwies — bei der Häutung erneuert werden. Eine be-
sonders umfangreiche, aus einer Ectodermeinstülpung sich entwickelnde
(Reichenbach) chitinige Sehnenbildung dieser Art findet sich bekanntlich
auch im vorletzten Scheerenglied des Flusskrebses. In ähnlicher Weise
als Einstülpung der äusseren Haut entwickelt sich nach Bobretzky
(No. 41) das die Thoraxganglien bei Astacus überbrückende innere
Sternalscelet durch einen "Einfaltungsprocess der inneren Wand der
Kiemenhöhle. Für Oniscus konnte Nusbaum (No. 85) die Entstehung
eines ganz übereinstimmenden, die Ganglienkette im Thoraxabschnitt
24*
360 XV. Capitel.
überdeckenden, chitinösen Diaphragmas aus paarigen seitlichen Ectoderm-
einstülpungen beobachten. Als Ectodermeinstülpiing entsteht auch die
halbkugelige, chitinöse Gelenksfalte an dem beweglichen Auge der
Cladoceren und der meisten Branchiopoden (Grobben).
C. Nervensystem.
Obgleich wahrscheinlich einer einheitlichen Anlage zugehörig1)
müssen das obere Schlundganglion (Gehirn) und die Bauchganglienkette
bei der Darstellung getrennt behandelt werden. Das gesammte Central -
nervensystem wird als Ectodermverdickung angelegt. Schon in frühen
Stadien erkennt man an der Innenseite der Extremitätenanlagen paarige
Ectodermverdickungen , welche die Anlagen des dem entsprechenden
Segment zukommenden Ganglienpaares der Bauchgangiienkette
repräsentiren. Die aufeinanderfolgenden Ganglienpaare stehen jedoch
durch verdickte Ectodermstreifen , den Anlagen der Längscommissuren,
unter einander in Verbindung, so dass man als erste Anlage der Bauch-
gangiienkette zwei längsverlaufende Ectodermwülste „P r i m i t i v w ü 1 s t e"
(Hatschek) annehmen kann (Fig. 259 pw), welche segmentweise An-
schwellungen (Ganglienanlagen) zeigen und durch die mediane Pri-
mi tivrinne (pr) getrennt sind. Im Verlauf der weiteren Entwicklung
(Fig. 259 B) vollzieht sich im Bereich der Primitivwülste eine Spaltung,
durch welche die oberste Schichte derselben (welche sich nun zur
Hypodermis (h) dieser Region umwandelt) von den tieferen Schichten
abgetrennt wird. Letztere repräsentiren nun als Seitenstränge (s)
die Anlage des Bauchmarks. Reichenbach, auf dessen Schilderung der
Entwicklung des Nervensystems von Astacus wir uns vor Allem stützen,
konnte den Nachweis erbringen, dass in die Bildung jedes Ganglien-
paares der Bauchkette ausser dem entsprechenden Theil der Seitenstränge
auch noch eine unpaare, mediane Einstülpung (in) eingeht, welche auf
die Primitivrinne zurückzuführen ist und als Mittelstrang bezeichnet
wird. Es steht dies mit den zuerst von Hatschek für die Bauch-
gangiienkette der Insekten gemachten Angaben in Uebereinstimmung.
Die Seitenstränge zeigen ursprünglich eine ziemlich einheitliche Zusammen-
setzung aus embryonalen Zellen. In späteren Stadien jedoch (Fig. 259 B)
kann man auch an ihnen complicirtere Verhältnisse erkennen , insoferne der
Querschnitt eine Zusammensetzung aus drei Parthien erkennen lässt. Bald
kann man an dem innersten (oder basalen) Theil die ersten Anfänge der
Bildung von Nervenfasern (f) erkennen, welche als zwei längsverlaufende
Bündel unter den Seitensträngen hinlaufen und mit feinsten Ausläufern der
zu Ganglienzellen sich umwandelnden Zellen der Seitenstränge in Verbindung
J) Die Angaben der meisten Autoren stimmen darin überein, dass bei den
< lustaceen die Anlage des Gehirns von ihrem ersten Auftreten an nach hinten mittelst
paariger Ectodermverdickungen (Anlagen der Schlundcommissur) in die Primitivwülste
der Bauchganglienkette übergeht. Doch stellt diese Ansicht nicht ohne Widerspruch
da. So sei z. B. erwähnt, dass nach Urbanowicz bei Cyclops (No. 23) das Gehirn
und ein unteres Schlundganglion unabhängig von einander auftreten und erst später
durch die Entwicklung der Schlundcommissuren mit einander verbunden werden. Eine
solche Beobachtung würde noch nicht als directer Beweis für die Anschauungen
Klkijjenberg's über die ursprünglich gesonderte Anlage dieser beiden Theile des
Centralnervensystems (vgl. oben pag. 190 u. 191) zu verwerthen sein, denn es ist er-
klärlich, dass die Anlagen der massigeren Theile des Centralnervensystems früher als
Ectodermverdickungen bemerkbar werden, während die Anlagen der gradieren Parthien
(z. B. der Schlundcommissur) erst später deutlich zu erkennen sind.
Crustaceen.
361
stehen. Ausser diesen paarigen Faserbündeln findet sich in der Anlage jedes
Ganglienpaares auch eine unpaare Ansammlung von Fasersubstanz , welche
vielleicht dem Mittelstrang entstammt und zur Bildung der Quercommissuren
Anlass giebt. Frühzeitig erhalten die Seitenstränge von Seite des umgeben-
den embryonalen Gewebes eine mesodermale Hülle, welche nach Reichenbach
das Neurilemm darstellt und mit ihren Fortsätzen nicht nur in das Innere
der Ganglienparthien , sondern sogar der centralen Fasermasse vordringt.
Das Auftreten der Fasermassen an der inneren oder basalen Seite der Seiten-
stränge hat wahrscheinlich die Bedeutung einer ontogenetischen Recapitulation
eines ursprünglichen Zustandes, bei welchem das gesammte Nervensystem
als epitheliale Bildung die Fasermassen an der basalen Seite zur Entwicklung
brachte.
Schon in ganz frühen Stadien konnte Reichenbach an den Ganglienan-
lagen grössere und kleinere Zellen von verschiedenem, histologischem Charakter
unterscheiden. Diese Trennung ist auch im ausgebildeten Zustande zu er-
kennen. Aus den grösseren Elementen (Fig. 259 B, g) gehen die so-
Srri
ß
IZ ~ 7 .
Fig. 251). Entwicklung der Bauchganglienkette von Astacus fluviatilis (nach
Eeichenbach).
A Querschnitt durch das Mandibelsegment eines Embryos mit bereits angelegten
Maxillarfüssen, B Querschnitt durch die Ganglienanlage in einem Maxillarsegment eines
Embryos mit bereits entwickelten Abdominalfüssen.
a" Querschnitt der zweiten Antenne, bi eine die Ganglienanlage innen über-
deckende Bindegewebslamelle, cc Ectoderm, en Entoderm, / Nervenfaserbündel im
Querschnitt, g grosse Ganglienzellen, h Hypodermis, m eingestülpter Mittelstrang der
Ganglienanlage, ms Mesoderm, fr Primitivrinne, piv Primitivwülste der Ganglienanlage,
s Seitenstrang, sm secundäres Mesoderm.
genannten grossen Ganglienzellen im Centralnervensystem des Flusskrebses
hervor. Aehnliche grosse Zellen beobachtete Nusbaum schon in frühen Stadien
bei Mysis. Verschiedentlich sind in den späteren Entwicklungsstadien der
Bauchganglienkette in einzelnen Ganglien mächtige Pigmentanhäufungen be-
obachtet worden, welche wahrscheinlich in Mesodermzellen deponirt sind, so
im Ganglion, welches dem 6. Anhangspaare bei Crangon entspricht (Kings-
ley) und in den Thoraxganglien bei Mysis (Nusbaum).
Die Angaben Reichenbach's über die Theilnahme eines median sich ein-
stülpenden Mittelstranges an der Bildung der Ganglienkette hat später nur
theilweise Bestätigung erfahren. Allerdings wurde sie von Nusbaum bei Mysis
beobachtet; auch glaubte Grobben sie für Moina annehmen zu können. Doch
362
XV. Capitel.
V
wurde von Claus die Theilnahme einer Medianeinstülpung an der Bildung
des Bauchmarks von Branchipus in Abrede gestellt. Dagegen wurde neuer-
dings bei Isopoden, bei denen Bobeetzky (No. 80) und Bullae, (No. 81)
die Anlage der Bauchkette als unpaare ventrale Verdickung, an welcher erst
später eine Theilung in symmetrische Hälften erkennbar werde, beschrieben
worden war, von Nusbaum das Vorhandensein des Mittelstrangs erkannt (für
Oniscus No. 39).
Hinsichtlich der Entwicklung der peripheren Nerven ist es durch
Reichenbach (No. 65) und Claus (No. 9) wahrscheinlich geworden, dass
dieselben nicht durch Auswachsen aus der losgetrennten Nervensystemanlage
ihren Ursprung nehmen, sondern dass sie als entsprechende Ectodermver-
dickungen bereits zu einer Zeit angelegt werden , in welcher das gesammte
mA.
mä ...
9
mx -
mf '
* ffi
ntf ■
Fig. 260. Embryo von Astacus fluviatilis im Stadium mit sämmtlichen Glied-
massenanlagen (nach Reichenbach).
a vorderster, b mittlerer, c hinterster Theil der Gehirnanlage, ab Abdomen, an' erste
Antenne, an" zweite Antenne, d Mandibularganglion, md Mandibel, mx' erste Maxille,
mx" zweite Maxille, mf mf" mf" erster, zweiter, dritter Maxillarfuss, o Anlage des
Facettenauges, o' aus der Augeneinstülpung entstandener Theil des Ganglion opticum,
o" innerer Theil des Ganglion opticum, ol Oberlippe, r Anlage des Stirnstachels, t Telson,
th Thoracalschildfalte, /, II — V erstes, zweites bis fünftes Gangbeinpaar.
Nervensystem seinen Zusammenhang mit dem Ectoderm noch bewahrt hat.
In gleicher Weise sollen nach Claus (No. 9) die bei Branchipus in jedem
Segmente doppelten Quercommissuren entstehen.
Es würde den Rahmen dieser Darstellung überschreiten, wenn wir auf
die verschiedenen secundären Veränderungen, welche die Bauchganglienkette
in den einzelnen Gruppen durch Verschmelzung aufeinanderfolgender Ganglien-
paare etc. erleidet, hier näher eingehen wollten.
Hinsichtlich der Entwicklung d es G eh i r n s oder oberenSchlund-
ganglions müssen wir uns zunächst an die eingehende Schilderung
Reichenbach's für Astacus halten. Nach Reichenbach (No. 65) legt
sich das gesammte Centralnervensystem des präoralen Körperabschnittes
Crustaceen. 363
in der Form dreier, unter einander gleichwertiger und drei getrennten
Körpersegmenten zukommender Ganglienpaare an (Fig. 260), von denen
das vorderste, in dem Proximaltheil des Augenstiels zur Entwicklung
kommende, das Ganglion opticum {d, o") liefert, während die beiden
nachfolgenden den Segmenten des ersten und zweiten Antennenpaares zuge-
hören und in die Bildung des Gehirns im engeren Sinne oder des oberen
Schlundganglions eingehen. Von letzteren zerfällt das im Segment der
I. Antenne (Antennula) liegende sehr bald durch quere Einschnürung
in zwei hinter einander folgende Ganglienpaare (a, b), von denen wir
das vordere (a) mit einem PACKARD'schen Ausdruck als Procerebrum
bezeichnen wollen, während das hintere den Nerven zur I. Antenne
abgiebt und daher als Antennularganglion (b) benannt werden
kann. Es muss erwähnt werden, dass Reichenbach in späten Stadien
auch im Bereich des dahinter gelegenen Ganglienpaares, welches den
Nerven zur II. Antenne entsendet und als Antennen gangiion (c)
bezeichnet ist, eine ähnliche Quertheilung beobachtet zu haben glaubt;
doch ist letztere wohl nicht so eclatant und wohl auch nicht von gleicher
Bedeutung, wie die zwischen Procerebrum und Antennularganglion sich
in frühen Stadien ausbildende Trennung.
Es ist von Wichtigkeit, dass die genannten Ganglienpaare nach
Reichenbach in ihrer Entwicklung sowohl untereinander als auch mit
den Ganglien der Bauchganglienkette eine grosse Uebereinstimmung zeigen.
Wir können an jedem dieser Ganglienpaare Seitenstränge und einen
Mittelstrang unterscheiden ; die Seitenstränge zeigen an dem Querschnitt
einen Zerfall in drei Portionen, ähnlich wie dies für die Bauchganglien
erkannt wurde. Der Mittelstrang verhält sich allerdings in den einzelnen
Regionen verschieden. Im Bereich der optischen Ganglien rücken die
beiden Hälften des Mittelstranges weit auseinander und treten mit den
entsprechenden Ganglien in separate Verbindung ein. Im Bereich des
Procerebrums und Antennularganglions dagegen findet sich je eine
Medianeinstülpung des Mittelstrangs, welche wohl zur Ausbildung der
Commissurentheile des Gehirns führt. Im Bereich des Antennenganglions
fehlt dagegen eine entsprechende Medianeinstülpung. Reichenbach
glaubt, dass dieselbe nach vorne gerückt und durch die zwischen den
Antennularganglien etablirten Einstülpung repräsentirt sei. Wenn wir
jedoch bedenken, dass die Quercommissur zwischen den Antennenganglien
ursprünglich offenbar postoral gelegen war und vielleicht noch jetzt an
dieser Stelle zu suchen ist (Claus No. 78) , so werden wir über den
Mangel der Medianeinstülpung zwischen diesem Ganglienpaar nicht
erstaunen. In späteren Stadien sind die Einstülpungen des Mittelstrangs
im Bereich des Procerebrums und Antennularganglions nicht mehr von
einander getrennt, wie denn überhaupt ein engerer Anschluss der einzelnen
Theile des Gehirns sich geltend macht. Aus dem Procerebrum soll nach
Reichenbach hauptsächlich die „vordere Hirnanschwellung" hervorgehen,
während das Antennularganglion mit der Ausbildung der „Seiten-
anschwellung" (Krieger, Dietl) in Zusammenhang steht.
Mit diesen Angaben Reichenbach's stehen die Beobachtungen von
Kingsley (No. 55) insoferne in Uebereinstimmung, als auch er für
Crangon, abgesehen von den optischen Ganglien, drei hinter einander
folgende Ganglienpaare in die Bildung des Gehirns eingehen lässt. Von
diesen betrachtet Kingsley jedoch das vorderste (Procerebrum) als eine
vom ersten Ursprünge an selbstständige Bildung, welche allein ursprünglich
präoral gelegen und dem supraoesophagealen Ganglion der Anneliden
364 xv- Capitel.
homolog sei. Die dahinter folgenden Ganglienpaare (Antennular- und
Antennenganglien) seien in der ersten Zeit ihrer Entwicklung postoral
gelagert, und daher nur als in das Bereich des Gehirns einbezogene
Ganglienpaare der Bauchkette zu betrachten.
Wir werden durch die angeführten Beobachtungen zur Behandlung der
Frage nach der primären Segmentirung des präoralen Kopfabschnittes der
Crustaceen geführt. Reichenbach, mit welchem auch Nusbaum (No. 39) der
Hauptsache nach übereinstimmt, wird durch seine entwicklungsgeschichtlichen
Beobachtungen dazu geführt, für diesen Körperabschnitt eine Zusammensetzung
aus drei, den übrigen Körpersegmenten homonomen Abschnitten anzunehmen :
Augensegment, Antennularsegment und Antennensegment. Im Bereich des
Augen Segmentes würden die optischen Ganglien das segmentale Ganglien-
paar repräsentiren , während die ganzen Lagerungsverhältnisse am Astacus-
Embryo Reichenbach geneigt machen, zur alten MiLNE-EDWARDs'schen Auf-
fassung zurückzukehren , der zufolge die Augenstiele das Extremitätenpaar
dieses Segmentes repräsentiren. Letztere Auffassung, welche noch in neuerer
Zeit in Huxley und SrENCE Bäte Vertreter gefunden hat, ist jedoch — wie
uns scheint mit voller Berechtigung — von Claus und Fr. Müller zurück-
gewiesen worden , und zwar unter dem Hinweise auf die Entwicklung des
Stielauges bei den Phyllopodenlarven (Branchipus) und an der Zöa von
Lucifer, nach welcher die Augenstiele als secundär abgeschnürte, zu selbst-
ständiger Beweglichkeit gelangte Seitentheile des Kopfes aufzufassen sind,
während das Ganglion opticum, als vorgeschobener Gehirntheil, auch erst zu
einer mehr secundären Selbstständigkeit gelangt. Mit diesem Hinweise ent-
fällt jedoch jeder Grund, das Vorhandensein eines selbstständigen Augen-
segmentes anzunehmen.
Hinsichtlich des dem zweiten Antennen paar entsprechenden
Körperabschnittes kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass wir es hier
mit einem ursprünglich postoral gelegenen Körpersegmente, also mit einem
echten Rumpfsegmente, zu thun haben, welches erst secundär eine Lagever-
schiebung nach vorne erlitten und hiemit einen innigeren Anschluss an die
präoralen Kopfparthien erreicht hat. Hiefür sprechen: die während der
embryonalen Entwicklung sich geltend machende Veränderung des gegenseitigen
Lageverhältnisses des Mundes und der zweiten Antennen (vgl. oben pag. 356),
vor Allem aber die Verhältnisse des Nervensystems, an denen im Bereich
der Crustaceen- Gruppe alle Uebergänge von der selbstständigen Ausbildung
des Ganglienpaares dieses Segmentes bis zu einer innigen Verschmelzung mit
der Gehirnmasse sich vorfinden. So ist es seit den Untersuchungen von
Zaddach bekannt , dass bei Apus der Ursprung des Antennennervenpaares
postoral in der Schlundcommissur zu suchen ist, und es ist durch spätere
Untersuchungen (Pelsenker No. 14) das daselbst gelegene, durch eine postorale
Quercommissur verbundene Ganglion beobachtet , wenngleich zum Theil in
anderer Weise gedeutet worden. Aehnliche Verhältnisse finden sich bei an-
deren Phyllopoden. So kann man an der nach Claus entworfenen Abbildung
eines Cladoceren- Gehirnes (Fig. 261) drei Abschnitte unterscheiden, von denen
nur die beiden vorderen präoral gelagert sind. Der vorderste Abschnitt (c1,
dem PAcxARD'schen Procerebrum entsprechend) giebt die Nerven zu den
Augen und zu den frontalen und anderen Sinnesorganen ab, der zweite Ab-
schnitt (c2) giebt die Nerven zu den ersten Antennen (na') ab, während
der hinterste, in den Verlauf der Schlundcommissur hinter dem Oesophagus
eingelagerte Abschnitt (c8) die Nerven der zweiten Antenne (na") entsendet.
Im Bereich der übrigen Crustaceen erleidet das Antennenganglion eine mehr
Crustaceen.
365
oder weniger weitgehende Verschiebung längs der Schlundcommissur nach
vorne und eine dementsprechende Verschmelzung mit dem Gehirn. Eine ge-
wisse Schwierigkeit ergiebt sich für die Auffassung dieser Lageveränderung
aus dem (ursprünglich hinter dem Schlünde hinziehenden) Verlaufe der Quer-
commissur zwischen diesem Ganglienpaare. Wir stehen hier vor der Alter-
native, entweder die Ausbildung einer secundären, präoralen Querverbindung
zu supponiren oder anzunehmen, dass die Querfasern nach vollzogener Wande-
rung des Ganglienpaares nach wie vor ihren Weg hinter dem Schlünde nehmen.
Thatsächlich hat Claus (No. 78) eine bei vielen Crustaceen (Apseudes,
Stomatopoden, Decapoden) sich fin-
dende, vor dem Mandibelganglion gelegene
Querbrücke zwischen denSchlundcommissuren
auf die das Antennenganglion verbindenden
Fasermassen mit einiger Wahrscheinlichkeit
beziehen zu können geglaubt. In anderen
Fällen ist diese Faserbrücke vielleicht mit
der Quercommissur des Mandibelganglions
verschmolzen.
Es würde sich nun die Frage erheben,
ob wir die vor dem Antennenganglion ge-
legenen Gehirntheile als einen ursprünglich
einheitlichen Complex aufzufassen berechtigt
sind , oder ob sich auch an diesem eine
Trennung in (zwei) aufeinanderfolgende Seg-
mente erkennen lässt. Wir müssen hier der
Theorie Ray Lankestee's (No. 15) ge-
denken, der an dem Crustaceen-Gehirn einen
vordersten, mit den optischen Ganglien in
Verbindung stehenden Abschnitt als A r c h i -
cerebrum unterscheidet, welches erst
durch Beiziehung der Ganglienpaare zweier
folgender Segmente (des Antennular- und
Antennensegmentes) zu einem S y n c e r e -
brum erweitert werde. Dieser Anschauung
hat sich Packard (No. 86) angeschlossen,
indem er an dem Gehirn von Asellus als
gesonderte Abschnitte unterscheidet: 1) die
optischen Ganglien , 2) das Procerebrum,
3) die Antennularganglien, 4) die Anten-
nenganglien. Wir würden in diesem Falle
nur in dem Procerebrum das Homologon des
aus der Scheitelplatte hervorgegangenen Annelidengehirnes zu erblicken haben,
während in den optischen Ganglien ein erst bei der später eingetretenen Ent-
wicklung des paarigen Seitenauges entwickelter secundärer Gehirntheil \) in
den Antennular- und Antennenganglien Ganglien des Bauchmarkes vorliegen
würden. Dieser Auffassung steht die Anschauung von Claus (No. 78) gegen-
über, nach welchem die Antennularganglien sammt dem Procerebrum einen
ursprünglich einheitlichen Complex, das primäre Gehirn, ausmachen würden.
Dieser von der Scheitelplatte der Annelidenlarve abzuleitende Theil enthält
die Ganglien der früher vorhandenen medianen Sinnesorgane (Naupliusauge,
Fig. 261. Ventrale Ansicht
des Gehirns von D a p h n i a si mili s
(nach Claus).
c1 vorderer, c- mittlerer, c3 hin-
terer Gehirnabschnitt, go Ganglion
opticum , n Nerv des Sinnesorgans
der Nackengegend , na' Nerv der
ersten Antenne, na" Nerv der zweiten
Antenne, n' zweiter Nerv der zweiten
Antenne, sc Schlundcommissur.
1) Eine Auffassung, welcher zuerst Hatschek (Beiträge zur Entwicklungsgeschichte
der Lepidopteren) Raum gegeben, und später Grobben für die Crustaceen vertreten hat.
366 XV. Capitel.
Frontalorgan) und der Vorderantennen, welche morphologisch auf die schon
an der Scheitelplatte auftretenden Fühler der Anneliden zurückzuführen seien.
Für diese letztere Auffassung würde die Angabe Reichenbach's sprechen,
nach welcher die Anlage des entsprechenden Gehirntheils ursprünglich als
einheitlicher Complex an der Basis der ersten Antenne zu finden sei und
erst später in zwei Ganglienpaare zerfalle. Eine gewisse Stütze erfährt die-
selbe auch aus der eigenartigen Gestaltung der ersten Antenne, welche als
Trägerin wichtiger Sinnesorgane eine auf den Grundtypus des eigentlichen
Crustaceenbeines nicht zurückführbare Ausbildung aufweist, worauf besonders
Claus und Boas hingewiesen haben. Allerdings könnte eine solche hetero-
morphe Gestaltung der Antennulae auch secundär erworben und in der an-
geführten physiologischen Bedeutung derselben, sowie in der Lagerung der-
selben am vorderen Körperende begründet sein. Für die Auffassung von
Ray Lankestee und Packaed sprechen vor Allem die von Kingsley (No. 55)
für Crangon angegebenen Befunde, welcher nicht bloss für das Procerebrum
eine vom Antennularganglion unabhängige Entstehung, sondern auch eine
deutliche postorale Lagerung der Antennulae und ihres Ganglienpaares be-
obachten konnte. Allerdings müssten wir bei einer solchen Anschauungsweise
mit Ray Lankestee eine Wanderung des Mundes nach hinten annehmen. Es
müssen erst neuere Beobachtungen über den Bau des Crustaceen-Gehirns, vor
Allem aber über die Entwicklung der ganzen in Frage kommenden Körper-
region abgewartet werden, bevor wir uns ein bestimmtes Urtheil bilden können.
Offenbar steht bei der Biscussion über die primäre Segmentirung des
vordersten Körperabschnittes der Crustaceen die Frage nach dem morpholo-
gischen Werthe der ersten Antenne im Vordergrunde. Wir sehen uns hier
vor die Alternative gestellt, entweder in derselben eine — wenn auch einiger-
massen abweichend gestaltete — echte Rumpfgliedmasse zu erblicken oder
— wie diess Boas will — ihr diese Bedeutung abzusprechen und sie nur
als gestieltes Sinnesorgan (ähnlich den Stielaugen) gelten zu lassen. Nur
unter letzterer Annahme werden wir sie als Homologon der primären Kopf-
tentakel der Anneliden betrachten dürfen. Uns scheint jedoch Vieles für die
Auffassung der ersten Antenne als Rumpfgliedmasse zu sprechen. Wir er-
innern an die Aehnlichkeit in der Lagerung und Entwicklung mit letzteren
im Embryo , an die Verwendung dieser Gliedmasse als Ruder im Nauplius-
stadium und bei zahlreichen Entomostraken, bei denen die ersten Antennen
zum Theil auch noch zu anderen Verrichtungen (zum Anklammern und An-
saugen etc.) beigezogen werden. Erst bei den höheren Krebsen tritt die aus-
schliessliche Verwendung dieser Gliedmasse als Sinnesorgan deutlich hervor.
Wenn wir auf Grund dieser Ueberlegungen geneigt sind, die erste Antenne der
Reihe der echten Rumpfgliedmassen einzuordnen, so tritt uns die Frage nahe,
ob wir nicht in einer anderen Bildung die Rudimente der bei den Anneliden so
verbreiteten primären Kopftentakel nachweisen können. Es liegt nahe, die sog.
frontalen Sinnesorgane (pag. 456, Fig. 300, fs) welche als paarige Zapfen
oder fadenförmige Ausläufer an den Jugendstadien vieler Crustaceen sich finden
und vom Procerebrum aus innervirt werden, nach dieser Richtung in Anspruch
zu nehmen. Dieser Gedanke gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch den Vergleich
mit Peripatus, an dessen Embryonen ganz ähnliche Zapfen beobachtet sind,
während die Antenne von Peripatus sich nach ihrer Entwicklung und nach
ihrem Verhältniss zu den Cölomsäcken wohl nur als Rumpfgliedmasse deuten
lässt. Wir würden, wenn wir dieser Anschauung, der wir selbst natürlich nur
hypothetischen Werth zuschreiben, huldigten, dazu geführt, an dem vordersten,
das Gehirn enthaltenden Kopfabschnitt der Crustaceen (ähnlich wie Ray
Lankestee) drei Abschnitte zu unterscheiden: einen eigentlichen primären,
Crustaceen. 367
ursprünglich allein präoralen Kopfabschnitt mit dem Procerebrum, den Augen
und den frontalen Sinnesorganen und zwei dahinter folgende, dem Kopf bei-
gezogene Rumpfsegmente (das Antennularsegment und das Antennensegment),
für welche wir eine ursprünglich postorale Lagerung in Anspruch nehmen
müssten. Doch müssen wir nochmals darauf hinweisen, dass wir mit einer
solchen Anschauung durchaus auf hypothetischem Boden stehen.
D. Sinnesorgane.
Ueber das Detail der Entwicklung des unpaaren, dreitheiligen
Nauplius- oder E n t o m o s t r a k e n au g e s x) ist bisher nichts bekannt
geworden. Erwähnt seien die Beobachtungen von Leydig und Grobben,
wonach dasselbe bei den Cladoceren aus einer paarigen Anlage hervorgeht.
Nach Ukbanovicz (No. 23) bildet sich das Auge bei Cyclops aus „drei
Ectodermzellen, deren jede Pigment ausscheidet und zur lichtbrechenden
Kugel wird."
Die Entwicklung des paarigen, zusammengesetzten Auges ist
hauptsächlich bei Decapoden studirt (Bobretzky No. 41, Reichenbach
No. 65, Kingsley No. 52, Herrick No. 48, 49, und Parker No. 62),
ausserdem aber auch für Mysis (Nusbaum No. 39), Parapodopsis
(Buczynsky No. 37a) und Branchipus (Claus No. 8 und 9) bekannt
geworden. Die Besprechung der Entwicklung des zusammengesetzten
Auges lässt sich von der des Ganglion opticum nicht trennen.
Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse bei Branchipus.
Die Anlage des zusammengesetzten Auges sowohl, als auch die des
Augenganglions ist auf eine seitliche, wulstförmige Hypodermiswucherung
zurückzuführen, welche in ihren oberflächlichen Parthien zum Auge sich
umgestaltet, während sie in der Tiefe das Material für das mit dem
Gehirn in Zusammenhang stehende Augenganglion enthält. Die mehr-
schichtige Zellenlage, welche die Anlage des Auges darstellt und als
eine einfache Verdickung der Hypodermis betrachtet werden muss, lässt
bald eine Anordnung der Elemente in eine oberflächliche Schicht (von
welcher die corneale Cuticula und die Krystallkegel geliefert werden)
und in eine tiefere pigmentirte Schicht zur Ausbildung der Retinulae
erkennen, wrelch letztere durch Faserzüge mit der Anlage des Augen-
ganglions zusammenhängen. Während in den lateralen Parthien der
ganzen Anlage frühzeitig die histologische Differenzirnng des Augen-
ganglions und der das Auge zusammensetzenden Ommatidien sich geltend
macht, erhält sich in dem vorderen, mehr medialen Theile bis in späte
Stadien eine proliferirende Hypodermisparthie von embryonalem Charakter
(Fig. 262), welche immer neue Elemente zur Vergrösserung der ganzen
Anlage liefert. Streng genommen, kann man an dieser Stelle zwei ge-
sonderte, aber mit einander in Contact stehende Knospungszonen (Je', Je")
unterscheiden, von denen die eine (Je") durch Production neuer Omma-
tidien das Auge selbst vergrössert, während die andere mehr proximal
gelegene (h') dem Augenganglion entsprechende Elemente zuführt.
Während dieser Entwicklungsprocesse sind die beweglichen Augenstiele
durch einfaches Auswachsen der seitlichen Kopfparthien hervorgegangen.
J) Nach neueren Mittbeilungen von Claus (Acad. Anz. Wien 1891) ist das
Naupliusauge aus drei inversen Becheraugen zusammengesetzt, an denen die Nerven
von der dem Pigmentbecher abgewendeten Seite in die Ptetinazellen eintreten, während
die Stäbchen der letzteren gegen den Pigmentbecber gerichtet sind. Es ergiebt sich
hieraus eine gewisse Cebereinstimmung mit den Medianaugen der Arachnoiden.
368
XV. Capitel.
Ganz ähnliche Verhältnisse, wie bei Branchipus, finden wir in der
Entwicklung des Auges bei den S c h i z o p o d e n und D e c a p o d e n.
Auch hier geht das zusammengesetzte Auge aus einer Verdickung der
Hypodermis hervor, welche von Anfang an in inniger Verbindung mit
der Anlage des Ganglion opticum steht. Wir können an den Augenlappen
schon in frühen Stadien den äusseren und vorderen Theil als Anlage des
Auges (pag. 357 , Fig. 257, A und pag. 362, Fig. 260, o), den inneren,
hinteren als Anlage des Ganglion opticum (Fig. 257 go und Fig. 260 o' d )
unterscheiden. Letzteres steht demnach vom ersten Anfange an in
innigem Contact mit der Anlage des Auges sowohl, als proximalwärts
mit der des Oberschlundganglions.
Die Augenanlage ist also nur ein Theil des Ectoderms (vgl. Fig. 263^4),
welcher mehrschichtig wird und aus seinen oberflächlichen Schichten die
corneagenen und Krystallkegelzellen erzeugt, während von den tieferen
Schichten die Bildung der Retinulae und der Pigmentzellen ausgeht,
Eine an der inneren Fläche
dieser mehrschichtigen Hy-
podermisparthie zur Aus-
scheidung kommende Basal-
membran (Fig. 263 mb) lie-
fert die das Auge gegen
das optische Ganglion ab-
grenzende Membrana limi-
tans. Dieser Membran wer-
den von Innen Mesoderm-
elemente angelagert , in
denen bei Mysis das Pig-
ment der 3. innersten Pig-
mentschicht deponirt wird.
Bei Mysis erfolgt nach Nus-
baum (No. 39) die Entwick-
lung des Auges in jener Zeit,
in welcher das Stielauge sich
von seiner Unterlage abzu-
heben beginnt, und zwar tritt die erste Differenzirung der Ommatidien
gerade in jener dorsalwärts eingekrümmten Lamelle zu Tage, durch deren
Einfaltung sich das Auge vom Nahrungsdotter abtrennt. In dieser
Lamelle kann man frühzeitig eine sehr regelmässige Anordnung der
Zellen sowohl in horizontalen Schichten, als in vertikalen Pfeilern
gewahren. Die horizontale Schichtung trennt die corneagenen von den
Krystallkegelzellen u. s. w. Durch die vertikale Anordnung werden
zweierlei alternirend gestellte Zellpfeiler gebildet, welche wir als
0 m m a t e a 1 p f e i 1 e r und Zwischenp feiler unterscheiden wollen. In
jedem Ommatealpfeiler liegen als oberflächlichste Querschicht zwei
corneagene Zellen (nach Claus No. 78), welche zur Ausscheidung der
cuticularen Cornealinse bestimmt sind; darunter folgt die Krystallkegel-
schicht, ebenfalls aus zwei Zellen bestehend. Dieser Zahl entsprechend,
konnte schon Grenacher die erste Entstehung der Krystallkegel aus
zwei getrennten Segmenten nachweisen, deren Grenzen auch am aus-
gebildeten Krystallkegel zu erkennen sind. Die in den tieferen Schichten
gelegenen Zellen der Ommatealpfeiler gelten wohl die Elemente der
Pietinulae, während Nusbaum geneigt ist, dieselben von den Zwischen-
pfeilern herzuleiten. Aus letzteren lässt Claus die vorderen und
Figf. 262. Linkes Auge eines jungen Bran-
chipus von der Ventralseite gesehen (nacli Claus).
go Ganglion opticum, k' Knospungszone für
das Ganglion opticum , k" Knospungszone für das
Facettenauge, m Augenmuskel.
Crustaceen.
369
hinteren Pigmentzellen, welche die Krystallkegel von Mysis umgeben,
hervorgehen. Die Untersuchung dieser Verhältnisse wird durch die
frühzeitige Ablagerung von Pigment erschwert, welches sich innerhalb
der Augenanlage in zwei Schichten und in einer dritten mesodermalen
unterhalb derselben bemerkbar macht.
In ähnlicher Weise, wie wir hier die Entstehung des Auges von Mysis
dargestellt haben, schildern dieselbe Herrick: (No. 48 für Alpheus) und
Parker (No. 62 für Homarus). Die Augenlappen entwickeln sich hier
durch Proliferation der Ectodermzellen zu einer mehrschichtigen Anlage
(Fig. 263 A). (Herrick lässt zur Bildung derselben auch indifferente Ele-
mente aus dem Dotter beitreten.) Im Bereich der letzteren tritt sodann eine
A
Fig. 263. Drei Entwicklungsstadien an Schnitten durch das Facettenauge des
amerikanischen Hummers (Homarus americanus) (nach Parker).
A Querschnitt durch den Augenlappen eines jungen Stadiums, B älteres Stadium
mit beginnender Sonderung der Augenanlage {r) und des Ganglion opticum (go) durch
das Auftreten einer Basalmembran (mb), C noch älteres Stadium im Querschnitt.
c Gehirnanlage, go Ganglion opticum, mb Basalmembran, r Augenanlage (Petinogen).
Scheidung in eine oberflächliche und eine tiefer gelegene Parthie ein (Fig. 263
B und C). Die erstere (Retinogen) wird zur Augenanlage (r), während
aus der Zellmasse der tieferen Schichte (Gangliogen) die Anlage des
Ganglion opticum (go) hervorgeht. Beide werden in späteren Stadien durch
das Auftreten einer cuticularen Basalmembran (mb) von einander getrennt,
während die Nervenfaserstränge diese Membran durchbrechen. In dem eigent-
lichen, als Retinogen bezeichneten Augenkeim kommen nach Herrick die An-
lagen der einzelnen Ommatidien zur Entwicklung, indem in der oberfläch-
lichsten Schicht je zwei corneagene Zellen zu einer Gruppe zusammentreten,
in der darunter gelegenen Schicht je vier Krystallkegelzellen , während in
der untersten Schicht je sieben Retinulazellen zu einem Bündel sich vereinigen,
welches das unterste, ausgezogene Ende der Krystallkegelzellen erreicht und
umschliesst. Die einzelnen Ommatidien -Anlagen sind von einander durch
zahlreiche unveränderte Ectodermzellen getrennt.
370 XV. Capitel.
In dem letzteren Punkte weicht die Schilderung Parker's von der
Heeeick's ab. Bei Homarus sollen die einzelnen Ommatidien -Anlagen ein-
ander dicht anliegen und durch keinerlei Zwischenpfeiler getrennt sein. Man
kann drei Schichten unterscheiden : aus der äussersten entstehen die corneage-
nen Hypodermiszellen und die vorderen Pigmentzellen (distal Retinulae), aus
der mittleren die Krystallkegelzellen , während die unterste die eigentlichen
Retinulae liefert.
In ähnlicher Weise entwickelt sich auch das paarige Seitenauge der Iso-
poden. Nach den Angaben, welche Bullae (No. 81) für Cymothoa ge-
macht hat, steht die Augenanlage ursprünglich in inniger Verbindung mit der
Anlage des Ganglion opticum. Beide gehen aus ein und derselben Ectoderm-
verdickung hervor. Während die inneren Schichten der letzteren sich zur
Bildung des mit dem übrigen Gehirn in Zusammenhang stehenden, optischen
Ganglions absondern, wird eine oberflächliche Hypodermisverdickung durch
Ausbildung einer pigmentirten , basalen Membran abgegrenzt. Diese Hypo-
dermisverdickung stellt die Anlage des Facettenauges dar, in welchem die
einzelnen Ommatidien durch einen starken Pigmentzellmantel von einander
abgegrenzt erscheinen. Die Details der Ommatidienentwicklung wurden hier
nicht verfolgt.
Während nach den bisher angeführten Beobachtungen die Entwicklung
des Auges sich verhältnissmässig einfach gestaltete, weist dieselbe bei
Astacus (nach Reichenbach No. 65) und bei Crangon (nach
Kingsley No. 52) eine Complication auf durch die Theilnahme einer
Einstülpung, wrelche an der Grenze zwischen Augenanlage und Ganglien-
anlage sich einsenkt. Aus dieser Einsenkung, welche nach Reichenbach
in einem gewissen Zeitpunkt der Entwicklung durch eine mehr solide
Einwucherung ersetzt ist, geht die zwischen Augenanlage und Gangliogen
gelegene Augenfalte hervor, an welcher man ein inneres und ein
äusseres Blatt unterscheiden kann. Obgleich Reichenbach die späteren
Schicksale der Augenfalte nicht genau verfolgt hat, ist es ihm doch
wahrscheinlich geworden, dass das äussere Blatt der Augenfalte in die
Bildung des Auges eingeht und die Retinulaschicht liefert, während das
innere Blatt in die Bildung des Ganglion opticums eingehen soll. Es
wurde vor Allem von Carriere (No. 44) darauf hingewiesen, dass bei
einem solchen Modus der Entwicklung der Retinulaschicht die Zellen der-
selben ursprünglich eine verkehrte Orientirung aufweisen, indem ihr basales
Ende gegen die Krystallkegelzellen, ihr oberes Ende aber gegen die
Ganglienanlage gerichtet ist, dass wir demnach eine spätere Umordnung
im Bereich der Retinulae annehmen müssten, wie eine solche für Spinnen
bekannt geworden, aber bei Crustaceen bisher nicht beobachtet ist. Uns
will die Vermuthung Pattens wahrscheinlich dünken, wonach die
Augenfalte mit der Bildung des Auges überhaupt Nichts zu thun hat,
sondern lediglich Material zur Vergrösserung des optischen Ganglions
liefert. Sie würde demnach der proximalen Knospungsstelle (für Ver-
grösserung des Ganglions Fig. 262 k') im Augenstiel von Branchipus ent-
sprechen. Letzterer Auffassung hat sich neuerdings auch Kingsley (No. 55)
angeschlossen, welcher ursprünglich aus der äusseren Wand der Augen-
einstülpung die Krystallkegelschicht und Retinulaschicht hervorgehen liess.
Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht vor Allem, wie Caeeieee
hervorhob, das Lagerungsverhältniss einer pigmentirten Mesodermzellschicht.
welche sich nach Reichenbach zwischen der Aussenwand der Augenfalte und
Crustaceen. 37 \
seiner Krystallkegelschicbt entwickelt, jedoch offenbar mit der oben für Mysis
(pag. 368) erwähnten, unter der Basalmembran des Auges gelegenen (3.)
Pigmentzellschicht identisch ist.
Hinsichtlich der Deutung der einzelnen Theile des Ommatidiums, bezüg-
lich deren sich in neuerer Zeit die Anschauungen Gkenacher's und Patten's
gegenüberstehen, ist die Beobachtung Pabker's hervorzuheben, welcher den
Zusammenhang der Retinulazellen mit feinen Nervenfasern beobachtete, während
die Krystallkegelzellen allerdings bis zur Basalmembran reichen, an letzterer
jedoch endigen. Dies würde mit der Anschauung Gkanacher's, welcher in
den Retinulazellen die pereipirenden Elemente erblickte, übereinstimmen,
während Pattex die als Retinophoren bezeichneten Krystallkegelzellen
als die mit Nerven in Zusammenhang stehenden Elemente betrachtete.
An der Entwicklung des zusammengesetzten Auges der Cladoceren,
welche durch Grobben (No. 11) genau ermittelt wurde, ist von besonderem
Interesse die Bildung einer Hautfalte, durch welche das Auge überwachsen
wird und welche einen halbkugelförmigen, präcornealen Raum abschliesst.
Letzterer vermittelt wie eine Gelenkshöhle die Bewegungen des in die Tiefe
versenkten Auges. Aehnliche Verhältnisse finden wir bei Apus, Estheria,
Limnadia und Limnetis. Wir können die zusammengesetzten Augen dieser
Formen, sowie wahrscheinlich das der Ostrakoden als ein in die Tiefe versenk-
tes, bewegliches Stielauge mit rückgebildetem Stiel betrachten. Wo sich, wie
bei den Cladoceren, ein unpaares zusammengesetztes Auge findet, muss dies
als durch Verschmelzung aus einer paarigen Anlage entstanden gedacht werden.
In Bezug auf die Entwicklung des G e h ör 0 r g a n s ist die Beobachtung
Reichenbach's (No. 65) zu erwähnen, dass dasselbe bei Astacus als
dorsal gelegene Einstülpung im Basalglied der Antennula angelegt wird.
Schon in frühen Stadien zeichnet sich das ectodermale Sinnesepithel,
welches wahrscheinlich die Hörleisten liefert, durch mehrschichtige und
regelmässige Anordnung der Zellen aus. In ähnlicher Weise konnte
Nusbaum (No. 39) die Entstehung des im Endopoditen des letzten
Pleopodenpaares gelegenen Gehörsäckchens von Mysis aus einer
Ectodermeinstülpung beobachten.
E. Kiemen.
Die Kiemen sind in ihrer ersten Anlage auf einfache Aussackungen
des oberflächlichen Körperepithels (Ectoderms) zurückzuführen, in deren
Innerem mit Bindegewebe durchzogene, lacunäre Bluträume zur Ent-
wicklung kommen (Reichenbach No. 65). Wir werden mit einiger
Wahrscheinlichkeit die Kiemensäckchen oder -schlauche, insoferne sie der
Aussenseite des Basalgliedes der Extremitäten angehören, und somit als
Epipodialkiemen zu bezeichnen sind (vgl. unten pag. 388), in der
ganzen Reihe der Crustaceen für homologe Bildungen erklären und
dieselben vielleicht auf Kiemenschläuche der Anneliden zurückführen
dürfen. Dagegen muss hervorgehoben werden, dass auch an anderen
Stellen Kiemenausstülpungen zur Entwicklung kommen, z. B. an dem
Exopoditen der Pleopoden (Squilla) oder an dem Endopoditen
derselben (Siriella), als Rückenanhänge bei gewissen Ostracoden
(Asterope), als Mantelfalten bei den Balaniden etc. Diese werden
wir natürlich den Epipodialkiemen nicht homolog setzen dürfen. Die bei
den Phyllopoden in einfacher Reihe vorhandenen epipodialen Kiemen-
372 xv- Capitel.
säckchen erscheinen bei den Decapoden durch drei Reihen verastelter
Schläuche ersetzt, welche nach ihrem genauem Ansatzpunkte im An-
schlüsse an Huxley als Podobranchien, Arthrobranchien und
Pleurobranchien unterschieden werden. Bei den Euphausiden
und Lophogastrid en finden wir statt deren nur eine einfache Reihe
baumförmig verastelter Kiemenschläuche, so dass schon Claus die Frage
erhebt, ob nicht die drei Kiemen der Decapoden auf die auseinander-
gerückten Hauptäste der Schizopodenkiemen zu beziehen seien.
F. Darmcanal.
Die Bildung des Darmcanals geht, wie in den meisten Thiergruppen,
von drei gesonderten Anlagen aus, von denen der Vorderdarm und
Enddarm als Ectodermeinstülpungen entstehen, während der Mitteldarm
aus dem Zellmaterial des Entoderms aufgebaut wird. Während die
beiden ersteren durch verhältnissmässig einfache Umwandlungen sich der
definitiven Form nähern, geht die Ausbildung des Mitteldarms entsprechend
den durch die Anwesenheit des Nahrungsdotters bedingten Störungen
unter viel eingreifenderen, in den einzelnen Ordnungen verschiedenen
Entwicklungsprozessen vor sich.
Hinsichtlich der relativen Zeit des Auftretens der Vorder- und End-
darmeinstülpung liegen in den einzelnen Untergruppen der Crustaceen ver-
schiedene Verhältnisse vor. Bei den Entomostraken scheint in der Regel die
Ausbildung der Vorderdarmanlage der des Enddarms vorauszueilen. Dasselbe
ist bei Asellus, Gammarus und bei Mysis der Fall, während bei Oniscus die
Entwicklung des Enddarms früher eintritt, Bei den Decapoden wird meist
die Enddarmeinstülpung früher angelegt, was mit der frühzeitigen Entwicklung
des Abdomens in Zusammenhang steht.
Von Wichtigkeit ist das Lagerungsverhältniss dieser Einstülpungen zu
dem verschlossenen Blastoporus. Während nach Grobbex1s Ansicht bei Moina
die Stelle des verschlossenen Blastopors der späteren Mundöffnung entspricht,
liegt dieselbe bei den Decapoden allgemein in der nächsten Nähe der späte-
ren Afteröffnung. Nach Reichenbach liegt sie bei Astacus etwas hinter dem
Ort der sich bildenden Afteröffnung; damit stimmt die Angabe von Ischi-
kawa für Atyephyra überein. Das entgegengesetzte Verhältniss giebt Lebe-
dinsky für Eriphia an. Hier soll sich die Enddarmeinstülpung hinter dem
Blastoporus entwickeln. Dagegen glaubt Kingsley, dass bei Grangon die
Enddarmeinstülpung genau der Stelle des verschlossenen Blastoporus ent-
spreche, was schon Bobretzky für Astacus behauptet hat und womit auch
die Angaben P. Mayer's für Eupagurus stimmen würden. Für die freilebenden
Copepoden fand Hoek, dass die Stelle des verschlossenen Blastoporus mit
Lage der späteren Afteröffnung übereinstimmt. Dasselbe beobachtete Nas-
sonow für Baianus, so dass man im Allgemeinen für den Blastoporus der
Crustaceen die Lage in der Nähe der späteren Afteröffnung annehmen kann
(vgl. oben pag. 343).
Je nach der Entwicklungsstufe , auf welcher die Larve das Ei verlässt,
ist die Zeit der Vereinigung der drei Anlagen zu einem einheitlichen Canale
eine verschiedene. Bei den freilebenden Copepoden (Cetochilus) geht die
Vollendung des Darmcanals in frühen Stadien vor sich, während bei den
Decapoden meist erst in später Zeit eine Communication zwischen Vorder-
und Enddarm mit dem Mitteldarmsäckchen sich herausstellt. Hier scheint
der Enddarm früher als der Vorderdarm das definitive Verhältniss aufzuweisen.
Crustaceen. 373
Ueber die Art und Weise, auf welche sich der Mitteldarm bei den
Entomostraken ausbildet, ist bisher wenig Genaues bekannt geworden.
Bei Moina bilden die Entodermzellen zunächst einen soliden Zellstrang,
der am Querschnitt kein centrales Lumen, aber eine radiäre Anordnung
der Zellen erkennen lässt (Grobben). Dagegen scheint bei Cetochilus
das aus der Einstülpung hervorgehende Entodermsäckchen direct in den
Mitteldarm sich umzuwandeln. Bei vielen anderen Entomostraken ist
wohl die Mitteldarmanlage als eine centrale Masse mit Nahrungsdotter
erfüllter Zellen zu erkennen, z. B. bei Baianus (Lang, Nassonow). In
späteren Stadien nähern sich die Kerne der Entodermzellen mit dem sie
umgebenden Protoplasma der Oberfläche, und, während der Nahrungsdotter
allmählich aufgezehrt wird , entsteht im Inneren die Höhlung des
Mitteldarms (also ähnlich wie bei Palaemon pag. 334). Aehnlich scheint
nach den Andeutungen van Beneden's (No. 17) die Ausbildung des
Mitteldarms bei den parasitischen Copepoden vor sich zu gehen. Das
so entstandene, mit Nahrungsdotter erfüllte Mitteldarmsäckchen steht mit
seinem vorderen Ende mit der Vorderdarmeinstülpung, an seinem hinteren
Ende mit der Enddarmeinstülpung in Zusammenhang.
Am genauesten ist die Entwicklung des Mitteldarms für die
Decapoden bekannt geworden. Bei Astacus, wo die Zellen des
Entodermsäckchens den gesammten Nahrungsdotter in sich aufnehmen,
ohne dass dadurch die Conformation des Säckchens gestört wird, entsteht
das Mitteldarmepithel , indem die Kerne der dotterhaltigen Entoderm-
pyramiden an die Oberfläche rücken, wo schliesslich eine Trennung der
Entodermzelle von dem zugehörigen Dotterantheil sich vollzieht; indem
die Entodermzellen sich vermehren, ordnen sie sich zu einem Epithel
an, welches nun an der Oberfläche des dem Zerfall entgegengehenden
Nahrungsdotters gelegen ist (vgl. oben pag. 333). Gleichzeitig erhält
durch Einschnürungen von aussen die ganze Mitteldarmanlage eine
gelappte Gestalt. Es bilden sich paarige vordere Lappen, welche mit
der centralen unpaaren Mitteldarmanlage zusammenhängen, an deren
dorsaler, hinterer Parthie noch eine Vorwölbung, die Anlage des dorsalen
Mitteldarmblindsackes des Flusskrebses, zu erkennen ist. Jene oben
beschriebene Ausbildung des Mitteldarmepithels macht sich zuerst an
jener Stelle geltend, wo das Entodermsäckchen und die Enddarmanlage
sich berühren. Hier erkennen wir schon bald eine entodermale Epithel-
platte (Fig. 240 B, ep). Aehnliches beobachtet man an jenen Stellen,
von denen die Bildung der Leberschläuche ausgeht. Entsprechend den
vorderen, seitlichen und hinteren Leberlappen des ausgebildeten Thieres
finden wir an den vorderen, seitlichen und hinteren Parthien des
Mitteldarmsäckchens gesonderte Centren der Epithelbildung, in deren
Bereich sich das Epithel bald zur Bildung eines primären Leberblind-
sackes emporhebt. Letztere zerfallen später durch Einschnürung in die
zahlreichen secundären Leberschläuche. Die Anlage des hintersten
Paares scheint von Anfang an mit der oben geschilderten Entodermplatte
in Zusammenhang zu stehen. Indem später auch im Bereich der übrigen
Theile des Entodermsäckchens die Epithelbildung fortschreitet, entsteht
der centrale Theil des Darmcanals, welcher die Ausführungsgänge der
Mitteldarmdrüse (Leber) in sich aufnimmt und der im ausgebildeten
Thiere nur eine geringe Ausdehnung aufweist. Durch Anlagerung von
mesodermalen Elementen kommt die Muskulatur dieses Theils des
Darmcanals zu Stande.
Korschel t-Heider, Lehrbuch. 25
374 xv- Capitel.
Die Vorderdarmeinstülpung weist bald eine Trennung in einen
engeren Oesophagealtheil und einen weiteren Theil, Anlage des sog.
Magens, auf. An letzterer erkennt man die Anlagen der Zahnplatten
als Epithelverdickungen und die der Gastrolithensäckchen als zwei nach
der Ventralseite abgehende Divertikel. Der junge Flusskrebs schlüpft
mit zwei vollständig ausgebildeten Gastrolithen aus dem Eie (Reichenbach).
Erst in späten Stadien tritt die Vorderdarm- und Enddarmeinstülpung
mit dem Mitteldarm in Communication.
In ganz ähnlicher Weise erfolgt die Ausbildung des Mitteldarms bei
jenen Decapoden, bei denen das Entodermsäckchen nicht in continuo erhalten
bleibt, sondern in einzelne Elemente zerfällt, welche im Nahrungsdotter sich
zerstreuen (Palaemon, Eupagurus, Eriphia, Atyephyra, .Crangon etc.). Bei
diesen treten ebenfalls die Entodermelemente zum Schluss an die Oberfläche
und liefern in der oben geschilderten Weise das Mitteldarmepithel. Auch
hier wurde das erste Auftreten dieses Epithels entsprechend dem blinden,
inneren Ende der Enddarmeinstülpung beobachtet (Fig. 241 C, ep). Es
scheinen aber noch drei Paare ursprünglich gesonderter Leberanlagen hinzu-
zukommen (Crangon, Kingsley).
Von dem für die Decapoden geschilderten Typus der Mitteldarm-
entwicklung unterscheiden sich die Arthrostraken, insoferne hier die
Bildung des Mitteldarmepithels nicht von Elementen ausgeht, welche im
Dotter zerstreut sind, sondern von einer paarigen, lateralen Zellan-
häufung, welche dem Nahrungsdotter oberflächlich aufliegt und denselben
allmählich umwächst (vgl. oben pag. 340 u. ff.), während im Inneren des
Dotters nur in einzelnen Fällen Dotterzellen (Vitellophagen) erkannt
wurden (Oniscus nach Nusbaum), in anderen dagegen (Porcellio, Amphi-
poden) zellige Elemente daselbst vollständig fehlen. Indem die paarige
Ento denn anläge von beiden Seiten den Nahrungsdotter umwächst, wird
das Mitteldarmsäckchen abgeschlossen , zu dessen Seiten sich durch
Einschnürung die sehr umfangreichen primären Lebersäcke ausbilden.
Aus letzteren gehen durch Längseinschnürung später 4 resp. 6 Leber-
schläuche hervor. In einzelnen Fällen (Oniscus, Caprella, Sunamphithoe)
geht die Ausbildung der Leberschläuche der Entwicklung des Mittel-
darmsäckchens voraus. In den meisten Fällen liefert das Entoderm aus
dem überwiegenden Theil seines Materials die Leberanlagen; nur ein
kleiner Theil geht in die Bildung des centralen Theils des Darmcanals
ein. Letzterer wird fast ausschliesslich vom Vorderdarm und Enddarm
gebildet, während nur ein kurzes Stück in nächster Nähe der Einmündungs-
stelle der Lebergänge entodermalen Ursprungs ist. Als Divertikel des
hintersten Abschnittes des Mitteldarms entstehen bei Gammarus nach
Pereyaslawzewa jene paarigen Schläuche (H a r n d r ü s e n) , deren
entodermale Natur nach dem anatomischen Befunde schon von Nebeski
erkannt worden war. Eine Homologisirung dieser Drüsenschläuche mit
den Malpighi'schen Gefässen der Insecten ist aus diesem Grunde nicht
durchführbar, da letztere dem Enddarm und somit dem Bereich des
Ectoderms zugehören.
Die von Bullae (No. 81) für die Entwicklung des Mitteldarms von
Cymothoa gemachten Angaben stehen mit denen Nusbaum's für Oniscus
in ziemlich genauer Uebereinstimmung. Hier finden sich keine sog. Dotter-
zellen im Inneren der sehr beträchtlichen Nahrungsdottermasse ; die Bildung
Crustaceen. 375
des Mitteldarms geht von der inneren Zellschicht des Keimstreifs aus. Die
erste Spur einer gesonderten Entodermanlage findet sich in einer etwas hinter
der Vorderdarmeinstülpung gelegenen paarigen Zellanhäufung, von welcher
die Ausbildung von drei Paaren Leberschläuchen ausgeht. In einem späte-
ren Stadium überwächst eine mit dem Epithel der Leberschläuche in Zu-
sammenhang stehende Zellschichte den ganzen Nahrungsdotter. Die Mittel-
darmanlage besteht nun aus diesem so entstandenen Dottersack und den mit
demselben communicirenden Leberschläuchen. Das vordere Ende des Dotter-
sacks steht mit der Vorderdarmeinstülpung in Zusammenhang. Die Enddarm-
einstülpung dagegen setzt sich nicht an das hintere Ende des Dottersackes
an , sondern schiebt sich über die Dorsalseite des letzteren nach vorne , um
sich ganz in der Nähe der Vorderdarmeinstülpung zu inseriren. Da der nun
als ventrales Divertikel anhängende Dottersack einer Resorption anheimfällt,
so ergiebt sich, dass auch hier nur ein ganz kleiner Theil des definitiven
Darmcanals in der Umgebung der Lebereinmündungsstelle dem Mitteldarm
angehört. Vgl. hier auch das oben pag. 340 für Ligia Gesagte.
An die obige Darstellung der Mitteldarmbildung bei Arthrostraken,
welche wir den Schilderungen Bullae' s, Nüsbaum's, Pekeyaslawzewa's und
Rossijskaya's entnehmen, schliessen sich nach Nusbaum die Verhältnisse
von Mysis an (vgl. Fig. 242 und 243, pag. 337). Hier liegt das Ento-
derm ursprünglich als eine Zellanhäufung im hintersten Abschnitte des Keim-
streifs (vgl. pag. 336). Bald vermehren sich die Entodermzellen und breiten
sich auf der ganzen ventralen Fläche des Embryos aus. Später gelangen sie
auch auf die lateralen und dorsal gelegenen Parthien , und auf diese Weise
wird der Nahrungsdotter von einer Entodermzellschicht umwachsen. Während
sich diese Umwachsung in den hinteren Parthien des Embryos vorbereitet,
bildet das Entoderm im vorderen Theile (hinter dem Mandibelsegmente) zwei
laterale, aus grossen succulenten Zellen gebildete Rinnen (Fig. 243, Z), die
Anlagen der Leberschläuche, welche später durch entodermales Epithel an
der Ventralseite mit einander in Verbindung treten. Hier erheben sich zwei
Längsfalten, welche mit den sich einkrümmenden oberen Rändern der Rinnen
verwachsen , wodurch die Trennung der Leberschläuche von dem mittleren
Theil des Darmcanals erfolgt. Gleichzeitig zerfallen die Leberschläuche durch
eine Längseinfaltung in vier secundäre Leberschläuche in gleicher Weise, wie
diess bei den Arthrostraken beobachtet wurde. Es scheint, dass bei Mysis
bei Ausbildung des Mitteldarmsäckchens nicht der gesammte Nahrungsdotter
ins Innere desselben aufgenommen wird, sondern dass im Kopfantheil eine
Parthie desselben ausserhalb des Darms, also in der Leibeshöhle zu liegen
kommt. Aehnlich ist die Lagerung des Nahrungsdotters bei Moina.
G. Herz.
Hinsichtlich der Entwicklung des Herzens müssen wir von Beobach-
tungen, welche Claus (No. 8 und 9) für Branchipus mitgetheilt hat,
ausgehen. Hier bildet die somatische Mesodermschicht ein in einzelne
Segmente getheiltes, ursprünglich der ventralen Fläche angehöriges Zell-
stratum, welches allmählich an den seitlichen Parthien der Haut empor-
wächst. Die äusserste Kante dieser emporwachsenden Mesodermsegmente
wird durch eine einfache Reihe (Fig. 264 c und 265 A, c) succulenter
Zellen (Cardiobl asten Nusbaum) gebildet, welche im späteren
Verlauf Halbmondform (Fig. 265 B, c) annehmen , so dass nun jeder-
seits eine Halbrinne gebildet ist. Diese Halbrinnen lassen, indem sie in
der dorsalen Mittellinie aufeinander treffen und verwachsen, das Rücken-
25*
376
XV. Capitel.
rohr (Fig. 265 C, c) hervorgehen. Letzteres zeigt sich demnach von
seinem ersten Anfange an in einzelne segmentale Abschnitte (Kammern)
gegliedert, deren Grenzen durch die seitlichen Ostien markirt sind. Aus
dieser Entstehungsweise des Herzens scheint deutlich hervorzugehen, dass
wir sein Lumen als einen Rest der primären Furchungshöhle zu betrachten
haben (Bütschli, Schimkewitsch).
An den Grenzen der einzelnen segmentalen
Abschnitte kommen die Ostien zur Entwicklung.
Die Cardioblasten wandeln sich in die Muskelzellen
der Herzwand um. Letztere stehen während ihrer
Entwicklung mit ihrem unteren Ende in einer ge-
wissen Verbindung mit dem Dorsaltheil der Muskel-
schicht der Darmwand. Von hier aus spannt sich
ein queres Septum gegen die Körperwancl aus,
das pericardiale Diaphragma (Fig. 265
C, s), welches einen oberen Theil der Leibeshöhle,
in dem das Herz gelegen ist, von der übrigen
Leibeshöhle abgrenzt und allen Crustaceen zu-
kommt.
In ganz gleicher Weise durch Verwachsung
zweier Halbrinnen, die aus einer einzigen Zellreihe
jederseits entstanden sind, entwickelt sich das Herz
von Oniscus (Nusbaum). Auch die Herzbildung
der Amphipoden (Pereyaslawzewa, Rossijskaya)
ist auf diese Verhältnisse zurückzuführen. Während
bei Oniscus das Herz in den hinteren Körper-
parthien zuerst angelegt wird , und die Herz-
bildung allmählich nach vorne fortschreitet, legt
sich das Herz der Amphipoden zunächst in der
mittleren Körperregion an. Gleichzeitig entsteht
vor dem Dorsalorgan auf dieselbe Weise ein Gefässstamm. Beide Anlagen
verwachsen erst nach Rückbildung des Dorsalorgans mit einander, sodass
letzteres für die Ausbildung des einheitlichen Rückenrohres ein Hemmniss
darstellt. Bei den Amphipoden geht die Verwachsung der beiden Halbrinnen
in der Weise vor sich, dass die ventrale Verwachsung früher eintritt als die
dorsale. Diess führt uns zu den Verhältnissen der Decapoden über.
Bei Astacus ist die erste Anlage des Herzens als eine Ansammlung
von Mesodermzellen im hintersten Theile der Embryonalscheibe zu erkennen
(vgl. pag. 333 Fig. 240 B, h) , also hinter jener Stelle, von welcher der
ventralwärts umgeschlagene Thoracoabdominaltheil entspringt. An Schnitten
erkennt man, dass sich diese Mesodermzellen zur Bildung einer queren Platte
vereinigen, welche sich jederseits an das Ectoderm anlegt. Der zwischen
Ectoderm und Cardioblastenplatte befindliche Hohlraum ist der Innenraum
des späteren Herzens. Diese Platte zeigt schon pulsirende Bewegungen, an
denen sich das Ectoderm passiv betheiligt, bevor sie sich noch zur Bildung
eines Rohres dorsalwärts einkrümmt (Reichenbach). Ganz ähnliche Ver-
hältnisse beschreibt Lebedixsky für Eriphia (No. 57).
Die Entwicklung des Herzens von Mysis schliesst sich an die für
Oniscus beschriebenen Verhältnisse an. Das Herz entsteht hier als Aushöh-
lung in einer Art von dorsalem Mesenterium, welches durch Verwachsung
der seitlichen Ränder des somatischen Mesoderms gebildet wird. Die Bil-
dung des Herzens schreitet von hinten nach vorne fort.
Fig. 264. Dorsalan-
sicht einiger hinterer Kör-
persegmente einer jungen
Branchipuslarve zur
Darstellung der Herzent-
wicklung (nach Claus).
c Cardioblasten, h Herz-
höhle, ms Mesodermsomiten,
os Anlage der Ostien.
Crustaceen.
377
..so
Als Grundform des Crustaceenherzens müssen wir ein langgestrecktes,
mit zahlreichen, segmental angeordneten, venösen Ostienpaaren versehenes
Rückengefäss annehmen, wie es sich bei
den B r a n c h i p o d e n (vgl. unten pag. 394
Fig. 272 h) erhalten hat und auch den
Stomatopoden zukommt. Das kurze,
sackförmige Herz der Copepoden und
Cladoceren stellt eine Rückbildungsform
des langgestreckten Typus dar. Diese
Rückbildimg kann bei kleinen Entomo-
straken bis zu einem völligen Verschwin-
den des Herzens führen (viele Copepoden
und Ostracoden). In gleicher Weise ist
das kurze, sackförmige Herz der Decapo-
den mit Rücksicht auf die gestrecktere
Herzform der Stomatopoden und Lepto-
straken durch Rückbildung von einer
solchen Form herzuleiten. Es ist durch
die Untersuchungen von Claus an dem
Gefässsystem der Stomatopodenlarven im
Hinblick auf die Verhältnisse der Arterien-
ursprünge wahrscheinlich geworden, dass
das Decapodenherz dem vordersten Ab-
schnitte des Rückengefässes der Stomato-
poden entspricht.
H. Drüsen.
Zwei Paare von Drüsen müssen bei
den Crustaceen als modificirte Segmen-
talorgane betrachtet werden: die An-
tennendrüse (grüne Drüse) und
die Schalendrüse. Während für die
erstere von Reichenbach (No. 65) und
Ischikawa (No. 51) die Entstehung der-
selben aus einer Ectodermeinstülpung
behauptet worden war, hat Kingsley
(No. 54) für Crangon die erste Ent-
stehung derselben aus einer Ansammlung
von Mesodermzellen nachgewiesen. Erst
secundär öffnet sich das Säckchen nach
aussen. Für die Schalendrüse der Clado-
ceren wurde von Geobben (No. 11) und
Lebedinsky (No. 11 a) der mesodermale
Ursprung festgestellt.
Unsere Ansicht, dass in diesen beiden,
in früherer Zeit vielfach mit einander ver-
wechselten Drüsenpaaren, Homologa der
Segmentalorgane der Anneliden vorliegen,
geht zum Theil auf Leydig und Gegenbatjr
zurück. Für die Antennendrüse stützt sie
sich vor Allem auf die genauen, anatomischen
Fig1. 265. Drei Querschnitte
durch junge Branchipuslarven
(nach Claus).
A Querschnitt durch ein Thorax-
segment des Metanaupliusstadiums,
B Querschnitt durch ein Thorax-
segment eines späteren Stadiums,
C Querschnitt durch ein Abdominal-
segment eines noch späterenStadiums.
c Cardioblasten, d Darmcanal,
dl dorsaler Längsmuskel,1 ^ Anlage
der Bauchganglienkette, h Herzhöhle,
ov Ovarium , * Pericardialseptum,
so somatische und sp splanchnische
Schicht des Mesoderms, vi ventraler
Längsmuskel.
378 xv- Capitel.
Untersuchungen Geobben's, und auf die Uebereinstimmung, welche hiernach
in dem Bau dieser Organe mit den durch Sedgwick vollständig erkannten
Nephridien von Peripatus sich ergiebt. Nach Grobben müssen wir an der
Antennendrüse (sowohl der Entomostrakenlarven als der ausgebildeten
Malakostraken) zwei Abschnitte unterscheiden : ein Endsäckchen und einen
mehrfach verschlungenen Ausführungsgang , welcher häufig vor seiner Aus-
mündung an dem Basalglied der II. Antenne zur Bildung einer Erweiterung
(Harnblase) anschwillt. Alle diese einzelnen Theile können durch Ausbildung
secundärer Divertikel eine weitere Cornplication erlangen. Durch neuere
Untersuchungen, welche mittelst der von Kowalevsky empfohlenen Indig-
Carmin-Injection angestellt wurden, ist Weldon (No. 68) *) dazu gekommen,
für Palaemon serratus einen complicirten Bau dieses Harnorgans an-
zunehmen, welcher sich dem oben gegebenen Schema nicht anschliesst. Man
wrar bisher geneigt, in Uebereinstimmung mit den Befunden an Peripatus
in dem Endsäckchen der Antennendrüse das Rudiment des Cölomsäckchen
dieses Segmentes zu sehen. "Weldox dagegen fand einen umfangreichen, vor
der Geschlechtsdrüse gelegenen, mit der übrigen Leibeshöhle nicht communi-
cirenden Cölomsack, welcher nach vorne mit zwei nach rechts und links abgehen-
den Nephridialcanälen in Zusammenhang steht, welche letztere sich zur Bildung
der Harnblase erweitert. Diesem Canalsystem ist das Endsäckchen . einem
Malpighi' sehen Glomerulus vergleichbar, seitlich angefügt und mit der Harn-
blase durch 5 Canälchen verbunden. Bei der Unklarheit, in der wir uns
hinsichtlich der Leibeshöhlenverhältnisse der Crustaceen noch immer befinden,
ist eine Nachuntersuchung dieser merkwürdigen Ergebnisse sehr wünschens-
werth. Vorläufig scheint es uns gerathen, noch an der durch Gkobben be-
gründeten Auffassung der Verhältnisse festzuhalten.
Dass mit den genannten Drüsenpaaren und den Harn ausscheidenden
Theilen des Mitteldarms (bei Copepoden und Amphipoden) die Reihe der
Excretionsorgane der Crustaceen noch lange nicht erschöpft ist, beweisen die
oben erwähnten Fütterungsversuche Metschnikoff's und Kowaleysky's (Biol.
Centralbl. IX. Bd.), durch welche in den Thoraxbeinen von Mysis Farbstoff
anhäufende Röhrchen und bei Nebalia entsprechend gelagerte Zellgruppen
nachgewiesen wurden.
Für Eriphia spinifrons hat Lebedinsky (No. 57) die Entwicklung eines
„Segmentalorgans" beschrieben, welches als paarige Ausstülpung der Somato-
pleura angelegt wird. Das so entstandene Röhrchen verlängert sich nach
vorne und bildet einen gewundenen Canal, welcher mit einer im Coxalgliede
des ersten Kieferfusspaares entstehenden Ectodermeinstülpung in Communi-
cation tritt (Schalendrüse?).
I. Genitalorgane.
Ueber die Entwicklung der Genitalorgane bei den Crustaceen be-
sitzen wir bisher nur ganz fragmentarische Nachrichten. Auf jeden Fall
gehören die Anlagen der Geschlechtsdrüsen dem Mesoderm zu. Bei
Cetochilus fand Grobben (No. 21) die Geschlechtsanlagen im Nauplius-
stadium paarig und ventralwärts vom Darmcanal gelegen. Erst später
rücken sie dorsalwärts über den Darm, wo sie sich zu einer unpaaren
Anlage vereinigen. Jede Geschlechtsanlage besteht aus den grossen,
eigentlichen Genitalzellen und aus angelagerten Mesodermzellen, welche
die Hüllen und Ausführungsgänge liefern.
J) Vgl. ähnliche bestätigende Angaben von Marchal (Compt. Rend. Bd. 111) und
Weldon (Quart. Journ. Micr. Sc. XXXII. Bd.).
Crustaceen. 379
Es hängt wahrscheinlich mit der Pädo - Parthenogenese von M 0 i n a x)
zusammen, dass die Geschlechtsanlage als unpaare Genitalzelle schon während
der Sonderung der Keimblätter zu erkennen ist.
Eine aus dieser Zelle durch Theilung hervorgegangene Zellmasse rückt
in das Innere des Embryos und ordnet sich daselbst zu einer dorsalwärts
über der Mitteldarmanlage gelegenen, unpaaren Platte, welche sich erst secun-
där in zwei Hälften theilt. Diese Zellmasse erhält später eine mesodermale Hülle.
Von Wichtigkeit sind die Angaben von Claus (No. 9) über die Ent-
wicklung der Geschlechtsorgane bei Branchipus. Hier ist die Anlage der
Geschlechtsdrüse als ein paariger, in den drei bis vier vorderen Abdominal-
segmenten zu den Seiten des Darms gelegener Strang schon in früheren
Stadien zu erkennen. Die Ausbildung der Ausführungsgänge fällt jedoch
erst in die spätere Periode der sexuellen Differenzirung (vgl. unten pag. 393)
und geht von einer Umwandlung der Extremitätenanlagen des 12. und 13.
postcephalischen Segmentes zu zwei Paaren von Genitalwülsten aus. Letztere
vereinigen sich im weiblichen Geschlechte in der Medianlinie, während die
der männlichen Anlage gesondert bleiben. In beiden Geschlechtern werden
die Wülste des hinteren Segmentes von den vorderen überwachsen. Die ver-
einigten Wülste treten dann entweder als breiter Medianzapfen (Weibchen)
oder als rechter und linker Seitenzapfen (Männchen) zu Tage. Das in den
Genitalwülsten vorfindliche Zellmaterial kommt in der Weise zur Verwendung,
dass die Mesodermzellen den ausführenden Apparat (Oviduct und Uterus —
Samenleiter und Samenblase) nebst den zugehörigen Anhangsdrüsen liefern,
während eine Ectoderm Wucherung am zweiten Wulstpaare beim Weibchen
zum kurzen Ausmündungsabschnitt des Uterus (Vagina), beim Männchen zum
langgestreckten, als Cirrhus vorstülpbaren Begattungsglied umgebildet wird.
Bei den Decapoden ist die Genitalanlage erst in den spätesten Stadien
des embryonalen Lebens beobachtet worden. Bobretzky und Reichenbach
(No. 65) vermuthen sie in zwei Zellsträngen, welche über dem Darmcanal
gelegen sind. Nach Bobretzky liegen dieselben im Bereich des Mitteldarms
unter dem pericardialen Septum, während Reichenbach die Anlage in hin-
teren Segmenten im Bereich des Enddarms beobachtete.
Bei Mysis fand Nusbaum (No. 39) die Genitalanlage in einer paarigen,
hinter der Leberanlage gelegenen Zellgruppe , welche später bei Ausbildung
der Leberschläuche mehr nach der Dorsalseite zu rückt, um später wahr-
scheinlich zu einer unpaaren, zwischen Herz und Darm gelegenen Anlage zu
verschmelzen. Es muss als zweifelhaft erscheinen, ob einige im Stadium der
Keimblätterbildung im Ectoderm beobachtete grosse Zellen , die später im
Abdomen liegen, wirklich, wie der Autor will, auf die Genitalanlage zu be-
ziehen sind.
Während wir aus allgemeinen Gründen geneigt sind, die Genitalanlage
dem Mesoderm zuzurechnen, lassen Pereyaslawzewa und Rossijskaya (No. 70
bis 73) die Genitalzellen der Amphipoden der Wand des Mitteldarmes
entstammen (!). Es rücken einzelne Entodermzellen (bei Orchestia auch aus
den Leberschläuchen) aus dem Verbände des Mitteldarmepithels, um, von
einer mesodermalen Hülle umwachsen, zur Anlage der Genitaldrüse zu werden.
Eine ähnliche Entstehung der letzteren wurde bekanntlich von Sedgwick für
Peripatus behauptet.
*) Bei Daphnia similis konnte Lebedinsky (No. IIa) die Genitalzellen durch-
aus nicht in so frühen Stadien unterscheiden, wie diess bei Moina möglich ist. Sogar
im Naupliusstadium war hier die Anlage der Geschlechtsorgane noch nicht zu unter-
scheiden.
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384 XV. Capitel.
II. Metamorphose.
1. Das Naupliusstadiuiu.
Der typische Ausgangspunkt für die Metamorphose der Crustaceen
ist das sog. Naupliusstadiuiu. In jenen Fällen, in denen das junge
Thier erst in einem späteren Entwicklungsstadium aus dein Eie ent-
schlüpft (z. B. bei den Cladoceren, den Arthrostraken, den meisten Deca-
poden), wo demnach das Naupliusstadium in die Reihe der Embryonal-
stadien verlegt ist, zeigt sich das letztere vielfach durch eine auf das-
selbe folgende Ruhepause, sowie durch Abscheidung einer Larvenhaut
(Naupliushaut) besonders markirt (vgl. oben pag. 322).
Der Körper des Nauplius (Fig. 266) weist im Allgemeinen eine
ovale Form mit einem mehr abgerundeten vorderen und einem ver-
schmälerten hinteren Leibesende auf. Im Uebrigen unterliegt die Körper-
form zahlreichen Variationen. Wir finden flachgedrückte, seitlich com-
primirte, langgestreckte, ja sogar querverbreiterte Nauplien. Der Besitz
von drei Extremitätenpaaren [den späteren ersten Antennen («'). zweiten
Antennen (a") und Mandibeln (md)] weist darauf hin, dass wir im Nau-
plius bereits eine segmentirte Larvenform vor uns haben. Doch ist am
Körper des Nauplius diese Segmentirung äusserlich nicht erkennbar,
wenngleich die betreffenden Segmentgrenzen an den zum Nauplius
hinüberführenden Embryonalstadien angedeutet sein können (freilebende
Copepoden, Cirripedien). In den typischesten Fällen kommt dem Nau-
plius keine schildförmige Duplieatur des Rüekenintegumentes zu, doch
kann eine solche (die gewöhnlich erst in späteren Stadien angelegt wird)
in einzelnen Fällen auch schon am Nauplius deutlich erkennbar (Cirri-
pedien vgl. Fig. 279^4) oder doch wenigstens durch kleine Hautfalten der
Rüekenfläche angedeutet sein. Das hintere Körperende entbehrt noch
paariger Furcalfortsätze , doch treten daselbst paarige Borsten (Furcal-
borsten) auf. Von den Extremitäten sind die des vordersten Paares
(a', ersten Antennen) einästig, aus wenigen Gliedern bestehend oder noch
ungegliedert. Sie dienen zur Locomotion und sind wohl auch bereits
als Träger von Sinnesorganen von Bedeutung. Die beiden hinten folgen-
den Extremitätenpaare sind in der Form zweiästiger Ruderbeine ent-
wickelt. Von diesen steht das erste («", II. Antenne) zu den Seiten des
Mundes und ist durch einen von seinem Basalglied nach innen vor-
springenden kräftigen, hakenförmigen Kaufortsatz, welcher bei der Nah-
rungsaufnahme zur Verwendung kommt, ausgezeichnet. Ebenso functionirt
das dritte Extremitätenpaar (md Mandibeln) noch hauptsächlich als
Locomotionsorgan. Eine Kaulade ist an seinem Basalabschnitt nicht ent-
wickelt oder kaum angedeutet. Doch können sich auch hier ähnliche
hakenförmige Kaufortsätze vorfinden. Die zwischen den II. Antennen (in
deren Basalal »schnitt die schleifenförmige Antennendrüse (at) ausmündet)
gelegene Mundöffnung ist von einer oft excessiv grossen, helmförmigen
Oberlippe überdeckt und führt in den Darmcanal, an welchem wir einen
kurzen Oesophagus, einen erweiterten Mitteldarm und den Enddarm unter-
scheiden können. Die Afteröffnung kann den ersten Naupliusstadien noch
fehlen (Cetochilus, Cyclops). Mehrfach ist für die ersten Stadien eine
ursprünglich dorsale Lagerung der Afteröffnung beobachtet [Cirripedien
(vgl. pag. 405, Fig. 280), Cetochilus (vgl. pag. 424, Fig. 288 B), embryo-
nales Entwicklungsstadium der Cladoceren (vgl. oben pag. 347, Fig. 249)],
Crustaceen.
385
während dieselbe erst später an das hintere Körperende zwischen die
daselbst entwickelten Fnrcalfortsätze rückt. Das Nervensystem hat seinen
ursprünglichen Zusammenhang mit dem Ectoderm bewahrt, es besteht
aus dem oberen Schlundganglion, den Commissuren und den ersten
Ganglienpaaren der Bauchkette. Die II. Antenne wird von einem hinter
dem Munde gelegenen Ganglienpaar aus innervirt (Claus, Dohrn), ein
Verhältniss, welches bei den Phyllopoden auch im ausgebildeten Zustande
erhalten ist. Von Sinnesorganen ist das unpaare, in der Stirngegend
gelegene, aus drei Theilen zusammengesetzte Naupliusauge zu erwähnen.
Von Muskeln sind hauptsächlich die Extremitätenmuskeln entwickelt,
welche an einer Stelle in der Mitte der dorsalen Farthie ihren Ansatz-
punkt finden. Ein Herz ist noch nicht ausgebildet.
md-
Wenngleich am Körper des
Nauplius eine Segmentirung äusser-
lich nicht erkennbar ist, so müssen
wir an demselben doch folgende
Segmente trennen : Ein vorderes,
präorales oder primäres Kopf-
segment, den hintersten Körper-
abschnitt als dasEnd- oder Anal-
segment und die dazwischen ge-
legenen echten Rumpfsegmeute.
Als letztere werden wir den der IL
Antenne zukommenden Leibesab-
schnitt, ferner ein Mandibular-
segment annehmen müssen. Der
Nauplius wäre sonach aus dem pri-
mären Kopfsegment, zwei aufein-
anderfolgenden Rumpfsegmenten
und dem Endsegment zusammen-
gesetzt. "Wir haben aber oben pag.
365, 366 darauf hingewiesen, dass
möglicherweise auch der Region
der I. Antenne ein eigenes Rumpf-
segment entspricht, welches früh-
zeitig seine Selbstständigkeit ver-
loren hat. Das Kopfsegment und
Endsegment sind zu den Rumpf-
segmenten in einen gewissen Gegen-
satz zu stellen, insoferne nur den letzteren echte Extremitätenanlagen zu-
kommen. • Das Endsegment des Nauplius enthält die hinterste zum späteren
Analsegment sich ausbildende Körperparthie und eine an der vorderen Grenze
derselben gelegene Knospungszone , von welcher die stetige Production
neuer Rumpfsegmente ausgeht.
Die oben geschilderte Grundform des Nauplius erleidet im Einzelnen
zahlreiche Variationen, die zum Theil noch Gegenstand späterer Schilderung
sein werden. In den meisten Fällen sind an den sog. Naupliusstadien nicht
nur die oben aufgezählten Rumpfsegmente zu erkennen, sondern es machen
sich auch schon die Anlagen weiterer, hinten folgender Segmente bemerkbar.
Solche, eine höhere Stufe der Leibesgliederung aufweisende Stadien werden
richtiger mit dem von Claus (No. 8) vorgeschlagenen Namen als Meta-
nauplien bezeichnet, unter welcher Benennung man sämmtliche an die
Fig. 266. Nauplius von Cyclo ps (nach
Claus).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne,
md Mandibel, o Naupliusauge, at Antennen-
drüse, dr Darmaussackungen mit Harnzellen.
386 XV. Capitel.
Naupliusforra sich anschliessende Larvenstadien zusammenfasse welche durch
den Besitz von hinter dem Mandibularsegment gelegenen Rumpfsegmenten
und wohl auch daselbst zur Entwicklung gekommener Extremitäten über die
Gliederung der Naupliusstufe hinaus gediehen sind, im Uebrigen aber noch
den Habitus des Naupliusstadiums bewahrt haben. Eine solche Erweiterung
des Naupliusbegriffes erscheint um so zulässiger, als 0. F. Müller sein
vermeintliches Genus Nauplius für eine Cyclopslarve mit vier Extremitäten-
paaren aufstellte, während er das entsprechend jüngere Stadium mit drei
Extremitätenpaaren als Amymone bezeichnete. Nachdem man die Zu-
gehörigkeit des MüLLER'schen Genus Nauplius in den Entwicklungskreis von
Cyclops erkannt hatte (Jurine), wurde der Name „Nauplius" für sämmtliche
ähnlich gestaltete Krebslarven acceptirt.
Man hat eine Zeit lang im Anschlüsse an Fritz Müller (No. 16) in
dem Nauplius eine Larvenform von hoher phylogenetischer Bedeutung erblickt
(Haeckel, Dohrn No. 9), indem man der Ansicht war, dass er die gemein-
same Stammform sämmtlicher Crustaceen repräsentire. In welcher Weise
diese Stammform ihren Anschluss an die niederen Thiergruppen finden sollte,
darüber wurden die Ansichten weniger bestimmt ausgesprochen. Doch glaubte
man die nächsten Verwandten der hypothetischen Stammform in der Nähe
der Räderthiere oder Anneliden suchen zu sollen. Der erste, der gegen
diese herrschende Ansicht auftrat, war Hatschek (No. 15), welcher auf
die Uebereinstimmung im Körperbau der Crustaceen und Anneliden hinwies
und urgirte, dass wir der gemeinsamen Stammform der Crustaceen bereits
einen aus zahlreichen Körpersegmenten zusammengesetzten Leib zuschreiben
müssten und daher eine clirecte Ableitung dieser Stammform von den Anneliden
supponiren könnten. Diese Anschauung gewann eine wesentliche Stütze in
der genaueren Kenntniss über den Bau zweier Drüsenpaare (der Schalendrüse
und Antennendrüse), deren Homologie mit den Segmentalorganen der Anneliden
bereits von Letdig und Gegenbaur behauptet worden war. So neigte man
sich allmählich der jetzt acceptirten Ansicht (Dohrx No. 11) zu, dass die
Naupliusform nicht in den Kreis der directen Crustaceenahnen gehöre, sondern
eine cänogenetische, adaptiv veränderte Larvenform sei, an welcher specifische
Crustaceencharactere (z. B. die Form der Extremitäten, die starke Cuticulari-
sirung der Körperfläche und die damit verbundene Entwicklung borstenförmiger
Fortsätze, der Mangel von Wimperepithelien, die Auflösung der Cölomsäcke und
lacunäre Ausbildung der Leibeshöhle) frühzeitig zur Entwicklung kommen.
So zeigt die Naupliusform in ihrem Bau und ihrer histologischen Beschaffen-
heit typische Crustaceencharactere, während sie nach der Gliederung ihres
Leibes auf einer Stufe steht, welche wir höchstens der eiuer polytrochen
Annelidenlarve gleichsetzen könnten. Der Nauplius ist demnach eine durch
frühzeitige Entwicklung des (phylogenetisch in viel späteren Stadien ent-
standenen) Crustaceenhabitus secundär abgeänderte Larvenform.
Ein Hauptgrund für die Auffassung des Nauplius als Stammform der
Crustaceen war in der allgemeinen Verbreitung dieser Larvenform in den
verschiedensten Krebsgruppen gegeben. Es ergiebt sich aus diesem typischen
Vorkommen des Nauplius in der Entwicklung sämmtlicher Crustaceen, dass
bereits die hypothetische gemeinsame Ahnenform der Crustaceen sich durch
ein Naupliusstadium entwickelte, dass demnach jene oben erwähnte Ab-
änderung in der Ontogenie der Crustaceen in sehr frühen Zeiten vor sich
gegangen ist. Es wird uns dies nicht allzusehr in Erstaunen versetzen,
wenn wir bedenken , in welch1 beträchtlichem Masse die Ontogenie einer
Form durch eine die ausgebildete Form betreffende Variation beeinflusst zu
werden pflegt Nur insofern die Verbreitung der Naupliuslarve uns zu
Crustaceen.
387
Schlüssen hinsichtlich der Ontogenie der Stammform der Crustaceen be-
rechtigt, ist ihr eine gewisse phylogenetische Bedeutung beizumessen (Hat-
schek, Lehrbuch der Zool., pag. 25).
Die weitere Entwicklung des Naupliusstadiums vollzieht sich bei
vielen Entomostraken z. B. bei den Phyllopoden und zum Theil auch
bei den Copepoden auf dem Wege einer durch zahlreiche Häutungen
vermittelten Reihe ganz allmählicher Form-
veränderungen, durch welche unter fort-
schreitender Vermehrung der Körperseg-
mente und Extremitätenpaare, unter dem
Anwachsen der dorsalen Schalenduplica-
tur, der Anlage der Seitenaugen und
anderen Umwandlungen successive der
ausgebildete Zustand erreicht wird. Wäh-
rend so die Metamorphose bei diesen
niederstehenden Formen einen verhält-
nissmässig einfachen Verlauf beibehält,
gewinnt sie im Kreise der Malacostraken
eine Complication , indem sich selbst-
ständigere Larvenformen, vor Allem die
Zoea, einschieben, welche nicht der
directen Reihe von Umwandlungen zwi-
schen dem Nauplius und dem ausgebilde-
ten Zustande angehören, sondern, durch
secundär erworbene Eigentümlichkeiten
ausgezeichnet, eine Erweiterung des Be-
reichs der der Metamorphose zugehörigen Formumwandlungen bedingen.
(Vgl. hinsichtlich der Metamorphose der Malacostraken unten pag. 436.)
Fig. 267. A Thoraxbein eines
Copepoden (nach Claus).
B Abdominalbein von Garn-
mar us locusta (nach Boas).
1 erstes, 2 zweites Glied des
Protopoditen, en Endopodit, ex Exo-
podit.
2. Grundform der Crustaceen-Gliedniaassen.
In den beiden hinteren Paaren der Naupliusextremitäten ist eine
sehr ursprüngliche Form der Crustaceengliedmaassen gegeben. Wenn wir
von den I. Antennen (Antennulae) absehen, welche durchgehends eine
heteromorphe Bildung aufweisen, so können wir sämmtliche Crustaceen-
beine auf ein Grundschema zurückführen, das dem zweiästigen Typus
des zweiten und dritten Paares der Naupliusextremitäten entspricht. Wir
können stets einen proximalen Abschnitt, als Extremitätenstamm
oder Protop odit (Huxley) unterscheiden, welcher sich in zwei distal
gelegene Gabeläste spaltet, von denen der innere als Innenast oder
Endopodit (Fig. 267 en), der äussere als Aussenast oder Exopo-
dit {ex) bezeichnet zu werden pflegen. Während Exopodit und Endo-
podit beträchtlichen Variationen unterliegen, indem sie entweder un-
gegliedert in Form lamellöser oder anders gestalteter Anhänge zur
Entwicklung kommen oder in eine sehr wechselnde Zahl von abgesetzten
Gliedern zerfallen, lässt der Protopodit in den meisten Fällen eine Zu-
sammensetzung aus zwei Gliedern (Fig. 267, 268, l, 2) erkennen, von
denen das erste (proximale) mit Claus als Basalglied (jf), nach Huxley
als Coxopodit bezeichnet wird, während das zweite (distale) als
Stammglied (Claus) {2} oder Basipodit (Huxley) unterschieden
wird. Es muss erwähnt werden, dass in vielen Fällen (besonders bei
den Malacostraken) die Gliederreine des Endopodits in der directen Fort-
388
XV. Capitel.
Setzung des Protopodits gelegen zu sein scheint, (z. B. Fig. 268, B) während
der Exopodit mehr einen Seitenanhang darstellt. Doch werden wir dies
Verhalten nicht als das ursprüngliche betrachten dürfen.
Da die ventralwärts gestellten, einander genäherten Crustaceenbeine
ein Gegeneinanderwirken der beiden Hälften eines und desselben Paares
gestatten, so finden wir häufig an der Innenseite der Glieder des Endo-
podits und Protopodits Fortsatzbildungen der verschiedensten Art, welche
zum Zweck einer mechanischen Einwirkung auf dazwischengerathene
Fremdkörper (Nahrungspartikelchen) entwickelt sind. Solche Fortsätze,
im Allgemeinen alsEnditen bezeichnet, führen, insoweit sie am Proto-
podit auftreten, besondere Namen (Fig. 268 k) und werden als Kiefer-
haken, Kieferlamellen sowie Lappen oder, wenn sie stärker chitinisirt und
an der Innenseite bezahnt sind, als Kau laden unterschieden. Wir
haben oben (Fig. 266, pag. 385) an dem Protopodit der zweiten Antenne
die Entwicklung solcher Kieferhaken beobachtet.
Fig. 268. Verschiedene Krebsgliedniaassen (nach Claus).
A Maxille von Calanella, B Thoraxfuss von Nebalia, C erster Maxillarfuss
einer älteren Penaeuslarve.
1 erstes, 2 zweites Glied des Protopoditen, k Kantortsätze desselben, en Endo-
podit, ex Exopodit, ep Epipodialplatte, ep' Anlage eines Kiemenschlanches.
Ein weiterer Bestandtheil des Crustaceenbeines, welcher jedoch nicht
regelmässig zur Entwicklung kommt, findet sich an der Aussenseite des
Protopodits und steht in den meisten Fällen in Beziehung zur Bewegung
des umgebenden Wassers und der respiratorischen Function. Wir
werden diese Anhänge, welche auch in der Mehrzahl auftreten können
als Epipoditen (Fig. 268^) bezeichnen, gleichviel ob sie mehr la-
mellös entwickelt sind (Epipodialplatte ep) oder mit reicher Blutcirculation
im Inneren ausgestattete Kieniensäckchen oder Kiemenschläuche {ep')
darstellen (vgl. oben pag. 371). Es scheint, dass die Epipodialanhänge
in der Regel dem Coxopodit oder Basalglied zugehören.
Die vielfachen Abänderungen und Rückbildungen, denen diese einzelnen
Bestandteile des Crustaceenbeines im Einzelnen unterliegen , werden im
Folgenden öfters zur Sprache kommen. Es scheint, dass die gestreckten
Beinformen sich erst allmählich entwickelt haben, und dass die lamellöse
verbreiterte Beinform, wie sie den meisten Phyllopoden (Fig. 269) und
Crustaceen.
389
den Thoraxbeinen (Fig. 268 5) von Nebalia zukommt, einem ursprünglicheren
Typus entspricht.
Es ist noch nicht völlig sichergestellt, in welcher Weise die einzelnen
Theile des blattförmigen Phyllopodenfusses auf das oben geschilderte Schema
des Crustaceenbeines zu beziehen sind. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit
scheint uns die Deutung Ray Laxkester's für sich zu haben, nach welchem
von den sechs der Innenseite angehörigen Enditen der fünfte dem Endopodit
(Fig. 269m5), der sechste dem Exopodit (en6) entspricht. Diese Deutung
wird durch die Beobachtungen von Claus (No. 20, 21), denen zufolge an
dem sich entwickelnden Bein von Branchipus diese beiden Lappen zuerst
gesondert werden, gestützt. Die viel später auf-
tretende Fächerplatte (ep) ist dann, ebenso wie das
Kiemensäckchen (ep') als ein Epipodialanhang zu
betrachten. Ein Zerfall des Stammtheiles der Ex-
tremität in einzelne Glieder, wie unsere Figur 269
ihn aufweist, gehört an dem Phyllopodenbein zu den
Ausnahmen.
Man ist versucht, die typische zweiästige Form
des Crustaceenbeines direct von der ähnlichen ge-
gabelten Gestalt der Annelidenparapodien herzu-
leiten. Hiefür spricht die eben erwähnte Thatsache,
dass die Sonderung von Exopodit und Endopodit
sich an den Beinanlagen von Branchipus ungemein
frühzeitig geltend macht (Claus). Während aber
die Annelidenparapodien im Allgemeinen der Lateral-
seite des Körpers angehörige Fortsatzbildungen dar-
stellen, sind die Extremitäten der Crustaceen nach
der Ventral seite gerückt und einander genähert, was
wohl darauf hindeutet, dass wir uns die zwischen An-
neliden und Crustaceen vermittelnde Stammform als
eine am Grunde des Meeres kriechende Form zu
denken haben. Die gegenseitige Einwirkung der
Extremitäten und die damit in Verbindung stehende
Entwicklung von Enditen ist demnach eine Neuer-
werbung im Bereiche der Crustaceen. Dagegen wird
man wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit die Epipodial-
anhänge auf Dorsalcirren der Anneliden beziehen
dürfen. Gegen letztere Auffassung spricht allerdings das verspätete Auftreten
dieser Bildungen in der Ontogenie der Crustaceen. Doch darf man nicht ver-
gessen, dass eine Steigerung des respiratorischen Bedürfnisses erst bei einer
gewissen Körpergrösse sich geltend zu machen pflegt und es somit erklär-
lich scheint, wenn kleine Krebslarven (ebenso wie ausgebildete Formen von
geringer Körperentwicklung) der Kiemenanhänge entbehren.
Fig-, 269. Zweites
Thoraxbein von Apus
cancriformis (nach
Ray Lankester).
1 erstes , 2 zweites
Stammglied, en1, en2, ens,
en*, en5, en6 erster bis
sechster Enclit, ep Fächer-
platte (Epipocliallamelle),
ep' Kiemensäckchen.
3. Pkyllopoden.
A. Branchiopoda.
Die Larven der Branchiopoden besitzen, nachdem sie aus dem Eie
entschlüpft sind, im Allgemeinen den Habitus der Naupliusform , lassen
jedoch eine Sonderimg des Körpers in einen vorderen cephalischen Ab-
schnitt, welcher die Naupliusgliedmaassen trägt, und einen hinteren thoraco-
abdominalen Abschnitt erkennen. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass
Korscheit- Heider, Lehrbuch.
26
390 XV. Capitel.
an dem letzteren bereits eine Anzahl von Körpersegmenten angelegt ist,
müssen wir das erste Larvenstadium der Branchiopoden als Meta-
nauplius (Fig. 270 Ä) bezeichnen. Das betreffende Stadium zeigt bei
den verschiedenen Branchiopodengattungen einen ungemein überein-
stimmenden Bau. In der Regel fehlt noch die Anlage der dorsalen
Schalenduplicatur, welche erst in späteren Stadien zur Entwicklung
kommt. Die weitere Metamorphose verläuft höchst einfach, indem vom
hinteren Körperende aus successive neue Segmente angelegt werden
und in derselben Reihenfolge das Hervorsprossen der Extremitätenanlagen
sich vollzieht. Eine Ausnahme von dieser regelmässigen Entwicklungs-
weise machen die Extremitäten der Maxillarregion, welche entsprechend
ihrer geringen Entwicklung im ausgebildeten Thiere verspätet zur Anlage
kommen. Während so allmählich die Gliederung des Körpers sich (lei-
der ausgebildeten Form nähert, vollzieht sich die Entwicklung des paa-
rigen zusammengesetzten Auges, der der Maxillarregion zuzurechnenden
Schalenduplicatur, die Ausbildung der inneren Organe und die Rück-
bildung und Umgestaltung der drei Naupliusbeinpaare.
Als Typus mag uns die Entwicklung von Ap us dienen, welche durch die
Untersuchungen von Zaddach (No. 31), Brauer (No. 18) und vor Allem von
Claus (No. 20, 21) eingehend bekannt geworden ist. Der Metanauplius
von Apus (Fig. 210 A) hat im Allgemeinen eine ovale, nach hinten ver-
schmälerte Gestalt, und zeigt, sobald er aus dem Eie kommt, noch die
ursprüngliche Krümmung nach der Dorsalseite (Brauer), welche später
einer geraden Streckung des Körpers Platz macht. Von inneren Organen ist
nur das Naupliusauge und der vorne erweiterte Darmcanal zu erkennen,
welcher in einer am hinteren Körperende gelegenen Einbuchtung aus-
mündet. Die drei Gliedmaassenpaare zeigen den für den Nauplius typischen
Bau. Die erste Antenne (1), welche zu den Seiten der grossen helm-
förmigen Oberlippe sich inserirt, ist einfach stabförmig, ungegliedert und
trägt an ihrer Spitze zwei Borsten. Die zweite Antenne {2) ist ein um-
fangreicher, zweiästiger Ruderfuss. Sie trägt an ihrer Basis einen be-
weglichen Kieferhaken. Der Endopodit ist klein, an seinem Ende be-
borstet, während der fünfgliedrige Exopodit an seiner Innenseite mit fünf
Ruderborsten besetzt ist. Die Mandibel (3) ist kleiner, wiederholt aber
im Allgemeinen den Bau der zweiten Antenne. Ein Kieferhaken fehlt
hier ; die spätere Kaulade lässt sich nur in der Anlage als schwache Vor-
wölbung an der Innenseite des Protopodits erkennen. Endopodit und
Exopodit sind ungegliedert, an ihren Enden mit Borsten besetzt. Der
die Naupliusextremitäten tragende vordere oder cephalische Körperabschnitt
grenzt sich in seinem dorsalen Antheil nach hinten durch eine kleine Vor-
wölbung ab, in welcher wir die erste Anlage des Rückenschildes erkennen.
In der Mitte dieses vorderen Dorsalantheils bemerkt man als hellere,
rundliche, scharf umschriebene Stelle die Anlage der bei den Phyllopoden
so verbreiteten Nackendrüse (vgl. oben pag. 351). Am hinteren, thoraco-
abdominalen Abschnitt sind fünf aufeinander folgende Thoracalsegmente
als Querwülste (I — V) angelegt.
Nach der ersten Häutung (Fig. 2705) erscheint die Körperform
durch die schildförmige Verbreiterung des vorderen Körperabschnittes
und die Streckung des kegelförmig verengerten hinteren Leibesabschnittes
wesentlich verändert. Der Rückenschild überdeckt nun schon das erste
Thoracalsegment von der Dorsalseite. Die Naupliusextremitäten haben
im Wesentlichen denselben Charakter beibehalten. Der Endopodit der
zweiten Antenne ist nun zweigliedrig. An dem Basalabschnitt der Man-
Crustaceen.
391
dibel (5) hat sich eine kräftige, am Innenrande gezähnelte Kaulade ent-
wickelt, welche von der jetzt relativ kleineren Oberlippe überdeckt wird.
Hinter den Mandibeln ist das erste Maxillenpaar als einfache Platte (4)
angelegt. An den vordersten Thoraxsegmenten sind drei bis vier gelappte Ex-
tremitätenanlagen zu erkennen. Die Zahl der Thoraxsegmente hat sich
durch das Hinzukommen neuer Anlagen bis auf acht vermehrt. Am
hinteren Körperende sind die ansehnlichen Furealfortsätze zur Entwicklung
gekommen. Erwähnenswerth für dieses Stadium ist ferner: die Ent-
Fig1. 270. Drei Larvenstadien von Apus cancrifo rmis nach Claus, aus
Lang's Lehrbuch).
A eben ausgeschlüpfte Larve (Metanauplius), B zweites Larvenstadium mit den
vorderen Maxillen und sieben (oder acht) Thoraxsegmenten, C viertes Larvenstadium
mit ungefähr fünfzehn Thoraxsegmenten.
1 erste, 2 zweite Antenne, 3 Mandibel, 4 erste Maxille, I — XIII erstes bis drei-
zehntes Kumpfsegment, fs frontales Sinnesorgan, s Rückenschale, L Leber.
Wicklung der als griffeiförmige Fäden auftretenden, neben dem Nauplius-
auge gelegenen frontalen Sinnesorgane (fs), die Anlage der Leberaus-
stülpungen an dem erweiterten vordersten Abschnitt des Mitteldarms,
das Deutlichwerden der Antennendrüse in dem Basalabschnitt der
II. Antenne, sowie die erste Anlage der Schalendrüse in den unteren
Seitentheilen des Rückenschildes.
Das dritte Larvenstadium (nach der zweiten Häutung) weist nun
schon an den sechs vordersten Thoraxsegmenten gelappte Beinanlagen auf;
26*
392 xv- Capitel.
an dem siebenten Segment ist eine ungelappte Beinanlage vorhanden,
und dahinter finden sich noch zwei bis drei Segmentanlagen. Hinter dem
ersten Maxillenpaare ist die Anlage eines zweiten Paares als querliegende
Erhebung zu erkennen. Die Schalendrüse tritt nun an den Seitentheilen
des wenig vergrösserten Rückenschildes deutlicher hervor. In diesem
Stadium lässt sich bereits die Herzanlage erkennen, welche von der
Maxillarregion nach hinten bis zum sechsten Thoracalsegment reicht.
Hier hinten werden mit der fortschreitenden Entwicklung der Segmente
neue Herzkammern angefügt (vgl. oben pag. 376, Fig. 264).
Das vierte Larvenstadium (Fig. 270 C) zeigt an den sieben vordersten
Thoraxsegmenten deutlich gelappte , an den zwei folgenden undeutlich
gelappte und an den drei bis vier dahinterliegenden gänzlich üngelappte,
in der Entstehung begriffene Beinanlagen. Der Thoraxschild (s) sowohl
als die Furcalfortsätze haben sich beträchtlich vergrössert. Als wichtige
Neuanlagen machen sich die über und hinter dem Naupliusauge auf der
Rückenseite sichtbaren Anlagen des paarigen Auges bemerkbar, in denen
sich Pigment abzulagern beginnt. Diese Anlagen werden zugleich mit
den sich entwickelnden optischen Ganglien in den folgenden Stadien
immer deutlicher.
Das fünfte Stadium besitzt neun deutlich gelappte Beinpaare, ein
zehntes undeutlich gelapptes und vier darauf folgende noch ungelappte.
Dahinter sind sechs weitere Segmentanlagen zu erkennen. In diesen
Stadien schreitet die Bildung des Herzens und die Verästelung der Leber-
schläuche durch Bildung secundärer Divertikel allmählich vorwärts.
Während in den späteren durch zahlreiche Häutungen aus einander her-
vorgehenden Stadien der Körper durch das Auftreten weiterer Segmente
und Beinanlagen, durch das Anwachsen des Rückenschildes, welcher all-
mählich fast den ganzen hinteren Körperabschnitt bedeckt, sowie durch
die Verlängerung der Furcalfortsätze sich allmählich immer mehr der
Gestaltung des ausgebildeten Thieres nähert, erfolgt eine Rückbildung
der Naupliusgliedmaassen , von denen die erste Antenne als kurzer
zweigliedriger Stummel , die zweite Antenne als ein noch kleineres un-
gegliedertes Rudiment sich erhält, während von der Mandibel nur das
zur mächtigen Kaulade umgestaltete Basalglied erhalten bleibt. Der
ganze distale Theil dieser Extremität ist als ein immer mehr in Rück-
bildung begriffener Mandibulartaster an den späteren Larvenstadien
noch zu erkennen, bis er schliefslich verschwindet. Hand in Hand mit
der Rückbildung dieser Gliedmaassen geht eine Aenderung in der Be-
wegungsweise vor sich. Während die Larve sich in den ersten Stadien
durch die Ruderschläge der zweiten Antenne stossweise forttrieb, wird
jetzt die Fortbewegung durch die Schwimmaction der Ruderfüsse eine
mehr gleichmässige.
Die obige Schilderung bezieht sich auf Apus cancriformis. Die Ent-
wicklung von Apus productus, welche uns durch Brauer (No. 18) be-
kannt geworden ist, verläuft übrigens in ganz übereinstimmender Weise.
Nur ist das Ei hier beträchtlich grösser und die Entwicklung eine mehr
abgekürzte. Die Zahl der Häutungen und der einzelnen Entwicklungsstadien
ist eine geringere. Schon im vierten Stadium hört die zweite Antenne auf, als
Ruderantenne zu wirken, im sechsten Stadium ist sie schon sehr stark rück-
gebildet. Der aus dem Ei kommende Metanauplius weist nicht nur eine grössere
Zahl von Segmenten, sondern auch schon die Anlagen der paarigen Augen auf.
Die Metanauplien von Branchipus zeigen eine etwas gestrecktere
Körperförm und eine schärfere Trennung des thoracoabdominalen Ab-
Crustaceen. 393
Schnittes vom cephalischen Körperabschnitt. Man kann bereits die
Maxillarsegmente und die zwei ersten Thoracalsegmente mit den ent-
sprechenden thoracalen Beinanlagen, sowie den Beginn der metameren
Gliederung des nachfolgenden Körperabschnittes erkennen (Claus No. 20).
Die allmähliche Entwicklung der Larven verläuft hier, ebenso wie bei
Artemia, in ganz ähnlicher Weise wie bei Apus, wenn wir die aus dem
Mangel eines Rückenschildes und der demzufolge eng verpackte Lagerung
der Schalendrüse, deren Ausmündung von Claus (No. 21) am zweiten
Maxillenpaare erkannt wurde, sich ergebenden Unterschiede in Rücksicht
ziehen. Besonders klar lassen sich hier die Verhältnisse der Entwicklung
des zusammengesetzten Auges verfolgen, welches sammt dem ihm zu-
gehörigen optischen Ganglion aus einer Wucherung der Hypodermis zu
den Seiten des Kopfabschnittes seinen Ursprung nimmt (vgl. oben pag. 367).
Während in dieser Hypodermis Wucherung eine Trennung der inneren
zum Ganglion sich umbildenden Schicht von der oberflächlichen , das
eigentliche zusammengesetzte Auge liefernden Lage sich geltend macht,
erfolgt durch ein seitliches Anwachsen der betreffenden Kopfparthie die
Fig. 271. Sogenanntes Nanpliusstadium von Estheria ticinenis (nach
G. Ficker).
«' erste, a" zweite Antenne, md Mandibel, ol Oberlippe.
Entwicklung des Augenstieles, welcher sich später als beweglicher Theil
von dem Kopfe abgliedert (Claus). Die Entwicklungsweise des gestielten
Auges dieser Form liefert die gewichtigsten Einwände gegen die Auf-
fassung desselben als einer den Extremitäten homologen Bildung (vgl.
oben pag. 364). Bis zu jenen Larvenstadien, in denen die volle Zahl
der Segment- und Gliedmaassenanlagen erreicht ist (erste Entwicklungs-
periode) bewahren die Antennen und Mandibeltaster den von dem Meta-
naupliusstadium an sich erhaltenden larvalen Charakter. Erst in der
darauffolgenden Periode der sexuellen Differenzirung , in welcher die
Genitalsegmente in der für beide Geschlechter charakteristischen Weise
zur Ausbildung kommen, werden die Muskeln der Schwimmfussantennen
und Mandibeltaster rückgebildet. Letztere gehen vollständig verloren,
während die Schwimmfussantennen nach der Stirnfläche sich verschieben
und zu den sog. Kopfhörnern in der für die einzelnen Arten charakte-
ristischen Weise umgestalten. Gleichzeitig kommt ein mit dem paarigen
Frontalorgan nicht zu verwechselndes, zwischen Gehirn und Stirnauge
gelegenes Sinnesorgan (Organ der gehäuften Kolbenzellen
Claus No. 21) zur Ausbildung. Dies Organ besteht aus einer Anhäufung
kolbenförmiger Nervenendzellen, welche in ihrem Inneren eigenthümliche,
dreizinkige, stark lichtbrechende Einlagerungen enthalten. Es entspricht
394
XV. Capitel.
dasselbe der von Leydig für Cladoceren als Nackenorgan beschriebenen
Bildung.
Auch die Entwicklung der Estheridae weicht in keinem wesentlichen
Punkte von der für Apus und Branchipus geschilderten ab. Das sog. Nauplius-
stadiuin (Fig. 271) entbehrt noch der dorsalen (bei Estheria zweiklappigen)
Schalenduplicatur vollständig. Es unterscheidet sich von dem gleichaltrigen
Stadium von Branchipus nur durch die auffallend grosse Oberlippe (ol) und
die rudimentäre Beschaffenheit der ersten Antenne («'), welche eine mit
Fig. 272. Aelteres (cladocerenähnliches) Larvenstadium von Estheria (nachCL aus).
a' erste, a" zweite Antenne, d Darm, fr frontales Sinnesorgan, h Herz, k Kiemen,
md Mandibel, « Nervensystem, o Naupliusauge, sd Schalendrüse.
einer langen Borste besetzte halbkugelige Anschwellung darstellt (FickekNo. 22).
Ein späteres Stadium lässt die beiden Maxillarsegmente und sechs deutlich
gesonderte Fusssegmente, jedoch noch ohne entsprechende Extremitätenanlagen,
erkennen. Am hinteren Leibesende sind die Furcalfortsätze bereits zur Ent-
wicklung gekommen. Die Anlage des paarigen Auges und des zugehörigen
Ganglions ist zu erkennen. Erst in diesem Stadium tritt die Schalenanlage
in Form einer paarigen Ausstülpung des dorsalen Integuments der Maxillar-
region auf (vgl. Fig. 273, s). Im Inneren dieser Anlage ist bereits die noch
wenig entwickelte Schalendrüse zu erkennen. Die späteren Stadien sind
hauptsächlich durch das Anwachsen der Schale, durch die Vermehrung der
Crustaceen.
395
Segmente und Extremitäten , durch die Umbildung der Naupliusgliedmaassen
und die allmähliche Verkleinerung der Oberlippe charakterisirt. Solche Stadien
(Fig. 272) zeigen eine auffallende Uebereinstimmung mit der ausgebildeten
Form der Cladoceren. Der Kopf, welcher noch nicht von den Schalenklappen
bedeckt ist, zeigt ein Paar kleiner mit Riechfäden besetzter Antennulae (a')
und grosse in ihrem Bau auffallend an die gleichen Extremitäten der Daph-
niden erinnernde Ruderantennen (a "). An der Mandibel (md) ist der Taster-
antheil stark zurückgebildet. Die Gestaltung der Schalendrüse (sd), die Form
des hintersten Körperabschnittes (Postabdomen) mit seinen Furcalhaken und
zwei grossen Tastborsten erinnern so auffallend an
die Cladoceren, dass wir nicht zweifeln dürfen, dass
letztere Gruppe unter einer allmählichen Reduction
(Verringerung der Segmentzahl und Extremitätenzahl,
Rückbildung des Herzens zu einer kurzen Sackform)
aus der Gruppe der Estheriden hervorgegangen ist
(Claus No. 8).
Limnadia scheint hinsichtlich ihrer Larven-
entwicklung vollständig mit Estheria übereinzustim-
men (Lereboullet No. 26). Auch hier entwickeln
sich die beiden Schalenklappen als ursprünglich ge-
trennte Ausstülpungen des Rückeninteguments der
Maxillarregion (Fig. 273 s), welche erst später in
der Medianlinie mit einander verschmelzen. Wenn-
gleich hier, sowie bei den Cladoceren (Grobben) die
beiden Schalenhälften anfangs gesondert sich ent-
wickeln, so werden wir sie doch auf einen ursprüng-
lich einheitlichen Rückenschild, wie er sich z. B. bei
Apus findet, zurückzuführen haben.
Sehr merkwürdig gestaltet sind die jüngsten von
Grube (No. 23) bei Limnetis beobachteten Larven-
stadien (Fig. 274), welche nach der Zahl und dem
Bau der Extremitäten mit den sog. Nauplien der
übrigen Branchipoden übereinstimmen, aber durch
den Besitz eines flachen kreisrunden etwas quer-
verbreiterten Rückenschildes ausgezeichnet sind. Diesem entspricht an der
Ventralseite eine ebenso querverbreiterte grosse Oberlippe. An der vorderen
Kopfparthie findet sich ein unpaarer und zwei seitliche paarige zapfenförmige
Vorsprünge. Erst in ziemlich späten Stadien wird der flache Rückenschild
durch eine zweiklappige Schale ersetzt.
Fig. 273. Dorsalan-
sicht der Larve von Lim-
nadia (nach Lekebodl-
let).
a" Basis der zweiten
Antennen, d Darm, md
Mandibel, ol Oberlippe,
* Anlage der Schalen-
klappen.
In der manichfaltigen Gruppe der Branchiopoden haben sich vielfach
sehr ursprüngliche Gestaltungsverhältnisse des Körpers erhalten. Wir
werden das Vorhandensein zahlreicher Leibessegmente, die verhältniss-
mässig homomorphe Ausbildung der Extremitäten, den Ursprung des
Antennennervs von einem in der Schlundcommissur gelegenen Ganglien-
paar, das Vorhandensein gesonderter Ganglien in jedem Kiefersegmente,
die strickleiterförmige Ausbildung der Bauchganglienkette, das Vorhanden-
sein eines langen, gekammerten Rückengefässes und vielleicht auch die
lamellöse Ausbildung der Beinpaare als solche ursprüngliche Verhältnisse
in Anspruch nehmen dürfen. Der Umstand, dass viele der übrigen
Crustaceengruppen mittelst ihrer ursprünglichsten Mitglieder den Anschluss
an die Branchiopoden gewinnen (Nebalia) , wird uns noch mehr geneigt
machen, in dieser Gruppe die jetzt lebenden Repräsentanten einer Formen-
396
XV. Capitel.
reihe zu erblicken, welche sich von den hypothetischen Krebsahnen am
wenigsten weit entfernt hat (Dohrn No. 9). Andererseits dürfen wir
nicht vergessen, dass die jetzt lebenden Branchiopoden (Phyllopoden) in
Bezug auf manche Verhält-
nisse unzweifelhaft stark
secundär verändert erschei-
nen. In erster Linie muss
hier an die reducirte Form
der Mundgliedmassen (Man-
dibeln und Maxillen) er-
innert werden. In dieser
Hinsicht werden wir uns
an die Copepoden und an
die Malacostrakenlarven zu
wenden haben, um das Bild
der hypothetischen Stamm-
form in richtigerer Weise
zu ergänzen. Immerhin
werden wir bei Beurtbei-
lung der phylogenetischen
Verhältnisse der Crustaceen vielfach auf die Phyllopoden als einer sehr
ursprünglichen Gruppe zu recurriren haben.
vv
Fig. 274. Naupliusstadium von Limnetis
braehyura (nach Grube).
a" zweite Antenne , k Kaufortsatz derselben,
md Mandibel.
B. Cladoceren.
Während die Branchiopoden eine durch zahlreiche Häutungen ver-
mittelte Metamorphose durchzumachen haben, kommt eine solche bei den
nahe verwandten Cladoceren
vollständig
in
Fig". 275. Aus dem Winterei entwickeltes Meta-
naupliusstadium von Leptodora hyalin a (nach
G. O. Sars).
a' erste, a" zweite Antenne, md Mandibel, pl-p%1
Anlage des ersten bis sechsten Thoraxbeinpaares,
ol Oberlippe.
Ausfall , da bei ihnen die
Jungen in einer der aus-
gewachsenen Form völ-
lig gleichenden Körper-
gestaltung dem Ei ent-
schlüpfen. Die gesammte
Ausgestaltung des Körpers
ist hier in die Embryonal-
stadien verl egt,unter denen
wir ein deutlich erkenn-
bares Naupliusstadium an-
treffen, welches in man-
chen Fällen sogar durch
eine Häutung (Entwick-
lung der Naupliuscuticula)
markirt ist (Dohrn). (Vgl.
oben pag. 347, Fig. 249.)
Besondere Verhalt-
Gestalt der aus dem Ei
Gattung Leptodora an.
Jungen in der Gestalt
nisse treffen wir jedoch hinsichtlich der
kommenden Jungen in der merkwürdigen
Während die dem Sommerei entstammenden
dem ausgebildeten Thiere gleichen (P. E. Müller), schlüpfen die aus
dem Winterei kommenden Larven in der Form eines vorgerückten Meta-
naupliusstadiums (Fig. 275) aus und haben demnach noch eine Metamor-
phose zu durchlaufen (G. 0. Sars No. 29). Der Körper dieser Meta-
nauplien ist langgestreckt, ohne äusserlich erkennbare Segmentirung und
Crustaceen. 397
läuft nach hinten in die beiden Furcalfortsätze aus. Die ersten An-
tennen (d) sind kurz, keulenförmig, die zweiten Antennen (a") lange, zwei-
ästige Schwimmfüsse, welche jedoch des den Branchiopodennauplien eigenen
Kieferhakens entbehren. Die Mandibeln (md) bestehen aus dem basalen
Ladentheil und einem langen, ungegliederten, ruderförmigen Tasterantheil.
Die Mundöffnung wird von einer umfangreichen Oberlippe {61) überwölbt.
Im thoracalen Abschnitt des Körpers sind die Anlagen von sechs Ex-
tremitätenpaaren (pl — 2>VI) in der Form querer Wülste zu erkennen. Im
Kopfabschnitt erkennt man nur das Naupliusauge, während das zusammen-
gesetzte Auge erst später zur Entwicklung kommt. Die weitere Meta-
morphose vollzieht sich unter Ausbildung der Beinpaare und der Körper-
segmentirung, Entwicklung des Rückenschildes, Verkleinerung der
Oberlippe, Rückbildung des Mandibulartasters und Ausbildung der
charakteristischen Körperknickung. Das Naupliusauge persistirt jedoch bei
der aus dem Winterei kommenden Generation, während es den aus
Sommereiern entwickelten Individuen fehlt.
Die Gattung Leptodora hat demnach in Hinsicht auf die Metamor-
phose des Wintereies und auf das den Branchiopodien ähnliche Meta-
naupliusstadium — wie in mancher anderen Hinsicht — unter den
Cladoceren ursprüngliche Verhältnisse bewahrt.
So wie hier die Sommereier und Wintereier rücksichtlich der Entwick-
lung der Embryonen differiren, so weisen sie auch in anderen Punkten Unter-
schiede auf. Wir haben oben (pag. 318) darauf hingewiesen, dass bei Bytho-
trephes und Leptodora das Sommerei sich nach einem anderen Furchungs-
typus furcht, als das Winterei. Saks (No. 30) macht darauf aufmerksam,
dass die im Winterei (in Ephippien) sich entwickelnden Embryonen während
der ganzen Dauer der Entwicklung von der Eihülle („Chorion") umhüllt
bleiben, während die Sommereier die sehr dünne Dotterhaut vor Erreichung
der letzten Entwicklungsstufe abwerfen.
Die Anzahl von sechs Thoraxbeinpaaren, welche wir oben bei der An-
lage dieser Extremitäten an dem Metanauplius auftreten sahen, müssen wir
als die ursprüngliche der Cladoceren betrachten. Diese Zahl ist auch bei
den Sididen erhalten. Im Embryo von Lynceus werden sechs Paare an-
gelegt, von denen das letzte später rückgebildet wird (Claus No. 8).
4. Ostracoden.
Die mit einer zweiklappigen, häufig mit Kalksalzen infiltrirten Schale
versehenen Ostracoden, welche unter Reduction der Segmentzahl und
Verminderung der Beweglichkeit von ähnlich gestalteten Phyllopodenahnen
durch eine Art Rückbildungsprocess (einseitige Entwicklung nach be-
stimmter Richtung) abgeleitet wTerden müssen, durchlaufen eine mehr oder
weniger ausgeprägte Metamorphose. Letztere erscheint bei denCypri-
dinen, Cytheriden und Halocypriden, deren Entwicklung uns
nur unvollkommen bekannt ist, in einigermassen abgekürzter Form, in-
dem die Larven in einer dem ausgebildeten Thiere nahestehenden Ge-
stalt geboren werden; dagegen durchlaufen die Cypriden eine durch
zahlreiche aufeinanderfolgende Häutungen vermittelte, von dem Nauplius-
stadium bis zur ausgebildeten Form reichende Metamorphose, welche uns
durch die Untersuchungen von Claus (No. 32, 34) für Cypris fasciata,
sowie für Cypria ovum und vidua bekannt geworden ist. Nach der Zahl
398
XV. Capitel.
der aufeinanderfolgenden Häutungen lassen sich hier neun, zum Theil
allerdings wenig von einander verschiedene Stadien unterscheiden.
Der Nauplius (Fig. 276 A) ist durch die Verwendung der drei Glied-
maassenpaare als Locomotionsorgane , sowie durch den Besitz einer um-
fangreichen, helmförmigen Oberlippe (OL) dem gleichwertigen Entwick-
lungsstadium der Phyllopoden ähnlich, weist jedoch in dem Vorhandensein
einer hohen, zweiklappigen, durch einen Schliessmuskel (SM) verschliess-
baren Schale bereits ein typisches Ostracodenmerkmal auf, dessen Ent-
wicklung offenbar secundär in dies frühe Stadium verlegt ist. Die weitere
Metamorphose vollzieht sich wie bei den Phyllopoden unter dem all-
mählichen, der Reihenfolge nach sich vollziehenden Hervorsprossen der
hinteren Extremitätenpaare, dem Auswachsen des hinteren Leibesabschnittes
und der demselben entsprechenden inneren Organe. Demgemäss vollzieht
sich auch eine schon von Zenker (No. 35) beobachtete Aenderung in
der Form der Schale. Im Nauplius ist die vordere Schalenhälfte be-
deutend entwickelt. Die grösste Ausdehnung nach der Höhendimension,
A B
\.--Ä
Mx Sit
Fig. 27G. Zwei Larvenstadien von Cypris (nach Claus, aus Balfour's
Handbuch).
A Naupliusstadium, B zweites Larvenstadium, A', erste, A" zweite Antenne,
/" erster Fuss, Md Mandibel, OL Oberlippe, Mx' erste Maxille, SM Schliessmuskel.
sowie die nach der Breite fällt vor die Körpermitte. Der hintere Ab-
schnitt der Schale erscheint stark abschüssig, das hintere Schalenende mehr
spitz zulaufend. Mit der Ausbildung der hinteren Körperparthien gewinnen
auch die hinteren Schalenhälften allmählich an Umfang (vgl. Fig. 276
bis 278). Von dem Gesetz des regelmässigen Auftretens der Extremi-
täten in der Reihenfolge von vorne nach hinten machen die zweiten
Maxillen insofern eine Ausnahme, als sie erst nach Entwicklung des
dahinter gelegenen Beinpaares, also etwas verspätet auftreten. Es wieder-
holen sich hier Verhältnisse, welche wir ähnlich bei den Phyllopoden und
einigen Copepoden (Cyclopiden, Harpactiden) wiederfinden.
Das Naupliusstadium (erstes freies Larvenstadium Fig.
276 Ä) ist, wie erwähnt, durch das Vorhandensein einer zweiklappigen, mit
einem Schalenschliessmuskel (SM) versehenen Schale ausgezeichnet. Ent-
sprechend dem höchsten Punkte derselben findet sich das hier sehr grosse,
mit paarigen Linsen versehene Naupliusauge. Der Darmcanal , aus Oesopha-
gus , Mitteldarm und
Die Mundöffnung ist
Enddarm bestehend , entbehrt noch der Leberanhänge,
von einer mächtigen Oberlippe (OL) überwölbt. Die
drei Gliedmaassenpaare weichen in ihrer Gestalt von denen des Phyllopoden-
Crustaceen.
399
nauplius einigermassen ab. Sie sind hier als einästige Kriechbeine entwickelt.
Die beiden ersten Paare nähern sich in ihrer Gestalt schon der definitiven
Form. Die erste Antenne (Af) erscheint eingekrümmt und besteht aus vier
Gliedern , von denen die drei kürzeren Endglieder an der oberen Seite mit
Ruderborsten besetzt sind. Die zweite Antenne (A ") weist bereits die charak-
teristische knieförmige Einbiegung auf. Die Mandibel (Md) ist hier noch
vollständig als dreigliedriger Kriechfuss entwickelt, dessen Spitze mit einer
ansehnlichen Hakenborste endet. Die spätere Kaulade ist in diesem Stadium
nur als ein kleiner gekerbter Fortsatz des Basalgliedes entwickelt.
Im darauffolgenden zweiten Larvenstadium (Fig. 276 B) verliert
die Mandibel den eben gekennzeichneten ursprünglichen Charakter. Ueber-
dies sind hinter derselben die Anlagen zweier weiterer Beinpaare, und zwar
B
fi im i m*
Fig. 277. Zwei weitere Entwicklungsstadien von Cypris (nach Claus, aus
Balfour*s Handbuch).
A viertes Stadium, B fünftes Stadium.
Mx' erste Maxille, Mx" und /' zweite Maxille, /" erstes Fusspaar, L Leber.
der ersten Maxille (Mx) und des ersten Fusspaares (/") aufgetreten. Der
Körper hat sich dementsprechend gestreckt. Das Basalglied des dritten Glied-
maassenpaares ist jetzt zu einer umfangreichen triangulären, an der Innenseite
mit Zähnchen besetzten Kauplatte (Mandibel) umgestaltet, während der Rest
dieser Extremität als viergliedriger Mandibulartaster persistirt. An dem Basal-
giied des letzteren ist die erste Anlage des bandförmigen, mit Borsten be-
setzten Anhangs (Exopodit) zu erkennen. Von den nach hinten folgenden
Extremitätenanlagen zeigt die folgende (erste Maxille) die Gestalt einer blatt-
förmigen, gebogenen Platte (Mx), während das erste Fusspaar (f") als un-
gegliedertes, mit einem Endhaken versehenes Klammerorgan angelegt erscheint.
Im dritten Stadium nähert sich die Maxille der definitiven Gliede-
rung, indem zwei stärkere, bezahnte Kieferfortsätze und die Anlage eines
dritten zu erkennen sind. Auch die Anlage der mit Haaren besetzten,
schwingenden Fächerplatte (Exopodit) ist bereits zu erkennen. Das darauf-
400
XV. Capitel.
folgende vierte Larvenstadium (Fig. 277-4) zeigt an den Antennen
und dem Mandibulartaster mit Ausnahme des reichlicheren Borstenbesatzes
keine wesentliche Aenderung; dagegen sind an den ersten Maxillen (Mx')
sämmtliche vier Kieferfortsätze entwickelt , deren oberer (Endopodit) bereits
die Abschnürung eines Endgliedes erkennen lässt. Hinter dieser Gliedmaasse
ist in dem vorliegenden Stadium eine neuaufgetretene, den Raum zwischen erster
Maxille und erstem Fusspaar einnehmende Gliedmaassenanlage (Mx") zu er-
kennen: die als trianguläre Platte auftretende Anlage der zweiten Maxille,
welche somit erst nach der Anlage des ersten Fusspaares zur Entwicklung
kommt. Das zweite Fusspaar fehlt noch ; dagegen ist das hinterste Körperende
durch die Entwicklung zweier Furcalborsten gekennzeichnet.
Das fünfte Larvenstadium (Fig. 277 B) zeichnet sich durch die
Weiterbildung der zweiten Maxille (Mx") aus, welche jetzt als viergliedriger,
nach hinten gerichteter Fuss erscheint, dessen Basalglied einen vorspringenden
Kieferfortsatz trägt. Es ist von Interesse, dass diese Extremität in den Ent-
flfae')
Fig. 278. Sechstes Larvenstadium von Cypris (nach Claus, aus Balfoür's
Handbuch).
Mx' erste Maxille, Mx" und/' zweite Maxille,/",/'" erstes, zweites Fusspaar,
Fu Schwanzgabel, L Leber, SD Schalendrüse.
wicklungsstadien von Cypris sich der Beinform nähert, eine Ausbildungsart,
welche dieselbe in der Familie der Cytheriden zeitlebens beibehält. Jetzt
werden auch die beiden Furcalglieder am hinteren Körperende deutlicher
ausgeprägt. Von inneren Organen ist die Entwicklung der in die Schalen-
klappen eintretenden Leberschläuche (L) zu erwähnen, sowie das erste Auf-
treten eines von Claus als die Anlage der Schalendrüse (?) gedeuteten,
unter dem Auge gelegenen verästelten Gebildes (Fig. 278 SD).
Das sechste Entw'icklungsstadium (Fig. 278) ist durch das
Auftreten des letzten (zweiten) Beinpaares (f") charakterisirt. Das zweite
Maxillenpaar hat durch Vergrösserung des Kaufortsatzes und Verkleinerung
des beinähnlichen Endabschnittes eine Umgestaltung erlitten. Das vordere
Fusspaar, welches bisher ziemlich unentwickelt geblieben war, hat sich nun
in mehrere Abschnitte gegliedert. Das hintere (letzte) Beinpaar zeigt im
"Wesentlichen die gleiche Form wie die Anlagen der vorhergehenden Extre-
mitäten in den früheren Stadien. Die Furca, nähert sich bereits der bleiben-
den Gestaltung und endet mit zwei starken Hakenborsten.
Im siebenten Stadium, welches im Bauseiner Gliedmaassen die de-
finitiven Verhältnisse aufweist, werden die Anlagen des Geschlechtsapparates
Crustaceen. 401
erkennbar. Von den Aenderungen , welchen die Gliedmaassenanlagen unter-
liegen, ist besonders die Entwicklung eines kleinen blattförmigen Anhangs
(Exopodit) am Basalglied der zweiten Maxille, sowie die auftretende Gliede-
rung des letzten Beinpaares zu erwähnen.
Während im achten Stadium bei fortschreitender Entwicklung der
Geschlechtsanlagen auch die Ausbildung der sexuellen Differenzen angebahnt
wird, erscheint das neunte und letzte Stadium als die Entwicklungs-
stufe der Geschlechtsreife.
Die Cytheriden schlüpfen nach Zenker in einem Entwicklungs-
stadium aus dem Eie, welches ungefähr dem vierten Stadium der
Cypriden zu vergleichen ist. Es sind ausser den beiden Antennenpaaren
die Mandibeln und ersten Maxillen angelegt und in ihrer Form bereits
ziemlich ausgebildet. Dahinter scheinen zwei Beinpaare in der ersten
Anlage vorhanden zu sein. Der Mandibulartaster fungirt noch als Loco-
motionsorgan.
Die Cypridinen, deren Eier — wrie die der Cytheriden —
zwischen den Schalenklappen der Mutter ihre embryonale Entwicklung
durchlaufen, zeigen hinsichtlich der Gestaltungsverhältnisse der Schale
dieselben Unterschiede, welche wir für die Jugendformen von Cypris gegen-
über der ausgebildeten Form hervorgehoben haben. Das zusammen-
gesetzte paarige Auge wird frühzeitig angelegt. Dem Ausschlüpfen nahe
stehende Embryonen zeigten bereits die Furcalanhänge, entbehrten aber
noch der drei hintersten Extremitätenpaare (Fuss, Putzfass und Genital-
höcker). Es ist wahrscheinlich, dass die Larven in einer der ausgebildeten
Form sehr ähnlichen Gestalt aus dem Ei schlüpfen (Claus No. 33).
Auch bei den Halo cypriden ist die Metamorphose fast völlig in
Wegfall gekommen, insofern die ausschlüpfenden Jungen bereits sämmt-
liche Gliedmaassen zu besitzen scheinen und sich nur durch die mangelnde
Reife der Geschlechtsorgane, die geringere Zahl der Furcalhaken und die
mangelhafte Entwicklung der Sexualcharaktere von der ausgebildeten
Form unterscheiden (Claus).
5. Cirripedien.
Die durch die Anpassung an die festsitzende Lebensweise in merk-
würdiger Art umgestaltete Gruppe der Cirripedien wird vielfach im
Anschlüsse an die Anschauungen von Claus (No. 8) in nähere verwandt-
schaftliche Beziehungen zu den Copepoden gebracht. Doch dürften wir
wrohl mit Rücksicht auf das in ihrer Metamorphose sich findende, mit
zwei Schalenklappen versehene sog. Cyprisstadium , welches den Ueber-
gang von der freien zur festsitzenden Lebensweise vermittelt, eine ähn-
lich gestaltete Ahnenform, welche wir dann unter den Phyllopoden zu
suchen hätten, supponiren. Da sich die Uebereinstimmungen im Bau
und in der Entwicklung der Cirripedien mit den Copepoden auch als
Wirkungen einer gleichgerichteten Anpassung ( Convergenz) erklären lassen,
dagegen unter den Copepoden die Schale durchgängig eine Rückbildung
erfahren hat, so werden uns diese beiden Ordnungen der Crustaceen als
selbstständige Ausläufer des ursprünglichen Phyllopodenstammes erscheinen
(vgl. unten pag. 500).
402 XV. Capitel.
Die Metamorphose der Cirripedien beginnt mit einem echten Na u-
plius Stadium, welches durch den Besitz der sog. Stirnhörner 1) und
eines meist dreieckigen Rückenschildes charakterisirt ist. Die Reihe der
durch mehrfache Häutungen aus einander hervorgehenden Naupliusstadien
schliesst mit einem Metanauplius, welcher die Anlagen des paarigen
Auges, eines vierten Extremitätenpaares und der dahinter folgenden sechs
Thoraxbeinpaare erkennen lässt. Durch eine nochmalige Häutung geht
die Larve in das freischwimmende Cyprisstadium über, welches
nach erfolgter Festsetzung den Uebergang in die definitive Körperform
vorbereitet, die durch eine weitere Häutung aus dem festsitzenden
Cyprisstadium (Puppe) hervorgeht.
A. Thoracica.
Die der Reihe der Naupliusformen angehörigen Stadien der
Balaniden (Fig. 279.4) sind im Allgemeinen einfacher gestaltet, als
die bedeutend grösseren, bedornten Lepadennauplien, so dass wir
bei unserer Schilderung von den ersteren ausgehen können. Der Körper
zeigt keine Anzeichen einer äusseren Segmentirimg und ist an der dor-
salen Seite von einer flachen, dreieckigen oder mehr ovalen Schale be-
deckt, welche an den lateralen Enden ihres Stirnrandes zur Bildung der
„Stirnhörner" (h) ausgezogen erscheint. Das hintere Ende dieser Rücken-
schale scheint anfangs abgerundet zu sein, kann jedoch auch in späteren
Stadien mit einem Paar nach hinten und aufwärts gerichteter Stacheln
besetzt sein. Die Stirnhörner bergen in ihrem Inneren einen stiletartigen
Fortsatz (Claus No. 8), während in die denselben aufnehmende Scheide die
Ausführungsgänge zweier grosser und mehrerer kleiner einzelliger Drüsen
(Fig. 279 B, dr) ausmünden (Claus No. 8, Willemoes -Suhm No. 62). Wir
haben es demnach hier wahrscheinlich mit einem Vertheidigungsapparat, und
nicht mit einem Sinnesorgan zu thun. Das hintere Körperende (Thoraco-
abdominalabschnitt Fig. 279 A, t) ragt über den Rückenschild nach hinten
frei vor und läuft in eine Schwanzgabel aus. Die Afteröffnung (af) liegt
ziemlich weit vorne an der Dorsalseite dieses Abschnittes. Zwischen der-
selben und dem hinteren Rande des Rückenschildes entspringt von der Dorsal-
seite des Thoracoabdominalabschnittes ein mächtiger, nach hinten sich
erstreckender, spitz endigender Stachel, der sog. Schwanzstachel (/7s).
In späteren Stadien findet sich an der Ventralseite des Thoraco-
abdominalabschnittes vor der Schwanzgabel ein Paar die Configuration
der Schwanzgabel wiederholender Dornen und vor diesem noch ein kleines
Paar. Durch das Auftreten dieser bei einigen Formen noch etwas stärker
ausgebildeten Bedornung kann der Anschein einer Segmentirimg des
Thoracoabdominalabschnittes erzeugt werden. Doch sind diese Verhält-
nisse nicht auf eine wirkliche Segmentirimg des betreffenden Abschnittes
zu beziehen.
Im vorderen Abschnitt des Körpers ist stets das dem Gehirn an-
liegende, unpaare Naupliusauge deutlich zu erkennen. Die Mundöfmung
1) Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass der Besitz von Stirnhörnern
kein dem Cirripediennauplius ganz allgemein zukommendes Merkmal ist. Dieselben
fehlen beispielsweise bei dem Nauplius der Laura Gerardiae (vgl. unten pag. 419)
und bei einem von Sluiter gefundenen in Ascidien schmarotzenden Wurzelkrebse,
Sphaer othylacus polycarpae. Ebenso fehlen sie bei jener merkwürdigen, ihrer
Stellung nach allerdings noch zweifelhaften Larve, welche bei Mindanao pelagisch ge-
fischt und von Willemoes-Suhm anfangs für die Larve von Limulus gehalten, später
jedoch den Cirripedienlarven zugerechnet wurde (No. 63).
Crustaceen.
403
ist von einer grossen,
helmförmigen Ober-
lippe (ol) überwölbt,
welche ihrer Gestalt
nach an die Oberlippe
derPhyllopodenlarven
erinnert. Die Extre-
mitätenpaare zeigen
den für das Nauplius-
stadium typischen Bau
und erscheinen in den
ersten Stadien oft nur
undeutlich gegliedert,
während die späteren
Stadien eine deut-
lichere und reichere
Gliederung der Ex-
tremitäten aufweisen.
Die vorderste Extre-
mität (d, erste An-
tenne) besteht stets
aus einer einzigen
Reihe von Gliedern,
welche in ihrem dis-
talen Theil mit langen
Ruderborsten besetzt
sind. Das zweite und
dritte («", md) Extre-
mitätenpaar ist zwei-
ästig. Der längere
Exopodit besteht aus
einer grösseren An-
zahl dicht gedrängter,
mit Ruderborsten be-
setzter Glieder; der
kürzere Endopodit
weist eine geringere
Zahl von Gliedern auf.
An dem Protopodit
beider Extremitäten-
paare finden sich
mehrere nach innen
gegen die Mundöff-
nung gerichteteKiefer-
haken.
Die späteren Sta-
dien sind durch die
allmähliche Grössen-
zunahme des Körpers,
durch das Auftreten
der oben erwähnten
Fig*. 279. Larvenstadien von Baianus (nach Claus).
A älteres Naupliusstadium, B Metanauplius.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, af After, dr Drüsen-
zellen der Stirnhörner , ds dorsaler Schwanzstachel , fl-fvl
erstes und sechstes Thoraxbeinpaar, fs frontales Sinnes-
organ, h Stirnhörner, md Mandibel, mx Maxillaranlagen,
ol Oberlippe, t Thoraeoabdominalanhang.
Stachelfortsätze am Rückenschilde und am Thoracoabdominalabschnitt, vor
Allem aber durch das Vorhandensein des paarigen frontalen Sinnesorganes (fs)
404 XV. Capitel.
charakterisirt, welches hier in der Form zweier neben dem Naupliusauge
sich inserirender, fadenförmiger Fortsätze zur Entwicklung kommt. Von
inneren Organen sind ausser den bisher erwähnten (Auge, Gehirn, Drüsen-
schläuche der Stirnhörner) noch die zur Bewegung der Extremitäten und
des Thoracoabdominalanhangs dienenden Muskelgruppen, sowie der Ver-
dauungstract zu erwähnen. Letzterer gliedert sich in einen kurzen
Oesophagus, einen weiteren Mitteldarm und in den mit der dorsal ge-
legenen Afteröffnung ausmündenden Enddarm. Ueber das Vorhandensein
der sonst bei den Xauplien der Entomostraken vorkommenden An-
tennendrüse (im Basalglied des IL Extremitätenpaares) ist bisher für die
Cirripediennauplien Nichts bekannt geworden.
Die Nauplien der Lepaden erscheinen, wenn sie aus dem Eie
schlüpfen, in der Gestalt denen der Balaniden ziemlich ähnlich, mit
dem einzigen Unterschiede, dass die lang ausgezogenen Stirnhörner nach
hinten zurückgebogen erscheinen. Sie erleiden bald nach dem Aus-
schlüpfen eine erste Häutung, nach welcher der stachelförmige Thoraco-
abdominalanhang und der dorsale Schwanzstachel erst in ihrer vollen
Länge hervortreten. Während der späteren Häutungen wächst der Le-
padennauplius zu einer ganz ungeheueren Grösse (12 mm Länge) an und
zeichnet sich dann durch zahlreiche Fortsatzbildungen des Körpers aus.
Bei Lepas fascicularis werden bis zur Erreichung des Metanauplius-
stadiums sieben Häutungen durchlaufen. Solche spätere Stadien (Fig. 280)
zeigen den Thoracoabdominalanhang (t) und den dorsalen Schwanz-
stachel (äs) zu langen, spitz zulaufenden, mit Häkchen besetzten Fort-
sätzen ausgezogen. Ein ganz ähnlicher Fortsatz (d) hat sich im Mittel-
punkt der Rückenschale erhoben. Der letztere, schief nach hinten verlau-
fende Fortsatz wird als Rückenstachel bezeichnet. Auch am Rande des
Rückenschildes sind nun ausser den Stirnhörnern acht grössere stachel-
förmige Fortsätze zu erkennen, von denen das erste Paar vorne zwischen
den Stirnhörnern gelegen, die anderen dagegen an den Seiten und hinten
vertheilt sind. Ausserdem sind sowohl der Rückenschild als auch die
grösseren Fortsätze mit einer Reihe kleinster Stacheln besetzt. Nur die
Stirnhörner entbehren dieses Besatzes. Viele dieser kleinsten Stacheln
sowohl, als auch die Randfortsätze des Rückenschildes erweisen sich als
durchbohrte, mit den Ausführungsgängen von Drüsenzellen (Hautdrüsen)
im Zusammenhang stehende Erhebungen. An der Ventralseite des Tho-
racoabdominalanhangs unterscheiden wir ausser zwei weiter nach hinten
gelegenen Paaren unbeweglicher Dornen weiter vorne sechs Paare be-
weglicher grösserer Stacheln (x), welche nicht gleichzeitig, sondern suc-
cessive angelegt werden, so dass jede neue Häutung ein neues Paar
solcher Stacheln zur Entwicklung bringt, bis mit der letzten Häutung die
Zahl von sechs Paaren erreicht ist. Uns erscheint es ziemlich plau-
sibel — was Dohrn (No. 42) und Willemoes-Suhm (No. 62) mit Vor-
sicht muthmassen — , dass diese Stachelpaare den Anlagen der sechs
Thoraxbeinpaare der cyprisähnlichen Larve entsprechen. Wir müssten
dann dies letzte Stadium bereits als Metanauplius in Anspruch nehmen.
Dohrn (No. 42) hat eine — wahrscheinlich auf Lepas australis zu be-
ziehende — grosse Naupliuslarve unter dem Namen Ar chizoea gigas ein-
gehend beschrieben. Neuere Angaben über die Lepadidenlarven verdanken
wir vor Allem Willemoes-Suhm (No. 62). Mit der Zoealarve der Malako-
straken haben diese Stadien absolut nichts zu thun. Die Entwicklung langer
stachelförmiger Fortsätze ist eine bei den pelagischen Thierformen sehr häufig
Cnistaceen.
405
vorkommende Schutzeinrichtung (vgl. Radiolariengehäuse und Pluteuslarven
mit ihren Stacheln).
Während in der Reihe der Naupliusstadien, wenn wir von der Ver-
größerung des Körpers und obenerwähnten Ausbildung von Dornen und
stachelförmigen Körperfortsätzen absehen, keine wesentlichen Veränderungen
sich bemerkbar machen, weist das letzte, unmittelbar vor dem Uebergang
in das Cyprisstadiuni stehende Endglied dieser Reihe (Metanauplius
Fig. 279 B) wichtige Neuanlagen von Organen auf. Hinsichtlich der all-
gemeinen Leibesgestaltung ist hervorzuheben, dass die Seitentheile des
Rückenschildes sich nun schon allmählich herabbiegen und, indem sie
den Körper lateralwärts bedecken, die Lagenverhältnisse der zweiklappigen
Schale des Cyprisstadiums vorbilden. Die drei vorderen Extremitäten-
paare weisen im Allgemeinen noch die
dem Nauplius zukommende Gestalt auf,
doch lässt sich bereits im Inneren des
vordersten Paares (erste Antenne) die
für das Cyprisstadium wichtige Anlage
des Saugnapfes erkennen (Krohn Xo.50,
Willemoes-Suhm No. 62, Claus No. 8).
Es wird hiedurch der Beweis erbracht,
dass thatsächlich die Haftantennen der
späteren Stadien von dem vordersten
Paare der Naupliusextremitäten her-
zuleiten sind (Krohn No. 50, Fr.
Müller). Hinter der Mandibel ist die
noch ziemlich rudimentäre Anlage eines
vierten Extremitätenpaares zu erkennen,
in welcher jedoch wahrscheinlich —
wie wir später ausführen werden —
die Anlagen zweier aufeinanderfolgen-
der Extremitätenpaare (mx) versteckt
liegen (Metschnikoff No. 53, Claus
No.8). Eine beträchtliche Vergrösserung
hat der Thoracoabdominalabschnitt der
Larve erfahren, an welchem, unter
der Naupliuscuticula gelegen, die An-
lagen der sechs Ruderfusspaare (f1
bis f"1) der Larve (Thoraxbeinpaare),
sowie die Caudalfortsätze des kurzen
Abdomens (Furcalanhänge) zu erken-
nen sind (Krohn No. 50, Claus No. 8).
Von Wichtigkeit ist ferner, dass in
diesem Stadium bereits neben dem
sammengesetzten , durch Muskelfasern
der cyprisähnlichen Larve angelegt erscheinen
Metanaupliusstadium - ■ wie mit einem Schlage
Fig. 280. Larve von Lepas
australis(Archizoea g i g a s) (nach
DOHRX).
a Afteröffnung, d Rückenstachel,
ds dorsaler Schwanzstachel, h Stirn-
hörner, ol Oberlippe, t Thoracoabdomi-
nalanhang, x bewegliche Stachelpaare.
Naupliusauge die paarigen, zu-
Augen (Fig. 2795)
So sind denn in diesem
— sämmtliche wichtigere
beweglichen
Organ- und Extremitätenanlagen der cyprisähnlichen Larve gebildet worden,
welch' letztere durch Abstossung der Naupliushaut aus dem vorliegenden
Stadium hervorgeht.
Das freischwimmende Cyprisstadium (Fig. 281), welches
nur von kurzer Dauer ist, führt seinen Namen von der zweiklappigen,
den ganzen Körper umhüllenden Schale. Die eigentliche Körpergliederung
und die innere Organisation hat mit den Ostracoden nichts Gemeinsames.
Korscheit- Hei der, Lehrbuch.
27
406
XV. Capitel.
In dieser Hinsicht weist das Cyprisstadium Verhältnisse auf, welche sich be-
reits stark denen der ausgebildeten Form nähern. Die beiden Schalenklappen
welche durch einen Schliessmuskel einander genähert werden können,
gehen an der dorsalen Seite direct in einander über. Ihr dorsaler Rand
erscheint gewölbt, während der ventrale abgeflacht ist. Vorne sind sie
abgerundet, nach hinten jedoch spitz zulaufend. In dem vordersten An-
theil der Schalenklappen bemerkt man nahe der Ventralseite einen wenig
vorspringenden Höcker, in welchem der letzte Rest der Stirnhörner des
Näuplius zu erkennen ist. Die ventralen Schalenränder hängen im
mittleren Theile fest zusammen. Nach hinten öffnet sich der Spalt
zwischen denselben zum Durchtritt der Ruderfüsse der Larve (rf) und
ebenso findet sich eine vordere Oeffnung, durch welche die nun als
Haftantennen fungiren-
den I. Antennen (1) vor-
gestreckt werden. Letz-
tere werden im freien
Cyprisstadium zur ge-
legentlichen Festheftung
der Larve, welche der
definitiven Festsetzung
vorhergeht und dieselbe
gleichsam vorbereitet,
benützt. Sie bestehen
in diesem Stadium aus
vier Gliedern, von denen
das Basalglied dem Kör-
per mit breiter Basis
aufsitzt und verschiedene
Chitinspangen zum An-
sätze von Muskeln trägt.
Das zweite, armähnlich gestreckte Glied ist gegen das Basalglied gebeugt;
das kurze dritte Glied trägt an seiner äusseren Seite die Haftscheibe,
in deren Mitte der Cementgang (Ausführungsgang der s Cementdrüse)
mündet, während das stummeiförmige vierte Glied mit einigen gewöhn-
lichen Borsten und einer grösseren Riechborste (Claus No. 39, Willemoes-
Suhm No. 62) besetzt erscheint.
Die Cementdrüse (vgl. Fig. 282 cd) selbst weist in der Cyprislarve
sehr verschiedene Grade der Ausbildung auf. Sie rückt in den später
folgenden Puppenstadien an die Basis des zum Stiel sich umwandelnden
Kopftheils der Larve und bildet hier entweder dichtgedrängte gewundene
Zellstränge (Lepas pectinata) oder überall zerstreute Zellen, welche nur
durch die Ausführungsgänge im Zusammenhang stehen. Dem Bau nach
ist die Cementdrüse als eine Anhäufung zahlreicher einzelliger Drüsen
an einen vielfach verzweigten Ausführungsgang zu betrachten, welchem
die einzelnen Drüsenzellen wie Beeren einer Traube aufsitzen.
Fig. 281. Cyprisstadium von Lepas fasci-
culata (nach Claus, aus Lang's Lehrbuch).
ua Naupliusauge, pa paariges Auge, rf Ruderfüsse,
ab Abdomen, 1 erste Antenne.
Ueber die Genese dieser Drüse und deren morphologische Zurückführung
sind wir noch vollkommen im Unklaren. Es hat nicht an Versuchen gefehlt,
dieselbe auf eines der beiden den Crustaceen zukommenden typischen Drüsen-
paare (Antennendrüse und Schalendrüse) zu beziehen, wenngleich einer solchen
Homologisirung durch die Ausmündung an einer anderen Extremität erheb-
liche Schwierigkeiten sich entgegenstellen. Claus (No. 8) findet im Inneren
der Schalenduplicatur an dem freischwimmenden Cyprisstadium von Lepas
Crustaceen. 407
australis einen gewundenen drüsenähnlichen Zellstrang und ist geneigt, den-
selben mit der Schalendrüse der übrigen Entomostraken zu horaologisiren,
während er muthmasst, dass die in späteren Stadien erkennbare Cementdrüse
sich von diesem Zellstrang herleitet. Dagegen hat Willemoes-Suhm (No. 62)
schon in späteren Naupliusstadien eine paarige, zu den Seiten des Ursprungs
der Oberlippe gelegene Drüsenmasse erkannt, aus welcher sich nach seiner
Ansicht die Cementdrüse entwickeln soll. Bei diesem herrschenden Wider-
streit der Ansichten werden wir gut thun, in der Cementdrüse vor der Hand
eine eigenartige Bildung der Cirripedien zu erblicken und vorläufig von
Homologisirungen mit Drüsen anderer Krebsgruppen abzusehen.
Eine äusserst tiefgreifende Veränderung ist in der Bildung der im
Nauplius die Mundöffnung umgebenden Gliedmaassenpaare vor sich ge-
gangen. Die IL Antenne scheint vollständig zu schwinden (wenn sie sicli
nicht etwa — wie Pagenstecher (No. 58) vermuthet — in dem taster-
förmigen Anhang der Oberlippe erhalten hat). Die eigentlichen Muncl-
theile erscheinen nun schon samint der Oberlippe auf einen wenig vor-
ragenden Mundkegel gerückt und treten in der Form von drei Paaren
stummeiförmiger Anlagen auf, welche wir auf die späteren Mandibeln,
I. Maxillen und die durch Vereinigimg der IL Maxillen hervorgegangene
Unterlippe beziehen müssen. In welcher Weise diese Mundtheile auf
die Extremitäten des Metanaupliusstadiums zurückzuführen sind, ist noch
völlig unklar. Am wahrscheinlichsten dünkt uns die Annahme von Claus
(No. 8), der zufolge die Mandibeln aus dem Basalabschnitt des dritten
Naupliusextremitätenpaares hervorgehen, während die dahinter gelegene
Extremitätenanlage des Metanauplius (Fig. 279 _B, mx) in ihrem äusseren
Abschnitte die I. Maxillen liefert. Dagegen soll aus einem an der
Innenseite dieser Extremitätenanlage gelegenen Rudiment die Unterlippe
entstehen. Wir müssten sonach in dieser Gliedmaassenanlage des Meta-
nauplius die nahe zusammengedrängten Anlagen des I. und IL Maxillen-
paares vermuthen. Auch Metschnikoff (No. 53) lässt aus dieser Anlage
zwei Extremitätenpaare hervorgehen, bezieht dieselben jedoch auf die
Mandibeln und Maxillen des ausgebildeten Cirripeds, während die
III. Gliedmaasse des Nauplius ebenso wie die des II. Paares vollständig
verschwinden soll. An dem weiter nach hinten folgenden Körperabschnitt
finden wir sechs Paare von Ruderfüssen (rf), wTelche in ihrem Bau auf-
fallend an die Thoraxbeinpaare der Copepoden erinnern und auch in
ähnlicher Weise als Schwimmfüsse verwendet werden. Sie bestehen aus
einem zweigliedrigen Basalabschnitt und aus einem demselben eingefügten
Exopoditen und Endopoditen , welche je aus zwei Gliedern zusammen-
gesetzt sind und einen Besatz von längeren Ruderborsten aufweisen. Das
hinterste Körperende trägt ein kurzes viergliedriges Abdomen (ab),
welches mit zwei in lange Borsten auslaufenden Furcalanhängen endigt.
Von inneren Organen sei erwähnt, dass in diesem Stadium sich bereits
sackförmige Ausstülpungen der als Magen bezeichneten Erweiterung des Darm-
canals anlegen, welche zur sog. Leber sich umbilden, ferner, dass die Anlage
der Ovarien in der Gestalt paariger, im Kopfabschnitt nahe der Ventral-
seite gelegener Schläuche bemerkbar wird.
Aus der freischwimmenden Cyprislarve geht nach erfolgter definitiver
Fixirung die festgeheftete, cyprisähnliche Larve (Fig. 282) der
Cirripedien hervor. Da in diesem Stadium die Nahrungsaufnahme, so-
27 *
408
XV. Capitel.
wie die Locomotion völlig unterdrückt ist und unter der Cuticula des
Cyprisstadiums (wie unter einer Puppenhaut) durch Wachsthunisprocesse
wichtige innere und äussere Umbildungen am Körper der Larve sich
vollziehen, so hat man dies Stadium mit einiger Berechtigung auch als
cyprisähnliche Puppe bezeichnet. Auch letzterer geht durch Abstreifung
der Cuticula des Cyprisstadiums das fertige, junge Cirriped hervor.
Ueber das Detail der Vorgänge, unter welchen sich diese Umwandlung voll-
zieht, sind wir hauptsächlich durch die Untersuchungen von Dakwin
(No. 40), Pagenstecher (No. 58) und Claus (No. 39, 8) unterrichtet
worden.
Die Larve heftet sich mittelst der an den ersten Antennen befind-
lichen Saugnäpfe und mittelst des von der Cementdrüse ausgeschiedenen
Klebestoffes an der Unterlage fest. Sie ist ursprünglich derart befestigt,
Fig". 282. Puppe von Lepas pectinata (nach Claus, aus Lang's Lehrbuch).
ua Naupliusauge , pa paariges Auge, rf Thoraxbeinpaare (mit den Anlagen der
Rankenfüsse im Inneren), o Mund, d Darm, L Leber, sm Schliessmuskel , sc Sputa,
t Terga, ca Carina, cd Cementdrüse, 1 erste Antenne mit dem Saugnapf.
dass ihre ganze ventrale Seite die Unterlage berührt (vgl. Fig. 283 A
und B). Die erste Umänderung, welche zunächst bemerkbar wird, sind
gewisse Wachsthumsvorgänge , durch welche einzelne Theile der Larve
der definitiven Form genähert werden. So werden die an dem Gipfel des
Mundkegels gelegenen, bisher ungemein rudimentären Mundtheile deutlich
entwickelt, welcher Vorgang sich bei den Lepaden vor Allem unter Ver-
grösserung der Oberlippe vollzieht. Ebenso wachsen die Thoraxbeinpaare
(Fig. 283 B) viel länger zur Anlage der Rankenfüsse (rf) aus. Alle
diese Theile werden unterhalb der etwas gelockerten Cypriscuticula an-
gelegt. Es ist natürlich, dass die lang auswachsenden Rankenfüsse in
den kurzen Hüllen der Thoraxbeine des Cyprisstadiums nicht genügenden
Platz zur Entwicklung finden, und daher unter mannichfachen Krüm-
mungen einigermassen gegen das Innere, des Thorax vordrängen (Fig. 282).
Das Abdomen verkümmert fast vollständig, während von der Basis des-
selben (Genitalsegment) der unpaare Penis als Ausstülpung vorwächst.
Gleichzeitig mit diesen Entwicklungsvorgängen vollzieht sich eine be-
deutsame Lageveränderung des gesammten Thorax (vgl. Fig. 283 A und B).
Während derselbe in den früheren Stadien der Ventralfiäche annähernd
parallel gelagert war, richtet er sich nun mehr senkrecht gegen dieselbe,
Crustaceen.
409
so dass die Afteröffnung jetzt nicht mehr hinter der Mundöffnung, son-
dern über dieselbe zu liegen kommt. Hand in Hand mit dieser Lage-
veränderung vollzieht sich auch eine schärfere Abgrenzung des Thorax
von der Kopfregion, indem die Uebergangsstelle (a) der Thoraxwand in
die innere Mantelfläche nach der Ventralseite zu vorrückt (vgl. die Lage
des Punktes x in Fig. 283 A und B).
Inzwischen gehen auch mehrfache Veränderungen in dem vorderen
Kopfabschnitte der Larve vor sich, welche die Umwandlung desselben in
den Stiel der Lepadiden vorbereiten. Zunächst ist zu erwähnen , dass
Fig. 283. Schematische Darstellung der Metamorphose von Lepas.
A Cyprisstadium, B festgeheftete sog. Puppe, C junges Lepasstadiuni, noch von
der gelockerten Cyprisschale (s) umhüllt.
a' erste Antenne, ab Abdomen, c Carina, d Darmcanal, m Mund, o unpaares Auge,
pa paariges Auge, rf Thoraxfüsse. * Cyprisschale, sc Scuta, t Terga, x Umschlagsstelle
des dorsalen Integumentes, y ventrale Einbuchtung.
das verbreiterte Basalglied der Haftantennen vollständig mit dem Kopf-
abschnitt verschmilzt und in denselben aufgenommen wird, so dass die
Haftantennen des ausgebildeten Cirripeds nur mehr aus drei Gliedern
bestehen. Ausserdem bildet sich etwas hinter dieser Stelle eine tiefe
Einfaltung (Fig. 283 B, y) der Körperoberfläche, als Andeutung, dass der
zum Stiel sich umwandelnde Kopfabschnitt in den Larven dieser Stadien
eine geknickte Lagerung einnimmt.
Diese Einfaltung kommt dadurch zu Stande, dass die Haut des Stieles
sich von der Cuticula der Cyprislarve nach innen zurückzieht. Dabei bleiben
jedoch einige wichtige Organe der Larve, welche in das ausgebildete Thier
nicht mit übernommen werden, an der Cyprishaut haften. So vor Allem das
paarige Auge (Fig. 282 2)a), (während das Naupliusauge in das ausgebildete
Cirriped übergeht und zeitlebens vorhanden ist), ferner die von Darwin als
Apodemen bezeichneten Chitinfortsätze, welche zum Ansatz der Antennen-
muskel dienen und mit der nun folgenden Häutung abgeworfen werden. Diese
Details sind an unseren Abbildungen nicht angegeben.
410 XV. Capitel.
Die wichtigste nun folgende Veränderung ist eine Lageveränderung
der Larve und die damit in Zusammenhang stehende Streckung des
Stieles. Die Larve erhebt sich nun von ihrer Unterlage, ihre Ventralfläche
steht dann gegen die Unterlage senkrecht. Gleichzeitig rückt der Stiel
zwischen den Schalenklappen des Cyprisstadiums heraus (Fig. 283 C) und
streckt sich, wobei die eben erwähnte Einfaltung seiner ventralen Seite
ausgeglichen wird.
Es wurde von Darwin (No. 40) hervorgehoben, dass jener Theil, mit
welchem die Fixirung der Larve zunächst sich vollzieht, nicht dem Stirn-
rande entspricht, sondern dem vordersten Theil der ventralen Fläche. Erst
nach der erwähnten Aufrichtung kommt der Stirnrand mit der Unterlage in
Berührung und wird mit derselben durch Secret verklebt. Bei Crypto-
phialus dagegen, sowie bei Alcippe, Lithotrya und Anelasma wird
diese Parthie nicht festgeklebt, sondern wächst noch weiter aus. Das kann
nur geschehen, wenn die Unterlage entsprechend nachgiebt, was bei Anelasma
als einfache Folge des ausgeübten Druckes, bei den übrigen genannten Formen
in Folge einer bohrenden Action des Stieles bewirkt wird.
Das Herausrücken des Stieles aus der Cyprisschale wird dadurch er-
möglicht, dass die letztere in diesen Stadien ihrer Unterlage nur mehr ganz
locker aufsitzt. Während im Cyprisstadium der gesammte Kopfabschnitt in
das Innere der zweiklappigen Schale aufgenommen ist, unterscheidet sich das aus-
gebildete Cirriped von der Larve dadurch, dass sein vorderster Kopfabschnitt
(Stiel) von der Schale unbedeckt ist, während hier, ähnlich wie bei den
Cladoceren, nur der die Mundtheile tragende Abschnitt des Kopfes in das
Innere der Schale aufgenommen erscheint. Wir können uns diese Verände-
rung dadurch zu Stande gekommen denken, dass jener vorderste Theil der
Mantelfalte, welcher in der Cirripedienpuppe den vordersten Kopfabschnitt
bedeckt, bei dem Auswachsen des Stieles secundär wieder geglättet wurde.
Nun tritt unter der Cyprisschale auch schon die definitive Cirri-
pedienschale deutlicher hervor, und sind an der letzteren die ersten An-
lagen (primary valves Darwin) der fünf Kalkplatten (Scuta, Terga und
Carina) zu erkennen (Fig. 283 0, c, sc, t). Diese Primärplatten (primary
valves) zeichnen sich durch ihre siebähnliche Sculptur aus, was davon herrührt,
dass die Grenzen der Matrixzellen an der mit Kalk imprägnirten Abscheidimg
erkennbar bleiben. An der Oberfläche sind diese Platten von einem cuti-
cularen Häutchen bedeckt. Die Primärplatten nehmen nicht an Grösse
zu ; die Vergrösserung der Platten vollzieht sich in der Weise, dass unter
den Primärplatten immer neue Kalkschichten zur Abscheidung kommen,
welche die vorher abgelagerten Schichten an Grösse übertreffen. Das
Oberflächenbild zeigt dann die Primärplatten von den concentrischen
Grenzlinien der darunter liegenden Kalkschichten umgeben. Durch diese
Vergrösserung der Platten werden die nicht verkalkten Parthien der
Schale, welche sich zwischen den Platten ausdehnen, immer mehr ein-
geengt. Doch können diese Zwischenräume in einzelnen Fällen auch in
ansehnlicher Ausdehnung erhalten bleiben (Conchoderma). Es verdient
erwähnt zu werden, dass bei jenen Formen, denen eine grössere Platten-
zahl zukommt, doch zunächst nur jene angeführten fünf Primärplatten
angelegt werden.
Die Metamorphose derBalaniden ist für die ersten Stadien eine ganz
ähnliche. Auch hier entwickelt sich zunächst aus der Cyprispuppe eine Jugend-
Crustaceen. 411
form, welche mit einem kurzen fleischigen Stiel der Unterlage aufsitzt. Erst
später entwickelt sich aus letzterem die für die Balaniden charakteristische
basale Ausbreitung und bildet sich jene äussere secundäre Mantelfalte, gegen
welche das die Scuta und Terga tragende oberste Stück der Schale als Oper-
culum eingesenkt erscheint. Die erste Anlage der Platten ist hier eine mem-
branöse, entbehrt jedoch jener für die Lepaden erwähnten charakteristischen
Sculptur.
Während auf diese Weise die Gestaltungsverhältnisse des ausgebildeten
Thieres erreicht werden, treten auch an den inneren Organen wichtige, zum
Theil noch wenig gekannte Veränderungen ein. Einige Organe werden mit
der Häutung abgeworfen (paariges Auge, Antennenapodemen), andere einfach
rückgebildet (Antennenmuskeln). Inzwischen zeigt sich am Darmcanal das
Auswachsen der Leberausstülpungen. Die Cementdrüse erscheint beträchtlich
vergrössert, vor Allem aber sind die Geschlechtsorgane zur Entfaltung ge-
•kommen. Für die Ovarien vollzieht sich eine charakteristische Lageverände-
rung, indem sie in das Innere des Stieles hineinrücken.
Mit der nun erfolgenden Häutung, durch welche die Cuticula der Cypris-
larve abgeworfen wird, ist der Abschluss dieser Entwicklungsperiode gegeben.
Die Häutung geschieht in der Weise, dass zunächst die äussere Cuticula der
beiden Schalenklappen abgeworfen wird. Erst später häutet sich der Thorax
und der innere Mantelraum.
Die Metamorphose scheint für die meisten Thoracica in der geschilder-
ten Weise abzulaufen. Nur in einzelnen Fällen ist die Metamorphose mehr
abgekürzt. So scheint es nach den Angaben von Koken und Daxielssen
(No. 48), dass die Earven von Anelasma squalicola den grössten Theil
ihrer Metamorphose innerhalb des Mantelraums der Mutter durchlaufen.
Kossmann erwähnt die Nauplien dieser Form, deren Larven nach den oben-
genannten Autoren mit sechs Beinpaaren versehen ausschwärmen sollen.
Pagexstecher hat mit Recht diese Verhältnisse mit der Fixirung von Ane-
lasma auf Haifischen in Zusammenhang gebracht. Noch mehr abgekürzt ist
die Metamorphose bei Seal pellum Strömii, wo Hoek (No. 45) das von
der Naupliushaut umhüllte Cyprisstadium noch innerhalb der Eihüllen vorfand.
B. Abdominalia.
Die Metamorphose der in die Columella von Fusus- und Buccinum-
schalen (besonders solcher, welche einen Paguriden beherbergen) sich
einbohrenden Alcippe scheint nicht wesentlich von der der Thoracica
abzuweichen. Die Nauplien sind durch Hancock bekannt geworden.
Das Cyprisstadium, welches von Darwin (No. 40) beschrieben wird, ist
durch den Besitz von sechs Thoraxbeinpaaren ausgezeichnet, was er-
wähnenswerth ist gegenüber der reducirten Zahl und Gestalt dieser Ex-
tremitäten im ausgebildeten Thiere, von denen sich nur vier Paare (das
erste tasterförmig , das zweite zweiästig, das dritte und vierte einästig)
erhalten.
Bei der in Haliotisschalen sich einbohrenden Ko chlorine fand
Noll (No. 56) zweierlei Larvenformen: kleinere, mit den Haftantennen
versehene , aber eines Mantels entbehrende Larven , und grössere , mit
zweiklappiger Schale versehene, einem Cyprisstadium ähnliche Formen.
Es ist wahrscheinlich , dass die Metamorphose sich hier eng an die der
nahe verwandten Gattung Cryptophial us anschliesst.
Die Entwicklung von Cryptophialus, welche durch Darwin
(No. 40) bekannt geworden ist, muss als eine stark abgekürzte bezeichnet
412 XV. Capitel.
werden. Das Ei wandelt sich hier ziemlich direct in die cyprisähnliche
Larvenform um. Zunächst entsteht aus dem ovalen Ei eine Larvenform,
an welcher man zwei Fortsätze als Anlagen der Haftantennen erkennen
kann. Ein dritter Fortsatz deutet das hintere Körperende an. In einem
späteren Stadium sitzen die Haftantennen genähert, während der Körper
im Allgemeinen mehr spitz eiförmig gestaltet erscheint. Aus diesem
Stadium geht die Cyprisform hervor, an welcher wir die Mantelduplicatur,
das paarige Auge und die wohlentwickelten Haftantennen unterscheiden
können. Thoraxbeinanlagen fehlen hier, doch finden sich an dem Ab-
domen drei Borstenpaare. Diese Larven kriechen mittelst der Haft-
antennen in der Mantelhöhle der Mutter umher, um sich schliesslich in
die ausgebildete Form umzuwandeln. Lieber die Entwicklung des Stieles
bei diesen Formen vgl. oben pag. 410.
C. Rhizocephala.
Die freischwimmenden Stadien der Rbizocephalen (Nauplius- und
Cyprisstadium) sind schon früher durch F. Müller No. 54, 55, Koss-
mann No. 49 und Andere beobachtet worden. Die späteren Umwand-
lungen dagegen, durch welche der Uebergang des Cyprisstadiums in die
ausgebildete parasitäre Form vermittelt wird, sind erst durch die
Beobachtungen von Delage (No. 41) fürSacculina carcini bekannt
geworden. Wir legen deshalb unserer Schilderung der Rhizocephalen-
entwicklung die Mittheilungen von Delage zu Grunde.
DieNauplien vonSacculina carcini verlassen das Ei in einer
mehr gedrungenen Form, gehen jedoch durch eine bald nach dem Aus-
schlüpfen erfolgende Häutung in eine gestrecktere Form (Fig. 284 A)
über. Im Uebrigen zeigen sie ganz den für die Cirripedien normalen
Typus. Die beiden Stirnhörner mit ihren Drüsen (gl) sind wohl ent-
wickelt, ebenso die fadenförmigen Frontalorgane (fs) und das dem Ge-
hirn aufgelagerte Naupliusauge (ua). Als Rest der Oberlippe ist ein als
Rostruin bezeichneter Vorsprung zu erkennen; dagegen fehlt die Mund-
öffnung, der Darmcanal und die Afteröffhung. Die Stelle des Darmcanals
ist hier von einer umfangreichen Nahrungsdotteransammlung eingenommen.
Die Naupliusextremitäten (1, 2, 3) sind in der typischen Weise ent-
wickelt; doch fehlen an den Protopoditen der zwei hinteren Paare die
sonst daselbst zu findenden Kieferhaken. Eine zwischen dem Gehirn
und dem Rostrum im Inneren des Körpers gelegene unpaare Zellgruppe
wird von Delage als Ovarium (ov) in Anspruch genommen.
Fkitz Müller hat für die Nauplien von Sacculina das Vorhanden-
sein eines breiten, ovalen Rückenschildes behauptet. Doch hat bereits Koss-
maxn darauf hingewiesen, dass die betreffenden Bilder auf Larven zu beziehen
seien , welche vor der Häutung stehen und bei denen sich die Naupliuscuti-
cula weit abgehoben hat.
Die wichtigsten nach einer weiteren dritten Häutung sich geltend
machenden Veränderungen bestehen in dem Anwachsen des hinteren,
thoracoabdominalen Abschnittes des Nauplius, an welchem bald die sechs
Thoraxsegmente mit ihren Beinanlagen und die rudimentäre Anlage des
Abdomens gesondert erscheinen. Gleichzeitig bereitet sich in den
vordersten Gliedmassen des Nauplius die Bildung der Haftantennen vor
( M e t a n a u p 1 i u s s t a d i u m).
Crustaceen.
413
Durch die vierte Häutung wird das freie Cypris Stadium
(Fig. 2845) erreicht. Mit dieser Häutung werden die zweiästigen Ex-
tremitäten des Näupliusstadiums völlig abgeworfen und zwar bleiben nicht
nur die Chitinhüllen dieser Extremitäten an der abgestreiften Hülle
hängen, sondern es scheint, dass auch von den Weichtheilen desselben
Einiges amputirt und mit der Häutung abgeschnürt wird. Das Cypris-
stadium, welches ebenso wie die vorhergehenden Stadien des Darmcanals
völlig entbehrt , weist in seiner Gestalt eine grosse Uebereinstimmung
mit dem gleichnamigen Stadium der Thoracica auf. Die zweiklappige Schale
hat ungefähr die gleiche Gestalt; die Gliederung des Thorax, die Gestalt
Fig. 284. Aufeinanderfolgende Larvenstadien von Sacculina Carcini (nach
Delage, aus Läng's Lehrbuch).
A Nauplius nach der ersten Häutung, B freischwimmendes Cyprisstadium, (7Cypris-
stadium nach erfolgter Festheftung an einer Borste (bb) des Wirthes, D Bildung des
kentrogonen Stadiums, E kentrogones Stadium nach Abstreifung der Cyprislarvenschale
und mit Bildung des Pfeiles, F Durchstossung des Pfeiles durch den Chitinpanzer des
Wirthes.
1, 2, 3 die drei Paare der Naupliusgliedmaassen, I — VI Thoraxbeinpaare, ab Ab-
domen, bb Borste des Wirthes, / Fettkugeln, /* frontales Sinnesorgan, gl Drüsen der
Stirnhörner, ov Anlage des Ovariums, pf Pfeil, ua Naupliusauge.
der Ruderfüsse (I — VI) stimmen überein. Das Abdomen (ab) ist ungemein
rudimentär und besteht aus einem einzigen Gliede. welchem zwei Furcal-
fortsätze anhängen. Die erste Antenne (1) entbehrt der Saugscheibe
414 XV. Capitel.
und des Cementganges. Sie besteht aus drei Gliedern: einem ver-
breiterten, mit den chitinösen Apodemen in Verbindung stehenden Grund-
gliede, einem gestreckten Mittelgliede und einem kurzen, mit drei Haken-
borsten versehenen Endgliede. Erwähnenswerth ist der Mangel des
paarigen Auges, während das Xaupliusauge (ua) persistirt. Von inneren
Organen sind vor Allem die sehr deutliche Zellmasse des Ovariums (ov),
die kräftig entwickelte Musculatur , die noch vorhandene Drüse der
Stirnhörner (gl), ferner Pigmentansammlungen und Xahrungsdottermasse (/")
zu erkennen.
Das nächste Stadium, welches wir der Puppe der Thoracica gleich-
stellen können, wird von Delage als das kentrogone Stadium be-
zeichnet. In diesem Stadium vollzieht sich die Fixirung der Larve an
dem Körper des Wirthes (Carcinus maenas) und das Eindringen der-
selben in die Leibeshöhle des letzteren. Nachdem das freie Cyprisstadium
drei bis vier Tage lang umhergeschwärmt ist, sucht es eine junge
Krabbe (von 3 — 12 mm Breite) auf, um sich an einer der Borsten (bb),
die sich andern Integument der letzteren erheben, festzuklammern. Die
Fixirung (Fig. 284 C) vollzieht sich in der Weise, dass eine jener Borsten
nahe ihrer Insertionsstelle von einer der beiden Haftantennen des Cypris-
stadiums (1) umfasst wird. Die Stelle, an welcher die Cyprislarven sich fest-
heften, ist nicht — wie man a priori erwarten sollte — an der Ventral-
fläche des Abdomens (des Wirthes) gelegen, sondern eine mehr beliebige.
Häufig geschieht die Fixirung am Rücken des Wirthes, sehr häufig auch
an den Beinen. Die nächsten, sich nun vollziehenden Veränderungen
können bezeichnet werden als eine Häutung, welche unter umfangreicher
Abstossung (Amputation) wichtiger Körperparthien sich vollzieht. Zunächst
zieht sich die weiche Inhaltsmasse in den Haftantennen zurück und
gleichzeitig werden die Apodemen (Chitinsehnen der Antennenmuskeln)
aus dem Inneren des Körpers ausgestossen. Letztere haften noch lange
an den Hüllen der Haftantennen. Auch diese erhalten sich längere Zeit
(Fig. 284 D) , denn sie sind zur Vermittlung der Fixirung am Wirthe
von Wichtigkeit. Während sich nun die Weichtheile der Cyprislarve
überall von der Chitinumhüllung zurückziehen, wird der Thorax weit aus
den Schalenklappen vorgestreckt und in toto amputirt (Fig. 2840).
Dies kann nur unter einer ziemlich umfangreichen Continuitätstrennung
bewerkstelligt werden und durch die so entstandene Ruptur werden in
der Folge zahlreiche Reste innerer Organe nach aussen befördert, welche
in gleicher Weise für die Larve verloren gehen. So wird ein grosser
Theil des in der Larve befindlichen Pigmentes, sowie die Dotterreste
ausgestossen, die Stirndrüsen und die gesammte Körpermusculatur fällt
einem Rückbildungsprocess anheim und die dabei entstehenden Detritus-
massen werden sammt dem Naupliusauge eliminirt. Der nach Lostrennung
aller dieser Organe übrig bleibende Rest des Körpers zieht sich nun zur
Bildung eines ovalen , soliden Sackes (Fig. 284 D) zusammen , welcher
sich bald mit einer Chitinhülle umgiebt. Letztere liegt dem Sacke
ringsum dicht an; nur im vordersten, den Haftantennen zugewendeten
Antheil bemerkt man, dass der Weichkörper gegen das Innere der Haft-
antennen anscheinend bloss liegt. Wahrscheinlich ist die neugebildete
Hülle hier ungemein zart und der Innenfläche der Haftantennen dicht
angelagert. Die Schichten, in welche der Inhalt des Sackes zerfällt, sind
in diesen Stadien sehr undeutlich. Doch kann man eine oberflächliche,
ectodermale Zellschicht von der aller Wahrscheinlichkeit nach mesoder-
malen Innenmasse unterscheiden, deren Hauptbestandtheil die Zellmasse
Crustaceen. 415
des Ovariums ausmacht, während aussei" Pigment- und Dotterresten wohl
auch weitere Mesodermelemente in die Bildung dieser Schicht eingegangen
sein dürften, von welchen sich die Hodenanlagen, sowie die Musculatur
und andere Organe der ausgebildeten Sacculina herleiten. Es ist von
Wichtigkeit, im Auge zu behalten, dass der so entstandene encystirte
Sack, nachdem der gesammte Thorax abgestossen wurde, ausschliesslich
aus dem Kopfabschnitt der Cyprislarve hervorgegangen ist.
Zunächst beginnt nun der Weichkörper der sackförmigen Larve an
seinem vorderen Ende eine kleine ausgezogene Spitze zu entwickeln
(Fig. 284 D), welche in den Innenraum der zur Festheftung verwendeten
Antenne vorgeschoben ist, worauf die Abscheidung einer neuen Chitin-
cuticula an der Oberfläche des Weichkörpers (zweite Häutung des
kentrogonen Stadiums) erfolgt (Fig. 284 E). Indem diese neuaus-
geschiedene Cuticularschicht sich im Bereiche des vorderen Spitzchens
beträchtlich verdickt, kommt es hier zur Bildung jener pfeilförmigen
Röhre, nach welcher das kentrogone Stadium benannt ist. Letztere
stülpt, indem sie sich durch Längenwachsthum vergrössert und dabei
etwas krümmt, die Oberfläche des Sackes in dessen vorderem Antheile
nach Innen ein (Fig. 284 E). In diesem Stadium haftet die ab-
gestossene Cyprisschale nur mehr ganz locker an dem Sacke und wird
meist völlig abgeworfen.
Nun erfolgt die Vorstossung des Pfeiles (Fig. 284 F, pf), wobei die
eben erwähnte Einstülpung wieder ausgestülpt wird. Der Pfeil gelangt
zunächst in den Innenraum der Haftantenne, und von da — durch die
letztere geleitet — an die weiche Einlenkungsmembran der Borste, an
welcher das Cyprisstadium sich festgeheftet hat. Indem der Pfeil diese
Membran durchbohrt, ist eine Comnmnication zwischen dem Innenraum
des Sackes und der Leibeshöhle des Wirthes hergestellt. Während dieser
Vorgänge umgiebt sich der weiche Innenkörper mit einer weiteren, ganz
feinen Chitincuticula (dritte Häutung des kentrogonen Stadiums).
Es folgt nun eine Lücke in unserer Kenntniss der Sacculina-
Entwicklung. Es kann jedoch kaum einem Zweifel unterliegen, dass
der Weichkörper der Larve durch den Canal des Pfeiles hindurchschlüpft,
um auf diese Weise in die Leibeshöhle des Wirthes zu gelangen.
Die Sacculina ist nun zu einem Endoparasiten (Sacculina interna)
geworden.
Sacculina interna. Die endoparasitäre Larve wandert nun von
jenem Punkte, an welchem die Festheftung des Cyprisstadiums sich
vollzog im Inneren des Wirthes weiter, bis sie die ventrale Seite des
Darmcanals im Bereiche des Abdomens erreicht hat, wo die endgültige
Fixirung stattfindet. Gleichzeitig entsendet sie bereits ein äusserst aus-
gebreitetes Geflecht von Wurzeln, welche in sämmtliche Körperregionen
des Wirthes eindringen, die Oberfläche sämmtlicher Organe umspinnen
und nur das Herz und die Kiemen unbelästigt lassen. An der Stelle,
an welcher die eigentliche Sacculina sich findet, treten sämmtliche
Wurzeln zur Bildung einer Platte (Basalmembran) zusammen (vgl.
Fig. 286 5), in deren Mitte eine Vorwölbung (Central tum or (Fig.
286 C) zu bemerken ist. Die Anlage des Körpers der Sacculina liegt in
diesen Centraltumor als sog. Nucleus eingesenkt. Wurzeln, Basal-
membran und Centraltumor zeigen im Wesentlichen denselben histologischen
Bau. Sie bestehen aus einem oberflächlichen Epithel (Ectoderm) und
einem inneren, cavernösen Gewebe, welches aus sternförmigen, mit
einander anastomosirenden Bindegewebszellen zusammengesetzt ist.
416
XV. Capitel.
Der Nucleus (Fig. 285) ist in den Centraltumor vollkommen ein-
gesenkt; er liegt demnach in einer Höhle, welche Delage als Perivis-
ceralhöhle (jp) bezeichnet und welche nur durch eine feine Oeffnung (o)
nach aussen mündet. Auch diese Oeffnung schliesst sich (Fig. 285 B), um
später in der Form einer quergestellten Spalte (Fig. 286 f, fentedesortie)
wiederzuerscheinen. Jene Stelle, an welcher der Nucleus der Wand der
Perivisceralhöhle aufsitzt, wird schon jetzt als Stiel (Pedunculus) des Nucleus
bezeichnet.
Am Nucleus (Fig. 285 Ä) selbst können wir eine oberflächliche
ectodermale Schichte unterscheiden, welche im Umkreis des Stieles in
die Wandung der Perivisceralhöhle übergeht. Die Innenmasse des
Nucleus besteht in diesen Sta-
dien fast ausschliesslich aus der
Ovarialanlage (ov) ; doch finden
sich in seinem Stiel einige
Mesodermzellen (m), welche für
die Ausbildung der Hoden, der
Musculatur, des Bindegewebes
etc. von Bedeutung werden.
Es tritt nun zunächst in
der Ectodermschicht des Nucleus
eine Spaltung (Delamination)
auf, indem diese Lage durch
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Zellvermehrung zweischichtig
wird und die beiden so gebil-
deten Schichten auseinander-
rücken (Fig. 285 B). In den
Zwischenraum zwischen beiden
wandern einige der oben er-
wähnten Mesodermzellen ein,
um die Musculatur des Mantels
der Sacculina zu liefern. Die
beiden nun entstandenen Ecto-
dermschichten bezeichnet man
als ä u s s e r e (am) und innere
(im) Mantelschicht nach
ihrer Beziehung zum Mantel
der späteren Sacculina. Es voll-
zieht sich nun ein ganz ähn-
licher zweiter Delaminations-
process im Bereich der inneren
Mantelschicht, durch welchen
von dieser nach innen ein den
centralen Theil des Nucleus
umkleidendes ectodermales
Blatt abgetrennt wird. Letzteres wird, da es den späteren Visceralsack der
Sacculina bildet, als perivisceraleEctoderm schicht unterschieden .
Zwischen dieser und der inneren Mantelschicht tritt nun eine von Chitin
ausgekleidete Höhlung (Fig. 286 6) auf, der sog. Brutraum (cavite
incubatrice). Man sieht, dass auf solche Weise durch Umbildungen
des Nucleus an diesem die wichtigsten Körperparthien der ausgebildeten
Sacculina angelegt worden sind: der innere Visceralsack, die Bruthöhle
Fig. 285. Zwei Schnitte durch den Nucleus
einer Sacculina interna (nach Delage).
A jüngeres Stadium, B älteres Stadium.
am äussere Mantelschicht, im innere Mantel-
schicht, m Mesodermzellen o Oeffnung der peri-
visceralen Höhle, ov Ovarialanlage, 2} peri-
viscerale Höhle.
Crustaceen.
417
und die dieselbe umgebende Mantelduplieatur. Der Visceralsack wird
nicht ringsum von der Bruthohle umgeben, sondern längs eines Halb-
Meridians geht die innere Mantelschicht in zwei Blättern in die perivis-
cerale Ectodermschicht über; diese Uebergangsstelle ist das sogen.
Mesenterium, für welches Delage eine ventrale Lage am Körper
der Sacculina in Anspruch nimmt.
R
B-m
ß
//
■* ,,
Fig". 286. Längsschnitte durch zwei Entwicklungsstadien von Sacculina
carcini (nach Delage).
A Sacculina interna, B Sacculina externa.
a Atrium (Erweiterung des Oviducts), am äussere Mantelschicht, b Bruthöhle
(Mantelhöhle), B Basalmembran, C Centraltumor, cl Cloakenöffnung, D Darmwand des
Wirthes, dr Eiersackdrüsen, / Oeffnung der perivisceralen Höhle, g Ganglion, im innere
Mantelschieht, L Leibeswand des Wirthes, ov Ovarium, p periviscerale Höhle, pe peri-
viscerale Ectodermschicht, £ Wurzelausläufer (z. Th. im Querschnitt getroffen), t Hoden-
anlagen.
Nachdem wir uns so über die Entstehung der Gesammtkörperform der
Sacculina orientirt haben, sind noch einige Worte über die Anlage der wich-
tigsten Organe beizufügen. Im Bereiche des Mantels sind die Veränderungen
wenig eingreifend. Es bildet sich — und zwar erst in späten Stadien —
eine Durchbrechung der Mantelhöhe gegen die Perivisceralhöhle aus: die
spätere Cloakenöffnung (Fig. 286 Cl), welche dem Stiel der Sacculina
ungefähr gegenüber, doch einigermassen nach der linken Körperseite ver-
schoben liegt. Während die Ectodermzellen des Mantels sich zur Bildung
418 XV. Capitel.
transversaler Connectivfasern (Fig. 286 B) verlängern, wandeln sich die
Mesoderrazellen zu längsverlaufenden Muskelzügen und zum Cloaken-
sphincter um.
Wichtigere Veränderungen greifen im Bereiche des Visceralsackes Platz.
Hier bildet sich das Ganglion (g) durch eine Einwanderung von Ectoderm-
zellen, an welcher sich nicht nur die periviscerale Ectodermschicht, sondern
auch (wohl unter Vermittlung des Mesenterialrandes?) die innere Mantel-
schicht betheiligen soll. Während in früheren Stadien der ganze Innenraum
des Visceralsackes fast ausschliesslich von der Ovarialanlage eingenommen
war , wandern nun vom Stiel aus zahlreiche Mesenchymzellen in den
Visceralsack ein, umgeben das Ovarium, um welches sie eine peritoneale
Hülle bilden, und erfüllen den Raum zwischen Leibeswand, Ganglion und
Ovarium. Gleichzeitig erfährt die Ovarialanlage einen Zerfall in zwei laterale,
durch eine Commissur verbunden bleibende Lappen. Nicht völlig sicher-
gestellt ist die Art der Entstehung der kurzen 0 v i d u c t e. Doch glaubt
Delaoe dieselben auf eine paarige, seitliche Ectodermeinstülpung zurück-
führen zu können, welche, indem sie sich nach innen erweitert, zur Bildung
der sog. Atrien (o) Anlass giebt, an deren Wand als seitliche Ausstülpungen
die Eiersackdrüsen (Kittdrüsen, glandes cementaires dr) angelegt werden.
In gleicher Weise entstehen die Vasa deferentia durch Ectodermein-
stülpungen nahe dem Stiele des Visceralsackes, während die eigentlichen
Hoden (t) von Mesodermzellen, welche sich dem Ende der Vasa deferentia
anlagern, abzuleiten sind.
Nachdem auf diese Weise die Sacculina, völlig im Inneren des
centralen Tumors (in der perivisceralen Höhle) eingeschlossen, last voll-
ständig die Entwicklungsstufe des ausgebildeten Thieres erreicht hat,
tritt sie zunächst an die Oberfläche des Centraltumors, indem sie durch
die erweiterte Ausgangsöffnung der perisomatischen Höhle nach aussen
schlüpft. Jene Faltenbildung, durch welche diese Höhle gebildet war,
zieht sich nun an die Basis des Stieles der Sacculina zurück, um bald
vollständig zu verschwinden. Während des nun erfolgenden Grössen-
wachsthums der aus dem Centraltumor hervorgetretenen Sacculina übt
dieselbe auf die ventrale Wand des Abdomens (Fig. 286 B, L) des
Wirthes einen ständigen Druck aus, welcher zur Gangrän der betreffenden
Parthien und in Folge dessen zur Ausbildung einer Usur führt, durch
welche der Körper der Sacculina frei nach aussen vortritt, während der
Stiel die Verbindung mit der im Inneren verbleibenden Basalplatte und
dem Wurzelgeflecht vermittelt,
Die Sacculina ist durch diese Vorgänge zur Sacculina externa
(Fig. 286 B) umgewandelt worden. Die nach aussen vorliegenden Theile
erleiden nun eine stärkere Chitinisirung. Unter weiterer Grössenzunahme
wird das Stadium der Geschlechtsreife erreicht.
Die im Vorstehenden geschilderte Metamorphose der Sacculina
gehört wrohl zu den merkwürdigsten Umwandlungsprocessen im ganzen
Thierreiche. Die Einschiebung eines vorübergehenden endoparasitären
Zustandes müssen wir wohl auf die damit verbundene geschützte Lage
der Larve zurückführen , wie denn überhaupt diese ganze Form der
Entwicklung jedenfalls starke cänogenetische Veränderungen erlitten hat.
Wenn wir nach der Entwicklungsgeschichte mit Rücksicht auf die
ungemeine Vereinfachung im Bau der kentrogonen Larve auch nicht im
Stande sind, die Körpertheile des ausgebildeten Thieres auf die des
Cyprisstadiums zurückzuführen , so werden wir doch unter Beiziehung
Crustaceen.
419
anderer Formen (wie Anelasma) keinen Moment im Zweifel sein
können, in welcher Weise wir den Körper der ausgebildeten Sacculina
zu deuten haben. Demnach würde der an seiner Basis in Wurzeln aus-
laufende Pedunculus der Sacculina dem Stiel der Lepaden, der Mantel der
Sacculina der Schale der letzteren und der Brutraum der Sacculina dem
Mantelraum der Lepaden gleichgesetzt werden müssen. Die Cloake von
Sacculina würde dann dem Schalenschlitz der Lepaden entsprechen.
Für diese Deutung spricht vor Allem die gleiche Lagerung der Eier-
säckchen in diesen Räumen. Es ist unter Vergleich mit Anelasma
wahrscheinlich, dass die von Delage gewählte Bezeichnung des mesen-
terialen Randes als Ventralseite der Sacculina in der That die richtige ist.
Es ist in neuerer Zeit mehrfach versucht worden, die Gruppen
der Rhizocephalen den übrigen Cirripedien als eine mehr selbstständige
Gruppe (Unterordnung) gegenüberzustellen. Dem gegenüber muss darauf
hingewiesen werden, dass dieselben in den Nauplius- und Cyprisstadien
eine so vollkommene Uebereinstimmung mit den übrigen Cirripedien
aufweisen, dass wir auf die in Folge des Parasitismus offenbar ganz
secundär aufgetretenen Veränderungen des Baues der ausgebildeten Form
kein allzugrosses Gewicht lesen dürfen.
D. Ascothoracida.
Die Gruppe der Ascothoracida umfasst einige Formen, welche in
Anthozoen leben (Laura Gerardiae, Synagoga mira, Petrarca
bathyactidis), während Dendrogaster astericola als Endoparasit
in Ästenden (Solaster, Echinaster) vorgefunden wird. Den wichtigsten Zügen
der Organisation nach zeigen sich diese Formen, von denen Laura durch
die Untersuchungen von Lacaze-Duthieks (No. 51) am eingehendsten be-
kannt geworden ist, als echte Cirripedien, wenngleich sie innerhalb dieser
Gruppe eine Sonderstellung beanspruchen. Sie sind von einem umfangreichen
Mantel umschlossen, welcher hier directe Beziehungen zu den Schalenklappen
des Cyprisstadiums zeigt und sowohl die Leberausstülpungen des Darmcanals,
als auch die Ovarien zwischen seinen beiden Lamellen beherbergt. Der eigent-
liche Körper erscheint sehr reducirt,
doch noch deutlich gegliedert, die
Mundwerkzeuge saugend, die 6 (re-
spective 5) Thoraxbeinpaare verküm-
mert, das Abdomen kurz. Es verdient
zur Charakteristik der Gruppe Erwäh-
nung, dass die 1. Antennen hier nie-
mals in der Weise, wie bei den übrigen
Cirripedien, zur Fixirung des -Körpers
Verwendung finden. Ueberhaupt müs-
sen wir zur morphologischen Erklä-
rung dieser Formen weniger die aus-
gebildete Lepasform, als vielmehr die
freischwimmende Cyprislarve zum Ver-
gleiche heranziehen.
Von der Entwicklungsgeschichte Fig. 287. Freischwimmendes Cypris-
dieser Formen ist bisher sehr wenig Stadium von Dendrogaster astericola (nach
bekannt. Hinsichtlich der Furchung Khipowitsch).
™u„- *. • i t »i t i • t> l a erste Antenne, ab Abdomen, d Darm,
scheint Sich Laura ahnlich Wie Bala- m Mundkegelj „ Nervensystem, p Penis-
nus zu verhalten. Die Nauplien dieser rudiment.
aJ>
420 xv- Capitel.
Form zeigen wenig Aehnlichkeit mit dem typischen Cirripediennauplius, indem
ihnen die so ungemein charakteristischen Stirnhörner fehlen. Eine kleine,
jedenfalls in den Entwicklungskreis von Laura gehörige Form, welche Lacaze-
Duthiers beobachtete, dürfte möglicherweise als Zwerchmännchen aufzufassen
sein. Dagegen sind die Cypris-Larvenstadien für Dendrogaster (Fig. 287)
durch Kuipowitsch (No. 47) bekannt geworden, bei welcher Form die Meta-
morphose abgekürzt erscheint, indem kein freies Naupliusstadium durchlaufen
wird. Die Larven, denen eine Afteröffnung ebenso fehlt, wie den aus-
gebildeten Formen, ähneln im Allgemeinen den Cyprisstadien der Cirripedien.
Doch fehlen sowohl die einfachen, als die zusammengesetzten Augen. An
der ersten Antenne ist ein äusserst umfangreicher Riechfaden («') entwickelt.
Es finden sich fünf zweiästige Thoraxbeinpaare ; das erste Abdominalsegment
trägt ein Penisrudiment (p). Das Abdomen (ab), welches sich durch seine
Länge auszeichnet, besteht aus fünf Gliedern und den Furcalanhängen.
E. Zur morphologischen Zurückführung der „complemental males".
In Hinsicht der geschlechtlichen Differenzirung weisen die Cirripedien
äusserst complicirte und schwierig zu deutende Verhältnisse auf. Im
Allgemeinen sind die Cirripedien hermaphroditisch. Wir werden nicht
fehlgehen, wenn wir dieses Verhältniss unter Berücksichtigung der bei fast
allen übrigen Crustaceen1) als Regel geltenden Trennung der Geschlechter
als ein in Folge der festsitzenden Lebensweise secundär erworbenes be-
trachten. Wir müssen annehmen, dass die freischwimmenden Ahnen der
Cirripedien getrennte Geschlechter aufwiesen und dass der Hermaphrodi-
tismus erst nach erfolgter Festsetzung erworben wurde und sich allmäh-
lich befestigte. Während letzteres bei den Bai an i den und Pihizo-
cephalen in dem Grade stattfand, dass der Hermaphroditismus in diesen
Gruppen das ausschliesslich herrschende Verhältniss darstellte, zeigt die
Gruppe der Lepaden die Tendenz in manchen Gattungen nach der
Pachtung der Trennung der Geschlechter zurückzuschlagen, indem hier
männliche Formen auftreten, welche entweder neben den Hermaphroditen
sich vorfinden und dann als Ergänzungsmännchen (Co m p 1 e m e n -
tal males) bezeichnet werden, oder aber — im Falle vollständiger
Trennung der Geschlechter — neben echten weiblichen Formen vor-
kommen. Stets sind diese männlichen Formen kleiner als die Herma-
phroditen (beziehungsweise Weibchen); sie finden sich an dem Körper
der hermaphroditischen (bez. weiblichen) Form wie Parasiten an-
geheftet. Während aber in einzelnen Fällen die Verhältnisse der
Körpergestaltung des Männchens dasselbe nur wenig von der herma-
phroditischen Form entfernen (Scalpellum villosum und Peronii), macht
sich in anderen Fällen ein auffallender sexueller Dimorphismus geltend,
indem die Männchen einem Rückbildungsprocess unterliegen, in Folge
*) Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass Hermaphroditismus auch in
anderen Crustaceengruppen beobachtet ist. So scheint er nach Bullar, P. Mayer u. A.
unter den Isopoden verbreitet, ferner wurde er als ein mehr gelegentliches Vor-
kommen von Nebeski bei Amphipoden, von Ischikawa bei Gebia und von Bernard
bei Lepidurus (Apus) beobachtet. Es geht hieraus hervor, dass die Trennung der Ge-
schlechter bei den Crustaceen sehr leicht mit dem hermaphroditischen Verhalten ver-
tauscht wird. Letzteres wurde bei den Cirripedien in Folge der festsitzenden Lebens-
weise zur Regel.
Crustaceen. 421
dessen sie der kalkigen Scelettheile, der Extremitäten sowie des Mundes
und Darmcanals verlustig werden und als echte Zwergmännehen auf eine
sehr niedere Stufe der Organisation herabsinken. Es lassen sich in
Hinsicht auf diesen Rtickbildungsprocess der Männchen für die Gattungen
Scalpellum (im Anschlüsse an Hoek No. 46) folgende Stufen
unterscheiden :
I. Echte hermaphroditische Formen (Scalpellum balanoides Hoek).
II. Grosse hermaphroditische Formen mit kleinen Ergänzungs-
männchen.
a) die Männchen sind im Bau der hermaphroditischen Form
ähnlich. Die Trennung von Capitulum und Pedunculus
ist erkennbar, Mund und Darmcanal vorhanden (Scalpellum
villosum, Scalpellum Peronii).
b) die Männchen rückgebildet. Ohne Mund und Darm, ohne
oder nur mit rudimentären Kalkschalen, ohne Pedunculus
(Scalpellum vulgare, Scalpellum rostratum).
III. Getrennte Geschlechter. Die Weibchen gross, mit der herma-
phroditischen Form der vorhergehenden Arten übereinstimmend
entwickelt. Männchen sehr klein (Scalpellum omatum, Sc. regium
Hoek, etc.).
An die letztere Gruppe würden sich die Abdominalia (Alcippe,
Cryptophialus) anschliessen. Auch hier finden wir getrennte Geschlechter,
mit sehr entwickeltem sexuellen Dimorphismus. Die Zwergmännchen er-
scheinen ungemein rückgebildet. Sie entbehren der Rankenfüsse, sowie des
Mundes und Darmcanals. Im Uebrigen lässt sich ihre Körperbildung unter
Berücksichtigung der eingetretenen Reductionen auf die Formgestaltung der
Weibchen zurückführen.
Aehnliche Verhältnisse, wie die oben für Scalpellum erwähnten, finden
sich auch in der Gattung I b 1 a. Hier begegnen wir bei Ibla quadri-
valvis neben der hermaphroditischen Form ein kleines Ergänzungsmännchen
mit umfangreichem Pedunculus aber sehr reducirtem Capitulum und ver-
minderter Zahl der Thoraxbeine, während bei IblaCumingii ein ähn-
liches Männchen neben echten Weibchen vorkommt, sich sonach Trennung
der Geschlechter findet.
Es geht aus dem Obigen hervor, dass wir — im Anschlüsse an Hoek
(No. 46) — bei der Ableitung der geschlechtlichen Verhältnisse der Cirripedien
von der hermaphroditischen Form ausgehen, aus welcher sich erst secundär
Zwergmännchen neben Hermaphroditen und in anderen Fällen völlig getrennte
Geschlechter mit entwickeltem sexuellen Dimorphismus herausgebildet haben.
Es wird sonach die Reihe der „complemental males" sowohl als der Zwerg-
männchen unter Rückbildung der weiblichen Geschlechtsanlage von der her-
maphroditischen Form abgeleitet. Wir gewinnen hiedurch für diese ganze
Reihe rückgebildeter männlicher Formen einen einheitlichen Ausgangspunkt.
Allerdings möchte es schwer fallen, zu erklären, wie bei hermaphroditischen
Formen ein Bedürfniss zur Entwicklung complementärer männlicher Formen
sich geltend machen konnte. Wir werden hier von der durch F. Müller
beobachteten Thatsache ausgehen müssen, dass auch bei den echten Herma-
phroditen der Lepaden gegenseitige Begattung ausgeübt wird. Halten wir
uns die Bedeutung vor Augen, welche die Vermischung der Zeugungsproducte
zweier gesonderter Individuen für die Lebenskräftigkeit der Nachkommen-
schaft im ganzen Thierreiche besitzt, so werden wir uns vielleicht vorstellen
können, dass neben den Vortheilen des durch die sedentäre Lebensweise
Korscheit -H eider , Lehrbuch. 28
422 XV. Capitel.
erzeugten Hermaphroditismus durch Production von Complementärmännchen
auch noch jene Vortkeile gesichert werden sollten, welche für die Art aus
der Befruchtung der Eier mit den männlichen Zeugungsproducten eines anderen
Individuums resultiren. Wir müssen dieses Verhältniss als ein theilweises
Zurückschlagen nach der Richtung der Trennung der Geschlechter betrachten,
zu welcher es dem im weiteren Verlaufe bei einzelnen Formen auch wieder
gekommen ist.
Der geschilderten Auffassung steht die Ansicht von Claus (No. 8)
gegenüber, nach welcher die getrennt geschlechtlichen Formen (wie Alcippe
und Cryptophialus) das ursprüngliche Verhältniss der Trennung der Ge-
schlechter ständig beibehalten haben. Aus diesen hätte sich durch Um-
wandlung der Weibchen in die grosse hermaphroditische Form das für die
meisten Lepaden gültige Verhalten herausgebildet, während die Männchen
sich nur in einzelnen Arten als complementäre Männchen erhalten hätten.
Demzufolge wären die Männchen ein rudimentäres Ueberbleibsel aus jenen Zeiten,
in denen der Hermaphroditismus sich noch nicht als allgemeine Regel bei den
Cirripedien herausgebildet hatte. Durch diese geistvolle Auffassung würde
das Vorkommen von Zwergmännchen neben Hermaphroditen für eine Anzahl
von Formen (aber nicht für Scalpellum villosum und Peronii) ungezwungen
erklärt. Doch hat Hoek gegen diese Anschauung geltend gemacht, dass in
diesem Falle die Zwergmännchen eine beträchtlichere Annäherung des Baues
an den der Cyprisform aufweisen müssten, als diess thatsächlich der Fall ist,
während in Wirklichkeit die Zwergmännchen durch allmähliche Uebergänge
mit den Complementärmännchen von Scalpellum villosum und Peronii ver-
bunden erscheinen, welch' letztere sich offenbar von der hermaphroditischen
Form ableiten.
Jene von Claus geäusserte Auffassung würde für die Rhizocephalen
zutreffen, wenn die Behauptung von Fe. Müller und Delage sich bewahr-
heiten sollte, dass diesen Formen Zwergmännchen zukommen, welche zeit-
lebens über die Körpergestaltung der Cyprispuppe nicht hinausgehen. Diese
Ansicht, welche sich auf den Befund einiger an der Cloakenöffnung der jungen,
äusseren Sacculina angehefteter, abgestorbener Cyprishüllen gründet, muss
jedoch vorläufig als zweifelhaft erscheinen , wie sie denn auch thatsächlich
von Giakd zurückgewiesen worden ist.
6. Copepoden.
Die mit Rücksicht auf ihre Körpergliederung sehr einheitliche und
trotzdem ungemein gestaltenreiche und mannichfaltige Gruppe der Cope-
poden weist morphologische Charaktere auf, welche wir mit Bezug auf
die hypothetische Ahnenform der Entomostraken als entschiedene Rück-
bildungserseheinimgen bezeichnen müssen. Hierher sind zu rechnen
die geringe Körpergrösse und die verhältnissmässig geringe Anzahl von
Leibessegmenten, die reducirte Gestalt oder der vollständige Mangel des
Herzens, der Mangel gesonderter Respirationsorgane (Kiemensäckchen),
der Verlust des paarigen Seitenauges, das nur in den Familien der
Corycaeiden und Pontelliden erhalten ist (?) und vielleicht auch die geringe
Entwicklung des Rückenschildes. Andererseits finden wir jedoch Merk-
male, nach denen wir die Copepoden den ursprünglichsten Crustaceen-
formen der jetzt lebenden Fauna zurechnen müssen. Als solche sind vor
Allem zu nennen: die Verwendung beider Antennenpaare als Loco-
motions- und Klammerorgane, der sehr ursprüngliche Bau der Mund-
werkzeuge bei den freilebenden Formen (Vorkommen eines zweiästigen
Crustaceen. 423
Mandibulartasters, die reiche Gliederung der 1. Maxille (vgl. Fig. 268 A)
und die bei den freilebenden Formen auf sehr ursprüngliche Verhältnisse
hinweisende Metamorphose.
Hinsichtlich der Körpergliederung sei darauf hingewiesen, dass wir
als vorderste Körperregion einen einheitlichen Kopfabschnitt unterscheiden,
welcher die Antennen- und Mund Werkzeuge trägt. Von letzteren, welche
in drei Paaren (Mandibeln, I. Maxillen, IL Maxillen) vorhanden sind,
spaltet sich das letzte Paar zu einem Doppelpaar von Gliedmaassen, indem
der Exopodit nach vorne gerückt als 1. Maxillarfusspaar bezeichnet wird,
während der Endopodit den nach hinten folgenden 2. Maxillarfuss liefert.
Die Thoraxregion besteht aus 5 mit gabelästigen Ruderfüssen (Fig. 267 A)
versehenen Segmenten, von denen das letzte rudimentär entwickelt sein
kann, während das vorderste häufig mit dem cephalischen Abschnitt
verschmilzt, aus welcher Vereinigung der als Cephalothorax zu bezeich-
nende vorderste Körperabschnitt entsteht. Das Abdomen besteht aus
5 Segmenten, von denen nur das vorderste ein Extremitätenrudiment
(Genitalhöcker) trägt. Durch Verschmelzung der beiden vordersten
Abdominalsegmente entsteht bei den Weibchen meist ein Genitaldoppel-
segment, welches die Geschlechtsöffnung trägt.
Es ist ein in der Crustaceenreihe fast einzig dastehendes Vorkommen,
dass bei einigen Pontelliden der Cephalothoraxabschnitt, durch auftretende
Segmentgrenzen in einzelne (aus je zwei Segmenten bestehende) Unterab-
theilungen zertheilt wird. Vir werden diese Segmentirung wohl nur als
secundäres Wiederauftreten einer längst verloren gegangenen Selbstständigkeit
der Kopfsegmente bezeichnen dürfen. Immerhin ist sie von einem gewissen
Interesse.
A. Gnathostomata.
Die Metamorphose der freilebenden Copepoden vollzieht sich als
ein sehr allmählicher, durch zahlreiche Häutungen vermittelter Uebergang
von der Naupliusform zur Gestalt des ausgebildeten Thieres. Immerhin
tritt in einem bestimmten Punkt der Entwicklung ein mehr plötzlicher
Gestaltwechsel ein, und dieser dient uns zur Trennung der Metamorphose
in zwei Unterabtheilungen, von denen die erste die Reihe der Nauplius-
und Metanauplius formen enthält, während die zweite mit einem
von der Metamorphose der Cyclopiden entnommenen Namen als die
Reihe der cylops- ähnlichen Larvenformen bezeichnet wird. In
der ersteren Reihe zeigen die Naupliusextremitäten noch im Allgemeinen
die ursprüngliche Form; es hat sich der Abdominalabschnitt noch nicht
scharf abgesetzt, und die Furcalfortsätze sind noch nicht zur Ausbildung
gekommen. Die zweite Reihe zeigt diese letzteren Entwicklungsfort-
schritte, während sich die Antennen und Mundgliedmaassen der definitiven
Form nähern.
Die Entwicklung der freilebenden Copepoden ist vor Allem durch
Claus (No. 64 und 67) bekannt geworden. Wir legen unserer Darstellung
die Metamorphose von Cetochilus zu Grunde, welche von Grobben
(No. 73) in eingehender Weise geschildert worden ist, Die freilebenden
Copepoden verlassen das Ei in einem ungemein typischen N au plius-
Stadium (Fig. 288^4). Der meist ovale (nur in einzelnen Fällen
längliche, quer verbreiterte oder tonnenförmige) Körper zeigt keine
Spuren einer äusseren Segmentirung und trägt an seiner Unterseite die
mächtig vorgewölbte Oberlippe (ol), sowie die drei typisch entwickelten
28*
424
XV. Capitel.
Naupliusextremitätenpaare (1, 3, 3). Von diesen ist das vorderste ein-
ästig (I. Antenne), das folgende (IL Antenne) zweiästig und mit einem
am Protopodit entwickelten Kieferhaken versehen. Die Mandibel entbehrt
bei Cetochilus eines solchen Kieferfortsatzes und stellt einen reinen
zweiästigen Ruderfuss dar. Die Extremitäten sind an ihren Enden mit
langen Borsten besetzt.
Der Darmcanal lässt einen Vorderdarm und einen gestreckt ver-
laufenden Mitteldarm, sowie einen Enddarmabschnitt unterscheiden.
Letzterer ist bei Cetochilus im ersten Naupliusstadium noch als solider
Ectodermzapfen entwickelt. Die Afteröffnung ist demnach noch nicht
zum Durchbruch gekom-
men. Das Nervensystem
ist noch in allen Theilen
mit dem Ectoderm in
Zusammenhang. Von
Sinnesorganen ist das
Naupliusauge entwickelt.
Als Excretionsorgan
fungirt die wahrschein-
lich schon in diesem Sta-
dium entwickelte schlei-
fenförmige Antennen-
drüse; ausserdem schei-
nen auch die Zellen des
Mitteldarmes excretori-
sche Function übernom-
men zu haben; wenig-
stens hat man in gewis-
sen, vorspringenden Zel-
len der Cyclops-Nauplien
Harnconcremente nach-
gewiesen (Leydig. Vgl.
pag. 385, Fig. 266 dr).
Der Endabschnitt des
Nauplius ist stark ven-
eingekrümmt
zwei Borsten
Hier findet sich
jederseits im Inneren eine
grosse Mesodermzelle
{me), welche von Grob-
ben als Urzellen des
Mesoderms in Anspruch
genommen werden.
Spätere Naupliusstadien zeichnen sich durch eine gestrecktere
Körperform und durch das Auswachsen des hinteren Körperabschnittes
aus. Während dieser sich verlängert, grenzt sich das stärker chitinisirte
Integument der vorderen Rückenparthie durch Entwicklung einer
Integumentfalte an seinen Randparthien als späterer Cephalothoraxschild
deutlich ab. Der Enddarm ist nun schon zum Durchbruch gelangt und
lässt die deutlieh dorsalwärts gelegene Afteröffnung erkennen. Das
Gehirn steht hinter dem Naupliusauge mit einer paarigen Ectoderm-
wucherung in Verbindung, in welcher wir die später rudimentär werdende
Fig". 288. Larvenstadien von Cetochilus
sep-
tentrionalis (nach Grübben, aus Lang's Lehrbuch).
A Naupliusstadium, B Metanauplius, C älterer Meta-
uauplius.
1, 2 erste und zweite Antenne, 3 Mandibel, 4 Maxille,
5,5 Exopodit und Endopodit der zweiten Maxille (= erster
und zweiter Maxillarfuss), I, II erstes und zweites Thorax-
beinpaar, an Anus, g Gehirn, gz Genitalzellen, m Mund,
me TJrmesodermzellen, ol Oberlippe.
tralwärts
und mit
versehen.
Crustaceen. 425
Anlage eines Seitenauges und Augenganglions (secundäres Gehirn) er-
kennen. Als Anlage der Geschlechtsorgane ist eine zu beiden Seiten
des Darmcanals gelesene, vergrösserte Mesodermzelle zu erkennen (gz,
in Fig. 288 B).
Nun tritt hinter den Mandibeln ein kleiner zweiästiger Fuss, die
Anlage der ersten Maxille (4) auf. Hiermit tritt die Larve in das erste
Metanaupliusstadium (Fig. 288 5).
Ein späteres Metanaupliusstadium (Fig. 288 C) zeigt uns
drei weitere Extremitätenanlagen, nämlich die IL* Maxillen (5) aus deren
beiden Aesten die sog. Maxillarfüsse der Copepoden hervorgehen, und
die beiden ersten Thoraxbeinpaare (1, II). Dies Stadium besitzt noch
entschiedenen Naupliushabitus. Der Körper ist zwar in die Länge
gewachsen, zeigt aber noch in der Seitenansicht die für die Nauplien
charakteristische ventrale Einkrümmung. Das hintere Körperende ent-
behrt noch der Furcalfortsätze. Die beiden Antennenpaare haben mit
Ausnahme der Vermehrung der Borstenzahl gegenüber den früheren
Stadien keine wesentlichen Veränderungen erlitten. Noch finden sich
die Kieferhaken an dem Basalglied der zweiten Antenne. An der
Mandibel (3) macht sich die Entwicklung einer mächtigen, von dem
Basalglied ausgehenden Kaulade bemerkbar. Die erste Maxille (4) stellt
eine kleine gelappte Platte dar, während an der zweiten Maxille (5) die
Trennung des Exopodits (sog. vorderer od. äusserer Maxillarfuss) von dem
Endopoditen (sog. hinterer oder innerer Maxillarfuss) bereits vorbereitet
wird. Die Anlagen der beiden vorderen Thoracalfusspaare stellen in
zwei Aeste gespaltene Wülste dar (I, 11). Auf dies Stadium folgen
mehrere Häutungen, durch welche die Körpergestaltung' der Larve keine
wesentlichen Veränderungen erfährt mit der einzigen Ausnahme, dass
sich hinter dem zweiten Thoraxsegmente die Anlage eines dritten
bemerkbar macht. Die Reihe dieser Stadien erfährt ihren Abschluss
durch eine Häutung, durch welche die Larve in die Reihe der cyclops-
ähnlichen Stadien übergeführt wird.
Das erste dieser Stadien, welches wir nach der für die Copepoden-
Metamorphose acceptirten Terminologie als erstes Cyclopsstadium
(richtiger mit Grobben als erstes Cetochilusstadium) bezeichnen müssen,
weist wesentliche Gestaltveränderungen auf. Der Körper ist nicht mehr
ventralwärts eingebogen , sondern gerade gestreckt. Der hinterste
Körperabschnitt hat sich von dem Vorderkörper scharf abgeschnürt, die
Furcalanhänge sind zur Entwicklung gekommen. Ausserdem ist die
Anlage eines vierten Thoraxsegmentes zur Entwicklung gekommen. Die
Extremitäten nähern sich in ihrer Gestalt der des ausgebildeten Thieres,
wenngleich sie noch nicht so reich gegliedert erscheinen. Die erste
Antenne ist aus der kurzen blattförmigen Gestalt in die eines lang-
gestreckten, cylindrischen, vom Körper seitlich abstehenden, aus zahlreichen
Gliedern bestehenden Ruders übergeführt worden. Die zweite Antenne
ist ein zweiästiger Fuss geblieben, hat aber ihren Kaufortsatz eingebüsst;
an der Mandibel sind die Kauladen stark vergrössert. Die Maxille er-
scheint vergrössert und reicher gegliedert, die Maxillarfüsse zu grossen
Greiffüssen umgewandelt. Die zwei vorderen Thoraxbeinpaare sind als
Ruderfüsse mit bereits zweigliedrigem Basalabschnitt , aber noch ein-
gliedrigen Aesten entwickelt; das dritte Thoraxbeinpaar dagegen ist erst
in der zweigespaltenen Anlage zu erkennen.
Von den Umwandlungen, welche die inneren Organe in der Reihe der
Cyclopsstadien durchmachen, ist die Rückbildung der paarigen Augenanlage
426
XV. Capitel.
und des secundären Gehirnes zu erwähnen. Jetzt erst werden die zu dem
paarigen Frontalorgan ziehenden Nerven deutlich erkennbar. Auch die An-
tennendrüse wird jetzt rückgebildet. Für sie tritt nunmehr — wie es scheint
— vicariirend die an der Basis des vorderen Maxillarfusses ausmündende
Schalendrüse in Function. Die Afteröffnung liegt nicht mehr dorsal -
wärts, sondern rückt an das hintere Körperende zwischen die beiden Furcal-
fortsätze. An den Genitalorganen ist die Vermehrung der Genitalzellen und
die Ausbildung der Ausführucgsgänge fortgeschritten. Die paarigen Genital-
anlagen treffen nun über dem Darmcanal zusammen und verwachsen zu
einer unpaaren Anlage. Das Herz entwickelt sich zwischen dem ersten und
zweiten Thoracalsegment aus einer paarigen Anlage von Mesodermzellen.
Fig. 289. Zwei Eutwicklungsstadien von Cauthocamptus staphylinus
(nach Claus).
A Metanaupliusstadium, B Cyclopsstadium mit drei Kuderfusspaaren.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, md Mandibel, mx Maxille, mf zweite Maxille
(Anlage der beiden sog. Maxillarfusspaare), mf erster sog. Maxillarfuss , mf" zweiter
sog. Maxillarfuss, p' p" p'" erstes, zweites, drittes Thoraxbeinpaar.
Im zweiten Cyclopsstadium (vgl. Fig. 289 B) tritt zunächst
die Extremitätenanlage des vierten Thoraxsegmentes und die Sonderung
des fünften Thoraxsegmentes auf. In diesem Stadium finden wir demnach
auf den Cephalothorax folgend vier freie Thoraxsegmente und dahinter
das noch ungegliederte Abdomen. Von den Thoraxextremitäten sind die
drei vorderen Paare wohl entwickelt. Im dritten Cyclopsstadium
ist das vierte Thoraxbeinpaar zur vollen Entwicklung gelangt und das
erste Abdominalsegment ausgebildet; in den folgenden Cyclopsstadien
vollzieht sich sodann die allmähliche Gliederung des Abdomens und die
vollständige Ueberführung der Form der Extremitäten in die definitive
Gestalt. Ausser der Ausbildung einer reicheren Gliederung ist nach
dieser Hinsicht hervorzuheben, dass in den Familien der Cyclopiden
und Corycaeiden der (innere) Nebenast der zweiten Antenne schon im
ersten Cyclopsstadium verloren gegangen ist, ebenso wie der Mandibular-
taster einer Rückbildung anheimfiel.
Crustaceen. 427
Wenn die hier als Typus betrachtete Metamorphose der Calaniden
(Cetochilus) sich durch die ganz regelmässige Entwicklung der Extremitäten
in der Reihenfolge von vorn nach hinten auszeichnete, so ist für die
Harpactiden (vgl. Fig. 289) und Cyclopiden von diesem Verhalten
insofern eine Ausnahme zu constatiren, als die II. Maxille (mf) in den
späteren Naupliusstadien sich zwar angelegt, aber in ungemein rudimentärem
Zustande vorfindet, so dass die dahinter folgenden beiden Thoraxbeinpaare
in der Entwicklung vorauseilen. Wir haben hier eine Parallele zu dem ent-
sprechenden Verhalten der Maxillen bei den Phyllopoden.
B. Parasita.
Die Gruppe der freilebenden Copepoden ist durch zahlreiche Ueber-
gangsformen mit den schmarotzenden Copepoden verbunden, durch welche
die verschiedenen Stufen der Umbildung' und Rückbildung, denen die
Körpergliederung in Folge der parasitischen Lebensweise anheimfällt,
markirt werden. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Weibchen
entsprechend den Aufgaben, die ihnen in Bezug auf das Fortpflanzungs -
geschält zugewiesen sind, eine stärkere Tendenz aufweisen, sich der
parasitischen Lebensweise zu ergeben, und in Folge dessen eine Rück-
bildung der Bewegungsorgane, ein Verstreichen der Segmentgrenzen und
eine Deformirung der Körpergestalt zu erfahren. So findet man schon
in der Gruppe der Sapphirinen die Weibchen in der Athemhöhle von
Salpen oder in der Glockenhöhle von Diphyes festsitzend, während die
Männchen stets nur frei umherschwrärmend angetroffen werden. In
excessiver Weise findet sich diess Verhalten bei den Lernäen (Fig.
291.4, B), deren Metamorphose mit einem cyclops - ähnlichen, flei-
sch wärmenden Stadium abschliesst, in dem die Begattung sich vollzieht,
worauf die Weibchen sich an einem Wirth (Gadiden) festsetzen und eine
sehr starke Deformirung des Körpers erleiden (Fig. 291 C, D). In dieser
Gruppe bildet sich demnach ein Heteromorphismus der Geschlechter in
der Weise heraus, dass die Männchen sich von der Körpergliederung
späterer Cyclopsstadien nur wenig entfernen, während das Weibchen
stark parasitär umgebildet wird. Aehnlich verhält es sich bei den
Philichthyden und Chondracanthiden. In einer anderen
Formenreihe dagegen entfernt sich auch das Männchen durch secundär
eintretende Umwandlungen von der cyclops-ähnlichen Gestalt der späteren
Larvenstadien. Während bei den Caligiden und Dichelestiiden
die beiden Geschlechter in der Körpergestaltung und Grössenentwicklung
nicht auffallend differiren, kommt es bei den Lernäopoden (vgl.
Fig. 292, B und E) auf einem anderen Wege, als bei den Lernäen zu
einer heteromorphen Ausbildung der beiden Geschlechter, indem das
Männchen sich an der in Folge des Parasitismus auftretenden Rück-
bildung der Körpergliederung betheiligt, aber eine Hemmung in seinem
Körperwachsthum erfährt, so dass es dem enorm vergrösserten Weibchen
gegenüber als „Zwergmännchen" erscheint. Diese Art der heteromorphen
Ausbildung der beiden Geschlechter muss als eine durch die parasitäre
Lebensweise ermöglichte excessive Anpassung an die verschiedenen Auf-
gaben im Bereiche der geschlechtlichen Functionen betrachtet werden.
Wir können die parasitären Formen von der Gestalt der freilebenden
ableiten, indem wir uns vorstellen, dass letztere in Folge der parasitären
Lebensweise gewisse Umwandlungen erfahren hat. Es wird demnach die
428 xv- Capitel.
Metamorphose der parasitischen Copepoden sich in der Weise gestalten,
dass zunächst durch Metanauplius- und Cyclopsstadien ein an die
Körpergestaltung der freilebenden Formen sich anschliessendes Stadium
erreicht wird, worauf durch eine Reihe weiterer Stadien die parasitären
Umformungen erreicht werden. Es hat also die Metamorphose im Be-
reiche der parasitären Copepoden durch Hinzufügung der schmarotzenden
Endstadien eine Verlängerung erfahren. Dementsprechend erscheinen
jedoch die beiden ersten"Formenreihen abgekürzt. Vielfach kommen die
Larven der parasitischen Copepoden nicht in der Naupliusform, sondern
in einem vorgerückten Metanaupliusstadium oder Cyclopsstadium aus dem
Eie (vgl. pag. 348 Fig. 250; Chondracanthus, Tracheliastes, Achtheres,
Anchorella, Brachiella etc.). Andererseits wird die Metamorphose durch
Unterdrückung der späteren Cyclopsstadien abgekürzt, indem in den
Fällen hochgradiger parasitärer Rückbildung schon das erste Cyclops-
stadium direct in die parasitären Formen übergeführt wird (Chondra-
canthus, Lernäopoden).
Ein weiterer Unterschied der Metamorphose der parasitischen Cope-
poden gegenüber den freilebenden ergiebt sich aus dem Umstände, dass
auch im Bereiche der Larvenformen die sedentäre Lebensweise (an den
Kiemen eines Wirthes) acceptirt wird und dass es dementsprechend zu
einer Ausbildung geeigneter Haftapparate (das Stirnband der Larven bei
Caligiden, Lernäen und Lernäopoden) und zur Entwicklung ruhender
Stadien mit reducirten Gliedmaassen (sog. Puppen) kommt.
Es würde zu weit führen, im Folgenden eine vollständige Aufzählung
der sehr zerstreuten Angaben über einzelne Larvenformen der parasitischen
Copepoden zu geben, um so mehr, da die Angaben über die Entwicklung
dieser Formen vielfach noch sehr lückenhaft sind. Es muss genügen, einzelne
wichtigere Formen herauszugreifen, an denen eine genauere Kenntniss der
Metamorphose erreicht wurde. Wir werden hiebei zunächst jene Familien,
in denen die Larven des larvalen Haftapparates (Stirnband) anscheinend ent-
behren, von denen zu trennen haben, bei welchen ein solches Organ be-
obachtet ist.
Während in jenen Familien, welche im ausgebildeten Zustande die
Körpergliederung der freilebenden Copepoden mehr oder weniger beibehalten,
z. B. den Corycäiden und den unter die Gnathostomata zu rechnenden
Notodelphyiden, auch die Metamorphose nicht wesentlich von der oben
geschilderten der freilebenden Formen verschieden zu sein scheint, finden
wir bei den Chondracanthiden die oben erwähnte Abkürzung der Meta-
morphose. Die jungen aus dem Eie kommenden Larven von Chondracanthus
gibbosus zeigen hinter den Naupliusbeinpaaren bereits die Anlage zweier
weiterer Extremitätenpaare, müssen daher als Metanauplien bezeichnet werden
(Claus No. 71). Die jüngsten parasitischen Weibchen stehen im Wesent-
lichen auf der Entwicklungsstufe des ersten Cyclopsstadiums. Von den vier
deutlich gesonderten Thoracalsegmenten tragen nur die beiden vordersten
zweilappige, der Borsten entbehrende Extremitätenanlagen. Der hinterste
Körperabschnitt (Abdomen) ist klein und in zwei Abschnitte getheilt, Auf
dieses erste folgen keine späteren Cyclopsstadien, sondern während das kleine
Männchen zeitlebens auf der Gliederungsstufe dieses Stadiums stehen bleibt,
erleiden die Weibchen eine secundäre Umbildung, indem das dritte und vierte
Thoraxsegment zu einem umfangreichen Leibesabschnitt auswachsen. Nun
erleidet der so vergrösserte Thoracalabschnitt eine äusserst merkwürdige
Umgestaltung, indem an den einzelnen Thoraxsegmenten (mit Ausnahme des
Crustaceen.
429
ersten) als secundäre Ausstülpungen dorsale und ventrale Erweiterungen und
seitliche Zipfel angelegt werden.
Ziemlich ähnlich liegen die Verhältnisse in der Familie der Philich -
thyden. Hier ist die aus dem Eie schlüpfende Larvenform für die Gattung
Lernaeascus ein mit viel Dottermaterial ausgestatteter Nauplius, dessen
II. Antennen der Kieferhaken entbehren und an welchem man ebensowenig
wie an dem Metanauplius von Chondracanthus einen Haftapparat (Stirnband)
bemerken kann. Die parasitären Formen gehen von einem Cyclopsstadium
aus, welches eine deutliche Segmentirung an Thorax und Abdomen erkennen
lässt, aber nur an den beiden vorderen Thoraxsegmenten eine wohlentwickelte
Ruderfussanlage aufweist, während das dritte Thoraxsegment nur ein Extremi-
täten-Rudiment besitzt. Die Männchen
bleiben in einer dieser Entwicklungsstufe
ähnlichen Gestalt erhalten, während die
Weibchen unter Streckung des Thoracal-
abschnittes und eigenthümlicher Entwick-
lung asymmetrisch angeordneter Chitin-
schuppenreihen parasitär umgebildet
werden (Claus No. 69).
Während bei den soeben besproche-
nen Familien die aufsteigende Reihe der
Larvenformen über das erste Cyclopssta-
dium nicht erheblich hinausgeht, werden
bei den Dichelestiinen, deren Körper
im ausgebildeten Zustande sich durch
eine weniger weitgehende Reduction aus-
zeichnet, auch noch die späteren Cy-
clopsstadien durchlaufen. Die dem Ei
entschlüpfenden Jungen sind echte Nau-
plien. Ein Stirnband scheint den Larven
dieser Gruppe zu fehlen (?).
Dagegen kommt ein derartiger An-
lief tungsapparat den Larven der Caligi-
den zu, welche in den jüngeren Stadien
auffallend den Cyclopsstadien (Puppen)
von Lernaea gleichen (Claus No. 70,
vgl. unten). Die späteren, im Habitus
schon mehr der ausgebildeten Form ähn-
Zwei Larvenstadien
branchialis (nach
B soo\
Fig. 290.
von Lernaea
Claus).
A erstes Cyclopsstadium,
Puppenstadium.
«' erste Antenne, a" zweite Antenne,
/' erstes und f'1 zweites Thoraxbein-
paar, k Klebemasse, oc Auge.
liehen, aber noch durch den Besitz des
Stirnbandes ausgezeichneten Larven wurden von Buemeister als Chalimus
beschrieben. Dagegen wurde später durch F. Müller die schon von Keoyer
vermuthete Zugehörigkeit dieser Formen in den Entwicklungskreis von Caligus
nachgewiesen.
Sehr interessante Verhältnisse sowohl durch den Parasitismus der Larven-
formen als durch die erst nach erfolgter Begattung eintretende Deformirung
am Körper des Weibchens bietet die Familie der Lernäen dar, deren
Metamorphose für Lernaea branchialis durch Metzger und Claus (No. 70)
bekannt geworden ist. Wahrscheinlich sind die aus den Eiern entschlüpfenden
Larven hier denen von Achtheres ähnliche Nauplien, unter deren Cuticula
bereits die Körpergliederung des ersten Cyclopsstadiums angelegt erscheint.
In diese Stadien würde eine Periode freien ümherschwärmens und des An-
suchens des ersten Trägers (Platessa flesus) fallen. Die jüngsten an den
Kiemen befestigten Formen zeigten noch durchaus die Gliederung des ersten
430 xv- Capitel.
Cyclopsstadiums (Fig. 290 Ä). Sie entsprechen der gleichen Entwicklungs-
stufe von Achtheres. Auf den Cephalothoraxahschnitt folgen drei freie Thorax-
segmente und ein hinterer ungegliederter Körperabschnitt, welcher die Furcal-
fortsätze trägt. Zwei Paare deutlich entwickelter Ruderbeine (f1, fn) am
Cephalothorax und am ersten freien Thoraxsegmente, sowie ein stummei-
förmiges drittes Paar (am zweiten freien Thoraxsegmente) sind zu erkennen.
Die Mundtheile zeigen bereits den echten Siphonostomentypus. Oberlippe
und Unterlippe (Paragnathen ?) sind zur Bildung einer Saugröhre verschmolzen,
in deren Inneres die stiletförmigen Mandibeln aufgenommen sind, während
die tasterähnlichen, zugespitzten Maxillen zu den Seiten befestigt sind. Die
ersten Antennen (a') sind mit Sinnesborsten besetzt, die zweiten Antennen
(a") sowie die vorderen Maxillarfüsse zu Klammerhaken umgestaltet. Die
hinteren Maxillarfüsse sind völlig rückgebildet, was einen Unterschied gegen-
über der Larve von Achtheres darstellt.
Die späteren unter mehrfachen Häutungen aus einander hervorgehenden
Cyclopsstadien (Fig. 290 B) zeigen eine entschiedene Anpassung an die
parasitäre Lebensweise. Eine dem Stirnband der Caliguslarven vergleich-
bare, von der Stirne ausgehende erhärtende Secretmasse (Je) vermittelt die
Befestigung an die Kiemen des Wirthes, und dieser dauernden Fixirung ent-
spricht die Rückbildung der Locomotionsorgane. Fast sämmtliche Glied-
maassen, vor allem die Ruderfüsse (f1, fn) erscheinen nun als ungegliederte,
des Borstenbesatzes entbehrende, unbewegliche Stummel. Man hat daher
diese einer selbstständigen Beweglichkeit entbehrenden Stadien wohl auch als
Puppen bezeichnet. In diesem Zustande werden die noch fehlenden hinteren
Körperringe und Extremitätenpaare ausgebildet. Wir unterscheiden ein
Stadium mit drei Ruderfusspaaren und vier freien Thoraxsegmenten, in
welchem am Körper der männlichen Formen der bisher unterdrückte, hintere
Maxillarfuss deutlich wird , dann ein ferneres Stadium mit vier Ruderfuss-
paaren; letzteres Stadium führt durch eine weitere Häutung zu dem Frei-
werden des frei umherschwärmenden Begattungsstadiums (Fig. 291 A und B).
Der Körper zeigt, wenn wir von der mangelhaften Gliederung des Abdomens
absehen, im Uebrigen die volle Körperentwicklung der freilebenden Copepoden.
Die ersten Antennen («') sind nun gegliedert, mit Borsten und Sinnesfäden
besetzt, die vier Ruderfusspaare (f1 — fiv) mit ihrem Borstenbesatz zu kräftiger
Schwimmbewegung geeignet, während im Bau der zweiten Antenne (a") und
der Mundtheile der Siphonostomentypus ausgeprägt ist. Die weibliche Form
(Fig. 291 B) unterscheidet sich durch eine auffallende Verlängerung des
Genitalsegmentes, wodurch das ganze Abdomen als ein wurmförmig gestreckter
Anhang erscheint. Die weiblichen Geschlechtsorgane sind noch nicht zur
Production befruchtungsfähiger Eier genügend entwickelt; dagegen hat das
Receptaculum seminis mit den beiden die Samenmasse aus den Spermatophoren
aufnehmenden Poren (g) seine volle Ausbildung erlangt. Dies freischwärmende,
der Begattung gewidmete, cyclopsähnliche Stadium ist das letzte Lebens-
stadium des Männchens, während die begatteten Weibchen einen neuen Wirth
(aus der Familie der Gadiden) aufsuchen, an welchem sie eine bedeutende
Umgestaltung (Fig. 291 C und B) des Körpers durchmachen. Das zur Ent-
wicklung der Eier vergrösserte Genitalsegment stellt nun einen doppelt ge-
krümmten, mächtigen Körperabschnitt dar, welchem das kleine Abdomen
mit den Furcalstummeln als zipfelförmiger Abschnitt aufsitzt. Das Kopf-
bruststück wird durch Ausbildung dreier, als Widerhaken fungirender Hörner
umgebildet, welche an ihrer Spitze gabelartige Auswüchse treiben. Die
Gliedmaassen bleiben bei dieser Umwandlung sämmtlich erhalten . erfahren
jedoch durch starke Chitinisirung eine gewisse Umbildung.
Crastaceen.
431
Hier schliesst sich in Bezug auf ihre Metamorphose die merkwürdige, in der
Bruthöhle von Amphithoe schmarotzende Sphaeronella Leuckartii an.
Bei dieser Form fand Salensky (No. 80) ein auf das erste (freischwimmende)
Cyclopsstadium folgendes äusserst rückgebildetes Puppenstadium, an dessen
sackförmigem Körper weder Gliederung noch Gliedmaassen zu erkennen waren,
und welches mittelst eines larvalen Haftapparates an den Epimeralplatten
des Wirthes befestigt war.
Letzteres führte durch all-
mähliche Uebergangsstadien
zur ausgebildeten Form über.
Am genauesten ist die
Metamorphose der Ler-
näopodiden durch Kol-
lae (No. 77), v. Nordmann
(No. 79), Claus (No. 66),
Vejdowsky (No. 81) u. A.
bekannt geworden. Sie
scheint für die verschie-
denen Formen sehr überein-
stimmend zu verlaufen, so
dass wir Achtheres nach
der Schilderung von Claus
als Typus herausgreifen
können. Die aus dem Eie
schlüpfenden Jungen (Fig.
292 A) gleichen vollkom-
men einem mittelst seiner
beiden vorderen Extremi-
tätenpaare (erste und zweite
Antenne) schwerfällig um-
herschwimmenden Nauplius.
Eine genauere Untersuchung
lässt jedoch erkennen, dass
der unter der Nauplius-Cu-
ticula versteckte Körper be-
reits die Organisation des
ersten Cyclopsstadiums auf-
weist. Es liegen nicht bloss
die Mundtheile, sondern auch
zwei Paare von Schwimm-
füssen (p1, p2) unter der
Naupliushaut versteckt. Die
Mandibeln (md) und ersten
Maxillen (mx) liegen als
kleine Stummel zu den Sei-
ten der in die Bildung des
von Ler-
naea branchialis (nach Claus
A Männchen, B Weibchen im Begattungsstadium,
C und D spätere, parasitisch umgebildete Zustände
der Weibchen, bei schwächerer Vergrösserung.
a' erste, a" zweite Antenne, /I—/1V erstes bis viertes
Thoraxbeinpaar, g Begattungsporus, mxf Maxillarfuss,
oc Auge, sp Spermatophorensack, t Hoden.
späteren Rostrum eingehen-
den Mundkappe (Oberlippe).
Von Interesse ist die Lagerung der beiden Maxillarfusspaare (jpm1, pm2),
insofern aus derselben auf das Deutlichste hervorgeht, dass beide als
Exopodit und Endopodit einer und derselben Gliedmaasse (zweite Maxille)
angehören. Ausserdem erkennt man den späteren Anheftungsapparat in
der Form eines von einem stark lichtbrechenden Stirnzapfen (z) ausgehen-
432
XV. Capitel.
den, spiralig eingerollten Fadens, welcher mit einer kugeligen Anschwellung
endigt. Claus hält den homogen erscheinenden Faden für eine mit zäh-
flüssigem Secret erfüllte Röhre und erblickt in demselben den Ausführungs-
gang einer eine Kittsubstanz absondernden Drüsenmasse. Dies erste Stadium,
durch welches die Naupliusreihe repräsentirt erscheint, häutet sich schon
nach wenigen Stunden, und die nun folgende Larve steht auf der Stufe des
ersten Cyclopsstadiums (Fig. 292 B). Wir erkennen einen langgestreckten
Cephalothoraxabschnitt , auf welchen drei freie Thoraxsegmente und ein un-
gegliederter Abdomialabschnitt folgen. Der Thoraxabschnitt lässt zwei Paare
wohlentwickelter Ruöerfüsse (p1, p2) und ein drittes rudimentäres Paar (p3)
Fig. 292. Metamorphose von Achtheres percarum (nach Claus, aus
Balfour's Handbuch).
A sog. Naupliusstadium, B erstes Cyclopsstaclium, C älteres Stadium der männ-
lichen Larve, I) geschlechtsreifes Weibchen, E geschlechtsreifes Männchen.
at1, at2 erstes, zweites Antennenpaar, md Mandibel, mx Maxille, pm1, pm2 erstes,
zweites Maxillarfusspaar, p1, p2 erstes, zweites Ruderfusspaar, z Stirnzapfen, i Darm-
canal, o Naupliusauge , b drüsiger Körper, t Tastorgan, ov Ovarium, / aus den ver-
wachsenen Kieferfüssen hervorgegangene Borste, g Kittdrüse, rs Receptaculum seminis,
n Nervensystem, te Hoden, v Vas deferens.
erkennen. Die ersten Antennen (at1) sind cylindrische, dreigliedrige, mit
Borsten besetzte Anhänge. Die zweiten Antennen sind noch zweiästig (at2),
aber schon zu Klammerorganen der Larve umgebildet, insofern der längere
Ast mit einem klauenförmig gebogenen Haken endigt, während der kürzere
Ast mit Papillen besetzt ist. Die Oberlippe hat sich mit einer rinnenförmig
ausgehöhlten (aus den Paragnathen hervorgegangenen?) Unterlippe zur Bil-
dung eines kegelförmigen Saugrüssels vereinigt, an dessen Aussenseite die
kurzen, in einen zapfenförmigen Fortsatz auslaufenden, den Uebergang von
den kauenden Kiefern der Cyclopiden zu den stechenden Stileten der Para-
siten darstellenden Mandibeln und die tasterförmigen ersten Maxillen sich
vorfinden. Es folgen nun die beiden zu Klammerhaken umgewandelten
Maxillarfusspaare (pm1, pm2), von denen die äusseren bereits eine mehr
Crustaceen. 433
nach vorn gerückte, die inneren eine hintere Lage einnehmen. Von inneren
Organen ist der Darmcanal, das weit nach hinten gerückte Naupliusauge und zwei
zu den Seiten desselben gelegene (b) bohnenförmige Körper (Drüsen?) zuerkennen.
Es ist wahrscheinlich , dass die Larven nach kurzem Umherschwärmen
schon in diesem Stadium an der Schleimhaut der Gaumenfläche des Barsches
(v. Nokdmann) sich festsetzen. Das eigenthümliche Haftorgan scheint jedoch
erst nach einer weiteren Häutung frei zu werden und zur Anwendung zu
kommen. In diesen und den durch weitere Häutungen wahrscheinlich nun
folgenden festsitzenden Stadien dürften die Mandibeln in das Innere des Saug-
rüssels hineinrücken , während wahrscheinlich eine Reduction des Borsten-
besatzes der Schwimmfus'spaare eintritt. Diese Stadien kamen jedoch nicht
zur Beobachtung, sondern erst ein etwas späteres, welches sich in seinem
Bau schon beträchtlich der ausgebildeten Form von Achtheres nähert (Fig.
292 C). Die Körpergestalt ist annähernd wurmförmig geworden, indem sich
das erste Thoraxsegment vom Kopf abgetrennt und mit den vier dahinter
gelegenen Abschnitten zur Bildung eines sackförmig gestalteten Körpertheiles
vereinigt hat, an dessen Ende die zipfelförmigen Furcalanhänge zu erkennen
sind. Antennen und Mundtheile gleichen schon im Wesentlichen den ent-
sprechenden Theilen des ausgebildeten Thieres. Das an der Stirne befestigte
Haftorgan ist bis auf ein Rudiment seines basalen Abscbnittes (#) verschwun-
den, dagegen ist an den äusseren (vorderen) Maxillarfüssen (pm1) ein neues
provisorisches Haftorgan in Gestalt eines ganz ähnlichen Fadens (/') ent-
standen, welcher von der Spitze der an ihren Enden mit einander verwachse-
nen äusseren Kieferfüsse ausgeht. Es ist von Interesse, dass man an diesem
Stadium bereits den Beginn der sexuellen Differenzirung bemerken kann.
Kleinere Exemplare (die jugendlichen Männchen) zeigen auffallend kräftige
äussere Maxillarfüsse (pm1) , welche nur durch den Ansatz des Haftfadens
mit einander vereinigt sind und einen kräftigen Endhaken tragen. Wenn
mit der nachfolgenden Häutung der Haftfaden abgestossen wird, so gehen
aus denselben die mit einander nicht verwachsenen, als Klammerhaken fungi-
renden , vorderen Maxillarfüsse der Männchen (Fig. 292 E) hervor. Die
hinteren Maxillarfüsse (pm2) sind ziemlich gross und tragen einen kleinen
Klammerhaken. In der weiblichen Form dagegen sind die vorderen Maxillar-
füsse (pm1) entsprechend dem aus ihnen entstehenden mit einem Saugnapf
endenden Doppelarm (Fig. 292 D) ziemlich langgestreckt; ebenso sind die
hinteren Maxillarfüsse durch ein grösseres hakenförmiges Endglied von denen
der männlichen Form unterschieden. Von inneren anatomischen Merkmalen
dieser Larvenform sei zunächst erwähnt die Rückbildung des Naupliusauges.
Letzteres wird allerdings nicht überall bei den parasitischen Crustaceen
rückgebildet. Es erhält sich bei den Pygmäenmännchen der Chondracanthen
und Lernäopoden , sowie auch in manchen Fällen im weiblichen Geschlechte
(z. B. bei Chondracanthus cornutus). Im hinteren Kopfabschnitte unserer
Larve finden sich zu den Seiten des Darmes zwei Paare aus den oben er-
wähnten bohnenförmigen Körpern hervorgegangener Drüsen, deren Ausführungs-
gänge an der Basis der Maxillarfüsse münden und welche ein zähes, erstarren-
des Secret absondern. Zwischen diesen Drüsenkörpern bemerkt man ein
dorsalwärts gelegenes pulsirendes Organ, welches wahrscheinlich ebenso wie
ein ähnliches von Vejdovsky bei Tracheliastes und von Hesse bei Lernäen-
larven gesehenes ein kurzes sackförmiges Herz darstellt. Die Anlage der
Geschlechtsorgane ist bereits deutlich zu erkennen. Mit der nächsten Häutung
tritt der Körper in das Stadium der geschlechtlichen Ausbildung über. Das
Männchen nimmt nun nicht mehr an Grösse zu, während der hintere Körper-
abschnitt des Weibchens eine ausserordentliche Vergrösserung erleidet.
434
XV. Capitel.
C. Branchiura.
Die Branchiura (A r gul us) werden gewöhnlich im Anschlüsse an
Claus (No. 68) in die nähere Verwandtschaft der Copepoden gestellt.
Letztere Auffassung ist besonders durch die Aehnlichkeit der Ruderfüsse
sowie durch den durch Claus genauer bekannt gewordenen Bau der
Mundtheile begründet. Letztere erinnern thatsächlich sehr an die bei
den parasitischen Copepoden (Siphonostomen) vorliegenden Verhältnisse.
Wir unterscheiden hakenförmige Mandibeln und stiletförmige Maxillen,
welche in das In-
nere eines aus Ober-
lippe und Unterlip-
pe unter Vermittlung
einer seitlichen, der
Mandibel zuzurech-
nenden Parthie ge-
bildeten Rüssels auf-
genommen erschei-
nen und zwei da-
hinter folgende, als
Klammerorgane die-
nende Maxillarfuss-
paare. Die Deutung
der letzteren als
selbstständig gewor-
dene Aeste der zwei-
ten Maxille, welche
eine beträchtliche
Uebereinstimmung
mit den Verhältnis-
sen der Copepoden
' begründen würde,
wird besonders durch
die Lage der Aus-
mündung der von
Claus entdeckten
Schalendrüse be-
kräftigt, welche dem
basalen Theile des
zweiten Maxillarfuss-
paares angehört.
Immerhin zeigt Ar-
gulus im Baue sei-
ner Geschlechtsor-
gane, sowie in anderen Organisationsverhältnissen beträchtliche Eigen-
thümlichkeiten, und nähert sich durch den Besitz paariger beweglicher
Seitenaugen, sowie verästelter Leberschläuche den Phyllopoden, so dass
wir in den Branchiuren wahrscheinlich einen von den gemeinsamen
Copepodenahnen frühzeitig selbstständig gewordenen Seitenzweig zu be-
trachten haben.
Die dotterreichen Eier, in denen der Keimstreif eine ventralwärts
eingekrümmte Lagerung gewinnt, werden von den Weibchen in Reihen
an Steinen etc. angeklebt. Die ausschlüpfenden Jungen, deren Meta-
Fig. 293. Eben ausgeschlüpfte Larve von Argulus
foliaceus (nach Claus).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, md Mandibel, mdt
Mandibulartaster, mf erster, mf" zweiter Maxillarfuss, p*-p*
erstes bis viertes Ruderfusspaar.
Crustaceen. 435
morphose durch Claus genauer bekannt geworden ist, nähern sich in
der Gestalt schon sehr dem ausgebildeten Thiere (Fig. 293) und besitzen
bereits die gleiche Körpergliederung, sowie (wenn wir von dem Mangel
der Maxillen absehen) die gleiche Extremitätenzahl.
Der schildförmige vorderste Körperabschnitt (Cephalothorax) ver-
einigt die Kopfsegmente und das vorderste ein Kuderfusspaar tragende
Beinsegment. Es folgen hierauf drei je ein Ruderfusspaar tragende
freie Thoraxsegmente, denen ein ungegliedertes Abdomen mit (bei den
Jungen) terminalen Furcalanhängen folgt. Bei dem ausgebildeten Thiere
erscheinen die letzteren dorsalwärts emporgerückt. Ausserdem unter-
scheiden sich die Jungen von dem erwachsenen Thiere durch die geringe
Ausdehnung des Cephalothoraxschildes (Fig. 293) , welcher die freien
Thoraxsegmente dorsalwärts noch nicht überdeckt. Im Uebrigen bezieht
sich die Metamorphose hauptsächlich auf Umgestaltungen der einzelnen
Beinpaare. An den eben ausgeschlüpften Jungen erscheint die erste
Antenne («') kurz, dreigliedrig, mit einem grossen Hakenanhang des
Basalgliedes. Die zweite Antenne («") ist bedeutend grösser und zwei-
ästig, indem ein mit Klammerhaken endender Endopodit und ein be-
borsteter Exopodit zu unterscheiden sind. An der Mandibel (md) ist
ein in das Innere des Rüssels aufgenommener Basalabschnitt (Kaulade),
ein die Seitenwand des Bussels bildender, mittlerer Abschnitt, und ein
nach aussen frei vorstehender, beborsteter , langer Tasteranhang zu er-
kennen. Dieser bildet mit dem Aussenast der zweiten Antenne und dem
vordersten Ruderfusspaar die wichtigsten Locomotionsorgane der Larve.
Von der stiletförmigen , in das Innere des Rüssels aufgenommenen
Maxille war an der Larve keine Spur zu erkennen. Die beiden
Maxillarfusspaare (mf, mf") sind mit Haken endende Klammerorgane.
Von den vier Ruderfusspaaren (pl — p4) ist nur das vorderste frei und
beweglich und in seiner Gestalt einem zweiästigen Copepodenfusse
ziemlich ähnlich. Die zweiästigen Anlagen der drei hinteren Ruderfuss-
paare sind noch ungegliedert und unbeweglich.
Während der durch mehrfache Häutungen vermittelten Metamorphose
verstärken sich die basalen Hakenfortsätze der beiden Antennenpaare,
während der Exopodit der zweiten Antenne, ebenso wie der Taster der
Mandibel verschwinden, und der Endopodit der zweiten Antenne unter
Verlust der Endhaken in einen einfachen Tastanhang umgewandelt wird.
An dem ersten Maxillarfusspaar kommt die mächtige Saugscheibe zur
Entwicklung. Die Ruderfi'isse werden als beborstete, zweiästige den
Beinen der Copepoden ähnliche Gliedmaassen ausgebildet. Bald legt sich
an den beiden vorderen Paaren derselben der als Flagellum bezeichnete,
innere Nebenast an, während an den beiden hinteren Paaren die
sexuellen Differenzen sich bemerkbar machen, indem beim Männchen
charakteristische Umbildungen des Protopodits zu erkennen sind.
7. Allgemeines über Körpergliederung- und Metamorphose
der Malacostraken.
Der Körper der Malakostraken besteht aus drei primären Regionen
von bestimmter, in sämmtlichen Unterabtheilungen übereinstimmender
Segmentzahl. Während die vorderste oder cephalische Region,
welcher fünf Gliedmaassenpaare (die beiden Fühler- und die drei Kiefer-
paare) zukommen, — von seltenen Ausnahmen abgesehen — keine Spur
einer Trennung der einzelnen Segmente erkennen lässt, und die dahinter
436 XV. Capitel.
folgende, aus acht Gliedmaassen tragenden Segmenten bestehende
thoracale Region bei mehr oder weniger deutlicher Abgrenzung
eine verminderte Beweglichkeit der einzelnen Körpersegmente aufweist,
hat die aus sechs mit Gliedmaassen versehenen Segmenten und dem
Endstück (Telson) bestehende abdominale Region die volle Be-
weglichkeit der einzelnen Segmente in der Regel bewahrt, was mit der
Ausbildung des hinteren Körperendes zu einer für die Steuerung und
Locomotion des Körpers wichtigen Ruderflosse in Zusammenhang steht.
Der in dem dorsalen Theil verstärkte cuti ciliare Panzer des Kopf-
abschnittes (Rückenschild) geht an seinen seitlichen und dem hinteren
Rande in eine Hautfalte über, welche sich nach hinten über die Thorax-
region hinüberschiebt und so einen Theil oder sämmtliche Thoraxsegmente
von der dorsalen Seite bedeckt. Nur selten erhalten sich die von dem
Rückenschilde überdeckten Thoraxsegmente unter demselben einigermassen
selbstständig (Stomatopoden [Fig. 318, pag. 483], einige Schizopoden,
Nebalia); in den meisten Fällen gehen sie in ihrem dorsalen Antheile
eine innige Verwachsung mit der clarüberliegenden Integumentfalte des
Rückenschildes ein. Hierdurch ist die Vereinigung des cephalischen und
thoracalen Abschnittes zu einer gemeinsamen Körperregion (Cephalo-
thorax) gegeben. Dagegen hat in einer bestimmten Formenreihe der
Malacostraken die Randfalte des Rückenschildes eine Rückbildung er-
litten- (Arthrostraken) ; hier geht meist bloss das vorderste Thoraxsegment
eine innige Verwachsung mit dem cephalischen Abschnitte ein, wodurch
der kurze Cephalothorax dieser Gruppe gebildet erscheint, während nach
hinten sieben freie und bewegliche Thoraxsegmente folgen.
Die eben erwähnte Verwischung der Grenze zwischen cephalischer
und thoracaler Region macht sich auch in dem Verhalten der Glied-
maassen geltend. Nur in seltenen Fällen (Nebalia, Euphausiden) weisen
sämmtliche acht Thoraxbeinpaare einen ziemlich übereinstimmenden Bau
auf. Meist treten ein oder mehrere Paare des vordersten Thoraxabschnittes
in nähere Beziehung zum Munde und erscheinen zum Zweck der Kau-
function umgestaltet. Diese werden dann als Maxillarfüsse oder
Kieferfüsse unterschieden, während die dahinter folgenden, der Loco-
motion dienenden Thoraxextremitäten in vielen Gruppen als Gangbeine
bezeichnet zu werden pflegen. Während bei den Arthrostraken nur das
vorderste Thoraxbeinpaar als Maxillarfuss umgebildet erscheint, weisen
die Deca/poden drei Maxillarfusspaare auf und sind in der Gruppe der
Stomatopoden sogar die fünf vordersten Thoraxbeinpaare zu Maxillar-
füssen umgebildet.
Als Grundform des Malacostrakenbeines dürfen wir die an den
Thoraxbeinen der Schizopoden erhaltene Form des zweiästigen Ruder-
fusses mit basalem Epipodialanhang annehmen, welche sich vielleicht - - wie
nach der Gestaltung der Thoraxbeine von Nebalia (vgl. Fig. 268 B,
pag. 388) sich vermuthen lässt — aus einer mehr lamellösen, phyllo-
podenbeinälmlichen Form hervorentwickelt hat. Ein zweigliedriger
Protopodit geht in einen fünfgliedrigen Endopoditen über, während der
häufig einer Rückbildung anheimfallende Exopodit (Geisselast) öfters
eine grössere Zahl dicht gedrängter und beborsteter Glieder aufweist.
Wenn wir die Metamorphose der meisten Entomostraken (vor
Allem der Phyllopoden) mit der der Malacostraken vergleichen (vgl.
oben pag. 387), so finden wir in ersterer Gruppe einen mehr allmählichen,
durch zahlreiche Häutungen vermittelten Uebergang von der Nauplius-
form zur ausgebildeten Form, während bei den Malacostraken die
Crustaceen. 437
Metamorphose dadurch eine höhere Ausbildung erhalten hat, dass die ein-
zelnen Stadien zum Theil schärfer von einander getrennt erscheinen
und dass sich Larvenstadien einschieben, welche nicht auf dem directen
Wege des Ueberganges von der Jugendform zur ausgebildeten Form
gelegen sind, sondern welche durch Entwicklung secundärer Eigen-
thümlichkeiten eine gewisse Selbstständigkeit gewinnen und erst durch
weitere, wichtige Umformungen zur ausgebildeten Gestaltung überführen.
Es steht demnach die Metamorphose der niederen Crustaceen zu derjenigen
der Malacostraken in einem ähnlichen Verhältnisse, wie die der Insecten
mit unvollkommener Verwandlung zu der der höheren Insecten mit
vollkommener Verwandlung (vgl. unten den Abschnitt: Metamorphose
der Insecten). Als solche — wenn wir so sagen dürfen — neu ein-
geschobene Glieder des Entwicklungsganges sind vor Allem zu nennen:
die Zoea der Decapoden und die zoea ähnlichen Entwicklungsstadien
der Schizopoden (Calyptopis) und der Stomatopoden, welche bei
bereits vollständig entwickelter Zahl der Körpersegmente durch den
rudimentären Zustand einer mittleren Leibesregion ausgezeichnet sind.
Es erscheinen hier nämlich die fünf (beziehungsweise 6 oder 7) hinteren
Thoraxsegmente in der Entwicklung ungemein zurückgeblieben und ohne
oder mit völlig rudimentären Gliedmaassenanlagen, während die Segmente
des Abdomens bereits mächtig entwickelt sind. Es ist die Zoeaform
offenbar eine durch eminente Anpassung an die pelagische Lebensweise
secundär veränderte Larvenform. Es mag unter diesem Gesichtspunkte
als zweckmässig erscheinen, dass durch längere Zeit dem Körper eine
gedrungenere Gestalt erhalten blieb, dass die wichtigsten Locomotions-
organe (Maxillarfüsse und z. Th. Antennen) in einer vorderen Körper-
region entwickelt wurden und dass ein hinterer ungemein beweglicher
Körperabschnitt (Abdomen) als Ruder und Steuer zu frühzeitiger Ent-
wicklung kam. Hiedurch erscheint der rudimentäre Zustand einer mitt-
leren Körperregion einigermassen erklärt.
Von besonderem Interesse für die Auffassung der Zoea als einer secun-
där in den Entwicklungskreis eingeschobenen Larvenform, welche eine gewisse
selbstständige Geltung und Bedeutung für sich in Anspruch nahm, erscheinen
die Verhältnisse der Entwicklung des Herzens. Mit Rücksicht auf das Ver-
halten des Herzens bei Nebalia und den Schizopoden würden wir bei den
Larvenformen der Decapoden eher eine gestreckte, röhrenförmige Herzform
erwarten. Ebenso würden wir voraussetzen dürfen, dass die drei dem Deca-
podenherzen zukommenden Spaltenpaare bereits am Zoeaherzen vorzufinden
seien. Dies ist aber nicht der Fall. Das Herz der Zoea ist von kurzer
sackförmiger Gestalt und erinnert einigermassen an das Copepodenherz. Es
weist nur zwei seitliche Spaltenpaare auf (in einzelnen Fällen [Penaeus,
Euphausia] nur eines). Die fehlenden Ostien werden erst später angelegt. Es
ergiebt sich hieraus deutlich, dass das Herz eine secundäre, den Bedürfnissen
des Zoealeibes entsprechende Modifikation eingegangen ist. Die Entwicklung
des Herzens wurde mit Rücksicht auf die Organisationsverhältnisse des Zoea-
stadiums gefälscht.
An der vollständigen Entwicklungsreihe der Decapoden, welche aber
nur in den wenigsten Fällen in dieser Ausdehnung eingehalten wird,
lassen sich folgende, meist durch mehrfache Häutungen aus einander
hervorgehende Larvenstadien unterscheiden :
1. Das Naupliusstadium (vgl. unten pag. 455, Fig. 299.4).
Im Bau mit dem Nauplius der Entomostraken sehr übereinstimmend
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 29
438 xv- Capitel.
und durch den Besitz der drei typischen Extremitätennaare ausgezeichnet,
von denen das vordere (I. Antenne) einfach, die beiden hinteren Paare
(II. Antenne, Mandibel) zweiästig erscheinen. Ein freies Naupliusstadium
findet sich bei Penaeus und unter den Schizopoden bei Euphausia.
2. Das Metanaupliusstadium (vgl. unten pag. 445 Fig. 295
und pag. 442 Fig. 294 A), welches in der Körperform sich noch völlig
an das vorhergehende Stadium anschliesst, aber hinter den etwas nach
vorne gerückten Naupliusextremitäten noch die Anlage von vier (bei
Euphausia nur drei) weiteren Extremitätenpaaren aufweist. Eine seitlich
und hinten sich erhebende Hautfalte ist die erste Anlage des Rücken-
schildes. Das hintere Körperende ist durch zwei kurze beborstete Höcker
(Furcalfortsätze) gekennzeichnet. Das Metanaupliusstadium ist der Aus-
gangspunkt der Metamorphose von Lucifer.
3. Das Protozoeastadium (vgl. pag. 446 Fig. 296 A, D,
pag. 451 Fig. 298 A.) Die im Metanauplius neu angelegten Glied-
maassenpaare (I. und IL Maxille, I. und IL Maxillarfusspaar) sind zur
vollen Entwicklung gekommen. Der vordere Körperabschnitt ist von
dem Cephalothoraxschilde bedeckt, nach hinten geht der Körper in eine
schmälere Region über, welche die Anlage des Thorax und Abdomens
vereinigt und in seiner vorderen Parthie auch schon eine Segmentirung
erkennen lässt, während der hintere (abdominale) Abschnitt noch nicht
vollständig segmentirt erscheint. Die Antennen haben noch Nauplius-
charakter und fungiren noch als Ruder. Als solche dienen auch die
zweiästigen Maxillarfüsse. Die Mandibel hat sich stark verändert; ihr
Basalglied ist als Kaulade erhalten, während ihr distaler Abschnitt
(Taster) verloren gegangen ist. Das Protozoeastadium tritt in der
Metamorphose der Penaeiden und Sergestiden auf. Es zeichnet
sich durch den Besitz deutlicher Furcalfortsätze aus. In einzelnen Fällen
(Sergestes) kann auch bereits das dritte Maxillarfusspaar zur Entwicklung
kommen.
4. Das Zoeastadium (vgl. pag. 446 Fig. 296 E, pag. 456
Fig. 300 C, pag. 459 Fig. 301 und pag. 476 Fig. 313.) In allen wichtigen
Charakteren mit dem vorhergehenden Stadium übereinstimmend , von
welchem es sich durch die deutliche Segmentirung des hintersten, abdo-
minalen Abschnittes unterscheidet. Allerdings bleibt das sechste Abdo-
minalsegment häufig noch lange Zeit mit dem Telson vereinigt. Die
Extremitäten des Zoeastadiums sind dieselben, wie im vorhergehenden
Stadium. Bei den ursprünglicheren Decapoden fungiren auch die
Antennen als Ruder, während diese Gliedmaassen an den Zoeen der
Brachyuren ganz in den Hintergrund treten und die Locomotion aus-
schliesslich durch die beiden zweiästigen Maxillarfusspaare in Gemeinschaft
mit dem beweglichen Abdomen ausgeübt wird. Vielfach (Macruren)
ist auch das III. Maxillarfusspaar bereits in Function getreten. Die
dahinter folgenden Thoraxbeinpaare können als sackförmige, ungegliederte,
an den Körper angedrückte Anlagen vorhanden sein, treten jedoch an
der Zoea niemals in Function. Die Pleopoden fehlen noch vollständig mit
Ausnahme des sechsten Pleopodenpaares (Uropoden), welches in einzelnen
Fällen schon im Zoeastadium zur Entwicklung kommt. Man hat früher
zur Charakterisirung des Zoeastadiums auf die vom Cephalothorax ab-
gehenden Stachelfortsätze, welche den Brachyurenzoeen typisch zukommen,
übergrosses Gewicht gelegt. Ein wichtiges Charakteristicum dieses
Stadiums dagegen ist, dass die Segmente der hinteren Thoraxregion
(vom III. Maxillarfusspaar angefangen) meist nur in rudimentärem
Crustaceen. 439
Zustande vorhanden und oft gar nicht deutlich zu erkennen sind,
während die Abdominalsegmente durch ihre Grösse und deutliche
Abgrenzung hervortreten. Das Zoeastadium bezeichnet für viele Deca-
poden den Anfang der Metamorphose. Das Protozoöa- und Zoeastadium
sind dem Metanauplius gegenüber durch die allmähliche Entwicklung
des paarigen, gestielten Auges charakterisirt , welches — wie bei
Branchipus — , anfänglich in der Form seitlicher Vorwölbungen des
Kopfabschnittes angelegt (vgl. die Zoea von Lucifer pag. 446 Fig.
296 E), erst allmählich die Entwicklung abgegliederter Augenstiele
erkennen lässt.
5. Das Mysisstadium (vgl. pag. 448 Fig. 297 A, und pag. 456
Fig. 300 D) und Metazoeastadium (vgl. pag. 473 Fig. 3105).
Durch die Entwicklung der hinter dem III. Maxillarfusspaare folgenden
Thoraxextremitäten geht die Zoea in das M y s i s - oder Schizopoden-
Stadium über. Diese nun in Function tretenden Gliedmaassen erscheinen
in Uebereinstimmung mit den Maxillarfüssen als zweiästige beborstete
Ruderfüsse, welche nun mit letzteren die Locomotion übernehmen und
an die Schizopodenbeine erinnern. In diesem Stadium kommen die
Pleopoden zur Entwicklung.
Bei Brachyuren und Anomuren erscheint der Entwicklungsgang
insofern vereinfacht, als die schon im Zoeastadium vorhandenen, schlauch-
förmigen Anlagen der Gangbeine niemals schizopodenbeinähnlich werden,
sondern direct in die definitive Form übergehen. Es unterbleibt hier
die Ausbildung eines Exopoditen an diesen Extremitätenanlagen. Es
resultirt hieraus, dass in diesen Gruppen auf das Zoeastadium ein im
Habitus der Zoea noch sehr ähnliches Stadium folgt, welches die Anlagen
der fünf Gangbeinpaare schon in ziemlicher Entwicklung, aber noch an
den Körper angedrückt erkennen lässt. Dies Stadium, welches bei den
Anomuren und Brachyuren das Mysisstadium ersetzt, hat Claus (No. 7)
als Metazoea bezeichnet.
6. End Stadien der Metamorphose. Sie unterscheiden sich
nur mehr in unwichtigeren Merkmalen von der ausgebildeten Form, zu
welcher sie den Uebergang vermitteln. Durch den Verlust der Exopoditen
an den Thoraxbeinen und unter Vergrösserung des Abdomens geht bei
den Sergestiden aus dem Mysisstadium das Mastigopusstadium
(pag. 448 Fig. 297 C) hervor. Bei den Penaeiden und Carididen be-
zeichnet man das entsprechende Stadium als erstes Gar neel Stadium.
Die Endstadien der Anomuren- und Brachyurenmetamorphose werden
als Megalopa (pag. 480 Fig. 316 A und B) bezeichnet, wobei zu
erwähnen ist, dass die Umwandlung dieses Stadiums in die ausgebildete
Form bei den Brachyuren unter beträchtlicheren Veränderungen erfolgt,
als bei den Anomuren, weil letztere zeitlebens auf einer dem Megalopa-
stadium näheren Entwicklungsstufe verbleiben.
Ueberblicken wir die geschilderte Serie der Larvenstadien, so sehen
wir, dass die Reihenfolge der Entwicklung der Segmente und Extre-
mitäten von vorne nach hinten im Allgemeinen eingehalten wird. Nur
im Einzelnen ergeben sich gewisse, charakteristische Abweichungen. So
erscheint die Entwicklung der Thoraxsegmente im Zoeastadium meist
gegenüber derjenigen der Abdominalsegmente unterdrückt, und unter den
Extremitäten macht das sechste Pleopodenpaar durch sein frühzeitiges Auf-
treten eine Ausnahme. Wir haben diese Abweichungen von der Regel als
aus einer Anpassung der Larvenstadien an die pelagische Lebensweise
hervorgegangen ableiten können.
21)*
440 XV. Capitel.
Nur in ganz wenigen Fällen wird die ganze, oben geschilderte
Entwicklungsreihe bei den Decapoden frei durchlaufen. Penaeus und
Lucifer können nach dieser Hinsicht als Beispiel dienen. Meist erfolgt
eine mehr oder minder weitgehende Abkürzung der Metamorphose, indem
die Anfangsstadien derselben in das Embryonalleben einbezogen erscheinen.
So schlüpfen beispielsweise die Sergestiden im Protozoeastadium , die
meisten Carididen im Zoeastadium, die marinen Astaciden im Mysis-
stadium aus dem Eie. Die weitestgehende Abkürzung der Metamorphose
findet sich bei manchen im Süsswasser und auf dem Lande lebenden
Formen (Astacus, Telphusa, Gecarcinus).
In anderer Weise wird eine Abkürzung der Metamorphose erzielt
durch die Tendenz, die Charaktere der einzelnen Entwicklungsstufen zu
verwischen. So werden wir sehen, dass bei den Carididen das Zoea-
stadium dadurch abgeändert erscheint, dass es gewisse Merkmale des
Mysisstadiums anticipirt. In ähnlicher Weise ist das vollständige
Schwinden des Mysisstadiums in der Brachyuren- und Anomuren-
metamorphose zu erklären.
Die oben geschilderte Entwicklungsreihe bezieht sich auf die
Decapoden; doch schliessen sich die Verhältnisse der Schi zop öden
(E u p h a u s i d e n) und der Stomatopoden nahe an dieselbe an. Wir
könnten die Calyptopisstadien der Euphausiden direct als Protozoea- und
Zoeastadien in Anspruch nehmen, wenn sie sich nicht durch den
Mangel des zweiten Kieferfusspaares von diesen letzteren entfernten.
In der Stomatopodenmetamorphose sehen wir andererseits durch eine
ganz ähnliche Unterdrückung der Thoraxsegmente und der zugehörigen
Extremitäten, wie bei der Decapodenzoea, Larvenformen zu Stande
kommen, welche direct als Pseudozoea der Stomatopoden bezeichnet
worden sind.
Dagegen zeigt eine zweite Formenreihe der Malacostraken, welche
die Cumaceen und Arthrostraken umfasst, im Anschlüsse an die dort
vorherrschende Brutpflege ein ganz allgemeines Schwinden der Meta-
morphose. Die Verhältnisse schliessen sich bei diesen Gruppen dies-
bezüglich an die der Mysideen und Leptostraken an. Immerhin werden
wir in dem verspäteten Auftreten des letzten Thoraxbeinpaares bei
den Isopoden einen letzten Rest jener Entwicklungsrichtung erblicken
dürfen, welche bei den Decapoden zur Ausbildung des Zoeastadiums
geführt hat.
8. Leptostraken.
Die Leptostraken (Nebali a) entbehren, gleich den Mysideen,
frei schwimmender Larvenstadien. Wenn die Jungen den als Brutraum be-
nützten, inneren Schalenraum der Mutter verlassen, so zeigen sie sich nach
Metschnikoff (No. 82) im Wesentlichen in der definitiven fertigen Gestalt.
Die Metamorphose ist demnach hier , ähnlich wie bei den Mysideen , Cuma-
ceen und vielen Arthrostraken, auf jene Stadien beschränkt, welche noch im
Brutraum gelegen sind , aber schon die Eihaut gesprengt haben. In Bezug
auf das Hervorsprossen der einzelnen Gliedmaassen wird die Reihenfolge von
vorne nach hinten eingehalten. Es schliessen sich die Leptostraken hinsicht-
lich dieser Verhältnisse und durch den Mangel eines deutlich ausgesprochenen
Zoeastadiums mehr an die Phyllopoden an. Zunächst werden die drei Glied-
maassenpaare des Nauplius angelegt. Es folgt hierauf ein Stadium , welches
dieselben in weiterer Entwicklung und dahinter vier weitere Beinpaare (zwei
Maxillenpaare und die zwei vordersten Thoraxbeinpaare) erkennen lässt.
Crustaceen. 441
Dieses Stadium würde somit nach der Zahl der vorhandenen Gliedmaassen-
anlagen eine gewisse Uebereinstimmung mit der Zoeaform aufweisen. Ein
weiteres Stadium lässt die Anlage eines dritten Thoraxbeinpaares erkennen.
Der Embryo liegt im Ei in der Weise gekrümmt, dass die Ventralfläche des
nach vorne eingeschlagenen Schwanzabschnittes der Ventralfläche des vorderen
Körperabschnittes anliegt. Nun wird die Eihülle gesprengt und die frei
werdende, aber noch von der Larvencuticula umhüllte Larve, welche bereits
die Anlagen sämmtlicher Thoraxbeinpaare aufweist, nimmt nicht nur eine ge-
streckte, sondern sogar etwas dorsalwärts eingekrümmte Haltung an. Es
wiederholt sich also bei Nebalia hinsichtlich der Lagerungsverhältnisse der
Körperabschnitte dieselbe Aenderung, welche wir (pag. 353 u. 354) bei Mysis
eintreten sahen, nur mit dem Unterschiede, dass dort der Riss der Eihaut und
die Streckung des Körpers bereits im Naupliusstadium, hier dagegen in einem
späteren Stadium stattfindet. Nun werden allmählich die Pleopoden in der
Reihenfolge von vorne nach hinten angelegt, der Körper nähert sich der aus-
gebildeten Form, und das Junge schwärmt aus dem Brutraum aus (Metsch-
nikopf No. 82).
9. Scliizopoden.
In der Gruppe der Schizopoden hat die Familie der Euphau-
siidae eine durch zahlreiche Häutungen vermittelte sehr ursprüngliche
Art der Metamorphose bewahrt, während die Mysideen in einer dem
ausgebildeten Thier sehr ähnlichen Form die Naupliuscuticula abstreifen,
die Bruttasche der Mutter verlassen und frei umherschwimmen (vgl. oben
pag. 353).
Die verschiedenen Larvenstadien der Euphausiidae, von denen
sich keines vollständig auf die Protozoea und Zoea der Decapoden zurück-
führen lässt, wurden von Dana als eigene Gattungen unter den Namen
Calyptopis, Furcilia und Cyrtopia beschrieben. Erst Claus
(No. 91) wies die Zugehörigkeit dieser Formen in den Entwicklungs-
kreis der Euphausiidae nach. Die jüngsten Stadien wurden durch
Metschnikoff (No. 93 und 94) bekannt, welchem der wichtige Nachweis
zu verdanken ist, dass die Euphausialarven als echte Nauplien das Ei
verlassen. Die wichtigsten Momente der Entwicklung der späteren Stadien
wurden hauptsächlich von Claus (No. 91 und 8) für Euphausia fest-
gestellt. Neuerdings wurde der Gang der Entwicklung für verschiedene
Formen ausführlicher von G. 0. Sars (No. 95), sowie Brook und Hoyle
(No. 90) geschildert.
Der aus dem Ei schlüpfende Nauplius von Euphausia zeigt
einen ovalen, unsegmentirten , der Schalenduplicatur noch entbehrenden
Körper, an dessen vorderer Hälfte die drei Paare von Naupliusextremi-
täten in der typischen Form entwickelt sind. Das vorderste Paar der
letzteren ist einästig, die beiden hinteren Paare sind zweiästig. Die
distalen Enden sind mit Ruderborsten besetzt, eine Gliederung der Ex-
tremitäten in gesonderte Ringel ist noch nicht deutlich zu bemerken. Im
Uebrigen ist an dem Körper des Nauplius nur die sehr kleine Mund-
öffnung zu erkennen.
Spätere Stadien (Fig. 294 A) zeichnen sich durch die Entwicklung
von drei weiteren Gliedmaassenanlagen (zwei Maxillenpaare [4, 5] und
das erste Maxillarfusspaar [I]) aus und müssen deshalb schon als Meta-
nauplius in Anspruch genommen werden. Die drei vorderen Glied-
maassenpaare (I, 2, 3) haben noch den Charakter des Naupliusstadiums
bewahrt. Wir bemerken die Anlage des Naupliusauges, der Oberlippe (o),
442
XV. Capitel.
der paarigen Paragnathen (u) und einer Schildduplicatur, welche die
seitliehen Theile der hinteren Extremitätenanlagen überdeckt. Das hintere
Körperende ist hinter der nun deutlich werdenden Afteröffnung in zwei
rundliche, borstenrandige Furcalfortsätze verlängert. Spätere Metanauplius-
stadien zeigen eine Veränderung des dritten Extremitätenpaares, welches
die Form eines Ruderfusses vollständig aufgegeben hat und zu einer
Kaulade (Mandibel) mit ganz rudimentärem Tasteranhang umgebildet ist.
Die Schildduplicatur hat sich nun auch im vorderen Körperabschnitte
Fig. 294. Drei Entwicklungsstadien von Euphausia (aus Laxg's Lehrbuch).
A Metanauplius (nach Metschnikoff), B Calyptopisstadium (nach Claus), C älteres
Calyptopisstadium (nach Claus).
], 2 erste und zweite Antenne, 3 Mandibel, 4, 5 erste und zweite Maxille, /erstes
Maxillarfusspaar, ab Abdomen, («x) — (aB) erstes bis fünftes Abdominalsegment, aQ sechstes
Pleopodenpaar, an After,/« frontales Sinnesorgan, o Oberlippe, u Paragnathen, th Thoracal-
segmente.
entwickelt, so dass sie auch den Kopftheil der Larve rings umsäumt
(vgl. die späteren Stadien Fig. 294 B und C). An den hinteren Glied-
maassen macht sich die erste Andeutung der Lappenbildung bemerkbar,
während neben dem Naupliusauge das so verbreitete, paarige Frontal-
organ (fs) zur Entwicklung gekommen ist.
Aus dem Metanauplius geht durch weitere Häutungen die Reihe der
Calyptopisstadien (Fig. 294 B und C) hervor, welche durch die
Crustaceen. 443
Entwicklung der sechs vordersten Extremitätenpaare und durch die Aus-
bildung eines längeren hinteren Körperabschnittes (Thoracoabdominal-
theil) charakterisirt sind. Die beiden Antennenpaare haben noch im
Wesentlichen die Naupliuscharaktere bewahrt, wenngleich sich an ihnen
jetzt eine reichere Gliederung bemerkbar macht. Die ersten Antennen
zeigen nun einen aus drei Gliedern bestehenden Schaft, an dessen Ende
zwei kurze Fortsätze (die Anlagen der späteren Geissein) sich inseriren.
Die zweiten Antennen lassen an dem beborsteten Ende des Exopoditen
einen deutlichen Zerfall in dicht gedrängte Kingel erkennen. Die Maxillen-
paare (4, 5) und der erste Maxillarfuss (2) stellen eine vielfach gelappte
Anlage dar, die in ihrer Form eine ziemliche Uebereinstimmung mit den
Phyllopodenbeinen aufweist. Die erste Maxille (4) lässt ausser den zwei
Kauladen und dem Endopoditen noch einen kurzen beborsteten Stummel
(Exopoditen), der Anlage der späteren Fächerplatte erkennen. An der
zweiten Maxille (5) ist der Exopodit in völlig rudimentärem Zustande
vorhanden, während an der Innenseite des Protopoditen vier Kaufortsätze
zur Entwicklung gekommen sind. Der erste Kieferfuss (I) trägt (be-
sonders deutlich bei Nyctiphanes) den Charakter eines zweiästigen
Ruderfusses. An der weiter hinten folgenden Basis des thoracoabdomi-
nalen Abschnittes erkennt man bereits deutlich die dichtgedrängten An-
lagen der weiter folgenden Thoraxsegmente (Fig. 294 B, th) , während
der abdominale Abschnitt (ab) noch ungegliedert erscheint. Das hinterste
Ende desselben ist bereits zur Bildung der Mittelplatte des Schwanz-
fächers umgestaltet und an seinem hinteren Rande mit starken Dornen
besetzt. Ebenso sind vor der Afteröffnung die Seitenglieder des
Schwanzfächers (sechstes Pleopodenpaar [a6]) in der ersten Anlage zu
erkennen. Die den vorderen Theil des Körpers bedeckende Mantel-
duplicatur hat eine stärkere Entwicklung erfahren. Bei Euphausia ist
sie durch den Besitz eines an der Rückenseite vom hinteren Rande ent-
springenden unpaaren Stachelfortsatzes, durch die zierliche Zähnelung der
Ränder und durch eine an den Seiten erkennbare Einbiegung ausgezeichnet,
welche an den Schalenausschnitt der Cypridinen und Halocypriden
erinnert. Bei anderen Gattungen (Nyctiphanes) entbehrt die Schale
des Rückenstachels, sowie der Randfransen und weist nur eine ganz un-
deutliche seitliche Einbuchtung auf. Von inneren Organen sind die nun
allmählich sich entwickelnden paarigen Augenanlagen, die Leberaus-
stülpungen des Darmcanals, sowie das mit einem venösen Spaltenpaar
versehene, kurze, sackförmige Herz, das sich in ein wohlentwickeltes
Arteriensystem fortsetzt, zu erwähnen.
Spätere Calyptopisstadien (Fig. 294 0) unterscheiden sich
von den eben beschriebenen durch die deutlichere Ausbildung der noch
immer unter dem Rückenpanzer verborgenen paarigen Augenanlagen und
durch die vollzählige Segmentirung des Körpers. Es ist nicht nur die
Region des Mittelleibes (Thorax th) in sieben — wenngleich kurze —
Segmente zerfallen, sondern auch das Abdomen erscheint vollständig
[(ax) — (a6)] segmentirt. Im letzten Stadium dieser Reihe ist auch schon
das sechste Pleopodenpaar (a6) als frei vorragende Seitengliedmaasse des
Schwanzfächers ausgebildet.
Wenn wir die Reihe der Calyptopisstadien mit den übrigen
Malacostrakenlarven vergleichen, so müssen wir die jüngeren Calyptopis-
formen der Protozoea, die späteren der Zoeaform gleichstellen. Sie unter-
scheiden sich von diesen durch den Mangel des zweiten Kieferfusspaares,
welches noch nicht zur Entwicklung gekommen ist.
444 XV. Capitel.
Die späteren, als Furcilia bezeichneten Stadien charakterisiren sich
vor Allem durch die vollständige Entwicklung des nun schon beweglichen
Stielauges, welches von nun an nicht mehr von einer Fortsetzung des
Rückenschildes überdeckt ist, sondern aus einem Einschnitt im Rande
des letzteren frei vorragt. Dementsprechend wird auch die zwischen den
Augen befindliche Parthie des Kopfschildes allmählich zur Bildung einer
zu einem Rostrum sich zuspitzenden Frontalplatte umgewandelt. Während
die sechs vorderen Extremitätenpaare vorläufig dieselbe Gestalt, wie in
den Calyptopisstadien, beibehalten, kommen die noch fehlenden hinteren
Anhänge zur Entwicklung, und zwar weist das erste Furciliastadium die
Anlage des zweiten Kieferfusspaares und des ersten Abdominalbeinpaares
auf. Die Ausbildung der weiteren abdominalen Extremitäten folgt sehr
bald nach, während die Anlagen des dritten Maxillarfusses und der
Thoraxbeine, ''sowie der zugehörigen Kiemenknospen mehr allmählich in
der Reihenfolge von vorne nach hinten erfolgt. Gleichzeitig kommen bei
Euphausia die Anlagen der augenähnlichen Leuchtorgane an der Basis
der Extremitäten zur Entwicklung.
Für die Cyrtopiastadien ist vor Allem die Aenderung in der
Gestaltung der Antennen charakteristisch, welche von nun an nicht mehr
als Ruder verwendet werden und in ihrer Gestalt sich der definitiven
Form nähern. Beide Geisseiäste der ersten Antenne haben sich erheblich
gestreckt und weisen einen Zerfall in zahlreiche Ringel auf. Für die
zweite Antenne ist die Umbildung des Endopoditen zur Geissei, des
Exopoditen in die Schuppe bemerkbar. Unter Vervollständigung der Zahl
der Extremitätenanlagen und Ausbildung der zuletzt angelegten Thorax-
beine geht die Cyrtopialarve allmählich in die ausgebildete Form über.
DieMysideen zeigen, ähnlich wie Nebalia, nur eine im Brutraum der
Mutter ablaufende Metamorphose, indem die aus demselben ausschlüpfenden
Jungen bereits die fertige Gestalt der ausgebildeten Form aufweisen. Wir
haben schon oben (pag. 354) erwähnt, dass die Eihaut bei Mysis im Nauplius-
stadium gesprengt wird. Die nun bloss von der Naupliuscuticula umhüllte
Larve zeigt übrigens im Wesentlichen noch völlig embryonalen Habitus. Sie
ist madenförmig, wenig beweglich, die Gliedmaassen entbehren des Borsten-
besatzes. Die Larvencuticula, unter welcher die weiteren Extremitätenanlagen
zur Ausbildung kommen, ist bei Mysis vulgaris und tlexuosa dadurch ausge-
zeichnet, dass sie an ihrem hinteren Ende in zwei behaarte Furcalfortsätze
ausläuft. Von den weiteren nun zur Ausbildung kommenden Gliedmaassen
werden die nächsten zehn Paare (zwei Maxillenpaare und acht Thoraxbein -
paare) gleichzeitig angelegt. Von den Pleopoden erscheinen zunächst die in
die Bildung des Schwanzfächers eingehenden Anlagen des sechsten Paares
(pag. 353, Fig. 254 E); die fünf vorderen Paare sprossen erst nach Ab-
streifung der Naupliuscuticula hervor (P. J. u. E. van Bexeden, Nusbaum).
Die Entwicklung der Lophogastriden scheint mit der der Mysideen
vollkommen übereinstimmend abzulaufen. Wenigstens giebt M. Saks die Ab-
bildung eines Entwicklungsstadiums von Lophogaster, welches einem
späteren Mysis-Larvenstadium völlig gleicht, nur mit dem Unterschiede, dass
hier bereits sämmtliche Pleopodenpaare angelegt erscheinen. Letztere treten
daher vielleicht bei Lophogaster etwas früher auf, als bei Mysis.
Im Allgemeinen werden wir die Entwicklung der Mysideen und Lopho-
gastriden gegenüber den Euphausiden als eine wesentlich abgekürzte bezeich-
nen können. Erstere Gruppen schliessen sich nach dieser Richtung, wie auch
hinsichtlich der inneren Entwicklungsvorgänge nahe an die Cumaceen und
Arthrostraken an.
Crustaceen.
445
10. Decapoden.
A. Sergestiden.
Unter den Decapoden sind die Serge stielen und Penaeiden
durch den an ursprüngliche Verhältnisse erinnernden Ablauf ihrer Meta-
morphose ausgezeichnet, welche mit einem sehr frühen Stadium (Nau-
plius oder Metanauplius) beginnt und überdies die regelmässige Reihen-
folge in der Entstehung der Körpersegmente (in der Richtung von vorne
nach hinten) beibehalten hat.
In der Familie der Sergestidae ist die Metamorphose besonders
für die Gattung Lucifer genau bekannt geworden. Die Protozoea dieser
Entwicklungsreihe wurde von Dana als Erich th in a demissa be-
A
B
Fig. 295. Zwei Metanaupliusstadien von Lucifer (nach Brooks).
A eben aus dem Ei geschlüpfte Larve, B etwas älteres Stadium.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, d Schildduplicatur, md Mandibel, mx' erste
Maxille, mx" zweite Maxille, mf erster Maxillarfuss, ol Oberlippe, p Paragnathen.
schrielien; später fand Claus (No. 8) das dazugehörige Zoeastadium.
Erst Willemoes-Suhm (No. 157) stellte die Zugehörigkeit dieser Larven
zu Lucifer fest, während Brooks (No. 109) den vollständigen Gang der
Metamorphose vom Ausschlüpfen bis zur ausgebildeten Form beobachtete.
Seine Beobachtungen stimmen mit den aus dem Challengermaterial durch
Spence Bäte (No. 100) und Willemoes-Suhm bekannt gewordenen That-
sachen überein.
Das eigentliche Naupliusstadium wird noch im Eie durchlaufen; die
jungen Luciferlarven schlüpfen in einem Stadium aus, welches wir als
Metanauplius (Fig. 295 A) bezeichnen müssen. An dem kurzen,
ovalen Körper können wir das Naupliusauge, die stark vorragende Ober-
lippe (ol) und einige, das hintere Körperende bezeichnende, Furcalborsten
erkennen. Jede Spur einer Schildduplicatur fehlt noch. An dem vorderen
Körperabschnitte inseriren sich die drei Naupliusbeinpaare (a\ a", md).
Von diesen ist das vorderste Paar (a') einästig, aus fünf Gliedern zu-
sammengesetzt und an seinem Ende mit Ruderborsten versehen. Die
zweiten Antennen (a") zeigen einen zweigliedrigen Protopoditen und zwei
Ruderäste, von denen wir mit Rücksicht auf den Vergleich mit anderen
446
XV. Capitel.
Formen (im Gegensatze zu Brooks) den mehrfach gegliederten, stärker
beborsteten Ast als Aussenast (Exopodit) , den einfacheren Ast dagegen
als Endopoditen betrachten. Das dritte Extremitätenpaar (Mandibel)
erinnert im Bau an das zweite, doch ist es kleiner und weniger gegliedert.
Es weist einen ungegliederten Protopoditen , einen eingliedrigen Endo-
poditen und einen aus drei Gliedern bestehenden Exopoditen auf, welche
einige Ruderborsten tragen. Weiter nach hinten folgen vier Paare von
Wülsten, welche die Anlagen der beiden Maxillenpaare (mx, mx") und
Fig. 296. Protozoeastadien und Zoea von Lucifer (nach Brooks).
A erstes Protozoeastadium, B erste Maxille desselben, C zweite Maxille desselben,
I) späteres Protozoeastadium (Eriehthina), E Zoeastadium.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne. ab6 sechstes Pleopodenpaar (Seitenglieder
des Schwanzfachers, «? Endopodit, ex Exopodit, h Herz, ^ Leberausstülpungen, »w«?Mandibel,
mf erster Kieferfuss, mf" zweiter Kieferfuss, mf" dritter Kieferfuss, mp'" Segment des
dritten Kieferfusspaares, mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, o paariges, zusammen-
gesetztes Auge, oc Naupliusauge, ol Oberlippe, r Stirnstachel (Kostrum), thl, th2, thz, th4
erstes bis viertes Gangbeinpaar in der Anlage, t1, t", ts, t4 erste-: bis viertes gangbein-
tragendes Segment. 1, 2, 3, 4 — 6 erstes bis sechstes Abdominalsegment.
Crustaceen. 447
des ersten und zweiten Kieferfusspaares darstellen. Spätere Meta-
naupliusstadien (Fig. 295 5), deren Gliedmaassen eine Art Rück-
bildung erkennen lassen, zeigen zu den Seiten des Körpers die Anlage
einer Schildduplicatur (d), und überdies ist an dem Basalglied der Man-
dibel ein steifer Kaufortsatz zur Entwicklung gekommen.
Die nun folgenden Protozoeaformen (Fig. 296 A) zeigen die
sieben vorderen Extremitätenpaare, welche für das Zoeastadium charakte-
ristisch sind, vollkommen ausgebildet und functionirend. Der vordere
Theil des Körpers ist von einem Rückenschilde bedeckt, welcher vorne
über dem Naupliusauge in einen langen Stirnstachel (Rostrum r)
sich fortsetzt und auch an seinem hinteren Rande einen unpaaren,
dorsalen und zwei etwas längere seitliche Stacheln trägt. Der hintere
Abschnitt des Körpers ist zu einem umfangreichen Thoracoabdominal-
abschnitt ausgewachsen, dessen hinterstes Ende sich zur Mittelplatte
des Schwanzfächers umbildet und mit kräftigen Stacheln besetzt ist,
während an der Basis dieses Körperabschnittes vier weitere Segmente
[das des dritten Kieferfusspaares (mpm) und die der drei vordersten Gang-
beinpaare (t1 — 23)] gesondert erscheinen. Von inneren Organen ist die
Entwicklung des Herzens (h) und der Leberausstülpungen des Darm-
canals (I) zu erwähnen. Die Antennen des I. Paares (a) bestehen jetzt
aus einem langgestreckten Basalglied und einem kurzen, mit Ruderborsten
besetzten Endgliede ; die des zweiten Paares (a") haben im Wesentlichen
dieselbe Gestalt, wie in den vorhergehenden Stadien bewahrt; sie zeigen
einen mehrfach gegliederten, mit zahlreichen Ruderborsten besetzten
Exopoditen und einen einfacheren Endopoditen und functioniren noch
immer als das Hauptlocomotionsorgan der Larve. Die Mandibeln
(Fig. 296 D, md) bestehen nun ausschliesslich aus einer am Innenrande
gezähnten Kaulade. Jede Spur des an dieselbe im früheren Stadium
sich anschliessenden Tasters ist nun verloren gegangen. Die beiden
Maxillenpaare zeigen bereits die definitive Gestaltung vorgebildet. Die
des ersten Paares (Fig. 296 B) zeigen an der Innenseite des Protopoditen
zwei vorspringende Ladenfortsätze, einen kurzen zweigliedrigen Endo-
poditen und einen stummeiförmigen, mit befiederten Borsten besetzten
Exopoditen. Die zweite Maxille (Fig. 296 G) unterscheidet sich vor
Allem durch die grössere Zahl der nach innen gerichteten Ladenfortsätze.
Die beiden Kieferfusspaare (Fig. 296 D, mf\ mf") haben die Gestalt
zweiästiger Ruderfüsse mit längerem, aus mehreren Gliedern zusammen-
gesetztem Endopoditen und ungegliedertem kürzeren Exopoditen. In der
Maxillarregion ist die Entwicklung einer Schalendrüse zu bemerken.
Späte reProtozoeastadien (Fig. 296 D), welche der D Ansehen
Erichthina demissa entsprechen, zeichnen sich durch die beginnende Ent-
wicklung der paarigen Augen (0), sowie durch die weiter fortgeschrittene
Gliederung des Thoracoabdominalabschnittes aus. Es macht sich an den
vorderen Parthien des Rückenschildes eine seitliche buckeiförmige Vor-
treibung bemerkbar, in deren Innerem durch eine Pigmentanhäufung die
Anlage des paarigen Auges gekennzeichnet ist. Von neuen Segmenten
sind am hinteren Körperabschnitte das des vierten Gangbeinpaares (t4),
sowie die vier vorderen Abdominalsegmente (1 — 4) aufgetreten. Das
letzte Thoraxsegment (das des fünften Gangbeinpaares) kommt bei Lucifer
niemals zur gesonderten Entwicklung. Der hinterste Körperabschnitt ist
noch nicht in Segmente zerfallen.
Das nächste Stadium (Fig. 296 JE) zeichnet sich durch die voll-
ständige Gliederung des Abdomens aus und muss demnach als Zoea
448
XV. Capitel.
bezeichnet werden. Die vollständig entwickelten Extremitäten sind noch
dieselben, wie in den Protozoeastadien ; doch sind hinter diesen in dem
vorliegenden Stadium die zweiästigen Anlagen des dritten Maxillarmss-
paares (mf") und .der vier vorderen Gangbeinpaare (ih1 — th*) als rudi-
Fig. 297. Drei spcätere Larvenstadien von Lucifer (nach Brooks).
A jüngeres Mysis- oder Schizopodenstadium, B älteres Mysis- oder Schizopoden-
stadium bei schwächerer Vergrösserung, C Mastigopusstadium.
«' erste Antenne, a" zweite Antenne, dbx — ab6 erstes bis sechstes Pleopodenpaar,
c Cephalothoraxschild , dr Antennendrüse, en Geisselast und ex Schuppe der zweiten
Antenne, md Mandibel, mf erster Maxillarfuss, mf" zweiter Maxillarfuss, mx' erste
Maxille, mx" zweite Maxille, o zusammengesetztes Auge, oc Naupliusauge, ol Oberlippe,
r Stirnstachel, (Rostrum), 7, 2, .3 — 6' erstes, zweites, drittes bis sechstes Abdoininal-
segment.
Crustaceen. 449
mentäre Stummel aufgetreten. Ausserdem sind die seitlichen Gliedmaassen
(abG) des Sehwanzfächers (sechstes Pleopodenpaar) nun in der Anlage
vorhanden.
Mit der nächsten Häutung erfährt die Larve eine sehr bedeutende
Umwandlung ihrer äusseren Gestaltungsverhältnisse. Sie tritt nun in
das sog. M y s i s - oder Schizop öden Stadium (Fig. 297 Ä) ein, welches
von Dana unter dem Namen Sceletina armata beschrieben wurde. Die
Antennenpaare haben ihre locomotorische Function aufgegeben und wan-
deln sich nach der Richtung der definitiven Form um, die paarigen
Augen (o) sind zu beweglichen Stielaugen geworden, neben denen das
Naupliusauge (oc) noch erhalten ist. Als Locomotionsorgane fungiren
sieben Paare zweiästiger Ruderfüsse (nämlich die drei Maxillarfusspaare
und die vier vorderen Gangbeinpaare). Die Bewegung der Larve ist von
nun an nicht mehr eine hüpfende, wie in den vorhergehenden Stadien,
sondern eine gleichmässige, rasche Fortbewegung. Der Rückenschild hat
seine Gestalt im Allgemeinen beibehalten, doch haben sich in seiner
vorderen Parthie die Stielaugen abgeschnürt. Die jene letzteren auf-
nehmende Bucht des Schildrandes ist durch die Entwicklung eines Paares
seitlicher vorderer Dornen ausgezeichnet, während die Dornen am Hinter-
rande verschwunden sind. Gegenüber dem in den folgenden Stadien
mächtig anwachsenden Abdomen tritt nun der Cephalothoraxschild mehr
zurück. An dem Abdomen erkennt man sechs vollkommen getrennte
Segmente und den Schwanzfächer, bestehend aus dem Telson (Mittel-
platte) und dem mächtig entwickelten sechsten Pleopodenpaare (abG).
Die erste Antenne Ja) besteht nun aus einem zwei- (später drei-)
gliedrigen Schaft und einem als Rudiment des Flagellums aufzufassenden
kurzen Endgliede und weist einen reichen Besatz an Fiederborsten auf.
Die zweite Antenne (a) erscheint als eine rudimentäre zweiästige, des
Borstenbesatzes fast entbehrende Gliedmaasse. In den späteren Mysis-
stadien wird der Endopodit in die Geissei, der Exopodit in den Schuppen-
anhang umgewandelt. Die Mandibeln (md) sind einfache Kauladen und
entbehren des Tasters. Die Maxillen (nix, mx") haben im Wesentlichen
die gleiche Beschaffenheit wie in den vorhergehenden Stadien beibehalten.
Dasselbe ist mit dem ersten Paar von Maxillarfüssen (mf) der Fall,
deren Gliederung etwas undeutlicher geworden ist, als in den vorher-
gehenden Stadien. Die weiter hinten folgenden sechs Ruderfusspaare
(IL und III. Maxillarfusspaar und I. — IV. der späteren Gangbeinpaare)
sind zweiästig und stimmen unter einander hinsichtlich ihrer Gestalt sehr
überein. Sie bestehen aus einem zweigliedrigen Protopoditen , einem
längeren viergliedrigen Endopoditen und einem kürzeren, aber in eine
grössere Zahl von Ringel undeutlich getheilten Exopoditen. Ein starker
Besatz mit Ruderborsten befähigt diese Gliedmaassen zur Ausübung einer
kräftigen, locomotorischen Thätigkeit.
Spätere Mysisstadien (Fig. 297 B), welche hauptsächlich durch
die Gliederung der zweiten Antenne und die mächtige Entwicklung des
Abdomens ausgezeichnet sind , weisen an den fünf vorderen Abdominal-
segmenten die noch unbeborsteten, knospenförmigen Anlagen der Pleopoden-
paare auf.
Der Uebergang von den Mysisstadien zur ausgebildeten Form wird
durch das Mastigopusstadium (Fig. 297 C) vermittelt, welches in
der gestreckten Körpergestalt bereits dem ausgebildeten Lucifer nahe
steht, sich von jenem aber durch den Mangel der halsförmigen Ver-
längerung des Cephalothorax unterscheidet. Dieses Stadium zeichnet sich
450 XV. Capitel.
durch die Kürze des Flagellums der ersten Antenne aus («"), während
der Geisseifortsatz der zweiten Antenne (eri) sich bedeutend gestreckt
hat. Die Mundtheile und die Thoraxbeinpaare haben die Charaktere
der ausgebildeten Form erlangt. Die Mandibel entbehrt des Tasters,
die ersten Maxillen haben den Exopoditen verloren ; letzterer ist an den
zweiten Maxillen in eine umfangreiche Fächerplatte umgewandelt. Der
erste Maxillarfuss ist in einen kurzen, zweigliedrigen Anhang umgebildet;
der IL Maxillarfuss {mf") hat — wie alle übrigen Brustfüsse — den Exo-
poditen verloren und eine gestreckte, knieförmig eingebogene Gestalt an-
genommen. Der III. Maxillarfuss und die drei vorderen Gangbeinpaare
stellen eine einfache, kurz beborstete Gliederreihe dar. Das vierte Gang-
beinpaar ist völlig verschwunden. Das erste Pleopodenpaar (a&j) zerfällt
in einen Basaltheil und einen Endtheil, während die vier folgenden
(2. — 5.) Pleopodenpaare die gewöhnliche spaltästige Form aufweisen.
Das Naupliusauge und die Schalendrüse sind nun verschwunden; dagegen
ist die an der Basis der IL Antenne mündende Antennendrüse (dr) als
ein gewundener Canal zu erkennen.
Die ausgebildete Form ist gegenüber dem Mastigopusstadium durch
die Verlängerung der Geissei der I. Antenne, in deren Basalglied das
Gehörorgan zur Entwicklung gekommen ist, sowie durch die Ausbildung
der halsförmigen Verlängerung des Kopfes charakterisirt. Auch an der
IL Antenne hat der Geisseifortsatz eine beträchtliche Verlängerung er-
fahren. Es kommen nun die sexuellen Differenzen zur Entwicklung, in-
dem das Männchen sich durch Fortsatzbildungen am ersten und zweiten
Pleopodenpaare, durch Dornen an der Ventralseite des fünften Abdominal-
segmentes, sowie durch gewisse Unterschiede am Schwanzfächer aus-
zeichnet, während das Weibchen in dieser Hinsicht die Charaktere der
Larvenform beibehält.
Der oben geschilderten Entwicklung von Lucifer steht die Metamorphose
von Sergestes in allen wesentlichen Punkten ungemein nahe, wenngleich
der äussere Habitus der Larven ein ziemlich abweichender ist. Die durch
ihre abgeplattete Körperform und durch ausserordentlich grosse verästelte
Dornfortsätze ausgezeichnete Zoea dieser Gattung war durch Dohen (No. 120)
unter dem Namen Elaphocaris beschrieben worden, während die späteren
Stadien schon früher als Acanthosoma (Claus No. 91) und Mastigo-
pus (Leuckakt, Claus No. 91) bekannt waren. Erst durch Claus (No. 8)
und gleichzeitig durch Willemoes-Suhm (No. 157) wurde die Zugehörigkeit
dieser Formen in den Entwicklungskreis von Sergestes nachgewiesen und das
zugehörige Protozoeastadium aufgefunden. Neuerdings sind zahlreiche hieher
gehörige Larvenformen aus dem Challenger - Material beschrieben worden
(Spence Bäte No. 100).
Die jüngste Protozoealarve der Sergestes-Entwicklungsreihe ist nur durch
eine Zeichnung von "Willemoes-Suhm (No. 100, pag. 354) bekannt. Sie
besitzt die sieben vorderen Extremitätenpaare ; dagegen sind die Maxillarfüsse
des dritten Paares noch nicht zur Entwicklung gekommen. Von dem paarigen
Auge sind nur die ersten Anlagen bemerkbar. Im Inneren des Darmes findet
sich ein umfänglicher Dotterrest, welcher wohl darauf schliessen lässt, dass
Sergestes in der Protozoeaform aus dem Eie schlüpft. Im Uebrigen stimmt
die Larve Willemoes - Suhm's in Allem mit dem jüngsten von Claus be-
schriebenen Stadium (Fig. 298 Ä) überein.
Letzteres (Fig. 298-4) lässt sich im Wesentlichen den späteren Prot o-
zoeastadien von Lucifer (Fig. 296 D) vergleichen, von denen es sich je-
Crustaceen.
451
doch durch die gedrungene Körperform , durch die frühzeitige Entwicklung
der gestielten Augen und durch die Anlage des dritten Maxillarfusspaares
{mf") unterscheidet. Die sieben vorderen Extremitätenpaare stimmen im
Bau, sowohl mit denen der Protozoeastufe von Lucifer, als auch der Penaeus-
garneelen sehr genau überein. Vor Allem zeigt die erste Antenne («') eine
auch bei Penaeus wiederkehrende Eingebung der Basis in fünf Glieder. Die
Mandibeln entbehren des Tasteranhangs, die erste Maxille {mx') zeigt einen
als Fächerplatte entwickelten Exopoditen , welcher auch an der beinförmig
Fig. 298. Zwei Larvenstadien von Sergestes (nach Claus).
A Protozoeastadium, B Acanthosomastadium, von der Kückenseite gesehen.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, mf erster Maxillarfuss, mf" zweiter Maxillar-
fuss, mf" dritter Maxillarfuss, mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, ol Oberlippe,
sd Schalendrüse.
gestreckten zweiten Maxille {mx") sich wiederfindet. In der Basis der letz-
teren wurde von Claus das Vorhandensein der gewundenen Schalendrüse (sd)
nachgewiesen. Die drei Kieferfusspaare (mf — mf) sind als gestreckte
Spaltfüsse entwickelt, von denen das dritte Paar aber noch in ziemlich rudi-
mentärer Form vorhanden ist. Dahinter finden wir die fünf Segmente der
späteren Gangbeinpaare als kurze Querringel angelegt, während das Abdomen
noch völlig unsegmentirt erscheint. Letzteres endet mit einer hier viel deut-
452 XV- Capitel.
licher, als bei Lucifer, in zwei Gabeläste ausgebenden Endplatte, in welcher
das Analsegment der Phyllopoden mit seinen beiden Furcalanhängen wieder-
holt erscheint. Sehr auffällig ist für dies Stadium die umfangreiche Ent-
wicklung des beweglichen Stielauges und die starke Bewaffnung des verbrei-
terten Rückenschildes. An letzterem können wir einen mit breiter Basis
beginnenden vorderen Rostralstachel , zwei Seitenstacheln und einen Rücken-
stachel unterscheiden, von denen jeder durch Bildung secundärer Dornen
verästelt erscheint. Diese Fortsätze sind wohl auf die der Lage nach über-
einstimmenden beträchtlich kürzeren Dornen an der Lucifer-Larve zu beziehen.
Die aus dem geschilderten Larvenstadium hervorgehende Zoea (Ela-
p h o c a r i s) weist eine noch mächtigere Entwicklung der Dornbewaffnung auf.
Stirn-Rücken- und hintere Seitenstacheln haben sich im Allgemeinen ver-
größert. Der Stirnstachel ist im Verhältniss etwas schlanker geworden und
zu den Seiten seiner Basis ist ein Paar verästelter vorderer Seitenstacheln
zur Entwicklung gekommen. Auch an den einzelnen Segmenten des Ab-
domens, welche nun (mit Ausnahme der noch nicht durchgeführten Abgrenzung
des sechsten Segmentes von dem noch immer eine deutliche Furcalgabel auf-
weisenden Telson) schon deutlich von einander getrennt sind, ist eine starke
Bewaffnung mit seitlichen Dornen zu erkennen. Während die vorderen Ex-
tremitätenpaare, einschliesslich der drei Kieferfusspaare, denselben Charakter
aufweisen wie im vorhergehenden Stadium, sind an den fünf dahinter folgen-
den Thoraxsegmenten nun die schlauchförmigen Anlagen zweiästiger Glied-
maassenpaare zu erkennen. In ähnlicher Weise ist auch das sechste Pleopoden-
paar zur Entwicklung gekommen.
Mit dem Uebergang in das Mysisstadium (Acanthosoma Fig.
298 B) geht das complicirte Stachelkleid des Rückenschildes verloren, indem
sich von den "verästelten Fortsätzen der Elaphocaris nur die Basaltheile als
einfache zugespitzte Ausläufer erhalten, während die Bedornung des Abdomens
erhalten bleibt. Ebenso verschwinden die Furcalfortsätze des Telsons bis
auf zwei nach hinten vorragende, kurze, stachelähnliche Ausläufer. In Bezug
auf die Entwicklung der Gliedmaassen machen sich bedeutende Veränderungen
bemerkbar. Die ersten Antennen weisen in jüngeren Acanthosomen einen
gestreckten , noch ungegliederten (mit basalem Zackenfortsatz versehenen)
Stammtheil und zwei kurze Endausläufer auf, in welchen die Hauptgeissel
und Nebengeissel der späteren Stadien angelegt erscheinen. An den zweiten
Antennen {a") ist der früher vielgliedrige Exopodit zu einem stabförmigen
Anhang (Schuppe) umgebildet, während der Endopodit zu einer mächtigen
Geissei verlängert erscheint. Die beiden Maxillenpaare weisen noch die für
die früheren Stadien geschilderten Charaktere auf. Das vorderste Maxillar-
fusspaar ist durch die Reduction seines Exopoditen auffällig; dagegen sind
die dahinter folgenden sieben Gliedmaassenpaare (die zwei weiteren Maxillar-
fusspaare und die durch Entwicklung der fünf Thoraxbeinanlagen hervor-
gegangenen Extremitäten) zu kräftigen zweiästigen Ruderfüssen umgebildet,
an denen vor Allem die stark beborsteten Exopoditen durch ihre Grösse
hervortreten. Die Extremitäten des Abdomens sind in der Form kurzer,
schlauchförmiger Anlagen zu erkennen , die des sechsten Segmentes dagegen
als langgestreckte, beborstete Seitenglieder des Schwanzfächers wohl entwickelt.
Spätere Acanthosomastadien sind durch die Ausbildung der Gehörblase in
der Basis der ersten Antenne, sowie durch ein mächtigeres Auswachsen der
Pleopodenanlagen bemerkenswerth.
Die aus der Acanthosoma sich entwickelnden Mastigopus formen
sind denen des Lucifer ungemein ähnlich. Auch hier macht sich ein mäch-
tiges Anwachsen des Abdomens gegenüber dem relativ kleinen cephalo-thora-
Crustaceen. 453
calen Abschnitt geltend. Die Stachelbewaffnung ist mit Ausnahme des per-
sistirenden Rostrums bis auf kleine Rudimente geschwunden. An den Thorax-
beinpaaren (Maxillarfüssen und Gangbeinen) sind die Exopoditen verloren
gegangen und die beiden letzten Beinpaare des Thorax sind völlig verschwun-
den. Die Pleopodenpaare sind nun mächtig entwickelt, entbehren aber noch
des Exopoditen, welcher nur an den beiden hinteren Paai'en als Knospe be-
merkbar ist und erst im weiteren Verlaufe zur Entwicklung kommt.
Die Umwandlungen, durch welche die Mastigopuslarve in die ausgebildete
Sergestesform übergeführt wird, beziehen sich hauptsächlich auf die Umge-
staltung der Gliedmaassen (vor Allem der Mundtheile), durch welche dieselben
der definitiven Gestaltung sich nähern, z. B. in dem Hervorsprossen des
Mandibulartasters, ferner in dem Wiederauftreten der beiden letzten Thorax-
beinpaare und in der Entwicklung der Kiemen. Der nun hervorsprossende
Mandibulartaster bleibt bei Sergestes zweigliedrig; die vorderen Maxillen
weisen in späteren Mastigopusstadien noch ein kurzes Tasterrudiment auf.
An der hinteren Maxille ist dagegen der Exopodit zu einer umfänglichen
Fächerplatte umgestaltet. Am vorderen Kieferfuss lassen sich Exopodit und
Endopodit als kurze Anhänge nachweisen, während am Protopoditen ein um-
fangreicher platten förmiger Kaufortsatz zur Entwicklung gekommen ist. Der
Kieferfuss des zweiten Paares weist eine knieförmige Einbiegung auf, während
der des dritten Paares die Form eines langgestreckten Beines bewahrt. Schon
in früheren Stadien sind an dem zweiten und dritten Gangbeinpaare die An-
lagen der Scheeren zu erkennen. Von den inneren Organen ist der Verlust
des Naupliusauges und der Schalendrüse, dagegen die Entwicklung der An-
tennendrüse zu erwähnen.
Lucifer weist durch das Fehlen der Kiemen und durch den Mangel
der beiden hinteren Thoraxbeinpaare ein Verhalten auf, welches bei Sergestes
im Mastigopusstadium sich wiederfindet. Erstere Form hat demnach gewisse
Larvencharaktere beibehalten.
Die zahlreichen, aus dem Challenger-Material bekannt gewordenen Larven-
stadien von Sergestiden stimmen in den wesentlichsten Punkten mit den oben
geschilderten Entwicklungsstufen überein , zeigen jedoch eine grosse Variabi-
lität hinsichtlich der Stachelbewaffnung des Cephalothorax und Abdomens.
Von Interesse ist die als Platysaccus crenatus bezeichnete Sergestiden-
Zoea, deren am Rande mit stacbeligen Lappen versehener, rundlicher Rücken -
schild die vier hintersten (bereits mit Gliedmaassenanlagen versebenen) Thorax-
segmente völlig unbedeckt lässt, ein Verhalten, durch welches diese Form
mit den Penaeus- und Luciferlarven übereinstimmt. Einige, als Sciocaris
telsonis unterschiedene Larven des Mysis- und Mastigopusstadiums sind
durch die Gestalt des Telsons merkwürdig, welches selbstständig abgegliederte
Furcalfortsätze erkennen lässt.
Die Gegensätze, welche im äusseren Habitus zwischen den kurzen, ver-
breiterten, stark bedornten Sergesteslarven und den schlanken Larvenformen
von Lucifer sich finden, werden durch eine Reihe von Entwicklungsstadien
vermittelt, welche Brooks (No. 109) auf das Genus Acetes zurückführt.
Diese Larven sind von gedrungenerer Körpergestalt als die Luciferlarven und
weisen auch eine etwas stärkere Stachelbewaffnung auf. Brooks ist geneigt,
eine von Dohrn (No. 121 „Larve eines unbekannten Krebses", Taf. 29 u.
30, Figg. 62 — 67) und Claus (No. 8 „phyllopodenähnliche Protozoea un-
bekannter Herkunft", Taf. 4, Figg. 2 — 7) beschriebene Protozoea auf diese
Entwicklungsreihe zu beziehen. Letztere Larve ist vor Allem durch die
mächtige Entwicklung der noch ungestielten Seitenaugen charakterisirt, welche
ähnlich wie bei Lucifer eine buckeiförmige Vorragung des Rückenpanzers
Korsehelt- Heider , Lehrbuch. 30
454 xv- Capitel.
verursachen. Sie hält hinsichtlich der Entwicklung des Stielauges, welche
bei der Protozoea von Sergestes bereits weit vorgeschritten ist, zwischen
dieser Form und Lucifer die Mitte.
B. Penaeiden.
Wir verdanken die Kenntniss der Metamorphose von Penaeus,
welche durch das Vorhandensein eines Naupliusstadiums, sowie durch die
ursprünglichen Verhältnisse in der Reihenfolge der Entwicklung der
Segmente und Gliedmaassen von grosser Bedeutung für die Auffassung der
Decapodenmetamorphose geworden ist, vor Allem den Untersuchungen
von F. Müller (No. 141 und 142). Später hat Claus (No. 8) unsere
Kenntniss besonders hinsichtlich der Protozoeaformen vervollständigt.
Neuere Mittheilungen stammen von Brooks (No. 110), welcher sämmt-
liche auf das erste Protozoeastadium folgende Stadien an gezüchteten
Exemplaren aus einander hervorgehen sah. Eine Reihe von Larvenformen
meist späterer Stadien beschreibt Spence Bäte unter Zugrundelegung
der Notizen von Willemoes -Sühm (No. 100).
Wie die Euphausiden, so verlässt auch Penaeus das Ei in der Ge-
stalt eines echten Nauplius (Fig. 299 A). Der birnförmige, gestreckte
Körper desselben entbehrt noch der Schalenduplicatur und läuft nach
hinten in zwei lange Furcalborsten aus. Am vorderen Körperende be-
merken wir das Naupliusauge. Die drei typisch entwickelten Nauplius-
beinpaare sind noch ungegliedert und weisen einen Besatz von Ruder-
borsten auf.
Ein darauffolgendes Metanaupliusstadium ist im Habitus dem
Nauplius noch sehr ähnlich, zeichnet sich vor letzterem aber schon durch
das Erscheinen einer queren Integumentfalte am Rücken (Anlage des
Rückenschildes) und zweier stummeiförmiger beborsteter Fortsätze am
hinteren Körperende (Furcalfortsätze) aus. Dies Stadium ist dem Meta-
nauplius von Lucifer (pag. 445, Fig. 295 B) sehr ähnlich. Wie dieses
besitzt es eine mächtige, helmförmige Oberlippe. Während die drei
Naupliusbeinpaare am Körper etwas mehr nach vorne gerückt erscheinen,
sind hinter denselben vier Paare wulstförmiger Extremitätenanlagen auf-
getreten. Von den Naupliusbeinpaaren weist das dritte eine wichtige
Veränderung auf, insofern eine Verdickung seines Basaltheiles die An-
lage des Kautheils der späteren Mandibel erkennen lässt, während sich
aus den beiden Schwimmfussästen der lebende Inhalt zurückzieht, als
Andeutung, dass diese Parthie bei der nächsten Häutung abgeworfen
wird. Neben dem Auge ist schon jetzt das auch der Zoeareihe zu-
kommende paarige Frontalorgan (vgl. Fig. 299 B) als vorspringendes
Zäpfchen zu erkennen.
Das nächste beobachtete Stadium ist eine Protozoea (Fig. 299 B)
mit wohlentwickeltem, rundlichem Cephalothoraxschild, mit sieben Bein-
paaren und ungegliedertem , in deutliche Furcalfortsätze auslaufendem
Abdomen (ab). Die Antennen haben noch immer die Bedeutung von
Bewegungwerkzeugen. Die vordere Antenne (1) zeigt einen Zerfall in
vier Glieder. An der hinteren Antenne (2) ist ein dreigliedriger Endo-
podit und ein vielgliedriger Exopodit zu unterscheiden. Die Oberlippe
ist helmförmig und durch einen nach vorne ausgehenden Stachel aus-
gezeichnet, der in ähnlicher Weise auch bei den Larven der Sergestiden
wiederkehrt. Die Mandibeln sind nun tasterlose, bezahnte Kauladen. Die
Maxillen stimmen in der Form mit den für Lucifer abgebildeten
Crustaceen.
455
(Fig. 296 B und GT, p. 446) ziemlich überein. An den ersten Maxillen
kann man zwei nach innen vorspringende Ladenfortsätze des Protopo-
diten, einen mehrgliedrigen Endopoditen und einen blattförmigen, be-
borsteten Exopoditen unterscheiden. Aehnlich ist der Bau der zweiten
Maxille; nur kann man hier vier Ladenfortsätze des Protopoditen und
einen etwas längeren Endopoditen
bemerken. Die dahinter folgenden
zwei (vorderen) Maxillarfusspaare (I,
11) zeigen sich als zweiästige Ruder-
füsse entwickelt. An der Basis des
dahinter folgenden Körperabschnittes
(Thoracoabdominalabschnitt) ist schon
durch quere Ringelung der Zerfall in
sechs weitere Segmente [des dritten
Maxillarfusspaares und der fünf Gang-
beinpaare {111 — VIII)] zu erkennen.
Erwähnenswerth ist die Lage der
Afteröffnung, welche in diesem Sta-
dium völlig endständig zwischen den
beiden Furcalfortsätzen gelegen ist
und erst später an die Ventralseite
des Telsons rückt. Ferner kann man
bereits das Vorhandensein von drei
Paaren von Leberausstülpungen des
Darmes bemerken. Das am Ende
des mit dem Rückenschilde ver-
wachsenen Leibesabschnittes gelegene
Herz weist nur ein Spaltenpaar (?)
auf. Am vorderen Rande des Cephalo-
thorax sind die Anlagen des paari-
gen Auges als Wülste zu erkennen,
denen das Frontalorgan dicht anliegt.
Späte reProtozoeaformen
(Fig. 300,4), welche Claus (No. 8)
beobachtete, lassen neben einer
stärkeren Entwicklung des paarigen
Auges, und dem Zerfall der Basis
der I. Antenne (1) in fünf Glieder
(welcher in ähnlicher Weise bei der
Protozoea von Sergestes wiederkehrt)
vor Allem die Entwicklung von fünf
Abdominalsegmenten (ax) — (a5),
welche noch unter der Larvencuticula
versteckt liegen, erkennen. Das
sechste Abdominalsegment dagegen
ist noch mit dem Telson verschmol-
zen. Von Extremitätenanlagen ist
ausser den früher erwähnten nur die
stummeiförmige Anlage des III. Maxillarfusspaares zu bemerken (III).
Die hieraus hervorgehende Zoea (Fig. 300 B und C) ist durch die
Entwicklung der beweglichen Stielaugen und eines zwischen diesen be-
findlichen Stirnstachels, sowie durch das Hervorsprossen der Gliedmaassen
des Thorax gekennzeichnet. Die Abdominalsegmente wachsen nun
Fig". 299. Zwei Entwicklungsstadien
von Penaeus (nach F. Müller, aus Laxg's
Lehrbuch).
A Nauplius, B Protozoeastadium.
1 , 2 erste und zweite Antenne,
3 Mandibel, 5 zweite Maxille, I, II erster
und zweiter Maxillarfuss , (III — VIII)
Anlagen des dritten bis achten Thorax-
segmentes, ab Abdomen.
30 :
456
XV. Capitel.
mächtig an, so dass sie bald die Segmente des Mittelleibes an Länge
übertreffen. Das Kieferfusspaar des III. Paares ist nun schon als zwei-
ästiger Stummel zu erkennen (Fig. 300 B, 111). Dahinter sind die An-
lagen der Gangbeinpaare (IV— V 111) und als noch schwächer angedeutete
Höcker die Extremitätenanlagen der fünf vorderen Abdominalsegmente
(«! — ab) zu erkennen. Es ergiebt sich hieraus, dass bei Penaeus die An-
lagen der Extremitäten in ihrer Entwicklung die Reihenfolge von vorne
nach hinten einhalten. Eine Ausnahme hievon macht das sechste Pleo-
podenpaar, welches in diesem Stadium bereits als zweilappige Anlage (a6)
Fig. 300. Spätere Larvenstadien von Penaeus (nach Claus ; aus Lang's Lehrbuch).
A älteres Protozoeastadium, vom Rücken gesehen, B Thoracoabdominalabschnitt
einer etwas älteren Larve mit Extremitätenanlagen , Ventralansicht; C Zoeastadium,
Ventral ansieht; D Mysisstadium, Seitenansicht.
1, 2 erste und zweite Antenne, 3 Mandibel, 4, 5 erste und zweite Maxille, J, II,
III erstes bis drittes Maxillarfusspaar , IV — VIII erstes bis fünftes Gangbeinpaar,
(IV) — (VIII) viertes bis achtes Thoraxsegment, («j) — (a6) erstes bis sechstes Abdominal-
segment, ax — «6 erstes bis sechstes Pleopodenpaar, ab Abdomen, en Endopodit, ex Exopodit,
/* frontales Sinnesorgan, L Leber, t Telson.
zu erkennen ist und demnach den übrigen Extremitätenanlagen des Ab-
domens in der Entwicklung vorauseilt. Jenes kommt (als Seitentheile
der Schwanzflosse) zur Entwicklung (Fig. 300 0, a6), während die kleinen
Extremitätenanlagen an den fünf vorderen Abdominalsegmenten später
unterdrückt erscheinen [Fig. 300 C, (ax)— (a6)]. An solchen späteren
Zoeastadien erscheinen die fünf Glieder an der Basis der ersten An-
Crustaceen. 457
tenne wieder geschwunden; die Anlagen der fünf Gangbeinpaare sind
nun schon als zweizipflige Schläuche zu erkennen (IV— VIII).
In der nun folgenden Mysisstufe (Fig. 300 D) haben die An-
tennen die Bedeutung von Bewegungsorganen aufgegeben. Als solche
fungiren von nun an die zweiästigen Brustfüsse. Der Cephalothorax
tritt jetzt an Grösse gegenüber dem mächtig sich entwickelnden Abdomen,
an welchem nun die noch fehlenden Pleopodenpaare zur Entwicklung
kommen, beträchtlich zurück. An letzterem lässt sich vom 2.-5. Seg-
mente eine Bewaffnung mit dorsalen Stacheln erkennen. Die vorderen
Antennen (1) lassen einen dreigliedrigen Schaft und zwei noch un-
gegliederte Geisseischläuche erkennen; erst in späteren Stadien gliedern
sich die letzteren und es kommt zur Entwicklung von Riechfäden, sowie
zur Bildung des in der Basis dieser Extremität gelegenen Gehörorgans. An
dem zweiten Fühlerpaar (2) ist der Exopodit in eine borstenrandige Platte
(Schuppe) umgewandelt, während der Endopodit in der Form eines langen
Schlauches sich zur späteren Geissei umbildet. Die Oberlippe hat den
Dornfortsatz verloren. An der Mandibel entwickelt sich der später zwei-
gliedrige Taster. An den vorderen Maxillen wird der Endopodit zu einem
kurzen Stummel rückgebildet, der Exopodit dagegen vollständig ab-
geworfen. Letzterer wird an der zweiten Maxille zur umfangreichen Athem-
platte umgebildet. Die Maxillarfüsse des I. Paares bilden sich ähnlich denen
von Sergestes um, indem der Protopodit in eine umfängliche ladenförmige
Platte ausläuft, während Endopodit und Exopodit erhalten bleiben und
am Basalglied ein Kiemenschlauch hervorsprosst (vgl. pag. 388, Fig. 268 C).
Die Kieferfüsse des zweiten und dritten (III) Paares sowie die fünf
{IV — VIII) folgenden Thoraxbeinpaare stellen ansehnliche Spaltbeine mit
umfangreichem Schwimmfussast (Exopodit) dar.
Letzterer erfährt bei dem Uebergang der Mysisstufe in die Garne el-
form (junge ausgebildete Form) eine Reduction, während die Antennen-
geisseln sich gliedern und die schon in der Mysisstufe zur Entwicklung
gekommenen Pleopodenpaare ihre volle Ausbildung erlangen. Das zweite
und dritte Maxillarfusspaar bewahrt den Charakter eines Spaltfusses am
vollständigsten bei. Die Maxillarfüsse des IL Paares zeigen einen knie-
förmig umgebogenen Endopoditen, einen kleineren Exopoditen (Geissel-
anhang) und Kiemen ; die des dritten Paares zeigen den Endopoditen als
langgestreckten Gehfuss entwickelt, während auch hier der Exopodit als
Geisselanhang persistirt. Die drei folgenden Beinpaare (L, IL, III.
Gangbeinpaar) sind schon in der Mysisstufe mit rudimentären Scheeren
versehen.
Die verschiedenen aus dem Challenger-Material bekannt gewordenen Ent-
wicklungsstadien von Penaeiden lassen sich leicht mit dem geschilderten
Entwicklungsgange in Uebereinstimmung bringen. Doch zeigen sie vielfache
Variationen, welche auf Art- und Gattungsunterschiede zurückzuführen sind
und sich hauptsächlich auf die Stachelbewaffnung des Körpers (vor Allem
des Abdomens) aber auch auf Verschiedenheiten in dem relativen Entwick-
lungszustand der Extremitäten (der Thoraxbeine und der Pleopoden) beziehen.
Als Larvenform muss wohl auch die merkwürdige Petein ura guber-
nata angesehen werden, welche Sfence Bäte (No. 100) auf Grund gewisser
Uebereinstimmungen mit Aristeus als vielleicht den Penaeiden zugehörig be-
trachtet. Diese Form stimmt nahe mit der von Dohrx (No. 121) beschrie-
benen Cerataspis longiremis überein, welcher sie sich hinsichtlich der
Bewaffnung des Cephalothorax, der Gestalt der Beine und der excessiven
458 XV. Capitel.
Entwicklung des Exopoditen des sechsten Pleopodenpaares anschliesst. Cera-
t a s p i s wird von Boas und Claus als eine Larvenform betrachtet , wrelche
nach dem durch Claus bekannt gewordenen Bau der Kiemen in die Verwandt-
schaft der Penaeidengruppe zu stellen ist.
Ueber die Metamorphose von Stenopus, welche sich an die von Pe-
naeus anschliesst und Beziehungen zu den Sergestiden aufweist, sind wir durch
Mittheilungen von Bkooks und Herrick (No. 111) unterrichtet. Die aus
dem Eie schlüpfende Larve ist eine Protozoea mit sessilen Augen, als
Ruder dienenden Antennen, einem tief gegabelten Telson, einem langen Rostrum
und sämmtlichen Anhangspaaren bis zu dem ersten Thoraxbeinpaar (inclusive).
Der hintere Körperabschnitt ist nur undeutlich segmentirt und entbehrt der
Anhänge. Aus dieser Form entwickelt sich eine echte Zoea, welche die
Charaktere der Carididen-Zoea (vgl. unten pag. 459) aufweist. Ein späteres
Stadium ist besonders durch die enorme Verlängerung des fünften Gang-
beinpaares ausgezeichnet , welches als hauptsächliches Locomotionsorgan der
Larve fungirt und ein an Länge dem Körper gleichkommendes Ruder dar-
stellt, Diese Extremität verschwindet im darauffolgenden Mastigopus-
stadium bis auf ein kleines Rudiment, und ebenso wird das vorausgehende
Extremitätenpaar (viertes Gangbeinpaar) rückgebildet, um später neu ent-
wickelt zu werden. In dieser Hinsicht schliesst sich Stenopus an die ähn-
lichen Verhältnisse der Sergestiden (vgl. oben pag. 453) an.
C. Carididen.
Bei den Carididen (Palaemoniae, Alpheinae, Crango-
ninae etc.) ist die Metamorphose im Vergleiche zu Penaeus wesentlich
abgekürzt. Wir finden hier niemals mehr ein freies Stadium der Nau-
plius- und Protozoeareihe , welche in den Kreis der embryonalen Ent-
wicklung einbezogen sind. Der Embryo verlässt das Ei in der Regel
in der Form einer eigenthümlich gestalteten Zoea (Fig. 301), welche
gewisse Charaktere aus dem Mysisstadium anticipirt und daher nach
mancher Hinsicht bereits weiter entwickelt ist, als es der typischen Zoea
zukommt. Als Typus mag eine von Claus (No. 113) beschriebene und
auf Hippolyte bezogene Larve gelten. Wir können an derselben
einen vorderen, cephalothoracalen und einen hinteren, abdominalen Ab-
schnitt unterscheiden. Letzterer ist gestreckt und in sämmtliche, später
zu unterscheidende Segmente zerfallen (doch ist bei den Zoeen verwandter
Formen vielfach die Trennung des sechsten Abdominalsegmentes vom
Telson anfangs noch undeutlich). Das Telson weist in der Regel nicht
mehr die bei den Sergestiden und Penaeus zu beobachtende Gabelform
(Furcalbildung) auf, sondern stellt eine breite Platte mit bedorntem
Hinterrande dar; doch findet sich bei einzelnen Formen (z. B. bei
Pontophilus nach G. 0. Sars Xo. 151) eine furcaähnliche Gabelung
in zwei seitlich abstehende Flügel. Der Rückenschild trägt ein einfach
gestaltetes, zugespitztes Rostrum und kurze Supraorbital- sowie An-
tennalstacheln, entbehrt jedoch im Uebrigen stärker ausgebildeter Dorn-
fortsätze. Dagegen findet sich bei vielen Larven dieser Gruppe ein
stärker vortretender Rückenstachel auf dem zweiten Abdominalsegmente,
sowie kleinere auf den drei folgenden Segmenten. Im Uebrigen unter-
liegt die Dornbewaffnung dieses Körperabschnittes bei den hierher ge-
hörigen Formen mannichfachen Variationen. Neben dem Naupliusauge tritt
das paarige Auge in der Form kurzer, bereits abgesetzter Stielaugen hervor.
Crustaceen.
459
An dem vorderen Körperabschnitte ist ausser den sieben der Zoea
zukommenden Extremitätenpaaren auch das nächstfolgende Gliedmaassen-
paar (III. Maxillarfusspaar Fig. 301 Mf")
in der Form eines wohlausgebildeten
zweiästigen Ruderfusses entwickelt. Die
dahinter folgende Region der fünf den
Gangbeinen zukommenden Segmente ist
noch völlig unterdrückt und nur in nuce
vorhanden. Die entsprechenden Segmente
kommen erst in den späteren Stadien
gleichzeitig mit den ihnen zukommenden
Extremitätenanlagen deutlicher zur Ent-
wicklung. Die Pleopoden fehlen noch
vollständig. An der zweiten Antenne ist
bereits die Umbildung des Exopodits in
die Schuppe, des Endopodits in die Geissei
der späteren Form zu erkennen, der
Mandibulartaster fehlt, ebenso der bei
Penaeus sich findende blattförmige An-
hang (Exopodit) der ersten Maxille. Das
Herz weist, wie dies für die Zoeaform
die Regel ist, zwei Spaltenpaare auf,
während das dritte Spaltenpaar erst in der
Reihe der Mysisstadien zur Entwicklung
kommt.
Während in der Reihenfolge der
Ausbildung der Körpersegmente durch die
Unterdrückung der fünf Segmente des
Mittelleibes eine scheinbare Unregel-
mässigkeit gegeben ist, treten die Ex-
tremitätenanlagen in der gesetzmässigen
Reihenfolge von vorne nach hinten zu
Tage. Eine Ausnahme hievon macht nur
das sechste Pleopodenpaar, welches vielfach in der Entwicklung voraus-
eilt. Im Bereiche der Gangbeine ist die Entwicklung eine allmähliche,
von vorne nach hinten fortschreitende, wodurch ein Unterschied gegen-
Fig. 301. Zoea von Hippo-
lyte (nach Claus, aus Bälfour's
Handbuch).
Mx' erste, Mx" zweite Maxille.
Mf, Mf", Mf" erster, zweiter und
dritter Maxillarfuss.
Fig. 302. A eitere Larve von Hippolyte, nach Ausbildung der Thoracal-
anhäng-e (nach Clads, aus Bälfour's Handbuch).
460 xv- Capitel.
über den Sergestiden und Penaeus gegeben erscheint, bei welchen sämmt-
liche Gangbeinpaare gleichzeitig zur Entwicklung kommen. Im Einzelnen
ergeben sich für die Entwicklung der Brustfüsse allerdings vielfache, bis-
her zum Theil nur ungenügend erkannte Verschiedenheiten.
Bei Hippolyte erscheinen die zwei ersten Gehfusspaare und das sechste
Abdominalbeinpaar (Uropoden) gleichzeitig. In einem späteren Stadium (Fig.
302) entwickeln sich diese zu zweiästigen Anlagen, während die Knospen der
drei hintersten Gangbeinpaare hervorsprossen. Bei Palaemon hat die aus
dem Ei schlüpfende Larve bereits hinter dem dritten Maxillarfusspaare die
Anlagen der drei folgenden Thoraxbeinpaare entwickelt (Bobbetzky). Bei
Crangon besitzt die Larve beim Ausschlüpfen die knospenförmigen Anlagen
der zwei vorderen Gangbeinpaare (Claus No. 113, Ehbenbaum No. 123) 1).
Die Anlagen der drei hinten folgenden Paare werden sehr bald danach ent-
wickelt. Die ausschlüpfende Larve von Palaemonetes vulgaris weist
die Anlagen der beiden vorderen Thoraxbeinpaare auf, die dahinter folgenden
sprossen einzeln in den darauffolgenden Stadien (W. Faxon) u. s. w.
Erst nachdem die Thoraxgliedmaassen zur Entwicklung gekommen
sind, werden die Pleopodenpaare als Knospen angelegt. Durch die Ent-
wicklung der Thoraxbeinpaare zu spaltästigen Paiderfüssen wird die Larve
allmählich in das Mysisstadium übergeführt, -welches für die einzelnen
Formen verschiedenartig gestaltet erscheint, insofern die Entwicklung
eines Aussenastes an einzelnen Thoraxbeinpaaren unterdrückt sein kann.
So finden wir, dass bei Hippolyte, Caridina und Palaemonetes vulgaris
das letzte Thoraxbeinpaar des Exopoditen entbehrt (ein Verhalten, welches
vielleicht für die meisten Carididenlarven Geltung hat), während bei
Cheraphilus und Pontophilus (nach G. 0. Sars No. 151) und bei
der Süsswasserform von Palaemonetes varians die Anlage des
Exopoditen an den drei letzten Thoraxbeinpaaren, bei Crangon vulgaris
(nach Ehrenbaum und G. 0. Sars) und bei Sabinaea (nach Sars)
dagegen an den vier letzten Thoraxbeinpaaren unterdrückt erscheint, so
dass bei letzteren Formen eine offenbare Tendenz zu erkennen ist, das
Mysisstadium in der Metamorphose zum Ausfall zu bringen.
Die in diesen Verhältnissen zum Ausdruck kommende Tendenz zur Ver-
einfachung des Entwicklungsganges hat in einzelnen Fällen zu einer viel aus-
geprägteren Abkürzung der Metamorphose geführt. So zeigt der Embryo
der hochnordischen Hippolyte polaris nach den Beobachtungen von
Keöyee (No. 136) bereits die fünf Gangbeinpaare als einfache, gegliederte
Anhänge, deren vorderstes Paar bereits die Scheerenanlagen erkennen lässt.
Die fünf vorderen Abdominalbeinpaare waren auch schon als zweiästige An-
lagen zu erkennen, während das sechste Paar noch fehlte. In ähnlicher
Weise abgekürzt erscheint die Metamorphose von Sabinaea nach G. 0. Sabs
(No. 151), deren jüngste aus dem Eie kommende Larve (die KBövEE'sche
Myto Gaimardii) bereits die Anlage sämmtlicher fünf Gangbeinpaare
und der fünf vorderen schon zweiästigen Pleopodenpaare aufweist. Von den
Gangbeinpaaren trägt nur das vorderste einen Exopoditen, während das zweite
einästig und sehr klein ist. Bei S cl er o crangon boreas, dessen Eier
x) Dagegen soll nach G. ü. Sars (No. 151) bei Crangon vulgaris, wie auch
bei Cheraphilus und Pontophilus zunächst nur die Knospe des ersten Gangbein-
paares vorhanden ' sein , während die vier übrigen Paare im nächsten Stadium gleich-
zeitig auftreten.
Crustaceen. 4(31
sich durch besondere Grösse auszeichnen, scheint die Metamorphose völlig in
Ausfall gekommen zu sein (Sp. Bäte No. 100, G. 0. Saes No. 151). Das
Gleiche ist bei den Tiefseeformen Cryptocheles und Bythocaris der
Fall (G. 0. Saes No. 151).
Von den im Süsswasser lebenden Carididen zeigen manche (z. B. Cari-
dina Desmarestii) gegenüber den marinen Verwandten keine Abkürzung der
Metamorphose, während eine solche bei Palaemon Potiuna (nach F.
Müllee No. 143) und bei Palaemonetes varians (nach P. Mayee
No. 138) deutlich zu erkennen ist. Palaemon Potiuna verlässt das Ei in
einem Entwicklungsstadium , welches dem von Hippolyte polaris sehr ähnlich
ist und sich von demselben nur durch die stummeiförmige Beschaffenheit der
Mundtheile (entsprechend der unterdrückten Nahrungsaufnahme, und durch
das Vorhandensein der Kiemenanlagen unterscheidet.
Die in den südlichen Theilen Europas im Süsswasser vorkommende Varie-
tät von Palaemonetes varians schlüpft nach P. Mayee in einem vor-
gerückten , den Uebergang zum Mysisstadium darstellenden Zoeastadium aus
dem Eie, welches sämmtliche Extremitäten mit Ausnahme des letzten Pleo-
podenpaares besitzt. Von den Gangbeinpaaren weisen die beiden vorderen
bereits die Anlage der Scheeren auf und sind mit einem Exopoditen ver-
sehen; letzterer fehlt an den drei folgenden Gangbeinpaaren. Die Kiemen
(Pleurobranchien) sind an sämmtlichen Beinpaaren wohl entwickelt. Die Ab-
dominalbeine sind als zweiästige Knospen vorhanden. Das Telson zeigt Ge-
stalt und Bewaffnung, wie sie bei den Zoeen der Carididen sich findet, und
ist von dem sechsten Abdominalsegment noch nicht scharf abgesetzt. Dem-
gegenüber ist es von Interesse, dass die im nördlichen Europa im Meere an
den Küsten (aber auch im Brack- und Süsswasser) vorkommende Varietät
von Palaemonetes varians eine viel geringere Abkürzung der Metamor-
phose aufweist. Nach Boas (No. 105) sind die aus dem Ei kommenden
Zoeen dieser Form nur mit ungegliederten Stummeln der Gangbeinpaare ver-
sehen, während die Extremitäten des Abdomens vollständig fehlen.
Bei sämmtlichen Formen mit abgekürzter Entwicklung sind die Eier
beträchtlich grösser; die Anzahl der von dem Weibchen producirten Eier ist
dagegen verringert. Die Jungen werden mit reichlicher Nahrungsdottermasse
versehen geboren , auf deren Kosten sie sich weiter entwickeln. Dement-
sprechend sind die Mundtheile der sonst so hoch entwickelten Larven in
einem mehr rudimentären Zustande.
In ähnlicher Weise findet sich nach Heeeick (No. 133) und Pakaed
(No. 144) bei zwei AI pheus arten eine Abkürzung der Metamorphose.
Während die übrigen Alpheusarten eine von den übrigen Carididen nicht ab-
weichende Metamorphose zeigen, ist letztere bei Alpheus heterochelis abge-
kürzt und bei dem in Spongien lebenden Alpheus praecox fast vollständig
verloren gegangen.
Amphion. Im Anschlüsse an die Carididen mag Amphion erwähnt
werden, eine Form, deren Stellung noch sehr zweifelhaft ist. Amphion
schliesst sich nach der Gestalt seiner Zoealarve und durch den Besitz von
Kiemenrudimenten , welche den Charakter der Phyllobranchien tragen (Sp.
Bäte No. 100), an die Carididen an. Die ältesten bekannt gewordenen
Stadien von Amphion scheinen — wie aus der mangelhaften Gliederung der
Antennen hervorgeht — noch nicht die volle Ausbildung erlangt zu haben
und müssen wahrscheinlich noch als Larven in Anspruch genommen werden
(Claus No. 8), wenngleich Dohex (No. 120) und Wieeemoes-Suhm sie auf
Grund des Befundes von Geschlechtsanlagen (?) im Inneren als ausgebildete
Formen zu betrachten geneigt waren. Der langgestreckte Körper wird durch
462
XV. Capitel.
sechs Spaltfusspaare bewegt , welche dein zweiten und dritten Maxillarfuss-
paar und den vier darauffolgenden Thoraxbeinpaaren entsprechen, während
das letzte Thoraxbeinpaar nur in rudimentärer Form vorliegt. In der Gestalt
dieser Spaltbeine, sowie durch das Vorhandensein verästelter Leberschläuche
in den vorderen Parthien des Cephalothorax nähert sich A m p h i o n auf-
fallend den Pbyllosomen, und thatsächlich hat Boas (No. 103) in ihm die
Larve der den Loricaten verwandten Gattung Polycheles vermutbet. Die
jüngsten bekannt gewordenen Stadien von Amphion sind Zoeen, welche im
Habitus den Carididen-Zoeen gleichen. Als Locomotionsorgane dienen vor
Allem der zweite und dritte Maxillarfuss , welche als spaltästige Ruderbeine
entwickelt sind, während das erste Maxillarfusspaar bereits zum Munde heran-
gezogen erscheint. Das Abdomen endet mit einer ovalen Telsonplatte ; die
Pleopoden fehlen ; doch kommt das sechste Pleopodenpaar sehr bald zur Ent-
wicklung. Andere mit Amphion nahe verwandte Formen werden von
Willemoes- Suhm erwähnt und die Aehnlichkeit der Körperform mit der von
Sergestes hervorgehoben. Diese Formen werden als Amphiones bezeichnet.
D. Astacidae.
In der Familie der Astacidae macht sich eine noch weitergehende
Abkürzung der Metamorphose geltend, als dies bei den meisten Carididen
der Fall ist. Hier findet sich kein freies Zoeastadium mehr. Bei Ho-
marus, dessen Metamorphose durch Kröyer (No. 136), G. 0. Sars
(No. 148), Sidney J. Smith (No. 153) und Ryder (No. 147) bekannt
geworden ist, ist das erste aus dem
Eie kommende Stadium (Fig. 303)
ein Mysisstadium, welches sich
mittelst der als kräftige Ruder-
äste entwickelten Exopoditen des
III. Maxillarfusspaares und der fünf
Gangbeinpaare (mfm—pY) umher-
bewegt. Der Rückenschild geht nach
vorne in ein einfaches Rostrum und
einen Zahn unter dem Auge aus;
das Abdomen ist durch die Bewaff-
nung seiner Segmente mit dorsalen
und lateralen Dornen ausgezeichnet,
entbehrt jedoch der Beinanlagen.
Das Telson ist eine hinten ausge-
buchtete und bezahnte, trianguläre
Platte. Die ersten Antennen (a) sind
noch ungegliedert, die zweiten (a")
zweiästig, mit einem zu einer Schuppe
umgebildeten Exopoditen und einem
schlankeren Endopoditen (Anlage der Geissei). Die Mandibeln tragen
einen dreigliedrigen Taster, an der ersten Maxille fehlt ein Exopodit.
Die zweiten Maxillen, sowie die Maxillarfüsse sind im Wesentlichen der
ausgebildeten Form schon ähnlich , nur noch in mancher Hinsicht etwas
rudimentär. Die Endopoditen der drei vordersten Gangbeinpaare endigen
bereits mit einer Scheerenanlage.
Im nächstfolgenden Stadium erscheinen die Extremitätenknospen an
dem zweiten bis fünften Abdominalsegment. An den ersten Antennen
Fig. 303. Eben ausgeschlüpfte Larve
des amerikanischen Hummers (nach Smith).
«' erste, a" zweite Antenne, mf" dritter
Maxillarfuss, pl—pv erstes bis füuftes Gang-
beinpaar.
Crustaceen. 463
ist die Gliederung der Hauptgeissel und die Anlage der Nebengeissel zu
erkennen. Die drei vordersten Gangbeinpaare haben sieh vergrössert
und die Scheerenanlage deutlicher zur Entwicklung gebracht.
Im dritten Larvenstadium gehen die Schizopodencharaktere allmäh-
lich verloren, während die definitiven Bildlingsverhältnisse erreicht werden.
Die Exopoditen des dritten Maxillarfusspaares, sowie der fünf Gangbein-
paare werden nun rückgebildet, während die Extremität des sechsten
Abdominalsegmentes zur Ausbildung gelangt. Die Dornen der Ab-
dominalsegmente erscheinen nun kleiner.
Im nächsten Stadium sind die Schizopodencharaktere vollständig
verloren gegangen. Die Exopoditen der Gangbeine sind bis auf Rudi-
mente verschwunden. Die Larve gleicht im Wesentlichen der aus-
gebildeten Form, hat jedoch noch die pelagische Lebensweise beibehalten
und schwimmt mittelst der Abdominalfüsse umher. Erst in späteren
Fig. 304. Späteres Mysrsstadium von Nephrops norvegicus (nach Sars).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, mf" dritter Maxillarfuss, p1 — p^ erstes bis
fünftes Gangbein, pl2 Pleopodenpaar des zweiten Abdominalsegments, pln Pleopodenpaar
des fünften Abdominalsegments, r Rostrum.
Jugendformen, welche bereits auf den Grund gesunken sind, macht sich
die Asymmetrie der Scheeren bemerkbar, während gleichzeitig das an-
fangs für beide Geschlechter gleichgebildete erste Abdominalbeinpaar auf-
tritt. In einem noch späteren Stadium entwickeln sich die sexuellen
Differenzen.
Die Metamorphose von Nephrops norvegicus, aus welcher ein ein-
zelnes Stadium schon seit Langem durch Claus (No. 113) bekannt war und
welche neuerdings durch G. 0. Sars (No. 149) in ihrem ganzen Verlaufe be-
schrieben wurde, stimmt bis auf sämmtliche Einzelheiten mit der von Homarus
überein. Hier wie dort können wir die oben beschriebenen vier Entwicklungs-
stufen , die sich in beiden Fällen in gleicher Weise charakterisiren, unter-
scheiden. Dagegen weist die Larve von Nephrops (Fig. 304) einen durch
die Bewaffnung des Abdomens gekennzeichneten eigenartigen Habitus auf.
Wir finden hier am dritten Abdominalsegment einen kleinen, am vierten und
fünften je einen grossen unpaaren Rückendorn, während das sechste Abdominal-
segment ein Paar nach hinten divergirender langer Stacheln aufweist. Das
Telson , welches im ersten und zweiten Stadium vom sechsten Abdominal-
segment sich nicht scharf absetzt, läuft in zwei ungeheuere, geschwungene
und bedornte Fortsätze aus, welche noch im dritten Stadium neben den Seiten-
464 xv- Capitel.
platten des Schwanzfächers (sechstes Pleopodenpaar) sich erhalten und erst
im vierten Stadium verschwinden , in welchem das Telson zur Mittelplatte
des Schwanzfächers umgebildet erscheint.
Die Jungen von Astacus unterscheiden sich, wenn sie aus dem Eie
schlüpfen, nur in unwesentlichen Merkmalen von der ausgebildeten Form.
Entsprechend der Menge des vorhandenen Nahrungsdotters ist der Cephalo-
thorax aufgetrieben und das Rostrum zwischen den Augen nach unten ge-
krümmt. Das erste Abdominalbeinpaar ist noch unentwickelt. Ebenso sind die
Pleopoden des sechsten Segmentes noch nicht zur freien Entfaltung gekommen.
Das Telson weist eine eigenthümliche, ovale« Gestalt auf. Im Uebrigen stimmen
die Jungen von Astacus, welche noch eine Zeit lang an den Abdominalan-
hängen der Mutter anhängen und von der Mutter beschützt werden, voll-
kommen mit der ausgebildeten Form überein. Die Metamorphose ist hier,
wie bei so vielen Süsswasserthieren, völlig in Ausfall gekommen.
Ganz ähnlich gestaltet sind auch die durch W. Faxon (No. 127) be-
kannt gewordenen Jungen von Cambarus, welche ebenso wie die von
Astacus nach gewisser Hinsicht an die Gruppe der Parastacidae erinnern.
Das erste und sechste Pleopodenpaar fehlen noch; ebenso ist die quere Abglie-
derung im Bereich der Telsonplatte noch nicht entwickelt, Letztere zeigt
zum Unterschiede von Astacus an dem Rande keinen Borstenbesatz. Die
Entwicklung scheint noch mehr abgekürzt als bei Astacus, insofern der
Schwanzfächer sehr bald zur vollständigen Ausbildung gelangt.
E. Loricaten.
Die Larven der Loricaten schlüpfen in einer Form ans dem Eie,
welche seit Langem als Phyllosoma bekannt war und früher als
selbstständiges Genus theils zu den Stomatopodeu bezogen wurde, theils
den Decapoden zugerechnet wurde. Die Zugehörigkeit dieser Form in
den Entwicklungskreis der Loricaten wurde durch die Züchtungsversuche
von Couch (No. 116) wahrscheinlich, welcher aus den Eiern von Pali-
nurus Larven erzielte, die schon Gerstäcker als junge Phyllosomen in
Anspruch nahm. Zu dem gleichen Resultate kamen fast gleichzeitig
Coste und Gerbe. In ausführlicherer Weise wurde die Embryonal-
entwicklung von Scyllarus und Palinurus, sowie der Uebergang in das
junge Phyilosoma durch Dohrn (No. 119) bekannt, während die Meta-
morphose der Phyllosomen hauptsächlich durch Claus (No. 91 u. No. 8)
und Richters (No. 146) festgestellt wurde. Neuerdings sind verschiedene
Phyllosomen durch Spence Bäte (No. 100) beschrieben worden.
Wir müssen das Phyllosoma (Fig. 307 und 308) als ein eigen-
thümlich gestaltetes Mysisstadium bezeichnen. Die Loricaten verlassen
demnach in demselben Stadium das Ei, in welchem viele Astaciden aus-
zuschlüpfen pflegen. Die blattförmig flachgedrückte Körperform und die
geringe Entwicklung des Abdomens muss als eine Anpassung an die
schwimmende und treibende Lebensweise in den bewegten Strömungen der
hohen See aufgefasst werden, während andererseits in der Selbstständigkeit
des Thorax und dem Vorhandensein von Furcalfortsätzen des Telsons
anscheinend ursprüngliche Charaktere erhalten sind. Andere Merkmale
jedoch lassen sich nur durch Rückbildungserscheinungen erklären,
wie solche durch den Vergleich mit den Embryonalstadien kenntlich
werden.
Die Embryonen von Scyllarus, deren Entwicklung durch Dohrn
(No. 119) bekannt geworden ist, durchlaufen ein Naupliusstadium, welches
Crustaceen. 465
im Allgemeinen dem oben (pag. 356) für Astacus beschriebenen ähnlich
ist, und sich durch die Abscheidung einer Larvenhaut (Naupliuscuticula)
markirt. Auch das spätere beobachtete Stadium ist dem entsprechenden
von Astacus insofern ähnlich, als ein nun producirter hinterer Körper-
abschnitt (Thoracoabdominalabschnitt) gegen die Ventralseite eingeschlagen
erscheint. Der vordere dem Dotter aufgelagerte Körperabschnitt trägt
die beiden Antennenpaare und die Mundwerkzeuge bis einschliesslich dem
I. Maxillarfusspaare. An dem umgeschlagenen Thoracoabdominalabschnitt
finden sich das zweite und dritte Maxillarfusspaar, sowie die Anlagen der
drei vorderen Gangbeinpaare. Hinter dem letzten Paar dieser Anlagen
folgt ein ungegliederter Endabschnitt in Form einer quadratischen Platte.
Die meisten Anhänge zeigen noch ziemlich embryonales Gepräge, doch
ist zu erwähnen, dass die drei vordersten Extremitätenpaare des thoraco-
abdominalen Abschnittes (IL u. III. Maxillarfusspaar und I. Gangbeinpaar)
aus einer zweiästigen Anlage bestehen, während die beiden folgenden
Paare (IL und III. Gangbeinpaar) noch ungespaltene wulstförmige Aus-
wüchse darstellen.
In einem etwas späteren Stadium zeigen die IL Antennen, welche
an Länge denen des ersten Paares nicht viel nachstehen, in ihrem basalen
Antheil die Anlage der Antennendrüse. Die Mandibeln, denen die Taster-
anlage fehlt, erscheinen an ihrem Ende schwach zweilappig, die
I. Maxillen sind zweilappig ; ebenso zeigen die des zweiten Paares durch
Einbuchtung an ihrem Innenrande einen Zerfall in drei Lappen. Auch
das erste Maxillarfusspaar, welches im früheren Stadium ein einfacher
Stummel war, ist nun zu einer kurzen zweilappigen Anlage ausgewachsen.
Dagegen sind jetzt die Exopoditen des zweiten und dritten Kieferfuss-
paares rudimentär geworden, während das IL und III. Gangbeinpaar
deutlich spaltästig erscheinen. Weiter nach hinten folgen die ganz kleinen
stummeiförmigen Anlagen des IV. und V. Gangbeinpaares.
Eine ganz ähnliche Gliederung zeigen Palinurus-Embryonen spä-
terer Stadien (Fig. 305). Die vorderen Antennen (a') sind einfach und un-
gegliedert, während die etwas längeren zweiten Antennen (a") die Anlage
eines Seitenastes aufweisen. Die ersten Maxillen (mx) zeigen eine dreilappige,
die zweiten Maxillen (mx") eine zweilappige Form. An den beiden vorderen
Kieferfusspaaren (mf, w*/'"), sowie am dritten Gangbeinpaar (t'") ist der
Exopodit rudimentär; dagegen sind der dritte Maxillarfuss (wif'") und das
erste und zweite Gangbeinpaar (t', t") mit grösseren Exopoditen versehen.
Der hintere, gegliederte Körperabschnitt enthält die Segmente des vierten
und fünften Gangbeinpaares (t4, t'°), sowie die Abdominalsegmente (1 — 6)
und endet mit einem in Furcalanhänge gespaltenen Telson.
Die spätesten Stadien des embryonalen Lebens zeigen schon deut-
lich die Leibesgliederung des späteren Phyllosomas. Der Körper zerfällt
in drei Abschnitte, von denen der verbreiterte vordere noch durch ein-
gelagerte Dottermassen aufgetrieben erscheint und die Antennen sowie
die Mandibeln und Maxillen trägt. Dahinter folgt ein noch wenig ver-
breiterter Körperabschnitt, welcher aus den Segmenten der Kieferfuss-
paare und Gangbeinpaare besteht, während hinten sich ein kurzes,
schmales Abdomen anschliesst. Bevor das Phyllosoma die Embryonal-
hüllen verlässt, machen sich gewisse Reductionsvorgänge (vgl. Fig. 306)
an dem Embryonalleibe bemerkbar. Die Antennen des zweiten Paares
(a") werden zu einfachen, unverästelten Schläuchen umgebildet. Die
466
XV. Capitel.
zweite Maxille (mx") wird zu einem kleinen ungegliederten Stummel.
Das erste Kieferfusspaar geht bei Scyllarus vollständig verloren, während
es bei Palinurus in der Form einer ganz rückgebildeten Anlage sich
erhält. Ebenso werden die Exopoditen des zweiten und dritten Kiefer-
fusspaares (mf", mf") schon im früheren Stadium rückgebildet. Ferner
werden die Segmente des vierten und fünften Gangbeinpaares undeutlich,
wie denn auch am Abdomen die Segmentirung weniger deutlich wird.
An diese ältesten Embryonalstadien schliessen sich die jüngsten
ausgeschlüpften Phyllosomen (Fig. 306 u. 307) sehr innig an.
Der glashell durchsichtige Körper ist nun völlig blattförmig verflacht und
zerfällt in die drei ebengenannten Körperabschnitte. Der vorderste der-
selben (Kopfabschnitt), welcher meist
einen ellipsoidischen oder ovalen
Umriss aufweist, trägt an seinem
vorderen Ende die beiden Fühler-
paare und die gestielten Augen,
während das Naupliusauge (oc) dem
Gehirn dicht aufsitzt. An der Unter-
seite findet sich ziemlich in der
Mitte der von den Mandibeln und
ersten Marillen umstellte Mund;
die reducirten zweiten Maxillen (mx' )
sind weiter nach hinten abgerückt.
Von den I. Maxillarfüssen findet
sich bei den Scyllarusphyllosomen
(Fig. 306) keine Spur, bei Palinurus
nur völlig rudimentäre Höcker.
Der nach hinten folgende
Thoraxabschnitt (vgl. Fig. 307 und
308) hat ungefähr die Gestalt einer
verbreiterten Scheibe und trägt die
Maxillarfüsse und Gangbeinpaare.
Von diesen sind bei den jüngsten
Scyllarusphyllosomen (Fig. 306) die
beiden vordersten Paare (IL und
III. Maxillarfusspaar) einästig und
fünfgliedrig, während die drei vor-
dersten Gangbeinpaare aus sechs
Gliedern bestehen und einen Aussen-
ast tragen. Die Anlagen des IV.
und V. Gangbeinpaares sind sammt
den ihnen zugehörigen Segmenten
fast völlig verschwunden. Dagegen
tragen bei den jüngsten Palinurus-
phyllosomen (Fig. 307) die III. Ma-
xillarfüsse einen Aussenast, und ist
auch das fünfte nur als Knospe zu
Fig. 305. Aelterer Embryo von
Palinurus q u a d r i c o r n i s mit zurück-
geschlagenem Thoracoabdominalabschnitt
(nach Claus).
a After, a' erste Antenne, a" zweite
Antenne, w«?Mandibel, mf, mf" , mf" erster,
zweiter, dritter Maxillarfuss, mx', mx" erste,
zweite Maxille, oc Naupliusauge, ol Ober-
lippe, p Paragnathen, t', t" , t'" erstes,
zweites, drittes Gangbein, t*, th Segment
des vierten und fünften Gangbeinpaares,
x — x Grenzlinie des Cephalothorax, 1, 2,
3 — 6 erstes, zweites, drittes bis sechstes
Abdominalseffment.
das vierte Gangbeiupaar , sowie
bemerken.
Der thoracale Körperabschnitt ist dem vorderen cephalischen Ab-
schnitt ursprünglich hinten angefügt. Später wird er jedoch von dem
letzteren dorsalwärts überwachsen. Es bildet sich hiebei die dorsale
Fläche des vorderen Abschnittes zum Kückenschilde aus, während aus
dem hinteren Abschnitte hauptsächlich das „Plastron sternal" gebildet wird.
Crustaceen.
467
Das Abdomen ist ein kurzer, undeutlich segraentirter , völlig rudi-
mentärer Anhang, welcher mit zwei zipfelförmigen Furcalfortsätzen endigt.
Zwischen diesen, am hinteren Körperende gelegen, findet sich die After-
öffnung, welche erst secundär durch Verwachsung der Basaltheile der
Furcalfortsätze eine ventrale Lagerung einnimmt. Es erinnert dies an
die für Penaeus (pag. 455) und Astacus (pag. 357) erwähnte Lagever-
schiebung des Afters und zeigt, dass die Phyllosomen in Hinsicht auf
Fig. 306. Junges Scyllarusphvllosoma (nach Claus). Von den Beinpaaren sind
z. Th. nur die Basalglieder eingezeichnet.
a! erste Antenne, a" zweite Antenne, d Antennendrüse, g Gehirn, l Leberanhänge
des Darmcanals, md Mandibel, mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, mf" zweiter
Maxillarfuss, mf" dritter Maxillarfuss, n Bauchganglienkette, oe Naupliusauge, ol Ober-
lippe, p', p", p'" erstes, zweites, drittes Gangbein.
die Ausbildung des hinteren Körperendes Verhältnisse bewahrt haben,
welche eigentlich einem früheren Larvenstadium (Protozoea von Penaeus)
eigenthümlich sind.
Die Metamorphose der Phyllosomen besteht in dem Auf-
treten (respective Wiederauftreten) der noch fehlenden Körpersegmente
468
XV. Capitel.
und Extremitätenpaare, und in einer Umbildung der schon vorhandenen,
wodurch sie der definitiven Form sich nähern. Die erste Antenne wird
gegliedert und gewinnt die Anlage der Nebengeissel (Fig. 308), sowie
der Riechfäden der Hauptgeissel und des Gehörorgans im Basalgliede.
Auch die zweite Antenne (Fig. 308) gliedert sich und zeigt bei den
Scyllarusphyllosomen bereits die Andeutung der für die ausgebildete
Form typischen lamellösen Gestaltung. An den Mandibeln kommt ein
anfangs einfacher, später dreigliedriger Taster zur Ausbildung. Die
Maxillen nähern sich der ausgebildeten Form. Das erste Maxillarfuss-
paar und das IV. und
V. Gangbeinpaar kom-
men nun zur Entwick-
lung, während das vor-
letzte Gangbeinpaar, so-
wie das zweite Maxillar-
fusspaar zu mächtigerer
Entfaltung gelangen. An
den Basalgliedern der
Kieferfüsse und Gang-
beinpaare sprossen nun
die Kiemenanlagen her-
vor. Das Abdomen wird
deutlich seginentirt, und
es kommen an demselben
die 6 Pleopodenpaare
zur Ausbildung, von
denen das letzte an der
Bildung des Schwanz-
fächers participirt. Von
inneren Organen ist die
zurAusbildung derLeber-
schläuche (l) führende
Divertikelbildung am
Mitteldarm zu erwähnen, welche bei den Scyllarusphyllosomen (Fig. 306)
durch Ausbildung dreier Paare von Blindsäcken eingeleitet wird, von
denen das mittlere bald secundäre Ramificationen eingeht. Dagegen
weisen die Palinurusphyllosomen von Anfang an (Fig. 307) eine reichere
Verästelung der sog. Leberschläuche auf. Die Kreislaufsorgane tragen,
wie Gegenbaur nachwies, bereits den typischen Decapodencharacter. Wir
finden ein mit drei Spaltenpaaren versehenes Herz, von welchem die
arteriellen Blutbahnen in der für die Decapoden charakteristischen Form
ausgehen (vgl. Claus No. 6).
Die Umwandlung der Phyllosomen in das jüngste Stadium der aus-
gebildeten Form, welches erheblich kleiner ist als die ältesten Phylloso-
men, ist bisher noch nicht direct beobachtet.
Die Palinurusphyllosomen lassen sich von den Scyllarusphyllosomen durch
gewisse, zum Theil oben erwähnte Merkmale unterscheiden. In erster Linie
sind hier zu erwähnen die zweiten Antennen , welche bei Palinurus die des
ersten Paares an Länge übertreffen , bei den lamellicornen Formen dagegen
von Anfang an kleiner sind und in späteren Stadien die lamellöse Umbildung
erkennen lassen. Ferner ist für die Palinurusphyllosomen charakteristisch
das Vorhandensein eines Rudiments des ersten Maxillarfusspaares , und die
Fig. 307. Junges Phyllosomastadium von Pali-
nurus kurz nach dem Ausschlüpfen (nach Claus, aus
Lang 's Lehrbuch).
ad Abdomen, L Leber, 77 — 777 zweites und drittes
Maxillarfusspaar , IV — VI erstes bis drittes späteres
Gangbeinpaar.
Crustaceen.
469
vorgeschrittene Ausbildung der Maxillarfüsse und Gangbeine in dem jüngsten
aus dem Eie kommenden Stadium. Wenn es so nicht schwer ist, die Pali-
nurusphyllosomen von den übrigen zu trennen, so sind die zahlreichen übrigen
Phyllosomen, welche zum Theil sehr merkwürdige Formen aufweisen, nur mit
Unsicherheit und vermuthungsweise auf die einzelnen Genera der lamellicornen
Loricaten (Scyllarus, Thenus, Ibacus, Paribacus etc.) bezogen worden (vgl.
Richtees No. 146). Unter letzteren ist ein vermuthlich zu Ibacus ge-
höriges Phyllosoraa von Haswell (No. 131) beschrieben worden. Haswell
stellt dasselbe als ein weiteres Entwicklungsstadium von Phyllosoma Du-
perreyi Guerin dar, welches der Milne-Edwaeds' sehen Gruppe der Lati-
Fig'. 308. Aelteres Phyllosomastadinm von Palinurus (nach Claus).
I Leberschlänche des Darmcanals, mf" zweiter Maxillarfuss, mf" dritter Maxillar-
fuss, px, p2, pz, p*, p* erstes bis fünftes Gangbeinpaar.
caudes zugehört, deren Abdomen mit breiter Wurzel als directe Verlängerung
des Thorax aus demselben entspringt. Dagegen hat Richtees vermuthungs-
weise die Brevicaudes zu Ibacus und Paribacus bezogen.
Fossile Phyllosomen sind aus den Solenhofener Schiefern bekannt
geworden.
F. Thalassiniden.
Die Larven der Thalassiniden (Gebia, Calocaris, Callia-
nassa, Calliaxis), deren Kenntniss wir den Mittheilnngen von
G. 0. Sars (No. 149) und Claus (No. 6, 7 u. 8) verdanken, schliessen
Korschelt-Heider, Lehrtuch.
31
470
XV. Capitel.
sieh in der Körperform durch den Besitz eines langen Stirnstachels,
sowie durch die (bei Gebia allerdings fehlende) eigentümliche Bewaff-
nung des Abdomens (ein längerer Rückenstachel am zweiten Abdominal-
segment, kürzere an den drei folgenden Segmenten) den Carididenlarven an.
Durch andere Merkmale jedoch wird ihre Metamorphose von besonderem
Interesse, insoferne ein vollständiger Uebergang zur Entwicklungsweise
der Anomuren und Brachyuren gegeben ist.
Das jüngste Larvenstadium von Gebia (Fig. 309 Ä) ist eine Zoea,
welche sich von den Zoöen der übrigen Macruren vor Allem dadurch
unterscheidet, dass hier nur die zwei vorderen Kieferfusspaare (mf, mf")
als zweiästige Ruderfüsse zur Function gekommen sind, während das
dritte Kieferfusspaar, sowie die vier
folgenden Gangbeinpaare als unbe-
borstete, ventral wärts eingeschlagene
Anlagen vorhanden sind, von denen
die vier vorderen Paare zweiästig
sind, das hinterste Paar aber noch
einfach ist. Das fünfte Gangbein-
paar sowie die Pleopodenpaare feh-
len noch vollkommen. Das Telson,
welches von dem sechsten Abdomi-
nalsegmente noch nicht abgetrennt
erscheint, stellt eine spateiförmige,
am hinteren Rande etwas eingebuch-
tete und mit Borsten besetzte Platte
dar. Die noch unbeweglichen paari-
gen Augen erinnern an die der
Anomurenlarven , insoferne durch
eine Verlängerung der Krystallkegel
des hinteren Abschnittes ein nach
hinten prominirender Vorsprung ge-
bildet erscheint.
Die hieraus unter Vermittlung
eines Uebergangsstadiums sich ent-
wickelnde M y s i s f o r m (Fig. 309 B)
hat das fünfte Gangbeinpaar, sowie
die Pleopodenanlagen mit Ausnahme
der des ersten Abdominalsegmentes
zur Entwicklung gebracht. An dem
III. Maxillarfusspaare, sowie an den
drei vorderen Gangbeinpaaren (mf"
bisp"') sind die Exopoditen beborstet
und functioniren als Ruderfüsse. Dagegen zeigen die Endopoditen dieser
Gliedmassen noch völlig embryonalen Habitus; sie sind ungegliedert und
entbehren des Borstenbesatzes. Das Telson, welches nun zu einer läng-
lich viereckigen Platte umgebildet ist, weist an seinem hinteren Rande
einen kleinen unpaaren Stachel und sieben längere an jeder Seite auf.
Die Seitengliedmaassen des Schwanzfächers sind bereits ziemlich ent-
wickelt.
In späteren Stadien gelangen die Endopoditen der Gangbeine zu
mächtigerer Entfaltung und machen sich am I. Gangbeinpaare die
Scheerenanlagen bemerkbar, während die Exopoditen allmählich rück-
gebildet werden.
Fig. 309. Zwei Larvenstadien von
Gebia littoralis (nach G. O. Saks).
^Zoeastadium(Dorsalansicht), -ßMysis-
stadium (Seitenansicht).
«' erste Antenne, a" zweite Antenne,
a2 — «6 Extremitätenanlagen des zweiten bis
sechsten Abdominalsegmentes, mf, mf",
mf" erstes, zweites, drittes Maxillarfuss-
paar, pl- py erstes bis fünftes Gangbein-
paar, oc Naupliusauge.
Crustaceen. 47 \
Die Uebereinstimmung in der Metamorphose von Gebia mit der der
Anomuren findet sich in der Form der paarigen Augen, des Telsons, der spalt-
ästigen Kieferfüsse und vor Allem in dem Verhalten des dritten Maxillar-
fusspaares, welches erst im Mysisstadium als Ruderfuss, aber mit noch völlig
rudimentärem Endopoditen zur Verwendung kommt. Während in dieser Hin-
sicht die Larve von Calliaxis mit der Zoea von Gebia übereinstimmt,
nähern sich die Zoeen von Callianassa und Calocaris denen der Cari-
diden, insoferne hier sämmtliche drei Maxillarfusspaare als zweiästige Ruder-
füsse functioniren.
Gegenüber den Zügen, welche die Metamorphose der Thalassiniden mit
der der Anomuren und Brachyuren verbinden, ist auf die deutliche Ausbil-
dung des Mysisstadiums hinzuweisen ; letzteres , für die Metamorphose der
Macruren charakteristisch, ist - wie wir sehen werden — in der Entwick-
lungsreihe der Anomuren und Brachyuren unterdrückt .
Die Zoea der merkwürdigen Tiefseeform Calocaris Macandreae
ist, wie die der übrigen Formen, mit wohlentwickelten, paarigen Augen ver-
sehen. Erst nach dem Mysisstadium vollzieht sich die für die ausgebildete
Form charakteristische Rückbildung dieses Organs (G. 0. Saks No. 149).
Die durch Claus (No. 6, 7) bekannt gewordene Calliaxislarve ist
durch eine merkwürdige halsförmige Verlängerung des Kopfabschnittes aus-
gezeichnet, durch welche sich eine gewisse Aehnlichkeit mitLucifer heraus-
stellt. Charakteristisch für diese Larvenform, welche von G. Brook (No. 107)
als Trachelifer bezeichnet wurde, ist die Verlängerung des Telsons in
zwei flügeiförmige, hinten bedornte Lappen.
G. Anomuren.
Die Gruppe der Anomuren weist hinsichtlich ihrer Metamorphose
ziemlich einheitliche Verhältnisse auf, an welchen in mancher Hinsicht eine
Uebereinstimmung mit den Brachyuren zu erkennen ist. In den meisten
Fällen ist die jüngste aus dem Ei kommende Larve eine Zoea (Fig. 3KL4),
an welcher — wie bei den Brachyuren und einigen Thalassiniden (vgl.
oben pag. 470) — , die beiden vorderen Maxillarfusspaare als Hauptloco-
motionsorgane fungiren. Das dritte Maxillarfusspaar ist nur in der Form
völlig rudimentärer Anlagen vorhanden (Fig. 310 C). Die aus der Zoea
sich entwickelnde spätere Bildungsstufe (Fig. 310 B), welche als dem
Mysisstadium der Macruren gleichwerthig betrachtet werden muss, weist
bereits sämmtliche Gangbeinpaare und die Anlagen der meisten Pleopoden-
paare auf. Die Gangbeine entbehren eines Schwinimfussastes und deuten
in ihrer Anlage bereits auf die definitive Gestaltung. Wir werden dies
Stadium im Anschlüsse an Claus (No. 7) in Uebereinstimmung mit dem
gleichgebildeten Stadium der Brachyuren als Metazoea zu bezeichnen
haben. Die Charaktere des Mysisstadiums erscheinen hier unterdrückt.
Die Metazoea muss als Uebergangsform zwischen der Zoeastufe und der
jüngsten ausgebildeten Form (Megalopa der Brachyuren) betrachtet
werden. Durch ein wichtiges Moment unterscheidet sich die Metazoea
der Anomuren von der der Brachyuren , nämlich durch das Verhalten
des III. Maxillarfusspaares , welches hier bei sonst rudimentärer Ge-
staltung einen wohlentwickelten und als Ruderfuss fungirenden Exopoditen
zur Ausbildung bringt, während diese Extremität bei den Metazoeen der
Brachyuren noch völlig embryonale Gestaltung aufweist. Durch diese
Beiziehung des III. Maxillarfusspaares zur locomotorischen Function
schliessen sich die Anomuren an die Carididen an, bei denen dieselbe
31*
472 XV. Capitel.
allerdings schon im Zoeastadium stattgefunden hat (vgl. pag. 459). Wir
müssen dies als ein dem Mysisstadium entlehntes Merkmal bezeichnen,
durch welches die Zoea der Carididen gefälscht wurde, während es bei
der Metazoea der Anomuren als letzter Rest eines verloren gegangenen
Mysisstadiums betrachtet werden muss.
Die Entwicklung der Anomuren hat neuerdings durch G. 0. Sars
(No. 150; eine einheitliche Darstellung erfahren, während einzelne Frag-
mente derselben schon früher durch Claus (No. 6, 7, 8 u. 113), Spence
Bäte (No. 98), Dohrn (No. 120), Faxon (No. 126), F. Müller (No. 140),
Smith (No. 152) und Andere bekannt geworden waren. Als Typus mag
uns die Entwicklung von Eupagurus bernhardus dienen.
Die Zoea von Eupagurus (Fig. 310^4.) weist einen ziemlich ge-
drungenen Körperbau auf und ist vor Allem durch die Gestalt ihres
Rückenschildes auffällig, welcher nach vorne in einen langen Rostral-
stachel ausläuft, hinten dagegen eine tiefe Einbuchtung zeigt, durch
welche zwei nach hinten spitz auslaufende Zipfel von einander getrennt
werden. Eine ähnliche Grundform des Rückenschildes findet sich bei
sämmtlichen Anomurenlarven. Die kurzgestielten, noch unbeweglichen,
paarigen Augen sind durch eine schon oben für Gebia (pag. 470) er-
wähnte Vorwölbung nach hinten bemerkenswert. Zwischen ihnen erkennt
man das Naupliusauge. Die beiden vordersten Abdominalsegmente sind
von dem Rückenschilde bedeckt, das sechste Abdominalsegment ist von
dem Telson noch nicht abgegliedert. Der hintere Rand der mittleren
Abdominalsegmente ist dorsalwärts gezähnt. Das Telson ist durch eine
hintere Einbuchtung in zwei flügelförmige Fortsätze getheilt (eine Grund-
form, welche wir bei den Brachyuren wiederfinden) und jederseits mit
sechs Borsten bewaffnet. Die ersten Antennen (a) stellen einfache, un-
gegliederte, am Ende beborstete Fortsätze dar. An den zweiten Antennen
(a") ist der ungegliederte Endopodit noch mit dem Protopodit continuir-
lich, während der schmale, an der Innenseite beborstete Exopodit bereits
abgegliedert erscheint. Die Mandibeln entbehren der Tasteranlage.
Hinter den beiden Maxillenpaaren folgen zwei als Ruder zur Verwendung
kommende zweiästige Maxillarfusspaare (mf, mf"), während das dritte
Paar (Fig. 310 C) nur in Form eines ganz kleinen zweigliedrigen An-
hanges an der Ventralfläche angedrückt zu finden ist. Die fünf Gang-
beinpaare und die Pleopodenanlagen fehlen noch vollständig.
In einem späteren als Metazoea (Fig. 310 B) zu bezeichnenden
Stadium, welches im Habitus noch völlig der Zoeaform gleicht, sind die
Anlagen des dritten Maxillarfusspaares (mf") zu weiterer Entwicklung
gekommen. Sie besitzen einen mit Ruderborsten besetzten, zweiglied-
rigen Exopoditen, welcher gleich dem der beiden vorhergehenden Paare
als Schwimmfassast fungirt, während der undeutlich gegliederte Endopodit
noch unbeborstet und rudimentär erscheint und noch nicht in Function
getreten ist. Den gleichen Charakter weisen die dahinter folgenden An-
lagen der fünf Gangbeinpaare (vgl. pl— p1Y) auf, von denen die grösste
dem ersten Paare angehört und eine deutliche Scheerenanlage zeigt.
Eine ähnliche Anlage trägt auch das sehr kleine (auf unserer Abbildung
nicht sichtbare) fünfte Gangbeinpaar. An dem Abdomen hat sich die
Sonderung des sechsten Abdominalsegmentes vom Telson vollzogen; wir
finden jetzt an dem zweiten bis fünften Abdominalsegmente kleine Pleo-
podenanlagen, während die Anlagen des sechsten Segmentes (ae) in der
Entwicklung weiter vorgeschritten erscheinen. Besonders ist der Exopodit
bereits als beborstete Platte angelegt (Fig. 310 D, aß), während der
Crustaceen.
473
Endopodit als kleiner Höcker entwickelt und vom Protopodit noch nicht
abgegliedert ist. Die Mittelplatte des Schwanzfächers, das Telson, hat
eine gestreckte, hinten quer abgestutzte Form, während die im früheren
Stadium zu bemerkende Einbuchtung verstrichen erscheint. Auch an
den Fühlern und Mundtheilen ist die Entwicklung weiter vorgeschritten.
So finden wir jetzt an dem I. Antennenpaare (Fig. 310 B, a) die kurzen
Anlagen der beiden Endgeissein, am IL Antennenpaar (a") hat sich der
Endopodit abgegliedert und zeigt den beginnenden Zerfall in einzelne
Glieder, der Mandibulartaster (t) ist als ein kurzer Stummel hervor-
gesprosst.
Das aus der Metazoea hervorgehende Jugendstadium kann mit dem
Megalopastadium der Brachyuren gleichgestellt werden. Es gleicht in
Fig. 310. Larvenstadien von Eupagurus bemhardus (nach G. 0. Sars).
A Zoeastadium (Dorsalansicht), B Metazoeastadium (Lateralansicht), C Ventral-
ansicht des das III. Maxillarfusspaar tragenden Körperabschnittes im Zoeastadium,
D Schwanzfächer des Metazoeastadiums.
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, «5 Pleopodenanlage des fünften Abdomiual-
segnients, a6 Pleopoden des sechsten Abdominalsegments (Uropoden), mf, mf", mf"
erstes, zweites, drittes Maxillarfusspaar, pl— pn erstes bis viertes Gangbeinpaar, k Kiemen-
anlagen, ol Oberlippe, t Mandibulartaster, r Rostrum.
allen wesentlichen Zügen bereits dem völlig ausgebildeten Thiere mit
dem Unterschiede, dass die Augen noch verhältnissmässig gross sind,
dass das Abdomen sowie die Extremitäten desselben noch nicht die für
die ausgebildete Form charakteristische Rückbildung erfahren haben, und
dass die assyinmetrische Entwicklung des Körpers noch bei Weitem nicht
so deutlich ausgeprägt erscheint. Das Abdomen ist noch nicht spiralig.
eingedreht, sondern symmetrisch und besteht aus sechs wohlgesonderten
Segmenten, an denen (mit Ausnahme des ersten) mit langen Schwimm-
borsten versehene Pleopoden sich vorfinden. An dem Schwanzfächer, sowie
an den Scheeren des I. Gangbeinpaares ist bereits ein gewisser Grad
474 XV. Capitel.
von Asymmetrie zu bemerken. Die Schuppen der zweiten Antennen sind
abgeworfen, die zwei Geisselanlagen der Vorderfühler sind grösser ge-
worden. Die auf dies Stadium folgenden Jugendformen mit noch wenig
ausgeprägter Asymmetrie wurden von M. Edwards unter dem Genus-
namen Glaucothoe' zusammengefasst.
Die Metamorphose von Spi ropagurus, sowie von Galatkea stimmt
in allen wesentlichen Punkten mit der von Eupagurus überein. Die Zoeen
von Spiropagurus unterscheiden sich von den Eupaguruszoeen durch die Form
des Telsons, welches hier der hinteren Einbuchtung entbehrt. Die Larven
von Galathea, welche denen von Pagurus so sehr gleichen, dass sie vielfach
mit ihnen verwechselt wurden, sind daran zu erkennen, dass die beiden nach
hinten gerichteten Zipfel des Rückenschildes einen Besatz von kleinen Zähn-
chen aufweisen. [Vgl. einige hieher gehörige und als Zoontocaris be-
schriebene Larvenformen bei Spence Bäte (No. 100)].
In einzelnen Fällen erleidet die Metamorphose eine nicht unbeträchtliche
Abkürzung, indem die Larven erst im Metazoeastadium frei ausschwärmen.
Dies ist der Fall bei Galathodes und bei der den Paguriden sehr nahe
stehenden Gattung Li tho des. Bei beiden Formen sind die Eier verhältniss-
mässig gross, und nehmen die ausschwärmenden Larven beträchtliche Dotter-
massen ins Larvenleben mit, auf deren Kosten die weitere Entwicklung sich
vollzieht. Dementsprechend verbleiben bei Galathodes die Mundtheile (ähn-
lich, wie wir dies oben pag. 461 für Palaemon Potiuna erwähnt haben) in
einem auffallend unentwickelten Zustande; sie erscheinen stummeiförmig und
entbehren des Borstenbesatzes. Bei beiden Formen erscheint die Entwicklung
des sechsten Pleopodenpaares (Seitengliedmaassen des Schwanzfächers) gegen-
über den übrigen Extremitäten der Abdominalsegmente verzögert. Eine noch
viel weiter gehende Rückbildung der Metamorphose findet sich vielleicht bei
Birgus latro, wenn nämlich die allerdings nur auf die Aussagen eines
Fischers sich stützende Mittheilung von Willemoes - Suhm sich bestätigen
sollte, wronach die Jungen dieser Art in einer der ausgebildeten Form sehr
nahestehenden Gestalt aus dem Eie schlüpfen.
Die Larven von Munida, deren Metamorphose in allen wichtigen
Punkten dem oben geschilderten Typus der Anomurenentwicklung sich an-
schliesst, sind durch die stärkere Entwicklung der Stachelbewaffnung ausge-
zeichnet; das Rostrum übertrifft an Länge den übrigen Theil des Rücken-
schildes, die beiden hinteren Zipfel des letzteren sind in lange Stacheln aus-
gezogen; ebenso läuft das tiefgegabelte Telson in zwei lange Stachelfort-
sätze aus.
Eine excessive Entwicklung der Stacheln weist die schon seit Langem
alsLonchophorus (Eschscholz) bekannte Porcellanalarve (Fig. 311)
auf, deren Entwicklung — von älteren Angaben abgesehen — durch F.
Müller (No. 140), Dohen (No. 121), Claus (No. 8), Faxon (No. 126)
und G. 0. Saks (No. 150) bekannt geworden ist. Der Stirnstachel ist hier
von einer ganz ausserordentlichen Länge. Auch die beiden nach hinten ge-
richteten , am Ende häkchenförmigen Seitenstacheln sind von beträchtlicher
Länge. Das Telson entbehrt hier des hinteren Einschnittes und hat die Form
einer rhombischen Platte. In einigen Zügen nähert sich die Metamorphose
von Porcellana der der Krabben, so in der Haltung des Abdomens, welches
ventralwärts eingekrümmt ist, sowie in der Reihenfolge der Gliedmaassen-
sprossung, welche sich dadurch auszeichnet, dass das dritte Maxillarfusspaar
gleichzeitig mit den Gangbeinanlagen (Fig. 311 mf'" und j>) zur Entwicklung
kommt. Von den Pleopoden werden zuerst die des zweiten, dritten und
Crustaceen.
475
vierten Segmentes angelegt, während die des fünften Abdominalsegmentes und
die Seitengliedmaassen des Schwanzfächers erst später entwickelt werden.
Auch die Entwicklung der Sand krebse (Hippidae Fig. 312), welche
durch die Mittheilungen von F. Mülleb (No. 16), Claus (No. 8), Sidney
Smith (No. 152) und W. Faxon (No. 126) bekannt geworden ist,
schliesst sich den für die Anomuren geschilderten Verhältnissen im All- .
gemeinen an, wenngleich sie — ähnlich wie Porcellana — in mancher 1
Hinsicht den Uebergang zu den Brachyuren darbietet. Das jüngste,
durch W. Faxon für Hippa talpoidea geschilderte Stadium ist eine
Zoea, deren Rückenschild die später auftretenden Stachelfortsätze
nur in der Anlage erkennen lässt. Das Abdomen, welches ventral-
wärts eingeschlagen getragen wird, zeigt das erste Segment noch
undeutlich vom Thorax abgesetzt und das sechste Segment mit dem
Telson verschmolzen. Letzteres hat die Gestalt einer hinten ab-
gerundeten und bezahnten Platte. Von Gliedmaassen sind die
beiden Fühleranlagen, die Kiefer und die als Ruderbeine verwende-
ten zwei vorderen Maxillarfusspaare vorhanden, während das dritte
Maxillarfusspaar , sowie sämmtliche nach hinten folgenden Glied-
maassen noch völlig fehlen. Aus diesem Stadium geht die von
Sidney Smith beobachtete Metazoea (Fig. 312) hervor, welche
die Anlagen des dritten Maxillarfusspaares (mf'") und der vier
vorderen Gangbeinpaare (p1—^) aufweist. Das fünfte Gangbein-
paar entwickelt sich etwas später. Das dritte Maxillarfusspaar
wird nicht als Bewegungsorgan der Larve verwendet. Letzteres
ist aber bei der von Claus beschriebenen und auf Albunea be-
zogenen (No. 8) Larve der Fall. Am Cephalothoraxschild der Hippa-
larve fehlt der für die Zoeen der Brachyuren so ungemein charak-
Fig". 312. Metazoeastadium von Hippa tal-
poidea (nach S. Smith).
mf, mf", mf" erster, zweiter, dritter Maxillar-
mss, p[—piv Anlage des ersten bis vierten Gangbeines.
teristische Rückenstachel ; dagegen ist ein langes,
nach vorne gekrümmtes Rostrum ausgebildet, des-
gleichen sind die bei allenAnomuren vorkommenden
nach hinten reichenden Seitenstacheln vorhanden.
Aus der Metazoea geht nach mehreren Häutungen
ein der ausgebildeten Form ungemein ähnliches
Megalopastadium hervor, welches sich von letz-
terer hauptsächlich in der verhältnissmässigen Grösse der Augen und durch
das Vorhandensein kräftiger, zweiästiger Schwimmanhänge an dem zweiten
bis sechsten Abdominalsegmente unterscheidet.
Auch die Larven der Apteruren (Dromia, Homola), welche durch
Fig. 311. Meta-
zoea von Porcel-
lana longicornis
(nach G. O. Sars).
mf, mf", mf"
erster, zweiter, drit-
ter Maxillarfuss , p
Anlagen der Gang-
beinpaare und der
zugehörigen Kiemen.
476
XV. Capitel.
Boas (No. 104) und Gourret (No. 130) bekannt geworden sind, schliessen
sich denen der Anomuren nahe an. Sie besitzen, zum Unterschiede von den
Brachyurenzoeen, einen als Schwimmfussast fungirenden Exopoditen am drit-
ten Maxillarfusspaare ; ja, es findet sich sogar bei Dromia ein gleicher Ast
am ersten Gangbeinpaare, wodurch der Hinweis auf ein Mysisstadium deut-
licher zum Ausdrucke kommt, als dies bei den Anomuren der Fall ist. In
der Gestalt des Rückenschildes und des mit zweiästigen Pleopodenpaaren
versehenen Abdomens stimmen die Apterurenlarven mit den Anomuren
überein.
H. Brachyuren.
Die meisten Brachyuren verlassen das Ei in Gestalt einer Zoea,
welche in der ganzen Gruppe einen sehr übereinstimmenden Habitus
beibehält (Fig. 313). Der gedrungene, meist ovale Vorderkörper ist in
der Regel durch typische Stachelbildungen ausgezeichnet l). Wir unter-
scheiden einen schräg nach vorne und abwärts sich erstreckenden Stirn-
stachel, einen der Mitte des Rückenschildes aufsitzenden und schräg
nach hinten und oben
gerichteten Rücken-
stachel und ein Paar
schräg nach aussen ge-
richteter Seitenstacheln
am hinteren unteren
Winkel des Rückenschil-
des. Dem vorderenTheile
des Körpers sitzen die
kurzgestielten , grossen
Seitenaugen mit breiter
Basis auf. Zwischen
ihnen findet sich das
Naupliusauge. Das be-
wegliche, als Steuerruder
verwendete Abdomen ist
ventral wärts und nach
vorne eingekrümmt und besteht aus fünf freien Segmenten, während das
sechste mit dem Telson noch zu einem Stücke vereinigt erscheint. Jener
Abschnitt des Körpers, an welchem in späteren Stadien die Gangbeine
zur Entwicklung kommen, erscheint im Zoeastadiuin noch sehr wenig ent-
wickelt. Er stellt eine ganz kurze, rudimentäre, unter dem Rückenschilde
versteckte Körperparthie dar, an welcher die Extremitätenanlagen (Pereio-
poden) entweder vollständig fehlen oder nur in der Form kurzer Stummel
angelegt erscheinen. In letzterem Falle würden wir das aus dem Eie
schlüpfende Stadium vielleicht richtiger als Metazoea bezeichnen.
Von den Gliedmaassen sind im Zoeastadium die sieben vorderen
Paare deutlich entwickelt und in Function getreten. Die Antennenpaare
zeichnen sich allerdings durch eine ungemein einfache Gestalt aus. Die
ersten Antennen haben die Gestalt eines kurzen, ungegliederten Fort-
satzes, an dessen Ende nur wenige Riechborsten (bei dem jüngsten Stadium
von Carcinus maenas nach Spence Bäte nur zwei) zur Entwicklung
gekommen sind. Die zweite Antenne besteht aus einem Basalabschnitt,
welcher in einen oft sehr langen 'Stachelfortsatz (vgl. Fig. 314 B, si)
Fig. 313, Zoea von Thia polita (nach Claus).
mf erster Maxillarfuss, mf" zweiter Maxillarfuss.
J) Weldon hat auf die Bedeutung dieser Stacheln für das Einhalten einer be-
stimmten Bewegungsrichtung hingewiesen.
Crustaceen.
477
ausläuft, der sich in schwächerer Ausbildung auch bei den Anomuren-
larven (z. B. Eupagurus) wiederfindet. Ein weiterer abgegliederter,
am Ende mit Borsten besetzter Fortsatz muss als Exopodit (Schuppenast)
in Anspruch genommen werden. Der Endopodit (Anlage der späteren
Geissei) fehlt anfangs vollständig, wird jedoch bald in Form eines kleinen
zwischen den genannten Fortsätzen vorwachsenden Höckers angelegt.
Die Mandibel besteht noch ausschliesslich aus der Kaulade; der Mandi-
bulartaster fehlt vollständig. Die Maxillen zeigen bereits die für die
Decapoden typische Gestaltung (vgl. Fig. 31 4 D und E). Die ersten
Maxillen besitzen zwei nach innen gerichtete, beborstete Kauladen des
Protopodits und einen zweigliedrigen Taster (Endopodit). An den
zweiten Maxillen finden wir vier lappenförmige Kaufortsätze des Proto-
podits, von denen je zwei einem Gliede zukommen, einen breiten, in
zwei ähnliche Lappen gegliederten Endopoditen und einen als borsten-
randige, noch wenig umfangreiche Athemplatte entwickelten Exopoditen.
Fig\ 314. Gliedmaassen eines älteren Zoeastadiums eines Portnniden (nach Claus).
A erste Antenne, B zweite Antenne, C Mandibel, D erste Maxille, E zweite Maxille.
en Endopodit, ex Exopodit, st Staehelfortsatz, t Mandibulartaster.
Die beiden vorderen Maxillarfusspaare (Fig. 313 mf, ruf") sind als
spaltästige Ruderfüsse zur Entwicklung gekommen. Der Endopodit des
ersten Paares zerfällt in fünf Glieder, während der des zweiten Paares
mehr rudimentär bleibt und meist aus drei kurzen Gliedern besteht.
Die Exopoditen (Geisseiäste) sind an ihrem Ende mit langen Schwimm-
borsten besetzt. Die Anlagen der dahinter folgenden Extremitätenpaare
(III. Maxillarfusspaar und L--V. Gangbeinpaar) scheinen bei manchen
Brachyuren in den jüngsten Zoeastadien noch vollständig zu fehlen
(z. B. bei Pin nix a nach W. Faxon), in anderen Fällen sind sie in der
Form kurzer stummeiförmiger Anlagen theilweise oder in vollständiger
Zahl (Maja, Inachus) erkennbar. Die Pleopoden fehlen noch vollständig.
Das Abdomen ist meist durch eine bestimmte Form der Bewaffnung
ausgezeichnet, indem am zweiten Segmente ein Paar nach vorn gerichteter
Stacheln , an den drei folgenden Segmenten je ein Paar nach hinten
gerichteter Stacheln zu erkennen ist. Das Telson zeigt in der Regel
eine charakteristische Gabelform und läuft nach hinten jederseits in einen
langen Stachel aus. An der Innenseite der beiden Fortsätze des Telsons
erkennt man in den meisten Fällen drei stärkere Borsten.
478 xv- Capitel.
Die hier geschilderte Form der typischen Brachyurenzoea unterliegt in
einzelnen Fällen nicht unbedeutenden Variationen, welche sich hauptsächlich
auf die Gestalt und Entwicklung der Stachelfortsätze, sowie auf die Form
des Telsons beziehen. So sind hei Gelasimus die Stachelfortsätze des
Rückenschildes ungemein kurz. Bei Achaeus fehlt der Stirnstachel, sowie
die Seitenstacheln, während ein kurzer Rückenstachel erhalten ist. Bei
Inachus fehlt ebenfalls der Stirnstachel (Claus No. 8, Gourret No. 130).
Bei Maja sollen nach Couch, sowie bei Eurynome nach Kinahan sämmtliche
Stachelfortsätze fehlen. Dagegen hat Claus an der Zoea von Maja einen
langen Stirnstachel beobachtet. Bei einer von Dohrn (No. 121) alsFisso-
caris beschriebenen Larve mit langem Stirnstachel und zwei Paaren von
umfänglichen Seitenstacheln fehlt der Rückenstachel. In anderen Fällen
können Rücken- und Stirnstachel ungeheuer lang werden und mit ballon-
förmigen Auftreibungen enden. Solche mit nach hinten abstehenden Seiten-
stacheln versehene Larven wurden von Claus (No. 8) als Pluteocariden
bezeichnet. Eine als Pterocaris unterschiedene Zoeaform ist durch flügei-
förmige Auftreibung der Seitentheile des Panzers und durch die daraus
resultirende querverbreiterte Form merkwürdig.
Manche Zoeen von Brachyuren sind durch die mächtige Entwicklung
des obenerwähnten Stachelfortsatzes der zweiten Antenne ausgezeichnet, so
die von Xantho rivulosus (nach Goukret No. 130) und die von Pano-
paeus Sayi (W. Faxon No. 125), wo derselbe an Länge dem mächtigen
Frontalstachel gleichkommt.
Wenn das jüngste Zoeastadium das Ei verlässt, so befindet es sich nicht
in vollkommen freiem Zustande, sondern es erscheint noch von einer etwas
lose abstehenden embryonalen Larvenhaut (vgl. oben pag. 323) umgeben,
welche von Conn als Cuticula des während des embryonalen Lebens durch-
laufenen Protozoeastadiums in Anspruch genommen worden ist. Erst nach
einer meist sehr bald erfolgenden Häutung kommt die Zoea zur freien Ent-
faltung. Aehnliche Verhältnisse finden wir auch bei vielen anderen Decapoden
(z. B. bei allen Anomuren und manchen Macruren). Auf das morphologische
Interesse, welches das Studium dieser Larvenhaut darbietet, hat F. Müller
(No. 16) aufmerksam gemacht, indem er sagt, dass der Schwanz dieser
jüngsten Larvenhülle bei Achaeus und vielleicht auch bei Maja an die
Garneelenlarven erinnert. Später ist das Studium der Larvencuticula be-
sonders von Paul Mayer (No. 137) zur Ableitung der verschiedenen Formen
des Telsons und zu phylogenetischen Feststellungen verwerthet worden.
Neuere Mittheilungen über diese Larvenhaut rühren von W. Faxon (No. 125)
und Conn (No. 114 u. 115) her. Stets fehlen an der Larvenhaut die
Stachelfortsätze des Rückenschildes. Diese werden unter der Larvencuticula
häufig in fernrohrartig eingezogenem Zustande angelegt. Während in der
Gruppe der Grapsoideen (Sesarma) die Larvenhaut hinsichtlich der
übrigen Verhältnisse einen ziemlich getreuen Abguss der daraus hervorgehenden
Zoea darstellt, zeigt dieselbe bei den meisten übrigen Brachyuren nicht un-
erhebliche Abweisungen. Vor Allem erscheinen die Antennen an der
Larvenhaut in einer höheren Stufe der Ausbildung. Die erste Antenne be-
steht aus einem Schaft und zwei beborsteten Endästen, von denen der eine
von beträchtlicher Länge erscheint. Die zweite Antenne ist vor Allem durch
das Vorhandensein mächtiger , behaarter Fortsätze des Exopoditen merk-
würdig. Von den übrigen Körpertheilen ist hauptsächlich die Schwanzgabel
durch das Vorhandensein von meist sieben behaarten Borsten an jeder Seite
charakterisirt. Letztere Zahl scheint für die Beborstung des Telsons die im
ganzen Kreise der Decapoden typische zu sein, und liefert das Studium der
Crustaceen.
479
eben ausgeschlüpften Zoeen vor Abstreifung der Larvenhaut werthvolle
Anhaltspunkte für die Zurückführung der im späteren Stadium oft abweichenden
Gestaltung des Telsons auf die genannte Grundform (Paul Mayee).
Die aus der Zoea zunächst hervorgehenden späteren Entwicklungs-
stadien, welche bisher meist mit dem gleichen Namen bezeichnet wurden,
aber mit Claus passender als Metazoea (No. 7) benannt weiden,
schliessen sich in den allgemeinen Gestaltungsverhältnissen (vgl. das
etwas jüngere Stadium Fig. 315) noch völlig an die Zoea an, unter-
scheiden sich von letzterer jedoch durch die höhere Ausbildung der
Extremitätenanlagen. An den ersten Antennen (Fig. 314^4) erkennen
wir nun einen ungegliederten, durch die Anlage des Gehörorgans blasig
aufgetriebenen Stamm und zwei Geisselanlagen, von denen die innere
noch kurz und ungegliedert erscheint, während die mit Riechfäden
besetzte äussere Geissei an ihrem Ende in kurze Ringel zerfallen ist.
Die zweiten Antennen (Fig. 3145) haben die Geisselanlage (Endopodit)
zur mächtigen Entwicklung
gebracht ; dagegen hat sich
der weiche Körperinhalt aus
dem Stachelfortsatz und
Exopoditen zurückgezogen,
zum Zeichen, dass diese
Anhänge mit der nächsten
Häutung verloren werden.
An der Mandibel (c) ist ein
fingerförmiger, noch unge-
gliederter Mandibulartaster
zur Entwicklung gekommen.
Verhältnissmässig geringere
Veränderungen haben die
beiden Maxillenpaare (D
und E) erlitten, während
an den beiden vorderen
Maxillarfusspaaren der Exo-
podit an seinem Ende in
kurze Glieder zertheilt und
mit zahlreichen Ruderbor-
sten besetzt erscheint. Die
Anlagen des III. Maxillar-
fusspaares und der fünf
Gangbeinpaare (Fig. 315
III — VIII) sind nun schon
als ziemlich umfangreiche
Anhänge entwickelt. Sie
entbehren aber noch des
Borstenbesatzes und sind noch nicht in Function getreten, sondern werden
nach vorne an die Ventralseite angedrückt getragen. Diese Anlagen ent-
wickeln sich direct nach der Richtung der späteren definitiven Gliederung.
So zeigt das III. Maxillarfusspaar bald sämmtliche Abschnitte der späteren
definitiven Gliedmaasse, einen zweigliedrigen Exopoditen und die auch
an den drei nachfolgenden Beinpaaren zur Entwicklung kommenden
Kiemenanhänge. Von den Gangbeinen kommt das vorderste Paar mit
der Scheerenanlage zur mächtigsten Ausbildung. Am Abdomen sind nun
Fig. 315. Zoea von Maja nach der Häutung
(nach Claus, aus Lang's Lehrbuch).
1, 2 erste und zweite Antenne, i, 77, ///erster
bis dritter Maxillarfuss, IV— V11I erstes bis fünftes
Gangbeinpaar, a2— a6 zweites bis sechstes Pleopoden-
paar, h Herz.
480
XV. Capitel.
auch schon die Pleopoden als undeutlich zweigliedrige Anhänge entwickelt,
während die des sechsten Paares noch einfache Stummeln darstellen.
An den Gangbeinpaaren kommt ein Geisselast (Exopodit) nicht zur
Entwicklung. Das Mysisstadium ist demnach in der Meta-
morphose der Brachyuren unterdrückt und durch das
Metazoeastadium ersetzt. Wir haben hier einen interessanten
Fall von Vereinfachung des Entwicklungsablaufs.
Das Metazoeastadium geht in die als Megalopa (Fig. 316^4 und B)
bezeichnete Jugendform der Brachyuren über, welche den Uebergang
von der pelagischen zur kriechenden Lebensweise vermittelt und in den
wichtigsten Punkten der Gliederung bereits mit der ausgebildeten Form
übereinstimmt. Nach dem Verhalten des Abdomens steht die Megalopa
Fig. 316. Drei Entwicklungsstadien von Carcinus maenas.
A jüngeres und B älteres Megalopastadium , C junge Krabbe. (A nach Spence
Batk, B und C nach Bkook).
d Rückenstachel, r Kostrum.
ungefähr auf dem Stadium eines ausgebildeten anomuren Decapoden.
Der Vorderleib mit den Gliedinaassen trägt bereits den typischen
Brachyurencharakter. Doch tragen die jüngsten Megalopastadien in den
meisten Fällen am Rückenschild noch Spuren der früher vorhandenen
Zoeastacheln (Fig. 316 A). Die Gliedmaassen sind nun schon in der
definitiven Form entwickelt; die Maxillarfüsse haben die Function von
Locomotionsorganen verloren und sind im Verhältuiss von geringerer
Grösse. Dagegen sind die Gangbeinpaare zu mächtiger Entwicklung
gekommen. Das Abdomen wird noch nach hinten gestreckt getragen und
zeigt die Pleopoden in der Form mit langen Borsten besetzter Schwimm-
füsse entwickelt, an denen allerdings nur ein Stammglied and eine ovale
beborstete Endplatte (Exopodit) zu unterscheiden sind, während der
Crustaceen.
481
ganz kurze, mit (Häkchen versehene Endopodit als Retinaculum eine
Verbindung und in Folge dessen gleichzeitige Bewegung des rechten und
linken Fusses bewerkstelligt. Das gabelige Telson der Zoea ist in eine
rundliche Schwanzplatte übergegangen.
Die verschiedenen Brachyurenmegalopen zeigen ebenfalls im Einzelnen
ziemliche Variationen, auf welche Dana verschiedene Genera (Marestia,
Monolepis, Cyllene, Triloba) begründete. Hinsichtlich der noch
vorhandenen Reste der Zoeastacheln zeigen die jüngsten Megalopen der ver-
schiedenen Formen ein abweichendes Verhalten. Während dieselben nach
Spence Bäte (No. 97) bei Carcinus Maenas noch ansehnlich erhalten
sind, erscheinen sie in anderen Fällen mehr rückgebildet, können sogar
(Portunus) an dem jüngsten aus der Metazoea sich entwickelnden Megalopa-
stadium vollkommen fehlen.
Die Megalopa geht allmählich unter
ausgebildete Form (Fig. 316 C) über.
mehrfachen Häutungen in die
Die
Veränderungen
während
dieser Periode, welche von Brook (No. 106) für Carcinus maenas
geschildert worden sind, beziehen sich auf Aenderungen in der Gestalt
des Rückenschildes und auf die für die Brachyuren typische Rückbildung
des Abdomens, welches von nun an ventralwärts
getragen
wird.
eingeschlagen
Während die Metamorphose der weitaus meisten Brachyuren in der ge-
schilderten Weise abläuft, erleidet sie doch in einzelnen Fällen durch Aus-
fall bestimmter Stadien eine beträchtliche Abkürzung. Ein interessanter
Fall dieser Art liegt für Pin-
n i x a vor , bei welcher Form
sich aus dem Metazoeastadium
bei der letzten Häutung der-
selben direct eine junge Krabbe
entwickelt, so dass bei dieser
Form das Megalopastadium
vollständig in Ausfall gekom-
men ist (W. Faxon No. 126).
In anderer Weise erscheint
die Metamorphose einiger Land-
krabben und der Süsswasser-
krabben abgekürzt. Wir wis-
sen durch Westwood (No.156),
dass die Jungen einer G e car-
cinus-Art das Ei in einem Zustande
man von dem Mangel der Pleopoden absieht, vollkommen «^ ^.^^
Form gleichen. Dagegen fand Thompson bei anderen Gecarcinus-
arten, dass die Jungen als Zoeen aus dem Ei schlüpfen. In ähnlicher
Weise verhalten sich auch andere Landkrabben (Ocypoda, Gelasimus);
es scheint demnach, dass bei den meisten landbewohnenden Krabben die
Metamorphose keine Abkürzung erfahren hat, und dass die jungen Zoeen in
das Meer abgesetzt werden, womit die regelmässigen Wanderungen der Land-
krabben nach dem Meere in Zusammenhang stehen (F. Müller No. 16).
Dagegen stimmt es mit dem Verhalten der übrigen im Süsswasser
lebenden Decapoden (z. B. Palaemonetes, Astacus etc.) überein, dass
die Süsswasserkrabben eine Abkürzung der Metamorphose erlitten haben.
Fig. 317. Jüngstes aus dem Eie schlüpfen-
des Stadium von Telphusa fluviatilis (nach
Mercanti).
A Dorsalansicht, B Seitenansicht.
verlassen, in welchem sie, wenn
der ausgebildeten
482 XV. Capitel.
Wir wissen dies durch F. Müller für Trichodact ylus (No. 143), durch
Göldi (No. 129) für Dilocarcinus und durch Mercanti (No. 139) für
Telphusa. Hier kommen die Jungen (Fig. 317) in einer Form aus dem
Ei, welche dem ausgebildeten Zustande nach jeder Hinsicht bereits sehr
ähnlich ist. Die Augen erscheinen noch verhältnissmässig gross, der Cephalo-
thorax durch die Anwesenheit von Nahrungsdottermassen im Inneren stark
aufgetrieben. Das Abdomen entbehrt der Pleopoden. Bei Dilocarcinus
sind die einzelnen Abdominalringe noch völlig getrennt und haben noch
nicht die für die ausgebildete Form charakteristischen Verschmelzungen ein-
gegangen.
11. Stoiiiatopoden.
Die Stomatopoden stellen einen Zweig der höhereD Crustaceen
dar, welcher sich sehr frühzeitig von der gemeinsamen Wurzel des
Malacostrakenstammes abgetrennt hat und in dessen Organisation neben
eigenartigen Entwicklungsformen sich sehr ursprüngliche Charaktere
erhalten haben. Zu letzteren haben wir das lange, mit zahlreichen
Spaltenpaaren versehene Rückengefäss, sowie das Verhalten des Rücken-
schildes zu rechnen, welcher die Segmente der' Kieferfüsse zwar dorsal-
warts überdeckt, aber mit denselben keine Verwachsung eingeht. Als
ursprünglicher Charakter ist vielleicht auch das Vorhandensein von
10 Paaren segmental angeordneter Leberschläuche zu betrachten, welche
zum Theil dem Abdomen angehören. Ueberhaupt ist die Einlagerung
wichtiger innerer Organe (Leberschläuche, Genitalorgane, Herz) in das
mächtige Abdomen ein unterscheidender Charakter der Stomatopoden
gegenüber den übrigen Malacostraken , bei denen dieser Körperabschnitt
zu einem fast ausschliesslich miisculösen, der Bewegung dienenden Organ
umgebildet ist.
Dementsprechend zeigt auch die Metamorphose der Stomatopoden
eigenartige Charaktere, wenngleich eine gewisse gleichgerichtete Ent-
wicklungstendenz gegenüber den anderen Malacostraken nicht zu
verkennen ist. Unsere Kenntniss der Stomatopoden-Metamorphose ist
trotz der grundlegenden Arbeiten von Claus (No. 87) und Brooks
(No. 83 und 84) noch immer eine ziemlich lückenhafte, besonders
insoweit es sich um die ersten, aus dem Eie schlüpfenden Stadien, sowie
um die Zurückführimg der oft stark variirenden Larvenformen auf die
zugehörigen, weniger variirenden Geschlechtsthiere handelt. Im Allge-
meinen können wir zwei, allerdings durch Zwischentypen mit einander
verbundene Larventypen unterscheiden, welche früher als besondere
Genera: Erichthus und Alima aufgeführt wurden. Von diesen zeigt
die Erichthusform die ursprünglicheren Verhältnisse der Metamorphose,
so dass wir sie in der Schilderung voranstellen.
Die jüngsten bekannt gewordenen Stadien der Erichthusreihe, welche
wahrscheinlich in dieser Form aus dem Eie entschlüpfen, werden als
Erichthoidina bezeichnet. Die jüngste, durch Fr. Müller und
Claus (No. 87) bekannt gewordene Larve von 2 mm Länge lässt drei
Körperregionen erkennen: eine vorderste ungegliederte, cephalische
Region, welche die Augen, Fühler und Mundtheile trägt und die nach
hinten vorragende Duplicatur des Rückenschildes entwickelt, eine mittlere
aus acht Segmenten bestehende Thoraxregion, von welcher die fünf vorderen
Segmente copepodenähnliche Spaltbeine tragen, während dieselben sowie
die drei hinteren, gliedmaassenlosen Segmente unter dem Rückenschilde
Crustaceen.
483
versteckt liegen. Die hinterste Körperregion, das noch völlig ungegliederte
Abdomen, ist in der Form einer flachen Schwanzplatte entwickelt. Der
Rückenschild erinnert in seiner Bewaffnung an die Protozoeastadien von
Lucifer. Wir erkennen ein nach vorne vorspringendes Rostrum, einen
kurzen, unpaaren, am hinteren Rande vorspringenden Medianstachel,
sowie zwei längere, hintere Seitenstacheln (Vgl. Fig. 318 A). Neben
dem Naupliusauge sind bereits die gestielten paarigen Augen an der
Unterseite des Rückenschildes eingefügt. Die beiden Antennenpaare sind
Fig. 318. Verschiedene auf einander folgende Erichthoidinastadien
(nach Claus).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, ax — a6 erstes bis sechstes Pleopodenpaar,
/ — V erstes bis fünftes Maxillarfusspaar, 6, 7, 8 sechstes bis achtes, in diesen Stadien
gliedmaassenloses Thoraxsegment.
noch kurz, einästig. Die Mandibel entbehrt des Tasteranhanges, die
beiden Maxillenpaare sind in sehr rudimentärer Form als kleine Lappen
vorhanden. Die nun folgenden fünf Schwimmfusspaare (Fig. 318 A, I — V),
welche zweiästig und an den Enden mit Ruderborsten besetzt sind, ent-
sprechen den späteren fünf Maxillarfusspaaren , während die darauf
folgenden drei gliedmaassenlosen Segmente (6, 7, 8) später die spaltästigen
Gangbeine tragen. Das vorliegende Stadium zeigt demnach sämmtliche
484
XV. Capitel.
Thoraxsegmente, deren fünf vordere mit Gliedmaassen versehen sind,
vollkommen gesondert, während das Abdomen noch ungegliedert erscheint.
In den nun folgenden Stadien werden die Abdominalsegmente der
Reihenfolge nach angelegt. Gleichzeitig sprossen aber auch die
zugehörigen Pleopodenanlagen hervor, während an den drei letzten
Thoraxsegmenten noch lange keine Spur von Gliedmaassenanlagen zu
bemerken ist. Es ergiebt sich hieraus, dass für die Stomatopoden-
metamorphose die ursprüngliche Reihenfolge der Segmentknospung von
vorne nach hinten eingehalten wird, während
für die Gliedmaassenknospung diese Reihenfolge
durch das späte Auftreten der Extremitäten-
anlagen an den drei
ten
hintersten Thoraxsegmen-
unterbrochen erscheint.
Das nächste Stadium (von 3 mm Länge)
(Fig. 318 Ä) zeigt das erste Abdominalsegment
abgesondert und an demselben bereits die
noch borstenlose Anlage des ersten Pleopoden-
paares hervorgesprosst (a,). An den vorderen
Antennen ist die Anlage einer Nebengeissel als
kurzer conischer Fortsatz zu erkennen. Auch
an den fünf Ruderfusspaaren sind Veränderungen
zu bemerken. Besonders an dem zweiten dieser
Extremitätenpaare zeigt sich der Endopodit als
Anlage des späteren mächtigen Raubfusses ver-
grössert.
In den nun folgenden Stadien (Fig. 318 J5,
C) werden allmählich die einzelnen Abdomi-
nalsegmente, sowie die zugehörigen Extremi-
tätenanlagen der Reihenfolge nach producirt.
Hierbei erscheinen die vorderen Pleopodenpaare
bereits als lamellöse, zweiästige, mit Borsten
versehene Anhänge entwickelt, während die der
hinteren Segmente noch mehr rudimentäre Ge-
stalt (a1—aG) aufweisen. Auch das sechste
Pleopodenpaar (a6), welches später als Seiten-
gliedmaasse des Schwanzfächers zu mächtiger
Entfaltung kommt, macht hievon keine Aus-
nahme, sondern wird zuletzt in einer den
übrigen Pleopodenanlagen vollkommen gleichen
Weise erzeugt.
Inzwischen erfahren die Extremitäten der
vorderen Körperabschnitte — vor Allem die der
Maxillarfussregion — wichtige Veränderungen.
An den vorderen Antennen (Fig. 31 8 D, a') kann
man einen deutlich dreigliedrigen Schaft, einen
kürzeren, mit Riechborsten besetzten Aussen-
ast und einen längeren Innenast (die später
entstandene Anlage der Nebengeissel) unter-
scheiden. Die zweiten Antennen zeigen neben der aus dem Endab-
schnitt hervorgegangenen Fächerplatte die knospenförmige Anlage einer
Geissei. Während die Mandibeln noch lange des Tasters entbehren, er-
scheinen an den beiden Maxillenpaaren kurze Tasteranlagen. Von den
Maxillaifüssen (Fig. 318 B, C, D, I und II) wandeln sich die beiden
Fig. 319. AelteresErich-
thusstadium(nach Claus).
a' erste Antenne, a" zweite
Antenne, 1 — V Kieferfuss-
paare, VI — Till Anlagen der
drei Gangbeinpaare, a1 — «6
erstes bis sechstes Pleopoden-
paar, br Kiemenanlagen.
Crustaceen.
485
vorderen nach der Richtung der definitiven Gestaltung um; der als
Schwimmfussast fungirende Exopodit wird rückgebildet und geht schliess-
lich vollkommen verloren, während der Innenast des ersten Paares
verhältnissmässig klein bleibt und an seinem Endabschnitt die Anlage
einer kleinen Greifzange allmählich zur Entwicklung bringt. Der
Endopodit des zweiten Paares dagegen wird frühzeitig zu dem mächtigen
Raubfusse umgebildet. Gleichzeitig sprossen an den Basalgliedern beider
Extremitätenpaare die rundlichen, noch unbeborsteten Epipodialplatten.
Die drei folgenden Spaltfusspaare unterliegen inzwischen
einem ungemein interessanten Rückbildungsprocesse,
durch welchen die Umwandlung derselben in die definitive Form ein-
geleitet wird. Während auch hier
der Exopodit allmählich völlig
verschwindet, geht der Endopodit
in die Form eines unbeborsteten,
ungegliederten Rudimentes über,
aus welchem erst in den späte-
ren Stadien die definitive, mit
kurzer Greifhand endigende
Gliedmaasse hervorgebildet wird.
Ja, die Rückbildung dieser drei
Extremitätenpaare kann so weit
gehen, dass dieselben voll-
ständig verschwinden, um
erst in späteren Stadien gleich-
zeitig mit den Extremitätenan-
lagen der drei folgenden Thorax-
segmente (des VI. - VIII. Thorax-
segmentes) wieder hervorzuknos-
pen. Im letzteren Falle liegt
uns dann eine Larvenform vor,
welche durch den Besitz der sie-
ben vorderen Extremitätenpaare
und den Mangel der dahinter fol-
genden sechs Thoraxbeinpaare
mit der Zoea der übrigen Malaco-
straken eine gewisse Ueberein-
stimmung aufweist, und welche
daher als Pseudozoea (Fig.
320) der Stomatopoden bezeich-
net worden ist. Letzterer zuerst
von Fritz Müller beschriebene Larventypus kommt nach Claus vor
Allem bei jenen Larvenreihen vor, welche den Gattungen Pseudo-
squilla und Gonodactylus zugehören und welche von Brooks als
Pseuderichthus und Gonerichthus bezeichnet wurden; er findet
sich jedoch nach Brooks auch in der Entwicklungsreihe der zur Gattung
Lysiosquilla führenden L y s i e r i c h t h e n.
Spätere Entwicklungsstadien, welche sich durch die Ausbildung des
sechsten Pleopodenpaares zu den Seitengliedmaassen des Schwanzfächeis
auszeichnen, vermitteln den Uebergang zum eigentlichen Erichthus-
stadium (Fig. 319), indem die drei hinteren Maxillarfusspaare allmählich
in der definitiven Gestalt hervorsprossen und gleichzeitig die bisher noch
fehlenden Extremitätenpaare der drei letzten Thoraxsegmente als Knospen
Kors che! t- Heider . Lelirtmeli. 32
Fig. 320. S quill oidlarve (sog.
Pseudozoea) (nach Claus).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, i,
II erstes und zweites Maxillarfusspaar, ep Epi-
podialanhang, a1— a6 erstes bis sechstes Pleo-
podenpaar.
486
XV. Capitel.
angelegt werden. Wenn an den drei letzten Maxillarfusspaaren die
Anlage der rundlichen Greifhand zu erkennen ist, und die Extremitäten
der drei letzten Thoraxsegmente als bald zweiästig werdende Schläuche
zu erkennen sind , so erscheint das Erichthusstadium erreicht,
welches demnach bereits sämmtliche Extremitätenpaare der ausgebildeten
Form besitzt. Der Uebergang in die geschlechtsreife Form vollzieht sich
ganz allmählich, indem das Abdomen stetig an Grösse zunimmt und an
den Exopoditen der Abdominalextremitäten die Kiemenschläuche (br)
hervorsprossen. Jene Larven-
formen, welche diesen Ueber-
gang zur geschlechtsreifen Form
vermitteln , werden , wenn sie
breit und gedrungen erscheinen
und den Habitus der Erichthus-
form beibehalten haben, als
S quill e ri cht hus bezeichnet,
während gewisse Entwicklungs-
reihen, welche schon im Erich-
thoidina- und Erichthusstadium
durch ihre schlanke Gestalt auf-
fallen, aus letzterem in ein dem
Habitus nach der ausgebildeten
Form ähnlicheres Squilloid-
stadium (Claus) eintreten.
Eine zweite Entwicklungs-
reihe der Stomatopoden ist als
die der A 1 i m a f o r m e n bezeich-
net worden. Die Alimalarven
(Fig. 321) unterscheiden sich
durch ihre bedeutende Grösse,
durch die gestreckte Körperform,
durch den flach ausgebreiteten
Cephalothoraxschild, welcher ge-
wöhnlich die hinteren Thorax-
segmente nicht überdeckt, durch
die weit nach hinten gerückte
Lage des Mundes und durch ein
Zurücktreten des Vorderrandes
des Rückenschildes, wodurch es
bewirkt wird, dass die Insertions-
a
Fig. 321. Junge Alimalarve (nach
Brooks).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne, J,
II erster und zweiter Maxillarfuss , 6 , 7 . S
sechstes bis achtes Thoraealsegment ,
erstes bis fünftes Pleopodenpaar.
bloss vom Rostrum überdeckt er-
scheint. Keines dieser Merkmale ist für die Unterscheidung der
Alima von den Erichthusformen völlig stichhaltig. Ja, es finden
Formen, welche durch den nach vorne gerückten Mund und
Bedeckung sämmtlicher Thoraxsegmente durch den Rückenschild
an Erichthus anschliessen, während sie durch die freie Lage der Augen-
stiele und die Abflachung des Cephalothorax Alimacharaktere aufweisen.
Diese Uebergangs-Formen hat man als AI im erichthus unterschieden.
Die jüngsten bekannt gewordenen Alimastadien (Fig. 321)
schliessen sich sehr nahe an die oben für die Erichthusreihe ge-
schilderte Pseudozoea an. Die vorderen Antennen zeigen bereits die
Anlagen der Nebengeissel , während an der mit ovaler Platte endenden
stelle der Augenstiele dorsalwärts
sich
die
sich
C'rustaceen. 437
zweiten Antenne die Geisselanlage noch fehlt. Von den Maxillarfüssen
sind die des ersten Paares (7) in gestreckter Tasterform, die des zweiten
Paares (77) in der definitiven Raubfussform entwickelt. Die drei
folgenden Maxillarfusspaare (III. — V. Maxillarfusspaar), sowie die drei
spaltästigen Gangbeinpaare fehlen noch vollständig. Die Segmente
dieser letzteren können noch undeutlich gesondert sein. Von den
Pleopoden sind die vier vorderen Paare wohl entwickelt, während das
fünfte und sechste Abdominalsegment noch kaum in der Anlage vorhanden
sind und der Extremitätenanlagen noch entbehren. Es scheint, dass die
Alimalarven in der beschriebenen Form (vgl. die Note von P. Mayer
JS'o. 138, pag. 219) aus dem Eie entschlüpfen; hiernach würde die
Metamorphose der Alimareihe als eine durch Unterdrückung der Erich-
thoidinastadien abgekürzte erscheinen. Die weitere Entwicklung verläuft
bei den Alimaformen in übereinstimmender Weise, wie bei den
Erichthusformen.
Die Zurückführung einzelner Entwicklungsreihen auf bestimmte Gattungen
und Arten der Stomatopoden ist bei der Schwierigkeit der Beschaffung con-
tinuirlicher Entwicklungsserien noch kaum durchzuführen. Doch muss es
nach den Ausführungen von Brooks (No. 84) als wahrscheinlich bezeichnet
werden, dass die Alima- und Alimerichthus formen die Larven der
Gattung Squilla darstellen. "Wenigstens ist es W. Faxon gelungen, aus
einer vorgeschrittenen Alima das Jugendstadium von Squilla empusa zu er-
ziehen. In Alimerichthus glaubt Brooks die Larven der mit Squilla mikro-
phthalma näher verwandten Arten erkennen zu können. Viel schwieriger zu
entscheiden ist die Frage , in welcher Weise sich die vielfach ineinander
übergehenden Erichthusformen auf die übrigen Stomatopodengenera ver-
teilen. Doch hat schon Claus gewisse Erichthusformen mit hohem, seitlich
comprimirtem Stirnstachel und kurzem Schalenpanzer (Pseuderichthus
Brooks) auf die Gattung Pseudosquilla bezogen, während er ähnliche
durch den seichtgewölbten Rückenschild, die Länge des Rostrums und der
einander nahegerückten hinteren Seitenstacheln, vor Allem aber durch den
Mangel der Bezahnung am Endglied des grossen Raubarmes charakterisirte
Formen (Gonerichthus Brooks) auf G o n o d a c t y 1 u s zurückführte. Eine
andere Reihe von Larvenformen (Erichthus Duvaucellei und multispinosus).
welche sich durch den hochgewölbten Rückenschild, durch das flache Abdomen,
die sehr weit von einander entfernt stehenden, hinteren Seitenstacheln, sowie
durch die ventralwärts eingeschlagenen Seitenränder des Rückenschildes
charakterisiren , kann nach dem Vorhandensein zahlreicher Zähne am End-
gliede des Raubfusses mit Brooks auf Lysiosquil la bezogen und demnach
als Lysio erichthus bezeichnet werden. Es gelang Brooks, für eine dem
Lysioerichthus multispinosus nahestehende Larve, den directen Uebergang in
Lysiosquilla excavatrix zu beobachten. Hinsichtlich anderer, schwieriger ein-
zuordnender Larvenformen muss im Auge behalten werden, dass unsere Kennt-
niss der ausgebildeten Formen noch keineswegs abgeschlossen ist, wie durch
gelegentliche Funde (vgl. die merkwürdige, durch Hilgendorf entdeckte
Pterygosquilla) bewiesen wird Neuerdings hat man auch fossile Stoma-
topodenlarven kennen gelernt.
12. Cuniaceen.
Die Gruppe der Cuniaceen, welche eine vermittelnde Stellung zwischen
den Schizopoden und Arthrostraken (vor Allem den Anisopoden) einnimmt,
zeigt eine abgekürzte, ziemlich directe Form der Entwicklung. Wie bei den
32 '
488
XV. Capitel.
Mysideen (vgl. oben pag. 353 und 444) ist die Metamorphose fast aus-
schliesslich auf die im Brutraume der Mutter durchlaufenen Stadien reducirt.
Die Embryonen erinnern durch ihre dorsale Einkrümmurig, sowie durch das
Vorhandensein des Dorsalorgans an die Isopoden. Das im ausgebildeten
Zustande meist unpaare zusammengesetzte Auge entsteht durch Verschmelzung
einer paarigen Anlage. Die aus dem Brutraum ausschlüpfenden Jungen
entbehren noch des letzten Thoracalbeinpaares und erinnern in dieser Hinsicht
an die Isopoden. Von den Pleopoden ist nur das sechste Paar (Uropoden)
wohl entwickelt. Die fünf vorderen Paare fehlen den Jungen (wie dies auch
bei den Anisopoden der Fall ist) und kommen überhaupt nur bei den Männ-
chen zu theilweiser Entwicklung (Dohrn No. 96).
13. Anisopoden.
Von den Arthrostraken weisen die A n i s o p o d e n (A p s e u d e s , T a n a i s)
die ursprünglichsten, zu den Schizopoden hinführenden Verhältnisse auf. Die
Embryonalentwicklung und der grösste Theil der Metamorphose läuft hier
im Brutraume der Mutter ab (wie bei Mysis und den Cumaceen). Die aus
dem Brutraume ausschlüpfenden Jungen
(Fig. 322) unterscheiden sich, wie die
der Isopoden von der ausgebildeten Form
durch den Mangel des letzten Thorax-
beinpaares. Es fehlen ihnen ausserdem
(und hierdurch schliessen sie sich an die
Cumaceen an) noch sämmtliche Pleo-
poden mit Ausnahme des sechsten Paares
(ab 6) , welches fadenförmige Schwanz-
anhänge darstellt. Von grossem Interesse
ist das Vorhandensein einer flügeiförmi-
gen, seitlich abstehenden Schilddupli-
catur (jjs) des Cephalothorax , wodurch
die Ableitung der Arthrostraken von einer
mit einem Rückenschilde versehenen
Stammform ermöglicht und ausserdem
die Deutung der lappenförmigen An-
hänge des Asellusembryos festgestellt
(Claus) erscheint. Vgl. oben pag. 352.
14. Isopoden.
lieber die Entwicklung des Em-
bryos der Isopoden haben wir bereits
oben (pag. 349 u. ff.) Einiges erwähnt, vor
Allem die charakteristische, dorsale Ein-
krümmung desselben , sowie die Ausbil-
dung des Dorsalorgans. Auch hier werden,
nachdem die vollzählige Gliederung des
Körpers zu erkennen ist und die Extre-
mitätenanlagen aufgetreten sind, die Ei-
hüllen gesprengt, und die junge, noch un-
bewegliche, madenförmige Larve erfährt
bloss von der Naupliuscuticula um-
hüllt — im Brutraume ihre weitere Ent-
Fig. 322. Junge dem Brutraum
entnommene Larve von Apseudes
L a t r e i 1 1 i i (nach Claus).
II — VII zweites bis siebentos
Thoraxsegment, ! — (> erstes bis sechs-
tes Abdominalsegment, a' erste Antenne,
a" zweite Antenne, ab6 sechstes Pleo-
podenpaar, cp Epipodialanhang des
Maxillarfusses, ex Exopoditen des ersten
und zweiten Thoraxbeinpaares, tnxf
Maxillarluss , p\ p2 erstes und zweites
Thoraxbeinpaar, ps Panzersehild.
Crustaceen. 439
Wicklung (Asellus). Wenn dieselbe den Brutraum verlässt, so gleicht sie in
den allgemeinen Verhältnissen der Körpergliederung bereits dem ausgebildeten
Thiere, von dem sie sich nur durch die verhältnissmässige Grösse des Kopfes
und der Augen , durch die theihveise unvollständige Gliederung und Beborstung der
Gliedmaassen, vor Allem aber durch den Mangel des letzt en Thorax-
beinpaares unterscheidet. Durch allmähliche, durch mehrere Häutungen
vermittelte Umwandlungen geht diese Jugendform in die ausgebildete Form
über. So unterscheiden Schiödte und M einer t (No. 175) für die Aegiden
(und Cymothoiden überhaupt) drei aufeinanderfolgende Larvenstadien,
von denen das jüngste noch im Brutraum der Mutter befindliche, durch den
Mangel der Beborstung . der Extremitäten und des Telsons kenntlich ist.
Das zweite, frei umherschwimmende Larvenstadium hat diesen Borstenbesatz
bereits ausgebildet, während das dritte Larvenstadium die Extremitätenanlag^n
des letzten Thoraxsegmentes zur Entwicklung bringt. Bei den Cymo-
thoinen gehen sodann mit der Metamorphose gewisse durch den Parasitismus
bedingte Rückbildungscrscheinungen Hand in Hand, welche in der Verkürzung
der Antennen und der Umbildung der Thoraxextremitäten zu Greifhaken
zum Ausdrucke kommen.
In einzelnen Fällen führen diese durch den Parasitismus hervorgerufenen
Reductionen zu einer viel deutlicheren Ausprägung der Metamorphose, sowie
auch die sexuelle Heteromorphie schärfer hervortritt, als dies bei den frei
lebenden Isopoden stattfindet. Dies ist in den Familien der Anceiden,
Bopyriden und Entonisciden der Fall.
Bei den Anceiden, deren weibliche (P r a n i z a-) Form durch
den kleinen dreieckigen Kopf und die Verschmelzung der drei hinteren
Thoraxsegmente zu einem sackförmigen Abschnitt sich sehr deutlich von der
geschlechtsreifen männlichen Form (Anceus) mit gedrungenem Körperbau,
quadratischem, breitem Kopfe und hirschkäferartigen Greifzangen unterscheidet,
weisen die Jugendformen im Allgemeinen den gestreckteren Pranizatypus auf,
lassen jedoch schon in den frühesten Stadien eine Andeutung jenes sexuellen
Dimorphismus erkennen, insoferne bei den zu Weibchen sich umbildenden
Larven die Verschmelzung der drei hinteren Thoraxsegmente bereits auge-
deutet erscheint, während letztere bei den jungen männlichen Formen deut-
lich getrennt sind. Diese pranizaähnlichen jungen Larven führen eine
parasitische Lebensweise (an Fischen). Demgemäss besitzen sie saugende,
unter einer grossen Oberlippe nach vorne gestreckte Mundwerkzeuge. Man-
dibeln und Maxillen erscheinen als tasterlose, stiletförmig zugespitzte, zum
Theil (Mandibel und zweite Maxille) am Ende bezahnte Stechwerkzeuge; es
folgen zwei Paare von Maxillarfüssen , deren Segmente mit dem Kopfe ver-
schmolzen sind. Von diesen bildet das vordere, ebenfalls ziemlich lang-
gestreckte, eine Art Unterlippe, während das zweite mit einem Klammer-
haken endigt. Die fünf nach hinten folgenden Thoraxsegmente (das dritte
bis siebente), von denen die drei hinteren im weiblichen Geschlechte ver-
schmelzen , tragen fünf zu Klammerhaken umgewandelte Thoraxbeine. Das
achte Thoraxsegment, ist als ganz rudimentäre Anlage erhalten; es folgt ein
mit zweiästigen, zum Schwimmen verwendeten Pleopoden besetztes, wohlge-
gliedertes Abdomen. Bei der Umwandlung in die ausgebildete Form gehen
die Oberlippe, sowie die Kieferpaare völlig verloren, während die Maxillar-
fusspaare sich bedeutend verändern. Sie werden zu lamellären, der Wasser-
bewegung dienenden Organen umgebildet. Bei den weiblichen Larven ver-
kleinert sich der Kopf, die Augen erleiden eine Rückbildung, während bei
den männlichen Larven der Kopf zu einem mächtigen, allerdings auch mit
rückgebildeten Augen versehenen, quadratischen Körperabschnitt auswächst,
490
XV. Capitel.
welcher nach vorne, zu den Seiten der ganz rudimentären Oberlippe, zwei
starke Greifzangen entsendet. Letztere würden wir geneigt sein, auf die
Mandibeln der Jugendform zu beziehen, wenn nicht Dohrx beobachtet hätte,
dass sie unabhängig von diesen eine selbstständige Entstehung nehmen (vgl.
die Angaben von Spence Bäte (No. 161), Hisse (No. 168) und Dohkn
(No. 164).' —
Bei den mit saugenden, sehr rückgebildeten Mundwerkzeugen versehenen
und parasitär stark umgewandelten Bopyriden kommt es in ähnlicher
Weise, wie bei manchen parasitischen Copepoden (Lernaeopodiden) zur Ent-
wicklung eines auffallenden sexuellen Dimorphismus, indem die weniger rück-
gebildeten, aber kleinen Männchen den grossen, stark deformirten Weibchen
als „Zwergmännchen'' aligeheftet er-
schienen. Bei den Männchen (vgl. Fig.
324 Ä) erhält sich im Allgemeinen der
asseiförmige Habitus; der Körper bleibt
symmetrisch , deutlich segmentirt , die
Augen erhalten sich, wenngleich im rück-
gebildeten Zustande. Bei den Weibchen
dagegen sind die Augen fast vollständig
verloren gegangen ; der scheibenförmig
verbreiterte Körper ist asymmetrisch ge-
staltet, die einzelnen Segmente desselben
vielfach undeutlich von einander abge-
setzt. Im Bereich des Abdomens kann
allerdings die Segmentirung in beiden
Geschlechtern rückgebildet werden.
Die aus dem Brutraume ausschlüpfen-
den Larven der Bopyriden (Fig. 323)
zeigen wohlentwickelte, gegliederte Anten-
nen, von denen die des zweiten Paares
vorwiegend als locomotorische Organe zur
Verwendung kommen. Die Mundwerk-
zeuge haben bereits die für die Bopyri-
den charakteristische Bildung. Von
Klammerbeine entwickelt. Das letzte
wie bei sämmtlichen Isopodenlarven —
Die Abdominalsegmente erscheinen zum grössten
nur die beiden letzten sind mit dem Telson ver-
Fig. 323. Larve von Bopyrus
virbii mit sechs Brustbeinpaaren (nach
Walz).
a' erste Antenne, a" zweite Antenne,
nid Mandibel, ul Unterlippe, abs erstes
Abdominalsegment.
Thoraxanhängen sind sechs Paar
Thoraxsegment entbehrt noch
der Extremitätenanlage.
Theile deutlich getrennt;
schmolzen. Es zeigen sich fünf zweiästige (bei manchen Formen nur ein-
ästige), als Ruderbeine verwendete Pleopodenpaare, während die des sechsten
Segmentes (Uropoden) als Schwanzgriffel zur Entwicklung gekommen sind.
Sexuelle Unterschiede sind an den Larven dieser Stadien, welche frei um-
herschwärmen und das spätere Wohnthier aufsuchen , noch nicht zur Ent-
wicklung gekommen.
Nach erfolgter Festsetzung in der Kiemenhöhle des Wirthes (Carididen)
erfolgt die weitere Entwicklung unter Ausbildung des letzten Thoraxbeinpaares,
bedeutender Rückbildung der Antennen und der Pleopoden, bis endlich die
oben geschilderte, reducirte, ausgebildete Form erreicht erscheint. An letzterer
zeigt das Abdomen in vielen Formen der Lage nach den Pleopoden ent-
sprechende ungegliederte Schläuche oder Lamellen , welche vielleicht als
Respirationsorgane von Bedeutung sind. Letztere wurden früher vielfach
als umgewandelte Pleopoden in Anspruch genommen. Doch hat Kossmann
darauf hingewiesen, dass sie erst nach vollständigem Schwunde der letzteren
Crustaceen.
491
als Neubildungen angelegt werden. Mit diesem Nachweise ist allerdings die
Pleopodennatur der in Rede stehenden Anhänge nicht zurückgewiesen , da
vielfach in der Metamorphose der Crustaceen einzelne Anhänge völlig rück-
gebildet werden, um später wieder zu erscheinen.
Die bedeutendsten parasitären Umgestaltungen der Weibchen finden wir
in der Gruppe der Entonisciden, welche — ■ wie durch die neueren
Untersuchungen von Giard und Bonniek (No. 167) bestätigt wurde — in
die nächste Verwandtschaft der Bopyriden zu stellen sind. Diese Parasiten
finden sich im Inneren der Leibeshöhle ihrer Wirthe (Krabben, Paguriden),
müssen jedoch als Ectoparasiten bezeichnet werden, da sie von einem durch
ii-
Fig. 3*24. A Männchen eines Entonisciden (Cancrion miser), B junge Larve
eines Entonisciden (Portunion Maenadis) (nach Giard und Bonnier, aus Lang's
Lehrbuch).
a1 erste Antenne, a2 zweite Antenne, ab Abdomen, au Auge, h Hode, he Herz,
l Leberschläuche, plt — plG erstes bis sechstes Pleopodenpaar, r Eostrum, t.2 — t-t Beinpaar
des zweiten bis siebenten Thoraxsegmentes, th Thorax.
Einstülpung der äusseren Körperoberfläche (Kiemenhöhlenwand des Wirthes)
entstandenen chitinösen Sacke umschlossen sind. An dem dorsalwärts ein-
gekrümmten, sehr merkwürdig gestalteten Körper des Weibchens (Fig. 325 B)
unterscheidet man einen rundlichen Kopfabschnitt (cg) mit stechenden Mund-
werkzeugen und Antennenrudimenten (ae. ai), einen ungegliederten Thorax-
abschnitt (th) , welcher die ventrale durch Lamellen der Beine gebildete
492
XV. Capitel.
Bruthöhle (Fig. 325-4) trägt, und ein segraentirtes Abdomen (ab) mit
säbelförmigen oder lamellösen (en3) Pleopoden. Die kleinen Männchen
(Fig. 324 A) sitzen dem Weibchen auf und sind im Habitus den Bopyriden-
männchen ähnlich, von denen sie sich durch die Abwesenheit des letzten
Thoraxbeinpaares (welcbes rückgebildet wird) und der zweiten Antennen
unterscheiden. Die jungen Larven (Fig. 324 B) sind denen der Bopyriden
ungemein nahestehend und besitzen stets paarige Augen (au), zum Theil
auch ein Naupliusauge (Grapsion). Sie unterscheiden sich von den Bopyriden-
larven hauptsächlich durch die für die einzelnen Genera variirende und von
der der übrigen Toraxbeine abweichende Gestaltung des vorletzten Thorax-
beinpaares (t-,). Das letzte fehlt, wie bei allen Isopoden. Ein späteres
Fig. 325. Ausgewachsene Weibchen eines Entonisciden (Portunion Maenadis)
(nach Giard und Bonnier, aus Lang's Lehrbuch).
A mit in der ventralen Medianlinie tlieihveise geöffneter Bruthöhle und aus-
einandergelegten Brutlamellen. Abdomen {ab) in der Ansicht von der Ventralseite.
B ohne geöffnete Bruthöhle, Dorsalansicht des Abdomens (ab).
Ir die vorderen , mittleren und hinteren Lappen der rechten ersten Brutlamelle,
II dieselben der linken ersten Brutlamelle , Ilr, III rechte und linke Brutlamelle des
zweiten Paares, Illr, IIB rechte und linke Brutlamelle des dritten Paares, IV vierte
Brutlamelle, Vr , VI rechte und linke Brutlamelle des fünften Paares, ab Abdomen,
ae äussere, ai innere Antenne, ex2 Exopodit des zweiten Pleopodenpaares, enz Endopodit
des dritten Pleopodenpaares, cg Kopfabschnitt (sog. Cephalogaster), h Herzbuckel,
mf Maxillarfuss, pl Pleurallamelle des ersten Abdominalsegmentes, ov Ovarium, th Thorax.
Stadium (stade cryptoniscien) hat dies fehlende Beinpaar zur Entwicklung
gebracht. Die Larven dieses Stadiums werden als Complementärmännchen
geschlechtsreif, wie denn überhaupt bei Isopoden protandrischer Herma-
phroditismus verbreitet erscheint (Bullae, P. Mayee). Sie wandeln sich
später in Weibchen oder in die rückgebildeten definitiven männlichen Formen
um (Giaed et Bonniee Ko. 167).
Crustaceen. 493
15. Aniphipodeii.
Die Embryonen der Amphipoden, welche sich — wie oben (pag. 349)
bemerkt wurde — durch ihre ventrale Einkrümmung im Eie von denen der
Isopoden unterscheiden, erhalten bereits die volle Zahl der dem ausgebildeten
Thier zukommenden Körpersegmente und Beinpaare. Selbst die Verwach-
sungen, welche zwischen einzelnen Segmenten bei einigen Formen eintreten,
werden bereits im Embryo gebildet (F. Müller No. 16). Demnach redu-
cirt sich die Metamorphose eigentlich nur auf geringfügige Aenderungen der
Gestalt, die Vermehrung der Fühlerglieder und Riechfäden, sowie des Borsten-
besatzes und der Zähne. •
Eine etwas eingreifendere Metamorphose findet sich bei den Hyperi-
nen. Hier hat F. Müller an den eben ausgeschlüpften Jungen von Hy-
pe r i a die Pleopodenanlagen noch völlig vermisst, während Claus bei einer
an Discomedusa schmarotzende Hyperia an den eben ausgeschlüpften Larven
bereits die Pleopoden und Uropoden entwickelt fand. Im Allgemeinen fallen
die Jungen der Hyperiden, gegenüber den ausgewachsenen Formen, bei denen
die Augen oft eine excessive Entwicklung nehmen, durch die Kleinheit der
Augen und in Folge dessen des Kopfes auf. Oft unterscheiden sie sich auch
durch die Gestalt der Gliedmaassen. So fehlt den Jungen von Phronima
nach Pagenstecher die gewaltige Scheere am drittletzten Fusspaare. Für
die Platysceliden haben Spexce Bäte (No. 2) und neuerdings Claus
(No. 177) Angaben über auffällige Unterschiede zwischen der Jugendform
und der ausgebildeten Form gemacht, welche zum Theil sich schon auf den
allgemeinen Habitus beziehen. So erscheinen die Larven von Rhabdosoma
auffallend gedrungen, die von Eu typ bis dagegen langgestreckt. Die
Rhabdosomalarven erinnern an den Bau der Gattung Vibilia. Die Abdominal-
beine waren erst in der Form kleiner Rudimente angelegt. Die Eutyphis-
larven schlössen sich im Habitus an Gammariden an, so dass durch die
Jugendstadien die Ableitung der Hvperiden von Crevettinen gestützt erscheint
(Claus No. 177).
16. Allgemeines über die Crustaceenentwickluiig.
Das Studium der Metamorphose in der ungemein formenreichen
und mannichfaltigen Gruppe der Crustaceen gehört zu den anziehendsten
und interessantesten Themen der morphologischen Forschung. Vielfach
wurde auf einzelne Larvenzustände nach der phylogenetischen Richtung
grosses Gewicht gelegt. Wenn nun auch in neuerer Zeit die Nauplius-
und Zoeaform des Nimbus, als Stammformen der Crustaceengruppe
zu gelten, entkleidet erscheinen, so verliert desshalb die Betrachtung der
Crustaceen-Metamorphose doch nicht alle phylogenetische Bedeutung,
insoferne in der Art der Entwicklung sehr deutliche Hinweise auf die
verwandtschaftlichen Beziehungen der einzelnen Gruppen unter einander
zu erkennen sind. Von grossem Interesse ist auch die Betrachtung der
Ursachen, welche auf die Metamorphose der Crustaceen secundär ver-
ändernd eingewirkt haben.
Die Ansicht, dass das Naupliusstadium der hypothetischen
Stammform sämmtlicher Crustaceen entspräche, geht vor Allem auf Fritz
Müller (No. 16) zurück und fand in der Entdeckung dieses Forschers,
dass auch unter den Malacostraken eine Form (Penaeus) existire, deren
Metamorphose mit einem freilebenden Naupliusstadium beginnt, eine
nicht unerhebliche Stütze. Nachdem sich Haeckel (Generelle Mor-
494 xv- Capitel.
phologie) dieser Ansicht angeschlossen hatte, traten ihr die hervor-
ragendsten Forscher auf dem Gebiete der Crustaceen (Dohrn, Claus)
bei. Sie konnte lange als die herrschende Ansicht gelten. In welcher
Weise der Nauplius von niederen Thierformen abzuleiten, darüber äusserte
man sich nur in vorsichtiger Weise. Man musste an ungegliederte oder
nur aus wenigen Körpersegmenten bestehende Wurmformen denken,
und es wurden nach dieser Richtung am ehesten die Rotatorien oder
einfach gestaltete Annelidenlarven in Betracht gezogen.
In ähnlicher Weise wie der Nauplius für sämmtliche Crustaceen,
sollte die Z o e a als Stammform der höheren Crustaceen oder Malacostraken
gelten. Es war hierbei besonders der damalige Stand der Kenntnisse
über den Bau der Bracbyuren-Zoea massgebend. Ausgehend von der
Anschauung, dass die Segmente des Mittelleibes (die fünf hinteren
Thoraxsegmente) an der Zoea nur in nuce, oder — wie man vielfach
meinte — gar nicht vorhanden seien, stellte F. Müller (No. 16) die
Ansicht auf, dass die Malacostraken durch eine ganz andere Reihenfolge
in der Segmentbildung von den Entomostraken geschieden seien. Er
unterschied an dem Körper der Malacostraken vier Regionen, von denen
jede aus fünf Segmenten bestehen sollte: Urleib, Vorderleib, Mittelleib
und Hinterleib. Der Urleib geht direct aus dem Naupliuskörper hervor
und liefert die drei vordersten (I. Antenne, IL Antenne, Mandibel) und
die zwei hintersten Körpersegmente (Segment der Uropoden und das
Telson). Später schieben sich die jüngeren Körperregionen in die Mitte
des Urleibs ein, indem zuerst die Segmente des Vorderleibes (Maxillen
und Maxillarfüsse), dann die des Hinterleibes (5 vorderen Abdominal-
segmente) und ganz zum Schlüsse die des Mittelleibes (Segmente der
fünf Gangbeinpaare) gebildet werden sollten. Dieser Anschauung ist schon
1871 Claus durch den Hinweis auf die Entwicklung der Stomatopoden
entgegengetreten, bei denen, ganz ebenso wie bei den Phyllopoden,
die einzelnen Segmente successive in der Reihenfolge von vorne nach
hinten hervorsprossen.
Die Ansicht von dem Werth der Zoea als hypothetischer Stamm-
form wurde von Dohrn (No. 9) erweitert und modificirt. Auf Grund
gewisser Merkmale, in denen man auch bei den Entomostraken Zoea-
eigenthümlichkeiten zu erkennen glaubte, und vor Allem gestützt auf die
Betrachtung des wegen seiner Stachelbildungen als Archizoea aufgefassten
Lepadennauplius glaubte Dohrn die Zoea als Stammform sämmtlicher
Crustaceen in Anspruch nehmen zu dürfen, welche, aus dem Nauplius
hervorgegangen, den Uebergang zu einer phyllopoden-ähnlichen Vorfahren-
form der Crustaceen vermittelt hätte. Dohrn begründete vor Allem die
Ansicht, dass in der centralen Gruppe der Phyllopoden die ursprüng-
lichsten Krebsformen erhalten seien, und dass sämmtliche übrigen Krebs-
gruppen sich von Phyllopoden ableiten lassen, eine Anschauung, die noch
jetzt in Geltung ist, und der auch wir uns anschliessen, wenngleich wir
mit Claus der angenommenen hypothetischen Stammform nicht aus-
schliesslich die Charaktere der jetzt lebenden Phyllopoden vindiciren,
sondern für dieselbe eine nach mancher Hinsicht, besonders in Bezug
auf die Bildung der Mundtheile, noch ursprünglicher gestaltete, hypothe-
tische Stammgruppe der Urphyllopoden construiren.
Immerhin war mit dem DoriRN'schen Hinweis auf die Bedeutung der
Phvllopodeu als centraler Gruppe, von welcher sämmtliche Crustaceen
sich ableiten lassen, ein bedeutender Fortschritt unserer Auffassung
gegeben, insoferne der durch F. Müller begründete Gegensatz zwischen
Crustaceen. 495
Malacostrakeu und Entomostraken aufgehoben erschien und eine ein-
heitliche Ableitung der gesannnten Crustaceenclasse ermöglicht war. Ja,
es war durch die DomiN'schen Ausführungen der Weg zu weiteren
Fortschritten geebnet, da eine consequente Verfolgung seiner Ideen leicht
dazu führen musste, die Pbyllopoden direct auf annelidenähnliche Vor-
fahrenformen zu beziehen.
Diese Erkenntniss brach sich jedoch erst allmählich Bahn. Zunächst
blieb der Nauplius in seiner Stellung als Stammform sämmtlicher Krebse
unerschüttert, während die phylogenetische Bedeutung der Zoeaform in
den Hintergrund trat. Es ist das Verdienst von Claus (No. 8), auf
Grund eines umfassenden Beobachtungsmaterials den Charakter der Zoea
als einer secundär abgeänderten Larvenform erkannt und d.argethan zu
haben. Neben der Stomatopodenentwicklung war es vor Allein die
Metamorphose von Penaeus, aus welcher sich am deutlichsten erkennen
liess, dass zwischen der Larvenentwicklung der Malacostraken und der
Entomostraken hinsichtlich der Reihenfolge der neuentstehenden Segmente
keine prinzipielle Differenz bestände, indem bei beiden die Reihenfolge
der Entstehung von vorne nach hinten eingehalten werde. Es war
hiermit eine der wichtigsten Eigenthümlichkeiten der Zoeen der höheren
Macruren und der Brachyuren nämlich das Zurückbleiben der
Segmente des Mittelleibes in der Entwicklung — als ein erst secundär
erworbener Charakter erkannt. Aber auch für diese letzteren Formen
geht aus neueren Untersuchungen von Claus (No. 6) auf das Deutlichste
hervor, dass jene Segmente hier durchaus nicht - wie man früher
annahm — vollkommen fehlen, sondern nur in äusserlich wenig er-
kennbarer Form und in dichtgedrängter Anlage vorhanden sind. Claus
beobachtete nämlich, dass an dem Zoeastadium sämmtliche Ganglienpaare
der scheinbar noch fehlenden Segmente des Mittelleibs als dichtgedrängte
Bauchganglienmasse bereits vorhanden sind und dass diese Ganglien-
masse von der zur Sternalarterie herabführenden absteigenden Arterie
bereits durchsetzt werde, wie denn überhaupt der Gefässverlauf des
Zoeastadiums bereits völlig die definitiven Verhältnisse erkennen lässt.
Allerdings glaubte noch Balpoue (Handbuch der vergleichenden Embryo-
logie I. Bd pag. 479) gewisse Erscheinungen der Malacostrakenentwicklung,
so besonders das Verschwinden und Wiederauftreten gewisser Anhangspaare
(Mandibulartaster, die beiden letzten Thoraxbeinpaafe im Mastigopusstadium
der Sergestiden, die drei hinteren Maxillarfusspaare der Stomatopoden) nur
unter Zuhülfenahme einer Stammform erklären zu können, welche nach
mancher Hinsicht (vor Allem in dem rudimentären Zustande des Mittelleibes)
Zoeacharaktere aufwies. Es hätten sich dann aus den Urphyllopoden zu-
nächst nebaliaähnliche , sog. praezoeale Formen , aus dieser zoeaähnliche
Formen und erst aus letzteren die postzoealen Malacostraken (Thoracostraken
und Arthrostraken) entwickelt. Wenn es nun auch auffällig ist, dass bei
Nebalia die acht Thoraxsegmente dichtgedrängt einen verhältnissmässig
kurzen Leibesabschnitt zusammensetzen, und dass die Extremitäten dieses
Abschnittes ein phyllopodenbeinähnliches Aussehen bewahrt haben, so nöthigt
uns doch nichts zur Annahme, dass dieser Abschnitt bei den Stammformen,
welche zu den Urschizopoden (den Ahnenformen der übrigen Malacostraken)
hinüberführten, eine noch weitergehende Reduction erfahren hat. Hinsicht-
lich des Verschwindens und Wiederauftretens einzelner Anhänge muss darauf
hingewiesen werden , dass diese Erscheinung gleich unerklärlich bleibt, ob
man dieselbe in die ontogenetische oder in die phylogenetische Entwicklungs-
496 XV. Capitel.
reihe verlegt. Ja, es lassen sich manche Gründe dafür anführen, welche
diese Erscheinung unter der Annahme, dass hier ein caenogenetisch abge-
ändertes Verhalten des Entwicklungsganges vorliegt, nicht so ganz unerklärlich
erscheinen lassen. La:ng (Lehrh. d. Vergl. Anat. 2. Abth. pag. 424) führt
das erste Auftreten dieser Gliedmaassen in den jüngeren Larvenstadien auf
eine von den Vorfahren überkommene Vererbungstendenz zurück, während
das temporäre Verschwinden derselben durch die geänderten Existenzbedingungen
der pelagischen Larvenformen zu erklären ist. Es muss hier auch darauf
hingewiesen werden, dass diese Gliedmaassen meist im definitiven Zustande
ganz anders gestaltet erscheinen, als bei ihrem ersten Auftreten in der
Larvenform. Wir finden nun mehrfach, dass Extremitäten, während sie aus
einer Form in die andere übergehen, ein rudimentäres Zwischenstadium
durchmachen (solche Beispiele liegen besonders in der Lucifermetamorphose
nach Brooks vor). Es mag einer gewissen Vereinfachung des Entwicklungs-
ganges entsprochen haben, dass statt einer langwierigen Umwandlung einer
Extremität ein Entwicklungsgang eingeschlagen wurde, bei welchem nach
vollständigem Verlust der larvalen Extremität die andersgestaltete definitive
Form dieser Gliedmaasse einfach neu angelegt wurde. Eine solche Ab-
änderung des Entwicklungsganges musste sich besonders in jenen Fällen
geltend machen , in denen in Folge der eigenartigen Lebensbedingungen der
Larvenform die betreffende Extremität für das betreffende Stadium von ge-
ringem Werth geworden war. Parallelen für eine derartige Abänderung des
Entwicklungsganges bei beträchtlicher Gestaltungsdifferenz der larvalen und
ausgebildeten Form lassen sich aus verschiedenen anderen Thiergruppen bei-
bringen. Wir erinnern hier nur an den Verlust des larvalen Nervensystems
und der Haut des Pilidiums und der Entstehung dieser Organe an der jungen
Nemertine aus einer Neuanlage. Im Uebrigen können wir hinsichtlich der
Ansichten Balfour's nur auf die durch gewichtige Gründe (vor Allem durch
den Hinweis auf die Stellung und Entwicklung von Penaeus) gestützte Wieder-
legung verweisen, welche dieselben durch P. Mayer (No. 138) erfahren haben.
Wir betrachten demnach die Zoea mit Claus als eine seeundäre,
den eigenartigen Existenzbedingungen des Larvenlebens entsprechend
abgeänderte Entwicklungsform , welche sich nicht der Reihe der hypo-
thetischen Malacostrakenahnen einordnet.
In gleicher Weise muss aber auch der Nauplius als eine seeundär
abgeänderte Crustaceerj -Larvenform betrachtet werden. In diesem Falle
handelt es sich um eine Verlegung speeifischer Crustaceen-Charaktere in
frühere Stadien. Es ist das Verdienst Hatschek's (No. 15), zuerst
darauf hingewiesen zu haben, dass bei einer Ableitung der Crustaceen
von phyllopodenälmlichen Vorfahren der Anschluss der letzteren an die
Gruppe der Anneliden sich als die natürlichste Ableitung der Crustaceen-
gruppe ergiebt, Hatschek stützte sich vor Allem auf die Übereinstimmung,
welche sich in der Körpergliederung und dem Bau der ausgebildeten
Crustaceen und Anneliden vorfindet, und welche schon Cuvier und
von Baer zur Aufstellung des Typus der Ar ticulaten (Anneliden und
Arthropoden) veranlasst hatte. Vor Allem herrscht im Bau des
Centralnervensystems (gegliederte Bauchganglienkette) eine solche Uebei-
einstimmung, dass wir dieselbe nur auf wahre Homologie zurückführen
können. Würden wir dagegen die Crustaceen durch Vermittlung des
Nauplius von einer unsegmentirten Wurmform herleiten, so würden wir
zur Annahme gezwungen sein, dass die übereinstimmenden Merkmale
im Bau der Anneliden und der Crustaceen in beiden Gruppen selbst-
ständig zur Entwicklung gekommen seien, daher auf blosser Analogie
Crustaceen. . 497
beruhen — eine Annahme, zu welcher man nach den Ergebnissen der
vergleichenden Anatomie kaum berechtigt ist. Es sei hier neben der
Uebereinstimmung im Bau des Centralnervensystems nur noch auf die
Schalendrüse und Antennendrüse hingewiesen, deren Homologie mit
Segmentalorganen der Anneliden als erwiesen betrachtet werden kann.
Zu einer ganz übereinstimmenden Auffassung über den Werth der
Naupliusform kam auch Dohrn (No. 11).
Wenn wir demnach die Crustaceen (Phyllopoden) von anneliden-
ähnlichen Vorfahren ableiten, so müssen wir für die letzteren die Ent-
wicklung durch ein Trocbophora- Stadium und im weiteren Verlauf durch
ein aus wenigen Segmenten bestehendes (polytroches) Larvenstadium
annehmen. Wir würden dann bei ungefälschter Wiedergabe der Vor-
fahren-Charaktere auch für die Crustaceen die Entwicklung durch derartige
Larvenstadien erwarten müssen; statt deren finden wir jedoch das
Naupliusstadium als typischen Ausgangspunkt der Crustaceenmetamorphose.
Die Larven der Crustaceen sind demnach durch frühzeitige Entwicklung
typischer Crustaceen - Charaktere secundär modificirt. Hatschek war
geneigt, im Anschlüsse an die damals verbreitete Auffassung des Nauplius
als unsegmentirter Form denselben der Anneliden-Trochophora gleichzu-
stellen. In neuerer Zeit hat sich eine Aenderung der Ansichten insofern
geltend gemacht, als man dem Nauplius mehrere echte Rumpfsegmente
zuerkennt. Massgebend hiefür war besonders der von Claus und Dohrn
geführte Nachweis, dass das zweite Gliedmaassenpaar des Nauplius von
einem hinter dem Munde gelegenen Ganglion aus innervirt werde. Man
musste demnach den Nauplius als bereits segmentirte Larvenform betrachten
und konnte denselben höchstens mit schon metamer gegliederten, jungen
Annelidenlarven in Parallele stellen (Claus Nr. 7). Wie viele Rumpf-
segmente wir dem Nauplius zuerkennen , darüber wird die Antwort
verschieden ausfallen, je nach der Anschauung, welche man hinsichtlich
der Segmentirung des Kopfabschnittes der Crustaceen zu Grunde legt.
Uns scheint es mit den entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen sowohl, als
auch mit den aus der Anatomie des Crustaceengehirnes sich ergebenden
Verhältnissen am meisten in Uebereinstimmung, wenn man für jedes der
drei Naupliusextremitätenpaare ein echtes Rumpfmetamer in Anspruch
nimmt und ausserdem einen vor diesen gelegenen primären Kopfabschnitt
und einen hinteren, mit der Knospungszone (für die Entstehung neuer
Metamere) vereinigten Endabschnitt (Aftersegment) , aus welchem das
Telson hervorgeht, annimmt (vgl. das oben über die primäre Seg-
mentirung des Kopfes der Crustaceen pag. 364 u. ff., sowie das über das
Naupliusstadium pag. 385 Gesagte).
Der Uebergang von Anneliden zu den Vorfahrenformen der Crustaceen
(Protostraken Claus) war mit gewissen Aenderungen des Baues und der
Bewegungsweise verbunden. Selbst bei pelagischen Anneliden (z. B. Tomo-
pteris) ist die Locomotionsform die seitlicher Schlängelungen des Körpers1).
Es tritt hier die Beweglichkeit der Körpersegmente gegen einander in den
Vordergrund , während den Parapodien nur ein geringes Maass von Eigen-
bewegung zukommt. Bei der stärkeren Chitinisirung der Körperoberfläche
der Crustaceenahnen wurde die Beweglichkeit der Metameren gegen einander
eingeschränkt. Der Rumpf gewann an Festigkeit und Starrheit, während
die Extremitäten sich vom Rumpfe zu selbstständiger Beweglichkeit ab-
*) Von dieser Bewegungsform haben sich noch Spuren bei Branchipus erhalten.
Vgl. Dohrn (No 9).
498 ' XV. Capitel.
gliederten. Es ist gewiss, dass hiemit eine vollkommenere, mit weniger Kraft-
aufwand verbundene Bewegungsform erzielt wurde. Mit der Umwandlung der
Annelidenparapodien zu selbstständig beweglichen Rudern wrar der Grund
zur Gestaltveränderung dieser Fortsätze gegeben, welche schliesslich zur Aus-
bildung des zweiästigen Crustaceenbeines führte. Mit Rücksicht darauf, dass
die Parapodien mancher pelagischer Anneliden thatsächlich eine lamellöse
Form annehmen, werden wir für die hypothetischen Crustaceenahnen eine
ähnliche Beinform supponiren dürfen. Wir werden uns deshalb der Ansicht
zuneigen, dass die lamellösen, noch nicht gestreckten Beinformen der Phyllo-
poden , welche auch bei Nebalia und an den Maxillen der Copepoden und
Malacostraken wiederkehren , dem ursprünglichen Gliedmaassentypus nahe-
stehen , und dass sich aus diesen erst secundär gestrecktere Beinformen
herausgebildet haben. Wir werden die Zweiästigkeit des Crustaceenbeines
direct auf die entsprechende Gestalt der Annelidenparapodien zu beziehen
haben, und es dürfte vielleicht gerechtfertigt sein, den Epipodialanhang des
Crustaceenbeines von Dorsalkiemen des Annelidenparapodiums abzuleiten.
Dagegen war mit der grösseren Beweglichkeit der Segmentanhänge als neu
hinzukommende Function ein Gegeneinanderwirken der beiden Theile eines
und desselben Paares ermöglicht, wras zur Entwicklung dementsprechender
lappenförmiger Fortsätze (Enditen, Kaufortsätze) an der Innenseite führte.
Derartige Fortsatzbildungen kommen noch sämmtlichen Rumpfbeinen der
Branchiopoden zu und werden daselbst auch zum Zwecke der Beförderung
von Nahrungspartikelchen verwendet. Bei den meisten Crustaceen ist da-
gegen die Entwicklung derartiger Fortsatzbildungen auf die in der Umgebung
des Mundes stehenden Gliedmaassen eingeschränkt. Es verdient besondere
Beachtung , dass auch die zweite Antenne im Naupliusstadium sich durch
Kieferfortsätze ihres Basalgliedes an dem Kaugeschäfte betheiligt und erst
später eine völlig präorale Lagerung gewinnt, worauf ihre Verwendung als
Kauwerkzeug in Wegfall kommt.
Wenn wir uns durch die oben geschilderte Aenderung in der
Bewegungsweise, durch die angedeutete Umwandlung der Extremitäten
(und damit steht eine Veränderung in den Leibeshöhlenverhältnissen im
Zusammenhange) aus Annelidenformen eine als Stammform der Crustaceen
geltende Protostrakenform hervorgegangen denken, so leuchtet ein,
dass wir derselben noch nicht alle jene Charaktere zuschreiben dürfen,
durch welche die Gruppe der Crustaceen einheitlich umschrieben erscheint.
Die Vereinigung der fünf vordersten, gliedmaassentragenden Segmente zu
einem gemeinsamen Körperabschnitt (Kopf), die Umbildung der beiden
vordersten Extremtätenpaare zur typischen Form der Crustaceenantennen,
die Entwicklung durch ein Naupliusstadium — das sind Charaktere,
welche sämmtlichen Crustaceen zukommen, welche wir auch den
Urphyllopoden zuschreiben werden , welche aber noch nicht mit
Notwendigkeit der Protostrakenform vindicirt werden müssen. Für
letztere werden wir im Gegentheil eine grössere Variationsbreite in
Anspruch nehmen dürfen. Wir werden annehmen dürfen, dass in der
hypothetischen Protostrakengruppe Lebensformen vereinigt waren, welche
von dem typischen Bau der Crustaceen sich weit entfernten. Als solche
aus der Protostrakengruppe selbstständig hervorgegangene Stämme werden
wir die Classe der Palaeostraken (Trilobiten, Gigantostraken , Xi-
phosuren), sowie die Gruppe der Pantopoden bezeichnen dürfen, von
denen noch im Folgenden die Rede sein wird.
Es sei hier darauf hingewiesen, dass auch Peripatus in einigen
wenigen Punkten eine merkwürdige Uebereinstimmung mit den Crustaceen
Crustaceen. 499
erkennen lässt. So haben die Untersuchungen von Sedgwick eine grosse
Aehnlichkeit im Bau der Nephridien beider Gruppen ergeben. Dann
erinnert die Beiziehung des Kieferganglions von Peripatus zum Gehirn
an die entsprechenden Verhältnisse des Antennenganglions der Crustaceen.
Ferner ist es uns wahrscheinlich geworden, dass eine bei Peripatus bisher
wenig beachtete Bildung das Homologon des Frontalorgans der Crustaceen
darstellt. Auf Grund dieser Uebereinstimmungen darf man vermuthen,
dass auch die Ahnenformen der zu den Myriopoden und Insecten
hinführenden Arthropodenreihe ihre Wurzel in der Protostrakengruppe
gehabt haben.
Versuchen wir uns ein Bild jener Ahnenformen zu entwerfen, welche
von der mehr allgemein umschriebenen Gruppe der Protostraken den
Uebergang zu den eigentlichen Crustaceen vermittelten, und welche
wir als Urphyllopoden zu bezeichnen pflegen, so werden wir für
dieselben einen mein' homonom segmentirten Körper, eine geringere
Differenz der einzelnen Leibesregionen, als dies bei den jetzigen Crustaceen
der Fall ist, voraussetzen dürfen. Jedes der gleichartigen, den grössten
Theil des Körpers bildenden Rumpfsegmente besass ein Ganglienpaar
des Bauchnervenstrangs , ein Paar zweiästiger, lamellöser, phyllopoden-
beinähnlicher Extremitäten und vielleicht auch (wie bei Peripatus) ein Paar
von Nephridien. Denn, da wir die Antennendrüse und die Schalendrüse,
sowie die Geschlechtsausführungsgänge als umgewandelte Nephridien
in Anspruch nehmen müssen, so scheint die in den einzelnen Crustaceen-
gruppen sehr wechselnde Lagerung der Geschlechtsausführungsgänge
darauf hinzudeuten, dass wir der gemeinsamen Ahnenform der Crustaceen
eine grössere Zahl von Nephridienpaaren zuzuschreiben haben. Für den
gliedmaassenlosen hintersten Körperabschnitt (End- oder Analsegment)
werden wir vielleicht den Besitz paariger Furcalfortsätze als von der
gemeinsamen Ahnenform der Crustaceen ererbt annehmen dürfen. Die
typischesten Crustaceencharaktere waren aber offenbar schon bei den
Urphyllopoden in der Gestaltung des vordersten Körperabschnittes, des
sog. Kopfes zum Ausdruck gekommen. Wir finden hier die Vereinigung
der fünf vordersten, gliedmaassentragenden Körpersegmente (denen wahr-
scheinlich als sechster gesonderter Abschnitt ein vorderstes, primäres
Kopfsegment mit den Augen und Frontalorganen zugerechnet werden
muss) zu einer gemeinsamen Körperregion, deren durch eine Duplicatur
erweitertes Rückenintegument zur Bildung des schützenden Rückenschildes
sich vergrösserte. Von den fünf dieser Region zugehörigen Gliedmaassen-
paaren nehmen die ursprünglich überall einreihigen Antennulae als
Träger wichtiger Sinnesorgane eine exceptionelle Stellung ein. Dir
darauffolgenden zweiten Antennen waren zweiästig und funsirten vor-
nehmlich als Ruder, vielleicht auch noch an dem Kaugeschäfte sich
betheiligend. Zu letzterem erschienen die hinter der Oberlippe gelegenen
Mandibeln durch Umbildung ihres Basalgliedes besonders befähigt, während
der übrige Theil der Extremität sich bei den Copepoden als zweiästiger
Taster erhalten hat. Zwei darauffolgende Maxillenpaare näherten sich
im Bau den dahinter folgenden Rumpfgliedmaassen und haben vielfach
unter den jetzt lebenden Crustaceen noch ursprüngliche Charaktere
bewahrt. Mit Rücksicht auf das Vorhandensein einer hinter den Mandibeln
gelegenen paarigen Unterlippenbildung (Paragnathen) in verschiedenen
Crustaceengruppen werden wir eine solche auch der gemeinsamen
Stammform zuschreiben dürfen. Dem vordersten Kopfabschnitte kamen
zu: die Frontalorgane (primäre Kopftentakel der Anneliden?), das unpaare
500 xv- Capitel.
Auge (sog'. Naupliusauge) und die paarigen, zusammengesetzten Augen,
welche wir offenbar als von der gemeinsamen Crustaceenstammform
ererbt annehmen dürfen. Durch die so geschilderte Ausbildung des
Kopfabschnittes und seiner Gliedmaassen waren die Charaktere gegeben,
durch welche die eigentlichen Crustaceen (Urphyllopoden) sich von den
Palaeostraken und den übrigen Stämmen der Arthropoden trennten. Die
Urphyllopoden waren wahrscheinlich getrennt geschlechtlich ; sie besassen
ein langes Rückengefäss mit segmentalen Ostienpaaren und vielleicht
auch ein Paar von Leberausstülpungen in jedem Segmente. Für letztere
Charaktere sprechen die Organisationsverhältnisse der Stomatopoden.
(Hinsichtlich der gemeinsamen Crustaceenstammform vergleiche die ähn-
lichen Aufstellungen in Lang's Lehrbuch der vergl. Anatomie pag. 419.)
Zum Schlüsse noch einige Hinweise darauf, wie sich die verwandtschaft-
lichen Beziehungen der einzelnen Crustaceengruppen unter einander darstellen.
Den Urphyllopoden stehen unter den Entomostraken dieBranchiopoden,
unter den Malacostraken Nebalia, und in Hinsicht auf manche Punkte der
inneren Organisation die Stomatopoden am nächsten. Unter den Ento-
mostraken haben sich wahrscheinlich die Copepoden am frühesten selbst-
ständig abgezweigt und, während sie in Anpassung an die pelagische Lebens-
weise eine gewisse Reduction erfuhren (Rückbildung des Rückenschildes, des
Herzens, der Respirationsorgane, Verlust des paarigen Auges), in anderer
Hinsicht, besonders in Bezug auf den Bau der Mundtheile sehr ursprüng-
liche Verhältnisse bewahrt. Die übrigen Entomostraken (Phyllopoden,
Ostrakoden und Cirripedien) scheinen einander etwas näher zu stehen. Unter
den Phyllopoden stellen die kleinen, aus wenigen Körpersegmenten bestehenden
Cladoceren eine offenbare Rückbildungsform der Estheriden dar. Für
die Ostracoden werden wir eine von einer zweiklappigen Schale völlig
umschlossene Urphyllopodenform zum Ausgangspunkte zu nehmen haben, eine
Form, welche demnach im Habitus offenbar den Estheriden ähnlich war.
Die ursprünglichsten Formen unter den Ostracoden, die Cypridinen, weisen
in der Gestaltung der Gliedmaassen deutlich auf die Verwandtschaft mit den
Phyllopoden hin. Da wir für die Urphyllopoden einen aus zahlreichen
Segmenten bestehenden Körper voraussetzen müssen, so werden wir für die
Ostracoden eine secundär eingetretene Verringerung der Segmentzahl anzu-
nehmen haben. Von einer ähnlichen Stammform, wie die Ostracoden, haben
wir auch die Cirripedien abzuleiten, bei deren Beurtheilung wir von
der freischwimmenden , cyprisähnlichen Larve ausgehen müssen. Allerdings
wird für die Cirripedien im Anschlüsse an Claus vielfach eine nähere Ver-
wandtschaft mit den Copepoden angenommen. Letztere Annahme stützt sich
auf die Aehnlichkeit der Thoraxgliedmaassen, sowie auf die übereinstimmende
Segmentalzahl dieses Körperabschnittes in beiden Gruppen. Da aber diese
Merkmale in beiden Gruppen selbstständig erworben sein können, wie sie
denn auch thatsächlich bei anderen Crustaceen wiederkehren (die Zahl von
sechs Thoraxsegmenten z. B. auch bei den Cladoceren), so werden wir auf
dieselben keine ntscheidendes Gewicht legen können. Fassen wir die typischesten
Copepodencharaktere (Rückbildung der Seitenaugen und des Rückenschildes,
Auflösung der zweiten Maxille in ein Doppelpaar von Maxillarfüssen) ins
Auge, so finden wir, dass dieselben der Cyprislarve der Cirripedien nicht
zukommen. Auf das Vorhandensein einer umfangreichen, zweiklappigen
Schale, aus welcher der Mantel der ausgebildeten Form hervorgegangen ist,
werden wir bei der Beurtheilung der systematischen Stellung der Cirripedien in
erster Linie Werth legen müssen. Uns erscheinen demnach die verwandt-
schaftlichen Beziehungen dieser Gruppe zu den Copepoden nur fernere, und
Crustaceen. 501
mit Rücksicht auf die cyprisähnliche Larve ist wohl die Ableitung von einer
mit zweiklappiger Schale versehenen Urphyllopodenform gerechtfertigt. Wir
schliessen uns in dieser Hinsicht den Ausführungen Balfour's (Handbuch
der Vergl. Embryologie. Deutsche Ausgabe. I. Bd. pag. 482) und Fowler's
(No. 43) an.
Unter den Malacostraken nehmen die L e p t o s t r a k e n , zu denen
ausser der jetzt lebenden Gattung Nebalia und Verwandten mit grosser
Wahrscheinlichkeit noch eine Reihe fossiler Formen, wie Ceratocaris,
Dictyocaris, Hymenocaris zu rechnen ist, die ursprünglichste Stufe
ein und zeigen morphologische Charaktere, durch welche sie sich direct an
die Phyllopoden anschliessen. Nebalia, deren Bau hauptsächlich durch
Claus genauer bekannt geworden ist, wie denn auch die Präcisirung der
systematischen Stellung dieser Form auf diesen Forscher zurückzuführen ist,
zeigt in der Regioneneintheilung des Körpers, in dem Bau und der Zahl
der Gliedmaassen, sowie in zahlreichen Punkten der inneren Anatomie (Vor-
handensein eines dem Vorderdarm zuzurechnenden Kaumagens, Zahl und
Vertheilung der Leberschläuche) ganz entschiedenen Malacostrakentypus, so
dass über die Zurechnung dieser Form zu den Malacostraken kein Zweifel
aufkommen kann. Selbst die in acht gleichgestalteten Paaren vorhandenen,
phyllopodenbeinähnlichen Thoraxgliedmaassen schliessen sich nach der Glieder-
zahl ihres Endopoditen den Malacostraken an. Demgegenüber fällt es kaum
ins Gewicht, dass das Abdornen an seinem hintersten Eude ein überzähliges,
gliedmaassenloses Segment aufweist. Von Merkmalen, durch welche die
Nebalien sich an die Phyllopoden anschliessen und daher sich als directe
Abkömmlinge der hypothetischen Gruppe der Urphyllopoden darstellen, sind
zu erwähnen : das Vorhandensein eines langgestreckten Herzens mit einer
grösseren Anzahl venöser Spaltenpaare (vier grosse und drei kleine), die sehr
ursprüngliche Gestaltung der Bauchganglienkette, deren Kieferganglien sich
wie bei Branchipus gesondert erhalten haben, die flache, lamellöse, an die
Form der Phyllopodenbeine erinnernde Gestaltung der acht Thoraxbeinpaare,
an denen eine Sonderung von Maxillarfüssen und Gang- oder Schwimmfüssen
noch nicht eingetreten ist, das Vorhandensein einer umfangreichen, zwei-
klappigen , durch einen eigenen Schliessmuskel verschliessbaren Schale und
schliesslich der Besitz zweier langgestreckter, selbstständig beweglicher Furcal-
fortsätze, welche sehr an die von Branchipus erinnern.
Unter den übrigen Malacostraken nehmen die Stomatopoden eine
ungemein selbstständige Stellung ein. Offenbar haben wir es hier mit einem
Stamm zu thun, der sich sehr frühzeitig von den Urmalacostraken abgesondert
hat. Während die Form des Herzens und vielleicht auch die Vertheilung
der Leberschläuche auf ursprüngliche Verhältnisse hinweisen, finden wir nach
anderer Richtung vielfach originelle , offenbar selbstständig erworbene Ge-
staltungsverhältnisse zur Ausbildung gelangt.
Der Hauptstamm der Malacostraken dagegen leitet sich von den Lepto-
straken unter Vermittlung der Schizopoden ab, unter denen wieder die
Euphausiden als die ursprünglichste Gruppe gelten dürfen. Als solche
geben sich die letzteren besonders durch die Gestaltung der Thoraxbeine zu
erkennen, welche sämmtlich als zweiästige Ruderfüsse entwickelt sind und von
ziemlich gleicher Form erscheinen. Die Ansicht, dass die Decapoden von
Schizopoden abstammen, wird durch das Vorhandensein eines schizopoden-
ähnlichen Stadiums in der Metamorphose vieler Decapoden besonders gestützt.
Unter letzteren schliessen sich die Penaeiden, denen auch die Astaciden nahe
stehen, am nächsten an die Schizopoden an. Die übrigen Decapoden erscheinen
als abgeleitete Formen der von den Sohizopoden ausgehenden Entwicklungs-
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 33
502 x^ ■ Capitel.
reihe. Die Brachyuren, durch zahlreiche als Anomuren bezeichnete
Uebergänge mit den Macruren verbunden, müssen als die höchstent-
wickelte, aber abgeleitetste Gruppe dieser Formenreihe betrachtet werden.
Eine zweite von den Schizopoden ausgehende Formenreihe führt unter
Vermittlung der Mysideen und Cumaceen zu den Arthros traken ,
welche wir uns unter Rückbildung des Cephaiothoraxschildes, des Stielauges
und der Exopoditen der Thoraxgliedmaassen aus den Schizopoden hervor-
gegangen zu denken haben. Letztere Ableitung wurde in neuerer Zeit
besonders durch Boas (No. 4) urgirt. Für dieselbe spricht der Bau der
Scheerenasseln (Anisopoden), bei denen an den zwei vorderen Thoraxbeinen
rudimentäre Exopoditen erhalten sind, sowie sich auch der Rest einer dorsalen
Schildduplicatur hier vorfindet. Eine weitere Stütze gewinnt diese Ableitung
durch die Beobachtung Nusbaum's, welcher am Embryo von Ligia (Litt.
d. Embryo-Entw. No. 85 a) für sämmtliche Thoraxbeinpaare eine spaltästige
Anlage feststellen konnte. Den Anisopoden stehen die Isopoden,
unter denen besonders Asellus ursprüngliche Verhältnisse bewahrt hat,
nahe, während die Amphipoden als eine mehr abgeleitete Gruppe dieser
Formenreihe betrachtet werden müssen.
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508 XV. Capitel.
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158. Claus, C. Veber Apseudes Latreillii Edw. und die Tanaiden. Arb. Zool. Inst. Wien.
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173. Müller, F. Bruchstücke zur Naturgeschichte der Bopyriden. Jen. Zeitschr. f. Naturic.
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A m p h i p o d e n.
177. Claus, C. Die Platysceliden. Wien. 1887.
XVI. Capitel.
PALAEOSTRAKEN.
Unter dem Namen Palaeostraken werden von Steinmann und
I )öderlein die vereinigten Gruppen der T r i 1 o b i t e n , G i g a n t o s t r a k e n
und Xiphosuren zusammengefasst. Die Vereinigung dieser drei
Gruppen, an deren näherer verwandtschaftlicher Zusammengehörigkeit
wir kaum zweifeln können, wurde hauptsächlich durch Dohrn (Nr. 11)
eingehender begründet. Die Xiphosuren, unter denen die Gattung L i m u 1 u s
üls einziger jetzt lebender Repräsentant dieser Gruppe für uns von be-
sonderem Interesse ist, zeigen in der Gestaltung des Cephalothorax-
schildes (besonders von Belinurus) eine auffallende Uebereinstimmung
mit den Trilobiten, auf welche auch die Entwicklungsstadien von Limulus
hinweisen. Andererseits schliessen sich die Gigantostraken (Euryp-
terus, Pterygotus) in der Regioneneintheilung des Körpers und im Glied-
maassenbaue sehr nahe an Limulus an. Wie Limulus besitzen sie eine
vordere Cephalothoraxregion , deren sechs zum Theil scheerentragende
Extremitätenpaare sich durch ihren verbreiterten Coxalabschnitt an dem
Kaugeschäfte betheiligen. Die Kauregion wird nach hinten durch eine
als M e t as t o m bezeichnete Unterlippenbildung (bei Limulus durch paarige
Chilaria [Fig. 335 ch und 336 JB pag. 521 j vertreten) abgegrenzt. Es
folgt sodann eine aus sechs Körpersegmenten bestehende gegliederte Re-
gion (Praeabdomen) , deren blattförmige Extremitäten der Respiration
dienten, während sich hinten ein aus sechs gliedmaassenlosen Segmenten
und dem Telson bestehendes Postabdomen (bei Limulus nur in reducirtem
Zustande vorhanden) anschliesst. Wollten wir wie dies vielfach ge-
schehen ist — die Palaeostraken den Crustaceen unterordnen, so wäre
dies nur unter einer Erweiterung des Begriffes der Crustaceen möglich. Die
Crustaceen erscheinen durch den Besitz zweier präoraler Antennenpaare,
welche sich im ausgebildeten Zustande an dem Kaugeschäfte nicht be-
theiligen und nebst locomotorischen Functionen hauptsächlich der Sinnes-
perception dienen, als eine einheitliche Gruppe1) charakterisirt. Ausser-
dem erscheint für ihre Entwicklung das Naupliusstadium ungemein typisch.
x) Auch im Bau der Mundwerkzeuge, welche in der typischen Form der Man-
dibeln und Maxillen entwickelt sind, sowie durch die Lagerung der in verschiedenen
Krebsgruppen auftretenden paarigen Unterlippenbildung (Paragnathen) hinter den
Mandibeln und vor den Maxillen unterscheiden sich die Crustaceen von den Palaeos-
traken. Für die Locomotion kommen die Kieferpaare der Crustaceen an den aus-
gebildeten Formen kaum mehr in Betracht.
510
XVI. Capitel.
,ep
Den Palaeostraken hingegen scheinen diese beiden Merkmale zu fehlen.
Wir werden desshalb die systematische Stellung der Palaeostraken viel-
leicht richtiger beurtheilen, wenn wir sie nicht als echte Crustaceen be-
trachten, sondern als eine selbstständige Gruppe auffassen, welche zwar
mit den Crustaceen verwandt ist, aber sich von den hypothetischen
Ahnenformen der Crustaceen (Protostraken) als selbstständiger Seitenast
abgezweigt hat. bevor es zur Entwicklung der für die ersteren typischen
Charaktere (zwei Antennenpaare, Entwicklung durch ein Naupliusstadium)
gekommen war (vgl. oben pag. 498). Eine bei den Palaeostraken sehr
ausgebreitete Erscheinung, welche in dieser Ausdehnung bei den echten
Crustaceen nicht wiederkehrt, ist die häufige Verschmelzung der hin-
tersten Körpersegmente zu einem einheitlichen Abschnitte (Pygidium),
eine Erscheinung, welche offenbar eine Anpassungsform an das Vermögen
der Einrollung darstellt.
Unter den Palaeostraken nehmen die Trilobiten durch die mehr
homonome Segmentirung des postcephalischen Abschnittes und den —
wie es nach Walcott scheint — einheitlichen Charakter der zahlreichen
Extremitäten die niederste Ent-
wicklungsstufe ein. Im Bau der
Extremitäten zeigen sie nach den
Untersuchungen von Walcott
(Nr. 5) eine auffällige Ueberein-
stimmung mit dem Typus der
Crustaceengliedmaassen. Die
Beine der Trilobiten (Fig. 326)
sind zweiästig, mit einem fünf-
oder mehrgliedrigen Endopoditen
(en) , welcher mit einer Kralle
endete, und einem zwei- bis
dreigliedrigen Exopoditen (ex). An
der Aussenseite des Coxal(Basal)-
gliedes finden sich spiralige als
Kiemen gedeutete Epipodialan-
hänge (ep) befestigt. Es sei hier
darauf hingewiesen, dass auch bei Linmlus durch das Vorhandensein eines
als Exopodit aufzufassenden Anhanges am sechsten Extremitätenpaare
(Fig. 335, rr, pag. 520), sowie durch die Gestaltung der Abdominalbeine
(ax , a2) der zweiästige Charakter der Crustaceenbeine zum Ausdruck
kommt.
WTenn sich so die Palaeostraken nach einer Richtung an die Crustaceen
und deren hypothetische Stammgruppe, die Protostraken, anschliessen, so
werden sie für uns noch dadurch von grösserem Interesse, dass sie wahr-
scheinlich die Ausgangs-Gruppe darstellen, aus welcher die luftathmenden
Arachnoiden sich herausgebildet haben. Die Ansicht von der näheren Ver-
wandtschaft der Arachnoiden — vor Allem der Scorpione — mit Linmlus,
zuerst von Strauss-Dürkheim ausgesprochen und neuerdings durch Ray-
Lankester (No. 16) auf breiterer Basis begründet, erscheint durch so
zahlreiche Uebereinstimmungen des Baues und der Entwicklung beider
Gruppen gestützt, dass wir uns derselben nicht verschliessen können.
Wir werden auf dieselbe unten (vgl. pag. 530 u. ff.) ausführlicher zurück-
kommen.
Von den Entwicklungsstadien der fossilen Palaeostraken sind nur
wenige durch die günstige Beschaffenheit des sie einschliessenden Ge-
Fig. 326. Schematiseher Querschnitt
durch ein Rumpfsegment eines Trilobiten
(nach Walcott, aus Lang's Lehrbuch).
en Endopodit, ep Epipodialanhänge,
ex Exopodit, d Darmcanal, r Ehachis,
p Pleuren.
Palaeostraken. 511
steines unserer Untersuchung erhalten geblieben. Immerhin kennt man
Entwicklungsstadien zahlreicher Trilobitenformen und ist es für manche
Formen gelungen, ziemlich complete Entwicklungsserien zusammenzu-
stellen, so dass wir über die Metamorphose der Trilobiten hinsichtlich
mancher wichtiger Punkte orientirt sind. Dagegen scheinen über Ent-
wicklungsstadien von Gigantostraken bisher keine Beobachtungen vorzu-
liegen.
-&v
I. Trilobiten.
Wenngleich neuere Untersuchungen (Ford, No. 2, 3, Walcott,
No. 6, Matthew, No. 4) vorliegen, so bilden doch die älteren Angaben
von Barrande (No. 1), denen wir hier folgen, die Grundlage für unsere
Kenntniss der Metamorphose der Trilobiten. Barrande unterschied
vier Entwicklungstypen cler Trilobiten, welche er übrigens selbst nur als
provisorisch aufgestellt betrachtet wissen wollte. Drei dieser Entwicklungs-
weisen lassen sich als Modifikationen eines Typus betrachten, während
der Agnostus-Typus den übrigen schärfer gegenüber zu stehen scheint.
1. Entwicklungstypus mit später Ausbildung des
definitiven Pygidiums.
Eine sehr vollständige, durch zahlreiche aufeinander folgende Stadien
vermittelte Metamorphose ist durch Barrande fürSao hirsuta bekannt
geworden (Fig. 327), welche Form dem ersten Entwicklungstypus Bar-
rande's folgt. Die jüngsten bekannt gewordenen Stadien (Ä) weichen
im Aussehen noch sehr von der ausgebildeten Form ab. Sie sind unge-
mein klein (2 3 Millimeter Durchmesser), rundlich, scheibenförmig und
zeigen noch keinen Zerfall des Körpers in scharf gesonderte Segmente.
Der Körper besteht zum grössten Theile aus der Anlage des späteren
Kopfabschnittes, an welchem man bereits die Glabella durch Dorsal-
furchen von den Wangen abgesetzt erkennt. Nach vorne erscheint die
Glabella noch nicht deutlich begrenzt. Zu ihren beiden Seiten kann man
dicht am Vorderrande des Körpers zwei bogenförmige Einbiegungen er-
kennen, welche — wie man vermuthen darf — mit der Anlage der Augen
(a) in Beziehung stehen. Die Anlage des Kopfschildes nimmt den grössten
Theil des ganzen Körpers ein. Ein ganz kleiner hinterer Abschnitt zeigt
die Anlagen einiger weniger undeutlicher Körpersegmente. Einige Zacken
des Hinterrandes sind auf die Pleuren dieser Segmente zu beziehen.
Diese Region enthält in nuce die Anlage des ganzen späteren Thorax
und des Pygidiums.
In einem wenig späteren, bereits etwas gestreckteren Stadium (B)
hat sich der Kopfabschnitt des Körpers durch eine scharfe Grenze von
der erwähnten hinteren Körperregion abgesetzt. In dieser letzteren sind
die Segmentanlagen deutlicher geworden, und ihre Zahl hat zugenommen.
Von derselben wird in den nun folgenden Stadien (C, Z), E) die Thorax-
region angelegt, indem die vordersten, am meisten entwickelten Segmente
sich abgliedern und als frei bewegliche Segmente der Thoraxregion selbst-
ständig werden. Während die Region der hinteren verschmolzenen Seg-
mentanlagen auf diese Weise nach vorne successive Segmente abgiebt,
werden an ihrem hinteren Ende immer neue Segmentanlagen producirt.
Man darf diese Region der hinteren noch unvollständig getrennten Seg-
mentanlagen, welche nichts weiter ist, als die Knospungszone der noch
512
XVI. Capitel.
fehlenden Thoraxsegmente, nicht mit dem Pygidium des ausgebildeten
Thieres verwechseln. Sie wurde von Barrande als „Pygidium transi-
toire" bezeichnet und unterscheidet sich auch äusserlich von dem defini-
tiven Pygidium; denn während letzteres bei Sao und Dalmanites
ganzrandig erscheint, trägt das transitorische Pygidium nach hinten frei
vorspringende Zacken, welche zu der Entwicklung der Pleuren der freien
Thoraxsegmente in Beziehung stehen. Erst nachdem die volle Zahl (bei
Sao 17) der freien Thoraxsegmente zur Ausbildung gekommen ist, ent-
wickelt sich das bei Sao sehr kurze definitive Pygidium.
Während auf diese Weise die Gliederung der ausgebildeten Form
allmählich erreicht wird, erleidet der Kopfabschnitt anscheinend durch
einfache Wachsthumsveränderungen Umbildungen, welche denselben der
B
D
Fig. 327. Fünf Entwicklungsstadien von Sao hirsuta (nach I3a.kranjl>e).
A jüngstes Stadium , B etwas älteres Stadium mit deutlicher Abgrenzung des
Kopfabschnittes, C Stadium mit zwei freien Tlioraxsegmenten, I) Stadium mit sieben
freien Thoraxsegmenten, E Stadium mit zwölf freien Thoraxsegmenten.
a Augenanlage, g Gesichtsnaht, p transitorisches Pygidium.
Gestaltung der ausgebildeten Form entgegenführen. Es erscheinen der
Limbus, die Occipitalfurche, die Hörner der Hinterecken. Die Glabella
grenzt sich schärfer ab und zeigt durch die auftretenden Querfurchen
die Andeutungen einer Segmentirung. Schliesslich wird die Gesichts-
naht ig) deutlich erkennbar, und es entwickelt sich die für Sao charak-
teristische gekörnelte Verzierung der Oberfläche. Während die genannten
Entwicklungserscheinungen nur selbstverständliches darbieten, ist die Lage-
veränderung der Augenanlage (a) mit Rücksicht auf die Position der
Seitenaugen von Limulus von grossem Interesse. Die Augenanlage liegt
Palaeostraken.
513
ursprünglich ganz nahe dem Vorderrande des Kopfschildes zu den Seiten
der Glabella. Die Augen erseheinen mit ihrem grössten Durchmesser
quer gestellt. Die Lage der Augen erinnert in diesen frühen Stadien
einigermassen an das Verhältniss, welches bei Cromus intercostatus zeit-
lebens besteht. Erst in den späteren Entwicklungsstadien von Sao
rücken die Augen seitlich von der Glabella ab und nach hinten und
stellen sich mit ihrem Längendurchmesser parallel zur Längsaxe des
Körpers.
In ganz übereinstimmender Weise verläuft auch die Entwicklung von
Dalmanites socialis. Ebenso scheint auch die durch Matthew (No. 4)
bekannt gewordene Metamorphose von Ptychoparia Linnarssoni in
nichts Wesentlichem von dem Entwicklungstypus von Sao abzuweichen.
Auffällig ist für die ersten Stadien von Ptychoparia die genäherte Lage der
beiden Dorsalfurchen , wodurch eine Schmalheit der vorne noch nicht ge-
schlossenen Glabella resultirt. An lezterer bemerkt man, dass die durch die
Querfurchen getrennten hinteren Segmente Anfangs bedeutend kürzer und
A
C
/ i ß
Fig". 328. Fünf Entwicklungsstadien von Ölen eil us asaphoides (nach Ford).
A und B jüngere Entwicklungsstadien, Cund D ältere Stadien, E ausgebildete Form.
« Wangenstachel, b innerer Stachel, c Augenanlage, d innerhalb der Augenanlage
gelegener Wulst, p transitorisches Pygidium.
gedrängter sind , als die langgestreckten , vorderen Abschnitte , was sich bei
weiterer Entwicklung des Kopfabschnittes ausgleicht. Auch hier finden sich
Lageveränderungen der Augenanlage, allerdings in anderer Art, als wir sie
oben für Sao und Dalmanites angegeben haben.
Von besonderem Interesse sind die Angaben von Eokd (No. 2 und 3)
über die Entwicklungsstadien des amerikanischen Olenellus asaphoides.
Wie bei Sao, so sind auch hier die jüngsten Stadien (Fig. 328 -4.) scheiben-
förmig. Man erkennt eine aus fünf hintereinanderliegenden Segmenten
bestehende Anlage der Glabella und einen dahinter gelegenen noch unseg-
mentirten, kleinen Körperabschnitt (p), in welchem die Anlage des gesammten
Thorax und Pygidiums vorliegt. Schon im nächsten Stadium (B) zeigt
dieser Abschnitt die ersten Spuren einer Segmentirung. Zu beiden Seiten
der Glabella liegen je zwei S-förmig gekrümmte Wülste (c, d), welche sich
nach hinten in den Rand des Körpers überragende Stacheln (a, b) fort-
514 XVI. Capitel.
setzen. Von diesen Wülsten stellt der äussere (c) die Augenanlage dar,
während der innere {d) in die Bildung des festen Theils der Wange über-
geht. Von den beiden nach hinten sich erstreckenden Stachelpaaren geht
das äussere (a) wahrscheinlich in den Wangenstachel an den Hinterecken des
Kopfschildes über. Die inneren Stacheln (b) bleiben noch in späteren
Stadien erkennbar, verschwinden aber später und sind an dem ausgebildeten
Thiere (E) nur durch eine Leiste, welche schräg von dem Auge zum Hinterrande
des Kopfschildes zieht, repräsentirt. Wie man sieht, schiebt sich während
der Entwicklung zwischen beide Stachelpaare ein beträchtlicher Theil des
Hinterrandes des Kopfschildes ein. Der innere Stachel ist durch seine Lage
von einem gewissen Interesse. Wie wir unten bei der Besprechung der
Entwicklung des Kopfschildes von Limulus (pag. 527) noch ausführen werden,
ist es vielleicht gerechtfertigt, an dem Kopfschilde der Trilobiten (ähnlich
wie bei Limulus) drei Regionen zu unterscheiden , deren Grenzen durch die
Gesichtsnaht angedeutet wären. Wir würden dann nur den festen Theil der
Wange als den zu den hinteren Segmenten der Glabella gehörigen Pleural-
antheil betrachten können, während der bewegliche Theil der Wangen sammt
den Augen ursprünglich dem vordersten Kopfsegmente zugehörte und, indem
er die hinteren Kopfsegmente seitlich umwachsen hätte, nach hinten gerückt
wäre. Es würde sich hiedurch die Lage der Augen von Limulus an einem
hinteren sog. Thoraxsegmente erklären. Wenn wir die Entwicklungsstadien
(Fig. 328, C und D) von Olenellus betrachten, so sehen wir, dass die
Pleuren der freien Thoraxsegmente Anfangs seitlich sich nicht weiter er-
strecken, als der erwähnte mittlere Antheil des Kopfabschnittes. Es wird
daher nahegelegt , die Frage aufzuwerfen , ob der erwähnte innere Stachel
nicht auf einen vorspringenden Pleuralfortsatz eines jener hinteren Segmente,
welche in die Bildung der Glabella einbezogen wurden, zu beziehen sei.
Die späteren Entwicklungsstadien von Olenellus asaphoides zeichnen
sich dadurch aus, dass die Pleuren des dritten freien Thoraxsegmentes auf-
fällig nach hinten verlängert erscheinen (Fig. 328, C und D), ein Verhalten,
welches dem ausgebildeten Zustande fehlt, dagegen bei einigen Paradoxides-
Arten für die vorderen Segmente wiederkehrt, Da die Jugendzustände von
Olenellus mit diesen Paradoxidesarten überdies durch den abgeknickten
Verlauf des Hinterrandes des Kopfschildes übereinstimmen, so scheint in der
Metamorphose von Olenellus ein gewisser Hinweis auf die Phylogenie dieser
Gattung erhalten zu sein.
Der dritte Entwicklungstypus von Barrande umfasst jene Formen,
deren Entwicklungsstadien dieselben Charaktere aufweisen, wie die älteren
Stadien von Sao hirsuta. Der Kopfabschnitt zeigt meist bereits die defi-
nitiven Gestaltungsverhältnisse ; dagegen ist die Zahl der Thoraxsegmente
noch unvollständig, während ein als transitorisches Pygidium fungirender
hinterer Körperabschnitt durch Abgliederung die noch fehlenden freien
Thoraxsegmente liefert. Die weitere Entwicklung verläuft wie bei dem
ersten Typus. Wir müssen annehmen, dass in dem dritten Typus Bar-
rande's Formen vereinigt sind, deren jüngste Entwicklungsstadien wir ent-
weder nicht kennen, oder deren Metamorphose thatsächlich in der Weise
abgekürzt war, dass sie in einem späteren Entwicklungsstadium aus
dem Eie schlüpften. Barrande führt als hieher gehörige Gattungen auf:
Arethusina, Cyphaspis, Proetus, Arionellus, Conocepha-
lites, Aeglina, Hydro cephalus, Illaenus, Acidaspis, Am-
pyx, Ogygia und Triarthus.
Einer noch beträchtlicheren Abkürzung der Metamorphose scheint der
vierte Entwicklungstypus von Barrande zu entsprechen. Hier ist der
Palaeostraken.
515
Kopfabschnitt und der Thorax bereits vollständig entwickelt; dagegen
weist das Pygidium noch einen geringeren Entwicklungsgrad auf, inso-
ferne die Zahl der dasselbe zusammensetzenden Segmente noch nicht
völlig complet ist. Hieher sind Paradoxides, die der Haus m anni-
g r u p p e zugehörigen D a 1 m a n i t e s a r t e n , einige Arten von P h a c o p s ,
Proetus, Asaphus u. A. zu stellen.
2. Entwicklungstypus mit frühzeitiger Ausbildung des
definitiven Pygidiums.
Diese Abtheilung entspricht dem zweiten Entwicklungstypus Bar-
rande's, welcher für Agnostus und Trinucleus Geltung hat. Die
jüngsten bekannt gewordenen Stadien bestehen bloss aus der Anlage des
Kopfschildes und des Pygidiums. Letztere, wenngleich noch unvollkom-
men, zeigt doch schon im Wesentlichen die Charaktere der ausgebildeten
Form. Die Metamorphose beschränkt sich daher auf die Entwicklung
der Thoraxregion, welche in der Weise
zu Stande kommt, dass — wie bei den
früher betrachteten Formen — successive
freie Thoraxsegmente sich von dem vor-
deren Rande des Pygidiums abgliedern.
Die übrigen Veränderungen bestehen in
der Vermehrung der Segmentanlagen des
Pygidiums und in der vollkommeneren
Ausgestaltung des Kopfabschnittes. So
werden beispielsweise bei Trinucleus die
charakteristischen Porenreihen des Limbus
^
ausgebildet u. s.
f.
Wir müssen diesen Entwicklungstypus
gegenüber dem früheren als einen abge-
leiteten betrachten. Bei der Wichtigkeit,
welche offenbar dem Vorhandensein des
Pygidiums zukam, darf es uns nicht allzu-
sehr verwundern, die Umwandlung der hin-
teren Körpersegmente zu dieser Bildung
bereits in ganz frühe Stadien verlegt zu
sehen. Hinsichtlich der geringen Zahl der
Segmentanlagen in den ersten Stadien, der
Abgliederung der Thoraxsegmente und der
Entwicklung neuer Segmentanlagen an seinem
hinteren Ende nähert sich das Pygidium
der jüngeren Stadien dieses Typus allerdings
sehr dem transitorischen Pygidium der oben
beschriebenen Typen. Es unterscheidet sich
aber von letzterem dadurch , dass es sich
hinsichtlich seiner Gestaltungsverhältnisse
schon mehr der ausgebildeten Form nähert.
Wie man sieht , ist zwischen den beiden
hier unterschiedenen Entwicklungstypen
kaum eine scharfe Grenze zu ziehen.
Die Entwicklungsstadien von Agnostus
und Trinucleus erinnern auffallend an ge-
Fig. 329. Drei Entwicklungs-
stadien von Trinucleus ornatus
(nach Bärrande).
A jüngstes Stadium, bloss aus
Kopfschild und Pygidium bestehend,
B Stadium mit einem freien Thorax-
segment, C Stadium mit vier freien
Thoraxsegmenten.
516
XVI. Capitel.
wisse frühe Ausbildungsstufen des Keimstreifs der Scorpione, wie sie besonders
durch Metschnikoff (pag. 540 und 541) bekannt geworden sind. Auch dort
finden wir zunächst einen vorderen und hinteren Körperabschnitt, während sich
bald einige wenige, successive entstehende, freie Segmente vom hinteren Ab-
schnitte abgliedern und zwischen beide Abschnitte einschieben. Aehnliche Stadien
finden wir bei den Spinnen. Wir werden freilich im Auge behalten müssen,
dass die freien Segmente dieses Keimstreifs später dem Kopf beigezogen werden
und bei den Trilobiten offenbar durch Segmente der Glabella repräsentirt sind.
Wir dürfen dieselben also nicht mit den freien Thoraxsegmenten der Trilobiten
homologisiren. Immerhin ist aber durch das Vorhandensein eines grösseren
verschmolzenen hinteren Kör-
Ä.
B.
perabschnittes und durch die
Art der Segmententstehung
eine gewisse Uebereinstim-
mung gegeben.
Es wurde von Barrande
darauf hingewiesen, dass die
meisten Trilobitenspecies mit
Metamorphose den älteren
Schichten des böhmischen
Silurs angehören , während
in den jüngeren Schichten
Jugendzustände von Trilobi-
ten bedeutend seltener ge-
funden werden , obgleich in
letzteren Schichten die Zahl
der Arten eine reichere ist
und die Verhältnisse für die
Erhaltung dieser zarten For-
men zum Theil auch nicht ungünstige sind. Es erscheint daher nicht ungerecht-
fertigt, wenn Barrande die Frage aufwirft, ob vielleicht die Metamorphose bei
der höheren Entwicklung des Trilobitenstammes durch eine directe Entwicklung
ersetzt wurde.
II. Xiphosuren.
Von den hieher gehörigen Formen ist bisher nur Limulus poly-
phemus auf seine Entwicklungsgeschichte untersucht worden x). Die Ent-
wicklungsstadien von Limulus moluccanus sind bisher unbekannt
geblieben. Es verdient Erwähnung, dass Willemoes-Suhm (No. 31) eine
während der Challenger-Fahrt bei den Philippinen gefangene pelagische
Krebslarve, welche den Cirripedien-Larven ähnlich ist (vgl. oben pag. 402),
auf Limulus molluccanus beziehen zu können glaubte. Er ist jedoch später
selbst von dieser Ansicht abgekommen und hat die betreffende Larve den
Cirripedien-Larven zugereiht.
Fig". 330. VierEntwicklungsstadien vonAgnos-
tus nudus (nach Barrande).
A jüngstes Stadium , bloss aus Kopfschild und
Pygidium bestehend, B Stadium mit den Anlagen der
zwei Thoraxsegmente, C Stadium nach Abschnürung
der beiden Thoraxsegmente, D ausgebildete Form.
1.
Furckuiig und KeiiubUitterbildung.
Die Eier von Limulus polyphemus werden am Meeresufer in
von dem Weibchen gegrabene Löcher im Sande in der mittleren Region
zwischen dem niedrigsten und höchsten Wasserstand (Kingsley No. 14)
1) Neuerdings auch L. Ion gispinus durch Kishinouye (Zool.Anz. 14. J. No. 369),
dessen Angaben hier nicht mehr genauer berücksichtigt werden konnten.
Palaeostraken. 517
oder nahe der Hochfluthmarke selbst (Lockwood) abgelegt. Dagegen
sollen nach einer Bemerkung von Willemoes- Suhm Limulus rotun-
d i c a u d a und L i m u 1 u s molucc a n u s ihre Eier nicht ablegen , son-
dern an den Schwimmfüssen befestigt mit sich herumtragen.
Die Eier sind bei ihrer Ablage von einer sehr dicken, lederartigen
aus mehrfachen Schichten zusammengesetzten Membran umhüllt, welche
von den Autoren als Chorion bezeichnet wird, und deren Bildung viel-
leicht (Dohrn No. 11) nicht im Ovarium selbst, sondern in einem be-
sonderen dafür bestimmten Abschnitte der Ausführungsgänge bewirkt
wird. Bei der zunehmenden Vergrösserung des Embryos reisst diese
Membran, so dass der. Embryo in späteren Stadien ausschliesslich von
der später gebildeten Cuticula blas todermica bedeckt ist.
Hinsichtlich der ersten Entwicklungsvorgänge im Eie von Limulus
sind wir ausschliesslich auf die kurzen vorläufigen Mittheilungen von Os-
born (No. 22), Brooks und Bruce (No. 10), sowie Kingsley (No. 15)
angewiesen. Aus diesen scheint hervorzugehen, dass eine beträchtliche
Uebereinstimmung mit den Entwicklungsvorgängen der Arachniden,
speciell der Scorpione, vorherrscht. Wir folgen in Bezug auf die
ersten Entwicklungsvorgänge hauptsächlich den neueren Angaben von
Kingsley.
Der erste Furchungskern liegt, von Bildungsdotter umgeben, nahe
dem Centrum des Eies. Aus diesem geht durch wiederholte Theilung
eine grössere Zahl von Furchungskernen hervor, welche sich im Innern
des Eies vertheilen, bevor eine Durchfurchung des Eiinhaltes (Abgren-
zung bestimmter Zellterritorien) sich geltend macht. Diese Vertheilung
ist keine gleichmässige, sondern es zeigt sich, dass an jener Stelle, an
welcher in späteren Stadien die erste Anlage des- Embryos auftritt, die
Furchungskerne rascher nach der Oberfläche wandern, als in den übrigen
Parthien des Eies. Da an dieser Stelle zuerst eine Abgrenzung der
Furchungszellen stattfindet, so hat die Furchimg einen anscheinend
meroblastischen (discoidalen) Charakter und erinnert demnach an die bei
dem Scorpion zu beobachtenden Verhältnisse (vgl. unten pag. 537, Fig. 343).
Schliesslich zerfällt jedoch das ganze Ei in Furchungskugeln, welche zum
grössten Theil aus Nahrungsdotterelementen zusammengesetzt sind, von
denen jedoch jede in ihrem Inneren einen von Protoplasma umgebenen
Furchungskern beherbergt.
Die oben erwähnte Wanderung der Furchungskerne nach der Ober-
fläche führt, indem daselbst Zellen zur Abgrenzung kommen, zur Bildung
des Blastoderms. Das Blastoderm wird demnach an jener oben genannten
Stelle des Eies zuerst fertig gebildet und stellt daher in diesen Stadien
eine an diesem Pole sich findende dichtere Zellanhäufung dar, während
an der ganzen übrigen Peripherie des Eies noch grössere, dicht mit
Nahrungsdotter erfüllte Zellen gelagert sind. Entsprechend dieser Stelle
erhält sich — wie es scheint — auch in späteren Stadien, wenn die
Ausbildung des Blastoderms bereits über die ganze übrige Oberfläche
des Eies vorgeschritten ist, eine Blastodermverdickung, welche mit dem
Primitivcumulus des Spinneneies verglichen worden ist.
Noch während die Blastodermbildung vor sich geht, erfolgt eine
cuticulare Ausscheidung an der Oberfläche der Blastodermzellen, welche
ähnlich, wie bei vielen Crustaceen (vgl. oben pag. 322), zur Aus-
bildungeiner Bl astodermhaut (Cuticula blastodermica) führt.
Diese Cuticula, welche eine beträchtliche Dicke erreicht und in späteren
Stadien nach Abstreifung des Chorions die einzige Hülle des Embryos
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 34
518
XVI. Capitel.
darstellt, zeigt an ihrer Aussenfläche eine polygonale Felderung, welche
den Grenzen der Blastodermzellen, von denen diese Membran abgeschie-
den wurde, entspricht.
Nicht sämmtliehe bei der Furchung entstandenen Theilstücke gehen
in die Bildung des Blastoderms ein. Ein grosser Theil derselben bleibt
mit Nahrungsdottermassen erfüllt im Innern des Eies. Die Summe
dieser sog. Dotterzellen soll das Entoderm repräsentiren. Das Blasto-
derm dagegen enthält die Elemente des späteren Ectoderms und
Mesoderms.
Die nächsten Bildungsvorgänge, welche als Gastrulation bezeichnet
werden müssen und zur Ausbildung des Keimstreifs hinüberführen, gehen
nun vom Primitivhügel aus. In der Mitte dieses letzteren tritt zunächst
ein rundliches Grübchen auf, welches als Blastoporus zu bezeichnen ist
und bald eine mehr dreieckige und hierauf eine verlängerte Gestalt an-
nimmt. Es geht so in die Bildung einer Primitivrinne über (Fig. 332 A).
Gleichzeitig tritt hinter dem Primitivhügel eine zweite mit demselben in
Zusammenhang stehende Blasto-
dermverdickung auf, welche an den
Oberflächenbildern in Gestalt einer
weisslichen Wolke erscheint. In
diese erstreckt sich bald die nach
hinten sich verlängernde Primitiv-
rinne. Von letzterer geht während
dieser Zeit die Proliferation von
Mesodermzellen aus, welche sich
in den benachbarten Parthien
unter dem Ectoderm ausbreiten
(Fig. 331). Bei dieser Zell-
ausschliesslich Mesoderm , aber
Fig. 331. Querschnitt durch die Keim-
scheibe von Limulus im Stadium der Keim-
blätterbildung (nach Kingsley).
b Blastoporus (Primitivrinne), d Dotter-
zellen, ec Ectoderm, m Mesoderm.
Wucherung soll von der Primitivrinne
kein Entoderm geliefert werden.
Die Ausbreitung von Mesodermelementen unter dem Ectoderm,
welche von der Primitivrinne ausgeht, erscheint an den Oberflächenbil-
dern wie ein die letztere umgebender heller Hof (Fig. 332 A). Dieser
verbreitert sich bald, und diese ganze hellere Region, welche von Meso-
derm unterlagert ist, müssen wir als die beginnende Embryonalanlage
betrachten und können sie von nun an als Keimscheibe bezeichnen.
In ihrer Mitte ist noch immer der Primitivstreif erkennbar, wenngleich
derselbe in den nun folgenden Stadien bereits viel weniger deutlich er-
scheint, als am Anfange seines Auftretens.
2. Ausbildung der äusseren Körperforni.
Die nunmehr etwas länglich - ovale Keimscheibe , deren bilaterale
Symmetrie durch die Reste der undeutlich gewordenen Primitivrinne ge-
kennzeichnet ist, wird zunächst durch eine auftretende Querfurche in eine
vordere cephalische und eine hintere postorale Region getrennt. Von
letzterer schnürt sich sehr bald durch das Auftreten einer weiteren Quer-
furche das vorderste Thoraxsegment ab. Dieses Stadium, welches aus
einer abgerundeten cephalischen Parthie, einem dahinter eingeschobenen
Rumpfsegment und einer noch unsegmentirten hinteren Körperregion be-
steht, erinnert sehr an ein ähnliches, für den Scorpion bekannt gewor-
denes Stadium (vgl. unten pag. 541). Die Medianfurche reicht nach
vorne in das cephalische Segment, während sie sich nach hinten in dem
Palaeostraken.
519
unsegmentirten hinteren Körperabschnitt verliert. Es lösen sich nun
successive neue Thoraxsegmente von dem hinteren Körperabschnitte ab,
bis die Zahl von sechs freien Thoraxsegmenten erreicht ist. Ein ganz
übereinstimmendes Stadium ist für die Spinnen bekannt geworden
(Fig. 367 A, pag. 579).
Wir unterscheiden nun (Fig. 332 B und Fig. 339) einen halbkreis-
förmig begrenzten vorderen cephalischen Körperabschnitt, sechs Thorax-
Fig. 332. Zwei Embryonalstadien von Limulus (nach Kingsley).
A Stadiuni mit Primitivrinne, B Stadium mit Extremitätenanlao-en.
1 — 6 erstes bis sechstes Thoraxbeinpaar, a After, b Primitivrinne (Blastoporus),
do Dorsalorgan, me Keimscheibe mit darunterliegender Mesodermschicht, m Mund,
n Neuralrinne, ax Operculumanlage (erstes Abdominalbein).
—5
segmente und eine hintere, ebenfalls halbkreisförmig umrandete, abdomi-
nale Körperregion. Sehr bald treten an den Thoraxsegmenten die An-
lagen der Gliedmaassen [der Cheliceren (1) und der fünf dahinter folgenden
Paare (3—6)] als anfangs kleine knopfförmige Erhabenheiten auf. Von
diesen sind die Anlagen der Cheli-
ceren (Fig. 332 B, 1) am kleinsten,
während die dahinter folgenden
Paare bis zum letzten an Grösse
zunehmem Die Mundöffnung (m)
und Afteröffnung (a) sind durch
Ectodermeinsenkungen gekennzeich-
net. Von diesen liegt die erstere in
der cephalischen Körperregion und
daher deutlich vor dem ersten Glied-
maassenpaare (Cheliceren), welches
ja dem ersten Thoraxsegmente ange-
hört (Packard, Kingsley). In spä-
teren Stadien verändert der Mund
seine Lage, indem er weiter nach
hinten rückt, so dass er dann hinter
die Cheliceren in den Raum zwi-
schen dem zweiten Gliedmaassen-
paare zu liegen kommt (Fig. 333).
Zwischen Mund- und Afteröffnung,
welche nach Kingsley (No. 14) eine
eigenthümliche in die Länge ge-
zogene Form aufweisen, zieht sich
die Neuralrinne (Fig. 332 n) hin,
welche an der Stelle der inzwischen
Fig. 333. Embryo von Limulus
(nach Dohen).
1 — 6 erstes bis sechstes Paar der
Thoraxextremitäten, ax erstes Abdominal-
bein (Operculum), a» zweites Abdominal-
bein, ab ventralwärts umgeschlagenes Ab-
dominalende bg Bauchganglienkette, c Cu-
ticula blastodermica, d Chilaria, m Mund,
r Rand des späteren Cephalothoraxschildes,
x Exopodit des sechsten Thoraxbeinpaares.
34*
520
XVI. Capitel.
verschwundenen Primitivrinne gelegen ist. Die ganze längliche Keim-
seheibe ist an den Seiten von einem verdickten Wall (Fig. 333 r) um-
randet, in welchem wir die erste Anlage des Cephalothoraxschildes zu
erkennen haben. Sehr bald treten an dem abdominalen Körperabschnitt
die ersten undeutlichen Anlagen des vordersten Extremitätenpaares dieser
Region (av Operculum) zu Tage. Schon in diesem Stadium erkennt man zu
den Seiten der Keimscheibe, aber ausserhalb derselben, ungefähr auf der
Höhe des vierten Thoraxsegmentes zwei rundliche Verdickungen (Fig.332r7o),
welche wahrscheinlich dem sog. Dorsal organ (Watase) entsprechen.
Das folgende Stadium (Fig. 333) zeigt die Thoraxextremitäten stärker
entwickelt und nach Innen winkelig abgeknickt. Es sind nun zwei Paare
blattförmiger abdominaler Extremitäten (ax, a2) angelegt, welche sich von
den Thoraxextremitäten durch ihre Gestalt, ihre der Medianlinie ge-
näherte Lage und durch die Art ihrer Entstehung unterscheiden. Sie
lösen sich dadurch von der Keimscheibe, dass eine Einfaltimg der Körper-
oberfläche von hinten unter sie eindringt (Kingsley). In diesem Stadium
"3 \ y K6
Fig. 334. Embryo von Limulus
(nach Watase).
1 — 6 erstes bis sechstes Thorax-
beinpaar, a-y erstes Abdominalbeinpaar
(Operculum), a2 zweites Abdominalbein-
paar, ab Abdomen, au Stelle, an welcher
nach Watase das Seitenauge sich an-
legt, c Cuticula blastodermica, x Exo-
podit des sechsten Thoraxbeinpaares.
Fig". 335. Seitenansicht eines Limulus-
embryos (nach Kingsley).
1 — 6 erstes bis sechstes Thoraxbeinpaar,
«! erstes Abdominalbeinpaar (Operculum),
«2 zweites Abdominalbeinpaar, ab Abdomen,
eh Chilaria, do Dorsalorgan, x Exopodit des
sechsten Thoraxbeinpaares.
glaubte Packard eine Fortsetzung der Segmentgrenzen auf die seitlich
neben der Keimscheibe gelegenen Parthien des Dotters erkennen zu
können, was aber Kingsley nicht bestätigen konnte.
Die Embryonalanlage lag bisher als eine sich allmählich ausdehnende
flache Scheibe der rundlichen Dotterkugel auf. Letztere beginnt nun mit
der fortschreitenden Resorption des Nährmaterials sich zur Rückenhälfte
des Embryonalkörpers umzubilden (Fig. 334). Noch immer erscheint
der Schwanzabschnitt (ab) sehr kurz und mit seinem hintersten Ende
ventralwärts eingekrümmt (Dohrn) (vgl. Fig. 333 ab). Der Embryo be-
deckt sich nun mit einem zarten, cuticularen Häutchen, welches schon
in den nächstfolgenden Stadien durch Häutung abgestossen wird und dann
innerhalb des von der Blastodermhaut umschlossenen Raumes liegen bleibt.
Das folgende Stadium (Fig. 335) ist durch die quere Zerreissuug
des Chorions charakterisirt, dessen beide Hälften noch längere Zeit als
halbkugelförmige Schalen dem Eie anhaften bleiben. Der Embryo be-
wegt sich jetzt innerhalb des durch Aufnahme von Seewasser vergrösserten,
Palaeostraken.
521
von der Blastodermcuticula umschlossenen Raumes. Letztere erleidet
hierbei eine beträchtliche Ausdehnung, wobei das zellähnliche Mosaik an
ihrer Oberfläche verschwindet. Die Extremitäten entwickeln sich nun
allmählich mehr nach der Richtung der definitiven Gestalt, indem an
ihnen die Scheerenanlagen sowie die Gliederung kenntlich werden. Auch
tritt an dem sechsten Extremitätenpaar der als Exopodit (x) gedeutete
äussere Anhang der Coxa auf. Hinter diesem Extremitätenpaare, der
Medianlinie genähert, machen sich die Anlagen der als Chilaria (ch,
Metastoma) bezeichneten paarigen Unterlippenbildung bemerkbar, welche,
da ihnen kein eigenes Bauchganglion, sowie kein Mesodermsegment ent-
spricht (Kingsley No. 14), nicht als Extremitäten aufgefasst werden
dürfen 1). An dem Abdominalabschnitt macht sich eine Art von Segmen-
tirung geltend (Fig. 334, 335 ab).
Fig. 336. Zwei Entwicklungsstadien von Limulus (nach Kingsley, aus Lang's
Lehrbuch). A junge eben ausgeschlüpfte Larve des Trilobitenstadiums, von der Rücken-
seite, B Embryo, nahe vor dem Ausschlüpfen, von der Bauchseite gesehen.
Mit der allmählichen Verringerung des Nahrungsdotters und der Aus-
bildimg des Rückens machen sich an dem Embryo des folgenden Sta-
diums bereits die Grundzüge der Limulusgestalt bemerkbar. Der vor-
dere Körperabschnitt, welcher aus dem cephalischen Segment und den
hinzugetretenen sechs Thoraxsegmenten besteht, ist nun schildförmig ge-
staltet, wenngleich seine Rückenseite noch halbkugelig gewölbt erscheint.
Es macht sich an der Rückenseite dieses Körperabschnittes durch die
Vertheilung des Nahrimgsdotters (Mitteldarmanlage) und durch nach
Innen wachsende Mesodermsepten eine den sechs Thoraxsegmenten ent-
sprechende Segmentirung geltend, indem man jederseits sechs durch Meso-
dermsepten getrennte Dotterlappen (Leberanlagen), die an der Aussenseite
wieder secundär gelappt erscheinen, erkennen kann (Fig. 335). Die vor-
deren dieser Lappen erscheinen nicht mehr quer, sondern radiär gestellt.
Nun sind auch schon die Augenanlagen deutlich zu erkennen. Von
diesen liegen die der Mittelaugen ursprünglich nach Packard (No. 23) an
der Ventralseite , rücken jedoch bald über den vorderen Cephalothorax-
rand nach der Dorsalseite hinüber. Die Anlagen der Seitenaugen ent-
sprechen nach Watase dem vierten Leberlappen und liegen an der Innen-
seite des von ihm beschriebenen Dorsalorgans (Fig. 334 au). Der Abdominal-
]) Nach Kishinouve soll diesem Anhangspaar ein eigenes Bauchganglion zu-
kommen, daher es als echtes Extremitätenpaar zu betrachten sei.
522
XVI. Capitel.
ma
Fig. 337. Larve des Trilobiten-
stadiums von Limulus (nach Wätase).
do Dorsalorgan, ZLeberausstülpungen
des Mitteldarms, toLateralauge, wiaMedian-
augen, s Anlage des Schwanzstachels.
ma
abschnitt zeigt nun schon eine deutliche Segmentirung, welche nach Kingsley
allerdings blos auf die inneren Organe sich erstreckt, während das Ecto-
derm daran unbetheiligt erscheint (?).
Wir können im Ganzen neun Abdo-
minalsegmente unterscheiden (vgl. Fig.
337), von denen das letzte die Anlage
des Schwanzstachels darstellt und von
den nächstvorderen gekrümmten Seg-
menten seitlich umfasst wird (Fig.
336 A). An der Basis dieses Seg-
mentes liegt die Afteröffnung. Die
Extremitäten nähern sich nun immer
mehr der ausgebildeten Form, doch
fehlen noch die Zähne an den zu
Kauladen umgebildeten Coxalab-
schnitten. An den beiden Paaren
von Abdominalanhängen, hinter denen
die Anlage eines dritten Paares er-
kennbar wird, macht sich die zwei-
lappige Grundform geltend, indem ein
kleiner Innenlappen (Endopodit) zur
Ausbildung kommt (Fig. 335 ax a2,
Fig. 336 B).
Das Stadium, in welchem der
Embryo aus der Blastodermcuticula
ausschlüpft, wird als Tri-
lobiten-Stadium (Fig.
336.4,337) bezeichnet. In
der That macht sich an
demselben durch zwei
Längsfurchen eine deutliche
Abgrenzung eines mittleren
und zweier seitlicher Kör-
pertheile geltend. Am Ce-
phalothorax sind nun die
Anzeichen einer Segmen-
tirung nicht mehr zu er-
kennen; er erscheint als
einheitlicher Körpertheil,
Eine halbkreisförmige, dem
Rande ungefähr parallele
Leiste verbindet die Me-
dianaugen und Seitenaugen.
Der Abdominalabschnitt er-
scheint noch immer im Seg-
mente getrennt. Wir er-
kennen an seinem Seiten-
rande sechs bewegliche
Dornen (Fig. 337), welche
dem zweiten bis siebenten
Segmente angehören. Es
tritt nun die Anlage eines
vierten Abdominalbein-
Fig. 338. Aelteres Larvenstadium von Limulus
(nach Watase).
I Leberausstülpungen des Mitteldarms, la Lateral-
auge, ma Medianaugen.
Palaeostraken. 523
paares auf. Das erste Abdominalbeinpar wird jetzt zum Operculum
umgebildet. Es tritt eine ziemlich weitgreifende Verwachsung der
Innenseite der beiden Hälften dieses Paares ein, wobei der Endopodit
eine Rückbildung erleidet. Am zweiten und den folgenden Abdominal-
beinpaaren machen sich nun schon die Anlagen der Kiemenblätter gel-
tend, von denen anfangs bloss vier an jeder Extremität zu bemerken
sind. Später wird ihre Zahl durch Sprossung neuer Lamellen an der
Basis der Extremität vermehrt. Der Endopodit dieser Gliedmaassen er-
fährt eine Gliederung in drei Abschnitte.
Die aus dem Ei geschlüpften Jungen des Trilobitenstadiums bohren
schon im Sande wie die ausgebildeten Thiere. Immerhin scheint ihnen
eine grössere Beweglichkeit eigen zu sein. Sie sind im Stande, mittelst
ihrer Abdominalgliedmaassen umherzuschwimmen und werden gelegent-
lich freischwimmend (so ein Exemplar von A. Agassiz drei Meilen von
der Küste) angetroffen. Nach der ersten Häutung gehen sie in ein Sta-
dium über, welches sich von dem vorhergehenden durch die stärkere
Verästelung der gradier gewordenen Leberschläuche, durch die innigere
Verschmelzung der Abdominalsegmente und durch die Verlängerung des
Schwanzstachels unterscheidet. Dieses Stadium (Fig. 338) ist durch seine
Uebereinstimmung mit der palaeozoischen Hemiaspidengattung Prest-
wichia bemerkenswert!]. Die späteren Stadien weisen schon durchaus
die Charaktere der ausgebildeten Form auf bis auf den Mangel der
sexuellen Differenzen. Letztere scheinen erst sehr spät (nach Lockwood
im dritten oder vierten Lebensjahre) ausgebildet zu werden. Während
die jungen Männchen den Weibchen gleichen, erhalten sie dann an dem
zweiten Extremitätenpaare statt der Scheere eine starke Endklaue.
3. Die Bildung der Organe.
A. Nervensystem und Sinnesorgane.
Die Bauchganglienkette entwickelt sich in der Form zweier zu
den Seiten der Medianlinie zur Ausbildung kommender Ectodermver-
dickungen (Fig. 333 bg), welche zwischen sich eine weniger verdickte
Ectodermparthie einfassen. Letztere erscheint an dem Oberflächenbilde
als Neuralrinne, obgleich sie eigentlich nicht unter die Oberfläche einge-
sunken ist. Indem die Seitenstränge sich segmentweise verdicken und
von der Hypodermis loslösen (welche Abtrennung von vorne nach hinten
erfolgt) kommen die seitlichen Hälften der Bauchganglienkette zur Ent-
wicklung. Die Quercommissuren scheinen sich durch Einstülpung der
Mittelparthie anzulegen (Kingsley). Es entwickelt sich demnach die
Bauchganglienkette im Wesentlichen nach demselben Typus, den wir
oben für die Crustaceen geschildert haben (pag. 360) und der für alle
Arthropoden gültig scheint. Man erkennt im Embryo im Ganzen acht
deutliche Ganglienpaare, von denen die sechs vorderen auf die sechs
Thoraxsegmente entfallen. Mit der Verlagerung der Mundöffhung nach
hinten rückt das vordere den Cheliceren zugehörige Ganglienpaar immer
mehr nach vorn, so dass es schliesslich der eigentlichen Schlund commissur
angehört und der Ursprung des ihm zukommenden Nerven dicht an der
Grenze des Gehirns gelegen ist. Der thoracale Abschnitt der Bauch-
ganglienkette ist im Embryo noch mehr gestreckt. Erst in späteren
Stadien concentrirt er sich nach vorne, und gleichzeitig kommt durch
Auseinanderweichen seiner beiden Hälften die für die ausgebildete Form
524
XVI. Capitel.
charakteristische ringförmige Gestalt zur Entwicklung, lieber die Ent-
stehung der bei Limulus diese Theile des Nervensystems umhüllenden
Gefässscheiden ist bisher nichts Genaueres bekannt geworden, doch erwähnt
Kingsley (No. 15), dass sie in ihrer Entwicklung ein Stadium durch-
laufen, wie es bei den Scorpionen zeitlebens persistirt, indem sie der
Schlundcommissur blos aufliegen, ohne dieselbe vollständig zu umhüllen.
m
lieber die Entwicklung des eigentlichen oberen Schlundganglions
oder Gehirns, welches die Augennerven und einige Hautnerven (Nervi fron-
tales) abgiebt, liegen nur einige kurze vorläufige Mittheilungen vor (Patten
No. 28 und 29, Kingsley No. 15) aus denen der eigentliche Modus der
hier eintretenden complicirten Bildungsvorgänge kaum zu ersehen ist. Nach
Patten, dem Kingsley beistimmt, soll die Gehirnanlage [in Uebereinstimmung
mit dem von Patten für die Scorpione und Acilius (vgl. den Abschnitt über
die Entwicklung des Nerven-
systems der Insecten) auf-
gestellten Schema] aus drei
hinter einander folgenden
Ganglienpaaren bestehen,
welche gleichsam eine im
cephalischen Körperabschnitt
gelegene , präorale Fort-
— so. Setzung der Bauchganglien-
kette darstellen. Jedem
— sos dieser drei Paare entspricht
ein ursprünglich an der Aus-
'- so, senseite derselben gelegenes
Paar von Einstülpungen, aus
denen die optischen Ganglien
hervorgehen. Bei Limulus
sollen sich die beiden vor-
dersten Paare dieser Ein-
stülpungen zur Bildung der
Medianaugen, sowie der ihnen
zukommenden Nerven ver-
.- so,
so.
x- so*
a
einigen, während das dritte
Fig. 339. Schematische Darstellung einer
Keimscheibe von Limulus mit den lateralen, seg-
mentalen Sinnesorganen (nach Patten).
a After, m Mund, r Rand des Cephalothorax-
sehildes, s Sinnesorgan des dritten Gehirnsegmentes,
sol— so6 erstes bis sechstes laterales, segmentales
Sinnesorgan, so4 Dorsalorgan, 1 — 6 erstes bis sechs-
tes Thoraxbeinpaar.
Paar von Einstülpungen beim
Scorpion das optische Ganglion der Seitenaugen liefert, bei Limulus dagegen nur
zu einem kleinen Sinnesorgan (Fig. 339 s) in Beziehung stehen soll, während die
Lateralaugen nach Patten dem dritten, nach Kingsley dem fünften, nach anderen
Autoren dem vierten Thoraxsegmente angehören, also postcephalische Bildungen
sind. Die optischen Ganglien setzen sich nach hinten in einen Nervenstrang,
eine Art von an der Aussenseite der Beinanlagen hinziehendem Lateralnerv
fort, welcher mit je einem Sinnesorgan in jedem Segment (Fig. 339 so1 — so6)
in Zusammenhang steht. Nach Patten sollen diese Sinnesorgane (die Anlagen
der Lateralaugen abgerechnet) meist nur provisorische Bedeutung haben und
bald verschwinden. Nach Kingsley dagegen liefert das erste Paar (so/) die
Medianaugen, das zweite ein eigenthümliches noch unbeschriebenes Sinnesorgan ;
das dritte verschwindet; aus dem vierten entwickelt sich das Dorsalorgan (so4)
von Watase , welches längere Zeit persistirt ; das fünfte geht in die zu-
sammengesetzten Seitenaugen über, und das sechste endlich wird rückgebildet.
Wir stehen allen diesen Angaben bis zu dem Erscheinen ausführlicherer
Mittheilungen noch ziemlich sceptisch gegenüber. Hinsichtlich der bei dem
Palaeostraken.
525
Mangel genügender Abbildungen kaum verständlichen Darstellung der Ent-
wicklung des Gehirns von Limulus müssen wir den Leser auf die genannte
Abhandlung Patten's verweisen. Ebenso sind wir bei dem fragmentarischen
Charakter der bisher vorliegenden Mittheilungen nicht in der Lage zu ent-
scheiden, in wie weit sich die neueren Angaben Packaed's (No. 27) über
den Bau des Limulus - Gehirnes mit denen PatteVs in Uebereinstimmung
bringen lassen. Packakd hebt hervor, dass das Chelicerenganglion bei
Limulus nicht mit dem Gehirn verschmilzt , sondern getrennt bleibt. Das
eigentliche Gehirn entsendet nur die Nerven zu den Medianaugen und Seiten-
augen , sowie zwei Paare von Integumentnerven (N. frontaux und fronto-
inferieurs). Es besteht aus drei Lappenpaaren : die Lappen der Seitenaugen,
der Medianaugen und die eigentlichen Cerebrallappen. Bei dem Mangel von
Abbildungen war es uns nicht möglich, über die Lagebeziehungen dieser
Gehirnlappen eine klare Vorstellung zu gewinnen.
Fig. 340. Querschnitt durch das Trilobitenstadium von Limulus (nach Watase).
bg Bauehganglienkette, d Nahrungsdotter (Mitteldarmanlage), do Dorsalorgan,
df Dorsalfalte und vf Ventralfalte der Anlage des Seitenauges {la), ent Endosternum,
cz Extremitätenanlage.
In Bezug auf die Entwicklung der Median au gen scheinen nach
den Andeutungen Pattens bei Limulus Verhältnisse vorzuliegen, welche
sich sehr enge an die für die Scorpione bekannt gewordenen anschliessen.
Auch hier sind es, wie bei den Scorpionen, zwei (oder vielleicht nach
Patten vier) Einstülpungen, welche, indem sie nach hinten rücken, sich
in der Medianlinie zu einem Sacke mit gemeinsamer hinterer Oeffnung
vereinigen. Der so gebildete Sack entsendet nach vorne zwei röhren-
förmige Ausläufer, deren blinde Enden, indem sie sich an die Hypo-
dermis des Cephalothorax anlegen, zu den Medianaugen umgebildet wer-
den, während der übrige Theil dieser röhrenförmigen Ausläufer zu den
optischen Nerven sich umwandelt (vgl. unten pag. 547).
Viel einfacher gestaltet sich die Entwicklung der Seitenaugen,
welche neuerdings durch Watase (Nr. 30) genauer bekannt geworden
ist. Wir können die Seitenaugen auf eine höher differenzirte Stelle der
526
XVI. Capitel.
Hypodermis zurückführen. Die eigentliche Anlage (Fig. 340 Ja) des zu-
sammengesetzten Seitenauges stellt sich als eine verdickte Stelle der
Hypodermis in der Nähe des sog. Dorsalorgans (do) dar, welche schein-
bar einem hinteren Thoraxsegment (nach Packard und Patten dem
dritten, nach Doelrn dem vierten, nach Kingsley dem fünften Thoraxseg-
ment) angehört (vgl. auch Fig. 334 au u. do). Das eigentliche Augenfeld
(Fig. 340 la) (optic area) ist an seiner dorsalen (medialen) und an seiner
ventralen (lateralen) Seite von einer Einfaltung (df u. vf) begrenzt,
welche, indem sie nach hinten convergirend zusammenlaufen, die Gestalt
eines V darstellen. An dem Punkte, an welchem die beiden Schenkel
des V zusammentreffen, stülpt sich ein kurzer, röhrenförmiger Zapfen
nach hinten unter die Hypodermis ein, so dass die Form des V in die
eines Y übergeht. Diese aus sehr grossen Zellen zusammengesetzten
Einfaltungen (Fig. 341 df und vf) liefern neues Zellmaterial zur Bildung
Fig. 341. Querschnitt durch die Anlage des Lateralauges vonLimulus (nach
Watase).
om Anlage eines Ommatidiums, c Anlage einer Corneallinse, df Dorsalfalte und
vf Ventralfalte der Augenanlage.
junger Ommatidien am Rande des Augenfeldes. Jedes Ommatidium (om)
entsteht in Form einer einfachen Einsenkung der Hypodermis, über wel-
cher die Cuticula zur Bildung der zapfenförmigen Linse (c) verdickt wird.
Es ist nicht ganz klar, auf welche Weise der optische Nerv dieses Seiten-
auges entsteht. Er wird von Patten und Kingsley auf den Nerven-
strang der lateralen Sinnesorgane (siehe oben pag. 524) zurückgeführt.
Die Lageverhältnisse der Seitenaugen von Limulus müssen als sehr
merkwürdige bezeichnet werden. Nach den übereinstimmenden Angaben der
Autoren würden die letzteren einem postoral gelegenen, thoracalen
Körpersegment angehören. Sie würden somit eine im ganzen Bereich der
Arthropoden durchaus exceptionelle Lage einnehmen. "Wenngleich die eben
erwähnten Angaben von Patten und Kingsley eine gewisse Erklärung dafür
beibringen würden, so muss es doch auffallend erscheinen , dass trotz dieser
Lagerung die Innervation dieser Augen nicht von dem entsprechenden Bauch-
ganglion , sondern von dem Gehirne aus besorgt wird. A priori würden
wir auch bei der kaum abzuweisenden näheren Verwandtschaft zwischen
Limulus und den Scorpionen geneigt sein , die Seitenaugen von Limulus mit
den Seitenaugen der Scorpione in Homologie zu stellen. Letztere gehören
Palaeostraken. 527
aber ohne Zweifel dem präoralen , cephalischen Körperabschnitte an.
Allerdings wurde diese Homologie von Patten unter Hinweis auf das oben-
erwähnte, von ihm gefundene, kleine Sinnesorgan (Fig. 339 s), welches den
Seitenaugen der Scorpione entsprechen soll, in Abrede gestellt. Eine Be-
trachtung der Nervenvertheilung am ausgewachsenen Limulus muss uns aber
hinsichtlich der Zurechnung der Seitenaugen zu jenem Thoraxsegmente , in
welchem sie zu liegen scheinen , einigermassen vorsichtig machen. Es gehen
nicht bloss die Nervi optici der Seitenaugen vom Gehirne aus, sondern es
reicht auch ein umfangreicher Ast der dem Gehirn entspringenden Haut-
nerven (Nervi frontales) in den Seitentheilen des Cephalothorax sehr weit
nach hinten. Es wird hierdurch gerechtfertigt, die Frage aufzuwerfen, ob
nicht die die Seitenaugen tragenden lateralen Parthien des Cephalothorax
durch Wachsthumsverschiebungen secundär nach hinten verlagerten Theilen
des präoralen, cephalischen Körperabschnittes entsprechen 1). Es würde nach
dieser Auffassung nur der mittlere Theil des Cephalothorax oder die Gla-
bella nebst den angrenzenden Theilen der Wangen den gliedmaassentragenden
Thoraxsegmenten zuzurechnen sein. Hiemit würde sich auch der Verlauf
der Gesichtsnath der Trilobiten in Uebereinstimmung bringen lassen. (Vgl.
oben pag. 514.)
B. Darmcanal.
Vorderdarm und Enddarm entstehen aus Ectodermeinstülpungen,
welche erst im Larvenleben nach erfolgter erster Larvenhäutung mit dem
Mitteldarm in Communication treten. Wir haben über die Lagever-
schiebung" der von einer Oberlippe (?) überragten Mundöffnung schon
oben (pag. 519) berichtet. Der Vorderdarm steigt in seinem Verlaufe
schräg nach vorne an und erreicht nach einer knieförmigen Knickung
den Mitteldarm. Seine stark cuticularisirte Innenwand ist längsge-
faltet. Die Afteröffnung findet sich dicht vor der Insertionsstelle des
Schwanzstachels; der Enddarm ist zeitlebens nur von geringer Ausdehnung.
Es ist ein merkwürdiges, aber mit den Seorpionen übereinstimmen-
des Verhältniss, dass der Mitteldarm ausserordentlich spät zur definitiven
Ausbildung gelangt. Während des ganzen Embryonallebens besteht die
Mitteldarmanlage aus der durchgefurchten, in polygonale Zellen zertheil-
ten Nahrungsdottermasse (Fig. 340 d), deren Oberfläche in späteren
Stadien mit einer dem Mesoderm entstammenden splanchnischen Schicht
bedeckt erscheint. Anfangs hat diese Entodennmasse noch Kugelgestalt ;
später passt sie sich der Form des Embryos an; doch wird ihr vorderer
im Cephalothorax gelegener Abschnitt sehr bald durch seitlich einwach-
sende Mesodermsepten in Lappen zeitheilt, welche die erste Anlage der
Leberlappen darstellen. Es finden sich ursprünglich jederseits sechs
solcher primärer Leberlappen (vgl. oben pag. 521), welche jedoch bald
durch secundäre Lappenbildung (Fig. 337 und 338) ramificirt erscheinen.
(Ueber die Ausbildung der Mesodermsepten vgl. unten pag. 528.) Durch
die Entwicklung dieser Mesodermsepten, sowie durch die Entwicklung
paariger Leberlappen erhalten die im Inneren des Cephalothorax ge-
legenen Organe den Anschein einer den sechs Thoraxsegmenten ent-
sprechenden Segmentirung.
Die Umwandlung des Nahrungsdotters in den definitiven Mitteldarm
erfolgt, indem die der Oberfläche genäherten Dotterzellen sich vermehren
und zu einem einschichtigen Epithel anordnen, welches sich sehr bald
*) Die Beobachtungen von Kishinouye scheinen für diese Auffassung zu sprechen.
528 XVI. Capitel.
von der centralen Dottermasse abhebt, indem sich zwischen dieser und
dem Epithel verflüssigte Dottersubstanzen ansammeln. Allmählich wird
der ganze Nahrungsdotter verflüssigt und aufgebraucht. Der Durch-
bruch des Vorderdarms gegen den Mitteldarm findet früher, der des
Enddarms später statt. Hinsichtlich der Vertheilung der Leberlappen ist
zu erwähnen, dass sie sich um zwei Paare von Ausführungsgängen
gruppiren, mittelst deren sie in den vorderen Theil des Mitteldarms ein-
münden. Während die überwiegende Zahl derselben dem Cephalothorax
angehört, reicht ein mit dem zweiten Paar von Ausführungsgängen ge-
meinsam mündender Leberschlauch nach hinten in den Abdominalabschnitt
des Körpers.
C. Bildungen des Mesoderms.
Das Mesoderm entsteht — wie wir oben (pag. 518) gesehen haben —
in der Form einer von der Primitivrinne ausgehenden und unter dem
Ectoderm sich ausbreitenden Zellwucherung. Zur Zeit des Auftretens
der Extremitätenanlagen trennt sich die Mesodermschicht längs der Mittel-
linie, so dass sie nun aus zwei unter den Extremitätenstummeln hin-
ziehenden Mesodermstreifen besteht, welche aber vorne und hinten unter
einander zusammenhängen. Es wird hiebei der Innenraum der Glied-
maassenanlagen völlig von Mesodermzellen erfüllt. Es treten nun bald
— wie bei den Arachniden — segmentweise paarige Cölomhöhlen auf.
welche in die Extremitätenanlagen sich fortsetzen Dieselben entwickeln
sich aus mehrfachen kleineren Auseinanderweichungen der Mesoderm-
zellen, welche zur Bildung der Cölomhöhlen zusammenfliessen. Das
Mesoderm wird durch dieselben in ein splanchnisches und somatisches
Blatt getrennt. An dem seitlichen Rande, wo beide Blätter in einander
übergehen, wächst das Mesoderm als einfache Zellschicht gegen den
Rücken zu aus, in welcher erst später - nach erfolgter Anlage des
Herzens — eine Spaltung in ein somatisches und splanchnisches Blatt
sich geltend macht. In dieser einfachen Zellschicht entwickelt sich sehr
bald eine paarige, längsverlaufende Verdickung, die Anlage der dorsalen
Längsmuskel und gleichzeitig der Ansatzpunkte der von der Ventralseite
emporstrebenden Extremitätenmuskeln. Letztere entwickeln sich in Meso-
dermsepten, welche von der Ventralseite, aber auch von den lateralen
Parthien emporwachsen und die Nahrungsdottermasse vom Rande her
in eine Anzahl (ursprünglich sechs) Lappen zertheilen, wodurch eine an-
scheinende Segmentirung an den inneren Organen des Cephalothorax
zum Ausdrucke kommt. Wenngleich durch die Beziehung dieser Meso-
dermsepten zu den in ihnen sich entwickelnden Extremitätenmuskeln
ein gewisser segmentaler Charakter gegeben ist, so werden wir doch nicht
ausser Augen lassen dürfen, dass dieser anscheinenden Segmentirung zu-
folge der cephalische Abschnitt ungemein eingeengt erscheint, während
wir für denselben nach der Lage der Augen eine grössere Ausdehnung
erwarten würden.
Sobald die dorsalwärts vorwachsenden Mesodermplatten sich in der
dorsalen Mittellinie berühren, entsteht daselbst eine längsverlaufende
Verdickung, die erste Anlage des Herzens. Kingsley konnte nicht be-
stimmt entscheiden, ob die zur Bildung dieser Verdickung zusammen-
tretenden Zellen ausschliesslich dem Mesoderm angehören, oder ob nicht
durch Auswanderung von Dotterzellen zu derselben beigetragen wird.
Bald tritt im Inneren der Herzanlage ein Lumen auf, in welches einzelne
Palaeostraken.
529
von der Wand sich loslösende Zellen, die zu Blutkörperchen werden, ein-
wandern. Die Wand des röhrenförmigen Herzens löst sich nun zunächst
von dem splanchnischen Blatt, erst später von dem somatischen Blatt
des Mesoderms ab.
In späteren Entwicklungsstadien erleidet das Cölom eine Rückbil-
dung, insoferne alle Räume der Leibeshöhle von reticulärem Bindegewebe
durchsetzt werden. Immerhin ist über das Genauere dieser Vorgänge
bisher nichts bekannt geworden.
Limulus ist ebenso, wie die Arachniden, durch den Besitz eines
zwischen der Bauchganglienkette und dem Darmcanal gelegenen inneren
Skeletkörpers , der aus faserknorpelähnlichem Gewebe besteht, ausge-
zeichnet, des Endosternums (Fig. 340 ent u. pag. 530), welches zahl-
reichen Muskelgruppen zum Ansätze dient. Dasselbe soll nach Brooks
and Bkuce (No. 10) aus einer Verdickung des splanchnischen Mesoderms
an der Ventralseite der Nahrungsdottennasse (Mitteldarmanlage) seinen
Ursprung nehmen.
Die von Packard gefundene „ziegelrothe Drüse", in welcher
wir mit Ray Lankester (No. 17) das Homologon der Coxaldrüsen
des Scorpions erblicken, und welche wahrscheinlich auf ein umgewandeltes
Nephridium zu beziehen ist, ist auch ein Derivat des Mesoderms. Diese
Drüse, welche im ausgebildeten Zustande, wie es scheint, einer äusseren
Mündung entbehrt, und längs des Endosternums zu den Seiten der Coxal-
ansätze des zweiten bis fünften Extremitätenpaares hinzieht, stellt ein
ziemlich complicirt gebautes Convolut von vielfach anastomosirenden
Schläuchen dar, welches einen längsverlaufenden Körper und vier, nach
den Seiten sich erstreckende Zipfel erkennen lässt. In den von Gulland
(No. 13) beobachteten Jugendstadien fehlen letztere, während die Drüse
an der Coxa des fünften Gliedmaassenpaares nach Aussen mündet. Dieses
Organ entwickelt sich im Embryo nach Kingsley (No. 15) aus dem Meso-
derm und nimmt in sein Inneres einen Theil
der Cölomhöhle des fünften posturalen Kör-
persegmentes auf. Seine innere Endigung
läuft in eine dünne Schicht flacher Epithel-
zellen aus. Es scheint demnach sein
Bau im Wesentlichen dem der Nephridien
von Peripatus zu gleichen. Der röhren-
förmige Theil der Drüse biegt sich zu-
nächst schleifenförmig nach vorne, während
der äussere Ast der Schleife neuerdings
eine vierfache Knickung erfährt. Diese
neuen secundären Schleifen wachsen in
jedem Körpersegment zu den obenerwähn-
ten vier Lappen des ausgebildeten Zu-
"• v •: v & £ •:••. \ä''' & lw-l
Standes aus. An
rührungssteilen der
eine Verwachsung
den gegenseitigen Be-
einzelnen Schleifen tritt
und Perforation ein.
D. Respirationsorgane.
Die Kiemenblätter (Fig. 342 k) ent-
stehen an der hinteren, dorsalwärts ge-
richteten Seite des zweiten bis fünften ab-
dominalen Extremitätenpaares und zwar
Fig. 342. Längsschnitt durch
die Abdominalanhänge des Limu-
lusernbryos, zur Darstellung der
Eutstehungsweise der Kiemen-
lamellen (nach Kikgsley).
ga-n ga2 erstes und zweites
kiementragendes Beinpaar, o Oper-
culum, k Kiemenblätter, m Muskel,
d Nahrungsdotter.
530 XVI. Capitel.
als einfache Ausstülpungen der Körperoberfläche. Anfangs sind sie nur
in geringer Zahl angelegt; mit der fortschreitenden Entwicklung treten
jedoch immer neue Anlagen von Kiemenlamellen an dem Basalabschnitt
der betreffenden Extremität hinzu. Kingsley macht darauf aufmerksam,
dass in den jungen Stadien der Entwicklung des Kiemenbuches die ganze
Region ein wenig unter die Oberfläche eingesunken erscheint, als wenn
hiedurch die Entstehung der Scorpionlunge durch Einstülpung andeutungs-
weise vorgebildet wäre (vgl. Fig. 342 ga^).
4. Allgemeines.
Wir haben bereits oben (pag. 509) hervorgehoben, dass die Xiphosuren
offenbar in ziemlich naher Verwandtschaft zu den Trilobiten stehen. Ge-
wisse übereinstimmende Charaktere, welche die Xiphosuren und Trilobiten
einander nähern, treten besonders an den jungen Larven von Limulus
(Trilobitenstadium) hervor, sind jedoch auch an der ausgebildeten Form
nicht zu verkennen. Wie bei den Trilobiten zerfällt auch hier der
Körper durch zwei längs verlaufende Furchen in einen mittleren Theil
und zwei seitliche Theile. Die Lage der Seitenaugen ist in beiden
Gruppen eine übereinstimmende, während Ocellen (Mittelaugen) für die
Trilobiten noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen sind. Ebenso stimmt
die allgemeine Configuration des Cephalothorax, das Vorhandensein eines
unteren Umschlags am Kopfschilde u. a. überein. Was wir bisher über die
Kopfgliedmaassen der Trilobiten kennen gelernt haben, scheint darauf
hinzudeuten, dass sie sich denen der Gigantostraken im Bau näherten.
Es sind im Ganzen vier Paare von Kaufüssen nachgewiesen, von denen
besonders das letzte mächtig entwickelt wrar und in eine ruderförmig
verbreiterte Gliedmaasse auslief. Die Verbindung zwischen Limulus und
den Trilobiten wird durch verschiedene fossile Xiphosurenformen ver-
mittelt, unter denen besonders Belinurus durch die Gestalt seines in
lange Wangenstacheln sich fortsetzenden Cephalothorax(kopf)schildes auf-
fallend an die Trinucleiden unter den Trilobiten erinnert.
Wenn so die Palaeostraken als eine einheitliche, auf natürlicher
Verwandtschaft beruhende Gruppe sich darstellen, so wird besonders
unter Betrachtung des neuerdings durch Walcott (No. 5) genauer be-
kannt gewordenen Baues der Trilobitengliedmaassen , sowie des zwei-
ästigen Baues der abdominalen Gliedmaassen von Limulus eine gewisse
entferntere Verwandtschaft mit den Crustaceen - - wie wir oben (pag. 498
und 510) betont haben, sich nicht in Abrede stellen lassen. Wir haben
oben ausgeführt, warum wir die Palaeostraken den Crustaceen als gleich-
werthige Gruppe gegenüberstellen, aber von einer Vereinigung beider
Gruppen Abstand nehmen. Immerhin erscheint es uns gerechtfertigt,
anzunehmen, dass beide aus einer gemeinsamen Stammgruppe der
Protostraken (welche vielleicht auch als Stammgruppe der Peripatus-
Myriopodenreihe zu betrachten ist) ihren Ursprung genommen haben.
Eine ausführlichere Betrachtung verdienen die Beziehungen, welche
zwischen den Palaeostraken und den luftathmenden Arachniden zu be-
stehen scheinen. Schon von Strauss-Dürkheim waren 1829 die nahen
verwandtschaftlichen Beziehungen von Limulus und den Arachniden betont
worden. Strauss-Dürkheim stützte sich hierbei vor Allem auf die radiäre
Anordnung der Beine um eine gemeinsame Sternalplatte und auf das
Vorhandensein eines inneren, zwischen Bauchmark und Darm gelegenen
Endoskeletkörpers (E n d o s t e r n u m), wrelcher zahlreichen Muskelgruppen
ö
Palaeostraken. 531
den Ansatz bietet. Die Anschauungen Strauss - Dürkheim's wurden
von Ed. van Beneden (No. 8) 1871 und J. Barrois 1878 auf Grund
embryologischer Beobachtungen gestützt. Auch Claus sprach 1876
(Unters, zur Geneal. Grundl. der Crustac. - Systems) die Ansicht aus,
dass „aus den polygnathen Merostomen (Trilobiten, Eurypteriden
und Xiphosuren) die luftathmenden Arachnoiden hervorgegangen sein
dürften". In ähnlicher Weise hatte sich auch Huxley über den genea-
logischen Zusammenhang der Arachnoiden und Merostomen ausgesprochen.
Neuerdings wurden die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen beider
Gruppen besonders durch Ray Lankester (No. 16) auf Grund einer
ausführlichen Vergleichung des Baues von Limulus und Scorpion ein-
gehender erörtert. Wenn Ray Lankester unserer Ansicht nach ent-
schieden zu weit gegangen ist, indem er Limulus einfach als Arachniden
betrachtet wissen will, so gebührt ihm doch das Verdienst, die Zu-
sammengehörigkeit beider Formen in dieselbe Entwicklungsreihe auf einer
breiteren Basis, als dies bisher geschehen war, begründet zu haben.
Nach unserer Ansicht bieten der dem Wasserleben entsprechende Bau
der zur Respiration verwendeten Gliedmaassen, die Abwesenheit der
Malpighi'schen Gefässe und ferner die Zusammengehörigkeit mit den
Trilobiten, welche den Arachniden ferner stehen, genügende Gesichts-
punkte, um den Xiphosuren eine selbstständigere Stellung zu belassen.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, auf die Beweise, welche sich
aus den palaeontologischen Daten für den genealogischen Zusammenhang
der Arachnoiden und Palaeostraken ergeben, näher einzugehen. Hier sei
nur erwähnt, dass in der den Xiphosuren nahe verwandten Gruppe der
Gigantostiaken Formen vorliegen, welche im Habitus und in der Gliederung
des hinteren Körperabschnittes den Scorpionen noch näher stehen als
Limulus selbst. Im Uebrigen können wir uns auf eine kurze Betrachtung
der Vergleichspunkte zwischen Limulus und den Scorpionen beschränken.
An beiden Formen erkennen wir einen vorderen einheitlichen, sechs
Extremitätenpaare tragenden Körperabschnitt (Cephalothorax), an dessen
oberer Seite zwei Mittelaugen und mehr dem Rande genäherte Seiten-
augen sich finden. Die Mittelaugen von Limulus und dem Scorpion
stimmen ihrem Baue nach so sehr überein, dass wir an ihrer Homologie
nicht zweifeln werden. Die gleiche Anschauung dürften wir wohl auch
für die Seitenaugen haben, wenngleich die mehrfach vorhandenen, uni-
cornealen Seitenaugen der Scorpione sich in ihrem Bau von den merk-
würdigen, sehr ursprünglichen zusammengesetzten Seitenaugen von Limulus
wesentlich unterscheiden Wir müssten dann die Seitenaugen der Scorpione
für einen abgeleiteten Typus erklären (vgl. hierzu pag. 549 u. 598 u. ff.).
Von den sechs dem Cephalothorax angehörigen Gliedmaassenpaaren rückt
das vorderste (Cheliceren) während der Entwicklung vor die Mundöffnung,
während das ihm zugehörige Ganglienpaar in nähere Verbindung mit dem
Gehirn tritt, Die fünf dahinter gelegenen Beinpaare dienen der Loco-
motion und dem Kaugeschäfte. Während bei Limulus die Coxae sämmt-
licher Paare zu bezahnten Kauladen vergrössert erscheinen, weisen bei
den Scorpionen nur die Pedipalpen und die beiden ersten Gangbeinpaare
eine basale ladenähnliche Bildung auf. Eine vor dem Munde zwischen
den Cheliceren gelegene Oberlippe (Rostrum, Camerostome) ist beiden
Formen gemeinsam ; ebenso eine ursprünglich paarige, hinter dem sechsten
Extremitätenpaar gelegene Vorragung, bei Limulus durch die Chilaria
repräsentirt, bei den Scorpionen dagegen zu einer kleinen pentagonalen
Platte, welche vor dem Operculum sich findet, verschmolzen.
532 XVI. Capitel.
Hinter dem Cephalothorax folgt bei den Seorpionen ein aus sieben
Segmenten bestehendes Präabdomeu, an das ein aus fünf Segmenten be-
stehendes Postabdomen mit dem terminalen Giftstachel sich anschliesst.
Wenn wir als Repräsentanten des letzteren den langen Schwanzstachel von
Limulus betrachten, so werden wir die gewöhnlich als Abdomen bezeich-
nete Region von Limulus als das Aequivalent des Prae- und Postabdomens
der Scorpione auffassen. Diese Region besteht bei Limulus aus acht mit
einander verschmolzenen Körpersegmenten. Mit Rücksicht auf gewisse
fossile Formen (Belinurus) werden wir jedoch muthmassen dürfen, dass das
letzte dieser Segmente streng genommen mehreren, nicht zur Sonderung
gelangenden Körpersegmenten entspricht. Die Uebereinstimmung zwischen
Limulus und dem Scorpion spricht sich in der Gliedmaassenentwicklung
des abdominalen Körperabschnittes aus. In beiden Fällen werden im
Embryo an den sechs vordersten Segmenten dieser Region Anlagen von
Gliedmaassen gebildet. Von diesen wandelt sich das vorderste Paar bei
Limulus in die auch beim Scorpion angedeutete, als Operculum bezeich-
nete plattenförmige Bildung um, an deren innerer Seite die Geschlechts-
öffnungen gelegen sind. Die fünf hinteren Extremitätenpaare dienen bei
Limulus als blattförmige, kiementragende Gliedmaassen der Respiration.
Bei dem Scorpion entwickelt sich das vorderste Paar derselben zu den
Pectines, während die vier übrigen zur Zeit der Entwicklung der Lungen-
säcke zu verschwinden scheinen.
Bei der Annahme naher verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen Limulus
und den Seorpionen spielt die Umwandlung der Kiemen des Limulus in die
Lungen der Scorpione eine wichtige Rolle. Die Uebereinstimmung im Bau
der betreffenden Organe ist thatsächlich eine sehr beträchtliche. Indess er-
geben sich bei einer genaueren Ueberlegung, wie wohl der Uebergang von dem
Kiemenbuch des Limulus in das Lungenbuch des Scorpions sich vollzogen
haben mag , gewisse Schwierigkeiten , welche man durch verschiedene Hypo-
thesen (Ray Lankester No. 16 und 20, Kingsley No. 14 und Mac Leod
No. 21) zu beseitigen gesucht hat. Ray Lankester ist von einer recht ge-
künstelten, ursprünglichen Ansicht später selbst zurückgekommen und leitet
neuerdings die Scorpionlunge durch einfache vollständige Einstülpung nach
Innen von der Limuluskieme ab. Es würde hiebei nicht nur die Extremität
als Ganzes, sondern jedes einzelne Kiemenblatt für sich eingestülpt, so dass
die Zwischenräume zwischen den Kiemenblättern dann zu den Blättern des
Lungenbucb.es werden. Dieser Auffassung steht die Kingsley's nahe. Nach
unserer Ansicht liefert die Betrachtungsweise Mao Leod's die einfachste und
mit den Thatsachen am besten in Uebereinstimmung stehende Erklärung.
Mac Leod (No. 21) geht von der Ansicht aus, dass die Blätter des Kiemen-
buches denen des Lungenbuches homolog sind. Die kiementragenden Ex-
tremitäten des Limulus werden gewöhnlich dicht an die Ventralseite des
Abdomens angedrückt gehalten. Nur an jener angedrückten oberen Fläche
der Extremität entwickeln sich die Kiemenblätter. Die Ventralseite von
Limulus zeigt bereits eine den Kiemenblättern entsprechende Einbuchtung.
Denken wir uns die einzelnen respiratorischen Gliedmaassenpaare weiter aus-
einandergerückt, als dies bei Limulus der Fall ist, und die Ränder der
eben erwähnten Einbuchtung mit den Rändern der blattförmigen Extremität
verwachsen , so wird hierdurch ein abgescblossener Raum , der Lungensack,
gebildet, Der freie hintere Rand der Extremität würde dann zum vorderen
Rand des entsprechenden Stigma's. Durch diese Annahme Mac - Leod's
werden gewisse Verhältnisse im Bau der Spinnenlunge erklärbar, z. B. dass
Palaeostraken. 533
die Lungenblätter zum Theil nicht bloss an ihrem hinteren , sondern auch
an ihrem seitlichen Rande frei sind, dass die entsprechenden Lungensäcke
der beiden Seiten unter einander eine Verbindung haben etc. Es scheint
daher die Auffassung Mac Leod's am besten begründet.
Wenn wir in der äusseren Körpergliederung-, sowie im Bau und der
Verwendung der Extremitäten zahlreiche Züge der Uebereinstimmung
auffanden, so ist die Aehnlichkeit in Bezug auf die innere Anatomie nicht
minder bemerkenswert!]. Das Vorhandensein des Endosternums wurde
bereits oben erwähnt. Hier sei nur erinnert an die mächtige, verästelte,
durch mehrere Ausführungsgänge in den Darm mündende Leber, an die
netzförmige Anlage der Geschlechtsdrüse, an das Vorhandensein eines cir-
eumösophagealen, die Schlundcommissur begleitenden, arteriellen Gefäss-
ringes (bei Limulus zu einer förmlichen Gefässscheide werdend) und end-
lich an das Vorhandensein einer an der Coxa des fünften Beinpaares
(dritten Gangbeinpaares) gelegenen Drüse (ziegelrothen Drüse von Limulus,
Coxaldrüse).
Wir haben oben vielfach Gelegenheit gehabt, auf Uebereinstimmungen
in der Entwicklungsweise von Limulus und den Arachnoiden hinzuweisen.
Die Uebereinstimmungen des Baues und der Entwicklung in beiden
Gruppen sind so bedeutende, dass wir sie wohl kaum anders, als durch
genetische Beziehungen zu erklären im Stande sind. Wir schliessen uns
daher der Ansicht an, dass die Arachnoiden sich aus den Paläostraken
durch Anpassung an das Landleben entwickelt haben.
Es sei hier erwähnt, dass vielleicht auch im Bereich der Gigantostraken
eine Anpassung an den Aufenthalt im süssen Wasser und auf dem Lande (?)
stattgefunden hat. Nach Zittel (No. 7) finden sie sich in der Steinkohlen-
formation mit Landpflanzen , Scorpionen , Insecten , Fischen und Süsswasser-
Amphibien vereinigt. Auffallend ist für diese Gruppe die Schuppenbedeckung
der Körperoberfläche.
Es ist ein naheliegender Gedanke, dem auch Ray Lankestek. Ausdruck
gegeben hat, die Coxaldrüse der Arachnoiden und Xiphosuren mit einem der
Nephridienpaare der Crustaceen in Homologie zu setzen. Es könnte hierbei
nur die Schalendrüse in Frage kommen , welche dem Segmente der zweiten
Maxillen, also ebenfalls dem fünften, glieclmaassentragenden Körpersegmente
angehört. Hieraus würde sich die Folgerung ergeben, dass wir die Cheliceren
der Arachnoiden dem I. Antennenpaar der Crustaceen homolog setzen müssten,
eine Annahme, welche uns ziemlich gewagt und durch den Bau und die Ent-
wicklung des Gehirns in beiden Gruppen nicht genügend gestützt erscheint.
Für die Annahme einer Homologie zwischen der Schalendrüse, der Crustaceen
und der Coxaldrüse von Limulus und Scorpio liegt um so weniger eine
Nöthigung vor, als wir ja — wie uns Peripatus beweist — ursprünglich
jedes Körpersegment als mit einem derart beschaffenen Drüsenpaar versehen
uns vorzustellen haben.
Korschelt-Heider, Lehrbuch. •>•'
534 XVI- Capitel.
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• ' \ ■■
35
Systematik
XVIL Capitel.
ARACHNOIDEN
k: I.
S c o r p i o n e
IL
P e d i p a 1 p e n
III.
Pseiidoscorpione
IV.
Phalangiden
V.
Solpugiden
VI.
Araneinen
VII.
Acarinen.
1. Scorpione.
Beschaffenheit und Entwicklnngsbedingnngen der Eier. Die
Scorpione sind vivipar. Ihre dotterreichen, von einer dünnen Membran
umgebenen, ovalen oder kugelrunden Eier liegen in einem Follikel,
welcher durch Ausstülpung an der Wand der Eierstocksröhren entstanden
ist. Entweder erfolgt schon hier die Befruchtung, so bei Euscorpius
und Buthus (Metschnikoff, Laurie) oder dieselbe findet erst statt,
wenn das Ei bereits aus dem Follikel in die Ovarialröhre übergetreten
ist (Androctonus nach Kowalevsky und Schulgin). Im ersteren
Falle verweilt der Embryo während eines grossen Theils seiner Em-
bryonalentwicklung im Follikel (Buthus nach Joh. Müller) oder er
verlässt dasselbe bei beginnender Segmentirung des Keimstreifens (Eu-
scorpius italicus). Die weitere Entwicklung läuft dann in den
Ovarialröhren bezw. Eileitern ab, welche somit zum Uterus werden. Die
geburtsreifen Embryonen zeigen im Ganzen die Organisation des Mutter-
thieres.
1. Fiirclmng und Keiiiiblätterbildung.
Die Furchung der Eier ist eine discoidale. An dem gegen die
Ovarialröhre gerichteten Pol des Eies wurde (in dem jüngsten bisher
beobachteten Stadium) eine Anzahl von Zellen gefunden, welche eine
nur wenig umfangreiche, einschichtige Kappe auf dem Eidotter bilden,
die Keimscheibe (Fig. 343). Von hier aus verbreitet sich das Blasto-
derm allmählich und zwar sehr langsam fortschreitend über den Dotter
(Fig. 344 A u. B). Schon längst, bevor es diesen umwachsen hat, ist an
der Stelle, wo es zuerst angelegt wurde, die Anlage und weitere
Arachnoideu.
537
Differenzirung des Keimstreifens erfolgt. Eine Zerklüftung des Dotters,
wie sie an den Eiern der Spinnen auftritt, findet bei den. Scorpionen
nicht statt.
Die discoidale Furchung der Scorpione möchten wir mit dem als Typus IV
bezeichneten Furchungsmodus bei den Crustaceen vergleichen und ihn wie
diesen auf die superficielle Furchung zurückführen (vgl. pag. 321 u. 322). Dies
wird um so eher gestattet sein, als auch bei den Arachnoiden die super-
ficielle Furchung im Allgemeinen eine grosse Verbreitung besitzt. Wir
schreiben in dieser Beziehung den Scor-
pionen gegenüber den Araneinen abge-
leitete Verhältnisse zu, obwohl sie sich
im Uebrigen als ursprünglichere Formen
darstellen. Die Entwicklung der Em-
bryonen im Innern des mütterlichen
Körpers zeigt zur Genüge , dass Ver-
änderungen im ursprünglichen Entwick-
lungsmodus eingetreten sind.
Die Bildung der Keimblätter.
Nicht lange bewahrt die Keimscheibe
ihren Charakter als einschichtige Zellen-
lage. In ihrer Mitte tritt eine Ver-
dickung auf, welche sich an der
gegen den Dotter gekehrten Fläche
der Keimscheibe als eine Vorwölbung
zu erkennen giebt. Diese Bildung ist
nach Kowalevsky und Schulgin durch
Einsenken von Zellen entstanden. Wenn
man dazu die von Metschnikoff be-
schriebene Längsfurche an der Ober-
fläche der jetzt oval gewordenen Keim-
scheibe in's Auge fasst (Fig. 346 A, pag. 541 ), ist man geneigt, an einen
langen spaltförmigen Blastoporus zu denken, wie er dem Peripatus
zukommt und als Längsrinne des Keimstreifens bei den Insecten besteht.
Jedenfalls geht auch hier von dieser Bildung die Differenzirung des
inneren und mittleren Keimblattes aus.
Obwohl das „Einsenken von Zellen" sowie die Längsrinne in der erst
kürzlich erschienenen Arbeit von Laurie (No. 23) nicht direct in Abrede
gestellt wird, so vermochte sich der genannte Forscher doch nicht von dem
Vorhandensein beider zu überzeugen, ja er scheint viel eher geneigt zu sein,
an das Fehlen dieser Vorgänge zu glauben. Dieselben können somit noch
nicht als feststehend betrachtet werden , zumal die davon gegebenen Be-
schreibungen keine sehr genauen sind. Laurie lässt das Entomesoderm
durch Abspaltung aus der Zellmasse der Keimscheibe hervorgehen, ohne dass
dabei eine besondere Regelmässigkeit in der Bildung zu beobachten wäre. Doch
findet auch er am Hinterende der Keimscheibe eine verdickte Stelle, an
welcher eine starke Vermehrung der Zellen (Bildung des Entomesoderms)
vor sich geht und welche somit einer Invagination gleich gesetzt werden
könnte (Fig. 345 A, e). Mit dieser Wucherungsstelle dürfte der von
Metschnikoff (No. 24) beschriebene Schwanzhügel identisch sein, welcher
an der Innenfläche der Keimscheibe gegen den Dotter vorragt und später
Fig. 343. Ei von Euscorpius
italicus mit der aufgelagerten Keim-
scheibe (nach Metschnikoff, aus Bal-
fodr's Handbuch).
538
XVII. Capitel.
^mssssmäm
in den Schwanztheil des Embryos verlegt wird. Laurie vergleicht die ver-
dickte Stelle mit dem Primitivstreifen der Wirbelthiere, und unwillkürlich
wird man auch hierdurch wieder an die bei Peripatus obwaltenden Ver-
hältnisse erinnert. Dort liegt die „Einwucherungsstelle" am Hinterende des
langgestreckten Blastoporus.
Wenn die Keiniseheibe durch rege Vermehrung ihrer Zellen bereits
eine Dicke von mehreren Zellschichten erreicht hat, scheinen sich diese
noch recht wenig von einander abzugrenzen. Die gegen den Dotter ge-
kehrte (innere) Fläche der Keimscheibe erscheint jetzt ganz unregel-
mässig gestaltet, denn hier lösen sich einzelne Zellen von ihr los und
rücken in den Nahrungsdotter hinein (Fig. 344 B). Aus ihnen gehen
die Dotterzellen hervor, welche amöboid gestaltet im Dotter sich ver-
teilen und dessen Verflüssigung bewirken ohne aber am Aufbau
des Embryos Theil zu nehmen (Kowalevsky und Schulgin,
Laurie). Sie verhalten sich somit anders, als man von den entsprechen-
den Zellen bei den Ar anei-
nen annimmt, welche am
Aufbau des Mitteldarmes
betheiligt sind. Das Ento-
derm der Scorpione entsteht
dadurch, dass sich von der
Zellmasse der Keimscheibe
die unterste Zellschicht in
Form eines regelmässigen
Epithels differenzirt (Fig.
345 A und B, ent). Diese
Zellen, wplche dem Dotter
eng anliegen, unterscheiden
sich auch durch ihre sonstige
Beschaffenheit von der
darüber gelegenen dichten
Zellenmasse, indem sie durch
Aufnahme flüssiger Dotter-
substanz ein glasartiges Aus-
sehen gewinnen.
Die voluminöse Zellen-
masse, welche nach der
Differenzirung des Entoderms zwischen diesem und dem Ectoderm übrig
bleibt, entspricht dem Mesoderm (Fig. 345 A u. B). Anfangs eine ziem-
lich unregelmässig gelagerte Masse, welche sich im ganzen Bereich der
Keimscheibe ausdehnt, erscheint dasselbe in späteren Stadien in Form
zweier symmetrisch angeordneter Bänder neben der Mittellinie. Diese
beiden Mesodermstreifen, welche am Hinterende in einander übergehen,
erfahren späterhin eine Gliederung in die Ursegmente und Aushöhlung
derselben (Fig. 345 B, mes).
Die Volumzunahme des Mesoderms wird auf Vermehrung der unteren
Zellenmasse der noch nicht in Keimblätter differenzirten Keimscheibe zurück-
geführt (Laurie). Wenn es sich so verhielte, dass die hauptsächliche Ver-
mehrung der Zellen von einer Stelle am hinteren Ende der Keimscheibe
ausgeht, worauf schon weiter oben hingewiesen wurde, so würde sich damit
ein Vorwachsen der Mesodermstreifen von hinten nach vorn ergeben, so wie
es auch bei anderen gegliederten Formen stattfindet. Die Differenzirung der
Mesodermstreifen schreitet dann wie bei diesen von vorn nach hinten fort,
Fig-. 344. A und B Schnitte durch die
Keimscheibe und einen Theil des Eies von E u -
scorpius italicus (nach Laurie).
d Dotter, ks Keimscheibe.
Arachnoiden.
539
2. Die Entstellung der Embryonalüüllen und die Ausbildung
der äusseren ESrperforin.
Während der bisher besprochenen Vorgänge hat die Keimseheibe
erst geringe Ausbreitung auf dem Dotter gewonnen. Sie stellt eine
rundliche bis ovale Scheibe dar. Schon zu dieser frühen Zeit beginnt
die Bildung der Embryoualhülleii. Gegen die Peripherie zu entsteht
auf der Keimscheibe eine rings um dieselbe verlaufende Rinne, welche
nunmehr den centralen Theil der Keimscheibe in Form einer leichten
Erhebung gegen den wenig umfangreichen peripheren Bezirk abgrenzt.
Am Rand der Rinne erhebt sich eine Duplicatur des Ectoderms, und
diese Falte wächst nun von der Peripherie her über die Keimscheibe
hinweg, um schliesslich in deren Mitte zur Verwachsung zu gelangen.
So werden die beiden Blätter der Embryonalhülle gebildet, ein äusseres
Fig. 345. A Querschnitt durch die hintere Parthie einer Keimscheibe, B durch
eines der vorderen Segmente eines Keimstreifens (mit bereits angelegten Extremitäten)
von Euscorpius italicus (nach IjAURIe).
am Amnion, d Dotter, dz Dotterzellen, e Einwucherungsstelle, ect Ectoderm,
ent Entoderm, mes Mesoderm, n Anlage der Ganglienkette, se Serosa.
Blatt, die Serosa, welche dicht unter der Eihaut liegt, und ein inneres,
das Amnion. Zwischen beide hinein sollen sich bei der Bildung der
Ectodermduplicatur einzelne Mesodermzellen erstrecken (Kowalevsky
und Schulgin).
Nach der durch Kowalevsky und Schulgin gegebenen Darstellung von
der Bildung der Embryonalhüllen würde sich dieselbe beiden Scorpionen
(wenigstens bei Androctonus) so verhalten, wie wir sie von den Insecten
und Wirbelt liieren kennen. Laurie konnte sich bei der von ihm unter-
suchten Form (Euscorpius italicus) von einer derartigen Bildungsweise
der Embryonalhüllen nicht überzeugen, sondern er glaubt, dass die beiden
540 XVII. Capitel.
Zellschichten , welche die Serosa und das Amnion bilden , jede für sich von
der Peripherie der Keimscheibe aus über diese hinwegwachsen. Zuerst
entsteht die Serosa, indem sich rings um den Rand der Keimscheibe eine
Zellenschicht erhebt und über deren Oberfläche gegen ihre Mitte hin strebt,
um dort zu verwachsen. Erst nachdem diese Verwachsung erfolgt ist, tritt
unter ihr eine zweite Zellenlage auf, das Amnion, welches den gleichen
Process durchmacht (Fig. 345 A und B). Ein derartiges Vorwachsen einer
einschichtigen Zellenlage ist schwer zu verstehen und muss wohl auf die
Bildung einer Falte zurückgeführt werden. Die von Kowalevsky und
Schulgix beobachtete Bildungsweise der Embryonalhüllen ist daher als der
ursprünglichere Modus anzusehen. Ganz ähnliche Verhältnisse scheinen
übrigens auch bei den Insecten (besonders bei den Hymen opferen)
aufzutreten, indem dort ebenfalls das äussere Blatt der Falte über das innere
hinauswächst und dies ganz hinter sich zurücklässt, so dass es rudimentär
erscheint oder ganz schwindet (man vgl. die weiter unten für die Hyme-
nopteren sowie für die Aphiden und Oecanthus gegebene Darstellung
dieser Verhältnisse). Die Embryonalhülle besteht dann nur aus dem
äusseren Blatte, der Serosa. Soweit erstreckt sich die Reduction, wie es
scheint, bei den Scorpionen nicht, sondern es werden bei ihnen immer zwei
Blätter gefunden (Metschnikoff, Ganin1), Blochmann). Auch Metschni-
koff fand , dass das innere Blatt erst später als die Serosa gebildet wird,
und es scheint dadurch die Angabe von Laueie bestätigt zu werden, obwohl
Metschnikoff über die Bildungsweise des inneren Blattes genaue Angaben
nicht zu geben vermag. Während sich die Serosa aus grossen Zellen zu-
sammensetzt, wird das Amnion aus weit kleineren Zellen gebildet. Zwischen
beiden sollen sich feine Fäden ausspannen , welche von den kleinen Zellen
des inneren Blattes ausgehen (Fig. 347).
Bei den Mesodermzellen, welche sich nach Kowalevsky und Schulgin
zwischen beide Blätter der Embryonalhülle erstrecken, ist man geneigt, an
Dotterpartikel zu denken, wie sie sich auch bei den Insecten zwischen Amnion
und Serosa zuweilen finden , eine Erscheinung , welche durch das ursprüng-
liche Zustandekommen der Embryonalhüllen erklärt wird. Laukie fand
keine Mesodermzellen zwischen den Embryonalhäuten auf. Eine bessere
Beurtheilung dieses Verhaltens wird erst nach dem Erscheinen der ausführ-
lichen Arbeit möglich sein , da bisher nur eine nicht von Abbildungen be-
gleitete Mittheilung vorliegt. (No. 19).
Während der Differenzirung der Keimblätter und der Ausbildung der
Embryonalhüllen verändert die Keimscheibe ihre Gestalt in der Weise,
dass sie sich am vorderen Ende verbreitert (Fig. 346 ^4). Die schmale
hintere Parthie ist stark verdickt, da hier eine rege Production von Zell-
material stattfindet. In der Mittellinie erscheint an der Oberfläche der
Keimscheibe die schon früher erwähnte rinnenförmige Einsenkung, welche
schon sehr bald wieder verschwindet (Fig. 346 A, nach Metschnikoff).
Durch eine mehr dem Vorderende genäherte Querfurche wird der Kopf-
abschnitt vom primären Rumpf getrennt, doch scheinen ungefähr gleich-
zeitig oder doch sehr bald darauf einige weiter nach hinten gelegene
Querfurchen aufzutreten, welche die Anlagen der ersten Körpersegmente
und einen grösseren hinteren Abschnitt bezeichnen, von welchem letzteren
aus sodann die Abschnürung weiterer Segmente erfolgt (Laurie).
J) Die russisch geschriebene und, soviel uns bekannt ist, nicht von Abbildungen
begleitete Abhandlung Ganin's über Scorpionentwicklung (No. 18, 1867) konnte von
uns nicht eingesehen werden.
Arachnoiclen.
541
Mktschnikoff beschreibt ein Stadium, auf welchem der Embryo in drei
primäre Abschnitte getheilt erscheint. Der vorderste entspricht dem primären
Kopfabschnitt und der hintere dem Postabdomen, während aus dem mittleren
Abschnitt der übrige Körper hervorgehen solle. Diese Auffassung konnte
von Metschxikoff nicht sicher erwiesen werden, und es ist wahrscheinlicher,
dass alle Rumpfsegmente sich vom hinteren Abschnitte abgliedern. Diese
ersten Stadien des segmentischen Keimstreifens zeigen eine gewisse Aehnlich-
keit mit Entwicklungsstadien der Trilobiten und könnten dadurch zu einer
Vergleichung beider Anlass geben (vgl. oben pag. 516).
Bei Euse or pi us wurde ein Stadium beobachtet, auf welchem der
primäre Kopfabschnitt, ein darauf folgendes kleineres Segment (das der
Cheliceren), ein nächstes grösseres (das der Pedipalpen) , sowie ein in
der Anlage begriffenes, noch nicht völlig abgegrenztes Segment (das des
ersten Beinpaares) und end-
lich der umfangreichere
Schwanzabschnitt vorhanden
war. Durch Abtrennung
weiterer Segmente von dem
letzteren wird die Zahl der
Körperabschnitte vermehrt.
Die vordersten derselben er-
scheinen, mit Ausnahme des
ersten primären Rumpfseg-
ments, am weitesten ausge-
bildet, Sie verlieren an Deut-
lichkeit der Ausprägung, je
näher sie dem Schwanzende
kommen. Eine in der Mittel-
linie auftretende Furche (Neu-
ralrinne), welche in Beziehung
zur Bildung der Bauchgang-
lienkette steht und nichts mit
jener früher erwähnten media-
nen Längsfurche zu thun hat.
theilt die Keimscheibe in zwei
symmetrische Hälften (Fig.
346 B). Nunmehr tritt die
Aehnlichkeit dieser Embryo-
nalanlage mit dem Keim-
streifen anderer Arthropoden und des Peripatus stark hervor. Der
Keimstreif liegt dem Dotter auf, indem er seine ventrale Fläche nach
aussen kehrt, In dem Bereich, welchen er einnimmt und welcher
den grössten Theil der Keimscheibe umfasst, erscheint letztere stärker
verdickt (Fig. 345 B) , doch erstrecken sich die Keimschichten auch
ausserhalb des Keimstreifens über den Dotter, nur erscheinen sie hier
weit schwächer ausgebildet, Sie umwachsen allmählich den ganzen
Dotter, der somit ins Innere des Embryos zu liegen kommt.
Die Umwachsung des Dotters durch die schon längst als Keimblätter
differenzirten Zellschichten kann nicht als Gastrulation aufgefasst werden,
wofür sie Balfoue ansah. Demgemäss liegt auch der Blastoporus nicht an
der Rückenfläche, sondern er ist vielmehr an der Ventralfläche zu suchen,
worauf bereits weiter oben hingewiesen wurde (pag 537).
Fisr. 346. A — C Keimscheibe (A) mit der
medianen Längsfurche und Keimstreifen (B und C)
von Eusc orpius italicus (nach Metschxikoff,
aus Balfour's Handbuch).
In B und C ist die Neuralrinne, in C sind am
Kopfabschnitt die halbmondförmigen Scheitelgruben,
sowie sowie weiter hinten die Anlagen der Extre-
mitäten des Cephalothorax und Abdomens zu sehen.
542
XVII. Capitel.
Wenn etwa zehn Körpersegmente angelegt sind (Metschnikoff) oder
nach Laurie's Darstellung' bereits früher, machen sich die Extremitäten
bemerkbar. Sie entstehen als V.orwulstungen der Segmente zu beiden
Seiten der Mittellinie (Fig. 346 C u. 348) und erscheinen als hohle
Stummel, da sich die jetzt bereits zur Ausbildung gelangten Ursegmente
grösstentheils in sie hinein lagern (Fig. 347 u. 855 A, pag. 555), ein
Verhalten, welches wir in ganz entsprechender Weise ausser bei den
Spinnen auch noch bei Peripatus und den niederen Vertretern
der Insecten kennen lernen werden. Die Ausbildung der Extremitäten
erfolgt ebenfalls in der Reihenfolge von vorn nach hinten, doch bleiben
die Cheliceren auffallender Weise sehr stark zurück (Fig. 346 C). Wenn
die Pedipalpen bereits als umfangreiche Gebilde erscheinen, treten sie
kaum erst als kleine Höcker auf (Fig.
348). Man muss dies Verhalten wohl
durch den weit geringeren Umfang er-
klären, welchen sie auch beim ausgebil-
deten Thier besitzen. Sowohl Pedipalpen
wie Cheliceren zeigen eine zweifellos
postorale Lagerung, denn der Muud
kommt weit nach vorn zwischen den
Scheitellappen zur Anlage (Fig. 348 m).
Vor dem Mund tritt später ein unpaares
Gebilde, die Oberlippe (oder das Rostrum)
auf (Fig. 349 B). Mit den Cheliceren und
Pedipalpen zeigen die darauf folgenden
vier Beinpaare in der Anlage die grösste
Aehnlichkeit sowohl der Gestaltung wie
der Lagerung nach (Fig. 347 u. 348).
An die Reihe der thoracalen Beinpaare
schliesst sich eine weitere von sechs
Paar abdominalen Extremitäten an,
welche ebenfalls die gleiche Beschaffen-
heit aufweisen (Fig. 347), nur sind sie
weniger umfangreich. Letzteres betrifft
zumal das erste Paar, welches bald zurück-
tritt und an dessen Stelle die leichten
Erhebungen für die Genitalöffnungen
(Genitalpapillen, Opercula) entstehen,
während aus dem zweiten Paar die um-
fangreichen Kämme hervorgehen (Fig.
349 (7, pe). Die vier hinteren Paare
werden wieder rückgebildet, doch treten
sie vorher in Beziehung zur Bildung der Lungensäcke, wie weiter unten
besprochen werden soll (Fig. 350 ap III bis ap VI).
Während der Keimstreifen an Zahl der Segmente und Glied maassen
zunahm, haben sich auch seine Lagebeziehungen zum Dotter einiger-
massen geändert. Durch fortschreitendes Wachsthum hatte er schliess-
lich die eine Hälfte des ovalen Eidotters ziemlich bedeckt; indem dann
aber besonders das Vorderende stark auswuchs, legten sich die Scheitel-
lappen auf die andere Hälfte hinüber, und der Keimstreif erschien nun-
mehr um den Eipol herum gebogen (Fig. 355 A u. B, pag. 555). Das
Hinterende des Keimstreifens schlägt sich dagegen nach vorn um (Fig.
347, 348 und 355 B) und, Ventralfläche gegen Veiitraltiäehe gekehrt,
Fig. 347. Embryo von Euscor-
pius italicus in den Embryonal-
hüllen, zwischen denen sich feine
Fäden ausspannen (nach Mktschni-
koff, aus Balfour's Handbuch).
Man sieht den auf dem Dotter
liegenden Keimstreifen im Profil.
ab das nach vorn umgeschlagene
Postabdomen, ch Cheliceren, pd Pedi-
palpen, P\— Pi die vier Gangbeine,
dahinter die Abdominalextremitäten.
Arachnoiden.
543
m.
r-
r—
wächst so das Postabdomen eine ganze Strecke vor. An seiner unteren
Fläche ist eine Furche, die Fortsetzung der Neuralrinne, zu bemerken
(Fig. 349 B). Es gliedern sich später an ihm fünf Segmente ab , und
am Ende bleibt das Telson übrig (Fig. 349 G). Am Keimstreifen selbst
ist in Form segmentweise angeordneter Verdickungen die Bauchganglien-
kette deutlich geworden (Fig. 349 A u. B). Schon lange bevor die Ent-
wicklung des Keimstreifens so weit vorschritt, haben sich ausserhalb des-
selben die Keimschichten weiter über den Dotter verbreitet, nicht nur
das Ectoderm, sondern unter ihm auch das aus grösseren Zellen be-
stehende Entoderm, welches somit den Dotter direct in sich einschliesst *).
Dieser wird im Laufe der Entwicklung von ihm
resorbirt, nachdem sich wahrscheinlich die in
ihm vertheilten Dotterzellen an seiner Ver-
flüssigung betheiligt haben. Mit dem vom Ento-
derm durch Umwachsung des Dotters gebildeten
Mitteldarm tritt die Ectodermeinstülpung in Ver-
bindung, welche sich zwischen den Scheitellappen
einsenkte (Fig. 348 und 355 B, m). So entsteht
der Vorderdarm. Auch der Enddarm geht aus
einer Einsenkung des Ectoderms hervor, welche
wohl an der Ventralfläche des Telsons (nach
Kowalevsky und Schulgin am vorletzten Seg-
ment) liegt. — Bei dem Vorwachsen der Zellen-
schichten vom Keimstreifen aus über den Dotter
hin hat sich auch das Mesoderm betheiligt, wel-
ches, ebenfalls von der Ventralseite ausgehend,
zwischen Ectoderm und Entoderm weiter vor-
rückt. So setzt sich von der schon früh ange-
legten Ventralfläche her die Ausbildung des Em-
bryos gegen die Rückenfläche fort, bis zuletzt
auch diese zu völliger Bedeckung gelangt.
Es scheint, als ob bei der Ausbreitung der
Embryonal anläge über den Dotter auch die Ur-
sprungslinie der E m b r y o n a 1 h ü 1 1 e n mit ver-
lagert würde und diese infolgedessen schliesslich
den ganzen Embryo umgeben. Nach Mjetsch-
nikoff's Beobachtung sollen sie sieh, offenbar
nach vorausgegangener Verwachsung am Pdicken, ganz vom Embryo ab-
lösen und dann eine isolirte zweischichtige Hülle um ihn bilden. Uebrigens
soll nach der von Metschnikoff bestätigten Angabe Ganin's zwischen
der inneren Embryonalhülle und dem Embryo von letzterem noch ein
feines cuticulares Häutchen abgesondert und losgelöst werden. Dies
würde also eine Art Larvenhaut sein, wie sie bei Spinnen und Milben
vorkommt. Der Embryo wird mit den Embryonalhüllen geboren und
durchbricht sie erst im Freien (Metschnikoff).
Bei dem Embryo, soweit wir ihn bis jetzt kennen leinten, traten
die Extremitäten nur als stummeiförmige Anhänge hervor. Dies ändert
sich, indem die Pedipalpen sich gabeln und damit ihren späteren Cha-
rakter als Scheeren gewinnen (Fig. 349 B). Die Cheliceren folgen ihnen
Fig. 348. Keimstreifen
von Euscorpius itali-
cus (nach Laurie).
eh Cheliceren, g Gang-
lien des Chelicerensegmen-
tes, kl Kopflappen, m Mund,
p die Gangbeine, pab das
nach vorn umgeschlagene
Postabdomen , ped Pedi-
palpen, 1, 2, 3, 4 erstes bis
viertes Beinpaar.
*) Man vergl. hierzu die weiter unten (pag. 552) gegebene ausführlichere Dar-
stellung von der Bildung des Darmcanals.
544
XVII. Capitel.
darin nach. Beide rücken gegen den Mund bin und lagern sich zu
dessen Seite. An der Basis der Pedipalpen und der vier Beinpaare tritt
schon früh ein nach der Mittellinie gerichteter, anfangs ziemlich umfang-
reicher Fortsatz auf, aus welchem die kauladenähnlichen Anhänge dieser
Extremitäten hervorgehen. Dieselben haben bekanntlich bei der Ver-
gleichung der Scorpione mit Limulus eine wichtige Rolle zu spielen.
Es dürfte von Bedeutung sein, dass der Embryo (nach Laurie) an allen
vier Beinpaaren diese Anhänge besitzt, während beim ausgebildeten
Thier (ausser den Pedipalpen) nur die beiden ersten Beinpaare damit
versehen sind.
Erst ziemlich spät (in dem Stadium der Fig. 349 C) tritt die Gliede-
rung der Extremitäten auf, mit deren Fortschreiten der Embryo sich
mehr seiner definitiven Gestalt nähert (Fig. 350 u. 349 C), da die Glied-
maassen zugleich in die Länge wachsen und auch der übrige Körper die
Fig. 349. B und C drei Embryonen von Euscorpius italicus (nach Metsch-
nikoff, aus Balfodr's Handbuch).
ab Postabdomen, ch Cheliceren, pd Pedipalpen, px—p* die vier Gangbeine, pe die
Kämme, st Stigmen.
In der Medianlinie die Neuralrinne, zu deren beiden Seiten die Anlage der Bauch-
ganglienkette. An den Scheitellappen sind in A und B die Scheitelgruben, in C die
Mittelaugen zu sehen. Die quere Streifung am Abdomen ist der Ausdruck der durch
die Ursegmente hervorgerufenen inneren Segmentirung.
schon früher charakterisirten Veränderungen durchmacht. Von den ab-
dominalen Anhängen treten diejenigen des ersten Segments zurück,
während die des zweiten weiter auswachsen und die Querfurchen erhal-
ten, welche anzeigen, dass man es in ihnen mit der Anlage der Kämme
zu thun hat. Wichtige Veränderungen vollziehen sich mit den folgenden
vier Gliedmaassenpaaren, indem an ihrer Rückseite Einstülpungen ent-
stehen, die zur Bildung der Lungen führen (Laurie). Während der Bil-
dung dieser Einstülpungen treten die Abdominalanhänge selbst allmählich
zurück. Der Embryo der Fig. 350 lässt die Abdominalextremitäten noch
deutlich erkennen, während in Fig. 349 C die vier Stigmenpaare bereits
vorhanden sind.
Arachnoiden.
545
Die Entstehung der Lungen als Einstülpungen an der Rückseite der
Abdominalextremitäten bildet einen wichtigen Punkt in der Vergleichung der
Scorpione mit dem Limulus, indem man diesen ontogenetischen Vorgang
auf die Einbeziehung der Kiemenblätter in's Innere des Körpers zurückführt.
Obwohl auch wir geneigt sind, uns auf diesen Standpunkt zu stellen, so
scheint uns doch , dass die von Laurie zur Stütze dieser wichtigen Frage
beigebrachten Beweise noch nicht völlig genügend sind und dass ein Gegen-
stand von so weittragender Bedeutung eine etwas gründlichere Behandlung
verlangt, als er sie in jener Abhandlung gefunden hat. Es ist gar nicht
zu verkennen , dass die Beziehung der Lungeneinstülpungen zu den Abdo-
minalextremitäten eine höchst auffallende ist. Dies geht schon aus einer von
Metschnikoff gegebenen Abbildung hervor (Fig. 350), obwohl dieser Forscher
bemerkt, dass die (von ihm als Kiemen-
löcher bezeichneten) Lungeneinstülpungen
nicht aus den Extremitäten hervorgehen.
Nach ihm entstehen sie nur an der Stelle
der verschwun denen Abdominalextremitäten.
Hinter dem letzten stigmentragen-
den Segment kommt noch ein weiteres
Segment des Präabdomens zur Ausbil-
dung, worauf das nunmehr in fünf echte
Segmente und das Telson gegliederte
Postabdomen folgt, welches noch immer
nach vorn umgeschlagen ist (Fig. 349 C).
An seinem Ende hat sich der Stachel
geformt, und zwei Ectodermeinstül-
pungen lassen hier die paarige Giftdrüse
entstehen, welche auch beim ausgebil-
deten Thier durch zwei Oeffnungen an
der Spitze des Telson ausmündet. An
der Basis desselben trat als Ectoderm-
einstülpung der After auf.
Mit den geschildertenVeränderungen
hat der Embryo im Ganzen die Gestalt
des ausgebildeten Thieres erreicht, in-
dem während dessen auch die noch zu
Fig. 350. Embryo von Euscor-
pius italicus (nach Metschjsikoff).
1 — 4 (p) die vier Beinpaare, apu
bis ap\i Abdominalextremität II — VI,
b(j Bauchganglienkette, ch Cheliceren,
m Mund, pab Postabdomen, ped Pedi-
palpen.
schildernde Ausbildung der inneren
Organe und diejenige der Körperbedeckung, besonders auch die Ab-
scheidung der Chitindecke, vor sich gegangen ist. Zur Zeit des Aus-
schlüpfens erhebt der junge Scorpion das Postabdomen über den Kücken
und gleicht dann völlig dem alten.
3. Die Bildung der Organe.
A. Das Nervensystem und die Augen.
Die (Tanglienkette ist bereits früh in Form zweier verdickter Streifen
angelegt, welche zu beiden Seiten der medianen Rinne durch die ganze
Länge des Körpers verlaufen (Fig. 349 A. u. B.). An ihnen ist bald die
Segmentirung in die ventralen Ganglien zu bemerken. Diese vermehren
ihre Zellmasse (nach Kowalevsky und Schülgin) dadurch, dass an zehn
bis zw7ölf Punkten jedes Körpersegmentes grubenförmige Einsenkungen
546 XVIL Capitel.
auftreten, welche besonders starke Wucherungsstellen des Ectoderms dar-
stellen. Solche finden sich auch an 15 — 20 Stellen des Kopfabschnittes.
Man möchte dabei an Anlagen (bezw. Rudimente) von Sinnesorganen
denken. Sie schwinden, wenn die Ganglienkette sich von der Hypodermis
löst und in die Tiefe verlagert wird. An der Bildung der Bauch-
ganglienkette scheint auch der eingestülpte Mittelstrang (die Neuralrinne)
betheiligt zu sein (Patten, Laurie), doch sind diese Verhältnisse noch nicht
genügend klar gestellt.
Ob zwischen der Ganglienkette und dem oberen Schlundganglion
eine Continuität der Anlage besteht oder ob sie sich getrennt anlegen,
vermögen wir aus den vorliegenden Angaben nicht zu ersehen.
Das obere Schlundgauglion scheint in enger Verbindung mit den
Einstülpungen zu entstehen, welche man in frühen Stadien anfangs als
rundliche, später als halbkreisförmige Gruben an den Scheitellappen be-
merkt (Fig. 346 C u. 349 A u. B). Wenn diese Scheitelgruben noch
ziemlich flach sind , tritt zwischen ihnen eine starke Verdickung des
Ectoderms auf (Fig. 354 ^4). Dieselbe bildet die mediane Wand beider
Einsenkungen. Wir möchten annehmen , dass diese Verdickung haupt-
sächlich zur Bildung des Gehirnes verwendet wird. Später vertiefen sich
die Gruben und, indem sich ihre Oeffnungen verengern, rücken dieselben
mehr nach hinten, wie dies bei der Bildung der Augen noch genauer be-
sprochen werden muss. Es scheint, dass dabei die Anlage des Gehirns sich
allmählich von den Gruben ablöst und wohl auch mehr seitlich verlagert wird.
So kommt es, dass die Gehirnanlage später seitlich von den Gruben ge-
funden wird. Diese letzteren stellen die Anlage der Mittelaugen dar.
Vorstehende Darstellung entspricht nicht ganz den von La.urie, sowie
von Kowalevsky und Schulgin gemachten Mittheilungen, da diese das Ge-
hirn in noch innigerem Zusammenhang mit den Einsenkungen , ja sogar
direct aus diesen hervorgehen lassen; doch vermögen wir die von Laukie
und Patten gegebenen Bilder nicht anders zu deuten , als dies vorstehend
geschah. Danach würde zwar ein Zusammenhang in der Bildung des Ge-
hirns und der Mittelaugen vorhanden sein, aber nicht ein so inniger, wie
dies aus den Worten der genannten Autoren hervorzugehen scheint.
An der Anlage des Gehirns und besonders an den Parthien der
Gruben, welche an seiner Bildung theilnehmen, sind die nämlichen
kleinen Vertiefungen vorhanden, welche schon bei der Bildung der
Ganglienkette erwähnt wurden und als Bildungsheerde von Zellen ange-
sehen werden (Kowalevsky und Schulgin, Laurie). Mit der Trennung
des Gehirns von den Gruben scheint dasselbe auch seinen Zusammenhang
mit dem Ectoderm zu verlieren.
Mit dem Gehirn vereinigen sich die Ganglien des Chelicerenseg-
mentes (Kowalevsky und Schulgin), was auch den Verhältnissen beim
ausgewachsenen Thiere entspricht. Die beiden Nervenpaare der Cheli-
ceren nehmen demnach ihren Ursprung vom Gehirn, welches sich in
einen vorderen Abschnitt (Ursprung der beiden Sehnervenpaare), einen
mittleren unpaaren Abschnitt von geringem Umfang (Ursprung des Nerven
für das Rostrum) und einen hinteren paarigen Theil (Ursprung der
Cheliceren- und sympathischen Nerven) gliedert. Die Ganglienpaare der
Brust und (wie es scheint) die der beiden ersten Hinterleibssegmente
vereinigen sich zu der grossen thoracalen Ganglienmasse, welche sich
hinter dem Oesophagus nahe an das Gehirn herandrängt, Die Zahl der
Abdominalganglien wird durch Verschmelzung einzelner Paare auf sieben
Arachnoiden.
547
(wahrscheinlich vier für das Prä- und drei für das Postabdomen) reducirt.
Diese Verhältnisse sind zum Theil schon durch die bereits im Jahre 1837
angestellten Untersuchungen von H. Rathke bekannt geworden (No. 28).
Die Bildnug der Mittelaugen steht dadurch in Beziehung zu der-
jenigen des oberen Schlundganglions, dass beide Gebilde ihre Entstehung
auf die Scheitelgruben zurückleiten, oder doch wenigstens zum Theil auf
diese zurückzuführen sind. Dass die Scheitelgruben an der Bildung des
Gehirns betheiligt sein sollen, wurde bereits früher erwähnt. Wahr-
scheinlich noch ehe die völlige Trennung des Gehirns von den Gruben
erfolgt ist, rücken die beiden Einstülpungsöffnungen (Fig. 351 A, e) nach
hinten und gegen die Mittellinie hin, um hier später zu einer gemein-
samen Einsenkung zu verschmelzen. Dieser Vorgang beruht offenbar auf
einem Wachsthumsprocess, vermöge dessen die jetzt zwischen den Gruben
gelegenen Parthien allmählich in sie einbezogen werden. Wenn wir
Laurie's Darstellung recht verstehen, so scheint die gemeinsame Grube
sehr umfangreich aber ziemlich seicht zu sein (Fig. 351 B, e). Sie liegt
dicht vor den jetzt bereits scheerenförmig entwickelten Cheliceren.
B.
Fig. 351. A — C Euscorpius italicus (nach Laurie).
A Querschnitt durch den vorderen Theil des Embryos, B vorderer Theil eines
Embryos in der Ebene ausgebreitet und von der Ventralseite gesehen, C Längsschnitt
durch das Vorderende.
a Anlage der Mittelaugen (Linsen), ch Cheliceren, e Scheitelgruben , g Gehirn,
Pn Vi erstes und zweites Gangbeinpaar, pcd Pedipalpen, vd Vorderdarm.
Freilich lässt sich die
Lagenbeziehung
der Cheliceren zu dieser Grube
aus den betreffenden Abbildungen nicht recht erkennen, doch muss man
sich in Ermangelung einer besseren damit begnügen. In der Fig. 354, F
sind einige Stadien der Gruben durch die Umrisse angedeutet; doch sind
leider auch aus Patten' s Darstellung diese Verhältnisse nur sehr unvoll-
kommen zu erkennen.
Indem der vordere Rand der Grube gegen den hinteren vorwächst,
wird dieselbe überdeckt, resp. ihre Oeffnung nach aussen wird immer
kleiner (Fig. 351 C u. 354 F). Die nach aussen gerichtete, unter der
Hypodermis gelegene Wand der Grube verdickt sich (Fig. 351 (7), während
die innere Wand schwach und einschichtig bleibt. Die ganze Einsenkung,
welche sich ziemlich dicht der Hypodermis anlegt, erfährt eine Abplat-
tung von vorn nach hinten, so dass sie nur noch als eine flache Tasche
erscheint (Fig. 352 A). Doch lässt sich an ihr eine rechtsseitige und
linksseitige Parthie unterscheiden, welche der Anlage je eines der beiden
Augen entsprechen.
548
XVII. Cäpitel.
Bei der von vorn nach hinten gerichteten Abplattung, welche die
gemeinsame Augengrube erfuhr, wurde die Höhlung derselben grössten-
teils verdrängt, und es sind schliesslich nur noch Spuren desselben zu
erkennen (Fig. 352 A). Auch die Oeffnung der Augengrube nach aussen
gelangt bald zu völligem Schluss. Die verdickte Vorderwand der Grube
liegt jetzt der Hypodermis dicht an (Fig. 352 A, r). In ihr ist bereits Pig-
ment aufgetreten. Sie repräsentirt die Retina des Auges, aus welcher später
durch allmähliche Differenzinmg die Gruppen der Retinulazellen , sowie
die zwischenliegenden Pigmentzellen hervorgehen. Die über der Retina
gelegene Hypodermisschicht (h) wird zum Glaskörper und hat nach aussen
die Linse abzuscheiden, weshalb man sie neuerdings auch als lentigene
Schicht bezeichnet (Mark). Die hinter der Retina (d. h. nach innen von
derselben) gelegene Zellschicht (Fig. 352 p/-) ist eine, auch beim ausge-
bildeten Thier vorhandene postretinale Schicht von Ectodermzellen.
Diese scheidet nach hinten eine Cuticula ab, welche das Auge abschliesst
Fig. 352. A — C Schnitte durch verschiedene Entwicklungsstadien der Mittelaugen
des Scorpions (A nach Parker, B und C schematisch).
g Gehirn (?), gl Glaskörper, h Hypodermis, l Linse, n Sehnerv, pr postretinale Schicht,
r Retina, rh Rhabdome.
(Fig. 352 G). Die postretinale Schicht selbst tritt später in engen Con-
tact mit der Retina. Eine Cuticula-ähnliche Bildung wie die Basal-
membran der Postretinalschicht tritt auch zwischen Glaskörperschieht
und Retina auf (Parker). Sie stellt die verschmolzenen Cuticular-
säume dieser beiden Zellschichten dar, welche sie von einander trennt
(Fig. 352 G).
Von besonderem Interesse sind die Innervirungsverhältnisse des sich
entwickelnden Auges. Es wurde schon früher gezeigt, dass ein Theil der
Scheitelgruben mit zur Bildung des Gehirns beiträgt, und zwar dürften
auf diese Weise hauptsächlich die optischen Ganglien entstehen
(Patten). In Fig. 354 B u. C sieht man dieselben in Verbindung mit
der Augengrube. Wenn sie sich später von ihr absetzen, entsteht an
dieser Stelle der Sehnerv (Fig. 354 Ou. D). Nach der entgegengesetzten
Seite stehen die Sehüanglien noch von früher her in Verbindung mit dem
Gehirn (Fig. 354 A—D).
Arachuoiden. 549
In den früheren Entwicklungsstadien des Auges steht der Sehnerv
zunächst mit der convexen Fläche der Augeneinstülpung in Verbindung
(Parker), und zwar scheinen sich die Nervenfasern besonders mit der
gegen die Hypodermis zu gerichteten Fläche der Augentasche zu ver-
einigen (Fig. 352 B). Diese Fläche entspricht aber der beim fertigen
Auge nach vorn gerichteten Seite der Retina, d. h. die Nervenfasern ver-
binden sich in diesem Stadium mit demjenigen Ende der Sehzellen, welches
beim ausgebildeten Auge das freie, nach Aussen gerichtete Ende darstellt,
Sie zeigen also das entgegengesetzte Verhalten wie beim ausgebildeten
Thier, und man nimmt an, dass die Nervenendstellen während des wei-
teren Laufes der Entwicklung vom äusseren nach dem inneren Ende der
Sehzellen verlagert werden (Mark, Parker). Die hierbei sich vollziehen-
den Vorgänge, welche, wenn sich die Sache wirklich so verhält, von
grossem histologischen Interesse sein würden, sind noch nicht als klar
gestellt zu betrachten. Vom theoretischen Standpunkte aus ist ein Ver-
halten des Sehnerven, wie es hier geschildert wird, recht einleuchtend. Die
Augenanlage erscheint als Einstülpung, und man sollte erwarten, dass
bei deren Schluss vorn die Linse und der Glaskörper, an der Hinter-
seite aber die Retina zur Ausbildung gelange. An die Hinterwand würde
dann der Nerv herantreten. Letzteres ist zwar wirklich der Fall, aber
Linse und Glaskörper werden von einem ausserhalb des Bereichs der
Einstülpung gelegenen Theil der Hypodermis gebildet (Fig. 352 A — C).
Es ist also eine auffallende Veränderung in der Bildung der Augen ein-
getreten, deren Ursache wir noch nicht kennen. Die Folge dieser Ver-
änderung ist, dass die früher nach innen gerichtete Fläche der Retina
nunmehr nach Aussen (gegen die lentigene Hypodermis) gekehrt werden
muss (Fig. 352 B). Mit dieser Fläche verbindet sich zwar noch der
Nerv, indem er dem früheren Verhalten treu bleibt; um aber die Bildung
des Auges nach dem neuen Modus zu ermöglichen muss er von der
früher inneren und convexen Fläche an die früher äussere und concave
Fläche der Einstülpung verlagert werden (Fig. 352 B u. C). Ein Theil
der letzteren wird bei diesem Vorgang zu der postretinalen Schicht. Diese
Schicht muss nothwendiger Weise von dem Nerven durchsetzt werden,
wie es (nach der Darstellung von Ray Lankester und Bourne No. 20)
auch wirklich bei dem ausgebildeten Thier der Fall ist.
Man muss den Wunsch aussprechen, über die vorliegenden höchst auf-
fallenden und bisher nicht recht erklärlichen Bildungs Vorgänge der Mittel-
augen des Scorpions noch genauere und eingehendere Darstellungen zu er-
halten, als sie bisher gegeben werden konnten, obwohl schon einige recht
anerkennenswerthe Versuche (so die von E. L. Maek und G. H. Paekee)
vorliegen , diese schwierigen Verhältnisse zu grösserer Klarheit zu bringen.
Eine genauere Besprechung können dieselben erst weiter unten nach Be-
handlung der Entwicklung der Spinnenaugen erfahren (vgl. pag. 597).
Die Seitenaugen zeigen eine weit einfachere Entstehungsweise als
die Mittelaugen. Zur Zeit der Bildung der Mittelaugen treten seitlich
von diesen und etwas weiter nach hinten gelegen zwei längliche pigmen-
tirte Hautstellen hervor, welche nun, wie das ebenfalls schon pigmentirte
Mittelauge, als Augenanlagen zu erkennen sind. Die Hypodermis ist an
den betreffenden Stellen stark verdickt, und man erkennt eine Anzahl
(je nach der Zahl der Seitenaugen des betreffenden Scorpions bis zu
fünf) Einsenkungen an dieser verdickten Region (Fig. 353 A, 11 — V). Aus
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 36
550
XVII. Capitel.
jeder dieser Gruben lieht ein Auge hervor, und zwar verläuft die weitere
Ausbildung in sehr einfacher Weise, entsprechend dem einfachen Bau
der fertigen Seitenaugen (Parker). Die eingestülpte Stelle wird grössten-
theils zur Retina. Wenn die Linse gebildet werden soll, strecken sich
von der Seite her die mehr peripher gelegenen Zellen über den mittleren
Theil (die Retina) hin und scheiden die Linse ab. Diese liegt nun über
dem nur wenig eingesenkten mittleren Theil (Fig. 353 B). In diesem
differenziren sich die Sehzellen von den zwischen gelegenen Pigment-
zellen, und diese einschichtige Zellenlage geht über in die peripher ge-
lagerten (lentigenen) Zellen, welche sich ihrerseits direct in die Hypo-
dermis fortsetzen (Fig.
d.
HVC5.
n.
3b.
\~~
353 B). Diese con-
tinuirliche Zellenlage
scheidet nach hinten zu
eine cuticulare Basilar-
membran aus, welche
das Auge gegen die Um-
gebung abgrenzt. Der
Nerv tritt mit dieser
Hinterseite des Auges
in Verbindung.
Während die Mittel-
augen des Scorpions durch
einen ziemlich compli-
cirten Eintältungsprozess
ihren Ursprung nehmen,
sieht man die Seitenaugen
in recht einfacher Weise
aus blossen Einsenkungen
der Hypodermis hervor-
gehen. Aus dem etwas
einfachen Bau der Seiten-
augen allein lässt sich
diese Differenz nicht wohl
erklären, sondern es
müssen andere , bisher
nicht genügend bekannt
gewordene Umstände da-
bei in Frage kommen.
Auffallend ist in dieser
Beziehung das Ueber-
gehen der Scheitelgruben
in die ebenfalls gruben-
förmigen Anlagen der
Mittelaugen.
Die Schilderung der Entstehung des Gehirns und der Augen ist im
Vorstehenden so gegeben worden, wie sie sich uns aus den Angaben der
Autoren auf diesem Gebiet darstellte; doch sind diese Angaben, zumal was
die Bildung des Gehirns und die erste Anlage der Mittelaugen betrifft,
grösstentheils recht ungenügend. Theilweise widersprechen sie sich direct
oder sind in Folge der zum Theil mangelhaften textlichen und bildlichen
Darstellung völlig unverständlich.
Fig. 353. A und B Schnitte durch ein früheres
Entwicklungsstadiuin und einen späteren Entwicklungs-
zustand der Seitenaugen des Scorpions (etwas schematisirt
nacli Parker und Laurie).
II — V die Einsenkungen der Augen, h Hypodermis,
in interneurale Zellen, l Linse, mes Mesodermgewebe,
n Sehnerv, pn perineurale Zellen, r Retina, rh Khab-
dome, sz Sehzellen (Nervenendzellen).
Arachnoiden.
551
Wir müssen hier noch kurz auf die von Patten gegebene Darstellung
von der Entstehung des Gehirns und der Augen eingehen, die wesentlich
von derjenigen der anderen Autoren abweicht. Patten nimmt für die
Scorpione eine dreifache Gliederung der Kopflappen an, wie er dieselbe
früher schon für die Insecten beschrieben hatte (man vgl. unten die Bildung
des Gehirns bei den Insecten). Danach zerfallen die Scheitellappen in drei
Abschnitte, von denen jeder sich wieder in drei verschiedene Parthien theilt.
{Fig. 354 E und F.) An jedem Abschnitt unterscheidet mau die mittlere
eigentliche Gehirnparthie ; daran schliessen sich jederseits die Sehganglien
a.
- n.o„
Fig. 354. A etwas schematisch nach Laurie, B — F nach Patten. A Quer-
schnitt durch die Scheitellappen von Euscorpius italicus, die beiden Hirn-
augengruben (e) zeigend. B — D Sagittalschnitte durch die Scheitellappen von Bu-
thus carolinianus, die Bildung des Gehirns und der Mittelaugen zeigend. E und
F Schemata der Scheitellappen vom Embryo desselben Scorpions in verschiedenen
Stadien.
e Scheitelgrube, eL — em dieselbe in den drei Segmenten der Scheitellappen, g Ge-
hirnanlage, gi — ^iii dieselbe in den drei Segmenten, g.o. Ganglion opticum (yo, — gom in
den drei Segmenten), m.a. Mittelaugen, n.o. Nervus opticus (noIZ und wom im zweiten und
dritten Segment), opt — opm „optic plate" der drei Segmente, r Retina, s.a. Seitenaugen.
und an sie die Regionen an, welche die Augen zu liefern haben („optic
plates"). Diese Regionen wiederholen sich also dreimal von vorn nach hinten.
(Fig. 354 E.) Während die anderen Autoren nur die beiden halbkreis-
förmigen Einsenkungen der Scheitellappen kennen, beschreibt Patten drei Paare
von Einsenkungen, eines an jedem Abschnitt. Das mittlere derselben dürfte
mit den von den anderen Autoren gesehenen Hirnaugengruben identisch
sein; seine Umbildung wurde bereits früher verfolgt (pag. 546 u. ff). Diese
mittleren Gruben geben den Mittelaugen und gleichzeitig
den optischen Ganglien den Ursprung, indem diese sich mit
36*
552 XVII. Capitel.
ihnen einsenken (Fig. 354 E). So ist die Entstehung des
Sehnerven leicht zu erklären (Fig. 354 C und D). Die Sehganglien
stehen in Verbindung mit der unterdessen ebenfalls in's Innere verlegten
Gehirnparthie (Fig. 354 D).
Am ersten Segment liegen keine Augen, wohl aber am dritten, welches
die Seitenaugen trägt. Dieselben werden jedoch nicht eingestülpt. Wir
können auf die weiteren Ausführungen Patten's hier nicht eingehen, da
seine Resultate nicht genügend gestützt erscheinen und allzu fragmentarisch
mitgetheilt werden. So ist es denn auch nicht möglich , über den Werth
der PATTEN'schen Angaben, die, wie schon der Titel der Abhandlung (No. 27)
zeigt, zu einem anderen Zweck gemacht wurden, ein sicheres Urtheil zu ge-
winnen ; ja, vielfach ist es bei der Art seiner Darstellung völlig ausgeschlossen,
eine auch nur halbwegs genügende Vorstellung der von ihm mitgetheilten
Bildungsvorgänge zu gewinnen.
B. Die Lungensäcke.
Die Lungensäcke entstehen, wie schon oben (pag. 544) erwähnt, als
Einsenkungen an der Hinterseite der Anhänge des dritten bis sechsten
Abdominalsegmentes (Metschnikoff, Laurie, Fig. 350, pag. 545). Diese
Einsenkungen sind anfangs flach, vertiefen sich dann, und erscheinen von
ihrer sich verengernden Oeffnung aus nach vorn gerichtet. Die Oeffnung
entspricht dem späteren Stigma des Lungensackes (Fig. 349 C, st). Die
Säcke ragen in einen Spaltraum des Mesoderms hinein, welcher von
Blutelementen erfüllt ist (Kowalevsky und Schulgin, Laurie).
Die Umbildung der Lungensäcke zu ihrem definitiven Bau geht erst
im spätesten Embryonalstadium vor sich und wird dadurch eingeleitet,
dass die nach Innen gekehrte Wand Einbuchtungen erfährt. Dadurch
bilden sich einige Falten, welche immer tiefer in den Hohlraum des
Sackes hinein (also nach hinten zu) wuchern. Ihnen folgen weitere
Falten, und so kommt der lamelläre Bau des Lungensackes allmählich
zu Stande (Laurie). Die Wand des embryonalen Lungensackes besteht
aus einem Cylinderepithel , welches an der gegen den Hohlraum des
Sackes gerichteten Fläche eine feine Cuticula absondert (Metschnikoff).
Ueber die Auffassung des geschilderten Entwicklungsmodus der Lungen-
säcke und ihre morphologischen Beziehungen soll bei Betrachtung der Respira-
tionsorgane der Araneinen noch Einiges hinzugefügt werden (pag. 604 ff).
C. Der Darmcanal.
Die Ausbildung des Mitteldarmes verläuft in den einzelnen Ab-
theilungen des Körpers in etwas verschiedener Weise. Während das
Entoderm in der ganzen Umgebung des Dotters eine einschichtige Lage
von Zellen darstellt, bildet es da, wo das umgeschlagene Postabdomen
zur Ausbildung kommt, eine compacte Zellenmasse (Fig. 355). Hier im
Postabdomen erfährt der Mitteldarm zuerst seine völlige Ausbildung, in-
dem sich aus dieser Zellenmasse ein Rohr gestaltet, welches entsprechend
der geringen Dicke und Länge dieses Körperabschnittes nicht sehr um-
fangreich ist. Von hier aus setzt sich die Ausbildung des Darmes nach
vorn fort und zwar in der Weise, dass sie dabei von der ventralen nach
der dorsalen Fläche vorschreitet. Zwar war bereits früher der ganze
Dotter vom Entoderm umwachsen, aber es scheint, dass sich dessen
Aracknoiden. 553
Zellen in ähnlicher Weise verhalten, wie wir dies bereits früher von den
Entodermzellen der Crustaceen kennen gelernt haben (pag. 332).
Sie schwellen stark an und erhalten eine hoch cylindrische Ge-
stalt, machen also noch nicht den Eindruck des definitiven Darm-
epithels, sondern sind mehr mit der Assimilation des Dotters beschäftigt.
Von hinten nach vorn vorschreitend, sich zuerst auf die ventralen Par-
thien und von da gegen die Dorsalseite erstreckend, geht nunmehr die
allmähliche Umwandlung des provisorischen Epithels in das definitive
Darmepithel vor sich. Als Ausstülpungen desselben, vielleicht auch ver-
anlasst durch das Eindringen von Falten des splanchnischen Mesoderm-
blattes in die Dottermasse, wie es ähnlich bei den Spinnen beobachtet
wird (vgl. pag. 610), bilden sich die Leberblindschläuche, welche zuerst
noch reichliche Dottermassen enthalten. Es hat den Anschein, als ob
den Leberschläuchen eine segmentale Anordnung zukäme. Durch weitere
Ausbreitung und Verzweigung erreicht die Leber ihre definitive Form.
Die hier geschilderte Bildungsweise des Mitteldarmes dürfte die grösste
Wahrscheinlichkeit für sich haben, da sowohl Laurie, wie auch Kowaleysky
und Schulgin von einer ziemlich frühzeitig erfolgenden vollständigen Um-
wachsung des Dotters durch das Entoderm sprechen. Doch ist es uns nicht
gelungen, aus den vorliegenden Darstellungen zu völliger Klarheit über diesen
Punkt zu gelangen. Dieselben könnten vielleicht auch so verstanden werden,
dass die Umwachsung des Dotters durch das Entoderm nur an einigen
Theilen eine völlige ist, z. B. vorn, wo sich der Keimstreifen um den Eipol
herumlegt, und zumal hinten, und dass dann erst von hinten aus (ventro-
dorsal fortschreitend) die Umwachsung des Dotters durch das Entoderm
erfolgt , welches letztere dann in kürzerer Zeit zum definitiven Darmepithel
ausgebildet würde. Eine derartige Entstehungsweise des Darmes würde sich
den Verhältnissen bei den Spinnen mehr nähern, bei welchen das Mittel-
darmepithel die vom Mesoderm direct begrenzte Dottermasse umwächst (vgl.
pag. 610). Wir vermochten jedoch eine solche Anschauung aus den vor-
liegenden Angaben nicht zu gewinnen, und es würden sich auch dann noch
erhebliche Differenzen gegen das Verhalten der Spinnen ergeben , da bei
diesen die erste Anlage des Mitteldarmes aus einer Ansammlung von Dotter-
zellen gebildet werden soll (Fig. 383, pag. 609).
Als Ausstülpungen des Mitteldarms entstehen im letzten Segment
des Präabdomens nach Laurie die beiden langen schlauchförmigen Darm-
anhänge, welche man bisher als MALPiGHfsche Gefässe bezeichnete
und damit den gleichnamigen Gebilden der Insecten und Myriopoden
für homolog erachtete. Sie bilden sich in Form zweier Ausstülpungen
verhältnissmässig weit vorn am Mitteldarm zu einer Zeit, da die End-
darmeinstülpung noch nicht angelegt ist. Wenn diese auftritt, sieht man
die MALPiGHi'schen Gefässe im Präabdomen vom Darm abgehen ; es liegt
also eine weite Strecke zwischen ihrer Ursprungsstelle und dem End-
darm. Bei den Spinnen verhält sich dies anders, denn bei ihnen ent-
springen die sog. MALPiGHi'schen Gefässe dicht an der Verbindungsstelle
von Mittel- und Enddarm. Auch bei den Scorpionen hat man den an-
sehnlichen, hinter der Eininündungsstelle der MALPiGHi'schen Gefässe
gelegenen Darmabschnitt für den Enddarm, d. h. für ectodermal ge-
halten. Wenn sich Laurie's Beobachtung als richtig erweist, müsste
dieser Abschnitt oder doch ein grosser Theil desselben entodermaler
Natur sein, und der eigentliche Enddarm würde sich dann wohl auch
554 XVII. Capitel.
beim ausgebildeten Thiere als sehr kurz erweisen, es wäre denn,
dass eine bedeutende Verlagerung der „MALPiGHi'schen Gefässe" statt-
gefunden hätte.
Obwohl Kowalevsky und Schulgin nicht von der Entstehung der
MALriGHi'schen Gefässe sprechen, stimmen ihre Angaben über die Bildungs-
weise des Mittel- und Enddarmes doch mit der Auffassung Laurie's überein.
Nach ihnen wächst die röhrenförmige hintere Parthie des Mitteldarmes durch
das ganze Postabdomen bis zum vorletzten Segment, um sich hier mit
der Aftergrube zu vereinigen. Ohne Kenntniss dieser Angabe könnte
man geneigt sein , an eine Verwechslung des im Postabdomen gelegenen
Darmabschnittes mit einem Entodermtheil zu denken, und annehmen, dass
das Proctodäum sich sehr weit nach vorn erstrecke , zumal es auch bei den
Spinnen recht umfangreich wird. Doch scheint eine solche Annahme nach
den Darstellungen von Latjkie und Kowalevsky - Schulgin ausgeschlossen.
Wir müssen daher die sogenannten Malpighfschen Gefässe der Scorpione
für entodermal halten, obwohl wir als wünschenswerth hervorheben möchten,
dass über diesen wichtigen Punkt noch genauere Untersuchungen angestellt
würden. Die Malpighi'schen Gefässe der Myriopoden und Insecten entstam-
men zweifellos dem Ectoderm, d. h. sie sind Anhänge des Enddarms; bei
einigen Crustaceen (z. B. den Amphipoden) finden sich dagegen schlauch-
förmige Anhänge am hinteren Theile des Mitteldarmes, welchen wahrschein-
liche excretorische Function zukommt, und die ebenfalls eine ähnliche
Structur besitzen wie die Malpighi'schen Gefässe.
Der Vorderdarni entsteht als Einstülpung zwischen den Scheitellappen
(Fig. 348 u. 355 B) : die Enddarmeinstülpung, welche nach Laueie erst
in sehr spätem Stadium auftritt, scheint gegen das vorletzte Segment
verschoben zu sein, welches Verhalten der Lagerung des Afters ent-
spricht, wie man sie auch beim ausgebildeten Thier beobachten kann.
Beide ectodermale Gebilde, Stomodäum und Proctodäum, treten erst in
später Zeit mit dem Mitteldarm in Verbindung, wie überhaupt die Aus-
bildung des Darmes erst so spät vor sich geht, dass beim geburtsreifen
Embryo im vorderen Theil des Mitteldarmes die Zellen noch nicht ihre
regelmässige epitheliale Anordnung erhalten haben, sondern sich zum
Theil zwischen die Dottermasse hineinschieben. Die Begrenzung der
Zellen nach Innen ist keine distincte, und ein Darmlumen ist hier noch
nicht vorhanden. Bei dieser mangelhaften Ausbildung des Darmes und
dem Vorhandensein einer Menge von Dottersubstanz im Darm ist es
höchst wahrscheinlich, dass der junge Scorpion erst längere Zeit nach
der Geburt Nahrung aufnimmt. Bekanntlich übt das Mutterthier auch
nach der Geburt noch eine Brutpflege aus, indem es die Jungen einige
Zeit auf dem Rücken mit sich herumträgt.
Die meso dermalen Bildungen.
Bezüglich der Entstehung der mesodermalen Gebilde ist unsere
Kenntniss eine sehr geringe. Das, was über die Differenzirung der
Mesodermstreifen bekannt geworden ist, lässt dieselbe als sehr ursprüng-
lich erscheinen. Die beiden Mesodermstreifen gliedern sich in eine der
Segmentirung des Körpers entsprechende Zahl von Abschnitten, deren
Ausbildung von vorn nach hinten erfolgt (Fig. 355 h u. mes). Im
Arachnoiden.
555-
Postabdomen werden die Ursegmente zuletzt ausgebildet. Auch dem
(primären) Kopfabschnitt kommt ein wohlausgebildetes Paar von Urseg-
menten zu (Fig. 355 Ä). Zuerst liegen die Ursegmente eine Strecke
entfernt von der ventralen Mittellinie (Fig. 345 B, pag. 539) , dehnen
sich aber später gegen diese hin aus. Vor Allem kommt jedoch ihre Er-
weiterung gegen die Dorsalfläche zu in Betracht. Während dieselbe in
den vorderen Segmenten zunächst weniger bedeutend ist, fällt sie da-
gegen im Abdomen auf, wo die Ursegmente schon bald über den Bereich
des Keimstreifens hinaus und gegen die Dorsalseite hin wachsen. Im
hinteren Theil der Fig. 349 J5, pag. 544, sieht man die Ursegmente (nur
Fig. 355. A und B sagittale Längsschnitte durch den Embryo von Euscorpius
italicus (nach Laurie), um die dorsale Krümmung des Embryos zu zeigen. A ist
neben der Mittellinie, B in deren Ebene geführt.
ab Abdomen, eh Cheliceren, d Dotter, ent Entoderm , h Höhle der Ursegmente,
T\l Kopflappen , m Mund (Stomodäum), mes Mesoderm, px — jo4 erstes bis viertes Bein-
paar, pab Postabdomen, ped Pedipalpen.
etwas zu scharf) hervortreten. Indem auch die vorderen Ursegmente
denselben Process durchmachen, breitet sich das ganze Mesoderm, zwischen
Ectoderm und Entoderm vordringend, gegen den Rücken hin aus. Die
äussere Wand der Ursegmente (das somatische Blatt) scheint dabei dicker,
aus mehreren Zellschichten zusammengesetzt, während die innere Wand
(das splanchnische Blatt) nur aus einer Zellenlage besteht. Ganz beson-
556 XVII. Capitel.
ders dünnwandig und mit verhältnissmässig geringer Höhlung versehen
ist das Ursegmentpaar des Kopfabschnittes (Laurie).
Die Ausbreitung des Mesodenns nach dem Rücken hin ist nicht
allein durch die Erweiterung der Ursegmente bedingt, d. h. die Aus-
breitung setzt sich in der Weise fort, dass die Unischlagsstelle (des so-
matischen in das splanchnische Blatt) als einfache Zellenschicht weiter
wächst (Kowalevsky und Schulgin). Erst später soll in diesem, mehr
dorsal gelegenen Theil des Mesoderms die Spaltung eintreten und ist
dann in jedem Segment ein Paar weiter Segmenthöhlen gebildet, deren
Wände sich nunmehr in der ventralen und dorsalen Mittellinie berühren
(Laurie). Wie man sieht, herrschen in Bezug auf die Differenzirung des
Mesoderms bei den Scorpionen sehr ursprüngliche Verhältnisse, welche
stark an diejenigen der Anneliden erinnern. Ein entsprechendes Ver-
halten werden wir auch bei den Araneinen antreffen. Ehe noch die
Ausbildung der Ursegmente so weit fortgeschritten ist, soll bereits das
Herz angelegt werden.
D. Blutgefässsystem und Leibeshöhle.
Die Bildung des Herzens geht (nach der Darstellung von Kowa-
levsky und Schulgin) von den beiden Blättern aus, welche oben als
Fortsetzungen der Umschlagsstelle des somatischen und splanchnischen
Blattes charakterisirt wurden. Diese rücken gegen die dorsale Mittel-
linie vor, wo sie sich vereinigen. Gleichzeitig scheinen sie sich dort in
der Weise einzubiegen, dass sie ein gegen das Entoderm hin offenes
Halbrohr bilden, welches sich in der ganzen Länge des Embryos vom
Kopf bis zum Schwanz ausdehnt. Wenn sich das Halbrohr an seiner
unteren offenen Seite zusammenschliesst , ist die Bildung des Rücken-
gefässes der Hauptsache nach vollendet. Die vordere, im Cephalothorax
gelegene Parthie und der hinterste Theil liefern wohl die vordere und
hintere Aorta.
Im Herzrohr liegen viele isolirte Zellen, welche sich bereits vor der Aus-
breitung der Ursegmente gegen den Rücken hin von ihnen losgelöst hatten
und sich in der dorsalen Mittellinie zu einem Strang vereinigten. Um diesen
Strang herum erfolgte jene Biegung der Mesadermblätter, so dass die isolirten
Zellen in's Innere des Rohres zu liegen kamen (Kowalevsky und Schulgix).
Diese Zellen liefern die Blutkörperchen. Ein ganz ähnliches Verhalten wurde
bei der Herzbildung der Araneinen beobachtet und kann erst dort durch
Abbildungen besser erläutert werden. (Fig. 387 — 389, pag. 614 ff.)
Die Darstellungen, welche von Kowalevsky- Schulgin und Laukie von
der Entstehung des Herzens gegeben werden , lassen sich nicht völlig auf
einander beziehen. Die Angaben der erstgenannten Autoren lauten so be-
stimmt, dass wir uns genöthigt sahen, ihnen zu folgen; doch scheinen ander-
seits die von Laukie gemachten Beobachtungen mehr mit dem Verhalten der
Spinnen übereinzustimmen. Freilich ist es unmöglich, aus den vorliegenden
Angaben überhaupt eine klare Anschauung dieser Verhältnisse zu gewinnen.
Nach Laukie scheint es, als wäre im dorsalen Theil des Mesoderms die
Spaltung schon eingetreten, wenn die Bildung des Herzens beginnt, und dann
würde die Bildung des Herzens in ähnlicher Weise vor sich gehen , wie bei
den Spinnen. Man ist ausserdem geneigt, die Verhältnisse so aufzufassen,
wie bei den Anneliden und an eine Abspaltung von Mesodermzellen zur
Bildung des Rückenrohres zu denken; doch wird das Zustandekommen des
Herzens bei den Spinnen etwas anders aufgefasst (pag. 614 ff.).
Arachnoiden. 557
Kowalevsky und Schulgin unterscheiden am Herzen ein Endothel und
eine Muskelschicht, die heide vom Mesoderm her entstehen. Während der
Differenzirung dieser Schichten treten die Spalten im Herzrohr auf. Die
Flügelmuskeln bilden sich aus dem Mesoderm, und um das fertige Herz tritt
eine Schicht von Mesodermzellen auf, welche eine continuirliche Hülle um
dasselbe bildet, das Pericar dium.
Die Leibesliöhle des Scorpions zeigt bis zur Bildung des Herzens
ganz ähnliche Verhältnisse, wie wir sie schon bei den Anneliden keimen
lernten. Sie besteht zuerst aus einzelnen Abteilungen, welche von den
Ursegmenten gebildet werden. Die Scheidewände des letzteren (die
Dissepimente) werden zwar durchbrochen, aber die Höhlungen selbst
bleiben zunächst noch erhalten und werden vom Cölomepithel ausge-
kleidet, entsprechen also einem echten Cölom. Zur Zeit, wo sich Aus-
buchtungen des splanchnischen Blattes bereits zwischen die Lappen der
Leber hinein erstrecken, ist dies nach Laurie noch immer der Fall.
Diese Spalten erfüllen sich sodann mit Zellen, die wohl von der Wand der
Ursegmente abstammen. Die Continuität derselben wird dadurch unter-
brochen. Ihr somatisches Blatt erfährt eine weitere Differenzirung, in-
dem sich aus ihm die Körpermuskulatur bildet. Die Verhältnisse der
Leibeshöhle sollen bei Betrachtung der Spinnenentwicklung noch be-
sprochen werden, da sie von diesen Formen etwas genauer bekannt ge-
worden sind.
E. Die Coxaldrüsen.
Bei den Scorpionen findet sich im Cephalothorax jederseits eine um-
fangreiche, aus einem vielfach gewundenen Schlauch bestehende Drüse,
welche im Jugendzustand an der Basis der dritten Gangbeine nach Aussen
mündet (Fig. 356 A). Das jüngste Stadium dieser Drüse wird von
Laurie als ein einfaches, gerade gestrecktes Rohr beschrieben, welches
von seiner Ausmündung an der Basis der dritten Gangbeine im soma-
tischen Blatt des Mesoderms nach vorn verläuft und mit einem offenen
Trichter in das Cölom mündet. Später macht das Rohr mehr-
fache Windungen und knäuelt sich zuletzt zu der Drüsenmasse , welche
es im ausgebildeten Zustand darstellt. Die äussere Mündung konnte
noch beim geburtsreifen Thier constatirt werden. Sie wurde auch von
Kowalevsky und Schulgin gesehen, welche die Drüse in dem jüngeren
Stadium, in dem sie erst wenige Windungen macht, sowie im späteren,
stark gewundenen Zustande beobachteten.
Bei dem Bau und der Lage, welche das jüngste beobachtete Stadium der
Coxaldrüsen besitzt, ist es höchst wahrscheinlich, dass sie vom somatischen
Mesoderm gebildet werden. Man spricht sie als Nephridien an, und auch diese
Auffassung hat grosse Wahrscheinlichkeit für sich. Bei den ursprünglichen
Verhältnissen, welche das Cölom der Scorpione darbietet, müsste erwartet
werden , dass die Nephridien mit offenem Trichter in die weite Cölomhöhle
münden, und so scheint es sich auch thatsächlich eine Zeit lang zu verhalten.
Die weitere Ausbildung der inneren Drüsenendigung dürfte wesentlich von
den Veränderungen abhängen, welche die Leibeshöhle erleidet; doch ist gerade
dieser Punkt in ziemliches Dunkel gehüllt. Ob wie bei Peripatus und
den Crustaceen eine Abkapselung eines Theils der Leibeshöhle zur Bildung
des Drüsenendsäckchens erfolgt, oder ob die Mündung des Trichters in eine
weite secundäre Leibeshöhle längere Zeit erhalten bleibt, darüber dürften
558
XVII. Capitel.
mit Sicherheit erst eingehendere entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen
Auskunft geben. Dem neuesten Beobachter dieser Verhältnisse, Sturany
(No. 14) ist es nicht gelungen, eine Oeffnung der Coxaldrüse in die Leibes-
höhle bei den Arachniden nachzuweisen, und er glaubt eher an das Vor-
handensein eines geschlossenen Endsäckchens, wie es die Crustaceen besitzen ;
doch muss auch hierfür ein stricter Nachweis noch gefordert werden.
F. Die Genitalorgane.
Die Genitalorgane sind noch wenig auf
worden. Von Laurie wurden sie erst in
Stadium, kurz vor der Geburt des Embryos,
»ö-
— n.
Fig. 356. A und B Theile von Schnitten
durch den soeben ausgeschlüpften Scorpion (A)
und einen älteren Embryo (B), um die Coxaldrüse
und die Bildung der Genitalorgane zu zeigen.
Euscorpius italicus (nach Laürie).
a Ausführungsgang der Coxaldrüse, ec Ecto-
derm, g Ausführungsgang der Genitalorgane, g.op
Genitaloperculum, Ih Leibeshöhle, m Mündung der
Coxaldrüse, mes Mesoderm, n Bauchmark, p3, p±
Basis des dritten und vierten Beines, so somati-
sches, sp splanchnisches Blatt des Mesoderms.
ihre Entwicklung untersucht
einem späten Entwicklungs-
im ersten Abdominalsegment
als röhrenförmige, nach Innen
sich erweiternde Gebilde auf-
gefunden (Fig. 356 B). Von
Kowalevsky und Schulgin,
welche sie ebenfalls bemerk-
ten, werden sie (jedoch nicht
mit Sicherheit) auf das
splanchnische Blatt des Meso-
derms zurückgeführt. Aus
Laurie's Darstellung (Fig.
356 B) könnte man eher ent-
nehmen, dass sie aus dem
somatischenBatt hervorgehen,
wie die Coxaldrüsen des
Scorpions und die Nephridien
der Anneliden (Fig. 137, pag.
197). Die Natur der Aus-
führungskanäle als Nephri-
dien scheint dadurch erhärtet
zu wrerden, dass sie sich in
Form eines Trichters mit
weiter Mündung in die Leibes-
höhle öffnen (Kowalevsky
und Schulgin). Das nach
Aussen gerichtete Ende der
Canäle bleibt lange Zeit blind
geschlossen, ein Verhalten,
welches wir nicht, wie Laurie,
als gegen den Nephridial-
charakter der Ausführungs-
gänge sprechend betrachten
können, da sich ja die Nephri-
dien der Anneliden auf ganz
ähnliche Weise entwickeln.
Aus Laurie's Darstellung möchten wir entnehmen, dass sich die meso-
dermalen Ausfühl ungsgänge an den Stellen, wo in Form einer verdickten Ecto-
dermparthie die Reste des ersten Abdominalbeinpaares liegen (Fig. 356 B, g.op)
sich direct mit dem Ectoderm verbinden, ähnlich wie es nach Bergh bei der
Entstehung der Nephridien bei den Anneliden der Fall ist; doch sprechen
Kowalevsky und Schulgin von einer Ectodermeinstülpung , gegen welche
Arachnoiden. 559
der mesodermale Ausführungsgang hinwächst, um sich mit ihr zu verbinden.
Diese Einstülpung scheint, soweit man dies aus der kurzen Darstellung zu
ersehen vermag, nur wenig umfangreich zu sein, und es scheint recht wohl
möglich , dass an der verdickten Stelle , welche die Gegend der Abdominal-
extremität bezeichnet, eine solche Ectodermeinstülpung auftritt. Ist doch
auch für die Nephridien und die Geschlechtsausführungsgänge der Anneliden
eine ectodermale Endparthie der Canäle verschiedentlich angenommen wor-
den. Höchst wahrscheinlich rührt aber der kurze unpaare Theil von einer
Einsenkung des Ectoderms her. Bei den Pedipalpen ist dieser unpaare Ab-
schnitt weit umfangreicher und wird zu einer weiten Höhle (No. 31).
Die Geschlechtsdrüsen lassen Kowalevsky und Schulgin als Zellen-
polster entstehen, welche sich „dem inneren Rohr auflegen". Man muss
dies wohl so auffassen, dass ein Theil des Peritoneums (d. h. ein Abschnitt
der secundären Leibeshöhle) in die Bildung der Genitalorgane einbezogen
wird; doch sind darüber, wie überhaupt bezüglich der Differenzirung der
mesodermalen Gebilde noch genauere Nachrichten abzuwarten.
II. Pedipalpen.
Ueber die Entwicklung von Phrynus sind durch Bruce einige wenige
Angaben gemacht worden, wonach die Embryonen wie die der Scorpione eine
Embryonalhülle besitzen. Ueberhaupt ist wohl anzunehmen, dass die Ent-
wicklung der Pedipalpen ähnlich wie diejenige der Scorpione verläuft. Als
besonders bemerkenswerth hebt Bruce die Existenz eines Sinnesorganes an
der Basis der zweiten Gangbeine hervor , welches aus säulenförmigen , nach
Aussen fadenförmig verlängerten Zellen besteht.
Die Pedipalpen schliessen sich sehr nahe an die Scorpione an, und
wie diese zeigen sie vielfache Anklänge an die Organisationsverhältnisse
des Limulus (Ray Lankester, Bruce). Leider sind unsere Kenntnisse
von der Entwicklung der Pedipalpen bisher völlig ungenügende. Ebenso
steht es mit der von Grassi (in der Ebene von Catania unter Steinen)
aufgefundenen Form , K o e n e n i a In i r a b i 1 i s , welche mit den Pedi-
palpen (besonders Telyphonus) grosse Aehnlichkeit besitzt, von
Grassi aber zu einer besonderen Ordnung, Micro telyphonidae,
erhoben wird. Diese Form soll besonderer Respirationsorgane entbehren,
und Grassi sieht daher in ihr eine Mittelform zwischen den Giganto-
straken und den Arachnoiden, welche „bereits die Kiemen verloren
und die Athmungsorgane des Luftlebens" noch nicht erworben hat!
Derart dürfen wir uns den Uebergang wohl kaum vorstellen, und wir
möchten das Fehlen der Respirationsorgane, falls es wirklich statthat,
eher als eine Rückbildungserscheinung betrachten, wie sie in ähnlicher
Weise auch bei anderen luftlebenden Arthropoden auftritt, wenn deren
Körper sich gegenüber den grösseren verwandten Formen durch be-
sondere Kleinheit auszeichnet, so z. B. unter den Arachnoiden bei einigen
Milben, unter den Myriopoden bei Pauropus.
III. Pseudoscorpione.
Das Wenige, was bisher über die Entwicklung der Pseudoscorpione be-
kannt geworden ist, erscheint nicht genügend sichergestellt, so dass ein ab-
schliessendes Urtheil über die merkwürdigen Entwicklungsverhältnisse dieser
^\CAl
560
XVII. Capitel.
Formen nicht zu gewinnen ist. Die Befunde Metschnikopf's über die Ent-
wicklung des Chelifer bis zur Blastodermbildung werden zwar von
Stecker an Chthonius bestätigt, doch vermag die Darstellung des letzteren
Autors kein rechtes Vertrauen zu erwecken. Eine neuere Mittheilung von
J. Baerois1) über die Entwicklung von Chelifer ist zu kurz gehalten,
als dass daraus Genaueres zu ersehen wäre.
Die Eier von Chelifer und Chthonius sind kugelrund und von
dicht aneinander gelagerten Dotterkügelchen erfüllt. Sie werden von
einer Dotterhaut und einer weiteren, wahrscheinlich vom Eileiter abge-
Fig. 357. A — C Embryonen von Chelifer in den Eihüllen (nach Metschni-
koff, aus Balfoue's Handbuch).
A Furchungsstadium, B Stadium, auf welchem das Blastoderm (bl) von der inneren
Dottermasse geschieden ist, C Spaltung des Blastoderms in zwei Lagen. Im Innern
die Dottermasse. Auftreten der zellenähnlichen Eiweissgebilde zwischen Blastoderm
und Eihaut.
schiedenen Hülle umgeben. Die so gestalteten Eier werden vom Mutter-
thiere an der Ventralfläche des Abdomens getragen und machen hier
ihre Entwicklung durch. Die Furchung ist Anfangs eine totale. Das Ei
zerfällt in zwei, vier und acht Blastomeren (Fig. 357 A). In dem letz-
teren Stadium, d. h. wenn das Ei in acht Kugeln getheilt ist, sollen an
der Peripherie protoplasmatische Zellen auftreten. Die Zahl derselben
vermehrt sich bald reichlich, und sie bilden rings um das Ei eine Lage
heller Zellen (Fig. 357 B), welche man als Blastoderm ansprechen muss.
Gleichzeitig lassen sich aber im Innern die wenigen grossen Dotter-
segmente mit ihren Kernen noch deutlich erkennen.
Man muss den ganzen Vorgang wohl so erklären , dass die wenigen
Kerne , welche den Dotter in Segmente zu zerfallen vermochten , durch
J) Eine ausführliche Arbeit von Barrois über diesen Gegenstand ist uns nicht
bekannt worden; desgl. scheint auch der vorläufigen Mittheilung von Stecker keine
ausführliche Arbeit gefolgt zu sein.
Arachnoiden. 561
Theilung Kerne an die Peripherie absenden, und dass die im Innern zurück-
bleibenden Kerne den Dotterkernen anderer Arthropodeneier entsprechen.
Eine Abweichung ist dadurch gegeben, dass der Dotter selbst gefurcht bleibt.
Während die Segmentirung des Dotters allmählich schwindet, spaltet
sich nach Metschnikoff's Angabe die äussere Zellenschicht in eine
äussere und eine innere Lage (Fig. 357 C). Zu dieser Zeit und schon
früher treten zwischen Blastoderm und Eihaut Concretionen auf, welche
kernartige Gebilde enthalten und dadurch wie Zellen erscheinen
(Fig. 357 C). Metschnikoff dachte dabei an eine Embryonalhülle,
konnte sich jedoch nicht von dem wirklichen Vorhandensein einer solchen
überzeugen, sondern scheint diese Gebilde, ebenso wie nach ihm Stecker,
für niedergeschlagene Eiweissmassen zu halten. Sie erinnern an die bei
den Milben unter der cuticularen Hülle sich vorfindenden Zellen (Clapa-
rede's Hämamöben, vgl. pag. 625 Fig. 395).
T—
K. Z-
JP*
--pj
1
^LL— ab
\
ab
Fi£. 358. A und B Larven von Chelifer, C deren provisorischer Eüssel (nach
Metschnikoff). A von der Ventralfläche, B und C von der Seite gesehen.
ab Abdomen, d Dotter, g Gehirn, p die vier Beinpaare, pd Pedipalpen, r Rüssel
(provisorisches Larvenorgan); in C von einem älteren Stadium als das der Fig. B.
Die Weiterentwicklung des Embryos ist dadurch charakterisirt, dass
sich durch Anhäufung einer grösseren Menge von Zellen der unteren
Schicht das spätere Vorderende zu erkennen giebt. In dessen Nähe er-
scheint ein paariger dicker Wulst, aus dem bald ein grösserer Stummel
jederseits hervorgeht (Fig. 358 Ä). Dies sind die Anlagen der Pedi-
palpen, die also auch hier wie bei den Scorpionen am frühesten gebildet
werden. Diese Gliedmaassen lassen noch ein höchst primitives Verhalten
erkennen, indem sich die innere Dottermasse weit in sie hinein erstreckt
(Fig. 358 A u. B). Vor ihnen wölbt sich nach vorn und gegen die
Ventralfläche ein wulstiges Gebilde hervor, welches schon in diesem
frühen Stadium durch den Besitz einer starken Muskulatur ausgezeichnet
ist und in Folge dessen ein streifiges Aussehen zeigt (Fig. 358 A u. B, r,
359 Ä). Es ist dies die Anlage eines provisorischen Organs, eine Art
von Saugrüssel (Fig. 358 C), welcher zum Anheften und zur Aufnahme
von Nahrung dient. Schon in diesem Stadium durchbricht der Embryo
die Eihüllen, nachdem er sich kurz vorher gehäutet hat. Eine feine
Cuticula, welche zwischen der Basis der beiden Extremitäten eine eigen-
thümlich modificirte Stelle zeigt, löst sich vom Embryo ab. Die aus-
geschlüpfte Larve, deren jüngstes Stadium Fig. 358 A darstellt, zeigt den
562
XVII. Capitel.
muskulösen Rüssel, die Stummel der Pedipalpen und die etwas nach vorn
umgeschlagene Anlage des Abdomens. Der Rüssel, von den Autoren als
eine modificirte Oberlippe angesehen, scheint schon eine saugende Wir-
kung ausüben zu können, denn die Larve setzt sich mit seiner Hülle an
der Bauchfläche der Mutter fest. Der Rüssel verlängert sich später be-
deutend und legt sich an die Bauchfläche der Larve zwischen die Ex-
tremitäten (Fig. 358 B). Er scheint einen röhrenförmigen Bau zu be-
sitzen (Fig. 358 0), denn Barrois spricht von einer provisorischen Mund-
öffnung, in welche der Rüssel übergeht. Dieselbe würde zwischen den
Pedipalpen liegen. Nach Barrois sollen auch Chitingebilde im Rüssel
Fig. 359. A— C Embryo und Larven von Chelifer (nach Metschnikoff, aus
Balfour's Handbuch).
A Embryo in der Eihaut, B und C Larven, von der Bauchfläche des Mutter-
thieres genommen.
ab Abdomen mit den provisorischen Anhängen, an.i Aftereinstülpung, eh Cheliceren,
pd Pedipalpen; zwischen den beiden letzteren {ch und pd) erkennt man in C die Ober-
lippe. Ueber den Pedipalpen sieht man in A die Anlage, in B die Basis, in C den
Rest des Küsseis. In B ist dorsal von dem Rüssel die Anlage des oberen Schlund-
ganglions zu erkennen. Auf die Pedipalpen folgen nach hinten die vier Beinpaare
und in B die rudimentären Abdominalanhänge. C stellt die Larve im Stadium der
Häutung dar. Die Larvenhaut ist zum Theil abgehoben (besonders an der Ventral-
seite); an ihr sitzt der Rest des Rüssels fest.
vorhanden sein. Ueber eine äussere Oeffnung des Rüssels finden wir keine
Angaben; Metschnikoff konnte eine solche nicht bemerken, obwohl
auch er annimmt, dass sich die Larve von den Blutsäften der Mutter mit
ernährt, Sie schwillt nämlich schon bald, nachdem sie sich am mütter-
lichen Körper befestigte, erheblich an (man vgl. Fig. 359 A u. B) und
erfüllt sich mit einer hellen Flüssigkeit. Sollte letztere von Aussen her-
rühren, so müsste man wohl als sicher annehmen, dass in der Umgebung
der inneren Dottermasse bereits ein Darmepithel zur Ausbildung ge-
Arachnoiden. 563
kommen ist, obwohl die Autoren von einer solchen Diffenzirung nichts
erkennen konnten und den Bau der Larve als einen höchst primitiven
schildern.
Zwischen den jüngsten Larven (Fig. 358 A) und den späteren
Stadien (Fig. 358 u. 359 B) tritt ein Unterschied in der äusseren
Gestalt besonders durch die in Folge der Schwellung eingetretene Auf-
treibung der dorsalen Körperregion hervor. Fernerhin sind aber Ver-
änderungen insofern aufgetreten, als hinter den Pedipalpen zunächst die
Anlage des ersten Beinpaares hervorsprosste und darauf die anderen drei
folgten (Fig. 359 B). Auch an dem nach vorn umgeschlagenen Ab-
domen treten vier Paar rudimentärer Extremitäten auf (Fig. 359 B),
welche bald wieder zur völligen Rückbildung gelangen. Darin stimmen
also die Pseudoscorpione mit anderen Arachnoiden überein. Das vorderste
Gliedmaassenpaar fehlt noch; dagegen findet sich dorsal über der Basis
des Rüssels eine paarige Verdickung, die allem Anschein nach aus einer
Einstülpung hervorging, die Anlage des oberen Schlundganglions
(Fig. 358 5, g). Man wird hierdurch an die Scheitelgruben der Scor-
pione und Spinnen erinnert (pag. 546 u. 583).
' Die Larve geht der definitiven Form des ausgebildeten Thieres
immer mehr entgegen, indem sowohl an den Extremitäten, wie auch am
Körper selbst die Gliederung auftritt. Letzteres gilt für das Abdomen,
da der Cephalothorax ungegliedert bleibt. Vor den Pedipalpen sind
inzwischen auch die Cheliceren hervorgesprosst. Zwischen ihnen ent-
steht die definitive Oberlippe, ziemlich weit entfernt und völlig un-
abhängig von dem Larvenrüssel (Fig. 359 C). Der Rüssel bildet sich
zurück, und sein letzter Rest wird entfernt, wenn die Larve ungefähr
auf dem in Fig. 359 C abgebildeten Stadium eine Häutung durch-
macht. Man findet ihn dann noch durch einen zarten Faden mit einer
Stelle hinter dem definitiven Munde verbunden, bis er mit der Larven-
haut abgeworfen wird (Barrois). Noch immer bemerkt man eine
reiche Dottermasse im Innern des Körpers. Sie ist im Mitteldarm ein-
geschlossen, welcher sich durch den ectodermalen Enddarm am Hinter-
ende des Körpers nach Aussen öffnet (Fig. 359 C an.i). Durch eine
Ectodermeinstülpung wird höchstwahrscheinlich auch der Vorderdarm ge-
bildet (Metschnikoff).
Allgemeines. Die Entwicklung der Pseudoscorpione ist dadurch
merkwürdig, dass dieselben auf einem sehr einfach gebauten und weit
früheren Stadium als andere Arachnoiden die Eihüllen verlassen, und dass
die Larven bei ihrem halb parasitischen Leben am Körper des Mutter -
thieres ein provisorisches Saugorgan entwickele welches Anfangs vor den
ersten Gliedmaassen gelegen ist, später (in Folge von Wachsthumsvor-
gängen) mehr nach hinten an die Ventralfläche verlagert wird (Fig. 358
u. 359), einem Extremitätenpaar aber nicht verglichen werden kann.
Ueberhaupt ist, soviel darüber bis jetzt bekannt wurde, für diesen Rüssel
ein Homologon im Bereich der Arthropoden nicht zu finden, weshalb er
vorläufig als ein bei der eigenthümlichen Entwicklungsweise der Pseudo-
scorpione erworbenes Organ angesehen werden muss.
Auffällig erscheint die grosse Verschiedenheit in der Entwicklung der
Pseudoscorpione von derjenigen der echten Scorpione, mit denen man
dieselben am ehesten zusammenbringen möchte. Die Furchung, Blastoderm-
bildung und die erste Anlage des Embryos lassen sich bei beiden Gruppen
kaum in Vergleich setzen. Freilich differiren beide auch in wichtigen
564 XVII. Capitel.
Punkten ihrer Organisation. Das Fehlen des schwanzartigen Postabdoinens,
das Schwinden der abdominalen Ganglien (nach Croneberg) , die Lagerung
der Geschlechtsöffnungen (am zweiten Abdominalsegment) und nicht am
wenigsten das Athmen durch Tracheen entfernen die Chernetiden von den
echten Scorpionen. so dass im Hinblick darauf die Abweichung in der Ent-
wicklungsweise weniger auffällig erscheint. Man hat versucht, die Pseudo-
scorpione anderen Abtheilungen der Arachnoiden, vor Allem den Phalan-
giden zu nähern, ohne dies freilich durch die Organisation beider Ab-
theilungen genügend begründen zu können. So muss nach dem Urtheil eines
neueren Bearbeiters der Anatomie der Chernetiden (Croneberg) die
systematische Stellung der Pseudoscorpione unentschieden bleiben, denn
auch die Entwicklungsgeschichte, so weit sie bis jetzt bekannt geworden
ist, giebt darüber keinen Aufschluss.
IV. Phalangiden.
Die kugelrunden Eier der Phalangiden sind von einer doppelten
Hülle umgeben. Die innere wird vom Ei abgeschieden, die äussere vom
Epithel der Leitungswege secemirt; sie repräsentiren die Dotterhaut und
das Choiion. Die Eier werden, zu einem grösseren Ballen verklebt, in eine
Erdhöhle abgelegt (Henking). Die ersten Entwicklungsvorgänge sind be-
sonders eingehend von Henking bei 0 p i 1 i o und L e i o b u n u m studirt
worden; freilich vermögen wir uns seiner Auffassung von der Entstehung
der Furchungskerne durch freie Kernbildung nicht anzuschliessen, da sie
ganz dem widerspricht, was wir von andern Arthropoden wissen. Nach
Faussek zerfällt das Ei von Phalangium in einen Haufen grosser
sphärischer Zellen, die mit Dotterkugeln angefüllt sind und in deren
Mitte ein Kern liegt. Die Furchung ist also eine totale. Man möchte
diese Zellen den Dotterpyramiden der Spinneneier vergleichen, aber die
folgenden Entwicklungsvorgänge scheinen bei den Phalangiden doch
in anderer Weise zu verlaufen als bei den Araneinen. Eine Furchungs-
höhle tritt nicht auf. Die Blastodermbildung erfolgt dadurch, dass die
peripher gelegenen Zellen sich von den übrigen sondern und sich rascher
theilen. Es steigen also bei der Blastodermbildung nicht alle, ja nicht
einmal die meisten Zellen an die Oberfläche, sondern ein grosser Theil
von ihnen bleibt als Dotterzellen im Innnern des Eies zurück (Henking.
Faussek). Die Blastodermbildung geht an der einen Hälfte des Eies
rascher vor sich als an der andern. Aehnliches wurde auch bei der
Blastodermbildung der Spinnen beobachtet (vgl. pag. 571).
Durch rege Vermehrung der Zellen des Blastoderms bildet sich eine
Verdickung desselben, die Keimscheibe. Von ihr aus soll nach Faussek
eine Einwanderung von Zellen in die Dottennasse nicht stattfinden, das
Entoderm wird vielmehr durch die im Dotter verbleibenden Zellen
repräsentirt, und aus ihnen geht später das Epithel des Mitteldarms hervor.
Eine Entstehung des Entoderms aus Zellen , welche von Anfang an im
Dotter zurückbleiben, ist auch für die Araneinen angenommen worden
(Schimkewitsch), doch ist die Bildung der Keimblätter bei den Phalan-
giden bisher nicht eingehend genug untersucht worden, als dass sich schon
jetzt Sicheres über diesen Punkt aussagen Hesse. Faussek findet in dem
Embryo, bei welchem die Segmentirung des Keimstreifens beginnt, am
Hinterende des letzteren eine Zellenanhäufung, welche grosse Aehnlichkeit
Arachnoiden. 565
mit der Einwucherungsstelle am Keimstreifen der Scorpione besitzt. Bisher
lauten die Angaben über die Natur dieses Gebildes aber noch zu wider-
sprechend, als dass sich eine bestimmte Ansicht über seine Natur gewinnen
liesse. Faussek führt diese Zellenanhäufung , welche wie eine Verdickung
des Blastoderms erscheint , auf eine Anlagerung von Dotterzellen an das
Blastoderm zurück. Anfangs liess er daraus (also aus Dotterzellen) die
Keimdrüsen hervorgehen, später leitete er die letzteren aber von einer Ver-
dickung des Blastoderms her, welche bereits in sehr früher Zeit aufträte.
Eine genauere Darstellung der sich zum Theil widersprechenden Angaben
muss von der angekündigten ausführlichen Arbeit des genannten Autors er-
wartet werden.
Aus den wenigen vorliegenden Angaben geht hervor, dass das Meso-
derm sich in ein somatisches und splanchniscb.es Blatt spaltet, dass also
in dieser Beziehung ähnliche Verhältnisse wie bei den Scorpionen
und Ar aneinen obwalten.
Die Bildung des Mitteldarms scheint sich in ähnlicher Weise wie
bei den Spinnen zu vollziehen, abgesehen von der durch Faussek anders
dargestellten eisten Entstehung des Entodernis. Der Dotter ist direct
von dem splanchnischen Mesodermblatt umgeben, und an dieses legen sich
nunmehr die Dotterzellen an, um so schliesslich das continuirliche Epithel
des Mitteldarmes entstehen zu lassen. Dieser Vorgang beginnt in dem
vorderen Theil des Körpers.
Ueber die weitere Entwicklung der Phalangiden liegen nur verein-
zelte Angaben vor. Metschnikoff (No. 34, pag. 520) berichtet über
das Auftreten abdominaler Extremitäten, und Balbiani beschreibt einige
Stadien der späteren Entwicklung. Daraus geht hervor, dass die zu den
vier Beinpaaren gehörigen Segmente des Cephalothorax beim Embryo
deutlich von einander abgesetzt sind, welche Segmentirung bei der wei-
teren Ausbildung schwindet und beim ausgebildeten Thier nicht mehr
wahrzunehmen ist. Zwischen den Augen und der Basis der Cheliceren
liegt ein unpaares stachelförmiges Gebilde, welches wir in Uebereinstim-
mung mit ähnlichen Bildungen bei den Spinnen und besonders bei den
Myriopoden (Chilognathen) als Ei zahn bezeichnen (vgl. pag. 588
sowie das Capitel Myriopoden).
Das Wenige, was von der Entwicklung der Phalangiden bekannt ist,
zeigt den Charakter der Arachnoideiientwicklung. Ein wichtiger Charakter,
der übrigens auch beim ausgebildeten Thier noch zu erkennen ist, scheint
nach Balbiani's Darstellung beim Embryo besonders deutlich zum Aus-
druck zu kommen. Das sind die Kauladen an den Pedipalpen und den
beiden vorderen Beinpaaren. In ihrem Vorhandensein drückt sich eine
auffallende Uebereinstimmung mit dem Verhalten der Scorpione aus.
Als echte Arachnoiden erweisen sich die Phalangiden ausser durch die
Zahl und Stellung der Extremitäten am Körper auch durch den Besitz
einer Coxaldrüse (Mac Leod), welche den gleichnamigen Organen anderer
Arachnoiden homolog ist. Während sie aber bei diesen nur einen vor-
übergehenden Zustand darstellt und beim ausgebildeten Thier eine Rück-
bildung erfährt (Scorpione, Spinnen), stellt sie bei den Phalan-
giden ein wohlentwickeltes Organ dar, welches wohl auch beim ausge-
bildeten Thier noch functionirt und aus einem umfangreichen Schleifen-
kanal , dem weiten sackförmigen Reservoir, sowie dem Ausführungsgang
besteht, der hinten an der Basis der dritten Gangbeine nach aussen
mündet (Loman No. 9).
Korscheit -H eider, Lehrbuch. 37
566
XVII. Capitel.
V. Solpugiden.
Wie von den vorhergehenden Abtheilungen der Arachnoiden ist auch
über die Entwicklung der Solpugiden unseres Wissens bisher nur sehr
wenig bekannt geworden; dies Wenige bezieht sich auf Gale ödes ara-
n e o i d e s , von welcher Form einige späte Stadien durch Croneberg be-
schrieben wurden.
Das erste Stadium, welches Croneberg auffand, war schon weit
entwickelt und stand kurz vor dem Ausschlüpfen. Die Figur 360 A,
welche es darstellt, zeigt, dass der Embryo demjenigen einer Spinne
sehr ähnlich ist. Wie bei diesem bildet auch hier das kuglige, wahr-
scheinlich stark mit Dotter angefüllte Abdomen die Hauptmasse des Em-
bryos. Der breite und abgeflachte Cephalothorax erscheint dicht an die
Ventralfläche des Abdomens angedrückt. An dieses legen sich auch die
Extremitäten an. Die Cheliceren neigen sich gegen das Rostrum
(Fig. 360 Ä). In der Nähe des letzteren erkennt man die spaltförmige
Afteröffnung (a).
B.
Fig. 360. A und B Embryo und ausgeschlüpftes junges Thier von Galeodes
araneoides (nach Croneberg).
a After, ch Cheliceren, pcd Pedipalpen, p Beine, r Rostrum.
Bei dem ausgeschlüpften Jungen erscheint das Abdomen in die
Länge gestreckt. Es zeigt einige leichte Einschnürungen, welche wohl
den Segmenten entsprechen (Fig. 360 B). Am Rücken trägt es zwei
Reihen von je sechs Borsten. Im Uebrigen fehlt der Haarbesatz der
Körperdecke, welcher dem ausgebildeten Thier in so reichem Maasse zu-
kommt. Die Chitinhaut des jungen Thieres ist also nur eine proviso-
rische. Wahrscheinlich verharren die jungen Thiere nach dem Aus-
schlüpfen noch einige Zeit in einem puppenartigen Zustande und zeigen
in dieser Beziehung ein ganz ähnliches Verhalten wie die echten Spinnen
(vgl. pag. 587). Auch diese verlassen das Ei in einem unbeweglichen
Zustande, umgeben von einer cuticularen Hülle, welche erst nach einiger
Zeit abgeworfen wird. Dadurch wird es auch erklärlich, dass die (jetzt nach
hinten zurückgeschlagenen) Extremitäten nach Croneberg's Angabe bisher
noch keine Gliederung aufweisen (Fig. 3605). Sie entbehren auch der Krallen.
Arachnoiden. 567
Abdominalextremitäten wurden bei dem jungen Thier nicht aufgefunden,
wie dies auch bei einem so späten Stadium nicht anders zu erwarten war.
Eine höchst auffallende Bildung, welche dem erwachsenen Thier1)
nicht zukommt, besteht in einem Paar flügeiförmiger Anhänge (Fig. 360 B).
Dieselben entspringen dorsal von dem Ansatzpunkt der Extremitäten
zwischen dem ersten und zweiten Beinpaar. Sie bestehen aus einer
doppelten Zellschicht und darüber liegender Cuticula, stellen also eine
Faltung der Haut dar; Nerven und Tracheen erstrecken sich nicht in ihr
Inneres; ebensowenig finden sich Muskeln darin.
Die Bedeutung der flügeiförmigen Gebilde ist nicht bekannt. Ceonkberg
vergleicht sie mit den paarigen, als Ueberreste der Schale zu betrachtenden
Anhängen der Embryonen von Asellus (vgl. pag. 352), ohne übrigens
besonderes Gewicht auf diesen Vergleich zu legen. Unwillkürlich wird man
an eine Flügelbildung denken , zumal der Körper der Solpugiden in der
Gliederung eine gewisse Aehnlichkeit mit den Insekten zeigt, aber die Lage
der Flügelrudimente würde sich mit deren Stellung bei den Insecten nicht
vereinigen lassen, denn sie liegen, wie Ckonebeeg's Abbildung (Fig. 360, B)
erkennen lässt, noch vor dem Prothorax, an einem Segment, welches bei
den Insecten schon dem Kopf zuzurechnen wäre. Aehnliche flügeiförmige
Anhänge nicht nur an den flügeltragenden Segmenten, sondern auch am Pro-
thorax, kommen manchen Termitenlarven zu, wovon weiter unten die Rede
sein wird.
Die Solpugiden unterscheiden sich von den übrigen Arachnoiden
durch einige wichtige Merkmale, welche sie mehr den Insecten zu nähern
scheinen. Das vorderste Beinpaar tritt sammt dem zugehörigen Segment
in engere Beziehung zu den vorhergehenden (Kopf-)Segmenten und setzt
sich gegen die hinteren (Thoracal-)Segmente ab, so dass ein gesonderter
Kopfabschnitt mit drei Paar Anhängen zu Stande kommt. Man hat den-
selben mit dem Kopf der Insecten verglichen und den folgenden nunmehr
aus drei Segmenten mit je einem Beinpaar bestehenden Körperabschnitt
dem Thorax der Insecten gleichgestellt. Die Uebereinstimmung wird
erhöht durch das zehngliedrige, äusserlich segmentirte Abdomen. Eine
auffallende Thatsache ist dann noch, dass die Solpugiden, welche durch
baumförmig verästelte Tracheen athmen, ausser einem Stigmen-
paar am zweiten und dritten Abdominalsegment noch ein
solches am zweiten (dem ersten vermeintlichen) Thor acal-
segment besitzen.
Wir vermögen uns denjenigen nicht anzuschliessen, welche in den
genannten, allerdings recht auffallenden Merkmalen wirkliche Beziehungen
zu den Insecten sehen und die Solpugiden als ein Bindeglied zwischen
den beiden Stämmen der luftathmenden Arthropoden betrachten. Die
Theilung des Vorderkörpers in Kopf und Thorax, bei welcher man die
drei vorderen Extremitätenpaare wohl den drei Paar Mund Werkzeugen der
Insecten gleich setzen müsste, verliert dadurch an Werth, dass noch immer
ein Paar fehlt, d. h. bei den Solpugiden kein Hoinologon für die Antennen
der Insecten vorhanden ist. Am schwersten ist es, die Lage des einen
Stigmenpaares am Cephalothorax zu erklären; man kann in dieser Be-
ziehung nur die Annahme machen, dass es eine spätere Erwerbung dar-
stellt. Diese Annahme hat nicht so viel Unwahrscheinliches an sich,
wenn man sieht, wie auch bei den Milben Stigmen am Cephalothorax
auftreten, und wie solche bei Scolopendrella und S m i n t h u r u s (?)
v) Cronebkrg untersuchte auch die ausgebildeten Thiere derselben Art, und diesen
fehlt das betr. Gebilde gänzlich.
37*
568 XVII. Capitel.
am Kopfe gefunden werden. Das Vorhandensein eines Spiralfadens,
welchen die Tracheen der Solpugiden, wie es seheint, besitzen, bildet
keinen Beweis für deren Beziehungen zu den Insecten, da er auch bei
anderen Arachnoiden vorkommt.
Die Solpugiden zeigen trotz der äusserlichen Dreitheilung des Kör-
pers doch so grosse Uebereinstimmung der äusseren und inneren Organi-
sation mit den Arachnoiden, dass man nicht berechtigt ist, sie von ihnen
zu trennen. Die Gestalt der Cheliceren, der Besitz einer Coxaldrüse,
wie sie in gleicher Weise den Arachnoiden zukommt (Mac Leod No. 44),
die Leberdivertikel des Mitteldarms1), die Lage der Geschlechtsöffnung
am ersten Abdominalsegment, alle diese Punkte und noch andere weniger
in die Augen fallende sprechen für die Arachnoidennatur der Solpugiden.
Wir betrachten dieselben daher als einen in besonderer Richtung ent-
wickelten Zweig des Arachnoidenstammes, welche Auffassung übrigens der-
jenigen Ray Lankester's (No. 45) und anderer Forscher entspricht. Die
geringen Anhaltspunkte, welche die Entwicklungsgeschichte giebt, bestätigen
unsere Auffassung, da der Embryo von Galeodes ganz einem Spinnen-
embryo gleicht. Es wäre sehr wichtig, genauere Daten über die Entwick-
lung der Solpugiden zu erhalten.
VI. Araneinen.
Systematik: A. Tetrapneumones.
Avicularia (Mygale), Atypus.
B. D i p n e u m o n e s.
Epeira, Tkeridium, Agalena, Lycosa und sämmt-
liche andere der liier erwähnten Spinnen.
Die Ablage und Beschaffenheit der Eier. Die Spinnen bauen
Nester für ihre Eier oder verfertigen Cocons. Diese bewachen sie ge-
wöhnlich ; in vielen Fällen tragen sie die Cocons mit sich herum, indem
sie dieselben mit den Cheliceren fassen (z. B. Dolomedes, Ocyale)
oder am Hinterleib befestigen (z. B. Lycosa, Tarantula).
Die dotterreichen Eier sind von einer Dotterhaut, sowie von einer
äusseren, wahrscheinlich vom Eileiter ausgeschiedenen Hülle umgeben,
welche man auch als Chorion bezeichnet findet. Den Dotter bedeckt eine
dünne Protoplasmaschicht (Blastem) und Protoplasma umgiebt auch den
centralen Kern, von wo aus es sich in feinen Strängen zwischen die Dotter-
körner erstreckt. Ausser dem Kern findet sich in den Eiern der Spinnen
ein als Dotterkern bezeichnetes merkwürdiges Gebilde, dessen Natur
bisher nicht genügend bekannt geworden ist. Der Dotterkern besteht aus
einer rundlichen Anhäufung von Körnchen von mehr oder weniger com-
paktem Gefüge; zuweilen erhebt er sich sogar zu einer complicirteren
Structur, indem er aus mehreren concentrischen Schichten zusammen-
gesetzt erscheint. Mit der Reifung des Eies pflegt der Dotterkern zu
schwinden, doch scheint er zuweilen länger erhalten zu bleiben und soll
sich nach Kishinouye noch im zwei- und vierzelligen Furchungsstadium
des Eies in einem der Dottercomplexe neben dem Kern vorfinden.
J) Bezüglich der Leber muss bemerkt werden, dass ein neuerer Bearbeiter der-
selben (Birula No. 42) gewisse Differenzen im Bau dieses Organs gegenüber dem Ver-
halten der Arachniden im Allgemeinen findet; doch beschreibt auch er die Leber als
ein machtig entwickeltes Organ, welches die Zwischenräume zwischen den übrigen
Organen ausfüllt, ein Verhalten, welches wohl bei einem Arachniden, nicht aber bei
bei einem Insect erwartet werden kann.
Arachnoiden.
569
Nach Ludwig (No. 66) zeigt die äussere Hülle eine polygonale Felde-
rung, doch wird diese letztere in Uebereinstiramung mit den älteren An-
gaben von Balbiani (No. 46) neuerdings wieder auf einen Zerfall des
Blastems in polygonale Abtheilungen zurückgeführt (Sabatiek, No. 70,
Locy No. 64). Diese Erscheinung ist nicht mit der (erst später erfolgenden)
Bildung des Blastoderms zu verwechseln, sondern sie soll sich bereits am
ungefurchten Ei zeigen. Locy, dem sich neuerdings im Ganzen auch Kishi-
nouye anschliesst , erklärt die Felderung damit , dass nach der Ablage der
Eier eine Contraction derselben eintritt, und dabei das Blastem dichter an
den Dotter herangezogen wird. Die einzelnen Dotterkörner geben sich an
der Peripherie als Erhebungen zu erkennen, und dadurch würde die Felde-
rung der Oberflächen hervorgebracht. Einige der vielen auf diesen Punkt
bezüglichen Abbildungen Balbiani' s scheinen eine solche Auffassung zu be-
stätigen, andere aber sprechen dagegen; in ihnen ist ausser der ursprüng-
lichen Felderung auch die durch die Blastodermzellen veranlasste zu sehen.
Da eine Contraction des Eies stattfinden soll, möchte man auch an eine
in regelmässiger Weise (in Form polygonaler Felder) erfolgende Faltung
der Dotterhaut denken, wie sie z. B. bei Cetochilus vorkommen soll
(Gbobben) , doch scheint dies hier ausgeschlossen , da Locy von einer
perivitellinen Flüssigkeit spricht, welche bei der Contraction des Eies zwischen
dessen Oberfläche und der Dotterhaut auftritt.
1. Furchung und Keimblätterbildung.
Die Furchung kann in ihrem Anfang als totale bezeichnet werden
und geht in die superfizielle über. Der centrale Kern theilt sich in
zwei Kerne, welche in der Nähe des Centrums liegen (Fig. 363 A). Ob-
Fig. 361. A—C drei Furchungsstadien von Philodromus limbatus (nach
H. Ludwig, aus Bälfour's Handbuch).
wohl nun eine das Ei in zwei Theile trennende Furche nicht auftritt, so
ist doch eine Zweitheilung desselben angedeutet, die sich allerdings zu-
nächst nur auf den Dotter bezieht. Nach der bereits vor längerer Zeit
von Ludwig gemachten Beobachtung ordnen sich die Dotterkörner radiär
570
XVII. Capitel.
hintereinander in Form von Säulen an (Fig. 361 und 363 A). Diese
vom Centrum radial ausstrahlenden Säulen scheiden sich bei der Zwei-
theilung des Kernes in zwei Gruppen (Fig. 361 B). Dazwischen soll
Bildungsdotter liegen. Mit dem Fortschreiten der Kerntheilung theilen
sich auch die beiden von Ludwig als Rosetten bezeichneten Gruppen
von Dottersäulen wieder und liefern nun vier Rosetten (Fig. 361 C),
welche sich sodann nach dem bei der totalen äqualen Furchung gewöhn-
lichen Gang in 8, 16 und 32 Rosetten theilen. Jeder Rosette kommt
ein Kern zu. Mit dem weiteren Fortgang der Furchung (Fig. 362 Ä)
rücken die Kerne nach der Peripherie, wobei sie von dem ihnen zu-
kommenden Protoplasma begleitet werden. Letzteres sondert sich (mit
sammt dem hier schon vorhandenen Blastem) zu einer peripheren Lage,
welche nunmehr die Kerne enthält und somit als Blastoderm zu be-
zeichnen ist (Fig. 362 B, bl). Die Dottersäulen oder jetzt besser Dotter-
pyramiden können zu dieser Zeit noch vorhanden sein. Schon früher
trat im Centrum ein Hohlraum , die Furchungshöhle, auf (Fig. 362 B),
indem die centrale Dottermasse mit der Ausbildung der Blastomeren
von diesen einbezogen und mehr nach der Peripherie hingedrängt wird.
Fig. 362. A und B Oberflächenansicht und optischer Durchschnitt eines
späteren Furchungestadiums von Philo dromus limbatus (nach Ludwig, aus
Balfour's Handbuch).
bl Blastoderm, yk Dotterpyramiden. Zwischen Eihaut und Blastoderm befindet
sich in dem weiten Räume (ß) perivitelline Flüssigkeit.
Die Dotterrosetten scheinen zumeist nicht in so deutlich abgegrenzter
Weise aufzutreten, wie dies von Ludwig an Philodromus beobachtet
wurde. Bei A g a 1 e n a , Theridium, E p e i r a , P h o 1 c u s u. A.
werden die Dottersäulen zwar ebenfalls bemerkt, doch liegen die von
ihnen gebildeten Gruppen (die Rosetten von Philodromus) enger an-
einander (Fig. 363 Ä). Ein von acht solchen Gruppen gebildetes Stadium
bietet ganz das Bild eines total und äqual gefurchten Eies mit wenig
umfangreicher Furchungshöhle (Fig. 363 B). Jede Gruppe von Dotter-
säulen mit dem zugehörigen Kern entspricht einem Blastomer. Die
Blastomeren theilen sich auch hier nach dem von der äqualen Furchung
her bekannten Modus weiter, und wenn sie nach einer Anzahl von
Theilungen eine grössere Zahl (etwa 128) erreicht haben, trennen sich
die unterdessen nach der Peripherie gerückten Kerne mit ihrem Proto-
plasma von dem darunter liegenden Dotter ab, um dadurch das Blasto-
derm entstehen zu lassen (Fig. 363 C und B). Die Furchungshöhle,
welche einen ziemlichen Umfang erreichen kann (Fig. 362 B u. 363 C),
wird zu dieser Zeit wieder mit Dotter angefüllt. Die regelmässige An-
ordnung desselben geht dabei allmählich verloren (Fig. 363 D und E).
Arachnoiden.
571
Es scheint, dass die Bildung des Blastoderms an der einen Hälfte des
Eies etwas früher vor sich geht als an der anderen (Salensky, Ludwig,
Locy, Mokin, Schimkewitsch). Das ist jedenfalls die Gegend, an welcher
später der Keimstreifen angelegt wird, und es würde somit, wenn auch
in sehr beschränktem Maasse, eine ähnliche Bildung vorhanden sein wie
die Keimscheibe der Scorpione (Fig. 363 E u. F).
Die geschilderte Furehung des Spinneneies zeigt die grösste Ueberein-
stimmung mit derjenigen , welche wir früher bei den Crustaceen kennen
lernten (Typus II, pag. 312). Sollte nicht allen Spinneneiern eine Furchungs-
höhle zukommen , wie es uns fast scheint , sondern in einigen Fällen das
ver-
Fig-. 363. A—F Schnitte durch Eier von Theridium maculatum in
schiedenen Stadien der Furchung und Blastodermbildung (nach Murin).
bl Blastoderm, d Dotter, dp Dotterpyramiden, dz Dotterzellen, fh Furchungshöhle,
p periphere Plasmaschicht (Blastem).
Centrum von einer ungefurchten Dottermasse erfüllt bleiben, so würden diese
Fälle doch wahrscheinlich ebenfalls demjenigen Typus zuzurechnen sein,
welcher bei den Crustaceen als totale Furchung mit nachherigem Uebergang
in die superficielle Furchung bezeichnet wurde (pag. 312).
Bezüglich der auf die Bildung des Blastoderms folgenden Entwick-
lungsvorgänge stimmen die Autoren in ihren Auffassungen wenig überein,
indem einige von ihnen den von Claparede als Cum ulus primitivus
bezeichneten Hügel, welcher am Blastoderm durch Verdickung der Zell-
schicht auftritt (Fig. 364 B und Fig. 365 A und B) , eine grosse Be-
deutung bei der Bildung der Keimblätter zuschreiben, andere aber diese
572 XVII. Capitel.
Bedeutung leugnen. Nach Morin's Beobachtung entsteht in der Gegend,
welche der späteren Ventralfläche, d. h. der Anlage des Keimstreifens,
entspricht , eine Verdickung des Blastoderms (Fig. 363 F) ; nicht nur,
dass die Zellen selbst an Umfang zunehmen, es spalten sich auch von
ihnen einige ab und ordnen sich unter den anderen an. Es wird also
hier eine mehrschichtige Lage von Zellen gebildet. Gleichzeitig lösen
sich aber in derselben Gegend einige Zellen gänzlich aus dem Zusammen-
hang mit den übrigen ab und rücken in den Dotter hinein (Fig. 363 F, dz).
Damit sind bereits die drei Keimblätter angelegt: die äussere Schicht,
welche zugleich den grössten Theil des Blastoderms in sich fasst (das
Ectoderm), die dicht darunter liegende Schicht (das Mesoderm) und die
in den Dotter eingetretenen Zellen, welche das Entoderm repräsentiren.
Erst nach der Anlage der Keimblätter soll bei den von Morin beobach-
teten Spinnen (z.B. bei Pholcus) der Primitivhügel auftreten, wenn er
nicht gänzlich fehlt, wie bei Theridium, derjenigen Form, an welcher
a. 2ß.
Fig. 364. A und B Schnitte durch Eier von Pholcus phalangoides in
Stadien der Keimblätter bildung (nach Morin).
c.p Cumulus primitivus, d Dotter, dz Dotterzellen, e Einwucherungsstelle.
die soeben geschilderte Bildung der Keimblätter verfolgt wurde (Morin).
Doch ist es nicht unmöglich, dass dieses Verhalten nicht das ursprüng-
liche, sondern ein abgeändertes darstellt und dem Primitivhügel doch
eine grössere Bedeutung zukommt, als aus dem späten Auftreten desselben
bei Pholcus und seinem gänzlichen Fehlen bei Theridiuin hervorzu-
gehen scheint. Diese letztere Auffassung wird auch durch die erst
neuerdings erschienene Arbeit von Kishinouye bestätigt (vgl. pag. 575).
Der Cumulus primitivus entsteht als eine Verdickung des
Blastoderms (Fig. 364 B)} welche sich zur Höhe eines ansehnlichen
Hügels über das Blastoderm erheben kann (so z. B. bei Tegenaria
und Agalena (Fig. 365 A u. B, pag. 577). Er ist bei den meisten der
bisher zur Beobachtung gelangten Spinnen gefunden worden. Vor ihm
soll eine Einsenkung am Blastoderm auftreten (Salensky No. 71, Schimke-
witsch No. 72). Es liegt nahe, die letztere als Blastoporus anzusehen,
an dessen hinterem Rand die Einwucherung der Zellen in besonders
starkem Maasse vor sich geht, ähnlich, wie wir dies für die Scorpione
darstellten (pag. 537). Einige Angaben, welche über das Verhältniss
Arachnoiden. 573
des Primitivhügels zu den in der Bildung begriffenen Keimblättern ge-
macht werden, z. B. die von Bruce (No. 54) und Lendl (No. 63) dürften
wohl in dieser Weise aufzufassen sein.
Wenn wir den Cumulus primitivus an das Hinterende des Embryos
verlegen, so stehen wir damit auf einem Standpunkt, welcher seinerzeit
schon von Balfoue (No. 47) eingenommen wurde. Obgleich seit jener Zeit
verschiedene Bearbeitungen der Spinnenentwicklung unternommen wurden, so
konnte dieser Punkt doch noch zu keiner erheblich grösseren Klarheit ge-
bracht werden. Während nach der obigen Auffassung der Primitivhügel in
seiner Lage ungefähr dem künftigen Schwanzende entspricht, vor ihm die
Einsenkung gelegen ist und vor dieser die Scheitellappen auftreten (Balfouk,
Schimkewitsch, Lendl), entsteht nach einer anderen Annahme das Schwanz-
ende in ziemlicher Entfernung vom Primitivhügel, während der Kopf läppen
vielmehr in seiner Nähe gelegen ist (Balbiani, Locy). Wenn wir uns mehr
der Ansicht zuneigen , dass der Cumulus primitivus dem Hinterende des
Embryos entspricht , so sind es hauptsächlich Gründe theoretischer Natur,
welche uns hierzu bewegen. Doch scheinen auch die von Mobin und
Schimkewitsch gegebenen Abbildungen auf eine derartige Auffassung hinzu-
weisen. Freilich bieten dieselben für eine Entstehung des Mesoderms vom
Primitivhügel aus, wie man sie anzunehmen geneigt war, wenig Ueberzeugen-
des. Zwar findet offenbar am Primitivhügel eine starke Wucherung der
Zellen statt, aber auch vor demselben (im Bereich des künftigen Keim-
streifens) erscheint das Blastoderm bereits mehrschichtig (Fig. 364 B).
üass Mobin dem Cumulus primitivus eine solche wichtige Bedeutung über-
haupt ganz abstreitet , wurde schon oben erwähnt. Nach diesem Forscher
soll der Primitivhügel erst nach Ausbildung der Keimblätter entstehen, wenn
er überhaupt vorhanden ist. Es ist aber nicht zu verkennen, dass auch
nach Mobin' s Darstellung der Primitivhügel einen bedeutenden Umfang be-
sitzt (Fig. 364 B). Denselben soll er später verlieren , indem er einzelne
Mesodermzellen abgiebt. Dabei wird er allmählich nach dem Rücken ver-
lagert, ein Verhalten, welches auch aus den von Clapaeede gegebenen Ab-
bildungen hervorgehen würde , falls die dort sichtbare Erhebung wirklich
dem Primitivhügel entspricht (Fig. 367 A und B, pag. 579). Dass der
Blastoporus oder doch ein Rest desselben eine solche Lagerung erhalte,
hat von vornherein wenig Wahrscheinliches für sich , wenn man nicht an-
nehmen muss , dass die Wucherungsstelle nur beim Auswachsen des Hinter-
endes mit verschoben wurde und so eine nur scheinbar dorsale Lagerung
erlangte. Doch sind weitere Ausführungen über diesen Punkt wohl vorläufig
besser zu vermeiden, denn ein Blick auf die von Clapaeede, Balbiani, Salensky,
Balfoue, Schimkewitsch, Locy und Mobin gegebenen Abbildungen zeigt,
dass sich dieselben nicht in Uebereinstimmung bringen lassen. Offenbar
trägt die Schwierigkeit der Beobachtung Schuld an der Unsicherheit, die
uns bezüglich dieses Punktes entgegentritt. Die Orientirung an dem beinahe
kugelrunden Ei ist jedenfalls durch das Auftreten der einzelnen Theile des
Embryos (Kopflappen und Schwanzende) bei gleichzeitigem Zurücktreten des
Primitivhügels wesentlich erschwert. So konnte sich auch ein neuerer Be-
arbeiter der Spinnenentwicklung , Kishinouye , über die Lage des Primitiv-
hügels zum Embryo nicht mit genügender Sicherheit orientiren. Vorläufig
darf in Bezug auf die am Blastoderm der Spinnen auftretende Einsenkung
und den Cumulus primitivus nur mit grosser Vorsicht als einer der Gastru-
lation entsprechenden Bildung gesprochen werden , obwohl eine solche Auf-
fassung zumal im Hinblick auf die bei den Scorpionen obwaltenden Ver-
hältnisse sehr nahe liegt.
574 xvn- Capitel.
Mit der Frage, ob die Keimblätter in einem der späteren Ventralfläche
entsprechenden Bezirk ihren Ursprung nehmen, in welchem der Cumulus
primitivus einen Herd stärkerer Zellvermehrung (vielleicht die Einwuche-
rungsstelle) repräsentirt, findet dieser Gegenstand noch nicht seine Erledigung,
und zwar deshalb, weil die Entstehung der Keimblätter noch auf andere
Weise dargestellt wird. Nach der oben vertretenen Auffassung ist anzu-
nehmen , dass die Furchungszellen zur Bildung des Blastoderms an die
Peripherie rücken , und dass dann von hier aus durch Einwucherung
von Zellen die Keimblätter entstehen (Fig. 363, Fund Fig. 364, A und B).
Während das Mesoderm in dichter Anhäufung an der Ventralseite gelagert
bleibt, lösen sich die Zellen des Entoderms davon ab und rücken in den
Dotter hinein. Aus ihnen baut sich später der Mitteldarm auf. Der Ur-
sprung und das Schicksal dieser Dotterzellen wird noch in anderer Weise
dargestellt, als es oben geschah (Balpoue, Schimkewitsch, Locy[?]). Wenn wir
den wichtigsten Punkt dieser abweichenden Auffassung sogleich hervorheben
sollen, so besteht derselbe darin, dass man ein Verbleiben eines Theiles der
Furchungszellen im Dotter annimmt. Diese Zellen, welche beim Aufbau des
Blastoderms keine Verwendung finden, repräsentiren nicht allein das Ento-
derm, sondern werden auch zum Theil dem Mesoderm beigefügt (Balfoue,
Schimkewitsch).
Nach Schimkewitsch geht die Furchung und Blastodermbildung so vor
sich, dass das Ei in ähnlicher Weise, wie dies schon früher geschildert
wurde , in eine grössere Anzahl von Dotterpyramiden zerfällt. Jede der
letzteren besitzt einen Kern, welcher anfangs central liegt. Später rücken
die Kerne an die Peripherie und isoliren sich hier mit dem sie umgebenden
Protoplasma vom Dotter. Dadurch wird eine äussere Zellenschicht, das Blasto-
derm gebildet. Es scheint aber, als ob bereits vorher eine weitere Theilung
der Kerne stattgefunden habe und eine grosse Anzahl derselben
im Innern des Dotters verbleibe, wenigstens muss man die Dar-
stellung von Schimkewitsch so auffassen1). Während der Ausbildung des
Blastoderms findet eine weitere Vermehrung der im Innern verbliebenen
Kerne statt. Ehe wir ihr weiteres Schicksal verfolgen, müssen wir eines
Vorganges Erwähnung thun , welcher von Schimkiwitsch an den Spinnen-
eiern beobachtet und auch schon früher von Salensky wahrgenommen
wurde. Danach sollen nämlich die Blastodermzellen, welche anfangs das Ei
umgeben, gegen die Ventralseite hin rücken und dort eine Verdickung bilden,
welche zusammen mit der später daselbst eintretenden Zell Vermehrung die
Anlage des Keimstreifens bildet. Auch aus Moein's Darstellung, soweit uns
dieselbe zugänglich ist, scheint sich Aehnliches zu ergeben, und die von ihm
entnommenen Figuren (363 , D — F) lassen erkennen , dass anfangs an der
Dorsalseite des Eies eine ganze Anzahl von Blastodermzellen gelegen ist,
während man dort in einem späteren Stadium nur wenige wahrnimmt. Nach
Schimkewitsch wird die Dorsalseite des Eies ganz vom Blastoderm entblösst,
das erst später wieder dahin vorwächst. Wir waren anfangs mehr geneigt,
das Fehlen des Blastoderms an der dorsalen Seite auf ein verspätetes Her-
vortreten der Kerne aus dem Dotter zurückzuführen, zumal die Autoren von
:) Was Schimkewitsch über den Zerfall der Dotterpyramiden und die Bildung
der mononucleären und polynucleären Dotterzellen sagt, gehört nicht in den Rahmen
unserer Darstellurg und bedarf wohl auch einer Richtigstellung. Im Ganzen lassen
sich die von ihm gegebenen Bilder mit der früheren Darstellung vereinigen. Auch
Schimkewitsch fand bei einigen Formen (Tegenaria, Epeira) die centrale Furchungs-
höhle und beschreibt ihre Ausfüllung mit Dottermasse, ähnlich wie dies oben von
Theridium dargestellt wurde (Fig. 363 C u. B).
Arachnoiden. 575
einem Fortschreiten der Ausbildung des Blastoderms von der ventralen nach
der dorsalen Seite sprechen. Es schien uns darin eine, wenn auch nur ent-
fernte Aehnlichkeit mit der Furchung und Blastodermbildung der Scorpion-
eier zu bestehen. Genauere Untersuchungen werden erst zeigen können , ob
diese Vermuthung die richtige ist, oder ob wirklich, wie es nach den vor-
liegenden Abbildungen scheint, ein so starkes Zusammenrücken der Blasto-
dermzellen erfolgt. Ein ähnliches Zusammenschieben der Blastodermzellen,
wenn auch nicht bei Weitem in so starkem Masse, wurde übrigens auch bei
anderen Arthropoden (Astacus) beobachtet (vgl. oben pag. 356).
Nach der Darstellung von Schimkewitsch, die sich hierin wesentlich
an diejenige von Balfour anschliesst , betheiligen sich die Dotterzellen in
nicht unbedeutendem Masse an der Bildung des Mesoderms, obwohl ihre
Hauptmasse als Entoderm zu bezeichnen ist. Schimkewitsch nimmt wie
Balfour eine doppelte Entstehungsweise des Mesoderms an , indem es nach
ihm sowohl durch Verdickung der ventralen Parthie des Blastoderms, zumal
vom Cumulus primitivus aus, wie auch durch Hinzutreten von Dotterzellen zu
den verdickten Theilen gebildet wird. Hier sollen bei den einzelnen Formen
(Tegenaria, Epeira, Lycos a) gewisse Modificationen auftreten, auf
die wir aber nicht eingehen, da wir uns dieser Auffassung nicht anzuschliessen
vermögen. Von den beiden einander gegenüberstellenden Auffassungen , von
denen die eine die Dotterzellen als gegeben annimmt und von ihnen das
Entoderm, sowie zum Theil das Mesoderm ableitet, die andere aber Entoderm
und Mesoderm durch einen der Gastrulation gleich zu setzenden Vorgang
entstehen lässt, scheint uns die letztere bei Weitem mehr Berechtigung für
sich zu haben. Wir werden in dieser Auffassung durch die neu erschienene
Arbeit von Kishinouye (No. 62) bestärkt, welcher nach der Blastoderm-
bildung im Dotter keine Kerne vorfindet, sondern von der Blastoderm-
verdickung aus Zellen in den Dotter hinabsteigen sieht, ähnlich wie
dies früher schon dargestellt wurde (Fig. 363 und 364). Diese Zellen,
welche sich im Dotter vertheilen, bilden das Entoderm. Durch weitere Ver-
dickung der ventralen Gegend des Blastoderms entsteht das Mesoderm,
so wie wir dies ebenfalls früher schon schilderten (pag. 572). Die uns als
Cumulus primitivus bekannt gewordene ventrale Blastodermverdickung ist
jedenfalls bei der Bildung dieser beiden Keimblätter von Bedeutung, denn
sie tritt ebenso wie die (noch zu beschreibende) Ventralplatte vor der
Differenzirung der Keimblätter auf (Kishinouye) und nicht nach derselben,
wie Morin annahm (vgl. pag. 572).
Wenn wir die Bildung der Keimblätter auf das Blastoderm
zurückführen, so ist damit gesagt, dass auch die Dotterzellen vom
Blastoderm aus entstehen. Die Dotterzellen enthalten bei den Spinnen
nach den übereinstimmenden Angaben der Autoreu die Anlagen des ge-
sammten Entoderms, indem sie später das Epithel des Mitteldarmes aus
sich hervorgehen lassen. Würden diese Zellen bei der Furchung im Dotter
zurückbleiben, so müsste man den Vorgang der Blastodermbildung als
eine Epibolie auffassen, was aber den Verhältnissen bei verwandten Formen
widerspricht. Zudem werden bei den Scorpionen ebenfalls durch Ein-
wucherung von Zellen an der ventralen Seite des Blastoderms die Keim-
blätter gebildet und das in Entstehung begriffene Entoderm nimmt in
beiden Abteilungen der Arachniden dieselbe Lagerung ein. Bei den
Scorpionen gestaltet es sich zu einer regelmässigen Epithellage, so dass
es als gesondertes Keimblatt nicht zu verkennen ist, doch treten auch
hier einzelne Zellen in den Dotter hinein. Alles dies lässt uns die von
576 XVII. Capitel.
Morin und Kishinouye vertretene Auffassung der Keimblätterbildung'
(Fig. 363 F) als die richtige erscheinen. Trotzdem kann nicht in Ab-
rede gestellt werden, dass die von Schimkewitsch und besonders von
Balfour gegebenen Abbildungen auf früheren Stadien und in grösserer
Entfernung von dem verdickten Theil des Biastoderms Dotterzellen er-
kennen lassen, von denen man eher annehmen möchte, sie seien noch
von der Furchung her im Dotter zurückgeblieben und nicht von jenen
verdickten Theilen des Biastoderms abgelöst. Sollte solches der Fall
sein, so spricht dies trotzdem noch nicht gegen die hier vertretene Auf-
fassung; wir haben es dann nur mit einzelnen Zellen zu thun, welche
bei der Blastodermbildung keine Verwendung fanden und im Dotter
zurückblieben. Vielleicht kommt diesen Zellen als Vitellophagen
die Function der Nutzbarmachung des Dotters zu. Wir müssten dann an-
nehmen, dass sie beim späteren Aufbau des Entoderms nicht mit ver-
wendet werden, sondern wahrscheinlicher Weise bei dem allmählichen
Schwinden des Dotters zu Grunde gehen, wie dies wohl auch bei den
entsprechenden (Dotter-)Zellen der Inseeten der Fall ist.
2. Die Ausbildung der äusseren Körperforni.
Diejenigen Spinnen, welche bisher auf die Entwicklung ihrer äusseren
Körpergestalt untersucht wurden, lassen erkennen, dass diese Vorgänge
in recht übereinstimmender Weise verlaufen. Es ist eine ganze Anzahl
von Spinnen, Agalena, Clubiona, Epeira, Theridium, Lycosa,
Pholcus, welche daraufhin mehr oder weniger vollständig und alle zu
wiederholten Malen studiert wurden. Trotzdem und obwohl sich eine
ganze Reihe von Forschern mit diesem Gegenstand beschäftigte - wir
nennen nur Herold, Claparede, Salensky, Balfour, Schimkewitsch,
Locy und Kishinouye — so sind doch noch einige Punkte, besonders in
den frühen Entwicklungsstadien, dunkel geblieben. Dies betrifft, wie
wir gleich von vornherein bemerken wollen, zumal die erste Anlage des
Embryos und das Auftreten der Segrnentirung.
Zur Zeit, wenn das Blastoderm schon völlig oder doch grösstenteils
ausgebildet ist, tritt (wahrscheinlich an der späteren Ventralseite) die
hügelförmige Erhebung auf, der Cumulus primitivus, dessen Be-
deutung schon früher erörtert wurde (pag. 572 u. ff.). Von ihm geht
ein Streifen aus, welcher sich durch seine weissliche Färbung von dem
übrigen Ei unterscheidet und von einer entsprechenden Verdickung des
Biastoderms herrührt (Fig. 365 A, Claparede, Balfour). Schon Herold
spricht von einem kometenförmigen Gebilde, welches in frühen Stadien
an der Oberfläche des Spinneneies auftritt, und man möchte annehmen,
dass ihm jener Streifen zusammen mit dem Cumulus primitivus zu diesem
Vergleich Anlass gegeben habe (Fig. 365). Der Streifen verbreitert
sich nämlich etwas an dem vom Primitivhügel abgewandten Ende, und
diese Verbreiterung nimmt noch mehr zu, wenn die Verdickung des
Biastoderms von dem Streifen aus sich nach den Seiten hin ausdehnt.
Dieser Vorgang scheint Herold zu einem Vergleich mit dem Schwanz
eines Kometen geführt zu haben.
Wenn wir von einer Ausbreitung der Blastodermverdickung vom
Streifen aus nach den Seiten hin sprachen, so ist damit gesagt, dass wil-
den Streifen selbst wie den Primitivhügel als eine Verdickung des Biasto-
derms ansehen, welche durch eine stärkere Vermehrung der Zellen an
dieser Stelle entstanden ist. Nach der von Salensky gegebenen Dar-
Arachnoiden. 577
Stellung soll vor dem Cumulus primitivus eine Einsenkung auftreten,
welche sich bald wieder schliesst und von ihm als Blastoporus ange-
sehen wird. Wir sind geneigt, jener Zellenverdickung des Blastoderms
eine ähnliche Bedeutung zuzuschreiben, worauf auch schon früher bei
Besprechung der Keimblätterbildung hingewiesen wurde. Wir nehmen
somit an, dass der Primitivhügel am späteren Hinterende liegt und von
hier aus jener Streifen nach vorn verläuft. Seine Lage bezeichnet dem-
nach die Ventralfläche. Diese giebt sich in einem etwas späteren Stadium
zweifellos als solche zu erkennen, indem die Zellverdickung sich weiter
verbreitet und schliesslich in einem Bezirk ungefähr von der Gestalt
eines gleichschenkligen Dreiecks auch äusserlich am Ei deutlich zum
Ausdruck kommt (Fig. 365 C). Letzteres scheint in der Weise aufzu-
treten, dass zuerst die an seiner Basis gelegenen Parthien (Fig. 365 B)
und sodann erst allmählich die gegen die Spitze zu gelegenen Theile
hervortreten. Die Basis des Dreiecks entspricht der Anlage der Scheitel-
lappen, die Spitze dem Hinterende des Embryos. In letzterer Gegend
JST. & C.
c>r- A.
Fig. 365. A — C drei frühe Stadien aus der Entwicklung des Spinnenembryos,
um die ersten Anlagen desselben zu zeigen (A und B von Agalena labyrinthica
nach Balfour, C von Theridium nach Morin).
Alle drei Bilder geben Oberfläehenansichten des Eies.
c.pr Cumulus primitivus, h hinten, v vorn.
würde nach dieser Darstellung der Cumulus primitivus zu suchen sein
(Fig. 365 B), und jener zuerst aufgetretene Streifen, der vom Primitiv-
hügel ausgeht (Fig. 365 Ä), würde danach die Längsaxe des Embryos
bezeichnen. Das ganze dreieckige Gebilde repräsentirt somit den Keim-
streifen oder die sog. Bauchplatte.
Es muss erwähnt werden , dass die vorstehend geschilderten Vorgänge
der ersten Anlage des Embryos nicht völlig verbürgt erscheinen ; sie wurden
hier so dargestellt, wie sie nach den Angaben der Autoren (Claparede,
Balfour, Morin) die meiste Wahrscheinlichkeit für sich haben.
Die Bildung von Embryonalhüllen, wie sie für die Scorpione beschrieben
wurde (pag. 539), findet bei den Spinnen nicht statt, Die von Bruce am
Kopf der Spinnenembryonen beschriebene Amnionfalte dürfte wohl auf eine
Verwechslung mit der Einfaltung zurückzuführen sein, welche bei der
Bildung des Gehirns stattfindet. Ueber die Bildung cuticularer Larvenhäute
bei den Spinnen soll weiter unten (pag. 587) noch gesprochen werden.
Ungefähr zu der Zeit, wenn die von den Autoren als Bauchplatte be-
zeichnete Anlage des Keimstreifens zur Ausbildung kommt (Fig. 365, A — C),
578
XVII. Capitel.
soll das Ei an dieser Seite eine Abplattung erfahren, doch erscheint in wenig
späteren Stadien die Ventralfläche des Embryos stark gewölbt (Fig. 366
u. 367 A), sei es nun, dass die Abplattung wieder verstreicht oder überhaupt
nicht diese Gegend betroffen hatte. Bei Pholcus erscheint eher die dorsale
Parthie abgeplattet (Fig. 367 A u. B). und Clapakede spricht davon, dass
sich auf diese Weise das Vorder- und Hinterende einander mehr nähern.
Die Segmentirung des Keimstreifens macht sich in der Weise geltend,
dass einige Querfurchen auftreten, welche einen umfangreichen vorderen
und hinteren Abschnitt, sowie mehrere dazwischen liegende Segmente
zur Sonderimg bringen (Fig.
366). Diese Abschnitte erschei-
nen zuerst nur sehr undeutlich,
und es konnte nicht sicher fest-
gestellt werden, wrelchen Teilen
des Körpers sie entsprechen. In
dem jüngsten segmentirten
Stadium, welches sich einiger-
massen sicher erkennen Hess,
sind ausser dem umfangreichen
vorderen und hinteren Abschnitt
drei Segmente vorhanden (Fig.
366, Salensky, Balfour, Locy,
Lendl). Es scheint, dass die-
selben den ersten drei Brust-
segmenten entsprechen.
Nach Locy's Darstellung
müsste man jedoch annehmen,
dass die drei mittleren Segmente
dem zweiten, dritten und vierten
Brustsegment angehören. Er stellt
den Beginn der Segmentirung so
dar, dass sich zuerst das vierte,
darauf das dritte, zweite, erste
Brustsegment, sodann das Segment der Pedipalpen und Cheliceren sondern.
Es würde somit die Differenzirung dieser Segmente von hinten nach vorn
erfolgen , was dem gewöhnlichen Verhalten der segmentirten Formen wider-
spricht. Im Ganzen hat diese Auffassung einige Aehnlichkeit mit der von
Metschnikopp für die Scorpione vertretenen, wonach sich deren Embryonen
zunächst in drei Abschnitte gliedern sollen. Der vorderste derselben ent-
spräche dem Kopfabschnitt, der hintere dem Telson mit den noch nicht
differenzirten Segmenten des Postabdomens, und aus der mittleren Parthie
gingen die übrigen Segmente des Körpers hervor (pag. 541).
Wir können bezüglich dieser und der sogleich folgenden , auf die
Reihenfolge in der Segmentbildung bezüglichen Ausführungen die Bemerkung
nicht unterdrücken , dass sich wohl bei weiterer Untersuchung dieser und
jener Irrthum der verschiedenen Autoren herausstellen wird. Die Orienti-
rung an Spinnenembryonen dieser Stadien ist, wie wir aus eigener Erfahrung
bestätigen können , eine recht schwierige. Dies zeigt schon ein Blick auf
die Abbildungen Fig. 365—367. Bezüglich der Fig. 366 (nach Salensky)
dürfte nicht feststehen, ob die von ihm gewählte und hier acceptirte
Orientirung die richtige ist. Ebensowenig ist die Bedeutung der drei mitt-
leren und des vierten sich ausbildenden Segmentes sicher.
Fig. 366. Ei mit dem im Stadium der
beginnenden Segmentirung befindlichen Embryo
von Clubiona ineompta (nach Salensky).
kl Kopflappen, sl Schwanzlappen, da-
zwischen einige in der Anlage begriffene
Körpersegmente. Die ausser dem Bereich des
Keimstreifens befindlichen grösseren Zellen
sollen Blastodermzellen darstellen, die hier
weniger dicht gelagert sind (Salensky).
Arachnoiden.
579
Die Segmente der Pedipalpen und Cheliceren sollen nach den ziem-
lich übereinstimmenden Angaben der Autoren erst später als die vier
Brustsegmente zur Anlage kommen. Wie der hintere Abschnitt des erst
aus fünf Abtheilungen bestehenden Embryos eine Summe von Segmenten
in sich fasst, so würde auch der vordere Abschnitt ausser dem Kopftheil
noch die Segmente der Cheliceren und Pedipalpen enthalten. Eine durch-
gehende Sonderung der Körpersegmente von vorn nach hinten findet
demnach nicht statt. Auf dem Stadium, in welchem ausser dem Kopf-
und Schwanztheil eine Anzahl von Segmenten vorhanden ist (Fig. 367
A und B), erscheinen die vier hinteren immer weit besser ausgebildet
Fig. 367. A—C verschiedene Stadien der segmentirten , aber noch nicht mit
Extremitäten versehenen Embiyonen, A und B von Pholcus opilionides, C von
einer Clubiona (nach Claparkde).
A und B von der Seite, C von der Bauchfläche gesehen.
eh Chelicerensegment, c.pr Cumulus primitivus (?), eh Eihaut, h hinten, kl Kopf-
lappen, ped Pedipalpensegment, I—JV Thoraxsegmente, 1 erstes Abdominalsegment,
sl Schwanzlappen, v vorn.
und deutlicher abgesetzt, als die beiden vorderen. Balfour, Schimke-
witsch und Locy geben Abbildungen dieses Stadiums von Agalena,
auf welchen das Chelicerensegment noch mit dem Kopftheil vereinigt
oder eben erst in der Abtrennung begriffen ist. In welcher Reihenfolge
die Differenzirang der Brustsegmente vor sich geht, ist aus diesen Dar-
stellungen leider nicht zu erkennen; nur von dem hintersten (dem vierten)
scheint es, als ob es nach den anderen entstände. Die Abdominalseg-
mente trennen sich in der gewöhnlichen Reihenfolge von vorn nach hinten
vom Schwanztheil ab.
Mit beginnender Gliederung des Keimstreifens dehnt sich derselbe
weiter über das Ei aus; nicht nur, dass sein Vorder- und Hinterende
mehr gegen die Dorsalseite hin auswachsen, auch nach beiden Seiten
580 XVII. Capitel.
verbreitet sich der Keimstreifen und kann so bei einigen Formen, z. B.
bei Pholcus, den grössten Theil der Oberfläche des Eies einnehmen
(Fig. 367 A). Von der Ventralfläche gesehen, erscheint der Keim jetzt
in Querbänder zerlegt, welche über diese ganze Fläche des Eies hin-
wegziehen (Fig. 367 C). Die Segmente erscheinen ziemlich schmal und
wie durch breite Qnerfurchen getrennt. Wir möchten das Bild etwa
mit einer zusammengerollten Assel vergleichen, die man vom Rücken
betrachtet. Dieser Zustand erhält sich aber nicht lange, sondern es tritt
von den Seiten her eine Contraction der Embryonalanlage ein, vermöge
deren sich der Keimstreifen wieder an die Ventralfläche zurückzieht
(Fig. 367 B ) und nunmehr hier in Form eines segmentirten Bandes ge-
legen ist. Das Kopf- und Schwanzende behalten dabei ihre Lage bei,
so dass beide einander stark genähert erscheinen und der Keimstreifen
eine starke Krümmung nach der Dorsalseite aufweist (Fig. 367 5). Bei
denjenigen Formen, bei welchen der Keimstreifen in frühen Stadien keine
so starke Verbreitung über das Ei besitzt, wie z. B. bei Agalena,
rücken erst jetzt Kopf- und Schwanzende weiter gegen die Dorsalfläche
vor und nähern sich einander.
Der Keimstreifen erfährt eine Veränderung seiner Gestalt dadurch,
dass der Kopftheil sich verbreitert und eine bilaterale, zweilappige Form
annimmt, sowie weiterhin dadurch, dass von dem ebenfalls verbreiterten
Schwanztheil sich die Abdominalsegmente abgliedern. Die Zahl derselben
kann bis zu zwölf ausser dem Telson fortschreiten, wie dies nach Schimke-
witsch bei Pholcus der Fall ist. Der Hinterleib der Spinnen
zeigt somit bei den Embryonen eine reiche Gliederung,
welche zu dem Verhalten der ausgebildeten Thiere in strictem Gegen-
satz steht. Die vollständige Gliederung des Hinterleibes tritt erst in
späteren Stadien ein; zuvor machen sich noch andere wichtige Ver-
änderungen am Keimstreifen bemerkbar. Von ihnen ist zunächst das
Auftreten einer Längsfurche in der ventralen Mittellinie hervorzuheben
(Fig. 370 A), welche dadurch veranlasst wird, dass das an der Ventral-
fläche gelegene Mesoderm sich in zwei Bänder theilt, die von der Mittel-
linie weg in mehr seitliche Lage rücken. Durch diesen Vorgang wird
der Keimstreifen in zwei symmetrische Hälften getheilt (Fig. 370 A und
B und Fig. 368), welche soweit von einander getrennt werden können,
dass der Dotter sich zwischen ihnen vorwölbt, so z. B. bei Agalena
nach Balfour (Fig. 371 pag. 584). Vorn an den Scheitellappen, sowie
am Schwanzende stehen jedoch beide Hälften des Keimstreifens im Zu-
sammenhang (Fig. 370 A und B und Fig. 368).
Noch lange bevor die Trennung des Keimstreifens so weit vorge-
schritten war, traten die Anlagen der Gliedmaassen auf, und zwar zuerst
diejenigen der vier Gangbeinpaare, welche in einiger Entfernung von der
Medianrinne als leichte Erhebungen angelegt wurden (Fig. 370 A, 3 — 6).
Ihnen folgt als eine entsprechende Bildung die Anlage der Pedipalpen
(Fig. 370 .4, 2) und etwas später diejenige der Cheliceren (1). Des-
gleichen entstehen an den vier ersten Abdominalsegmenten entsprechende
Anlagen von Extremitäten (Fig. 370 A, a und Fig. 369), so dass also d a s
Abdomen des Embryos nicht nur eine ungleich reichere
Gliederung zeigt als dasjenige des ausgebildeten Thieres,
sondern auch an einer Anzahl seiner Segmente Extremi-
täten anlagen besitzt. Wir finden in dieser Beziehung eine grosse
Uebereinstimmung mit dem Verhalten der Scorpione, welche ebenfalls an
den vorderen Abdominalsegmenten Extremitäten aufweisen (pag. 542). Eine
Arachnoiden.
581
weitere Uebereinstimmung der Spinnen mit den Scorpionen tritt auch
darin hervor, dass der hintere Theil des Abdomens sich nach vorn um-
schlagen kann, wie es das Postabdomen der Scorpione beim Embryo
thut. So verhält sich z. B. Pholcus (Fig. 368). wie schon Claparede
zeigte und nach ihm Emerton, Schimkewitsch und Morin bestätigten.
Ziemlich allgemein findet man angegeben, dass die ersten vier Ab-
dominalsegmente die provisorischen Anhänge tragen (Balfour, Locy etc.).
Auch aus der mit Hilfe der neueren Methoden ausgeführten Arbeit von
Morin lässt sich nichts Anderes erkennen, obwohl schon Salensky von
einem ersten anhanglosen Segment gesprochen hatte und Schimkewitsch
sich dieser Auffassung anschloss. Aehnliches wie aus den Angaben der
beiden letzteren Autoren ist auch aus den Notizen und Abbildungen von
<i_.
A#<*.
Fig. 368. Embryo von Pholcus
opilionides, in der Ebene liegend ge-
dacht (nach Clapaekde).
ch Cheliceren, d Dotter, kl Kopf-
lappen, ped Pedipalpen, py— j»4 erstes bis
viertes Beinpaar, 1 — 3 die ersten Abdo-
minalsegmente, pab der hintere nach vorn
umgeschlagene Theil des Abdomens.
Fig. 369. Embryo einer nicht näher
bestimmten Spinne, um die dorsale Krüm-
mung des Keimstreifens und die Anlage der
Abdominalextremitäten zu zeigen (Original).
ch Cheliceren, d Dotter, kl Kopflappen,
ped Pedipalpen, p1— pA Gangbeine, .7 — 7 Ab-
dominalsegmente, an denen bei den fünf
ersten die provisorischen Extremitäten sicht-
bar sind, nl Sehwanzlappen.
Bruce zu entnehmen, welche nach
dem Tode dieses Forschers veröffent-
licht wurden (No. 54). An Embryo-
nen einer nicht näher bestimmten
Spinne vermochten wir uns leicht von dem Vorhandensein eines ersten
Abdominalsegmentes zu überzeugen (Fig. 369 1). Dasselbe ist ganz eben-
so deutlich ausgeprägt wie die folgenden Segmente und zeigt die An-
deutung einer Abdominalextremität1). Uebrigens besitzt auch die mehr-
fach untersuchte Agalena das betreffende Segment und der Embryo
zeigt in einem Stadium , welches ungefähr der Fig. 369 entspricht , an
demselben die Andeutung eines Extremitätenrudimentes. Allerdings ist
x) Auch aus den Angaben zweier neuerer Untersucher der Spinnenentwicklung,
Jaworowski (No. 5) und Kishinouye (No. 62) geht hervor, dass vor demjenigen Seg-
ment, welches die erste grössere Abdominalextremität trägt und welches gewöhnlich
für das erste gehalten wurde, noch ein Segment gelegen ist. Einen Anhang fanden
die genannten Autoren an diesem Segment aber nicht auf. Dass ein solcher vorhanden
sein kann, wurde oben beschrieben und abgebildet.
Korscheit- Heider , Lehrbuch. 38
582
XVII. Capitel.
das letztere bei Agalena nur sehr schwach (weniger als in Fig. 369)
entwickelt und schwindet schon sehr bald wieder. Aehnlich verhalten
sich auch andere Spinnen in Bezug auf das Vorhandensein des betreffen-
den ersten Abdominalsegmentes (Korschelt).
Auf den ersten Abdominalanhang folgen vier weitere Anhänge, welche den
bisher bekannten entsprechen {2 — 5). Endlich glaubten wir bei der abge-
bildeten Form noch einen weit schwächer ausgeprägten Anhang am sechsten
Segment zu erkennen. Wir würden darauf kein Gewicht legen, da der
sechste Anhang nicht deutlich genug hervortrat, wenn nicht aus Abbildungen
Claparede's und Emerton's zu erkennen wäre, dass bei anderen Spinnen
(Club io na und Pholcus) das sechste provisorische Extremitätenpaar
ganz klar ausgeprägt ist. Dieses Auftreten von sechs Paar Abdominalextre-
mitäten ist deshalb von Wichtigkeit, weil dadurch die Spinnen in grössere
Uebereinstimmung mit den Scorpionen gebracht werden. Dies geht zumal
aus dem weiteren Schicksal der provisorischen Anhänge hervor (vgl. pag. 587 ).
Fig. 370. A — C verschiedene Stadien des Embryos von Agalena labyrinthica
(nach Balfoür, aus Lang's Lehrbuch). A und B in der Ebene liegend gedacht. Zwischen
6 und a muss man das erste Abdominalseffment von ziemlicher Breite ergänzen.
a Abdominalanhänge, aw Spinnwarzen, kl Kopflappen (in B mit der halbmond-
förmigen Einsenkung; zwischen beiden Hälften des Kopflappens der Mund, umgeben
von Ober- und Unterlippe), st Stomodaeum, 1 Cheliceren, 2 Pedipalpen, 3 — 6 Beinpaare.
Das erste Abdominalsegment scheint bei manchen Arten schon früh-
zeitig eine Rückbildung zu erfahren. Balfouk's Abbildungen von Agalena
lassen nichts davon erkennen (Fig. 370 A und B) , ebenso einige Figuren
von Locy, welcher eine andere Art derselben Gattung untersuchte. Aus
anderen Figuren des letzteren Autors ist allerdings bereits mit ziemlicher Sicher-
heit das Vorhandensein dieses Segmentes bei derselben Art zu entnehmen
(Fig. 372 A). Von anderen Autoren wird ebenfalls das erste beintragende,
also das zweite Abdominalsegment für das erste angesehen , doch ist es in
Wirklichkeit das zweite, und wir werden dementsprechend die Segmente zählen.
Die zunächst an dem Embryo sich vollziehenden Veränderungen
lassen sich am besten an dem in der Ebene ausgebreiteten Keimstreifen
(Fig. 370 A u. B) einer Agalena erkennen. Die auffälligsten derselben
bestehen im Auftreten der Gliederung an den Extremitäten des Cephalo-
Arachnoiden. 583
thorax. Vom Basalglied der Pedipalpen spaltet sich durch eine Längs-
furche nach vorn ein Theil ab, welcher die Kaulade liefert, während der
übrig bleibende, weit längere und gegliederte Abschnitt den eigentlichen
Palpus darstellt (Schimkewitsch). Nur die Cheliceren lassen vorläufig
noch wenig von einer Veränderung erkennen, doch folgen auch sie bald
in der Gliederung nach. Dagegen ist vor ihnen eine Neubildung aufge-
treten, nämlich das Stomodaeum (st). Zwischen den Kopflappen und mehr
am hinteren Rande derselben macht sich eine Vertiefung bemerkbar,
welche anfangs eine Grube, später ein sackförmiges, nach aussen offenes
Gebilde (Fig. 375 m u. vd pag. 590), die Anlage des Vorderdarms darstellt.
In der Umgebung des Mundes treten nach Schimkewitsch zwei paarige
Bildungen auf: zwei kleine Höcker, welche vorn neben den Mundöffnungen
liegen und wohl den Antennen Croneberg's entsprechen (pag. 636), ver-
einigen sich dicht vor dem Mund zur Bildung der unpaaren Oberlippe oder
des Rostrums. Zwei ganz ähnliche Höcker sollen auch hinten an der Mund-
öffnung liegen und, indem sie ebenfalls mit einander verschmelzen, eine
Art von Unterlippe liefern. Beide Gebilde, die stärkere Oberlippe und die
schwächere Unterlippe, von denen jene einen vorderen, diese einen hinteren
Halbkreis bildet, umschliessen zusammen die Mundöffnung (Fig. 370).
Eine halbmondförmige Furche, welche an den Scheitellappen auftritt
(Fig. 370 B) und wie bei den Scorpionen mit der Bildung des Gehirns
und der Augen im Zusammenhang steht, vollendet die charakteristische
Gestaltung dieses Stadiums.
Bisher zeigte der Embryo eine starke dorsale Krümmung, vermöge
deren sich sein Kopf- und Schwanzende beinahe berührten (Fig. 369).
An der Rückenfläche ist demnach auf diesem Stadium nur eine kleine
Parthie des Dotters vom Keimstreifen unbedeckt. Dies ändert sich aber
in den nun folgenden Entwicklungsstadien, welche dadurch charakterisirt
sind , dass der Embryo aus der dorsalen allmählich in eine ventrale
Krümmung übergeht. Wir bezeichnen diesen Process als Umrollung.
Die Umrollung des Embryos beruht hauptsächlich darauf, dass sich
der Keimstreif verkürzt und die bisher gänzlich zurückgebliebene Rücken-
fläche nunmehr zur Ausbildung gelangt (Balfour). Dadurch wird der
bisher so weit dorsal und nach vorn gelagerte Schwanzabschnitt zurück-
gedrängt (Fig. 372 A), und es würde dieser Vorgang bei weiterem Fort-
schreiten ohne Weiteres zu einer ventralen Einkrümmung des gesammten
Embryos führen, wenn nicht der voluminöse Nahrungsdotter vorhanden
wäre. Durch diesen ist offenbar der auffallende Modus des Umrollungs-
processes bedingt, der zunächst mit einem stärkeren Auseinanderweichen
der beiden Hälften des Keimstreifens beginnt.
Es wurde schon früher darauf hingewiesen, dass in der ventralen
Mittellinie des Keimstreifens eine Furche auftritt (Fig. 370 Ä), welche
sich allmählich mehr verbreitert (Fig. 368 u. 370 B). Diese Verbreite-
rung wird eine noch stärkere beim Beginn des Umrollungsprocesses,
woraus folgt, dass die mittleren Parthien der beiden Keimstreif hälften
mehr gegen die Dorsalseite rücken, der Dotter aber zwischen ihnen an
der Ventralseite vorgedrängt wird und auf diese Weise eine Art von
ventralem Dottersack bildet (Barrois, Balfour). Dieser Dottersack
kann noch bedeutend umfangreicher werden, als man dies aus der
Fig. 373 A von Agalena erkennt, bei welcher Form die vorher über
einander gekreuzten Extremitäten der beiden Seiten jetzt beiderseits am
Dottersack gelagert ziemlich weit von einander abstehen (Fig. 371 und
373 Ä). Bei Epeira umklammern die Extremitäten den Dottersack in ähn-
38*
584
XVII. Capitel.
lieher Weise und der ganze Embryo dieser Form, welcher an der Dorsal-
fläche bereits früher ausgebildet zu werden scheint, krümmt sich um den
an seiner Ventralseite gelegenen mächtigen Dottersack herum (Barrois).
Indem bei der allmählichen dorsalen Verlagerung der beiden Hälften
des Keimstreifens auch das Zurückweichen des Hinterendes von der
Dorsalfläche weitere Fortschritte macht, so ergiebt sich daraus von selbst,'
dass die vorherige dorsale Krümmung des Embryos all-
mählich in eine ventrale übergehen muss (Fig. 372 u. 373).
Jedenfalls findet dabei eine Verkürzung des Keimstreifens statt (Locy).
Die Vergrösserung des vom Keimstreifen unbedeckten Theiles der Rücken-
fläche erstreckt sich hierbei in der Richtung der Längsaxe, denn ein Ver-
gleich der Figuren 369 u. 372 ergiebt, dass diese Fläche durch das seit-
liche Vorrücken der beiden Keimstreifenhälften nach der Dorsalseite in
der Querrichtung an Ausdehnung verloren hat.
Das Ende des Umroll imgsprocesses ist dann erreicht, wenn das Ab-
domen nach vorn umgeschlagen ist (Fig. 370 C), also die entgegengesetzte
Krümmung von derjenigen zeigt, die es vorher besass. Bei Agalena,
auf welche Form sich
diese Darstellung haupt-
sächlich bezieht, ist mit
dem Umrollungsprocess
gleichzeitig eine starke
Reduction der hinteren
Abdominalsegmente ver-
bunden (Fig. 373). Die-
selben heben sich
übrigens bei Beginn des
Umrollungsprocesses et-
was vom Dotter ab, so
dass der Schwanz des
Embryos einen dem
Dotter lose aufliegenden
Zipfel bildet (Locy).
Diese Einrichtung mag
wohl die Umrollung des
hintersten Körperab-
schnittes erleichtern, und
durch sie wird ein sol-
ches Verhalten, wie es
Epeira zeigt, leichter
me.s
Fig.
Embryos
der Fig.
Der
371.
Querschnitt durch die Brustregion eines
von Agalena labyrinthica im Stadium
373 A (nach Balfour).
Schnitt ist durch die stärkste Vorragung des
ventralen Dottersacks geführt, ao Aorta, mes Mesoderm
(Ursegment), welches beiderseits bis an die dorsale Mittel-
linie vordringt, vn Bauchmark, yk Dotter mit Dotter-
zellen.
verständlich. Bei dieser
Form scheint das Post-
abdomen erst später zur
Rückbildung zugelangen.
Barrois (No. 48) beschreibt ein Entwicklungsstadium dieser Spinne, in
welchem der ventral gekrümmte und dem Dottersack aufliegende Embryo
ausser den vier beintragenden Abdominalsegmenten noch mindestens sechs
(vielleicht auch acht) weitere Segmente aufweist. Die frühe Ausbildung der
Rückenseite des Abdomens, welche hier stattgefunden hat, ist durch jene
Abhebung vom Dotter leichter verständlich. Uebrigens tritt bei diesem
Verhalten von Epeira die Verlagerung des Dotters von der dorsalen
nach der ventralen Seite in besonders auffälliger Weise hervor. Der Embryo
selbst mit seinem langen Altdomen, dessen vorderen Segmente breit, dessen
Arachnoiden.
585
hinteren Segmente schmal sind, zeigt einen scorpionähnlichen Habitus, falls
wir uns auf die von Barrois gegebene Darstellung verlassen dürfen.
Barrois bildet das besprochene Entwicklungsstadium sowohl in dorsaler
Ansicht , wie auch im Profil so deutlich ab , dass man an und für sich an
der von ihm gegebenen Darstellung nicht zweifeln sollte , würde nicht von
anderer Seite in Abrede gestellt, dass die von Barrois beschriebene dorsale
Segmentirung wirklich vorhanden wäre (Schimkewitsch No. 12 b u. 72).
Die reiche Gliederung des Abdomens, welche sich bis auf zehn, viel-
leicht sogar bis auf zwölf Segmente erstreckt und somit dem Embryo
vor (oder vielleicht auch kurz nach der Umrollung, wie bei Epeira)
einen von dem Habitus des Spinnenkörpers ganz abweichenden Charakter
verleiht, geht dadurch verloren, dass die vorderen Abdominalsegmente,
besonders diejenigen, welche die Extremitätenrudimente tragen, eine
starke Ausbildung gewinnen, die anderen dagegen zurücktreten. Das lässt
sich bei Agalena schon auf einem frühen Stadium während der Umrol-
J2.
s/:
*■ m
Vt#a?.
Fig. 372. A und B ältere Embryonen von Agalena naevia, von denen der
erste sich im Stadium der Umrollung- befindet, der andere am Ende derselben und kurz
vor dem Ausschlüpfen steht (nach Locv).
Der Embryo in A ist etwas schräg" von hinten gesehen.
ab1 — aba die ersten Abdominalsegmente, wovon vier die provisorischen Extremi-
täten tragen, d Dotter, ch Cheliceren, ped Pedipalpen, p die vier Gangbeine der l-echten
Seite, kl Kopflappen, sl Schwanzlappen, sp Spinnwarzen (provisorische Abdominalanhänge).
hing beobachten, und zwar sollen nach Locy's Darstellung die vorderen
Abdominalsegmente besonders rasch gegen die Dorsalfläche vorwachsen.
Die Fig. 372 A, welche dieses Verhalten illustrirt, zeigt den Embryo
nicht ganz von der Seite, sondern etwas von hinten gesehen, so dass die
vorderen Abdominalsegmente beider Seiten im Vorwachsen gegen den
Rücken zu erkennen sind. Dazwischen legt sich der dorsal gekrümmte
Schwanzabschnitt (sl) und auf der Bauchseite tritt in dieser Gegend schon
der Dottersack vor (d). An den Abdominalsegmenten, welche die grösseren
Extremitätenrudimente tragen, sind diese noch deutlich zu erkennen (ab2
bis ab5). Aus dieser Figur geht übrigens recht deutlich das schon früher
betonte Vorhandensein eines vor dem ersten deutlichen provisorischen An-
hang gelegenen Abdominalsegmentes hervor (ab]). Dasselbe nimmt eben-
falls an dem Wachsthum nach der Dorsalseite theil, ebenso wie das auf
das letzte beintragende Segment folgende. Aus der betreffenden Figur,
sowie auch besonders aus den folgenden von Locr gegebenen scheint uns
586 XVII. Capitel.
ferner zu entnehmen, dass die Segmentirung der Dorsalseite in diesem
Theil des Körpers eine echte Segmentirung ist, dass also auch die von
Bakrois beobachtete Gliederung der Dorsalseite des Kreuzspinnenembryos
entsprechend aufzufassen sein würde. Es scheint uns nicht ohne Werth,
dies hervorzuheben, da gerade der Embryo vonEpeira noch in späteren
Stadien eine so charakteristische Gestaltung darbietet. Die äussere Seg-
mentirung ist der Ausdruck der gegen den Rücken hin sich verbreitenden
Ursegmente, die bei den Spinnen in ganz ähnlicher Weise durch Gliede-
rung des Mesodermstreifen auftreten wie bei den Scorpionen (vgl. pag.
555 u. 612).
Die weitere Ausbildung der äusseren Körpergestalt ist ausser dem
schon besprochenen Zurückweichen des Schwanzabschnittes bedingt durch
die Vereinigung der beiderseitigen Segmenthälften in der Mittellinie des
Rückens. Während dieses Vorganges zieht sich die Hauptmasse des
Fig. 373. A und B zwei ältere Embryonen von Agalena labyrinthica
nach Balfour).
A Embryo von der Seite gesehen, mit der grossen, ventralen Dottervorragung.
Der Winkel, den die beiden Linien bilden, welche man durch die Ursprungsstellen
der bleibenden und der provisorischen Anhänge legen kann, bezeichnet den Grad der
ventralen Krümmung. B Embryo kurz vor dem Ausschlüpfen. Das Abdomen, welches
seine bleibende Form noch nicht ganz erlangt hat, ist der Bauchseite des Thorax
angedrückt.
ch Cheliceren, cl Schwanzlappen, pd Pedipalpen, pr.l Scheitellappen, pr.p Pro-
visorische Anhänge.
Dotters in das Abdomen zurück, und so kommt es, dass Cephalothorax
und Abdomen sich nunmehr von einander absetzen (Fig. 372 B). Die
Rückenparthie des ersteren ist nur wenig umfangreich und lässt keinerlei
Segmentirung erkennen.
Der Kopfabschnitt hat eine ziemlich starke Veränderung erlitten, in-
dem die Scheitellappen gegenüber ihrem früheren Umfang verhältniss-
mässig zurücktreten (Fig. 372 u. 373). Die Cheliceren geben ihre post-
orale Lagerung auf und rücken vor den Mund (Fig. 373 B). Zwischen
ihnen hatte sich die schon früher erwähnte Oberlippe, das sog. Rostrum,
gebildet.
Arachnoiden. 587
Wie am Rücken eine Vereiniguno- der beiderseitigen Segmenthälften
erfolgte, so geschieht dies auch an der Bauchfläche, nachdem die durch
Verdickung des inneren Randes der Keimstreifhälften entstandenen Bauch -
nervenstränge abgelöst und in's Innere einbezogen wurden. Wie erwähnt
sind es die vorderen Abdominalsegmente, welche durch ihr starkes
Wachsthum den umfangreichen kugligen Hinterleib der Spinne entstehen
lassen. Wir möchten sie dem Präabdomen der Scorpione vergleichen.
Die dem Postabdomen der letzteren vergleichbaren hinteren Segmente
werden jedoch entweder gänzlich oder doch grösstenteils zurückgebildet.
Der langgestreckte Hinterleib des Embryos weicht also dem gedrungenen
Abdomen, welches wir vom ausgebildeten Thier kennen.
Von Wichtigkeit ist noch das bisher unbeachtet gelassene Schicksal
der abdominalen Anhänge. Wie die Fig. 373 A erkennen lässt, sind
dieselben in ihrer Anlage den thoracalen Extremitäten ganz ähnlich;
während diese aber wachsen und sich gliedern, nehmen sie eher an Um-
fang ab und erscheinen knopfförmig. Bei der Umrollung und auch nach
derselben behalten sie die gleiche Gestalt und Lage bei (Fig. 372 und
373 A). Dann aber beginnt mit ihnen eine Veränderung. An der Basis
der Extremitäten des zweiten Segments stülpt sich das Ectoderm zur
Bildung der Lungen sacke ein. Das gleiche Verhalten lernten wir
bereits bei den Scorpionen kennen. Wie schon erwähnt, hielt man bis-
her das erste beintragende Segment ziemlich allgemein auch für das
erste Abdominalsegment. Mit dem sicheren Nachweis eines vor dem-
selben gelegenen Segmentes wird eine grosse Uebereinstimmung mit dem
Verhalten der Scorpione hergestellt. Dieses Segment, welches
ebenfalls Andeutungen von Extremitätenanlagen besitzt
(Fig. 369 1), entspricht dem Genitalsegment der Scorpione,
und in seinen Höckern erkennt man deren Genital-Oper-
cula. Dieselben treten auch bei den Scorpionen weniger hervor als die
folgenden Anhänge. Das zweite Segment liefert bei den Scorpionen die
Kämme. Dies sind den Scorpionen specifisch zukommende Gebilde.
Wenn dasjenige Segment, welches bei den Scorpionen die Kämme trägt,
bei den Spinnen Lungen zur Ausbildung bringt, so wird dies im Hinblick
auf das Verhalten desLimulus verständlich, bei welcher Form das be-
treffende Segment Kiemen trägt.
Die Abdominalanhänge des dritten Segmentes sollen zu Grande
gehen, während sich die des vierten und fünften Segmentes zu Spinn-
warzen umwandeln (Fig. 372 u. 373) (Salensky, Locy, Morin). Auf
diesen Warzen entstehen in Form von Ectodermeinstülpungen die Spinn-
drüsen (Fig. 388 spw , pag. 615). Wenn wir es in den Spinnwarzen
mit rudimentären Extremitäten zu thun haben, so werden wir die Spinn-
drüsen für eine Art von Cruraldrüsen halten müssen, die einen ähnlichen
phylogenetischen Ursprung haben dürften, wie die entsprechenden Gebilde
des Peripatus, der Myriopoden und Insecten.
Am letzten Abdominalsegment entsteht zur Zeit der Umrollung des
Embryos, wenn das Postabdomen schon in Rückbildung begriffen ist, als
eine Ectodermeinsenkung der After.
Wenn die junge Spinne die Eihüllen verlässt, ist sie in vielen Fällen
fast ganz bewegungslos. Sie verharrt längere Zeit, bei manchen Formen,
mehrere Tage an Ort und Stelle, ohne dass man merkliche Bewegungen
an ihr wahrnehmen kann. Sie ist von einer mehr oder weniger fest an-
liegenden strueturlosen Hülle, der zuerst gebildeten embryonalen Cuticula
umgeben, unter welcher bereits die definitive, mit Haaren versehene
588 XVII. Capitel.
Körperbedeckung vorhanden ist. Jene gewissermassen als Larvenhaut an-
zusehende obere Cuticularhülle wird nach einiger Zeit durchbrochen.
Noch immer ist die junge Spinne ziemlich unbehülflich ; sie bewegt zwar
ihre Gliedmaassen, aber eine freie Ortsbewegung pflegt erst nach einer
abermaligen Häutung einzutreten. Bei Epeira cornuta ist dagegen
die junge Spinne beim Verlassen des Eies schon ziemlich beweglich
(Purcell).
Es ist von Interesse, dass die obere Cuticularhaut mit einer Art von
Ei zahn versehen sein kann, welcher jedenfalls zur Sprengung der Ei-
häute dient. Nach den noch nicht publicirten Untersuchungen von
F. Purcell findet sich bei Tegenaria domestica an der Basis der
beiden Pedipalpen eine verdickte plattenförmige Parthie der öfteren Chitin-
haut, welche im Gegensatz zu der übrigen Cuticularbedeckung des Em-
bryos dunkel pigmentirt, fast schwarz erscheint. Darauf sitzt ein mit
der Spitze nach aussen gerichteter Stachel, den wir oben als Eizahn be-
zeichneten. Ein gleiches Gebilde von entsprechender Lagerung, doch
etwas schwächerer Ausbildung besitzt Attus floricola, und auch bei
einem Cysticus war dasselbe nachzuweisen. Aehnliches mag wohl auch
bei anderen Spinnen vorkommen. Purcell beobachtete, dass an der
Stelle, wo der Eizahn liegt, der erste Riss im Chorion auftritt, der sich
von hier aus fortschreitend vergrössert und bald eine kappenförmige
Parthie der Eihäute abtrennt. Bewegungen des Embryos, die jedenfalls
vorhanden sind, konnten dabei allerdings nicht bemerkt werden. Der
Stachel, welcher durch die Sprengung der Eihäute seine Function erfüllt
hat, wird mit der Cuticularhülle abgeworfen. Wir werden einer ganz
ähnlichen Einrichtung bei den Myriopoden begegnen, bei welchen
ebenfalls ein der cuticularen Hülle angehöriger Eizahn zur Ausbildung
kommt. Aehnliches zeigen die Phalangide n (pag. 565).
■-
3. Die Bildung der Organe.
A. Das Nervensystem.
Die Bauehganglienkette wird kurz nach Entstehung der Glied-
maassen in Form von Ectodermanschwellungen am Grunde der letzteren
angelegt (Fig. 374 Ä). Schon vor der Bildung der Extremitäten war
jederseits neben der Mittellinie ein verdickter Längsstreifen des Ecto-
derms aufgetreten; beide Streifen wurden durch eine dünne mediane
Ectodermparthie getrennt. Die Bildung derselben beginnt vorn und setzt
sich nach hinten fort. Jedem Segment kommt ein Paar solcher Anschwel-
lungen zu (Balfour, Locy), dem Cephalothorax je ein Paar für die Seg-
mente der Cheliceren und Pedipalpen, sowie für die vier Beinpaare. Im
Abdomen werden bis zu zehn, bei Pholcus (nach Schimkewitsch) zwölf
Ganglienpaare angelegt. Die hinter einander Heuenden Ganglien sind
durch weniger stark verdickte Ectodermparthien verbunden, dagegen ent-
behren sie jeglicher queren Verbindung, indem noch immer eine dünne
Ectodermschicht zwischen ihnen liegt (Fig. 374 A). Dies wird sogar in
späteren Stadien noch auffälliger, wenn die beiden Hälften des Keim-
Streifens auseinanderweichen (Fig. 374 B, n). Die beiden Stränge der
Ganglienkette, welche sich anfangs nahe an der Mittellinie befanden,
liegen dann am weitesten von einander entfernt, wenn der Dotter nach
der Bauchseite hin gedrängt wird, um hier den sogenannten Dottersack
Arachnoiden.
589
zu bilden (Fig. 374 B u. 371, pag. 584). Bevor dies geschieht, hat
sich aber auch in der Längserstreckung der Ganglienkette verschiedenes
geändert; auch lösen sich die Ganglien allmählich aus der Verbindung
mit dem Ectoderm und werden mehr nach innen verlagert (Fig. 390 B
u. C, pag. 619).
Wenn der Keimstreifen noch eine dorsale Krümmung zeigt, reicht
auch die Ganglienkette um den ganzen Dotter herum, mit der Umrollung
des Keimstreifens tritt aber eine Verkürzung derselben ein, und zwar be-
steht diese in einer von hinten nach vorn fortschreitenden Concentration
(Locy). Während die Ganglienkette des Cephalothorax an Umfang stark
zunimmt, verkürzt sich diejenige des Abdomens, indem sie sich von hinten
nach vorn zusammendrängt (Fig. 375 A u. B). Die einzelnen Ganglien
haben sich schon vorher zur Bildung zweier dicker Stränge aneinander ge-
schoben. Anfangs hängt der mächtigen im Cephalothorax gelagerten
Ganglienmasse noch ein Strang von Abdominalganglien an (Fig. 375 Ä),
aber auch er wird mit dem fortschreitenden Wachsthum des Embrvos zu
a.
<lB.
-h*.
Fig. 374. A und B Querschnitte durch Embryonen verschiedener Altersstadien
von Theridium raaculatum (nach Morin).
bl Blutzellen, d Dotter, dz Dotterzellen, ex Extremitäten, l Lungeneinstülpung,
n Anlage der Ganglienkette, us Ursegmente.
jener gemeinsamen Ganglienmasse in den Cephalothorax einbezogen, denn
so muss man wohl den Vorgang auffassen. Anfangs lassen sich äusser-
lich die Ganglien noch deutlich unterscheiden (Fig. 375 Ä), späterhin
scheint dies weniger leicht der Fall zu sein (Locy, Morin).
Bei der durch die Reduction des Dottersackes eintretenden Annähe-
rung der beiden Keimstreifhälften an einander, fand auch wieder eine An-
näherung der beiderseitigen Theile der Ganglienkette statt, und es erfolgt
nunmehr die Bildung der Quercommissuren.
Balpour spricht bei der Bildung der Quercommissuren nur von einem
Auftreten zarter verbindender Fasern an der dorsalen Region der Ganglien-
knoten und stellt ausdrücklich die Betheiligung einer medianen Ectoderm-
Einstülpung bei der Bildung der Ganglienkette in Abrede. Schimkewitsch
590
XVII. Capitel.
hingegen tritt mindestens ebenso bestimmt für das
solchen medianen Stranges ein, der als flache Rinne
genäherten Bauchnervenstämmen erscheint (Fig. 390 B
Es wurde bereits früher (pag. 546) darauf hin
bei den Scorpionen von der ßetheiligung eines
Stranges an der Bildung der Ganglienkette gesprochen
muss wohl annehmen, dass aus diesem dann in beiden
missuren hervorgehen.
Vorhandensein eines
zwischen den beiden
und C, m, pag. 619).
gewiesen , dass auch
unpaaren medianen
worden ist, und man
Fällen die Quercom-
wu
Fig. 375. A und B Längsschnitte durch Embryonen von The rid iura macn-
latum in verschieden alten Stadien (nach Morin).
a After, bl Blutzellen, d Dotter, dz Dotterzellen, g Gehirn, h Herz, l Leberlappen,
m Mund, md Anlage des Mitteldarms, mu Muskeln, n Bauchganglien, rb Rectalblase,
* Andeutung der äusseren Segraentirung, sp splanchnisches Blatt des Mesoderms,
vd Vorderdarm.
^lit der eintretenden Concentration der Ganglienkette macht sich die
Bildung der Fasersubstanz bemerkbar, welche am dorsalen Theil der
Ganglien auftritt, also da, wo Balfour die Quercommissuren erscheinen
lässt (Fig. 375 A u. B). Wenn die Concentration schon eine sehr starke
Arachnoiden. 591
geworden ist, lassen sich die einzelnen Ganglienpaare noch durch die Quer-
commissuren nachweisen. Die ausgedehnte Ganglienkette der früheren
Stadien ist nunmehr auf die verhältnissmässig kurze, aber voluminöse
Ganglienmasse des Cephalothorax reducirt, wie sie, wenn auch in ge-
ringerem Umfang, beim ausgebildeten Thier vorhanden ist. Nur einer
wichtigen Veränderung ist dabei noch zu gedenken. Das Ganglienpaar,
welches dem Chelicerensegment zukommt und welches, wie oben erwähnt
wurde, anfangs postoral gelagert ist, rückt später vor den Mund, um mit
dem Gehirn zu verschmelzen und gleichzeitig den vorderen Theil der
Schlundcommissur zu bilden. Den unteren Abschluss der letzteren, also
den direct hinter dem Schlund gelegenen Theil bilden die Ganglien der
Pedipalpen.
So viel man aus den Angaben der Autoren (Balpoue, Schimkewitsch,
Locy, Moein) ersehen kann, scheint die Verschmelzung der Ganglien des
Chelicerensegmentes mit dem Gehirn schon recht früh einzutreten und darf
deshalb vielleicht angenommen werden , dass eine Commissur derselben erst
oberhalb des Schlundes gebildet wird. Diese Commissur wird von Balpoue
beschrieben.
Bezüglich der Verschmelzung der Chelicerenganglien mit dem Gehirn
verhalten sich die Spinnen ganz wie die Scorpione, und wir erinnern hier
nur kurz an die vielleicht entsprechenden Vorgänge bei den Crustaceen
und bei Peripatus (Hinzuziehung der Ganglien der zweiten Antenne, bezw.
der Kiefer zum Gehirn, pag. 363, 364 und 703). Nach Schimkewitsch
soll übrigens zwischen den Chelicerenganglien und dem Gehirn noch ein
Ganglienpaar vorhanden sein, und derjenigen Gehirnparthie entsprechen,
welche dem (unpaaren) Rostrainerven den Ursprung giebt. Davon wird
später noch die Rede sein.
Die Ganglien werden, nachdem sie ins Innere verlagert wurden,
dicht von einer flachen Mesodermschicht umgeben, welche auch in sie
und zwischen die Fasermasse eindringt. So entsteht nach Schimkewitsch
das Neurilemm und das Gerüstwerk zwischen den einzelnen von einander
unterschiedenen Parthien der Ganglien. Aehnliches ist auch für die
Crustaceen angegeben worden (pag. 361).
Das obere Schlundganglion nimmt von einer umfangreichen Ver-
dickung der Scheitellappen aus seinen Ursprung. Nach den Beobach-
tungen von Kishlnouye (No. 62) soll die Anlage des Gehirns in Conti-
nuität mit derjenigen der Ganglienkette stehen, so dass beide zwei von
vorn nach hinten verlaufende Längsbänder bilden. Die beiderseitigen
Verdickungen der Kopflappen stehen anfangs in keinem Zusammenhang
mit einander. Nach vorn sind sie durch die schon früher erwähnten
halbkreisförmigen Furchen abgegrenzt (Fig. 370 B). Diese Furchen wer-
den zu ziemlich tiefen und engen Spalten, welche von einem Epithel
ausgekleidet erscheinen. Sie bleiben in engem Zusammenhang mit der
Gehirnanlage. Wenn sich diese aus der Verbindung mit dem äusseren
Blatt löst, werden die eingestülpten Ectodermparthien ebenfalls von dem
letzteren abgeschnürt und fügen sich als geschlossene Blasen den oberen
Schlundganglien an (Salensky, Balfour, Mokin). Die mit den halbkreis-
förmigen Einsenkungen (Scheitelgruben) in Verbindung stehenden Theile
liefern die oberen heniisphärenartigen Parthien des Gehirns; die Höh-
lungen bleiben an den Seiten längere Zeit erhalten. In den centralen
Parthien werden Fasern gebildet, und hier entstehen die Commissuren,
592 XVII. Capitel.
welche beide Hälften des Gehirns verbinden. Ausserdem unterscheidet
Balfour noch eine ventrale, unmittelbar vor den Chelicerenganglien ge-
legene Region, welche vielleicht den von Schimkewitsch beschriebenen
Rostralganglien entspricht.
Die Bildung des Gehirns ist bei den Spinnen bisher nicht mit genügender
Sicherheit festgestellt worden. Was aus den Angaben der Autoren mit
einiger Bestimmtheit zu entnehmen ist, spricht dafür, dass das Gehirn wie
bei den Scorpionen als Verdickung des Ectoderms unter Antheilnahme einer
Einfaltung entsteht. Die halbkreisförmigen Einsenkungen der Scheitellappen
scheinen in beiden Fällen grosse Uebereinstimmung zu bieten, und doch konnte
aus den bisherigen Angaben der Autoren nicht entnommen- werden, dass
dieselben bei den Spinnen wie bei den Scorpionen zur Entstehung der Augen
beitrügen. Im Gegentheil schien nach den bisherigen Beobachtungen eher
eine völlige Unabhängigkeit der Augenanlagen von den halbkreisförmigen
Einsenkungen zu besteben. Trotzdem möchten wir annehmen, dass die durch
Einfaltung entstehende Gehirnparthie vielleicht dem Ganglion opticum ent-
spricht, und dass die Einfaltungen, welche später die Augen liefern, in Be-
ziehung dazu treten. Die mittlere Parthie des Gehirns (Protocerebrum St.
Remy, No. 12) möchten wir auf die Verdickung der Scheitellappen zurück-
führen, während die hintere Parthie, das Ganglion rostro-mandibulare, wahr-
scheinlich als ein Theil der ursprünglichen Ganglienkette zu betrachten ist,
wie schon früher ausgeführt wurde.
Die oben ausgesprochene Vermuthung von einem Zusammenhang der
Scheitelgruben mit den Anlagen der Augen wird durch eine neuerdings er-
schienene Arbeit von Kishinouye (No. 62) bestätigt. Diese Arbeit unter-
scheidet sich von früheren Publicationen über die Entwicklung der Spinnen-
augen dadurch, dass sie wirklich einen Zusammenhang der Augen (vorderen
Mittelaugen oder Hauptaugen) mit den Scheitelgruben annimmt und dadurch
auch in dieser Beziehung eine grössere Uebereinstimmung mit dem Verhalten
der Scorpione herstellt. Zudem findet Kishinouye an dem sich anlegen-
den Gehirn drei Segmente, wie sie Patten von der Anlage des Gehirns beim
Scorpion angenommen hat (vgl. pag. 551). Leider sind die gemachten
Angaben ebensowenig wie die von Patten klar genug, um die ziemlich aus-
führlich dargestellte Entwicklung des Gehirns daraus zu verstehen und sie
mit den Befunden früherer Beobachter in Einklang zu bringen. Sie stimmen
übrigens nicht einmal mit denen von Patten überein , wie sich aus der Be-
ziehung der Augenanlagen zu den einzelnen Segmenten des Gehirns ergiebt.
Kishinouye stellt das Vorhandensein einer Einstülpung fest, welche unab-
hängig von den halbmondförmigen Scheitelgruben vorhanden ist; über ihr
Verhältniss zu den Hirnabschnitten ist aber sicheres nicht zu erkennen. Es
ist zu erwarten , dass eine eingehende Untersuchung dieser Verhältnisse
interessante und wichtige Aufschlüsse geben wird.
Die Angaben von Schimkewitsch, dass die Höhlungen der Gehirnanlage
nicht von den Einfaltungen des Ectoderms herrühren, sondern einem späteren
Faltungsprocess der bereits vom Ectoderm getrennten Ganglienmasse ihren
Ursprung verdanken , widersprechen der Auffassung der anderen Autoren
und dürften keinen Anklang finden.
*&
B. Die Augen.
Die Augen der Spinnen entstehen durch einen Einfaltungsprocess,
der die grösste Aehnlichkeit mit demjenigen hat, welcher für die
Mittelaugen der Scorpione bereits beschrieben wurde, doch kommen bei
Arachnoiden.
593
den Augen, der Spinnen noch besondere Modifikationen hinzu. Eine Ver-
bindung der Augenfalten mit den Einsendungen der Scheitellappen, welche
einem Theil des Gehirns den Ursprung geben , wurde bis vor kurzem
nicht angenommen, vielmehr glaubte man, dass die Augengruben erst auf-
treten, wenn die Scheitelgruben bereits zum Schluss gelangten.1) Ihre
Bildung fällt gewiss in eine späte Zeit der Embryonalentwicklung und
beginnt, wenn letztere beinahe beendet ist. Dann erscheinen an der
Stirn des Embryos mehrere Paare von (quergerichteten?) spaltförmigen
Einsenkungen, die neben bezw. hinter einander gelegen sind. Bei
P h o 1 c u s sollen es nach Claparede zwei, bei L y c o s a drei Paare sein,
doch sind unsere Kenntnisse darüber, sowie über die Lage der Ein-
faltungen überhaupt so dürftige, dass sich bestimmtes in dieser Beziehung
Fig. 376. A und B vorderes und hinteres Mittelauge einer Spinne (schematisch
nach Grenacher und Bertkau).
ch Chitinbedeckung- des Körpers, gl Glaskörper, h Hypodermis, l Linse, n Seh-
nerv, r Retina, st Stäbchen, t Tapetuin.
nicht aussagen lässt. Jedenfalls dürfte aber das sicher sein, dass die in
der Vierzahl vorhandenen Augenpaare aus verschiedenen Einfaltungen
hervorgehen (Mark).
Die Entstehungsweise der einzelnen Augen ist eine verschiedenartige,
und zwar unterscheidet sich darin das vordere mittlere Paar von den zwei
hinteren Mittelaugen und den beiden seitlichen Paaren. Dies stimmt mit
den Unterschieden der Augen im Bau überein, indem bei den vorderen
Mittelaugen die Stäbchen der Retinazellen vor den Kernen liegen (Fig. 376
A, st), bei den übrigen Augen aber die Stäbchen hinter den Kernen ge-
funden werden (Fig. 376 B, st). Im ersteren Falle liegen die Kerne am
hinteren, im letzteren am vorderen Ende der Retinazellen. Ausserdem
fehlt den vorderen Mittelaugen das Tapetum (Fig. 376 B, t), d. i. eine
hinter der Retina gelegene, mit glänzenden Schüppchen erfüllte Zell-
schicht, welche den übrigen Augen zukommt und allem Anschein nach
J) Diese Auffassung werden die weiter unten mitgetheilten Beobachtungen von
Kishinouye wesentlich modificiren, falls sich dieselben als richtig erweisen.
594
XVII. Capitel.
ebenfalls einen Unterschied in der Bildungsweise derselben bedingt. In
Anlehnung an Bertkau bezeichnen wir der Kürze wegen die vorderen
Mittelaugen als Hauptaugen, die hinteren Mittelaugen und
die Seiten äugen als Nebenaugen. Beide sind nicht nur durch
den Bau, sondern möglicherweise auch durch den Modus ihrer Ent-
wicklung unterschieden (vgl. weiter unten), wodurch eine derartige Be-
zeichnung berechtigt wäre.
^ Der letztere Punkt bedarf
££• allerdings noch einer weite-
ren Klarstellung.
Was bisher über die Ent-
stehung der Spinnenaugen be-
kannt geworden ist, verdanken
wir hauptsächlich den Unter-
suchungen von Locy (No. 64)
und Mark (No. 67) , welche
anAgalena naevia ausge-
führt wurden. Die folgenden
Darstellungen beziehen sich da-
her besonders auf diese Form.
Neuerdings wurden von Kishi-
nouye (No. 62) Untersuchungen
über die Entwicklung der Spin-
nenaugen angestellt, welche
sich ebenfalls auf die genannte
Form, sowie auf L y c o s a be-
ziehen. Die Resultate des letz-
teren Forschers weichen in
wesentlichen Punkten von denen
der Vorgänger ab und sind,
wenn sie sich bestätigen, von
Wichtigkeit für die Auffassung
der Spinnenaugen.
Die vorderen Mittelaugen
(Hauptangen) machen sich zu-
erst alsEctodermverdickungen
der Frontalregion bemerkbar.
Vor der verdickten Parthie
tritt dann eine Einstülpung
auf (Fig. 377 A, a), und mit
dieser senkt sich die ganze
verdickte Parthie ein (Fig. 377 B). Die tiefe Tasche , welche sich da-
durch bildet, erscheint nach hinten gerichtet und legt sich mit der
verdickten Wand der Hypodermis an (Fig. 377 B). Wir können zur
besseren Erläuterung dieses Verhaltens noch auf die Fig. 352 B, pag. 548
verweisen, welche die in sehr ähnlicher Weise verlaufende Bildung der
Mittelaugen des Scorpions illustrirt. Wie dort bildet auch hier die über
der Tasche gelegene Ectoderm-(oder Hypodermis-)schicht den Glaskörper
und scheidet nach aussen hin die Linse aus (Fig. 377 B und C, l). Die
Einstülpungsöffnung (a) schliesst sich, und das Auge schnürt sich dadurch
ab. Die Zellen der verdickten Wand der Einstülpung verlängern sich
Fig. 377. A — C Entwicklung der Hauptaugen
von Agalena naevia. Sagitalschnitte (nach Locr).
a Augeneinstülpung, gl Glaskörper, h Hypo-
dermis, l Linse, pr postretinale Schicht, r Retina.
Arachnoiden. 595
distal, indem ihre Kerne eine proximale Lage einnehmen, wie dies eben-
falls aus der Figur 377 C zu erkennen ist. Am distalen Theil werden
dann die Stäbchen ausgeschieden, welche demnach vor den Kernen
liegen. Diese ganze verdickte Schicht repräsentirt die Retina, während
die dünne Wand der Einstülpung (pr.) die sog. postretinale Lage, viel-
leicht die hintere Umhüllungsschicht der Augen liefert (Locy). Eine
Umlagerung des Nerven resp. der Retinaelemente muss hier in ähn-
licher Weise gefordert werden wie beim Scorpionauge (pag. 548 und
Fig. 352 A u. C), da beim ausgebildeten Auge der Nerv mit dem hinteren
Ende der Retinazellen in Verbindung steht (Fig. 376 A).
Die hinteren Mittelaugen und die zwei Paare seitlicher Augen
(Nebenaugen) entstehen ebenfalls durch Einfaltungen des Ectoderms,
welche sich nach hinten gerichtet der Hypodermis anlagern. Darüber
wird dann die Linse abgeschieden (Locy, Mark). Insoweit scheint also
die Bildung dieser Augen mit derjenigen der vorderen Mittelaugen überein
zu stimmen.
In den vorderen seitlichen Augen ist die Einstülpung nach vorn ge-
richtet , wie Mark angiebt. Vielleicht ist aus diesem Verhalten die Zahl
der von Claparede beschriebenen Augenfalten erklärlich, indem die vor-
deren Augen getrennt von einander , die hinteren aber aus einer gemein-
samen Einfaltung entständen. Freilich ist das nur eine Vermuthung, zu der
man aber geführt wird, da man sich aus den vorliegenden Angaben über
dieses möglicherweise wichtige Verhältniss keine genaue Vorstellung zu machen
vermag.
Weiterhin gestaltet sich die Entwicklung der hinteren mittleren und
der seitlichen Augen dadurch verschieden, dass die Bildung der Stäbchen
nicht im distalen, sondern im proximalen Theil der Retinazellen erfolgt.
Während die Kerne also distal gelagert erscheinen, verlängern sich die
Zellen in proximaler Richtung und scheiden hier die Stäbchen aus. In-
folgedessen liegen die Stäbchen dann hinter den Kernen, welche Lage
ihnen beim ausgebildeten Auge zukommt (Fig. 376 B).
Während also die distale Wand der Einstülpung sich wie bei den
vorderen Mittelaugen zur Retina umwandelt, scheint der proximale Theil
eine abermalige Faltenbildung durchzumachen (Mark). Die neue Falte
erhebt sich hinein in das Lumen der ersten Einfaltung und stellt die
Anlage des Tapetums dar. Seine Zellen scheiden später die Füttern
(Kryställchen) aus, welche den Glanz des ausgebildeten Auges bedingen.
Die noch hinter der Tapetfalte vorhandene postretinale Lage bildet wohl
auch hier den hinteren Abschluss des Auges (Mark).
Das Tapetum würde nach Locy's Darstellung eher darauf zurückzu-
führen sein , dass sich die äussere Chitinbekleidung des Körpers in die
Augenfalte hinein fortsetzen soll. Da aber das Tapetum zelliger Natur ist,
wie auch die Untersuchungen Bertkau's (No. 52) zeigten , so hat eine der-
artige Entstehung desselben nicht viel Wahrscheinlichkeit für sich. Man
muss deshalb wohl die von Mark angegebene Bildungsweise des Tapetums
acceptiren, wenn man nicht an eine Betheiligung eingewanderter Mesoderm-
zellen denken will, welche auch für das Arachnidenauge verschiedentlich
behauptet worden ist.
Eine Umlagerung der Nerven resp. der Retinaelemente wird viel-
leicht bei diesen Augen nicht anzunehmen sein, denn nach Bertkau ver-
596 XVII. Capitel.
bindet sich der Nerv im Spinnenauge immer mit demjenigen Ende der
Sehzellen, an welchem der Kern liegt (Fig. 376 A und B), im vorliegen-
den Falle ist dies also die distale Seite der Retina. Der Nerv hätte
demnach seine ursprüngliche Lagerung beibehalten.
Aus Bertkau's Darstellung geht hervor, dass sich die Nerven mit den
distalen Enden der Sehzellen verbinden (Fig. 376 B) ; und zwar treten die
Nervenfasern von der Peripherie her an die Enden der Zellen. Dieses Ver-
halten ist es, welches als das ursprüngliche erscheint. Nach Bertkau sollen
aber auch Nervenfasern durch das Tapetum hindurch treten (Fig. 376 B)
und sich (also zwischen den Sehzellen hindurch) zu den distalen Enden der
Zellen begeben. Diesen letzteren Verlauf des Nerven müsste man, wenn man
sich an die Vorgänge der Entwicklung hält, als secundär betrachten, denn
es findet dann eine Durchsetzung der postretinalen Schicht statt.
Mit Bertkau's Darstellung lässt sich die auf entwicklungsgeschichtliche
Untersuchung gegründete Auffassung von Mark vereinigen , nach welcher
die Nervenfasern ebenfalls zum Theil um das Tapetum herumlaufen, um an
das distale Ende der Retinazellen zu treten, zum Theil aber auch die post-
retinalen Theile mitsammt dem Tapetum durchsetzen sollen.
Nachtrag zu der Entwicklung der Haupt- und Nebenaugen. Wie
schon oben erwähnt, würden die Befunde von Kishinouye über die Ent-
wicklung der Spinnenaugen für die Auffassung derselben von Bedeutung
sein, wenn sie sich bestätigen. Die Hauptaugen entstehen danach durch
Inversion und zwar der Hauptsache nach in der Weise, wie dies oben
geschildert wurde. Allerdings kommt als wichtiges Moment hinzu, dass
ihre Einstülpungsöffnung zugleich die zuletzt übrig bleibende Oeffnung
der zum Schluss kommenden Scheitelgrube repräsentirt. Die (vorderen)
Mittelaugen stehen demnach wie beim Scorpion in Beziehung zu der
eingestülpten Parthie der Kopf läppen, welches Verhalten aus den Dar-
stellungen der früheren Autoren nicht entnommen werden konnte.
Während die Hauptaugen durch Inversion entstehen, soll sich dies
nach Kishinouye bei den Neben äugen ganz anders verhalten; sie
sollen durch eine blosse Einsendung des Ecto denn s ohne
Inversion gebildet werden. Sie werden später angelegt als die
Hauptaugen und liegen hinter denselben. Es scheint, dass sie zu der
vorerwähnten Einstülpungen in Beziehung stehen, welche unabhängig von
den Scheitelgruben gebildet werden und am Aufbau des Gehirns theil-
nehmen sollen. Man denkt hierbei an die Bildung der optischen Ganglien.
Die Nebenaugen scheinen unabhängig von einander als grubenförmige
Ectodermeinsenkungen zu entstehen. Der Boden dieser Einsenkungen
verdickt sich stark und wird zur Retina. An ihn tritt von hinten her
der Nerv heran, so dass also von einer Inversion keine Rede ist, sondern
das Ganze ähnlich einem Insectenstemma erscheint. Die Grube schliesst
sich, indem die äusseren Parthien sich gegen einander neigen und ver-
wachsen. Sie liefern den Glaskörper, und darüber wird die Linse abge-
schieden.
Sollte sich die Bildung der Spinnenaugen wirklich so verhalten, wie
es hier dargestellt ist, so würde sich damit eine grosse Uebereinstimmung
mit den Augen der Scorpione ergeben. Die vorderen Mittel-
augen der Spinnen, welche sich durch Inversion ent-
wickeln, würden den auf gleiche Weise entstehenden
Mittelaugen der Scorpione entsprechen, und die hinteren
Mittelaugen und Seitenaugen der Spinnen würden mit den
Seitenaugen der Scorpione zu vergleichen sein, welche
Arachnoiden. 597
ebenfalls nur als Ectodermeinsenkungen (ohne Inversion)
ihren U r s p r 11 n g n e h 111 e n. So würde damit die Unterscheidung der
Spinnenaugen in „Haupt- und Neb'enaugen" (Bertkau) eine ge-
wisse Bedeutung gewinnen.
Wenn wir die, wie man sieht, recht wichtigen Resultate von Kishinouye
nicht an erster Stelle berücksichtigten, so geschah dies einestheils desshalb,
weil sie uns erst während des Druckes unseres Buches zugänglich wurden,
anderntheils, weil sie gegenüber den Ergebnissen früherer Forscher nicht ge-
nügend gestützt erschienen. Doch muss hierzu bemerkt werden, dass Unter-
suchungen , welche von F. Purcell zunächst unabhängig von der Arbeit
Kishixouye's über Bau und Entwicklung der Spinnenaugen unternommen
wurden, zu ähnlichen Resultaten führten. Auch danach scheinen die Seiten-
augen in Form leichter Einsenkungen des Ectoderms zu entstehen, über deren '
Boden (Retina) sich die seitlichen Theile als Glaskörper hinüberneigen. Mit
diesem Verhalten scheint auch der Bau der ausgebildeten Augen übereinzu-
stimmen , worüber wie auch über die Entwicklungsvorgänge Purcell selbst
noch nähere Mittheilungen machen wird.
■ev
C. Zur Auffassung der Arachnidenaugen.
Um die Entwicklung und den Bau der Spinnenaugen zu verstehen,
ist es.nöthig, sie mit den Augen der Scorpione zu vergleichen. Während
die Augen der Spinnen nach der gewöhnlichen Auffassung für einfache
Augen gelten, d. h. für sog. Ocellen, deren Netzhaut eine regelmässige
Gruppirung von Zellen (Retinulabildung) nicht besitzt (Fig. 376 A und B),
weisen die Scorpionaugen Retinulae1), d. h. Gruppen von Zellen mit
centralem Rhabdom1), auf (Fig. 353 B und Fig. 352 (7, pag. 550 und 548).
Damit zeigen die Augen der Scorpione, zumal die Mittelaugen, einen wesent-
lichen Charakter der zusammengesetzten Augen, obwohl sie ebenso wie
die Spinnenaugen eine einzige, nicht in Facetten getheilte Cornealinse
besitzen und damit eines anderen wichtigen Charakters der zusammen-
gesetzten Augen verlustig gehen. Trotzdem müssen wir sie für zusammen-
gesetzte Augen halten, wenn auch nur für reducirte, wie die folgenden
Betrachtungen erweisen sollen.
Führt man die Arachnidenaugen auf zusammengesetzte Augen zurück,
so ist es für ihr Verständniss nöthig, das Zustandekommen der letzteren
zu erklären. Es dient dabei zur Erleichterung, sich auf die höchst wahr-
scheinlich analogen Verhältnisse bei den Insecten zu beziehen. Die ein-
fachsten Augen (Ocellen) der letzteren stellen grubenförmige Einsenkungen
der Hypodermis dar, über denen sich die Linse ablagert. Entsprechende
einfache Augen kommen auch bei den Anneliden vor, auf welche wir in
letzter Instanz zurückgehen müssen; blosse Gruben der Körperhaut mit
darin liegender Linse und entsprechender Pigmentirung, so bei D i 0 p a t r a
v) Zur Erläuterung soll hier nur kurz bemerkt werden, dass beim einfachen Auge
der Arthropoden (Ocellus, Stemma etc.) die Retina eine Schicht gleichartiger Seh-
zellen bildet (Fig. 378 r); beim zusammengesetzten Auge jedoch zerfällt sie in Gruppen
von Zellen, die Retinulae (Fig. 352, pag. 548). Diese Zellen, deren Zahl in den
einzelnen Fällen wechselt, tragen an den einander zugekehrten Seiten die Sehstäbe,
welche zu einem zusammenhängenden Ganzen, dem R h a b d 0 m , verschmelzen können
(Fig. 379 rh u. 352). Die Retinula bildet mit den darüberliegenden Glaskörperzellen
und der zugehörigen Corneafacette eines der Ommatidien (Fig. 539 D, Capitel XXIV),
welche in grösserer oder geringerer Zahl das Auge zusammensetzen. Wenigstens gilt
dies für die typischen Formen der zusammengesetzten Augen; bei den hier zu be-
handelnden Augen der Arachniden liegen die Verhältnisse etwas anders.
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 39
598
XVII. Capitel.
pz
und Onuphis (v. Kennel, No. 60). Die Stemmata der Insecten er-
heben sich auf eine etwas höhere Stufe, indem sich die Hypodermisschicht
von den Seiten her über die Retina vorwölbt und dadurch unter der
Linse die sog. Glaskörperschicht bildet (Fig. 378 gk). Bei den Myrio-
poden, den Insectenlarven und den Thysanuren findet sich eine Anzahl
solcher Stemmata neben einander. Denkt man sich ihre Zahl noch ver-
mehrt und eine engere Verbindung unter ihnen eingetreten, so erhält
man das Bild des Facettenauges. Bei den Myriopod en, speciell bei
Scutigera, scheint ein solcher Zustand wirklich erreicht zu werden.
Das auf solche Weise zu Stande gekommene Auge entbehrt zunächst noch
jeglicher Einheitlichkeit. Seine Bestandteile erscheinen noch als selbst-
ständige Gebilde von zu complicirtem Bau, um schon jetzt ein Zusammen-
wirken zu ermöglichen. Allmählich tritt in den Einzelaugen eine Reduction
der Elemente ein und führt, weiter fortschreitend, zu dein Resultat, welches
wir beim zusammengesetzten Auge kennen, nämlich zum Vorhandensein
nur noch ganz weniger Elemente in jedem Einzelauge. Damit ist das
Einzelauge zum Ommatidium geworden. Wir denken uns also die Omma-
tidien hervorgegangen aus Ocellen. Das Princip dieses Vorganges, welches
gleichzeitig zur Reduction der
gk i Elemente im Ocellus und zur
Vermehrung der Ocellen selbst
führte, muss in der Function des
zusammengesetzten Auges gesucht
werden, welche eine möglichste
Verringerung der Sehfläche im
Einzelauge verlangt.
Solche einfachste Augenfor-
men, wie die Stemmata der In-
secten, finden sich bei den Arach-
niden nicht, doch müssen wir das
Vorhandensein ähnlicher Gebilde
bei ihren Vorfahren voraussetzen.
Das am einfachsten gebaute
Aiachnidenauge finden wir in
den Seitenaugen desScor-
pions wieder (Fig. 353 B, pag.
550), ein einschichtiges Auge, in
Form einer Grube, welche von der Linse erfüllt wird und deren Boden
(die Retina) sich direct in die Hypodermis fortsetzt. Obwohl dieses Auge
durch die genannten Charaktere die Hauptmerkmale eines einfachsten
Auges besitzt, vermögen wir es doch nicht als ein solches anzusehen. Der
Grund hiefür liegt einerseits in dem inneren Bau des Auges, und anderer-
seits in der auffallenden Uebereinstimmung der Augen des Scorpions mit
denjenigen von L i m u 1 u s. Die Seitenaugen des letzteren sind einschichtig,
diejenigen der Scorpione ebenfalls, während die Mittelaugen beider
Formen zwei-, bezw. dreischichtig sind. Die Seitenaugen der Scorpione
sowohl wie des Limulus entwickeln sich in Form blosser Einsenkungen,
die Mittelaugen hingegen zeigen einen complicirteren, aber in beiden Fällen
allem Anschein nach recht übereinstimmenden Entwicklungsmodus.
Die Seitenaugen des Limulus bestehen aus einer Anzahl von
Retinulae mit zugehöriger Cornealinse (Fig. 379). Die Retinulae liegen
in der Continuität der Hypodermis, und jede von ihnen möchten wir als
Einzelauge ansehen, welches in der früher besprochenen Weise durch
Fig". 378. Schnitt durch ein Stemma
einer Larve von Dy tiscus (nach Gkenächer,
aus Hatschek's Lehrbuch der Zoologie).
b Basalmembran, c Chitindecke, gk Glas-
körper, h Hypodermis, / Linse, pz Pigment-
zellen, r Retina.
Arachnoiden.
599
Vereinfachung eines Stemma-ähnlichen Auges entstanden ist. Die Linsen
der Einzelaugen sind nur in ihrem proximalen Theil getrennt geblieben
(Fig. 379 T), in ihrem distalen Theil erscheinen sie jedoch mit einander
verschmolzen (ch). Wir möchten glauben, dass dieser Vorgang der Ver-
schmelzung in den Seitenaugen der Scorpione noch weiter fortgeschritten
ist und schliesslich zur Bildung der jetzt vorhandenen gemeinsamen Linse
geführt hat. Bei dieser Auffassung betrachten wir jedes Seitenauge des
Scorpions als die Summe einer Anzahl von Einzelaugen. Die zwischen
den Retinazellen enthaltenen Rhabdome entsprechen denjenigen des
Limulusauges. Letzteres ist schon ziemlich hoch entwickelt und lässt
auch durch die Bildung von Rhabdomen in den Retinulae seinen Charakter
wo.
Fig". 379. Drei Ommatidien des Seitenauges von Lim u Ins (nach Watase).
In A ist die Retinula der Länge nach durchschnitten gedacht, in B und 0 ist sie
in ihrer Totalität erhalten.
c centrale Ganglienzelle, ch Chitindecke, hyp Hypodermis, l Linsenkegel, mes Meso-
dermgewebe, n Nerv, rh Rhabdom, rt Retinula.
als zusammengesetztes Auge erkennen. Somit erscheint auch das Seiten-
auge der Scorpione als rückgebildetes Facettenauge. Die Einsenkung.
als welche es in der Ontogenie auftritt (Fig. 353 A), darf demnach nicht
als die primäre Augengrube angesehen werden.
Bekanntlich sind beim Scorpion jederseits mehrere Seitenaugen vor-
handen. Von ihnen ist jedes als ein Complex von Einzelaugen aufzu-
fassen, und alle zusammen entsprechen einem Seitenauge des Limulus.
Sie sind vielleicht durch Sonderung einzelner Complexe von Einzelaugen
aus einem grösseren Facettenauge hervorgegangen. Ein ganz analoger
Prozess scheint sich bei den Trilobiten abzuspielen.
Während die Trilobiten gewöhnlich jederseits ein facettirtes Auge
aufweisen, zeigen die Angehörigen der Gattung Harpes an Stelle der
Facettenaugen zwei oder drei Höcker (H. vittatus 2, H. ungula 3 nach
Barrande) mit völlig glatter Oberfläche, welche nichts anderes sind als die
39*
600 XVII. Capitel.
Augen und die den Seitenaugen der Scorpione im äusseren Anblick sehr
gleichen. Sie werden auch von den Paläontologen recht bezeichnend
Stemmata genannt, obwohl sie vom zoologischen Standpunkt aus diese Be-
nennung nicht verdienen, sondern höchst wahrscheinlich auf ähnliche
Weise entstanden sind, wie wir dies von den Seitenaugen der Scorpione
vermuthen.
Uebrigens erlauben die Oberflächenbilder der Trilobitenaugen vielleicht
noch weitere Schlüsse auf die Entstehung dieser Facettenaugen , welche sich
mit der oben erörterten Auffassung decken. Für gewöhnlich ist die ganze
Oberfläche des Facettenauges in ihrer Structur von der übrigen Körper-
bedeckung verschieden, bei einigen Gattungen jedoch (Phacops, Dalmania
nach Zittel's Handbuch) ist die Decke der Sehfläche mit der übrigen
Schale identisch, dagegen liegen in rundlichen oder polygonalen Vertiefungen
die einzelnen Linsen. Dies macht den Eindruck, als ob im letzteren Falle
die Einzelaugen einander noch nicht völlig genähert wären , während sie im
anderen Falle schon dicht an einander gelagert sind. Bei der geringen Kennt-
niss, welche wir vom Bau des Trilobitenauges haben, kann dies natürlich
nur als Vermuthung geäussert werden.
Die Mittelaugen der Scorpione documentiren sieh durch ihre
deutliche Retinula- und Rhabdombildung noch weit zweifelloser als zu-
sammengesetzte Augen. Sie sind mehrschichtig (Fig. 352 C, pag. 548).
Das Gleiche gilt auch von den Mittelaugen des Limulus, deren Elemente
ebenfalls mit denen der Scorpionaugen zu vergleichen sind. Die Mehr-
schichtigkeit stellt einen höheren Entwicklungszustand dieser Augen dar,
welcher sich auch in ihrer complicirteren ontogenetischen Bildungsweise
zu erkennen giebt. Diese, sowie die Mehrschichtigkeit erlauben es nicht,
die Mittelaugen des Scorpions und Limulus auf die Seitenaugen zurück-
zuführen, obwohl beide Augen andererseits grosse Uebereinstimmung mit
einander zeigen. Beide, sowohl die Seiten- wie die Mittelaugen des
Scorpions erscheinen als zusammengesetzte Augen, welche aber, die einen
mehr, die anderen weniger, die Tendenz zum Zerfall der Einzelaugen
und zur Bildung eines einheitlichen Auges erkennen lassen. Die Ver-
einigung der früher getrennten Augen würde, wenn wir dieser Auf-
fassung weiter folgen dürfen, eine immer innigere werden und schliess-
lich zur Bildung eines • Auges führen, in welchem die Einzelaugen als
solche gar nicht oder kaum mehr zu unterscheiden sind. Es scheint
uns nicht unmöglich, dass die Augen der Spinnen auf dieser
Stufe angelangt sind, obwohl man es vielleicht paradox finden
wird, erst das einfache Auge zu dem zusammengesetzten zu leiten und
dieses wieder in ein Auge überzuführen, welches man jetzt als einfaches
anzusprechen gewöhnt ist.
Die Augen der Ar aneinen zeigen besonders durch ihre Ent-
wicklungsweise die grösste Uebereinstimmung mit den Augen (und zwar
mit den Mittelaugen) der Scorpione, abgesehen davon, dass sie sich auch
durch ihre Lage als homologe Bildungen zu erkennen geben. Der Ein-
faltungsprozess stimmt in so auffallender Weise mit dem entsprechenden
Vorgang bei den Scorpionen überein, dass wir genöthigt sind, beiden
Gebilden gleichen Werth zuzuschreiben, also auch die Spinnenaugen für
höher entwickelt zu halten, als sie es ihrem Bau nach zu sein scheinen.
Man betrachtet die Augen der Araneinen für gewöhnlich als Ocellen
und stellt sie den Stemmata der Insecten an die Seite. Ihr Bau scheint
diese Auffassung zu rechtfertigen, denn die Retina setzt sich aus einer
Arachnoiden.
601
continuirlichen Lage gleichartiger Zellen zusammen (Fig. 380 A und B).
Die Entwicklung dieser Lage gestaltet sich aber weit complicirter, als
beim einfachen Auge, und zeigt dieselbe Bildungsweise, wie beim Scorpion-
auge (Fig. 377, pag. 594, und 352, pag. 548). Die Mehrsehiehtigkeit ent-
steht nicht wie beim Stemma einfach dadurch, dass sich die Hypodermis-
lage von den Seiten her über die Retina vorschiebt, sondern sie ist eine
Folge jenes Einfaltungsprocesses (Fig. 377 und 352). Schon wegen dieser
auffallenden Uebereinstimmung mit dem Scorpionauge sind wir geneigt,
auch das Spinnenauge als zusammengesetztes Auge zu be-
trachten. Mit der Auflösung der Retinulae wurde die Gleichartigkeit
der Retina wieder erreicht. Uebrigens sind auch im Bau der Spinnen-
augen gewisse Anzeichen gegeben, welche diese Ausführungen zu unter-
stützen scheinen und aus denen man schliessen könnte, dass die Retina
doch nicht aus lauter einzelnen Sehzellen continuirlich zusammengesetzt
Fig. 380. A und R vorderes und hinteres Mittelauge einer Spinne (schematisch
nach Grenacher und Bertkau).
ch Chitinbedeckung, in die Cuticularlinse (l) übergehand, gl Glaskörper, h Hypo-
dermis, l Linse, n Sehnerv, r Retina, st Stäbchen, t Tapetum.
ist. Nach Grenacher bestehen die Stäbchen in den Augen
aller Spinnen aus zwei Theilen, erscheinen also in der Längs-
axe wie gespalten-, bei Phalangium setzt sich jedes Stäbchen
sogar aus drei Theilen zusammen, was auf dem Querschnitt das
Bild eines Kleeblattes giebt. Obwohl nun ausdrücklich angegeben wird,
dass die Stäbchen in der Zelle liegen sollen, kann man sich doch der
Vermuthung nicht entschlagen, als ob es sich bei der Zwei- resp. Drei-
theiligkeit der Stäbchen vielleicht um Reste der Rhabdom- und Retinula-
bildung handeln möchte1). '
1) Bei den Augen einiger Spinnen, z. B. bei denen von Atypus, erscheint die
Glaskörperschicht äusserst dünn. Bertkau (No. 50) vergleicht die betreffenden Augen
mit den Stemmata der Insectenaugen, und spricht davon, dass sie den Unterschied
zwischen ein- und zweischichtigen Augen verwischen. Diejenigen Stemmata, mit denen
die betreffenden Spinnenaugen zu vergleichen sind, zeigen auch bereits einen von der
Retina gesonderten Glaskörper (so bei Phryganea und Vespa nach Grenacher),
d. h. Glaskörperschicht und Retina stellen nicht mehr eine continuirliche Lage dar.
*• %^> c^Jdv^- '-- ■ -~wW
M<*
602 XVII. Capitel.
Die Beziehung der verschiedenen Paare von Spinnenaugen auf einander
ist durch die Differenz in ihrem Bau und ihrer Entwicklung sehr erschwert.
An und für sich ist man geneigt, die vorderen Mittelaugen auf die Mittel-
augen der Scorpione, und die übrigen Paare auf deren Seitenaugen zu be-
ziehen. Damit lässt sich aber nicht vereinigen, dass die hinteren Mittel-
augen und die seitlichen Augen ungefähr den gleichen Entwicklungsgang auf-
weisen wie die vorderen Mittelaugen, während die Seitenaugen der Scorpione
auf sehr einfache Weise gebildet werden (Fig. 353, pag. 550). Daher
möchte man eher sämmtliche Augen der Spinnen auf einen Zerfall der Mittel-
augen in einzelne Complexe zurückführen, wie er in ähnlicher Weise für die
Seitenaugen des Scorpions angenommen wurde1). Die Seitenaugen würden
in diesem Falle den Spinnen gänzlich fehlen. Immerhin sind die Differenzen
im Bau der verschiedenen Augenpaare sehr bemerkenswerthe ; doch ist es
bei dem bisherigen Stand der Kenntnisse nicht möglich, dieselben in be-
friedigender Weise zu erklären.
Mit der Einfaltung der Arachnidenaugen und der Ausscheidung der
Linse über dem der Hypodermis genäherten Theil der Falte (Fig. 377
und 352) hängt es zusammen, dass die Elemente der Retina eine Um-
ordnung erfahren. Der früher nach aussen gekehrte Theil der Zellen,
ist jetzt nach innen gerichtet. Er trägt die Stäbchen und behält sie
auch bei den sog. Nebenaugen (den Seitenaugen und hinteren Mittel-
augen) der Spinnen (Fig. 380 B). Die Nervenfasern setzen sich an die
früher nach innen, jetzt nach aussen gerichteten Enden der Zellen an.
An diesen Enden liegen die Kerne der Retinazellen. Dies scheint der
bleibende Zustand der Nebenaugen zu sein, und er entspricht zugleich
dem Zustand vor der Einfaltung, abgesehen von einigen vielleicht doch
noch eintretenden Modificationen in der Innervirung (vgl. pag. 596).
Anders verhalten sich jedoch die sog. Hauptaugen (vorderen Mittelaugen)
der Spinnen und die Mittelaugen des Scorpions. Bei den ersteren liegen
die Stäbchen an den nach aussen gerichteten (distalen) Enden der Retina-
zellen, während die Kerne proximal gelagert sind (Fig. 380 Ä). Die
Nervenfasern verbinden sich mit dem kernhaltigen, proximalen Ende
der Zellen. Das letztere gilt auch für die Mittelaugen des Scorpions
(Fig. 352 C). Es hat also hier in Folge der Einfaltung eine Umlagerung
stattgefunden. Das Ausbleiben derselben bei den übrigen Augen der
Spinnen kann man vielleicht durch die Entwicklung des Tapetums er-
klären, von welchem das Licht auf die nach innen gerichteten Stäbchen-
enden zurückgeworfen wird.
Die oben angeführten Beobachtungen von Kishinouye und Pürcell nach
denen bei Entstehung der Nebenaugen eine Inversion nicht stattfindet, machen
die Innervirungsverhältnisse dieser Augen, wie man sie bisher als wahrscheinlich
annehmen musste, wieder zweifelhaft und lassen den verschiedentlich angegebenen
Eintritt der Nerven von der Hinterseite her wieder als möglich erscheinen.
Insofern zeigen diese Augen einen ähnlichen Bau wie die Spinnenaugen und entfernen
sich bereits vom Bau des einschichtigen Stemma. Nach der oben vertretenen Auf-
fassung dürfen die so auffällig übereinstimmend gebauten Mittelaugen der Spinnen und
jene Insectenstemmata nicht als homologe Bildungen betrachtet werden, sondern es ist
anzunehmen, dass verschiedene Wege zu dieser scheinbar so gleichartigen Ausbildung
führten.
1) Die neuen Angaben von Kishinouye und Purcell's Beobachtungen (pag. 597),
wonach die vorderen Mittelaugen mittelst Inversion, die übrigen jedoch ohne dieselbe
entstehen, würden die oben ausgesprochene Vermuthung einer Zurückführung der
ersteren auf die Mittelaugen der Scorpione, der letzteren auf deren Seitenaugen zu
grosser Wahrscheinlichkeit erheben.
Arachnoiden.
603
Nach dem, was bisher über Bau und Entwicklung der Arachnidenaugen
bekannt geworden, ist man nicht berechtigt, an dem Vorgang der Umlage-
rung zu zweifeln. Die genaueren Umstände dieser besonders von Mark und
Pauker verfolgten Vorgänge sind freilich noch nicht zur Genüge bekannt,
um schon jetzt ein sicheres Urtheil über das Wesen derselben zu gestatten.
Mark hat sich vor Allem bemüht , das Morphologische der Vorgänge zu er-
klären. Um seine Auffassung zu verstehen, ist aber nöthig, eine andere
Ansicht vom Zustandekommen der Arachnidenaugen, als die in Vorstehendem
vertretene, kurz zu berühren.
Wir leiteten die zusammengesetzten Augen der Scorpione und des
Limulus von höher organisirten (Facetten-) Augen her; eine andere, beson-
ders von Ray Lankester vertretene Auffassung lässt sie aus einem ein-
fachen Auge (Stemma, Ocellus) durch Gruppirung der Retinaelemente
zu Retinulae entstehen. Das Seitenauge von Limulus würde nach dieser
Fig". 381. A — E schematisehe Darstellung der Entstehung der Arachnidenaugen
(grösstenteils nach E. L. Mark).
gl Glaskörper, h Hypodermis, l Linse, n Sehnerv, pr Postretinale-Schicht, r Retina,
st Stäbchen.
Auffassung ein späteres Stadium darstellen, in dem auch bereits eine Sonde-
rung der Linsen eingetreten ist, welche, weiter fortschreitend, zur Bildung
des Facettenauges führt. Obwohl diese Auffassung eine in verschiedener
Hinsicht befriedigendere Erklärung der einzelnen Augenformen zulässt, ver-
mochten wir uns derselben doch nicht anzuschliessen , weil uns für die An-
nahme eines Zerfalls der continuirlichen Retina in einzelne Gruppen kein
genügender Grund vorhanden zu sein scheint.
Leichter wird es bei der directen Herleitung des Arachnidenauges vom
Ocellus die Entwicklungsvorgänge zu erklären. Die Einstülpung entspricht
dann der primären Augengrube. Fasst man jedoch das Auge als ein zu-
sammengesetztes auf, wie wir es thaten, so besteht es aus einer Summe von
604 XVII. Capitel.
Einzelaugen, und die Einstülpung ist nicht mit der primären Augengrube
vergleichbar, sondern muss vielmehr als eine secundäre Bildung angesehen
werden, welche das ganze Gesichtsfeld in Form einer Einfaltung nach innen
verlagert, ein Vorgang, welcher nicht ohne Weiteres zu verstehen ist. Der
Vorgang der Umkehrung bleibt übrigens auch dann im Ganzen der gleiche.
Für den einfacheren Fall der Ableitung vom Ocellus wird derselbe von
Mark durch Verkümmerung eines Theils der Retina und stärkere Entwick-
lung des andern Theils bei gleichzeitiger Verrückung der Linse gegen den
letzteren erklärt (Fig. 381 A — C). Der stärker entwickelte Theil der
Retina kommt immer mehr unter die Linse zu liegen (Fig. 381 D und E).
Während an der nunmehr nach aussen sich kehrenden Fläche die Nerven
verkümmern , sollen andere mit dem inneren Ende dieser Zellen in Ver-
bindung treten (D und E). Die Stäbchen, deren ursprüngliche Lagerung
wohl hinter den Kernen war (D), werden nun vor denselben gefunden (E).
Mark fasste die rundlichen Gebilde, welche man im Mittelauge des Scorpions
hinter den Kernen findet, die sog. Phao Sphären Ray Lankester's als
Reste der ursprünglichen Stäbchen auf, während die jetzt vor den Kernen
vorhandenen Stäbchen (E, st) Neubildungen darstellen. Da man die „Phao-
sp hären" aber auch in den nicht durch Inversion entstehenden Seitenaugen
des Scorpions findet (Ray Laxkester, v. Carriere), so lässt sich diese
Auffassung nicht aufrecht erhalten.
Werden die beiden Auffassungen von dem Zustandekommen der Arach-
nidenaugen gegen einander abgewogen, so dürfte als wichtiges Moment dabei
noch in Betracht kommen , dass sich die zusammengesetzten (Facetten-)
Augen auf einer convexen Basis aufbauen , die Arachnidenaugen aber eine
concave Basis besitzen wie die einfachen Augen , und dadurch mehr den
Charakter der letzteren zeigen. Für die zusammengesetzten Augen des Limulus
fällt dieses Merkmal übrigens weg, denn dessen Grundlage ist eine ungefähr
ebene Fläche.
Der vorstehende Versuch, die verschiedenen Arachnidenaugen in Be-
ziehung zu einander zu bringen , wurde unternommen , um die durch die
Entwicklungsgeschichte bekannt gewordenen Thatsachen mit dem Bau des
ausgebildeten Auges in Einklang zu bringen. Vielleicht müsste dabei das
physiologische Moment grössere Berücksichtigung finden. Es soll hier ausdrück-
lich hervorgehoben werden, dass Vorstehendes eben nur ein Versuch ist, das
Verständniss der Arachnidenaugen zu erleichtern , bis durch weitere Unter-
suchungen eine noch genauere Kenntniss des Baues und der Entwicklungs-
vorgänge derselben erlangt ist, welche bisher in vielen Punkten noch recht
dunkel sind. Bei der ausgedehnten Litteratur des hier behandelten Gebietes
musste davon abgesehen werden, die Ansichten der einzelnen Autoren in der
Weise zu würdigen, wie dies sonst gewöhnlich in diesem Buche geschah.
Der Gegenstand wurde daher in etwas freierer Weise behandelt.
D. Die Respirationsorgane.
Die Lungen. Die beiden Lungen der Dipneumones entstehen in
Form zweier weiter Einsenkungeu an der Basis der Abdominalextremi-
täten des zweiten Segmentes (Salensky, Bruce, Morin). Was über ihre
weitere Ausbildung bekannt geworden ist (Schimkewitsch, Locy), darf
wohl so gedeutet werden, dass sie in entsprechender Weise entstehen,
wie die Lungen der Seorpione, weshalb wir auch zum Theil auf diese
verweisen können (pag. 552).
Arachnoitlon.
605
Die Lungensäcke sind von dem Stigma aus nach vorn gerichtet.
Am vorderen Ende, und wohl besonders auch am ventralen Theil des
Sackes, rindet die Einfaltung (Bildung der Lungenblätter) statt. Der
Hohlraum zwischen den beiden Lamellen jedes Blattes geht direct in die
Leibeshöhle über, so dass die Blutzellen in die Lungenblätter hinein-
treten können. Die beiden Lamellen verbinden sich durch zellige, wohl
dem Mesoderm entstammende Querbrücken (Locy) , welche auch beim
ausgebildeten Thier vorhanden sind (Fig. 382) und dort muskulöser Natur
sein sollen (Mac Leod). An der freien, d. h. nach dem Hohlraum des
Lungensackes gerichteten Fläche der Blätter wird eine Cuticula abge-
schieden, welche an der nach der Ventralseite gerichteten Fläche homogen
und von gleichmässiger Dicke erscheint, während sie an der Dorsalseite
stärker und mit kleinen, zähnchenartigen Verdickungen besetzt ist (Locy),
ein Verhalten, welches auch beim erwachsenen Thier die Oberseite von
der Unterseite jedes Blattes unterscheidet (Fig. 382).
vo.
\Nw^uuiifl^<i""gggtraJguUH"'u'(p'kM^iJUUW
Figr. 382. Ein etwas schematischer Längsschnitt durch eine Spinnenlunge (nach
Mac Leod).
bl Lungenblätter, ch Chitindecke des Körpers, darunter die Zellen der Hypo-
dermis, d Dorsalseite, dk dorsale Luftkammer, do dorsale Fläche des Lungenblattes,
mit dickerer Chitinlage und Zähnchen ausgestattet, / Bindegewebsfasern, welche dem
Lungensack anhaften, h Hinterseite, Ik Luftkammern, Ir gemeinsamer Luftraum des
Lungensackes, st Stigmenspalte, v Ventralseite, ve ventrale Fläche eines Lungenblattes
mit dünner, gleichmässiger Chitinlage, vo Vorderseite, w Hinterwand des Lungensackes
mit der zelligen Matrix. Zwischen den beiden Lamellen jedes Lungenblattes (bl) erkennt
man die dunkel gehaltenen Querbrücken.
Es ist schon früher (pag. 532) darauf hingewiesen worden, dass die
Lungen der Arachniden in ihrem morphologischen Verhalten eine grosse
Uebereinstimmung mit den Kiemen der Xiphosuren zeigen. Zudem
hebt Kixgsley hervor (No. 61), die Anlage der Lungen bei den Spinnen
und die der Kiemen bei Limulus sei so übereinstimmend, dass die eine für
die andere gelten könne. Auch die Kiemen des Limulus werden nämlich
bei der Anlage etwas unter das Niveau der Ventralfläche eingesenkt. Vor
Allem ist aber die Lage der entstehenden Lunge an der Hinterseite der
Extremität von Wichtigkeit. Wir sind daher geneigt, die Lungen der
Arachniden auf früher vorhandene Kiemen zurückzuführen, wie dies bereits
606 XVII. Capitel.
bei einer früheren Gelegenheit genauer erörtert wurde (pag. 532). Wenn
die Kieme in der Weise ins Innere des Körpers einbezogen wird , dass der
freie Hinterrand der Extremität durch seine theilweise Verwachsung mit der
Körperdecke das Stigma liefert, so muss die nach unten gekehrte Fläche der
dem Körper dicht anliegenden Extremität zur Körperdecke der betreffenden
Stelle werden. Damit stimmt die Angabe von Monix überein, wonach die
rudimentäre Extremität die äussere Decke der Lunge liefert. Bei einer
derartigen Entstehung der Lungen ist es erklärlich , dass die Lungenblätter
hauptsächlich von der ventralen Wand des Sackes entspringen (Fig. 382).
Die Lungenblätter entsprechen direct den Blättern der Kiemen, wie sie noch
jetzt bei Limulus gefunden werden. Wir beziehen also die Lungenblätter
auf die Blätter der Kieme, ohne eine Umstülpung der letzteren anzunehmen,
wie sie von einigen Seiten verlangt wurde (vgl. pag. 532). Es ist die An-
sicht ausgesprochen worden, dass man bei einer derartigen phylogenetischen
Entstehung des Lungenbuches erwarten sollte , die Blätter als vorspringende
Falten an der Abdominalextremität auftreten zu sehen, ehe noch die Ein-
senkung erfolgt, so dass damit das Lungenbuch auch ontogenetisch das
Stadium der Kieme durchlaufen würde. Ein derartiges ontogenetisches
Stadium ist nicht vorhanden, sondern zuerst erfolgt die Einstülpung, und in
ihr tritt sodann die Faltenbildung auf; aber es scheint uns zu weit ge-
gangen, ein solches ontogenetisches Stadium zu verlangen und auf sein Fehlen
einen Schluss im entgegengesetzten Sinne aufbauen zu wollen. Eine der-
artige zeitliche Verschiebung der ontogenetischen Bildungsvorgänge hat hier
um so weniger etwas Unwahrscheinliches an sich, als auch die Kiemen des
Limulus bereits etwas eingesenkt erscheinen.
Der wichtigste Anhalt, welchen die Entwicklungsgeschichte für den
Vergleich der Arachnidenlungen mit den Kiemen der Xiphosuren liefert, ist
ihre Entstehung an den abdominalen Extremitäten. Dazu
kommt aber die auffällige Uebereinstimmung im Bau der ausgebildeten Organe,
welche besonders durch Ray Lankester und Mac Leod hervorgehoben worden
ist, sowie die canalartige Communication der Lungensäcke beider Seiten,
welche allem Anschein nach ihr Homologon in einer ähnlichen Verbindung
der beiderseitigen Kiemenhöhlen des Limulus findet.
Die Tracheen. Wenn das Lungenpaar der Dipnenmones aus den
zweiten Abdominalextremitäten hervorgeht, so ist anzunehmen, dass das
dahinter gelegene zweite Lungenpaar der Tetrapneumones von den
dritten Abdominalgliedmaassen herkommt. Nach Morin's Beobachtung
verschwindet dieses Extremitätenpaar bei den Dipneumones; doch dürfte
von genaueren, besonders darauf gerichteten Untersuchungen vielleicht der
Nachweis erwartet wrerden, dass von ihm aus die beiden Tracheenstämme
ihren Ursprung nehmen, welche bei den meisten Spinnen ausser den
Lungen noch angetroffen werden. Bei wenigen Spinnen (den Gattungen
Dysdera, Sege Stria, Argyroneta) rindet man die beiden Stigmen
dieser Tracheenstämme dicht hinter den Stigmen, welche zu den Lungen
führen, und man möchte deshalb kaum daran zweifeln, dass sie den ent-
sprechend gelegenen hinteren Stigmen der Tetrapneumones zu vergleichen
sind. Wo sich zwei Stigmen (Salticus, Microphantes) oder, wie
dies gewöhnlich der Fall ist, ein vereinigtes Stigmenpaar in Form eines
queren Spaltes weit hinten, dicht vor den Spinnwarzen rindet, dürfte
anzunehmen sein, dass jenes zweite Stigmenpaar nach hinten verlagert
wurde, in ähnlicher Weise wie auch die folgenden Extremitätenpaare als
Spinnwarzen an das Hinterende des Körpers gedrängt werden.
Arachnoiden. 607
Wie sich schon aus den vorstehenden Betrachtungen ergiebt, führen wir
die Tracheen der Spinnen (und der Arachniden überhaupt) auf die Lungen
zurück. Wir nehmen an, dass die Luftkammern der Lungen sich stark in
den Körper hinein verlängerten, wobei sie gleichzeitig eine Verschmälerung
erfuhren. Dadurch kam schliesslich die Form der Tracheen zu Stande. Die
abgeplattete Form der Tracheen bei den Spinnen scheint auf den Ursprung
von Lamellen hinzuweisen. Nach Mac Leod's Darstellung nimmt die in den
Lungen am meisten dorsal gelegene Luftkammer (Fig. 382, dk), welche von
der Wand des Lungensackes und der dorsalen Lamelle des letzten Blattes
begrenzt wird, gewöhnlich eine von den anderen Kammern abweichende Ge-
stalt an, indem sie sich (im Querschnitt gedacht) mehr abrundet und eine
beinahe cylinderförmige Gestalt erhält, während die anderen Kammern nur
schmale Spalträurae darstellen. So nähert sich diese Kammer schon der
Gestaltung der Tracheen, denen sie übrigens auch in der Structur ihrer
ringsum von Chitinzähnchen besetzten Wandung gleicht. Damit ist bereits bei
den eigentlichen Lungensäcken ein theilweiser Uebergang zur Form der
Tracheen gegeben. Uebrigens zeigen die Tracheen auch insofern eine grosse
Uebereinstimmung mit den Lungen, als sich zwischen den Hauptstämmen
der beiden Seiten der Verbindungscanal erstreckt, welcher auch bei den
Lungen vorhanden ist und dort ein wichtiges Vergleichsmoment mit den
Kiemen des Limulus darbietet.
Der Process der grösseren Ausbreitung der Tracheen im Körper war
höchst wahrscheinlich durch die Anpassung an das Leben in wenig feuchter
Luft bedingt ; er führte zu einer ganz ähnlichen Bildung , wie sie das
Tracheensystem der übrigen luftathmenden Arthropoden darstellt. Bekannt-
lich sind auch die Tracheen der Arachniden vielfach als homolog mit den
Tracheen der übrigen Arthropoden angesehen worden. Die Lungen Hess
man bei dieser Auffassung durch Abplattung und starke Verbreiterung aus
Tracheenröhren hervorgehen. Eine solche Auffassung schien um so eher
berechtigt, als die Tracheen auch bei den Arachniden (Pseudoscorpionen,
Solpugiden, Phalangiden u. a.) mit einem Spiralfaden versehen sein
können und dadurch eine wirklich auffallende Uebereinstimmung in der
Structur mit den Tracheen der Insecten etc. zeigen. Wir haben bereits
dargelegt, dass wir uns einer solchen Auffassung nicht anschliessen können,
sondern für die Respirationsorgane der Arachniden eine gesonderte Ent-
stehung annehmen. Uebrigens muss noch erwähnt werden, dass die Tracheen
der Spinnen des Spiralfadens entbehren , dagegen feine Stacheln an ihrer
Chitinauskleidung besitzen, welche in gleicher Weise auch den Lungen zu-
kommen. Eine weitere Eigenthümlichkeit der Structur, welche die Tracheen
der Arachniden von denjenigen der Insecten unterscheidet, und welche man
in ähnlicher Weise bei den Lungen antrifft (Fig. 382 /"), besteht in feinen
Bindegewebsfasern, die von den Tracheen ausgehen und sich an anderen
Theilen des Körpers inseriren. Entsprechende Bildungen sollen den Tracheen
der Myriopoden und Insecten stets fehlen (Mac Leod, No. 10).
Das gleichzeitige Vorkommen von Lungen und Tracheen im Abdomen
der Spinnen führte schon Leuckakt (No. 8) auf die Raumverhältnisse des
letzteren zurück , welche im breiten vorderen Theil eine massigere Entwick-
lung gestatten, im hinteren Theil aber zur Längsstreckung und weiteren Aus-
breitung in dieser Richtung führen. Es ist hier also ein nur theilweiser
Uebergang zur Athmung durch Tracheen vorhanden, der bei anderen Arach-
niden zur alleinigen Ausbildung eines Tracheensystems führt.
608 XVII. Capitel.
E. Die Spinndrüsen und die Giftdrüse.
Die Spinndrüsen entstehen als Einstülpungen des Ectoderms auf
dem zu Spinnwarzen umgewandelten vierten und fünften Abdominal-
gliedmaassenpaar (Morin, Locy). Diese vier Spinnwarzen sind als die
ursprünglichen zu betrachten und entsprechen wohl den bei den Tetra-
pneumones vorhandenen zwei Paaren (Schimkewitsch). Bei den Di-
pneumones können noch mehr Spinnorgane zur Ausbildung kommen.
Bei ihnen liegt zwischen den vorderen und hinteren Spinnwarzen ein
drittes Paar. Dasselbe ist weniger entwickelt und entbehrt der Gliederung,
welche die beiden anderen besitzen können. Diese documentiren sich
schon dadurch als rückgebildete Extremitäten. Die Spinndrüsen selbst
dürften, wie schon früher bemerkt, als Cruraldrüsen aufzufassen sein.
Die gleiche Bedeutung ist wohl der Giftdrüse zuzuschreiben, welche als
Ectoderm verdickung an der Spitze der Cheliceren entsteht und von da
nach innen vorwuchert (Schimkewitsch).
Die Beziehung der abdominalen Extremitäten zu den verschiedenen
Paaren von Sp innwarzen des ausgebildeten Thieres ist noch nicht als völlig
festgestellt zu betrachten. Wenn zwei Paare mit ihren Drüsen aus den
Extremitäten hervorgehen, ist nicht wohl anzunehmen, dass dass dritte Paar
dazwischen unabhängig von einem Gliedmaassenpaar entstellt, und doch
spricht Salensky von der Anlage eines dritten Paares zwischen den schon
vorhandenen. Auf das Abdominalbeinpaar des dritten Segmentes ein Paar
von Spinnwarzen zurückzuführen, scheint unthunlich, da an seiner Stelle beim
Vorhandensein von vier Lungensäcken (Tetrapneumones) ein Paar der-
selben entstehen dürfte und da dieses Paar bei den Dipneumones zur
Rückbildung gelangen soll, wie Morix angiebt, Dagegen wurde schon früher
darauf hingewiesen (pag. 582), dass ausser den fünf ersten noch ein weiteres
Paar von Abdominalextremitäten vorhanden zu sein scheint und vielleicht
kommt diesem eine Bedeutung bei der Bildung eines Spinnwarzenpaares zu.
Ueber die Entwicklung des vor den vorderen Spinnwarzen gelegenen
Cribrellums und eventuelle Beziehungen desselben zu den abdominalen
Anhängen scheint bisher Genaueres noch nicht festgestellt worden zu sein.
F. Der Darmcanal und seine Anhangsgebilde.
Den Vorderdarm lernten wir bereits als eine zwischen den Kopf-
lappen gelegene und deren Hinterrande genäherte, schon früh auftretende
Einstülpung kennen (Fig. 370 B, pag. 582). Dieselbe verlängert sich nach
hinten (Fig. 383 A und J5), und aus ihr differenziren sich Pharynx, Oeso-
phagus und Saugmagen. An den ersteren und letzteren setzen sich starke
Muskelzüge an, welche nach der Körperwand verlaufen (Fig. 383 A und
B mu) : ein Muskelstrang, welcher vom Pharynx nach dem Rücken des
Cephalothorax zieht, ein anderer, welcher vom Saugmagen aus die gleiche
Richtung nimmt, und zwei laterale Muskeln, die vom Saugmagen aus
nach den Rändern der Sternalplatten verlaufen.
Wie der Vorderarm, bildet auch der Enddarm verschiedene Ab-
schnitte. Er entsteht erst in späterer Zeit, wenn die Umrollung schon
weit gediehen ist, aus einer Einstülpung des letzten Segmentes (Fig. 383
A, ä) und wächst nach vorn aus, doch so, dass sich das Vorderende des
blindgeschlossenen Schlauches stark ausweitet und zu einer Blase wird
Arachnoiden.
609
(Rectalblase, Fig. 383 B, rb), während ein kurzer hinterer Abschnitt, das
eigentliche Rectum, schlauchförmig bleibt.
Der 3Iittel(larm geht bei den Spinnen aus den im Dotter vertheilten
Entodermzellen hervor, wie man aus den in dieser Beziehung ziemlich
übereinstimmenden Angaben der Autoren entnehmen muss. Seine Bil-
dung beginnt am Hinterende des Körpers, und insofern möchte man eine
mu.'
Fig. 383. A und B Längsschnitte durch Embryonen von Theridium macu-
latum in verschieden alten Stadien (nach Mobin).
a After, bl Blutzellen, d Dotter, dz Dotterzellen, g Gehirn, h Herz, l Leberlappen,
m Mund , md Anlage des Mitteldarms , mu Muskeln, n Bauchganglien, rb Kectalblase,
* Andeutung der äusseren Segmentmmg , sp splanchnisches Blatt des Mesoderms,
vd Vorderdarm.
Uebereinstimmung mit dem Verhalten der Scorpione finden; doch tritt
ein ähnlicher Theil der Darmanlage, wie der am Hinterende, auch bald
(vielleicht sogar gleichzeitig) im vorderen Theil des Körpers auf (Fig. 383
A und B, md).
610
XVII. Capitel.
In später Zeit der Entwicklung, erst wenige Tage vor dem Aus-
schlüpfen der Spinne, erscheint am Vorderende des Proktodäums eine
Ansammlung von Entodermzellen (Fig. 383 A, md), die sich bald in regel-
mässiger Weise an der Peripherie des Dotters zu einem Epithel an-
ordnen. So entsteht ein hinten geschlossenes, nach vorn offenes trom-
petenförmiges Gebilde, der hintere Theil der Anlage des Mitt eidarmes
(Fig. 383 B, md). Eine ganz ähnliche Bildung tritt vorn am blinden
Ende des Stomodäums auf (md). Sie entstammt ebenfalls den Dotterzellen,
deren Zahl sich stark vermehrt hat. Indem beide Theile mit ihren weiten,
offenen Enden gegen einander hin wachsen und sich schliesslich ver-
einigen, erhält der Mitteldarm seinen Abschluss. Mit ihm verlöthen so-
dann Vorder- und Enddarm. Ehe dies aber geschieht, macht sich noch
eine Bildung von complicirterer Art bemerkbar, das ist die Leber.
Schon bevor die Ausbildung des Mitteldarmes begann, entstanden an
dein splanchnischen Blatt des Mesoderms, welches (beim Fehlen des
Mitteldarmepithels) dem Dot-
u ter direct anlag, Falten in
ziemlicherAnzahl (Fig. 384/'),
welche in die Dottermasse
hinein wucherten und ein-
zelne Complexe derselben fast
ganz von der Hauptmasse
isolirten (Fig. 383 l). In
diesen abgespaltenen Dotter-
complexen soll später die Bil-
dung des Epithels auf dieselbe
Weise wie in der Haupt-
masse vor sich gehen, näm-
lich dadurch, dass die Dot-
terzellen an die Oberfläche
treten und sich zu einer regel-
mässigen Lage anordnen. (?)
Das so gebildete Epithel liegt
nunmehr dicht unter dem
splanchnischen Blatt des Me-
soderms. — An den Stellen,
wo die abgespaltenen Com-
plexe mit der Hauptmasse
des Dotters in Verbindung
blieben, entstehen die Ausführungsgänge der Leber. Der gelappte Bau
der letzteren entsteht in Folge weiterer Ausbuchtungen der Wandung.
Als Ausstülpungen der Wand des Mitteldarmes werden wohl auch die
Blindsäcke in seinem vorderen thoracalen Theil gebildet (V vgl. pag. 618).
Nach Locy sollen sich (bei Agalena) diese Blindsäcke des Magens in
die Basis der Extremitäten erstrecken, ein Verhalten, welches in auf-
fallender Weise an den Bau der P an top öden erinnern würde.
Die völlige Ausgestaltung des Darmes erfolgt erst spät. Wenn die
Spinne ausschlüpft, ist die Vereinigung der beiden Hauptanlagen des
Mitteldarmes noch nicht erfolgt; es ist also noch die grösste Masse des
Dotters vorhanden, und die junge Spinne vermag sich infolgedessen
während der ersten Zeit ihres freien Lebens noch nicht selbstständig zu
ernähren.
Fig. 384. Querschnitt durch das Abdomen
eines Embryos von Pholcus phalango'ides
(nach Morin).
dz Dotterzellen, / Falten des splanchnischen
Blattes, h Herz, m Muskeln, so somatisches,
sp splanchnisches Blatt des Mesoderms.
Arachnoiden. Q\\
Die Bildung des Darmes wird von Locy und Morin in ziemlich über-
einstimmender Weise behandelt und diese Darstellung lässt sich im Ganzen
auch mit den Angaben von Balfour und Schimkewitsch vereinigen. Ein-
zelne Differenzpunkte sind nicht wichtig genug, um hier darauf einzugehen.
Anders verhält es sich jedoch mit der Entstehungsweise eines wichtigen An-
hangstheiles des Darmes, nämlich der sog. Malpighi' sehen Gefässe, deren
Ursprung von den Autoren in abweichender Weise dargestellt wird.
Als Malphighf sehe Gefässe spricht man zwei lange, schlauchförmige
Anhänge des Darmes an, welche sich ungefähr an der Stelle in den Darm
öffnen, wo der Mitteldarm in den Enddarm übergeht. Bei der Bildung
des Enddarmes wurde darauf hingewiesen, dass derselbe eine weite Auf-
treibung bildet, die Rectalblase, auch Cloake genannt. Bei Agalena.
der in dieser Beziehung am genauesten untersuchten Form, liegt die
Rectalblase dorsal, insofern sich das blinde Ende der hinteren Mittel-
darmanlage mit der ventralen Wand des Enddarms verbindet, und zwar
ziemlich weit hinten, so dass also der grösste Theil der Blase vor der
Einmündungssteile in den Enddarm gelegen ist. Bei Theridium und
P hole us allerdings mündet der Mitteldarm in das vordere Ende der
Blase ein, wenn man nach den von Morin gegebenen Bildern urtheilen
darf (Fig. 383 B). An dem bereits vereinigten Mittel- und Hinterdarm
scheint es sehr schwer zu sein, die Zugehörigkeit der Parthien zum
einen oder zum anderen festzustellen. So kommt es, dass die Ursprungs-
stelle der MALPiGHi'schen Gefässe von den Autoren verschieden gedeutet
wird. Während nach Balfour, Schimkewitsch und Morin die Malpighi-
schen Gefässe vom Proktodäum aus entstehen, treten Locy und Loman
für einen entodermalen Ursprung derselben ein. Die Angaben der bei-
den letzten Autoren lauten bestimmter, als die der vorhergenannten, weil
diese Forscher besonders auf den betreffenden Punkt achteten, was 'bei den
anderen weniger der Fall war.
Locy spricht es ziemlich sicher aus, dass die Malpighi' sehen Gefässe
vom schlauchförmigen Abschnitt der hinteren Mitteldarmanlage entspringen,
und Loman tritt auf Grund der histologischen Beschaffenheit des Darmes
und der Lage der sog. Malpighi7 sehen Gefässe beim ausgebildeten Thiere
entschieden für die entodermale Natur derselben ein. Trotzdem können wir
diesen Punkt noch nicht für völlig entschieden halten, obwohl wir selbst
Gelegenheit hatten, ihn zu prüfen und uns dabei die entodermale Natur der
Schläuche als recht wahrscheinlich entgegentrat1). Es kommt hinzu, dass
auch von den Malpighi' sehen Gelassen der Scorpione bestimmt angegeben
wird, sie würden vom Entoderm geliefert (pag. 553), und dass diejenigen
Angaben, welche von einer ectodermalen Entstehung der Schläuche sprechen,
noch weit weniger beweisend sind.
1) An Schnitten von jungen Spinnen (Tegenaria domestica), welche uns von
Herrn Dr. A. Brauer freundlichst zur Verfügung gestellt wurden, ergab sich die Bildung
des Darmes so, wie es oben für Agalena geschildert wurde: die trompetenförmige,
hintere Mitteldarmanlage mit ihrer ventralen Einmündung in den Enddarm. Die Ver-
bindung von Mitteldarm und Enddarm war schon hergestellt. Es schien ganz so, als
ob die Schläuche vom entodermalen Theil ausgingen, aber völlige Gewissheit war über
diesen Punkt nicht zu erlangen. Derselbe kann mit Sicherheit nur an etwas früheren
Stadien entschieden werden, wenn die Verbindung von Mittel- und Enddarm noch nicht
eingetreten ist; denn aus der Länge der Schläuche in den betreffenden Stadien darf
geschlossen werden, dass sie bereits früher zur Anlage kommen.
612
XVII. Capitel.
Die Herleitung der sog. Malpighi' sehen Gefässe von Mesodermsträngen
und diejenige der Rectalblase von einem dem Schwanzabschnitt zugehörigen
unpaaren Cölomsack (Kishinouye , No. 62) ist nach Allem , was wir von
der Entstehungsweise dieser Gebilde wissen, zu unwahrscheinlich, als dass
wir näher darauf eingehen könnten.
Würde sich die Zugehörigkeit der Schläuche zum Mitteldarm als
sicher ergeben, so wäre damit ein weiterer Charakter gewonnen, welcher
gegen die engere Verwandtschaft der Arachniden mit den Myriopoden
und Insecten spräche. Jene Schläuche müssten dann für ähnliche Bil-
dungen, wie die Anhänge des Mitteldarms bei einigen Crustaceen gehalten
und dürften nicht mehr mit den Malpighi 'sehen Gefässen der Insecten
verglichen werden.
Die mesodermalen Bildungen.
Der noch ungegliederte Keimstreifen (Fig. 365 0, pag. 577) wird zum
Theil durch Erhöhung der Ectodermzellen, welche cylindrische Form an-
nehmen, hauptsächlich aber durch die darunter liegende Mesodermschicht
a.
ma>
mw.
Fig. 385. A — C. A Längsschnitt, B und C Querschnitt durch junge Embryonen
von Theridium maculatum (nach Morin).
b Blastoderm, bl Blutzellen, cl Dotter, dz Dotterzellen, ec Ectoderm, kl Kopflappen,
mes Mesoderm, sl Schwanzlappen, I — VI erstes bis sechstes Segment.
von dem übrigen Blastoderm unterschieden. Das Mesoderm stellt zuerst
ein continuirlicb.es Band dar, welches anfangs in einschichtiger Lage den
ganzen Umfang des Keimstreifens einnimmt (Fig. 385 B), bald aber durch
rege Zellvermehrung mehrschichtig wird und nunmehr eine Differenzirung
Arachnoiden.
613
in der Art erfährt, dass es sich durch einen längs der Mittellinie auf-
tretenden Spalt in zwei Meso denn streifen trennt (Balfour, Locy). Dies
tritt zu einer Zeit ein, wenn der Keimstreifen äusserlich bereits sechs
Segmente aufweist (Fig. 367 A, pag. 579 und Fig. 385 A und C). Die
äussere Segmentirung scheint der inneren voranzugehen, doch tritt auch
die letztere sehr bald ein, indem die Mesodermstreifen in die Ursegmente
zerfallen und in diesen die Segmenthöhlen erscheinen (Fig. 385 A und C).
Zwischen den aufeinander folgenden Ursegmenten bilden sich Zwischen-
räume, die von Mesoderm ganz frei sind (Schimkewitsch , Moein,
Fig. 385 A). Im Kopf- und besonders im Schwanztheil, wo die Diffe-
renzirung des Mesoderms in Ursegmente zuletzt eintritt, bleiben die bei-
den Mesodermstreifen im Zusammenhang. Die Differenzirung erfolgt von
vorn nach hinten, mit Ausnahme der vordersten Segmente, welche, wie
schon früher gezeigt wurde, bei den Spinnen wie auch bei den Scorpionen,
etwas später als die folgenden Segmente des Cephalothorax zur Sonderung
/.?. '-*\ '\ <*?
-3- ^£J
fflßr.
Fig. 380. Längsschnitt durch einen Embryo ran Agalena labyrinthica un-
gefähr im Stadium der Fig. 369 (nach Balfour).
Der Schnitt ist seitlich von der Mittellinie geführt, so dass die Erstreckung der
Ursegmente in die Extremitäten zur Anschauung kommt. Im Innern der Dotter mit
den Dotterzellen.
do die kurze Parthie, welche nicht vom Keimstreifen bedeckt ist, pr.l Scheitel-
lappen, 1 — 16 die Körpersegmente, 1 Cheliceren, 2 Pedipalpen, 3 erstes Beinpaar u. s. f.
gelangen. Die Zahl der Ursegmente entspricht derjenigen der Körper-
segmente in der Weise, dass auf jedes der letzteren ein Paar kommt.
Auch die Kopflappen besitzen ein solches, wie aus den Darstellungen
von Balfour, Morin und Kishinouye zweifellos hervorgeht. Diese Ver-
hältnisse gleichen also den früher für die Scorpione beschriebenen
(Fig. 355 A, pag. 555). Im Cephalothorax und auch im Abdomen, soweit
dasselbe Gliedmaassen besitzt, erstrecken sich die Ursegmente in diese
hinein, ja ziehen sich sogar fast ganz in dieselben zurück (Fig. 386 und
387 A). Naturgemäss betheiligen sich auch die Mesodermstreifen an der
Verlagerung, welche die beiden Hälften des Keimstreifens infolge des
Hervordrängens der Dottermasse an der Ventralseite erfahren. Während
sie vorher neben der ventralen Mittellinie gelegen waren (Fig. 385 C),
erscheinen sie nunmehr weiter von derselben entfernt und durch den
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
40
614
XVII. Capitel.
sog. Dottersack getrennt (Fig. 371 A, pag. 584). Der Umfang der Seg-
menthöhlen nimmt beträchtlich zu, indem sich die Ursegmente gegen
die Dorsalseite ausdehnen (Fig. 387 B). Dieser Vorgang entspricht ganz
demjenigen, welchen wir bereits bei der Cölombildung der Anneliden
kennen lernten (vgl. pag. 192).
Als Derivate der Ursegmente entstehen:
1) aus dem somatischen Blatt die Körpermuskeln, von denen (als
Verdickungen neben der ventralen Mittellinie des Abdomens) besonders
die beiden starken Längsmuskeln zu erwähnen sind, sodann das sub-
cutane Bindegewebe. Auch das Innenskelet soll nach Schimkewitsch vom
somatischen Blatt geliefert werden, doch vermögen wir diese Angabe nur
ganz mit Reserve wiederzugeben Weiter rührt die Bekleidung der durch
Einstülpung des Ectoderms entstehenden Gebilde (Vorder- und Enddarm,
a.
clB.
Fig. 387. A und B Querschnitte durch Embryonen von Theridium rnacu-
latum (nach Morin).
In A ist der um den Dotter gekrümmte Embryo zweimal getroffen und man
erkennt unten die thoracalen Extremitäten und Ursegmente, während oben der Schnitt
die abdominalen Ursegmente trifft. B Querschnitt durch das Abdomen eines älteren
Embryos, in welchem die Ursegmente bereits grössere Ausdehnung erlangt haben.
bl Blutzellen, d Dotter, dz Dotterzellen, ex Extremitäten, l Lungeneinstülpung,
n Anlage der Ganglienkette, us Ursegmente.
Lungen, Drüsen) sammt ihrer Muskulatur, also auch die schon früher er-
wähnte starke Muskulatur des Vorderdarmes, vom somatischen Blatt her.
2) aus dem splanchnischen Blatt die Bekleidung des Mitteldarmes,
das Blutgefässsystem und die Geschlechtsorgane.
Bezüglich der Bildung der Coxaldrüsen muss auf das Verhalten
der Scorpione verwiesen werden (pag. 557; vgl. auch pag. 619).
G. Das Blutgefässsystem und die Leibeshöhle.
Das Blutgefässsystem. Zur Zeit, wenn die Gliedmaassen schon
ausgebildet sind, erscheinen über den Ursegmenten zwischen Ectoderm
und Dotter grosse runde Zellen (Fig. 387 A und B, bl), bezüglich deren
Entstehung die Forscher nicht übereinstimmen.
Arachnoiden.
615
Balfouk, welcher diese Zellen bereits bemerkte, leitete ihren Ursprung
von den Dotterzellen her. Er führte auch die Entstehung des dorsalen
Mesoderms auf diese Zellen zurück (Fig. 371 , pag. 584). Diese letztere
Annahme ist durch die übereinstimmenden Beobachtungen von Schimkewitsch,
Locy und Morin , wonach sich die Ursegmente bis an die dorsale Mittel-
linie ausdehnen, zurückgewiesen. Die in späteren Stadien (Fig. 371)
dorsal sich findenden Zellen gehören demnach den Ursegmenten an, wie in
Fig. 387, B und Fig. 388. Doch sind ausser diesen Zellen noch die er-
wähnten grossen runden Zellen vorhanden (Fig. 387 A und B bl) und in
Bezug auf deren Ursprung schliessen sich auch Schimkewitsch und Locy
der Auffassung Baleour's an , dass dieselben von Dotterzellen herstammen.
Neuerdings vertritt Kishinouye dieselbe Ansicht. Die Beschaffenheit dieser
Zellen scheint eine solche Auffassung zu unterstützen. Sie sind weit umfang-
reicher, als die Zellen der Ursegmente (Fig. 387 A und B) , trotzdem
möchten wir sie im Anschluss an Moein von diesen ableiten und annehmen,
dass ihre Ablösung von den Ursegmenten bereits in frühen Stadien erfolgte,
wenn deren Zellen selbst noch grösser waren. Eine bessere Ernährung in
der Nähe des Dotters wird auch
bei eintretender Yermebrung eine
Yolumvergrösserung der Zellen
bedingen. Für einen solchen
Ursprung der Zellen spricht
übrigens, dass sie nach Schimke-
witsch auch in den Ursegment-
höhlen gefunden werden. Aller-
dings lässt sie dieser Forscher
mittelst Durchbrechens der Seg-
mentwand vom Dotter aus da-
hin gelangen , doch hat diese
Auffassung nicht viel wahr-
scheinliches für sich.
So lange der Ursprung
der einzelnen, zwischen Ecto-
derm und Dotter gelegenen
Zellen nicht sicher erwiesen
ist, nehmen wir sie als Meso-
dermzelleil in Anspruch , ZU- dz Dotterzellen, AHerz, so somatisches, sp splanch-
mal wir glauben möchten, nisches Blatt, sp.w Spinnwarzen.
dass bei ihrer Zurückführung
auf Dotterzellen die Vergleichung mit ähnlichen Vorgängen bei den
Wirbelthieren eine Rolle gespielt hat. Diese vereinzelten Zellen
werden nämlich zu Blutzellen. Dieselben sammeln sich während des
Vorwachsens der Ursegmente am Rücken an (Fig. 387 B) und, da sie
sich ziemlich eng an einander drängen, so bilden sie (hauptsächlich im
Abdomen) eine Art zelligen Stranges, welcher das Zusammenschliessen
der Ursegmente in der dorsalen Mittellinie verhindert (Fig. 388 bl) und
so die Bildung eines dorsalen Mesenteriums, wie es bei den Anneliden
zu Stande kommt, nur theilweise gestattet. Dieselben stossen deshalb
erst über diesem Strang zusammen, um sich sodann auch unterhalb des-
selben zu vereinigen (Fig. 388 und Fig. 389 A). So wird das Herz ge-
bildet, und zwar direct aus der Wand der Ursegmente, so viel man aus
den Angaben der Autoren (Schimkewitsch, Locy, Morin) ersehen kann
40*
sp.w.
Fig. 388. Querschnitt durch das Abdomen
eines Embryos von Pholcus phalangoides
(nach Mokin).
by Bauchganglienkette, bl Blutzellen, d Dotter,
616
XVII. Capitel.
(Fig. 389 A und B). Mit der Ausbildung des Herzens würde infolge-
dessen an dieser Stelle der Zusammenhang der zelligen Elemente der
Ursegmente gelöst werden (Fig. 389 B). Bei der Herzbildung der Anne-
liden spalten sich die betr. Zellen von den Ursegmenten ab und ebenso
verläuft dieser Vorgang bei den Mollusken, wie später gezeigt werden wird.
Die isolirten Zellen, welche sich zu dem Strang vereinigt hatten, werden
zu Blutzellen. Ihre dichte Anlagerung hatte zusammen mit der an sie an-
gedrängten Ursegmentwand die Veranlassung gegeben , das Herz von einer
soliden Mesodermmasse abzuleiten, die sich längs der dorsalen Mittellinie
* c.
Fig. 389. A und B Theile von Querschnitten durch das Abdomen von Embryonen
des Theridium maculatum. Bildung1 des Herzens (nach Morin).
bl Blutzellen, c Cölomhöhle, d Dotter, dz Dotterzellen, ec Ectoderm, h Herz,
so somatisches, sp splanchnisches Blatt.
erstreckt (Balfour), doch bewahrheitet sich diese Auffassung nicht, vielmehr
lässt sich die Bildung des Herzens direct auf den gleichen Vorgang bei den
Anneliden zurückführen. Die Höhlung des Herzens entspricht
einem Theil der primären Leibeshöhle, welcher von den Ur-
segmenten beiderseits umschlossen wird.
Das Herzrohr liegt in einer Einsenkung des Dotters (Fig. 389 B).
Letzterer ist nur vom splanchnischen Blatt des Mesoderms bedeckt, da
das Mitteldarmepithel noch fehlt. Von jenem Theil der Splanchnopleura
soll sich eine Mesodermlamelle abspalten, welche das Herz umwächst
und das Pericardium bildet (Schimkewitsch). Vom somatischen Blatt
aus sollen dann die Flügelmuskeln des Herzens gebildet werden. Als
Arachnoiden. (317
Ausstülpungen des Pericardiums entstehen die Pulmonalvenen, während
die vordere und hintere Aorta, sowie die seitlichen Arterien als Ver-
längerungen des Herzens bezw. als Ausstülpungen desselben ihren Ur-
sprung nehmen (Schimkewitsch).
Während der Hohlraum des Herzens als Theil der primären Leibeshöhle
erscheint, würde der Pericardialraum nach Schimkewitsch einem Theil der
secundären Leibeshöhle entsprechen. Das Pericardium der Arachniden bildet
einen Schlauch und lässt sich mit dem gleichnamigen Gebilde der Insecten
nicht vergleichen. Ehe man aber Sicheres über die Natur des Pericardiums
aussagen kann, müssen noch genauere Angaben über seine Entstehungsweise
abgewartet werden.
Die Leibeshöhle. Wie bei den übrigen Arthropoden, ist auch
bei den Arachniden das Blutgefässsystem gegen die Leibeshöhle nicht
abgeschlossen, sondern die letztere wird direct in die Circulation des
Blutes mit einbezogen. Trotzdem macht sich ein auffallender Unter-
schied in der Bildungsweise der Leibeshöhle gegenüber den Crusta-
ceen, sowie den Myriopoden und Insecten geltend. Während
bei diesen die Ursegmente wenig umfangreich werden und schon früh-
zeitig eine Rückbildung erleiden, erreichen sie bei den Arachniden eine
beinahe so bedeutende Ausdehnung, wie bei den Anneliden (Fig. 387
und 388). Stark entwickelt sind die Ursegmente im Anfang auch bei
Peripatus (Fig. 442, pag. 709), aber diese Form verhält sich doch im
Ganzen so, wie die Insecten, da auch bei ihr sehr bald die Ursegmente
im Wachsthum zurückbleiben und durch Abgabe reichen Zellenmaterials
zum grossen Theil einem baldigen Zerfall unterliegen. Die definitive
Leibeshöhle bildet sich (als Pseudocoel) ausserhalb der Ursegmente.
Etwas anders dürften sich in dieser Beziehung die Arachnoiden verhalten.
Allerdings ist es schwer, aus den vorliegenden Angaben bereits ein
sicheres Urtheil zu gewinnen, da man bisher auf die Bildung der defini-
tiven Leibeshöhle noch wenig Gewicht gelegt hat. So viel ist aber sicher,
dass die Ursegmente noch in ziemlich vorgeschrittenen
Stadien der Entwicklung eine bedeutende Ausdehnung
besitzen (Fig. 388 und 389). Zwischen ihrem somatischen und splanch-
nischen Blatt ist ein ziemlich umfangreicher Hohlraum vorhanden, von
welchem wir annehmen müssen, dass er bei eintretender Vereinigung der
Segmenthöhlen direct in die definitive Leibeshöhle übergeht. Freilich
dürfte wohl auch hier nicht die Leibeshöhle bis zuletzt das Cölom-
epithel bewahren, sondern schliesslich zerfällt die Wand der Urseumente
ebenfalls (Fig. 389 A u. B und Fig. 383 u. 384, pag. 609 u. 610)," indem
sie Muskulatur und Bindegewebselemente liefert, so dass zuletzt auch
bei den Arachniden ein ähnlicher Zustand eintritt, wie er bereits auf
weit früheren Entwicklungsstadien von den Crustaceen, Myrio-
poden und Insecten erreicht wird.
Die Segmentirung des Mesoderms beginnt zu schwinden, wenn die
Ursegmente schon einen ziemlichen Umfang erreicht haben und der
Embryo selbst sich ungefähr auf dem Stadium der Fig. 369 befindet.
Im Cephalothorax fliessen die Segmenthöhlen in einander, indem die
trennenden Wände (Dissepimente) durch Abgabe einzelner Zellen zer-
fallen (Schimkewitsch). Aus diesen einzelnen Zellen werden wahrschein-
lich Blutkörperchen. Die Ursegmente der Scheitellappen scheinen schon
früher mit denjenigen des Chelicerensegmentes zusammengeflossen zu
618 XVII. Capitel.
sein, wenigstens spricht Schimkewitsch von einem Zusammenhang beider,
den er allerdings anders deutet.
Wenn wir Schimkewitsch recht verstehen, so nimmt er an, das Urseg-
mentpaar des Chelicerensegmentes spalte sich von demjenigen des Kopfes ab;
wir würden eher geneigt sein, an das umgekehrte Verhalten zu denken, d. h.
eine Ausdehnung des ersten Rumpfsegmentes in den Kopfabschnitt anzu-
nehmen. Doch scheint aus den vorliegenden Angaben und Abbildungen
zweifellos hervorzugehen , dass dem Kopf- und Chelicerensegment getrennte
Ursegmente zukommen. Dann würde eine ähnliche Vereinigung dieser beiden
Segmentpaare stattfinden , wie sie Kleinenberg für L u m b r i c u s beschrie-
ben hat.
Die beiden Segmenthöhlen des Kopfes vereinigen sich auch unter
sich ; dass im Rumpf ebenfalls eine Vereinigung der beiderseitigen
Segmenthöhlen stattfinden muss, geht schon aus den bei der Bil-
dung des Herzens besprochenen Vorgängen hervor (Fig. 389). Dies gilt
wenigstens für die Dorsalseite; an der Ventralseite sind die Ursegmente
zunächst noch weit von einander entfernt (Fig. 388) , doch rücken
sie allmählich auch gegen die ventrale Mittellinie vor, so dass sie
sich dann um die ganze Masse des Dotters herum erstrecken. Im
Abdomen bleiben die Ursegmente länger getrennt, entsprechend ihrer
späteren Differenzirung. Wenn auch sie niit einander verschmolzen
sind, stellt das Mesoderm zwei umfangreiche Blätter dar, welche in
einander übergehen: ein äusseres, das somatische, und ein inneres, das
splanchnische Blatt, dazwischen die secundäre Leibeshöhle (Schimke-
witsch).
Vom splanchnischen Blatt aus wachsen die schon bei der Bildung
des Darmes erwähnten Falten in den Dotter hinein (Fig. 384, pag. 610),
um auf diese Weise einzelne Complexe von ihm abzutrennen, welche
den späteren Leberlappen entsprechen. Wir möchten hier noch ganz be-
sonders auf das bemerkenswerthe Verhalten aufmerksam machen, dass
der Dotter so lange Zeit allein vom Mesoderm begrenzt wird (Fig. 388
u. 389) und das Mitteldarmepithel erst sehr spät zur Ausbildung kommt
(Fig. 383, pag. 609), ja die Bildung eines umfangreichen Theiles des
Mitteldarmes, diejenige der Leber, scheint sogar durch das Mesoderm
eingeleitet zu werden.
Ob die Vertheilung der Falten der echten Segmentirung entspricht,
scheint zweifelhaft, obwohl das Auftreten von vier Paar seitlicher Falten im
Cephalothorax darauf hinweisen könnte. Es scheint , dass diese den thora-
calen Blindsäcken des Mitteldarmes entsprechen (?), denn auch im Abdomen
tritt eine Anzahl von Falten auf, und sie sind es hauptsächlich, welche zur
Bildung der Leber Veranlassung gehen (Morin). Die in den Dotter ein-
dringenden Falten kommen nicht nur von der Seite her, sondern auch von
oben oder unten und stellen infolgedessen sowohl quergerichtete , wie auch
längsverlaufende Blätter dar (Schimkewitsch), so dass ihre Rückführung auf
die Scheidewände der Somiten, wie sie wohl Balfour im Auge hatte, nicht
durchgängig möglich ist.
Ein dem Fettkörper der Insecten ähnliches Gewebe, welches in der
Leibeshöhle vorhanden ist (Ray Lankester's lacunäres Blutgewebe), lässt
Schimkewitsch wie einen Theil der Blutkörperchen aus den in die Leibeshöhle
eingewanderten Dotterzellen gebildet werden , und diese Zellen sollen sich
auch zu einer „peritonealen Lage" anordnen, welche die inneren Organe
umhüllt. In beiden Fällen werden wir nach dem früher Gesagten geneigt
Arachnoiden.
619
sein, diese Bildungen vom Mesoderm, d. h. von den Ursegmenten herzuleiten,
obwohl solches erst durch genauere Untersuchungen festzustellen wäre.
Beim Vorhandensein eines Peritoneums müsste es von Interesse sein , zu
erfahren, wie sich dasselbe zu dem ursprünglichen Cölomepithel verhält.
H. Die Coxaidrüsen.
Die Coxaidrüsen, welche von den bereits ausgeschlüpften jungen
Spinnen beschrieben werden, zeigen grosse Uebereinstimmung mit denen
der Scorpione, so dass wohl auch ihre Entstehungsweise eine ähnliche
sein dürfte (pag. 557). Nur bei jungen Spinnen Hess sich für gewöhn-
lich ein Ausführungsgang dieser Drüsen nachweisen, welcher an der Basis
der dritten Gangbeine ausmündet (Beetkau, ]STo. 51). Bei den Jungen
von Atypus fand Beetkau auch an den vorderen Beinpaaren ähnliche
und entsprechend gelagerte Spalten, wie die Mündungen der Coxaidrüsen
des dritten Beinpaares, woraus man auf das ursprüngliche Vorhandensein
mehrerer Paare von Coxaidrüsen geschlossen hat.
Wenn Kishinouye die Coxaidrüsen aus einer sich schlauchförmig ver-
längernden Einstülpung des Ectoderms hervorgehen lässt, so widerspricht
dies nicht nur ihrer Bildungsweise beim Scorpion, wo sie aus dem Mesoderm
1TV.
Fig. 390. A — C Theile von Querschnitten von Pholcus phalangoides (A)
und Lycos a saccata (B u. C), welche durch verschiedene Gegenden des Abdomens
der Embryonen geführt wurden (nach Schimkewitsch).
bl Blutzellen, bezw. abgelöste Mesodermzellen, e ectodermale Körperbedeckung,
g (und wohl auch gl) die nach der Ventralseite hinabsteigende Parthie der Genital-
anlage, m mittlere Parthie der Anlage des Bauchstranges, mu Muskeln, n Anlage des
Bauchstranges, so somatisches, sp splanchnisches Blatt des Mesoderms.
entstehen (pag. 557), sondern auch ihrer Beziehung zur Leibeshöhle. Nach
Kishinouye's eigener Angabe öffnet sich nämlich die schlauch-
förmige Anlage der Coxaldrüse an ihrem inneren Ende
trichterförmig in das Cölom, so dass dadurch die auch bisher
schon angenommene Auffassung der Drüse als Nephridium eine Bestätigung
findet, vorausgesetzt , dass sich die betr. Angaben als richtig erweisen. Bei
einer Entstehung aus dem Ectoderm würde man die betr. Organe nicht für
Coxal-, sondern für Cruraldrüsen halten und erwarten müssen, dass sie blind
endigende Schläuche darstellen. Für Nephridien hält aber auch der neueste
Bearbeiter der Coxaidrüsen der Arachnoiden, Sturany (No. 14), diese
620 XVII. Capitel.
Organe. Wenn seine Vermuthung, dass ein Endsäckchen vorhanden ist, wie
bei den Crustaceen, sich als richtig erweist, so müsste dieses wohl einem
Theil der Leibeshöhle entsprechen. Wir verweisen in dieser Beziehung auf
das bei Betrachtung der Coxaldrüsen der Scorpione Gesagte (pag. 557).
I. Die Genitalorgane.
Die Genitalorgane entstehen nach Schimkewitsch im vorderen Theil
des Abdomens innerhalb der beiden Längsfalten des splanchnischen Blattes,
welche von der Ventralseite aus in den Dotter aufsteigen. An dem medianen
Blatt dieser Falten tritt je eine eiförmige Verdickung auf (Fig. 390 Ä).
Dieselbe besteht aus grösseren centralen und flachen peripheren Zellen,
welche letztere eine umhüllende Membran darstellen (Fig. 390 B). Das
Vorderende dieser Gebilde krümmt sich nach der Ventralseite und soll den
Ausführungsgängen entsprechen , während das übrige die Keimdrüsen dar-
stellen soll. Beim Ausschlüpfen der jungen Spinne fehlt die Communication
der Leitungsorgane mit der Aussenwelt noch und wird erst später durch eine
unpaare Ectodermeinstülpung hergestellt (Schimkewitsch).
Die bisherigen Kenntnisse über die Entstehung der Geschlechtsorgane
sind noch zu unvollkommen, um eingehende Vergleichungen zu gestatten,
immerhin geht aus den kurzen Mittheilungen von Schimkewitsch so viel
mit ziemlicher Sicherheit hervor, dass der grösste Theil des Genitalapparates
vom Mesoderm geliefert wird.
VII. Acarinen.
Die Eiablage. Die meisten Milben legen Eier ab, einige (z. ß.
Halarachne) sollen vivipar sein. Andere bezeichnet man als ovovivipar,
indem der Embryo bei der Ablage des Eies schon weit entwickelt ist
und bald nachher ausschlüpft. So verhalten sich z. B. einige Gama-
siclen und Oribatiden. Die Eier der Milben sind von einer mehr
oder weniger starken Schale umgeben, welche zuweilen mit Höckern
oder erhabenen Leisten bedeckt ist. Bei Tyroglyphus setiferus
ist die Schale dick und von feinen Porenkanälen durchsetzt, wahrschein-
lich um das Ei vor dem Zerdrücktwerden zu schützen. Diese Eier fin-
den sich an faulen Strünken u. dergl. Ueberhaupt sind die Orte, an
welchen die Eier der Milben abgelegt werden, entsprechend deren Lebens-
weise, sehr verschiedene. Man findet sie auf feuchter Erde, an Abfällen,
auf Blättern, Früchten u. s. f. Parasitische Milben legen ihre Eier an
oder in den Körper ihres Wirthes ab. Die Eier von Trombidiuin
wrerden in grösseren Häufchen, durch eine Klebmasse vereinigt, abgesetzt.
Zuweilen sind die Eier gestielt; bei Myobia musculi zeigen sie am
hinteren Pol einen Fortsatz, mit dem sie an den Mäusehaaren befestigt
werden. Manche Oribatiden tragen die Eier auf dem Paicken be-
festigt (Haller), andere legen sie in der abgeworfenen Chitinhaut oder
in einem Theil derselben ab (so z.B. Hoplophora). Gewöhnlich sind
die Eier kugelrund (Fig. 391), seltener oval oder länglich wie bei Myobia
(Fig. 392). Im Verhältniss zu ihrer Grösse sind sie sehr dotterreich.
Arachnoiden. 621
1. Die Embryonalentwicklung
©•
Die Embryonalentwicklung ist wegen der geringen Grösse der Eier
schwer zu verfolgen und daher nicht genau bekannt. Die eingehendsten
Angaben rühren noch von Claparüde her (No. 77). Danach tritt bei
Tetranychus telarius an der Oberfläche des Eies ein von Proto-
plasma umgebener Kern auf (Fig. 391 A), welcher sich bald theilt. Durch
wiederholte Theilungen (Fig. 391 B) geht aus ihm eine grössere An-
zahl von Kernen hervor. Jeder dieser Kerne ist von einem riasmahofe
umgeben. Die Kerne bleiben an der Peripherie des Eies liegen, und in-
dem sich ihre Zahl noch weiter vergrössert (Fig. 391 C), entsteht aus
ihnen und dem umgebenden Plasma das Blastoderm.
Fig. 391. Furchimg und Blastodermbildung des Eies von Tetranychus
telarius (nach Claparede, aus Balfouk's Handbuch).
Die Dotterkörner sind durch helle Kreise dargestellt (A und B). Die Kerne mit
dem umgebenden hellen Protoplasmahof sind weit grösser als sie. C ein Ei im Stadium
der Blastodermbildung.
Nach Robin und Megnin (No. 104) soll sich bei den Sarcoptiden
das Ei total furchen. Sie beobachteten bei dem noch im Oviduct befind-
lichen Ei den Zerfall in vier Furchungskugeln. Wenn sich dies wirklich so
verhält, so möchte man an ein weiteres Fortschreiten desselben Processes denken,
der sich schon bei der Furchung' der Spinneneier findet, aber dort noch
nicht zu einem völligen Zerfall des Eies in Furchungskugeln führt. Einer
totalen Furchung soll auch das Ei von Chelifer unterliegen (pag. 560)
und ähnliches wird, wenigstens für die späteren Stadien, auch für die Eier
der Phalangiden angegeben (pag. 564).
Das Blastoderm wurde bei einer Anzahl von Milben beobachtet und
stellt immer eine dünne, den Dotter umschliessende einschichtige Zellen-
lage dar. Bei der weiteren Entwicklung erfährt dieselbe eine Verdickung
derjenigen Parthien, welche der späteren Bauchfläche und zumal der Kopf-,
sowie Schwanzgegend entsprechen. So kommt auch hier ein Keimstreifen
zu Stande (Fig. 392 B), welcher wohl die gleiche Entstehungsweise wie
derjenige anderer Arachniden besitzt. Anfangs stellt er einen gleich-
622
XVII. Capitel.
massig verdickten Streifen dar, später zerfällt er in zwei symmetrische
Hälften, indem sich in der Medianlinie eine Dotterfirste vordrängt. Auch
dies verhält sich also wie bei den Ar aneinen. Der Keimstreifen gliedert
sich (Fig. 392 Ä) ; der Kopf läppen, welcher sich bei M y o b i a wie bei
den Spinnen nach der Dorsalseite herum schlägt (Fig. 392 B), setzt sich
gegen den Rumpf ab und ebenso tritt der Schwanzlappen hervor. Die da-
zwischen gelegene Parthie, welche dem Cephalothorax entspricht, ist in
eine Anzahl von Segmenten gegliedert, an welchen bald die Anlagen der
Mundwerkzeuge und Beinpaare als Stummel hervortreten (Fig. 392 B).
Diese Segmentirung ist bei anderen Milben weniger deutlich, später tritt
sie bekanntlich ganz zurück. Das Abdomen ist, wie man sieht, bei einem
solchen Embryo noch verhältnissmässig umfangreich ; bekanntlich wird es
bei den meisten Milben stark reducirt oder vereinigt sich doch mit dem
Cephalothorax.
Fig. 392. A — B Embryonalentwicklung und Bildung der ersten Larvenhaut bei
Myobia musculi (nach Cl.vparede, aus Balfour's Handbuch).
In _D ist die Eihaut gesprengt und der von der ersten Larvenhaut umgebene
Embryo ist im Begriff, das Ei zu verlassen.
ch Cheliceren, pd Pedipalpen, pt — p3 die ersten drei Beinpaare, pr Rüssel (durch
Verschmelzung von Cheliceren und Pedipalpen entstanden), s1-
mente. Der Dotter ist dunkel gehalten.
-s4 vier postorale Seg-
Ehe noch die Entwicklung so weit vorgeschritten ist, hebt sich bei
Atax vom Embryo eine zarte structurlose Haut ab, welche denselben
in Form einer geschlossenen Hülle, ähnlich einer zweiten Eihaut, um-
giebt (Fig. 393 dm). Bei anderen Milben erfolgt dieser Vorgang erst
später, wenn die Extremitäten bereits vorhanden sind, so dass diese an
der Hülle in Form von Scheiden um die eigentlichen Gliedmaassen er-
scheinen (Fig. 394 dm). Dadurch giebt sich die abgehobene Haut deutlich
als eine Larvenhaut zu erkennen. Von ihr soll später noch die Rede sein.
Die Entwicklung des nunmehr von einer doppelten Hülle um-
schlossenen Embryos geht in der Weise weiter, dass die bisher nur von
der dünnen Zellenschicht des Blastoderms bedeckte Rückenfläche mit in
die weitere Ausbildung des Körpers einbezogen wird. Dies geschieht
wohl durch Vorwachsen der mesodermalen Elemente nach der Rücken-
fläche. Der Dotter behält noch längere Zeit sein früheres Aussehen
Arachnoiden.
623
(Fig. 392-395),
die Bildung des
Keimblätter und
nicht festgestellt
P.-P.T
doch muss man wohl annehmen, dass auch hier schon
Entoderms begonnen hat. Ueber die Ausbildung der
die Anlage der Organe ist bei den Milben Genaueres
worden.
Die Extremitäten des Embryos wachsen in die Länge (Fig. 393 und
395 A) und erhalten ihre Gliederung (Fig. 394). In dem Stadium der
Fig. 393 und zumal den folgenden Sta-
dien zeigen die Embryonen mancher
Milben eine grosse Aehnlichkeit mit
denen der Spinnen (Fig. 393 u. 399 A).
Die Cheliceren und Pedipalpen ver-
einigen sich zur Bildung des Rüssels
(Fig. 395). Das Abdomen überwiegt
jetzt (bei Atax) noch bedeutend
gegenüber dem vorderen Körpertheil
(Fig. 395). Beinpaare sind nur drei
vorhanden, wenn der Embryo die
Hüllen durchbricht und zu freiem
Leben gelangt (Fig. 393—395 ih—lhl
Wir treffen also bei den Milben ein
Larvenstadium an, welches
nur drei Bein paare besitzt
und sich dadurch von dem mit
vier Bein paaren versehenen
ausgebildeten Thier unter-
scheidet; im Uebrigen zeist es aber
mit dem letzteren grosse Ueberein-
stimmung der äusseren und inneren
Organisation.
Am.-
Fig. 393. Embryo von Atax
bonzi, umgeben von der Deutovurn-
membran und der Eihülle (nach Cla-
parede).
ch Cheliceren, d Dotter, dm Deuto-
vummembran, eh Eihaut, kl Kopflappen,
P\ — Pz die drei Beiupaare, ped Pedi-
palpen, sl Schwanzlappen.
3. Die Bildung der Larvenhäute und der weitere
Entwicklungsgang.
Wie erwähnt, wird bei manchen Milben, z. B. Atax, schon in einem
früheren Stadium , wenn die Gliedmaassen noch nicht vorhanden oder
erst angedeutet sind, eine cuticulare Haut vom Embryo abgestossen. So
kommt das „Deutovum" Claparede's zu Stande, d. h. der innerhalb
der Eischale von einer zweiten Hülle umschlossene Embryo (Fig. 393).
Die Aehnlichkeit mit dem Zustand des Eies wird dadurch verstärkt, dass
der Embryo nach der Abstossung der Hülle eine Rückbildung seiner
äusseren Gestalt erfahren kann. Bei T r o m b i d i u m und M y o b i a wird
die cuticulare Haut erst nach der Anlage der Gliedmaassen abgestossen
(Fig. 394). Bei der ersteren Form besitzt sie infolgedessen Anhänge,
welche die Extremitäten wie eine Scheide umschliessen (Henking).
Myobia zeigt jedoch andere Verhältnisse (Claparede). Die Extremi-
täten sind hier in der gewöhnlichen Weise gebildet worden (Fig. 392 B).
Wenn sie bereits etwas in die Länge gewachsen sind, legen sie sich
dicht an die Bauchfläche an und flachen sich allmählich so stark ab,
dass sie kaum noch über die Oberfläche des Körpers vorragen. Der
ganze Embryo stellt nunmehr wieder einen ovalen anhangslosen Körper
dar (Fig. 392 C). In diesem Zustande löst sich von ihm eine cuticulare
Hülle ab, welche in der Gegend des Vorderendes dorsal (im Nacken,
624
XVII. Capitel.
wie Claparede sagt) ein zahnartiges Gebilde trägt. Dasselbe setzt sich
aus zwei dicht an einander gedrängten dünnen Chitinspangen zusammen.
In den Figuren 392 C und D ist dieses Gebilde nicht gut dargestellt
und erscheint eher wie ein Spalt (an der linken Seite der inneren Hülle).
Claparede glaubt, dass der Zahn zur Sprengung der Eihüllen dient.
Also hat derselbe die gleiche Function wie der Eizahn der Spinnen
(pag. 588), doch braucht kaum besonders bemerkt zu werden, dass in
Folge der verschiedenen Lagerung eine Homologie beider Gebilde nicht
vorliegt. Eher Hesse sich dasselbe noch mit dem Eizahn der Pha-
langiden vergleichen (pag. 565).
Der Embryo tritt, umgeben von der cuticularen Hülle, aus der Ei-
schale heraus (Fig. 392 D), bleibt aber noch zum grössten Theil von ihr
umhüllt, Dies erinnert an die Bildung der Cuticularhaut bei den Spinnen,
welche schon im Ei angelegt
wird und den ausgeschlüpften,
noch bewegungslosen Embryo
umhüllt. Jetzt sprossen die
Gliedmaassen abermals hervor,
werden aber in ähnlicher Weise
wie vorher zurückgebildet und
eine zweite cuticulare Haut wird
abgestossen, so dass der grössere
Theil des Embryos ausser von
der Eischale von zwei weiteren
Häuten umschlossen wird. Da-
mit ist das „Tritovum"
Claparede's gebildet. In ihm
erreicht der Embryo die Gestal-
tung, in welcher er als sechs-
füssige Larve das Ei verlässt.
Myobia zeigt durch die
Abscheidung zweier Häute inner-
halb des Eies besonders compli-
cirte Verhältnisse. So weit be-
kannt, wird gewöhnlich nur
eine solche Hülle im Ei ge-
bildet (Fig. 393). Aufzufassen
ist die Bildung dieser Hüllen
im Ei wahrscheinlich als eine
die wohl ursprünglich während
z.
cedc/.
Fig.
seclisbeinige Larve von
394. Die
T r o m b i d i u m f u 1 i g i n o s u m , umschlossen
von der Deutovummembran (nach Henking).
abd Abdomen, ch Cheliceren, d Dotter
(Mitteldarm), dm Deutovummembran, px — p3
erstes bis drittes Beinpaar, ped Pedipalpen,
st „Stigma", ut „Urtrachee", - isolirte Zellen
unter der Deutovummembran.
schon sehr früh eintretende Häutung,
des Larvenlebens stattfand. Diese Auffassung
dass im späteren Entwicklungsgang mehrere
wird dadurch
ganz ähnlich
unterstützt,
verlaufende
Häutungen auftreten. Der Embryo kann auch thatsächlich , von dieser
ersten Larvenhaut umgeben, das Ei verlassen. Bei Myobia wird die
Eischale allerdings nur gesprengt, um einen Theil des „Deutovums"
heraustreten zu lassen (Fig. 392 D), bei anderen Milben jedoch, z. B.
bei Atax und Trombidium, wird die Eischale ganz abgeworfen und
der Embryo (oder eigentlich die Larve) macht, nur von der Deutovum-
membran umgeben, die weitere Entwicklung durch (Fig. 394 u. Fig. 395 A
und B). Die Extremitäten erhalten erst jetzt ihre Gliederung, die Augen
treten auf und die innere Organisation vervollständigt sich (Fig. 395 B).
Die Eier von Atax bonzi werden in das Gewebe der Muschel
(Unio) abgelegt, in welcher die Milbe lebt. Hier findet sich also auch
Arachnoiden.
625
das „Deutovum". Wenn der Embryo die gehörige Reife erreicht hat,
durchbricht er die Hülle und gelangt als sechsbeinige Larve in die
Mantelhöhle der Muschel. Bei anderen Milben führt die Larve ein freies
Leben.
Die Bildung von Larvenhäuten innerhalb des Eies erinnert an die bei
den Crustaceen unter ähnlichen Umständen sich abspielenden Vorgänge.
Die frühe Abscheidung der cuticularen Hülle, wie sie z. B. von Atax be-
schrieben wurde, findet ihr Analogon in der Bildung der Cuticula blasto-
dermica vieler Krebse. Sackförmig ist auch die Hülle, in welcher der Em-
bryo von A p u s das Ei verlässt, um wahrscheinlich in ihr noch einen Theil
seiner Entwicklung bis zum Nauplius durchzumachen. Andere Larvenhäute
von Crustaceen werden, wie bei einigen Milben, erst später gebildet und sind
in Folge dessen schon mit Anhängen versehen (vgl. pag. 322).
R.
B.
Fig. 395. A und B die sechsbeinige Larve von Atax bonzi in der Deutovum-
membran. Zwei verschiedene Entwicklungsstadien (nach Claparede).
au Auge, ch Cheliceren, d Dotter, dm Deutovummembran, kl Kopf läppen, px — p3
die drei Beinpaare, ped Pedipalpen, r Küssel (grösstentheils aus den Cheliceren hervor-
gegangen), sl Schwanzlappen, z Zellen zwischen der Körperhaut und der äusseren
Membran („Hämamöben").
Die Larve. Die sechsbeinige Larve der Milben zeigt im
Ganzen eine grosse Uebereinstimmung des Baues mit den
ausgebildeten Thieren. Es ist dies zumal dann der Fall, wenn
die Larve die gleiche Lebensweise wie die Imago besitzt, was beispiels-
weise bei den Halacariden (Halacarus spinifer nach Lohmann,
No. 92) der Fall ist. Aehnlich verhalten sich manche Trombidinen,
während andere Angehörige dieser Familie Abweichungen im Bau der
Larve vom ausgebildeten Thier zeigen. Diese Verschiedenheiten bestehen
hauptsächlich in einem etwas primitiveren Verhalten der Larvenorgani-
sation. Hervorzuheben ist hiervon besonders die Segmentirung des
Körpers. Beim Embryo von Tyrogiyphus siro tritt an der hinteren
626 XVII. Capitel.
Parthie des Cephalothorax eine deutliche Gliederimg in drei Segmente
hervor, welche auch noch bei der Larve nachzuweisen ist (Claparede).
Diese Segmente entsprechen den Beinpaaren. Bei der Larve von Troin-
b i d i u m lässt sich eine Gliederung des Cephalothorax in sechs Abschnitte
erkennen, welche den Gliedmaassenpaaren entsprechen (Henking). So-
gar das Abdomen zeigt noch eine Gliederung, so bei Trombidium
(Fig. 394), und den Oribatiden (Henking, Michael, No. 97). Es
ist dann umfangreicher , als dies bei der in Fig. 396 abgebildeten
G am asus- Larve der Fall ist. Uebrigens kann die Segmentirung des
Abdomens in einzelnen Fällen erhalten bleiben, wie der von Kramer
(No. 89) beschriebene Alycus roseus beweist. Bei dieser Milbe zer-
fällt das Abdomen des ausgebildeten Weibchens in sieben deutliche Seg-
mente, und auch am Thorax ist noch eine Gliederung zu erkennen. Eine
Segmentirung des Cephalothorax und Abdomens scheint auch bei Ange-
hörigen der Gattung Dendroptus nachweisbar zu sein (Kramer, No. 87
und 88).
Die besonders von G. Haller (No. 83) vertretene und durch A. C.
Oüdemans (No. 11) vertheidigte Auffassung, wonach bei den Milben eine
grössere Anzahl von Mundgliedmaassen als bisher angenommen wurde, vor-
handen sei (drei bis vier Paare) und wonach aus dem häufigen Auftreten
einer zwischen dem zweiten und dritten Beinpaar gelegenen Furche ge-
schlossen wird, dass die hinter dieser Furche gelegene Parthie des Körpers
dem Abdomen zugehöre, die beiden hinteren Beinpaare also Abdominal-
extremitäten seien, wird durch die Ergebnisse der Entwicklungsgeschichte
nicht bestätigt. Diese lässt vielmehr nur die Anlage der beiden längst be-
kannten Paare von Mundwerkzeugen (Cheliceren und Pedipalpen) erkennen
(Fig. 393—395). Bezüglich der Auffassung der beiden hinteren Beinpaare
als Abdominalextremitäten weist Henking ausdrücklich darauf hin, dass die-
selbe für Trombidium nicht zutreffe. Dasselbe gilt auch für die Ent-
wicklung anderer Milben.
Die Mundwerkzeuge der Larve zeigen bereits den Charakter der-
jenigen des ausgebildeten Thieres, d. h. die Cheliceren sind zur Bildung
eines Rüssels vereinigt, an welcher sich auch die basalen Parthien der
Pedipalpen betheiligen (Fig. 395 B). Der grösste Theil der letzteren stellt
die Taster dar. Der Hohlraum des Rüssels führt in einen muskulösen
Pharynx, an den sich der cylindrische Oesophagus anschliesst. Dieser
durchsetzt das Central nervensy stein , welches (bei Trombidium nach
Henking) aus einer voluminösen Bauchganglienmasse und dem weniger
umfangreichen Gehirn besteht. Der Oesophagus geht in den geräumigen
Mitteldarm über, welcher Leberblindsäcke nach vorn und hinten aussendet
(Fig. 396 Is). Der Mitteldarm verschmälert sich nach hinten wieder und
mündet in die Rectalblase ein. Hier entspringen die beiden umfang-
reichen „MALPiGHfschen Gefässe" (wn), welche man bisher als Aus-
stülpungen des Enddarmes angesprochen hat.
Wenn sich die sog. Malpighi' sehen Gefässe der Scorpione und
Araneinen als Divertikel des Mitteldarmes erweisen sollten, wie zu ver-
muthen ist (vgl. pag. 553 u. 611), so müssten auch die MALPiGHi'schen Gefässe
der Milben daraufhin genauer geprüft werden. Da der Enddarm der Milben
gegenüber dem Mitteldarm eine gewisse Selbstständigkeit erlangt (Henking,
Mac Leod), so würde dadurch die Entscheidung der Frage nach der Natur
jener Anhänge bei den Milben möglicher Weise erleichtert werden.
Arachnoiden.
627
Der After liegt am Ende des Abdomens oder ist, wie bei Trom-
bidium, mehr nach vorn gerückt. Bei Trombidium zeigt der Mittel-
darm an der Grenze zwischen Thorax und Abdomen eine Einschnürung,
und hier liegen (im ersten Abdominalsegment) zwei bohnenförmige Körper,
welche Henking für die Anlagen der Keimdrüsen hält. Dieselben wür-
Fig-. 396. Larve von Gamasus fucorum (nach Winkleb, ans Lang's
Lehrbuch).
1 Cheliceren, 2 Pedipalpen (Taster), .3 — 5 Gangbeine, ac Aorta cephalia, g Gehirn,
h Herz , Is Leberblindsäcke , m Muskeln (Retractoren der Cheliceren) , md Mitteldarm,
r Rectalblase, vm Malpighi'sche Gefässe.
den also anfangs paarig sein und erst im Lauf der weiteren Entwicklung
zu der unpaaren Keimdrüse verschmelzen, welche man vom ausgebildeten
Thier kennt.
628 XVII. Capitel.
Von inneren Organen ist noch das Herz zu erwähnen, welches zwar
nicht bei den Larven aller, aber doch einiger Milben vorhanden ist. Bei
Gamasus liegt es als rundliches Gebilde am Ende des Abdomens
(Fig. 396 h). Es besitzt ein Paar Spalten und geht nach vorn in eine
Aorta über. Durch Bindegewebs-(oder Muskel-)fasern ist es an der
Rückendecke suspendirt.
Die gedrungene Form des Herzens steht im Zusammenhang mit der
Reduction, welche der Körper der Milben überhaupt erlitten hat. Winkleb,
welcher diese Verhältnisse genauer studirte (No. 105), macht darauf auf-
merksam, dass bei den Pseudoscorpionen (Jugendform von Obisium
silvaticum) das Herz zwar noch ziemlich lang gestreckt ist, aber doch
nur ein Spaltenpaar (am hinteren Ende) besitzt. Ebenfalls reducirt, aber
in geringerem Maasse, erweist sich das Herz junger Phalangiden, bei
denen noch zwei Spaltenpaare vorhanden sind.
Bei den Larven von Trombidium liegt zwischen dem ersten und
zweiten Beinpaar jederseits ein halbmondförmiges Gebilde (Fig. 394 uf),
welches durch eine Verdickung der Chitinhaut hervorgebracht wird. Im
Stadium des Deutovum setzt sich daran aussen ein trichterförmiges Ge-
bilde an, welches sich mit seinem verjüngten Ende an die Deutovum-
Membran befestigt. Hier befindet sich eine Oeffhung (Fig. 394 sf),
wrelche Henking ebenso wie das halbmondförmige Gebilde an der Körper-
oberfläche der Larve für ein Stigma anzusehen geneigt ist. Diese Oeff-
nung führt durch Vermittelung jenes Trichters dem Embryo Luft zu.
Bei der Häutung löst sich natürlich der Trichter vom Stigma ab (Fig. 394).
Solche „Urtracheen" finden sich auch bei den Larven anderer Milben in
entsprechender Lagerung.
Die frei lebenden Larven besitzen gewöhnlich ein Paar Augen oder
Doppelaugen, welche am vorderen Rande des Gehirnes liegen. Da dieses
selbst weit nach hinten gerückt erscheint, so sieht man auch die Augen
weit hinten über der Basis des zweiten Beinpaares liegen (so bei T r o m -
bidium, Atax, Tetranychus). Die mittlere Parthie des Cephalo-
thorax ist also ventral unter die vorderen Parthien desselben gerückt.
Die Nymphe. Nachdem die Larve je nach ihrer Lebensweise längere
oder kürzere Zeit in der beschriebenen Gestaltung verharrte, schickt, sie
sich zu ihrer weiteren Verwandlung an. Bei Atax bonzi geschieht
dies, indem sich die Larve in das Kiemengewebe der Muschel einbohrt
und hier ihre Beweglichkeit verliert. Jetzt lösen sich die Weichtheile
von der Chitinhülle ab ; die der Extremitäten ziehen sich wie aus einem
Futteral aus der Chitinbekleidung heraus. Die Chitinhülle selbst schwillt
durch Aufnahme von Wasser ins Innere stark an und der Körper, welcher
sich mit einer neuen Chitinhülle bekleidet, .schwimmt innerhalb der weit
abstehenden Hülle. Der Körper selbst ist beinahe kugelförmig gewor-
den, indem die Extremitäten fast ganz zurückgebildet wurden, ähnlich
wie dies schon früher für Myobia bei der Bildung des Larvenkörpers
beschrieben wurde. Die Extremitäten sprossen dann wieder hervor, und
zwar ist ein viertes Beinpaar hinzugekommen. Die so zu Stande ge-
kommene Form stimmt noch mehr, auch in der Zahl der Extremitäten,
mit dem ausgebildeten Thier überein, doch erreicht sie noch nicht völlig
dessen Ausbildungsstufe und Geschlechtsreife. Sie wird als N y m p h e
bezeichnet und gelangt zu freiem Leben, indem sie die Larvenhaut
durchbricht.
Arachnoiden.
629
Das neu hinzukommende Beinpaar ist jedenfalls das vierte. So verhält
es sich wenigstens in einigen sicher beobachteten Fällen, z. B. bei Trom-
bidium (nach Henking), sowie bei Ixodes und einer anderen von Kramer
beobachteten zur Gattung Dendroptus gehörigen Milbe, obgleich andrer-
seits von Kramer (No. 87) bestimmt angegeben wird, dass bei den Wasser-
milben, speciell bei der Gattung Nesaea eines der beiden ersten Beinpaare
neu hinzukäme. Lohmann beobachtete, dass das zweite Beinpaar bei den
Halacariden sich besonders langsam ausbildet, obwohl auch er das vierte
Beinpaar als das neu hinzukommende ansieht. Oudemans (No. 11) dagegen
legt besonderes Gewicht darauf, dass bei den Larven der Oribatiden das
neu hinzukommende Beinpaar zwischen das erste und zweite der schon vor-
handenen eingeschoben würde.
R.
B.
luti^LJU
R J2l B i
ft-f* w p,
ih
Fig. 397. A— C Larve von Trombidium fuligi u osum im Stadium der
Bildung von Puppe und Nymphe (nach Henking).
au Auge, ed Enddarm, px — p3 Beinpaare der Larve, r Rüssel (Cheliceren und
Pedipalpen) der Larve, Ch Cheliceren, Ped Pedipalpen, P1 — P4 Beinpaare der Nymphe,
ut Urtrachee, zh Zwischenhaut.
Der Uebergang der Larve zur Nymphe vollzieht sich bei anderen
Formen in minder einfacher Weise, als dies oben geschildert wurde. Die
sechsbeinige Larve von Rhyncholophus oedipodarum, welche sich
am Körper einer Oedipoda festsetzt, häutet sich hier, und unter der
Haut kommt eine sackartige Hülle ohne Anhänge zur Ausbildung, ähn-
lich dem Deutovum. Von diesem Gebilde wird die Larvenhaut abge-
streift, bleibt aber daran hängen und bedeckt das hintere Drittel des
Körpers als durchsichtiges Häutchen, an dem noch die drei Larven-
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
41
630 XVII. Capitel.
beine zu erkennen sind. Es wird also hier eine Puppe gebildet, welche
auf die sechsbeinige Larve folgt. Aus ihr geht die Nymphe hervor
(v. Frauenfeld No. 79).
Die Vorgänge bei Rhyncholophus machen die complicirten Bil-
dungsprozesse verständlich, wie sie nach Henking bei Trombidium
stattfinden. Dort geht die Larve wie in den vorher besprochenen Fällen
ebenfalls in ein Ruhestadium über. Die Larven, welche ihren Darm
durch das Aussaugen von Blattläusen prall gefüllt haben, verkriechen
sich in die Erde. Ihr Körper bläht sich auf, die Weichtheile ziehen sich
von der Chitinhülle zurück. Dabei finden jedenfalls wie bei der Ver-
puppung der Insecten histolytische Prozesse statt, denn die Gewebe
nehmen ein mehr oder weniger degenerirtes Aussehen an (Henking,
No. 85, Michael, No. 97). Nach Gudden (No. 81) und Megnin (No. 96)
findet sogar eine völlige Auflösung der Gewebe statt, wodurch die Aehn-
lichkeit mit der Verpuppung der Insecten noch erhöht wird. Aehnliche
Vorgänge wiederholen sich beim Uebergang der Nymphe in die Imago
und vollzogen sich' wohl auch schon bei der Bildung der Larve im Ei
(Deutovum und Tritovum).
Durch das Zurückziehen der Weichtheile von der Larvenhaut er-
scheint diese nur noch als blosse Hülle um den inneren Körper (Fig. 397
A), welcher Eindruck noch dadurch erhöht wird, dass die leer gewor-
denen Extremitäten gewöhnlich abbrechen (Fig. 397 A—C). Innerhalb
der alten Larvenhaut findet nun nach Henking abermals die Bildung
einer cuticularen Haut statt, welche nicht zur definitiven Chitinhaut der
Nymphe wird, sondern der Puppenhülle von Rhyncholophus ent-
spricht. Diese Haut (die sog. Zwischenhaut [Claparede] oder das Apo-
derma [Henking]) ist bei Trombidium nicht wie bei der letztgenannten
Form sackförmig, sondern uinscheidet die jetzt schon vorhandenen Extre-
mitäten der Nymphe (Fig. 397 G). Unter dieser Haut kommt erst die
Chitindecke der Nymphe zur Ausbildung. Es scheint, dass die Puppe
die Larvenhaut abwerfen kann, doch tritt dies für gewöhnlich nicht ein,
sondern die zum Ausschlüpfen reife Nymphe durchbricht beide Häute.
Die über die Bildungsweise der Zwischenhaut gemachten Angaben (Hen-
king) erscheinen uns als etwas dunkler Natur. Danach soll diese Zwischen-
haut ebensowohl wie die später beim Uebergang der Nymphe in die Imago
gebildete und die jedenfalls entsprechende „Deutovum" -Membran von den
unter der alten Larvenhaut, bezw. Eischale auftretenden einzelnen Zellen
(Fig. 395 A und B, z, Claparede's Hämamöben) ausgeschieden werden.
In diesem Falle würde die Auffassung des Vorganges als Häutungsprocess
erschwert sein. Henking' s Angaben lauten in dieser Hinsicht nicht völlig
bestimmt, und wir sind geneigt, an ein Abheben der Zwischenhaut von der
unterliegenden Hypodermis zu denken, wie sie bei der Bildung der darüber
gelegenen Larvenhaut stattfindet.
Der Ueber£aii£ der Nymphe iu das ausgebildete Thier erfolgt
unter ganz ähnlichen Erscheinungen wie derjenige von der Larve zur
Nymphe. Die letztere verbirgt sich und wird zu einer ruhenden Puppe.
Unter der alten Nymphenhaut kommt wieder eine Zwischenhaut und
die neue Chitindecke zur Ausbildung (Fig. 398 zh). Die Extremitäten der
Nymphe, die wie früher leer geworden sind, werden theil weise abge-
stossen (Fig. 398) ; die Nymphenhaut selbst beginnt stellenweise abzu-
bröckeln, und das fertige Thier durchbricht schliesslich die umgebenden
Arachnoiden.
631
Häute, um als Imago zu neuem Leben zu gelangen. Es ist grösser als
die Nymphe, aber kleiner als die Imago zur Zeit der Geschlechtsreife,
doch besitzt es deren Organisation. Durch weiteres Wachsthum und
völlige Ausbildung der Genitalorgane erreicht die junge Milbe die Ge-
schlechtsreife.
Wie schon erwähnt, finden auch beim Uebergang der Nymphe zur Imago
histolytische Processe statt. Dieselben erstrecken sich übrigens nicht auf
alle Organe; so bleiben die Genitalorgane davon völlig verschont. — Das
Tracheensystem der Nymphe, dessen Stigma an der Basis der Cheliceren liegt,
geht nicht in das ausgebildete Thier
über, sondern der Tracheenstamm bleibt
in der abgeworfenen Larvenhaut zurück
(Henking). Die früher (pag. 6 2 8) erwähn-
ten „Urtracheen" haben mit dem de-
finitiven Tracheensystem nichts zu thun.
Zusammenfassung. Abweich-
ungen von dem gewöhnlichen Ent-
wicklungsgang. Die Entwick-
lung der Milben vom Ei bis
zum ausgebildeten Thier
stellt sich dar als eine Auf-
einanderfolge mehrerer Lar-
ven und Puppenstadien.
Schon innerhalb des Eies tritt ein
Zustand ein, welcher mit den späte-
ren Puppenstadien grösste Aehnlich-
keit hat (das Deutovum). Auf ihn
folgt nach Abwerfung der Haut die
freie, mit sechs Beinen versehene
Larve. Diese begiebt sich zur
Ruhe und in ihr entwickelt sich
direct oder unter Bildung einer Pup-
penhaut die achtbeinige Nymphe.
Auch sie macht einen Ruhezustand
durch und aus ihr geht dann nach
Abwerfung der Nymphenhaut oder
unter abermaliger Bildung einer
Puppenhülle die junge Milbe in der
Gestaltung des
Thieres hervor.
geschlechtsreifen
Fig. 398. Nymphe von Trom-
bidium fuliginosum im Stadium der
Ausbildung von Puppe und Imago (nach
Henking).
a After, Ch Cheliceren der Imago,
Pt — Pt Beinpaare, Ted Pedipalpen der
Imago , Px — Pi Beinpaare der Nymphe
(zum Theil abgebrochen), r Rüssel (Che-
liceren und Pedipalpen) der Nymphe,
zh Zwischenhaut.
Die vorstehende Schilderung soll
nur im Allgemeinen ein Bild vom Ent-
wicklungsgang der Milben geben, kann aber durchaus nicht für eine er-
schöpfende Darstellung dieser Verhältnisse gelten, schon deshalb nicht, weil
die Entwicklung bei den einzelnen Familien, Gattungen und Arten in diesem
und jenem Punkt differirt. Bei der Fülle der vorliegenden (freilich nicht
immer sehr verlässlichen) Angaben über die postembryonale Entwicklung und
bei den vielfachen Verschiedenheiten, die sich hierbei in grösserem oder
geringerem Umfang ergeben, würde eine solche erschöpfende Darstellung
weit über den Rahmen unseres Lehrbuches hinausgehen. Es wird deshalb
41*
632 XVII. Capitel.
für eine noch eingehendere Orientirung auf die angezogene Litteratur ver-
wiesen , doch müssen einige Besonderheiten in der Entwicklung noch zur
Sprache gebracht werden.
Die Bildung der Deutovum - Membran im Ei ist allem Anschein nach
eine bei den Milben weit verbreitete Erscheinung, und doch scheint es un-
zweifelhaft, dass sie einigen Milben fehlt; so schlüpfen nach Clapakede's
Angabe, welcher auf diesen Punkt besonders achtete, die sechsbeinigen
Larven von Tetranychus direct aus der Eischale hervor, ohne dass sie
vorher von einer besonderen Chitinhülle umgeben waren. Aehnlich verhält
es sich mit dem Auftreten der sechsbeinigen Larve. Obwohl diese den meisten
Familien zukommt x), weichen einige Milben von dieser Regel ab. So finden
sich bei den Phytopten vierfüssige, d. h. mit nur zwei Beinpaaren ver-
sehene Larven , und man ist geneigt gewesen , darin ein ursprüngliches
Verhalten zu sehen. Da aber nach Nalepa (No. 100 und 101) auch
die ausgebildeten Phytopten nur im Besitz von vier Beinen sind , so
wird man dieses Verhalten der Larven ebenso wie dasjenige der Imagines
als ein secundäres anzusehen haben. Das starke Ueberwiegen des Abdomens
und die dadurch bedingte Längsstreckung des Körpers der Phytopten
dürfte ebenfalls nicht als ein ursprüngliches Verhalten zu betrachten sein.
Von Interesse ist in dieser Beziehung der Vergleich mit den Haarbalgmilben,
deren Abdomen ebenfalls stark in die Länge gestreckt ist. Bei ihnen tritt
die sechsbeinige Larve auf und macht, soweit die Angaben von Czokor
(No. 78) dies erkennen lassen, einen Entwicklungsgang durch, welcher mit
den oben geschilderten Verhältnissen im "Wesentlichen übereinstimmt.
Aus dem Auftreten vierfüssiger Larven glaubte man im Hinblick auf
die Umwandlung der sechsbeinigen Larve in die achtbeinige Nymphe schliessen
zu können, dass möglicherweise die vierfüssige Form ursprünglicher und die
sechsfüssige Larve auf sie zurückzuführen sei. Es wurde schon darauf hin-
gewiesen, dass ein solcher Schluss nicht berechtigt ist. Die Auffassung der
sechsbeinigen Larve erscheint nun durch eine Beobachtung Winkler's an
Gamasus in eigener Beleuchtung. Die betr. Milbe, Gamasus crassipes,
besitzt sechsbeinige Larven. An den jüngeren Embryonen fand Winkler
jedoch deutlich vier Beinpaare entwickelt (Fig. 399, A und B). Seine
Darstellung ist so klar, dass ein Zweifel hier beinahe ausgeschlossen erscheint.
Man muss annehmen, dass bei einer innerhalb des Eies verlaufenden Häutung
(Bildung des Deutovums) ein Beinpaar zur Rückbildung gelangt. Kurz vor
dem Ausschlüpfen des Embryos, wenn die Beine schon mit den charakte-
ristischen Borsten bewaffnet sind, finden sich deren nur noch drei (Fig. 399, C).
Dieses Verhalten, welches anzuzweifeln wir kaum berechtigt sind, wirft ein
klares Licht auf die secundäre Entstehung der sechsbeinigen Larve.
Die von Winklee beobachteten Embryonen des Gamasus crassipes
erscheinen in dem achtbeinigen Stadium auf weit niederer Stufe als auf dem
sechsbeinigen Stadium (Fig. A — -C). Wir nehmen daher an, dass bei dieser
Form ein Verhalten ausgeschlossen ist, wie es z. B. Pteroptus vesper-
ti Monis zeigt. Diese Milbe hat einen abgekürzten Entwicklungs-
gang. Der Embryo gelangt mit acht Beinen versehen , also auf dem
Stadium der Nymphe , zu freiem Leben. Es konnte aber gezeigt werden,
dass der Embryo innerhalb des Eies und noch im Mutterthier das sechs-
beinige Stadium durchläuft (Nitzsch).
1) Die sechsfüssige Larve wurde beobachtet bei den Tetranychiden,
Hydrachniden, Halacariden, Oribatiden, Trombididen, Gamasiden,
Ixodiden, Tyroglyphcn, Dermaleichen, Sarcoptiden, Demodiciden u. a.
Arachnoiden.
633
Als Nymphe verlässt auch Limnesia pardina das Ei (Neuman).
Die Jungen der Phytopten sind beim Ausschlüpfen den Geschlechtsthieren
schon sehr ähnlich. Wie diese besitzen sie nur zwei Paar Beine. Die
Mundwerkzeuge sind völlig ausgebildet. Der Unterschied von den ausge-
bildeten Thieren besteht hauptsächlich in dem Mangel der äusseren Genitalien.
Bei einer zweimaligen Häutung werden auch diese erworben. Die Milben können
nun zur Fortpflanzung schreiten (Nalepa, No. 100). Noch mehr abgekürzt
erscheint die Entwicklung bei Sphaerogyna ventricosa. Diese Milbe,
deren Weibchen sich durch eine mächtige Anschwellung des Hinterleibes aus-
zeichnen, ist ovo-vivipar. Aus den Eiern gehen nach der Ablage die geschlechts-
reifen Männchen und Weibchen hervor, welche sich schon bald nach der
Geburt begatten. (Laboulbene und Megnin.)
^
■/ie*£
Fig. 399. A- C Embryonen von Gamasus crassipes nach Entfernung der
äusseren Eihülle. Verschiedene Altersstadien (nach Winkler).
abd Abdomen, ch Chelieeren, d Dotter, eh die cuticulare Embryonalhaut,
kl Kopflappen, ped Pedipalpen, pl — p± Beinpaare, sl Schwanzlappen.
Eine Verlängerung des Entwicklungsganges kann dadurch eintreten,
dass auf die aus der Larve hervorgegangene Nymphe noch ein zweites
Nymphenstadium von ungefähr gleicher Gestaltung folgt, wie dies bei Hal-
acarus spinifer der Fall ist (Lohmaxn, No. 92). Aehnliche Verhält-
nisse finden sich auch bei verschiedenen Gamasiden (Krämer, No. 90,
Winkxer, No. 106), und es müsste wohl in den einzelnen Fällen noch ge-
nauer festgestellt werden, ob eine dieser Nymphen nicht dem Puppenstadium
anderer Milben entspricht. Es scheint übrigens, dass die Nymphen zur
Fortpflanzung gelangen können, ehe sie noch die völlige Gestaltung des ge-
schlechtsreifen Thieres erreicht haben (Canestrini). Dies wurde von den
Gamasiden festgestellt. Berlese unterscheidet bei ihnen verschiedene Ent-
634 XVII. Capitel.
wicklungsreihen, solche, welche er als normale bezeichnet und bei welchen
in der gewöhnlichen Weise die Larve, Nymphe und Imago auf einander
folgen, und andere, anormale, bei welchen bereits niedere Stadien, d.h.
Nymphen, sich auf parthenogenetischem Wege fortpflanzen.
Solche Formen scheinen sich dann nicht mehr zu der vollkommenen Ge-
staltung des Geschlechtsthieres zu erheben. Bei ein und derselben Art sollen
auf diese Weise mehrere zur Fortpflanzung befähigte Formen resultiren; so
besitzt Gamasus tardus nicht weniger als fünf solcher verschieden ge-
stalteten Formen, deren jede für eine besondere Art gehalten werden könnte
(Beelese). Es liegen hier offenbar höchst complicirte Verhältnisse vor, die
noch lange nicht genügend bekannt sind. Zweifellos wurden vielfach niedere
Entwicklungszustände als besondere Arten aufgefasst, so ist das jetzt sicher
von der bekannten Milbengattung Hypopus nachgewiesen (Megnin No. 94
und 95, Michael No. 98 und 99). Die Angehörigen dieser vermeintlichen
Gattung sind kleine Milben mit glattem, an der Rückseite convexem, an der
Bauchseite abgeplattetem Chitinpanzer, welcher das ganze Thier überdeckt.
Diese Milben von charakteristischem Aussehen finden sich häufig an Insecten-
larven , Myriopoden etc. und wurden lange Zeit für ausgebildete Thiere ge-
halten. Durch das genauere Studium ihres Entwicklungsganges konnte aber
festgestellt werden, dass sie nur niedere Entwicklungszustände von Tyro-
glyphus und verwandten Gattungen darstellen, welche infolge von bisher
unbekannten Umständen eine von der gewöhnlichen Form der Nymphen ab-
weichende Gestaltung angenommen haben. Diese Veränderungen sollen nur
einzelne Individuen betreffen, und man hat sie auf ungünstige äussere Lebens-
bedingungen zurückführen wollen , welche die betr. Individuen zu einer der-
artigen Modifikation ihrer Organisation veranlassten (Megnin). Von anderer
Seite ist aber diese Erklärung von dem Zustandekommen der heteromorphen
(Hypopus-) Formen zurückgewiesen worden (Michael).
Allgemeines.
Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Milben von den Arachnoiden
abzutrennen und sie zu einer den grösseren Abtheilungen der Arthro-
poden (Arachnoiden, Myriopoden, Hexapoden) gleichwerthigen
Gruppe zu erheben (Haller No. 83, A. C. Ovdemans No. 11). Die
Gründe, welche man als Stütze dieser Auffassung angeführt hat, scheinen
uns für die Abtrennung der Milben zu ungenügend, als dass wir auf eine
nähere Erörterung derselben eingehen möchten (vgl. oben pag. 626).
Vielmehr scheint uns in der Organisation und Entwicklung der Milben
eine genügende Uebereinstimmung mit den Arachnoiden vorhanden zu sein,
um die Vereinigung mit diesen, wie sie bisher ziemlich allgemein ange-
nommen wurde, zu rechtfertigen. Die Milben repräsentiren eine Gruppe
der Arachnoiden, welche sich in sehr einseitiger Weise entwickelt hat und
infolgedessen von den übrigen Arachnoiden in einzelnen Punkten der
Organisation ziemlich stark differirt. Auch die Entwicklung ist davon
beeinflusst worden und hat Eigenthümlichkeiten angenommen, welche den
anderen Arachnoiden nicht zukommen, vor Allem die verschiedenen auf
einander folgenden Larven- und Puppenstadien, sowie die mit nur sechs
Beinpaaren versehene freie Larvenform. Diese letztere ist als eine secun-
däre zu betrachten. Der beste Beweis dafür würde in dem Auftreten
eines vierten Beinpaares bei Embryonalstadien, welche der sechsfüssigen
Larve vorausgehen, gegeben' sein, falls sich die hierauf bezüglichen An-
gaben Winkler's (No. 106, vgl. pag. 632) bestätigen sollten.
Arachnoiden. 635
VIII. Allgemeines über die Arachnoiden.
Für die Auffassung der Arachniden bildet den wichtigsten Punkt
ihre Beziehung zu denjenigen Abtheilungen der Arthropoden, welche
man mit ihnen zusammen als Tracheaten bezeichnet hat, d. h. den
Myriopoden und Insecten. Die Myriopoden kommen dabei in-
folge ihrer zumeist langgestreckten Körpergestalt und der geringen
Differenzirung der einzelnen Körperparthien weniger in Betracht, um so
mehr aber die Hexapoden, welche durch die stark hervortretende
Dreitheilung des Körpers zu einem Vergleich mit der Gliederung des
Arachnidenkörpers herausfordern. Bei einer solchen Vergleichung tritt
aber sofort eine ansehnliche Schwierigkeit in der differenten Zahl der
Segmente und besonders der Gliedmaassenpaare hervor. Von geringerer
Bedeutung ist die bei den Arachniden vielfach eintretende Verschmelzung
der Segmente, da sie auch bei den Insecten in grösserem oder geringerem
Maassstabe auftreten kann, nur ist die Verschmelzung von Kopf
und Brust zum Cephalothorax als ein wichtiger Charakter der
Arachniden hervorzuheben.
Die Insecten tragen bekanntlich am Kopf ein Paar Antennen, Man-
dibeln und zwei Paar Maxillen, welche man ihrer gleichartigen Bildungs-
weise wegen als Gliedmaassen ansprechen darf. Am Thorax besitzen sie
drei Extremitätenpaare. Den Arachniden kommen nur zwei Gliedmaassen-
paare am Kopf zu (die Cheliceren und Pedipalpen), dagegen weisen sie
vier Beinpaare am Thorax auf. Der Versuche, dieses Missverhältniss in
Einklang zu bringen, sind zu viele, als dass wir sie des näheren hier
betrachten könnten. Als herrschende Ansicht ist die zu bezeichnen,
welche ein Homologon der Insectenfühler bei den Arachniden vermisst,
die Cheliceren den Mandibeln, die Pedipalpen den ersten Maxillen der
Insecten vergleicht und die vier Gangbeinpaare mit den zweiten Maxillen
und den darauf folgenden Beinpaaren homologisirt; doch hat es auch
nicht an Stimmen gefehlt, welche die Cheliceren für entsprechend den
Antennen hielten und sie als solche bezeichneten. Wir möchten keinen
dieser beiden Wege betreten, sondern vergleichen aus noch zu erörtern-
den Gründen die Cheliceren der IL Antenne der Crustaceen, deren Homo-
logon bei den Insecten fehlt. Die I. Antenne der Crustaceen, welche
der Antenne der Insecten entspricht, ist bei den Arachniden nicht vor-
handen. Die Pedipalpen sind somit den Mandibeln der Insecten (und
Crustaceen) homolog, die vier Gangbeinpaare eventuell den zwei Maxillen-
paaren und den Beinen der Insecten, doch ergiebt sich hierbei ein Minus
von einem Paar Thoracalextremitäten bei den Arachniden. Dies erscheint
uns aber deshalb nicht wichtig, wreil wir überhaupt auf diese Vergleichung
der Arachniden mit den Insecten keinen grossen Werth legen und die
Beziehungen derselben nicht im Bereich der „Tracheaten", sondern viel-
mehr bei den durch Kiemen athmenden Formen, nämlich bei den Xipho-
suren suchen, wie dies auch Ray Lankester und andere Forscher ge-
than haben. Wir sind also geneigt, uns denjenigen Forschern anzu-
schliessen, welche die Arachniden und die übrigen luftathmen-
den Arthropoden als zwei gesonderte Reihen betrachten
und somit auch eine getrennte Entstehung der Tracheen
bei diesen beiden Abtheilunge n annehmen. Der zwingende
Grund für diese Auffassung scheint uns in der Uebereinstimmung der
Organisation der Arachniden und Xiphosuren zu liegen.
636 XVII. Capitel.
Auf die Uebereinstimmung im äusseren Bau der Scorpione und des
Limulus haben wir bereits früher (pag. 531) hingewiesen. Dies betraf
besonders die Zahl der Segmente und Gliedmaassen. Wir finden bei
Limulus wie bei den Ar ach ni den sechs Paare von Extremitäten am
Cephalothorax, so dass eine Homologisirung derselben sehr nahe liegt.
Wir verglichen das erste Paar, die Cheliceren, der IL Antenne der
Crustaceen und zwar hauptsächlich aus dem Grunde, weil die postoral
entstehenden Ganglien derselben dem oberen Schlundganglion angefügt
werden, wie dies mit den Ganglien der IL Antenne bei den Crustaceen
ebenfalls geschieht (vgl. pag. 364), ein Vorgang, der übrigens dadurch
grössere Bedeutung gewinnt, dass er sich mit den Kieferganglien des
Peripatus wiederholt (pag. 703). Bei den Insecten findet ein ähn-
licher Vorgang nicht statt, und wir schliessen daraus, dass bei ihnen die
betr. Extremität nicht vorhanden ist.
Hierbei darf nicht verschwiegen werden, dass für die Phalangide n
und die Milben eine Innervirung der Cheliceren von der Thoracalganglien-
masse aus angegeben worden ist (Leydig No. 40, fe und Winklee No. 106).
Eine endgiltige Aufklärung dieses Punktes muss als sehr erwünscht bezeichnet
werden.
Für die Spinnen ist verschiedentlich das Vorhandensein eines weiteren
Extremitätenpaares als der beiden erwähnten am Kopf beschrieben wor-
den. Es sollen nämlich vor den Anlagen der Cheliceren zwei Höcker
auftreten, welche später wieder schwinden (Croneberg, Jaworowski).
Man nahm an, dass dieses vermeintliche Extremitätenpaar sich mit dem
Rostrum vereinige (Croneberg, Lendl1), dessen paarige Anlage auch
von anderen Forschern gesehen wurde (Schimkewitsch). Ueberhaupt
war man geneigt, in dem Rostrum das Rudiment eines, vielleicht sogar
mehrerer Extremitätenpaare zu suchen, und glaubte dies auch noch bei
den ausgebildeten Thieren (S c o r p i o n e n , Solpugiden, Milben) nach-
weisen zu können (Croneberg). Dazu muss bemerkt werden, dass nach
Schimkewitsch auch die sog. Unterlippe aus einer ähnlichen paarigen
Anlage hervorgehen soll und bei ihr an ein Extremitätenpaar wohl kaum
gedacht werden kann.
Wenn jenes rudimentäre Extremitätenpaar des Kopfes wirklich vor-
handen ist, so hat man dasselbe, wie dies auch zumeist geschah (Crone-
berg, Jaworowski)1, als die fehlenden Antennen anzusehen, und zwar
würde es den ersten Antennen der Crustaceen homolog sein. Für unsere
Ausführungen würde dies keine wesentliche Aenderung bedeuten. Die
ersten Antennen, welche den Vorfahren zukamen, werden bei den Spinnen
noch als Rudiment angelegt, die Cheliceren aber entsprechen den zweiten
Antennen.
Die Pedipalpen verglichen wir mit den Mandibeln der Insecten.
Sie setzen sich aus einer Kaulade und einem mehrgliedrigen Taster zu-
sammen. In der embryonalen Anlage sollen aber beide Theile aus einer
Anzahl von Gliedern bestehen, was dieser Extremität einen sehr ursprüng-
lichen Charakter und eine gewisse Uebereinstimmung mit den zweiästigen
]) Nach Lendl's Auffassung sollen die rudimentären Extremitäten zwischen
Cheliceren und Pedipalpen liegen und den Mandibeln der Insecten entsprechen,
während die Cheliceren durch ihre Stellung und Art der Bewegung sich als echte
Antennen documentiren. Durch die vorrückenden Pedipalpen würden die vermeint-
lichen Mandibeln gegen die Anlage der Oberlippe gedrängt, um mit ihr zu verwachsen.
Aracbnoiden. (337
Extremitäten der Crustaceen verleihen würde (Jaworowski). An-
deutungen einer solchen Zweiästigkeit sollen nach Jaworowski übrigens
auch bei den anderen Gliedmaassenanlagen vorhanden sein.
Gleichviel übrigens, welches Extremitätenpaar der Arachniden man
mit den Insectenmandibeln vergleicht (die Cheliceren oder Pedipalpen),
so wird doch die Mehrgliedrigkeit dieser Arachnidenextremitäten einen
bedeutungsvollen Gegensatz zu den stets eingliedrigen Mandibeln der
Insecten bilden. Ein ursprüngliches Verhalten ist auch damit gegeben,
dass die dritten und vierten Extremitäten (bei den Scorpionen und
Phalangiden) ebenfalls Kauladen tragen and also zum Theil noch
als Mundwerkzeuge verwendet werden, wie dies bei den um den Mund
gestellten Thoracalextremitäten von Limulus der Fall ist. Als ursprüng-
liches Verhalten könnte wohl auch der Besitz von Scheeren an den vor-
deren Gliedmaassen angesehen werden, da auch Limulus solche besitzt.
Doch möchten wir darauf kein allzugrosses Gewicht legen, da ähnliche
Bildungen unabhängig von einander entstehen können.
Im Bezug auf den C e p h a 1 o t h o r a x und seine Anhänge zeigen
die einzelnen Abtheilungen der Arachniden weit grössere Uebereinstim-
mung, als cü/s mit dem folgenden Körperabschnitt, dem Abdomen, der
Fall ist, abgesehen von den reducirten Verhältnissen, welche auch hierin
die Milben aufweisen können. Doch muss dabei noch eines höchst auf-
fallenden Verhaltens, nämlich desjenigen der Solpugiden gedacht wer-
den, bei denen das Segment der ersten Gangbeine zum Cephalothorax
hinzutritt, wodurch der Körper (infolge der drei am Thorax zurück-
bleibenden Beinpaare) ein gewissermaassen insectenähnliches Aussehen
gewinnt. Dazu kommt, dass das wohlgegliederte Abdomen die gleiche
Segmentzahl wie dasjenige der Insecten besitzt und dass bei diesen
Formen ein Stigmenpaar am Thorax (2. Segment) auftritt. Alles dies
hat dazu geführt, die durch Tracheen athmenden Solpugiden in Be-
ziehung zu den Insecten zu bringen, doch haben wir bereits früher
(pag. 567) ausgeführt, dass wir die genannten Charaktere der Solpugen
nicht für ursprüngliche und diese Thiere selbst nicht etwa als Mittel-
formen zwischen Arachniden und Insecten ansehen können. Für die Auf-
fassung der Solpugen wichtig ist hierbei, dass auch bei ihnen die Cheli-
ceren vom Gehirn aus innervirt werden (Weissenborn Xo. IG), wodurch
sie sich als Homologa der Cheliceren der übrigen Arachniden zu erkennen
geben. Mit den Antennen der Insecten wird man sie kaum vergleichen
wollen, um die Art der Innervirung erklärlich zu machen; dagegen
spricht ihre ganze Ausbildung. Als das bei einem Vergleich mit den
Insecten noch fehlende Paar der Kopfgliedmaassen wird man vielmehr
auch hier die Antennen ansehen.
Das Abdomen der Arachniden ist zumeist dadurch charakterisirt,
dass es eine starke Rückbildung seiner Segmentirung erfährt; bei einigen
Abtheilungen jedoch bleibt die Gliederung deutlich erhalten. Bei den
Scorpionen sondert sich der Hinterleib in ein Prä- und Postabdomen,
wobei er stark in die Länge gestreckt erscheint. Man könnte sogar
zweifelhaft sein, ob man es hier nicht mit einer secundären Verlängerung
zu thun hat, wenn nicht auch andere Arachniden während des Embrvonal-
lebens ungefähr die gleiche Zahl von Segmenten, sowie eine Unterschei-
dung in eine Art von Prä- und Postabdomen erkennen Hessen (Ara-
n einen, pag. 581 und 587). Zudem finden wir bei fossilen Xiphosuren
( H e m i a s p i s , B e 1 i n u r u s), sowie den Gigantostr a k e n eine grössere
Anzahl von Abdominalsegmenten, und durch ihr Verhalten wird es höchst
638 XVII. Capitel.
wahrscheinlich gemacht, dass das hintere Körperende des Limulns
durch die Verschmelzung einer Anzahl postabdominaler Segmente ent-
stand und dem Postabdomen der Scorpione homolog ist (pag. 532). So
zeigen also die Scorpione in der Erhaltung ihres wohlgegliederten Ab-
domens, und der Segmentirung überhaupt, einen sehr ursprünglichen
Charakter. Es ist die Vermuthung geäussert worden, dass die Bewahrung
des langgestreckten und leichtbeweglichen Abdomens mit der an seinem
Ende angebrachten Waffe, dem Giftstachel, in Verbindung stehe, weil auf
diese Weise eine leichte Verwendung desselben gestattet sei (Weissenborn).
Im Uebrigen macht sich eine starke Concentration der Organe bei
den Arachniden bemerkbar, und es ist auffallend, je weiter sich dieselben
von denjenigen Formen entfernen, die wir wohl mit Recht als die ur-
sprünglichen ansehen, desto stärker wird die Reduction, die bei den
Milben ihren höchsten Grad erreicht. So erscheinen die abgeleiteten
Formen der Arachniden verhältnissmässig einfacher organisirt als die ur-
sprünglichen, zumal bei ihnen einzelne Organsysteme (Circulations-, Respira-
tionssystem) ganz oder theilweise zur Rückbildung gelangen können.
Von ganz besonderer Wichtigkeit für die Auffassung der Arachniden
sind die abdominalen Extremitäten an lagen. Ihre Zahl ist
beim Scorpion sechs, ebensoviel wie die Anzahl der Abdominalextremi-
täten bei Limulus. Wir konnten es ziemlich wahrscheinlich machen,
dass auch bei den Spinnen ursprünglich die gleiche Anzahl abdominaler
Gliedmaassen vorhanden war (pag. 581). Wie die Insecten leiten
sich also die Arachniden von Formen her, die mit einer grösseren
Anzahl von Gliedmaassen versehen waren. Das erste Paar tritt wie bei
Limulus in Beziehung zur Ausmündung des Genitalapparates, die folgen-
den Paare aber lassen an ihrer Rückseite als Einstülpung die Lungen
entstehen. Die Lungen der Arachniden konnten demnach mit ziem-
licher Wahrscheinlichkeit auf die Kiemen der Xiphosuren bezogen
werden (vgl. pag. 532 und 605). Das bedeutet eine verschiedenartige
Entstehung der Tracheen bei den Arachniden und den übrigen
„Tracheaten" (Peripatus, Myriopoden, Insecten), denn dass
die Tracheen der Arachniden mit deren Lungen im engsten Zusammen-
hang stehen, kann keinem Zweifel unterliegen. Obwohl die Tracheen
der Insecten und einiger Arachniden, z. B. der Solpugiden,
Phalangiden und einiger Pseudoscorpione und Milben sehr
übereinstimmend gebaut erscheinen, so müssen sie doch im einen Falle
von Lungen bezw. Kiemen, im andern Falle von einfachen Hautein-
senkungen hergeleitet werden. Die spätere Uebereinstimmung im Bau
ist nur als eine Convergenzerscheinung aufzufassen.
Entsprechend der hier vertretenen Entstehung der Respirationsorgane
werden die Stigmen der Arachniden nur am Abdomen gefunden, doch
macht das erste Stigmenpaar der Solpugiden hiervon eine Ausnahme,
indem es am zweiten Thoraxsegment liegt. Man kann diese Erscheinung
vorläufig nicht anders als eine secundäre Erwerbung betrachten und damit
zu erklären suchen, dass auch bei den Milben Stigmen am Cephalothorax
auftreten und zwar an verschiedenen Stellen desselben, oft sehr weit
nach vorn in der Gegend der Cheliceren. Aehnliche Verlagerungen der
Stigmen werden bekanntlich auch bei Scolopendrella gefunden, bei
welcher Form sie in ganz ungewöhnlicherWeise ebenfalls am Kopf auftreten.
In der übrigen Organisation der Arachniden giebt es noch ver-
schiedene Punkte, worin sie sich von den Insecten entfernen und sich
vielmehr den Xiphosuren, vielleicht sogar den Crustaceen nähern.
Arachnoiden. 639
Von den Augen versuchten wir zu zeigen, dass sie nicht mit den-
jenigen der Insecten und Myriopoden zusammenzuwerfen sind, sondern einen
von diesen gesonderten Entwicklungsgang genommen haben (pag. 597).
Wohl aber Hessen sie sich mit den Mittel- und Seitenaugen des Limulus
homologisiren. Bei den Arachnidenaugen spielt die Entstehung durch
Inversion eine wichtige Rolle. Neuerdings wird eine solche Entwicklung
durch Inversion von Claus auch für die Medianaugen der Crustaceen
beschrieben (No. 57), und es scheint nicht ausgeschlossen, dass zwischen
diesen Vorgängen später noch engere Beziehungen aufgefunden, werden
können.
Eine weitere Uebereinstimmung zwischen den Arachniden und
Xiphosuren ergiebt sich durch das Vorhandensein des besonders bei
den Scorpionen und bei Limulus sehr ähnlich gestalteten Innen-
skelets. Ein Punkt, der uns aber besonders charakteristisch scheint
und der auch für die scheinbar abweichenden Solpugiden volle Giltig-
keit hat, ist das Vorhandensein einer umfangreichen Leber, wie sie
bei den Insecten nicht, wohl aber bei Limulus und den Crusta-
ceen gefunden wird. Der Mitteldarm bietet in seinen Anhängen noch
wichtigeres, vorausgesetzt, dass die Entwicklungsgeschichte hierin wahr-
heitsgetreu berichtet, nämlich die Entstehung der sog. MALPiGHi'schen
Gefässe aus dem Entoderm. Wenn dieser Punkt sich so verhält,
würde er einen wichtigen Scheidungsgrund zwischen Arachniden und
Insecten bilden. Schlauchförmige Anhänge am Hinterende des Mittel-
darmes kommen bei den Crustaceen vor; die Malpighi1 sehen Ge-
fässe der Myriopoden und Insecten sind jedoch ectodermalen Ursprungs.
Ein weiteres Vergleichsmoment zwischen Limulus und den Arach-
niden bietet das Vorhandensein eines bei den Scorpionen oberhalb
der Ganglienkette verlaufenden Gefässes, welches eine Fortsetzung des
Schlundgefässringes nach hinten ist (Supraneuralgefäss, Supraspinalarterie)
und in ganz ähnlicher Ausbildung bei Limulus gefunden wird. Aehn-
liches scheint allerdings auch bei den Crustaceen vorzukommen, und
(was dieses Vergleichsmoment als von geringerer Wichtigkeit erscheinen
lässt) ein Supraneuralgefäss wird auch bei den Myriopoden gefunden,
so dass dieses Merkmal vielleicht von einer gemeinsamen Ahnenform
ererbt sein könnte. Eine, wenn auch ebenfalls weniger bedeutungsvolle
Uebereinstimmung mit den Geschlechtsdrüsen des L i m u 1 u s bieten
die entsprechend netzförmig gestalteten Schläuche der Genitaldrüsen bei
den Scorpionen.
Die aus dem Mesoderm hervorgehenden Coxaldrüsen der Arach-
niden können nach unserer jetzigen Kenntniss mit ziemlicher Sicherheit
als Nephridien in Anspruch genommen werden und sind den ganz ent-
sprechend gelagerten Organen des Limulus gleich zu setzen. Mit den
Antennen- und Schalendrüsen der Crustaceen lassen sich die Coxaldrüsen
nicht völlig homologisiren, weil diese eine etwas andere Lage einnehmen,
d. h. anderen Segmenten zugehören. Die bei den Ahnenformen in jedem
Segment vorhandenen Nephriden werden sich eben bei ihren Nachkommen
in verschiedenen Segmenten erhalten haben, was wesentlich von der Art
und Weise der weiteren Ausbildung der betr. Formen abhing. Es braucht
kaum darauf hingewiesen zu werden, dass der Besitz dieser (zumal in
der Jugendzeit stark ausgebildeten) Coxaldrüsen ein weiteres Unter-
scheidungsmerkmal der Arachniden von den Insecten bildet, denn
bei den letzteren sind Drüsen von so charakteristischer Ausbildung und
640 XVII. Capitel.
Lagerung, welche den Nephridien der Ahnenfornien zu vergleichen wären,
nicht vorhanden.
Die zuletzt besprochenen Gebilde entstammen dem Mesoderm.
Auf das Verhalten des letzteren während der Embryonalentwicklung
möchten wir ganz besonders Gewicht legen. Während bei den Insecten
die Ursegmente schon frühzeitig einer Umwandlung anheimfallen, sehen
wir dieselben bei den Arachniden gegen den Rücken vorwachsen und
erst zu einer Zeit der Auflösung entgegengehen, wenn am Rücken von
ihnen das Herz gebildet wurde. Das Cölom, welches bei den Insecten
schon sehr früh schwindet, erhält sich also bei den Arachniden längere
Zeit. Dieses an und für sich ursprüngliche Verhalten bedingt auch eine
grössere Einfachheit in der Anlage des Herzens; wahrscheinlich auch in
derjenigen der Coxaldrüsen (Nephridien) und vielleicht auch der Genital-
organe. Die auf diese Weise zu Stande kommenden Verhältnisse er-
innern noch mehr an diejenigen der Anneliden als au die der übrigen
Arthropoden.
Ob auf die Uebereinstimmungen, welche sich in der Furchung, Keimblätter-
bildung und der ersten Anlage der Organe mit den bei den Crustaceen be-
schriebenen Vorgängen geltend machen, grösseres Gewicht zu legen ist, oder
ob sie durch eine gewisse Gleichartigkeit dieser Vorgänge bei den Arthro-
poden überhaupt zu erklären sind , scheint zweifelhaft. Es wurde darauf
bereits in den einzelnen Fällen hingewiesen. Ebenso zweifelhaft muss es
bleiben, ob den jüngsten Stadien des Keimstreifens der Scorpione, welche
man mit gewissen Entwicklungsstadien der Trilobiten verglichen hat
(pag. 541), in dieser Beziehung ein bestimmter Werth zugeschrieben werden
darf. Dass zwischen den Arachniden und Limulus sehr enge Beziehungen
herrschen, ergiebt sich aus all1 dem Vorstehenden beinahe unzweifelhaft, und
somit könnten auch Anklänge an jene Formen noch vorhanden sein. Auf-
fällig ist dabei, dass die Scorpione schon so alt und von ihrer jetzigen Ge-
staltung nicht sehr verschieden bereits im Silur vorhanden sind (Palaeo-
phonus nuntius, No. 15).
Um es zum Schluss nochmals hervorzuheben, wir vermögen in der
scheinbaren Uebereinstimmung der Arachniden mit den übrigen Tracheaten
nichts Anderes zu sehen, als eine durch die Arthropodennatur bedingte
und durch die ähnliche Lebensweise hervorgerufene gleichartige Aus-
bildung. Eine nähere Verwandtschaft zwischen diesen Abtheilungen des
Arthropodenstammes vermögen wir nicht anzunehmen. Wir glauben viel-
mehr, dass die Arachniden zusammen mit den Paläostraken aus den
niederen Ahnenformen hervorgingen und sich sodann von ihnen ab-
zweigten, während die übrigen Tracheaten einem anderen Stamme ange-
hören, der allerdings mit jenem an der Wurzel zusammenhängt.
Die Arachniden unter sich stellen nach unserer Auffassung eine sehr
einheitliche Gruppe dar. Die ursprünglichsten Formen sind die mit
deutlicher Segmentirung des Körpers, also die Scorpione und Pedi-
palpen. Bei den Phalangiden und Pseudoscorpionen macht
sich bereits eine Reduction geltend, welche bei den Ar an einen noch
weiter geht und ihren Höhepunkt bei den Acarinen erreicht, welche
entsprechend dieser weitgehenden Anpassung auch wesentliche Ver-
änderungen ihrer Entwicklung zeigen. Solche Modifikationen der Ent-
wicklung treten wahrscheinlich infolge ähnlicher Ursachen auch bei den
Pseudoscorpionen ein.
Arachnoiden. (341
Litteratur.
Arachnoiden im Allgemeinen.
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war uns nicht zugänglich.)
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61. Kingsley, J. S. The Embryology of Spiders. Kritisches Referat über die Arbeit von
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Imp. University. Japan, Tokio. Vol. IV. Part. I. 1891. (Diese Arbeit wurde
uns erst nach Fertigstellung des Textes und der Figuren während des Druckes zugäng-
lich, doch konnten die Hauptresultate noch berücksichtigt werden.)
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(344 XVIL Capitel.
VII. Acarinen.
Die Litteratur der Milbenentwicklung ist eine so umfangreiche, dass wir hier nur
eine beschränkte Auswahl treffen können. Ausführlichere Litteraturangaben finden sich in den
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76. Canestrini, G. Osscrvazioni intorno al genere Gamasus. Atti del Beul. Instituto
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80. Fürstenberg, M. H. F. Die Krätzmilben des Menschen u. d. Thierc. Leipzig 1861.
81. Gudden, R. Beiträge zu den durch Parasiten bedingten Hautkrankheiten. Arch. f.
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82. Haller, G. Zur Kenntniss der Tyroglyphen und Verwandten. Zcitschr. f. wiss-
Zool. 34. Bd. 1880.
*o. Haller, G. Die Mundtheile und systematische Stellung der Milben. Zoolog. Anzeig.
4. Jahrg. 1881.
84. Haller, G. Ueber den Bau der vögelbewohnenden Sareoptiden ( Her malt ichiden ) .
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85. Henking, H. Beiträge zur Anatomie, Entwicklungsgeschichte und Biologie von
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86. Koenike, F. Zur Entwicklung der Hydrachwden. Zool. Anz. 12. Jahrg. 1889.
87. Kramer, P. Zur Naturgesclächte der Milben. Arch. f. Xaturgesch. 42. J. 1S76.
88. Kramer, P. Ueber Hendroptus. Arch. f. Naturg. 42. Jahrg. 1876.
89. Kramer, P. Ueber die Segmentirung b. d. Milben. Arch. f. Naturg. 48. J. 1882.
90. Kramer, P. Ueber Gamasiden. Arch. f. Xaturgesch. 48. Jahrg. 18S2.
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92. Lohmann, H. Hie Unterfamilie der Halacaridae Murr. u. die Meeresmilben der
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93. Mac Leod, J. Communication preliminaire relative a Vanatomie des Acariens. Bull.
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96. Megnin, P. Sur les Metamorphoses des Acariens de la famille des Sarcoptides et
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106. "Winkler, W. Anatomie der Gamasiden. Arb. Zool. Lnst. Wien. T. 7. 1S88.
XVIII. Capitel.
PENTASTOMIDEN.
Unsere Kenntniss von der Entwicklung des Fentastomum beruht im
Wesentlichen noch auf den eingehenden Untersuchungen Leuckart's,
welche durch verschiedene kleinere Mittheilungen ergänzt und neuer-
dings durch die ausführliche Arbeit von Stiles bestätigt und in einigen
Tunkten erweitert wurden.
1. Die Einbryonalentwiekliing.
Die Eier des Fentastomum sind von zwei Hüllen umgeben
(Fig. 400 A und B, h). Sie machen ihre Entwicklung im Uterus des
Mutterthieres durch, während sie sich allmählich dem Ausgang des
Leitungsapparates nähern. Die Furchung ist eine totale (Leuckart,
Macalister). Das Ei zerfällt in eine Anzahl Zellen von ungefähr gleicher
Grösse, deren weiteres Schicksal sich nicht feststellen Hess. Macalister
spricht von der Bildung eines Blastoderms und Frimitivstreifens, doch
lauten diese Angaben höchst unbestimmt. Nach Leuckart wird ein
Keimstreifen nicht gebildet. Schon früh scheidet der Embryo eine Cuti-
cula an der Oberfläche ab, und diese erfährt an einer Stelle, welche der
Rückenfläche des Embryos entspricht, eine kreisförmige Verdickung. Wenn
sich die Cuticula vom Embryo ablöst und eine dritte Hülle um diesen
bildet (Fig. 400 A und B, eh), bleibt sie an jener Stelle mit der Ober-
fläche des Embryos in Verbindung (Rückenzapfen, rz). Auch die Chitin-
haut, welche nunmehr wieder als Bedeckung des Embryos abgeschieden
worden ist, zeigt an der gleichen Stelle eine Verdickung, welche sich
grubenartig einsenkt. Die hier zunächst noch bestehende Verbindung
beider Chitinverdickungen (der Rückenzapfen) wird eingeschnürt und löst
sich, doch bleibt ihre Spur am Embryo in Form eines grubenartigen Ge-
bildes zurück, welches am Embryo von F. taenioides eine kreuz-
förmige Zeichnung besitzt (Fig. 400 B und C, rk). Auch an der abge-
lösten Haut ist der Rest als kreisförmige Verdickung (die sog. Facette)
noch erhalten (Fig. 400 B, f). Das Gebilde erinnert an die sog. Mikropyle
oder das Rückenorgan der Crustaceen (pag. 350), mit dem es auch
bereits von Leuckart verglichen wurde.
Eine gewisse äussere Aelmlichkeit zeigen die sog. Urtracheen der Milben
in der Bildung mit dem Rückenzapfen des Pentastomum ; freilich sind diese
Korschelt-Heider, Lebruuch. 42
646 XVIII. Capitel.
Gebilde paarig und liegen ventral, so dass eine wirkliche Uebereinstimmung
nicht vorhanden ist (pag. 628).
Die frühe Abstossung einer cuticularen Hülle innerhalb des Eies, welche
jedenfalls als Häutung anzusehen ist, erinnert an die Bildung der Deutovum-
Merabran bei den Milben (pag. 622); freilich finden ganz ähnliche Vor-
gänge auch bei den Crustaceen statt (vgl. pag. 322).
Ehe sich noch der Rückenzapfen durchschnürt, d. h. die Cuticular-
haut völlig von dem Embryo gelöst wird, sind an dessen Ventralseite
zwei Paar stummeiförmiger Anhänge zur Ausbildung gekommen, die
Extremitäten, an denen auch bald der Krallenapparat auftritt. Schon
vorher hatte sich ein schmaler hinterer Theil, der sog. Schwanz, von dem
gedrungenen Rumpf abgesetzt (Fig. 400 A und B, s). Der Schwanz ist
beim Embryo nach vorn umgeschlagen und liegt der Bauchfläche an.
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ch
P. P,
s
rr^^S
Fig. 400. A — C Embryonen in den Eihüllen und freigewordener Embryo (Larve)
von Pentastomum taenioides (nach Leuckärt).
äst Drüsenstigma, eh Embryonalhaut, / „Facette", h Eihüllen, m Mundspange,
jox undjOo Fassstummel, rk Rückenkreuz (Rückenorgan), rz Rückenzapfen, s Schwanzanhang.
Der Bohrapparat des Embryos ist nicht eingezeichnet.
Dieser Schwanzanhang ist für die Embryonen einiger Arten von Penta-
stomum charakteristisch. Bei P. taenioides ist er ziemlich ansehnlich
(Fig. 400 BundC1'), während er bei P. pro bo sei de um nur einen kleinen
zweispitzigen Anhang darstellt (Fig. 401 5). Die Embryonen von P. oxy-
cephalum entbehren des Schwanzanhanges überhaupt und sind hinten
abgerundet. In dieser Gestalt verlässt der Embryo später das Ei (van
Beneden, Schubärt); er ist also weit von der Gestaltung des Mutter-
thieres entfernt und hat sehr eingreifende Umwandlungen durchzumachen,
ehe er diese erreicht (Leuckärt).
2. Der weitere Entwicklungsgang.
• Die Uebertragung der Eier in den Zwischenwirtli und die vier-
füssige Larve. Die von Leuckärt höchst eingehend auf ihre Entwick-
lung untersuchte Form, P. taenioides, lebt im geschleehtsreifen Zu-
Pentastomiclen.
647
ma
stände in der Nasenhöhle des Hundes. Die Eier werden in den Nasen-
schleim abgelegt und gelangen mit diesem nach Aussen. Damit der Em-
bryo frei werden kann, müssen die Eier von einem Zwischenwirth auf-
genommen werden, z. B. von einem Kaninchen. In dessen Magen
werden die Eihüllen gelöst und der Embryo wird als Larve frei. Auch
bei dem neuerdings von Stiles untersuchten P. proboscideum ist
der erste Theil des Entwicklungsganges ein ähnlicher. Die Eier dieser
Form, welche in den Lungen von Schlangen lebt (Boa constrictor),
gelangen erst in den Darmkanal, wo sie sich massenhaft im Koth vor-
finden und werden mit diesem nach Aussen gebracht, Auch sie müssen
von einem Zwischenwirth aufgenommen werden, um ihre weitere Ent-
wicklung durchmachen zu können. Stiles verfütterte sie mit Erfolg an
Mäuse.
Die nach vorn stumpfe, ^ Ä.
hinten zugespitzte, resp. mit
einem Schwanzanhang ver-
sehene Larve besitzt zwei
Paar Fussstummel , welche
mit Chitinkrallen und einem
dazu gehörigen Stützapparat
ausgerüstet sind (Fig. 400 0
und Fig. 401). Die beiden
Krallen sitzen an einem
Chitinring fest und erscheinen
von dem Stützapparat ganz
unabhängig. Dies hat Ver-
anlassung gegeben, ein End-
glied von einem Basalglied
zu unterscheiden und die Ex-
tremitäten als zweigliedrige
anzusehen. Stiles, welcher
diese Auffassung vertritt,
findet die Extremitäten besser
gegen den Körper abgesetzt,
als dies nach Leuckart's
Darstellung mit den von
letzterem Forscher als ein-
gliedrig betrachteten Fuss-
stummeln der Fall ist.
Am vorderen Körper-
ende der Larve liegt ein aus
mehreren Chitinstücken zusammengesetzter Bohrapparat (Fig. 401 ba),
den man mit den Mundwerkzeugen der Arthropoden, besonders der
Milben, verglichen hat, welcher aber in Folge seiner Lage und Entstehung
vor dem Munde eine solche Yergleichung wohl kaum gestattet, sondern
wahrscheinlich als Larvenorgan anzusehen ist (Stiles). Neben dem
Bohrapparat finden sich zwei kleine Papillen, die als Tastorgane gedeutet
werden (/p).
Der Mund liegt bei P. nroboscideum ziemlich weit nach hinten,
ungefähr auf der Höhe der vorderen Fussstummel (Fig. 400 m). Er ist
von einer, wohl als Stütze dienenden, hufeisenförmigen Chitinspange um-
geben und führt in einen engen Oesophagus, welcher in den weiteren
Magendarm übergeht. Ein After ist nach Stiles nicht vorhanden, ob-
42*
Fig. 401. Vierbeinige Larve von Pentasto-
m n m proboscideu m von der Ventralseite ge-
sehen (nach Stiles).
ba Bohrapparat, äst Drüsenstigma, dz Drüsen-
zellen, kr Krallen, m Mund, ma Magen, n Anlage
des Nervensystems, oes Oesophagus, p-i — p2 Fuss-
stummel, ro Rückenorgan, welches vom Rücken
her durchschimmert, s Schwanzanhang, st Stütz-
apparat der Krallen, tp Tastpapille.
648 XVIII. Capitel.
wohl ein solcher auf den übrigens nicht sehr genauen Abbildungen von
Jaquart zu erkennen ist. Eine den Oesophagus unigebende Anhäufung
von Zellen stellt die Anlage des Nervensystems dar (w). Ausserdem
findet Stiles im Innern der Larve eine grosse Anzahl körnchenreicher
Zellen in bestimmter Vertheilung, welche wohl zum Theil Drüsenzellen
sind. Als äussere Oeffnungen von Drüsen (sog. Drüsenstigmen) werden
zwei an der Basis der vorderen Extremitäten gelegene kreisförmige Ge-
bilde angesehen (Fig. 400 und 401 dsf).
Die encystirten Larven. Die im Darm des Zwischenwirtb.es frei
gewordenen Larven durchsetzen mit Hilfe der Bewaffnung des vorderen
Körperpoles und der Fussstummel die Darmwand und begeben sich in
andere Organe, z. B. die Leber, wo sie sich festsetzen und durch eine
von dem betreffenden Organ des Wirthes gelieferte bindegewebige Kapsel
umschlossen werden. Hier macht die Larve eine Anzahl von Häutungen
durch, bei deren erster bereits die Fussstummel sowie der 'Bohrapparat
abgeworfen werden. Auch der Schwanzanhang ist nicht mehr zu er-
kennen, und die Larve hat eine gedrungene, walzenförmige Gestalt an-
Fig1. 402. Encystirte Larve von Pentastomum taenioides aus den Ein-
geweiden eines Kaninchens. 9 Wochen nach Verfütterung der Eier (nach Leuckart).
a After, ag Ausführungsgang der Genitaldrüse, dst Drüsenstigmen, ed Enddarm,
gd Geschlechtsdrüse, m Mund, ma Magen, n Anlage des Nervensystems, oe Geschlechts-
öffnung, oes Oesophagus.
genommen. Leuckart fand in den Cysten von P. taenioides sieben
Wochen nach der Infection ausser der wurm- oder besser madenförmigen
Larve zwei abgeworfene Häute, welche Reste der Chitingebilde des Em-
bryos, nämlich das Rückenkreuz und die hufeisenförmige Spange des
Mundes, wahrscheinlich auch die Ueberreste der Fussstummel erkennen
Hessen. — Es folgen dann noch mehrere Häutungen, und diese Entwick-
lung nimmt eine lange Zeit in Anspruch, denn nach Leuckart vergehen
fünf bis sechs Monate, ehe die Larve von P. taenioides im Zwischen-
wirth ihre völlige Ausbildung erreicht hat. Bei P. proboseideum
scheint die Entwicklung etwas rascher zu verlaufen, nimmt aber doch
auch mehrere Monate in Anspruch (Stiles).
Während des Verharrens in der Cyste und des Verlaufs der ver-
schiedenen Häutungen ist das wichtigste die Ausbildung der inneren
Organe; doch macht auch die äussere Gestalt einige weiter unten noch
zu besprechende Veränderungen durch. Die inneren Organe, soweit sie
Pentastomiden.
649
bei der freien Larve überhaupt schon nachgewiesen werden konnten,
scheinen direct in diejenigen der encystirten Larve und des geschiechts-
reifen Thieres überzugehen. Der Darmkanal, welcher bei der freien
Larve nur einen geringen Umfang besass, erweitert sich und differenzirt
sich in seine einzelnenAbschnitte, Pharynx, Oesophagus und Magendarm.
Der letztere wird bald sehr umfangreich (Fig. 402 ma). Er endet nach
hinten blind und tritt erst etwas später mit dem (wohl als Ectoderm-
einstülpung entstandenen) Enddarm in Verbindung (ed).
Die bei der freien Larve am Oesophagus vorhandene Anhäufung von
Ganglienzellen (Fig. 401 n) bildet sich während des späteren Larvenlebens
zu der Unterschlundganglienmasse und dem Schlundring aus, welche das
Centralnervensystem des ausgebildeten Thieres darstellen. Die Unter-
schlundganglienmasse ist zur Zeit des frühen Larvenlebens bedeutend
umfangreicher als beim ausgebildeten Thier und nimmt einen ansehn-
lichen Theil der Bauchfläche ein (Leuckart, Fig. 402 und Fig. 403 n).
mifl-z
ma-
ed-
Fig. 403. Encystirte weibliche Larve von Pentastomum taenioides aus
den Eingeweiden eines Kaninchens. Ungefähr vier Monate nach der Verfütterung der
Eier (nach Leuckart).
a After, ed Enddarm, Ih Larvenhaut (abgehobene Cuticula), m Mund, ma Magen,
mu Muskeln, die vom Pharynx zur Körperwand ziehen und zur Bewegung des ersteren
dienen, n Nervensystem, od Oviduct, oe Geschlechtsöffnung, oes Oesophagus, ov Ovarium,
tn Tastnerv, der vom Schlundganglion zu den Papillen zieht, vag Vagina.
Die Geschlechtsorgane sind in der Anlage schon frühzeitig zu er-
kennen-, doch lassen sich nach Leuckart die beiden Geschlechter Anfangs
nicht unterscheiden. Es ist dorsal vom Magen ein unpaarer langer Zellen-
strang vorhanden, die Keimdrüse (Fig. 402 gd). Diese gabelt sich vorn
in zwei Stränge (die Anlage des Leitungsapparates, ag), welche den
vorderen Theil des Magens umfassen und nach ihrer Wiedervereinigung-
ventral noch im Bereich der Ganglienmasse nach Aussen münden (a).
Beim Männchen erfahren diese Lagerungsverhältnisse keine sehr beträcht-
liche Veränderung, da die männliche Geschlechtsöffnung beim ausge-
bildeten Thier im vorderen Körpertheil nicht weit hinter dem Munde ge-
legen ist, die Verlagerung nach vorn also keine bedeutende ist. Die
weibliche Geschlechtsöffnung findet sich jedoch im ausgebildeten Zustand
am hinteren Körperende, ganz in der Nähe des Afters (Fig. 404 oe), und
650
XVIII. Capitel.
Lel'Ckart nimmt an, dass sie durch stärkeres Wachsthum der zwischen
ihr und dem Munde gelegenen Parthien bei gleichzeitigem Zurückbleiben
der hinteren Region an das Körperende verlagert wurde. Die Fig. 403
stellt ein Uebergangsstadium dar. In ihr erscheint die Geschlechtsöffnung
schon weiter als in Fig. 402 nach hinten verlagert. Es ist hier bereits
die Differenzirung der Vagina vom übrigen Leitungsapparat eingetreten.
In Fig. 404 sieht man die Geschlechtsöffnung bereits neben dem After
gelegen; hier sind somit im Ganzen schon die definitiven Lagerungs-
verhältnisse erreicht.
Stiles findet schon früh eine Differenzirung der Geschlechter, doch
scheinen die von ihm bei P. proboscideum aufgefundenen Stadien auf
einer weniger tiefen Entwicklungsstufe zu stehen als die von Leuckakt bei
P. taenioides beobachteten.
mct^-
ma
Fig. 404. Encystirte weibliche Larve von Pentastoinum proboscideum
(das sog. P. sub cy lindr icum) aus den Eingeweiden einer Maus. 61 2 Woche nach
Verfütterung der Eier (nach Stiles).
a After, ed Enddarm, ht Hakentaschen, Ih Larvenhaut (abgelöste Cuticula),
/« Mund, ma Magen, n Anlage des Nervensystems, od Oviduct, oe Geschlechtsöfmung,
ol Oberlippe, ov Ovarium. rs Keceptaculum seminis, vag Vagina.
Nach den Angaben von Hoyl-e scheint es, als könnten die Geschlechts-
drüsen vielleicht ursprünglich paarig gewesen sein. Wenn sich dies so ver-
hielte, so würde mit der späteren Vereinigung der Keimdrüsen zu einem un-
paaren Organ ein ähnlicher Vorgang gegeben sein, wie er bei den Milben
stattfindet (pag. 627). Die Lagerung der (weiblichen) Geschlechtsöffnung
am hinteren Körperende, welche dem gewöhnlichen Verhalten der Arach-
noiden widerspricht, würde nach der von Leuckart gegebenen Erklärung
als eine secundäre Erscheinung anzusehen sein.
Während der Körper der encystirten Larve nach den ersten Häutungen
ganz glatt erschien, tritt später eine Ringelung an demselben auf
(Fig. 404), welche bei P. proboscideum von der Mitte des Körpers
aus nach vorn und hinten fortschreitet und jedenfalls nicht als eine wirk-
liche Segmentirung anzusehen ist, wie schon aus ihrem späten Auftreten
Pentastomiden.
651
und der Art ihres Fortschreitens
hervorgehen
dürfte.
Ringe
der
Diese
Oberfläche erreichen bei einigen Pentastomen, z. ß. bei P. protelis
nach Hoyle eine ziemliche Breite, und zwischen ihnen treten Ein-
schnürungen auf, so dass dadurch ganz der Eindruck einer Gliederung
hervorgebracht wird. Auch bei P. proboscideum fällt dieses Ver-
halten schon auf, und tritt mehr hervor als bei P. taenioides. Bei
anderen Pentastomen finden sich erhabene Ringe wie breite Fassreifen
um den Körper, die durch Zwischenräume getrennt sind (van Beneden,
Jaquart). Auch dadurch wird der Eindruck einer Segmentirung hervor-
gerufen.
Ueber
breitet und
in Reihen
Oeffnungen
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V. ...,t'.\ '! ..nn"»
die ganze Oberfläche des Körpers ver-
später in Folge der Ringelung derselben
angeordnet, erscheinen kleine kreisrunde
in der Chitinhaut, ähnlich den beiden
Drüsenstigmen der vierbeinigen Larve (Fig. 404). Die-
selben wurden schon von Leückart als die Mündungen
von Hautdrüsen erkannt. Eine in später Larvenzeit
auftretende Differenzirung der Chitinbedeckung sind
die sog. Stachelkränze, welche am Hinterrande jedes
Ringes auftreten und für die vollständig ausgebildeten
Larven charakteristisch sind (Fig. 405 st). Die früher
für eine geschlechtsreife Form gehaltene und als P.
denticulatum bezeichnete Larve von P. tae-
nioides zeigt eine besonders starke Ausbildung der
Stachelkränze. Dieselben sind dem Thier wahrschein-
lich bei seinen Bewegungen von Vortheil. Wichtigere
Organe für die Bewegung und Befestigung des Thieres
sind die Haken, zwei Paare krallenartiger Chitinge-
bilde (Fig. 405 h), welche in je zwei taschenförmigen,
vor dem Munde gelegenen Einsenkungen der Körper-
haut zur Ausbildung kommen (Fig. 404 ht). Mit den
Fussstummeln der Larve haben die Haken nichts zu
thun und ebensowenig sind sie als Extremitäten an-
zusehen, wie aus ihrer Entstehung vor dem Munde
und in Einsenkungen hervorgeht. Später werden die
Haken weiter nach hinten in die Gegend des Mundes
oder sogar hinter denselben verlagert (Fig. 405). Von
Differenzirungen der Oberfläche ist noch eine grössere
Anzahl paarweise angeordneter Papillen am Vorder-
ende zu erwähnen (Fig. 405 tp\ welche als Tastorgane
gedeutet werden (Leückart, Stiles).
Die letzte Larvenform und ihre Uebertra^un^ in den definitiven
Wirth. Mit den besprochenen äusseren und inneren Entwicklungsvor-
gängen hat sich der Körper der Larve in die Länge gestreckt, so dass
er gezwungen wurde, sich in der Cyste einzurollen. Im Grossen und
Ganzen wird innerhalb der Cyste schon die Gestaltung des Geschlecht--
thieres erreicht. Die Larve (Fig. 405) durchbricht nun die Cyste und
entfernt sich durch active Wanderung von ihrem bisherigen Wohnort,
wobei ihr die Stachelkränze von Vortheil sind. Wird der Zwischenwirtli.
welcher sie beherbergt, zu dieser Zeit von einem Raubthier zerrissen, so
gelangt die Larve aus dessem Munde wahrscheinlich direct in die Nasen-
höhle, um hier durch nochmalige Häutung das Stachelkleid abzuwerfen
und endlich die völlige Organisation des geschlechtsreifen Pentastomirm
Fig. 405. Freie
Larve von Penta-
s t o m u m taenioi-
d es (das sogen. P.
denticulatum)
aus der Leber des
Kaninchens oder der
Nasenhöhle des Hun-
des (nach Leückart).
a After, d Darm.
h Haken , m Mund,
sf Stachelkränze, tp
Tastpapille.
652 XVIII. Capitel.
zu erhalten. Findet die Larve jedoch nicht eine so günstige Gelegen-
heit, ihren definitiven Träger zu erreichen, so kapselt sie sich im Körper
des Zwischenwirthes von Neuem ein. Eingekapselte Larven von ge-
nügender Reife, welche mit dem Fleisch des Zwischenwirthes von einem
Raubthier aufgenommen werden und in dessen Darm gelangen, durch-
brechen die Darmwand und gelangen durch active Wanderung in die
Luftwege und die Nasenhöhle (Gerlach, Stiles).
3. Allgemeines.
In der Entwicklung von Pentastomura bildet den wichtigsten Punkt
das Auftreten der mit zwei Paar Extremitäten versehenen Larve. Diese
Larvenform deutet entschieden darauf hin , dass wir es in Pentastomum mit
einem Arthropoden zu thun haben , was aus der Organisation des ausgebil-
deten Thieres nicht so sicher hervorgeht. Diese Larvenform war es auch
vor allen Dingen , welche die Zusammenstellung des Pentastomum mit
den Milben veranlasste. Die Aehnlichkeit würde noch grösser sein , wenn
bei Pentastomum auch eine sechsfüssige Larve aufträte , wie dies be-
hauptet wurde (De Filippi). Leider ist die betreffende Angabe De Filippi's
welche von Wichtigkeit wäre, sehr unsicherer Natur, wie ein Blick auf seine
Abbildungen zeigt, Eine directe Vergleichung der Pentastomumlarve mit
derjenigen der Milben ist in Folge des Fehlens der Mundwerkzeuge bei der
ersteren ausgeschlossen. Freilich kann hier eine Rückbildung stattgefunden
haben, welche noch weiter geht als die auch bei den Milben schon auftreten-
den Rückbildungserscheinungen, und es ist immerhin möglich, dass sich
Pentastomum von milbenähnlichen Formen ableitet. Gewisse Milben , wie
z.B. die Phytopten, bei denen zwei Beinpaare schwinden, und welche eine
langgestreckte Form annehmen (vgl. pag. 632 u 633), könnten einen Hinweis
für das Zustandekommen einer Form wie Pentastomum liefern (Leuckart).
Aber es muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass dafür ein bestimmter
Anhalt nicht vorliegt, und man könnte Pentastomum mit beinahe ebenso
viel Recht von anderen Gruppen der Arthropoden herleiten. Leider bietet
auch die Organisation des ausgebildeten Thieres keinen rechten Anhaltspunkt,
sondern lässt nur erkennen, dass Pentastomum eine in Folge des Parasitismus
stark rückgebildete Form ist. Wichtige Organsysteme, wie die Pespirations-
und Excretionsorgane , welche sonst durch ihre charakteristische Ausbildung
die Bestimmung der systematischen Stellung erleichtern, sind nicht vorhanden.
Auch ein Blutgefässsystem gelangt nicht zur Sonderung. Dagegen finden wir
in der quergestreiften Musculatur einen Arthropodencharakter. Dass auch die
Genitalorgane möglicher Weise in diesem Sinne zu verwenden sind, wurde
schon oben (pag. 650) angedeutet. Das Ovarium zeigt ähnliche Structurver-
hältnisse wie bei den Arachniden , indem sich die Eier an seiner Oberfläche
follikelartig vorbuchten und das Ovarium dadurch eine traubige Beschaffen-
heit erhält.
Litteratur.
1. Beneden, P. J. van. Reeherches sur V Organisation et le developpement des Lingua-
tulcs (Pottastoma). Ann. Sc. Nat. 3e sc')-. Zool. T. II. 1849.
2. Filippi, F. de. Xuova linguatula con embrioni di paiticolar forma. Archivio per
la Zool., Anut. e Fisiol. Fase. J. Vol. 1. Genova 1861.
3. Gerlach, A. C. Pentastomum dentieulatum bei zwei Ziegen. Jahresber. d. k. Thierarz-
neisc/mle zu Hannover. II. 1869.
Pentastomiden. (353
4. Hoyle, W. E. On a new Species of Pentastomum (P. protelisj, from the Mesentery
of Proteles cristatus etc. Tr ansäet ions Roy. Soc. Edinburgh. Vol. 32. 1SS7.
5. Jaquart, H. Meeanisme de la retraction des ongles des Felis et des crochets des
Linguatulcs trouve'es dans les poumons des serpents. Journ. Anat. et P/iys. vorm. et
path. etc. Paris. 3 annee. J8l>(>.
6. Leuckart, R. Bau und Entwicklungsgeschichte der Pentastomen. Leipzig u. Heidelberg
1860.
1. LiOhrmann, E. Untersuchungen über den anatomischen Bau der Pentastomen. Ar eh.
f. Xaturg. 55. Jahrg. lSS'J.
8. Maealister, A. On two new species of Pentastoma. Proc. Roy. Irish. Acad. 2. ser.
Fol. 2. Bubiin 1875—77.
9. Schubärt, T. D. Veber die Entwicklung des Pentastomum taenioides. Zeitschr. f.
wiss. Zool. 4. Bd. 1853.
10. Stiles, Ch. W. Bau und Entwicklungsgeschichte von Pentastomum proboseideum u.
P. subeylindricum. Zeitschr. f. wiss. Zool. 52. Bd. 1891. (Biese Arbeit enthält
ein sehr ausführliches Verzeichniss der Litteratur über die Pentastomiden)
XIX. Capitel.
PANTOPODEN.
Eiablage und Brutpflege. Die Weibchen der Pantopoden legen
ihre Eier nicht frei ab, sondern übergeben sie den Männchen, welche sie
an ihrem dritten Extremitätenpaar, den sog. Eierträgern (Fig. 416, 3,
pag. 671), befestigen und mit sich herumtragen, bis der Embryo zur
Reife gelangt ist. Die Eier sind gewöhnlich in grössere Päckchen zu-
sammengehäuft, welche an 100 Eier enthalten können. Solcher Päckchen
finden sich mehrere am Männchen vor, so dass ein tüchtig beladenes
Männchen an 1000 Eier tragen kann (Dohrn). In diesen Fällen pflegen die
Eier klein zu sein. So verhält es sich bei den meisten Pantopoden; bei der
Gattung Pallene jedoch sind die Eier verhältnissmässig gross (0,25 mm
im Durchmesser) und besitzen beispielsweise das 125fache Volumen der
Eier von Phoxi chi lidium und Tanystylum (Morgan). Pallene
trägt nur wenige, gewöhnlich nur zwei Eier in jeder Kittmasse.
Solcher Kittmassen sind bei Pallene ebenfalls nur wenige vorhanden
(Dohrn). Nymphon besitzt nach Hoek besonders grosse Eier (bei N.
brevicaudatum 0,5 bis 0,7 mm im Durchmesser), doch trägt diese
Gattung dabei eine grössere Anzahl von Eiern. Diese grossen Eier sind
besonders dotterreich, was bei den kleineren offenbar weniger der Fall
ist. Die Form der Eier ist kugelrund ; innerhall) der Kittmasse
wird jedes Ei noch von einer besonderen dünnen Membran umgeben
(Fig. 406 B).
1. Die Furchung und Keimblätterbildung.
Die Furchung der Eier ist eine totale (Dohrn, Hoek-, Morgan),
doch verhalten sich in dieser Beziehung die einzelnen Gattungen ver-
schieden, indem die mit kleineren Eiern versehenen, z. B. Phoxichi-
lidium und Tanystylum eine äquale, die mit grösseren Eiern (Pal-
lene, Nymphon) eine inäquale Furchung zeigen (Morgan).
Die ersten Entwicklungsvorgänge am Pantopodenei waren bisher nur
höchst unvollkommen bekannt. Nachdem schon vor langen Jahren (1843)
von Kölliker eine Angabe über die totale Furchung gemacht worden war,
beschrieb Dohkn (No. 3) später einige Furcbungsstadien von Pygnogonum,
welche die totale Furchung bestätigten. Bei seinen Untersuchungen des
Pantopoden. 655
Challengermaterials fand Hoek einzelne Entwicklungsstadien, welche aber
der Natur der Sache nach nur ein lückenhaftes Bild von der Embryonal-
entwicklung zu geben vermochten. Hoek: suchte dasselbe später durch einige
Beobachtungen am lebenden Object zu ergänzen (Pallexe, No. 7). Sodann
hat Morgan die Furchung und Keimblätterbildung untersucht (No. 10 und 11),
und in einer ganz neuerdings erschienenen Arbeit (No. 12) schildert er diese
Vorgänge bei einigen Formen in eingehender Weise. An seine Darstellung
werden wir uns daher besonders zu halten haben.
Palleue. Bei Pallene wird das Ei durch die erste Furchungs-
ebene in ein grösseres und ein kleineres Blastomer zerlegt, wovon das
letztere ungefähr den vierten Theil des ersteren im Umfang beträgt
(Morgan). Nach Hoek's Beobachtung geht die Theilung der Kerne in
den ersten Stadien derjenigen der Blastomeren voraus. Durch eine zur
ersten Theilungsebene senkrechte Ebene werden beide Kugeln in zwei
neue zerfällt, so dass jetzt zwei Mikro- und zwei Makromeren gebildet
sind. Die dritte Theilungsebene steht senkrecht auf den beiden vorher-
gehenden und lässt je vier Mikro- und Makromeren entstehen. Darauf
folgt ein Stadium von 8 kleinen und 8 grossen Furehungskugeln. Von
da ab halten Mikro- und Makromeren nicht mehr gleichen Schritt in der
Theilung. In einem späteren Stadium erkennt man auf Schnitten ähn-
liche Bilder, wie das von Fig. 407 A, nur dass der Pol der Mikromeren
aus schmäleren Zellen gebildet wird, als dort. Die Zellen haben, wie
man sieht, Pyramidenform, doch reichen die Zellgrenzen nicht bei allen
bis in das Centrum hinein. Damit ist schon der Uebergang zu dem
folgenden wichtigen Stadium angedeutet.
Eine inäquale Furchung scheint auch den dotterreichen Eiern von
Nymphon brevicaudatum zuzukommen, denn nach Hoek's Abbildung
(Fig. 2 Tat". XIX, No. 6) setzt sich in einem späteren Stadium die eine
Hälfte des Eies aus kleineren, die andere Hälfte aus grösseren Zellen zu-
sammen.
Die Kerne der pyramidenförmigen Zellen rücken mit dem umgeben-
den Plasma an die Peripherie (Fig. 406 A u. B). Die Grenzen der Blasto-
meren bleiben dabei zum Theil noch erhalten (dp), zum Theil aber
schwindet diese Abgrenzung, besonders gegen die Mitte des FJes hin
(A und B). Die Kerne sind von Protoplasmahöfen umgeben, welche Fort-
sätze in den Dotter erstrecken. Da diese Protoplasmacomplexe, indem
sie sich durch Theilung vermehren und enger an einander rücken, das
Blastoderm liefern (Fig. 406 0), so ergiebt sich hier ein ähnliches Ver-
halten wie bei den Spinnen, d. h. die Dottermasse erscheint in Dotter-
pyramiden gesondert, welche später zerfallen. Nach Hoek's Darstellung
scheint übrigens diese Zertheilung des Dotters auch in späteren Stadien
noch nachweisbar zu sein, wenn das Blastoderm bereits zur Ausbildung
uelanyt ist (man vgl. eine Abbildung von Nymphon brevicaudat u in ,
No. 6, Taf. XIX, Fig. 5). Im Centrum des Eies tritt eine Höhle auf
(Fig. 406 A, fh), welche als Furchungshöhle anzusehen ist. Aller-
dings scheint ihr Vorkommen nicht constant zu sein (Morgan), jeden-
falls schwindet sie bald wieder. Im Ganzen würde auch dieses Ver-
halten, wrenn es sich als richtig herausstellt, eine gewisse Uebereinstim-
mung mit den Verhältnissen bekunden, wie sie für die Spinnen dar-
gestellt wurden (pag. 570). Die Furchung geht auch hier aus der totalen
656
XIX. Capitel.
in eine superficiale über. Desgleichen scheint eine Concentration des
Blastoderms nach demjenigen Pole hin stattzufinden, an welchem später
die ersten Andeutungen des Embryos auftreten (Fig. 406 C). Am gegen-
überliegenden Pole des Eies, weicher früher ebenfalls periphere Zellen
zeigte [A und B), sind dieselben geschwunden.
<£&.
Fig. 406. A—D Schnitte durch Eier von Pallene in verschiedenen Stadien
der Blastodermbildung (nach Morgan).
In B tritt eine Einstülpung (e) am Blastoderm auf, in deren Umgebung sich
Zellen ablösen, wahrscheinlich die ersten Mesodermzellen.
bl Blastoderm, d Dotter, dp Dotterpyramiden, e Einstülpungsöffnung, eh äussere
und innere Einfälle, fh Furch ungshöhle (?).
Zur Zeit, wenn das Blastoderm nur einen Theil des Eies umgiebt,
sieht man unter ihm einzelne Zellen von amöboider Form gelegen
(Fig. 406 C). Nach Morgan findet eine Abspaltung von Zellen statt,
welche von dem an Zellen reicheren Pol der Mikromeren ausseht und
Pantopoden. 657
sich auf dem übrigen Umfang des Eies fortsetzt. In Folge dieser Theilung
der Blastodermzellen in radialer Richtung, welchen Vorgang Morgan im
Vergleich mit dem von ihm bei anderen Pantopoden beobachteten Ver-
halten als einen Delaminationsprozess auffasst, soll eine untere Schicht
von Zellen gebildet werden, welche wohl als Entoderm anzusehen wäre.
Eine solche Auffassung erscheint durch die bisher bekannt gewordenen
Thatsachen nicht genügend gestützt, und bezüglich der Bildung der Keim-
blätter wird durch Morgan's Beobachtungen noch eine andere Annahme
ermöglicht. An dem zellenreicheren Pole des Eies tritt nämlich eine
Verdickung des Blastoderms auf, welche Morgan mit dem Cumulus
primitivus der S p i n n e n e i e r vergleicht (pag. 573). An dieser Stelle
entsteht sodann eine Einsenkung (Fig. 406 D, e), von welcher aus eine
rege Vermehrung der Zellen vor sich geht. Mobgan selbst fasst diesen
Vorgang als die Bildung des Mesoderms auf und meint, dass ein Theil der
gegen den Dotter vordringenden amöboiden Zellen auch entodermaler
Natur ist. Beide Keimblätter sind noch nicht von einander geschieden.
Jedenfalls hat der ganze Vorgang grosse Aehnlichkeit mit der Bildung
der Keimblätter bei den Araneinen. Es werden amöboide Zellen ge-
bildet, welche gegen den Dotter vordringen und aus denen wohl später
der Mitteldarm hervorgeht. Dass ein Theil der Zellen, welche in der
Nähe der Einstülpung ihren Ursprung nehmen, die Anlage des Meso-
derms darstellt, ist zweifellos. Diese Zellen vermehren sich bald reich-
lich und ordnen sich zu zwei Bändern an, den Mesodermstreifen. Die
Einstülpung, welche man nach ihrer Beziehung zur Bildung der Keim-
blätter als Blastoporus ansehen möchte, soll nach Morgan das Stomo-
daeum sein.
Tanystylum und Phoxicliilidiuni. Die kleineren und weniger dotter-
reichen Eier der Pantopoden wie die von Tanystylum und Phoxi-
chilidium verhalten sich insofern abweichend von den vorher betrach-
teten dotterreichen Eiern, als sie einer äqualen Furchung unterliegen,
vermöge deren das Ei in zwei, vier, acht und sechzehn gleich grosse
Blastomeren zerfällt. Infolgedessen sind auch die pyramidenförmigen
Zellen des späteren Stadiums von ungefähr gleichem Umfang (Fig. 407 A).
Dadurch, dass der Dottergehalt dieser Eier ein geringerer ist, geht auch
die Weiterentwicklung in abweichender Weise vor sich. Es wird zu-
nächst kein eigentliches Blastoderm gebildet, wie bei Pallene, sondern
der Delaminationsprozess soll in Form einer multipolaren Einwanderung
vor sich gehen (Fig. 407 B). Es scheint dabei eine Furchungshöhle aufzu-
treten, wie aus der Fig. 407 B zuerkennen ist. Die pyramidenförmigen
Zellen theilen sich direct in eine äussere und eine innere Zelle. So-
wohl die inneren wie die äusseren Zellen fahren darauf fort, sich weiter
zu theilen. Die letzteren bilden eine regelmässige Lage von Zellen an
der Peripherie, das Blastoderm (Fig. 407 C, bl), während die inneren
Zellen ihre regelmässige Abgrenzung verlieren. So kommt eine Dotter-
masse zu Stande, in welche vereinzelte Zellen eingelagert sind {C, d
und s). Offenbar waren die inneren Zellen reicher an Dotter, welcher
nun zu der gemeinsamen Masse zusammengeflossen ist. Damit bietet
der Embryo dann ähnliche Verhältnisse dar, wie sie bei anderen Arthro-
poden, z. B. bei den Spinnen, gegeben sind, nämlich eine periphere Zellen-
lage (das Blastoderm) und die innere Dottermasse mit einzelnen darin
verteilten Zellen. Allerdings soll die Entstehung der letzteren bei den
Pantopoden eine abweichende sein, wie gezeigt wurde (Fig. 407 B). Die
658
XIX. Capitel.
Bilduno- der Keimblätter konnte bei den Formen mit äqualer Furchring
nicht genauer festgestellt werden, doch nimmt Morgan an, dass von den
inneren Zellen (dem Entoderm) der Mitteldarm gebildet wird. Auch bei
diesen Formen beobachtete Morgan schon früh eine Einsenkung der
peripheren Zellschicht, welche er in Uebereinstimmung mit dem schon
für Pallene besprochenen Verhalten als die Anlage des Stomodaeums
ansieht, Diese Einsenkung zeigt eine dreikantige Gestalt, und dies hat
Veranlassung gegeben, sie mit dem ebenfalls zuweilen dreikantig ge-
formten Stomodaeum der Spinnen zu vergleichen.
Bei der immerhin noch verhältnissmässig geringen Kenntniss, welche wir
von den ersten Entwicklungsvorgängen der Pantopoden besitzen , dürfte es
allzu gewagt scheinen, schon jetzt weitere Schlüsse daran anknüpfen zu wollen.
Dass eine gewisse Uebereinstimmung mit dem Verhalten der Spinnen her-
vortritt, wurde schon erwähnt. Die von Morgan vertretene Spaltung des
Blastoderms in zwei Zellschichten erinnert an die Vorgänge bei den Pseudo-
scorpionen (vgl. pag. 561) ; doch sind auch diese zu wenig bekannt, als dass man
a.
08.
Fig-. 407. A — C Schnitte durch Eier von Tanystylum (A u. B) und Phoxi-
chilidium (C) im Endstadium der Furchung (A) und im Stadium der Delamination
und Blastodermbildung (B u. C) (nach Morgan).
bl Blastoderm, d Dottermasse, z die Zellen, welche sich von den peripheren Zellen
(Blastoderm) ablösen und ins Innere rücken.
den Vergleich weiter führen könnte. Die beginnende Ausbildung und weitere
Differenzirung an dem einen Pole möchte man mit der Keimblätterbildung
der Aracbniden an einem beschränkten Theil des Blastoderms vergleichen.
Morgans Angaben über die Abspaltung bezw. multipolare Einwanderung
der Zellen lauten zu bestimmt, als dass man sie auf eine von jenem Punkt
ausgehende Einwanderung und darauf folgende Umwachsung des Dotters be-
ziehen und sie mit dem entsprechenden Vorgang bei den Scorpionen ver-
gleichen könnte. Immerhin dürfte das Augenmerk künftiger Beobachter
auf diesen Punkt zu richten sein. Wenn die oben besprochene Einsenkung
des Blastoderms auftritt, ist nach Morgan das Entoderm schon gebildet,
sie dürfte also nicht dem Blastoporus verglichen werden, obwohl ein solcher
Vergleich im Uebrigen sehr nahe liegt, um so mehr, da auch Morgan im
Umkreise jener Einsenkung das Mesoderm entstehen lässt. Dass übrigens
bei den Pantopoden ähnliche Vorgänge wie bei den Aracbniden sich voll-
ziehen, beweist die Bildung eines Keimstreifens, welcher allerdings sehr stark
zurücktritt , aber dabei gewisse Merkmale zeigt , welche ihn demjenigen der
Aracbniden ähnlich erscheinen lassen.
Pantopoclen.
659
Dütterreiche Eier dürften auch für die Pantopoden den ursprünglicheren
Zustand repräsentiren und mit ihnen die Bildung eines Blastoderras (von
der bei den Arthropoden gewöhnlichen Beschaffenheit) sowie diejenige eines
Keimstreifens. Durch das Zurücktreten des Dotters wurden wahrscheinlich
die Entwicklungsvorgänge stark beeinflusst und erreichten dadurch den Zu-
stand, auf welchem sie uns jetzt entgegentreten (vgl. hierzu pag. 668).
2. Die weitere Ausbildung des Embryos.
Die bisherigen Kenntnisse von der Ausbildung des Embryos und der
Anlage der Organe sind noch sehr unvollkommen. Die folgenden An-
gaben beziehen sich grösstentheils auf Fallen e, welche Form von
Morgan genauer untersucht wurde. Dabei muss aber noch besonders
hervorgehoben werden, dass sich Pallene im Gegensatz zu anderen
Pantopoden beinahe bis zur Erlangung der Gestalt des ausgebildeten
Thieres im Ei entwickelt (vgl. pag. 663 u. 668).
Wenn die schon mehrmals erwähnte Einstülpung an der verdickten
Seite des Blastoderms aufgetreten ist, erscheinen an der Oberfläche des
Eies von Pallene weitere Verdickungen. Zwei derselben sind von
ovaler Form und finden sich vor
der dreikantigen Einsenkung gelagert
(Fig. 408 g). Sie stellen die Anlage
des oberen Schlundganglions dar. Auf
der entgegengesetzten Seite der Ein-
stülpung, also nach hinten, erstrecken
sich zwei Reihen von Verdickungen,
die Anlage der Ganglienkette (Fig.
408), und seitlich davon treten als
stärkere Wulstungen die ersten An-
deutungen der Extremitäten hervor
(Fig. 409 A). Alle diese Organan-
lagen bilden einen vorn schmalen,
nach hinten breiteren Streifen an der
Oberfläche des Eies, welcher jeden-
falls dem Keimstreifen anderer Arthro-
poden zu vergleichen ist. Da die
Dottermasse nicht sehr umfangreich
ist, so legt sich der Keimstreifen um
einen grossen Theil des Eies herum.
Mit der weiteren Ausbildung des Em-
bryos erstreckt sich derselbe auch
seitlich mehr über das gesammte Ei,
so dass dann von einem gesonderten
Keimstreifen nicht mehr gesprochen werden kann, sondern die Embryonal-
anlage nunmehr das ganze Ei umfasst. Dabei hat sich der Embryo auch
etwas in die Länge gestreckt (Fig. 409 A).
Die Anlage der Extremitäten erfolgt bei den verschiedenen Formen
in differenter Weise. Bei Pallene wird zuerst das vorderste Glied-
maassenpaar angelegt, welches mit Scheeren versehen ist. Nach Morgans
Angaben liegt es neben dem Munde, doch scheint das erste Auftreten
noch nicht sicher genug beobachtet zu sein. Auf das erste Extremitäten-
paar folgt bei Pallene das vierte, und dementsprechend bemerkt man
zwischen beiden eine Lücke, in welcher zwei Ganglienpaare, die der
— ffin
¥
5tf
Fig. 408. Oberflächenansicht eines
Eies von Pallene, welche den vorderen
Theil der Embryonalanlage zeigt (nach
Morgan).
g Anlage des oberen Schlnndgan-
glions, gu — ^rv Bauchganglien, den Seg-
menten der Extremitäten II — IV zuge-
hörig, m Mund, / Extremität I, IV An-
lage der Extremität IV.
660
XIX. Capitel.
a,
zweiten und dritten Extremitäten, liegen (Fig. 408 u. 409 A). An das vierte
Paar schliesst sich das fünfte und sechste an. Das dritte Paar kommt
erst später zur Ausbildung; das zweite Paar fehlt bei Pallene über-
haupt, und das siebente tritt wie das dritte erst kurze Zeit vorher auf,
ehe der Embryo die Eihülle verlässt. Pallene erhält, wie man sieht,
als Embryo bereits sämmtliche Extremitäten des ausgebildeten Thieres.
Bei den meisten anderen Pantopoden ist dies jedoch nicht der Fall, son-
dern sie bringen innerhalb der Eihülle gewöhnlich nur drei Gliedmaassen-
paare zur Ausbildung. Auch bei Nymphon brevicaudatum sind
die Embryonen zur Zeit des Aussehlüpfens wahrscheinlich in Besitz sämmt-
licher Extremitäten (Hoek).
Während des Auftretens und allmählichen Wachsthums der Extremi-
täten hat auch die Anlage des Nervensystems eine weitere Differenzirung
erfahren. Fünf Paar grosser Ganglien
lassen sich deutlich unterscheiden (Fig.
409 A). Sie gehören den Segmenten
der zweiten bis sechsten Extremität an;
es wäre von Wichtigkeit, zu erfahren, wie
sich die ersten Extremitäten bezüglich
der zugehörigen Ganglien verhalten, d. h.
ob etwa ein postorales Ganglienpaar mit
dem oberen Schlundganglion verschmilzt.
— Die beiden vordersten der fünf Gan-
glienpaare treten später sehr nahe zu-
sammen (Fig. 414 B). Beim ausgebilde-
ten Thier sind diese Ganglien der Ex-
tremitäten II. und III. vereinigt. Zu den
schon frühe vorhandenen Ganglien der
drei ersten Gangbeinpaare (Fig. 409 Ä)
kommen erst weit später diejenigen des
vierten Beinpaares (der Extremität VII)
und die Ganglien für das Abdomen hin-
zu (Morgan).
In den Ectodermverdickungen, wel-
che die Anlage der Ganglien darstellen,
tritt eine grubenförmige Vertiefung auf
(Fig. 409 A und J5, e) , in deren Um-
gebung die Zellen der Verdickung eine
regelmässige epitheliale Anordnung zei-
gen (Morgan). Es nimmt also eine Ein-
senkung des Ectoderms an der Bildung
Fig. 409. A u. B. A Embryo
von Pallene empusa, von der
Bauchseite gesehen und B Theil eines
Querschnittes durch denselben, um
die paarigen Einsenkungen (e) an der
Bauchfläche zu zeigen (nach Morgan).
I — VI Extremitäten, bg Bauch-
ganglienkette, in den Ganglien die
Einsenkung (e) sichtbar, ect Ectoderm,
ent Entoderm, mcs Mesoderm.
des Ganglions theil. Die Einstülpung
schliesst sich später, ihre Höhlung ist
aber noch zu erkennen, wenn die Ganglienkette bereits in's Innere ge-
rückt und aus dem Zusammenhang mit der Körperbedeckung gelöst ist
(Fig. 410 e).
Wenn die beiden vorderen Ganglienpaare sich vereinigen, erscheinen
sie nur noch als ein einziges Paar, an welchem aber vier Gruben vor-
handen sind, so dass dadurch die Zusammensetzung aus zwei Ganglien-
paaren deutlich zu erkennen ist.
Moegan's Angaben über die Betheiligung von Ectodermeinstülpungen
an der Bildung der Bauchganglien lauten so bestimmt, dass ein Zweifel daran
nicht berechtigt erscheint (vgl. Figg. 409 und 410). Er selbst vergleicht
Pantopoden.
661
diese Gebilde mit den Ventralorganen desPeripatus (pag. 700) und eine gewisse
Aehnlichkeit damit ist vorhanden, obwohl hervorgehoben werden muss, dass
die Ventralorgane durchaus nicht in so directer Verbindung mit den Ganglien
stehen, wie dies bei den Einsenkungen der Pantopoden der Fall ist. — Bei
der Bildung des Gehirns liess sich die Theilnahme einer Ectodermeinstülpung,
wie sie den Bauchganglien zukommt, nicht mit Sicherheit feststellen, obwohl
man vielleicht gerade hier im Hinblick auf die Gehirneinsenkung der Arach-
niden eine solche Bildung erwartet hätte.
Die Ausbildung der äusseren Körpergestalt vervollständigt sich durch
das Hinzukommen der noch fehlenden Extremitäten, sowie durch ihre
Verlängerung und das Eintreten ihrer Gliederung. Das erste Paar rückt
mehr nach vom und an die Dorsalseite. An seiner Basis ist der Rüssel
Fig. 410. Querschnitt durch einen Embryo von Pallene empusa auf einem
etwas älteren Stadium als Fig. 409^4. Die ventralen Einsenkungen (e) sind bereits
geschlossen (nach Morgan).
bg Bauchnervenstrang mit der Fasersubstanz an der Dorsalseite, cce Mesoderm-
höhle der Extremität, d Dotter, di Entoderm(Darm)divertikel der Extremität, e die zum
Schluss gelangte Ectodermeinstülpung, ect Ectoderm, ent Entoderm, mes Mesoderm,
p Gangbeinpaar.
oder Schnabel, wie es scheint, als eine unpaare Vorwulstung des Körpers
entstanden. Er trägt an seiner Spitze den Mund. Am Hinterende des
Körpers tritt in Form eines kleinen Zipfels das rudimentäre Abdomen
auf, an dessen Ende die Afteröffnung gebildet wird.
Von der Ausbildung der inneren Organe ist zunächst diejenige des
Mitteldarmes zu erwähnen. Das Entoderm hat sich zu einem die Dotter-
masse umgebenden Epithel angeordnet (Fig. 410 ent) und von hier aus
erstrecken sich schon frühzeitig Divertikel, welche ebenfalls mit Dotter
erfüllt sind, in die Extremitäten (di). Das sind die Blindsäcke des
Darmes, welche auch bei der Larve (Fig. 414 Ä) und beim ausgebildeten
Thier bis tief in die Extremitäten hineinreichen. Diese Verhältnisse er-
innern an diejenigen von Chelifer, bei welcher Form sich ebenfalls
der Dotter weit in die Extremitäten hinein erstreckt (pag. 561 und
Fig. 358). Aehnliches ist auch bei den Milben der Fall und nach Locy
Korscheit-Heider, Lehrbuch.
43
662 XIX. Capitel.
sollen bei den Embryonen der Spinnen (so bei Agalena) Entoderm-
divertikel bis in die Extremitäten vordringen. Bekanntlich bewahren bei
den Pa n top öden, deren Rumpf gegenüber dem Umfang der Beine sehr
stark zurücktritt, die Darmäste zeitlebens ihre Lagerung in den Beinen.
Die letzteren enthalten beim ausgebildeten Thier ausserdem die Genital-
organe und so ist es erklärlich, dass schon früh zwischen Ectoderm und
Entoderm ein Fortsatz des Mesoderms in die Extremitätenanlage ein-
dringt. An der Basis jeder derselben liegt nach Morgan eine vom
mesodermalen Epithel umgrenzte Höhle und von hier aus erstreckt sich
der Mesodermfortsatz in die Extremität (Fig. 410 mes). Morgan spricht
direct von einer Leibeshöhle der Extremitäten. Wir haben also hier
jedenfalls die Ursegmente vor uns und die Gesammtheit derselben stellt
die beiden bereits segmentirten Mesodermstreifen vor. Diese letzteren,
die Anlage der Ganglienkette und die Extremitäten zu beiden Seiten
formiren auch hier den Keimstreifen (Fig. 408), obwohl derselbe gegen-
über dem geringen Umfang des ganzen Eies bedeutend zurücktritt. Da
diese Gebilde an dem verstärkten Theil des Blastoderms zur Ausbildung
kommen, so ist die Gegend, unter welcher sich das Mesoderm ausbreitete,
als die Anlage des Kemistreifens zu betrachten, so dass in dieser Be-
ziehung die Pantopoden mit den übrigen Arthropoden übereinstimmen,
worauf schon früher hingewiesen wurde.
Bestätigt sich das Auftreten von Ursegmenten und ihr Eindringen in die
Extremitäten, so wäre damit eine grosse Uebereinstimmung mit dem Verhalten
der Arachniden gegeben. Freilich zeigt auch Per ipa tus sowie manche
Insecten ein entsprechendes Verhalten, doch vermögen wir hierauf sowie auf
die von Moegan besonders betonte Aehnlichkeit in der Bildung der „Ventral-
organe" nicht so viel Gewicht zu legen. Die Querschnitte der Embryonen,
welche Moegan von Pallene und Hoek von Nymphon abbilden, lassen eine
gewisse Aehnlichkeit mit denjenigen von Spinnenembryonen nicht verkennen.
Die weitere Umbildung des Mesoderms, die Beziehungen desselben
zur definitiven Leibeshöhle und die Bildung des Herzens sind noch nicht
mit genügender Sicherheit festgestellt Das Herz tritt in der dorsalen
Mittellinie auf, wenn das Mesoderm bereits durch Abgabe von Zellen
Veranlassung zur Bildung einer Menge Schizocoel-artiger Hohlräume ge-
geben hat. Es wäre von Interesse, noch Genaueres über die Betheiligung
der Ursegmente an diesen Vorgängen (der weiteren Differenzirung des
Mesoderms und der Bildung des Herzens) zu erfahren.
Das Mesodermgewebe mit seinen Hohlräumen nimmt an Umfang zu,
wenn sich die Masse des Dotters verringert. Letzterer wird von dem
umgebenden entodermalen Epithel resorbirt. Dotterzellen scheinen da-
bei keine besondere Rolle zu spielen oder sogar ganz zu fehlen. Mit
dem Mitteldarm setzt sich das Stomodäum in Verbindung, welches Morgan
von jener schon sehr früh auftretenden, mehrfach erwähnten Einstülpung
herleitet. Das Proctodäum bildet sich erst sehr spät, wenn das siebente
Extremitätenpaar und wohl auch das Abdomen auftritt, da ja der After
am Ende des letzteren liegt.
3. Die Larven form und ihre Umwandlung in das
ausgebildete Thier.
Die Larven. Die meisten Pantopoden entwickeln sich mittelst Meta-
morphose. Ihre Larven weisen gewöhnlich drei Extreinitätenpaare auf,
doch verlassen einige in höherer Ausbildung das Ei; so besitzen die
Pantopoden.
663
jungen Pallenen beim Ausschlüpfen bereits sämmtliche Extremitäten
und auch einige Arten der Gattung Nymphon erreichen schon im Ei
diese höhere Entwicklungsstufe. Die verschiedenen Arten der letztge-
nannten Gattung differiren übrigens in dieser Beziehung, da die Larven
einiger beim Ausschlüpfen nur vier oder fünf Extremitätenpaare auf-
weisen (Hoek).
Die vielen Pantopodenlarven, welche beschrieben worden sind, weichen
nur wenig von einander ab und lassen sich leicht auf die erste mit drei
Fig. 411. Larve von Achelia laevis, unmittelbar nach dem Ausschlüpfen
(nach Dohrn).
I — III Extremitäten, bg Bindegewebsstränge, d Dorn an Extremität I mit Drüse
(dr), da Darm, / Faden des Drüsensekretes, g Gehirn (darüber die Augen), m Muskeln,
s Schnabel, v Vacuole in der Drüse.
Extremitätenpaaren versehene Larvenform zurückführen. Diese zuerst
von Dohen genauer studirte Larve zeigt einen gedrungenen Körperbau
(Fig. 411). Ihre Gestalt ist gewöhnlich beinahe quadratisch oder auch
rundlich, selten länglich oder oval. Der Körper ist äusserlich nicht
segraentirt, obwohl er drei Paare von Extremitäten trägt; in dieser Be-
ziehung zeigt die Larve also eine gewisse Uebereinstimmung mit dem
43*
664 XIX. Capitel.
Nauplius der Crustaceen. Mit diesem wurde sie auch verglichen, doch
ist die Uebereinstinimuug nur sehr äusserlicher Natur.
Wie erwähnt, ist die Larve mit drei Paar Gliedmaassen ausgerüstet.
Das vorderste derselben ist dreigliedrig und mit einer Scheere versehen.
An ihrem Basalglied besitzt die vordere Extremität einen beweglich
eingelenkten Dorn (Fig. 411 d), welcher bei anderen Gattungen eine be-
deutend grössere Länge erreicht, als dies bei der in der Figur darge-
stellten Larve von Achelia der Fall ist. Diese Einrichtung verleiht
der Extremität eine gewisse Aehnlichkeit mit den zweiästigen Glied-
maassen der Crustaceen, obwohl wir darauf nicht zu grosses Gewicht
legen wollen. Ein ziemlich umfangreicher Dorn, welcher sich mit dem-
jenigen der ersten Extremität vergleichen Hesse, kommt auch an den bei-
den folgenden Gliedmaassen vor (Fig. 411). Am ersten Gliedmaassen-
paar zeigt derselbe aber eine ganz besondere Einrichtung, indem eine
Drüse an seiner Spitze ausmündet (dr). Die feinen Fäden, welche durch
diese Vorrichtung produzirt werden können, dienen zur Fixirung der
Larve, wie Hoek an solchen Larven beobachtete, welche sich nach dem
Verlassen der Eihülle und vollzogener erster Häutung an den Eierträgern
des Männchens befestigten. Das zweite und dritte Gliedmaassenpaar be-
sitzt nur Krallen (Fig. 411 II und III). Sämmtliche Extremitäten, be-
sonders aber die ersten, sind sehr muskulös. Während die ersten zum
Fixiren und besonders zum Zufassen benützt werden, dienen die beiden
hinteren Paare zum Kriechen und Klettern. Die Larven leben zwischen
Algen, Hydroiden u. dergl.
Von der äusseren Organisation der Larve ist noch der Schnabel zu
erwähnen, welcher als kegelförmiges Gebilde ventral zwischen der Basis
der beiden vorderen Extremitäten entspringt (Fig. 411 s). An seiner
Spitze liegt die MundöfTnung.
Es scheint, als ob der Schnabel durch eine Vorwulstung des Ectoderms
in der Umgebung des Stomodaeums entstanden sei, obwohl man auch ge-
neigt war, ihn durch Verschmelzung der Oberlippe mit einem Extremitäten-
paar entstehen zu lassen (Adlekz). Ob eine Vergleichung des Schnabels
mit dem provisorischen Rüssel des Chelifer berechtigt ist, lässt sich bei
der geringen Kenntniss, welche man von dem letzteren Organ hat, nicht
entscheiden. Unwillkürlich wird man jedenfalls durch den Pantopodenschnabel
an dieses Organ erinnert.
Der Darm zeigt bereits Aussackungen, von denen das vordere Paar
sich in die Basis der ersten Extremitäten hinein zu erstrecken beginnt
(Fig. 411). Vom Darm ziehen Bindegewebsstränge zur Körperwand. Der
After scheint noch nicht vorhanden zu sein (Dohen) und tritt wohl erst
später mit der Anlage des Abdomens auf (Fig. 413 B).
Das Nervensystem der Larve besteht aus dem oberen Schlundganglion
und nur zwei Ganglienpaaren an der Bauchseite. Dicht über dem oberen
Schlundganglion liegen die beiden sich eng berührenden Augen (Fig 411).
Die Entstehungsweise der letzteren ist von besonderein Interesse, weil
sie Anknüpfungspunkte an die Verhältnisse der Arachniden darzu-
bieten scheint.
AVie das Nervensystem, so erreichen auch die Augen erst während
der Metamorphose ihre völlige Ausbildung. Zu den beiden Augen der
früheren Stadien kommt später noch ein weiteres Paar hinzu. Um ihre
Entwicklungsweise verständlich zu machen, niuss der bisher nur sehr
Pantopoden.
665
unvollkommen bekannte Bau der Pantopodenaugen mit einigen Worten
berührt werden. Dieselben bestehen ähnlich den Spinnenaugen aus einer
Cornealinse, der darunter gelegenen Hypodermis-(Glaskörper-)schicht,
einer dicken Lage von Retinazellen und dahinter gelegener Pigmentzellen-
schicht. In der Retina liegen die Zellkerne vor den Stäbchen;
diese gehören also dem hinteren Theil der Zelle an, und
stossen demnach direct an die Pigmentschicht (Fig. 412 st). Die
Nervenfasern verbinden sich aber mit den äusseren Enden
der Seh zellen, so dass also hier ganz ähnliche Verhältnisse vorliegen,
wie sie bei den hinteren Mittelaugen und Seitenaugen der Spinnen
obwalten (vgl. pag. 593, Fig. 376). Dieses letztere Verhalten schien
bereits aus den von Hoek gegebenen Darstellungen hervorzugehen, wurde
aber erst neuerdings durch Morgan fester begründet (No. 12).
Wie der Bau des ausgebildeten Auges,
so lassen auch die Entwicklungsstadien
eine grosse Uebereinstimmung mit den
Augen der Arachniden erkennen.
Eine Vergleichung der Fig. 412 mit den
Entwicklungsstadien der Augen von
Scorpionen und Spinnen Fig. 352,
pag. 548 und Fig. 377, pag. 594 thut
dies ohne Weiteres dar. Diese Figur
ist wahrscheinlich so zu deuten, dass
eine Einstülpung stattfand und diese
nach einer Seite hin sich unter der
Hypodermis ausbreitete. So entsteht die
Retina und die Pigmentschicht, sowie
aus der darüber liegenden Hypodermis
die Glaskörperschicht, welche nach
aussen die Linse abscheidet. Es findet
also bei der Bildung der Augen eine
Inversion statt und die Innervirung der
Augen von vornher würde auf dieselbe Weise zu erklären sein, wie bei
den Augen der Spinnen.
Frühere Entwicklungsstadien der Augen lassen übrigens eine Ein-
stülpung nicht so deutlich erkennen, wie dies bei den Augen der Spinnen
der Fall ist. Es liegen die verschiedenen Lagen von Zellen ziemlich
dicht aneinander und Morgan nimmt an, dass nicht eine eigentliche
(totale) Invagination stattfindet, sondern von der Einwucherungsstelle her
immer neue Zellen dem Auge hinzugefügt werden und so schliesslich
die Bildung der gleichen Schichten zu Stande kommt (Fig. 412), wie sie
das Arachnidenauge besitzt. Einer Verdickung der Hypodermis, welche
seitlich von den Augen auftritt, liegt vielleicht die Lieferung neuen
Zellenmaterials ob. Sie erinnert an die Hypodermisverdickungen, welche
neben den Augen der Crustaceen und des Limulus gefunden werden
(pag. 367 und 526).
Die Entwicklung und der Bau der Pantopodenaugen weist durchaus auf
eine Vergleichung mit den Arachnidenaugen hin. Morgan's Angabe, dass
die Stäbchen durch Verschmelzung der Stäbchen zweier benachbarten Zellen
entstehen, lässt die Uebereinstimmung noch auffälliger erscheinen und führt
uns bezüglich der Pantopodenaugen zu derselben Auffassung, welche wir für
die Augen der Arachniden aufstellten, nämlich zu einer Herleitung dieser
Fig. 412. Längsschnitt durch
eines der hinteren Augen der Larve
von T a n y s t y 1 n m (nach Morgan).
e Cuticula, ect Ectoderm (Hypo-
dermis), gk Glaskörper, hy Hypoder-
mis, pi Pigmentschicht, r Retina,
st Stäbchen.
m
XIX. Capitel.
scheinbar einfachen von zusammengesetzten Augen. Freilich ist unsere Kenntniss
von den Pantopodenaugen noch eine zu geringe, um weiter gehende Schlüsse
zu gestatten, ja Mokgan vertritt sogar eine ganz entgegengesetzte Auffassung,
indem er die jedenfalls vorhandene Inversion dieser Augen durch Verkümme-
rung des hinteren Theiles einer Augeneinstülpung und bessere Entwicklung
der vorderen Parthien erklärt. Er leitet auf diese Weise die invertirten
Pantopodenaugen von solchen einfachen Augen (Ocellen) ab, wie sie
die Insecten besitzen, wofür ihm besonders eine gewisse bilaterale Gestaltung
der Pantopodenaugen maassgebend ist. Derjenige Entwicklungsmodus aber,
wie er in der Ontogenie auftritt, d. h. das Vorwachsen der Einstülpung nach
einer Seite hin, stellt nur einen caenogenetischen Vorgang dar und dient
zu rascherer Erreichung des Baues , welchen das fertige Auge jetzt besitzt.
Er hat die Bedeutung einer abgekürzten Entwicklung. In Consequenz dieser
Auffassung müsste man eine entsprechende Annahme auch für die Augen der
Arachniden machen. Wir können hier nicht noch näher auf Mokgan's Aus-
führungen eingehen, sondern verweisen in dieser Beziehung auf die Original-
Fig. 413. A und B jLarven von Tanysty lum in zwei verschiedenen Stadien ;
von der Ventralseite gesehen (nach Morgan).
a After, abd Abdomen, bg Bauchganglienkette, m Mund, »Schnabel, I—IV Extre-
mitäten I — IV.
abhandlung, sowohl wie auf unsere pag. 597 ff. dargelegte Auffassung der
Arachnidenaugen. Dagegen muss noch bemerkt werden, dass die neuerdings
von Claus (No. 2) für die Entstehung des Medianauges der Crustaceen ge-
gebene Darstellung unwillkürlich an die Verhältnisse der Pantopodenaugen
erinnert. Nach Claus sollen die Medianaugen der Crustaceen durch Inversion
entstehen und scheinen eine ganz ähnliche Anordnung der Elemente zu be-
sitzen, wie sie für die Pantopodenaugen beschrieben wird. Die Stäbchen
liegen nach innen zu, gegen den Pigmentbecher des Auges gerichtet, während
die Nervenfasern von der entgegengesetzten Seite , wo auch der Kern der
Retinazellen liegt, an diese herantreten.
Die Umwandlung der Larve in das ausgebildete Thier besteht
vor Allem in der Bildung neuer Körperabschnitte am hinteren Theil des
Körpers. Die vorhandenen Extremitäten gehen entweder direct in das
fertige Thier über und unterliegen dann nur einem stärkeren Waehsthum,
sowie einer weiteren Ausbildung, oder einzelne von ihnen, gewöhnlich
Pantopoden.
667
die zweite oder dritte, in manchen Fällen auch beide, ja sogar alle drei
Extremitäten gelangen zur Rückbildung, und an derselben Stelle sprossen
dann die definitiven Gliedmaassen hervor (Dohrn, Hoek), soweit sie
dem ausgebildeten Thier überhaupt zukommen. Bei Pallene fehlt das
zweite Paar und scheint überhaupt nicht angelegt zu werden, während
bei Tanystylum das erste Paar nicht vorhanden ist, in derOntogenie
aber als wohlentwickelte scheerentragende Extremität auftritt (Fig. 413
A und B) und erst in den späteren Larvenstadien allmählich zur Rück-
bildung gelangt (Morgan). Die Lage der rückgebildeten Extremitäten-
paare 11 und" 111 wird durch das Auftreten der als Excretionsorgane
gedeuteten Drüsen (Coxaldrüsen ?) mit ihren Aasmündungen an dieser
Stelle bezeichnet. Der röhrenförmige Stachel der ersten Extremität,
durch welchen die oben beschriebene Drüse ausmündet, wird bei einer
der Häutungen abgeworfen und macht einem gewöhnlichen Dorn Platz.
Diese Vorrichtung hat also die Bedeutung eines Larvenorganes.
Fig. 414. A und B Larve von Nymphen brevi Collum bald nach dem
Ausschlüpfen. Dorsal- und Ventralansicht (nach Hoek).
I— V die fünf vorderen Extremitäten, bg Bauchganglienkette , d Dottermasse,
di Divertikel des stark mit Dotter angefüllten Mitteldarmes in den Gliedmaassen, g Ge-
hirn, s Schnabel.
Die erste Andeutung der Bildung neuer Segmente am Körper be-
steht nach Dohrn in einer paarigen Aussackung des Darmes hinter der
letzten Larvenextremität , woran sich eine Ausbuchtung der Körperwand
anschliesst. Gleichzeitig erfolgt in der hinteren Parthie der Ventralfläche
eine Verdickung des Ectoderms, die Anlage eines neuen Ganglienpaares.
Die Hypodermis beginnt am hinteren Körpertheil runzlig zu werden und
hebt sich von der schon neugebildeten unteren Hypodermisschicht ab.
Nunmehr häutet sich die Larve, und nach vollzogener Häutung erkennt
man, dass an jener Aussackung der Körperwand, in welche sich ein
Darmdivertikel fortsetzt, eine Kralle aufgetreten ist. Damit giebt sich
das Gebilde als eine neue Extremität zu erkennen, die sich bald weiter
ausbildet und gliedert (Fig. 413 A und B). In entsprechender Weise
erfolgt die Bildung der übrigen Extremitäten. Erst bei dieser weiteren
Zunahme des Körpers an Länge betheiligen sich auch die drei vorderen
Extremitätenpaare an der Umwandlung (Dohrn). Als eine sackförmige,
nach hinten gerichtete Ausbuchtung entsteht das kurze Abdomen, an
welchem der After auftritt (Fig. 413 B).
Die besprochenen Umwandlungen der sechsbeinigen Larve erfolgen
bei einigen Formen, wie schon erwähnt, bereits innerhalb der Eihülle,
668 XIX. Capitel.
so dass z. B. die Larven von Nymphon brevicollum mit fünf
Gliedmaassenpaaren versehen die Eihülle verlassen (Fig. 414 A und B).
Ein weiteres Extremitätenpaar ist schon in der Anlage vorhanden. Die
übrige Organisation dieser Larven, besonders die Gestaltung der Ex-
tremitäten mit den tief in sie hineinragenden Mitteldarmdivertikeln und
diejenige des Nervensystems ergiebt sich ohne Weiteres aus der Be-
trachtung der beiden Figuren 414 A und B. Die Jungen von Nym-
phon brevicaudatum verlassen wahrscheinlich im Besitz sämmtlicher
Extremitäten das Ei (Hoek) und ebenso verhalten sich die Angehörigen
der Gattung Pallene (Dohrn, Morgan).
Während der Metamorphose wird die Anlage der Genitalorgane er-
kennbar, welche sich bei der sechsbeinigen Larve noch nicht nachweisen
lässt. Bei der mit vier Beinpaaren versehenen Larve (Fig. 413 B) liegt
dorsal vom Darm in der Mittellinie, ungefähr in der Gegend der Extremi-
tät IV (des ersten Gangbeinpaares), eine compakte Zellenanhäufung, die
erste Anlage der Geschlechtsdrüsen. Sie spaltet sich später an ihrem
Vorderende in' zwei Schenkel , welche gegen die Basis der ersten Gang-
beine hinwachsen. Dieser Vorgang wiederholt sich sodann am hinteren
Theil der Keimdrüse und so kommen die in die Extremitäten hinein-
wachsenden Genitalschläuche zu Stande. Dorsal von der Genitalanlage
und demnach direct unter der Körperdecke gelegen, hat sich im vorderen
Theil des Körpers ebenfalls aus Mesodermzellen die weite schlauchförmige
Anlage des Herzens gebildet.
Das Verhalten von Pallene und N y m p h o n legt die Frage nahe,
welcher Entwicklungsmodus bei den Pantopoden als der ursprünglichere auf-
zufassen ist. Das Auftreten von Larvenorganen und das Abwerfen einer
Larvenhaut, welches Dohrn bei Pallene beobachtete, zeigt, dass die directe
Entwicklung dieser Form nur als eine Abkürzung des indirecten Entwicklungs-
ganges aufzufassen ist und dass die letztere als das ursprünglichere Verhalten
erscheint. Infolge der vollkommeneren Ausbildung der Embryonen im Ei,
muss dem letzteren ein reicheres Nährmaterial zugetheilt werden. Der
grössere Dottergehalt der Eier von Pallene und Nymphon würde unter
diesen Umständen als eine später erworbene Einrichtung erscheinen und es
scheint sodann zweifelhaft, ob man den ersten Entwicklungsvorgängen dieser
Eier den Charakter wirklicher Ursprünglichkeit zuschreiben darf, obwohl man
dazu wegen der grösseren Uebereinstimmung mit der Entwicklung anderer
Arthropoden an und für sich geneigt wäre.
Der Entwicklungsgang von Plioxichilidium weicht von demjenigen
der übrigen Pantopoden insofern ab, als die Form der Larve eine ziem-
lich starke Rückbildung erfährt, ehe sie in das ausgebildete Thier über-
geht. Dies hängt mit ihrer parasitischen Lebensweise zusammen.
Beim Verlassen des Eies besitzt die Larve des Plioxichilidium
im Ganzen die Organisation der gewöhnlichen sechsfüssigen Pantopoden-
larve, zeichnet sich aber vor dieser dadurch aus, dass die Krallen der
beiden hinteren Gliedmaassenpaare sehr stark verlängert sind und lange
Geissein bilden (Fig. 415 A), die sich rankenartig aufwinden können.
Diese Ranken, welche noch weit länger werden können, als dies die
Figur erkennen lässt (so z. B. nach Hoek bei Plioxichilidium
femoratum), werden möglicher Weise um die Köpfchen von Hydroid-
polypen herumgewunden, wenn sich die Larve an diesen befestigen will.
Hydroiden dienen nämlich der Larve als Wirthe (z. B. Hydrac-
tinia, Podocoryne, Tubularia, Plumularia u. a.). Dohrn
Pantopoden.
669
nimmt an, dass die Larven, nachdem sie sich mit Hilfe der Ranken am
Hydroidpolypen fixirt und dann bei der Häutung die beiden hinteren
rankentragenden Gliedmaassenpaare abgeworfen haben, durch die Mund-
öffnung in den Gastralraum der Polypen gelangen. In diesem finden
sie sich jedenfalls später vor und durchlaufen hier die folgenden Ent-
wicklungsstadien.
Die Rankenbildung scheint nicht allen Phoxichilidi en zuzukommen,
denn R. von Lendenfeld beschreibt die Larve von Phoxichilidium
plumulariae, welche keine nennenswerthe Unterschiede von der gewöhn-
Fig. 415. A — B verschiedene Larvenstadien von Phoxichilidium (nach
DoiiRN, Sempek und Adleez).
A freie Lar-ve mit den Eanken an den beiden hinteren Extremitäten (II u. III),
£ — D Larvenstadien aus Hydroidpolypen. (A ist stärker vergrössert als die übrigen
Figuren.)
I—III Extremitäten, d Darm, bezw. Divertikel desselben, dr Drüsen der Ex-
tremität I, h Larvenhaut, in der Ablösung begriffen, n Bauchganglienkette, s Schnabel.
liehen Pantopodenlarve besitzt. Diese Larve unterscheidet sich auch durch die
Lebensweise von anderen Phoxichilidien , indem sie nicht in das Innere der
Polypen eindringt, sondern sich nur mit Hilfe ihrer Scheeren am Polypen
festheftet und ihren Schnabel am Grunde eines Köpfchens in den Körper
des Polypen einsenkt. In dieser Stellung verbleibt die Larve bis sie bei-
670 XIX. Capitel.
nahe die Gestaltung des fertigen Thieres erreicht hat. Aus v. Lendenfeld's
Darstellung dürfen wir wohl entnehmen, dass die weitere Entwicklung der
von ihm aufgefundenen Formen in ähnlicher Weise wie bei den übrigen
Phoxichilidien verläuft, denn auch er spricht von einem zweibeinigen
Stadium.
Es wurde bereits erwähnt, dass die Larven bei der Häutung die
Ranken mit den Extremitäten abwerfen (Semper, Dohen). Die Larven
machen mehrere Häutungen durch (Fig. 415 B), wobei die Extremitäten
II und 111 völlig zurücktreten (Semper), doch bleiben nach Adlerz
noch Reste der beiden hinteren Gliedmaassenpaare erhalten (Fig. 415
C und D) und an deren Stelle entstehen später die Extremitäten 11 und
III des ausgebildeten Thieres. Die oft zu mehreren Exemplaren in
einem Polypen vorkommenden Larven bieten in diesem ersten Stadium
mit ihren stark überwiegenden vorderen Extremitäten einen eigenthüm-
lichen Anblick dar (Fig. 415). Auf den folgenden Stadien sieht man die
Extremitäten (auch nach den Abbildungen von Adlerz) noch mehr zu-
rücktreten, doch beginnen sich mit den Aussackungen des Darmes die
hinteren Segmente anzulegen (Fig. 415 D). Die betreffenden Ganglien-
paare kommen zur Ausbildung, und bald treten dann auch die Aus-
buchtungen der Körperwand auf, welche die Extremitäten liefern (Semper,
Adlerz). Die hierbei sich vollziehenden Vorgänge scheinen im Ganzen
ähnlicher Natur zu sein, wie die schon früher geschilderten. Wenn drei
Gangbeinpaare gebildet sind und das vierte in der Anlage vorhanden
ist, verlässt das junge Thier die Hydroidpolypen und führt fortan ein
freies Leben.
4. Allgemeines.
Wie viel auch bereits über die verwandtschaftlichen Beziehungen der
Pantopoden geschrieben worden ist, so unklar sind dieselben doch bisher
geblieben. Leider zeigt sich auch die Entwicklungsgeschichte, insoweit
sie bisher bekannt wurde, wenig geeignet, diese Verhältnisse zu klären.
Wenn man die Pantopoden zu anderen Abtheilungen des Thierreiches
in Beziehung setzte, so dachte man hauptsächlich an die Crustaceen
und Arachniden. Für den Vergleich mit den ersteren war vor
allem die Form der Larve maassgebend ; bei der Zusammenstellung
mit den letzteren kam mehr die Gestaltung des ausgebildeten Thieres
in Betracht. Es ist nicht zu leugnen, dass im ganzen Habitus der
Pantopoden noch am ehesten eine gewisse Aehnlichkeit mit den Spinnen
vorhanden ist. Bei einer näheren Vergleiehung tritt aber sofort die
Schwierigkeit hervor, dass die Pantopoden ein Gliedmaassenpaar mehr
als die Arachniden besitzen. Diese Schwierigkeit hat man so zu um-
gehen gesucht, dass man die beiden ersten Extremitätenpaare der Panto-
poden (Fig. 416 1 und 2) den Cheliceren und Pedipalpen der Arachniden
gleichsetzt, und die Gliedmaassen 111 — VI den Gangbeinen derselben
verglich (Fig. 416 3—6). So würden also die „Eierträger" (Fig. 416 5)
dem ersten Fusspaare der Arachniden entsprechen und die noch übrig
bleibende Extremität Vll würde dem ersten Abdominalbeinpaar derselben
homolog sein. Wenn man sieht, dass z. B. bei den Insecten ein Ab-
dominalsegment vom Hinterleib abgegliedert werden und in engste Be-
ziehung zum Thorax treten kann , so Hesse sich eine solche Auffassung
schon vertheidigen. Die Vertreter dieser Auffassung meinen, dass die Hinzu-
ziehung eines neuen Beinpaares zur Vermittelung der Ortsbewegung durch
Pantopoden.
671
die Verwendung der dritten Extremität für das Geschäft der Brutpflege
bedingt sei. Nach dieser Auffassung würden die vier Gangbeinpaare der
Pantopoden nicht denjenigen der Arachniden homolog sein. Man hat
aber auch die Möglichkeit erwogen, dass dies dennoch der Fall sei und
musste dann den Ausfall einer vorderen Extremität bei den Spinnen
annehmen. Es wurde schon früher (pag. 636) darauf hingewiesen, dass
man im Rostrum der Arachniden ein Extremitätenpaar vermuthete.
Bei der weiteren Homologisirung führt auch die letztere Annahme zu
gewissen Schwierigkeiten bezüglich der Lagerung der betr. Extremitäten.
Ein genaueres Eingehen auf die verschiedenen, noch kaum genügend begrün-
deten Ansichten würde hier viel zu weit führen, doch muss noch erwähnt
werden, dass von anderer Seite die Eierträger nicht als selbstständige Ex-
tremität, sondern als zu Extremität II gehörig angesehen wurden. Schim-
kewitsch, welcher diese Auffassung vertritt (No. 14 und 15) stützte sich bei
Vertheidigung derselben auf die Thatsache der Zweiästigkeit der Anlagen der
Fig. 416. Männchen von Nymphon hispidum von der Bauchseite gesehen.
Die Borsten sind weggelassen (nach Hoek, aus Lang's Lehrbuch).
1 — 7 Extremitäten, ab Abdomen, s Schnabel.
Pedipalpen bei den Embryonen der Spinnen (pag. 582 und 636). Jeder der
beiden Aeste soll eine Extremität entstehen lassen. Diese Annahme wird durch
die Entwicklungsgeschichte nicht gestützt, da bei den Pantopodenlarven die
Extremitäten II und III völlig gesondert bestehen. Ebensowenig scheint die
Auffassung in der Entwicklungsgeschichte begründet zu sein, Avonach der
dreitheilige Schnabel der Pantopoden durch Verschmelzung eines Extremitäten-
paares und einer (unpaaren) Oberlippe entsteht. Dann würde noch ein
weiteres Extremitätenpaar hinzukommen, denn dass jene paarigen Stücke nur
Theile einer Extremität sein sollten , kann man nicht annehmen. Uebrigens
hat man ja auch bei den Spinnen an das Ausfallen zweier Extremitätenpaare
gedacht (Cronebekg, pag. 636). Aus der Entwicklungsgeschichte der Pantopoden
scheint hervorzugehen, dass der Schnabel, wie es Dohrn annimmt, nur einen
vorgestülpten Theil des Stomodaeums darstellt. Die Zahl der Ganglien ent-
spricht derjenigen der Extremitäten, allerdings findet Adleez (beim ausge-
bildeten Thier) ausser den Ganglien der Extremitäten II und III noch ein
weiteres Paar, welches die paarigen Theile des Schnabels innervirt. Ein
endgiltiges Urtheil über diese Verhältnisse wird sich erst gewinnen lassen,
wenn sie entwicklungsgeschichtlich genügend festgestellt sein werden.
672 XIX. Capitel.
Die Extremität I wird vom Gehirn aus innervirt, während die Extremi-
täten II und III ihre Nerven vom ersten und zweiten Bauchganglion empfangen.
Hier würde es nöthig sein, mit Sicherheit festzustellen, ob sich ein ursprüng-
lich postorales Ganglion mit dem Gehirn vereinigt, wie dies bei den Crusta-
ceen und Arachniden der Fall ist. Findet ein solcher Vorgang nicht statt,
so müsste man die bei den Arachniden verloren gegangene Extremität für
die Extremität I der Pantopoden halten und ihr Homologon in den vermeint-
lichen Rostralextremitäten der Arachniden suchen. Freilich will es nicht
recht einleuchten, dass die scheerentragenden ersten Gliedmaassen echte An-
tennen sein sollen und nicht vielmehr den Cheliceren der Arachniden zu
vergleichen sind.
Auf verschiedene Aehnlichkeiten in der Entwicklung der Pantopoden
mit den Entwicklungsvorgängen bei den Arachniden wurde bereits mehr-
mals hingewiesen, doch scheinen uns dieselben nicht genügend, um daraus
weitere Folgerungen für die verwandtschaftlichen Beziehungen beider
Gruppen ziehen zu können. Neuerdings hat sich Morgan, hauptsächlich
auf seinen entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen fussend, wieder
mehr für die Verwandtschaft der Pantopoden mit den Arachniden aus-
gesprochen. Es scheint uns, dass auf diese Stellungnahme der Bau der
Pantopodenaugen von ziemlichem Einfluss war; nun hat aber neuerdings
Claus gezeigt (pag. 367 u. 639), dass auch die Medianaugen der Crustaceen
durch Inversion entstehen und allem Anschein nach eine ähnliche Lage-
rung ihrer Bestandtheile aufweisen, wie sie die Augen der Pantopoden
besitzen (No. 2), so dass durch diesen Charakter der Pantopoden möglicher
Weise ebensowohl eine Annäherung an die Crustaceen als an die Arach-
niden gegeben sein könnte.
Bei der Annahme des Ausfalls einer vorderen Extremität ist man
genöthigt, den Zusammenhang der Pantopoden mit den Arachniden in
frühere Zeit zu verlegen, ehe diese aus Formen hervorgingen, wrelche
den Xiphosuren nahe standen , denn mit diesen stimmen die Arach-
niden in weit mehr Punkten zusammen, als mit den Pantopoden. Wenn
die Vereinigung in so weit zurückliegende Zeit verlegt werden muss,
verlieren die wenigen Vergleichspunkte mit den Arachniden aber wieder
an Bedeutung, da sie sich hauptsächlich auf die schon höher entwickelten
Arachniden, nicht auf deren niedere Formen beziehen. Die Pantopoden
aber von den Arachniden direct abzuleiten, scheint unthunlich. Dazu
haben diese letzteren schon eine allzu hohe Organisationsstufe erreicht.
Wenn die Pantopoden mit den Arachniden oder anderen gegliederten
Formen in Verbindung standen, so haben sie sich doch in ihrer ganzen
Organisation sehr weit von diesen entfernt und eine bedeutende Speciali-
sirung ihres Baues angenommen. Das bedeutende Uebergewicht, welches
die Extremitäten gegenüber dem Rumpf erhielten und das fast gänzliche
Zurücktreten des letzteren (Fig. 416) bedingt die Verlagerung der
inneren Organe in die Gliedmaassen. So treten zumal die Darmdivertikel
und die Geschlechtsorgane in diese hinein. Die Ausmündung der Genital-
organe an dem zweiten Gliede der Extremitäten ist wahrscheinlich eine
Folge dieses Verhaltens und daher als ein secundärer Charakter anzu-
sehen. In dem Falle, wenn sich die Geschlechtsöffnungen nicht an
mehreren, sondern nur an den Extremitäten VII finden wie bei Pycno-
gonum, könnte man geneigt sein, dieses Verhalten auf dasjenige des
Limulus und der Arachniden zu beziehen, bei denen die Geschlechts-
öffnungen am ersten Abdominalsegment liegen, und es für ursprünglich
Pantopoden. 673
zu halten; doch liegen für eine solche Annahme keine zwingenden
Gründe vor.
Das Zurücktreten des Rumpfes gegen die Extremitäten wird noch
auffälliger durch die starke Reduction, welche das Abdomen erfahren
hat. Dasselbe stellt nur einen kurzen, stummeiförmigen Anhang des
Körpers dar (Fig. 416), doch beweist das Vorhandensein zweier Ganglien-
paare im Hinterleib (Dohrn), dass derselbe ursprünglich aus mehr Seg-
menten bestand. Bei Ammothea und Zetes lässt denn auch das
Abdomen äusserlich eine Zweitheilung erkennen, und bei einigen anderen
Pantopoden sollen sogar noch mehrere (drei bis sieben) Segmente nach-
weisbar sein (Hoek, No.. 7, pag. 453 und 454).
Sollten die Pantopoden mit der Wurzel des Arachnidenstammes zu-
sammenhängen, so würden sich hierdurch gewisse verwandtschaftliche Be-
ziehungen zu den Crustaceen ergeben. Letztere erscheinen uns jedoch
ihrer Natur nach zu ferne, als dass wir Beziehungen zwischen der
Pantopodenlarve und dem Nauplius annehmen könnten. Diejenigen
neueren Beobachter, welche sich am eingehendsten mit der Pantopoden-
entwicklung beschäftigt haben, vermögen keine engeren Beziehungen
zwischen der Pantopodenlarve und dem Nauplius aufzufinden. Hoek
fasst die Larve als das Abbild einer ursprünglichen Stammform auf, in
ähnlicher Weise, wie man dies mit dem Nauplius gethan hat. Dohrn
sieht die Pantopodenlarve wie den Nauplius als eine modificirte Anne-
lidenlarve an, indem er die Pantopoden von Anneliden-ähnlichen Formen
herleitet. Morgan endlich vermag sich dieser Auffassung nicht anzu-
schließen, sondern betrachtet die Larve als eine secundäre Larvenform,
welche sich nicht mehr auf die Annelidenlarve beziehen lässt. Uns
scheint, als ob diese letztere Auffassung sich mit der von Dohrn leicht
vereinigen Hesse.
Die Auffassung der Larvenform steht im Zusammenhang mit der-
jenigen von der ganzen Organisation des ausgebildeten Thieres. Dohrn
leitet die Pantopoden von den Anneliden her, ohne sie mit den Crustaceen
und Arachniden in Beziehung zu setzen. Er fasst sie also als gesonderte,
unabhängige Gruppe auf. Letzteres ist auch der Standpunkt von Hoek
(No. 7). Morgan hingegen kehrt mehr die Beziehungen zu den Arach-
niden hervor. Dazu ist auch Schimkewitsch geneigt (No. 15). Er
schreibt den Pantopoden die gleiche Stammform zu, welche auch den
Arachniden zukommt, meint aber, dass sie sich bereits zu einer frühen
Zeit nach einer anderen Richtung abgezweigt und in differenter Weise
entwickelt haben. Der neueste Bearbeiter der Pantopoden, G. 0. Sars
(No. 13), stellt sie weder zu den Crustaceen noch Arachniden, sondern
will eine eigene Classe für sie gegründet wissen. Das Resultat von alle-
dem ist, dass man auch heute'noch nicht die Stellung der Pantopoden
einigermaassen sicher zu präcisiren vermag. Im Ganzen kann man sich
bei dem jetzigen Stand der Kenntnisse noch am ehesten den Ausfüh-
rungen von Dohrn anschliessen (No. 4). Wenn wir trotzdem die Panto-
poden hinter die Arachniden einreihten und ihre möglichen Beziehungen
zu diesen erörterten, so geschah ersteres mehr aus praktischen Gründen,
weil man sie anderswo noch weniger passend unterbringen kann und
letzteres, weil sich einige, wenn auch vorläufig noch recht schwache An-
klänge an die Arachnidenentwicklung zu ergeben scheinen.
674 XIX. Capitel.
Litteratur.
Von den vielen Abhandlungen, in welchen Entwicklungsstadien (Larven) der
Pantopoden beschrieben sind, können wir hier bei weitem nicht alle anführen, sondern
müssen in dieser Beziehung auf die folgende Litteratur verweisen.
1. Adlerz, G. Bidrag tili Pantopodernas Morfologi och Utvecklings historia. Bihang
tili k. Svenska Vetenskap. Akad. Handlingur. 13. Bd. IV. Afd. No. 11. Stockholm
1888.
2. Claus, C. Ucber den feineren Bau des Medianauges der Crustaccen. Anz. k. k. Akad.
Wiss. JVien M™ 1891. No. XII.
3. Dohrn, A. Untersuchungen über Bau und Entwicklung der Arthropoden. 2. Pycno-
goniden. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 5. Bd. 1870.
4. Dohrn, A. Die Pantopoden des Golfes von Neapel. Fauna und Flora des Golfes
von Neapel. 3. Monographie. Leipzig 1881.
5. Faxon, W. Bibliograph?/ to accompany „Selections from Embryological Monographs1'.
Pycnogonida. Bull. Mus. Comp. Zool. Harvard College. Vol. IX. 1882. pag. 247
(enthält die älteren Litteraturangaben) .
6. Hoek , P. P. C. Report on the Pycnogonida. Voyage of H. M. S. Challenger.
Zoology Vol. III. 1881.
7. Hoek, P. P. C. Nouvelles Etudes sur les Pycnogonides. Arch. Zool. exp. et gin.
T. IX. Paris 1881.
8. Hodge, G. Observations on a species of Pycnogon (Phoxichilidium coccineum) with
an attempt to explain the order of its development. Annais and Mag. Nat. Mist.
3. Ser. Vol. IX. 1802.
9. Iiendenfeld, R. von. Die Zarvenentwicklung von Phoxichilidium plumulariae.
Zeitschr. f. wiss. Zool. 38. Bd. 1883.
10. Morgan, T. H. Preliminary Note on the Fmbryology of the Pycnogonids. Johns
Hopkins Univ. Circulars. Baltimore. Vol. IX. No. 80. 1890.
11. Morgan, T. H. The relationships of the Seaspiders. Biologwal lectures delivered at
the Marine Biological Laboratory of Woods Holl. Boston 1891.
12. Morgan, T. H. A Contribution to the Embryology and Phylogeny of the Pycno-
gonids. Studies from the Biological Laboratory of the Johns Hopkins University .
Baltimore. Vol. 5. 1891.
13. Sars, G. O. Pycnogonidea. Den Norske Nordhavs-Expedition 1876 — 78. Bd. 20.
Christiania 1891.
14. Schimkewitsch, W. Etüde sur Vanatomie de l'Epeire. Ann. sc. nat. 6. ser. T, 17.
1884.
15. Schimkewitsch , W. Les Arachnides et leurs affinites. Archives Slaves de Biologie
T. I. Paris 1886.
16. Semper, C. Ueber Pycnogoniden und ihre in Hydroiden schmarotzenden Larven-
formen. Arb. Zool. Inst. Univ. Würzburg. 1. Bd. 1874.
Capitel.
TARDIGRADEN.
Die Eier werden entweder einzeln abgelegt (Macrobiotns Hufe-
landi) oder zu mehreren in der abgeworfenen Haut zurückgelassen.
Im ersteren Falle ist die Eihaut von kleinen Höckern dicht bedeckt
und dadurch die Beobachtung sehr erschwert, im letzteren Falle ist die
Eihülle glatt und durchsichtig. Verhältnissmässig günstig für das Studium
scheint die von Kaufmann beobachtete Art zu sein. Daran Hess sich
feststellen, dass die Furchung eine totale und äquale ist, wie auch
v. Siebold bereits nachgewiesen hatte. Kaufmann verfogte die Furchung
bis zur Bildung eines aus ungefähr gleich grossen Zellen zusammenge-
setzten „ Maulbeerstadiums u. Er beobachtete sodann die Abtrennung
einer peripheren Zellschicht von der centralen Masse und die nunmehr
erfolgende Einkrümmung des Embryos. Die concave Seite scheint der
Bauchfläche zu entsprechen, denn hier kommen beiderseits die Glied-
maassen zur Anlage. Zuerst treten zwei Paar von Höckern auf, allem
Anschein nach die beiden vorderen Gliedmaassenpaare, sodann folgt das
dritte und vierte Paar. Beim Verlassen des Eies besitzen die jungen
Thiere die volle Zahl der Extremitäten und überhaupt im Ganzen bereits
die Gestaltung des Mutterthieres.
Die Angabe von Siebold's (No. 4, pag. 553), dass die Em y dien, mit
nur drei Beinpaaren versehen , das Ei verlassen , dürfte wohl auf ein Miss-
verstehen der Angaben Doyere's (No. 1) zurückzuführen sein, welcher
Forscher angiebt, dass die Extremitäten dieser Formen nicht völlig ausge-
bildet sind . nicht aber , dass die letzteren eines Beinpaares ganz entbehren.
Ob v. Siebold selbst Beobachtungen in dieser Hinsicht gemacht hat, geht
aus seiner Darstellung nicht hervor. Wegen des verschiedentlich angestellten
Vergleiches der Tardigraden mit den Acarinen würde dieses Verhalten
von Interesse sein.
Leider sind die Angaben über die Entwicklung der Tardigraden so
dürftige, dass aus ihnen für die Auffassung der ganzen Gruppe kaum
ein Gewinn zu ziehen ist. Es lässt sich aus diesen Angaben nicht ein-
mal mit Sicherheit erkennen, ob es zur Bildung eines Blasto-
derms und Keimstreifens kommt, obwohl eine solche als wahrschein-
lich anzunehmen ist. Die Mundbewaffnung entsteht offenbar als ein
676 XX. Gapitel.
Product des Vorderdarmes, wie auch schon aus dem anatomischen Ver-
halten zu entnehmen ist; Mundwerkzeuge (im Sinne der Arthropoden)
kommen allem Anschein nach nicht zur Anlage. Schon aus diesem
Grunde lässt sich eine Anreihung der Tardigraden an die Arachniden
und besonders an die Acarinen, wie sie verschiedentlich, wohl hauptsäch-
lich im Hinblick auf Zahl der Beinpaare, vorgenommen wurde, nicht auf-
recht erhalten. In Bezug auf die Zahl der Extremitäten lassen sich die
Tardigraden überhaupt nicht mit einer der anderen Abtheilungen der
Arthropoden in Vergleich bringen und die Gestaltung der Gliedmaassen
ist eine so einfache, dass die Tardigraden auch in dieser Beziehung
von allen Arthropoden abweichen. Die Gliederung des Körpers ist
bei den Tardigraden dadurch eine eigentümliche, dass das Abdomen
fehlt und der After vor dem letzten Beinpaar gelegen ist. Auch die
übrige Organisation der Tardigraden bietet noch verschiedene Eigen-
thümlichkeiten dar, welche sie von den übrigen Arthropoden scheidet;
wir erwähnen z. B. die glatte Musculatur und das Fehlen besonderer
Athmungsorgane, sowie eines Gefässsystems. Alle diese und noch mehrere
andere Gründe (vgl. Plate, No. 3) haben dazu geführt, die Tardigraden
für einen Seitenzweig des Arthropodenstammes anzusprechen, welcher
sich bereits nahe der Wurzel von diesem abgespalten und in einseitiger
Weise fortentwickelt hat.
Litteratur.
1. Doyere, M. Memoire sur les Tardigrades. Ann. Sc. Xat. 2e ser. T. 14. Zool.
1840.
2. Kaufmann, J. lieber die Entwicklung und systematische Stellung der Tardigraden.
Zeitschr. f. wiss. Zool. 3. Bd. 1S51.
3. Plate, L. Beiträge zur Naturgeschichte der Tardigraden. Zool. Jahrbücher. Abth. f.
Anat., Ont. 3. Bd. 1888.
4. Siebold, C. Th. von. Zehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Thiere.
Berlin 1848. pag. 552 u. 553.
XXL Capitel.
ONYCHOPHOREN.
(Peripatus.)
Beschaffenheit der Eier und Ernährung des Embryos durch das
Mutterthier. Die Eier von Peripatus machen ihre Entwicklung im
Uterus durch, doch verhalten sich die den drei verschiedenen Welttheilen
angehörenden Alten in dieser Beziehung ziemlich abweichend von einander.
Genauer untersucht wurden daraufhin bis jetzt P. novaezealandiae
(Australien), P. capensis und balfouri (Afrika), P. edwardsii,
torquatus und imthurni (Südamerika). Die Differenzen in der
Entwicklungsweise der betreffenden Arten finden ihren Ausdruck bereits
in dem Grössenverhältniss der Eier und der reifen Embryonen. Die
ovalen Eier des P. novaezealandiae sind 1,5 mm lang und 1 mm
dick, die zur Welt kommenden Jungen sind aber nicht viel umfangreicher
als das Ei selbst;1) bei P. capensis und balfouri besitzt das Ei
eine Länge von 0,4 — 0,6 mm, die Embryonen dagegen messen 10 — 15 mm
(bei P. balfouri etwa die Hälfte) in der Länge und bei P. edwardsii
erreichen sie sogar eine Länge von 22 mm, d. h. ein Drittel der Länge
des Mutterthieres, während die Eier dieser Form nur 0,04 mm im Durch-
messer halten. Die Arten, deren Embryonen den grössten Umfang er-
reichen, besitzen also die kleinsten Eier, während umgekehrt die Arten
mit grossen Eiern nur kleine Embryonen hervorbringen. Die Erklärung
dieser auffallenden Thatsache ist darin zu finden, dass bei den süd-
amerikanischen Arten das Ei bezw. der Embryo in enge Beziehungen
zum Mutterthier tritt und durch „Placenta und Nabelstrang" (Fig. 430,
pag. 690) eine Ernährung desselben bewirkt wird. Daher sind die Eier
in diesem Falle so ausserordentlich klein und entbehren des Nährmaterials.
J) Wir halten uns hierbei an die bestimmten Angaben v. Kennel's (No. 4),
welche auf eigener Untersuchung des Objectes beruhen, obwohl wir die Angaben
Hutton's (No. 3) über die Grösse der neugeborenen Jungen von P. novae-
zealandiae kennen. Danach messen dieselben 8 — 12 mm. Da den Angaben
v. Kennel's von seiten der spateren Untersucher des neuseeländischen Peripatus nicht
entgegengetreten wurde, so müssen wir annehmen, dass die Differenz nur eine schein-
bare ist und die Grösse des Embryos gegenüber dem Ei nicht sowohl auf seine grössere
Masse, sondern vielmehr auf sein Längenwachsthum und seine Ausdehnung nach Ver-
lassen der Eihülle zurückgeführt werden muss.
Korse helt-Heider, Lehrbuch. 44
678 XXI. Capitel.
Bei den afrikanischen Arten sind die Eier grösser, stehen aber in keinem
Yerhältniss zum Umfang des Embryos. Hier gehen die Embryonen zwar
keine Verbindung mit der Uteruswand ein, aber sie ernähren sich jeden-
falls durch ein von dem Uterus geliefertes flüssiges Material. Bei dem
neuseeländischen Peripatus ist eine derartige Ernährung von seiten der
Mutter nicht nöthig, da der Umfang des Embryos denjenigen des Eies
nicht wesentlich übertrifft. In diesem letzteren Falle muss also das
Material zur Ausbildung des Embryos im Ei selbst enthalten sein. Und
wirklich findet man bei P. no vaezealand iae ein sehr dotterreiches Ei,
wie es in ganz ähnlicher Weise den meisten Arthropoden zukommt. Auch
die Furchung stimmt im Ganzen mit den Erscheinungen überein, wie
sie beispielsweise bei den Insecten statthaben. Bei den kaum in Abrede
zu stellenden nahen Beziehungen des Peripatus zu den Arthropoden liegt
es nahe, die Verhältnisse, wie sie sich bei dem neuseeländischen Peri-
patus finden, für die ursprünglichen anzusehen.
Es ist wahrscheinlich, dass Peripatus, wie die landlebenden Arthropoden im
Allgemeinen, dotterreiche Eier hervorbrachte und dieselben ablegte. Daran
erinnert das Vorhandensein einer festeren Eihülle bei der neuseeländischen Art,
worauf schon Sedgwtick (No. 11) aufmerksam machte, und auch das Ablegen
noch nicht völlig entwickelter Eier, wie es bei dieser Art vorkommt, dürfte
darauf hinweisen, selbst in Anbetracht dessen, dass so früh abgelegte Eier
nicht zu völliger Ausbildung kommen (Huttox, No. 3). Die Fähigkeit, die
Eier im Innern des Körpers zur Entwicklung zu bringen, dürfte erst secundär
erworben sein. Das dotterreiche Ei der neuseeländischen Form, welches im
Uterus zur Entwicklung kommt, stellt die erste Stufe dieses neuerworbenen
Entwicklungsganges dar. Eine Anhäufung von Nährmaterial in einem Ei,
welches sich im Uterus entwickelt, ist unnöthig, was gegen die Annahme
spricht , dass bei der neuseelandischen Art eine abgeleitete Form der Ver-
sorgung des Eies mit Nährmaterial vorliegt. Eine weitere Stufe in der An-
passung dürfte P. capensis darstellen. Seine Eier zeigen eine schwammige
Structur, als ob sie von flüssiger Dottermasse durchsetzt wären und dies so-
wohl , wie ihr Entwicklungsmodus , scheint darauf hinzudeuten , dass sie
gewissermassen einen Rückbildungszustand dotterreicher Eier repräsentiren.
Uebrigens treten auch vereinzelte Dotterkörner in diesen Eiern auf und bei
P. balfouri ist das Ei sogar noch ziemlich reich an geformter Dotter-
substanz. Bei den westindischen Arten ist die Ernährung des Embryos eine
so vollständige geworden, dass von dem früheren Dotterreichthum der Eier
keine Spur mehr übrig geblieben ist, und die Eier selbst ausserordentlich
klein geworden sind. Naturgemäss finden diese biologischen Verhältnisse
auch im Entwicklungsmodus der einzelnen Arten ihren Ausdruck.
1. Furcliung und Keiull)lätte^l)ildlmg,.
Obwohl die erste Entwicklung, Furchung und Keimblätterbildung des
Peripatus zu wiederholten Malen und bei den verschiedenen Arten Gegenstand
eingebender Untersuchungen gewesen ist, so blieb unsere Kenntniss dieser
Vorgänge dennoch eine sehr lückenhafte. Es scheint dies besonders an der
Schwierigkeit der Beschaffung des Materials zu liegen, denn die Eier, welche
den nach Europa gebrachten lebenden Thieren entnommen wurden, zeigten
theilweise einen so schlechten Erhaltungszustand (z. B. Sedgwick, No. 10,
Theil I, Fig. 7 — 13), dass die daran ausgeführten Untersuchungen keinen
Onychophoren.
679
grossen Werth zu beanspruchen vermögen. Zum Theil sind die Beobach-
tungen auch unvollständig , oder es machen sich , wie bei den von Kennel
genau untersuchten südamerikanischen Arten, schwerwiegende Meinungs-
differenzen zwischen den Autoren (y. Kennel und Sclater) geltend, welche
nur auf Grund erneuter Untersuchungen ihre endgiltige Lösung erfahren
können. Aus diesen Gründen ist eine zusammenhängende Darstellung der
ersten Enxwicklungsvorgänge und die besonders wünschenswerte Beziehung
derselben (bei den verschiedenen Arten) auf einander vorläufig noch nicht
zu geben. "Wir betrachten zuerst die Entwicklung von P. novaezealandiae,
da sie aus den oben besprochenen Gründen die ursprünglichsten Verhältnisse
darbieten dürfte und schliessen daran diejenige der afrikanischen Arten an.
Die südamerikanischen Arten beanspruchen nach dem uns bisher bekannt
Gewordenen eine gesonderte Stellung.
A. Peripatus novaezealandiae.
Die Furchung ist eine superfizielle. In dem dotterreichen Ei scheint
der Furchungskern eine periphere Lage zu haben. Aus seiner Theilung
resultiren die von Protoplasmainseln umgebenen Kerne, welche zum grossen
Theil ebenfalls eine periphere Lagerung beibehalten, doch rücken ein-
zelne Kerne in das Centrum des Eies hinein, wie aus den von Frl.
Lilian Sheldon gegebenen Bildern zu ersehen ist (Fig. 417, No. 12).
Auf die Vertheilung von
Kernen im Dotter ist es wohl
zurückzuführen, dass dieser zum
Theil in einzelne abgerundete
Complexe zerfällt (Fig. 418 Ä),
obwohl von L. Sheldon nicht
immer Kerne in diesen weder
bezüglich ihres Auftretens noch
ihrer Gestaltung regelmässigen
Dottersegmenten nachgewiesen
werden konnten. Dieser Zerfall
des Dotters hatte frühere Forscher
(Hutton, No. 3 , v. Kennel,
No. 4, Theil I), welche ihre Be-
obachtungen nur an ungenügen-
dem Material anstellen konnten,
zu der Auffassung geführt, als
ob das Ei des neuseeländischen
Peripatus eine totale Furchung
durchmache.
Tig. 417. Schnitt durch das Ei von
P. novaezealandiae (nach L. Sheldon).
Im Dotter rinden sich von Protoplasma-
höfen umo-ehene Kerne.
Nach der von L. Sheldon gegebenen Darstellung scheinen der
Furchungskern und die zuerst auftretenden Kerne an der späteren Dor-
salseite und gegenüber der Stelle zu liegen, wo der Blastoporus gebildet
wird. Diese Kerne vermehren sich und bilden eine periphere Anhäufung
(p r o t o p 1 a s m i c oder p o 1 a r a r e a , Fig. 41 8 A, a), von welcher aus so-
dann eine Umwachsung des Dotters vor sich geht (Bildung des Blastoderms).
Durch rege Vermehrung der Kerne und stetes Vorrücken an der Peripherie
wird diese vollzogen (Fig. 418 B) und rückt bis zu einer, der ursprüng-
vor , welche
44*
liehen Kernanhäufung ungefähr gegenüber
liegenden Stelle
680
XXI. Capitel.
unbedeckt bleibt. Hier erfolgt dann eine Wucherung der Zellen, wo-
durch das Bild einer Einstülpung erhalten wird (Fig. 419 A und B).
Die Einstülpungsstelle ist der Blastoporus (bl). Der Boden der Ein-
stülpung wird vom Dotter gebildet, in welchem Kerne zu erkennen sind
(Fig. 419 B). Die Keimblätter erscheinen in der den Blastoporus um-
gebenden Zellenmasse, welche die Anlage des Keimstreifens darstellt,
noch nicht gesondert. Frl. Sheldon scheint anzunehmen, dass der unter
der oberflächlichen Zellschicht (dem Ectoderm) gelegene Theil der Zell-
masse grösstentheils das Mesoderm liefert, während das Entoderm aus
den am weitesten nach innen gelegenen Zellen und grösstentheils unter
Theilnahme der noch im Dotter enthaltenen Kerne entsteht. Der Blasto-
porus streckt sich später in die Länge und stellt dann eine schmale
Rinne dar, deren Boden von dem kernhaltigen Dotter gebildet wird.
Damit sind dann ähnliche Verhältnisse wie die von P. capensis noch
zu schildernden (Fig. 426 A) gegeben.
Fig1. 418. A und B Theile von Schnitten durch das Ei von P. novaezea-
landiae, im Stadium der Blastodermbildung (nach L. Sheldok). A zeigt die „polar
area" und die Dotterzerklüftung, B die beginnende Umwachsung des Eies.
a „polar area", ds „Dottersegmente".
Die von L. Sheldon gegebene Darstellung und ihre Abbildungen fordern
eine weitere Erklärung dieser Vorgänge heraus. Soweit wir aus diesen Dar-
stellungen zu erkennen vermögen , wird der Umwachsungsprocess als eine
Gastrulation durch Epibolie aufgefasst. Dann würde die Dotterraaase mit
den eingelagerten Kernen dem Entoderm entsprechen. Bei Betrachtung der
Bilder drängt sich uns eine andere Auffassung auf, welche im Hinblick
darauf einige Wahrscheinlichkeit haben dürfte , dass wir es hier ähnlich
wie bei vielen Arthropoden mit einem sehr dotterreichen Ei zu thun
haben. Sei es , dass das Blastoderm wirklich durch Umwachsung des Eies
von dem einen Pol her gebildet wird , oder dass die im Dotter enthaltenen
Kerne, indem sie an die Oberfläche rücken, mit zu seiner Entstehung bei-
tragen, jedenfalls fordert die in den verschiedenen Stadien in gleicher Weise
wiederkehrende periphere Zellenanhäufung dazu heraus, sie mit der Zellen-
anhäufung in der Umgebung des Blastoporus zu identificiren (vgl. Fig. 418
und 419). Man würde dann nicht an die bei so dotterreichen Eiern un-
gewöhnliche Gastrulation durch Epibolie zu denken haben , sondern vielmehr
annehmen müssen, dass an dem Punkt, wo jene Zellenanhäulüng sich findet,
Onychophoren.
681
eine Einsenkung (InvaginatioD) erfolgt (Fig. 419 B). Ob der Boden dieser
Einsenkung vom Dotter (mit eingelagerten Kernen) gebildet wird , oder ob
ein geschlossener Urdarm vorhanden ist, müsste in diesem Falle noch fest-
gestellt werden. "Wenn sich der Blastoporus später in die Länge streckt,
(vgl. auch P. capensis), so würden damit ähnliche Verhältnisse vorliegen
wie bei der Gastrulation der In-
secten (pag. 806). Bei den letz-
teren weisen übrigens ebenfalls wie
bei Peripatus Mund und After Be-
ziehungen zu den beiden Endpunkten
des langgestreckten Blastoporus auf.
Bei einer derartigen Auffas-
sung der Furchung und Keimblät-
terbildung könnte auffallen , dass
die Invagination allem Anschein
nach am animalen Pole des Eies
erfolgt. Wenn man aber bedenkt,
dass bei P. capensis das Gehirn
in unmittelbarer Nähe des Blasto-
porus angelegt wird, so geht
daraus hervor, dass der vegetative
Pol , bezw. die Gegend der Ento-
dermbildung sehr nahe an den
animalen Pol herangerückt ist,
ohne dass man deshalb von einer
Gastrulation am animalen Pol
sprechen könnte. Ganz ähnlich
liegen die Verhältnisse bei den
Insecten und bei vielen Crusta-
ceen (pag. 343). Ueberhaupt
wird die hier vertretene Auffas-
sung durch das Verhalten jener
Crustaceen unterstützt , bei
denen die Umwachsung des Dotters
(oder die Blastodermbildung über-
haupt) von einem Punkte aus er-
folgt und in der Gegend jenes
Punktes dann die Gastrulation vor
sich geht (pag. 319).
Ueber die hier in Rede stehen-
den Vorgänge aus der Entwick-
lung des P. capensis Aufschluss
zu erhalten, ist bei der bisherigen
Kenntniss derselben unmöglich.
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Fig. 419. A und B Schnitte durch das
Ei von P. novaezealandiae auf dem
Stadium nach der Blastodermbildung' und
Invagination (nach L. Sheldon).
bl Blastoporus.
B. Peripatus capensis.
Peripatus capensis besitzt infolge der dotterärmeren Eier eine
anscheinend totale Furchung-. Nach den Angaben von Sedgwick soll am
Ei ein animaler (der späteren Dorsalseite entsprechender) und ein vege-
tativer Pol zu unterscheiden sein. Zwei meridionale Furchen zerlegen das
Ei in vier gleich grosse Blastomeren, von denen jede einen Theil des
animalen und vegetativen Plasmas erhält. Die Theilungsebenen sollen
682 XXI. Capitel.
übrigens das Ei nicht völlig durchschneiden, so dass die Blastomeren
central vereinigt sind. Durch eine Aequatorialfurche werden später die
aninialen Theile als Ectodermzellen von den grösseren Entodermblasto-
nieren abgeschnürt. Beide bilden dann eine ziemlich weite Keimblase,
indem der obere Theil derselben von den kleineren Ectoderm-, der untere
Theil von den umfangreicheren Entodermzellen geliefert wird. Diese
Blase mit weitem Hohlraum contrahirt sich sodann und nunmehr sollen
die Ectodermzellen die Entodermelemente umwachsen, wodurch bei immer
weiter fortschreitender Contraction eine solide (also epibolische) Gastrula
gebildet wird. Die Urdarmhöhle soll im Entoderm durch „Vacuolen-
bildung" entstehen! Sie mündet an der Stelle nach aussen, welche von
der Umwachsung frei geblieben ist und also dem Blastoporus entspricht.
Hinter diesem tritt eine Vermehrung der oberflächlichen Zellenlage auf,
welche zu einer Verdickung derselben und sodann zu einer Sonderung
der auf diese Weise entstandenen unteren Schichten führt. So entsteht
das Mesoderm. Mit der bald eintretenden Längsstreckung des Blasto-
porus , welche gleichzeitig mit einer Verlängerung des ganzen Embryos
vor sich geht (Fig. 426 A), wächst das Mesoderm zu beiden Seiten des
Blastoporus nach vorn und liefert so die Mesodermstreifen. Damit ist
die Anlage des Keimstreifens gegeben (Sedgwick).
Die von Sedgwick abgebildeten besser erhaltenen Eier lassen weite
Hohlräume in ihrem Plasma erkennen , so dass die Vermuthung sehr nahe
liegt, die Eier möchten in normalem Zustande von einer mehr oder weniger
flüssigen Dottermasse erfüllt sein. Die betreffenden Räume im Eikörper sind
sehr umfangreich und machen einen grossen Theil des ganzen Eikörpers aus,
so dass man (im Hinblick auf den höchst mangelhaften Erhaltungszustand
des untersuchten Materials) daran denken muss, man habe es vielleicht auch
hier in Wirklichkeit mit einer superficiellen Furchung zu thun. Dann würde
die Höhlung des beschriebenen Blastulastadiums von Dottermasse erfüllt sein
und die Gastrula vielleicht in ähnlicher Weise, wie es bei P. novaezea-
landiae vermuthet wurde, durch Invagination gebildet werden. Wir halten
uns bei dem Mangel eigener Anschauung des betreffenden Objectes nicht für
berechtigt, diese Meinung bestimmt auszusprechen, können uns aber doch nicht
versagen, auf die wie uns scheint sehr naheliegende Vermuthung hinzuweisen.
Damit würde sich eine gewisse Uebereinstimmung zwischen den afrikanischen
und der neuseeländischen Art ergeben , zumal es wohl als wahrscheinlich
anzunehmen ist, dass die dotterärmeren auf dotterreiche Eier zurückzuführen
sind. Letzterer Ansicht huldigt übrigens auch Skdowick selbst und in einer
späteren Arbeit (No. 10, 3. Theil) nennt er das Ei des Peripatus ca-
pensis ein meroblastisches, weil die Blastomeren central in Verbindung
stehen, wie schon oben erwähnt wurde.
C. Die amerikanischen Arten.
Die amerikanischen Arten zeigen infolge des geringen Umfanges
ihrer Eier und deren Beziehungen zur Uteruswand im Anfang völlig
andere Entwicklungserscheinungen als die vorher betrachteten Formen.
Die kleinen dotterarmen Eier machen eine totale und allem Anschein
nach ziemlich regelmässig verlaufende (äquale) Furchung durch. Es
scheint, dass der Embryo schon in diesen frühen Stadien Uterusflüssig-
keit in sich aufnimmmt, denn er vergrössert sich in auffälliger Weise
(v. Kennel). Wenn der Embryo das Stadium von 32 Zellen erreicht
hat, bildet er nach Kennel eine solide Zellenmasse, welche das enge
Onychophoren.
683
-B.
Uro.
t-
Ue.
Fig. 420. Schnitt durch einen [ im
Uterus gelegenen sechzehnzelligen Embryo
von P. edwardsii (nach J. v. Kenne l).
E Embryo, i. Uw innere Uteruswand,
Uterusepithel.
R
Ue
Lumen des Uterus ganz ausfüllt, also der Innenfläche des Uterusepithels
dicht anliegt (Fig. 420). Dieses letztere besteht anfangs aus sehr hohen
Zellen, welche sich aber (unter dem Einfluss des wachsenden Embryos)
abzuplatten scheinen. Zu diesem
Epithel tritt nunmehr nach Kennel
der Embryo in ganz directe Be-
ziehungen, welcher Vorgang von
eigenthiimlichen Veränderungen
seiner Gestalt begleitet ist. Unter
Abgabe von Flüssigkeit soll er
seinen Umfang vermindern und
sich plattenartig dem Uterusepithel
anfügen (Fig. 421 A). Die Ab-
bildungen lassen erkennen, dass
die Verbindung des Embryos mit
dem Epithel eine sehr innige ist, ja
das letztere kann sich sogar (wenn
auch vielleicht nur ausnahms-
weise?) von der Uteruswand ab-
lösen und als besondere Schicht den
Embryo umgeben (Fig. 421 B, Ue).
Letzterer hat seine abgeplattete
Gestalt wieder aufgegeben. Indem
sich seine mittlere Parthie von
der Uterusfläche abhebt, die
Randparthie dagegen an ihr liegen
bleibt und sich nur etwas mehr
zusammenschiebt, entstellt eine
gegen die Uterusfläche hin offene
Blase (Fig. 421 B). Von deren
Oberfläche lösen sich einzelne Zel-
len ab, welche amöboid von ihr
wegwandern, sich zum Theil an
das Uterusepithel anlegen und sich
schliesslich zu einer den ganzen
Embryo umgebenden Hülle zusam-
menfügen, welche man als Am-
nion bezw. Serosa angesprochen
hat (v. Kennel, Fig. 422 am).
Die gegen die Uteruswand hin
offene Blase, welche der Embryo
jetzt darstellt (Fig. 421 B),
schliesst sich bald durch Verwach-
sen des Randes. Dort hebt sich
dann der Embryo weiter von der
Uteruswand ab, indem er sich an
dieser Stelle verschmälert und so
eine Art von Stiel bildet (Fig.
422 n). An der Basis des Stieles
findet dann eine Zell Wucherung
statt, welche v. Kennel als em-
bryonale Placenta bezeichnet. Die-
ser entspricht eine ringförmige
i.Vrc.
■
SfiK!
Gm-
B.
.. G
■
E._
I 's
ue.
t.UltJ
Fig. 421.
Embryonen von
der Uteruswand
E Embryo,
A und B Schnitte durch
P. edwardsii mitsammt
(nach J. v. Kennel).
am Amnion, a.TJw. äussere,
i.JJw innere Uteruswand, Ue Uterusepithel.
684
XXI. Capitel.
Verdickung des Uterusepithels, welche mit ihr als „uterine Placenta" in
enge Verbindung tritt (Fig. 422 p.e und p.u). Den immer schmäler
werdenden Stiel, welcher den Embryo mit der Placenta verbindet, spricht
v. Kennel als Nabelstrang an. Der Embryo geht also nach dieser Dar-
stellung eine innige Verbindung mit der Uteruswand ein, und indem diese
letztere vor und hinter der Stelle, wo der Embryo liegt, durch Wucherung
der Bindegewebschicht stark verdickt und ihr Lumen dort verdrängt wird,
entsteht ein abgeschlossener Brutraum für den Embryo (Fig. 430, pag. 690).
Amnion und Uterusepithel stehen jetzt weit von letzterem ab (Fig. 422).
Die Bildung der Keim-
blätter nimmt dadurch ihren
Anfang, dass gegenüber der
Anheftungsstelle des Embryos
eine starke Vermehrung der
Zellen und in Folge dessen
eine Einwucherung derselben
beginnt (Fig. 422 iv). Wenn
man diesen Vorgang zur Ent-
wicklung der anderen Peri-
patusarten in Beziehung setzt,
so wird man die Stelle, wo
die Einwucherung stattfindet,
mit der Zellenanhäufung am
Blastoderm des neuseeländi-
schen Peripatus vergleichen,
an welcher (eventuell) der In-
vaginationsact erfolgt, und
welche gleichzeitig die erste
Andeutung des Keimstreifens
darstellt. Bei den südameri-
kanischen Arten ist diese Ein-
wucherungsstelle , welche
ihrer Lage nach der Ventral -
seite des Embryos entspricht
festgeheftet), als Blastoporus
Einwucherung immer weiter
des Embryos bis hinab zum
sind die Zellen aus einander
0411.-
birnförmig-en
Amnion und
Fig. 422. Medianschnitt eines
Embryos von P. edwardsii mit
Uteruswand (nach J. v. Kennel).
am Amnion, n Nabelstrang, p.e embryonale,
p.u uterine Placenta, JJe Uterusepithel, TJw Uterus-
wand, w Einwucherungsstelle.
ganzen
Rückenfläche
setzt sich die
Innenraum
An letzterem
(der Embryo ist mit der
anzusehen. Von ihm aus
fort und erfüllt den
„Nabelstrang" (Fig. 422)
gewichen und haben sich, ein Lumen zwischen sich lassend, zu einem
Epithel angeordnet, wie es auch am ganzen übrigen Umfang des Embryos
zu finden ist, die Einwucherungsstelle ausgenommen (Fig. 423). Dieses
äussere Epithel entspricht dem Ectoderm. Die weitere Differenzirung
der Keimblätter soll nach Kennel dadurch erfolgen, dass in dem mehr
dorsal gelegenen Theil der centralen Zellenmasse ein Hohlraum entsteht
und die Zellen in dessen Umgebung sich regelmässiger anordnen (Fig.
423 ent). Die so ausgezeichnete Zellenschicht, das Entoderm, unterscheidet
sich dadurch von der ventralen, am Blastoporus gelegenen Zellenmasse,
dem Mesoderm. Dieses bewahrt noch lange Zeit, auch bei der später
erfolgenden Gestaltsveränderung des Embryos, die Verbindung mit dem
Ectoderm und an dieser Stelle (w) wird fortdauernd neues Zellenmaterial
erzeugt (v. Kennel, Sclater).
Wir hielten uns in vorstehender Schilderung der ersten Entwicklungs-
vorgänge des P. edwardsii an die von Kennel gegebene Darstellung, weil
Onychophoren.
685
sie in Bezug auf Reichhaltigkeit und Erhaltungszustand des untersuchten
Materials die besseren Garantien zu bieten scheint, doch dürfen wir nicht
verschweigen , dass diese Vorgänge noch eine andere Beurtheilung erfahren
haben. Obwohl v. Kennel dieser letzteren mit recht gewichtigen Gründen
entgegen getreten ist (No. 5) , so scheint dieser von Sclater vertretenen
Auffassung doch ein gewisser Werth insofern beizulegen, als man nach einer
Erklärung der eigenthümlichen ersten Entwicklungsvorgänge suchen muss.
Nach Sclater (No. 9) entsteht als Resultat der Furchung eine von
grossen Zellen gebildete Keimblase mit wenig umfangreicher Höhlung (Fig.
424 A). An dieser erfolgt sodann eine Einstülpung (Pseudogastrula, Fig.
424 B). Der eingestülpte Theil liefert nach Sclater allein den Embryo,
Fig. 423. Medianschnitt eines birn-
förmigen Embryos von P. edwardsii
(nach v. Kennel).
ent Entoderm , n Nabelstrang,
w Wucherunosstelle.
a- B.
Fig. 424. A—C Schnitte durch Embryo-
nen verschiedener Stadien von P. imthurni
(nach Sclater).
E Embryo, a äussere, i innere Zelllage
des Embryos, m (cuticulare) Membran, welche
den Uterus nach innen begrenzt, p Placenta-
ähnliche Zellwucherung.
während die eigentliche Blase, indem sie sich erweitert und dadurch dünn-
wandig wird, nur als Hülle des Embryos dient (Fig. 424 G). Am eigent-
lichen Embryo entsteht übrigens auch noch, wie es scheint durch Abspaltung
einzelner Zellen, eine Hülle, welche dem von Kennel beschriebenen Amnion
entspricht.
Die von Sclater gegebenen Abbildungen stimmen im ganzen mit denen
v. Kennel's überein , nur ist die Deutung , welche ihnen beide Autoren
geben , eine total verschiedene. Was v. Kennel als Uterusepithel ansieht,
betrachtet Sclater als Embryonalhülle, denn so muss seine Pseudogastrula
wohl aufgefasst werden. Demnach würde die Fig. 421 B (v. Kennel's)
als Einstülpungsstadium, entsprechend der Fig. 424 B (Sclater's Pseudo-
gastrula) anzusehen sein und Fig. 420 müsste eine ähnliche Deutung finden.
686 XXI. Capitel.
Fig. 421 A müsste man bei dieser Auffassung wohl als ein älteres Stadium
betrachten , ähnlich der Fig. 424 C. Uebrigens dürfen die Stadien mit
dünner und mit dicker Wand der vermeintlichen Blase nicht so ohne Weiteres
auf einander bezogen werden, wie dies von Sclater geschehen ist. Es müssten
überhaupt noch weit bessere Belege für die von Sclater vertretene Auf-
fassung beigebracht werden, ehe dieselbe Anspruch auf Giltigkeit machen
kann ; trotzdem schien sie uns hier erwähnenswerth , weil sie noch am
ehesten einen Ausblick auf die Entstehungsweise der für Peripatus angege-
benen Embryonalhüllen zu gewähren scheint. Es liegt jedenfalls nahe, bei
den beiden Hüllen, welche den Embryo umgeben sollen, an die doppelte
Embryonalhülle (Amnion und Serosa) der Insecten zu denken und weiter
daran, dass diese doppelte Embryonalhaut wohl wie dort ursprünglich durch
einen Faltungsprocess ihre Entstehung genommen haben könnte. Die Orien-
tirung des Embryos zu den Falten könnte schon derjenigen des Insectenkeim-
Streifs gegen die Embryonalhäute entsprechen , doch wissen wir in dieser
Beziehung zu wenig über Peripatus, als dass dieser Vergleich hier weiter-
geführt werden dürfte. Erwähnt muss nur noch das von L. Sheldon (No. 12)
beschriebene Verhalten früher Stadien des P. novaezealandiae werden,
wonach der eigentliche Embryo innerhalb der Eischale noch von einer Dotter-
schicht (dem ectodermalen Dotter Frl. Sheldon's) umgeben ist. Leider ist
Genaueres über Bedeutung und Entstehungsweise dieses „äusseren Dotters"
nicht bekannt, doch möchte man auch hierbei an eine Embryonalhülle denken,
zumal sich auch kernähnliche Gebilde in dieser Aussenschicht finden. Man
wird zu einer solchen Annahme noch mehr verführt durch das Verhalten
derjenigen Insecten (bezw. Myriopoden) , bei denen sich der Keimstreifen in
den Dotter einsenkt , ein Verhalten , welches schliesslich zur Bildung der
Embryonalhüllen führt. Infolge dieser Entstehungsweise der Embryonalhüllen
(vgl. weiter unten, pag. 772 ff.) kann auch bei den Insecten noch der Embryo
scheinbar von einer äusseren Dotterschicht umlagert sein , welche sich in
Wirklichkeit zwischen den Embryonalhüllen findet.
Das Vorhandensein solcher auf Faltung zurückführbarer Embryonalhüllen
wird durch das Verhalten des P. capensis nicht bestätigt. Bei ihm ist
gar nichts von einer derartigen Erscheinung bemerkt worden ; auch ist nicht
anzunehmen, dass sie übersehen worden sei. Das Ectoderm von P. capensis
soll nur insofern ein eigentümliches Verhalten zeigen , als es in jüngeren
Stadien ausserordentlich vacuolenreich , von schwammigem Gefüge ist, und
infolge der Structur auf endosmotischem Wege Nahrung in sich aufnehmen
könnte (Sedgwick, No. 10). L. Sheldon bringt diese Structur in Be-
ziehung zu dem sog. ectodermalen Dotter der neuseeländischen Art, ohne
dass wir diese Vergleichung als eine besonders glückliche zu bezeichnen
vermöchten. Dagegen lässt dieses Verhalten des Ectoderms die Bildung
der Ernährungsoi gane beim Embryo der amerikanischen Arten erklärlich
erscheinen, sei es nun, dass dieselben direct vom Ectoderm des Embryos
selbst gebildet werden oder einen besonders differenzirten Theil der Embryonal-
hülle desselben darstellen.
Wenn wir uns bei der Schilderung der ersten Entwicklungsvorgänge
der verschiedenen Peripatusarten zumeist im Bereich grösserer oder ge-
ringerer Wahrscheinlichkeiten bewegten , so soll zum Schluss dieser Darstel-
lung nochmals darauf hingewiesen werden , wie wenig Sicheres über die
ersten Entwicklungserscheinungen des Peripatus bisher noch bekannt ist.
Liessen wir uns bei diesen Betrachtungen weit mehr auf das nicht ge-
nügend Feststehende ein, als es sonst in diesem Buche der Fall zu sein
Onychophoren. 687
pflegt , so geschah dies deshalb , weil die Wichtigkeit der hier behandelten
Form solches zu erfordern schien. Aus diesem Grunde wurde versucht, die
bis jetzt bekannt gewordenen Thatsachen in Verbindung zu bringen, ohne
dass damit der Anspruch auf volle Giltigkeit dieser Ausführungen erhoben
werden könnte.
2. Die Ausbildung der äusseren Körperform.
Bezüglich der Ausbildung der äusseren Körperform differiren die
verschiedenen Peripatusarten trotz ihrer abweichenden ersten Entwicklungs-
stadien nur sehr wenig von einander. Bei unserer Darstellung dieser
Verhältnisse halten wir uns zunächst hauptsächlich an den zuerst von
Moseley (No. 6), dann von Balfour (No. 1) und später von Sedgwick
(No. 10, Theil I) besonders eingehend untersuchten P. capensis.
P. capensis. Schon bei Betrachtung der Keimblätterbildung wurde
gezeigt, dass hinter dem sich in die Länge streckenden Blastoporus durch
Wucherung der Zellen eine verdickte Stelle entsteht, welche sich äusser-
lich am Keim als ovaler Hof zu erkennen giebt (Fig. 425). Wir sahen,
dass an dieser Stelle das Mesoderm seinen
Ursprung nimmt und sich von hier aus
in Form zweier Streifen rechts und links
vom Blastoporus nach vorn erstreckt. In
diesem Mesodermstreifen tritt eine Glie-
derung ein, welche wir durchaus auf die
bei den Anneliden obwaltenden Verhält-
nisse zurückführen können. Am Vorder-
ende beginnt nämlich durch Abgliederung -
und Aushöhlung einzelner Zellcomplexe die p — f — ~m-
Bildung der Ursegmente (Fig. 42QA u. B),
welche sich allmählich nach hinten fortsetzt.
Hier, d. h. am Hinterende des Blastoporus,
gehen die Mesodermstreifen über in das Fig. 425. Embryo von p.
noch nicht differencirte Zellenmaterial. capensis (nach balfour).
Während der Differencirung der Meso- w Blastoporus, »Wucherung»-
dermstreifen vollzieht sich eine andere
wichtige Veränderung am Embryo. Die
Ränder des Blastoporus nähern sich einander und verschmelzen der
Länge nach, so dass vom Blastoporus nur noch eine vordere und eine
hintere Oeffnung übrig bleibt (Fig. 426 Ä und B). Beide Oeffnungen
sollen fernerhin erhalten bleiben (C u. D), indem sie (in Verbindung mit
Ectodermeinstülpungen) dem Mund und After den Ursprung geben.
Die nächsten Veränderungen des Embryos bestehen darin, dass mit
der fortschreitenden Differencirung von Ursegmenten die ersten derselben
weiter nach vorn rücken und neben der inneren Segmentirung des Em-
bryos auch eine äussere auftritt (Fig. 426). Am Vorderende beginnen
die Kopflappen hervorzutreten, von denen übrigens besonders anzugeben
ist, dass sie in der Anlage grosse Uebereinstinmmng mit den Körper-
segmenten zeigen. Das Hinterende des bisher gerade gestreckten Em-
bryos biegt sich um und überdeckt dadurch die von dem hinteren Ur-
mundrest gebildete Oeffnung (Fig. 426 und 427).
Ehe wir die weitere Entwicklung des Embryos ins Auge fassen,
müssen wir einen Blick auf die entsprechenden Vorgänge bei den anderen
Peripatusarten werfen. Die bisher beobachtete Entwicklung der äusseren
688
XXI. Capitel.
JB.
Fig. 426. A — D Embryonen von P. c a -
pensis, den Schluss des Blastoporus, die Seg-
mentirung des Mesoderms und die Krümmung
des Embryos zeigend (nach Balfocr und Sedg-
wick).
a After, bl Blastoporus, m Mund, us Ur-
segmente, w Wucherungszone.
Form bezog sich hauptsächlich
auf die Gestaltung der Ventral-
fläche. Diese wird also zuerst
und in Form zweier symmetri-
scher Hälften angelegt. Wir
finden damit Verhältnisse , wie
sie uns an den dotterreichen
Eiern der Oligochaeten und
Hirudineen entgegentreten
und wie wir sie in noch weit
übereinstimmenderer Weise bei
den M y r i o p o d e n , I n s e c t e n
und Ära c h n i d e n antreffen .
Wie bei diesen Formen kann man
auch bei Peripatus von einem
Keimstreifen sprechen. Die Zu-
sammensetzung desselben aus
zwei Hälften tritt noch deut-
licher bei
P. uovaezealandiae
hervor. InfolgedesgrösserenUm-
fanges der Eier, bedingt durch
den Reichthum an Dotter, sieht
man die beiden Hälften des
Keimstreifens ziemlich weit aus
einander liegen, getrennt durch
eine Vorwulstung der vom Ecto-
derm und Entoderm bekleide-
ten Dottermasse (Fig. 428 A
und JB), so dass eine Art ven-
tralen Dottersackes zu Stande
kommt, wie wir ihn in ähn-
licher W~eise bei den Spinnen
kennen lernten (pag. 583). Die
an ihrem Vorderende bereits weit
Fig. 427. Embryo
von P. capensis
(nach Balfouk und
Sedgwick).
a After, m Mund.
differencirten Keimstreifen wer-
den nach hinten immer schwächer, und enden in der
Nähe des Blastoporus in der noch nicht differencirten
Zellenmasse (Primitivstreif der englischen Autoren).
Die indifferente Zellenmasse liegt hinter dem Blasto-
porus, wie aus der Darstellung dieser Vorgänge bei
P. capensis zu ersehen ist (Fig. 426 A u. B). Da
das Hinterende des Blastoporus aber in den After
übergeht, so muss die Wucherungszone auch hinter dem
After liegen. Vergleicht man diese Verhältnisse mit
denjenigen der Anneliden, mit denen sie bezüglich der
Configuration der Mesodermstreifen grosse Ueberein-
stimmung bieten, so wird man bei Betrachtung der Bilder
von P. uovaezealandiae unwillkürlich an das Verhalten
der Hirudineen erinnert (Fig. 152, pag. 215). Abgesehen
davon, dass dort der Keimstreif sich nach der Dorsalseite
umschlägt, fällt bei einem solchen Vergleich aber sofort
Onychophoren.
689
Ä.
B.
<n
of.
'
.• ■*»*- ■
-v'
•'
u
ex.,-
V :■
Ü_
"--- - er.
Fig. 428. A und B Embryonen von P. no-
vaezealandiae in ventraler (Ä) und seitlicher
Ansicht (-5) (nach L. Sheldon).
a After, at Antennen, ex Extremitäten, m Mund.
auf, dass bei Peripatus die Wucherungszone hinter dem After liegen soll, während
sie bei den Hirudineen, wie wohl im Allgemeinen, vor demselben gelegen ist.
Freilich scheinen dort Beziehungen zwischen Blastopörus und After nicht vor-
handen zu sein und es wird dadurch eine Vergleichung dieser Verhältnisse über-
haupt erschwert. Am Hinterrande des Blastopörus werden auch bei anderen An-
neliden die Urmesodermzellen angetroffen, aber dort liegen die Verhältnisse inso-
fern anders, als der Blastopörus
nicht wie bei Peripatus direct
in den After übergeht (vgl. pag.
173 u. 187). Zieht man auch die
dritte der sich verschiedenartig
verhaltenden Peripatusspecies
(P. e d w a r d s i i) zum Vergleich
heran, so ergiebt sich, dass auch
bei ihr die Wucherungszone
hinter dem After liegt, und
dass infolge dieser Ueberein-
stimmung die Deutung nicht
berechtigt sein würde, welche
man sonst leicht geneigt wäre,
dem Verhalten des P. novae-
zealandiae zu geben. Aus
der Fig. 428 A könnte man
andernfalls entnehmen , dass
die sich nach hinten stark ver-
jüngenden Keimstreifen nach er-
folgter Umbiegung sich vor dem
After vereinigten und dort etwa die Wucherungszone liegen möchte. L. Sheldon,
welche den Embryo aufschnitten untersuchte, nimmt vielmehr an, dass die Wuche-
rungszone (der sog. Primitivstreif) hinter der Afterpapille liegt, doch würden
gerade von dem als ursprünglicher zu betrachtenden neuseeländischen Peripatus
noch genauere Angaben auch bezüglich dieser Verhältnisse erwünscht sein.
Die südamerikanischen Arten zeigen in
Folge des geringen Umfanges ihrer Eier und
in Folge ihrer Verbindung mit der Uteruswand
in den ersten Stadien eine abweichende Gestal-
tung. Wir verliessen den Embryo auf einem
Stadium, in welchem er eine ungefähr bira-
förmige Gestalt besass (Fig. 422 u. 423). Aus
dieser geht er in das pilzhutförmige Stadium
über (Fig. 429), indem der eigentliche Embryo
gegenüber dem Nabelstrang an Umfang ge-
winnt und zwar dadurch, dass er sich in zwei
Richtungen vertical zur Axe des Nabelstrangs
ausdehnt (Fig. 429). Diese beiden Richtungen
entsprechen der Länge und Breite des Embryos.
Die erstere überwiegt übrigens die andere sehr
bald und nunmehr nimmt der Embryo eine
gestreckte Form an (Fig. 430). Am Rücken
ist er durch den Nabelstrang fixirt, die Bauch-
fläche ist frei. Das stumpfe Ende wird zum
Kopf, das spitze Ende liegt hinten. Ganz in
die Nähe des letzteren ist der Blastopörus
"-u.
Fig. 429. Pilzhutfor-
miger Embryo von P. ed-
wardsii im Brutraum (nach
v. Kennel).
b Brutraum , e Embryo,
n Nabelstrang, p Placenta,
u Uteruslumen.
690
XXI. Capitel.
gerückt (Fig. 431 A, bl). Die Strecke zwischen ihm und dem Nabelstrang
ist viel länger als die zwischen letzterem und dem Vorderende, da im
hinteren Theil, vom Blastoporus aus, immer neues Zellenmaterial erzeugt
wird. Die beiden Mesodermstreifen und ihre
Gliederung in die Ursegmente sind in gleicher
Weise vorhanden, wie dies von P. capensis
geschildert wurde, doch tritt in Folge des geringen
Umfanges der Eier der zweitheilige Keimstreif
nicht so deutlich hervor, immerhin ist er auch
hier zu erkennen (Fig. 431).
Der Mund entsteht in entsprechender Lage
wie bei F. capensis; Beziehungen zwischen
ihm und dem Blastoporus sind hier nicht zu er-
kennen, da letzterer schon früher in Form einer
leichten und wenig umfangreichen Einsenkung an
das Hinterende zu liegen kam (Fig. 431 A). Auch
der After soll nach Kennel unabhängig vom
Blastoporus entstehen. Er kommt vor dem-
selben als eine spaltförmige Einsenkung des
Ectoderms zu Stande (Fig. 431 A).
WICK
Fig. 430. Embryo
von P. edwardsii im
Brutraum (nach J. v. Ken-
nel, aus Lang's Lehrb. d.
vergl. Anat.)
e Embryo, ep Placenta.
H.
B.
Immerhin wird man, wenn sich die von Sedg-
für P. capensis gemachten Angaben als
richtig erweisen, daran denken müssen, dass auch
hier ursprünglich Beziehungen der Mund- und After-
öffnung zu dem Blastoporus vorhanden waren. Da
die Lage beider Oeffnungen eine ganz gleiche ist
wie bei P. c a p e n s i s , so würde eine solche Deutung
keine Schwierigkeiten machen.
Im Bezug auf die Lage der Wucherungs-
zone stimmen v. Kennel's Beobachtungen an P.
edwardsii ganz mit denjenigen an P. capensis
und novaezealandiae überein, denn da dieselbe vom Blastoporus ausgeht,
dieser aber hinter dem After liegt (Fig. 431 Ä). so wird auch die indifferente
Zellenmasse hinter ihm gefunden.
Es muss hier noch die Ver-
bindung des Embryos mit dem
Mutterthier erwähnt werden. Nach
v. Kennel's Beobachtung wird die-
selbe durch den Nabelstrang, sowie
durch die embryonale und uterine
Placenta vermittelt (Fig. 422 pag. 684,
Fig. 429—431). Die massige Ent-
wicklung dieser Organe spricht da-
für, dass sie in den jüngeren Stadien
zur Ernährung des Embryos beitragen,
später treten sie mehr zurück und der
Embryo wird dann wie bei P. ca-
pensis durch das Uterussecret er-
nährt. In Folge der festen organi-
schen Verbindung des Embryos mit
dem Uterus scheint ein Weiterrücken
in dem letzeren ausgeschlossen. Die
-m.
-n.
\
bl-
Fig. 431. A und B Embryo von
P. edwardsii in der ventralen (A) und
seitlichen Ansicht (B) (nach v. Kennel).
a After, bl Blastoporus, m Mund,
n Nabelstrangr.
Onychopkoren. 691
von ihrem Brutsack fest umschlossenen Embryonen (Fig. 430) können
nur durch ein ausgiebiges Wachsthum der zwischen dem Ovarium und
dem Brutraum selbst gelegenen Theile des Uterus und durch allmähliche
Resorption der hinteren Abschnitte bis an die Vagina gebracht werden.
Wenn derjenige Embryo, welcher der Vagina zunächst lag, in diese
übergetreten ist, muss sein Brutsack völlig resorbirt werden, ehe der
nächstfolgende Embryo in die Vagina gelangen kann.
Die Verhältnisse des Austretens der Embryonen bei den südamerika-
nischen Peripatusarten ähneln ganz denjenigen bei dem Uebertritt der In-
secteneier aus den Eiröhren in den Leitungsapparat. Dort wird ebenfalls
der nach dem Ausstossen des Eies zurückbleibende leere Follikel völlig re-
sorbirt, ehe das nächstfolgende Ei auszutreten vermag.
Die weitere Ausbildung der äusseren Körpergestalt besteht im
Wesentlichen in der Längstreckung des Körpers, in der Sonderung von
Kopf und Rumpf, sowie in der Entstehung der Gliedmassen und Sinnes-
organe. Sie verläuft bei den verschiedenen Arten der Hauptsache nach
in ziemlich übereinstimmender Weise, so dass wir hier keinen Unterschied
für sie zu machen brauchen.
Eine wichtige Veränderung in der Gestalt des jungen Embryos wird
durch die starke Ausbildung und Abgrenzung des Kopfsegmentes gegen-
über dem Rumpfe hervorgebracht (Fig. 428 u. 431). Dieselbe tritt schon
früh hervor und wird dadurch eingeleitet, dass das erste Paar der Ur-
segmente bis völlig an das vordere Körperende rückt und sich hier er-
heblich ausdehnt. So entsteht am Vorderende ein Paar umfangreicher
Anschwellungen (die Kopflappen), welche sich bald durch eine Quer-
furche gegen den übrigen Körper absetzen und sich somit als Kopf-
abschnitt documentiren. An der Ventralseite desselben findet sich die
Mundöffnung; an der Dorsalseite aber tritt ein Paar von Höckern
auf (Fig. 428 A u. B), die sich bald vergrössern und als Anlage der
Antennen zu erkennen sind. Bei P. capensis sollen dieselben etwas
früher entstehen als die Extremitäten (Sedgwick), doch scheint der
Unterschied kein bedeutender zu sein-, bei P. edwardsii scheinen sie
ungefähr gleichzeitig mit den Anlagen der Fussstummel aufzutreten.
Mit den letzteren zeigen sie grosse Aehnlichkeit, unterscheiden sich aber
durch ihre mehr dorsale und praeorale Lagerung von ihnen (Fig. 428,
432 u. 433).
Vor der Anlage der Antennen und mehr median gelegen treten
bereits in einem früheren Stadium zwei kleine Höcker auf (Fig. 432 x),
welche später mehr an den vorderen Rand des Kopfes verschoben werden
(Fig. 436.4 u. B). Diese von Kennel an P. edwardsii beobachteten
Gebilde, deren Natur bisher unbekannt geblieben ist, sind noch in einem
späteren Stadium, als Fig. 436 B es darstellt, zu erkennen und ent-
schwinden dem Auge erst bei der beginnenden Faltenbildung der Kopf-
haut. Wir werden von ihnen noch am Ende dieses Abschnittes zu
sprechen haben (vgl. pag. 697).
Die Extremitäten entstehen als lateroventrale Auswüchse der Seg-
mente in der Reihenfolge von vorn nach hinten (Fig. 428, 432 u. 433).
Die Segmentirung selbst kommt am Körper hauptsächlich dadurch zum
Ausdruck, dass sich die Ursegmente in Folge ihrer Erweiterung seitlich
vorwölben. So erscheint der Embryo also besonders an den Seitentheilen
wie eingekerbt (Fig. 428 A u. 432). In der Ventrallinie verläuft eine
692
XXI. Capitel.
Furche, welche die Zusammensetzung des Embryos aus den beiden
Hälften des Keimstreifens erkennen lässt (Fig. 431). Dies gilt zumal für
P. edwardsii, bei dem übrigens die Extremitäten erst später zur An-
lage kommen als bei den afrikanischen und australischen Arten. Diese Ver-
zögerung dürfte ebenfalls auf Rechnung der modificirten Entwicklungsweise
im Uterus zu setzen sein, indem bei der innigen Verbindung, welche der-
selbe mit der Uteruswand eingeht, die Ausgestaltung seiner äusseren Form
erst später eintritt. Bei P. novaezealandiae findet man die Extremitäten
bereits, wenn die beiden Hälften des Keimstreifens noch weit von einander
getrennt sind (Fig. 428) und auch bei P. capensis treten sie bereits früh auf.
Schon in frühem Stadium giebt der Embryo die anfängliche gestreckte
Gestalt auf, indem sich sein Hinterende gegen die Ventralfläche einrollt
(Fig. 427, pag. 688), ein Verhalten , welches entweder durch die Lage
«rf_ mL~i
op.r
Fig. 432. Vordertheil eines
Embryos von P. edwardsii.
Rückenansicht nach J. v. Kennel).
at Antenne, k Kiefersegment,
op Segment der Oral papillen, p, erstes
(definitives) Rumpfsegment, x Höcker
vor der Antennenanlage (vgl. pag.
691 und 697).
R.
,•■■
/
f. gj—k.
^cp.
Pm
■
Fig. 433. A und B Embryonen von P.
capensis in zwei verschiedenen Altersstadien
(nach Sedgwick).
at Antenne, au Auge, / Falte, welche die
Mundhöhle bilden hilft, k Kiefer, op Oralpapille,
p, — p,n erstes bis drittes Fusspaar.
in der Eihaut oder (secundär wie bei P. edwardsii) innerhalb des
Brutraums bedingt ist. Die Einrollung wird bei P. edwardsii so stark,
dass das Hinterende mehrere Windungen macht. Der Embryo von
P. capensis zeigt zuerst ebenfalls die Einrollung des Hinterendes
(Fig. 427), dieses streckt sich dann jedoch wieder; indem aber die
Knickung in der Mitte des Körpers erhalten bleibt, liegt der Embryo so
in der Eihülle, dass seine vordere und hintere Körperhälfte ungefähr
parallel zu einander gerichtet sind und der Kopf das Hinterende berührt.
Bei P. novaezealandiae findet bereits auf einem früheren als dem
in Fig. 428, A und B abgebildeten Stadium eine allem Anschein nach ven-
trale Einknickung des Embryos statt, infolge welcher derselbe eine gekrümmte
Stellung annimmt, um sich dann bald wieder etwas zu strecken und die Form
von Fig. 428 A und B zu erhalten. So müssen wir wenigstens die von
L. Sheldon (No. 12, Theil I) gegebene Darstellung deuten bis noch Ge-
naueres über diese Vorgänge bekannt wird. Nach dieser Darstellung liegen
bei P. novaezealandiae die beiden Hälften des Keimstreifens anfangs
recht weit aus einander, wie auch die Figur 428 A und B dies erkennen lässt.
Onychophoren. 693
Da die äussere Gestaltung des ausgebildeten Peripatus eine recht
einfache ist, so vollzieht sich auch die weitere Ausbildung der äusseren
Körperform auf sehr einfache Weise und bietet, mit Ausnahme des vor-
deren Körperabschnittes, nichts besonders Bemerkenswertes dar. Die
Bildung der Extremitäten setzt sich in der geschilderten Weise weiter
nach hinten fort (Fig. 433), bis die definitive Anzahl erreicht ist. Wo
die beiden Hälften des Keimstreifens weiter auseinander liegen wie bei
P. novaezealandiae, rücken sie zur Bildung der Ventralfläche an-
einander, ein Vorgang, welcher durch die allmähliche Resorption des
Dotters mit befördert wird. Gleichzeitig erhält auch die Rückenfläche
ihre definitive Gestaltung. Die Ringelung des Körpers und die Papillen,
welche er im ausgebildeten Zustande an seiner Oberfläche zeigt, machen
sich in Form von Falten und leichten Erhebungen der Epidermis geltend.
Der Endabschnitt des Körpers ist bis zur Ausbildung der definitiven
Form ungefähr knopfförmig. An seiner Unterseite liegt entweder in
einem Ausschnitt (so bei P. edwardsii) oder auf einer Papille, wie
bei P. capensis, der After. Zwei leichte Ausbuchtungen, (die Anal-
papillen), welche scheinbar dem Endabschnitt angehören, sind als Ex-
tremitätenanlagen aufzufassen und gehören demnach einem echten Seg-
ment an. Die Extremitäten selbst haben ihre bleibende Gestaltung an-
genommen, indem sie sich schärfer vom Körper absetzten und die einer
Gliederung nicht unähnliche Ringelung an ihnen auftrat. An ihrem freien
Ende entstehen als Cuticularbildungen die beiden Chitinkrallen. Aus
ihrer früheren, mehr ventralen Lagerung sind die Füsschen in ihre de-
finitive Stellung zwischen Rücken- und Bauchfläche gerückt.
Bezüglich der Lage des Afters rauss noch erwähnt werden, dass man ihn
infolge seiner Lagerung vor der Wucherungszone einem wirklichen Segment
zugerechnet hat. Auf verschiedenen Zeichnungen v. Kennel's und Sedgwick's
nach Querschnitten, welche die Afteröft'nung treffen, sieht man wohlausgebildete
Ursegmente den Endabschnitt des Darms umlagern. Man müsste also jeden-
falls eine Verschiebung des ursprünglich dem Endabschnitt zugehörigen Afters
nach vorn annehmen. Wie sich der After des ausgebildeten Thieres zur
Segmentirung des Körpers verhält, und oh er aus dem Bereich derselben wieder
völlig nach hinten gerückt ist, scheint noch nicht genügend festgestellt zu sein.
Weniger einfach als die Ausbildung des Rumpfes verläuft diejenige
des vorderen Körperabschnittes. Hier treten dadurch Complicationen
ein, dass in die Bildung des definitiven Kopfes ausser dem eigentlichen
Kopfsegment noch zwei weitere Segmente einbezogen werden, und dass
die Anhänge derselben eine dementsprechende Umgestaltung erfahren.
Damit ergeben sich für Peripatus Verhältnisse, wie wir sie bereits für
die Crustaceen kennen lernten, und wie wir sie in noch mehr überein-
stimmender Weise bei den Arachniden, Myriopoden und Insecten wieder
antreffen.
Am Kopfsegment haben die Anlagen der Antennen eine Veränderung
insofern durchgemacht, als sie sich bedeutend in die Länge streckten
und eine Ringelung, ähnlich wie diejenige der Füsschen, an ihnen auf-
trat (Fig. 433 at). Die Augen (av) sind schon etwas früher (bei P. ca-
pensis) neben den Antennen in etwas ventraler Lagerung als flache
Ectodermeinsenkungen zur Anlage gekommen. Bei P. edwardsii ent-
stehen sie dicht hinter der Basis der Antennen. Von besonderer Wichtig-
keit ist das weitere Verhalten des Mundes sowie der beiden zu ihm in
Beziehung tretenden Gliedmaassenpaare.
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 45
694
XXI. Capitel.
Abgesehen davon, dass die bei dem theil weisen Schluss des Blasto-
porus übrig bleibende vordere Oeffnung nicht direct zur Mundöffnung
wird, sondern in Folge einer Einsenkung des Ectoderms eine Verlagerung
ins Innere erfährt und dadurch die Uebergangsstelle des Vorderdarms
in den Mitteidann bildet1), stellt auch die nun-
mehrige Mundöffnung nicht die definitive Mündung
des Darmes nach aussen dar, sondern sie wird
von verschiedenen Erhebungen des Ectoderms über-
lagert, welche eine secundäre Mundhöhle über ihr
bilden. Dieser Vorgang beginnt damit, dass auf
der Aussenseite der ersten auf die Antennen fol-
genden Extremität (Fig. 433 u. 434 h) eine Falte
auftritt, welche dicht an der Extremität anliegt
und sich noch nach hinten auf die Ventralfläche
des Embryos fortsetzt (Fig. 433 u. 435 f 434 p).
Diese Falte erscheint gekerbt, und bei P. ed-
wardsii wird sie durch eine Reihe eng aneinander
liegender Papillen repräsentirt (Fig. 434 u. 436).
In späteren Stadien verändern die beiderseitigen
Falten ihre Lage in der Weise, dass sie median
gegen die Mundöffnung vorücken und somit die an
ihrer Innenseite gelegenen Extremitätenanlagen
gegen den Mund hindrängen. Indem sie sich noch
mehr erheben, kommen die Extremitäten zusam-
men mit der Mundöffnung in eine Höhle, die
definitive Mundhöhle, zu liegen (Fig. 436). Die
Extremitäten selbst aber werden zu den Kiefern
des Peripatus. Ihr distaler Abschnitt erscheint zur
Zeit, wenn die geschilderte Umwallung der Mund-
öffnung beginnt, durch eine Furche tief eingekerbt. Hier entstehen
die beiden festen Chitinzähne jedes Kiefers (Fig. 436 A u. B). Durch
diese Gebilde, welche den doppelten Krallen der Füsse zu ver-
gleichen sind, bethätigen die Kiefer noch beim ausgebildeten Thiere
ihren Charakter als Extremitäten.
Zur völligen Ausbildung der Mundhöhle
kommen noch einige weitere Gebilde hinzu.
Zwischen den Scheitellappen und ventral von
ihnen tritt eine längliche Erhebung auf (Fig.
436 o?), welche später direct vor dem leicht
geschwungenen scharfen Rand der Mund-
öffnung steht und sodann bei der Umwallung
der Mundöffnung durch die seitlichen Falten
mit dieser in die Mundhöhle hinein rückt (Fig.
436 B). Nach vorn schliessen letztere sich
dann über der von Kennel als Oberlippe
bezeichneten unpaaren Papille zusammen (Fig.
437). Die hinteren, nicht gekerbten Fort-
setzungen der seitlichen Falten bewirken den
hinteren Abschluss der Mundhöhle, auf deren
Boden nunmehr die Mundöffnung liegt, um-
geben von den Kiefern und der Oberlippe.
Fig. 434. Vorder-
theil eines Embryos von
P. edwardsii, von der
Ventralseite gesehen
(nach v. Kennel, ans
Lang's Lehrb. d. vergl.
Anatomie).
k Kiefer, no Oeff-
nung der Nephridien
des Segmentes der Oral-
papillen (op), p Papillen
der Falten, welche seit-
lich die Kiefer umfassen.
m---'
Fig. 435.
Embryos von
~op.
Kopftheil eines
P. capensis
(nach Sedgwick).
at Antenne, / Mundfalte,
k Kiefer, m Mundöffnung, op
Oralpapille, sp Mündung der
Speicheldrüsen , vo Oeffnung
des Ventralorganes.
J) Vgl. weiter unten pag. 705.
Onychophoren.
695
Bei dem Vorrücken der seitlichen Falten gegen die Mundöffnung wurden
auch die Ventralorgane der beiden ersten Segmente zum Theil mit in die Mund-
höhle verlagert (Fig. 436, A vox und vo2). Von ihnen wird weiter unten noch
die Rede sein. — Eine ganz ähnliche Falte wie diejenige, welche die Umwallung
der Mundöffnung bewirkt, tritt nach v. Kennel's Beobachtung zuweilen noch
an der Aussenseite der seitlichen Falten auf (Fig. 436 B, f„), doch scheint
dieses Verhalten nicht constant zu sein. Immerhin dürfte dadurch noch mehr
bestätigt werden, was an und für sich schon wahrscheinlich ist, dass man es
in diesen Faltenbildungen nicht etwa mit Extremitätenanlagen zu thun hat,
wie dies vermuthet worden ist (Moseley).
R.
B.
af.
ol.
vo.
U--
vo
3- —
<*$
■j ,
Fig. 436. A und B Vordertheile von Embryonen des P. edwardsii, ventrale
Ansicht (nach J. v. Kennel).
at Antennen, /, die in Papillen zerlegte Falte, welche die Mundhöhle umschliesst,
f„ die ausserhalb von /, gelegene Falte. In der Mundhöhle liegen die zweitheiligen
Kiefer und vor ihnen die Oberlippe, g -f- vo Ganglion und Ventralorgan des Kopf-
abschnittes, in B mit der spaltförmigen Einsenkung des Yentralorganes, k Kiefer, ol Ober-
lippe, op Oralpapillen, p„p„ erstes und zweites Fusspaar, vo^ — vo4 Ventralorgane der Kiefer-
und Oralpapillen, sowie der beiden ersten (definitiven) Rumpfsegraente, vo2 ist in einen
vorderen und hinteren Theil getrennt, x Höcker vor der Antennenanlage (pag. 691 und 697).
In nicht so enge Beziehungen, wie das erste auf die Antennen fol-
gende Gliedmaassenpaar tritt das nächstfolgende zum Munde. Abgesehen
davon, dass es keine Chitinhaken zur Entwickelung bringt, behält es in
seiner Gestaltung mehr den Extremitätencharakter. Es rückt zwar eben-
falls gegen die Mundöffnung hin, bleibt aber ausserhalb des Ringwalles
der Mundhöhle gelegen (Fig. 437). Schon früh zeichnet sich dieses
Gliedmassenpaar vor den andern durch seine starke Entwickelung aus
(Fig. 433 B, op). Es repräsentirt die sog. Oralpapillen, an deren Spitze
die Schleimdrüsen ausmünden. Beim ausgebildeten Thier liegen die
Oralpapillen ebensoweit vorn wie die Kiefer (pag. 437). Man muss daher
das Segment der Oralpapillen zum Kopf rechnen. Ausser dem primären
Kopfabschnitt gehen also drei Segmente in dessen Bildung ein, das Seg-
ment der Antennen, der Kiefer und der Oralpapillen.
45*
696
XXI. Capitel.
Anfangs tritt der Kopf des Embryos in Folge der mächtigen Aus-
bildung der Scheitellappen stark gegen den übrigen Körper hervor (Fig.
428 u. 431) ; im Laufe der Entwickelung aber nimmt er an Umfang ab,
der Mund rückt mehr gegen das Vorderende, womit dann der Haupt-
sache nach die Gestaltung des ausgebildeten Thieres erreicht ist.
Die Jungen werden mit der vollen Anzahl der Extremitäten geboren.
Die Dauer der Entwickelung soll nach den Angaben der Autoren eine
ausserordentlich lange sein (Sedgwick, Nr. 11). Bei P. novaezealandiae
soll sie 8 — 9, bei P. capensis gar 13 Monate betragen (?), und bei den
südamerikanischen Arten dürfte sie dann wohl nicht minder lange Zeit
in Anspruch nehmen. Der Nabelstrang, welcher bei den letzten Arten
den Embryo mit der Placenta verbindet, wird zur Zeit der stärkeren
Längsstreckung und Einrollung des Embryos derart verändert, dass
sein Lumen sich gegen das Ectoderm desselben abschliesst. Daraufhin
degenerirt dann allmählich der Nabelstrang und nur in seltenen Fällen
bleibt er länger erhalten. Die
Ernährung des Embryos wird
nunmehr durch Einschlucken
der umgebenden Eiweissmasse
bewerkstelligt, welche letztere
Ernährungsweise auch den
Embryonen des P. capensis
zukommt, abgesehen von einer
etwaigen endosmotischen Auf-
nahme von Nährflüssigkeit.
Zur Auffassung der
Kopfanhänge des Peripatus.
a
i
/'
J^il
V
K
I
%
■'S
1
Fig. 437. Kopf des P. edwardsii in ven-
tralen Ansicht (nach Sedgwick, aus Lang's Lehr-
buch der Vergl. Anat.)
a Antenne (zum grössten Theil abgeschnitten),
op Oralpapille. In der Mundhöhle die zwei-
geteilten Kiefer. Die Mundhöhle selbst von den
in Papillen getheilten Falten umgeben.
Die Natur der beiden hin-
teren Paare von Kopfanhängen
des Peripatus ist nicht zweifel-
haft. Sie entsprechen den Ex-
tremitäten des Rumpfes und
konnten bereits in Vorstehen-
dem ohne Weiteres als solche in
Anspruch genommen werden,
welche bei der Einbeziehung
zweier (primärer) Rumpfsegmente in den Kopf zu Mund Werkzeugen um-
gewandelt werden. Anders verhält es sich mit den Antennen. Sie unter-
scheiden sich von den Rumpfgliedmaassen durch ihre dorsale und praeorale
Lagerung. In dieser Beziehung stimmen sie durchaus mit den Antennen
der Myriopoden und Insecten überein, und wir halten sie für homolog mit
diesen. Nach oben hin im Thierreich scheint uns somit die Homologie
gesichert, anders nach unten hin. Es müssten die Antennen sowohl des
Peripatus wie der Myriopoden und Insecten ihrer Lagerung nach den
Kopffühlern der Anneliden verglichen werden, welche sich (praeoral) am
Kopfabschnitt finden und dieselbe Stellung zur Scheitelplatte einnehmen,
wie die Antennen der genannten Formen zum Gehirn. Gegen eine der-
artige Vergleichung scheint uns aber die Entstehungsweise der Antennen
des Peripatus zu sprechen. Sowohl in ihrer ersten Anlage wie in ihrer
nachfolgenden Ausbildung zeigen die Antennen eine grosse Ueberein-
stimmung mit den Rumpfgliedmaassen (Fig. 433—436), was bei einer
Onychophoren. (397
Betrachtung der von Sedgwick und v. Kennel gegebenen Bilder stark
hervortritt. Wie die Extremitäten erhalten sie die gleiche äussere Ringe-
lung, und in sie hinein erstreckt sich ein Fortsatz des Ursegmentes, so
dass sie ebenfalls als hohle Zapfen erscheinen wie die Extremitäten.
Ja, es soll von dem Ursegment der Antennen ein Canal nach aussen
führen, welcher dem Nephridialkanal der Rumpfsegmente entsprechen
würde. Kurz, es ist eine so grosse Uebereinstimmung in der Anlage
der Antennen und Extremitäten vorhanden, dass man sich schwer ent-
schliessen kann, sie für principiell von diesen verschiedene Gebilde zu
halten. Man möchte viel eher geneigt sein, ihnen den gleichen Ursprung
zuzuschreiben und annehmen, dass sie nur weiter nach vorn gerückt
sind. Diese Vermuthung wird unterstützt durch das Verhalten der An-
tennen bei den Insecten. Auch sie zeigen in der Anlage, nicht nur in
der Form, was dort weniger auffallend wäre, sondern auch in der Lage
die grösste Uebereinstimmung mit den (primären) Rumpfgliedmaassen,
ja sie liegen sogar anfangs postoral (Fig. 489, pag. 795). Wir möchten
aus diesem Verhalten der Antennen des Peripatus und der Insecten
schliessen, dass dieselben zwar unter sich homologe Gebilde sind, aber
nicht mit den Kopffühlern der Anneliden verglichen werden dürfen, mit
andern Worten, dass sie ursprünglich Anhänge des (primären) Rumpfes
und nicht des primären Kopfabschnittes waren.
Bei einer derartigen Auffassung müsste man annehmen, dass der primäre
Kopfabschnitt sehr stark zurückgetreten ist, und ein primäres Rumpfsegment
(das erste) zum Theil seine Stelle eingenommen hat. Ein Fingerzeig, wie
und weshalb dies geschah, ist in der Einbeziehung weiterer (primärer) Rumpf-
segmente in den (definitiven) Kopf gegeben. Die Verwendung der vorderen
Gliedmaassenpaare zu Mundwerkzeugen brachte eine tkeilweise Umwandlung
in Sinneswerkzeuge (Taster der Insecten) und ein sckliessliches Ueberwiegen
eines derselben als Fühler mit sich. — ■ Auch das Gehirn müsste bei einer
solchen Auffassung zum Theil dem ersten (primären) Rumpfsegment zugerechnet
und könnte nicht allein von der Scheitelplatte abgeleitet werden. Doch bereitet
dies kaum Schwierigkeiten, wenn man sieht, wie bei Peripatus die Ganglien
des Kiefersegmentes aus einer postoralen in eine praeorale Lagerung über-
geführt und in das Gehirn einbezogen werden (pag. 702). Ganz entsprechend
verhalten sich die Ganglien der zweiten Antennen bei den Crustaceen (pag. 364).
Die Ausfüllung des sog. Kopfabschnittes bei Peripatus durch ein völlig
reguläres Ursegmentpaar mit ununterbrochener epithelialer Wandung entspricht
wohl dem Verhalten eines Rumpfsegmentes, nicht aber des Kopfabschnittes
der Anneliden.
Wenn der primäre cephaliscbe Abschnitt, welcher bei der Anneliden-
trocbopbora die Kopffühler trägt, wirklich eine Rückbildung erfahren hat,
so könnte man erwarten, noch Spuren davon zu finden. Als solche
möchten wir die beiden kleinen Höcker ansprechen, welche
vor den Antennenanlagen auftreten, und deren Bedeutung
bisher völlig dunkel geblieben ist (Fig. 432 und 436, x). Wir
möchten die Vermuthung aussprechen, dass sie möglicherweise Reste
der primären An neu den fühl er darstellen. Durch diese, wie uns
scheint, recht naheliegende Auffassung wird zugleich eine auffallende Ueber-
einstimmung mit dem Verhalten der Crustaceen gewonnen. Für die Homo-
logie ihrer Kopfanhänge wurde weiter oben (pag. 366) eine ähnliche Auf-
fassung geltend gemacht, und dementsprechend ihrem frontalen Sinnesorgane
dieselbe Bedeutung zugeschrieben, wie jenen kleinen Höckern (sc) vor den
Antennenanlagen des Peripatus.
698 XXI. Capitel.
Wir können es übrigens nicht für ganz unwahrscheinlich halten, dass auch
dem ausgebildeten Peripatus noch Reste jenes Organs zukommen, wodurch
die Uebereinstimmung mit dem bei vielen Crustaceenlarven noch functio-
nirenden frontalen Sinnesorgan eine noch auffallendere sein würde. Jene
Höcker bleiben, wie aus v. Kennel's Darstellung zu ersehen ist, sehr lange
erhalten, und vielleicht haben sie sich der Beobachtung nur dadurch ent-
zogen, dass später die papillenartigen Erhebungen der Haut auftreten, welche
diese beim ausgebildeten Thiere in Menge besitzt. St. Remy (No. 8) be-
schreibt und zeichnet am Gehirn des ausgebildeten Peripatus eine (paarige)
gangliöse Erhebung („formation de nature inconnue"), welche der Lage nach
jenen beiden Höckern am Köpfe des Embryos entspricht, und welche wohl
als Lobus eines primären Tentakelnerven aufgefasst werden könnte. Freilich
finden sich auch in der nachgelassenen Arbeit Balfour's ähnliche Gebilde
als (von verschiedenen Stellen der Dorsalfläche) abgehende Nervenpaare be-
schrieben , aber auch von diesen könnte eines jenem Sinnesorgan zugehören.
Wir können es uns nicht versagen , bei dieser Gelegenheit auf die
Sinnesorgane hinzuweisen , welche bei verschiedenen Myriopoden (z. B.
Lithobius, Polyxenus und Glomeris) am Scheitel gefunden werden
und deren Innervirung vom „Thalamus opticus'' aus geschehen soll (Tömös-
vary, Litt. Verz. der Myriopoden No. 22, pag. 760). Ausdrücklich müssen
wir aber dazu bemerken, dass diesem Hinweis thatsächliches Material bisher
nicht zu Grunde liegt, welches einen erfolgreichen Vergleich dieser eigen-
thümlich gestalteten Sinnesorgane, die übrigens noch nicht genau genug be-
kannt sind , mit dem Frontalorgan der Crustaceen , bezw. jenen selbst noch
nicht genügend erforschten Höckern des Peripatus gestattet.
Bei einer Betrachtung jüngerer Embryonen von Peripatus (z. B. des-
jenigen der Fig. 433 Ä) erscheint die Lageveränderung der Antenne, wenn
man sie aus einer Extremität hervorgegangen denkt , keine sehr bedeutende,
zumal wenn man die bei den Insecten obwaltenden Verhältnisse zum Ver-
gleich heranzieht. Weniger leicht lässt sich die Lage der Augen des Peri-
patus mit der hier vertretenen Auffassung vereinigen. Sie liegen weiter
zurück als die Antennen und dicht an dem Gehirntheil , welchen man vom
ersten (primären) Rumpfsegment herleiten muss. Die Augen können wohl
aber (wenigstens unter den obwaltenden Verhältnissen) nur dem primären
Kopfabschnitt zugeschrieben werden , zumal sie bei Peripatus im Bau weit
eher mit den Augen der Anneliden als mit denen der Arthropoden überein-
stimmen. Man kann dieses Verhalten nur so erklären, dass es durch die
Verschiebung der verschiedenen Theile bedingt ist, welche in die Bildung
des Kopfes eingehen.
3. Die Bildung der Organe.
A. Körperdecke, Nervensystem und Sinnesorgane.
a. Die Kö r perbedec k u n g.
Das Ectoderm bildet im grössten Theil des Körperumfangs beim
Embryo eine einschichtige Lage kubischer Zellen. Nach Sedgwjck's Be-
obachtung sollen bei P. capensis die Ectodermzellen, besonders der
Dorsalfläche, eine schwammige Structur zeigen und nach aussen nicht
scharf begrenzt sein. SedctWick schreibt ihnen desshalb die Fähigkeit
der Aufnahme flüssiger Nahrung zu und meint, dass die von Kennel
beschriebene Placenta infolge dieser Fähigkeit des Ectoderms als ein
mehr specialisirtes Organ der Nahrungsaufnahme zu Stande kommen
Onychophoren. 699
konnte. — Die Veränderungen, welche das Ectoderm bei dem Uebergang
in die definitive Körperdecke erfährt, sind nicht sehr wesentlich.
Nach aussen wird die zarte Cuticula abgeschieden, welche dem aus-
gebildeten Thier zukommt. An einigen Stellen, z. B. an der Ventral-
seite der Füsschen wird das Ectoderm mehrschichtig und scheidet hier
eine dickere Chitinlace aus, desgleichen am freien Ende der Füsschen,
wo auf gleiche Weise die Krallen gebildet werden.
b. Das Nervensystem und die Ventralorgane.
Das Nervensystem und die Ventralorgane entstehen aus zwei
mächtigen Ectodermverdickungen, welche an der Ventralseite des Kopf-
abschnittes und derjenigen des (primären) Rumpfes durch rege Ver-
mehrung der Zellen gebildet werden. Die so entstehenden beiden Längs-
wülste machen sich zu der Zeit bemerkbar, wenn die Füsschen sich
schärfer vom Körper absetzen. Ihre Ausbildung schreitet von vorn nach
hinten fort.
Nach SEDßwiCK's Darstellung geht jeder dieser beiden Längswülste
direct in eine entsprechende Verdickung des Kopf- (Antennen-) Segmentes
über, nach Kennel's Beobachtung ist dies nicht der Fall, sondern die Wülste
enden stumpf abgerundet vor dem Kopfabschnitt (Fig. 434), so dass der
aus dem Kopfabschnitt hervorgehende Theil des centralen Nervensystems
getrennt von dessen übrigen Theilen entstehen würde1). Uebrigens findet
nach v. Kennel's Angabe auch zwischen Kopf- und Rumpftheil der Längs-
wülste zur Zeit, wenn diese sich anlegen, eine Verdickung des Ectoderms statt.
Allerdings ist dieselbe bei Weitem nicht so voluminös. Da es sich hier aber
nur um die Bildung einer Commissur, d. h. eines weniger umfangreichen J
Theiles handelt, könnte dieses Verhalten doch auf eine Continuität zwischen
Kopf- und Rumpftheil hinweisen. Die Frage nach der continuirlichen Ent-
stehung des Kopf- und Rumpftheiles des centralen Nervensystems ist bereits
bei Behandlung der Anneliden besprochen worden (pag. 190). Freilich ist
sie auch bei ihnen noch nicht als erledigt zu betrachten , doch sind sie die-
jenigen Formen, bei denen eine 'Entscheidung dieser Frage noch am ehesten
erwartet werden kann.
Die geschilderte paarige Verdickung der Ventralfläche giebt nicht
nur dem Nervensystem, sondern auch den Ventralorganen den Ursprung
(v. Kennel, No. 4). Auf Querschnitten durch den Embryo zeigt sich,
dass die Verdickung wie nach aussen auch nach der Innenseite des Körpers
vorspringt (Fig. 442 und 443, pag. 709 u. 711). In der Mitte der die
Verdickung bildenden Zellmasse entsteht dann ein ungefähr parallel zur
Wand gerichteter Spalt, welcher eine äussere von einer inneren Zellen-
masse trennt (Fig. 442 B). Diese Spaltung verläuft ebenso wie die An-
lage der Längswülste selbst in der Richtung von vorn nach hinten. Die
innere Zellenmasse repräsentirt die Anlage des Nervensystems (w), die
äussere, mit der Epidermis in Verbindung bleibende, diejenige der sog.
Ventralorgane (vo), deren Ausbildung und Bedeutung zunächst ins Auge
gefasst werden soll.
x) Von einer völlig getrennten Entstehung des Gehirns und der Bauchganglienkette
kann hier insoforn nicht wohl gesprochen werden, weil zum Gehirn auch das Ganglion
des Kiefersegmentes hinzugezogen wird, wie sogleich gezeigt werden soll. Ueber den
Werth des jetzigen Gehirns als eines wirklichen cephalischen Abschnittes dürften infolge
dieses Verhaltens, sowie infolge der Betrachtungen, welche wir über die Beziehung der
Antennen zu den Extremitäten anstellten, Zweifel nicht ausgeschlossen sein.
700
XXI. Capitel.
Die Ventralorgaiie. Indem der Spalt, welcher die Anlage des
Nervensystems von derjenigen der Ventralorgane trennt, in jedem Seg-
ment durch eine zellige Verbindungsbrücke zwischen beiden Organen
unterbrochen wird (Fig. 443 B, pag. 711), kommt eine Segmentirung der
Ventralorgane zu Stande, die sich auch äusserlich an denselben bemerk-
bar macht. Diese in der Mitte zwischen zwei aufeinanderfolgenden Füss-
chen gelegene Verbindungsstelle von Ventralorgan und Nervenstrang bleibt
bis zur Reife des Embryos erhalten und wird auch noch beim ausge-
bildeten Thier gefunden (v. Kennel). In ihrer weiteren Entwicklung
verflachen sich die Ventralorgane und lassen an ihrer Aussenfläche eine
leichte Einsenkung erkennen. Gleichzeitig rücken sie auf einander zu
und stossen schliesslich in der Mittellinie an einander. Während sie an-
fangs ausserordentlich massig waren (Fig. 442 und 443 B), treten sie
jetzt gegenüber dem Umfang des Embryos weit mehr zurück (Fig. 444,
Fig. 438. A und B Querschnitte durch den Kopf von Emhryonen des P. ed-
wardsii (nach v. Kennel). In A ist die Hälfte des Schnittes fortgelassen.
an Antennennerv, n Gehirn (aus Zellen- und Fasersubstanz bestehend), us Urseg-
inent des Kopfes, vo Ventralorgan.
pag. 714). Mit der fortschreitenden Entwicklung des Embryos werden
sie immer unansehnlicher und stellen beim ausgebildeten Thier nur noch
eine wenig umfangreiche follikuläre Einsenkung der Epidermis dar, welche
als unpaares Gebilde auf der Verbindungslinie je zweier gegenüberliegen-
der Füsschen gelegen ist (v. Kennel) und bisher übersehen wurde.
Ein besonderes Verhalten zeigen die Ventralorgane der vorderen
Segmente. Diejenigen des Segmentes der Oralpapillen sowohl, wie die
des Kiefersegmentes werden in die Mundhöhle einbezogen und lassen
sich am Grunde derselben noch einige Zeit erkennen (Fig. 436 A, vox
u. vo2). Die beiden hinteren vereinigen sich und bilden die Hinterwand
des Schlundes, die vorderen aber bleiben durch den Schlund getrennt.
Infolgedessen entwickelt sich jedes für sich weiter, und beide lassen die
äussere Einsenkung (nach v. Kennel's Auffassung den ursprünglicheren
Charakter) deutlicher erkennen, als die übrigen Ventralorgane des Rumpfes.
Noch weit mehr ist dies der Fall bei jenen Gebilden, welche wohl als
Ventralorgane des Kopfsegmentes aufzufassen sind. Es sind dies zwei
Onyckophoren. 701
nebeneinander gelegene tiefe Einsenkungen der Epidermis an der Ventral-
seite des Kopfsegmentes (Fig. 438 B, vo), welche in gleicher Weise wie
die Ventralorgane des Rumpfes durch Abspaltung einer äusseren von
einer inneren Ectodermschicht und Einstülpung der ersteren entstanden
sind. Diese Einstülpungen, welche anfangs weit offen sind und sich
später fast ganz schliessen, sind schon bei einer äusseren Betrachtung
des Embryos anfänglich als Gruben, später in Form unregelmässig ge-
stalteter Spalten an der Ventralfläche der Scheitellappen zu erkennen
(Fig. 435 und 436 B, pag. 694 u. 695). Später erfolgt der völlige Schluss
der Ventralorgane und die Ablösung derselben aus dein Zusammenhang mit
der Epidermis. Da beide Blasen sich tief in die Masse des Gehirns ein-
senkten (Fig. 438 B) und so in einem engen Zusammenhang mit diesem
gelangten, ist es erklärlich, dass sie, wenn das Gehirn im Vergleich zum
Kopf weniger umfangreich wird und an dessen Dorsalseite rückt, dem-
selben folgen und in Form einer dickwandigen Blase, dem sog. Hirn-
anhang des Peripatus, mit ihm verbunden bleiben. Das Ventralorgan des
Kopfsegmentes würde sich, wenn wir es hier wirklich mit einem solchen
zu thun haben, von denen des Rumpfes dadurch unterscheiden, dass es
seine Verbindung mit der Epidermis allem Anschein nach völlig aufgiebt.
Die Bedeutung der Ventralorgane ist bisher dunkel geblieben. Ihre
mächtige Entwicklung in früher Zeit des Embryonallebens und das Zurück-
treten beim ausgebildeten Thier spricht dafür , dass man es in ihnen mit
Organen zu thun hat, welche bei den Vorfahren stärker entwickelt waren.
Aus ihrer Lage könnte man schliessen, dass vielleicht der grösste Theil der
Ventralfläche durch starke Bewimperung als Bewegungsapparat iünctionirt
habe, ähnlich dem ventralen Flimmerfeld der Anneliden. Die Verbindung
mit dem Nervensystem bietet infolge der Entstehung des letzteren aus diesen
Ectodermmassen nichts Besonderes. Vielleicht wird bei der Ontogenese noch
fortgesetzt Zellenmaterial der Ventralorgane zur Ausbildung der Bauchkette
verwendet, v. Kennel's Angabe, dass die allmählich sich verringernde
Zellenmasse der Ventralorgane bei der weiteren Ausbildung der Epidermis
Verwendung finde, scheint für die ursprüngliche Zugehörigkeit dieser Organe
zur Epidermis zu sprechen , zumal sie auch in ihrer grössten Masse den
Zusammenhang mit dieser nie aufgeben, ausgenommen die Ventralorgane des
Kopfabschnittes. Was diese letzteren anbetrifft, so ist die Aehnlichkeit mit
denjenigen Bildungen eine höchst auffallende, welche wir bei den Arach-
niden als Scheitelgruben kennen lernten, und welche dort mit der Bildung
des Nervensystems in engster Beziehung stehen (pag. 546 und 583). Die
Figur 438 B zeigt, wie die „Ventralorgane" des Kopfes bei Peripatus
sich eng an die Anlage des Gehirns anlagern. Ein Vergleich der Figuren
435 und 436 B mit den Fig. 346 C, 349 und 370 B, pag. 541 ff. und 582 lässt
dagegen erkennen, wie auch äusserlich die Lage jener Einstülpungen grosse
Uebereinstimmung zeigt. Freilich ist man nach unserer jetzigen Kenntniss von
der Natur der Ventralorgane nicht berechtigt, diesen Vergleich weiter auszuführen.
Das Nervensystem. Wenn sich die Anlage der beiden Längsnerven-
stämme von derjenigen der Ventralorgane abspaltet, tritt an der dorsalen
Seite der ersteren ein Belag von Fasersubstanz auf, der anfangs nur dünn
ist, allmählich aber stärker wird (Fig. 443 u. 444, pag. 711 u. 714). Diese
Lagerung der Fasersubstanz zur Masse der Ganglienzellen bleibt im Wesent-
lichen erhalten, denn auch beim ausgebildeten Thier findet sich die Faser-
masse dorsal von den Ganglienzellen (Balfouk, No. 1), und nur einige
702 XXI. Capitel.
wenige der letzteren schieben sieh dorsal über die Fasermasse hinweg.
Dieses Verhalten des Peripatus muss als ein ursprüngliches angesehen
werden. Bei höher differencirten Formen, z. B. den Crustaceen und
Arachniden wird die Fasermasse zwar auch noch peripher angelegt,
jedoch bald von Ganglienzellen überdeckt und ins Innere der Ganglien
verlagert. Es wurde bereits bei Betrachtung der Crustaceen (pag. 361)
darauf hingewiesen, dass das Auftreten der Fasersubstanz an den inneren
peripheren Theilen der Bauchstränge einen ursprünglichen Zustand dar-
stellen mag.
Von den Commissuren , welche bei Peripatus in reicher Anzahl die
Nervenstämme verbinden, wird nur angegeben, dass sie aus diesen wie die
peripheren Nerven hervorwachsen, und zwar sollen die letzteren durch ein
Aussenden von Nervenfasern gebildet werden (v. Kennel).
Das Gehirn entsteht in übereinstimmender Weise mit dem übrigen
Centralnervensystem, doch ergeben sich hier nachträglich gewisse Compli-
cationen, indem die Antheile zweier Segmente zu seiner Bildung zu-
sammentreten. Die Abspaltung der Ganglienanlage von der Epidermis-
verdickung (Ventralorgan) erfolgt im Kopf ungefähr so wie in den an-
deren Segmenten, doch erstreckt sich die Fasersubstanz hier schon bald
tiefer in die Ganglienzellenmasse hinein und wird von dieser zum Theil
dorsal überlagert (Fig. 438 B). Von dieser dorsalen Zellenmasse setzt
sich ein Zellenstrang in die Antennenanlage fort, es ist dies die Anlage
des Antennennerven (v. Kennel, No. 4; Sedgwick, No. 10, Theil III
und IV). Letzterer erscheint demnach als directe Fortsetzung des Ge-
hirnganglions und soll sich dadurch von allen übrigen peripheren Nerven
unterscheiden, welche nur als Aussendungen von Nervenfasern (ohne An-
theilnahme von Ganglienzellen) gebildet werden.
Die vom Kopfabschnitt gelieferte Nervenmasse nimmt bald an Um-
fang so stark zu, dass sie den grössten Theil der Kopfhöhle erfüllt. Die
Ganglienzellenmasse, von welcher der Tentakelnerv ausgeht, schiebt sich
mehr gegen die Mittellinie hin und bildet an der DorsalÜäche des Ge-
hirns jederseits einen umfangreichen eiförmigen Wulst (Fig. 439 g{). Die
beiden Ganglienhälften sind anfangs durch einen tiefen Spalt getrennt.
Dieser wird später dadurch überbrückt, dass sich die Fasermassen beider
Gehirnhälften zu einer Commissur (der sog. oberen Schlundcommissur,
v. Kennel) vereinigen. Diese Commissur ist also eine secundäre Bil-
dung. Es scheint, dass in sie auch weiter hinten gelegene Theile des
Gehirns eingehen. Letztere gehören aber nicht mehr dem Kopfsegment
an, sondern werden von dem darauf folgenden (Kiefer-)Segment gebildet.
Bei der Umwallung der Kiefer werden auch die Ganglien dieses
Segmentes in die Tiefe und gegen die Dorsalseite zu gedrängt, so dass
die betreffenden Ganglien bald bei einer Betrachtung des Embryos von
der Rückenseite zu erkennen sind (v. Kennel, Fig. 439 #m). Man muss
wohl annehmen, dass dieses Hinaufrücken entlang der schon vorhandenen
Schlundcommissur stattfand. Die Verschmelzung wird in Kurzem eine
sehr innige, und man erkennt die Kieferganglien als zwei ziemlich um-
fangreiche Erhebungen hinter den Antennenganglien (Fig. 439 gm). Die
Fasermasse der Kieferganglien tritt von beiden Seiten her zur Bildung
einer Commissur, der unteren Schlundcommissur, zusammen, was da-
durch geschehen kann, dass sich das Hinterende dieser Ganglien abwärts
neigt. Bei einer derartigen Bildimgsweise der unteren Schlundcommissur
Onychophoren.
703
ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass man es in ihr mit einem ursprüng-
lichen Gebilde zu thun hat. Letzteres würde vielleicht eher für eine
weiter nach hinten gelegene Commissur gelten können, welche aus Zellen
besteht (Fig. 439 c). Freilich verbindet diese Commissur zwei gangliöse
Anschwellungen, welche man eher dem Segment der Oralpapillen zu-
rechnen möchte. Alle folgenden Commissuren sollen, wie schon erwähnt,
durch Aussendungen der Fasersubstanz gebildet werden.
Bei der Bildung des Gehirnes von Peripatus ist als wichtigster Punkt
die Verschmelzung der Kieferganglien mit den Ganglien des Kopfabschnittes
anzusehen, denn damit ist ein Verbalten gegeben, welches Peripatus von den
Myriopoden und Insecten unterscheidet , soweit wir bis jetzt wissen, und ihn
eher zu den Crustaceen hinleitet, bei denen die Ganglien des Segmentes der
II. Antenne mit dem Gehirn vereinigt
werden (vgl. pag. 364). Es liegt daher
nahe, die Kiefer des Peripatus nicht den
Mandibeln der Insecten, sondern vielmehr
der II. Antenne der Crustaceen gleichzu-
stellen. Die daraus von selbst sich er-
gebende Frage, ob das entsprechende Seg-
ment der Insecten zum Wegfall gekommen
ist, bezw. wie sich das Mandibelsegment
dazu verhält, dürfte bei dem jetzigen Stand
unserer Kenntnisse eine erfolgreiche Dis-
cussion kaum zulassen (vgl. auch weiter
unten, pag. 906).
Die enge Verbindung, welche das
Kiefersegment mit dem Kopfabschnitt des
Peripatus eingeht, erhebt die früher ausge-
sprochene Auffassung zu grösserer Wahr-
scheinlichkeit, dass auch das (jetzt als
Kopfabschnitt bezeichnete) Antennenseg-
ment auf gleiche Weise mit einem früher
vorhandenen und jetzt grösstentheils rück-
gebildeten Kopfabschnitt vereinigt worden
sein könnte. Wir wurden zu dieser An-
nahme geführt durch das Vorhandensein
jener beiden vor den Antennenanlagen
auftretenden Höcker (Fig. 436 x) und
durch die grosse Uebereinstimmung in der Bildungsweise der Antennen und
Füsschen. Damit lässt sich freilich die Angabe schlecht vereinigen, dass der
Antennennerv in seiner Bildungsweise von den peripheren Nerven principiell
verschieden sein soll, doch scheint uns dieser Punkt noch zu wenig beachtet
Fig. 439. Vordertheil des cen-
tralen Nervensystems eines Embryos
von P. edwardsii, auf etwas
früherem Stadium als das der Fig.
436 B. Dorsalansicht (nach v. Kenxel).
at Antenne, au Auge, c erste Com-
missur nach der Schlundcommissur,
gi und gn Kopfantheil des Gehirns,
gm Antheil des Kiefersegmentes, gn
darauf folgende Ganglien, op Oral-
papille, p\ erstes Fusspaar, s Durch-
trittsstelle des Schlundes, sd Schleim-
drüse.
worden
könnte.
zu sein , als dass er als völlig ausschlaggebend angesehen werden
c.
Die Augen.
Die Augen werden bereits angelegt, wenn die Trennung des Nerven-
systems von den Ventralorganen noch nicht erfolgt ist. An der dorsalen
Grenze der Ectodermverdickung des Kopfabschnittes senkt sich jederseits
hinter der Antennenanlage und ein wenig ventral von dieser eine kleine
Grube ein, deren Boden anfangs mit der Ectodermverdickung in Ver-
bindung steht, sich aber bald von ihr ablöst. Die Grube schliesst sich
704 XXI. Capitel.
zu einer Blase, welche sich vom Ectoderm losschnürt. Diese Blase ist
nach aussen gegen die Epidermis zu einschichtig, nach innen mehrschichtig.
In ihren Zellen tritt an der inneren Begrenzung Pigment auf. In der
Höhlung der Blase wird die Linse ausgeschieden. Die Zellen der hinteren
und seitlichen Wand liefern die Stäbchen der Retina. In der verdickten
Rückwand der Augenblase trat schon vorher eine Differencirung in Zellen-
und Fasersubstanz auf, und es erfolgt an dieser Stelle die Vereinigung
mit einem vom Gehirn ausgesendeten Fortsatz, dem Nervus opticus.
Letzterer stellt also eine nachträgliche Bildung dar (v. Kennel).
Eine etwas andere Auffassung von der Entstehung der Augen hat
Sedgwick. Nach ihm gehört die Gegend, wo sie entstehen, noch dem Gehirn
zu, auch sollen sie die Verbindung mit diesem nicht aufgeben, indem die
Rückwand der Augenblase mit der Zellenmasse des Gehirns vereinigt bleibt.
An dieser Stelle entsteht später durch blosse Einschnürung der Sehnerv.
Die Augen entstehen so grösstentheils vom Gehirn aus und werden nur vom
Ectoderm der Oberfläche überdeckt; sie sind „cerebral eyes", wie sie Sedgwick
bezeichnet, im Gegensatz zu v. Kennel, welcher sie unabhängig vom Gehirn
entstehen lässt, wie oben gezeigt wurde.
Vielleicht lassen sich die Beobachtungen, welche man über die Ent-
stehung der Augen des Peripatus gemacht hat, mit denen über die Augen-
entwicklung bei d&n Anneliden vereinigen. Die Augen von Peripatus zeigen
eine grosse Uebereinstimmung mit den höher organisirten Augen der Anne-
liden, wie sie den Alciopiden zukommen. Nach Kleinenberg' s Beobachtung
(Anneliden, Litt. No. 26) entstehen die Augen der Alciopiden zwar getrennt
vom Kopfganglion, als zwei Einstülpungen des Ectoderms, aber die hintere
Wand der Augenblase soll in enge Beziehung zum Gehirn treten, indem sie
direct Zellenmaterial an dieses abgiebt. Jedenfalls scheinen eine Zeitlang
die Elemente beider Organe in inniger Vereinigung zu stehen und zwar in
der Gegend, wo später der Sehnerv gebildet wird (vgl. pag. 191). Wenn
sich Kleinenberg's Beobacbtung bestätigt, könnte man daran denken, dass
auch bei Peripatus noch ähnliche Verhältnisse obwalten , und dass die von
einander abweichenden Auffassungen v. Kennel's und Sedgwtick's dadurch
ihre Erklärung finden.
'S
B. Die Schleimdrüsen und Cruraldrüsen.
Als ectodermale Bildungen und zwar als Einsenkungen an der Spitze
der Oralpapillen nehmen die Schleimdrüsen ihren Ursprung (Fig.
435). Anfangs stellen sie eine flache Grube dar, die sich aber all-
mählich tiefer einsenkt und mit ihrem blinden Ende nach hinten aus-
wächst. So sind sie auf dem Stadium der Fig. 43b" B zu einen keulen-
förmigen Schlauch geworden (Fig. 439 sd), welcher bis an den Darm vor-
gedrungen ist. Dieses Wachstimm geht in den folgenden Stadien immer
weiter, so dass die Drüsen eine bedeutende Länge erreichen. Dabei be-
halten sie ihre einfache schlauchförmige Gestalt; die Verzweigungen,
welche sie beim ausgebildeten Thier zeigen, treten erst kurz vor der Ge-
burtsreife des Embryos als Ausstülpungen des Schlauches auf (v. Kennel).
Die Schleimdrüsen sind wohl als Modifikationen der Cruraldrüsen
anzusehen, welche (bei den einzelnen Peripatusarten in verschiedener Zahl
und Vertheilung) als sackförmige Gebilde in den seitlichen Abtheilungen
der Leibeshöhle liegen und an der Ventralseite der Füsschen ausmünden.
Onyckophoren. 705
Die Cruraldrüsen treten erst in späten Stadien der Embryonalentwick-
lung als Ectodermeinstülpungen auf, welche an der Basis der Füsschen
distal von der Oeflhung der Nephridien gelegen sind (Fig. 444 c, Sedgwick).
Beim Männchen (von P. capensis) sind auch die Cruraldrüsen des letzten
Beinpaares zu langen Drüsenschläuchen umgewandelt (Balfour).
C. Der Darmcanal.
Zur Bildung des Darmes vereinigen sich eine ectodermale Vorder-
und Enddarmeinstülpung mit dem Entoderm.
Wir lehnen uns hier hauptsächlich an die von Sedgwick für P. ca-
pensis gegebene Darstellung an, weil wir die Verhältnisse bei dieser Form
für ursprünglichere halten müssen als bei den von Kennel sehr genau
studirten amerikanischen Arten. Uebrigens beziehen sich die Verschieden-
heiten beider Formen hauptsächlich auf die ersten Stadien der Anlage des
Darmes, während in den späteren Stadien wieder eine grössere Ueberein-
stimmung hervortritt.
Um die Bildung des Darmes zu verstehen, müssen wir auf das von
Sedgwick beschriebene Gastrulastadium des P. capensis zurückgehen.
Dort führt der Blastoporus in eine Höhle, welche von einer vacuolenreichen
Plasmainasse mit eingelagerten Kernen ausgekleidet wird. Diese volumi-
nöse kernhaltige Masse muss wohl als entsprechend dem Dotter mit ein-
gelagerten Kernen bei P. novaezealandiae aufgefasst wrerden. Bei
letzterer Form bildet der kernhaltige Dotter zum Theil die Begrenzung
der Urdarmhöhle. Bei beiden Formen streckt sich der Blastoporus in
die Länge (Fig. 441 J.), und seine Ränder nähern sich einander, um in
der Mittellinie zu verwachsen (Fig. 441 A—C). Während dieses Vor-
gangs ordnet sich die vacuolenreiche Zellenmasse zu einem regelmässigen
Epithel an, welches dort, wo der Blastoporus noch vorhanden ist, in das
Ectoderm übergeht, im Bereich des zum Schluss gekommenen Blasto-
porus aber sich zu einem Rohr zusammenschliesst. welches anfangs noch
mit den dort gelegenen Mesodermstreifen in Verbindung stehen soll, sich
aber später auch von diesen isolirt und nunmehr ein gesondertes Entoderm-
rohr darstellt.
Bei P. novaezealandiae gestaltet sich dieser Vorgang infolge des
Dotterreichthums anders. Die Entodermzellen sollen sich dort an der Peri-
pherie des Dotters zu einem Epithel anordnen, welches demnach die Dotter-
masse umschliesst. Letztere würde dann bei der weiteren Ausbildung des
Darmes allmählich resorbirt. Die Bildung des Mundes und des Afters er-
folgt in ähnlicher Weise wie bei P. capensis (Sheldon).
Die beiden beim Schluss des Blastoporus übrig bleibenden Öffnungen
(Fig. 441 D) werden zum Mund und After, aber nicht so, dass sie direct
in diese übergingen, sondern es findet an beiden Öffnungen noch eine
Einsenkung des Ectoderms statt, so dass die Verbindungsstelle zwischen
Ectoderm und Entoderm ins Innere verlagert wird und so ein ectoder-
maler Vorder- und Enddarm zu Stande kommt.
Durch die Gestalts Veränderungen, welche der Embryo erleidet, wird
auch die Anlage des Darmkanales beeinflusst. In Folge der Krümmung
des Embryos reicht das Entoderm vorn und hinten über Mund und
After hinaus (Fig. 440 Ä). Die Vorderwand des Stomodaeums verläuft
daher nach vorn. Dies ändert sich aber mit dem weiteren Wachsthum
706
XXI. Capitel.
des Embryos, wenn der Mund mehr an das Vorderende verlagert wird,
wodurch der vordere Entodermsack zurücktritt und das Stomodaeum
nunmehr nach hinten gerichtet erscheint (Fig. 440 B). Am hinteren Theil
des Darmes hat das Wachsthum des Embryos ähnliche Veränderungen
hervorgebracht. Bisher lag die dorsale Wand des vorderen Darm-
abschnittes der Körperwand eng an (Fig. 440 A und B) ; jetzt hebt sich
diese von ihr ab und erweitert sich nach vorn (Fig. 440 C). Dabei folgt
ihr ein Divertikel des Entoderms, während das Stomodaeum seine frühere
Lage beibehält. Auch diese Divertikelbildung verstreicht im Laufe der
A
B.
C.
Fig. 440. A — C mediane Längsschnitte durch Embryonen von P. capensis
in verschiedenen Altersstadien (nach Sedgavick).
a After, dt vorderer Entodermdivertikel, ent Entoderm, m Mund, st Stomadaeum
(Vorderdarm j.
weiteren Entwicklung wieder, und der Darm verläuft dann gerade ge-
streckt nach hinten. Aus dem ectodermalen Vorderdarm geht der mus-
kulöse Schlundkopf des Peripatus (unter Betheiligung mesodermalen Ge-
webes) hervor. Die Umbildungen, welche der Mund von aussen her er-
fährt, wurden bereits bei Betrachtung der äusseren Körperform geschildert
(Fig. 436, pag. 695).
Bei den amerikanischen Peripatusarten verhält sich der Darmcanal schon
in Bezug auf seine erste Anlage verschieden , insofern der langgestreckte
Blastoporus dort nicht vorkommt (v. Kennel). Die nach aussen völlig ab-
geschlossene Anlage des Mitteldarmes, welche aus den einwuchernden Zellen
hervorging (Fig. 422 und 423, pag. 684 und 685) ist dort sackförmig. Mit der
Verlängerung des Embryos wird auch sie schlauchartig in die Länge gestreckt.
Ihre Verbindung mit dem Ectoderm erhält sie durch Verlöthung des Ento-
derms mit dem Ectoderm, die bei der Mundöffnung mit einer Einsenkung
Onychophoren. 707
des letzteren verbunden ist. So entsteht ventral an der Grenze zwischen
Kopf und Rumpf der Mund und vor dem Blastoporus der After (Fig. 431 A).
Es wurde bereits früher (pag. 690) darauf hingewiesen, dass beide Oeffnungen
eine entsprechende Lagerung zeigen wie bei P. capensis, und dass sie
vielleicht ursprünglich Beziehungen zu dem Blastoporus hatten, v. Kexnel
nimmt solche freilich nicht an und scheint auch wenig geneigt, den dies-
bezüglichen Beobachtungen an den anderen Peripatusarten grossen Werth bei-
zulegen. So giebt er auch der von ihm beobachteten und von uns in An-
lehnung an die englischen Autoren als Blastoporus bezeichneten Rinne am
Blastoderm des neuseeländischen Peripatus eine andei*e Deutung. Es wurde
schon mehrfach hervorgehoben, dass die Entwicklung der amerikanischen
Arten in ihren ersten Stadien vielfachen Veränderungen unterworfen war
und solche sich wohl auch in Bezug auf die erste Anlage des Darmcanals
geltend machten.
Die weitere Ausbildung des Vorderdarmes verläuft ganz ähnlich, wie
schon geschildert, durch Verlagerung der primären Mundöffnung nach innen,
wobei ebenfalls ein vorderes Entodermdivertikel auftritt. Dagegen soll die
vor dem Blastoporus durch Bildung eines Spaltes entstandene Afteröffnung
(Fig. 431 Ä) nicht zum definitiven After werden. Sie schliesst sich viel-
mehr durch Aneinanderlegen ihrer Ränder, und eine kurze Strecke vor ihr
tritt dann eine Ectodermeinstülpung auf, welche bis zum Entoderm vordringt,
und mit ihm verlöthet. So ist der definitive Enddarm und After gebildet,
welcher letzterer dann infolge ungleichen Wachsthums des Embryos mehr an
dessen hinteres Ende verlagert wird (v. Kennel).
Die mesodernialen Bildungen.
Die Bildung der Hauptmasse des Mesoderms erfolgt von einer am
Hinterende des Blastoporus gelegenen Wuclierungszone aus und erstreckt
sich von hier in Form zweier symmetrisch zur ventralen Mittellinie ge-
lagerten Bänder (Mesodermstreifen) nach vorn. Wo ein spaltförmiger
Blastoporus vorhanden ist, wie bei den afrikanischen und australischen
Arten, liegen die Mesodermstreifen demselben dicht an, finden sich also
an der Uebergangsstelle des Ectoderms in das Entoderm. Nach er-
folgtem Schluss des Blastoporus liegt die dabei restirende hintere Oeff-
nung (Afteröffnung) vor der Wucherungsstelle, und ebenso verhält sich
die Lagerung des Afters bei den eines spaltförmigen Blastoporus ent-
behrenden amerikanischen Arten.
Die englischen Autoren bezeichnen die Wucherungszone in Analogie mit
den Verhältnissen der Wirbelthiere als Primitivstreif und eine rinnenförmige
Einsenkung desselben als Primitivrinne. Wenn eine solche vorhanden ist,
müsste man sie wohl als Fortsetzung des Blastoporus auffassen und anneh-
men, dass es nicht der hinterste Theil desselben ist, der als After erhalten
bleibt. Die Wucherungsstelle selbst ist als an dem hinteren Blastoporusrand
gelegen aufzufassen. An dieser Stelle erfolgt eine massige Anhäufung von
Zellen, und hier stehen die Keimblätter noch mit einander in Verbindung.
Insofern sich von dieser indifferenten Zellenmasse aus die Mesodermstreifen
nach vorn erstrecken, zeigen diese Verhältnisse eine gewisse Uebereinstim-
mung mit denjenigen der Anneliden. Sedgwick spricht sogar von Polzellen
des Mesoderms, über die aber Sicheres nicht bekannt ist. Es ist zweifellos,
708
XXI. Capitel.
dass die Hauptproduction des Mesoderms von hinten, von der Wucherungs-
zone her erfolgt, doch ist bei der dichten Anlagerung der Mesodermstreifen
an die Ränder des Blastoporus eine Antheilnahme derselben an der Ver-
grösserung der Mesodermstreifen nicht ausgeschlossen (Sedgwick). Bei den
amerikanischen Arten scheint eine solche Betheiligung übrigens bestimmt nicht
stattzufinden. Hier erfolgt von der als Blastoporus anzusehenden Einwuche-
rungsstelle die Vergrößerung der Mesodermstreifen nach vorn, und ihr Wachs-
thum ist es auch, welches die Verlängerung des ganzen Embryos bedingt.
Hier scheidet sich die Mesodermmasse von der sackförmig gestalteten Mittel-
darmanlage (Fig. 422 und 423), doch nicht so scharf, dass nicht noch in
späteren Stadien , wenn bereits
eine viel weitere Differencirung
_B. des Mesoderms eingetreten ist,
ein Zusammenhang des letzteren
mit dem Entoderm auf der einen
\ und dem Ectoderm auf der anderen
Seite nachzuweisen wäre. Dem-
nach darf auch hier das Meso-
derm als auf der Grenze zwischen
Ectoderm undEntoderm entstehend
aufgefasst werden.
K.
M.
US.'
- m-'
c.
D.
-Pfe-
\
a.
3*&
■
Die weitere Ausbildung der
Mesodermstreifen zeigt die
grösste Uebereinstimmung mit
den Verhältnissen, wie wir sie
bei den Anneliden kennen lern-
ten. Ehe sie noch das Vorder-
ende des Blastoporus erreicht
haben, gliedern sie sich in ein-
zelne hinter einander gelegene
Abschnitte (Fig. 441 A — C, us).
In diesen treten sodann Höhl-
ungen auf, und indem diese sich
allmählich erweitern, ordnet sich
das Zellenmaterial der einzelnen
Segmente zu einem regelmässi-
gen Epithel an. So entstehen
die paarigen Ursegraente. Bei
ihrer weiteren Ausdehnung legt
sich, wie das somatische und
splanchnische Blatt der Anneli-
den, die äussere Wand dem
Ectoderm, die innere dem En-
toderm an (Fig. 442). Je ein
Paar von Ursegmenten gehört
zu einem Körpersegment. Die
Differencirung der Ursegmente beginnt im vordersten Theil der Mesoderm-
streifen und schreitet nach hinten fort. Demnach ist das erste zur Anlage
kommende Ursegmentpaar dasjenige des Kopfabschnittes. Dasselbe wird
weit umfangreicher als alle übrigen Ursegmente. Es breitet sich bis
beinahe zur ventralen und dorsalen Mittellinie aus, ohne dass sich aber
seine beiden Hälften berührten und damit die Bildung eines Mesen-
,
/
c a -
Fig. 441. A — D Embryonen von P
pensis in ventraler Ansicht, um die Segmen-
tirung des Mesoderms zu zeigen (nach Balfour
und Sedgwick).
a After, bl Blastoporus, m Mund, us Ur-
segmente, w Wucherungszone.
Onychophoren.
709
teriums veranlasst würde. Dem vordersten Ursegmentpaar folgen die
anderen in der Ausbildung nach, und ihre Zahl vermehrt sich mit dem
Wachsthum des Körpers. Querschnitte, welche durch den Körper eines
Embryos geführt werden, welcher sich auf dem Stadium der Differenzirung
der Ursegmente befindet, zeigen besonders im vorderen und hinteren
Körperabschnitt dasselbe Bild wie Querschnitte eines Annelidenembryos:
das Ectoderm mit seiner ventralen Verdickung, im Innern die beiden
Segmenthöhlen, begrenzt von der epithelialen, an das Ectoderm und
Entoderm sich anlegenden Wandung (Fig. 442).
Das zuletzt geschilderte Stadium der anatomischen und histologischen
Differenzirung ist bereits . bei den jungen Embryonen vorhanden , wie sie
durch die Fig. 430 repräsentirt werden, und erleidet keine wesentliche
Aenderung bis zu einem Stadium mit 12 — 15 äusserlich ausgeprägten Seg-
menten und der vollen Zahl innerer Segmente, welche dem ausgebildeten
Thier zukommt (v. Kennel).
A.
B.
v-tr.
w. d. \
•US.
Var.-t-ti
Fig. 442. A und B Querschnitte durch Embryonen von P. capensis (A) und
edwardsii (B) nach Sedgwick und v. Kennel).
A Querschnitt eines Embryos ungefähr vom Stadium der Fig. 433 A, durch die
Gegend der Oralpapillen. B Querschnitt durch ein Rumpfsegment eines jungen Embryos.
d Darm (Entoderm), Ih dorsaler und ventraler Kaum zwischen Ecto- und Ento-
derm (Theil der primären und späteren definitiven Leibeshöhle), l lateraler, m medianer
Theil der Segmenthöhle, mes vom Ursegment abgelöste Mesodermtheile, n Anlage des
Bauchstranges , us Ursegment, vo Ventralorgan, vo -\- n gemeinsame Verdickung des
Ventralorganes und Bauchstranges.
Wenn die Mesodermstreifen des Peripatus in die Eeihe der hinter
einander liegenden Ursegmente zerfallen sind, ist die Uebereinstimmung
mit den Anneliden eine sehr auffallende, die fernere Ausbildung des
Mesoderms aber verläuft insofern in abweichender Weise, als nicht die
Segmenthöhlen zur definitiven Leibeshöhle werden, sondern diese als
Pseudocöl ausserhalb der Ursegmente entsteht. Was von den letzteren
erhalten bleibt, geht in die Bildung der Nephridien und Genitalorgane
ein (v. Kennel, Sedgwick).
Die Bildung der definitiven Leibeshöhle und der Nephridien wird
dadurch eingeleitet, dass die Ursegmente an ihrer ventralen Wand eine
Verdickung erfahren und infolge dieser Zellwucherung die Segmenthöhle
in zwei Räume, einen dorso-medialen und einen lateralen, geschieden
wird (Fig. 442 B, m und l), die anfangs noch in Verbindung mit einander
bleiben, später aber gänzlich von einander abgetrennt werden (Fig. 446 A,
pag. 718). Dabei rückt der dorsale Theil immer mehr gegen die Mittel-
linie des Rückens zu, der laterale aber zieht sich zum grossen Theil in
die Anlage der Extremität hinein (Fig. 446, v. Kennel, Sedgwick).
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
46
710 XXI. Capitel.
Schon ehe diese Trennung eingetreten ist, und so lange die Ursegmente noch
ihre sackförmige Gestalt bewahren , ragt an denselben ein vorderer dorsaler
Zipfel über einen Theil des vorhergehenden Ursegraentes hinweg, erstreckt
sich also in das vorhergehende Körpersegment hinein. So erklärt es sich,
dass auf Querschnitten des einen Segmentes ein Theil der Segmenthöhle des
folgenden mit getroffen wird, und dass später der abgeschnürte dorsale Ab-
schnitt über den ventralen Theil des vorhergehenden Segmentes zu liegen
kommt.
Der laterale Theil der Ursegmente liefert die Nephridien, der dorso-
mediale die Geschlechtsdrüsen in den Segmenten, welche dieselben ent-
halten; in den übrigen Segmenten schwindet er, indem seine Zellen-
elemente zur Bildung des Blutgefässsystems, der Museulatur und zur
weiteren Ausbildung des Pseudocöls verwrendet werden. Wir betrachten
zunächst die letztere.
D. Leibeshöhle und Blutgefässsystem.
Noch ehe die Trennung der Ursegmente in zwei Abschnitte erfolgte,
hob sich das früher dicht am Entoderm anliegende Ectoderm von diesem
ab, wodurch dorsal und ventral vom Dann ein freier Raum entstand,
welcher bereits die erste Andeutung der definitiven Leibeshöhle darstellt
(Fig. 442 A und 2?, Ih). In diese beiden Räume wandern Mesodermzellen
ein, welche sich von den Ursegmenten ablösen. Indem diese Zellen sich
an das Entoderm und Ectoderm anlegen, wird der anfangs nur von
diesen beiden Keimblättern begrenzte und demnach als primäre Leibes-
höhle aufzufassende Raum zu einer von Mesodermelementen begrenzten
Höhle (Fig. 443 A, Ih). Während diese beiden Räume in Folge der Art
ihrer Entstehung eine Segmentirung nicht aufweisen, ist dies dagegen
der Fall bei einem anderen Abschnitt der definitiven Leibeshöhle, welcher
durch Auseinanderweichen der Zellenelemente in der verdickten soma-
tischen Wand des lateralen Ursegmenttheiles entsteht (Fig. 443 A, l.lh).
Die erst segmental angeordneten Höhlungen fliessen später zusammen,
und daraus resultiren die beiden continuirlich durch den Körper ver-
laufenden seitlichen Räume, in denen beim ausgebildeten Thier die
Nervenstämme liegen. Mit diesen Räumen ist ein anderer Raum in der
Entstehung übereinstimmend, welcher noch mehr peripher in den Extremi-
tätenanlagen zur Ausbildung kommt und welcher die Nephriden umgiebt
(Fig. 443 und 444p.?A). Dieser, am besten als pedale Leibeshöhle zu
bezeichnende Raum fliesst später mit jenen seitlichen Räumen theilweise
zusammen, so dass, wo dies der Fall ist, Nephriden und Längsnerven in
einem gemeinsamen Raum zu liegen kommen.
Zur Bildung des mittleren Raumes, welcher beim ausgebildeten Thier
den Darm und die Genitalorgane in sich fasst, vereinigen sich mehrere
Höhlen. Nach Sedgwick's Angaben treten nach aussen zu von dem
dorsalen Theil des Ursegmentes und zum Theil durch dessen Wand be-
grenzt, zwei neue Räume auf (Fig. 443 B, pe und m. Ih). Der untere
derselben vereinigt sich später mit dem schon früh aufgetretenen Raum
unterhalb des Darmes (Ih) zur Bildung des grössten Theiles des bleiben-
den medianen Raumes, während der obere die Anlage des Pericardial-
raumes darstellt.
Die beiderseitigen Pericardialräume dehnen sich mehr gegen die
dorsale Mittellinie hin aus, wobei der Rest des Ursegmentes mehr nach
Onychophoren.
711
unten verschoben wird. Der schon früh oberhalb des Darmes entstandene
Abschnitt der definitiven Leibeshöhle (Ih) scheint dabei von den Peri-
cardialräumen grösstentheils verdrängt zu werden. Diese fliessen schliess-
lich in der Mittellinie zusammen und bilden den gemeinsamen Pericardial-
raum (Fig. 444 pe). Indem sich von seiner Begrenzung (nach Sedgwick
sowohl von der dorsalen wie von der ventralen) Zellen loslösen und ein
im Pericardialraum gelegenes Rohr bilden, entsteht das Herz (Fig. 444 h).
B
US
Fig. 443. A und B Querschnitte durch Embryonen von P. capensis in ver-
schiedenen Altersstadien (A durch das Segment der Oralpapillen) (in etwas schemati-
sirter Darstellung nach Sedgwick).
d Darm, Ih dorsaler und ventraler Mediantheil der (definitiven) Leibeshöhle,
l.lh lateraler Theil der Leibeshöhle, m.lh seitlicher Theil des mittleren Raumes der
Leibeshöhle, n Anlage des Bauchnervenstranges, ne Nephridien (in A Anlage der
Speicheldrüsen), oe äussere Oeffnung derselben, p Fuss, pe Pericardialraum, p.lh pedale
Leibeshöhle, sh Segmenthöhle, us dorsomedialer Theil der Ursegmente, vo Ventralorgan.
Die Ostien des Herzens, deren Bildung nicht näher verfolgt wurde, ent-
stehen erst spät, bei dem geburtsreifen Embryo. Wie man aus den Ab-
bildungen Fig. 443 und 444 erkennt, sind bei der Bildung des Herzens
jedenfalls auch die Ursegmente [us) betheiligt.
46 :
712 XXI. Capitel.
Aus losgelösten Mesoclermzellen, welche sich an die Herzwand von aussen
anlegen, entsteht die mit dem Fettkörper der Insecten verglichene Zellmasse
innerhalb des Pericardialraumes. Dieselbe erinnert unwillkürlich an die
wahrscheinlich den Pericardialdrüsen der Molluscen homologen Zellwuche-
rungen am Rückengefäss der Anneliden, doch ist eine Homologisirung dieser
beiden Gebilde schon deshalb ausgeschlossen, weil die Pericardialdrüse als
Wucherungen des Peritonealepithels innerhalb der secundären Leibeshöhle,
jene Zellenmasse des Peripatus aber ausserhalb derselben liegt. Der Peri-
cardialraum des Peripatus entspricht ebenso wenig wie derjenige der Arthro-
poden dem Pericardium der Molluscen bezw. dem Cölom der Anneliden.
Nur seine ventrale Wand (das Pericardialseptum Fig. 443 B und Fig.
444 ps) wird von der somatischen Wand des Ursegmentes gebildet, ebenso
wie dies auch bei den Insecten der Fall ist. Diese Wand lässt durch Ab-
spaltung von Zellen das Herz entstehen (Peripatus) und das ist die einzige
Uebereinstimmung, welche in dieser Beziehung mit den Anneliden und Mollus-
cen gefunden werden kann, indem auch in dieser Abtheilung das Herz direct
von der Wand der Ursegmente abgespalten wird. Bekanntlich steht bei
Peripatus wie bei den Arthropoden das Rückengefäss in directer Communi-
cation mit der (definitiven) Leibeshöhle und ist daraus auch die Ueberein-
stimmung in der Entwicklung dieser Organsysteme in beiden Abtheilungen
zu erklären.
In den beiden vordersten Segmenten (dem Kopf- und Kiefersegment)
ist die Umbildung der Ursegmente gewissen Modificationen unterworfen,
wie sie durch die besondere Gestaltung dieser Abschnitte bedingt sind.
Im Kiefersegment ist die mediale Parthie des Ursegmentes nur
wenig ausgedehnt und verschmilzt mit der in dieses Segment hinein-
ragenden medialen Parthie des nachfolgenden Segmentes. Die verschie-
denen Räume der definitiven Leibeshöhle kommen liier weniger deutlich
zur Ausbildung. Die laterale Parthie, welche die Kieferanlagen ausfüllt,
erfährt eine bedeutende Verdickung ihrer Wand und giebt damit zur
Bildung der starken Kiefermuskulatur Veranlassung.
Das Ursegmentpaar des Kopfabschnittes ist anfangs sehr umfangreich
und erfüllt den grössten Theil desselben. Mit der Vergrösserung des
Ventralorganes und des Gehirnes wird es jedoch mehr und mehr gegen
die Dorsalseite zu gedrängt und verliert dabei an Umfang. Aehnlich
wie dies bei den Füsschen ebenfalls geschieht, lagert sich auch hier ein
Theil in die Antennen (Fig. 438 A, us), so dass diese anfangs hohl er-
scheinen, bis später die Höhlung wieder rückgebildet wird. Von der
Wand des ersten Ursegmentes werden Zellen zur Bildung der Schlund-
muskulatur abgegeben. Nach Sedgwick erfährt auch das erste Urseg-
ment wie die übrigen eine Theilung in einen medialen und lateralen
Abschnitt, über deren Bedeutung weiter unten (pag. 713) noch ge-
sprochen werden muss.
E. Die Muskulatur.
Schon in frühen Stadien , wenn noch keinerlei Differenzirung der Ur-
segmente erfolgt war, lösten sich von ihnen Zellen los und legten sich dem
Ectoderm an. Aus diesen Zellen und anderen, welche ihnen während der
weiteren Ausbildung des Mesoderms nachfolgen , entstehen dicht unter dem
Ectoderm die Ringmuskelfasern, welche anfangs nur spärlich vorhanden sind,
in späteren Stadien aber sich immer dichter anlagern (Sedgwick). Die
Onychophoren. 713
Längsmuskeln treten später auf als die Ringsmuskeln, und ihre Fasern er-
scheinen in der Zellenschicht, welche jene nach innen zu Dedeckt. Sie sind
nach Sedgwick in verschiedenen Complexen, einem ventralen, zwei ventro-
lateralen, zwei lateralen und zwei dorsalen vertheilt, welche den Längs-
muskelbündeln des ausgebildeten Thieres entsprechen.
Die Muskulatur des Darmes und der inneren Organe überhaupt stammt
von den Wanderzellen her, welche sich von den Ursegmenten ablösten und
jenen Organen anlegten.
F. Die Nephridien.
Aus dem lateralen Theil der Ursegmente, welcher sich grösstenteils
in die Basis der Extremitäten einlagert, geht das Nephridium in der
Weise hervor, dass die Ursegmente einen gegen die Ventralseite gerich-
teten zipfelförmigen Ausläufer treiben, der sich verlängert und an der
Basis des Füsschens mit dem Ectoderm verschmilzt (Fig. 443 A), wo-
durch das Nephridium seine äussere Oeffnung gewinnt (Sedgwick). Da-
mit ist das Nephridium im Wesentlichen bereits fertig (Fig. 443), denn
sein Trichter öffnet sich nicht, wie man bisher mit Balfour und Gaffron
annahm, in die (definitive) Leibeshöhle, sondern er bleibt nach Sedgwick's
wichtiger Beobachtung zeitlebens gegen diese geschlossen, indem der Kanal
des Nephridiums in eine blinde Erweiterung, das Endsäckchen, ausgeht
(Fig. 444 es)!
Man muss also annehmen, dass der Trichter sich in das Endsäckchen
öffnet, wie der Trichter der Nephridien bei den Anneliden in die (secundäre)
Leibeshöhle. Das Endsäckchen entspricht also dem Cölom, eine Auffassung,
welche durch die Entstehungsweise der Nephridien bestätigt wird. Somit ist
hier ein Theil des Cöloms in directe Beziehung zur Niere getreten. Es er-
geben sich hierdurch Verhältnisse, wie wir sie in sehr übereinstimmender
Weise bei den Nephridien der Crustaceen (pag. 378) angetroffen haben
und auch weiterhin bei den Molluscen mit gewissen Modificationen wieder-
finden werden.
Die oben geschilderte einfache Bildung der Nephridien gilt im Be-
sonderen für diejenigen der Segmente des 1. bis 3. Beinpaares (von P.
capensis). Die der folgenden Beinpaare unterscheiden sich von ihnen
dadurch, dass der Kanal sich in den späteren Stadien stärker windet
und sich gegen das äussere Ende hin zu einer Blase ausweitet (Sedgwick,
Fig. 444, sb), ähnlich der Harnblase bei den Nephridien (Antennen-
driisen) der Malacostraken.
Abgesehen von den noch zu besprechenden Umwandlungen, welche die
Nephridien bei der Bildung der Speicheldrüsen und Genitalorgane erfahren,
sind noch die des Kopf- und Kiefersegmentes zu erwähnen. In letzterem
sind die Nephridien zurückgebildet; nur Spuren hat man davon zu finden
geglaubt (v. Kexxel) , im Kopfsegment hingegen sollen die beiden Segment-
höhlen (in frühen Stadien) noch durch Canäle nach aussen münden (Shel-
don No. 12, Theil II). v. Kennel und Sedgwick beschreiben ziemlich
übereinstimmend einen (canalartigen) Ausläufer der Kopfhöhlen , welcher an
der Aussenseite der Ectodermverdickung (Anlage des Nervensystems) herab-
steigt und unmittelbar vor den Kiefern mit dem Ectoderm verschmilzt
(Sedgwick), ja nach L. Sheldon's Beobachtung sich sogar dort nach aussen
öffnen soll. Man hat diesen Canal für homolog dem Canal der Nephridien
714
XXI. Capitel.
erklärt. Nach Sedgwick gehört er demgemäss der lateralen Abtheilung des
ersten Ursegmentes an. Wir vermögen aus den gegebenen Darstellungen
nicht mit Sicherheit zu erkennen, wie sich diese laterale Abtheilung zu der
cölomatischen Höhlung der Antennen verhält. Daher vermeiden wir es, auf
eine Besprechung der Lagebeziehungen des ausmündenden Canals zu den-
jenigen der übrigen Nephridien einzugehen und heben nur hervor, dass eine
auffällige Lageveränderung des Nephridiums gegen die Extremität stattge-
funden haben müsste, wenn wir es in jenem Canal wirklich mit dem Nephri-
dialcanal des sog. Kopfsegmentes zu thun haben, und wenn unsere frühere
Vermuthung, dass die Antennen des Peripatus umgewandelte Extremitäten
sind, die richtige wäre (vgl. pag. 696). Es braucht kaum bemerkt zu wer-
den, dass eine noch genauere Kenntniss dieser Verhältnisse von grosser
Wichtigkeit wäre.
mes
Fig. 444. Querschnitt durch die hintere Körperregion eines älteren Embryos
von P. capensis (in etwas sehematischer Darstellung nach Sedgwick).
c Anlage der Cruraldrüsen, d Darm, es Endsäckchen der Nephridien, g Genital-
drüsen (dorsomedialer Theil der Ursegmente), h Herz, l.lh lateraler, m.lh medialer,
p.lh pedaler Theil der definitiven Leibeshöhle, mes Mesodermgewebe, n Bauchnerven-
strang, ne Nephridialcanal, oe Oeffnung der Nephridien nach aussen, p Füsse, pe Peri-
cardiairaum, ps Pericardialseptum , sb Sammelblase (Harnblase) der Nephridien,
sd Schleimdrüse, so Sohle des Fusses (Verdickung des Ectoderms), st verbindender
Strang zwischen Nervenstrang (n) und Ventralorgan (vo).
G. Die Speicheldrüsen.
Nach den in dieser Beziehung übereinstimmenden Angaben von
Kennel und Sedgwick kann man nicht zweifeln, dass die durch einen
kurzen gemeinsamen Gang in die Mundhöhle mündende paarige Drüse
aus den Nephridien des Segmentes der Oralpapillen hervorgeht. Die-
selben werden in derselben Weise wie die übrigen Nephridien angelegt.
Sie entstehen nach Abschnürung der dorso- medialen Parthie aus der
Onychophoren.
715
dasselbe einmündet
lateralen Abtheilung der Ursegmente, welche eine Oeffnung nach aussen ge-
winnen (Fig. 434 no und 435 sp, pag. 694). Die weitere Ausbildung ist nur
insofern eine andere, als sich der Canal an der Stelle, wo er in das End-
säckchen übergeht , in die Länge zu strecken beginnt (Fig. 445 A) , so
dass jenseits des Endsäckchens ein langer blindendigender Schlauch zu
Stande kommt (Fig. 445 B, Je). Daraus entsteht dann der Haupttheil der
Speicheldrüse, an welcher aber zeitlebens der dem Endsäckchen ent-
sprechende blasenförmige Theil der Anlage (s) erhalten bleibt (v. Kennel,
Sedgwick). Seine Verbindung mit dem Drüsenrohr zieht sich zu einem
kurzen Canal aus (Fig. 445 B), welcher dorsal in
(Sedgwick).
Die beiden äusseren Oeff-
nungen der Nephridien (Fig.
435 sp) werden durch die
gegen den Mund vorrückende
Falte mit in die Mundhöhle
hineingedrängt. Hier kommen
sie in eine querverlaufende
Rinne zu liegen, welche bei
der weiteren Ausbildung der
Mundhöhle immer tiefer, dabei
aber auch von den Seiten her
eingeengt und in Folge dessen
kürzer wird. So entsteht aus
der Rinne ein kurzer Canal
mit spaltförmigen Lumen , in
welches sich die beiden Nephridialcanäle (Speicheldrüsen) öffnen.
ist der gemeinsame, in die
Speicheldrüsen (v. Kennel).
Fig. 445. A und B Bildung der Speichel-
drüsen von P. capensis (nach Sedgwick).
k Canal der Drüse, n Nephridialcanal, * End-
säckchen, welches in A dünnwandiger als in B
erscheint.
Dies
Mundhöhle mündende Ausführungsgang der
H. Die Analdrüsen.
Die sog. Analdrüsen, ein Paar von Drüsenschläuchen, welche bei
dem Männchen von P. edwardsii ventral zu beiden Seiten des Afters,
bei P. capensis mit einem kurzen gemeinsamen Ausfuhrungsgang an
der Geschlechtsöffnung ausmünden und offenbar in Beziehung zu den
Geschlechtsverrichtungen treten, geben sich durch ihre Entwicklung als
modificirte Nephridien zu erkennen (v. Kennel). Sie entstehen bei P.
edwardsii aus den Ursegmenten des letzten (fusslosen) Abschnittes,
welches ventral den After trägt. Die Analdrüsen kommen bei beiden
Geschlechtern in gleicher Weise zur Anlage, wachsen aber nur beim
Männchen zu ihrer späteren Schlauchform aus, während sie beim Weibchen
rückgebildet werden.
Bei P. capensis mündet an der männlichen Geschlechtsöffnung ein
Drüsenpaar aus, welches wahrscheinlich den Analdrüsen der amerikanischen
Arten homolog ist. Da aber aus den Nephridien des Segmentes, welches
die Genitalöffnung trägt, die Ausführungsgänge des Geschlechtsapparates her-
vorgehen (vgl. weiter unten, pag. 717), so müssen diese Drüsen einen
anderen Ursprung haben. Wir möchten es für wahrscheinlich halten , dass
sie aus einem der beiden Paare von Ursegmenten hervorgehen, welche Sedg-
wick bei P. capensis hinter den Ursegmenten der Analpapillen noch findet.
Bei dieser Form ist die Geschlechtsöffnung ganz in die Nähe des Afters
716 XXI. Capitel.
gerückt und liegt vor diesem an dem die Analpapillen tragenden Abschnitt.
Bei P. edwardsii hingegen findet sich die Genitalöffnung um zwei Segmente
weiter nach vorn, sie liegt am vorletzten beintragenden Segment. Da nun
nach Sedgwick bei P. capensis hinter dem letzten ausgebildeten Ursegment
(dem der Geschlechtsausführungsgänge) noch zwei rudimentär bleibende Seg-
mente auftreten, so könnte man annehmen, dass diese dem letzten beintragenden
und dem sog. Analsegment der amerikanischen Arten entsprächen. Letztere
würden also zwei wohl ausgebildete Segmente (das Genitalsegment und das
folgende) aufweisen, wo bei den afrikanischen und neuseeländischen Arten
eine Rückbildung eingetreten wäre, welche veranlasste, dass die Genital- und
Afteröffnung scheinbar an ein und dasselbe Segment zu liegen kamen. So
würde dann auch die Annäherung eines der letzten Nephridienpaare (der
Analdrüsen) an das drittletzte Paar (Geschlechtsausführungsgänge) zu erklären
sein. Diese Yermuthung scheint durch die neuerdings durch L. Sheldox
(Nr. 13) bekannt gewordene Thatsache bestätigt zu werden, dass bei dem
neuseeländischen Peripatus am sog. Analsegment zwei schleifenförmig gebogene
Drüsenschläuche vorhanden sind, von denen jeder für sich seitlich am Körper
und lateral von den Nervenstämmen ausmündet, also da, wo sonst die Mün-
dungen der Nephridien liegen. Diese beiden Drüsen sind den Analdrüsen
gleichzusetzen (Sedgwick, Sheldon) , und richtiger als accessorische
Drüsen des männlichen Geschlechtsapparates zu bezeichnen,
und sind ihrer Lage nach wohl sicher als modificirte Nephridien anzusehen.
Erwähnt soll hier noch werden, dass die amerikanischen Arten, wrelche dem-
nach in Bezug auf die Segmentirung des Hinterendes ein ursprünglicheres
Verhalten zeigen, in ihrer Fortpflanzungsweise gerade abgeleitete Verhältnisse
erkennen lassen. Die vom Endabschnitt nach vorn verschobene Lage des
Afters dürfte allerdings in allen Fällen als secundär zu betrachten sein.
I. Die Genitalorgane.
Während in den vorderen 15 Segmenten des Embryos von P. ca-
pensis die durch Trennung der Ursegmente entstandene dorso-mediale
Parthie derselben bei Bildung der definitiven Leibeshöhle aufgebraucht
wird, bleibt dieselbe in den folgenden Segmenten erhalten. Nach ihrer
Ablösung von den lateralen Theilen rücken die medialen Parthien gegen
die dorsale Mittellinie hin. Die lateralen Theile der Ursegmente werden
nun auch in diesen Segmenten (IG — 20) in der gewöhnlichen Weise zu
den Nephridien umgewandelt, dagegen sieht man die medialen Parthien
bei gleichzeitiger Abnahme ihres Umfanges sich in Form kleiner drei-
kantiger Säcke zwischen Darmwand und Pericardium anlagern (Fig. 444 #).
Sie sind es, welche nach Sedgwick's Beobachtung die Geschlechtsdrüsen
liefern. In ihnen treten schon sehr früh Zellen auf, welche sich durch
ihren Umfang und ihre grösseren Kerne vor den übrigen auszeichnen,
die Genitalzellen. Wir möchten (in Uebereinstimmung mit Kennel) an-
nehmen, dass dieselben in der Wand der Ursegmente selbst oder in der
noch nicht in Ursegmente zerfällten Mesodernnnasse entstehen, ähnlich wie
wir dies für die Insecten zu schildern haben werden (pag. 837), obwohl
Sedgwick von einem eiitodermalen Ursprung der Genitalzellen spricht.
Durch Verschmelzung der medialen Parthien der Ursegmente in den
aufeinander folgenden Körpersegmenten und Durchbrechung ihrer Wände
werden zwei Schläuche gebildet, welche in die mediane Abtheilung der
Leibeshöhle zu liegen kommen. Bisher war die Anlage in beiden Ge-
schlechtern die gleiche, nun aber macht sich eine histologische Differenz in-
sofern geltend, als beim Männchen eine raschere Vermehrung der Genital-
Onychophoren. 717
zellen eintritt, wodurch diese kleiner werden, während die weiblichen
Keimzellen einen grösseren Umfang bewahren. Hierzu tritt aber auch eine
anatomische Verschiedenheit, indem die Genitalanlagen des Weibchens an
ihrem Vorderende verschmelzen, die des Männchens jedoch getrennt bleiben,
entsprechend der Gestaltung des Genitalapparates beim ausgebildeten Thier.
Es ist anzunehmen, dass die medialen Parthien jener hinteren Ur-
segmente die Geschlechtsdrüsen liefern, die Ausführungsgänge dagegen
von den lateralen Parthien desjenigen Segmentes herstammen, welches
die Geschlechtsöffnung trägt (bei P. capensis das Segment der Anal-
papillen, bei den amerikanischen Arten das drittletzte Segment1). Eine
wirkliche Trennung in eine laterale und eine dorsomediale Abtheilung
wie bei den anderen Ursegmenten erfolgt übrigens im Genitalsegment
nicht ; dasselbe dehnt sich zwar ebenfalls dorsal aus, aber dieser erweiterte
dorsale Theil bleibt mit dem ventralen (lateralen) verbunden. Nachdem
dieses Ursegment so wie die Anlage der Nephridien eine Oeffnung nach
aussen gewonnen hat, verschmilzt sein dorsaler Theil mit dem Hinter-
ende je einer der beiden schlauchförmigen Genitaldrüsen, womit die An-
lage der Genitalorgane im Wesentlichen vollendet ist. Die beiden äusseren
Oeffnungen rücken gegen die Mittellinie hin, so dass sie neben einander
zu liegen kommen. Eine hier stattfindende- Einsenkung des Ectoderms
liefert sodann den unpaaren Endabschnitt (Ductus ejaculatorius, Vagina)
des Genitalapparates.
Aus der Entwicklung der Genitalorgane geht hervor, dass die Höhlung
der Geschlechtsdrüsen der secundären Leibeshöhle (dem Cölom) homolog ist.
Ihre zellige Auskleidung entspricht somit dem Peritonealepithel der Anne-
liden; wie von diesem lösen sich auch von ihm die Genitalproducte los, um
in die secundäre Leibeshöhle, d. h. die Höhlung der Geschlechtsdrüsen, zu
fallen und von hier durch die Nephridien nach aussen geführt zu werden.
Dass die Geschlechtsausführungsgänge von Peripatus den Nephridien homolog
sind, kann nicht bezweifelt werden. Dies geht nicht nur aus ihrer Ent-
wicklungsweise hervor, sondern wird auch dadurch bestätigt, dass (nach
Gaffkon) bei den amerikanischen Arten im drittletzten (dem vorletzten bein-
tragenden) Segment, welches die Genitalöffnung trägt, die Nephridien fehlen,
während sie an den vorhergehenden und dem folgenden Segment in regel-
mässiger Ausbildung gefunden werden.
Die Umbildung der Nephridien zu Geschlechtsausführungsgängen , wie
sie bei Peripatus gefunden wird, ist dadurch von besonderem Interesse, dass
die umgewandelten Nephridien mit den Geschlechtsdrüsen eine continuirliche
Verbindung eingehen, und dass dadurch eine ähnliche morphologische Be-
schaffenheit des ganzen Genitalapparates hervorgebracht wird, wie wir sie von
anderen Arthropoden kennen, dass also der wahre Charakter der Aus-
führungsgänge (als Nephridien) nicht mehr ohne Weiteres hervortritt, sondern
mit Sicherheit erst aus ihrem Entwicklungsmodus zu entnehmen ist.
K. Abweichende Darstellung über die Entstehung der
mesodermalen Gebilde.
v. Kenxel's Darstellung von der Umbildung der Ursegmente weicht in
einigen wesentlichen Punkten von der Auffassung der englischen Autoren ab.
Da diese Punkte aber von principieller Wichtigkeit sind, so müssen wir ihnen
eine gesonderte Betrachtung widmen.
x) Bezüglich der Auffassung dieser Segmente vergleiche man das bei Betrachtung
der Analdrüsen Gesagte (pag. 715).
718
XXL Capitel.
Nach Kenkel's Darstellung kommt zu der einen Zellwucherung, welche
in Form einer Falte von unten her vordringend die Segmenthöhle in zwei
Räume theilt (Fig. 442 5, pag. 709), noch eine zweite mehr peripher gelegene
Falte hinzu (Fig. 446 A), wodurch die Höhle in drei vorläufig noch mit einander
communicirende Räume getrennt wird (Fig. 446 A, J, II und III). Davon
schnürt sich, so wie es auch schon früher dargestellt wurde, die dorso- me-
diale Parthie (III) ab und sie sowohl, wie auch der grösste Theil der haupt-
sächlich in den Füsschen gelegenen lateralen Parthie (I) wird durch Abgabe von
Elementen zur Bildung der Muskeln und des Binde-
gewebes aufgebraucht. So entsteht die Begrenzung
der Räume des Pseudocöls, welches letztere im
Ganzen auf die schon früher geschilderte Weise
durch Abheben der primären Keimblätter von ein-
ander und Bildung von Spalträumen in dem massig
wuchernden Mesodermgewebe entsteht, wozu natur-
gemäss auch die bei Auflösung der Ursegmente
übrig bleibenden Höhlungen derselben hinzukom-
men. Erhalten bleibt in der Continuität der epithe-
lialen Elemente nur der mittlere ventrale Theil (II)
des Ursegmentes. Er liefert allein den Trichter der
Nephridien (Fig. 446 A — 0, II), welcher nach
dieser Darstellung wie auch nach der bisher gil-
tigen Auffassung (Balfour, Gaffeon) gegen die
(definitive) Leibeshöhle geöffnet wäre. Mit diesem
Trichter von mesodermalem Ursprung verbindet
sich eine ventrale , von der Basis der Füsschen
ausgehende und schlauchförmig ausvvachsende Ein-
stülpung des Ectoderms (Fig. 446 A — C, nc).
Während Sedgwick also das ganze Nephridium
vom Mesoderm herleitet, führt v. Kennel den
Ursprung desselben und zwar des bei Weitem
grössten Theiles auf das Ectoderm zurück. Wenn
wir vorher der Darstellung des erstgenannten
Autors folgten , so geschah dies aus dem Grunde,
weil es nach den früheren, sowie neuen Untersuchungen
von Bekgh für die Anneliden im höchsten Grade
wahrscheinlich geworden ist, dass die Nephridien
derselben nur vom Mesoderm gebildet werden.1)
Durch die Herleitung des Nephridiencanales
vom Ectoderm muss auch v. Kennel's Auffassung
von der Bildungsweise der Genitalorgane beeinflusst
werden, da auch er deren Ausführungsgänge als umge-
wandelte Nephridien erkannte. Dieselben sind dem-
nach nicht nur in ihrem unpaaren Endtheil, son-
dern in der Totalität ihrer Ausführungsgänge ecto-
dermaler Natur; nur ein kurzes Stück, welches
die ectodermalen Uteri und Vasa deferentia mit den
Geschlechtsdrüsen verbindet, wird von dem meso-
dermalen Nephridialtrichter geliefert (Fig. 447 A— C, ml). Daraus gehen
beim Weibchen die Anhangsgebilde des Uterus hervor. Ein Blick auf die
Fig. 446. A— CTheile
von Querschnitten durch
Embryonen verschiedener
Stadien von P. edwardsii
(schematisch nach v.Kennel,
aus Lang's Lehrbuch der
Vergleich. Anatomie).
d Darm, l Fuss, Ih Lei-
beshöhle , m Mesodermge-
webe, n Bauchnervenstrang,
nc Nephridialcanal, I, II u.
III die drei Käume der Ur-
segmenthöhle, wovon II die
Anlage des Trichters dar-
stellt.
!) R. S. Bergh : Neue Beiträge zur Embryologie der Anneliden, Theil I. Zeitschr.
f. wiss. Zool. 50. Bd. 1890. — Vgl. auch pag. 197 dieses Lehrbuches.
Onychophoren.
719
Fig. 447 A — C macht diese Auffassung deutlich. Das Weibchen des neusee-
ländischen Peripatus besitzt ein paariges Receptaculum seminis und das der
amerikanischen Arten ausserdem ein paariges Receptaculum ovorum, welches
zwischen jenem und dem Ovarium, dicht an letzterem in den Uterus einmündet.
Dem Weibchen des P. capensis fehlen diese Anhangsgebüde.
Das paarige Receptaculum seminis entsteht dadurch, dass
jeder der beiden Uteri hinter dem Ovarium eine scharfe Biegung macht,
so dass sich an einer Stelle der aufsteigende und der absteigende Schenkel
einander nahem. Bei gleichzeitiger starker Ausweitung der gebogenen
Parthie tritt an jener Stelle eine Verschmelzung und Durchbrechung der
Uteruswand ein, so dass der vor und hinter
der Biegung gelegene Uterusabschnitt in
directe Communication gesetzt werden, von
dieser Stelle aus aber zwei Canäle in den
ausgeweiteten und dadurch blasenförmig
gewordenen Theil des Uterus, das Recepta-
culum seminis, führen (Gaffron, v. Kennel).
Das Receptaculum ovorum ent-
steht zwischen Receptaculum seminis und
Ovarium als bruchsackartige Ausstülpung
des Uterus- (resp. Eileiters). Wenn diese
eine gewisse Grösse erreicht hat, soll an
ihrem Gipfel das Epithel platzen (v. Kenxel),
wodurch der sog. Ovarialtrichter Gaffrons
entsteht, der aber nicht, wie dieser Autor
vermuthet, gegen die Leibeshöhle offen ist,
sondern vielmehr von der bindegewebigen
Ueberkleidung des Uterus überdeckt bleibt
(v. Kennel).
Diese Verhältnisse scheinen uns einer er-
neuten Prüfung bedürftig. Vorläufig erscheint
die von Sedgwick geäusserte Vermuthung
beachtenswerth , wonach das Receptaculum
ovorum dem Endsäckchen der Nephridien des
Genitalsegmentes entspricht. —
In Bezug auf die Bildung der Geschlechts-
drüsen stimmt v. Kenxel mit Sedgwick inso-
fern überein, als auch er dieselben von der
dorsomedialen Parthie der Ursegmente herleitet,
doch lässt er, wenn wir ihn recht verstehen,
dabei nur die dorsale Parthie der beiden Ur-
segmente des Genitalsegmentes betheiligt sein,
die in ähnlicher Weise, wie dies auch Sedg-
wick schildert, mit den lateralen Parthien ver-
einigt bleiben (Fig. 447 A— C), nur dass sie
drüsen entstehen Hessen.
Fig". 447. A— C Schemata
von Querschnitten durch das
Genitalsegement weiblicher Em-
bryonen von P. edwardsii in
verschiedenen Altersstadien (nach
v. Kennel, aus Lang's Lehrb.
der Vergl. Anat.).
d Darm, ee Xephridialcanal
(durch Einstülpung des Ecto-
derms entstehend), ml mesoder-
maler Theil (Trichter) der
Nephridien, n Bauchnerven-
strang, ov Ovarien (dorsomedia-
ler Theil des Ursegmentes), va
Vagina (unpaare Ectodermein-
stülpung).
eben allein die Geschlechts-
720 XXI. Capitel.
4. Allgemeines»
Der Besitz von Tracheen und segmental angeordneten Nephridien
bringt den Peripatus in Beziehung zu den Arthropoden auf der einen
und den Anneliden auf der anderen Seite. Zu diesen beiden Haupt-
charakteren kommt noch eine ganze Anzahl anderer Merkmale hinzu,
welche er mit jenen beiden Abtheilungen gemein hat. Auch die Ent-
wicklungsgeschichte lässt solche gemeinsame Züge erkennen.
Obwohl die Eier einiger Peripatusarten wenig Dotter besitzen oder
dessen sogar fast ganz entbehren, ist es doch höchst wahrscheinlich, dass
dieselben auf dotterreiche Eier zurückzuführen sind, wie sie der neusee-
ländische Peripatus aufweist. Diese machen eine superficielle Furchung
durch und bedecken sich mit einem Blastoderm, verhalten sich also wie
A r t h r o p o d e n e i e r. Der lange spaltförmige Blastoporus, der bei seinem
Schluss Mund und Afteröffnung übrig lässt, findet sein Homologon bei
den Insecten. Mit letzteren, bezw. mit den bei den Crustaceen
obwaltenden Verhältnissen, lässt sich auch die Bildungsweise der Keim-
blätter vergleichen, obwohl hier durch die vom Rand des Blastoporus
ausgehenden und von hinten nach vorn vorrückenden Mesodermstreifen,
sowie durch deren Gliederung zugleich eine grosse Uebereinstimmung
mit den Anneliden gegeben ist. Ganz dasselbe gilt für die (übrigens
hierdurch bedingte) Gestaltung des Keimstreifens. Schon Balfour wies
auf die grosse Aehnlichkeit des Keimstreifens mit demjenigen von Myrio-
poden und Ar ach ni den (z. B. Geophilus, Scorpio, Agalena)
hin, die sich in der Gestaltung der Extremitätenanlagen, besonders aber
der Scheitellappen ausspricht. Andrerseits wird die Bildung eines der-
artigen Keimstreifens auch schon bei den Anneliden eingeleitet (Oli-
gochaeten, Hirudineen).
Die starke Ausbildung des Gehirns und der Besitz der Extremitäten
bedingt wiederum ein bedeutend stärkeres Hinneigen auf die Seite der
Arthropoden. Dies drückt sich weiterhin in der Vereinigung mehrerer
Segmente zum Kopf und in der Umbildung ihrer Segmentanhänge (Ex-
tremitäten) zu Mundwerkzeugen aus. Wohl spricht man auch bei den
Anneliden von einer Hinzuziehung eines oder mehrerer Rumpfsegmente
zum Kopf, aber niemals erfahren diese Segmente eine so tiefgreifende
Umwandlung, wie dies bei den Arthropoden und auch bei Peri-
patus der Fall ist. Bei einer derartigen Uebereinstimmung liegt die
Frage nach der Homologie der Kopfsegmente des Peripatus und der
Arthropoden nahe, doch erheben sich hier insofern Schwierigkeiten, als
die Zahl der in die Bildung des Kopfes einbezogenen Segmente bei den
einzelnen Abtheilungen differirt, und auch das Verhältniss der Segmente
zu einander ein verschiedenes ist. Letzteres spricht sich in der Zu-
sammensetzung des Gehirns aus. Bei Peripatus werden die Ganglien
des Kiefersegmentes in die Bildung des Gehirns einbezogen, was bei
den Myriopoden und Insecten nicht der Fall ist. Die Kiefer
des Peripatus können somit nicht den Mandibeln der Insecten homo-
logisirt werden, wohl aber erinnern die Verhältnisse des Peripatus an
diejenigen der Crustaceen, bei denen die Ganglien der II. Antenne
zum Gehirn hinzugezogen werden. Die IL Antennen der Crustaceen
sind demnach eher den Kiefern des Peripatus zu vergleichen. Dann
erhebt sich aber die Frage, ob bei den Insecten ein Segment zum Aus-
fall gekommen ist. Auf diese Frage' kann erst weiter unten genauer
eingegangen werden (vgl. pag. 906). Unsere Auffassung des antennen-
Onychophoren. 721
tragenden Segmentes und dessen Beziehung zu dem der Crustaceen,
bezw. den luftathm enden Arthropoden einerseits und dem Kopf-
abschnitt der Anneliden andererseits wurde bereits früher dargelegt
(pag. 696) und es muss hier auf diese Ausführungen verwiesen werden.
Hervorzuheben ist aber, dass Peripatus auch durch die Umwandlung-
vorderer Gliedmaassen zu Mund Werkzeugen sich den Arthropoden
nähert und sich von den Anneliden entfernt, deren Kiefer blosse Cuti-
cularbildungen des Vorderdarmes sind.
Es ist zweifellos, dass Peripatus durch die Ausbildung der mit Krallen
bewaffneten Extremitäten sich weit über die Anneliden erhebt, dagegen
fehlt den Extremitäten die für die Arthropoden charakterische Gliederung;
auch erscheint die seitliche Stellung der Füsse als ein ursprünglicher,
mehr zu den Anneliden hinneigender Charakter, welcher dem Thier
in Verbindung mit der homonomen Segmentirung des Körpers ein mehr
wurmähnliches Aussehen verleiht. Ferner finden sich gerade in dieser
Beziehung weitere Anknüpfungspunkte, indem man die Cruraldrüsen wohl
mit Recht auf die Drüsensäcke (Borstendrüsen) der Annelidenparapodien
zurückgeführt hat (Balfour). Die Cruraldrüsen werden auch noch bei
den höheren Tracheaten wiedergefunden, obwohl bei ihnen wohl auch
verschiedentlich umgewandelte Nephridien (Coxaldrüsen) als Homologa
der Cruraldrüsen des Peripatus aufgefasst worden sind. — Das für Peri-
patus so charakteristische Eintreten der Ursegmente in die Anlagen der
Extremitäten finden wir, wenn auch nicht in so starkem Maasse, bei den
Myriopoden, den niederen Insecten und Arachniden wieder.
Beim ersten Auftreten der Mesodermstreifen und ihrem Zerfall in
die Ursegmente gewinnt der Embryo durch die weite Ausdehnung der
letzteren eine grosse Uebereinstimmung mit den bei den Anneliden ob-
waltenden Verhältnissen, obwohl dabei nicht zu vergessen ist, dass gerade
bei denjenigen Arten diese Aehnlichkeit am grössten ist, bei welchen der
Dotter am meisten zurücktritt, und bei denen wir in Folge dessen abge-
leitete Verhältnisse annehmen müssten (afrikanische und amerikanische
Arten). In Bezug auf die weitere Ausbildung der mesodermalen Theile
bekundet sicli Peripatus im Ganzen mehr als Arthropode, wenn wir da-
bei die Musculatur und die segmentale Wiederholung der Nephridien
ausnehmen. Was die erstere betrifft, so entbehrt sie der Querstreifung
(nur die Kiefermuskeln sollen quergestreift sein) und bildet einen Haut-
muskelschlauch. Eine Ringsmuskelschicht, mehrere Lagen von Diagonal-
muskeln und Längsmuskeln, die sich allerdings zu symmetrisch vertheilten
Bändern anordnen, setzen den letzteren zusammen. Dies sind Verhält-
nisse, wie sie viel eher den Anneliden zukommen, als den Arthro-
poden, bei denen sich der Hautmuskelschlauch in einzelne Muskelgruppen
von bestimmter Vertheilung auflöst. Die Leibeshöhle hingegen zeigt so-
wohl in Bezug auf ihre Entstehung (als Pseudocöl), wie auf ihre definitive
Ausbildung ganz den Arthropodencharakter. Dasselbe gilt für das Rücken-
gefäss, welches durch Ostien mit dem Pericardialraum und dadurch mit dem
Pseudocöl in Verbindung steht, denn der Pericardialraum ist wie bei den
Arthropoden ein Theil des Pseudocöls und zeigt eine ganz ähnliche Bildungs-
weise wie derjenige der Arthropoden im Allgemeinen. — Die Ausbildung
der Leibeshöhle und ihre Scheidung in verschiedene Räume, welche beim
Embryo des Peripatus auftritt, ist in Vergleich zu setzen mit den Ver-
hältnissen, welche wir in der Entwicklung der Myriopoden und In-
secten finden, und kann somit als ein wichtiges Moment der Ueberein-
stimmung zwischen Peripatus und diesen Formen, bezw. den Arthro-
poden überhaupt angesehen werden.
722 XXI- Capitel.
Die Nephridien schienen den Peripatüs in ganz besonders starkem
Masse mit den Anneliden zu verbinden, so lange man annehmen
niusste, dass sie sich wie bei diesen durch einen weiten Trichter in die
Leibeshöhle öffneten (Balfour, Gaffron). Seit man weiss, dass sie
gegen die definitive Leibeshöhle durch eine Blase abgeschlossen sind
(Sedgwick), bietet zwar ihre segmentweise Wiederholung noch immer
einen wichtigen Vergleichspunkt mit den Anneliden, aber es ist da-
mit doch eine grössere Hinneigung zu den Arthropoden gegeben, in-
dem die Nephridien (Antennen- und Schalendrüsen) der Crustaceen die
gleichen Gestaltungsverhältnisse zeigen. Bei dieser Gleichartigkeit im
Bau ist es wahrscheinlich, dass die Nephridien des Peripatüs eine
Wimperung nicht mehr besitzen1); wenn sich jedoch die Angaben über
das Vorhandensein eines Wimperepithels in den zu Geschlechtsausführungs-
gängen2) umgewandelten Nephridien bewahrheiten sollte, so würde diese
Thatsache einen weiteren Annelidencharakter des Peripatüs darstellen.
Wie bei den Anneliden werden bei Peripatüs Nephridien zu Aus-
führungsgängen der Genitalorgane verwendet. Wie dort entstehen die
Geschlechtsprodukte an der Wand der (hier allerdings stark einge-
schränkten) secundären Leibeshöhle und werden aus dieser durch die
Trichter der Nephridien aufgenommen. Doch kommt hier ein wichtiger
Umstand hinzu, welcher den Peripatüs wiederum mehr den Arthro-
poden zu nähern scheint. Die Leitungsorgane verbinden sich mit den
Geschlechtsdrüsen zu einem Ganzen, ein Verhalten, welches allerdings
auch schon bei verschiedenen Abtheilungen der Anneliden auftritt.
Als ein Charakter, welcher sich nicht mit der Organisation der
Arthropoden vereinigen lässt, dagegen sehr wohl mit derjenigen der
Anneliden zusammenstimmt, ist der Bau der Augen des Peripatüs, sowie
auch deren Bildungsweise, zu erwähnen. Sie zeigen eine grosse Ueber-
einstimmung mit den Augen, wie sie unter den Anneliden die Alciopiden
besitzen. Bei einer Vergleichung des Peripatüs mit den Myriopoden
fällt fernerhin der Mangel von MALPiGHi'schen Gefässen oder irgend einer
Andeutung derselben auf.
Ein zusammenfassendes Urtheil über die anatomischen und entwick-
lungsgeschichtlichen Beziehungen des Peripatüs muss dahin lauten, dass
er sowohl Anneliden- wie Arthropoden-Charaktere in sich vereinigt, dass
aber die letzteren überwiegen, wie er auch in seinem Habitus (nicht
nur in Bezug auf seine äussere Gestaltung, sondern auch betreffs seiner
inneren Beschaffenheit) weit mehr als Arthropode erscheint. Phylogenetisch
würde Peripatüs sehr wohl als Zwischenglied einer Reihe zu denken
sein, welche bei den Anneliden beginnt und mit den Insecten endet,
obwohl damit natürlich nicht gesagt werden soll, dass Peripatüs wirklich
als Stammvater der Myriopoden und Insecten anzusehen sei.
Ontogenetisch bemerkenswerth ist noch das späte Auftreten der Tracheen,
über deren Entstehungsweise auch an den ältesten Embryonen bisher keine
Beobachtungen gemacht werden konnten und deren Deutung durch die Un-
kenntniss ihres Bildungsmodus wesentlich erschwert wird. Man geht wohl
nicht fehl, wenn man sie auf Ectodermeinstülpungen zurückführt, und es lag
*) Sichere Angaben über das Vorhandensein oder Fehlen von Wimpern in den
Nephridien des Peripatüs vermögen wir in der Litteratur nicht aufzufinden.
2) Gaffron beschreibt und bildet ein dicht mit Wimpern bedecktes Epithel ab,
welches die Vasa deferentia auskleidet.
Onychophoren. 723
daher nahe, sie (phylogenetisch) von modificirten Hautdrüsen oder besser von
respirirenden Theilen der Körperbedeckung herzuleiten. Ob man aus dieser
Lücke in den Beobachtungen wirklich auf ein sehr spätes Auftreten der
Tracheen schliessen darf, oder ob es sich nur um ein Uebersehen derselben
handelt, scheint nicht recht sicher, jedoch ist man geneigt, an ersteres zu
glauben , und das späte Auftreten in der Ontogenie mit der späten phylo-
genetischen Erwerbung der Tracheen zu erklären (vgl. hierzu pag. 757 u. 899).
Die unregelmässige Vertheilung der Tracheen erscheint gegenüber der regel-
mässigen Anordnung derselben bei den höheren Tracheaten als ein niederer
Zustand des Tracheensystems und bestätigt somit die Auffassung, dass dieses
eine Neuerwerbung darstellt , welche sich bei Peripatus gewissermassen noch
in ihrem Anfangsstadium befindet.
Litteratur.
1. Balfour, F. M. The anatomy and development of P. capensis. Quart. Journ. Microscop.
Science. Vol. 23. 1SS3.
2. Gaffron, E. Beiträge zur Anatomie und Histologie des Peripatus. I. und IL Theil.
A. Schneider 's Zool. Beiträge. 1. Bd. Breslau 1885.
3. Hutton, F. W. On P. novaezealandiae. Ann. Mag. Xat. Hist. 4. ser. Vol. 18.
1876.
4. Kennel, J. von. Entwicklungsgeschichte von P. edwardsii tend P. torquatus. I. und
IL Theil. Arb. des zool. Inst. Univ. Würzbtirg. 7. und 8. Bd. 1885 u. 1886.
5. Kennel, J. von. Ueber die frühesten Enhvicklungsstadien der südamerikanischen
Peripatusartcn. Sitz. Bei: Naturf. Gesellsch. Borpat. 8. Bd. 1888.
6. Moseley, H. N. On the strueture and development of P. capensis. Phil. Trans. Roy.
Soc. London. Vol. 164. 1874.
7. Moseley, H. N. Bemarks on observations by C'apt. Hutton on P. novaezealandiae etc.
Ann. Mag. Nat. Hist. 4. ser. Vol. 19. 1S77.
8. Saint Eemy, G. Contribution a Vc'tude du cerveau chez les Arthropodes Tracheates.
Arch. Zool. exp. gen. 2- ser. T. 5. Suppl. 1887 — 90.
9. Sclater, W. L. On the early stages of the development of a South American Species
of Peripatus. Quart Journ. Microscopical Science. Vol. 28. 188S.
10. Sedgwiek, A. The development of the Cape Species of Peripatus. Parti — IV. Quart.
Journ. Micr. Sc. Vol. 25—28. 18S5—88.
11. Sedgwiek, A. A Monograph of the Species and Bistribution of the Genus Peripatus.
Ebenda. Vol. 28. 1888.
12. Sheldon, L. On the development of P. novaezealandiae. Part I and IL Ebenda.
Vol. 28 and 29. 188S—S9.
13. Sheldon, L. Kotes on the anatomy of P. capensis and P. novaezealandiae. Ebenda.
Vol. 28. 18S8.
14. Sheldon, L. The maturation of the ovutn in the Cape and New Zealand Species of
Peripatus. Ebenda. Vol. 30. 1890.
XXII. Capitel.
MYRIOPODEN.
Systematik : I. Chilopoden, mit abgeplattetem Körper, zwei Paar Maxillen
und einem Kieferfusspaar, mit einem Paar Extremitäten
an jedem Körperringe; Geschlechtsöffnung am vorletzten
Segment.
Geophilus, Lithobius, Scolopendra, Scu-
tigera.
IL Symphylen, kleine zarte Formen mit nur 12 Segmenten,
zu denen je ein Zwischensegment hinzukommt; mit
12 Beinpaaren, die den Hauptsegmenten ansitzen; mit
einem Paar Unterkiefer; ohne Kieferfüsse. Am Hinter-
ende zwei griffeiförmige Fortsätze (Cerci).
Scolopendrella.
III. Pauropoden, kleine zarte Formen mit wenig Körperseg-
menten, deren jedes ein Beinpaar trägt, mit einem Paar
Unterkiefer, ohne Kieferfüsse; durch den Besitz dreier
langen Geissein an den Antennen charakterisirt.
Pauropus.
IV. Diplopoden (Chilognathen) mit gewölbtem Körper; mit
einem Paar Maxillen (Gnathochilarium) und ohne Kiefer-
füsse ; vom fünften Segment an Doppelsegmente mit zwei
Beinpaaren. Geschlechtsöffnung zwischen dem zweiten
und dritten Beinpaar.
Polyxenus, Glomeris, Polydesmus, Stron-
gylosoma, Julus.
Ablage und Beschaffenheit der Eier. Die Eier der Myriopoden
werden zumeist in grösserer Anzahl vereinigt in Nester abgelegt, welche
gewöhnlich aus Erde vom Weibchen gebaut und längere Zeit, oft bis
zum Ausschlüpfen der Jungen, von diesem bewracht werden. Die Nester
rinden sich an der Erde, unter Steinen, Baumrinden u. s. f. Die Eier
können im Nest durch eine zähe Masse zu grösseren Klumpen vereinigt
sein (Julus). Die Polyxeniden umgeben die Eierhaufen mit einer
Myriopoden. 725
dichten Hülle, welche sie aus ihren eigenen ausgefallenen Haaren bilden.
Glomeris legt die Eier einzeln und in grösseren Zwischenräumen ab;
jedes Ei wird vom Weibchen mit einer besonderen, durch Drüsensekret
befeuchteten Erdkapsel umgeben.1)
Von Scolopendriden ist angegeben worden, dass unter ihnen
vivipare Formen vorkommen, doch wurde andererseits bei Scolopen-
driden auch die Ablage der Eier beobachtet. Man fand, dass das Weib-
chen dann die Eier behütet, indem es sich schraubenförmig um dieselben
aufrollt.1)
Die gewöhnlich kugelrunden, seltener ovalen Eier sind sehr dotter-
reich. Umgeben werden sie von einer Dotterhaut und einer ebenfalls
structurlosen, aber festeren äusseren Hülle, dem Chorion, welche allem
Anschein nach vom Follikel geliefert worden ist.
1. Furcliung- und KeiuiMätterMldiing.
Die Furchung des Myriopodeneies wird vielfach als eine totale an-
gesehen, doch verdient sie diese Bezeichnung in noch geringerem Maasse,
als z. B. die Eier der Spinnen. Das Ei lässt allerdings äusserlich eine
anfangs geringere, später zunehmende Anzahl von Segmenten erkennen,
welche ihm das Ansehen eines Zerfalles in mehr oder weniger scharf
abgegrenzte Blastodermen verleihen, aber diese Erscheinung ist nicht der
Ausdruck einer totalen Furchung im eigentlichen Sinne, sondern tritt
erst einige Zeit nach der im Innern des Eies verlaufenden Theilung des
Furchunuskernes und seiner Descendenten auf.
Es scheint, als ob nicht bei allen Myriopoden eine Zerklüftung der
äusseren Oberfläche des Eies aufträte ; so hebt Heathcote für den von ihm
studirten Julus(terrestris Leach) ausdrücklich hervor, dass eine äussere
Dottersegmentirung bei dieser Form nicht wahrgenommen werden konnte,
obwohl Metschnikoff bei einer anderen Julus-Art (J. moreletti Lucas)
die Segmentirung der Eioberfläche genau beschreibt und abbildet. Vielleicht
verhindert ein grösserer Dotterreichthum der Eier bei anderen Arten die
äussere Zerklüftung.
Der Furchungskern liegt umgeben von einer Protoplasmamasse im
Centrum des Eies. Er theilt sich hier zunächst in zwei Kerne, die sich
bald auf eine grössere Anzahl vermehren, so dass dann im Innern des
Eis viele Kerne liegen, von denen jeder mit einem Plasmahof umgeben
ist (Fig. 448 A). Erst nachdem sich dieser Vorgang vollzogen hat, treten
die Abgrenzungen einzelner Territorien auf (Fig. 448 B), wodurch die
oben erwähnte Furchungserscheinung hervorgebracht wird. Man darf
wohl annehmen, dass einzelne der centralen Kerne schon vorher etwas
gegen die Peripherie hin gerückt waren und dass die Zerklüftung des
Eis eine Folge hiervon ist. Jedenfalls sind die Dotterpyramiden, welche
durch die Furchen begrenzt werden, mit Kernen versehen, obwohl diese
sich bisher nicht sicher nachweisen Hessen. Sogkaff nimmt an, dass die
zu den Pyramiden gehörigen Kerne am Gipfel derselben liegen, also von
1) Eingehendere Angaben über Zeit und Modus der Eiablage bei den Diplo-
poden finden sich ausser in den älteren Arbeiten von Newport und Fahre besonders
in den Mittheilungen von 0. vom Eath (No. 16 und 17). Desgleichen macht auch
Latzel (No. 10) bei Besprechung der einzelnen Arten Angaben über die Eiablage und
Brutpflege verschiedener Myriopoden.
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 47
726
XXII. Capitel.
den centralen Kernen nicht wesentlich entfernt sind. Eine völlige Ab-
grenzung der Dotterpyramiden gegen einander findet nicht statt, sondern
in der Mitte des Eies, wo die centralen Kerne liegen, stehen sie im Zu-
sammenhang (Fig. 448 B).
Fig. 448. A und B Schnitte durch zwei frühe Entwicklungsstadien verschiedenen
Alters vonGeophilus f errugineus im Stadium der Blastodermbildiuig (nach Sograff).
d Dotter, dp Dotterpyramiden, k Kerne mit umgehenden Plasmahof.
In den Eiern, an welchen die Dotterzerklüftung eingetreten ist, findet
sodann eine Wanderung der centralen Kerne wirklich statt. Dieselben
Fig. 449. A und B Schnitte durch Eier von Geophilus ferrugineus im
Stadium der Blastodermhildung (nach Sograff).
bl Blastoderm , dp Dotterpyramiden, gr Gruppen von Blastodermzellen an der
späteren Dorsalseite, k Kerne mit umgebendem Plasmahof.
Myriopoden.
727
dringen in die Dotterpyramiden, deren Zahl sich vermehrt hat, ein und
begeben sich an die Peripherie des Eies (Fig. 449). Nach Sograff's
Abbildungen zu urtheilen, scheint die Wanderung hauptsächlich an den
Grenzen der Dotterpyramiden stattzufinden (Fig. 449 A). An der Ober-
fläche des Eies erscheinen die Kerne zunächst nicht regelmässig vertheilt,
sondern in Gruppen angeordnet (Metschnikoff, Sogkaff, Heathcote),
bis sie schliesslich eine continuirliche Lage von Zellen, das Blastoderm,
bilden. Dasselbe erreicht seine Ausbildung zuerst an der Ventralseite
(Fig. 449 B), wo sich die Zellen rascher theilen und in Folge dessen kleiner
erscheinen, und setzt sich von hier gegen die Dorsalseite fort, woselbst
die Zellen bis dahin nur gruppenweise vertheilt angetroffen wurden
(Fig. 449 JB, gr). Die Dotterpyramiden scheinen während der Blasto-
dermbildung und noch länger erhalten zu bleiben.
Nach den in dieser Beziehung
ziemlich übereinstimmenden Angaben
der Autoren muss man annehmen,
dass bei der Bildung des Blastoderms
ein grosser Theil der Kerne im Innern
des Eies, bezw. in den Dotterpyra-
miden zurückbleibt. Dieses Zell-
material repräsentirt grösstentheils
das Entoderm, jedoch soll es auch
an der Bildung des Mesoderms
theilnehmen (Sograff, Heathcote).
Das letztere entsteht zum Theil durch
eine Zellenwucherung, welche am
Blastoderm entsprechend der ven-
tralen Mittellinie des Embryos statt-
findet. So kommt in der ventralen
vi.
d*._
d.—
— *.
-ck.
U.
Mittellinie eine nach innen kielförmig
Fig. 450. Schnitt durch einen Em-
bryo von Julus terrestris vom sechs-
ten Tagre der Entwicklung in etwas
schematisirter Darstellung (nach Heath-
cote).
bl Blastoderm, d Dotter, do Dorsal-
seite, dz Dotterzellen, k die kielförmige
Zellenanhäufung an der Ventralseite (ve).
vorragende Verdickung des Blasto
derms zu Stande (Fig. 450), an deren
Bildung sich aber auch Zellen be-
theiligen sollen, welche aus dem
Innern des Eies in die Höhe stiegen
und sich der Zeilverdickung anleg-
ten (Heathcote, Sograff). Die anfangs unpaare Blastodermverdickung
trennt sich später in zwei seitliche Bänder, welche sodann in Segmente
zerfallen und Höhlungen erhalten, also durchaus den Charakter der Meso-
dermstreifen zeigen.
Da in der ventralen Mittellinie schon bald eine Längsfurche auf-
tritt, so möchten wir die Verhältnisse der Keimblätterbildung bei den
Myriopoden in entsprechender Weise auffassen, wie bei Peripatus,
d. h. wir sind geneigt, jene Furche für den Ausdruck der Gastrulation
zu halten, zumal an ihrem Vorder- und Hinterende Mund und After
auftreten. Freilich widerspricht dieser Auffassung die Angabe der Au-
toren von der Entstehung des Entoderms aus den im Dotter zurück-
gebliebenen Zellen, doch sind ähnliche Angaben auch früher für die In-
secten gemacht worden, ohne dass sie sich bewahrheiteten, und die Ent-
wicklungsgeschichte der Myriopoden ist noch nicht in erschöpfender Weise
durchgearbeitet, so dass man über die Beziehung jener Längsfurche zur
Bildung der Keimblätter bisher nichts Bestimmtes weiss.
47 :
728 XXII. Capitel.
Die Furchung und Keimblätterbildung der Myriopoden ist von Metschni-
kofp bei verschiedenen Diplopoden (Strongy losoma, Polydesmus,
Polyxenus und Julus No. 11), sowie an einem Chilopoden (Geo-
philus No. 12), von Sogbaff ebenfalls bei der letzteren Form (No. 19
und 20) und von Heathcote bei Julus untersucht worden (No. 7).
Metschntkoff's Arbeiten sind schon älteren Datums und ohne Zuhilfe-
nahme der Schnittmethode vorgenommen. Sogkaff' s Abhandlung ist uns in-
folge ihres russischen Textes zum Theil unverständlich geblieben, und die
Darstellung von Heathcote ist wenig befriedigend. Ausserdem existirt eine
Abhandlung von Stecker über die ersten Entwicklungsvorgänge der Myrio-
poden (No. 21). Ihre Ergebnisse stimmen absolut nicht mit dem überein,
was man sonst von der Myriopodenentwicklung kennt, worauf schon von
Balfoue hingewiesen wurde. So soll bei dem Mangel des Dotters eine Art
Blastula und eine Invaginationsgastrula mit weitem Archenteron gebildet
R.
JA
ki-
kl
d
- - - . -
— md
-HXi
Fig. 451. A — C Drei frühe Entwicklungsstadien von Geophilus ferrugineus
in oberflächlicher Ansicht, um die Anlage des Keimstreifens zu zeigen (nach Sograff).
A und B zeigen die Anlage des Keimstreifens in der Seitenansicht, 0 den vorderen
Theil desselben in der ventralen Ansicht.
a After, at Antenne, d Dotter, kl Kopflappen, md Mandibelsegment, mxx Segment
des ersten Unterkieferpaares, r mediane Längsrinne.
werden! Es ist die Vermuthung ausgesprochen worden (von Sogkaff,
No. 19), dass Stecker Schneckeneier mit Myriopodeneiern verwechselte, was
aber im Hinblick auf die bestimmten Angaben Steckek's über die unter-
suchten Arten und die späteren Stadien kaum möglich erscheint. Jedenfalls
berechtigt uns aber die auch von anderen Autoren (Metschxikoff , Heath-
cote) unternommene Untersuchung von Angehörigen derselben Gattungen,
welche zu ganz anderen Resultaten führten,' Steckek's Ergebnisse als nicht
der wirklichen Sachlage entsprechend anzusehen. Sie finden daher hier weiter
keine Berücksichtigung.
Myriopodeu.
729
2. Die Ausbildung der äusseren Körpergestalt.
A. Chilopoden.
Wie schon früher erwähnt, findet die völlige Ausbildung des Blasto-
derms zuerst an der ventralen Seite des Eies statt, um sich erst etwas
später nach der dorsalen Seite auszubreiten (Fig. 449 B). An der aus
kleineren Zellen bestehenden ventralen Hälfte macht sich die Anlage
O/:
at-
X
ct.
V
J
Fig. 452 U. 453. Zwei Keimstreifen verschiedenen Alters von Geophilus
ferrugineus in der Ebene ausgebreitet (nach Sogkaff).
a After, at Antenne, kl Kopf läppen, m Mund, md Mandibel, m.g Malpighi'sche
Gefässe, mp Kieferfüsse (bezw. Segment der Kieferfüsse), mxx, mx2 erstes und zweites
Unterkieferpaar (bezw. Unterkiefersegmente), nr Neuralrinne, ol Oberlippe, p Beinpaare,
P\i P2 Segmente der beiden ersten Beinpaare, r ventrale Längsrinne, * die seitlichen
Parthien des Keimstreifens, welche schon eine Segmentirung zeigen, sl Schwanzlappen
von grösserem und geringerem Umfange, entsprechend dem verschiedenen Alter der
beiden Keimstreifen, ul paarige Anlage der Unterlippe.
des Keimstreifens bemerkbar, indem zunächst der Kopflappen des Em-
bryos hervortritt (Fig. 451 A, M). Nach hinten zu erkennt man noch
keine weitere Differenzirung, da die Anlage des Keimstreifens dort ohne
Abgrenzung in das Blastoderm übergeht, welches sich noch nicht völlig
über das Ei ausgebreitet hat. Am hinteren Theil dieses ersten erkenn-
baren Abschnittes des Keimstreifens erscheint bereits früh die Anlage
730
XXII. Capitel.
der Antennen (Fig. 451 B und C, at). Das darauf folgende Segment gehört
jedenfalls den Mandibeln an, und sodann folgen die Segmente der beiden
Maxillenpaare und die Kieferfüsse (Fig. 452 md — mp). Die Anlage der
Beinpaare wie der Gliedmaassen und Segmente überhaupt erfolgt in der
Reihenfolge von vorn nach hinten, wie man aus den Figuren 451 C\
452 und 453 deutlich erkennen kann.
R.
d.
•>:W
\ .-il
?•'- <&
— cd
mm
mz,
r-mi;,
Tnp
<**
Fig. 454. A und B zwei Geophilusembryonen in der Seitenansicht. Der
Keimstreif umgiebt einen grossen Theil des Dotters und zeigt noch die dorsale Krüm-
mung. Die beiden seitlichen Aussackungen, welche der Embryo im Stadium der
Fig. B zeigen soll, sind der grösseren Deutlichkeit wegen fortgelassen (nach Mktsch-
jukoff).
a After, at Antenne, d Dotter, kl Kopflappen, md Mandibel, mzlt mz2 erstes und
zweites Unterkieferpaar, mp Kieferfusspaar, mw Mundwerkzeuge, p (pu p2) Beinpaare,
sl Schwanzlappen.
Sehr früh wird nach Sograff bei G e o p h i 1 u s der After gebildet
(Fig. 451 B, a). Der Mund dagegen soll erst später auftreten. Er
macht sich als Einstülpung zwischen den Kopflappen bemerkbar, wenn
fünf Segmente deutlich zur Sonderung gelangt sind.
Myriopoden.
731
•
ejc.
eft.
d:
<
GX
Fig. 455. Embryo von Geophi-
1 u s f e r r u g i n e u s im Stadium der be-
ginnenden Einknickvmg des Keim-
streifens. Ansicht schräg von der
Ventralseite (nach Sograff).
at Antenne, d Dotter, ek die Ein-
knickungsstelle, ex Extremitäten, kst
Keimstreifen.
Man vermag aus den gegebenen Darstellungen nicht recht zu erkennen,
ob die Mundeinstülpung vor den Antennen gelegen ist, doch scheint dies
aus der Abbildung eines Geophilusembryos (Fig. 453) ganz sicher hervor-
zugehen, während es aus anderen (z. B. der in unserer Fig. 452 wieder-
gegebenen Abbildung) nicht zu erkennen
ist. In dieser Figur, welche ein jüngeres
Stadium als die andere darstellt, liegen
die Antennen vielmehr vor dem Munde,
doch weist ein anderer bei der Organ -
bildung noch zu besprechender Umstand
darauf hin, dass hier ähnliche Verhält-
nisse vorliegen wie beiPeripatus und
die Antennen vielleicht wie dort den
Charakter eines postoralen Extremitäten-
paares besitzen. Die Verschiedenheit
in der Lage der Antennen, wie sie bei
jenen beiden Embryonen zu erkennen ist,
lässt sich durch eine zeitliche und räum-
liche Verschiebung im Auftreten erklären,
wie sie auch sonst gelegentlich bei der
Anlage der Embryonaltheile beobachtet
wird.
Auf jener Abbildung eines Geophi-
lusembryos (Fig. 453) erkennt man hin-
ter der Mundöffnung zwei ziemlich an-
sehnliche Höcker (ul) , welche wie ein
Paar Extremitätenanlagen erscheinen, aber noch vor den Mandibeln gelegen
sind. Sogkaff bezeichnet diese Gebilde als Unterlippe, doch ist nicht er-
sichtlich, ob er die Höcker wirklich als Gliedmaassen auffasst, und auf
welche Theile des ausgebil-
deten Thieres er sie bezieht.
Die uns von den Chilopoden
bekannten Mundwerkzeuge
folgen erst weiter hinten, wie
schon oben gezeigt wurde
(Fig. 451—453). Aehn-
liche Bildungen, welche auch
bei den Insecten auftreten,
fasst man nicht als Extre-
mitäten, sondern als eine Art
Unterlippe auf (pag. 792).
In der Mitte des Keim-
streifens tritt eine seichte
Furche auf (Fig. 451 C),
welche sich vom After bis
zum Mund erstreckt, so
dass diese beiden Oeff-
nungen das Ende der Rinne
bezeichnen (Sograff). Die-
selbe bleibt nicht lange er-
halten, sondern schwindet
Ein Vergleich
hl.
V \
d"
ek_
= P
bald wieder.
Fig. 456. Geophi lusembryo nach der ven-
tralen Einkniekung. Die Ventralseite des vorderen
Körpertheils ist gegen die des hinteren Körpertheiles
gekehrt und liegt ungefähr parallel mit ihr (nach
Metsciinikoff).
at Antenne, d Dotter, ek Einknickungsstelle des
Keimstreifens , ez Eizahn (am zweiten Unterkiefer),
kl Kopflappen, p Beinpaare, sl Schwanzlappen.
732 XXII. Capitel.
dieser Rinne mit dem langgestreckten schlitzförmigen Blastoporus des
Peripatus bietet sich in Folge der entsprechenden Lage und der Be-
ziehung zu Mund und After ganz von selbst dar (vgl. pag. 727).
Beiderseits von der Mittellinie erscheinen etwas später, als Ver-
dickungen des Ectoderms, die Anlagen der Ganglienkette, welche eben-
falls eine mediane Furche zwischen sich fassen (Fig. 453 nr). Diese ist
jedoch nicht mit der vorerwähnten Rinne zu verwechseln, welche vor der
Bildung jener zweiten Furche bereits wieder verstrichen ist.
Wenn sich am Keimstreifen von Geophilus in einer von vorn
nach hinten fortschreitenden Reihenfolge bereits eine grössere Anzahl
von Segmenten ausgebildet hat, so erstreckt sich derselbe in dorsaler
Krümmung um einen grossen Theil der Dottermasse (Fig. 454 Ä). Das
Hinterende rückt in einem etwas späteren Stadium sogar noch weiter
nach der Dorsalseite hinauf, so dass es sich dem Kopflappen noch mehr
nähert, wie dies aus der Fig. 454 JB zu erkennen ist. Dann aber tritt
eine Aenderung dieses Lagerungsverhältnisses dadurch ein, dass in der
Gegend des 20. Segmentes eine quere Furche erscheint, welche sich bald
zu einer ansehnlichen Einkerbung vertieft (Fig. 455) und schliesslich
dazu führt, dass der Embryo aus der dorsalen in eine ventrale Krüm-
mung übergeht (Fig. 456). Während das ganze Ei dabei zunächst noch
seine Form bewahrt, muss sich natürlich das hintere Körperende aus der
Nähe der Kopflappen zurückziehen und dementsprechend die vorher
stark verkürzte Dorsalfläche wieder eine grössere Ausbreitung erfahren
(Fig. 454 B, Fig. 455 und 456). Die Ventralfläche der hinteren Körper-
hälfte liegt jetzt derjenigen der vorderen Körperhälfte gerade gegenüber
(Fig. 456), so dass sich die Spitzen der Extremitäten gegenseitig be-
rühren und auch durch diese Aenderung in der Krümmung des Embryos
das Schwanzende wieder in die Nähe des Kopfes zu liegen kommt
(Fig. 456 kl und sl).
Bisher unterschied sich der eigentliche Embryo als Keimstreifen von
der Dottermasse, auf welcher dieser auflag, wie ein Blick auf die Figuren
451 — 455 zeigt. Nunmehr umwächst derselbe auch von den Seiten her
die Dottermasse, so dass dadurch auch die Dorsalseite des Embryos zur
Ausbildung kommt und die Segmentirung daselbst ihren Anfang nimmt
(Fig. 457). Gleichzeitig findet eine Längsstreckung der beiden gegen-
einander geneigten Körperhälften des Embryos statt, wodurch sich der-
selbe immer mehr der definitiven Gestaltung nähert, wenn er auch vor-
läufig noch die ventrale Krümmung, bezw. die Einknickung in der Mitte
des Körpers zeigt (Fig. 457).
An der Oberfläche des Embryos war bereits früh eine Cuticula ab-
geschieden worden. Wenn sich der Embryo ventral einkrümmt, folgt
die Cuticula der Einkrümmung nicht, sondern überbrückt dieselbe, steht
also vom Körper etwas ab. In späteren Stadien erscheint der Körper,
wie auch die vorderen Extremitäten umscheidet von dieser Cuticula.
Der reife Embryo ist noch von ihr umhüllt und sie wird erst nach der
Sprengung der Eischale (Fig. 457) als erste Larvenhaut abgeworfen. Bei
dem von Metschnikoff untersuchten Geophilus findet sich auf der provi-
sorischen Cuticula da, wo sie den zweiten Unterkiefer bedeckt, ein Zahn
(Fig. 456 und 457 e#), welcher nach Metschikoff als Bohrapparat zum
Sprengen der Eihülle verwendet und mit der Cuticula völlig abgeworfen
wird. Das ist also eine ganz ähnliche Vorrichtung, wie wir sie in dem
Eizahn der Spinnen (pag. 588) kennen lernten. Die provisorische Cuticula
entspricht jedenfalls der Hülle, welche bei anderen Myriopoden in noch
Myriopoden. 733
früheren Stadien gebildet wird und den Embryo ähnlich der Cutieula
blastodermica oder der Deutovum - Membran der Milben umgiebt (vgl.
weiter unten pag. 739).
Wenn der Embryo die Eihülle sprengt (Fig. 457), befindet er sich
auf einem verhältnissmässig niederen Zustande der Ausbildung. Er zeigt
noch immer die ventrale Einkrümmung und ist von der provisorischen
Cutieula umgeben. Auf Kosten des nunmehr im Mitteldarm angehäuften
Dotters wächst er noch immer in die Länge, und zwar geht dies Längen-
wachsthum in derselben Weise wie früher durch Bildung neuer Segmente
von dem noch undifferenzirten Schwanzlappen aus (vgl. die Figuren
454 — 457). Von den Körperanhängen zeigen die Antennen jetzt eine
deutliche Gliederung (Fig. 457 cd) und die Mundgliedmaassen nähern
sich ihrer definitiven Form, die übrigen Extremitäten aber besitzen noch
eine blosse stummelförmige Gestalt. In einem etwas späteren als dem
L «1
Fig. 457. Geophilusembryo nach dem Zersprengen der Eihülle (eh). Die
ventrale Krümmung ist noch beibehalten (nach Metschnikoff).
a After, at Antenne, d Dotter, eh Eihaut, ez Eizahn am zweiten Unterkiefer,
g Gehirn, mw Mundwerkzeuge, p Beine, sl Schwanzlappen, vd Vorderdarm.
in Fig. 457 dargestellten Stadium, wenn der Embryo die provisorische
Cutieula abgeworfen hat, bemerkte Metschnikoff die ersten langsamen
Bewegungen, die in Ausstreckungen und Zusammenkrümmungen des
Körpers bestanden. Metschnikoff hebt hervor, dass dabei die Ex-
tremitäten eher den Bauehcirrhen vieler Anneliden als den schnell-
beweglichen Füssen eines Myriopoden glichen.
Soweit wir den Embryo verfolgt haben, besass der Körper eine
drehrunde Gestalt, welche er auch noch eine Zeitlang nach dem Aus-
schlüpfen bewahrt. Er zeigt also insofern jetzt mehr die Gestaltung
eines Diplopoden, bis die für die Chilopoden charakteristische
dorso-ventrale Abplattung des Körpers erfolgt. Im Stadium des Aus-
schlüpfens, bezw. des Abwerfens der „Larvenhaut" soll der Geophilus-
Embryo bereits sämmtliche Beinpaare besitzen, freilich sind dieselben
noch stummelförmig (Fig. 457) und befähigen ihn nicht zu vollkommener
Bewegung. Wahrscheinlich macht das junge Thier noch mehrfache
Häutungen durch, ehe es die völlige Gestaltung und Grösse des Mutter-
734 XXII. Capitel.
thieres erreicht. Immerhin ist es dem letzteren beim Ausschlüpfen im
Ganzen schon sehr ähnlich. Dasselbe ist auch bei den Scolopendriden
der Fall , während die Scutigeriden und L i t h o b i i d e n mit nur
sieben Beinpaaren (ausser den Kieferfüssen) das Ei verlassen. Die noch
fehlenden Beinpaare ergänzen sie während der postembryonalen Ent-
wicklung. Da die jungen Thiere aber auch bei diesen Formen mit
wenigen Beinpaaren schon im Wesentlichen die Gestaltung des Mutter-
thieres besitzen, so ist die postembryonale Entwicklung, die sich jeden-
falls durch Vermittelung mehrerer Häutungen vollzieht, eine ziemlich
einfache. Man hat auf diese Unterschiede in der Entwicklungsweise die
Trennung der Chilopoden in Ch. epimorpha (Scolopendriden,
Geophiliden) und Ch. anamorpha (Scutigeriden, Litho-
biiden) begründet (E. Haase, No. 5).
B. Diplopoden.
Für diejenigen Diplopoden, deren Entwicklung bisher bekannt gewor-
den ist (Polyxenus, Glomeris, Polydesmus, Strongylosoma,
Julus), gilt gleichermaassen, dass die Embryonen mit verhältnissmässig
wenig Segmenten und nur drei wohlausgebildeten Beinpaaren die Eihülle
verlassen (Fig. 463 B und 464, pag. 739 und 742). Im Gegensatz zu den
mit einer grösseren Zahl von Segmenten ausschlüpfenden Chilopoden,
sind die jungen Diplopoden also noch verhältnissmässig weit von der
Gestaltung der Eltern entfernt. Man hat diese jungen Thiere als Larven
bezeichnet, doch ist hervorzuheben, dass sie in den bereits vorhandenen
Theilen des Körpers im Ganzen ebenfalls schon die Organisation der
Eltern besitzen.
a. Die erste Anlage des Embryos. Einknickung des
Keimstreifens.
Julus. Die Bildung des Keimstreifens und die erste Anlage des
Embryos scheint im Ganzen auf ähnliche Weise wie bei Geophilus
zu erfolgen, doch erstreckt sich der Keimstreifen nicht um einen so be-
trächtlichen Theil des Eies, wie dort. Wenn bereits die Kopflappen
angelegt sind, zwischen ihnen das Stomodaeum und ziemlich am Ende
des Keimstreifens das Proctodaeum aufgetreten ist, wenn sich die post-
cephalischen Segmente gesondert haben und an ihnen bereits die Glied-
maassen angelegt sind, so tritt zwischen dem sechsten und siebenten
Segment eine Querfurche auf, welche sich bald stark vertieft. Es ist
dies derselbe Process, welcher bei Geophilus den Uebergang der dor-
salen Krümmung in die ventrale zur Folge hat (vgl. Fig. 455). Da bei
Julus aber der Keimstreifen gegenüber der Masse des ganzen Eies
wenig umfangreich ist, so wird er durch diesen Vorgang in den Dotter
versenkt (Fig. 458 A). Ventralfläche gegen Ventralfläche gekehrt, liegt
der hintere noch nicht differenzirte Theil des Keimstreifens gegen den
vorderen eingeknickt, wie die Klinge eines Taschenmessers gegen das
Heft (Fig. 458 A und B).
Bei den Chilopoden möchte man die Einknickung des Keim-
streifens darauf zurückführen, dass bei der anfänglichen dorsalen Krüm-
mung des langen, beinahe um das ganze Ei herumreichenden Keim-
streifens eine Ausbildung der Dorsalfläche nicht möglich ist und in Folge
dessen der Embryo in eine ventrale Krümmung übergeht. Infolge der
Myriopoden. 735
Länge des Embryos ist derselbe zu einer gekrümmten Lage im Ei ge-
zwungen. Der Keimstreif der Diplopoden ist jedoch nur kurz, und
eine Ausbildung der Rückenfläche könnte sehr wohl auch ohne Eintreten
der ventralen Krümmung erfolgen. Trotzdem sehen wir die bei den
Chi lop öden kennen gelernten Bildungsvorgänge auch bei den Diplo-
poden auftreten, und wenn dieselben früher die Bedeutung eines zur
Bildung des langgestreckten Embryos erforderlichen mechanischen Vor-
gangs hatten, so dienen sie jetzt vielleicht eher zum Schutz des Em-
bryos. Möglicherweise ist auch in Folge der grösseren Berührungs-
fläche des Embryos mit dem Dotter die Ernährung desselben verbessert.
So wurde die Einknickung also beibehalten, obwohl ihre ursprüngliche
Bedeutung eine Aenderung erfuhr. Diese Vorgänge sind von besonderem
Interesse wegen des Vergleichs mit der später (pag. 772 ff.) zu besprechen-
den Versenkung des Keimstreifens der Insecten in den Dotter.
Da die weitere Ausbildung des Embryos bei den verschiedenen
Diplopoden, so weit sie bis jetzt bekannt geworden ist, in ziemlich
übereinstimmender Weise verläuft, so betrachten wir zunächst die etwas
abweichende Anlage des Keimstreifens bei einigen anderen Formen.
1
sl.
V u/c. -% -
d/' V. Vir/h. w' ^w
"'-- "' c£? . .
Fig. 458. A und B zwei Embryonen verschiedenen Alters von Julus More-
letti, um den ventral eingeknickten und in den Dotter versenkten Keimstreifen zu
zeigen (nach Metschxikoff).
at Antenne, d Dotter, kl Kopf läppen, md Mandibel, px — p3 erstes bis drittes Bein-
paar, sl Schwanzlappen, uk Unterkiefer.
Strongylosoma, Polydesmns, Polyxenus. Während bei Julus die
Einknickung des Keimstreifens erst erfolgt, wenn bereits die Antennen,
Mund Werkzeuge und drei Beinpaare angelegt sind (Fig. 458 Ä), so zeichnen
sich die genannten drei Diplopoden dadurch aus, dass bei ihnen bereits
auf einer sehr frühen Stufe die ventrale Einkrümmung vor sich geht,
die Veränderung des von uns als ursprünglich betrachteten Zustandes
(Chilopoden) also noch weiter vorgeschritten ist, als bei Julus.
Bei den genannten drei Formen, von denen Strongylosoma am
genauesten untersucht wurde, zeigte Metschnikoff, dass die erste An-
deutung des Keimstreifens ungefähr in der schon früher besprochenen
Weise vor sich geht. Dann aber erscheint sehr bald und noch ehe eine
Spur von den Anlagen der Gliedmaassen zu sehen ist, eine quere Furche
ungefähr in der Mitte des Keimstreifens. Dieselbe vertieft sich in ent-
sprechender Weise, wie dies schon früher für Geophilus und Julus
736 XXIL Capitel.
angegeben wurde (Fig. 459 A), und führt auch hier zu der ventralen
Einknickung des Keimstreifens (Fig. 459 B). Bei Strongylosoma
ist die Versenkung des Keimstreifens weniger tief, bei Polyxenus ragt
er etwas tiefer in den Dotter hinein. Uebrigens erkennt man aus der
Figur 459 B, dass nicht der gesammte Keimstreif in den Dotter ver-
senkt wird, sondern der vorderste und hinterste Theil desselben .(Kopf-
und Schwanzende) an der Oberfläche liegen bleiben. Auch bei Julus
scheint Aehnliches schon angedeutet zu sein (Fig. 458).
Ausser der queren Furche beobachtete Metschnikoff auch eine
mediane Längsrinne, welche sich weit nach vorn (und wohl auch ebenso
nach hinten) über den Keimstreifen erstreckt. Diese Kinne, welche hier
eine ziemliche Tiefe erreicht, entspricht jedenfalls der von Sogbaff bei
Geophilus beschriebenen, in frühen Stadien auftretenden Rinne, nur
scheint sie bei Strongylosoma weit deutlicher ausgeprägt zu sein,
als bei jener Form (vgl. pag. 727).
An dem vorderen eingesenkten Theil des Keimstreifens kommen
sehr bald die Antennen und Mundwerkzeuge zur Anlage, woran sich nach
R. B
.
\ eh
' Xck
^kst
,eh
•'
-ek
w
kst
ä~4
Fig. 459. A und B Embryonen Aron Strongylosoma Gruerinii (A) und
Polyxenus lagurus (B), um die frühe Einknickung des Keimstreifens zu zeigen, an
dem noch keine Extremitäten angelegt sind. Die dorsale Parthie des Dotters ist weg-
gelassen. In B erkennt man bereits eine auf die Bildung der Keimblätter zurück-
zuführende Schichtung des Keimstreifens (nach Metschnikoff).
d Dotter, eh Eihaut, ek Einknickungsstelle des Keimstreifens (kst).
hinten die ersten Beinpaare anschliessen. Dadurch kommt ein ganz ähn-
lich gestaltetes Stadium zu Stande, wie es bei Julus durch die Ein-
knickung des schon mit Extremitätenanlagen versehenen Keimstreifens er-
reicht wird (Fig. 458).
b. Die weitere Ausbildung des Embryos.
Der Uebergang der ventral eingekrümmten und grösstentheils in den
Dotter versenkten Embryonalanlage zu der definitiven Gestalt wird durch
das Zusammenwirken verschiedener Momente bedingt. In Folge eines
Vorwachsens des Keimstreifens nach der Rückenfläche, verbunden mit
einer gleichzeitigen Ausbreitung nach vorn und hinten, wird der Dotter
in den Embryo aufgenommen. Die beiden bisher nahe an einander ge-
lagerten Ventralflächen des vorderen und hinteren Körpertheiles (Fig. 458)
entfernen sich jetzt von einander, und der ganze, nunmehr auch an seiner
Myriopoden. 737
Rückenfläche zur Ausbildung gelangte Embryo streckt sich etwas in die
Länge, so dass dann ein Stadium wie das in der Figur 460 abgebildete
zu Stande kommt.
Von Wichtigkeit ist zunächst die Ausbildung der Gliedmaassen.
Ueber die Lagebeziehung der Antennen zum Mund ist bisher ebenso-
wenig wie bei den Chilopoden eine sichere Anschauung zu gewinnen.
Die Antennen zeichnen sich in ähnlichem Maasse wie bei Geophilus
(Fig. 456 und 457) durch eine besonders starke Entwicklung aus (Fig.
460 af). Auch die Mandibeln (md) sind recht umfangreich. Von be-
sonderer Wichtigkeit ist die Anlage der Maxillen. Nach Metschnikoff's
Beobachtung, die durch 0. vom Rath bestätigt wird, entstehen sie aus
einem einzigen Paar von Extremitätenanlagen, welches auf die Mandibeln
folgt (Fig. 458 uti). An sie schliessen sich direct die Anlagen der Bein-
paare an (£>i — 2h)-
Zur Auffassung der Mund-
•?
Werkzeuge der Myriopoden.
Während die Chilopoden ^
zwei Unterkieferpaare und ein 1 __.at
Paar von Kieferfüssen besitzen, md
kommt den Diplopoden nur - _v\
ein Paar von Unterkiefern zu, ____--cJt
welche sich zu einer Art von
Unterlippe, dem Gnat hoch i-
larium vereinigt haben (Fig. d y Hr s
464 geh, pag. 742). Der Bau
des Gnathochilariums scheint SS^^^n\
darauf hinzuweisen, dass es \ PrPs
aus zwei Paaren von Maxillen ^
hervorgegangen ist (Fig. 462 Fig. 460. Embryo von Polydesmus eom-
mx1m\ämx2), und diese Auf- p 1 an atus in späterem Entwicklungsstadium. Die
fassung findet sich auch viel- Eihülle wurde entfernt (nach Mktschnikoff).
fach vertreten Sie liegt um at -Antenne, ch cuticulare Embryonalhaut,
sn näher <ils die C h i 1 o n 0 - d Dotter' 9 Gehirn> md Mandibel, px— pz erstes bis
SO nanei , ais die l» n 1 1 0 p 0 drittes Beinpaar, sl Schwanzlappen, uh Unterkiefer,
den zwei Unterkieferpaare be-
sitzen (Fig. 461). Diese beiden
Unterkieferpaare würden den ersten Maxillen und der Unterlippe der Insecten
homolog zu setzen sein. Obwohl eine solche Annahme ebenso verlockend wie
naheliegend ist, wird sie durch die Befunde der Entwicklungsgeschichte bisher
nicht gestützt. Danach geht, wie erwähnt, das Gnathochilarium nur aus einem
Gliedmaassenpaar hervor (Metschnikopf, No. 11, vom Rath No. 15). Aller-
dings wäre eine noch bessere Begründung dieser Verhältnisse erwünscht.
Doch scheint uns auch aus dem Bau der ausgebildeten Mundwerkzeuge ein
Schluss gezogen werden zu können , welcher der oben angedeuteten Auf-
fassung von der Zusammensetzung des Gnathochilariums aus zwei Kiefer-
paaren direct entgegensteht. Wie das Gnathochilarium der Diplopoden, so
setzt sich auch das erste Maxillenpaar der Chilopoden aus mehreren paarigen
Stücken zusammen (Fig. 461, stm -f- me und stm -f- mi) und gewinnt da-
durch eine gewisse Uebereinstimmung mit dem ersteren. Man darf also
vielleicht schliessen, dass das ganze Gnathochilarium dem ersten Unterkiefer-
paar der Chilopoden homolog ist. Bei den letzteren Formen wird dann noch
ein Extremitätenpaar zur Bildung der Mundwerkzeuge herangezogen und
liefert die zweiten Maxillen. Dass eine solche Annahme der Einbeziehung
738
XXII. Capitel.
von Beinpaaren zu Mundtheilen bei den Myriopoden nichts Unstatthaftes an
sich hat, zeigt die Umbildung des ersten Beinpaares der Chilopoden zu Kiefer-
füssen. Die zweiten Maxillen der Chilopoden erscheinen selbst von einem
Beinpaar noch nicht wesentlich verschieden (Fig. 461 pt), und bei den
Diplopoden scheint es nicht ohne Bedeutung, dass das erste Beinpaar dem
Kopf sehr nahe gerückt werden kann (Fig. 464 hl pag. 742).
Nach der letzteren Auffassung würde sich die Vergleichung der Mund-
theile der Myriopoden mit denjenigen der Insecten so gestalten, dass das
Gnathochilarium der Diplopoden und die ersten Unterkiefer der Chilo-
poden nur den ersten Maxillen der Insecten zu homologisiren wären. Die
zweiten Maxillen der Chilopoden und das erste Beinpaar der Diplopoden ent-
spräche dagegen der Unterlippe der Insecten (vgl. pag. 906). Die äussere Aehn-
lichkeit des plattenförmig ausgebildeten Gnatkochilariums mit der Unterlippe
vieler Insecten würde somit nicht durch eine directe Homologie beider Gebilde,
sondern nur durch die Gleichartigkeit ihrer Function zu erklären sein.
me
m.i
Fig. 461. Der Kopf des Litho-
b i u s validus, von unten gesehen (nach
Latzel, aus Lang's Lehrbuch der vergl.
Anatomie).
a Antenne, me äussere, tni innere
Lade des ersten Unterkieferpaares, pl der
sog. Taster des zweiten Unterkieferpaares,
oc Ocellen, sk Stirntbeil des Kopfschildes,
stl Stammglieder des zweiten Unterkiefers,
dahinter die sog. Angel desselben, stm
Stammglieder des ersten Unterkiefers.
Fig. 462. Das Gnathochilarium von
Lysiopetalum carinatum (nach
O. vom Rath, aus Lang's Lehrbuch der
vergl. Anatomie).
mxx Stammglied, welchem die äussere
und innere Lade (me und mi) aufsitzen;
mx^ die sog. Zungenplatte, welche vorn
einen bezahnten, ladenähnlichen Aufsatz
(m) trägt.
mxx und mx2 hat man auch als ent-
sprechend einem ersten und zweiten
Maxillenpaar aufgefasst.
Die Mundwerkzeuge werden schon während des Embryonallebens
völlig ausgebildet und besitzen demnach bei dem ausschlüpfenden Jungen
bereits die definitive Gestaltung (vom Rath, Fig. 464). Von Beinpaaren
sind beim Jungen zunächst drei ausgebildet (Fig. 463 B). Es scheint,
dass dieselben nicht immer drei hinter einander liegenden Segmenten
angehören. So muss man aus den Abbildungen der Jungen von Strongy-
losoma und Polydesmus (Fig. 463 Bund 464) entnehmen, dass bei
diesen Larven das zweite hinter dem Kopf gelegene Segment keine Ex-
tremitäten trägt; bei den Larven von Julus ist dasselbe mit dem dritten
Myriopoden.
739
Segment der Fall (Newport), was auch dem Verhalten der ausgebildeten
Juliden entspricht, denen am dritten Segment die Beine fehlen. Auf
das dritte Beinpaar folgen noch die Anlagen mehrerer anderer Extremi-
tätenpaare, deren Zahl aber bei den verschiedenen Formen differirt.
Diese Extremitäten erscheinen vor der Hand nur als stummeiförmige,
unter der Haut verborgene Gebilde und treten erst während der post-
embryonalen Entwicklung als freie Beinpaare hervor. — Die Zahl der
Segmente hat sich nach hinten zu vermehrt, so dass bei der ausschlüpfen-
den Larve gewöhnlich sieben bis neun Rumpfsegmente vorhanden sind,
doch scheint ihre Zahl bei den verschiedenen Formen ebenfalls etwas zu
differiren. Die Segmentirung ist nicht nur, wie in früheren Stadien, an
der Bauchfläche zu erkennen, sondern hat sich auch gegen den Rücken
des Embryos fortgesetzt (Fig. 460). Beim Ausschlüpfen erscheint der
ganze Körper der Larve deutlich segmentirt (Fig. 463 B). Allerdings
kommen in dieser Beziehung auch Abweichungen vor, welche mit der
Bildung der Embryonalhaut in Verbindung stehen.
a$^
Tig, 463. A und B zwei Larvenstadien verschiedenen Alters von Strongy-
losoma Guerinii (nach Metschnikoff, aus Balfour's Handbuch).
In A ist die Larve noch von der mit dem Bohrzapfen (Eizahn) versehenen
cuticularen Hülle umgeben , in B ist sie von derselben befreit und zu freiem Leben
gelangt (vgl. pag. 740).
at Antenne, darüber, nach hinten gelegen, ist (in Fig. A) der Bohrzapfen zu er-
kennen; 3, 4, 5 die drei Beinpaare des Embryos.
Die Embryonalhaut der Diplopoden (und der Myriopoden über-
haupt1) ist eine structurlose Membran, welche als Cuticula vom ober-
flächlichen Epithel des Embryos abgeschieden wird. Bei Julus ist dies
bereits der Fall, wenn der Keimstreif noch keinerlei Gliederung zeigt.
In Folge dessen umgiebt diese Membran, welche durch ihre Entstehung
der Cuticula blastodermica der Crustaceen sehr ähnlich ist, den Embryo
sackförmig; sie hebt sich bald etwas von seiner Oberfläche ab. Bei der
Einknickung des Keimstreifens bildet sich auch an der Hüll haut die ent-
sprechende Einfaltung, so dass die Haut also der Ventralfläche ziemlich
J) Die Embryonalhaut
Geophilus ganz den
pag. 732).
tut der Chilopoden zeigt nach den Beobachtungen an
gleichen Charakter wie diejenige der Diplopoden (vgl.
740 xxn- Capitel.
dicht anliegen bleibt. Die Cuticüla bleibt auch während der weiteren
Entwicklung erhalten und umgiebt den Embryo noch als sackförmige
Hülle, wenn er die Eischale sprengt. So kommt es, dass der aus-
schlüpfende Embryo von Julus als ein madenähnliches Thierchen er-
scheint, wie dies schon Newport beschrieb und abbildete. Der von der
Embryonalhülle umgebene Embryo zeigt eine tiefere Entwicklungsstufe,
als dieselbe sonst den ausschlüpfenden Embryonen der Diplopoden zu-
kommt. Der Kopf ist nicht deutlich vom Rumpf abgesetzt, und die Seg-
mente erscheinen noch nicht von einander gesondert, was daher kommt,
dass der Keimstreif sich noch nicht völlig gegen den Rücken hin ausge-
breitet hat. In diesem Stadium ist die Larve noch unbeweglich. Sie
kann als Puppe bezeichnet werden. Unter der Puppenhaut soll
sich bereits eine zweite cuticulare Hülle vom Körper abheben. Diese
zweite Hülle wurde vom Embryo abgeschieden, nachdem die ventrale
Einknickung desselben bereits vollzogen war (Heathcote). Da die Ex-
tremitäten schon vorher angelegt wurden, muss sie wohl Ausstülpungen
aufweisen, welche diesen entsprechen.
Dass am Embryo von Julus zwei cuticulare Hüllen (ausser der spä-
teren Chitinbekleidung des Körpers) gebildet werden, scheint bereits aus
Metschnikoff's Darstellung hervorzugehen, ohne dass man daraus über ihre
Natur recht klar werden könnte. Die Angaben von Heathcote dürften die
von Metschnifoff bestätigen.
Innerhalb der Puppenhaut macht die Larve von Julus noch eine
Ruhezeit durch, um schliesslich das Stadium zu erreichen, welches andere
Diplopoden schon beim Verlassen des Eies besitzen. Sie sprengt dann
die schon früher weit vom Körper abstehende Hülle und erlangt erst da-
mit freie Beweglichkeit.
Während bei Julus die Abscheidung der cuticularen Embryonal-
hülle besonders früh vor sich geht, erfolgt sie bei anderen Formen erst
später, wenn die Gliedmaassen bereits angelegt sind, so dass diese von
ihr besonders umscheidet werden (Fig. 4G0 ch). Sie lässt dadurch ihren
Charakter als Larvenhaut noch besser erkennen. Bei S t r o n g y 1 o s o m a
tritt an ihr sogar ein besonderes Larvenorgan auf, nämlich ein Chitin-
zapfen, welcher am Scheitel gelegen ist (Fig. 463 A). Nach Metschni-
koff's Auffassung dient derselbe zum Sprengen der Eischale und ist
also als Eizahn zu bezeichnen, wie das betreffende Gebilde bei G e o p h i 1 u s.
Dieses letztere gehört allerdings einem Extremitätenpaar an (Fig. 456
und 457 ez), ist also dem unpaaren Eizahn der Diplopoden nicht homolog.
Dieser ähnelt vielmehr dem unpaaren Eizahn, welchen wir bei den
Phalangiden kennen lernten (pag. 565), in Form und Lage, während
der Eizahn der Geophilus bezüglich seiner Stellung eine grössere Aehn-
lichkeit mit dem von den Spinnen beschriebenen paarigen Gebilde auf-
weist (pag. 588). Derartige functionell gleichartige Bildungen scheinen
bei den Arthropoden demnach in recht verschiedener Lagerung vorzu-
kommen.
Der Eizahn wird jedenfalls mit der Larvencuticula später abge-
worfen. Bei dem im Uebrigen sehr ähnlich gestalteten Embryo von
Polydesmus fehlt der Bohrzapfen (Fig. 460), jedenfalls weil die Ei-
haut bei dieser Form weit dünner ist und ein besonderes Organ zum
Sprengen derselben unnöthig macht (Metschnikoff). Auch Julus be-
sitzt den Bohrzapfen nicht.
Myriopoden. 74 1
Wie es scheint, verharren auch die Larven von Polydesmus und
Strongylosoma noch einige, wenn auch recht kurze Zeit in der
cuticularen Hülle (Fig. 460 und 463 A) und entbehren somit ebenfalls
zunächst noch einer freien Beweglichkeit. Dagegen konnte das Puppen-
stadium bei Polyxenus nicht aufgefunden werden, und auch Glomeris
scheint ein solches nicht durchzumachen (vom Rath).
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, wie sehr die Cuticularhülle
der Myriopodenembryonen an die Cuticula blastodermica der Crustaceen
und noch mehr an die Deutovum- Membran der Acarinen erinnert. Die
Aehnlichkeit mit der letzteren wird dadurch noch verstärkt, dass Metschni-
koff bei Polyxenus ausserhalb des Embryos, also zwischen diesem und
der Eihaut (bezw. der Cuticula, falls diese hier vorhanden ist) freie amöboide
Zellen, ähnlich den „Hämamöben" der Milben (vgl. Fig. 395, pag. 625)
beobachtete. Freilich dürfen wir hierbei gewiss nur an Analogien denken.
c. Die postembryonale Entwicklung.
Stadien der postembryonalen Entwicklung mussten schon bei Be-
trachtung der Bildung der cuticularen Hülle des Embryos ins Auge ge-
fasst werden, denn der Embryo verlässt in vielen Fällen, von dieser um-
geben, das Ei und ist somit schon jetzt als Larve anzusehen (Fig. 463 A,
pag. 739). Es wurde schon erwähnt, dass die sog. Larven der Diplo-
poden in ihrer Gestaltung, abgesehen von der geringeren Segmentzahl,
nicht sehr verschieden vom ausgebildeten Thier sind. Der Besitz von
drei Beinpaaren verleiht ihnen eine auffallende Aehnlichkeit mit
Insectenlarven; so hebt vom Eath besonders ihre Aehnlichkeit mit
jungen Poduriden hervor. Freilich ist diese Uebereinstimmung keine
tiefer begründete, sondern mehr äusserlicher Natur, denn einmal ist die
Homologie der Kopfsegmente von Insecten und Myriopoden (im Hinblick
auf die Anzahl der für die Kopfbildung zur Verwendung kommenden
Segmente) noch sehr zweifelhaft (vgl. pag. 737), und sodann pflegt eines
der vorderen Rumpfsegmente, gewöhnlich das dritte, der Extremitäten
ganz zu entbehren (Fig. 463 B und 464), so dass sich die drei ersten
Beinpaare auf vier Segmente vertheilen, während der Thorax der Insecten
bekanntlich aus drei Segmenten mit je einem Extremitätenpaar besteht.
Die Verwandlung der Larve in das ausgebildete Thier, die sog.
A n a m 0 r p h 0 s e der Diplopoden, ist sehr oft und von verschiedenen
Forschern (Newport, Fabre, Bode, Latzel, vom Rath und anderen)
studirt worden. Sie weist bei den einzelnen Formen gewisse Differenzen
auf, die aber nicht so wesentlich sind, als dass sie hier alle eine be-
sondere Berücksichtigung finden könnten. Die wichtigsten Punkte der
postembryonalen Entwicklung sind die Neubildung der Segmente und die
Entstehungsweise der für die Diplopoden charakteristischen Doppelseg-
mente. Die Bildung neuer Segmente geht stets zwischen dem Anal-
segment und dem letzten zur Ausbildung gelangten Segment vor sich
(Latzel). Die Doppelsegmente sind aber, wie jetzt sicher erwiesen ist,
auf die Verschmelzung zweier ursprünglichen Segmente zurückzuführen
(Heathcote).
Wie schon erwähnt, sind bei der sechsfüssigen Larve unter der Haut
bereits einige weitere Beinpaare angelegt, Die Zahl derselben ditferirt bei
den einzelnen Formen. Die ausschlüpfende Larve von Glomeris besitzt
Korscheit- Heider, Lehrbuch. 48
742
XXII. Capitel.
hinter den drei ersten , wohl ausgebildeten Beinpaaren sogar schon fünf
stummeiförmige frei hervorragende Extremitäten (vom Rath). Auch
in dieser
Beziehung
steht also die
Fig. 464. Larve von Polydes-
mus complanatus direct nach dem
Ausschlüpfen (nach O. vom Rath, aus
Lang's Lehrbuch der vergl. Anatomie).
a Antenne, an After, bx — b3 erstes
bis drittes Beinpaar, bt Backentheile,
geh Gnathochilarium, Ibr Oberlippe,
sd die soff. Saftdrüse.
Glomerislarve, weiche ein Puppen-
stadium nicht durchmachen soll, auf einer
Entwicklungsstufe, die von anderen Di-
plopoden erst nach einer oder mehreren
Häutungen erreicht wird.
Um ein Beispiel für das Auftreten
der Segmente und Beinpaare zu geben,
wählen wir die Larve von Pol yd es -
mus (Latzel, vom Rath). Die drei
ersten Beinpaare sitzen bei ihr am ersten,
dritten und vierten Rumpfsegment (Fig.
464). Zwei stummeiförmige, unter der
Haut gelegene Beinpaare gehören dem
fünften und ein weiteres ebensolches
dem sechsten Segment an. Nach der
Häutung treten dieselben hervor, und
auf das Stadium mit sieben Segmenten
und drei Beinpaaren folgt somit ein
solches von neun Segmenten und sechs
Beinpaaren. Das nächste (dritte) Sta-
dium besitzt 12 Segmente und zehn (S)
bezw. 11 Beinpaare (9). Das sechste
Segment zeigt anstatt des früheren einen
jetzt zwei Beinpaare, ebenso besitzt das
siebente Segment des Weibchens deren
zwei, während dasjenige des Männchens
nur eines trägt. Die Copulationsfüsse
des Männchens, welche am siebenten
Segment liegen, kommen erst beim ge-
schlechtsreifen Thier hinzu. Die weitere
Zunahme an Segmenten und Extremi-
der folgenden Tabelle zu
aus
7
9
12
15
17
18
19
20
täten ist
ersehen :
3 Beinpaare
6
10
16
22
26
28
30
ii
17
23
27
29
31
B.
B.
B.
B.
B.
B.
I. Stadium 7 Segmente
n. „
in. „
iv. „
v. „
VI. „
vn. „
VIII. „
Im achten Stadium wird die Geschlechtsreife
Bildung der Copulationsfüsse, die gewöhnlich dem
Diplopoden angehören. Zwischen jedem Stadium
Thieres statt.
Bei den von Newpokt nach dieser Richtung besonders eingehend unter-
suchten Juliden liegen die Verhältnisse im Ganzen ähnlich. Die Larve be-
sitzt am fünften und sechsten Segment je zwei stummeiförmige Beinpaare unter
der Haut, welche nach der ersten Häutung als wohlgegliederte Extremitäten
erscheinen. Bei den späteren Häutungen erhalten auch die folgenden Seg-
mente je zwei Beinpaare und die Segmentzahl nimmt nach hinten weiter zu.
(?)
(2)
(?)
(?)
(?)
(?)
erreicht und erfolgt die
siebenten Rumpfringe der
findet eine Häutung des
Myriopoden. 743
Während bei Strongyl osoma , Polydesmus und Julus eines der
vier vorderen Segmente der Extremitäten entbehrt (Fig. 463 B und 464),
scheint dies bei Polyxenus nicht der Fall zu sein. Die Larve dieses
Diplopoden besitzt zuerst nur fünf Rumpfsegmente (das Analsegment
immer mitgerechnet) und drei Beinpaare, welche an den drei ersten Seg-
menten sitzen. Im nächsten Stadium bleibt die Segmentzahl die gleiche,
dagegen erscheint am vierten Segment ein weiteres Beinpaar (Bode). Das-
selbe erhält sich fernerhin als einzelnes Paar, wenn im dritten Stadium an
dem neugebildeten fünften Segment ein Beinpaar entsteht und bei der darauf
folgenden Häutung ein weiteres Beinpaar an diesem letztern Segment hinzu-
kommt. "Während der acht Stadien , welche von dem Thier durchlaufen
werden , kommen noch drei weitere mit zwei Extremitätenpaaren versehene
Segmente (das sechste, siebente und achte) hinzu, das neunte aber trägt nur
ein Beinpaar, während dem vor dem Analsegment gelegenen Abschnitt die
Gliedmaassen ganz fehlen (Bode, Latzel, vom Rath). Für die Endsegmente
der Diplopoden ist überhaupt charakteristisch, dass an ihnen eine Ver-
schmelzung nicht einzutreten pflegt , wie dieselbe auch an den vier vorderen
(als Thorax bezeichneten) Segmenten fehlt und allem Anschein nach wohl
auch am Genitalsegment ausbleiben kann.
C. Symphylen und Pauropoden.
Ueber die Embryonalentwicklung dieser infolge ihrer geringen Körper-
grösse schwierig zu behandelnden Myriopoden ist unseres Wissens bisher
nichts bekannt geworden. Die Larven von Pauropus sind wie die der
Diplopoden zuerst sechsfüssig (Lubbock, Rydeb, Latzel) 1). Das zweite und
dritte Beinpaar sollen einem Segment, oder wohl besser Doppelsegment an-
gehören. Die Larve besitzt nur wenige Segmente, denn ausser dem Anal-
segment ist nur noch ein fussloses Segment vorhanden. Bei der ersten Häutung
treten zwei weitere Beinpaare auf. Dann zeigt das Thier sechs, sieben, acht
und schliesslich neun Beinpaare. Eine genauere Untersuchung dieser Ver-
hältnisse ist zu wünschen.
Die Entwicklung von Scolopendrella ist noch weniger bekannt, ob-
wohl ihre Kenntniss sehr wichtig wäre, da dieser Form an und für sich eine
grössere Bedeutung zukommt. Das jüngste bisher beobachtete Stadium besass
sechs Beinpaare, doch ist es nicht unmöglich, dass ihm Stadien mit weniger
Beinpaaren vorausgehen (Latzel). Durch eine Anzahl von Häutungen erfolgt
die Erwerbung je eines neuen Beinpaares, bis die Segmentzahl des geschlechts-
reifen Thieres erreicht ist. Nach Latzel erinnert der Entwicklungsgang von
Scolopendrella lebhaft an den der Polyxeniden.
3. Die Bildung der Organe.
Unsere Kenntniss von der Organbildung der Myriopoden ist noch
sehr unvollkommen. Soviel wir davon wissen, scheint sie bei den Chilo-
poden und Diplopoden in ziemlich übereinstimmender Weise vor
sich zu gehen. Nachdem schon Metschnikoff in seinen früheren Arbeiten
Angaben über diesen Gegenstand gemacht hat, ist er später von Sograff
und Heathcote eingehender, aber nicht erschöpfend behandelt worden.
*) Genauere Angaben über diese Verhältnisse finden sich bei Latzel (No. 10,
Bd. II, pag. 21), wo auch die betr. Litteratur citirt ist.
48*
744 XXII. Capitel.
A. Das Nervensystem.
Vom oberen Schlundganglion wissen wir nur, dass es in Form der
ansehnlichen Verdickungen der Kopflappen entsteht und sich schliess-
lich vom Ectoderm abspaltet. Zur Zeit, wenn der Embryo von Julus
bereits die Eischale sprengt, wenn also das Gehirn schon längst ange-
legt ist, bemerkt man an den Kopflappen zwei grubenförmige Ein-
senkungen, ähnlich denen, welche bei P er ipatus, den Insecten und auch
bei den Arachniden angetroffen werden (vgl. die Figuren 435, 436 B,
346 0, 370 5 und 451 C). Anfangs nur flach, vertiefen sich diese
Gruben später und senken sich in die Anlage des oberen Schlund-
ganglions ein, mit dessen Zellenmaterial der Boden der Gruben ver-
schmolzen erscheint. Das Einsenken in die Gehirnanlage erinnert ganz
besonders an das Verhalten der sog. Ventralorgane bei Peripatus
(Fig. 438 B, pag. 700). Ihre äussere Oeffnung verengert sich, und zu-
letzt erscheinen sie als geschlossene Blasen (Heathcote). Sie schwinden
schliesslich, und ihre Bedeutung ist nicht festgestellt worden, doch möchte
man glauben, dass sie mit der Bildung des Ganglion opticum im Zu-
sammenhang stehen, wenn man die bei den Insecten und Arach-
niden obwaltenden Verhältnisse in Betracht zieht (pag. 821 und 592).
Bei Peripatus sollen die am Kopf des Embryos auftretenden Gruben
allerdings eine andere Bedeutung haben (pag. 700), und vielleicht ist es
im Hinblick darauf, dass Sograff die auch bei Geophilus vorhandenen
Kopfgruben (Fig. 451 C) als eine atavistische Erscheinung ansieht, die
mit der Bildung des oberen Schlundganglions nichts zu thun hat.
Die Bauchganglienkette entsteht wie bei anderen Arthropoden in
Form zweier strangförmiger Verdickungen neben der Mittellinie, welche,
entsprechend den einzelnen Körpersegmenten, Anschwellungen, die Ganglien,
zeigen. Die mediane Furche, welche beide Stränge zwischen sich schliessen
(Fig. 453, pag. 729), ist nicht mit der früher vorhandenen seichten, als
Blastoporus gedeuteten Längsfurche zu verwechseln, sondern diese schwindet
schon bald wieder. In Folge des Auftretens der beiden seitlichen Ecto-
dermverdickungen kommt dann in gleicher Lage die zweite Rinne zur
Erscheinung (Fig. 453, nr). Bei Geophilus erreicht diese Rinne eine
ansehnliche Tiefe, da die beiderseitigen Verdickungen von bedeutendem
Umfang und einander stark genähert sind. So scheint es, als ob auch
die mittlere Parthie an der Bildung der Ganglienkette theilnehme und
somit als Neuralrinne zu bezeichnen wäre. Bei den Diplopoden,
speziell Julus tritt die Neuralrinne weniger deutlich hervor, hat aber
wohl auch hier dieselbe Bedeutung, da die Ganglien, welche sich vom
Ectoderm ablösen, durch eine Querbrücke in Verbindung stehen. So
würde der Mittelstrang die Quercommissuren liefern.
Bei Julus soll, nachdem sich die Ganglien vom Ectoderm abgelöst
haben (Fig. 468 A und J5), an ihnen eine nach aussen hin gerichtete Ein-
senkung auftreten, so dass jedes Ganglion mit einer Grube versehen erscheint.
Dieser von Heathcote beschriebene Vorgang ist deshalb nicht recht zu ver-
stehen, weil er sich erst nach der Ablösung vom Ectoderm einstellt, andern-
falls würde man an die Ventralorgane des Peripatus denken (vgl. pag. 699).
Die Gruben, welche wie die im oberen Schlundganglion zugeschlossenen Blasen
werden, schwinden bald wieder.
Myriopoden. 745
Bei den Diplopoden liegen die beiderseitigen Ganglien erst etwas
weiter auseinander, was wohl mit der Umwachsung des Dotters durch den
Keimstreifen zusammenhängt, dann nähern sie sich bis zu enger Be-
rührung und an ihrer dorsalen Parthie erscheint die Fasersubstanz,
welches Verhalten schon für Peripatus in ähnlicher Weise geschildert
wurde (pag. 701).
Die Differenzirung der Ganglien geht in der Reihenfolge von vorn
nach hinten vor sich, so dass bei dem wachsenden Embryo, bezw. bei
der Larve in dem hinteren, noch nicht ausgebildeten Theil des Körpers
die undifferenzirten Anlagen der Bauchganglienkette gefunden werden,
von denen sich dann nach vorn hin neue Ganglien abgliedern (Fig. 466
und 467). Bei den Diplopoden kommen auf die grössere Anzahl der
Körperringe zwei Ganglienpaare, wodurch sich diese Hinge als Doppel-
segmente zu erkennen geben.
Im vorderen Theil der Ganglienkette tritt eine Fusion mehrerer
Ganglienpaare ein, welche zur Bildung des unteren Schlundganglions führt
(Fig. 466 usg), mit dem sich noch einige Ganglienpaare vereinigen können.
Ueber eine Hinzuziehung echter Rumpfganglien zum Gehirn ist unseres
Wissens bisher entwicklungsgeschichtlich nichts bekannt geworden , obwohl
die Thatsache, dass der hinterste Abschnitt des Gehirns (das sog. Tritocere-
brum) einen Theil der Schlundcommissur ausmacht und zudem eine besondere
Quercommissur besitzen kann (so bei den Diplopoden und bei S cuti-
ge ra nach St. Remy) vielleicht auf eine ähnliche Entstehung des Tritocere-
brums hinweist, wie sie die mit dem Gehirn vereinigten Kieferganglien des
Peripatus und die Ganglien der zweiten Antenne bei den Crustaceen
zeigen (pag. 702 und 364). Das Bild eines Myriopodengehirnes stellt sich
schematisch in ganz ähnlicher Weise dar wie das in Fig. 439 (pag. 703)
wiedergegebene Gehirn eines Embryos von Peripatus.
B. Die Augen.
Die Bildung der Augen ist bei Julus terrestris verfolgt worden,
welche Form jederseits eine grössere Anzahl (gegen 40) sogenannter
Ocellen besitzt. Diese treten nach einander auf. Am vierten Tage des
freien Larvenlebens, d. h. nach dem Verlassen der cuticularen Hülle,
erscheint der erste Ocellus, welchem die übrigen allmählich folgen, bis
die volle Zahl erreicht ist. Nach Heathcote vollzieht sich die Bildung
der Augen auf die Weise, dass hinter der Basis der Antenne eine Ver-
dickung des Ectoderms entsteht und in dieser sich Pigment ablagert.
Sodann tritt in der verdickten Parthie eine Höhle auf, so dass das ganze
wie eine Augenblase erscheint. Während sich die Höhle vergrössert,
wird die nach aussen gekehrte Wand dünner, die innere aber dicker.
Letztere stellt die Retina dar, und der ersteren liegt die Abscheidung
der Linse ob. Nach Heathcote,s Auffassung ist dies ihre einzige
Function, und sie hat nicht die Bedeutung einer Glaskörperschicht. In
einem späteren Stadium tritt sie noch mehr zurück (Fig. 465 h). Die
ganze innere Wand (r) liefert die Retina. Zwischen ihren nunmehr
regelmässig angeordneten Zellen findet Heathcote kleinere Zellen von
unregelmässiger Form, welche amöboiden Mesodermzellen gleichen, und
er nimmt an, dass solche zwischen die ectoderinalen Retinaelemente als
Pigmentzellen einwandern. Eine Kapsel in der Umgebung des Auges
wird ebenfalls von Mesodermzellen geliefert, welche sich der Retina dicht
anlegten (Fig. 465 Je).
746 XXII. Capitel.
Durch die von Heathcote gegebene Darstellung der Entstehung des
Myriopodenauges ist dessen Entwicklungsmodus noch nicht genügend festge-
stellt und die Beziehung der Entwicklungsstadien zum ausgebildeten Auge
nicht hinreichend geklärt. Vor allem wäre zu zeigen, welche Bedeutung die
äussere, unter der Linse gelegene Zellenschicht (Fig. 465 Ji) beim ausgebil-
deten Auge besitzt, bezw. ob sie überhaupt vorhanden ist. Eine von Gre-
nacher untersuchte Julusart weist ein einschichtiges napf förmiges Auge auf,
welchem die Glaskörperschicht fehlt. Andere Myriopoden, wie es scheint be-
sonders Chilopoden, besitzen einen Glaskörper, haben also zweischichtige
Augen. Damit entfernen sie sich einigermaassen von dem einfachsten Bau
des Ocellus, wie er verschiedenen anderen Myriopoden zukommt. Es wäre
daher von Wichtigkeit nachzuweisen, ob die Anlage der Augen wirklich eine
geschlossene Blase oder nicht vielmehr eine Ectodermeinsenkung ist, als welche
Fig. 465. Schnitt durch ein in der Bildung begriffenes Auge von Julus
terrestris (nach Heathcote).
ch Chitinbedeckung des Kopfes , h Hypodermissehicht unter der Linse (lentigene
Schicht), hyp Hypodermis, k zellige Augenkapsel, l Linse, r Retina.
sie bei den Augen ohne Glaskörper auch im ausgebildeten Zustand noch er-
scheint. Den Glaskörper müsste man dann ähnlich wie bei den Stemmata
der Iusectenlarven (Fig. 378, pag. 598) durch Vordrängen der Hypodermis
von den Seiten her erklären.
Wie bereits weiter oben (pag. 703) gezeigt wurde, legen sich auch die
Augen des Peripatus in Form von Ectodermeinsenkungen an, und nichts
liegt näher, als die napfförmigen Augen der Myriopoden sowie die Stemmata
der Insecten auf eine ähnlich gestaltete niedere Entwicklungsstufe, etwa
auf Annelidenaugen zurückzuführen (pag. 597). Gerade die Myriopoden
bieten in dieser Beziehung besonderes Interesse dar, insofern einige von ihnen
nur wenige Ocellen besitzen, Scolopendra z. B. nur vier jederseits, bei
anderen aber die Zahl sich steigert und zur Bildung der sog. gehäuften Ocellen
(30 — 40 und mehr, bei Lithobius, Julus, Fig. 461 oc) führt, bis
schliesslich ein aus zahlreichen (etwa 200) Einzelaugen zusammengesetztes Auge
resultirt (Scutigera), welches einem Facettenauge z. B. dem von Limulus
gleicht und sogar eine Art von Rhabdombildung erkennen lässt, trotzdem
aber seine Beziehungen zu den gehäuften Ocellen anderer Myriopoden nicht
verläugnet. Es scheinen sich also für die Myriopodenaugen die verschiedenen
Stadien darzubieten, welche wir bei Betrachtung der Arachni den äugen
für die phylogenetische Entstehung des Facettenauges als wahrscheinliche
bezeichneten (pag. 598). Eine eingehende entwicklungsgeschichtliche und
morphologische Untersuchung dieser Verhältnisse würde höchst erwünscht
sein und dürfte lohnenden Erfolg versprechen.
Myriopoden. 747
C. Die Tracheen.
Die Tracheen gelangen erst spät zur Anlage. Bei Geophilus
kommt der Embryo ohne Tracheen aus dem Ei und die Respiration findet
vorerst nur durch die noch sehr dünne Körperbedeckung statt (Sograff).
Auch bei den Diplopoden treten die Tracheen spät auf, allem An-
schein nach erst dann, wenn der Embryo das Chorion bereits gesprengt
hat und in der Puppenhaut liegt. Julus zeigt dann hinter der Basis
jedes Beines eine grubenförmige Einsenkung, welche sich vertieft und
zwei Divertikel bildet, von denen sich das eine in den Baum unterhalb
der Bauchganglienkette erstreckt, während das andere gegen die Rücken-
seite vorwächst. Damit sind die beiden von der Tracheentasche aus-
gehenden Hauptstämme gebildet, und von ihnen wachsen nunmehr aber-
mals Divertikel, die Tracheenröhren aus, welche sich mit der Intima
auskleiden.
Bei den Diplopoden kommt jedem Rumpfsegment ein Stigmen-
paar mit der zugehörigen Stigmentasche und den davon ausgehenden
Tracheenstämmen zu. Die Tracheenröhren verzweigen sich nicht und
bilden keine Anastomosen, zeigen also ein sehr ursprüngliches Verhalten.
In den Körperringen der Diplopoden rinden sich zwei Paar Tracheen-
einstülpungen, wodurch sich dieselben wiederum als Doppelsegmente zu
erkennen geben.
Die Tracheen der Chilopoden zeigen complicirtere Verhältnisse, in-
dem sie sich weiter verzweigen und Anastomosen bilden. Die Vertheilung
der Stigmen auf die Segmente ist nicht mehr eine so regelmässige, indem
sie einzelnen Segmenten fehlen. In dieser Beziehung erscheinen die Chilo-
poden demnach als weniger ursprüngliche Formen.
D. Die Wehrdrüsen.
Am fünften Rumpfsegment der dreibeinigen Diplopodenlarve tritt
seitlich ein Paar Einsenkungen auf, die Forami na repugnatoria,
welche in flaschenförmige Ectodermeinstülpungen führen, das erste Paar
der Stink- oder Wehrdrüsen (Fig. 464 sd). Mit der Zunahme an Seg-
menten kommen noch mehr solcher Drüsen hinzu, doch erhält jedes
Doppelsegment nur ein Paar und die vorderen Einzelsegmente ent-
behren ihrer völlig (Heathcote, Metschnikoff1).
E. Der Darmcanal.
Bei der Bildung des Darmcanales muss man zwischen Chilopoden
und Diplopoden streng unterscheiden; freilich sind die Nachrichten,
welche wir bisher zumal über die Entstehung des Diplopodendarmes er-
halten haben, keine sehr eingehenden und klären die auffallenden Ver-
hältnisse, welche dabei vorzuliegen scheinen, nicht genügend auf.
a. Der Mitteldarm.
Chilopoden. Der Nahrungsdotter, welchem der Keimstreif aufliegt,
ist bei Geophilus sehr umfangreich und lässt noch längere Zeit den
Zerfall in Dotterpyramiden erkennen (Fig. 454 A, d). In ihm liegen
l) Bezüglich der Auffassung dieser Drüsen vgl. man das pag. 755 Gesagte.
748
XXII. Capitel.
Kerne, von denen man annimmt, class sie von vornherein im Dotter
zurückgeblieben seien. Diese Kerne ordnen sich zu einer regelmässigen
peripheren Lage an. In ihrer Umgebung differenzirt sich der Dotter in
regelmässigen Bezirken (Fig. 466); so entstehen die Abgrenzungen von
Zellen und das Mitteldarmepithel wird auf diese Weise gebildet (Sograff).
Ob diese Differenzirung in einer bestimmten Richtung, d. h. z. B. von
vorn nach hinten oder umgekehrt vor sich geht, vermögen wir aus
Sograff's Darstellung nicht mit Sicherheit zu erkennen, doch weist die
Abbildung Fig. 466 auf eine von hinten nach vorn fortschreitende Aus-
bildung des Mitteldarmes hin. Der Nahrungsdotter bleibt noch längere
Zeit im Mitteldarm liegen und wird erst allmählich resorbirt. Er dient
auch der Larve noch als Nahrung und reicht bei der Lithobiuslarve
nach dem Ausschlüpfen noch 15 Tage lang aus.
tUi.-
—CS
'$■
Fig. 466. Sagittaler Längsschnitt eines älteren Embryos von Geophilus
ferrugineus (nach Sograff).
a After, bg Bauchganglienkette, d Dotter, dz Dotterzellen, ect Ectoderm, ed End-
darm , h Herz , m Mund, md Mitteldarm, dessen Ausbildung noch nicht vollendet ist,
indem vorn das Epithel noch fehlt, mes Mesodermgewebe , zum Theil den Darm be-
kleidend, zum Theil in der Leibeshöhle vertheilt, o.sg oberes, u.sg unteres Schlund-
ganglion, vd Vorderdarm.
Diplopoden. Schon von Metschnikoff wurde als wichtiger Unter-
schied in der Bildung des Mitteldarms der Myriopoden hervorgehoben,
dass derselbe bei den Chilopoden an der Peripherie des Dotters ent-
steht (Fig. 466), diesen also in sich fasst, bei den Diplopoden hin-
gegen als ein Rohr innerhalb des Dotters gebildet wird, so dass dieser
also ausserhalb des Darmes liegt (Fig. 467). Der Mitteldarm entsteht
auch hier aus den im Dotter enthaltenen Zellen, deren Ursprung ebenso-
wenig wie bei den Chilopoden sicher festgestellt ist. Sie sammeln
sich in einer bestimmten Gegend und ordnen sich zur Bildung eines
wenig umfangreichen Rohres an, welches sich in der Längsaxe des Em-
bryos erstreckt (Fig. 467 md). Dieses Rohr, welches in der nach Heath-
cote's Abbildung copirten Figur allerdings als solider Strang erscheint,
Myriopoden.
749
liegt nach den übereinstimmen-
den Angaben von Metschni-
koff und Heathcote innerhalb
der Dottermasse und konnte von
dem erstgenannten Forscher im
Zusammenhang aus diesem
herauspräparirt werden. Der
Dotter selbst kommt somit in
die primäre Leibeshöhle zu
liegen. Diese erfüllt er voll-
ständig. Er dringt z. B. in die
durch Äuseinanderweichen der
Ganglienanlage und des Ecto-
derms entstehende Lücke ein
(Fig. 468 A u. B) und drängt
sich, soviel aus der Darstel-
lung von Heathcote zu ent-
nehmen ist, sogar zwischen die
Mesodermschicht und das
Ectoderm ein (Fig. 468). Die
Ganglienkette liegt dann in-
nerhalb der Dottermasse, und
das Gleiche ist mit dem Vor-
derdarm und Enddarm der
Fall, wie eine Betrachtung
der Figuren 467 und 468 B
ergiebt. In späteren Stadien
wird der Dotter in die Lücken
des Pseudocöls aufgenommen
und dort allmählich resorbirt
(vgl. pag. 753).
Die Ablagerung des Dot-
ters in der primären Leibes-
höhle ist bereits früher (pag.
328) von Moina, sowie von
Mysis (pag. 375) erwähnt
worden, allerdings kommt die-
selbe dort auf etwas andere
Weise zu Stande. Ein ähn-
liches Verhalten , wenn auch
in weit beschränkterem Maasse,
kann auch bei den Insecten
eintreten und soll weiter unten
noch besprochen werden (vgl.
pag. 832).
Der Unterschied in der
Bildung des Mitteldarmes der
Chilopoden und Diplo-
poden liegt auf der Hand
und ist am besten aus einer
Vergleichung der Abbildungen
Fig. 466 und 467 ersichtlich.
--me».
Fig. 467. Längsschnitt durch einen Embryo
von Julus t e r r e s t r i s vom zehnten Tage der
Entwicklung (nach Heathcote).
a After, bg Bauchganglienkette, c Cuticular-
hülle des Embryos, d Dotter, dz Dotterzellen,
kl Kopflappen, m Mund, md Mitteldarm, mes Meso-
derm, sl Schwanzlappen.
Fig. 468. A und B Querschnitte durch Em-
bryonen von Julus terrestris (in etwas schema-
tisirter Darstellung nach Heathcote).
A die ventrale Parthie eines Querschnittes
durch einen Embryo vom elften Tage. B voll-
standiger Querschnitt eines Embryos vom zwölften
Tage. Beide sind durch die hintere Körperregion
geführt.
bg Bauchganglien, d Dotter, dz Dotterzellen,
ed Enddarm, ect Ectoderm, ex Extremitätenanlage,
m.g Malpighi'sche Gefässe, p.lh primäre Leibes-
höhle, so somatisches, sp splanchnisches Blatt des
Mesoderms.
750 XXII. Capitel.
Während die Mitteldarmbildung der Chilopoden mehr an die bei den Arachnoiden
obwaltenden Verhältnisse erinnert, lässt sich diejenige der Diplopoden nur mit
gewissen Erscheinungen bei den Crustaceen vergleichen , bei denen ebenfalls
das Epithel erst inmitten des Dotters liegt, bis dieser ins Innere der Darm-
anlage diffundirt. Ehe man diese Verhältnisse übrigens mit einiger Sicher-
heit beurtheilen kann, wird man noch Genaueres über die späteren Bezie-
hungen des Mitteldarmes zum Nährdotter erfahren müssen. Einstweilen er-
scheint uns dieser Punkt noch zu dunkel und einer besseren Klarlegung recht
bedürftig.
b. Vorder- und Enddarm.
Bezüglich der Bildung des Vorder- und Enddarmes verhalten sieh
Chilopoden und Diplopoden ziemlich übereinstimmend. Beide Ge-
bilde sind Ectodermeinstülpungen. Das Stomodaeum entsteht ventral
zwischen den Kopf läppen, das Proctodaeum ebenfalls in ventraler
Lagerung in der Nähe des Hinterendes (Fig. 467 m und «). Beide ver-
längern sich, das eine nach hinten, das andere nach vorn und stossen
schliesslich an den Mitteldarm, mit dessen Epithel ihre Wandung ver-
schmilzt (Fig. 457, 466, 467). Der After rückt aus der ventralen Lagerung,
welche er früher zeigte, mit dem Wachsthum des Embryos mehr nach
hinten (Fig. 452-454, pag. 729 und 730 und Fig. 466 a).
Als zwei blindsackförmige Ausstülpungen des Enddarmes entstehen
die Malpighi' sehen Gefässe, welche bei G e o p h i 1 u s allem Anschein
nach schon recht früh gebildet werden (Fig. 453 mg), während sie bei
Julus erst zur Zeit des Ausschlüpfens (d. h. der Sprengung der Ei-
schale, am 12. Tage der Entwicklung) zur Anlage kommen.
Die mesodermalen Bildungen.
Das Mesoderm erscheint zuerst als eine kielförmig nach innen vor-
ragende Verdickung am Blastoderm (Fig. 450, pag. 727, bei Julus nach
Heathcote) oder als eine einschichtige Platte von Zellen, welche sich
wie jene längs der Ventralseite erstreckt (so bei Geophilus nach
Sograff). Diese Mesodermanlage soll nicht allein durch Vermehrung
der Blastodermzellen ihre Entstehung nehmen, sondern grossentheils
auch von den im Dotter verbliebenen und nunmehr nach der ventralen
Oberfläche wandernden Zellen gebildet werden. Anfangs eine continuir-
liche Zellschicht, erfährt das Mesoderm entlang der Mittellinie eine Tren-
nung in zwei bandförmige Parthien, die Mesodermstreifen. Die Seg-
mentirung derselben tritt in der Weise hervor, dass entsprechend den
späteren Segmenten die Mesodermstreifen hintereinander liegende Ver-
dickungen erhalten, zwischen denen die Mesodermschicht sehr dünn wird.
Die Bildung der Höhle erfolgt sodann in den verdickten Parthien durch
Auseinandergehen der Zellen (Heathcote), womit das Ursegment fertig
und das somatische und splanchnische Blatt angelegt ist.
Sograff schildert die Entstehung der beiden Mesodermblätter abweichend
und in einer Weise, wie sie auch für Insecten verschiedentlich angegeben
worden ist. Er nimmt nämlich an, dass die einschichtige Zellplatte, welche
bei Geophilus unter dem ventralen Ectoderm liegt, an ihrem lateralen
Rand sich in dorsaler Richtung umbiegt und nach der Mittellinie hinwächst.
Myriopoden.
751
So würden zwei aneinander liegende Blätter gebildet und durch ihr Aus-
einanderweichen entsteht die secundäre Leibeshöhle. Aehnliches hat Kowa-
lewsky für Hydrophilus angegeben, ohne damit allerdings die Bestätigung
späterer Beobachter zu finden. Ein etwas ähnliches Verhalten nimmt Heymons
für Phyllodromia an (pag. 814). Nach Sograff sollen ausserdem noch
die im Dotter vertheilten Zellen an der Bildung des splanchnischen Blattes
theilnehmen, indem sie an die Peripherie rücken.
Die Zahl der angelegten Ursegmentpaare entspricht derjenigen der
zu bildenden Körpersegmente, und es ist von Wichtigkeit, dass für
jeden der mit zwei Bein paaren versehenen Kör per ringe
der Diplopoden zwei Paare von Ur Segmenten gebildet
werden, dass diese Körperringe sich also auch hierdurch als Doppel-
segmente erweisen (Heathcote). Von allgemeinerer Bedeutung erscheint
sodann die Thatsache, dass die Ursegmente der Myriopoden
sich in die Extremitäten-Anlagen hinein erstrecken und
diese hohl erscheinen lassen (Fig. 469 h.us). Dieses Verhalten
gleicht dem des Peripatus und
stimmt auch insofern mit ihm über-
ein, als sogar die Antenne mit dem
umfangreichen Divertikel einer Seg-
menthöhle erfüllt ist (Fig. 469 h.us
und at). Es würden somit die für
Verhalten
auch für
ge-
uvet>:
die
Peripatus an dieses
knüpften Erörterungen
Myriopoden Giltigkeit haben (vgl.
pag. 697). Jedenfalls erscheinen die
Extremitätendivertikel der . Segment-
höhlen als ein ursprüngliches Verhal-
ten, welches später verloren geht und
unter den Insecten nur bei den nie-
deren Formen (nämlich den Ortho-
pteren nach Graber, Cholodkowsky,
Heymons u. A.) erhalten bleibt.
F. Leibeshöhle, Blutgefässsystem,
Fettkörper und Muskulatur.
Der Zustand, in welchem das
Mesoderm durch zwei Reihen hinter-
einander gelegener Ursegmente re-
präsentirt wird, bleibt nicht lange er-
halten. Nach Heathcote theilt sich
jedes Ursegment in zwei Blasen, von denen die eine im Körper verbleibt
(somatischer Theil des Cöloms), die andere der betreffenden Extremität
zukommt (pedaler oder cruraler Theil des Cöloms), eine Erscheinung,
welche mit der ähnlichen, bei Peripatus stattfindende Zertheilung
der Ursegmente zu vergleichen ist.
Fig. 469. Querschnitt durch einen
Geophilusembryo , welcher als Keim-
streifen um den Dotter gerollt ist. Oben
ist der vordere, unten der hintere Theil
des Keimstreifens getroffen (nach So-
graff).
at Antenne, bg Bauchganglienkette,
d Dotter, dz Dotterzellen, h.us Höhlung-
der Ursegmente, welche sich in die
Extremitäten erstrecken, mes Mesoderm
(Wand der Ursegmente), o.sg oberes
Schlundganglion, vd Vorderdarm.
Im Einzelnen scheinen sich bezüglich der weiteren Ausbildungen der
beiden Ursegmenttheile für Peripatus und die Myriopoden gewisse
Differenzen zu ergeben. Durch die Untersuchungen von Heathcote sind diese
Verhältnisse noch nicht genügend klar gestellt und ein genaueres Studium
derselben muss als sehr erwünscht bezeichnet werden.
752 XXII. Capitel.
Verfolgen wir die Ausbildung der Ursegmente von vorn nach hinten,
so finden wir, dass das erste, dessen pedaler Abschnitt in der Antenne
liegt, zur Bildung der zur letzteren gehörigen Muskulatur, sowie der
Muskulatur des Kopfabschnittes überhaupt, verwendet wird. Die Urseg-
mente der Mandibeln werden in ähnlicher Weise zur Bildung von Muskeln
verbraucht, diejenigen des Maxillenseginentes sollen dagegen nach Heath-
cote's Darstellung eine andere, weiter unten noch zu besprechende Be-
deutung besitzen (Bildung der Speicheldrüsen).
Vom ersten Rumpfsegment an zeigen die beiden Abtheilungen des
Cöloms durchgängig eine Verschiedenheit ihrer Ausbildung. Während
die pedalen Cölomsäcke zur Ausbildung der Beinmuskulatur verbraucht
und aufgelöst werden, rücken die somatischen Parthien bei den Diplo-
poden gegen die Mittellinie hin, um sich über die Bauchganglienkette
zu lagern und hier später mit einander zu verschmelzen. Sie verhalten
sich also anders als bei Peripatus, bei dem sie an die Dorsalseite
des Körpers rücken und sich oberhalb des Darmes aneinander legen (vgl.
pag. 716 und Fig. 444, pag. 714). Wie dort bilden sie aber auch hier
die Geschlechtsdrüsen und da diese bei den Chilopoden dorsal vom
Darm gelagert sind, könnte man bei diesen Formen eine noch grössere
Uebereinstimmung mit dem Verhalten des Peripatus erwarten, als
sie bei den Diplopoden stattfindet.
Bei der angedeuteten Diflferenzirung der beiden Abtheilungen der
Ursegmente scheinen auch zusammenhängende Zellschichten gebildet zu
werden, welche sich über der Ganglienkette und in der Umgebung des
Darmes anordnen (Fig. 468 so und sp), wenigstens spricht Heathcote von
einer mesodermalen Bekleidung dieser Theile, welche er (wohl nicht ganz
correct) als somatisches und splanchnisches Blatt bezeichnet. Die eigent-
liche Leibeshöhle ist ein Pseudocöl und sie bietet insofern ganz besondere
Verhältnisse dar, als sich, wie schon früher (pag. 749) erwähnt, die
grösste Masse des Dotters ausserhalb des Mitteldarines lagert und in
Folge dessen in die Leibeshöhle zu liegen kommt (Fig. 467 und 468 B,
pag. 749). In dem Dotter sind noch immer Zellen enthalten und ihnen
hat man eine grosse Bedeutung für die Ausbildung des Blutgefäss-
systems, sowie des Fettkörper- und Bindegewebes zugeschrieben (Sograff,
Heathcote).
Wie schon erwähnt, trägt das von den Ursegmenten herstammende
Zellmaterial zur Bildung der die Leibeshöhle begrenzenden Gewebs-
parthien und besonders der Muskulatur bei. Aus den Figuren 468 A
und B ist zu ersehen, dass eine Mesodermzellenschicht (so) anfangs dem
ventralen Ectoderm und der Ganglienkette dicht anliegt, mit deren Los-
lösung vom äusseren Blatt aber ebenso wie diese selbst in den Dotter
verlagert wird. Es scheinen bei diesen, allerdings noch nicht genügend
festgestellten Vorgängen, kleinere Parthien des Dotters zwischen jene
Theile und das Ectoderm einzudringen (Fig. 468 A und B, d). Anderer-
seits geht wohl daraus hervor, dass auch die von den Ursegmenten her-
stammenden mesodermalen Elemente sich im Dotter verbreiten und die
hier zur Ausbildung gelangenden Organe nicht nur auf Piechnung der
im Dotter enthaltenen Zellenelemente zu setzen sind.
Bei den Chilopoden bildet sich das Mitteldarmepithel an der
Peripherie des Dotters und dieser kommt also ins Innere des Darmes
zu liegen. Man sollte glauben, dass in diesem Falle das mesodermale
Gewebe von den Ursegmenten herzuleiten wäre und doch nimmt Sograff
an, dass an den Seitentheilerf sowie am Rücken des Embryos, bis wohin
Myriopoden. 753
sich die Ursegmente nicht ausgebreitet haben, ein aus sternförmigen
Zellen bestehendes Parenchymgewebe auftritt, welches von den im Dotter
verbliebenen Zellen herstammt1). Diese sollten schon früher an der Bil-
dung des (hauptsächlich durch Umschlagen der zuerst vorhandenen Zellen-
platte entstandenen) splanchnischen Blattes theilgenommen haben, indem
sie aus dem Dotter an die Peripherie rückten. In ähnlicher Weise, muss
man nach Sograff's Auffassung annehmen, treten auch später, jedoch
bevor die Bildung des Mitteldarmepithels erfolgt ist, Wanderzellen aus
dem Dotter zur Bildung jenes Parenchymgewebes heraus. Daraus sollen
dann das Bindegewebe der Leibeshöhle, der Fettkörper und die Blut-
zellen hervorgehen, in ähnlicher Weise wie diese Gebilde bei den Diplo-
poden aus dem schon an und für sich in der Leibeshöhle gelegenen,
mit Zellen erfüllten Dotter ihren Ursprung nehmen. Die Dottermasse
wird in diesem letzteren Falle offenbar immer stärker von Zellen durch-
setzt; der Dotter selbst erscheint in den Lücken des Pseudocöls gelegen
und wird hier allmählich aufgesaugt, wie es scheint. Seine Spuren sind
noch als ziemlich umfangreiche, Oeltropfen ähnliche Gebilde in dem
zelligen Netzwerk zu erkennen, welches den Fettkörper der Larven
repräsentirt. Mit der allmählichen Resorption des Dotters und der gleich-
zeitigen weiteren Ausbildung der mesodermalen Elemente, geht die vor-
her mit compakter Dottermasse erfüllte primäre Leibeshöhle der Diplo-
poden (Fig. 467 und Fig. 468 B) zuerst in ein von zelligem Maschen-
werk gebildetes Pseudocöl und schliesslich in die definitive Gestaltung der
Leibeshöhle über.
Die Bildung der Leibeshöhle bei den Diplopoden scheint Aehnlich-
keit mit derjenigen von Moina zu haben. Auch bei dieser Form liegt, wie
schon erwähnt, der Nahrungsdotter in der primären Leibeshöhle (vgl. pag.
328). Er wird von Zellen durchwachsen, welche sich von den Mesoderm-
streifen ablösten , deren Natur als echte Mesodermzellen also nicht zweifel-
haft sein dürfte. Diese Zellen tragen später ebenfalls zur Bildung des Blut-
gewebes bei. Ein ähnliches Schicksal haben wahrscheinlich auch die im Pseudocöl
der Embryonen von Musca zurückbleibenden Dotterparthien (pag. 832).
Die Bildung des Herzens soll bei den Diplopoden eben-
falls auf die im Dotter enthaltenen Zellen zurückzuführen sein (?) Die-
selben ordnen sich im Pseudocöl zu einem dorsal gelegenen Rohr an.
Dieses erscheint anfangs noch unvollkommen geschlossen und gewinnt
erst später einen festeren Zusammenhalt. Regelmässig gelagerte Oeff-
nungen (Spaltenpaare), welche in ihm verbleiben, stellen die Ostien dar.
In jedem Doppelsegment der Diplopoden kommen zwei Paare Ostien
zur Ausbildung. Desgleichen besitzt jedes Doppelsegment zwei Paar von
Arterien, welche in etwas mehr ventraler Stellung vom Herzen abgehen
und direct in die Räume des Pseudocöls führen. Ventral vom Herzen
wird ein Pericardialseptum gebildet, welches den gleichen Ursprung hat
wie das Herz selbst (Heathcote).
Nach Sograff's Darstellung entsteht das Herz von Geophilus
aus einer Reihe paariger, dem jetzt schon zur Ausbildung gekommenen
Darm aufliegender Zellenanhäufungen (Fig. 470 A). Wenn gesagt wird,
1) Wir glauben die betreffende Auffassung Sograff's in richtiger Weise wiederzu-
geben, obwohl es schwer ist, aus der russisch geschriebenen Abhandlung ein volles
Verständniss dieser einigennassen verwickelten Eildungsvorgäuge zu gewinnen.
754
XXII. Capitel.
dass dieselben dem splanchnischen Blatt zugehören, so ist damit wohl
kaum vom splanchnischen Blatt im eigentlichen Sinne die Rede, sondern
gewiss eine dem Parenchymgewebe entstammende Bekleidung des Darmes
gemeint. In diesem Sinne spricht jedenfalls auch Heathcote von einem
splanchnischen und somatischen Blatt (Fig. 468 sp und so). In jenen Zell-
anhäufungen, von denen jedes Paar einer späteren Herzkammer entspricht
und einem Körpersegment zugehört, treten Höhlungen auf (Fig. 470 B).
Von den so gebildeten Säcken verschmelzen die beiden zu einein Paar
gehörigen mit einander, indem sie sich in der Mittellinie zu einem einzigen
Sack vereinigen. So ist eine Herzkammer gebildet, und die Continuität
der hintereinander liegenden
Kammern repräsentirt das
ganze Rückengefass (Fig.466).
Diese Bildung des Herzens
zeigt eine grosse Ueberein-
stimmung mit dem aus paari-
ger Anlage hervorgehenden
Rückengefass der Anneliden
(vgl. pag. 193), und wenn
sie sich als richtig erweist,
so würden allem Anschein
nach die Chilopoden in
dieser Beziehung ursprüng-
lichere Verhältnisse aufwei-
sen, als sie selbst Peripa-
ftv. _
sie
tus besitzt.
Freilich ist dies
vorläufig nur
ganz
mit Re-
Fig. 470. A und B Theile von Qaer:
chnitten
f e r r u -
durch
durch ältere Embryonen von Geophilus
gineus (nach Sograff). Die Schnitte sind
die hintere Parthie des Körpers geführt.
d Dottermasse mit Dotterzellen, dm Dorsal-
muskeln, fk Fettkörpergewebe, fl Flügelmuskeln
des Herzens, g Anlage der Genitaldrüsen, h die
paarige Anlage des Herzens, m Muskulatur, md
Mitteldarm, we* mesodermale Bekleidung des Darmes,
mp Malpighi'sche Gelasse.
serve auszusprechen, eine er-
neute Untersuchung der
Myriopodenentwicklung aber
auch in dieser Hinsicht wie
in vielen anderen als sehr
erwünscht zu bezeichnen.
Die Körpermuskula-
tur nimmt ihre Entstehung
aus den der ectodermalen
Körperwand sich anlagernden
mesodermalen Elementen,
über deren Abstammung nichts
Sicheres bekannt ist, wie be-
reits früher erwähnt wurde.
G. Die Speicheldrüsen.
Obwohl man von vornherein geneigt ist, die Speicheldrüsen der
Myriopoden für homolog mit denen der Insecten zu halten und sie dem-
entsprechend wie diese als ectodermale Bildungen anzusehen, so muss
man sie auf Grund der bisher vorliegenden Angaben (von Heathcote)
doch zu den mesodermalen Gebilden zählen. Danach sollen die Speichel-
drüsen durch schlauchförmiges Auswachsen des somatischen Abschnittes
vom Ursegment des Unterkiefersegmentes gebildet werden. Wenn der
Schlauch schon ziemlich lang geworden ist, öffnet er sich erst durch Ver-
Myriopoden. 755
Schmelzung mit dem Ectoderm jederseits an der Basis der Unterkiefer-
platte nach aussen.
Wenn sich die Entstehung der Speicheldrüsen aus dem Mesoderm wirk-
lich bestätigen sollte, so hätte man sie für umgewandelte Nephridien zu
halten, während man die Speicheldrüsen der Insecten infolge ihres ecto-
dermalen Ursprungs wohl als Cruraldrüsen ansehen muss. Die Speicheldrüsen
der Myriopoden würden dann in gleicher Weise wie diejenigen des Peri-
patus gebildet werden (vgl. pag. 714), allerdings soll es dort die äussere,
nicht die innere Abtheilung des Ursegmentes sein, welche sie entstehen lässt.
Was übrigens die Frage der directen Homologie der Speicheldrüsen bei den
Myriopoden und bei Peripatus betrifft, so ist dieselbe identisch mit
derjenigen nach der Homologie der Mundgliedmaassen beider Gruppen. Die
Speicheldrüsen von Peripatus gehören dem Segment der Oralpapillen zu
und die Frage, wie diese Anhänge sich zu den Mundwerkzeugen der Myrio-
poden verhalten, soll an anderer Stelle erledigt werden (pag. 906).
An und für sich müssen wir sagen, dass uns die Entstehung der Speichel-
drüsen aus dem Mesoderm nicht sehr wahrscheinlich ist. Uebrigens besitzen
die Myriopoden mehrere Paare von Speicheldrüsen (Herbst, No. 9) , welche
den einzelnen Kopfsegmenten zukommen, so wie sich die Speichel drüsenpaare
auf die Segmente der Mandibeln, Maxillen und Unterlippe bei den Insecten
vertheilen. Nichts liegt näher, als an eine Homologie dieser Gebilde bei
Insecten und Myriopoden zu denken. Immerhin würde es möglich sein, dass
wie bei Peripatus Drüsen mesodermalen und ectodermalen Ursprunges neben
einander vorhanden sein könnten. Es würde also nöthig sein, vor allen
Dingen den Entwicklungsmodus dieser Drüsen genau festzustellen.
Sind die Speicheldrüsen oder Kopfdrüsen , wie sie Herbst mit einem
indifferenten Namen nennt, denn es sind auch Spinndrüsen darunter, sind
diese Drüsen ectodermaler Natur, so Avürde man sie als Cruraldrüsen anzu-
sehen haben. Solche (wahrscheinlich ectodermale) Drüsen finden sich auch
am Rumpf der Myriopoden vielfach vor und werden den Cruraldrüsen des
Peripatus, sowie weiterhin den Parapodialdrüsen der Anneliden ver-
glichen. Die betreffenden Drüsen der Myriopoden sind sehr mannigfacher
Natur. Eine ausführliche Darstellung dieser Verhältnisse findet sich bei
Eisig (No. 2). Dieser Forscher war übrigens geneigt, die Wehrdrüsen,
welche wir oben nach den Untersuchungen von Metschxteoff und Heath-
cote als ectodermal schilderten, als umgewandelte Nephridien anzusehen.
H. Die Genitalorgane.
Das Wenige, was man bis jetzt über die Bildung der Genitalorgane
weiss, bezieht sich auf die Geschlechtsdrüsen der Diplopoden. Die-
selben gehen wie bei Peripatus aus dem somatischen Theil der Ur-
segmente hervor, der aber nicht wie dort gegen die Dorsalseite vorrückt,
sondern in ventraler Lagerung verbleibt. Zur Bildung der Geschlechts-
drüsen wird eine grössere Anzahl von Ursegmenten verwendet. Die
somatische Farthie derselben rückt gegen die Medianlinie hin und lagert
sich über die Bauchganglienkette. Die Cölomsäcke der rechten und
linken Seite jedes Segmentes berühren sich in der Mittellinie. Ungefähr
zur Zeit, wenn der Embryo ausschlüpft, verschmelzen sie beide mit ein-
ander, so dass ihre Höhlungen zusammenfliessen, und indem sich auch
die hinter einander liegenden Cölomsäcke vereinigen, wird ein längeres
Rohr gebildet, welches zwischen Bauchganglienkette und Darm gelegen
ist. Damit ist die Genitalröhre gebildet.
756 XXII. Capitel.
Ueber das Verhältniss der Genitalröhre zu den Ausführungsgängen, so-
wie über deren Entstehung und Bedeutung fehlen sichere Angaben. Bei
Peripatus entsprechen die Ausführungsgänge bekanntlich einem Paar Ne-
phridien. Sie münden hinten am Körper aus. Bei den Myriopoden besitzt
diese Frage deshalb ein besonderes Interesse, weil die Genitalorgane bei den
Chilopoden hinten (am vorletzten Körpersegment), bei den Diplopoden
dagegen ziemlich weit vorn (hinter dem zweiten Beinpaar) ausmünden. Wir
sind geneigt, das Verhalten der Chilopoden für das ursprünglichere zu halten
und bei den Diplopoden eine secundäre Verlagerung der Ausführungs-
gänge nach vorn anzunehmen, welcher Vorgang noch am ehesten durch die
Verwendung eines anderen Nephridienpaares zu erklären ist. An eine Ver-
schiebung der Geschlechtsöffnung durch Eintreten der Knospung hinter diesem
Segment und Ausfallen vorderer Segmente zu denken, scheint ganz unstatthaft.
Die Lagerung der Geschlechtsdrüsen erscheint uns bei den Chilo-
poden ebenfalls ursprünglicher und wie die Lage der Ausführungsgänge mehr
dem Verhalten von Peripatus entsprechend. Sie liegen nämlich dorsal
vom Darm und erscheinen beim Embryo als zwei Zellenanhäufungen neben
dem Rückengefäss (Fig. 470 B, g). Leider fehlt bisher eine genauere
Kenntniss ihrer Entstehung.
Allgemeines.
Bei der Betrachtung der Myriopodenentwieklung drängen sich zwei
wichtige Fragen auf, nämlich die, ob sich durch die Entwicklungs-
geschichte der Myriopoden nähere Beziehungen derselben zu dem Peri-
patus ergeben, und wie sie sich zu der Insectenentwicklung ver-
hält. Da uns die Myriopoden in gewissem Sinne als Mittelformen
zwischen den Insecten und Onychop hören erscheinen, liegen diese
Fragen sehr nahe. Freilich muss dazu sofort bemerkt werden, dass die
Entwicklung der Myriopoden bisher noch zu wenig bekannt ist, um auf
jene Fragen eine so befriedigende Antwort zu geben, wie man sie viel»
leicht von ihr erwarten dürfte.
Schon bezüglich der ersten Entwicklungsvorgänge der Myriopoden-
eier schweben wir im Hinblick auf einen Vergleich mit Peripatus
ziemlich im Ungewissen. Den Myriopodeneiern kommt eine superficielle
Furchung mit Zerklüftung des Dotters zu, und Aehnliches ist auch für die
dotterreichen Eier des neuseeländischen Peripatus angegeben worden
(Fig. 418.4, pag. 680). Die Eier der anderen Peripatus arten furchen
sich total, wie wir sahen, doch Hess sich dieses Verhalten mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit als ein secundäres darstellen. Es ist übrigens hierbei
von Interesse, dass man auch den niederststehenden Insecten (Po duren)
eine totale Furchung zugeschrieben hat, obwohl sichere Nachrichten
hierüber noch abzuwarten sind.
Die Keimblätterbildung der Myriopoden ist noch zu wenig bekannt,
als dass sich darauf sichere Schlüsse bauen Hessen, dagegen bietet die
äussere Körpergestaltung einige, wenn auch nicht sehr sichere Vergleichs-
punkte. Es wurde gezeigt, dass der Myriopodenembryo bereits in früher
Zeit der Entwicklung eine starke ventrale Krümmung erleidet, die zu
einer Versenkung des ganzen Keimstreifens in den Dotter führen kann
(Fig. 455 — 458, pag. 731 und ff.). Aehnliches könnte aus den Angaben
und Zeichnungen von L. Sheldon für Peripatus entnommen werden,
und es scheint nicht unmöglich, dass diese Entwicklungsvorgänge der
Myriopoden und Insecten auch bei Peripatus schon vorbereitet sind.
Myriopoden. 757
Als Merkmal einer ziemlich niederen Stufe der Entwicklung und
gleichzeitig als Vergleichungspunkte mit der Peripatusentwicklung dürften
die vermeintlichen Ventralorgane (von Kopf und Rumpf), die Fortsetzung
der Ursegmente in die Extremitäten, besonders in die Antennen, das Ver-
halten der ectodermalen (dural-) Drüsen und der (vielleicht dem Meso-
derm entstammenden) Speicheldrüsen, die zweitheilige Anlage des Herzens
und die ähnlich wie bei Peripatus erfolgende Bildung der Genitalorgane
anzusehen sein ; aber leider sind unsere Kenntnisse der betreffenden Ent-
wicklungs-Vorgänge nicht ausreichend, um diese Vermuthungen zu einiger
Sicherheit zu erheben. Besser steht es um die Kenntniss der ausgebil-
deten Thiere, und in dieser Beziehung macht es die Beschaffenheit der
Mund Werkzeuge, die Gliederung des Nervensystems, der Bau der Augen,
das Vorhandensein der MALPiomVlien Gefässe, sowie das Verhalten des
Blutgefässsystems und der Leibeshöhle zweifellos, dass die Myriopoden
in naher Verwandtschaft zu den Insecten stehen. Den bei weitem auf-
fälligsten Uebereinstimmungspunkt bilden die Tracheen. Sie sind von
ganz gleicher Beschaffenheit wie bei den Insecten. Wenn wir diesem
Punkt hier so grosse Wichtigkeit zuschreiben, während wir ihn bei der
Vergleichung der Arachniden mit den Insecten nicht (pag. 638) gelten
Hessen, so liegt dies daran, dass sich eine Ableitung der langgestreckten
und ziemlich homonom gegliederten Myriopoden von peripatusähnlichen,
bereits mit Tracheen versehenen Formen von selbst darbietet, während
einer derartigen Ableitung der Arachniden grosse Schwierigkeiten entgegen-
stehen, welche bereits früher eingehender besprochen wurden (pag. 635).
Trotz der grossen Uebereinstimmung des Tracheensystems der Myrio-
poden und Insecten im ausgebildeten Zustand, scheint bei den ersteren
doch eine Thatsache auf das Verhalten des Peripatus hinzuweisen.
Wie bei diesem treten auch bei den Myriopoden die Tracheen sehr spät
auf; sie sollen erst zur Zeit der postembryonalen Entwicklung gebildet
werden, während sie bei den Insecten bereits in frühen Stadien der
Embryonalentwicklung zur Anlage kommen.
Als eine Thatsache von grösserer Bedeutung könnte auf den ersten
Blick das Auftreten von Jugendformen erscheinen, welche nur mit ver-
hältnissmässig wenigen Segmenten und noch weniger Gliedmaassenpaaren
ausgestattet sind, um so mehr, da dieselben eine grosse Aehnlichkeit im
Habitus mit den Jugendformen der niedrigststehenden Insecten, nämlich
der Thysanuren, besitzen. Wir kommen damit zu der Frage, ob die
reiche Segmentzahl des Myriopodenkörpers überhaupt einen primitiven
Zustand darstellt oder als ein erworbener Charakter anzusehen ist. Wir
möchten diese Frage dahin beantworten, dass die Stammform der Myrio-
poden allerdings eine aus einer ziemlich grossen Anzahl von Segmenten be-
stehende, ähnlich wie Peripatus homonom gegliederte Form war, aber
wir möchten mit E. Haase (No. 5) annehmen, dass die grosse Zahl von
Segmenten, wie wir sie jetzt bei den Myriopoden finden, eine spätere
Erwerbung dieser Formen darstellt. Man hat diese immer weiter fort-
schreitende Verlängerung des Körpers durch die Lebensweise der Myrio-
poden erklärt, welche eine derartige Ausbildung des Körpers mit sich
bringt, ähnlich wie bei den Schlangen unter den Wirbel thieren. Es ist
von Interesse, wie diese Verlängerung des Körpers auch eine Modification
der morphologischen Charaktere desselben zur Folge hat. Bei den aus
zahlreichen Segmenten bestehenden Chi lop öden schieben sich nämlich
in die weiche intersegmentale Bauchhaut unpaare Chitinplatten ein, welche
bei den kürzeren Chilopoden nur wenig entwickelt sind, mit zunehmender
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 49
758 XXII. Capitel.
Länge und Segmentzahl jedoch zu breiteren Bauchplatten, den unpaaren
Scuta, werden (Haase, No. 6).
Die für Insecten und Myriopoden gemeinsame Urform hat man vielfach
in der Nähe der S y m p h y 1 e n gesucht ; aber Scolopendrella, welcher
man wegen ihrer auffallenden Uebereinstimmung mit den Thysanuren
(Fig. 534 und 535, pag. 880) diese hohe Bedeutung beilegte, zeigt eben-
sowohl wie die letzteren selbst gewisse Organisationsverhältnisse, welche
sie so wenig wie diese als eine vollständig ursprüngliche Form erscheinen
lassen. Wir zweifeln zwar nicht daran, dass die Symphylen sowohl wie
die Thysanuren sehr alte Formen sind, möchten aber für die Myriopoden
eine noch ursprünglicher organisirte Stammform in Anspruch nehmen,
von welcher sich die Symphylen bereits etwas, die Thysanuren aber
noch mehr entfernt haben. Die Differenz! rung eines Thorax, welche die
letzteren als wichtigen Charakter bereits besitzen, während sie bei den
Myriopoden erst angedeutet erscheint, wird bei Behandlung der Insecten
(pag. 880) besprochen werden.
Die Myriopoden, welche mit wenig Segmenten und mit nur drei
wohlausgebildeten Beinpaaren wie die meisten Insectenlarven das Ei ver-
lassen, sind die Diplopoden; die Chilopoden schlüpfen stets mit
einer grösseren oder der vollen Anzahl von Segmenten und Beinpaaren
aus dem Ei. Man würde geneigt sein, dieses Verhalten als das ursprüng-
lichere anzusehen, zumal auch Peripatus beim Ausschlüpfen die volle
Segmentzahl besitzt, wenn nicht die gesammte Organisation es zweifel-
haft erscheinen Hesse, welche von den beiden Abtheilungen die ursprüng-
lichere ist, die Chilopoden oder die Diplopoden.
Wie die spätere Entwicklung scheint auch die Einkrümmung des
Embryos bei den Chilopoden auf eine ursprünglichere Weise zu verlaufen,
da sie nur als eine Folge des Längenwachsthums erscheint, während die
frühe Einknickung des Keimstreifens der Diplopoden eine solche
natürliche Erklärung nicht zulässt, sondern viel eher als ein abgeleitetes
Verhalten angesehen werden muss. Dagegen scheint die drehrunde Ge-
stalt des Diplopodenkörpers einen ursprünglicheren Zustand darzustellen,
da auch der Chilopodenembryo drehrund ist und erst nach dem Aus-
schlüpfen die dorsoventrale Abplattung erfährt.
Während bei den Chilopoden jeder Körperring ein Beinpaar trägt,
sehen wir bei den Diplopoden je zwei Segmente zu einem Körperring
verschmelzen, der nunmehr mit zwei Beinpaaren versehen ist. Die Ent-
wicklungsgeschichte hat gezeigt, dass für jeden Körperring der Diplopoden
zwei Ursegmentpaare und zwei Ganglien angelegt werden; somit ist die
Natur dieser Körperringe als Doppelsegmente nicht mehr zweifelhaft.
Hierin liegt sicher ein secundärer Charakter der Diplopoden; dafür ver-
halten sich aber ihre Mundtheile insofern einfacher, als die Diplopoden wahr-
scheinlicher Weise nur ein Paar Unterkiefer besitzen, bei den Chilopoden
aber zu diesem Paar noch zwei weitere Extremitätenpaare als Hilfswerk -
zeuge bei dem Kaugeschäft hinzugezogen werden. — Das Tracheensystem
ist bei den Diplopoden einfacher, bei den Chilopoden hingegen compli-
cirter gestaltet, dafür tritt aber wieder bei den letzteren ein ursprüng-
licheres Verhalten der Genitalorgane hervor, indem die Geschlechtsdrüsen
dorsal vom Darm angelegt werden (wie bei Peripatus) und diese Lagerung
beibehalten, während sie bei den Diplopoden ventral vom Darm gefunden
werden. Im ersteren Falle gehört die Geschlechtsöffnung dem vorletzten
Körpersegment an, im letzteren liegt sie dem vorderen Körperende ge-
nähert zwischen dem zweiten und dritten Rumpfsegment. Wir werden
Myriopoden. 759
kaum daran zweifeln, dass die Lagerung der Geschlechtsöffnung am
hinteren Körperende den urprünglichen Zustand darstellt und im anderen
Falle eine Modification dieses ursprünglichen Zustandes eingetreten ist.
Wenn zu alledem hinzukommt, dass die Diplopoden für die paläonto-
logisch älteren, die Chilopoden für die jüngeren Formen gelten, so wird
man nur sagen können, dass auch sie sich schon früh von der gemein-
samen Stammform getrennt Infben und jeder Zweig, sich für sich weiter
entwickelnd, neue Charaktere erwarb, aber auch alte Merkmale beibe-
hielt, welche jedoch in beiden Gruppen in Folge der getrennten Fort-
entwicklung nicht die gleichen waren.
Das wichtigste Merkmal in der Organisation der Myriopoden ist die
gleichartige Ausbildung der Rumpfsegmente und der damit im Zusammen-
hang stehende Besitz von Gliedmaassen an allen oder doch beinahe allen
Rumpfsegmenten. Dieses Merkmal verleiht den Myriopoden einen be-
sonders primitiven Charakter und nähert sie denjenigen segmentirten
Formen, welche ebenfalls eine homonome Gliederung des Körpers auf-
weisen, nämlich dem Peripatus und den Anneliden.
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XXIII. Capitel.
I N S E C T B N.
Systematik (nach Brauer No. 146):
A. Apterygogenea.
a. Thysanura (Campodea, Japyx, Machilis, Lepisma)
b. Collembola (Podura, Sminthurus).
B. Pterygogenea.
a. Dermaptera (Forficula).
E p h e m e r i d a e.
Odonata (Libellulidae).
Plecoptera (Perlariae).
Orthoptera genuin a (Blattidae, Phasmidae,
Mantidae, Saltatoria).
Corrodentia (Termitidae, Psocidae, Mallo-
phaga).
Thysanoptera (Physapoda, Thrips).
h. Khynchota.
i. Neuroptera (Sialidae, Megaloptera).
k. Panorpatae.
1. Trichoptera (Phryganea).
m. Lepidoptera.
n. Diptera.
o. Siphonaptera.
p. Coleoptera.
q. Hy menoptera.
b.
c.
d.
e.
f.
g-
Homomorpha.
Heteromorpha.
I. Embryonalentwicklung.
1. Eiablage und Bau des reifen Eies.
Die Eier der meisten Insecten werden abgelegt. Nur verhältniss-
mässig wenige Formen sind vivipar, z. B. die parthenogenetischen Gene-
rationen der Apilid en, manche Dipteren (Sarcophaga, T ach inen,
Oestriden, Pupiparen, Cecidomyialarven), die Stylopiden
und einige Käfer (manche Staphylinen). Die abgelegten Eier zeigen sich
durch die mannigfaltigsten Einrichtungen gegen äussere Schädlichkeiten
geschützt, sei es, dass sie an einer Unterlage festgeklebt werden, oder in
762 XXIII. Capitel.
das Wasser, unter die Erde oder in das Innere von Pflanzentheilen ab-
gelegt werden. Im letzteren Falle wird durch die Eiablage vielfach zur
Entstehung von Pflanzenauswüchsen (Gallen) Veranlassung gegeben. Jene
Insecten, deren Larven als Parasiten in der Leibeshöhle anderer Insecten
leben (Pteromalinen), pflegen ihre Eier in den Körper der künftigen
Wirthe abzulegen, wo dann die embryonale und postembryonale Ent-
wicklung durchlaufen wird. Manche Insecten setzen ihre Eier von einem
Gespinnst umschlossen ab. Andere umhüllen dieselben mit einem Secret,
welches bei den in das Wasser abgelegten Eiern gallertartig aufquillt
(Laichmassender Culiciden und Phryganiden), bei anderen an der
Luft zu einer festeren Kapsel erhärtet (sog. Eicocon von Periplaneta
und von Mantis) etc.
Die Eier der Insecten zeichnen sich meist durch ihre ansehnliche
Grösse aus. Hinsichtlich ihrer Form zeigen sie grosse Mannigfaltigkeit;
im Allgemeinen herrscht die ovale, nach der Richtung der Längsaxe ge-
streckte Grundform vor. Bei diesen ist häufig durch beträchtlichere
Krümmung der einen Längsseite ein Unterschied der späteren Dorsal-
und Ventralseite angedeutet (vgl. Fig. 471 d und v).
Das reife Ei ist von zwei Hüllen eingeschlossen, einer inneren, vom
Ei durch Erhärtung der Aussenschicht selbst producirten, der Mem-
brana vi teil i na (Dotterhäutchen, Fig. 471 dh) und einer äusseren,
von den Follikelzellen abgeschiedenen, dem Chorion (ch); das letztere
zerfällt zuweilen wieder in zwei Schichten, eine innere, das Endochorion,
und eine äussere, das Exochorion. Während sich das Dotterhäutchen ge-
wöhnlich als völlig homogene, zarte, structurlose Membran darstellt, be-
hält das Chorion nur selten eine ähnliche Beschaffenheit bei. In den
meisten Fällen entsteht durch netzartig verlaufende Verdickungsleisten
(den Ausdruck des zelligen Baues des Follikelepithels) ein für die ver-
schiedenen Gattungen und Arten äusserst mannigfaltiges Relief der
Oberfläche.
Das Chorion zeigt eine oder mehrere Durchbrechungen zum Durch-
tritt der Spermatozoen (Micropylen, Fig. 471 m) und da in der Um-
gebung dieser Micropylen das Chorion meist eine andersartige Beschaffen-
heit annimmt, so entsteht auf diese Weise ein häufig ungemein compli-
cirter Micropylapparat, in dessen Umkreise das Dotterhäutchen an das
Chorion festgeheftet erscheint (vgl. Fig. 471), so dass die Durchbohrung
sowohl das Chorion, als auch das Dotterhäutchen durchsetzt.
Wir unterscheiden an den Insecteneiern stets einen vorderen und
hinteren Eipol. Als vorderer Pol wird jener bezeichnet, der im Mutter-
leibe gegen das Kopfende der Mutter zu gelagert ist, also dem oberen
Ende der Ovarialröhre entspricht. An diesem vorderen Pole liegt in
den späteren Stadien der embryonalen Entwicklung stets das Kopfende
des Embryos, während dessen Hinterende dem hinteren Pole des Eies
zugewendet ist. Der Micropylapparat ist in den meisten Fällen am vor-
deren Pole des Eies gelagert.
Häufig ist dem Micropylfelde aussen eine Kappe von Gallertmasse (Fig.
471 g) aufgelagert, welche sich als Hülle über einen grossen Theil des Eies
oder die gesammte Oberfläche desselben ausdehnen kann.
An dem Eie selbst trennt sich in den meisten Fällen eine ober-
flächliche, aus Protoplasma oder Bildungsdotter bestehende Schicht
(Fig. 471 fy von den inneren Parthien des Eies , die zum grossen
Theil aus Nahrungsdotterelementen (do) zusammengesetzt sind. Die
oberflächliche Protoplasmaschicht, welche Weismann (No. 87) als Keim-
Insecten.
763
hautblastem bezeichnete, wurde bisher nur in wenigen Fällen voll-
ständig vermisst, doch stellt sie meist nur eine ganz dünne Schicht von
geringer Mächtigkeit dar, deren Masse gegenüber der Menge des central
gelagerten Nahrungsdotters eine fast verschwindende zu nennen ist. Nur
gewisse Eier kleinerer Insectenformen müssen als verhältnissmässig dotter-
arm bezeichnet werden. Es sind dies zum Theil Formen, bei denen die
aus dem Ei entschlüpfenden Jugendstadien durch geringe Grösse sich
kennzeichnen (ovipare Aphiden), oder bei denen auf anderweitige Weise
für die Ernährung des sich entwickelnden Eies gesorgt ist, sei es,
dass dasselbe im Mutterleibe zur Entwicklung
kommt (vivipare Aphiden) , sei es , dass es
endoparasitisch in der Leibeshöhlenflüssigkeit
anderer Insecten seine Entwicklung durchläuft
(Pteromalinen). Bei allen diesen Formen ist
die Dotterarmuth von maassgebendem Einflüsse
auf den Ablauf der Embryonalentwicklung, wie
wir später sehen werden. Wahrscheinlich sind
aber diese Abänderungen secundäre, und das r_
mit reichen Nahrungsdotterm engen versehene
Ei ist wohl als der ursprüngliche Typus des
Insecteneies zu betrachten.
Die centrale, dotterreiche Masse (äo) des
Insecteneies besteht zum grössten Theile aus
Nahrungsdotterkugeln, ferner aus kugeligen
Fetttropfen, zwischen denen ein feines Netz-
werk von Protoplasma (Bildungsdotter) sich aus-
dehnt. Die Elemente des Nahrungdotters er-
scheinen als stark lichtbrechende, kugelige oder
durch gegenseitigen Druck polygonal abgeplat-
tete, anscheinend structurlose, homogene Körper.
Das Keimbläschen des reifenden Insecten-
eies ist in den centralen Parthien desselben
gelagert und zeigt sich als grosser bläschen-
förmiger, mit spärlichem Chromatingerüst ver-
sehener Zellkern. Gegen das Ende der Ei-
reifung rückt er an die Oberfläche des Eies
und wandelt sich daselbst in eine Bichtungs-
spindel um (Blochmank, No. 5).
d
Die Lage der Richtungsspindel ist für die
einzelnen Insectengruppen eine verschiedene. Bei
einigen (Pieris) liegt sie direct am vorderen Ei-
pole, bei den meisten dagegen an einer Längs-
seite des Eies. So fand sie Blochmank (No. 5)
bei Blatt a in der Mitte der Rückenseite und
auch bei Mus ca an der concaven (Rücken-)Seite
des Eies, 1/s — 1U der Gesammtlänge (vgl. Fig.
471 r) hinter dem vorderen Eipole. Bei den
Ameisen findet sie sich auch seitlich, doch dem
vorderen Eipole genähert, während sie bei den
Aphiden die Mitte einer Längsseite des Eies ein-
nimmt. Bei Hydrophilus (Heidek) liegt sie etwas
hinter der Mitte einer Längsseite.
Fig. 471. Schematischer
Medianschnitt durch das Ei
von Mnsca im Stadium der
Befruchtung (im Anschlüsse
an Zeichnungen von Henking
und Blochmann).
ch Chorion, d Dorsalseite
des Eies, dh Dotterhäutehen,
do Nahrungsdotter, g Gallert-
aufsatz über der Micropyie,
k oberflächliche Plasmarinde
(sog. Keimhautblastem) , m
Micropyie, p männlicher und
weiblicher Pronucleus vor der
Copulation,rKichtungskörper,
v Ventralseite des Eies.
764 XXIII. Capitel.
2. Furchung und Blastodermbildung.
Die Furchung verläuft bei den Insecten1) ganz allgemein nach dem
bei den Arthropoden so sehr verbreiteten reinen superfiziellen Typus
(vgl. oben pag. 316). Der (bei den befruchteten Eiern aus der Ver-
einigung des Spermakerns mit dem 2 Pronucleus hervorgegangene) erste
Furchungskern rückt nach dem Inneren des Eies, um sich daselbst auf dem
Wege der indirecten Kerntheilung zu vermehren (vgl. Fig. 473 A, pag. 766
und Fig. 516 A, B, C, f, pag. 845). Die Entstehung zahlreicher Furchungs-
kerne als Abkömmlinge des ersten ist nur bei kleinen dotterarmen In-
secteneiern (Aphiden, Cecidomya, Gallwespen) direct verfolgt worden.
Doch kann es auch für die grösseren, nahrungsdotterreichen Eier der
übrigen Insecten kaum zweifelhaft sein, dass jene zahlreichen Furchungs-
kerne, welche sich bald nach der Eiablage im Inneren des Eies, zwischen
Nahrungsdotterkugeln zerstreut und von einem sternförmigen Protoplasma-
hofe umhüllt vorfinden und welche die Bildungselemente des Blastoderms
darstellen, thatsächlich durch indirecte Kerntheilung aus dem ersten
Furchungskern hervorgegangen sind. Es ist zwar vermuthungsweise von
Tichomiroff für das Ei des Seidenspinners und bestimmter von Henking
(No. 39) für Musca die Entstehung dieser Kerne in den zwischen
Dottermassen zerstreuten Plasmainseln durch freie Kernbildung behauptet
worden. Doch scheint uns diese Ansicht durchaus unhaltbar. Gegen
dieselbe spricht die Beobachtung Blochmann's (No. 5), wonach bei Musca
sämmtliche Furchungskerne gleichzeitig sich dem Theilungsacte unter-
ziehen (Fig. 472 C), was darauf hindeutet, dass wir in denselben eine
Generation gleichaltriger Abkömmlinge des ersten Furchungskernes vor-
liegen haben; vor Allem aber sprechen dagegen die oben angeführten,
an kleinen, der directen Beobachtung zugänglichen Insecteneiern gefun-
denen Thatsachen.
Nach Weismann (No. 89) theilt sich der erste Furchungskern bei
Rhodites rosae und Biorhiza aptera (Gallwespen) zunächst in zwei
Kerne, welche nach der Richtung der Längsaxe des Eies auseinanderrücken
und nach ihrer Lagerung als vorderer und hinterer Pol kern be-
zeichnet werden. Während der vordere Polkern nun längere Zeit inactiv bleibt,
entstehen durch eine Art von Knospung (?) vom hinteren Polkern aus zahlreiche
Kerne, welche an der Bildung des Blastoderms sich betlieiligen. Von dem
vorderen Polkcrne dagegen sollen nach vollendeter Blastodermbildung durch
Theilung die Kerne der sog. inneren Keimzellen oder Dotterzellen hervor-
gehen.
Die. Vorgänge der Blastodermbildung an grösseren und dotterreichen
Insecteneiern wurden zuerst von Bobretzky (No. 6) und Graber (No. 149)
mit Hülfe der Schnittmethode eingehender verfolgt. In neuerer Zeit sind
besonders die Beobachtungen Blochmann's (No. 5) für Musca von
Wichtigkeit geworden, mit denen die Befunde von Heider (No. 38) an
Hydrophilus übereinstimmen. Die Furchungskerne liegen zunächst
im Centrum des Eies ungefähr in der Längsaxe desselben (Fig. 473 A).
Jeder dieser Kerne (f) ist von einer sternförmigen Protoplasmamasse
') Uljanin (No. 83) glaubt, dass bei den Poduriden eine totale und äquale
Fiirchung vorkomme. Dagegen scheint aus den Untersuchungen Lemoine's hervor-
zugehen, dass auch hier die Furchung eine superficielle sei. Den gleichen Schluss
glaubt Gkassi (No. 33) aus den Verhältnissen des Nahrungsdotters späterer Stadien
für Japyx ziehen zu können.
Insecten.
765
^^mm^d
umgeben und daher ist das Ganze einer amöboiden Wanderzelle nicht un-
ähnlich. Da jedoch alle diese Plasmainseln durch ein feines Netzwerk
von Ausläufern verbunden sind, so stellen alle diese im Inneren des
Dotters befindlichen Zellen ein Syncytium dar. Wenngleich daher eine
Abgrenzung zwischen diesen Bildungscentren noch nicht vorhanden ist,
so werden sie doch schon — wenn
auch incorrecter Weise — als
Furchung szellen bezeichnet.
In späteren Stadien rücken diese
„Furchungszellen" etwas mehr gegen
die Oberfläche des Eies und ordnen
sich in einer Sphäre an (Fig. 472 A,
473 B) , welche der letzteren unge-
fähr parallel ist. Man findet sie da-
her an Querschnitten durch das Ei
kreisförmig (Fig. 472 A) angeordnet.
Allmählich erreichen sie unter fort-
schreitenden Theilungsprocessen die
Oberfläche des Eies und verschmel-
zen mit dem daselbst befindlichen
Keimhautblastem (Fig. 4725, 473 C).
Nun erfolgt die Theilung in einzelne,
den Furchungskernen entsprechende
Zellterritorien (Fig. 472 (7, 473 D)
durch das Auftreten von Furchen,
welche von der Oberfläche des Eies
aus nach der Tiefe dringen und all-
mählich das ganze Keimhautblastem
durchsetzen. Nachdem auf diese
Weise die Oberfläche des Eies mit
einem Epithel (Blastoderm) bedeckt
wurde, erfolgt bei manchen Insecten
(Chironomus , Musca, Hydrophilus)
die Ausscheidung eines sogenannten
inneren Keimhautblastem s
(* in Fig. 472 D), d. h. einer Schicht
von Plasma, welches gröbere Körn-
chen enthält und sich zwischen dem
Blastoderm und der Oberfläche der
centralen Nahrungsdottermasse an-
sammelt, Durch Aufnahme dieser
Plasmaschicht gewinnen die Blasto-
dermzellen an Höhe und stellen nun
ein cubisches oder Cylinderepithel
dar, welches die Oberfläche des Eies
continuirlich überdeckt.
Die Stelle, an welcher die Fur-
chungszellen zuerst die Oberfläche des
Eies erreichen, ist für die einzelnen
Gruppen der Insecten verschieden. Bei
Musca macht sich die Blastodermbil-
dung nach Gkaber zunächst am hinteren
Vier aufeinanderfolgende
Stadien der Blastodermbildung von
Musca vomitoria (nach Blochmann).
Die Zeichnungen stellen Segmente von
Querschnitten durch das Fliegenei dar.
A die Kerne der Furchungszellen
haben sich parallel zur Oberfläche des
Eies geordnet. B die Furchungszellen
verschmelzen mit dem Keimhautblastem.
Cdie Oberfläche wird durch Einkerbungen
gefurcht; sämmtliche Kerne der Blasto-
dermzellen in Theilung- begriffen. D die
die Blastodermzellen stellen ein hohes
Cylinderepithel dar.
b Keimhautblastem, bz Blastoderm-
zellen, d Nahrungsdotter, dz Dotterzellen,
fz sog. Furchungszellen, i inneres Keim-
hautblastem.
766
XXIII. Capitel.
Eipole bemerkbar, während bei Apis (Dach Kowaleysky), Pieris (nach
Bobretzky No. 6) and Chiron omus (nach Weismann No. 89) die ersten
Blastodermzellen am vorderen Eipole bemerkt werden. Bei Hydrophilus
(Heider No. 38) beginnt die Blastodermbildung im Bereiche eines queren,
mittleren Gürtels (Fig. 473 D), welcher dem hinteren Eipole etwas genähert
erscheint, und findet an den Polen des Eies zuletzt statt. Bei Blatt a (nach
Wheeler) und G-ryllotalpa (nach Korotneff) werden die ersten blasto-
dermbild enden Zellen an der Oberfläche der späteren Ventralseite bemerkbar.
Da an dieser Seite der KeimStreif zur Anlage kommt, so erinnert das früh-
zeitige Erscheinen der Blastodermzellen an derselben an die bei den Crusta-
ceen manchmal vorkommende vorzeitige Ausbildung des Blastoderms ent-
sprechend der embryonalen Keimzone (vgl. oben pag. 319). Aehnliche
Verbältnisse zeigt auch Oecanthus nach Ayers (No. 1).
Fig. 473. Blastodermbildung bei Hydrophilus (nach Heider).
b ausgebildetes Blastoderm, d Nahrungsdotter, / sog. Furchungszellen, k Keim-
hautblastem, z Dotterzellen.
Eine von der als Regel geschilderten etwas abweichende Bildungs-
weise des Blastoderms wurde bei einigen Orthopteren beobachtet (Blatta
und Gryllotalpa). Während im Allgemeinen die „Furchungszellen"
sich im Inneren des Nahrungsdotters so rasch vermehren, dass sie in
dichtgedrängter Lagerung die Oberfläche des Eies erreichen und hier
sogleich ein geschlossenes Epithel constituiren, ist dies bei Gryllotalpa
(nach Weismann No. 89 und Korotneff No. 47), sowie bei Blatta
(nach Wheeler No. 95) nicht der Fall. Hier treten schon die ersten,
in geringer Zahl vorhandenen „Furchungszellen" an die Oberfläche der
ventralen Seite des Eies und vermehren sich daselbst, so dass es zur
vorübergehenden Ausbildung einzelner, von einander getrennter Zellinseln
kommt. Erst in späteren Stadien verbreiten sich die durch Theilung
vielfach vermehrten Furchungszellen gleichmässig über die ganze Ober-
fläche des Eies. Es wurde für die hierbei vor sich gehenden Theilungs-
vorgänge der Zellen von Wheeler für Blatta behauptet, dass (ebenso
wie später in der Serosa) die Kerntheilung nicht eine mitotische, sondern
eine directe, auf Durchschnürung beruhende sei. Die Vertheilung der
Insecten. 767
Blastodermzellen an der Oberfläche erfolgt hier nach Art der amöboiden
Wanderzellen.
Von Wichtigkeit ist die Frage der ersten Entstehimg der sogenann-
ten Dotterzellen oder Vitellophagen. Es wurde im Allgemeinen
beobachtet, dass nicht sämmtliche „Furchungszellen" sich nach der Ober-
fläche begeben, um sich an der Blastodermbildung zu betheiligen, sondern
dass einige „Furchimgszellen" im Inneren des Dotters zurückbleiben
(Fig. 472 D, dz und 473 C, I), s), sich daselbst vermehren und, indem sie
sich gleichmässig im Dotter zerstreuen, zu den sogenannten Dotterzellen
werden, deren Aufgabe es ist, die Nahrungsdottermasse zu verflüssigen
und der Assimilation entgegenzuführen. Die Entstehung der Dotterzellen
aus den im Inneren zurückbleibenden Furchungszellen wurde unter an-
deren neuerdings von Kowalevsky, Blochmann, F. Schmidt und Graber
(No. 28) für M u s c i d e n , von Wheeler für Doryphora, von Heider
für Hydrophil us bestimmt beobachtet. Dagegen haben Patten für
das Ei einer Phryganide (Neophylax) und Wheeler für Blatta
nachgewiesen, dass bei diesen Formen sämmtliche „Furchungszellen" an
der Blastodermbildung Theil nehmen, so dass ein Stadium existirt, in
welchem die Oberfläche des Eies vom Blastoderm bedeckt ist, während
im Inneren keine Zellen (resp. Kerne) mehr vorhanden sind. Hier treten
die sogenannten Dotterzellen erst später auf, indem einzelne Blastoderm-
zellen wieder in das Innere wandern. Da wir später sehen werden (vgl.
unten pag. 813), dass auch bei den ersterwähnten Formen eine secun-
däre Vermehrung der Dotterzellen durch Einwanderung aus dem Blasto-
derm (resp. vom Keimstreif aus) stattfindet, so repräsentiren jene Formen,
bei denen sämmtliche Furchungskerne die Oberfläche erreichen, und die
Einwanderung der Dotterzellen erst später stattfindet, vielleicht das ur-
sprünglichere Verhalten, während bei den meisten Insecten eine Art Ab-
kürzung des Entwicklungsganges sich in der Weise geltend macht, dass
ein Theil der Dotterzellen von Anfang an im Inneren verbleibt. Vgl.
hierzu die Bildung von Dotterzellen bei den Crustaceen (pag. 345),
Arachnoiden (pag. 572 — 574) und Myriopoden (pag. 727).
Auch für die Aphiden wurde von Will (No. 97) die Entstehung
der Dotterzellen durch ausschliessliche Einwanderung von dem sich bildenden
Blastoderm aus behauptet.
Im Allgemeinen haben die Blastodermzellen anfangs sämmtlich die gleiche
Gestalt und Grösse. Eine Ausnahme hiervon machen die Eier der Dipteren,
insofern bei ihnen die später zu besprechenden sog. Pol z eilen (pag. 845),
welche die frühzeitig sich differenzirende Genitalanlage repräsentiren, Elemente
darstellen, die in einem gewissen Momente zwar dem Blastoderm eingefügt
sind, aber sich von den Blastodermzellen durch ihre Grösse und ihren In-
halt unterscheiden. (Vgl. unten pag. 845, Fig. 516 Gr, ps und pag. 846,
Fig. 517 B, p.)
3. Bildung der Emlnyonalanlage und der Enibryonalhäute.
A. Ueber den Keimstreif und die Keimhüllen im Allgemeinen.
Die Embryonalanlage der Insecten hat im Allgemeinen — wie dies
bei den Arthropoden überhaupt vielfach vorkommt — die Gestalt einer
meist längs der Ventralseite des Eies sich hinziehenden, gestreckten,
streifenförmigen Verdickung, welche als K e im str e if oder Embryonal-
streif bezeichnet zu werden pflegt (Fig. 476 E). In den meisten Fällen
sind an demselben durch quere, aufeinanderfolgende Furchen bereits
768
XXIII. Capitel.
die Grenzen der späteren Körpersegmente angedeutet. An einem Quer-
schnitte durch den Keimstreifen der Insecten (Fig. 475 B und C) kann
man erkennen, dass derselbe mehrschichtig ist. Er besteht1) aus einer
äusseren Zellenlage , dem Ectoderm (ec) , und einer inneren Schichte,
welche das Entoderm und Mesoderm enthält, und, so lange diese
beiden Keimblätter noch nicht scharf von einander zu unterscheiden sind,
mit einem von Kowalevsky eingeführten Namen als „unteres Blatt"
bezeichnet wird (w).
am
Fig. 474. Zwei schematische Medianschnitte durch einen Insectenembryo,
zur Darstellung der Entwicklung der Embryonalhüllen.
In A ist der Keimstreif (k k') noch nicht vollständig von der Amnionfalte über-
wachsen. In B haben sich die Amnionfalten mit einander vereinigt und den Keim-
streif vollständig überwachsen.
a vorderer, b hinterer Eipol, v Ventralseite, d Dorsalseite, af Amnionfalte,
ah Amnionhöhle, am Amnion, do Nahrungsdotter, ec Ectoderm, k Kopfende des Keim-
streifs , k' Hinterende des Keimstreifs, s aus der Amnionfalte hervorgegangener Theil
der Serosa, s' aus dem unveränderten Blastoderm hervorgegangener Theil der Serosa,
u unteres Blatt.
Es ist ein für die Insecten 2) charakteristisches , dagegen bei den
übrigen Arthropoden nur selten (beispielsweise bei den Scorpionen
r) Es wird demnach hier bei den Insecten mit dem Namen „Keimstreif" die
gesammte Embryonalanlage zum Unterschiede von den provisorischen Theilen des Eies,
als welche der Nahrungsdotter mit seinen Vitellophagen , sowie die Embryonalhüllen
betrachtet werden müssen, bezeichnet. Eine derartige Verwendung des Terminus
„ Keim st reif" ist die bei den Arthropoden im Allgemeinen gebräuchliche. Es muss
aber hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass man bei den Hirudineen (vgl. oben
pag. 215) diesen Terminus in einem anderen Sinne verwendet, indem dort nur ein
Theil der Embryonalanlage darunter verstanden wird. Ja, gelegentlich wird der Aus-
druck „Keimstreif" wohl auch für gleichbedeutend mit „Mesodermstreifen" gebraucht.
2) Nach den Angaben der Autoren muss man annehmen, dass bei den Aptery-
gogenea zellige Embryonalhüllen nicht vorhanden sind. Nach Uljanin (No. 83) sollen sie
Insecten.
769
vgl. oben pag. 539, Fig. 345) vorkommen-
des Verhalten , dass der Keimstreif nicht
an der Oberfläche des Eies gelagert ist,
sondern durch eine von seinen Rändern
sich erhebende Faltenbildung (Fig. i74Aaf
u. 475 5 a/"), die Amnionfalte, über-
wachsen wird, so dass er dann etwas unter
die Oberfläche des Eies versenkt erscheint.
Indem die Amnionfalten sich von allen
Seiten über den Keimstreif ausdehnen,
wird eine unter denselben gelegene, durch
Einstülpung der äusseren Oberfläche des
Eies entstandene Höhle gebildet, die Am-
n ionhöhle (ah), welche, wenn die Amnion-
falten den Keimstreif vollständig überwach-
sen und sich mit einander vereinigt haben,
nach Aussen
erscheint.
Die Amnionfalten überwachsen dem-
nach den Keimstreif vollständig (Fig. 474 B
und 475 C); sie stellen die Embryonal -
hüllen dar. Der Keimstreif erscheint
nach ihrer Ausbildung von einer doppelten,
zelligen (aus einem Epithel bestehenden)
Hülle überwachsen. Wir unterscheiden die
äussere dieser beiden Hüllen, welche aus
zu vollständig abgeschlossen
den P o d u r i d e n fehlen. Dagegen soll hier eine cuti-
culare Larvenhaut zur Entwicklung kommen, wie
sie hei anderen Arthropodengruppen (Arachnoiden,
Myriopoden, vgl. z. B. pag. 543, 587, 623, 732
und 740), sich vielfach findet. Die Entwicklung
einer cuticularen Larvenhaut, welche mit Höckern
zur Sprengung der Eihäute besetzt sein kann, ist
durch die Beobachtungen von Sommer (No. 76)
und Lemoinb (No. 51) bestimmt nachgewiesen. Ja,
es scheint, dass der Embryo der Poduriden vor
dem Ausschlüpfen mehrere Häutungen durchmacht.
Man möchte hieraus auf den Mangel der Amnion-
falten schliessen. Grassi (No. 33), welcher bei
Japyx ein in ähnlicher Weise auch den Poduri-
den zukommendes Dorsalorgan beobachtete, glaubt
hierin einen Beweis für das Vorhandensein von
Amnionfalten zu erblicken. Da jedoch bei den
Poduriden dies Dorsalorgan schon in den
frühesten Stadien der Keim streif bildung zur Ent-
wicklung kommt, so wird es zweifelhaft, ob wir
dasselbe mit dem bei der Involution der Serosa
sich entwickelnden Dorsalorgan der höheren In-
secten (vgl. unten pag. 801 ff.) vergleichen dürfen.
Es müssen demnach über diese Verhältnisse noch
weitere Untersuchungen abgewartet werden.
Fig-.
475. Schematische
Querschnitte durch drei aufein-
ander folgende Stadien der Keim-
streif- und Embryonalhüllenbildung des Insectenembryos.
A Bildung der Bauchplatte (bp) und der Gastrulaeinstülpung (g). B Erhebung der
Amnionfalten («/). C vollständige Ueberwachung des Keimstreifs durch die Amnion-
falten. v Ventralseite, d Dorsalseite, af Amnionfalten, ah Amnionhöhle, am Amnion,
bl Blastoderm, bp Bauchplatte, do Nahrungsdotter, ec Ectoderm, g Gastrulaeinstülpung,
* Serosa, u unteres Blatt.
770 XXIII. Capitel.
dem äusseren Blatte der Amnionfalte hervorgegangen ist, als S e r o s a (s).
Dieselbe geht continuirlich in jenen unveränderten Theil des Blastoderms
über, weicher an der Keimstreif bildung und Keimhüllenbildung keinen
Antheil hatte (Fig. 474 s) und welcher die Oberfläche des Nahrungs-
dotters bedeckt. Gewöhnlich wird nach vollendeter Keimhüllenbildung
auch dieser Theil des Blastoderms mit zur Serosa gerechnet, so dass wir
in diesem Sinne sagen können: die Serosa bildet einen allseitig ge-
schlossenen, aus Plattenepithel bestehenden Sack, welcher die ganze
Oberfläche des Eies bedeckt (Fig. 475 C, s) und mit einem Theile über
die Oberfläche des Nahrungsdotters, mit einem anderen Theile über den
Keimstreif hinwegzieht * ).
Die innere der beiden den Keimstreif überdeckenden Hüllen, welche
aus dem inneren Blatte der Amnionfalte hervorgegangen ist, wird als
Amnion (Fig. 474, 475 am) bezeichnet. Dieselbe geht an den Rändern
des Keimstreifs continuirlich in das Ectoderm des letzteren über. Dieser
Uebergang ist in den meisten Fällen ein ganz allmählicher. Das Amnion
B ' C - D A
- i
\
r- -
■
i
'' - j \
6\
X
f, -s—*
9^
JC", w
ej-
Fig. 476. Ventralansicht von fünf Entwicklungsstadien von Hydrophilus
(nach Heider, aus Langes Lehrbuch). Das Vorderende ist nach oben gerichtet.
a und b Stellen, an denen der Blastoporus sich schliesst, af Band der Amnion-
falte, af Schwanzfalte, af" paarige Kopffalte des Amnions, an Antenne, es Endsegment,
g grübchenförmige Einstülpung (Anlage der Amnionhöhle), k Kopf läppen, r rinnen-
förmige Einstülpung, s vom Amnion überdeckter Theil des Keimstreifs.
und das Ectoderm (ec) des Keimstreifs bilden demnach zusammen einen
allseitig geschlossenen Epithelsack, dessen Lumen die Amnionhöhle darstellt.
Seiner ersten Entstehung nach ist der Keimstreif auf eine Ver-
dickung des Blastoderms im Bereiche der Ventralseite des Eies zurück-
zuführen (Fig. 475 A, bp). Während — wie wir oben (pag. 767) er-
wähnt haben — die Blastodermzellen ursprünglich auf der ganzen Ober-
fläche des Eies gleiche Gestalt und Grösse aufwiesen, macht sich bald
eine Differenz derart geltend, dass die Zellen der Rückenseite sich zur
Bildung eines dünnen Plattenepithels abflachen, während die der Ventral-
seite angehörigen Zellen sich dicht aneinander drängen, prismatische
J) Es verdient erwähnt zu werden, dass Graber (No. 27) bei Melolontha nach
vollendeter Ausbildung der Embryonalhüllen die Abscheidung einer Cuticula von der
äusseren Fläche der Serosa beobachtet hat. Wir dürften vielleicht diesen Vorgang
mit der Ausbildung der Blastodermcuticula bei den Crustaceen und anderen Arthro-
poden in eine gewisse Parallele stellen.
Insecten. 771
Gestalt annehmen und so ein hohes Cylinderepithel eonstituiren. Die
auf diese Weise entstandene Verdickung des Blastoderms im Bereich der
Ventralseite, welche ihrer Ausdehnung nach die erste Anlage des Keim-
streifs repräsentirt, wurde von Balfour als Bauchplatte (Ventral
plate) bezeichnet (Fig. 475 A, bp). Indem sich die in der Medianlinie
gelegenen Theile der Bauchplatte nach Innen einstülpen (g), geben sie
zur Bildung des unteren Blattes Anlass. Diese Einstülpung, welche in
einem gewissen Stadium eine nach der ganzen Länge der Keimstreif-
anlage etablirte , in der Medianlinie gelegene Kinne darstellt (Fig. 476
A und B), muss als die Gastrula-Einstülpung der Insecten (vgl.
Genaueres hierüber weiter unten pag. 806 ff.) betrachtet werden. Das
durch diese Einstülpung gelieferte untere Blatt (Fig. 475 B und C, u)
breitet sich sodarm unter der gesammten Bauchplatte aus. Die Ränder
der Bauchplatte werden durch die sich erhebende Amnionfalte begrenzt
(Fig. 475 B, Fig. 476 C).
Es muss erwähnt werden, dass die Bauchplatte nicht in allen Fällen
eine vom ersten Anfange an einheitliche Bildung ist, sondern dass sie in
einzelnen Fällen aus mehreren gesonderten Anlagen hervorgeht. So wurde
von F. Schmidt für Musca und von Heider für Hydrophilus darauf
hingewiesen , dass bei diesen Formen das vordere und hintere Ende des
Keimstreifs zuerst angelegt werden, während die mittleren Parthien erst spä-
ter zur Ausbildung gelangen. Ein weiteres , ursprünglich selbstständiges
Element des Keimstreifs bilden bei Hydrophilus die Anlagen der Kopf-
lappen (Fig. 476 A,.1c), für welche auch bei den Aphiden von Will
(No. 97) eine selbstständige Entstehung beobachtet wurde. Erst secundär
vereinigen sich diese ursprünglich gesonderten Bildungsheerde zur gemeinsamen
Anlage des Keimstreifs.
Die seitliche Abgrenzung des Keimstreifs erscheint durch die Erhebung
der Amnionfalten gegeben. Da bei dem Eintritt derselben das Amnion aus
ziemlich hohen Zellen besteht und diese Hülle auch später ihrem histologischen
Charakter nach dem Ectoderm des Keimstreifs näher steht, als der Serosa,
so haben einige Forscher eine nähere Zusammengehörigkeit des Amnions und
Keimstreifs angenommen. Will betrachtet das Amnion direct als einen Theil
des Keimstreifs, und auch Gräber (No. 30) leitet das Amnion von dem ver-
dickten Epithel der Bauchplatte ab.
Wir haben uns hinsichtlich der Verwendung des Terminus „Keimstreif"
dem gewöhnlichen Gebrauche angeschlossen, wonach darunter die segmentirte
und bereits mehrschichtige (aus Ectoderm und unterem Blatt bestehende)
Embryonalanlage verstanden wird. Es ist aber gewiss, dass man in weiterem
Sinne diesen Ausdruck — wie dieses neuerdings Graber (No. 30) urgirt
hat — auch auf die Embryonalanlage früherer Stadien, an welchen die Seg-
mentirung und Keimblätterbildung noch nicht eingetreten ist, anwenden kann,
vorausgesetzt, dass sich die Embryonalanlage als solche von den übrigen
Theilen des Eies bereits deutlich abgrenzt.
Der Keimstreif zeigt zunächst von dem Momente seiner Entstellung an
ein stetig fortschreitendes Längenwachsthum (vgl. Fig. 476 A — E). Er streckt
sich dabei in vielen Fällen derart, dass er nicht bloss die Ventralseite des
Eies bedeckt, sondern dass sein vorderes und hinteres Ende auf die Dor-
salseite des Eies hinübergeschlagen erscheinen. Dieses Uebergreifen der
Keimstreifenden auf die Rückenseite kann in einzelnen Fällen (Phryga-
n e e n , Ch i r o n o m u s) so weit gehen, dass das vordere und hintere Ende des
772 XXIII. Capitel.
Keimstreifs einander fast bis zur Berührung genähert erscheinen (vgl.
pag. 782, Fig. 483). Der Keimstreif erscheint demnach in diesen frühe-
ren, ungefähr der ersten Hälfte der Embryonalentwicklung angehörigen
Stadien in der Regel dorsalwärts eingekrümmt. In den späteren Stadien
macht sich meist im Anschlüsse an die in Folge der Organentwicklung
complicirtere Gestaltung des Keimstreifs eine auf Zusammenziehung be-
ruhende Verkürzung desselben geltend, so dass zum Schlüsse die Mund-
öffnung am vorderen Eipole, die Afteröffnung dagegen in der Nähe des
hinteren Eipoles gelagert erscheint (pag. 785, Fig. 485 m und an).
Diese Lagebeziehung ist für die Insectenembryonen späterer Stadien eine
ungemein typische. Die Embryonalanlage erscheint nun nicht mehr dorsal-
wärts eingekrümmt, sondern gestreckt. Vielfach macht sich sogar eine
Krümmung im entgegengesetzten Sinne geltend, insofern der hinterste
Abschnitt des Embryo's nun ventral wärts eingeschlagen erscheint (Phry-
ganiden, Lepidopteren, Hydrophilus, Blatta u. A. pag. 784,
Fig. 484 C und pag. 785, Fig. 485 B).
Geabee (No. 30) hat neuerdings darauf hingewiesen , dass man die In-
secten nach der Ausdehnung und dem Längenwachsthume des Keimstreifs
in zwei Gruppen trennen kann, insofern bei den einen die oben angedeuteten
Verhältnisse des Anwachsens der Embryonalanlage vorherrschen, während bei
anderen Formen (z. B. Blatta, Stenobothrus) die Embryonalanlage vom ersten
Anfange an sich nur über eine ganz kurze Strecke der Eiperipherie ausdehnt
und auch während der ganzen späteren Entwicklung niemals in der Weise
anwächst, wie dieses bei den ersterwähnten Formen der Fall ist. Bei den
Formen mit kurzem Keimstreif macht sich natürlich die dorsale Einkrüm-
mung in den früheren Stadien nicht bemerkbar. Der Keimstreif erscheint
gerade gestreckt. Ebenso ist das Längenwachsthum der Embryonalanlage
während der ganzen Eientwicklung ein mehr gleichmässig fortschreitendes.
Eine Verkürzung macht sich in den späteren Stadien nicht bemerkbar. Man
könnte sonach die Insecten in solche mit anfangs langgestrecktem, später sich
verkürzenden Keimstreif und in solche mit anfangs kurzem und verhältniss-
mässig kurz bleibendem Keimstreif unterscheiden. Indess will es uns schei-
nen, dass dieser Unterscheidung keine Differenzen von principieller Bedeutung
zu Grunde liegen.
'&v
B. Unterscheidung des superficiellen und des immersen
Keimstreifs.
Die oben (pag. 768 u. ff.) gegebene allgemeine Schilderung der Lage-
beziehungen und Entstehungsweise des Keimstreifs und der Embryonal-
hüllen kann nur für einen Theil der Insecten nähere Gültigkeit bean-
spruchen. Die geschilderten Verhältnisse treffen annähernd bei manchen
Orthopteren (Blatta), den Phryganiden, Lepidopteren,
Hymenopteren, manchen Dipteren (C h i r o n o m u s) und zum Theil
bei den Coleopteren zu. Im Einzelnen ergiebt sich allerdings eine
Fülle von später genauer zu erwähnenden Variationen, welche sich auf
die Gestalt des Eies, Menge und Vertheilung des Nahrungsdotters, sowie
zum Theil auf die rudimentäre Beschaffenheit der Embryonalhüllen zurück-
führen lassen. In anderen Insectengruppen (Pseudoneur opferen,
Hemipteren) dagegen finden wir Verhältnisse der Entstehung des
Keimstreifs und der Embryonalhüllen, sowie der anfänglichen Lagerung
des Keimstreifs, welche sich von den oben der Klarheit der Darstellung
Insecten.
773
halber zum Ausgangspunkt gewählten weiter zu entfernen scheinen. Wir
müssen auf alle diese Verhältnisse jetzt im Detail zurückkommen.
Wie aus der oben geschilderten Entstehung der Amnionfalte (pag. 768 ff.,
Fig. 474, 475 af) hervorgeht, enthält dieselbe in ihrem Inneren einen
Spaltraum, welcher gegen die Oberfläche des Nahrungsdotters geöffnet
erscheint. Es können demnach Nahrungsdotterkügelchen in diesen Spalt-
raum eindringen und denselben vollkommen erfüllen (Fig. 477). Dann
werden Amnion und Serosa durch einen ziemlich breiten, mit Nahrungs-
dotter erfüllten Zwischenraum von einander getrennt, während in anderen
Fällen, in denen dieses Eindringen des Nahrungsdotters in den Spalt
nicht stattfindet, Amnion und Serosa einander direct berühren. Wir
können demnach, wenn wir den Abstand der beiden Embryonalhüllen von
einander in's Auge fassen, die Insecteneier in zwei Gruppen trennen:
1) in solche mit oberflächlichem oder superficialem
Keim streif, bei denen ein Eindringen von Nahrungsdotterelementen
in den Raum zwischen Amnion und Serosa nicht stattgefunden hat. Der
Keimstreif hat hier eine verhältnissmässig oberflächliche Lae;eruim- (pag. 768,
Fig. 474, 475; pag. 780, Fig. 482 A; pag. 785, Fig. 485).
.-Tri
Fig. 477. Lepidopterenkeimstreif im Querschnitt (combinirtes Bild nach
Bobretzky und Hatschek).
ah Amnionhöhle, am Amnion, c Cölomhöhle, do Nahrungsdotter (in einzelne,
kernhaltige Dotterschollen zerfurcht), ec Ectoderm, m Mesoderm, pr Primitivwülste der
Bauchganglienkette, s Serosa.
2) in solche mit versenktem oder immersein Keimstreif,
bei denen zwischen Amnion und Serosa ein von Nahrungsdotterpartikel-
chen erfüllter Zwischenraum sich findet. Bei diesen Eiern erscheint der
Keimstreif im Verhältniss zu denen des ersten Typus tiefer in das Innere
des Eies versenkt (Fig. 477; Fig. 478 C— E; pag. 784, Fig. 484).
Superficiell ist der Keimstreif bei vielen Orthopteren (Oecanthus,
Gryllotalpa, Blatta, Mantis), bei manchen Hemipteren (Corixa), bei den
Phryganiden, Dipteren und Hymenopteren. Auch bei den Coleopteren er-
scheint der Keimstreif im grössten Theil seiner Ausdehnung als ein super-
fizieller; nur das hintere Ende desselben ist in den Anfangsstadien immers.
Ein immerser Keimstreif kommt den Libelluliden, manchen Hemipteren
(Pyrrhocoris). manchen Orthopteren (Stenobothrus) und den Lepidopteren zu.
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
50
774
XXIII. Capitel.
C. Unterscheidung des invaginirten und des überwachsenen
Keim streifs x).
In Hinsicht auf die Art der Entstehung des Keimstreifs und auf die
Lagerungsverhältnisse desselben machen sich bei den Insecten zwei ein-
ander gegenüberstehende, aber durch Uebergänge mit einander verbundene
Typen geltend. In dem einen Falle wird die Bauchplatte in das Innere
des Eies eingestülpt, in dem anderen wird sie von den an ihren Rändern
sich erhebenden Amnionfalten überwachsen.
Bei der Bildung" des Keimstreifs durch Invaginatiou, für welche
uns die Libelluliden (nach Brandt No. 7) ein Beispiel abgeben, ent-
steht die erste Anlage des Keimstreifs in der Form einer wenig umfang-
reichen, ventralwärts in der hinteren Hälfte des Eies gelegenen Blastoderm-
Fig". 478. Fünf schematische Medianschnitte, zur Darstellung der Entwicklung
des Libellulideneies (nach Brandt).
A — C Entwicklung' des Keimstreifs (k k') durch Einstülpung. D Entwicklung der
das Kopfende des Keimstreifs überwachsenden Amnionfalten (af). E Verschluss der
Mündung der Amnionhöhle.
v Ventralseite, d Dorsalseite, a vorderer, b hinterer Eipol, af Amnionfalte,
ah Amnionhöhle, am Amnion, bl Blastoderm, bp Bauchplatte, do Nahrungsdotter,
k Kopfende des Keimstreifs, k' Analende des Keimstreifs, kh Keimhügel oder beginnende
Einstülpung, s Serosa.
verdickung (Bauch platte) (Fig. 478 A bp, Fig. 419 A), in deren hin-
terem Abschnitte sich bald ein Einstülpungsprocess (Fig. 478 AJch) geltend
macht. Das Lumen dieser Einstülpung ist die erste Anlage der Amnion-
höhle (Fig. 478 Bah), während die Wand derselben in ihrem verdickten
J) Auf dieser Unterscheidung beruht die Trennung der Insecten in solche mit
innerem und äusserem Keimstreif (Innenkeimer und Aussenkeimer oder entoblastische
und ectoblastische Formen Graber). Neuerdings hat Graber für diese Categorien die
Bezeichnungen: Entoptychische und ectopty chische Keimbildung vor-
geschlagen. Wir sehen von dem Gebrauche dieser Termini ab, weil durch dieselben
eine Verwechslung mit den oben (pag. 772) unterschiedenen Categorien des super-
ficiellen und immerseu Keimstreifs nicht ausgeschlossen ist.
Insecten. 775
ventralen Theil (k') zur Bilduno; des Keimstreifs, in ihrem dorsalen ver-
dünnten Theil zur Bildung des Amnions (Fig. 478 B, C, am) aufgebraucht
wird. Das blinde Ende der Einstülpung bezeichnet das spätere Analende
des Keimstreifs (Je'). Da diese Einstülpung aber im Ei von hinten nach
vorne wächst, so ergiebt sich, dass der Keimstreif im Verhältniss zu
seiner späteren Lagerung ursprünglich entgegengesetzt orientirt erscheint.
Sein Hinterende ist nach vorne gerichtet, während sein Kopfende nahe
dem hinteren Eipole gelegen erscheint. Ebenso ist auch jene Fläche des
Keimstreife, welche später zur ventralen wird, anfangs gegen die Dorsal-
seite des Eies gewendet. Um den Keimstreif in die definitiven Lagerungs-
verhältnisse zu bringen, bedarf es des Processes der Um rollung, welcher
unten genauer geschildert werden soll.
Es muss erwähnt werden , dass bei den Eiern dieses Bildungstypus das
durch die Ausbreitung der Kopflappen gekennzeichnete Vorderende des Keim-
streifs (Fig. 478 C, D, h) sich an dem erwähnten Einstülpungsprocesse nicht
betheiligt. Es bleibt an der Überfläche der Ventralseite liegen und hier
werden die Embryonalhüllen durch die Erhebung einer Amnionfalte (af) zum
Abschlüsse gebracht — kurz dieser Theil des Keimstreifs verhält sich durch-
aus so, wie wir dies nun für den zweiten Typus schildern werden.
Bei der Bildimg des durch eine Amnionfalte überwachsenen Keim-
streit's behält die Bauehplatte und der aus ihr sich entwickelnde Keim-
streif während der ganzen Dauer der Entwicklung jene Orientirung bei,
welche für die späteren Stadien aller Insecten typisch ist. Auf diesen
Entwicklungstypus, für welchen die Dipteren (Chironomus, Simulia, Ceci-
domya) als Beispiel dienen können, bezieht sich unsere frühere Schilde-
rung (pag. 768 und ff.). Der Keimstreif ist hier im Wesentlichen der Ven-
tralseite des Eies angehörig. Sein Vorderende entspricht dem vorderen Ei-
pole, sein Hinterende dem hinteren Eipole (wenn wir jenes obenerwähnte
[pag. 771] dorsale Uebergreifen nicht in Rechnung bringen). Hier findet
demnach auch keine Umrollung statt. Die Embryonalhüllen werden durch
einfache Faltenbildung von den Rändern des Keimstreifs aus gebildet
(vgl. pag. 768, Fig. 474 und 475).
Wenn man auf die Lagerungsverhältnisse des Keimstreifs im Moment
seiner Bildung Rücksicht nimmt, so könnte man die beiden hier unterschie-
denen Typen auch unterscheiden als Typus mit invers gelagertem und
mit regulär gelagertem Keimstreif. Noch einfacher wäre die Bezeich-
nung der beiden Typen als Entwicklung mit und ohne Umrollung.
Es wäre allerdings gegen eine solche Bezeichnung einzuwenden, dass auch
bei dem überwachsenen Keimstreif gelegentlich Lageveränderungen zur Beo-
bachtung kommen, welche von dem Process der echten Umrollung oft schwer
zu unterscheiden sind.
Wir werden in der Ordnung der Coleopteren Insecten finden , deren
Keimstreifentwicklung einen directen Uebergang zwischen den beiden hier
unterschiedenen Typen darstellt.
D. Insecten mit invaginirtem Keimstreif.
Lihellnliden. Als vorzüglichsten Repräsentanten dieses Entwicklungs-
typus, welcher — wie wir unten sehen werden (pag. 787) - den directen
Anschluss an die Verhältnisse der Myriopoden darstellt und daher als
der ursprünglichere betrachtet werden muss, haben wir zunächst das Ei
50*
776
XXIII. Capitel.
geltend.
der Libelluli den zu erwähnen, dessen Entwicklung durch A.Brandt
(No. 7) bekannt geworden ist.
Hier (bei C a 1 o p t e r y x) erkennen wir als erste Anlage des Keimstreifs
eine in der hinteren Hälfte der Ventralseite des Eies gelegene Verdickung
des Blastoderms (Bauchplatte), welche sich bald mit ihrem hintersten
Abschnitt in das Innere des Eies einstülpt (Fig. 479 A, g). Während
diese Einstülpung (welche von manchen Autoren als Keimhügel be-
zeichnet wird) immer tiefer wird, wendet sie sich nach vorn und wächst
gegen den vorderen Eipol zu (Fig. 479 B und C). Das Lumen dieser
Einstülpung ist die erste Anlage der Amnionhöhle. Sehr bald macht sich
nun eine Differenz in der Dicke der beiden Wände der Einstülpung
Die nach der Dorsalseite des Eies zugewendete wird zu einer
immer flacheren Zellschicht
und repräsent irt das Amnion
(am), während die andere
sich verdickt und den eigent-
lichen Keimstreif (ps) darstellt.
Es wird also hier fast der
ganze Keimstreif mit seinem
hinteren Ende voran in das
Innere des Eies eingestülpt.
Nur ein kleiner Theil des
Keimstreifs, der dem vorderen
Ende desselben entspricht und
sich bald zur Bildung der
Kopflappen verbreitert, behält
zunächst noch die oberfläch-
liche Lage der ursprünglichen
Blastoderm verdickung bei (Fig.
479 C). Dieser Theil wird nun
durch eine Ringfalte des um-
gebenden Blastoderms voll-
ständig überwachsen. Wenn
diese Ringfalte zum Verschlusse
kommt, so ist dadurch die Am-
nionhöhle nach Aussen abge-
schlossen (Fig. 480 A). Der in
seiner oberflächlichen Lage
verbliebene Rest des Blasto-
derms stellt nun die Serosa dar.
An dem nächstfolgenden Stadium, welches durch den Besitz der
Extremitätenanlagen charakterisirt ist, kann man die merkwürdige Lage
des Keimstreifs deutlich erkennen (Fig. 480 Ä). Man bemerkt, dass das
Kopfende desselben (v) nach dem hinteren Eipole, das hakenförmig um-
geschlagene Hinterende (ab) dagegen nach dem vorderen Eipole gerichtet
ist. Ebenso erkennt man aus dem Vergleich mit den übrigen Stadien
(vgl. Fig. 480 0), dass die Ventralseite des Keimstreifs, von welcher die
Extremitätenanlagen sprossen, nach der Dorsalseite des Eies gewendet
ist. Die definitive Lagerung des Embryos wird durch den Process der
sogenannten Uinrollung herbeigeführt, bei welchem der Embryo eine
rotirende Bewegung um seine Queraxe erleidet und gleichzeitig aus der
Ainnionhöhle herausgestülpt wird (Fig. 480 B). Dieser Process wird ein-
geleitet dadurch, dass in der Nähe des Kopfabschnittes Amnion und Serosa,
Fig". 479. Drei Entwicklungsstadien des
Embryos von Calopteryx (nach Brandt, aus
Balfour's Handbuch).
Der Embryo ist innerhalb der Eischale dar-
gestellt.
am Amnion, g Rand der Bauchplatte, ps Keim-
streifanlage, se Serosa.
Insecten.
777
die sich daselbst dicht berühren, mit einander verschmelzen und an dieser
Stelle einreissen. Durch diesen Riss wird an derselben Stelle, an welcher
die ursprüngliche Einstülpungsöffnung gelegen war, die Amnionhöhle
wieder eröffnet, und durch die so entstandene Oeffnung treten zunächst
der Kopf, dann die darauffolgenden Segmente des Keimstreifs hervor
(Fig. 480 B) und legen sich, während der Kopf nach dem vorderen Ei-
pole zu wandert, der Ventralseite des Eies an (Fig. 480 C). In dem
Maasse, als der Embryo aus der Amnionhöhle heraustritt, wird dieselbe
immer kleiner und schwindet schliesslich vollständig.
Da der Keimstreif nunmehr an der Oberfläche des Eies lagert, so ist
der von der Serosa eingenommene Raum beträchtlich kleiner geworden
(480 C). Dieselbe zieht sich nun nach dem vorderen Eipol hin zusammen,
indem sie sich gleichzeitig bedeutend verdickt (Fig. 480 C, se). In Folge
dieser Contraction wird auch der Rissrand, an welchem die Serosa
mit dem Amnion verwachsen
ist und schliesslich das Amnion
selbst über die Nahrungsdot-
termasse nach vorn hingezogen
(Fig. 480 C, se und am) , so
dass schliesslich Amnion und
Serosa zusammen einen dem
Rücken des Embryos aufliegen-
den Sack darstellen, der mit Nah-
rungsdotter erfüllt ist und als
eine Art von (dorsalem) Dotter-
sack bezeichnet werden kann.
Bei der nunmehr erfolgenden
Ausbildung der Seitentheile und
des Rückens des Embryos wird
der Inhalt des Dottersackes im-
mer mehr in die Darmhöhle, die
mit demselben communicirt, auf-
genommen und aufgebraucht, bis
schliesslich durch einen später
genauer zu beschreibenden Pro-
cess auch die Serosa selbst (ver-
muthlich) in das Innere des Em-
bryos eingestülpt und aufgezehrt
wird (vgl. unten pag. 801 ff.).
Da der Keimstreif der Libel-
luliden durch eine Einstülpung
entsteht, welche in das Innere des
Eies vorwächst, so erklärt es sich,
dass liier Amnion und Serosa
durch einen breiten Zwischenraum getrennt sind, welcher mit Nahrungsdotter
erfüllt ist. Der Keimstreif der Libelluli den ist demnach ein immerser.
Davon macht jedoch das Kopfende eine Ausnahme, welches dem superfiziellen
Typus zugehört.
Rhynchoten. Der gleiche Entwicklungstypus des Keimstreifs, den wir
für die Libelluliden geschildert haben, kommt auch, soweit bis jetzt bekannt,
sämmtlichen Rhynchoten zu. So fanden Metschnikoff (No. 55) und
Brandt (No. 7) für Hydro metra und Graber (No. 27) fürPyrrho-
Fig. 480. Drei Entwicklungsstadien von
Calopteryx (nach Brandt aus Balfoür's
Handbuch).
Der Embryo ist innerhalb der Eischale
dargestellt.
a Oeffnung der Amnionhöhle, aus welcher
der Embryo heraustritt, ab Abdomen, am Amnion,
at Antenne, md Mandibel, mx1, mx2 erste und
zweite Maxille, oe Oesophagus, p\ p2, pz erstes,
zweites, drittes Thoraxbeinpaar, se Serosa,
v Vorderende des Keimstreifs.
778 XXIII. Capitel.
coris Verhältnisse der Eientwieklung, welche sich denen der Libelluliden
in allen wichtigen Punkten vollkommen anschliessen.
Eine Modification des geschilderten Entwicklungstypus findet sich bei
Corixa (Metschnikoff No. 55, Bkandt No. 7). Hier ist der von dem
hinteren Pole sich einstülpende Keimhügel zwar auch anfangs ringsum von
Nahrungsdotter umgeben, er legt sich jedoch sehr bald der Rückenseite des
Eies dicht an , so dass hier Serosa und Amnion sich dicht berühren. Der
Keimstreif ist in Folge dessen hier nicht immers , sondern ein superfizieller.
Im Uebrigen ist der Process der Umrollung und die dadurch erfolgte Zu-
rückführung des Embryos in seine definitive Lage in ganz gleicher Weise
vorhanden, wie bei den Libelluliden.
Aehnlich wie bei den Libelluliden verhält sich die Lagerung des Keimstreifs
nach Melnikow (No. 53) auch bei den Pediculiden und Mallophagen.
Doch sollen hier insofern einfachere Verhältnisse bestehen bleiben , als die
durch die Einstülpung entstandene Oeffnung der Amnionhöhle dauernd offen
bleibt. Ein invaginirter Keimstreif findet sich ferner auch bei den Physa-
poden (Dohkn No. 21, Jokdan No. 44).
In directem Anschlüsse an die für die Libelluliden beschriebenen Ver-
hältnisse stehen auch die Entwicklungsvorgänge in den Eiern der Phytoph -
thires. Die Beschreibungen, welche Metschjukoff (No. 55) und Bkandt
(No. 7) von der Entwicklung der Oviparen Cocciden (Aspidiotus,
Lecanium) liefern, zeigen eine fast vollständige Uebereinstimmung mit den
Libelluliden. Ebenso scheinen sich nach Metschnikoff auch die Psy lüden
hier anzuschliessen. Gewisse Besonderheiten weisen dagegen die Sommereier
der viviparen Aphiden auf, welche ihre Entwicklung innerhalb des Eifollikels
durchlaufen. Die parthenogenetisch sich entwickelnden Eier dieser Formen
erfahren — wie Will (No. 97) hervorgehoben hat — nicht den vollkom-
menen Reifungsprocess, wie die Eier der übrigen Insecten. Sie werden gewisser-
massen „von dem Eintritt der Embryonalentwicklung überrascht, wenn sich eben
die ersten Reifungserscheinungen in dem Auftreten kleiner Deutoplasmatröpfchen
bemerkbar gemacht haben." Nach der Entwicklung des Blastoderms enthält
das Ei in seinem Innern nur eine geringfügige Menge eines bald verschwin-
denden Nahrungsdotters (primärer Nahrungsdotter, Fig. 481-4, do),
in welchem einzelne Dotterzellen sich finden. Dagegen wird der Embryo in
den nun folgenden Stadien unter Entwicklung einer Art Placentarbildung
von dem Follikelepithel aus mit einer neuen Dottermasse (secundärer
Dotter, Pseudovitellus, sd) versorgt. Es entwickelt sich nämlich am
hinteren Pole des Embryos, an welchem die Blastodermbildung nicht völlig
zum Abschluss gelangt ist und daher eine Lücke des Blastoderms *) sich
vorfindet, eine Verwachsung mit der entsprechenden Stelle (oc) des Follikel-
epithels (f). Hier kommt es durch Theilung einer sich vergrössernden Follikel-
epithelzelle zur Ausbildung eines Zellhaufens , welcher sich bald unter De-
generation und vollständigem Untergang der ihn zusammensetzenden Zellen
in eine Ansammlung von Nahrungsdotterkügelchen (secundärem Dotter)
umwandelt, worauf das so entstandene Dottermaterial durch die vorhandene
Blastodermlücke in das Innere des Embryos aufgenommen wird (Fig. 481
A, sd). Die sonach in der primären Leibeshöhle gelegene secundäre Dotter-
masse , in welche bald vom Embryo aus Dotterzellen (dz) einwandern , steht
noch einige Zeit hindurch vermittelst eines Dotterstranges mit jener Stelle
*) Diese Lücke hat Will als Blastoporus hezeichnet und die von hier ausgehende
Einwanderung von Dotterzellen als Gastrulation in Anspruch genommen, eine Auf-
fassung, welche wir nicht theilen.
Insecten.
779
des Follikelepithels , von welcher sie ihren Ursprung genommen hat , in Zu-
sammenhang.
Die Entwicklung des Keimstreifs erfolgt bei den Aphiden unter Aus-
bildung einer ganz ähnlichen Einstülpung vom hinteren Eipole aus, wie wir
sie bei den Libelluliden auftreten sahen. Diese Einstülpung entwickelt sich
im Umkreise der oben erwähnten Blastodermlücke (Fig. 481 A). Sie er-
scheint in Folge dessen an ihrem vorderen Ende nicht geschlossen , da sich
hier jene Durchtrittspforte befindet, durch welche der Strang des secundären
Fig. 481. Schematische Meclianschnitte durch fünf Entwicklungsstadien des
Eies der viviparen Aphiden (im Anschlüsse an Will). Die Orientirung ist die
gleiche, wie in Fig. 478. Die Genitalanlage ist nicht eingezeichnet.
A Einstülpung des Keimstreifs (k') und Einwuchern des secundären Dotters (sä).
B Verschluss des Aufnahmeporus für den secundären Dotter. C hakenförmige Ein-
krümmung des hinteren Keimstreifendes (k"). D Erhebung der Amnionfalten (af).
E Ausbildung der Kopfserosa (s').
af Amnionfalten, ah Amnionhöhle, am Amnion, do Beste des primären Xahrungs-
dotters mit Dotterzellen, dz Dotterzellen, / Follikelepithel, k Kopfende des Keimstreifs
(Kopflappen), k' hinterer Abschnitt des Keimstreifs, k" hinterstes, hakenförmig ein-
gekrümmtes Ende des Keimstreifs, l primäre Leibeshöhle, s Serosa, s' Kopfserosa,
sd secundärer Dotter, x Bildungsstelle des secundären Dotters.
Dotters in das Eiinnere eintritt. Erst nachdem der secundäre Dotter sich
in der primären Leibeshöhle zusammengezogen hat, und jener Verbindungs-
strang resorbirt wurde, verschliesst sich 'auch die erwähnte Lücke (Fig.
481 B), und nun nimmt die Einstülpung eine Gestalt an, welche durchaus
780
XXIII. Capitel.
an das entsprechende Stadium der Libelluliden erinnert. Wenn die Anlage
des Keimstreifs anwächst , so erfährt sie eine hakenförmige Knickung (Fig.
481 C), welche später zu einer doppelten Einknickung des Keimstreifs
("Witlaczil No. 98) werden kann. Es machen sich auch gewisse Lagever-
änderungen geltend. Die eingekrümmte Keimstreifanlage kann bald nicht
mehr ihre symmetrische Lagerung zur Medianebene beibehalten. Sie erfährt
gewisse Abweichungen nach der seitlichen Richtung. Die äussere Mündung
der Amnionhöhle , welche ursprünglich dem hinteren Eipole angehörte , wan-
dert im Verlauf der weiteren Entwicklung mehr nach der Dorsalseite. Gleich-
zeitig rücken die als Blastodermverdickung entstandenen Kopflappenanlagen
(fc), welche anfangs am vorderen Eipole gelegen waren, über die Ventralseite
nach hinten, so dass sie zum Schlüsse über den hinteren Eipol sich aus-
breiten (Fig. 481 D). Ganz , wie bei den Libelluliden , wird diese Blasto-
dermverdickung nicht in die Einstülpung des Keimstreifs mit aufgenommen.
Sie ist daher anfangs nicht von den Embryonalhüllen bedeckt. Um auch
sie zu überdecken, muss eine Ringfalte emporwachsen, deren erste Anlage in
Fig. 481 D, af angedeutet erscheint. Diese Ringfalte besteht im Momente
ihrer Entstehung, wie jede Amnionfalte, aus zwei Blättern (Amnion und Serosa).
Im Verlaufe des weiteren Wachsthums bleibt jedoch das Amnion etwas
zurück , so dass die Kopf läppen blos von einer einzigen epithelialen Zell-
schicht, der sog. Kopfserosa überdeckt erscheinen1) (Fig. 481 E, s').
Die übrigen, späteren Entwicklungsprocesse , das Zerreissen der Em-
bryonalhülle des Kopfabschnittes, die Ausstülpung des Embryos durch die
v
Fig. 482. Umrollung- des Embryos von Oecanthus. (Schemata nach Avers.)
« vorderer Eipol, am Amnion, b hinterer Eipol, d Dorsalseite des Eies, k Keim-
streif, r llückenplatte (durch Zusammenziehung' der Serosa entstanden), s Serosa,
v Ventralseite des Eies.
J) Wir haben hier den Fall einer rudimentären Entwicklung des Amnions, wie die-
selbe auch für gewisse Hymenopteren behauptet wurde. Es muss hier erwähnt werden,
dass die Schilderungen von Brandt die Möglichkeit offen lassen, dass die Embryonal-
hüllen im Bereiche des Kopfabschnittes sich auch bei den Co cci den (vielleicht sogar
auch bei den Libelluliden) in der Weise verhalten, wie wir dies hier nach Will
für die Aphiden dargestellt haben. Es würde dann auch bei diesen Formen über
diesem Abschnitt nur eine einzige zellige Hülle vorhanden sein.
Insecten. 781
so entstandene Oeffnung, sowie die gleichzeitig erfolgende Umrollung vollziehen
sich ganz in der für die Libelluliden geschilderten Weise.
Die Entwicklung der Aphiden ist vorzugsweise von Brandt (No. 7),
Metschnikoff (No. 55), Witlaczil (No. 98) und Will (No. 97) beschrieben
worden. Wir haben uns bei der hier gegebenen Darstellung hauptsächlich
an Will angeschlossen.
Oecaiithus. Wir müssen diesem Entwicklungstypus auch eine Gryllide,
Oecanthus, zurechnen, obgleich diese Form hierdurch in einen Gegen-
satz zu den übrigen Orthopteren gestellt wird. Die erste Anlage des
Keimstreifs entsteht hier allerdings — wie wir durch die Beobachtungen
von Ayers (No. 1) wissen — nicht durch Einstülpung, sondern es bildet
sich eine kurze Bauchplatte, welche von einer Amnionfalte überwachsen
wird. Bei dieser Uebenvachsung bleibt anfangs das innere Blatt der
Falte (das Amnion) im Wachsthum etwas zurück, in ganz gleicher Weise,
wie wir dies für die Kopffalte der Aphiden soeben geschildert haben.
Es schliesst sich hier anfangs bloss die Serosa über dem Keimstreifen.
Später rückt auch das Amnion nach und schliesst sich, so dass der Embryo
zum Schlüsse doch von einer doppelten zelligen Hülle bedeckt ist. Der
Keimstreif ist demnach hier ein durch Faltenbildung überwachsener, er
ist auch superficiell. Aber er liegt — und das ist für unsere Auffassung
das entscheidende — ursprünglich an der Rückenseite des Eies, mit seinem
Kopfende nach hinten gerichtet (Fig. 482 Ä), stimmt demnach bezüglich
seiner Lagebeziehungen vollständig mit Corixa (vgl. oben pag. 778) überein.
Er muss somit nach erfolgtem Riss der Embryonalhüllen einen echten
Umrollungsprocess (Fig. 482 B, C, D) durchmachen, um in seine defini-
tive Lage zu gelangen. Dieser Umrollungsprocess und die später er-
folgende Rückbildung der Serosa unter Bildung einer Einstülpung (Rücken-
rohr) zeigen eine so vollständige Uebereinstimmung mit den übrigen
Insecten dieses Typus, dass wir die Zureihung von Oecanthus zu den-
selben für gerechtfertigt halten.
E. Insecten mit überwachsenem Keimstreif.
Orthoptera genuina. Bei allen bis jetzt untersuchten Formen dieser
Gruppe, mit Ausnahme von Oecanthus, ist der Keimstreif von Anfang
an an der Ventralseite des Eies, mit dem Kopfende nach vorne gelagert.
Hier findet sich sonach keine Umrollung. Die Embryonalhüllen entstehen
durch Faltenbildung. Der Keimstreif ist in den meisten Fällen ein ver-
hältnissmässig kurzer (Blatt a nach Cholodkowsky No. 19 und Wheeler
No. 95, Steno bothrus und Mantis nach Graber No. 26 und 30).
Nur bei Gryllotalpa (nach Korotneff No. 47) gewinnt der Keimstreif
eine ansehnliche Länge und erscheint sonach mit seinem vorderen und
hinteren Ende nach der Dorsalseite hinübergeschlagen. Bei sämmtlichen
hierher gehörigen Formen erscheint in späteren Entwicklungsstadien, wie
dies auch bei den Libelluliden, Rhynchoten, Oecanthus,
Phryganiden, bei manchen Coleopteren und in noch stärkerem
Maasse bei den Lepidopteren und gewissen H y m e n o p t e r e n zu
beobachten ist, das hintere Abdominalende ventralwärts eingeschlagen.
Diese Einkrümmimg wird meist noch vor dem Ausschlüpfen rückgängig
gemacht.
Es ist zu erwähnen, dass beiStenobothrus die Bildung der Amnion-
falte in eine sehr frühe Periode der Keimstreifentwicklung fällt. Zu einer
782
XXIII. Capitel.
Zeit, in welcher die Gastrulation erst eingeleitet wird und die Bauchplatte
noch eine rundliche, schildförmige Gestalt hat, wird dieselbe bereits von der
Amnionfalte überwachsen (Gkabke No. 26). Bei Gryllotalpa entstehen
die Embryonalhüllen in Form zweier seitlich sich erhebenden Falten. Bei
Blatta findet zunächst die Erbebung einer Schwanzfalte und paariger, den
beiden Kopf läppen entsprechender Kopffalten statt (ähnlich, wie bei den
Coleopteren). Der Keimstreif der Orthopteren ist im Allgemeinen ein super-
fizieller. Nur bei Stenobothrus wird er - wie wir dies bei den Lepido-
pteren wiederfinden werden — durch Eintritt von Nahrungsdotterpartikel-
chen zwischen die beiden Hüllblätter immers.
Dipteren. Bei allen, bisher untersuchten Dipteren erreicht der
Keimstreif eine ansehnliche Länge, so dass er nicht blos die ganze Ventral-
seite bedeckt, sondern mit seinem Vorderende, noch mehr aber mit seinem
Hinterende so weit dorsalwärts übergeschlagen ist (Fig. 483), dass
Fig. 483. Schematische Seitenansichten des Chironomuseies im Stadium
der Embryonalhüllenbildung (im Anschlüsse an Weismakn und Kupffer).
A beginnende Erhebung der Kopf- und Schwanzfalte {kf und */). B Vereinigung
der beiden Falten und fortschreitende Ueberwachsung des Keimstreifs.
v Ventralseite, d Dorsalseite, a unbedeckter Theil des Keimstreifs, am Amnion,
do Nahrungsdotter, k Kopfende des Keimstreifs, k' ventraler Theil des Keimstreifs,
k" dorsalwärts übergeschlagener Theil des Keimstreifs, k'" hakenförmig eingekrümmtes
Hinterende, kf Kopffalte des Amnions, kl Kopf läppen, r Kückennabel, s Serosa,
sf Schwanzfalte des Amnions , x , x' innere Umschlagstellen des Amnions (U ebergang
in das Ectoderm des Keimstreifs).
die beiden Enden des Keimstreifs einander an der Rückenseite des Eies
beträchtlich genähert erscheinen (x — af). Die spätere Entwicklung, wenn
das Hinterende des Keimstreifs sich an den hinteren Eipol zurückzieht,
ist demnach mit einer starken Verkürzung der Embryonalanlage ver-
bunden.
Die Amnionfalte entsteht hier nicht längs des ganzen Randes des
Keimstreifs gleichzeitig; sondern es zeigt sich zunächst eine Falten-
Insecten. 783
erhebung im Umkreis des Kopfendes (kf) und eine zweite am Hinter-
ende (sf) des Keimstreifs (K o p f f a 1 1 e und S c h w a n z f a 1 1 e des Amnions).
Erst später tritt die Faltenbildung in den mittleren Parthien an den Seiten-
rändern des Keimstreifs ein und dadurch werden die Kopf- und Schwanz-
falte mit einander vereinigt (Chironomus nach Weismann No. 87 und
Kupffek No. 50, Simulia nach Metschnikoff No. 55).
Da die dorsalwärts übergeschlagenen Keimstreifenden einander sehr ge-
nähert sind , so rücken hier auch die inneren Umschlagsränder des Amnions
(bei x und x in Fig. 483 A), wo dasselbe in das Ectoderm des Keimstreifs
übergeht, nahe aneinander. Es folgt hieraus, dass jener Bezirk, im Bereich
dessen die Serosa direct der Oberfläche des Nahrungsdotters aufliegt (r),
bei diesen Formen sehr eingeengt erscheint. Wir werden ganz ähnlichen
Verhältnissen bei den Lepidopteren und Phryganiden begegnen.
Der Keimstreif der Dipteren ist durchgehends ein superficieller; nur das
hinterste Ende desselben erseheint bei Chironomus und Simulia haken-
förmig abgebogen (Fig. 483 -B, k'") und in das Innere des Dotters ver-
senkt. Wir haben hier eine Annäherung an die für die Coleopteren zu
schildernden Verhältnisse. Ein Gleiches ist vielleicht auch bei den Museiden
der Fall.
Es verdient erwähnt zu werden, dass bei einigen Dipteren die Amnion-
f alten rudimentär bleiben und niemals den Keimstreif vollständig überwachsen.
Dies ist nach Metschnikoff (No. 55) bei dem Embryo der viviparen Ceci-
domyalarven der Fall, bei welchem die Kopf- und Schwanzfalte an-
gelegt werden , aber sich nicht weiter entwickeln. Das Gleiche ist nach
Kowalevsky und Graber (No. 27 und 28) bei den Museiden der Fall, bei
denen die Kopffalte äusserst rudimentär bleibt und nur die Schwanzfalte zu
etwas deutlicherer Entwicklung gelangt. Bei der späteren Ausbildung des
Embryos werden diese Falten einfach wieder ausgeglättet und nehmen dann,
wie es scheint , an der Ausbildung der Rückenhaut einen gewissen Antheil.
Trichopteren. Die an dem rundlichen Ei der Phryganiden zu be-
obachtenden Verhältnisse schliessen sich — nach den Beobachtungen von
Patten für Neophylax (No. 65) — ungemein nahe an den normalen
Typus der Dipteren (Chironomus) an. Der äusserst langgestreckte,
superncielle Keimstreif bedeckt auch hier den grössten Theil der Ei-
peripherie, so dass sein Vorder- und Hinterende sich beinahe berühren.
Wir werden sehen, dass nach den Mittheilungen von Graber (No. 27)
auch die Rüekbildungserscheinungen der Keimhüllen in beiden Gruppen
im Wesentlichen nach dem gleichen Typus ablaufen.
Lepidopteren. Auch die Lepidopteren schliessen sich nach den
allgemeinen Verhältnissen der Keimstreif- und Keimhüllenentwicklung
den beiden vorhergehenden Gruppen nahe an. Auffällig ist hier, dass
die Entwicklung der Amnionfalte schon in einer sehr frühen Periode der
Keimstreifentwicklung stattfindet (also ähnlich wie bei Stenobothrus,
vgl. oben pag. 781), zu einer Zeit, wo die Keimstreifanlage oder Bauch-
platte noch eine rundliche, schildförmige Blastodermverdickung (Fig.
484 Ä) darstellt, von deren Rande die Amnionfalte sich erhebt. Erst
später tritt das Längenwachsthmn des Keimstreifs ein, welcher sehr bald,
da Nahrungsdottermassen in den Raum zwischen Amnion und Serosa ein-
treten . zu einem immersen Keimstreif (Fig. 484 B) wird. Da — wie
bei den Dipteren — mit dem fortschreitenden Längenwachsthmn eine
starke dorsale Einkrümmung des Keimstreifs sich entwickelt und die
Amnionhöhle dieser Einkrümmung folgt, so wird jene Stelle des Rückens,
784
XXIII. Capitel.
am
welche die Verbindung zwischen dem Embryo und den Keimhüllen dar-
stellt , allmählich immer mehr und mehr eingeengt (Fig. 484 C, bei x).
Es kommt auf diese Weise zur Entwicklung eines dorsalen Nabel-
gangs, welcher hier insofern von
Bedeutung ist, als er die Passage dar-
stellt, vermittelst welcher die in das
Innere des Embryos aufgenommenen
Nahrungsdottermassen mit den zwischen
Amnion und Serosa befindlichen com-
municiren. Wir könnten mit Rücksicht
auf diese Verhältnisse von den Lepi-
dopteren sagen, ihr Embryo sei rings-
um von einem Dottersacke umwachsen,
welcher durch den dorsalen Nabelgang
mit dem Embryo zusammenhängt.
Hymeiioptereii. Die Hymeno-
pteren zeigen Verhältnisse, welche
sich in den wesentlichen Punkten mit
den für die Dipteren geschilderten in
Uebereinstimmung bringen lassen. Der
Keimstreif ist auch hier stets ein
superfizieller und wird durch das Vor-
rücken einer Kopf- und Schwanzfalte
des Amnions von einer doppelten,
zelligen Hülle (Amnion und Serosa)
überwachsen (Fig. 485 Ä). So wurden
die Verhältnisse von Kowalevsky für
die Biene (Apis) und noch klarer von
Graber für Polistes gallica,
Formica, besonders aber neuerdings
für Hylotoma berberidis darge-
stellt (No. 27 und 30). Es scheint bei
dieser Ueberwachsung (wenigstens bei
Apis) die Kopffalte beträchtlich stärker,
als die Schwanzfalte betheiligt zu sein.
Im Allgemeinen bleibt der Keim-
streif der Hymenopteren verhält-
nissmässig kurz. Er gewinnt keine grössere
Ausdehnung in die Länge, als die Länge
des Eies beträgt (Fig. 485 A), und bleibt
daher auf die Ventralseite desselben be-
schränkt. Dagegen scheint hier der
inneren Umschlagsstelle des Amnions
(Uebergangsstelle in das Ectoderm des
Keimstreifs x und x) ein selbstständiges
Wachsthum nach der Richtung der Dor-
salseite zuzukommen , ein Fall , der bei
den Insecten im Allgemeinen selten ist,
aber in ähnlicher Weise auch den Lepi-
dopteren zuzukommen scheint. Es wird
hierdurch der dorsale Kabelgang immer
mehr eingeengt, bis er durch Ver-
ü/7i
Fig. 484. Schema der Embryonal-
hüllenbildung bei Lepidopteren (A
nach Kowalevsky, B und Cnach Ticho-
miropf).
1< Keimstreif, am Amnion, se Serosa,
do Nahrungsdotter, vd Einstülpung des
Vorderdarms, ed Einstülpung des End-
darms, m Mund, an Afteröfthung, x dor-
saler Nabelgang.
Insecten.
785
schmelzen dieser inneren Falten vollständig abgeschnürt wird (Fig. 485 B).
Der Embryo, dessen Rücken nun unter Zuhülfenahme eines Theiles des Am-
nions bereits verschlossen erscheint, liegt dann völlig frei in zwei zelligen
Säcken, von denen der äussere der Serosa, der innere dem Amnion ent-
spricht (s, am in Fig. 485 B).
Wenngleich das Vorhandensein einer doppelten zelligen Hülle (Amnion
und Serosa) nach den neueren Beobachtungen von Graber für die Hymeno-
pteren kaum zweifelhaft sein kann , müssen wir hier doch erwähnen , dass
andere Autoren ausdrücklich blos das Vorhandensein einer einzigen Embryonal-
hülle, die dann als Serosa in Anspruch genommen werden muss, anerkennen.
V d
oo -ol m,
an
Fig. 485. Zwei Entwicklungsstadien von Hylotoma berberidis im schema-
tischen Medianschnitte (nach Graber).
a1— a10 erstes bis zehntes Abdominalsegment, am Amnion, an After, at Antenne,
bg Bauchganglienkette, do Nahrungsdotter, cd Enddarm, m Mund, md Mandibel,
mx' erste Maxille, mx" zweite Maxille, og oberes Schlundganglion, ol Vorderkopf (Ober-
lippenanlage), p', p", p'" erstes bis drittes Thoraxbeinpaar, s Serosa, sp Speicheldrüsen,
vd Vorderdarm, x, x' innere Umschlagsstellen des Amnions.
Obschon eine Täuschung nach dieser Richtung sehr leicht durch den
Umstand ermöglicht sein kann, dass die innere Hülle (Amnion) sich, wie
aus den Beobachtungen Graber's hervorgeht, dicht an den Keimstreif an-
lagert und dann von dem letzteren nicht unterschieden wird , so ist doch
a priori die Möglichkeit nicht abzuleugnen , dass das Amnion bei der
786 XXIII. Capitel.
Entwicklung der Amnionfalte thatsächlich anfangs rudimentär bleibt, wie wir
dieses oben (pag. 780) für die Kopffalte der Apbiden und für Oecan-
thus (pag. 781) geschildert haben. Es würde dann an dem Rand der
Amnionfalte eine Trennung von Amnion und Serosa stattfinden und die Serosa
in einer Weise selbstständig auswachsen, welche wir als U eberschieb ung
bezeichnen könnten. (Vgl. auch oben die Darstellung der Amnionbildung bei
dem Scorpion pag. 539, Fig. 345). So wurden die Verhältnisse für die
Biene von Bütschli (No. 1.1) und Geassi (No. 32), ferner für Polistes
gallica und für Chalicodoma muraria von Carriere (No. 13) ge-
schildert.
Völlig im Zweifel sind wir noch hinsichtlich des Vorhandenseins und
der Beschaffenheit der Embryonalhüllen bei den Pteromalinen (vgl.
nach dieser Hinsicht das unten pag. 856 über PI aty gaster Mitgetheilte),
bei denen der Endoparasitismus des Embryos und der Larven wesentlich auf
die Entwicklung verändernd eingewirkt hat.
F. Uebergangsformen zwischen den beiden Typen der
Keimstreifentwicklung.
Coleopteren. Der Keimstreif der Coleopteren, welcher gleich
dem der Hymenopteren nur eine massige Ausdehnung in die Länge ge-
winnt, zeigt in seinem vorderen und Haupt- Antheile (Fig. 486 k) die
Charaktere des überwachsenen Keimstreifs. Er ist superficiell und wird
durch die Ausdehnung einer Schwanzfalte (af) und paariger, bald
verschmelzender Kopf falten (af) (vgl. pag. 770, Fig. 476 C, af"), zu
denen bei Lina nach Graber (No. 30) noch selbstständig entstehende
Seitenfalten hinzukommen, überwachsen. Dagegen entwickelt sich
das hintere Ende des Keimstreifs vollständig nach dem für die Libel-
luli den beschriebenen Typus der Invagination. Es findet sich bei
Hydro philus (nach Kowalevsky No. 48 und Heider No. 38) am
hinteren Ende der Keimstreifanlage ein Grübchen (pag. 770, Fig. 476 A,g),
welches vollständig der von den Autoren als Keim hü gel (vgl. oben
pag. 776) bezeichneten Einstülpung entspricht. Indem diese Einstülpung
tiefer wird, entwickelt sich das hinterste Ende des Keimstreifs (Fig.
486 k'), welches dorsalwärts umgeschlagen und in den Dotter versenkt
erscheint. Die hinterste Parthie des Keimstreifs ist hier demnach immers,
sie ist mit dem Analende nach vorne gerichtet und an der Rückenseite
des Eies gelagert — kurz sie weist in Allem die Charaktere des in-
vaginirten Keimstreifs auf (Fig. 486 k').
Der Keimstreif ist demnach bei den Coleopteren ursprünglich über den
hinteren Eipol dorsalwärts herumgebogen. Dementsprechend ist das Kopf-
ende des Keimstreifs von dem vorderen Eipole anfangs ziemlich weit ent-
fernt (pag. 770, Fig. 476 D). Erst allmäblich bewegt sich das Kopfende
nach dem vorderen Eipole (Fig. 476 E), während das Hinterende des Keim-
streifs den binteren Eipol erreicht. Bei dieser Bewegung wird der hintere
invaginirte Theil des Keimstreifs gleichsam aus dem Dotter herausgezogen,
so dass zum Schlüsse der Keimstreif seiner ganzen Ausdehnung nach ein
superfizieller ist. Die erwähnte Bewegung des Keimstreifs entspricht durch-
aus dem Processe der Umrollung. Allerdings tritt bei Hydrophilus der
Riss der Embryonalhüllen erst in einem späteren Zeitpunkte ein.
Aehnliche Verbältnisse, wie die für Hydrophilus geschilderten, liegen
auch bei den übrigen Coleopteren vor, wie dies vor Allem aus den
Insecten.
787
Beobachtungen von Grabek (No. 30) für Lina und von Wheeler (No. 95)
für D o r y p h o r a hervorgeht. Auch hier ist das Hinterende des Keimstreifs
dorsalwärts eingekrümmt und in den Dotter versenkt. Der Hauptunterschied
von Hydrophilus findet sich darin, dass das Kopfende des Keimstreifs von
Anfang an nahe dem vorderen Eipole angelegt wird, was zur Folge hat,
dass hier die Bewegung der Umrollung nicht zur Beobachtung kommt.
Wir haben oben (pag. 783) darauf hingewiesen, dass auch das hinterste
Ende des Dipterenkeimstreifs in ähnlicher Weise wie bei den Coleopteren, wenn-
gleich nicht in derselben Ausdehnung in den Dotter versenkt ist. Wir haben hier
gleichsam die letzten Andeutungen einer Keimstreifbildung durch Invagination.
Das Vorhandensein dieser Spuren, vor Allem aber das Verhalten von Hydro-
philus (und Cecanthus) scheint darauf hinzu-
deuten , dass die Keimstreifbildung durch In-
vagination für die Gruppe der Insecten das
primäre Verhalten ist, während die Ueber-
wachsung durch eine Amnionfalte ein secundäres
Verhalten darstellt (Will No. 97). Die bei
Hydrophilus undOecanthus zu beobach-
tende Bewegung der Umrollung wird nämlich
nur unter
dieser
Annahme verständlich.
G. Allgemeines.
Wir haben oben (pag. 732, Fig. 455 u. 456)
gesehen, dass bei den Myriopoden bei fort-
schreitendem Längenwachsthum des Keini-
streifs derselbe in seiner Mitte eingeknickt
und in das Innere des Eies versenkt wird. In
dieser Einsenkung, welche wir uns zunächst
durch das räumliche Missverhältniss zwischen
dem langgestreckten Keimstreif und der rund-
lichen Eiform entstanden zu denken haben,
werden wir [wie dies schon Graber (No. 149)
andeutete und Will (No. 97) neuerdings
ausführlicher begründet hat] den Ausgangs-
punkt für die Entwicklung des invaginirten
Keimstreifs der Libelluliden zu suchen haben.
WTir werden demnach für die Entwicklung
des Insectenkeimstreifs die Form der In-
vagination als die ursprüngliche betrachten.
Bei einem genaueren Vergleich zwischen den
Verhältnissen der Myriopoden und der Libel-
luliden ergeben sich allerdings gewisse Unter-
schiede. Bei den Myriopoden wird nur der
Keimstreif in die Einsenkung einbezogen.
t-
Fig. 486. Schema eines
medianen Längsschnittes durch
einen Hydrophilus embryo im
Stadium der Fig. 476 D, pag. 770
(nach Heider).
af vordere Amnionfalte, af
hintere Amnionfalte, ah Amnion-
höhle, am Amnion, do Nahrungs-
dotter, Je der segmentirte Keim-
streif, welcher in Wirklichkeit
hier bereits zweischichtig ist,
k' hinteres, dorsalwärts umge-
schlagenes und in den Dotter
versenktes Ende des Keimstreifs,
v Ventralseite, d Dorsalseite des
Eies.
Bei den Libelluliden dagegen, bei denen
der Keimstreif verhältnissmässig kurz ist, nimmt derselbe nur die eine
Seite der Einsenkung ein, während die gegenüberliegende Seite derselben
von einem in die Tiefe der Einsenkung mit hineingezogenen Theile des
Blastoderms eingenommen erscheint, welches dann als Amnion bezeichnet
wird. Hier gewinnt demnach der an der Keimstreifbildung unbetheiligte
Blastodermabschnitt eine grössere Ausdehnung und hiermit ist der erste
Anfang der Keimhüllenbildung gekennzeichnet.
788 XXIII. Capitel.
Bei den Myriopoden bleiben die in die Einsenkung nicht einbezoge-
nen Theile des Keimstreifs einfach unbedeckt. Bei den Libelluliden da-
gegen werden sie von einer secundär sich erhebenden Falte (Amnionfalte)
überwachsen. Diese Faltenbildung stellt eine Neuerwerbung der Insecten
dar, durch welche das System der Embryonalhüllen vervollständigt wird.
Sie wird demnach von Will (No. 97) als secundär er Theil der
Embryonalhüllen dem durch die Einstülpung entstandenen primären
Theil gegenübergestellt. Wir möchten jedoch in dieser Gegenüberstellung
keinen allzuscharfen Gegensatz ausgesprochen wissen.
Bei den höher entwickelten und abgeleiteteren Insectentypen ge-
winnt die secundäre Faltenbildung an Umfang, während die Ausbildung
des Keimstreifs durch Invagination in den Hintergrund tritt. Es leitet
sich auf diese Weise der überwachsene Keimstreif von dem invaginirten
ab. Die Entwicklung des überwachsenen Keimstreifs bedeutete insofern
einen Fortschritt der Entwicklungsweise, als nun der immerhin compli-
cirte Process der Umrollung in Wegfall kam.
Die Fälle von rudimentärer Ausbildung der Embryonalhüllen, wie
sie bei endoparasitischen Eiern (Pteromalinen, Tachiniden), bei den Eiern
der viviparen Cecidomyiden und bei den Museiden beobachtet wurden,
werden wir mit Rücksicht auf das Verhalten anderer nahe verwandter
Formen als abgeleitete betrachten müssen.
Für die Behandlung der Frage nach der physiologischen Bedeutung
der Keimhüllen fehlen uns bisher noch sichere Anhaltspunkte. Wenn
für die Entwicklung des invaginirten Keimstreifs vielleicht die Vergrösse-
rung der dotterabsorbirenden Oberfläche von Wichtigkeit war, so kann
doch dieser Gesichtspunkt für die Erklärung der Ausbildung der über-
wachsenden Amnionfalte nicht in Frage kommen. Für letztere scheint
eine Entwicklungstendenz massgebend gewesen zu sein, welche dahin
führte, den Keimstreif bei seinen mannigfachen Entwicklungsprocessen
von dem directen Contact mit der Innenfläche des Chorions (resp. Dotter-
häutchens) unabhängig zu stellen. Es mag hiermit ein grösserer Schutz
gegen gewisse mechanische Insulte, vielleicht auch gegen die Gefahr des
Ein- und Antrocknens gegeben gewesen sein. Für das letztere scheint
besonders der Umstand zu sprechen, dass bei den Eiern mit rückgebil-
deten Embryonalhüllen (Cecidomyia, Tachinen, Museiden) jene Gefahr in-
folge ihrer äusseren Entwicklungsbedingungen in vermindertem Maasse
vorliegt. Immerhin haben alle diese Vermuthungen nur wenig Befrie-
digendes an sich.
i&>.
4. Ausbildung der äusseren Körperform.
A. Segmentirung.
Sehr frühzeitig machen sich am Keimstreifen der Insecten die ersten
Spuren der Segmentirung bemerkbar, indem derselbe durch oberflächliche
querverlaufende Furchen in eine Anzahl von Theilstücken (Segmenten)
getheilt wird. Es kann diese Gliederung in aufeinanderfolgende Meta-
meren — wie dies bei Hydrophilus (nach Kowalevsky und Heider
pag. 770, Fig. 476 A und B) und bei Chalicodoma muraria (pag.
812, Fig. 498 nach Carriere No. 13) der Fall ist — schon zu einer
Zeit bemerkbar werden, in welcher der Process der Gastrulation erst im
Beginne ist. Er erstrecken sich dann die queren Segmentgrenzen nicht
blos über die Mittelplatte (vgl. unten pag. 807), durch deren Einstülpung
Insecten.
789
das untere Blatt hervorgeht, sondern sie greifen lateralwärts auf die
Seitenplatten (Fig. 498 s) über, welche zum Ectoderm des Keimstreifs
werden. Diese Querfurchen entsprechen dünneren Stellen des Epithels,
welches in diesem Stadium die Embryonalanlage bildet Es ergiebt sich
hieraus, dass bei den genannten Formen nach Ablauf der Gastrulation
nicht blos das Ectoderm, sondern auch das untere Blatt bereits segmen-
tirt ist.
Es wurde von Heider (No. 38) für Hydrophilus behauptet, dass
die erste Andeutung der Segmentirung der Gastrulation sogar vorauseilt.
Die gleichen Querzonen des Blastoderms haben auch Wheeler (No. 95) bei
Doryphora und Graber (No. 30) bei Lina beobachtet, aber in anderer
Weise gedeutet und nicht auf die spätere Segmentirung bezogen.
Fig-. 487. Drei Ehtwieklungsstadien des Keimstreifs von Lina (nach Graber).
A unsegmentirter Keimstreif; in B und C wird die Segmentirung an dem unteren
Blatte erkennbar. 2? mit der Anlage der drei Kiefersegmente, wozu in C noch die
drei Thoraxsegmente und die zwei vordersten Abdominalsegmente hinzukommen.
a', a" erstes und zweites Abdominalsegment, af Amnionfalte, bl ßlastoporus, k',
k", k'" erstes, zweites und drittes Kiefersegment, kl Kopflappen, m Mund, t', t", t'" erstes,
zweites und drittes Thoraxsegment, th Verbreiterung des Keimstreifs in der Thorax-
region, u unteres Blatt.
Ein so frühzeitiges Auftreten der Segmentirung, wie es bei Hydro-
philus und Chalicodoma beobachtet wurde, müssen wir als eine
auf Heterochronie beruhende Fälschung des Entwicklungsprocesses auf-
fassen. Wir werden das bei anderen Formen beobachtete Verhalten als
das ursprüngliche betrachten müssen, bei welchen (wie zum Beispiel bei
Lina und Stenobothrus nach Geaber No. 30) die Gastrulation und
Sonderung des unteren Blattes sich an dem noch unsegmentirten Keim-
streifen vollzieht und erst in späteren Stadien der Zerfall in Segmente
kenntlich wird (Fig. 487). Bei diesen Formen macht sich dann die Seg-
mentirung vorzugsweise an dem eingestülpten unteren Blatte bemerkbar,
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 51
790 XXIII. Capitel.
wenngleich wahrscheinlich in allen Fällen auch das Ectoderm schon früh-
zeitig an derselben partieipirt.
Wir unterscheiden an dem vollständig segmentirten Insectenkeim-
streif (pag. 770, Fig. 476 E und pag. 793, Fig. 488 Ä) einen dem Vorder-
ende und einen dem Hinterende entsprechenden Abschnitt von eigen-
artiger Gestaltung. Die vordere, als primärer Kopf abschnitt zu
bezeichnende Parthie trägt die Mundöffnung und ist durch seitliche Aus-
breitungen, die sogenannten Kopflappen (Fig. 470 £, 487 M), charak-
terisirt, während der hintere Endabschnitt, das sogenannte Analseg-
ment oder Telson, die Afteröffnung (Fig. 488 Äa) trägt. Zwischen
beiden Abschnitten erstreckt sich der segmentirte, primäre Rumpf-
abschnitt. welcher bei den Insecten ganz allgemein aus sechzehn Seg-
menten zu bestehen scheint. Von diesen stellen die drei vordersten die
später in die Bildung des Kopfes mit einbezogenen Kiefersegmente
(Fig. 488 md, mzu mx2) dar, während die drei folgenden zu Thorax-
segmenten (plf p2, p3) sich entwickeln, so dass für den hintersten
Körperabschnitt (das Abdomen) zehn Abdominalsegmente (ausser
dem Telson) gerechnet werden müssen.
Die Zahl von zehn Abdominalsegmenten, nebst dem Telson, scheint für
die Insecten durchaus die typische zu sein. Sie wurde u. A. neuerdings von
Heider an dem Keimstreif von Hydrophilus und von Graber (No. 30)
bei verschiedenen Formen (Lina, Stenobothrus, verschiedene Lepi-
dopteren und Hylotoma) beobachtet. Hiermit stimmen auch die Be-
obachtungen von Wheeler (No. 95), Cholodkowsky (No. 19) und Carriere
(No. 13) überein. In späteren Stadien der Embryonalentwicklung wird die
Zahl der Abdominalsegmente bei einigen Formen anscheinend um eines ver-
mindert, insoferne das zehnte Abdominalsegment mit dem Endsegmente ver-
schmilzt. Dies scheint bei Hydrophilus und Lina der Fall zu sein,
während nach Graber (No. 30) bei den Lepidopteren eine Verschmelzung
des neunten und zehnten Abdominalsegmentes Platz greift, das Telson da-
gegen selbstständig bleibt.
In Bezug auf den primären Kopf ab schnitt ist zu bemerken, dass
man mit Rücksicht auf die von Patten (No. 67) neuerdings beobachtete
und von mehreren Forschern bestätigte Gehirnsegmentirung eine Zusammen-
setzung dieses Abschnitts aus mehreren (drei) mit einander verschmolzenen
Segmenten wird annehmen müssen. (Vgl. nach dieser Hinsicht das unten
pag. 821 ff. über die Entwicklung des Gehirns Gesagte).
Es verdient erwähnt zu werden , dass nach den Angaben verschiedener
Autoren, unter denen vor allem Wheeler (für Doryphora No. 95) und
Carriere (für Chalicodoma No. 13) zu nennen sind, sich zwischen dem
primären Kopfabschnitt und dem ersten eigentlichen Rumpfsegmente (welches
das Mandibelsegment darstellt) ein rudimentäres und transitorisches Körper-
segment, das sog. Vorkiefersegment, einschieben soll. Nach Carriere
entspricht diesem Segmente ein rudimentäres Gliedmaassenpaar, sowie ein
Ganglion der Bauchganglienkette. Letzteres soll zur Bildung der Schlund-
commissur aufgebraucht werden.
Die Kopf läppen treten gewöhnlich schon sehr frühzeitig (Fig. 487 Tel)
auf. Schon an dem noch völlig unsegmentirten Keimstreife ist gewöhnlich
der spätere primäre Kopfabschnitt durch die Ausbreitung der Kopflappen
charakterisirt. Häufig kann man auch beobachten, dass der Rumpfabschnitt
des noch unsegmentirten Keimstreifs entsprechend jener Stelle, an welcher
sich später die Thoraxsegmente ausbilden, eine schwache Verbreiterung auf-
Insecten. 791
weist (Fig. 487 A und B, fh), so dass schon Ayers (No. 1) an dem noch
unsegmentirten Keimstreif von Oecanthus eine primäre Kopfregion, ferner
eine Kiefer-, Thorax- und Abdominalregion unterscheiden konnte. Es sind
durch die verschiedene Mächtigkeit und Breite des Keimstreifs die späteren
Körperregionen angedeutet. Auf dieser Vorbildung der Körperregionen, welche
aber gewöhnlich (wie dies auch in Fig. 487 A der Fall ist) nicht durch
quere Furchen abgegrenzt sind, sondern sich an dem bandförmigen, noch
unsegmentirten Keimstreife als wellige Ausbuchtungen des Seitencontours er-
kennen lassen, beruht die von Gräber (No. 26 und 30) aufgestellte An-
sicht über die primäre Segmentirung des Insecten keimstreif s.
Nach Graber sollte das für die Arthropoden im Allgemeinen erkannte und
besonders von Balfour betonte Gesetz der Entwicklung der Körpersegmente
in der Reihenfolge von vorne nach hinten für die Insecten keine Giltigkeit
haben. Hier sollte der Keimstreif zunächst in Macrosomiten zerfallen, als
welche wir jene , schwach angedeuteten , schon von Ayers gekannten , den
späteren Körperregionen entsprechenden Ausbiegungen des Keimstreifs anzu-
erkennen hätten. Die Makrosomiten sollten durch eine secundäre Segmenti-
rung in Microsomiten (das sind die späteren Körpersegmente) zertheilt wer-
den. Dieser eigenthümliche und von dem der übrigen Arthropoden abweichende
Typus der Segmentirung sei als von einer hypothetischen Ahnenform ererbt
zu betrachten. Wir können uns dieser Auffassung nicht anschliessen. Ab-
gesehen davon, dass bei Hydrophilus (nach Heideb), bei Chalicodoma
(nach Carriere No. 13), bei Mantis (nach Viallanes No. 84) und bei
Xiphidium, einem Locustiden, (nach Wheeler No. 94) von einem der
definitiven Segmentirung vorhergehenden Zerfall des Keimstreifs in Macro-
somiten nichts beobachtet werden konnte, so scheint uns, dass jene Verbreite-
rung des Keimstreifs an der Stelle, aus welcher später die Thoraxregion
hervorgeht, blos auf eine Anhäufung von plastischem Material zurückzuführen
sei, dass dieselbe jedoch nicht als Ausdruck einer wirklichen Segmentirung
betrachtet werden darf. Anders läge die Sache, wenn auch das untere Blatt
an diesem scheinbaren Zerfall in Macrosomiten sich betheiligte. Ein solches
Verhalten wurde von Graber (No. 26) für Stenobot hrus thatsächlich
angegeben. Aus seinen neueren Mittheilungen (No. 30) scheint jedoch her-
vorzugehen, dass die Macrosomitenbildung am unteren Blatte bei Steno-
bothrus nicht ganz deutlich zu erkennen ist. Es bleiben also nach
dieser Hinsicht nur die Mittheilungen Nusbaum's (No. 59) für Meloe übrig,
welche jedoch, da bei Hydrophilus und Lina kein Macrosomitenzerfall
des unteren Blattes zu bemerken ist, wohl noch einer Nachuntersuchung be-
dürfen.
Im Allgemeinen geht die Ausbildimg der Körpersegmente an dem
Keimstreife der Insecten in der Reihenfolge von vorne nach hinten vor
sich. Dies wurde neuerdings besonders von Graber (No. 30) für ver-
schiedene Formen (Stenobothrus, Hylotoma, Lina) beobachtet.
So erfolgt z. B. bei Lina zunächst die Ausbildung der drei Kiefer-
segmente (Fig. 487 B, h'—~k'"), zu denen im nächsten Stadium die drei
Thoraxsegmente nebst den beiden vordersten Abdominalsegmenten hinzu-
kommen (Fig. 487 0), während die übrigen Abdominalsegmente erst
später zur Entwicklung gelangen. In anderen Fällen scheint die Aus-
bildung der Körpersegmente nach der ganzen Länge des Keimstreifs mehr
gleichzeitig vor sich zu gehen. Doch sind unsere Kenntnisse nach dieser
Hinsicht bisher noch sehr lückenhaft. Eine Ausnahme von der Regel macht
Hydrophilus, indem bei dieser Form die Entwicklung der Körper -
51*
792 XXI1L Capitel.
Segmente einer mittleren Region etwas verzögert erscheint, während die
vorderen und hinteren Parthien des Keimstreifs in der Entwicklung
rascher fortschreiten. Bei Pieris eilen nach Graber (No. 30) die
Thoraxsegmente allen anderen in der Entwicklung voran. Bald darauf
kommen die Kiefersegmente und erst zum Schluss die Abdominalsegmente
zur Ausbildung.
B. Vorderdarm und Enddarm. Oberlippe.
Die nächsten an dem Keimstreifen nach vollendeter Segmentirung
auftretenden Veränderungen beziehen sich auf die Entwicklung des
Vorderdarms und Enddarms und der Gliedmaassenanlagen. Der
Vorderdarm und der Enddarm werden als Ectodermeinstülpungen im
Bereiche des primären Kopfabschnittes und des Endsegmentes angelegt
(Fig. 487 C, m\ Fig. 488 A, m und «). Im Allgemeinen scheint bei den
Insecten die Ausbildung des Vorderdarmes der des Enddarmes ein wenig
vorauszueilen (Fig. 487 0, m). Eine Ausnahme hiervon würden die
Museiden darstellen, wenn sich die Beobachtungen Voeltzkow's (No.
85) und Graber's (No. 28) über das frühzeitige Auftreten der Enddarm-
einstülpung bei diesen Formen bestätigen sollten.
Gewöhnlich fällt ungefähr in die Zeit des Auftretens der Vorderdarm-
einstülpung auch das Erscheinen einer vor derselben gelegenen den
Vorderrand der primären Kopfregion einnehmenden Vorwulstung, des so-
genannten Vor der köpf es (Fig. 488 vk), welcher die gemeinsame An-
lage der Oberlippe und des Clypeus darstellt. In vielen Fällen
erscheint diese Anlage zunächst in der Form paariger Höckerchen (pag.
822, Fig. 502 l), welche erst später durch Verschmelzung in der Median-
linie zur Bildung einer unpaaren, aber in der Mitte noch etwas eingebuch-
teten Vorwölbung Anlass geben. So ist es bei den Coleopteren (Hy-
drophilus, nach Kowalevsky, Graber No. 25 und Heider, bei Lina
nach Graber No. 30, bei Meloe nach Nusbaum No. 63, bei Acilius
nach Patten No. 67), bei den Lepid opferen (nach Tichomiroff
No. 79 und Graber No. 30), bei Chalicodoma (nach Carriere No. 13)
und bei anderen Formen. Dagegen soll bei der Biene nach Grassi
(No. 32), ferner bei Blatta (nach Cholodkovsky No. 19) und bei
Mantis (nach Viallanes No. 84) die Anlage von ihrem Ursprünge an
eine unpaare sein. Die Entstehung des Vorderkopfes, welcher von vielen
Autoren einfach als „Oberlippenanlage" bezeichnet wird, aus einer paari-
gen Anlage, hat vielfach die, wie uns scheint, nicht genügend begründete
Deutung veranlasst, dass derselbe einem präoralen Extremitätenpaare
gleichzusetzen sei. Nach dieser Richtung sind neuerdings vor Allem
Patten (No. 67 , welcher den Vorderkopf einfach als erstes Antennen-
paar bezeichnet) und Carriere (No. 13) zu nennen. Uns scheint die
Oberlippe der Insecten ihr Homologon in den Oberlippenbildungen der
übrigen Arthropoden (speciell der Crustaceen) zu finden, für welche
nirgends eine derartige Deutung zutrifft.
Es muss erwähnt werden, dass bei manchen Insecten in früheren em-
bryonalen Stadien dicht hinter dem Munde eine aus paarigen Anlagen ent-
stehende, wie es scheint , provisorische Unterlippenbildung sich findet (nicht
zu verwechseln mit der definitiven Unterlippe der Insecten , welche durch
Verschmelzung des zweiten Maxillenpaares entsteht). Diese Unterlippenbildung
wurde zuerst von Bütschli (No. 11) bei der Biene erkannt (seine sog.
Insecten.
793
inneren Antennen) und später von Tichomieofp bei den Lepidopteren auf-
gefunden. Heider beschreibt sie als „seitliche Mundlippen" bei Hydro-
philus, während sie neuerdings auch Nusbaum (No. 63) bei Meloe be-
obachtet hat. Diese Unterlippenbildung Hesse sich am ehesten den Para-
gnathen der Crustaceen vergleichen, wenngleich eine Homologisirung mit diesen
wohl als ausgeschlossen erscheinen dürfte.
H.
,is/i:
C. Extremitäten.
Die Gliedmaassen erscheinen als taschenförmige, im Allgemeinen
nach hinten gerichtete Ausstülpungen der Segmentoberfläche. Als vor-
derstes echtes Gliedmaassenpaar ist die Antennen anläge zu betrach-
ten, welche dem primären Kopfabschnitte angehört und nahe dem hinte-
ren Rande der Kopflappen, an der Stelle, wo dieselben in das Mandibular-
segment übergehen, entspringt (Fig. 488 an, Fig. 489 at). Es verdient
besonders hervorgehoben zu
werden, dass die Antennen-
anlage bei ihrem ersten Er-
scheinen — was schon Weis-
mann (No. 87) betont hat
— postoral gelagert ist (Fig.
489 at) und erst später neben
den Mund rückt, um schliess-
lich vor, respective über dem-
selben eingefügt zu erschei-
nen. Die Antennenanlage
stimmt ihrem Aussehen, ihrer
Entwicklung und ihrer Lager-
ung nach durchaus mit den
übrigen Gliedmaassenanlagen
überein.
st
ff-
t ■
9-
Die wichtige Entdeckung
Weismann's , dass die Anten-
nenanlage ursprünglich eine
postorale Lagerung einnimmt,
hat neuerdings von Seiten ver-
schiedener Forscher (Graber
No. 25 und Heider No. 38
für Hydrophilus, Patten
für Acilius No. 67, Graber
für Stenobothrus, Lepi-
dopteren, Hylotoma No.
30, Nusbaum No. 63 für Me-
loe, Wheeler No. 95 für
Doryphora, Carbi ere No.
13 für Chalicodoma u. A.) eine Bestätigung erfahren. Es liefert dieses
Lagerungsverhältniss , sowie die Uebereinstimmung der Antennenanlage mit
den übrigen Gliedmaassenanlagen nach dem gesammten Entwicklungsgange eine
wichtige Stütze für unsere schon oben bei Peripatus (pag. 696ff.) ausgesprochene,
aber auch für die Insecten zutreffende Ansicht, dass die Antenne eine erst
secundär vor den Mund gerückte, den übrigen Rumpfgliedmaassen völlig
Fig. 488. Hydrophilusembry onen mit
Extremitätenanlagen (nach Heider, aus Lang's
Lehrbuch).
a AfteröÖhung, an Antenne, g Anlage der
Bauchganglienkette, m Mundöffnung, md Mandibel,
mxx erste, mx% zweite Maxille, plr p2, p3 erstes bis
drittes Thoraxbeinpaar, p4, p5, plt p$ Extremitäten-
rudiment des ersten, zweiten, vierten und sechsten
Abdominalsegmentes, st Stigmen, vk Vorderkopf.
794 XXIII. Capitel.
homonome Bildung1) sei, und demnach nicht auf die primären Kopftentakel
der Anneliden zurückgeführt werden könne.
Caeeieee (No. 13) hat für Chalicodoma das Vorhandensein eines
präantennalen Gliedmaassenrudimentes angegeben. Nach ihm repräsentirt die
Anlage des Vorderkopfes das erste Gliedmaassenpaar, das präantennale Rudi-
ment das zweite, die Antenne das dritte, die transitorische Gliedmaasse des
hypothetischen Vorkiefersegmentes (vgl. oben pag. 790) das vierte und die
Mandibel das fünfte Paar der Gliedmaassenreike. Wir möchten diese Angaben
nicht ohne weitere Bestätigung als Schema für die Gliedmaassenreihe der
Insecten ansehen.
Von den nach hinten folgenden Extremitäteiianlagen werden die drei
folgenden Paare als Kiefer (Mandibeln, erste Maxille, zweite Maxille,
Fig. 488, 489 nid, mxu mx2) umgebildet. Entsprechend ihrer späteren
Gestalt nehmen die Anlagen im Embryo frühzeitig eine complicirtere
Ausbildung an, indem die Mandibeln gezähnt, die Maxillen gelappt er-
scheinen. Die zweiten Maxillen verschmelzen in späteren Stadien mit
einander zur Bildung der Unterlippe. Eine mächtige Entwicklung, ge-
winnen in den meisten Fällen die folgenden drei Extremitätenpaare
(Thoraxbeinpaare Fig. 488, 489 pu p2, p8), an denen sich bald die
ersten Spuren der späteren Gliederung bemerkbar machen.
Bei den Libelluliden erscheint die Anlage der zweiten Maxille im
Embryo mächtig vergrössert (pag. 777, Fig. 480 mx2) , so dass sie nach
ihrem Aussehen mehr mit den Thoraxextremitäten als mit den übrigen Kiefer-
anlagen übereinstimmt. Wahrscheinlich steht die mächtige Entwicklung dieses
Extremitätenpaares im Zusammenhang mit dem beträchtlichen Umfang, welchen
die aus demselben sich entwickelnde Unterlippe (Fangmaske) in der Larve
gewinnt (vgl. unten pag. 850).
Hinsichtlich der Reihenfolge des Auftretens der einzelnen Extremitäten
sind unsere Kenntnisse bisher noch ziemlich lückenhaft. Im Allgemeinen ist
auch hier vielfach das Gesetz der Entwicklung in der Reihenfolge von vorne
nach hinten zu erkennen. Bei vielen Formen scheint die Antenne zuerst
angelegt zu werden, während die Kiefer- und Beinanlagen sämmtlich gleich-
zeitig, aber etwas später zur Ausbildung kommen. So ist es bei Hydro-
philus, bei Melolontha und Stenobothrus der Fall. Bei Lina
gehen nach Geabee (No. 30) die Mandibeln in ihrem Erscheinen den An-
tennen voraus. Bei den Libelluliden treten nach Brandt (No. 7) zu-
nächst die Anlagen der Thoraxbeine , dann die der Kiefer und erst später
die der Antennen auf. Dagegen treten bei jenen Insecten , deren Larven
fusslos sind, die Anlagen der Thoraxbeinpaare verspätet und verkümmert auf
(Apis und Chalicodoma), oder es unterbleibt die Anlage vollkommen
(Museiden). Im ersteren Falle wird das Extremitätenrudiment noch vor
dem Ausschlüpfen der Larve rückgebildet, Es würde von Interesse sein, zu
untersuchen, in welcher Beziehung diese sich rückbildende Anlage zu den in
den späteren Embryonalstadien sich entwickelnden Imaginalscheiben der
Thoraxbeine steht, worüber — so viel uns bekannt — bisher keine Angaben
vorliegen.
Bald nach dem Auftreten der Thoraxextremitäten machen sich auch
an den Abdominalsegmenten rudimentäre Extremitätenanlagen
!) Von diesem Gesichtspunkte aus ist eine von Kriechbaumer hei Bombus be-
obachtete Misshildung (Entomol. Nachr. 15. Jg.) nicht ohne Interesse, bei welcher eine
Antenne heinähnlich deformirt war und an ihrem Ende zwei wohl entwickelte Klauen trug.
Insecten.
795
(Fig. 488 pt
in den meisten Fällen
■p9, Fig. 489 Äav
-a8) bemerkbar. Dieselben entsprechen
der Lage und der Art ihrer Entwicklung nach
durchaus den Extremitätenanlagen der vorhergehenden Segmente, so dass
wir sie denselben als vollkommen gleichwerthig erachten dürfen. Die
erste Angabe über die Extremitätenanlage des ersten Abdominalsegmentes
rührt von Rathke (für Gry llotalpa), die erste Mittheilung über das
Vorhandensein von Extremitätenrudimenten an sämmtlichen Ahdominal-
segmenten von Bütschli (No. 11 für die Biene) her. Neuerdings sind
diese Angaben vielfach an den verschiedensten Insectenformen bestätigt
worden (vgl. über die sehr ausgedehnte Litteratur dieses Punktes vor
Allem Graber No. 25 und 30, Wheeler No. 91 und Carriere No. 15).
Es ist zunächst, wie schon Graber betont hat, hervorzuheben, dass bei
den Orthopteren und Coleopteren, sowie zum Theil bei den
Hemipteren die Anhänge des ersten Abdominalsegmentes gegenüber
denen der folgenden Segmente eine mächtigere und in den späteren
A
— CL
Fig". 489. Zwei Entwicklungsstadien des Keimstreifs von Melolontha (nach
Graber).
A jüngeres Stadium mit acht Paaren. von Abdominalbeinanlagen (a1 — as). B älteres
Stadium. Der Keimstreif ist sehr verbreitert.
ax Extremität des ersten Abdominalsegmentes (in B sackförmig erweitert), as Ex-
tremität des achten Abdominalsegmentes, an After, at Antenne, bg Bauchganglienkette,
g Gehirn, l Oberlippe, m Mund, md Mandibel, >nx' erste, mx" zweite Maxille, p1, p2,
p3 erstes, zweites, drittes Thoraxbeinpaar, s Seitenstränge der Bauchmarkanlage,
st Stigmen, z Anheftungsstelle der sackförmigen Extremität des ersten Abdominal-
segmentes.
Stadien eigenartige Ausbildung erlangen, während bei den Lepidop-
teren und Hymenopteren die Extremitätenanlagen des ersten Ab-
dominalsegmentes zum Theil in geringerer Entfaltung, niemals aber in
stärkerer Ausbildung auftreten, als die der folgenden Segmente.
Bei den ersteren Formen weisen die Anlagen des ersten Abdominal-
segmentes —
obachten ist
wie dies bei rudimentären Organen überhaupt häufig zu be-
— in ihren späteren Entwicklungszuständen eine beträchtliche
796 XXIII. Capitel.
Variabilität auf. Am meisten beinähnlich erscheinen sie bei Mantis, wo
sich nach Graber sogar eine übrigens auch bei anderen Formen bemerkbare
Andeutung einer Gliederung vorfindet, indem der fingerförmige Fortsatz durch
eine quere Einschnürung in zwei Abschnitte getheilt erscheint. Eine ganz
excessive Entwicklung nehmen die fraglichen Gebilde bei Melolontha
(Fig. 489 B, a1) nach Graber, wo sie sich zu grossen, im Innern mit Blut
gefüllten Säcken umbilden, deren Wand aus mächtig vergrösserten , grob-
körnigen Elementen zusammengesetzt erscheint. In vielen anderen Fällen
nehmen die Anhänge des ersten Abdominalsegmentes eine Ausbildung an,
welche durchaus für ihre Bedeutung als Drüse zu sprechen scheint, indem die
Wand ihrer distalen Parthie aus sehr vergrösserten, häufig pigmentirten, grob-
granulirten, drüsigen Zellen gebildet erscheint. Die Anhänge erscheinen dann
pilzhutförmig gestaltet (Gryilotalpa, Hydrophilus) oder sie nehmen,
wenn die distale drüsige Fläche sich einsenkt, die Gestalt eines gestielten Bechers
an (Meloe' nach Nusbaum). Schliesslich können sie überhaupt durch ein
unter die Körperoberfläche eingesenktes Säckchen (Ten ebrio nach Carriere)
oder ein ähnlich gestaltetes solides Gebilde [Cicada und Zaitha (eine
Wasserwanze) nach Wheelee] repräsentirt sein. Die einzelnen Formen dieses
Gebildes sind unter einander durch mehrfache Uebergangsformen verknüpft.
Verschiedentlich wurde die Ausscheidung eines gallertartigen (bei Meloe
nach Nusbaum, bei Cicada nach Wheeler) oder eines fädigen Secretes
(Zaitha nach Wheeler) beobachtet. Die physiologische Bedeutung dieser
Organe erscheint trotz der zahlreichen, über dieselben bekannt gewordenen
Beobachtungen noch durchaus dunkel; man hat sie als embryonale Respi-
rationsorgane (Kiemen) oder als Drüsen in Anspruch genommen. Im All-
gemeinen werden wir uns davor hüten müssen, den Involutionsformen eines
zu einer gewissen Mächtigkeit angewachsenen, rudimentären Organes eine allzu-
grosse physiologische Bedeutung beizumessen. Es sei darauf hingewiesen,
dass der Charakter der hier als drüsig betrachteten Zellen sehr mit dem
der Elemente des Rückenorganes (eingestülpte Serosa) vor seinem beginnenden
Zerfalle übereinstimmt. Die in Rede stehenden Anhänge werden stets vor
dem Ausschlüpfen der Larve vollständig rückgebildet.
Das Gleiche ist in der Regel auch mit den in den meisten Fällen be-
trächtlich kleineren Anhängen der hinteren Abdominalsegmente der Fall.
Möglicherweise nehmen sie bei ihrem Verschwinden an der Ausbildung der
seitlichen Theile der Bauchplatten einen gewissen Antheil, wie diess Haase
(No. 153) unter Hinweis auf das Verhalten von Ma Chilis und Blatta
vermuthet und Graber (No. 30) neuerdings für Melolontha wahrschein-
lich gemacht hat.
Hinsichtlich der Entwicklung der abdominalen Extremitäten (Scheinfüsse,
pedes spurii) bei den Lepidopterenraupen und den After raupen
der Blattwespen scheint aus den Untersuchungen von Kowalevsky (für
Sphinx), Tichomiroef (für Bombyx) und Graber (No. 30 für Bombyx
und Hylotoma) hervorzugehen, dass zunächst an sämmtlichen oder den
meisten Abdominalsegmenten Extremitätenrudimente erscheinen, dass sie jedoch
an jenen Segmenten, welche in der Larve der Extremitäten entbehren, sehr
bald verschwinden, während sie an den übrigen Segmenten sich in die blei-
benden Scheinfüsse umwandeln. Dieser Auffassung stehen die Beobachtungen
Gossens' und Knatz's, nach denen einzelne Paare dieser Scheinfüsse erst
während des Larvenlebens zur Entwicklung kommen, anscheinend ungünstig
gegenüber. Wir müssten hier , wie dies auch Graber (No. 30) hervorhebt,
eine längere Zeit in latentem Zustande verbleibende embryonale Anlage sup-
poniren. Im Allgemeinen scheinen uns doch die embryologischen Daten für
Insecten. 797
die Ansicht Balfour's, der sich neuerdings Cholodkowsky (No. 19) ange-
schlossen hat, und Graber (No. 30) zuneigt, zu sprechen, dass die abdo-
minalen Anhänge der Lepidopteren- und Hymenopterenraupen als echte Ex-
tremitäten in Anspruch zu nehmen seien. Wir haben für das Verschwinden
und die Wiederentwicklung einer Extremität aus einer inzwischen latent ver-
bliebenen Anlage bei den Crustaceen verschiedene Beispiele kennen gelernt
(Mandibulartaster der Decapodenlarven pag. 495, Maxillarfüsse der Stomato-
poden pag. 485). Ein ähnliches Beispiel liefern unter den Insecten die
Thoraxbeine bei vielen Hymenopteren , welche im Embryo angelegt werden,
später verschwinden , um in der Imago wieder aufzutreten. Den gleichen
Process werden wir auch zur Erklärung für das phylogenetische Auftreten
der Abdominalbeine der Raupen und Afterraupen herbeizuziehen haben.
Denn es dürfte wohl kaum zweifelhaft erscheinen, dass wir die Lepido-
pteren und Hymenopteren, sowie sämmtliche Heteromorpha von
homomorphen Ahnenformen abzuleiten haben, welche im Larvenzustande
der Abdominalbeine entbehrten. Die Larvenform der Baupe muss uns
demnach, trotz ihrer scheinbaren Aehnlichkeit mit Peripatus, als ein in
Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse secundär erworbener Entwicklungs-
zustand erscheinen (vgl. unten pag. 858).
Eine besondere Erwähnung verdienen die Anhänge des letzten Abdominal-
segmentes (After- oder Endsegment), welche bei vielen Insectenordnungen,
besonders bei den tieferstehenden (Orthopteragenuina,Ephemeriden,
Odonaten, Plecoptera), zeitlebens als sog. Raife (Cerci) persistiren.
Es muss noch — bei der Ausnahmestellung des Endsegmentes — als zweifel-
haft bezeichnet werden, ob wir diese Anhänge den übrigen echten Extremi-
täten als gleichwertig erachten dürfen. Nach den Untersuchungen von
Cholodkowsky (No. 19) scheint die Entwicklung derselben bei Blatta für
diese Ansicht zu sprechen. Sie treten hier nicht nur in, völlig gleicher Ge-
stalt wie die übrigen Abdominalanhänge auf, sondern es erstreckt sich auch
in sie, wie in die übrigen Extremitätenanlagen ein Fortsatz des in dem End-
segment zur Entwicklung kommenden Cölomsäckchens. Den Cerci sind
vielleicht die unter oder neben dem After gelegenen hinteren Extremitäten
der Lepidopterenraupen homolog, die sog. Nach Schieber, welche
sich nach Graber (No. 30) an dem Endsegmente entwickeln. Ihnen ent-
sprechen die dreigliedrigen Analraife der Tenthredinidengattung Lyda und
die für andere Formen als Afterspitzchen bezeichneten Bildungen (Ne-
matus nach Zaddach, und Hylotoma nach Graber No. 30). Dagegen
sind die sog. Nachschieber vieler Blattwespenlarven ein dem zehnten oder
vorletzten Abdominalsegment zugehöriges Anhangspaar.
In einer gewissen Beziehung zu den abdominalen Extremitätenanlagen
stehen auch die bei vielen Orthopteren sich findenden und bei den Männchen
zeitlebens persistirenden , stets ungegliederten Anhänge der Bauchplatten des
neunten Abdominalsegmentes, welche als Styli bezeichnet werden. Nach
Cholodkowsky (No. 19) gehen sie bei Blatta aus der embryonalen Ex-
tremitätenanlage dieses Segmentes hervor. Dagegen will Haase (No. 153)
dieselben ebenso wie die an den Abdominalsegmenten der Thysanuren sich
findenden Anhänge (Ventralgriffel), nicht als Rudimente wirklicher Extremi-
täten, sondern nur als sog. „Hüftsporne" betrachtet wissen.
Es würde sich hier die Frage anschliessen , inwieweit die äusseren Ge-
schlechtsanhänge, die sog. Gonapophysen, auf abdominale Extremitäten-
anlagen zurückzuführen sind. Wir wissen aus den Untersuchungen von Krae-
pelin und Dewitz (No. 103), dass die Legeröhren der Hymenopteren und
Locustiden , sowie die entsprechenden Genitalanhänge der Männchen dieser
798 XXIII. Capitel.
Formen aus Imaginalscheiben des achten und neunten Abdominalsegmentes
hervorgehen, welche bei ihrem ersten Auftreten in der Larve grosse Aehn-
lichkeit mit jenen Imaginalscheiben der Corethralarve aufweisen, aus
denen die Thoraxbeine erzeugt werden (vgl. unten pag. 862). Es wurden
daher vielfach (so z. B. von Bütschli No. 11) die Gonapophysen dieser
Formen auf echte abdominale Extremitätenanlagen bezogen. Zur Begründung
dieser Annahme wäre der bisher noch nicht geführte Nachweis erforderlich,
dass die erwähnten Imaginalscheiben sich aus den im Embryo vorhandenen,
abdominalen Extremitätenanlagen entwickeln. Es sei erwähnt , dass neuer-
dings Haase (No. 153) im Anschlüsse an Uejaxin, aber wie uns scheint,
mit nicht ausreichender Begründung, die Richtigkeit dieser Auffassung für
die Gonopophysen in Abrede stellt, sondern dieselben blos als secundär
erworbene, äussere Anhangsbildungen betrachtet wissen will.
Wir werden dem Vorhandensein von abdominalen, später sieh rück-
bildenden Extremitätenanlagen am Insectenembryo eine gewisse phylo-
genetische Bedeutung nicht absprechen können. Bei der nahen Verwandt-
schaft der Insecten mit den Myriopoden und Peripatus werden wir in dem
Auftreten dieser Anlagen die ontogenetische Reeapitulation der Verhält-
nisse einer Insectenahnenform erblicken, bei welcher noch sämmtliche
Körpersegmente mit wohlentwickelten, der Gestalt nach den jetzigen
Thoraxbeinen ähnlichen Beinpaaren versehen waren. Ein gewisses Ge-
wicht werden wir auf die Thatsache zu legen haben, dass bei den Ortho-
pteren die embryonale Extremitätenanlage des ersten Abdomialsegmentes
stets mächtiger entwickelt ist, als die der folgenden Segmente und bei
Ma ntis direct beinähnlich gestaltet erscheint. Da sich beiCampodea
(vgl. Haase No. 153) an diesem Segmente ein echtes Beinrudiment er-
halten hat, so ist es gestattet, die Frage aufzuwerfen, ob bei der Rück-
bildung der Abdominalextremitäten in der Ahnenreihe der Insecten dem
hexapoden Zustand nicht zunächst ein octopoder vorherging. Es würde
hieraus sich erklären, dass das in Rede stehende Segment in manchen
Punkten seiner Entwicklung sich mehr den Thoraxsegmenten, als den
Abdominalsegmenten anschliesst.
Au den Abdominalsegmenten der Thysanuren finden sich kleine be-
wegliche Fortsätze (Ventralgriffel), welche vielfach als Extremitätenrudimente
in Anspruch genommen worden sind. Neuerdings spricht ihnen Haase (No.
153) mit Rücksicht auf das Vorkommen ähnlicher Bildungen an den Coxen
der Beine von Scolopendrella, sowie an den beiden hinteren Thorax-
beinpaaren von Machilis diese Bedeutung ab und deutet sie lediglich als
beweglich gewordene Hüftsporne. Eine definitive Entscheidung dieser Frage
ist erst durch die Entwicklungsgeschichte zu erwarten.
Die Extremitätenanlagen, welche sich als sackförmige Ausstülpungen
der Oberfläche des Keimstreifs darstellen, sind in ihrem Inneren vom
Beginn ihrer Entwicklung an mit Mesodenn erfüllt. Während bei den
meisten Insecten anfangs nur ungeordnete Zellmassen des Mesoderms
in das Innere der Extremitätenanlage eintreten, schliessen sich die Or-
thopteren insofern mehr an die Myriopoden und an Peripatus an, als
hier Divertikel der Cölomsäckchen in die Extremitätenanlage aufgenom-
men werden (Cholodkowsky No. 19, Graber No. 26 und 30).
Insecten. 799
D. Nervensystem und Tracheeneinstülpungen.
Die Anlagen dieser beiden Organsysteme tragen wesentlich zur
Ausbildung des Reliefs des Insectenkeimstreifs bei. Das Nervensystem
macht sich in der Anlage meist schon frühzeitig, vor dem Auftreten der
Extremitätenanlagen bemerkbar. Wir erkennen als Anlage der Bauch-
ganglienkette zwei neben der Medianlinie nach der Länge des Keimstreifs
verlaufende Wülste (Primitiv Wülste Fig. 489 A, s) und eine zwischen
beiden gelegene Rinne (Primi tivrinne, Neuralrinne). Schon früh-
zeitig macht sich an den Primitivwülsten die Segmentirung bemerkbar,
indem erweiterte Stellen (die Anlagen der Bauchganglien) mit eingeengten
Stellen (Längscommissuren) segmentweise abwechseln (Fig. 488 A, g).
Die Primitivwülste treten nach vorne direct in die Kopf läppen ein ; dieser
Theil muss als Anlage der Schlundcominissur betrachtet werden. Er geht
in die als beträchtliche Ectodermverdickung im Bereich der Kopflappen er-
kennbare Gehirnanlage über, deren genauere Gestaltung unten (pag.821 ff.)
dargestellt werden soll. Die Gehirnanlage und die Anlage der Bauch-
ganglienkette sind demnach bei den Insecten von ihrem ersten Auftreten
an im Zusammenhang.
Die Tracheen werden als segmentweise sich wiederholende Ecto-
dermeinstülpungen angelegt (Fig. 488, 489 st). Die Mündungen der Ein-
stülpungen werden später zu den Stigmen. Die Tracheeneinstülpungen
kommen ganz allgemein an dem ersten bis achten Abdominalsegmente
vor. Im Thorax, für welchen wir als ursprüngliches Verhalten wohl auch
das Vorhandensein von je einem Paar von Einstülpungen in jedem Seg-
mente annehmen dürfen, erscheinen die Verhältnisse nach den einzelnen
Gruppen verschieden. Bei den Lepid opferen wird am Prothorax eine
Tracheeneinstülpung angelegt, während der Meso- und Metathorax einer
solchen entbehren. Dagegen besitzen die Embryonen der meisten C o 1 e o p -
teren und der Hymenopteren (Apis nach Bütschli, Hylotoma
nach Graber No. 30) keine Tracheenanlage am Prothorax, jedoch weisen
sie dieselbe am Meso- und Metathorax auf. Die gleichen Verhältnisse
zeigt der Embryo von Mantis (nach Graber No. 30).
Die Tracheeneinstülpungen entwickeln sich in der Regel erst nach dem
Auftreten der Extremitätenanlagen. Eine Ausnahme hiervon macht Apis, wo
im Bereich des Thorax die Tracheeneinstülpungen früher vorhanden sind als
die verspäteten Beinanlagen. Meist treten sämmtliche Tracheeneinsenkungen
ziemlich gleichzeitig auf. Nur selten lässt sich ein Hinweis auf die Reihen-
folge der Entwicklung von vorne nach hinten erkennen. So tritt bei Hydro-
philus das mesothoracale Stigma etwas früher auf (Graber No. 25), als die
Stigmen der übrigen Segmente.
Bei Coleopteren haben Heider (No. 38) und Wheeler (No. 95) Rudi-
mente von Tracheeneinstülpungen an dem neunten und zehnten Abdominal-
segmente vermuthet.
Es muss hier erwähnt werden , dass man gewisse im Kopfe auftretende
Ectodermeinstülpungen auf umgewandelte und zu einer anderen Function
herangezogene Tracheenbildungen zurückgeführt hat. Noch neuerdings be-
trachtet Carriere (No. 13) die Speicheldrüsen und die Tentoriumeinstülpungen
von diesem Gesichtspunkte aus. Andererseits wurden auch die Malpighi' sehen
Gefässe mit Tracheeneinstülpungen homotyp betrachtet (Bütschli, Grassi).
Wir werden unten eingehender begründen, warum wir uns dieser Auffassung
nicht anschliessen.
800 XXIII. Capitel.
E. Uebergang zur definitiven Körperform.
Die Ausbildung der definitiven Körpergestalt vollzieht sich durch
eine Umwachsung des gesammten Nahrungsdotters durch den Keimstreif.
Wir haben oben (pag. 772) gesehen, dass in späteren Entwicklungsstadien
der Keimstreif in der Regel derart gelagert erscheint, dass sein Vorder-
ende dem vorderen Eipole, sein Hinterende dem hinteren Eipole ent-
spricht. Indem sich nun am Keimstreifen ein beträchtliches Breitenwachs-
thum geltend macht, schieben sich die Seitenränder desselben an der
Oberfläche des Nahrungsdotters dorsalwärts empor (vgl. pag. 803, Fig. 492
A—F und pag. 838 ff., Fig. 511, 512, 513 und 514). Auf diese Weise
werden die Seitentheile und (später) die Rückenparthie des Larvenkörpers
gebildet. Der Nahrungsdotter gelangt bei dieser Umwachsung vollständig
in das Innere des Embryos und erfüllt zum Schlüsse das Lumen der
Mitteldarmanlage (Fig. 492 F). Der infolge der Umwachsung des Nahrungs-
dotters durch den Keimstreif bewerkstelligte Verschluss des Rückens ist
so innig mit der Rückbildung der Embryonalhüllen verknüpft, dass wir
auf diese Vorgänge unten noch genauer zurückkommen müssen.
Eine etwas andere nicht ausschliesslich auf dem Breitenwachsthum
des Keimstreifs beruhende Art der Ausbildung des Rückenantheils findet
sich im Bereiche des Kopfabschnittes. Hier nehmen die Kiefersegmente
an der Ausbildung des Rückenantheils nur in geringem Maasse Theil.
Der Abschluss des Rückens wird hier durch die dorsalwärts übergeschlage-
nen Kopflappen, sowie durch den Vorderkopf bewerkstelligt. Hier wird
demnach das Vorderende des Keimstreifs dorsalwärts übergeschlagen. Es
entwickelt sich eine förmliche dorsale Scheitelbeuge, auf welche zuerst
Weismann, später Hatschek und Heider (No. 38) hingewiesen haben.
Bei dieser Abknickung des Vorderendes tritt der dem Mund zunächst
gelegene Theil des Vorderkopfes als querer Wulst (Oberlippe) hervor.
Der früher vorderste Antheil des Vorderkopfes wird nun zu dem weiter
hinten gelegenen Clypeus. Die Kopflappen machen bei dieser Bewegung
nach der Dorsalseite eine rotirende Bewegung, in Folge deren die An-
tennenanlagen vor resp. über den Mund rücken.
5. ßückenabscüluss und Involution der Embryonalhäute.
Bei den meisten der früher betrachteten Arthropoden (Crustaceen,
Arachniden, Myriopoden etc.) geht die Entwicklung unter Aus-
bildung eines sogenannten Keimstreifs, aber ohne Entwicklung eigent-
licher Embryonalhüllen vor sich. Die Oberfläche des gesammten Eies
wird dann zum Theil von der streifenförmigen Embryonalanlage, zum
anderen Theil jedoch von einer unverändert gebliebenen Blastodermparthie
bedeckt. Die Rückenbildung geht hier in der Weise vor sich , dass der
Keimstreif bei fortschreitendem Breitenwachsthum sich über eine immer
grössere Parthie der Eioberfläche ausbreitet, während der Bereich des
unveränderten Blastodermabsclmittes immer mehr eingeengt wird. Im
Allgemeinen wird angenommen, dass der letztere an dem Rückenabschlusse
Theil nimmt, indem er unter histologischen Umwandlungen zur Bildung
von Keimstreifectoderm herangezogen wird. Möglicherweise unterliegt
aber auch bei diesen Formen ein Theil dieses Blastoderms einer allmäh-
lichen Rückbildung. Wir haben wenigstens (vgl. oben pag. 350) ver-
mutungsweise die Bildung des sogenannten Dorsalorgans gewisser
Insecten.
801
Crustaceen auf derartige Rückbildungsvorgänge bezogen. Eine ähnliche
Form der Rückenbildung findet sich vielleicht auch bei den Poduriden,
bei denen ein in frühen Embryonalstadien sich entwickelndes Dorsalorgan
beobachtet ist, welches mit einer den Embryo umhüllenden Larvencuticula
in Verbindung steht (Lemoine No. 51), im Uebrigen aber seiner Bedeu-
tung nach noch ziemlich dunkel ist (vgl. oben pag. 769).
Bei den meisten Insecten liegen die Verhältnisse insofern com-
plicirter, als hier an der Grenze des Keimstreifs und des unveränderten
Blastodermabschnittes sich die Amnionfalte erhebt, deren Rückbildung
mit der Herstellung des Rückenabschlusses in inniger Weise verknüpft ist.
Einen sehr einfachen Fall der Rückenbildung, den wir aber gewiss
nicht als einen ursprünglichen betrachten dürfen, finden wir bei den
Museiden und einigen anderen Dipteren, deren Amnionfalte in rudi-
mentärer Weise zur Entwicklung kommt (vgl. oben pag. 783). Hier
wird (nach Kowalevsky No. 49 und Graber No. 28) die Amnionfalte
einfach wieder ausgeglättet. Amnion und Serosa stellen dann zusammen
ein einfaches Epithel dar, welches durchaus dem unveränderten Theil
des Blastoderms bei den Crustaceen, Arachniden und Myriopoden ent-
spricht und auch hier den gleichen Antheil an der Rückenbildung zu
nehmen scheint, Complicirtere und sehr mannigfaltige Verhältnisse der
Rückenbildung und der Involution der Embryonalhüllen finden wir bei
den übrigen Insecten, bei denen wir nach dieser Hinsicht vier verschiedene
Typen unterscheiden müssen.
A. Involution unter Ausbildung eines continuir-
liehen, dorsalen Amnion-Serosasackes.
Wir haben bei der Darstellung der Li bei Ul-
li den -Entwicklung (oben pag. 777, Fig. 480 C) ge-
sehen, dass nach erfolgter Umrollung, die mit ein-
ander verwachsenen Embryonalhüllen (Amnion und
Serosa) eine Membran darstellen, welche den dor-
salwärts gelegenen Dottersack umhüllt {am-\-se).
Die Verhältnisse sind alsdann ziemlich ähnlich, wie
bei den Museiden nach Ausglättung der Amnion-
falten. Man kann an dieser Membran den von der
Serosa und von dem Amnion gelieferten Theil deut-
lich unterscheiden. Denn während der Serosa-An-
theil sich durch fortschreitende Contraction zur Bil-
dung einer Rücken platte1) ungemein verdickt,
hat das Amnion den Charakter eines zarten Platten-
epithels beibehalten (vgl. auch pag. 780, Fig. 482 C
und D, am, r).
Die weiteren Schicksale der Embryonalhüllen bei
den Libelluliden sind nicht beobachtet worden. Wir
können aber unsere Schilderung durch Herbeiziehung
anderer Formen, welche die gleichen Entwicklungs-
]) Das Dorsalorgan der Poduridenembryonen scheint
eine Bildung eigener Art zu sein, welche nicht auf die hier
in Rede stehende Rückenplatte zu beziehen ist. Hierfür spricht
sein frühzeitiges Auftreten (vgl. Lemoine No. 51).
am —
Fig. 490. Sche-
matische Darstellung
der Ausbildung des
Rückenrohres durch
Einstülpimg der
Rückenplatte (umge-
wandelte Serosa). Im
Anschlüsse an Stad.
Fig. 480 C und Fig.
482 D.
am Amnion (nun den
provisorischenRücken-
verschluss bildend), r
Rückenrohr, dessen
Zellen sind schon theil-
weise desaggregirend.
802
XXIII. Capitel.
Verhältnisse aufweisen, ergänzen. Der Nahrungsdotter gelangt bei fort-
schreitender Entwicklung immer mehr in das Innere des Embryos, genauer
gesprochen des sich entwickelnden Mitteldarms. Es wird in Folge dessen
der Dottersack verkleinert, und da durch die Aufnahme des Nahrungsdotters
in das Innere des Mitteldarms — bildlich gesprochen — auf die Rücken-
platte eine Art Saugwirkung ausgeübt wird, stülpt sich dieselbe nach Innen
ein und bildet ein dickwandiges Säckchen, das sogenannte Rückenrohr
(Rücken organ, Dorsalorgan Fig. 490 r), dessen Wände bald einem
Zerfall unterliegen, indem die degenerirenden Serosazellen den epithelialen
Zusammenhang aufgeben und als vereinzelte Zelltrümmer mit dem übrigen
Nahrungsdotter in das Innere des Darmcanals aufgenommen werden.
Gleichzeitig mit diesem Zerfall, der zum völligen Untergang des Rücken-
organs führt, scheint sich die äussere Einstülpungsöffnung vollständig zu
schliessen. Auf diese Weise wird der Serosa - Antheil der Wand des
Fig. 491. Drei Embryonen von Hydro philus in späteren Stadien, von der
Dorsalseite gesehen (nach Kowalevsky, ans BalfoüR's Handbuch).
A die Serosa hat sich an die Dorsalseite zurückgezogen und zur Bildung der
Rückenplatte (do) verdickt. B die Rückenplatte (do) wird von der dorsalwärts über-
schlagenen Amnionfalte theilweise überwachsen (vgl. Fig. 492 D). C das Rückenruhr
ist -vollkommen entwickelt und mündet nur mit einem vorderen Porus nach Aussen
(vgl. Fig. 492 E).
at Antennen, do Rückenorgan in verschiedenen Stadien der Ausbildung.
Dottersackes dem Untergang entgegengeführt. Es verbleibt nun noch
der Amnionantheil dieser Wand, welcher mit dem Ectoderin der Embryonal-
anlage in directer Communication stehend, einen provisorischen Rücken-
abschluss darstellt. Es muss noch durchaus als zweifelhaft erscheinen,
inwieweit dieser provisorische Abschluss in den späteren definitiven über-
geht, d. h. ob und inwieweit das Amnion in definitives Ectoderm um-
gewandelt Wird (eine Ansicht, welcher neuerdings vor Allem Grabee
No. 27 zuneigt). Da es als ein sehr merkwürdiges Verhalten erscheinen
müsste, wenn die spätere Rückenhaut in früheren embryonalen Stadien
als ventralwärts umgeklappte Embryonalhülle (Amnion) verwendet würde,
da andererseits, wie wir unten pag. 804 ausführen werden, bei Dory-
phora von Wheeler (No. 95) der Untergang des Amnions direct be-
obachtet wurde, so werden wir uns die Ansicht offen halten müssen,
ob nicht im Allgemeinen bei den Insecten der Keimstreif allein die ge-
sammte Embryonalanlage darstellt und auch durch dorsale Vereinigung
Insecten.
803
den definitven Rückenabschluss bewirkt, während das Amnion allerdings
für den provisorischen Verschluss des Rückens in Verwendung kommen
kann , aber später einer allmählichen Resorption unterliegt.
Die geschilderten Verhältnisse der Rückenschliessung unter Entwicklung
eines Dorsalorgans und provisorischem Verschluss des Rückens durch das
Amnion treffen wahrscheinlich für die Libelluliden zu. Sie rinden sich
ferner bei sämmtlichen Rhynchoten [vgl. die Angaben Geabee's (No. 27)
Fig. 492. Schema der Bildung des Bückenorgans bei Hydro philus (nach
Gräber und Kowalevsky, aus Lang's Lehrbuch).
• A Querschnitt durch ein Ei, dessen Keimstreif noch von Amnion (a) und Serosa
(s) überdeckt ist. B Amnion und Serosa sind in der Mittellinie verwachsen und zer-
rissen und haben sich nach Art einer Falte seitlich zurückgezogen. C durch Con-
traction der Serosa (s), welche zur Bückenplatte wird, rückt die Falte mehr dorsalwärts
(vgl. Fig. 491 A). D die contrahirte Serosa wird von der Falte überwachsen (vgl.
Fig. 491 B). E durch Verwachsen der Falte ist das Bückenrohr zum Abschluss ge-
kommen (vgl. Fig. 491 C). F der Mitteldarm hat sich dorsalwärts geschlossen und das
Eückenrohr (s) in sich aufgenommen.
a Amnion, d Nahrungsdotter, ec Ectoderm, h Herz, l Leibeshöhle, in Mitteldarm-
anlage, n Nervensystem, s Serosa (in C und D = Bückenplatte, in E und F = Bücken-
rohr), tr Tracheenhauptstamm.
für Pyrrhocoris, Metschnikoff's (No. 55) und Bbandt's für Corixa und
Hydrometra sowie Metschnikoff's und Witlaczil's für Aphiden] und
bei den meisten Orthoptera genuina (Blatta nach Wheelee, Oecan-
thus nach Ayeks No. 1, Gryllotalpa nach Koeotxeff No. 47).
Dem geschilderten Umwandlungstypus gehören auch unter den Coleo-
pteren, bei denen das Hinterende des Keimstreifs durch Invagination angelegt
wird, einige Formen zu (z. B. Hydrophilus nach Kowalevsky No. 48,
Heidee No. 37, Geabee No. 27 und Melolontha nach Geabee No. 27).
Hier ergiebt sich nur insofern ein Unterschied , als der Riss der Embryo-
804
XXIII. Capitel.
nalhüllen erst nach abgeschlossener Umrollungsbewegung (vgl. oben pag. 786)
zu einer Zeit erfolgt, in welcher der Keimstreif bereits vollständig ventral-
wärts gelagert und superficiell ist. Die mit einander verwachsenen Embryo-
nalhüllen reissen in der Medianlinie ein und ziehen sich an die Seiten des
Keimstreifs zurück, wo sie eine ganz ähnliche Falte darstellen, wie zu Beginn
ihrer Entwicklung (Fig. 492 B). Indem diese Falten sich über die verdickte
Rückenplatte (s) dorsal wärts umschlagen (Fig. 492 D) und in der dorsalen
Mittellinie mit einander verwachsen , wird aus der Serosa ein vollständiges
Rohr (Rücken röhr Fig. 492 E) gebildet, während das Amnion den provi-
sorischen Rückenabschluss übernimmt. (Ganz ähnlich sind die Verhältnisse
der Entwicklung des Rückenrohrs bei den Orthopteren). Bei dem später
sich ausbildenden, dorsalen Verschluss des Mitteldarms gelangt das Rücken-
rohr sammt dem ganzen Nahrungsdotter in das Innere desselben (Fig. 492 F).
Bei Hydrophilus sind die Rückenplatte und das Rückenrohr durch ihre
ansehnliche Länge ausgezeichnet (vgl. Fig. 491). Sie erstrecken sich über
die gesammte Dorsalfläche des Eies. Der durch das Verwachsen der dorsal -
wärts übergeschlagenen Amnionfalte bewerkstelligte Abschluss des Rücken-
rohres vollzieht sich hier von hinten nach vorne, so dass vorne längere Zeit
ein Porus als Oeffnung des Rückenrohres zu bemerken ist (Fig. 491 C).
B. Involution unter ausschliesslicher dorsaler Zurückziehung
des Amnions.
Dieser Typus wurde bei einigen Co leopt er en (Chrysomelinen)
beobachtet (Fig. 493). Die Serosa (s) bleibt hier von dem ganzen In-
Fig. 493. Schemel der Rückenbildung bei Doryphora (an Querschnitten, nach
Wheeler)
am Amnion (in B als provisorischer Rückenabschluss verwendet, in Cin Auflösung
begriffen), k Keimstreif, * Serosa.
volutionsproeess vollständig unberührt und bis in späte Entwicklungs-
stadien an der Innenseite des Chorions dicht anliegend erhalten. Der pro-
visorische Verschluss des Rückens wird durch das nach erfolgtem Ein-
reissen die Oberfläche des Nahrungsdotters dorsalwärts überwachsende
(Fig. 493 B) Amnion (am) bewerkstelligt. Wenn in späteren Entwicklungs-
stadien der Keimstreif sich immer mehr und mehr über die Rückenseite
des Eies ausbreitet, so geht das Amnion einen Rückbildungsprocess
(Fig. 493 C) ein, indem seine Zellen sich dorsalwärts anhäufen (diese
Anhäufung hat Wheeler bei Doryphora als amniotisches Dorsalorgan
bezeichnet), sich desaggregiren und im Nahrungsdotter zerstreuen, wo sie
schliesslich zu Grunde gehen (vgl. Wheeler No. 95). Diesem Typus
gehören Doryphora (nach Wheeler), Lina (nach Graber) und viel-
leicht auch Donacia (vgl. Melnikoff No. 53) an.
Insecten.
805
C. Involution unter ausschliesslicher dorsaler Zurückziehung
der Serosa und Amputation des Amnions.
Dieser Typus schliesst sich an den ersten ziemlich nahe an. Er
wurde von Graber für Chironomus (Fig. 494) und die Phryganiden
beobachtet. Hier reisst blos die Serosa (s) ventralwärts ein und zieht
sich in die Gegend des Rückennabels (Fig. 494 B) zurück, wo sie unter
Bildung eines ganz ähnlichen Dorsalorgans, wie es bei den Orthopteren
und Rhynchoten sich findet, rückgebildet und in das Innere des Dotters
versenkt wird (Fig. 494 C). Das Amnion bleibt zunächst unverändert.
Die Schliessung des Rückens erfolgt in der Weise, dass der dorsale Nabel-
gang (vgl. oben pag. 784) sich immer mehr verengt und schliesslich
durchschnürt (Fig. 494 C). Das Amnion wird also "durch Amputation
vom Embryo abgestossen und umhüllt denselben als allseitig geschlossener
Sack bis zum Ausschlüpfen.
B
C
s —
~ am.
am.
cum.
Fig. 494. Involution der Embryonalhäute bei Chironomus (Schema nach
Graber).
am Amnion, r Rückennabel, s Serosa, welche sich in B nach der Gegend des
Rückennabels zurückgezogen hat und in C in das Innere des Embryos aufgenommen ist.
D. Involution unter Amputation beider Embryonalhüllen.
Dieser Typus lässt sich von dem vorhergehenden ableiten, wenn wir
uns denken, dass die Serosa nicht einreisst und sich überhaupt nicht
wesentlich verändert. Es werden dann durch die Durchschnürung des
dorsalen Nabelgangs, welche den Rückenabschluss vervollständigt, beide
Embryonalhüllen vollständig vom Embryo abgetrennt (pag. 785, Fig.
485 B). Sie umhüllen — wie wir dies oben fürHylotoma erwähnten
— als zwei vollständig geschlossene, ineinander liegende Säcke den Embryo
bis zu seinem Ausschlüpfen. Dieser Typus kommt den Hymenopteren
Korscheit- Heider , Lehrbuch. 52
806 XXIII. Capitel.
und Lepidopteren zu. Bei den Lepidopteren (vgl. pag. 784, Fig.
484 C), deren Keimstreif immers ist, bleiben zwischen Amnion und Serosa
Nahrungsdotterreste liegen, und diese Reste dienen sammt der meist aus
mächtigen Zellen bestehenden Serosa dem jungen ausschlüpfenden Räup-
chen als erste Nahrung (Ganin No. 23).
E. Aligemeines.
Wir werden den ersten der geschilderten Entwicklungstypen, bei
welchem nach erfolgter Umrollung und Ausbildung eines continuirlichen
dorsalen Amnion-Serosa-Sackes Zustände herbeigeführt werden, wie wir
sie bei den übrigen Arthropoden überhaupt vorfinden, worauf eine all-
mähliche Rückbildung der Serosa unter Einstülpung derselben erfolgt,
als den ursprünglichsten betrachten dürfen. Damit steht in Ueberein-
stimmung, dass dieser Typus bei jenen Insectenordnungen verbreitet ist,
welche wir im Allgemeinen als die ursprünglicheren ansprechen. Da-
gegen werden wir den vierten Entwicklungstypus, bei welchem beide
Embryonalhüllen unter Continuitätstrennung (Amputation) von dem Embryo
abgestossen werden, als den abgeleitetsten betrachten. Der dritte Typus
steht zwischen beiden in der Mitte. Hinsichtlich der Art der Rückbildung
der Serosa nähert er sich dem ersten, durch die Amputation des Amnions
aber dem vierten Typus. Der zweite Typus scheint eine im Bereich der
Coleopteren selbstständig erworbene Form der Rückenschliessung dar-
zustellen.
Bei dem ersten Entwicklungstypus wird die Ausbildung des Amnion-
Serosa-Sackes durch ein Einreissen beider, mit einander verschmolzenen
Embryonalhüllen eingeleitet. Dieses Einreissen in der ventralen Mittel-
linie findet bei den Libelluliden blos im Bereiche des Kopfabschnittes
statt. Bei dem zweiten Entwicklungstypus wird blos das Amnion, bei
dem dritten blos die Serosa von diesem Einreissen betroffen, während
bei dem vierten Entwicklungstypus beide Embryonalhüllen bis zum Aus-
schlüpfen der Larve unzerrissen bleiben.
6. KeiinblätterMldung.
Die älteren Angaben über den Schichtenbau des Insectenkeimstreifs
waren durchaus ungenügend. Erst Bütschli (No. 11) fand, dass bei der
Biene durch eine Art Faltenbildung eine untere Schichte des Keimstreifs
hervorgehe. Bald darauf legten Kowalevsky's (No. 48) an der Hand
der Querschnittmethode durchgeführten Untersuchungen die Grundlage
zu genauerer Erkenntniss. Kowalevsky fand, dass bei Hydrophilus
eine nach der ganzen Länge der Keimstreifanlage verlaufende Rinne
(pag. 770, Fig. 476 A, B, r) angelegt werde, welche, indem sie sich ein-
senkt, das untere Blatt des Keimstreifs, d. i. die gemeinsame Anlage
von Entoderm und Mesoderm liefert (pag. 817, Fig. 500 A — C). Aehn-
liche Verhältnisse fand Kowalevsky bei Apis, bei den Lepidopteren
und bei einigen anderen Formen. Wir müssen die erwähnte Rinne als
eine ungemein langgestreckte, die ganze Ventralseite der Embryonalanlage
von der Stelle der späteren Vorderdarmeinsenkung bis zur Stelle, an
welcher sich später der Enddarm bildet, einnehmende Gastrulaeinsenkung
in Anspruch nehmen, und die Ränder der Rinne als einen äusserst in
die Länge gezogenen Blastoporus betrachten. Das bei Hydrophilus
Insecten. 307
durch Schliessung der Rinne entstehende Rohr werden wir als Urdarm
in Anspruch nehmen dürfen.
Die erste Anlage für die Gastrularinne liefern bei den Insecten zwei
in der verdickten Bauchplatte zu beiden Seiten der Medianlinie längs-
verlaufende Falten (pag. 812, Fig. 498 f), durch deren Erhebung ein
mittlerer Abschnitt der Bauchplatte, die sogenannte Mittel platte (m),
von den seitlich gelegenen Seitenplatten (s) getrennt wird. Indem
die Mittelplatte sich einkrümmt und durch die Falten, deren Erhebung
die Ränder des Blastoporus kennzeichnete, überwachsen wird, entsteht
das Gastrularohr (pag. 817, Fig. 500 A, r), durch dessen Ausbildung aus
der Mittelplatte das untere Blatt des Keimstreifs gebildet wird. Aus den
Seitenplatten geht dann das Ectoderm des Keimstreifs hervor. Die Ver-
wachsung der Ränder des Blastoporus, durch welche der Verschluss des
Urdarmrohres bewerkstelligt wird, erfolgt am spätesten im Bereiche des
vordersten Abschnittes der Rinne (vgl. pag. 770, Fig. 476 B und C) , ent-
sprechend jener Stelle des Keimstreifs, an welcher später die Vorderdarm-
einstülpung zur Entwicklung kommt.
Bei Hydrophil us sind die Verhältnisse der Entwicklung der Gastrula-
rinne insofern einigermassen von dem allgemein gültigen Schema abweichend,
als hier der mittlere Theil der Rinne in seiner Ausbildung verzögert er-
scheint, während der vordere und hintere Abschnitt früher zum Verschlusse
kommt. Es ergiebt sich hieraus für den Umriss des Blastoporus in einem
gewissen Stadium eine flaschenförmige Gestalt (pag. 770, Fig. 476 Ä): indem
die Ausbauchung der Flasche dem in der Entwicklung verzögerten Theile
des Keimstreifs entspricht.
Während der Einstülpung der Mittelplatte und der Umwandlung
derselben in das Urdarmrohr ergiebt sich eine Veränderung des histo-
logischen Charakters (pag. 817. Fig. 500 A und B). Während sie ur-
sprünglich aus einem hohen Cylinderepithel bestand, welches im weiteren
Verlaufe mehrschichtig wird, indem die einzelnen Zellen sich keilförmig
übereinander schieben, werden die Zellen in späteren Stadien immer mehr
und mehr kubisch oder unregelmässig polygonal (Fig. 500 B) und zeigen
auch weniger regelmässige Anordnung. Gleichzeitig wird das Urdarm-
rohr nach der dorsoventralen Richtung coinprimirt. Während es auf
diese Weise sich nach der lateralen Richtung unter die Seitenplatten
(Ectoderm) verbreitert, geht sein ursprünglich kreisrundes Lumen in die
Gestalt einer horizontalen Spalte über, welche bei Hydrophilus noch
lange als Grenze zwischen zwei Schichten des unteren Blattes kenntlich
bleibt (Heider Kr. 38).
Eine derartige Gastrularinne wurde von fast sämmtlichen neueren Autoren,
w:elche auf dem Gebiete der Insectenentwicklung gearbeitet haben, für die
verschiedensten Formen bestätigt. Sie muss daher als ein ganz allgemeines
Vorkommen betrachtet werden. Es verdient sonach wenig Berücksichtigung,
dass Korotneff (No. 47) diese Rinne bei Gyllotalpa vermisste. Ebenso
war der negative Befund Witlaczil's (No. 98) an Aphiden mit Rücksicht
auf den schon früher erfolgten Nachweis dieser Rinne bei Pyrrhocoris
durch Gräber (No. 24) wenig glaubwürdig. Neuerdings wurde die Gastrula-
rinne der Aphiden durch Will (No. 97) beobachtet.
Im Einzelnen ergeben sich allerdings für den Gastrulationsprocess der
Insecten zahlreiche Variationen. Nicht immer verläuft derselbe unter Aus-
52*
808
XXIII. Capitel.
bildung eines so deutlich entwickelten Rohres, wie dies bei Hydrophilus der
Fall ist. Der Einstülpungsprocess erscheint in einzelnen Fällen mehr ver-
wischt und verschiedenartig modificirt, so dass wir für denselben drei ver-
schiedene Typen feststellen können :
1) Durch eigentliche Einstülpung und Bildung eines Rohres (Fig. 500 Af
pag. 817). Eine in der Mediane der Bauchplatte gelegene Platte (die Mittel-
platte) wird durch seitliche Falten begrenzt und in die Tiefe versenkt, indem
sie sich zu einem Rohre einkrümmt (Hydrophilus, Musca, Pyrrhocoris
etc). Erst nach Ausbildung dieses Rohres verlieren die Zellen den epithe-
lialen Zusammenhang und lockern sich etwas, während sie unregelmässig poly-
gonale Gestalt annehmen.
2) Durch seitliche Ueberschiebung (Fig. 495). Die Mittelplatte son-
dert sich vom Ectoderm des Keimstreifs nicht durch Faltenbildung, sondern
an der Stelle dieser lateralen Falten wird der Zusammenhang zwischen Ecto-
derm und Mittelplatte gelöst und die freien Ectodermränder schieben sich
über die in die Tiefe versenkte Mittelplatte nach der Medianlinie, wo sie
verschmelzen. Auch hier wird der epitheliale Zusammenbang der Mittel-
platte erst später gelockert. Dieser
Typus scheint bei verschiedenen
Hymen opferen und Lepidop-
teren vorzukommen. Er wurde von
Kowalevsky und Gkassi (No. 32)
bei Apis und von Kowalevsky (No.
48), dessen Angaben Bobretzky (No.
6) bestätigte, bei Lepidopteren
beobachtet.
3) Durch Zelleimvucherung von
einer medianen Rinne. Es wird hier
im Bereich der medianen Rinne der
Zusammenhang der Zellen schon bei
der Ausbildung dieser Keimfurche ge-
lockert, und die einzelnen Elemente
des unteren Blattes rücken mehr durch
eine Art Wanderung unter das Ecto-
derm und unter die lateralen Parthien
des Keimstreifs. Dieser Typus scheint
nach Will (No. 97) bei den Aphiden, nach Patten bei den Phrygani-
den (No. 65) vorzukommen.
Bei dem zweiten und dritten Bildungstypus kommt es natürlich nicht
zur Ausbildung eines Rohres mit deutlichem Lumen. Die Zellmasse des unteren
Blattes ist hier von ihrer Entstehung an eine solide und breitet sich all-
mählich unter den Seitenplatten aus. Uebrigens sind die genannten Typen
der Entwicklung durch Uebergänge unter einander verbunden. So scheint
es nach den neuen Mittheilungen von Graber (No. 30) , wie wenn bei den
Lepidopteren gelegentlich ein zwischen dem zweiten und dritten ver-
mittelnder Typus zur Beobachtung käme.
Es wurde von Wheeler für Doryphora und von Graber für Lina
beobachtet, dass das hinterste Ende der Gastrularinne in gewissen Stadien
eine Art gabeliger Theilung aufweist (pag. 789, Fig. 487), ein Verhalten,
für welches wir allerdings noch keine Erklärung beizubringen im Stande sind.
Die aus der Gastrulaeinstülpung hervorgegangene Zellschicht (unteres
Blatt) stellt die gemeinsame Anlage von Entoderm und Mesoderm dar.
Es ist erst in neuerer Zeit bekannt geworden, in welcher Weise diese
Fig. 495. Zwei aufeinander folgende
Stadien der Gastrulation von Apis. (Quer-
schnitte durch den Keimstreif nach Grassi).
b unteres Blatt, ec Ectoderm.
Insecten. 809
beiden Keimblätter bei den Insecten sich von einander trennen. Wir
müssen uns nach dieser Richtung vorzugsweise auf die Angaben Kowa-
levsky's für Musca (Nr. 49), Heider's für Hydro philus (Nr. 38)
und Wheeler's für Doryphora (Nr. 95) stützen. Kowalevsky machte
für Musca zuerst bekannt, dass der grösste Theil des unteren Blattes
ausschliesslich Mesoderm liefert, und dass nur entsprechend dem vordersten
und hintersten Ende des Keimstreifs je eine Zellmasse zur Bildung des
Entoderms aufgebraucht werde. Wir müssen demnach bei den Insecten
von einer vorderen und hinteren Entodermanlage sprechen. In dem
Maasse, als die als Ectodermeinstülpungen sich entwickelnden Ein-
senkungen des Vorderdarms und Enddarms zur Ausbildung kommen,
drängen sie die Zellmässen der beiden Entodermanlagen vor sich in die
Tiefe und vollziehen hierdurch die Loslösung derselben von dem Meso-
derm. Die beiden Entodermanlagen stellen nun Zellanhäufungen dar,
welche den blinden Enden der Vorder- und Enddarmeinstülpung dicht
angelagert sind. Sie breiten sich bald zu zwei uhrglasförmigen Anlagen
aus, welche mit ihrer Concavität gegen einander gerichtet sind, mit ihrer
convexen Seite aber gegen den betreffenden Eipol sehen. Bald jedoch
ändern sie ihre Form, indem aus ihnen zwei laterale Streifen hervor-
wachsen, so dass die beiden Entodermanlagen nunmehr die Gestalt eines
U annehmen (vgl. Fig. 496 eri). Die Schenkel der vorderen und hinteren
U- förmigen Anlage sind gegen einander gerichtet und wachsen gegen
einander, bis sie sich erreichen und mit einander verschmelzen. Dann
besteht also die aus der Verwachsung der beiden Eiförmigen Anlagen
entstandene Entodermanlage aus zwei nach der Länge des Keimstreifs
sich hinziehenden, meist unter den Ursegmenten gelegenen Streifen,
welche vorne und hinten in einander übergehen und an dieser Stelle mit
den Einstülpungen des Vorderdarms und Enddarms innig verwachsen
sind. Indem nun diese lateralen Entodermstreifen sich allmählich ver-
breitern, beginnen sie den Nahrungsdotter, an dessen Oberfläche sie
liegen, allmählich zu umwachsen. Diese Umwachsung macht meist zu-
nächst an der Ventralseite grössere Fortschritte, so dass die beiden Ento-
dermstreifen zuerst in der ventralen Mittellinie und erst später in der
dorsalen sich mit einander vereinigen. Der Nahrungsdotter kommt auf
diese Weise vollständig in das Innere der Mitteldarmanlage (vgl. unten
pag. 831 ff.).
Bei Musca wird — was übrigens auch bei einigen anderen Formen
beobachtet worden ist — nicht der gesammte Nahrungsdotter in das Innere des
Mitteldarms aufgenommen, sondern es bleibt ein kleiner vorderster und hin-
terster Antheil in der Leibeshöhle, um daselbst resorbirt zu werden.
Kowalevsky hat bereits darauf hingewiesen, dass es die medianen
Parthien des unteren Blattes sind, welche am vordersten und hintersten
Ende des Keimstreifs durch das Vordringen der Vorder- und Enddarmein-
stülpung als Entodermanlagen losgetrennt werden. Die lateralen Parthien
gehen auch hier in Mesoderm über. Kowalevsky hat deshalb die Keim-
blätterbildung bei den Insecten mit der von Sagitta in Vergleich ge-
setzt. Diese Auffassung hat durch die neueren Untersuchungen an
Cole opferen (Heider Nr. 38, Wheeler Nr. 95) durchaus an Stütze
gewonnen. Hier kann man noch vor dem Auftreten der Vorder- und
Enddarmeinstülpung die Entodermanlage als eine mediane Wucherung
vom Grunde der eingestülpten Gastrularinne ausgehen sehen (Fig. 497),
810
XXIII. Capitel.
während die lateralen Mesodermparthien in Form seitlicher Säcke ange-
ordnet erscheinen (Fig. 496 B und D). Es wird hierdurch die Sonderung
der Keimblätter für die Insecten dem Typus der Abfaltung, wie er bei
Sagitta (vgl. oben pag. 244) zu beobachten ist, nahe geführt. Die
Haupteigenthümlichkeit ergiebt sich für die Insecten aus der beträcht-
lichen Längsstreckung der Gastrulaeinstülpung. Wir können für die sich
sm
Fig. 496. Schematische Darstellung der Keimblätterbildung bei Doryphora
(nach Wheeler).
A Oberflächenansicht, B Querschnitt durch das vordere Ende des Keimstreifs auf
der Höhe der Linie aa, C Querschnitt durch die Mitte des Keimstreifs, entsprechend
der Linie bb, D Querschnitt durch das hintere Ende des Keimstreifs entsprechend der
Linie cc.
bl Blastoporus, ec Ectoderm, en' vordere U-förmige Entodermanlage, en" hintere
U-förmige Entodermanlage, ms Mesoderm.
einstülpende Mittelplatte, wie dies schon Rabl (Theorie des Mesoderms,
Morph. Jahrb. 1889) gethan hat, einen medianen unpaaren Entodermstreifen
und paarige Mesodermstreifen annehmen. Der Entodermstreif ist aber durch
Fig. 497. Schematische Darstellung der Sonderung der Keimblätter im vor-
dersten Abschnitte des Keimstreifs von Hydrophilus (Querschnitt nach Heider).
dz Dotterzellen, ec Ectoderm, en Entoderm, ms Mesoderm.
die Längsstreckung der Gastrularinne in eine vordere und hintere Parthie
(Fig. 496 en en") zerdehnt, so dass im Bereich des grössten Theils des
Keimstreifs die beiden lateralen Mesodermstreifen sich einfach in der
Medianlinie berühren (Fig. 496 C).
Insecten. 811
Eine wichtige Stütze für die genannten Anschauungen würde sich aus
der Mittheilung Bütschli's (No. 12) ergeben, wonach bei der Keimblätter-
bildung am hinteren Keimstreifende von Musca der Urdarm thatsächlich in
einem gewissen Stadium durch Faltenbildung in drei mit einander zusammen-
hängende Divertikel zertheilt werden soll, von denen ein unpaares medianes
— ganz wie bei Sagitta — als Entodermanlage, die paarigen, lateralen
dagegen als Mesodermanlage aufzufassen seien. Da sich jedoch aus den
neueren Arbeiten über Muscaentwicklung keine Bestätigung dieser Verhält-
nisse ergeben hat, und dieselben, wie wir sehen werden, vielleicht eine
Deutung in anderem Sinne zulassen, so muss dieser Punkt vorläufig noch un-
entschieden bleiben.
Die von Kowalevsky (No. 49) für die Keimblätterbildung von Musca
gemachten Angaben haben durch die späteren Untersuchungen von Voeltzkow
(No. 85) und Gräber (No. 28) an demselben Objecte eine theilweise, aber
keine vollständige Bestätigung erfahren. Nach Voeltzkow sollen die Vorder-
darm- und Enddarmeinstülpung von dem Boden der Gastrularinne aus nach
Innen wachsen , daher dieselben nicht dem Ectoderm , sondern dem unteren
Blatte angehören würden. Die vordere und hintere Entodermanlage soll
durch Zellwucherung von dem blinden Ende dieser beiden Einstülpungen aus
entstehen. Gbabeb hat (No. 28) allerdings für die vordere Entodermanlage
die Beobachtungen Kowalevsky's bestätigt und nimmt auch für das Stomo-
daeum den ectodermalen Ursprung an. Für das Proctodaeum dagegen und
die hintere Entodermanlage schliesst sich Gbabeb völlig den Ansichten
Voeltzkow's an, mit dem einzigen Unterschiede, dass er für die Wucherung
der hinteren Entodermanlage nicht blos das blinde Ende, sondern einen
längeren Streifen der Ventralseite des Proctodaeums in Anspruch nimmt.
Es ist hier zunächst gegen Voeltzkow und Gbabeb einzuwenden, dass, wenn
sich wirklich bei den Museiden ein hinterer Darmabschnitt durch Einstülpung
vom unteren Blatte aus anlegte, wir denselben nicht als Proctodaeum be-
zeichnen dürften, da er dann dem gleichnamigen Abschnitte der übrigen In-
secten, wo derselbe vom Ectoderm aus gebildet wird, nicht homolog betrachtet
werden dürfte. Es scheint uns aber, dass die allerdings schwierig zu ver-
stehenden Bilder, welche das hintere Keimstreifende der Museiden an Schnitten
darbietet, unter Annahme einer anderen Deutung, welcher sich auch Gbaber
(No. 27) früher zuneigte, sich in befriedigender Weise erklären lassen. Wir
dürfen vielleicht annehmen, dass bei den Museiden, geradeso wie bei Chirono-
mus, das hintere Keimstreifende sich nicht nur in den Dotter einsenkt, sondern
auch hakenförmig einkrümmt, so dass der Keimstreif an den Querschnitten
durch diese Region dreimal getroffen erscheint. Dabei stehen das hinterste
in den Dotter versenkte Keimstreifende und der vorletzte am Rücken des
Eies gelegene Theil des Keimstreifs durch die noch offene Gastrularinne der-
art in Communication , dass auf einer Reihe von Querschnitten die Lumina
des beiden Theilen zukommenden Gastrularohres untereinander zusammen-
fliessen, wodurch sich die eigenthümliche daselbst entstehende, hanteiförmige
Figur erklärt. Es würde unter dieser Annahme jene Einstülpung, welche
Voeltzkow und Gbabeb (No. 28) irrthümlich für das Proctodaeum gehalten
haben, richtiger als sog. Keimhügel (vgl. oben pag. 776) zu bezeichnen sein,
und das Lumen dieser Einstülpung müsste dann als Amnionhöhle, ihre Oeff-
nung an der Dorsalseite nicht als After, sondern als Mündung der Amnion-
höhle gedeutet werden. Das Proctodaeum scheint sich erst später als Ein-
stülpung von dieser Höhle aus anzulegen. Diese Auffassung wird durch die
Beobachtungen Ritteb's (No. 71) über die Entwicklung des Proctodaeums
bei Chironomus durchaus gestützt.
812
XXIII. Capitel.
v-e
— s
— m.
:f
Hier sei noch die Ansicht Gräber' s von dem Vorhandensein einer
lateralen Gastrulation bei den Museiden erwähnt. Graber findet
an dem Keimstreif der Museiden neben der medianen oder Hauptgastrularinne
seitliche, besonders im vordersten und hintersten Theile des Keimstreifs mar-
kirte Einfaltungen , welche Elemente an das untere Blatt abgeben sollen.
Diese paarigen Einfaltungen, welche schon von Bütschli (No. 12) und
Voeltzkow (No. 85) gekannt waren, und welche die Seitenränder des Keim-
streifes kennzeichnen , sollen nach Grabek
supplementäre Gastrularinnen sein, welche die
Aufgabe haben, die Gastrularinne in ihrer
plastischen Thätigkeit bei der Bildung des
unteren Blattes zu unterstützen. Graber
hat jedoch den Beweis , dass von diesen
lateralen Einfaltungen Elemente an das un-
tere Blatt abgegeben werden, nicht erbracht.
Da es schon Voeltzkow bekannt war, dass
in den in Frage kommenden Stadien der an
der Keimstreifbildung unbetheiligte Abschnitt
des Blastoderms eine grosse Neigung zur Fal-
tenbildung aufweist, so dürften wohl auch die
hier in Rede stehenden Einfaltungen unter
diesen Gesichtspunkt fallen und für die wei-
tere Entwicklung des Embryos belanglos sein.
Etwas von dem allgemeinen Typus der
Keimblätterbildung abweichende Verhält-
nisse scheinen bei den Hymenopteren
vorzukommen. Kowalevsky und Grassi
(No. 32) x) stimmen allerdings darin über-
ein, dass auch hier das Entoderm ur-
sprünglich einen Theil des unteren Blat-
tes ausmacht. Aber die Sonderling des
Entoderms von dem Mesoderm geht bei
Apis in der Weise vor sich, dass die
beiden Enden des uuteren Blattes sich auf
die Dorsalseite des Eies hinüberschlagen
und dass die so auf den Rücken des Em-
bryos gelangten vorderen und hinteren
Entodermanlagen auf der Dorsalseite gegen
einander wachsen. Wenn die beiden auch
hier hufeisenförmigen Anlagen einander
erreicht haben, und verschmolzen sind, so
beginnt die Umwachsung des Nahrungsdot-
ters, welche demnach hier von der Rücken-
— ke
Gastrulastadium
von Chalicodoma (sog. Flaschen-
form, nach Carkiere).
/ Falten, welche die Mittel-
platte seitlich begrenzen (Rand des
Blastoporns), m die theil weise seg-
meutirte Mittelplatte (hier =Meso-
dermanlage), s die segmentirten
Seitenplatten (späteres Ectoderm
des Keimstreifs), ve vordere Ento-
dermanlage, he hintere Entoderm-
anlage.
l) Die Untersuchungen Grassi's bedeuten einen "Wendepunkt in der Auffassung
der Keimblätterbildung bei den Insecten. Es inuss als ein besonderes Verdienst
Grassi's hervorgehoben werden, dass er der Erste war, welcher gegen die damals
allgemein herrschende Ansicht, dass die Dotterzellen das eigentliche Entoderm der
Insecten repräsentiren, auftrat, und den Nachweis erbrachte, dass das Entoderm ein
Theil des unteren Blattes sei. Ebenso wurde von ihm das Vorhandensein einer
vorderen und hinteren Entodermanlage richtig erkannt. Später erst schlössen sich
ihm Kowalevsky No. 49 und Heider No. 37 an. Allerdings muss darauf hingewiesen
werden, dass Kowalevsky schon in seinen ersten Mittheilungen (No. 48) Ansichten
aussprach, welche den thatsächlichen Verhältnissen sehr nahe kommen.
Insecten. 313
seite ausgeht und an der Ventralseite zuletzt zum Abschlüsse kommt. Es
geht hieraus hervor, dass die Entodermzellschicht bei Apis anfangs nicht
unter dem Keimstreife liegt, sondern an der Dorsalseite des Eies unter
jenem Plattenepithel, welches, von der Amnionfalte aus entstanden , den
provisorischen Verschluss des Rückens übernimmt (vgl. oben pag. 785).
Ziemlich ähnlich scheinen sich die Verhältnisse der Entoclermanlagen
bei Chalicodoma (nach Carriere No. 13) zu ergeben. Auch hier liegen
die Entodermstreifen nicht unter dem Keimstreif, sondern überschreiten den-
selben nach der Dorsalseite des Eies zu. Für die erste Sonderung der Keim-
blätter ist Carriere zu Anschauungen gekommen , welche den oben geschil-
derten zwar nahestehen, aber doch für Chalicodoma (Fig. 498) einen eigen-
artigen Typus erkennen lassen. Die Mittelplatte (m), welche sich zur Gastrula-
rinne einstülpt, und welche, ebenso wie die Seitenplatten schon frühzeitig die
Segmentirung erkennen lässt, soll hier ausschliesslich das Mesoderm liefern,
während die vordere und hintere Entodermanlage (ve, he) in einer an die
Mittelplatte sich allerdings direct anschliessenden Wucherungszone gegeben
ist, im Bereich deren die Sonderung der Entodermzellmasse durch eine Art
Abspaltung oder Delamination von der oberflächlichen in der Continuität
des Ectoderms verbleibenden Zellschicht vor sich seht.
cv
Wir müssen hier noch die Dotterzellen und die secundäre
Dotter furchung erwähnen. Die Dotterzellen sind im Nahrungsdotter
zerstreute Elemente, welche zum Theil bei der Blastodermbildung im
Dotter zurückbleiben (pag. 766, Fig. 473 C und D. s) , zum Theil aber
durch eine nachträgliche Einwanderung aus dem Blastoderm und dessen
Derivaten in den Dotter gelangen Vor Allem hat Graber auf eine Ein-
wanderung von Zellen aus dem unteren Blatte in den Dotter hingewiesen,
und seine Beobachtungen sind von anderen Autoren bestätigt worden.
Allerdings sollen in einzelnen Fällen (z. B. bei Melolontha) diese nach-
träglich eingewanderten Zellen sich von den ursprünglich im Dotter be-
findlichen ihrem histologischen Charakter nach deutlich unterscheiden.
Die Dotterzellen zerstreuen sich in regelmässiger Weise im Nahrungs-
dotter. Ihre Hauptbedeutung für den Embryo liegt darin, dass sie die
Nahrungsdotterpartikelchen an sich ziehen und auf dem Wege der Ver-
dauung verflüssigen. Es kommt hierbei in der Regel zu einer nach voll-
endeter Ausbildung des Keimstreifs eintretenden Abgrenzung der den
einzelnen Dotterzellen zukommenden Territorien, und diesen Vorgang hat
man als die secundäre Dotterfurchung (pag. 817, Fig. 500C — F\
pag. 773, Fig. 477) bezeichnet. In einzelnen Fällen (Apis, Musca) scheint
dieselbe jedoch zu unterbleiben. Die Dotterzellen sind noch nach voll-
endeter Ausbildung des Mitteldarms in dem das Innere desselben erfüllen-
den Nahrungsdotterreste zu erkennen und gehen dann einem allmählichen
Zerfalle entgegen.
"OvC>
Man hat lange Zeit, besonders im Anschlüsse an Dohrn, Balfour und
Hertwig in den Dotterzellen das eigentliche Entoderm der Insecten erblickt,
indem man der Ansicht war, dass dieselben sich schliesslich an der Ober-
fläche des Nahrungsdotters zur Bildung des Mitteldarmepithels anordnen.
Gegenüber den neueren Untersuchungen , welche unserer obigen Darstellung
der Keimblätterbildung zu Grunde liegen , musste diese Ansicht aufgegeben
werden. Es scheint, dass die Dotterzellen überhaupt an dem Aufbau des
Embryos keinen Antheil nehmen. Es wurde allerdings von verschiedenen
Seiten behauptet, dass aus ihnen schliesslich Blutkörperchen oder Theile des
814 XXIII. Capitel.
Fettkörpers hervorgehen. Nach dieser Hinsicht sind die Angaben Dohrn's
(No. 21), Tichomiropf's (No. 79) und besonders die von Will (No. 97)
zu erwähnen. Ihnen stehen jedoch eine Anzahl neuerer Autoren gegenüber,
denen zufolge die Dotterzellen, nachdem sie ihrer Aufgabe als Vitellophagen
gerecht geworden sind , einem einfachen Zerfalle unterliegen. Letzteres will
uns, da sich für den Fettkörper und die Blutkörperchen ein andersartiger
Ursprung nachweisen lässt (vgl. unten pag. 835 ff.), als das Wahrscheinlichste
erscheinen.
Wir werden die Dotterzellen wahrscheinlich mit Rücksicht auf das oben
für die Crustaceen Gesagte (vgl. pag. 345) als einen abortiven Theil des
Entoderms betrachten dürfen.
7. Weitere Entwicklung des Mesoderms. Ausbildung-
der Leibeshöhle.
Wir haben (pag. 771 und 806 ff.) gesehen, dass durch eine nach der ganzen
Länge des Keimstreifs verlaufende Einstülpung eine Schicht von Zellen
producirt worden ist, welche sich bald an der Innenseite des Keimstreifs
ausbreitet und so eine zweite, untere Lage desselben (unteres Blatt)
bildet (Fig. 500 C). Von dieser unteren Schicht trennt sich im vordersten
und hintersten Abschnitte des Keimstreifs das Entoderm ab, und legt
sich den inzwischen entstandenen Einstülpungen des Vorderdarms und
Enddarms dicht an. Den übrigen, bei Weitem umfangreichsten Theil
des unteren Blattes können wir von nun an als Mesoderm bezeichnen.
Es tritt nun bald eine Anordnung desselben in zwei laterale Streifen
(Mesodermstreifen) auf, indem seine Zellen sich von der Medianlinie
immer mehr zurückziehen (Fig. 500 D). Diese Zurückziehung ist aller-
dings nicht immer eine complete. In den im Bereich der Medianlinie
frei gewordenen Raum schiebt der Dotter häufig die sogenannte mediane
Dotter firste vor. Bald treten nun in den lateralen Parthien des Meso-
derms segmentweise Höhlungen (us) auf (Ursegmenthöhlen), und die
angrenzenden Mesodermzellen ordnen sich in Form eines Epithels um
diese Höhlen und bilden die Wand der Ur Segmente oder Cölorn-
sacke.
Die Ursegmenthöhlen entstehen im Allgemeinen durch eine Spaltenbil-
dung im Bereiche des Mesoderms. Heider (No. 38) glaubte sich für Hydro-
philus überzeugt zu haben, dass sie hier nur durch die Erweiterung einer
Spalte zu Stande kommen, welche schon früher zwischen zwei Schichten des
Mesoderms zu erkennen sei, und welche sich auf das in dorsal ventraler
Richtung comprimirte Urdarmlumen zurückführen lasse. Gräber (No. 30)
konnte sich aber neuerdings von der Persistenz dieser Spalte nicht überzeugen.
Dagegen hat die Auffassung Heider's durch Carriere (No. 13) für Chali-
codoma eine Bestätigung erfahren. Nach diesen Beobachtungen würde die
zuerst von 0. und R. Hertwig aufgestellte Ansicht, dass die Ursegment-
höhlen bei den Insecten paarige Urdarmdivertikel darstellen, eine Stütze ge-
winnen.
In anderer Weise, als bei Hydrophilus entstehen die sehr umfang-
reichen Ursegmente von Phy llodromia. Hier ist das Mesoderm des
Keimstreifs zunächst nur in einer einfachen Zellschicht vorhanden. Diese ein-
fache Zellschicht hebt sich bei der Ausbildung der Extremitätenanlagen mit
dem Ectoderm von der Oberfläche des Nahrungsdotters ab, und hierdurch
entstehen in jedem Segmente Höhlungen, welche, indem sie sich ringsum mit
Insecten.
815
Mesodermelementen umgeben, zu den geschlossenen Cölomsäcken werden
(Heymoxs No. 43).
Für die Bildung der Ursegraente werden die im Keimstreif lateral ge-
legenen Theile des Mesoderms aufgebraucht (Fig. 500 D und E). Es gehen
jedoch nicht sämmtliche Mesodermelemente in ihre Bildung ein. Stets wird
Fig. 499. Querschnitte durch den Abdominaltheil dreier aufeinander folgender
Entwicklungsstadien von Phyllodromia germanica (nach Heymons).
am Amnion, bg Anlage der Bauchganglienkette, c Cölomhöhle, c' dorsaler und c"
ventraler Abschnitt des Cölomsackes, cz Zellen der Ursegmentwand, welche sich der
Genitalanlage anfügen, d Na,hrungsdotter , dw Dorsalwand des Cölomsäckchens, ec Ec-
toderm, ep Epithelzellen, ex abdominale Extremitätenanlage, f Fettkörperanlage, gz Ge-
nitalzellen, hv Lateralwand des Cölomsäckchens, m Mesodernm-lli-n, welche sich an
der Bildung der Cölomsäcke nicht betheiligen, mw Medialwand des Cölomsäckchens,
so somatische Mesodermschicht, vm ventraler Längsmuskel.
816 XXIII. Capitel.
ein Theil der Mesodermzellen , welcher näher der Medianlinie gelegen ist
(vgl. auch Fig. 499 A, m), bei ihrer Bildung erübrigt. Je mächtiger die
Ursegmente entwickelt sind , um so verschwindender ist dieser Antheil und
umgekehrt. Diese Elemente sind unregelmässig angeordnet und stellen eine
Art Mesenchym dar. .
Es wurde von Heider (No. 38) und neuerdings von Gräber (No. 30)
darauf hingewiesen, dass die durch Dissepimente gekennzeichneten Grenzen
der aufeinander folgenden Ursegmente nicht immer mit den Segmentgrenzen
des Keimstreifs sich völlig decken , sondern in gewissen späteren Stadien
gegen letztere um ein Weniges verschoben erscheinen.
In der Regel kommt jedem echten Segmente des primären Rumpfes ein
Paar von Ursegmenten zu. Ausserdem kommt auch ein Paar von Cölom-
säckchen nach den Angaben von Cholodkovsky (No. 19) bei Blatt a und
Graber (No. 30) bei Stenobothrus und Mantis im primären Kopfab-
schnitte zur Ausbildung. Dieses würde den Kopfhöhlen von Peripatus ent-
sprechen (vgl. pag. 708). In gleicherweise scheint den Orthopteren auch ein Paar
von Cölomsäcken im Endsegmente zuzukommen (Cholodkovsky). Bei Hy dro-
philus dagegen fehlen nach Heider die Cölomsäcke nicht nur im Kopf-
und Analabschnitt, sondern ihre Ausbildung erscheint auch im Mandibular -
segmente unterdrückt und im ersten Maxillarsegmente verzögert.
Die Cölomsäcke kommen in den einzelnen Insectengruppen in sehr
verschiedener Mächtigkeit zur Entwicklung. Ihre bedeutendste Ausdeh-
nung erreichen sie bei den Orthopteren (Fig. 499), wo fast das ge-
sammte Zellmaterial des Mesoderms in ihre Bildung aufgeht, und wo
sich, wie wir durch Cholodkovsky (No. 19), Graber (No. 30) und
Heymons (No. 43) wissen, Verhältnisse der Cölombildung erhalten haben,
welche sich direct an die für Peripatus geschilderten (vgl. oben pag. 708 ff.)
anschliessen. Die sehr ausgedehnten Ursegmenthöhlen , welche bei den
Orthopteren auch in die Extremitätenanlagen sich erstrecken (Fig.
499 JB, ex) , zerfallen in späteren Stadien durch Ausbildung einer Ein-
schnürung in eine dorsale und eine ventrale Hälfte (Fig. 499 B, c, c").
Von diesen geht die ventrale (c"), in die Extremität sich erstreckende
Hälfte bald zu Grunde (Fig. 499 C) , indem die Zellen ihrer Wand den
epithelialen Zusammenhang aufgeben und sich nach Art eines Mesenchyms
unregelmässig gruppiren. Hier entsteht dann zum Theil durch Auseinander-
weichen dieser Zellen, zum Theil durch Abhebung derselben von der
Oberfläche des Nahrungsdotters die definitive Leibeshöhle. Der
dorsale Antheil der Ursegmenthöhlen dagegen bleibt längere Zeit erhalten,
um (wie wir unten pag. 833 ff. sehen werden) bei der Ausbildung des
Darmfaserblattes, des Herzens, des Pericardialseptums und der Geschlechts-
organe eine wichtige Rolle zu spielen.
Bei den höherstehenden Insectengruppen (den Coleopteren, Lepi-
d o p t e r e n und H y m e n o p t e r e n) kommen die Ursegmente nicht mehr
in solcher Ausdehnung zur Anlage (Fig. 500 D — F, us). Sie stellen hier
nur verhältnissmässig kleine, in den lateralen Theilen des Keimstreifs
gelegene Säckchen dar, welche nur dem Dorsalabschnitt der Cölomsäcke
der Orthopteren entsprechen. Der Ventral theil ist hier vom ersten
Anfange an durch ein Mesenchym ersetzt. In Folge dessen erstreckt sich
bei diesen Formen auch kein Cölomdivertikel in die Extremitätenanlagen.
Bei den Museiden ist die Ausbildung von Cölomsäcken anscheinend
vollständig unterdrückt (Graber No. 28). Wir erkennen hier ihr Aequivalent
blos in einer in verhältnissmässig späten Stadien auftretenden und von der
definitiven Leibeshöhle ausgehenden Divertikelbildung.
817
est
Fig". 500. Querschnitte durch den Keimstreif von Hydro philus in sechs auf-
einander folgenden Stadien (nach Heider, aus Lakg's Lehrbuch).
A Gastrulastadium (vgl. pag. 770 Fig. 476 A entsprechend dem Punkte a). B Quer-
schnitt durch das Stadium Fig. 476 D im vordersten Abschnitt des Keimstreifs, wo derselbe
von den Amnionfalten noch nicht vollständig überwachsen ist. C Querschnitt durch
ein Rumpfsegment des Stadiums Fig. 476 E. — _D, E, F Querschnitte durch ältere Stadien.
am Amnion, b unteres ßlatt, d Nahrungsdotter, dz Dotterzellen, ec Ectoderm, en
Entoderm, l definitive Leibeshöhle, pr Primitivrinne (= Neuralrinne), piv Primitivwülste
der Bauchganglienkette, r Blastoporus, sp Spalte im Mesoderm (Rest des Urdarmlumens),
se Serosa, s Seitenstränge der Anlage der Bauchganglienkette, spm splanchnisches Blatt
des Mesoderms, tr Tracheenanlage (in E als Einstülpung des Ectoderms, in F im Quer-
schnitt) us Ursegment {= Cölomsäckchen).
818 XXIII. Capitel.
Die Trennung der beiderseitigen Mesodermstreifen von einander wird in
späteren Stadien wieder aufgegeben , indem die Mesenchyrazellen sieb in der
Medianlinie dicht aneinander schliessen. Es bildet sich hier vielfach, nachdem
die mediane Dotterfirste rückgebildet wurde, eine Zellanhäufung (Fig. 500 E)
aus, welche unter der Anlage der Bauchganglienkette hinzieht und ihre Ent-
stehung den Mesenchymzellen verdankt. Dieser Zellstrang ist es, welcher
von Nusbaum (No. 57) als Chorda der Insecten bezeichnet wurde. Er
wird schliesslich zur Bildung von Bindegewebe und anderem Mesodermgewebe
aufgebraucht.
Die definitive Leibeshöhle der Insecten entsteht völlig unab-
hängig von den Cölomhöhlen und zwar, wie schon Bütschli (No. 11)
bekannt war, durch eine Abhebung des Keimstreifs vom Dotter (Fig.
500 F, l). Sie erscheint einerseits von der Oberfläche des Nahrungs-
dotters, andererseits von den unregelmässig geordneten Mesenchymzellen
begrenzt. Ursprünglich können wir am Querschnitt drei gesonderte
Räume der definitiven Leibeshöhle unterscheiden (bei Hydrophil us
nach Heider) einen medianen und zwei grössere, paarige, laterale, welche
später untereinander und mit weiteren, durch Anseinanderweichen der
Mesenchymzellen entstandenen Lacunen (z. B. in den Extremitäten) zu-
sammenfliessen. Wir werden die Räume der definitiven Leibeshöhle, wie
beiPeripatus (vgl. oben pag. 710 ff.) auf die primäre Leibeshöhle oder
Furchungshöhle zurückführen dürfen. Sie stellt durchgehends nur Lacunen
im Bereiche des Mesenchyms dar und trägt überall den Charakter eines
Pseudocöls (vgl. Einleitung pag. XII).
In späteren Stadien der Embryonalentwickiung treten die Cölomsäcke
und die definitive Leibeshöhle in Communication (pag. 834, Fig. 509 A,
us, Vi). Zunächst verschmelzen die hinter einander gelegenen Cölomsäcke
durch Rückbildung der sie trennenden Querdissepimente, hierauf öffnet
sich in der medianen Wand der Cölomsäcke eine Spalte, durch welche
ihr Lumen mit der definitiven Leibeshöhle in Verbindung tritt. Bei den
späteren Umbildungen, welche die Wand der Cölomsäcke erfährt, sind
die letzteren dann nicht mehr als gesonderte Abschnitte der gesammten
Leibeshöhle zu erkennen.
8. 0 r g a n M 1 d u n g.
A. Aeussere Haut.
Die Hypodermis geht durch directe Umwandlung aus den Zellen
des Ectoderms hervor. In späteren embryonalen Stadien kommt es an
der äusseren Oberfläche des letzteren zur Ausbildung der Cuticula des
jüngsten Larvenstadiums. Die als Haare, Borsten und anderweitig be-
nannten äusseren Fortsatzbildungen werden von besonderen grossen
Hypodermiszellen (Borstenmutterzellen) aus angelegt (Tichomiroff,
No. 78). Von ganz ähnlichen Zellen (S c h u p p e n m u 1 1 e r z e 1 1 e n) wer-
den in der Puppe der Lepidopteren die Schuppen des Flügels gebildet
Semper, Nr. 126).
B. Endoscelet.
Das Endoscelet des Kopfes (Tentorium) entwickelt sich aus zwei
Paaren von Ectodermeinstülpungen, von denen das vordere an der Innen-
seite und etwas vor der Mandibel, das hintere innen und etwas vor der
Insecten. 3^9
zweiten Maxille sich entwickelt. Das vordere Paar tritt mit dem hinteren
in Verbindung und entsendet einen Stützpfeiler nach der Dorsalseite an
die Ränder des Clypeus. Durch mediane Verschmelzung des hinteren
Paares wird eine Ueberbrückung des Unterschlundganglions erzeugt,
welche bei manchen Formen als querer Balken im Hinterhauptsloche er-
kennbar ist (Tichomiroff, Grassi, Patten, Heider, Carriere).
Aehnliche Ectodermeinstülpungen geben zur Ausbildung einer Chitin-
sehne für den Flexor Mandibulae und einer ähnlichen kleineren für seinen
Antagonisten Anlass.
Hatschek (No. 36), welcher die Beziehung der genannten Einstülpungen
zu den Hartgebilden des Kopfes nicht kannte, glaubte in ihnen Tracheen-
einstülpungen des Kopfes gefunden zu haben. In gleicher Weise werden sie
auch neuerdings noch von Carriere (No. 13) aufgefasst. Da derartige Endo-
sceletbildungen auch in andern Gruppen z. B. bei den Crustaceen (vgl. oben
pag. 359) sich finden, und die hypothetische Umbildung einer Trachee in
eine Endosceletbildung dieser Art die Vorstellung eines erheblichen Functions-
wecbsels involvirt, so erscheint uns die Homologie der in Rede stehenden
Einstülpungen mit den echten Tracheeneinstülpungen nicht genügend sicher-
gestellt und sind wir geneigt, die ersteren als Bildungen eigener Art aufzufassen,
umsomebr als dieselben der Lage nach durchaus nicht überall eine so erheb-
liche Uebereinstimmung mit den Tracheenstigmen der hinten folgenden Seg-
mente erkennen lassen . wie dies bei Chalicodoma thatsächlich der
Fall ist.
C. Nervensystem.
Sämmtliche Theile des Centralnervensystems sind Derivate des Ecto-
derms und werden im Embryo als Ectodermverdickuiigen angelegt. Wir
finden die Anlage der Baucliganglienkette — wie dies zuerst durch
Hatschek bekannt geworden ist — bald, nachdem die Gastrulaein-
stülpung zum Verschluss gekommen ist, in der Form zweier, zu beiden
Seiten der Medianlinie längsverlaufender Ectodermverdickungen, der so-
genannten P r i 111 itivwülste (pag. 795, Fig. 489 A), welche sich vom
Kopfabschnitte bis zum Endsegmente erstrecken und zwischen sich eine
unpaare Einsenkung, die Primitiv rinne, erkennen lassen (Fig. 500 C,
pr und pw). Bald nach dem Auftreten der rrimitivwülste kann man an
ihnen die ersten Spuren der Segmentirung erkennen, indem sie auf der
Höhe der Segmente mächtiger sind, als an den Segmentgrenzen. Die
Primitivwülste gehen nach vorne zu den Seiten der Oesophaguseinstülpung
(Anlage der Schlundcommissur) auf das Kopfsegment über und stehen
mit der aus einer Verdickung des Kopflappens sich entwickelnden Ge-
hirnanlage vom ersten Anfange an in directem Zusammenhange. Dieses
Verhalten wurde neuerdings besonders von Patten (Nr. 67) betont, und
auch von Heider (Nr. 38), und Graber (Nr. 30) gegenüber Will (Nr. 97)
hervorgehoben, welcher die Gehirnanlage der Aphiden (Scheitelplatte)
selbstständig entstehen und mit der Anlage der Bauchganglienkette durch
die erst secundär zur Entwicklung kommenden Schlundcommissuren in
Verbindung treten lässt (vgl. hinsichtlich derselben Verhältnisse bei den
Crustaceen pag. 360 Anm.).
Aus den segmentalen Erweiterungen der Primitivwülste gehen die
Ganglien der Bauchganglienkette, aus den intersegmentalen Verschmäle-
rungen die paarigen Längscommissuren hervor.
820 XXIII. Capitel.
An Querschnitten (pag. 817, Fig. 500 G\ pag. 773, Fig. 477) erkennt man,
dass das Ectoderm im Bereich der Primitivwülste (pw) zunächst mehrschichtig
geworden ist. Später lösen sich durch eine Art von Delamination die
tieferen Schichten von den oberflächlichen los (Fig. 500 D — F, s) und
bilden die sogenannten Seitenstränge, d.h. die Anlagen der Längs-
stränge der Bauchganglienkette. Inzwischen vertieft sich die Primitiv-
rinne (pr) und bildet eine zwischen die Seitenstränge sich erstreckende
Einstülpung. Die Zellen im Grunde dieser Einstülpung stellen den so-
genannten Mittelstrang dar und werden entsprechend der Mitte der
Segmente zur Entwicklung von querverlaufenden Nervenfibrillen ver-
wendet, wodurch die Quercommissuren der einzelnen Ganglienpaare ge-
bildet werden (Hatschek).
Hinsichtlich des Verhaltens des Mittelstranges im Bereiche der inter-
ganglionären Strecke sind die Ansichten bisher noch getheilt. Während man
im Allgemeinen im Anschlüsse an Hatschek glaubte, dass im Bereich dieser
Strecke die Einstülpung der Primitivrinne sich später verflacht und ihre
Wand völlig zur Bildung von Hypodermis aufgebraucht werde, giebt Gkaber
(No. 30) auch für diese Region die Abspaltung eines Mittelstranges an,
welcher in späteren Stadien rückgebildet werden soll.
Die Nervenfibrillen entstehen zunächst an der inneren oder basalen
Fläche der Seitenstränge und des Mittelstranges. Sie werden erst durch
secundäre Lageverschiebungen ringsum von Ganglienzellen umhüllt. (Vgl.
über das gleiche Verhalten bei den Crustaceen pag. 360 und 361).
Entsprechend den Angaben Leydir's über das Vorhandensein einer
doppelten Quercommissur in jedem Bauchmarkganglion vieler Insecten hat
man vielfach auch eine solche doppelte Anlage bereits im Embryo nach-
weisen können. (Patten No. 66, Ayers No. 1, Heider No. 38, Wheeler
No. 95, Graber No. 30). Ueber die Art und Weise der Entstehung der
peripheren von den Bauchmarkganglien abtretenden Nerven sind bisher keine
genaueren Mittheilungen gemacht worden.
Bezüglich des bei vielen Insecten beobachteten, die Bauchganglienkette
überbrückenden ventralen Diaphragma's (pag. 834, Fig. 509 A, dv),
sei erwähnt, dass Korotneff (No. 47) dasselbe vom Mesoderm herleitet,
während Heider (No. 38) bei Hydrophilus seine erste Entstehung auf
seitlich von den Ganglienanlagen befindliche Ectodermzellen zurückführen zu
können glaubte.
Eine ungemein regelmässige Anordnung der Zellen zeigen die Quer-
schnitte durch die Bauchmarksanlage mancher Orthopteren (Fig. 501).
Wheeler (Nr. 94) hat neuerdings bei Xiphidium an der Oberfläche
der Seitenstränge jederseits vier grosse als „Neuroblasten" bezeichnete
Zellen (nt— n4) erkannt, von denen das Zellmaterial durch Knospung
erzeugt wird und in Folge dessen eine Anordnung in vertical gestellte
Lamellen (g) aufweist. Aehnliches haben Graber (Nr. 30) für Steno-
bothrus und Vi all an es (Nr. 84) für Mantis beobachtet. Der
Mittelstrang weist nach Wheeler nur in der interganglionären Region
Neuroblasten (im) auf, welche jedoch bald an die Hinterseite der Quer-
commissuren rücken. Jedenfalls ist — wie dies auch Wheele hervor-
hebt — in dem Vorhandensein von acht Längsreihen von Neuroblasten
ein Hinweis auf ähnliche Verhältnisse der Anneliden gegeben, wo sich
nur zwei solche Reihen, von den Neuroteloblasten aus erzeugt, vorfinden
(vgl. oben pag. 195 und 221).
Insecten.
821
Ursprünglich wird in jedem der sechzehn Segmente des primären
Rumpfes ein Ganglienpaar der Bauchganglienkette angelegt. Später
können Verschmelzungen unter denselben eintreten, wodurch eine schein-
bare Reduction der Zahl veranlasst wird. So vereinigen sich die Ganglien-
paare der drei Kiefersegmente zur Bildung des unteren Schlundganglions,
während die letzten Abdominalganglienpaare in verschiedener Zahl mit
einander verschmelzen und gleichzeitig weiter nach vorne rücken. In
einzelnen Fällen kommt es zu einer sehr beträchtlichen Concentration
des Bauchmarks durch Vereinigung der auf einander folgenden Ganglien-
paare (z. B. bei vielen Dipteren).
Das Gehirn (oberes Schlundganglion) entwickelt sich im Bereiche
des durch die Ausbreitung der Kopflappen gekennzeichneten vorderen
Kopfabschnittes. Wir können an der Gehirnanlage frühzeitig folgende
Abschnitte unterscheiden :
1. Paarige, zu den Seiten der Mundöffnung und des Vorderkopfes
nach vorne verlaufende Verdickungen des Ectoderms, welche sich als die
directe Fortsetzung der Primitivwülste darstellen (Fig. 502 61, b2, bs) und
aus denen jene Gehirnparthien hervorgehen, welche man als die Stamm-
ganglien bezeichnen könnte, und welche von Viallanes als Proto-
cerebrum, Deutocerebrum und Tritocerebrum unterschieden
Fig. 501. Querschnitt durch die Anlage des Bauchmarks von Xiphidium
(nach Wheeler).
/ Fasermassen im Querschnitt, m Neuroblastzelle des Mittelstranges, n1 — n± Neuro-
blasten der Seitenstränge, z Ganglienzellpfeiler von den Neuroblasten ausgehend.
wurden. Entsprechend dieser Theilung macht sich auch schon an der
Anlage frühzeitig eine Segmentirung in drei hinter einander folgende Ab-
schnitte bemerkbar. Patten (Nr. 67) hat das Verdienst, auf diese Seg-
mentirung zuerst hingewiesen zu haben.
2. Eine umfängliche, lateralwärts von den genannten Wülsten ge-
legene Ectodermverdickung im Bereiche der Kopflappen (Fig. 502 A, og).
Es ist dies die Anlage des Ganglion opticum. Diese Anlage wird
an ihrem äusseren Rande von einer halbkreisförmigen Ectodermeinstül-
pung (*) umfasst (Ganglionic invagination, Patten), welche weitere Ele-
mente zur Vergrösserung des optischen Ganglions liefert und mit einer
ähnlichen bei den Decapoden (vgl. pag. 370) und den Arachniden (vgl.
pag. 546 ff. und 583) gefundenen Einstülpung der Lage nach übereinstimmt.
Der nach aussen von der genannten Einstülpung gelegene Theil des
Ectoderms der Kopflappen (Fig. 502 A, op) , welcher eine Verdickung auf-
weist, vergrössert sich später beträchtlich und liefert einen grossen Theil der
Kopfhaut und die Anlagen der Augen, wesshalb er als Augen platte
(Optic plate) bezeichnet wird.
Korschelt-Heider, Lehrbuch.
53
822
XXIII. Capitel.
Die Loslösimg der Gehirnanlage von dem Ectoderm ist, ebenso wie
die der Seitenstränge der Bauchganglienkette auf einen Delaminations-
process zurückzuführen. Hiervon macht die erwähnte Einstülpung inso-
fern eine Ausnahme, als dieselbe als Ganzes direct in die Zusammen-
setzung des optischen Ganglions eingeht. In gleicher Weise, wie wir dies
für die Seitenstränge des Bauchmarks geschildert haben, werden auch
hier die Fasermassen zunächst an der inneren Fläche der Gehirnanlage
ausgebildet und gelangen erst später in das Innere des sich zu einem
plastischen Körper ballenden Gehirnes, so dass sie ringsum von einem
Ganglienbelag umhüllt erscheinen.
Die beiden Hälften des Gehirns werden ursprünglich getrennt von
einander angelegt. Später, wenn der Abschluss des Rückentheils des
Kopfes sich vollzieht, rücken die beiden Gehirnhälften an der Dorsalseite
Fig. 502. Schema der Gehirnentwicklung von Acilius (nach Patten).
A Vorderende des Keimstreifs eines Acilius-Embryos. B dasselbe im 3!i Profil.
at Antenne, bx erstes Gehirusegment, b2 zweites Gehirnsegment, b* drittes Gehirn-
segment, i Einstülpung, il vorderer Abschnitt, i- hinterer Abschnitt der Einstülpung.
I paarige Anlage der Oberlippe, m Mund, md Mandibel, mx' erste Maxille, mx" zweite
Maxille, og Ganglion opticum, og1 erstes Segment, og2 zweites Segment, og% drittes
Segment des Ganglion opticum, op Augenplatte, 1 — 6 Anlage des ersten bis sechsten
Larvenauges, I — IV die vier vordersten Segmente der Bauchganglienkette, I dem Vor-
kiefersegmente (?), II dem Mandibelsegmente, III dem ei'sten Maxillarsegmente, IV Aeva.
zweiten Maxillarsegmente zugehörig.
einander immer näher, bis sich schliesslich zwischen ihnen unter Theil-
nahme einer medianen Einstülpung (also wie bei den Quercommissuren
der Bauchmarksganglien) eine commissurenartige Verbindung herstellt
(Grassi Nr. 32, Heider Nr. 38, Graber Nr. 28 und 30}.
Hinsichtlich des Details der Entwicklung des Insectengehirnes sind in
neuerer Zeit hauptsächlich die Angaben von Patten (No. 67) für Acilius
und von Viallanes (No. 84) für Mantis von Wichtigkeit geworden. Nach
Patten soll an der gesammten Kopfanlage eine Zusammensetzung aus drei
Segmenten (Fig. 502) erkennbar sein, an welcher Segmentirung nicht blos
die Stammtheile der Gehirnanlage , sondern auch die Anlage des Ganglion
opticum und die Augenplatte participiren. Auf der demnach in drei auf-
Insecten.
823
einander folgende Segmente zertheilten Augenplatte (oj;), finden sich bei
Acilius die Anlagen der sechs Ocellen der Larve in der Weise vertheilt,
dass je ein Paar von Ocellen einem Segment zukommt (Fig. 502 JS, 1 — 6).
Bei der in späteren Stadien im Zusammenhang mit der Ausbildung des
Rückenabschnittes des Kopfes stattfindenden Verschiebung der einzelnen Theile
der Kopfanlage, von welcher wir oben (pag. 800) gesprochen haben , finden
auch Veränderungen der gegenseitigen Lage der Ocellen statt, auf welche
jedoch im Einzelnen hier nicht näher eingegangen werden kann. Auch die
obenerwähnte an der Bildung des Ganglion opticum betheiligte Einstülpung
soll nach Patten in drei der Gehirnsegmentirung entsprechende Abschnitte
(Fig. 502 B, il i2) zerfallen, von denen bei Acilius nur die beiden vor-
deren als deutliche Einstülpungen erkennbar sind, während der dritte durch
eine solide Einwucherung ersetzt ist.
Die Angaben Patten's sind von Whee-
ler (No. 95) für Doryphora fast voll-
ständig bestätigt worden. Ebenso scheint
auch Carriere (No. 13) den Anschauungen
Patten's nahe zu kommen. Dagegen konnten
sich Heider (No. 38) und Graber (No. 30)
an Hydrophilus zwar von dem Vorhanden-
sein einer Segmentirung im Bereiche des
Stammtheils des Gehirns (b1 — b3) überzeugen,
dagegen war die Segmentirung im Bereiche
des optischen Ganglions und der Augen-
platte nicht deutlich erkennbar. Es spricht
auch schon ein Vergleich mit den Verhält-
nissen bei den übrigen Arthropoden, vor
Allem bei den Crustaceen (vgl. pag. 362 ff.) für
die Ansicht, dass das optische Ganglion ein
dem vordersten Gehirntheil ausschliesslich
zugehöriger, secundärer Gehirnabschnitt sei.
Mit dieser Auffassung stehen auch die
neueren Angaben Viallanes' (No. 84) für
Mantis in Uebereinstimmung. Nach Vial-
lanes zerfällt der Stammtheil des Gehirns
(Fig. 503) in drei Abschnitte, welche dem
Protocerebrum (pc), Deutocerebrum
(de) und Tritocerebrum (tc) des ausge-
bildeten Thieres entsprechen. Von diesen steht das Protocerebrum in Ver-
bindung mit den optischen Ganglien (go) und liefert ausserdem die Nerven
zu den Ocellen (no) sowie den dorsalen Integumentnerven, das Deutocerebrum
liefert die Antennennerven (na' und na"), während das Tritocerebrum den mit
dem Ganglion frontale in Verbindung stehenden Labrofrontalnerven (?/) abgiebt.
An der Anlage des optischen Ganglions konnte Viallanes nur eine Trennung
in eine äussere und innere Parthie (pr emier lobe protocörebral und
deuxieme lobe pro to cerebral erkennen. Auch Cholodkoysky (No. 20)
konnte an Phyllodromia die Gehirnsegmentirung beobachten. Er hält
jedoch die optischen Ganglien für zu dem dritten Gehirnabschnitte gehörig.
Nach dem Gesagten würden wir geneigt sein, den primären Kopfabschnitt
als aus drei verschmolzenen Segmenten hervorgegangen zu betrachten. Von
diesen würde das vorderste als echtes primäres Kopfsegment zu be-
zeichnen sein. Der ihm zukommende Gehirnabschnitt (Protocerebrum) würde
das Homologon des aus der Scheitelplatte hervorgegangenen Annelidengehirnes
53*
Fig. 503. Vordere (Ventral-)
Ansicht des ausgebildeten Gehirnes
von O e d i p o d a (nach Vialläkes).
c Schlundcommissur. c' Quer-
commissur hinter dem Schlünde,
de Deutocerebrum, go Ganglion op-
ticum, If Labrofrontalnerv, na' An-
tennennerv, na" accessorischer An-
tennennerv, no Nerven der drei
Ocellen, pc Protocerebrum, r Wur-
zel des paarigen, stomatogastrischen
Ganglions, tc Tritocerebrum.
824
XXIII. Capitel.
darstellen. Das zweite Kopfsegment , als -welches wir das Antennen-
segment1) zu betrachten hätten, würde als ein ursprünglich postoral gelegenes
erst secundär nach vorne gerücktes Rumpfsegment zu betrachten sein (vgl.
oben pag. 793), und die gleiche Betrachtungsweise würde auch für das dritte
Kopfsegment zutreffen, hinter welchem dann eventuell das hypothetische Vor-
kiefersegment und hierauf das Mandibelsegment folgen würden.
Es muss dem Gesagten gegenüber auffallen, dass man bisher im pri-
mären Kopfabschnitte blos ein Paar von Cölomsäcken hat auffinden können
(vgl. oben pag. 816). Dieses Paar gehört nach Cholodkowsky dem Segmente
Fig'. 504. Zwei Stadien der Entwicklung des fünften Ocellus der Acilius-
Larve (nach Patten).
c Cuticularer Stäbchensaum, el Anlage der Chitinlinse, h Hypodermis, l lentigene
Schicht (Glaskörper), n Nerv, r Anlage der Retina, sp Verticalspalt der Retina, x die
diesen Spalt seitlich begrenzenden Retinazellen.
der Antennen zu, in welche sich auch ein Fortsatz desselben hineinerstreckt.
Wir müssten annehmen, dass die zwischen dem genannten und den Cölom-
säcken des Mandibelsegmentes gelegenen Ursegmentpaare secundär unter-
drückt sind.
J) Es muss erwähnt werden, dass Patten (No. 67) und Carriere (No. 13) die
Antenne dem dritten Gehirnsegmente zurechnen.
Insecten.
825
Es verdient erwähnt zu werden, dass das Ganglion frontale
und der damit zusammenhängende unpaare Schlund nerv selbst-
ständige Bildungen sind, welche erst secundär mit dem Gehirn in Ver-
bindung treten. Sie verdanken ihre Entstehung einer Ectodermeinstül-
pung, welche der vorderen Wand der Oesophaguseinsenlaing angehört.
Fig. 505. Zwei spätere Stadien der Entwicklung des fünften Ocellus der Acilius-
larve (nach Patten).
cl Chitinlinse, i pigmentirte sog. Iris, l lentigene Schicht (Glaskörper), m mittlere
inverse Schicht des Auges, r Retina, sp Verticalspalt der Retina, st Stäbchen, x Zellen,
welche den Verticalspalt begrenzen.
Von dieser Einstülpung wird das Material für die Bildung des Frontal-
ganglions und der Schlundnerven geliefert (Heider Nr. 38, Carriere
Nr. 13).
826 XXIII. Capitel.
D. Sinnesorgane.
Wir sind nur über die Entwicklung der Augen einigermassen orientirt
und müssen die Besprechung der Oc eilen und des zusammenge-
setzten Seiten äuge s (Fach er äuge) gesondert behandeln.
Ueber die Entwicklung der Ocellen der Aciliuslarve hat neuer-
dings Patten (Nr. 67) eingehende Mittheilungen gemacht. Wir finden
hier jederseits sechs Ocellen, welche nach Patten sich in drei Paaren
auf die von ihm angenommenen drei vordersten Kopfsegmente vertheiien
sollen. Die einzelnen Ocellen dieser drei Paare wreisen unter einander
nach ihrem Bau und ihrer Entwicklung ziemlich bedeutende Verschieden-
heiten auf, obgleich darin ein gewisser einheitlicher Typus zu erkennen
ist. Diesem scheint der Ocellus Nr. V (ventraler Ocellus des dritten Paares,
in der Larve aber weit nach vorne verschoben) am nächsten zu stehen,
daher wir uns mit der Schilderung der Entwicklung dieses einen Auges
begnügen.
Die Anlage dieses Ocellus (Fig. 504 A) erinnert in einein gewissen
Stadium der Entwicklung sehr an die einfach gestalteten Seh gruben
oder Napf au gen, wie sie bei gewissen Mollusken (z. B. an der Aussen-
seite der Tentakel von Patella sich vorfinden. Sie stellt eine ein-
fache grubenförmige Einsenkung einer verdickten Hypodermisparthie dar.
Die hohen Zellen, welche die Wand dieser Einsenkung zusammensetzen,
sind in einer einfachen Schicht angeordnet und tragen an ihrem freien,
gegen die Sehgrube gekehrten Ende einen gestrichelten Cuticularsaum (c),
während von ihren unteren oder basalen Enden die Nervenfasern zur
Bildung eines gemeinsamen Sehnerven zusammentreten.
Nach Patten soll diese anscheinend einheitliche Anlage des Ocellus
durch Verschmelzung von mindestens vier gesonderten Grübchen entstanden
sein, welche embryonale Primärorgane darstellen und ihrem Bau nach an die
Augengruben im Mantelrande von Area erinnern. Entsprechend dieser Ver-
schmelzung weist auch der Sehnerv eine Zusammensetzung aus vier ursprüng-
lich getrennten Bündeln auf.
In späteren Stadien schliesst sich die Augengrube nach aussen
(Fig. 504 B) ab, indem die Randparthien sich bis zur gegenseitigen Be-
rührung über die tieferen Theile des Auges hinüberschieben. Auf diese
Weise geht aus der grübchenförmigen Anlage ein durch Ueberwachsung
zweischichtig gewordenes Napf äuge hervor. Die äussere, oder
oberflächliche Schichte (l) wird in ihrem centralen Antheil zur 1 enti-
ge nen Schicht (Glaskörper), während die peripheren Parthien zur pig-
mentirten Iris werden. Aus dem cuticularen Stäbchensaum dieser Zellen
geht allmählich die cuti ciliare Chitinlinse (d) des Ocellus hervor. Am
Bande geht die in Rede stehende, oberflächliche Schichte des Auges direct
in die unveränderte Hypodermis (h) über.
Die tieferliegende Schicht des Auges, welche noch immer becher-
förmig eingekrümmt erscheint, muss als Anlage der Retina (r) be-
zeichnet werden. Aus ihrem cuticularen Stäbchensaunie gehen die Seh-
stäbchen hervor. Bald entwickeln sich gewisse Besonderheiten, welche
für das Auge von Acilius charakteristisch sind. So vor Allem ein die
Retina senkrecht durchsetzender Spalt (sp), welcher von den horizontal
gestellten Stäbchen der anliegenden grossen Retinazellen (x) begrenzt
wird. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung (Fig. 505) kommt es bei
Insecten.
827
diesem Auge zu einer Abflachung des becherförmigen Innenraumes, wo-
durch der Augengrund geebnet und die demselben angehörigen Stäbchen
vertical gestellt (Fig. 505 B, st) erscheinen. Dagegen sind die dem Rande
des Retinabechers angehörigen Zellen (m) genöthigt, sich nach Innen
einzukrümmen und bilden eine inverse, mit ihren Stäbchen gegen die
Basis des Retinabechers gerichtete Randschicht, welche als das Rudiment
einer dritten, zwischen die beiden Hauptschichten des Auges sich ein-
schiebenden Schicht betrachtet werden kann.
Wir würden nach dem Ge-
sagten berechtigt sein, das zwei-
schichtige Insectenstemrrta von
einem dreischichtigen Auge durch
Atrophie oder unvollständigeEnt-
wicklung der mittleren Schicht
abzuleiten. Noch deutlicher als
beiAcilius soll die ursprüngliche
Dreischichtigkeit des Ocellus
nach Pattex (No. 6Q) an den
Augen der jüngsten Hydro-
philuslarven (Fig. 506) zu
erkennen sein , bei welchen die
Augeneinstülpung nicht von der
Mitte, sondern vom Rande und
zwar von der Dorsalseite her
in die Augenanlage eindringt
(Fig. 506 -4). Noch in späteren
Stadien erhält sich ein Rest der
mittleren Zellschicht (m). Nach
denUntersuchungenGRENACHERS
( No. 151) scheinen jedoch gewisse
Insectenstemmata zeitlebens (Fig.
507) dem Typus des einfachen
Napfauges viel näher zu bleiben,
als man nach den erwähnten An-
gaben Patten's erwarten sollte,
indem bei ihnen die Augenblase
niemals zum vollständigen Ver-
schlusse kommt und die Schich-
ten der Retinazellen und der
Linsenbildungszellen stets in
direkter Continuität mit der Hypo-
dermis bleiben (vgl. z.B.Fig.507).
Mit den Angaben Patten's
stehen die Mittheilungen Car-
riere's nicht in Uebereinstimmung. Wenn wir Carriere (No. 14) recht ver-
stehen, so geht bei der Entwicklung der Ocellen in den Puppen von Ckry-
sididen und Ichneumoniden die Trennung der Retinaschicht von der
lentigenen Schicht durch Delamination vor sich, während die erst später sich
entwickelnde Augeneinstülpung den Typus des Napfauges zur Ausbildung bringt
und gleichzeitig zur Entwicklung der Cornealinse in gewisser Beziehung steht.
Die Larven der holometabolischen Insecten entbehren in der Regel
der zusammengesetzten Seitenaugen (Fächeraugen). Solche kommen erst
Fig. 506. A Augenanlage einer eben aus-
geschlüpften Hydrophiluslarve, B einer etwas
älteren Larve (nach Patten).
cl Chitinlinse, h Hypodermis, l lentigene
Schicht, m Mittelschicht der Augenanlage, n Nerv,
o Mündung der Augeneinstülpung, r Ketinaschicht,
rb Stäbchen (in A in eine einzige Reihe gestellt).
828
XXIII. Capitel.
bei dem allmählichen Uebergange in den Imagozustand zur Entwicklung.
Dagegen besitzen die Larven häufig eine Anzahl (sehr oft sechs) seitlich
gestellter Ocellen, Es erhebt sich nun die Frage, in welcher Beziehung
die zusammengesetzten Seitenaugen der Image- zu den Ocellen der Larve
stehen. Es ist sicher, dass die Ocellen der Larve rückgebildet und nicht
in die Imago mit übernommen werden. Man kann an Schmetterlings-
puppen die der Rückbildung entgegengehenden Larvenocellen von der
Hypodermis losgelöst und an dem Sehnerv wie an einem Stiel in das
Innere der Larve zurückgezogen finden (Carriere Nr. 147). Da sich zu
dieser Zeit die Anlage des zusammengesetzten Auges als seitliche Hypo-
dermisverdickung bemerkbar macht, so könnte man meinen, dass letzteres
eine vollständige Neuerwerbung darstellt. Nach den Beobachtungen
Patten's für Acilius scheint aber doch eine gewisse Beziehung zwischen
den Larvenaugen und dem Imago-
gk i auge zu bestehen. Bei Acilius
besitzt das mächtig entwickelte
und complicirt gebaute Larven-
auge Nr. I einen eigenthümlichen
dorsalen Anhang, welcher viel-
leicht das Rudiment eines Ocellus
darstellt. Jene Hypodermisver-
dickung nun, welche zur Ausbil-
dung des imaginalen Seitenauges
führt, entwickelt sich zunächst
in directer Umgebung dieses An-
hangs. In späteren Stadien bil-
det diese Anlage ein verdicktes
Band, welches die sechs Ocellen
fast rings umgiebt. Es ist diese
Lagebeziehung vielleicht einer
Auffassung günstig, welche in
Fig. 507. »Schnitt durch das Auge einer
Käferlarve (Dytiscus) [nach Grenacher, aus
Hatschek's Lehrbuch].
c Chitincuticula, l Cornealinse, h Hypo-
dermis, pz Pigmeutzellen, gk Glaskörper,
r Retina, b Basalmembran.
dem Complex der sechs Larven-
ocellen und in dem später zur Entwicklung kommenden Fächerauge nur
different entwickelte Parthien eines und desselben Sehfeldes erblickt. Wir
werden uns hierbei der Auffassung Grenacher's erinnern dürfen, nach
welcher die Ommatidien des Fächerauges einerseits und die Ocellen
andererseits nur differente Entwicklungsformen und Ausbildungsstufen
eines und desselben Augentypus darstellen (vgl. hierzu auch pag. 894 ff.).
Die frontalen Ocellen der Imagines vieler Insecten haben mit den
Larvenocellen nichts zu thun. Gegen die Ansicht Patten' s, dass sie viel-
leicht in näherer Beziehung zu den Fächeraugen stehen, dürften die selbst-
ständigen Verhältnisse ihrer Innervirung angeführt werden. Wir finden diese
Ocellen häufig in der Dreizahl vorhanden. Pattex (No. 66) hat bei Vespa
beobachtet, dass der mediane unpaare Ocellus durch Verwachsung aus einer
paarigen Anlage hervorgeht.
Das Detail der Entwicklung der zusammengesetzten Seitenaugen
(Fächeraugen oder Facettenaugen) ist bisher hauptsächlich an den Puppen
der holometabolischen Insecten (für die Dipteren durch Weismann
Nr. 1 29, für die L e p i d o p t e r e n und H y m e n o p t e r e n durch Carriere
Nr. 147) bekannt geworden. In vielen Fällen macht sich die erste An-
lage der Fächeraugen — wie wir oben sahen — in einer paarigen, seit-
lichen Hypoderinisverdickung geltend, während in anderen Fällen nur
Insecten.
829
eine Verdichtung des Ectoderms zu bemerken ist, indem die einzelnen
Zellen enger aneinander rücken. Die Sonderung der einzelnen Omma-
tidien (Einzelaugen) geht hier ausschliesslich auf dem Wege der histo-
logischen Differenzirung (Fig. 508) vor sich. Frühzeitig kann man —
ähnlich wie dies oben (pag. 368) für Mysis erwähnt wurde — die ein-
zelnen Ommatealp feiler und dazwischen gelegenes indifferentes Ge-
webe [die bei Vespa sehr mächtigen Zwischenpfeiler (1)] unter-
scheiden. Im Bereiche der Ommatealp fei ler rücken die Zellen in
zwei Schichten übereinander, von denen die äussere die Krystallkegel-
zellen (2) und die Hauptpigmentzellen (3), die innere dagegen die mit
den Nervenfasern (5) im Zusammenhang stehende Retinula (4) liefert.
Die Krystallkegelzellen sondern nach aussen die cuticulare
ab, während in ihrem Inneren bei den Augen des euconen
Krystallkegel zur Entwicklung kommt. Aus
den Zellen der Zwischenpfeiler (1) ent-
wickeln sich die sogenannten Nebenpig-
mentzellen. Im Verlaufe der weiteren Ent-
wicklung verdickt sich die Augenanlage
beträchtlich, wodurch die einzelnen Om-
matidien höher und schmäler werden und
auch dichter aneinander rücken. Vor Allem
gewinnen die Retinulazellen bedeutend an
Höhe. Es erfolgt die Pigmenteinlagerung
sowohl in den Retinulazellen, als auch in
den verschiedenen, die Aussenseite des Om-
matidiums bedeckenden Pigmentzellen. Die
Entwicklung der Ommatidien erscheint
hiermit in ihren wesentlichsten Zügen voll-
endet (Carriüre).
Cornealinse
Typus der
- 2
E. Tracheensystem.
Schnitt durch das
begriffene zusam-
von Vespa
Hatschek's
Fi?. 508.
in Entwicklung
mengesetzte Auge
(nach Carriere, aus
Lehrbuch).
1 Cylinderzellen (spätere Neben-
pigmentzellen , 2 Krystallkegel-
zellen , 3 Hauptpigmentzellen,
4 Retinula, 5 Nerv, welcher zu den
einzelnen Ommatidien Aeste ab-
riebt.
x\usbildung
Die Tracheen entstehen aus paarigen
segmental angeordneten Ectodermeinstülp-
ungen, welche* lateralwärts von den Extre-
mitätenanlagen gelegen sind (Fig. 488 A,
st, pag. 793; Fig. 489 A, st, pag. 795 und
Fig. 500 E, tr, pag. 817). Meist macht
sich die Entwicklung der Tracheeneinstülp-
ungen schon in ziemlich frühen Stadien, bald nach der
der Gliedmaassenanlagen bemerkbar. Doch scheint es nach einer Be-
merkung von Geassi (Nr. 33), dass bei Japyx die Ausbildung des
Tracheensystems erst in späten Embryonalstadien stattfindet. Dies würde
als das ursprünglichere, an die Myriopoden erinnernde Verhalten zu be-
trachten sein (vgl. pag. 747 und 757). Denn da das Tracheensystem,
phylogenetisch betrachtet, eine der jüngsten Erwerbungen der Insecten-
ahnen darstellt, so müssen wir seine frühzeitige Entwicklung in der
Ontogenie der meisten Insecten als eine durch die Wichtigkeit des Organ-
systems bedingte secundäre Verlagerung in frühere Stadien betrachten.
' Die ursprünglich einfachen Tracheeneinstülpungen (pag. 817, Fig.
500 E, tr) erfahren zunächst in ihrem Grunde eine Erweiterung, von
welcher bald die einzelnen Tracheenäste als Divertikel abgehen, während
der verengte Eingang der Einstülpung als Stigmenast und Stignienöffnung
830 XXIII. Capitel.
erhalten bleibt. Indem die hinter einander gelegenen, aus den einzelnen
Tracheeneinstülpungen hervorgegangenen taschenartigen Räume sich nach
der Längsrichtung des Körpers in die Länge ziehen und mit ihren Enden
unter einander verschmelzen, entstehen nach Durchbruch der Ver-
wachsungsstelle die beiden Längsstämme des Tracheensystems (Bütschli
Nr. 11). Erst in späten Embryonalstadien wird die cuticulare Tracheen-
intima abgeschieden ; die Füllung mit Luft vollzieht sich nach Weismann
(Nr. 87) zum Theil schon vor dem Ausschlüpfen des Embryos, indem
wie es scheint — aus den Geweben und der Körperflüssigkeit Luft ab-
geschieden wird.
Die weitere Entwicklung der Tracheen Verästelungen erfolgt, soweit diese
bisher am Embryo beobachtet ist, stets durch fortschreitende Divertikel-
bildung. Die so entstandenen Aeste sind demnach intercelluläre Bildungen.
Dagegen muss erwähnt werden, dass die feinsten Tracheenverästelungen intra-
celluläre Canälchen sind. Wenngleich Schäffer (No. 124 a, wo auch die
Litteratur über diesen Punkt zu finden ist), ganz richtig hervorbebt, dass der
Unterschied zwischen beiden Bildungsweisen kein bedeutender ist, indem es
sich in beiden Fällen nur um Oberflächenvergrösserung (einer Zellplatte bei
der intercellulären Entstehung, einer einzigen Zelle bei der intracellulären
Bildung) handelt, so gewinnt dieser Unterschied durch den Vergleich mit den
Verhältnissen bei Peripatus ein gewisses Interesse. Die Tracheen von
Peripatus bestehen aus zahlreichen feinsten Röhrchen, welche zu einem
Büschel vereinigt aus einem kurzen mit dem Stigma verbundenen Trichter
entspringen. Wir werden vielleicht die feinen Röhrchen von Peripatus dem
intracellulären Theil, den Trichter dagegen dem intercellulären Theil des
Tracheensystems der Insecten gleichsetzen dürfen.
In gewissen Entwicklungsstadien ähneln die Tracheen sehr der Anlage
der Speicheldrüsen x) und der Malpighi'schen Gefässe. Dieser Umstand,
sowie eine Betrachtung der Lage- und Zahlenverhältnisse dieser Einstülpungen
bei den Hymenopteren, hat die Ansicht (Bütschli No. 11, Grassi No. 32
und z. Th. auch Carriere No. 13) gestützt, dass in den Tracheen und den
genannten Drüsen gleichwerthige Organe vorliegen. Doch ergeben sich aus
einer Betrachtung der Anatomie von Peripatus Einwände gegen diese Ansicht.
Die anscheinend regellose Vertheilung der Tracheen bei Peripatus und der
Umstand, dass hier z. Th. auch schon ähnliche Drüsen vorhanden sind, die den
genannten Drüsen der Insecten vielleicht homolog sind, lässt die Ueberein-
stimmung der Lage- und Zahlenverhältnisse als nicht ins Gewicht fallend
erscheinen. Vor Allem aber weisen die Tracheen von Peripatus einen Bau
auf, der dieselben von den erwähnten Drüsen sehr verschieden erscheinen
lässt. Selbst die Ansicht Moseley's, dass die Tracheen umgewandelte Haut-
drüsen seien, die auch Palmen für wahrscheinlich hält, bietet manche
Schwierigkeit. Abgesehen von dem Umstände, dass wir bei jenen Formen,
die den mutbmasslichen Tracheatenahnen näher stehen, Hautdrüsen dieser Art
nicht kennen, setzt der Uebergang von einem Secretionsorgan in ein luft-
gefülltes Respirationsorgan einen physiologisch schwer vorstellbaren Functions-
wechsel voraus. Höchst wahrscheinlich haben wir demnach in der Tracheen-
*) Ausserdem kommt im ausführenden Abschnitt mancher Spinndrüsen ein ganz
ähnlicher Spiralfaden zur Entwicklung, wie bei den Tracheen. Dass auf dieses Merk-
mal kein Gewicht zu legen ist, geht schon aus dem Umstände hervor, dass ein ganz
ahnlicher Spiralfaden sich z. B. auch im Vas deferens der Cytheriden vorfindet
(Kaufmann).
Insecten. 831
einstülpung eine Bildung sui generis zu erblicken. Es sei hier auf die Ver-
hältnisse der landbewohnenden Isopoden hingewiesen, in deren Kiemenblättern
lufthaltige Räume, ja in einem Falle (Tylus) — wie es scheint — den
Tracheen durchaus analoge Bildungen zur Entwicklung kommen.
F. Darmcanal und Drüsen des Darms.
Von den drei Abschnitten des Darmcanals : Vorderdarm, Mitteldarm
und Enddarm, werden Vorderdarm und Enddarm als Einstülpungen
des Ectoderms angelegt, deren blindes Ende gegen den Mitteldarm durch-
bricht. In den meisten Fällen tritt am Keimstreif die Einstülpung des
Vorderdarmes etwas früher auf, als die des Enddarms (vgl. oben pag. 792
und Fig. 487 C, m auf pag. 789). Die Musculatur dieser Abschnitte wird
von dem umgebenden Mesoderm geliefert. An der Vorderdarmeinstül-
pung tritt frühzeitig eine unpaare, dorsale Einstülpung auf, aus der das
Ganglion frontale und der Schlundnerv hervorgehen (vgl. oben pag. 825).
Dass die Vorderdarm- und Enddarmeinstülpung wirklich ectodermale
Bildungen sind, erscheint durch die übereinstimmenden Beobachtungen zahl-
reicher Untersucher und durch den Vergleich mit den Verhältnissen in
anderen Arthropodengruppen ziemlich sichergestellt. Allerdings hat Voeltzkow
(No. 85) neuerdings beide Bildungen vom unteren Blatte abgeleitet, und
Geabek hat sich dieser Auffassung für das Proctodaeum von Musca ange-
schlossen. Wir müssen diesbezüglich auf das oben (pag. 811) über die Ver-
hältnisse bei Musca Gesagte verweisen.
Der Durchbruch des Vorder- und Enddarmes gegen die Mitteldarmanlage
vollzieht sich gewöhnlich schon in ziemlich frühen Embryonalstadien. Nur
bei gewissen Larvenformen (viele Hymenopteren z. B. Apis, ferner Myr-
meleon) unterbleibt die Hei Stellung einer Communication zwischen dem Mittel-
darm und dem Enddarm, welch letzterer dann ausschliesslich excretorische
Function besitzt.
Die Entwicklung des Mitteldanns geht von zwei ursprünglich ge-
sonderten Anlagen aus, der vorderen und hinteren Entodermanlage (vgl.
oben pag. 809), welche vom ersten Anfange an in innigen Beziehungen
zur Einstülpung des Vorder- und Enddarmes stehen. Ursprünglich als
einfache Zellansammlung diesen Einstülpungen so dicht angelagert, dass
Voeltzkow (Nr. 85, 86), Patten (Nr. 68) und Graber (Nr. 28 u. 30)
sie direct durch Wucherung von dem Epithel dieser Einstülpungen her-
leiten, gewinnen sie bald durch fortschreitende Zellvermehrung an Aus-
dehnung und nehmen eine U-förmige Gestalt an (pag. 810, Fig. 496 A,
en u. en"). Die Schenkel der U-förmigen Anlage sind an der vorderen
Entodermmasse nach hinten, an der hinteren dagegen nach vorne ge-
richtet. Indem diese Schenkel gegeneinander wachsen, sich erreichen und
mit einander verschmelzen, erscheinen zwei paarige Entodermstreifen ge-
bildet, wTelche unter dem Keimstreifen nach der ganzen Länge desselben
hinziehen und am vorderen und hinteren Ende desselben ineinander
übergehen. An diesen Stellen stehen sie mit der Vorderdarm- und End-
darmeinstülpung in inniger Verbindung.
Die paarigen Entodermstreifen gehören den lateralen Parthien des
Keimstreifs an. Sie liegen in der Ptegel dicht unter der Reihe der hinter
einander folgenden Cölomsäckchen [vgl. pag. 817, Fig. 500 F, wo die
Entodermstreifen (en) unter den Cölomsäckchen (us) im Querschnitte
getroffen erscheinen]. Die dorsale Wand der Ursegmente steht somit
832 XXIII. Capitel.
mit den Entodermstreifen in inniger Berührung. An dieser Wand des
Urseginentes macht sich nun eine lebhafte Zellwucherung geltend, und
das auf diese Weise producirte Zellmaterial, welches sich von der dor-
salen Wand des Urseginentes abspaltet, bildet die äussere Schicht der
Mitteldarmanlage, das splanchnische oder Darmfaserblatt (spm
in Fig. 500 F, sp in Fig. 512, pag. 839). Der nach dieser Abspaltung
übrig bleibende Rest der dorsalen Wand des Cölomsäckchens steht zur
Genitalanlage in Beziehung und liefert die sogenannte Endfadenplatte
(vgl. unten pag. 837 ff. und Fig. 512 ef). Die Entodermstreifen mit dem
ihnen dicht anliegenden splanchnischen Blatte kann man nun als Mittel-
darmanlage bezeichnen (pag. 803, Fig. 492 m und unten pag. 839 ff., Fig.
512, 513, 514 sp + eri). Dieselbe zeichnet sich in den folgenden Stadien
durch ihr beträchtliches laterales Wachsthum aus ; sie verbreitet sich da-
durch an der Oberfläche des Nahrungsdotters, welchen sie schliesslich
vollständig umwächst (pag. 803, Fig. 492 C—F \mi\ pag. 839 und ff. 512,
513, 514). Diese Umwachsung geht in den meisten Fällen in der Weise
vor sich, dass zunächst die beiden Mitteldarmstreifen sich im Bereich
der ventralen Mittellinie mit einander vereinigen (Fig. 492 E u. Fig. 513).
Erst später findet ihre Vereinigung an der Dorsalseite statt (Fig. 492 F
und Fig. 514). Der Nahrungsdotter gelangt hierdurch vollständig in das
Innere der Mitteldarmanlage und mit ihm die Reste des Rückenrohres
oder Dorsalorgans (Fig. 492 F, s), wo ein solches vorhanden ist.
Die gegebene Schilderung der Entwicklung des Mitteldarms, welcher
zunächst die Verhältnisse von Hydro philus und Phyllodromia zu
Grunde gelegt wurden, scheint für die meisten Insecten directe Anwendung
zu finden. In einzelnen Fällen ergeben sich allerdings gewisse Abweichungen,
so z. B. bei Musca, bei welcher Form die Cölomsäckchen nicht zu deut-
licher Ausbildung gelangen (vgl. pag. 816) und nicht der gesammte Nah-
rungsdotter in den Mitteldarm aufgenommen wird, sondern (wie auch bei
anderen Dipteren) ein Theil desselben in der Leibeshöhle verbleibt, wo er
allmählich resorbirt wird (Kowalevsky, Voeltzkow, Graber). Einigermassen
abweichende Verhältnisse finden sich auch bei den Hymenopteren (Apis,
Chalicodoma; Kowalevsky, Gkassi, Cakeieke), wo das Entoderm ursprüng-
lich eine dorsale Lagerung einnimmt (vgl. pag. 812 ff.) und erst allmählich von
dem Keimstreifen überwachsen wird. Hier geht die Umwachsung des
Nahrungsdotters durch das Entoderm von der Dorsalseite nach der Ventral-
seite vor sich.
Die in die Mundhöhle einmündenden Drüsen, Speicheldrüsen, welche
in mehreren (1 — 3) Paaren1) vorhanden sein können, entstehen als
Ectodermeinstülpungen, welche ursprünglich nicht in den Vorderdarm,
sondern nach der Körperoberfläche ausmünden. Wir dürfen sie demnach
als Hautdrüsen betrachten, deren Mündung in die Mundhöhle einbezogen
wurde (?). Bei den T r i c h o p t e r e n und Lepidopteren entwickelt sich
ein vorderes Paar dieser Drüsen im vorderen und inneren Winkel der
Mandibel-Anlagen (Hatschek Nr. 36, Patten Nr. 65). Ein zweites Paar,
welches sich hier ebenso wie bei den Hymenopterenlarven , zu
den Spinndrüsen umbildet, gehört dem Segment der zweiten Maxillen
an (vgl. pag. 785, Fig. 485 A, sp). (Carriere rechnet sie allerdings
dem ersten Brustsegmente zu). Wenn die zweiten Maxillen zur Bildung
x) Nach Schiemenz (No. 125) vertheilen sich die verschiedenen Kopfdrüsen der
Biene (Imago) derart auf die drei Kiefersegmente, dass jedem derselben ursprünglich
ein Paar zukommt.
Insecten. 333
der Unterlippe verwachsen, so werden die Mündungsstellen der paarigen
Einstülpungen einander genähert, und es kommt zur Ausbildung eines
kurzen unpaaren, in die Mundhöhle sich öffnenden Ausführungsganges
(Bütschli Nr. 11 u. A.).
Wir würden von vornherein geneigt sein, die Speicheldrüsen der Insecten
mit den in die Mundhöhle mündenden Drüsen der Myriop öden zu homo-
logisiren. Dem steht entgegen, dass letztere als umgewandelte Nephridien
dem Mesoderm entstammen sollen (vgl. oben pag. 754), während die Speichel-
drüsen der Insecten rein ectodermale Bildungen sind. Wir müssen daher
die Frage nach der Homologie dieser Organe, ebenso wie ihre Beziehungen
zu den ähnlichen Drüsen von Peripatus späteren Untersuchungen
anheimstellen.
Die Malpighi'schen Gefässe entwickeln sich als paarige Ausstül-
pungen des Enddarms, die vom ersten Anbeginn an ein Lumen auf-
weisen. Sie sind demnach Ectodermbildungen. Sie werden meist in der
Zahl von zwei oder drei Paaren (Lepidopteren, Phryganiden,
Hydro philus) angelegt. Bei jenen Formen, die später eine grössere
Anzahl von Malpighi'schen Gelassen aufweisen, entwickeln sich dieselben
als secundäre Divertikel der ursprünglich angelegten Gefässe (Gryllo-
talpa, Rathke).
Während die Mapighi'schen Gefässe meist erst nach der Ausbildung der
Enddarmeinstülpung als Divertikel dieser letzteren angelegt werden, treten
sie bei den Hymenopteren (A p i s und Chalicodoma) schon vor der Aus-
bildung der Enddarmausstülpung als Einsenkungen des Ectoderms auf, welche
dann zunächst an der Oberfläche des Keimstreifs nach aussen münden. Sie
sehen dann Tracheenanlagen einigermaassen ähnlich, was vielleicht die Ursache
war, dass man sie mit solchen homologisirt hat, eine Auffassung, welche wir
nicht theilen, und der sich auch Carrieke (No. 13) nicht angeschlossen hat.
Erst später rücken sie mit der sich entwickelnden Enddarmeinstülpung in
das Innere des Embryo's.
G. Rückengefäss.
Als erste Anlage des Rückengefässes oder Herzens der In-
secten erkennen wir einen rechts und links verlaufenden Längsstrang
von Zellen (Cardio b lasten), welcher die Mesodermschicht des Keim-
streifs lateralwärts begrenzt (pag. 839, Fig. 512 h\ Fig. 513 h). Bei
der fortschreitenden Umwachsung des Dotters durch den Keimstreif
rückt diese Anlage immer mehr gegen die Dorsalseite vor. Sie steht
mit der Wand der Ursegmente in directer Verbindung (vgl. Fig. 512
und 513) und bezeichnet jene Umsehlagsstelle, an welcher die dorsale
Wand des Cölomsäckchens in die laterale Wand übergeht. Nach Korot-
neff (Nr. 47), welchem wir die ersten genaueren Angaben über die
Entwicklung des Herzens der Insecten verdanken, sollen die Cardioblasten
direct durch Auswanderung aus der Wand der Ursegmente hervorgehen.
Bei Gryllotalpa, auf welche Form sich die Schilderung Korot-
neff's bezieht, liegen nach mancher Hinsicht eigenartige Verhältnisse
vor. Die Bildung des Dorsalorgans wird hier, wie wir dies oben (pag. 802 ff.)
geschildert haben, durch das Einreissen der Embryonalhüllen eingeleitet.
Die Serosa zieht sich zur Bildung einer verdickten Platte (Fig. 509 A, rp)
zusammen und ihr hängen die schon sehr rückgebildeten Amnionfalten
seitlich an (am), welche sich von den Rändern des Keimstreifs (* x — * y)
834
XXIII. Capitel.
Fig. 509. Schematische Querschnitte durch
drei aufeinander folgende Stadien von Gryllotalpa,
zur Darstellung der Bildung des Rückengefässes
(nach Korotneff). (Die Anlage des Darmdrüsen-
blattes ist in diesen Schemen vernachlässigt.)
A jüngstes Stadium. Der Keimstreif erstreckt
sich von *x — y*. Die Embryonalhüllen sind zer-
weit nach der Dorsalseite ent-
fernt haben (man vergleiche
hiermit die Figur 492 C auf
pag. 803, welche einem ähn-
lichen Stadium entspricht).
Der Abstand zwischen dem
Rudiment der Amnionfalte
und dem Seitenrande des
Keimstreifs (*x, %ß) ist von
einer Epithellamelle (7) ein-
genommen, in welcher wir
das frühere Amnion wieder-
erkennen. Diese Lamelle
liegt dem Nahrungsdotter
nicht dicht an, sondern ist
von demselben durch eine
geräumige Blutlacune (bs)
getrennt, in welcher sich
zahlreiche , vom Mesoderm
des Keimstreifs eingewanderte
Blutkörperchen erkennen
lassen. Die Cardioblasten,
welche der Wand des Urseg-
mentes (us) entstammen,
haben sich jederseits zur Bil-
dung einer Rinne (gr) an-
geordnet, welche den erwähn-
ten Blutsinus von unten um-
fasst.
Bei der fortschreitenden
Ümwachsung des Dotters
durch den Keimstreif fliessen
nach erfolgter Einstülpung
und Rückbildung der Rücken-
platte die beiden Blutlacunen
an der Dorsalseite zu einer
einzigen zusammen (Fig. 509
B, bs). Diese stellt nun die
Anlage des Herzlumens dar.
Indem die beiden Gefässrin-
nen (gr) sich bis zur Berühr-
ung nähern und mit einander
verwachsen, erscheint die
Wand des Herzens gebildet
rissen und auf dem Rücken zusammengezogen,
am Rissrand, rp Rückenplatte (Serosa), l mit dem Ectoderm des Keimstreifs in Verbindung
stehende Lamelle (umgeschlagenes Amnion). B zweites Stadium. Der Keimstreif hat
den Nahrungsdotter nahezu vollständig umwachsen. Das Riickenorgan ist resorbirt.
C drittes Stadium, dorsaler Abschnitt. Die Herzbildung ist zum Abschluss gekommen.
am Rudiment der Amnionfalte, bs Blutsinus, dd Anlage des Rückendiaphragmas,
dv Bauchdiaphragma, do Nahrungsdotter, dz Dotterzellen, ec Ectoderm, gr Gefässrinne
(Herzanlage), l Lamelle des zurückgeschlagenen Amnions, Ih definitive Leibeshöhle,
m Transversalmuskel, n Bauchmark, r Herz, rp Rückenplatte, sp splanchniscb.es, so soma-
tisches Blatt des Mesoderms, us Ursegmenthöhle, *x, y* laterale Endpunkte des Keimstreifs.
Insecten. 335
(Fig. 509 C, r und pag. 840, Fig. 514 h). Die venösen Ostien entstehen
nach Bütschli (Nr. 11) durch paarige Einstülpungen der Seitenwände,
in deren Grunde sich eine Spalte ausbildet.
Die Anlage des Herzens steht wie wir gesehen haben — mit
den Ursegmenten in inniger Verbindung. Aus der lateralen Wand der-
selben geht nach Abgabe der Elemente des somatischen Mesoderms eine
Epithelplatte hervor, welche die erste Anlage des Pericardialsep-
tums oder dorsalen Diaphragmas darstellt (Fig. 509 A — C, dd,
ferner pag. 839 ff., Fig. 512, 513, 514 ps). Sobald die beiden Hälften der
Herzanlage in der dorsalen Mittellinie sich mit einander vereinigt haben,
treten auch die beiden Hälften des Pericardialseptums mit einander in
Verbindung und begrenzen den gegen die übrige Leibeshöhle geschlossenen
Pericardialraum (Fig. 514 ps). Eine Zeit lang bleibt das Pericardial-
septum in Verbindung mit der Herzwand. Später jedoch trennt es sich
von derselben ab (Fig. 509 C, dd). Von den Beziehungen, in welchen
die Herzanlage und das Pericardialseptum zur Endfadenplatte der Genital-
anlage stehen, werden wir unten (pag. 837 ff.) zu sprechen haben.
Die Angaben, welche von anderen Autoren über die Entwicklung des
Herzens der Insecten gemacht worden sind (Grassi, Patten, Tichomiroff,
Ayers, Heider, Caeeieee, Heymons u. A.) lassen sich leicht auf den für
Gryllotalpa geschilderten Typus zurückführen. Der Unterschied
der Bildungsweise besteht meist nur darin, dass die erwähnten beiden
grossen Blutlacunen fehlen oder nur in geringer Ausdehnung vorhanden
sind. In Folge dessen ist die Anlage des Herzlumens in den ersteren Stadien
von geringerer Ausdehnung und oft kaum zu erkennen.
Bei Gryllotalpa und Oecanthus (Ayers) kommt zunächst der
hintere Abschnitt des Herzens zur Entwicklung. Die Ausbildung des Herzens
rückt hier von hinten nach vorne vor. Es ist dies ein ungewöhnliches Ver-
halten, welches darin seinen Grund findet, dass der Verschluss des Rückens
durch die in den vorderen Körperparthien angesammelten Dottermengen
verzögert ist.
-'ov
Die Blutkörperchen werden von Korotneff auf Zellen der soma-
tischen Mesodermschicht zurückgeführt, welche den Zusammenhang mit
den übrigen Parthien des Mesoderms aufgeben und in die Leibeshöhle
gerathen. Nach eigenen Untersuchungen sind wir geneigt, dieser Angabe
zuzustimmen. Dagegen haben andere Autoren (Dohrn und neuerdings
noch Will, Nr. 97) die Blutkörperchen auf Dotterzellen zurückgeführt.
Ja, Ayers (Nr. 1) nimmt für die Bildung derselben sogar die durch Auf-
lösung der Rückenplatte frei gewordenen Zellen in Anspruch. Es sei
hier darauf hingewiesen, dass neuerdings C. Schäffer (Nr. 124 et) ge-
wisse mit dem Fettkörper zusammenhängende Zellcomplexe bei Raupen
als Blutbildungsherde angesprochen hat (vgl. pag. 863).
H. Muskulatur, Bindegewebe, Fettkörper.
Die Muskelgruppen des Körpers, sowie das Bindegewebe gehen durch
histologische Differenzirung aus der somatischen Schicht des Mesoderms
(Fig. 509, so) hervor. Den gleichen Ursprung besitzt auch der Fett-
körper. Nach eigenen Untersuchungen müssen wir den Angaben Kowa-
levsky's und Grassi's, denen sich neuerdings auch Carriere (Nr. 13)
anschliesst, beistimmen, wonach der Fettkörper dem Mesoderm entstammt.
836 XXIII. Capitel.
Bei Hydrophil us geht ein dorsales, über dem Darm verlaufendes Fett-
körperhand durch directe Umwandlung der Wand der Cölomsäckehen
hervor. Aber auch für die übrigen Theile des Fettkörpers, beispiels-
weise für die das Tracheensystem begleitenden Fettkörperlappen lässt
sich der mesodermale Ursprung unzweifelhaft nachweisen. Damit stim-
men auch die Beobachtungen von Heymons (Nr. 43) an Phyllodromia
überein. Hier erfahren schon frühzeitig gewisse Zellen in der Wand der
Cölomsäckehen eine Umbildung, wodurch sie sich als Anlagen des
späteren Fettkörpergewebes zu erkennen geben (pag. 838, Fig. 511 B
und C, /).
Die Angaben der verschiedenen Autoren über den Ursprung des Fett-
körpers gehen zur Zeit noch weit auseinander. Während Dohrn, Tichomiroff
(No. 79) und neuerdings Will (No. 97) den Fettkörper von den Dotter-
zellen herleiten, haben Andere für dieses Gewebe ectodermalen Ursprung in
Anspruch genommen. Nach dieser Richtung ist Korotneff (No. 47) zu
erwähnen, ferner Schäffer (No. 124 a), welcher in Bestätigung älterer Angaben
Weismann's den Fettkörper von Musca auf Wucherungen der Tracheen-
matrix und zum Theil der Hypodermis zurückführt. Neuerdings hat auch
Graber (No. 31) für Hydrophilus und Stenobothrus den ectoder-
malen Ursprung des Fettkörpers behauptet, Für Hydrophilus können wir
dieser Angabe nicht beistimmen.
I. Genitalorgane.
Ueber die Entwicklung der Genitalorgane bei den Insecten liegen be-
reits zahlreiche, zerstreute Mittheilungen vor. Man vergleiche hinsicht-
lich der Litteratur dieses Capitels die Zusammenstellungen von Balbiani
(Nr. 3), Witlaczil (Nr. 98) und vor Allem von Heymons (Nr. 43).
Wenn wir von den für die Aphiden und Dipteren (bei denen, wie
wir sehen werden, eigenartige Verhältnisse für die Entwicklung der Genital-
anlage vorliegen) gemachten Mittheilungen absehen, so boten im Allge-
meinen die zahlreichen, vielfach fragmentarischen Angaben über die Ent-
wicklung der Geschlechtsorgane ein wenig befriedigendes Bild. Nur so
viel schien [hauptsächlich aus den Angaben von Grassi (Nr. 32), Heider
(Nr. 38) und Wtheeler (Nr. 95)] hervorzugehen, dass die Anlage der
Geschlechtsdrüse dem Mesoderm zugehöre und von der Wand der Cölom-
säckehen aus entwickelt werde. Für die Entwicklung der Geschlechts-
ausführungsgänge sind vor Allem die Beobachtungen von Nusbaum (Nr. 61)
und Palmen (Nr. 162) von Wichtigkeit geworden. Neuerdings sind über
die Entwicklung der Genitalorgane von Phyllodromia germanica
von Heymons (Nr. 43) Mittheilungen gemacht worden, welche wir als die
eingehendsten unserer Schilderung zu Grunde legen ] ).
Bei Phyllodromia lassen sich bereits in frühen Stadien der
embryonalen Entwicklung gesonderte Genitalzellen durch ihren histo-
logisch differenten Charakter von den übrigen Mesodermzellen unter-
scheiden. Die Genitalzellen sind grösser und zeigen einen sich schwach
färbenden Kern mit deutlichem Nucleolus. Diese Genitalzellen, welche
sich durch Umwandlung aus gewöhnlichen embryonalen Mesodermzellen
herausgebildet haben, liegen ursprünglich in der Mesodermschicht oder
*) Die folgende Darstellung, sowie die Abbildungen sind der ausführlichen, dem-
nächst in der Zeitschr. f. Wiss. Zool. zur Veröffentlichung kommenden Abhandlung
entnommen (welche uns der Verfasser freundlichst zur Verfügung stellte).
Insecten.
837
an der gegen den Nahrungsdotter gewendeten Oberfläche dieser Schicht
und zwar an den Segmentgrenzen. Nach vollendeter Ausbildung der
Cölomsäcke (Fig. 510 gz) finden wir sie in den Dissepimenten, welche
die aufeinander folgenden Cölomsäcke von einander trennen. Hier wer-
den auch beständig durch Umwandlung von Mesodermzellen neue Genital-
F^i
zellen gebildet. Die Entwicklung von Genitalzellen
bis siebenten Abdominalsegment statt.
Später rücken die Genitalzellen in das Innere
sich jedoch bald an die dorsale Wand derselben
A,ge) und zwischen die Zellen
dieser Wand einzutreten. Die
Cölomsäcke (c) zeigen am
Querschnitte in diesen Stadien
einen ungefähr dreieckigen
Umriss, so dass wir eine dor-
sale (div), eine laterale (Jiu)
und eine mediale (mw) Wand
unterscheiden können. Die
dorsale Wand liegt der Dotter-
oberfläche an und liefert später
durch Abspaltung das splanck-
nische Mesoderm (Fig. 512 sp),
während aus ihrem Rest die
Endfadenplatte (ef) her-
vorgeht. Die laterale Wand,
welche dem Ectoderm des
Keimstreifs zugekehrt ist, be-
theiligt sich stark an der Bil-
dung der somatischen Schicht
(Fig. 511 (7, so) des Meso-
derms. Aus einem zurück-
bleibenden Reste geht das
Pericardialseptum (Fig. 512
ps) hervor.
Wenn die Genitalzellen
in die dorsale Wand der Ur-
segmente eingetreten sind,
sind sie bereits so zahlreich,
dass sie eine von vorne nach
hinten verlaufende continuir-
liche Reihe darstellen. Die
Genitalanlage besteht dann
aus einem jederseits in der
dorsalen Wand der Urseg-
in ente gelegenen Zellstrang,
welcher sich vom zweiten bis
in das siebente Abdominalseg-
ment fortsetzt. An der Bil-
dung dieses Zellstranges sind
jedoch nicht die Genitalzellen
findet in dem zweiten
der
zu
Cölomsäcke ,
(Fig.
begeben
um
511
-OM-
allein betheiligt, sondern es
kommen noch unveränderte
Mesodermzellen (Fig. 511 B,
Korsclielt-Heider, Lehrbuch.
Fig. 510. Sagittaler Längsschnitt durch den
Abdominaltheil eines Keimstreifs von Phyllo-
dromia germanica nach Beendigung der Ur-
segmentbildung (nach Heymons).
1 — 7 erstes bis siebentes Abdominalseg-
ment, vom achten Abdominalsegment (8) bis zum
Endsegment (es) erstreckt sich die ventralwärts
eingeschlagene Parthie des Keimstreifs, am Am-
nion, c Cölomsäckehen, d Nahrungsdotter, es End-
segment, gz Genitalzellen, zum Theil in den
Dissepimenten, zum Theil in der Wand oder in
der Höhle der
Ursegmente
liegend.
54
838
XXIII. Capitel.
G) hinzu, welche der dorsalen Wand des Cölomsackes entstammen und
sich an die Genitalzellen dicht anlegen. Von diesen letzteren streben ein-
zelne die Genitalzellen zu umhüllen. Wir bezeichnen sie als Epithel-
zellen der Genitalanlage (ep) , während andere einen medialwärts
■ . .^-y
Fig". 511. Querschnitt durch den Abdominaltheil dreier aufeinander folgender
Entwicklungsstadien von Phyllodromia germanica (nach Hevmons).
am Amnion, bg Anlage der Bauchganglienkette, c Cölomhöhle, & dorsaler und
c" ventraler Abschnitt des Cölomsackes, cz Zellen der Ursegmentwand , welche sich
der Ventralseite der Genitalanlage anfügen, d Nahrungsdotter, dw Dorsalwand des
Cölomsäckchens, ec Ectoderm, ep Epithelzellen, ex abdominale Extremitätenanlage,
/Fettkörperanlage, gz Genitalzellen, Iw Lateralwand des Cölomsäckchens, in Meso-
dermzellen, welche sich an der Bildung der Cölomsäcke nicht betheiligen, mw Medial-
wand des Cölomsäckchens, so somatische Mesodermschicht, vm ventraler Längsmuskel.
Insecten.
839
^ p
on
% /f
Fig. 512. Querschnitt durch den Abdominaltheil eines etwas «älteren Keimstreifs
von Phyllodromia germanica (nach Heymons).
lg Anlage der Bauchganglienkette, c Rest der Cölomhöhle, cz Anlage des Genital-
ausführungsganges, ec Ectoderm, ef Endfadenplatte, en Entoderm, fk Fettkörpergewehe,
gz Genitalzellen, h Herzanlage, p Anlage der Pericardialhöhle, ps Anlage des Pericar-
dialseptums, so somatische Mesodermschicht, sp splanchnische Mesodermschicht.
Fig. 513. Querschnitt durch den Abdominaltheil eines älteren Keimstreifs von
Phyllodromia germanica, im Stadium der beginnenden Umwachsung des Dotters
(nach Heymons).
bg Bauchganglienkette, c Rest der Cölomhöhle, cz Anlage des Genitalausführungs-
ganges, ef Endfadenplatte, en Entoderm, fk Fettkörpergewebe, gz Genitalzellen, h Herz-
anlage, ps Pericardialseptum, sp splanchnisches Blatt des Mesoderms, vm ventraler
Längsmuskel.
54*
840
XXIII. Capitel.
und ventral wärts von den Genitalzellen gelegenen Zellstrang (ce) zu-
sammensetzen.
Aus den Genitalzellen gehen beim Weibchen bloss die Eizellen (und
die Nährzellen bei jenen Formen, welchen solche zukommen) hervor. Das
Follikelepithel der Eiröhren dagegen, sowie eine entsprechende Zelllage
der Endkammer wird von den Epithelzellen geliefert. P h y 1 1 o d r o m i a ,
auf welche sich diese Darstellung bezieht, und die Orthopteren im All-
gemeinen, weisen in dieser Beziehung ziemlich einfache Verhältnisse auf,
da das Keim- oder Endfach des Ovariums bei ihnen nur aus verhältniss-
mässig wenigen Zellen zusammengesetzt ist. Bei den meisten anderen
Insecten und zumal denen, welche grosse Mengen von Nährzellen im
Ovarium besitzen, ist das Keimfach ausserordentlich umfangreich. Es ist
besonders hier von einer Entstehung
der verschiedenen Zellenelemente des
Insectenovariums aus indifferenten
Zellen gesprochen worden (Korschelt
Nr. 155, Wielowiejski u. A.), und
es wäre von Interesse, zu erfahren,
wie diese abgeleiteten Verhältnisse
sich zu den einfacheren der Ortho-
pteren verhalten.
Der ventrale Zellstrang {es) bil-
det sich in den proximalen Theil des
Oviducts um, welcher kelchförmig
erweitert die einzelnen Eiröhren in
sich aufnimmt. Ueber die Umwand-
lungen, welche im männlichen Ge-
schlechte stattlinden, werden wir
später sprechen.
Die Cölomsäckchen werden im
weiteren Verlaufe der Entwicklung
durch die Rückbildung ihres in die
Extremitäten reichenden Antheils
(vgl. oben pag. 816) durch die Ent-
wicklung des Fettkörpers (Fig. 511 f,
512 f'Je) und durch die Abspaltung
der somatischen (Fig. 512 so) sowie
der splanchnischen (sp) Mesoderm-
schichte erheblich eingeengt. Es bleibt
von ihnen schliesslich nur mehr ein
ziemlich kleiner Antheil (c) übrig,
welcher lateralwärts von der Anlage
des Pericardialseptums (ps) , nach
innen dagegen von der Endfaden-
platte (ef) begrenzt ist. Jener dor-
sal gelegene Punkt, an welchem diese
beiden Lamellen in einander über-
gehen, scheint mit den Zellen der
Herzanlage (h) in inniger Verbindung
zu stehen. Die strangförmige Geni-
talanlage erscheint nun an der End-
fadenplatte wie an einem Mesen-
terium aufgehangen (Fig. 512 gz).
Fig. 514. Querschnitt durch den
Abdominaltheil eines Embryos von Phyl-
lodromia germanica, nach voll-
endeter Umwachsung des Dotters und
Verschluss des Rückens.
bg Bauchganglienkette, ez Anlage des
Genitalausfülirungsganges , d Nahrungs-
dotter, ef Endfadenplatte, en Entoderm,
fk Fettkörpergewebe , gz Genitalzellen,
h Herzas Pericardialseptum, s Tracheen-
stigma, sp splanchnisches Blatt des Meso-
derms, vm ventraler Längsmuskel.
\
Insecten.
841
Bei der durch Umwachsung des Nahrungsdotters (Fig. 513, 514) von
Seiten des Keimstreifs erfolgenden Rückenbildung gelangt die paarige
Herzanlage immer mehr in die Nähe der dorsalen Medianlinie, und ihr
folgt hierbei die mit ihr durch die Endfadenplatte verbundene Genital-
anlage. Es gelangt hierdurch die Genitalanlage an die Dorsalseite des
sich entwickelnden Mitteldarms (Fig. 514 gz).
Die End fadenplatte (ef) stellt ursprünglich eine einfache Epithel-
platte dar. Bald jedoch erfolgt eine Umordnung ihrer Zellen, wodurch
dieselben in Verticalreihen geordnet erscheinen, von denen je eine einer
sich entwickelnden Ovarialröhre entspricht. Es wird auf diese Weise die
Endfadenplatte in die einzelnen Endfäden der Ovarialröhren (Fig. 515 ef)
zertrennt. An dieser Zertheilung nimmt jedoch der oberste dorsale Rand
Fig'. 515. Längsschnitte durch die weibliche Genitalanlage von Phyllodromia
germanica (nach Heymons).
A mit beginnender, B mit weiter fortgeschrittener Ausbildung der Ovarialröhren.
cz Anlage des Genitalausführungsganges, ef Endfäden, ep Kerne der Epithelzellen,
gz Genitalzellen.
der Endfadenplatte keinen Antheil. Aus ihm geht ein später sich nach
vorne fortsetzender Strang hervor, welcher den gemeinsamen Endfadeu
sämmtlicher Ovarialröhren, den sog. Müller 'sehen Faden, darstellt.
Letzterer ist ursprünglich mit dem Pericardialseptum verbunden, scheint
jedoch in späteren Stadien mit demselben in keiner innigeren Verbindung
mehr zu stehen.
Die Ausbildung der einzelnen Ovarialröhren , welche bei Phyllo-
dromia in der Zahl von ungefähr 20 zur Entwicklung kommen, voll-
zieht sich durch eine von der Dorsalseite gegen die Ventralseite der
Ovarialanlage fortschreitende Einkerbung (Fig. 515). Gleichzeitig ordnen
sich die Epithelzellen (ep), welche ursprünglich zum Theil zwischen den
Genitalzellen gelegen waren, zur Bildung eines an der Oberfläche der
Ovarialröhren gelegenen Epithels an, welches bald an seiner Aussen-
seite eine structurlose , cuticulare Tunica propria zur Ausbildung
bringt. Die äussere, peritoneale Hülle der Ovarien wird von Zellen des
umgebenden Fettkörpergewebes gebildet.
842 XXIII. Capitel.
Die Genitalanlage reichte ursprünglich — wie wir oben erwähnt
haben — von dem zweiten bis in das siebente Abdominalsegment. In
letzterem sind jedoch die Genitalzellen vom ersten Anfange an nur spär-
lich vorhanden und verschwinden später vollständig, so dass hier der
Genitalstrang nur aus Epithelzellen zusammengesetzt erscheint. Dieser
Theil ist die Anlage des eigentlichen Oviductes und stellt eine directe
Fortsetzung des obenerwähnten ventralwärts von den Genitalzellen ge-
legenen Zellstranges (es) dar, aus welchem, wie wir gesehen haben, der
proximale, kelchförmig erweiterte Abschnitt des Oviductes gebildet wird.
Der hintere Abschnitt des Oviductes biegt nach der Ventralseite um, um
an der Grenze des siebenten und achten Abdominalsegmentes eine Ver-
bindung mit der Hypodermis einzugehen. Die Anlage des Oviductes
stellt ursprünglich einen soliden Zellstrang dar. Erst später wird in dem-
selben durch Auseinanderweichen der Zellen ein Lumen gebildet.
In späteren Stadien macht sich eine beträchtliche Verkürzung der Genital-
anlage geltend, so dass sie sich dann auf eine geringere Zahl von Abdominal-
segmenten beschränkt, als anfangs. Gleichzeitig gehen die einzelnen Ovarial-
röhren aus ihrer ursprünglichen verticalen Lage in eine mehr horizontale über.
Der paarige Ansatz der Oviduct-Anlage an die Hypodermis der Inter-
segmentalfurche zwischen dem siebenten und achten Abdominalsegment
erinnert an die Verhältnisse, wie sie Palmen an gewissen Ephemeriden
vorfand, bei denen zeitlebens die paarige Ausmündung der Geschlechts-
ausführungsgänge erhalten bleibt. Es ist dieses das für die Insecten ur-
sprüngliche Verhältniss. Bei dem Weibchen von Phyllodromia ent-
wickelt sich erst während des Larvenlebens ein unpaarer, aus einer Ecto-
dermeinstülpung hervorgehender Endabschnitt der Geschlechtswege, in-
dem es zur Ausbildung jener Genitaltasche kommt, in welcher der Eicocon
aufgenommen wird. Diese Genitaltasche bildet sich, wie bereits Haase
nachwies, dadurch, dass die chitinösen Bauchplatten des achten und
neunten Abdominalsegmentes durch Einstülpung in das Innere des Körpers
aufgenommen werden.
Wir müssen hinsichtlich der Entwicklung der Geschlechtsausführungs-
gänge bei den Insecten der Resultate gedenken, zu denen Nusbaum
(Nr. 61) und Palmen (Nr. 162) durch ihre Untersuchungen geführt wur-
den, und welche mit den hier nach Heymons für Phyllodromia er-
wähnten in voller Uebereinstimmung stehen.
Die Entwicklung der Ausführnn&sgänge wurde von Nusbaum an
Pediculinen und Periplaneta untersucht. Er fand, dass nur die
Vasa deferentia, respective die Oviducte, aus den hinteren Strängen des
Sexualdrüsenkeims, also aus Mesodermgebilden hervorgehen, während die
übrigen Theile des ausführenden Apparates (Uterus, Vagina, Recepta-
culum seminis, Ductus ejaculatorius, Penis und sämmtliche Anhangs-
drüsen) sich aus dem Hautepithel entwickeln und demnach ectodermalen
Ursprungs sind. Und zwar entwickeln sich die unpaaren Theile (Uterus,
Penis, Receptaculum seminis, unpaare Drüsen) aus paarigen Anlagen
(Wucherungen der Hypodermis). Die hinteren Stränge des Sexualdrüsen-
keims legen sich an die erwähnten Hypodermiswucherungen an und ver-
wachsen mit denselben. Durch eine mediane Verwachsung der paarigen
Hypodermiswucherungen entsteht die Anlage der unpaaren Organe. Diese
Beobachtungen stehen mit den Resultaten, zu denen Palmen durch ver-
gleichend anatomische Untersuchungen geführt wurde, in vollkommener
Insecten. 843
Übereinstimmung. Palmen fand den ursprünglichsten Typus der Aus-
führungsgänge bei H e p t a g e n i a (E p h e m e r i d e n ) repräsentirt , bei
welcher Form ein unpaarer Abschnitt der Ausführungsgänge vollkommen
fehlt. Die Oviducte münden getrennt in der Falte zwischen dem siebenten
und achten Abdominalsegniente, während die Vasa deferentia an einem
paarigen Penis am Hinterrande des neunten Sternits ausmünden. Aus
dieser paarigen Anlage entwickelt sich in einzelnen Fällen (Forficuliden-
Männchen, Meinert) ein unpaarer Endabschnitt durch Defectbildung, in-
dem nach Durchbruch einer Queranastomose der Endabschnitt der einen
Seite atrophirt. In anderen (den meisten) Fällen jedoch ist der unpaare
Endabschnitt als eine secundär hinzugekommene integumentale Einstül-
pung aufzufassen. Doch fehlt bislang die Durchführung dieser Unter-
suchungen für sänimtliche Insectengruppen.
Wir werden jedoch vielleicht aus der Uebereinstimmung, welche
sich hinsichtlich der Lage der Geschlechtsöffnung bei Phyllodromia
(nach Heymons) mit den Verhältnissen der Ephemeriden, denen nach
Palmen auch die Perliden nahe stehen, ergiebt, zu dem Schlüsse be-
rechtigt sein, dass für die gesammte Insectengruppe eine Ausmündung
an der Grenze des siebenten und achten Abdoniinalsegmentes dem ur-
sprünglichen Verhalten entspricht, und dass nur durch secundäre Ver-
schiebungen eine Verlagerung der Ausmündungsstelle nach hinten (bei
vielen Formen) zustande gekommen ist. Bei dieser Annahme müssten
wir allerdings schon für die Thysanuren, bei denen die Geschlechts-
öffnung unpaar ist und an der Grenze zwischen dem achten und neunten
Abdominalsegment, resp. im Bereiche des letzteren sich findet, secundär
abgeänderte Verhaltnisse annehmen (vgl. dagegen Haase, Nr. 153).
Die äusseren (jeschlechtsaiihänge entstehen bei den meisten Or-
thopteren (wie Dewitz für die Laubheusclirecken nachgewiesen hat)
aus zwei Paaren von zapfenartigen Hervorragungen, welche dem achten
und neunten Abdominalsegniente angehören, und von denen das hintere
Paar sehr bald ein Doppelpaar von Zapfen darstellt. Es entstehen auf
diese Weise die sechs Theile der Legeröhre des Weibchens, denen beim
Männchen ähnliche kürzere Vorragungen entsprechen. Unter den gleichen
Gesichtspunkt fallen die Legebohrer der weiblichen Schlupf- und Gall-
wespen, sowie der Giftstachel der Biene (Kraepelin, Dewitz, Nr. 103).
Da die ersten Anlagen dieser paarigen Anhänge den Imaginalscheiben
der Dipterenlarven ungemein ähnlich sind, hat man sie vielfach als ab-
dominale Gliedmaassenpaare in Anspruch genommen (vgl. oben pag. 797 ff.).
Dagegen ist die Legeröhre vieler Fliegen und mancher Käfer, sowie der
Penis der Käfermännchen auf die fernrohrartig eingestülpten hintersten
Abdominalsegniente zurückzuführen.
Die Entwicklung der männlichen Keimdrüse geht bei Phyllo-
dromia Anfangs ganz in der gleichen Weise vor sich , wie wir dies
oben für die weibliche Anlage geschildert haben. Erst in späteren
embryonalen Stadien werden die sexuellen Differenzen erkennbar. Wir
bemerken dann, dass bei dem Männchen sich vier Anhäufungen von
Genitalzellen mit Epithelzellen umgeben, Diese Anhäufungen, welche die
Anlage der vier Hodenfollikel von Phyllodromia darstellen, stehen in
inniger Verbindung mit der Anlage des Geschlechtsausführungsganges
(Vas deferens) und rücken in späteren Stadien im Zusammenhang mit
letzterer von der ursprünglichen Genitalanlage etwas ab und nach hinten.
Es bleibt dann an der Endfadenplatte ein Rest der Genitalanlage, welcher
nach Heymons den weiblichen Antheil der ursprünglich hermaphroditischen
844 XXIII. Capitel.
Genitalanlage darstellt und in einzelnen Fällen sogar rudimentäre Ei-
röhren und Eier zur Entwicklung bringen kann. Das aus diesem Rest
der Genitalanlage hervorgehende rudimentäre Organ ist noch im aus-
gebildeten Männchen von Phyllodromia nachzuweisen.
Beim Weibchen geht aus dem ursprünglich angelegten Ausführungs-
gange direct der Oviduct hervor. Beim Männchen dagegen wandelt er
sich nicht in seiner ganzen Länge in das Vas deferens um, sondern sein
distaler Endabschnitt wird rückgebildet und durch einen neugebildeten
Endtheil des Vas deferens ersetzt, welcher sich sodann mit dem ecto-
dermalen Ductus ejaculatorius verbindet.
Heymoxs schliesst aus den angeführten Thatsachen, dass für die Vor-
fahren der Insecten der Hermaphroditismus das ursprüngliche Verhalten
dargestellt habe. Immerhin wird durch das Vorhandensein einer hermaphro-
ditischen Anlage im Embryo das häufige Auftreten von Zwitterbildungen bei
den Insecten erklärlich.
Ueberblicken wir die Entstehung der Geschlechtsorgane, wie sie sich
nach der für Phyllodromia gegebenen Schilderung1) darstellt, so ist zu-
nächst darauf hinzuweisen, dass in der Herleitung der Genitalzellen von
Epithelzellen der Cölomsäcke directe Anklänge an die Anneliden er-
halten sind. In der späteren Entwicklung der paarigen Genitaldrüse
und eines mit derselben in directer Verbindung stehenden Ausführungs-
ganges ist eine gewisse Uebereinstimmung mit den Verhältnissen von
Peripatus zu bemerken (vgl. oben pag. 716 ff.). Vor Allem stimmt die
dorsale Lagerung der Genitaldrüse in beiden Gruppen überein. Dagegen
verdient hervorgehoben zu werden, dass die Genitaldrüse von Peripatus
nach Sedgwick durch directe Verschmelzung der hinter einander folgen-
den Cölomsäckchen zu Stande kommt (und ähnliche Gesichtspunkte sind
von Heathcote für die Myriopoden geltend gemacht worden, vgl. pag. 755),
dass demnach bei Peripatus die Genitalhöhle aus den Cölomhöhlen her-
vorgeht. Bei den Insecten dagegen liegt die Genitalanlage zwar in der
Wand der Cölomsäcke, aber die Genitalhöhle (Lumen des Oviductes)
entsteht hier gesondert von den Cölomsäcken, während die Cölomhöhlen
schliesslich zu einem kleinen Theil der definitiven Leibeshöhle werden.
Wir werden nach dieser Richtung die Verhältnisse von Peripatus und
den Myriopoden als ursprünglichere, direct an die der Anneliden sich
anschliessende, die Verhältnisse der Insecten dagegen als abgeleitete zu
betrachten haben.
Wenn wir die Geschlechtsausführungsgänge der Insecten denen von
Peripatus homolog setzen dürfen, so müssten wir sie auf ein umgewandeltes
Paar von Nephridien zurückführen. Hiermit würde die Entstehung der-
selben aus dem Mesoderm bei den Insecten in Uebereinstimmung stehen ;
im Uebrigen haben sich jedoch an der Entwicklung der Geschlechtsaus-
führungsgänge der Insecten keine Merkmale erhalten, welche in einem
der genannten Auffassung günstigen Sinne gedeutet werden könnten.
Wir müssen hier secundär eingetretene Veränderungen der Entwicklungs-
weise annehmen.
Eine besondere Erwähnung verdient die von Heymons hervorgehobene
Thatsache, dass in der Genitalanlage von Phyllodromia sich Genitalzellen und
Epithelzellen vom ersten Anfange gesondert unterscheiden lassen. Diese
]) Dass diese Schilderung nicht bloss für Phyllodromia zutrifft, sondern an-
näherungsweise auch eine weitere, vielleicht für die Insecten allgemeine Giltigkeit
beansprucht, scheint aus den übereinstimmenden, wenn auch fragmentarischen Mit-
theilungen von Heider und Wheeler für Coleopteren hervorzugehen.
Insecten.
845
Angabe steht der bisher allgemein angenommenen Ansicht, dass die Follikel-
zellen und Eizellen nur durch später eintretende Differenzirung aus ein und
derselben Zellsorte hervorgehen, ungünstig gegenüber. Ihrem ersten Ursprünge
nach sind allerdings auch bei Phyllodromia beide Zellarten auf dieselbe Quelle
zurückzuführen.
Eine besondere Erwähnung verdienen die Verhältnisse der Ent-
stehung der Genitalanlagen bei den Dipteren und Aphiden, in
welchen Gruppen die Sexualanlagen schon in sehr frühen Stadien des
embryonalen Lebens zu erkennen sind. Es hängt dies gewiss zum Theil
mit der in beiden Gruppen verbreiteten parthenogenetischen und pädo-
genetischen Fortpflanzungsweise zusammen, welche (ähnlich, wie bei Moina,
pag. 326 u. 378) zu einer frühzeitigen Sonderung der Sexualanlage führte.
R
71 — i
f--T
Fig". 516. Erste Entwicklungsstadien des parthenogenetischen Eies der Cecido-
myialarve (nach Metschnikoff).
b Keimhautblastem, bl Blastoderm, d centraler Nahrungsdotter, / Furchungskerne,
n in Rückbildung begriffene Nährzellen (sog. Corpus luteum), pz Polzellen.
•
Bei den Dipteren ist die erste Anlage der Genitaldrüse durch die
sog. Polzellen repräsentirt. Diese von Robin als „globules polaires" be-
zeichneten, von Weismann für Chironomus und Musca beschriebenen
Zellen, welche sich noch vor der Bildung des Blastoclerms am hinteren
Pole des Eies absondern, wurden von Leuckart und Metschnikoff
(Nr. 55) an dem ungeschlechtlich sich entwickelnden Ei der viviparen
Cecidomyalarven aufgefunden (Fig. 516 pz). Hier löst sich noch vor
Ausbildung des Blastoderms vom hinteren Eipole (Fig. 516 B) eine ziem-
lich grosse, körnchenreiche Zelle (pz) ab, welche sich bald in zwei und
hierauf in vier Polzellen (Fig. 516 F) theilt. Nach vollendeter Blastoderm-
bildung rücken diese Polzellen zunächst zwischen die Blastodermzellen
(Fig. 516 G) und hierauf ins Innere des Embryos, wo sie sich in späteren
Stadien symmetrisch in zwei Gruppen anordnen und von Zellen des um-
gebenden Gewebes umhüllt zur Genitalanlage umwandeln (Metschnikoff).
Bei Chironomus (Fig. 517 p) schnüren sich nach Balbiani vom
hinteren Eipole fast gleichzeitig zwei Polzellen ab, welche sich durch
>)
846
XXIII. Capitel.
Theilung in eine Gruppe von vier und acht Zellen umwandeln. In ganz
ähnlicher Weise wie bei Cecidomya werden diese Zellen ins Innere des
Embryos aufgenommen (Fig. 517 C), wo sie sich in zwei zu den Seiten
der Enddarmeinstülpung gelegene Gruppen trennen. In ganz jungen,
dem Ei entschlüpften Larven kann man diese beiden spindelförmigen
Gruppen, deren Zellen sich bald vermehren, dorsalwärts zu den Seiten
des Rückengefässes von einer deutlichen zelligen Membran umhüllt er-
kennen, welche nach vorn und hinten in einen ligament-ähnlichen End-
faden übergeht. Der vordere Endfaden ist die Anlage des sogenannten
Müller' sehen Fadens. Er setzt sich an das Rückengefäss an und
wurde von Schneider (Nr. 74) für musculös
demnach die Genitalanlage der Dipteren auf
der Flügelmuskel des Herzens
gehalten, welcher Autor
b
eine
umgewandelte Faser
zurückführt eine Annahme, welche
von Balbiani als irrthümlich
zurückgewiesen wurde. Der
nach hinten verlaufende End-
faden ist die Anlage des paari-
gen Ausführungsganges der
Genitaldrüse. Durch Theilung
der im Inneren der Ovarial-
anlage gelegenen Zellen kommt
es zur Bildung von rosetten-
förmigen Zellgruppen, deren je
eine dem Inhalte einer Ovarial-
röhre entspricht. Mit diesen
Angaben Balbiani's stehen
auch die neueren Mittheilungen
Ritter's (Nr. 71) in Ueberein-
stimmung.
In ähnlicher Weise wie bei
den Dipteren, kommt auch bei
den A p h i d e n die erste Anlage
der Genitalorgane sehr früh zur
Sonderung. Schon in jenen
frühen Stadien, in welchen
durch eine Einstülpung vom
hinteren Eipole aus die erste
Anlage der Amnionhöhle sich
ausbildet (vgl. oben pag. 778 ff.),
trennt sich noch vor der Bil-
dung des unteren Blattes von der Wand dieser Einstülpung eine Zellgruppe
(die Genitalanlage) ab, welche nun als eine unpaare rundliche Masse im
Inneren des Embryos gelegen ist. Diese Zellgruppe soll nach Balbiani und
Witlaczil durch Theilung aus einer einzigen Zelle hervorgegangen sein.
Später nimmt sie Hufeisenform an und zerfällt in eine Anzahl rundlicher
Zellhaufen, welche sich jederseits der Medianebene des Körpers in gleicher
Zahl anordnen und die Anlage der Endfächer darstellen. Sie sind von
einem epithelialen Ueberzug umhüllt, welcher nach vorne in die End-
fäden, nach hinten in die Ausführungsgänge übergeht. Der Ursprung
dieses Epithelüberzugs ist zweifelhaft. Die Ausführungsgänge der ein-
zelnen Ovarialröhren verschmelzen jederseits zu einem gemeinsamen Ei-
leiter, und dieser setzt sich an eine unpaare, unter dem Enddarm ge-
legene Ectodermeinstülpung an, von welcher die accessorischen Ge-
schlechtsorgane gebildet werden (Metschnikoff, Witlaczil, Will).
Fig. 517. Drei Längsschnitte durch Chi-
ronomusembryonen (nach Ritter).
In A ist das Blastoderm in Bildung be-
griffen; die Polzellen (pz) liegen ausserhalb des-
selben; in B haben sich die Polzellen zwischen
die Blastodermzellen eingedrängt; in C liegen
sie im Inneren des Embryos.
b Keimhautblastem, bl Blastoderm, d Nahr-
ungsdotter, k Kerne des sich bildenden Blasto-
derms, p Polzellen.
Insecten. 847
II. Metamorphose.
1. lieber die Larvenformeii. *)
Die Thysanuren und Collembolen kommen in einem Zustande aus
dem Ei , welcher der ausgebildeten Form schon völlig gleicht, so dass
hier von einer Metamorphose eigentlich nicht die Rede sein kann. Diese
Formen dürfen wir daher als wirkliche Ametabola (Insecten ohne Ver-
wandlung) bezeichnen.
Sämmtliche übrige Insecten dagegen machen eine wirkliche Meta-
morphose durch. Sie unterscheiden sich, wenn sie aus dem Eie schlüpfen,
abgesehen von der geringeren Grösse, mindestens durch den Mangel der
Flügel von dem ausgebildeten Insect. Viele Insectenlarven sind aber noch
durch eine Anzahl anderer Merkmale von der ausgebildeten Form (I m a g o)
unterschieden.
Wenn wir jene aus dem Eie kommenden Jugendformen (Larven)
der Insecten mit denen vieler Crustaceen, die als Nauplien aus dem Eie
kommen, vergleichen, so ergiebt sich ein auffallender Unterschied. Bei
den Insecten wird die typische Zahl der Segmente bereits im Embryo
angelegt ; ebenso sind die Gliedmaassen und die wichtigsten Organanlagen
bereits vorhanden. Nur die Flügel fehlen noch. Im Uebrigen kennzeichnet
sich das aus dem Eie kommende Junge bereits als vollendetes Insect.
Es ist zweifellos, dass die Thysanuren und unter jenen besonders
Campodea (Fig. 535, pag. 880) dem Grundschema dieser ungeflügelten
Larvenformen sehr nahe stehen. Wir haben in diesen Formen unzweifel-
haft die ursprünglichsten Repräsentanten der Classe der Insecten vor
uns. Doch werden wir bei einem speciellen Vergleich nicht ausser Augen
lassen dürfen, dass manche Organsysteme (z. B. das Tracheensystem)
möglicherweise in Folge der geringen Körpergrösse eine Reduction er-
fahren haben.
Die Ordnungen der Insecten theilen sich nach der Art ihrer Meta-
morphose in zwei Gruppen. Zu der einen gehören jene Ordnungen, die
wir ihrer Organisation nach als die ursprünglicheren zu betrachten pflegen
und die zum Theil auch durch das Vorhandensein eines ins Innere des
Eies eingestülpten Keimstreifs sich an die Myriopoden anschliessen. Hier
wandelt sich die Larve durch eine Reihe aufeinanderfolgender Häutungen
allmählich in die Imagoform um. Allmählich sprossen die successive
sich vergrössernden Flügelanlagen hervor. Hier vollzieht sich demnach
die Metamorphose als ein Auswachsen in dem Rahmen der vorhandenen
Segmentirung und Organanlagen. Wir bezeichnen diese Art der Ent-
wicklung als unvollkommene Verwandlung und die hierher ge-
hörigen Insecten als h o m omor p h e.
Complicirter ist der Entwicklungsablauf in der zweiten Gruppe, zu
der die höherstehenden Insectenordnungen gehören. Hier kommt aus
dem Ei ein Stadium, welches häufig beträchtliche Unterschiede von der
Imagoform aufweist, und sich auch in der Lebensweise von derselben
unterscheidet. Dieses „ Wa chsthumsst a d i u m " erreicht unter reger
Nahrungsaufnahme und unter Ablauf mehrfacher Häutungen eine beträcht-
liche Grösse, um sich schliesslich in ein Ruhestadium, die Puppe, um-
zuwandeln. In diesem Stadium ist das Vermögen der Locomotion unter-
x) Wir haben uns in der folgenden Darstellung hauptsächlich an Lubbock
(No. 156) und Brauer (No. 146) angeschlossen.
848 XXIII. Capitel.
drückt; es bewegt sich kaum, nimmt keine Nahrung auf, sämmtliche
animale Processe sind in den Hintergrund getreten, während die vegeta-
tiven Vorgänge die weitere (vor Allem innere) Umwandlung des Körpers
bewirken. Es folgt also auf die Larve ein Stadium, das in vieler Hin-
sicht den Embryonalstadien ähnlich ist, und man könnte das Puppen-
stadium als eine Wiederaufnahme der Embryonalentwicklung bezeichnen.
Aber es ergiebt sich bei genauerer Betrachtung ein gewisser Unterschied.
In den embryonalen Stadien entwickeln sich die Organe meist aus ein-
heitlichen Anlagen, während sie hier vielfach durch Concrescenz aus einer
Anzahl discreter Bildungscentren (I m a gi n a 1 s c h e i b e n) aufgebaut wer-
den (z. B. der Mitteldarm, die Hypodermis). Diese Imaginalscheiben
müssen wir als embryonale Reste betrachten, welche das Larvenleben in
einer Art latenten Zustandes überdauern und in denen die regenerativen
Fähigkeiten der Embryonalanlage erhalten bleiben. Jene Organparthien
dagegen, welche in der Larve functionirten, fallen einem Auflösungs-
process anheim (vgl. pag. 859 ff.).
Aus der Puppe kommt durch eine nochmalige Häutung das Stadium
der Geschlechtsreife, das geflügelte Imagostadium, welches kein Körper-
wachsthum mehr aufweist.
Die nach diesem Typus sich entwickelnden Insecten hat man als
Heteromorpha und ihre Metamorphose als vollkommene Ver-
wandlung (Metabolie) bezeichnet.
A. Homomorpha.
Die postembryonale Entwicklung der hierher gehörigen Insecten ist
meist eine wirkliche Metamorphose, insofern das aus dem Ei kommende
Junge bei aller sonstigen Aehnlichkeit mit der ausgewachsenen Form sich
von derselben durch den Mangel der Flügel (und der zu äusseren Ge-
schlechtstheilen sich umbildenden abdominalen Anhänge) unterscheidet,
wozu in einzelnen Fällen mit der Aenderung in der Lebensweise auch
Umwandlungen in der Form der Extremitäten sich gesellen können
(Cicaden). — Die Umwandlung in das vollendete Insect ist eine mehr
allmähliche. Das letzte Larvenstadium mit bereits entwickelten Flügel-
anlagen wird als Nymphe bezeichnet. Nur bei den Pediculiden und
Mallophagen entfällt in Folge der parasitischen Lebensweise mit dem
Verlust der Flügel auch die Metamorphose (erworbene Ametabolie, Lang).
Die hierher gehörigen Insecten lassen sich nach der Art ihrer Meta-
morphose in zwei Untergruppen trennen:
I. PauTOinetabola. Die postembryonale Entwicklung vollzieht sich
unter allmählichem Anwachsen des Körpers (mehrfache Häutungen) und
successivem Hervorsprossen der Flügelanlagen und der äusseren Ge-
schlechtsteile. Bei den Insecten dieser Gruppe stimmen die Jugend-
stadien mit den ausgebildeten Formen nicht bloss hinsichtlich der Ge-
stalt, sondern auch nach ihrer Lebensweise überein.
Hierher gehören die D e r m a p t e r a , Orthoptera g e n u i n a ,
Corrodentia, Thysanoptera und die meisten Rhynchoten.
Die Jugendformen der meisten Rhynchoten sind im Bau der Mundtheile
und der Körperform den Imagines ähnlich und wandeln sich allmählich in die
ausgebildete Form um. Eine Ausnahme hiervon macht das Genus Aleurodes,
dessen schildförmige Larve sich im Habitus von der vierflügeligen Imago
unterscheidet und sich in eine ruhende Puppe umwandelt, welche von der
Insecten.
849
Larvenhaut bedeckt wird. Hier findet sich demnach eine vollkommene Ver-
wandlung. Aehnlich verhalten sich die Männchen der Cocciden, indem
sie sich, sei es unter der schützenden Larvenhaut, sei es in einem gesponnenen
Cocon in eine ruhende Puppe umwandeln. Auch bei den Cicadidae (Fig. 518)
kommt es zu einer höheren Ausbildung der Metamorphose. Die Larven (Ä)
leben unter der Erde an Wurzeln von Bäumen und haben hakenförmige,
zum Graben umgewandelte Vorderfüsse. Die Nymphe (B) ist hier beweglich.
Nur kurz vor dem Ausschlüpfen der Imago (C) verhält sie sich ruhig, das
Bersten der Haut abwartend.
IL Hemimetabola. Die Jugendstadien unterscheiden sich von den
Imagines nicht bloss durch den Mangel der Flügel, sondern auch durch
das Vorhandensein von provisorischen (Larven-) Organen.
Fig. 518. A Larve, B Puppe, C Imago von Cicada septemdecim (nach Packard).
Die Larven-Stadien leben im Wasser und sind durch die Verhält-
nisse der Respirations- Organe von den Imagines verschieden (Tracheen-
kiemen, Darmathmung).
Hieher gehören die E p h e in e r i d e n , Odonaten und P 1 e c o p t e r a.
Ephemeridae. Die Ephemeriden stellen eine sehr ursprüngliche Insecten-
gruppe dar. Bei ihnen allein haben sich die paarigen Ausführungsgänge der
Geschlechtsorgane in der ursprünglichen Form erhalten. Die Larven (Fig. 519)
leben im Wasser und kommen in einer Form aus dem Ei, welche im Habitus
sehr an Campodea erinnert. In den späteren Stadien sind sie durch den
Besitz äusserer Tracheenkiemen (1c) ausgezeichnet, welche als einfache oder
doppelte Blätter, die am Rande mit Zweigen besetzt sein können, als
Kiemenbüschel oder als mit einem Blatt gedeckte Kiemenbüschel an den
hinteren Ecken der (in den meisten Fällen) sieben vorderen Abdominalseg-
mente aufsitzen. In das Innere dieser Aussackungen der Haut erstrecken
sich reich verästelte Tracheenstämme, welche den Gasaustausch mit dem um-
gebenden Medium vermitteln. Dementsprechend sind die Stigmata geschlossen
und die Stigmenäste, welche sich im Meso- und Metathorax und den acht
850
XXIII. Capitel.
ersten Abdominalsegmenten finden, nur als dünne, farblose, nicht lufthaltige
Stränge ausgebildet (Geschlossenes Tracheensystem). Nur im
Momente der Häutung öffnen sich die Stigmenäste und Stigmata, um die
Tracheenintima, welche im Zusammenhange mit der Cuticula der Körperober-
fläche abgestossen wird, nach aussen durchtreten zu lassen (Palmen No. 161).
Die Zahl der Häutungen, durch welche die einzelnen Stadien der successive
der Imagoform immer ähnlicher werdenden Larve sich abgrenzen, ist eine
sehr beträchtliche (bei Chloe über 20, Lubbock). Bei der vorletzten Häutung
geht aus dem letzten Larven- (Nymphen-)stadium, das noch unvollkommene
Flügel aufwies , ein schon vollkommen geflügeltes, der Imago sehr ähnliches
Stadium (Subimago) hervor, welches sich von den vorhergehenden Stadien
dadurch unterscheidet, dass bei ihm die Nahrungs-
aufnahme unterdrückt ist. Bei dieser Häutung wer-
den die Stigmata und Stigmenäste definitiv eröffnet
und die Kiementracheen durch einen Act spontaner
Amputation an ihrer Insertionsstelle abgeschnürt
und abgestossen, so dass sie in der leeren Haut
(Exuviae) des letzten Nymphenstadiums zurück-
bleiben. Durch eine nochmalige auf dem Trockenen
sich vollziehende Häutung geht das Subimago-
stadium in die Form der Imago über.
Odonata. Die Larven der Odonaten sind theils
von gestreckter Körperform und den Imagines ziem-
lich ähnlich, theils unterscheiden sie sich von den-
selben durch den robusten, mehr gedrungenen
Habitus. Alle sind durch die merkwürdige Modi-
fication der Unterlippe, welche eine vorschnellbare
sog. Maske (Fangzange) darstellt, charakterisirt.
Die Respirationsorgane zeigen in den ein-
zelnen Gattungen wechselnde Modificationen. Die
verschliessbaren Stigmen am Thorax und Hinter-
leib (Hagen) der Larven scheinen vorwiegend zur
Luftabgabe benützt zu werden, doch athmen
ältere Libellenlarven durch die Bruststigmen auch
Luft ein (Dewitz). Die Tracheenkiemen sind bei
Aeschna und Libellula an den Wänden des
Afterdarms (Darmkiemen) gelegen, bei den
Agrioniden finden sich drei Kiemenblätter am
letzten Hinterleibssegmente. Diese, wie auch die
Darmkiemen der Libelluliden( Hagen) werden
bei dem Uebergang in die Imagoform durch
spontane Amputation abgestossen. Bei E u p h a e a ,
welche durch das Vorhandensein von Abdominalanhängen ausgezeichnet ist,
finden sich lange kegelförmige Kiemen zu beiden Seiten des Leibes nach
Aussen vom Stigma am zweiten bis achten Segmente (Hagen). —
Plecoptera. Insoferne bei den Perlaridae die Kiemenbüschel (Fig.
520 A, Je) im Imagozustande erhalten bleiben und die Metamorphose
eigentlich nur in einem allmählichen Auswachsen der Flügel bestellt, würden
sich dieselben streng genommen in die Gruppe der Paurometabola einreihen
lassen. Die Larven erinnern im Habitus an die Campodea (Fig. 520 B)
und besitzen Respirationsorgane theils in der Form von lateralen Kiemen-
quasten (Fig. 520 A, k) an den Seiten des Thorax, theils auf dem ersten
ventralen Bauchschild als Prosternalkiemen, theils zu den Seiten der After-
Tig. 519. Ephemeri-
denlarve.
S ÄTracheenkiemen, t Haupt-
stamm des Tracheensystems.
Insecten.
851
Öffnung oder am Seitenrande des Abdomens. Wenn die Perlaridae hier
unter den Hemimetabolen angeführt werden, so ist dies durch den Umstand
gerechtfertigt, dass die Kiementracheen bei den Imagines nicht mehr als
solche functioniren . sondern sich nur geschrumpft und in rudimentärem
Zustande erhalten.
B. Heteromorpha.
Die Larven der hierher gehörigen Insecten sind in ihrem Habitus von
den Imagines bedeutend verschieden. Zum Theil erinnern sie noch
einigermassen an Campodea- ähnliche Formen, vielfach sind sie jedoch
durch Anpassung an bestimmte Lebensweisen modificirt und häufig unter
Zurücktreten der animalen Functionen und Ueberwiegen der vegetativen
Fig. 520. A Larve einer Perlide in der Seitenansicht (nach Gräber), k büschel-
förmige Kiementracheen, st Stigmen. B Larve von Perla bicaudata (nach Westwood).
(bei mehr oder weniger parasitischer Lebensweise) rückgebildet. Den End-
punkt dieser rückgebildeten Formen stellt die fuss- und augenlose „Made"
mit rudimentären Fresswerkzeugen dar. In den meisten Fällen ist die
Lebensweise der Larve von der der ausgebildeten Form völlig ver-
schieden. Wir müssen die vollkommene Metamorphose als eine Höher-
gestaltung des Entwicklungsganges betrachten, als eine erworbene Differen-
zirung im Bereich des Larvenlebens, durch welche die hochausgebildeten,
aber ihrer Entstehung nach wahrscheinlich jüngeren Insecten-Ordnungen
gegenüber den Homoinorpha sich auszeichnen.
Stets ist das letzte Stadium des Larvenlebens eine sogenannte Puppe,
welche in der Körperform, der Entwicklung der Gliedmaassen und im
Bau der Mundtheile der Imago ähnlich ist. In diesem Stadium ist die
852
XXIII. Capitel.
Nahrungsaufnahme sistirt und meist auch die Fähigkeit der Locomotion
unterdrückt (ruhende Puppe). Häufig ist die Puppe in einem von der
Larve fabricirten Gespinnst (Cocon) eingeschlossen. Stehen die Glied-
maassen der Puppe von der Körperoberfläche frei ab, so bezeichnet man
dieselbe als freigliedrige (Pupa libera, gemeisselte Puppe). In
anderen Fällen sind die Gliedmaassen, welche bei der ruhenden Puppe
an die Bauchseite angedrückt gehalten werden, gleich nach dem Ab-
streifen der Larvenhaut zwar auch frei, werden aber bald durch eine
zähe, erhärtende Ausscheidung mit der Körperoberfläche verklebt, so dass
ihre Contouren weniger deutlich umschrieben sind (Lepidopteren und viele
Dipteren). Man bezeichnet diese Form als Mumien puppe (Pupa
obtecta, Cbrysalis). In der Ordnung der Dipteren kommt es viel-
fach vor, dass die Puppe von der letzten Larvenhaut umschlossen bleibt
(Tonnenpuppe, Pupa coarctata).
Die Zahl der Häutungen ist bei der vollkommenen Verwandlung
eine beschränkte und erreicht niemals eine solche Höhe, wie bei manchen
Homoinorphen (Ephemeriden).
Neuroptera. Die Larven der Sialiden haben
beissende Mundtheile , welche denen der Imagoform
ähnlich sind. Im Habitus erinnern sie an manche
Käferlarven. Die Larven der Megaloptera dagegen
haben in ihren Mundtheilen eine eigentümliche Um-
bildung zum Aussaugen der Beute erfahren, indem die
Mandibeln an ihrer Unterseite eine Furche aufweisen,
so dass Mandibeln und Maxillen zusammen jederseits
ein Saugrohr darstellen. Im Habitus sind die Larven
theils langgestreckt, und erinnern an Käferlarven
(Mantispa, die merkwürdige, an Spongilla
schmarotzende Sisyra), theils mehr gedrungen und
von robustem Körperbau (Myrmeleon). Es er-
eignet sich hier demnach der seltene Fall , dass die
saugenden Mundtheile der Larve in der Imagoform
durch beissende ersetzt werden, wie dies auch bei den
Dytisciden unter den Käfern der Fall ist.
Die Puppe ist im Wesentlichen eine ruhende, frei-
gliederige Puppe, welche bei den Megaloptera in
einen grobmaschigen, rundlichen Cocon eingeschlossen
liegt. Doch erlangt dieselbe bei einigen Formen dicht vor der Umwandlung
in die Imagoform die Fähigkeit der Locomotion und wandert umher, bevor
sie durch Abstreifen der Puppenhaut zur Imago wird. In diesem Verhalten
ist ein Uebergang zur Metamorphose der Paurometabola mit beweglichen
Nymphen gegeben.
Panorpatae. Die Larven sind raupenförmig und leben unter Moos oder
unter der Erde. Sie besitzen einen herzförmigen Kopf und kräftige, beissende
Mundwerkzeuge. An den Abdominalsegmenten können acht Paare von Bauck-
füssen (vom ersten bis achten Abdominalsegment) vorkommen. An dem Hinter-
leibsende findet sich die Anlage einer an die der Forficulinen erinnernden analen
Haltgabel. Durch das Vorhandensein eines aus dichtgestellten Punktaugen
zusammengesetzten Auges unterscheiden sich diese Larven von ähnlich ge-
stalteten Lepidopteren- und Hymenopterenlarven.
Trichoptera. Die Phryganeen- Larven leben meist im Wasser und
verfertigen sich ein aus Fremdkörpern (Steinchen, Pflanzentheilen, Schnecken-
Fig-. 521. Larve
von Phryganea fusca
(nach Pjctet).
h Klammerhaken,
k Kiementracheen.
Insecteu. 353
häusern) zusammengesponnenes Gehäuse, das in einzelnen Fällen an Steinen
befestigt sein kann. Im Habitus nähern sie sich den Käferlarven (Fig. 521).
Sie besitzen drei Paare von langen Thoraxbeinen und am Hinterleibsende
ein Paar von Fortsätzen, welche mit Haken (h) besetzt sind. An den Seiten
des Hinterleibes (und des Meso- und Methathorax) kommen Tracheenkiemen
Qc) in Form von Schläuchen oder Büscheln vor. Die Puppe ist freigliedrig.
Die Verpuppung vollzieht sich im Gehäuse der Larve, nachdem in demselben
noch eine weitere Hülle gesponnen wurde. Vor dem Auskriechen der Imago
wird die Puppe beweglich, verlässt die Puppenhülle und kriecht ans Land,
um sich daselbst zur Imago umzuwandeln.
Lepidoptera. Die Larven sind von übereinstimmendem Habitus und
zeigen die Form der Raupe (Eruca). Die meisten leben auf dem Lande.
Nur ganz wenige Pyraliden durchlaufen das Larvenleben im Wasser.
Bei diesen kann es dann auch zur Entwicklung von schlauchförmigen Tracheen-
kiemen kommen (Paraponyx, während Acentropus, Hydrocampa
und Cataclysta echter Tracheenkiemen entbehren). Von den 13 äusser-
lich erkennbaren Körperringen stellt der vorderste den Segmentcomplex des
Kopfes dar. Er trägt die meist dreigliedrigen, kurzen Fühler und die
beissenden Mundwerkzeuge. Eine in der Medianebene verlaufende sog. Gabel-
linie entspricht der Verwachsungs-Xath der Kopf lappen. Zu beiden Seiten des
Kopfes finden sich sechs (seltener fünf) im Halbkreis angeordnete Punktaugen.
Die auf den Kopf folgenden drei Brustringe sind den Abdominalringen gleich-
gestaltet. Das erste Stigmenpaar gehört dem Prothorax an, die acht folgenden
dem ersten bis achten Abdominalsegment. Die Beine fehlen höchst selten voll-
ständig; in anderen Fällen sind sie rudimentär (einige Minirraupen). Meist sind
drei Paare kurzer, gegliederter Thoracalbeine und fünf Paare von Abdominal-
beinen vorhanden. Letztere finden sich am dritten bis sechsten Abdominalsegment
und am Endsegment als sog. Nachschieber. Sie sind stummeiförmig und weisen
eine zweilappige oder kreisförmige mit Häkchen besetzte Sohle auf. Bei
Xepticula finden sich im Ganzen achtzehn Beine. In anderen Fällen wird durch
Reduction der Abdominalbeinpaare die Zahl eine geringere. Bedeutend
reducirt ist dieselbe bei den Spannerraupen, welche ausser den drei Thorax-
beinpaaren nur zwei oder drei Abdominalbeinpaare aufweisen (am sechsten
und neunten Abdominalsegment).
Die Puppe ist eine Mumienpuppe (Pupa obtecta) und häufig in einem
Cocon eingeschlossen. Bei den Puppen einiger Tineiden (besonders bei
Micropteryx) sollen die Beine theilweise frei sein. Der Bau der Mund-
theile ist dem der Imago im wesentlichen gleich.
Diptera. Die Larven der Dipteren müssen im Allgemeinen als wesent-
lich rückgebildete Formen in Anspruch genommen werden. Um so grösser
ist die Mannigfaltigkeit in den einzelnen Untergruppen. Hier kommt der
Typus der fusslosen, weichhäutigen, aus einer Anzahl gleichartiger Ringel
bestellenden sog. „Maden" am deutlichsten zur Ausbildung. Stets fehlen die
Extremitäten des Thorax; nur am ersten Thoraxsegmente können sich Rudimente
von Extremitäten erhalten. Ebenso kommen zuweilen an den Abdominal-
segmenten stummeiförmige Bauchfüsse zur Ausbildung. Auch die Mundtheile
sind vielfach nur rudimentär entwickelt. In den meisten Fällen weist das
Integument eine weichhäutige Beschaffenheit auf; doch kann dasselbe auch
resistenteren Charakter annehmen (Stratiomyslarve, in deren Haut nach
Letdig Kalksalze abgelagert sind). Die weichhäutige Beschaffenheit des
Integuments kann sich auch auf die Kopfsegmente ausdehnen (kopflose
Larven); hier kommt es jedoch meist zur Ausbildung eines chitinösen,
die Mundtheile schützenden Schlundgerüstes oder einer mehr oder weniger
Korschelt-Heider, Lehrbuch. 55
854 XXIII. Capitel.
ausgebildeten Kieferkapsel. Aber nur in dem Falle, dass diese chitinöse
Kapsel die Ganglien des Kopfes in sich birgt, wird dieselbe als eigentlicher
„Kopf" bezeichnet (Brauer) (eucephale Larven). —
Die Puppe ist nicht immer eine ruhende. In einzelnen Fällen (Culi-
ciden) bewegt sie sich durch Stösse des Hinterleibs im Wasser umher.
Die ruhende Puppe ist häufig von der Larvenhaut umschlossen und wird
dann als Tonnenpuppe bezeichnet. Sie ist entweder freigliederig (Pupa
libera) oder ähnlich der Lepidopterenpuppe mit angeklebten Gliedmaassen
versehen (Pupa obtecta, Mumienpuppe).
Die Formen der Dipterenlarven wurden von Brauer (Nr. 100) für die
Systematik verwerthet. Brauer unterscheidet nach der Art des Aufberstens der
Larvenhaut bei der Verpuppung (oder, im Falle eine Tonnenpuppe gebildet
wird, bei dem Ausschlüpfen der Imago) zwei Haupttypen: 1) Ortho rhap ha,
bei denen im Allgemeinen ein Längsspalt am Rücken und ein darauf senk-
rechter Querriss sich öffnet. 2) Cyclorhapha, bei denen die Berstung
in Bogenlinien erfolgt, so dass am vorderen Pole ein oder zwei Deckelchen ab-
springen. Dem ersteren Typus gehören die den ursprünglichsten Habitus
aufweisenden eucephalen Larven der Culiciden und Chironomiden, ferner die
Larven der Tipuliden, Cecidomyiden, Stratiomyiden etc. an, während die
Museiden, Syrpliiden und Pupiparen dem zweiten Typus folgen.
In Bezug auf die Verhältnisse der Respirationsorgane zeigt sich eine
grosse Mannigfaltigkeit. Viele Larven athmen nur durch das letzte offen-
bleibende Stigmenpaar am hinteren Körperende (metapneustisch), bei
anderen erhält sich das vordere und hintere Stigmenpaar durchgängig,
während die übrigen verschlossen sind (amphipneustisch) ; wieder in
anderen Fällen sind auch die dazwischen gelegenen Stigmen theilweise geöffnet
(peripneus tisch ). Dagegen athmen die Puppen mancher Formen nur
durch das vorderste, dem Prothorax zukommende Stigmenpaar (pro-
pneustisch). —
Siphonaptera. Die Larve ist fusslos, mit beissenden Mundtheilen, und
besteht aus einem Kopf und zwölf ziemlich gleichartig gestalteten Segmenten.
Zehn Stigmenpaare an den drei Thorax- und sieben vordersten Abdominal-
segmenten. Die Puppe ist gemeisseit ; Mundtheile und Körperform gleichen der
Imago; sie ruht in einem Cocon.
Coleoptera. Viele Coleopterenlarven erinnern im Habitus an die Cam-
podeaform. Hier finden sich an den Thoraxsegmenten drei wohlentwickelte
Beinpaare und am Hinterleibsende in manchen Fällen ein Paar fadenförmiger
oder griffelähnlicher Anhänge. Oefters tritt am hinteren Körperende ein
Paar stumm eiförmiger sog. Nachschieber auf. Der stets wohlentwickelte
Kopf zeigt die bei den Lepidoptera erwähnte Gabellinie und trägt meist kurze
Fühler und jederseits in verschiedener Zahl sich findende (sechs und weniger)
Punktaugen, die übrigens vielfach fehlen. Mundtheile beissend, die Mandibeln
in einzelnen Fällen (Dytiscidae) zu Saugzangen umgebildet. Meist sind
neun Stigmenpaare vorhanden, von denen das erste dem ersten oder zweiten
Thoraxsegment zukommt oder an der Grenze zwischen beiden gelegen
ist, während die übrigen den acht vordersten Abdominalsegmenten angehören.
Die im Wasser lebenden Larven (Dytiscus, Hydrophilus) metapneu-
stisch, zum Theil mit Tracheenkiemen (Gyrinus). Durch Streckung kommt
es zur Ausbildung der drathförmigen Larven der Elateriden, in anderen
Fällen entwickeln sich verbreiterte asseiförmige Gestalten (Parniden).
Die Lamellicornierlarven sind augenlos, weichhäutig, weisslich und
durch den sackförmig aufgetriebenen letzten Körperring ausgezeichnet (Enger-
ling). Bei den unter, der Rinde oder im Holz bohrenden Formen werden
Insecten.
855
Fig. 522. Metamorphose von Sitaris (nach
Fabre, aus Lubbock).
A erstes Larvenstadium, B zweites Larven-
stadium , C drittes Larvenstadium (sog. Pseudo-
clnysalis), D viertes Larvenstadium, E Puppe.
die Beine rudimentär oder fehlen vollständig (Buprestidae, Ceramby-
cidae). Solche rückgebildete Larvenformen können schliesslich maden-
ähnlich werden (Curculionidae, Bostrychidae). —
Die Puppe ist freigliedrig, in der Körperform und dem Bau der Mund-
theile der Imago ähnlich.
Eine von Fabre (No. 105)
als Hypermetamorphose
bezeichnete Complication erleidet
die Verwandlung der Meloi-
den in Anpassung an die eigen-
thümliche Lebensweise der Lar-
ven. Die junge, Campodea ähn-
liche Larve von Sitaris (Fig.
522 A) gelangt zunächst auf
das Männchen und während der
Copulation auf das Weibchen
von Anthophora. Sobald
diese Biene ihr Ei in die mit
Honig gefüllten, aus Erde ge-
mauerten Zellen absetzt, schlüpft
die Sitarislarve auf das an der
Oberfläche des Honigs schwim-
mende Ei, dessen Inhalt ihr zur ersten Nahrung dient. Das folgende sich vom
Honig nährende Stadium ist wenig beweglich, madenähnlich, mit rudimentären
Beinen (Fig. 522 B). Es wandelt sich in eine Pseudochrysalis
(Fig. 522 C), ein ruhendes puppenähnliches Stadium um. Aus der Pseudo-
chrysalis geht zunächst eine dem zweiten Stadium ähnliche Larve (Fig. 522 Z>),
hierauf die eigentliche Puppe (Fig. 522 E) hervor, welche sich zur Imago um-
wandelt. — Es findet sich hier demnach eine Vermehrung sowohl der frei be-
weglichen, als auch der ruhenden Stadien.
Hynienoptera. Die Larven der Hymenop-
teren trennen sich in verschiedene Typen.
Die von Blättern lebenden Larven der Ten-
thredinidae sind im Habitus und der Fär-
bung den Lepidopterenlarven ähnlich und
werden deshalb als Afterraupen (Fig. 523)
bezeichnet. Sie unterscheiden sich von den
echten Raupen durch den Besitz eines einzigen
Punktauges an jeder Seite des Kopfes und durch die meist grössere Zahl ab-
dominaler Extremitäten, deren vorderstes Paar dem zweiten und nicht wie bei
den Raupen dem dritten Abdominalsegmente angehört. Meist finden sich sechs bis
achtPaare abdominaler Anhänge. Eine Ausnahme macht die Gattung Ly da, bei
welcher ausser den Thoraxbeinpaaren nur am hinteren Leibesende ein Paar von
gegliederten Anhängen (Cerci) sich findet. Diesen Afterraupen stehen die im
Holz bohrenden Larven der Holzwespen (U r o c e r i d a e) nahe, unterscheiden sich
von denselben aber durch den Mangel der Augen und der Abdominalbeine.
Die meisten übrigen Hymenopteren zeigen rückgebildete Larvenformen im
Anschluss an die parasitische oder halbparasitische Lebensweise. Sei es,
dass die Larven in Pflanzenauswüchsen (Gallen) sich entwickeln, wie die
vieler Cynipiden, oder dass sie parasitisch in anderen Insectenlarvon sich
entwickeln, wie die einiger Cynipiden, der Pteromalinen, Ichneu-
moniden etc., oder dass sie das Nahrungsmaterial in ihren Zellen vor-
finden (Fossoria, Vespidae, Apidae), oder während des Heranwachsens
55 *
Fi?. 523.
Afterraupe einer
[T r i c h i o s o m a
lue omni] (nach "West wo od).
856 XXIH. Capitel.
gefüttert werden (Ameisen), stets bedingt die damit verbundene Passivität
eine Rückbildung der Extremitäten und der Mundwerkzeuge und eine An-
näherung des Gesammthabitus an die Form der Made. Bei den Larven der
Bienen und Wespen bleibt der Mitteldarm an seinem hinteren Ende geschlossen
und ohne Communication mit dem die Malpighi'schen Gefässe aufnehmenden
Enddarm. Die Verpuppung findet meist in einem gesponnenen Cocon statt.
Die Puppe ist freigliedrig und im Bau der Imago gleich; da bei dem Ueber-
gang von der Larve in die Puppe die Beinanlagen nur allmählich aus den
Imaginalscheiben hervorgestülpt werden (vgl. pag. 862 und 865) so geht dem
Puppenstadium eine Form vorher, welche die Beine nur in halbausgestülpten
Zustande zeigt (Dewitz No. 102), und diese Form ist es, welche man als
Semipupa, Subnympha oder Pronympha bezeichnet hat.
Die Eier der Ichneumonidae, Braconidae und Pteromalidae
entwickeln sich in Eiern oder Larven anderer Insecten. Die Larven der
ersteren Familien weisen im Allgemeinen die Madenform auf. Doch kommen
hier Anhänge am hinteren Körperende zur Entwicklung als Schwanzanhang
(Anomalon) oder Schwanzblase (Microgaster), welche die Larven
bei der Verpuppung verlieren. Dagegen weisen die Pteromalinen eine
sehr merkwürdige Metamorphose auf. Die Entwicklung dieser Formen, die
durch de Filippi, Metschnikoff, Ganin, Avers und Lemoine bekannt ge-
worden ist, charakterisirt sich durch das Fehlen des Nahrungsdotters im Eie,
durch das Fehlen oder die rudimentäre Entwicklung der Embryonalhüllen,
durch das frühzeitige Ausschlüpfen der Larve aus dem Eie, und durch die
abenteuerlich gestalteten Larvenformen. Ueber die ersten Entwicklungsstadien
sind wir allerdings noch sehr im Unklaren. Bei Platy gaster entstehen
durch einen fortgesetzten Theilungsprocess zahlreiche Zellen, von denen ein
Theil sich bald zu einer oberflächlichen Schicht anordnet, welche als Hülle
(der Serosa entsprechend?) den Embryo umgiebt. Die übrigen Zellen bilden
die rundliche Embryonalanlage, an der man bald eine äussere Ectoderm-
schicht und eine innere Schicht (unteres Blatt) unterscheiden kann. Nun
streckt sich der Embryo und wird gleichzeitig durch eine von der Ventral-
seite sich einsenkende Querfurche in einen vorderen, verbreiterten Kopfab-
schnitt und einen hinteren, schmäleren Abschnitt getrennt. An dem Kopf-
abschnitt tritt als Ectodermeinstülpung der Vorderdarm auf, welcher sich
bald mit dem aus den inneren Zellen entstandenen Mitteldarm verbindet.
Der Enddarm entsteht bedeutend später und tritt erst sehr spät in Communi-
cation mit dem Mitteldarm. An dem Kopfabschnitt (Fig. 524) entwickeln
sich zu den Seiten des Mundes ein Paar Klammerhaken (Jcf) und hinter
demselben eine Unterlippe (id). Später tritt an der hinteren Grenze dieses
vorderen Abschnitts noch ein Gliedmaassenpaar (Ifg) auf, und kommen vorne
ein Paar kurzer Antennen (a) zur Entwicklung. Der hintere Abschnitt des
Embryos theilt sich in mehrere Segmente und läuft in einen gabelförmigen,
an die Furca der Copepoden erinnernden Anhang (f) aus. Deshalb hat
man dies erste Larvenstadium, das nach Erhärtung der Chitincuticula aus
der Embryonalhülle schlüpft, als cyclo ps ähnliches Stadium (Fig. 524,
23, 24, 25) bezeichnet. Es scheint, dass in diesem Stadium nur der Darm-
canal und die Extremitätenmuskeln zur Differenzirung gekommen sind, während
die übrigen Organe noch undifferenzirt in einem ventralwärts verlaufenden
Keimstreif angelegt sind und erst im nächsten Stadium zur Ausbildung ge-
langen. In dieses geht das Cyclopsstadium durch eine Häutung über, und
nun erlangt die Larve die Gestalt eines ovalen, der Segmentirung entbehren-
den, gliedmaassenlosen Körpers (Fig. 524, 26). Jetzt bildet sich das Nerven-
system, die Speicheldrüsen und der Enddarm als Ectodermeinstülpungen und
Insecten.
857
allmählich auch die Muskelgruppen, durch deren Anordnung die Segmentirung
kenntlich wird. Das letzte (dritte) Larvenstadium, das aus dem vorliegenden
durch eine neue Häutung hervorgeht, weist die Gestalt einer der Gliedmaassen
entbehrenden segmentirten Made {27) auf.
Fig. 524. Entwicklungsstadien von Platy gaster (nach Ganin, aus Lubbock).
23, 24, 25 sog. Cyclopsähnliche Larven dreier Platygasterarten. 26 zweites Larven-
stadium. 27 drittes Larvenstadium.
a Antenne, ag Ausführungsgang der Speicheldrüsen, ao After, bsm ventrale Ecto-
dermverdickung, ed Darm, ew Rectum, / Furcalanhänge, fk Fettkörper, ga Geschlechts-
organe, gh Enddarm, gsae oberes Schlundganglion, kf Hakenfüsse, Ifg seitliche Füsse,
Im Speicheldrüsen, md Mandibeln, mo Mund, msl Magen, slk, slkf Oesophagus,
sp Speicheldrüsen, tr Tracheen, ul Unterlippe.
Die Larvenformen scheinen für andere verwandte Genera sehr mannig-
faltig zu sein. Bei Teleas findet sich zwar auch das Cyclopsstadium, doch
geht demselben eine spindelförmige Larve voraus , die mehr gleichraässig
segmentirt erscheint und kleine stummeiförmige Mundtheile aufweist, während
sie der Klammerhaken noch entbehrt (Ayers). Hier beginnt die Entwick-
lung mit der Ausbildung einer Coeloblastula (Metscitnikoff, Ayeks), in
deren Innenraum durch Einwanderung von Zellen ein unteres Blatt sich
entwickelt. Durch Ausbildung einer medianen Rinne wird die bilaterale
Symmetrie des Embryos und durch eine vordere Verdickung das Kopfende
des Embryos gekennzeichnet.
Alle diese Larvenformen der Pteromalinen müssen als abgeleitete
angesehen werden, ohne dass wir in der Lage wären, für den einzelnen Fall
anzugeben, welche Bedeutung der Ausbildung dieser merkwürdigen Formen
für die Entwicklung zuzuschreiben ist.
858 XXIII. Capitel.
Die Larvenformen der Insecten zeigen eine grosse Mannigfaltigkeit.
Eine vergleichende Betrachtung zeigt auf das Deutlichste, dass haupt-
sächlich die Lebensweise den Habitus der Larven bestimmt. So kommt
bei phytophagen, von Blättern sich nährenden Larven der Typus der
polypoden Raupe, bei den im Holz bohrenden Formen ein ähnlicher
Typus mit kräftigen Mundwerkzeugen und starker Kopfkapsel aber rück-
gebildeten Extremitäten zur Ausbildung, bei mehr oder weniger para-
sitischer Lebensweise die Form der Made ect. In anderen Gruppen
(Orthopt. genuina), deren Larven nach ihrer Lebensweise mit den aus-
gebildeten Formen übereinstimmen, ist der Habitus der Imagines schon
auf die Larvenformen übertragen. Es ergiebt sich aus diesen Betrach-
tungen, dass wir die Metamorphose der Insecten nur in beschränktem
Maasse nach der phyletischen Richtung verwerthen können.
Vor Allem muss man im Auge behalten, dass die aus dem Eie
kommenden Larven bereits die typische Gliederung des Insectenkörpers
aufweisen, dass also in keinem einzigen Falle Ahnenformen in den Larven
zur Reproduction kommen, welche den ältesten Insectenformen vorher-
gingen. Alles, was uns die Insectenlarven lehren können, wird sich da-
her nur in dem Rahmen dieser Klasse bewegen können.
Durch den allen Insectenlarven zukommenden Mangel der Flügel
werden wir auf die ursprüngliche Gruppe der Thysanuren gewiesen,
und in der That zeigen auch zahlreiche Insectenlarven im Habitus grosse
Uebereinstimmung mit diesen Formen. Die campodeoiden Larven, auf
deren Wichtigkeit vor Allem Brauer (Nr. 145) hingewiesen hat, dürften
demnach jenen Larventypus repräsentiren, der am meisten ursprüngliche
Charaktere bewahrt hat. Als Hauptmerkmale dieses Typus sind zu
nennen: beissende Mundwerkzeuge, gegliederte Fühler, Thoraxsegmente,
welche mit den Abdominalsegmenten nahezu übereinstimmen, wohlent-
wickelte Thoraxbeinpaare, ein schlanker, gestreckter, dorsoventral com-
presser Körperbau und der Besitz von zwei gegliederten Reifen (Cerci)
am Hinterleibsende. Dieser Typus ist durch die Larven der Ephemeriden,
Perlariden, mancher Neuropteren und vieler Käfer ziemlich getreu inne-
gehalten.
Im Allgemeinen nimmt die Metamorphose der Insecten in den höher
stehenden Ordnungen eine schärfere Ausprägung an, insofern hier die
einzelnen Stadien grössere Verschiedenheiten von einander aufweisen und
der Uebergang kein allmählicher ist. Wir müssen daher die unvoll-
kommene Verwandlung als den ursprünglicheren Zustand betrachten und
die vollkommene Metamorphose als eine im Bereich der Insecten er-
worbene Höhergestaltung der individuellen Entwicklung. Daher müssen
wir die Larvenformen der Metabolen sämmtlich als erworbene betrachten.
Aber auch bei den Hemimetabolen werden wir gewisse Charaktere als
erworbene bei phyletischen Betrachtungen in Ausschluss bringen müssen,
z. B. das Vorhandensein eines sogenannten geschlossenen Tracheen-
systems und von Tracheenkiemen bei vielen im Wasser lebenden
Larven, da diese Lebensweise höchst wahrscheinlich als eine erworbene
aufzufassen ist.
Wenn wir so auf die Larvenformen der Insecten wenig Gewicht
in phyletischer Beziehung legen können, so kommt doch vielleicht
gewissen Merkmalen einiger Werth zu, insofern auch erworbene Larven-
formen die Tendenz zeigen, morphologische Charaktere der Ahnenformen
zu reproduciren. Als solche wiederaufgetauchte Merkmale sind vielleicht
Insecten. 859
zu betrachten: 1) Die mehr weichhäutige Körperoberfläche. 2) Die
weniger strenge Scheidung von Thorax und Abdomen. 3) Die mehr
gleichmäßige Gliederung der Extremitäten. 4) Der Mangel der Facetten-
augen. 5) Das häufige Vorkommen von abdominalen Extremitäten.
2. Entwicklung des Imago-Zustanues.
Wir haben schon oben (pag. 847 und 848) auf die charakteristischen Unter-
schiede hingewiesen, welche zwischen den homomorphen Insectenordnungen
einerseits und den holometabolischen Formen andererseits hinsichtlich der
Art der Entwicklung des geschlechtsreifen Zustandes (Imago) vorherrschen.
Bei den ersteren vollzieht sich die Entwicklung der ausgebildeten Form
unter ganz allmählichen inneren und äusseren Umwandlungen, welche
sich von den Entwicklungsvorgängen, wie wir sie bei der Metamorphose
der meisten übrigen Thiere ablaufen sehen, in nichts Wesentlichem unter-
scheiden. Wir werden hier die Entwicklung der Flügelanlagen, der
äusseren Geschlechtstheile, sowie sämmtliche übrigen Formveränderungen
des Körpers auf ein einfaches Auswachsen des Larvenkörpers zurück-
zuführen haben. In gleich einfacher Weise vollziehen sich auch die
inneren Umwandlungen, unter denen vor Allem die Entwicklung der
Geschlechtsorgane in den Vordergrund tritt. Wir werden aber auch an-
nehmen dürfen — wenngleich die Verhältnisse hier nicht genauer unter-
sucht sind — dass gleichzeitig mit dem Auswachsen der inneren Organe
an denselben gewisse allmähliche Regenerationsvorgänge sich geltend
machen, welche wohl überhaupt an functionirenden Organen weit ver-
breitet sind. Wir werden annehmen dürfen, dass einzelne gealterte,
durch Ausübung der Lebensfunctionen erschöpfte Zellen oder Zellgruppen
resorbirt und durch lebenskräftigere Gewebstheile ersetzt werden, so dass
eine beständige, allmähliche Regeneration der Organe im Gange ist.
Bei den holometabolen Insectenordnungen dagegen vollzieht sich der
Uebergang der letzten Larvenstadien in die ausgebildete Form unter
Einschiebung eines Ruhezustandes (der Puppe), an welchem die Nahrungs-
aufnahme und meist auch die Locomotion unterdrückt ist, während die
gesammte Lebensthätigkeit des Organismus wichtigen und complicirten
inneren Entwicklungsvorgängen zugewendet erscheint, welche als ein fast
vollständiger Untergang vieler Organe der Larve und eine Erneuerung
derselben von gewissen, schon in der Larve vorhandenen Anlagen (Im a-
ginalscheiben) aus sich darstellen. Nur wenige Organe der Larve
werden nämlich direct in die Puppe und den Imagokörper übernommen.
Hierher sind die Anlagen des Genitalsystems zu rechnen. Auch das Herz
und der centrale Theil des Nervensystems erleiden nur geringfügigere,
innere Umwandlungen. Dagegen werden die meisten übrigen Organe
der Larve: die Hypodermis, die meisten Muskeln, der gesammte Darm-
canal und die Speicheldrüsen vollständig zerstört, indem ihre Zellen unter
Einwirkung der Blutkörperchen (Leucocyten) , die hier als Phagozyten
wirken, in Theile zerfallen, welche von den ersteren aufgenommen und
verdaut werden, während gleichzeitig mit diesem Zerstörungsprocesse der
Neuaufbau der Organe von den schon im Embryo angelegten Bildungsherden
(Imaginalseheiben) aus sich in der Weise vollzieht, dass die Continuität
des Organs in den meisten Fällen gewahrt bleibt. Wir werden diese
Umwandlungsvorgänge nur dann verstehen können, wenn wir sie als
gßO XXIII. Capitel.
einen extremen Fall jener oben für die Homomorpha erwähnten Regene-
rationsvorgänge der Organe betrachten. Wir werden dann annehmen
müssen, dass von der embryonalen Anlage eines Organs zunächst nur ein
Theil für den Gebrauch der Larve zur Ausbildung und Function gelangt,
welcher sich während des Larvenlebens erschöpft, so dass er zu weiteren
Umbildungen nicht mehr fähig ist und demnach zu Grunde geht, während
ein zweiter Theil der Embryonalanlage, zunächst in unentwickeltem Zu-
stande, als Imaginalscheibe persistirt, um während des Puppenzustandes
die Regeneration des Organs zu übernehmen.
Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass dieser merkwürdige Ent-
wicklungsmodus der imaginalen Organe, wenn er auch bei den Insecten zur
schärfsten Ausprägung gekommen ist, doch auch bei anderen Thiergruppen
andeutungsweise zu erkennen ist. Vielfach finden wir, dass anstatt der all-
mählichen Umwandlung eines Larvenorgans in das entsprechende imaginale
Organ der Weg eingeschlagen wird, das Larvenorgan zu zerstören oder rück-
zubilden und das entsprechende imaginale Organ neu anzulegen. Wir erinnern
hier an das oben pag. 495 und 496 über das Verschwinden und Wiederauf-
treten von Gliedmaassen während der Crustaceen-Metamorphose Gesagte. Des»
gleichen wurde für die Milben (pag. 630) erwähnt, dass bei ihnen eine theil-
weise Zerstörung und ein Neuaufbau der inneren Organe stattfindet. Wenn der
Unterschied in der larvalen und imaginalen Gestalt eines Organs ein sehr
bedeutender ist, so kann der letztere Entwicklungsmodus sogar als Verein-
fachung des Entwicklungsganges erscheinen. Für die Insecten bedeutet der-
selbe jedenfalls eine beträchtliche Vervollkommnung, da die Uebergangs-
stadien zwischen der larvalen und imaginalen Form eines Organs offenbar
als keiner der beiden Lebensweisen vollkommen entsprechend — von
geringerer Fnnctionsfähigkeit sein mussten, weshalb die Verlegung und
Zusammendrängung derselben in ein Ruhestadium von Wichtigkeit für die
Erhaltung der Individuen war.
Obgleich es bereits durch Swammerdam bekannt geworden war,
dass die Flügelaiilagen schon unter der Haut der Larve der holometa-
bolen Insecten zu erkennen seien, so verdanken wir doch eine genauere
Erkenntniss der mit der Verpuppung in Zusammenhang stehenden Um-
wandlungen erst den grundlegenden Untersuchungen Weismann's (No. 129),
welche sich mit der Entwicklung der Dipteren beschäftigten. Dem Um-
stände, dass auch die späteren Untersucher dieser Verhältnisse, unter
denen vor Allem Ganin, Viallanes, Kunkel d'HERKULAis, Kowalevskj:
(No. 112) und Van Rees (No. 121) genannt seien, sich an dieselben
Objecte gehalten haben, ist es zuzuschreiben, dass wir in erster Linie
über die Umwancllungsvorgänge in der Puppe der Museiden orientirt
sind. An diese wird sich unsere Schilderung denn auch in erster Linie
zu halten haben. Da aber, wie man leicht erkennen kann, bei den
Museiden die complicirtesten und abgeleitetsten Verhältnisse der Ent-
wicklung vorliegen, so werden wir vielfach die einfacheren Bildungs-
vorgänge bei den übrigen Holometabolen , wie sie für die Nematoceren
(Corethra), Hymenopteren , Lepidopteren durch Weismann, Ganin,
Dewitz u. A. bekannt geworden sind, zum Ausgangspunkte zu nehmen
haben. Es muss erwähnt werden, dass unsere Kenntnisse über das in
Rede stehende Gebiet vielfach noch ungemein lückenhafte sind und nur
in den Hauptzügen als gesichert betrachtet werden können. Vor Allem
fehlt uns der genaue Nachweis, inwieweit die für die Museiden bekannt
Insecten. 8(31
gewordenen Verhältnisse der inneren Umbildung auch für die übrigen
Insectengruppen Geltung haben, wenngleich es als wahrscheinlich betrach-
tet werden muss, dass in der Puppe der Lepidopteren , Hymenopteren
und vielleicht auch der Coleopteren ganz ähnliche Umwandlungsvorgänge
ablaufen.
Wir trennen die hierher gehörigen Entwicklungsprocesse in eine Be-
trachtung der Entwicklung der äusseren Körperform und der Anlage der
inneren Organe des Imagostadiums.
A. Entwicklung der äusseren Körperform.
Die Körpergestaltung des Imagostadiums findet sich bereits in der
Puppe vollständig angelegt, so dass der Uebergang von der Puppe zur
Imago nur mit einer Entfaltung und Erhärtung der bereits vorhandenen
Theile verbunden ist. Es geht hieraus hervor, dass die Körperform der
Imago bereits in den letzten Larvenstadien vorbereitet wird und bei der
Puppenhäutung (dem Uebergang zur Puppe) zur vollkommenen Ausbildung
gelangt.
In den meisten Fällen handelt es sich bei dem Uebergang von der
Larvengestalt zur Imagoform vorwiegend um eine Umbildung bereits
vorhandener Theile, während Neuanlagen nur in beschränkterer Weise
participiren. So gehen beispielsweise von der Schmetterlingsraupe der
Kopf sammt den Fühlern und Mundwerkzeugen, ferner die Thoraxbein-
paare direct (wenn auch in wesentlich umgeänderter Gestalt) aus der
Larve in die Puppe über. Als Neuanlagen treten die zusammengesetzten
Augen und die Flügelpaare auf. Letztere werden an dem Meso- und
Metathorax der Larve in der Form von Im aginal Scheiben (Flügel-
scheiben) angelegt. Ganz ähnlich verhält es sich bei sehr vielen ande-
ren Holometabolen , bei denen der Uebergang der Larve in die Puppe
im Wesentlichen auf einer Umformung bereits vorhandener Theile be-
ruht. Einer Erwähnung bedürften hierbei ausser den eben angeführten
Umwandlungen noch die Veränderungen, die sich am Abdomen geltend
machen, welche zum Theil auf einem Auswachsen abdominaler Anlagen
(Extremitäten?) zu äusseren Geschlechtstheilen (Legestachel, Giftstachel,
vgl. oben pag. 797 ff.), zum Theil auf einer scheinbaren Verringerung der
Segmentzahl beruhen. Letztere kann in einer Verschmelzung einzelner
Abdominalsegmente oder in der Vereinigung des ersten Abdominalseg-
mentes mit dem Metathorax (Hymenopteren) ihre Ursache haben, oder
aber auf eine Umwandlung der hintersten Körpersegmente in einen
fernrohrartig eingezogenen Genitalanhang (Legeröhre, Ruthe) zurückzu-
führen sein.
In jenen Fällen, in welchen die Larven fusslos sind, wie dies bei
den Dipteren, vielen Hymenopteren und manchen Käferlarven der Fall
ist, werden auch die Beine des Imagostadiums als Neubildungen in der
Form von Imaginalscheiben (Beinscheiben) angelegt.
Als Beispiel einer solchen verhältnissmässig einfachen Metamorphose
mag uns die durch Weismann (No. 130) genauer bekannt gewordene
Umwandlung von Corethra dienen. Die Larve von Corethra gehört
zu den eucephalen Fliegenlarven. Der Kopf des ausgebildeten Insects
ist demnach hier schon in der Larve angelegt und geht unter gewissen
Umformungen seiner Theile direct in die Puppe über. Ja, sogar" — und
862
XXIII. Capitel.
dies ist eine unter den Holometabolen seltene Ausnahme — das zusammen-
gesetzte Auge findet sich bereits in der Larve vor. Dagegen müssen die
Thoraxbeinpaare, die Flügel und die Schwinger aus Neuanlagen entwickelt
werden. Demgemäss finden wir an dem vor der Verpuppung stehenden,
letzten Larvenstadium entsprechend angeordnete Imaginalscheiben
vor. Jedes Thoraxsegment weist deren vier auf: zwei ventrale und zwei
dorsale (vgl. ha und fa in Fig. 525). Die ventralen (ba) werden zu den
Beinpaaren. Von den dorsalen (fa) Paaren wandelt sich das des Meso-
thorax in die Flügel, das des Metathorax in die Halteren um, während
aus der entsprechenden Anlage des Prothorax bei Corethra der stigmen-
tragende Dorsalfortsatz der Puppe, bei Simulia dagegen ein Büschel von
Tracheenkiemen hervorgeht. Betrachten wir eine solche als Imaginal-
scheibe bezeichnete Gliedmaassenanlage näher, so sehen wir, dass die
Gliedmaasse selbst ganz, wie überall sonst K und wie es beispielsweise
auch bei den Hemimetabolen der Fall ist, afs Ausstülpung der Körper-
oberfläche angelegt wird. Der einzige Unterschied, der sich hier bemerk-
bar macht, ist, dass die Gliedmaassenanlage als Ganzes unter das Niveau
der Körperoberfläche versenkt erscheint. Sie
wird im Grunde einer Einstülpung angelegt, wie
wir dies für die Kopf- und Rumpfscheiben an der
Pilidiumlarve der Nemertinen (pag. 144) und für
die Anlage der Unterfläche des Seeigelkörpers
am Pluteus (pag. 229) kennen gelernt haben.
Solche Beispiele der Anlage wichtiger imaginaler
Körperparthien im eingestülpten Zustande Hessen
sich noch leicht beliebig vermehren. So findet
sich die Körperwandung desPrimärzooeciums der
ectoprocten Bryozoen in der Larve (als Saugnapf
und Mantelhöhle) im eingestülpten Zustande etc.
Das Lumen der Einstülpung, in welcher die
Gliedmaassen von Corethra (und der übrigen
Holometabolen) angelegt werden , wurde von
Van Rees als peripodale Höhlung und die
dieselbe nach Aussen begrenzende Scheide, welche
natürlich mit der Hypodermis des Körpers in con-
tinuirlichem Zusammenhange steht, als peripo-
dale Membran bezeichnet.
Fig1. 525. Schema eines
Querschnittes durch ein
Thoraxsegment der Core-
thralarve (aus Lang's
Lehrbuch).
ba Beinanlage,/« Flügel-
anlage, be und/« peripodale
Einsenkung , Ihy Larven-
hypodermis , Ih Chitincuti-
cula der Larve.
Wir müssen annehmen, dass sicli an der Gliedmaassenanlage vom ersten
Anfange an ein ectodermaler und ein mesodermaler Antheil betheiligen,
welche sich von den entsprechenden Keimblättern der Larve ableiten. Auf
diese Verhältnisse werden wir unten bei Besprechung der Museiden (pag. 866)
zurückkommen. Das Ectoderm der Gliedmaassenanlage steht mit der peri-
podalen Membran und durch dieselbe mit der Hypodermis in continuirlicher
Verbindung. Weismaxn war geneigt, die im Innern der Extremitätenanlage
sich entwickelnden Organe (Tracheen, Muskeln etc.) von einer Wucherung
des Neurilemms eines an die Imaginalscheibe von Innen herantretenden
Nerven abzuleiten. Denn an die Innenfläche der Imaginalscheiben treten
frühzeitig zum Theil Nerven, zum Theil Tracheenverästelungen heran.
Wenn die Extremitätenanlagen sich vergrössern, so wird die peri-
podale Membran entsprechend gedehnt, während die Extremität im Inneren
derselben eine mehr oder weniger eingekrümmte Lagerung gewinnt. Dem-
Insecten. 863
zufolge erscheinen die Flügelanlagen gefältelt, die Beinanlagen bei Core-
thra spiralig eingedreht etc. Die Entfaltung der Extremitätenanlagen
geht in der Weise vor sich, dass dieselben einfach aus der Einstülpung,
in welcher sie bisher geborgen waren, herausrücken. Während auf diese
Weise die Extremität allmählich frei wird , verstreicht die peripodale
Einsenkung immer mehr, so dass schliesslich die peripodale Membran
völlig in das Niveau der übrigen Hypodermis aufgenommen erscheint,
deren Theil sie von nun an bildet, während der Insertionspunkt der
Extremität sich fürderhin nicht mehr in einer Vertiefung befindet.
Die inneren Organe der Corethra scheinen während der Metamor-
phose im Verhältniss zu den übrigen Holometabolen nur ganz geringfügige
Verwandlung zu erfahren. Von jener weitgreifenden Zerstörung mit nach-
folgender Eegeneration, welche für die Museiden genau bekannt geworden
ist, ist bei Corethra nichts zu beobachten. Es verdient allerdings erwähnt
zu werden, dass nach Kowalevstcy (No. 112) an dem Mitteldarm von
Corethra eine Abstossung des larvalen und Ausbildung des imaginalen Epi-
thels in der gleichen Weise stattfindet, wie dies weiter unten für Musca
beschrieben werden soll. Die meisten Larvenorgane gehen direct in das
Puppen- und Imagostadium über; auch die Musculatur bleibt unverändert,
während die Muskeln der Extremitäten und die Flügelmuskeln neu angelegt
werden. Letztere entstehen nach Weismanx in dem letzten Larvenstadium
aus Zellsträngen, welche bereits im Embryo angelegt worden sind.
Wenn wir betrachten, wie geringfügig die inneren Umwandlungen während
der Metamorphose der Tipuliden, für welche uns Corethra als Beispiel
diente, sind, so werden wir kaum daran zweifeln, dass wir hier Verhältnisse
vorliegen haben, welche den Uebergang zwischen der unvollkommenen und
vollkommenen Verwandlungsweise darstellen. Hierfür spricht unter Anderm
auch die kurze Dauer des Puppenstadiums und die freie Beweglichkeit des-
selben, sowie auch die frühzeitige Anlage des zusammengesetzten Auges, ein
Charakter, welchen Corethra mit den Hemimetabolen gemein hat.
Es ist hier der Ort, auf die Entwicklung des Flügels, welche beson-
ders für die Lepidopteren durch Semper (No. 126), Landois (No. 114),
Paxkritius (No. 120) und C. Schäffer (No. 124 a) bekannt geworden ist,
genauer einzugehen. Die Flügel werden, wie die übrigen Extremitätenanlagen
als einfache Hypodermisausstülpungen innerhalb einer peripodalen Einsenkung
angelegt. Sie stellen demnach zunächst eine einfache Hypodermisfalte dar,
an deren Insertionsstelle von innen eigenthümliche Bildungen des Fettkörpers
und des Tracheensystems herantreten. Als mit dem Fettkörper zusammen-
hängend erweisen sich Anhäufungen kleiner Zellen, welche von Schäfper als
Blutbildungsheerde gedeutet wurden. Von den an die Flügelanlage heran-
tretenden Tracheen dagegen entwickelt sich ein dichter Knäuel feinster
Tracheen, welche als intracelluläre Bildungen im Innern einzelner grosser
Matrixzellen sich entwickeln (Landois, Schäfper). Diese Tracheenknäuel
werden nach dem Uebergang in das Puppenstadium rückgebildet.
Dagegen entwickeln sich grössere Tracheenverästelungen, welche in den Flügel
eindringen und die Grundlage für die Ausbildung des Flügelgeäders abgeben.
Bei dem Uebergang der Raupe in die Puppe werden die Flügelanlagen aus
der peripodalen Höhlung herausgestülpt. Es ist dies eine Wirkung vermehr-
ten Blutdruckes. Die Flügelanlagen stellen sich deshalb als mit Blut
gefüllte, im Innern Tracheenverästelungen enthaltende Bläschen dar. Später
jedoch legen sich die der oberen und unteren Fläche des Flügels ent-
sprechenden Blätter dicht aneinander und verwachsen, so dass nun nur jene
864 XXIII. Capitel.
von den Tracheenverästelungen eingenommenen Stellen für die Blutflüssigkeit
durchgängig bleiben und sich zum Adernetz des Flügels umbilden. In
späteren Stadien sind im Innern der Adern keine Tracheen mehr aufzu-
finden. Sie werden rückgebildet und nach Weismann bei Musca aus den
Adern in den Thorax zurückgezogen. Dagegen verbleibt in den Adern ein
von Semper bei Lepidopteren aufgefundener, in früheren Stadien die Tracheen
begleitender Strang, welchen wir als Rippenstrang bezeichnen wollen
(Flügelrippen Semper's). Dieser Rippenstrang stellt ein tracheenähn-
liches Rohr dar, welches aus einer äusseren Matrix und einer inneren Intima
besteht, von welcher bäumchenartige Fortsätze in das Lumen vorragen. Das
Centrum des Lumens ist von einem längsgestreiften Strang (Secretmasse?)
eingenommen. Schäffer konnte den Zusammenhang dieser Rippenstränge,
welche am ausgebildeten Thiere nur mehr in der basalen Hälfte des Flügels
nachweisbar sind und zur Stütze des Flügels dienen sollen, mit dem Tracheen-
system nachweisen. Es dürften demnach umgewandelte Tracheen sein.
Ausserdem finden sich in den Flügeladern noch Nervenstämme.
Die Cuticula des Flügels, welche erst ziemlich spät auftritt, wird an
der Oberfläche der Adern beträchtlich verdickt. Von Interesse ist die Art,
wie die Verschmelzung der beiden Hypodermislamellen des Flügels sich voll-
zieht. Es entwickelt sich an der Innenfläche der Hypodermis jederseits eine
„Grundmembran", während die Hypodermiszellen selbst sich pfeilerartig um-
bilden. Die beiden Grundmembranen legen sich dicht aneinander, ver-
schmelzen und gehen schliesslich zu Grunde, so dass im ausgebildeten Flügel
die Hypodermispfeiler sich durch die ganze Dicke des Flügels continuirlich
erstrecken.
Es ist hier der Platz, zu erwähnen, dass die entwicklungsgeschichtlichen
Thatsachen der AcoLPH'schen Theorie des Flügelgeäders ungünstig gegen-
überstehen. Nach dieser letzteren werden die Adern des fertigen Flügels
als Convex- und Concavadern unterschieden, welche ihrem Ursprünge nach
einander gegenüberstehen sollten, indem nur die Concavadern aus Tracheen
hervorgingen, während die Convexadern sich aus Zellsträngen entwickelten,
in welche erst secundär Tracheen sich hineinerstrecken können. Das System
der Convex- und Concavadern stehe sich ursprünglich gesondert gegenüber.
Es wurde jedoch von Brauer und Redtenbacher (No. 101) für Odonaten,
von Gkassi für den Termitenflügel und neuerdings von Haase (No. 108)
für Lepidopteren der Nachweis erbracht, dass die Verästelungen eines und
desselben Tracheenstammes sich zum Theil in Convex- und zum Theil in
Concavadern umbilden können, wodurch die Voraussetzung jener Theorie
hinfällig wird. In ähnlich ungünstigem Sinne spricht sich auch Van Bemmelen
(No. 99) aus, welcher die schon von Fr. Müller (No. 118) an Nympha-
liden gemachte Beobachtung bestätigte, dass das Adersystem an den eben
verpuppten Schmetterlingspuppen sich im Einzelnen von dem der ausgebil-
deten Form unterscheidet. Es kommt demnach den Beobachtungen über
die Entwicklung des Adersystems eine gewisse phylogenetische Bedeutung zu.
Die Haare und Schuppen des Schmetterlingsflügels werden aus einzelnen
Hypodermiszellen (Haar- und Schuppenmutterzellen) als Ausstülpungen angelegt
(Semper). Die charakteristische, definitive Zeichnung entwickelt sich erst
nach Differenzirung der Schuppen. Doch muss erwähnt werden, dass nach
Van Bemmelen der definitiven Zeichnung eine transitorische vorhergeht,
welche sich von der definitiven wesentlich unterscheidet, aber mit dieser doch
einige Züge gernein hat.
Viel complicirteren Entwicklungsvorgängen begegnen wir in der
Gruppe der Museiden. Hier entstehen zwar die Bein- und Flügel-
Insecten.
865
anlagen in ganz ähnlicher Weise, wie wir dies bei Corethra beobachtet
haben. Doch erscheint bei den Museiden die ganze Imaginalanlage weit
in's Innere des Körpers verlegt, die peripodale Höhle erscheint geschlos-
sen und die peripodale Membran steht blos vermittelst eines zarten,
fadenähnlichen Stieles mit der Hypodermis in Verbindung (Fig. 526 A, is,
Fig. 527 A, st). Diese Verbindungsstränge, welche bereits von Dewitz1)
(Nr. 102) gekannt und ihrer Bedeutung nach vollkommen richtig aufgefafst
worden waren, zeigen in ihrem Inneren, wie Van Rees (No. 121), welcher
diese Bildungen neuerdings genauer studirte, nachwies, ein feines Lumen.
Wenngleich die erste Entwicklung der Imaginalscheiben im Embryo der
Museiden noch immer unbekannt ist, so werden wir doch nicht irre gehen,
wenn wir sie, ebenso wie die Imaginalscheiben von Corethra, auf Hypo-
dermiseinstülpungen zurückführen. Wir müssen dann die erwähnte, stiel-
ähnliche Verbindung als den lang-
ausgezogenen Hals dieser Einstül-
pung betrachten.
Im Uebrigen verläuft die Ent-
wicklung der Extremitäten(Fig.526)
ganz so, wie wir sie für Corethra
geschildert haben. Die Beinanlagen
vergrössern sich und zeigen früh-
zeitig die ersten Spuren der spä-
teren Gliederung. Sie erscheinen
in der peripodalen Höhle derartig
verpackt, dass die einzelnen Glie-
der der Extremität „wie die Ringe
eines einschiebbaren Reisebechers"
(nach dem treffenden Ausdruck von
Van Rees) ineinander geschoben
erscheinen. Die Ausstülpung der
ausgebildeten Extremitätenanlage,
welche am ersten Tage nach dem
Beginn der Verpuppung erfolgt,
geht in der WTeise vor sich, dass
der Stiel der Imaginalscheibe (Fig.
526 B, 527 B) sich verkürzt und
sein Lumen sich erweitert, so dass
die Extremität schliesslich, wie bei
Corethra, durch die weitgeöffnete
Mündung der peripodalen Ein-
stülpung nach aussen tritt (Fig.
526 C, 528 A). Während gleich-
zeitig die letztere allmählich völlig
verstreicht, wird die peripodale
Fig". 526. Schematische Querschnitte
durch die Larve und Puppe von Musca,
zur Darstellung der Entwicklung der Flügel,
Beine und der imaginalen Hypodermis (aus
Lang's Lehrbuch).
b Beinanlagen,7? Flügelanlagen, ihy ima-
ginale Hypodermis, sich bei D von der
Basis der Imaginalscheiben her ausbreitend,
üd Imaginalscheiben der Flügel, iiv Imaginal-
scheiben der Beine, is Verbindungsstränge
mit der Hypodermis, Ih Chitinhaut der Larve,
Ihy larvale Hypodermis (durch zwei dünne
parallele Contouren angedeutet, während die
imaginale Hypodermis ganz schwarz gehal-
ten ist).
Membran zur Bildung einer ver-
dickten Hypodermisparthie in der nächsten Umgebung der Gliedmaassen-
Insertionsstelle verwendet und von diesen verdickten Hypodermisparthien
geht, wie wir unten (pag.869 ff.) sehen werden, die Bildung der Hypodermis
des ganzen imaginalen Thorax aus, während die Hypodermis der Larve
zerstört wird.
1 Auch Kunkel d'Herkulais (No. 113) hat diese Stränge bereits gekannt.
866
XXIII. Capitel.
Wir müssen hier die Frage nach der ersten Entstehung der mesodermalen
Antheile der Extremitätenanlage berühren. Man kann an den Imaginal-
scheiben ausgewachsener Muscidenlarven stets eine deutliche Trennung zwischen
einem ectodermalen und einem inneren, mesodermalen Antheil unterscheiden.
Ganin (No. 107) leitet den mesodermalen Antheil durch eine Art Differen-
zirung und Abspaltung der innersten Schichten des ectodermalen Antheils
ab, und Van Rees hat sich dieser Auffassung im Allgemeinen angeschlossen.
Kowalevsky (No. 112) dagegen nähert sich der Auffassung, dass der meso-
dermale Antheil der Imaginalscheiben von embryonalen Zellen des Mesoderms
herzuleiten sei. Er findet im Mesoderm unter der Hypodermis der Larve
zerstreute sog. Wanderzellen (pag. 870, Fig. 530-4, w), welche von
den Leucocyten im Aussehen verschieden sind und die Elemente darstellen,
von denen die Bildung des mesodermalen Theils der Imaginalanlagen ausgeht.
Kowalevsky ist geneigt, für jedes Segment eigene imaginale Anlagen des
Mesoderms zu supponiren, welche aber so zart und indifferent seien, dass
Fig. 527. Schematische Darstellung der Lage der Imaginalscheiben in der
Larve (A) und Puppe (B) von Musca (im Anschlüsse an Van Rees). Die Flügelanlagen
sind weggelassen.
as Augenscheiben, at Antennenanlage, b1, b2. b* Anlage des ersten, zweiten, dritten
Thoraxbeinpaares, bg Bauchganglienkette, g Gehirn, h sog. „Hirnanhang", m peripodale
Membran, o Mündung des Hirnanhangs in den Pharynx, oe Oesophagus, p. sog. „Pha-
rynx", r Rüsselanlagen, ss Stirnscheiben, st stielförmige Verbindung der peripodalen
Membran mit der Hypodermis, /, II, III, erstes, zweites, drittes Thoraxsegment.
wir dieselben in den ersten Stadien ihres Bestehens nicht auffinden. Von
diesen Imaginalanlagen des Mesoderms würden sich die obenerwähnten
WTanderzellen des Mesoderms herleiten, um erst secundär mit den Imaginal-
scheiben in Verbindung zu treten.
Complicirte und trotz der Darstellungen von Weismann (No. 129),
Van Rees (No. 121) und Kowalevsky (No. 112) noch immer schwer zu
verstehende Verhältnisse liegen der Entwicklung des Kopfabschnittes
der Museiden zu Grunde. Wir müssen hier daran erinnern, dass an den Mus-
cidenlarven der Kopfabschnitt nur in äusserst rudimentärer Form vorliegt.
Von den zwölf Segmenten, aus denen die kegelförmige Muscidenlarve
Insecten.
867
sich zusammensetzt, entspricht nur das vorderste, kleinste dem Kopfab-
schnitte. Die Kleinheit dieses Abschnittes ist zum Theil auch dem Um-
stände zuzuschreiben, dass ein beträchtlicher Theil des Kopfes hier nur
in eingezogenem Zustande vorliegt. Denn, wie aus den Untersuchungen
von Weismann hervorgeht, werden in den letzten Embryonalstadien der
Vorderkopf, die Mandibeln und die ganze den Mund umgebende Kopf-
region eingestülpt und stellen dann jene Einsenkung (Fig. 527^) dar,
in welcher sich sehr bald das für die Muscidenlarven charakteristische
Hakengerüst entwickelt. Man hat diese eingestülpte Parthie des Kopfes,
in deren Grunde nun der Oesophagus mündet, mit dem nicht ganz glück-
lich gewählten Namen Schlundkopf oder Pharynx bezeichnet und
muss sich gegenwärtig halten, dass der darunter verstandene Hohlraum
nicht dem Darmcanal zugehört. Es ist ein eingestülpter Kopfabschnitt,
und die Bildung des Imagokopfes beruht zum grössten Theile nur auf
der Wiederausstülpung dieser Region.
Fig. 52S. Schematische Darstellung der Umwandlungen in der Puppe von
Musca vor dem Ausschlüpfen (im Anschlüsse an Kowalevsky und Van Rees). Die
Flügelanlagen sind nicht eingezeichnet.
as Augenscheiben, at Antennenanlage, b1, b2, b3 Anlage des ersten, zweiten, dritten
Thoraxbeinpaares, bg Bauchganglienkette, g Gehirn, k Kopfblase (aus der Vereinigung
des Pharynx mit den Hirnanhängen hervorgegangen), oe Oesophagus, r Eüsselanlagen,
ss Stirnscheiben, 1, II, III, erstes, zweites, drittes Thoraxsegment.
Die ersten Anlagen der wichtigsten Theile des Kopfes (Augen, An-
tennen, Stirn) finden «ich in den jüngsten Larven in der Form paariger,
im Thorax befindlicher, den Gehirnhälften dicht anliegender (daher von
Weismann als Hirnanhänge bezeichneter) Zellmassen, welche nach
vorne wahrscheinlich von ihrem ersten Ursprünge an mit dem Schlund-
kopf zusammenhängen und welche als förmliche Imaginalscheiben des
Kopfes bezeichnet werden können. Dieselben präsentiren sich in späteren
Stadien sehr bald in der Form langgestreckter, an ihrem hinteren Ende
erweiterter Säcke (Fig. 527 A und B, h) und sind wohl auch ihrem Ur-
sprünge nach als Ausstülpungen des Schlundkopfes aufzufassen. Sehr
bald treten in der Wand dieser sackförmigen „Hirnanhänge" Epithel-
868 XXIII. Capitel.
Verdickungen auf, in denen sich die Anlagen bestimmter Theile des Kopfes
erkennen lassen. So stellt eine scheibenförmige Verdickung im hinteren
erweiterten Theile der „Hirnanhänge" die Anlagen des zusammengesetzten
Auges dar, welche demnach als „A u g e n s c h e i b e n" bezeichnet werden (as).
An der basalen Fläche der Augenscheiben findet sich eine nervöse Aus-
breitung, welche durch einen Nerven mit dem oberen Schlundganglion
in Zusammenhang steht. Dieser Nerv wird zum Nervus opticus des aus-
gebildeten Thieres, während das Ganglion opticum sich von dem Gehirne
deutlicher absondert. Im vorderen, mehr cylindrischen oder schlauch-
förmigen Theile der „Hirnanhänge" finden wir die Stirnscheiben (ss),
an denen bald die Antennenanlage (at) in ganz derselben Weise hervor-
sprosst, wie die Beinanlagen am Grunde der ihnen den Ursprung geben-
den Imaginalscheiben.
Ursprünglich (Fig. 527 A) liegen die „Hirnanhänge" ziemlich weit
hinten und zwar in dem Thorax der Larve , so dass sie den hintersten
Theil der Wand des Schlundkopfes mit dem vordersten Abschnitte des
Gehirnes, welchen sie pilzhutförmig umfassen, in Verbindung setzen.
Später jedoch , nach der Verpuppung , rücken sie sammt dem Central-
nervensystem weiter nach vorne (Fig. 527 B) , wobei sie (wenn wir die
Schilderung von Weismann und Van Rees richtig verstanden haben) den
Schlundkopf mit ihren vorderen, etwas ventralwärts eingekrümmten Enden
seitlich umfassen. Gleichzeitig etablirt sich jedoch eine sich immer mehr
und mehr erweiternde Communication (Fig. 527 JS, o) zwischen den Hirn-
anhängen und dem Schlundkopf, welche in der Form seitlicher Schlund-
spalten sich bald in der ganzen Länge der „Hirnanhänge" ausdehnt.
Dadurch fliessen die Lumina der Hirnanhänge und des Schlundkopfes so
vollständig zusammen, dass beide bald nur mehr eine einheitliche Blase,
die „Kopfblase", darstellen (Fig. 528 h). Die Wände der Kopfblase
sind nichts Anderes, als die spätere Kopfwand und lassen bereits die
wichtigsten Theile derselben (Antennen, Augen, Rüsselanlagen) erkennen.
Es fehlt nur, dass die Kopf blase durch die Ausmündung des Schlund-
kopfes (H — \- ) nach Aussen umgestülpt wird , um den Kopf der Puppe
vollständig fertig zu erhalten. Bei dieser Ausstülpung der in eingestülp-
tem Zustande angelegten Theile wird die frühere Mündung des Schlund-
kopfes zum Halsabschnitt (Fig. 528 B -+- +) , durch welchen Kopf und
Thorax jetzt verbunden sind (Van Rees). Die Ursache für die Vorstül-
pung der Kopfblase, welche Weismann direct beobachten konnte, scheint
in einer durch Zusammenziehung der hinteren Körpertheile bewirkten
Vermehrung des inneren Druckes gelegen zu sein. Entsprechend der
Conformation des auf diese Weise zur Entwicklung gekommenen Imago-
kopfes muss der Oesophagus von nun an einen mit seinem vorderen Ende
ventralwärts eingekrümmten Verlauf nehmen.
Wir haben oben (pag. 867) darauf hingewiesen, dass der sog. Schlund-
kopf nichts Anderes ist, als ein eingestülpter Theil der äusseren Oberfläche
des Larvenkopfes. Die „Hirnanhänge" werden wir als Divertikel dieser
Einstülpung aufzufassen haben, in denen die einzelnen Theile des Kopfes in
eingestülptem Zustande angelegt werden. Sie lassen sich demnach den
Anlagen der Thoraxgliedmaassen durchaus vergleichen. Alle diese „Imaginal-
scheiben" werden wir ihrem Ursprünge nach auf eingestülpte Theile der
äusseren Körperoberfläche zurückzuführen haben. Mit dieser Auffassung
lässt sich die Angabe Geabee's (No. 28) schwer in Uebereinstimmung
bringen, welcher an einem späteren Embryonalstadium von Calliphora
Insecten. 359
die Anlagen der Imaginalscheiben als einfache im Inneren des Körpers
liegende Epithelplatten beobachtete. Da Geaber die vorhergehenden und
nachfolgenden Entwicklungsstadipn ununtersucht liess, so können wir diese
Angabe nur als ein schwer verständliches Factum anführen und müssen die
Aufklärung dieser Verhältnisse späteren Untersuchungen anheimstellen.
B. Entwicklung der inneren Organe des Imagostadiums.
Wir haben schon oben (pag. 859) erwähnt, dass die meisten Organe
der Mnscidenlarven (und das Gleiche gilt wohl für die meisten Dipteren,
Lepidopteren, Coleopteren und Hymenopteren) unter Einwirkung der
Blutkörperchen (Leucocyten) einem Zerfall anheimfallen, und dass der
Wiederaufbau derselben von bestimmten, embryonalen Zellgruppen, den
Imaginalscheiben, ausgeht. Zerfall und Wiederaufbau finden während des
Puppenstadiums in der Weise statt, dass vielfach während des Ablaufs
dieser Processe die Continuität
des Organs nicht gestört erscheint. .
Dieser Verwandlung sind vor Allem
unterlegen: die Hypodermis, der ^vsss31131?^^ ,fa
Darmcanal, die Muskeln, der Fett- ^ ^ '%/
körper und die Speicheldrüsen. ^y ^K
Die Umwandlung des Tracheen- // 3
Systems scheint nur zum Theil ^
hierher zu rechnen zu sein , zum ^H^xsS!^fI3^it,*nttt
anderen Theil aber als einfache ^8^ 1K- ^'4
Regeneration durch Theilung der ^y %~t
Zellen zu verlaufen. Geringeren // ^
Veränderungen sind das Herz, das
CentralnervenSVStem Und die Ge- FJ»« 529. Schematische Darstellung
schlechtsanlage unterlegen. Wir *e/qBildünf äZ im^»al7 Hypodermis am
, -11 01 -i 1 Abdomen der Musciden (aus Lang s Lehr-
genen zur specielleren Schilderung buch).
der Veränderungen der einzelnen hi Imaginalscheiben der Hypodermis,
Organe Über. & larvale Hypodermis.
Hypodermis.
Die Hypodermis des Imagostadiums entsteht durch eine Ausbreitung
des ectodermalen Antheils der Imaginalscheiben. Wir haben dies fin-
den Thorax schon oben (pag. 865) erwähnt. Während die Gliedmaassen
des Thorax in der Puppe allmählich ihre Ausbildung erlangen, breitet
sich von der Insertionsstelle derselben eine aus zahlreichen, kleinen Zellen
bestehende Hypodermisschicht , welche ihrem Ursprünge nach wohl auf
die peripodale Membran zurückgeführt werden muss, an der Oberfläche
des Puppenthorax immer mehr und mehr aus, während gleichzeitig der
Bereich der aus grossen Zellen bestehenden Larvenhypodennis dem-
entsprechend immer mehr eingeengt erscheint. Dabei kriechen die
flachen Bänder der neugebildeten Hypodermis (Fig. 529 hi, 530 i) in
den Spalt zwischen der oberflächlichen Cuticula und der larvalen Hypo-
dermis (Fig. 530 h) hinein, so dass an diesen Stellen die dem Untergang
entgegengehende alte Hypodermis an der Innenseite der neugebildeten
Epithelschicht zu liegen kommt (vgl. Fig. 530 B). Man ersieht hieraus,
dass während des Ersatzes der alten Hypodermis durch die neue die
Continuität des oberflächlichen Epithels nirgends unterbrochen erscheint.
Korschelt-H e i der, Lehrbuch. 56
870
XXIII. Capitel.
Da die Ränder der beiden Hypodermis - Arten sich decken, findet sich
nirgends eine von Epithel entblösste Stelle der Körperoberfläche. Die
Auflösung der Larvenhypodermis vollzieht sich unter dem Einflüsse der
Leucocyten (Fig. 530 Je), welche sich an die im Zerfall begriffenen Hypo-
dermiszellen herandrängen, den Inhalt derselben bruchstückweise in sich
aufnehmen und sich mit solchen Fragmenten der Hypodermiszellen und
ihrer Kerne derartig anfüllen, dass sie, da die aufgenommenen Bruch-
stücke die Gestalt randlicher Körnchen annehmen , mit dem von Weis-
mann eingeführten Ausdrucke Körnchenkugeln bezeichnet werden
können. Die Körnchenkugeln, welche die Leibeshöhle der späteren
Puppenstadien in reichlichem Maasse erfüllen, sind demnach nichts
Anderes als Leucocyten (Blutkörperchen) , welche Gewebstrümmer des
untergehenden Larvenkörpers in ihr Inneres aufgenommen haben. Hier-
bei ist zu bemerken, dass der Zerfall der Larvengewebe nicht etwa einem
Fig. 530. Schnitte durch abdominale Iraaginalscheiben der Hypodermis von
Musca (nach Kowalevskt).
A aus der Larve, B und C aus der Puppe.
h Larvenhypodermis, h' abgetrennte Stücke derselben, von Phagocyten angegriffen,
i Imaginalscheibe, k Phagocyten mit aufgenommenen Zelltrümmern (sog. Körnchen-
zellen), k' Phagocyten mit Hypodermiskernen im Inneren, m Mesodermanlage der Ima-
ginalscheibe, w Wanderzellen.
vorhergehenden Absterben der Zellen zuzuschreiben ist, sondern er ist
das Resultat der Einwirkung der Leucocyten auf jene in ihrer Lebens-
fähigkeit abgeschwächten , aber noch lebenden Gewebe. Während voll-
kommen lebenskräftige Gewebe, z. B. das -der Imaginalscheiben , dem
Angriffe der Leucocyten widerstehen, werden die weniger lebensfähigen
Larvengewebe durch den Angriff der Leucocyten in Fragmente zertheilt
und von den letzteren einfach aufgefressen und verdaut. Diese Processe
lassen sich am besten an dem Untergang der Musculatur der Larve
verfolgen. Der Untergang der meisten Larvenorgane beruht demnach
auf der den amoeboiden Blutkörperchen zukommende Fähigkeit der
Insecten. 871
Nahrungsaufnahme und der intracellulären Verdauung, auf welche be-
sonders durch Metschnikoff (No. 116, 117) hingewiesen wurde, welcher
entsprechend dieser Bedeutung der Blutkörperchen dieselben als sog.
P h a g o c y t e n in Anspruch genommen hat.
In gleicher Weise, wie im Thorax, vollzieht sich die Neubildung
der Hypodermis im Kopfe und auch im Abdomen. Denn auch in letzterem
Körperabschnitte finden sich, wie zuerst Ganin (No. 107) nachgewiesen
hat, in jedem der acht Segmente , aus denen das Abdomen der Larve
besteht, vier kleinzellige Inselchen, Imaginalscheiben (Fig. 529 hi, 530 i),
von denen die Neubildung der Hypodermis ausgeht. Neuerdings hat
Van Rees an den Abdöminalsegmenten noch ein weiteres Paar kleiner
Imaginalscheiben aufgefunden. Die dem letzten Körpersegmente zu-
kommenden vier Imaginalscheiben umstehen dicht aneinander gedrängt
die Afteröffnung (Fig. 531 ims) und nehmen an der Bildung des Hinter-
darms Theil, indem sie die Anlage der Rectaltasche und der Rectal-
papillen liefern. Diesem Segmente scheinen auch weiter noch die zwei
Paare imaginaler Genitalanlagen (Anlagen der äusseren Geschlechtsorgane)
zuzukommen, welche von Kunkel d'Herculais (No. 113) für Volu-
eella nachgewiesen worden sind.
Es muss erwähnt werden, dass sich au der Innenfläche der abdominalen
Imaginalscheiben ganz ebenso wie an denen des Thorax eine Zellansammlung
des definitiven Mesoderms (Fig. 530 C, m) vorfindet, von welcher die Ent-
wicklung der Mesodermgebilde des Abdomens ihren Ausgangspunkt nimmt.
Diese Mesodermansammlung wird ihrer Entstehung nach von Kowalevsky —
wie bereits oben (pag. 866) erwähnt wurde auf die sog. Wanderzellen
(Fig. 530 A, w) zurückgeführt, während die früheren Autoren geneigt waren,
sie durch Delamination von dem Ectoderm der Imaginalscheiben abstammen
zu lassen.
Die neugebildete Hypodermis breitet sich sehr rasch über die Ober-
fläche des Körpers aus, sodass die den einzelnen Imaginalscheiben ent-
sprechenden Hypodermisfelder bald untereinander zusammenfliessen.
Gleichzeitig mit dieser Vervollständigung der definitiven Epithelschicht
wird die larvale Hypodermis von den riiagocyten völlig zerstört.
Musculatur.
Einem ganz ähnlichen Zerstörungsprocess durch Phagocyten, wie
wir ihn oben für die Larvenhypodermis geschildert haben, unterliegt
der grösste Theil (oder die gesammte Menge?) der Larvenmusculatur,
und zwar ist die Auflösung der Muskel der erste Process, welcher sich
in der Puppe geltend macht. Es war schon Weismann bekannt, dass
die Muskel der vordersten Körpersegmente zuerst von der Zerstörung
befallen werden. Ueberdies eilen die Muskel der oberflächlichen Schichten
denen der tieferen Lagen in dem Zerfall voraus.
Der Zerfall der Larvenmuskel vollzieht sich in der Weise, dass eine
grössere Anzahl amoeboider Blutkörperchen, welche sich an der Oberfläche
des Muskelbündels angesammelt hatten, das Sarcolemm durchdringen und
in das Innere der Muskelsubstanz einwandern, indem sie in Spalten ein-
dringen, welche sich in derselben entwickeln. Man hat oft den Eindruck,
dass durch plattenförmige , vordringende Fortsätze der Leucocyten ent-
sprechende Parthien aus der Muskelsubstanz förmlich herausgeschnitten
werden. Auf diese Weise zerfällt der Muskel in eine Anzahl sich bald
56*
872
XXIII. Capitel.
abrundender Partikel, welche sofort in das Innere der Leucocyten auf-
genommen werden. Es ist dann aus dem Muskel eine Ansammlung von
Körnchenkugeln geworden, welche sich
schliesslich von einander entfernen und
in der Leibeshöhle der Puppe zerstreuen.
Auf gleiche Weise, wie die Muskelsub-
stanz, werden auch die Muskelkerne
von den Phagocyten aufgenommen und
verdaut.
Hinsichtlich des Details der Auf-
lösung der Larvenmuskel durch Phagocyten,
welche schon durch Metschnikoff und
Ganin verrauthungsweise vorausgesagt
wurde, stimmen die Angaben von Van
Rees und Kowalevsky vollständig über-
ein. Nach Van Rees sollen nicht sämmt-
liche Muskel der Larve dieser Zerstörung
anheimfallen. Gewisse dorsal gelegene
Gruppen der schrägverlaufenden äusseren
Muskelschicht des zweiten Thoraxseg-
mentes bleiben erhalten, um, nach tief-
greifenden, inneren Umwandlungen, welche
in einer Vermehrung der Muskelkerne und
einer Umordnung der Muskelsubstanz be-
stehen, in die Flügelmuskel der ausgebil-
deten Form überzugehen. Diese Art des
Uebergangs von Larvenmuskeln in Imago-
muskel muss als eine sehr merkwürdige
erscheinen; doch lassen die Schilderungen
Van Rees' kaum einen Zweifel an der
Richtigkeit dieser Beobachtung aufkommen.
Im Allgemeinen vollzieht sich die
Bildung der imaginalen Muskelgruppen
von dem definitiven Mesoderm aus,
welches von dem Mesoderm der Imagi-
nalscheiben (Fig. 530 C, m) herstammt,
und über dessen erste Entstehung wir
oben (pag. 866 und 871) das bisher Be-
kannte erwähnt haben.
Darme anal.
Aehnlich wie bei der Hypodermis
geht die Zerstörung des larvalen Darmes
und der Aufbau des definitiven Organes
aus einzelnen Imaginalscheiben derart
Hand in Hand, dass die Continuität nir-
gends unterbrochen erscheint. Die Kennt-
niss der Imaginalscheiben des Darmcanals
geht auf Ganin (No. 107) zurück. Neuer-
dings haben Kowalevsky (No. 112)
ms
Fig. 531. Verdauungstract einer
Museidenlarve mit eingezeichne-
ten Imaginalanlagen (nach Kowa-
levsky).
bd Blindschläuche des Chylus-
d armes, ch Chylus-Mitteldarm, / Fett-
zellen an der Spitze der Speichel-
drüsen , h Hinterdarmimaginalring,
ht Hinterdarm, ie Imaginalzellen des
Mitteldarmepithels, im Imaginalzellen
der Mitteldarmmuscularis, ims hintere,
abdominale Imaginalscheibe, is Imagi-
nalringe der Speicheldrüsen, ma Mal-
pighi'sche Gemsse, pr Proventriculus,
s Saugmagen, sp Speicheldrüsen, v
Vorderdarinimaginalring.
Insecten.
873
/
— 7^
— o
m
und Van Rees (Nr. 121) die Entwicklung des Darmcanals ausführlich
geschildert.
Die Imaginalscheiben des in der Puppe sehr verkürzten Darmes
finden sich am Mitteldarm in der Form zahlreicher zerstreuter, insel-
förmiger Zellgruppen (Fig. 531 ie), am Vorderdarm und Hinterdarm in
Gestalt je eines Ringes (v und h) von vermehrungsfähigem, imaginalem
Gewebe. Der Imaginalring des Vorderdarms (v) liegt im Bereiche des
sog. Proventriculus (pr., vgl. Fig. 533 im), während der des Hinterdarms
dicht hinter der Einmündungsstelle der MALPiGHi'schen Gefässe zu suchen
ist. Die Regeneration dieser beiden Theile des Darmcanals vollzieht sich
nicht ausschliesslich von' diesen zwei Ringen aus, sondern es betheiligen
sich daran auch noch die Imaginalanlagen der angrenzenden Parthien
der Körperoberfläche. So scheint es, dass die vorderste Parthie des
Oesophagus von den Imaginal-
scheiben in der Umgebung des
Mundes geliefert wird, während
die den Anus umgebenden Ima-
ginalscheiben des achten Ab-
dominalsegmentes (Fig. 531 ims)
durch Einstülpung die Rectal-
tasche sammt den Rectalpapil-
len erzeugen.
Die Ausbildung des defini-
tiven Mitteldarms geht in der
Weise vor sich, dass die insel-
förmigen Imaginalscheiben sich
unterbeträchtlicherZellvermehr-
ung an der äusseren oder basa-
len Fläche des larvalen Mittel-
darmepithels ausbreiten (Fig.
532 o), bis sie sich erreichen
und verschmelzen, wodurch die
Wand des imaginalen Darmes
gebildet erscheint. Es wird
gleichzeitig das gesammte lar-
vale Mitteldarmepithel (e) nach-
Innen abgestossen und bildet,
von einer Schicht kleiner, viel-
leicht den Imaginalscheiben entstammender Zellen (f), sowie von einer
Gallerthülle umgeben, den sog. gelben Körper, welcher bis zu seinem Zer-
fall im Puppendarme liegen bleibt. Die larvale Muscularis (m) blieb intact,
so lange der imaginale Mitteldarm noch nicht vollständig entwickelt war,
dann wird sie von Phagocyten angefallen und zerstört. Die definitive
Muskelschicht entwickelt sich aus einzelnen, der Aussenfläche der Ima-
ginalscheiben anliegenden Zellen (Fig. 531 im , 532 m1) , welche als
besondere Imaginalzellen der Darmmuscularis bezeichnet werden müssen.
Die Umwandlung des Vorderdarms wird durch eine Rückbildung
des Proventriculus und des Saugmagens eingeleitet. Der Proventriculus
(Fig. 533 pr) , welcher aus einer als Intussusceptio zu bezeichnenden
Ringfalte des Vorderdarms gebildet erscheint, geht zurück, indem diese
Faltenbildung sich ausglättet. Auch der Saugmagen wird in ähnlicher
Weise, rückgebildet, indem er immer mehr und mehr in den Oesophagus
zurückgeht, so dass an Stelle des ursprünglichen Divertikels nur mehr
Fig. 532. Querschnitt durch den Mittel-
darm einer Museiden puppe (nach Kowa-
levsky).
e abgestossenes und degenerirendes Epithel
des Larvendarmes, / um dasselbe neugebildete
Zellschicht, m Muscularis, m' Imaginalzellen
der Muscularis, o Imaginalscheiben des Mittel-
darmepithels, t Tracheenstämmchen.
874
XXIII. Capitel.
eine Erweiterung des Oesophaguslumens zurückbleibt. Gleichzeitig wird
dieser Theil des Darms von Phagozyten angefallen und zerstört, während
die zerstörten Parthien durch die allmählich sich ausdehnenden imagi-
nalen Theile der Wand ersetzt werden. Der Imaginalring des Vorder-
darms (Fig. 533 im), welcher — nach Kowalevsky — die Bildung eines
grossen Theiles des definitiven Oesophagus übernimmt, schliesst sich an
seinem hinteren Ende, so dass die Communication mit dem Mitteldarm
unterbrochen erscheint.
Ganz ähnliche Verhältnisse finden wir bei der Umbildung des End-
darms. Auch hier breitet sich der Imaginalring zur Bildung eines
Rohres aus, welches, indem es die Einmündungsstellen der MALPiGHi'schen
Gefässe umwächst, sich gegen den Mitteldarm zu schliesst, während es
nach hinten mit dem in Zerfall begriffenen larvalen Enddarm in Com-
munication steht, In ähnlicher Weise wird
das Territorium des larvalen Enddarms durch
ein von den in der Umgebung der Afteröff-
nung befindlichen Imaginalscheiben gebildetes,
von hinten einwachsendes imaginales Rohr
eingeengt, bis schliesslich, wenn der ge-
sammte larvale Enddarm in Körnchenzellen
umgewandelt ist, die beiden imaginalen Ab-
schnitte des Rohres einander bis zur Berühr-
ung genähert erscheinen.
Wir sind hier im Wesentlichen den An-
gaben Kowalevsky's gefolgt, Nach Van Rees
nehmen an dem Aufbau des Vorder- und End-
darms nicht bloss die genannten Imaginalschei-
ben Theil, sonderns es vollzieht sich gleichzeitig
eine Regeneration des larvalen Epithels, welches
demnach nur zum Theil zerstört wird , zum
anderen Theil dagegen eine mehrfache Theilung
seiner Zellen und eine Einfügung dieser ver-
jüngten Stellen in die Continuität des imaginalen
Vorderdarms erleidet.
Die Speicheldrüsen der Larve (Fig.
531 sp) werden vollständig durch Phagocyten
zerstört, Es erfolgt die Neubildung dieser
Drüsen von Imaginalscheiben (Fig. 531 is) aus,
welche nach Kowtalevsky einen am vorderen
Ende des Drüsenschlauches gelegenen Ring dar-
stellen (vgl. die Angaben von Schiemenz No. 125).
Welcher Art die Umwandlungen sind, welche die Malpighi'schen
Gefässe durchzumachen haben, ist aus den bisherigen Angaben noch nicht
genau zu ersehen. Nach Van Rees möchte hier mehrfach eine Regeneration
von Larvenzellen durch Theilung, andererseits aber auch ein Zerfall dieser
Elemente in Frage kommen.
Die oben geschilderte Art der Umbildung des Darmcanals scheint unter
den holometabolen Insecten ungemein verbreitet. Sie wurde nicht nur für
Dipteren, sondern auch für Lepidopteren (Kowalevsky, Feenzel), Coleopteren
(Ganin) und Hymenopteren (Ganin) beobachtet. Die Abstreifung des Mittel-
darmepithels wurde von Kowalevsky auch bei Corethra, Culex und Chiro-
nomus vorgefunden.
Fig". 53*3. Längsschnitt
durch den Pr oventriculus
einer Muscidenlarve (nach
Kowalevsky).
im Vorderdarmimaginal-
ring, oe Oesophagus, pr Pro-
ventriculus.
Insecten. 875
Tracheensystem.
Dass das Tracheensystem während der Metamorphose wichtigen Um-
wandlungen unterworfen ist, geht schon aus der gänzlich verschiedenen
Gestalt hervor, welche dasselbe in der Larve, Puppe und Imago aufweist.
Es sei hier nur daran erinnert, dass die Larve der Museiden durch ein
am hinteren Körperende gelegenes (durchgängiges) Stigmenpaar athmet,
die Puppe durch ein dem Prothorax zukommendes, während der Imago
sechs Stigmenpaare (am Meso- und Metathorax, sowie an vier Abdominal-
segmenten) zukommen. Unzweifelhaft sind in der Larve und Puppe die
übrigen Stigmen in einem für Luft undurchgängigen Zustande vorhanden.
Diese Stigmenäste, sowie einige andere bereits von Weismann angegebene
Stellen des Tracheensystems scheinen nach Van Rees als Imaginalscheiben
für die Regeneration der Tracheenmatrix zu funetioniren , während viel-
fach auch eine Regeneration dieses Epithels durch einfache, wiederholte
Theilung der Zellen zu erkennen ist. Die Auflösung der der Rück-
bildung anheimfallenden Theile des Tracheensystems vollzieht sich unter
dem Einfluss der Phagocyten in der bereits bekannten Weise.
Nervensystem.
Die centralen Theile des Nervensystems gehen direct aus der Larve
in das Imagostadium über, wenngleich sie beträchtlichen Veränderungen
der Form und Lagerung unterlegen sind. Gleichzeitig sollten sich an
ihnen (nach Weismann) gewisse histiologische Umwandlungen abspielen,
welche als Histiolyse bezeichnet wurden. Es sollte hierbei ein Zer-
fall und Wiederaufbau der Gewebe im Inneren des in seiner Continuität
erhalten bleibenden Organes sich abspielen. Neuerdings hat man jedoch
vielfach den Zerfall der Gewebe in der Puppe überhaupt als Histiolyse
bezeichnet.
Wenig aufgeklärt ist bisher die Frage nach den Umwandlungen des
peripheren Nervensystems. Wenn es bei dem Untergang der Larven-
muskeln als wahrscheinlich bezeichnet werden muss, dass auch die mo-
torischen Nerven zum Theil einer Degeneration anheimfallen, so liegen
für die zu den Extremitäten ziehenden Nerven die Verhältnisse insofern
anders, als dieselben sich schon in der Larve in der Gestalt von Nerven-
strängen, welche die Imaginalscheiben mit dem Centralnervensystem in
Verbindung setzen, erkennen lassen. Diese Stränge werden nach Van
Rees aus der Larve in die Puppe und Imago übernommen, so dass mit
der weiteren Ausbildung der Extremitätenanlage nur der distale Theil
des zugehörigen Nerven als Neubildung angelegt wird.
Fettkörper.
Auch der Fettkörper der Larve wird durch die Thätigkeit der
Leucocyten in der für die übrigen Gewebe geschilderten Weise zerstört.
Die Neubildung des Fettkörpers scheint von dem Mesoderm der Imaginal-
scheiben auszugehen. Möglicherweise kommen auch die von Schäffer
als Blutbildungsherde in Anspruch genommenen Anhäufungen embryonaler
Zellen für die Regeneration des Fettkörpers in Betracht, Jedenfalls
werden wir denselben von mesodermalem Gewebe abzuleiten haben.
Wenn Wielowiejski den Fettkörper von Corethra aus einer unter der
Hypodermis gelegenen Zellschicht der Larve entstehen sah, so liegt noch
876 XXIII. Capitel.
keine Nöthigung vor, diese Beobachtung in einer für die Ansichten
Schaffens günstigen Weise zu deuten, welcher sich überzeugt zu haben
glaubt, dass" bei Musca der Fettkörper der Larve zum Theil von der
Hypodermis, zum Theil von der Tracheenmatrix, also von ectodermalem
Gewebe sich herleitet.
Definitives Schicksal der Leucocyten.
Wir haben gesehen, dass die Ausbildung der Organe der Imago
überall da von den Imaginalscheiben ausging, wo dieselben nicht direct
aus der Larve in die Puppe übernommen wurden. Die Leucocyten,
deren Zahl in der Puppe ungemein vermehrt ist, nehmen an dem Auf-
bau der Gewebe (wie man dies früher glaubte) keinen directen Antheil.
Ihre Bedeutung scheint darin zu liegen, dass sie die dem Untergang
geweihten Larvenorgane zerstören, deren Bestandteile in sich aufnehmen
und verdauen und vermöge ihrer Locomotionsfähigkeit den neuwachsen-
den Organen Nahrungspartikelchen zuführen. Welchem Schicksale gehen
diese Elemente entgegen, nachdem die Entwicklungsprocesse in der Puppe
zum Abschlüsse gekommen sind? Es kann keinem Zweifel unterliegen,
dass ein Theil der sog. Körnchenzellen wieder zu gewöhnlichen Blut-
körperchen umgewandelt wird. Ein anderer und, wie es scheint, be-
trächtlicher Antheil unterliegt der Degeneration. Es werden schliesslich
die Leucocyten selbst als Nährmaterial für die neugebildeten Gewebe
verwendet. Von Interesse ist nach dieser Richtung die Beobachtung
von Van Rees, dass zum Schlüsse zahlreiche Leucocyten in die neu-
gebildete Hypodermis einwandern und daselbst, in Spalten zwischen den
Hypodermiszellen gelegen, der Degeneration anheimfallen.
Allgemeines über die Entwicklung der Imago in der Puppe.
Wir haben gesehen, dass die Entwicklung des Körpers der Imago
von einzelnen, schon in der Larve vorhandenen und im Embryonalleben
angelegten Bildungsherden (Imaginalscheiben) ausgeht, und haben solche
Imaginalscheiben für die einzelnen Theile des Kopfes, für die Extremi-
täten, für die Hypodermis des Abdomens und für die verschiedenen
Parthien des Darmcanals kennen gelernt. Wir haben gesehen, dass die
Ausbildung der mesodermalen Organe der Imago (Muskeln, Bindegewebe,
Fettkörper) von einem mesodermalen Antheil der Imaginalscheiben aus-
geht, dessen erste Entstehung allerdings noch ziemlich dunkel ist. Gleich-
zeitig mit dem Aufbau der imaginalen Organe vollzieht sich unter dem
Einflüsse der Leucocyten der Zerfall der Larvenorgane. Beide Processe
(Zerfall und Regeneration) gehen derart Hand in Hand, dass der Zu-
sammenhang der betreffenden Organe in den meisten Fällen vollkommen
gewahrt bleibt, indem der vollständige Zerfall erst nach Ausbildung des
definitiven Organs eintritt. Hiervon ist die Musculatur der Larve aus-
genommen, welche sehr frühzeitig dem Zerfalle anheimgegeben wird.
Zum Schlüsse sei noch darauf hingewiesen, dass die scharfe Trennung
von Larven-, Puppen- und Imagostadien nur im Hinblick auf die Zustände
der äusseren Körperoberfläche, wie sie durch aufeinander folgende
Häutungen auseinander hervorgehen, begründet erscheint. Die Vorgänge
der inneren Entwicklung dagegen stellen sich als eine ganz continuirliche
Reihe von Umbildungen dar, welche jene scharfe Sonderung nicht er-
kennen lassen. Immerhin werden wir aber im grossen Ganzen die Formen
des Larven-, Puppen- und Imagozustandes nach den ihnen zukommenden
Lebensaufgaben auseinanderhalten können.
Insecten. 877
III. Parthenogenese, Pädogenese, Heterogonie.
Es muss hier in Kurzem darauf hingewiesen werden , dass ver-
schiedentlich bei den Insecten die Fähigkeit, unbefruchtete Eier auf
parthenogenetischem Wege zur Entwicklung zu bringen, beobachtet
worden ist. Die Parthenogenese kann hier entweder nur gelegentlich
auftreten (z. B. bei manchen Lepidoptereiij Bombyx, Li pari s), oder
aber den Werth eines fixirten Vorganges im Bereiche des Entwicklungs-
cyclus gewinnen. So werden beispielsweise bei den staatenbildenden
Wespen und Bienen die Männchen aus parthenogenetisch sich entwickeln-
den Eiern erzeugt. Das Gleiche wurde bei Ameisen, sowie bei Nematus
ventricosus und anderen Blattwespen beobachtet , während bei
anderen Ten thredini den aus den unbefruchteten Eiern nur Weibchen
hervorgehen. Ebenso scheinen bei den Lepidopteren in der Regel
Weibchen aus den parthenogenetisch entwickelten Eiern hervorzugehen.
So wurde z. B. bei Psyche und Solenobia die Aufeinanderfolge
zahlreicher parthenogenetischer Generationen beobachtet, während die
Männchen nur selten angetroffen werden. Aehnlich verhält sich Apatania
unter den Trichopteren (nach Klapalek). Zu einem cyclischen Wechsel
zwischen parthenogenetischen Weibchen und andersgestalteten zwei-
geschlechtigen Formen (demnach zu einer echten Heterogonie) kommt es
bei gewissen Cynipiden. So entwickelt sich nach Adler und Lichten-
stein in den Gallen einer als Spathegaster baccarum bekannten
Form eine andersgestaltete als Neuroteres ventricularis bezeich-
nete Wespe, von welcher nur parthenogenetische Weibchen bekannt sind.
Aus den in besonders gestalteten Gallen sich entwickelnden unbefruchteten
Eiern geht wieder die als Spathegaster bezeichnete Geschlechts-
generation hervor.
Mit der Möglichkeit, aus unbefruchteten Eiern eine Kachkommen-
schaft zu erzielen, steht in Zusammenhang die Verlegung der Fort-
pflanzung in frühe Entwicklungsstadien ( P a e d o g e n e s e). So kann nach
v. Grimm eine Chironomusart ihre Eier bereits als Puppe ablegen,
während andere Dipteren (Cecidomyia) sich bereits als Larven par-
thenogenetisch und vivipar fortpflanzen. Als Paedogenese muss auch
zum Theil die parthenogenetische Fortpflanzung der Aphiden betrachtet
werden, bei denen der Fall eintreten kann, dass der parthenogenetisch
erzeugte Embryo bereits wieder trächtig ist.
In dem bestimmt normirten Wechsel parthenogenetisch sich fort-
pflanzender und zweigeschlechtiger Generationen, welche sich durch
gewisse Merkmale des Körperbaues unterscheiden, erscheint die Hetero-
gonie der Pflanzenläuse (Phytophthires) begründet. Bei den Aphiden
entwickelt sich aus dem überwinternden, befruchteten Winterei im
Frühjahr eine parthenogenetisch und vivipar sich fortpflanzende Generation,
als deren Nachkommen im Frühjahr und Sommer eine Reihe von par-
thenogenetisch und vivipar sich vermehrenden Generationen folgt, deren
Individuen häufig geflügelt sind, aber auch der Flügel entbehren können.
Den Schluss dieser Reihe von Generationen macht die gegen den Herbst
auftretende Generation der Sexuparen, deren parthenogenetisch und
vivipar erzeugte Nachkommenschaft aus in der Regel geflügelten Männchen
und ungeflügelten Weibchen besteht. Nach vollzogener Copulation legt
das Weibchen das befruchtete Winterei ab, aus welchem im nächsten
878 XXIII. Capitel.
Frühjahre die erste parthenogenesirende Generation hervorgehen soll.
Bei den Pemphiginen besteht die geschlechtliche Generation aus sehr
kleinen ungeflügelten Männchen und Weibchen, welche, wie die der
Chernietiden des Rüssels und Darmcanals entbehren. Unter gewissen
Verhältnissen scheinen jedoch auch einzelne Individuen der parthenogene-
tischen Generationen überwintern zu können, um im Frühjahre einer
neuen Entwicklungsreihe den Ursprung zu geben. Auf ähnliche Weise
kommt es vielfach bei den Pflanzenläusen zur Entwicklung paralleler
Reihen des Generationscyclus (Dreyfuss No. 137).
Eine weitere Complication in dem Entwicklungscyclus der A p h i d e n
ergiebt sich aus den — wie es scheint — häufig vorkommenden
Wanderungen von einer Pflanze zur andern. Vielfach unternimmt eine
geflügelte parthenogenetische Generation eine Wanderung nach einem
Zwischenwirth , um sich daselbst fortzupflanzen und in einer späteren
Generation nach der Stammpflanze zurückzukehren. Diese wandernden
Generationen, auf deren Vorkommen Lichtenstein vielfach hingewiesen
hat, wurden von Blochmann (No. 135) als Emigrantes, Alieni-
colae und Remigrantes unterschieden. So geht beispielsweise bei
Pemphigus terebinthi nach Derbes aus dem befruchteten Eie eine
ungeflügelte parthenogenetische Generation (I) hervor, welche eine weitere
mit Flügeln versehene Generation (II, Emigrantes) erzeugt. Diese ver-
lässt den bisherigen Standort und producirt eine dritte Generation (III,
Remigrantes = Sexuparen), welche, nachdem sie überwintert hat, zu dem
ursprünglichen Wirthe zurückkehrt und die — wie bereits oben
erwähnt — kleinen , mund- , dann- und flügellosen Geschlechtsthiere
(IV, Sexuales) erzeugt. Der Generationscyclus von Pemphigus tere-
binthi ist dadurch interessant, dass die Geschlechtsgeneration nicht —
wie dies meist der Fall ist — im Herbste auftritt, sondern im Frühlinge
von überwinternden parthenogenetischen Formen producirt wird.
Aehnliche Verhältnisse, wie bei den Aphiden, finden sich auch
bei den in neuerer Zeit vielfach studirten Chernietiden. Als Haupt-
unterschied ergiebt sich , dass hier auch die parthenogenetisch sich ent-
wickelnden Eier stets abgelegt werden und nicht, wie bei den Aphiden,
im Mutterleibe ihre Embryonalentwicklung durchlaufen. Bei Phyl-
loxera quercus kommt nach den Beobachtungen von Lichtenstein
aus dem auf Quercus coccifera abgelegten Winterei eine Mutterlaus
(Fundatrix), welche auf paithenogenetischem Wege eine geflügelte,
parthenogenesirende Generation (Emigrantes) erzeugt, die nach den
Blättern von Quercus pedunculata und pubescens überwandert, Dort
folgen nun mehrere ungeflügelte Generationen (Alienicolae) , welche sich
parthenogenetisch fortpflanzen und schliesslich mit der Erzeugung der
geflügelten Sexuparen die Rückwanderung auf Quercus coccifera er-
möglichen. Dort geht aus den von den Sexuparen gelegten Eiern die
flügellose, des Rüssels und Darmcanals entbehrende Geschlechtsgeneration
hervor, welche das befruchtete Winterei ablegt. Bei der Reblaus
(Phylloxera vastatrix) wandert das aus dem unter der Rinde des
Stammes abgelegten Winterei sich entwickelnde Junge an die Wurzel,
um dort mehreren aufeinander folgenden Generationen von ungeflügelten
Wurzelläusen, welche die Wurzelnodositäten erzeugen, den Ursprung zu
geben. Die Reihe dieser Generationen schliesst mit der Production ge-
flügelter Sexuparen, welche am Stamm nach aufwärts wandern und um-
hersch wärmen. Auch diese Formen sind parthenogenetisch. Aus ihren
nach dem Geschlechte des zu entwickelnden Embryos verschieden
Insecten. 879
grossen Eiern geht die Generation der rüssel-, darin- und flügellosen
Geschlechtsthiere hervor, welche das befruchtete Winterei erzeugt. Auch
in diesen Generationscyclus schieben sich Parallelreihen ein, so diejenigen der
in Deutschland nicht vorkommenden, an den Blättern lebenden, unge-
flügelten Gallenläuse, welche den Generationen der Wurzelläuse parallel
laufen. Aehnliche zum Theil sehr complicirte und nicht völlig auf-
geklärte Verhältnisse weist der Generationscyclus der Gattung C h e r m e s
auf, an dessen Erforschung sich neuerdings Blochmann (No. 134, 135),
Dkeyfüss (No. 137) und Cholodkowsky betheiligt haben. Bei Chermes
abietis geht aus dem befruchteten Ei eine flügellose parthenogenetische
Stammmutter (Fundatrix) (I) hervor, welche an der Knospenbasis der
Fichte überwintert und durch ihr Anstechen die Knospe zur Galle
deformirt. Die von dieser producirte Generation (II) stellt geflügelte
parthenogenetische Formen dar, welche in der Galle leben, aber zum
Theil nach der Lärche auswandern, und dort eine ungeflügelte, an den
Nadeln lebende und unter der Rinde überwinternde Generation (III)
produciren. Diese parthenogenetischen Alienicolae erzeugen im Frühjahr
des folgenden Jahres (zweites Jahr des Generationscyclus) die geflügelten
Remigrantes (IV) oder Sexuparen, welche nach der Fichte zurückwandern
und dort die ungeflügelten Weibchen und Männchen erzeugen, aus deren
befruchtetem Eie wieder eine Stammmutter (I) hervorgeht. Auch in
diesen Entwicklungscyclus schiebt sich eine Parallelreihe jener Formen
ein , welche die Ueberwanderung nach der Lärche nicht mitgemacht
haben, sondern auf der Fichte verblieben sind.
IV. Allgemeines.
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Insecten und die
Myriopoden in den innigsten verwandtschaftlichen Beziehungen zu einander
stehen. Wenn die grosse Uebereinstimmung der anatomischen Merkmale
und der für die Myriopoden allerdings nur fragmentarisch bekannten
Thatsachen der Entwicklungsgeschichte für die Aufstellung dieser ver-
wandtschaftlichen Beziehungen als unzureichend betrachtet werden sollten,
so ist auf das Vorhandensein der in den Symphylen (Scolopendrella
Fig. 534) und Thysanuren (vgl. Campodea Fig. 535) uns vorliegenden
Uebergangstypen zwischen beiden Gruppen grosses Gewicht zu legen.
Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass bei den mit den Orthopteren
auf das Innigste verknüpften Thysanuren in dem Mangel der Flügel
und in dem Vorhandensein der bläschenförmigen, ausstülpbaren Ventral-
säcke morphologische Charaktere wiederkehren , welche den höheren
Insecten fehlen, dagegen in ähnlicher Weise bei den Myriopoden sich
vorfinden. Die Myriopoden hingegen stehen andererseits wieder in nahen
verwandtschaftlichen Beziehungen zu Peripatus, so dass wir berechtigt sind,
in den Onychophoren, Myriopoden und Insecten die An-
gehörigen einer einheitlichen phyletischen Entwicklungsreihe zu sehen,
welche durch Peripatus ihren Anschluss an die hypothetische Stammform
des Arthropodentypus (Protostraken) und hierdurch an die Anneliden
gewinnt (vgl. oben pag. 498 sowie unten pag. 904).
Die Insecten stellen die höchste Entwicklungsstufe der oben ange-
führten phyletischen Reihe dar. Sie erheben sich über die Myriopoden
durch die schärfere Abgrenzung der einzelnen Körperregionen, durch die
Fixirung der Zahl der Körpersegmente und durch die Entwicklung eines
neuen Locomotionssystemes : der Flügel.
880
XXIII. Capitel.
Die Abgrenzung der drei an dem Insectenkörper zu unterscheidenden
Regionen (Kopf, Brust und Abdomen) erscheint im Bereiche der Myriopoden
bereits angebahnt. Auch hier finden wir einen einheitlichen, scharf abgesetzten
vordersten Körperabschnitt (Kopf). Ferner lassen sich von den folgen-
den Rumpfsegmenten die vordersten als Thoraxabschnitt den übrigen
gegenüberstellen. Es sei hier beispielsweise darauf hingewiesen, dass
bei den Diplopoden die Thoraxsegmente nicht zur Bildung von Doppel-
segmenten zusammentreten, wie dies bei den übrigen Rumpfsegmenten
der Fall ist. Wir haben aber oben (pag. 741) schon darauf hingewiesen,
dass die hier als Thorax unterschiedene Region sich nicht völlig dem
Fig. 534. Sclopendrella im- Fig. 535. Campodea staphy-
maculata (nach Latzel, aus Lang's linus (nach Lübbock, aus Lang's Lehr-
Lehrbuch). buch).
Thorax der lusecten identificiren lässt, da sich bei den Diplopoden
zwischen die drei Gliedmaassen tragenden Segmente des Thorax ein
gliedmaassenloses Segment einschiebt (Fig. 463, B und 464, pag. 739
und 742), was bei den Insecten nicht vorkommt.
Wenn nun auch die Regioneneintheilung des Körpers schon bei den
Myriopoden andeutungsweise zu erkennen ist, so tritt sie doch bei den
Insecten viel schärfer hervor. Besonders ist die Grenze zwischen Thorax
und Abdomen viel stärker markirt. Es hängt dies mit einer zwischen
beiden Regionen zur Entwicklung gekommenen Arbeitsteilung zusammen.
Bei den Insecten erscheinen die wichtigsten Locomotionsorgane in der
Thoraxregion concentrirt. Damit steht die grössere Festigkeit des Thorax
und die Entwicklung umfangreicher Muskelmassen im Zusammenhang,
während die weichere, ausdehnbare Abdominalregion zur Aufnahme fast
sämmtlicher Organe der vegetativen Sphäre bestimmt ist. Wir finden
Insecten. 381
die wichtigsten Abschnitte des Darmcanals, des Respirations- und Circu-
lationssystems, sowie die Geschlechtsorgane in diese Region verlagert.
Es muss erwähnt werden, dass die Abgrenzung der Thoraxregion von
dem Abdomen bei vielen Insectenlarven äusserlich nicht so scharf hervor-
tritt. Es hängt dies damit zusammen, dass vielfach bei den Larven dem
Thorax keine so grosse Bedeutung für die Locomotion des Gesammtkörpers
zukommt, wie bei den Imagines, sei es, dass auch am Abdomen Locomotions-
organe zur Entwicklung kommen (z. B. bei den Raupen), oder dass solche
auch dem Thorax vollständig fehlen (madenförmige Larven). Eine genauere
Untersuchung vor Allem der inneren Organe wird aber auch hier stets wich-
tige Unterschiede zwischen den Thoraxsegmenten und den Abdominalsegmenten
erkennen lassen. Da wir sehen, dass die Scheidung von Thorax und Abdomen
bereits bei den Thysanuren scharf ausgeprägt ist, so werden wir dieselbe als
ein altererbtes Merkmal des Insectenstammes betrachten und jene scheinbare
Verwischung dieser Grenze bei gewissen Larvenformen nur als eine secundäre
Erwerbung betrachten können.
Der Verlust der Extremitäten im Bereiche der Abdominalregion
ist ein wichtiges Merkmal, durch welches sich die Insecten von den
Myriopoden unterscheiden. Mit Rücksicht auf die Ableitung der Insecten
von dieser Gruppe oder doch von myriopodenähnlichen Formen ist es
von Wichtigkeit, dass im Insectenembryo abdominale Extremitätenrudi-
mente auftreten, welche später verschwinden (vgl. oben pag. 794 ff.).
Vielfach hat man auch die bei Thysanuren am Abdomen sich findenden
sog. Ventralgriffel als Extremitätenrudimente betrachtet, um so mehr als
denselben bei Machilis thatsächlich locomotorische Fähigkeiten zukommen.
Neuerdings ist man jedoch im Anschlüsse an Haase (No. 153), gestützt
auf das Vorkommen ähnlicher Griffel an den Hüften der Thoraxbeine
von Machilis, sowie an den meisten Beinpaaren von Scolopendrella geneigt,
in denselben bloss bewegliche Hüftsporne zu erblicken (vgl. oben
pag. 798). Dagegen findet sich an dem ersten Abdominalsegment von
Campodea ein echtes Extremitätenrudiment.
Während bei den Myriopoden die Zahl der Körpersegmente für die
einzelnen Gattungen und Arten eine ungemein schwankende ist, erscheint
sie für die Insecten in bestimmter und allgemein gültiger Weise fixirt.
Stets setzt sich der Thorax aus drei Segmenten zusammen, deren jedes
ein Beinpaar trägt (daher die Bezeichnung Hexapoda — Insecta).
Ebenso scheint aus den embryologischen Thatsachen auf das Bestimmteste
hervorzugehen, dass der abdominale Abschnitt sich überall aus zehn
Rumpfsegmenten und einem dahinter folgenden Aftersegmente (Telson)
zusammensetzt. Grössere Schwierigkeiten verursacht die Zählung der
Segmente, welche in die Bildung des Kopfabschnittes eingegangen sind.
Hier treten drei Kiefersegmente (Mandibel-, I. Maxillar- und IL Maxillar-
segment) mit einem vorderen primären Kopfabschnitte zusammen. Für
letzteren dürfen wir nach den Verhältnissen der Gehirnsegmentirung
vielleicht eine Zusammensetzung aus drei Segmenten supponiren (vgl.
oben pag. 821 ff.), während sich zwischen diesen Abschnitt und das Man-
dibelsegment noch ein rudimentäres sog. Vorkiefersegment einzuschieben
scheint. Doch stehen wir hier hinsichtlich der Zählung der Segmente
noch auf ziemlich hypothetischem Boden. Es sei erwähnt, dass die An-
tenne dem zweiten Gehirnsegmente angehört und durch ihre ursprünglich
postorale Lagerung, sowie durch ihr Verhalten gegenüber dem zuge-
hörigen Cölomsäekchen (bei Orthopteren) (vgl. pag. 793) sich durchaus
wie eine echte Rumpfgliedmaasse verhält. Es steht dies in vollständiger
882
XXIII. Capitel.
Uebereinstimmung mit dem, was wir über dieses Gliedmaassenpaar bei
Peripatus und den Myriopoden kennen gelernt haben.
Eine der interessantesten Fräsen in der Phylogenie der Inseeten ist
die nach der Entstehung der Flugwerkzeuge. Die Flügelanlagen ent-
stehen am Meso- und Metathorax als dorsale Hautausstülpungen, in
deren Innenraum später Tracheenverästelungen aufgenommen werden.
Es ist von Interesse, dass ähnliche seitliche faltenförmige Verbreiterungen
der Rückenplatten, welche an die ersten Flügelanlagen erinnern, auch
dem Prothorax zukommen können, z. B. bei Machilis und Blatta. Am
deutlichsten sind dieselben an den durch F. Müller (No. 158) bekannt
gewordenen Larven von Calotermes (Fig. 536) zu erkennen, an deren
jüngsten Stadien zunächst dorsale Ausstülpungen des Prothorax und
Mesothorax zu erkennen sind, welche Anfangs der Tracheen entbehren.
Während das vordere Paar dieser Ausstülpungen rückgebildet wird,
gewinnt das hintere Paar die Tracheeneinlagerung, wodurch es in die
Anlage
thorax
der
die
Vorderllügel
Anläse der
sich umbildet, und gleichzeitig tritt am Meta-
Hinterflügel auf. Man hat vielfach versucht,
gestützt auf die grosse Aehnlichkeit der Lage und
des Baues, die Flügelanlagen und die blattförmigen
Tracheenkiemen, wie sie sich an den Abdominal-
segmenten der Ephemeridenlarven vorfinden
(Fig. 519 Je, pag. 850), für homodyname Bildungen
zu betrachten. Dieser von Gegenbaur und Lubbock
(No. 156) vertretenen Ansicht hat neuerdings noch
Redtenbacher (No. 165) beigepflichtet. Auch
F. Müller, der sich gegen die genannte Auf-
fassung aussprach, ist geneigt, die ursprüngliche
Function der Flügel für eine respiratorische, zu
halten. Diese Ansicht, welche durch den Bau der
Flügelanlagen, in deren Innerem Bluträume und
Tracheenverästelungen sich vorfinden, wohl ge-
stützt erscheint, hat zur Voraussetzung, dass die
geflügelten Inseeten von einer im Wasser lebenden
Form abstammen. Die oben angenommene phyle-
tische Reihe, welche von Peripatus durch die
Myriopoden und Thysanuren zu den Orthopteren
führt, zeigt uns durchaus auf dem Lande lebende
und an das Landleben angepasste Formen. Wir
haben keine Ursache anzunehmen, dass in die
Vorfahrenreihe der geflügelten Inseeten (Pterygogenea) sich eine im Wasser
lebende Ahnenform eingeschoben habe. Die Lebensweise der im Wasser
vorkommenden Larvenformen der Hemimetabola werden wir, ebenso wie
ihre derselben angepassten Respirationsorgane als seeundär erworben be-
trachten dürfen. Aus den gleichen Gründen können wir der Anschauung
Dohrn's nicht beitreten, welcher, in der phyletischen Reihe noch weiter
zurückgehend, die Tracheenkiemen der Ephemeridenlarven, sowie die Flügel-
anlagen auf die Elytren der Annelidenahnen der Inseeten zu beziehen ge-
neigt ist. (Vgl. Dohrn, die Pantopoden.) Es ist darauf hinzuweisen, dass
bei Peripatus sowohl, als bei den Myriopoden entsprechende Hautdupli-
eaturen vollständig fehlen. Wir halten es daher für durchaus gerecht-
fertigt, wenn Grassi (No. 150) dieselben als eine Neuerwerbung im
Bereiche des Insectenstammes betrachtet und sie auf abgegliederte selbst-
ständig gewordene Faltenbildungen am Rande der Tergalplatten zurück-
Fig. 536. Larve von
Calotermes rugosus
(nach F. MüllerJ.
f flügelförmige Anhänge
des Prothorax,/" Anlage der
Vorderflügel, /'" Anlage der
Hinterflügel.
Insecten. 883
führt, wobei die Flügelmusculatur von dem auch in den anderen Körper-
segmenten vertretenen System der Dorsoventralmuskeln herzuleiten ist.
Man darf vielleicht annehmen, dass der Uebergang von der kriechenden
Bewegungsweise zum Flug durch eine kletternde Bewegungsart ver-
mittelt wurde, bei welcher einzelne Distanzen durch den Sprung zurück-
gelegt wurden, was zur Ausbildung fallschirmartiger Verbreiterungen der
Thoraxsegmente Anlass gab. Der Uebergang von solchen, noch unbe-
weglichen, als Fallschirm zur Verwendung kommenden Hautduplicaturen
zu abgegliederten, selbstständig thätigen Locomotionswerkzeugen erscheint
uns ziemlich plausibel. Es ist vielleicht nicht ohne Bedeutung, dass die
Fähigkeit, sich von der Unterlage abzuschnellen, bei den Thysanuren,
Collembolen und Orthopteren verbreitet ist, und dass bei den Orthopteren
(z. B. bei der Schnarrheuschrecke) die Flügel thatsächlich kaum anders,
denn als Fallschirme zur Verwendung kommen. Die Beschränkung der
Flügelbildungen auf den Meso- und Metathorax mag mit der Lage des
Schwerpunktes des Körpers in Zusammenhang stehen. Wir betrachten
mit Brauer (No. 146) die Flügellosigkeit nur im Bereiche der Aptery-
gogenea als eine primäre Eigenschaft, während, wo bei den als Pterygogenea
zusammengefassten Insectenordnungen Flügellosigkeit beobachtet wird,
dieselbe als secundär erworben zu betrachten ist.
Hinsichtlich der Tracheenstigmen sei auf ihre segmentale Anordnung
hingewiesen. Es scheint, dass ursprünglich jedem der drei Thoraxseg-
mente, sowie den acht sich anschliessenden Abdominalsegmenten je ein
Stigmenpaar zukam. Wenigstens sind die durch Grassi und Haase
bekannt gewordenen Verhältnisse des Respirationssystems der Thysanuren
einer solchen Annahme günstig. Bei den meisten Insecten dagegen wird
die Zahl der thoracalen Stigmenpaare reducirt. Dem Kopfe scheint
kein echtes Stigmenpaar anzugehören. Wir haben oben (pag. 819 und 830)
die Gründe auseinandergesetzt, warum wir weder die Endosceleteinstülpungen
des Kopfes, noch die Speicheldrüsen für homodyname Bildungen mit den
Tracheeneinsenkungen ansehen können. Dagegen sei hier darauf hin-
gewiesen, dass für Scolopen drella (von Haase) und für Smin-
thurus (von Lubbock) das Vorhandensein eines dem Kopfe angehörigen
Stigmenpaares behauptet worden ist.
Wir müssen noch auf das Vorhandensein der zusammengesetzten
Augen (Fächer- oder Facetten au gen) als eines der Merkmale
hinweisen, durch welches sich die Insecten über die Myriopoden erheben.
Die ursprünglichste Augenform der Insecten ist offenbar in dem Stemm a
(pag. 828, Fig. 507) gegeben, dessen Bau nach Grenacher (No. 151)
in einzelnen Fällen sich noch direct auf den eines einfachen Napfauges
zurückführen lässt, während es in anderen Fällen durch Ausbildung einer
Glaskörper- (lentigenen) Schicht zu einem zweischichtigen, complicirter
gebauten Auge geworden ist (pag. 827, Fig. 506 B). Wir werden
kaum fehlgehen, wenn wir das Insectenstemma direct von den Napf-
augen der Anneliden ableiten (Kennel No. 154). Das zusammen-
gesetzte Auge dagegen scheint einer Häufung von Ocellen zu entsprechen,
bei welcher die Zahl der Ocellen vermehrt wurde, während die einzelnen
Ommatidien auf eine geringere Stufe der Leistungsfähigkeit herabsanken.
Wir haben oben (pag. 746) gesehen, dass im Bereiche der Myriopoden
eine fast geschlossene Reihe von Uebergängen zwischen dem gehäuften
Punktauge und dem echten Facettenause zu erkennen ist. Wir werden
daher für das Facettenauge der Insecten diese Ableitung als eine durch-
aus wahrscheinliche annehmen dürfen. Ueber die Beziehungen des
884 XXIII. Capitel.
Facettenauges zu den Ocellen desselben Thieres vgl. oben pag. 828.
Mit Rücksicht auf die Thatsache, dass bereits Machilis Facettenaugen
besitzt, werden wir die letzteren als eine ziemlich alte Erwerbung im
Bereiche der Insectenahnen betrachten dürfen und werden geneigt sein,
jene Fälle, in denen uns im Bereiche der Insecten (sei es bei Larven
oder bei Imagines) der Mangel der Facettenaugen entgegentritt, als
Folgen einer Rückbildung aufzufassen.
Zum Schlüsse sei noch auf einige wichtige Momente in der
Embryonalentwicklung der Insecten hingewiesen. Hier tritt uns zunächst
als ein wichtiges Merkmal die Entwicklung der Embryonalhüllen ent-
gegen. Durch diese Erwerbung erweisen sich die Insecten (ebenso wie
durch die Ausbildung des Flugvermögens) als die höchstentwickelten
aller Arthropoden. Demgegenüber erscheint es merkwürdig, dass die
Insecten in anderen Beziehungen, besonders hinsichtlich der Art der
Keimblätterbildung, offenbar sehr ursprüngliche Charaktere bewahrt haben.
Der langgestreckte, die ganze Ventralseite einnehmende Blastoporus, das
Vorhandensein einer deutlichen Invaginationsgastrula, welche zur Aus-
bildung eines Urdarmrohres führt und die Art, auf welche das Mesoderm
vom Entoderm sich sondert, müssen in dieser Beziehung erwähnt
werden. Hinsichtlich des letzteren Punktes sei hervorgehoben, dass die
Trennung des Mesoderms vom Entoderm durch einen Process sich voll-
zieht, welchen man auf den der Abfaltung zurückführen kann, so dass
schon Kowalevsky (No. 49) mit vollem Rechte die Keimblätterbildung
der Insecten mit der von Sagitta in Vergleich gezogen hat, eine Auf-
fassung, in welcher ihm später Rabl beigetreten ist. Es lassen sich
demnach die Cölomsäcke bei den Insecten ihrer Entwicklung nach als
Urdarmdivertikel betrachten. Von Interesse ist ferner die Umbildung,
welche die Urseginente in späteren Stadien erfahren, wovon wir in dein
Capitel über die Entwicklung des Herzens und der Genitalorgane aus-
führlicher gesprochen haben.
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XXIV. Capitel.
ALLGEMEINES LEBER DIE
ARTHROPODEN.
Bei einem nochmaligen Ueberblicken der Entwicklung der ver-
schiedenen Abteilungen der Arthropoden tritt uns vor allen Dingen der
einheitliche Charakter derselben entgegen. In der Beschaffenheit
der Eier, der Furchung, der Art der Keimblätterbildung und der Ge-
staltung des Embryos, sowie in der weiteren Differenzirung der Keim-
blätter und der Anlage der Organe ergeben sich so viele überein-
stimmende Züge, dass wir auch auf Grund der Entwicklungsgeschichte
berechtigt sind, die Abtheilung der Arthropoden als eine phyletisch
einheitliche aufzufassen, wenn sich auch, wie gleich bemerkt werden soll,
der gemeinsame Stamm bereits nahe an der Wurzel theilt und die drei
starken Aeste bildet, welche wir unter dem Namen der Crustaceen,
Arachnoiden und Myriopoden-Insecten kennen.
Die Arthropodeneier zeichnen sich in der Regel durch die beträcht-
liche Menge des vorhandenen Nahrungsdotters und dessen gleich-
massige Vertheilung aus (centrolecithale Eier der Arthropoden). Die
typische Furchungsweise der Arthropoden ist die superflcielle Fnrchung,
welche sich aus der totalen und äqualen Furchung herausgebildet hat,
wie man aus der Entwicklung verschiedener Crustaceen erkennt1). So
sehen wir auch, dass die Arthropodeneier in jenen Fällen, in welchen
der Nahrungsdotter secundär rückgebildet wurde, eine totale Furchung
durchlaufen (Cladoceren, Peripatus edwardsii). In anderen
Fällen stellt die totale Furchung vielleicht noch ein ursprüngliches Ver-
halten dar, so z. B. bei Branchipus. — Bei einigen wenigen Arthro-
poden erscheint das Ei telolecithal, und die Furchung beschränkt sich
zunächst nur auf einen geringen Theil des Eies (so beiMysis, Cuma,
einigen Isopoden und den Scorpionen). Diese scheinbar ab-
weichende Art der Furchung ist jedoch auf die superflcielle Furchung
zurückzuführen.
*) Wir stützen uns in diesem Capitel auf die früher bei Behandlung der einzelnen
Abtheilungen der Arthropoden vorgebrachten Thatsachen, ohne derselben immer im
Besonderen Erwähnung thun zu können. In dieser Hinsicht müssen wir auf die
früheren Capitel verweisen.
892 XXIY. Capitel.
Im Allgemeinen kommt die superficielle Furchung nur den Arthro-
poden zu. Wenn andere Formen, wie z. B. Renilla, Clavularia
(pag. 46) in den ersten Stadien Aehnliches zeigen, so führt diese Art
der Furchung doch nicht zu dem gleichen Resultat wie die typische
superficielle Furchung, nämlich zu einem die ganze Oberfläche des Eies
in gleichmässiger Lage überdeckenden einschichtigen Blastoderin und
einer die Furchungshöhle erfüllenden Nahrungsdotteransammlung.
Die Keimblätterbildung wird durch die Gastrulation eingeleitet,
welche in vielen Fällen den Typus der Invagination aufweist (Moina,
Lucifer, Astacus, Peripatus, Hydrophilus), in anderen dagegen
durch eine blosse Zellenein Wucherung ersetzt ist (Ligia, Lim u Ins,
Scorpione, Spinnen, Myriopoden). Bezüglich der Lage des
Blastoporus ergeben sich in den einzelnen Gruppen Verschiedenheiten.
Im Allgemeinen entspricht der Blastoporus der Ventralseite des Körpers.
Bei Peripatus und den Insecten stellt er sich als ein äusserst
langgestreckter Spalt dar, dessen vorderes Ende der Lage des Mundes,
dessen hinteres Ende der des Afters entspricht (Fig. 441, 476, 487).
Bei den Crustaceen soll dagegen der Blastoporus dem hinteren Ende
des Keimstreifens angehören und ungefähr mit der späteren Lage der
Afteröffnung zusammenfallen. Die über die Arachnoiden gemachten
Angaben lassen sich ebenfalls in dem Sinne deuten, dass der Blastoporus
in einer Lagenbeziehung zum After stehen könnte.
Durch den Gastrulationsact kommt die gemeinsame Anlage des
Ento- und Mesoderms zur Sonderung. Die Anlage des Mesoderms ist
bei den Arthropoden stets eine vielzellige, mit Ausnahme ganz ver-
einzelter Fälle vielleicht, z. B. Cetochilus. Bei den Insecten kann
die Bildung des Mesoderms auf eine Abfaltung seitlicher Divertikel des Ur-
darms zurückgeführt werden (Fig. 496 u. 497, pag. 810). Vielleicht ist auch
den Vorgängen bei Peripatus eine entsprechende Deutung zu geben,
obwohl man bei dieser Form in Uebereinstimmung mit den Anneliden
eher die durch Zellvermehrung von hinten nach vorn fortschreitende
Ausbildung zweier Mesodermstreifen anzunehmen geneigt ist. Die bisher
für Peripatus bekannt gewordenen Thatsachen sprechen auch mehr
für dieses letztere Verhalten. Ob die bei den Insecten auftretenden
Verhältnisse (einer Abfaltung des Mesoderms vom Urdarm) ursprüng-
licher Natur sind oder ein abgeleitetes Verhalten darstellen, steht mit
der noch unentschiedenen Frage der (phylogenetisch) ersten Entstehungs-
weise des Mesoderms im Zusammenhang.
Bei den Crustaceen entsteht das Mesoderm in Form einer
Wucherung am Bande des Blastoporus. Das Gleiche dürfen wir höchst
wahrscheinlich von den Arachnoiden annehmen. Bei ihnen erstreckt
sich von der Wucherungsstelle aus das Mesoderm in Form zweier
Bänder (Mesodermstreifen) neben der ventralen Mittellinie nach
vorn. Diese beiden Mesodermstreifen finden sich auch bei Peripatus,
den Myriopoden und Insecten, sowie allem Anschein nach auch
bei den Pantopoden, während bei den Crustaceen die Anordnung
des Mesoderms eine weniger regelmässige ist Uebrigens weisen auch
unter den Crustaceen einige Formen (Branchipus, Cymothoe)
eine ähnliche regelmässige Gestaltung der Mesodermanlage auf.
In einer bei allen Arthropoden ziemlich übereinstimmenden Weise
zerfällt die paarige Anlage des Mesoderms in segmentale Abschnitte, die
Ur segmente, welche entweder eine Aushöhlung erfahren und dann
als Cölomsäcke bezeichnet werden oder aber einer solchen Differenzirung
Allgemeines über die Arthropoden. 393
entbehren und vielmehr einem baldigen Zerfall in mesenchymatische
Gewebe entgegengehen. Das letztere Verhalten kommt den meisten
Crustaceen zu, bei denen nur in wenigen Fallen Cölomsäcke erkannt
werden konnten, das erstere dagegen wird bei den Xiphosuren,
Arachnoiden, Pantopoden, Onychophoren, Myriopoden
und Insecten gefunden.
Obwohl das Schicksal und die spätere Umbildung der Ursegmente
bei den Arthropoden im Allgemeinen auf sehr übereinstimmende Weise
verläuft, so finden doch bezüglich des Umfanges, welchen sie erreichen,
und des Zeitpunktes, in welchem ihre weitere Differenzirung beginnt,
in den einzelnen Abtheilungen der Arthropoden gewisse Unterschiede
statt. Mit die ursprünglichsten Verhältnisse weist Peripatus auf, bei
dem die Ursegmente anfangs durch ihre bedeutende Ausdehnung denen der
Anneliden gleichkommen (Fig. 442, pag. 709). Ihm schliessen sich die
Myriopoden und Orthopteren an, was die Ausbildung der Urseg-
mente innerhalb des Keimstreifens anbelangt (Fig. 510 u. 511 A, pag. 837),
während bei den übrigen Insecten die Cölomsäcke von Anfang an eine
nur geringe Ausdehnung besitzen und ein beträchtlicher Theil des Meso-
derms von der Theilnahme an der Bildung der Cölomsäcke überhaupt aus-
geschlossen bleibt (Fig. 500, pag. 817). Bei den Crustaceen wird die Aus-
bildung der Cölomsäcke beinahe vollständig unterdrückt. Die Arach-
noiden hingegen, welche in mancher anderen Hinsicht als eine abge-
leitete Gruppe erscheinen, zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen die
Cölomsäcke eine besonders starke Ausdehnung gewinnen und noch in
späteren Stadien der Embryonalentwicklung (zur Zeit der Bildung des
Herzens) bis beinahe an die dorsale Mittellinie reichen (Fig. 387 u. 388,
pag. 614.
Die Anlage und weitere Ausbildung der Organe weist in den
einzelnen Arthropodengruppen auffallende und wichtige Überein-
stimmungen auf.
Bezüglich der Anlage des Nervensystems ist für die Bildung der
Bauchganglienkette ziemlich allgemein die Theilnahme eines sich ein-
senkenden Mittelstranges und zweier Seitenstränge nachgewiesen worden.
Die Fasersubstanz tritt an der nach innen gekehrten Fläche der Gang-
lienanlagen auf und wird erst später in das Innere der letzteren auf-
genommen, welcher Vorgang als ein besonders ursprüngliches Verhalten
anzusehen sein dürfte. Er findet sich in ziemlich übereinstimmender
Weise bei den verschiedenen Gruppen wieder.
Während die Bildung der Ganglienkette im Ganzen durch einen
Delaminationsprocess erfolgt (denn auch von dem eingesenkten Mittel-
strang löst sich die Neuralanlage ab. und die Einsenkung gleicht sich
dann wieder aus) nehmen an der Bildung des Gehirns bleibende Ein-
stülpungen theil, welche wohl vorwiegend zur Bildung der optischen
Ganglien führen. Das Auftreten dieser mehr oder weniger umfangreichen
Einsenkungen, welche wir als Scheitelgruben bezeichneten, ist für die
verschiedenen Abtheilungen der Arthropoden (Peripatus, Myrio-
poden, Insecten, Limulus, Arachniden) besonders charakte-
ristisch. Bei Peripatus hat man diesen Einsenkungen allerdings eine
abweichende Bedeutung zugeschrieben, und es ist zweifelhaft, ob sie an
der Bildung des Gehirns theilnehmen. — Den Einsenkungen am Kopf-
abschnitt entsprechen bei Peripatus ähnliche grubenförmige Einstülpungen
von paariger Anordnung, welche an jedem Rumpfsegment wiederkehren.
Die Natur dieser auffälligen und für Peripatus sehr charakteristischen
894
XXIV. Capitel.
Bildungen konnte bisher nicht sicher festgestellt werden, doch ist von
ähnlichen Vorgängen bei den Myriopoclen und Pantopoden ge-
sprochen worden.
Mit den vorerwähnten Scheitelgruben, welche, wie es scheint, der
Hauptsache nach zur Bildung der optischen Ganglien Veranlassung geben,
kann auch die Entwicklung der Atigen in näherem Zusammenhang stehen
(Scorpione, Spinnen). — Wie verschiedenartig die ausgebildeten
Arthropodenaugen sich auch bezüglich ihres Baues verhalten, so dürfen
wir sie doch in letzter Instanz auf eine grubenförmige Einsenkung des
Ectoderms zurückführen, und zwar müssen wir bei ihrer Erklärung von
so einfach gebauten Augen ausgehen, wie sie den Insectenlarven,
bezw. vielen Myriopoclen zukommen. Diese einfachste Form der
Arthropodenaugen, das sog. Stemma (Fig. 537), besteht aus einer Ver-
tiefung der Hypodermis, deren Zellen sich in den sog. Glaskörper (gl)
und stäbchentragende Retinazellen (rt) differenzirt haben. Die Ein-
schichtigkeit ist aber in diesem einfachen Auge erhalten geblieben, so
dass dasselbe noch immer als eine blosse Fortsetzung der Hypodermis-
Fig. 537. Schnitt durch ein Stemma einer Dysticuslarve (nach Grenachee).
ch Chitindecke des Körpers, gl Glaskörper, hyp Hypodermis, l Linse, n Sehnerv,
rt Retina, st Stäbchen.
schicht erscheint (Fig. 537 hyp, gl, rt). Ueber dem Auge lagert die durch
Verdickung der äusseren Chitinbedeckung des Körpers entstandene und
von der Hypodermis (lentigenen oder Glaskörperschicht) abgeschiedene
Linse. Von einem so einfach gebauten Auge hat man die complicirteren
Augenformen der Arthropoden herzuleiten, aber man muss dabei streng
zwischen den verschiedenen phyletischen Entwicklungsreihen der Arthro-
poden unterscheiden und es ist nicht statthaft, die allerdings sehr über-
einstimmend gebauten Formen der zusammengesetzten Augen verschiedener
Abtheilungen wie der Crustaceen und Insecten direct aufeinander
zu beziehen.
An und für sich scheint es widersinnig, die allem Anschein nach so
ausserordentlich ähnlich organisirten Facettenaugen der Crustaceen und
Insecten nicht auf einander zurückführen zu dürfen, aber wenn man den
phylogenetischen Entwicklungsgang beider Abtheilungen betrachtet, so wird
man sich doch auf diesen Standpunkt stellen müssen. Man kann nur
annehmen, dass zum Charakter des Arthropodenorganismus auch die Aus-
bildung von zusammengesetzten Augen gehört, und dass diese nun in den
einzelnen Abtheilungen (Crustaceen, Arachniden, sowie Myriopoden
und Insecten) unabhängig von einander vor sich geht und dabei allerdings,
Allgemeines über die Arthropoden.
895
wie bei den Facettenaugen der Crustaceen und Insecten zu einem bei-
nahe gleichen Resultat führen kann.
Durchaus abweichend im Bau der Augen verhält sich Peripatus
von den Arthropoden. Seine Augen entstehen zwar auch in Form einer
Einsenkung, schliessen sich aber zu einer Blase und schnüren sich von
der Hypodermis ab. Die Linse wird im Innern der Augenblase abge-
schieden. Die Augen des Peripatus durchlaufen also in der Ontogenie
das Stadium der einfachsten Arthropodenaugen, erheben sich aber ferner-
hin zu einer höheren Form als diese und sind weit eher mit den höheren
Augenformen der Anneliden zu vergleichen. Den Typus der Arthro-
podenaugen haben sie keinesfalls.
7n*^.
Fig. 53S. Drei Ommatidien des Seitenauges von Limulus (nach Watase).
In A ist die Retinula der Länge nach durchschnitten gedacht, in B und C ist sie
in ihrer Totalität erhalten.
c centrale Ganglienzelle, ch Chitindecke, hyp Hypodermis, l Linsenkegel, mes Meso-
dermgewebe, n Nerv, rh Ehabdom, rt Retinula.
Die Facettenaugen der Insecten denken wir uns entstanden
aus einer Häufung einfacher Augen (Stemmata), wie sie bei den Myrio-
poden bereits angedeutet ist. Die Myriopoden besitzen im einfachsten
Fall nur wrenige Stemmata jederseits (Scolopendra 4), doch kann sich
deren Zahl vermehren (Lithobius, Julus 30 — 40 jederseits) und so-
gar zu einer ansehnlichen Anhäufung führen (Scutigera gegen 200),
womit dann bereits eine Art von Facettenauge gebildet ist, welches zwar
noch nicht völlig den Bau echter Facettenaugen besitzt, aber doch bereits
viele Anklänge an denselben zeigt. Jedes Stemma wird auf diese Weise
zu einem Ommatidium des Facettenauges. Die Verminderung der Zahl
seiner Zellenelemente, die es dabei erleidet und die gleichzeitig statt-
findende Bildung der Rhabdome ist eine Folge des nunmehrigen Functio-
nirens der Einzelaugen in einem Sammelauge.
Man hat den Versuch gemacht, das Facettenauge auch in seiner
jetzigen complicirteren Gestaltung auf die ursprüngliche Form seiner Ent-
stehung zurückzuführen, indem man die nach der vorher geschilderten
896
XXIV. Capitel.
Auffassung aus einzelnen Stemmata hervorgegangenen Ommatidien als
blosse Einsenkungen der Hypodermis auffasste, welche infolge der lang-
gestreckten Gestalt der Ommatidien dabei allerdings eine sehr bedeutende
Tiefe annehmen (Fig. 539 D). Bei einem derartigen Versuch, den Bau
des Ommatidiums zu erklären, geht man am besten von einer Einsenkung
der Hypodermis aus, welche einem vereinfachten Stemma entspricht (Fig.
539 A). Indem sich die Einsenkung vertieft und anstatt der Stäbchen
3.
— - K.
—-rk-
ii.
Fig. 539. A— D schematisclie Darstellung der Herausbildung eines Ommati-
diums aus einer Einsenkung der Hypodermis. D stellt ein Ommatidium aus dem zu-
sammengesetzten Auge eines Amphipoden (Talorchestia) dar (nach Watase).
c centrale Zelle, ch Chitindecke des Kopfes, h Hypodermis, k Krystallkegel,
kz Krystallkegelzellen, l Linse, Lg lentigene Zellen, n Nerv, rh Ehabdom, rt Ketinulazellen.
eine Rhabdombildung an den Retinazellen eintritt, wird eine Entwick-
lungsstufe dieses Auges erreicht (Fig. 539 B), welche im Wesentlichen auf
dem Zustand eines Ommatidiums der Seitenaugen von Limulus steht
(Fig. 538). Das Seitenauge von Limulus setzt sich aus einer Anzahl
von Einzelaugen zusammen, welche von nur wenigen Zellen gebildet
werden (Fig. 538). Diese einschichtigen Augen liegen ganz in der
Allgemeines über die Arthropoden.
897
JÖ.
Continuität der Hypodermis, zeigen aber bereits eine Rhabdombildung
(Fig. 538 A, rli). Nun ist es wohl allerdings nicht so sicher, ob man
es bei den Augen von L i m u 1 u s wirklich mit so ursprünglichen und nicht
vielleicht mit Rückbildungsformen der zusammengesetzten Augen zu thun
hat, jedenfalls aber kann man sich vorstellen, dass die höheren Facetten-
augen ein ähnliches Stadium durchlaufen haben (Fig. 539 B).
Wenn sich die Einsenkung vertieft, so kann eine weitere Reihe von
Hypodermiszellen in die Bildung des Auges einbezogen werden (Fig. 539 C),
welche dann die Krystallkegelzellen (kz) des Ommatidiums repräsentiren.
Fernerhin wird wohl auch noch eine Reihe lentigener Zellen mit zur
Bildung des Auges ver-
wendet (Fig. 539 C, J.g). (%
Durch weitere Vertiefung C .
der Augengrube und
starke Längsstreckung
der Zellen wird endlich
die Form des Ommati-
diums erreicht (Fig. 539
D). Hypodermis-, lenti-
gene-, Krystallkegel- und
Retina-Zellen erscheinen
dabei als eine ein-
schichtige Lage
langgestreckter, weit in
die Tiefe gehender Zel-
len und besitzen somit
die gleiche Anordnung,
welche ihnen im ein-
fachen Stemma zukommt
(Fig. 537). Das Lumen
ist hier nur nicht offen
wie beim Stemma, son-
dern durch die Masse der Krystallkegel und Rhabdome erfüllt, was
jedoch keinen wesentlichen Unterschied ausmacht. Die mehr oder weniger
zahlreiche Zusammenhäufung dieser als blosse Einsenkungen der Hypo-
dermis erscheinenden Einzelaugen wird durch die Figur 540 erläutert,
welche zugleich die für die meisten Facettenaugen gewöhnliche, und
durch die bessere Wirksamkeit des Auges bedingte Anordnung der
Ommatidien auf einer convexen Basis darstellt.
Der hier dargestellte Modus von dem Zustandekommen der Facetten-
augen kommt im Wesentlichen mit der bereits vor längerer Zeit von
Geenachee vertretenen Auffassung zusammen. Geenachee geht von einem
einfachen, nur aus wenig Elementen bestehenden Auge aus, wie es etwa
durch das Ommatidium eines aconen Facettenauges der Tipuliden repräsentirt
wird, und lässt durch Vermehrung der Zahl dieses Auges das Facettenauge,
durch Vermehrung seiner Elemente aber bei Einheitlichbleiben der Linse das
Stemma entstehen. Wir sehen in diesem einfachen Auge, welches hier den
Ausgangspunkt bildet, ein Stemma von besonders einfacher Gestaltung.
Von den zusammengesetzten Augen der Crustaceen
wurde bereits erwähnt, dass sie als einer anderen Entwicklungsreihe zu-
gehörig betrachtet werden müssen. Es wird dann nicht in Erstaunen
setzen, dass sie vielfach abweichend entwickelt sind. Den Charakter zu-
sammengesetzter Augen bewahren sie aber stets. In einigen Fällen,
Fig. 540. Schematische Darstellung einiger zu-
sammengesetzter Augen im Längsschnitt. A von Limu-
lus, B von eioer Agrionlarve, C von Branchipus
(nach Watase).
Die dicke schwarze Linie repräsentirt die Hypo-
dermis und die von dieser gebildeten einzelnen Ein-
senkungen stellen je ein Ommatidium dar.
898 XXIV. Capitel.
z. B. bei den Isopoden, könnte es scheinen, als habe man Ueber-
gänge von einfachen Augen vor sich, aber es ist mehr als wahrscheinlich,
dass man es bei diesem abgeleiteten Zweig des Crustaceenstammes nur
mit einer vereinfachten Form des Facettenauges zu thun hat.
Diese Auffassung des Isopodenauges wurde bereits von Gbexacher ver-
treten, welcher den Zweifel, wie das sehr einfach gebaute Auge der Isopoden
auf die übrigen Arthropodenaugen zu beziehen sei, dahin entschied, dass es
infolge des Besitzes eines zweitheiligen Krystallkegels und einer siebentheiligen
rhabdombildenden Retinula den zusammengesetzten Augen zuzuzählen sei.
Es ist also zweifellos, dass man in dem, einem gehäuften Punktauge nicht
unähnlichen Auge der Isopoden eine secundäre Form vor sich hat, was
schon an und für sich sehr wahrscheinlich ist, weil die Isopoden einen sehr
abgeleiteten Zweig der Crustaceen darstellen. Also ist es hier jedenfalls
zu einer Rückbildung des bei den Malacostraken ursprünglich gestielten
Facettenauges gekommen.
In der Reihe der Crustaceen selbst ist keine Andeutung für das
Zustandekommen der Facettenaugen nachzuweisen. Nichtsdestoweniger
werden wir das im Ganzen den Augen der Insecten sehr ähnliche Facetten-
auge der Crustaceen auf ähnliche Weise wie dieses entstehen lassen.
"Wenn sich gewisse Abweichungen finden, z. B. das Vorhandensein einer
weiteren Zellschicht im Ommatidium (Fig. 539 D, lg), so wird dies ein-
fach durch Einbeziehung einer weiteren Zellreihe in die Hypodermisein-
senkung zu erklären sein, wie schon oben erläutert wurde.
Noch wenig verstanden sind bisher Bau, Entwicklung und Beziehungen
der unpaaren Medianaugen bei den Crustaceen. Neuerdings ist angegeben
worden, dass sie durch Inversion entstehen (Claus, Xo. 3). und da dieser
Bildungsmodus für einen Theil der Augen des Limulus und der Arach-
niden charakteristisch ist, so könnte man hierbei an Beziehungen der
Medianaugen der Crustaceen zu den Mittelaugen des Limulus und der
Scorpione, sowie den sog. Hauptaugen der Spinnen denken.
Die Augen der Arachnoiden gehören einer dritten Entwick-
lungsreihe an. Sie besitzen nur eine Linse, es fehlt ihnen also ein
charakteristisches Merkmal der Facettenaugen, aber die Augen der
Scorpione weisen eine Gruppirung in Retinulae und in diesen die
Bildung von Rhabdomen auf. Dadurch dokumentären sie sich als zu-
sammengesetzte Augen. Wir glaubten die gemeinsame Linse durch Zu-
sammenfliessen getrennter Cornealinsen erklären zu dürfen (pag. 599 ff.)
und sahen in den Seitenaugen des Limulus, welche ebenfalls eine Rhab-
dombildung aufweisen, einen Hinweis auf eine solche Verschmelzung der
Linsen gegeben. Wir suchten es ferner wahrscheinlich zu machen, dass
die Spinnenaugen, welche in ihrer jetzigen Gestaltung als einfache Augen
erscheinen, von zusammengesetzten Augen abzuleiten sind und noch jetzt
in der Entwicklung und im Bau Andeutungen dieser Herkunft aufweisen.
Auch für die zusammengesetzten Augen der Arachniden ist es jedoch
wie für diejenigen der Insecten höchst wahrscheinlich , dass sie durch
Häufung einfacher, den Stemmata ähnlicher Einsenkungen der Hypo-
dermis entstanden sind.
Was die ontogenetische Bildung der Arthropodenaugen anbelangt,
so entstehen die einfachen Formen als grubenförmige Einsenkungen des
Eetoderms. Bei den höheren Formen, d. h. bei den zusammengesetzten
Augen hat sich dieser primitive Bildimgsmodus verwischt. Die Einzel-
augen entstehen hier durch blosse Differenzirung einer Zellenschicht ohne
Allgemeines über die Arthropoden. 899
besondere Einsenkung. Wo sich bei der Bildung der zusammengesetzten
Augen efiie grubenförmige Einsenkuug findet, führt sie zur Entstehung
des Gesammtauges. Sowohl in diesem letzteren Vorgang, wie auch in der
Differenzirung der Einzelaugen aus einer mehrschichtigen Zellenlage sehen
wir secundäre Erscheinungen, welche einen vereinfachten Bildungsmodus
der zusammengesetzten Augen darstellen. Uebrigens ist zu bemerken,
dass die Entwicklungsgeschichte der Arthropodenaugen bisher noch nicht
in genügender Weise aufgeklärt ist.
Die Respirationsorgane der Arthropoden müssen nach den verschie-
denen phylogenetischen Reihen derselben gesondert betrachtet werden.
Da wir die Arthropoden von Formen ableiten, welche im Wasser lebten,
so erscheint uns als die ursprünglichste Gestaltung der Respirationsorgane
eine schlauchförmige oder blattförmige Ausstülpung der Körperoberfläche.
Eine solche einfache Form der Respirationsorgane stellen die Kiemen
dar, wie sie uns in den Kiemenschläuchen der Anneliden und Crusta-
ceen entgegentreten. Diese Kiemenbildungen erscheinen in der Regel
als Anhänge der Extremitäten. Blattförmige Anhänge der Abdominal-
extremitäten sind auch die Kiemen des Limulus. Von ihnen haben
wir die Lungensäcke der Arachniden (Scorpione, Spinnen) abzu-
leiten, worauf die Entwicklungsweise dieser letzteren Gebilde hinweist.
In der Umwandlung der Kiemen zu Lungen erkennen wir eine An-
passung an den Aufenthalt auf dem Lande. Wenn dieselbe weiter geht,
führt sie zur Ausbildung der unverzweigten Tracheenbüschel (Spinnen),
die sich schliesslich baumförmig verästeln und einen Spiralfaden erhalten
(Pseudoscorpione, Phalangiden, S o 1 p u g i d e n). Damit
erreichen sie denselben Typus des Tracheensystems, welcher auf andere
WTeise in der im Uebrigen weit entfernten Reihe Peripatus, Myrio-
poden, Insecten zu Stande gekommen ist. Bei den Ausgangsformen
dieser letzteren Reihe traten die Tracheen in Form von Einsenkungen
der Körperoberfläche auf, welche zuerst regellos über den Körper ver-
breitet waren (so bei Peripatus), später jedoch eine bestimmte seg-
mentale Anordnung gewannen Als solche segmental angeordnete Ein-
senkungen sehen wir die Tracheen bei den Myriopoden und Insecten
ontogenetisch entstehen. Indem sie sich am inneren Ende spalten und
verzweigen, werden die Aeste des Tracheensytems gebildet. Bei den
Insecten treten diese Anlagen der Tracheen bereits sehr früh, bei den
Myriopoden dagegen erst sehr spät auf, und da letzteres auch bei
Peripatus der Fall ist, so hat man diese Erscheinung als Hinweis auf
die spätere Erwerbung der Tracheen betrachtet. Auffällig ist der sehr
übereinstimmende Bau der Tracheen bei den A r a c h n o i d e n und M y r i o -
p o d e n - 1 n s e c t e n. Besonders fällt das Vorhandensein des Spiralfadens
bei den beiden auf verschiedene Weise entstanden zu denkenden Tracheen-
formen ins Auge, doch verliert dieses beiden Formen zukommende gleiche
Merkmal an Bedeutung für eine etwaige Zurückführung derselben auf
einen gemeinsamen Ursprung, wenn man sieht, wie ein derartiger Spiral-
faden auch anderen mit einer chitinigen Intima ausgekleideten Röhren,
wie z. B. den Ausfuhrungsgängen von Drüsen (Speicheldrüsen und Spinn-
drüsen der Insecten), demVas deferens der Cytheriden (pag. 830) zukommt.
Das sog. geschlossene Tracheensystem mancher im Wasser lebender
Larven, z. B. derjenigen der Ephemeriden, sowie die damit in Verbindung
stehenden Tracheenkiemen sind als eine erst später wieder erworbene
Anpassungsform der Respirationsorgane an den Aufenthalt im Wasser zu
betrachten.
900 XXIV. Capitel.
Als ectodermale Bildungen entstehen bei den Arthropoden der Vorder-
nnd Enddarm. Divertikelbildungen des letzteren stellen bei den Myrio-
poden und Insecten die als Malpighi' s c h e Gefässe bezeichneten
Excretionsschläuche dar. Mit dem gleichen Namen wurden die ganz
ähnlich gebauten schlauchförmigen Darmanhänge der Arachniden be-
legt, aber die Entwicklungsgeschichte macht es wahrscheinlich, dass die
letzteren Gebilde dem Mitteldarm angehören, also nicht ectodermaler,
sondern entodermaler Natur sind. Demnach dürften sie mit den Malpighi'-
schen Gefässen der Insecten nicht homologisirt werden. Dagegen treten
schlauchförmige Anhänge von gleicher Structur und Function am Ende
des Mitteldarmes bei gewissen Crustaceen (Amphipoden) auf,
denen man aber höchst wahrscheinlich nur den Werth analoger Gebilde
zuschreiben darf.
Die phylogenetische Entstehung der Malpighischen Gefässe ist noch
ganz in Dunkel gehüllt. Man hat daran gedacht, dass die von den Vor-
fahren ererbten Excretionsorgane , die Nephridien , mit dem Enddarm in
Verbindung treten könnten, da man den Nephridien ähnliche Gebilde auch
bei einigen Anneliden im Zusammenhang mit dem Darme fand (No. 2 u. 9).
In dem einen Falle, nämlich bei dem von B. Spencer untersuchten Mega-
s c o 1 i d e s treten diese im Bau den Nephriden ausserordentlich ähnlichen
drüsigen Schläuche allerdings mit dem Vorderdarm in Verbindung, während
Beddaed bei einem Acanthodrilus ähnliche Bildungen am Enddarm auf-
fand. Wie man beiPeripatus Nephridien als Speicheldrüsen in die Mund-
höhle einbezogen sieht, so könnte man also auch an eine Einbeziehung von
Nephridien in den Bereich des Enddarms denken, welcher Vorgang vielleicht
deshalb a priori noch grössere Wahrscheinlichkeit für sich hat, als der
andere, weil bei ihm die Nephridien ihre ursprüngliche Function beibe-
halten würden. Gegen eine solche Auffassung spricht jedoch die ectodermale
bezw. entodermale Entstehung jener Excretionsschläuche, um so mehr, als
nach den neueren Untersuchungen die Nephridien ganz aus dem Mesoderm
entstehen sollen und man sonach nicht einmal an ein Persistiren und eine
besonders starke Entwicklung des ectodermalen Theiles bei völliger Rück-
bildung des mesodermalen (inneren) Abschnittes denken könnte.
Die Bildung von Excretionsschläuchen vom Darm aus, wie sie bei den
Amphipoden beobachtet wird, bildet einen beachtenswerthen Hinweis
dafür, dass Theile des Darmes selbst die Function zu übernehmen vermögen,
welche früher den Nephridien zukam. Sieht man doch schon beim
Nauplius eine Parthie des Darmes zu excretorischer Function verwendet,
indem die mit Harnconcrementen erfüllten Zellen leichte Aussackungen bilden
(Fig. 266, pag. 385, ds). Wenn sich diese Parthien zu Blindsäcken umge-
stalten oder gar schlauchförmig verlängern, so erhält man die Excretions-
schläuche der Amphipoden (eventuell auch der Arachniden) oder die
Malpighi 'sehen Gefässe der Myriopoden -Insecten, je nachdem
dieser Vorgang am Mitteldarm oder Enddarm stattfindet. Wir sind also
vielmehr geneigt, die Malpighi'schen Gefässe für eine Neubildung zu halten,
welche sich beim Zurücktreten der Nephridien geltend machte, als dass wir
sie auf die Nephridien selbst zurückführen möchten.
Die Entwickln!)«: des Mitteldarms ist durch die Beziehungen der
■a
Entodermanlage zur Masse des Nahrungsdotters wesentlich beeinflusst.
Die letztere, welche ursprünglich die Furchungshöhle erfüllte, wird später
in den Mitteldarm aufgenommen. Dieser Vorgang kann sich auf ver-
Allgemeines über die Arthropoden. 901
schiedene Weise vollziehen: 1) indem der Dotter durch die Wand des
Darmsäckchens durchfiltrirt wird (Astacus), oder 2) indem die Ento-
dermzellen den Nahrungsdotter durchwandern, um sich als Mitteldarm-
epithel an seiner Oberfläche zu constituiren (Crustaceen, Limulus,
Spinnen, Chilopoden), oder endlich 3) indem der Nahrungsdotter
von der Entodermanlage umwachsen wird (Mysis, Isopoden, Scor-
pione (?), Insecten). Der Auf bau des Darmepithels erfolgt in einigen
Fällen erst sehr spät, so bei den Spinnen, und hier legt sich das unter-
dessen zur Ausbildung gelangte splanchnische Blatt des Mesoderms der
Dottermasse dicht an. Es wachsen dann von ihm aus septenartige Fort-
sätze in die Dottermasse hinein und isoliren einzelne Complexe derselben
divertikelartig. Wie im Mitteldarm selbst beginnt auch in diesen Diver-
tikeln die Bildung des Epithels erst später. Die Divertikel stellen die
Anlage der Leberlappen dar, die auch bei den Crustaceen auf ähn-
liche Weise gebildet werden, nur mit dem Unterschiede, dass dort die
Differenzirung des Mitteldarmepithels bereits früher vor sich ging.
Indem bei einigen Arthropoden nicht der gesammte Nahrungsdotter
ins Innere des Darmes aufgenommen wird, kann es geschehen, dass
grössere oder geringere Dottermassen in der Leibeshöhle zurückbleiben
und dort eine allmähliche Resorption erfahren (Moina, Mysis, Musca
und andere Dipteren). Bei den Diplopoden erscheint dieses sonst
als Ausnahme auftretende Verhalten in hohem Maasse entwickelt, denn
bei ihnen soll sich das Mitteldarmepithel als ziemlich enges Rohr in-
mitten der Dottermasse anlegen. In Folge dieses Verhaltens würde also
die grösste Menge des Dotters in die Leibeshöhle zu liegen kommen. Wie
bei den obengenannten Crustaceen wird auch hier die in der Leibes-
höhle abgelagerte Dottermasse von Mesodermzellen dicht umlagert und
durchwachsen.
Was die Ausbildung des Mesoderms betrifft, so wird die Cölom-
höhle der Ursegmente, welche wir in einigen Fällen, wie bei Peripatus
und den Arachniden, eine so starke Ausbildung erreichen sahen,
nicht zur definitiven Leibeshöhle der Arthropoden, sondern die Ursegmente
erfahren entweder früher oder später eine Rückbildung. Noch bevor die-
selbe erfolgt, geht von den Ursegmenten die Bildung des Herzens
aus, indem sich einzelne Zellen von den Cölomsäcken beider Seiten ab-
lösen und zur Bildung des Rückenrohres zusammenlegen. Die Urseg-
mente erleiden schon bald einen theilweisen Zerfall, indem einzelne Zellen
von verschiedenen Theilen derselben in die primäre Leibeshöhle ein-
wandern und dort eine Art von Mesenchym bilden. Durch Auftreten
von Lacunen in diesem letzteren und durch Zusammenfliessen derselben
zu grösseren Räumen entsteht die definitive Leibeshöhle. Als
der letzte Rest der Ursegmente ist das für die Arthropoden äusserst
charakteristische Pericardialseptum anzusehen, welches in der Um-
gebung des Rückenrohres einen dorsalen Theil der Leibeshöhle (als Peri-
cardiairaum) gegen die übrige Leibeshöhle abgrenzt.
Die Ursegmente liefern ausser den bereits genannten Theilen das
Bildungsmaterial für die Nephridien. Bei Peripatus, wo die
Nephridien wie bei den Anneliden in allen Rumpfsegmenten angelegt
werden, wird sogar ein beträchtlicher Theil der Ursegmente direct für
die Bildung der Nephridien verwendet. In den übrigen Gruppen ist die
Entstehungsweise der als Nephridien gedeuteten Organe im Ganzen noch
recht zweifelhaft, aber als sehr wahrscheinlich darf es doch bezeichnet
werden, dass die Speicheldrüsen und Analdrüsen des Peripatus, die
Kors chel t-Heider , Lehrbuch. ü8
902 XXIV. Gapitel.
Schalen- und Antennendrüsen der Crustaeeen, die Coxaldrüsen des
Li mul us und der Arachnoiden, sowie die Geschlecbtsausführungs-
gänge von Nephridien geliefert werden und jedenfalls aus dem Mesoderm
ihren Ursprung nehmen. Von den genannten Organen des Peripatus
und den Antennen- und Schalendrüsen der Crustaeeen darf man
deren Natur als Nephridien sogar für sicher gestellt betrachten. — Die
Mündung der Geschlechtsausführungsgänge zeigt in den einzelnen Ab-
teilungen der Arthropoden eine sehr verschiedene Lage. Daraus wird
man schliessen dürfen, dass in den einzelnen Fällen die Nephridien ver-
schiedener Segmente zur Ausbildung der Genitalproducte herangezogen
wurden (C h i 1 o p o d e n und Diplopoden), obgleich in einzelnen Fällen
eine seeundäre Verschiebung der Ausmündungsstelle um einige Segmente
nicht ausgeschlossen ist. (Verschiedenartige Ausmündung der Genitalorgane,
am siebenten bis neunten Abdominalsegment bei den Insecten. Bei
den Ephemeriden wird die weibliche Geschlechtsöffnung am siebenten
Segment gefunden, während sie bei anderen Insecten hinter dem achten
Segment gelegen ist.)
Weiterhin werden von den Ursegmenten die Geschlechtsdrüsen
geliefert, welche als eine Wucherung des Epithels der Cölomsäcke anzu-
sehen sind, demnach also ganz die gleiche Entstehungsweise wie die Genital-
drüsen der Anneliden aufweisen (pag. 197). Eine weitere Uebereinstim-
mung mit den Anneliden ist dadurch gegeben, dass der Best der Cölom-
höhle direct zur Genitalhöhle werden kann, so dass also die vom Peri-
tonealepithel gelieferten Geschlechtsproducte noch jetzt in die seeundäre
Leibeshöhle (Cölom- oder Genitalhöhle) und von da durch nephridiale
Ausführungsgänge nach aussen gelangen (Peripatus, Myriopoden).
Die Gesammtheit der zur Bildung der Geschlechtsdrüsen verwendeten
Ursegmentparthien verschmilzt mit demjenigen Ursegmentpaar, durch
dessen Auswachsen die Ausführungsgänge geliefert werden (Nephridien
des Genitalsegments), wodurch die Continuität zwischen Genitaldrüsen
und Ausführungsgängen erreicht ist. Sowohl bei den Crustaeeen und
Arachniden, wie auch beiden Insecten finden sich seeundäre Ver-
hältnisse der Entwicklung der Geschlechtsorgane, welche aber aller Wahr-
scheinlichkeit nach auf die geschilderten ursprünglicheren Verhältnisse,
wie sie dem Peripatus und den Myriopoden noch jetzt zukommen,
zurückzuführen .sind.
In Folge des grossen Dotterreichthums der Eier wird bei den Arthro-
poden zuerst nur die ventrale Seite des Embryos in Form des Keim-
streifens angelegt, wobei allerdings verschiedentliche Ausnahmen vor-
kommen. Zuweilen sind die Eier, wie schon erwähnt, kleiner und weniger
dotterreich, was entweder und jedenfalls in den selteneren Fällen auf
ein ursprüngliches Verhalten zurückzuführen ist, oder aber, und dies ist
wohl das Gewöhnliche, als eine seeundäre Erscheinung angesehen werden
muss. In diesen Fällen kann ein directer Uebergang aus der Kugelform
des Eis in die definitive Körpergestalt stattfinden.
Der Keimstreifen, welcher bei den verschiedenen Formen einen mehr
oder minder beträchtlichen Theil des Eis einnimmt, entsteht theils durch
Erhöhung der Ectodornizellen an der Ventralseite des Eies, theils durch
die darunter zur Anlage kommenden Schichten der beiden anderen Keim-
blätter, zumal der Mesodermstreifen. Ausserdem treten auch bald die
bandförmigen Verdickungen des Ectodernis neben der ventralen Mittel-
linie auf, welche die allerdings schon sehr früh in Segmente zerfallende
Allgemeines über die Arthropoden. 903
Anlage der Bauchganglienkette darstellen. Sehr bald sondert sich ein
stark verbreiterter vorderer Abschnitt des Keimstreifens als Kopflappen
von dem primären Rumpftheil des Embryos. Am Rumpf macht sich
schon früh der Zerfall in Segmente bemerkbar, welcher hauptsächlich
vom Mesoderm ausgeht (Bildung der Ursegmente), aber auch schon vor
dem Auftreten der Ursegmente an der äusseren Oberfläche des Keim-
streifens angedeutet sein kann (Hydro philus, Chalicodoma). Als
Vorwulstungen der Oberfläche entsteht an beiden Seiten des Keimstreifens
die Reihe der Extremitätenanlagen, in welche sich bei der Mehrzahl der
Arthropoden ein Fortsatz der Cölomsäcke hineinerstreckt, so dass die
Fussstummel anfangs hohl erscheinen (Peripatus, Myriopoden,
Orthopteren, Arachnoiden, Pantopoden). — Selbst bei den-
jenigen Formen, welche am Hinterleib keine Extremitäten tragen (Arach-
noiden, Insecten), werden beim Embryo solche am Abdomen ange-
legt, auch kann dieses letztere wohl selbst aus einer grösseren Zahl von
Segmenten, als beim ausgebildeten Thier bestehen (Spinnen), ein
Hinweis darauf, dass diese Formen von Vorfahren abstammen, welche eine
reichere Gliederung des Körpers und eine grössere Anzahl von Extremitäten
besassen.
Der Keimstreif behält nicht immer seine ursprüngliche Lage an der
Oberfläche des Eis bei, sondern kann in das Innere verlagert werden,
indem er eine ventrale Einknickung erfährt (Myriopoden), oder aber
unter Ausbildung besonderer Embryonalliiillen (Amnion und Serosa
der Insecten) eine tiefere Verlagerung unter die Oberfläche des Eies
erleidet. Eine ähnliche, aber nur analoge Ausbildung von Embryonal-
hüllen finden wir unter allen Arthropoden nur noch bei einigen viviparen
Formen, wie bei den Scorpionen und anscheinend auch bei einer
Peripatusart (P. edwardsii).
Der Keimstreif, welcher bisher nur der ventralen Parthie des Em-
bryos entsprach, breitet sich über den Nahrungsdotter aus, indem er die
bisher nur von dünnen Zellschichten bedeckten seitlichen und dorsalen
Parthien desselben in die weitere Ausgestaltung des Embryos einbe-
zieht und dadurch die Rückenfläche desselben zur Ausbildung bringt.
Bei den Insecten compliciren sich diese letzteren Entwicklungsvorgänge
durch den gleichzeitig mit ihnen ablaufenden Involutionsprozess der Em-
bryonalliiillen. Mit dem vollendeten Rückenschluss ist die äussere Aus-
bildung des Embryos vollendet, und nach entsprechender Weiterentwick-
lung der inneren Organe ist der Embryo reif zum Ausschlüpfen.
Der ausschlüpfende Embryo gleicht entweder der ausgebildeten Form,
oder aber er ist mehr oder weniger von derselben verschieden und durch-
läuft sodann eine mehr oder minder complicirte Metamorphose. Letztere
zeigt bei den verschiedenen Gruppen der Arthropoden recht verschiedene
Charaktere, ist aber wohl stets auf eine Ausbildung seeundär erworbener
Larvenstadien zurückzuführen (Crustaceen, Pantopoden, In-
secten). Der auschlüpfende Embryo besteht entweder nur aus wenigen
Körpersegmenten (Crustaceen, Pantopoden) und erwirbt die voll-
ständige Segmentzahl erst im Verlauf der Metamorphose (D i p 1 o p o d e n),
oder er besitzt bereits die vollständige Segmentzahl sowie die Regionen-
eintheilung des Körpers der ausgebildeten Form und unterscheidet sich
von ihr nur durch die verschiedene Lebensweise und die dadurch bedingte
abweichende Gestaltung des Körpers (Insecten). So sehen wir z. B.
allen Larven und Jugendformen der Insecten die Flügel fehlen, wodurch
sich dieses Merkmal der höchsten Entwicklung des Arthropodenstammes
58 "
904 XXIV. Capitel.
als eine verhältnissmässig späte Erwerbung dokumentirt, was übrigens
auch dadurch bestätigt wird, dass den niedersten Insecten die Flüge]
noch vollständig fehlen (Apterygogenea pag. 761).
Für die Metamorphose der Arthropoden ist besonders charakteristisch
die Aufeinanderfolge verschiedener Larvenstadien, welche durch Ver-
niittelung von Hau tungsproc essen in einander übergehen. Der-
artige Häutungen können übrigens schon während des Embryonallebens,
vielfach sogar in ausserordentlich früher Zeit erfolgen, wenn der Keim-
streif noch gar nicht angelegt ist (C u t i c u 1 a blastodermica der
C r u s t a c e e n), oder doch ehe die Extremitäten gebildet werden (e m b r y o -
nale Cuticularhüllen des Limulus, Deuto vum-Membran
der Milben, Embryonalhüllen von Pentastomum). Alle diese Cuti-
cularhüllen bilden dann innerhalb der Eihäute eine weitere Umhüllung
des Embryos.
Lange Zeit war man geneigt, den Larven der Arthropoden eine
höhere phylogenetische Bedeutung zuzuschreiben. Mit der Erkenntniss,
dass es sich hierbei vielfach um secundär veränderte (Anpassungs-)
Formen handelt (Naupli us, Zoea, Pantopodenlarve, Raupen
der Insecten), hat man sich mehr der Vergleichung der ausgebil-
deten Formen zugewandt und dieser einen weit höheren Werth zu-
geschrieben. Eine besondere Bedeutung für die Auffassung der Arthro-
poden und ihre Zurückleitung auf niedere Formen hat die besonders
in neuerer Zeit vielfach geförderte Kenntniss des Peripatus gewonnen.
Allerdings machte sich in dieser Hinsicht eine Ueberschätzung der auf
die Anneliden hinweisenden Charaktere des Peripatus geltend, welche
zu Zweifeln an der Einheit des Arthropodenstammes Veranlassung gab *).
Da man nunmehr für die Myriopoden und Insecten durch den Peripatus
eine directe Verbindung mit den Anneliden hergestellt sah, so blieb nur
der Ausweg übrig für die Crustaceen, welche sich anscheinend weit von
Peripatus entfernten und zum Theil weniger ursprüngliche Verhältnisse
aufwiesen, als diese Form, eine selbstständige Ableitung vom Anneliden-
stamme anzunehmen. Durch die neueren Untersuchungen erscheint je-
doch Peripatus mit den Arthropoden enger verknüpft zusein, als man
dies vermuthet hatte. Die Nephridien sind durch ein Endsäckchen (Cölom-
rest) abgeschlossen und weisen denselben Typus auf, welchen wir bei der
Antennen- und Schalendrüse der Crustaceen wiederkehren sehen. Die
J) Solche Zweifel sind verschiedentlich ausgesprochen worden. Einen lebhaften
Ausdruck finden sie z. B. in einem Artikel des Kosmos (Nr. 1), dessen ungenannter
Verfasser sich auf Grund der Forschungen der vorhergehenden Zeit gegen die phyle-
tische Einheit des Arthropodenstammes ausspricht. Ebenso erklärt sich Oudemans für
die Auflösung der Abtheilung der „sogenannten Arthropoden" (Nr. 8), und Spuren
einer ähnlichen Auffassung kann man auch in einer neuerdings erschienenen Abhand-
lung von Feknald über die Verwandtschaftsverhältnisse der Arthropoden finden (Nr. 4).
Allerdings leitet dieser letztere Autor die drei grossen Hauptäste des Arthropoden-
stammes, die Crustaceen, Arachnoiden und Insecten auf eine gemeinsame
Wurzel zurück. Diese letztere findet sich aber nicht im Bereich der Anneliden,
sondern geht bis auf unsegmentirte Formen zurück, von denen sich ebenfalls, aber
nach einer anderen Richtung, die Anneliden ableiten. Von ihnen zweigt sich dann
Peripatus ab, der somit keinen directen Zusammenhang mit jenen grossen Aesten
des Arthropodenstammes besitzt, und ebenso sind von diesem die Myriopoden un-
abhängig. Bezüglich ihrer denkt Fernald wohl an eine Verbindung mit Peripatus.
Jedenfalls wird man auch durch diese Auffassung nicht eine völlige Einheitlichkeit des
Arthropodenstammes vertreten. Gegen eine solche spricht sich auch Kingsley (No. 7)
aus, indem er die Crustaceen und Insecten trotz vieler übereinstimmender Merk-
male von verschiedenen Ausgangspunkten herleitet.
Allgemeines über die Arthropoden. 905
definitive Leibeshöhle ist ein nach dem Untergang der Cölomsäcke durch
Wiedererweiterung der primären Leibeshöhle sich entwickelndes Pseudo-
cöl; das Herz zeigt den unter den Arthropoden allgemein verbreiteten
Typus des mit seitlichen Ostienpaaren versehenen Rückengefässes. Auch
die Entwicklung von Peripatus, für deren Verständniss wir von der leider
zu wenig bekannten neuseeländischen Form ausgehen müssen, schliesst sich
nahe an die übrigen Arthropoden an. Wir haben hier vor Allem ein
dotterreiches Ei mit superficieller Furchung. Diejenigen Charaktere, durch
welche Peripatus zu den Arthropoden in einen Gegensatz tritt,
sind die Stellung und Beschaffenheit der nicht eigentlich gegliederten
Extremitäten (wir sehen hierbei von den bezüglich ihrer Verwandtschafts-
verhältnisse unsicheren Formen wie T a r d i g r a d e n und P e n t a s t o m u m
ab), sowie, vor allen Dingen der Bau der Augen, welchen wir als ein
von den Annelidenahnen überkommenes Erbtheil betrachten müssen, das
im Kreise der übrigen Arthropoden verloren gegangen und durch das
Ommatealauge (Stemma und Facettenauge) ersetzt ist.
Es erscheint uns nach dem Gesagten gerechtfertigt , für sämmtliche
Arthropoden (Peripatus mit eingeschlossen) einen einheitlichen Ursprung
aus dem Annelidenstamme anzunehmen. Wenn wir jene hypothetische
aus den Anneliden hervorgegangene Stammform der Arthropoden, für
welche wir, wenn sie zum Ausgangspunkte sämmtlicher uns vorliegender
Arthropodenclassen dienen soll, sehr ursprüngliche Charakter annehmen
müssen, mit den Namen der Protostraken belegen, so sei damit
zum Ausdrucke gebracht, dass die Crustaceen in gewissen Organisations-
verhältnissen, vor Allem in dem auf die zweiästige Parapodienform
zurückführbaren Gliedmaassenbau , im Anschluss auf die bei ihnen bei-
behaltene pelagische Lebensweise ursprüngliche Charaktere bewahrt
haben. Ihnen gegenüber (und dieselbe Gliedmaassengestaltung findet
sich zum Theil auch bei den Palaeostraken erhalten) muss die bei
Peripatus sich findende Extremitätenform als eine im Anschlüsse an das
Landleben secundär abgeänderte Form betrachtet werden.
Von den Protostraken ausgehend dürfen wir — nach dem jetzigen
Stande unserer Kenntnisse, wie schon oben bemerkt wurde, drei grosse
Entwicklungsreihen des Arthropodenstammes annehmen, neben welchen
noch eine Anzahl kleinerer selbstständiger Stämme aufrecht zu erhalten
sind. Die eine führt durch die hypothetischen Urphyllopoden zu den
Crustaceen, die zweite durch die Palaeostraken zu den Arachniden,
die dritte durch Peripatus-ähnliche Formen zu den Myriopoden und
Insecten. Als kleinere, selbständige Zweige des Arthropodenstammes sind
wahrscheinlich die P a n t o p o d e n und die T a r d i g r a d e n zu betrachten.
Wenn wir in Kurzem die allgemeinen Charaktere der Arthropoden
gegenüber den Anneliden hervorheben wollen, so sei zunächst auf die
stärkere Cuticularisirung der Haut und auf die mehr der Ventralseite
genäherte Lage der Extremitäten, welche zum Theil als Kiefer gegen-
einander wirken, hingewiesen. Der letztere Punkt ist von Wichtigkeit,
weil die Kiefer der Anneliden nur cuticulare Abscheidungen des
Vorderdarmes, keine Extremitäten, sind. Ferner sei die Rückbildung
der Cölomsäcke und des Nephridialsystems erwähnt. Erstere werden
durch ein secundär zur Ausbildung kommendes Pseudocöl, letztere werden
bei den höheren Formen durch verschiedenartige als Neuerwerbungen zu
betrachtende Excretionsapparate abgelöst. In directer Verbindung mit den
Verhältnissen der Leibeshöhle steht das Fehlen eines geschlossenen Blut-
gefässsystems und die Ausbildung der für die Arthropoden typischen Herzform.
906
XXIV. Capitel.
Als ein in der ganzen Arthropodenreihe wiederkehrender Charakter
stellt sich uns ferner dar, dass der primäre Kopfabschnitt durch Bei-
ziehung von ursprünglich hinter dem Munde gelegenen Segmenten er-
weitert wird. Es möchte ein lohnender, aber nach dem heutigen Stande
unseres Wissens nur mit grösster Vorsicht zu unternehmender Versuch
sein, für die Homologisirung der vordersten Gliedmaassenpaare in den
verschiedenen Arthropodenreihen eine feste Basis zu gewinnen. Wir
werden vielleicht aus den Verhältnissen der Gehirnsegmentirung er-
schliessen dürfen, dass die Antennen des Peripatus, der Myriopoden
und Insecten den ersten Antennen der Crustaceen homolog sind.
Dann würden wir die in die Mundhöhle aufgenommenen Kiefer von
Peripatus, deren Ganglien eine ähnliche Annäherung an das Gehirn
zeigen, wie die Antennenganglion der Crustaceen, vielleicht der zweiten
Antenne der Crustaceen, die ja beim Nauplius noch als Kauorgan
fungirt, gleichsetzen dürfen. Für die Myriopoden und Insecten
würden wir vielleicht den vollständigen Verlust dieses Extremitätenpaares
anzunehmen berechtigt sein, so dass die Mandibeln der Insecten (homolog
den Oralpapillen von Peripatus) dann auf die Mandibeln der Crusta-
ceen zu beziehen wären. Ferner möchten wir dafür eintreten, dass die
Cheliceren der Arachniden den zweiten Antennen der Crustaceen
entsprechen, wofür ebenfalls das Verhalten der mit dem Gehirn ver-
schmelzenden Ganglien anzuführen ist. Das Homologon der ersten
Antennen würde in diesem Falle verloren gegangen sein, aber es scheint,
dass es als rudimentäres Organ in der Ontogenie noch auftritt (pag. 636).
Die Pedipalpen würden somit den Mandibeln der Crustaceen und
Insecten gleich zu setzen sein, während man bisher gewöhnlich die
Cheliceren mit diesen Organen zu homologisiren pflegte.
Wie sich weiterhin die Extremitäten der einzelnen Abtheilungen mit
einander vergleichen lassen, wird besser als durch Worte aus einer Be-
trachtung der Tabelle ersichtlich werden, welche wir nach den bisher
bekannt gewordenen Thatsachen, besonders nach dem Bau und Ent-
wicklungsmodus des Gehirns zusammenstellen, wobei allerdings zu be-
merken ist, dass dies mit aller nöthigen Reserve geschehen sollte.
Tabelle zur Vergleichung- der Extremitäten bei den Hauptgruppen
der Arthropoden.
< instaceen
Xiphosuren
Arachnoiden
Onycho-
phoren
Myriopoden
Chilopoden 1 Diplopoden
Hexapoden
erste
A ntennen
—
—
Antennen
Antennen
Antennen
Antennen
/.weite
Antennen
Cheliceren
Cheliceren
Kiefer
—
—
-
Mandibeln
erstes
Beinpaar
Pedipalpen
( oralpapillen
Mandibeln
Mandibeln
Mandibeln
erste
Maxillen
/weites
Beinpaar
erstes
Beinpaar
erstes
Beinpaar
erstes Unter-
kieferpaar
Unterkiefer
erste Maxillen
/.weite
drittes
Beinpaar
zweites
Beinpaar
zweites
Beinpaar
zweites
Unterkiefer-
paar
erstes
Beinpaar
zweiteMaxillen
(Unterlippe)
erstes
Thoraxbein-
paar
viertes
lieinpaar
drittes
Beinpaar
drittes
Beinpaar
Kieferfnss-
paar
zweites
BeÄipaar
erstesBainpaar
/weites
Thoraxbein-
paar
fünftes
Beinpaar
viertes
Beinpaar
viertes
Beinpaar
erstes
Beinpaar
drittes
Beinpaar
zweites
Beinpaar
dritti -
Thoraxbein-
paar
erstes
Abdominal-
beinpaar
erstes
A bdominal-
belnpaar
fünftes
Beinpaar
/.weites
Beinpaar
viertes
Beinpaar
drittes
Beinpaar
Allgemeines über die Arthropoden. 907
Eine Betrachtung der vorstehenden Tabelle lässt erkennen, dass
die verschiedenen Regionen des Körpers (Kopf, Thorax und Abdomen)
in den einzelnen Abtheilungen der Arthropoden nicht von gleichwertigen
Segmenten gebildet werden, d. h. dass die Einbeziehung von Segmenten
bezüglich der Zahl der zur Verwendung kommenden Segmente eine ver-
schiedene war. Dass in dieser Hinsicht eine bestimmte Regel nicht be-
steht , erkennen wir schon aus dem Verhalten der Crustaceen, bei
denen die Heranziehung von Thoraxgliedmaassen zum Munde in den
einzelnen Unterabtheilungen eine sehr verschiedene ist. Wenn wir daher
sehen, dass auch in den grossen Abtheilungen des Arthropodenreiches die
Extremitäten auf einander folgender Segmente eine heteromorphe Aus-
bildung gewinnen, so werden wir immer geneigt sein, dieselbe durch
eine Verwendung zu verschiedenen Functionen zu erklären und werden
nicht die Regionen gleichgestalteter Extremitäten mit einander homologi-
siren. So wird es durchaus statthaft sein, so, wie jene Tabelle es aus-
drückt, Thorax- und Abdominalextremitäten der einen mit Kopf- und
Brustgliedmaassen einer anderen Abtheilung in Homologie zu setzen.
Dass dieses Verfahren berechtigt ist, zeigt nicht nur das schon oben er-
wähnte Verhalten der Crustaceen, sondern auch dasjenige solcher
Arthropoden, denen wir höhere Ausbildung zuschreiben, wie der In-
secten. Bei den Hymenopteren z. B. kann das erste Abdominal-
segment zum Thorax treten (segment mediaire) *) und sich so gegenüber
dem Hinterleib absetzen, dass es vielmehr als Thorax-, denn als Ab-
dominalsegnient erscheint. Ein Ausfall oder besser ein fast völliges
Zurücktreten einzelner Segmente, wie wir es z. B. bei den Arachniden
für die erste und bei den Myriopoden-Insecten für die zweite
Antenne annehmen müssen (vgl. die Tabelle) scheint nur ausnahmsweise
vorzukommen. Wir sehen hierbei von den Reductionen ab, welche der
Körper der Arthropoden in vielen Fällen erleidet (z. B. bei gewissen
Crustaceen, Arachniden, Pentastomen, sowie bei vielen In-
secten) und welche vielfach zu einem völligen Zurücktreten der Seg-
mentirung an einzelnen Körperregionen oder auch am Gesammtkörper
führen, ja im letzteren Falle sogar ein Schwinden der Regionenein-
theilung desselben zur Folge haben können. Derartige Reductionen können
den Verlust nicht nur der Segmentirung, sondern auch der Extremitäten
zur Folge haben (Pentastomum), womit ein Hauptcharakter der
Arthropoden verloren geht, doch spricht auch dann noch die Entwicklung
durch das Auftreten der mit Extremitäten versehenen Larven für die
Arthropodennatur dieser Formen.
Litteratur.
Die weiteren Litteraturangaben finden sich bei den einzelnen
Abtheilungen der Arthropoden.
1. Anonymus. Bilden die Arthropoden eine natürliche Gruppe? Kosmos. 13. Bd.
1883.
2. Beddard, F. E. On the possible Origin of the Malpighian Tubules in the Arthro-
pode. Annais and Magazins Nat. Hist. 6. ser. Vol. 4. London 1889.
l) Dem „segment mediaire" der Dipteren darf nach Brauek's Untersuchungen
(Sitz. Ber. K. Akad. Wiss. Wien, 85. Bd., 1. Abth. 1882) eine solche Bedeutnng nicht
mehr zugeschrieben werden, doch tritt offenbar auch bei den Dipteren eine enge Ver-
bindung des Thorax mit dem Abdomen ein.
908 Allgemeines über die Arthropoden.
3. Claus, C. Ueber den feineren Bau des Medianauges der (Jrustaccen. Anz. der K.
Akad. d. Wiss. zu Wien. 1891. Nr. XII (Mai).
4. Fernald , H. F. The Relationships of Arthropods. Studies Biol. Labor at. Johns
Hopkins Univ. Baltimore. Vol. IV. 1890.
5. Grenacher, H. Untersuchungen über das Sehorgan der Arthropoden. Göttingen
1879.
6. Grenacher, H. Ueber die Augen einiger Myriopoden. Ar eh. f. microsc. Anatomie.
18. Bd. 1880.
7. Kingsley, J. S. Is the group Arthropoda a valid one. Americ. Naturalist.
Vol. XVII. 1883.
8 Oudemans, A. C. Ueber die Verwandtschaft und Classification der sog. Arthropoden.
Tijdschrift Nederlandsche Dierkundige Vereenigung (2). Deel I. 1887.
9. Spencer, B. On the Anatomy of Megascolidts australis, the Giant Earth-tvorm of
Gippsland. Trans. Roy. Soc. Viel. Vol. I. 1888.
10. Watase , S. On the Morphology of the Compound Eycs of Arthropods. Studies
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Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
Verlag von Gustav Fischer in Jena.
TTotW" T\rir** 0gcar und Richard, o. ö. Professoren an den Universitäten Berlin und
Xlt?IlWlö, MÜIlciien, Untersuchungen zur Morphologie und Phy-
SiolOg'ic (lcr Zelle. Heft 1. Die Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornii.
Von K. H ertw ig. Mit 2 lithographischen Tafeln. 1884. Preis: 2 Mark. — Heft 2.
Welchen Einflufs übt die Schwerkraft auf die Teilung der Zellen? Von O.Hert-
wig. Mit 1 lithographischen Tafel. 1884. Preis: 1 Mark 50 Pf. — Heft 3. Das
Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies , eine Theorie der Vererbung.
Von O. Hertwig. 1885. Preis: 1 Mark 50 Pf. — Heft 4 Experimentelle Unter-
suchungen über die Bedingung der Bastardbefruchtung. Von O. und R. Hertwig.
1885. Preis : 1 Mark 60 Pf. — Heft 5. Ueber den Befruchtungs- und Teilungs-
vorgang des tierischen Eies unter dem Einflufs äufsorer Agentien. Von O. und
R. Hertwig. Mit 7 lithographischen Tafeln. 1887. Preis: 8 Mark. — Heft 6.
Experimentelle Studien am tierischen Ei vor, während und nach der Befruchtung I.
Von O. Hertwig. Mit 3 lithographischen Tafeln. Preis: 3 Mark.
TTarlwiO' ^r' ®'' Professor an der Universität Berlin, und Hertwig, Dr. R., Professor
XlüILYVigj an der UniVersität München, StlulJCll ZU1' Blättertlieorie.
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des Nervensystems untersucht. Mit 10 Tafeln. Preis: 12 Mark. — Heft 2.
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Monographie von Dr. O. Hertwig. Mit 6 Tafeln. Preis: 6 Mark. — Heft 3.
Ueber den Bau der Ctenophoren. Von Dr. R Hertwig. Mit 7 Tafeln. Preis:
7 Mark. — Heft 4. Die Coelomtheorie, Versuch einer Erklärung des mittleren Keim-
blattes. Von Dr. O. H ertwig und Dr. R. Hertwig. Mit 3 Tafeln Preis : 4 M. 50 Pf.
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Dr. Oscar Hertwig. Mit 9 Tafeln. Preis: 8 Mark.
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