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Full text of "Leonard Meisters, Professor, berühmte Züricher"

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e9 Johann Shweighi 


DROHT —— 


* 





Leonard Meisters, Professor, 
oYcsatlateeıkWAltuteılen 


=Yolslatzigo Meisteſf, Jonann sSchueio nhausef 








Digitized by Google 














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Leonard Meifters, 
Brofeffon 


Berühmte Zuͤricher. 


Erſter Theil. 











1784 











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Shronvlogifches Verzeichnis. 


Erſter Theil. 


Selir 8aͤmmerlin. 
Rudolf Stuff. | 
Johann Waldmann. 
Conrad Dellican. 
Seo Judaͤ. 

Ulrich Zwingli. 
Jacob Ceporin. 
Rudolf Collin. 
Ludwig Betzer. 
Conrad Grebel. 
Peter Martyr. 
Heinrich) Bullinger. 
Theodor Bibliander. 
Conrad Geßner. 
Joſias Simler. 
Rudolf Hofpinian. 
Johann Rhellican. 
job. Philipp von John ar. 
Rudolf Schmid. 
Rudolf Stadler. 
Melchior Goldaſt. 


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Rudolf Brum 





5. war Brun 36. Yahre alt, als er die vorma⸗ 
lige Regirung zu Zürich gänzlich umfchuf. Diefes 
geſchah um das Fahr 1335. Brun war ein Mann 
von gutem Gefchlechte und auch felber ein Mitglied des 
Kathes; von feinen Miträthen aber: war er wenig ge- 
achtet; deſto mehr füchte er, fich beym Volke in. Arts 
ſehn zu feßen und bey dieſem Die ——— verdaͤchtig 
zu machen. 


Es war in gedachtem Jahr am letzten April, ais die 
erſte Rathsrotte, zu welcher auch Brun gehoͤrte, die 
Regirung für die vier nächfifolgenden. Donate an die 
zwote Rathsrotte abtreten wollte. Ye mehr diefe letztre 
Rotte dem Bolt befonders verhaft war, deſto hartnaͤ⸗ 
cigter beharrte ed, auf Bruns Antrieb, darauf, dieſen 


neuen Raͤthen nicht cher zu huldigen, biß fie feit etli- 


hen Fahren ber von ihrer Staatswirthſchaft wuͤrden 
Rechenſchaft abgelegt haben. Drey oder vier dieſer Raͤ⸗ 
the riethen ihren Regirungsgenoffen, fie follten den Buͤr⸗ 
geen in ihrem Begehren wilfahren. Die Uebrigen wi⸗ 
derſetzten ſich dieſer Zoderung , ald geſetzwidrig und aufe 


& Audolf Brun. 


ruͤhreriſch; ſie fütten fich auf ihre Gewalt und 

ten den willigern Raͤthen, fie aus ihrem Mittel zu 
- fen. SHierüber gerieth der ‚gemeine Mann in noch 
fere Wut; nach einigen Wochen brach fie in ofen! 
Tumult aus. Nicht ohne Mühe entflohbn die Ri 
als ſchon dad Volk im Begriff war, das Rathhaı 
beftürmen. Nur die obgedachten drey oder viere bI 
zurück, ftellten fich vor die Verſamlung der Bürger 
machten fich zur Rechenfchaft anheifchig. Das 
verband fich endlich zur Abfchafung der alten Regi 
und zur Bellrafung der fchuldigen Raͤthe. Zu di 
Ende Hin ward die zwote Rathsrotte entfegt und 
erftern , welche etliche Wochen vorher den Stab ni 
gelegt hatte, biß auf weiters die Regirung überla 
In diefer Rotte führte Brun, der Liebling des 
kes, das Eteuer des Gtaated. Für einmal ward ı 
mehr das Gut der entwichenen Räthe eingezogen; « 
ward der St. Ulrichs Tag im naͤchſten Heumonat 
Verantwortung der ausgetretenen Rathoͤglieder vor 
ganzen Volkesgemeine angeſetzt. An dieſem Tage 

fantekte fich diefe in der Barfuͤſſerkirche. Vor derfei 
erschienen aber, anfatt der entwichenen Raͤthe, ihre 2 
wandte und baten für fie um ficheres Geleite. U 
der. Bedingung ward ihnen dieſes vergönnr, daß fie 
gegen fie eingelaufnen Klagpuncten vor dem verfame 
Volke anhören und fih der Strafe unterziehn, mof 
fie fich nicht rechtsfoͤrmig gu entfchuldigen im Sta 
ſeyn werden. Diefed- Verhoͤr ward alfo auf den er! 
Sonntag im Augfimonat audgefekt. An diefem 7 
verfamelte fich Dad Volk wieder. Diefmal erfchienen 
ansgetretene Raͤthe perfünlich; Die Klagpuncen w 
den ihnen vorgelefen, fie felber verhört und ſchuldig 


[4 











Rudolf Srum y 


fanden ; fie ergaben fih auf Gnade und Ungnade in 


den böchften Willen der Gemeinde und murden zu vers 
fihiedener Strafe verurteilt. Die Zeitbücher ſagen, dag 
ihnen allen eine Geldbuffe aufgelegt worden ; in deu 
Utkunden felber findt man hievon keine Spur; fammt. 
lich wurden fie nebft ihren Kindern für immer aller Eh⸗ 
ven unfähig erkläret ; die einen auf mehrere , die an⸗ 
dern auf wenigere Jahre verbannet,; auch mußten fe 
fharfe Urfehden ſchwoͤren und angeloben, daß fie waͤh⸗ 
rend ihrer Verbannung weder zufamentreten noch durch 
Briefe oder fonft nicht das Geringite gegen die Stadt 
unternemmen wollen. Aus diefer ganzen Rathsrotte 
blieben nur Die beeden Kitter Diane und von Glarus, 
wie auch zween von bürgerlichen Gefchlechte , J. Schaffi 
und Joh. Stagel völlig von aller Strafe befreyet. 


In einer dritten Volkesverſamlung vor Weyhnachten 
deſſelben Jahres wurden auch die beeden uͤbrigen Raths⸗ 
rotten zur Verantwortung gezogen. Aus Furcht waren 
4 auch aus dieſen neuen Rathsglieder entſſohn; ſie Des 
gaben ſich unter den Schutz deß Graf Hanſen von Rap⸗ 
perſchwyl; dieſer nahm fie geneigt auf, geradezu dem 
Vertrage zumieder, in welchem er eben damals mit der 
Stadt Zurich fand. Auch dieſe entwichenen Käthe 
nebſt etlichen zuruͤckgebliebenen wurden ungefehr fo, wie 
die Käthe aus der zwoten Notte, mit Strafen von ver⸗ 
(diene Dauer und Gröffe belegt; beſonders ward die 
Vorficht beobachtet, dag einem jeden fein Aufenthalt und 
die Bannmeile angerwiefen wurde, über welche hinaus 
er fih, während der Verbannung , der Stadt Zürich 
nicht follte nähern dürfen. Nur viere aus diefen Rot⸗ 
ten, die Ritter Muͤllner, von Hottingen / Biber und, 


6 Audolf Brun. 


Job. Krieg ſprach das Volk los. Obgleich dieſe Urs 
teilſpruͤche ſchon im Sommer und Herbſt 1335. voll⸗ 
ſtreckt worden waren, find gleichwol die darüber ausge⸗ 
fertigten Urkunden erſt auf Donnſtag nad) St. Mate 
gretben (den 18. Jul.) 1336 alfo ein paar Tage nath 
Errichtung des gefchwornen Briefes gefteht. 


Mittlerweile num alles dieſes fich zutrug, herrfchte dee 
GStaatöveränderr Brun mit faſt unumfchränfter Ges 
walt. Indeß drang er mit wahrer oder verftellter Maͤſ⸗ 
figung darauf, daß die Bürde, welche das ofentliche 
Zutrauen auf feine Schultern gelegt hatte, ihm ‚möchte 
abgenommen und eine beflimmte Regirungsform feftges 
fegt werden. Man fchlug verfchiedene, neue Einvichs 
tungen vor. Endlich behielt derjenige Vorfchlag , wel⸗ 


t 


cher wahrfcheinlich Brunen zum Urheber hatte, die 


Oberhand. Die Hauptveränderung beftand darinn, dag 
Die Regirung in zwo gleiche Hälften getheilt wurde; 
Die eine blieb bey dem Adel und andern anfehnlichen 
Bürgergefchlechtern,, die andre fiel in die Hand dee 
Handwerker; doch alfo, daß beyde Hälften von ihm, 


ald Buͤrgermeiſter, beynahe gänzlich abhängen fohten. 


Unter dem Vorwand , daß die legtre dieſer Hälften bie 
zalreichſten Glieder babe, wurde fie in verfchiedene Ges 
felichaften , in Zunfte getbeilt ; durch diefe Eintheilung 
ward der Körper der Gemeinde gleichfam zerſtuͤckelt. 


Ungefehr gegen dag Ende vom J. 1335. erhielt Brun 
das Gonfulat, für einmal ald Dictatur zur Zeit der 
Noth. Um mittlerweile den Detail des neuen Werckes 
ins Keine zu bringen, ward für das nächfte halbe Jahr 
Brunen die Interimsregirung überlaffen ; hiezu bediente 
er fich vier Gehilfen , von welchen zween, fo wie er fels 


— — — * 


Budolf Brun. $ 


ber, ſchon unter der vorigen Regirung geſeſſen waren 
umd das Zutrauen des Volkes ferner zu erhalten wuß⸗ 
ten. Dieſe vier waren eben diejenige, welche nach des 
Staatsreformators Tode ihm im Confulate folgen ſoll⸗ 
ten. Durch folche Vorkehr hofte Brun, feinem Ge⸗ 
baude fefte Dauer zu geben und auch noch nach feinens 
Sinfcheid die ganze Verfaſſung Durch — Ein⸗ 
Buß zu beſeelen. 


Auf Joh. Baptiſta im J. 1336. traten die neuen Raͤ⸗ 
the ihre Regirung an. Wenige Wochen nachher ward 
Der fo genannte gefchworne Brief oder die Magna char. 
ta dem Bolt vorgelegt und von demſelben durchaus bes 
ſtaͤtigt. So fehr durch diefe neue Verfaſſung der Adel 
und die Patrizier eingefchräntt und Hingegen der Eine 
Buß des Volkes in die Regierung vergröffert tworden, fo 
wußte doch Brun die Sache alfo zu karten, daß, ſo 
lang er lebte, er felber nicht blog als Buͤrgermeiſter, 
fondern ald Geſetzgeber und Dictator den unumſchraͤnk⸗ 
teften Einfluß behielt. Ausdruͤcklich heißt ed in dem ge⸗ 
ſchwornen Briefe vom J. 1336. » — Soll man vor⸗ 
„ nemmlich je einem Buͤrgermeiſter, und befonders dem 


» isigen unverbrüchlichen Gehorfam ſchwoͤren bi an 


„ feinen Tod, fo daß der Eyd gegen: ihn allen andern 
» Enden vorgehe; doch den Rechten bes Reiches und 
» der beyden Gefliften ohne Schaden. Und wenn der 
» Bürgermeifter flirht, fo fol man aus den vier fol 
» genden, Heinrich Biber und Rüdger Maneß, Jacoh 
» Bun und Foh. von Hottingen einen zum Buͤrger⸗ 
meiſter erwälen. * Ferner: „ Eine jede von deu 
„» All. Zünften fol alle halbe Jahre aus einem ihrer 
» Handiverker einen Zunftmeifter in den Rath waͤlen. 


* ARHudeolf Srum 


Sollte die Zunft uͤber dieſe Wal uneinig ſeyn, WE 
» ſoll fie vor deu Buͤrgermeiſter kommen, der ihr dann 
» einen Zunſtmeiſter aus demjenigen Haudwerk geben 
» wird, welcher ihn der fuͤglichſte bedͤnkt. Zwey halbe 
» u einander kann Keiner Zunftmeiſter hieis 
v bar | y ve Ä s | : 


"Auf folgende Weife ward der Rath oder die andre 
Hälfte der Regierung gemwälet: „Zweymal im Jahr, 
u nämlich zu St. Johann im Sammer und St. Jo⸗ 
„. Hana im Winter fol der Bürgermeifter aus den ab» 
3» gehenden Räthen zween Ritter oder auch Edellnechte 
nebſt vier. andern erkieſen, Die ihn bey feinem Eyd 
5 die befien duͤnken, nebſt ihm neue Raͤthe zu wälen; 
ga naͤmmlich ſechs Ritter oder Edelknechte nebſt fieben 
2 andern ehrbaren Bürgern. Diefe dreyzehn nebit dem 
u» dragzsehu obgenannten Zunftmeiftern machen jedes halbe 
2 abe den neuen Rath von 26. Mann aus. — Sollte 
„aber den Buͤrgermeiſter duͤnken, daß der neue Rath 
» mehrerer. fähiger Leute bedurfte, fo mag er wol ges 
» meiner Stadt zum Nutzen zween oder drey bon deu 
»„ alten, abgehenden Raͤthen zu ihnen ordnen. “ 


Huch in der ehmaligen, alten Stantöverfaffung hat 
ten die Bürger von Zuͤrich glücklich gelebt; in dem Wer 
fentlichen war auch jene Verfaſſung völlig frey; fo mol 
die Geſetzgebung als dad Walrecht der Megenten ftand 
bey der Gemeine. Wenn alfo die Kegenten ihre Gewalt 
mißbrauchten, ſo konnten ſie auf die Seite geſchaft wer⸗ 
den, ohne daß man noͤthig gehabt haͤtte, zugleich mit 
ihnen auch die Staatsverfaſſung ſelbſt zu verwerfen. 
Warum denn geſchah dieſes letztre? Ohne Zweifel laͤßt 
fi) Die ganze Revolution theils aus der Gaͤhrung dei 


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— ⸗ * 


Rudolf Brun. ® 
Seiten, theild aus dem Betragen der alten Räthe, theils 
aus dem Caracter des Ritter Brunen erklären. 


| In Teutfchland berrfchte Damals eine faſt allgemeine, 
politifche Gaͤhrung, verurfacht Durch den Wetteifer des 
Fleiſſes mit der Gewalt, oder mit andern Worten, durch 


die Mißgunft dee Städte gegen den Adel, und in den - 


Städten felber der Kaufleuten und Handwerker gegen 
die Patriziſchen Famillien. Die Kaifer, um ihre allzu 
mächtigen Lehenträger zu fihwächen, fingen an, je laͤn⸗ 
ger je mehr die Claſſe der Buͤrger in den Staͤdten zu 


beguͤnſtigen. Der Mut, welchen der Wolſtand erzeugte, 


reitzte die Stadtbewohner, mit dem Adel die Regirung 
zu theilen. Hiezu kam der Mißbrauch und Die unges 
fihjichte Anwendung der Gewalt, deren fich die alten R& 
the fchuldig gemacht hatten. „Sie buben an, fagt 
» Bulfinger, übel mit einander eins zu ſeyn, trugen 
„Neid und Haß zufamen, henktend Parteyen an fich 
„ und richteten darum groſſe Zweytracht an unter der 
5 Bürgerfchafts. dazu waren fie ſtolz und hielten arme 
» Leute fchnöd und uber das alles verehrten fie mit ih⸗ 
3; rer Pracht der Stadt But. Daraus dann folgte, 
» dag fie eignen Gewalt? den Bürgern Steuern und 
„ ungemohnte Bürden auflegen mußten und doch nic 
„ mand Rechnung geben wollten.“ Der geichworne 
„ Brief in feinem Eingang thut noch hinzu: „ daß ſie 
„ den Leuten um ie. Klagen nicht richteten, als wem 
» fie gern wollten. “ nd endlich giebt ihnen Kalfer 
Ludwig in der Belldtigung der neuen "Regirung dag 
Zeugniß: „ Einmal daß fie edel umd andere würdige 
» Leute druͤckten, an ihren Lehen und an andern ihren 
„ Gütern, auch — Ende und Buͤndniſſe thaten. “ 








10 | Budolf Brum 


Vermutlich betrafen diefe heimlichen Eyde und Buͤndt⸗ 
niffe noch weit weniger ein Complot gegen die Zürcher, 
als vielmehr felber gegen. den Kaifer zu Gunften des roͤ⸗ 
mifchen Stuled. Frenlich befchuldigt Bullinger die ent, 
festen Raͤthe oligarchiſcher Abfichten; er ſagt: » Daß 
3, fie vollfommentich, d. i. unumfchrantt haben herrſchen 
„ wollen, alfo daß die andern Bürger nichte weder zu 
„mehren noch zu mindern hatten, “„ 


Immer war die Empörung gegen bie einmal herrſchen⸗ 
den Regenten mit Schwirrigleiten begleitet. Es mußte 
ein Anführer entftehn , der die geheimen, zerſtreuten Wüns 
ſche nach einer Neuerung auf Einen Brennpunct verei⸗ 
nigte, der Mut, Enthuſiaſmus, vielleicht auch Ehrgeitz 
genug beſaß, fich an die gefarnolle Spitze zu flellen , der 
bey alle dem klug genug war, die Kräfte der Gegenpar⸗ 
tey genau zu beflimmen und den eigentlichen Punkt zum 
öfentlichen Bruch nicht zu verfehlen. Wie vortheilhaft 
war ed dem eben Darum, Daß diefer Anführer auch fels 
ber der Regirung, die er ſtuͤrzen follte , einverleibt war. 
Unter allen dieſen günftigen Umftänden bliebs immer noch 
ein gewagter Verſuch, ohne Truppen , ohne Geld, nur 
durch den eignen Kopf unterflügt , einer anfehnlichen 
NReichsſtadt eine gang andre, und zwar eine füldhe Ge 
flalt zu geben , welche gegen das Syſtem der Reichsver⸗ 
faſſung anftieß. Hier wünfchten wir Bruns perfönlichen 
und Hauslichen Garacter, nach Thatfachen, entwerfen zu 
koͤnnen, um auch daraus den gluͤcklichen Erfolg ſeines 
Unternemmens zu erklaͤren: aus Mangel aber ausfuͤbr⸗ 
licher und glaubwuͤrdiger Nachrichten, bleibt uns kein 
Denkmal von ſeinen eben ſo kuͤhnen als ſchlauen Geiſt 
uͤbrig als die Revoluzion, die er bepirkt bat. 


Rudolf Srunm. 13 


Durch die Zunftwerfaffung, welche er einführte, hatten 
gewiſſer maffen Die Bürger von ihrer alten Walfreyheit 
vielmehr verloren ald gewonnen. Ehmals beftätigten oder 
verwarfen fie den ganzen Rath, jzo nur die eine Hälfte 
Deffelben. Indeß was half ihnen jenes erflere Walrecht, 
Da Reichtum und Uebermacht, nach Willlür, die Wals 
ftimmen Imttn? Nach der neuen Berfaffung hingegen 
Durft? es der Adel wenig verfuchen, feinen etwanigen Eins 
Aug auf die Zunftmeifterroalen geltend zu machen. Nicht 
nur waren die Handwerker, diefe Erbfeinde des Adels, 
Die einzigen Walherren,, auch war niemand walfähig als 
eben fie felber. Hierinn alfo beftand der Hauptflreich des 
Geſetzgebers, dag er den gemeinen Mann, welcher feit 
einiger Zeit fein Walrecht nicht mehr auszuüben wagte, 
nunmehr zur Yusübung deffelben gleichſam nöthigte. 
Dieſes Zauberwerk allein kanns und erllären, warum 
Dad Volt über dem Triumph, Zünfte zu haben, ſehr 
gern alles übrige feinen Gefeßgeber aufopferte. Vormals 
nämmlich war jedes Individuum ein Theil des Ganzen, 
nunmehr bingegen ein Theil bloß von einem Haupttheil. 
Dafür gab Brun den Zünften eine gewiſſe Gerichtöbar, 
feit über Handwertsfachen , freylich weit eingefchränkter 
als man gemeiniglich dafuͤr hält. 


So viel von der einen Hälfte der Bruniſchen Verfaß 
fung, von dem Tribunate. — Den Adel und die Ren⸗ 
tierd durfte der populäre Geſetzgeber nicht gänzlich vom 
der Regienng entfernen, toofern er eine feſte Dauer feis 
ned neuen Gebauͤdes verlangte. Die Batrizier alſo, die 
Rentiers, die angefehenern Kaufleute md Künftler fchob 
te im eine befondere Geſellſchaft, die Conſtablerzunft zu⸗ 
famen und ihnen vertraute er bad Stabtpanner. So wol 








12 Audolif' Srum- 


in Abſicht auf die Anzal der Glieder, ald in Abficht 
auf ihren Reichtum und ihre Känntniffe war diefe Con⸗ 
Habler » Zunft jeder andern Zunft weit überlegen. Brun 
gab ihr darum die ganze Hälfte an der Regierung zum 
Antbeil. Mit jedem halben Jahr wurden aus Diefer 
Zunft ſechs Edellente und fieben Mann von gutem, bürs 
gerlichen Geichlechte in den Rath abgeordnet. Die Wal 
aber diefer Rathsmaͤnner fand nicht bey der Zunft, 
wie die Wal der Zunftmeifter; mit fchlauer Vorſicht 
ward fie in eine dridte Hand gelegt, um fie nach dem 
Gefallen des Buͤrgermeiſters und nach dem Beduͤrfniß 
der Zeiten zu lenken. Auf folche Weife glaubte Brun 
den Adel mit den Handwerkern, die Rathsherren mit 
den Zunftmeifteen ind Gleichgewichte zu bringen; un⸗ 
tee den damaligen Umfländen konnte ex unmöglich deuts 
lich genug künftigen Wiederfpruch zwiſchen dem Hands 
werterintereffe und zwifchen dem allgemeinen Staatsin⸗ 
tereffe vorausfehn. — Um dieſes würkliche oder vermeinte 
Bleichgewicht in Bewegung zu feßen, errichtete er das 
Confulat. Man muß es geftehn, daß ein folcher Cons 
fül, wie Brun war , ſehr furchtbar feyn muß. Geine 
Gewalt verfchlingt jede andere; Die. Raͤthe fcheinen feis 
ne Räthe und die Genteinde fein Volk zu feyn. Das 
größte Vorrecht des neuen Bürgermeifters beftand das 
einn, daß er mit Zuzug etlicher Miträthe, die ebenfalls 


von feiner Auswal abhingen, die Hälfte der Regierung 


erwälte und daß er feine confularifche Gewalt lebens⸗ 
ang behielt. Warum aber, möchte man fragen, mußte 
gerade Brun felber diefe Würde bekleiden? Ohne Ziveis 
fel weil diefer kuͤhne Stifter einer Verfaſſung, die auf 
die Trümmer einer andern und auf den Umſturz maͤch⸗ 
tiger Famillien gegruͤndt war, ganz das unumſchraͤnkte 


u 





F 


Rudolf Brum 13 


Zutrauen des Volts erworben und uͤberal in dem Staate 
wenige ſeines Gleichen gehabt hat. 


In dieſem Zeitraum waren noch an den meiſten Or⸗ 
ten des teutſchen Reiches die Handwerker verachtet und 
die Zuͤnfte gehaßt (*). Schon im J. 1251. ſollen die 
Handwerker Zuͤnfte in Zuͤrich errichtet haben; dieſelben 
erhielten ſich aber nicht lange. Im rothen Buch C. XX. 
befand ſich folgende Sakung: „ daß man demienigen 


„ fein Haus abbrechen und zehn Mark Silber zu Buße 


» abnehmen fol, wer anratde, dag man zu Zürich 
> zZunfte auftichte *(*). Als bernach bey der Bru⸗ 
nifchen Revoluzion die Zünfte eingeführt worden , fo ließ 
ſich noch damals Johann Witoduranus vernehmen, Daß 
wol eine ſolche Verfaſſung Leinen Befland haben werde, 
Um diefe Zunftverfaffung weniger dem Gefpütt und Aer⸗ 
ger auszuſetzen, ward fchon im J. 1337. zum Staates 
gefeße gemacht: „ daß Feiner Zunftmeifter werden foll, 
„» der eined Herrn gigen oder unehlich gebohren fey “. 
Um der neuen Berfaffung deſto mehr Unfehn zu geben, 
war Brun dafür beforgt, daß fie nicht nur von dem 
Chorherren Capitel und von der fürftlichen Abtey in der 
Stadt befiegelt, fondern auch felber von Kaifer Ludivig 
gebilligt. werden möchte. Ausdruͤcklich beißt es in einer 
Urkunde , daß Zurich die Neuerung unter anderm Ddeds 
wegen gemacht habe: „ damit fie dem Reich und feis 








(*) Eonring de imp. germ. ſ. 59. Ludwig de apif. exule 
in pag. dif. 2. C. 3. Straßburger » Chronick F. 97. u. m. a. 
. In der Schrift vom Geſchlecht der Brunen heißt es, 
man im J. 1336. ſich auf die ehmalige BE 

in — — habe. 








4 Aubolf Brun. 


„ nem Oberhaupt defto nuͤtzlicher dienen möchte, — 
Mittlerweile dachten freylich die verbanneten Raͤthe auf 
Rache und brüteten mit den in der Stadt zuruͤckgelaß⸗ 
nen Freunden geheime Complotte. Einmal wurden ihre 
Raͤdelsfuͤhrer bey der That ertappt und wegen mit vet» 
flochtner, mordbrennerifchen Abfichten zum Schwerdt 
verurtheilt. Dadurch wurden die übrigen Mißvergnuͤg⸗ 
ten auf geraume Zeit von ähnlichen Anfchlägen abges 
fihredt. Aus Unmuth zogen viele adelihe Famillien 
aus der Stadt weg, in der Hofnung , daß fie einft mit 
ihren verwiefenen Verwandten im Triumphe zuruͤckkom⸗ 
men werden. Durch ein Wlebiscitum lieg Brun foldhe 
Emigranten für Feinde des Vaterlandes erflären. Den 
Verbanneten und ihren Freunden aus der Stadt warb 
von neuem das Zufamenlaufen verboten. Auch felber 
das weibliche Zufamenlaufen warb als verdächtig geaͤhn⸗ 
tet. ; Welche Frau oder Jungfrau (ſagt eine Satzung 
aus diefen Tagen,) » in oder vor der Stadt klagten 
„ oder wirbet mit Worten oder Werken um Etwad, 
3 weiches unfrer Stadt oder einem Bürger Schaden 
„ oder Lafter bringen möchte, Die foll man ewiklich von 
„ der Stadt wyſen und dazu büffen , wie fich der Rath 
„md die Bürger darum erkennen werden *. Bkun 
feste ſich im ſtuͤndliche Bereitfchaft, ofenbare Sende zu 
empfangen oder heimlichen Werräthern aufjupnffen. Das 
ber die bisdahin in der fichern Stadt ganz unbekann⸗ 
un Wachen! daher jene Satzungen, Daß nach ber 
Abendglocken niemand ohne Licht in der Stadt herum⸗ 
gehe; daß hernach die Gaſtwirthe niemanden mehr 
aufnehmen oder bey ſich figen laffen; Daß bey plöglis 
chem Weberfa jedermann mit Roß und Waffen Des 
reit fey. ; u 


Ra. 


Rudolf Brum. 


Endlich fanden gleichwol die vertriebenen Näthe an 
dem Grafen Johann von Habsburg ein Haupt, der 
ihre ‚vermeinten Rechte, nicht ohne eigne fchöne Hof 
nungen, zu fehüten geneigt war. Inter feiner Beguͤn⸗ 
figung fingen fie an, von Rappersſchwyl aus, die Zürts 
cher an ihren Gütern zu kraͤnken. Dem treulofen Gras 
fen gab Brun das Burgrecht heraus, in welchem ee 
mit der Stadt Zürich geflanden. Die Bürger zogen 
mit ihrem Conſul vor fein Schloß Rapperſchwyl und 
unternahmen es, dieſen Pla mit Sturm zu erobern. 
Bald aber mußten fe von dieſer allzuhikigen Unterneh⸗ 
mung abſtehn; ihre Rache Eublten fie mit Verheerung 
des platten Landes umd zogen für einmal wieder nach 
Haus. Hierauf verbanden fie fi mit dem Grafen 
Diethelm von Toggenburg, der damals mit dem von 
Hapſpurg wegen des Beſitzes von Grinau im Streit 
lag. Dießmal gefchah der Ausfall zu Wafler. Yhre 
SHbficht wurde dem Feinde, wahrfcheinlich von einheis 
mifchen DBerräthern., verfundfchaftet. Kaum war den 
2ı Herbſtm. die vereinigte Mannſchaft der Zürcher und 
Togkenburger vor der Feſtum Grynau gelandet, ſo ſahn 
fie ſich aus einem Hinterhalt von Graf Hans uͤberfal⸗ 
fen; mit blutigen Köpfen eilten fie in ihre Schiffe zu⸗ 
rüd. Der Graf von Toggenburg gerieth in die Hand 
feines Gegners. So bald der erſte Schrecken vorbey 
war , ruderten fie wieder gegen das Land Hin umd fans 
den einen Haufen Schweizer sum Beyſtand am Ufer ; 
fhon war der Feind zum Abzuge fertig; von neuem 
griffen Re ihn mit folcher Wuth an, daß fle dießmal 
nach einem harten Gefechte Die Walftatt behielten ; nebft 
dem Grafen Johann wurden noch 150 von feinen Leu⸗ 
ten erfchlagen ; die Sieger hatten nicht über se Mann 





| | Rudolf Brun. 


verloren. Graf Diethelm, der wenige Stunden vorher 
Be worden, ward nunmehr Hinmwieder von dem 
— ihrem erſchlagnen Herrn aufgeopfert 

nd 'in Stuͤcken zerhauen. Zum Andenken dieſes erſten 
— Kampfes fuͤr ſeine neue Staatsform ließ 
Brun fuͤnf eroberte Fahnen beym Muͤnſter aufhaͤngen. 
Indeſſen brachten ſolche Siege dem Staate nichts ein; 
ſo wenig Blut als ſie koſteten, immer koſteten ſie Geld 
und Zeit; wenig reizend waren ſie für den Bürger, 
der ſich von der Zunftichopfung lauter gute Tage ver⸗ 
ſprach und nur durch friedlichen Erwerb gluͤcklich feyn 
konnte. Aus Furcht alfo das Volk müde und muthlos 
zu machen, that der Bürgermeifter fein möglichftes, 
neuen £riegerifchen Anfällen zuvorzulommen. Wenige 
Wochen nach .dem Treffen vor Grynau fchloß er eine 
Richtung mit den Söhnen des Grafen Johann fo wol 
ald mit den verbanneten Rachen. Diele Richtung ges 
fchah durch Vermittlung und (wie es öfentlich hieß,) 
au Ehren ded Kaifer Ludwigs und des Herzog Albrechts 
des Weifen, welcher legtere Dem jungen Grafen von 
Rapperſchwyl im vierten Grade gleicher Linie verwandt 
war. Kraft Diefed Vertrages mußten die verbannten 
Käthe den Zürchern für Den zugefügten Schaden 600 
Mark Silbers erlegen; fie mußten noch fünf Jahre 
von der Stadt entfernt bleiben, nachwaͤrts aber wieder 
aufgenommen und in den ungekraͤnkten Beſitz ihrer. Güs 
ter gefett werden, jedoch für immer ohne allen Sugang 
zu Ehrenſtellen und Aemtern. So bald ſie indeß an den 
Soͤhnen des verſtorbnen Grafen von Hapſpurg fuͤr ſie 
guͤnſtige Geſinnungen entdeckten, ſingen ſie ſchon wieder 
an, ihre Mitbuͤrger mit taͤglichen Regereyen zu aͤngſti⸗ 
gen. 


en} 


Budalf rum 17 


‚gen. Daher wırden mit Bewilligung des Kaiſers im 
J. 1339. ihre Güter und Haüfer zu oberkeitlichen Han⸗ 
den gezogen; nach bekannter Sage wurden diefe Hauͤ⸗ 
fer zu dfentlichen Zunfthauͤſern gewiedmet. Nunmehr 
kam den 21 Jenner 1340 zu Brugd eine Verfchreibnng 
au Stand, kraft deren die alten Raͤthe fich dee neuem . 
Regierimg auf Gnade ergaben; dieſe Berfchreihung ges 
ſchab durch Vermittlung etlicher benachbarter Städte, 
wie auch der fehlauen Königin Agnes von Ungarn, ob⸗ 
gleich unter dem Titel des jungen Herzog Friedrichs. 
Nach und nach gelangten alfo während bes vierten Jahr⸗ 
zebents die vertriebenen Raͤthe wuͤrklich wieder in einen 
Theil ihrer verlornen Rechte ; am Ende aber mißbrauch⸗ 
ten fie die erhaltne Verzeyhung. 


- Unterm Donnerflag vor Lichtmeß im %. 1340. finden 
wir eine zürcherjche Rathserkanntniß, welche den Dank 
und Das Vertrauen des Volkes gegen ihren Konful aus 
genfcheinlich an den Tag legt: „ Rath und Bürger, 
Heißt es, kommen gemeinlich überein um Rudolf Brun, 
„ unfrer Stadt Bürgermeifter , dag man um die Treu 
> und Arbeit, fo er den Bürgern allezeit thut und thun 
„ muß, ihm jährlich vor der Stadt Zinfen und Gut 
» geben foll alle Srohnfaften fünfzehn Marck, die er 
„» entheben mag, wo es ihm ani füglichiten if. Dieß 
» Geld folk man ibm geben bis an feinen Tod, Und 
» muß er aber daraus Knechte und allen Koſten befors 
» gen, alfo daß die Burger dießfalld nichtd weiter aus⸗ 
»» zulegen haben, fie thügen es dann gern. Aber einem 
» andern Bürgermeifter will man nicht gebunden fen, 

= 


18 Rudolf Brun. 


„dieß Gelb zu geben, man komme dann deffen 
„’ neue überein ©. 


Schon in diefem geitraum hatte ſich Zuͤrich in 
hendem Zuſtand befunden. Die jährliche Gutſteuer 
lief ſich auf mehr als achtzehnhundert Pfunde. Ir 
1283. gab Kaiſer Rudolf zu Mellingen folgende 
ordnung: (%) „ Zürich ſoll von Oſtern 1284. alle J 
» dem Kaiſer nomine Sturz 200 Mark Silber, | 
„ den jtzigen Werth von 16200 fl. bezalen *. In 
Stadt herrſchte vielmehr durchgaͤngiger Wolſtand 
Allen, als ausſchlieſſend groſſer Reichtum bey Weni 
Die Buͤrger waren wol geharniſcht und hatten auf 
Thuͤrmen ſchoͤne Ruͤſtungen, Armbruͤſte und an 
Kriegesgeraͤth. Auſſer dem Wald an der Sihl ha 
fie keinen eignen Grund und Boden; durch Kunſt 
und Handel aber wußten ſie reichlichen Erwerb aus 
len, Italien und Flandern zu holen. Schon in 
aͤlteſten Stadtſatzungen ſindt man Spuren von zuͤrc 
ſchen Gewerben und von oberkeitlicher Fuͤrſorge fuͤr 
Credit derſelben (**7). Zum Beweis damaliger Be 
kerung dient folgendes Verzeichnis vom J. 1357. 
Zuͤrich befanden ſich damals 1226 Wobnhauͤſer; n 
und achzig Hauͤſer ſtanden leer; in allem waren 2. 
Haushaltungen, 12375 Einwohner, 84 Knechte, 
Maͤgde. Alhhaͤhrlich wurden Leib und Gut verſteu 
für Kopfſteuer zalte jede Perſon über fünfzehn Ya 
s Schilling; von Hab und Gut den 240ften prenni 
oftmals doppelt fo viel, | 


[gi 











C) z — Stadtarchiv Zr. X. B. J. N”. 
) &. den zuͤrcherſchen Richtbrief voin Jahr 1304. 


— 


Rudolf Beun ds 


Die Städte St. Ballen, Eonflanz und Schafhaufen, 
die Fohanniter zu Waͤdiswil, Klingenau und Biber 
Bein und ein reicher Freyherr von Krenkingen fuchten 
und erhielten das Burgerrecht mit Zürich; einige ſchwu⸗ 
ven, daß fie den Eid an Brun dem Eid an der Stadt 
vorziehen wollen. Durch das Benfpiel der Zürcher ers 
muntert, veriagten nun auch die Winterthurer und Die 
Eonftanzer ihren Stadtrath. () Go fehr Brun von 
feinen Bürgern geliebt wurde, fo fehr ward er von den 
verbanneten Rätben und von ihren Freunden als Stifs 
ter alles Unheils gehaffet, als folcher, der Kinder den 
Altern, eltern den Kindern, Freunde und Brüder 
den Freunden und Brüdern entriſſen hatte. Im %. 
1350. wandten fich die Mißvergnügten an Graf Hans 
11. von Habsburg Rapperswil, dem die Blutrache feis 
ned Vaters oblag. Unter feiner- Anführung entftand 
eine, fürchterliche Verſchwoͤrung gegen die neue Regie 
rung. in Zürich. Erſtlich ritt des Grafen Better, Jo⸗ 
bantt von Bonſtetten, unterm Vorwand eined Beſuches 
bey feiner Schweſter in der Abtey, mit groffem Gefolge 
nach Zürich. Den 23. Hornung erfchien hierauf bey 
finfterer Nacht, als in ſchnellen, wichtigen Gefchäften , 
dee Graf von Habsburg felber; den von Hohenlanden⸗ 
berg ließ er in Geheim über die Mauren hinaufziehn. 
Die ganze Nacht Durch zogen die Rapperswiler zu Wafs 
fee und Land gegen Zurich. Ein Thorwächter war von 
den Verfchwornen beflochen. Der ganze Haufe verſam⸗ 
melete fich in der Stadt ben einem mitverſchworenen 
Gaſtwirth. Ein Beckersjunge fchlummerte am Dfen 















9 ©. den zuͤrcherſchen Richtbrief uom Jabr 230% 





20: Rudolf Srum 
des Zimmers, horchte, gieng hinaus und. warnte den 


Becker; diefer den. Buͤrgermeiſter. Der Buͤrgermeiſter 
fteckt fich eilig in feinen Panzer; der Becker lauft am 


die Sturmglode; die Nachbarn wurden geweckt. Eis 


nige Verſchworne fieffen auf der Straffe an den Buͤr⸗ 
‚germeifter und erfchlugen feinen Knecht; ; den Herrn 
verfannten ſie, weil er ihr Lofungswort ausrief; fo 


* warf er fich glüclich ind Rathhaus, ſtieß den groffen 


Riegel und vief mit gewältigem Geſchrey die Bürger 
- aus dem Schlaf. Einer von den Mitverſchwornen, 
der Graf von Todenburg, feßte mitten in der Nacht 
über die Limmat; aus feinen leifen Reden mit dem 
Gefehrten erkannt’ ihn der Schifer ; ſogleich waͤlzte Dies 
ſer das Schif um, daß der Graf ertrank; er felber 
ſchwamm and Land und weckte die Bürger in der klei⸗ 
nen Stadt auf. Laut fehrie der Buͤrgermeiſter vom 
Rathhaus hinunter, daß man die obere Bruͤcke abwer⸗ 
fen und jedermann dem Rathhaus yulaufen fol. — 
Buͤrgerſchaft, in wenigen Minuten gepanzert, folßt fei» 
ner Stimme; er nunmehr an ihrer Spige; unter Ans 
führung der Zunftmeifter eilten Die Handwerker mit als 
lerley Wafen herbey; die Chorherren, die eben im 





WMuͤnſter die Frühmeffe hielten, verlieffen den Altar und 





kamen beiwafnet zum Streite ; von den Fenſtern hin⸗ 
unter warfen die Weiber Kacheln, Töpfe und Steine; 
Da fiel Manch der Scholafter, da fielen Hohenlanden⸗ 
berg und Ulrich von Mazingen und fünf von den che 
maligen Raͤthen. Allzufruͤhe berichtete ein Flüchtling 
den DVerluft aller Hofnung dem anziehenden Volkes 
die Rapperswiler kehrten alfo zuruͤck und fo fahn fich die 
Verſchwornen verlaffen. In größter Zerſtreuung ergriff 
eder bie Flucht; Die einen ertranken; die andern wur⸗ 











— [u — — 





Rudolf Brun. ar 
den jertreten ; andere in engen Gaffen erfihlagen; 
Habsburg und Bonftetten fprangen uber die Mauren 
umd wurden im Graben gefangen. Diefe beyden fahn 
fich nunmehr in dem Thurm Wellenberg auf einen Fels 
im See verwahrt. Drey Tage lang blieben die Tod» 
ten unbegraben auf der Straffe, von- Wagen und Pfer⸗ 


den zerquetſcht. Achtzehn Bürger wurden mit dem 


Schwerdt hingerichtet; neungehn , jeder vor feinem 
Haus, auf das Rad geflochten. Hierauf zog Brum mit 
allen Zürcheen und Yundesgenoffen hinauf nach Raps 


perswil; Die Stadt übergab fich und ward mit Mann⸗ 


ſchaft defekt. Gottfried und Rudolf, die Brüder des 
gefangenen Grafen , verhinderten es nicht und begehr⸗ 
ten nicht einmal die Erledigung ihres Bruders. Nach⸗ 
dem Brun fich vergeblich gefchmeichelt hatte, um Frie⸗ 
den gebeten zu werden, fo fieng er an, mit aflgemeiner 
Verheerung zu drohn. Zur Abwendung derfelben vers 


mittelte nunmehr die Königin Agnes von ‚Defterreich, 


die zu Königäfelden lebte, einen Stillftend der Waffen, 
jedoch ohne Meldung von dem Befangnen im Thurme. 
Der Stilftand endigte fih ohne Zufall. Mit der vor⸗ 


deroͤſterreichiſchen Regirung lebte Zürich im Frieden. 


Ohne Gefahr wagten es alfo die Zürcher , im Begleit 


- der Eonflanzer und der. Bürger von St. Gallen, von 


neuem in die Mark einzufallen und Alt: Rapperswil zu 
belägern. Die dafige Befagung zog ab; Alt» Rappers- 
wil wurde zerftört und von den Einwohnern in der 
Mark ein Eyd genommen. Immerhin fchrviegen die 


von den Waldnern und Elfaffern , den Bafallen des ges 
fangenen Grafen, auf ihrer Kauffahrt geplündert. Die 
erbeuteten Waaren wurden von ben Baſelern und Straß⸗ 


. Grafen. Unterweilen wurden die ziccherfchen Kaufleute - 


Per 
‘ 


22 —Audolf Brum 

Burgen gefauft. Um fich an diefen zu rächen, wu 
Diefe auf ihrer Wallfart nach Einfiedlen von den . 
chern gefangen. Den Bafelern und Straßburgern 
war die Wallfart entbehrlicher ald den Zuͤrchern 
Frankfurtermeſſe; alfo fuchten fie Friede. Gotti 
und Rudolf gaben zur Antwort: Ihr Land fen 
 ‚Dfterreichifched Lehen geworden; ohne Erlaubniß 
Erzhauſes dürfen fie wenig verfügen. Ungeachtet 
Gefar eines öfterreichifchen Krieges, zog Brun aber 
nach Rapperswil; die Stadt ergab ſich; ſechszig 
rer vornemften Bürger wurden nach Zurich gefchi 
Das gräfliche Schloß ward zerfiört; die Etadtmar 
wurden geichleift, die ganze Bürgerfchaft (es war 
December) ſah fich mit Weibern umb Kindern, Kr 
fen und Alten verjagt und bis auf die legte Hütte gi 
alles im Rauch auf. Dadurch brachten die Zürcher a 
Herzog Alberten von Defterreich gegen fih auf; 
ſichern Rückhalt zu finden, traten fie jo im J. 13 
in die endgenöflifche Verbindung. Kraft dieſes Yun 
erhielten fie von den Kantons die Genäpelihung ih 
neuen Bunftverfaffung: 


Johann von Habsburg und Yohann von Bonftet 
blieben immer in dem Wellenberge gefangen. Jei 
dichtete in feinem Verhaſt ein Lied, welches anfängt: 


> Ich weiß ein fchöned Bluͤmelein u. ſ. f. * 


In feinem Schild führte er ein weiſſes Bluͤnchen 
fchwarzen Feld, und fo Beklagte e fich ſelbſt unter dieſ 
Sinnbild. 


Nunmehr kan Albrecht, Herzog von Oeſterreich, Sol 
Koͤnig Albrechts, Enkel König Rudolfs, mit groſſe 


Rudotf Brunn 23 
Sefolg in Das vorberöfterreichifche Erbland. Die Zuͤr⸗ 
cher gingen ihm mit Gefandten und Geſchenken entges 
gen. Dee Herzog berief alle: Voͤgte und Vaſallen aus 
dem Thurgau, Aargau, Sumdgau, Elſaß, Breisgauͤ, 
aus dem Schwarzwald und von Schwaben in die Stadt 
Brugg unweit Habsburg. Vor Diefem verfammelten 
Zandtag wurden die Gefandten von Zürich verhört. AL 
breecht forderte. die Wiederaufbauung von Rappersweil 
und Alt Rappersweil, die Rüdgabe der Marl, Schads 
loshaltung der Rapperöweiler und gänzliche Genugthuung. 
Die Züricher entfchuldigten fich unterm Vorwand der 
Nothwehr und verbaten ale Erflattung. Da rüflete der 
Herzog fein Kriegsherr. Die Züricher fliehten Kaifer 
Karl IV. und die Eydgenoffen um Hilfe. Lebtre zogen 
ſchnell, fruͤh Morgens den 13. September mit fliegelts 


den Panner nach Zürich. Mit fechszehn taufend Mann 


308 der Herzog uber den Glattäuß. Von beeden Geis 
ten wurden zur Werhinderung des Blutvergieſſens Schieds 
richter gewaͤlet. Der Herzog wälte Graf von Straß 
berg und Beter Stoffeln, teutichen Ordensritter, Comm 
thur zu Tannenfels; die Eydgenoſſen wälten Peters 
mann von Balm, Schultheiffen von Bern, und dem 
Kitter Philipp von Kien; die Entfcheidung wurde der 
Königin Agnes , des Herzogen Schwelter, anvertraut 
Die Zürcher Hatten dad Vertrauen zu ihrer Froͤmmig⸗ 
keit, daß fie ihnen gegen das Intereſſe ihres. Hauſes 
Recht Halten würde. Doch fie wurden von ihr verfällt 
daß fie dem Grafen von Rappersweil Erfak thun folk 
ten. Auch alle oͤſterreichiſchen Anfoderungen an Die 
WBaldftädte wurden zu Defterreichd Gunften entfcheiden ; 
ſelbſt die Verpflichtungen der Zürcher gegen. dieſe Walds 


ſtaͤdte wurden versitelt. Noch immer lag Graf Hans“ 


. 
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5 





“ 


2 Rudolf Brun. 


im Wellenberge gefangen. Da ferne Loslaſſung in dert 
Spruch der Königin nicht ausgedruckt war, weigerten 


ſich die Züricher, ihm die Freyheit zu geben; dadurch 


erfchlug fich Die ganze Friedensverhandlung ; nunmehr 
wurden Glück ımd Unglüd dee Waldflädte und der Zuͤr⸗ 
ches noch enger verbunden. Indeß zogen fich die oͤſter⸗ 
reichifchen Hilfstruppen zuſamen. Brun zog der. öfter 
reichiſchen Beſatzung in Baden entgegen. Durch Bur⸗ 
kard von Ellerbach ward dieſe Beſatzung verſtaͤrket. Un⸗ 
weit Baden vernahmen es die Zuͤricher bey Taͤtwil eine 
Stunde zuvor, ehe ſie umgeben und niedergehauen wer⸗ 


den ſollten. Im auͤſſerſter Verwirrung ſagte Brun zu 


ſeinem Diener: Unſer Zuſtand, guter Freund, gefaͤllt 

mir ganz und gar nicht; ich darf es dir kaum ſagen, 
allen Umſtaͤnden gemaͤß wird nicht ein Mann mit dem 
Leben davon kommen; wenig liegt mir am Leben; 
aber alsdenn, du weißt es, iſt die ganze Stadt Zuͤrich 
ohne Rettung verloren. Alſo entwich er in Geheim mit 
feinem Bedienten auf Zürich. Sein Statthalter, Rücds 
ger Maneß, "und der Pannerherr Studi gaben dem 
Kriegesvolk vor, dag er heimgereißt fey , neue Hilfstrup⸗ 
ven zu holen; fie trieben Die erbeuteten Stuten "gegen 
den Feind hin umd brachten dadurch die feindliche Rette 
teren in Verwirrung. Ein von Ferne anrüdender klei. 
ner Hilfstrupp dee Zürichee machte den Feind irre, 
dag er aus Beforgniß eines vermeinten sahlreichen Lies 
berfalld davon Koh. Maneß hatte ein Dreuftündiges Tref⸗ 
fen mit fimfzehn Hundert gegen mehr als vier taufend 
beftanden. Durch Geiſtesgegenwart erhielt er über vier 
Fünftel feines Volkes, verfolgte den Feind bis an die 
Thore von Baden und Tagerte auf der Walftatt biß 
morgens um acht Uhr. Alsdenn zog ex nach Zürichr 


m; —— — — — ————  p a 
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“ 


Audbolf Brunn. 209 


begrub die Todten vor der Stadt und ſteckte por dem 
Rathhaus Die ſechs eroberten Banner aus. Der Buͤr⸗ 
germeifter Brun wurde von dem Volke mit groſſem Ge⸗ 
präng von feinem Landguth in die Stadt geführt. Das 
Volk Hielt die Nachricht von feiner Flucht für eine Lüge 
der Feinde. 


Herzog Albrecht zog nunmehr unterſtuͤtzt von maͤch⸗ 
tigen Freunden, mit dreiſſigtauſend Mann Fußvolk und 


mit vier tauſend Speerreutern auf Zuͤrich. Mit einem 


ſolchen Kriegesherr wurde im J. 1352. die Stadt bela⸗ 
gert. Nach einigen Scharmuͤtzeln ward Friede gemacht. 
Vermoͤg dieſes Friedens ſollten weiter keine oͤſterreichi⸗ 
ſche Staͤdte und Laͤnder Zutritt zu der eydgenoͤſſiſchen 
Verbindung erhalten; die eroberten Guͤter des Herzogs 
wurden zuruͤcke gegeben, Graf Johann von Habsburg 
auch von Bonſtetten um eine betraͤchtliche Summe aus 
den Berhafte befreyet. 


Bald hernach neckte der Herzog die BE von 
neuem. Kaiſer Karl IV. bot ſich zum Schiedrichter an. 
Die Endgenoffen wollten fich zu allem verfichn , jedoch 
mit Vorbehalt der ewigen Bünde: Diefer Vorbehalt 
empörte den Kaifer. Im J. 1354. ward Brun im Na⸗ 
men gefammter Eydgenoſſen mit folgenden Worten as 
den Kaifer gefendet: Wir find einfällige Beute und ver⸗ 
ſtehn uns nicht auf die. Rechte, aber, was wir geſchwo⸗ 
ren baben, wollen wir halten. — Gogleich ergieng 
Nachricht an alle Bundesgenoffen von Oeſterreich, im 
Die Erbländer des Kaiferd, in die Pal; am Rhein, 
nach Brandenburg , in die Reichsſtaͤdte in Frankenland 
und in Schwaben ‚- mit Eriegerifcher Auffoderig. In 
wenigen Tagen erfchien ein öfterreichifched Here am 





26 -Kudolf Brunn 


Glattfluß auf der Kyburgergrenze gegen Zuͤrich Rape 
perswil gerieth in die Hände des Herzog Albrechts; 
groifchen Rappersweil und Kyburg war Zuͤrich von oͤſter⸗ 


reichiſcher Heersmacht umſchloſſen. Mit Feuer und 


Schwerdt wurden die See⸗Ufer verheeret und alle Wein⸗ 
gaͤrten verwuͤſtet. Indeß ſtieß Kaiſer Karl IV. mit zal⸗ 
reichen Truppen zu dem oͤſterreichiſchen Kriegesheer. 
Mehr als vier und vierzigtauſend Mann belagerten vier 
tauſend Eydgenoſſen in Zuͤrich. Unter den Belagerern 
aber waren viele Freunde von dieſen und eiferſuͤchtige 
Nebenbuhler von Oeſterreich. Auf einem bohen Thurm 
in der Stadt erſchien der ſchwarze Reichsadler in göldes 
nem Feld ald Reichspanier, welches die Reichsſtadt Zuͤ⸗ 
rich zum Zeichen ihrer Treu und Reichsfreyheit empor 
Biegen ließ. Zu gleicher Zeit teaten die eydgenoͤſſiſchen 
Gefandten nebit vielen Reichdfürften und Hauͤptern der 
Reichoͤſtaͤdte mit groſſer Bewegung por das Kaiferliche 
Zelt, um Frieden für Zürich und für die Eydgenoffen 
zu fodern. Auf der andern Seite miederfiand aus allen 
Kräften der alte Herzog von Defterreich. Endlich ers 
Härte fich der Kaifer dahin: Er halte es für unſchick⸗ 
lich, daß ein Kaiſer wieder den Willen der meiften Reichs» 
fände Reichsvoͤlker bekriege; die teutfchen Stände billi⸗ 
gen den Borbebait: er wolle alfo Urtheil forechen. So⸗ 
gleich brach Die ganze Reichdarmee auf, fo eilfertig und 
ganz ohne Ordnung, Daß niemand weiß, wer die — 
oder die letzten geweſen. 


Als der Herzog von Oeſterreich ſein Land mutlos fand, 
warb er ſeither im J. 1355. in Ungarn fuͤnfzehn hundert 
leichte Jeuter; fein Landvogt Albrecht von Buchheim 
vertbeilte fe im Krais um Zürich ber.; fie wollten raus 


Xudolf Brun. m 


ben und pluͤndern; die Zürcher aber hatten Mauren, 
Die Endgenoffen hatten Alpen; da die Reuter bier nir⸗ 
gendwo eindringen konnten, brandfchagen fie die eignen 
Ökterreichifchen Dörfer, die in der Nachbarfchaft Tagen, 
Dadurd) wurden bie und da Bafallen des Herzogs , end⸗ 
lich der Herzog felber zum Frieden genötigt. Nachdem 
er zu Regensburg vor dem Kaifer den eydgenoͤſſiſchen 
Vorbehalt genehmigt hatte, kamen wegen der Unter⸗ 
fehrift des Ausföhnungstractats äfterreichifche Geſandte 
nicht bloß auf eine Tagfagung der gefammten Erdge⸗ 
noßſchaft, fondern in jedem Kanton. Brun in Zürich 
‚berief einige Rathsherren und unterfchrieb im Namen 
der Stadt. In den Waldflädten ward , wegen einigex 
zweydeutigen Ausdrüden in dem Vertrage, die Unter 
ſchriſt trotzig vertweigert und deswegen von der geſamm⸗ 
ten Eydgenogfchaft in Zürich eine Tagfagung gehalten, 
Brun entichuldigte ſich wegen feiner voreiligen und dem 
Eydgenofien verbächtigen Linterfchrift, fo gut er konnte. 
Endlich ward einbellig erkennt, an den Kaiſer einen Lats 
fer zu fenden und Erlaüterung zu foden. Der Kaifee 
war in Mähren: Antwort erwarteten die Eudgenoffen 
ungeduldig und vergeblich, bis in den fiebenden Monat 
des folgenden Jahres. Mittlerweile ſchloß Zurich im J. 
1556. ein Buͤnduiß mit Herzog Albrecht für gegenfeitic 
gen Beyſtand; freylich wurden in biefem neuen Buͤndt⸗ 
niß die eydgenoͤſſiſchen Verpfichtungen vorbehalten. — 
Wie geneigt feither Dee Bürgermeifter Brun dem öfters 
zeichifchen Kaufe geivefen , bievon zeugt —— Urkunde 
vom J. 1559. 


Ich, Rudolf Brun, verjaͤhe: Wenn mid; Herzog 
von Oeſterreich in feinen und feine Brüder, Friedrich 


28 Rudélf Bruhn. 


Albert und Läpolt Rath und Geheim und in ihr ſon⸗ 


dee Gnad, Schiem und Dienft genommen hat, fo hab 
ich ‚denfelben meinen „Herren gelobt und darüber einen 
gelehrten Eyd zu den Heiligen gefchiworen, daß ich ih⸗ 


nen und ihren Erben und allen ihren Amtleuten , alle 


Dieweil ich lebe, dienen und ihnen berathen und beholfen 
feyn foll in allen ihren Sachen, allen ihren Schaden 
heimlich und ofentlich zu. werden und ihren Nutzen zu 


fürdern niit Worten und Werken, fo fern ich Kann, daß 


ich ihnen auch ganze Tras und Warheit leiſten will wi⸗ 
der männigfich; niemand ausgenommen dann allein ben 
tömifchen Kaifer, die Bürger dee Stadt. Zurich und alle 
meine und derfelben Stadt Endgenoffen. Doch ſoll mich 
dieſelbe Eydgenoßſchaft nicht irren an der Richtung und 
Suͤne, die weyland Herzog Albrecht und juͤngſthin auch 
Herzog Rudolf mit Zürich und feinen Eydgenoffen ges 


macht ; vielmehr will ich ihnen dieſelbe Michtumg: mit 


allen ihrem Artideln, wie fie verfchrieben und verſchwo⸗ 
ven ift, ſtets füdern und volfführen. Dafür hat Herzog 
Rudolf in feinem und feiner Brüder Namen mir und 
meinen Erben um dieſen unfern Dienft verheiffen und 
geben mit ihrem offenen, befiegelten Brief 1000. fl. gu⸗ 
ter florentiner Gewicht, und und dafuͤr gefet zu einem 
rechten, weſenden Pfand zoo. fl. Geldes auf ihr Steur 
zu Glarus in dem obern Amt, die ein jeweiliger Vogt 
zu Glarus uns alljährlich auf Martini ausrichten fol; 


und ſollen wir dieſelben zoo. fl. inne Haben und nieffen, 


ohn allen Abſchlag, bis uns Die Herzogen die 1000. fl. 
geltend und verrichtend gar und gang, umd follen auch 
wir gedachten Herzogen derfelben Löfung Statt thun 
und gehorſam feyu, wenn fie wollen, und es gemeinigs 
lich oder einer aus ihnen "insbefonderd an uns erfodern, 


| DE Hz 
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& ; 
Rudolf Brun. 29 


sahne Wiederred. Ueberdieß Hat mir vorgedachter Herzog 
Rudolf zu meinem Leibe um der Gnad und Liebe wil⸗ 
len, die er zu mir hat, und wegen der Dienſten, die 
ich ihm geleiſtet und fuͤrbas leiſten mag, geſchaſt und 
gegeben zu rechtem Leibding mit feinem offnen Brief, 
bi8 zu End meiner Wile, von der ehgenannten feiner 
Steur zu Glarus alliähelich abermal 100. fl. die mir 
auch fein Amtmann dafelbft richten fol auf vorgenann, 
tes Ziel. Wenn aber ich von diefer Welt fcheide, (das 
Gott lang wende!) fo foll dem Herzog und feinen Ers 
ben letztre Summe der 100. fl. Leibdings ledig ſeyn, 
und meine Erben nichts Damit zus fchaffen haben. Und 
wenn ich an der Heren von Defterreich oder ihrer Amts 
leuten Rath bin, da foll ich weifen und rathen das Beſte, 
das ich verfiehe, und fol auch alled geheim baben u. ſ. f. 
So weit die Urkunde. 


Wer weiß, wenn Bürgermeifter Brun länger gelebt 
hätte und der bedenkliche Innhalt dieſes Vertrags des 
Tannt worden wäre, wer weiß, ob er nicht alsdenn feine 
Dictatur,, freywillig oder geswungen hätte ‚aufgeben 
müffen, wie Einige behaupten, daß ers im J. 1360. 
wirklich gethan habe. Den höchften Gipfel des Anſehns 
in der Republick Hatte er ohnehin ſchon laͤngſtens erreis 
het. Da fein Credit zu finken anſieng, fo ıwar es ein 
Glück für ihn, dag er mit dem 18. October obigen Jah⸗ 
red, oder (wie andre wollen, ) im %. 1362.1durch den 
Tod von diefer un MWeltbühne abgefodert wur⸗ 
de. (*) 


# 





() Fig Leuen gericon farb Brun erſt im Jahr 1375. 
womit Verfaſſer der Nachrichten uͤber Brunens Geſchlecht 
—————— 





= 24. 


Ya 


30 Rudolf.Brunm. 

lieber der Fürforge für feine Zünfte in Zürich, vers 
gaß er weder fich felber noch feine Famillie. So viel 
weiß man, daß fein Sohn, Brun Bruno, fchon ſeit 
dem J. 1354. Probſt beym groffen Muͤnſter in Zürich 
gewefen; ein andrer Sohn war dem Johanniterorden 
einverleibt; eine Tochter war Stiftsdame zu Schennis. 
Es feheint, er hielt es, wo nicht für ehrenvoller, doch 
fire bequemer und einträglicher,, feine Kinder am Altar 
ald bey der weltlichen Regierung unterzubringen. Noch 
ſaſſen, defien ungeachtet, immer Brunen am Steuer, 
in jeder Rathsrotte, neben dem Eonful. Diefe erfte 
confularifche Familie befaß nicht nur Ehrenftellen, fon» 
dern auch Güter; fo befaß 3. B. der Bürgermeifter 
feit dem %. 1343. den Kirchenſatz bey Sanct Peter wie 
auch den Zebnten zu Altfietten eigentuͤmmlich. Sein 
Sohn , der Propft , befaß das Dorf Thalwyl, und der 


Ritter Eberhard Brun die Herrfchaft Winingen Pfands⸗ 


weife. Der Probſt war Kaifer Karlö IV. Gaplan und . 
geheimder Rath ; hievon geben folgende alte Reimen 
Nachricht : 


Der Probft ift gweßt dem Kaifer werth ; 
Kein’ hat er lieber auf der Erd, 

War fein Kaplan und gheimer Rath , 
Dei auch die Stadt genoffen hat. 
Dann Kaifer Carol: macht den Pundt 
Mit Zürich. Ihr viel Freyheit gunt. 
Drum nieman man verachten fol, 

Was künftig iſt, betrachten wol. . | 
Was für ein fehlimmer Mann diefer Probſt Brun 


geweſen, beweißt folgende Gefchichte: Diefer Probſt 
und fein Bruder, Hertegen Brun, haften den von Gum 


Rudolf Brun. 33 


dolingen, oder (wie Tſchudi (*) ihn nennt,) Johann 
in dr Dw, Schultheilfen zu Lucern. Diefer kam mit 
einem Freund nach Zürich auf das uralte Freudenfeſt 
einer Kirchweihe. Unterwegs wurde der Schultheiß ine 
ner der Stadt Zürich Freyung von Banditen ded Probſts 
gefangen genommen. Bey dieſer Verlegung Öfentlicher 
Gicherbeit fchienen der Bürgermeifter Maneß und feine 
Miträthe fich völlig leiſſam verhalten zu wollen. Das 
Bolt ward unwillig, daß die Regierung in Ausübung 
der anvertrauten Gewalt fo faumfelig geblieben; in 
jalreicher Berfamlung bracht’ es durch ſchweere Dros 
Bungen die Sadye dahin, daß der Schultheiß loskam; 
zugleich gab ed den Zunftmeifteen Proviſionalmacht, 
vermög welcher diefe den Probſt Brun, den Chorherr 
Werne von Rhinach und ihre Mithelfer verbannten. 
Nebſt andern Unfugen und Uſurpationen des Clerus gab 
auch diefer Vorfall Anlag zur Errichtung des Pfaffen. 
briefes, wodurch in dem eydgenöflifchen Bezirk die Hier⸗ 
archie mächtig bezaͤhmt ward. 


Was für ein gemwaltthätiger Geiſt überhaupt in der 
Brimifchen Familie geherrfcht habe, hievon zum Bes 
ſchluß noch folgendes Zeugniß: 


Im Fahre 1373 , wie Müller fagt, oder, nach Tſchu— 
di, den 2 Jenner 1371. wagte ed Ritter Eberhard Brum, 
Rathsherr von Zürich, Sohn des verflorbenen Bürger 
meiſters, und zwar mit Rath und in Beyſeyn feiner 
Mutter, der Witte ded Bürgermeifterd, einen jungen 








(*) Dean vergleiche mit Muͤllers Schmweizergefchichten B. 1. 
f. 378. Zichudis sum Th. L ſ. 471. und Hering 
bein. Kirchengefchichte Sp. IL. ſ. 183. 


33 Audolf Brun. ' 


Vetter , den Urnerſchen Edellnccht, Johann am Stäg, 
im Zürcherfee zu ertränten. Hieruͤber ſchwieg anfangs 
die Regierung in Zürich; nicht aber fehrwiegen die Ur⸗ 
ner; fie hielten Landtag uͤber Blut und Leben; nad) 
abgehörter Kundfchaft und eingenohmenem Rath wurs 
den nunmehr unter freyem Himmel, bey groffen Zus 
lauf des Volkes, Eberhard Brun, Catharina von Stäg, 
feine Mutter, nebſt noch zwo Jungfrauen und zween 
ihrer Knechte, alle zu Zürich gefeffen, als Mörder er» 
Bart und bey Lebenäfirafe ewig aus allen eydgenoͤſſi 
fchen Ländern ‚verbannet. Montags darauf (*) ward 
auf Mahnung des Reichsvogtes Gottfried Müllers auch 
in Zürich die That unterfucht und oͤfentlich von allen 
Kanzeln das Urtheil der Urner beitättigt. 


» Nach gelehrten Schriftftellern, fchreibt Müller, bat 
» Rudolf Brun in abgelebtem Alter diefes gerehn, und 
„nicht nur (worinn man übereinffimmt,) den Verfall 
„ feiner Macht, fondern die Verbannung der Seinigen 
» und neue Geſetze, wodurch feine Zunftmeifter, wie 
„ er dem alten Rath, ibn über dad Haupt gewachfen 
ya. ſ. w. * 


Bon dem Gefchlecht de Brunen zu Zurich find im 
Fahr 1599. zu Zürich befondere Nachrichten gedruckt 
und dem edein Paul Brunen zu Nürnberg zugeeignet 
worden. Aus dieſen Nachrichten erhellet , das ſchon im 
%. 1187. ein Burdhard Brun Mitglied des Rathes in 
Zurich 


—————————————— ————— — 


() So ccreiot di, L Müller beißt 
ae KH Th. L. ſ. 474 Bey heiß 





— — 


— 
Rudolf Brun. 33 


Dich geweſen; im I. 1265. ein Heinrich Brun; im 
J. 1299. ein Jacob Brun, und ſo ununterbrochen im⸗ 
mer Brunen an der Zuͤrcherſchen Regierung bis auf 
unſern erſten Buͤrgermeiſter, Rudolf Brun, im Jahr 
1336. Von dieſer Zeit an befanden ſich immer Maͤn⸗ 
nee aus dem Brunifchen Geſchlechte bey der Zürcher 
fhen Regierung. Der lebte, deffen unſre Jahrbuͤcher 
erwähnen, war Jacob Brun vom J. 1466. bis zum 
J. 1478. 
⸗4 % 
Ä * 

Zum Beſchluß fügen wir noch eine Bevölferungslifte 

der Stadt Zürich aus dem Brunifchen Zeitalter bey. 


Im J. 1357. befanden ſich in der Stadt felbfi 1136. 
MWohnhanufer , in den Vorſtaͤdten 90, alfo zuſamen 1226 
Wohnhaͤuͤſer; inter diefen waren 178 leere. Die An⸗ 
zal der Haushaltungen in der Stadt felbft belief fich auf 
2370 , in ben DVorftädten auf 105. alfo zufamen 2475 
Saushaltungen. In allem 12375 Einwohner, unter 
benfelben 84 Kuechte und 263 Maͤgde. 


— 





1 —. 
Felix Hammerlin. 





ie armfelig «8 vor der Glaubensverbeſſerung mit 

der vaterländifchen Litteratur ausgefehn habe, hie⸗ 
von find die Beyſpiele haufig. Im J. 1335. erwälte 
das Coltegiatfiift zu Zürich einen Leutpriefter; bey der 
Anzeige an den Biſchof von Coſtnitz Heißt ed: Decre- 
tum transmittimus manu Magiftri Joannis Epifcopi de 
Thurego, clerici noftri notarii conferiptum , quia finguli 
de capitulo feribere nefcimus. Gteigen wir näher zu 
Der Epoche der Glaubensverbeſſerung binunter, fo ſin⸗ 
den mir einen Leonard Brun von Ulm oder Echingen 
auf folgenden Bericht Hin zum Peieflee erklärt: pro. 
cura examinatus bene legit, competenter exponit & 
fententiat, computum ignorat, male cantat, — fiat ad- 
miſſio (*). Dieß geſchah unterm Propſt Nidhardt, 
einem Zeitverwandten unſers Felix Haͤmmerlins. In 
den Schriften dieſes letztern befindt fich ein Sendſchrei⸗ 
ben der Maͤrtyrer Felix und Regula aus dem Himmel 
an die Chorhersen in Zürich: ,„ Billig wundern wir 
„ und, beißt es dafelbft, „ daß feit langer Zeit niemand 
» aus dem Dohmſtift zu uns in die Verſamlung der 
» Berklärten hinaufkoͤmmt; wir fandten Den Himmels⸗ 





’ 0) © Heinz. Yatinges Method. legendi hiſt. helvet. 
176. 


gelte Sämmeritin 3% 


werkur/ den ſchuellfuͤſſigen Hazael, auf Erdez Durch 
„ihn vernehmen wir nicht ohne Bedauren, daß die 
Dohmherren ganz die Fußſtapfen Ihrer erſten Vor⸗ 
fahren verlaſſen *. Hierauf Apoſtrophen gegen den 
Müuͤſſiggang und die Dummheit der Prieſter. Seit Con⸗ 
rads von Mur Hinſcheid im J. 1281. bis auf das J. 
1452, alſo in einem Zeitraum von 171 Jahren, war 
kein einziger Geiſtlicher in Zuͤrich, der irgend etwas 
denkwuͤrdiges ausgedacht hatte (*). Unter den Weltleu⸗ 
ten war die Gelehrſamkeit nicht beſſer beguͤnſtigt. Va⸗ 
rillas nennt den Senat. in Zürich grob und barbarifch ; 
auch verfichert er, daß die wenigiten Rathsglieder leſen 
und fchreiden gelernt haben. Von Briefleen und Klo« 
fterleuten wurden die Kanzleyen der Regierung beforgetz 
ſo war . 3. don Gruͤt, chmaligee Schulmeilter zu 
Rapperſchwyl Stadtfchreiber in Zurich; Ruͤdger Man⸗ 
Dach Stadifchreiber und zugleich Praebendarius Altaris S. 
Karoli; Heinrich, Uttinger Chorherr zum groffen Müns 
ſter und zugleich Notarius publicus. Noch im J. 1529. 
fand fich kein Zürcher gefhiht zum Amt eines Stadts 
ſchreibers; man berief einen Fremden, Namens Wert 
ber Beyel, der fich als apoftolifcher Notar des Coſtnizi⸗ 
ſchen Biſchofs in Bafel aufhielt: 


Fe dichter und unbegrängter bie Finſterniß war, um 
fo viel merkwuͤrdiger find die feltnen Geſtirne, Die vor 
der Morgenröthe der Glaubensberbeſſerung an dem Hits 


(*) Hottinger de Schola tigurin. orat. L fi 21. Mehrere 
Invectiven gegen die Zuͤrcherſche Barbarei finds man in Haͤm⸗ 
merlins Handſchriften auf der carslinıfchen Bibliothek in Zuͤ⸗ 
tich, D. 14. in Hottins. bandſcht. Thelanzus.. 


‘ 


6 SZelir zaͤmmerlin. 


terariſchen Himmel erfchienen. Wenn auch jene weni⸗ 


gen Gelehrten. des moͤnchiſchen Zeitalters bey der An— 
kunft der groſſen Glaubensverbeſſerer, wie die Sterhen 
beym Aufgang dee Sonne, ind Grab der Vergeffenbeit 
finfen, immer verdienen fie Aufmerkſamkeit, in wiefern 
wir fie. mit Recht ald Vorlaufer der Reformatoren ans 
ſehen koͤnnen. Als einen folchen Vorlaͤuͤfer von diefen 
legtern koͤnnen wir Felix Hämmerlin oder Malleolus bes 
trachten (*). 


‚Seine Gebet fällt in das Jahr 1389. Die Aeltern 
deffelben waren von altem Bürgergefchlechte in Zürich. 
Schon im J. 1342. findt man daſelbſt einen Zunftmei⸗ 
fier von feiner Familie. Auch findt fich ein Canonicus 
Sriedrich Hammerlin, deffen hohes Alter in unferd Fes 


lie Haͤmmerlins Fugendiahre fällt. Seines Vaters ge⸗ 
denkt diefer ein einzigesmal, nämmlich in dem Geſpraͤch 


de confol:tione inique fuppreflorum (*). ,, Wenn ein 


„Menſch, fpricht die Weisheit, „, von einer Schlange 


- gebiffen wird, fo muß ers nicht ihr zur Laft legen; 
„ fie Handelt nach ihrer Natur. Wenn aber der Menfch 
„ übel handelt, wenn derjenige, welchen Gott gerecht 
„ erichaffen hat, ein krummes Urteil foricht, ſo ſtoͤßt 
» er gegen dad Gefeg der Natur an. — Ben biefer 
» Gelegenheit fallt mir ein, was ich ehmals gehört habe 
» erzaͤlen. Ein Herr traf in der Speifefammer einen 
» groffen Baurenhund an, welcher ein Gefäß rein aus⸗ 
„ geichlurft Hatte. Den Hund ließ der Herr mit aller 


„ Freumdlichkeit, ohne das geringfte böfe Wort, weg⸗ 





(*) ©. Hottingers Biblioth. Tigurin. | 
dV. Helvetifhe Bihkiothet, Grüc I. N”. 





Kelir zaͤmmerlin— ” 


 „ geben; dem Bedienten hingegen, twelcher aus Uns 
„ achtfamtkeit die Thüre nicht zugemacht hatte, gab er 
» die derbften Verweiſe “. Derienige , fügt Hämmerlin 
Bingu , „ der gegen den Hund fo viel Rachficht bezeigte, 
„ mar men Vater *. 


So glücklich die natürlichen Anlagen unſers Haͤmmer⸗ 
kind geweſen, fo fchlecht war ohne Zweifel der erfie, 
öfentliche Unterricht, der ihm in Den Zürcherfchen Schu⸗ 
len beugebracht wurde. Indeß wurden freylich fchon 
Damals fremde Gelehrte nach Zürich gezogen; die Ein⸗ 
beimifchen vervollkommneten ſich auf auswertigen Schu⸗ 
len; für litterarifche „Reifen wurden Stipendien errich⸗ 
tet; beſonders trug ber papfiliche Nuntius zum Flor 
Dee Zürcherfchen Schule viel bey. Inter andern Ges 
lehrten aus diefem Zeitalter nennen wir 3. B. Felix 
Schmid, deifen fehwäbifche Jahrbücher und die Nach⸗ 
richt von der morgenländifchen Pilgeimfahrt des Main⸗ 
ziſchen Decan Bernard Breitenbachs bekannt find ; wie 
auch Eberhard Müller, deſſen Zürcherfcher Jahrbuͤcher 
fich Gerard von Roo, Nauclerus und andre bedienten. 
Hie und da fiengen die Zürcher an, fich zu Bafelı zu 
Wien, zu Heidelberg, zu Paris und. befonders in May⸗ 
land und Piſa den. Wiflfenfchaften zu wiebmen. Daß 
- fonderheitlich auch Heidelberg von ihnen fleiſſig befucht 
worden, bemeißt die Matrickel daſiger Schule. In der⸗ 
felben findt man ſchon vom J. 1406. einen Niclaus von 
Zürich; hernach vom %. 1420. einen Johaun Schwa⸗ 
suenflügel von Hottingen. Auf diefe folgen noch zwey 
und vierzig andere bis auf Die Zeiten der Glaubensvers 

beiferung. In feiner Jugend hatte Hammerlin auf dev 
Schule zu Erfurt Audiert. Daſelbſt legte er ſich mit 


— 





ss Selir Sämmertim 


befonderm Fleiß auf die canonifchen Rechte, damals . 
‘eine der einträglichiten und ehrenvolleſten Wiffenfchaften. 
Ein Doctor derfelben hatte die gleichen Vorrechte eined 
gebornen Edelmanned. Zu Erfurt nahm Malleolus die 
Würde eined Baccalaureus im canoniſchen Recht an, 
Im J. 1411. erhielt er ein Ganonicat beym Muͤnſter⸗ 
ſtiſt zu Zürich. Damals war es nicht ungmwöhnlich , 
Kinder , Die noch mit dem Reiffe ſpielten, mit Kanonis 

caten belehnet zu ſehn. Die erhaltne Beförderung ver⸗ 
anlafte Hämmerlin, eine Reife nach Rem zu thun. 
Koch regierte daſelbſt Johannes XXI. Bald hernach 
aber jab er fich genoͤthigt, den römifchen Stul zu ver⸗ 
laſſen und ich der Kirchenverfamlung zu Koſtnitz zu unters 
werfen. Diefer Kirchenverfamlung war Sämmerlin nicht 
einverleibet; inzwiſchen beobachtete er fehr genau alles, 
“was daſelbſt vorgieng. Mittlerweile erhielt er zu feinem 
Ganonicate in Zurich noch ein andres in Zofingen, 
uͤberdieß im J. 1422. die Probſtey zu Solothurn, Daß 
er dieſe Stellen nicht um Geld erkauft habe, laͤßt der 
Abſcheu vermuthen, den er in alten feinen Schriften ge⸗ 
gen die Simonie an den Tag legt. Wegen der Menge 
feiner Pfruͤnden berubigte er ſich damit, daß er, als 
Gelehrter / der fo vieles auf Buͤcher und Briefwechſel 
verwende, auch groͤſſere Einkünfte verdiene. Cine Zeit 
lang ſchlug er feinen Sitz zu Solothurn auf, Daſige 
Vrobſtey achörte zu dem Biſtum Laufanne; viele vom 
ihren Pfarreyen aber fanden unter dem Bifchof von Con⸗ 
ſtanz. Ben dieſem lebten Biſchof wollte Malleolud 
zween Pfarrer wegen dfentlichen Eoncubinats verklagen z 
Durch Geſchenke wußten dieſe den Biſchof oder feinen 
Vicar fo zu gewinnen, dag Malleokus vergeblich bemuͤht 
war, fe in ihrer. wolluͤſigen Umarmung zu hindern, 


3 


Selir Sämmerlin 39 


Heinrich von Heuͤwen, der Biſchof zu Conſtanz, hielt 
auch ſelbſt Concubinen; noch heut zu Tage beſindt ſich 
unter dea Papieren der chrwuͤrdigen Caſſe am Zuͤrcher⸗ 
ſee eine Urkunde, vermoͤg welcher den Prieſtern in die⸗ 
ſem Bezirk der Concubinat frey und oͤfentlich erlaubt 
war. In der Abhandlung de matrimonio macht Haͤm⸗ 
merlin die fuͤrchterlichſte Befchreibung von der herrſchen⸗ 
den Unteufchheit biefes Zeitalters , befonderd auch in dem 
Eonftanzer » Bezirke. „ Die Aflsonomen, ſchreibt er, 
so Die der Kirchenverfamlung beygewohnt Hatten, Des 
» haupten, daß, gleichwie Italien fich unter des Mars, 
„ und Burgund unter Saturns Einguß befinde, fo Des 
» finde fich das Conſtanzer⸗Biſtum unter dem -Einguß 
> der fchlüpfrigen Venus. Beym Anblick einer fo grofs 
>> fen Menge der fchönkgn Weiber in Eonftanz , alle mit 
„ buhleriſchen Gebehrden und Minen, enthielt fich ein 
oↄ gewiſſer, vömifcher Praͤlat nicht, zu einem daſigen 
„Dohmherrn zu fagen: Ecce veftras mulieres;. five 
„ fint filie vel matres, funt omnes meretrices. De 
> Dobmhere eriwiedertes Et ecce vos viri romani & 
„ italici communiter omnes eftis Macarelli five Bufaro- 
’„ nes maledidtiffimi. * So groß indeß Haͤmmerlins 
Eifer gegen die Unkeuſchheit dee Briefter geweſen, ſo Des 
ſtritt er fie gleichwol , nach dem Gefchmade der Zeiten, 
„ fehr oft mit Waffen, wovor die Keufchheit errütet. 
Unter den ſchluͤpfrigen Einfällen, womit er fo gerne 
feine Schriften beliebte, z. B. wur folgendes Hiſtoͤr⸗ 
gen: (”) Narratur de quodam facerdote, qui propter 








(N) ©. den Auffag de Credulitate Demonibus adhihenda 
in Pre baudfchriftlichem Thefaur. auf der Carol. Biblioth. 
m uͤrich 2 . 


— 


— 


Selir Sämmerlin 
vehementem fornicationis ſoperſtitionem & infamiam 


cum uxore potentioris ville ibidem exortam de fur pa- 
rochia per quoddam nemüs multum perterritus fugie- 
bat; cui Diabolus in forma religiofi fapientis obviabat, 
& ait illi: Quo vades lamentabili trifitia .gravatns , 


quod cognofco divinis vilionibus: Et ille rem geſtam 


finceriter nartavit. Et religiofus ait: Et fi hoc male- 
didtum membrum non haberes, tu indobitanter in villa 


tus fecpre maneres. Et ille: Utique Domine. Et Re. 


ligiofus inquit: Leva vefimenta tus ut tangam illud, 
prout tetigi. Et hoc membrum Hlico difparuit, de 
quo facerdos multum gavifus & in villam reverfus & 
pulfatis campanis innocentiz ſuæ finceritatem oftenfu- 


rus; & congregatis Parochianis ,„ continuo ſpe plenus,, 


ftans in cancellis & confidenger elevatis veftimentis , 
& mox membrum fuum abundantius quam prius appa- 
ruit. Ueberal in Haͤmmerlins Schriften cin fo ſelzames 
Gemiſch von geſundem Verſtand und von moͤnchiſcher 


Kinderey, daß man geneigt iſt, bey demſelben, wie bey 
den alten Weltweiſen, einen Unterſchied zwiſchen eſoteri⸗ 


ſchem und exoteriſchen Vortrag zu vermuten; es ſey 
denn, daß Licht und Finſterniß, Geiſtesfreyheit und Zeits 
glauben auch beu ihm in eben nicht ungewoͤhnter Dis 


ſchung erfihienen. So 4. B. findt man in dem Auffak 


de Exorcifmis- Spuren von Aberglauben , über den auch 


der ſtarke Geiſt fich nicht allemal hinwegſetzt. Aus. 
druͤcklich behauptet ex, daß es erlaubt fen, durch Exor⸗ 


cifmen, durch Worte und Gebehrden Vich oder Mens - 
fchen von ſchweeren. Krankheiten zu heilen; der Beweis, 
den er anfuͤhrt, iſt eben derjenige, deſſen ſich die heuti⸗ 
gen, Gaßnerfchen Wunderkraͤmer bedienen; nam dicit 
Apoſtolus, ſchreibt er, omnia quæcunque facitis, in 





- 





u 


! 


Selig Za4zmmerlin 4 


somine Domini facite; & ille qui dicit omnia, nul- 
lum cafum vel adtum faltem. bonum excipit. Daß un⸗ 
ter gewiſſen Umſtaͤnden die Anrufung dee Dämonen er⸗ 
laubt ſey, beweißt er aus dem Betragen des b. Then 
dors, welcher die Glocke, die ihm vom Papſt Leo ge 
{chentt worden, durch einen Damen von Rom and nach 
feiner bifchönichen Kirche binteagen ließ. Der Beſchluß 
dieſes Aufſatzes ift merkwuͤrdig: „ den Guten und den 
„Boͤſen, fagt er, kann Gott folche Geheimniſſe anver⸗ 


„ trauen , fo wie er gleicher Weile dem gottlofen und - 


„ dem frommen Priefter gefbattet , durch Ausſprechung 
„> gewiſſer Worte den Leib Chriſti vom Himmelsthron 
„ auf den Altartisch herunter zu ziehn. Daher fagt auch 
5 Gregorius, dag die geringeren Mirackel durch die gröfs 
„ fern glaubwuͤrdig gemacht worden. Ein weit gerin⸗ 
» geres Wunder, ald die Brodverwanblung , iſt es, 
„ wenn wir durch gewiffe Worte dee 5. Bücher ein 
» Pferd, eine Kuhe, einen Mauleſel heilen. * Nach 
diefen wenige Proben von Haͤmmerlins Logick und Aus⸗ 
legungskunſt follte man denken, bag er mit dem ganzen 
xömifchen. Glaubensſyſtem fein Spiel gehabt habe. In⸗ 
deß läßt ſich freylich begreiffen , daß er in Abſicht aufs 
Dogma noch blinder Anhänger des paͤpſtlichen Stules 
gewefen , und gleichwol im Abficht auf die auffere Kits 
chenverwaltung fehr ofne Augen gehabt habe. Weltaufs 
faliender find die Ausfchweifungen des Lebens als die 
Verirrungen bes Geiſtes. Keineswegs alfo darf es bes 
fremden, wenn Malleolus weit cher auf Reformation 
ber Sitten umd der Kiechenzucht ald auf Reformation 
des Glaubens bedacht war. 


Nach ſeuchtloſer Beendigung der Kirchenverfamlum 


2: Selirsämmerlin 


gen zu Pavia und Konflanz , erwartete man nunmebe 
eine wuͤrkſamere Kiechenverfamlung in Bafel. Dafelbft 
fchmeichelte fi) Malleolus eine Rolle zu ſpielen; zu 
Diefem Ende bin ſuchte er noch vorher feine Kenntnif 
fen zu erweitern; im Jahr 1425. gieng cr nach Bo⸗ 
logna und erhielt da die Doctorwürde in dem canoni⸗ 
fchen Rechte; zugleich feste er fih in Gunft bey dem 
römifchen Hofe; bey diefem erhielt er Die Anwartfchaft 
auf die Brobfiftelle in Zürich. So bald er von dem 
nahen SHinfcheid des gürcherfchen Probſts, Leonhard 
Moferd oder Moshards benachrichtigt wurde, eilt’ er 
nach Haufe. Der Probſt ftarb im J. 1427. die Chor⸗ 
herren aber wälten, der paͤpſtlichen Bulle zuwieder, den 
Magiſter Heinrich Anenfetter zu feinem Nachfolger. 
Malleolus wollte ſich der Wahl nicht wiederfegen; nur 
bedingte er ſich Die lediggewordene Kantorfielle aus. In 
Diefee Stelle hatte er gleich den Rang nach bem Prob» 
fte. Das Haus zum grünen Schloß gegen dem Muͤn⸗ 
flee über war fir die Wohnung des Cantors befiimmt. 
Malleolus führt uns in feinem Baffionale, welches ein 
Geſpraͤch iſt zwiſchen der Geduldt und ihm felber, 
gleichfam mitten in fein Mufeum hinein. Die Geduldt 
fragt iin: „ In weichem Strich der Halbkugel haſt 
» du deine Wohnmg?. Ohne Zweifel Hat ein günflie 
„ges Geflirn auf. felbige Einkuß? * Hierauf giebt 
„Malleolus folgende Antwort: „ Aus fatalen Um⸗ 
„» fländen und Zeichen willft du das Schickſal meines 
Hauſes erraten, fo wie man vormals bey Erbauung 
„ der Städte Earthago und Troia aus folhen Wun⸗ 
2 derzeichen ihr kuͤnftiges Schickſal zum voraus verkuͤn⸗ 
» digte. So wiſſe denn, daß die Facade meiner Woh⸗ 
„ nung. gegen Welten zugefehrt und dem Sturm ber 


Seltir 5Sämmerlik 43 


Queerwinde ausgeſetzt iſt. Auf der hintern Seite 
„ flieht mein Haus ganz dem Nordwinde offen; gegen 


5 Sud aber wird ed von der Cuſtorey beſchirmt. Das 


n ſelbſt wird mein Muſeum von fanften Lüften um⸗ 
vwehet. Diefed Mufeum liegt: hinter geruchreichen 
wo Geländeen; mit Geräthe, mit Büchern, Yulten, 


n Lefehülen, Tafeln, Teppichen u. ſ w. iſt es fo wol 


2» verſehen, daß vielleicht durch ganz Teutſchland Fein 
» Doctor des canoniſchen Rechtes ein ſchoͤneres Mur 
„ feum bewohnet. Unter demſelben iſt ein Sommer 
» haus, mit eiſernem Gitter umgeben, ſeit vielen Jah⸗ 
„ ren mit allerley lieblichen Singeögeln bevoͤllert, wo⸗ 
» ſelbſt ich in den Sorumerferien groffe Geſellſchaften 
» bewirtbe. ® 


In diefem Ort brachte der Doctor feine füffeften Stute 
den zu. Geine Buͤcheren war Die reichfle im ganzen, 
Coſtniziſchen Biftum. Den Grund dazu legten Die Buͤ⸗ 
cher , welche ſchon im J. 1273. Conrad Mure, der er⸗ 
ſte Cantor des carolinifchen Stifte befeffen hatte. Rebſt 
vielen andern, die er felber angefchaft hatte, nukte ce 
überdieg mehr als fünfbundert Stüde , Die ihm aus bes 
nachbarten Klofterbibliotheden gelehnt worden. Den 
eben erwähnten Eonrad von Mure hielt Malleolus in 
fo groſſer Hochachtung, dag er beynahe zmenbundert 
Jahre nach deffelben hinfcheid , nämmlich im J. 1452. 
«in Grabmal in der Kapelle der heil. Jungfrau, zue 
Linden des geoffen Altard , wieder erneuerte. Geit den 
Tode diefes Eonrads von Mure, der im J. 1281. er⸗ 
folgte ,. war bis auf unfern Malleolus kein einziger zuͤr⸗ 
cherſcher Geiftlicher , dee fih durch Wiffenfchaften bee 
ruͤhmt gemacht hätte. And wird man alfo verzeybn, 








Pr Selir Sämmerlim 


wenn wir dieſem Vorgänger unferd Helden im Vorben⸗ 
gehn einige Augenblicke zum Audenken wiedmen. Bon 


ihm hat man noch auf der zuͤrcherſchen Stiftsbibliothec 


ein Fabularium, welches im J. 1502. von Peter Nu⸗ 


magen copirt iſt. In dieſer Schrift werden nach alpha⸗ 


betiſcher Ordnung die mythologiſchen Erzaͤlungen der 
alten Dichter erklaͤret. In der Einleitung erſcheint eine 
fonchroniftifche Bibelgeſchichte, mit der profanen Hiſtorie 
verbunden. Hierauf ein Verſuch von dem Uefprung der 
bepdnifchen DVielgötterei. In dem mythologifchen Lefis 
con felber ſindt man freylich ‘die felzamften Legenden. 
Eben fo ſelzam ift feine Allegorie von der Philofophie 
und den fieben freyen Künften. In alphabetifcher Ord⸗ 
nung erfcheinen ebenfalls die griechifchen, römifchen , 
arabifchen Weltweifen, jeder mit Ichrreichen Sprüchen. 
unter anderm bat ex auch über den neuen Graͤciſmus ges 
fchrieben ; ferner ein Gedicht uber die Natur der Thiere; 
ein Buch von den Sacramenten; die Märtyrergefchichte 
Felix und Regula; eine Schrift von den eigentlichen 
Namen der Klüffe und Berge ; das Cathedrale roma- 
num; Lobrede der heil. Jungfrau; teuticher Helden⸗ 
ſchild; Katalog der römifchen Paͤbſte und Kanfer; 
Commendatitia Rodolphi Regis; Gefchichte Carls des 
Groſſen; auch ihm fehreibt man das Brevier des zuͤr⸗ 
cherichen Chord vom J. 1260. zu, welches noch jzt in 
der ‚zürcherfchen Stiftöbibliotbect aufbewahrt wird. Don 
allen dieſen Schriften redt er felber im frommen , "Des 
fcheidenen Tone. Tefte philofopho , fehreibt er, quid. 
danı prodire tenus, fi non datur ultra. Eftenim melius 
aliquid boni, quam nihil obtinere. — Non improvide 
audituris ipſum opufculum attente fupplico & ledturis, 
vt dent veniamy. fi quis in co propter infuflicientiam 


Da 


Selir ZJöämmerlim 4 


sompilantis vel feſtinantiam, five fcriptorum ignoran- 
tiam, defectus poterit inveniri. Nam inter mortalia ni- 
hil omni ex parte beatum. Præterea exercitium addi. 
tionis & limam correctionis relinquo poſteris & oommit- 
to u. ſ. w. 


Malleolus war der wuͤrdige Nachfahr Conrads von 
Mure; was dieſer angefangen hatte, ſetzte jener fort; 
uͤberal verbreitete er Thaͤtigkeit ſo wol durch eigenes Bey⸗ 
ſpiel als durch wachſame Fuͤrſorge. Wenn andere Ca⸗ 
pellanen ſelten Fruͤhmeſſen laſen, ſo machte hingegen 
Malleolus ſich eine gewiffenhafte Pflicht daraus, die ſei⸗ 
nigen alle ſelber zu leſen. Damit er auch den jungen 
Clerus zu fleiſſiger Beſuchung des Chors aufmunterte, 
ließ er demſelben jährlich an Felir und Regula Tag, 
auf ſeine Unkoſten, eine gewiſſe Anzal Semmelbrode aus⸗ 
theilen; kraft ſeines letzten Willens ſollte dieſe Austhei⸗ 
lung auch nach ſeinem Hinſcheide fortdauren. 


Das Concilium war nunmehr in Baſel verſamelt. 
Demſelben war Malleolus auch einverleibt. Den Lehr⸗ 
fügen dieſer Kirchenverſamlung ſtimmte er mit Hand und 
Herz bey; deſto mehr aber empoͤrt' er ſich gegen das 
Leben des Clerus; Die liegenden Guͤter der Bettelor⸗ 
den ſchienen ihm ſchnurſtracks ihren Geluͤbden entgegen. 
In ſeinen Schriſten gegen die Lollharden und Beghar⸗ 
den herrſcht ſatyriſcher Geiſt voll munterer Laune. Seine 
eignen Stiftscollegen bezuͤchtigte er ebenfalls freymuͤtig, 
in Worten und Schriften, der groͤßten Ausſchweifungen. 
Ungeachtet die, Kirhenverfamlung zu Bafel den Geiſt⸗ 
 Iichen dad Eoncubinat unterfagte, fuhr gleichwol ein 
Capellan des Stift, Namend Johann Zieg, immer 
noch fort, feine Concubine bey fich zu haben; umſonſt, 





46 Selir Söommerlim 


daß er, auf Malleolus Antrieb , Deöwegen von dem Kata . 


dinal Legat Julianus gewarnt wurde) Endlicd im J⸗ 
1436. überreicht ihm Malleolus im Chorplag der Muͤn⸗ 


ſterlirche ein Bitter folgenden Innhalts: „ Ich Felix 


. „ Hämmerlin, Cantor & Rex Chori £ündige hiermit Fiea 
„» gen an, daß er wegen Beybehaltung feiner Beyſchlaͤ⸗ 
„ ferin in die Ercommunication verfallen fey; da er 
„ nun während diefer Ercommunication dag Amt dew 
„Meſſe und andere gottesdienfifiche Gefchäfte verrich⸗ 
„ tet, fo ift er dadurch profan oder weltlich geworden; 
„ darum foll er keinen Fuß mehr in. die Kirche ſetzen/ 
3 bid er auf gehörige Weile abſolvirt worden. * Fietz 


brach in lautes Gelächter aus und behielt die Beyſchlaͤ⸗ 


ferin. Umſonſt verklagte ihn Haͤmmerlin bey den Chor⸗ 
herren; er gewann eben ſo wenig, als vormals zu Con⸗ 
ſtanz in ähnlichem Handel. Nicht nur ward das Concu⸗ 
binat nicht geahntet , fondern wol gar in manchem Falle 
durch geiſtliches, geſetzliches Anfehn beguͤnſtigt. Mit wie 
viel ehlicher und vaͤterlicher Treu die Prieſter zuweilen 
fuͤr die Beyſchlaͤferinnen und fuͤr ihre natuͤrlichen Kinder 
geſorgt haben, hievon mag folgende Urkunde zeugen: () 
In nomine Dei amen. Tenore præſentis publici inſtru- 
menti pateat, quod ſub anno 1439. indictione ſecunda 
pontiſicatus ſanctiſſimi in Chriſto patris ac Domini nos 
firi, Domini Eugenii divina providentia papæ quarti , 
anno odtavo,. die vero Martis, penultima menfis dea 
oembris, hora prima vel quali, in ambitu eecleſiæ fanc» 
torum Felicis & Regulæ pr&pofiturz. thuricenfis, con- 
ſtantienſis discefeos, In teftium meiqug Notarii a 


_ 








e) ©. Hottingers — ftlichen Thefaur. D. 333 
auf der Eriftsbiekiotber in Zhrich. une — 








Selir Sämmerlin 4 


infta fcriptorum ad hoc fpecialiter vocatorum prefentia 
perfonaliter conftitutus honorabilis vir Dominus Joannes 
Vogt, Redtor eoclefiz parochialis in Mellingen, dicta 
dioecefeos , fanus ratione, mente & corpore vigorofus, 
pie , ut dixit,, conliderans & late perpendens, quia in 
sebus humanis nil morte certius hec mortis hara incer- 
tius invenitur , hujus rei caufa quam diutine occurren- 
tem pr&ftolamur corporis languoris vehementiam — — 
— — — — pure & fimpliciter ac liberaliter legavit &. 
aflignavit Adelheidi Mullerin ancille ſuæ refidenti in op- 
pido Baden, Lienhardo & Jo. Ulrico duobus filiis fuis 
naturalibus communiter & coujundtim domum fuam fi 
tam in dicto oppido Baden cum. omnibus & fingulis. 
utenfilibus — — — — ipfis vero tridus perfonis de 
medio fublatis dicta domus vendi debeat & pecunia Pro» 
veniens cedi debet , & annui reditus ex ils comparariac 
devolvi debent ad ecclefiam illam, in qua prsefatum 
Dominum Jo. Vogt donatorem fepeliri contigerit. So- 
per quibus omnibus & fingulis &c. prefentibus ibidem 
honorabilibus & diferetis viris, Dominis Joanne Stirer 
pr=miflario, Conrado Rud & Uldarico Eghardi, Capel. 
lanis prabendatis prelibate ecclefix prepofiturz thuri- 
cenfis teftibus. 


So ohnmaͤchtig ald Haͤmmerlins Eifer gegen den Prie⸗ 
fer s Eoncubinat war, eben fo ohnmächtig war fein Eis 
fer fie den Gotteödienft überhaupt. Sehr oft, wenn er 
die horas canonicas, das Completorium oder auch die 
Veſper mit feinem Chor von jungen Clericis abfang und 
das Volk indegedem Beichtſtul fich nabte, faffen in ei; 
nem Nebengebaüde der Kirche die Chorherren und Cas 
yellanen , zechten und fbielten, fo dag vor dem Gelärme 


® Selir Sämmerlim 


der Beichtvater kaum die Worte der Beichtkinder hoͤrete. 
» Dee Probſt war mir gramm ; fihreibt Malleolus ſel⸗ 
» ber in feinem Paflionale, * weil ich. auf der Beobach⸗ 
„ tung der gotteädienfilichen Gebraüche fireng hielt, da 
> er ſelbſt fie gerne verabfaumte und lieber anf dem 
Helmhaus (in taberna) bey der Waſſerkirche ſaß & 
» bibendo & convivando & ludendo & taxillando & 
„ sleando & tabellando & cartando & ruflando & al- 
„ tos fenos epulantium & letantium tales firepitus fa- 
„ ciebat, quod confeflor confitentis vocem vix audie- 
n bat. * Oftmals gefchab es, daß nicht genug Geiſtli- 
che da waren , um den Gottesdienft mit Würde zu Hals 
ten. Malleolus verklagte die Eapellanen vor dem Stiftes 
Capitel; vichtete aber nichts aus. Im geheim war 
Vrobſt Annenſtetter auf Seite der Verklagten. Auch 
war er ſelbſt keiner der froͤmſten; er hielt Concubinen 
und hatte Kinder von denſelben; noch immer erinnert 
er ſich mit Unwillen, daß Malleolus bey der Probſtwal 
ſein Nebenbuhler geweſen. Ein andrer neuer Chorherr, 
Mattheus Nidhardt, ward von den Capellanen beſtochen 
und hielt ihnen den Rüden. So wenig Freunde hatte 
Malleolus unter feinen Amtsgenoſſen, dag fie ihm waͤh⸗ 
rend ſeines Aufenthaltes auf der Kirchenverſamlung in 
Baſel den vierdten Theil ſeiner Canonicats⸗-Einkuͤnfte 
. enteiffen , jedoch denſelben, auf feine dringenden Vor⸗ 
flellungen Hin, bald wieder zufennten. Um diefe Zeit, 
im %. 1439. fchrieb Malleolus den Aufſatz contra ne- 
‚gligentes divinum cultum. Auf neue Rache waren Die 
Chorherren bedacht. Ihren Anfchlag und den Erfolg 
deffelden mag Malleolus felber beſchreiblbn. ,, Nach öfs 
» terd wiederholten Klagen über die Ausſchweifungen | 
„des 


Selig gämmerliin m 


m. de Cerus, ſchreibt er in feinem Paſſtonale, warb 
».ich plöglich von dem Probſte nach Koſtniz zu dem Bir 
» fchoff gefendet. Die Eilfertigkeit erlaubte mie nicht, 
„daß ich einen Bedienten mitnehmen konnte; ganz als 
» lein · ritt ich auf meinem ſchnellſten Laufe; ed war 
» Sonnabend den 18. Jenner 1439. Unweit der Stadt 

„> ben Baſſerſtorf flied mir ein unbefannter Mann auf; 
» umterm Vorwand der Unkunde des Weges bieng ex 
» fih Hinten an meinen Laufer. In dem holen Weg 
> bey Swamendingen lief mir der Mann mit einer lom⸗ 
» bardifchen Lanze den Weg vor, fand feft und fchrie 
u mit aufgehobenem Dolche: Nun follt du mir büffen, 
» dag du die jüngern Dohmherren in Zürich, befonders 
s meinen lieben Freund, den Deren Heinrich von Moos 
20 vielfältig beleydigt haſt; drum mach dich fertig zum 
a flerben. — Eine halbe Stunde lang Hielt ich mit lieb⸗ 
» koſenden Worten den Wann auf, und that ihm grofle 
>» Derfprechungen. Inzwiſchen nahten fich rechter Hand 
a über den Fußweg einige Bauren; mit lauten Ge⸗ 
> fehrey vief ich um Hilfe. Der Mörder, ganz auffer 
3 ſich, verwundte mix die. Seite, nahm den Reifaus 
„ und ließ mich halb tod liegen. Noch zu rechter Zeit 
» famen die Sauren und führten mich auf meinem Klep⸗ 
> per in die naͤchſte Hütte... Im beftigfien Paroxyſmus, 


„ da ich fihon viel Blut verloren Haste, fehnte ich mih . 


„ nach einem Prieſter, beichtete und empfieng Das 5. 
» Sacrament. Unter Wehklagen brachte ich die Nacht. 
3 ſchlaſſos und ſterbend zu. Kaum daß das Gerücht den ” 
» mißlungenen Meuchelmord ausbreitete, Ruchtete fich. 

im geheim von Moos nach Wallis; feine übrigen 
» Gefehen wurden von den — in Verhaſt genom⸗ 


90 Felir ßsSammerlbin. 


„ men und mit groſſer Geldbuſſe beſtraft. Heinrich vom: 
„ Moos ward feiner Chorherrenwürde und aller andern 
» Ebrenfiellen entfegt. Im Jubeljabr gieng er nach 
» Rom und flarb auf der Heimreife. Man follte dens 

> fen, der Bifchof von Koſmiz würde ſich ind Spiel 
¶ gemifcht haben, allein der ganze Prozeß wurde vom 
» der Gegenpartei contra noftra ſtatuta jurata immo ſy- 
„ nodalia non den Rätben in Zürich betrichen. Unge⸗ 
» achtet das Verbrechen ruchtbar genug war, fo blich 
» €8 doch weiter ungeahntet. Diefes bringt mir ein His 
» flörgen von einem arglifligen Bauern zu Sinn; als 
» der Prieſter mit dem Weyhwaſſer befprengte, huͤllte 
» diefer ich in den Mantel ein; da jener fich hierüber 
„ verwunderte, fbrach Dee Bauer : Wotern dad Weyb⸗ 
» waſſer meined Vaters Leiche,“ tief in der Erde, un⸗ 
» ter ſchweerem Stein dient, warum folltd nicht auch 
„ mit feiner Wunderkraft Durch meinen Mantel dringen ? 
» Ungefähr eben fo, da die äfentliche Bekanntmachung 
» ded Verbrechens den Verbrechen nicht nachtbetlig ges 
2 weſen, warum follte fie ed mir feyn? Obſchon verab⸗ 
» feheut, ſchweifte doch unangefochten der Meuchelmörs 
u ber im Lande herum; auch kam er auf die Kirchen⸗ 
» verſamlung nach Bafel; daſelbſt erhielt er umter kei⸗ 
„ nem andern Beding Ablaß, als nur in fo fern er den 
> Beleydigten Genugthuung leiſte. Hiezu war ich ges 
"„ Neigt, wofern er eydlich Die Gefchichte des ganzen Vor⸗ 

» falls aufdecken würde. Er thats in Gegenwart vor 
Zeugen und vor einem Notar. Den =. Auguſt 1439 
n farb Hierauf der Probſt, liberis & uxoribus quafi de- 
» fperans in fpmmalibus. Ich felbft half dazu, daß mein 
» Wicherfächer , der Magifter Matthäus Nidhard, zum 
v Nachfahr erwält ward. Unter den Unwuͤrdigen zog 





Fetir SAlımerlim si 


a5 Ich denjenigen vor, der mirs am wenigſten fehlen. 
„Nichts deito weniger ward ich von ihm wegen einiger 
» ſathriſchen Verſe über feinen Eigennug und über feine 
v partenifche Rechtöfprüche aufs beftigfte verfolgt. Als 
4 auch einer der Chorherren, Johann Störi, mir Auchte, 
„ fo war meine Klage hierüber bey dem Probſt nicht 
4 nur fruchtlod, auch warb ich ganz ohne Grund zu . 
„ einem Generalprozeſſe gegen meine Teinde unter dem 
» Ehorherren und zu Widerholung der Hauptklage ges 
„ nötigt, dag die Mithaften des Meuchelmords unge 
4 flört herumwandeln, ob fie gleich von dem Rath und 
3; den Bürgern zu Zürich Öfentlich dem Probſt und dem 
» Kapları zu weiterer Beſtrafung empfohlen worden. 
¶ Indem ich eben Damit umgieng, den Handel vor deu 
» Bilchofin Koſtniz, Heinrich von Hewen, gu bringen, 
„ entzog fih meine Gegenpartei dem geiftlichen Richter 
„ und nahm, gegen alle befchworne Satzungen, Zu⸗ 
„ Hucht beym Rathe in Zürich: Vor demſelben liefen 
„ in meiner Abweſenheit fo ſchweere Klagen gegen mich x 
„ ein, daß die Bürger gegen mich in Wut gerieten und 
4 mich dem Brobft preisgaben. . Yon dieſem ward ich 
„ (nachdem ich lang wie ein Lamm von den Wölfen 
» verfolgt worden, ) ohne geringfte Urfache für ein gans 
4 zes Fahr meine? Einkommens beraubt. Diefen Aus— 
35 ſpruch widerrufte der Bifchof von Conflanz ; deſſen 
ↄ ſchriftlicher Wiederruf überreicht” ich dein Probſte, 
» der ihn bebielt und mie niemals zuruͤckſtellte. Seit⸗ 
45 ber ward mie von dem Biſchof Fein neued Verboͤr 
¶ vergönnt; durch geheime Raͤnke verlor ich fein Wol⸗ 
„ wollen für inimer. In Gegenwärt ded Markgrafen . 
„ von Hochberg und vieler Edeln und Dohmherren ers 


—— 


\ ’ — 


»  Selte ſammerlim 


„Härte ich mich Hierauf gegen den Probſt: Ich wolle 


„aus feinen eignen Schriften beweifen, daß ich ungen 
„ rechter Weife gebüßt worden; wefern der Beweis 


mir mißlinge, fo wol ich meine Bräbende verlieren. - 


» Der Vrobft verfigmte ben Anhörung meiner Droh⸗ 
„ worte; fein rothes Angeſicht erblaßte, er knirſchte 
mit den Zähnen und antwortete nicht: Der Marg⸗ 
„graf und die Ebdelleute verlieffen und voll Verwunde⸗ 
+ rung , noch weniger über meine Dreiftigkeit, als über 
„ das Stillfchweigen des Probſtes. () Ueberal befand 
„ ich mich im Abſicht auf meine Collegen in gleicher 
s Lage wie die Stadt Zurich in Abficht auf die Eyd⸗ 
„genoſſen in damaligen einbeimifchen Kriege. Immer 
5 Waren gegen mich Die mehren Stimmen; man bes 
„handelte mich wie die Einwohner von Herifau jenen 
» Mann, den fie auf blofjen Verdacht hin auffnüpften, 


md erfi hernach feinen Prozeß vor Gericht unterſuch⸗ 


„ten. Eined Tags ald ich von der Zudienung des 
„Abendmals in der Kirche mit Heiterer Mine in die 
.„ Saaifiet zurück trat und nach Gewohnheit daſelbſt 
39, viele luſtige Brüder (bibentes & bibacos Clericos, ) 
„beym Weintifch antraf, ergriff ich auch einen Becher 
„ und trank einem andern zu; dieſes verdroß den Cu⸗ 


ſtos Wernher Spuͤrli, () der fich fonft Waldenburg 








0 Noch iſt vom I. 2442, in dem zuͤrcherſchen Stadtar⸗ 
chiv ein Schreiben von Kaiſer Friedrich, worinn die Untere 
fuchung des Prozeffes dem Rath von Zurich Heimgekellt und 
demſelben Malleoins dringend empfohlen wird. 

(*) In der helvet. Biblioth. St. I. ſ. 36. wird er Jar 
eob Bauͤrlin genennts man ſeh indeß Hottingers bandfchriftlie 
u a D. 14. 1. ſ. 3. wie auch helv. Bibl. St. 1. 
“. 3 % N “ 





$eltr S5iämmerflik 1) 


a’ nennt, fo ſehr, daß er dem Vrieſter den Becher mit 
» Gewalt aud dee Hand riß, auf und beede loszog und 
„ im Ringen mich rüdlings auf den Boden niederwarf. 
» Da diefed nicht nur in Gegenwart vieler Prieſter, 
» fondern auch der Heil. Reliquien felber gefchehn war, 
„ ſo foderte ich die Ercommumication des ungezogenen 
> Danned. Bon Eonftanz aus aber ward dem Probſt 
„> Die Beylegung des Streits uberlaffen und diefer lich 
„ feinen Geſellen Kein Leyd widerfahren. In der That 
„ war gegen mich ein förmliched Eomplot; der Probſt/ 
„ der Cuſtos Wernber Waldenburg und Sueder von 
„ Göttilon waren die Haupter Diefer Zuſamenverſchwoͤ⸗ 
„ tung , welcher Nidhard felber den Namen des grauew 
» Bunde gab. 


„> Ridhard war den Schweizern eben fo gewogen , 
„ ald er an Zürich falfch war. Bey jenen hatte ich 
» mich durch mein Buch de Nobilitate aufferfi verhaßt 
n gemacht. Die Folgen dieſes Haſſes lieſſen mich meine 
Collegen bey jedem Anlag empfinden; in dieſem Punet 
„ Waren fie immer vereinigt, fo fehr fie fonf in andern 
» Buncten von einander abgiengen. Hieruͤber bedient’ 
» ich mich folgenden Gleichniffes. In den weitlauftigen 
> Wäldern von Thüringen, pflegt’ ich zu fagen , befan⸗ 
„ den fich viele Straffenrauber ; ungeachtet ihrer Zus 
„ famenverfchtwürung, hegte jeder Mißtrauen gegen den 
„ andern, fo Daß keiner ed wagte, ganz allein bey dem 
„ andern zu fchlafen oder mit ihm durchs Gebufche zu 
» gehn. 

> Zu wigem Andenten erwähnt’ ich in meinem Buch 
„ de Nobilitate €. 33. des Betrugs, da die Schweizer 
„ſich in der Zeldfchlacht gegen die Zürcher rother Kreuge 


2 Seltr sarmmerlin. 


¶ bedienten ; dieß geziemt in jedem Ghefchichtfchreiber , 
a daß er das Schlimme wie dad Gute erzaͤle; die h. 
„Schrift thut es felber, wenn fie 1. Moſ. XXV. den 
Jacob ald Betrüger feined Bruders, im 2. Mof. II, 
„ den Mofes ald Todfchläger , 2. König XVII. den David 
„als Ehebrecher , 3. König XI. den Salomon ald Abe 
goͤtter, Matth. XXVI den Petrus ald Verlauͤgner 
» des Heilandes darſtellt. Als ich uber meine Freymuͤ⸗ 
» tigkeit beym Biſchof von Laufanne verklagt worden, 


»ſpottete Diefer der Eydgenoſſen und fagte: daß esnicht 


„ weniger ftrafbar ſeyn werde, die Gefchichte der Eyd⸗ 
» genoſſen ald z. 8. die raͤmiſchen, punifchen, troianie 
» fhen Gefchichten gu fchreiben.“ So weit der Ale 
zug aus Haͤmmerlins Paflionale ! 


Wenig erbaulich iſt Die Nachricht, bie er von oben 
erwähnten Waldenburg liefert, Der Vater. dieſes Chors 
herrn war auch felber ein Priefter, einer der Pfaffen⸗ 
richter , welche von dem Dobmftift und von der Abtey 
gefeßt wurden, den Bürgern von Zürich in geiftlichen 
Prozeſſen Recht zu ſprechen. Malleolus beißt diefen Wale 
denburg frequentem mercatorem & maflatorem prædi. 
vitem „ conthoralem prapofiti, d. i. einen Krämer und 
Wucherer, der mit dem Probſt unter der Dede lag, 
Seine Mutter war eine Nonne; Daher fast von ihm 
Häammerlin; Waldenburgum de patre coronato pro» 
cefüiffe & matrem ejus fuiffe fponfam regis regum , d. i. 
fein Vater fey ein Geſalbter des Heren , feine Mutter 
die Verlobte des Königs der Koͤnige geweſen. Schwe— 
been, Waldenburgs Mitverſchwornen, ſchildert Haͤmmer⸗ 
lin als den groͤbſten Geiſtlichen in der ganzen Stadt Zuͤ⸗ 
rich; immerhin warb dieſer Schweder, nach Ridhardts 


Selis SämmerYim. * 


Wbherben, im J. 1466. zum Vrobſte erwaͤlet. Keine 
Gelegenheit lieſſen feine Feinde vorbeygehn, deu Malles⸗ 
Ins bitter zu kraͤnken. 


Ein Stifts⸗Capellan lag auf dem Sterbbeth. Nach 
altem Herkommen fland es bey den drey aͤlteſten Chor⸗ 
herren einen Ragfabr porzufchlagen; Malleolus war 
einer von dregen; um ihn des Vorſchlagrechtes zu bes 
rauben, wußte der Probſt den ſterbenden Gapellan zur 
Ausweſchlung feiner Präbende zu, bewegen. 


Die Aebtiffin zum Frauenmuͤnſter fuchte den Malles⸗ 
ins zum Confervator zu erhalten; fchon hatte er vom 
dem Pabſte Hiezu die Bulle befommen; allein Durch bie 
Kunſtgriffe des Probſts erhielt ein andree die Stelle 
Des Eonfervatords Amt war , die Rechtfamen des Klo⸗ 
ſters zu beforgen und an deffen ſtatt zu Gerichte zu ſitzen. 


Jemand machte eine Anfprach an ihn. Malleolus bes 
rief fich Dagegen auf feine Wirtbichaftöbücher ; damit 
wollte fich der Probſt nicht begnügen. Hierauf appel⸗ 
lirte Malleolus nach Conſtanz. Dee Probſt richtete Die 
Sachen fo ein, daß der Rath von Zürich den Burgen 
meiftee und ben oberfien Zunftmeifter zum Malleolus 

fchieften , mit mancherley Bedrobungen, wofern ex Dem 
Vrojeß anderſtwo als in Zürich werde beylegen laſſen. 
Malleolus gehorchte dem Kath, und von diefen warb 
er in feinem Rechte beſchuͤtzet. . 


Auf die laͤcherlichſte Art verrieth fich der Haß des 
Probſtes und feiner Anhänger bey folgendem Umſtand; 
Die Untergebnen hatte Malleolus gewöhnt, dag fie die 
Palmen in beftimmten Abfägen fangen ; der Probſt 
Dingegen haßte dieſe Cadenzen. Gegen den fchfechten 


ss Selip Sämmerlim 


Geſang brachte Malleolus im Capitel befehelbne. Klage 
vor; dafür ward er ald ein Wirbellopf einen Monat 
lang feines Einkommens und des Beyſitzes in dem Ca⸗ 
pitel beranbet. Bey Aüfferung des geringften Unwillens 
ward feine Strafe verdoppelt. Die wiederholten Be 
leydigungen , Die er tagtäglich ausſtand, ſtuͤrzten ihn zus 
weilen in Schwermut, zuweilen vggten fie fein Eitts 

pfindlichteit fo ſehr, daß er fich nicht. mehr zu mäffigen 
im Stand war. | 


Wenn er nicht. mit aller Gewalt aufgebebt wurde, 
fo war fein gutberzigerer Drang ald er; gegen feine 
Bediente war er gutthätig und freundlich; böfich im 
Umgang und prächtig in Bewirthung derjenigen, die ihn 
befüchten. Uebrigens war er eben fo geneigt, Reichtum 
zu fammeln, ald er zu beträchtlichen Ausgaben gewöhnt 
mar. Groſſe Geldfummen batte er auf Bücher vers 
wendet: auch lidt er wich Verluſt in dem einheimifchen 
Kriege. Auſſer feinen Bräbenden, gewann ex noch ſehr 
viel Durch feine juridifchen Ratbfchläge. Der Marggraf 
von Baden batte ihn zum geheimben Rathe gewählt ; 
der Marggraf von Hechberg fehäßte ihn ebenfalls ſehr 
Koch; in groſſem Anſehn ſtand er ebenfalls bey dem 
Öfterreichifchen Adel, der Damals zu Zürich in Beſatzung 
lag. Durch fein Werk von dem Urſprung und den Vote 
rechten bed Adels hatte er fih bey denſelben ungemein 
beliedt gemacht. Deſto mehr erbitierte ee durch Die all⸗ 
zurachfüchtige Zeder feine Feinde und die Keinde der 
Zuͤrcher. In einem eignen Abfchnitt ſammelt er alles. 
zufamen, was jemals über die Schweizer boͤſes gefagt 
worden. Ihre Lebensart, ihr Abfall von Defterreich , 
ihre Grauſamken in dem. einbeimifchen Kriege, ihre 





Seltir sgämmerlin 57 


Deeuloſigkeit an den Zuͤrchern werben im ſchwaͤrzeſten 


Lichte gemalet. Er geht ſo weit, daß er behauptet, die 

Zürcher ſeyn um ihrer Ehre und um ihres Vorteils 
wien verpflichtet, den Endgenoffen ihren Bund vor Die 
Füffe zu werfen. Nicht weniger ftachlicht war ein ans 
dee Werk unter der Aufſchrift: Proceffus judiciarius 
coram omnipotente Deo inter Nobiles & Thuricenfes 


‘ex una & Suitenfes cam complioibus partibus ex altera. 


Diefe Scheift iſt dem römifchen König Friedrich zugeei⸗ 


"guet. m derfelben erzalt er, was ſichmach der Schlacht 


bey St. Jacob zugetragen habe. Die Erfihlagnen wur⸗ 
den von dem Erzengel Michael ind Paradies geführt; 
DafelbR mußten fie harren, bis ihre Bruͤder, welche zu 
Greifenfee das Leben verloren hatten, auch ankamen; 
hierauf führte fie Michael zu der Pforte des Himmels ; 
fogleich ließ fie Petrus Hineingehn ; von deffelben Nach» 
folger, Pabſt Clemens , wurden fie zu den Schutzheili⸗ 
gen der Stadt Zürich geführt. Clemens ftellte fie. Carln 
dem Groffen, ald dem Stifter der Kirche zu Zürich) 
vor; ingwifchen lief er den neuen Gaͤſten ein herrliches 
Mal zubereiten; Tags bierauf lieh er alle angeiehenen 
Rechtögelehrten des Himmels zufamenberufen , um die 
Unfchuld der neuen Ankoͤmmlinge zu beweifen; es ers 
fehiert aber keiner als Magifter Yo; dieſe fügte, daß 
er vergeblich mehrere Rechtögelehrte im Himmel gefucht 
babe. Alſo traten fie vor den Thron des Allerhöchften, 


wo Pop gegen die Endgenoffen ſchweere Klagen vor 


Brachte. Hierauf vernahm der hoͤchſte Richter (ohne 
Zweifel ſehr Bedächtlich ,) dad Gutachten’einiger Paͤbſte; 
dieſe baten um Bedentzeit für die Beklagten; der En⸗ 
gel Azahel flieg auf die Erde hinunter, um fie zu cities 
ren, die Lebendigen fo wol als die Todten; es erfchien 





ss Selir Zaͤmmerlin. 


aber niemand; dann ließ Der oberſte Richter (im ich 
ja nicht zu ubereilen, ) die Water des alten Teſtaments 
sathöfragen und endlich durch den Propheten Jeremias 
Das Gontumazurtell ergehen; zur Vollziehung deſſelben 
ward der Erzvater Jacob beſtellt; dieſer entließ die 
Schutzheiligen der Stadt Zürich, Mößte den Zürcher» 
fchen Bürgern Muth ein, machte ihnen Hofnung zu 
dem heranruͤckenden Entfage, teug bernach dem Apoſtel 
Jacob auf, daß er den Feinden ein Golgatha zubereite, 
wie er dann biegg unweit Yafel bey St. Jacob an der’ 
Bird einen Ort zur Schlacht wenbte umd denſelben dreife 
fig Nächte nach einander von- Gefpenfteen befuchen ließ; 
zuletzt foderte der Erzvater Kaifer Karl den Groſſen auf, 
daß er einen feiner Entel, den Delphin, zum Entſatz 
aufbeute, | 


So fehr man über die poetifche Dichtungstraft des 
Malleolus erſtaunt, fo fehr wird man über den drollig⸗ 
ten Ton lachen. Oder wie gefällt dem Lefer folgende 
Sprache? Atrox calliditas, audax crudelitas, cordax 
afperitas, contumax beftialitas, dedax lupoſitas, dicax 
volpofitas, edax hoftilitas, eflicax malignitas, fallax 
jecuritas , ferox immanitas, ypax curiofitas, illex fcur- 
rilitas, mepdax voluntas, mordax immanitas, minax 
improbitas, odax pompoſitas, olax iniquitas, perplex 
obſtinacitas, pallax impietas, pertinax rigiditas, per- 
ſpicax doloſitas, pervicax inanitas, procax ſeveritas, 
rapax inſatietas, fagax perverſitas, ſatax temeritas, ſa- 
quax perverfitas , tenax profervitas, trux impetuoſitas 
& vorax corrofitas quarumdam gentium, qua vulgo 
Suitenfes cum complicibus nuncupantur u. f. w. Diefe 
Schrift, weiche dem Such de nobilitate beugefügt ifk, 


KSelir Jämmerlim 59 


zog dem Verfaſſer tauſend Verdruß zu. Der Probſt und 
feine uͤbrigen Feinde bedienten ſich dieſer Gelegenheit , 
ihn gaͤnzlich zu Grunde zu richten. Nicolaus von Gun⸗ 
deiſtuger war Biſchof Heinrichs von Hewen Vikar; uns 
wiſſend Hatte ihn Malleolus beleydigt. Dee Vikar, 
ließ er ſich ehmals vernehmen, zieht wol von den Con- 
cubinariis die Buſſe ein, zugleich aber erlaubt er ihnen, 
in dem Goncubinat zu verbharren ; noch uͤbler empfand 
mans zu Coſtunitz, daß Malleolus die Dohmherren zu 
Chur beredt hatte, daß ſie lieber einen eignen Biſchof, 
als den Biſchof von Coſtnitz uͤber ſich ſetzen. Dieſer 
Coſtnitzer⸗Vicar ſchmeichelte ſich, durch Wegrauͤmung 
des Malleslus bey den Eidgenoſſen Dank zu verdienen. 
Den 18 Februar 1454. ald eben von allen Orten aus 
der Eidgenofichaft eine groffe Menge Volkes auf dem 
Karneval nach Zürich gekommen war, fiel um die Mits 
tagsſtunde ein Trupp Männer, die. von dem Vicar bes 

ſtellt worden waren, in Malleolus Haus und ſchleppte 
ihn mit Gewalt auf dad Richthaus; zugleich wurden 
feine Bibliothek und fein Geräth auf Befehl des Vicars 
auf die Seite geihaft. Um die Veſperſtunde ward Mal⸗ 
Keolus, in Gegenwart von mehr ald 3000 Perſonen, 
auf fein Pferd gefeßt; ihm wurden von unten die Fuͤſſe 
gufamengefeffelt und die eine Hand feit an den Sattel 
gebunden. Heinrich Germwil, des Vicars Bedienter, 
nahm das Pferd beym Zaum und fuͤhrte ſo den Malleo⸗ 
Ins aus der Stadt nach Gottlieben. Sonſt behauptete 
der Rath in Zürich, auch bey geiftlichen Prozeſſen, das 
Recht vorlauftiger Unterfuchung; dießmal durfte eö der 
Kath fogmau nicht nehmen ; einerſeits nämmlich fchien 
Haͤmmerlins Verbrechen in den Augen der Eidgenoffen 
ofenbar genug; anderſeits wagte ed der Rath, wegen 


60 Selig JämmerTim 

der zalreich anweſenden Fremder nicht germe, dieſten 
Bruch des Burgfriedens mit Nachdruck zu wehren. Zu⸗ 
gleich berichtete der Vicar zeitig nach Zuͤrich, daß alles 
auf ſeine Verordnung geſchehen ſey. Zu Gottlieben ward 
der Doctor in ein dunkels Gefaͤngniß geworfen; vier⸗ 
zehn Tage darauf kam er in eine andere Feſtung; nach 
zween Monaten baten die beeden Herzoge von Oeſter⸗ 
reich, Albrecht und Siegmund, den Biſchof, daß er auf 


ihre Verbuͤrgung den Doctor zu ofenem Recht frey laſſe. 


Anfangs ſchien der Biſchof hiezu wicht ungeneigt; bald 
aber hielten ihn die Wiederſaͤcher des Gefangnen zuruͤck. 
Auf einmal nahm dieſer, als ſeine Huͤter ſchliefen, der 
Gelegenheit wahr und ſchlich ſich davon. Zwoͤlf Tage 
lang hielt er ſich in der Stadt Coſtnitz verborgen; man 
verrieth ihn, und ſo ward er wieder an Ketten in ein 
enges Behaͤltniß in einem hohen Thurme geworfen. Da⸗ 
ſelbſt lag er auf gleichem Strohlager mit einem Uebel⸗ 
thäter, der verfihiedene Todfchläge verübt hatte. Auf 
dieſer Seite ward der Doctor von dem Lngeziefer des 
Cammeraden graufam geplagt, da bingegen Die andre 
Seite fauber und rein blieb. Die Nacht durch wurden 
Die Gefangenen bald von fürchterlichem Wetterleuchten, 
batd von Erdbeben und herabfallenden, ungebeuren Steis 
nen ganz auſſer fich felber gefegt. 


Nach einem Verhaft von vier Monaten kam ber bis 
fchöRiche Bicar mit einem Notarius; anfangs weigerte 
fi) Malleolus, den Bifchof, den er für Partey anſah, 
zugleich als Richter zu erkennen; endlich mußte ex fich 
biezu gegwungen- verftehen. Auf die vorgelegten Klags 
puncten entfchuldigte er- fich folgender maflen: Das 
Biſtum Chur, nach welchem der Conſtanzer⸗Biſchof 


4 


Selig Siämmertin 6: 


geſtrebt habe, fen von dieſem ganz unabhänglich. Kei⸗ 
neswegs alfo babe Malleolus gegen feinen Eid gehan⸗ 
delt, wenn er gleich die Dohmherren in Chur von der 
Unterwerfung unter den Conſtanzer⸗Biſchof zuruͤckge⸗ 
halten habe. Niemals ſey von ihm irgend etwas ohne 
Namen und Unterſchrift, auch nichts ohne Bewilligung 
der Obern geſchrieben worden; den Aufſatz de validi⸗ 
mendicantibus habe der Vicar ſelber in feinem Haus ges 
Babt ımd ihm feit fünfzehn Fahren, darinn nicht den 
geringften Fehler gewieſen; auch fey dieſer Aufſatz in 
Bafel zur Zeit der Kirchenverfamlung öfentlich und ohne 
Wiederrede verkauft worden; freylich habe er Satyren 
gegen den Probft und gegen einige Dohmherren verfer, 
tigt; hieran aber habe er nicht unrecht gethban, weil 
ee die lautere Warheit gefagt; alle Scribenten des als 
ten und neuen Teftamentes umd alle Gefchichtfchreiber 
por der Geburt und nacheder Geburt Chrifti haben fo 
wol dad Böfe als das Gute befchrieben; das Buch de 
nebilitate habe er mitten im Krieg aufgefet ; der Can⸗ 
ton Zürich babe fich nebft allen feinen Anhängern in 
den Yubeljahr zu Bern mit der Gegenpartey verfühnet, 
und dieſer allgemeinen Ammeltie hofe er, ald Bürger 
von Zürich, auch zu genieffen; zuletzt führte der Ge⸗ 
fangne fein hohes Alter. von fimf und ſechszig Jahren 
an und fieht’ um Erleichterung feines Schidfals. 


Drey Monate bernach ward Malleolus von den Feſ⸗ 
fein befreyt und in den bifchöfichen Pallaſt geführt. Das 
ſelbſt vernahm er fein Urteil, daß er Des Canonicats bey 
der Stift in Zürich follte entfet und auf ewig in ein 
Kloſter gefteckt werden. Des Canonicats zu Zofingen 
und der Probſtei zu Solothurn ward nicht gedacht ; 











62 Selir Gi mmerlin 
auch bebielt er diefelben tm Kerker, ob er ſchon davım 


wenig beziehn mochte und endlich letztere im J. 1456. 


oder. 1457. felber freywillig aufgab ‚ut propofitum iter, 
wie ex fich ausdrückt, in fanius dirigeret. 


Im Februar 1455. ward er aus dem Thurm megges 
nommen und mit gebundenen Händen weiter geführt. 


Aller Deut verlieh ihn, ald er fich in dee Stadt Luzern . 


und feinen vornehmften Feinden ausgefegt fah. Man 
ſtieß ihn nicht in ein Klofter, fondern in einen grauſa⸗ 
men Kerker; daſelbſt blieb er zween Donate; nach⸗ 
her kam er in einen etwas bequemern Ort in einem 


Khurm bey dem Franziſcaner⸗Kloſter, deſſen Guardian 


m Malleolus Zuchtmeiſter beſtellt war. Der Doctor bes 
ſchreibt ihn als hartherzig. Um ihn zum Mitleiden zu 
bewegen, hatte er ſich folgender Parabel bedient: In 
der Stadt Solothurn, ſprach er, wohnte an dem Aar⸗ 
Fluß ein einfaͤltige Mann. Beym Ausbruch des Fluſ⸗ 
ſes rief er aus: O wie fromm und ehrlich ſind nicht 


die Buͤrger dieſer Stadt! Hundert und tauſend Eimer 


von dieſem Waſſer koͤnnten ſie heimlich entwenden, und 
zu Baſel wuͤrd' es niemand bemerken; gleichwol ſind 
ſie ſo aͤngſtlich, daß fie es nicht thun; Alsdenn ſetzte 
Malleolus hinzu: O Pater Guardian, mir koͤnnteſt du 
hundert Liebeswerke erweiſen, die dich nichts koſten wuͤr⸗ 
den, ohne daß es meine Verfolger jemals erfuͤhren, und 
du thuſt es ja doch nicht! — Mit der Zeit ward Mal⸗ 
leolus gelinder behandelt. Man ließ ihn auch einige⸗ 
male Meſſe leſen. In dem Kerker ſchrieb er verſchie⸗ 
dene Sachen, indeß ohne Beybilfe dee Bücher, 4. B- 
de miſericordia captivis impendenda; regiſtrum quæ- 
telæ in caufa captivitatis fux; de occaſione boni & 


— — — — pn —_ —— — 


Yelir Sämmerlin 63 


mal; de emtione unius pro viginti; de exorcifmiss 
de credulitate demonibus adhibenda. In dieſen Schrife 
ten ſindt man die alten Klagen, und zwar (ungeachtet 
feines Drucks,) in gleichem, freymütigem Tome. Ents 
weder alfo find fie dem Guardian nicht zu Gefichte ges 
Sommen oder er hat fie nicht immer verflanden. Aus 
Diefen Schriften erbellet, daß er auch im Gefängnis 
sicht völlig weder des mimdlichen noch des fchriftlichen 
Umgangs feiner Freunde beraubet geweſen. Wie lang 
Haͤmmerlin noch gelebt Habe, if unbekannt. In der 
Schrift von den Eigenthumsgütern der Mönche gedenkt 
er der Pfingſten 1457. Gewiß iſts, dag er im Gefängs 
nis geftorben. In dem Thurm, wo er gefangen lag, 
war auch ein Briefter, Namens Burcard, ebenfalld ein 
Zürcher, ſchon ein alter. Dann, in einem hölzernen 
Stock eingefhloffen; .er war ehedem, wegen angediche 
teter Vergehungen, die man nicht weiß, aus der Eid⸗ 
genogfchaft verbannt worden ; in dem einbeimifchen 
Krieg aber kam er wieder nach Zürich, in der Mei⸗ 
nung ,. diefe Stadt fen fchon ganz von der Eidgenof- 
fchaft losgeriſſen; feine Feinde erflärten diefe Zurück 
Zunft ald Liebertrettung des Bando; der Vicar Guns 
delſinger ließ ihn auf oͤſterreichiſchem Boden wegnehmen 
und nach Luzern bringen. Haͤmmerlin gedentt feines 
Mitgefangenen in folgenden Verſen: 


Lamentatio duorum facerdotum captivorum. 


O tù, Thuregum, caftrum laudabile regum, 
Quod Carolus magnus dotavit carmine legum , 
Sed nunc contra leges facerdotes male premis 
Sandtos Criftos ex ordine digno miniftros - 

Tu capis & carceras, torques ligamine funis, _ 





— Selir hßaͤmmerlinm 


Tanquam latrones dirigis ut pecora campi, 

Ad trucidandos tradis ut crimine falſos 

Læſæ Majeſtis: Et fi forent inſtituti 

Cum fummo pontifice , ſtarent de crimine tuti 
Aut Imperatore. Capientes plus quam timerent 
Quam capti, quemadmodum de mero jure pollerent, _ 
Ex his non dubites, quin fit præſago futuri 
Mali terribilis, putant Theorici puri. 

Hxc gefta peracto de triftis temporis anne 

Bis feptingentis quinquaginta quoque fexto 

Hæc Doctor felix didtavit Solodorenfis, 

Olim prz=politus, quemadmodum fuerat de bufillis 
Unus eft iftis: Et alter ordine Francis, _ 

Et ambo filii pariter urbis thuricenfis 

Et nunc Francifci Lucerio clauftro perenni 
Divifo carcere, fed animo ſæpe conjundti. 

Spem praftat Dominus, eja femper patienti 
Reddet vindidam malitie vim facientl. 


Mögen fie noch fo mittelmäffig ſeyn, Diele Verfe, 
jmmer werden wir an ben Klagen Theil nehmen und 
es dem Gefangenen gönnen, wenn er mit Poeſien und 
mit Prophezeyungen feine Qual zu tgüfchen im Stand 
iſt. In einem andern Kia fanden wir folgende 
Einfälle: 

Sacerdotes Dei viri 
Geweyht nach priefterlicher Art 
Sunt ligati loris diri , 
Deßglych da nie gefehen ward; 
Unus Dodor decretorum , 
Der ander ift ein Barfuß alt, 
. Ambos 





> 


Selir ZJämmerlin 6 


Ambos genuit. Thuregum ; 

Dieß iſt ein wunderlich Gewalt; 
Nullo jure funt convidi 

Und um keinerley Bosheit 
Carceribus funt condidi | 
Wider Gottes G’rechtigkeit. 

Ex hoc adtu quid dicemus, 

Als wir nie gefehen band, 

Niſi malum judicemus , 

Muß bald kommen in ihre Land, 
Et fic venit prophetia, 

Die Hievon gefaget iſt, 

Ut fuper Clerum Tyrannia 

SoH kommen von dem Enti Ehrift u. ſ. f. 


In folgendem Todesgefang befinden fich ruͤhrende 
Stellen: : 


Dies irz, dies illa folvet Geclum cum favilla 
Tefte David cum Sibilla. 
Tantus tremor eft futurus , quando judex eft venturus, 
Cunda ſtricte difcuflurus ; 
Tuba mira fparget fonum per Sepulcra = 
Cogens omnes ante thronum, 
Mens ftupefcit & natura, cum relurgit creatura, 
Judicanti refponfura ; 
Liber fcriptus tunc docetur , in quo totum Gontinetur, 
Unde mundus judicetur. 
Judex ergo cum fedebit, quicquid inet, —— 
Nil inultum remanebit. | 

&..-. 





“ SJelir Sämmerlin 


Quid fum mifer tunc dieturus, quem patronum rogaturus, 
'Dum vix juftus fit fecurus ? 

Rex tremendæ majeftatis, qui falvandos falvas gratis „ 
Salva me, fons pietatis; 

Recordare Jefum pie, qui fum caufa tux vie, 

Ne me perdas illa die, 

Quzrens me fuilti apfus, redemifti cruce paflus, 
Tantus labor non fit laflus; 

Jufte Judex ultionis, donum fac remiflionis 

Ante diem rationis; 

Ingemifco tanguam reus, culpa rubet vultus meus, 
Supplicanti parce Deus, 

Qui Mariam abfolvifi & Iatronem emendafti s 

Mihi quoque fpem dediſti; 

Preces mex non funt dignz, fedtu bonas.fac, benigne, 
Ne perenni cremer igne. 

Inter oves locum prafta, & ab — me fequeftra , 
Statuens in parte dextra, 
Ne conjugar maledidis, flammis — & addidis, 
Voca me cum benedidis, 2 
Oro fupplex & ruinis, cor eontritum quafı cinis , 

Gere curam mei ſinis 

Lacrimofa die illa, cum refurget ex favilla 

Tanquam ignis ex Scintilla 

Indicandus homo reus; huic ergo parce Deu, 

Efto femper adjutor meus, 

Quando cœli funt movendi, dies affunt tunc venendl, 
Nullum tempus pasnitendi: 

Sed falvatis læta dies, & damnatis nulla quies , 

Sed Dzmonum effigies. 

O tu Deus majeftatis, alme candor trinitatis „ 

Nune conjunge cum beatis, 


⸗ Selir Säammerlim 67 


Vitam meam fac felicem, propter tuam genitricem , 
Jeſſe Aorem & radicem, 

Prefta nobis tung levamen , dulce noftrum fac certamen 
Ut clamemus omnes amen! 


Im J. 1456. hatte Malleolus in dem Gefängnif ums 
ter anderm das Regiftrum querele gefchrieben. Die Aufs 
fehrift lautet alfo: „Regiſter der Klagpuncten in dem 
„Prozeß des Magifter Felix von Zurich, der fich jaͤm⸗ 
„ merlich in dem Gefängnig befinht, überreicht in dem 
„Palaſt des Himmelhofed von des Gefangnen Schutz⸗ 
„ engel. Graufam ift derienige, der nicht feinen guten 
» Namen verthaidige *. Diefe Schrift ift durchaus 
in Form eines Prozeſſes geichrieben; ſie enthält meh» 
rere Lebensumfiände des Verfaſſers, von welchen Die 
mieiften fchon oben angeführt worden. Auch hier machen . 
Ungeduldt über den Verhaft und ohnmaͤchtige Rache 
ſucht gegen die Verfolger unfern Malleolus zum Prophe⸗ 
ten; mit vieler Gelehrſamkeit berechnet ex fo wol das 
Ende der Welt ald die Erfcheinung des Antichriſts (): 
» Die Welt, ſagt er, if fo voll Bosheit, daß fe dem 
„ Untergang nahe fenn muß. Obſchon Chriftus feinen 
„Juͤngern den Tag des leuten Gerichts nicht beſtimmt 
„ vorberfagen wollte, fü darf ed und gleichwol keines 
„ wege befremden, wenn er andern heiligen Menſchen 
» Geheimniffe entdedt, die er vor jenen verborgen hielt. 
„Vaulus fagt: . der eine Hat die Gabe der Ofenba⸗ 
» tung und der Weiffagung; andre haben andere Gaben. 
» * h. —— ſetzt das Ende der Welt in das 








9 Diefes und öbige Städe findt man in den Hottinger⸗ 
ſchen Handſchriften auf der Caroliniſchen Biliothedc in Zürich. 


* 





68 Selig Zaͤmmerlin. 
» ſiebente Yahrtaufend nach der Erfchafung. Eben fo 
» behaupten Eufebius und Kolumbinus in ihren Chro⸗ 
» nikons/ dag Gott alle Dinge nach der Zal Sieben 
» angeordnet habe; fieben Tage der Woche, fieben Pla» 
„ neten am Himmel, fieben Zeichen in der Apocalypfe. 
„Oben angeführter Methodius nimmt an, daß von der 
'„ Erfihafung bis auf die Geburt Chrifti fünftaufend, 
„achthundert und neun Fahre verfloffen fein; Beda 
» galt nur viertaufend, fiebenhundert und vier und zwan⸗ 
» 39 Jahre; Oroſius fünftaufend und fünfhundert ; 
>» Eufebius fünftaufend, Hundert und neun und neun⸗ 
> 3i9; die Aegyptier viertaufend, zweyhundert, ſechs 
„ und fünfzig; die Affirier viertaufend , fiebenhundert , 
» acht und achzig; die Syrier fünftaufend, dreyhun⸗ 
» dert und zwanzig; die "Juden dreptaufend , ſieben⸗ 
> hundert, vierzig Jahre; die Aſtronomen zälen fünfs 
» taufend, fünfhundert, acht Jahre; damit ſtimmt die 
„ Zeitrechnung der griechifchen Dollmetfcher überein ; 
» auch verdienen letztre am meiften Glauben; wenn man 
„nun zu ihrer Zeitrechnung die chriftliche bis aufd Jahr 


2» 1456 hinzuſetzt, fo bleiben nicht mehr als fechd und. 


„dreyſſig Fahre übrig und das fiebente Jahrtaufend wird 
„ da feyn. Bon alle dem glaube man, was man gut 
„» finde; jedermann arbeitet, baut, fammelt Güter, 
„» macht Entwürfe, gerade als wenn die Welt unaufs 
>, Dörlich alfo fortdauren wurde. Indeß haben wir die 
» Weiffagangen verfchiedner beiliger Männer, und fie 
» alle verfündigen in genaufter Uebereinſtimmung mit 
‚» den h. Schriften, die nahe Ankunft des Antichrifl. 
„Noch unlängft redten hievon auf der Kirchenverſam⸗ 
„ hung zu Baſel zween Biſchoͤfe, der eine von Arrago⸗ 
»nien, ans Spanien der andre; indem fie ſich ver⸗ 


- 


— — eigen in BE ——— — — ©: — 


Selir ßSammerbim “> 


s teanlich über den aufferft gefährlichen Zuſtand der 
» Kirche ımterredeten, fagte der Arragonier, daß ihm 
„ ein Eremit geweiſſagt habe, er werde noch den Anti⸗ 
» chrift fehn. In der Schrififielle: Ihr ſeyd wie Roffe 
» und Maulthiere, die feinen Verfland haben, die 
Jahrzal von deffelben Ankunft enthalten. DE: ˖Spa⸗ 
» nier verfehte: er babe in einem weſtſpaniſchen Klo⸗ 
» ſter von einem andächtigen, Diönchen mehr oder weni⸗ 
„ ger Das gleiche vernommen. “ — Haͤmmerlin fügt 
bey, Der arragonifche Bifchof, der hernach Cardinal 
worden, Namens Arabazen, habe ihm dieſes alles fels 
ber erzält. Merkwuͤrdig ift ed, daß Malleolus felber bins 
zuſetzt, daß die damaligen Siege der Sarazenen über bie 
Chriften bey den Yuden Hofnung zur Unterdrüdung des 
Chriſtentums umd zur Wiederherftellung des ifraclitifchen 
Gottesdienfted verurfacht haben. Allemal fchmeicheln fich 
die Bedrängten mit enthuſiaſtiſcher Hofnung befferer Zei 
ten: fie find geneigt, ihre Gegenpartey für den Anti⸗ 
cheift zu erklären. 


So weit gehn die Nachrichten, die wir über Malleo⸗ 
Ind Leben haben auffinden können. Die Lobrede auf 
diefen Märtyrer, welche ſchon im fuͤnfzehnten Jahrhun⸗ 
dert Nicolaus ven Weil in öfentlichem Druck bekannt 
gemacht Hat, ift verloren gegangen. Zum Beſchluß fühs 
ren wir noch das Verzeichnis von Haͤmmerlins Schtifs 
tn an, fo wie ed, von ihm felber gefchrieben, auf eis 
nem alten Bergament fleht: () » Ich Zelir Haͤmmerlin, 
> Brobft zu Solothurn und Gantor der Kirche zu Zuͤ⸗ 
» eich, geringfier bononifcher Doctor und unwürdigen 








(0) ®. Hein. Hottingers Bibliqth. tigurina, 


a 
oo Selir Zaͤmmerlin. 


„Nachfahr des Magiſters, Conrad von Mure, eines 
„Zeitgenoſſen Graf Rudolfs von Habsburg, ungeach⸗ 
u, tet ich nicht wehrt bin, dag ich deſſelben Schuhrie⸗ 
„ men auföfe, welcher fo viele Buͤcher geſchrieben bat, 
„bie ich Reiffig durchgedacht babe, fo find ich Doch nach 
ag ir in unferm Collegium keinen Geiſtlichen, der das 
33 geringfie aufgeſetzt hätte, ald was ich, an meinem 
„ wenigen Orte, ausgekocht babe, freylich nicht als 
„ausgeſuchtes Metall , fondern in einem fchlechten 
„Schmelzofen, Efaj. XL. Seit gedachten Rudolfs 
» Zeiten nämmlich find 179. Fahre verfoffen, Daß ich 
„ ale Doctor\und Cantor zu Zürich einige Verſuche ges 
„ wagt habe. Eines meiner vorzüglichften Bücher iſt 
>> dasjenige, ‚welches ich de Nobilitate dem oͤſterreichi⸗ 
» ſchen Herzog Albert geweyht habe. 2. der Gerichte 
2 Prozeß vor dem allmächtigen Gotte zwifchen den Edels 
leuten und den Schweizerbauren; SFriedrich IL. zus 
„ geeignet. 3. Ein meitlaufliged Repertorium Juris. 
4. Eine Invective gegen die Bettelmönche , befonder® 
„ die Begharden u. f. w. 5. Die gleiche Schrift im 
„ Auszuge. 6. Gegen die Anachoreten und Waldbrüder. 
» 7. Gloffe über eine von bdenfelben erhaltene Bulle. 
» 8. Sendſchreiben aus dem Himmel gegen die Veraͤch⸗ 
„ ter des Gottesdienſtes. 9. Gegen die ungerechten 
» Richter. 10. Troftfchrift für die Unterdrüdten. 11. Ge⸗ 
„gen Einführung neuer Aemter, Benefizien, Fefltage. 
„ 12. Ueber dad Moͤnchsweſen, nach Auffoderung des 
Abts von Maulbrun. 13. Das Doctorat in ber 
„» Dummheit. 14. Ueber die Gyſelvertraͤge. 15. Ueber 
„ die Beſchwoͤrungen. 16. Ueber die Wetterſegnungen. 
„ 37. Bon den Königdmörbdern. 18. Bon einem wun⸗ 
3 derbaren Kirchenraub zu Einfiedeln. 19. Von Fuͤh⸗ 


2 Seltp Sämmerlim n 


„rung des Kelterbaums an. Feſttagen. zo. Bon dem 
„Jubeljahr und von den Indulgenzen deſſelben. ar. 
„Kurzes Summarium hieruͤber. 22. Von der Simo⸗ 
„Nie. 23. Bon den natürlichen Bädern. 24. Von der 
» Kirchenfreyhait, nach Auffoderung des Conſtanzer⸗ 
» Vikars. 25. Generalappeflation gegen die Kardinaͤle, 
„welche Beneſizien auf teutfchem Boden verlangen, 
» 26. Bon der Unreinigkeit dee Luft wegen unfchidlis 
„» her Beſtattung der Leichen. 27. Bon den Wieder 
» fprüchen der Leutpriefter und der Bettelmoͤnchen auf 
» der Kanzel und im Beichtſtul. 28. Eurialfchreiben 
„ wieder einen gewilfen, übermüthigen Briefler. “ 


Noch Hat man von ihm, auffer den angeführten 
Schriften, mehrere andre, 4. B. über das Ehweſen; 
ferner ein -Baffionate mannbarer, aber noch unverheyra⸗ 
teter Jungfrauen, die in der Welt leben ;- einen Auf⸗ 
fa vom Landeigentum der Mönche; vom Geldzins; 
von der fihuldigen Erbarmung gegen Gefangne und 
Verſtorbne; ein Klagregiſter; Klagen zween eingelers 
keter Prieſter. Die kleinern Schriften unſers Malleolus 
ſind im J. 1497. von Sebaſtian Brand zu Baſel Hera 
ausgegeben und dem Cöllnifchen Churfürften Hermann 
ugeeignet worden. — In der römifchen Kirche wird 
Häammerlin von den Einen , wie 3. B. von dem ſpani⸗ 
ſchen Jeſuiten Martin Delrio, (*) unter die Kaͤtzer, — 
von andern Hingegen , als z. B. von dem Jeſuiten Gaul⸗ 
terius, (*) unter die Kirchenfcribenten gezaͤlet. 








(C) ©. Difquißit . Mag. L. TI 9.0 44 DR 
( ) 6. Ta. hrondl. Sxc. XV 


u 9 2 








III. 


Conrad Pellican. 





Qyefelde ward den 8. Yanner 1478. zu Rufach im 
Elfaß geboren. Im J. 1491. begab er fich auf 
bie Schule nach Heidelberg. Im J. 1496. trat er in ſei⸗ 
nem Vaterland, wieder den Willen feiner Verwandten, 

in den Orden der Franziſcaner. Seine Neigung zu den 
Studien war fehr gros; mit Eifer Iernte ee die Das 
mals beynahe vergeffene, ebrätfche Sprache; hiezu ward 


er durch den Vorwurf eines Juden ermuntert, welcher 


behauptete, daß die heiligen Bücher in den Ueberfeguns 
gen der Chriften verfälfcht feun. Zur Fortfegung dee 
Studien gieng er im J. 1496. auf die Schule nach 
Tübingen ; dafelbft genoß er Kapnio oder Reuͤchlins 


vertraulichen Umgang; auch gelangs ihm, eine in Ita⸗ 


lien gedruckte, ebraͤiſche Bibel zu kaufen; aus dieſer 
ſchrieb er ein Woͤrterverzeichnis; zugleich erhielt er in 
Handſchrift einige Hefte non einer ebraͤiſchen Sprach⸗ 
kunſt; Bloß durch diefe Hilfsmittel allein bracht ers 
fo weit, daß er mit Reuchlin fan als Widerherfteller 


der ebräifchen Litteratur angefehn werden. Fleiffig laß 


auch Pellican die Schriften der Kirchenväter. — Ym 
J. 1501. ward er zu Pforzheim zum Priefter geweyht; 
feine erſte Meß laß er zu Baſel; dafelbft ward er im 
J. 1502. in dem Klofler feined Ordens zum Lector der 
Theologie ernennt. Im J. 1504. erklaͤrte ihn der Kar⸗ 
dinal Raymund Gallus zum Licentiaten, mit Beyfuͤ⸗ 








a 770 PP END N 


u — — 
ER, 


Conradpellican. 73 


gen, daß er ſogleich nach Erreichung feines dreiſſigſten 
Jahres den Doctortitel annehmen moͤge. Dieſer Kar⸗ 


dinal hätte ihn gern mit ſich nach Rom genommen; 
Die italiänifche Luft ſchien ihm nicht zuträglich; vom 
Locarno gieng er nach Bafel zurück; dafelbft ſetzte er 
die theologiſchen Vorlefungen bi zum J. 1508. fort. 
Bey dem baslerichen Bifchof Chriſtoph war er fehr wol 
gelidten; auf defien Befehl fchrieb er einen kurzen Be⸗ 
griff der chrifilichen Lehre; in demfelben erklärte er 
die Lehre vom Ablaß, von der Beichte, vom Fegfeuer 
als verdächtig; ungeachtet des bifchöflichen Beyfalls, 
ward das Werkgen von den Prieſtern verworfen. — 


— Bon Bafel kam Pellican nach Rufach; in daſi⸗ 
gem Klofter erklärte er feinen Drdensbrüdern die Mar- 
garitam philofophicam und andre Autoren. Im %. 
1511. ward er zum Guardian des Kloſters zu Porz 
beim ernennet. Auf einer Durchreife nach Speyer nahm 
er zu Bruchfal feine Einkehr bey Wolfgang Capito ; 
gegenfeitig eröfneten ſie einander ihre Bedenklichkeiten 
wegen der Lehre von der Brodverwandlung. — 


— Im J. 1515. nahm Belicanen der Ordensprovin⸗ 
zial mit fi) auf die Viſitation der Ordenskloͤſter in 
Ober» Teutfchland ; Dadurch geriet er in Bekanntſchaft 
mit vielen Gelehrten; auch vermehrte fich feine Kaͤnnt⸗ 
niß ebräifcher Schriften. Im J. 1516. hatte er einem 
Kapitel von 700. Drdensbrudern zu Rouen in Frank 
reich, und im J. 1517. dem allgemeinen Drdend: Cas 
pitel zu Rom beygewohnt. Bey der Zuruͤckkunft nahm 
er zu Rufach die Stelle eines Guardians an. Bey ei⸗ 
nem Commenthur zu Muͤllhauſen biligte er Luthers 
Lehrfäte gegen das Fegfeuer; auch lag ex dem jungen 





% 


4 Conrad Dellican 
‚München zu Rufach des Eraſmus Umſchreibung des 


neuen Teſtamentes. Im J. 1519. ward er einer der 
vier Ordensdefinitoren und Guardian des Kloſters zu 


Baſel. Hier fand er viele Ordensleute, die ſich aus 


Luthers Schriften erbauten. Hierinn beflärkte er ſie, 

rderte Luthers Schriften zum Drucke und begleis 
tete ſelbige mit Anmerkungen. Hieruͤber zog er fich viels 
faltigen Verdruß zu. Im J. 1523. baten die Dohms 


herren und Brofefforen in Baſel beym Ordensprovin⸗ 


zial um feine Entfernung. Diefer aber ſetzte fih die 


Ddrigkeit in Bafel entgegen. Bon derfelben ward ihr 


nebft Decolampaden im %. 1524. der theologifche Lehr, 
ſtul aufgetragen. Um fo viel gröffer und verbienfivoller 
erfchimen Pellicand Bemühungen um die ebräifche Lit 
teratur, je mehr noch bisher dieſes Studium vernach⸗ 
IAffigt worden. Zum Beweis der fchändlichften Unwiſ⸗ 
fenheit in der 5. Kritick mags und erlaubt feyn, nur 
folgende Stelle aus Wilhelm Durandus Rationali div. 
Of. f. sg. anzuführen; Ef Alleluja, heißt ed, hebrai- 
cum nomen. vocabulum fiquidem : fignificam potius 
Quam exprimens ineffabile gaudium ab hac vita peregri.- 
num &c. cujus verbi expofitio fecundum Innocentium 
III. ex IIL Pfalmo habetur, cui cum Alleluja premit- 
tatur in titulo, ftatim Pfalmum exponrendo titulum in- 
eipit: faudate pueri Dominum, Unde,fecundum eum 
Halleluja interpretatur: Laudate pueri Dominum. Au 
guftinus vero fic exponit: Ali. e. falvrum, Le i.e. me, 


Lu, ie. fac, Ja, i. e, Domine. Hieronymus ſic: 


Alle i, e. Cantate, Lu, i. e. Laudem, Ja i. e. ad Do- 
minum. Gregorius fic: Alle, i. e. Pater, Lu, i. e. 


Filius , Ja, i e. fpiritus fandtus. Vel Alle, Lux, Lu, 
Vita, Ja, Salus. Magifter Petrus Anthiſiodorenſis Be: 


Conrad DPellican. Tr 


Al, ĩ. e. Altifimus, Le, i. e, levatus in Gruce, Lu, 
i. e. Iugebant Apoftoli, Ja, i. e. jam refurrexit. Pe- 

s Manducator dicit fuper Apocal. & Auguflin. in 
Gloffa Pfalterii , quod Alla eft Verbum imperativi Modi 
& fonat Allelu, i. e. Laudate, Ja, i. e. univerfalem, 
vel jah, i. e. invilibilemYfc, Deum. — Aldim %. 1523. 
Luther die fünf Bücher Mofes in teutfcher Sprache ber 
ausgab, fehrieb hieruͤber Pellican an Thomas Blaurer: 
er babe diefe Ueberfekung mit dem ebräifchen Grund⸗ 
terte verglichen, & vehementiflime placet, ut minor poſt 
hac neceflitas fit, inveftigandi hebraicam veritatem, nifi 
tantum Preceptoribus. So weit war er alfo von dem 
Hochmut der Pedanten entfernt, daß, ungeachtet feiner 
Borliebe für das morgenländifche Sprachfiudium , er 
gleichwol daffelbe nicht weiter, als nur für die eigentlis 
chen Sprachlehrer für notwendig erklaͤrte, fo bald naͤm⸗ 
Jich richtige Ueberſetzungen erfchienen feyn würden. Ihm 
wurden indeg feine Bemühungen fir die Ausbreitung 
der lutherſchen Schriften zum Verbrechen ausgebeuter ; 
mit der Herausgabe derfelben durft’ er fich nicht weiter 
beladen; als etliche Darauf drangen, daß den Barfüfs 
fen das Lefen folcher Schriften gänzlich möchte unters 
fagt werden, fo brachten es gleichwol Pellican und P. 
Minifter Provincialis dahin, daß folche Lectür einzig 
den ſchwaͤchern Bruͤdern verboten, den gelertern aber 
elaubt wurde. — Die vornemfien Bürger zu Baſel bes 
gehrien von den. Mönchen, fie follten Die vielen Sing⸗ 
finden und Meſſen in Predigten und Auslegungen des _ 
neuen Teftamentes verwandlen. Pellican unterflütte Dies 
ſes Begehren der Bürger ; die Mönchen aber ſchrien: 
dad Predigen an den Werkiagen rieche nach der luther⸗ 
ſchen Secte; von ſolchen tragen Mönchen zogen bie. 





46 Conra'd Pellicam 

Buͤrger ihre Hand ab und Keffen ſie darben. Yellican 
behielt die Nusnieffung von feinem Brofefforat; um 
ſein eigen Geld ward er aus Adam Petri Küche bewir⸗ 
thet. Dieß that er , weil er von dem Keller- und Kuͤ⸗ 
chenmeifter , feinen ärgfien Feinden im — eine 
Vergiftung beſorgte. 


Im J. 1525. wurde u Baſel öfentlich Die Reformae 
tion eingeführt: Nach Abfchaffung der Klöfter kam Pels 
lican im J. 1526. ald Lehrer der ebraifchen Sprache 
nach Zürich. “ Jahrs drauf erhielt er zugleich das theo- 
logifche Lehramt. Nunmehr warf er das Ordenskleid 
von fich. Ungeachtet feiner Neigung zum ehlofen Les 
ben, ließ er ſich igo von feinen Freunden zu einer Hey⸗ 
rat mit Anna Frieß, der Schweſter des Ludimoderator 
Johann Frieffen, bereden. In dieſer Ehe hatte er ei⸗ 
nen Sohn , Namens Samuel, gegugt , der ihm nebft 
defien Kindern zum Troft im Alter! gedient bat. 


Im % 1528. hatte unfer Pellican dem Religiondges 
foräch in Bern beygewohnt. Seither fchlug er mans 
chen auswärtigen Beruf aus; im J. 1540. erhielt er 
das Bürgerrecht und ein Ganonicat beym groffen Muͤn⸗ 
ſter in Zürich; auch ward ihm die Aufficht über Die 
Stiftsbibliothe anvertraut. Den 5. April 1556. ift er 
in einem glücklichen und ruhmvollen Alter geflorben. 


Auſſer den Kommentarien über die h. Bücher fo wol 
in teutfcher als lateinifcher Sprache, hat er ebraifche 
Sprachlehreh und Wörterbücher, auch verfchiedene an⸗ 
dere Schriften verfertigt. Conradus Pellicanus, fchreibt 
Thuanus, diu hebraicas litteras Tiguri. magna cum lau- 
de profeflus, qui innumera fere Rabbinorum commen- 


Conrad Dellikcan 77 


taria, non folum in S. Scripturam, ſed etiam de ar. 
vanis jadaice doctrinæ ritibus Scripta ex Hebraicis La- 
tina fecit. Viele dieſer Werke werden in Handſchriſt 
auf den oͤfentlichen Bibliothecken in Zuͤrich verwahret. 
Hier das Verzeichnis: 


I. Band. Ueber den Eſajas, Ezechiel und Daniel, 
Teutſch. in 4to 1553. 


. U. Band. Chaldaͤiſche Umſchreibung des Jarhi, 
Kimchi u. a. der meiften Bücher des A. Tell. in 4to 
1554. lat. 


- I. Band. A. De candelabro typico. b, Veltuykius 
de difciplinis judaicis & itinere deferti. c. Confenfus 
Judzorum cum Chriftianis. : 4to. 


IV. Band. Translationes. a.PirkeR.Eliezer. b, Li. 
ber Benedidtionum. c.Liber generationum Nox. d.Ge- 
mara fuper Berachot. e. Gemara fuper Sanhedrin. 
f. Schabbatorum. g. Erubhin. h. Joma. i. Sotha. 
k. Zeruoth. 1. Maccoth. in 4to. 


V. 1. ArgumentaCapitumR. Mofis Maimonidis More 
Nevochin. ı548. 2. Maffecheth Sanhedrin. 3. de Je- 
juniis. ‘4. Volumen Efiher. 5, Chagiga, Maskin. 
6. Schabbas. 7. Berefchit Rabba. 8.Balac 9. Prolo- 
gus Thalmudicus Rambam cum annotationibus. 10. Ex 
Gemara Sanhedrin. ı1. R. Schimeon. 12. Filii Japhet. 
13. Perufch Thorah R. Jacob. 14.Schekalim. 15. Tre- 
decim articuli fidei Rambam. 16. Schabbst. R. Jofun 
Filius R. Jofeph, ı7. Mifchne Schabbath. 18. R. Sa- 
muel Introduct. ja Thalmud, 19. Prologus in Maflo- 
reth. 20, Mafleceth, Sanhedrin. 31, Malcuth. 22, Ab- 


— Conrad Pelltcan. 


hoth. 23. Tentata in Geneſim R. Jacob Baal Hutrim 
Fil. R. Aſer Cabal. Jud. 24. Specimen eruditionis ju- 
daicæ. 


VI. Sand. Michlol Kimchi eodem interprete. 4to 
1547. 


VH. =. Vom langen und kurzen Leben Ariſtotelis. 
b. Vom natürlichen Lehrnen Ariſtotelis. c. Paraphraßis 
in dad Buch Ariftotelis vom Himmel und der Welt 1542. 
d. Rhetoric, Ariftol. 1541. ce. Tufculanarum Quæſtio- 
num das dritte Buch. 410. 


VIIL Ariftotelis Ethica , Politica „ Oeconomica , 
Zeufch. alo. 

1X De generali concillo judicium. 40, 

X. Pfalterium latinum. 

XI. Codex Bibliorum Hebrzus, ejus manu. 

XII. R. Bechai. 4to 1552. 

XIII. R, Abraham Hifpani Fafciculus Myrrhæ, ſ. Com- 
ment, in Pentateuch. fol. 

XIV. R. Aben-Efra in Efajam, Latine. fol. 

xV. R. Sal. Gallus in Jeremiam. fol. 

XVI R. David Kimchi in Ezechiel. lat. 1555. 

XVII. R. Saad Gaon in Daniel — — — — 

XVIII. R, Levi Ben Gerfon Doctrinæ miprales in Da 
nielem 
- XIX. R. Abraham filius David Liber traditionis feu 

Cabalz. 

XX. Liber Sententiarm judaicarum S. Capitula R, 
Bliezer. 


DD 4% 0005 





Ne Grosvater diefed geiftlichen Helden war ein ges 
ſchickter Wundarzt zu Rapperſchwyr im Elſaß. 
Der Bater hieß Johann. Dieſer lebte als Prieſter in 


ſeinem Vaterlande zu Geemer, nad) damaligem, prie⸗ 


ſterlichen Gebrauche, mit einer Concubine, Elſa Hoch⸗ 
ſaͤngerin von Solothurn aus vornehmen Geſchlechte. 
Als Gewiſſensehe konnte man dieſe Verbindung betrach⸗ 
ten, da fie ausſchlieſſend und ununterbrochen geweſen. 
Aus diefer Verbindung ward Leo Yudd im J. 1482. 
erzeuget. Nachdem er zu Schlettflatt unter Kratos An, 
leitung den erften Grund zu den Wiflenfchaften gelegt‘ 
hatte, kam er bernach im J. 1505. nach Baſel. Da 
felbft ftudierte er mit Zwingli unter dem berühmten Wit: 
tenbach (7). Im J. 1512. hatte er die Magiſterwuͤrde 
erhalten und ward hierauf Pfärrer zu St. Hippolytus 
im Elſaß. Von da kehrt er wieder nach Baſel, als 
Diacon zu St. Theodor, um deſto mehr in dem Um— 
gang daſiger Gelehrten ſeine Kaͤnntniſſen zu erweitern. 
Er verließ Baſel, und gieng zu ſeinem Jugendgefehrten, 
Zwingli, in das ſchweizerſche Kloſter Einſiedeln. Das 
ſelbſt vermehrte er feine Sprachwiſſenſchaft, fleiſſig las 











(*) ©. Yantaleens Heldenduch 25. II. Meihe Mik 
Re I. Unice Mi 





80 —CSeo Judä. 


er die Kicchennäter und machte fich befannt mit den 
neuen Schriften des Luthers, des Reüchlind und Erafs 
mus, 


Leonis Mutter lebie als Wittwe im Elfaß ; fie ſtarb 
im J. 1520. Seine Schwefter Clara war an Jacob 


Schmiden zu Berken verheyratet; ihren Sohn, Joh. 


Sabeiting, Hatte Leo dem Bucerus in Straßburg em⸗ 
pfohlen. Als aber dieſer letztre, wegen der Lehre von 
den Sasramenten , mit Leo uneinig geworden, berief 
diefer feinen Neffen nach Zürich und erzog ihn mit dis 
terlicher Sorgfalt. 


Ald Zwingli im J. 1519. nach Zürich gekommen war, 
£onnte er nicht ruhn, bis er feinen Leo ebenfalls daſelbſt 
ſah. Im J. 1522. kam dieſer auf Zwinglis Antrieb 
nach Zürich, predigte bey St. Peter und gefiel der gan⸗ 
zen Gemeinde fo wol, Daß jie ihn zum Prediger waͤlte. 
Der Kampf zwifchen Licht und Finfterniß erzeugte in 
Diefem Zeitalter die ſelzamſten Erſcheinungen. Die Un⸗ 
gebundenheit des Ausdruckes, die Hintanſetzung des auͤſ⸗ 
ſerlichen Anſtands drang ſo gar bis ins Heiligtum und 
auf die Kanzel. Merkwirdig iſt in dieſer Abſicht Zwin⸗ 
glis Nachricht an Oecolampaden von der Art und Weiſe, 
wie unſer raſche Leo Judaͤ den Leſer bey den Auguſti⸗ 
nern in der Predigt zu unterbrechen gewagt bat (*): 
Als Diefer, wie gewöhnlich, allerley Fabeln auf der 
Kanzel vorbrachte, unterbrach nn Leo ganz vertraulich 

| und 





[I 2 





(*) Epift. Zwinglii & — ſ. 193. b. wie RN 


ZFuͤßlis Bepträge, Th. IV. fe 44, - 


' 





Leo Iudi gı 


und. rebte ihn Öfentlich fo an: „Horch ein wenig, 
ehrwuͤrdiger Pater Prior *. Und, indem er ſich an 
die Zubörer wendete: , Und Ihr, liebe Bürger, bes 


„» forget ia Feine Verwirrung; aled werd’ ich im Ge 


‚n fte des Ehriftentummes behandeln “. Beynahe waͤr 
das bintigfte Tranerfpiel entfianden. Endlich ward alles 
"mit comifchen Umfländen begleitet. Wenn die Ein 
‚Den Leo wegen feiner Kuͤhnheit angreiffen wollten, fo 
waren andre, die ihn in Schu nahmen. Der Senat 
ſah fih zur Feſtſetzung eines theologiſchen Gefpräches 
genoͤtigt; in diefem fiegten Die Gegner des päpftlichen 
Stules. Nicht ungewohnt war in damaligen Zeiten 
folche laute und öfentliche Einwendung gegen den Pre⸗ 
Diger. In den Zürcherfchen Rathemanualen findt. fich 
vom %. 1523. Donnerſtags vor Simon Judaͤ folgende 
Erkanntniß: „ Ludwig Hetzer foll deswegen, daß ex 
Conraden don Mafchwanden beym .öfentlichen Pre⸗ 
digtvortrag unterbrochen und befchämt bat, von aller 
Schuld und Straf lodgefagt ſeyn. Konraden von 
» Mafchwanden hingegen fol man erinnern, daß ex in 
„Zukunft nach oberkeitlichen Drandaten das Evange⸗ 
„ lium predige und fich der heilfamen Lehre nicht wies 
o, derfege “. 


In diefem Zeitraum fiengen etliche Prieſter an, ſich 
‚zu verheuraten; . der erſte unter denfelben hieß Wilhelm 
Keubli, der andere Hand Schmid, nachher Leutpriefter 
und endlich Chorherr. Auf diefe folgte Leo Judaͤ, der 
fh mit Catharina Gmünder, eined Weber Tochter 
pon St. Gallen im Jahr 1523. Öfentlich verehlichte. 


Nachdem nun Leo und Zwingli ungefehe fünf Jahre 
J 





» Leo Jud& 
ge gegen bie Irrtuͤnnner des Papfktums gepredigt imd 
in zwo oͤfentlichen Diſputationen den Sieg davon ge⸗ 
tragen hatten, wurden io im J. 1424. die Prozeſſio⸗ 
nen abgeſchaft und die Gebeine der Heiligen vergraben; 
indeß ward immer noch Meſſe geleſen; immer noch 
glaͤnzten in der Kirche Gemaͤlde und Bilder. Nach und 
nach wurden, durch Mehrheit der Stimmen, zu Stadt 
und Land auch die uͤbrigen Mißbrauͤche abgefchaft, 
Gleichwie aber uͤberhaupt der Poͤbel aͤchte Freyheit ſehr 
oft mit zuͤgelloſer Frechheit vermiſcht, fo fieng er auch 
hier an, zugleich mit dem Joche des Papſttums den 
Zepter der Eirchlichen und Bürgerlichen, Geſetze ſelbſt zu 
zerbrechen. Ye mehr man bie und da einen Leo und 
Zwingli jene wiedertauͤferſchen Unruhen zur Laſt legen 
wollte, deſts mehr ſahn fe ſich, wieder Willen, zu 
ſtrengern Maaßregeln genoͤtigt. Daß ſolche Maaßregeln 
nothgezwungen und hingegen die innere Denkart unſers 
Leo ungemein vertragſam geweſen, hievon zeugt folgen⸗ 
des Schreiben, das er an Heinrich Bullinger abgeſendt 
bat (): 


5 Die theuerſter Bruder, uͤberſchick ich Buzers und 
» Capitons Briefe, die ich in der Verlegenheit meines 
w Gemütes rathsgefragt hatte. Sehr freundfchaftlich 
„ find ihre Antıbostn, und micht genug Kann ich bes 
» fchreiben, wie ſehr mich felbige beruhiget Haben. Grofs 
„ fentheild find mir nunmehe wegen ber Lehre von der. 
> Kirche und von der Kindertaufe alle Bedenklichkeiten 
„ benohmen. Noch kaͤmpfe ich mit einer gröffern und 
»’ bielleicht gefärlichern , worüber vormals Schwenkfeld 








) Man fehe Muſeum Helvet. Partic. XV, Ne. IV. 





Leo Juda s 
a cn mich gefcheieben hatte; zum Theil entkraͤſtete ich 


3 feine Einwendungen , zum Theil ſtellte ich ihm Die 
©) nachtbeitigen Folgen feines Syſtems vor; damals 


z ſchienen mir meine Grunde kräftiger als ijo. Diefe 


„ Schwendfeld ſcheint eihen reinen und brennenden Eis 
„ fer für Gottes Ehre zu haben. Dir überfend’ ich 
„ feine. Schriften , mit dringender Bitte, daß du, mein 
3 theuerſter Bruder, dich nicht weigerſt, dieſelben zu 
» leſen. Ich wenigſtens glaube, dag keine Schrift zu 
¶ verachten fen, Die nicht ofenbar Chriſtum beftreitet. 
» Wenigfiend mir zu gefallen wirft du leſen, mas da 
„ſonſt nicht leſen würdeft, um mir meine Scrupel zu 
benebhmen. Habe Nachſicht für meine Schwachheit 
„und beute mir deine ſtaͤrkern Hände; denn ich ſthwe⸗ 
3 be zwiſchen Zweifeln; gegen men Gewiſſen kann 
33 Ich nichts thun. Es ift Die Rede von der Kanzelfrey⸗ 
33 heit, und ob ed dem Magiſtrat erlaubt ſey, diejeni⸗ 
;; gen zu hindern oder zu firafen, welche von der Lehre 


= „der. obrigkeitlich geſetzten Theologen abweichen? — 


» Nach meiner Meinung, follte Schwendfelden kein 
»» Leyd wiederfahren u. f. w. * 


Durch ſolche Gelindigkeit indeſſen ſuchten die Wider 
fächer der Zwinglianer den Lehrbegriff der Reformitten 
verdächtig zu machen (*). In einem Schreiben. an 
Herzög Heinrich von Sachſen wirft Melanchton denſel⸗ 
ben gefaͤrliche Irrtuͤmmer vor; von den Papiſten wur⸗ 
den beyde, ß wol ur als Zwingli, als — 





(*) S. Opp. Luth. Jenenſ. T. IV. wie duch Bucers Nach⸗ 
richt von dem — Pa — ——— zu Maryurg in Simlers Samlun⸗ 
geh , II. 31 | 


34 £eo Judd 


fo vieler Secten erfläret (). Sehr oft fanden Zwin 
gli und. Leo in Gefar des Lebens; des Nachts mus 
den nicht felten ihre Fenſter mit Steinen beſtuͤrmet. 
Gleichwie die Abfchafung der. Hierarchie Die Praͤlaten, 

ſo empoͤrte das Verbot des Reislaufens und die Unter⸗ 
ſagung fuͤrſtlicher Jahrgehalte die Kriegesbediente und 
dieſe und jene unter den Gliedern des Rathes. Zuͤrich 
allein weigerte ſich, mit Frankreich in Buͤndtniß zu tret⸗ 
ten; die uͤbrigen Eidgenoſſen ſchrieben die Urſache hie⸗ 
don Zwingli und Leo zu; man hieß ſie Ketzer, falſche 
Propheten, Vorlauͤſer des Antichriſts, Aufrührer, Be 
früger. Für und wieder erfchienen von allen Seiten 
femachfüchtige Libelle. Eines diefer ſchaͤndlichen Lieber 
fieng ſo an: 


Dear Zwingli und der Leim, 
Die hand ein gmeine Bublfchaft, 
Die iffet Haber und Heim. 


Aus dieſen gegenfeitigen Schmähreden entſtand der 
einbeimifche Kappelter s Krieg , Die Reformatoren wurden 
durch den Wiederfland mehr erhigt ald mutlos gemacht. 
Die evangeliiche Lehre breitete fich je länger, je mehr 
aus. In Zürich wurden alljährlich zwo Synoden ges 
halten ; in denfelben wurden alle Prediger zu Stadt 
und Land, der Lehre und des Lebens halben , beurteilt. 
Auͤſſerſt war hierüber der Bifchof von Koftnig erbittert, 
indem er fich, obfchon fruchtlos, eine außichlieffende, _ 
geiftliche Gerichtöbarkeit in dieſen Gegenden anmaflen 











(*) Hif. des — P. M. Paris 1615. Arnolbs 
KKetzzerhiſtorie, Th. II. B. XVI. €, zz. 


"Seo Ju» u 


wollte. Die Vorſteher der Zürcherfchen Synoden ware 
Alrich Zwingli und Leo Judaͤ. Man muß es geſtehn, 
daß in den erſten Jahren nach der Glaubensverbeſſerung 
biefe Synoden fehr oft fich eine Gewalt anmaßten, Die 
feither mit Recht ausfchliefiend in Die Hände der weit 
lichen Regierung gelegt worden; jene geiftlichen Vers 
ſamlungen urteilten nicht blog über die Lehre, fondern 
auch über dad Betragen der Pfarrer; nicht bie 
ſchraͤnkte ſich ihr Anfpruch auf Berathfchlagungen ein ; 
zugleich verbanden fie damit die vollſtreckende Macht; 
nicht felten gefchab ed, dag in dieſem Synedrium ein 
angellagter Pfarrer entiweder entſetzt oder fogleich ind 
Gefaͤngniß geworfen wurde. Immer nämmlich waren 
die eigentlichen Gränzen zwifchen Würde des Lehramts 
and Macht der Regierung wenig beftimmet. In dem 
gleichen Zeitraum ward dem bifchöflichen Stule das 
Matrimonialforum entriſſen. Hievon heißt es in Ber⸗ 
nard Weiſen kurzer Beſchreibung der Glaubensaͤnderung 
in dem Schweizerland (*). „Im J. 1525. hat man 
„ das erfie Chorgericht zu Zürich befeffen in der Leüts 
3, Priefterey zum Frauenmünfter ; ; darinnen waren fee 
„ ben Männer, drey Geiſtlichẽ und vier Weltliche ; 
unter jenen befand fich auch Leo Judaͤ. Der Gefthichte 
fchreiber fest hinzu: „deren jeder ift zwey Monat 
» Richter, und alfo für und für, und wird alfo groß 
w fer Koft erfparet meiner Herren von Zürich Städten 
„ uud Landfchaften u. f. w. * 


Auch durch Schriften ſuchte Leo das Volk auftu— 


. (9 —— —— zur Refermationegeſch. des Säir 








8% Leo Judaͤ. 

klaͤren. Die Gelehrſamkeit blieb nun nicht Tänger iM 
Die Leichenhülle todter Sprachen , wievormald die Weide 
heit der Hierophanten in dem Heiligtum dev Hterophatts 
ten vergraben. &o vertraulich Die Leo Judaͤ, die Zwin⸗ 
gli, Die Mellicane mit den römifchen und griechifeben 
Muſen gervefen, fo hielten ſie's gleichwol nicht für Ent⸗ 
werbung , die Weisheit in der Mutterfbrache reden zu 
Ioffen. In einem. alten Volumen von neunzehn ver⸗ 
fchiedenen Werkgen, welche alle vom J. 1521. Die zung 
J. 1524. gedruckt find, Aridt man ein Stud mit dee 
Aufſchrift: Der geſtryft Schwygerbaumwer. Aus 
demfelben fieht man, wie fehr den Mönchen, melche 
die Gelehrſamkeit ald Monopole der Klöfter betvachte⸗ 
ten, die Einführung der teutfchen Sprache in Büchern 
und Predigten zumieder geweſen. „Es hat fich bege 
» ben, heißts unter ahderm, „ das off ein Spt eim 
„ Mönch hat geprebigt in einer Stadt ein ganz Falten 
» und bat in allen finen Predigten vnd Leer fich erzöigt 
„ ein Haſſer und Yeneider aller der , bie tütfche Bücher 
„laͤſen und hats gar on ald Mittel für ein groffe Suͤn⸗ 
„> de und Irrſal und gar verworfen gehalten, als ob 
„es Kaͤzerey ſy *. Diefe Ketzerei ward für fo gefaͤr⸗ 
lich gehalten, daß Deeolampad fich genötigt fand, im 
einem weitlauftigen Schreiben an Caſp. Hedio Diet 
Neuerung, nämmlich den teutfchen Vortrag auf der 
Kanzel zu vechtfertigen. Kein geringes Verdienſt ums 
Die Kirche war ed, daß Leo dad ganıe neue Teſtament 
des Eraſmus verteutſchte. Don einem fehr edeln Cha⸗ 
racter zeugt es, daß er bloß darum bey der Ueberſetzung 
feinen Namen verſchwieg, weil es ibm keineswegs um 
eignen Ruhm, ſondern um die allgemeine Erbauung 
zu thun war. Eraſmus warb bamald von ben Vapiſten 


— — eg — a —— — — 


£ete Juda. n 
gerne geleſen; ihr Haß gegen Leo hingegen waͤr für 
Die Ausbreitung feiner Ueberſetzung nachteilig geworden, 
wenn ſogleich ihn als Verfaſſer entdeckt haben 
Aus gleicher Abſicht gab Leo im J. 1526. unter dem 
verdeckten Namen Ludwig Leopolds eine teutſche Schrift 
uͤber das Nachtmal heraus; in derſelben wollte er zei⸗ 
gen, wie wenig Zwingli in Abſicht auf dieſe Lehre von 
der Meinung eines Eraſmus und Luthers abgehe. Ue⸗ 
ber dieſe Schrift beklagte ſich Eraſmus bitterlich in ei⸗ 
nem Schreiben an die eidgenoͤſſiſchen Geſandten zu Ba⸗ 
den. In ſeiner Rechtfertigung zeigte Leo, daß weder 
Menſchenfurcht noch Argliſt, ſondern vielmehr Beſchei⸗ 
denheit und Klugheit ihn zur Verbergung ſeines Na⸗ 
mens verleitet haben. Den Dolch, womit Eraſmus ge⸗ 
gen ihn losgezogen war, kehrt' er nunmehr gegen dieſen 
ſelber; ex führte einen gewiſſen, anſtoͤſſigen Dialog an, 
unter der Auficheift Julius, welchen Erafmus ebenfalls 
ohne feinen Namen herausgegeben hatte; er bewieß, 
dag in feiner Schrift Feine einzige Stelle vorfomme , 
die nicht bie und da buchftäblich auch in den Echriften 
des Eraſmus angetroffen werde; endlich geficht er, daß 
er bey feiner Schrift die Abficht gehabt habe, zwiſchen 
Zwingli, Eraſmus und Luther nähere Verbindung zu 
fliften. 


Unter andern ‚Schriften des Leo befinden fich Die 
Zwinglianiſchen Gollectanea , z. B. über Die heyden er⸗ 
ſtern Bücher des Moſes, welche Leo mit Hilfe des D. 
Meganders herausgab. - Ferner die Epiftel Jacobs, die 
Epifein des Paulus an die Römer, Corinther, Phi⸗ 
uUpper, Golater , Eoloffer , Theſſalonicher, wie auch Are 











Rn u Yuda 


merfungen uͤber die IV. Evangeliſten. Zwinglins Erf 
chiridion Pfalmorum ‚begleitete ex mit einer ſehr rühren 
den Einleitung; das alte Buch über die Nachfolge 
Ehrifti 309 er aus dem Staub hervor und gabe mit 
Zuſaͤtzen und Verbeſſerungen heraus. Don Leo tft auch 
die Erbauungsfchrift: das Lyden Chriſti mit einer kurs 
zen Gloß, vß den b. vier Evangeliften zufamengegogen. 
Ferner bat? ee des Ludovicus Vives Buch de Oflicio 
‚Mariti überfegt, ungeachtet die Ueberſetzung niemals im 
Drucke erfchienen. Von ihm find gleichfalls die Epifto- 
læ de divortio beym Goldaft T. III. und verfchiedene 
andere Schriften, deren Gegner und Hottinger erwaͤb⸗ 
nen. 


x 


Auch Haben wir ihm den kleinern und groͤſſern, 
Zürcherfchen Gatechifmus zu danken, welche in neuern 
Zeiten vielmal, nicht mit beſtem Erfolge, dieſe und jene 
eine Abdnderungen erlidten. Diefe Catechiſmen er⸗ 
fchienen in teutfcher und in lateinifcher Sprache... So⸗ 
gleich wurden fie durchgängig in ben Kirchen und Schus 
len eingeführt. Auch wurden bie öfentlichen Gatechifas 
‚tionen oder Kinderpredigten ‚angeordnet... » Das was - 
„damalen ein neuͤw vnd ſelzam Ding, darum menck⸗ 
n lych Wyb vnd Mann, Jung und Alt, in dieſelbig 
» Predig loff vnd wollt einjeder hören entweders ſyne 
» oder andere Kinder, wie fie Antwort gebind; im bie 
» Bredigen famend vvl soo Menfchen; die Kilchen 
„» waren geftedt voler Leuten, daß fie nit all drein moͤch⸗ 
„tnd “. So weit Leonis Sonn in der iin 
bung des Vaters. 


Auch Hatte Leo die ganze Bibel in bie teutfche Sprach 





— — 
— 





Leo Jud. 34 


uͤberſetzt (*). Seine letzte Arbeit, vor deren Vollen⸗ 
dımy ihn der Tod überrafchte, war die Ueberſetzung der 
Bibel aus dem Hebraͤiſchen in das Lateinifche (**). 
Hiezu bediente er fich der Handleitung eines getauften 
Juden, Michael Adams. Diefe Ueberfekung wurde vom 
Bibliander fortgefegt und endlich von Conrad Pellicas 
und Peter Eolin vollendet. Nachdem fie im %. 1541. 
zu Zurich and Licht trat, bemaͤchtigte fi) ihrer fogleich 
Robert Etienne im J. 1543. Er gab fie mit der Vul⸗ 
gata und mit den Scholien des Vatablus heraus, ohne 
im Geringfien der Zürcherfcher — Erwaͤhnung 
zu thum. 


Wie ſehr die Vollendung dieſes Bibelwerkes unſerm 
Leo am Herzen gelegen geweſen, hievon giebt Bullin⸗ 
ger folgende Nachricht: „Leo berufte vier Tage vor 
„ feinem Hinſcheid und , die famtlichen Lehrer und Pre⸗ 
» diger zu Zurich vor fein Sterbebetb. Nach eineralls 
s; gemeinen, rübrenden Anrede wendete er fich zu Bi⸗ 
» blinder und befchwor ihn bey Jeſu Chriſto, dem 
„ wir Dienen,, und bey der brüderlichen Liebe, durch 
„ welche wir alle m einen Leib verbunden find, daß er 
„ im der Bibelüberfekung dasjenige vollende, was ex 
„ felber nicht habe ausführen koͤnnen, nämmlich die acht 
„ legten Capitel Ezechield, den ganzen Daniclund Hiob, 





(+). de Long Bibliotheca facra, feu fyliab. omnium 
ferme 8. S. Editionum ac Verfionum. 

(**) S. Bullingers Vorrede der Tat. Bibel. Reimannus 
— —— Ch. ſ. — Adami —— — 

44. iffers Critic. facr. Se 11 * tde 
variis ſ. Script. Edit. p. 262. Polus Syno Crit. T. L In- 
trod. Ferdinand. de Efcalante in Clypco oncionat. Ti. vr. 


} 


„ | geo Juda 


v die acht und viersig letzten Pſalmen, ben heedcer 


„ und das hohe Lied Salomons. Dieſe Bücher und 
» Scheiften , fügt’ er hinzu, ‚fand ich allzuſchweer fo 


„wol wegen der Worte als wegen der Sachen; dar⸗ 


„» um wurden fie von mir bie zum Ende verfpäret. 


„Zwar weiß ich wol, mein geliebteftee Theodor, daß 


„ du die ganze Bibel von Anfang weit glüclicher , ges - 
ſchickter, einfältigee und beifer hattet überfegen- könne 


„nen als ich. Bisher aber konnten wir Dich hiezu 
2 Nicht überreden; nunmehr aber laß wenigſtens die 
„ Stimme deines ferbenden Bruders bey dir Eingang 
„ finden. Diefe Bitte ward nun von den fämmtlichen 
„Anweſenden unterftügt , fo daß Bibliander ſich übers 
4 minden ließ, und dem flerbenden Leo die Erfüllung 


» feines Wunfches heilig gelobte; gleichwol befand ex. 


ſich damals felber ebenfalls Eränklich, umd beklagte 


5 fih, wir legen ihm einen Laſt auf, für welchen fläts 


„ tere Schultern erfordert würden. Zugleich verſprach 


„» Bellican, nach feiner Tiebreichen Gemuͤtsart, dem ſter⸗ 
» benden Leo von felber alle nur möglicher Dienfte ©, 
Mit befonderm Ruhm erivähnt Thuanus (*) die Bes 
mühungen dieſer Zuͤrcherſchen Gotteögelehrten „ indem 
er hinzuſetzt, daß ihre Bibelwerk fo wol von Robert 


N 


N 


Stephanus genutzt als auch lange bernach von Wils 


helm Rouillius wieder durchgefehn und unter Vorſorge 
der fpanifchen Theologen von neuem aufgelegt worden. 


v Bey diefer Nachricht, fchreibt Thuanus, hab ich die - 


„ Abficht, den eigentlichen Urfprung dieſer in Frankreich 
sa rer green 


(*) &. Thuani Hi. fui i ‚ D. Lib. xVL 
re AIR. {ui temporis, T. II Lib XXXVL 





\ 





—Leo Juda. y 


= und im Spanien berausgelommenen Ueberſetzung Bes 
„a Tanner zu machen ; zugleich führe ich fie als den 
„ bortrefichfien Beweis an, wie ungemein vieles auch 
„ unter und die Bemühungen und Echriften der Wie 
a derparthey zur Verherrlichung Gottes beytragen Für 
» nen, wofern wir nämmlich, mit Hintanfegung alles 
» Varteygeiſtes, und der Billigkeit und der Bruderliebe 
„ beſſeiſſen *. Eben fo günflig fpricht ein andrer Schrifts 
ſteller, Ferdinand de Eftalante in feinem Clypeo Con- 
cionatorum , einem Wert, weiches zu Venedig mit ho⸗ 
ber Bewilligung gedrudt und dem fpanifchen König 
Philipp III. zugeeignet worden. Daſelbſt fchreibt diefer 
Verfaſſer in dem letzten Hauptſtuͤck des fechdten Buche; 
> Die Zürcherfche Bibeluͤberſetzung, die ich fo fehnlich 
a au fehn gemünfcht babe, fand ich endlich bey dem 
» Giennenfifchen Bifchof, D. Sanctius von Avila und 
» Toleto, dieſes herrliche Werk ward aus frommem 
» Eifer von Leo, einem Zürcherfchen Lehrer, unters 
„ nommen. Bey der Ueberſetzung hatte er fich des be, 
» fien, bebraifchen Exemplars bedient; daſſelbe verglich 
„ er mit den vornehmften griechifchen und lateinifchen 
„ Weberfegungen, wie auch mit den bewäßrteften Aus 

» Jeaungen. Mach feiner feligen Aufdfung, ward dag 
pn Werk von Bibliander und Pellican mit aller Treu 
» und Sorgfalt vollendet, Die h. Bücher erfcheinen 
» in derjenigen Ordnung , in welche fle von Eypriau 
p And geftellr worden. Yon Rudolf Gualther wurden 
go die beſondern Abfchnitte mit brauchbaren Summa⸗ 
» rien, zwar in Verſen begleitet. Durchgaͤngig 
„ erſtheinen wichtige Anmerkungen von Leo und Bi 
» bliander, auch Randgloffen über die verſchiednen Less 
» arten und Auslegungen. Die Ueberſetzung RER. Te 








9 Eco Judaà 


„ſtaments iſt eigentlich von Eraſmus, jedoch nicht 
o ohne genaue Vergleichung des Grundtextes, der aͤl⸗ 
» teften Handſchriften, Erklärungen und BUN 
gen“. 


Je ehe die Gelerten dieſes Zeitalterd die Gelehrſam⸗ 
keit um ihrer ſelbſt, nicht zufaͤlliger Mitgift wegen lieb⸗ 
ten, je weniger ihnen unſre heutigen Zerſtreuungen, 
Zeitvertreibe, Klubbs und Zirkel, Zeitungsblaͤtter und 
Pampflets Zeit und Nachdenken raubten, deſto mehr 
waren ſie an herculiſche, ununterbrochne Arbeit in ih⸗ 
rem Muſeum gewoͤhnet. Wie ſehr wuͤrde man ſich nicht 
indeſſen betruͤgen, wenn man dieſe Gelerte fuͤr Pedan⸗ 
ten, ohne Brauchbarkeit fuͤr das buͤrgerliche Leben, an⸗ 
ſehen wollte? Indem wir ſie in ihren Schriften, in⸗ 
dem wir fie auf Catheder und Kanzel bewundern, fb 
wird unfre Bewunderung nicht geringer feyn, wenn wir 
fie auf der Weltbühne nicht weniger wie Reformatoren 
der Gerichtöhöfe als wie» Reformatoren der Religion 
und Widerberftellee dee Gelchrfamteit, — wenn wir fie 
als Geheimräthe der Regirung , ald Negosiatoren des 
Staates, ald Nathgeber und. Vermittler fremder Fürs 
ften erblicken. () Und du, junger Zelote ,. und du, 
pralender Kriegsheld, wenn Ihr dem Gelerten ald muͤſ⸗ 
figem Speculivee Hohn fprecht, fo erinnert Euch, daß 
ualter und Leo Judaͤ Kirche und Rathsſaal mit dem 
Donnerkeil der Beredſamkeit erfchütterten , daf Antifted 
Zwingii, Commendor Schmid, Abt Foner mit de 
Schwerdt eben fo mutvoll als. ‚mit der sig: gefochten 








(*) S. Hottingers Schola u oratio ſecunda — 
& 54 folg. 





£eo Jud aͤ. X 


und im Schlachtfeld für Warheit und Vaterland ſtar⸗ 
den! Und Ihr, Veraͤchter der Meligion und der Kir 
che, errötet , wenn um Euch Her in den Nationalfitten, 
in der Polizey und Regirung ihre allbelebender Einkuf 
bervorfrat ! 


.. Nachdem Zwingli mit: dem Heer ind Lager nach Kaps. 
pel verreißt war, fo lag in Zürich Die ganze Kitchen, 
bürde auf Leo. Zwingli fiel im Treffen umd die Zürie 
cher lidten groffen Verluſt. Alles Ungluͤck ward den 
Dfaffen oder Predicanten zugefchrieben. Hauptmans . 
Hanns Efcher, mit dem Beynamen Klog Efcher , drauͤte, 
fo bald er ausm Lager zuruͤckkomme, woll er Pfaff Leu⸗ 
wen (Reno) durchbohren. Als er durch die Thore von 
Zürich einritt, fiel Heinj Foſter, der Stadtbediente, 
feinem Pferd an den Zaum, und foderte im Namen 
des Bürgermeifters Friede gegen Magifter Leo: Haupts 
mann Efcher weigerte fi) lange, ſtieß grobe Reden aus, 
bey vermehrtem Zulauf der Bürger aber ſah ex ſich ges 
nötigt , Frieden anzugeloben. 


Izt lag ale Sorge für die Erhaltung dee evangelis 
fchen Lehre auf Leo. Mit feinen Amtsgenoffen befand 
ee fich in täglicher Lebensgefahr; man wußte nicht, 
was für ein Ende der angefangene Kappelerkrieg neh- 
‚men werde; weder den Prieſtern noch den Penfionern, 
weder den Bürgern noch den Landleuten durfte man 
trauen; auch vor dem Ueberfall der catholifchen Eyd⸗ 
genofien war man nicht ficher. „ Die böpwilligen Bas 
> Pillen und Penſioner feitend: Izt iſts darzu fommen, 
„daß ein Bidermann auch reden darf; Pfaff bie, 
» Pfaff dort; die papiſtiſchen Pfaffen hand uns bſchiſ⸗ 
„ fen; die aber befeichend und; das alls hand wir 


‚”"_ Leo Judaà 


„ von dem neuwen Glauben; Wunden bis, Wunden 
» dort u. ſ. w. “ So'weit Joh. Jud, Leonis Bids 
graf. — Des Nachts kamen etliche chrbdre Frauen in 
Huſſaͤcken und Schuben () zu St. Peter in Leonie 
Haufe, und baten ihn, daß er fich in weiblicher Klei— 
dung wegfüchten möchte ;_ fie ſeyn von ihren Männern 
gu ihm gefendt worden; ohne dieſe Verkappung fey 
alle Rettung verloren. Leo wieß fie von ſich, legte, 
anftatt des Weiberſchmuckes, feinen Panzer um fich, 
sieng zu feinem Freund, dem Beier Jacob Sprünglis 
bey diefem blieb er verborgen, „bis das Gewitter ſtiller 
geworben. Ä 


Nach Zwinglis Tode wolte man dem Leo die Ober⸗ 
aufiicht über die Zürcherfchen Kirchen auftragen: allein 
er fchlug die Stel’ aus und empfahl hiezu den Job. 
Decolampaden; da auch diefer das ſchweere Amt fich 
verbat, fo ward ed auf Bullingerd Schultern geladen, 
Diefer und Leo Iebten eilf Jahre Jang wie Brüder zu⸗ 
fanten ; unter ihrem Cinpuß verbreitete und befeftigte 
fi) das angefangene Reformazionswerk mit beftem Ers - 
folge. Je weniger in dem verhärteten Gehirn det Er⸗ 
wachönen Zugang zu neuen Ideen ſtatt bat, deſto eifri⸗ 
ger waren die Reformatoren fire den Unterricht und Die 
Bildımg der Jugend beforget. Bey den wolthaͤtigſten 
Bemühungen, fab ſich Leo bald von den Lutheranern 
Bald von den eignen, noch vapifiifchgefinnten Mitbürgern 
verfolgt. Um fo viel gelaßner ertrug er Die Beſchim⸗ 
Yfungen von feite der erſtern, da ihm von Zeit zu Zeit 
Capits, Hedis, Bucer u. a. baldige Ausföhnung mi 











(5 Eine Art damaligen Weiberſchniuckes in Zürich, 





£eo Judaàa % 


Vathern verfprachen; zu dieftm Ende hin wurden bald 
in Züri) , bald in Baſel Religionsgefpräche mit den 
Lutheranern gehalten; doch immer blieben fie frucht 
los. Wie viel theologifche Lizenzen hingegen ſich Leo 
gegen die heimlichen Papiſten in Zürich erlaubt habe, 
bievon zeugt unter anderm eine Bredigt, Die ex unge 
fahr drey Viertel Fahre nach dem unglüdlichen Cappe⸗ 
ler⸗Krieg zu halten gewagt bat (9). 


Grofienteild waren Leo Judaͤ Vorwürfe begründet ; 
groſſenteils aber hätten fie vielmehr vor dem weltlichen 
Richterftul ald auf der Kanzel, vielmehr mit juridifchen 
Beweifen ald in allgemeinen Declamationen borgebracht 
werden follen Ct). Den Prediger ungefraft bingeben 
laſſen, hätte zu gefährlicher Nachahmung verleitet; ihn 
allzuſtrenge behandeln, hätte vielleicht den Poͤbel empoͤ⸗ 
ret. Es mußte alſo beydes zugleich, es mußte im Grunde 
weder dad eine noch das andre geſchehn. Innere fü wol 
als auͤſſere Unruhen machten die groͤßte Behutſamkeit 
nothwendig. Vor allem aus alſo vermied man, aus 
der Sache einen Perſonalhandel zu machen. Man ſuchte 
weder Beklagte noch Klaͤger. Nicht alſo Leo allein, 
ſondern die geſamte Geiſtlichkeit wurde vor Rathe beru. 
fen. Derſelben ward angezeigt, dag freplich der Aus— 
gang des Krieges ungluͤcklich geweſen, jedoch obne Schuld 
der Regierung; daher hätte Leo mit feiner Rede zu⸗ 

(*) S. Bullingers iftli 
* — und — —— ——— Fi 


‚(P ©. Varbevrac de Magiſtratu forte peccante e pulpl 
tis — traducendo, und Gisb. Vostius Aldetics ; 





9 Ceo Judqaà. 
ruͤckbleiben moͤgen, wie dann auch der Rath weder von 
ihm noch von andern Predigern in Zukunft ſolche un⸗ 
beſcheidene Kanzelvortraͤge erwarte: „Dann follte ders 
» glychen mee beſchaͤhen, wurdend die Thaͤter miner 
„Herren hoͤchſte Ungnad und traͤffenliche Straaf zu 
„erwarten haben; hiemit wurdend auch etlich Artikul 
„ geftellt wider die Praͤdikanten, ihnen dieſelben bes 
ſcheltensweiſe vorzuleſen “. 


Die drey vornehmſten Prediger, Leo Judaͤ, Heinrich 
Bullinger, Rudolf Thumeiſen lehnten die Vorwuͤrfe, 
die ihnen vor Rath gemacht worden, mit ———— 
Mut ab. Hierauf wurden ſie mit den uͤbrigen Predi⸗ 
gern aus dem Rathsſaal weggewieſen. Die Raͤthe was 
ren aliferft uneinig, aufferft verlegen. Vor dem Rath⸗ 
haus, aufm Fiſchmarkt, auf der Bruͤcke war viel Vol⸗ 
kes, Buͤrger und Landleute, zuſamengelauffen. Um auf 
einmal dem Laͤrm ein Ende zu machen, traten nun beede 
Buͤrgermeiſter, Die Schatzmeiſter, die Ober⸗Zunftmeiſter 
mit dein Stadtſchreiber ind Vorzimmer zu den Praͤdi⸗ 
canten und verſprachen ihnen, das Geſchehene zu ver⸗ 
geſſen; an der Kirche und an dem Vaterland treu zu 
bleiben; auch erlaubten ſie den Geiſtlichen, daß, ſo 
oft ihnen Etwas gegen die Oberkeit am Herzen liege, 
ſelbige ſich in dem Rathsſaal melden duͤrfen; wofern 
fie alsdenn keine befriedigende Antwort erhalten, moͤ⸗ 
gen fie hernach auf der Kanzel fich aller Freyheit in fb 
fern bedienen, ald ed dem Geiſt Ehrifti, der Ehre Gots 
tes, der dfentlichen Ruhe und Ordnung, dem Frieden 
und Heil der Menſchen angemgffen fem werde. — Bon 
allen: Seiten ward hierauf bie Unruh geftillet. . 
a. | Nachdem 





£ te Juda ” 


Nachdem wir bisher unfern Leo auf dem öfentiichen 
Schauplatz gefehn haben, müffen wir noch einen Blick 
auf fein Privatleben werfen. So fehr er auf dem theo⸗ 
Iogifchen und politifchen Kampfplag als heldenmaͤſſiger 
Rieſe fich zeigte, fo wenig anfehnlich war feine auͤſſere 
Bildung Er war von fehr mittelmäffiger Leibeöges 
ſtalt (*). In einem Brief an Zwingli heißt ihn Liechs 
tenberger heroica pracellentia virunculum ; Zwingli 
redt ihn in einem Briefe felber ald Leunculum an; in. 
einem andern Brief an den Myconius nennt er ihn Leo- 
nem Teucro minorem , fed Ajace fortiorem. Er hatte 
eine lebhafte Gefichtöfarbe,, wiewol er fonft immer trink: 
lich gewefen und mehr Argneymittel brauchte, als ihm 
gut war. Er ließ keinen Bart wachfen, fondern trug 
Die Haare nach dem ‚Gebrauch der päpftlichen Prieſter; 
auch trug er, eben fo wie Zwingli, ein Prieſter⸗Baret, 
zumeilen auch einen Spitzhuth. Seine Kleidung war 
fchlecht, doch reinlih. Im Umgang war er gefällig 
und liebte nicht weniger ald Zwingli und Luther die 
Tonkunſt. Bon ihm bat man noch einige muflcalifche 
Compofitionen; auch batte er eine heile Singſtimme; 
zuweilen gab er .in feinem Haufe Kleine Concerte und 
bewirthete feine muficalifchen Freunde; er ſchlug das 
Hackbret und fpielt auf der Laute. Den Fremden, die 
der Religion wegen flüchtig worden, ſtand fein Haus 
offen und Donate lang fanden fie an feinem Tifche Be. 
wirtung. Auch mit den Armen in feiner Pfarrgemeine 








, . (96. Heine. Hottingers ; Hit. Ecclef, T. vuf 
- Zu ee eidgenoͤſſiſche Kischengefshichte , T Tut 


G 


J ‚ 


98° Leo Ju daͤ. 


theilte er fein. Brod. Ungeachtet er dadurch in Armuth 
gerieth, beklagte er ſich niemals, aus Beſorgnis des 
Vorwurfes: Es koͤnne den Pfaffen niemand genug ge⸗ 
ben. Tags und Nachts war ſein Weib beym Webſtule 
beſchaͤftigt. Aus dem Gewinnſt kaufte ſie Hausplunder. 


Endlich im J. 1540. ſtellte er dem Rath ſeine kuͤm⸗ 
merliche Umſtaͤnde vor. Hierauf ward ihm ſein Pfrund⸗ 
einkommen jährlich um so Gulden vermehrt. Er hatte 
nicht mehr als einen filbernen Becher, der ihm von 
Werner Steiner gefchenkt worden war, und ein duzent 
befchlagene Löffel, überall keine Schuldbriefe und feine 
liegenden Güter. Bon Oſwald Myconius und Simon 
Grynaͤus ward er nach Baſel, von dem wirtembergis 
ſchen Herzog Georg ind Elfag berufen. Die einträglich» 
ften Bedienungen fihlug er aus: Dafür ward ihm im 
J. 1538. von der. Oberkeit in Zürich das Bürgerrecht 
geſchentkt. 


Leo fchrieb feine Vredigten nicht auf; in einer oder 
in zwo Stunden hatte er im Kopfe den ganzen Vortrag 
in Ordnung gebracht. Oſt beklagte er ſich, daß ihm die 
Strafpredigten am wenigſten von ſtatten gehn; keine 
Nredigten gelangen ihm beſſer als über die chriſtliche 
Liebe; vielleicht deswegen, fest fein Sohn hinzu , weil 
er von Natur ein gütigee, milder, framdlicher Mann 
war. | | 


Schon hatte e bis ind neunzehnte oder zwanzigſte 
Fahr der Zürcherfchen Kirche gedienet, als feine Kräfte 
merklich abnahmen. Er gieng alfo im %. 1540. in die 
Bäder nach Baden. Obwol er nicht mehr trank als fein 
dietiſch Pörglin, fo zog er ſich Doch bey der groffen 





Seo Judaͤ. 9 


Sommerhitze eine Entzündung in der Leber zu. Un⸗ 
geachtet aller augewendten Arzneymittel nahm feine Ges 
ſundheit je länger je mehr ab. Im J. 1542. gieng er 
alfo wieder nach Baden; ganz entlräftet kam er nach 
Zuͤrich zurück und ſtarb daſelbſt, unter den erbaulichiien 
und rührendeften Gefprächen, den 19 Junius 1542. Sein 
Nachfolger bey St. Peter war Rudolf Gualter. 


Mit Leo war fur feine Famillie zugleich alled Ein 
kommen verſchwunden. Mit feiner Wittwe und mit ſei⸗ 
nen vier Wayſen trat nun Bullinger in den Rathsſaal. 
Daſelbſt ftellte er der Oberkeit die vaterländifchen Ver⸗ 
dienſte des Berftorbenen vor und empfahl feine Hinter 
laßnen. Diefen ward ein jährliches Gehalt von 10 Müt 
Kernen, 5 Eimer Wein undıfıo Gulden Geldes zuer⸗ 
tennt. Dieſes Gehalt hatte die Witwe lange Jahre ges 
noffen, ungeachtet ihre Kinder fchon anderwaͤrts verforgt 
waren. Gleich nach des Valers Hinfcheid wurden beyde 
Söhne oderkeitlich, der eine in dem Seminarium zum 
Srauenmünfter, der andre in der Schule zu Kappel 
cogen. | S — | 





V. 
Johann Waldmann (*X). 


Qyeree ward zu Blickenſtorf, Zugergebietes, im Amte 
Baar, von armen Aeltern erzeugt. In früher Yu: 
gend kam er ald Lernjung zu einem Rothgerwer nach 
Zürich. Hier kaufte er im J. 1452. das Bürgerrecht 
um vier Gulden. Bey allen Fagnachtfpielen und Schügens 
gefellichaften war er immer der belebtefte und fchönfte 
unter feinen Ditgenoffen. Gar bald vertaufchte er fein 
Handwerk mit Kriegesdienſt. Er war einer von den 
damals ſeltenen Koͤpfen, die einen leſerlichen Aufſatz zu 
verfertigen im Stand waren, und ſo ſchrieb er im Na⸗ 
men ſeiner 400 Mitgeſellen den Abſagbrief an den Abbt 
von Kempten. Wenn er von ſolchen kriegeriſchen Strei⸗ 
fereyen zuruͤckkam, ſo zitterten die Hausvaͤter fuͤr ihre 
Weiber und Toͤchtern und die Wirthe waren in ihren 
Gaſthoͤfen nicht ſicher vor ſeinem Gelaͤrme. Zwo von 
ſeinen Galanterien, die eine mit der Gattinn des Stadt⸗ 
ſchultheiſſen, die andre mit der Frau des Rathsherr 
Goͤldlin machten allgemeines Aufſehn, und zwar nicht 
zu ſeinem Nachteil. Auch ward er mehrmal wegen Un⸗ 
fugen oͤfentlich gebuͤßt und ins Gefaͤngniß geworfen. 
Eben ſein ungezaͤhmtes Weſen, verbunden mit Wolge⸗ 








in et 2. 9. Fuͤßli Lebensgeſchichte Joh. Waldmanns, 


ZZobann Waldmann .ı0 


Welt, mit redneriſchem Talente und mit verſchwenderi⸗ 
ſchen Ausgaben, alles dieſes machte ihn zum Abgott 
des Volkes. 


m J. 1464. verheurathete er ſich mit der Wittwe 
des Einfiedler - Amtmanns Ulrich Edlibach von Hinter 
burg, die er fchon bey Lebzeiten deffelben genauer ges 
kannt batte; auch erhielt er fein Amt und legte durch 
dieſe Verbindung den Grund zu kuͤnftigem Reichtum 
und Anfehn. Durch den Eifenbandel fo wol ald auch 
durch Bormundfchaften und Adoocaturen wußte er noch 
mehr fein Gluͤck zu befördern. Bey Führung feiner 
Rechtshändel und bey Verwaltung des Wanfengutes 
Hatte ex fich bald beliebt , bald verdächtig gemacht. 


Im J. 1468. war er Spießhauptmann bey der Be 
lagerung von Waldshut und bey den Hilfsvoͤlkern f wel⸗ 
che der Stadt Muͤhlhauſen zugeſchickt worden. 


Bald zum Zunftmeiſter ernennt, bald als treulos und 
frefelhaft ins Gefaͤngniß geworfen, nahm im Ganzen 
ſein Kredit je laͤnger je mehr zu. Ein Volkesmann oder 
ein Rathsfreund, je nachdem der Wind blies, ward er 
zuletzt für alle Herr Johann Waldmann von Duͤbel⸗ 
flein , nachdem er im J. 1469. diefe Herrfchaft kauͤflich 


an fich gebracht hatte. — Um günfligeree Ausfichten | 


willen begab er fich von der Gerwerzunft auf die Zunft 
sum Kaͤmbel. Dafelbft erhielt er im Jahr 1473. bie 
- Zunftmeifterwürde. Im J. 1474. entzundete fich der 
Krieg mit dem burgumdifchen Herzog Karl dem Kuͤh⸗ 
nen. Mit Felix Kelleen zog Waldmann als Kriegsrath 
nad) Ghcot. Im J. 1475. zog er ald Hauptmann 
von 1500 Mann den Bernern zu Hilfe. In gleichem 


— 


Her 








> Johann Weldmann. 

Fahr wagte erd, einen feiner Miträthe des Meineyds 
anzuklagen. — Die Slammen des burgundifchen Krie⸗ 
ges verbreiten fich weiter. Im J. 1476. zeigt fich Walde 
mann an der Spige feines Kantons im Schlachtfeld ; 
zu Freyburg neigen‘ alle andern Contingenter vor dem 
feinigen die Fahnen. Er führt fle nicht nur zur Beute, 
fondern zum Steg an. Bernd Vorwürfe über die Schlaͤ⸗ 
frigfeit der übrigen Kantons erträgt er mit Unmut und 
ihn erfchüttert der Gedanke, daß der groffe Adrian von 
Bubenberg ein Schtachtopfer der burgundifchen Rache 
ſeyn follte, Sein Schreiben an die Eidgenoffen noch 
ans dem Lager nor Murten zeugt von bavundernswürs 
Diger Klugheit. Er mäfligt den Enthuſiaſmus der Bers 
ner, wiegt ihre Verzweiflung in Ruhe ein und fchwört 
ihnen treue Wachfamteit; durchaus aber fchiebt er die 
Schlacht auf, bis feine Mitbürger auch würden ange 
rückt fen, um mit den Webrigen die Ehre ded Triums - 
phes theilen zu können. Muͤde und hungrig langen die 
Züricher in Bern an, wo Waldmann fie bange erwar⸗ 
tet. Er vergönnt ihnen kurze Raſt; um zchn Uhr 
Nachts läßt er zum Fortmarfche biafen. Die ganze 
Stadt if wach; die Greifen beten m den Tempeln. 
Alle Strafen find beieuchtet und mit Tafeln Defekt. 
Das wehrlofe Gefchlecht der Weiber und Kinder bes 
wirtet sitternd die Reiter; im Durchzug genieſſen diefe 
eine Erquickung, brechen auf und ziehn in der ftockfitts 
ſtern Regennacht bis an die Sanerbrüde. Hier dem 
Feind in der Naͤhe, laͤßt Waldmann eine Fruͤhmeſſe 
Yefen. Das Heer trinkt ich den St. Johannes Seegen 
zu und rüct den Berg binan in das eidgenoͤſſiſche Lager. 
In dem Kriegerath erhält Waldmann den Btſehlsha⸗ 
berßab und wird mit andern Feldherren von dem Her⸗ 


Yobann Waldmann 103 


vog von Lothringen zum Ritter geſchlagen. Nun erfolgt 
der herrliche Sieg am 22 Junius 1476. Von ist an 
Anden wir den Ritter Waldmann überall, auf den eid⸗ 
genöfifchen Tagfagungen und unter den Abgefandten 
nach dem franzöfifchen Hofe. Vor Murten fliftete er 
mit dem Herzog von Lothringen eine Sreundfchaft, weis 
he nicht wenig zu dem Entfchluffe der Eiddgenoffen 
beytrug , diefem Fürften fein Erbland zu retten. Ders 
felbe erwartete die bewilligten Hilfsvoͤller zu Bafel. Als 
ee hörte, daß die Zürcher, unter Waldmanns Anfuͤh⸗ 
zung, im Anzuge begriffen feyn, gieng er ihnen entges 
gen, fprang beym Anblick des Ritterd vom Pferde und 
umarmte ihn. Acht taufend Eidsgenoffen begleiteten 
den Herzog zur Widereroberung von Nancy , und nicht 
wenig hatte Waldmann diefelbe befördert. | 


In den Unterhandlungen der Eiddgenoffen mit Frans 
reich wegen des Schickſals von. Hochburgund fpielte 
Waldmann, nebſt Adrian von Bubenberg und Hang 
Imhof, , die wichtigfte Role. Aller Bermutung nach 
fam er mit unbeftochenem Herzen zu dem franzöfifchen 
König, Ludwig XT. Die Ofenheit und der Ungeſtuͤm 
feines freyen Characters fchienen fich mit der Falten, 
verrätherifchen Schlauheit des Königs nicht zu vertras 
sen. Aus Furcht, daß feine vaterländifche Grundfäke 
Gefar laufen möchten, entweicht der altſchweizerſche 
Adrian von Bubenderg , unter Verlarvung eines fah⸗ 
senden Geigers; dieſes Schutengeld beraubt, wankt 
nunmehr Waldmanns Patriotiſmus und unvermerkt 
wird er vom franzoͤſiſchen Hofluft vergiftet. Sein Ge 
winnft iſt ein Königliched Jahrgehalt und an ihm hat 





/ 
4 Johann Waldmanı 


nunmehr Ludwig XI. in der RR! einen maͤch⸗ 
‚tigen Gönner. 


Im J. 1478. erhielt Waldmann auch von der Her⸗ 
zogin von Savoi ein Diplom, welches ihn zu ihrem 
SHofrathe ernennte. Auch mit Mayland ftand er ſchon 
fruͤhe wenigſtens in Verdacht eines allzuguten Verneh⸗ 
mens. So bald er am Ruder ſaß, ward er (wie es 
zu geſchehn pflegt,) aus einem Volkesmann ein allbe⸗ 
herrſchender Gebieter. Durch Uebermacht auf den eid⸗ 
genoͤſſiſchen Tagleiſtungen erwarb er ſich Feinde; in 
ſeinem eignen Kanton hingegen ward er von dem Adel 
ſp wol als von dem gemeinen Manne geliebkoſet; jede 
Partey naͤmmlich hofte ihn auf ihre Seite zu ziehen. 
Was etwann im Rathe oder in Privatgeſellſchaft über 
ihn ausgeſagt wurde, das wurde als Reid oder als 
Mißverſtand ausgedeutet. Schon hatte er durch aller⸗ 
ley Wege ein Hauptgut von 30000 Gulden erworben. 
Hieraus liehe er manchem Herrn und Buͤrger, mancher 
Zunft und Gemeinde; er gab Allmoſen, ſteuerte arme 
Wayſen aus, kaufte Kirchenſtuͤle, Vigilien und Seel⸗ 
meſſen. Immer aber fuhr er fort, ſich als belebten 
Weltmann zu zeigen. Im J. 1479. ward er mit dem 
Leutprieſter Hering an den paͤpſtlichen Hof abgeſchickt, 
um das eidgenoͤſſiſche Buͤndtniß mit Sixt IV. beſiegeln 
zu helfen: unterm Vorwand eines Anfalls von Fieber 
blieb er bis zu Herings Ruͤckkunft in Mayland; Das 
ſelbſt gieng er fleiſſig mit dem franzäfifchen Geſandten 
zu den Gaſtmalen und Baͤlen bey Hofe. 


Bis zum J. 1480. verwaltete er in Zuͤrich das Bau⸗ 





amt; hierauf ward er zum oberſten Zunftmeiſter er⸗ 


| wält. Als folchen zeigte er fich bey dem Rechtshandel 


j Tobann Waldmann. 10% 


des Ritters von Hohenburg in einem böchft zwerdeuti⸗ 
gen Lichte. Ritter von Hohenburg, aus achtbarem Ges 
fehlechte in Straßburg, ſah ſich wegen Ueppigkeit und 
Impotenz, wie auch wegen verfchiedener Mißhandlun⸗ 
gen von feiner Gemalin verlaffen und dadurch um die 
Hofnung einer reichen Erbfchaft betrogen. Aus dem 
Elfaffe vertrieben, kam er endlich nach langem Herumir⸗ 
ren auf Zürich. Nicht ohne Schwirrigkeit erhielt er 
Das Bürgerrecht. Bald darauf firbt fein Schwiegen 
vater. Laut feines Chevertragd fpricht er das Vermoͤ⸗ 
gen und die Perſon feiner Frau an. Diefe verweigert 
ihm beydes und wird von den Straßburgern unterſtuͤtzt. 
Die Zürcher fordern für den Ritter ſicheres Geleit und 
Defnung des Rechtens: Umſonſt find alle ihre Be 
mühungen und nun ſchicken fie ihren Abfagbrief nach 
Straßburg und fchon And fie zum Kriege gerüftet. Durch 
Vermittler wird zwifchen beyden Städten die Ausſoͤh⸗ 
nung betrieben. Der Ritter von Hochburg hingegen 
ſchlug verfchiedene Rechtögebote feiner alten Mitbürger 
aus und bewieß überhaupt einen Stolz, der in feiner 
eritifchen Lage nicht umvorfichtiger feyn könnte. Bey⸗ 
nahe überal ward er ald Ürheber der Zweytracht verabs 
ſcheut. Itzt entfiel feinen Anhängern der Mut. Go 
fehr er bisher von Waldmann begünftigt geweſen, fo 
fand es Diefer nicht länger zuträglich , um des Avan⸗ 
türierd willen weder die Ruhe des Staates uoch feinen: 
eignen Kredit in die Schanze zu fchlagen. Die drey 
Obriſtzunſtmeiſter machten damals ein eignes Tribunal 
aus; ihr Amt entfprach ungefähr den heutigen Begrif⸗ 

fen von heimlichern oder Staatdinguifitoren. Um ſo viel 
weniger Einfchräntung Id? ihr Gewalt, da derſelbe 

durch Leine Geſetze genug beftimmt war. Kurz, dieſes 





> 


5 Redner = Der —— antwortete: „» DW 


06 Johann Waldmann 


Tribunal teit jzo zuſamen, verhört Kundſchaften gegeig 
den Ritter, laßt ihn auf dem Weg nach der Kirche 
mit ſeinem Bedienten Anton aufheben, wirft beyde in 
den Wellenberg und verhoͤrt ſie an der Folter, alles 
ohne Vorwiſſen des Rathes. Eben damals im J. 1482. 
war eine groſſe Tagleiſtung in Zuͤrich zur Befoͤrderung 
eines gaͤnzlichen Verglichs mit Straßburg. Letztre Stadt 
mußte erſterer an die Unkoſten 8000 Gulden bezalen. 
Der Ritter von Hochburg verſiegelte die Ausſoͤhnung 


mit ſeinem Blute. Vermoͤg der damaligen Poteſtas Tri- 


bunitia lieſſen die drey Obriſtzunftmeiſter, zu ganz un⸗ 
gewohnter Zeit, den Rath der CC. verſamlen. Wald⸗ 
mann eröfnete zuerft den Verglaͤchsentwurf mit Straße 
Burg ; Dderfelbe wurde genehmigt. — Alsdenn trug er 
das Eramen mit dem: Gefangenen vor; dieſer ward 
fodomitifcher Sünden befchuldigt , wie auch einer Mord⸗ 
that, die er vormals zur Verheimlichung feiner viehis 
fchen Schwachheit im. Elfaffe follte verübt Haben. An 
der Folter hatte der Bediente Anton: die vorgeblichen , 
mit feinem Herrn begangenen Greuel alle geftanden ; 
der Herr hingegen behauptete unter der graufamften 
Marter in den lebhafteften Ausdrücen feine gänzliche 
Unfchuld. Gleichwol ward ee wenige Tage nachher, 
nebſt feinem Bedienten, zum Feuer verurteilt. Als ex 
im Vorbepführen Waldmann auf der Bruͤcke erblidte, 


rief er ihm gu: „Mir gefchieht Unrecht. Um meines 
„Gelds willen verlier ich das Leben. Du, Waldmann, 


„haͤtteſt mich retten koͤnnen, und thateft ed nicht. Das 
„ rum dad’ ich dich von Heut in dreyen Tagen in dag 


5 Thal Joſaphat an ein Recht. Da nehm ich St. 


» Fohann zu meinem Schreiber, und St. Paul zum 


Ba 
3 


— 








Jobenn Waldmann. 107 


„ empfängft ein gerechte® Urteil. Deine Vorladung 
» frag ich nichts nach : Wenn meine Stunde da iR, 
wird mich Gott wol rufen “. 


Von dieſer Zeit an neigte fi) Waldmann gänzlich 
auf die Seite feiner Zunftmeiftee und mit ihnen machte 
er allerley Anfchläge gegen den Adel, weil dieſer, nach 
.. ben Heerrichenden Vorurteilen , ihm zum Gonfulate noch 
allein im Weg fand. Walbmann bracfte es im Yabr 
1483. dahin, dag ihm Ritter Heinrich Goͤldli die Buͤr⸗ 
germeifterwürde abtreten mußte. Das Göldlifche Haus, 
und mit ihm der ganze Adel, wurden aufferft erbittert. 
Denſelben gelang ed, im J. 1484. den entſetzten Goͤldli 
wieder zum Conſulat zu erheben. Aufs neue fab fich 
Diefer genötigt, im Jahr 1485. unſerm Waldmann, ſei⸗ 
nem erklärteften Gegner, zu weichen. Nunmehr glaubte 
der neue Bürgermeifter, dag er nicht anderfi ald durch 
sänzlichen Umſturz der Göldlifchen Famillie ficher feyn 
koͤnne. Auf fein Anfliften ward ein gewiffer Heinrich. 
Goͤldli verbannet ; Lazarus Goͤldli, der Rathsherr, 
(welchen vormals Waldmann zum Hanrey gemacht 
hatte,) wurde von der Rathsſtelle entſetzt und unter 
allerley Vorwand um zwanzig Mark Silbers gebuͤßt. 
Noch blieb zwar der Altbuͤrgermeiſter Goͤldli ein Mit⸗ 
glied des Rathes, jedoch unter der Einſchraͤnkung, daß 
er zu feiner weitern Gefandtfchaft gebraucht werden ſollte; 
Sefandtfchaften aber waren nicht nur die ehrenvolleſten, 
fondern auch die einträglichfien Bedienungen. — Mit 
der Goͤldliſchen Familie fuchte Waldmann überhaupt 
den ganzen Adel zu ſtuͤrzen. Ex richtete eine Cotterie 
auf, welche Durch Dad ganze Jahr , Mittags und Nachts 
ch an gleicher Tafel auf einem Öfentlichen Haufe bewirten 





8 Johann Waldmann. 


ie. Man fehlug den Zutrit niemand ab; eigentlich 
aber befand die Geſellſchaft aus dreyzehn Tiichgenoffen, 
alles angefehene Maͤnner und beffere Köpfe, unter den⸗ 
ſelben zween Rathsherren von der adelichen Zunft, drey 
Zunftmeifter , vier Glieder des groffen Rathes, der Dia⸗ 
con zu St. Peter, der Stadtfehreiber, ———— 
Stiefſohn u. m. a. 


Waldmann ſchien ein zuſamenhaͤngendes Ganzes uͤber 
die Staatöreformation im Kopfe zu haben. m der. Ab⸗ 
ficht die Stadt- und Landwirthfchaft in Ordnung und 
paffendered Verhältnig zu bringen, fieng er damit an, 


daß ex veraltete Gefege aus dem Staube bervorgrub ; 
‚unter denfelben befanden ſich verfchiedene Verordnungen 


zur Einfchränkung der Prieſterſchaft, wodurch er fich 
den meiften Haß zuzog. Unter feiner Regirung wurden 
die Münfterthürme mit flolgen, pyramidalifchen Helmen 
geziert; zur Beſtreitung des Baues wurde ber ganze 
Klerus beſteurt; dee Buͤrgermeiſter vergabte hiezu aus 
feinem eignen Beutel 200. Gulden. — Wie weit er über 
fein Zeitalter hinaus ſah, mögen z. B. die Abichafung 
verſchiedener Faſttage, die Einfchränkung der Vermächts 


niſſe an Kirchen und Kloͤſter, das Verbot, in todte Hand 


zu verfanfen, u. a. m. beweifen. Im J. 1485. ward 
auf fein Anftiften Die Webbtiffin, Sybilla von Helfen⸗ 
ſtein, als untauglich entſetzt und in Beyſeyn von ſechs 
Rathsgliedern, an deren Spitze Waldmann felbit war, 
eine neue Aebbtiffin erwaͤlt. Viele Ordensbruͤder wur⸗ 
den vermwiefen ımb den Predigermönchen die Beichte ber 
Monnen entriffen. Hauptfächlich aber verfete er bee 
ganzen Priefterfchaft einen tödlichen Streich durch das 
Buͤndtniß mit Junocenz VII. im J. 1479. Kraft bei 


# 


Yobhbann Waldmann 19 


gelben wurde dem Rath das Patronatrecht über ver 
fchiedene Praͤbenden, auch in den päpfllichen Monaten, 
beflättigt. Der Beſitz mehrerer Pfruͤnde, das Vertauts 
fehen derfelben, die Entfernung von dem angemwiefenen 
Aufenthalt, die Ausweichung des weltlichen, einheimi⸗ 
fchen Richterd wurden ernftlich verboten. Zins und 
Zehntenſtreite der Geiftlichen wurden, wie vormals, an 
Die weltliche NRegirung gewiefen; die Geiftlichen muß⸗ 
ten mit der Etadt in Krieg ziehn mit Steuren und 
Roſſen; der Rath. forderte Rechnung von den beyden 
Klofterftiften und gab ihnen Pfleger. 


Eben fo gemeinnügige, aber allzukuͤhne und voreilige 
Abänderungen machte er in der weltlichen Verwaltung. 
Hicht mehr, wie vormals, follte man das Bürgerrecht 
fo leicht entweder aufgeben oder erhalten. Um die Ges 
walt des Adeld einzufchränfen, machte er mit feinen 
Zunftmeiſtern, (dem zweyten, gefchwornen Briefe zu: 
wieder , ) die Erkanntniß, daß die Zunſt der Edeln nicht 
mehr ald ſechs Glieder in den Rath fenden folle. — Den 
gemeinen Mann empörte er durch folgende Einfchrän: 
tung der bürgerlichen Freyheit: „ dag in Zukunft kein 
„» Zunftmeifter, der fich nicht mit Unehre verfchuldt 
„ Bätte, dürfte entfekt oder abgeändert werden, bis an 
„ fein Ende; und wenn fchon feine Zunft einen Ale 
„ dern mälen würde, fo follten die uͤbrigen Zunftmei⸗ 
» fer den alten behalten. “ Freylich gelang es ihm 
nicht, dieſe Erkanntniß durchzufeken; immerhin aber 
Batte er fih durch den guten Willen gegen die Zunft: 
meifter je känger je mehr die blindefte Anhänglichkeit 
Derfelben eigen gemacht. Um die argmöhnifchen Buͤr⸗ 
ger von neuem auf feine Seite zu ziehn, war er ber 





110 Jobann wardmann— 


erſte, welcher die Handwerker mit ausſchlieſſenden Sands 
werkörechten begünftigte. Indeſſen forgte ex nicht bloß 


für den Yeutel des Bürgerd, fondern auch für feine 
- Gefundbeit und Bequemlichkeit, Durch ſehr weite Polis 


zeyordnungen. 


Auch uͤber die Landſchaft erſtreckten ſich ſeine geſetzge⸗ 
beriſche Blicke. Zu beſſerer Befoͤrderung der laͤndlichen 
Wirthſchaft wurde verordnet: Es ſollten alle Handwer⸗ 
ker von den Dörfern in die Stadt ziehn; „Die Lands 
leute follten alle Waaren nur in der Stadt faufen und 
hinwieder die ihrigen nur auf dem Stadtmarkte verkau⸗ 
fen. Kein Baumwollengarn durfte unmittelbar von den 
Landleuten an Sremde abgefendt werden. Auch ſollten 
fie Die Wälder fchonen und feine neuen Weinreben pflan. 
zen, Hauptfächlich aber wurde das Keislaufen ohne 
Vorwiſſen der Obern, als die erfle Quelle des vernachs 
laͤſſigten Feldbaus, bey hoher Strafe verboten. — Zur 
Beſtreitung der Staatsausgaben wurde die ganze Lands 
fchaft um eine Gutfleuer von fünf Schillingen, ein 
andermal von zehn Schillingen von jedem hundert Pfund 
Heller , in drey Jahren zalbar, angelegt. Noch ein ans 
dermal feste man eine Kopffieuer von drey Schillingen 
jährlich. Nur die Voͤgte und Beamte in einigen Bes 
zirken hatten fich der allgemeinen Buͤrde entzogen. Die 
Zölle und Frohndienſte trieb man im ſtrengſten Sinn 
ein.. Ueberdieß zog die Stadt den Salzhandel an ſich, 
und dadurch ward auf der Landfchaft die größte Verbit⸗ 
terung verurfacht. Eine ganz neue und wichtige Ein⸗ 
richtung waren bie fo genannten Reisbuͤchſen oder Krie⸗ 
gesfonds, weiche in der Stadt und in allen Herrſchaf⸗ 
ten angelegt wurden. Jeder Hauspater zalte alljaͤhrlich 


X 


Johann Waldmann m 


einen Schilling , und abfönderlich noch jeder, der Re 
ben baut, alljährlich ein Viertel Fäfen und em Viertel 
Haber, um bey Friegerifchem Ueberfall einigen Vorrat 
zu haben. Nicht nur die nutzbaren, fondern auch hie 
ehrenhaften und Iandesberrlichen Rechte der Stadt ers 
weiterte Waldmann, indem er die Freyheiten der Ges 
richtsherren und dee Dorfgemeinden hie und da zu vers 
kuͤrzen bemüht war. Um jedem Aufrupe zu fleuren, 
wurde dem Landvold alles zuſamenrotten aufs fchärffie . 
verboten. 


Bon dem grandiofen Geift unſers Waldmanns moͤ⸗ 
gen noch folgende Erfanntniffen zeugen: die eine, daß 
man Städten , die an Zürich anf Pergament fchreiben, 

hinwieder auf Bergament fchreibe , und einen Titel gebe, 

wie fie unfree Stadt geben, und nicht höher. — Die 
andere: Waldmann, Efcher und Schwend follen im 
Namen des Rathes eine Stadt⸗Chronick veranfalten 
laffen. 


Bey allem diefem Anfehn von Hoheit feßte er zuwei⸗ 
Im feine Würde fo weit aus den Augen, dag er nicht 
felten mit dem Stadtbedienten Schneevogel, Arm in 
Arm, über die Straffen wandelte. Dabey war er ein 
Freund von Schmaufen und Gaflgeboten und prächs 
tig in Kleidern. Mehr ald alles hatte den Eittenrid), 
tee unmäffige Weiberliebe gefchändet. — Nicht ald Eits 
ten fondern ald Polizeyrichter ließ ex verdächtige Weibs⸗ 
perfonen aus der Stadt jagen. 


Doch wir eilen, um unfern Waldmann auf einer hoͤ⸗ 
Bern und ausgebreiteteen Buͤhne zu betrachten: — So 
manchen andern Kantone zumieder , finden wir ihn ges 


ee Jobann Waldmann 


gen den Papft und gegen Frankreich dem Erzhauſt Des 
flerreich und dem Herzogtum Mayland vorzüglich erges 
ben. Gegen die Wallifer und ihre Mithelfer nahm er 
das Haus Sforzia in feinen Schutz; bey dem Erbs 
vereindgefchäft mit Deflerreich im J. 1487. war. er 
nicht nur erſter, Öfterreichifcher Penſionaͤir, fondern auch 
ber Austheiler von Maximilians Gnadengeldern in ges 
ſammter Eydgenoßſchaft; auf allen Tagfagungen war 
fein Einfluß zum Nutzen oder zum Schaden der andern 
ungemein groß. Dadurch zog er fich von allen Seiten 
tödlichen Haß zu. Den gewaltfamen Ausbruch diefes 
Haſſes beförderte folgender Vorfall: 


Friſchhans Theiling von Luzern, der fich vormals als 
wackerer Kriegeshauptmann hervorgethan hatte, befuchte 
feither als Tuchhändler gewöhnlich die Meſſen zu Zuͤ⸗ 
rich. Als er num auf den Herbſt im J. 1487. in gleis 


- chen Gefchäften dahin kam, ward er ploͤtzlich in Vers 


haft genohmen. Seine ganze Verſchuldung beftand in 
einigen unbedachtfamen Reden, die er bey Anlaß des 
Bellenzerzuges theild im Felde gegen das zuͤrcherſche 
Kriegeöpanner überhaupt, tbeild vor einigen Fahren in 
einem Gaſthof zu Solothurn gegen Waldmann befons 
ders ausgeftoffen hatte. So bald zu Luzern Theilings 
Arreft in Zürich ruchbar geworden, ſchickte der Luzer⸗ 
nerkanton, im Begleite der Blutsfreunde des Gefang⸗ 
nen , eine Gefandtfchaft nach Zürich. Diele begehrte 
Die Auslieferung des Gefangnen , unter Verſprechung, 
daß fein Fehltrit zu Luzern -follte unterfucht und nach 
Beſchafenheit der Sache heſtraft werden. Waldmann , 
welchem Theiling eine fchimpfiche Retirade bey Bellen; 

BpLge, 


Johann Daldmenmn 213 


vorgeworfen Hatte, Tonnte diefem den Vorwurf nie wie⸗ 
der verzeyyn. Auf die dringendefte Fuͤrbitte der Luzer⸗ 
Ber antivortete er: ; Alles Yitten ift fruchtlos Euer 
„Friſchhans muß fterben, und wenn er fo groß als em 
Kirchthurm wär. * Hhne Hofnung - kehrten die Luzer⸗ 
ner nach Haufe; ein paar Tage hernach ward Thei 
ling ; auf Auflage zweyer Zeugen , und auf fein eignes 
peinliches Verhoͤr hin, zum Schwerdte verurteilt. 


Mittlerweile daß fo wol durch dieſe wieberrechtliche 
Hinrichtung ald auch durch fein geheimes Verfländtnig 
mit Defterreich und Maͤiland Waldmann der Gegen 

« Rand des allgemeinen Haffes der Endgenoffen geworden, 
gettelte fich auch zu Haufe ein Komplot wieder ihn an. 
Laut wurden über ihn allerley Läfterungen ausgeſtreut 
and freylich anfangs Die Urheber beftraft und ein ges 
wiſſer Hand Kraut fd gar zum Tode verurteilt. — 
Dben erwähnter. Altbürgermeifter Goͤldli ſah alte Diähes 
rigen Drittel, feinen Gegner zu flürzen, vergeblich, von 
ungewoͤhnlicher Rache entſlammt, faßte er endlich den 
derziweifelten Entſchluß, Kopf an Kopf zu wagen. 
Obgleich nicht mehr als Befandter, reifete er fonft uns 
ter allerley Vorwand auf die Tagſatzungen; Ddafelbft 
fehütteten er und feine ehrhaligen Vertrauten unter den 
Eydgenoffen ygegenfeitig ihre Klagen über Waldmann 
einander in die Schoöß aus; unermuͤdet ward fo das 
Gift hin und her getragen. In Zürich felbft waren, 
nebſt Göldli und feinen Neffen, Waldmanns pornehm⸗ 
fie Feinde die Ritter Heinrich Efcher und Konrad Schmend, 
und Hans und Gerold die Meyer von Knonau, Water 

und Sohn; alle dern Kath einverleidt. Von den Beh 
| 2 


1 Johann Waldmann. 


telmöndhen in dem Beichtfiul , von dem jungen Adel 
oder von gebüßten Reislaufern in dem weiblichen Spiels 
zimmer, von angefehenen Landfaffen in der Schenke 
wurde der Neformator im fchwärzeftien Lichte gemalt. 
Diefer kannte gewiß die ganze Wut feiner Feinde, als 
lein ſtolz auf eigne Vorzüge, traute er ihnen zu wenig 
Kraft und Talent zu. 


Im J. 1488. wurden allerley aufgewaͤrmte und neue 
Satzungen gegeben. Wenn fie beleydigten, fo wurde 
Waldmann von feiner Gegenparten ald Urheber derfels 
ben erklärt. In einer diefe Sakungen befichit_man: 
„ dag in Zukunft niemand Teinerley Güter annehmen 
» foll, e8 fey dann, daß fie von dem Beſitzer entweder 
» felbft angebaut oder zum Anbau um gebürlichen Zing 
„ an andre ausgelichn werden. Im Kal dag jemand 
„fein Gut allzuthener anfeken würde, fo follten Vogt 
„ und übrige Dorfoorgefegte am Ende entfcheiden. * 
Am meiften erbitterte das firenge Gittenmandat, beſon⸗ 
ders wegen des gehäffigen Lintericheids der Stände, der 
in demſelben in Betref des erlaubten und: unerlaubten 
Luxus fetgefeßt wurde. — Auf Antreib feiner arglifiis | 
gen Feinde lieg fich Waldmann bereden, eine Erkannt⸗ 
niß zu geben, vermög welcher alle groſſen Hunde auf 
der ganzen Landfchaft follten abgefchaft werden. Zur 
Ausrottung derfelben wurden zwey Rathsglieder, Hans 
Meiß und Dominicus Frauenfeld, abgeordnet, und im 
Begleite des Abdeckers zogen fie von Dorfe zu Dorfe. 
Als fie jenfeit des Albis kamen, verfamelten fi) 550 
Hausväter bewafnet auf einer Wieſe bey Mettmenſtiet⸗ 
ten, ein jeder feinen Haushüter an einem Strick, und 
hlugen, ald man mit Gewalt auf die Hunde greiffen 





3odenn Waldmann. 11 


wollte, Das Recht vor! Frauenfeld begnügte fich su ants 
worten: „ das ift mir lieb! * umd kehrte mit Meiß 
nah Haufe. Die Abgeordnete der Bauern kamen auf 
Zürich. Waldmann fihlug ihnen dad Verhoͤr vor Rath 
ab. Murrend begaben fich die Landleute zurück und der 
ganze Haß diefed Geſchaͤfts wegen fiel auf Waldmann. 
Sreylich Herefchte gegen alled zufamenrottiren dad ftrengfie 
Verbot: allein um deffelben zu fpotten, faßten, auf, 
Weber Reiftabs von Meilen Anftiften, die Einwohner 
der beyden benachbarten Dörfer, Meilen und Herliberg, 
einen ſehr ausgelaßnen Entſchluß; fie wollten namlich 
zur Zeit der Saftnachtfpiele eine Weintonne auf den 
Steg zwifchen beyden Dörfern legen und jeder Theil 
follte den Wein von feiner Seite leeren. Schlechte Wits 
terung vereitelte den Spaß. Dafür vereinten fich fünf 
zehn Burſche von Meilen, an alle und jede Schenken 
zu gehn und weder Verbot noch Strafe zu achten. Eine 
folche Zufamentunft zu Erlenbach, ungefähr zwo Stun: 
den von Zürich, an den Ufern des Sees, wo 400 Mann 
bepfamen waren, gediehe in wenig Stunden zu einer 
förmlichen Meuterey. Durch körperlichen Eydſchwur 
verbanden fie fich, entweder mit einander zu ſterben oder 
von der vermennten Knechtſchaft fich zu befreyn. Ihre 
Abgeordnete giengen auf Zürich, um Verhoͤr vor Rath 
zu begehren. Waldmann verweigert ed freundlich. Nächs 
Ken Sonntag verfammelten fich die Landleute bey 1500 
in Meilen. Warn von Wein und Faflnachtsipielen , 
fandten fie noch an demfelben Tage aufs neue etliche Ads 
geordnete nach Zürich; im fachtem Tone baten dieſe 
um Abſchaffung ſo vieler beſchweerlichen Neuerungen; 
zugleich luden fie einige Glieber des Rathss ein, auf ihre 
Faſtnacht nach Meilen zu kommen, woſelbſt das Meh⸗ 


⸗ 


16 Johann Waldmann. 

rere in Freundlichkeit werde geredt werden können. In 
Erwartung der Antwort blieb alles Volk bey einander. 
Die Einladung wurde angenommen. Der Bürgermeis 
fter Röift, die Zunftmeifter Deheim und Widmer, Walds- 
manns Freunde, giengen im Begleite des Reichsvogts, 
Gerold Meyers , fogleich Monntags frühe auf Meilen. 
Auf der Stelle wollten diefe obrigfeitlichen Abgefandte 
Die ganze Gemeinde verfammeln. Die Landleute weiger⸗ 


ten fih, weil fie noch mehr Volk erwarteten. Schon 


erfchraden die Anweſende, als daſſelbe fo lang ausblieb. 
Endlic) Abends fpäte kamen alle, Die zugefagt hatten , 
und noch mehrere. Buͤrgermeiſter Roͤiſt redete ſie als 
gute , liebe Freunde an; indeß verwunderte er ſich über 
ähre, groffe Anzal; kurz ſchloß er damit, ihnen, kraft 
sbrigkeitlichen Auftrags, das zufamenlaufen aufs neue 
zu verbeuten. Noch wandte er fih an Rellſtab befon, 
ders und machte ihm Vorwürfe, dag er die übrigen 
aufgehetzt hätte. Rellſtab erwiederte: , liebe Herren , 
ich bin nicht allein Schuld an der Sache; wir alle 
„ mit einander ſtehen sufamen. * Die ganze Gemein 
de forderte er zu Zeugen auf. Alle antworteten mit aufs 
gehobener Hand: Fa, ja, und wir find gefinnt, Wort 
zu halten. Rellſtab fieng von neuem an: „ Herr Bit 
> germeifter und liebe Herren, laßt die Sache gut ſeyn: 
3, denn Lech füge wüffend, daß vnſer aller endliche Meis 
» nung iſt, die nuͤwen Uffät nit zu leiden noch zu hal⸗ 
ten. Ihr Hand vnſern Bordern und und, ginch vff 
„ den Zürichkrieg, in der Wafferkilch zugefagt, daß Ihr 
„ und wöllind fchüßen bey onfern Gerichten, Mechten, 
» Sreyheiten und woͤllind fein nuͤwe Artigkel uffegen 
3, noch uns defchiveren. Und ob Ihr uns hierüber wur⸗ 
» dint firaffen an Lyd oder an Gut, das wöllend wir 








Johann Waldmann 117 


„eben nit han, um kein Sach. Was einem beſchicht, 
> das iſt dem andern beſchaͤhen.“ — Der Buͤrgermei⸗ 
fter beliebte ihnen, daß fie durch Abgeordnete ihre Bes 
fchweerden folten vor Rath vortragen laffen, Bor Rath 
-feßte es Waldmann durch, daß die Abgeordnete nicht 
anderft als abfünderlich, eine Gemeinde nach der an⸗ 
Dern, verhört werden follten. Diefe aber wollten fich 
nicht trennen. Mittlerweile wurden aus den ruhigen 
Gegenden bey 300 Mann zur Bewachung der Stadt 
in Zürich einguartirt. Vollends wurden durch dieſen 
Schritt die Mißvergnügte erbittert. An der Aeſchenmitt⸗ 
woche rückten fie in völliger Rüftung gegen der Stadt 
an. Nachmittags ließ der Buͤrgermeiſter den groffen 
Kath verfammeln, vor welchem 24. Abgeordnete, un⸗ 
gefähr in Rellſtabs Tone, ihr Anliegen eröffneten. Wald» 
mann wieß fie ziemlich troßig nach Haufe; fie zogen 
fich ‚mit dem aufrübrerifchben Haufen nach Zolliton und 
Kuͤßnach zurück. Bon allen Seiten wurde ihre Anzal 
permehrt und felbit durch viele aus denjenigen , welche 
in der Stadt einguartirt worden. Nunmehr wurde von 
Waldmanns Seite den benachbarten Kantons von allem 
Nachricht gegeben. Den 6. Maͤrz waren die Gefandte _ 
son Zug da; nach und nach famen auch die Gefandte 
der VI. übrigen Kantone, meiſtens Männer, welche feit 
langen über Waldmanns Uebermacht auf den endge. 
noͤſſiſchen Tagſatzungen unzufrieden geweſen. Zugleich 
erſchienen die Bottſchaſter mehrerer verbuͤndeter Staͤdte, 
Herrſchaften und Kloͤſter. Den 7. Maͤrz ritten die eyd⸗ 
genoͤſſiſche Geſandte allein hinaus zu dem aufruͤhreri⸗ 
ſchen Volke; dieſes empfieng fie mit Feldmuſick und 
ſchloß ſie in einen Krais ein. Nach erfolgtem Vortrag 
der Eydgenoſſen, welche das allzuzalreiche Zuſamenlau⸗ 


- 








18 Johann Waldmann 


fen abnteten, trat unter dem Haufen Jacob von Mus 
geren von Wädenfchweil hervor und feine ungeflümme 
Rede endigte er damit: „ Die Herren in Zurich haͤt⸗ 
„ ten die Abgeordneten der Landfchaft fo abgefertigt, 
3, daß diefelben nunmehr eine ganze Gemeinde verboͤ⸗ 
„ ren fünnten. “ Nach Ianger Rede und Wiederrede 
verglich man fih von beyden Seiten dahin, daß ein 
Ausfchuß des Landvolkes von so Dann mit den eidges 
noͤſſiſchen Gefandten in Beratbfchlagung treten und herz 
nad) unter ſolchem Schuge die Beſchwerden dem Mas 
giſtrate vorlegen follten. Unerfchüttert blieb Waldınann. 
Unter allerley güldenen Verſprechungen von feite Dex 
Eidgenoffen, hatten fich die Aufruͤhrer für einmal zer⸗ 
fireut. Schon war in Zürich den 12 März die Garni⸗ 
fon abgedankt. 


Indeſſen festen die Ehpgenoffen ihr. Mittleramt fort. 
Man gab ihnen einen Ausſchuß von fechd Rathen zus 
unter diefen war Waldmann felbft, nebſt zween von ſei⸗ 
nen Zunftmeiftern, Ocheim und Widmer. Wenig Ein, 
fiuß hatten diefe auf die überlegne Anzal der Feinde, 


. &8 ward ein Bericht verfertigt, Kraft deflen den Miß⸗ 


vergnügten die meiften Forderungen bewilligt wurden. 
Durchgängig ward dieſer Verglich von dem Magiſtrate 
genehmigt. Waldmann allein blieb aufferft erbittert. 


. Ohne jemands Einwendung fete ers durch, daß wenigs 


— 


ſtens in den Bericht eingeruͤckt wuͤrde: die Landleute 
haͤtten um Gottes willen um Verzeybung gebetten und 
Beſſerung angelobt. — Ueberall ließ er den Bericht in 
allen Kopeyen, die fo wol auf den Zünften verleſen als 
den Eidgenoffen mitgetheilt worden, eigenmächtig vers 


faͤlſchen. — It fuhr ex mit etlichen, liederlichen Brü⸗ 





Jobann Waldmann. m 


Dein in die Bäder nach Baden, um fihnach uͤberſtan⸗ 
dener Befar einige gute Tage zu machen. m feinem 
vermeinten Triumph ftieß er allerley Drauͤungen and. 
Schon beforgten feine Feinde eine ſchnelle und fücchters 
liche Rache. Nachdem die Verfaͤlſchung jenes Berichtes 
oder Verglichs bekannt worden war, fetten Die Anwob⸗ 
ner an den Gee-Ufern in zalreicheer Gemeinde ihre so. 
Anführer aufs nene in ihr Amt ein. Bor dem groſſen 
Rathe klagten fie trogig über die Treeulofigkeit , womit 
fie in dem eidgenöffifchen Bericht erniedrigt worden. 
Mit Heftigkeit wurden fie nach Haufe gewiefen. Hie⸗ 
rauf ſchickten fie zu weiterer Berathſchlagung Abgeords 
nete in alle Kantone. Sie wurden ungleich empfangen. 
Auf den 29 März war ein allgemeiner Landſturm nad) 
Küßnach verabredet. Zur Abhebüng deffelben fuhren 
gegen 40 Rathsglieder an den See. Nun war es zu 
fpäte. Gleichwol wagten ſich Conrad Schwend, Hein⸗ 
rich Eſcher und etliche andere mit Zureden mitten unter 
die dichteſten Haufen. Alles blieb fruchtlos; die Raͤthe 
waren noch gluͤcklich zu ſchaͤtzen, daß die Aufruͤhrer 
ihnen einen Stillſtand vergönnten. Nur Waldmann 
und den Oechi (wie fie den Obriftzunftmeifter nannten’) 
ſollte dieſe Sicherbeit nichts angehn, die fie durch fals 
ſche Bürgfchaft (hieß es) verwuͤrkt hätten. 


Noch an gleichem Sonntag wurden aus den Zünften 
Beſatzungen auf die Schlöffer gefandt; fchon waren 
einige in den Händen ber Bauern. Die Stadt felbft 
wurde aufs neue durch eine Bürgerivache verhütet. Wald⸗ 
mann twg itt beſtaͤndig einen verborgnen Bruſtharniſch 
und ließ fi) von bewafneten Stadtbedienten begleiten. 
Des Nachts lag er auf dem Rathhauſe; daſelbſt ward 














so Yjodann waldmann. 


ee von feinen Vertrauten bewachet. Fruͤh und ſpaͤte, 
oͤfters um Mitternacht ließ er die CC zuſamenberufen. 
Um die Buͤrger deſto willfaͤhriger zu machen, wurden 
den 30 Maͤrz verſchiedene, anſtoͤſſige Geſetze auf dem 
Zuͤnften abgeſchaft: allein mit tiefem Verdruß muß 
Waldmann bemerken, daß die Anzal der Mißvergnuͤg⸗ 
ten auch in der Stadt ſich vergroͤſſert. Wegen verdaͤch⸗ 
tiger Reden ward ſein Stadtbedienter Schneevogel auf 
ofner Straſſe mit Dolchen durchbohret. Umſonſt ver⸗ 
ſuchte es der Buͤrgermeiſter dieſe Mordthat zu rächen. 
Itzt faßte er den Entſchluß auf den 1 Aprill alle Zuͤnfte 
zu verſameln und von einer zur andern zu gehn, um 
mit ſeiner Beredſamkeit das Volk zu gewinnen. Bereits 
auf drey Zuͤnften ward ihm gelungen. Auf einmal 
ſtuͤrzten etliche Bürger auf ihn los und begehrten im 
_ Namen der ganzen Gemeinde fchleunig Verhoͤr vor deu 
CC. Zu gleicher Zeit wurde die groſſe Rathsglocke 
angezogen. Erſchrocken eilt ex aufs Rathhaus. Nie⸗ 
mand will wiffen, wer befohlen babe zu lauten. Die 
Bürger begaben fich zalreich von den Zünften weg auf 
die Bruͤcke, fchimpften auf Waldmann, auf Die Rebellen, 
auf die bedenklichen Zeiten. Auf einmal mifcht fich une 
tee fie Lazarus Goͤldli, nebſt etlichen feiner Zuſamenver⸗ 
fchwornen. Itzt wiederholt er und läßt es wiederholen: 
Man müffe ſich unter jedem Bedingnig mit dem Lands 
volk verföhnen. Solches fand allgemeinen Benfall. Die 
Anweſende prdneten einen Ausſchuß vor Rath ab; am 
deffen Spige Lazarus Goͤldli. Mittlerweile verhörte der 
Rath die eidgenöffifchen Gefandten, die gefirigen Abend 
wieder angelangt waren. Eigenmächtig wält, fih num 
Goͤldli aus jeder Zunft einen Dann aus, und befieblt 
ben übrigen , bewafnet nor dag Rathhaus zu kommen. 


— — 


Jobann Waldmann 18 


Vor Rath erhalt Göldli, dag auf der einen Seite der 
Math, auf der andern Seite die Bürgerfchaft eine glei⸗ 
che Anzal Vermittler auswaͤlen folle. — Eilig fchleicht 
fich Goͤldli die Treppe hinuntd; ſchon ift fein Bedien⸗ 
fer da mir Mordarte und Panzer. In der Waffenrüs 
flung eines Aufrührerd Tauft er unter Die Bürger. Daß 
„ſich Bott erbarme! “„ſchreyt er und ruft jeden Bie⸗ 
dermann auf. In kurzer Zeit fand er ſich an der Spige 
von soo Mann, alle beiwafnet. Göldli lenkt den Sturm, 
gegen das Rathhaus. Endlich gebieten die einen der 
eidgenöffifchen Gefandten vom Fenfter herunter Stille. 
Im Rathoſal ſelbſt Herrfchte die größte Uneinigkeit. 
Waldmann und ſeine Partey ſagten es rund heraus: 
„Die Stifter dieſes Tumultes ſitzen in unſrer Mitte!“ 
— Schultheiß Seiler von Luzern, mit noch zween an; 
dern, winkten von oben herab. Als die Bürger auf 
Die Gefangennehmung einiger Rathsglieder drangen , 
rief er: Wen wollt Ahr? Die allgemeine Stimme 
war: Waldmann. — Hierauf die drey Dbriftsunfts 
meifter, Oeheim, Göze und Widmer, nebft verfchiede- 
nen andern. — Waldmann erfchrad , faßte ſich aber 
bald wieder und land auf mit rührender Hoheit, indem 
er gelafien den Beyſtand der Eidgenoffen verlangte, 
» Nun, mwolan, fo nehmt und fiellt mich an ein Recht! * 
Damit löste ihm ein Gefandter den Degen von deu 
Seite — und fo ward er in den Kerfer des Wellen: 
bergs non den Geſandten begleitet. Nunmehr wurden 
über ihn von der Göldlifchen Partey die fchändlichften 
Zügen verbreitet. Man fchrie: „ E83 rüde ein von 
» Waldnann befielted Heer an. “ — Sogleich Nach⸗ 
mittags verfamelten fich die Burger in der Waſſerkir⸗ 
de. Ein neues Interimsregiment wurde eingefühet. 





32 Johann Waldmann. 


Lazarus Goͤldli war das Oberhaupt. Ein aufrührifches 
Heer von gooo Mann ab der Landfchaft fland vor der 
Stadt. Zu dieſem Heer wurden etliche von den anges 
fehenften Raͤthen mit freundlichen Worten abgefandt; 
auch führte man den Aufruͤhrern aus den Kellern der 
Gefangenen und Entwichenen Wein zu. 


Endlich verglich man ſich Donnflag Abends, Walde 
mann durch einen Ausfchuß von Bürgern und Lands 
leuten verhören zu laffen. Er wird fruchtlos auf die 
Folter gefchlagen. In Ermanglung feines eignen Ges 
ftändtniffes , werden falfche Kundfchaften aufgebracht. 
Den 5 April wird er in das. fchlimmite Loch des Ker⸗ 
kers geworfen. Diefe Befchimpfung nahm er fehr zu 
Herzen und fah fie für den traurigften Vorboth an. Er 
bat um die verwünfchte Gnade eines ewigen Verhaftes. 
Als ihm auch diefe Gnade verfagt wurde, legte er mit 
Thränen die güldene Ritterzierde von ſich und genoß 
Diefen ganzen Tag keine Speife. 


Den 6 April fit der Rath zu Gerichte. Als er 
eben im Urteilen begriffen war, eilten beftellte Manner 
herbey und verficherten , dag der Kaifer mit einem Kriege: 
beer zu Waldmanns Befreyung auf dem Weg fen. 
Diefer veranftaltete Streich gab ben Ausfihlag einer 
einhelligen Sentenz über ihn. Er wird zum Schwerdte 
verurteilt. Die Gewißheit feines Schickſals felber machte 
jet Waldmann gelaßner. Er beichtete drey Stunden 
lang. Als er aber die geoffe Glocke Hörete umd zwey 
beivafnete Schiffe ſah, die ihn abholen follten, fland 
er auf, legte wieder feinen Schmud an, und gieng, 
nachdem er die Mitgefangenen und alle Umſtehenden ges 
fegnet hatte, mit merklichee Bewegung and dem Ges 


Tobenn Waldmann ı2 


fängnif. Bid an den Fifchmarkt wurde er von 208 
Ausgefchoßnen aus allen Zunften begleitet. Hier nahm 
ihm Rathsherr Heinrich Efcher, der altefte Ritter im 
dee Stadt, das Ordensband ab. Dann hörte er fein 
Urteil vor dem Rathhauſe. Der Hauptinnhalt gieng 
Dabin, dag er von fremden Sürften beflochen geweſen 
und eigenmächtig verfchiedene Criminalurteile entweder 
gefällt oder verändert habe. Sonderheitlich ward ihm 
die Abficht, die Zunftmeifter ad dies virz zu fehen, 
und die Einfchräntung des Adeld bey der Regierung 
zum VBerbrechen gemacht. Ziemlich verworren waren 
Klagen auf Klagen gehaüft. 


Nach angehörtem Urteil wollte er reden. Sein Beichts 
dater fiel ihm ind Wort: „ Herr, Ihr habt mie vers 
» forochen nicht zu reden: Und Euch verfprach ich, 
„daß Gott euer Stillfchweigen für eure Sünden neh⸗ 
» men werde. “ — „ So will ich eben, antwortete 
Waldmann , „ dieſe Schande geduldtig tragen und meis 
„ ne Sache Gott empfehlen. * Hierauf warb ernebfl 
feinem bewafneten Begleite zu Waſſer bid nach Stadel« 
bofen geführt. Denn alle Thore blieben aus guten 
Gründen verfchloffen. Um die Blutbuͤhne ber wimmelte 
alles von Der ungeheuren Menge des Landvolks; uns 
ter daſſelbe Hatten fich auch die eidgenöflifche Gefandte 
gemifcht. So bald Waldmann auf dem ungewöhnlis 
chen Richtplag angelangt war , zog ihm der Scharfs 
richter das graufeidene Wams ab. Mittlerweile gieng 
fein Blick zu verfchiedenen Malen unter 10000 Zus 
fchauern Hin und ber. Er freute fich über diefe Menge 
von Zeugen und winfte mit der Hand, indem er laut 


ausrief: „O Jeſu, fo tilge mir andre meiner Suͤn⸗ 





34 Johann Waldmann 


„den um dieſes unverfchuldten Todes willen! Dee 
Beichtvater erinnerte ihn nochmals an fein angelobtes 
Stillſchweigen. Er fehwieg eine Weile. Hierauf bat 
er kurz und mit vernehmlicher Stimme alle Umſtehen- 
de, die Eidgenoffen und den Reichdvogt Gerold Meier . 
befonders um Verzeyhung und das ganze Volk um ſei⸗ 
ne Fürbitte: „ Die will ich auch thun für Euch; 
» ist, und wenn ich in meine Ruhe eingegangen bin. = 
Mährend feiner Rede waren jedermanns Aug und Ohr 
unbeweglich auf ihn gebeftet; laut wainten Weiber 
und Töchter. Mit Anftand Eniete er nieder , erhob noch 
einmal fein Haupt gegen der Stadt: ,„ Gott wölle, 
» daß dir fein Leid wiederfahre, du liebes Zürich! “ 
Darauf forach der Frate: .„ Herr, redet mir nach!“ 
Indem er das Eredo anfteng, gefchah der Streich. Dex 
Kopf ſprang umd der fchöne Körper fiel mit groſſem 
Blutvergieffen auf dad Gerüft, daß es bebte. Fu glei⸗ 
chem Augenblick wandte fich Der Reichsvogt gegen Die 
Zufchauer und beruhigte fe durch den Bericht: dag 
das Gericht von dem Anmarfch der Eaiferlichen Trup⸗ 
pen falfch fen. Als dieß gefchehen war, Hoß die Menge 
auseinander. Nach Waldmanns Begehren, warb feis 
ne Leiche in eine Gruft der Abteykirche verienkt. 


Wie hernach feine Güter eingezogen und verſchwen⸗ 
det, wie auch verfchiedene feiner Freunde in fen Schi» 
fal verwickelt, und wie endlich , nach fürchterlicher Anar⸗ 
hie, die oͤfentliche Ruhe wieder bergeftellt worden, 
findt man ausführlich in Fuͤßlis Waldmannſcher Ges 
fchichte , woraus diefer ganze Auszug geborgt ift. 


ge) 


VL 
ulrich Zwingli (2). 





wingli erblickte das Licht der Welt den 1 Jenner 
8 1484. zu Wildhauſen im Toggenburg. Sein Vater 
war Ammann des Ortes. Er ward bey feinem Oheim, 
Bartholsmäus Zwingli, Decan zu Wefen, erzogen. 
Sehr frühzeitig gieng er auf die Schule nach Bafel. 
Daſelbſt genoß er den Lnterricht des Gregor. Bingli. 
Hierauf kam er nach Bern zu Heinrich Woͤlfli oder Lu⸗ 
pulus. Wegen feiner vortrefichen Singſtimme ward 
er von den Dominicanern in ihr Klofter gelodt. Seine 
Verwandten aber foderten ihn zurück und fchickten ihn, 
zur Erlernung der Philofophie, nach Wien. Bon Wien 
zog er wieder nach Bafel und ward GSchulhalter bey 
St. Dartin. Zur Erholung von ernfthaftern Studien 
trieb er die Tonkunft. Sein Zeitgenoß, Bernhard Wei, 
fchildert ihn in folgenden Zügen: „Ich hab auch nie 
„ von feinem gehört , der in der Kunft Mufica, das it 
„ im Gefang und allen Inſtrumenten der Muſick, als 
» Lauten, Harpfen, Geigen, Abögli, Pfeifen, Schwaͤ⸗ 
„glen, (als gut ale ein Eidgenoß ) dem. Trummſcheit, 








(*) &. Myconii Vitam Zwinglii, mie auch) Bullingers 
handſchriftliche Reformationsgeſchichte, Fuͤßlins Beytraͤne, 
Hottingers Kirchengeſchichte, nebſt Adami, Schroͤcs und 

Nuͤſchelers Lebensdeſchreibungen. 


126 ulrich 3wingli. 


„Hackbraͤt, Zincken und Waldhorn fo erfahren ge⸗ 
„weſen; was man dergleichen erdacht, konnte er es 
» fo ſchnell, alſo bald er es zu Handen nahm, und war 
„dazu fo gelehrt, wie obſteht. Item er af und trank 
„mit allen Menſchen, die ihn luden, verachtete nie⸗ 
„mand, er war barmherzig gegen armen Leuten und 
„ allwegen in Freud und Wiederwertigkeit eines froͤhli⸗ 
„ hen, männlichen Gemuͤtes, der fich fein Uebel er⸗ 
„ſchrecken Heß, fondern war allwegen troftlichen Ges 
„ muͤtes und tapferer Rede. Er redete auch nichts ohne 
3, des göttlichen Worted Bewaͤhrniſſen. Hinterm Wein 
„richtete er Diefe Dinge nicht aus, aber an der Kanzel 
„ fah er keinen an, weder Papſt, Kaifer, König, Her⸗ 
» 409, Fürften noch Seren, auch die Eidgenoffen nicht. * 
Sp war alfo in feiner Perſon der gefällige Weltmann 
mit dem entfchloßnen Helden und Märtyrer , der Diann 
von Gefchmad und Lebensart mit dem frommen Zelo⸗ 
ten vereinigt. Wir fehn, dag man auch fromm und 

‚heilig bey aufgerauͤmter Laune , dag man groß und kuͤhn 
auch ohne Schwärmeren feyn fan. — Seine theologis 
ſche Aufklärung hatte Zmwingli vornemmlich dem bes 
ruͤhmten Thomas Wottenbach zu danken. Die erfte Dres 
Digt hielt er im J. 1506. zu Rapperswyl, hernach im 
gleichem Jahr die erfte Meſſe su Wildenhaufen, in flis 
nem Geburtöort. Hierauf ward er ald Seelſorger nach 
Glarus berufen. Mit feinen Kirchangehörigen zog er 
ald Feldprediger nach Navarra und vor Marignan. 
Unter alien Zerftreuungen fand er immer noch Zeit zum 
Studieren und bracht’ ed im Griechifchen und Ebräifchen 
ungemein weit. 


3m J. 1517. ward es von dem Verweſer des Klos 


Ulrih Zwingli. 127 


Ker Einfiedeln,, Theobald von Geroldseck, ald Pfarrer 
nach Einfiedeln berufen. Ye länger je mehr ward im 
Umgang freydenkender und aufgeklarter Klofterauffeher 
fein Geift erhöht und erweitert. So weit war er von 
fleinfügigen Formaliſtengeſchmack und von allzuaͤngſtli⸗ 
cher Bedaͤchtlichkeit oder Andaͤchteley entfernt, daß er 
ſich wuͤrklich, wegen ſeines ofenen Weſens, bey den 
Feinden in Verdacht allzufreyer Galanterie ſetzte. „ Von 
„etlichen Fuͤrnehmen des Landes, ſchreibt Bullinger, 
„hatte Zwingli Ungunſt und Aufſatz, dag er etlicher 
„Wyber verargwohnet was, wie denn dazumal das 
„Papſtum den Prieſtern keine Eheweiber ließ, und hie⸗ 
„ mit die Prieſterſchaft in ſchweeren Argwohn und auch 
„ in Ehbruch und Hurerey bracht. Zudem dag Zwin⸗ 
„glis Mufica und anerbohrne Freundlichkeit in ouch 
¶ verdacdhter machte, dann er aber: der That halber 
3: arger oder fchuldiger was. “ So verdächtig bey den 
Einen der groffe Mann wegen allzufreyer Aufführung 
geweſen, fo verdächtig fehien er den andern wegen kaͤ⸗ 
zerifcher Lehren , wie dieſes zu allen Zeiten dag Schick⸗ 
fal kuͤhner Selbfidenker geivefen. Unter anderm ward 
er von feinen Neideen ald Verfechter Bic- Mirandulanis 
feher Irrlehren verſchreyet. Immerhin wagte ers, ſich 
„ ale Genie zu zeigen, das ſich nicht ſclaviſch unter das 
Joch bog. „ Zwingli ſelbſt bezeugt, nach Bullingers 
Auffage, „ dag er bievor, ald im J. 1516. ehe dann 
„ jemand noch üsid von Doctor Luthern gehört, habe 
» er angehept das Evangelium zu predigen. Dad pres 
„digt er jzt mit allem Fleiß zu Einfiedeln und lehrt ins 
9; Fonderheit Chriſtum den einigen Mittler, und nicht 
„ Mariam, .die reine Magd und Mutter Gotted ans 
„betten. *. So fremd und unangenehm diefed den 


- 


128 uleich zwinglti. 

Einen war, fd willkommen war es den andern. Auſſer 
dem gelehrten Klofterverwefer, Diebold von Geroldseck, 
ſah fich Zwingli auch von dem Abbten felbft, Conrad 
von Rechberg, begünftigt: „Dieſer mar ein alter 
» Mann, fchreibt Bullinger, der nie vielauf den Moͤn⸗ 
„chenſtand umd aller Superflition gehept. — Da er 
v diefes Gottshaufes Apt geworden was, beſuchten ihn 
» Die Seinen; diefelben aber wollt! er nienen im Klo⸗ 
„ſter wuͤſſen, wollt’ ihnen auch nicht nur nüt geben, 
3», fondern jrer auch nit ein Heller Koften haben; fagt: 
„Gelt, Ihr kommend ist und mwölltind gern reich aus 
„meiner Abtey werden. Nein, nein, Ihr habend mich 
„hieher in die Kutten zur Gfaar meiner Seel verſteckt, 
» daß ich Hie ein Münch feyn muß, und Ihr Jun⸗ 


„ckern waͤrind. — Item als vff ein Zyt die Viſitato- 


„res des Ordens ihm viſitirten vnd vermeyntend, er 
„ſollte ouch Meß haben und nit fo wenig auf der Meß 
»halten, antwortete er: Liebe Herren, wiewol ich ein 
» Herr bin mines Gottshaufes vnd Eüch wol abfertis 
„ gen möchte mit einer andern vnd kuͤrzern Antwort , 
„ſag ich doch allp: Iſt ed im Grund wahr, wie 
„ man dafür haltet, daß vnſer Herr Jeſus wahrhaftis 
9» glich in der Hoftie ſige, fo weiß ich nicht, wie wuͤr⸗ 
„dig Ihr Eich ſchaͤtzend; das weiß ich aber wol, 
“9 daß ich arıner Münch nicht wehrt bin, daß ich ihn 
9 anluge, ich geſchwige, dem ewigen Gott Vater aufs 
- „ opfere.e Sollt er dann nit da fon, weh mir, wenn 
s ich Brod für Herr Gott dem armen Volk aufheben 
„und anzubetten fürhalten ſollte. * — Unter den Klo» 
ſterleuten dieſes geiftlichen Degens befanden fich Leo Ju⸗ 
ba, Franz Zingg, Michael Sander und andre m. 

| # 


ulridh Zwingik 129 


Mit geoffem Eifer ſetzte Zwingli in ihrer Geſellſchaft 
Das Studium der alten, claffifchen Litteratur fort. Zur 
Anſchafung der Bücher genoß er ein paͤbſtliches Gehalt 
von so Gulden, welches er feither von freyen Stuͤcken 
ausichlug , eben fo wie andre Vorteile und Ehrenftellen, 
womit der Papft ihn zu beftechen geneigt war. Wie ges 
Iaütert fein Geſchmack in den fchönen Wilfenfchaften 
geweſen, vote wenig er fih, gegen die Gewohnheit ſei⸗ 
ner Zeit, auf blofe Wortkritick eingefchräntt habe, hie⸗ 
von zeugt feine Beylage zur Eepprinifchen Ausgabe des 
Pindars. Wenn er uber die frofligen Ausleger der Pro⸗ 
fanfcribenten gelacht hat, fo bedaurt er, daß auch die 
Heiligen Schriftſteller gleich froſtig erklärt werden. 


» Der Gebrauch, fagt er, bringt ed mit ih, daß 
„ man nichts mehr liedt ald was nem iſt. Und beißt 
„dieſes nicht, aus Vorurteil und Leidenfchaft bandeln ? 
» Dder wie manchen findt man, der, bey dem Lehr 
” vortrag, nichts von dem feinigen einmifcht, Leinen 

n blauen Dunft vormalt und viel cher in Gefchrey aus⸗ 
„bricht ald mit Pruͤfung erforfcht ? Wie manchen, 
„ der die Warheit menfchlichem Anſehn vorzieht? In⸗ 
» dei läßt man die beſten Schriftliche, die Römer und 
» Griechen liegen , ungeachtet aus diefen die Morgen⸗ 
a roͤte Achter Gelehrſamkeit für uns hervordaͤmmert. 
„Dagegen wendt man ſich zu den Aquinaten und Gre⸗ 
> goren, welche nur ſcheinen geſchrieben zu haben, 
+ daß fie die beſten Scribenten verdunkeln. Ihr Ein 
„fuß liegt am Tag. Denn da bie ganze Welt ſich 
3» für gelehrt und beredt hält, und gleichwol die Sit 
„ten aiſſerſt verderbt And, wer begreift nicht, daß fo 

J 


1 


130 Ulrich zwingli. 


3 viele lieber Gelehrte oder Schriftſteller als Wolthaͤter 
„der Menſchen ſeyn wollen? Scheinen wir auf ſol⸗ 
„che Weiſe nicht raſender als jener Hercules; un⸗ 
»» geachtet er von einem Weibe geſpielt wurde, eilt’ er 

» don ihe hinweg nichts defte weniger dahin, wo Une 
» fall, Peſtſeuche u. f. w. herrfchten, um dem Webel 
» zu ſteuren. Wir hingegen feheinen weit mehr bereit, 
Zweytracht anzufachen ald die Flammen derfelben 
„ zu löfchen. Was ich indeflen bier. fage, foll man kei 
„neswegs fo deuten, als wollt ich diefen oder. jenen 
o» groffen, Namen verkleinern und überal alled Moderne 
» bintangefegt wiffen: nur verlang ich, dag. man ſich 
„ mit dem beiten in jeder Gattung befannt mache und 
» nicht immer nur, wie aufm Jahrmarkt, nach Neuigs 
» keiten auf die Jagd gehe, wie Die Athenienfer (nach 
9» den Apoftelgeichichten ) an- folcher Neuheitsſucht frank 
„» lagen. Freylich giebts viele heutige Schriften, Die 
3» wir vielen hundert- und. dreyhundertiährigen vorziehn , 
„ die vielleicht auch langer ald drey Jahrhunderte forte 
H dauren werden. Allein da und der Himmel Augen 
„verliehn hat, fo wird uns in ſelbige aus den aͤlteſten 
„Schriften ein Stral des Lichts falten. Wenn ge⸗ 
„genwaͤrtig ſelten ſo gelehrte, fo goͤttliche Werke, wie 
» bey den Alten, hervorgehn, koͤmmt ed nicht daher, 
„daß wir noch unbeftedert und aus dem. Neil hervor 
„ wagen, während dag wir noch dem Windfturm nicht 
„zu wiederſtehn im Stande find? Mit Recht leiden 
„ alddenn wir und unfere Schriften des Ikarus Schicke 
». fal. „In eben: diefem Schreiben, einige Seiten vor⸗ 
ber, zeigt er mit feinem Geichmad und mit critiſchem 
Scharfiinn, wie befonderd „auch für. ben Augleger der 
b. Bücher die Lecfüre der Alten, und vorz \glich des 








\ 


ulrich Zwingik 131 


Vindars, hoͤchſt fruchtbar feyn könne. Mit Laune ſpot⸗ 
tet er eines Pedanten, der die Aeneide in folgender Dias 
nier erklärte: Arma virumque cano : eft propofitio 
de copulato extremo: & ärma virumque non eſt fub- 
jetum fed predicatum : & iftud pronomen Ego eft fub- 
je&um illius verbi Cano, & eft propofitio fic: Ego 
cano arma & virum. Diefe froflige Erflärungsart, ſagt 
er, wird auch auf die h. Schriftfteller angewendt, fo 
daß die Ausleger nicht Gottes Geiſt aus denfelben ber» 
ausziehn, fondern den ihrigen hineinſenken; wenn man 
ihnen dann zuruft, fährt er fort, ne extra oleam, ne 
futor ultra crepidam , fo glauben fie ſich damit zu rechts 
fertigen, dag ſie ſchreyn; Attamen pia funt, es ift Doch 
erdaulich und gottſelig u. ſ. w. 


Jede Blume indeß, welche auf dem griechiſchen und 
roͤmiſchen Parnaß von Zwingli und den andern Refor⸗ 
matoren gepfluͤckt ward, diente dazu, um auf dem. Ab 
tar der Kirche im 5. Opferkranze zu duſten. Auch die 
aͤrgſten Feinde gaben unferm Zwingli den Ruhm eines 
gelebrten und denkenden Kopfs; ſelbſt Faber (") Konnte 
im dieſen Ruhm nicht verfagen; von ihm fagt Der 
undefcheidene Jacob Muͤnſter von Solothurn (**): 
doctior tamen hzc bellua eſt, quam putabam. Durch 
feine ausgebreiteten Kanntniffe in der Kirchengefchichte,, 
wit fcharffinniger Dialectick verbunden, ward Zwingli 
unüberwindlich im Streit. Ben allem dem .blieb er 
keineswegs fremde in dem Gebiete der fchönen. Littera⸗ 








(*) &. Fabri Epift. ad Zwingl. Opp. T. I. 
(*”) Hotting. H. E. N. T. Tom. VII. f. ‚644. wie auch 
= —— des Kardinals Pallavicini in der Biſt. Conc. Tri- 
. 19: 


N 


2 Alrich Zwineli 


tue und von ihm geist man noch verſchidene / teutſche 
Gedichte. 


So groß er indeß ‚auch blos als Gelehrter geweſen, 
fo war er nicht weniger gros im thaͤtigen Leben. Uns 
ermüdet, und anfangs nicht fruchtlos war feine Bes 
muͤhung, bald den Bifchof Hugo zu Conftanz , bald den, 
Cardinal Matth. Schinner in Wallis, bald den päpftlis 
chen Legaten, Anton Burccius gegen die Hierarchie zur 
empören. Nicht eher bis diefe geiftlichen Obern die 
Hand von dem Verbeſſerungswerk abzogen , glaubte er 
fih an die Spige flellen zu dürfen. — Den ır Chriſt⸗ 
monat 1518. ward er von dem Probſt und Capitel nach. 
Zurich berufen. Daſelbſt that ee den 1 Jenner 1519. 
im vier und dreiffigftien Jahr feines Alters die erfte 
Predigt. Wie popular, menfchlich, patriotifch fein Vor⸗ 
trag gewefen , bievon giebt Bullinger folgendes Zeugs 
ni: „Heftig hub er an, wieder den Mißglauben, 
„ Superftition und Gleißnerey reden. Die Buß oder 
„Beſſerung des Lebens und chriftenliche Liebe und 
„Truͤw trieb er heftig; die after, ald den Muͤſſig⸗ 
» Hang, Unmaß in Efien und Trinden, Kleidern, 
„Freſſerey und Voͤllerey, Unterdrückung der Armen, 
» Benfionen und Kriege flraft er auch u. f. w. “ So 
fehe diefer neue Predigtton den Einen zu wieder war , 
fo willlomm war er den Anden; je geldfreffender der 
päpftliche Aberglauben geworben , befto geneigter war 
man zur Abfchafung beffelben. 


Der Biſchof von Eofiniz ließ ihn Durch feinen Vicar, 
Johann Fabri, beym Chorberrenflifte in Zürich. vera 
klagen. Diefe Klagfehrift ift vom 24. Day 1522. Dis 


ulrih Zwingik 233 


tirt. Schon. vorher hatte Eonrab Hofmann dem Probſt 
und Kapitel eine beſondere Klagfchrift gegen Zwingli 
überreicht. (*) Da fie noch ungedruckt und wenig bes 
kannt ift, fo lohnt ſichs der u Diefelbe im Auszug 
zu liefern. 


2 Und zum erfien meyne ich , fchreibt Chorherr Hofs 
„» mann, » das ihm ( Zwingli) zu fagen feig, Das uns 
» Wolgefalle, dad er yedermann, geiftliche und weltlis 
3 he Menfchen vnderwyſe, ſtrafe und lehre, nachdem 
„> ald nützlich, nach Gelegenheit und Vmbſtaͤnden der 
> Sachen und Lauffen — doch aber mit ſoͤmmlicher 
+ Befheidenheit, das er niemands infonderheit melde 
39 Oder durch fonderliche, Zeichen und Vmoſtaͤnd zuver⸗ 
> flahn gebe, dadurch yemant ſonderlich gefchenzelt, 
„ geſchmecht oder verlauͤmdet und gelaͤidet möchte wer⸗ 
»» ben, — ob joch ein Prediger ein Widerbringer vnd 
» Beiferer fol feyn der Sünden, vnd nit ein Offenba⸗ 
„ ter der Sünden und Sünder, die fonft nit ganz of⸗ 
fenbar find. — Item das er nit allerly Sachen, 
„ die ihn felbft fonderlich antreffend und ihn mit Wors 
„ ten oder mit Werfen begegnend von andern Dienfchen, 
„» gelerten oder ungelerten, offentlich vff der Kanzel mel 
„» de, Elage oder ande, oder deffelben halb yenand mit. 
„ finen Worten rupfe, fiupfe, fehenzle, das ouch doͤr⸗ 
»-ffch und unhöfich wäre. Iſt jme denn etwas anges 
> legen gegen yemand, das handle und richte er v8 an 
» den Enden, da ed nußlich ond ziemlich mag gefchehn, 








— 


) S. Hottingers handſchriftl. Theſaurus I der * 
niſchen Bibliotheck in Zurich D. 14. ſ. 243. folg. 
— —— dieſes Hofmanns iſt in iu Serie 

1. Abſchn. 2. eingeruͤckt. — 


134 ulrich zwingli, 


„vnd ob Not wäre, mit Hilf der geiftlichen oder welt, 
3 Fichen Oberkeit. — — tem vielleichter wär es ouch 
» nutz vnd gut (ob es in feinem Vermögen wär, ) das 
„ er etwas langſamer redte, das fin Leer deſto bag von 
» den Luten möcht verflanden werden; denn der wyſ 
- fittlich Lehrer Seneca vaft widerrathet Schnelligkeit 
„des Redend. tem daß er ouch gut, fruchtbar, ta⸗ 
» fer Lehre, Ermahnung und ernftlich Strafung vnd 
» Warnung nit zu vyl vermifchelte mit Schimpfivorten 
„ oder Spiglinen in der Predigt oder in dem Verkuͤn⸗ 
„ den nach) der Predigt , Dadurch fine Worte und Meis 
„ nung, die er dem Volck ernfilich bat fürgehalten,, 
„moͤchtend Eraftlos oder vaſt geichwächet werden, da 
„ das Vol merkte, das er-fo bald vnd Inchtlich von 
„ dem Ernſt zu Schimpf gervandelt würde, ald das er 
3» in einer Stund vnd Predigt wol koͤnne und möge 
» Ernit und Schimpf tryben wie Eung hinter dem Ds 
„fen. — — — — daß er in fein Weg andre Lehrer 
„rupfte, datumb ich mennen und halten, daß der Tuͤ⸗ 
„ fel fein giftiger,, kreftiger vnd zerftörlicher Peſtenlenz 
„erdenken möchte, den chriftenlichen Glouben zu ſchwaͤ⸗ 
'» hen vnd mindern, und Einigkeit der Chriften zu zer⸗ 
„ treımen, dann das er die chriftenlichen Prediger und 
» Lehrer alfo mißhellig mache, das ſy üfentlich vnd vn⸗ 
„zymlich wider einander lehrend. — — — Item wie 
„» mol es ift, daß menfchlich Vrteil und Voſpruch, Sa⸗ 
3» Kung end Ordnung, fo fern diefelben nit Ynfſuß vnd 
> Kraft habend von der Heil. Gſchriſt oder göttlicher 
„Satzung und Ordnung, nach Vmbſtaͤnden und Ge 
9» Segenheiten dee Menſchen und der Sachen zimlich und 
» nutzlich mögendt geändert, gemindert oder gemehret 
» Werden von denen, die dei Verſtand und Gwalt has 


ulrich zwingli. 135 
bend, vnd vielleichter jzt nach Glegenheit der Men⸗ 
>> fehen und der Sachen vaſt mug, not vnd gut wäre, 
> daß vyl derfelben geendert oder abgetan werdend, nut 
„ deſto minder bin ich ſtark in der Meinung, daf nie 
» mand zymme vnd ſonderlich den Geiftlichen allermeift, 
„ öffentlich ver dem Volke ſoͤmmliche Worte zu braus 
» hen, durch die ſoͤmmlich Vrteil, Satung vnd Ord⸗ 
„ nung glaublich in einer Gemeing moͤchtend für glaub⸗ 
„los und kraftlos geachtet werden, Dadurch dann auch 
3, nachfolgentlich die Heil. chriftenliche Kirch, die h. Alte 
3 väter, die Concilia, der Bapſt, Cardinal, Bifchof 
„ und alle ordentliche, chriftenliche Dberkeit, von denen 
ſoͤmmlich Satzung vnd Ordnung entfprungen find, 
„verſpottet und vernuͤtet wurden. Davon vaſt glaub⸗ 
„lich entſprung Vngehorſam, Widerſpennigkeit wieder 
> alle chriſtenliche Dberkäit ond Ordnung, die Gott 
„ durch St. Paulum gegeben hat zu den Römern XIII. 


5 — — — deßglychen das vnſer Herr Lytprieſter ouch 

» in mengerley andern Gſchriften woͤlle gut, treum, - 
„ Nüffig Vorbetrachtung brauchen, das er nut überfüfs 
„ſigs dem gemeinen Volt fürhalte, das ich darumb 
„ warnen, Daß ich in dem vyl gelerten, wolredenden 
» Lehrer, Laurentio Vallenfi etwas funden vnd gele- 
„ fen Habe, davon ich nit Hundert eheinifcher Gulden 
„vnd noch meer nemmen wollt, daß ich daſſelb dem 
„gmeinen Volk fuͤrhielt und erfcheinte,, deßhalb dag ich 
„vaſt übel erforgte, daß groß, vergiftig vnd zerſtoͤrlich 
„Ergernuß davon entfprungend, deßglychen findt man 
¶» villychter auch in andern Büchern dero yetzt vyl aus— 
„gahnd vnd feil gehept werden. — Aber das ſag ich 
»dabey, daß in den Schulen vnd vnter den Glerten - 








136 uIrid zwingli. 


v gu fiherer vnd beſſerer Erforfchung vnd Erfahrung 
» der Wahrheit mengerley nußlich und feuchtbarlich mag 
2 geſagt, ghandelt und difputirt werden, Das in dem 
» gmeinen Boll groß Ergernig und Schaden brächte, 
» al Meldung und Erzällung mengerley Dleinungen dee 
» Lehrer, mit jren Anzuͤgen und Verglvchung oder Zu⸗ 
» famenfchesung der Lehrer der h. Gfchrift gegen ein⸗ 
. » ander und derglychen, alfo das ſchynbar ift in den Büs 
» chern des vylgelehrten Dodtoris Erafmi , ber zu meh⸗ 
» rerer, befferer vnd ficherer Verſtaͤndtniß der Warbeit 
¶„ viel gewarnet, geſchryben und geofenbaret hat den 
» Gelerten, das dem gmeinen Bolt gros Ergerniß brachte. 


„— — Item dad er auch nit unbfinnt oder ſchnelle 
» Worte ausftoffe, nämlich das er feinem Stand, Ampt, 
» Orden oder Berfammlung Suͤnd und Lafter zulege, 
a die Durch ettlich fonderlich Verſonen der Communen 
„ oder Gmeinen mißbandelt und verbracht werend; vnd 
„darumb ift ed Sad), baf ex dieſe Meinung ve geredt 
„» bat, daß unter soo oder sooo geiftlichen Perfonen , 


» Prieſtern Moͤnchen „Kloſterfrauen, Bruͤdern vnd 


„Schweſtern, die Keuſchheit gelobt habend, kaum ein 
„VPerſon möcht funden werden, die nit Vnkeuſchheit 
„trybe; dann die ſoͤmmlichs nit öfentlich teybend , die 
„ thäten böfrs , ald er das durch das Mittelder Bycht 
„ zu Einfideln hab erfahren; vnd dag die Begunen oder 
» Schwefern Bulbriefe vmbtragend und Kupplerey try⸗ 
» bend, oder oh er auch anders deßglychen geredt hat, 
„ſo bedüchte ed mich fo ärgerlich, vnbillig vnd fchäde 
„lich, das vyl guts zu geben wäre, dag ſoͤmmlich 
n Wort nie geſchehn waͤrend. Vrſach will ich ytz ver⸗ 
o ſchwogen, aber jm nit verhalten, fo er die hören will. 


— — — — —— — 


I 


nIrid Swingtit 237 


n = He Sach, das Meifter Vlrich Zwingli, vn⸗ 
ſer Lütpriefler , die Summiften und Kanoniſten — — 
> Öfentlich uff der Kanzel vor dem gemeinen, verſam⸗ 
„ melten Volk genennt bat, toll Fantaſten, — if es 
» Sach, fage ich, daß er diefe Dinge alfo nad) vnd 
¶ nach in feinen Predigten förmlich oder nachvolgentlich 
„ gethan vnd vollbracht hat, fo Din ich in der Diem ' 
„ mung, dag jm ſolliches vs vyl Vrſachen vaſt übel 
» gesimpt habe vnd das ee dadurch wieder die Gebot 
„» Gottes vnd def Rechten und wieder die Warheit vaſt 
> gröblich vnd Argerlich gefündet habe. Item und das 
„ er durch diefe fündtliche und drgerliche That einer 
» ganzen Gmeinfchaft Zürich vyl gröffern und verderbs 
3» lichen Schaden zugefügt habe, dann ob er halben 
» Wyn und Korn und ander Frucht eins Jahres oder 
¶ mehr ganz gefchendt, verderbt und zu nüt hatte brucht. 


» — — Ih bin ouch der Meinung, bat er gepredigt 
35 Oder gelert, dad man den Heiligen in Teinem Weg 
„ möge gefallen, Ehre und Dienft thun als durch das 
> berrlich Gebett Vater onfer u. ſ. w. daß vyl beffer 
» wäre gfun, daß er hette gelernt, in was Geflalt vnd 
» Deinung und mit was Bnterfcheid man möchte Gott 
» vnd Die Heiligen mit demfelden Gebett ehren. — 


9 — — tem ich bin der Meinung, if ed Sad, 
» das er gepredigt , das die Kindli, Die nit getauft find, 
9 Hit verdammpt werdend vnd göttlich® Angeſichts bes 
„ taubt, das er daran geirret. babe. — „Item bat 
» er gefagt, daß er in der h. Gſchrift nuͤt merklichs oder 
» ſtarks finde, Daraus man möge bewaͤhren, das ein 
„Fegfeur feige , fo beduͤnkt es mich vaſt ärgerlich. 








y 


138 Ulrich Zwingti. 


„Item follte er auch keine felgame Lehre dem Volt 
„ fürgeben , die er nach feinem Beduͤnken gezogen habe 
».df etlichen Euifchen Cd. i. kruͤchiſchen oder griechifchen) 
„> Büchern, die noch nit in die lateinifche Sprach ges 
„ wendt find, die wieder bie lateiniſchen Lehrer ſigen. 


is Item ich meine auch / das baſt gut vnd notduͤrftig 
„ wäre, das er gefragt würde, was fin Meinung wäre 
„deß Wyns halb? denn wo in demfelben geirret wurd 
„wider die Wyſung der h. Gſchrift ond.der heil. Rech⸗ 
„ten, hielt ich daſſelbe für vaſt — vnd ſchaͤdlich 
„oder für eine Kaͤzerey. “ 


Zum Beſchluß —— ſich Hofmann uͤber alle dieſe 
Puncten mit Zwingli vor dem Stiftscapitel und vor 
dem Senate, wie auch vor dem Biſchof oder ſeinem Vi⸗ 
car in oͤfentliche Unterredung zu treten. „Wenn es ſich 
» dann funde, daß die Rechtsbuͤcher (Jus canonicum,) 
» fo vyl dorachter, falſcher, truglicher und vnbilliger 
» Ausfprüch innhaltend, daß dann vnſer Oberkeit bew 
„dem groſſen Bann oder vaſt hoben Buß gebeute als 
„len Prieftern, dag fy dem gemeinen Volk. kein Lehr 
„ oder Vnterwyſung gabindt vß den vorgemeldten Rechts 
„buͤchern und neuen Lehrern und Predigern, fondern 
„, allein v8 der Heil. Gfchrift und v8 den alten Lehrern; 
„05 fich aber fümmlichs nit erfunde, als ich feſt und 
„ſtark Hofe vnd glaube, daß dann by dem groflen 
> Bann der höher Buß allen Prieſtern verboten wird, 
„ die gemeldten NRechtbücher vnd auch die neuwen Leh⸗ 
„ ter vnd Prediger, vnd auch weltlich oder heydniſch 
„ Meifter (fo fern ond in der Geftalt und Meinung 
„wie das geiftlich Recht nachlaft vnd zugiebt, ) in kei⸗ 


Ulrich Zwinglt 139 


„nerley Wyß vnd Weg offentlich vor dem gemeinen 
» Volk zu vernuͤten, verſpotten, zu ſchenzeln oder zu 
» verachten u. f. w. “ — So weit der Fehdebrief, 
womit der Ritter des canonifchen Rechtes unfern Zwing⸗ 
li, den kr fonft hochichäßte, zum theologifchen Zvene 
kampf herausfoderte. | 


Auf die bisher angeführten Klagfchriften antwortete 
Zwingli dem Bifchof in einer lateinifchen Abhandlung, 
unter der Auffchrift: Archeteles, d. i. Anfang und 
Ende ) Zn allem find es neun und fechzig Puncten, 
die er eben fo befcheiden als unerfchroden zergliedert. 
Diefe Schrift ift vom 22. Auafim. ı522. datirt. 


Gleichwie der Papſt Tezeln nach Teutfchland fo hatte 
er Bernhardin Sanfon in Helvegien, mit Indulgenzen 
geschickt. Defentlich predigte Zmwingli dagegen. Nach 
weitlauftigem Zwifte fah fich der Ablaßkraͤmer genöthigt, 
zurücd nach Mayland zu gehn. 


Nach dem Hinfcheid Kaifer Maximilians fahn fich 
die Eydgenoffen von der teutfchen und von der franzoͤ⸗ 
ſiſchen Partey in die Angelegenbeiten des Reiche einges 
fiochten. Eifrig war Zwingli bemüht, in Helvezien gänzs 
liche Keutralität zu erhalten. Bon dem foanifchen Carl 
verfprach er fich. wenig gutes für die teutfche Verfaſſung; 
ihn verglich ee mit dem Storch in der Fabel; deſſen 
ungeachtet ward er auf dem Reichdtag von den Eydge⸗ 
noſſen empfohlen und im J. 1520. zum Kaifer erwält. 


Im J. 1519. hatte die Peſtſeuche in Zurich geherrfcht. 








9 e. Sreinglis Opp. Tom. I. fol. 124. 


1 Ulrid Zwingit. 

Vom Auguſt bis zu Wennächten flarben bey dritthalb 
tauſend Menſchen. Auch Zwingli lag gefaͤrlich krank; 
auf dem Krankenlager beſchaͤftigte er ſich mit Verferti⸗ 
gung erbaulicher Verſe. 


Im J. 1521. befanden ſich abermal kaiſerliche fo wol 
als franzoͤſiſche Geſandte in Zuͤrich. Durch Geſchenke 
konnten letztre die geſammte Eydgenoßſchaft — nur den 
Canton Zurich allein nicht, — zu näherer Verbindung 
mit Frankreich beivegen. Mit Enthuſiaſmus fchrieb 
Zwingli gegen alle auswärtigen Buͤndtniſſe: die Pen⸗ 
fionen aber fprachen beredter ald Zwingli. Aus Unwil⸗ 
len über feine Philippifen gegen das Reislaufen, er⸗ 
klaͤrten nun mehrere, die fonft feiner Lehre günflig ges 
wefen , felbige für kaͤzeriſchen Irrtum. Gegen ihn fand 
man bie und da auf öfentlichen lägen die fchändlich- 
fen Paſquillen gefchrieben. | 


Im J. 1521. flarb Pabſt Leo X. und nunmehr hörte 
auch der zürcherfche Vertrag mit dem. väpfklichen Stul 
auf. — Fe mehr nun für einmal Zurich ruhig von aufe 
fenher war, deſto leichter gelang ist Zwingli die Abs 
fchafung des päpftlichen Tandes. Gorgfältig war ee 
Darauf bedacht, daß diefe Abfchafung ohne Tumult, daß 
fie nach gefeßlichen Formalitaͤten geſchehe. Einige allzu 
hitzige Köpfe, die ohne vorhergegangene Unterſuchung 
und Einwilligung voreilig die heiligen Bildfaulen zer⸗ 
ſchmetterten, andere, die von der Kanzel herab und auf 
die Kanzel hinauf perfönliche Invectiven fchleuderten, 
wurden oberfeitlich beftrafet. Der Bifchof von Conſtanz, 
Hugo von Hohenlandenberg , verbot. Durch Abgeordnete 
jede Abaͤnderung der Kirchengebrauche. Zwifchen dieſen 


uririch Zwingik su 


Abgeordneten und den beeben Leutprieſtern, Zwingli und 
Köfchli , wie auch Doctor Engelhard, ward auf Befehl 
Der züccherfchen Regirung eine polemifche Unterredung 
gehalten. Nach langer Für, und Wiederrede ward der 
Bifchof gebetten, auf einer Provinzialſynode die ſtreiti⸗ 
gen Buncten gemeinfchaftlich unterfuchen zu laffen. Nun⸗ 
mehr ereignete fich ein Vorfall, wodurd) zu planmäffis 
ger Behandlung des Reformationswerkes der Grund ges 
legt ward: 


Den 12. Heum. 1522. Lam ein gelerter Münch, Frans 
ziſcus Lamberti , von Avignon nach Zürich. Auf An⸗ 
ſtiften einiger Chorherren und Gaplanen foderte der 
Münch unfern Zwingli zum Wettfireit auf, und zwar 
um fo viel mehr, da ihn diefer unlängft in der Predigt 
unterbrochen und ihm zugefchrien hatte: Bruder, da 
irrſt du! — — In einer weitlauftigen Linterredung auf 
der Trinklaube dee Chorberren trieb Zwingli den Moͤn⸗ 
chen fo weit, dag er mit gefaltenen Handen zum Hims 
mel empor rief: Nunmehr wolle er alle Roſenkraͤnze 
und Echußheiligen verlaffen, um in ieder Not fich eine 
zig an Gott und Jeſum zu halten. Morgens drauf ritt 
er nach Bafel zu Erafinud, alödenn weiter zu Luther 
nach Wittenberg, woſelbſt er Die Kutte wegwarf und fich 
verheyratete. 


In gleichem Jahr 1522. ward unter Aufficht ber 
Staatshauͤpter in der Probſtey eine Verſammlung der 
vornehmften Geiftlichen gehalten. Nach langer Unterre⸗ 
dung, beſchloß Buͤrgermeiſter Marx Rouͤeſt die ganze 
Verhandlung mit folgenden Worten: „ dieß iſt meiner 
„Herren Meinung, dag For ſollt nun fuͤrhin vredigen 





106 ulrih Zwingli. 


„ das Beil. Evangelium und die Propheten; den Sco- 
„ tum und Thomam und folche Dinge laßt liegen! “ 


Immerhin hatten die Moͤnche mächtige Freunde un⸗ 
ter den Raͤthen; morgens und abends wurden Diefe im 
den Klöftern bewirthet. GSonderheitlich auch waren die 
Kriegsbedienten, die von fremden Fürften Jahrgehalte 
genoſſen, Zwinglin aüfferft entgegen. Durch feine Pres 
Digt brachte ex ed im J. 1523. fo weit, daß fich alle 
Weltgeiftlichen in allen Stadtkirchen zur Abſchwoͤrung 
der Penſionen genöthigt fabn; morgens drauf erfolgte 
gleiche Abſchwoͤrung auch von dem Bürgermeifter und 
den Rathögliedern. So wenig ald bisher die Drauͤun⸗ 
gen, eben fo wenig hielten nunmehr die fchmeichelhaften 
Briefe des Papſt Adrians unfern Ziwingli von der Un⸗ 
ternehmung der Reformation ad. Im %. ‚1523. ward 
mit Anerbietung ficheen Geleited von Zuͤrch aus ein Res 
Jigionsgefpräch ausgefchrieben. Auf den 29. Yenner ers 
fehienen ben soo. Prieſtern, nebft einer Menge andree 
Derfonen; in gleichem Jahr ward im October Diefes 
Gefpräch fortgefegt. Weber die Meßkraͤmer und Bilder 
verehrer triumpbirte Zwingli mit feinem Freund Leo. 
Der Innhalt des Gefpräches erfchien in Öfentlichem Drucke. 
Bon dieſer Zeit fing man an , bey der Kindertaufe fich 
der teutfchen Sprache zu bedienen; den Klofterfrauen 
im Oedenbach ward erlaubt aus dem Klofter zw gehn 
und fich zu verhepraten. Ihr mitgebrachted Gut ward 
ihnen herausgegeben und in Die Sande oberkeitlicher Bots 
minder gelegt. — Im J. 1524. verehlichte ſich Zwingli 
mit Anna Rheinhardt, Wittwe Hand Meyers von Kno⸗ 
nau. Schon hatten ich mehrere Prieſter verheyratet. () 


(*) &. Zwinglis Opp. T. I rıo. 





- 


uUlrid Zwingti. 143 


f 
Koch unter Bürgermeilter Marx Roueft warb nom grofs 
fen Rathe die Abfchafung der Meß. und der Bilder ges 
nehmigt. So fehr ihm das Neformationdgefchäft zus 
wieder gewefen, fo eifrig ward es von feinem Sohn und 
Nachfolger, Wilhelm Rouͤeſt, unterflüst. Den zo. 
Brachm. 1524. wurde von jeder Zunft ein Auffeher mit 
Maürern und Zimmerleuten von Kirche zu Kirche ges 
ſchickt, um die Cruziſire und Bilder von den Wänden 
und Altären herunter zu nehmen; forsfältig wurden 
fie in befondere Zimmer bewahret, um fie bey etwank 
ger Veränderung der Bolkesgefinnungen, fogleich wie⸗ 
der herftellen zu können. Indeß gefchah alles ohne ge 
ringfte Empörung. Den andern Kantons hingegen war 
dieſes Unternehmen zuwieder. Für und wieder erſchie⸗ 
‚nen verfchiedene Schriften im Drude. Eben fo viel 
Einfluß hatte Die ſchriftſtelleriſche Feder als fonft die 
Schatzkammer oder dad Zeughaus der Groffen der Erde. 
Und die Feder war Urſach, daß fih die Schwerdter 
entblößten. — Als fich die Reformation auch in den ges 
meinfchaftlichen Herefchaften der Eydgenoffen ausbrei⸗ 
tete, wiederſetzten fich die catholifchen Kantons und es 
entftanden. biutige Fehden. Je mehr fchon die Zürcher 
um dee neuen Lehre willen gelidten Hatten, deſto eiftie 
ger wurden fie io in. Behauptung derfelben-; je läns 
ger je mehr ward der Gottesdienft von aberglaudifchens 
Auswuchs gereinigt. Den ı3. April 1525. ward zum 
erſtenmal das h. Abendmal nach evangeliſchem Gehrau⸗ 
che gefeyert. Noch war manchem dieſes nicht recht, 
Die Oberkeit beharrte gleichwol darauf, daß den An⸗ 
haͤngern des Papſttums keine beſondere Kirche einge⸗ 
rauͤmt werde; nur ward ihnen fuͤr einmal die Uebung 
des roͤmiſchen Goitesdienſtes in den benachbarten, roͤ⸗ 


244 Alrich Zwingti 


mich s catholifchen aitchen su Diettieon und Baden ges 
ftattet. Auch ward in obigem Jahr das erſte Matri⸗ 
monialforum in Zürich aus geiftlichen und weltlichen 
Beyſitzern beſtellt. Hierauf ward im J. 1526. der erſte 
Schultheiß vor dem groffen Rathe erwält, da fonft Die 
her diefe Wahl von der Aebbtiffin abhiens. Ein Jahr 
vorher nämmlich hatte dieſelbe für ein Leibding und für 
die Freyheit zu Heyraten alle noch übrigen Gerichtäbars 
£eiten dem Rath überlaffen. . Um gleiche Zeit übergab 
auch das Dohmſtiſt feine Gefälle und Rechte. So un⸗ 
gern die Ehorherren dran wollten, fo bewirkte doch 
Zwingli, daß fie fih ohne Ausnahm unbedingt dem 
Kath uͤberlieſſen. Freylich, nicht ohne wiederholte ; 
ernfiliche Drauͤung ließ ſich Probſt Felix Frey zum lei⸗ 
denden Gehorſam bewegen. Durch Abſchafung der Kloͤ⸗ 
ſter wurden nicht nie Bevoͤlkerung und Kunſtfleiß bes 
fördert, fondern überdieg der vormaligen, viellöpfgten 
Kegirung mehr Vebereinftimmung, und damit zugleich 
mehr Energie und Anfehn gegeben. Groflentheild auf 
Zwinglis Antrieb gefchah ed, daß den 16. Winterm. 
1526. das Verbot. fremde Benfionen, Miet und Gaben 
zunehmen, in Zürich zum Staatsgeſetz gemacht worden. 
Mit Abſchafung der Penfionen hörte die Uevpigkeit vom 
ſelbſt auf. () Je lebhafter Zwingli von dem gegenſei⸗ 
tigen Einſluß des innern und auſſern, des leiblichen und 
geiſtlichen Zuſtandes oder uͤberhaupt von der Verbindung 
der zeitlichen und der ewigen Gluͤckſeligkeit uͤberzeugt 
war, deſto weniger ſchraͤnkte er ſich, wie leyder ſo viele 
| Predi⸗ 








Ne. Simlers Colle@. Ecclef. T. I. a. ſ. 461. Stett- 
lers Chronick ſ. 603. 628. een 


\ 


utrich 3wi nel aM 


Prediger, blog auf dogmatifchen Unterricht allein ein ; 
keineswegs glaubte er es auffer der Kanzelfphäre, von 
Zeit zu Zeit auch bürgerliche und wirtbfchaftliche Uns 


terweijung zu geben. Wie wenig er Darüber die Theo» 


logie verabfaumet babe, hievon zeugen feine zalveichen , 
dogmatiſchen und bermenentifchen Schriften. 


Mit dem Kraislauf der Ideen indeſſen Bat es gleiche 
Bewandtniß wie mit dem Kraislauf des Geldes; nicht 
- fufenweife vorbereitet, nicht durchgängig und gleich» 
förmig vertheilt , fcheinen neue Känntnifle eben fo de 
faͤhrlich als z. B. den Spaniern jene neuen Schaͤtze 
aus Indien waren. Eben fo unficher iſt ein Staat, 
in welchem die einen Glieder zu arm am @eifte, bie 
andern hingegen zu reich find , als ein ſolcher, in wels 
chem die Gluͤcksguͤter allzunngleich vertheilt find: So 


fehr wir daher auf der einen Seite jene litterarifchen _ 


Herkule des ſechszehnten Jahrhunderts verehren, fo ges 
ſtehn wir. auf der andern Seite, Daß, je ungewohnter 
das neuangezundete Licht war, daffelbe auch, ganz wie⸗ 
der ihre Abſicht, deſto fürchterlicher blöde Augen vers 
legt babe. Ploͤtzliche Umkehrung der Dinge erfchütterte 
den Poͤbel fo fehr, daß er auf einmal von der Hölle 
zum Himmel gefchleudert, im Taumel fich felber ver; 
lor und zwifchen Lichtengel und zwiſchen Geiſt des Tä- 
narus nicht allemal zu unterſcheiden im Stand war. 
Zugleich mit dem päpftlichen Joche ſchuͤttelten nunmehr 
Die Wiedertaufer jedes noch fo heilige und wolthätige 
Band der bürgerlichen Ordnung vor fi, Echon im 
J. 1525: ward mit Diefen Schwaͤrmern vor dem grofs 
fen Rathe eine Diſputation angeftellt: Allein die Nas 
8. 


- 


148 ulrich Zwingli 


tur der Schwaͤrmerey Bringt ed mit fich, daß fie, voll 
Zuverficht auf blinde Eingebungen, feinen Bernunfts 
gründen Gehör giebt. Je mehr dieſe Sectierer theils 
den Namen der reformierten Kirche entehrten, theils 
mit den Ausfchweifungen des Geifted zugleich Aus⸗ 
fchweifungen des Lebens verbanden, defto mehr fah fich 
die Obrigkeit zu ferengern Maaßregeln genöthigt. Uns 
geachtet Zwingli die gelindeften Mittel anrieth, fo konnt 
er nicht hindern, dag nicht Die einen und andern diefer 
hartnädigten Schwärmer theild verbannt, theils hinges 
richtet wurden. = 


Bon’ Zeit zu Zeit vergröfferte fich die Verbitterung 
zwifchen Zürich und zwifchen den catholifchen Kantons. 
Diefe waren feit langem darauf bedacht, wie fie den 
Zwingli aus dem Weg rauͤmen möchten. Auf Anftiften 
Fabers, Eckius, Murners u. a. vereinigten ſich im J. 
1526. die zwoͤlf Kantons, eine Diſputation in Baden 
halten zu laſſen. Die Zuͤrcher und Zwingli wurden 
auch eingeladen. Die Zürcher aber weigerten fich, ies 
mand von den Ihrigen dahin zu ſchicken und fie verbo- 
ten Zwingli zu geben. Die Difputation gieng gleichwof 
vorfih. In Zwinglis Abweſenheit führte Joh. Decos 
lampad die Zwinglifche Sache. Dieſen unterftügte Zwin⸗ 
gli durch wiederholte Zuſchriften; auch gab er Apolos 
gien der reformierten Lehre zum Drude; endlich an⸗ 
erbot er fich zu mäÄndlichee Unterredung, wofern man 
einen unpartheyifchen, ſichern Ort vorfchlagen würde. 


Nach und nach hatte fich Die Religionsverbeſſerung 
auch in dem Kanton Bern ausgebreitet. Dieſes gab zu 
einem neuen Religionsgeſpraͤch Anlaß, welches im J. 





% 


Ulrih Zwinglit 147 


2528. zu Zurich angefebt wurde. Aus Mißtraun gegen 
bie catholifchen Kantons fandte Bern den Fenner Bis 
fchof mit anfehnlichem Begleitenach Zurich; dieſe Stadt 
gab den Meifenden ein Gefolg mit von 300 bewafneten 
Männern. Mit Zwingli begaben fih der Bürgermeis 
fer , einige Rathsglieder und die vornehmften Geiftlis 
chen nach Bern. Unterwegs unweit Mellingen ward 
and dem Walde auf fie gefchoffen, aber niemand bes 
fchädist. Umſonſt fuchte man den Thäter zu entdeden. 
Den 4 Jenner langten fie zu Bern an. Die Diſputa⸗ 
tion währte achtzehn Tage. Der Erfolg war, daß im 
dem Kanton Bern die Glaubensverbefferung eingeführt 


"wurde. Die mißgünftigen , catholifchen Kantons ber 


mühten fih, den Zurchern auf der Heimreife den Weg 
zu verfperren. Hierauf legte Zürich so Mann in Brems 
garten ; dem Landvogt von Lenzburg trug Bern auf, 
den Zuͤrchern ein Begleit von 200 geharnfchtn Mäns 
nern zu geben. Den ı. Horn. langten fie‘ glüdlich in 
Zuͤrch an. 


In gleichem Jahr forgte Zwingli dafür, daß alljaͤhr⸗ 
lich ſich alle Geiſtlichen des Kantons auf einer Synode 
in Zürich verſameln. Durch dieſe Synoden ſollte ſich 
gute Zucht und Glaubenseinigkeit in den vaterlaͤndiſchen 
Kirchen erhalten. Die erſten Synodalverhandlungen be⸗ 
weiſen, wie zalreich noch die ſchlechten Geiſtlichen ge⸗ 
weſen. Je weniger von ihnen Zwingli Beyſtand er⸗ 
hielt, deſto mehr muͤſſen wir ihn ſelber bewundern, 
daß er deſſen ungeachtet nicht muthlos geworden. 


Um die Reformation auch von auſſen ſicher zu ſtel. 
Im, vereinigte ſich nunmehr Zürich mit Bern in ein 


ss Miet Zwingli 


Burgrecht. In diefem Burgrecht ward auch für die 
gemeinfchaftlichen , eidgenöffifchen Unterthanen geforget , 

daf es ihnen freu fiehn ſoll, in ihren Kirchfpielen nach 
Mehrheit der Stimmen die Glaubenöverbefferung ent⸗ 
“weder zu verwerfen. oder zu wälen. Diefem Burgrecht 
traten mehrere andere Städte gleichfalls bey. 


Bisher Haben wir Zwingli im Wettfireit mit offen- 
baren Wiederfächern gefehn — leyder fehn wir ihn jzo 
im Kampf mit einem Mann , den er ald Bruder liebte, 
den er. ald Verfechter der Wahrheit verehrte, und Durch 
Mißverſtand ward diefer groffe Mann, Dr. Martin Lu⸗ 
tber, unſers Zwinglis gefarlichiier Gegner. Durch. 
Trennung nammlich unter den proteftantifchen Kirchen 
fchienen fie, zur Schadenfreude des römifchen Stules, 
fi) gegenfeitig ihr Anfehn zu rauben. Es betraf die 
Auslegung der Einfekungsworten des h. Nachtmals, 
welche Worte Luther mehr buchftäblich, Zwingli Hins 
gegen mehr metaphorifch erklärte. — Wie tolerant indeg 
Zroingli gewefen, mag folgende Anecdote beweiſen: 
Schon naͤmmlich Hatte der Rath in Zürich Carlſtadts 
Schrift über das h. Abendmal verboten ; yleichwol ers 
mahnte Zwingkt den Rath von Der Kanzel, Daß der 
Verkauf dieſer Schrift erlaubt werden möchte, ungeach⸗ 
tet er felber den Innhalt keineswegs billige. — Es ent 
fanden verfchiedene ‚Streitfehriften; ungemein contras 
flirt in denfelben Zwinglis Vertragſamkeit mit Luthers 
deſpotiſchen Tone. Zur Vereinigung beyder Parteyen 
ward, auf Ankiften des Landgrafen Philipps von Heſ— 
fen, im %. 1529. zu Marpurg eine Unterredung gehals 
ten. Dabey erfchienen Zwingli und Luther, jeder von 
den gelehrteften Secundanten begleitet. Ungeachtet am 


4 


Uleib Zwingliü 149 


Ende jeder auf feiner Meinung bebarrie, fo verfprach 
man fich gleichwol beym Abſchied gegenieitige Freund, 
schaft. Wie unficher von Luthers Seite dieſes Verſpre⸗ 
chen geivefen, mag unteranderm fein Eurzed Bekaͤnnt⸗ 
ai vom h. Sacrament beweifen. In diefer Schrift 
fchimpft er mit größter Bitterkeit uber Zwingli, dag 
diefer in der Glaubenserklaͤrung an den franzöffchen 
König auch den Tugendhaften unter den Heyden nicht 
den Zugang zum Himmel verfagt Hat. „ Dis fieht-in 
> Zwinglis Büchlin — fehreibt Luther, „welchs fol 
„» das gulden und allerbefte Büchlin fein, hart für ſei⸗ 
„ nem Ende gemacht. Sage nun, wer ein Chriſt feyn 
„ will, was darf man der Taufe, Sacrament, Chris 
„ſtus, des Evangelii oder der Propheten und heiliger 
» Schrift, wenn ſolche gottlofe Heyden, Socrales, 
„Ariſtides, ja der grewliche Puma, der zu Nom alle 
» Abgdtteren erſt geftifft Hat, durchs Teufels Offenbar: 
» ung, wie St. Auguftinus ſchrybt, und Ecipio der 
» Epicurus, felig und heilig find, mit den Patriarchen, 
» Propheten und Apoſteln im Himmel, fo fie Doch nichts 
» von Gott, Schrift, Evangelio, Chrifto, Tauffe, Sa⸗ 
„crament oder chrifllichem Glauben gewußt haben? 
» Bas kann ein folcher Schreiber, Prediger und Leh⸗ 
„» ter anders glauben von dem chriftlichen Glauben ald 
„daß er fen allerlen Glauben gleich, und: koͤnne ein 
„ Iglicher in feinem Glauben felig werden, aueh ein 
3, Abgöttifcher und Epicurer, wie Numa und Sci— 
» pio ? ® — Um fo viel mehr muß dieſe Verktaͤtzerung 
befremden, da ja Luther felber anderfimo gleicher maf- 
fen zum Headen geworden (*). De Gefchichte des Abi: 


(*) & Luthers Auslegung des 1. Mol. XX. f. m. 461. 
a. Edit, Wittemb. T. 1949. Edit. Jenenf. T.EV. £. 133. 
Man fehe auch Zutingas Antwort von fe 15 —24. 











— u - 


156 ulrich Swingtii. 


melechs giebt er zum Beyſpiel folcher Heiden , die ohne 
Beſchneidung felig geworben. „ Und ift dieß, fagt er, 
„ ein unverfchempte Lüge der Juͤden, das ſy inen trauͤ⸗ 
„ men laffen, daß Gott alle Heyden foll verworfen has 
„ ben, und hab allein von den Befchnittenen wollen ers 
„kennt und geehrt werden. “ 


Mit diefem Yederkrieg, der gegen auswärtige Theo» 
logen geführt wurde, waren nunmehr in dem Schoos 
der Eidgenogfchaft thätliche Kriegesunruhen verbunden. 
— In dem Lande Hasle, Bernergebietes, neigten fich 
Die Einwohner von neuem zum Papſtum; durch die 
Unterwaldner ward ihre Empdrung begünfligt. Einige 
catbolifche Kantons verſchworen fi) mit dem König 
Fardinand gegen das Reformationswerk; bierüber bes 
klagte ſich Zürich in offenem Drucke; auch weigerten 
fich die Zürcher und Berner neben den linterwaldnern 
zu Tage zu firen; nach dem Sinfcheid des Abbt Geiß⸗ 
bergerd zu St. Gallen waren voreilig Die Zürcher mit 
den Glarnern, wegen Secularifirung der Abtey, in 
Unterhandlung getreten; die catholifchen Kantons wa⸗ 
ren auͤſſerſt erbittert ; nicht nur binderten fie Die Ges 
wiſſensfreyheit der gemeinfchaftlichen Linterthanen in den 
Freyen Aemtern ımd im Thurgau; in dem Kanton 
Schwytz wurden fo gar an einigen Burgen von Zürich 
Gewalthaͤtigkeiten verjibet, und ungeachtet aller Sürbitte, 
ein Pfarrer verbrennet. Schon war Anton Abader von 
Unterwalden bereit, ald Landvogt in Baden einzureiten, 
und zwar mit zalreichem, bewafneten Gefolge. Um 
dieß zu verhindern, zogen die Zürcher den s Brachm. 
1529 bey soo Mann ſtark nach Bremgarten und im 
das Kloſter Murv, zur Beſchuͤtzung der Freven Aem⸗ 


Ulrich zwingli. 151 


ter; 4000 Dann waren fertig, um dieſem Vorhaufen 
zu folgen. Das Kloſter Mury warb erobert. Den 8 
Brachm. zogen noch 600. andre Zürcher gen Rüti und 
in das Gaftel, in der Ablicht, fich der Stadt Rapper⸗ 
ſchwyl zu bemeiftern. Den 9 Brachm. zog ein anders 
Kriegspanner von Zürich nach dem Klofter Kappel; 
bey diefem Banner befanden fich, .nebft unferm Zwin⸗ 
gli, Conrad Schmid Commenthor zu Küfnach, Meifter 
Stanz Zingk von Einfiedeln und andre gelehrte Geiſt. 
liche. Conrad Schmid ward sum Feldprediger geords 
net; den Zwingli nämmlich wolte man nicht mitzies 
ben laſſen, aus Beſorgniß daß er fich allzuſehr blos ſtel⸗ 
len möchte; Umfonft daß man ihn zurückhalten wollte, 
‚ee fehwang fich auf ein Streitroß, mit einer glänzenden 
KHelparten auf der Schulter, und zog auch mit. — Die 
. satholifchen Schwytzer lagen am Sattel, in der Ab» 
ficht Weddenſchwyl zu befegen. In der Nacht zogen 
den Zürchern Hilfötruppen zu. Auf der andern Seite 
begab ſich der Kyburgſche Landvogt, Hand Lavater, 
mit soo. wol bewafneten Leuten ind Thurgauͤ; der 
Abt zu St. Gallen: hatte fich vorher aus dem Klofter 
geRüchtet. Die catholifchen Kantons lagen unweit Zug 
zu Baar im Boden; die Zürcher waren begierrig zum 
Angriff; - allein die Berner fetten lich heftig darwieder; 
fie, nebſt den Zuͤrcherſchen Bundesgenofien von Baſel, 
Glarus, Freyburg, Solothurn, Schafhaufen, Appens 
zell, Rothweil, Conſtanz und Straßburg redten drin» 
gend zum Frieden. Zur Befoͤrderung deſſelben waren 
ſonderheitlich der Stadtmeiſter Jacob Sturm von Straß⸗ 
burg und der Ammann von Aebli geſchaͤftig. Den 26 
Brachm. 1529. ward eine fuͤr die reformirten Kantons 
ſehr guͤnſtige und ehrenvolle Ausſoͤhnung getroffen. Deu 


= 


1 Mlrid Zwingit 


Hauptpunet ded Vertrages war "durchgängige Gewiß 
ſensfreyheit, welche Die Zürcher und Berner flegreich bes 
baupteten. Bon dem Kriegeäheer diefer beeden Kantond 
ſchreibt Bernhard Weis, ald Augenzeuge diefee unruhi⸗ 
sen Szenen: , Diefed: iſt manchem Menfthen ein 
» groß Wunder, daß in einem folchen groffen Heer eine 
ſolche gehorfame Ordnung ſiebzehn ganzer Tage lang 
3, gehalten worden if. Item feine gemeine Dien iſt 
„ unter ihnen enthalten worden, dann ob eine kam, 
„ fertigte man fie fogleich tügendlich hinweg, Item man 
„, predigte alle Tage das nöttliche Wort Janter und 
„klar. Meifter Ulrich Zwingli, Here Commenthor von 
„Kuͤſnach, Meifter Franz Zinckk, Herr Abt von Ras 
» pe, und flonft gute Praͤdieanten predigten alda. Item 
„ man ſchwur nicht; item es war niemand mit dent 
„, andern uneind; item ed mar alle Welt der Dbrigceit 
» geborfam. Item es war der Zug einbrünftig Die Pens 
3» floner zu beckriegen, und man betete allemal vor und 
„ nach dem Effen, und fpielte man weder mit Wuͤr⸗ 
5 feln noch Karten, fondern fang, ſprang, wurf und 
2» flieg den Stein upd trieb fonft andere Kurzweil. “ 


Je laͤnger je mehr verbreitete ſich izt die Meformation 
fo wol über andre Kantons ald auch über die gemein⸗ 
fchaftlichen Herrſchaften. Im December 1330. ward zu 
St Gallen eine Synode gehalten; bey Derfelben er⸗ 
ſchienen von ‚Zürich aus Zwingli, mit, dem ‚Abt von 
Koppel: Wolfgang Joner, und mit dem Pannermeiſter 


Schwitzer (*). Zwingli war einer der Vorſteber. Die’ 








j oe Joh. Yas. Simlers urkunden, Band. L Ch. IE 


* 


—— ern 
—* Lu 


ulrich Zwinglt 193 


anwefende Glieder wollte er durch einen Eidſchwur ver⸗ 
binden. Zur Leiftung eines folchen wollten fich die bee⸗ 
den Drädicanten, Zilli und Furtmuͤller, gar nicht vers 
ſtehen. Chriſtus, fagten fie , babe. die Apoftel auch nicht 
eidlich verpflichtet. Dagegen erwiederte Zwingli: „, Als 
» er zu predigen und zu fchreiben angefangen babe, ſey 
» ed von ihm ohne eidliche Verpflichtung gefchehn r 
» einzig nach Gottes Befehl. Nunmehr aber fcheine 
„» jur Vermeidung allerley Irrungen eine ſolche eidlie 
» he Verpfichtung unvermeidlich notwendig , damit fich 
„» dadurch die Brüder einander zu erkennen geben, was 
» jeder von dem andern zu erwarten habe, “ Der Span 
Daurte lange ; endlich ſchwuren alle Anmefende, auffer 
ben beeden Genannten. — Neue Zwifte wurden erregt, 
ald man den Punkt von dem Bann und der Kirchen, 
zucht vernahm. Zilli und Furtmuͤller drangen auf Beo⸗ 
bachtung der Vorſchriften bey Matth. XVIII. und in 
den Briefen an die Corinther. Zwingli hingegen gab 
zu bedenken, daß in Abſicht auf kirchliche und buͤrger⸗ 
liche Verfaſſung die neuern Zeiten ſehr verſchieden ſeyn 
von den Zeiten der Apoſtel. Zu den Zeiten dieſer letz— 
teen ſey Die Kirche noch zerfireut und ohne obrigkeitliche 
Auflicht gewefen. Eeitdem aber die Landesväter felber 
fi) zur chriftlichen Lehre bekennen, fo dürfe man die 
fen die Verwaltung der Kirchenzucht ganz überlaffen, 
Furtmuͤller erklärte fich endlich dahin: „ E8 möchte 
» folder Gewalt des Banns aus liebreichem Vertraun 
» wol der Obrigkeit von gemeiner Kirche übergeben wer: 
„ den, wofern fie aber diefen Gewalt nicht recht brau⸗ 
» he, alödenn fol ihn die Kirche wieder zu eigner Hand 
„ hemmen. “ SHierüber merkte Zwingli noch an: „Es 
» hätte mol Gott dem Mofed und Aaron befoblen, fie 


⸗ 


14 Ullrich zwingli. 


„ follten wegen des Oſterlammes ‚zu der ganzen Ge 
meinde reden, Exod. XII. gleichwol lefe man in dem⸗ 
„ felben Kapitel, dag. Mofes feinen Vortrag nicht an 
„ die ganze Gemeinde, fondern allein an die — 
„ gethan habe. “ 


Um Diefe Zeit und fchon vorher im J. 1529. wurden 
unter Zwinglis Vorfig , mehrere folcher Synoden und 
auch Eleinere Verſammlungen, bald zu Frauenfeld, bald 
zu Stein und Konftanz gehalten. Aller Orten ward 
Zwingli mit groffee Hochachtung empfangen. Die Kas 
tholicken iedeß mußten die Sachen alfo zu Karten, Daß 
zu Wyl im Thurgau Aufruhr angefacht wurde. Wenn 
Zürich und Glarus, freylich allzuraſch, zur Seculatis 
firung der Abtey St. Ballen fich anfchicten, fo wurs 
den hingegen die Aebbte von den catholifchen Schiems 
orten , Luzern und Schwytz fehr eifrig begünfligt. Vor⸗ 
eilig ward von den Slarnern und Zürchern die Abtey 
den Bürgern zu St. Gallen kauͤflich angeboten; auch 
Die Angehörigen der Abbtey im Toggenburg boften fich 
in völlige Freyheit zu feßen. Hiebey bezeigte fich Zwingli, 
ald Toggenburgifcher Landsmann aufferordentlich ges 
fchäftig. Weber diefed Verfahren, wie überhaupt über 
den triumpbirenden Fortgang der Glaubensverbefferung 
wurden die fünf catholifchen Cantons aüfferfi erbittert. 
Auf einer Tagleiftung zu Baden im Jahr 1531. ſchlu⸗ 
gen fie trotig den Zürchern und ihren Bundesverwands 
ten das eydgenoͤſſiſche Recht vor. Nach fruchtlos wies 
derholten Tagleiftungen , verweigerten, die Zürcher den 
catholifchen Kantons die Zufuhr des Proviants und 
machten fich fertig zu Eriegerifchern Auszug. Zu Bram; 
garten hatten fich Die Schiebeichter und Vermittler ver⸗ 





uirich zwingli. 155 


ſammelt; unter denſelben befanden ſich, nebſt den hel⸗ 
vetiſchen Geſandten, auch Geſandte von Frankreich, 
von Mayland, von Neuburg u. a. Fuͤr einmal wurde 
der Ausbruch der Kriegesflammen gehindert. 


Bon allen Seiten ward unterweilen Zwingli, als 
vermeintlicher Stifter fo vieler Unruhen, verfolgt. Einſt 
fam jemand nach Mitternacht und bat ihn zu einem 
Sterbenden. In hartnaͤckigter dieſer verlangte, daß 
Zwingli in Perfon felber mitgehen follte, deſto mehr 
Argwohn faßte fein Famulus und fchloß vor demfelben 
die Thüre zu. Morgens erfuhr man, daß ſchon ein 
Schif bereit geflanden,, in welchem man den Zwingfi 
hatte wegdringen wollen. Da Zwingli fah, dag er, 
wegen feines patriotifchen Eiferd, auch vielen aus den 
Bürgern und felbft aus den Rathögliedern verhaßt war, 
fd trat er nunmehr den 20. Heumonat vor die Vers 
fammlung des groffen Rathes, mit folgendem Vortrag : 
„ In die eilf Jahre hab ich Euch die evangelifche Wars 
3» beit gepredigt; Euch Hab ich die Eläglichen Folgen 
3 der Nachficht gegen die fünf Kantons, oder, welches 
» eins ift, gegen die Penfionnaird mehrmals vor Ale 
3» gen geftelt. Bon mehrern aus Euch feh ich diefelben 
» begunfligt. Meine Bemühungen Hingegen werden 
3) Nicht nur mit Undank bezalet, fondern gänzlich vers 
» eitelt. Alſo wird ed niemand befremden, wenn ich im 
allem Ernſte meine Entlaffung begehre. * — Allge⸗ 
meine Beftürzung erfüllte den Rathsſaal. Eine obers 
Teitliche Committee ward niedergefeßt; vor Diefer ward 
fo lang und fo viel mit Zwingli geredet, daß er endlich 
den 29. Julius wider vor den Senat trat, mit der Ver⸗ 
ſicherung: » daß er Zuͤrch gern groß machen wollte, 


236 ulrich Zwingli. 


3, wofern . diefe Stadt nur Gott folgete und auf ihre 
„Beſſerung bedacht wär: alsdenn wolle er bis in den 
» Tod fein Moͤglichſtes thun. “ 


So aufgeklärt die Reformatoren geweſen, fo waren 
fie nicht gang uber jedes Vorurteil des Zeitalters erha- 
ben. Es erfchien ein Komet. Der Abbt zu Wettingen, 
Georg Müller, fragte den Zwingli, mas diefer unges 
wohnte Stern andeute? ,„ Mein Georg, antwortete Dies 
9 fer, ;, mich und manchen Ehrenmann wird ed ko⸗ 
> fen. Gott vertrau' ich; der iſt gerecht und gut; 
„ aber den Menſchen fo wenig als ich kann. “ 


Im Augſtmonat war abermal zur Ausfühnung der 
reformirten und der catholifchen Cantons eine Teglei- 
flung zu Bremgarten... Mit Schmerzen fah Zroingli , 
daß fich alles zum Krieg ruͤſte. Ganz in geheim gieng 
er jzt mit zween andern Geiftlichen dahin; den Ge 
fandten von Bern flellete er vor, wie man fich durch 
Verweigerung der Zufuhr in groffe Verlegenheit ſetze. 
Wird dieſe Zufuhr wieder geöfnet, fo macht unſer Nach— 
geben die Catholiſchen trogig; bleibt felbige ferner be: 
fchloffen, fo glauben fie fich zu Eriegerifchen Ueberfaͤllen 
berechtigt. Wofern ihnen diefe degtern gelingen , fo wer⸗ 
den fie mit fiegreichen Waffen dad Moͤnchsweſen beſchuͤ⸗ 
gen. — Die Gefandten verfprachen Zwingli, ihr Bes 
fte3 zu thun. Morgens vor Tag verreißte diefer. Hie⸗ 
bey erwähnt Bullinger folgender Erfeheinung: „ In 
» der Nacht ale Zwingli zu Bremgarten lag, hielten 
» drey der Mäthe die Wache vor des H. Bullingerd 
» „aufe. Morgens vor. Tag tieffen fie ihn zum Thor 
» aus, und ald Jacob Schwarz und ich unter dem Spi⸗ 
» tal gegen der Reuß aa dem Schuͤtzenhaus giengen , 


uirich Zwinelk‘ ag 


„ihn durch das kleine Thor zu begleiten, ſchrien vom 
so Thurm an der Reuß der Füchkli und der Hutmacher, 
7. Bürger , die Wache hielten, was dieß wäre? — Und 
„ als fie Jacob Schwarzen Stimm und Zeichen hörs 
„ ten, fprachen fie: Seht zu und habet gute Sorge ; 
„denn wir fahn einen Dienfchen in fchnecweilfen Ge⸗ 
»wande; dem haben wir lang zugefeben; ber ift ges 
» gangen in das Schüßenhaus und vor das Thor, und 
„ wieder von dannen. Da liefen Schwarz und ich und 
ſuchten im Schuͤtzenhaus aller Orten , fanden aber 
„ nichtd. Hierauf begleiteten wir den Ziwingli, dem wir 
3 nichts davon fagten , weiter. — Bey meiner Ruͤckkehr, 
als ich herabgieng zu der Ziegelhütten und den zween 
> Wächtern zurief, fie folten mir öfnen, fagten fie: Ich 
3, follte vor mich fehn ; denn fo bald wir hinaufgekom⸗ 
„ men, fen die Geftalt in weiffen Weiberkleidern wies 
; ber erfchienen, und habe fih, dem Anſchein nad) , 
„ vor dem Thor ins. Waſſer gelaffen. “ 


Nachdem alte Unterhandlungen fruchtlo® geblieben, fo 
brach der Krieg aud. Den 9. Weinm. 1531. machten 
die Katholifchen ihr Kriegämanifeft bekannt und foder⸗ 
ten, daß Zürch die Urkunden der alten Bündtniffe hers 
. ausgebe. Schon vorher raubten und plünderten bey 1200 
‚Mann in den gemeinfchaftlichen Herrfchaften, befonders 
wurden die Pfarrhaͤuͤſer der Reformirten vermüftet. Zu 
Zug befand fich das Hauptlager der. Catholifchen. In 
Zürich hingegen war man faumfelig und fehläferig. Der 
Feldherr, Rudolf Lavater, und auch unſer Zwingli, 
der nebft andern zur Berathfchlagung in eine Gommit; 
tee aufs Rathhaus berufen worden, drangen darauf, 
dag fogleich ein allgemeiner Landſturm ergebe. Unter 





158 ulrich Zwingte. 


mancherley Vorwand ward er theild von zaghaften, theils 
von übelgefinnten Rathsgliedern bis auf den Abend vexs 
Tchoben. Auch nach ergangenem , oberkeitlichem Auftrag 
sum Sturmgelaute, ward es hie und da durch einhei⸗ 
mifche Verraͤther gehindert. Mit Eleinem Kriegstrupp 
zogen Georg Goͤldi auf Eapel, und Cafpar Nafal und 
Hand Felir Manz im die freyen Aemter. Schon war 
das catholiſche Kriegsherr bey 8000. Dann ſtark. Ein 
Verräther zeigte demfelben an, dag das Hauptpanner 
von Zürich erſt Mittwochen anrücten werde. Vor An⸗ 
ruͤckung beffelben war Goͤldli jeder Angriff verboten. 
Mittwwochen alſo, den 11. Weinmonat, am Tage der 
Schlacht felber, ward erfi Morgens von dem groflen 
Rathe in Zürich der Wegzug des Stadtpanners befoßs 
len. Ueberal herrfchte Verwirrung. Erſt um eilf Uhr 
rücte dad Panner aus dee Stadt weg. Anſtatt 4000. 
Mann, die ausziehen follten, beitand der Haupthaufe 
aus 700. Dann, und es fehlte an hinreichenden Pfer⸗ 
den für den Transport des Proviants und der Kanos - 
ven. Zwingli ritt hinten drein, als Keldprediger, auf 
Befehl des Senates. Als er bey feinem Haufe zu Pferd 
figen wollte, gieng dad Pferd immer ruͤckwaͤrts und wollte 
nicht fort. — Zwinglis legte Gefbräche mit feinen Ver⸗ 
trauten verriethen, daß er nicht glaubte, wieder nach 
Haufe zu kommen. Auch auf der Reife nahm man 
wahr, daß er eifrig zu Gott bettete, für fich und die 
Kirche. — Auf dem beynahe drey Stunden langen Weg 
über den Albisberg erlagen alte und geharnfchte Maͤn⸗ 
ner, um fo viel mehr, Da fie eilten, weil man fchon 
von Ferne das donnernde Gefchüg hörte. Aus Feige 
beit oder aus verrätherifcher Abficht riefen einige, daß 
ihr Zuzug zu ſpaͤt fen umd fie zurückbleiben wollen. Bon 


ulrich Zwinglt. 159 


Zwingli wurden fie durch folgende Worte beſchaͤmet: 
„AIch einmal will im Nammen Gottes zu dieſen bis 
„derben Leuͤten hin — will mit und unter ihnen ſter⸗ 
„ben, oder fie retten helfen. * lim drey Uhr langte 
das Panner zu Capel an; zzt beſtand das ganze Heer 
der Zuͤrcher aus etwann 2000 Mann, unter denen eini⸗ 
ge von der Reiſe ganz ermuͤdet, andre uͤber Zwingli 
und uͤber die Folgen der Reformation hoͤchſt unzufrie⸗ 
den, und, alſo zu fiegreichem Angriff wenig fähig gewe⸗ 
fen. Morgens dranf rückten die Gatholifchen , zalreich, 
- wolgerüftet und munter ind Feld. Auf dem Hügel bey 
Scheüren , unweit dem Klofter, flellten fich die Zuͤr⸗ 
&er in Schlachterdnung. Um ı2 Uhr überbrachte ih⸗ 
nen ein Trompeter von Luzern den Abfagbrief. In 
dem Zürcherfehen Kriegsrath hervſchten verſchiedne Ge⸗ 
finnungen. Die Einen wollten den. Feind erwarten, 
die Andern fich zurücziehn. Aber Rudolf Gallmann 
aus dem Freyen Amte ftampfte mit dem Fuß auf den 
Boden, indem er fchrie: „ Da, da muß mein Kirche 
» bof ſeyn; den Tag laſſe mich Gott nimmer erle⸗ 
„> ben, daß ich einen Trit weiche. “ — Um x Uhr fin; 
gen die Kanonen an, gegen einander zu feuren; Die 
Zürcher warfen fi) auf den Boden nieder, daß das 
feindliche Donnergewitter über ihren Haüptern mwegflog. 
Dann erhoben fie fih und thaten bey zwo Stunden 
lang Heftigen Wiederftand. Hauptmann Lavater und 
Meifter Ulrich Zwingli ermunterten das Zuͤrcherſche Heer 
mit beweglichen Worten. — Die Catholiſchen ſahn ſich 
genoͤthigt, einen guͤnſtigern Ort zum Angriff zu ſuchen. 
— Zu den Zuͤrchern ſtieſſen num Hilfsvoͤlker, jedoch in 
geringer Menge. Als die Neuangekommenen die mis, 
lichen Umſtaͤnde fahn , fprach Leonh. Burckard von Züs 


ı68 ulrich Zwinglii ’ 


rich zu Zwingli: Meiſter Ulrich, wie iſt ihm it? Wil 
gefalt Euch die Sache? Sind die Rüben gefalzen? 
er. fol fie effen? — Ich, faste Zwingli, und maris 
cher Biderwann, der Hier fteht in Gottes Hand, defs 
fen wir find, tod oder lebend! — Burckhard verfeßtes 
Ich will fie auch helfen effen, meinen Leib und meint 
Geele wagen. — Indeß drangen bey 300 Mann , die 
feurigften unter dem catholiichen Kriegsheer, mit Ges 
walt auf die Züricher. Ungluͤcklicher Weife waren dieſe 


‚eben damit befchäftigt , ſich in ziween verſchiedne Haus 


fen zu trennen. Einige begaben fich auf die Flucht, 
Dadurch flieg bey den Feinden des Mut. Einer von 
dieſen mifchte fich unter die Zürcher, als wenn er zu 
ihrem Haufen gehörte, und fo munterte ex fie betriiges 
rifch zur Flucht an. Das in Unordnung gerathene und 
ermüdete Heer der Zürcher ward bis in die Nacht bis 
von dem triumphierenden Feinde verfolge: Alsdenn 
kehrte die feindliche Armee auf die Walftart zuruͤck, fiel 
auf die Knie, dankte Gott, der h. Mutter Maria und 
dem ganzen Himmeldheer für den erfschtenen Sieg j 


zum Befchluß ward auf dem Schlachtfeld das Unſer 


Vater, und das. Ave Maria gebettet. Unterweilen warb 
das verlaßne Lager der Zürcher geplündert und viele 
von diefen letztern wurden unter abfcheulichen Beſchim 
pfungen erfchlagen. Die menfchlichern unter den Gas 


tholiden wurden zum: Mitleiden bewogen ; fie nahmen 


Die ubriggebliebenen Zürcher gefangen; fetten ſie zum 
Feuer, indem es in diefer acht ungemein Kalt war; 
pfegten fie und waren mit Heilung ihrer Wunden bes 
ſchaͤftigt. Unter den Erſchlagenen Jag auch unfer Zwin⸗ 
si. Von Steinen zu Boden geworfen, rafte er ſich 

a ) 


Hiridh Swinglik 16: 


anf; ſank wieder nieder, und erhob fich von neuem; 
auf feinen Knien rief erst: Den Leib koͤnnen fietödten; 
Doch nicht die Seele! — dann fiel er rüdlings; mit 
gefalteten Händen und gen Himmel gerichteten Augen 
Fehr er zu Bott auf. Die Feinde anerboten ihm einen 
Beichtvater. Mit einer Bewegung des Haupts fchlug 
ers Aus. Bol Zorn über den hartnaͤckigten Käter , 
fach ihn nunmedr Hauptmann Juckinger von Unter 
walden in den Hals und bald hernach gab Zwingli 
den Geiſt auf: Mit ihm theilten gleiches Schidfal von 
Geroldseckk, Verwalter der Abbtey zu Einfiedeln; Cons 
rad Schmid, Commenthor zu Küßnach; Johann 
Halter, damald Pfarrer zu Bülach; Wolfgang Jos 
ner, Abbt zu Kappel und andre feiner gelehrten Freun⸗ 
de, die aufm Schlachtfeld ald Maͤrtyrer für Wahrheit 
und Vaterland ſtarben. 


Des folgenden Tages, als man auf die Walltatt 
zuruͤckkam, entdeckte man erft den todten Ziwingli, ganz 
kennbar mit lebhafter Farbe. Die Einen wainten Thrä- 
nen des Mitleids; ‚die andern fielen, ungeachtet alles 
Abmahnens der Kriegeshaupter, vol Wut über die 
Reiche. Durch den Scharfrichtee ward fie verviertheilt 
"und zu Aſche verbrennt. Einige Tage hernach fanden 
Zwinglins Freunde fein Herz noch ganz umnverfehrt. 
Thomas Blatter nahm ein Stüd davon mit ſich auf 
Baſelz er zeigte ed Zwinglins Freunde, dem Myko⸗ 
nius, aus Beſorgniß aberglaubifchen Mißbrauches, 
riß es dieſer Plattern aus der Hand und warfs in den 
Rheinſtrohm. 


163 uUlrih Zwingii 


Zwingli hatte fein wolthaͤtiges, ruhmvolles Leben 
nicht hoͤher als auf 47 Jahre, 9 Monate und 11 


Tage gebracht. Nach ſeinem Hinſcheid wurden ſeine 


Schriften in IV. Folio» Bänden geſammelt. 


} 


ie nn We N 





163 





> 


VIL 
Rudolf Stüäfft 





Sem Vater kam im J. 1375. aus dem Land Bla, 
tus nach Zürich. Er war einer von den Vers 
mittlern, welche im J. 1395. den völligen Auskauf der 
Glarner don dem Stifte Seckingen dewuͤrkten. Sein 
Sohn , defien kurze Lebenögefchichte wir liefern, wurde 
im $ 1414. zum Rathsherr, im J. 1425. zum Zunft 
meifter, im J. 1430. zum Buͤrgermeiſter in Zürich er⸗ 
wält. Er verband mit aufferordentlichen Leibesſtaͤrke 
and fattlichem Wuchſſe groffe Eigenfchaften Der Seele. 
Auf dem blutigen Schauplatz feine Zeitalterd und Bas 
terlandes fpielte er eine der glängendeften Rolen. 


Ungeachtet die Eidgenoffen , vermög ihres fünfsigiähr 
rigen Waffenftillitandes mit Defterreich , ungerne gegen 
Herzog Friederich die Waffen ergriffen, fo fahn fie fich 
gleichwol , nach den damaligen, bHerrfchenden Grund⸗ 
fägen, Durch den Kaifer Sigmund fo wol als durch die - 
Kiechenverfamlung zu Conftanz im J. 1415. bey An⸗ 
drauͤung der Acht und des Bannes hiezu verpflichtet. 
Im Aprill 1415. eroberten die Süricher Mellingen ; bier 
auf Delagerten fie mit ihren Hundesgenoffen von. Schweiz 
und Zug die Stadt Brermgarten , die fich zu des Reichs 


Handen ergab. Zu gleicher Zeit Hatten fich die Luger 


ner der Stadt Surſee bemeiftert. Die Berner und 


Solothurner unterwarfen fih den gröfern Theil. dei 


! 








164 Rudolf Stuff. 


Aargauͤs. Dann zogen die Zürcher vor Baden, wo⸗ 
ſelbſt fich alle übrige Kantons mit ihnen vereinigten. — 
Ungeachtet mittlerweile der Kaifer ſich mit Herzog Fri⸗ 
derich ausgeföhnt und die Eidgenoffen von Fortſetzung 
des Krieges abgemahnt hatte, fo war num einmal bey 
diefen durch widerholte Triumphe die Eroberungsfucht 
unbezwingbar geworden. Der öfterreichifche Waffenſtill⸗ 
ftand hatte fein Ende erreicht. Der Schaden, den die 
Beſatzung in Baden den eidgenoffifchen Yelagerern vers 
urfachte ,. erbitterte Diefe fo fehr, daß fie nicht ruhten, 
bis die Feſtung erobert und verbrennt war. — Kaifen 
Sigmund fah fich genötigt, den Zurchern die Stadt 
- und Grafichaft Baden, Mellingen, Bremgarten, die 
Freyen Aemter und Surſee zu verpfanden; dieſe Vers 
pfandung wurde, nach erfolgter, völliger Ausfühnung 
mit dem sfterreichifchen Herzog, den ı2 Maͤy 1418. vom 
dem Kaifer beftättigt. Auch mit den übrigen Kantons 
theilten die Züricher die eroberten Länder. 


Von dieſer Jeit an erſcheint unſer Stuͤſſi bey allen 
öfentlichen Unterhandlungen. — Der Graf von Monfax 
hatte Bellen; an die II. Waldſtaͤdte verkauft. Diefe 
Stadt aber ward ihnen von dem Herzog in Mayland, 
der fie als fein Eigentum anfah, mit Lift wieder entriß 
fen. Vol Wut zogen die Eidgenoffen über den Gotte 
hard. Da es ihnen nicht gelang, Bellenz zu erobern, 
ſo rächten fie fih durch Verheerung der umliegenden , 
mayländifchen Gegend. Hierauf erfolgte im Jahr 1426. 
. befonderd unter Stufis Vermittlung ein Verglich mit 
dem Herzog Philipp Maria von Mayland. Er blieb 
im Befige von Bellenz; an die Kriegeskoften aber mußte 
er den Kantond 30000 Gulden bejalen. 


J 


Zudolf Stüffä 165 


Waͤhrend dieſes Zeitraums batten fich aufs neue die 
Appenzeller gegen den Abbt von St. Gallen empört. 
Die erſte Empörung, gleich Anfand des XVten Jahr- 
Hunderts, war durch die Tiranney Abbts Cuno von 
Stouffen veranlafet worden; die Bedraͤngte zerftdrten 
die aͤbbtiſchen Burgen und veriagten feine Beamte; fie 
Durchftreiften einen Theil des Algauͤs, den Bregenzer. 
wald, das Thurgauͤ und Rheintal. &o verachtlich in 
allen diefen Gegenden der Adel bisher auf die Stadt, 
bürger herabſah, fo glüdlich ſchaͤtzte er fich io bey Dies 
fen, vermög des erfauften Bürgerrechtes in Zürich, Schuß 
und Zufucht zu finden. Dadurch aber fahn fi) die 
Zürcher mit in die St. Gallifchen und Appenzellechäns 
del verfiochten. Lingeachtet diefe Handel ſchon im Jahr 
1408. von Kaiſer Rupert beygelegt worden, fo ergrifs 
fen die Appenzeller fchon wieder im J. 1428. gegen den 
Abbten die Waffen, durch Stuͤſſi's Vermittlung wurde 
ein Frieden getroffen; kraft diefed Friedens mußten die 
Empörer ihrem Herrn eine Buffe von 2000 Pfunden 
bezalen. | 


Je länger je ausgebreiteter wurde Stuffig Einfſuß, 
und freylich ließ er fich Dadurch zu aufbraufender Hitze 
und zu trogigem Betragen verleiten. — Um fich bey dem 
Kaifee Sigmund gefällig zu machen, führte er ihm im 
J. 1431. fünfhundert Mann Zürcherfches Hilfsvoͤlker 
in die Lombardey zu; auch begleitete er dieſen Kälfer 
im J. 1433. zu feiner Krönung nach Ram. Der Kai: 
fer ſelbſt führte ihn bey der Hand auf die Bühne, mo 
fein Thron ftand, unterhiett fich über eine Stunde mit 
ihm, flelite ihn dem Pabſt vor, fchlug ihn zum Ritter 


J 


% 


166 Budolf Qrüffe 


und bewilligte ihm alled, was er im Namen der Stadt 
Zürich verlangte, 


Ungemein fab fich auch Stüfft von dem Grafen Fries 
berich non Toggenburg gelieblogt. Diefer Graf nahm 
Stufe Sohn zu fh, Wie es feheint, mag wol der 
Juͤngling das Anfehn des Vaters dazu mißbraucht ha⸗ 
ben, ſich die eine und andre unanfländige Freyheit zu 
erlauben. Er beleydigte Die Knappen des Grafen und 
ward Kinmieder von ihnen beleydigt. Auf feine Klagen 
berief ihn der Vater nach Haufe und geriet mit dem 
Grafen felbft in Zerwirfniß. Bald hernach verlor diefer 
einen Rechtöhandel in Zurich; dadurch ward er ie läns 
ger je mehr gegen Stuͤſſi und die Zürcher erbittert. Dies 
fen zum Truß errichtete ex im J. 1433. ein Landeecht 
mit dem Kanton Schweiz; dadurch entzundte fich zwi⸗ 
fchen diefem und gwifchen dem Zürcherfchen Kanton deu 
Funken der Eiferfucht und Zweytracht, indem jeder Theil 
die gültigften Anfprüche auf des Grafen Verlaſſenſchaft 
zu haben vermeinte. Im J. 1436. hatte die gräfliche 
Wittwe das Buͤrgerrecht mit dev Stadt Zürich erneuert; 
‚in allem zog fie Stuͤſſi zu Rathe; auf feine Empfeh⸗ 
lung hefchentte fe Die Zürcher mit den Herrſchaft Wind« 
egg, mit der Stadt Uznach und dem umliegenden Ger 
biete. Unzufrieden über dieſe Vergabung, errichteten die 
Einwohner eigenmaͤchtig mit Schweiz und Glarus ein 
Landrecht. Aus Mißgunſt gegen Zürich, bewogen die 
Schweizer das Haus Oeſterreich, daß ed von der Graͤ⸗ 
fin die Wiedereinlöfing des Gaſters — umd den Gras 
fen von Werdenberg, daß er das dam Grafen von Togs 
genburg verpfändete Sarganſerland zuruͤck forderte; auch 
brachte, auf Anfliften dee Schweizer, ber Graf von 


Rudolf Stuüffi. 167 


Maͤtſch, ein Bruder der .gräflichen Witwe, diefe ſo 
weit, daß fie den ſchweizerſchen Landammann tel 
Reding zum Schiedrichter erwalte. Durch Reding ward 
alsdenn die Toggenburgifche Erbſchaft nicht der gräflis 
Ken Wittwe, fondern den entfernten Verwandten des 
verfiorbenen Grafen zugefennt. Toggenburg und Uznach 
fiel in der Erbtheilung im J. 1437. den Herren von 
Raron aus Wallid zu. Diefen neuen Herren weigerten 
die Ugnacher den fchuldigen Gehorfam; un den Bey 
fland der beeden Kantone Schweiz und Glarus zu er⸗ 
halten, verpfändeten ihnen die Herren von Raron das 
Ugnachergebiet. Mittlerweile war die Verbitterung zwi⸗ 
fhen Schweiz und Zürich je länger je groͤſſer geworden. 
Erfierer Kanton ſchlug einen eidgenöffifchen Rechtsſpruch 
vor. Die Form eines folchen befteht darinn, dag, nach 
fruchtlos verſuchter Minne, die freitigen Kantone Rich: 
tee aus ihrem Mittel erwälen; wenn diefe fich in gleis 
che Meinungen theilen , fo fuchen fie in irgend einem 
smpartenifchen Kanton einen Obmann oder unumſchraͤnk⸗ 


ten Schiedrichter ; Diefer darf keinen neuen Spruch 


thun ; nur giebt er das Uebergewicht zu dem einen oder 
dem andern der ſchon gefchehenen Sprüche. 


Im J. 1437. hatte ſich Stuͤſſi als erſter Gefandter 
auf die Tagleiſtung begeben, welche zu Beylegung obi⸗ 
ger Zwiſte in Lucern verfammelt geweſen. Im Na—⸗ 
men dee Zürcher. ſchlug er den eidsgenoͤſſtſchen Rechts, 
foruch and; den Einwohnern von Uznach und Gafter 
fchlug ee den freyen Kauf, befonders des Getraids, ab; 
mit sooo Mann zog er in die Grafichaft Sargand und 
zerflörte die Schlöffer Freudenberg und Nydberg. Die 
übrige- Kantond traten auf Seite der Schweizer; an 








168 Rudolf Stüfft 


dem Esel wurden Die Süricher zuruͤckgejagt; ihr games. 


Gebiet ward eine Beute der Feinde; fie ſahn fich zu 
folgenden Sriedensbedingniffen gezwungen: 


1. Zur Aufhebung ihres Vertrages mit Sargang 
und zur Abtrettung aller Anfprüche auf Toggenburg. _ 


2. Zur Abtrettung einiger Höfe an dem obern Theil 


des Scherfeed an den Kanton Schweiz. 


3. Ei ward Grüuningen nicht anderſt als * 
Hand und Vermittlung der Berner an Zürich zuruͤck— 
geſtellt. 


Dieſer Friede geſchah im J. 1440. Zu Wiederer⸗ 
langung des verlornen Anſehns, errichteten die Zuͤricher, 
auf Stüuſſi's Anſtiften, im J. 1442. ein Schutzbuͤndt⸗ 
niß mit Kaiſer Friederich aus dem oͤſterreichiſchen Hauſe. 


Dieſes Buͤndtniß erklaͤrten die Schweizer als Entkraͤf⸗ 


tung der eidgenoͤſſiſchen Buͤndte; ſie forderten alſo hier⸗ 
uͤber einen Rechtsſpruch. Auch auswaͤrtige Staaten 
ſuchten ſich ins Mittel zu ſchlagen. Zu Baden ward 
eine der zalreichſten Tagleiſtungen gehalten. Der Bi⸗ 
ſchof von Conſtanz hatte den Vorſitz. Die Parteyen 


wurden verhoͤrt. Um naͤhere Inſtructionen zu holen, 


reiſeten die Zuͤrcherſche Geſandte mit ihren Beyſtehern 
aus den Reichsſtaͤdten nach Hauſe. In Zuͤrich herrſchte 
jzt nicht der Rath, ſondern der Poͤbel. Bor der Raths⸗ 
verſamlung wollten auch die Beyſteher erſcheinen; trotzig 
wurden ſie nach ihrer Herberg gewieſen. Strohmweiſe 
hatten ſich die Buͤrger aufs Rathhaus gedraͤngt; eigen⸗ 


maͤchtig riſſen ſie die friedliebendern unter den Raͤthen 


heraus und warfen ſie in den Wellenberg; einige dieſer 


- 


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Budolf Stärgi 16 


Raͤthe wurden ſogleich enthauptet ; unter denſelben war 
Hand Meid, weil er den Eydgenofien zum Recht ſtehn 
und den Zwiſt nach Form der Bündtniffe beylegen 
wollte. Diefen Tumult unter den Bürgern hatten (nach 
Tſchudi) die Defterreicher erweckt, damit Stuffi’d Ges 
genparten möchte aus dem Weg gerauͤmt werden. Frucht⸗ 
108 zerfchlug fih auf ſolche Weile die Tagleiſtung zu 
Baden; von neuem brachen die Flammen des Kriege 
aud, Alle Eydgenoffen traten wieder auf Seite der 
Schweizer. Bon ihren einzigen Bundesgenoſſen, den 
Defterreichern, befamen die Zürcher beträchtliche, aber 
nicht hinreichende Hilfe. N 


Die Endgenoffen zogen nach Greifenſee. Daſelbſt lag 
eine zuͤrcherſche Beſatzung; ihr Hauptmann war Wilde 
band von Landenberg. Die Einwohner ſchickte diefer nach 
Zürich ;, die Stadt Greifenfee aber ſteckte er mit Feuer 
an. Endlich ward die Feſtung von den Eydgenoffen er⸗ 
obert. Wildhans von Landenberg war der erſte, wel⸗ 
cher feinen Kopf hergeben mußte, auf ihn folgten fech» 
sig andre von der überwundnen Beſatzung. Nicht nur 
heidenmäffig flarb Landenberg; auch bat er für feine 
Geſellen: „ Wenn diefe, fprach er zu den Eydgenoß 
» fen, „ anderft gehandelt hatten, fo würden fie eher 
„ eine fchimpfiche Hinrichtung verdient haben ald jtzo 
» da fie dem Eyd gegen ihre Obrigkeit genug thaten. “* 
Indem Malleolus diefer Hinrichtungen erwähnt , ersält 
er, nach dem kloͤſterlichen Geſchmack feines Jahrhun⸗ 
derts, auf dem Flecken, wo die abgehauene Köpfe bera 
unter gefallen, babe man feither immer hievon die Spu⸗ 
ren und überal an dieſem Orte groffe Wunder und Er⸗ 
fcheinungen geſehen. 








170 KAupdolf Stuüfft. 


Die Stadt Zürich ſelbſt wurde im J. 1444. von den 
Eydgenoſſen zehn Wochen lang hartnaͤckigt belagert. 
In dem Verſuch, den der Feind that, die Mauren bey 
der Werdmühle zu überfteigen, fland Otto Wertmüller 
mit nur zwanzig Dann ihnen fo tapfer entgegen, Daß 
man fie nicht aus der Verſchanzung Hinaustreiben konnte. 
Ein unmundiges Kind dieſes Wertmüllerd, das hernach 
sum Helden anwuchß, ward aus dem brennenden Haufe 
des Vaters über die Ringmauren binaufgehoben in das 
Klofter am Oedenbach. Von den Mauren warf man 
Kalchhaͤfen mit fiedendem Kalche unter die Feinde; ınan 
empfieng fie mit Kugeln aus Keuergefchoffe, mit ver 
ſchraͤnkten Reifen, mit beiffem Waffer, mit Fußeiſen, 
mit brennenden Pfeilen. Wiemol die Belagerer Feld» 
fchlangen hatten , fo wußten fle ihnen Doch nicht die ges 
börige Richtung zu geben. Von innerer Mißhelligkeit 
befürchtete die Stadt mehr ald von dem Feinde. tum 
jede Verabredung zwiſchen diefem und zwifchen den Miß⸗ 
pergnügten unter den Bürgern zu hindern, wurden Die 
uhren an den Glockenthuͤrmen flillgeftellt und feine an: 
dre ald die Rathsglocke gelautet. Sechszehn der tapfer 
ſten Zürcher, an ihrer Spitze Stuffi felbft, gelobten ein; 
ander in die Hand, daß fie ihr Leben gegen den Feind 
aufs Spiel feen wollten; fie allein thaten ihm mit Eleis 
stem Kriege mehr Abbruch als alle, die in der Stadt 
Jagen. Sie flreiften oft im das feindliche Lager , raub⸗ 
fen und bremnten oder flieffen die Lebensmittel ab, die 
dem Feind zugeführt wurden. Auf dem Zürcherfee 
kreutzten Kriegeöfchife, der Bar, eine kuͤnſtliche Flöffe 
der Schweizer; die Gans und die Ente der Zürcher. 


In einem Treffen, unweit der Stadt, bey St. Ya 


Kudolf Stärri — 


cob , wiederſetzte ſich Stuͤſſi ben der Sihlbruͤcke den feind⸗ 
lichen Eydgenoſſen; ſie hielt er mit der breiten Streit⸗ 
arte ſo lang von weiterm zudringen zuruͤck, bis fie (nach 
Einigen) eine Latte von der Brücke aufhoben und ihn, 
als er ind Waſſer fiel, todt fchlugen; nach andern warb 
er, fo wie auch der Stadtſchreiber, von einem feiner 
‚eignen Leute erfiochen. Die Feinde follen hierauf feine 
Leiche aufgefchnidten, das Herz berausgeriffen und das 
Beinhaus zu Et. Jacob und ihre Stiefel, Schuhe und 
Speere mit dem Fett des Verftorbnen befchmiert has 
ben. . In der Stadt aber ward ihm zum Andenken auf 
dem Brunnen bey Stüuffts Hofftätte eine Ehrenſauͤle 
errichtet. Um fo viel verhaßter war er den Eydgenoffen, 
weil ee nicht nur einer von den fo geheißnen Boͤcken 
oder Schwertleen, die fich in dem Krieg vorzüglich her⸗ 
vor thaten, fondern wuͤrklich der Hauptanftifter der ein⸗ 
beimifchen Unruhen geweſen. So groß war die WB 
der Sieger, dag fie (nach dem Zengniß des Aeneas 
Sylvius,) aus den Leichen der Leberwundenen Stuͤle 
und Tifche aufthuͤrmten und fo beym triumphirenden 
Gaftmal das Blut der Erfchlagnen fchlürften und ihnen 
das Herz aus dem Leib riſſen, um es mit den Zaͤhnen 
zu zerfleiſchen. () Eine Nachricht von Ddiefem Kriege 
bat auch Malleolus, ein Augenzeuge, geliefert. Da der 
Zon feiner Erzälung ganz befonderd den Geſchmack feis 
nes Zeitalterd characterifirt, fo wollen wir zum Befchlufe 
diefer Erzaͤlung erwähnen. Sie hat die Auffchrift : 


Proceflus judiciarius coram omnipotente Deo inter No. 











(*) &. Heine. Hotting. Method, legendi hift, helvet 
f 360 folg. 


174 Rudolf Stufft 


biles & Thuricenſes ex una & Suitenfes cum complici. 
bus ex altera parte, Diefe Hiſtorie ift dem römiichen 
König Friedrich zugeeignet. Der Verfaffer erzält unter 
andern, was fich nach der. Schlacht der Züricher, Die 
bey St. Jacob durch Kriegeslift überrafcht worden, zu: 
getragen habe. Die Erfchlagene, — ohne Zweifel Büts 
germeifter Stüffi an ihrer Spitze, — wurden, von dem 
Erzengel Michael ind Paradiefe begleitet. Daſelbſt er 
warteten fie ihre Brüder , welche zu Greifenfee waren 
enthauptet worden. Hierauf führte fie Michael ſaͤmmt⸗ 
lich zur Pforte des Himmels ; Petrus ließ fie fogleich 
binteingehn ; von deffen Nachfolger Clemens wurden fie 
zu den Schußheiligen der Stadt Zürich geführt. Kies 
mens ftelte fie Karln dem Groſſen, ald dem Stifter der 
zürcherfchen Kirche vor; ingwifchen ward den neuen 
Gäften ein berrliched Mal zubereitet ; Tags hierauf 
wurden alle angefehene Rechtögelerte des Himmels zu⸗ 
famenberufen, um die Unfchuld der neuen Ankoͤmmlin⸗ 
ge zu beweifen; es erſchien aber Feiner ald Magifter 
Mo; vergeblich hatte dieſer mehrere Eollegen im Him- 
mel gefucht. Gegen die Eydgenoffen brachte Yvo ſchwee⸗ 
re Klagen vor den Thron des Allerhöchften. Hierauf 
vernahm Der oberſte Richter Cohne Zweifel bebächtlich, ) 
das Gutachten einiger Paͤpſte; dieſe baten um Aufſchub 
für die Beklagten. Azahel mußte diefe citiven. Beym 
Ausbleiben wurden fie in contumaciam verfällt. Jacob 
dem Erzvater ward die Vollziehung des Spruchd auf⸗ 
getragen ; Diefer verficherte Die Zürcher des heranruͤcken⸗ 
ben Entfaßed. Nun bereitete Jacob, der Apoftel, den - 
Feinden ein Golgatha; unweit Bafel naͤmmlich an der 
Bird weyht' er einen Ort zum blutigen Treffen und ließ 
ihn dreiffig Nächte nach einander von Gefpenftern befir- 


Rudolf Stufft. 13 


chen ; dann forderte der Erzvater den Kaiſer Karl den 
©rojfen auf, daß er feinen Enkel, den Dauphin, zum 
Entfate der Zürcher begeiftere u. ſ. w. 


Wuͤrklich kam der Dauphin, nachHeriger König Lud⸗ 
wig XI. mit 40000 Mann gegen Bafel; mit 1600 
Mann zogen ihm die Endgenoffen entgegen; fie fielen 
alle ald Helden, nachdem jie 8000 Mann von dem frans 
zöfifchen Heere niedergemacht hatten. — Bon dieſer Zeit 
an neigten fich die Eydgenoſſen zum Frieden. "Dem Kans 
ton Schweiz wurden die anfangs gemachten Eroberuns 
gen beftättigt und der Bund der Zürcher mit Defters 
reich wurde entfräfte. Toggenburg, der eigentliche 
Zankapfel , überlieffen beyde Barteyen den Herren von 
Raron, welche bernach daffelbe, unter gewiſſen Eins 
fchränfungen, -an den Abbt von St. Gallen verkauften.‘ 


I 2 02 








VII 


t 


Jacob Ceporin. 





Racob Ceporin oder Wieſendanger ward geboren zu 
9 Dynhard, einem Dorf des Zuͤrchergebietes im J— 
1499. Sein Vater war ein ehrlicher Landmann, der 
beym Zieglerhandwerk ziemliche Mittel erworben hatte. (*) 
Fa Ludwig Lavaters handſchriftlicher Lebensbeſchreibung 
von Ceporin ſinden wir, daß der junge Menſch von dem 
damaligen Pfarrer zu Dynhart im Lefen und Schrei⸗ 
ben unterrichtet worden, und zwar (welches beynahe 
ein Mißverſtaͤndtniß zu feyn fcheint, ) erft in dem achts 
‚zehnten Jahr feines Alterd. Hierauf legte er in der bes 
nachbarten Schule zu Winterthur den Grund zur latels 

niſchen, griechifchen und bebraifchen Sprache. Alsdenn 
befand er fih einige Jahre auf der Schule zu Köln, 
“ Bon da gieng ee weiter nach Wien, woſelbſt ee mit eis 
nigen fludirenden Zürchern in vertraulichen Umgang ges 
rieth. Endlich kam er nach Ingolſtadt, wo er Die Meß⸗ 
kunſt ſtudirte. Nach feiner Heimkunft ſetzte er die Stu⸗ 
dien in ſeiner Ziegels und Landhuͤtte von ſelbſt fort; den 
benachbarten Pfarrern gab er linterricht in der griechi⸗ 
ſchen umd Iateinifchen Sprache: Bon dem Buchdrucker 











CO) ©. Hottingers belvetifche Kirchengefchichten, Tom. IIT. 
f 53. und 233. wie auch Ulrſchs Mifcellanea Tigurina, 
x. Ill. Ausgabe II. f. 344. 





Jacob Ceporin. 178 


Andreas Kratander ward er zur Beforgung der Druckerey 

und zugleich als vornehmiter griechifcher Corrector nach 
Bafel berufen. Ehe er Hingieng , verbepratete er fich 
mit Elifabetb Schärerin , einer Layenfchweiter aus dem 
Klofter Toͤs, die er mit fich nach Bafel führte. Da⸗ 
ſelbſt edirte er des Dionyfius Weltbefchreibung und Arats 
Aſtronomicon mit Anmerkungen. Bon dem Zürcher 
ſchen Reformator Zwingli erhielt er einen Beruf nach 
Zurich ale Profeſſor der Gottesgelehrtheit , deſſen Haupt⸗ 
befchäftigung damals in der Auslegung des hebräifchen 
Grundterted und der fiebzig Dollmetfcher beftand. In 
diefem Amt fchrieb er eine griechifche Sprachlehre, auch 
las er über den Hefiod und fchrieb mit vieler Zierlich- 
Leit griechifche Epigrammen. (*) 


Zu feiner Zeit regten fich die beeden Wiedertauͤfer 
Felix Mang und Konrad Grebel; da der eine gerne 
die griechifche,, der andre die bebräifche Profeſſur an fich 
geriifen haͤtte, fo füchten fie durch allerlei Berlaumduns 
gen Ten Eeporinus zu flürzen. Da ihnen dieſes nun 
fehl fchlug, fo nährten fie aus Wut die wiedertaufers 
fhen Händel. Den Eeporin verehrte Zwingli als feis 
nen Lehrmeifter im bebräifchen (). Zu der Eeporinis 
fihen Ausgabe des Pindars hat diefer groffe Reformas 
tor die leſenswuͤrdigſte Borreden und Beylagen gefchries 
ben. Unter andern zeichnet er von Geporin folgende . 





(*) &. Geßners Biblioth. f. 352. Bullingers bandfchrifte 
liche Chronick, Tom IV. Steiner bandfchriftliche Reforma- . 
tionsgefchichte, citirt in Hottingers helvet. Kirchengefchichten , 
£. Il. f. s2. Jo. Friſius Epiſt. Dedicat. Heſiodi, ad Ant. 
Schneberger. edit. froich. 1562. 

(+) Hotting, Kirchengefh. T. VI. ſ. 354. 


/ 


176 Yacob Ceporim 


Rüge: Im feinem Betragen berrfchten Würde und Arts 
fand; im Bortrage bewies er mehr logifche Genaus 
heit als eigentliche Beredſamkeit; feine Gelehrſamkeit 
war umerfchöpflich; fein Herz brennte für Warheit und 
Tugend; immer ſchwebte vor feinem Geiſte die ewige 
Zukunſt; er fürchtete nichts; weil er Gott im Aug 
hatte. Uebrigens mar fein litterarifcher Eifer fo groß, 
dag er feiner Gefundheit nachtheilig geworden. Er ſtarb 
in der Bluͤte des Lebens den 20 Chriſtm. 1525. und 
hinterließ eine einzige Tochter, welche an einen gelchrs 
ten, Zürcherfchen Geiftlichen Conrad Klaufer verheura⸗ 
tet worden. u | 





Rudolf Collinus, 





e mehr wir den Character und die Schickſale ber Ge⸗ 
„Y Ichrten aus dem XVIten Jahrhundert fludieren, 
deſto mehr erflaunen wie über den Damals berrfchenden, 
Üitterarifchen Enthuſiaſmus, einen Enthuſiaſmus, der in 
dem Orden der gelehrten Ritterſchaft (menn ich mich 
fo ausdrüden darf,) eben fo viel Thatkraft und eben fo 
. fonderbare Abentheuer , wie vormals in dem romantis 
fchen Drden der irrenden Ritter erzeugt bat. 


In der Folge werden wir finden, warum wir Rus 
dolf Colin, d. i. am Bühl, gu den Zürchern zälen, 
ungeachtet er von Geburt ein Luzerner geweien. Ders 
felbe ward in dem Flecken Gundelingen im J. 1499. 
geboren (*). Damals befand fich fein Water in einer 
Befagung zu Koblenz, Der junge Collin fand von Kinds 
heit auf einen groffen Befoͤderer an Joh. Tilotectus 
oder Zimmermann , einem Chorheren zu Münfter im 
Aergau, welcher wegen der Religion veriagt worden und 
im %. 1526. an der Peftfeuche in Bafel geftorben (+). 








(*) Aus Collins pfirer Handſchrift. Man ſehe Ulrichs 
Miſcell. Tigurina, T. 

) Diefer —— war von der edelſten Gemuͤtsart; 
auch um Oporins Ausbildung hat er groſſe Verdienſte; man 
ſehe vitas illuſtrium Virorum. nn 1711. 


178 Rudolf Collinus 


Diefer Zimmermann ſieng an, dem Knaben die erſu 
Virgiliſche Ecloge erklären; der Schüler begriff und 
empfand den Innhalt derfäben fo wol, daß er fogleich 
bingieng und das Gedicht von felber fchriftlich überfekte. 
Zimmermanns Vergnügen hierüber war ſo groß, Daß 
er ſich die Muͤhe nicht dauren ließ, mit dem jungen 
Menſchen auch die uͤbrigen Eclogen, das Gedicht vom 
Feldbau und einige Gefünge der Aeneide zu leſen. 


Hierauf ward Collin von feinen Lehrer nach Bafel 
geführt; daſelbſt untermwies ihn: Heine. Glareanus in 
den Anfangsgrüunden der Meßkunſt. Nachdem Glarea. 
nus nad) Paris verreißt war, trieb der Hang zur ſchoͤ⸗ 
nen Litteratur und befonders zur Dichtkunft den jungen 
Collin an, nad) Wien zu gehn. Dafelbft fand er zween 
gelehrte Schweizer, Conrad Grebel und Joachim Bas 
dian, die ihn fehr liebreich empfiengen. Indeß ward er 
in feiner poetifchen Erwartung betrogen; anflatt ges- 
ſchmackvollen Unterrichtes, fand er auf der Wienerfchule 
Barbarey und Bedantifmus. Als daher Vadian nach 
der Schweiz zurücgieng, gieng er mit ihm. Im J. 
1519. geriet er in genaue Bekanntfchaft mit dem Zür; 
cherſchen Gelehrten, Joh. Jac. Ammann (*) Der 
Senat zu Zürich ſchickte Baumeifter nach Mayland, 
um den Plan von einer maylandifchen Baſtion aufzu: 
nehmen, mach welchem bernach die Zürdjerfche beym - 
Rennweg erbaut wurde. Mit dieſen Abgeordneten rei; 
fete auch Ammann; da er in Mapland, welches da- 
mals dem geoffen Befchüßer der Litteratur, Franz 1. 
sugehörte, ‚eine Menge gelehrter Männer antraf, fo blieb 








8. Heinr. Hottingers Biblioth. tigur. 





— = ” ee — Ta ee Sa" Sara — 


Rudolf Collinue- 1979 


ee daſelbſt und berief im J. 1520. Colin zu ſich. Bey« 
de Hatten dafelbfi den Antonius Thyleſfius zum Lehr. 
meifter in den Sprachen und in der Gefchichte (*). 
Unter ihren Mitſchuͤlern befanden ſich Joh. Jac. Tri⸗ 
vultius und Renatus Biragus. Als Manlond wieder 
in kaiſerliche Haͤnde gerieth, ward dieſer Muſenſitz ver⸗ 
wayßt; umſre jungen Gelehrten zogen wieder nach 
Hauſe. Collin übernahm ein Schulamt in Baſel; zus 
gleich erhielt er ein Ganonicat zu Münfter im Argan. 
Als cr nach Luzern zuruͤckkam, ward er des Luthers 
tums wegen verdächtig; man durchſuchte feine Bücher ; 
da fie meiſtens griechiich waren, wurden fie, ungeachs 
tet aller feiner Einwendungen , für Iutherifch erkläret. 
Was kriziskrezis ift, fprach Hans Gleflig , ein Luzer⸗ 
ner Senator, „ das ift Lutherifch. « Schultheiß Haug 
fagte: „Ob er mwölle, gange er gen Zürich, Inge, 
» ob ihm Zwingli eine Chorherren⸗Pfruͤnde gebe. * 
Ungeachtet der weit gröffere Theil des Rathes ihn 
glimpflich behandelte, fo fah ee doch, daß feine Gewiſ⸗ 
ſensfreyheit in. Luzern gehindert ſeyn würde, und fo ente 
ſchloß er ih, nach Zurich zu gehen. Dafelbft langte 
ee den 14 Februar 1524. an, und ward in Myconius 
Haufe ſehr liebreich aufgenommen. Ungeachtet alles Zus 
redens feiner zürcherfchen Freunde, fchrieb er einen Abs 
fagsdrief nach Luzern; in demfelben that er von freyen 
Stuͤcken Verzicht auf das Muͤnſteriſche Canonicat. 


Einige Zeit Iebr er unweit von Zürich, bey Heinrich 
Buchter, Pfarrer zu Kilchberg; dieſem cab er Linters 





(*) &. Condillacs Cours détude, T.XV. L.XX. Ch. III. 


ı Rudolf Collins, 


richt in der griechifihen Sprache. Bey feiner Ruͤckkehr 
nach Zürich fernte er, um niemand befchweerlich zu fals 
len, das Säilerhandiverk bey Heinrich Oftertag , einem 
zuͤrcherſchen Rathsmann. Dieſes Umſtandes erwähnt 
Thomas Platter in feiner naiven Sprache mit folgen⸗ 
den Worten; , Diemweil ich oft hörte predigen: Im 
„, Schweiß deines Angefichtes ſollt du dein Brod effen, 
„ und wie Gott die Handarbeit fegnete, und man alle 
„Studioſos pfaffete, auch Meifter Ulrich (Zwingli) 
„ fagte: Man follte die Buben zur Arbeit ziehn; es 
» gebe fonft viel Pfaffen, lieſſen viel allenthalben von 
„ den Studiis; da kam ein feiner, gelerter, junger 
» Mann von Luzern, hieß Rudolphus Collinus, der 
„ſollte gen Conftanz auf die Wyhe; es beredte ihn 
„ aber Zwinglius und Myconius , daß er mit dem Geld 
„ das Saͤilerhandwerk lernet. Als derfelbe ein Weib 
„ nahm und Meifter wurde, bat ich ihn, er follte mich 

„ auch das Saͤilerhandwerk lehren. Sprach er: Cr 
„hette nicht Hanf. Da war mir von meiner Mutter 
„ſel. etwas zu Erb worden; da kaufte ich dem Mei⸗ 
„ſter ein Centner Hanf umd lernte dabey fo viel als 
„ möglich und hatte Doch allzeit Luſt zum Gtudiren ; 
„. wenn der Meifter wähnt, ich fchlief, ſtuhnd ich heim⸗ 
„lich auf, entichlug ein Licht und hatte ein Home 
„ zum, und heimlich meines Meifterd Verliones; dar⸗ 
„ aus gloffirt ich meinen Homerum. * So armfelig 
Golling Kebendart war, ald er noch fein Brod bey dem 
Eäilerhandwert erwarb, fo verbreitete bey alle dem die 
Litteratur Reis und. Anmut auch über Die größten Bes 
ſchwerden. () Als eined Tages Colin und Thomas 


I) ©. Hottingers Kirchengeſchichten, B. III. 





KSudbolf: Collinus. 181 


Plater mit einander ihr ſparſames Mal verzehrten, umb 
aufier dem Waffer Fein andred Getränk aufm Tifch war, 
recf Colin: Plater, wie hebt Pindar den erſten Ges 
fang an? "Diefee antwortete: Arifton men hydor. Wo⸗ 
lan, erwiederte jener mit luſtiger Laune: Laßt uns denn 
Waſſer trinken! 


Im J. 1524. den 3. Weinmonat verreiſete Collin 
mit einem Haufen zuͤrcherſcher Kriegesleute nach Walds⸗ 
hut, zugleich als Soldat und als Quartierſchreiber. 
Unterwegs wurde die Kriegesſchaar bey Dielſtorf von ei⸗ 
nem Lauͤfer uͤberraſcht und im Namen des Senates ges 
fragt: Wo die Reife. binziele? Im der Verwirrung 
erfolgten ungleiche Antworten. Endlich ward Eollin aufs 

gefodert / im Namen der Uebrigen fehriftliche Antwort 
zu geben. Mit Renomiftenton laß ex laut das Gefchriebne 
amd die Anmefenden ſchwuren, daß fie lieber fierden als 
nach Zurich zuruͤckkehren wollten. Collins Schreiben 
verurfachte Bewegung in dem Senate; von demfelben 
wurden zween Zunftmeifter, Hand Wägman, ein Gets 
wer, und Thomas Meyer, ein Schufter, abgeordnet, 
um mit dem Kriegestrupp in Unterhandlung zu treten. 
Bey dieſer Gelegenheit ſchrieb Collin zum zweitenmal 
an den Rath von Waldshuth aus, im Namen der 
fammtlichen Heerfchaar. Endlich verlied er dieſelbe und 
kehrte nach Zürich zuruͤck. Auf diefe Weife war er mit 
mehren Bürgern in Belanntfchaft gefommen; auch 
Die Groſſen fingen an, ihn als einen Mann von Ein- 
Ruß zu fhonen. Im J. 1525. war er eines der vor- 
nemmſten Treibraͤder des Zuzugs zu Gunften Herzog 
Ulrichs von Wuͤrtemberg. Fuͤr dieſen Herzog ergrief er 
die Waffen; als Held erſchien er im Sthlachtfeld; in 


182 Rudolf Collinus. 


Garniſonen als Menfchenfreund. Der Bauerunkrieg im 
Teutſchland machte ihn des Kriegslebens uͤberdruͤſſig. 
Mit erhaltner Bewilligung gieng er nach Zuͤrich zuruͤck 
und trieb von neuem ſein Saͤilergewerb. 


Im J. 1528. ward er auf die Diſputation nach Bern 
zu Zwinglins Begleiter erwaͤlt. — Im J. 1529 ward 
er, zur Ausſpaͤhung bes Plans der V. Kantons mit Gere _ 
Dinand, nach Feldkirch gefendet. — In gleichem Jahr 
gieng er mit Zwingli auf die Difputation nach Mate 
purg. — Auch ward er in biefem Jahr als Bottichaf- 
ter nach Venedig abgeorbnet. Auf der Breffer » Hayde 
überflelen ihn zween Straſſenrauͤber; den einen bieb er 
mit dem Schwerdt nieder; dem andern entwich er auf 
der Klucht. — Im J. 1531. ward er wegen der wuͤr⸗ 
tenbergifchen Angelegenheiten an den franzöfifchen Koͤ⸗ 
nig, Kranz I. verfendet und Lam, nach glüclichen Er⸗ 
folge, wieder nach Haufe. 


Schon im J. 1526. hatte er um zehn Gulden das - 
Bürgerrecht in Zürich gekauft. Bald hernach ward er 
zum Profeſſor der griechifchen Sprache erwält. Da. 
feine Befoldung gering war , fo verband er mit feinem 
Profeſſorate das Saͤilerhandwerk; dieſes letztre gab er 
nicht auf, bis ihm ſein Einkommen vermehrt wurde. 


Im J. 1529. ritt er mit Zwingli auf eine Synode 
nach Frauenfeld. Hievon heißt es in Bernard Weiſen 
hiſtoriſchem Tagbuch · Im J. 1529. den 12. Des 
¶ cember ritte Meiſter Ulrich Zwingli gen Frauenfeld, 


.S. Fuͤßlins Beytraͤge zur ſchweizerſchen Reformation⸗· 
geſchichte, EV. f * Be B 


Rudolf LCollinus sm 


„ mit Meiſter Peter Meyer und Meiſter Ulrich Stell, 
„beyde des Rathes, mit Ueberreutern, auch Herrn Con⸗ 
„ rad Pellican, Leſern der hebraͤiſchen Sprache, und 
„Rudolf Seiler von Lucern, Leſern der griechiſchen 
„Sprache der auch bey ihm in Heſſen geweſen war, 
„und Hielten da den Synodum, das ift Gefpräch und 

3 Kapitel mit den ungefchicten Prieſtern im Thurgalı. 

— An diefen Orten allen begegnete man ihnen mit 
» „ goffer Zucht und Ehr: “ 


‚ Wenn die Nachrichten von feiner letztern Lebenshaͤlfte 
fparfam und dürre find, fo iſts unter. anderm vieleicht 
auch daher, meil er nach und nach das fpeculative Das 
ſeyn, dem thäfigen, die Ruhe der Unruhe, das Mus 
feum der Welt vorzog. Verſchiedne griechifche Schrift⸗ 
ſteller überfegte er in das Lateinifche. Sein Gedaͤchtnis 
ſoll fo glücklich geweien feon , daß er ohne Anſtoß der 
Reyhe nach Birgild Eclogen, Georgica und ſechs Bis 
cher der Aeneide auswendig. daher fagen können. (*) Seine 
Gefundheit war fo feft und dauerhaft, daß ee (wenn 
er anderft in der Stadt gewefen, ) niemals Feine Vor⸗ 
leſung unterinffen von dem 8. Augfim. 1526. bis auf 
den 6. März 1578. Mit vieler Leichtigkeit verfertigte 
er Iateinifche Verſe. Kurz vor feinem Ende, welches 
den 9. März 1578. erfolgte, redete er feine Kinder und 
Kindeskinder in folgendem lateinifchen Impromptuͤ an: 


BL ©. den Anhang zu Joh. Balthazar am Bühl: Pfa- 
rerd zu Scherzingen, Synodalpredigt, unter en Aufſchrift: 
Speife der Adler , gedruckt zu Zürich im J. 1676. 


4 Budolf Collinue 
Ibo ego dermitum; noftris cum patribus ibo ; 
In Domino Jefu ftat mea fola quies. 
Mo ego: Vos chari pueri, charique nepotes, 
Efte boni vobis , civibus & patriz. 


Seine legten Worte, welche Rudolf Gualter aufges 
faßt Hat, waren beym Hinſcheid: 
Summe pater, Deus, & fummi patris unice fili, 
Chrifte, meam fumas, te precor, hanc Animamı. 


De Eine feinee Söhne Rudolf flarb frühzeitig als 
Proviſor der obern Tateinifchen Schule, der andere, 
Bartholomäus, war Diacon zu Stein und hernach Pfar⸗ 
ree zu Stammheim , und flarb im %. 1632. 


! 


ee Mo 





Ludwig Hetzer. 





Ver dieſem gelerten Avantuͤrier haben wir folgende, 
zerſtreute Anecdoten zuſamen geleſen; 


Sein Geburtsort war, nach Hottingern, die Stadt 
Biſchofzell. Einige Zeit lebte er als Kaplan zu Waͤdiſch⸗ 
weil; hierauf kam er als Prieſter nach Zuͤrich Im 
Jahr 1523. gab er daſelbſt eine Abhandlung heraus, 
unter folgender Aufſchrift: Urteil Gottes, wie man ſich 
mit den Bildern verhalten ſoll. In dem erſtern Abs 
ſchnitt ſind alle gegen den Bilderdienſt ſtreitende Schrift⸗ 
ſtellen geſammelt; in dem letztern werden die Einwuͤrſe 
der Bilderdiener beantwortet. 


In den Rathsmanualen von Zuͤrich ſindt ſich vom Jahr 
1523 Donnſtags vor Simon Judaͤ folgende Erkanntniß: 
» Ludwig Heer foll deßwegen, daß er Conraden von 
» Wafchwanden beym öfentlichen Kanzelvortrag untets 
» drochen und befchämt hat, von aller Schuld und 
» Strafe frey feyn: Konrad von Mafchwanden binges 
» gen fol man erinnern, daß er in Zukunft, nach obrigs 
» keitlichen Mandaten , das Evangelium predige und fich 
>> der heilfamen Lehre nicht wiederſetze. Aus einer ans 
dern Ratbeerfanntnig von eben diefem Jahre erhellet, 
daß Konrad von Mafchwanden in feinen Predigten nicht 
nur Ludwig Hetzern, fondern die Regirung felbft Des 


186 gudwig Zetzser. 


ſchimpft babe und deswegen fo lang in Verhaft geblies 
ben , bis er von dee Obrigkeit fo wol als von Hetzern 
Verzeyhung erhalten. (”) Daß auf beeden Seiten die 
Hitze zu Ausfchweifungen verführt habe, beweißt Hetzers 
nachheriges Betragen. — Im Fahr 1525. finden wir die. 
fen unter den Anfuͤhrern des wiedertaüferfchen Schwar⸗ 
med. Den ı7. Jaͤnner ward mit demfelben auf dem 
Rathhauſe, vor gefefienem Rathe der zweyhunderte und 
in Gegenwart der Gelerten eine Unterredung gehalten. 
Fruchtlos blieben alle Vorſtellungen; ſchon hatten die 
Midertaufer in dee Naͤhe der Stadt nicht nur eine eigne 
Kirche errichtet, fondern fo gar die Gemeinſchaft der 
Güter und felbR der Weiber eingeführt. Den 20. Maͤrz 
ward abermal mit ihnen eine Unterredung gepflogen. 
Als auch diefe ohne Würkung geblieben, wurden die Eis 
nen verwiefen, die Andern gefangen gefehet. Hierauf 
kam Heter nach Augſpurg; auch von ba warb er we⸗ 
gen allzu freyer Reden verbannet. : Sehr wahrfcheinfich 
fam er von da über Koſtniz wieder nad) Zürich. Daß 
er überhaupt bey allen Einfichten und Talenten von aus, 
fchmwetfender Gemüthsart geweſen, davon Haben wir meh⸗ 
rere Beweife. Einer. feiner Bertrauten war Hand Denck; 
Diefer lehrte, daß auch felbft die Teufel felbft noch wer⸗ 
den begnadiget werden. (*) In ihren Zuſamenkuͤnften 
fielen fie plöglich zu Soden, oder rieben ich an der Wand 
mit dem Rüden, kruͤmmten Hände und Finger, vers 
zerrten Die Muskeln des Gefichtes, und diefes hieſſen fie 





(m ©. Epift. Zwinglii & Oecolampadij f. 193, b. 
(C*) &. Hornbeck S. Contr. Hottingere H. E. VI. f 445. 
wie auch die Handfchriften auf der Earolinifchen Bibliotheck 
in Zurich F. 137. n. d. 4. 


£udwig Zetzer. m 


Sterben, indein fie die Stelle Röm. VI, 3. auf Die uns 
gereimteite Weile verdrebten. Wenn fie aus der Bes 
tauͤbung erachten, dann fingen fie an von hoben Ofen⸗ 
Darungen zu reden. Monntags vor Jacobi in obigem 
Jahre 1525. ward abermal mit dieſen Schwärmen 
eine Unterredung gehalten , und felbige den 6. Winterm. 
wiederholt. Kaum dag die Difpntation anfing, ſtuͤrm⸗ 
ten etliche: der fectieifchen Brüder in den Rathsſal und 
fihrien: Zion! Zion! Sey fröhlich Jeruſalem! — 
Degen der Verwirrung mußte Die Linterredung von dem 
Rathhauſe nach der Kirche des groffen Muͤnſters ver⸗ 
feat werden. Die Wiedertaufer blieben bey ihren vor 
sefaßten Lehrmeinungen, umter Beding, daß fie feine 
Empörung anfacyen , wurden fie für einmal ledig gelafs 
fen. — Mit Grumd wird in J. J. Hottingerd Kirchen 
gefchichte bemerkt , Hetzer fen ſehr unbeſtaͤndig, bald cin 
Zwinglianer, bald ein Freund der Wicbertaufer gewe⸗ 
fen. So fchreibt z. 3. Ambroſius Blaarer unteem 10. 
Wintermonat 1525. an Zwingli; Saluta:Leonem tuum 
noftris verbis & Hetzerum, fi iflic et, cui cum hic 
vifus fum nefcio quas fcripture fententias parum dex- 
tre’appofiteque tradtafle , miror, cur prius me traducere 
quam erroris admonere veluerit. — Merkwuͤrdig ift die 
Hetzerſche Vorrede zur teutfchen Ueberfegung von Oeco⸗ 
lampadens Buch über das Nüchtmal. Inter anderm 
druͤckt fich Hetzer fo aus: „Ich habe auch hie flatt, 
» mich etlicher erdachter Reden zu entfchuldigen, Die mie 
>» von denen vffgelegt worden find , die Fein Fiſch können. 
» faben, das Waffer fen denn trüb: nammlich mich 
„ unter den Rotterfchen, unbillichen Secten der Wider 
5 faufer zu ſeyn; und haben mich alfo an etlichen Or⸗ 
„ ten nögeaeben; wie faljchlich aber, weiß Gott und 





188 £Eudwig Hetzer 


„ vil fromme Chriften, daß ich ſoͤmmliches nie weder 
2 fehriftlich noch muntlich gelehrt Hab. Aber damit ichs 

„bekenn', fo bin ich lauter der Meinung geweſen, Kin- 
„ der taufen ſey ganz unrecht; Dazu bat mich des Bapſts 
3» Buch geführt (tie. de Conf. difl. 4. Can; Quære per 
„ totum &c. ) in welchem ich. gelefen hab, daß fi dem 
„euſſern MWaffertauf die Seligkeit zugefchruben haben. 
„ — O wie vil elender , betrübter Herzen hat man vies 
„ Sen frommen Müttern gemacht, die nit anderft vers 
„ meint, Dann ihre ungetaufte Kindlin werden verdammt, 
» deffen geben fi mir Zeugniß. Auch die befondere Stett 
z, der Begräbnig, da man fie nit zu andern Menſchen 
> begraben Hat, zwar allein aus der Vrſache, daß fi 
„» Gottes Angeficht nit mer fehn werden. O der Wis 
„terei! So doch eben ald wol zu glauben if, dag ums 
» getoufte Kmdlin der Chriſten gleich als mol felig wer⸗ 
„ den und ſeyn ald die Getauften. Derhalben mich 
„diß und. ander fchädlich Aberglouben, die man ohn 
„ alte Maß by dem Tauf gebraucht, dahin geführt , 
„wie obgemelt, und mir den Tauf nit ohn Vrſach arg⸗ 
„ wönig gemacht hat. Diß iſt auch vil Gelerten vor 
„ mir befchehn vnd möcht noch einem nach mir befchehn. 
„ Des Widertaufß halben, hab ich ihn nie gerumpt und 
» hat mir von Herzen mißfallen. Nun aber fo ich von 
„dem hochgelerten, redlichen Knecht Chriſti, Huldry⸗ 
„chen Zwingli, off den IX. Tag Novembris zu Zürich 
„eines andern berichtet worden bin: fo fteh ich ouch 
„ derfelbigen Meinung gern ab, fo wyt man den Tauf. 
„ohn Zufak braucht als ein Teflamentzeichen. Ich 
».bab och dazumal wol gefehn, wie die Widertaüfer fo 
» ganz law und fehriftlos vor ihm beftanden find, Daß 
„cd ja einem ein groß Wunder Gottes bifich duͤnkt. 





2Zudwig Hetzjer. 289 


>> Dieh zeig ich darum an, Liebflein dem Herrn, mich 
„alſo des Uebill zu entfchlagen, Die mir unrechtlich ufs 
>, getrochen wird. Wolan im Namen Gotted; es ges 
> Ihicht aller Welt; vnd bittich fo follt ain jeder an 
> ihm ſelbs erlernen was. Nachreden were u. f. f. “ 


Dieſes fchrieb Heben zu Zürich im J. 1526. Und 
fchon wieder befand er fih im J. 1527. mit Johann 
Dend, einem Haupt der ſchwaͤrmeriſchen Bande , bald 
zu. Straßburg, bald zu Worms und in den umliegens 
den Gegenden. Die Gefchichtfchreiber der wiedertaufers 
fchen Unruhen laffen im Zweifel, wie vielen Anteil uns 
fer Heer mit Joh. Denden an der Verführung Yas 
cob Kauͤtzen, Predigerd zu Worms, gehabt habe. In 
einer Schrift der Geiftlichfeit zu Straßburg gegen Kauͤtzen 
wiedertauͤferſche Lehrpuncte beißt es: „ So er (Kauh) 
3 dann nun vermeint durch ſynen genannten Schul⸗ 
„ meifter Hand Denden, ich weyß nicht, ob auch Hetzern, 
>, erlernt ze haben, daß vnſer und feine Lehre, wie er 
» fi noch vor Eleiner Iyt geführt hat, vß dem Teufel 
„ entfprieße, were im ia bad angeflanden, ex haͤtte ung 
> infonderheit Durch Schrift verivarnet. “ — In glei» 
her Schrift C. VIL b. heißt ed: , Ludwig Hetzer 
5 wollt by vns, wie wol er vor zu Zürich fich anders 
» erzeugt hat, Fein Widertaufer fun: Schalt Michel 
» Sattler, nachdem er mit im Geſpraͤch gehalten, 
» einen liffigen, böfen Lauren; von dem wir beffers 
» boften; Lobt Gott, dag wir den Tauf frey liefen: 
» Sagt, fo von andern in der Sach, wie von und, 
»» gehandelt were, folt difer Irrtumm nit fo wyt foms 
„’ men fun. SHernach hat er ſich Denckens angenom⸗ 
„men, wollt aber nit verjehen, daß er ſiner Lere an- 


190 £udwig Setzen. 


„hengig were. Iſts num ein anderd um in, werden 
» wird wol inne werden, dann fo fagt man mehr. « 


Ungeachtet alſo Häser keineswegs in allen Stüden 
Dencks und Sattlers Irrlehren beypflichtete, fo erſtreckte 
ſich nichts deſto weniger feine Toleranz auch uͤber die 
Anabaptiften und zwar um fo viel mehr, da auch exe 
ſelbſt in mancher Ruͤckſicht ſo ſehr dee Duldung bes 
durfte. Durchgängig ward er für den Verfaffer der 
Sefchichte von Michael Sattlerd Hinrichtung zu Roten⸗ 


burg gehalten. Sattlerd Lobrede indeffen konnte ihm 


keineswegs zum Vorwurfe gereichen; in oben angefuͤhr⸗ 
tee Schrift E. III. a: wird dieſem Sattler von der ſtraß⸗ 
burgifchen Geiftlichfeit felber kein fo ganz ungünftiges 
Zeugniß gegeben. Um jo viel lieber bemerke ich dieſes 
als ein Gezeugniß von dem menfchenfreundlichen, un⸗ 
partepifchen Duldungsgeifte des firaßburgifchen Clerus. 
» Wir achten aber doch, heißt in dent Auffag deffels 
„» ben, „ dag Gott auch v8 den Synen in ſolch Irr⸗ 
„ tumm kommen laffe, als wir nicht zwyfeln Michel 
3, Sattler , der zu Rotenburg verbrennt iſt, fü ein lie» 
3 bee Freund Gottes, wie wol er ein Fuͤrnemmer im 
»» Tauforden gewefen , doch vil gefchickter und ehrbarer 
» dann ettlich andere. Dazu bat er gebetten um Bes 
» richt us biblifcher Schrift und fich erboten den anzu⸗ 
v„ nemmen. Darum wir nicht zwofeln, er ſey ein Mar⸗ 
„terer Chriſti. St. Eyprianus, alſo auch Tertullias 
„nus und vil andere find auch heilig Marterer von je 
„ derman je und je gehalten worden, vnd haben noch 
„> dennoch auch ſchweere Irrungen gehabt. Doch der 
» Erlöfung Chriſti Jeſu halb, daran es alles ligt, has 


gsudwig Zeizen 191 


„ ben wir kein follich Irrtumm bey diſem Michel Satt⸗ 
„ Ser, ald dem Denden gefunden. “ 


Wofern Hand Schlafferd Zeugniß zu traun if, fo 
hatte ſich Heter im J. 1528. mit Dencken nach) Nuͤrn⸗ 
berg begeben. Erſt damals erfcholl das Gerücht von 
Hetzers Schrift gegen die Gottheit Ehrifti, welche von 
Smwingli fol unterdrüct worden feyn (*). Mit Recht 
bemerkt Heinrich Dit, diefe Schrift fey niemals in oͤfent⸗ 
lihem Drucke herausgekommen. Noch im Jahr 1552. 
ward fie bandfchriftlich in Ambroflus Blaarers Büchers 
famlung verwahrt. = 


Bon Hetzers Hinrichtung zu Koflnik und von feinen 
Testen Herzendgefinnungen mag folgende Nachricht zeus 
gen, welche Joh. Zwidi feinem Freund, Ambrofius 
Blaarer, gegeben: 


» Der allmächtige Gott fey mit Euch allen. Amen. 
» Lieber Meiſter Ambroſi! Wiſſet, daß man auf den 
» 4 Febr. den Heter gericht hat mit dem Schwerdt (**). 
>» Am 3 Febr. fiellte man ihn dor und offnet ihm das 
3» Urteil, und find unfer vil gute Geſellen denfelbigen 
» Tag bey ihm geweien, deßglychen die ganze Nacht 
» bis morndrigen Tages, da man ihn enthauptete , 
„ unter denen fonderlich gewelen ift ümer Bruder Thos 
mas, mit dem er vil Gefpräch gehabt Hat. Er hat fich 





—C 8. Heinrich Ott Hiſt. Anab. ad ann. 1529. 6. 4. 
wie auch J. J. Hottingers Kirchengeſch. C. III. ri — ſoi 
und dad Muf. Helv. T. VI. 
ee Alſo nicht verbrennt ward er, wie Sedendorf melds 

144 





19%. Ludwig Beiser 


„ Ben wol und gefchidlich gehalten, Bott hab Lob 
„ um feinehvillen. Er hatte gar fein Luft zu diſputi⸗ 
„ren. Der Helfer fragt ihn einmal von Chriſto; da 
» gab er kurzen Bercheid. Auch fragt ich ihn einmal, 
3 ob er nicht glaubte, Daß wir hetten Vergebung der 
„ Sünden durch das Blout Chriſti? Da gab er eine 
» feljame Antwort, was das Blout Ehrifti were? — 
„ und bat ung, wir folltens kurz machen. Das thaten 
„ wir. — Er wär aber fonft frölich, wie einer frölich 
„kann feyn, der weiß, wenn er flerben muß. Sixt 
» war auch bey ihm und Johann von Ulm und Maͤt⸗ 
„thaͤus und. andere mehr. "Das Stuͤble war voll und 
» fangen die ganze Nacht Palmen; denn er fucht 
2 ſelbs was ihm möglich war, damit er ettlich Anfech⸗ 
„ tung überwunde. Schweer, ſchweer Anfechtungen 
„hat er gehabt der Reglinger halben, darnach auch 
+ der Appelen halben. Er ift auch gar nıcht fantaflifch 
» geweſen wie viel Taufe. &o hat er auch und allen 
treulich als feinen lieben Brüdern zugefprochen. Am 
3, morgen mußten wir all mit ihm beten, und war das 
„Stuͤble ganz vol. Da betet er an Bott mit ſolchem 
„Ernſt, deögleichen ich nicht gefehn noch gehört habe. 
» Demnach that er ein Vermahnung an und Predis 
„kanten und miſcht darein ein kurz Wort vom Kin⸗ 
„dertauf, daß man den nicht zwinge, als mußte man 
„die Kinder taufen oder nicht, ſondern daß mans ih⸗ 
„nen doch frey ließ. Alſo ſagt er auch von etlich ans 
„dern Punkten, doch wenigen, und mit ganz vermeng» 
„ ten Worten, und dermaſſen, daß ihn niemand bat 
„darum koͤnnen fcheiten. Wollte Gott, wir bättens 
» gedruckt, mas er mit und geredet. D ed iſt gut. 

diſputiren 





Ludwig Jetzen 293 


„ Difpntiren von vielen Dingen, diewyl wir fon nicht 
„ diel ze fchaffen babenz gber wenns dahin kommt, 
„> Das und der Tod fo nahe jft, fo ift alles diſputiren 
„ aus; darum er auch gefagt: Sollte ihm Gott das 
„ von geholfen haben, fo wollte er je länger je fliller 
„ gewandelt haben. Alſo lehrt ung Gott Difputieren 
„ and zanken. Vor bem Rathauſe, als man ihn aus⸗ 
„» führen wollte, that. gr eine feine Vermahnung an 
„ den Rath und redt, daß fie ihrem Amt treulich nach 
„kommind und fonderlich, daß fi Die Gefangenen nicht 
» fD troſtlos lieffend liegen. Am HObersmarft that er 
„» auch eine feine Vermahnung, wie Konſtanz das Wort 
„Gottes nicht allein folle im Mund haben, ſondern 
„ auch im Leben; that dabey ein ernſtlich Gebeth, 
» dag viel Menſchen mit ihm wainten — und in als 
„ lem ganzen Ausfuͤhren war er ganz troftlich und ums 
» erfchroden. In dem Ring bat er alle Menſchen mit 
„» ihm zu beten. Kniet jederman nieder und fbrach ex 
„ mit lauter Stimme und unerſchrockenem Herzen den 
» XXV. Pſalm: Adte, Domine, levavi &c. - Und 
„ forach ihm jedermann nach mit groſſem Gruft und 
„Waͤinen. Nachdem ſprach er das Vater unfer, und 
» ſchloß fein Gebeth Dusch Jeſum Chriſtum den Hei: 
„land der Welt durch fein Blut. Demnach zog 
» ihn der Scharfrichter aus und als er jzt angerüfl war, 
„ Hund er aufgerichtet und ſprach: O mein Gott, 
„wie folld mir gehn? Einer fagt: Ey, Gott wird 
» Dich nicht verlafien! Darauf fagt er: Das Fleiſch 
„iſt wahrlich ſchwach. "Aber bald‘ daranf forach ex; 
» Wolan, das ift mir in. Gottes Nammen! — Knie - 
» dapfer nieder und huob dapfer, bie er gericht ward. 
ge N 


\ 


19 £eudwig Zetsen 


„ Summe, er ifk geſchickter geweſen, dann ichs ihm 
„ vertraut hatte. em der nicht - daß er dee 

„Hetzer gewefen und ein Tauͤfer, der hätte ihm nichts 
„koͤnnen anmerden. Item berrlichern und mannlichern 


„ Tod if in Konſtanz nie gefehn worden, und wieviel 


3 der Wiederpartbey war zugegen, meintend, ex werde 
3 fich vieleicht unfrer Lehre Halb und wieder die Präs 
3 dikanten haben angenommen, aber nicht ein Wort! 
"„ Wir find all bey ihm geweſen bis an fein Ende; 
„und der allmächtig,, ewig Gott woͤlle mir und allen 
> Dieneen feines Wortes folche Gnade geben zu der 
» Zeit, da er und auch will heimſuchen, Amen. Des 
» tum den 6. Februar 1529. Fo. Zwicki. * 


Breitinger bemerkt in. feinen Heßerfchen Nachrichten 
an Joh. Rudolf Kiesling, dag nicht fo faft ſectiriſcher 
Geiſt ald ausfchweifendes Leben Uxrfache an Hetzers Hin⸗ 
richtung geweſen. In eben angeführten Schreiben wer⸗ 
den zwo Weibsperſonen erwähnt, mit welchen er vers 
botenen Umgang gehabt haben fol. Nach Ottens Zeugs 
niß ſoll er dreyjehn Weiböperfonen zu Fall gebracht Has 


ben (*) Lieber feine Ausfchweifungen hatte er fo groſſe 


Nachreu bewieen, daß er im Hingehn auf die Richts 
ftätte fol gefagt haben: Er fen nicht wehrt, dieſen 
Weg zu betreten (**). In feinem Gebeth fol er ofls 
mals wainend gleichfam Gott zur Rache gegen fich aufs 
gefordert haben. Nach angehörtem Todesurteil aufferte 
er fih in folgenden Worten: „ Nun bin ich nach meis 
„ nem. Wunfch und Begehren. verurtbeilt,. nachdem 
—— ———— ee ne no 0 0 nun 


2 Ott Hift. Anabapt. $. 4. Dee. 50, 
En ©. Sculteti Annal. 3: 





Eudwrig Yetzer 195 


zu endlich Bott mich, der. ich das fünbdliche Fleiſch nicht 
» bade besädnten mögen „ Ig0 mir felber genommen. * 
Er ſelbſt verlangte, daß verfchiebene feiner Schriften, 


und nammentlich fein Buch von Ehrifto möchten ums 


terdrückt werden (*).. Seiger gedenkt Sedendorf (**), 
als eines gelchrten Mannes, ‚Der aber wegen beillofer 
Rehrfäge fein Leben Durch. den Scharfrichter. verloren. 
Immer wird feine Buffe von, Ott fo wol ald von Jo. 


- Hoenbect (***) beftättigt. Chriſtoph Sandius und dag 


Martyrerbuch von Harlem (+) wagen ed fo gar, Hetzern 
unter die Märtyrer zu ſetzen. s die Lehre von der 
Gottheit Chriſti betrift, fo beſtudt ſich bey Sebaſtian 
Francken CXXXIX. ein Lied von Hetzer welches ſeine 
Vegrieffe/ ſreylich etwas ——— rin ſolsenden Rei 


wen ausdruͤckt: 


gch bin allein der einig Gott, 
Der ohn Gehuͤlf all Ding beſchaffen hatt 
Fragſtu ‚wie vil miner ſey? F 
Ich bins allein, miner ſind nit drey. 
Sag ouch dabey ohn allen Wohn. a 
Daß ich glatt nit iveiß von Feines Perſoon. 


Von ihm bat man auch andere ‚Lieder, die Ends des 
XVI. Jahrh. zu Zürich einer Saimlung von Nfalmen 
und geiftlichen Liedern bengefügt worben, z. B. Si 43. 


» . 2 x = 5 
& 2 4 £ ” + 


(*) Ambe. Blaarer prid. Cal. Of. 1552. ad My 

(*) Hi. Lutheraniim T. IL L. I. Se&. gm 
() Summa Uontroverf. L. V. pag: 341 

(+) Biblioth. Antitrivitar. pag: 16. 3% 











a > Eupwig Ketsen 


bee. XXXVI. Pſalm: Ersoͤrn dich nicht, o From. 
mer Chriſt — Item f. 349. Sollu by Bott die 
Ä han und finen Simmekerben — Die, 

lese ‚Strophe diefes Liedes iſt merkwürdig: - 


Ja, fpricht die Welt, es ifl nicht noth, 
— Daß ich mit Chriſto leide: 
Er itt doch ſelbſt fuͤr mich den Tod, 
Nun zech ich auf feih Kreyde; 
Er zalt für mich‘, daſſelb glaub ich; 
naerichtet! 
in 8 ift ein Schyn, 


Der Teufel hätg'e erdichte ! 


Entweder. ſahn bey. Auswal gottesdienſtlicher Andach⸗ 
ten die Voraͤltern mehr auf das, was geſagt, als von 
wem es geſagt werde: Oder Hetzer iſt bald in beſſerm, 
bald in ſchlimmern Geruche des Glaubens wegen ge⸗ 
ſtanden. So viel iſt immer gewiß, daß er bey jener 
feyerlichen Diſputation zu Zuͤrich im October 1523. auf 
Seite der Reformatoren eine wichtige Role geſpielt hat. 
Er ſelbſt verfaßte die Geſchichte dieſes theologiſchen Ge⸗ 
„ſpraͤches, in der Einleitung ſchreibt er: By ſoli⸗ 
» her Handlung bin ich geſeſſen und hab da Ayffig zu⸗ 
gehört, was von ‚einem jeden darwider gefägt und op⸗ 
9 ponitt; item was von andern, darzu beſtellt, geants 
„wortet "wurde; daſſeibig hab ich zum Theil in der 
» Rathfiuben ufgefchruben-, darnach mit Fluß an mie 
„ her KHerberg wiederum geifert. Go mir etwas ent« 
„fallen, (wie dann geſchicht,) hab ich andere gefragt, 
» damit ich. niemand Unrecht thaͤte. — Obglych vil 
» Schelten werden, wie ich dem ze vil, dieſem ge we⸗ 
> nig, da us Gunſt, dort zu Haß geſchryben habe — 






t f 


LuVwig’äsrizeh 197 


„ bezeuͤg ich mich vff maͤnnigklichen "fo zugegen wa⸗ 
„rend, deren ob DOCCC. geweſen. Darzu hab ich 
„ allweg min geſchryben Exemplar vor dem Ehrſamen 
„Rath und Gelehrten geleſen und hoͤren laſſen, ſo von 
einem wyſen a dazu gewiedmet und N wa⸗ 
„ven ö 
Schr Ko. Verdienſte Hatte auch Pe um die 
Ehraͤiſche Sprache. Dit Joh. Denckens Beyhilfe hatte 
er eine Ueberſetzung dee. Propheten and dem Grundterte 
veranfaltet; . diefelbe kam ſchon im J. 1527. zu Worms 
in Folia heraus. In dem Sendfchreiben vom Dolls 
metichen, welches Ben. Lind zuerſt berausgab (N, er⸗ 
waͤhnt Luther ber Wormſer⸗ oder Hetzerſchen Ucberfegung 
mit Beyfall. Daß aber diefe von Luthern bey der feis 
nigen Durchaus zum Grunde gelegt worden, wieder⸗ 
fpricht Diecman in der Vorrede zur Stadifchen Bibel. 
— Auch in der Einleitung zur Zürcherfchen Dollmet⸗ 
fung. vom Jahre 1529. wird Hetzers Dollmetfchung 
mit Ruhme erwähnet. Inter anderm beißt ed, daß fie 
Heiffig und treu nach dem ebräifchen Buchflaben vers 
teuticht fey; allein ald ein Werk der Wiedertaufer habe 
fie vielen vinfältigen Chriften zum Anftoß gedienet. In 
der, Vorrede fchreibt Heer: » Doch wollten wir um 
» Gottes Willen jedermann gebetten haben, fie wollen 
» Nicht richten, che und bevor der Kandel bekannt; 
„ nicht ſtuͤrmen, ehe und bevor es brennet; denn es 
» ja bald gethan ift, alle Dinge ſchelten und aufs 
» hoͤchſte verdammen, wo es nicht auf alle Frag vom 
» GStund an ja fagt, aber nachthun, lieben Brüder! 








(*) Tom. V. Jen. Germ. edit. 1561. f. 143. b. 


‚ wo gudwig setzer 


» braucht ‚wahrlich mehr Schnaufens. “ — Auch 6 
fleht er , dag ihm etliche Stehen unuͤberſetzbar und ſelbſt 
unerklaͤrbar gefchienen. Den Anfang des IXten oder, 
‘ach diefer Ausgabe, das Ende des VIII. Hauptſtuͤckes 
im Eſajas überfegt er in folgenden Worten: „ — Aller 
» Krieg mit Ungeflümme und blutig Kleid wird verbrannt 
» und Duschd euer verzehrt werden. Denn uns ift ein 
u Kind geboren, und ik ein Sohn gegeben , deſſen Herr⸗ 
2 ſchaſt auf ſeinet Schulter iſt, und er heißt wimder⸗ 
m bar, Rath, Star, Oeld, allweg Vater, Friedfuͤrſt. 
damit ſein Herrſchaft ‘groß werde und fein Fried un— 
endlich auf dem Throne Davids und feinem Könige 
» teiche, daß ers zurichte umd flärde mit Gericht und 
» Gerechtigleit, von ist an bis in Ewigkeit. “ 


Noch erwähnt Sebaſtian Frand einiger andrer Hetzer⸗ 
ſchen Schriften, 4. B. einer Auslegung bed Prediger 
Salomons, einer Vorrede zum Propheten Baruch und 
endlich dee Schlußreden gu der teutfchen Theologie. 








XI 


Conrad Grebel. 





m 3. 1516 hatte fich derſelbe, zur Fortſetzung dee 
$ Studien, nach Paris begeben. Dafelbft genoß er 
mit feinem Freunde, Heinr. Glareanus, Jacob Faber 
Stapulenſis vertraulichen Umgang. In der griechifchen 
Sprache vervollkommnete er fih bey Lafcaris, einem 
Griechen aus Ereta ; in der ebräifihen Sprache empfieng 
er Unterricht bey einem gewiſſen Bifchof. Hierauf be⸗ 
gab er fich mit feinem Bruder Leopold. nach Win. Die 
ſelbſt gerieth er in Bekanntſchaft mit Vadian. Nach⸗ 
Dem fie im J. 1518. wieder nach Haufe zurückgekehrt - 
waren, fo verheuratete fich bald hernach Diefer letztere 
mit Martha Grebel, einer Schwelter unferd Conrads. 


Ald Thomas Muͤnzer, wegen twiebertauferfchen , aufs 
rührerifchen ‚Lehren, aus Sachfen veriagt worden und 
fih im die Nachbarfihaft der Eidgenoffen begeben hatte, 
gerietb auch Grebel, ein unrubiger , ziveifelfüchtiger 
Kopf, mit ihm in nähere Gemeinfchaft. Diefer und Fe 
lix Many, der Sohn eines Zürcherfchen Chorheren, 
füchten Zwingli zur Errichtung einer befondern Kirche 
zu bereden. Nach fruchtlofer Bemühung traten fie auf 
Seite der Wirdertaufer; im kurzer Zeit hatten fie drey⸗ 
zehn erwachgne Perfonen wieder getauft ; auch fiengen 
He an, alles unter fich gemein zu haben und Muͤnzern 

choben fie Hoch über Luthern und Zwingli. 





** 


268 Conrad Grebel. 


Im J. 1524. verthaidigte Kesler bey Erktaͤrung des 
Briefs an die Roͤmer Cap. VI. die Kindertaufe; ihm | 
wiederfprach Lauren; Hochreutener; nachdem dieſer 
hierauf von Zürich weggeiviefen worden, freute er ein 
Sendſchreiben aus; an die Brüder denen Resler 
die Schrift auslegt; dieſes Sendfchreiben hatte Gres 
bein zum Verfaſſer. Dadurch verbreitete fich in Zürich 
der Saamen der wiedertauferfeßen Lehre. Um die An⸗ 
bänger derſelben mit Sanftmut zu gewinnen, unternahm 
23 Zroingli, wöchentlich mit. ihnen jeden Dienkag über 
ihre aufiteigenden Zweifel interredung zu pRegen. Durch 
Zwinglis Wiederlegung mehr befchämt als befehrt, bes 
füchten fie nicht länger die. Berfamlungen, fondern fiehs 
gen ungewöhnlichen Laͤrm an; ſie pralten mit Erfcheis 
nungen und Eingebungen ; als Befeine liefen fie durch 
die Straſſen ynd fihrien Weh über Zurich. Für eine 
Zeit lang ward durch gründliche Vorſtellung dee rechte 
geaubigen Lehrer Die Unruhe nieder geftillet. 


Durch Verftoffung etlicher alten Chorherren ſchmei⸗ 
chelten fich Manz und Grebel, dieſer zur griechiſchen, 
jener zur ebraͤiſchen Profeſſur zu gelangen. Als wuͤrl⸗ 
lich gelehrte Maͤnner wieß man ſſie nicht ab, nur bat 
man ſie, bequemere Zeit zu erwarten. Alle Schuld der 
Verzoͤgerung warfen fie auf Zwingli; aus Verdruß 
ſtreuten ſie von neuem und je laͤnger je mehr den Saa⸗ 
men Des wiedertauͤferſchen Unkrautes aus. Mit ihnen. 
vereinigten ſich mehrere, zum Theil angeſehene und uͤbri⸗ 
gend wolmeinende Männer, z. B. Wilhelm Rouͤblin, 
Pfarrer zu Wodikon; Simon Stumph, geweſner Pfar⸗ 
rer zu Hoͤnngg; Panicellus (Broͤdlin) Pfarrer zu Zolli⸗ 
ton; Ludwig Hetzer u. a. Georg Jacobi oder Blau⸗ 


Conrad Brebel. 201 


rock war der Erſte, der von Grebeln wieder getauft wor; 
den. Dfenbar lafterhafte Leute und boͤſe Gefellfchaft wi⸗ 
chen fie aus, und durch den Schein befondrer Froͤmmig⸗ 
keit lockten fie manches ehrlich gefinnte Gemuͤth an fich. 
Nach fruchtlos wiederholten Difputationen wurden die 
Einen verwiefen, die Andern in Gefängnig geworfen. 
Hierauf ygiengen fie fo weit, daß fie behaupteten, ein 
Chriſt fen Feiner weltlichen Obrigkeit Rechenfchaft ſchul⸗ 


Dig und koͤnne auch als Chrift keinem weltlichen Tribus 


nal einverfeibt ſeyn; fie hielten fich felber fir ſuͤndlos 
und die Wiedertaufe erflärten fie ald Gegengift aller boͤ⸗ 
ſen Begierden. 


Zu Mittefaſten im J. 1525. wurden vierzehn Maͤn—⸗ 
ner und fuͤnfzehn Weiber aus dieſer wiedertauͤferſchen 
Rotte in den Kaͤzerthurm gelegt; fie wußten fich aber 
in der Nacht vor dem Palntage Durch die Flucht in 
Freyheit zu feßen und gaben vor, ein Engel hätte ih⸗ 
nen, wie ehmals dem Petrus, den Kerker geöffnet. 
Grebel begab fih mit Manz in die Herrfchaft Grünins 
gen; im diefen Gegenden war die Anzal ihrer aufrühe 
rerifchen Anhänger ungemein grod. Von da gieng Gre⸗ 
bei nach Schafhaufen ; dafelbfi hofte er, aber vergebe 
lich , den D. Hofmeifter, der vorher der wiedertaufers 
ſchen Lehre nicht völlig ungeneigt war, feither aber fich 
derfelben mwiederfeßt hatte, von neuem auf feine Seite 
gewannen, und zwar unter dem Vorwand, daß die Wie⸗ 
dertauͤfer weit nachdrücklicher als die Kanzelprediger das 
Papſtum entkräften. Bey feinem Aufenthalt in Schafe 
hauſen, begegnete ihm Wolfgang Ulmann: ungemein 
beftärkte er dieſen in der wiedertauferfchen Lehre; nicht 


nur ließ er fich von Grebeln aus einer Schüffel mit 


208 Conrad Brebet 


Waſſer begieffen ; auch ganz entblößt wollt’ er ſich im 
Rhein mit Waſſer bededen. Diefer Ulmann, welcher 
Bernach im %. 1527 mit andern Wiedertaufeen zu Walde 
fee zum Tode verurteilt worden-, fehrte wieder nach St. 
Gallen zuruͤck und predigte nicht mehr, wie chmals, 
in den Kirchen , fondern allein auf dem Marktplag, in 
Feldern und Wäldern. Acht Tage nach ihm: langte 
auch Grebel in St. Ballen an und taufte viel Volt im 
dem Fluffe der Sitter. Jede Reifchliche Ausichweifung 
erlaubten fich dieſe Verirrte; fie fagten, weil fie nicht 
mehr im Fleifche, fondern im Geifte lebten, fo ſeyn ihre 
Ausſchweifungen nicht länger fündlih. Da. fie indeß 
die Richtſchnur der Vernunft und der h. Bücher hint⸗ 
anfesten und mır ihre eignen , fehwärmerfchen Einfälle 
für göttliche Eingebungen erklärten , fo waren fie in Ab; 
ficht auf Sitten und Meinungen unter fich felber vers 
fchieden. 


In Zürich wurden die Difputationen wiederholt. Im 
einem öfentlichen Dlandat ward Endes des Yahrs ı525 
der Verlauf diefed wiedertauferfchen Gefpräches durch 
den Drud defannt gemacht. Noch vor der Bekannt⸗ 
machung wurden Grebel, Manz, Blaurod und Andre 
Patriarchen der wiedertauferfchen Secte vor die groſſe 
Rathsverſammlung berufen ; dafelbit wurd ihnen angee 
zeigt, fie follten fich zur Ruhe degeben; Hartnadigt bes 
harrten fie auf ihren Irrlehren; hierauf wurden fie in 
Verwahrung genohmen, doch in Hofnung der Berbeffes 
rung bald wieder Iedig gelaffen. Seither hatten fie nächt- 
liche Zufamenkünfte bey der alten Manzin, die ehmals 
als Concubine des Chorherr Manzen unfern oft erwaͤhn⸗ 


Conrad Brebel us 


‚ sen Felix Manzen zur Welt gebracht hatte. () Defenite 


lich verlundigte Eonrad Grebel, dag der Meffiad vom 
neuem exicheine und darunter verſtand er den Thomas 
Muͤnzer, ald den Befreyer von aller geifllichen umd welt⸗ 
lichen Knechtſchaft. — Nicht lange hernach iſt er im J. 
1526. geſtorben. Bald darauf ward ſein Vater zum 
Tode verurteilt. (**) Die Urſache feiner Verurteilung 
fchreibt Bullinger theild einer hitzigen Uebereilung des 
Raths zu, theild dem üfentlichen Unwillen, der fich von 
dem verfiorbnen Sohne auf den Vater ſoll fortgepflangt 
haben. Bernard Weife erwähnt feiner in der hands 
fchriftlichen Reformationsgefchichte des Schweizerlandes 
in folgenden Werten: „.Ym J. 1526. auf Dienflag 
„ bor aller Heilögenfeyer den 30. Tag des andern Herbſts 
> fhlug man Junker Jacob Grebel, Rathsherrn zu 
» Zurich, das Haupt ab, Nachmittag um Die zwey. 
».Der hatte einen fchneeweiffen, breiten Bart, und ein 
3 ſchneeweiß Haar, dann er über ſechzig Fahren alt 
„ und wol gehalten war. Der Hat über das was man 
„ alle Jahre zweymal verfchwöret, gethan, daß Nic 
„mand mehr, der fey geiftlich oder weltlich, edel und 
„ unedel, folle nehmen Penſion, Proviſion, Jahrgeld, 
» Miet, Gaben oder Schendungen,: mit viel £oftlichen 
> Worten, fo derfelb Brief innkaltet, hier nicht komm⸗ 
» lich zu melden; And bat er ed aber angenehmen 
» don des Papſts Legaten, dem Puccio, von den Key⸗ 

hen Regenten, fo zu Zurich bey dem roten Haus 








. () 6, Birne Beytraͤge zur helvet. Reformationsgeſchich⸗ 


fo 
3 ae Beytraͤge sur be. Reformationsgeſchichte, 
u IV. 7i. 





u Conrad Brebei 
, Jagen, und vor denen allen vom König in Frankreich, 
„alles umter dem. Schein Conrad Grebeld feines chi 


„chen Sohns, der vor dieſer 0 ei dieſem 
„Jahr tod war. * 


Waͤr alſo unſer Conrad Grebel nicht, noch zu guter 
Zeit eines natürlichen Todes geſtorben, fo hätte ihn hochſt 
wahrfcheinlich daſſelbe Schickſal, wie feinen, Bater, und 
ein Fahr hernach feinen Freund, Selig Danzen, getrof⸗ 
fen. Ueber dieſen letztern ergieng Samſtags vor der h. 
drey Koͤnige Tag im J. 1527 vor geſammten, groffenn 
Rath der CC folgende? Urteil : 


— — — Wiewol Felix Manz des Widertauffẽ 
5 ein rechter Anfänger und Sauptfächer ; und groffe ins 
„ruh und Uebel durch ihn geftift worden if‘, jedoch 
„haben unfere Herren ihn auf eine Urfehd aus ihrem 
„Gefaͤngniß ledig gelaſſen, welcher Felle Manz deßhalb 
„ einen Eyd dem obrigkeitlichen Befehl nachzukommen 
geſchworen; aber unangeſehn defien hat er verjähen, 
> daß er in vierzehn Tagen, ald er gen Embrach kom⸗ 
„ men, eine Frau dafelbit feinee Meinung unterwiefen 
„und getauft habe. — Auch hat er bekennt, und ohne 
5, alle Fuͤrwort, Sönderung und Unterſcheid oͤfentlich 
„ ausgegeben , dag fein Ehrift ein Oberer ſeyn noch 
„ den andern mit dem Schiverdt richten, noch jemand 
„ töden noch firaffen ſollte oder möchte — Kerner daf 
» ihm mehrmal etliche Epifteln St. Pauli im Gefängs 
„niß und fonft geofenbaret worden wären — daß er 
3, endlich eine befondere Sect, Rott, Berfammlung und 
>» Zufamenfommung unter der Geflalt ded Guten für 
»„ und für. geſucht u. £ w. — iſt zu ihm alſo gerichtet, 
» daß er dem Nachrichter befohlen werde, der ihm feine 





— — — 


VConrad Grebel. 205 


„ Hände binden, ihn in ein Schif ſetzen, zu dem nie⸗ 
„dern Huͤtli führen und auf dem Hütli Die Hände ges 
„ bunden über die Knie abfireiffen und einen Knebel zwi⸗ 
» fihen den Armen und Schenkeln durchhin ftoffen , 
„ und ihn alfe gebunden in das Waller werffen und ihn 
„ in dem- Waffer flerben und verderben laffen, u. f. w. * 


Ald Manz aus dem Wellenberg auf den‘ Fiſchmarkt 
und von da weiter zu dem Fifcherhütgen geführt wurde, 
lobte er Gott, der ihn würdigte, ald Märtyrer der 
Wahrheit zu fterben; (*) auch bat er für Dieienigen , die 
an feinem Tode fchuld waren; von feiner eignen Mut⸗ 
fer ımd von feinem Bruder ward er geflärkt. Ohne die 
geringften Seufzer und Thranen flarb er, unter folgen⸗ 
der Auseufung : In manus tuas commendo fpiritum 
meum , Here in deine Hand. empfehl ich meinen Geifl. 


Zum Beſchluß führen wir noch einige Stellen an aus 
Joachim Vadians Sendfchreiden an Joh. Zwickki, uns 
term 1. Auguſt 1540. In dieſem Sendſchreiben erwahnt 
Vadian ſeines Schwagers, Conrad Grebels, mit fol⸗ 
genden Worten: Chunradus ille meus Grebelius Tigu- 
rinus, magnis dotibus præditus, præclaraque familia 
natus homo, quum dogma illud iterandi baptiſmi pau- 
corum fnggeftione animatus fpargere Tiguri & invulgare 
coepiffet, tanta cum animi pervicacia delecta femel con- 
fitutague tueri coepit, ut me quidem, quem fumme ta- 
men diligebat, ſæpe ſerioque admonentem non mode 
non audiret, fed paulo poft tum amicitie tum affinita- 
tis jure violato privatim & publice profciderit & fug- 


— — 








G S. J. J. Hottingers helvet. Kirchengeſ. B. VI. ſ. 385: 





206 Tonrad Brebel- 
gilarit. In gleichem Sendfchreiben Heißt ed. non Hetzer 
Hetzerum commodiflimi ingenii hominem (de noftris 
enim tantum loyuor, ) meminifti, quo cum & ipſe tot 
modis claro viro , linguis etiam & admirabili ingenil 
dexteritate prædito, non femel egi, ne fupra quam de. 
ceret, fapere pergeret, Et retrahere etiam a Grebelii 
mei.delirio Balthafarem Pacimontanum , qui Viennæ Pan« 
noniæ vivus exuftus eft, non femel [um conatus, elo- 
quentifimum fane & humanifimum virum, fed fine 
fru&u & magno ( Dominum teftor ) dolore meo. Cot« 
ripuerat illos omnes mirum quoddam & incredibile no» 
vitatis Studium. Quidquid dicebane, quidquid doce- 
bant, {pumofum erat, ( juxta Perfium ) & cortice pin« 
gui. Inerant & ampulle ambitiofe doctrinæ indices & 
fefquipedalia verba. Atque illis quidem tam dodtis, tam 
idoneis , tam probe alioque (ut de quorundam famili& 
claritate fileam ) inftitutis Viris, fi habenas eccleſiæ mo- 
derande cömmiliffes, Deum immortalem ! quantum 
incendium, quantum cafum fane & fimplicis doctrina 
Chrifti, quanto orbis malo excitaflent !| Non Papa, 
non Sophiftz, non Hypocritz Deuterotz adeo folid& 
pietati nocuerunt tot Seculis, quantum illi paucis annis 
nocituri fuiſſent. Dieſes Sendfchreiben fleht vor der 
Antilogia Joach. Vadiani ad clariff. viri ee nn 
feldii Argumenta, 


So viel mir bekannt ift, ſo find weber von Manz noch 
von Grebel keine Schriften bis auf unfre Zeiten gekom⸗ 
men. In dem Elenchus contra Catabaptiftas gedenkt 
Zwingli f 13. einer wiebertaüferfchen Schrift, yanz im 
ſchweizerſchem Dialecte gefchrieben. Ef: lingua helvetice, 
ſchreibt er, quafic eft feripta ( confutatio ) ut externum 


Conrad Grebel 207 


wel peregrinum verbum nullum habeat: attamen ut 
diximus, cum home jam indubie apud inferos tantum 
zftuer, quantum hic catabaptifmo pollutus alfıt, mifum _ 
facere duximus ejus nomen, Ohne weitere Bemerkung, 

dag bey oft mißbrauchter Nachficht auch felber ein Zwingli 
nicht immer den Ausdruck zu mäfligen im Stand fey, 
erinnern wir nur noch; daß cr obiges im Heum. 1527 
gefchrieben habe. Daher vermutet C. Fuͤeßli, er babe 
entweder auf Eontad Grebel oder auf Felix Manzen gu 


208 





= XII. 
Peter Martyr Vermilio. (*) 





—5 erblickte das Licht der Welt den 8. Herbſtm. 
1500. Als einziger Sohn beguͤterter und vornem⸗ 
mer Aeltern genoß er die beſte Erziehung. Die Mutter 
unterwies ihn in der lateiniſchen Sprache und erklaͤrte 
ihm fruͤhzeitig Terenzens Luſtſpiele. Hierauf ſtudirte er 
unter dem gelerten Marcel Virgilio, dem damaligen, 
ſlorentiniſchen Staatsſchreiber; des jungen Vermilions 
Freunde und Mitſchuͤler waren Franz von Medicis, 
Alexander Caponi, Franz und Raphail Ricci, Peter 
Vettori u. a. Um ſo viel ſchneller war ſein Fortgang 
in den Wiſſenſchaften, da er mit den gluͤcklichſten An⸗ 
lagen den groͤßten Fleiß verband und von allen jugend⸗ 
lichen Zerſtreuungen und Spielen weit entfernt war Im 
ſechszehnten Jahr feines Alters verließ er die Welt, um 
- fich zu Fiefoli unweit Florenz bey den Auguſtinern eins 
fchreiben zu laffen. Diefen Orden zog er fo wol wegen 
der guten Zucht , ald auch wegen des Geſchmacks an 
der Gelehrfamteit , wodurch er ſich auszeichnete, jedem 
andern Orden weit vor. Durch fein Beyſpiel gerührt, 
begab fich feine einzige Schwefter, Felicitas, gleichfalls 
ind Kloſter. Ungemein war uber folche Entfchlieffung 

fein 








() &, Niceron. T. XXUL 


Deter Martyr Dermilio. 29 


fein Vater erbittert. Bis and Ende fchien diefer letztre 
fich rächen zu wollen, indem er fein ganzes Gut den 
‚Armen befiimmte und dem Sohn nichts weiter als ein 
Jahrgehalt ven fünfzig Gulden zurück lief. Standhaft 
indeß beharrte unfer Peter Martyr bey feinem Entfchluffe, 
nach abgelegtem Kloftergelühde , fudirte er mit Eifer 
theils die Rhetorick, theils die biblifche Auslegungskunſt. 
Nach dreyjaͤhrigem Aufenthalt zu Fieſoli kam er für 
acht Jahre lang nach Padua in das Kloſter des h. Jo⸗ 
hannes von Verdara. Daſelbſt beſchaͤftigte er ſich mit 
der ariſtoteliſchen Philoſophie. Vorzuͤglich gefiel ihm 
dieſelbe wegen der Strenge in ihrer Methode. Um ſie 
in der Grundſprache ſelber kennen zu lernen, gab er ſich 
alle Muͤhe, die griechiſche Sprache zu ſtudiren. Auch 
auf die Theologie verwendte er mehrere Stunden; ſei⸗ 
nen theologiſchen Unterricht hatte er theils einem Ere⸗ 
miten, theils zween Dominicanern zu danken. 


Nachdem er ſein ſechs und zwanzigſtes Jahr erreicht 
hatte, ward ihm das Predigtamt aufgetragen; mit Er⸗ 
folg bekleidete er dieſes Amt, und zwar Anfangs zu 
Breſcia, und hernach in den vornemmften , italiaͤniſchen 
Städten, zu Rom, zu Bologna, zu Piſa, zu Venedig, 
zu Mantua, zu Bergamo. Hiebey vergaß er nicht, dem. 
jungen Drdensleuten zu Padua, zu Ravenna, zu Bor 
Iogna, zu Verceil philoſophiſche ſo wol als eregetifche 
Vorlefungen zu halten. Auf Anhalten des Benedict Cu⸗ 
fani lad ex an letzterm Drte über den Homer. — Sein 
Lieblingsſtudium indeg blieben die h. Schriften. Alm 
Diefe deſto beffer zu verfiehen, nahm er noch ald Sub⸗ 
prior zu Bologna Unterricht in der hebräischen Spra⸗ 


4 











sıa Peter Marıyr Dermilio. 


he; fein Lehrmeifter war ein ikdifcher Arzt, Namens 
Iſaac. — — Nicht lange hernach ward er zum Abt 
son Spoleto erwäle. Sehr verdient machte er fich au 
dieſem Drte, theild durch Wiederherftellung der Diſci⸗ 
plin in den Klöfteen, theils durch Beylegung der bürs 
gerlichen Unruhen. Nach dreviährigem Aufenthalt ward 
ee von dem Generalcapitel ded Ordens, als Auffchee 
über das Collegium des b. Petrus, nach Neapel gefens 
det. Hier hatte er Gelegenheit, Zwinglins und Bucers 
Schriften zu lefen ; der Gefchmad an. denfelben ward 
bey ihm durch den Umgang mit J. A. Flaminio, Joh. 
Valdes, Galeaz Karaccioli vermehret. Defentlich ers 
Härte ex damals den 1. Brief des Paulus an die Kos 
rinther. Beym 13. und 14. Vers des dridten Haupt⸗ 
ſtuͤckes behauptete er, daß diefe Stelle nichts für das 
Fegfeuer beweife. Hierauf ward er der Freyheit zu pres 
digen beraubt. Hieruͤher beklagte ex fich bey dem Papfte 
und von diefem ward ihm die Freyheit zu lehren wie⸗ 
der geſchenket. 


Noch befand er ſich nicht doͤllig drew Jahre in Nea⸗ 
pel, als er gefarlich krank ward. Seine Obern ſchrie⸗ 
ben die Krankheit der Neapolitaniſchen Luft zu; um 
ihm eine Luftveränderung zu verfchaffen , ernennten fie 
ihn zum General » Bifitator des Ordend. Die Strenge, 
womit er diefem Amt vorfland, zogen ihm Haß zu. 
-Die Folgen bievon empfand er in dem General = Eapis 
tel, welches zu Mantua gehalten wurde. Dafelbit ward 
er zum Prior von St. Fridian in Lucca erwäld. Eh⸗ 
renvoll genug war zwar die Würde; dieſelbe ift naͤmm⸗ 
lich mit der bifchöfichen Gerichtsbarkeit uber die Hälfte 
der Stadt verbunden: Die Bürger aber zu Lucern wa⸗ 





Deter Martyr Vermilio. on 


ren Todtfeinde der Florentiner und ſo ermarteten die 
Feinde unſers Martyrs, dag er ſich an Diefem Orte groffe 
Berdrieglichkeiten zuzieben werde. Martyr aber wußte 
ihre boshaften Abfichten zu vereiteln und fich ganz die 
Liebe der Yürger zu Lucca eigen zu machen. Unter feir 
ner Aufficht befanden fich daffige Schulen in blühenden 
Zufland. Auf denfelben unterrichtete Paul Lacifi von 
Verona in der Iateinifchen Sprache ; 5 Celſus Mastinengo 
im Griechifchen; Emanuel Tremellius im Ebräifchen ; 
Martyr felber erklärte Die Briefe bed Paulus, auch pres 
Digte er Keiffig. 


Zu Genua, wofelbit ſich das General, Eapitel verſam⸗ 
melte, zog fich ein groffes Ungewitter über feinem Haupte 
zufamen. Bor diefem General: Eapitel follte ex fich per» 
fönlich wegen Auöftreuung vermeintlicher Irrlehren rechte 
fertigen; allein forgfältig wich ers aus und dachte lieber 
darauf, wie er aus Italien weglommen und irgendıvo 
unter den Protefianten Zußucht finden möchte. Rach⸗ 
Dem er feine Sachen in. Ordnung gebracht hatte, begab 
er fich in Geheim aus Lucca hinweg. Yhn begleiteten 
Theodofius Trebellius, Julius Terentianus und Paul 
Lacifi , welcher letztre hernach ald Profeffor der griechi⸗ 
fchen Sprache zu Straßburg gelebt Hat. Anfangs gieng 
unſer Martyr nach Piſa; Dafelbit genoß er mit einigen 
Vertrauten das Nachtmal nach proteltantifchem Gebrau⸗ 
che. Nachdem er fih genugfam in Sicherheit glaubte, 
fchickte er Briefe an Renald Polus und an die Bürger 
in Lucca, um fein Betragen zu rechtfertigen und um 
ihnen von feiner Blaubensänderung Nachricht zu geben. 


Hierauf begab er fich nach Florenz; daſelbſt vieth er dem 


Bernhardin Sa anflatt zur Brrantwortung nach Rom 





. 212 Peter Martyr Vermilio. 


binzureifen, lieber in fremden Ländern Sicherheit zu für 
chen. Nachdem er für ewig von feinem Vaterland Abs 
fehied genommen hatte, kam er im %. 1542. nach Züs 
ri). Daielbfi ward er von Bellican, Bullinger und den 
übrigen zuͤrcherſchen Kirchenlehrern fehr wol empfangen. 
Da eben feine Stelle ledig war, fo gieng er nach Bas 
fell. Kaum war er einige Wochen an diefem leßtern Orte, 
fo erhielt er, durch Dlartin Bucerd Vermittlung, einen 
Beruf nach Straßburg. Fuͤnf Jahre lebte er da mit feie 
nem Freund Lacif. Im J. 1546. verheyratete er fich 
mit Catharina Dampmartin von Metz, welche acht Jahre 
bernach , Einderlog, in England ftard. Im % 1547. 
nämmlich ward er, unter der Minorität Eduarde VI, 
von Eduard Seymour, Herzog von Sommerfet und Bros 
tector des Reich, wie auch von Thomas Cranmer , Erzs 
bifchof von Cantorbüry, nach England berufen. Dahin 
veifete ev in gleichem Jahr mit Bernhardin Ochinus; 
einige Zeit wohnte er zu Lambeth bey Cranmern. Hier- 
auf gieng er nach Oxford; dafeldft ward er vom König 
zum Profeſſor der Gotteögelehrtheit ernennt, mit einem - 
Jahrgehalt von 400. Mark. In diefem Beruf hatte er 
öftere Difputationen gegen die Papiften. In den Ges 
genden von Drford entfland unter den Bauren ein Auf 
ruhr zu Gunften ded Papſtums. Bey aufferfter Lebens, 
gefar fltuͤchtete ſich Martyr nach London, und erfi nach 
Beylegung aller Unruhen fehrte er nach Drford zurüd. 


Im Jaͤnner 1551. erhielt er vom König ein Canonis 
cat bey der Chrift - Kirche , nebft einem Haus bey dem 
Kollegium, woſelbſt er fich mit feiner Gattin niederlieh ; 
und man bemerkt, daß fie die erſte Grauensperfon ges 
weſen, die zu Oxford in dem Kollegium gewohnt has 








Ey 


Deter Martyr Dermilioe 293 


be. — In gleichen Fahr ward er zu der Committee 
verordnet, welcher Eduard die Verfertigung dev englis 
fchen Kirchenfagungen auftrug. Nach dem Tod dieſes 
Königs im J. 1553. ward von der Königin Maria das 
PYabſtum wieder hergeſtellt. Martyr verließ alfo Oxford 
und flüchtete ſich nach Lambeth zu dem Erzbiſchof von 
Cantorbuͤry. Nachdem dieſer letztre in Verhaft gebracht 
worden, ſah erſterer kein beſſerers Schickſal vor ſich. 
Ohne ausdruͤckliche Erlaubniß der Koͤnigin wollte er 
gleichwol England nicht verlaſſen. Nach erhaltner Er⸗ 
laubniß zur Wegreiſe, blieb er noch einige Tage im 
Verborgnen; hierauf begab er ſich in geheim nach 
Antwerpen, und von da weiter nach Straßburg Mit 
Freuden nahm man ihn an leßterm Orte auf und gab 
ihm den Lehrfiul, den er vor feiner Wanderung nach 
England im Berk gehabt hatte. Jedoch ward er ges 
nötige, fich fehriftlich zur Augfpurgfchen Eonfeffion zu 
befennen; auch mußte er in Betref folcher Lehrpunc⸗ 
te, uber Die er nicht Lutherifch dachte, alle Maͤſſigung 
berfprechen. Ueber die Lehre vom Abendmal naͤmmlich 
dacht er völlig wie Zwingli. Er fing an mit Ausle⸗ 
gung des Buches der Richter. — Beym Mangel fol: 
cher Profefforen, denen man den philofophifchen Lehr: 
fiul hätte amvertraun können, ward auch diefer Lehr: 
ftul von den beeden Profeſſoren der Gottesgelehrtheit be 
kleidet. Martyr erflärte alfo die Ethick des Ariſtots an 
den Nicomachus. — Verſchiedene Verdruͤßlichkeiten, 
die er ſich wegen einiger Abweichung von dem Luther⸗ 
ſchen Lehrgebauͤde zuzog, bewogen ihn zur Aufſuchung 
eines ruhigern Aufenthalts. Nach Conrad Pelicans Hin⸗ 
ſcheid den s April 1556. ward er als Profeſſor der Theo⸗ 





214 Peter Martyr Dermilio. 


logie und der Ebräifchen Sprache nach Zürich berufen. 
So groß die Verdienfte dieſes letztern geweſen, fo waren 
fie gleichwol bey zunehmenden Altersfchwachheiten Durch 
Eigenfinn und ſelzame Laune befedt. Bibliander hatte 
fich durch einige Abweichung vom berrfchenden Lehrbe⸗ 
geiff” verdächtig gemacht und überal hatte fein Kolleg 
mehr Benfall gefunden. Aus Unmut gieng er fo weit, 
dag er diefen auf einen Zweykampf ausforderte und ihn 
zur beflimmten Zeit, an beſtimmtem Ort mit einer Hells 
parte erwartete. Hierauf ward Bibliander im J. 1560. 
feines Amtes entlaffen , jedoch behielt ex Die Einkünfte 
bis and Ende des Lebend. 


In Zürich ward Martyr mit dem Bürgerrechte bes 
ſchenkt, obgleich der Senat daſelbſt feit einiger Zeit in 
Mittheilung deffelben fparfamer geworden. — Nach feches 
jähriger Verwittwung verhemratete er fich wieder in Züs 
rich mit Satharina Merenda von Breſcia. Diefelbe ges 
bar ihm einen Sohn und eine Tochter , welche in der 
Minderjaͤhrigkeit ſtarben; nach ſeinem Tod hinterließ 
er ſie ſchwanger. 


Noch kein volles Jahr war er in Zürich, als er zum 
Nachfolger des Martinengo nach Genf berufen wurde. 
Ohne Erlaubniß des Zürcherfihen Magiſtrats wollte er 
den Beruf nicht annehmen. Auf dringendes Anhal⸗ 
ten deffelben blieb ex in Zürich. Aus gleichem Grund 
fhlug er einen neuen Beruf nach England aus, 
ungeachtet ihn die Königin Eliſabeth fehnlich vers 


Deter Martyr VDermilio. ax 


Bon dem Zürcherfihen Senat ward er im J. 1561. 
ernennt, um mit Theodor Bea dem Religionsgefpräch 
in Poiſſi beyzumohnen. Unterm Vorwand, daß er der 
franzoͤſiſchen Sprache nicht mächtig genug ſey, begab 
er fih, auf erhaltne Erlanbniß, nach Zurich zuruͤck. 


Daſelbſt farb ee den 12 Winterm. 1562. in einem Als 


ter von zwey und ſechszig Jahren. — Durch das luͤder⸗ 
liche Betragen ihres Ehgenoſſen, fab fich feine einzige, 
nnachgelaßne Tochter, Maria, in die aufferfle Armut 
gekürzt. Aus Achtung für ihren verkorbenen Va⸗ 
ter ward fie von der Regierung in Zürich anſtaͤndig 
verpfleget. 


Duͤ Pin giebt unſerm Martyr folgendes Zeugniß: 
» Den Calvin ausgenommen, ſchrieb unter allen Re⸗ 
» formatoren feiner beffer ald Petrus Martyr. Den 
„ Calvin übertraf,er noch an Gelehrſamkeit und an Kännts 
„ niß der Sprachen. Fleiſſig hatte er die Kirchenväter 
„ und die alte Kirchenzucht. Er Hatte mehr Maͤſſigung 
„ und Sanftmut als kein andrer von den proteflantis 
„ſchen Lehrern, und zwar nicht bloß im Yusdrud und 
» Vortrag, fondern auch in den Gefinnungen felber. 
» Wenn man ibm Hätte Gehör geben wollen, fo wär er 
» ungemein dazu geneigt gewefen, nicht nur bie Luthe⸗ 
» taner und die Reformirten, fondern auch mit dieſen 
» die Satholifchen zu vereinigen. “ 


Von Petrus Martyr hat man Commentarien über 
verfchiedene Bücher des Alten und des Neuen Tea 
mented. Anftatt der buchttäblichen Erklärung, findt man 
viele gelebrte, dogmatifche und cafuiflifche Ausſchwei⸗ 





216 Deter Martyr Dermilio. 


fungen. Die meiften diefee Commentarien find in Zirich 
gedruckt. Ebenfalls in Zurich ift fein Commentar über 
die Ariftotelifche Ethick erfchienen. -— Unter mehrern , 


andern Werken erwähnen wir noch der theologifchen 


Locorum Communium, die in drey Folio: Bänden zu 
Bafel gedruckt find. Verſchiedene feiner Werte find von 
Anton Marten ind Englifche überfegt worden. 


⸗ 
* 


—— — = Freeman u U ee — — — 





XIII. 


| Heinrich Bullinger. 





ein Vater war ein Geiftlicher,, nach damaliger Ges 

wohnheit mit einer Beyfchläferin, Namens Anna 
Widerkehr, verbunden. Diefelbe war aus einem der 
vornehmften Gefchlechtern in Bremgarten. Leber dieſes 
Eoncubinat ware ihre Verwandtſchaft fo übel zufrieden, 
daß, fo lang ihr Vater lebte, Die gute Benfchläferin 
mit dem Geliebten Hüchtig feyn mußte Während ihrer 
Hins und Herwanderung von Vicariat zu Bicariat, von 
Kaplaney zu Kaplaney wurden ihnen fünf Söhne ges 
boren. Im % 1500. ward der berumfireifende Prie⸗ 
Her an feinem Geburtsort zu Bremgarten zum Pfarrer 
und hernach zum Decan des ganzen Kapiteld erwält. 
So wol wegen feiner Einfichten ald wegen feiner Treys 
gebigkeit erwarb er fi) durchgängige Achtung. Mit 
Entfchloffenheit wiederſetzte er fich im J. 1518. dem Ab» 
laßkrame des Samfond. Im F. 1529. erklaͤrte er ſich 
von oͤfentlicher Kanzel gegen das Pabſtum. Dadurch 
entſtanden Parteyen; die Buͤrger ergriffen die Waffen; 
der Prediger wurde beurlaubt; er begab ſich nach Zuͤ⸗ 
rich; daſelbſt ward er im December 1529. mit ſeiner 
bisherigen Beyſchlaͤferin feyerlich getraut. Als hernach 
durch Mehrheit der Stimmen der paͤbſtliche Gottesdienſt 
in Bremgarten abgeſchaft worden, gieng er wieder nach 
Hauſe und beſorgte den Pfarrdienſt zu Hermetſchwil. 
Nach der fatalen Kapelerſchlacht ſiel dieſe Gegend von 


218 Zzeinriq Bullinger. 


neuem ind Pabſtum; von neuem ward der alte Buß 
finger Hüchtig. Die übrige Lebenszeit vollbracht er bey 
feinen Söhnen, bald bey dem Altern, Bfarrer zu Ot⸗ 
tenbach , bald bey dem jüngern , unferm Heinrich Buls 
linger in Zürich. Diefer letztre wurde den 18 Julius 
im J. 1504. zu Bremgarten geboren. In den jüngern 
Jahren ſah er fich von der Peſtſeuche an den Rand des 
Grades geworfen. Nach feiner Genefung begab er fich 
im %. 1516. auf die Schule nach Emmerich in dem 
Herzogtum Eleve. Den Unterhalt gewann er mit Sins, 
gen vor den Haudthüren. Der Vater nämmlich lich 
ihn um fo viel lieber Armut erfahren, um ihm einer» 
feitd gegen Widerwärtigleiten zuftählen, anderfeitd uns 
fein Herz deſto beifer dem Mitleiden zu öfnen. Im J. 
1520. ward dee Juͤngling auf der Schule zu Köln in 
Dad Collezium Burſæ Montis befördert. Durch Lefung 
der Evangelien und der Kirchenväter, wie auch einiger 
Schriften Dr. Luthers gieng ihm ein neues und reines 
res Licht auf. Nunmehr fand er von dem gemachten 
Entſchluß ab, ein Sarthaufer zu werden ; ex kehrte nach 
Bremgarten zuruͤck, woſelbſt er in dem väterlichen Haufe 
fleiſſig ſtudirte. Im J. 1523. nahm er die Stelle eines: 
Lehrers’in der Klofterfchule zu Cappel an, jedoch nicht 
ohne Vorbehalt feiner Gewiſſensfreyheit. Vormittags 
lag er über die heil. Schriften und über des Eraſmus 
Paraclefin , wie auch über Melanchthons Locos commu- 
nes; Nachmittags unterroieß er in der Grammatick uns 
Dialectick. 


Im J. 1525. wohnte er in Zuͤrich einem Geſpraͤch 
gegen Die Wiedertauͤfer bey. Im J. 1527. gieng er mit 
Erlaubniß des Abts zu Kappel abermal, und zwar fuͤr 


Seinrihb Bullingen an 


fünf Monate lang, auf Zürich, um daſelbſt ſich bey 
Rhellican in der griechifchen, und bey Dellican in der 
bebräifchen Sprache zu üben. Hierauf gieng er nach 
Baſel. Daſelbſt ließ Oecolampad feine lateinifche Schrift 
vom Urfprung ded Irrtums durch den Drud bekannt 
machen. Diefe Schrift , die ohne feine Einwilligung 
heraus kam, gab er hernach mit Zufägen heraus. Zu 
Heidelberg ward fie ind Teutfche überfekt. Er war eb, 
der zu exft den Zwingli und Capito auf den Ungrund 
der Lehre von der Brodverwandlung aufmerkſam machte. 
Ye fchwäther er die Widerlegungen des Berengarius 
fand , deſto geneigter war er der Lehre deilelben; zur 
gleich fchöpfte er reinere Begriffe aus den Schriften des 
Auguſtins. Groffentheild ihm hatte man die Reforma⸗ 
tion des Kloſters Gappel zu danken. Aus Rache ward 
er von mehr ald zwanzig Zugern bey der Loez unweit 
Bar, wo er badete, überfallen und rettete mit Mühe 
fein Leben ; die Abtey felber wurde von Mordbrennern 
umziegelt: allein durch oberfeitliche Abgeordnete von Zug 
und von Zürich ward ihr Anfchlag vereitelt. (*) 


Im % 1528. ſchwur Bullinger den Synodaleyd in 
Zürich. In gleichem Jahr wohnte er einem Religions⸗ 
gefpräch in Bern bey. In eben diefem Jahr zogen der 
Religiongzivifte wegen die Endgenoffen zum erfien male 
gegen einander zu Felde; Bullinger diente ald Feldpres 
diger; bald aber wurde Friede gemacht. 


Im J. 1529. predigte er in feinem Geburtsort zu 








() ©. Simler f. b. und Hotti lvet. Kirchen 
we IL fe 186« Pole : z ur 


=» 5einrich Bullinger. 


Bremgarten fo nachdrädlich, daß gleich Tags darauf 


die Bilder und Altäre aus den Kirchen weggefchaft wur⸗ 
den. Mit Einwilligung des Abts zu Kappel und Des 


Raths zu Zürich ward er nunmehr zum Pfarrer in - 


Bremgarten erwälet. Hierauf verhegratete er fich mit 
Anna Adliſchwyler von Zürich, einer Nonne in dem 
Detenbach. Seine Liebeserklärung ift merkwürdig. (*) 
» Die heutigen Zeiten, fchreibt der Freywerber an feine 
„» Geliebte, find fo verderbt, Daß einer unfchuldigen 
„ Tochter billich auch dasienige verdächtig wird, was 
„ man ihr in der größten Aufrichtigkeit fehreibt. Ich 
3 hätte mir darum ein Bedenken gemacht an fie zu ſchrei⸗ 
„, ben, wenn fie mich nicht feit etlichen Jahren kennte 
„und nicht wüßte, daß mein Herz keineswegs fähig iſt, 
„ eine tugendliebende Tochter zu betriegen , am allerives 
„ nigften fie, Die ich wegen ihres ſchamhaften und jungs 
» fraülichen Betragens vor allen andern ehre und lebe. 
» Vielmehr find mein Her und meine Gedanken nur 
» Darauf gerichtet, und deffen nehme ich den Gott des 
» Himmels und der Erde zum Zeugen, daß ihre Tus 
» gend und ihre Wolfart- volllommener werden. Des 
„wegen kann fie diefen Brief ohne Beforgniß in aller 


» Stille lefen und fleiſſig bey fich überlegen, maffen an 


» dem Gewerb, das er in fich bält, nicht wenig geles 
„gen ifl. — Wiewol man in allen Staͤnden tugend⸗ 
5 haft leben kann, fo giebt doch der ehliche Stand tus 
» gendhaften Gemütern den beften Anlaß ihre Liebe, 
» Güte, Geduld, Hofnung an den Tag zu legen. — 





(X) &..Sittenmaßler, Städ XCVL 
Mifcell. Tigurin, 29. L Ausgabe. Ill. N —— 


nr 


Beinrihb SS ullinger a221 


„ Wenn auch Etwas Unruhe ımd Verdruß im chlichen 
„ Stand ift, fo ift folches nicht der Ehe, fondern der 
» Leuten Schuld. Wenige find, die ihre Verbindung 
„ mit Gott anfangen. Was kann aber da Gutes feyn, 
„ da ein Gott it? Daher koͤmmt es, daß fich die jun 
„ gen Göffel, oftmals auch alte Narren auf Erbgut 
» verlajfen und nicht ruhen , big alles in Ueppigkeit vers 
» zehrt iſt. Da ift dann Bulen, Spielen, Saufen, 
„Raſſeln, Wülen u. f. w. Daheim aber beym Weide 
» Murren, Schelten, Wüten, Schlagen, ja aud) Hun⸗ 
» ger und Elend. 


„Beynahe drey Yahre ift ed, dag ich der Sache ernſt⸗ 
lich nachgedacht habe, und immer find ich, daß ewig 
>, aljo zu feyn und frey meines Leibes zu bleiben, we⸗ 
» der vor Bott noch vor der Welt mir wol anftehen 
>; will; dazu treibt mich auch mein Lehramt, damit 
» nicht meine Lehre geiftlich , das Leben aber üppig ſey; 
» Wwierwol mir inzwifchen Perfonen angetragen worden , 
» derer ich weder würdig noch genog bin, fo hab ich 
» doch niemals zu feiner derfelben mein Herz geneigt ; 
„» du allein bift die einige, die ich mir wäle. Gott weiß 
» allein, ob du mir verordnet bill. Eines Theils liegts 
„ nun an dir, groffentheild aber an Gott. 


„Indeß wär der Vorteil nicht gegenfeitig , wenn ich 
> did) und dein Herz foderte von dir, und du hinge⸗ 
» gen von meinen Umſtaͤnden und von meinen Gefin- 
»„ nungen weniger berichtet ſeyn wuͤrdeſt. Alſo denn 
» will ich dir all mein Weſen vormabhlen. 


» Demnad) hat ed eine folche Geflalt um mich, und 
» tum erften ift dir ohne Zweifel von meinem Heimat 








23 8einrich Bullinger. 


„und von meinen Aeltern wol zu wiſſen, daß es nichts 
weiters ſchreibens bedarf; Doch wuͤrdeſt du nicht auf 
„ die Meinigen, fondern auf mich fehn; mich würdeft 
„ du nehmen , und nicht Die Meinigen , wiewol fie find 
„fromm biderbe Leute. So bin ich nie geweyht, auch 
„ mitder geringften Wenhenicht , bin frey, Feines Herrn 
3, Leibeigen; bin drey und zwanzig Jahre alt; bin 
„niemand auf Erde nichts fchuldig. Mit Gottes Hilfe 
3» Habe ich von Kindheit auf alfo gelebt, dag ich an kei⸗ 
„’ nem Drte nie einige Unehre begangen habe , oder Daß 
„ ich nicht dahin wider kommen dürfe, woher ich ges 
3, fehieden bin , ausgenommen wo das Evangelium Chris 
» fi verhaßt iſt. | 


„» So hat Gott die Gefundheit meines Leibes alfo ver» 
„ gaumet daß ich inner zwanzig Yahren kein betraͤcht⸗ 
2 liched Krankenlager gehabt babe. Wol hab ich von 
» Studiren ein blödes Geficht, zumeilen auch ein blös 
» des Haupt; dahin gehört ferner, daß ich etwan gaͤhe 
„und goenmüthig bin, doch nicht Häffig und auffekig, 
- als der wol vergeifen und nachlaffen kann, befonderd 
» wo man nicht Büchfenpulver zuwirft. — Weiter bin 
„ ich in keine böfe Geſellſchaft verwickelt; ich habe nicht 


» gelernt fpielen; ich kann nicht faufen; vor Kaufen 


„ und Balgen babe ich Abſcheu; ich bin Fein Buhler; 
» eben darum fisch ich mich zu verehlichen, um feiner 
zu werden. Ich habe kein Kind oder fonft jemand , 
3, den ich ernähren müßte. Ich weiß von keiner Lieb⸗ 


„» Ken; fie darf nicht fürchten, wir unmerth zu were 


» den. Meinem Bruder und mir bat unfer Vater die 
» ganze Habe beftimmet ; fie beſteht ungefähr aus eis 


3» was mehr ald 1400. Mfunden; doch mit Beding, 





Bgeinrih Bullinger a3 


„daß wir der Mutter keinen Mangel laffen. Go hab 
2, ich auch den Wohnſitz in meinem Klofter und Unter⸗ 
» halt wie die Eonventualen ; dafiir geb ich Unterricht; 
> bieher, oder wo ich fonft hinkommen werde , nehme 
„ ich Dich mit mir. 


„Doch Gehalt und Habe kann ich verliven; noch 
35 bleibt mir indeß ein. ſicherer Schatz; Der ift Gott; 
„» der gab mir Wiffenfchaft; wend’ ich fie an, fo kann 
„ mir nichts fehlen, wiewol es fern von mir fen, daß 
„ ich die Gaben Gottes verkaufen wolle. Inzwiſchen 
5 denke fie nicht, daß ich fie mit Reichtum anlocen wolle. 
» Wer auf Reichtum vertraut, der hat Gott nicht im 
» Herzen. Wenn fie denn bie‘ Gedanken nicht auch 
3» darauf richten wollte, dag Gott ung künftig Not und 
„ Unglück fchicken könnte — wenn fie fi) in folchen 
>» Fall nicht an Gott laffen dürfte, fo muß ich ihr ſa⸗ 
» gen, daß ich wenig Zuneigung zu ihr haben koͤnnte. 
» Sie muß nicht übel nehmen, daß ich fo frey rede. 
» Man muß ein Ding herausfagen, damit nicht aus dem 
„Verſchweigen ein Uebel erwachſe. Hier wo man in 
» dad lange Fahr dinger, wär Hofiren und Zaufeln vers 
„ derblih. Wenn einer nur ein Pferd kauft, fo befichs 
„’ tigt er ed mit allem Fleiß: wie viel mehr muß man 
» bier Die Augen öfnen, wo man den Kauf nicht auf: 
» fagen kann? 


» Zu dem Bisherigen fol fie noch wiſſen, daß ich in 
»’- feinen groffen Schulden ſtecke oder mich für andere, 
» verbürgt habe: alle nteine Schulden wollt? ich mit 
„ einem Gulden bezalen. Um Kleider darf ich fo bald 
» auch nicht forgen ; Diejenigen, die ich habe, wollte 
» Ich nicht um dreiffig Gulden geben. 


24 ZJeinrih Bullinger. 


„Wiß auch, damit ich div gar nichts verhalte, da 
„ich bey meinem Lehramt Leib und Leben eingefekt 
„» babe. Wenn es die Not, wenn es Warheit und Gott 
„ fodern, werde ich den Balg bey der Warheit mit 
“ 9 Freuden laſſen. — Wofern ung Bott Kinder befcheerte 
„ und ung dad Leben goͤnnte, fo wollten wir fie zu from⸗ 
„ men und redlichen Leuten erziehn: wofern wir aber 
„ davon müßten, fo wüßten. wir, daß Gott fie nicht 
3, berlaffen würde, der doch fo viel unnuͤtzes, verächtlis 
„ches Gefluͤgel gar wol erzieht, ja jeiDer ReBISE 
„Thiere ernähret. 


„ Meine Gefinnungen und meine Umſtaͤnde haft du 
„vernommen: nunmehr verlang ich von Dir auch von 
„ deinen Gefinnungen und Umftänden Nachricht. Noch 
» bift du jung und mein Vortrag betaubt Dich. Viel⸗ 
„leicht entfchlieifett du dich, ohne Dann, im Klofter 
„zu bleiben. Da bewahr dich Gott davor. Du bift 
„» jung; warum bat Dir Gott einen geſchickten Leib ges 
» geben? Ohne Ziveifel nicht, daß du ewig eine gnds 
„dige Frau feyft und nichts thuft oder Keine Frucht 
„ von dir komme. Lieber ließ Paul I. Tim. 11. wirft 
„ finden, worinn du mußt felig/werden. Wol wär es 
„ ein närrifcher Vorſatz (du Habeft denn Die hohe Gabe 
„der Reinigkeit ewiglich , ) wenn du deinen jungen Leib 
„alſo wollteft ziwifchen den Mauren erfliden. Und fo 
„du jedoch gar keine Zuneigung gegen mich hätteft, fo 
95 bitt ich Dich bey der Treu , bey der Liebe und Ach» 
» tung, die ich gegen Dich trage, daß du doch in Die- 
„ſem Punct meiner fchoneft und diefen Brief niemans 
» dem zeigeft, fondern mir ihn zuruͤckſtelleſt. “ 


©» 


Beinridb. Bullinger 2% 


So weit die Liebeserfiärung. Schon im %. 1527. 
ward fie gegeben. Das Jawort blieb aufgefchoben und 
geheim gehalten, weil die Mutter der Nonne gar nichts 
von einer folchen Verlobniß hören wollte. Endlich warb 
Die treue Liebe den ı7. Auguſt 1529. gefröne. Bey 
Bullingerd Bruder, dem Pfarrer zu Birmenflorf, ward 
die Hochzeit gefeyert. In einem fünf und dreiſſig jaͤh⸗ 
rigen, friedlichen Ehſtand hatte Bullinger eilf Kinder , 
ſechs Söhne. und fünf Töchtern, erzeugt. Nach dem 
Hinſcheid feiner Ehegenoffin lebte Bullinger noch eilf 

Jahre und verheyrate ſich nicht wieder. 


Gleichwie indeß anf der einen Seite paͤpſtlicher Ge 
wiſſenszwang fish dem freyen Reformationsgeiſt entges 
genſetzte, fo fetten fich diefem auf der andern Seite die 
wiedertauferifchen Ausſchweifungen entgegen. Nicht nur 
mundlich und ofentlich diſputirte Bullinger gegen Die 
Schwärmer, auch fchrieb er vier Bücher gegen dieſel⸗ 
ben. Da fie zugleich mit dem Joche der päpftlichen Hie⸗ 
rarchie jedes noch fo wolthätige Band der bürgerlichen 
Gefellfchaft wegwerfen wollten , fo fah er fich genöthigt, 
{in einer eignen Schrift die. Rechtmäffigkeit der Zinfe 
und Zehnten zu zeigen. . Zu, Beylegung der Unruhen 
wurden mehrere Tagleiftungen gehalten. Die eydgenoͤſ⸗ 
fifchen Gefandten in Bremgarten befischten feine Predig⸗ 
“ten deiffig; in bdenfelben zeigte er fich nicht bloß als 
Gottesgelerter , auch als vaterlaͤndiſcher Buͤrger. 


Nach der Kappelerſchlacht, in welcher Zwingli das 
Leben eingebuͤßt hatte, war Bullinger an feinem Ge 
burtsorte nicht länger fiher: Den 21. Winterm. 1531, 
zog er mit Water und Bruder nach Zürich. Daſehbſt 

P | 


26 Seintih Bullinger. 


wurden fie von Werner Steiner beherbergt. Gleich nach 
ihrem Wegzug ward ihr Haus in Bremgarten von der 
berefchenden Partey der Catholiken geplündert. 


. An Zwinglis ſtatt ward nun Bullinger zum erſten 
Pfarrer in Zürich ernennt. Zwingli felber hatte ges 
wuͤnſcht, ihn zum Nachfahr su haben. Durch Gefäls 
ligkeit wußte er die noch übrigen Anhänger ded Papſtums 
auf feine Seite zu bringen. Vom J. 1531. bis zum 
J. 1538. predigte er täglich , zuweilen auch in einem 
Tag zweymal. In legten Jahr erhielt er an Caſpar 
Megander ober Großmann einen hilfreichen Collegen. 
Endlich ward im F. 1542. mit Einwilligung feiner geiſt⸗ 
fichen Mitbrüder und auf Befehl der Regirung fein 
Kanzelgefchäft auf zwo Predigten, die eine am Sonn 
tag , Die andre am Freytag, eingefchräntt. In feinem 
Vortrag war Einfalt und Deutlichkeit mit Kraft und 
Nachdrud verbunden. Auch feine Declamation und 
Ausſprache hatte etwas besaubernded, fie war, (wie 
Gtudius fagt, ()) vere flexanima. Ein vornehmer 
Fremder war von ungefähr in die Kirche gekommen; 
nach der Predigt geftand er Bullingern, daß, fo erbau⸗ 
lich der Vortrag geweſen, er gleichwol eine gelehrtere 
und kunſtreichere Rede erwartet babe. Bullinger vers 
ſetzte: „Ihro Gnaden follten doch der Dicht in einan⸗ 
„ der ſitzenden Otterfäpplin und alten Weiber Tüchlein 
» gewahr worden ſeyn: auf diefe befonders, nicht bloß 
», auf die Gelehrten muß des Prediger fein Augenmerk 
» them | ; 











E) Studius Orat: Funebr. f. 10, 2. 


ZgZetnrich Bullingee a7 


Von Morgen bis in die Nacht: ſtand fein Haus jeder: 
mann offen und war Die Zußucht der Armen , der Witt⸗ 
wen und Wanfen, der Profelgten und Vertriebenen, 
kurz jedem, der Rath und Hilfe bedurfte. Die Kranfen 
beſuchte er Heiffig , und keine Gefar anſteckender Seuchen 
hielt ihn zuruͤck. Auch den Miſſethaͤtern im Kerker and 
er mit Ermunterung und Troſt bey. Sehr eiferig war 
er ebenfalls in Beförderung des Schulweſens. Bonal 
len Drten Der zog er gefchichte Lehrer nach Zürich und 
verfchafte fo mol diefen ald den fludirenden Juͤnglingen 
beträchtliche Gehalte. Sehr oft belebte eu durch feine 
Anweſenheit den Schulunterricht. Nicht nur wohnte er 
den öfentlichen , tbeologifchen Vorleſungen eined Theo⸗ 
dor Biblianders, Conrad Pellikans, Peter Martyrs bey, 
fondern ſchrieb felbige mit eigner Hand nach. In der 
Earolinifchen Bibliotheck befinden ſich fuͤnf und viersig 
Hefte ſeiner Ercerpten. Gfeichwie er mit feinem En⸗ 
thuſiaſmus die Schuldiener befeelte , fo befeelte er nicht 
weniger die Diener der Küche. Den iarlichen Syno⸗ 
den , die fchon im %. 1528. unter Zwinglis Kirchenver 
waltung angeordnet worden, fehenkte er Die vorzuͤglichſte 
Aufmerkſamkeit. In diefen Synoden wurden alle Geiſt, 
lichen zu Stadt und Land, in Gegenwart des Buͤrger, 
meifterd und einiger Rathäglieder, Öfentlich, fo wol der 
Lehre ald des Lebens halben , beurteilt. Aus jeder Pfarr· 
gemeine waren zween Zeugen uͤber den Pfarrer. zugegen ; 
auch die Schulmeiſter waren dieſer Cenſur unterivorfen. 
Die Synode übte das Recht aus, unwuͤrdige Kirchen 
diener entweder ganz zu entfeßen oder für eine. Zeitlang 
ind Gefängniß zu werfen. Die wichtigfien Fragen über 
Kiechenfachen wurden in diefer Verſamlung erörtert und 
die Beſchwerden nebſt den vorgefihlagenen Heilmitleln 








228 deinrib Bullinger. 


der Regieung mitgetheilt.: Wie gewiſſenhaft Die Spno⸗ 
dal» Genfuren geweſen, hievon aus unferd Bullingers 
eignen Synodalacten folgendes Benfpiel: „ Leo Fude, 
» beißt.e8 in dee Synode des Maymonats 1535,» dee 
„Pfatrer bey St. Deter folk gefifiner feyn mit feinem 


ng 


3 PBredigen, doch in andern Gefchäften abbrechen, das 


„ mit er der Kirche lang möge nuß feyn. “ In glei 
cher Synode hieß ed von Bullingr: „ Here Bullin⸗ 
„ger ift zu milt mit feinen Predigen , foll etwas dapfe⸗ 
„rer, rücher, härter und räffer.feyn, inſonders das die 


» Händel des Raths anteift. “ Diefe Cenſur ward - 


son Bullinger mit eigner Hand in die Synodal⸗Acten 


gefchrieben. Vorzüglich lag ihm das gegenfeitige,, gute 


Verſtaͤndtniß zwiſchen Mofed und Aaron, zwiſchen Re . 


girung und Kirche am Herzen. Vom Geoffen bis ins 
Kleine zeigte er fich ald Achten Republikaner (*). Kein 
Leichenbegaͤngniß in Zürich, dem er nicht beywohnete. 


Auch. fab man ihn Heiffig bey Öfentlichen fo wol als bey 


Privatgafimalen , bey Hochzeitfeſten, bey Befoͤrderungs⸗ 
Eäremonien, bey der freumdfchaftlichen Tafel; in Ges 
felifchaft mit Bürgern oder mit Fremden ; durch eben 
fo Iehrreiche als muntere Gefpräche wußte er die Ge 
richte zu würzen. Burgerfinn und Menfchengefühl, fagt 
Stuckius, nicht Sinnlichkeit war ed, wenn er gefell 
fchaftliche Ergögungen liebte. Sotraulich , ‘gefällig und 


pulaͤr als Bullinger im täglichen Umgang gewefn, . 


ehrwuͤrdig und erhaben blieb fein Hfentlicher Charac⸗ 
ter. Auch an Öfentlichen Orten, auf der Kanzel und 
in der Synode felber , ſuchte er nicht durch auͤſſere Feyer⸗ 





CS Siudius Orat ſanebt. ie be .. 


— 


here ET EEE TR —— 


sßeinrich Bullinger. 2ꝛ29 


Sichteit ſich Anſehn zu geben. Taͤglich, auch anf der 
Kanzel, trug er einen ſchwarzen, langen Belsrod, mit 
einem Gürtel umwunden; an diefem hieng, nebft einer 
Nuten oder Kurzem Stilet, ein, Sedel mit Papieren 


angefüllt; unter dem Oberrock trug er ein weiſſes Ca— 


mijol, und unter diefem ein rothwollenes Leibtuch; auf 
dem Haupt ein Baret. — In der Abhandlung von dem 
Gebrauͤchen der zürcherfchen Kirche fchreibt Ludwig Las 
vater: (*) „ Nicht nur auf den Streaffen, fondern 
» auch auf der Kanzel und bey Zudienung der h. Sa⸗ 
„ eramente bedienen fih die Kirchenbiener gemeiner, 
» bürgerlicher, aber anfländiger Kleidung, wie andere 
» ehrbare Bürger, keineswegs eines theatralifchen Auf 
„» zug8. * in umnfern Altern Kicchen- und Synodal 
faßungen findt man nicht die geringſte Vorſchrift zu Des 


fondrer Kleidertracht für die Diener dee Kirche (*). 


Indem fie im Anzug fich dem Weltmann nähern, fo 
verlieren fie vieleicht Dadurch etwas von der aberglaübis 
fchen Poͤbelverehrung, defto mehr aber gewinnen fie an 
vertraulichen Umgang; weniger ſcheut man fich, ihnen 
den Bufen zu Öfnen , und ihre Erfahrung kann fich befs 
fee vermehren. „ tnfere Heiligkeit, fagt Luther, (+) 
„ſteht nicht in einem grauen Roc, in einer ſchwarzen 
; ober weiften Kappe, fondern in einem guten Gewiſ⸗ 





-.. (*) Miniftri' ecclefiarum non in plateis tantum, Ted’ et. 

en cum concionantur & facramenta adminiftrant , vulgari- 
us, fed honeftis, quemadmodum alii honefti cives, non 

hiftrionicis veftibus ntuntur. ©. ı7. Edit. Otii. - 


() S. Simlers Samlung kirchlicher Urkunden. 


() S. Luthers Feſtpoſtill am St. Johann des Laufers 
Tag / ſ. 25. S. 4. 





t 
so 8einrich Bullinger. 


» fen. Ich ſach nicht mehr, ein grauer Rock iſt hei⸗ 
» lig,.und ein rother Rod iſt unheilig u. ſ. w. 


Schiweerfällige Gravität if die Larve des ſchlechten 
mittelmaͤſſigen Kopfes; keineswegs wird der wuͤrklich 
groſſe Mann dieſer Larve beduͤrfen. So gern und ſo 
oft ſich Bullinger in den Haufen gemeiner Menſchenkin- 
der eingemiſcht hatte, ſo verlor er gleichwol nichts von 
ſeiner Groͤſſe. Noch war er nicht mehr als ein und 
dreifig Jahre alt, und ſchon gab ihm Berchtold Hals 
ler, der bernerfche Reformator, Dad Zeugniß: » Ich 
» fehmeichle nicht, wenn ich. Dich als einen Apoſtel, 
9 nicht bloß der zürcherichen , fondern überhaupt dee 
» ganzen Kirche verehre. “ Nach feinem SHinfcheid ges 
dachte Antiſtes Breitinger in der XL. Synodalrede 1645. 
unferd Yullingerd in folgenden Worten: „. Bullinger 
¶ war ein hocherleuchteter „ apoftolifcher Daun; zwar 
» einer von den zwölf Apoſteln nicht, aber doch in 
„ meinem Herzen weniger in feinen Tugenden und Tha⸗ 
„tem nicht ald vor Zeiten geweſen S. Auguftinus, S. 
3; Hieronymus, S. Ambrofius. Ich rede ed ohne Schein. 
» So viel find unfer zugegen der Gelehrten nicht, wenn 
„all unfer Studieren, Gefchidlichkeit, Erfahrenheit, 
> Tugend und Frömmigkeit möchte gefchüttet werden 
v auf einen -Haufen, daß es fich Darum vergleichen lieſſe 
„ mit der Gefchiektichkeit, mit dem Eifer, mit den Ver⸗ 
, richtungen , Werken und Thaten dieſes einigen Man⸗ 
» ned. — Da er ein junger Mann von acht und zwan⸗ 
>» 319 Jahren, mit feiner Fuͤrſichtigkeit, Gefchidlichkeit, 
» Wolredenheit, Geduld, Sanftmut, Beſcheidenheit die 
. VBolizey und das Religionsweſen, in den allergefaͤhr⸗ 
» lichfien und ſchwirrigſten Laufen, wieder aller Men⸗ 


Seintih Bullinger say 


» ſchen Hofnung erreitet bat, war freslich ein pur lau⸗ 
„ter Werl des Allmächtigen. Was diefer Mann ges 
» fdrieben in ofnem Druck, erfordert nur zum einfals 
„» ten Lefen beynahe eines Menſchen ganzes Leben. 
„Deſſen was er gefchrieben, und in Druck nicht tom 
» men, ift nicht weniger. Mit feinen bochvernünftigen, 
» gottfeligen Miffiven , Teutſch und Latein, bat er ges 
„- füht ganz Europa. Er ift um feinen Rath und Gute 
„ achten in Religionshändeln und andern anhängigen 
> Sachen erfucht worden von Edeln, Freyen, Grafen, 
> den fuͤrnemmſten Chur⸗ und andern Fuͤrſten, auch 
» Königen und Königinnen. Wie geheim und vertrau⸗ 
»„ lich an ihm gefchrieben, mit eigenen Händen, hohe, 
3 fürftliche , churfürftliche und Lönigliche Berfonen bes 
» weißt in unfeen Kirchen» Archiven der überküffig, 
>> koͤſtlich Augenfchein. Seines eremplarifch gottfeligen 
> Wandeld zu gefchtweigen, da fein einiger Chriſten⸗ 
„menſch unrechts ald argerlich® mit Wahrheit von ihm 
„nie reden koͤnnen, unangefehn er an mißgünftigen eis 
» nen Mangel, ald der ohn uUnterlaß gu Feld gelegen 
„ mit Papiften, mit böfen Lutheranern , mit Schwends 
„feldern, mit Wiedertaüufeen, mit Arrianern,. Soci⸗ 
„nianern, wie auch mit allerhand gottlofen, lafterhafs 
„ten und rauhen Leuten. Noch blieb fein Ehrenmann 
» bewahrt, u. f. w. * 


Nicht lange nach der Niederlage der Zuͤricher in der 
Kappelerſchlacht ſchrieb der Biſchof zu Wien, Johann 
Faber, in einer beſondern Schrift dieſes Ungluͤck auf 
Rechnung des herrſchenden Irrgeiſts in Zürich. Im 
gedruckter Antwort zeigte Bullinger , daß weber Nieder 
lage noch Sieg, weder Gewinn noch Verluſt für oder 





2333 Seinrich Muflinger. 

wieder Warheit beweiſen. Gegen Zwinglis Verlauͤmder 
belt er in Öfentlicher Synode eine Lobrede auf dieſen 
groſſen Reformator. Mehrere Fahre Fang arbeitete er 
an einem Verglich mit Quther wegen ded Streited vom 
Nachtmal. Fruchtlos blieb jede Bemuͤhung. 


Im J. 1533. war auch in Zürich Die päpftliche Par⸗ 
wieder fo ſtark, daß Bullinger nötbhig fand, im 
men der fämtlichen @eiftlichkeit die zürcherfche Res 

gierung zu genaueren Vollſtreckung ihrer Erkanntniß ge⸗ 
gen den Meßdienſt aufzufodern (5). Bald hernach ers 
hielt er fuͤr ſeine Zueignungsſchrift bey dem Commen⸗ 
tar uͤber die Apoſtelgeſchichte von dem Frankfurterma⸗ 
giſtrat nebſt verbindlichem Dankſagungsſchreiben zwoͤlf 
Goldſtuͤcke. Um deſto weniger bey den Wiederſaͤchern 
im Verdacht irgend einiger Beſtechtug zu kommen, uͤber⸗ 

gab er dieſe Goldſtuͤcke ſogleich den Obern, welche ſel⸗ 
bige im Spital untes Die Armen ie lieffen. 


Im J. 1534 ward Bullinger mit dem Vuͤrgerrechte 
in Zürich beehret. In eben diefem Jahr ward auf 
Buzers Anftiften eine Synode zu Koſtnitz gehalten. Dies 
felbe follte Luthern mit den Reformirten verfühnen. Aus 
verfchiedenen Gründen wollten die zürcherfchen Geiftlis 
chen nicht verfönlich erfcheinen ; an die verfamelte Sy 
node fehickten fie ihr Glaubensbekenntniß über Das Abends 
mal ſchriftlich. Auch zu Baſel ward jzo die erfte, eid⸗ 
genöflifche Glaubensbekenntniß zufamengetragen; groſ⸗ 
fen Anteil an ihrer Verfertigung hatte auch YBullinger. 





9) SG. Ruchat HiR. de la Reform. de la Suifle, L X. 





Zeinrich Sullinger 23 


Um eben diefe Zeit kamen etliche Engländer, - 
Buttler, Nicolaud Pattridge, Wilhelm Udroff, Barto⸗ 
lomaͤus Trehernus u. a. Studierens wegen nach Züs 
rich. Dieſelben wurben von Bullinger beherbergt. Mit 
ihnen Tas er den Jeſajas; auch ihnen zugefallen fchrich 
ee zwey Bücher, das eine vom Anfehn der heil. Schrifs 
ten, das. andre von dem bifchöflichen Amte, König Heine 
rich VIII. in England zugeeignet. 


: Im Jahr 1538. ward eine Zufamenkunft der evan⸗ 
gelifchen Kantons in Zirich gehalten. In derſelben 
ward mit Bucerus wegen der Iutherifchen Lehrmeinung 
vom Abendmal Unterhandlung gepflogen. Bucerus glaub⸗ 
te durch Einfuͤhrung immter, zweydeutiger Re⸗ 
densarten das Schishia unter den Proteſtanten zu hin⸗ 
dern. Bullinger hielts für Verraͤterey an der Warheit, 
durch ſolche Kunſtgriffe Frieden zu laufen. 


In eben dieſem Jahr 1538. ward groſſentheils auf 
Bullingers Antrieb zuerſt der Cappelerhof und hernach 
das Abteyhaus in Zuͤrich zu einem Seminarium jun⸗ 
ger Geiſtlicher gewiedmet. Joh. Rhellican war der 
erſte Inſpector. 


Immer noch verurſachten die Wiedertauͤfer groſſe Un⸗ 
tuhen. Hie und da wurden fie am Leben geſtraft. So 
ward z. B. Felix Manz fihon im J. 1527. in Zurich 
erfaufl. Die Papiſten waren die erfien , welche dad 
Schwerdt wieder fie brauchten. Mehrere von denjeni⸗ 
gen, welche zur Reformation binubergetreten waren, 
behielten noch die einen und andern von den päpftlichen 
Grundfägen , umter welchen auch dieſer gewefen, daß 
die Kaͤtzer den Tod verſchuldt haben. Man warf den 





24 5einrich Sutklinger. 


Zürchern ibre firengen Maasregeln gegen: Die Wieder⸗ 
taufer vor. Bullingerd Geſinnungen hierüber ficht man 
in dem Bedenken der Belehrten in Zurich, wel 
ches diefelben im J. 535. dem Rathe daſelbſt der 
Wiedertaufer halber eingegeben haben (*). Yu 
diefem Bedenken heißts unter andern: ,„ Wenn jemand 
„ einen ehrlichen , guten Namen bat, in allwegen fromm 
„ gelebt, nach Ehren und Gerechtigkeit geſtellt, nicht. 
5 Üppig luͤgenhaftig, aufrübrifch, zänkifch und frem⸗ 
» den Guts begierig geweſen, jezund aber um etwas 
„ verirret iſt, fo Toll man billich dergeſtalt mit der 
» Strafe verfahren, dag diefelbige Perſon zur Buſſe 
kommen und von ihrem Irrtum abſtehen möge. Hin⸗ 
„gegen wenn die Perſon einen böfen Nammen Hab, 
„ unehrbar, Ingenbaftig und unruhig ift &c. magman 
» wol den Glauben aus der Perfon erwägen und Die 
» Strafe darnach richten. Denn wenn die Lehre got⸗ 
¶teslaͤſterlich wäre, den Glauben und die Warheit ums 
2, Tehrte, die Kirche gertrennte, gute Polizey umflieh , 
„ auch andere Leute vergiftete, fo fol das prefthafte 
3, Glied abgehauen werden; es ift auch in allwegen 
> beffer, die Hand werde adgehauen, denn daß der 
„ ganze Leib verderbt werden follte, ja es ift beffer, ein 
„ Verführtee oder Verfuͤhrer, der, nachdem er von feis 
„nem Yertum berichtet morden, andere mit Gewalt 
„> berführet, werde an Leib und Leben geſtraft, denn 











(*) ran fehe diefes Bedenken in Süplins — zur 
ſchweizerſchen Reformationsgeſchichte Th. III. ſ. 190. Auch 
vergleiche man daſſelbe mit Antiſt — Bedenken in 


„Simlers b⸗ 
dn in. Unfandenfamun] Cbeil J. 9 





—— 


Geinrih Bublinger. s% 


daß viele verdammt werden müffen. Wiewol nun dieß 
» (fest Bullinger hinzu, ) allen Verfländigen gewiß und 
„klar genug ii, kann dennoch niemand eine gewifle 
¶ Regel in dieſer Sache ſezzen, denn die Umflände ver» 
¶ groͤſſern oder verringern eine Sache. * — Diefe Ich 
teen Worte fcheinen merklich Bullingerd ſtrenge Grund» 
füge zu mildern. Ludwig Lavater fagt in feınem Werk» 
gen de ritibus eccleſiæ tigurinz fol. 25: „ Daß die 
Zuͤricher am Läben niemand-der Sectirern geſtraaft, 
v¶ vsgenommen wenig, fo meineyd gſon und Vffrur 
» gſtifftet. * Die Yertimmer des -Widertaufer waren 
nicht bloß theoretiſch, fie wurden peactifch und zielten 
auf den Umſturz des Staats ab, Je mehr man dieſen 
Misbrauch der Freyheit auf Rechnung der Reformato⸗ 
zen felber au fehreihen geneigt mar, deſto mehr war die 
fen an Unterdruͤckung dee Schwärmer gelegen. 


In diefer Zeit hatte Yullinger mit ‚perfönlichen und 
Hauslichen Leiden zu kämpfen. Die Peftfeuche entrif 
ihm feine fromme Mutter nebft einigen Kindern; auch 
verlor er durch den Tod die innigften Freunde, Simon 


Grynaͤus zu Bafel und Leo Jude in Zurich. Niemals 


vergaß er über feinen befondern Herzensangelegenheiten 
die Angelegenheiten der Kirche. 


Im %. 1543. ward dad zuͤrcherſche Bibelwerk, wel⸗ 
ches Leo Jude angefangen hatte, durch die Bemuͤhun⸗ 
gen eines Biblianders , Colinus, Gualterd , Pellicanus 
vollendet. Ein Eremplar Davon ward durch den Buche 
drucder, Chriſtoph Froſchouwer, am Luthern geſchicket. 
Dieſer entdeckte ſeine Geſinnungen gegen die Zuͤricher in 
folgender Antwort an Froſchouwer: „Ich habe die 





336 Seinrid Sullinger. 

„Bibel, fe Ihr mir habt durch unſern Buchführen 
zugeſchickt und gefchenkt, empfangen , und euerthals 
„ ben weiß ich Euch guten Dank. Aber weil ed eine 
3, Arbeit ift eurer Prediger, mit welchen ich noch der 
„ Zeit ganz feine Gemeinfchaft Haben kann, iſt mir leyd, 
„daß fie fo faſt umfonft follen arbeiten und doch dazu 
„, verloren ſeyn; fie find genugfam vermahnet, daf fie 
„ follten von ihrem Jertum abſtehn und Die armen Leute 
nicht fo jämmerlich mit fich fahren laffen; darum 
3 dürft Ihr mie nicht mehr fchicten oder fchreiben, mas 
„ſie machen oder arbeiten; ich will ihrer Verdamm⸗ 
„ niß und Iäfterlichen Lehre mich nicht theilhaft machen, 
» fondern unfchuldig feyn , wieder fie bitten und lehren 
 bid an mein Ende. Gott befehre doch etliche und 
» beife den armen Kiechen, daß fie folcher falfchen , 
3, berführerifchen Prediger einmal los werden. Amen. 
„Wiewol fie def alled lachen, aber einmal waͤinen wer⸗ 
„ den, fo ſich Zwingels Gericht (dem fie folgen) auch 


„ finden wird. Gott behüte Euch und alle unfchuldige 


„» Herzen von ihrem Gift. Amen. — nach Aus 
„» guftini 1543. * 


: um Zwinglis Ehre zu retten, — nunmehr 


Bullinger eine lateiniſche Ausgabe der zwingliſchen Schrifs 
ten; Die teutſchen unter denſelben wurden von Gual⸗ 
ter in Latein uberfekt. Die ganze Sammlung beglei⸗ 
tete dieſer mit einer Schutzrede für Zwingli. — Luthers 
Bekenntniß vom Abendmal, voll Invectiven gegen Die 
Zuͤricher, ) ließ Buuinger abdrucken und fügte zu⸗ 








6 Atrocifimum Kalten Seriptum — es von Melanch⸗ 
thon felber genenm Hofpinian. Hiſt. Sacram. p. 2. f. 189. 


Zeintid Bullinger —337 


gleich feine Wiederlegung hinzu. Diefe Wiederlegung 
ward bie und: da von den Lutheranern unterdrückt. Diefe 
intoleranten Gotteögelerten und Oberkeiten verglich das 
her Bullinger mit jenem Maler, der feine gemalten Hüs 
ner auf einer Tafel darfichte; wenn aber wuͤrkliche Hu 
ner fich näberten, fo jagte er fie von ſich, aus Beſorg 
nis, daß fein Gefehmier die Una, mit der Ra⸗ 
tur nicht aushalten möchte, 


Im J. 1546. unlängft nach Luthers Hinſcheid em⸗ 
pfieng Bullinger von dem Landgrafen Philipp von Heſ⸗ 
ſen ſchriftliche Nachricht, daß man den zuͤrcherſchen 
Gottesgelerten die ſchwaͤrzeſten Verlauͤmdungen gegen 
den ſeligen Luther Schuld gebe. Gegen dieſe Beſchul. 
digungen rechtfertigte fich Bullinger in einem vortrefis 
chen Schreiben an den Landgrafen. 


Nach Einführung de& Interim in Pe füch» 
teten fich viele Geifliche die daffelbe nicht annehmen 
wollten, nach Zürich: 5 ungeachtet die einen und at 
dern, fo wol in Schriften ald von der Kanzel, vor⸗ 
mals heftig gegen Bullingern gefchrien hatten, fo em» 
pfieng fie dieſer gleichwol mit ofenen Armen und Her⸗ 
zen. Die ganze Zeit ſeines Kirchendienſtes hatte er von 
der Kanzel Luthers Nammen niemals anderſt als a 
Achtung erwaͤhnet. Fe 


Am J. 1549. Tief der Papſt eine neue — 
die Kirchenverſammlung zu Trient bekannt machen. 
Die cathotifchen Cantons lieſſen durch Geſandte bey den 
Reformirten anfragen: Ob fe geneigt ſeyn, ſich einer 
freyen, chriſtlichen, allgemeinen Kirchenverſammlung zu 
unterwerfen? Die Frage war kitzlicht. Schon vorher 








- \ 


238 Seintih Sullinger. 

in den Fahren 1545 und 1546: hatten die veformirten 
Eydgenoffen von Papſt Paulus II. folche Einladungen 
defommen; auch hernach gleiche Einladungen im 3. 
1551. von Papſt Julius III. endlich vom Papſt Pius IV, 
and zwar mit Verſprechung fichern Geleites. Nach Aufs 
trag des Rathes ſchrieb Bıillinger im Nammen der zuͤr⸗ 
cherſchen Geiſtlichkeit verſchiedene, theologiſche Weder 
ken. Um ſo viel weniger kounten ſich die Reformirten 
zu Beſuchung dieſer Kirchenverſammlung verſtehn, da 
der Papſt zum voraus ihre Lehre als kaͤtzeriſch verdammt 
batte. Wie wenig aber.vorgebliche Kaͤtzer dem fichern 
Geleite zu trauen hatten, dieß konnte Johann Huſſens 
Schickſal beweifen. Ohne Not wollte fi) alſo Bullin⸗ 
ger keiner Befar ausfegen. Er bezog fich auf Das Bey⸗ 
foiel des h. Paulus, Apoftelgefchichte XXIII. wie auch 
‚auf das Beyſpiel eines Maximus von Yerufalem, eined 
Athanafius von Alerandrien , eines Ambrofius von Mays 
dand und andrer Kirchenvaͤter, welche trotz aller koͤnig⸗ 
licher und kaiſerlicher Auffoderung , ſich von den Conci⸗ 
lien entfernten , fo bald fie in dem Schoß derfelben Par⸗ 
tengeift bemerkten. Anfatt alſo ſelber nach Trient zu 
gehn , fehrieb Bullinger. ein Buch von. der eigentlichen 
— eines aͤchten, chriſtlichen Conciliums. 


Im 9. 1549. Wären Calbin und hareliis nach Bir | 
gekommen, um ——— Vermittlung zu ſuchen; 


[Dur Ge EI u... 4 


zufamen. Diefe Arnkel theilte Bubinger.t n andern eyd⸗ 
genoͤſſiſchen Kirchen mit / indem er molhed chtlich nichts 
ohne ihr Vorwiſſen, nichts ohne gemeinfchaftliche Eine 
unkgeg zu unternehmen gewohnt way. Sein Verglich 





8einrich Bullingre 9 


geriet fehr wol und trug zur Ausbreitung und Beſeſti⸗ 
gung der reformirten Lehre viel bey. So gefährlich 
fchien unfer Bullinger dem römifchen Stule, dag nun 
im %. 1550. feine Schriften von dem päbftlichen Lega⸗ 
ten zu Venedig, wie auch von den theologiſchen Facul⸗ 
: täten zn Paris und Loͤwen in oͤfentlichem Drucke vers 
dammt worden; das Urteil diefer letztern Facultaͤt ward 
von Kaiſer Carl V. beſtaͤttigt. In politiſchen Contro⸗ 
verſen war Bullinger nicht weniger fruchtbar als in den 
theologiſchen. Nach dem Hinſcheid Franz J. war Hein⸗ 
rich 11. auf Erneuerung des franzoͤſiſchen Buͤndtniſſes 
mit den Eidgenoſſen bedacht; fo wol die koͤniglichen 
Bottſchafter als die Eidgenoffen felber gaben fich alle 
Mühe, den zürcherichen Kanton zum Beytrit in diefen 
Bund zu bereden; mit Nachdrucke wiederrieth es Bul- 
finger (9. Im J. 13551. erhielt er von Landgraf Phi. 
Tipp aus Heffen eigenbändige Nachricht bon feiner de 
Freyung und Wiedereinfegung. 


So treu als Bullinger immer. feinen Grundſaͤtzen 
blieb, fo wußte ‚er gleichwol nach den Umftänden die 
Sayten bald höher, bald gelinder zu fpannen. Im J. 
21551. ward Hieronymus Bolſecus in Genf wegen ſei⸗ 
ner Lehrſaͤtze von der ewigen Gnadenwal Gottes verfol⸗ 
get (*"). Er ‚berief ſich auf Bullingern und die zuͤr⸗ 
cherſchen Gonetaelebrien, die über dieſen Punct anderſt 











(*) &. Thuanus L. VI. T. I. Eo fœdere minime com- 
prehendi voluerunt Tigurini & Bernates , monitorum Hul- 
drici Zwinglii feil. memores, turpem hanc atque impiam 
militiam efle inclamantis. 


8 ©. Alph. Tuͤrretin Rubes teftigm. 


29 BHeinrih Bullinger. 


als Calvin dächten. Bullinger wich es eben fo beſchei⸗ 
den ald klug aus, in diefem unermeßnen Abgrund bes 
ftimmte Gränglinien zu ziehn; er begnügse fich, Die 
Genfer zur Eintracht gu bewegen; hiebey erinnerte er, 
dag, wenn auch die Züricher die ewige Gnadenwal nicht 
lauͤgneten, fie gleichwol unendlich davon entfernt ſeyn, 
Gott zum Urheber der Sünde zu machen. So wenig 
Bullinger über diefen Punkt unbedingt zu entfcheiden 
geneigt war , fo fehr war ihm in andern Puncten jeder 
Anfchein von Synkretiſmus zuwieder (4). Schr eifrig 
hatte ee im. J. 1550. die Kirchenvorſteher zu Emden 
por einer Gattung Interimsreformation gewarnt, wel 
che ihnen die Papiſten aufdringen wollten. Auch gab 
ee im J. 1553. mit den übrigen, veformirten Eidges 
noffen die Einwilligung, dag Servet, der zu Genf in 
Verhaft war, um feiner Irrlehren willen möchte zum . 
Tode verurteilet werden. Weniger firenge wär man 
vielleicht. mit dieſem unglüclichen Spanier verfahren, 

“a wenn 
C(Y In den Augen auch ihrer Freunden ſchien die 
Standhaftigkeit der Zürcher. an fleifed, unbiegfames Wes 
en zu gr nen. o ſchreibt 3. B. Calvin an Veit Dies 
frich (9: Tandem Catechifmum quoque.publicavi — 
utinam, ut dicis, vellent Tigurini fe ad hanc confeſ- 
ftonent adjungere. : Non 'exiftimo, tam durum eſſe Lu. 
itherum, quin facilis futura fit compofitie:. Neque ta- 
men improbare mea audent. Quo minus palam mihi 
aflfentiantur , hoc potiflimum obſtat, quod precepto fe 


mel, & quidem jam olim, fenfu occupati, ita Us“ 
dis fibi formis infiftunt, ut nihil admittant novi | 





E) &. B. F. Hummel Epifolarum hiktorico - eccleliaftie 
Stmicenturiam alteram. Halz, 1790, „ x 


« 


. 


Zeinridh Bullingen 241 


yoam er nicht wegen einiger Lehrfäge mit den Wieder 
tauͤfern vermifcht worden wär, und dieſe wurden Als 
Aufruͤhrer, nicht bloß als Sectierer beſtraft (). Ueber⸗ 
haupt aber, (wie wir auch ſchon angemerkt haben,) 
lag der Grund von der Kaͤtzerverfolgung immer noch 
weit mehr in dem Genius des Zeitalters als in dem 
Geiſt und Character der Reformatoren. Noch im J. 
1601. ward zu Dreßden der ſaͤchſiſche Canzler, Nico⸗ 
laus Crell, mit dem Schwerdt hingerichtet. In den 
damaligen Zeiten haͤtten die Reformirten beſonders durch 
allzugroſſe Nachſicht und Duldung ſich ſelber verdaͤchtig 
gemacht (**). In einem Schreiben an Herzog Hein⸗ 
rich von Sachſen wirſt ihnen felbft ein menfchenfreunds 
licher Melanchthon vor , daß fie über Die Gottheit Chris 
fi gefärliche Irrtuͤmmer hegen. Von den Papiſten wurs 
den beyde Kirchen, fo wol die reformirte als die luther⸗ 
ſche, als Mutter zalreicher Secten erlläret (t). In der 
letzten Ausgabe ſeines Werkes gegen die Wiedertaufer 
(8. IL C. 12.) erwähnt Bullinger des unglücklichen 
Servets in folgenden Worten: „ den erſten Platz "der 
» sreulichen Wiedertaufer behält billich inne Michael 





\ ' h 

(*) &, Moßheims Verſuch einer Ketzergeſchichte und Fuͤt⸗ 
Ks Beytraͤge, Ch. IV. in der Vorrede, ſ. 57. 

(”*) &. Opp. Lutheri Jenenf. T. IV. Noch in fpätern 
Seiten behauptete Eöfcher: die Zwinglianer wären nur ein 
"wenig beſſer geweſen als der Zäfterer Servetus. 

(7) ©. Hift. des Anabaptiftes, P. 3. Paris zöry, verglir 
chen mit Arnold Kirchen und Ketzerhiſtorie, Tb. IL 3, 
| ar < 21. wie auch P. Simons Hik. critig. du N. Teſt. 


& 


k 


a2 ZJetnrid Bullinger. 


„Servet, ein Spanier aus Arragonien, welchen ein 
vchrſamer Rath zu Genf nach Erfahrung und Abfo⸗ 


-  „ derung des Urteil vieler , chriftlichen Städte und Kite 


„ hen um feiner unerbörten, greulichen und beharrli⸗ 
„» chen Gottedläfterung mit dem euer gerichtet hat. c 
Wegen Achnlichkeit einzelner Lebrfäte hatte Bullinger, 
(wie Fügli bemerkt ,) Servets Lehrgebaude mit dem Wis 
bertalferfchen verwechſelt. 


In diefem Jahr 1553. ſchickte Bullinger feinen Sohn 
Heinrich auf Reifen. Aus den väterlichen Erinnerun- 
gen, die diefer mit fich auf den Weg nahm, ziehn wie 
nur folgende ind Kurze zuſamen: () 


„» 1. Habe Gott vor Augen. — Die Furcht der Herrn 
” it ein Anfang dev Weisheit. 


„ 2. Bette eifrig für das Vaterland, fir deine I. Ael⸗ 
„ tern, für die Wolfart derienigen, bey welchen du woh⸗ 
» neſt, und für alle, welche die gutes beweifen, mit 
„ einem Wort für alle Menſchen. 


„3. Schaͤme dich nicht vor deinen Gefehrten in deis 
„ ner Kammer mit gebogenen Knien zu beiten, wofern 
3 keine Gelegenbeit da if, es heimlich zu thun. 


» 4. In Krankheiten ſuch vor allen Dingen Rath bey 
» Gott. Hüte Dich vor vielen Arzneyen, doch verachte 





.; O6. Opafenia aurea virorum de ecclefia 5 de republ. 
tteraria meritifimorum , . od. Heine. — im 
3. 1670. in Zuͤrich berausgab = 








Seinrib Buklinger a8 


» felbige ‚nicht ganz, fondern bebiene dich hiebey des 
2 Rath weifer Leute. 


„ 5. Vergeichne genau alles, was du fehuldig biſt; 
» damit, wenn bich Gott aus dieſem Leben abforbern 
ſollte, alddenn alles an Mich Lönne zugefendt werben. 


„6 Sande nicht. wiederfpenninger Weiſe mit den Ge⸗ 
» gnern unſrer Religion. 


» 7. Ueberal zanke niemals mit ſtolzem Eigenfnn. 


> 8. Fluche niemand. Sag niemand, wer er it , fo 
» läßt man Dich auch bieiben , wer du bifl. Wer redt, 
„was er will, Hört allzeit, was er nicht will. 


„ 9 Rede nicht zu allen Dingen; Hör auch nicht 
„ ale Dinge; mußt du aber reden, fü rede das Beſte, 
nicht das Boͤſeſte. 


3. 10. Miſche dich nicht in jede Sache. Rühme auch 
3» weder dich noch auch deine Sachen, * die Deini⸗ 
» gen noch ihre Sachen. 


„ ı1. Verſchwiegenheit ficht dem Juͤngling wol an. 
» Schwate bey deinem Hauswirth nicht aus, was du 
» von andern gehdet haſt; fchroage auch bey andern 
» nicht aus, was du von deinem Wirth hoͤrſt, in fo 
» fern hieraus Die geringfte Zweytracht entſtehn könnte. 


„ 12. Bemühe dich nicht ſehr, Neuigkeiten entweder _ 
» aufjufpüren oder zu verbreiten, Damit da nicht den 
» Nammen eines Maͤhrchentragers erhalteſt. 


244: sßeinrich Bullinger 


3 13. Laß dir Höchlich angelegen ſeyn, dag du mit 
>» Lob und Ruhm nach Haus zuruͤckkommeſt. 


y, 14. Treib dein Studteen methodiſch. Schreib das 
Ichrreichfie auf, was du Höre; wiederhol es bey Hauſe 
» und ſchreib es ind Reine. 


„15. Weil die Erfahrenheit bezeugt, was Cicero 
„ſagt: Stylum optimum eſſe dicendi magiſtrum, ſo 
übe dich fleiſſig in Verfertigung allerley Vorträge und 
3, iM Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen in das Las 
» teinifche. Gewoͤhne dich auch, Iateinifch zu zeden. 


5 16. Indem du einen Schriftſteller lieſeſt, fo ſieh 
» ja nicht bloß auf die Worte, fondern auch auf bie 
„Sachen. Deine Sprech und ‚Stylsliebungen ſeyn 
„ zugleich Webungen in der Philoſophie und in andern 
» Künften. 


3 17. Ehre deine Profefforen, deinen — und 
„alle Glieder der Haushaltung, in welcher du lebeſt. 
„Beſudle ihnen das Haus nicht; hefleiß Dich hoͤſſicher 
„ Sitten; mach dich nicht zu gemein mit dee Haus⸗ 
» frau, mit den Töchtern und Maͤgden. Halte dich 
2 uͤberal reinlich. 


„18. Sey treu im Hauſe und thaͤtig. Wenn du 

» fieheft, dag in der Hausbaltung viel zu ſchaffen if, 

„» fo bidihe deine Hilf auch an. Dienft gebiehrt Gunſt. 
„ 29. Hüte dich vor ſchlechter Geſellſchaft. 


» 20. Kauf nicht zu viel Bücher. Die Menge der 
” Bücher verwirrt ben Studenten. 


Seinrihd Bullingern a4 
» 21. Lied nicht bald da, bald dert in einem Buch. 


2 Will du ein Buch leſen, fo lied es von Anfang gu 


„ Ende. Das Nuͤtzlichſte fchreib im Auszug gufamen. 


„ 22. Auf der Reiſe gieb wol Acht auf die Gegend, 
„frag den Dingen nach, die daſelbſt zu ſehn, wie auch 
den merkwuͤrdigen Thaten und Begebenheiten, die an 
» jedem Orte geſchehn ſind. Das Wichtigſte ſchreib in 
» dein Reiſebuch. Nihm von einem Orte zum andern 
* Empfchlungoſchreiben mit dir. 


23. Deine Kleider halt reinlich; ; laß fie bey Zeiten 
» ausbeſſern. — Kriegerifche, leichtfinnige,, als modifche 
» Kleidung mag ich an die nicht fehn. 
N ® 


» 24. Der Gang, die Bewegung und der Anzug des 
» Leibes feyn züchtig. Denn die Hoffärtigen haßt Gott, 
» den Demütigen aber giebt er Gnade 


» 25. Ben Tiſch betrage dich anſtaͤndig. Iß und 
„ teint nicht ubergüffig. Laß dich begnügen an dem, 


5¶ was man die giebt. Was du genieffeft, Das frig 


» nicht, als ob es die afein gehöre. Goͤnne andern 
» Leuten an der Tafel auch etwas. 


» 26. In deinen Gefprächen bey Tiſch ſey ſchamhaf⸗ 
» tig, fröhlich, maͤſſig; ſchmaͤh und ſchelte nicht. 


‚» 27. Halte gut Haus und fen eingeben! unfter ges 
» ringen Mittel und Armut, wie auch der Menge deis 
» ner Brüder und Schweſter. Denn ich habe nicht 
» Dich allein gu erhalten. 


728. Vergiß nicht des Spruches: Was  undtiig 











us 6einrich Bullinger. 


» iſt, iſt um einen Schilling zu theuer. — Wie auch deis 
» ſen: denck nicht Darauf, was du wolleſt, fondern 
„ Nur, was du gar: nicht mangeln fönnefl. — Vergeich« 
„ne das Geld, das du ausgiebſt, umd auch wofuͤr du 


„29. Geh von keinem Det weg ohne fchriftliches Ges 


» zeugniß von Deinen ENT 


» Wirth. 


9 30. Alle Sonnabende wirft du dieſes alles feiffig 
„ überlefen. Laß dir allezeit J— ich rede muͤndlich 
¶ mit dir. % 


So weit der Auszug aus den Bullingerſchen Reiſe⸗ 
Inſtructionen. — Daß der groſſe Dann nicht bloß Theo⸗ 
log und Gelehrter überhaupt, fondern daß er Menſch, 
daß er Bürger, dag er Hausvater geweſen, hievon find 
die Beweiſe zu haufig, als dag wir felbige alle anfuͤh⸗ 
ven koͤnnten. Nur noch erwähnen wir der Erinnerun⸗ 
gen, die er im X. 1558. feinem Schwager, Georg Stad⸗ 


lee , ald neuerwältem Spitalmeifter, fcheiftlich zugeſendt 


‚bat. In dieſen Erinnerungen heißts unter anderm: 


„Rechnung zu geben, mag etwas verborgen bleiben; 
„Gott aber ſieht es alles und iſt die Finſterniß Licht 
» por ihm. 


„ Deutlich fagt Chriftus, was man den Armen thue, 
„Dad wolle er anfehn, als ob es ihm felber geſchehn 
„ſey. — Sind bir alfo die Armen überhaupt auch für 
» dich felbt empfohlen; Wie vielmehr denn nicht ifo, 
„ da du Amts wegen ihrer warten mußt? bie Armen 


y 


Seinrib Bullingen ap 


> md ihre Güter ſind Gottes, und Gott nihmt ſich 
„> ihrer an. Die Armen follt du alfo ja nicht verachten, 
3» fo fihlecht fie immer ſeyn mögen; nicht wie Hunde 
» follt du fie wegweiſen, fondern erkennen, daß dich 
„ in ihnen Ehriftus felber anfpricht. 


3, Viele forgen mehr fir ich ſelbſt ala für ihre Amt 
„ und entziehn dem Amt, was fie koͤnnen: alle diefe 
» find Judas Gefellen, ehrloſe Dieben und ruchlofe 
» Bößwichter. Darum begnüge dich an deiner Beſol⸗ 

„ dung; nihm Leinen Heller mehr; denn er gebört 
„ dir nicht. Du biſt fchuldig, den Heinften Heller gu 
3 berechnen und für das Kleinfte wie für das Größte 
39, Sorge zu tragen. Hüte dich, dag du nicht dem h. 
„Geiſt das Seinige wegftäleft, und den Fluch Gottes 
„ über dich und über die Deinigen führefl. Vertrau 
„aber auf Gott, dag er dich, dein Weib, deine Kinder 
„ treulich und ehrlich erhalten werde; das Wenige, 
„was du rechtmäffig erwirbft, wird ee fegnen, daß es 
3, für Dich vortheilhaftee ſeyn wird als viel Mehrers, 
„ aber fchändlich erdippet. ; 


„» Bette Heiffig zu-Gott, daß er dich vor Fehlteiten 
» bewahre; ; begehr auch, dag die Armen für dich bets 
„ten. Wenn du dich Gott im Gebete empfohlen haft, 
„ alödenn fey voll Muts und Ermunterung, ſey emſig 
„» und forgfam ; ſchau auf alle Dinge, hab’ immer 
» De vornemmftien Stuͤcke deines Amtes vor Augen. 
„ Mit jeden Morgen flelle Dir vor, was und mit wen 
„ du den Tag über zu thun babe. Geh felbit zu den 
„ Kranken; frage, fie felbit , was ihnen mangle; übers 
„laß nicht alles des Wärtern allein. — Laß «3 die Ars 





8 8einrich Bullinger 


„ men, die gar nichts in den Spital mitgebracht habe 
3 ja nicht entgelten; ſag nicht: du haft nichts hinein 
„ gebracht; man iſt Die nichts ſchuldig. — Die Stits 
„ter ‚felber haben zum Voraus für Diejenigen bezalt, 
3, die nichts mitgebracht haben. Golcher Armen wegen 
5 iſt alfo mehr Guts im Spital als von ei derjeni⸗ 
2:5 gen, die ihre Pfruͤnden kaufen. 


5 Mach einen Unterſcheid zwifchen den gefunden und 
„kranken Armen. — ‚Geh in die Küche, ob fie reinlich 

„ auöfehe; gieb acht, wie Speife und Trank audges 
PN ” tbeilt werden, fchau auf die Aerzte und Wundarzte, 
ob fie treu und Aeiffig ſeyn. — Bid auf den geringe 
ſten Dienftboten chre jeden, der treu iſt; die Ute 
= treuen entferne. 


Seny freundlich mit denienigen, mit welchen du Vers 
„kehr haſt; krangle nicht mit ihnen; dring” ihnen 
„ nicht faule Münze auf; bezal fie bey guter Zeit. 


„Eben fo wie du genaue Acht haften mußt auf die 


1 Berfonen, fo mußt du auch George tragen zu dem 
». Sachen, u Kernboden und Weinkellern, zu Feldern 


„und Neben, zu Vieh und Geraͤthe. Auf alles dieſes 


„gieb Acht zu rechter Zeit, Damit ed entweder in Ord⸗ 
„, nung bleibe, oder doch bey etwaniger Beichädigung 
„ noch bey Zeiten verbeffert werde. — Kurz, alles Dies 
»„ ſes beforge fo, ald wenn es bein eigen Ding wär. 


9» Bor allem aus vergich niemald, daß du vor Nacht 

„ die Ausgaben und Einnahmen des Tages verzeich⸗ 
» nefl. — Niemald vermifch dein eigen Geld mit dem 
» Gelde des Amtes; bebalt jedes befonders. 


ı% 





-- - — Te ||—— 


BZeinriſcch Bullinger a9 
. „ Sen nicht häffig gegen denjenigen Deren Vater und 


. » Amtmann du fepn folt. Loc keine Geſellen zur Tas 


» fel, die das Gut der Armen verprafin. Willt du 


 » Bälle bewirtben, fo thu ed aus dem Deinigen. 


„Bemeiſtre deinen Zorn, wenn er auch würklich ger 
„- reist wird. Laß dich auch gerne von den Pflegern 
„ und von andern Leuten warnen. — Dad geb dir Gott! 
» Amen, * 


Mehr bedarfs nicht zu beweifen, daß für den wahr⸗ 
baftig groffen Mann nichts weder zu groß noch zu Klein 
iſt; — mie fehr muß nicht ein folched Beyſpiel jene klein⸗ 
fügigen, einfeitigen Seelen defchämen, die unter dem 
Vorwand, daß ihre Zeit und ihr Vermögen auf Beſor⸗ 
gung des Hausweſens allem eingefchräntt ſey, fo leich⸗ 
tee Dingen ſich den Öfentlichen Gefchäften entziehn, — 
oder die unter dem Vorwande diefer letztern Staats, 

und Kirchengefchäfte ihre eignen, bauslichen Angelegens 
beiten vernachläffigen? Gleich einer wolthätigen Bott, 
beit, brachte Bullinger Alles unter einen gemelnfchaft® 
lichen Geſichtspunct. Auch die auswärtigen Kirchenan⸗ 
gelegenheiten befchäftigten feine Aufmerkſamkeit. — In 
‚obigem Jahr 1553. wurden unter der Regierung Dev 
Königin Maria in England die Anhänger der Glaubens; 
verbefierung vertrieben. — Eine Menge derfelben begab 
>fih nach Zürich. Daſelbſt wurden fie von Dafigem 
Kirchenvorſteher lichreich beherbergt. Nach dem Hin 
fcheid der Königin zogen fie wieder in ihr Vaterland zus 
ruͤck; fünfe derfelben wurden zur bifchöfichen Würde 
erhoben. — Unter fo vielen Groſſen der Erde, welche 
Bullingern mit ihren Zufchriften beehrten und fich ſei⸗ 
ner Rathſchlaͤge bedienten, nenn’ ich nur einen Heinrich 


se ZJeinrib SBuflingen 


VII. und Eduard VI. Johanna Sraja und Eliſabetha 
aus England; Chriftian in Daͤnemark; Siegmund, 
König in Polen; Heinrich II. König in Frankreich; 
Auguſt, Churfürft in Sachſen; Frigdrich und Otto 
Heinrich, Churfürften in der Pfalz; den frangöfifchen 
Prinzen von Eonde; Die heſſiſchen Landgrafen Philipp 
und Wilhelm ; die Herzogen und Grafen von Wirtems 
berg und Mümpelgart, Ehriftoph und Georg; den das 
maligen Herzog in Preuſſen; verfchiedener andre Fürs 
fien und Herren, auch fo vieler Bischöfe, z. B. der 
Erzbifchöfe von Coͤlln, Canterbuͤry u. a. nicht zu erwäßs 
nen; befonderd auch ſtand ee in genauer Verbindung 
nicht nur mit den Hatptern der gürcherfchen Regierung, 
fondern überal mit den Amphyctionen der proteflantis 
ſchen Eidgenoßfchaft ; fein Briefwechſel mit dem Gt. 
gallifchen Bürgermeifter Joachim Vadianus begreift meh⸗ 
rere Soliobände in fih. So ausgebreitet die Ephäre 
feines thätigen, hauͤslichen und bürgerlichen Lebens ges 
wefen, fo war es feine fchriftftellexifche Sphäre nicht 
weniger. Seine gedruckten Bücher , (devem Verzeichnis 
Conr. Geßner und Heine. Hottinger liefern ,) begreifen 
gleichfam eine gange Bibliotheck in ih. Auſſer den theos 
logifchen Werfen polemifchen, Dogmatifchen, hermenev⸗ 
tifchen Innhaltes, Hat er auch das Feld der vaterläns 
difchen Gefchichte mit ungemein wichtigen Producten bes 
reichert. In Handfchrift Hinterließ er vier Foliobaͤnde 
von den eidgenöffifchen, beſonders auch den tigurini⸗ 
ſchen Gefchichten; ferner eine Chronick der Bifchöfe 
son Coſtnitz; eine folche Chronick der Abtey Einfies 
dein; zwey Bücher von den Grafen zu Habsburg, Her⸗ 
sogen zu Deflerreich und Schwaben, wie aud) von Der 
Stiftung des Kloſters Königsfelden im Nergan; einen 


— 


—8Beinrich Bullinger 3 


Auffak von dem Stift zu Luzern. Zur Auflldeung dee 
zürcherfchen @efthichte befonderd dienen feine Altertuͤm⸗ 
mer ber Abtey zum Frauenmuͤnſter, und der Kirche zu 
St. Peter in Zürich, wie andy feine züecherfche Refors 
mationdgefchichte ; auch wear ex der erfte Gompilator 
des zürcherfchen Regimentbuches. — Ein Theil Diefer 
Handfchriften befindt fich auf der carolinifchen — ein 
andrer Theil auf der Stadtbibliotheck in Zurich. — 


Schon hatte fich hie und da durch die Bemühungen 
eines Balthaſar Fontana, Johannes Beccaria, Thad⸗ 
daͤus Dunus u. a. der Reformationdgeift auch über die 
italiänifchen Vogteyen der Schweizerſchen Kantons ver. 
breitet. Gegen die Reformirten erfolgte im J. 1554. 
von den catholifchen Endgenoffen auf der Tagleiltung 
zu Baden dad Verbammungsurteil. Bey vielen hun⸗ 
dert Menſchen wurden von Locarne vertrieben. Durch 
Bullingerd Vorſchub kamen bey 133 diefer- Flüchtlinge , 
von jedem Stand, Rang, Alter, Gefchlechte, auf Zuͤ⸗ 
rich. () Dafelbft ward für fie eine italiänifche Kirche 
errichtet. Der erſte Brediger in diefer Kirche war der 
feomme Johann Beccaria. Auf diefen folgte der bes 
kannte Bernhardin Ochinug von Siena. Diefer letztre 
gewann anfänglich Bullingers Vertrauen fo ſehr, daß 
er ihn vielen andern weit vorzog und ihm auch. wuͤrk⸗ 
lich ein Kind aus der heiligen Taufe hob, durch die 
verwegenen Grundfäße des Ochinus ward diefe Freund, 
ſchaft geftöret. — Ye mehr theild Durchreifende Italiaͤ⸗ 








x l A 

(”) Man fehe Tempe Helvetica, Tom. IV. Se@. I.n. 6. 

oh. Eutichi de Claromonte Oratio Carolina de perfecutione 
enhum. f. 131. 


a3 Hetnrih Bullingen > 


En 05 


ner , theils Die eydgenöffifchen Penſionaͤirs aus dem itas 
liänifchen Kriegesdienft Neuerungsfucht und Freygeiſte⸗ 
rey zu verbreiten anfiengen , deſto wachfamer ward Buls 
lingerd Eifer. Indem man den Mißbrauch allzu ängfle 
licher Orthodoxie bey den Paͤpſtlern einſah, gerieth man 
nunmehr auf dad andre Ertrem; aus dem Kerker des 
bierarchifchen Aberglaubend taumelte man in den Abs 
grund des troflofen Unglaubens. Mit Hintanfegung 
nicht weniger ded eigenen Beobachtungsgeiſtes ald der 
h. Bücher, folgten nun mehrere jener Biendlanterne der 
griechifchen Philofophie, und zwar, wie felbige von ib⸗ 
ren undchten Schülern, den Arabern fo wol als den 
Alerandrinen und Conftantinopolitanern noch tauͤſchen⸗ 
der audgemalt worden. Die gelerte Republic war in 
zwo Hauptfactionen getrennet, in die ariftotelifche und in 
Die platonifche. Aus beyden entitand ein philofopbifcher 
Syncretiſmus, der die ſelzamſten Mißgeburten erzeugte. 
Johann Pic, Fuͤrſt von Mirandola 4. 8. verband mit ° 
griechifcher Weisheit die Cabbala der Juden; felbit 
Zwingli, ald er noch zu Einfiedeln fludirte, machte fich 
Mirandolaniſcher Lehrſaͤtze wegen verdächtig. (*) Einer 
der erflen und vornemften Gegner des Ariſtoteles war 
Bernardo Tilefio; (*) bey diefem Hatten die beeden 
Zürcher, Joh. Jacob Ammann und Rudolph Collin 
eine freyere Denkart gelernt. So wenig Wehrt indeg 
ihre neuen Lehrfäge hatten, immer Doch Wehrtes ges 
nug, daß durch diefe neuern Hypotheſen die Altern ver⸗ 
drängt und fo nach und nach die Gemüter sum Selbſt⸗ 








(") Iac. Hottingers Kirchengeſchich. Ih. TIL. ſ. 15. 
) Eondillacs Cours d’Etude, T. XV. ſ. 191.- 


4 


— 3einrich Bullinger 9 


denken erweckt wurden. Ein ſolcher philoſophiſther Neu⸗ 
ling, der damals in der Nachbarſchaft von Zuͤrich das 
ganze Schöpfungsfoftem in bisher ungewohntem Ges 
fichtspuncte darfteileten war unter anderm Theophraſtus 
Parazelſus oder Philipp Aureolus von Hohenheim ; () 
in einem Schreiben an Bullinger giebt ihm Thomas 
Eraftus folgendes, eben nicht fchmeichelhafted Zeugniß: 
ejus dodtrinam eſſe in philofophia iniquam , in medicina 
monftrof;m , in theologia impiam & blasphemam. Bon 
feiner Lebensart, die er während feines Aufenthaltes in 
Zürich geführt hatte, gieht Bullinger wenig guͤnſtige 
Nachricht, eben fo wie Joh, Oporinus, welcher eine 
Zeitlang deifelben Hausgenoß und Schreiber gewefen. 
— inter den zalreichen Irrlehrern, die fich unter dem 
Schild der Reformatoren zur verbergen bemüht waren , 
befand fid) befonderd auch oben -erwähnter Ochinus. 
Ungeachtet feiner übrigen Verdienſte um die Glaubens⸗ 
verbefferung , machte fich derfelbe nichts deſto weniger in 
vielen Stücden wegen allerley freyer Meinungen vers 
Dachtig. (*”) Hieruͤber berufen wir ung auf fein Buche 
Labyrinthi, hoc eft, de libero aut fervo arbitrio, de 
divina prænotione, /deftinatione & libertate Difputat, 
Aus der Zueignungsfchrift an die Königin Elifabeth läßt 
ſich vermuten , daß Ochin diefes Buch in den legtern 
Fahren feined Aufenthaltes in Zürich bekannt gemacht 
babe. Bon demfelben fpricht Bayle mit befonderm Bey⸗ 
fall. Ochins Abſicht zielt auf folgende Behauptung ; 
—— | 

(”) Hottinger Sr IH, f. 360—36%. - Delrio Difput. mar‘ 
gie. f. 1015. Vitz Selecæ, Vratislavix 1711. 


er) ©. — Beytraͤge zur Reformasiondgefehichte def 
Schweizerlandes, Th. V. f 416. folg. 





254 Seinriß Bullinger. 


Wir koͤnnen nicht wiſſen, ob wir frey handeln oder nicht; 
weder die Erfahrung noch die h. Schriften geben uns 
hieruͤber Leinen. befriedigenden Aufſchub; auch würde 
uns richtigere Einſicht hieruͤber wenig zu nuͤtzen im Stand. 
ſeyn; beym Bewußtſeyn der Freyheit wuͤrde der Sterb⸗ 
liche wegen ſeiner guten Handlungen ſtolz ſeyn: im 
Gegentheil wuͤrde er traͤg werden zum Guten, er würde: 
dem Boͤſen keinen Wiederftand thun. — Dchind XXX. 
Dialogen über den Meſſias, über die Dreyeinigkeit und 
tiber andere Puncten, die zu Bafel im J. 1563 gedruckt 
worden, find dasjenige Wert, um defientiwillen er von 
Zürich weggeiagt worden. (*) Bullinger meldet, daß 
viele Eremplare dieſer Geſpraͤche an einem Orte, den 
ee nicht nennet, verbrennt worden wären; auch iſt er 
fehr erzuͤrnt, daß Ochin durch dieſes Buch den Papis 
ſten Anlaß gegeben zu ſagen: die Zuͤricher waͤren die 
Urheber und Befoͤderer der antitrinitariſchen Irrlehren. 
Den meiſten Laͤrm machte der X1Xte Dialog de ſumma 
trinitate und dee XXlfte de polygamia: In dieſem letz» 
teen frägt Telipolygam: quid vero mihi das confilii ? 
Ochin: ut plures non ducas, fed Deum ores, ut tibi 
continentem eſſe det. T. quid finon dabit? O. da- 
bit, fi fidenter oraveris. T. quid fi nec donum mihi 
nec ad id petendum fidem dabit? O. Tum fi id fe 
ceris ad quod te Deus impellet, dummedo divinum in. 
ſtinctum exploratum habeas, non peccabis , fiquidem in 
obediendo Deo errari non potelt. Wenn alfb jemand 
göttlichen Ruf bey fih fühlt, nebft feinem Weib noch 





D£? S. Bullinger in praf. ad Simleri Librum de filio 


S 


Beinrih Bullingen 2 


ein anders zu nehmen, fo mag cr dieſes, nach Ochins 
Meinung, obne Gefar tbun. Ohne Zweifel waren es 
auch andere Behauptungen , die ihn nicht weniger ver. 
haft machten. Im XXVſten Dialog unterfücht ee: 
qua&nam fit omnium , quæ usquam vel fuerunt, velfunt, 
vel effe poflunt,. peflima Secta hereticorum ?_ In dens 
felben macht ex den Papſt zum größten Sectirer; zu⸗ 
gleich aber bezeugt er groffe Beſorgniß, es möchten in 
denen Kirchen , welche fich vom Papſte getrennt haben, 
neuerdings Paͤpſte entfiehen. — Auf der Jahrmeſſe in 
Bafel wurden den Zürchern hierüber Vorwuͤrfe gemacht, 
auch erbielten einige züccherfche Rathsglieder aus ver» 
fehiedenen Orten fehriflliche Borwürfe, dag man dem 
Ochin erlaubt habe, kaͤtzeriſche Sachen zu druden. (”) 
Hierauf trug die Regirung in Zürich den Geiftlichen die 
Unterfuchung des ganzen Geſchaͤfts auf. Diefelben übers 
brachten dem Mathe den Innhalt der Dialogen , und bes 
ſonders des Geſpraͤches von der Vielmeiberey. Der Rath 
ließ die Geiftlichkeit fragen; Ob fie nichts von dem 
Abdruck diefer Gefpräche gewußt habe und ob dem Ochin 
befannt geweſen, Daß ee ohne vorbergegangne Cenſur 
nichts, heraus geben duͤrfe? Die Geiftlichkeit verficherte, 
daß der Drud ohne ihre Vorwiſſen gefchehn wär, und 
dag fie den Ochin fruchtlod gewarnt hätte. Nach lan⸗ 
ger Beratbfchlagung vereinigte man fih zu folgendem 
Urteil; der Verfaſſer müffe aus dem Canton wegge- 
ſchickt werden, damit nicht andere Kirchen der zürcher- 





9,8. Simler in vita Bollingeri. Hottingers belv. Kite 
chengeſch. Th. III. ſ. 872. Fuͤfßlins Bepträge Ch, V. ſ. 439+ 
folg. Bayle im Artickel Ochim. vn 


6 B3etnerich BSullinger. 


ſchen Kirche vorwerfen koͤnnen, bag fie irrige Lehren bes 
günftige. Hiebey hatte der Rath noch fo viel billige Ach⸗ 
tung für den Ochin, dag er denfelben vor eine oberkeit⸗ 
fiche Committee vorfoderte ; allein er entfchuldigte fich 
fo wenig befriedigend und war ſo wenig zum Wieder⸗ 


rufe geneigt, dag, ungeachtet alled Mitleidend gegen den - 


fonft ſchaͤtzbaren Schriftſteller, das Urteil mußte volls 
ſtreckt werden. Bey der Arengfien Winterszeit ſah fich 
ber ſechs und ſiebzig jährige Greis (nachdem er eben 
durch einen ungluͤcklichen Fall ſein Weib verloren hatte,) 
in aller Eile genoͤtigt, mit vier kleinen Kindern den Kan⸗ 
ton zu meiden. Nach feiner Verbannung beichuldigte er 
in einer rachfüichtigen Schrift die Geiſtlichkeit fo wol ald 
den Rath zu Zürich der graufamften Intoleranz; feis 
nen ehmaligen Freund Bullinger nennt er den zuͤrcher⸗ 


ſchen Papſt und Dictator, und von der Regirung ſagt 


er, daß fie fich von den Geiftlichen am Säil führen laffe. 
Andreas Dudithius erklärt im einem befondern Schreis 
ben an Theodorus Bea das Verfahren gegen den Ochin 
für hart und barbarifch. Diefes Verfahren fucht Beza () 
fo gut als möglich zu entfchuldigen. Die Verantwors 
tung der gürcherfchen Geiftlichkeit beſindt fich in Heinrich 
Hottingers Hi. Ecclef. 1X. 475. folg. (*”) 


Merkwuͤrdig ift es, daß Diefelbe fehr viele Menſchen 


son dem Papſtum abmendig gemacht hat, unter andern 
den 








( ) &. Beza Epift. prima , Opp. T. IL L 190. 

(**) Spongia adverfus afpergines Ochini, qua verz cauſſa 
exponnntur , ob auas ille ab urbe Tigurina fuit relegatus. 
wie auch Zar. Hottingers Kischengeih, I, Hl, fe 863. folg. 
den Ochin nimmt Arnold in Schuß. | 


Seineib Bullingern =9q 


den Jeſuiten Anton Clofelius, Hofprediger des oͤſterrei⸗ 
chifchen Herzog Ferdinands. 


Je heftiger auf der einen Seite die Bapiften, auf der 
andern Seite auch felbit die Lutheraner gegen die refor⸗ 
mirte Kirche erbittert geweſen, deſto eifriger ward fie 
‚aller Orten von Bullingern beſchuͤtzt. Zwo Gefandts 
ſchaften wurden durch feine Vermittlung von den IV. 
reformirten Kantons an den König Heinrich II. gefens 
det, um wenigſtens einiger maſſen das Schickſal der vers 
folgten Waldenfer zu lindern. Ununterbrochenen Briefs 
wechfel unterbielt Bullinger mit dem polnifchen Baron 
Johann & Laſco, der in feinem Baterland ungemein 
diel zur Ausbreitung der Glaubendverbefferung beytrug. 
In dem Gefpräch, welches im J. 1557 zu Worms zivis 
chen den Lutberanern und den Papiſten gehalten wor» 
den, fiengen jene Damit an, daß fie geradezu die Quthers 
fche Lehre verdammten. Nicht nur der menfchenfreunds 
liche Melanchton, Tondern auch felber der päpftliche Praͤ⸗ 
ſident des Gefpräches, Julius Pflug, aͤrgerten fich über 
Diefen Parteygeiſt fo ſehr, Daß das ganze Beipräch ohne 
Frucht blieb. Im J. 1560. drang auch die Schule zu 
Jena auf Beranflaltung einer Synode , jedoch ebenfalls 
unter Bedingnig, daß die Reformirten ausgeichloffen feyn 
ſollten. — Einer von den vornemmſten Reichöfürften fors 
derte Bullingern auf, hieruͤber ein theologiſches Beden 
ten zu fehreiben. () In diefem Bedenken beklagte er 
ſich ernflich uber den !Dictator ton und hierarchiſchen 
Geiſt der lutheriſchen Paͤpſte. So ſehr ihm indeffen die 








() &. Simler in vita Bulling. T. 33 —36. 
| R 


3 Heinrih Bullinget. 


Intoleranz verhaßt war, fo weit war er gleichwol vom 
Synkretiſmus entfernet. Ungemein hatten fi) die Ans 
titeinitarier in Polen verbreitet, befonderd auch verur⸗ 
fachte Georg Ylandrata in dafigen Kirchen groſſe Vers 
wirrung. Deswegen ward Martin Seconitius vom Fürft 
Radzivil nach Zürich zu Yullingern gefendet, ob viel 
Veicht zwifchen Calvin und Blandrata eine Vereinigung 
ſtatt Haben könnte. Geradezu erklärte fi) Bullinger ges 
gen den Zürften: Daß, fo theuer ihm die Eintracht in 
der Kirche immer feyn werde , fo wolle ex felbige gleich- 
wol keineswegs auf Linkoften der Warheit erkaufen. — 
— Gleichwie indeß , nach der Meinung dee Socinianer, 
Bullinger von Chrifto fich allzu hohe Begriefe machte, 
fo machte er fich von demfelben, nach der Meinung der 
Ubiquetiften , allzu niedrige Begriefe. In drey verfchies 
denen Abhandlungen fischte Brentzius gegen die zuͤrcher⸗ 
fchen Lehrer zu beweiſen, dag Chriſtus auch nad) feiner 
menfchlichen Natur allgegenwärtiged Dafeyn befige. Mit 
Nachdruck ward die zürcherfche Lehrmeinung von Bulk 
finger verfochten. | 


In diefen Zeitraum fallen die einheimifchen Kriege in 
Frankreich. Dafeldft ward im J. 1561. das Religions. 
gefvräch zu Poiſſy gehalten. Von Zürich aus ward da; 
hin Petrus Martye berufen ; mit ihm unterhielt fich Die 
Königin fehr freundlich; auch ſtellte fie. fich für die Res 
formation nicht ungeneigt , ungeachtet fie im Herzen 
ganz anderft sefinnt war. NAufferordentlich war Bullin- 
ger mit den Angelegenheiten der franzöfifchen Hugenos 
ten befchäftigt. — Im J. 1564. ward eifrig an einer 
neuen Vereinigung zwiſchen Frankreich und zwiſchen den 
Eydgenoſſen gearbeitet. Zur Beföderung diefed Bündts 


Jeinridh Bullinger 29 


niffes befand fich der Erzbifchof von Lomoig in Zuͤrich; 
Durch Bullingers Wiederſtand wurden alle feine Bes 
mühungen vereitelt: 


Im J. 1564. herrſchte die Peſtſeuche in Zurich. An 
derfelben lag auch Bullinger gefährlich krank; fchon 
Hatte er die Diener der Schulen und Kirchen zu fich bes 
zufen, um von denfelben Abicheid zu nehmen, als ee 
ſich unvermerkt wieder erholte. Hingegen verlor er Durch 
gleiche Krankheit feine zärtlich geliebte Gattinn, mit 
welcher er fünf und dreiffig Jahre lang in der feligfich 
Verbindung geflanden, wie auch drey feiner Töchter. 
In diefem und in dem Darauf folgenden Jahre ward 
er Durch den Tod mehrerer Freunde und Mitarbeiter 
beraubet; unter denjelben befand fich Chriſtoph Fros 
fchower , der unferm Bullinger indem lebten Willen 
über fiebenhundert Zürcherpfunde gefchentt hatte, — fer⸗ 
ner Ambrofius Blaarer, Calvin, Pellican, Bibliander , 
Conrad Geßner, Johann Friſius, Sebaftian Guldibed, 
Andreas Hyperius u. a. — Unterm =. Wintermonat 
1564. ſchrieb Bullinger an Fabrizen, Vorſteher der Kits 
chen in Chur: „ Sey mir gegruͤßt, mein Bruder, und 
„dem Herrn gefegnet! Ich fchreibe dir wiederum den 
„ erfien Brief; ich Kann. nicht fagen, feit meiner Krank, 
„» beit, fondern in meiner Krankheit, da ich noch im 
3, mer mit geoffen Befchweerden und unter groffen Bes 
truͤbniſſen mit den Ueberbleibſeln derfelben zu kämpfen 
» babe; wenn mich der Herr nicht auf eine auflerors 
3, Dentliche Weife fiärkte, fo wüßte ich nicht, wie ich 
„ genefen könnte‘, inſonderheit da Berrübnif mit Bes 
„ truͤbniß abmwechfelt und zufamenfieft. Vor fünf Wo, 
» hen entriß mir der Here meine liebſte, fromme Gate 


2 Aeinrid Bullinger. 


„tinn, den Stab meines Alters, da ich num in dem 
„ ein und fechzigften Fahr des Lebens wandle; du 
„weißt, wie fie geweſen (*), und wirft daher leicht 
» fihlieffen , welchen Schmerz mir dieſes erwecken müfs 
m Ten. Itzt aber, nach fünf Wochen, an demfelben 
» Tag, an welchen mein Ehmeib begraben worden, 
1» begrabt man mir meine liebſte Tochter Margaretha , 
„die Gattinn des Ludwig Lapaterd, welche auch an 
» der Belt geftorben; fie war fchwanger ; die Stärke 
3, der Krankheit trieb das Kind noch lebendig von ihr, 
j und es empfing die h. Taufe, farb aber den folgen 
„den Tag; Nachts drauf folgte ihm feine Mutter 
„ nach, welche fieben Wayſen und einen von der Trauer 
„tief gebeugten Mann binterlaffen Hat. Ich weiß, 
5 daß alles dieſes nach dem Rathſchluß Gottes gefchehn, 
.„ und daß ich folchen weder mißbilligen foll noch kann; 
„ ihm ergeb ich mich und alles, was ich habe, und 
„ alle Deinigen und erflehe feine Barmherzigkeit; ich 
„bitte dich auch insbefonder, daß du mich und mein 
» Haus, ia Die ganze Kirche in deinem Gebethe dem 
„Herrn empfebleft. “ — Unter dem 22 Wintermonat 
fchrieb er ihm abermal: „Ich bin fchon wieder in 
3, einer nicht geringen Betrubniß, meine liebe Liſabetb, 
„Joſias Simlerd Ehweib, Hat nor drey Tagen ihren 
„ Beift felig ihrem Gott übergeben. Nun liegt auch 
„ meine dridte Tochter Anna, Zwinglis Ehmweib, in 
„ deſſen Haus ich dieſes fihreibe, in den legten Zügen. 

» Was Gott uber mich und über meine Uebrigen ver⸗ 











C).Fabriz if nämmii von Bullinger a | lican lange 
Be a nn 


Seinrih Bullinger 261 


3 Bängt Habe, ift ihm allein bekannt; ich bin gang 
> bereit. Wenn ich aber von binnen gewandert feyn 
„ werde, fo nihm du , mein Lieber, .die Sorge fir 
„ meine Kinder auf Dich. Der Schmerz läßt mich ders 
» mal nichts mehrers fchreiben, denn ich bin ein Menſch; 
» indeffen tröften mich die Verheiffungen Ehrifti, und 
» daß meine Töchtern unter aufrichtiger Bekaͤnntniß und 
„» Anrufung Chrifti verfchieden. Bitte du den Herrn 
» für uns. Lavater und Zwingli, welche mit vielen 
» Thränen den Sterbenden beyfichn, grüffen dich. * 


Bey Erwähnung von Bullingerd Berwittwung küns 
nen wir folgende Anecdote, die fo ganz befonders den 
Genius der Zeiten bezeichnet, keineswegs unbemerkt vor⸗ 
beygehen laſſen. Ungeachtet feiner zalreichen Nachkom⸗ 
menſchaft, gereichte e8 dem ein und fechzigjährigen Witt- - 
wer zum Vorwurf, Daß er fich nicht wieder aufs neue 
verheuraten wollen. Ihm flelte man vor, dag, nad 
feiner eignen, orthodoren Lehre, den Kirchendienern 
eine zwote Ehe nicht unterfagt ſey (*). Umſonſt, dag er 
vorwendete , immer noch lebe in feinem Herzen die erfle 
Geliebte ; fie lebe für ihn im ihren Kindern , befonders 
auch in einer Tochter, die mit fo vieler Klugheit fein 
Hausweſen beforge. Die Tadler ftütten fich hauptſaͤch⸗ 
lich auf den Grund, dag eine neue Verehlichung der Ges 
fundheit zuträglich feyn werde; fie glaubten, daß die 
Verwittwung feine Nierenfchmerzen verınehre. Bullin⸗ 
ger ftellte umfonft vor, daß von folchen Schmerzen ver 
heuratete Männer eben fo wenig als ehlofe befreyt feyn. 





(* ) &. Gimler in vita Bullingeri, fol. 12. und Boyle = 
Di&. im Artik. Bullinguer. 


2a Heinrih Bullinger. 


Was bei diefem ganzen Streit am meiften: beſremdet, 
ift ohne Zweifel der Ernſt, womit er geführt worden. 


Ungeachtet fo vielen und groffen Verluſtes, ungeach« 


tet fo fchmerzlicher Wunden am Leib und an der Seele, 
fand Bullinger Immer in eigner, wolthaͤtiger Wirkſam⸗ 


feit die befte Erleichterung. Von allen Orten ber ward 
er ald Dralel befucht. Unter anderm kamen feinetives 
gen der Tifhauifche Pfalzgraf Johann Kyska, die Erbs 
teuchfeffin zu Waldburg, die Gräfin von Hohenloe und 
Schauenburg und mehrere andre, anfehnliche Fremde 
nach Zürich. 


| Kaum daß er fich ein wenig erholet hatte, fo vollens 


dete er feinen Commentar uber den Daniel, Auch ants / 


wortete er Brentzen auf feine widerholten Ausfoderuns 
gen. Ye mehr er von dieſen ewigen Controverſen Aer⸗ 
gerniß fuͤr die Schwachen beforgte, deſto gewiffenhafs 
ter war er bemühet, in dem erften Theil feines Buches 
den eigentlichen und wmwefentlichen Grund des Glaubens 
auch für den gemeinen Dann in folchem, Elaren Lichte 
zu zeigen, daß er fich dabey beruhigen konnte, ohne fich 
mit den Controverfiften in dem Labyrinthe fchofaftifchee 
Spikfündigkeiten zu verlieren. Ye mehr die zürcherfche 
Lehre von den Gegnern ald Läterifch angefchwärgt und 
in falfchem Lichte dargeftellt wurde, defto mehr wurden 
freylich genauere Lehrbeſtimmungen, Unterſcheidungen, 
Einfchränkungen, wenn auch ein Webel, je länger je 
mehr ein unvermeidlich notwendiged Uebel. Ungluͤckli⸗ 
cher Weiſe entftand dadurch bie und da auch unter den 
Protefanten eine Art neuer Hierarchie. Theologifche 
Brozeffe und Blutige Religionskriege wurden durch ſpitz⸗ 


Sseinrih Sullingen zö 


Fimbige Unterſcheidungen bald erweckt, bald beendigt. 
Es entfianden mancherley fcholaftifche Kriegskuͤnſte. Gleich 
der. Wache auf Golgatha achteten bie und da die Lebe 
rer Chriftum felber nicht mehr, und fie begnügten fich 
feine Kleider zu theilen. Daber fo frey anfangs das 
Reformationgzeitalter geweſen, fo fteif und pedantifch 
ward es gegen der Neige. Mit. Geniepinfel, in kuͤhnem 
Umriß ward von den erſten Glaubensverbeſſern das götts 
liche Bild der Warheit entworfen ; dngfllich und klein⸗ 
fügig if die Copey ihrer nachherigen, ſchuͤlerhaften, 
frofligen Nachahmer. — Gleichſam als Hätten die Re⸗ 
formatoren zum voraus die nachtheiligen Folgen allzu 
enger Lebrformen gefehn, giengen fie niemals als not⸗ 
gedrungen daran, Warheitsſinn und Sreyheitsgeift im 
Geringften einzuſchraͤnken; wenn's auch gefchab, fo 
paßten fie vielmehr Form und Kleid dem Leib an, als 
daß fie Diefen durch jenes eingwängten. Beweis hievon 
giebt die Gefchichte der helvetifchen Glaubensbekaͤnnt⸗ 
niß. In Ludwig Lavaterd Bullingerifcher Lebensbefchreis 
bung finden wir hierüber folgende Nachricht: ,„ Im 
„J. 1566. ift von @idgnöffifchen, Evangelifchen Städ» 
„ ten eine Eonfeffion und Bekenntniß ihres Glaubens 
3», Audgegangen , und zwar desͤwegen, weil etliche vor⸗ 
» gaben , daß fie felber in ungleiche Lehrmeinungen ges 
„theilt feyn, ohne Grund und Beweid. Da fahn es 
» etliche verfkändige Leute für gut an, dag man die - 
5 Lehre, mie fie bisher von Zwinglis Zeit an zu Züs 
3 rich geführt worden, kuͤrzlich in Schrift verfaffe und 
» öfentlich bekannt mache, damit man den Mißguͤnſti⸗ 
„ gen- das Maul flopfe, welche das Gegenteil ausge 
„ ben. Diefe Eonfefton ward nach Bern und Genf 
„ und Schafhauſen geſchickt und an allen dieſen Orten 


24 8einrich Hullinger. 


„ genehmigt: Auch in St. Gallen, Biel, Muͤllhau⸗ 
„ fen, in den drey Pündten ward fie unterfchtieben. 
„ Ungeacht die Basler an der Confeſſion felber nichts 
„ausſetzten, fo unterfchrieben fie felbige doch nicht, 
„ weil fie nammlich fihon vorher eine eigne hatten bes 
„kannt werben Jaffen. * — Mit Nachdrud wird fie 
Eonfeffion und Glaubensbekaͤnntniß, keineswegs Vor⸗ 
fchrift und Lehrform genennt. Wie ſehr Bullinger das 
von entfernt geweſen, fich felbft zum Glaubensmeilterer 
und Dictator aufzubringen, Können wir aus feinem Dias 
rim fehn. „ Auf des pfaͤlziſchen Churfürkten, Frie⸗ 
„drichs II. Verlangen, fagt er, „ fchickte ich ihm im 
» %. 1565. die Confeſſion und Auslegung der wahren 
„» Religion. Ych Hatte fie im J. 1564. zur Zeit der 
Peſtſeuche verfertigt, um felbige nach meinem Hin⸗ 
„ſcheid dem Senat als Denkmal meines Glaubens und 
„meiner Lehre, teſtimonium meæ fidei & doctrinæ 
„ mezx, zu hinterlaſſen. * — Für dieſe und andere ge⸗ 
leete Arbeiten ward Yullinger von dem Churfuͤrſten mit 
zween vergüldten Pocalen befchentt. Dieſes Geſchenk 
nahm er nicht an, bis er von dem Senate ſelbſt Be⸗ 

fehl zur Annahme deſſelben erhielt. 


Im J. 1567. verglichen ſich mehrere teutſche Fuͤrſten 
zu gaͤnzlicher Unterſagung künftiger Controverſen wegen 
des Sacramentſpanns. In dieſem Jahr ward der Land⸗ 
graf Philipp in Heſſen geſtorben. Kurz vorher hatte 
ihm Bullinger ſeine Homelien uͤber den Jeſajas zugeei⸗ 
gnet. Von ihm hatte Bullingers Sohn, Chriſtoph, 
ein Burglehen in der Herrſchaft Rheinfels erhalten. 
Dieſer Fuͤrſt hatte ſich unfere. Bullingers in den wich⸗ 
tigſten Angelegenheiten als eines geheimen Rathes bedie⸗ 


Seinrih Bullingen 2% 


net. Sein Sohn, der Landgraf Wilhelm , Hatte für 
ihn die gleiche Gute und Achtung. Im J. 1567. fchrieb 
Diefer unferm Bullinger, er wolle nebft andern teutfchen 
Fürften auf Unterdrücdung ber ewigen Eontroverfen bes 
dacht feyn, jedoch dag Bullinger und die andern eidges 
noͤſſiſchen Gelerten fich diefer anflöffigen Controverfen 
gleichfaus enthalten. Lngemein war Bullingern dieſes 
Anerbieten willkommen. Bon Lutherifchee Eeite ward 
der tbeologifche Waffenftillfand bald wieder gebrochen. 


Im J. 1569. Hatte Bullinger die beftigften Anfälle 
som Steinſchmerzen; Ddeffen ungeachtet vollendete ex 
fein Wert von dem Leben der roͤmiſchen Paͤpſte, wel 
ches aber niemald gedrudt worden. In Diefem Jahr 
befand fich der parififche Profeſſor, Peter Ramus, in 
Zürich. Im vertraulichen Umgang theilte Diefer unferm 
Bullinger feine Schriften über die Religion mit, wel⸗ 
che des zuͤrcherſchen Kirchenvaterd gänzlichen Beyfall 
erhielten. — Im J. 1574. erhielt Bullinger perfönlichen 
Beſuch von dem. Bring Eonde, der ihn auch hernach 
mit mehrern Zufchriften beehrte. 


Unter den zalreichen Schriftfteleen , welche die zuͤr⸗ 
herfche Kirche der gefärlichfien Irrtuͤmmer befchuldig« 
ten, befanden fich, auffer Brengen und Bidenbach, auch 
Jacob Anderes, Schmidlin genennt. Inter heftigen 
Leibesfchmerzen und tödlichen Alteröfchwachheiten wies , 
derlegte Bullinger die Verlauͤmdungen dieſes letztern, 
und zwar nicht ohne iuvenalifche Sale. Diefe Bitters 
keit entfchuldigt Ludwig Lavater mit folgenden Worten‘ 
» Wenn glych Bullinger und Die andern Diener der 
„Kyrchen, in jren Antworten , den Andrefen, fo der 


7 
X 








266  Seinrid Bullinger. 


„ofnen Unwaarheit und Lugen von uͤns uͤberwieſen 
3, wird, ſcheltend, und im ſinen rechten verdienten Na⸗ 
„ men gabend, in ein Igchtfertigen , unverfchampten und 
„ unmwahrhaften Mann nennend, fo foll inen das nie» 
„» man verargen. Villicht möcht Bullinger in dem fü 
95 übel gefündiget haben, daß er min Herrn Doctor 
„ einen Wurgenfrämer oder Zahnbrächer vergigcht : 
vaber er Hat ſelbs vrfache darzu gäben, mit dem das 
9» ex fich ſelbs ruͤmpt ond groffer Dingen -ufthut: Hie 
„ſtaht der Mann, der den Zwingliſchen rächt zu Ader 
„laſſen kann. Darumb wenn giych Bullinger finen 
3 lacht, babe man recht ouch von jm vergut. Denn 
„ wie einer in Wald fcheyet, alfo gibt er im Ant⸗ 
wort. “ — So geneigt überhaupt die Züricher zur 
EN und zum Nachgeben gewefen , fo fahn 
fie fich gleichwol zur Gegengewehr durch die Gegnerfgs 
ber gendtigt-(*). So verehrungswinrdig ihnen Doctor 
Luther geweſen, fo beforgten fie gleichivol, daß er durch 
unumfchräntte Nachficht oder durch ſclaviſches Still, 
ſchweigen nur defto unvertragfamer und Defpotifcher wers 
de; alfo fahn fie fich zu polemifchen Ausfällen gezwun⸗ 
gen, (wie Simler fi) ausdruͤckt,) ne tyrannidem in 
.  renafcentem ecclefiam inducant. — Ueber die Schmid» 
liniſchen Streitigleiten beſonders fchreibt Nicolaus Zers 
hintes unterm 24 Mär 1575. von Bern aus an Buls 
lingern (**): „ Ungemein bin ich Die, verehrungswuͤr⸗ 
„diger Vater, für deine Bücher gegen den Schmiblin 
5 verbunden. In denſelben wuͤrdeſt du die Schranken 








0) S. Simler ia vita Bullingeri, fol. 20. 
C) &. Muſeum Helveticum, Partic. XV. Ne. IV. 


⸗ 


© 


BSeinrih Bullinger. 26 


„ deiner ehmaligen Sanftmut überfchritten haben, wo⸗ 
9 fern dus nicht die flinfenden Höllendunfte, die er zuerſt 

4, gegen dich hingeweht hat, nothgeswungen wieder häts 
„ tefi gegen ihn zurücktreiben müffen. — Aüfferft ſchmerzt 
»es mich, daß, mit Hintanſetzung der apoftolifchen 
„ Einfalt und Mäffigung, durch den Ungeſtuͤm der 
„ Eontroverfiften nicht nur der gefreuzigte Leib Chrifti, 
„ fondern auch die göttliche Natur felber gleichfam wie 
» der. Cadaver eined Miſſethaͤters unter den Händen der 
„ Anatomicer zerriffen und zerflüct wird, und zwar 
» ohne geringfie Schonung der Schwachen, die, bey 
> gänzlicher Unkunde folcher polemifcher Fechterſtreiche, 
3, nicht Jänger willen, wo fie fich hinwenden muͤſſen. 
+ Diefes fag ich fonderheitlich in Ruͤckſicht auf jene dor⸗ 
& nigten, fomonianifchen und fchegkianifchen Schriften. 
> Das befte Mitel gegen folch Unkraut find deine Grund⸗ 
> Jehren. Allein wie unerfättlich ift nicht der ſtolze Fürs 
3» witz gewiſſer Leute? Freylich werden immer Zwey⸗ 
„trachten und Secten in der Kirche berrfchen; um 
„ die Wette beftreben fich alle diejenigen, die biegu eis 
„ Nnige Anlagen befigen , daß fie durch irgend eine neue 
„Entdeckung fich je länger je mehr der Erforfchung 
„ der göttlichen Natur nähern. Keine Gewalt löfcht 
„dieſe angefchafne, brennende Begierde aus; daher 
» entfichen mancherley Dreinungen, welche durch fo 
„ viele Jahrhunderte Feine Menfchenkraft vertilget hat. 
> Mehrmal zwar hat die Gewalt Stilfchweigen gebo⸗ 
„ ten: allein bey geringfier Veranlaffung find die eins 
„gekerkerten Gedanken nicht anderft als die in den Erd» 
„hoͤlen verfchloßnen Lüfte, unter fürchterlichen Erſchuͤt 
„ terungen hberporgebrochen. Aus dieſer Betrachtung 
» bin ich gegen Diffidenten und Irrlehrer, die fich nicht 


’ 


28 83einrich Bullingenr. 


» ganz durch Laäflerungen vergehen, weit gelinder und 
„» Duldfamer geworden. Dder wo iſt wol ein Sterblis 
» her, der in dDiefem chatten des Todes der Anblick 
„ des Himmels nicht blende? Aus ähnlichen Betrach⸗ 
» tungen ift Tertullian in feinem Apologetico zur Ent⸗ 
» fhuldigung der Käzer geneigt, indem er dafür hält, 
„daß ihre Verirrung keineswegs freywillig gewefen. 
Zu verſchiedenen malen hatte mir der ſelige Calvin, 
„mein vieljaͤhriger Herzensvertrauter, freundſchaftlich 
„meine allzugroſſe Gelindigkeit vorgeworfen: Viel lie⸗ 
„ber, pflegte ich ihm zu antworten, verſuͤndige ich mich 
„ durch allsugroffe Gelindigkeit ald durch graufame 
„Strenge. Damit berubigte er fih und war mir bis 
„ zum legten Athemzuge gewogen. Wozu aber Die 
„ alle? Wuͤrden heut zu Tage folche Gefinnungen 
„herrſchen, o wie befeeligt wären nicht alsdenn die Kir, 
„ chen Gottes, durch keine Zimentracht entmeyht ! Du 
» dung und Stillſchweigen wären gegen jene Fieberhiten 
„das nächfte und ficherfte Heilmittel gewefn. — — — 
»— — Bir anerboten Freundſchaft; man trat: fie 
„ mit Füffen. Dem Höchiten fen Dank, daß alle Schuld 
„ der Verwirrung auf jener Seite allein if! Was 
3, bleibt und nun ‚übrig? da kein ander Heilmittel ges 
„ gen die Krankheit vorhanden ift, fo lag uns in dieſen 
> fatalen Zeiten fo leben, wie wir Xönnen, wenn wie 
„ nicht leben Eönnen, wie wir wollen u. f. w. * 


In der Antwort, unterm s April 1575. fchreibt un⸗ 
tee anderm Bullinger: „ Unbedingt unterfchrieb ich 
» dein Urteil über den einfältigen und nichts weniger . 
» ald fpigfündigen Lehrvortrag Chrifti und der Apoftel. 
Durch menfchliche Verwegenheit, Durch dunkle, un⸗ 


Beinrih Bullindger 2% 


» fruchtbare, ja fo gar fchädliche Subtilitäten werben 
die GHaubendgeheimniffe umwoͤlket. Niemals hab ich 
„dieſes gebilligt. Allezeit war ich darauf bedacht und 
„ immer werd’ ich darauf bedacht feyn , jene Heilsleh⸗ 
„ ren Klar, einfältig, populär vorzutragen, fo wie ich 
» 68 von den Apofteln und von apoftolifchen Maͤnnern 
gelernt Habe. — Jene Schegkianifche Dunkelheit haß 
» ich; jene Simonianifchen Spisfündigfeiten fcheinen 
„ mir verabfcheumsmwuürdig ; von der Perſon der Vers 
» füffern fag ich nichte. Wenn ich mich tiefer in die 
» Wiederlegung der Andreifchen Vorwürfe einließ, fo 
„geſchah es wieder Willen, ed gefchah nach wiederhols 
5 ter Auffoderung und einzig zu Steuer ber Warbeit. 
-» Dir it nicht unbefannt, daß auch die beften und 
>> heiligften Maͤnner, ein Irenaͤus, ein Tertullianus 
„und andere ſich mit Gontroverfen befchäftigt haben, 
„, darhit ja nicht Durch Blendwerk die Einfältigern vers 
» führt werden. Auch weiſſeſt du, dag jede Schreibart 
„eigne Regeln bat, und daß der polemifche Schrifts 
» ftellee die Gegenftände anderft behandelt als der Dis 
»» dactifche. u. ſ. w. * 


Sp viel Heftigkeit fi) übrigens Bullinger in feinen 
letztern Schriften erlaubte, fo fanft und gelaffen war er 
im täglichen Umgang. Unter den peinlichfien Stein: 
ſchmerzen fchrie er zum Himmel: O wie gerne duld' 
‚ich noch gröffere Leiden, wenn es Gott zur Prüfung meis 
ner Geduld, wenn ers zum Beſten der Menfchen-note 
wendig findet! 


Den 16 Auguft 2575. berief er zum Abſchied Die ſaͤmt⸗ 
lichen Kirchendiener zu fich. Ungeachtet gänzlicher Ent 





% 


20 seinrih Bullinger. 


kraͤftung bob er fich im Stul auf und empfahl ihnen in 
dem rührendeften Vortrag die Angelegenheiten der Kir⸗ 
che. Umſonſt fuchte ee die Thränen. zu unterdrüden. 
Er betheurte, daß keineswegs Schmerzen und Todess 
furcht, fondern einzig die innigfle Bruderliebe diefe zaͤrt⸗ 
liche Wehmut über feine Seele verbreiten. Hiebey führte 
ee das Beyſpiel ded h. Paulus an, welcher auch nicht 
ohne Thränen von den Ephefinifchen Aelteften Abfcheid 
genommen. Keineswegs feste er demütig hinzu, dag 
ich mich mit dem Apoftel vergleiche; nur daß man mir 
meine Schwachbeit verzeyhe, da ja felbft ein Apoftel des 
- Herren nicht feine Thränen zu erfliken im Stand war. . 
Die Rede befchloß er mit einigen erbaulichen Liedern. — 
Seit diefer Zeit lebte er noch zwey und dreiffig Tage und 
ftarb bey völligen Verſtande den 17. Herbſtm. 1575. 


Nach feinem Tod fand man einen Brief von ihm an 
Die zürcherfche Regirung. Diefer letzte Wille ded Bas 
trioten ward vor Rathe verlefen und wuͤrklich vollſtrecket. 
— Vorerſt dankt er den gnädigen Herren für alled em⸗ 
pfangene Gute und erfieht für fie und für das ganze 
Vaterland den Seegen ded Himmeld. — Dann bezeugt 
ee , Daß er dem Staat und der Kirche fo treulich, ale 
möglich gedient babe, und bittet zugleich um Verzey⸗ 
Bung, wofern von ihm irgend etwas follte verfaumt wor⸗ 
den ſeyn. Hierauf befchwört er fie, Daß fie nie wieder 
die päpflliche Hierarchie einreiffen Iaffen. Ferner fodert 
er fie auf, ohne Anſtand und mit Hintanſetzung aller 
Kabbalen , einen neuen, friedlichen, demütigen, berie 
haften und thätigen Kirchenvorfieher zu waͤlen. Hiezu 
empfiehlt er Rudolf Bualter, Pfarrer, zum Peter, der 
auch würklich einhenig zu feinem Nachfolger ernennt 


Seinrih Bullingern a 


worden. — Sonderheitlich noch drang er auf Beſchuͤ⸗ 
tzung der Freyheit der Preſſe, durch welche (wie er fich 
ausdrudt, ) dem Papſtum der Hals abgedrudt worden. 
— Weiter empfiehlt er den Regenten, daß fie den Got» 
tesdienſt feiffiger, ald bisher beſuchen, daß fie die wol: 
tätigen Armenanftalten befödern und hingegen verbin- 
bern, daß der Bettel Fein Gewerb werde. „Ir myn 
» Gnedig Herren, fehreibt er, „ hand ein simlich Gut, 
» dad nit Statt — fonder Kylchengut genannt wird : 
» Wann je dad nit vächt bruchend, führend je den Zorn 
» Gottes über Mech und über alfes Bol. Darumb ift 
» duch ſoͤmlich Gut geftift und von biderben Lüten ge⸗ 
» fürt, dag Gott damit geehret ‚ die rächt Armen ver- 
» forget, ouch die Lehrer, die Schulen, und wag Dies_ 
» net zur Kylchen, nach Nothdurft verfächen werde. 
» Sp dad alled verforget,- und dannethin noch etwas 
» uͤberig were, Toll man das nit vergüden und liederlich 
» zerſtroͤuwen, fonder fpahren, und zu gemeiner ynfal⸗ 
>> Sender Roth bewahren. Lind darumb, mas guter Ord, 
» Nungen am Gefift zum groffen Münfter und zum 
» Srauenmünfter, und in berden Schulen daſaͤlbs find, 
3» da find umb Gottes Willen vermahnet, diefelben nit 
» nun nit je zerftören, fonder ze fchirmen und zerhal⸗ 
» tn: Sömliches dienet zu gemeinem But der Statt 
» und Land, infonders fo man allegpt geleerte, Gotts⸗ 
* förchtige Derfonen hat, die alle Kylchen verforgen, 
„biderb Lit lehren und raͤcht troͤſten koͤnnend: Gollte 
„da etwas abgaan, wurde es dienen zur Verderbung 
» der Statt und des Landes. Doch fo wird gar nots 
» wendig fon‘, daß jr allezyt ordnind Ambtluͤt und 
» Schafner, die nit das jren, fonder den Nub der 
» Kochen und Aebteren ſchaffind: Nit fömlich, die 


2 8einrich Hullinger. 


„ vorhin verthuͤig vnd unhuslich, yetz aber gytig und 
„untreuͤw, in ſechs Jahren wellind rych werden. — 


„— — — Laſſend uͤch ein fromme Gemeind, als Vaͤ—⸗ 
„ter des Volckes, truͤwlich befohlen ſyn; haltend je⸗ 
„dermann gut Gericht und Raͤcht; haͤlfend dem Ar⸗ 
„ men, dem Froͤmdling, den Wittwen und Wayſen: 
„Strafend die Uebelthäter, wie fich gebührt; fchits 
„mend das Gut und fromm, biderb Lutz; fächend 
„ kein Verfonen an; naͤmmend feine Gaaben, dag 
„Raͤcht zu verkehren ; handlend nuͤd us Gunft oder 
„Ungunſt; laſſend üch ouch gnedigklych alle truͤwen 
„VPredicanten befohlen fon : Dann ſolltend jr die 
„ſchmaͤchlich und untruͤwlich halten, wurdend jr Got⸗ 
„tes Zorn wider uͤch reitzen: hinwiederumb ſtraffend 
„die one alles Schonen, die da untruͤw, gytig und 
„ verfoffen, üppig, fchandlich und gottlos find: denn 
„jir Wuft beſleckt und drgert vil in der Gemeind. — 
„ Duch bitt ich Uech myn gnedig Herren, daß jr wol 
„ wellind mit einanderen eins fon und von einandern 
. für gut haben, einandern Hieben , chren und gutes 
„ günnen , einandern von wegen der Ehren und Aemb⸗ 
„tern willen nit nyden, verbänftig und uffekig fun. 
„Ir mon Herren die Räth und Zunftmeifter , von der 
„ Conftafel und von den Zünften, famt den Burgern 
5 find ein einig Haupt des einigen Lybs der Gemeinde, 
„ darıumb folend jr all zefamen ziehen und eins fun, 
„ all uͤwer lobliche Sazungen wieder die Lafter gemach, 
„inſonders wieder die blutigen Penfionen und wieder 
2 das verberblich Kriegen handhaben und erhalten. * 


Zum 


‘ 


—Beinrich Bullingen 371 


Zum Befchlug empfiehlt er der Regirung feine Kite 
der und Kindeskinder und freut fich in der feligen Hofs 
nung ‚ einft feine cehmaligen: Gemeindsgenoſſen wieder im 


. Simmel zu fehn. 


Den 18. September ward er von der ganzen Bir 
gerfchaft mit groffen Klagen zu feiner Ruhſtette begleis 
tet und im Kreuggang beym groffen Münfter an der 
Seite feines Freundes, Peter Martyrs, begraben. 





| xIv.. 
Theodor Bibliander..(*). 





erfelbe ſtammte aus dem Gefchlecht Buchmann in 
Bifchofjel ab. Dafelbfi ward er im %. 1504. 
oder nach andern im J. 1509. geboren. Einen Theil 
feiner Jugend fol ee in Schlefien zugebracht Haben. 


" Nach feiner Zuruͤckkunft in Zuͤrich wohnte ex bey Oſ⸗ 


wald Myconius und war bey der Schule deifelben Bros 
viſor; zugleich Hatte er die Vredigergefchäfte bey der 
Pfarre Weyach auf fih genohmen. Nach Zwinglis 
Hinſcheid warb er den 24. März 1532. zum Profeſſor 
der Gotteögelehetheit und des A. Teltamentes eriwälet. 
Der Reyhe nach erklärte er alle 5. Bücher; nicht als 
Tein die ſtudirende Jugend, fondern auch die gelerteften 
Männer, unter andern Bullinger , befuchten zalveich 
Biblianderd Hoͤrſaal. Noch find in der zürcherfchen 
Stiftsbibliotheck fünf und vierzig Faſcikel der Biblian⸗ 
derfchen Vorlefungen vorhanden , fo wie fie Antiſtes 
Bullinger mit eigner Hand nachichrieb. Wegen ununs 
terbrochener Anfirengung des Geiſtes ſah ſich Biblian⸗ 
der unvermerkt an Leib und Gemuͤte entkraͤftet. So 
menſchenfreundlich er vormals geweſen, ſo muͤrriſch iſt 








(*) S. Biblianders Leben von Pellican, Geſners Biblio⸗ 
theck, Pantaleons Proſopograph. Adami Vit. Theol. Hotting. 
‚Schol. Tig. helvet. Kirchenge. Ch. III. Seuchzer Bibl. Helv. 


Throdor Bibliander ax 


er bey zunemmenden Jahren geworden. Da er in der 
Lehre von der Gnadenwal mit feinem Gollegen, dem 
Petrus Martyr, nicht ubereinflimmete umd dieſer letztre 
mehrern Beyfall fand , fo gieng Bibliander fo weit, dag 
er ihn wirklich zum Zweykampf auffoderre und feiner 
an beilimmten Orte mit einer Hellparte wartete. Hier 
auf ward er den 8. Febr. 1560. feines Amtes entlaffen, 
doch behielt er hievon die Einkünfte bis an fein Ende. 
Diefes erfolgte den 26. Nov. 1564. 


Auffer einer Menge gedrudter und ungedruckter, theos 
logiſcher Schriften, hat man unter anderm von ihm 
folgende Werte: 


Inftitutiones grammaticz de lingua hebrza. Tig. 1535. 
Bvo. 


De optimo genere Grammaticorum hebralcorum Som 
mientarius. Baſilex 1542. to. 

Ad nominis chriffiani Socios confultatio, quanam ra. 
tione Turcarum dira potentia repelli poflie ac debeat & 
populo chriftiano. Baſ. 1542. gvo. 


Emendatio Textus Alcorani cum exemplaribus Intinis 
& arabicis, Bafıl. 13543. fol, 


De ratione communi omnium linguarum ac literarum 
©ommentarius , cui inexa eft oompendiaria explicatio 
octrinæ recte beateque vivendi, & Religionis omnium 
gentium atque populorum. Tig. 1548. 4t0. 

De ratione temporum chriftianis rebus & explicandis 
& cognofcendis accommodata, liber unus. Demonftra- 
Gonum chronologicarum liber alius. Bafl, 1551, 


| 276 Theodor Biblianden 


Temporum à condito mundo usque ad ultimam ipfius 
ztatem Yupputatio, partitioque exactior, univerf2 qui- 
dem Hifterix divinz , ecclefiaftice & exterz Latinorum, 
Gr&corum, JFEgyptiorum , Chaldzorum, Germanorum 
& aliarum gentium accommodata, pr&cipue tamen di- 
vinis libris Prophetarum & Apoftolbrum Jeſu Chrifti. 
Baſil. 1551. 


Oratio ad Germaniæ Principes & Optimates liberarum 
imperialium civitatum de reſtituenda pace in imperio 
somana , cæterisque Politiis , deque confervandis facris 
“& civilibus hominum bonorum cætibus, quos turbare 
ftudet Anti-Chriftus , & quid opis ad eas res conferant 
litere divinæ & humanz. Bafıl, 1553. 


Chrifianifimus Sempiternus „ verus, certus & immu- 
tabilis , in quo folo poflunt homines beari. Tig. 1556. 
4to. 


De numeris, ponderibus & mefuris divinæ ſcripturæ 
L. IV. 


Unter feinen Handſchriften auf der zuͤrcherſchen Stifte, 
bibliotheck erwähne ich noch die Schrift de zftimatione 
reipublicæ helveticæ, ferner epigrammata, opufcula phi. 
lofophica u. ſ. w. 
} 


na 0 


— - 


277 





XV. 


Conrad Geßner. 





eßner ward im J. 1516. zu Zuͤrich geboren. Un⸗ 

gemein gerne hatte ſich ſein Oheim Johann Fric⸗ 
cius, ein Prediger, mit der Botanick beſchaͤftigt. Auch 
den Neffen floͤßte dieſer gleichen Geſchmack ein. Je mehr 
die Polemick, damals wegen der entſtandnen Kirchen⸗ 
zwiſte ein notwendiges Uebel, den Lebenspfad des Gottes⸗ 
gelehrten mit Doͤrnen und Diſteln verßocht, deſto mehr 
Ruhe und Frieden verſprach ſich der junge, helvetiſche 
Plinius in den ftillen Zuftgefielden der Naturlchre. "Da 
feind Aeltern wenig begütert und ohnehin mit zalveicher 
Familie beläftigt waren, fo nahm ihn der zürcherfche 
Dreofeffor J. J. Ammiacus zu ſich ind Haus und gab 
ihm drey ganze Jahre lang Unterhalt (*). Bey Rus 
dolph Colin empfieng er Unterricht in der griechifchen 
Sprache und Litteratur , in der Saum und in 
der Beredfamtkeit. 


Geßners Vater fiel in dem gleichen Trefen zu Kappel 
mit Zwingli. Damals batte der Yüngling nicht mehr 
als fünfzehn Jahre, , zugleich lag er krank an einem An⸗ 


(*) Dan fehe Geßners Biblioth. univerf. f. 179. b. folg. 
Simleri Vitam, f 4 2. wie auch Schmiblins Geßnerſche 
Lebensbeſchreibung. 


er Conrad Befner. 


fall von Waſſerſucht, wovon er fich allmählich wieder 
erholte. Da ihn die Mutter nicht länger zu unterhafs 
ten im Stand war, fo entfchloß er fich nach Straßburg 
zu gehen. Daſelbſt dienete er ald Famulus bey Wolfe 
gang Zabritius Capito ("); bey diefem erhielt er Un⸗ 
terricht in der hebräifchen Sprache ; um den Linterhalt 
deſto beifer zu finden, gab er Brinatlectionen. Alles 
dieſes, nebft einem Eleinen Stipendium von Zürich reichte 
nicht bin. Anfkatt fein Gehalt zu vermehren, wollten 
ihm die zuͤrcherſchen Chorherren auch bad Wenige, was 
ihm jugefennt war, wieder wegnehmen , wofern er nicht 
nach Haufe zurücdkehren würde. Rothgedrungen kam 
er alfo zuruͤck. Daſelbſt erhielt ee das Gehalt wieder, 
mit Befehl zur Fortſetzung dee Studien nach Frank 
reich zu geben. Sein vormaliger Freund und Befödes 
ver J. J. Ammann glaubte im ihm Anlagen zur Arz⸗ 
neykunſt zu bemerken und empfahl ihm dieſes Stu⸗ 
dium (*% Er reiſete alſo mit Job. Frifus, den er 
von dieſer Zeit am brübderlich liebte, nach Bourges (*""). 
Da auch da fein zürcherfches Gehalt zu kurz war, fo 
naͤhrte ex fich abermal durch Privatunterweifungen. So 
wenig £lagte er uber dieß muͤhſelige Gefchäft, daß er 
es vielmehr als Uebung fir feinen eignen Geiſt anfab. 
Vorzüglich wälte er zur Erklaͤrung unter den griechi⸗ 
fchen und lateinifchen Schriftfielleen diejenigen, welche 
— — —— 

(*) ©. Geßners Biblioth. univerſ. wie auch die Tloges 
des Hommes illuftres von Zeiffier, T. 3. 


(**) ©. Geßners Zueignungsſchriſt zu dem Catalogo plan- 
tarım guadrilingui. 


(7) Auch de feine Brio 
RS 0 liebt er als Batır. ©. feine B 





0% 


Conrad Geßner. 2 


von der Naturichre handelten. In feinem’ achtschnten 
Jahre begab er fich nach Paris, dem Mittelpunct aller 
Titferarifchen Schäge. Indeß gefteht er felber , daß Dies 
fer gelerte Ueberfluß feinen Geiſt ſchwankend gemacht 
Babe (X). Die Früchte von ſolchem zerfireuten Studies 
ven in Vergleichung mit denjenigen, welche ein aus⸗ 
fchlieffendes , gleichförmig anhaltendes Studium hervor⸗ 
Bringt , fcheinen jenen Früchten ſinnlicher Yusfchweifung 
in Qergleichung mit folchen zu gleichen, welche in ges 


ſetzlicher, chlicher Verbindung erzeugt werden, mehren 


theils übel gepflegt und verworfen. Wenigen gelingt e8 
wie Geßnern, aus dem Labyrinth mit Ariadnend Fa⸗ 
den glücklichen und fihern Ausgang zu finden. 


In Paris geriet er mit Steigern in genaue Bekannt⸗ 
ſchaft. Nachdem diefer zu Bern zur Würde eines Schake 
meifterd gelangt war, erhielt er von Geßnern die Zucie 
gnungsfchrift zu dem Anbang*feiner Gefchichte der vier⸗ 
fuͤſſigen Thiere , weiche zu Zürich im J. 1554. bey Gros 
ſchauer gedruckt iſt. 


Bon Paris gieng er über Holand nach Straßburg. 
Nun ward er von dem zürcherfchen Schulrath wieder 
nach Haufe gerufen. Dafelbft verheyratete er fich, als 
er kaum zwanzig Jahre alt war. Geine Sattinn übers 
lebte ihn, ungeachtet fie von täglichen Gichtern und von 
allerley Geſchwuͤren unaufbörlich geplagt war (*). Auf 





u Bibl. univerf. pag. 100. und Moreri Die. T. IV-- -f 249% 
*") Bibl. univ. fk 108. wie auch feine Briefe hinten an 
Bauhinus Schrift de plantis a divis fan&is nomen habentibus, 
ferner die Briefe an Haltzach, B. III. ſ. 85. 


289 Conrad Geßner. 


ſerdem daß er von einer kraͤnkelnden, verdruͤßlichen Gat⸗ 


tinn vieles auszuſtehn hatte, ſah er ſich noch uͤberdieß 
in den Schulſtaub niedergedruͤckt; bey allem dem war 
ſein Schulgehalt ſehr klein. Ob er gleich die meiſte 
Zeit des Tages mit dem Donat zubringen mußte, ſo 
fand er nichts deſto weniger immer noch einige Stunden 
zu feinen medicmifchen Studien; Diefe verwendete er 


‚auf Berbefferung dee Stadtapotheden. Solche unver - 


droßne Bemühungen vermochten endlich den Senat, 
daß er den Schuldienft aufgeben und mit Beybehaltung 
des bisherigen Etipendiumd nach Baſel gehn durfte , 
um dafelbft feine Arzneywiſſenſchaft zu erweitern. Da 
die vorzüglichiten Geheimniſſe diefee Wiffenfchaft in den 
Werken der Griechen verwahrt lagen, fo ſuchte er feine 
griechifche Sprachkaͤnntniß zu vergröffern. Um defto befs 
fer feinen Unterhalt und den Unterhalt feines Weib zu 
gewinnen, unternahm er die verbefferte Ausgabe eines 
griechiſch⸗lateiniſchen Wöorterbuchs; daſſelbe vermehrte 
er aus dem griechiſchen Wörterbuch des Phavorins (). 
Indeß war auch fein Fitterarifches Leben nicht weniger 
als fein hauͤsliches mit Verdrußlichkeiten begleitet. Oh⸗ 
ne fein Wiſſen nammlich ließ der Buchhaͤndler nur den 
einen Theil der Geßnerſchen Zufäte drucken; da berfelbe 
bald hernach ftarb, fo gieng der übrige Theil von Geß⸗ 
ners Arbeit verloren. Auch ward aus Reid und Dumms 
beit einiger Genforen , die fich gelehrt duͤnkten, vieles 
ausgemärzt und verurteilt, ald wärs von Geßnern geives 
fen, da es doch diefer aus Phavorin, Heſychius, Suidas 





(*) S. Geßners Brief Über feine herausgegebenen Echri 
ten in Simlers Lebensbeſchreibung. — 


x 


Conred Geßner. 283 


vn. a. entlehnt Hatte. Im nachberigen , wiederholten 
und vermehrten Ausgaben ward der Schaden vergütet. 


Kaum war Geßner ein Jahr lang in Baſel, fo ward 
er von den Bernern ald Lehrer der griechifchen Sprache 
nach Laufanne berufen. Ben gröfferer Muffe edirte ex 
nunmehr einige medicinifche Schriften , . theild von ihm 
felber verfertigt, theild aus dem griechifchen überfekt. 
Nicht länger ald drey Jahre blieb unfer gelehrter Avan⸗ 
tuͤrier in Lauſanne, als er ſchon wieder auf Antreib des 
zuͤrcherſchen Schulraths, feinen Lehrſtul verließ (*). 
Seine unerſaͤttliche Wißbegierde zog ihn jzo nach Mont⸗ 
pellier. Daſelbſt nahm er in anatomiſchen und botani⸗ 
ſchen Kaͤnntniſſen ungemein zu. Sonderheitlich ſam⸗ 
melte er ſich imen Schatz von Meer⸗ und Waſſerpflan⸗ 
zen, um derentwillen er im J. 1541. die Ufer des mit⸗ 
tellaͤndiſchen Meeres beſuchte (*). Ben dieſer Gelegen— 
heit gerieth er in Bekanntſchaft mit Rondelet und Jou⸗ 
bert. Sein Gefehrte auf der Ruͤckreiſe war Leonard 
Rauwolf, welcher wegen ſeiner botaniſchen Reiſen ſo 
beruͤhmt iſt. Ben feiner Zuruͤckkunft in Helvetien machte 
Geßner einige phyſicaliſche Wallfahrten an die Ufer des 
Rheines und auf die benachbarten Gebuͤrge. Wegen 
ſeiner mediciniſchen Verdienſte ward er nunmehr zu 
Baſel im fünf und zwanzigſten Fahr ſeines Alters mit 
dem Doctorhute beebret. Hierauf ward ihm in Zurich 
Die Ausübung der Arzneykunſt geftattet und zugleich deu 
Lehrfiul der Philofophie anvertraut  Inunterbroches 





(*) ©. feine Einleitung zum Stobaͤus. 
(**) S. Gefners eignen Bericht in dem Codex Kent. 
manntan. wie auch. fein Puch de foflilibus, ſ. 136. 


m 


282 Tonrad Geßner. 


ſtand er vier und zwanzig Jahre lang dieſem Beruf 
vor. Waͤhrend dieſer Zeit edirte er von Jahr zu Jahr 
eine beynahe zalloſe Menge Buͤcher in den verſchieden⸗ 
ſten Fachen. Bey allem dem fand er immer noch Zeit 
zu verſchiednen, litterariſchen Reiſen. Nachdem er die 
Seltenheiten der Natur auf den ſavoyſchen Gebirgen ſtu⸗ 
dirt hatte, gieng er im J. 1545. nach Venedig. Da⸗ 
ſelbſt borgte er aus dem Buͤcherſchatze des kaiſerlichen 
Geſandten Mendozza verſchiedene griechiſche Codices, 
die er nach ſeiner Zuruͤckkunft in Zuͤrich, entweder zu⸗ 
erſt, oder doch von neuem und mit ſeinen Anmerkun⸗ 
gen herausgab. In demſelben Jahr gieng er nach Aug⸗ 
ſpurg, wo er beym Graf von Fugger mit dem nach⸗ 
herigen, kaiſerlichen Leibarzt Amerfort an gleichem Tiſch 
af. Ben feiner Heimkunft edirte er im J. 1545. feine 
Univerſalbibliotheck; nicht bloß ein unfruchtbared Buͤ⸗ 
cherregiſter; fehr oft findet man darinn den Hauptinn⸗ 
halt der angezeigten Werke ; zuweilen Auszüge und 


Proben der Schreibart; auch Cenſuren der Kunſtrich⸗ 


tee. Da e8 indeffen weit leichter ift, in einem folchen 
Werke Fehler zu finden, als ein folches zu fehreiben, 
fo darf es wenig befremden , wenn es hin und wieder 
Tadler gefunden (*). 


Waͤhrend daß dieſe Bibliotheck herauskam, arbeitete 
er eifrig an ſeiner Geſchichte der Thiere, die er als ein 
andrer Ariſtot, und zwar ohne Unterſtuͤtzung eines Ale⸗ 
xanders zu Stand brachte. 





Man ſebe Morhofs Polvhiſt. ſ. 199. pope Blount 
Cenf. cel, viror. f. 461. -Käfiners Biblioth. Medic. ſ. 54. 
Teiſſier Eloge des hommes favans , f. 201, . 


X 
Eonrad Geßner. 283 


In dee Zwiſchenzeit gab er bey Froſchauer bie theo⸗ 
Iogifchen Samlungen der beeden Mönchen Antonius 
and Marimus , die Aphoriſmen des Abt Maximus, die 
Inſtitutionen ded Theophild und die Rede des Tatians, 
groffenteil® aus Handſchriften, und in Latein überfekt, 
heraus. Bey allem dem vergaß er feiner Lieblingdwiß 
fenfchaft,, der Arzneykunſt, fo wenig, daß er zu gleicher 
Seit ein Werkgen von den Purganzen und Brechmit⸗ 
ten edirte. 


Im % 1549. war ber Ickte Sand feiner Univerſal⸗ 
bibliotheck vollendet. Mit dem swanzigften Buch, befons 
derd der Arzneykunſt gewiedmet, blieb er zurüd und 
mar noch damit ſechszehn Fahre lang Als mit feiner 
Lieblingsarbeit befchäftigt. Niemals ward fie völlig zu 
Stande gebracht (X. Den Mangel mag einigermaffen 
fein Stagment des Stobäus und Galend Ausgabe vers 
guten. Wenn auch bie und da in den . Geßnerfchen 
Schriften die Anmut und Genauheit eined Klein, Linne, 
Hallerd u. a. vermißt werden, fo muß man, auffer dem 
Unterſchied des Zeitalterd, auch noch überdieh Geßners 
hauͤsliche Unbequemlichkeiten betrachten. Schr naiv bes 
fchreibt er felber feine befchweerliche Lage in folgenden 
Worten: 


» Nun foll ich auch noch meiner Schriften gedenten. 
» Bon diefen muß ich überhaupt ſagen, daf fie nicht fo 
» vollkommen find, als fie feyn ſollten oder Hätten ſeyn 
» koͤnnen, wenn ich fie bey Haufe mit mehr Muſſe hätte 











0) ©. zÄnere Biblioth. — Hi 46, wie auch Geh 
ners Biblioth. in feinem eignen Artif 


s 


284 Conrad Geßner. 


3 überarbeiten und wie ber Bär feine Jungen lecken ober 
» einige Fahre lang auf die Seite legen koͤnnen. Dieß 
3, erlaubten meine enge, baüsliche Umftände damals fo 
„ wenig als ist; denn ich und meines gleichen find ge 
„zwungen, ums Brod zu fehreiben. Zwar nicht alle, 
„ die Tagtäglich Mißgeburten zur Welt bringen und 
„ ihre unreifen Broducte dem Buchhändler verkaufen , 
„ find fo ehrlich, ed zu geftehn. — Mir aber ift weder 


„ am meinem eignen Ruhm noch an dem Intereſſe der 


» Buchhändler fo viel ald an meiner Freyheit im Res 
„ den gelegen, vor allem aus Eleidet fie diejenigen am 
» deften, die ſich anmaffen, über andre Bücher zu ur- 
„, teilen. Die fag ich, um den Leſern zu zeigen, daß 
» ed mir weder an Mut, noch Treu, noch Fleiß fehle, 
 fondern daß Mangel an Lebensunterhalt, dem ich 
3 durch eilfertige Arbeit zuvorfamm , mir nicht Zeit ges 
„ laffen Haben, meine Schriften zur völligen Reife zu 
» bringen. Alfo bit ich um Nachficht wegen meiner Ars 
„ beiten, die ich meiftens herausgab „ um den zwo Göts 
„ tinnen, der Dürftigkeit und der Not, zu Huldigen. 
» Zur Ablehnung indeß gänzlicher Geringfchätung , darf 
„ ich gleichwol behaupten, daß ich mich Feiner meiner 
» Bemühungen, die gewiß diefen Namen verdienen, 
„zu fehämen Urfache habe u. f. w. * — Merkwürdig 
ift ed, daß obige ganze Stelle in feinem eigentümmlis 
chen Exemplar, welches fich in Herrn Chorherr Stein⸗ 
brücheld Muſeum befindt, von Geßners Hand felber rein 
ausgemärzt ift. 


Auſſer den gelerten Reifen, deren wir oben erwaͤhn⸗ 
ten, that er auch noch verfchiedene Reifen durch Teutſch⸗ 
land. Da er aber nach Straßburg gekommen und auf 





6. 


Conmrad Befnen 02% 


. dem Rheinſtrohm nach dem Meer zu fchiffen gefinnt 


war, trieben ihn die Flammen des teutfchen Krieges 
wieder nach Haufe. Auch feine Eränkliche Leibesbeſcha⸗ 
fenheit fieng an, ihn an fernern, weitlauͤftigen Reiſen 
" hindern. 


“ Ungefähr im J.1 1552. war es, daß er unter verdeck⸗ 
tem Namen, und hernach mit Zuſaͤtzen unter eignem 
Namen den Theſaurus de remediis ſecretis herausgab. — 
Zu Kybers Ausgabe des Hieronymus Tragus ſchrieb er 
eine Einleitung uͤber die botaniſchen Scribenten ſo wol 
unter den Roͤmern und Griechen als unter den Arabern 
und den neuern Europaͤern. Der Kredit dieſes Werkes 
ermunterte den Buchhaͤndler Richelius (*), daß en Gchs 


nern zur Unternehmung neuer, yosakichee Reifen Geld 


vorſtreckte. 


Waͤhrend dieſer Zeit gab er — eine Schrift heraus 
von den Bädern in der Schweiz und in Teutfchland. 
Weberal verlor er Feine Zeit, fi) auch in der Ausübung 
als geſchickten Arzt zu bemeifen. Dadurch erwarb er. 
fich im Vaterland das Amt eines Stadtarzts. Nuns 
mehr ruhte er nicht, bis unter obrigkeitlichem Anfchn 
Die erste. der Stadt in. ein Kollegium zur Beforgung 
der Gefundheit des Volkes vereiniget wurden. 


Wenige Jahre hernach übergab er dem Senate fols 


gende Bittfchrift : 











ar: —⏑ 


(*) &. Briefe an Leonard guchs, B. II. fe 138, > 


© * 
8 — % 


286 Conrad Befuek ı 


» Herr Burgermeiſter! 


» Nun by III. Jaren ungefer, wie ie mine Herren 
» mich annamend zu uͤwerem Stattarzet, da zeigt ich 
» an, wie daz ich mancherley Koften bette, Ueberfal 
„ bonfremden Leuten, ſunderlich aber vil armen Früns 
» den, namlich von miner alten, lieben Mutter, die 
„ alle miner Stür und Hilf bebörftend, derohalb ich by 
» der Beſoldung, fo mir geordnet, nit möchte beſtahn, 
35 befunder dieroyl ich von der Arzney yar fehlechten 
» Gewinn hatte und niemand nit biefche noch nähme, 
„ dann was mir Eeren»küt von jnen felber gutwillig 
» gebent: wurde alfo genötet nebetzu bin mit Büches 
ↄ ren in Teud zu ſchryben, etwas gu gewinnen , wie 
„. wenig das wäre: und diewyl daffelbig Schryben fo 
» gar vil Zyt, Müe und Arbeit bruchte, zeigt ich an, 
„» merdent Ir min Herren nit wol mit mir verforget _ 
„» fon. Wo jr aber mich gnaͤdicklich betrachten wolle 
„ tend umd mir vonwegen miner Legen, die ich in der 
„ Schul zum Muͤnſter wie ein anderer Läfer täglich 
» zu verfeben babe, auch fo vil laſſen werben als eim 
„ andern, umd nit funders mit mir machen, fo woͤlte 
on ich nit wyter begären und dazu mich fürderlich aller 
„ andern Gefchäften abtun, Damit ich mit allem Flyß 
„gar und ganz uff die Artzny uͤwer Statt und jeder 
„. mann mit zedienen begaben möcht. Doch hießent ir 
„ min Herren mich alfo fürfahren ; dagegen ic) dazu⸗ 
„ mal nit wyter handlen wollt, diewyl ich noch etwas 
»„ zufchenben verbeiffen und. noch nit Davon ledig was. 
» Nun ist aber bin ich von Gottes Gnaden ganz ledig 
» uff dießmal, zeigen bie und fchenden Uech min gnde 
‚» digen Herren von den Buͤcheren, Davon ich von XX 


— 


Conrad Gefnenr 287 


„Jaren her wol XII fo groß im Truck ußgan laſſen 
3 diſes dad letſt, welches ich gefchruben han, von 
z„, allen Fiſchen und anderen Thieren; die im Meer und 
„, andern Waflern läbend mee dann fihenhundert, mit 
» Form und Geflalt eines ieden wie es iſt und lebt im 
„Waſſer natürlich abgemalt und conterfeetet: darüber 
„ wie vil Zyt, Koften und Müe mir gegangen fye, iſt 
„ nit zuermäffen. Vormals han ich auch von andern 
„ Thieren, die uff der Erden laͤbend, glych ein ſoͤmlich 
» Buch laffen ußgan und Lech minen gnädigen Herren 
„daſſelbig zugefchruben ; das ikig dem Keifer Ferdi 
„nando, nit von mir felber , finder durch vielfaltige 
3 Briefe und andere Mannungen finer oberften Docto- 
„ ren umd Arzten dahin bewegt. Verhaffen auch füns 
35 lich follen uch min Gn. Herren nitt mißfallen, ſun⸗ 
„ der eerlich fon und by Eeiferlichen Majeſtaͤt ettwas 
„Gunſts und Liebe gägen Mech bringen. Was ich wy⸗ 
„ ter für Bücher an Tag gäben hab, von allerley nuͤtz⸗ 
35 lichen und guten Künften, ımd ob diefelben in allen 
» Landen, by allen Gleerten und ag hr Luͤten 
„ nuͤtzlich und eerlich gehalten werdend, Tan ich vnd ſe⸗ 
„» gen an mine Herren die Gleerten bie, das ſy Darüber 
” urteilend, will jro nit wyters gedenden. 


» Rım aber will mir die Sad) zu ſchwar werden, 
» und mine Aempter danaͤben, wie ſich gebuͤhret, vers 
„ fehen, mit wol mer muͤglich: darzu bin ich nit ſtar⸗ 
» ter Natur md wuͤmmen jung, ımd eines fo blöden 
„Geſichtes, dag ich ſoͤmmliche langwirrige Arbeiten nit 
„> mol mer erträgen mag. Derohalb, guͤnſtig, gnädig, 
3 lieb Herren und Vaͤter, das ich nit gendtet werde, 
n wiederum ſoͤmmlich Arbeiten uff din nuͤwes uff wich 


288 Conrad Befner 


» zu nehmen (by denen ich Doch gar Kleinen Gewlng 
» han, muß fchier fo vil Koften han Bücher zu Laufen, 
w„und fo ich etwas ußgan laß, denen fo mir allenthals 
„ ben etwas zufchichen und belfent, als ich Lon davon 
„ empfaben, ) fo bitt ich umer Gnad abermals , fü wölle 
„ mich gnaͤdigklick und väterlich bedenten , fo will ich 
„ mich von da an ſoͤmlich Schrybens und andrer Ges 
3, fchäften abthun, mid) überal mit allem Flyß und 
„Truͤw uff die Arzuy ergaben, mee dann ich bißher 
5 nit that. Ich han Lech Doch by XX Jaren gedient 
„und in der Juget gar wenig koſtet, han mich allweg 
3 dy Kleinen Befoldungen gerne gelitten, woͤtte ed noch 
„wyter gern thun, fo ed mines Bermöges wäre. Auch 
„das ich by Wech minen Herren, meinem Vaterland 
„ und miner Religion biyben möchte, ban ich in tüte 
» fihen und wälfchen Landen gute Stand zum Theil 
» ghan umd uffgäben, zum Theil nit wöllen annehmen 
3 (mie ettlich miner Herren wuͤſſen, da mid) vor etwas 
„Jaren Here Antoni Fuder gon Augsſpurg befchict, > 
„zweifelte nit , ich würde auch by keiſerlicher Majeſtaͤt 
„durch Anlaß igund Diefed Buchs ein fürnemmen Stand, 
»es wäre zu artznen oder zu Jäfen und leren, wol übers 
„kommen. Aber mein Herz flat allein zum Vaterland. 
„ Mir ift wol zu wiffen, dad jr mine Herren vor we⸗ 
„nig Faren ein Doctor der Arzny von Memmingen, fo 
» er zu Mech kummen wollte, ein Theil vom Gfift bym 
„Muͤnſter anbottend : doch wollt er fin Heimen nit 
» verlaffen: warum wottend Ir den ümerem Burger, 
„ der foner Kunſt, Flyſſes und Truͤwe wol fo gute 
» Kundfchaft mag uffiwüfen, auch nit geneigt Sud guͤn⸗ 
» fig fon? Umb fo vil mee diewyl ich auch das Ampt 

. nn der 


+ 


# 


—Tonrad Befner. 289 


5 der Ber und Lezgen darzu verfich, vom welchen die ans 
„ dern Laͤſer allein ſomlich Beſoldung empfahen. DB 
3, aber ich diefelbig recht verfehen koͤnne und ob ich das 
„thue, und ob ed von nöten fye, mögent Ir von den 
„Gleerten und Schulberren erforfchen. Nun ift auch 
„ eime Berufung eines Stattarztes mitt mee Beſchwaͤr⸗ 
„ den beladen, dann ed vor nie gſyn. — Nun bin ich 
„zu difem allem willig , und fo es von nöthen wäre, 
„ auch zu anderm und groͤſſerem. — Ob aber etwar 
„, unter Uech meinte, ich wäre wolhabent genug, Dies 
„wyl ich ist mine Bhufung genuͤwert und geboten 
„ hätte, der fol wiffen, daß ich kein rechte Kammer 
„ im Huf han ghan und zum Theil han muͤſſen bau⸗ 
» wen, defthalb ich noch in groffen Schulden bin. — 
»» Die jüngen Doctoren , die in uͤwer miner Herren Bes 
„» foldung jzt in Italien find, von denen ich vil gutes 
» bören, werden ob Gott will Durch mine Fuͤrderung 
„ nüt gehindert, und werd ich in Kurzem ein anderund 
zo beffer Leben überfommen und jnen von — Zotli⸗ 
» chen wychen. u. ſ. w.“ 


Auf dieſe Bittſchrift, welche von ſeinem vaͤterlichen 
Freund Bullinger unterſtuͤtzt wurde, erhielt er endlich 
die Einkuͤnfte eines Canonicates und arbeitete weiter mit 
unermuͤdetem Fleiſſe. 


Auſſer einer Menge mediziniſcher und chirurgiſcher 
Schriften gab er nun auch feinen Mithridates heraus. 
Die erfte Yusgabe ift, nach Teiffier, vom J. 1558. 
Diefe Schrift verbindt mit ungeheurem Sprachfchat 
ſehr feharffinnige Bemerkungen über die Philofophie der 
Sprachen. Auch zur Veredlung und Verfeinerung der 

< | 





290 Conrad Geßner. 


teytfchen Mutterſprache ſindt man da lehrreiche Winte, 
» Wenn unfer Ydiom, fagt er, wenig zur Verfertigung 
 barmonifcher Gedichte geſchickt iſt, fo kommts unter 
„ anderm daher, dag wir zu viel einſylbigte Wörter 
»„ und zu viel Mitlaute an den Endungen haben; das 
„ ber entfichn allzu Haufige, mühfame Zivifchenraume 
„ und Klüfte von einem Worte zum andern; auch 


» fönnen weniger Gäfuren angebracht werden. “ — J 


Hierauf empfiehlt er, anſtatt des Reims, reimloſe Hen⸗ 
decaſyllaben und Hexameter/, wovon er von ſeiner eig⸗ 
nen Arbeit Proben und Beyſpiele anfuͤhrt. 


Im J. 1556. war Geßners Aelian im Drucke erſchie⸗ 
nen; auch ſchrieb er einige diaͤtetiſche Abhandlungen 
und eine beſondere Schrift gegen die aberglauͤbiſche Beo⸗ 
bachtung der Kalenderzeichen beym Aderlaſſen. So wol 
ſeine gelerten Bemuͤhungen als ſeine Krankenbeſuche 
ſtuͤrzten ihn in ein gefaͤhrliches Fieber; daſſelbe griff 
zugleich ſein Gehirn an und ſchwaͤchte den ganzen Koͤr⸗ 
per. Nach lang anhaltendem Naſebluten ward nach 
und nach ſeine Geſundheit wieder hergeſtellt. Hierauf 
verwandte er alle Zeit und Kräfte auf Samlung und 
Zeichnung der Kraüter. Im J. 1558. edirte er fein Dos 
taniſches Schreiben an Guilandinus, ferner Antonius 
Betrachtungen, wie auch das vierdte Buch feiner Ges 
fchichte der Thiere, welches die Hiftorie der Fiſche be⸗ 
fehreibt und dem Kaifer Ferdinand zugeeignet iſt. 


Ye mehr Gefner von den Ausländern und befonders 
auch von dem Kayſer felber gefchätt wurde, deſto mehr 
flieg auch fein Anfehn bey den Mitbuͤrgern. Um diefe 
zeit ward fein Einfommen fo vermehrt, daß er einen. 
geraumigen Saal mit fünfzehn Fenſtern bauen konnte. 


Conrad Geßner. rt 


In diefe Fenſter ließ er nach gewiſſen Klaſſen die Arten 
und Gattungen der Fiſche und andrer Waſſerthiere in 
Glas malen. Auch hatte er fich ein vortrefiches Nas 
turalien » Gabinet, befonders allerlen Metalle, Minera⸗ 
lien, Edelfteine gefamelt. Der größte Theil diefer Sel⸗ 
tenheiten ward ihm von gelerten Freunden, befonders 
auch von Kentmann gefchentt. So groß indeß die Ans 
zal feiner Freunde und Verehrer geworden, fo war doch 
auch bier die Eiferfücht eine Begleiterin des Ruhmes. 
Da naͤmmlich Geßner hie und da von Matthiolus abs 
gieng , fo ward er von diefem mißhandelt. In feiner 
Schrift de Aconito fürchte er fich zu verthaidigen; aus 
mancherlei Urſachen aber blieb dieſe Schrift lange zus 
ruͤck, bis fie endlich Cafpar Wolf herausgab. 


Das fißende Leben verurfachte Geßnern Nievenfchmers 
gen; Durch eigne Heilmittel wußte er fich gleichwol vor 
der Erzeugung des Steins zu verwahren. (”) Auch 
füchte er Erleichterung durch Reifen. Bevor er eine 
neue Reife antrat, gab er im J. 1559 Hannons Schif⸗ 
fart heraus mit critifchen Anmerkungen über. die Güls 
tigkeit dieſes alten Denkmals. (*”) 


Im % 1559. ward er von Kaifer Ferdinand, devfich 
aufm Reichstag zu Augfpurg befand, durch die kaiſer⸗ 
lichen Leibärzte Alexkandrinus und Amerfort zu einer Un⸗ 
terredung mit diefem gekrönten Befoͤderer der Gelehr⸗ 
ſamkeit eingeladen und von demfelben ſehr gnädig em⸗ 





2) &: die Briefe an Hofpintan, 3. IT. f. 102. 
) &: Bougainville im XXVlten Band der Mem. de 
* * —— | 


ik 
Pi 





15% Conrad Gefher. 

pfangen. — Damit dad Ende diefed Jahres nicht un 
feuchtbar hingehen möchte, überfekte er noch des Xeno⸗ 
erates Abhandlung von den, Narungsmitteln aus Waſ⸗ 


ſerthieren; dieſe Schrift begleitete er mit dem Buch 
des Janus Dubrauius von den Fiſchen. | 


Im J. 1560. legte er nach dem Benfpiel feines bo» 
tanifchen Freundes, Didymus Obrecht in Straßburg , 
einen koſtbaren und weitlauftigen botanifchen Garten an. 
Sm, diefem Jahre fpürte er neue Schmerzen in den Hüfs 
ten; auch an dem rechten Knie lidt er fehr ſtark; er 
Zonnte weder ſtehn noch figen und fehrieb nicht obne 
Mühe. Die meifte Erleichteruing fand er, wenn er das 
Knie im Rauch und Dampf von angezündter aqua vitz 
rieb und fich feiner eignen Brechmittel bediente; Das 


durch erhielt er auch Linderung von einem Geſchwuͤr, 


das unter den Hüften ausbrach. Nach Verminderung 
der Schmerzen entſtand eine Schweerfälligleit in den 
Eliedern. Auf dem Gebrauch der Bäder zu Baden bes 
fand er fich fo wol, daß er wieder zu gehen im Stand 
war. Im J. 1561. bediente er ſich des Buͤndtnerſchen 
Bades, und es gelang ibm, mit dem Buͤrgermeiſter 
Tſcharner von Chur auf die rhätifchen Gebirge zu klim⸗ 
men, um daſelbſt Krauter zu fameln. In dieſer Zeit 
gab er den Val. Kordus bey Richel in Straßburg bers 
aus. Ye mehr unfer Geßner mit den Geheimniffen der 
Natur vertraut war, deflo mehr gelangs ihm, den Aber» 
glauben des Zeitalters zu befchämen; dieß that er un⸗ 


ter dem verdeckten Namen des Conrad Bolovefus Fri- 


demontanus in der Geſchichte und Erklaͤrung des Blut⸗ 
und Feuerregens, der ſich in Teutſchland gezeigt hatte. 


Je mehr Geßner ſelber groß war, deſto eifriger war 


Conrad Geßner 29 


er, auch andre zu ſich zu erheben. Seinen Mitblirger, 
Joſias Pictor oder Maler, Prediger zu Elb, unterſtuͤtzte 
er bey deſſelben DBerfertigung eines teutfchen Woͤrterbu⸗ 
ched. Daſſelbe ward im %. 1561. bey Froſchauer ges 
druckt; immer die Hochtentichen Benennungen mit ſchwei⸗ 
zerfchen begleitet; ungemeiner Reichtum an Wörtern 
vol Anmut und Stärke, welche feither verloren gegans 
gen. In Conrad Geßnerd Einleitung zu dieſem Werke 
fehn wir, wie wichtig dieſem groſſen Polyhiſtor das 
Studium der Sprache , und befonders auch Der Mutter⸗ 
fprache geweſen. Zugleich gedenkt er eines. andern Woͤr⸗ 
terbuches von feinem ehmaligen Lehrer zu Straßburg 
Deter Dafppodius. In diefem Zeitraum edirte Joh. 
Serranus zu Nürnberg eine Sammlüng teutfcher Sy 
nonimen. Um die Benennung und Befchreibung dere 
Thiere und Pflanzen hat Gegner groffe Verdienfte.. Am 
Ende der Einleitung zu dem malerfchen Worterbuch 
wünfcht er, daß fich irgend ein Gelerter zur Verfertis 


gung einer teutfchen Bibliotheck verfiehn möchte ZU 


gleich anerbeut er dem Unternemmer feine zalreichen Cols 
lectanern über teutſche Schriften und Bücher ' welche 
leyder ſeither verloren gegangen. 


Im J. 1562. gab Geßner den. Galen mit tcritiſchen 
Anmerkungen heraus, wie auch den Eaffius, mit Schnee 
bergerö, feines Mitbürgerd, Anmeifung zur Heilung der. 
Peſtſeuche. In dem folgenden Jahr fah er fich gend» 
tigt , mit feinem kranken Weihe wieder nach Baden zu 
sehn. Des Morgens trank er Das Badwaſſer; nach⸗ 
mittags bediente er ſich des Babes; auch wuſch er fich 
mit einem eingetauchten Schwamme das Haupt. Zum 
Zeitvertreib veranftaltete ex eine Ausgabe von Renophons 





204 Conrad Geßner. 


Schrift de venatione und von Ardoyns Birchern über 
die Giftarten. Auch fchrieb er eine Epiflel an den Engs 
Iander, Wilhelm Turner, um ibm von feinen bisher 
berausgelommenen Schriften Nachricht zu geben. — 
Der Augfpurgtfche Arzt Moibanus fandte Geßnern uns 
mittelbar vor dem Hinſcheid den commentirten und ver⸗ 
beſſerten Dioſcorides, welchen nunmehr derfelbe heraus⸗ 
gab. Allen Gewinnſt von diefer Arbeit überlieh Geßner 
Moibans Erben. Auf Verlangen edirte er auch eine 
neue und: vermeßrte Ausgabe von Cordus Werken, wie 
auch von Jodocus Willichius Magirica und die Schrift 
de Anima. 


Im % 1564. erhielt er durch Vermittlung der Tats 
ferlichen Leibärzte den Adelöbrief, und zwar, da er felbfl 
feine Kinder hatte, für die Nachkommen feines Oheims, 
des Zunftmeifter Andreas Geßners. Zugleich erhielt er 
von dem Kaifer einige Bezoarſteine zum Geſchenk, wels 
che man damals für aüfferft felten anſah. In feinem 
leisten Willen vermahnt er feine Verwandten, ‚daß fie 
diefe Ehre ald Ermunterung zu allem Guten, und bes 
fonders zu den Künften und Wiſſenſchaften betrachten. 
Zu diefem Ende hin legirte er zoo. fl. zu einem Kond 
für Studirende aus der Geßnerſchen Famillie; auch bes 
fahl er, daß alljährlich die ganze Famillie bey einem 
Liebesmal fein Andenken feyre. —— 


Ungeachtet Geßners Leibesbeſchweerden ſich immer ver⸗ 
mehrten, fo gelangs ihm gleichwol nach wiederholter 
Bade-Cur, dag er im J. 1564. einige Gebirge in dem 
Kanton Schwytz zu erſteigen im Stand war. — In die⸗ 
ſem Jahr verlor er auch feine achzigjaͤhrige Mutter; im- 
mer hatte ex fie aufs zärtlichfie gepheget , und ungeachtet 


Conrad Geßner. u 


ihres Heben Alters, gieng ihm ihr Verluſt noch ſehr 
nahe. (*) — Um diefe Zeit kam die Pellfeuche von Ba⸗ 
fel nach Zürich. Won derfelben wurden mehrere feiner - 
Landsleute, unter anderm auch Theod. Bibliander Hit 
geraft. Bey diefer Gelegenheit fchrieb Geßner über die 
Berchaffenbeit und Heilart der Beflfeuche; ungeachtet 
er felber unverdeoffen die Kranken befischte, blieb er Doch 
dieſes Fahr von allem Anfall der Krankheit befrent. 
Indeß hielt ers fuͤr Vorahnung feines herbeyrüdenden 
Todes, als ihm im Traume vorkam, er werde von ei⸗ 
ner Schlange gebiſſen, deren Biß er als Vorboten der 
Peſt anſah. (*) Bey allem dem war er beym Kran⸗ 
kenbethe ſeines Bullingers fo Aeiffig , daß dieſer von der 
gefaͤrlichſten Krankheit wider hergeftellt wurde. 


. &o traurig alfo das vergangene Jahr fich geendigt 
hatte , fo viel Freude brachte Geßnern der Anfang des 
Jahres 1565. Von Kentmann, Zwinger, Joach. Ca- 
merarius, Leonhard Rapwolf ward er mit den größten 
Naturfeltenheiten, beſonders mit alerley fremden Vſlan⸗ 
zen beſchenkt. 


Mitten unter weit aͤusſchenden, litterariſchen Entwuͤr⸗ 
fen, unter welchen ihm die Hiſtorie der Pflanzen die 
angelegenſte war, empfand er”je länger je mehr, dag 





6 ©. Epift. L. III. f. 109. Brief an Theodor Swinger, 
wie auch an So. Baubinus, f 136 und DB. I. ſ. 20. an 
Joh. Crato u. a. 

(**) ©, Epift. L. I. ſ. 35. Brief an Acht Pirm. Gaſſa⸗ 
zus. Ob man diefe. Vorahnung ald Reſt des ‚Aberglaubens 
sder als phyſiſche Vorempfindung anfehen muͤſſe, ‚hierüber leſe 
man die Schrift von den Ahnungen und Bifionen, Leipiis 
1777 ©. 260. folg. 





298 i Coanrad Befner 


fein ierbifches Leben zum Ende nahe. () Den neun⸗ 
ten Chriſtmonat dieſes Jahres ward er von einer Kranke 


heit angegrieffen ; auf der linken Seite gleich über dem 
Kerzen zeugte fich eine kleine Beule; fo gefärlich der 
Drt war, fo wenig beunrubigend fchien anfangs Die 
Krankheit, da mit derielben weder Kopffchmerzen noch 
Fieber, noch andere Symptomen verbunden waren; 
auch fühlte er Leine groffe Schwachheit des Coͤrpers und 
mußte nie liegen. Indeß betrog er ſich felbft nicht; er 
rief feine Freunde zu. fih und ſchloß fein Teflament. 


Einiges Iegirte er der Gattinn; anders feinen Schwer 


ſterſoͤhnen; zur Haupterbin erklärte er feine einzige noch 
lebende Schweſter. Damit von feinen gelerten Schäten 
nichts verloren gehen verkaufte er alles in billigem Preiſe 
an feinen ehmaligen Schuler und nunmehrigen Freund 
umd Gollegen , Caſpar Wolf. Mit diefem unterhielt er 
fi) in der letzten Krankheit fehr oft von feinen litteras 
rifchen Arbeiten, befonderd auch von feiner Pflanzenge⸗ 
f&hichte, die ihm am meiften am Herzen lag. Die übri- 
gen Stunden brachte er mit feinen Seelforgern, Hein. 
Bullinger und Joh. Simler zu. An dem fünften Tag 
näch dem erfien Anfall dee Krankheit glaubte er, eini- 
ge Befferung zu fpüren und ſchickte die Freunde, web 
che des Nachts bey ihm wachen wollten, zur Ruhe. 
um eilf Uhr aber empfand er fein fchnell heranruͤcken⸗ 
des Ende; er vief feinem Weib und lieg ſich in fein 





(*) Wie ohilofophifch und chriftlich er feiner Auflöfung ent 
gegen geſehn habe, bievon Iefe man Epift. B. II. f. 62. Brief 
an Ad. Deco. 3. III. f. 121. an Bened. Aretius umd f. 104 
en Jo. Hofpinian. Ä 


Tonrad Befner. 297 


Muſeum führen , wo er bald darauf in den Armen bed 
Weibes fanft in dem Herrn entfchlief, nachdem er nicht 
völlig fünfzig Fahre gelebt hatte. eine Leiche ward 
in den Kreuggang zum groffen Münfter neben Yo. Fri⸗ 
fius, feinem Herzensfreund, beygeſetzt. 


Zum Beſchluß liefern wir aus ſeinem letzten Willen 
folgende Stelle : 


3» Weiter ift mein Begehr, daß der, welcher je meis 
„ nen Wapen- Brief bat, jarlich einmal, ſoͤnderlich bey 
» Zeiten, vor der Winterkälte , die andern Geßner zu 
» einem freundlichen Gaftmal laden, fo er des Vermoͤ⸗ 
» gend iſt; wo aber nicht, daß die, fo ed bas vermoͤ⸗ 
» gen, darzu helfen, oder fie alle, jedes ein Theil, et⸗ 
was zufamentragen , und ein ſolches Mal nennen die 
„Ciebe. Denn fie dardurch zu aller Liebe, Freunde 
5 ſchaft und Einhelligkeit follen gegen einander erinnert 
p umd von dem dlteften darzu vermahnet werden; ia 
„ der älteft fol die andern berufen, und fo er wüßte, 
n dag etlich gegen einander etwas Reid, Haß oder Zwey⸗ 
» tracht trugen, ſoll er verfchaffen, daß fie ſich vorhin 
» begeben zu Einhelligkeit oder Berfühnung ; wo nicht, 
» ſo füllen, fie bey dieſem Mal gar nicht erfcheinen, ‚und 
» von ihnen allen ald widerfpennig und ungehorfem , 
» und Diefer Liebe auch noch in ihrer Gefellfchaft uns 
ↄ würdig gefchägt werden, ald die echt chriftenlich han⸗ 
» dein oder leben. 


»» Zu diefem Mal Hab ich auch geordnet und ges 
3» macht einen übergoldten Becher , famt einem Dedel, 
»wigt auf 15. Loth, welchen ich von meiner Mutter 
> ſel. Agatha Frickin ererbt habe; fie aber von dem 


— 





298 Conrad Geßner. 


„Herrn Hans Fricken ſel. ihrem Vettern, weiland Ca⸗ 
„planen hie zu Zuͤrich, welcher auch mich von Kind 
„auf zu ihm genommen, erzogen und zur Schule ge 
3 förderet hat. — Dieſes Trinkgeſchirr ſoll der aͤlteſte, 
„ der den Wapen: und Zinsbrief hat, auch behalten, 
„ und feinen in der obbenannten Handfchrift , Die er dem 
>, Alteften noch’ ihm geben fol, gedenken, und foll es 
„, hienen brauchen, dann in obgenanntem Mal, fo fie 
„ jufanmen kommen, und in aller Liebe, Freud und 
Freundſchaft mit einander effen und trinken, wie es 
Fſich gesiemet, ald Die nicht nur von Fleiſch und Blut, 
3, fondern im Herrn Ehrifto und wahrer Erkaͤnntniß und 
3, Liebe Gottes einander verfreundet und verpfichtet find; 
„ und fonderlich follen aus Diefem Trinkgeſchirr mit eins 
„ander trinken die, welche etwan Zweytracht gegen ein⸗ 
„ ander haben, zu einer Zeugniß, folche abzulegen, und 
3: Heiftlich zu verfühmen, von Herzen, ohne alle Gleiß⸗ 
5 nerey, damit fie-nicht in die Strafe Gottes fallen; 
„ und fo alıch etwan ſonſt im Fahr etwas Uneinigkeit 
„ſich erheben wollte, und' die geftillet wurde , fonderlich 
5 durch Sorge und Fleiß der Uelteflen, mögen fie auch 
5 auf ein Freundmal ohne alten Ueberfluß zufamentras 
5 gen, und das Trinkgeſchirr brauchen; und font nim⸗ 
„me = i 
 » Zum letzten .bitte und vermahne ich die alle, Die 
„auf dieß Mal der Liebe zufamen kommen, daß fie und 
„ ein jeder wenig oder viel, nach feinem Willen und 
» Vermögen, ſteuren dem Aelteſten, der den Zins der 
» fünf Gulden einnihmt, () damit wo die fünf Gul 
- (9) In feinem legten Willen hatte Gefner durch Beyſteuer ben 


Grund zu einem Famillienfond fir Unterſtuͤtzung armer Verwand. 
ter geleget. 


N 


Conrad BGefner. 299 


„den wenig beſcheuſſen möchten, nach Notdurft der 
3: Armen in unfe.m @efchlecdht die Summe vermehrt 
„werde. — Wenn das Mal gefchehn, foll der Aelteſte 
» Gott dem Herrn Lob und Dankfagen, und aus dem 
> N. Teſt. etliche kurze Sprüche lefen zwey oder drey, 
» ald da find Matthäi am V. welche dienen, Fried, 
>, Liebe und Einigkeit zu befördern: Dazu ich auch ein 
„kleines Teftamentli zu dem Wapen⸗ und Zinsbrief ver, 
„» ordnet. Demnach fie auch weiter zu Chriſtlichem Les 


'. ben und Liebe vermahnen, damit ihnen Gott der A 


„ mächtig Gnad verleibe hie und dert. — Demnach fol 
» er ihnen firhin bringen meine Kigurenbücher der Thiere, 
3» wie ich die alle drey in ein Buch zufamengebunden zu 
„dem Wapens Brief verordnet habe, daß fie fich die zu 
>, befehen beiuftigen, und durch mein Gedächtniß auch 
„» ihre Kinder, welche tugentlich , zu der Lehre oder fonft 
„zu guten und ehrlichen Künften und Uebungen erzeuhen. 


„Gott ſey Lob in Ewigkeit Dusch Jeſum Cheifum un⸗ 
» fern Herrn, Amen! 


» Datum Zürich den 18. September 1564. 





xVL 
Joſtas Simler. 





erielde ward dey 6 Winterm. 1530. zu Cappel, un⸗ 
weit Zürich, geboren. In dieſer Abbten war chs 
mals fein Vater, Peter Simler, Prior geweſen. Her⸗ 
wach trat er zu den Reformatoren und verheurate ſich 
mit Verena Haufer. Er flarb als veformirter —— 
den 9. Julius 1557. 


Nachdem unſer junge Simler in dem Kloſter zu Cap⸗ 
pel den erſten Grund zu den Wiſſenſchaften gelegt hatte, 
kam er im J. 1544. nach Zuͤrich. Daſelbſt ſtudirte er 
unter Heinrich Bullingers beſonderer Aufſicht. Im J. 
1546. begab er ſich nach Baſel, wo er bey Conrad Ly⸗ 
coſthenes beherberget wurde. Bey Coͤlius Secundus 
Curio genoß er Unterricht in der Wolredenheit, und bey 
Acronius in der Mepkunft.-—Hierauf gieng er nach Straße 
burg. Noch Hatte er fich nicht ausfchlieffend dem geifl- 
lichen Stande gewiedmet; vorzüglich befchäftigte er fich 
mit der ſchoͤnen Litteratur. Nach zweyjaͤhrigem Aufent- 
Halt in Straßburg, beſuchte er mebtere von den be 
rühmteften Schulen. — Im Hornung 1549. kam er in 





E) S. Niceron, T. XXVII. wie auch Adami, Leiſſier, 
30 Heine. Hottinger, Studi, Gimler in Epitome Gel- 


Tofiss Simler. | jos 


fein Heimat zurüc. Eonrad Geßner anvertraute ihm fo 
gleich von Zeit zu Zeit feinen Lehrflul, und mit Befall 
hielt Simler aſtronomiſche, geometrifche und algebraifche 
Borlefungen. — Im Fahr 1552. ward ihm die Ausle⸗ 
gung des neuen Teflaments aufgetragen. Hierauf wurde 
er den 28 März ı557. zum Diacon bey St. Veter 
in Zürich erwälet. Dadurch ließ er ſich in feinen Bor 
fefungen über dad N. Teft. keineswegs hindern; auch 
übernahm er die theologifchen Vorlefungen des Theodor 
Biblianderd, nachdem diefer Iettre, wegen hoben Ab 
ters, zum Lehrportrag unfähig geworden. Nach Peter 
Martyrs Hinfcheid ward unfer Joſias Simler zu feinem 
Nachfolger auf dem theologifchen Lehrftul ernennt. 


Lange Zeit hatte er groffe Plage von Steinfchmerzen, 
einem angeerbten Uebel, welches fein ganzes Temperas 
ment zerflörte und feine Tage verkürzte. Er flarb den 
2 Jul. 1576. in einem Alter von fünf und vierzig Jah⸗ 
ven. — Zweymal hatte er fich verheuratet; das erſte 
mal im Jahr 1551. mit Elifabeth Bullinger, einer Tochs 
ter Kinrich Bullingers; fie farb Kinderlos im Jahr 
1563. Hierauf verheuratete er fich mit Magdalena Gual⸗ 
ter; Ddiefe gebar ihm drey Söhne und eine Tochter, 
Die ihn ſaͤmtlich überlebten. 


Ungemein Tiebenswürdig war unferd Simlers Characs 
ter; er war die Güte und Redlichkeit felber. Niemals 
ließ er fich zum geringften Anfall von Zorn, und auch 
in den beftigften Schmerzen niemals zu einigem Unmut 
verleiten. Bey mittelmäffigen Gluͤcksguͤtern war er gleiche 
wol fehr mildreich umd frengebig; „jeder, dem er mit 
Rath und That beyfpringen konnie, war ibm immer 


* 


302 Joſtas Simier 


willkommen, befonder8 aber die Fremden. Seine Un⸗ 
terhaltung mar ungemein angenehm, und täglich wied⸗ 
mete er freundfchaftlichem Umgang einige Stunden. 


Hier dad Verzeichnis feiner Schriften: 


“> 1. ÆEtthici Cofmographia , Antonini Aug. Itinerarium, 
Rutiliani Numatiani ltinerarium & alia varia Geographi- 
ca: cum Scholiis Jofiz Simleri. Baſ. 1575. imı2°. 


2, De Helvetiorum Republica. Tig. 1574. 1577. 1608. 
in 8°. — It. Parif. 1579. in 8°. It. Lugd. Bat. Elze- 
vir 1627. in 24°. Auch eine teutfche Ueberfekung , Züs 
‚rich 1576. in 4to. und 1610. in 8°. eine neue Ausgabe, 
mit Leuen Zufäken, Zürich 1756. in 4to. eine franzoͤ⸗ 


ſiſche Ueberſetzung, Paris 1579. 


3. Vallefia & de Alpibus. Tig. 1574. in 8°. It. cum 
novis additionibus, Lugd. Batav. Elzevir. 1633. in 24. 


4. Oratio de vita Petri Martyris. Tig. 1563, in 4to. 


5. — Vita Conradi Gefneri. Item Epift. Gefneri de 
libris & fe editis. Tiguri 1566. in 4to. a: 

6. Vita Henrici Bullingeri- Tiguri 1575. 

7. Epitome Bibliothec® Conradi Gefneri, confcripta 
primum & Conrady Lycofthene; nung denuo recogni« 
ta & plusquam bis mille Autorum acceflione locuple- 
tata per Jof. Simier. Tig. 1555. fol. It. in duplum 
audta, Tig. 1574. in fol. Hernach eine neue Ausgabe - 
von Frifus im J. 1583. 


8. Vocabularia rei aummariz Ponderum & Menfura- 
rum, graca, latina, hebraica, arabica, ex diverlis Au, 


Joſ as Simler. 303 


toribus eollefta & in ordinem alphabeticum  difpofita. 
Tig. 1584. in_g°. Nebſt dem Werk des Dominicus Maf- 
fari de Ponderibus & Menfuris medicinalibus, 


9. Commentarius in Exodum. Tig. 1584. 1605. in fol 


10. Verfchiedene Schriften Peter Martyrs und Buls 
lingers, ins lateinifche uͤberſetzt und mit t Zufäßen begleis 
tet von Yof. Simler. 


11. Scripta veterum latina de una perſona & duabus 
Naturis Jefu Chriſti, adverfus Neftorium; Eutychen & 
Acephalos olim edita, nunc annotationibus illuftrata; 
cum Joſiæ Simieri Narratione controverfiarum de per- 
fona & naturis in Chriſto, Tig. 1571. in fol. 


ı2. De vera Jefu Chrifti fecundum humanam naturam 
in his terris prefentis. Tiguri 1574. in 8°. 


13. RefponGo ad duas Difputationes D. Andrex Muf- 
culi, de vera , reali & fubftantiali præſentia corporis 
Chrifti in Sacramento Altaris, Tig. 1574. in 8. 


14. Orthodoxa dodtrina de duabus in Chrifto Natu- 
ris, oppofita Blaſphemiis Simonis Budnzi , ‚ Lithuani. 
Tig. 1575. in 8°. 


15. De zterno Dei filio & Spiritu S. adverfus veteres 
& novos Antitrinitarios. Tig. 1568. 1582. in $&°.. 


16. Refponfio ad librum Francifei Stancati contra 
Tigurinos de Trinitate & Nediatore Chriſto. Tig. 1563. 
in 8”. . 


17. Epift. ad Polonos de Controverfiis circa Hære ſim 
Valentini Gentilis de Trinitate, Genev. 1567. 2 


! 


> 
> 


304 —Joſias Simler. 

18. Othonis Wertmülleri ſumma fidei, au dem Teub 
ſchen ind Iateinifche überfekt von Joſ. Simler. 

ı9. Henr. Bullingeri Adhortatio ad omnes in ecclefia 


Dei miniftros , ut contentiones deponant , & folam ve- _ 
ram in Chrifto idem & vitz emendationem annuntient ; 


‘ex Germ. in Latinum verfa a Joſ. Simlero. Tig. 1572 


in 8”. 

20. Ad feptem accufationis capita , quæ quidam in- 
guieti in capita Coacervant miniftrorum Tigurinz Ec- 
cleiz, H. Bullingeri Refponfio , € germanico in lati. 
num veiſa per Jof. Simlerum. Tig. 1575. in 8°. 


aı. De Principiüis- Aftronomie. Tig. 1559. in 8°. 


Be N 


XxVII. 








xXVIL 


Rudolf —— ss 





en feiner Familie befanden fich groffe Maͤrtyrer für 
J Warheit und Vaterland. Sein Grosvater naͤmm⸗ 
lich war Hans Wirth, Vogt zu Stammheim im Zuͤr⸗ 
chergebieth, deſſen Geſchichte Bullinger in der handſchrift⸗ 
lichen Reformationsgeſchichte erzaͤlet. Laßt uns ſelbige 
im Auszug vorausſchicken: 


Als überal im Zürchergebiete die Reformation ſich 
audbreitete, wiederfette fich ihr gleichwol zu Stammheim 
der dafige Pfarrer und Dechant, Hans Adam Mofer. 
Freywillig geftand er, daß er feit fangen Fahren von der 
Warheit der reformirten Lehre überzeugt, ‚allein zu oͤfent⸗ 
Tichee Bekanntmachung derfelben allzu furchtfam gewe⸗ 
fen; nunmehr fen er zu alt, um eine neue Lehre zu 
predigen. Nach diefer neuen Lehre indeß war feine Pfarr⸗ 
gemeine aüfferfi begierrig. Auf ihre Bitte ‚ward Des 
Vogts Sohn, Meifter Adrian Wirth, damaliger Dias 
ton in Zurich, zur Verkuͤndigung der evangelifchen Wahr⸗ 
Heit nach Stammheim gefendet. Bol Mißgunſt und Eis 
ferfucht, widerſetzte fich ihm der alte Pfarrer und ver 
Klagte ihn bey dem thurgamifchen Landvogt. Auf Se 


() &. Nicron T. XXXVIII. Bayle und Bullingers hands 
ſchriftliche Reformationsgefchichte. 
u 


x 





306 Rudolf soſpinian. 


fehl dieſes letztern mußte Meiſter Adrian die Stelle vers 
Jaffen. Unterweilen ward felbige von feinem Bruder, 
Hans Wirth, Caplan zu Stammheim, verwaltet. Auch 
Diefem ward , auf Anfliften des alten Pfarrers, die Frey⸗ 
heit zu predigen benohmen. Mach weitlauͤftigem Han⸗ 
del , ward ihm, auf dringendes Anhalten der Pfarrge⸗ 
meine , diefe Freyheit von neuem bewilligt. — Er, mit 
feinem Bruder Adrian, nebft ihrem Vater, Vogt Halt 
fen, führten nun, mit Genehmigung der Kirchgenoffen, 
Die Reformation ein. lingemein ward hierüber der thus 
gauifche Landvogt erbittert. Seine gewaltfamen Verfuͤ⸗ 
Qungen verurſachten groffe Tumulte. Unter anderm wurde 
das Earthauferklofter Ittingen gpplündert. Umfonft war 
daß Hans Wirth, der. Vogt von-Stammheim , zum 
Frieden redete; er, umd feine beeden Söhne,. Hand und 
Adrian, wurden unfchuldiger. Weife als Mitflifter des 
Aufruhrs erklaͤret. Nebſt andern unrubigen Köpfen wur⸗ 
den ſie gefaͤnglich nach Zuͤrich geholet. Ungeachtet ſie 
hier fuͤr ſchuldlos erklaͤrt wurden, mußten ſie gleichwol, 
auf Verlangen der IX. Catholiſchen Kantons, nach Ba⸗ 
den geliefert werden. Daſelbſt wurden fie auf die Fol⸗ 
ter gefchlagen und grauſam mißhandelt. Umſonſt waren 
alte Empfehlungen und Fürbitten von Zürich; auch die 
Ehgenoſſin des Vogt Wirthen, Anna Keller , begab fich 
mit ihrem jüngfien Sohn , Fridolin, nach Baden, und 
mit ihr Hans Eſcher, ein Rathsredner von Zürich ; ſo 
ruͤhrend ihre Wehllagen waren, immer blieben fie fruchts 
108. Die Gefangenen wurden zum Schwerdte verur⸗ 
teilt. Meifter Adrian allein ward feiner troftlofen Mut⸗ 
ter geſchenket. Zu diefem fügte der Vater beym Abſchied: 
da Gott deines Lebens gefchohnt hat, To fiche zu, daß 
weder dus felber noch irgend jemand von den I. Unſrigen 





Rudolf HBofpinian 1- 


N unterfiche, unfre unſchuldige Hinrichtung zu rächen. 
Gott im Himmel allein gehört alle Rache. — Als Met 
fier Adrian hiebey in Thranen zerſchmolz, ſprach fein 
Bruder , der Caplan Hans: Wein I. Bruder, du weiß 
ſeſt, dag wir das Wort Gottes treulich geprediget has 
ben; hiebey vergaffen wir des Ereuzed niemals; darum 
ſchweig und unterwirf Dich dem Schickſal. — Fünf Stun 
den nach Der Hinrichtung des Vaterd und Bruders, ward 
M. Adrian aus dem Gefängnif befreyt. Seither ward 
er don der zürcherfchen Regierung zum Pfarrer in Altorf 
geſetzet. Diefer Adrian Wirth oder Hoſpinian ift ber 
Vater unſers Rudolf Hoſpinians, der den 7. Nov. 1547. 
zu Altorf geboren worden. Schon im fiebenten Jahr 
ward er von feinem Water, jur Grundiegung der Stu—⸗ 
dien, nach Zürtch gefihickt. Im Jahr 1563. verlor er 


den Vater. Diefer Verluſt ward ihm durch Fuͤrſorge 


feines mütterlihen Oheims, Joh. Wolphen, und beſon⸗ 
ders auch feines Tanfpathen, Rudolf Gualters, verſetzet. 
Im J. 1555. begab fih der Yüngling nach Marpurg 
und Hernach mach Heidelberg. Allerorten hatte er durch 
Fleiß und gute Lebensart allgemeinen Beyfall erworben. 
Bey feiner Zuruͤckkunft ward er im J. 1958. in das Pre⸗ 
digtamt aufgenommen. Wöchentlich zweymal ſah er ſich 
genoͤthigt, des Predigens wegen, vier bis fünf Stunden 


. weit von Zuͤrch and, aufs Bande zu gehen. Mit groͤß⸗ 


ter Pünktlichkeit that ers acht Fahre Fang, ungenchtet 
ſo dieler Schulgefchäfte , womit er noch uͤberdieß in der 
Stadt ſelber überhauft war. 


Im J. 1569. ward ihm dag Bürgerrecht in Zürich 
bewilligt. Hierauf verbeyratete er fich init Anna Lava⸗ 
ter , einer Tochter des damaligen Archidiacon Lapaterd 


38 Rudolf soſpinian. 
die im J. 1612. von ihm wegſtarb, nachdem fie ihm 
vierzehn Kinder geboren hatte. — Zum zweytenmal vers 
heyratete er fich nicht lange bernach mit Mägdalena Wirz. 
Im Jahr 1576. wurden feine Pfarrgefchäfte in Etwas 
erleichtert. Die Pfarrkirche naͤmmlich, die ihm damals 
- anvertraut wurde , war nicht weiter ald eine Stunde von 
Zürich entfernet. — Nachdem er neunzehn Jahre lang 
unterm Schulftaub vergraben gelegen , ward er endlich 
den 25. September 1588. zum Archidiacon beym groffen 
Muͤnſter erwälet. Sechs Fahre hernach ward ihm das 
Pfarramt bey der Abtenkicche gegeben. Um fo viel will⸗ 
tommener war ihm diefe letztre Bedienung , da er dabey 
noch übrige Zeit genug fand ‚ auf die Ausarbeitung feis 
ner gelehrten Schriften zu denken. 


Beynahe ein Jabr lang war er ſeines Geſichtes beraubt. 
Keineswegs ließ er ſich deswegen am Predigen verhin⸗ 
dern. Gluͤcklicher Weiſe indeß ſah er ſich den 18. Sep⸗ 
tember 1613. voͤllig wieder geheilet. 


Im ſechs und ſiebzigſten Jahr ſeines Alters verfiel er 
in Wahnwitz; aus dieſem bedaurenswuͤrdigen Zuſtand 
erholte er ſich nicht mehr. Er farb in feinem neun und 
: fiebzigften Lebendiahr, den 11. März 1626. 


. Verzeichnis feinen Schriften: u 
1. De Templis. Tiguri 1587. in fol. 163. Ein uners 


meßnes Wer hatte Hofpinian unternohmen de origine 


& progreflu Papatus ac Idolatria roman ecclefiz. Daſ⸗ 
ſelbe ward niemals vollendet. Fragmente davon find das 
. eben erwähnte Buch de Templis, mie auch bie 
den Schriften. . 


m. 








Busolf Kofpiniem 39. 


2. De Monachis, Tig. 1488. in fol. — 1609. 


3. De Feftis Judzorum & Ethnicorum, Tig. 1592. in 
fol. 1611. ' 


4. Fefta Chriſtianorum. Tig. 1593. in fol, — 1612, 


s, Hiftoria Sacramentaria, Tig. 1598. in fol. und 
der zweite Band 1602. Ueber diefed Buch wurden Die 
Lutherqner alifferft erbittert. In teutfcher Sprache hatte 
Leonard Hutter gegen daſſelbe gefchrieben. Hofpinian 
fehrieb eine Wiederlegung , in gleichee Sprache, die nie⸗ 
mals gedruckt worden. 


6. Concordia diſcors; de origine & progreſſu Formu- 
le Concordiæ Bergenſis. Tig. 1609. Auch gegen dies 
ſes Buch ſchrieb Hutter — und Hoſpinian verfertigte eine 
Wiederlegung; doch er unterdruͤckte ſie, theils aus Ach⸗ 
tung gegen die lutherſchen Fuͤrſten, theils um nicht die 
Brhteftanten, wegen ihrer Entzweyung, in den Augen 
der Papiſten lächerlich oder verächtlich zu machen. 


7. Hiftoria Jefuitica. Tigur. 1619. in fol. 


8. Rodolphi Hofpiniani Opera omnia, in VII. Tomos 
diftributa. Von dem Verfaffer vermehrt und von J. H. 
Heidegger in den Fahren 1669. 1681. zu Genf heraus: 
gegeben. Bey Diefer Ausgabe findt man Hofpiniand Le- 
bendbefchreibung. 


Noch find von ihm einige academifche Reden im Drus 
cke erfihienen: I. de origine & progreflu rituum & Ce. 
remoniarum-ecclefiafticarum. Tig. 1585. Il. Ananima 
fit-in toto corpore fimul? III. de Immortalitate ejus. 
- Tig. 1586. in gto. 


U 





fs Rudolf Sofpinian. 

„Hoſpinians Schriften , fast Dir: Bin, „ kann man 
„den Wehrt feltner und finneeicher Nachforfchungen kei⸗ 
„ neswegs abfprechen. Geine haufigen , gelerten Kitas 
„ tionen zeugen von aufferordentlicher Beleſenheit, nur 
„ daß fie nicht allemal mit critifcher Auswal angebracht 
„ werden. Im Detail der Ausarbeitung wird zuweilen 
„ die Ordnung vermißt, die in den Hauptabtfeilungen 
„des Planes hervorleuchtet. 





311 


Gen 





XVIII. 


Johann Rhellican. 





onſt hieß er Johann Muͤller; Rhellican aber warb 

er genennt wegen ſeines Geburtortes Rellicken in 
der Pfarre Egg, Zuͤrchergebietes. In juͤngern Jahren 
hatte er, und zwar im J. 1517 zu Crakau in Polen, 
und hernach vom Jahr ı522 bis 1524 zu Wittenberg 
in Sachfen fi) fleiffig in den geleiten Sprachen. geubt. 
Hey feiner Zurüchkunft ind Vaterland ward er im J. 
1525 von der zürcherfchen Resirung nach Stein am 
Rhein abgeordnet. Der daffige Abbt, David von Wins 
ckels, Harte fein Klofter den Zurchern , als feinen Ober⸗ 
herren abgetreten. - Wie wenig ed damit fein Ernft war, 
bewieß er dadurch , daß er bey nächtlicher Weile Durch 
einen heimlichen Ausgang mit allen Urkunden und Klei⸗ 
nodien fich über den Rhein flüchtete. Inzwiſchen ums 
terließ RhHellican nichts, um das Klofter in beffere Ver⸗ 
faffung zu ſetzen; auf Befehl der zürcherfchen Regis 
rung unterwieß er Die zuriichgebliebenen Mönchen und 
erklaͤrte ihnen die heiligen fo wol ald die Profan⸗ ſcriben⸗ 
ten. Der Abbt aber feste Himmel und Erde in Be⸗ 
wegung, um wieder zur Abtey zu gelangen. Effrenis 
Abbas, ſchrieb Rhellican nach Zürich , omnem lapidem 
'movet, quo in fuum regnum refituatut , five per fas, 
five per nefas. Wenn man auch bernach fich gegen den 

Abbten eben nicht ber gelindeken Mittel bediente, ſo 


312 Johann Rbellican. 


hatte er es ſeiner treuloſen Flucht zuzuſchreiben. Daß 
ſonſt durchgaͤngig die Reformation in dem zuͤrcherſchen 
Kanton ohne Gewalt durchgeſetzt worden, beweißt der 
zuͤrcherſche Rathſchluß vom J. 1524. () „ Und da 
„niemand, heißt es, den andern zum Glauben ober das 
„ von dringen mag, fo ift unfere Dieinung nicht, Daß 
¶„ wir unfere gute Freunde, als unfere geliebte Unter⸗ 
H thanen mit Gewalt zu den neuen Artickeln zwingen 
3; wollen. Aber diefes wollen wir geboten haben, daß 
» alle unfere Bifchöfe oder Pfarrer das Wort Gottes 
‚„ treulich und ernftlich predigen und hernach Ddaffelbe 
laſſen wuͤrken, damit die Ehre und der Sieg des götte 
„ lichen Wortes und nicht des menfchlichen Gebotes fey. °° 
— Da alle Bemühungen des Abbts fruchtlos geblieben 
waren, fo ſuchte er fich dadurch an den Zürchern zu raͤ⸗ 


hen, daß er ben feinem Hinſcheid alle jenfeit ded Rhei⸗ 
nes gelegene Kloftergüter dem Erzherzog Ferdinand, die 


dieſſeits gelegenen aber den Eidgemoffen zufenneie. Diefe 
achteten wenig auf das Vermächtniß; Oeſterreich bins 
gegen erklärt” es für gültig. 


Nachdem RhHellican zu Stein die Reformation feſt ges 
gruͤndt hatte, ward er im J. 1528. von danach Bern 
"berufen. In Gefellfchaft mit D. Sebaſtian Hofmeiſter 
und Kaſpar Großmann gelang ihm daſelbſt die Verbeſ— 
ſerung des Schulweſens. (*) Unter Hand ſuchten dieſe 
Reformatoren die eigentlichen Geſinnungen und die Tuͤch⸗ 


Rs ne um Beyträge zur helvet. Reformationsgeſchichte 


— — die Carol. Bibliotheck in Zuͤrich E, 54. m 5. 
Dat. Bern 7. Gebr. 1528, 


— neue nn. en EEE Be a a 
* 7 — N 


AudeolfBofpintiam 313 


tigkeit der Bernerſchen Landpriefter kennen zu lernen. 
Hierauf ward ein Kapitel nach dem andern zum Examen 
gezogen und die theologiſchen Vorleſungen wurden auf 
gleichen Fuß, wie bey den Zuͤrchern, gehalten. (*) „ Man 
» fieng naͤmmlich bey dem erſten Buch an und ladeis 
3 nige Fahre der Ordnung nach fort. Hiezu brauchte 
„ man täglich die vormals übliche Zeit zur Prim, Terts 
„ und Sert; da las ein Schüler ein Stud, und zwar ‘ 
» aus des ‚Hieronymus lateinifcher Ueberſetzung. Dafs 
» ſelbe Stuͤck las und erklärte der Leer nach dem ebräts 
„ſchen Grundtert; Hierauf ward es Griechifch aus den 
» LXX. Dolmetfchen gelefen. Nachdem alles den Ge 
„ Jerten in lateinifcher Sprache erklärt worden, fo ward 
» 68 nunmehr von dem Brädilanten auch dem Wolle 
bon der Kanzel in teutfchem Vortrag mitgetheilt. * 


Nach folcher Beförderung der Aufklärung, ward num 
auch die Kirchenzucht in beffere Verfaſſung gebracht und 
ein Sonfiftorium , theils aus weltlichen , theil® aus geifts 
lichen Gliedern, errichtet. — Die öfentlichen Dirnen, die 
eine ganze Straſſe anfüllten, wurden verjagt und bie 
Bordels befchloffen. — Was jeder felbft oder mas feine 
Verwandte bis in den dritten Grad, den Kirchen vers 
gabt hatten, durften fie zurück nehmen; Das Uebrige 
ward für die Armen beflimmet. 


.. RHellican war in Bern der erfte Brofelfor der griecht; 
ſchen Sprache und der Philoſophie; er lad über das 
neue Teftament; auch bielt er Vorlefungen uber den 
Salluſt, über Dialectid und Rhetorik u. ff. — Nach 





Ne. die alte, zuͤrcherſche Kirchenordnung. 


* 


314 Rudolf Jofpiniam 


zehnjaͤhrigem Aufenthalt in Bern ward er wieder nach 
Zürich berufen. Durch Abfterben der mit Jahrgehalten 
verforgten Briefter, wie auch ducch Aufhebung der Klo⸗ 
fterfchulen: zu Stein und Ruͤte, batte Diefe Stadt ein 
Beteächtliched gewonnen. Hingegen hatte fich, nach Ein⸗ 
fuͤhrung der Reformation, Die Anzal der Studirenden , 
wegen vergröfferter Unkoften , ungemein vermindert. Buks 
linger ſtellte dem Magiſtrat vor, dag Zürich wenigſtens 
140 Perfonen zum Schuls umd Kirchendienfte bedürfe ; 
daher fey es nicht genug , daß einige junge Leute beym 
Stiſt zum groſſen Muͤnſter ernährt werden; die Yillige 
keit erfordere, daß noch mehrere auch aus andern Kos 
ſterguͤtern Unterſtuͤtzung genieffen. (*) Den 29. Beachm. 
1538. ward alſo unferm Rhellican eine Herberg im Cap 
pelerhofe angersiefen und ihm wurde daſelbſt zur Verpfier 
gung fünfzehn Schüler anvertraut. Unter diefen Schuͤ⸗ 
lern befanden fich Wolfgang Haller, Jacob Wil und 
andre, die bernach den vaterländifchen Kirchen und 
Schulen zur größten Zierde gereichten. Wegen engen 
Raumes wurde ihnen noch in demfelben Jahr das Haus 
dee Abbtey (der Hof genennt ) abgetreten; für das 
Koſtgeld des Aufſehers, oder, wie man ihn hieß, des 
Zuchtmeiſters wurden dem Ammann 25. Gulden, und 
für das Koftgeld jedes Schülers 20. Gulden iarlich be⸗ 
alt; der Gulden war ungefähr fünf mal fo viel am 

Werthe ald jo. Im J. 1540. ward erkennt, dag die 
vier Alteften aus biefen Juͤmglingen ſollten auf Ran 
geſchickt werden. 





. Jac. Hottingers helvet. Kirchengefchichten, Bu 
niK? f. 739. role auch die caroliniſche Biblioth. Er n 3. — 


. 


Rudolf sofpinian. 215 


Mittlerweile Hatte Ach durch Die Bemuͤhungen Jacob 
Wurbs, Georg Stehelins, Valerius Geuffi, Niclaus 
Wittenbachs u. a. die Reformation auch in Biel feſt 
gegruͤndet, dahin ward im J. 1541. Rbellican zum Pfar⸗ 
rer berufen. Daſtlbſt ſtarb er den 1. Jaͤnner des folgens 
den Ja hres in dem 64 Jahr feines Alters. Er hatte eine 

Schweſter der befannten Hofbinianen von Stein zur Ehe. 


Unter feinen Binterlaffenen Schriften bemerken wir: 


Epiftola, in qua ratio ſtudii litterarii Bernenfis indi. 
eatur. Tig. 1533. gvo. Epiftola monitoria. Baf. 1534. 
gvo. Homeri vita ex Plutarcho Jatinitate donata & nos 
tis illuſtrata. Baf. 1537. Stockhornias, qua Stockhor. 
nius mons altiflimus in Bernenfum agro verfibus heroi- 
eis deferibitur. Im Anhang zu Homers Leben und Zürich 
1555. in to. 


Annotationes in C. Jul. Cetaris & A, Hirtii Commen. 
taria de bello gallico, civili, pompejano &c. Baf. 1540. 
1543. Frankf. 1669. und Amſterd. 1597. 


Auch hat er Meganders oder Großmanns teutſchen 
Bee überfegt und verfchiebene Gedichte gefchrics 


= a Er, 





XIX. | 
Rudolf Shmid. (9 





erſelbe ward im J. 1590 zu Stein, einer Munizi⸗ 

palſtadt des zuͤrcherſchen Kantons geboren. Nach 
fruͤhzeitigem Verluſte ded Waters glaubte er fich von ben 
Verwandten allzuftrenge gehalten. In früher Jugend 
entfoh er und gerieth dadurch in folche Verlegenheit, 
daß er ſich genötigt ſah, den Schweinen zu hüten. Un⸗ 
vermutet ward er entdeckt ımd zur Erlernung der Gold- 
arbeiterey nach Lindau gebracht. Auch von da entlief er; 
wegen feiner Gefchicllichkeit im Zeichnen nahm ihn eim 
italiänifcher Kriegsoberſt in Dienſte. Diefen begleitete 
er in Dalmatien; daſelbſt geriet er im turkifche Knecht⸗ 
ſchaft. Als Sklave erlernte er zu Konftantinopel die 
türlifche Sprache. Im J. 1617. diente er der roͤmiſch⸗ 
kaiſerlichen Gefandtfchaft zum Dollmetſch. Bey diefer 
Gelegenheit ward er durch Austaufch der Knechtichaft 
befreyt. In dem Umgang des Eaiferlichen Bottſchafters 
Caͤſar Gallen und deffelben Nachfolgers, des Frenberen 
Kurz, erwarb er gründliche Einficht in die geheimen An⸗ 
gelegenheiten der Höfe zu Wien und gu Konflantinopel. 
Zu verfchiedenen Malen batte ſich Ferdinand II. bey Uns 
terhandlungen mit den türfifchen Aga und Bafcha bedient. 





(1 &, Bucellin. Stemmatogr. Germ. P. III. Docum. 
publ. 


AundoilfrSshmid ° 317 


MWaͤhrend des Friedensbruches ward er im J. 1627. von 
Diefem Kaiſer an den Sultan Amurath abgefandt. So 
gefärlich fein Auftrag war , fo Elug ward er von Schmis 
den beforgt. An eben diefen Sultan ward er hernach 
im %. 1629. von Ferdinand III. hingeſchickt. Fünfzehn 
Fahre lang fland er bey ihm und bey feinem Nachfol: 
ger Ibrahim als römifch- Laiferlicher Nefident. Zur Bes 
Johnung der treugeleifteten Dienfte ward er im J. 1647 
von dem Kaifer zum Freyherrn von Schwarzenhorn ers 
hoben ımd fein Wappenſchild fo mol mit dem Reiches 
adler, Schwerdt und Zepter ald auch mit dem türkis 
fhen Drachen, Monde und Saͤbel geziert. Auch ward 
er zum kayſerlichen Hof⸗Kriegsrath, zum Ober⸗Forſt⸗ 
meifter in dem Herzogtum „Defterreich unter der Eng, 
im FÜ 1699 zum Inter - Nuntius an den neuen ‚Sultan 
Machomed, und im J. 1650. .zum Groß: Bostfchafter 
an diefen Sultan ernennt. In diefer Würde beflättigte 
er den Friedensverglich mit dee Ottomanifchen Pforte. 
Im J. 1656. erhielt er den Vorſitz bey dem Taiferlichen 
Kriegsrath. Bleiche Gunft genoß er von Kaifer Leopold, 
der ihn im J. 1657. zum wuͤrklichen Geheimden Rathe 
befiellte und ihm, in Ermanglung männlicher Erben, 
erlaubte , fein Ritterwappen auf andre Verwandte über 
zutragen. Mitten in feiner Erhöhung und bey fo lan⸗ 
ger Entfernung , Ioderte immer gleich warm in feinem 
Bufen Die Heilige Flamme der Vaterlandsliebe. Seiner 
Geburtsſtadt erwarb er von Seite des Kaiferd eine Bes 
fräftigung ihrer bisherigen Rechte. Im J. 1668. bes 
gabte er feine Mitbürger zu Stein mit feinem Portrait 
und mit einem £oftbaren, güldnen Pokale. Auf diefem 
Pokal war eine poetifche Auffchrift eingegraben , die er 
ſelbſt verfertigt und an den Rath zu Stein gerichtet 





n 


318 Rudolf Schmid. 


hatte. Dieſe Geſchenke übergab er durch den Freyherru 
von Rechling. — Im J. 1664. kam er ſelbſt in die 
Schweiz und ſuchte bey den Eydgenoſſen im Namen des 
Kaiſers eine Beyſteuer zum Tuͤrkenkriege. Nebſt oͤfent⸗ 
licher Werbung wurden ihm tauſend Centner Pulver be⸗ 
willigt. Hierauf begab er ſich nach Wien zuruͤck. Das 
ſelbſt Hatte er in der Nähe die Herrſchaften St. Mar⸗ 
garetha und Nicolsdorf an ſich gebracht. ' Er war mit 
Helena Feldnerin von Feldeckt vermält. Diefe gebar ihm 
zwo Töchtern. Die aͤltere Maria Anna hatte ſich mit 
Maximilian von Seeau verheyratet. 


Schmid ſtarb zu Wien den 22. April 1667. — Mit 
vepublicanifcher Befcheidenbeit thaten feine Verwandte zu 
Stein für immer Verzicht auf den freyherrlichen Titel, 

der ihnen bewilligt worden. 


⸗ 


4 
„ 


Ver 


319 





Rudolf Stadler ). 





erfelbe wurde Ends des XViten Jahrhundert zu 
Stein am Rhein geboren. Daſelbſt war fein 
Vater züccherfcher Amtmann. Bon Kindheit auf lebte 
er in genauem Umgang mit feinem Landsmann und Al 
terögenoffen, obigem Rudolf Schmid: Als dieſer letztre 
in der Perſon eines Taiferlichen Refidenten nach Konftans 
tinopel gieng , fo begleitete ihn Stadler. Bon da bes 
gab fich diefer mit Tavernier nach Iſpahan. So ſehr 
Hatte Stadler wegen feiner Gefchicklichkeit in der Uhr: 
macherkunft die Gunft des Schach Sefi gewonnen, def 
er jeden Morgen bey dem Monarchen aufiparten mußte, 
um feine Uhr aufzuziehn. Fuͤnf Jahre lang lag er mit 
koͤniglicher Zufriedenheit dieſem Gefchäft ob, als er nun. 
mehr mit der Hollfteinfchen Gefandtfchaft zurückkehren 
wollte. Der perfiiche Monarch bewog ihn, fich Iänger 
in feinem Reiche zu ſauͤmen. Schon hatte er groffen 
Reichtum erworben ; er befaß zu feinem Dienfte meh⸗ 
vere Pferde und Sklaven. “Yo verheyratete er fich mit 
einer armenifchen Chriftin. — Ungeachtet m Morgens 
land keinem Fremden der Zutrit in das weibliche Zim⸗ 
mer vergönnt ift, fo Hatte es gleichwol Athemat Doulet, 


* 





(X) S. Jacyb Hottingers belvet. Kirchengeſch. B. VIE 
fe 1054. wie auch Olearius und Tavernier Reiſen. 





\ 


320. Audolf Stadler. 


ein Bruder des königlichen Oberaufſehers gewagt, in 
das Zimmer von Stadlerd Gattinn zu ichleichen. Gang 
unvermutet ward des Liebhaber von dem Gatten übers 
rafcht , als Diefer von einem Gaftmal bey den hollſtein⸗ 
ſchen Gefandten por der Zeit zurüd kam. Der Ehes 
brechen eilte die Treppe hinunter; ein Bedienter bielt 
ibn an und ward von demfelben verwundet. Stadler 


kam hinzu und jagte voll Wut dem Perfianer eine Kus 
gel durd) den Kopf. Morgens darauf erzälte er dem 


Monarchen die ganze Gefchichte und erhielt von’ demfels 
ben gnadige Verzeypung. Des Entleibten Bruder aber 
Dachte auf blutige Rache. Beym König drang er dar⸗ 
auf, daß Stadler entweder ſich müffe befchneiden oder 
dem Scharfrichter übergeben laſſen. Umſonſt war Die 
Fürbitte der Gefandten aus Holftein ; auf Antvieb des 
Sedders oder des geiftlichen Oberrichters ward Stad⸗ 
ler zum Tode verurteilt. Um dieſem Urteil zu entgehn, 
ſchien kein Mittel uͤbrig als die Beſchneidung. Alles 
wendten der Koͤnig ſo wol als die Groſſen des Reichs 
an, um ihn hiezu zu bewegen; lieber, ſprach er, will 
ich die Gnade des Monarchen ald die Gnade Ehrifti vers 
ſcherzen. Zweymal führte man ihn auf den Richtplag 
und wieder zuruͤck. Mittlerweile: fuchten ihn Dafige roͤ⸗ 


miſch⸗ catholifche Mönchen auf ihren Glauben zu brin⸗ 


gen: allein er wich nicht weder zur Rechten noch zur 


 Kinten. Endlich den Verwandten des Entleibten übers 


liefert, ward er von Denfelben auf den. Meidan oder 
Richtplatz geführt und daſelbſt im J. 1637, im acht und 
zwanzigften Jahr feines Alterd unter Saͤbelhieben ges 
fhlachtet. — Aus dem Tavernier merken wir noch any 
bag Stadler malen der Gefangenfchaft von den Kara 

meliten 


Audolf Stadler 327 


wmeliten Aeiffig beſucht worden, "und zwar gewöhnlich des 
. Abends , damit fie ihm den Palenk, d. i. ein vieleckig⸗ 
te8 Holz, mit welchem man Gnmöglich zu fchlafen im 
Stande war, vom Hals nehmen könnten. Um dem 
Gefangnen diefe Erleichterung zu verichaffen, fol das 
Oberhaupt der boländifchen Kompagnie zu Iſpahan, 
Niclaus Obrechit, groffe Geldſummen angewendt haben. 
Mach der Hinrichtung fchrieben die Mönche an ihre eu⸗ 
ropdifchen Freunde, wofern Stadler fich zur römıfchen 
Religion würde bekennt haben, fo bätten fie ihn we⸗ 
gen feiner Standhaftigkert unter die h. Märtyrer gezaͤ⸗ 
let. Auf Befehl des Königs waren alle europdifche fo 
wol als armeniſche Chriſten bey der Hinrichtung zuge⸗ 
gen ; dieſelben faßten des Hingerichteten Blut auf, 
ſchoben Die Leiche in einen Sarg und begruben fie auf 
dem armeniſchen Kirchhofe. Aus freywilliger Beyſteuer 
ward Stadlern ein Grabmal erbaut. Zu demfelben find 
feither von den armeniſchen Chriſten Walifarten ge⸗ 
ſchehn. 


Acht oder zehn Tage nach deſe Hinrichtung, fo 
der Koͤnig ſeine Uhr, die niemand mehr auszubeſſern 
im Stande geweſen, voll Unmut Stadlers heftigſtem 
Geinde, dem Athemat Doulet, an ben Kopf geworfen 
haben, mit Beyfuͤgen, er haͤtte wegen ſeiner Verfolgung 
des Stadlers verdient, dag man ihm den Bauch aufe 
ſchneiden lieſſe; zugleich Babe er geſchworen, keinem 
Chriſten mehr wegen feiner Religion das Leben gu neh⸗ 
men. 


322 Küdolf Stadler 

Die Gefchichte unſers Stadlers bat der befannte 
Schwaͤrmer, Jacob Redinger, beſonders edirt, unter 
der Aufſchrift: „Beſtaͤndiger Blutzeuge in dem wah⸗ 
„ren, chriſtlichen Glauben, oder glaubwuͤrdiger Be⸗ 
» richt von Johann Rudolf Stadlers ſtandhaftem Tode 
„zu Iſpahan in Perſien; ans dem franzoͤſiſchen uͤber⸗ 
ſetzt. Zuͤrich 1680» 80. 66 


— —— 





XXI. 
Fohann Philipp von Hohen Gar. — 


u a 
N erfelbe ward den 13. April 1350. in feiner angeerb⸗ 
ten Herrſchaft zu Zörftee geboren: Sein Vater 
| — Ulrich Philipv von hohen Sax, Freyherr daſelbſt 
und Buͤrget zu Zürich. () Seine Mutter war Regina, 
eine geborne Gräfin soh Hohen Zollern. Durch diefe 
ward ihr Gemal im J. 1554. zur Einführung der Glau⸗ 
bendverbefferung in feinen Kerrfchaften bewogen. Naͤ⸗ 
here Veranlaſſung hiezu gab der Priefler zu Sar, der 
feine naͤchſte Anverwandtin gefchwächt hatte und deswe⸗ 
gen Iandfuchtig geworden; Auf Anhalten der verlafnen 
Gemeinde bewiuigte ihre nunmehr der Freyherr Ulrich eis 
nen evangelifchen Prediger: Den 8. Augfim. 1563. hatte 
Johann Wonlich ; Pfarrer zu Altfiätten im Rheintal, 
Die erſte enangeliiche Predigt gehalten: Die Zeinde der 
Reformation fireuten aus; der Briefter fen mit Gewalt _ 
verjagt und das Volgdurch Drauungen zur. Annahme der 
Blaubensverbefferung, genötigt worden: Alles Wieder 
flandes ungeachtet ließ ſich der Freyherr nicht hindern. 
Durch oben erwähnten Wonlich ward im Sennwald, 
und durch Fohann Hufer zu Sales im J. 1563. mit dem 
evangeliſchen Sottesdienfle dev Anfang gemacht: Hier⸗ 


wat. San u weae un. a2“ a a hy 








(*) ©: J dc: Hoftingers helv. Kirchengeſch. 3: VIL f. N 
ir "ich Guik. Stuckii exequalia Jo. Phil, Bar. ab alto Saxo. 





324 Johann Philipp von Soben Gar. 


über ſchrieb der Freyberr Ulrich an Bullingen: „daß 
„ die Gemeind im Sennwald unbeswungen und truns 
» gen, ist verfchinnenen Zinſtag, mit freyem Mehr die 
„Altaͤr, welche vor nicht gefchliffen waren, aus der Kirch 
„gethan. — — Es will am Pfaff von Say kein Wahrs 
„ nen noch Unterweiſen helfen. — Ex bekennt, daß er 
„ auf Diartini hinweg ziehen wolle, da dann guter Hofs 
„ nung bin, dag fie auch einen Predicanten annehmen 
„ werden. “ — Unterm 26. Heum. 1566. fehreibt er: 
» Hand Hauſer hat die Pfarr Say bisher mit göttlis 
» chem Worte verfehn, und bat fih auf foldyes noch 
„ niemand eingelegt und eined Meßpfaffen begehrt , ſon⸗ 
„„ dern ed gebt viel Volk zu dem Wort Gottes; es find 
„auch zum Theil die Böfelten Die Belten worden. * — 
Ungeachtet dieſer günftigen Ausficht Fam gleichwol Die 
Reformation nicht völlig zu Stande bis zum Jahr 1639, 
nachdem vorher im J. 1615. dieſe Freyberrſchaft unter 
die Regirung von Zuͤrich gelangt war. 


Die groͤßte Sorge hatte der bisher erwaͤhnte Freyherr 
Ulrich auf die Erziehung ſeines Sohnes, Johann Phi⸗ 
lipps, verwendet. Zur Erlernung der lateiniſchen und 
geiechifchen Sprache begab ſich der Füngling nad St. 
Gatten und Zürich. Die franzöffche Sprache fludirte 
er nachher zu Genf md Laufanne. Zu Genf hatte er 
fich zugleich mit theologifchen Wiffenfchaften befchäftigt. 
Dafelbft gerieth er in genaue Belanntfchaft mit dem 
ehurpfälzifchen Bringen Chriſtoph, den er im Jahr 1568. 
nach, Heidelberg begleitete. Nachdem er einige Zeit an 
dafigem Hofe zugebracht hatte, bielt er fich über ein Jahr 


: Auf der Heidelbergifchen Lniverfität auf. Yon da kam 


er {m J. 1571. aufdie hobe Schule zu Paris. Daſelbſt 


Johann Philipp von Hohen Sax. tes 


war er im J. 1572. ein ängfllicher Zeuge jenes ums 
menſchlichen Blutbades und mit Muͤhe -entwich er nach 
England. In diefem Königreiche befuchte er die vor⸗ 
nebmften Schulen und empfieng den Doctor » Hut nebſt 
der Würde eines Magifter Artium. Im J. 1574. kam 
ee nach der Pfalz zuruͤck. Wegen dafelbft berfchender 
Seuche eilte er nad) Haufe. In dem folgenden Jahr 
Fam er fchon wieder nach der Pfalz und erhielt die 
Stelle eines geheimen Rathes; im J. 1576. ward er 
von dem Ehurfürft auf den Reichdtag nach Regenfburg 
abgefandt. Ihm war es nicht genug ‚, bald auf dem po⸗ 
litiſchen, bald auf dem litterarifchen Schauplag zu glaͤn⸗ 
gen; im J. 1577 begab. er fich zu dem Kriegesheere 
des Prinz Wilhelms von Dranien, in kurzer Zeit geo 
Tangte er zu der Stelle eines Obgrflen und Gubernators 
tn Geldern. — Den 27. Herbſtm. im J. 1587. vermälte 
er fih mit Adriana Franziſca, einer Tochter Reinolds 
IV. Herren von Brederode. Im J. 1588. fam er wie 
der ald gebeimder Rath nach der Pfalz; zugleich ward 
ihm das Amt Moßbach anvertraut. Nach ruhmlicher - 
Verwaltung diefer beyden Stellen, beurlaubte er fich 
Im I. 1594. um feine übrige Lebenszeit auf feinem 
Schloffe Forſteck dem Baterlande zu wiebmen. Die 
Freude der Unterthanen über die Wiederkunft eines fo 
geliebten Herrn dauerte nicht lange. Als er den 4. May 
2596. das gewöhnliche Gericht zu Sale; hielt, ward er 
beym Nachteſſen von Freyherr Georg Ulrich, feines Bru⸗ 
ders Johann Albrechts aͤlteſtem Sohne meuchelmörderi, 
ſcher Weife fo tödlich verwundet, daß er den 12. May 
an der Verwundung farb. Den 10. Heumouat ward 
bierauf von dem Stadtrathe zu Zürich ein foͤrmliches 
Blutgericht über den entwichnen Todtfchläger gehalten 





36 Joſtann Philipp: von Hohen Gay: 


und er zum voraus zum Tode verurteilt. Ungeachtet er 
feiner natüslichen Obrigkeit entſſohn war ; fo foll er doch 
hernach in Defterreich durch des Scharfrichters Hand 
das Leben verloren haben. — Die entfeelte Leiche des 
Freyherrn von Hohen Gar ward in.die Gruft der Kits 
he zu Sennwald gelegt. Merkwuͤrdig iſt es, daß bie auf 
den heutigen Tag diefe Leiche unverweslich geblieben. - 
Der Ruf ihrer Unverweslichkeit reiste Die benachbarten 
Anwohner, daß fie nicht nur von jeder der beeden Hände 
gtoeen Singer weglöfeten, fondern aud) den s. März 1941. 
Die Gruft nächtlicher Weile eröfneten , um den ganzen 
— über den Rhein nach Fraſtenz zu entführen. Von 

dem zürcherfchen Landvogt aber ward Die Leiche zuruͤch 
geholet und wieder in der Kirche verwahret. Selzam 
übrigens üft ed, daß ein Reformirter, der von einem Kar 
tholiſchen ermordt worden war⸗ er zum Hahahım 
gemacht werden follem 














Melchior Goldaſt von Haiminsfeld. 





a der zuͤrcherſche Kanton groſſen Anteil hat an der 
Oberherrſchaft uͤber Goldaſts Geburtsort, ſo mags 

uns erlaubt ſeyn, auch ihn zu den beruͤhmten Zuͤrchern 
zu zaͤhlen. Derſelbe ward im Jahr 1576. auf dem 
Landguthe zu Eſpen bey Biſchofzell im Thurgauͤ geboh⸗ 
ren. Hieher hatte ſich fein Vater, Heinrich Goldaſt 
‚son Haiminsfeld mit feinem muͤtterlichen Oheim, Jo⸗ 
hann Zwici, geflüchtet , nachdem Koſtniz im I. 1549. 
von Kaifer Earl V. erobert und daſelbſt Die proteſtanti⸗ 
fche Lehre unterdrückt worden. (*) Ungeachtet der junge 
Goldaſt mit feinem adelichen Herkommen groß that, fo 
war er doch von der Goͤttinn des Glücded wenig bes 
günftigt. Aus dem gelerten Sendfchreiben, welche Heitte 
rich Günther Thulemaier herausgab, erhellt, daß Con⸗ 
rad Ritterhuſius zu Altoef Die größte Muͤhe gehabt Has 
be , fich von unferm iungen Goldaft das Koftgeld zalen 
zu laffen, Auch mußte fich Diefer , nach der Abreife von: 
Altorf, ungemein ‚armfelig durchſchleppen. Im J. 
2599, genoß er in Sant Gallen das Gnadenbrod bey 
Bartholomaͤus Schobinger. Diefer Lebtre hatte dem 











\ 


(*) S. Scaligerlana f. 172. mie auch Goldaſts rer. alem. 
prolog. T. 11]. Reimanns Hiß. litt. der Zeutichen Th V. 
442. 


3 4 





328 Melchior Goldaſt von Zaiminsfeld 


Zunammen des reichen Philoſophen. In feiner Famll. 
lie werben verſchiedene ſeiner Handſchriften verwahret; 
ſonderheitlich mit Abſchreiben und Erlautern der Vadia⸗ 
niſchen Werke hatte er ſich viele Mühe gegeben. — Ir 
obigem Jahr 2599. begab fih Goldaſt ald Hefmeifter 
mit den Söhnen des Vaſſanus nach der Genferfkihen 
Schule. Daſelbſt Iedte er fo Inder , daß er fich im I. 
1602. nach Laufanne Richten mußte, um fparfamer zu 
leben. Nicht ange bernach ward ex von dem Genfers 
fiben Proſeſſor Jacob Lectius, dem Herzog non Bouil⸗ 
Ion als Secretair empfoblen.- Schon wieder war im 
% 1603. dieſe Secretairſtelle verloren. Izt Hatte ex 
Hofnung zu einer Bedienung als Pfaͤlziſcher Hofrat : 
umd gar bald werd auch dieſe Hofnung vereitelt der 
Mainzifche Churfuͤrſt fchien ihm günfige Ausfichten zus 
öfnen: allein die Beſorgniß, in die Dienftbarkeit ber 
Jeſuiten zn fallen, erlaubte unferm Geldaſt nicht, in 
Mainziſche Dienfte zu tretten. Bon dem Herzog zu 
Weimar fab er fich freylich mis dee Würde eines ſaͤchſ⸗ 
ſiſchen Rathes beebret: doch zog ex bievon fo wenig 
Einkünfte als aus feinem adelichen Geichlechte. Einige 
zeit lebte er bey dem Grafen Ernft von Schauenburg ; 
wegen feines eigenfinnigen Caracters konnte er fich auch 
Da nicht lange bequemen. Ueberal wird fein ganzes Bes 
tragen als ausſchweifend gefchildert. Ausdruͤcklich wird 
e von Scioppins eined Diebſtals beſchuldigt, um deſ⸗ 
fentwillen ee in St. Gallen in Verhaft gefekt worden. 
Eben diefer Scioppius wirft ihm vor, daß er ſelbſt den 
ſchluͤpfrigen Eommentar zu den Yriapeien verfertigt und 
ihn hernach unter des Scioppius Nammen bekannt ge 
macht habe. Frerlich wird Dad Zeugniß dieſes letztern 
fuͤr ſich allein wenig beweiſen; Goldaſt war ihm ver⸗ 


Meldior Boldaft von Batminsfeld. 325 
haft, und zwar, weil er ihn in der Fehde mit Joſeph 
Scaligern als defien Waffentrager anfah. — Laft uns 


im Vorbeygehn einige Augenblicke bey biefer gelehrten 
Wildhaze verweilen: 


Kafpar Scioppius war anfangs der größte Bewun—⸗ 
derer von Joſeph Scaligerd Schriften. Nach einiger 
Entzweyung ſuchte er ſich an dieſem durch feinen Scali- 
gerum hypobolimzum zu rächen. In demfelben fuchte 
er zu beweifen, daß Scaliger keineswegs aus dem Ve⸗ 
roneſiſchen Fuͤrſtenhauſe, fondern vielmehr aus einem 
ganz geringen Befchlecht abftamme; fein Vater Julius 
Caͤſar Scaliger habe fich vormald Burdo genennt und 
fen bald ald Echneider, bald als Barbirer, bald als 
Marktfchrener u. d. g. berumgefchwärmt. Auͤſſerſt er⸗ 
bittert, forderte Scaliger alle feine Freunde und Sqchuͤ⸗ 
ler gegen den Scioppius zum Streit auf. - KGegen dies 
fen erfchienen unter anderm vier verfchiedene Werkgen: 
Münfterus hypobolimzus; Apotheofis Lucretü Vefpil- 
lionis ; Vita & parentes Cafparis Scioppii; confuta. 
tio fabule Burdonum. Dem Gcioppius war unfer Gol⸗ 
daft ald Mitarbeiter an ſolchen Pamphlets verdächtig. 


‚Die Priapein oder diverforum poetarum in Priepum 
lufus fol Scioppius im %. 1593. gefammelt haben; 
feither wurden fie im %. 1664. zu Padua edirt. We 
gen der Aergerniß, welches diefe feblüpfrige Schrift vers 
urfachte, wollte ee nunmehr die Verfertigung derfelben 
- von fi) ablehnen umd fie unferm Goldaft zufchreiben. 
Seine Zueignungsfchrift indeſſen, feine Schreibart, feine 
Lebensart, alles verräth ihn ald Autor; auch verfichert 
fein Biograph, daß er des Scioppius eigne Handfchrift 
geſehn habe. 


119 Melchior Goldaſt von Zaiminsfeld 


Wenn wir aber von dieſer Seite den Goldaſt los⸗ 
forechen, fo muͤſſen wir auf der andern Seite geſtehn, 
daß ex gewohnt geweſen, mit Bücherfchreiben fein Brod 
zu verdienen und Daß er feine eine Rede de concordia 
litterarum & religionis unter des Lipfius Nammen edirt 
babe. Bon Rachelius und andern wird ihm die Ver⸗ 
faͤlſchung verfchiedener Urkunden beygemeſſen: Unge⸗ 
mein hingegen wird er freylich von dem ſachkundigen 
Conring erhoben. (X) Ihn betrachtet dieſer als den er⸗ 
ſten, durch welchen das teutſche Staatsrecht aufgeklaͤrt 
worden. Ungemein wird durch ſeine Scriptores rerum 
germanicarum die Geſchichte ſo wol als die ganze Ver⸗ 
faſſung des teutſchen Reiches beleuchtet. Dieſe aleman⸗ 
niſche Schriftſteller wurden zuerſt im J. 1616. zu Franke 
furt in drey Foliobaͤnden gedruckt. 


In dem erſten Bande: 


. Hepidani Cænobitæ S. Galli Annales ab anno 1008 
ad anno 1048. 

3. Ratperti Monachi S. Galli Liber de origine & di. 
verfis cafıbus Monafterii S. Galli. 


3. Eckehardi junioris Cænobitæ $. Galli Liber de ea- 
fibus Monaſterii S. Galli, 


4. Burckhardi Monachi S. Galli Liber de Cafıbus Mo- 
aaſterii S. Galli, - 











(*) &. Eonrings Einleitung ad Tacit. de Morib. Germ. 
deffelben orig. jur. Germ. c. 27. und die Zueignungsfchrift 
der Exercic. de rep. Imp. Germ. 


Meſchior Boldaf von Zaiminsfelbd. 234 


s. Conradi Fabarienfis Presbyteri hiftoria de. Mona, 
fterio S. Galli. 


6. Ejusd. Catalogus Abbatum S. Galli, 
7. Anonymi de Officialibus Domini Principis 8. Galli, 
8. Bartoldi Monachi Annotatio de abbatihus.$, Galli, 
9. Jonchini Vadiani Chronologia, 
10. Domini de Tiuffburg Ephemerides, 
| yı. Jo. Georg. Tibiani Panegyricum, 
ı2. Walafridi Strabi Augienfis de vita $. Galli, 
| 13. Ifonig Magiftri de miraculis $. Otthmari, 
14. S. Theodori Eremite Campidenenfis de via $ 
15. Ermenriei Elewangenfis Supplementum, 
16. S, Findani Confefloris hiftoria. 
17. Hepidani Junioris de vita S. Wiborodz, | 
18. Eckehardi Minimi de. vita Notckeri Balbul, 
19. 8. Fridolini Cenfefloris hiftoria, 
In dem zweyten Bande. 
3. Lex Alamannorum, 
2 Chartarum Centuriz. 
3. Joach. Vadiani epift, de obfcurig verborum Signk 
ficationibus, 


1 


332 Melchior Boldaft von Harminsfeld. 
-"% Ruodoperti epiftolz. 
5. Rabani Mauri Abbatis Fuldenfis Libelli. 
6. Walafridi Strabi, ejus diſcipuli, Collectiones. 


7. Keronis Monachi S. Galli Interpretatio verborum | 


&lemann. 


8. Anonymi catalogus nominum ee da. 
mannos. 


9. Remedi Curienfis epifcopi Canones, 
so. Notingi Conftantienfis Epifcopi Canons. 


ız. Anonymi Symbolum apoftolicum , Confeſſio, ‚Li | 


tania, Benedictiones , Fraternitates, Anniverfarü, 


R dem dritten Bande. 


1. Joach. Vadiani Farrago antiquitatum alemann. S. 
de collegiis & monafteriis Germaniz veteribus. 


2. Barthol, Schobingeri additiones ad Vadiani Farra 
ginem. 

3. Jo. Comandri epiftolz. 

4 Joach. Vadiani de Chriftianifmi zetatibus, 


5. Ejusd. epiftola de conjugio Seryvorum apud als 


Mannos. 
6. Jo. Zwickii Epiftole. | 
7. Leonis Judæ Epiſtolæ. .„ 
$. Jo. Kesleri Bibliotheca. ; 


— 


Melchior Boldaft von Zalminsfeld. 333 


Eben diefer Goldaſt hat auch verfchiedene, andre His 
florifche Werte gefamelt, 3. B. die Conttitutiones im- 
perii oder Reichöfakungen, welche in vier Foliobaͤnden 
au Hanau im %. 1608. zuſamengedruckt worden; auch 
Bat er im J. 1614. gu Frankfurt am Mayn einen %os 
lianten über politifche Reichshändel edit. Won dieſem 
leßterm Werke, fo wie von andern Goldaftifchen Sam⸗ 
Jungen, fcheint Ludwig allzu ungünftig zu urteilen. (*) 
Niemals, fehreibt ex, zeigt Goldaft den Ort an, mo 
er bie Urkunden hergeholt hat; Diefelben hat er meis 
fiend geftofen und, nachdem ex ſie durch den Druck bes 
fannt gemacht, die Originale den Flammen geopfert. 


Sehr intereffant find Goldaſts Parznetica; "in den⸗ 
felben befinden fich poetifche Fragmente aus dem Xilten 
Jahrhundert von Winsbeck Ermahnungen an feinen 
Sohn, und von den Ermaßnungen der Windbedin an 
ihre Tochter. 


Noch bey feinen Lebzeiten ſchrieb Scioppius öfentlich 
in die Welt hinaus, dag Goldaft zu Straßburg wegen 
eines begangenen Mordes aufs Rad gelegt worden Zu 
diefem quid pro quo hatten zween Keifende Weranlafs 
fung gegeben, die den Scioppius in Rom befuchten. 
Demfelben erzälten fie folgende Gefchichte : Ein gewiſſer 
Hauptmann“ zu Straßburg Batte eine Byyſchlaͤferin 
welcher er gerne loos ſeyn wollte. Seinem Vertrauten, 
dem Goldaſt, verſprach er tauſend Goldgulden, wofern 
er ſie mit guter Art aus dem Weg rauͤmen wuͤrde. Um 











©. xudwiss Vorrath zu einer aͤchten Reichsgeſchichte, 


468. 





334 Merlchior Goldaͤſt von Zaiminsfeld. 
dieſes Geld zu gewinnen, babe Goldaſt die Koncubine 
ermordet; fen aber ertappt, getädert und feine Leiche 
Durch den Schärfrichter verbrennt worden. Nachdem 
Scioppius dieſe Zeitung dutch oͤfentlichen Druck bekannt 
gemacht bätte, fo erhielt er nicht lange hernach von 
feinen Koreefpondenten in Teutfchland die Nachricht z 
jene Reifende hätten den Melchior Goldaſt mit feinem 
Bruder, dent Sebaftian , verwechfelt. Nicht erfirer , 
fondern letztrer habe ein adeliches Frauͤlein Dorothea von 
Gried erwürgt und dafür auf Dem Richtplatze gebüßt: 
— In einer andern Schrift nahm alſo Scioppius feine 
Worte zuruͤck, indeß fette er hinzu: Noch habe er Hofs 
hung, dag einft auch der Melchior Goldaſt feinem Brus 
der Sebaftian in dee Todesart nachfolgen werde; ein 
jeder naͤmmlich, der fein Geficht nur einmal gefehn has 
be, müffe fogleich aus feiner Phyſiognomie ſchlieſſen / 
daß er des Galgens und Rades vor andern aus würdig 
fey. () Der Phyſioanomiſt betrog fich. Auf dem Bei⸗ 
te ſtarb Goldaſt im %. 1635. zu Bremen. Daſelbſt 
wird as — ſein ganzer BEE ——— 


Dr SE 








(*) &; Bayle Dietionnaire f. 1339: 
Ende des erſten Theils: 


- 





a 


21. 


Rudolf Brun. 

Felix Zaͤmmerlin. 
Conrad Pellican. 
Leo Judaͤ. 

Johann Waldmann. 
Ulrich Zwingli. 
Rudolf Stuͤſſi. 
Jacob Ceporin. 
Rudolf Collinus. 


- Ludwig Heter. 
. Conrad Brebel. 


Deter Martyr Dermilio. 
Heinrich Bullinger. 
Theodor Bibliander. 
Conrad Beßner: 


Joſtas Simler. 
- Rudolf Hofpiniart: 
Johann Rhellican. 


Rudolf Schmid. 
Rudolf Stadler. 


Joh. Philipp von Hohen Sar. 


22. Melchior Goldaſt. 
Der Zeitrechnung nach ſollten Stuͤſ ı Waldmann, und 


—— 


auftinander folgen. 


— — 


Innhalt des erſten Theils. 


cite 3 
34 
72 
79 

100 
125 
163 
174 
177 
185 
199 
208 
217 
274 
277 
300 
305 
311 
316 


319 


323 
327 





x 
Leonard Meifters, 
| Profeſſor 


Beruͤhmte Zuͤricher. 





Zweiter Theil. 0 








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BASEL. | 
bey Johann Schweighaufer. 
a EP SeT Se 2 Srapı DER rer 777 

1782 











— — 


Chronologiſches Verzeichniß. 
Zweiter Theil. 


Raphael Seal. Seite 160 
ee Br tinder N älter. | R 121 
arl Spon. 1 
einrich Sottinder. 10 
ob. Heinrich Heidegger. 32 
ob. Jacob Hottinger. 239 
ob. Balth. —— 170 
acob Spo 5 
oh. — Scheuchzer. 72 
ohannes Simler. 174 
oh. sn Bodmer. 86 
erzeichniß von deffen Serien; 285 
ob. Jacob: BSreitinger , jünger, 73 
ob. “Jacob SIEMIEE MANN. 247 
Joh. Tafbar agenbuch. 256 
ohann Beßner. 94 
ob. Conrad Fuͤßlin. 262 
So Eonias ab SH 
ob. Conrad Heidegger. 17 
Melchior An es 281 
eich © ai 197 
— Sulzer. J 120 
Ta par irzel. 108 
— ujer, genannt Kleinjogg 269 
lomon Geßner 130 
> galbar g avater. 140 
9b Heß. 146 


mung gemers 


—. . 








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- 


u. 


I 


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Karl Spoon ® 





SY Vorältern waren von Ulm und hatten fich im 

J. 1551. zu Genf niedergelaffn. Im J. 1583. 
Hatte fein Vater das Bürgerrecht in Zürich erhalten. 
Dee Handelfchaft wegen begab ex fich nach Lion. In 
dieſer Stadt wurde den 25. Chriſtm. 1609. unſer Karl 
Spon geboren. Schon im eilften Jahr feines Alters 
ward er zur Erlernung der lateinifchen Sprache nach 
Ulm geſchickt. Gar bald übertraf er alle Mitfchuler und 
ſchrieb in dieſer Sprache bie zierlichften Gedichte. Eis 
nes derſelben, zu weiterer Ausführung jenee Stelle aus 
bem Horas. 


— omnia perpeti 
Gens humana ruit per vetitum nefas 
geſtel dem academiſchen Rector, Ebelius, fo wol, 
daß er ihm daruͤber in einer poetifchen Lobrede antwor⸗ 
tete. Bon einem feiner Impromptuͤ in faphifchen Ber; 


an lee 





(*).&. Bayle Nouvelles de la des Lettres, a) 
1684. und Leyen — Lexicon. 
U. Cheil 


2 | = Barı Sponun 


fen, welchet er ſchon im vierzehnten Jaht ſeines Altes 
über die Suͤndſiut und über den Brand des. Weltgerich⸗ 
tes verfertigte, macht Bayle Die größte Lobesczbebung. 


Nach der Zuruͤckkunft aus Zeutfchland, fekte Spon 
feine Studien in Paris fort. Er wohnte an gleichenz 
Drte mit de Rodon und war im J. 1626. fein Lern⸗ 
jünger in dee Philoſophie. Der Lehrmeiſter befaß ale 
Spisfindigkeiten der Scholaſtick und Damit. yerband er 
die Kaͤnntniß der neuern Naturlehre; den Ariſtot ver» 
lieg ee, um ſich auf Epicurs Seite zu neigen, fo wie 
das Lehrgebaüde dieſes legtern von Gaffendi aufgeraüumt 
worden. Man weiß, wie ungemein Derodon von den 
Proteſtanten Hochgefchättt worden; fein Buch, unter 
Auffchrift das Grab der Meſſe, wurde durch den Scharfs 
richten verbrennt , worauf der Verfaſſer fich nach Genf 
flüchtete und dafelbft flarb. 


Nachdem Spon nnter einem folchen Lehrer ey Fahre 
lang die Bhilofophie gelernt hatte, ſtudirte er jzo im Fe 
1627. noch die NRaturlehre in dem Collegium de Lizieux, 
unter Wilhelm Mazuͤre. Hierauf ergab er fich. der Arz⸗ 
neykunſt, welche er ebenfalld zu Parid unter Pijart⸗ 
Merlet, Coufinot, Eharpentier, Guibert, Perreau und 
Düval , nebft der Meßkunſt und Aftronomie, unter Joh» 
Baptiſta Morinus, fhidirte. 


Im J. 1632. begab ſich Spon non Paris nach Mon⸗ 
pellier; daſelbſt erhielt er den Doctorhut in der Arzuey⸗ 
kunſt. Im J. 1635. ward er in das medizinifche Colle 
sium zu Lion aufgenommen, nachbem er vorher, ver⸗ 
mög der Geſetze deffelben , zwey Jahre lang auffer der 
Stadt ſich in der Praxis fefigefegt hatte. Wenn man 


Aarl Spom 3 


Yon ungefaͤhr zu derſelben Zeit zu zween Kranken zugleich 
berufen ließ, und der eine war arm, Der andre begütert, 

fo befüchte er allemal jenen zuerſt; denn, fagte er, deu 
Arme könnte binfterben , ans Mangel eines Arytes, deu 
zur Hilfe herbeyeilen follte ; dem Reichen hingegen wird 
es leicht ſeyn, auf der Stelle einen andern holen zu laſ⸗ 
fen. ) Couſinot, der Leibarzt des Königs, verfchafte 
ihm im %. 1645. das Diplom eines Löniglichen Leibs 
orzted. Weit weniger fchmeichelte ihm diefe Ehre als 
der hauͤſige Briefwechſel, den die größten Gelerten, ein 
Guͤy Patin, ein Morean, Hofmann , Reinefius, Faͤſch, 
Sachs, Bernier, Belay u. m. a. mit ihm unterhielten. 


Spon war fehr Hark in der griechifchen Sprache , und 
Die teutſche verftand er eben fo gut als die franzöfliche. 
Immer blieb ev ein groſſer Liebhaber der Dichtkunft. 
Im J. 1636. brachte er die Apboriimen des Hippokra⸗ 
tes in Verſe, gab felbige aber niemals heraus. Hinge⸗ 
‚gen edirte er deffelben Prognoſtica, ebenfalls-in Verfen, 
unter der Aufſchrift Sibylla Medica. Auch die Myo⸗ 
logie liferte er in poetischen Vortrag. Durch den Druck 
Hatte er noch folgende Bücher bekannt u : 


Appendix chymica tn Pereds Praxin, 

La Pharmacopde de Lion. 

Volumen Epiftolarum Sennerti, 
Mufculorum microcofmi origo & infertio, 





ne en en ande ar 


| | ⸗ 
9 S. Bayle neuvelles de la Republ. des Lettres, Janvr. 
16%. | ! - | 





8 ABariSpoi 
: Die meiſten mebicinifchen Bücher, welche zu ſeiner 
Zeit in Lion herauskamen, wurden von ibm in Ord⸗ 


sung gebracht, befonders auch des Schenkius obferva- 
tiones medic® im J. 1644 , und Kardand Opera, 1663. 


Er war von fanfter Gemütdart, ohn' alle Ehrfücht 
oder mürrifches Wefen , von wenig Worten ‚am glück 
lichſten bey fich felbft in feinem Muſeum. Lngemein 
fiebte ev Ordnung und Genaudeit; eben fo tie er ſelbſt 
von allgemeiner Drenfchenliebe befeelt war, fo fab er hin⸗ 
wieder auch fich durchgängig geliebt. — Das Bürgers 
techt , welches die Regirung in Zürich feinem Vater bes 
Wwilligt Hatte, warb auch am und vun Nachtommen 
beſtaͤthet. 


Er ſtarb den 21. Horn. 1684. Noch bey Lebzeiten er 
fuhr er, wie ſein eigner Ruhm ſich auf ſeinen Sohn, 
Jacob Spon, fortgeerbt Hatte. Er hatte das Vergnuͤ⸗ 
gen, dieſen als Mitglied des mediziniſchen Collegiums 
zu Lyon, der Academie der Ricrovati zu Padua und der 
koͤniglichen Geſellſchaft in Nimes, wie auch als Schrift, 
ſteller verſchiedener, vortreſticher Werke zu ſehen. Mit 
Recht konnten auf ihn jene Verſe des Ovids angewendet 
werden : 


Natique videns bene fadta fatetur 
Effe fuis majora, & vinci gaudet ab illo. 
Metam. XV. 


\ 


* * 





II. 
Jacob Spoon u 





iefer — Sohn eines vortrelichen Vaters hatte 
bey dieſem den beſten Grund zu den Wiſſenſchaf⸗ 
ten gelegt. Hierauf empfieng er den Doctorhut zu Mont⸗ 
pellier und begab fich alsdenn nach Strafburg. Dafelbft 
befam er im Umgange mit Böckler und Karl Patin herr⸗ 
ſchenden Geſchmack für das Studium der Altertuͤmmer. (**) 
— Im J. 1669. ward er ein Mitglied des medicinifchen 
Eolegiums zu Lyon ; einige Zeit hernach machte er 
mit Vaillant eine antiquarifche Reife Durch Italien; 
von da gieng ve in den Jahren 1675. und 1676. weiter 
nach Dalmatien, nach Griechenland und nach der Le 
vante; feine intereffanten Beobachtungen auf diefen Reis 
fen hatte er durch den Druck befannt gemacht. Im J. 
1683. beſuchte er mit dem Apothecker Moze einige fran⸗ 
zöffche Provinzen; zur Erweiterung feiner Arzneykunde 
richtete er fein vorzuͤgliches Augenmerk auf die Mineral 
waſſer und andre Naturfeltenheiten in Languedoc, Guyen⸗ 
ne und Auvergne ; fchon Katten fie fich den Yorenieng. 
genäbert , als die Neligionsumuhen in Dauphine und ” 
Vivares ausbrachen; die beeden Reifende tamen in Vers 
Dacht , als hätten fie durch Eircularfchreiben die refor⸗ 








) geb. zu Lien im 9. 1647, F 
*) &. Bayle Nour. Janv. 1685r, und Juin 1686. . 


6 Jacob Spon 


mirten Gemeinden zur Sintanfekung der koͤniglichen Ver⸗ 
bote beredet; ſchon lief das Geruͤcht, ſie ſeyn zu Mon⸗ 
tauban in Verhaft gebracht, und von da nach Paris ges 
fuͤhrt und an letzterm Orte zum Tode verurteilt worden. 
Mittlerweile waren ſie ruhig nach Bourdeaux gegangen; 
von da aus wollten ſie die umliegenden Kuͤſten beſuchen. 
Nunmehr entſtand ein neues Geruͤcht, als haͤtten ſie die 
Seehaͤfen von Guyenne beſucht, um den Englaͤndern zur 
Unterſtuͤtzung der mißvergnuͤgten Hugenotten den bequem⸗ 
ſten Ort einer Landung zu verrathen. Wuͤrklich ſchrieb 
deswegen ein Praͤlat nach Verſailles. „Sie ſehn, ſchreibt 
ESpon bey dieſer Nachricht an Bayle, „was man bey 
„ dem Rufe eines guten Kopfes gewinnt. Wahr iſts, 
> daß dieſes Gerücht mir weder Schaden noch Nutzen 
brachte. Indeß Hätte man mich leicht auf falfchen 
» Verdacht bin, in Verhaft ſetzen können. Uebrigens 
» batte ich meinem Rufe auch verfchiedene Vorteile zu 
» danken; allee Orten, wo ich durchreiſete, ward ich 
„ bon den Neugierigen , von den. Gelerten, von vers 
„ fihiedenen hoben Standesperfonen geliebkoſet und mit 
9 Gefälligkeit zeigten fe mir die Merkwuͤrdigkeiten der 
n Gegend. Freplich oh ihre Schuld waren diefe Vox 
3 teile hinwieder mit Nachtheilen begleitet; öfters ward 
» ich koſtbar bewirthet und dabey verlor ich meine Ges 
„ſundheit. Won Hundert unbekannten Perſonen, Die 
3; mich für einen witigen Kopf anfahn , ward ich fo fehr 
„ mit Beſuchen beldftigt , daß ich kaum Zeit fand, mich 
ↄ mit meinem Gott zu unterhalten. Zumeilen bezalte 
n ich ihre Neugier ſehr fchlecht, wenn fie ſich felbfi , 
» wie es öfters gefchehn ſeyn möchte, weit gefchidter 
» fanden ald mich ; zuweilen Konnte ich ihnen vieleicht 
» Sn Befriedigung geben, doch immer weit weniger 





Jacod.Spo® 1 


8 fie. von einem Manne, der Aufſehn machte, erwar⸗ 
a, teten. Man muß es gefiehn, dag man den Ruhm 
so nicht felten weit mehr dem Zufall ald eignen Bemuͤ⸗ 
> hungen fchuldig if. Mein eigned Beyſpiel mag es 
9, bemweifen. Unter allen meinen Schriften koftete mich 
¶ keine weniger Zeit und Mühe ald mein Sendichreiben 
„ an den Pater la Chaife; indeß veifete ich durch keinen 
> Flecken von Languedoc, Guyenne, Kaintonge, ohne 
> daß dieſes Sendfchreiben mich nicht zum voraus ans 
+ kündigte. An verfchiedenen Orten wurde es nachge⸗ 
> druckt; ohne Zweifel hielte mans für wichtig, da ed 
» fo diele Beantwortungen veranlaffet. Da ich Fein 
„ Controverfift bin, fo ließ ich fchreiben , ohne hinwieder 
» zu fihreiben. — Auch muß ich nicht vergeffen, daß 
» mein Kredit ald Arzt mie bie und da viele Kundleute 
» zugezogen und mie oftmals bie Reifeunfoften bezalt 
» bat. 


» Ye mehr ich mich von meinem Geburtdort entfernte, 
3 defto mehr fand ich Zuteaun. Dieſes Zutraun binges 
» gen hatte ich durch die Bücher, die ich herausgab, 
» in meinem eignen Daterlande verloren; man hielt 
mich nämmlich im Verdachhte, daß ich Die Arzney⸗ 
» kunſt um der Altertümmer willen bintanfekte, unge 
99 Achtet ich dieſe nur ald meine Kartenblätter anfehe. — 
» Uebrigens befümmere ich mich wenig, ob man mic) 
» für dumm oder geiftreich, für gelehrt oder unwiſſend, 
3» für heiter oder finfter, für reich oder arm halte; mein 
» Hauptaugenmerk geht auf die Erfuͤllung meiner Be⸗ 
» zupöpRichten und auf die Befriedigung bes Gewiſſens 
» WU. ſ. wm. « 


Seit langer geit n war feine. ante arm; ; 


$ Jacob Spon— 


nur durch Arzneymittel und durch gelaſſene Heiterkelt 
dee Seele konnt’ er fie ein wenig unterſtuͤtzen. We 
gen der Verfolgung dee Reformirten in Frankreich, bes 
gab er fich im J. 1686. aus dieſem Reiche weg. Seine 
Abſicht war, fich in Zürich niederzulaffen, mwofelbft er dag 
Bürgerrecht vom Vater geerbt hatte. Unterwegs ftarb 
ee zu Vevay am Genferfee den 25. Chriftm. 1686. 


‚ Seine Genfergefchichte iſt zu verfchiebenen malen auf⸗ 
gelegt und im J. 1730. von Abauzit mit einem wichti⸗ 
gen, biftorifch » critifchen Commentar begleitet worden. 
» In biefer Gefchichte , fagt Bayle, () „ Andi man die 
Vorſchriſten ber hiſtoriſchen Kunſt aufs genaufte bed. 
 » bachtet; einen beftimmten, koͤrnigten, ſimplen Vor⸗ 
o trag, ohne Ziererey , ohne überfpannte Figuren ; groffe 
» Mäffigung im Lob’ und im Tadel der verfchiedenen, 
» jo wol religiofen als politifchen Parteyen. * 


Auſſer dieſer Hiftoire de Generve, Hat Spon verfchies 
dene, andre Schriften geliefert : 

Recherches des Antiquitds de Lyon in gvo. Lyon 1674. 
| Ignotorum atque obfcurorum Deorum ars. in gro. 
Lyon 1677. 

Volage de Grece & du Levant, 3. Vol. in 12. Lyon 
1677. 


Reponfe & la Critique zublide par Mr. Guillet contre 
ces voiages, in ı2. Lyon, 1679. 


Lettre au Pere la Chaife fur PAntiguite de la Reli. 
gion. in 13. ⸗ 


Recherches curieuſes æ Antiquité in 4to. Lyon 1683. 


Tacob Spyon. 9 


Miſcellanea eruditæ antiquitatis, in fol. Lyen 1679 
und 1683. 


Aphoriſmi novi ex. Hippocratis operibus paſſim col- 
lecti Gr. Lat. cum notis, in ı2. Lyon 1683, 


Obfervations fur les Fievres & fur les febrifuges , 
in ı2. Lyon 1681. und 1684. 


uUeberdieß hat er die Abhandlung von dem Gebrauch 
des Thees, des Cafee und der Chocolate ind Lateinifche 
uͤberſetzt; auch hat man- ihm die Herausgabe von Mon 
Abhandlung über Die Melonen, und von Huguetan A⸗ 
vocats Reifememoiren über Italien und uber Congo , 
mit Zufaken zu danken; zu bedauren iſt ed, daß er die 
Herausgabe von Dü Eange griechifchem una nicht 
völlig zu Stande gebracht hatte. 


Unter verfchiebenen Handſchriften, die er hinterließ, 
erwähnen wir noch feinen und feined Vaters gelerten 
HBriefwechfel ; - verfchiedene mediziniſche und phyſiſche 
Beobachtungen; Benträge zu feinen Mifcellanea und 
zur Gefchichte von Lyon, beſonders auch Lebensbeſchrei⸗ 
bungen groffer Männer , in Plutarchs Gefchmade, 3. B. 
Homers, Virgild, Epicurs, N Hippocrates, 
Galiens, Corbulons u. m. a. 


gem 








IIL 
Heinrih Hottinger (2). 





oh. Heinrich Hottinger ift gebohren den 10. März 
I 1520. Sein glüdlicher Fortgang in den Studien 
vermochte den zürcherfchen Schulrath, ihn auf obers 
Zeitliche Inkoften reifen zu laffen. Den 26. März 1638 
gieng er nach Genf; nach zweymonatlichem Aufenbalt 
weiter nach Frankreich; von da nach den Niederlanden. 
Daſelbſt fkudierte er zu Gröningen. Die Neigung su 
den morgenländifchen Sprachen trieb ihn nach Leyden ; 
daſelbſt war er Hausinformator bey dem Brof. Golius. 
Unter deffen Anleitung, wie auch Durch den Unterricht 
eines Türken bracht ers im Arabifchen fehr weit. Im 
J. 1642. ward er ald Profeffor zurück nach Zürich bes 
zufen. Vor feiner Geimfunft befuchte ee noch Engs 
land. So bald er nach Haufe Fam, verheyratete er 
fh im zwey und zimanzigfien Jahr mit der einzigen 
Tochter Joh. Heinrich Ulrichs, eines fehr gelehrten 
Beiftlichen in Züri. Im vier und zwanzigſten Jahr 
erfhien er zum erftenmal auf der Schriftſteller Laufs 
bahn , und zwar in kühner Fehde gegen Pater Morinus. 
Damals nämlich ward vieles für und wieder die Dolls 
ſtaͤndigkeit der heiligen Bücher gefchrieben; dieſe Voll⸗ 





us? &. — Bibliotheca Tigurina. — ——— 
ottinreri. | i ire fi $ f 5 eum 
u ax = say E — im Artikel Hottinger. Mu 


Beinrid Zottingee u 


Aöndigleit fuchten befonderd Die Pepiſten verdächtig zu 
machen. Nun war man mit dem famaritanifchen Codey 
Defannter geworden ; aus diefem bofte. Morinus Vermu⸗ 
tungen gegen das Anfehn des hehräifchen Textes ſchoͤp⸗ 
fen zu fonnen. Da Hottinger zu Leyden Gelegenheit 
fand ‚mehrere Codices gegen einander zu halten, fo be 
diente er fich des gefammelten Stofs, um feine Exero - 
Citationes Anti-morinianas zu fchreiben ; ungemein waren 
fie den Proteſtanten willkommen. Auch Simon (*) 
hält diefen erften Verſuch für eine der beſten Schriften 
von Hottinger; zwar auch felber in dieſer findt er ihn 
nicht vollig von aller Bartenlichkeit und Webereilung freg, 
die er in allen feinen übrigen Schriften bemerfet. Im⸗ 
merhin hatte fich Hottinger fchon durch diefe erite Arbeit 
die Liebe und Achtung der gröffern Männer erworben. 
Bald alfo wurde die Hofnung erfüllt, die fehon einige 
Sahre vorher Jacob Golius von dem aufblübenden 
Juͤngling gefaßt hatte. Hottingerum, fchreibt er un— 
term 25. Herbſtm. 1640 von Leyden an Job. Fac. Wolph, 
primum ante felquiannum hac tranfeuntem vidi, cæ- 
lefte aliquid in illo elucere mihi videbatur. In eben 
diefem Schreiben finden ‘wir , dag Golius fehr eifrig 
gewuͤnſcht hatte, den jungen Hottinger mit dem hollän- 
difchen Gefandten, Wilhelm Boswell, nach Eonftantie 
nopel zu ſchicken, in der Hoffnung, er werde dafelbft 
Gelegenheit finden, mehrere Handfchriften der griechi> 
ſchen Kirchenvaͤter zu vergleichen und Beytraͤge zur Mots 
genländifchen Kirchengefchichte zu fameln. Keineswegs 
bloß litterarifche Neugier war es, welche bey Golius 








(*). &. Hi. crit. du V. Teſt. B. UI, C. 19. 





4 


12 Beinrih Sottinger.. 


= 


DO 
- 


dieſen Norfchlag erzeugte. Mit Grund glaubte er, daß 
es fir Religion und: Kirche groffer Dienft wär, wenn 
man auf analytiſchem Weg, Schritt vor Schritt, vom 
unſerm Zeitalter bis aufs erfie Jahrhundert hinaufſtei⸗ 
gen könnte; auf folche Weife wide man, mit Wege 
raumung fremder Zuſaͤze und Schladen, der reines 
Warheit Fuß für Fuß bis zur Urquelle nachgeben. 


In einem andern Schreiben field Edw. Pocod uns 
ferm jungen Hottinger die Gefahr vor, nach Conſtanti⸗ 
nopel zu reifen; er erwartet von ihm von Haus aus eine 
critifche Ausgabe des famaritanifchen Ehronicon , wie 
auch eine arabifche Ueberſezung der helvetiſchen Glau⸗ 
bensbefenntnif. Aus den Briefen ded Lud. Capellus, 
Die diefer in den Jahren 1641 bis 1643 von Saumür 
aus an unfern jungen Hottinger fchrieb , fehn wir, daß 
ihm derſelbe zwar ebenfalld die Herausgabe des famaris 
tanifchen Chronicon empfiehlt, bingegen die lateinifche 
Ueberfegung des Korand, wie auch die arabifche Ueber 
fegung der belvetifchen Confeſſion als fruchtlos mißs 
raͤth (7). Im J. 1641 ſchreibt L'Empereur von Leyden 
an den zuͤrcherſchen Kirchenvorſteher Breitinger, daß 
jeder, dem das Ehriftentum lieb iſt, alles aufbeuͤten 
ſollte, um Hottingern nach dem Oriente und beſonders 
auch Arabien zu ſenden. Ohne Zweifel daß ſolche Lieb⸗ 
koſungen und Ermunterungen den gelehrten Juͤngling, 
ungeacht er nicht nach dem Orient gieng, mit ſolchem 
Enthuſiaſmus fuͤr die morgenlaͤndiſche Litteratur begei- 





¶) Von dieſer arabiſchen Heberfezung der belvetiſchen Confeſ⸗ 
IE — Heine, Hottingers Biblioth. oriental- ſ. 93 





Sefnrid Sottingen 13 


#erten , dag er , (wenn ich fo fagen darf,).den gelerten 
Drient felber in feine Heimat und in fein Mufeum vers 
pꝓflanzte. Don izt an hatte Hottinger , feit feinem erſten 


: glücklichen Verſuch in« der fchriftftellerifchen Laufbahn, 


Bücher auf Bücher gefchrieben. Das gedopvelte Ber: 
zeichnis davon, das eine in chronologifcher Ordnung 
das andre nach dem Innhalt der Bücher, hat er ſel⸗ 
ber in der Bibliotheca tigurina geliefert. Um fo viel er⸗ 
ſtaunenswuͤrdiger iſt feine Vielſchreiberey, da er ſonſt 
mit academiſchen und andern oͤffentlichen Geſchaͤften, 
mit litterariſchen und politiſchen Beſuchen und Brief⸗ 
wechſeln ganz uͤberhauft war. Unter der groſſen Menge 
Fremder, die ſeines Raths pflegten, darf man nicht die 
Deputirten der Janſeniſten vergeſſen. Seine Unterhals 
tung mit denſelben wird am Ende von Leydekkers 
Hiſtoria Janſeniſmi beſchrieben. 


Nicht lange nad) der Herausgabe feiner Exercitat. 
Anti-morin, zeigte fich für Hottingern Gelegenheit, auch 
auf einem andern Kampfplatz neue Lorbern zu fammeln. 
Im J. 1647. ſchrieb Wilhelm Gotthard, Canonicus zu 
Solothurn, fein Solothurner⸗Magnificat. In demſel⸗ 
ben unterſuchte er ſo wol hiſtoriſch als dogmatiſch die 
Geſchichte dee Thebaiſchen Legion. Die Abſicht war, 
daß die, Vermutung des zuͤrcherſchen Joh. Jac. Ulrichs 
von den. zuͤrcherſchen Maͤrtern, Selig und Regula, die 
zur Thebaifchen Legion gehört haben follen, möchte 
umgeftürzt werden. Auf Zureden einiger Gönner ent 
hielt ſich Hottinger nicht länger, in teutfcher Sprache 
eine befcheidne Wiederlegung zu fchreiben. In derſel⸗ 
felben bewieß er. .fo wol aus den h. Büchern ald aus 
der alten Kirchengefchichte, daß bie reformierte Kirche 


+ Geinrid Zottingen 


weder den Vorwurf der Nenerung noch den Vorwurf 
des Abfalls verdiene, da hingegen Die römifche Kirche 
Sch beyder Vorwuͤrfe fchuldig gemacht habe. Die his 
florifche Lehrart, deren er fich bigbey ‚bediente, zuͤndete 
Aber diefen Streit mit den Papiften ein groſſes Licht an. 

Hieruͤber ward er don Lauren; Foren angegriffen; ſieg⸗ 
reich antwortete er dieſem, fo wol anderſtwo, als auch 
befonders in dem exften Theil der Kiechengefchichte. 


Da indeß Hottingern der Lehrftul der hebräifchen 
Sprache anvertraut worden, fo fchrieb er im J. 1647. 
Die beyden Libros Erorematum; Hierauf folgte fpäter , 
im %. 1661. der Innbegriff der jüdischen Theologie. 
Schon im J. 1651. hatte er zum Privatgebrauch der 
Zuhörer den Scelet der Kirchengefchichten entworfen; 
unvermerkt wuchß er zum geoffen, reichhaltigen Wert 
an. Im J. 1651. ſchrieb er die morgenländifche Kits 
hengefchichte befonderd. Damit diefelbe nicht allzuſehr 
überbäuft werde, fo gab er im J. 1561. die morgen⸗ 
Sändifche Archäologie und die Eirchliche Topographie abges 
föndert heraus. Schr vieled Hatte er über den Alco⸗ 
ran und über die Staats » und Religionsverfafiung der 
Türken gefammelt; allein immer bedamte erd, daß 
man den Mubhamedifmus lieber durch Schwerdt als 
mit Der Feder wiederlegt ſah. 


Nachdem er biöher verfchiedene andere Lehrftüle bes 
Aeidet hatte, ward ihm im J. 1653. die Profeſſur des 
alten Teftamentd und zugleich der Controverfen aufge, 
tragen; damit war Das Ganonicat » Einkommen ver⸗ 
bunden. — Im J. 1652. hatte er feine haldäifch ⸗ſyri⸗ 

ſche Sprachkunſt edirt; in den Jahren 1653 und 1654. 
feine hiſtoriſchen, patsifiichen, philologiſchen Analecta; 


Seinrih Sottinger. 2g 


Hiegu kamen noch fein Katalog der unterfchobenen Au⸗ 

‘toren , feine Probe biftorifcher Bhilofophie, fein belvetis 

Be: Jrenicum, feine Methode a belvetifchen Geſchich⸗ 
ten zu lefen u. f. w. 


gm J. 1655. erſchien feine Ausgabe der mofaifchen 
Geſeze nach Anleitung ded Rabbi Levi von Barcellona. 
Nach dem Geift des Zeitalterd glaubte man folche Schrifs 
ten nicht bloß für die theologifche Jugend wichtig, ſon⸗ 
den auch felbft für die. Juriſten. — Um den morgen 
Jändifchen Geſchmak zu verbreiten, ſchrieb er zu. Heidele 
berg fein Smegma orientale und viel anderd. — Hier⸗ 
auf folgeten feine morgenländifche Bibliothecl, die Cippi 
hebraici, die Abhandlungen von den Ynnfchriften und 
Dentmalen, von den Gewichtern, Maaßen, Münzen ber 
Araber und befonders der Ebraͤer. — 


Einige Zeit ſtand er in Heidelberg als Aufſeher des 
Collegii Sapientiæ, als academiſcher Rector, als De 
can der theol. Facultaͤt und Aſſeſſor des Kirchenrates. 
Mit den pfaͤlziſchen Churfuͤrſten gieng er im J. 1658 
auf die churfuͤrſtliche Verſamlung zu Frankfurt. Unter 
anderm hatte er daſelbſt wichtige Berathſchlagungen mit 
Ludolfus, ſo wol zur Befoͤderung des Heils der Kirche 
uͤberhaupt, als auch beſonders zur Ausbreitung derſel— 
ben in Afien und Africa; ſie hoften, daß aus dieſen 
Weltgegenden noch viele Hilfsmittel zur Aufklaͤrung der 
alten Kirchengeſchichte koͤnnten herbeygeſchaft werden. 


Als Wiederherſteller und Lehrer der heidelbergſchen 
Schule ſchrieb er die Orationem Sæcularem de Collegio 
Sopientiæ; dieſelbe begleitete er mit Nachrichten von 
dem Urfprung , von dem Wachstum und den Freyhei⸗ 


Zn. 


ie Beinriſch sottinger. 


ger der heidelber giſchen Academie; auch ſchrieb er die 
beidelbergifchen Primitias über bie Hilfsmittel zu Ausle⸗ 
gung der heiligen Bücher ; über Die Urfache der Glau⸗ 
benöverbefferung ; über den Nuzen der bebräifchen 
Schriftſteller bey Lefung des neuen Teſtaments; vers 
fchiedne irenifche Aufſaͤze über die Kirchenvereinigung ; 
vom Sabbat, und zwar von dem jüdifchen, dem chriſt⸗ 
lichen, dem matrianifchen , mahomedanifchen , beydnis 
fihen; von den Goͤzen des alten Taflaments u. f. f. 
So fehrieb er die theologiſch⸗ philologiſche Unterſuchung 
über die Schoͤpfungsgeſchichte; fo die beeden Centu⸗ 
rien pbilologifchstheologifcher Fragen über bie chriftliche 
Lehre u. f. w. nebſt vielen academifchen Steeitfchriften 
von der Auferſtehung der Tobten, von den Kennzeichen - 
der fihtbaren Kieche, von den verfhiedenen Bibeluͤber⸗ 
ſezungen u. m. a. In ſeinem morgenlaͤndiſchen Etimo- 
logicon oder Lexicon harmonicum heptaglotton werden 
die Wurzelwoͤrter der bebräifchen Sprache alle entweder 
aus der Bibel befchrieben, oder, wo fie dafelbft nicht 
anzutreffen waren und bey den Ebräern ungebrauchlich 
geworden, aus der chalbäifchen , foriichen , arabifchen‘. 
athiopiſchen Sprache wiederhergeſtellt. Durchgaͤngig wird 
die Verwandtſchaft zwiſchen der Mutterſprache und den 
Toͤchterſprachen, die Verbindung zwiſchen Stamm, 
Zweig und Wurzeln bemerket. — In der morgenländis 
ben Archäologie oder Schaubühne wird ber bürgerlis 
ehe, der oͤconomiſche, litterarifche, religioſe Zuftand der 
Araber, der Verfer, Türken, Tartaren, Indier, Mautis 
taner , überhaupt dev Muhamedaner gefchildert. 


Erſt im J. 1661. ward von Heidelberg wieder nach 
| | Zürich. 


‘ 














3.einrid Bottingen «f 


Kürid berufen. Außer einer Menge academifcher Schrif⸗ 
ten fchrieb er nunmehr in IV. Theilen den Bibliothekar. 
In dem erſten Handelt er von den Dichten des Bib⸗ 
liothefard, von den Bibliothecken überhaupt u. ſ. w. 
In dem zweiten von der biblifchen, — in dem dridten 
von der patrififchen Gottesgelehrtheit, nebſt Leo Africas 
nus Nachricht von den arabifchen Scribenten. — Yu 
dem vierbten Theil koͤmt ſowol überhaupt als befonders 
die topifche, ſymboliſche, foRematifche Theologie vor. _ 


Dom J. 1661. Bid zum J. 1667. ward in Zürich unter 
oberkeitlihem Schuze an einer teutfchen Bibelüberfes- 
zung gearbeitet. () Ohne Zweifel wird es zu näherer 
Beſtimmung des damaligen theologifchen Geſchmakes 
nicht wenig beytragen, wenn wir im Auszug einige von 
den vornemmften Borfchriften einfchalten , welche dieſes 
« biblifche Collegium, groffentheild auch von unferm Hot⸗ 
tinger befeelt, zu beobachten gut fand: 


„ A Boy der Interpretation iſt Rn zuge⸗ 
wahren. 


» 1. Daß ſelbige geſchehe durch ein gewiſſes beſtimm. 
» bed Collegium, damit nicht: entweder die Arbeit durch 
„» ungleiche Hand ungleich, oder auch gar verfaumet 
3 Werde, welches dennzumal gefchehen möchte, wenn 
„ fein gewiſſes Collegium geordnet , fondern es ie einer 
» dem andern überlaffen würde. 


m % Daß, weil die Arbeit einein Collegio J ſchwer⸗ 











(*) S. Infpector Simlers urkundenſamlung / Band I. Th. U 
rer VII f. 924. fol, 
u. Theil. Ss 





is Seinrih HSottinger 

„die Preſſe auch nicht wol durch Daffelbe möchte ges 
3 fertigt werden, zwey Collegia georbnet werden , deren 
» das eine das alte Teflament — dad andre das neue 


» Teftament ſammt den apocryphiſchen Büchern für 
„ die Hand nehmen wuͤrde. 


» 3. Die Interpretes bender Colleglorum follen ge⸗ 
» wilfe Tage und Stunden anfegen. “ 


"4 Ehe man zu dem Werk felbft fchreitet, ſoll Der 
.„ Prafes ein kurzes Gebeth verrichten. 


» 5. In bee Translation follen allezeit zween dem 
„ Driginalteft vor fich haben; die andern aber verfio- 
„» nem tigurinam latinam , fonderlich Belgicam Tremelii 
» & Junii; mo eine Iingleichheit fich erzeigt, es fen im 
„’ textu originali oder in Verfionibus, fol man felbige 
3, anzeigen und alsdann darüber deliberiren, ob und 
„was man in dem vorgelefenen Eremplar ändern foll. 
„Sonſt foll e8 quoad rem ipfsm bey der alten Lieber, 
„ſezung, fo viel ald möglich, fein Verbleiben haben. 


„6. Den Stylum und Orthographiam betreffend, ſoll 
„es dergeftalt eingerichtet werden , daß die Verfion fo 
» wol in der Eidgenoßſchaft als bey den Hochdeutſchen 
> verſtaͤndlich ſey. 


» Die Sache aber ſelbſt ſoll mit aller Treu, ex fori- 
3» tibus , exemplo Belgarum , examinirt und nach det⸗ 
„ felben geſchloſſen werden, alfo bag auch Die Empha- 
„ fes, wo der Genius lingux germanicz folched ertra⸗ 
» gen mag, ausgedrudt werden follen. 


»8. Schwere Dubia follen nah Haufe getragen , 
»» bafelbft wol umterfucht und erſt hernach wieder im 


! 





— ü — — — — — — — — * 


Betinrih Zottinger. 19 


¶ Collegio proponirt werden: Was dann einhellig 
» oder mit mehrern Stimmen gut gefunden — an⸗ 
» genommen werden. 


„» 9. Hebraismi, . Ellipfes und was ſonſt Lichts bes 
n darf, ſoll allzeit in nn ausgezeichnet und erklaͤrt 
m werden. 


„ 10. Wo möglich, ſoll nicht allein die Orthographie 
» durchaus die gleiche ſeyn; ſondern es follen auch die 
5» gleichen bebräifchen Phrafes uͤberal gleich teutfch ges 
» ee werben. 


11. Die Concordanzen follen Beiffig beobachtet wers 
n denn, aber nicht zu weitkäufig feun , auch nicht fo 
9 weit herbeygezogen, fondern dergeflalt eingerichtet 
ss werden, daß der einfältige Leer durch Die Confe- 
» quentias nicht mehr irre gemacht als erbaut werde 


„12. Eben diefe Beſchaffenheit hat ed mit den Rand⸗ 
ꝛ Argumtenten und Summariis Capitum u. f. w. 


Wenn wir nun die Auögabe, die im J. 1657. bey 
Bodmern in groß Folio gemacht worden, mit dieſen 
Anſtalten vergleichen, fo findt es fich dentlich, ' daß bie 
Ausführung des Werkes dem Entwurfe fehr wenig ents 
foreche. Bon allen den Berbefferungen, an welchen das 
‚Biblifche Collegium, unter Hottingers Vorſize, fünf 
ganze “Fahre gearbeitet bat, find auch nur wenige ge⸗ 
braucht‘ worden. Um fo viel mehr ift diefes zu bes 
dauern, da die noch uͤbrigen, bandfchriftlichen Frags 
mente von Männern herruͤhren, welche, wie z. B. die 
Hottinger, die Wafer, Schweiger, Wolf, Dit , Lava⸗ 
ker u: ſ. w. weltbekannte Verdienſte um bie b. Exitik 


/ — 





— 


20 s einrich Zottingen 
gehabt haben. Ohne Zweifel, daß ſo wol durch andere 
Geſchaͤfte als auch durch den ploͤzlichen Hinſcheid un⸗ 


ſers Hottingers gluͤcklichere —— dieſes Bibelwer⸗ 
kes verhindert worden. | 


- Sehr unruhig war diefer Zeitraum wegen des Auß⸗ 

ruhrs der ſchweizerſchen Bauern. Ungeachtet aller ober⸗ 
keitlichen Vorſorge zur Beguͤnſtigung des Broderwerbs, 
war nichts deſto weniger während des dreiffi igiährigen 
Krieges und auch nachher hie und da felber in dem 
endgenöflifchen Gegenden der Mangel fo druͤkkend, daß 
Loͤwenberg und Scheibe in verfchiedenen Kantons das 


Bott aufiviegelten. - Unter dieſen tritifehen Umſtaͤnden 


blieb nichts deſto weniger die zuͤrcherſche Regierung , fo 
wol wegen mwolthätiger ; oberfeitlicher Vorkehr als auch: 
durch väterlichen Einfluß der Geiftlichen, der Treu des 
Volkes fo fehr verfichert, daß es den Zuͤrchern gelang, 
vermittelt ihrer Truppen die Aufruͤhrer wieder zum 
Gehorſam zu bringen. Wegen diefer und andrer öffent 


lichen Ötaatsangelegenheiten ward num Hottinger im 


J. 16564. mit Erfolge ald Gefandter nach den Nieder⸗ 
landen verfendet. Zu allen. Zeiten fchien die republika⸗ 
nifche Staatsverfaſſung der Zürcher auf. den Geift dee 


zuͤrcherſchen Litteratur und auch felber auf den Klerus 


geoffen Einfluß zu haben. Wie groß der. Einfuf Dies 
fee lesteen auf die Litteratur fo wol ald auf die Regie 
gierung gewefen, bievon hatten wir anderſtwo Anfafr 
Benfpiele zu geben. Einen neuen Beweiß finden wir in 
dem revidirten geſchwornen Brief oder ‚Der Magna .charta 
der Zürcher vom. J. 1654. Schon im J. 1647. gab 
zu ſolcher Revifion die Geiſtlichteit Anlaß. Bey. dem 
Artitel von der Bl ber. Glieder des aroſſen KRathes 


l 











— —— — — ale 


Seinrih Zottimgen sr 


bewuͤrkte diefelbe, dag, anflatt der Worte nutz und gut 
ber Ausdruck wegſt und beit mußte eingeführt, d. i. 
‚ nicht bloß ein nügliched und gutes, : fondern das befte 
Subijiect in den Senat erwält werden. Dad priefterlis 

che Anfehn im Staate ſcheint den Rang bes fchönen 
Geſchlechtes in der Haushaltung zu gleichen; da beys 
der Einfuß felten genug beftimmt ift, fo.if es fchwer, 
fie in Schranfen zu halten; zu Conftantinopel find die 
Weiber. Schaninnen, zu Paris find fie Göttinnen.. Un⸗ 
gefehr eben fo wie in der Privathaushaltung die Graͤn⸗ 
zen des männlichen und des weiblichen Einfluffes , fo 
fcheinen in der Haushaltung des Staates der Einſtuß 
‘ der Regirung und das on des Geiſtlichen in einan⸗ 
der zuflieſſen. a 


Für die Kirche und für die gelerte Welt — 
geſchaffen, hielt nichts deſto weniger Hottinger ſich dem 
Vaterlande beſonders verbunden. In dem Geiſt eines 
patriotiſchen Helvetiers ſchrieb er die Methode zur Le⸗ 
ſung helvetiſcher Geſchichten, in dem Geiſt eines ſtaats⸗ 
klugen Zuͤrchers verfertigte er, nebſt der Geſchichte der 
vaterlaͤndiſchen Schule und der zuͤrcherſchen Bibliothek, 
auch das Speculum tigurinum. Was für Schwirrigfeis 
ten man ihm bey Herausgebung leztrer Schrift ges 
macht babe, zeugt ein Schreiben, welches fi) auf der 
tarolinifchen Bibliothek in Zurich unter Hottingers hand⸗ 
ſchriftlichem Theſaurus beſindt. Daſſelbe iſt von dem 
damaligen Buͤcher⸗Cenſor, Heinrich Rahn, aufgeſezt 
amd giebt einige Begrieffe, wie: beträchtlich Die Aufſe⸗ 
ber über die Freyheit der Preſſe gervefen. Unter an⸗ 
derm heißt es: „ da ſoll und will ich ganz nichts res 
» den, ob nicht etwann zu beforgen ſeyn möchte, das 





2» Seinrih Sottingen' 


„ Eine und andere fürfchükige (voreilige) prejudiclum; 
„ nammlich was der Here Gevater mit eifriger Be⸗ 
„ſchirmung dee Sache Gottes bey papiftifchen Leuten 
» für Haß und Widerwillen auf ſich geladen, dad wolle 
„er jst mit dem Schein der liebreichen Zufammenzies 
„ Hung wiederum verfireichen: Item diefe Schreibart 
„ fen weder gemäß feinem Stand noch feiner Profeſ⸗ 
„ fon, und heiffe ſchier: ne Sutor ultra crepidam, 
„ Ferner dag fein Werk etliche Allegate in fich balte, 
3, die wegen ihres allzugroffen Lobed und Ruhms in 
„ dem Mund deffen, den der Ruhm auch angeht, 
„ nicht wol tönen; etliche aber von folchen Perfonen 
9, berfieffen, die und nur darum rühmen wollen, Düs 
» mit wir defto ficherer zu ihrem Vorteil verleitet wuͤr⸗ 
» den, ald da von Pabſt Yulio, Leone und ihrem Les 





» guten Ennio Veruläno gefchehen ;. und diefer Wahn | 


» diene und mehr zum Schimpf ald zu Ehren: dans 
„nethin geben wir hiedurch die Krankheit und gänzlis 
» che Befchaffenheit unfers Standes männiglichen zu 
„ erkennen, welches nicht allein eine Unvorſichtigkeit, 
» fondern zu Anftellung böfer Ratbfchläge ein gefährlis 
„cher Wegzeiger ſey. — Das aber irret mich nicht 
»wenig, daß der Herr Gevater aus. vielen Confidera- 
» tionen die Materie nicht darf ausfpüren , und nicht 
» zu rathen wäre, daß er es thaͤte. — Der Herr Ge 
» vater geht nur dahin, gemeinee Eidgenoßſchaft zu in- 
„ finuiren, wie höflich ihre angelegen ſeyn folle, Die 
».f0 theuer erworbene Freyheit wol zu beobachten; 
» nur mit wenigem berübrende , was zu dero Erhal⸗ 
» fung. und. Fortpflanzung gedeyhlich ſeyn mag, gleich 
» einem Arzt, der einem zwar mit feiner Krankheit 
» bang genug, und der Gefundheit begirrig genug 








Deinri Bottiugen 3 


macht, aber daneben nicht eröffnen darf, mas sup 
» Widerbeingung der Geſundheit dienftlich fey: Eben 
» alfo dürfte der Herr Verfaſſer nicht zu allen Mit, 
» teln rathen, die unferm kranken Stand feine vers 
» lorne Kraft reftauriren täten, als z. E. ein Mittel 


"wäre: 1. Daß wir und hüten vor denjenigen Fuͤr⸗ 


» fen und Ständen, die unter dem Schein der Reli 
> gion erftlich umfte Trennung, nachmald. unfern Uns 
»„ tergang anzufpinnen füchen. 2. Daß wir einander 
„ die Pündte, Verkommniſſe, Landfrieden und Verträs 

» ge ald der Fundamentalweg endgenöflifcher Vertrau⸗ 
3 lichkeit treulich hielten und denfelben gemäß in allen 
> Mißverſtaͤndniſſen, ohne Paſſion, Bitterkeit und 


» Schmüzreden procediren lieſſen. 3. Daß kein Theil 


>» zu Nachtheil oder ohne Confens des andern Puͤnd⸗ 
» niſſe ind Verträge aufrichten thäte. 4. Daß die Ob⸗ 
„rigkeiten durch Haltung guter Juſtiz bey den Unter⸗ 
» thanen die Furcht — Durch Mederation aber und 
» ſchleuniges, unpartheyiſches Rechthalten auch gegen 
„Leute ungleicher Religion bey denſelben die Liebe 
„ und Anmuthung gewinnen thäten; bey den Tags 
ſazungen fich nicht miethen, noch auch bey ihnen 


— 


» einige verdächtige, oder fremden Fuͤrſten mit Dien- 


» ften , Genoßſamen oder Ehrenftellen verfnüpfte Tag- 
» herren fiten Hieffen ; und was fonft für heilſame 


" » Arzneyen mehr ſeyn möchten, darüber mehr zu feufs 


» zen, ald dem Herrn Gevater rathſam zu ſchreiben 
wär. re 


— Auch werden beruͤhrt allerhand alte vergeine 


» Streite jwifchen und und den papiflifchen Orten u. 
nf w. Hiebey kann „nicht unangebeutet gelaffen wer⸗ 


24 Seinrig Bottinger 


„ den, daß der Unterſchied der Religion und nicht 
„allein nicht trennen, ſondern je mehr und mehr zit 
„ fammen halten fol; unter andern unnachtheiligen 
- „ könnte man auch diefen Grund ;brauchen , weil frem⸗ 
„ de Fuͤrſten uns unſer Gewiſſen kizeln, und damit 

„ und jaloux und miederwillig machen, wir und um fo 

„ diel-mehr vor ihnen und ihren Rathgebern hüten; 
„ und denn mit Erempeln erklären, daß folcheh Für 
n ften einzig ihre Ambition und die Erweiterung ihrer 
„Graͤnzen angelegen , diene ihnen die Religion; fie 
- 9 brauchen fie zum prætext, fo lang fie fich defien zu 


. » genieffen ; diene fie ihnen nicht, fo ſey ihnen eine 


» Religion wie die andere u. f. wm. * 


Je mehr überhaupt in den einheimifchen , politifchen 
Zwiſten Die Verſchiedenheit der Religion mächtiged Treib⸗ 
vad gewefen , befto weniger darf Der politifche Einfluß 
dev Geiflichen befremden. Nicht nur anf die innern, 
endgenöffifchen Angelegenheiten , auch auf’ die auswaͤrti⸗ 
‚gen Regnziationen und Staatögefchäfte war diefer Eins 
Auf eined Breitingerd und Hottingerd verbreitet. Go 
genau waren Altar und Rathhaus, Zepter und Rauch⸗ 
faß verbunden, dag nicht felten die Theologen Regi⸗ 
rungsraͤthe, und die Regirungsraͤthe Theologen ge 
worden. 


Wenn wir den Geſchmack von Hottingers Zeitalter, 
wenn mir den herrſchenden Enthuflafinus für die heili⸗ 
gen Sprachen und Altertümmer bemerken, ſo finden 
wir diefe Rückkehr zur Quelle der Ofenbarung durch 
‚ die Ueberzeugung veranlaft, daß in den Sodbrünnen 
der Scholaſtick vergeblich reines Waller geſucht werde. 
Vormals wards für litterarifchen Aufruhr gebalten, das 











Heinrid Hottingen = 


Joch des Ariftotelifmug von fich zu werfen. In dem 
dreiſſigjaͤhrigen Krieg, da Teutfchland weniger Zeit fand, 
fein Augenmerf auf Schulprogeffe zu richten, Reng man 
‚an, ungeflörter zur denken. Im %. 1633. hatte des 


Cartes die Wirbel einer neuen Schöpfung gefchaffen. 
Alles Wiederfiands ungeachtet, fand dieſes Suften zahl⸗ 
reiche Anhänger. Da demfelden nun einmal der Ari 
fiotelifmus zu weichen anfieng, jo befrembete ed je länger 


je weniger; wenn nach und nach eine Hypotheſe die an 
dre verdrangte. Go entftanden eine Menge philofophis 


fcher Neulinge. Je fehweerer ed würde, fi) aus dem 
Chaos wiederfprechender Lehrmeinungen herauszuwin⸗ 
den, defto geneigter fchien man , die Schuld der Diem 
fchen auf Rechnung der. menſchlichen Vernunft ſelber 
zu ſchreiben. Je weniger man diefe zu‘ Erforfchung der 


Warheit hinreichend hielt; deſto eifriger ward zur Dfens 
barung und zu den morgenlaͤndiſchen Denkmalen Zus 


flucht genommen. So entſtand der Geſchmack der mo⸗ 


ſaiſchen und überhaupt der morgenlaͤndiſchen Philoſo⸗ 


phie. Ohne Zweifel daß es nicht Hottingers Schuld 


war, wenn hie und da vergifteter Hauch des Morgen⸗ 
landes die Seuche des Myſticiſmus erzeugte, wenn bald 
platoniſche und pythagoraͤiſche Zuͤckungen entſtanden, 
bald Zoroaſters Emanationen und die Daͤmonologie der 
Gnoſticker ſpuckten. Wie ſehr ſich dieſer Philoſophie der 
Beſeßnen Hottinger entgegengeſezt habe, beweißt unter 


andern deſſelben Betragen bey den Inſpirationen Jacob 


Redingers (). Zum Vorteil dieſes zuͤrcherſchen Schwaͤr⸗ 


———— — —————— —— 5 








©) ©. Weiſters Vorleſung über die Schwaͤrmereh, 2b. 1. 
79. | | 


% 





26 seinrihb Zottingenr 


mers ſchrieb Comenius nach Zürich. Nur unter dem 
Beding machte ihm Hottinger Hofnung zur Begnadis 
gung , wofern Redinger dev Inſpirazionen müffig geben 
würde. Da alled Zureden umfonft blieb und der heilige 
‚Schwärmergeift in Werken des Fleiſches ſich aufferte , 
fo ward endlich) der Fanaticker aus der bürgerlichen Ges 
felfchaft ind Tollhaus verwiefen. 


Je mehr überhaupt die Gemüter in entgegengefezte 
Rehrmeinungen fich theilten, deſto mehr bielten fich die 
Wächter der Bundeslade zum Eifer gegen diejenigen 
‚berechtigt, welche mit profaner Hande ihr nahten. Der 
Vorwurf einreiffender, babylonifcher Verwirrung Det 
Sprachen und Geifter, befonderd auch die politifchen 
Unruhen, welche die Religiongzwifte in den Niederlan⸗ 
den gezeugt Hatten, fchienen auch in der Schweiz einen 
Damm gegen: die ausbrechende Frechheit des Geiftes 
notwendig zu machen. Aus Frankreich und aus Holland 
brachten die jungen Zincher neue Lehrfäze nach Haug; 
fo wol auf der Kanzel ald im Umgang festen fie dieſel⸗ 
ben mit folchem Triumph Durch, dag Dadurch die altem. 
Lehrer beleydigt und zu firengern Maßregeln gegen jede 
geringfie Abweichung von dem herrſchenden Syſteme 
gereizt wurden. Unter anderm hatte dieſes ein fonft ſehr 
gefchickter und würdiger Geiftlichee in Zurich , Michael 
Zind zu ſeinem größten Schaden erfahren. Im Julius 
1660. ftand er im Markte bey einem Buchhändler , der 
ihm erzählte, Doctor Heidegger fchreibe über die Frage : 
ed Chriſtus fir alle Menſchen gelidten babe? Zind 
faate: Was darfs viel des Schreibens? Bleiben wir 
bey dem, wie Die Vorfahren unfrer Kirche fich wol und 
gründlich erklärten ! Ihrer. Meinung bin ich, daß Chri⸗ 





Beinrid HSoftingen 27 
find die Verföhnung für unſre Simden fey, nicht allein 
für die unfern, fondern der Welt. Wären wir hiebey 
geblieben ‚: fo hätten, wir die Unverföhnlichkeit mit den 
Lutheranern nicht vermehrt. Einige von den Anweſen⸗ 
den waren nicht träge, Zinden ald Verführer und Hde 
reticher anzugeben ; eben fo fertig war der Kirchenrath, 
ihn vor fih zu fodern. Nicht befriedigend genug fand 
es nun diefer, daß der Angeklagte fih Hinter den Echug . 
ber belvetifchen Gonfeflion begab; it wollte man ihn 
unter die Kanonen der Dordrechterfonode faffen. Das 
Anſehn derfelben wollte er ſo fchlechterdings nicht aner⸗ 
kennen, weil fie in etlichen Puncten der eydgenoͤſſiſchen 
Glaubensbekaͤnntniß entgegen lief. Sogleich ward die 
Schlußfolge gegogen, die Gegner dieſer Synode ſeyen 
Arminianer geweien, folglich fen Zinck auch ein Armi— 
nianer. Den 23. Yugfim. 1660. ward er aufs Rath⸗ 
haus im Verhaft gebracht. Alle feine Schriften und 
Bücher wurden. oberfeitlich unterfücht und auf die Seite - 
geſchaft. "Ungeachtet mächtiger Freunde im Rathe und 
unter den Bürgern, Tief er Gefahr ein Schlachtopfer 
Des erbitterten Clerus zu werden. Als er in fein Haus 
zurüdgelommen war, formirte dieſer neue Anklagen; 
er fagte, Zinck wolle das Wort Perſon von der h. Drey⸗ 
einigleit nicht gelten laſſen; ihm liege Adams Fall nicht 
recht ; er lauͤgne die Menfchwerdung Ehrifti; den 5. 
Seit nenne er Mercurius; fage, er habe einen Leib; 
füge, Spiszföpfe wollen in matricem fchauen; er Inligne 
Die Auferſtehung des Fleiſches; fage, Die Wiedergeburt 
gefchehe im Körper; das Zeichen A bedeute Feuer und 
Waſſer, es ſey aber ein paracelfifcher Zanbercharacter, 
dem er groſſe Kraft gufchreide u. ſ. w. 








„= Geinrih Hottinger. | 


: Den 10. November kamen bie geheimen Raͤthe und 
einige ihnen zugegebene Rathsglieder mit den Kitchen 
norftehern zufammen, fie laſen Die Auszuͤge, welche Diefe 
leztern aus Zinckes Papieren gefammelt Hatten. Fol⸗ 
genden Tags kam eine ungenannte Perſon zu Zinck, 
dieſe brachte ihm die Nachricht, es ſey ſchon vorgeur⸗ 
teilt, daß er der Pfarre zu St. Jacob entſezt, vom 
Predigtamt gaͤnzlich verſtoſſen und des Buͤrgerrechtes 
beraubt werden ſolle. Eine Meinung gehe dahin, man 
ſoll ihn einmauren; eine andre, man ſoll ihn durch 
Feuer oder durch Schwerdt binrichten. — Schon lang 
war ihm fein Weib angelegen gewefen; daß er fich 
durch Flucht retten ſoll; Diefe Warnung vermocht ihn 
nunmehr, ihre zu folgen, noch mehr vermocht ihn hiezu 
der fonderbare Gedanke, daß feine Oberkeit nicht einge- 
wickelt werde, fich an unfchuldigem Blut zu vergreifen, 
welches ihr einft viel Reu und Kummer verurfachen 
müßte. Am Abend deffelben Tages gieng er mit feinem 
Meibe in der Dämmerung aus der Stadt, oft dem 
Verfchmachten näher ald dem Leben; er ließ drey Toͤch⸗ 
ter und einen Knaben zurüd. Seine Entweihung fete 
die ganze Stadt in Unruhe; Wächter wurden vor alle 
Thor geftellt ; Sbirren mit Gewaltsfchein ausgefchidt, 
ihm nachzuiagen. — Er hatte mit feinem Weib den Weg 
nach Röteln genommen. Der Marggraf vergönnte ih⸗ 
nen in Weilen, einem lecken dieſer Herrfchaft, fich nies 
Derzulaffen. Hier lebte der gute Dann ohne Amt fpars 
fam von. dem Seinigen bey friedlichen Leuten von der 
Iutherifchen Lehre. Gleich nach feiner Entweichung 
ſchrieb er an den Rath. In diefer Apologie beeigte er- 
für denſelben die tieffte Ehrfurcht, für feine Lehrmei⸗ 
mungen Dig gewiffenbaftefte Ucberzeugung, für fen Bes. 


yeinrih Zotsingen 2 
‚Tragen die-reinftien Abfichten. Er gab allemal, und im 
allen Briefen zu verfichen, daß die Raͤthe wären bit 
tergangen und von der Vrieflerfchaft aufgehezt worden 
Zinck Karb im Julius 1676. unbegnadigt im ſiebzehn⸗ 
ten Jahr ſeiner Flucht und Verbannung. 


Wie ſehr unſerm Hottinger alle und jede Abweichun⸗ 
gen von der rechtglauͤbigen Lehre zu Herzen gegangen 
ſeyn, hievon mag unter anderm ein Schreiben zum Ye 
weis dienen, welches er den ı2. Junius 1664. an oh. 
Burtorf hatte abgehen laffen. () Ex üs, fchreibt er, 
qui inter nos magnis czteroquin pollent dotibus, non 
pauci funt Quxuro , xunoenro , quibus nihil, quod ipũ 
non extruſerint, placere poteſt. Maſculam gravitatem 
theologicam in tumultuoſam contendendi libidinem li- 
‚center nimis convertunt, & cum nihil ſupereſſe exiſti- 
ment, quo famam fibi aut vidtoriam contra communes 
Adverfarios polliceantur: nova moliuntur , czteros, 
‚qui idem non fentiunt ,„ veluti fungos centemnentes. 
Nowitatis pruritu adeo multi infaniunt, ut vitam gitius 
quam Helenam ,. quam magno reipublic® chriftianz de- 
trimento depereunt , amittere fint parat. Quæ in mul. 
tis Academiis amentur aut colantur ſtudia, tute opti« 
me nofti. Nova nomina , nova philofophorum portentz 
ita omnia occupant Subfellia, ut vix pro veritate am» 
plius cum Veteribus, fed vel pro Ariftotele, vel Car. 
tefio pugnetur. Sanctarum linguarum ftudium , in quo 
‚Tuperiori feculo majores noſtri tevocando tam maſcule 








Ay) u. Hottingers handſchriftlichem sr epiſtols. 
zig, der bey feinem wuͤrdigen Erben, Prof. Hottinger in Zuͤ⸗ 
rich verwahrt list, P 


wow HGeinrid Sottinger 


laborarunt , quam paucis vel mediocriter placet ? Intra 
prima ftatim elementa plerique fublidunt, magis ad ran. 
cidam aliquam & mucofam fcholafticorum diftindionem 
sttendentes, quam 'uzeruzwer "wianorav Aoya. Quid 
Salmurium paucis abhinc annis nobis peperit, qu& ’snerpak 
mara extrulerit, totus ferme novit ’europzus orbis & 
Juget. Ye mehr die Streitficht auf dem Acker der Kits 
he Doͤrne und Difteln erzeugte, defto wichtiger fchien 
Hottingern unermüdetes und tiefed Studium fo wol der 
‚alten Sprachen ald der alten Gefchichte. Ohne dieſes 
Studium Eonnten Die Menſchenſatzungen nicht genug in 
ihre Blöffe dargeſtellt, ohne daffelbe Die Religion keines⸗ 
wegs zur erften, lautern Quelle zurücigeführt werben. 
Wenn alfo immer mehrere mit müffigen und verwegenen 
Spitzfuͤndigkeiten fid weydeten, wenn alle Schriften und 
alle Eathedern und Kanzeln mit Unterfuchungen über 
Den Antichrift, über Conſubſtantiation und Tranfubftans 
kiation, über Homoouſitaͤt und Homoiouſitaͤt, über 
Gnadenwal und uͤber allgemeine und beſondere, uͤber 
bedingte und unbedingte, zuvorkommende, begleitende, 
wiederſtehliche, unwiederſtehliche Gnade u. ſ. w. wenn 
alles mit ſolchen fuͤrwitzigen und fruchtloſen Betrachtun⸗ 
gen angefuͤllt war, ſo glaubte Hottinger, alles dieſes 
Unkraut dee Diſputirſucht am ſicherſten durch Sprache 
wiſſenſchaft, durch Auslegungskunſt und Kritick, durch 
hiſtoriſche Nachforſchungen wegrauͤmen zu koͤnnen. Klein⸗ 
fuͤgig moͤgen vielleicht manchem unſrer heutigen Philo⸗ 
ſophiſten, Belletriſten, Sentimentaliften ſolche herkuliſche 
Bemuͤhungen ſcheinen; und gleichwol ſollten die guten 
Jungens bedenken, daß derfenige, welcher Moraͤſte vers 
ſchuͤttet, Waldungen oͤfnet, Felſenſtroͤme ableitet, Strafe 
ſen und ee Dusch LEN über Gebirge anbaut 





zeinrih Zottinger. 31 


8. f. w. ungemein mehr den Landbau befödert als ders 
genige , welcher in dem fchon gebauten Garten eine Nels 
cke gepfanzt hat.‘ Auch in dem wirklich angebauten Lande 
thut derjenige weit mehr, welcher pRügt und anfat, als 

der Schnidter im Aerudtefeld. 


Mitten in feiner litterarifchen Laufbahn ward Hottin⸗ 
ger vom Tod überrafcht. Im J. 1667. fuhr er mit 
feiner Famillie auf der Limmat in fein Landguth nach 
Sparenberg. Das Schif ward an einem Felſen zer⸗ 
fcymettert. Hottinger, fein Schwager und ein Freund 
hatten fich durch Schwimmen gerettet. Als Hottinger 
pom Ufer her fein Weib und drey feiner Kinder in Les 
bensgefahr aufm Waſſer erblickte, Rürzt er ſich, um dieſe 
zu reten, von neuem in Die Fluten; er ertranf und 
auffer feinem Weibe, dem Schwager und der Dienfimagd 
ward niemand gerestet. 


» 


IV. 


ZJoh. Heinrich Heidegger. . 


en) * 


oh. Heinrich Heidegger erblickte das Licht der Welt 


den 1. Jul. 1633. zu Baͤrentſchweil, wo fein Va⸗ 
tee Pfarrer war. (5) Wegen Eränklichen Zuftandes konnte 
ihn diefer nicht ſelbſt unterweiſen. Im J. 1642. ward 
alfo der Knabe der gelehrten Aufficht eines fonft felsas 
men Mannes, aber groffen Kennerd der Meßkunſt und 
Naturlehre, nämmlich Michel Zinggs, Pfarrers im 
Sifchentbal anvertraut. Wald hernach kam er in Die 
Schule nach Zürich. Allein nach, fruͤhzeitigem Verluſte 
Des Baters entfiel ihm aller Diut zum Studirn. Da 
ee indeſſen ſchon im J. 1647. auch Die Butter verlor, 
fo vermochten feine gelchrten Gönner, Rud. Studi und 
Heinr. Hottinger über den verwayßten Juͤngling fo viel, 
daß er aufs neue unter die gelehrte Fahne ſchwur. 


Indeſſen waren die h. Schriften fein vorzuͤglichſtes 


Studium. In der dictactifchen Gottesgelehrtheit hatte 
er fich des Antiſtes Breitingerd Apborifmen mit Studis 
Echolim ganz eigen gemacht und auch (nach dem Ges 
fhmad der Zeiten) die Polemick eifrig getrieben. Ue⸗ 


berall hatte ex fich den Altingifchen Wegweifer zum Leit- 


faden genommen. Unter Jo. Wirzen difputirte er bey 





Gelegen⸗ 
() S. Heideggers ſelbſtrerfertigte Hiſtoriam vita, Tig. 


2698, : # 





—— — — 





Joh Heinrih Heibeggen.. 33 
Gelegenheit der Janſeniſtiſchen Händel wieder den faͤlſch⸗ 
Jich vorgegebenen Confenlus der päpftlichen Lehrer; une 
ter Rudolph Studi gegen die jefwitifche Schule; unter 
oh. Heinr. Höttinger über den Urſprung der paͤbſtli. 
chen Irrtuͤmmer in Betreff der 5. Bücher. | 

Hierauf veifete der junge Heidegger nach Marpurg , 
um den Erocius zu hören. Auf der Reiſe beſuchte er 
im % 1654. in Bafel den Theodor Zwinger, den Joh. 
Burtorf, Joh. Rud. Wetſtein, Joh. Durdus, welcher 
aus Schottland wegen des Unionsgeſchaͤftes nach Teutfche 
land gefommen war. Zu Straßburg pflog er Umgang 
‚mit Conr. Dannhauer, mit Seine. und Sebaſt. Schmid. 
In Marpurg hörte er nicht nur des Crocius Vorleſun⸗ 
gen, fondern genoß auch feines täglichen. Umgangs bey 
Haufe, Bey Sebaft. Curtius nahm er Unterricht über 
die jüdifchen Conteoverfen und hörte Eollegta über das 
Syſtem des Samuel Mareſius. Chriſt. Fried. Crocius 
gab ihm Anweiſung in den morgenländifchen, befonders 
in der arabifchen Eprache. 

In Heidelberg feste er unter Hottingers Aufſicht die 
morgenlaͤndiſche Studien fehr glücklich fort; unter Fried. 
Spanheim nahm er Unterricht in der Kirchengefchichte. 
Dafeldft gerieth er mit ſeinem beivetifchen Landmann, 
Ludwig Fabritius, in genaufte Freundſchaft. Da dieſer 
erſt neulich von Paris zuruͤckgekehrt war, ſo zog von 
demſelben Heidegger beſondere Vorteile in Abſicht auf 
Weltkaͤnntnis, ftanzoͤſiſche Sprache und Sitten. In 
Heidelberg wurden dem Fabrizius der griechiſche, Hei⸗ 
degger aber der hebraͤiſche Lehrſtul anvertraut. Zu glei⸗ 
cher Zeit geriethen ſie in genaue Bekanntſchaft mit Joh. 
Vdreinshemins, — — der — Chri⸗ 
u 





4 Joh. Heinrih. Heidegger 


"Kine. Deſſen Borlefungen uber die Carthagiſchen, Nu⸗ 
midiſchen, Achaifchen und Bergamifchen Altertuͤmmer 
beſuchte Heidegger ungemein ‚Reiffig ; befonderd auch 
bereicherte er fich im Umgang deffelben mit Känntniffen 
der neuern Gefehichte und der Politick. 


Bey aller Belefenheit und gelehrten Critick gab Freins⸗ 
hemius ein Beyſpiel der größten Beſcheidenheit und Güte 
des Herzens. Oftmals pflegte er zu Heidegger zu fagen: 
Ut docti fimus, necefle non eft: ut fimus koni, fiqui- 
dem beati effe cupimus, unice necefle et. Im Pri⸗ 
Hatumgange unterhielten fie fich gerne mit einander über 
die Grunde der Sittenlehre. Indem fie mit einander 
den Ariftoteled, und zwar vorzüglich deffen mioralifches 
Softem an den Nicomach laſen, bemuͤhten fie fich dafs 
felbe mit der chriftlichen Sittenlehre zu ergleichen und 
die Vorzüge der letztern zu zeigen. In diefen Unterre⸗ 
dungen wurden die gute Vernunſt und die menfchliche 
Natur,’ flatt fie mit dee Offenbarung zu verbinden, 
gerne in einem allzufchlechten Lichte vorgeftellt , in der 
| Einbildung , daß diefe durch den Contraſt deſto mehr 
hervorglängen werde. Ohne Zweifel waren die nachges 


Taffenen Handfchriften des Freinshemius: Geſpraͤche 


uͤber des Ariſtoteles Buch von den Sitten nach 
Platoniſcher und Ciceronaniſcher Methode, wie 
auch feine Diſticha ad Ariftoteleim de Moribus , quibus 
ejus errors ſuccincte perftringuntur: dieſe und andere 
Schriften wären die Früchte der mi‘ Heibeiger gehalte⸗ 
nen Udferredungen. 


Nachbem Heidegger mit Hottingern die. — 


Schule wieder in Ordnung gebracht hatte, ward er ing 
J. 1659. als Profeſſor der Gottesgelchribeit Mach Stein- 


Joh. Heinsih Heidegger 3 


furt berufen. : Er ward alfo von dem pfälzifchen Chur⸗ 
fürften gnaͤdig entlaffen und beym Abſchied mit einer 
güfdenen Schaumuͤnze befchenkt. Hierauf trat er mit 
Erlaubniß der zuͤrcherſchen Regierung die academiſche 
Reiſe nach Steinfurt an. Unterwegs gerieth er in Duis⸗ 
Burg in enge Freundſchaft mit Joh. Clauberg und Mars 
tin Hundius. Zu Steinfurt Bielt ee Vorleſungen über 
die Gottesgelehrtheit und über die Kirchengefchichte. 


Als er im J. 1660. nach Zürich zuruͤck kam, verheu⸗ 
ratete er fich mit Elifabeta von Dun, der einzigen Toche 
ter eingd reichen Handelsmannes. 


Im J. 1661. gab er feine Streitfchrift gegen den Sites 
phan Curcellaͤns Heraus? Mon der chriftlichen Freyheit 
in Betreff der Nahrung‘ und Speifen, befonders des 
Bluts und des Erſtikten: - Hierauf veifete er nach dem 
Niederlanden und befichte zu. Deventer den Heinrich a 
Diet, Anton Perigoniug , Georg Grävius , zu gleicher 
Zeit traf er auch) daſelbſt den Leydner Gelehrten Fried. 
Gronov an. Mit den meiften unter denfelben war er 
feither in ununterbrochenen Brie fwechſel geraten. 


Zu Amſterdam machte er Bekanntſchaft mit Joh. 
Comenius à Mood; zu Leyden mit Joh. Coccejus und 
Georg Horn. Ungeachtet Heidegger den Coccejus und 
feine bildliche Theologie ungeniein hoch ſchaͤtzte, ſo war 
er nichts deſto weniger weit von felavifchem Coccejaniſ⸗ 
mus entfernt, und vielleicht auch deswegen, weil der 
Coccejaniſmus in Zürich als eine Art Neuerung keines⸗ 
wegs im angenehmſten Geruch ſtand. Ueberall vermied 
© ſd wol kluglich als feledlich alle beſondern Nammen 


#6 Joh Heinrich Seidegger. 


imn Aner und iſten, indem er einge die h. Bücher als 
Richtſchnur des Glaubens verehrte. 


Bald Hernach edirte er feine Schrift von dem letzten 
Ueberſchritsfeſte; im derfelben widerlegte er die Meinune 
gen des Brougtons und Gloppenburgs und bee beyden 
Cardinaͤle Toletus und Baronius. Ungefehr zu gleicher 
Zeit kam feine Schrift gegen dad Tridentinifche Eoncie 
lium heraus. — Im J. 1664. edirte er feine Schutz⸗ 
ſchrift für die reformirte Lehre, indem er gegen Bernb. 

Dreſing die Gleichförmigkeit derfelben mit der Augfpurs 
gifchen Belanntnig darthat. Diefen Streit wird man 
nicht für ein blos litterariſches und theologifches Gezaͤnk 
anfehn, wenn man bedenkt, daß die Abfonderung der 
Reformirten von der Augſpurgiſchen Eonfeflion fie zu⸗ 
gleich der Privilegien diefer — und des — im 
Reiche beraubt haben wuͤrde. 


Da ſich zwiſchen Holand und zwiſchen dem Biſchof 
von Muͤnſter alles zum Ausbruch des Kriegs neigete, ſo 
fand es Heidegger für feine Famillie gefährlich , länger 
in Steinfurt zu bleiben. Er fendte alfo fein Weib und 
feine zwey Kinder nach Zürich, und begleitete fie bis nach 
Heidelberg. Als er daſelbſt den Geinigen den Segen 
"gegeben und einige Tage mit Hottingern zugebracht hatte, 
kehrte er allein nach Steinfurt zuruͤck. Auf diefer Schule 
hielt er bey Anlaß, des Türkenkrieged , ald er fein Pro⸗ 
Rectorat niederlegte , die feverliche Rede von der Relis 
gion der Mohamedaner. Bald hernach, da megen bee - 
nachbarter Kriegesunruhen die Schule zu Steinfurt Not 
lidte, verlies ſie auch Heidegger und erhielt in Zürich 
‚den Lehrſtul der chriftlichen Sittenlehre. In dieſer Zeit 
edirte ex einige moraliſche Abhanblungen; dieſelben er⸗ 





ö To b. 5 einrich Zeidegger. 37 
hielten beſondern Beyfall von Joh. Duraͤus, der ſich das 
mals wegen des Unionsgeſchaͤftes in Zürich verweilte. 


Im J. 1666. wurden allerlei grillenhafte Weiſſagun. 
gen von dem nahen Ende der Dinge verbreitet. Dieſes 
veranlaßte Heideggern zur Herausgabe einer teutſchen 
Schrift uͤber das Lied Moſes, aus welchem er, nach 
dem alegoriſchen Geſchmack des Zeitalters, die Zeiten der 
chriſtlichen Kirche und die Zeichen derſelben beſtimmte 
und alſo einem ſchaͤdlichern und groͤbern Aberglauben 
einen andern unterſchob, der es weniger war. Auch ſchien 
nachher Heidegger ſelbſt zu bedauren, daß er allzu kuͤhn 
dem innern Heiligtum des Tempels ſich zu nahen ge⸗ 
wagt hatte. Oefentlich erklaͤrte er ſich, daß er ſeine be⸗ 
ſondern Begriefe uͤber die Revolutionen der Kirche nie⸗ 
mand aufdringen wolle. 69) 


In folgendem Jahr kam der erſte Theil feiner ga⸗ 
triarchengeſchichte heraus. Vermittelſt derſelben verſuch⸗ 
te ers, Welt und Kirche, die im grauen Altertum gleich⸗ 
ſam verſchwinden, aus dem Abgrund herauf und vor 
unſere Augen zu ziehn, indem er den buͤrgerlichen ſo wol 
als den religioſen Zuſtand der Erzvaͤter mit der Fackel 
der Geſchichte und der Critick aufzullären bemüht war. 
Da naͤmmlich Baronius die Gefchichte ded neuen Buns 
des, und Salianus und Torniellus die Gefchichte des 
alten Bundes nicht ohne Partheygeiſt behandelten, fo 
ward er dadurch veranlaffet , die ganze heilige Geſchichte 


bis anf die Geburt Chriſti genauer zu beleuchten ; dar - 


aus follte eine hiſtoriſche Gottögelchrtheit, und ein gründs 








(*) 8. Heideggers Leben, ‘. LXXIL 


38 Joh. Heinrich Heidegger. 


liches Lehrgebauͤde der göttlichen Offenbarung nad) Ir 
sem Urſprung, ihrer Uebereinſtimmung und Entwicklung 
entfichen. Allenthalben war er bemüht, die Vollſtaͤndig⸗ 
Feit des hebraͤiſchen Textes gegen den Angriff moderner 
Kunftrichter zu ſichern, Die Dollmetfchungen der He⸗ 
braͤer, beſonders des Yarchi und Abenezra mit ihren 
Gloſſen zu prüfen, die anfcheinenden Widerfprüche zu 
vergleichen, wie auch befonders Die Glaubwürdigkeit ded - 
Joſephus gegen feine Widerfächer zu ſchuͤtzen. 


Im J. 1667. ward durch Hottingerd Hinfcheid deu 
Lehrftul der Theologie erledigt. () In feiner Antritde 
rede handelte er von dem fatalen Tode berummter Maͤn⸗ 
ner und ergrieff hiebey rn Holtingers sem zu 
ſchildern. 


Bald darauf verfertigte er gegen Reding und Baldin⸗ 
ger eine Streitſchriſt über die Wallfarten, wodurch er 
ſich in der paͤpſtlichen en beſondern Unwillen 

zuzog. 


In gleichem Jahr ward er auf Coccefi Abſterben ala 
Lehrer der Gottesgelehrtheit nach Leyden beruffen. Uns 
geachtet die Generalftaateri auf das feperlichtte bey der 
Regirung in Zürich anbielten, fo ward gleichwol den 26. 
Febr. vor Rathe erkennt, dag Heidegger möchte erfucht 
werden, in Zürich zu bleiben. Auch auffer der Vater⸗ 





Yandäliche, war er biegu wegen Eräntlicher eibeäbefehafe 





N Die Beſetzuug defielben fand man fo wichtig , daß * 
der Wal nun zum erſtenmal der Eid gebraucht wurde. 
— ſelbſt Heidegger nicht — genug ſchien, 7 38 

Wal einmäthig auf ihn. | 


Joh. Zeinrich Zeidegger. 3 


fenheit deſto geneigter. Aus gleichen Urſachen ſchlug er 
auch ein Jahr hernach den gleichen Beruf aus, da er 


ihm nach Valkeniers Hinſcheid von Fried. Spanbeim 


zum zweiten male aufgetragen wurde. 

Im J. 1671. teat zu Amſterdam der zweite Theil ſei⸗ 
ner Patriarchengefchichte and Licht. Demfelben fügte 
er die patriarchaliſche Zeitrechnung bey. Ungeachtet Die 
Materialien zur Fortſetzung der biblifchen Gefchichte von 
ihm fchon haufig gefamelt waren, fo ward er doch von 
der Ausführung dieſes Werkes Durch andere Gefchäfte 
abgehalten, die und zwar heut zu tage weniger wichtig 
vorkommen mögen, die aber nichts defto weniger damals 
dringend genug waren, ald man noch nicht ahıderft als 
durch Krieg den glücklichen Frieden erfaufte, deffen wie 
jzo genieffen. Eben je mehr ung heut zu Tage ſo viele 
Streitfchriften gleichgültig, uͤberſltuͤſig und unwichtig 
fcheinen, deſto mehr follten wie von ihrer ehmaligen 
Wichtigkeit überzeugt werben, Da fie es geweſen, welche 
fernere Steeitfchriften unnuͤtz gemacht haben. Heidegger 
hatte auffer dem Einfiedlee Moͤnch Reding und dem Probſt 
Baldinger zu Baden, mit Carl Sfondrati, Abbt zu St. 
Gallen, und nachherigem Cardinal, bitige theoldgifche 
Streite. Kein Bedenken machte er fih, die Stelle Ofs 
"fenbarung Johannes XVIIL. 6. zum Wortzeichen in dem 
Krieg gegen das Papftum zu nehmen. In diefem Streits 


geifte fchrieb er im J. 1672. feine Zergliederung der Tris 


dentinifchen Kirchenverfammlung , dad Grab derfelben, 

. die Abhandlung von der Empfängnig der 5. Jungfrau 

und ihre Sefchichte u. f. w. diefen folgte ein Band von 

dreiſſig academifchen Differtationen, deren Innhalt grofs 

Be die Kicchens und Ketzergefchichte feiner Zeiten 
af. | ” 


r 


„ſoͤhnopfers und über andere verwandte Puncten emt«. 
| e | 


se 2 Tob Heinzih Zeidegger 


Auffer dem Krieg. (wie man fich damals gerne atde 
zudrücen gewohnt war ) auffer Diefem Krieg mit auss 


wertigen Widerfächern der. reformirten, züccherfchen Kite 


che, drohten in dem Schoß diefer letztern immer Unru⸗ 


ben, zu deren Beylegung Heidegger allen Kräften aufs 
dot. () Wenn wir in dem Streit mit den Arminiase 


nern. und Ampraldiften fein Betragen mit feinen andere 
weiten Grundfägen bisweilen in anfcheinendem Wider, 


fpruch Anden , fo werden twir mit Wehmut gefichn, daß 
leyder nicht felten die Neigungen und Begrieffe des Pri⸗ 
vatmannes mit den Grundfägen der öfentlichen Perſon 
oder eines ganzen Gollegiums im Streite ſtehn. So 


Hierarchiſch Heut zu Tage manchen Heideggerd Auffuͤh⸗ 


zung vorkommen möchte, fo fchien er doch nichts deſto 
weniger , in fa fern er für fich felbft und allein dachte 


und handelte, zur Vertragſamkeit keineswegs ungeneigt. N 


Doch hieruͤber mag er ſich ſelber rechtfertigen. 


Seit langem her, ſchreibt er in feiner Lebensbeſchrei⸗ 
„bung, (+) waren in den reformirten Kirchen von 
» Frankreich verderbliche Zwiſte über die Kraft ded Vers 








| (N) &. die beideggerfchen Handfchriften uͤber die Fotmulam 


Confenfus, die auf der Caroliniſchen Bibliotheck in Zürich 
verwahrt find. | | | 
(**) &. Heideggers Differt. II. de Concord. Proteſt. ee 


“def. T, 37. Hxc, fagt er, folet efle hominis parum pü, 


prndentis, & pravæ prorfus Sententix addi@i , perverlitas & 
pervieacis, ut à ſua opinione diflidentes , pharlisaico fuper- 
cilio rejicere & averfari audeat, qui cum ipfo peromnia non 
fentiunt; puerulorum inſtar, quibus I, e nucibus aut cab 
eulis viginti, unum. abftuleris, reliquos omnes fimul, plo- 
zebundi & indignabundi abjiciunt. 

CF) &. Heideggers Hiſt. vitz P. 97. foig. 


Job. Heinrih Heidegger «4t 


» fanden. Hieruͤher triumphirten die Feinde der refore 
„ mirten Kirche in der eiteln Erwartung , daß fich. Dies 
» felbe durch fich felbft zu Grund richten werde, 


„ Urfache zu diefen innern Unruhen war der unzeitige 
„ Eifer der reformirten Gottesgelehrten zu Saumür. 
„Dieſe übrigens gelehrten, frommen und rechtglaubis 
„ gen Maͤnner fürchten in der erbaulichen und Ioblichen 
2 Abficht die reformierte Lehre mit der augfpurgifchen 
„Confeſſion zu vereinigen, den Umkrais der Gnaden, 
„ wal zu erweiten. So bald Amyraldus feine Bücher 
„ über die Praͤdeſtination, über Natur und Gnade edirt 
3, hatte, fo ward ihm von Seite der helvetiſchen, tefors 
„ Mirten Kirchen auf das Eräftigfte fo mol als auf das 
„ freundichaftlichfle die weitere Verbreitung feiner bes 
» ſondern Grundfägen mißrathen. Amyraldus rechtfer⸗ 
¶ tigte ſich in einer weitlauͤſigen Schutzſchrift gegen den 
zuͤrcherſchen Antiſtes Jac. Irminger. Indeſſen ſtimm⸗ 
» ten die Lutheraner fchon hie und da Triumphlieder 
„ an, daß die Ampraldiftien durch ihre Lehren die aug⸗ 
» fpurgifche Confefiion unterflügen. @inige junge Ge⸗ 
„» lehrte aus den vornemmſten Gefchlechtern, welche Amps 
„ralds Schüler geweſen, giengen in Genf fo weit, 
» daß fie ungeachtet alles Wiederfpruched ihrer anderfis 
„ gefinnten Vaͤter, die Lehrmeinungen des Ampraldus, 
„ des de la Place umd des Capellus felhft von dem Ca—⸗ 
» theder verfochten. Um fo viel mehr mußte dieſes Be⸗ 
» fragen beleydigen, da zu Genf ſchon im J. 1649. der 
» Ampraldifmus durch befondere Canons eingefchräntt 
„ worden. Bon feite der belnetifchen Kirchen wurden 
„ im J. 1669. die Acabemie und Kirche zu Genf, ja 
» die Regierung felber fchriftlich erſucht, ſich nicht von. 


42 Job. 8einrich Zeidegger. 


„den übrigen reformirten Kirchen zu trennen. Um fe 
„viel mehr Würkung erivartete man von diefem Schrei 
„ ben, da Franziſcus Türretinus eifrig für Beybehal⸗ 
» tung der alten Rechtglaubigkeit beforgt war. Nichts 
„ deſto weniger verbreitete fich unter den jungen Studis 
» renden nicht nur in Genf, fondern auch in Zürich und 
„ anderftimo der Ampraldifinus je länger je weiter, und 
„bruͤtete eine Dienge andrer Neuerungen ;.die man dee 
„ Öfentlichen Ruhe des Staats fo wol ald der Kirche 
¶ hachtheilig glaubte; in der gleichen Schule naͤmm⸗ 
; lich, in welcher Amyraldus den Univerſaliſmus lehrte, 
3 flritt auch de la Place wieder die Zurechnung der Erbs 
„ fünde, und Capellus erweiterte Die Freyheit der h. Eis 
» tie. 


5 Yon feite der helvetiſchen Cantons, Zurich ı Ser ‚ 
> Bafel, Schafhaufen ward Daher im %. 1674: den Leh⸗ 
„ tern umd Predigern der Auftrag eines Entwurfes zur 
»» Kirchenvereinigung gemachet. Nach langem und weite 
„ lauͤſtgen Briefwechſel unter den ſchweizerſchen Gottes⸗ 
gelehrten kamen ſie zuletzt uͤberein, daß eine ſolche For- 
„ mula Confenfus ſollte verfertiget werden, und zwar 
n nicht blos, wie man Anfangs gefinnt war, eine alle 
» gemeine uͤberhaupt, fondern eine beftimmte und ſpe⸗ 
„ tielle, welche nach vorgetragener Lehre der Wahrheit 
gewiſſe Irtuͤmmer mit beftimmten und ausgedructen 
» Worten anzeigen und verurtheilen follte. Zur Vers 
» fertigung einer ſolchen Lehrformel fchlug Heidegger 
„ den Yaslerifchen Theologus Lucas Gernler vor; al 

» fein da diefer eben in diefem Zeitpunct aus der fireis 
„ tenden Kirche in die triumphirende verſetzt wurde, ſo 
2 Ward das «ganze Geſchaͤft auf Heideggers Schultern 





Yob. Heinrich Seidegger. 4 


„ geladen. Diefem Gefchäfte durfte er fich um fo viel 
„ weniger entziehn, da der zürcherfche Canton in fole 
a chen gemeinfchaftlichen Kiechenangelegenheiten nicht we⸗ 
» niger ald in den politifchen die Divection bat. Er 
ꝓ verfaßte alfo fünf und zwanzig Puncten von dem Um⸗ 
» fang der göttlichen Gnadenwal, von dem Anfehn und 
» der Vollſtaͤndigkeit des hebraͤiſchen Texte, von der 
2» Zurechnung der Eibfünde und andern verwandten 
3, Lehrfägen, vermög welcher die Meinungen der Schule 
» zu Saumür follten Eraftlos gemacht werden. Diefe 
» Lehrformel ward in teutfcher und lateiniſcher Sprache 
» der zürcherfchen Synode vorgelegt und nach durch⸗ 
» gängig erhaltenem Beyfall den XII. März 1675. 05» 
a, ſchon nicht ganz einhellig von dem groffen Rathe tas 
3» tiſicirt und vermittelſt Benfügung des Stadt Inſigels 
„ zu einer obrigkeitlichen Verordnung *4 Bey der 
„ nächfien Tagſatzung ward dieſe Form̃el ſon den drey 
„ übrigen reformirten Cantons auf das feyerlichſte bes 
» flättigt; zugleich ward diefelbe den reformirten Kir⸗ 
„ hen von Glarus, von Appenzell, in Graubuͤndten, 
» wie auch den Städten St. Gallen, Muͤlhauſen, Biel 
„ und Neuburg mitgetheil. * So weit Heideggerd die 
» gene Nachricht. 


In der ganzen veformirten Schweiz ward alſo die 
Formula Confenfus genehmigt. Durch was für verſchie⸗ 
dene Wege umd Mittel diefelbe hie und da durchgeſetzt 
worden, laſſen wir fir einmal in zwar chen nicht allzu⸗ 
beiliges Dunkel verſteckt feyn. So viel iR unverborgen, 
dag zu Neuburg der Decan der Geiftlichkeit in J. 1676 
für fich allein die Formel im Nammen der ganzen Claſſe 


“Job: Seinrich Heidegger 


untergeichnet bat. (X) Dieſes geſchah aus bloſſer Gefaͤl⸗ 
ligkeit fuͤr die Cautons; ‘denn ſeither wurde von dem 
Conſenſus in dieſer Gegend nicht weiter geredet. 


Im gleichen Jahr ward auch Genf eingeladen, dem 
Beyſpiel der Evangeliſchen Cantons zu folgen. Dieſe 
bisher fruchtloſe Einladung wurde von dem Canton in 
Zurich im %. 1677. den 22. März wiederholt, Beynahe 
zwei Fahre daurte ed, bis die Genferiſche Kirche, und 
zwar lange nicht einmüthig, Das Formular annehmen 
und der Magiftrat daffelbe ratificiven wollte. Jm Nam⸗ 
men der gefammten Geiftlichkeit unterzeichneten der Mo⸗ 
Derator und Der Secretair der Kirchenverſammlung. 


In einigen Gegenden dauerte indeffen der allzuſtrenge 
Confenfus nicht gar gu lange. Zu Genf ward er im. 
% 1706. abgefchaft und deswegen erhielt Diefe Stadt von. 
Friedrich 1. in Breuffen Begluͤckwuͤnſchungsſchrei⸗ 
ben. (*) Ueberall ſahn Die auswertigen Kirchen dieſe 
neuen Feſſeln der Gewiffensfreyheit ungerne. (}) Man 
begreift nämmlich, daß mehr als jemals durch folche 
Einfchräntungen die Vereinigung der proteftantifchen Kits 
chen mußte gehindert werden. Die Steenge, womit die 
Prediger ˖ den franzöfifchen Flüchtlingen, welche fich in 
der Schweiz nieberlieffen, zur Unterzeichnung des Con- 
ſenſus genöthiget wurden , zog den Evangelifchen Staͤn⸗ 








8. Memoires peur fervir à l’Hiftoire des Troubles 
arrivces en Suiſſe à l’occafion du Confenfus par Croufaz. 
(*") ©. Zürreting Nubes Teftium f. 15 - | 
(F) S. Buͤrnets Voiage de Suiſſe & d’Italie, f. 118. folg. 

Auch bemerfe ınan , daß der Bifchof von Meaur bey Gelegen⸗ 

beit des Confenfus die Schweizer auffieht S. Hit. des Va- 

flations. XV. Art, 119. 120. = 


\ 





Job Heinrih Zeidegget. 4 


den im J. 1686. von dem Churfuͤrſten von Branden⸗ 


burg, Friedrich Wilhelm, ein Schreiben voll begruͤnde 
ter Vorwürfe zu. Die Antwort der Canton beweiftt, 
daß fie unvermertt anflengen, dieſer Lehrformel weniger 
Anfehn zu geben. () Wirklich hörte der Antifted von 
Bafel auf, diefelbe unterfchreiben zu laſſen. Ihm folge 


‘ten feine Nachfahren. In Bern und Zürich Hingegen 


behauptete fich dieſer Confenfos, ungeachtet der vielen 


Zwiſte und Unruhen, Die er erzeugte, 


So trocken und eckelhaft ed immer ſeyn mag , fo ent« 
halten wir ung doch nicht, die eine und Andere Stelle 
aus diefer Lehrformel bier einzurticken, da wir auf foldye 
Weiſe die herrfchenden Begriffe und den theologiſchen 
Geiſt von Heideggers Zeitalter. einiger maſſen ind Licht 
fegen koͤnnen. In dem zmwöten wird der hebräifihe Eos 
der tum quoad confonas, tum quoad vocalla five pundta. 
ipſa, five punctorum faltem poteftatem ald authentiſch, 
und tum quoad res , tum quosd verba ald theopnevftifch: 


‚erkläre. () In dem vierdten Ganon werden fine ulla 


meriti Operum vel fidei præviſione ganz unbedingt Die 
einen zur ewigen Geeligkeit , die andern zur ewigen Ver. 
damniß beftimmt. CH) Richt ohne Schauer wird. man 


leränsch euere 


(*) ©. die Hifkoriam Formulz Confenlus vom 9. 1723. 
die man Hottingern zufchreibt. 

C*) Damit vergleiche man die freyere Denkart unfers dieß⸗ 
maligen,, bochverdienten Theologus, Joh. Caſp. Meyers , in 
feiner Differt. de Relig. & Theolog$ chrifßianz vera Indole, 
Tig. 1778. Yuch ſchon Pictet in Der Theol. chret. ®._#' 
€. 16. und Duͤ Pin in der Diff. prelim, fur la -Bible®. L 
€. 4. hatten gegen jene Puneten⸗ umd Letternverehrung geeifert. 

(1) ©. Pictet de Confenlu ac Diſſenſu inter Reformar. & 





Auguft, Confeſſ. Fratres. ſ. 59, 


4 Job: Seinvih Heidegger. 


ben Partheygeiſt bemerken, der folche Härte im Ausdruck 
erzeugte; wie ungemein entfernten ſich nicht Diele Vor⸗ 
fiellungen von den weit gelindern Begrieffen der erſten 
Reformatoren? Nun Aber fcheint es einmal dad Loos 
des menfchlichen Geiſtes, Daß bey den Einblafungen des 
umglirdfeligen Controvers Daͤmons jede Partei die andere 
auf das entgegengefeßte Extrem binaustreibt. Unſer Hei⸗ 
degger fchim zu unaufhoͤrlichem, tbeologifchen Kriege. 
verurteilt; Kaum, daß feiner Meinung nach ‚ durch den 
Eonfenfus die Kirche gegen den Amyraldiſmus verſchanzt 
war, fo fand er fchon ivieder neuen Anlaf, ſich in der 
Kirchen» Tatick zu üben. 


Bey dem feyerlichen Umgang der Sfarner zum Ans 
denken der Räferfchlacht Hatte Abbt Reding zu Einficdeln 
bie refonmirte Lehre und ihre Bekenner, Heideggern Dee 
ſonders, auf fo unanſtaͤndige Weife gefeholten , daß er, 
einzig durch Flucht, der Raache der reformirten Glarus 
ner zu entrinnen vermochte. Auf obrigkeitlichen Befehl 
ſah ſich Heidegger genoͤthigt, in einer teutfchen Schrif 
das Anfehn der reformierten Kirche gegen: dad Papſtum 
zu ſchuͤtzen. Aufler einer Menge andrer Stweitfchriften, 
beſonders auch gegen Caſpar ‚Langen und Chriſtoph Otto⸗ 
edirte er nun im %._1680. den zweiten Theil feiner aca⸗ 
demiſchen Abhandlungen, meiftens polemifchen Inhaltes; 
im J. 1698. fein biblifched Handbuch und Rudolph Ho⸗ 
ſpinians Leben. Während diefee Zeit wurde ihm ber 
theologifche Lehrſtul zu Groͤningen aufgetragen , welchen 
er aber aus: Liebe zul Vaterland und aus väterlicher 
Sorge für die einheimiſchen Kirchen audfchlug. Um dem 
Mrifall dieſer Tetstern zu begegnen‘, bediente. fich Heideg⸗ 
der deſſelben Kriegesliſtes, deſſen fi 14, ER gegen Halte 








Joh. Heinrid Heidegger 9 


nibal bediente, da er den Krieg nach Carthago ſelber 
verfegte um feine Flammen von Rom zu entfernen; er 
glaubte naͤmmlich die. Ruhe feiner Kirche am beften ficher 
2 fielen, wenn es ihm gelingen twurde, in dem Schoof 
"Ber päpftlichen Kirche felber Unruhe zu fliften. In Dies 
ſer Ruͤckſicht edirte ee im J. 1684: bie Gefchichte des 
Pabſtums ald eine MWiederlegung der Draimbourgifchen 
Hifterie des Calpiniſmus und Lutheranifmus. Damit 
begleitete er zugleich Guicciardins paͤbſtliche Geſchichte. 
So viel wichtige Aufklärung dieſes Wert gab, fo. ers 
reichte es doch keineswegs die Abficht des Verfaſſers, 
fonden pflanzte nur deflo gröffere Verbitterung. (*) 


Weit entfernt, daß in diefem Seitraum. die Polemick 
Bloß mit der Feder wäre geführt worden, hat man viels 
mehr häufige Benfbiele von thätlicher Feindfeligkeit. — 
In einer eydgenoͤſſiſchen Verſamlung, den 14. May 
1695. giengen die catholiſchen Kantons fü weit, daß 
fie in. den Abſchied einruͤcken lieſſen co» Es fallen ſo 
» viele Theile des Landesfriedens ſeyn, als mitregierende 
„Kantons. “ Gerade zu war dieſe Erklärung: den 
Verträgen von: den Jahren 1532 und 1652. zuwieder. 
Bon Zuͤrch aus ward :alfo das Abfcheidsinftrument zu⸗ 
ruͤckgeſchickt and hierüber an die unintereffirten Canton® 
geſchrieben. Darauf erfolgten badiſcher Tagfakung bie: 
Catholiſchen nicht nachgeben wollten, ſchlugen ehnen 
die Reformirten das eydgenoͤſſiſthe Recht vor. Jene 
behaupteten, fie wären unwiederſprechlich befugt, uͤberal 
in den gemeinen Herrſchaften ungehindert die catholi⸗ 








er —— ‚I. w x — 2 — are 
(*) &. Bagle Nouv. de la rep. des Lettres, mai 1684. 
Ne, VI. Juin No. I. mai 1685. Ne, I» | ’ 


ss Joh Srinrich Heidegger 


fehe Religiondübung zu geftatten und bierüber beduͤrſt 
eö keines endgenöffifchen Spruched. Dee Streit ſchien 
hitzig zu werden. Auf den 19. Augſtmonat lief Bern 
eine neue Tagſatzung nach Baden Ausfchreiben. De 
franzöfifche Hottfchafter, Here Amelot, verbinderte durch 
feine Vermittlung weitere Entzweyung, und fo warb 
auf einmal die catholiſche Religionsäbung , welche der 
farganfer Landvogt in Wartan Hatte einführen wollen, 
wieder verhindert. 


Da es und übrigend weniger um die Befchichte. Dies 
ſes oder jenes defondern Prozeſſes, Diefer oder jener ein-- 
zelnen Gemeinden, KHaushaltungen , Perſonen zu thun 
iR, ald vielmehr überhaupt um die Gefthichte des Tas _ 
tionalgeiſtes um die Abſchilderung des Zeit- Karacterd 
im Groſſen fo werden wir den Lefer keineswegs durch 
Herzaͤlung aller nun mit echt vergeflenen , obſchon 
damals noch fo wichtigen Begegniſſen ermuͤden. Da⸗ 
ber übergeben wir, wie zu mehreren Malen die refor⸗ 
mirten Prediger in den gemeinen Herrſchaften gedraͤngt, 
wie ihnen diefe und jene Laften aufgelegt und fe in 
Ausübung der gottesdienftlichen Gefchäfte eingeſchraͤnkt 
worben; wir übergehn, wie manchmal durch Verſpre⸗ 
chungen und Drauͤungen ſchwache oder keichtfinnige Ges 
müter zum Abfall bewegt, niinderiährige Kinder dem 
Eltern entwendt, luͤderliche Jungens und Dirnen dem 
reformirten Matrimonialrichter entzogen und. unter Hoſ⸗ 
nung der Diſpenſation vor das bifchöfliche Chorgericht 
zu Eofiniz gelocdt werden. Nur biefe allgemeine Ans 
merfung enthalten wir uns nicht, im Vorbepgehn zu 
machen, wie ungemein ben ſolcher me der Re⸗ 

2 run J ligion 


oh Heinrich Feidegger. 4— 
Spion unter ‚den mitregirenden Orten, bey ſolchen Ach 
kreuzenden Intreſſen, Gerichten, Verhaͤltniſſen auch der 
geringſte Prozeß verwirtelt , eben deswegen wichtig, und 
Dadurch der Nationalgeiſt zu juridiſchen Spizfundigkes 
ten aufgelegt worden. Daher vieleicht, dag man in 
ben Character der Schweizer ein Tb ganz eigenes Ge⸗ 
milch auf der einen Seite von Schlänbeit und Scharf 
ſinn, auf der. andern” Seite von Maivität und Einfalt 
gewahr wird; jene fiheinen ihren Grund in den ver⸗ 
wickelten Verträgen, Geſetzen und Rechten zu haben; 
dieſe in dem unbebeutenden Umfang a =. un 
dem Befcheidenen ‚Ertrage deſſelben. 

Ye eiferſuͤchtiger Zuͤrich, dieſe Muttertirche de Ki 
formation. in der Eidgenoßſchaft war, deſto mehr: inte 
reſſirte fich dieſe Stadt fuͤr die Wolfahrt der proteflans 
tiſchen Kirchen überhaupt. Beweis hiedon- die Befreyung 


der ungarfchen. Geifklichen aus den Zeffeln:der neapce 


tanifchen Galeeren. Groffentheild bemürkte Fe Heideg⸗ 
ger durch den Admiral Michael Ruyter und durch dem 
holaͤndiſchen Gefandten am Eaiferlichen Hofe, Hammel 
Bruyninck liebreich wurden viele dieſer befschten Galee 
renſclaven, und zwar ohne Unterfcheid ,.Iutherfche wie 
reformirte, von Heideggern und andern gürcherfi chen Lehrern 
bey Dionaten bewirchet. 

Während daß diefe Iertern fü fiebreich ſich Auch’ aus— 
Wärtiger Glaubendgenoffen Annahmen , vergaffen fe kei 
— der Vorſorge für die Brüder fm eigenen Lahr 

Hievon zeugt die Milde Stiftung für bie maͤngel— 
| bir wuͤrdige Predicanten und. derſelben Wittiven , W 


2 ©. fund 
wu SONNEBERG: er X 
‚u Theil. 9 | 





\ > 


— 


we Joh Seinrich Seidegger 


weiche von der geſamniten zuͤrcherſchen Geiſtlichkeit zu 
Stadt und Land gemacht ward, „ Nicht allen warb 
» die Beförderung diefer frommen Stiftung bey allen 
» Gelegenheiten empfohlen, fondern auch erkannt, daß 
> von nun an bie halbjaͤhrigen Synodalſteuren aus den 
» Clafien oder Eapiteln gu Stadt und Land, und zween 
» Drittel von: denen tarirten Silbergaben, wegen Be⸗ 
s foderung auf Kiechessund Schuldienſte, dieſer neuen 
„ Stiftung in Zukunft zupiefien ſollen. — Den 12. 
oo Herbfim. 1670. ward von Prof. Joh. Lavater denen 
„Geiſtlichen in der Stadt die erſte Reiimung von Ver⸗ 
» waltung des Praͤdicanten⸗ Fonds ‚überreicht und dar⸗ 
».inn 2000 Pf. Cap. an fünf Vergabungen gezeiget. 
» Alb ſich hernach ben der dridten Rechnung den 11. 
. Herbiim. 1673. bewieſen, daß diefe Stiftung "mehr 
» und mehr in Aufnahme komme, fo ward Dad. yante 
> Syſtem diefee Verwaltung in befondere Artickel ver⸗ 
n faßt und von geſammter Stadt» und Landgeiftlichkeit 
» der hohen Obrigkeit zur Ratification übergeben, wel⸗ 
„ che hierauf den 1. Chriſtm. 1673. an verbientens 
Beyfall bewilligt wurde. = 


Im J. 1682, entſtand Die geoffe Verfolgung der Hüs 
genoten in Frankreich. Zu derfeiben trugen die falfche 
Politik des königlichen Beichtvaters LasChaife, wie auch 
die Schriften des Jeſuiten Maimbourgs und des Bi⸗ 
ſchofs Boſſuets viel bey. — Einigermaſſen (wofern dieſe 
Vergleichung nicht zu groß toͤnt,) hatte für Schweiz, 
für Teutfchland und Holand die Yufhebung des Edikt 
on Nantes ähnliche Wirkung mit: derjenigen, welche 

bie Eroberung von Conſtantinopel auf Falten‘ gehabt 
bat. —— durch die vertriebenen — — 


Joh. Zgeinrich. Zeidegger— 21 


ſche Kenutniſſe zu den Abendlaͤndern gebracht wurden, 
ſo wurden durch die vertriebenen Franzoſen franzoͤſiſche 
Sprache, franzoͤſiſche Lebensart, Künfte, Gewerbe in 
.. mehrere Gegenden von Europa verpflanzet. Gleichwie 

bey ung z. B. ber Geiſt polemifther Ehicane von Sedan 
und andern franzoͤſiſchen Schulen nach Zürich: gekom⸗ 
men, fo kam num in nenern Zeiten aus Frankreich Die 
Morgenräthe. der ſchoͤnen Litteratur, die freylich noch 
hie und da, keineswegs den Mebel aller. Barbarey auf⸗ 
zuloͤſen im ſtand war. Wenn wir indeſſen die Verdien⸗ 
fie der franzoͤſiſſchen Fluͤchtlinge um uunſre Kuͤnſte und 
unſern Handel erkennen, ſo duͤrfen wir hiebey die Ver⸗ 
dienſte der Stadt Zurich gegen jene unglücklichen En 
lanten auch ‚nicht aus. dem Auge verlieren. 


Wegen der verfolgten Piemonteſer wurden von bet re 
formieten Eidgenoßfchaft mit dem Hofe zu Turin vers 
fchiedene Unterhanblungen gepflogen. Endlich erlaubte 
ber Herzog, daß die Ungluͤcklichen nach der Schweiz gehn. 
Den 1. Jenner 1687. kamen Briefe von Bern nach 
Zürich, daß Die Piemontefer an den Bernerfchen Gräns 
zen anlangen. Bon Zürich aus ward David Holzhalb 
als Commiſſar nach Bern geſchickt, um den Antheil für 
Zürich zu empfangen. Den a: Januar wurden in letz⸗ 
tree Stadt alle Zünfte verfamelt und denfelben von 
Obrigkeit wegen die Verpflegung von: 1406 Perfonen em⸗ 
pfohlen; von diefen follten 700. in der Stadt‘ felber, die 
andre Hälfte aber auf der Landfchaft beherberget wer⸗ 
ben. Ber Conſtafel wurden zugeordnet 80, der Zunft 
zu Safran 84, der Zunft zur Meiſen 57, zum Weggen 
30 Perfonen. Jedes Mitglied des groffen Rathes ver, 
pflichtete ſich zur Verpſtegung eined der neuen Ankoͤm⸗ 


3 Job. Heinrid Zeidegger. 

Imge. Die Geiſllichen und andere begüterte Buͤrger 
nahmen freywillig eine oder mehrere diefer Perſonen zu 
ih. Da unter dem Vollk von einigen die Vorforge für 
Die Piemonteſer getadelt und diefeiben als Empörer ges 
gen den Landesfürften aukgeſchrien wuyden, mußte des⸗ 


wegen: auf den Kanzeln ernſtlich wieder Die Unzufriede⸗ 


wen geprediget werden. Die Flüchtlinge, welche in Pri⸗ 
vathauͤſern keinen Unterhalt: fanden , wurden obrigkeitlich 
in oͤffentlichen Hauͤſern, als im Spittal, "St. Jacob, 
Spanweyd, Dettenbach, Selnau gegen 20. R.. für vier 
Monate verſorget. Auch der neue Studentenhof zum 
Fraumuͤnſter ward gerauͤmt und in demſelben fuͤr 60 
Perſonen Anſtalt gemacht. Die Anzal der vertriebenen 
Piemonteſer in unſerm Lande belief ſich auf 2060. Die 
Eydgenöffifche Deputirte, welche zu Chambery um Les 
Diglaffung der Prediger und der Officiers anhielten, bes 
famen von dem Herzog die Antwort, daß er diefelben 
nicht herausgeben werde , bis die Piemonteſer, die er 


ungern in der Nachbarſchaft dulde, die Epdgenoffchaft 5 


werden geraumt haben, Man erwiederte, dag man fels 
bige ohne Begleit der Prediger nicht weiter hinſchicken 
koͤnne. Den. zo. Mär; 1687. ward zu Zürich der bel: 
denmuͤthige Hauptmann Pelanqon beſtattet, auf deſſen 
Haupt der Herzog 90 Duplonen gebotten hatte. Den 
21. April gleichen Jahres ward in der groſſen Raths⸗ 
serfammlung zu Zürich erkennt, dag. David Holzhalb, 
Secretair, an den Grafen von Waldegk ſollte abges 
fehiett werden , um zu vernemmen,- ob die Piemontefer 
Cwie man fich verlauten ließ) in deffelben Gebiet fich 
niederlaſſen Tonnen. Die Piemonteſer in unferm Canton 
waren aber dreifte genug, daß fie fich erklärten, fie wer; 
den nicht aug unfern nn wegziehen, bevor ihre 


- 





H 


Joh. Zeinrich Zeideguen 55 


Drediger, mit welchen fle rathſchlagen müßten, loege⸗ 
laſſen, auch Die übrigen Gefangenen in Freybeit geſetzt 
und ihnen bey 2000 Kinder , deren fle beraubt wor⸗ 
den , ausgeliefert werden. In Bayreuͤt wurden bie 
feonzöfifche Fluͤchtliuge ganz anderft behandelt. Daſelbſt 
ließ der Fürft ein Regiment für Venedig aufrichten und 
bediente ſich hiezu der vertriebenen Hugenoten. Eben fo 
kam in gleichem Monat ein feanzöflfcher Bauer mit 


‚ feiner ganzen Haushaltung ans Heffen nach Zürich zu⸗ 


ruͤck, und klagte, bag zwar ber Landgraf einigen vom 
den Flüchtlingen einen gewiffen Wald sum umgrabes 
überlaffen ; nachdem ſie aber damit fertig geworden und 
die Waldung zu Ader gemacht Haben, feyen die Ein⸗ 
voohner des Landes gekommen und haben fih ded urbar . 

gemachten Bodens unter Iandeöherrlichem Anſehn Dee 

mächtigt. u 


, Den. 17. May reifeten von Zürich bey 95 frauzöflfche 
Klüchtlinge nach Brandenburg; auch kam Wertmuͤller, 
Deputirter der Evangel. Cantons, vom Wuͤrtembergi⸗ 
fihen Hofe zurüc , mit Bericht , daß der Adminiſtrator 
und die Stände die Piemonteſer geneigt - aufnemmen 
werden: Im Maymonat entbedte man, dag dieſe Icke 
teen Piſtolen, Pulber , Bley und Saͤbel anfchaften, 
und fich vernemmen liefen, daß fle lichen wieder heim⸗ 


kehren und daſelbſt entweder die Freyheit oder der Wäre 


tyrer⸗Tod fuchen, als laͤt zer fo armfelig leben wollten. 
Die Angeſehenſten wurden deswegen zufammenberufen 
und von biefem Beginnen abgehalten. Den 15. Augſtm. 
Singen auf einmal 140 Zlüchtlinge von Zürich nach 
Zeutfchland.. Zu Ende 23 Julius ward für die Kite 


der der franzoſiſchen Husınoten allhier eine franzöffehe 


! 


4 Joh. Zzeinrich Heidegger. 


Schule eingefuͤhrt und denſelben hiezu eingerauͤmt die 
erſte Claſſe in der Schule sum groffen Münfter. En 


, Mitten im Augſtm. kam der Commiſſar Schieg und 
bie mit ihm geſandten Piemonteſer vom Stuttgartiſchen 
Hofe. wieder zuruͤch und berichteten, daß ſie im Wuͤr⸗ 
tembergiſchen Gelegenheit zu Wohnungen gefunden, und 
zwar für 200 Haushaltungen, jede zu acht Perfonen ges 
gechnet ; nebſt den Saufern wurden ihnen auch Wein, 
berge und Yeder und Wiefen bewilligt; über Winter 
ſollten fie freye Koft Haben, auch eine gigne Kirche, und 
ber Prediger jährlich 300 fl. befommen.. Dagegen Tolle 
ten die Piemonteſer goooo fl. erlegen. Dieſe zeigten we⸗ 
nig Luft, die Schweiz und befonders den Canton Zürich 
zu verlaffen. Von den franzoͤſiſchen Flüchtlingen hinge⸗ 
gen ſollen von Anfang des Augſtm. bis zum 26. gleichen 
Monats 826. Berfonen durch Zürich durchgereißt ſeyn. 
Als man die Piemontefer nach Brandenburg und zwar 
in die Uker⸗march verfchiden wollte, woſelbſt ihnen der 
Ehurfürft ganze Städte und Dörfer anbot , überreichten - 
fie der zürcherfchen Obrigkeit ein Bittſchreiben, daß fie 
nicht möchten dahin verfandt werden, und zwar unter 
dem Borwand!: 1. daß diefes Land gar zu weit von 
Diemont entfernt fey. 2. daß ihnen das Falte Elima im 
Brandenburgifchen ungeſund feyn möchte. 3. daß fie dar 
ſeibſt weder gutes Waffer noch Wein finden. — Hierauf 
wurden den 30. Augſtm. alle Prediger in Zürich verſam⸗ 
melt und von Obrigkeits wegen erinnert, daß fie die 
Viemonteſer „zu folcher Reife aufmuntern. Unter dem 
Beweggruͤnden, die man denſelben vorſtellte, war, daß 
ihre Prediger und Aelteſten, ihre Weiber und Kinder, die 
in Piemont als Geiſel zuruͤckbleiben, deſto eher aus der 





30h Seinriß: Beidenger 5, 


Gefängnis werden befrert werden, wenn fie ſich einmal | 
von ben ſchweizerſchen Gränzen entfernen. Ihr Antwort , 
war, fie gehn nicht !. | 
Im Berbſtmonat reiſeten bey 3000. franzoͤſiſche Fluͤcht⸗ 
linge durch Zürich. | 
Den 10. October 1687. ward das Montags s — 


gebeth, welches vor etlichen Jahren fuͤr die verfolgten 
Glaubensgenoſſen aus Frankreich und Piemont angeſtellt 


worden, aus der Urſache aufgehoben, weil es auͤſſerſt 


ſchlecht beſucht worden. Den 30. October ward in den 
vier Pfarrkirchen fir die feanzöfifchen Flüchtlinge aber, 
mal eine Steuer gefammelt und fiel die Summe von 
i1412. fl. 28. ſ. 7. hlr. 


Zu Ende Octobers kam David Holzhalb wieder nach 
Haufe, der als Deputirter dee IV. evangeliſchen Can⸗ 
tons an Churbrandenburg, an Heſſen⸗Caſſel, an den 
Prinzen von Oranien und die Herren General⸗Staaten 
geſendt werden ; aller Orten wurden fir die Piemonte⸗ 
fer Steuren verfprochen; auch wollte biefelben Churbrane ' 
dendurg aufnehmen, nur dag man ihnen alle Steuren 
mitgebe._ Eben fo kam auch ein Schreiben von Dr. 
Barthole von dem Wirtembersifchen Hofe au den Chor⸗ 
berr Schweizer in Zürich, morinn er fich verwundert, 
warum man noch zaudere, bie Piemonteſen nach Würs 


temberg abfolgen. zu laſſen? da nun Bern der Unkoften 
und Ausgaben voegen der verfolgten Glaubensgenoſſen 


müde geworden, ward den 2. November 1687. eine 
Gonferenz in Arau gehalten. Auf felbiger ward befchlofs 
ven, dag die Piemonteſer naͤchſten Frühling das Land 
raumen, aber cher nach Brandenburg ald nach Wuͤr⸗ 





‚35 Joh teinrich Zeidegger. 


temberg gefchickt werden ſollten. Die Urfache war, well 
man von defelben in dem benachbarten Wuͤrtemberg 
viel Ueberlaſts und Nachwerbens beſorgte, da ſie hingen 
gen in Brandenburg von uns entfernt waͤren, und da⸗ 
ſelbſt uͤberhaupt ihr unruhiger Geiſt leichter als in der 
Nachbarfchaft könnte bezaͤhm werden. 


Vom J. 1683. bis 1687. wurden in Zarich fuͤr die 
fluͤchtigen Religionsgenoſſen aus Frankreich und Piemont 
fuͤnf Steuren aufgehoben. Es ſiel in der Stadt: 

Den 2. December 1683 — — 3067 fl. 37 ſ. 3 bit. 
Den 8. November 1685. — 13880 fl. 24 ſ. 10 bie. 
Den 25. April 1686. — 10632 fl. 14 f sı hie, 
Den 19. Decemb. 1686. — 118228 . — — — 
Den 30, October 1687. — 11418 fe 24 fe s bie. 


, 47327 fl. 21 ſ. 6 hir, 


An. obrigkeitlichen Geldern wurde bisher an dieſe Une 
glücklichen verwendet 19638 fl, 
An Korn 6688 Muͤtte. 

An Wein 6638 Eimer. 

Die Suma 100031 fl. nämlich au 
Jahrgeld 36000 fl... 

Tifchgeld 32000 fl... 

Lehrlohn 6000 . 


Im Febr. 1688. ſind von den franzöftfehen guchtin 
gen in Zürich durchgereißt 269. Perſonen. Im März 230. 
Im April 232, Im May 570. Im Junius 445, u. f w. 
Im April hielten ſich zu Stadt und Land in unſerm 
Canton noch 1200 Hugenoten auf), ee“ bie Viemonte⸗ 
ſer, deren nach 450_waren. 


Joh. Zeinrid zeidegger. 57 


So uͤbertrieben anfangs die Freygebigkeit gegen dieſe 
ungluͤcklichen Leute geweſen, ſo uͤbertrieben ward nun 
unvermerkt der Aberwillen gegen dieſelben, den fie ſich 
freylich groſſentheils durch Unbeſcheidenheit ſelber zuge⸗ 
zogen. Zum Beweis hievon folgendes Schreiben der 
xul. Cantons an die II. Buͤndte: 


.» Unſer freundlich, willige Dienſt und Gruß ſamt ꝛc. 


„Nicht allein das juͤngſt unterfangene und bereits ale 
u fee Orten weltmaͤrige, unbefinnte und gefaͤhrliche 
u, Tentatum der vertriebenen Waldenfer bey Urſelen im 
» U. ©. 2. A. Eidgenoffen Lobl. Orts Uri Gebiet, ſon⸗ 
/„ der auch der gewaltthätige, mit bervafneter Sand befches 
„» bene Einfall in dad Herzogthum Savoyen, hat und 
» billichen Anlaß gegeben » die Sache reißich zu eriwes 
„» den, mas für Ungelegenheit diefe und deren fernere 
„ Continiation nach fich zeuͤhen nnd fo wol in eines 
; Lob. Eidgenoßſchaſt als in unfern refp. Verbündeten 

„gebaͤren möchte ; weilen diefe Begegnuß famt dem ges 
„ fährlichen Erfolg, fo daraus entfiehen möchte, uns 
„» bey fürmährender, gegenwärtiger Tagleiftung beweg⸗ 
„lich und nachdrücdlich von denen franzöftfchen und 
» ſavoyiſchen Herren Miniftris refpective vorgeſtellt und 

„ remonftrire worden. , Desivegen und damit Der gemei⸗ 
„ne Ruheſtand in Lobl. Eidgenoffchaft ferner unbe⸗ 
» teübt erhalten werde, haben wir auf dergleichen gen 
„faͤhrliche Leute in unfree Eidgenoffchaft eine folche 
» Aufficht zu Halten, dag fie nicht mehr hineinkommen 
„und dergleichen Unruhen anftellen koͤnnen, entfchloffen. 
» Wenn wir aber die fichte Nachricht erhalten, daß an⸗ 
» noch eine groffe Anzal dieſer Waldenfer und Franzo⸗ 
» fen in euer U. ©. L. 9. B. Gebiet fih aufhalten; 





sw Joh. Heinrich Heidegger. 

„ wollen wir Euch: hiemit freundlich und bundgendffith 
„ erfüchen ; gedachte Leute an ſolche Dete zu verweifen 
„ dag von ihnen eines gemeinen — kein 
„weiter Ungemacht zuſtehen möge ıc. 


Albgeſandte der XIII. und zugewandten Orte der 
Eidgenoßſchaft; ſiegelt Melchior im Feld von Uns 
„ terwalden, Landvogt zu Baden; datirt den 15. Se 
» tembr. 1689. 


=. eydgendſſiſche Mandat, welches Tags Hierauf hi 
Der Kanzley Baden ausgefertiget —— lautet folgen⸗ 
der Maaſſen: 


„Wir die Abgeſandten gemeiner teutſche Voagteien 
9 veginender Orte der Zeit mit vollem Gewalt und Be 
» fehl auf dem Tag in. Baden verfambt, tun kund 
„ männiglichen biemit , Demnach ıc. sc. ıc. und damit 
» der eydgenöffifche Ruheſtand ferner unbetrübt erhal 
„ ten werde, follen die gefüchteten Franzoſen und Wal 
3, denfer , ald dem Eidgenöffifchen Ruheweſen gefaͤhr⸗ 
35 liche und fehädliche Leute, nicht mehr in die Eidges 
„noßſchaft hineingelaſſen, fondern aus den gemeinen 
» Wogtenen wieder Aber Rhein binaudgefchict, und wo 
3, deren mit Wehren und Waffen fich wieder hineindrin⸗ 
+» gen wollten, ſollen folche arreftirt, entiwafnet, und 
„ gehörige Orte in Eil berichtet, und fernerer Yefehl, 
5 was mit ihnen zu thun fey, erwartet werden: wenn 
5 aber einer oder der ander mit authentifchem Paſſe von 
„ einem oder andern lobl. Orte, woher er fomme, 100 
» bin oder was er wolle, verfehen, folle daffelbige in 
» obacht gezogen und gebührende Statt beſchehn; zu 
v | Ende ein jeder Landvogt in feiner, Amisver⸗ 


Job: Seintih Setdegger. 5 


„ waltung folche Anltalt machen und die Paͤſſe fo wol 
; an Waffern ald auf Dem Land mit Wachten alfo ver, 
„ wahren laſſen folle, dag diefeem - unferm Befehl ein 
„ fattfames Genuͤgen befchehe; welchen .allem unfere 
„ Landpögte gemeiner Vogteien bey unfrer Strafe und 
Ungnade feiffig und gehorſam nachzukommen wiſſen 
„werden. Actum den 16. Sept. 1689.“ 


Freylich begreift man, daß die Strenge dieſer Ver⸗ 
ordnung weit mehr von den catholiſchen als von den 
evangeliſchen Cantons hergeruͤhrt habe; indeſſen finden 
wir in einer Beylage, daß dieſe letztern ſelber in einem 
Schreiben an den franzoͤſ. Bottſchafter Die armen Fluͤcht⸗ 
linge als gefährliche Leute erklären. Bon Zeit zu Zeit 
lachte denfelben auch feither ein günftigered Schickſal. 


Indeſſen ift ed Zeit, daß wir auf unſern Heidegger 
zuruͤckkehren. Gleich anfangs. trug er zur Unterflügung 
ber reformirten Glüchtlinge nicht wenig bey und gros⸗ 
mätig beherbergte er einige derjelben, unter anderm Jo⸗ 
han Dallaͤus, den jungen. Ä 


um bey durchgängiger Verfolgung der Reformirten 
Das Anſehn der Reformation zu erhalten, arbeitete er 
nunmehr eifriger als jemals an dem Unionswerk. Um 
ſo viel wichtiger waren diefe Bemühungen, feitdem in 
dem Schooß der Eydgenoßſchaft die Evangelifchen von 
den Catholiſchen wielmal, gekraͤnkt wurden. Ye länger 
je mehr drangen diefe Iettern darauf, daß in den ge 
meinen Herefchaften in Abficht auf Kirchenfachen Die 
Majora Vota möchten eingeführt .merden ; Die Refor⸗ 
mirten bingegen waren bemüht, gleiche Anzal der Schieds 
zichter beyzubehalten. Unter andern Lrfachen , welcht 


/ 
j J 


6 Ion. Seinrich Heidegger. 


die Katholiſchen beherzt machten, waren auch ( aufferden 
Berfolgungen in Frankreich und Piemont, ) einerfeits 
das Verfahren der Franzoſen in dem Laͤndchen Ger ges 
gen die evangelifchen Kirchen; anderfeitd aber die Hofe 
nung , daß fich unter dem englifchen König Jacob IL, 
die päpflliche Kirche von neuem ausbreiten werde. Hiezu 
kam noch die Unterdrüdung der Reformirten in Ungarn, 
wie auch die Auslöfchung der evangelifchen Linie in dew 
Churpfalz. Im J. 1685. hatte der Bifchof zu Brun⸗ 
teut die Einraumung der Dohmkirche und der Kirchen⸗ 
gitter in der Stadt Bafel begehrt. Von Zürich aus 
ward auf abfchlägige Antwort gedrungen. Immer wur⸗ 
den öfentliche und Privatzweytracht genaͤhrt. Wenn auf 
Ratheder und Kanzel der Geiflliche mit Declamation 
focht , fo focht am Geftade, aufın Markt, inder Schenle 
ber Poͤbel mit Fauͤſten. nd was durfte man andere 
erwarten, da felbft Öfentliche Mandate den Geift ber Pos 
lemick athmeten? Man erflaunt über denmächtigen Ein⸗ 
ug, welchen Damals theologifche Lehrmeinungen auf den 
Senat, auf Staatsverfammlungen , auf” ee und 
in das Gabinet der Fürften gehabt: haben. 


Die Anleitung zur Vereinigung der Broteftanten, wei 
che Heidegger ſchon im J. 1686. gefchrieben , ward anf 
Veranſtalten des boländifchen Gefandten su Regenfpurg, 

Valkenier, zu Amſterdam gebrudt. Mit diefem 

Heidegger auf Antreib fo wol der zürcherfchen Res 
- gieung als der Generalflasten wegen Kirchenangelegen⸗ 
beiten. in ununterbrochenem Briefwechſel. Ungeachtet 
des Beyfalls, welchen Heideggers Unionsͤſchrift beſonders 
auch bey dem Churfuͤrſten von Brandenburg und bey 
dem Herzog von Wirtemberg erhielt, ſo buchen nichts 


a 


Job. beintih Heidegger u 


deſto weniger fd wol die Formula Confenfus ald die Ges 
nons der Dordrechter » Sionode noch immer für Die Lu 
theraner ein Stein bed Anſtoſſes, der ihrer nähern Ver⸗ 
bindung mit den Keformirten im Weg fland. Ye weni⸗ 
ger Daher der zürfcheriche Gottesgelehrte durch Friedend 
worfchläge das Anfehn der proteftantiichen Kirche gu vers 
ſtaͤrken im and war, defto eifriger war er bemüßt, we⸗ 
nigſtens dad Vapſtum durch polemiſche Kunftgrieffe zu 
ſchwaͤchen. In dieſer Abfichf fehrieb er fein MyRerium 
Babylonis und daffelbe erhielt groffen Beyfali bey dem 
Churfuͤrſten von "Brandenburg, Friedrich Wilhelm. u 


Als im %. 1698. der Prinz von Dranien den engli. 
ſchen Thron. beftieg , gieng für die veformirten Kirchen . 
eine günftige Morgenröte auf. . Dieſer neue König ſchickte 
im J. 1690. D. Thomas Coxe -ald aufferordentlichen 
Abgefandten nach Zürich und derfelbe unterhielt ſich mit 
Heideggern. fehr vertraulich über die Angelegenheiten ber 
Kirche; eben: fo fein Herzenspertrauter, Fo. Ludwig 
Fabritzius, welchen Die Generalftaaten wegen Kirchen 
angelegenheiten nach der Schweiz ſchickten; mit dieſem 
letztern beſuchte er die Gelehiten in Bern, Laufanne 
und Genf. In ders Umgang diefer Männer. ward: er 
dur Verfertigung eines ausführlichen Lehrgebauͤdes der 
Theologie ermuntert, welches er im J. 1696: gi ſtaud 

te. (*) Aus dem Corpus zog er. auch ben: Kern, 
Inhalt zum Gebrauch der Zuhörer. Aus diefen Schrife 
tem ift wol Heideggers Geift als der Geiſt feines Zeital⸗ 
ters befaunt genug. So viel jener zu Stimmung dieſes 











(*) Ueber den‘ Werth Def Lehrbegriefs verweiſen wir auf 
Ye Gemleriſche Pr ufuns 


a oh Heinrid Heidegger 


kehtern beytrug, fo vieles ſcheint auch Dies zu Stim 
nung des erften beugetragen zu haben. Vielleicht dag 
im ein anders Zeitalter verfekt, Heideggers Geiſt weit 
glängendere Blüten und kraftvollere Fruͤchte würde her⸗ 
vorgebracht haben. 


Der Geiſt der wolemick, der den Ader der girche mi 
Dornen und Unkraut bedeckte, wurde von zween Dis 
mons begleitet, welche von gleichem Water erzeuget / 
nichts deſto weniger einer den andern wie Miltons Tod 
und Sünde verſchlangen; auf der einen Seite ward « 
duͤrre Scholafid, auf der andern Seite ſchwaͤrmeriſcher 
Vietiſmus; jene erſtickte unter grillenhaften Unterſchei⸗ 
dumngen und Ausmarchungen jedes freye Gefühl, jede 
Empfindung des Herzens; hieruͤber empoͤrt, erweiterte 
den Kraͤis, den Kraͤis der Imagination und der Gefuͤhle 
fo ſehr, daß der Fanaticiſmus mit der trockenen, chi⸗ 
märifchen Sschulmeisheit zugleich allen gefunden Die 
ſchenverſtand und wahre Philoſophie weggubannen be⸗ 
muͤht war. 


Denn wir das PR der Philoſophie von der Re⸗ 
formation bis auf unfere Tage betrachten , fo finden wir, 
. dab; fein, Zürich buchftäblich ‚immer oder doch meiſtens 
nur ald Magd dev Theologie erfchienen war, daß wir 
zwar groſſe Theologen gehabt haben, welche ganzen Schw 
len Den. Rammen gegeben , Zwinglianer , Heideggeria⸗ 
ner u. a. Unſere Philoſophen hingegen. waren zu allen 
Zeiten ſo wenig Tongeber oder Erſinder, daß ſie mei⸗ 
ſtens nur unter fremder Fahne, bald als Ariftotelicer ı 
bald als Ramiften , bald als —— ml w. zu Felde 
zogen. 


| — ———— 2 — N — 


Gob. ſeinrich Beidbegsgen 6 
Man verfiche mich nicht unrecht; weit entfernt, dem 


Ruhm philoſophiſchen Geiſtes einem Zwingli, Bullinger, 


Conr. Geßner, Antiſtes Breitinger u. a. zu rauben, 
waren fie ed, welche von dee Philoſophie den beſten Ge⸗ 
Brauch machten, indem ſie das Licht derſelben über alle 
andern. Willenfchaften , über Critick, Religion und His 


ſtorie, indem ſie's über die Eefchäfte. des Lebend..ner« 
breiteten. Vielleicht eben deswegen verdienen ſie den Nam⸗ 


men der Philoſophen am meiſten, weil ſie die Philoſo- 
phie nicht abgetrennt, nicht al Geripp, fondern als allen, 
thalberr aufflävende DBegleiterin Tiebten. 5: Barum ' 
fagt bey Gelegenheit.der Scholaftid Condillac, ©) wa⸗ 
rum ſind unſere meiſten Lehrbuͤcher der Sprachkunſt, 
der Rhetorick, der Vernunſtlehre u. fÜ w. entweder 
» ganz fihlecht, oder Doch ſehr amvollſtaͤndig? ? Ohne 
Zweifel weil man eigenſinnig genug iſt, Dinge zu 
„ſoͤndern, die ihrer Ratur' nach ſich gegenfeitig aufzu⸗ 
„ klaͤren beſtimmt ſind, und wofern ſolche Dinge nicht 
„bis anf einen gewiſſen Punct vermiſcht werden, wird 
„ man Ju feiner zufamenhängenden. Erkenntniß gelan⸗ 
2». gen. * Indeß iſt es nım einmal dem Sprachgebraus 
che for wol ald der Lehrmethode angemeſſen, daß die Phi⸗ 
Iofophie, Logick und Metaphyſick abfünderlich als Gt. 
ruft oder Werkzeng angefehn werden, und in wie’ fern 
wir felbige in dieſem Geſichtspunct anfehn , ſcheints Bid, 
ber bey und an einem Philoſophen zu fehlen, der Epos 
che könnte gemacht haben. Eben die groffen Verdienſte, 
die Zürich, um Die ———— des Glaubens hat, hin⸗ 





S. Condillaes — erde, T. xu. 2. vm. € yıl | 
a au XV, © B. XIX, c. XIV. 


\ 


4 Joh Seinrich Heideggek 
derten an Erwerbung groffen philofopbifchen Werdienfieh, 
Die Keformatoren naͤmmlich verachteten mit. Recht die 
einzige Philoſophie, die Rein ihrem Zeitalter vorfan 
den, die alte Scholaſtick. Gegen: bie paͤpſtllche Hierar 
chie bot ihnen die h. Schrift: weit ſiegreichere Waffen 
als Die Schulweisheit. Daher Spracdrer Eritit, Ab 
tertuͤmmer, Gefchichte das umentbehrlichſte, — 
beſte Studium. Nachherige ; ununterbrochene Religions 
zwiſte hinderten ebenfalls den Fortgang der Philoſophe 
vder gaben ihr einen aunt se Academiſchen 
Zuſchnidt. 


Modeton war m damai Dicke, ſo wie es ſeither 
Modeton geworden, Freygeiſt zu werden. (). Einer det 
vornemmſten Tongeber. unter den Heiligen war ein ge⸗ 
wiſſer junger Geiſtlicher, Nammens Hang, Georg Zieg⸗ 
ler; dieſer predigte in Arndts und Hoburgs Manier; 
zu Stadelhofen bielt ex. Zufamenfünfte j ‚Die Diacond 
der Stadt erhielten Befehl, hierauf aufinerkfame Augen 
gu richten und hernach Bericht abzuflatten.., Die Ge 
foräche, -die Heidegger mit dieſem Schwärmer ‚geführt 
bat, find im Drucke ‚erfchienen. Den 10. Hornung 
1692. ward Ziegler wegen feiner Irrlehren nom geiſtli⸗ 
chen Stande entſetzt; andre feiner Anhänger wurden 
verbannet. Heinrich von Schoͤnau, ein Haupt dieſes 
pietiſtiſchen Haufens/ u zu Weiungen.. ais er aus 

Nieder⸗ 


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“0. 






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—— — — Rn a 


Moden werden erneuert oder ſie kommen aus gräf: 

fi rhbten in Ungebgust Provinzen 5. noch beut zu TA) 

gan einigen Drten,. wie z. B. in Graubuͤndten ſchoͤner 
Weltton, Zinzendorfianer zu heiſſen. 


Tod: ſeinrich Heidegger. 6 


Niederlanden, wo er die en beſucht hatte, heimrei⸗ | 
fen wollte. 


Mittlerweile hatte fich Ziegler nach Bern begeben und 
daſelbſt unter anderm drey Dienfimägde verführt. Dies 
felben begaben fih den 10. Junius 1693. zu einem Pre⸗ 
ditanten auf der Landfchaft und ermahnten ihn, er follte - 
feinee Gemeinde nicht mehr predigen,, fondern fie nur er⸗ 
inneren, daß der jüngfte Tag vor der Thuͤre fey. Siege 
flanden, daß fie ihre Offenbarungen von einem gewiſſen 
Lüneburger , Walther , und von Ziegler aus Zürich ges 
borgt haben. 


- Ugberal die felaamfte Mifchung von Aberglauben und 
Ynglauben, von Heiligkeit und von beillofem Wefen, von 
Quakerey und von Socinianifmus fand man bey Diefen 
Fanatickern. Ye mehr fie Vernunft und Auslegungs⸗ 
Zunft, je mehr fie überhaupt alles academifche Studiren 
geringfchätten , deſto auäfchweifender ihre Imagination 
und defo leichter konnten fie die ———— Lehr⸗ 
meinungen verdauen. 


Ends Junius 1698. kam eine Schrift von der Si, 
lichkeit dee Seele und von dem Ende der — 
nach Zuͤrich — 


| Obrigkeitswegen ward be allen Vuchtindern nachge. 
forſcht, fuͤr wen ſie ſolche Buͤchelgen gebunden haben? 
Den 10. Julius wurden die Angezeigten, beſonders auch 
Heinrich Locher und ein gewiſſer Geiſtlicher, Nammens 
Laubi, von zween weltlichen und zween geiſtlichen Kits 
chenraͤthen unterſucht. Aus den Briefen des letztern ſah 
man , daß er mit den Dietiften in sau dem Diacon 
1 Theil E 


v⸗ 


ss Ich Zeinrih Ztidegger. 
Guldi, dem Schreiber Kuspf, dem Pfarrer Lucius zu 
Stetten in Briefwechſel geweſen; auch wird in dieſen 
Briefen gedacht eines Heinrich Groben von Zürich, Wils 
helm in Thurm zu Schafhaufen, Magifter Franten zu 
Halle, N. Wolters, des Lüneburgerd, Elsbeth Tannee 
xin von Bern , welche. lettre mit, Gefichtern und Offen» 
barungen pralte. Laubi befennte, daß ihm Lucius Fran 
Langin empfohlen habe. Diefelbe kam aus dem. Bran⸗ 
denbnrgifchen, wo fie. zu Berlin den Mann muthwillig 
verlaffen hatte, nach Schafhaufen , von Schafhaufengen 
Bern; nachdem fie dafelbft verwiefen worden, kam fie 
‚gen Zürich und ward im Gafthof zum Schwerdt von 
Laubi und vom Buchhändler Bodmer beſucht; Letztrer 
nahm ſie in fein Haus auf; von Zuͤrich begab fie ich 
nah Meyenfeld und Pfaͤfers; zu Vaduz gieng fie mit 
den Catholicken zur Kirche, eben fo in Eleven, und zwar 
unter folchem Anſchein von Andacht, daß ein Capuziner 
fe öfentlich von der Kanzel zur Nachfolge vorſtellte; feits 
Her erfuhr man nicht, wo fie bingelommen war, ob fie 
nach Yerufalem gegangen ſey, wie ſie vorgab, dag fie in 
einem Geſicht zu ſolcher Reife aufgefobert worden. 


.So ſtreng die Inquiſition ſolcher Leute war , fo fürs 
derbar war die Beftrafung derſelben. Den z5. No. 
1698. mard hierüber vor dem täglichen Rathe erkennt , 
‚Heinrich Laube möge zwar in feiner Filialkirche zu 
Schwammendingen wider predigen , jedoch. folle er des 
Predigens beym groffen Münfter an den Donnflagen um 
.9 Uhr fich. enthalten; Bodmer ward um s. Mark Si 

ber, Heinrich Locher um 25. Mark gebuͤßt. Zuglei 

gollen fie ſaͤmmtlich nebſt dem Caͤmmerer Harbmeyer zu 
Bonſtetten dor dem Kirchenrath eine ernſtliche Correction 





Joh. Seinrich Heidegaen c67 


anhoͤren. Mehrere, Meinfügige Anecdoten von, dieſen 
Vietiſten uͤbergehn wir. 


Wie ſtreng das geiſtliche Inquiſitionsgericht in Zuͤrich 
gu Heideggers Zeiten geweſen, dieſes beweiſen die Schick⸗ 
ſale mancher wuͤrdiger Lehrer, welche wegen geringen 
Abweichungen von. dem herrſchenden Lehrbegriff bald 
der Aemter entſetzt, bald des Buͤrgerrechtes verluſtig er⸗ 
klaͤrt wurden. Die Gewiſſensfreyheit, deren wir heut 
zu Tage genieſſen, wird und in Vergleichung mit dem 
vormaligen Gewiſſenszwang doppelt theuer erfcheinen. 
Auch verdienen jene Märtyrer , wenn auch nicht einmal 
der Warheit, doch immer der Freyheit, daß wir ihre 
Nammen ausm Staube erwelfen. - Sie finde, durch 
deren Seldftaufopferung unvermerft die geiftliche Tiran⸗ 
ney befiegt wurde. Unter mehreren andern dinfen wie 
nur eined Johann Kellerd, Michael Zinggen, Joh. Hochs 
holzers, Heinrich Büfod erwähnen. Joh. Keller fah ſich 
im %. 1659. blos darum verkäzert, weil er die Schrift⸗ 
ſtelle Joh. II. 16 ꝛc. auf das ganze menfchliche Gefchlecht 
anwendete. Bon ungefähr hörte er beym Buchladen 
einen Kandidaten fagen: Doctor Heidegger fchreibe Ete 
was gegen die Lutheraner, und Keller erwiederte: Was 
darfs des Dings? die Voraͤltern haben ſich gruͤndlich 
erklaͤret; hiebey ſollte man bleiben, alsdenn haͤtte man 
keinen fo unverſoͤhnlichen Streit mit den Lutheranern. — 
Hierauf ward Keller beym Kirchenzate verklagt und in 
Verhaft aufs Rathhaus gebracht; oberfeitlich wurden 
feine Schriften unterfucht und aus denfelbe einige, vers 
meintliche arminianifche Lehrfäge gezogen. Diefe Lehr» 
ſaͤtze wiederrufte er ſchriftlich; alsdenn ward er des 
Verhaftes entlaſſen, jedoch blieb er in ſein eigen Haus 


8 Foh. Zeinrih Zeidegger. 

arreſtirt. Wir finden, dag diefee Johann Keller feits 
ber, nach Aufopferung des Baterlandes und des Predigt⸗ 
amtes, als Arzt in der Pfalz zu Algen gelebt bat. — Um 
gleicher Urfachen willen ward auch Michael. Zingg, uns 
ferd Heideggerd chmaliger Lehrer, ald Lniverfalil ins 
Gefängniß geworfen. Oberkeitlich wurden feine Schtifs 
ten unterfucht und mehr ald 300 teutfche. und. 600 la⸗ 
teinifche Predigten bey feite gelegt,. ferner ein. Auszug 
aus David Georg, die Werke Jacob Boͤhms, viele klei⸗ 
ne Aufläge der Roſenkreuzer, die Trias myflica , das 
‚Myfterium natur, da8 thefaurioluni Secretorum natura- 
lium chymicorum,. de occulta magico- ‚magnetica morbo- 
sum quorumdam curatione naturali, Galilei a Galilzis 
Syftema mundanum u. a. Seit langem ber waren die 
Geiftlichen auf Zinggen wegen feines Credits fo wol beym 
Volt als bey den Raͤthen eiferfüchtig gewefen ; die 
Befchuldigungen, die fie gegen ihn vorbrachten, waren 


von folcher Beſchaffenheit, daß weder das Volk noch 


die Raͤthe daraus Elug werden konnten; fie fagten, er 
wolle dad Wort Perfon von der Dreyeinigkeit nicht. gels 
ten laffen :.. Adams Fall liege. ihm nicht recht ; er 
laugne die Menfchwerdung Chriſti; er nenne den b. 
Geiſt Mercurius und fchreibe ihm einen Leib zu; er 
fage, Spitzkoͤpfe wollen in matricem fihauen; er. laügs 
ne die Auferſtehung des Fleiſches; er behaupte ,_ die 
Widergeburt‘ gefchehe im Körper; das Zeichen A bes 
deute Feuer und Waller, es fen aber ein paragelfi icher 
Zauberchavaster, dem er groſſe Kraft zueigne; er fage, 
er habe den Tod ſchon überwunden. ; ‚ auch babe ex 
mit ander sufammengefchworen, Cerinth, David Georg 
und Socin fen nicht fo arge Käter gewefen. — — Im 
Gefängniß erhielt er durch eine ——— Perſon den 


4 


\ 














- — — — — 


304 Heinrih Seidegger: 6 


Bericht, daß fchon vorgeurteilt worden, man werde ihm 
von dem Pfarr = imd vom Predigtamte verftoffen und 
zugleich aus dem Kanton verbannen; eine andre Mei⸗ 
nung gehe dahin, daß er entweder foll eingemauert, 
oder Durch Feuer und Schwerdt abgethan werden. Schon 
lang war ihm fein Weib angelegen , daß er fich retter 

folite. Diefe Warnung vermocht ihn, ihr zu folgen .* 
und noch mehr vermocht’ ihm hiezu der fonderbare Ge 

danke, daß er fchuldig ſey, die Obrigkeit an Vergieffun, 

unfchuldigen Blutes zu hindern. In größtem Elend un], 

mit krankem Körper. Rüchtete er fich im Geheim mit fei. 
nem Weib fort; feine vier Kinder ließ er zurück. De; 

Weg hatte er nach Röteln genommen; der Marggra 
-vergönnte ihm in Weilen, einem lecken diefer Herr 

fchaft, fich niederzulaffen. Im eilften Jahr feiner Ent 
weichung im %. 1672. nahm: der Bürgermeiftee Hirzel 


eine Bittfchrift von ihm ans; in derfelben flebte er um - 


Gnade, feine wenigen übrigen Tage in dem Vaterlande 
befchlieffen zu duͤrfen. Er Hatte jzt 71 Fahre und dar 
Haß feiner Feinde Hatte fich noch nicht gelegt. In dem 
hohen Alter war e8 ihm faft unerträglich, in der Un: 
gnade feiner Dberkeit zu leben und zu flerben. Im Jr. 
1673. wollte der Rath von Brugg ihm Aufenthalt ir 
diefer Stadt bewilligen , wofern die Obrigkeit in Zurich 
nichts einwenden würde. Diefe beantwortete Zingge 

demüthiged Anfuchen mit Stillſchweigen; bierauf er 
hielt er von der vermwittweten Frau von Wilde die Er 
laubnis in ihrem Haufe zu Möriclen zu wohnen; de 
ſelbſt unterwieß er die Söhne diefer Dame, und fia 

im Julius 1676. unbegnadigt, im ſiebzehnten Fahr far 


ner Verbannung. 





0 Ioh Zeinrich Heidegger. 
Nicht weniger traurig war das Schickſaal Joh. Hochs 
holzers, des Pfarrers zu Rickendach. Wegen einer Pre⸗ 
digt uber Joh. V. 19, 20. ward er arianiſcher Jerleh⸗ 
ren beſchuldigt. Den 23. Maͤrz 1690. ward er vor den 
Kirchenrath zur Verantwortung gezogen, und hierauf 
wurden ſogleich alle feine Schriften zur Unterſuchung 
nach Zürich geliefert. Am den Geift beyzulegen, übers - 
gab ihm der Kirchenrath ein orthodored Glaubenibes 
kaͤnntniß, und daffelbe unterfchrieb er den 27. April 1690. 
Mit der Unterwerfung hatte er wenig gewonnen; auf 
Prof. Schweizerd und Doctor Heideggerd Bericht am 
die hohe Regirung, ward er den 31. März 1691. ohn 
alles Beding des. Pfarrdienfis verlurſtig erklärt. In 
der nächfien allgemeinen Synode ſagte der Antifted oͤf⸗ 
fentlich : Einzig wegen hohen Alters und kraͤnklicher 
gerbesumftände ſey der entſetzte Pfarrer Hochholzer mit 
ſchwererer Ahntung verſchonet geblieben. 


Wenn in den damaligen Zeiten die Metaphyſic der 
Religion mit Gefahr begleitet geweſen, fo war das freye⸗ 
re Studium der h. Kritik für ihre Liebhaber nicht we⸗ 
tiger gefährlich. Den zo. Winterm. 1692. ward zu 
einem Profeffor der ebräifchen Sprache erwält Heinrich 
Bülod, ein Sohn des verflorbnen Archidiacon Bülod. 
In feiner Antrittsrede zog er Die LXX Dollmetſcher 
dem ebräifchen Grundterte vor , oder fügte vielmehr, 
daß diefer aus jener Ueberſetzung koͤnne beleuchtet und 
berichtigt werden; ferner, daß der heutige ebraͤiſche 
Text juͤnger ſey als die griechiſche Dollmetſchung; Die 
Punkten ſeyen eine neuere Erfindung der Maforethen 
u. ſ. w. — Hieruͤber ward er von dem Kirchenrath zur 
Veraniwortuns gezogen und bevor er ie obige 











Job. Zeinrich Heidegger 9 


Saͤtze wiederrufen Hatte, durfte er Keine Vorleſung hal⸗ 
ten. „ Die Sadıe Cheißts in der Frieſiſchen Handſchrift) 
„griff ihm fo tief zum Herzen, daß er bald hernach 
„ über ſtarkem Nachfiinen in Verruͤckung gerieth. “ 


Ohne Zweifel dag die Strenge, womit man bie Hel 
deggerſche Glaubensformel gegen jede Neuerung zu ver⸗ 
thäidigen gemohnt war, hie und da manches auffeimens 
de Genie muthlos gemacht und in der Geburt erflickt 
Bat. Auch über gleichguͤltiger Gegenſtaͤnde durfte man 
nicht ſchreiben, ohne daß man Gefahr lief fuͤr profan 
erklaͤret zu werden. So z. B. ward Gotthard Heideg⸗ 
gern, einem nahen Verwandten unſers Heideggers, ſeine 
Schrif® über die Romanen zum Verbrechen gemacht. 
Unterm no. Febr. 1697. fehreibt dee Verfaſſer der My- 
thofcopia romantica an feinen Bruder : Tandem jam 
eo deventum et, ut nemo non meam mecum infeli- 
citatem manibus, quod aiunt, palpare queat. Virgide- | 
mia Atridas dedit infenfos, Antiromamsica propriam 
carnem inimicam. 


Sp unruhig wegen unaufpörlicher Kirchenzwiſte uns 
ſers Heideggers öffentliches Dafeyn biß and Ende ge- 
weſen, eben fo unruhig war fein Privatleben wegen der 
vielen Sorgen, die ihm feine eigne Familie verurfacht 
hatte. Der bekannte John Heidegger, der ald Magi- 
fter elegantiarum an dem englifchen Hof gelebt hat, 
und deffen Young in feinen Satyren erwähnt, war der 
Sohn unferd Gottedgelerten. Diefer Leistre endigte fein 
Leben im J. 1698. und hatte Joh. Jacob Hottinger 
"zum Nachfolger auf dem theologifchen Lehrſtul. 


J 
€ X — 
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V. 
Johann Jacob Scheuchzer. 





We fremd und unerfahren man bis auf die Ankunft 
Scheuchzers in dem Studium der Natur war , 
koͤnnen unter andern die noch bafkfigen Geſpenſter und 
OHexengeſchichten beweifen, welche Die belvetifchen Jahr⸗ 
bücher dieſes Zeitalterd entweyhen. Noch ten 9. Way 
1705. Elagte felbft der zürcherifche Kirchenvorſtebgr Kling⸗ 
lee über einen folchen Dämon, der freylich hernach in 
Verdhaſt gefegt und mit dem Schwerd hingerichtet wor⸗ 
den. Ein folcher Boltergeift war ed, der im J. 1900. 
gu Luzern zwo zürcherifche Weibsperſonen zu beichren 
bemubt war. Im J. 1901. wurden acht -Perfonen von 
Waflerchingen der Hexerey beſchuldigt und in Zürich zum 
Tode verurtheilt. — Ohne Zweifel, daß nachherige, ges 
nauere Naturforfchung Das Meifte zur Vertreibung der 
Sinfterniffe des Aberglaubens beytrug; und um dieſes 
Studium hatten Die beyden Brüder, Johann Scheuch⸗ 
zer und Jacob Scheuchzer für ihr Zeitalter ungemeine 
Verdienſte. | | 


Jacob Scheuchzer erblickte das Licht der Welt im J. 1672. 
Im J. 1692. zog er auf die Academie nach Altorf , hernach 
meiter nach Utrecht. Im J. 1695. machte er feine erfie 
Alpenreife. Dann gieng er wieder nach Altorf und 
Nürnberg. Daſelbſt genoß ee Sturmend und Eimars 
tens Unterricht und Umgang. Bey feiner Zurückunft 





Joh. Jacob Scheuchzer. 9 
nach Zürich im J. 1710. ward er Stadtphyficus und 


ELehrer der Meßkunſt. Im J. 1714. bekam er einen Be⸗ 


ruf nach Petersburg. Die Sache kam vor Rath und 


wurde mit zwanzig Stimmen entſchieden, wofern er den 


Beruf ausſchlage und in Zuͤrich bleibe, ſo ſollten ihm 


ſeine Einkuͤnfte verbeſſert werden; einige Zeit hernach 


erhielt er wirklich ein Canonicat bey dem caroliniſchen 
Stiſte. Daß er uͤbrigens unter ſeinen Collegen wenige 
Freunde gehabt habe, betrift folgende Anecdote aus einem 
handſchriftlichen Brief unterm 6. Jul. 1714. „Hr. 
„Doctor Scheuchzer — ſo ſchreibt Landſchreiber Gwerb 


an Landvogt Fuͤßli, — » hatte eine weiſſe Kraͤhe, die 


„ flog ihm aus. Der Doctor flieg ohne Schuhe auf 
„das benachbarte Dach und Holte fie ein, jedoch nicht 
„ ohne Gefahr des Lebens. Man fagt, :senn er todt 
„ gefallen wäre, fo hätten die Chorherren der Kräbe 
„ ein Leibding geordnet. * In einem andern Echreis 
ben deffelben Verfafferd unterm 9. Sept. 1712. heißt es. 
» Vorgefteen kam Herr Doctor Scheuchzer mit dem 
»,- glatten Kragen und dem Degen in ein Eonvent. Dies 
„ fen Aufzug wollten die Chorberren nicht leiden, ſon⸗ 
„ dern ihn ausftellen; er aber blieb; fie zankten fich 
» lange; endlich ward dag Eonvent aus einander F | 
» lafien, ohne geringfie Beruͤhrung der Gefchäfte. « 

So Lleinfügig und zugleich feindfelig war die Denkart 
feiner Eollegen , daß fie es wagten, "Scheuchzerd neue 
Lehren für profan, 4 B. das copernicanifche Syſtem 
für atheiftifch und die fchwammerdamifchen Hypotheſen 


fuͤr fchlüpferig und libertinifch zu erklären. Um jich ale 


nach dem Geift des Zeitalterd und nach dem Geſchmack 
theologifcher Leſer und Zuhörer zu bequemen, gab Scheuch« 


ger feinen phyſiſchen und mathematifchen Unterfuchungen 


7. Joh. Jacob Scheuchzer. 
mehrentheils einen bibliſchen Zuſchnitt; ſchrieb er z. 8. 
Hiobs heilige Naturlehre, antediluvianiſches Herbarium 
und Phyſioa ſacra. Einzelne Schriften von ihm findt 
man in den Leipziger » Miftellanien, in den Ephemeri- 
den der Natur Curioforum und in den Londner Philo- ' 
‘_Sophical - Tranfadtions. Sein brauchbarftes Wert find 
die helvetiſchen Alpenreifen, welche Sulzer von neuem 
herausgab. In dem Entwurf des gelehrten Schweizer; 
Iandes erwähnt Balthafar: Jacob Scheuchzer ſey Wils 
lens geweſen, eine Bibliotheck der fchweizerifchen Schrift: 
fietler zu liefern ; Durch feinen Tod aber fen die Arbeit 
in Stecfen geratben. Don ihm hat man auch die groife 
ſchweizeriſche Charte; jedem der zweyhundert Raths⸗ 
glieder ließ er ein Eremplar überreichen; Dafür erhielt 
er von der "Regierung ein Geſchenk von soo. Gulden, 
alſo gerade fo viel ald fie an Werth waren. 


Bon beeden — hat man noch ſehr wichtige 
Handſchriften, z. B. von unſerm Jac. die politiſche Re⸗ 
formationsgeſchichte in Zürich vom J. 1713. An dies 
fer Reformation hatte er felbft groffen Antheil. Mit ed⸗ 
ler Kuͤhnheit wurden von ihm einige wichtige Abändes 
rungen in den Geundgefegen des Staates durchgefegt. 
So ſehr dem Anfchein nach die Gelehrſamkeit auf Mu⸗ 
ſeum und Catheder eingefchränft it, fo vielen Einfluß 
hatten nichts deſto weniger zu allen Zeiten die zuͤrcheri⸗ 
ſchen Lehver auf die Regierung ; unter anderm vielleicht 
auch darum, weil fie nicht nur Durch vertraulichern Lims 
‚gang mit den geoffen Römern und Griechen die Geele 
zum Gefühl der Freyheit erhoben, fondern auch weil fie 
vormals beynahe die einzigen, wenigſtens die vornehm⸗ 


I & . 





Joh. Jacob Scheuchzer. 75 


ſten — die ſans mit Nachdruck ſprachen und 
ſchrieben 


Wenn es indeſſen befremdet, den gelehrten Naturfor⸗ 
ſcher Jacob Scheuchzer unter offnem Himmel auf dem 
Lindenhof an der Spitze des Volks zu ſehn, ſo wird es 
nicht weniger befremden, ihn auf dem theologiſchen 
Kampfplatz zu finden. Go ſehr war damals noch Yes 
dermann polemifch , daß auch diefer fo tolerante Mann 
der Ausforderung eines päpftlichen Kirchenritterd immer 
ausweichen konnte. Ein Jeſuit von Luzern, Water Jos 
ſeph Sonnenberg, machte fich dreit mit zwo (wie er fie 
bieß, ) gehörten Schlußreden. Schriftlich forderte er 
Scheuchzern zur Widerlegung auf; Da dieſer hiezu kei⸗ 
ne Luſt hatte, unterſtand ſich der Jeſuit im J. 1719. 
unter angenommenem Namen eines Chorherrn Fiſch⸗ 
manns hieruͤber an den regierenden Buͤrgermeiſter in Zuͤ⸗ 
rich zu ſchreiben. Durch dieſes ward der gute Scheuch⸗ 
zer zum Antworten verpflichtet. Es entſtand ein weitlauͤ⸗ 
figer Briefwechſel, woraus nicht weniger das menſchen⸗ 
freundliche vertragſame Herz unſers Scheuchzers als die 
Energie feines philoſophiſchen Kopfes hervorſtralt. Op- 
taſſem ſane, ſchreibt er unter anderm vom 3. Nov. 1719. 
ut non exacueretur ferra in re tam parvi momenti & ut 
Theologorum unus alterum fuperare ftuderet fide, cari» 
tate, bonis operibus. Credit quifque ſibi, & pro eo, 
quod credit, rationem redditurus eft Deo. Nach wies 
derholten Fnftanzen, fängt unfer Theologe, der es mal- 
gr& lui gervorden , nunmehr an, etwas unwillig zu wer⸗ 
den. Ungemein aufgeraumt und wißig ift feine unwillige 
Laune. Je pafle, fehreibt er, avec Silence vas nouvel- 
les invedtives contre notre fainte religion , Jesquelles me _ 


s Joh. Jacob Sheudszer. r 


font croire que vous êtes de l’ordre de controverfiftes 
S les plus querelleux & les plus infatiables, je ne veux 
pas dire, pour ne pas perdre le refpedt, de Pordre de 
ces oifesux qui ne vivent que de larapine, fachant bien, 
- que Meflisurs les Jefuites n’ont ni becs ni cornes; car 
s’ils en avaient, perfonne ne ferait für: Je’ defire pour- 
tant de favoir , combien de milliers d’Heretigues vous 
aurez deja converti? S’il nerefte'rien à convertir dans 
votre Catholicifime, dans votre Province, dans votre 
Couvent, dans vous. meme-- und weiterhin: PExpé- 
rience me fait voir, que les controverfiftes ne peuven 
jamais ceffer de faire des guerres, eloignes beaucoup de 
l’efprit de notre Sauveur & des maximes douces de la 
Morale Chretienne & d’une fage Politigue, Au bout du 
compte ils n’ont sutre chofe & risquer que la reputa- 
tion, Je fuis perfunde qu’ils agiraient de m&me comme 
les Princes,, qu’ils mefureraient mieux leurs pas, fi pour 
chague difpute ils rifquersient un pré, ou enfin un feul 
florin de leurs revenus &c, Diefer Briefwechſel wähs 
sete bis ind J. 1720. bis endlich dem ſchwaͤrmeriſchen 
Sonnenberg von dem Rector des Jeſuiter/Collegiums, 
Dominicus Wed, das Etilifchweigen auferlegt wurde. 


Im J. 1733. farb unſer Scheuchzer, und fein Name 
bleibt unfterblih. Die Eatferliche Academie der Naturz 
Curioforum , wie auch die Löniglichen Sogietäten zu Ber⸗ 
lin und London waren ſtolz darauf, ihn zum Mitgliede 
zu haben. i 


Sein Bruder Johannes Scheuchzer war im J. 1684- 
gebohren. Nach Endigung dee academifchen Studie 
begab er fich in hollaͤndiſche Kriegesdienfte; hierauf wa 

er Secretair beym Grafen von Marſigli; mit Diefi ' 


— Joh. Jacob Sheudzer. m 


teifete er nach Italien. Bey der Zuräcdkunft ind Vaters 
and übete er fich in der Mechanit und militarifchen Baus 
kunſt; auch leiftete er dem Kanton Zürich im J. 19712. 
als Ingenieur nügliche Dienfte. Im %. 1720. ward er 
als Brofeffor der Meßkunſt nach- Padua berufen; ber 
Religion wegen nahm er Diefen Beruf nicht an. Nach» 
dem er zum zweytenmale Holland, Frankreich, Italien, 
Teutſchland dDurchreifet hatte, ward er im %. 1732. Lands 
fhreiber der Graffchaft Baden, im J. 1733. Profeflor 
der Naturlehre, Stadtarzt und Canonicus, andie Stelle . 
feines verftorbenen Bruderd. Ihm hat man unter ans 
derm die Hiftorifch » critifchen Anmerkungen über die Urs 
kunden des Klofterd Pfeferd, die Abhandlung über die 
Badermwürfel, verfchiedene andere Aufſaͤtze 3. B. über den 
Nusen der Naturgefchichte in der Arzneykunſt, über bie 
Waffermeteoren , über den Urfprung der Berge, über 
die Suͤndfluth, uber die figurirten Steine u. v. zu dan⸗ 
ten. Am wichtigften ift feine Agroflographie. Ungeach, 
get der damals in der Naturlehre noch herrfchenden Vor⸗ 
urtheile verdienen nichts Defto weniger dieſe beeden Scheuch⸗ 
ger alle Verehrung, daß fie es gewefen , welche zuerft in 
Zürich die Newtoniſchen Erfindungen ausbreiteten und 
mit der Fackel der Erfahrung den Dunſtnebel sn 
difch » cartefianifcher Grillen vertrichen. 





Johann | Jacob Breitinger. 





De gröfte Schulverbeſſerer in dieſem Zeitalter war 
ohne Widerrede Joh. Jacob BYreitinger , derfelbe 
erblickte das Licht der Welt den 1. Merz 1701. Nach 
Vollendung der academifchen Studien ward er im J. 
.. 1720. zu dem geiftlichen Stande eingermeyhet. Jene 


glückliche Muſſe, welche den jungen Geiftlichen von dee’ 


Drdination bis zu einer Beförderung frey bleibt, wen⸗ 
dete er meiftend auf dad Studium der Alten. Durch 
vertrauten Umgang derfelben machte er fich ihre Denk⸗ 
art eben fo eigen ald ihre Sprache. Obſchon der Kits 
che gemwiedmet , glaubte er nichts deflo weniger genaue 
Bekanntfchaft der Griechen und Römer feiner eben fo 
wenig unwuͤrdig ald Zmwingli. Was fchön, was gut 
und wahr ift , trägt das Gepräg eines göttlichen Ur⸗ 
ſprunges, wo es ſich immer beſindt. 


Yerfius far anfangs der Lieblingsdichter anſers Brei⸗ 
tingers. Wichtige Stellen in den Satyren deſſelben, 
die auch einem Voß und Bayle dunkel geblieben, bes 
leuchtete er, und dieſe Beleuchtungen fand der Praͤſi⸗ 
dent Bouchier fo glücdlich, daß er fich derſelben zu weis 
terer Ausführung bediente. Für einen Geil, wie Brei⸗ 
tingers, war indeffen die bloffe Wörterkeitif feine Nah⸗ 
rung , gar bald wurde feine Neigung für diefelbe dem 
Geſchmack für Weltweisheit und fchöne Litteratur un⸗ 


N 





Joh. Jacob BHreitinger _ 19 


tergeordnnet. Der Thefautus der fchweizerifchen Geſchich⸗ 
te und die helvetifche Bibliothek, an welchem er mit 
Bodmern den gröften Theil nahm, find Benfpiele, wie. 
vortheilhaſt der Philoſophe dem — und dieſer je⸗ 
nem die Hand biethe. 


Indem unſer Gelehrte gleichſam von Kindheit auf bis 
gegen ſiebenzig Jahre mit Bodmern im taͤglichen und 
innigſten Umgang lebte, vereinigten fich beyde, um vers 
mittelſt kritiſcher Werke für den Nationalgeſchmack das 
ju werden, mad für die Reformation des Glaubens 
Zwingli geworden. Nach dem Vorbild dieſes Letztern, 
war bey ihnen das Schoͤne in den Kuͤnſten keineswegs 
letzter Zweck, vielmehr war es Mittel zu Sem 
des Wahren und Guten. 


An dem fürtregichen Bürgermeifter Johann Gafpar 
Efcher fand Britinger einen eifrigen Beförderer : Durch 
das Anſehn und Durch das. Benfpiel deffelben ermuntert, 
fah er das Studium der griechifchen Litteratur als das 
beite Gegengift des fchlechten. Geſchmacks an. Dem ges 
nauen Umgang mit diefem Maͤcenate haben wir es zu 
Banten, wenn Breitinger im J. 1730. anfleng, die mei 
fle Zeit auf ein Werk zu verwenden, welches in nähes 
ter Beziehung mit feinem geiftlichen Beruf war. Wir 
teden von feiner Ausgabe der fiebenzig Doltmettfcher. 
Die bofifche Ausgabe war mangelhaft , die grabifche 
felten und koſtbar. Letztre legte er zut Grundlage, und 
beftimmte fie nach den aleraudrinifchen und vaticanis 
Then Handfchriften. — Im J. 1731. erhielt er den bes 
. bräifchen Lehrftul in dem untern Gollegium, und bald 

— zugleich in dem obern. Bey ſeiner Inaugu⸗ 

ation hielt er die Rede de lingua Deo quaſi vernacula 


» Joh Jacob’ Breitinger. 


ejufgae virtutibus, und zu Erleichterung der Heil. Sprach. | 


toiffenfchaft fehrieb er die Abhandlung über die hebraͤi⸗ 
fchen Idiotiſmen. Nicht lange, fo ward er genöthigt, 
in dem erſtern Collegium Die logifchen und oratorifchen 





Vorleſungen für einen andern über fih zu nehmen. - 


Von diefer Zeit an richtete er feine Gedanken haupt⸗ 
ſaͤchlich auf die Verbefferung des Schulweſens. Wie 
gefund feine Begriffe hieruͤber geweſen, beweiſet die 
Abhandlung de eo, quod nimium eſt in ſtudio gramma- 
tico, wie auch feine lateiniſche Logik und hernach vor⸗ 
nehmlich die Eleine teutfche Wernunftlehre, wodurch ce 
nicht ohne Widerfland die Wendeliniiche aus den Schus 
len verbannte. Ungeachtet zu feinem Ruhm diefe Schtife 
ten hinreichen würden, fo lieferte ex Doch von Zeit zu 
Zeit wichtige Beytraͤge ſowol in Die Tempe helv. als 
in das Muleum helv. Auch bat man von ihm eine 
Nachricht des gefchriebnen griechifchen Pſalters, der fich 
auf der Carol, Bibliothed befindf, und deſſen nähere 
Beſchreibung der Eardinal Quirini verlangte ; ferne 
die philoſophiſche Abhandlung von den Gleichniffen ; Die 
Eritifche Dichttunft ; Die Widerlegung der Lettres ſur 
la Religion eſſentielle, u. a. 


In fo verfchiedene Fache als Breitingers Worlefüns 
gen gehoͤrten, ſchien er allemal fuͤr diejenigen vorzuͤglich 
geſchaffen, woruͤber man ihn jedesmal anhoͤrte; immer 
derſelbe Geiſt der Ordnung und Genaubeit, fo ungleich 
der Gegenſtand war. Hiervon zeugt unter anderm fein 
ausgebreiteter Briefwechſel mit den Cardinaͤlen Baflionek 
und Quirini, dem Bräfidenten Bouchier , dem Bürgers 
meifter Uffenbach , dem Abt Gerbert von St. Blafen, 

mi 


= » 2 


* 





Joh. Jacob Breitinger. % 
mit Yfelin, Burtorf, Bourmann, Schelhorn, Kiedling, 
Rap, Erufins,. Altmannz, Brunner, le Maitre, Vernet, 
Semler, Erneſti u. a. Ein folher Mann, der im 
Briefwechfel mit Gelehrten aus den verichiedenften Fas 
chen allemal jedem derfelben im dem Seinigen genug 
that, mar "fehr gefchickt, mit feinem Freund Yodmer 
dem Nationalgeift eine vorteilhaftere Richtung zu ges 
den. Indem wir frey und glücklich des Tages genieſ⸗ 
fen,, den fie fchufen, wirds uns fchwer den Muth und 
Die Klugheit ganz zu begreifen, wormit fle manches 
Vorurteil befiegten. Nur darf man fich erinnern, daß 
man noch zu: Scheuchzerg Zeiten die Iömenböfifche und 
ſchwammerdamſche Erzeugung. Theorie als ſchluͤpfrigen 
Einfall und Copernics Weltſyſtem als Unglauben, — 
dag man zu Bodmers und Breitingers Zeiten Die krj⸗ 
tifchen Schriften derfefben als geruchlofe Tulpen‘ und 
Hilton als Viſionair erklärte, ja, daß ein Zimmermann 
felber in Klopſtoks Meſſiade wenig anders bemerkte, als 
die Häufige Nachahmung ded prophetifchen Styls, die 
er um fo viel weniger lichte, da ja, feiner Meynung 
nach , der Ausdrud der Propheten ohnehin dunkel ges 
ug fen. 


. Ohne Zweifel betruͤgen wir uns nicht wenn wir die 
neue Richtung , welche Breitinger mit einigen feiner 
Zeitgenoffen unſerm Nationalgeiſt zu geben im Stand 
war, ungefähr auf folgende Weife erklären: Mit dem 
Mannfacturen wuchſen Die Kuͤnſte des Reichthums, und 
mit dem Reichthum befamen wir Muſſe; dieſe erlaub⸗ 
se der Reugier und dem Beobachtungsgeiſte frevere Ent⸗ 
Faltung. Schon ‚verbreitete fich Der Widerfchein von 

u Chill, "5 


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U} “ 


ss Job Jacob Breitinger. 


dem aufgehendem Lichte benachbarter Länder auch über 
das unfrige. So wenig der Anbruch ded Taged Leute 
hätte aus dem Schlaf aufwecken können, die ein ganzes 

Leben Hinducch unter dem Schutt alter Vorurtheile eine . 
gefchnarcht waren , fo unbezwingbay ergriff die Flamme 
jedes aufilvebende Genie, auf welches in der Jugend oh⸗ 
nebin alled Neue, ja das fchlechte und unnatürliche fels 
ber, in fo fern es verjährten Anſehn Troß beut, mit fo 
vieler magiicher Kraft wirkt. Wenn aber diefes Neue 
zugleich wahr und gut, wenns nicht bloß Flitter, ſon⸗ 
dern von innerm Gehalt ift, wie glücklich if nicht der 
Geiſt, deiien Entwiclung in jene glänzende Epoche fiel, 
in welcher exit noch Ludwig XIV. ein goldenes Zeitalter 
der Künfte und der fehönen Literatur von Frankreich aus, 
und feither von Teutfchland aus Wolf und Leibnig ein 
neues Licht gefunder Bhilofopbie ausbreiteten? Electrifch 
pflanzte die erfte Entzündung fich fort, und auch bey 
ung borgte eine Menge mehr oder weniger vortrefflichee 
Köpfe von Bodmers und Breitingerd Erleuchtung. Bit 
ing graue Alter blieb auch Breitinger aufferft aufmerk⸗ 
fam , nicht nur jede Gelegenheit gur Ausbreitung des 
Guten, die fih anbot, zu nugen, fondern auch diefelbe 
für fih und für andere von allen Seiten herbeyzufuͤh⸗ 
zen, wo fie noch entfernt fchien. Immer war nicht nur 
“ fein Eatheder , fondern auch fein Muſeum die Zufucht 
jedes aufblühenden Genies; mit gleicher Leichtigkeit ließ 
der groffe Mann fich herab, Auszüge , Ueberfehungen, 
Verfuche eined Schülers zu prüfen, wie er ſich mit 
geubtern Köpfen zu den wichtigſten litterarifchen, kirch⸗ 
lichen, politifchen Unterfuchungen und Entwürfen hob. 


Ein folcher Character erwarb ihm die Würde ded Des 





Lob Jacob Breitingern 8. 


canals über Die amtloſen Geiſtlichen. Immer glaubte 
er nichts gethan zu haben, wenn er nur die Pflichten 
ſeines Amtes und zwar auch noch fo gewiflenhaft beos 
badıtete. So viele Yünglinge , unter welchen feither 
mancher zu dem Lehr und Predigamt berufen, oder ala 
Schriftſteller in diefem oder jenem Fache berühmt wors 
den, werden ihn ald Vater verehren, der zur Bildung 
ihres Characterd nicht weniger, ald zur Entwiclung ih⸗ 
res Geiſtes beytrug. Da die Glücesumftände oftmalg 
mehr, ald gut ift, auf den ganzen Menſchen vermoͤgen, 
ſo hielt er es ſeiner keineswegs unwuͤrdig, auch hie 
und da, für die oͤkonomiſchen Angelegenheiten, und für 
Beförderung feiner Schüler zu ſorgen. Indem er indeg 
mit unermuͤdetem Sleiffe, und mit gang befondrer Ges 
ſchicklichkeit, fich ſowol der Privat « Ökonomie feiner Zreuns 
de und Elienten , ald der öffentlichen Delonomie des ca, 
roliniſchen Stiftes annahm , fo wurden ihm dadurch viele 
Stunden geraubt, welche den Mufen hätten heilig ſeyn 
fönnen. - \ Bu 


Im J. 1745. ward ihm, Die Brofeffur der griechifchen 
Litteratur nebft dem Kanönicat aufgetragen. Ob ihn 
indeffen fehon fein Schickſal von der Predigerfanzel und 
von Paforalgefchäfften entfernte, fo fand feine Seele, 
eben ſo groß als fein Geiſt, mitten umter gelehrten, kri⸗ 
tiſchen, philoſophiſchen Bemühungen, immer noch das 
entzuͤckendſte Vergnuͤgen an Ausbreitung populaͤrer Kannt. 
niſſe. Indem er die Religion von den fruchtäofen ‚Aus, 
wuͤchſen der Schultheologie faüberte, verbreitete er un⸗ 
ser und jenen Gefchmad an practifchem Vortrag, ſowol 
in den Schriften ald in den Predigten der juͤngern Geift- 
Achen. Der Koͤrper derfelben, von einer fokhen Seele 


Job Jacob Breitinger. 
— erlangte mehr Uebereinſtuumung und Thätige 


In zwo Anflalten unter andern, die von fanem Eifer 
für Geſchmack, für Tugend und Religion zeugen , wird. 
er auch bey den Enkelin noch leben. Die eine iſt, die 
verbeflerte homiletifche Einrichtung, da wöchentlich zwey⸗ 
mal der Reihe nach, einer der jüngern Kirchendiener 
eine heilige Rede hält, welche unter deſſelben Aufficht 
in der Berfammlung der Brüder deurtheilt und mit Ans 
merkungen über die Kanzelberedſamkeit, die Auslegungs⸗ 
Zunft und die Paftoraltlugheit begleitet ward. Die andre 
iſt die afcetifche Geſellſchaft, welche fich unter feinem Vor⸗ 
ſitze, zu beflimmten Zeiten im Hörfaal verfammelte, um 
ſich durch Aufoͤſung wichtiger Gewiffensfälle, und andre 
Daftoralprobleme, durch populäre heilige Borteäge, durch. 
Derfertigung falbungsvoller Gebeter und Lieder , Cate⸗ 
chiſationen und andrer aftetifcher Schriften, auf den Hits 
tenberuf vorzubereiten. Diefer Anftalt haben wir Die 
Betrachtungen für gefangene Miſſethaͤter, ein Gebetbuch 
für Kranke, eine Menge geiftlicher Erfahrungen und 
Beobachtungen, wie auch forgfältiger Unterweiſung, Pfle⸗ 
ge und Beyſteuer, fo vieler Unglücflichen in den Armen 
hauͤſern, Unterflügung verwaister Schulkinder, und Bes 
lehrung dee Landſchulmeiſter zu danken. Auch ward im 
Diefer Gefellfchaft unter Breitingers Handleitung ein Kite 
derunterricht verfertigt , der in pſychologiſchem Fortgang 
von finnlichen Empfindungen und Sedürfniffen zur Kännte 
niß des ganzen Menfchen, feiner Seele, feiner Faͤhig⸗ 
keiten, feiner moralifchen Berhältniffe fortfchreitet, und 
in welchen die Fragen allemal fo geſetzt find, dag nur 
eine einjige, beſtimmte Antwort / und zwar allemal bie 





Job. Jacob Breitinger. % 


folgende notbwendig aus der vorhergehenden herausfaͤllt. 
Hs Breitingerd Schmwanengefang kan man die Oratio.\ - 
. nes Carolinas betrachten , die er unlängft durch Profeſ⸗ 
. for Hottingern herausgab. Wie angenehm die Zueigs 
nung biefee Schrift , und wie verehrungswuͤrdig der Vers 
faffer dem heroifchen Semler gewefen, fan unter andern 
das Schreiben dieſes Teiteun bezeugen, welches der Un⸗ 
- terfuchung über die Apocalypfin vorgedruckt iſt. 


Auch das hohe Alter, auch der Tod felber konnten ums 
feen Breitinger nicht müffig überrafchen. Noch befand 
er fih den 13. Chriſtm. 1776. in der. Verſammlung des 
Kirchenratbes , ald er Eur; nach feiner Heimkunft von 
einem Schlagufle getroffen wurde, bee ihn alles Be⸗ 
wußtſeyns beraubte. Folgenden Tages verfchied ex fanft 
und felig im Herrn. z 








VIL | 
Johann Jacob Bodmer. 





Rohann Jacob Bodmer ward im J. 1698. gebohren 
X und von feinem Water für die Kirche beſtimmt. 
Natürliche Schüchternheit machte ibm alle öffentlichen 
Hervortretungen und fo auch die Predigtkanzel fruͤbe 
zuwider.» Dhnehin fand fen Geiſt an der tupifchen 
umd figielihen Dogmatik des Coccejus, Momma, 
d'Outrin fo wenig Nahrung, daß er fich weit. weniger 
mit den Schtiften der damals herrfchenden Modetheo⸗ 
logen als. mit den Schriften der Griechen und Rümer 
befchäftigte. Indeſſen verbarg er feine ‚Abneigung vor 
dem geiftlichen Stande, aus Beſorgniß von feinen Lieb» 
lingsſtudien noch weiter verfchlagen zu werben Da die 
Zeit feiner Ordination beranrüdte, konnte ex ſeine Ab⸗ 


neigung nicht laͤnger verheelen. 


Es begegnete, was er beſorgt hatte. Im J. 1717. 
noͤthigte ihn ſein Vater nach Bergamo in Italien zu 
gehen, um ſich der Handelſchaft zu wiedmen. Dieſer 
Lebensart ward Bodmer bald muͤde. Im J. 1719. 
kam er wieder nach Hauſe. 


Bon Kindheit auf ſchien er für die Gelehrſamkeit, und 
beſonders für die Dichttunft gebohren, ohne Zweifel daß 
feine einfame , ländliche Erziehung hiezu nicht wenig 
beytrug. In den Kinderjahren hatten Ovids’Verivands 
lungen, wie fie Wickram aus Albrechts von. Halberſtadt 


| 


7 


Tobann Tacob Bodmer. u 


. Meberfekung umgegoffen , Bobmerd Geift mit poetifchen 


Bildern erfüllet. Die Ausbildung gaben feinem Herzen 
und feinem Gefchmad Addiſons, und Steeles Spectas 
tord: Damals war die Mutter - Sprache noch wenig 
den Wiffenfchaften gewiedmet. Von jener Mobdelittera« 


tur, welche unſre Stußergeichrten mehr aus Wochens 


und Donatfchriften , ald aus den Quellen berholens 
wußte man bey nahe gar nichts, und vor dem pedan⸗ 


tiſchen Schulgewäfche mußte es einem Geift wie Bod⸗ 


mers war, eckeln. Nicht durch Küchtige Pamphlets zer⸗ 
fireut, lebte er ganz in dem claffifchen Alterthum. 


Sein Hang zur Litteratur führte ihn von dem ge⸗ 
wöhnlichen Berufsgefchäften allzuweit ab. Der Lehrſtul 
der. belvetifchen Gefchichte und der Politik war vielleicht 
das einzige Öffentliche Geſchaͤfte, welches zu feinem Ges 
müthe und zu feinen Studien paßte. In der Bedie⸗ 
nung diefed Profeſſorats war er immer bemüht, durch 
Hiftorifche Beobachtungen zur Känntnig des Menfchen 
Durehjudringen ; der Dienfch war allemal fein Haupt⸗ 
gegenfland. Sein Vergnügen war, denfelben in den 
fonderbarften und feltfamften Geftalten zu fehn, die ihn 
bey entfernten Nationen und Zeiten bezeichnen. Gerne 
trat er aus feinem Weltalter, aus feinem Elima heraus 
und febüttelte von fich ab die Meynungen, die Denk 
art, und die Sitten der Zeitgenoffen. . Was für fo 
manchen bloſſe Handarbeit ift, war für feinen Geiſt 
Experimental⸗Seelenlehre. Muth genug hatte Bodmer, 
unter dem Staub der Urkunden die Ahnen und Die 
Vorwelt wieder zu erwecken, indem er ihre Sitten und 
Geſetze, ihre Lebensart und ihre Sprache in anen Nuan⸗ 
cn ſtudirte. 


\ 


13 305 Jacob. Bodmer - 
Wiewol er im J. 2737. zu einem Mitgliede des groß 


fen Rathes erwaͤhlt ward, fo erweckte darum dieſes bey. 


ihm. Leine Begierde nach obrigkeitlichen Aemtern. Nach⸗ 
dem er feine Kinder verloren hatte, lehnte ex Befördes 
rungen auf dem Rathhauſe mit chen dem Ernſte ab, 
mit welchem fie gewöhnlich gefüicht werden. Da alle 
feine Stunden ganz fein waren, da fein Beruf und fein 
Haus fehr wenig Zeit forderten, fo genoß er nach eig, 
nen Begriffen des Lebende. Seine litterarifchen Arbeb 
ten waren fange nur didaktifch und kritiſch. Den Ges 
ſchmack hatte er nicht nur in Dem Vaterlande, fondern 
big in Sachen fo ungewiß und fo elend gefunden, daf 
ed ihm unausſtehlich war. Er fchrieb vieles, und im 
verſchiednen Formen, dem Nationalwitz mehr Schön 
beit und Adel zu geben. 


Bobmer und Breitinger waren die erſten, welche im 
J. 1721. in Teutſchland ein Wochenblatt, nach dem 
Muſter des engliſchen Zuſchauers herausgaben. Zum 
Erſtaunen iſt es, wie ſich ſeit der Ausgabe des Malers 
der Sitten die Sprache dieſer Maͤnner und darmit die 
Sprache der Nation gereinigt, bereichert, verſchoͤnert 
hat. Dieſes Wochenblatt wurde von einer Menge an⸗ 
drer Schriften begleitet, welche Boͤmern den Namen 
des Reformators teutichee Sprache, Keitit und Dichte 
kunſt erwarben. Indeſſen veranflaltete er ebenfalls die 
Ausgabe von Schriften. Die näher- fein Amt und fein 
Vaterland betrafen. Bon ihm haben noir Malleoli Lie 
ben, dem Richtdrief der Stadt Zurich; Peter Kiſtlers 
Gefchichte der Handvefle der Stadt Bern; Klichens 
meiſters Gefta monafterii St. Galli; Myconius- Bellum 
Capellanum ; Commentarius de Tumultu Bernenſium in- 


_ 


u . „a_ Fon ur nt . 


Joh. Jacob Bodmer. "se 


teſtino; Raths⸗Erkanntniſſe von Zürich aus dem raten 
Jahrhundert, welche Stüde in der Helvetifchen Biblio“ 
theck und in den Beytraͤgen zu eu Schweizerge. 
ſchichte eingeruͤckt ſind. 


Ohne Zweifel haben ſich Bodmer und Breitinger durch 
die Proben dekſchwaͤbiſchen Poeſie des Xıll. Jahrhun⸗ 
derts aus der manneſſiſchen Sammlung, 8. Zürich 1748. 
wie auch die groͤſſere Samminng in 4. Zürich 1758. 
um die teutfche fchöne Pitteratur ungemein verdient ge⸗ 
macht. Von Bodmern haben wir auch noch die Leber, 
fung einer Sammlung englifcher Balladen. Unge⸗ 
mein fehienen immer fowol Sprache ald Gefühl und 
Imagination dee Drinnenfinger zur Einfalt des Bodmes 
riſchen Geſchmackes zu. paſſen. Auch bat und Bod⸗ 
mer eine Fritifche Ausgabe von Opitzens er Gedichs 
sen geliefert. 


Beynahe ein halbes ‚Jahrhundert hatte er gelebt, und 
noch nichts Beträchtliches in Verſen gefchrieben, als 
was die Trauer über den Hinfcheid feined Sohnes ihm 
eingab. Ihm waren der Reim und der Zwang ded 
Alerandrinerd zuwider. Erſt nachden Kinpftoc durch 
Einführung des Hexameters ein offnes Feld für die 
Evolutionen dee Rede verbreitet batte, ſchrieb er Ge 
Dichte. e 


Das Genie beftimmt fich felber , nur Die — 
ſchung bekoͤmmt es von auͤſſern Umſtaͤnden. Dad Bey⸗ 
ſpiel eines Miltons und Klopſtoks, das Schickſal, wel⸗ 
ches Bodmern zu dem Sohn eines Landgeiſtlichen ge 
macht hat und ihn anfangs dem gleichen Berufe be⸗ 
ſtimmte, dieſes war die Veranlaſſung, dag Bodmers 





\ 


90 Tob. Jacob Bodmer. 


poctifched Genie auf biblifche Gegenflände gefuͤhrt ward. 
Indeſſen auch ohne zufälligen Einfluß konnten ſowol 
Hoheit der Geſinnungen als Kuͤhnheit des empfindfamen 
Geiſtes den Dichter der Noachide bewegen, daß er die 
Erzvaͤter den Achillen, und den Aeneas vorzog. Gleich⸗ 
wie Homer in der vaterlaͤndiſchen Religi& feine Gedichte 
gefchöpft Hat, fo hätte er Diefelben in der unfrigen ges 
fchöpft, wenn fein Dafeyn in die chriftliche Zeitrechnung 
gefallen wäre. Bodmer Eonnte nicht wohl National⸗ 
Suietd behandeln. Neuen Begebenheiten hätte immer 
die feyerliche Würde des Alterthums gefehlt. Was für 
epifche Handlung, wo die Zürften nur im Kabinette 
"arbeiten und durch Gefandte negoziven,. wo im Felde 
Das ganze Kriegesheer nur einer Mafchine gleicht ? In 
den Zeiten der Kreuzzüge, in den Roͤmerzuͤgen finden fich 
noch National-Suiets. Heut zu Tage find und Armi⸗ 
nius und Arioviſt fo fremde ald Kanadier und Dtaheiten. 
Hrational s Epopden alfo in einer‘ fchon lang Eultivirten 
Sprache und aus einem verfeinerten, formaliftifchen Zeit⸗ 
‘alter find felten Heldengedichte, find wie Voltairens Hen⸗ 
riade und Lucans Pharſale * poetiſch⸗ halb hiſtoriſch⸗ 
halb didactiſche Werke. on gleichem Genius eines 
Klopſtoks und Miltons beſeelt, wagte es Bodmer ein 
Heldengedicht zu unternehmen in einer Stuffe des Alters, 
auf welcher, wie man gewöhnlich, obſchon nicht immer 
begründet, glaubt, das Dichterfeuer auszuföfchen anfängt. 
Sein Held ift der Erzvater, der dad erſte Gefchlecht der 
Menſchen begraben ſah und Stammvater eines neuen 
Gefchlechtes geworden. Als poetifcher Kolumb plünderte 
der Dichter die Nachwelt und Vorwelt feines Helden, 
Zeitalter, die noch nicht waren, und trug ihre Lafter und 
Ausſchweifungen in das Zeitalter der Patriarchen hins 








* 


Top. Jacob Bodmer. ↄr 


Aber. Dadurch ward dad Gedicht moraliſch, politiſch. 

Bodmers Mufe ward, was bey den Alten die epifche 

Mufe immer geweſen, Lehrerin ded Volles, ber Regie 
rung , der Religion und der Sitten. 


Bodmern haben wie eine Menge andre poetifcher 
Werke zu danken, unter der Aufichrift ealieyons ge⸗ 
ſammelt. 


Noch war die Noachide in ihrer erſten, rohen Geſtalt, 
als der Poet der Meffiade dem Dichter einen freunde 
fchaftlichen Befuch machte. Wenige Zeit hernach erſetzte 
ihm Wieland Klopſtoks Entfernung. In dem gleichen 
Zimmer begegneten ſich beeder patriarchalifche Miufen.. 
Bodmern gereicht es zur Ehre, dag Teutſchlands beſte 
Köpfe feinen vertrauten Briefwechſel fuchten. 


Unter fo vielen Schriften, wodurch er den Abend ſei⸗ 
nes Lebens aufgeklärt hat, muͤſſen wir noch feiner. poli⸗ 
tifchen und religiofen Schaufpiele erwähnen — Schau⸗ 
fpiele , nichts weniger als fir das teutfche Parterre bes 
flimmt. — In der Form theatralifch verbundener Scenen 
mahlt er die wichtigften Revolutionen, den Character der 
gröften Männer, ganzer Zeitalter und Völker. 


- Nicht felten Hat man gegenfeitige Uebereinſtimmung 
wwiſchen Geiſt und Sitten bemerkt. Die Sitten unferd 
Verfaſſers waren eben fo patriarchalifch ald der Innhalt 
feinee Gedichte. Durch ausgebreitete Känntniß , Zeit⸗ 
genoß jedes Jahrhunders, Bürger jeder Weltgegend , 
ſetzte er ich uber Hundert kleine Vorurtheile, und willkuͤrliche 
Manieren feines befondern Zeitalterd oder Vaterlandes 
Binaus : auf dieſe Weiſe erhielt-feine Lebensart, - und 


92 Gob Jacob- Bodmer. 


die Art feines Umganges eine gewiſſe Naivitaͤt, mei⸗ 
ſtens ungerteennt von ‚dem groffen Genie. Ohne im ges 
ringſten Die bergebrachte Anftandsregeln zu beleydigen 
unterredt er fich eben fo offen mit den Zurflen, wie mis 
den Bauern. 


So wie er felber ganz Menſch iſt, ſieht er auch un⸗ 
ter dem Staatskleid, wie unter den Lappen nichts als 
den Menſchen. Nichte weniger als eigenfinnig und 
cyniſch iſt diefed freye, Kunftisfe Wefen, immer naͤm⸗ 
lich durch allgemeines Wohlwollen veredelt. Irren wir, 
wenn wir forwol die Munterkeit feine Launen, als 
auch feiner Leichtigkeit, wormit er felbft noch tm hoͤch⸗ 
fien Alter den, Geift jedem neuen Eindruck, jeder noch 
fo ungewohnten Ausficht öffnet, ‘wenn wir dieſe Ju⸗ 
gendgabe , auffer der ungemeinen Reizbarkeit feiner 
Imagination, auch befonders feiner menfchenfreumdlis 
chen Gefältigkeit zufchrieben? Indem er in dem achts 
zigften Fahre des Lebens jedem, der ihn befucht, dem 
Kinde , dem Yüngling, dem Greifen, dem Landmänne, 
dem Künftler, dem Gelehrten, dem Staatsmanne, dem 
Bürger, dem Fremden freyen Zutritt zu feiner Seele, 
wie zu feinem Muſenm geſtattet, Hatte er fich Dadurch 
angewöhnt,, daß ihn alles intereffirt , fo wie alles im 
Verbindung flieht, und dag ihm aleichwol nichts auf 
folchen Grad intereſſirt, wodurch fein Geiſt koͤnnte 
ſclaviſch gemacht und fein Herz eingeſchraͤnkt werben. — 
So beneidenäwerth das unabhängige Leben des Weifen 
ſeyn mag, fo. ift er doch auf feine. Bequemlichkeit fo 
eiferfüchtig auch nicht, dag. er darüber den Öffentlichen 
Geſchaͤſten ſich gänzlich hätte entziehen wollen ,. wenn 
a ſich darboten. In verfchiedenen Angelegenheiten 


Joh. Jacob Bodmer. 9 


hatte ſich die Regierung feiner ——— und Rath⸗ 
ſchlage bedient. 


Noch muͤſſen wir zu Bodiners Ruhme erwaͤhnen, 
daß er es geweſen, der zuerſt nicht nur durch Ueberſe. 
tzung, ſondern auch durch critiſche Anpreiſung der Teuts 
ſchen mit Milton bekannt gemacht, und unlaͤngſt mit 
einer Ueberſetzung des Homers und des Apollonius be⸗ 
ſchentt ei 





VIIL J 
Johann Geßner. (2) 





aͤhrend dag bin und wieder bald volitiſche, bald 

theologifche Schwaͤrmerey gleich einer Seuche auch 
beffere Köpfe ergriff, nährte gleichwol das Vaterland im⸗ 
mer noch wärdige Söhne, die, tweniger raufchend, aber 
deſto fichrer und wuͤrkſamer durch Sitteneinfalt, durch 
weiſe Volicenverbefferungen, befonders auch durch Be⸗ 
förderung des Landhaus und der Fabricken die Wohls 
fahrt des Staates beforgten. Auf diefe Wohlfahrt ſcheint 
unter allen Wiffenfdjaften das Studium der Meßkunſt 
und der Naturlehre — theild am meiften, theils am ruhige 
fien wuͤrken zu lönnen. Ungemein ward diefes Studiung 
Durch Johaun Geßner beguͤnſtigt. Dieſer würdige Nas 
menserbe Conrad Geßners ward zu Zürich im J. 1709. . 
gebohren. Er war noch im %. 1720. ein Schüler in 
quarta, als ihn Dr. Wegelin zum Kraüterfuchen aufs . 
Feld mitnahm; fo oft auch in dem Spitale chirurgifche 
Handgriffe vorgenommen wurden , wohnte der junge 
Geßner mit bey? Im J. 1723. machte er die erfte Berg⸗ 
reife. Unermuͤdet vermehrte er feine phnfifchen und ma⸗ 
thematifchen KRänntniffe. Hiebey genoß er Scheuchzers 


uw Muralten Handleitung. Im J. 1726. unternahm 





- (%) &. Vörmers Leben der Aerzte und Naturforſcher 
ML. Er 1. wir auch Bruders Bilerfanl, 25. IX. * 


Johann Befner. * 


er eine weitlauͤftigere Bergreiſe. Allerorten erforſchte ex 
die verſchiedne Druckkraft der Luft durch barometriſche 
Verſuche — die Beſchaffenheit der Mineralwaſſer durch 
Abwaͤgung der Vermiſchung chemiſcher Saͤfte — beſon⸗ 
ders auch den Urſprung und die Lage der Berge. Die 
Beobachtungen ſchrieb er in ein ausführliches Tagbuch 
. gzufammen ; eine groffe Menge Mineralien , Verſteine⸗ 
sungen, Bhanzen, Inſeckten bracht er als Ausbeute zus 
rüd. Ä 


- Im J. 1726. gieng er nach Leyden. An diefem Orte 
genoß er ein ganzes Fahr lang Boerhaavens Unterricht 
und vertraulichen Umgang. Zugleich legte er den Grund 
zur ununterbrochenen Verbindung mit Hallern. Auffer 
Boerhaaven hörte Geßner auch Albin, Oſterdyck, Schacht 
und S’Gravefand; überdig hatte er genaue Bekannt 
ſchaft mit Friedeich Gronov, der einen weitlaüftigen Gate 
ten und Die vollſtaͤndigſte Schnedenfammlung befaß. In 
Leyden erwarb ſich Geßner nebſt mannigfachen Kaͤnnt⸗ 
niſſen groſſen Reichthum an allerley Pflanzen, Waſſer⸗ 
und Meer⸗Thieren. 


Von Leyden begab er ſich mit Boerhaavens Empfeh, 
Iungsfchreiben nach den vornehmften holländifchen Staͤd⸗ 
ten; fonderlich genoß er von dem damals neunzigjähs 
rigen Greid, Friedrich Ruyſch, zu Amſterdam viele Ges 
wogenheit. Hierauf fam er nach Paris, woſelbſt er von 
Boerhaaven an den Abt Bignon, an Juſſieu und DI 
nard empfohlen war. In der Wundarzney — und in 
der Zergliederungsfunft hatte er den le Dram — in der 
Hebammenkunſt Gregoire zum Lehrer. | 


Nach uͤberſtandener, gefährlicher Krankheit kam er bon 


Zohann Befner. 


Maris nach Bafel. Dafeldft erwartete ihn Haller, mt“ 
mit ihm die höhere Meßkunſt bey Johann Bernoulli zu 
Jernen; auch bier feste er dad Studium der Arzney⸗ 
Zunft nicht auf Die Seite; uͤberall bediente er fich der 
zwingeriſchen und miegifchen Anweifung. Im 3.1728. 
Beforgte er des kranken Prof. Miegs Verrichtungen. Im 
gleichen Fahr machte er mit Hallern eine fchweizerifche 
Bergreife. Im I. 1729. Difputirte er in Baſel de Ex- 
halationibus, hielt eine öffentliche Rede de uſu Mathe- 
feos in Medicina und empfieng die höchfle Würde in der 
Arzneykuuſt. Hierauf gab er Vorlefungen in der Nas 
turlehre, Meßkunſt und Arzneykunſt; er fiellte anatomi⸗ 
ſche Verſuche an und bereitete allerley Vorrath. Den 
Sommer verwendete er auf bie Botanick, und ſelbſt der 
Beſuch der Patienten auf dem Lande mußte ihm dieſes 
Studium eleichteen. Sonderlich war er darauf be 
dacht, nach der Methode, wie Rajus die englifchen Pati 
gen angeordnet hatte, eine ähnliche Sammlung von 
ſchweizeriſchen Pflanzen zufammen am tragen. Gemein⸗ 
ſchaftlich wollte er mit Hallern eine Geſchichte der ſchwei⸗ 
zeriſchen Planzen ausarbeiten. Im J. 1730. that er 
eine Reife in die Glarnergebirge; im J. 1731. in die 
. Appenzeller: und Toggendurgergebirge ; im J. 1732. in 
Die Gchweizerifchen und Luzernerifchen. PRanzen ſowoi 
ald Beobachtungen und Anmerkungen wurden zwiſchen 
Geßner und Haller freundſchaftlich getheilt; Geßner 
verfertigte ein Verzeichniß der Planzen nach feiner Lehr⸗ 
art, und mit den beruͤhmteſten Krauͤterkennern unterhielt 
er Briefwechſel. | 


Mitten unter dieſen Bemuͤhungen ſchlug ihn Boer⸗ 
| j u HORDE 4 





| m. 

Jobanu Seßner: 
haave, auf Blumentroſts Anfrage, zu dem botaniſchen 
Lehrſtul in Petersburg vor. Die Entlegenheit des Dre 
tes und ſeine ſchwache Geſundheit erlaubten ihm die Au⸗ 
nahme des Berufs nicht. 


Im %. 1733. farb Doctor von Muralt in Zürich. 
Sein Lehramt fiel auf Dr. Joh. Jacob Scheuchzer. In 
gleichem Jahr noch flarb auch dieſer. Sein Bruder, 
Johann Scheuchzer, erhielt nun die Stelle; Geßner 
aber erhielt da8 mathematifche Eatheder, zugleich ward 
ihm die Beforgung von Scheuchzers Lehramt anvertraut, 
fo lang nämlich diefer fich noch ald Landfchreiber in Yas 
den aufhalten mußte. Geßner trat fein Amt mit einer 
Rede an: von dem Nutzen bee Meßkunſt in der chriſt⸗ 
lichen Religion , in den Willenfchaften überhaupt nnd 
in den Bequemlichkeiten des Lebens. Go fehr auch je⸗ 
dermann der allfeitige, wohlthaͤtige Einfluß der Meß⸗ 
Eunft einfeuchten follte, fo fehr feheints zu bedauern , 
Daß deffen ungeachtet, auch felbft nach Verbeſſerung der 
zürcherifchen Schulen , den Studirenden auf dem Gym⸗ 
nafium Die Beſuchung der mathematiſchen Lehrſtunden 
nicht dringend genug eingeſchaͤrft wird. Daher kommt 
es, dag beſonders die theologischen Studiofi allzu gerne 
dieſes Studium verabſauͤmen. 


Im J. 1738. ſtarb auch Dr. Joh. Scheuchzer; an 


deſſen Statt ward Geßner zum ordentlichen Lehrer der 


Phyſik und zugleich zum Ganonicus erwählt. Auswaͤr⸗ 
tige Gefellfchaften aber bemübten ſich um die Wette, 
fi) ihn eigen zu machen; fo nahmen ihn z. DB die 
roͤmiſch⸗ kaiferliche Academie, die Eönigl. ſchwediſche, 
Die Fönigl. berlinifche und die forentinifihe zum are 

Il, Theil. ; u: & ray α 


r 
N‘ ze JFJohaun Geßner. 


gliede an. Sein Fleiß erweckte auch bald mehrere ſei⸗ 
ner Landleute, daß fie eine phyſicaliſche und oͤconomiſche 
Gefelifchaft in Zürich errichteten und Geßnern sum Obere 
baupte erwählten. Inter feinem Einnuß und dem Bey 
flond der wuͤrdigſten Männer , eines Heideggerd , Hir⸗ 
zeld u. a. blühte dieſe Gefellfchaft zu einem Baum auf, 
unter deſſen wohlthätigen Zweigen der zürcherifche Lande 
bau eine weit glüdlichere Geftalt annahm. Wie rübs 
rend fir die Menschheit, in dieſer Gefellfchaft den Lands 
mann ziwifchen dem erlauchten Regenten und dem tief⸗ 
finnigen Gelehrten zu fehen, wie jeder den andern aufs 
klaͤrt, jeder den andern in feiner Sphäre hochſchaͤtzt und 
liebet! Bon dem Werth einer folchen Gefellfchaft mag 
Serione , der Verfaſſer der Interts des Nations del’Eu- 
ıope developes relativement au commerce ein unpar⸗ 
teyifcher Zeuge fen. In dem eriten Band, Hauptil. 
II. ſ. 24. heißt e8 bey diefem Verfaſſer: „ Die Gefells 
» haften von Bretagne , von Paris, von Bern, von 
» Zurich u. a, geben das Muſter von der Methode zur 

chleunigung des Wachsthums in der Kunft ; glück 
» licher Weife wird durch folche practiſche Muſter und 
3, durch dad Benfpiel genauer Beobachtungen die An⸗ 
„ zahl guter Beobachter. vermehret. “ — Weiterhin f. 29. 
„ diefem gemeinnüßigen Geifte, der dißmal den aufges 
„ Härten Theil von Europa Befeelt, hat man die.Erriche 
» tung einer Geſellſchaft für die nüglichen Wiſſenſchaf⸗ 
„ ten in Zurich zu danken; Anfangs befland fie nur 
„ aus der Verbindung einiger guter Bürger , die nichts 
» anders als ihre eigne Belehrung zum Gegenfland Hatte. 
> Diefe Verbindung ward Durch die Fürforge eines 
> Mannes gelnüpfet, den feine Sitten eben fo verchs 
a rungswuͤrdig machen als feine Gelehrſamkeit; allein 


Johann Geßner. 99 


„durch Tugend ward dieſe Verbindung geknuͤpfet, und 
„die Tugend wandelt ohne Gerauͤſch oder Schimmer. * 
In dee That find Beſcheidenheit, leutſeliges Weſen, 
allgemeines, thaͤtiges Wohlwollen bey unſerm Geßner 


in eben fo hohem Grade als Genie und ausgebreitete - 


Kanntnif. Ungeachtet bderfelbe viele der Unſterblichkeit 
würdige Schriften, befonder8 auch ein prächtiges, bo⸗ 
tanifches Werk im Pulte verwahret , fo bat er doch aus 
überteiebener Befcheidenheit, auffer feinen academifchen 
Schriften, wenig. durch den Druck bekannt werden laſ⸗ 
fen. Das Verzeichniß feiner gedruckten Schriften lies 
fern Börner und Hamberger. — Bon ihm fehreidt Graf 
DAlbon in feinen Difcourd: „ Mit den weit umfaſſen⸗ 
„ den Känntniffen find bey Geßnern die edelften Eigen⸗ 
3 fehaften des Herzens verbunden. Ihm allein hat Hals 
„ler beunahe feinen ganzen Ruhm in der Botanik zu 
„ danken. Geßner überließ ihm feine Handfchriften ; 
„er bediente fich derfelben; gleichwol verlangte Gegner 
» nicht , daß fein Name Hals Name an die Seite 
» geſetzt werde. “ — | 


Don Geßners Naturalienſchatz findt man bey Andreaͤ 
in ſeinen Reiſen eine ausfuͤhrliche Beſchreibung. 


Ein koſtbares Muͤnzcabinet beſitzt ſein Bruder, der 
gelerte Profeſſor Joh. Jacob Geßner. Von feinen une 
miſmatiſchen Kaͤnntniſſen zeugen deſſelben Specimen rei 
numariæ, Tig. 1735. Numiſmata græca regum atque 
virorum illuſtrium cum commentario, Tig. 1738. Nu- 
miſmata græca populorum & urbium, Tig. 1739 - 1754. 
— Numiſmata antiqua imperatorum romanorum latina 


300 Jobann Gehner. 


& greon, Tig. 1748. u. a. m. Dieſe Werke baben 
den Beyfall des claffifchprüfenden Matthias Gefner er» 
halten. Man fehe Hierüber die Vorleſungen zur Iß- 
goge in eruditionem univerfalem , die Niclas heraus⸗ 
gab, im 3. Th. ſ. 407. 


N 


101 





IX. 
Hans Caſpar Hirzel. 





erſelbe ward gebohren den 21. Maͤrz 1725. Er hatte 

das Gluͤck in der Perſon ſeines Vaters, Statt⸗ 
halter Hirzels, das Vorbild republikaniſcher Tugend zu 
ſehn; erblich war in dieſem Geſchlechte Die ſtrengſte 
Gerechtigkeitäliche; von feinem Grosvater, der ebenfalls 
Statthalter war ‚pflegte man zu fagen: Daß auch der 
aͤrgſte Feind fich nicht würde gefcheut haben, ihn gegen 
feinen einzigen Sohn und Liebling zum Richter zu 
wählen. 


Im J. 1734. hatte Hirzels würdiger Vater den Be⸗ 
ruf eines Amtmanns zu Kappel erhalten. Daſelbſt be⸗ 
kam unſer junge Hirzel den erſten Geſchmack ſowol fuͤr 
die Anmuth der unverdorbnen Natur als auch fuͤr land⸗ 
wirthſchaftliche Bemuͤhungen. () Bon dem groſſen 
Litterator, Inſpector Simler, empfieng er Unterricht in 
der claſſiſchen Litteratur. Mit dieſer verband er durch 
gluͤcklichen Zufall das Studium der beſten Dichter un⸗ 
ter den Teutſchen. — Nach Beendigung der Amtsver⸗ 
waltung kam er mit ſeinem Vater nach der Hauptſtadt 
Zürich zuruͤck. Nunmehr ſieng fein bisheriges Nature 








(*) Ran fehe die Wirtbſchaſt eines philoſophiſchen Bauern, 
ſ. 18. wie auch die neue und vermehrte Auflage vom J. 
1774. 


s08 Sans Caſpar Ztrzel. 


Aubium an, gelehrter und philofopbifcher zu werden. 
um fo viel lieber wählte er den Beruf eines Arztes auß, 
je mehr diefee Beruf unzertrennlich mit der Unterſu⸗ 
chung der Natur verbunden if. — An Chorhere Geß⸗ 
ner fand er einen chen fo aufgellästen als treuen Weg⸗ 
weifer. Beym Unterrichte wurden die Schriften eined 
Wolf, Linne und Boerhaave zum Grunde gelegt. 
Sehr Keiffig übte er fich auf dem anatomifchen Schaus 
platz; im J. 1744. lad er daſelbſt über die Sinnen. 


Die Neigung zu den fchönen Wiſſenſchaften führte 
ihn zu Bodmer, den er als feinen Soagses verehrte 
und liebte. Bey diefem focratifchen Lehrer gewöhnte dx 
fich, dad Echöne nicht anderft als in Verbindung mit 
dem Guten zu lieben. Bon Bodmern. lernte er die er⸗ 
fien Eleniente der Staatskunſt und der vaterländifchen 
Gefchichte ; der Unterricht war alfo befchaffen, Daß er 
das Herz zur Nachahmung jener geoffen Alten erwaͤrm⸗ 
fe, und nicht bloß die Urtheilskraft fehärfte 


Durch Gleichfoͤrmigkeit der Studien gelang es Hir⸗ 
ein, die hoffnungsvollſten Jünglinge in eine litteraris 
ſche Sonföderation zu vereinigen. Diefelbe trat in fchrifts 
liche Unterhaltungen mit ähnlichen Gefellfchaften in den 
benachbarten Cantonen; von, ferne leitete Bodmer bie 
Irbeiten der zuͤrcheriſchen Gefellfchaft. 


Breitinger , Bodmerd Gefehrte in den Bemühungen 
um die teutfehe Litteratur, las den Juͤnglingen über die 
Logit und Metaphifl , nach der mwolfifchen Lehrart s 
auf folche Weiſe lernten fie. mit dem Gefchmad bes 
Schönen den Geſchmack des Grümdlichen verbinden. 


Im J. 1745. gieng Hirzel nach Leyden; daſelbſt 


— 





* 


Sans Caſpar Hirzel. 208 


Yörte ex den Albin,. Gaubius und Muſchenbroek. Mit 
auͤſſerſter Sorgfalt lernte er von Albin, dasienige, was 
die Beobachtung felbit an die Hand gibt, ven den ads 
geleiteten Folgerungen unterfcheiden. Gaubius war in 
der Chymie, was Albin in der Phyſiologie und Mu— 
ſchenbroek in der Naturlehre. — Im J. 1746. nahm 
unſer Hirzel den Gradum an; er vertheidigte eine von 
ihm ſelbſt verfertigte Streitſchrift: Leber den Einfluß 
eines heitern Gemuͤthes auf den Koͤrper, ſowol in ge⸗ 
ſunden Tagen, als auch beſonders zur -Zeit epidemiſcher 
Seuchen. Bey dieſem Thema verband er ſeinen Hang 
fuͤr das Studium der practiſchen Philoſophie mit der 
Arzneykunſt. 


Durch Vermittlung des fee. Vfarrer Weiſſen von 
Regenſtorf ſand er in Potsdam bey Hofrath Arndts, 
Stadtphyſicus und Arzt bey der Garniſon und beym 
Waiſenhauſe, alle Gelegenheit, feine gefammelten Kette 
niffe in der Ausübung zu zeigen. Arndts war ein fehe 
glücklicher und veritändiger Arzt; geoffentgeild folgte 
ee der einfachen Heilart feines Schwiegervaterd , des 
berühmten Stahls. Als ein guter Beobachter machte 
ee den Schüler auf die wefentlichen Kennzeichen der 
Krankheiten aufmerkfam, zugleich übte er ihn in feiner 
einfachen Heilart. Hirzel lernte da, wie man auf un⸗ 
gleichem Wege zu demfelben Zweck geführt wird, und 
wie überhaupt die Natur in Heilung dee Krankheit 
sum beften Leitfaden dient. Was er in Boerhaven 
‚Schule gelernt hatte, heiterte den Begriff von jenen 
Stahlianiſchen Naturtrieben auf. 


An Arndts Schwager, Stahls wuͤrdigem Sobne, 


fan Hirzel einen Fam und das Vorbild eineh 


a, u; — 


108 dans Lafpar Hirzel 
großmüthigen Weiſen. Fe begüterter er war, deſto 
mehr war eu um edle Anwendung des Reichtbums be 
forgt; im der Stille verbreitete ex, gleich einer unfichts 
baren Gottheit , thätiged Wohlwollen — junges Vers 
dienſt munterte er, und teöftete leidendes; fen Haus 
war ein Tempel der Fröhlichkeit; jedem Rechtſchaff⸗ 
nen war es offen ; Gelehrte und Künftler fanden da 
den Achten Freund und den aufgellärten Kennel. Alles 
mal fprah Hirzel mit Entzuͤcken von jenen feligen 
Stunden, die er in dem Umgange diefed Mannes ge⸗ 
noffen Hatte; dem Kopf und Herzen empfahlen fich 
bier die vorzuglichiten Känntniffe mit den tugendhaftes 
fien Gefinnungen unter dem besaubernden Schleyer eis 
nes weifen Epicuraͤiſmus. 


Auf der Reife nach Potsdam fand Hirzel in Magdes 
burg feinen Sulzer (*) wieder, mit dem er im %. 1742. 
ehe helvetiſche Bergreife gemacht hatte. Sulzer begleis 
tete ihn zu dem Magifter Lange in Laubingen. In die 
fer poetifchen Gegend ward Hirzel von feiner jugendfis 
chen Mufe begeiftert. Magiſter Lange hatte eine Ges 
mahlin, mit welcher er das, unfchuldigfte Schäferleben 
"führte Hier glaubte ſich Hirzel in Arkadiens göfdene 
Tage verzaubert. Mit ihm unterhielt er lange hernach 
einen poetifchen Briefwechſel und fegte ihn in Die Freunds 
fchaftdrechte des feligen Pyra, mit dem er an Herz und 
@enie fo nahe verwandt war. — Durch Langen war 
Hirzel mit Kleiſt in Belanntfchaft gerathen. Dieter 


serfüßte ihm feinen Aufenthalt in Potsdam. Hier ſah 





O Man ſehe Sul wel irzel ſo 
Rn er chen, welches Hinz TI mente 


J 


Sans Lafpar Hirzel 108 
er, wie Kleiſts befied Werk, wie fein poetifcher Frühes 
ling aus der Dämmerung, bervorgieng und auf Dem 
teutfchen Parnaſſe die Morgenröthe des guten Geſchma⸗ 
des ankuͤndigte. — Diefelbe Uebung, welche Hirzels 


medicinifchen Beobachtungsgeift fchärfte, fchärfte auch 


überhaupt feinen allgemeinen Beobachtungsgeilt ; in 


Erholungsſtunden richtete er feine Aufmerkſamkeit ſehr 


gerne auf die Semiotik der Seele und des Genies. 
Mit pſychologiſcher Vorherſehung ſchlummernder Tas 
lente, auch alsdann, wenn fie dem Befigee noch unbe⸗ 
fannt waren. Hirzel erfchien in einem Zeitalter, wo 
noch nicht völlig bezwungne Barbaren die beffern Köpfe 
gegen ihren bieyernen Zepter empoͤret — wo jeder, beym 
Gefühl eigner Stärke, mit enthufiaftifcher Theilneh⸗ 
mung dem andern Hülfreiche Hand beut, wo Teiner dem 
andern, wie etwann feither, nach Vermehrung ihrer Ans 


zahl und Schwächung ihres Genies, eiferfüchtig und 


bämifch im Weg ſteht. — In Kleiftens vertraulichen 


Umgang lernte Hirzel, was wahre Sreundfchaft,, was: 


ächter Geiſtesadel, was practifche Lebensphiloſophie auf 


Bildung des Herzend und Glück des Lebens vermögen. 


Zwiſchen beyden ward der innigfte Briefwechſel bis zu 


Kleiſts Heldenende fortgeſetzt. Kleiſt Hatte ihn mit ' 


Spalding und Gleim befannt gemacht. Yener verftand 
die Kunft, die Grundfake und die Methode eines Geg⸗ 
ners des Chriſtenthums, eined Shafteebury, fo anzu⸗ 
wenden, daß dadurch das Chriftenthum defto ehrwuͤrdi⸗ 
ger erfcheint. Diefer, nämlich Gleim, war der erſte, 
welcher die Teutfchen in griechifchem Geſchmack täns 
dein, und unterm Tändeln edles Gefühl in die Seele 
zu sicten gelehrt hatte, 


y 


— — 


"wi, 


106 HANS Cafpar 58irzel. 


Stahl führte Hirzeln in den Kreis feiner Bekannten; 


unter benfelben fanden fich feine beeden Schwäger, Buche 
holzen, die fi) um Brandenburg fo verdient gemacht 
hatten. In dieſer Gefellfchaft lernte Hirzel die bewun⸗ 
dernswuͤrdige Staatsmafchine kennen, die Wilhelms 
groſſer Muth entworfen und Friedrichs Genie verdolle 
kommnet hatte. Werfchiedene, einzelne Genien- wenden 
in befondern, engen Kreifen die mannichfaltigen Talente 
an, die fich in einem Punbkte vereinigen; eine gröffere 
Zahl derfelben vereinigt fich wieder in einem allgemeis 
nerm Yunkig, und alles faßt endlich dad koͤnigliche Ges 
nie unter den Gefichtäpuntt des gemeinen Beſten zuſam 
men. Damals zeigte fich Friedrich in feinem gröften 
Glanze, nach Schlefiend Eroberung ; er reutete die 
Chykane aus , ermunterte den Feldbau, errichtete neue 
Manufacturen und baute Sand Soucis, um in Gefelb 
ſchaft todter und lebender Weifen, in einigen Ruhe⸗ 
flunden ſich felber zu leben. 

In Berlin lernte Hirzel Saden, Botten, Ellen, 
Lieberfühnen, Albins Nebenbuhler in der feinen Zerglies 
derung kennen :s In Botsdam fah er die berühmten 
Wundaͤrzte und ihre Operationen beym Leibregiment 
und bey dem Regiment Prinz Heinrichs. 


Im J. 1747. kam Hirzel wieder in fein Vaterland 
zuruͤck. Sogleich ward er Mitglied der neuerrichteten, 
naturforſchenden Geſellſchaft in Zuͤrich. An der Seite 
eines Heideggers, nachmaligen Buͤrgermeiſters, wie auch 


des beruͤhmten Chorherr Geßners zu arbeiten, war fuͤr 


ihn das angenehmſte Geſchaͤfte. Unter ſolcher Aufſicht 
bluͤhte die Geſellſchaft zu einem Baum auf, unter defs 
ſen woblthaͤtigem Einfluß ber zuͤrcherſche Landbau eine 

eit gluͤcklichere Geſtalt annahm. Seither warb Hirzel 


Sans Caſpar Zirzel. 107 


zum Vorſteher der engern Geſellſchaft oder der land⸗ 
wirthſchaftlichen Committee erwaͤhlet. 


Im J. 1748. verheyrathete er ſich mit Jungfer Anna 
(ir Ziegler, einer Tochter des Rathsherr Zieglers. 
n feiner Gattinn fand er die tugendhaftefte Kreundinn. 
— Bon Natur der lebhafteften Eindrücke fähig, in gleis 
chem Grade für dad Unangenehme des Lebens wie für 
Dad Angenehme empfindfam, ein eben fo feuriger Häffer 
des Böfen ald eifriger Verfechter des Guten, mußte 
es ihm ungeachtet feiner gefälligen Gemuͤthsart und frds 
lichen Laune , infonderheit bey der Menge druͤcken⸗ 
dee Geſchaͤfte, an Gelegenheit zum Verdruß 
und zum Kummer nicht immer fehlen. Den wohlthaͤ⸗ 
tigen Einflüffen der Bhilofophie und einer gelauterten Res 
ligion hatte er den Sieg über feine Leidenfchaften zu 
danken; wie feicht. mußte ihm nicht dieſer Sieg werden, 
da diefe Religion und Philoſophie unter dem Reize der 
ehelichen Liebe, unter der Mine einer zärtlichen und 
forgfamen Gattinn jedes Feine Gewitter verwehte! Auch 
erkennt er den Werth eines folchen weiblichen Genius 
und nach 34. Jahren ift ihm feine Gattinn noch eben fo 
tbener wie an dem erften, bochzeitlichen Tage. Ihm 
gebahr fie dreyzehn Kinder, davon find noch fechfe am. 
Leben, und von einer Tochter, die im Wochenbett ſtarb, 
ein hoffnungsvolles Kind. 


Immer mit den beften und weifeften Menſchen umge, 
ben, mußte er notbiwendig auch felber weife und tu⸗ 
gendhaft werden. Zwar hatte er einen ſtarken Hang zur 
Trägbeit und Gemächlichkeit zu bekämpfen; hiezu kam 
noch ein ſchwaches Geficht, das ihm dad Lefen und 
Schreiben bey Tage mübfam , und des Nachts beynade 


18 . BBans Cäfpar Zirserl 

gänzlich ohmmöglich machte. Diefe natürlichen Hinder⸗ 
nie zu gefchäftigem Leben überwand dad allgemeine 
Wohlmollen und jene warme Menſchen⸗und Bürgerliche, 
Die alle feine Handlungen befeelten. Wenn wir ihn in 
feiner andgebreiteten Thätigkeit, ald Menſch, ald Hause 
vater , ald Arzt, ald Mitglied der Regierung u..f. w 
betrachten , fo begreifen wir nicht , wie es ihm möglich 
geweſen, in feinen feltenen Erholungsſtunden gröffere 
Werke bervorzubringen, ald mancher , defien Beruf und 
Hauptgefchäfft die Litteratur iſt. Für eine Wiffenfchaft 
hatte er ausfchlieffende Neigung ; alles Wißbare reiste ihn 
gleich ſtark; für jeden groffen Mann in jedem Sache war 
feine Seele mit Hochachtung erfüllet. Wenn er Schrift 


“ fielee worden, fo gefchah es allemal bey befonderer Ges 


Iegenheit und zu befonderer Abficht; nicht blos ald Tas 
binets⸗ oder Catheder- Gelehrter, vielmehr ald Menſch und 
ald Bürger war ed, daß er die Feder zum Schreiben 
ergriff, und fo ward er Autor, wie es die römifchen und 
griechifchen Klaffiter geworden — eben deswegen finden 
wir in feinen Schriften das Gepräg der Menſchheit und 
des Patriotiſmus; in denfelben athmet populäre, ſocra⸗ 
tiſche Weisheit, immer ‚genau angepaßt auf Zeit, Ort 
"und Perfonen, ganz von jenen Schul: Chrin und Ge 
meinplägen fchriftftellerifcher Mietlinge verfchieden.. 


Dichtkunſt war fein Labſal; bey aufferordentlichen 
Empfindungen machte er feinem Kerzen Luft, indem- 
‚er daſſelbe in Gedichte ergoß; daher Eommt ed, daß ſich 
diefe Durch dad Indivi duelle und Originale, Durch ims 
mer neuen und eigenthuͤmlichen Schwung unterfcheiden. 


Voll von Ideen und Bildern, fortgeriifen von dem kuͤh⸗ 


nen, poetifchen Strohme, fehlte ed dem Verfaſſer an 


Sans TCafpar Hirzel 209 


Zeit und Geduld , lange an dem Rhytmus zu feilen. 
Nicht Kunft, nicht Antorfucht, fondern Das Herz allein 
war es, welches fein Genie regierte. Go entilanden 
die Empfindungen ded Frühlings im J. 1750. durch die 
Freude veranlaffet, die ihm Kleiftd Gedicht verurfachte 
— fo die Empfindungen bey Betrachtung ber Schoͤp⸗ 
fungswerke im J. 1751. — fo die Seligkeit chlicher 
Liebe im J. 1755. bey der glücklichen Verbindung feines 
Bruderd. — Andere Gedichte, fowol von Inrifcher Gats 
tung ald im dem Geift der horazifchen Epifteln fcheint 
er aus einer für das Yublicum nachtheiligen Beſchei⸗ 
— im PYult zu vergraben. 


Im J. 1748. hielt er die Sommerborlefungen de 
vere ad felicitatem via. 


Mit dem berühmten Salomon Seiner geriet er nicht 
nur in nahe Berwandtfchaft , ſondern genof auch feis 
nes täglichen Umgangs, » Dadurch befam er Gelegens 
beit , Geßners poetifched und malerifched Genie gleich. 
fam vom Keim, von der Kuofpe an bis zur Entwicklung 
au beobachten. Das Schreiben über die Annehmlichkeit 
der Zergliederungskunſt, weiches dem Krito einverleibt. 
ift, enthält die Gefchichte der RER mit diefem 
aufblühenden Genie. 


Sp unmiderftehlich indeffen Hirzels — für die ſchoͤ⸗ 
ne Ritteratur war, fo machte er fich immer heilige Pflicht 
daraus , diefen Hang feinem jedesmaligen Amte unters 
zuordnen. Im J. 1751. ward er zu einem Unter⸗Stadt⸗ 
arzt erwählet, zugleich ward er Mitglied des Sanitaͤts⸗ 
rathes; feither führte er bey den mebdicinifchen Rätben, 
weiche bey Menſchen⸗ oder Viehſeuchen mitgetheilt wur⸗ 


t1® dans Caſpar Hirzel 


den, bald allemal Die Feder. Mehrere diefer Räthe find 
durch den Druc bekannt gemacht worden. Im J. 175%. 
ward er von der Regierung zu einer Committee gezogen, 
weldyer wir eine beffere Einrichtung der Wundgefchaus 
oder der oberfeitlichen Anftalten zur Beſorgung armer 
Patienten zu danken haben. Auch ward Hirzel zu einer 
andern Committee berufen, die er felbft veranlaffet Hatte, 
um auf den Fall anſteckender Seuchen ein Lazareth in 
Bereitfchaft zu haben. Wuͤrklich ward Bad Haus am 


Sellnau dazu eingerichtet, als es einige Jahre hernach 


abdrannte, ward das in Wiedicon liegende Landgut ins 
Schimmel zu diefem Gebrauche gewiedmet; der dabey 
ſich befindende Garten ward zu Landwirthfchaftlichen 
Verſuchen für die naturforfchende Gefellfchaft beſtimmet. 
Im J. 1757. erhielt Hirzel wegen feiner gemeinnügigen 
Bemühungen eine Vermehrung feines Einkommens; im 
J. 1761. ward ee zum Oberfladtarzt erwählt ; damit 
erhielt er den Borfik bey der Wundgefchau, auch ward 
ihm die Pruͤfung der Wundäarste und Hebammen nebit 
der Beſorgung des Spitals aufgetragen. 


Einer von den ſeltenen Aerften iſt Hirzel, die um fo 
viel gröffer find, je mehr fie den Schein beſondrer Gröffe 
verbergen. Wenn andre nicht einmal dad Mafchen der 
Hände oder dad Ausſpuͤlen ded Mundes anraten koͤnnen, 
ohne latein und griechifch unter ihre Vorfchrift zu werfen, 
fo it ihm Hingegen jede Charletanerie tödlich zuwider ; 
"menfchenfreundlich fihent er die Schwachheiten und 


Vorurteile der Kranken ; gewilfenhaft aber verab⸗ 


fcheut er jene Politik gewoͤhnlicher Aerzte , Die bald 
durch Merzärtlung , bald durch Vergroͤſſerung oder 
Verringerung des Uebels daſſelbe unheilbarer ma⸗ 





rg — 


dans Caſpar Hirzel 118 


chen. Mag auch der wahre Arzt, der leibliche wie der 
geiftfiche , ſich unfchuldige Taufchung oder pias fraudes 
erlauben, immer wird er mit Eifer fchädlichen Aberglau⸗ 
ben beftreiten. Sehr oft gelang es fonft Hirzeln , durch 
Berbindumg pſychologiſcher und phufisioyifcher Kanntnif, 
den Geiſt durch körperlichen , fo wie den Körper durch 
geiftigen Eindruck zu heilen. So 3. B. befreyte er in 
den Bädern einen Patienten vom Fieber, welches unges 
achtet gänzlichee Reinigung des Leibes, die Einbildung 
tagtäglich zur gleichen Stunde erweckte; bis zu Diefer 
Stimde fehlte dem Patienten nicht daB geringfte; Hirzel 
ließ alfo, ohne fein Wiffen, den Zeiger an den Ihren 
im Badhauſe zuruͤckziehn; bey vermeinter Zeitverzögerung 
blieben auch die Symptomen zuruͤck; nach Entdeckung 
des unfchuldigen Betrugs verlor fich dad eingebildete Fie⸗ 
ber. Wenn indeg Hirzel Einbildung durch Einbildung 
Defiegte , fo eifrig wiederſetzte er fich hingegen jenen mes 
Dicinifchen Schtwarzkünftleen , welche den einen Dämon 
Durch den "andern verbannen , das iſt, durch Tafchen 
fpiel und Wundercuren den Aberglauben verbreiten. Ein 
Dorfichulge an dem lifer des Zürcherfees befchrieb ihm 
Die fürchterlichen Zuͤckungen feiner Muͤndelkinder als vers 
meinte Verhexung; mit Recht glaubte Hirzel den Grund 
der Verhexung in ben Würmern zu finden; diefe fuchte 
er durch Purgiermittel zu beſchwoͤren; anbey begriff er, 
Daß auch nach ihrer Vertreibung, wegen mechanifcher 
. Angewöhnung , die VBerzehrung der Glieder immer noch 
fortdauren können; um den Reiz dazu völlig zu tilgen, 
empfahl ee die Ruthe ald ein Schreckmittel, welches die 
Grimaffen der Kinder am Eräftigfien zurüdhalten könnte. 
Diefes Mittel ward von dern zärtelnden Vormuͤnder 
verworfen ; lieber nahm er jest Zufucht zu einem Quad» 


FR 


| ‚12 Sans Lafpar Hirsch 


ſalber; glůcklicher Weiſe blieben die vorgebliche Zauben 
kuͤnſte deſſelben fruchtlos; voll Unwillen jagte ihn der 
Vormuͤnder aus dem Hauſe und im Zorn ergriff er die 
Ruthe, indem er die Kinder bedrohte, daß er ſio bey er⸗ 
ſter Verzehrung der Glieder halb todtſchlagen werde; 
durch die Furcht wurden ſie von jeder Verſuchung zu 
neuen Convulſionen geheilet. Von aͤhnlicher Krankheit 
heilte er andre Kinder, die aus dem Turbenthal nach dem 

Spitale in Zuͤrich gebracht wurden; nach Willkuͤr, wie 
und wenn mans verlangte, eonnten fich die Kinder in 
die heftigfte Zuͤckung der Glieder verſetzen; fchon fehries 
Ben dieje, Exfcheinung die Einen geldgierigem ‚Betrug , 
Die Andern der Hexerey zu; nach forgfültiger Unterfuchung: 
fand Hirzel, daß Eein vorfeglicher Betrug ftatt haben konn⸗ 
te ; allju naiv und offen war dad Betragen der Kinder und 
als die ehrlichiten Leute zeigten füch ihre Aeltern ; Die Verzeh⸗ 
rungen, die überhaupt von den Würmern herrühreten, hatten 
ſich nach feiner Meinung, durch gegenfeitige Nachahmung 
der Kinder vermehret; nachdem. er fie gereinigt hatte, 
fehichte er fie nach Haufe, mit Befehl, fie nicht allein 
beyfammen zu laſſen, fie HeiffigYzur Arbeit anzuhalten, 
und bey erſter, conpulfivifchee Bervegung die Rute zu 
Brauchen. Die Rute war dad Zaubermittel, wodurch 
fie in kurzer Zeit völlig geheilt wurden. Wie hoͤchſt une 
verantwortlich hingegen iR ed, wenn fo mancher Marks 
fchreyer oder Vieharzt zwar ebenfalls Durch ganz natuͤr⸗ 
liche Mittel ein Gebrechen wegbebt, dabey aber, um 
- entweder feine Kunſt verborgen zu halten, oder fie. defto 
wichtiger zu machen, ſolche Dinge einmifcht, die eigents 
lich zue Heilung nichts thun, obfihon er fie als uͤberna⸗ 
türliches Hilfsmittel feil deut? Nicht nur wird auf 


Be 





Sans Lafpar Hirzel 1d 


ſvlche Weife der Fortgang ber Naturlehre und der Ars 
neykunft gehindert, fondern auch die natürliche Ordnung 
Der Vorficht verworfen. Wenn auch im dieſem -oder 
jenem Falle die aberglaubiiche Einbildungstraft jur Hei⸗ 
lang eines Uebels beyträgt, wie fehr kann fie nicht in 
manchen ahdern Fällen unruhige Bewegungen und Krank⸗ 
beiten erzeugen? Wie manche, arme Vettel bat fie 
nicht auf dem Richtplag in den flammenden Scheiters . 
baufen geworfen? — Einen lofen Kerl aus der N farre 
Stäfa beilte Hirzel von den Schnekken, Müden, Spin⸗ 
sien und andern Inſecten, die fich in feinem Magen er⸗ 
zeugten,. auf folgende Weife: Er übergab ihn dem ob⸗ 
rigkeitlichen Wundarzt in Zurich, mit Auftrag, dag Nie⸗ 
mand mit ihm fprechen folle; theils aus tödtlicher Lange 
weile, tbeild aus Mangel folcher Schneden, Würmer 
und andrer Inſekten, Die er bisher Durch Tafchenfpiel 
zu ſich nahm und von fich gab, ſah er fih zum Ges 
ſtaͤndniß feines Betruges genoͤthigt. Auf gleiche Art 
beilte er einen ungen, der kleine Kiefel. in. die Vor⸗ 
Haut verbarg und alsdenn die Leute beredete , daß 
fein Urin ſchwarz fen und dag mit demfelben kleine Steine 
weggehn. — Ein Kind zu Wollishofen ward bald fie 
verhext, bald für eine Hexe erklaͤrt; fo oft ed nämlich 
in die Webftube hinein trat , ward dieß umd das (vera 
mutlich in geheim durch die Schalkheit des Kindes, ) 
an dem Gewebe verletzt. Das Kind kam In. den Spis 
tal; aus Furcht, als Betrügerin geftraft zu werden, 
gab es fich für verzaubert aus; fo lang: trieb es dieß 
Spielwerk, biß es fich zulezt felbit betrog und für ver⸗ 
zaubert und dem Teufel verkauft hielt. — Um se aa 
ı, nn 


es 


134 Sans Catp.ar Hirzel 


berimasination alle Nahrung zu vanben , befabl nie ' 
mehr Hirzel bey Verluſte des Dienſtes, ‚daß niemand 
mit dem Finde von feiner Hexerey forechen und dag man 
ed mit der Ruthe züchtigen ſolle, fo bald es bievon au 
zeden anfangen wide; zugleich ward das Kind frühe 
und ſpaͤte mit Handarbeit und mit unterricht im Leſen 
und Schreiben und in der Religion fo ſehr beichäftigt » 
daß endlich der Teufel, da er fein weiteres Gehör fand, 
von ſelbften den Ylatz raumte. z 


um dieſe Zeit erhielt ee von Tiſſot das angenehme 
Geſchenk von feinem medicinifchen Avis au peuple. Dies 
ſes gemeinnuͤtzige Werk überfegte er; im einer Einleitung 
fchildert er den Character des wahren und falfchen Atze 
tes durch folche Kennzeichen , welche auch einen Fremde 
ling in dee Arzneykunſt ohne Mühe zu gefchicter Aus⸗ 
wahl eines Arztes beſtimmen. 


Om Betreff der Hebammenordnung fand er, vorzuͤg⸗ 
lich auf der Landſchaft, fehr gefährliche Mifbräuche und 
Mängel. Daber machte er ed fich zur Nicht, wüchente 
lich zwo Stunden unentgeltlich Dem Unterricht der Heb⸗ 
ammen zu wiebmen. Da diefe unterweiſungen fchlecht 
beſucht wurden, wandte er ſich am bie hohe Regierung; 
im Jahr 1774; ward alfo Die oberkeitliche Verfügung 
getroffen , daß alle Dorffchaften Huͤlfshebammen waͤh⸗ 
fen und ſolche in ihren Koſten in der Nähe der Stadt. 


für einen Monat unterhalten ſollen, damit fie dem Un⸗ 
terricht deſto beſſer abwarten koͤnnen. 


- Zen der chirurgiſchen Prüfung ſah er oft mit Bedau⸗ 
zen, daß, aus Mangel der nöthigen Glüdägüter , Die 





Sans Tafpar Hirsek 115 
jungen Wundaͤrzte nur den Barbierſtuben nachgehen. — 
Darum trug er den gefchwornen Meiftern unter den - 
Wundaͤrzten vor, dad Geſetz wegen Wanderfchaft ber 

Landſchaͤrer dahin abzuandern , daß ein Aufenthalt in 


der Stadt ihnen, für Die Wanderzeit dienen ſollte. Auch 


ward diefed genehmigt. Im J. 1754. ward einem ana⸗ 
tomifchen Demonftrator ein oberkeitliches Gehalt geord» 
net und eine Committee niedergefeßt zur befländigen Aufs 
ficht über diefes Inſtitut. Bon Hirgeln ward dieſes er⸗ 
neuerte Inſtitut inauguriert. 


Im J. 1964. hatte er angefangen , feinem Sohn in 
der Arzneykunſt Anleitung zu geben. Beh ſonſt übers 
hauͤften Gefchäften bediente er fich hiezu der früheften 
Morgenfiunden. Schon über ein Fahr Hatte er ihn zu 
denen Befuchen in dem Spital mit fich genommen; ibn 
fieß er alle Symptomen: ber Kranbeiten aufjeichnen, 
dictirte im die vorgeftheiebenen Arzneyen, lieh ihn ihre 
Würkung bemerken und aufzeichnen ; dieſe empyriſche 
Känntnif der Krankheiten und ihrer Heilart ward alds 
dann durch nachherige Kunfitheorie aufgeheitert. : Bey 
den Vorleſungen über die Phyſiologie legte er Hallers 
‚ primas lineas — über Die Pathologie und über die uͤbri⸗ 
gen Theile der Arzneywiſſenſchaft, Boerhaaven und Gau⸗ 
ben, — über die ausübende Arzneykunſt Boerhaavens 
Aphorifinen und Home's Grundfäke zum Grunde An 
Diefen Vorleſungen ließ er mehrere Studiofos "Antheif 
nehmen , bie ihn auch bey feinen Spitalbefuchen begleis 
teten. Diefe für ihm angenehme Beichäftigung ſetzte er 

einige Jahre fort , und er hatte Das Vergnuͤgen, geſchickte 
Werzte unter feinen Schuͤlern aufiwachfen zu ſehen. 


116 aans Lafpar Hirzel 


Als groſſe Aufmunterung in feinen Studien erkennie 
Hirzel die Freundſchaft des Leibarztes Zimmermann. 
Mit dieſem wechſelte er vom J. 1757. bis zum J. 1770. 
da er nach Hannover berufen worden, alle Wochen re⸗ 
gelmaͤſſig Briefe. In dieſe ergoſſen ih Kopf und Herz; 
beyde theilten einander ihre Lecture, ihre lange 
ihre innerſten Herzensgedanken mit. 


Im J. 1761. entfchloß fich die naturforfchende Gefells 
fchaft, einen Band ihrer Abhandlungen heraus zu ges 
ben. Diefen wurde Hirzels Einweyhungsrede von dem 
Einfluß der naturforfchenden Gefellfchaften, beſonders 
auch der zürcherifchen Gefellfchaft beygefügt. In dem 
gleichen Bande befindt ſich Hirzels Befchreibung eines 
bösartigen Pockenſiebers, wie auch Die erfie Ausgabe der 
Wirthfchaft eines: philofophifchen Bauers; auf diefe 
Ausgabe folgten mehrere mit wichtigen Zuſaͤtzen — auch 
Ueberſetzungen -in verfchiedenen Sprachen. Der dermebr⸗ 
ten Ausgabe vom J. 1774. find einige Briefe an gelehrte 
Freunde angehängt. In diefen Briefen befinden fich neue 
Nachrichten zur Beleuchtung des moralifchen ſowol als 
des wirtbfchaftlichen Characterd feines philofophifchen 
Landmanns; fo denn die Gefchichte von den Bemühtins 
gen der öfonomifchen Gefelifchaft zur Aufnahm der zürs 
cherifchen Landwirthichaft. An Aufnahm derfelben hatte 
unfer Hirzel nicht geringen Antheil, da er von Anfang 
gun zum Praͤſidenten bey den Unterredungen mit den Lands 
Teuten verordnet und im J. 1770. zum Vorſteher der oͤco⸗ 
nomifchen Commiffion ernannt worden. Auch hat man 
ihm die Dorftabellen zu danken, Die zur Känntnig der 
verfchiedenen Zweige der Landwirthſchaft veranſtaltet wor⸗ 
den. Seine landwirthſchaftlichen Bemühungen brachten 


Sans Cafpar Hirzel. 115 
ihm auch die Ehre zuwegen, daß er im J. 1763. vom 
der öconomifchen Gefellfchaft in Bern, und im J. 1766. 
von der koͤnigl. Societät zu Metz den auswertigen its 
gliedern beygezählt worden. 


Im Maumonat 1762. wohnte er in Schimnach einer 
freundſchaftlichen Verſammlung bey? Hiebey gab er 
Anlaß zur Stiſtung der heldetiſchen Geſellſchaft; auch 
ward er zum erſten Vorſteher erwaͤhlet. Ein Jahr her⸗ 
nach erhielt er. von dieſer Geſellſchaft den Auftrag, dem 
Doctor Zellweger in Trogen für eine von ihm eingeſandte 
Abhandlung zu danken. m gleicher Zeit aber ftarb die» 
fer würdige Patriot und freydeſkende Philofoph ; Hits 
zels Zufchrift an ihn ward alfo in ein Denkmal dieſes 
Mannes verwandelt. Diefes und andere Denkmale, die 
‚man. den verftorbenen Mitgliedern der helvetifchen Ge⸗ 
ſellſchaft errichtete, erweckten bey dent erlauchten Buͤr⸗ 
germeifter Ott den patriotifchen Wunfdt, daß man auch 
verdienten Eidgenoffen auffer dem Kreife dieſer Geſell⸗ 
ſchaft folche Dentmale aufrichten möchte. Hirzel wählte 
fi) Hand Blaarer von Wartenfee ; diefen erhabenen . 
Staatsmann hatte er von Fugend auf perfünlich beobach⸗ 
tet; er freute fih, Anlaß zu haben, feinen jungen Mit⸗ 
bürgern in der Gefchichte eines Mannes , dem jeder mußte 
Gerechtigkeit wiederfahten Iaffen , das Bild eines ächten, 
zürcherifchen PBatrioten zu zeigen, und zwar zu einer 
Zeit, da eine politifche Schwärmerey fehädliche Folgen 
für Das Vaterland befürchten ließ. 


Im J. 1763. ward Hirzel in den groſſen Rath erwaͤh⸗ 
let; mit dieſer Ehre übernahm er neue Pflichten; um 
dieſelben treu und geſchickt t u. erfuͤllen, durchlief er in 

den ihm uͤbrigen Stunden die Saterländifchen Gefchichte 


N 


18 dans Lafpar Birsek. 


amd Geſetze; auch. hatte er dad Gluͤck, bey verſchied⸗ 
nen Anläffen das Zutrauen feiner Mitbuͤrger zu gewin- 
nen. Er ward zu vielen ſowol beftändigen als zufälligen 
Kommiffionen geordnet. — In gleichem Jahr ward en 
zum Benfiger der Sunode erwaͤhlet; dieſes gab ihm 
"Gelegenheit, unter der Geiſtlichkeit eine Menge gelehrter 
und würdiger Männer kennen zu lernen ; “zugleich warb 
er dadurch veranlaßt, des Inſpector Simlers, feines 
ehmaligen, innigft geliebten Lehrerd, academifche Rede , 
von der brüderlichen Liebe unter den Glicdern unſrer 
Kirche in dem Anfang des XVI. Jahrhunderte, zu uber. 
fegen ; dieſer Rede ift Conrad Geßners letzter Wille bey⸗ 
geſetzt worden. | 


Kaum war Hirzel in den groſſen Rath erwaͤhlt more 
den, als man ihn dem neueingerichteten Tribunal bey⸗ 
geſellte, welchem Die Aufficht über Die auͤſſern Sitten an⸗ 
vertraut iſt; auch bediente ſich feiner Die Regierung bey 
Errichtung eined Polizeygeſetzes für das Landvolk. — 
Das folgende Fahr ward er in die Commiſſion verords 
net, welche die Erbauung des Waifenhaufed und die 
Einrichtung des Zuchthauſes beforgte. Ebenfaltd warb 
er ein Mitglied der. Commiſſionen zu beffewer Einrichtung 
der Yenter » Rechnungen, zur Unterſuchung ber ober⸗ 
feitlichen Zehntenrechte, zur Verbeſſerung der Waldun⸗ 
gen, zur Verbeſſerung der Schulen u. ſ. w. Die Stif- 
tung der Kunſtſchule gab ihm Gelegenheit zur Verferti⸗ 
gung einer katechetiſchen Anleitung der geſellſchaftlichen 
Richten, weiche in der. Kunffchufe zum Grunde dee 
Unterweiflung gelegt wird ; auch ward er den hoben 
Kuratoren dieſes gemeinnüßigen Inſtituts beygeordnet; 
ſo· unermuͤdet als er vormais an dem Entwurf deſſelben 





Sans Cafpar Hirzel «um 


gearbeitet hatte, eben fo fehr war er Feb um feine Eis 
Baltung und Aufnahme bemuͤhet. 


unter vielerley Geſchaͤfften ſchrieb er in einigen Er⸗ 
holungsſtunden den pbilofaphifchen Kaufmann, Frag⸗ 
ment eines gröffern Werkes, welches er nicht fortgefeit 
bat. — Beſonders wichtig find feine beyden neueften Wers 
te, das eine Sulzers, — das andre Heideggerd Leben. 
Zu Berfertigung diefer unfterblichen Dentmale war er 
um fo. viel fähiger, da er mit diefen beeden Männern 
ſehr vertraulich geweſen. Für das vorzuͤglichſte Gluͤck 
ſchaͤtzte er ſeine zahlreiche Bekanntſchaft mit groſſen und 
edeldenkenden Menſchen. Mit beſcheidenem Selbſtgefuͤhl 
ſagte er oſtmals, daß, wenn er etwas Gutes vollbracht 
habe, ſolches als Zuruͤckprellung der Einſichten und Hand⸗ 
lungen, die ihn in ſeinen Freunden geruͤhrt hatten, Alle 
zuſehen ſeyn muͤſſe. | | 


Im J. 1778. ward er durch freye Wahl in den tag⸗ 
lichen Rath aufgenommen; bald darauf ward er dem 
Kirchenrath oder dem Collegio ' Examinatorum beygeſel⸗ 
let. Durch den Beyfis in diefem Collegium erhielt ce 
Die befte Gelegenheit, nach Herzenswunſch für Ausbreis 
tung gelauterter Religion und für den -Sffentlichen Un— 
terricht in der Stadt und auf dem Lande, in hoͤhern 
und niedern Schulen, zu forgen. — Im J. 1780. ward 
et zum Mitgliede der, neuerrichteten, oberkeitlichen Com⸗ 
mittee zur Beförderung des Landhaus erwählet. Auſſer 
vielen andern wandelbaren Commiffiönen, wohnt er auch 
den vieljährigen Berathfchlagungen über die Erneuerung - 
bes franzöfifchen Bundes und über bie genferiſchen ee 
tigkeiten bey. — 

— — se 3 








Johann Georg Sulzer (). 


2,3 


’ 3 

Deen⸗ erblickte das Weltlicht den 16. Octob. 1720. 
— in Winterthur, einer Municipalſtadt des zuͤrcheri⸗ 

ſchen Kantons. Die Eiferſucht, womit die Einwohner 
feines Geburtsortes uͤber ihre Freyheiten wachen, floͤßte 
bey Zeiten auch ihm jenen Geiſt der Freyheit ein, der 
alle ſeine Reden, Schriften, Thaten beſeelte. In der 
Jugend hatte ſein Vater die Verfolgung der Reformir⸗ 
ten in Frankreich erfahren. Dadurch ward in feinem 
Herzen Abſcheu gegen religioſen Parteygeiſt erzeugt, und 
lebhaft pftanzte ſich dieſer Abſcheu auf den Sohn fort. 
Im J. 1734. an gleichen Tag verlor unſer Sulzer Bas 
ter und Mutter. Yon fünf und zwanzig Gefchwiltern 
war er das juͤngſte, und wer ihn gefennt hat, ift übers 
zeugt , daß er nichts weniger als die Frucht erſchoͤpfter 
Lebenskraͤfte geweſen. — Bey zahlreicher Familie konnte 
= Erbtheil nicht anderſt ats ‚gering feyn. Kaum: daß 

es zur Erziehung hinreichend war. Unſer Suker warb 
dem geiſtlichen Stande gewiedmet. Der pedantiſche un⸗ 
terricht war ihm zuwider. Anſtatt des Studiums der 
Pr trieb er lieber geogranhiſche und coſmogra⸗ 








I: 4. viel lichen, — wir uns auf turzen Nas 
fog cin, da Hirzel eine Lebensbefchreibung von Gulzern. ge⸗ 
ſchrieben, die in jedermanns Goal fegn wird. an fh 
Much Formen und Blanfenburg- 





A 


Johann Beörg Sulsee ma 
phiſche Studien. Reiſebeſchreibungen und Scheuchzers 
Naturgeſchichte waren feine Lieblingslecture. Vom Bas 


fer hatte er Geſchmack am Gartenbau und — an 
der Landwirthſchaft geerbet. | 


Im J. 1736: ward er auf das Gymnaſium * Zuͤ⸗ 
ich geſchickt. Wolf teutſche Metaphyſik war das erſte 
gelehrte Buch das er mit‘ Aufmerkſamkeit lad. Sein 
Tiſchherr Hingegen empfahl ihm nichts ald die Bibel. 
Die öffentlichen Vorleſungen waren zu wenig zu feiner 
Faſſungskraft heruntergeftimmet. och ziemlich unmwif 
fend verließ er den academifchen Hoͤrſaal. Das ſitzende 
Leben war ihm zumider. Luftparteyen, Spaziergänge, 
ESpiele raubten ihm alle Zeit weg., Immer blieben feing 
Sitten unfträflic). Johannes Geßner war ed, der durch 
. Benfpiel und Handleitung ihn zum Tempel der Gelehr⸗ 
famteit führte. Auch Bodmer und Breitinger' ſuchteü 
den Geſchmack des Juͤnglings au bilden. Noch blieb er 
unentſchieden zwiſchen dem Studium der hebraͤiſchen | 
Sprache, der wolfianifchen Philoſophie und Linne s Syſtem. 
Im. 1739. ward er zum Predigamt eingeweyht. Im 
J. »740. ward er Hausinformator in einem der beiten 
zürcherifchen Hauͤſer. Hierauf ward er Vikar beym Pfar⸗ 
rer zu. Maſchwanden. Geruͤhrt von den Schönheiten der 
‚Natur fehrieb ee im F 1741. die moraliſchen Betrachs 
tungen über die Werke der — welche Sach in Ders 
lin N . 

An den Gegenden 6 don gaſchwanden wurden einige 
Alterthuͤmmer enldeckt. Durch das Anſehn des benach⸗ 
barten Landvogts von Knonau erhielt er Erlaubniß zum 
Nachgraben. An den Ufern der Reuß, zeißhen Rare. 


ss Iohann Bears Sulzer 


— 


wanden und Lunnern wurden Ueberreſte einer aften, ve 


mifchen Stadt entdedk. 
Im J. 1742. machte Suler eine Reiſe in die — 


barten Alpen, wovon die Nachricht gedruckt iſt. Ge⸗ 


faͤhrlich krank kam er von der Reiſe zuruͤck. In Geß⸗ 
ners Haus ward er wieder geheilet. — Seither iſt we 
. #8 Hausinformator zu dem reichen Handelsmann Bach⸗ 
Mann nach Magdeburg gefommen. Im J. 1744. machte 
cr in Magdeburg ‚Belanntfchaft mit Sacken. Diefer 
Yodte ihn im J. 174:. nach Berlin. Hier genoß er Eu⸗ 
Jerd und Maupertuis Geſellſchaft. — 


Waͤhrend ſeines Aufenthaltes zu Magdeburg edirte er 


feine Ueberſetzung von Scheuchzers helvetiſchen Bergrei⸗ 
ſen. Auch ſchrieb er ſein Buch uͤber die Erziehung und 
underweiſung der Jugend. — Unterweilen batte ee den 
Beruf als Inſtructor des Erbprinzen von Anhalt⸗Bern⸗ 
burg erhalten, den er ausſchlug. — Auf Sacks und Eu⸗ 

lers Fuͤrbitte verſchafte ihm Maupertuis im J. 1747. den 
mathematiſchen Lehrſtul an dem joachimsthalſchen Colle⸗ 
gium in Berlin. Groſſe Verdrießlichteiten verbitterten 
ihm dieſe Bedienung. 


Zu Magdeburg hatte er in Bachmanns Hauſe die Nichte 
dieſes letztern, Wilhelmine Keuſenhoff, kennen gelernt. 


— LGerne unterzog ex ſich allen Unbequemlichkeiten ſeines 


Profeſſorats, da er durch dieſes in den Stand geſetzt 
wurde, das liebenswuͤrdigſte Maͤdchen zu heyrathen. 
Im J. 1750. erhielt er Koͤnig die Erlaubniß zu ei⸗ 
ner Schweizerreiſe. Unterwegs verlobte er ſich in Mag⸗ 
deburg mit ſeiner Geliebten. Von da gieng er mit Klop⸗ 
ſtock nach Zuͤrich und tam glücklich nach — BR 


- 





Johann Georg Sulzer 12 


Den 39. Dctob. 1790. ward er zum Mitglied. der koͤ⸗ 
niglichen Gefellfchaft der Wiffenfchaften ernennet. Als 
Mitglied der philoſophiſchen Claſſe, befchäfftigte er. ſich 
mit pfochologifchen Unterſuchungen. Diefelben wurden 
feither ins Teutfche überfeßt und zufammengedruct. 
"Seine legte Abhandlung hatte die Unſterblichkeit der 
Seele zum Gegenſtand, über deren Betrachtung ihn der 
Tod uͤberraſchte. 


Ununterbrochnes Speculiren war Sulzers tätige 
Character entgegen. Er that Kleine Reifen; er lebte 
bey Hofe; er baute Hauͤſer und Gärten. Immer war 
er bereit, mit Rath und That dem Naͤchſten zu die 
nen. — Im J. 1760. hatte er feine unvergleichliche Ehe 
freundin verloren. Seit dieſem fatalen Streich erbolte 
er ſich nie völlig wieder. Um fich zu zerſtreuen, erhielt 
ee im J. 1762, die Erlaubniß, ing Vaterland zu reifen. 
Den Winter durch. befchäftigte ihn feine Theorie der 
fchönen Künfte und Wiffenfchaften , die er noch vor ſei⸗ 
nem Hinſcheid vollendete. | 


Im J. 1763. rief ihn der Frieden nach Berlin zurüd. 
Das Brofefforleben ward ihm zuwider und er verließ, - 
mit koͤniglicher Erlaubniß, den Lehrſtul. Sein Entwurf 
gieng dahin, Ach mit feinen zwo minderiaͤhrigen che 
teen in der Gegend von Zürich niederzulaſſen, um das 
ſelbſt in nhilofophifcher Stille den Tod zuerwarten. Der 
König aber behielt ihn in Berlin zurück und gab ihm ein 
Jahrgehalt, nebft einer Profeſſorſtelle bey der neuentſte 
henden Rittevacademie: Noch vor Entfiehung derſelben 
reifete er mit Mittchel, dem englifchen Gefandten, nach 


Spa. Bon da giengen fie im J. 1764. nach Srufl-  . 


Im November kam Sulzer nach Berlin zuruͤck. Se 
& 


2, Johann Georg Sulsee 

nen Garten und fein Haus hatte er verkauft. Der Koͤ⸗ 
nig aber fchentte ihm unmeit der Stadt einen Pla zum 
Anlegung eined neuen Landſitzes. An diefem Orte brachte 
er vom J. 1765. bie an fein Ende feine liebſte Zeit zu. 


. Im J. 1965. errichiete der Koͤnig eine Commiſſion, 
um die oͤconomiſchen Angelegenheiten der Academie in 
Ordnung zu digen, und diefer Commiffion ward auch 
Sulzer zugeordnet. In gleichem Jahr ward er zum Bis 
ſitator des joachimsthalfchen Gymnaſtuüms ernannt.‘ Eis 
nige Jahre hernach bekam er mit Sad und Spalding 
den Auftrag zur Reformirung der kloſterbergiſchen Schule, 
wie auch der Schulen und Gymnafien zu Stettin und 
Stargard. — Mit Eifer übernahm er den Auftrag , und 
Verdruß war die Frucht feiner Benuͤhung. — Im J. 
1768. hatte er zum Gebrauch dee Schulclaffen die Vor⸗ 
übungen zur Erweckung der Aufmerkfamteit und des 
Nachdenkens edirt. — Hierauf fchrieb er, nach langer 


Geiſtesentkraͤſtung wieder in etwas belebet, feine Anmer⸗ 


tungen uͤber Den gegenfeitigen Einfuß der Vernunft in 
die Sprache, und. der Sprache in die Bernunft. — Auch 
diefer Arbeit fieht man es nicht an, daß fie unter mans 
cherley, bald koͤrperlichen, bald öconomifchen und volis 
tifchen Befchwerben, unter Anhauͤfung ſchwarzer Galle, 
verfertigt worden. „Es iſt nun (ſchreibt er an ſeinen 
Bodmer im Maͤrz 1768) „meine Art oder Unart, Durch 


Geſchaͤfte zu dem freundfchaftlichen Briefwechfel und 


„ auch zum Studiren untüchtig zu werben. Briefe as 
„» meine Freunde find Leckerbiſſen, Gerichte eines feinen 


Nachtiſches, die man nicht zu genieſſen verlangt, wenn 


» man nicht völlige Muffe hat zu fißen 1 lang .man 


> will. ° Unterm 4. Junius fehreibt er; ,a.Ich muß 


& \ 





Johann Beorg Sulzer 1% 


„es nur geſtehn, daß ed nicht immer Geichäfte find, 
» die mich am Schreiben hindern. Bisweilen ift es 
Traͤgheit, Unmuth , oder wie dad Ding fonft zu nen, 
nen if. Hauͤſige und anhaltende Zerfireuungen ſetzen 
„ mich fo fehr aus der Faffung, in welcher ich meine 
- Gedanken fammeln fann, heraus, dag auf jene eine 
„ Stille folgt, die mir eben fo verdrießlich iſt ald Die 
» gänzliche Windftille dem Seefahrer. Alles, was fon 
» in der Geele fich zu regen pflegt , wird alddann ſchlaff, 
„, und bleibt es fo lang, bis der Geiſt, durch die Laſt 
» feiner eignen Traͤgheit gereizt, fich wieder aufrafft. “ 
— Endlich gab er im Jahr 1769. ſein vortreffliches Wörs 

terbuch der fchönen Künfte und Wiffenfchaften unſer 
die Preſſe, ein Werk, ganz den-focratifchen Grasien ger 
wiedmet. „Mit der Hauptfache , fehreibt er hierüber 
an Bodmer, „ bin ich zufrieden; ich bin überzeugt, 
„»daß ich die wahren Grundſaͤtze der Kritik gefünden, 
„, und jeden Zweig der Kunſt, wo ihre beiten Früchte, 
„» wachfen, erfenne; aber in manchen beiondern Ars 
„tickeln Hatte ich bisweilen nicht Zeit, bisweilen nicht 
3» Luft genug, jedes Einzelne lange genug zu überlegen, 
»und ich geftehe, daß ich an dieſen Stellen, oft die 
» einfachften und helleften Begriffe nicht erreicht und den ' 
» leichten und kernhaften Ausdruck nicht gefunden habe.“ 
Der erfte Theil diefes unfterblichen Werkes erfchien in 
dem Jahr 1771. In demfelben find die Mufen und 
Grazien, Geſchmack und Philoſophie, gründliche Bes 
griffe und fchöner Vortrag vereinigt; durchgängig wird 
auf den moralifchen Zweck der Künfte Rüdficht genont 
men. Zu.gleicyer Zeit fchrieb er für die Academic pſy⸗ 
chologiſche Betrachtungen über den fittlichen Menſchen. 
Im %. 1770. entwickelte ex in einer andern acabemifchen 


6 Johbann Beorg Sulzer. 


Schrift den Begriff von dem ewigen Wein. Im J. 
1771. laß er der Academie feine. Gedanken über einige 
Eigenfchaften_ der Seele, in fo fern fie mit ben Eigens 
fchaften der Materie eine Aehnlichkeit haben, zur Prüs 
fung des Syſtems von dem Materialiſmus. — Merk 
würdig ift es, dag fein Geifkfich mit Betrachtungen über 
die Todesfurcht bewafnete, da er ſich To augenfcheinlich 
dem Tode näherte. Auch aus den tiefſinnigſten Abſtrac⸗ 
tionen wußte er practifche Anwendung zu ziehn , und mit 
gelehrten Nachforfchumgen blieb immer thätiges Leben 
verbunden. — In gleicher Zeit trat er in Die Ehöreder 
Dramatiſten; nicht nur bereitete er des Mercier Deſer⸗ 
teur für dad Berliner » Theater zu, auch verſuchte er gu 
eben diefem Behuf Shackesſpears Enmbellin in ein res 
gelmäffiges Stuͤck zu verwandeln. Ein Gefchäfft, wo⸗ 
zu der Philofoph wenig gemacht fihien! 


um diefe Zeit Hatte Sulzer den erſten Anfall von je⸗ 
ner Krankheit, die ihn der Weltraubte. . Hirzel erzählt, 
daß er fich auf einer Reife, die er nach Dresden und 
Leipzig that, und auch nachher auf feinem Landgut, vers 
fältet, und dadurch ein Bruftfieber fich zugezogen, das 
er vernachläffiget habe. Andre Leute erzählen es anders. 
Die Königinn von Schweden war in diefem Jahr in 
Berlin; fie ließ Sulzern einſt, an einem heiſſen Som⸗ 
mertag, ſpaͤt zum Eſſen einladen; er war ſchon erhitzt; 
ungluͤcklicher Weiſe kam er in einem Zugwind zu ſitzen, 
und jenes ungluͤckliche Fieber war die Folge. Unaufhoͤr⸗ 
lich kraͤnkelte er von dieſer Zeit an. J | 


Im December ı771. erhielt er eine Einladung‘ vom 
Herzöge von Eurland nach Mitau, um ihm Bey Errichs 
tung eines neuen Gymnaſtums beyſuſtehen; er lehnte 








Johann Georg Sulzer 227 


die Einladung ab, entwarf aber, Trog feiner Kraͤnklich. 
keit, den Plan zu dieſem Gymnaſium, und bemühte ſich 
eifeig um gute Lehrer für daffelbe. Ä 


Im Herbſt Des Jahres 1773. war er durch Kraͤnklich⸗ 
£eit zu den Gefchäfften in der Ecole militaire unvermde 
gend geworden. et wünfchte er nur fo lange zu leben, 
bis er feine Theorie vollendet hätte, und diefe vollendete 
e im J. 1774. — Was ihm feinen Eränklichen Zuftand 
am befchmwerlichfien machte, wer , wie er an Herrn Reich 
ſchrieb, „ der Drud dee langen Weile, da er fo viele 
> Tage ganz allein, in feine Stube eingefchloffen zubrin⸗ 
„gen mußte. — Es Eränft mich, dag ich in einem Als 
„ ter, welches eigentlich das goͤldne Alter fo vieler mei⸗ 
„ ner Mitbrüder if, unbrauchbar ſeyn fol. Ich fange 
„ an, des Lebens überdrüffig zu werden. “ — Sein 
Zeitvertreib war Netze ſtricken, womit er künftigen Som» 
mer Fifche fangen wollte. Diefer künftige Sommer im 
J. 1775. kam mit immer zunehmenden Leibesbefchwer. 
den, obgleich fie in den Diemoiren der Academie auch 
noch in diefem Jahr von ihm Arbeiten befinden, naͤm⸗ 
lich die Abhandlungen über die Unfterblichkeit re Seele 
phyſikaliſch betrachtet. 


Zur Erleichterung feiner Leibesbefchwerden machte er, 
auf Hallers Anrathen, eine Reife nach Nizza, wovon - 
das fehr intereffante Tagebuch gedruckt if. Auf dieſer 
Reiſe erhielt er den legten Beweis von der Achtung des 
Königs von Preuſſen; er ernennte ihn, in feiner Abs 
wefenbeit, zum Director der philofophifchen Klaffe der 
Academie. — In dem reinern Klima von Italien ſchien 
feine Befundheit zu gewinnen; allein. im Herhſt 1776, 
vermehrten fich feine Befchwerlichkeiten. . 


⸗ 
28 Johann Besrg Sulzer 


Am Ichten Tage des Jahres 1777. ließ ihn dev König: 
von Preuſſen, nebſt Herrn. Merian zu fih rufen, und 
Formey berichtet, daß Sulzer nach ziemlich Janger Un⸗ 
terredung mit dem gekrönten Bhilofophen feinen Freuns 
. den gefagt habe, er beftätige von ganzem Herzen Vol 
tairens Urtheil von dern König, den er für Dem geiftreiche 
ſten und angenehmften aller Menſchen in der Unterhal⸗ 
tung erklaͤrte. Unter den verſchiedenen Gegenſtaͤnden des 
Geſpraͤches mit dem Monarchen war die Religion nicht 
der geringſte. Da fie dieſer bisher entweder durch ots 
thodoxe Pedanten oder durch Teichtfinnige Freygeifter nur 
fchief anfehen gelernt hatte, fo ward ca nunmehr fuͤr 
Diefelbe mit Ehrfurcht erfüllt, als ihm Sulzer den wohls 
thätigen Einfluß des fpaldingifchen und telerifchen Lehr⸗ 
begriffs vor Augen geſtellt hatte. 


„ Den Tag vor feinem Tode, fchreibt- fan — 


Weguelin, „redete Sulzer noch mit alter moͤglicher Hei⸗ 


„terkeit des Geiſtes mit feinen Freunden. Als er einſt⸗ 
„mals durch Heftige Schmerzen darinn unterbrochen 
„wurde, ſtieß er einen Schrey aus, ſetzte aber gleich 
» Hinzu: Ach Gott, du bift auch Vater; du wirft mir 
„ nicht mehr auflegen , als ich tragen kam. — Und nun 
» fuhr er ruhig fort. er ihm einer feiner Freunde an 
„ diefem Tage fagte, er hoffe ihn noch einmal wieder zu 
3, fehen, antwortete er fehr gefeßt: ja, auch ich hoffe 
» 68; ohne diefe Hoffnung würde das Leben ein elen⸗ 
„ der Traum ſeyn. * — Er entfchlief fanft den 25. Febr. 
1779. und zeigte bis auf Die letzte Viertelſtunde Geſund⸗ 
beit und Gegenwart der Seele. 


Sulzer bat iwo Toͤchter ans De aͤlteſte iſt 
| an 





Iobann Beorg Sulzer np. 


gen den churfurſtich⸗ fachfifchen Bofpoetsaitmahle , Graf 
- von Winterthur, verheyrathet; die jüngfte verheyrathete 
ſich erft nach dem Tode des Vaters mit Heren Chevalier, 
Eöniglichem Mahler in Berlin. An diefe legtre war De 
aus den Zeitungen bekannte Brief des Herzogs von Eurs 
land gerichtet, der hier zum Befchluß eine Stelle vers 
Dienst, Er war aus Mitau vom 23. April 1779. 


.n Schon lange ſuchte ich Gelegenheit, Ihrem wuͤr⸗ 
ↄ digen Vater, dem ſeligen Herrn Sulzer, fuͤr die Bes 
a» muͤhungen, die er aus Kreundfchaft zu mir übernahm, 
. » und.für die währen Vortheile, die ihm meine Inter, . 
thanen verdanken Beweiſe meiner Erkaͤnntlichkeit zu 
„geben... Sein Tod, ein Verluſt, an welchem ich mif 
» Ihnen Theil nehme, bringt mich um das Vergnügen, 
3. meine Abſi cht auszuführen. : Ich ſchmeichle mir. daher, 
» Sie. werden mir bie. Genugthuung nicht verſagen, 
„ und beygehendes Billet, als ein Merkmal meiner Ach⸗ 
» lung annehmen. “ — Das un war ——— 
» auf — Thaler. nen 





Salomon Geßner. 





erfelbe ward im %. 1730. in Zürich gebohren. Un. 


ter der Aufſceht eines ungeſchickten Lehrers wär 
ohne Zweifel fein Genie zu Grunde gegangen, wenn 
nicht dad Genie feiner Natur nach ale Schwierigkeiten 


befiegte. Noch fo erbaulich mochte ein poetiſches Wert. 
feyn, wenn ihn der Lehrmeifter bey Lefimg deficiben ers 


tappte, fo hatte es der Knabe mit Obrfeigen zu buͤſſen. 
Lieber thut das junge Genie gar nichts, ald daß es ges 
gen ftinen innern Hang würkt. Daher jener Anſchein 
von Trägheit und Sorglofigkeit! Go Bald hingegen 


durch irgend einen. Zufall der Geiſt fich entzündet und 


auf: die angemeſſenſte Nahrung geführt wird, alsdann 
erwacht er aus Todesfchkummer zu gefchäfftigem Lebem. 
» Sie willen, fehreibt Gegner an Fuͤßli, dag mein Beruf 
„ einmals ſeyn konnte, Kuͤnſtler zu werden; daher war 
» ich in meiner, Jugend. ganz. ohne Anleitung. Be⸗ 
„ ſchmierte ich gleich in meinen jungen Jahren -die 
3» Menge Bapier, jo ward doch nur ein elendes Spiel, 
„» ohne Abficht und ohne Anfuͤhrung; fo mußte ich 
¶ nothwendig zuruͤcke bleiben; und es war eine natits 
¶ liche Folge, daß meine Neigung ſich um vieles vers 


» lor. Die beſten Jahre giengen. ſo dahin, ohne daß 


» ichs verſuchte, ob ich in der Kunſt wohin gelangen- 
» Könnte. Indeß thaten die Schönbeiteh der Natur 
» und bie guten, Nachahmungen derſelben von jeder 


Salomon Befner a 


an Wet Immer. die groͤte Wärkung auf mich; er in 
on Abſicht auf Kımfl ward nur ein dunkles Gefühh, 
v das mit Keiner Känntnig verbunden’ wars; und das 
„ ber entitand, daß ich meine Empfindungen und bie 
» Eindrüce, welche die Schönheiten der Natur auf 
„ mich gemacht Hatten , lieber auf eine andre Art auße 
„ zudruͤcken fuchte, derer Ausdruck weniger merhanifche 
» Uebung, aber die gleichen Talente, eden das Gefühl 


» für das Schöne , eben bie. aufmertfame — | 


» der Natur fordert. — 
Die Jugend unſers Geßners fiel nammlich in jene 


poetiſche Epoche, ba In dem ſlidlichen Teutſchland Hal⸗ 


ler und Bodmer, in dem noͤrdlichern Kleiſt und Klop 


Mod durch unfterbliched Vorbild fo manchen edlern 


ı Süngling zur Dichttunft leiteten. Sowol ber freye 
Sinn und die GSitteneinfalt der Schweiger. ald auch Die 
würklich romantifchen Naturfcenen um Zürich ber. ſtimm⸗ 
ten glücklich zum Gefange der Mufen. Auch fammelten 


gerne Teutfchlands Dichter an den Ufern ber Limmat, 


in den Haynen und auf den Hügeln bey Zürich poetis 
ſche Blumen, wie denn von. Zeit zu Zeit diefe Stadt 
der Aufenthalt der Klopſtocke, der Kleiſte, der B_ 
u. a. d. geweſen. Daber ein poetifcher Wetteifer 

cher an jenes guͤldene Zeitalter der gürcherifchen — * 
finger; Hadloub, Maneß u. a. erinnert! — Einen gang 
eisnen Blumenweg öffnete fich. durch poetiſche Wildniß 
die geßneriſche Muſe. Wenn wir Kleiſten als vortreff⸗ 
lichen Landſchaftsmahler, Mahler der lebloſen Natur, — 
wie ſehr muͤſſen wir nicht in Salomon Geßner Dad Ge 
nie bewundern, welches lachende Fluren, blumigte Ufer, 
die ganze arcadiſche — mit den liebeswuͤrdig⸗ 


9 


⸗ 


ae — 


133 Salomon Beßner. 

ſten Figuren brfedlet! Welche Feinheit und Ruͤhrung 
in den kleinſten Nuͤancen feiner ſchaͤferiſchen Sittenge⸗ 
maͤhlde! Wie im Strahl der Morgenroͤthe neugeboh⸗ 
ren die Natur dem auſdaͤmmernden Himmel zulacht, 
fo lächelt fie unter Geßners reichem, belebenden Pin⸗ 
ſel. Kein Wunder, daß feine laͤndliche Muſe, ie 
Bem fie aus dem eiſernen Zeitalter in das guͤlde⸗ 
ne Altee der Natur und Freybeit, der Unſchuld und 


Minne verſetzt, die Lieblingsmuſe jeder ſchoͤnen Seele, 


nicht bloß in Teutſchland, ſondern auch bey allen ge⸗ 
ſitteten Voͤlkern geworden! Wenn wir in Geßners Schaͤfer⸗ 
gedichten die intereſſanteſten Geſchichtgen, die gefaͤlligſten 
Charactere, die ruͤhrendeſten Situationen ſtudiren, kein 
Zug zu viel, keiner zu wenig, jeder durch den andern 
erwaͤrmt und verſchoͤnert, muͤſſen wir nicht geſtehn, daß 
ſich der Dichter, noch fo vertraut mit den Moſchus und 
Bions, mit den Theokriten und Marons, immer eine 
eigne Idealwelt, und eben fo eine eigne, der Huldgöts . 
tinnen wuͤrdige Sprache gefchaffen habe? — Eine. ganz 
neue Dichtart fchuf er ſich auch in, dem Tod Aheld , 
fchäferifche Naivität mit veligiofer Winde verbunden. — 
Gleichwie ee mit allen Sinnen, in jeder mannigfachen 
Scene der Schöpfung das Schöne empfindt, eben fo - 
gelingt ihm nicht Blog eine. Art des Ausdrudes allein ; 
ſo bezaubernd ſpricht ſein Vinſel, wie ſein Gedicht mahlt. 


Durch was fr Veranlaſſung und mit welchem Er⸗ 
folg ben ihm die Liebe zus Zeichnungskunſt und Mah, 
lered · wieder erwacht fen, befchreibt er in feinem Bet 
an Fuͤßlin folgender maflen: () ) | | 
ea i 
wem — Am —* ‚Sebicte der been Künfte in 





Selomon Geßner 2 

Da ich Gelegenheit befam meines feligen- Harn 

» „. Schiochervaters fürtreffliche Sammlung täglich zu ſehn, 
bs» erwachte meine Leidenfchaft für die Kunſt von neuent, 
„ und ich faßte im dreyſſigſten Jahr meines Alters den 
„Entſchluß, zu verfüchen, ob ich noch zu meinem Grab 
„ gelangen Eönnte, der. mir bey Keunern und Künfts 
9 lern Ehre machen. würde. -* — Meine Neigung ‚ 
fahrt Geßner fort, „ ging vorzüglich auf die Lands 
ↄ ſchaft, und ich fieng mit Eifer an zu zeichnen, aber 
„mir begegnete, was fo vielen begegnet. Das Beſte 
2 und der Hauptzweck ift Doch immer Die Natur; . fo 
» dacht ich,, und zeichnete nach dev Natur; aber was 
> für Schwierigfeiten, da ich mich noch nicht genug 
„ nach den beften Muſtern in der verfchiedenien Art des 
Ausdrucks der Gegenflände gebt hatte! Ich wollte der 
» Natur allgu genau folgen, und fah mich in Kleinig- 
» feiten des Detaild verwidelt, die den Effect ded Gans 
¶ zen flörten, und faft immer fehlte mir die Manier ,. 
» die den Gefländen der Natur ihren wahren Charac⸗ 
„te beybehält , ohne ſclaviſch und Ängftlich zu feyn. 
.» Meine Gründe waren mit perwickelten Kleinigkeiten 
„ überhaüft, "die Bäume ängklich und nicht in herr⸗ 
ſchende Hauptpartien geordnet, alled Durch. zu aͤngſt⸗ 
2 liche Arbeit zu ſehr unterbrochen. : Kurz, mein Auge. 
3; war noch nicht geübt, die Matur wie ein Gemaͤhlde 
».;1 betrachten, und ich mußte noch nicht, ihr. zu ges 
„ben und zu nehmen, da wo die Kunſt nicht hinrei⸗ 
chen Kann: Ich sand alfo, daß ich mich zuerſt nach 
5 den Kuͤnſtlern bilden müffe. Iſt nicht das, was mir 
35 begegnete', der Fehler der Altern Künftler, die noch 

» nicht genug gute Mufter hatten ?, ich meine die dis‘ 
9» tern Riederlaͤnder und Teutſche; fe bieten ſich fox 


Y » 


u Salomon Befhe® 
„. genau an die Natur, daß der kleinſte Nebenumſtand 
3 oft fo genau gemablt iſt, wie der hervorſtechendeſte / 
„ und ihre Gemäßlde verlieren darum ihre Wuͤrkung ;& 
„fie find zu aͤngſtlich und zu Aberhauft. Genien, dig 
» biefe Fehler einfahn, fuchten biefelben zu meiben, und 
„ machten ſich mit den Regeln des Schönen in der Die 
» ſpoſition, der gemäffigten Nannigfaltigkeit, der Haupt⸗ 
3 maflen in der Anordnung und im Schatten und Licht 
„1. f mw. befannt. Nach dieſen war nun noͤthig zu 
» ſtudiren; um den Weg fo kurz ald möglich zu ma⸗ 
s hen, wählte ich nur dad Beſte, das , was in jeben 
% Art am beften fih ausnahm, um zu einem Mufleo 
» gu dienen. Wie ſehr wird die Zeit verfchleudert, wenn. 
‚» man bey Unterweiſung junger Künftler fie beo Mittels 
maͤſſigem aufhält! ihr Gefchmad wird fo für das 
3, wahre Schöne nicht gebildet; das Mittelmaͤſſige bleibt 
>» ihnen erträglich, und naͤhrt Bey ihnen den Stolz, ſich 
„ groß zu glauben, weil es ihnen ein leichtes war, nicht 
v weiter hinter ihrem Driginal zu bleiben, Man laſſe 
» den jungen Künftler die Köpfe nach Raphael Audiren, 
„ wie unerträglich werden ihm Die faden, füffen Ge⸗ 
„ fichtergen vieler von den Neuern fen! Man laſſe 
» ihn nach dem Gchlender jo vieler beliebten Kuͤnſtley 
3 nach der Diode zeichnen, und laß ihn dann den ſchoͤ⸗ 
„ nen Apoll oder Antinous zeichnen, er wird aus bey⸗ 
„ den gemeine Leute oder fchlechte Tänzer machen, und 
» nicht empfinden, daß er es fchlecht gemacht bat. 


„» Ich fand das Belle, in meinen Studien von einem. 
» Saupttbeile zum andern zu gehn; denn wer alles 
= zugleich faffen will, wählt fh gewiß den muͤbſamern 
» Weg; feige Aufinerkfamkeit wird allzu aerſeeu ſeyn 








Salomon Geßner. ,W 
und immer ermuͤden, da er bey zu vielen, verfihiede 
ss nen Gegenfländen auf ehimal gu viel Schwierigkeiten 
» findet. Ich wagte mich zuerſt an die Bauͤme, und 
„da mäßlte ich mir vorzüglich den Waterloo, von dem - 
„in dem obgebachten Cabinet eine faſt vollfiändige 

» Sammlung if. Je mehr ich ihn Audirte, je mehr 

» fand ich wahre Natur in feiner Landſchaft. Ich übte 
„ mich in feiner Manier fo Iange, bis ich in eigenen 
» Entwürfen mit Leichtigkeit mich ausdrückte. Ich dere 
ſauͤmte indeg nicht, nach andern gu arbeiten , deren 
» Manier nicht des Waterloo, aber nichts defto weni⸗ 
„ ger glüdliche Nachahmung der Natur war; ich übte 
„ mich darum auch nach Swanefeld und Berghem, 
„und wo ich einen Baum, einen Stamm, ein Ges 
> ſtrauͤch fand, das vorzüglich meine Aufmerkſamkeit 
„ reiste, das copirte ich in mehr und wenigen füchtis 
„ gen Entwürfen. Durch diefe gemifchte Hebung erhielt 
» ich Leichtigkeit im Ausdruck und mehr Eigenthümlis 
» ches in meiner Dianier, als ich Hatte, da ich an den 
» Waterloo mich allein hielt. Ich gieng weiter von 
» Theilen zu Theilen; für Felſen wählte ich die grofs 
» fen Maffen des Berghem und St. Roſa; fuͤr Zeich⸗ 
» nungen, die Felir Meier, Ermeld und Hadert nach 
» der. Natur und in ihrem wahren Character. gemacht 
» baden; fir Verſchieſſe und Gründe wählte ich die 
» grasreichen Gegenden, und die fanften, Dämmernden 
» Entfernungen des Lorrain,. die fanft Hinter einander 
» Wwegfieffenden Hügel des Woupermand, die in gemäfs 
„ tem Lichte, mit fanftem Grad, oft nur zu fehr wie 
3, Wie Sammet bedeckt find; dann den Waterloo, defs 
» fen Gründe ganz Natur find, ganz fo, wie er fie in 
» feinen Gegenden fand, und darum iſt ee auch hierinn 


236 Salomon Geßner. 


ſchwer nachzuahmen. Fir fanbigte oder Felſengruͤnde, 
» die bier und da mit Geſtrauͤch, Gras und Krauͤtern = 
„ bewachfen, wählte ich mir den Baabem. - - 


» Wie fehe fand ich® leichter, wenn ich it wieder 
‚» nad} der Natur ſtudirte! Ich mußte izt, was das 
» Eigenthümliche der Kunft iſt; mußte in der Natur 
„. unendlich mehr zu beobachten, als vorher, und wußte 
„ mit mehr Leichtigkeit eine ausdrüdende Manier zu 
„ finden, da wo die Kunft nicht hinreicht. Aber wenn 
5 Ich izt einen Gegenfland, den ich aus der Natur ges 
„ nommen hatte, ergänzen wollte, wenn ich Das beufügen 
» Wollte , was ein mahlerifches Ganzes ausmachen fol; 
» dann war ich furchtfam und. verfiel oft auf erkuͤn⸗ 
‚» ſtelte Umſtaͤnde, die mit der Einfalt und der Wahr⸗ 
» beit deifen, was ich aus der Natur genommen hatte, 
3 nicht Harmonirten. Meine Landfchaften hatten nicht 
» das Groffe, das Edle, die Harmonie, — noch zu zer⸗ 

„ fireuendes Licht, Leine rührende Haupwuͤrkung; und 
„alſo mußte ich izt aufs Ganze denken. — Aus allen 
2 füchte ich izt Diejenigen Kuͤnſtler aus , die in Abſicht 
„ auf Fdeen und Wahl und Anordnung ihrer Gegen: . 
» fände mir vorzüglich ſchienen. — — Das gröfte 
» Erempel, wie man nachahmen fol, giebt Dietrich; / 
„ feine Stüde in diefem Gefchmade find fo, dag man 
. glauben folite, Everdingen Babe fie gemacht, und fich 
„ſelbſt übertroffen. — Swanefelds edle Gedanken , die 
» mit ſo groſſer Würkung ausgeführt find, und Die auf 
» feine groffen Maffen von Schatten einfallende Reſtex⸗ 
» Lichter. Sal. Rofa kuͤhne Wildheit, des Rubens 
» Kühnheit in Wählung feiner Gegenftände. Diefe 
» und mehrere fhubiete w, in Rüchtigen Entwürfen üt 


— en EL DENE, B 


Salo m-o h.Befnen 1 


„tm Ganzen, da. es mie igt meiſt darum zu thun war, 
„ der Einbildungsteaft ihren wahren Schwung zu geben. 
» Endlich ſtudierte ich blos und allein Die beyden Pouſ⸗ 


» fin und den Elaude Lorrain. — Aber das war nicht 


» genug, mir ihre Denkart und ihre Ideen gänzlich bes 
„kannt zu machen. ch legte fie beyſeite, umd wieder, 


2» bolte Die Hauptzüge derſelben aus dem Gedaͤchtniß ; 


» ober ich. ruhete auch da nicht; ich machte mehr Rüchs 
» tige ald genaue Copien von ihren Randfchaften. — Es 
», wird niemand fragen: Warum dag? Ich kann fie ja 
„, in Kupferflichen haben. Gut, dann befik ich fle wohl, 
» aber ich habe nichts für mein Studium. gethan. Ss 
» wird der Künftler eine immer merkwürdige Samm⸗ 
9, hung zuſammen bringen; er hat fo nach dem Beſten 
» ſtudiert, und fich zugleich in den Beſitz deſſelben ges 
» ſetzt. — — So lang es des Kuͤnſtlers Hauptbeſchaͤf⸗ 


2 tigung iſt, andrer Werke fo genau ald möglich nach⸗ 
zubilden, fo verliert oder fchwächt er Darüber die Kühns 
5 heit und den Schwung der Einbildungötraft, die zum: 


» Erfinden nöthig find. Von diefer Furchtſamkeit ſuch⸗ 
» te ich mich forgfältig zu erholen; ich legte meine 
» Originale weg, dachte auf eigne Ideen, und gab mie 


5 die ſchwerſten Aufgaben auf. So fand ich, wie viel 


35 Ich wieder geiwonnen hatte; fühlte, was mir am Teich, 
» teflen und vorzüglich gelang: beobachtete, welche Theis 


s le mir noch die meiften Schwierigkeiten machten, und? 


» bekam fo die Anleitung, worauf ich vorzüglich wieder 
» zu arbeiten hatte. Zugleich faßte ich neuen Muth, 
„wenn ich fand, dag Schwierigkeiten wieder verſchwun⸗ 
» den waren, und ich mich beffer aus der Sache gejos 

». gen hatte, als ich hoffte; und zugleich gab ich meiner 
» Einbildungstraft Nahrung und Kuͤhnbeit. — Bey dem 





138 Salomon Befßner 

» aflem hab ich mir zur Regel gemacht; immer mit dem 
» verſehen zu ſeyn, mas zum Zeichnen nöthig iſt, ich 
„mag fen, wo ich will, nicht allein auf Reifen und 
„» Spasiergängen, fonderm auch. zu Haus und in der 
„ Stadt. Man veraißt oft etwas, nur weil man zu 
„ nachläffig ift, von einem Zimmer ind andre zu gehn, 
„ um dad Senöthigte zu holen. — Ein Gedanke, im er⸗ 
„ſten Feuer gedacht, wird auch im erſten Feuer um 
„> beften entworfen. — u — 


» — Eine Beobachtung muß ich nicht vergeſſen, Die 
so ich aus eigener, vichfältiger Erfahrung: weiß, wie ſehr 
„es nämlich den Muth: erfelfcht und wie oft ed mich 
¶ don neuen begeiftert bat, wenn ich die Gefchichte der 
» Kunft und der Kuͤnſtler leſe. — — — Noch eineg 
„ wichtigen Rath muß ich dem Kuͤnſtler andringen : 
3 die Dichtlunf ih die wahre Schweſter der Mablers 
„ kunſt. Er unterlaffe nicht die befien Werke dev Dichs 
„ter zu leſen; fie werden feine Einbildungslraft mit 
3, den fchönften Bildern bereichern. “ ˖“ 


— Go weit das generifche Sendſchreiben im Auszug, 
Ohne Zweifel ift es unnöthig noch viel von den Lebens⸗ 
umfänden und von dem Gitten- und Kunſt⸗ Character 
dieſes Lieblings jeder Gracie zu fagen. Seinen Chas 
zacter hat er in: obigem Sendfchreiben und in feinen 
Werken am beften gemahlet. Einige feiner wichtigften 
Zeichnungen hat Fuͤßlin in der helvetifchen Kuͤnſtler⸗Ge⸗ 
fchichte befchrieben. Und wenn irgendivo Füßlin behaups 
tet, dag durch den Gott Hymen der junge Virtuoſe aus 
den Ehören der Muſen und der Huldgöttinnen weage⸗ 
ſcheucht werde , fo kann doch Gefinerd Beyſpiel zur Aus⸗ 
nahme dienen. Wie dieſer felber geftcht, fo hatte er für 





f 


Salomon Genen *59 


wol feiner Gattinn als feinem Schwiegervater die Aus 
bildung des Genies zu danken. Leiterer, Heinrich Heise . 
Degger , Diitglied des imnern Rathes, ehrte und Tannte 
die Künfte. Sein Kabinet ift eines der beiten in Zuͤ⸗ 
zich, und enthält vornemlich die beflen Stiche nach der 
niederländifchen Schule, wie aach eine vollftändige 
Sammlung der, erſten Drücke des Freyiſchen Werkes, 
welches die erhabenen Werke der roͤmiſchen Schule am 
wuͤrdigſten liefert. Auch iſt es wegen einer ſtarken 
Sammlung von Handzeichnungen merkwuͤrdig, und wird 
izt, ach dem Hinſcheid des Vaters, durch feinen Sobn 
mit Wahl und Einſicht immer vermehret. | 


Auch mit bürgerlichen Ehren hat das Vaterland Gege 
ners Verdienſte belohnet. Seit dem Fahr 1765. iſt @ 
Mitglied des innern Rathes in Zuͤrich, und ſeit dem J. 
1781, ward ihn das Amt eines Oberaufſehers der Hoch⸗ 
und Frohnwaͤlder des zürcherifchen Freyſtaates aufgetra⸗ 
gen. Unter andern Ehrenbesengungen, die ihm in. der 
Maͤhe und Ferne ſowol die beruͤhmteſten Schriftſteller 
amd Kuͤnſtler als auch die Groſſen der Erde erwieſen, 
erwaͤbnen wir noch jener guͤldenen Schaumuͤnzen, wo⸗ 
mit ihn die Kaiſerin in Rußland beſchenkte. Ungeach⸗ 
tet der allgemeinen Huldigung, womit ihn jeder Kenner 
Des Schönen beehret, iſt er von Stolz und Eitelleit eben 
fo ſebr als Lafontaine entfernt, und in feinem Character 
herrſchen die Naivität und Einfalt, wodurch ung die —— 
fe m vun Idyllen entzuͤcken. | 

— 


® 








[1 





XII. | 
Johann Cafpar Lavater, 


Euren 


erfelbe ward gu Zürich den 15. Nov. 1741. geboh⸗ 
ven. In der Kindheit war er ein gutberziger, 
aber furchtfamer und wmainerlicher Knabe. Anſtatt zus 
ſtudiren, befchäfftigte ex fich mit Spielwerk, befenders 
mit allerley Wachsbildnerey, auch mit Glasfchleifen und 
verſchiedenen mathematischen und phyſiſchen Jugendſpie⸗ 
len. In den hoͤhern Schul s Claſſen warb fein Eifer 
für die Wiffenfchaften theils durch ‚Anleitung eines Bod⸗ 
mers und Breitingers, theild Durch Wetteifer edler Mit⸗ 


4 


ſchuͤler beſeelet, nunmehr fieng er an, ſich als freuen, 


kuͤhnen Selſtdenker zu zeigen; vor keinem der verwe⸗ 
genſten Gedanken erſchrack ex; und aus der augenfcheine 
lichften Gefahr, fich ſelbſt in den Abgrund methaphyſi⸗ 
ſcher Nachforſchung zu verlieren, zogen ihn allemal 
Wahrbeitäfiun und moralifche Gefühle zurüd. Mit 
Speculation nämlich verband er das thätigfie Leben. 
Wie feurig in frühefier Jugend fein patriotifcher Ens 
thuſiaſmus geweſen, bievon könnten mehrere Beyſpiele 
angeführt werden. Eine Art poetifcher Schwaͤrmerey 


beraufchte damals Die Jugend ; hiezu kam noch tiefere 


ſchuͤtterndernder Eindruck ronffeauifcher Schriften, nebſt 
genauerm Umgang mit den freydenkenden Roͤmern und 
Griechen. Bey ſchwaͤchern Koͤpfen, fuͤr welche der 


olympiſche Nectar zu ſtark war, ſah man das Fieber 


politifchen Enthuſiaſmus entfichen; da war "bald fein 


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5 


Job. Cafpar Lavaten 14 
Zunfumeiſter vor dem Scherbengerichte der unbärdigen 
Katond gefichert. &o lächerlich inde bey manchem 
der blinde Eifer geworden, fo viel Gutes quoll gleichwel 
Hie und da in der Gährung unter dem Schlamme het 
vor. Beweis hievon die Wochenſchrift des Erinnerers, 
an welcher vorzüglich auch Lavater arbeitete; eine Wow. 
chenſchrift, die mit Nachdruck thaͤtiges Chriſtenthum und 
republikaniſche Sitten befoͤrderte. Schade, daß einige 
als perſoͤnlich ausgedeutete Satyren und andre politiſche 
Umftände die Fortſetzung verhinderten! Nach Aufforde⸗ 
Yung der helvetiſchen Geſellſchaft verfertigte er Die Schwei. 


zerlieber, in welchen hin und wieder derſelbe Heldenges 


nius athmet, womit die Voreltern im Schlachtgewittet 
a Laupen und Sempad Triumphe erfochten. 


gIm Maymonat 1761. ließ ſich Lavater zum Predig⸗ 
amt wepben. Im Maͤrz 1763. machte er gelebrte Reis 
fen mit feinen Freunden, dem ſel. Felix Heß und dem 
noch lebenden Heinrich Fuͤßli, von denen erſterer durch 
die Schrift, über die moralifchen und philofophifchen 
Predigten letztrer aber als groffer Kunſtniahler bes 
ruͤhmt iſt. Unter Profeſſor Sulzers Aufficht giengen 
ſie nach Berlin. Einige Zeit blieb Labater bey Spals 
Bing, bildete da feinen Geift und feinen Styl, und 
lebte felige Tage bey dem vorteefflichen Dranne.» — 
Wie fehr er in dem freyen Geiſt der berliner Theo⸗ 
logen webte, ſi ieht man aus feinen Briefen an M. 
Bahıdt, die. im Fr 1763. in Breßlau gedruckt find, 


Seither beſonders ſeit dem Verluſte ſeines philofophi. | . 


fchen Freundes, Felix Heſſen, fchien er kiniger maſſen 


die betretne Bahn zu verlaffen. Ye feuriger feine Ein . - 


dildungskraft war, defto kuͤhner und ausgebreiteter feine 


14 206 Caſpar Lavaten 


* Waͤnſche und feine Begriffe von feinen Chriſten, umd 
Amtspſichten je ſchwaͤcher er ſich zur Ausfuͤhrung fuͤhl⸗ 
N te, deito durftiger ward nach aufferordentlichen Kräften 
e ächten Chriſtusglauben, ſieng ex an, befondere Geis 
fiedgaben zu fordern und zu behaupten, daß alle Men— 
ſchen dem weſentlichen nach fich gleich und alle Chris 
ften aller Zeiten, oeteris paribus, im gleichen Rechten 
fichen. Dein Saamen diefer Lehre findt man in feinen 
Anmerkungen zu Bonnets Palingenefie) die er im J. 
1769. uͤberſetzt hats eben fo in den Manuferipten für 
Freunde, in den vermiſchten Schriften, in. den. chrißtlie 
chen Liedern, in einem beſonders gedruckten ſüegenden 
Blatte, in dem geheimen Tagbuch, in den Ausfichten in 
die Ewigkeit. In den meiſten dieſer Schriften wird 
man ein ſeltenes Gemifch von gefundem Beobachtung 
geit und von moftifchen Chimaͤren, febr viel brauch, 
dare Lebens: Bhilofophie mit verfiiegnen Grillen bemer⸗ 
Ten. Als Gedicht, wozu der Verfaffer fie beſtimmt Hat, 
ſcheinen die Ausſichten in Die Ewigkeit ſehr kuͤhn und, 
erhaben; für den Philoſophen hingegen ſcheint dee 
| Kid auf den ungeheuren Schauplaß der Zukunft bafb 
zu mikroſcopiſch, bald ſonſt zu umnebelt. Um dieſes 
Werk auch fuͤr den gemeinen Haufen deſto erbaulicher 
und brauchbarer zu machen, hat es der Verfaſſer im 
Auszug von muͤſſigen Hypotheſen geſauͤbert. Je une 
ſchoͤpflicher Lavaters Geiſteskraft, fe unerſaͤttlicher ſeine 
Herzens⸗Sehnſucht ſeyn mag, deſto weniger wird es 
befreraden, wenn er; gleich einem Alexander in intellectuels 
lem Verſtand, nicht genug bat an der fichtbaren Schöps 
fung, fondern neue Welten und neue Himmel zu ero⸗ 
been bemuͤht ift. Schade, wenn feine Liebe zum Wun⸗ 
derbaren ihn allzuweit aus der Sphäre‘ der Wuoͤrtlich 





Joh Lafpar Lovaten 14 


Veit fortftögt, oder wenn er allzj ungebultig anfferordente 
liche Huͤlfsmittel erwartet; einige feiner ‘Freunde gien⸗ 
gen würklich fo weit, daß fie mit theoretifchen und her⸗ 
ienentifchen Nachforfchungen auch biftorifche, ja fe 
gar wuͤrkliche Wunderverfische verbanden. (*) Ein ge 
wiſſes Bauersweib (*”) ward zur Seherin erhoben; feite 
ber war Lavater nach Pondorf zu Gaßner gereifets 
wie groß anfangs feine und feiner Freunde Erwartung 
von dieſem Wunderthäter geweſen, koͤnnen unter an⸗ 
dern Labaters Briefe an Semlern beweiſen, und wie 
ee jest noch davon denfe, feben wir in dem zweyten 
Bande feiner vermifchten Schriften, wo er feine &% 
danken ‚mit vieler Treuherzigkeit aüffert, dag er ihm 
nämlich ſummum imperium uͤber geroiffe Uebel, beymeſ⸗ 
fe. Je ſchlechter überhaupt hie und Da Lavaters Mey⸗ 
nungen verbaut wurden, deſto hauͤſiger warb daruͤber 
pro und contra. geſchrieben. Go nachtheilig zuweilen 
 Eonteoperd Schriften für die Ruhe der Verfaſſer ſeyn 
mögen, fo leicht gleich einem Rüchtigen Einfall: folche 
Schriften für immer erkalten und nach kurzer Veriaͤh⸗ 
sung alles Intereſſe verlieren: fo fcheinen fit gleichwol 


ummansin Armee 








”) &. Pfennigers Appellation an den gefunden Menſchenver⸗ 
, wie auch Hin und wieder das chriftliche Magazin. a 
(*7) Bey Diefen Nrachrichten erinnere ich mich wieder meintr 
’ von Helvetieng beruͤhmten Männern. In dieſem 
Werkgen ik ©. 275. lin. 6. und 7. ein Einfchiebfel , welches ohne 
mein Vorwiſſen fich einſchlich. Unbedeutende Aenderungen hätt’ 
ich freylich geſtattet; ob aber dieſe unbedeutend, ob ſie gegruͤndt 
7 weiß jch, da ich ja niemals in jene Myſterien eingt⸗ 
weyht war? — um nicht mit fremdem Schmucke zu pralen , er⸗ 
“Uhr? ich zugleich, daß die Nachrichten von Rouſſeau ſ172. 4. 
aus dem goͤttingiſchen Magazin, und die Nachrichten von Zimmer 
mann ©. 234, fl. von einem Freunde geborgt find. 


m. Joh. Caſpar Lapvater. 
in dem litterariſchen Dunſtkreis vielleicht eben fo noͤthig, ald 
3.3. in dem phyſiſchen Sturmwind oder Gewitter, wodurch 
die Luft vor Fauͤlniß bewahrt wird. Scharffinnig wurden 
Die lavateriſchen Meynungen bon Doctor Rung in Bres 
men und bie und da in- der allgemeinen tentfchen Bib⸗ 
lſiochek unterſucht. In -eben dieſer Bibliothek und in 
der leipziger Bibliothek, wird auch feine Phyſtognomib 
umſtaͤndlich beurtheilt. Dieſes Werk erſchien in vier 
Quartbaͤnden, in aller typographiſchen Pracht; und mit 
vielen Kupferſtichen. Auch iſt e8 ind Hollaͤndiſche, und 
neu umgearbeitet ind Franjoͤſtſche uͤberſetzt. Ungeachtet 
der bie und da eingeſtreuten blos willkuͤhrlichen Muih⸗ 
maffimgen , enthält dieſes Werk immer. groffen Ride 
um feiner umd wichtiger Bemerkungen ſowol für:den 
Menſchenbeobachter überhaupt, als auch beſonders für 
den Dichter und Kuͤnſtler. Cine gierliche Ausgabe ſei⸗ 
ner Wedichte ift unlängft erfchienen. In deuſelben, wis 
überhaupt in feinen übrigen geiftlichen Liedern und Pfüls 
men; duftet Hin und wieder heilige Salbung, und fein Ges 
fang ſtroͤmt zuweilen pollen, cramerifchen Wohlklang ; 
freylich wie Cramer, oftmals reicher an Ausdruck und 
Bildern ald an Erfindung. Ben allem Mißtrauen ges 
gen die einen und andern von Lavaters Hypotheſen, 
ald z. B. von der fortdaurenden Wunderkraft, vom 
dem taufendjährigen Reich u. f. w. wird. gleichwol nies 
mand weder das Verdienſt ſeiner auſſerordentlichen Thaͤ⸗ 
tigkeit, noch den Vorzug feiner groſſen Talenten miß⸗ 
kennen. 


Nachdem er einige Zeit die Seelſorge am Weiſen. 
hauſe treulich verſehen bare ward er im Fi 1778. zum 
| Diaeon 


⸗ 





ı \ 
oh Caſpar Lavatet Ay 


veich gedruckten Predigten find Zeugen, mit wie viel 
Wärme er fih die Erbauung feiner Kirche angelegen 
feyn laſſe. Ungeachtet ſo vieler Stunden, Die er 
feinen geiftfichen Amte.weght, und fd vieler Schriften, 
womit er von Zeit zu Zeit dad Publicum befchenft, weiß 
ze, durch baushälterifche Zeiterfbatung, immer noch dies 
gen und jenen Tag zum. Empfang ober zur Erwiede⸗ 
zung freundfchaftlicher Beſuche, zu intereffanten Reifen 
md su. zahlreichem Briefwechſel zu gewinnen. Einent 
Heiligthum iſt fein: Haus gleich, zu welchem beynahe 
Küglich Leute von jedem Stand und Geſchlecht, von 
gedem Range und Alter, aus den .entfernteften Gegen⸗ 
den walfahrten. — Eimiger maſſen dient fein geheimes 
Tasbuch zum Commentar ds — 


-— 5 — .. or E r SER E — — ee a 8 — Zu 





gyarte w ward den ar. Weinm * — In 

der Kindheit ward er dem Unterricht ſeines Oheims, 

Heinrich Goßweilers, Bamaligen: Pfarrers zu Affoltern, 

anvertraut. Diefen geſchickten und liebenswuͤrdigen Mann 

koſtete es nicht wenig Mühe, bis er endlich dem jungen 

Reffen, bey aller: feiner Neigung zum Tändeln, na 
und nach etwas Büͤcherliebe eisköfte. Am liebſten ld | 
er noch Reifebefchreibungen. und hiſtoriſche Nachrichten. 
Latein lernte er nicht ohne Widerwillen. Da er in feine 
Schule kam, fo hatte er fein Lefen, feine Kurzweil und 
alles abgeſoͤndert für ſich allein ; daher nahm er ein un⸗ 
geſelliges, leutſcheues Weſen an fich. Nicht ohne Mühe 
fonnte er fi) davon entwöhnen: Indeß entwickelten 
fich freylich feine Seelenkraͤfte freyer als es in det Stadt 
und in der Echule gefchehen wär. Zum Landieben und . 
zur Einfamkeit befam er fo flarfe Neigung, dag ibm 
bernach der AufentHalt in der Stadt wieder zur Laſt 
ward. In der Stadt hatte er dem Unterricht des nun⸗ 
mehrigen Pfarrer Freytags alles zu danken. Vermit⸗ 
telſt deſſen Handleitung brachte ers fo weit, daß er im 
J. 1755. im die philologifche Claſſe des hoͤhern Colle- 
giums befoͤrdert worden. In der griechiſchen Sprache 
brachte er cd unter Breitingers Aufſicht ſehr weit. Brei⸗ 
tinger und Bodmer nahmen ſich des Juͤnglings eifrig 
an. sine hoffnundsvolle Jugendgefehrten forderten 








Yacod Zeh 147 


* zu freundfchaftlichen - Wetteifer auf. Kt nahm 
Ehrbegierde von feinem Herzen Beſitz; dieſe Leidenſchaft 
ſchien durch Heftigkeit ſeinem moraliſchen Character 
nachtheilig zu werden; nicht ohne beſchwerlichen Kampf 
gelang ihm der Sieg uͤber ſich ſelber. Auch waren 
nunmehr feine Studien faſt lauter Lieblingsſtudien; 
manches Ernſthaftere ward hiebey verſauͤmet. Doch ge⸗ 
wann er unter Anleitung der groͤſten Maͤnner Liebe zur 
Weltweißheit, beſonders zur Metaphyſik. Nichts ale 
De Reisungen der Dichtkunſt konnten ihn von den Schrifs 
ten eines Leibnig, Wolf, Bülfingers hinweglocken. — 
Dann j0g er wieder alles an ſich; bald die Gefchichte , 
inſonderheit die vaterlänpifche ; bald eine Meifebefchreis 
bung, bald ein Gedicht; bald eine Abhandlung, bald 
ein Roman. — Hier.ift dad Scheibealter, wo der von 
Kaͤnntniß zu Kaͤnutniß herumirrende Geiſt ſich fo leicht 
in den Jerhaynen Rüchtiger Lecture verliert. Vorſehung 
iſt es, wenn bey ſo unordentlichem Studiren endlich noch 
etwas ſolides herauskoͤmmt; Vorſehung iſt ed, die einem 
Züngling Freunde, Goͤnner, Rathgeber verſchaft, aus 

deren Beyſpiel er ſieht, wie die Arbeit kann zweckmaͤſſig 
und uͤbereinſtimmend gemacht werden. Solche Bey⸗ 
ſpiele waren für ihn ein Schultheß, Steinbrüchel, Tob⸗ 
kr. — Wad er in diefen academifchen Jahren von dee 
Theologte verſtehn lernte, — freylich bey fo zerſtreutem 
Studiren wenig, — das hatte er feinen beeden Profeſ⸗ 
ſoren, Lavater und Zimmermann, zu verdanken. | 


Im Frühling 1760. ward er zum Predigtamt ordis 
nirt. Hierauf kam er zu feinem väterlichen Oheim, dem 
Pfarrer Heß, nach Neftenbach, als Vicar und Lehrer 
ſeines Sohnes. Dieſer Oheim war ein tiefer Kenner 


\ 


HE 3d Sek 

der wolfichen hiloſophie ind war ach ſelbſt Wolfen 
Schüler geweſen. Mit ſeltener Gründlichteit im Dem 
Een verband er den feinften, Geſchmack und- die ausge⸗ 
fuchtefte Beleſenheit; auch, was uͤber alles geht, das 
menſchenfreundlichſte Herz. — Der Juͤngling, der eini⸗ 
gen Autorſtolz von dem Gyninaſium her — er hane 
einige Gedichte verfertigt, — mit ſich zu feinem Oheim 
gebracht Hatte, war endlich‘ fo geftheut, für einmal das 
Studium inclarefcendi , die Schreib» und: Bublicirfircht 
dem grimdlichen Lernen und regelmäffigen Studiren 
aufjuopfern.- Es waren meiſtens die befien und nahr⸗ 
hafteſten Schriften, die er bey ſeinem Oncle las; das 
Studium der Alten fette er fort. Hiedurch gelatigte 
fein Britt je laͤnger ie mehr zu völliger Reife. Auſſer 
dem Umgaͤng Mit feinem vortreflichen Oheim in Nef⸗ 
tenbach, hatte er auch einein andern, muͤtterlichen 
Oheim, dem Pfarrer Schultheß, dieſem gluͤcklichen Ue⸗ 
berſetzer der griechiſchen Weltweiſen, wegen feines litte⸗ 
rarifchen ¶Briefwechſels ſehr vieles zu danken. — Die 
Art, wie er auf dem Lande die göttlichen Schriften fiu- 
dirte, und feines Oheims gefchichte Methode, die evate 
gelifehen Erzählungen in Predigten zu behandeln, ver» 
atlaften ihn frühe, Verſuche einer Lebensgefchichte Je- 
fir zu wagen. : Won dem Oheim aufgemuntert, brachte 
ee gegen das Ende feines fiebeniährigen Aufenthaltes‘ in. 
deffen Haufe das erfte Bändgen zu- Stande. — Er ſchrieb⸗ 
auch um Diefe Zeit den Tod Moſes, ein Gedicht. — 
Etwas früher zwo Clegien, dem Andenken eines Füge 
lings von feinem Freunde gewiedmet. 


In dieſer Zeit ſtarb ſein Vater, deſſen ——— 
Fuͤrſorge er ſo manche vortheilhafte Situation, in Die. 





Ierob Ye 149 


er. -gelommen, fo manche: Hükfämittel zum Studieren zu 
danken. hatte. — Iit eroͤfnete fich ihm sin neuer Auf 
tritt des Lebend. Im J. 1767. verehlichte er fich mit 
Jungfrau Anna Maria Schinz, einer Berfon, deren 
» ganze Sinnedart fih für ihn, fo wie er ih für fie, 
durchaus ſchickt. Drey Jahr lebte er mit ihr, ein Baar 
Stunden von Zürich entfernt, in einem angenehmen 
Landhaufe. Hier konnte er nach Herzendinft Dem Stu⸗ 
diren obliegen. Tiefed; GBeiſt und Herz befriedigendes 
Studium der goͤttichen Schriften war hier fein Haupt⸗ 
geſchaͤſte. Auch ſchrieb er hier das zweyte Baͤndchen 
der Lebensgeſchichte Jeſu:· Vornemlich aber las und 
ſammelte er, was immer wie Auftlaͤrung des Plans der 
Dffenbarımg dienen konnte. Die erfie Idee hievon gab 
er in einer kleinen Schrift: "Lieber die befte Art, das 
Chriſtenthum zu vertheidigen, Zürich 1769. 1774. 


- Beym Leſen des alten Teſtaments bediente er fch, 
um mit der Sprache des neuen defto befannter zu vers 
den, der griechifchen Dolmetfchung. Aus diefen Bes 
trachtungen entftand fein- Merk vom Reiche Gottes, wel⸗ 
ches die Aufklaͤrung des Plans der göttlichen Offenba⸗ 
rung zum Zweck hat. — In ſechs Bänden hatte er im 
J. 1772. die Gefchichte Jeſu vollendet. Wie vortheils 
haft ſich Muͤnter dieſes Werkes zur u. des Gras 
fen von Struenfee bedient habe , it aus öffentlichen 
Blättern bekannt. Im J. 1774. fchrieb er noch die Ges 
ſchichte der Jugendjahre Jeſu; im J. 1775. die Gefchichs 
te der Mpoftel ; im gleichen Jahr die Gefchichte der Iſ— 
raeliten u. ſ. w. Wir übergehen verfchiedene Kleinere 
Schriften, wie 3. B. die Gedanken uber das anti⸗lava⸗ 
terifche Sendfchreiben, — die Hofnungsinfel und fo 


\ 


150 Jacob Sek 


manchen wichtigen Aufſatz, den ex als Mitglied mb 
VWorficher der aſceliſthen Gefelifhaft edirt hat. — 


Der Haupicharacter der heſſiſchen Methode iſt, daf 
fie Schrift durch Schrift erklärt und feſt fich an Die 
biblifche Geſchichte anfchmiegt. Mit Hintanfegung für 
wol metaphyſiſcher als zu gehauͤfter critifcher Unterſu⸗ 
chungen, für welche bad Volk nicht gemacht iſt, bemüht 
ſich Heß, den Fortſchriti der goͤttlichen Offenbarungen 
in ſo uͤbereinſtimmendem Plane und auffallendem Lichte 
zu zeigen, dag, wenn auch dieſe oder jene Luͤcke, dieſe 
oder jene, dogmatifche oder philologiſche Schmierigteit 
bleiben ‚, nichts deſto weniger die Wahrheit und Göttliche 
feit der Keil. Buͤcher fich durch Innhalt und innere 
Uebereinftimmung jedem ae Gemuͤthe em⸗ 
pfehlen. 


Seit dem J. 1777. ſteht unſer Heß mit groffer Er. 
bauung als Diacon bey dem Frauenmuͤnſter in Zuͤrich; 
unlaͤngſt find feine Predigten wie auch verſchiedene Abs 
handlungen zus Beleuchtung bee OR INN IR 
erſchicuen 








XIV. 


Johann Caſpar Fuͤßli. 





r ward im J. 1706. zu Zuͤrich gebohren. Nachdem 

er die Anfangsgruͤnde der Mahlerkunſt bey einem 
ſehr mittelmäffigen Künftler gelernt hatte, verließ er in: 
dem achtzehnten Jahr feines Alters das Baterland, ohne: 
Unterflügung und Känntnig. — Zu, Wien vereinigte ee - 
fi) mit Sedelmayer. — Gran, und Meitend, waren 
feine Führer, oder vielmehr hatte er gar Keinen Führer 
als fein eigen Genie. Gar bald gewann er Die Achtung: 
der Groffen bey Hofe; allein die Unabhänglichkeit zog 
er dem Glüde vor, und fehlug die vortheilhafteften Ane 
erbietungen aus. — Wahrfcheinlich würde er fein Leben 
in Wien zugebracht Haben, wenn nicht der Fuͤrſt von 
Schwarzenberg ihn beredet Hätte, einen Beruf von feis 
nem Schwiegerfohn nach Raftadt anzunehmen. — Er 
gieng dahin, und ward der Liebling dieſes Hofs; ſelbſt 
bie alte Margrafin, die in Etlingen ihr Hoflager hatte, 
ſchenkte ihm ihre Achtung , umd aufferte vielmal den _ 
Wunfch, ihn zu einem catholifchen Chriſten zu machen. 
Er mahlte den Margrafen von. Durlach, und wurde 
von diefem Herrn ald ein Sohn gehalten. lachen fie 
eine Lufireife zu meinem Schwager dem Herzog von 
Wuͤrtemberg nach Ludwigsburg, fagte dieſer guͤtige Fuͤrſt, 
denn, ſetzte er hinzu, ich kenne den Hof zu Raſtadt allzu 
gut, und ſehe zum voraus, daß er ihnen in der Folge 


— 


„x Jobenn Caſpar Fuͤßli. 


gefaͤhrlich werden muß: Ich gebe Ahnen Empfehlungh 
ſchreiben, und ſie koͤnnen einer guͤtigen Aufnahm ent⸗ 
gegen ſehen. Ex gieng dahin, und hatte die Ehre Dies 
ſes Schreiben perfönlich zu überliefeen,a der Herzog laͤ⸗ 
chelte, bey-Durchlefung deſſelben. Dein Fuͤßli ſie blei⸗ 
ben in meinem Dienſt, und haben meine Gnade, die 
Bedingungen wurden durch den Herrn von Pfau berich⸗ 
tiget, und von unſerm Kuͤnſtler angenommen, nur bat 
er ſich die Erlaubniß aus, eine Reiſe nach Bruchſal zu 
machen, um da den Kardinal Schoͤnborn zu mahlen, 
von welchem ee vorhero war berufen worden. — Bon 
Bruchfal gieng er nach Mannheim, wo er die Ehre hatte, 
den Churfürften. abzubilden. Er befabe die Gemählde« 


ſammlungen zu Schwegingen und Düffeldorf, und teie 


jete wieder nach, Ludwigsburg zuruͤck. Hier blieb er ſehr 
vergnuͤgt, bis der ungluͤckliche polniſche Krieg einbrach 3 
die Franzofen kamen über den Rhein, belagerten und er⸗ 
oberten Kehl, und uͤberſchwemten das Land; man ſah 
nichts als Jammer, und damit das Ungluͤck vollkom⸗ 
men wuͤrde, fiel der Herzog in toͤdtliche Krankheit, und 
gieng nach Stutgard. — 


In dieſer betruͤbten Lage glaubte Futunn das Beſte * 
ſeyn, den Herzog um Erlaubniß zu bitten, eine Reiſe 
nach Nürnberg zu machen; der Fürft ſahe die Billig⸗ 
feit dieſes Begebrens, cr befcherifte ihn mit einer gols 
denen Uhr, und fagte: reiſen fie glücklich ‚ giebet Gott 


Geſundheit und Frieden, fo kommen fie zurück; dev Here 


von Pfau wird deßwegen Briefe mit ihnen wechfeln. — 


Er faumte nun nicht laͤnger, nahm bie Po, und 
kam glücklich nach Nürnberg. Er brannte vor Verlan⸗ 
gen Kupezki zu eben , ungeachtet ihm feine Freunde eine 


F— 


— — 

Johann Caſpar zuͤßli. x53 
Khlechte: Aufnahme vermuthen lieſſen, fo wagte er es 
Doch zu demſelben hinzugehen, und in einer Stunde wa⸗ 
ren fie die waͤrmſten Freunde. Kupezki beredete ihn Zim⸗ 
mer im gleichen Haus zu nehmen, wonon der berühmte 
Randfchafts- Mahler Blendinger Eigenthämer war. — 
Nach und nach drachte.er ed dahin, dag noch der alte 
Hirfchmann , und Director Preißler mit von der Geſell 


fchaft ſeyn durften, wo man dann alle Wochen bey Aw 


pezki zufammen kam. — Niemals ift mit mehr Grund» 
lichkeit von der Kunft gehandelt worden, als in a 
Geſellſchaft. | 


' Unter diefen angenehmen Befchäftigungen verſtoſſen | 


beynahe 18. Monate, in welcher Zeit fein Gönner, der 
Herzog Eberhard Ludwig von Würtemberg, mit Tode 
abgieng, und die Hoffnung zum Frieden murde durch 
das immer. weiter um ſich greifende Kriegsfeuer vereitelt. 
Er entichloß ſich, feinem Vaterland einen Beſuch zu 
machen , . vorher aber noch Yugfpurg und München zu 

befuchen, um ſowol die dortigen Kuͤnſtler fenner, zu ler, 
nen, ald auch die ſeltene Gemaͤhldeſammlung zu Geste, 
beim zu befehen. — Er nahm von feinen Freunden den 
zartlichften Abſchied, kam nach Augſpurg; wo er mit 
freundſchaftlich offenen Armen von Rugendas und Ries 
Dinger aufgenommen ward; befonders errichtete er mit 


Pd 


letzterm eine genaue Freundfchaft, die bis an feinen Tod, 


in einem für die Kunft intereffanten Briefwechſel unters 
Halten worden. In München wurden Beich, und Dei 


marees feine Freunde, in deren Begleit er Schleigbein 


beſahe, und dann feine Reife nach der Schweiz fortſetzte, 
wo er auch in feinem vier und dreyſſigſten Fahr anlangte, 
und nicht lange hernach fich verheyrathete. Ob es ſchon 


‘ 
„N 


1 Johann Caſpar Suͤßli. 
mit einer Perſon war, die er alle Urſache hatte zaͤrtlich 
zu lieben, ſo pflegte er doch vielmal zu ſagen, daß ſich 
die Kultur der ſchoͤnen Kuͤnſte, und die Sorgen des ehe⸗ 
lichen Lebens wenig mit einander vertragen. Wenn ihn 
indeß die Angelegenheiten des hauͤslichen Lebens biswei⸗ 
len der Kunſt weggeraubet haben, ſo hat er dieſe Un⸗ 
treu dardurch gut gemacht, daß er ſeine Soͤhne zu Vir⸗ 


tuoſen erzog, auf: die ſich mit dem väterlichen Ruhm, 


| auch die Tälente des Vaters fortgeerbt haben. — 


Vermittelſt feiner Känntniffe erwarb fich Fuͤßli die 
Sreundfchaft der gröften Künftler ; in vertraulichen 
Briefivechfel fand er mit Solimena von Neapel, Ris 
saud in Paris, wie auch mit den Kupferftechern Dres 
pet, Surüge, Frey, und Wille ; der — 
ſchenkte ihn mit einer Handſchrift uͤber das Schoͤne, die 
unſer Kuͤnſtler mit einer Vorrede herausgab, und => 
telmann war fein befonderer Freund. 


Weſentlich bleibt das Schöne immer baffelbe , es mag 
nun durchs Aug, oder Durchs Ohr, oder Durch die Ein⸗ 
bildungskraft reizen; nicht weniger Gefühl hatte Fuͤßli 
für die Grazien der Dichtkunſt, als für das mahlerifche 
Schöne. In freundichaftlichem Umgang und Briefiveche 
fel lebte ee mit Kleiſt, Klopſtok/ Wieland, Bodmer 
und Breitinger. 


Mehr als Rang und Geburt erheben Talente; in 
genauer Verbindung ſtand Fuͤßli mit einigen Perſonen 
vom erſten Range, beſonders wuͤrdigten ihn ihrer Freund⸗ 
ſchaft der Kardinal Roth, Graf Firmian von Mayland, 
u. a. Dbfchon gewohnt mit den Groffen zu leben, war 
es Doch nichts weniger als kriechende Aufwart mehe 


Jobann Eafpar Zuͤßli. 1,5 


reine Frey muͤthigkeit, offenes ungezwungenes Wefen, 
wodurch er ſich Zugang verſchaffte. Ungeſchminkt die 
Wahrheit zu hoͤren, iſt fo ſeltenes Gluͤck für die Groſ⸗ 
fen, daß ihnen eben dieſe Wahrheit auch alsdann will— 
komm ift, wenn fie auch felber ohne Schonung gefagt 
wird. Was indeffien bey einem Fuͤßli wenig beleidigte, 
.. Könnte bey andern unverzeihliche Dreiftigkeit fcheinen. Jene 
feltene Gaabe befaß er, allemal die Gelegenbeit, und den 
Thon zu erhafchen, welche feinen auch noch fo kuͤhnen 
Einfällen zum Freybriefe dieneten. Die Hitze und Frey⸗ 
muͤthigkeit, womit er fich zuweilen ausdrüdte, darf - 
berienige ungeftraft nachahmen, der fie wie Fuͤßli, mit 
eigenthuͤmlicher Laune, mit Geiſtes Gegenwart, und 
mit Dienſtleiſtungen zu verguͤten im Stande iſt; nicht 
ſelten iſt auch ihm fein offenes Weſen nachtheilig gewor⸗ 
den. 


Seine Denkart indeß, nicht weniger als ſeine Talente 
ſetzten ihn uͤber alle Ehrenſtellen und Gluͤcksguͤter hinweg. 
Mit anruͤckendem Alter lebt er immer bey Hauſe, un- 
ter Buͤchern und Kunſtwerken, von welchen er eine aus⸗ 
erleſene Sammlung beſitzt. Sein Haus iſt ein Zufluchtds 


ort der Kuͤnſte, der Freyheit, der guten Geſellſchaft. 


Alle Tage verſammeln ſich bey ibm Leute von jedem 
Rang ımd Alter; in abmechfelnder Geſtalt gebt das 
Geſpraͤch vom fchersbaften Thon zum ernfihaften bins 
über , von den Gesenfländen der. Kunft, zu politifchen 
und moralifchen Unterfüchungen, allemal mit ſancichen 
Einfaͤllen und Anecdoten belebt. — 


In der Mittelmaͤſſigkeit auͤſſerer Umſtaͤnde iſt es Füße 
lin vermittelt der Gefchäfftigkeit feines Geiſtes gelungen, 
Talent und Verdienſt, beſſer als fo „viele Reiche und 


16 Jobhann Eafpar Fuͤßri. 


Groſſe zu beſchuͤzen. Eine Menge armer Schüler Hat 
er nicht nur großmuͤthig ohne Entgeld unterwieſen, ſon⸗ 
dern auch für dieſelben Reifegeld einfammeln laſſen, und 
iunen den Weg zu vortheilbaftem Berufe erleichtert. Ue⸗ 
herhaupt macht ihn natürliche Tbhaͤtigkeit febr gefällig 
und Dienfifertig. So ſehr er fich felber vergißt; fo ſehr 
forgt er für andere: Unfaͤhig für fich felber an der Thür 
der Groffen zu Elopfen, ſchaͤmt er fich nicht Kollecten zu 
dammeln, wenn er zur Unterflügung eines Ungluͤcklichen 
irgend etwas beyzutragen im Stand iſt. — Solche Züge 
ia dem Moral: Character des Kuͤnſtlers verdienen nicht 
weniger, als das Eigentbümliche in Jen Genie bemerft 
gu werden, ' 


Indeß liegt jene Ynterfuchung auffer den Scranten 
des Biographen, in wie weit moraliſche Auflagen, und 
Steuererpreſſungen wirklich nuͤtzlich, oder in wie weit 
fe ſchaͤdlich ſeyn koͤnnen. Aus politiſchem Geſichtspunkt 
hetrachtet ſcheinen dergleichen Anſtalten, Veranlaſſung zu 
demienigen, was man in Rom Patronat oder Klientel 
bieß; etwas, welches unvermerkt zu einer Art ausfchlief 
fenden Wohlwollens, zu Barteylichkeit und Factionsgeiſt 
Gelegenheit giebt. Weit entfernt indeg war unfer Fuͤßli, 
fich in die Staatsangelegenheiten mehr einzumiſchen, als 
es mit feinem Hang zu pbilofopbifcher Ruhe, und mit 
feinem Geſchmack für die Kuͤnſte beftehen konnte 


Die Jahre 1740. und 1742. waren für Fuͤßli hoͤchſt 
traurige Jahre, zwey feiner beften Freunde wurden ihm 
durch den Tod entzogen, Kupezki und Rugendas, Maͤn. 
ner dom erſten Rang in der Kunſt, die er fo vorzüglich 
geſchaͤtzt und geliebet hatte. Ex opferte ihnen Thränen, 
and fo viel an ihm lag, wuͤnſchte er, ihre. Tugend, 





Tohann Cafpar FüRI En 


und Groͤſſe der Nachwelt: aufzubehalten.: Er ſchrieb ihre 
Geſchichte, und machte fie durch den Druck bekannt. — 
Und da dieſe erfte Probe feiner Mufe vielen Beyfall fand, 
auͤſſerte fich in ihm eine unbezwingliche Begierde, feine 
wuͤrdigen Landesleute dem Moder der Vergeſſenheit zu 
entziehen, und fo viel möglich eine vollſtaͤndige Geſchtehte 
der beiten Kuͤnſtler des Schweizerlands herauszugeben. — 
Er brachte mit einer unnachahmlichen Muͤhe und Ges 
duld dieſes Werk: zu Stande, in welchem ex fich zugleich 
als ſchoͤnen Schriftſteller, und als gründlichen Kunſtrich⸗ 
richten zeigte, und mit Verachtung auf diejenigen hinab» 
fahe, die aus Unmiffenbeit, oder Neid, feinem Qateı 
lande Künftler vom erſten ang abfprechen wollen, \ 
Leute , deren gröftes Verdienft im Handel mit altem und 
neuem Marmor beſteht, und die etiva noch einer vera 
ſtuͤmmelten Bildſauͤle, eine Naſe oder ein Ohr unges 
ſchickt anzuſſicken bemüht find. - 


Fügli war von Jugend auf ein grofer Liebhaber von 
Kupferflichen , er legte fich nach und nach eine vortrefs . 
flihe Sammlung bey, und da er in Wien den Zutritt 
zu ber unfchägbaren, und vielleicht erfien Sammlun 
des Prinzen Eugens hatte, fo bereicherte er feine Kaͤnnt⸗ 
nig in diefem Sache bis zur Vollkommenheit. — Ex 
glaubte allen’ Liebbabern ein angenehmes Geſchenk ‚zu 
machen, wenn er ihnen ein Handbuch darreichte, auf 
eine vernünftige Weile Kupferfliche zu fammeln. Er 
fchrieb fein raiſonirendes Verzeichniß der beften Kupfers 
flecher, und ihrer Werke, und gab es durch den rei | 
beraud. — Diefe Schrift wurde mit ae Bey 
fall aufgenommen. — 


zum Befchluß erwähnen wir och Fuͤßlins hettlinge 


“ 


18 IJobeann Tafpar Fuͤßlt. 
riſthes Medaillen: Cabinet; ein Werk, weiches ber fe: 
Hettlinger niemand als feinem Freund Fuͤßli anvertrauen 
wollte , welches auch Ducch deſſen Bemühungen dad er⸗ 
fie Wert dieſer Urt ſeyn wird, und ſowol den Heraus⸗ 
geber als Hettlingern verherclicht. Niemand hat mehe 
Geſchmack, um den ganzen Werth der Hettlingerifchen 
Schammüngen gu empfinden, und niemand mehr Unpar⸗ 
geplichkeit, um auch) darüber ohne Hyperbole zu ſchrei⸗ 
ben , wo felber nach den Dorfchriften eined Quintiliand 
. Die Hoperbole erlaubt wäre. — 


Vielen Gelehrten und Kuͤnſtlern, die ſich Durch Eifer⸗ 
ſucht entzweyen, dients zur heilſamen Beſchaͤmung, daß 
mit ſo manchem unter denſelben Fuͤßlin in der freund⸗ 
ſchaftlichſten Verbindung geſtanden, und immer frem⸗ 
dem Verdienſte mehr, als eigenem, Recht widerfahren 
laſſen. Durch Nachahmung eines ſolchen Beyſpiels wuͤr⸗ 
den die Muſenſoͤhne ſich am ſicherſten vor dem Hohnge⸗ 
haͤchter unkundiger Zuſchauer verwahren. 


In den letzten Lebenswochen ſah ſich Fuͤßli am Leibe 
voͤllig entkraͤftet; fein Geiſt aber blieb munter; auch 
beym Ruin ſeiner Hütte bewieß er ſich heroiſch und uns | 
fierbfich ; . am Rande des Grades umfaßte er mit dem 
Blicke des Welfen fo wol das Vergangene als die ewige 
Zukunft. Fuͤßlin flarb den 7. May 2782. 


Verzeichniß ſeiner Schriften. 


Leben Georg Philipp Rugendas, und — Lu 
pezti. — Zürich 1758. 








Geſchichte der beſten Kuͤnſtler in der — — u 


sen Bildniſſen. 5. Theile, Zürich 1769. 1779. 


Johann Caſpar Fuͤßli. 159 


Ralſvmrendes Verzeichniß der beſten Kurierfiecher un 
ihrer Werte. — Zurich 177.. 


Gefchichtevon Winkelmanns Briefen/ an ſeine Freunde 
in der Schweiz. Zürich 1778. 


Auf Vefehl feiner Obrigkeit. 
Kathfchreiber » Ordnung,» sc. ic. Zürich 1761. 
Mit einer Vorrede gab er heraus. - -- 


Anton Raphael Menas Gedanken über die Schönheit 
und den Geſchmack in ber Mahler. Zürich 1770. 


"ar * 


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a 


160 





XV. 
Raphael Egli (*) 





Sy beißt er auch Goz oder Iconius von feinen Vor⸗ 
ältern in dem Mönchbof, einem zlrcherfchen Lehn⸗ 
gut an. den lifern des Sch. Sein Vater war Tobias 
Egli, zuerſt Pfarrer in Frauenfeld; wegen Werdruffed 
von paͤpſtlicher Seite begab er fich hernach als erſter Des 
canus nach Puͤndten; auch bier ward ihm der Aufent- 
halt von feinem Wiedertauferifchen Amtsgenoffen , Joh. 
Gantner, beſchwerlich gemacht. Er ſtarb im J. 1574 
in dem vierzigſten Jahre des Alters. 


Raphael Egli, fein Sohn, ward im J. 1559. gebe⸗ 
ren. Den erften Unterricht erhielt er zu Chur bey Js⸗ 
hann Pontiſella; hierauf kam er nach Cleven zu Scipis 
Lentulud; auffer einer gelaüterten Theologie , lernte ee 
bey dieſem gelehrten Neapolitaner die lateiniſche und 
ttaliänifche Sprache ; in den Erholungsftunden beluſtig⸗ 
te er fi) mit der Boefie und Tonkunſt. Durch folgelis 
de Verſe ward er vom Vater zum Studiren ermuntertt 

Pyramidum ventis pereunt regalia bufta, 

Et monumenta ducum diruit imber edax, 
Lola 
N 3 5 = 
(*) ©. Job. Jar. Simlers alte und neue Urkunde, B. II. 


25.111. f. 803. — der Zeitrechnung nad) Kömmt er ver Heinrich 
Hottinger zu ſtehn. u 





\ 


| a 
: Sole animi Virtus Libitinam vitat & orcum: " 
Effugit , atque nova crefcere laude poteſt: 


Hxc tibi fumantus quefita fuperbia, Fili, 
Ingenii meritis. Sio tibi cinge comam. 


Nach des Vaters Hinſcheid begab ſich die Wittwe, 
Eliſabeth Goͤldlin, nach Zuͤrich. Der verwaͤißte Knabe 
ward ſogleich in dem Collegium Alumnorum verſorget. 
Unter Aufficht eines Verwandten, Wolfgang Hallers, 
und ber deften Lehrer, Heinr. Bullingers, Wild. Studi, 
Rudolf Collins u. a. bracht! ers in den Studien unges 
mein weit. Zur Fortfegung derfelben gieng er im Jahr 
2580. nach Geneve. Mit dem redlichſten befien Herzen 
war bey dem Juͤngling eine allzulebhafte Einbildungss 
kraft vereinigt; von einem berumfchweifenden , italiänis 
fchen Arzte ward er , ohne Vorwiſſen der Lehrer, von 
Genf hinweg nach Bafel gelocket. Bald wieder führte 
ihn fein eignes Herz zuruͤck aus der Verwirrung ſeiner 
Einbildungskraft. Hieruͤber ſchreibt Beza an Gualter in 
folgenden Worten: De veſtris apod nos nunc ·verſanti- 
bus. ftudiofis , quod adhuc feripf, nunc quoque fcribe- 
rem, nifi obftaret Eglini leyit:s, de qua vos. common«- 
faciendos putavi. Res autem ita ſe habet. Venit ad nos 
æſtate fuperiore Italus quidam Auguftinus nomine, medi- 
cine Dodoratum, ut audio , Bafilew adeptus , litteras 
fine afferens commendatitias , cujus confustudine cap- 
tus Egliaus quafi mortalium omnium is eflet doctiſſimus, 
homo interim paradoxorum, ut audio, pleniflimus. tan- 
um effecit, ut illym etiam.in idem hofpitium admitte- 
zet. — — — Eglinum gepte pgirgio ingenio preditum 
eſſe video, in aan. ‚Anieine velim aliquid — quo 

ll. Theil. . ‚mc - 75 


vn .n Te 


an 


usa Bcphärsieglt | 


à Studiorum ourfu impediatur. Sed viciſſim iHum ſerio 
admoneadum puto, ut’ aliorum conſilio fe regi patia- 
tur &c. Je. unerfahrner der Juͤngling, je unbefangener 
fein Gemüt-war , deſto leichter: konnt er ſich von den 
güldenen Derfprechungen des gelerten Avantuͤriers hin⸗ 
reiſſen laſſen; treuherzig kehrte er auf den erſten Wink 
ſeiner Aufſeher und Lehrer nach Genf zuruͤck. Unent⸗ 
ſchieden indeß bleibt es ob nicht eben der Umgang mit 
dieſem ſeltſamen Italiaͤner die erſte Veranlaſſung zu ſei⸗ 
nen nachherigen, gelerten Thorheiten geweſen? Fuͤr ein⸗ 
mal ſchien? er, unter der Aufſicht eines Beza, eines 
Lambert. Danäus und Anton Kay wieder. ind Gleife zu 
fommen., , Unter Beza verthaͤidigte er zwo Streitſchrif⸗ 
ten von ver Gnadenwal; auch ſchrieb er eine Abhand⸗ 
lung über die Proſodie, welche von, Beza gelobt wird. 

ein: täglicher Befe,ete in ‚Genf mar Johann Guler 
von Weineck der hernach nicht nur als Ritter und Feld⸗ 
öberfier, fondern auch als Schriftfteller berühmt worden. 


Wegen der Unruhen, womit Genf von dem Herzog 
son Sapoyen bedrohet war, begab ſich Egli im J. 1582. 
nach Baſel. Daſelbſt hielt er unter Joſ. Jac. Grinaͤus 
eine Diſputation: de formaDei-& Servi. — Auf ein⸗ 
mal’empfeng-er ganz unerwartet eine Einladung von den 
Halptern der III. Bündten , damit er ihre neue Lande 
fehule zu Sonders im- Veltlin einrichten möchte. Hier⸗ 
auf gieng er im J. 1583. nach Zurich ; er Ward zum 
Predigtamt eingeweyht und derhe ratete ſich mit Su⸗ 
ſanna Schmid, einer Tochter des gelerten Sebaſtian Fa⸗ 
bricius. Alsdenn begab er ſich gan’ allein nach Rhaͤtien. 
Ber feinem Aufenthalte zu Sbildersedierte er die latei⸗ 
nifche Abhandlung: Viaac ratio Scholz Rhetorum. Peſ- 


% 


\ 











\ 


Aaphael wgtt. 163 


olarü. 1584 in 4to. Diefe Schrift enthält feinen vor⸗ 
Hefchlagenen Schulplan. Für die Schule verfertigte er 
eine eine Logic, welche im J. 1585. unter der Auf 
fehrift Recte argumentandi ratio zu Zürich heraus kam 
und feinem Freunde, Joh. Guler zugeeignet wurde. — 
Im Jahr 1586. erweckten die Prieſter, unter Anführung 
eines Mönchen von Palermo, einen fo gefährlichen Aufs 
ruhr zu Sonders, daß alle Reformirte in Lebensgefahr 
gerieten; die Schuͤler wurden zerſtreut und die Schulan⸗ 
Halt gänzlich zernichtet. Hierauf begab ſich Egli wieder 
nach Zürich. Bald hernach ward er zur Verbefferung 
des Schulweſens nad) Winterthur berufen ; zugleich ers 
hielt er dafelbft den Sub-Diaconat zu St. Geörgen im 
geld. An diefem Orte gerieth er in genaue Belannts 
fchaft mit Joſuas Maaler oder Victorius ‚ deifen Woͤr⸗ 
terbuch bekannt iſt. 


Zu diefer Zeit hatten Claudius Alberius zu | Banfanne, | 
und Samuel Huber zu Bern über die Gnadenmwal ganz 
befondere- · Meinungen geauffert; durch Wiederlegung 
berfelben hatte ſich Egli groſſen Beyfall erworben; aus 
Liebe zum Frieden verbat er fich den Drud feiner Eons 
froversichriften ; cupit „' fehreibt der zürcherfche Antis 
fies, Rudolf Stumpf an. Theodor Beza, cupit Egli» 
nus hæc fua Scripta minime publicari, ne contendendi 
ocdaſio rixofis ingeniig objiciatur _ 

Im J. 1588. kam er von "Winterthur nach Zürich, 
als Auffeher der XV. obrigkeitlichen Seminariften. — Zu 
Ende dieſes Jahres war er wegen allzuheftiger Geiftesans 
ſtrengung in tiefe Schwermut geraten. 


Ohne ſein Vorwiſſen wurde er im J. 1592. von dem 


14 Raphael 2gtt. 


groffen Rathe zum Diacon beym groffen Münfter ers 
wäblet; zugleich ward ihm ber catechetifche Lehrſtul 
des R. Teſtaments übergeben. In dieſem Amte führte 
- ee die theolosifchen Difputationen ein; hernach wurs 

den fie von dem Senate gut geheiflen. 


Im J. 1594. reifete er eines Bergwerkes wegen in 
NPuͤndten. In den Actis Scholafticis finden wir hier⸗ 
über folgende Nachricht: » Diefer Tagen ward auch 
¶ fürbracht, daß R. Egli weder Ichre noch predige, ſon⸗ 
„dern aufhin in Buͤndten zogen ſey, und allda eines 
„Bergwerckes ſich belade, mit groffer Aergerniß ganzer 
„ Bürgerfchaft allhie und auch der Bündtner ſelbſt, und 
„zu beforgen , er werde in hoͤchſte Ungnade unſrer 
» Herren fallen: Gab M. Burkhard Leemann Bes 
„ fcheid, dag er ihm von einer andern Urſache wegen, 
» fo er vorgewendt, wol erlaubt babe, der Kirchen 
„» bald, aber gar nicht vermeint, daß er fo lang aus⸗ 
> bleiben fol. — Geflel meinen Herren, daß er anfangs 
„ auf das allerernſtlichſte heimgemahnet werde. * Ye 
geachtet des Unwillens, den er fich zugezogen hatte, warb 
er nicht defto weniger im J. 1596. zum Archidiacon 
und Chorherr beym groffen Muͤnſter erwaͤlet. Diefer 
neuen Wuͤrde bediente er ſich zur Befoͤrderung verſchie⸗ 
dener, wolthaͤtiger Anſtalten. Im J. 1598. uͤbergab er 
dem groſſen Rathe ein Bedenken wegen des Kirchenge⸗ 
ſanges, welches hierauf mit obrigkeitlichem Anſehn zu 
Stadt und Land eingeführt ward. Zu dem Ende hin 
ſammelte Egli etliche Palmen und Kirchenlieder zuſam⸗ 
men, welche mit feiner Vorrede im J. 1605. zu Zürich 
bey Joh. Wolfen gedrucdt und beym öffentlichen Got- 
m gebraucht: wurden. 











| Kaphaei gti 165 
Fataler Weiſe wurden feine‘ groffen Vorzuͤge umd ges 
meinnuͤtzige Bemühungen durch eiteled Studium alchy⸗ 
miftifcher Geheimniſſe verduntelt. Schon im J. 1598. 
ward in Öffentlicher Synode erkennt, dag ihn feine bes 
nachbarten Kollegen von den thörigten Wunderverſu⸗ 
chen abhalten follen. Damals aber wußte er ſich noch 
gar wol zu rechtfertigen; ungefähr im Fahr 1604. war 
er. mit verfchiedenen Männern, und unter denfelben mit 
Angelus. Sala, Johann Scheppius, Joh. Jac. Nuͤ⸗ 
ſcheler, Frieß, Zeller, Feuͤſt u. ſ. w. in eine alchymiſti⸗ 
ſche Verbindung getreten. Wie zuverſichtlich Egli auf 
die Golbmacheren gebaut habe, mag unter anderm 
fein Brief an Doctor Scheppins beweifen. Cum ante. 
hac, heißt es in dieſem Briefe, ad te ſcripſi de cemento 
auri bafli} cum acceſſione unius cum dimidio charatti, 
ut vocant & tribus granis, hoc. eſt, 27 granis, exau- 
gendi & ad valorem ducatorum adducendi, nihil fane 
selponti &° te tuti. Ef autem ea res ita certa & explo- 
rata, vt jam aliquoties Specimina ſint facta à me & 
meis in. magna quantitate. Lucrum in fingulas Marcas 
fingulis, „Septimanis perficiendas eft decem Florenorum 
Hoftratiung,. De di ‚igitur has patentes noftro Kydio, qui, 
ed! de‘; integro tradtaret & præterea plara alia aperi- 
set, guz preſtitu nobis non ſunt adynata, magni mo- 
menti X podderis, & folis cummunicanda Philofophis 
äntraneis. — Tig. 28. Nov. 1504. An den Rande fleht 
von Eglins eigner Hande: „ anderhalb Loth und drey 
» Gran Zuftandt an feinen Gold nach. dem Cement 
„ mehr, Die Mark-gehalten hat an Goldsgulden, kay⸗ 
ↄ» ferlichen ‚. italiänifchen, fpannifchen » einfachen und: 
v doppelten Sonnen⸗Kronen, auch Kreuzducaten. Moͤ⸗ 
» gen 50 ‚Mat von einer Perſon N laborirt 


— 


166 Bapbael Eulk 

F werden. Koſt die Mark zween Gulden zu verarbei⸗ 
ↄten an Specien, Proſit 10 Gulden über — Unko⸗ 
„> fen auf jede Mark geſchworne Reichöprob. * «“« 
Die Verſuche waren alle mißlungen; Egli — in 
groſſer Schuldenlaſt; im J. 1605. ſah er ſich genoͤtigt, 


ſich vor ſeinen Glauͤbigern aus dem Staube zu machen. — 


Sechs Monate lang irrte er troſtlos bald day bald dort 
herum; ungeachtet der Magiftrat ihm ficheres Geleit 
anbot, fo wagte ers doch nicht, wieder zuruͤck nach 
Zuͤrich zu kehren. Allſo ward er ſeiner Wuͤrde entfezt 
und felbige an Fo. Cafbar Murer übergetragen. Mitts 
Ierweile hielt ſich der ungluͤckliche Fluͤchtling bald zu 
Conſtanz, bald zu Schwytz auf; ſeibſt in den auͤſſer⸗ 
fien Elend wiederſtand er ſiegreich allen noch ſo ſchmei⸗ 

chelhaften Anlockungen, wodurch man ihn hie und da 
zum Abfall von der reformirten Kirche verleiten woll⸗ 
te. — Seine Feinde in Zuͤrich ſtreuten aus, daß er nicht 
blog Schulden wegen üchtig, geworden: feine Unfchuld 
aber‘ verthäidigte' ec in einem weitlaufigen Schreiben an 
Obxiann Rhanen. uUni ſich gegen die Verlaumdung, 
als ſey er ‚sum Nabfttum hinüber getreten, zu ſchuͤtzen, 
edirte er wo Apologien;die eine unter. Der Auficheißt: | 
Proteflation feiner beftänbigen Keligionderklärung hal⸗ 
ben. Dieſenhofen ı606. — Die andere: beſtaͤndige 
Religionserklaͤrung uͤber den Artikel von der h. cathol. 

Kirche. Lindau ißoä. 


Ungeachtet aller gurditte von Seite "feiner. Steine, 
befonders auch des Decan Joh. Jac. Kollers zu Elgauͤ, 
und des Obmann Joh. Rud. Rhan, war immer noch 
wenig Anſchein zur Begnadigung; unterm 6. März 
3606. ſchrieb er aid dem Thurgas eine Bittſchrift an 


Raphbael geek? 237 


die Negirung in: Zürich; in derſtelben begehrt’ er / daß 
man ihm entweder einen andern Kirchendienſt wuftreo 
gen oder ihn mit ehrlichem Abſcheid verſehen möchte ? 
alsdann wolle er in Der Pfalz oder: in Heſſen ſich um 
eine Bedienung bewerben. Bleiche/Bitte wieberholte 
er hernach aus Brugg, unterm 13. Maͤtz 1606. Ze 


Der Senat forderte über den Handel ein. „Bedenken 
pon dem Kirchenrathe. Dieſer klagte, dag fich Eali 
durch die Alchymie und. zum Theil auch durch Trun⸗ 
kenheit ind Verderben geſtuͤrzt habe. In dem Dater⸗ 
lande (fügen die Theologen binzu, ) koͤnnte ‚ihm. ohne 
Aergerniß kein neuer Kirchendienſt anderteaut werden ; 
nichts alſo bleibe noch übtig,. als ihn mit einem.ı unvor⸗ 
greifichen Abſchied zu entlaſſen. Dieſes billigte der 
Senat; er erhielt den Abſcheid und 25 Gulden zum 
Reiſegeld. Hierauf, begab. er. ſich mit Joh. Wilh. Stucki 
Empfehlungsſchreiben an Hermaͤun Vultejus nach Mars 
purg. Vultejus empfiehlt ihn dem | heſſiſchen Landgrafen 
Mauritz; vor dieſem muß Egli auf dem Schloſſe zu 
Caſſel eine Predigt halten dadurch erwaeb · et Ach das 
fuͤrſtliche Wolwolten.Mit einem Zehrpfenning ſchiæt 
ihn der Landgraf nach Marpurg, als Profeſſor der Got⸗ 
tesgelehrtheit. Hieruͤbet ſchrieb Caſpaͤv Waſer an 
Goldaſtꝛ Egli lebt manmehe mit feld: Yarıifie- zu 
» Marpurg; daſelbſt wirds Mühe gennug Haben jene 
n bleyernen Lutheraner giden zu mächeirs: indeß Wird 
» er durch feine Gelehrſamkeit vieles bermogente se 
J. 1697. ward Egli, nach academiſches Sitte, Obgleich 
‚feinem Wien zumwieder, von Gedrg Schönfeld’ zinm 
Doctor der 5. Schrift proclamirt; nach erhaltenem 
Doctorhute, konnte er ſich nicht..enthalten, zu ſagen: 


268. Raphael gti. 
jem quidem Do£ter, fed non do@ior ſum. Der Lands 
graf bezahle ihm alle Unloſten und gab ihm ehrliche 
Befoldung ; zugleich aber verbot er ihm ben hoͤchſter 
Strafe jede neue alchymiſtiſche Verſuche. — Bon Egli 
sieht Ahorn in feiner Magiologie (”) folgende Nach⸗ 
richt: „Es bat fich vor mehr ald fechsig “Fahren ein 
» überaus gelehrter Mann, aus einer fürnehmen Stadt, 
„ diefer alchymiſchen Tborheit auch fü weit ergeben, 
» dag er famt einem Gejellfchafter über die hundert 
» mal taufend Gulden, theild eigen , theild entlehnt 
» Geld, nicht zu Gold, fondern zu Nicht? gemacht, und 
9 wegen Immöglichkeit die gemachten Schulden zu bes 
» zahlen, feinen babenden ehrlichen Sig, Beruf und 
» Vaterland derlaſſen: weil aber der Ruf und Nam 
„ feiner Gelerte wahrhaftig groß war, hat folcher einen 
» fürnehmen Reichsfuͤrſten bewogen, demfelben auf ſei⸗ 
„» nee Academie eine VProfeſſionsſtelle aufzutragen, wel⸗ 
> che er auch hiernach mit groſſem Lob und Ruhm 
= big an fein feliges Ende verwaltet bat. “ 


Noch immer wurde Egli bie: und da wegen alchymi⸗ 
ſtiſcher Unternehmungen verdaͤchtig gemacht; man ſtreu⸗ 
te aus, er babe Heinrich von Degernweil, Herrn deB 
freyen Chalandenbergs, durch die Alchymie ind Ver⸗ 
derben gebracht; auch ſey er mit dieſem Edelmann und 
mit andern Alchymiſten bey Verfertigung eines Speculi 
magici Joſephi intereſſirt geweſen. Des von Degern⸗ 
weil aber gab ihm mit Hand und Siegel eine untere 
eichnete Schrift, daß dieſes Vorgeben ganz: lügenhaft 
und falſch ſey. 
EEE — 


OP. C.9... ... 








Bapbaei asit 19 
abet blich Egli immer won der Sehnfucht nach dem 
Baterlande beunruhigt; immer nährte ee Hofnung, einſt 
noch feine Schulden bezalen zu Können: fein Wunfch 
aber blieb unerfült; er Aarb zu Marpurg im J. 1632, 
tm drey und ſechzigſten Fahre feines Alters 
Das Verzeichniß feiner gedruckten Schriften indt may 
in Hottingers Biblich. Tig. und Scheüchierd Noris li. 


terariis helv. 1703. 


Unter denfelben ie wir nur folgender: 

Cornel. Nepos, additamento ex manuſcr. auctus. Zürdh, 
1600. 

Vindiciæ Ciris Catullianæ adv. Jo Scaliger. Die Aus. 
gabe auf der zuͤrcherſchen Stadtbibliothek iſt von Utrecht 
im J. 1659. | 
 Summa terminorum metaphyficorum ex Jordani Bruni 
Nolani manufcripto excerpta. Zürich 1595. 

Orat. hift. Joh. Fabritii Montani, de Ya Can: Pel. 
Hcani &c. Marpurg 1608. | 

Prophetia halieutica n nova & admiranda, Zürich 1598. 
Ebend. teutich. | 

Conjectouræ halieuticz e notis pilcium marinorum de- 
ſumtæ. Franff. 1611. 

Epharmofis mundi. Marpurg 1615. 


Helia artium. Marpurg und Leipsig 1606. Man ſche 
daruͤber Obfervat, Hallenf. T. VI. C 177. 


Wir übergehen eine Menge theologifcher Schriften. 
gemmunsf 





XVL 


Irhann aithaſur aeuer © 





8 iſt derſelbe aus einem alten und edeln Gefchlechte in 

Zürich geboren. Schon im J. 1253. waren feine 
Vorfahren in ihrer Vateeſtadt fo wol in geiftlichen als 
in weltlichen Bedienungen, Im J. 1474. war Felix Kels 
ler mit 1500 Zuͤrchern vor Elicourt gezogen; im J. 
1476. wohnte er der Schlacht vor Murten bey. Eine 
Wagenburg wollte man ſchlagen: Er verhinderte es 
mit folgenden Worten: „ Wir Eidgenoffen find gewohnt, 
„nicht ung vor dem Feind zu verbergen, ſondern ihm 
auf die Spur zu gehn. “ Nach dem Sieg ward er 
fogleich auf der Walſtatt mit "Waldmam , Hallweil, 
Bubenberg u. a. zum Ritter gefchlagen. - Im J. 1487. 
erhielt er von Käifer Maximilian 1. einen Adelsbrief und 
die Verzierungen des Wapens. — Nicolaus Keller ward 
im J. 1515. mit vier Söhnen in der Schlacht .vor Dias 
tignan, im Dienfte Frankreichs, erfchlagen. — Im J. 
1531. befam Hand Balthafar in dem Treffen bey Cap⸗ 
pel vierzehn Wunden; als tod ward er aufdem Schlacht⸗ 
feld ausgezogen; er erholte ſich wieder und kam nackt 
in ein benachbartes Dorf; von da nach Zuͤrich; auf 
ihm beruhte die ganze Nachkommenſchaft. J 








0068. J. € Ziͤchins ſchweizeriſche Künflergeöihte, 
Band Al. f. J. fol g. 


t 


— Bartarde Keller. a7 


Unſer Joh. Balthafar wurde im J. 1638. geboren, 
Schon in der “Jugend ahıfferte- fich feine vorzuͤgliche Nei⸗ 
gung zum Zeichnen; er lernte Die Goldſchmiedsprofeſ⸗ 
ſion; durch: gefchickte Unterweifung brachte er's fehr weit 
in getriebener Arbeit, fo.wol in Figuren ald Laubwerk 
und Früchten. Schon damals lebte fein Alterer Bruder, 
ein Rothgieſſer, im Dienfte der franzöfifchen Krone z 
Durch Gieſſung vortreficher Kanonen hatte fich dieſer eis 
nen groffen Nammen erworben. Er nahm den jungen 
Balthafar zu fich, um fich feiner Zeichnungen zu. bedie⸗ 
nen. Dadurch erhielt.der Füngling Gelegenheit, gleichs 
falls in den Sold des Königs zu treten, und demfelben 
leiſtete ex feither ald Commiſſar der Giefferen beträchtlis 
"che Dienfte. Die Anleitung ded Bruders und fein eiges 
ned Genie brachten ihn gar bald ungemein weit. Von 
ihm find jene prächtige Bildfaulen in dem Garten von 
Verſailles; von ihm find eine Menge Kanonen und 
Mörfer , deren mehrere von le Poutre in Kupfer geſto⸗ 
chen worden ; was ibn am meiften verewigt, ift die 
Statue Ludwigs XIV. Dieſelbe beſindt ſich auf dem 
Platze Ludwigs des Groſſen zu Paris, und ſie iſt in Ei⸗ 
nem Guſſe verfertigt. Die beſondern Nachrichten von 
dieſem Guſſe ſind von Boffrand, dem koͤniglichen Bau⸗ 
meiſter und oberſten Ingenieuer zuſamen geſchrieben und 
von Fuͤßlin in. die ſchweizerſche Kuͤnſtlergeſchichte einges 
ruͤckt worden. Boffrand, der ſelbſt ald ein beſonderer 
Freund unferd Kellerd bey dieſem berühmten Guſſe ges 
genwärtig gervefen, verfichert-ansdrüdlich: dieſes Werk, 
von ein amd zwanzig Schub in der Höhe, fen das größte, - 
welches jemals ganz und auf einmal in Erzt gegoſſen 
worden; fonft wurden alle groffen Bildſauͤlen zu Pferde 


73» Joh. Baltbafar Keller 


oder andre Dentmale, fo wie z. B. Dart, Aurel zu Ron, - 
Coſmus de Medicis zu Florenz , Heinrich IV. und Lud» 
wig XIII. m Paris, nur ſtuͤckweiſe gegoffen. — Aldınan 
(fagt e) den Ofen bewähren wollte, bevor man. ben 
Guß diefer Bildſauͤle unternahm, wurden in benfelben 
20000 Pfunde Metall eingefchoben; obgleich der Luft 
ausgeſetzt, ſtoß es gleichwol, ohne ſchwaͤcher oder Dichter 
zu werden, in einen Schmehtigel, der von dem Ofen 
ſelbſt etlih und fünfzig Schuhe entfernt war. Noch 
zweymal fo weit hätte dieſes Metall, durch ſtark erhitzte, 
wolverwahrte und hart gebrannte Röhren, Ennen ge⸗ 
bracht werden. 


Das Modell zu dieſer Bildſauͤle Ludwigs XIV. wurde 
von Franziſcus Girardon verfertigt, alles aber, was zu 
dern Guſſe und zur Ausführung gehörte, von Baltha- 
far Keller. Dadurch) hatte fich diefer ſolches Zutraun er» 
worben, daß ihn ber König den 20. Sept. 1697. ‚zum 
General » Eommiffar der Gieffung der Artillerie und zum 
Aufſeher der neuerrichteten Gieſſerer in dem Arſenal zu 
yaris ernennte. 


Nicht zufrieden, durch eigne Talente dem Baterlande 
Ehre zu machen, war er eiferfüchtig, dag auch die Tas. 
lente feiner Mitbürger nicht möchten verfennt. bleiben. 
Als er eined Tages in Paris den Carl le Brün beſuchte, 
nr ibm dieſer Zeichnungen von den. beften Meiftern 

» Sie find fchön, fagte Keller, „ allein ich muß 
» — geſtehn, daß ich einen Landsmann habe, ei⸗ 
»nen Goldſchmied von Profeſſion, der nicht nur beffere 
» Zeichnungen. macht, fondern zugleich nach denfelben 
» Die Gefäffe, von jeder Art Metall, felbft Bervorbringt. °° 
Beſſere Zeichnungen? Sie find parteyiſch, fchrie le Bruͤn, 


Job. Balthafar Keller 17 


fuͤr ihren Landsmann! — Ich Bin nicht partenifeh , er⸗ 
wiederte Keller, ich wette mit Ihnen für die Bezalung 
Ber Seichnungen , welche ich von Zürich will kommen 
laſſen. Sogleich fchried er an Peter Deri. Nachdem 
ihm dieſer verfchiedene Zeichnungen zugeſchickt hatte, eilte 
damit Keller zu Ice Brün: le Brim erflaunte beym An⸗ 
blick; nach langer flillfehweigender Bewunderung gab 


er willig zu, er habe die Wette verloren. Do, — . 


. fügt er hinzu, — warum fag ich verloren? Vielmehr 
dab ich gewonnen, da ich für fo wenig Geld fo fchöne 
Zeichnungen bekomme, inach denen auch die Arbeit für 


den König fol gemacht werden. Wuͤrklich fächte er den 


Deri in den Dienſt des Hofes zu locken. Keller aber 


fagte ihm kurz: Oeri arbeite aus Geſchmack; Das eing 
zige Ziel feines Beſtrebens fey Die Vollkommenheit in der. 


Kunſt; alles andre, Glüdesgüter und Nammen , ver⸗ 
achte der ehrliche Schweizer. — 


— Im Hornung 1682 hatte ſich Keller mit Suſanna 


Boubers von Bernatre aus der Picardie verheyratet Ex 
ſtarb im J. 1702. im vier und ſechzigſten Jahre; nebſt 
der Wittwe hinterließ er einen Sohn, auf den ſich die 
säterliche Talente fortgeerbt hatten. 


i : 


— 


nu 





XVIL | 
Johannes Simlet (*) 





De Licht der Welt erblickte er zu Zuͤrich den 6. Jaͤn⸗ 
ner 1693. Im J. 1708. übergab man ihn, zur 
Erlernung der Kunft, dem Melchior Fuͤßlin. Dieſer 
ſonſt redliche Mann hatte in der Malerei fo wenig Er⸗ 
fahrung aß im Seiltangen; er Ichute feine Schüler mit 
Der Jeder fchrafiren und mit chineficher Dinte touchi⸗ 
son; fie üdte ee mit unermuͤdeter, aber birnlofer Ges 
Buldt. Der junge Simler tufchte fo fchön, daß der kaͤy⸗ 
ferliche Bottfchafter in der Schweiz, Graf von Traut⸗ 
mansdorf, ihn nach Baden kommen ließ, um fein Bild⸗ 
niß zu verfertigen. In gleichem %. 1712. entfland der 
einbeimifche Krieg und er machte für feinen Vater den 
Feldzug mit. Nach Beendigung deffelben übergab er der 
Obrigkeit eine Vorftellung, in einem von ihm verfertig⸗ 
ten Kupferſtiche, vom Torfgraben in ihrem Gebiete. | 


Im F. 1713. gieng er nach Berlin ; daſelbſt —* 
er beynahe zwey Jahre lang den Unterricht des beruͤhm⸗ 
ten Pefne; er beſuchte die Academie und hielt ale Zeit 
verloren , die er nicht der Kunſt wiedmete Durch Fleiß 
und durch Lebensart hatte er aller Orten Zutrit erhalten, 
Achtzehn Monate lebte er bey bem Baron von In und 








() S. J. € 
Send UL a coragrnue Ruͤnſlergeſogte, 





— 


Johannes Simler 473 


Knyphauſen auf feiner Commenthurey Pietzen-bey Frank. 


furt an der Oder. Im J. 1716. trat er in Dienſte bey 
dem kayſerlichen Bottſchafter am Preuſſiſchen Hofe, 
Damian Hugo, Graf von Virmond. Gar bald wurde 
Simler der Liebling dieſes groſſen Miniſters. In dem 
Gefolge deſſelben gieng er nach Polen; ſie reiſeten durch 


| Pommern, Caſuben; mitten durch das fächfifche Kries 


gesherr, das bey Sacrozim ſtand, Famen fie endlich nach 
MWarfchau. Bon da wurde er zur Verkündigung der 
Ankunft. des Bottfchafters nach der polnifchen Armee 
abgeſchickt. Ben der Zurückunft malte er die Gemah⸗ 
lin. des Prinzen Eonftantind und andre pornemme Der, 
fonen des Hofes. 


Im J. 1717. reiſete er nach Auftrag des Grafen in 
Weltphalen; er paffirte die mofcomwitifche Armee unweit 
Rava, gieng über Breßlau nach Dreßden und langte glüds 
fich zu Herten, einem. Schloffe des Grafen von. Neffel 
roden, at, wo er für den Grafen die grafliche Kamille 
mahlte. Von da gieng er nach Düffeldorfy daſelbſt 
fiudirte er die Mleifterftücde der Malerey. In dafiger 
Gallerie bezauberte ihn vorzüglich van der Werf; die 
Kürze der norgefchriebenen Zeit aber erlaubte ihm nicht 
folche Stuͤcke nachzumahlen. Er ſchwur alfo unter eine 
andere Fahne. Rubens, van Dyck, Rembrand waren 
feine Helden. Simler mußte die geliebte Gallerie verlaf 
fen und mit feinem Herrn nach Wien gehn. Hier bes 
ſuchte er die Academie, beſah die kayſerliche und Lichs 
tenfteinifche Gallerie. Dem Bringen Eugen überreichte 
er das Bildniß feined Grafen. Im J. 1719. ward der 
Graf zum Großbottichafter nach Konftantinopel ernennt, 
zu ward erſter Mahler und langte den 31. Heum. 


r 





176 Jobannes Simier 


mit feinem Herrn glädlich in Konflantinopel an. Hier 


mußte er alled Merkwuͤrdige abzeichnen; daher ward 
er zu allen Audienzen, Beſuchen und andern Feyerlich⸗ 
feiten mitgenommen. Witten unter den angenehmen 
Beſchaͤftigungen ſah er ſich vom hikigen Fieber an dem 
Hand des Grabes geworffen. Nach wieder erlangter Ges 
ſundheit machte er verfchiedene Luſtreiſen nach Kleina⸗ 
fien , Scutari, Chalcedonien u. a. D. Alle fihöne Ge⸗ 
- genden , nebſt andern Seltenheiten, zeichnete er nach deu 
Natur, mit Fleiß und ausgeſuchtem Gefchmade, 


Den 23. April 1720. kam er mit der groſſen Gefandts 
ſchaft nach Wien. Dee Graf erwartete zur Belohnung 
Die Verwaltung in Mäiland. Alsdenn wäre Simler 
bey ihm geblieben. Allein der Kayſer dachte anders und 
machte den Grafen zum Gouverneur von Siebenbürgen. 
uUnſer Kuͤnſtler hatte nicht. Luft mitzugebn und bat um 
feine Entlaffung. „ Bedenken Eie felbit, fagte ex zum 
» Grafen, ob Siebenbürgen für einen jungen Mahler 
„> die rechte Schule fen? “ Der Graf williste , zwar 
ungern , jedoch in den freundſchaftlichſten Ausdruͤcen 
in Simlers Begehren. 


Simler kam nunmehr den 13. Chriſtm. 1720. — 
lich nach Zuͤrich. Mit ungemeiner Achtung wurde er 
aller Orten empfangen. Er arbeitete mit allgemeinem 
Beyfall in jedem Fache der Kunſt; nicht weniger durch 
Talente ald durch, tadellofe Aufführung hatte er alle Her⸗ 
zen geivonnen ; er traf eine glüdliche Heyeat ; im J. 
1734. erhielt er den Beyſitz im groffen Rathe; im J. 
2740. ward ihm das Amt zu Stein am Rhein anver⸗ 
frant. Hier fharb ee im J. 1748. im dem fünf und fünfe 
zigſten Jahre feines Alters. 

Simler 


\ 





Jodannes Simlen a7 
Simler hat Vortraite gemalt , bie im Abſicht der Far- 
bengebung und Stärke Leinen andern weichen Dürfen. 
Ueberhaupt aber ift fein zarter Pinſel Urſache, daß feine 
groſſen Gemaͤlde in einiger Entfernung nicht die beſte 
Wuͤrkung hervorbringen: bey kleinern Gegenſtaͤnden hin⸗ 
gegen, die dem Auge naͤher kommen, iſt er (wie Fuͤßlin 
ſich ausdruͤckt,) von ungemeiner Lieblichkeit gleichſam 
geſchmelzt und in jeder Abſicht vortreſlich. Er ſchmuͤckte 
ſeine Bildniſſe, deſonders weibliche, mit Blumen, die 
er ſchoͤn wie die Natur mahlte. Ron ihm hat man 
Blumenſtuͤcke, die in der Zaͤrtlichkeit des Pinſels, in 
| il Haltung und Garde hoͤchſt fhäge 


I 


N, Theil. M 


178 22* = 
A a — — 
XVIII. 


Hans Conrad Heidegger. (*) \ 





e ward im Jahr 1710. gebohren. Fruͤhzeitig ga⸗ 

wöhnte er fich fo wol an Anftrengung der Aufmerfs 
ſamkeit als an ftandhafte Beobachtung alles deffen, was 
er für gut anfah. Die Umflände brachten es mit, daß 
er ald ein Kleines Kind bey feiner Wärterin fchlafen 
mußte. Wer ed ihm, bey Anlafle der Gefchichte Fo» 
ſephs, gefagt haben mochte? Er hatte gehört, daß es 
Sünde ſey, bey einem Weibe zu fchlafen ; die ganze 
Nacht durch zwang er ſich, die Auglieder offen zu bals 
tn. Im J. 1719. kam er mit feinem Vater aufd Land, 
indem biefer zum Landvogte nach Grüningen erwält 
wurde. Ohne Zweifel dag diefer ländliche Aufenthalt 
zur Gefimdheit fo wol feiner Seele als feines Körpers 


vieled beytrug, und zugleich in ihm die Neigung u 


Sandwirtbfchaftlichen Gefchäften erweckte und naͤhrte. Bey 
nıner Zuruͤckkunft nach Zürich, übertraf der Knabe gar 
bald alle Schullameraden. Das Lefen ward bey ihm 
zur Leidenfchaft ; weder zu Haufe noch auf den Spas 
giergängen traf man ihn niemals ohne Buch an; er laß 
nicht bloß, fondern das Lefen gab ihm Stof zum Selbſt⸗ 
denken. Zuerſt fiel er auf Malebranche; hernach auf 
Wolfen. Ungemein hatte er fih die Metbode dieſes 








N) ©. Hirgels Denkrebe auf Heideggern, Zürich. 2778. 





Hans Conrad Heidegger 1% 


festen eigen gemacht. Mit der Strenge der wolſiſchen 
Lehrart verband er mehr Beobachtungsgeifi und mehr 
Anmuth im Ausdruck. Zur Erlernung der feanzöfifchen 
Sprache begab ex fich nach Lauſanne, und bierauf-nach 
Berlin, um mit der Buͤcherkaͤnntniß zugleich Kaͤnntniß 
der Welt zu verbinden. Am leztern Orte hatte er dem 
lehrreichen und vertraulichen. Umgange des franzöfifchen 
Vredigers Divand vieles zu danken. Diefer führte ihn 
in die beſte Gefellfe-rft von Leuten aus allerhand Stän 

den. Eine zwote Reiſe nach Berlin that er im J. 
Bey ſeiner Zuruͤckkunft nach Zuͤrich, machte er ſich als 
Kanzliſt alle Staatsprotokolle zu nutze. Leicht ward es 
ihm dadurch, hernach bey jedem vorfallenden Geſchaͤfte 
die Quellen zur Beleuchtung zu finden. Die Erholungs 
Hunden wiedmete er der Stadtbibliothel; unter allen 
Wißbaren war ihm nichts Wahred und Gutes entgan⸗ 
gen; das Unbrauchbare ſelbſt wurde brauchbar unter ſei⸗ 
ner Behandlung. Auch die leidenſchaftlichſte, litterari⸗ 
ſche Neugier hielt' ihn nie ab von nothwendigen Ges 
ſchaͤften, und wenn dieſe noch fo mechanifch ſeyn moch⸗ 
ten. Bey dem Gerichtsherrn Meyer von Knonau nahm 
er die Landſchreiberſtelle in den Herrſchaften Weiningen 
und Oetweil an; auch beſorgte er mit wahrer Vaters⸗ 
treue Die Guter der Wittwen und Wayſen. Die herr⸗ 
-fchaftlichen Protoföfle bracht’ ee in Ordnung. Keines⸗ 
wegs fand der groffe Geift folche trockne Arbeit feiner. Tas 
lente unwuͤrdig; er empfand ihren Einſluß auf die Wol⸗ 
fart des Staates; auf ſolche Genauheit naͤmlich war die 
Sicherheit der angeliehenen Gelder und der Kredit. > 
Landmanns gegruͤndet. 2 


r Im $ 10H. FR dedeten Salt, in, den ef 





190 Gans Conrad Heidegger 

Ratte. Hier blieb er kein müffiger Zufchauer ; keines⸗ 
wegs bloß nach angenommenen Maximen, fondern nach 
wahren Grundfägen trug er fine Meinungen vor; alles 
mal mit unwiederſtehlicher Anmuth und Stärke. Schon 
im J. 1743. zeigte er die Kraft feines Genies in der Ge⸗ 
ſetzgebung, ald die Erlauterung des XV. $. unſers Erbe 
rechtes über die Erbichaften in der Nebenlinie dem grofe 





fen Kathe vorgelegt wurde. Die angefebenften Rechts. 


gelehrten wollten bey dem duͤrren Buchſtaben bleiben : 


„ In übrigen fol es auf gleiche Weiſe mit den weiten 


„Graden gethan werden, und jedesmal die Nächten bey 
„ dem Stamme, mit Ausfchlieffung der Entferntern, 


„ aufdie Hauͤpter erben “. Heidegger zeigte, daß fich dieſe 


- Worte in näherer Beſtimmung aufdad Vorhergehende bes 
sieben ; dort war die Rede von Erbrechte der Bruderd:oder 
Schweſterkinder; in folchem Falle hatte das Repraͤſen⸗ 
tationsrecht hinterlaßner Kinder von verftorbnen Geſchwi⸗ 


ſtern flatt; Heidegger flellte daher Die Grunde ded Res 


präfentationsrechted in entfernten Graden, aus der Nas 
te der Sache fo einleuchtend vor, daß fich nach an 
Kampfe jedermann auf feine Seite lenkte. | 


Im J. 1747. ward er zum obrigkeitlichen. Beſitzer dee 
Kirchenſynode ernannt. Sogleich bey der erſten Sitzung 
hielt er den beredteſten Vortrag, wie die Sittenverbeſſe⸗ 
rung weit mehr von dem Prediger und von ſeinen Haus⸗ 
beſuchen als von den obrigkeitlichen Befehlen und Strafe 
mitteln abhaͤnge. Im J. 1748. erhielt & den Beytritt 
zu dem oberften Kirchen sumd Schulrathe. Bey diefer 
neuen Stelle bewieß ev neue Einficht und Klugheit; ums 
ſo viel nothwendiger ift folche dieſem Collegium, da 

ſalden unter andern wichtigen Geſchaͤften von dem 





Sans Conrad Beidegger. 81 


Senate auch Die Ausübung der bifchönichen Rechte im 
den gemeinen SKerrfchaften anvertraut iſt, im folchen - 
Herrſchaften, wo der geöffere Theil der endgenöffifchen 
Mitregenten fih zu dem römifchscatholifchen Glauben 
befennt , wo man. alfa weit mehr durch Klugheit als 
durch Zwangmittel auszurichten im Stande ift. Hiebey 
hatte er zugleich täglichen Anlaß, Yergerniffen zu ſteu⸗ 
ren, Streithändeln , vorzubeugen , den Predigern bie 
beften Winke zu weifer Fuͤhrung ihres Amtes zu geben, 
Erbigungen bey entfiandenen Controverſen zu Fühlen und 
überhaupt Toleranz und gefunden Geſchmack zu verbrei= 
ten. Auch Hatte er mit Breitingern eine fchidlichere 
Klaffification der Pfarrpfrunden entworfen. 


Mittlerweile waren wegen ber’ verlangten Erläuterung: 

des Mannfchaftsrechted die Toggenburgifchen Unruhen 
entitanden. (*) Durch Heideggerd Vermittlung wurden 
zwiſchen den Freyheiten des Volles und ben Rechten 
des Fürften die Schranken gefetst, die fih auf Dad Nas 
vurrecht und auf alte Verträge gründeten. : Der Für 
ward mit dem Lande, das Land mit dem Fürften aus 
geſoͤhnt. Die Harmonie zeigte fih unter den erſten 
Kantons im neuen , glänzenden Lichte. Den Plan, den 
er ald Mitglied des groffen Rathes entworfen Hatte, 
brachte er einige Jahre ſpaͤter als Staatöfedelmeifter 
und abgefandter Mediator zu Stande, dadurch wurden 
feine Verdienfte auch bey den benachbarten Eydgenoſſen 
gekannt und von allen Kantonen fah er fich als Vater 
und Rathgeber verehret. Auch auffer dem vaterländifchen 
Kraͤiſe verbreitete fich dee Ruhm feiner Talente. Seine 
Wirkungskraft ward durch: Befoͤrderungen erweitert. 


9) S. Hirzels Denkmal auf Blaarern ſ. 355. 


33 Hans Conrad Beidengger. 


Vorber machte er ‚feine: wolthätigen Entwuͤrſe im: Stib 
fen; um für dieſelben Eingang zu finden; trug er fie 
nicht immer ſelbſt vor; "er unterſchob fie dieſen oder 
jenem untern den Hauͤptern des Staates. Weun mur 
das Gute durchgeſetzt wurde, ſo blieb’ ex gerne verbor⸗ 
gen. N eo: * J 

Sein Schwager, der nachherige General von Loch⸗ 
mann, ward zum Obriſt des neu aufgerichteten, zuͤrcher⸗ 
ſchen Regiments im franzoͤſiſchen Dienſte ernennt. An 
deſſen Stelle erhielt nunmehr Heidegger im J. 1752. 
den Zutrit zum täglichen Mathe; hierauf im J. 1757. 
zu dem geheimen Rathe; im J. 1759. Iryg man ihm 
die wichtige Würde eines Etaatöfedelmeifterd , und im 
% 1962. den weltlichen: Borg im Kirchenrath auf. 
Da ı2. Nov. 1758. ward ®“ ‚mit ber böchfien Ban 
im Staate beein. 


Unter den zallofen. Wolthaten⸗ die ihm das Vaterland 
dankt, laßt und nur einigen, erwähnen: die erſte, Die 
ſich und darſtellt, iſt die Errichtung eines, Anleihungẽ⸗ 
Comtoir und die Verbeſſerung des Muͤnzweſens. Bey 
der Vermehrung des Geldes, weiches der Handel ind 
Land zog, ward es haufig dem. Landmann ausgeliehn; 
dafuͤr verfchrieb diefer fein Feldgut. Bey der. Niedrige 
keit des Zinſes ward er zum Leichtfinne verleitet und 
hauͤfte Schulden auf Schulden... Je länger je, unfiches 
zer. wagen Dadurch die angelichene Kapitalien, geworden. 
Ganz hätte ben Boden der verderbliche Geldſirohm very 
ſchwemmt: 1m diefem eine. Ableitung zu. geben, ent 
warf jzt Heidegger den Plan einer Anleihungsbanke. 
Die Obrigkeit ſthafte ein maͤſſiges Kapital fuͤr einige 
Jahre ohne Zins ber; oͤfentliche Communen begnügs ' 


— 


\ 


Sans Contar: Setdeg ger vi 
gen KH mit. niederm Zinſe; für die Varticularen wur⸗ 
ben vortheilhaftere Zinſe beſtimmt. Unter Yufficht eini⸗ 


ger. Staatshauͤpter, ward die Beforgung der einfichtds 
volleſten Handelsleuten anvertraut; ohne Entgeld ga⸗ 


ben dieſe ſich Muͤhe, die Kapitalien auſſer dem Vater⸗ 


lande ſicher und fuͤr eintraͤglichen Zinß anzuliehn. Da⸗ 
durch wurde dem Landmann die Anhauͤfung des Schul⸗ 
denlaſtes ſchwirig gemacht. Damit aber eine ploͤtzliche, 
allzuſtarke Erfchütterung- nicht ſchaͤdlich werden möchte, 
ſo wiirde die: Freyheit der Anleihumgen in der neuen 


Anftait: eingeſchraͤnkt und nur von Zeit zu, Zeit eine 
mäffige Summe zu Anleihungen beſtimmt. 


Eben fo wolthaͤtig waren Heideggers EIERN 
für, die Verbefferung det Muͤnzweſens. Das Land-war 


‚mit .fchlechten Muͤnzſorten uͤberſchwemmt.; die Gold⸗ 
und Sitberforten warm im Verhaͤltniſſe mit dee Scheide 


münze auf einen hohen Grad geſtiegen. Die neue Dis 
plone ‚flieg von 9: $. 24 ſ. biß mehr ald 117 9. Dabey 
ward jeder Capitalift aͤrmer, indem er in laufender Muͤn⸗ 


ze ausbezalt wurde; - zugleich fliegen im Preiſe die Note 


wendigkeiten des Lebens. ‚Nicht. ohne. Wiederſtand war 


es Heideggern , mit feineh treuen Amtsgehälfen‘, den 


sit regirenden Buͤrgermeiſter Orell, endlich gelungen, alle 
ſchlechten, fremden Muͤnzen ji. verbannen und die ed⸗ 
lern Metalle und Geldforten- wieder in beſſeres Verhaͤlt⸗ 
niß mit:den Waaren und-ihrem chmaligen Werthe zu 
Bringen. Beede führten in ihrer Verwaltung des Sc 
delamtes die neue Maxime ein, einen groſſen Theil der 


Staatsgelder ZJinstragend M machen. : Ungemein wur⸗ 


den. Dadurch verſchiedene, gemeinnuͤtzige Anſtalten ers 


leichtert. Man erſtaunt wenn man bie Gelbfunimen 


\ 
2 


13 Hans Conrad Heidegger 


berechnet, die in den leztern Jahren zur Ehre des Stas 
tes, zu auffererdentlichen Gefandtfchaften mıb Media⸗ 
tionen, zum Anlauf von Gerichtöbarkeiten, zur Rube 
und Sicherheit von auffen, zur Erleichterung der Hum⸗ 
gerdnsth , zu Erbauung des Wayſenhauſes und andrer 
oͤfentlicher Gebaüden, zur Errichtung neuer Schulan⸗ 
falten, zur Verbeſſerung der Veſtungswerker und des 
Kriegtweſens verwendt worden. Ohne neuen Zußuß in 
Die Staatscaſſe Hätte alles dieſes unmöglich koͤnnen aus⸗ 
gefuͤhrt werden. And dieſen Zuluß haben die beeden 
Amtöbrüder im Stillen zu wege gebracht , ohne Daß wos 
der Bürger noch Untertahn nur einen Seller auſſeror⸗ 
bentlich hätten beytragen müffen. 


Eine andere, wolthätige Anftait, die wie Heideggern 
danken, ik auch Die Errichtung ber naturforfehenden 
Geſellſchaft. Schon hatte ee fich als Mitglied des 
groffen Rathes ungemeines Auſehn erworben, und gleich⸗ 
wol glaubte ers keineswegs unter feiner Würde uud un⸗ 
ter feinem, ald Schüler fich Geßners Vorlefungen über 
bie Erperkmensalpbufit zu Nuze zu machen. Bey Dies 
fer Gelegenheit hatten beyde mit Dem verdienſtvollen Dr. 
und Ratöberr Rahn den Entwurf der phuficalifchen Ges 
ſellſchaft zu Stande gebracht. Ueber die erſten Ver⸗ 
bandiungen dieſer Geſellſchaft hatte Heidegger bad lebr⸗ 
reichſte Tagbuch gefuͤhrt; : vorzüglich war cr auf Ver⸗ 
Bindung ber Theorie mit gemeinnüsiger Anwendung bes 
dacht; ihm dankt man ben beträchtlichen Capitalfond, 
der zuerſt Durch Lotterien,, wozu er den Plan gab, ge 
gründet und von Zeit zu Zeit vermehrt worden; er 
erwarb der Gefelifchaft das obrigkeitliche Zutsauen, und - 
durch dieſes eine fchöne Wohnung, einen koſtbaren Vor⸗ 





\ 


Sans Conrad zeidegger; 15 


- sat). don Büchern und Inſtrumenten, einen botanifchen 
Garten; die Schläfrigleit im den Gefchäften vertrieb 
er durch feinen albelebenden Ein@uß und zalreich lockte 
er die Mitglieder herbey durch feine gruͤndlichen und 
gemeinnuͤzigen Vorlefungen. Als er im Dienften des Bas 
teelandes die Torfrieder in dem Riͤtiwald befab , ſam⸗ 
melte er forgfältig feine Bemerkungen und theilte fie 
bandfchriftlich der Societaͤt mit. Eben fo Hinterlieh er 
ihr einen ausführlichen Plan, wie, unter obrigteitlichenm 
Befehl, ide Haushaltung ein Stuͤck Landes mit Erde 
aͤpfeln anpganzen follte, um dadurch die Zufuhr des 
feemben Getrayds zu verringern: Es war eine feiner 
lezteen Arbeiten mit dee Feder , die Preiöfragen , welche 
den Landleuten vorgelegt worden, mit eigner Hand mE 
Keine zu bringen, um ihnen fin den Landmann bie 

einleuchtendefte Beltimmtheit ‚zu geben. Bey dentins 
terrebungen mit den Bauern glaubte man in feiner Per⸗ 
fon den Schugengel des Vaterlandes zu hören ,. wenn er 
Vorurtheile beftritte oder vor Mifbräuchen warnete; 
allemal fah man dag Herz diefer Leute fich bis zu Thraͤ⸗ 
nen erweichen. Wie rührend für die Menfchbeit, in 
der gleichen Gefellfchaft den. Landmann zwiſchen den 
tieffinnigen Gelehrten und den erlauchten Regenten zu 
ſehn, wie jeder den andern aufllärt, jeder. den andern, 
in feiner Sphäre hochſchaͤzt und liebt! — Nach dem. 
Vorbild der Gottheit, die Alles mit Jedem und Jedes 
mit Allem umfaßt, die auch. im kleinſten Theile das 
Ganze entdeckt, mar Heideggern nichts weder zu Klein. 
noch zu groß; Allen wurde er alles; mit unbegreifis 
sher Schnelligkeit und Gelenkſarnkeit trat er im gleichen 
NAugenblide von den erhabenfien Weltweifen zum ein« 
faͤltigſten Landmanne, von dem Eleinfügigften Detail sum 


„ee Hans Eonrad Seideggre 
eAumfaffenden Ganzen: binuͤber / und ·aller Orten man 
@ zugegen, ald wann er nur dort allein, wo man ihn 
jedesmal fah, zu Haus waͤr. Geine: edeln Geſinnungen 
erbten ſich auch auf ſeinen einzigen, wuͤrdigen Sohn 
fort ; im Nammen bed: Vaters hatte dieſer der phyſt⸗ 
kaliſchen Geſellſchaft eine Geldſumme geſchenkt, die er 
nach dem väterlichen Plane zur Aufnahme des Erdaͤpfel. 
baues beſtimmte. Je tifriger Heidegger für daurende 
Unabhaͤngigkeit des Staats beſorgt war, deſto mehr in⸗ 

tereſſirte er Ach für den Anbau ber: Feidfruͤchte in un⸗ 
ſerm eignen Lande, und beſonders auch für die Wer» 
beſtrung des; — und die — der ern: 
— Zu 


So wichtig ſolche — fuͤr die Oeconomie des 

ʒtaates gervefen ; ſo wichtig und ewig bleibend find auch 
Heideggers Verdienſte um die oͤffentliche Erziehung. Bis⸗ 
her dienten die Schulen beynabe blos für die Gelehrten, 
and vorzuͤglich für die. Geiftlichen. Wenig ward für den 
fimfligen Staatsmann ; noch weniger für. bie verſchiede⸗ 
nen Klaffen des Nahrungsftandes ‚geforget. "um fo viel 
umſchicklicher war dieſe Lücke in einem Freyſtaate, wo 
keine Buͤrgerklaſſe ausgeſchloſſen iſt von dem Zutritte zur 
Regierung. Bor dem oberfien Schulcathe empfahl Hei⸗ 
degger i im J. 1765: Die Verbefferung fo wol als die Er⸗ 
meiterung des Schulunterrichts ; ; im fchönften, zuſam⸗ 
menhängenden Umtiß zeichnete er dieſen, von den un⸗ 
terſten ABC Schulen bis auf den Zeitpunkt der Aus⸗ 
wal eints deſtimmten Berufes. Auf Befehl des Sena⸗ 
tes verfertigte hierauf das Schulconvent, unter Breitin⸗ 
gers Leitung, den Entwurf eines ganzen Schulſyſtems; 
für jeden Theil diefeg Syſtems wurden die angenehmſte 





Yans Conrar. Seivennek m 


Sehreert und Diſtiin beſtimmt; Die brauchbarſten Lehr⸗ 
hücher: entweder. ausgeſucht ‚ober neuperfertigt;;. Die er⸗ 
ſorderlichen Unkoſten zur Belohnung der Lehrer berechnet 
und damtder Man: zu einer Buͤrger⸗ und Kumſtſchule 
begleifeti: "Won dem graffen :Ratbe wurde im J. 1768: 
zu naͤherer Pruͤfung und Aussitbung dieſer Entmärfe eine 
etgne Committee der beſten und weiſeſten Maͤnner meders 
geſetzt. Heidegger, ber Praͤſident Diefer Committer, ſeng 
das meitbauftige und ſchwitrige Geſchaͤft damit au,einen 
engern Ausſchuß zu waͤlen; er ſelbſt war auch von die 
ſem Ausſchuſſe der Führen, und mit ihm arbeiteten be⸗ 
ſonders Prof. Bodmer und die beeden Rathsbherri⸗ 
Hirzel und Meyer von Knonan. Ungeachtet mittlerweils 
Heidegger zur hoͤchſten Wuͤrde im Staate erhoben wurde, 
ſo ſetzte er nichts. deflo weniger in, ‚feinem Eifer für dit 
Schulverbefferungen gleich fort; ;. ale Bater des Vaters 
landes war eg ſein ſuͤſſeſtes Geſchaft, für die Erziehung, 
- auf Rachipelt foltte fc) fein mplshätiger EinAuf, derbrei⸗ 
ten. Jin J. 1773. ſah er feine ganze Schulgefegebung, 
mit glüdlichem Erfolg in Ausübung gebracht. - Bey dien 
fer Unternehmung hatte er den weiteften ümfaug menſch⸗ 
licher Einfichten ‚ er hatte. die unerſchuͤtterlichſte Stand⸗ 
Ben: he allen. Hinterniſſen, eine aufferordentliche, 

Iuabeif.und. Gelentſamteit / urd vorzuͤglich fein aͤchſes 
Vuͤrgecher hersorleüchten faffen. — Befonders auf die, 
neue Bürger: und Kunſtſchuſe fab er mit Vaterblicke her⸗ 
nieder. n bieſem eigentlichen Nationalinſtitut werden/ 
auſſer der Schreibkunſt und Schreibart, auſſer dev, Res 
chenkunſt ‚und Buchhalfung „ auch "Zeichnungstunft , 
Meßkunſt, Naturlehre, Geſchichte und Erdbefchreibung, 
Religion u. ſ. w. in populärem, practifchem Vortrage 


UF 


m Sans Contard Zeideggen 


gelehret. Wie ſehr ihm die Aufklaͤrung dei Buͤrgers am 
Herzen gelegen war, zeigte er unter anderm auch Das 
Dusch, Daß er in dieſe Schule einen politiſchen Catechi 
mus einführte. Sein Fremd und: Btograpb, Hirzel, 
verfertigte felbft dieſe Auleitung zu den bürgerlichen Vlich⸗ 
ten. Beyde fürchteten.fich alin nicht vor der Erleuchtung, 
des Buͤrgers, feſt überzeugt, daß dad. bürgerliche Zu⸗ 
traun gegen die Laudesvaͤter allemal mit der Kaͤnntnig 
Ber. Gehege. und ihrer Anwendung zunehmen werde. —. 
Unter Auflicht der beſten und weiſeſten Banner im Staates. 
Befbnderd auch des fürteefichen und unermüdeten Vraͤſi⸗ 
Benten, Statthalter Scheuchgers, bat Ach dieſe Schule 
anſtalt in dem bluͤhendeſten Zuftande erhalten. * 


Ungerne verlaſſen wir dieſen intereſſanten Gegenftand, 
dm von einer andern Veränderung zu veben, welche 
ebenfalls groffentheild von Heideggern bewirkt worden ; 
wir meynen die neuern Staatdmarimen in Abficht auf 
unier VBerhältnig mit Frankreich. Seit der Aufhebung 
des Edickts von Nantes war gegen Frankreich eine Ab⸗ 
neigung entſtanden; man vergaß, daß dieſe Krone in 
dem Laufe des dreiffigiährigeh deutſchen Krieges die Yes 
ſchuͤtzerin der proteftantifchen, bürgerlichen fo wol als 
religiofen Freyheit geweſen; vergaß, wie dieſe Macht 
Bey dem Weitvhälifchen Friedensſchluſſe alle Staaten 
von Europa zur Anerkennung der helvetiſchen Unabhängs 
lichkeit vermocht hatte; vergaß, daB eben Durch diefe 
Macht der Veltlinerkrieg ſo gefaͤrlich er für die evange⸗ 
liſchen Eydgenoſſen geweſen, endlich noch zu ziemlich 
gutem Ausgange geführt worden. Noch mehr ward uns 
ſre Abneigung gegen Frankreich vermehrt, nachdem dieſe 


Krone im n J. 1715. einen Pe Bund mit den 





Sans Conrad Zeldeguer. 19 
entholifchen Cantons veranftaltet Hatte. Mach und nach 
Feng man an einzufohen, daß Frankreichs eignes Inte⸗ 
reife auf die Inabhänglichkeit der Eidgenoffen gegründet 
fey; dieſem KRönigreiche naͤmmlich dient Helvetien zur 
Bruſtwehr ſo wol gegen die Lombardie als gegen das 
obere Deutſchland; zugleich zieht Frankreich aus unſern 
Gebuͤrgen das treufte und dapferfte Fußvolk. Natur und 
Läge ſelbſt alfo fcheinen dieſes Reich zum Schutze dee 
ſchweizerſchen Freyheit beſtimmt zu haben. Dieſe Be⸗ 
trachtung machte auch die beſten Patrioten geneigt, fuͤr 
Frankreich ein zuͤrcherſches Regiment anwerben zu laſſen; 

im J. 1752. war die erſte Kapitulation zu Stande ge⸗ 
kommen. Ungemein ſind dieſe heutigen, auswaͤrtige 
Kriegesdienſte von dem ehemaligen Reislaufen verſchie⸗ 
den: weit weniger naͤmmlich zalreich, nicht unter feind⸗ 
liche Staaten getheilt, nicht ohne regelmaͤſſige Zucht, 
nicht ohne beſtimmten Vertrag und geſetzliche Abhaͤng⸗ 
lichkeit von der Landesregirung. Unter ſolchen Eins 
ſchraͤnkungen fand Heidegger diefe Kriegesdienfte nicht nue 
weniger gefährlich , fondern’ in gewiſſer Nückficht fo gar 
ſchicklich für die zurcherfche Verfaffung. Heut zu Tage 
naͤmmlich haben felbi zu Sriedenszeiten alle Staaten 
ſtehende Kriegesheere im Solde; dergleichen koͤnnen wir 
einerſeits nicht haben , ohne Zweifel aus Unvermögen fie 
zu beſolden: anderfeitd wollen wir fie nicht haben, ohne 
Zweifel wegen Eiferfucht der bürgerlichen Freyheit. So 
fehn wir unſre Regimenter auf fremde Unkoſten auffer 
‚Lands zu eignem Schuß’ unterhalten. Bey regelmaͤſſi⸗ 
ger Einrichtung haben wir die Folgen des ehmaligen, 
unordentlichen Reislaufens nicht zu beſorgen. Wenn erſt 
noch Anfangs des vorigen Jahrhunderts nach geendigtem 
Kriege die mehreren Truppen nach Haufe geſchickt wor⸗ 


so dans Conrad Heidegger 


den, fedarf man gegenwaͤrtig Keine ploͤgliche Abdan. 

kung befürchten. (") Willig geſtattet man bie Bann 
eines Regiments , welches Durch beffimmte Verträge be⸗ 
willigt worden. Befehlshaber und Gemeine behalten 
Für ſich den völligen Sold, ohne daß Die Obrigkeit Subs 
Mdiengelder für ich zuruͤckhaͤlt. Ganz freywillig iſt auch 
die Werbung: Die Angeworbene werden der obrigkeitli⸗ 
chen. Werbungskammer perjönlich dargeſtellt. An jeden 
thut man die Frage: - Ob er aus eiguem Willen oder 
gezwungen angeworben worden? Würde letztres erwie⸗ 
fen, ſo läßt man den Angeworbenen auf der Stelle frey 
und beitraft nach Beſchaffenheit der Umflände den. Wers 
ber. Die Namen der Gedungenen , ihr Dienft und die 
Zeit deſſelben werden in obrigkeitliche Regiſter verzeiche 
net. Werbungen. für fremde Mächte, die mit dem Kan⸗ 
ton in keinem Verhaͤltniſſe ſtehen, bleiben verboten. — 
Durch die Befehlshaber und Soldaten, welche aus dem 
Dienfte zurück kommen, wird die Landesmiliz mit gu⸗ 
tem Erfolge geübt. — Für ein Regiment Fuͤſeliers zu 
1292. Mann zalt der König jährlich 203480. Balder, 
Der fechzigite Theil» 33913 Gulden, wird für die Ars 
men» Caſſe abgerogen ; Bleibt alſo noch 2000883. Guls 
den, auf. jeden Kopf: 154. Gulden, 32. £ Der Obriſt 
Hat mit der Compagnie Befoldung jährlich ungefähr 8400. 
Gulden ; ein Hauptmann 3600 Gulden, woraus er frey⸗ 
lich groffe Unkoften beftreitet ; die Unteroficiers und =e 
. meinen £önnen ordentlich Ieben. () — 


Sogleich nach Errichtung dieſes Regiments — man 








— 


6. '&. Robert ſons Geſchichte Karls V. 2b; LJ f. 147. 
Rn ):&. Schlägers Briefwechſel ir L. ſ. 85. — 





— 


Hans Conrad Hridegger. 191 - 


— den guͤnſtigern Einſtuß der franzoſiſchen Krone m 
. Heidegger, deſſen Geſchicklichkett im Negotiren 
Ä = gaͤhre vorher bey ſeiner Abſchickung nach Bern 
bekannt worden ware, trat nunmehr bey den entſtande⸗ 
nen Toggenburger Unruhen in vertrauliche Unterhandlung 
wit dem franzoͤſiſchen Bottſchafter von Chavigny; zwi⸗ 
chen beeden entſtand eine Herzensfreundſchaft, die ſich 
nur mit dem Tode des letztern endete. Dieſe Freund⸗ 
ſchaft Hatte den wolthätigften Einnuß, fo wie auf andre 
unfrer Staatdangelegenheiten , alfo auch befonderd auf 
den glücflichen Ausgang der Toggenburgifchen Zwiſte. 


Diefelbe Freundſchaft, welche Chabigny Heideggern 
gewiedmet hatte, wiedmete dieſem auch der nachherige, 
franzoͤſiſche Bottſchafter vom Beauteville. Ben deſſen Auf⸗ 
enthalt in der Schweiz kam im J. 1764. die zwote Ka⸗ 
pitulation unſers Regiments in franzoͤſiſchem Dienſte zu 
Stande. Dabey wurden durch Eſchers und Heideggers 
Vermittlung unſern Soidaten und Officiers die Fruͤchte 
treuer Dienſte auf eine ehrenvolle Weiſe zugeſichert, ohne 
daruͤber der republikaniſchen Unabhaͤnglichkeit oder un⸗ 
ſern Grundgeſetzen im Geringſten zu nahe zu treten. 
Eine neue Probe von der Zuneigung des franzoͤſiſchen 
Hofes hatten die Zuͤrcher in den Jahren 1771. und 1992, 
waͤhrend der Theurung erhalten. Wenn fonft (mit Aus; 
nahme der einzigen Defnung uber die höchften, italiaͤ⸗ 
nifchen Alpengebürge, ), von allen Seiten die Zufuhr 
des Getraydes gefperrt war , fo genoffen wir hingegen 
der freyen Zufuhr durch das Elſaß und über Marfeille. 
Deſſen ungeachtet blieb immer noch die alte Abneigung 
gegen nähere Verbindung mit Frankreich. Den Bott 
fchaftern ſtellte Heidegger folche neue Buͤndtniſe als ganz 


m dans Conrad Heidengen 


annöthig vor. Such ohne Giegel und Briefe, fügt er; 
And wir aufs engſte durch gegenfeitiged Beduͤrfnißg und 
durch gemeinfchaftliche Vortheile verbunden; Ducchune 
fee Kapitulationen bat Frankreich alles empfangen, was 

wir zu leiften im Stande find; obne und felbi zum 
ein, find mir unnermögend mehrere Truppen zu lie⸗ 
fern; und zu unfeer Verubigung mag und der — 
Beicde genug. (Eon. 


Wuͤrklich geſchah von Frankreich kein eigentlicher Alte 
trag / bis der dießmal regirende König, Ludwig XVI. 
deu Thron beſtieg. Nunmehr ſuchten die catholiſchen 
Kantons die Ernenerung ihres Bundes vom J. 1715. 
Der Koͤnig hingegen verlangte, anſtatt einer einſeitigen 
Verbindung, einen Bund mit dem ganzen, helvetiſchen 
Staatskoͤrper. Der Antrag kam gu einer Zeit, in wel⸗ 
cher der Ton in den Staatskabinettern den Freyſtaaten 
keineswegs günftig war. (*) In dieſer Lage fchien Hei⸗ 
Deggern engere Freundſchaft mit Frankreich ein ſicheres 
Kittel zus Verwahrung vor gefährlichen, auͤſſern An⸗ 
fall. Die ungleiche Denkart unter den Eidgenoffen , bee 
fonderd über. den Bund vom J. 1715. verwirte die 
Megotiation und fehien eine fatale Trennung zwiſchen den 
Kantons zu drauen. Auch in dem Schoſſe unferd eige⸗ 
nen Kantons entſtand gegenfeitiger Eifer. „ Se groß 

„ und weit ausfehend derfelbe geworden, fo war er Doch 
iR gleichwol ( wie Hirzel verfichert,:("") ), bey den mei⸗ 
v fen aus feinen unebeln Quellen, noch weniger auß 

Ä „ boſen 








S. Salbters Briefwechtel, Ch. 1. Heft, Vf 366. 
a er @. —8 u 137% J | 


J 











- 


Jans Courab-Heideggem 193. 
» böfen Abfichten entforungen. So viel lich ſelbſt dabey 


5 zu leiden hatte , fährt diefer Patriot fort, „ und fo 


„ſehr ich bey dieſem Anlaſſe von: meinen berzlichgelich» 
„ ten Mitbürgern mißfennt worden, fo machte ed mir 
» doch Vergnügen, den Eifer für Freyheit und Rechte 
„ſo allgemein zu ſehn, weil ich Hierinn die feſteſte Stuͤtze 
„ eines Frevftanted finde. Gott vergaume, dag das 
> Gefühl von dem Werthe der Freyheit fich jemals ver⸗ 
„lieren ſollte! Gefühllofigkeit für Freyheit und Rechte 
„> find untrügliche Todeszeichen eines Freyſtaates. — 
Die Einen unter den Bürgern wollten gar nichts von 
neuen Bündtniffen hören, die andern fchienen nur dem 
einen oder dem andern Puncte in dem entworfnen Bündts 
niffe entgegen ;_ wieder andre ärgerten ſich, daß der ganze 
Project nicht früher den Zünften bekannt gemacht wor⸗ 
den. — Leber diefen letztern Punct wurden Ne Bürger 
durch Öfentlich gedruckte Auͤſſerungen für alle Zukunft 
beruhigt. Dem Bunde ſelbſt aber konnte man ſich am 
Ende um ſo viel weniger entziehen, da durch gemein⸗ 
ſchaftliche Handbietung groͤſſere Eintracht unter ſaͤmmt⸗ 


lichen Schweizerſtaaten hergeſtellt wutde. Indem Buͤndt⸗ 


genen Staaten. 


niſſe verfprechen dieſe dem König, beym Ueberfall feiner 
europäifchen Länder, 6000 Mann Hilfstruppen über die 
Schon vorher bewilligten ‚Regimenter. Bon’ Seite beeder 
Partehen wird die Auslieferung der Hauptverbrecher und 
die Beſtrafung der Bankeroutiers angelodt. Auf feiner 
Seite verfpricht der König den Eidgenoffen allen möge 


Achen Beyſtand gegen auͤſſern Angriff, nebſt dem freyen 


Korn⸗ und Salzhandel, — vbne Nachtheil feiner * 


\ ; 
ı FE | 


IL. Theil. NR. 


u Gans Conrad Heidegger. 


Gleichwie fehen einige Zeit vorher Heidegger als Ver⸗ 
mittier zroifchen der Regierung uͤnd den Bürgern in Genf 
ungemein viel Verdruß auszuſtehen gehabt hatte, fo vie 
len Verdruß zog er ich auch durch Diefe letztere Nego⸗ 
Nation zu. Nicht ohne die größte Mühe und Klugheit 
wurde gegenſeitiges Zutraun erneuert. Nach und nach 
nrigten ſich wieder die Herzen der Vaͤter und Söhne ge⸗ 
gen einander; man entdeckte mit Schrecken den Abgrund, 
en deſſen Rand das Mißverſtaͤndniß hätte hinfuͤhren koͤn 
nen. | u e* 

Mitten im Laufe der wichtigſten Verhandlungen vers 
fiel Heidegger in Solothurn aus.einer langwirrigen Stran⸗ 
gurie in eine voͤllige Iſchurie. Von dieſer Zeit an mußte 
er ſich bis an ſein Ende des Catheters bedienen. Wie 
theuer ſein Leben auch den katholiſchen Eidsgenoſſen ge⸗ 
weſen, biebon nur folgendes Zeugniß: Beym Ueberfall 
ſeiner Krankheit in Solothurn ſchloß man bey Ausſe⸗ 
ung dcẽ Hochheiligen, auf obrigkeitlichen Befehl, feine 
Erhaltung in das viersigflündige Gebet ein. Ungeachtet 

der gänzlichen Schlafofigkeit und der beftigfien Schmers 
zen, redete und handelte er bey. ieder kleinſten Erleichtee 
rung mit gleicher Heiterkeit , wie bey gefunden Tagen; 
gleich belehrend war fein Umgang, gleich angenehn und 
mit feinen. Scherzen belebt, wie vorher. Von allen 
Seiten fah er fich von den ſchweerſten Brüfungen bes 
ſtuͤrmmt; fein getreufter und weifefter Mitarbeiter, Statte 
Halter Efcher , ward ihm durch den Tod- von der Seite 
geriſſen; eben fo riß ibm. ber Tod feinen geliebteften 
Freund und Schwager, den beroifchen General von Lochs 
mann, hinweg; von vielen feiner Mitbürger und ſelbſt 
von ſeinen Lieblingen ward er verkennt und tief in der 








/ 


Sans Conrad zeidegger, 1% 


Seele verwundet: und welch ein Heldenmuth, daß er 
Bey allen dieſen heſtigen Stuͤrmen nie das. Steuerruder 
aus der Hand ſinken ließ, dag er immerfort mit der:kaͤl— 
teften Ueberlegung dachte ımd Handelte, immer der Rath⸗ 
geber, Tröfter,. Ermuntrer feine Miträthe blieb, md . 
die von Gefchäften und Schmerzen freye Augenblicke in 
dem Schoffe unfchuldiger, hauslicher Freuden ruhig zu⸗ 
brachte! Von den ſchweerſten Sorgen erholete er fich in 
dem Umgang der edelſten Gemalin und feiner würdigen 
Kinder , indem. er mit ihnen auf feine, Güter ſpazirte und 
die Seligkeiten des Landlebend fo ganz , fo. vein athmete 
als wenn keine andre Sorge vor feiner Seele ſchwebte 
als der Anbau feiner Traubenhügel und Kornfelder. Hier 
fanden kümmernde Freunde Troft und Erleichterung bey 
dem leidenden Helden; bier fchöpften die Schüler der 
Weisheit Belehrung von dem fterbenden Sokrates ; hier 
ward der gute Bürger zum Bieuſte des Baterlandes von 
dem damals mißlannten Patrioten ermuntert. — Er war 
in den drey letzten Tagen in ununterbrochener Verwir⸗ 
rung der Sinne; auch in diefer Verwirrung hörte man 
von ihm kein Wort, das einen unebeln Gedanken oder 
einen Schatten von Haß und Rache verrieth. Er forgte 
für den Staat; er ermahnte flreitende Parteyen zum 
Frieden; er unterhielt fich mit Gott und Religion. Aus 
abgebrochenen Worten konnte/ man bemerten, dag fich 
ihm das Mißtraun feiner Mitbürger in die Reinigkeit 
feinee Abfichten bey dem franzöfifchen Bundesgefchäfte 
vorgeftellt hatte. Mit einmal kamen unter einen Seuf⸗ 
zer. vernemmlich die Worte heraus: Ach, men Herr 
Jeſu, du haft gebetet: Water, verzeyb ihnen; denn 
fie wiffen nicht, was fie thun. Dann fchwebten ihm / 

wie man aus einzelnen Worten und aus feiner Mine 


16 6ans Conrad. Zeidegger. 
Khlieffen konnte, viele Minuten lang vor der Seele bie 


Tugenden unſers Exlöferd und; die Verpflichtung zur Nach⸗ 


ahmung. dieſer Tugenden. — Oftmals Hört ich ihn ſa⸗ 
sen: Nach allen Kräften muß man dem Vaterland 
dienen: : die Belohnung aber von fich ſelbſt und von dem. 
| Simmel erwarten. Er flarb im J. 1778. und Sr a 
u kann ‚Ibm feine, — vergelten. 


4 








von Balthaſar in ein, welchem das Andenfen — 
voller Eydgenoſſen am Herzen ligt, hat wie auf Haller zc. auch 
auf’ 3. Coma; Heidegger eine Lobrede geichrieben, die bey Im 
— in Baſel 1778. 8 aa worden. 


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BR 12* F 














Joh Heinrich Ott. 
erſelbe ward den 4. Octob. 1719. geboren. Gleich 
der ſtillen Bache unter einſamem Gebuͤſche ver⸗ 
ſchwand ſeine einfoͤrmige, ſchuͤchterne Jugend. Er liebte 
die Welt und fuͤrchtete ſie. Mit dem Privatunterrichte 
verband er den oͤfentlichen Schulunterricht. Noch im⸗ 


mer erinnert er ſich feiner erften Lehrer, Widmer und 
Kinggli, mit Achtung und Liebe. | 


Schon im viergehnten Jahre, als er eben ü in das ums 
tere Collegium bey dee Abtey trat, verlor ex den treu⸗ 
ſten, zaͤrtlichſten Water. Seither blieb er fich ſelbſt übers 
-+ Jaffen. Jedem feiner Wünfche kam zwar die guͤtige Mut⸗ 
ter zuvor; mit aller Sorgfalt aber war fie nicht im 
Stande ferne Studien zu leiten; deſto origineller und 
feſter lernte ex feinen eignen Gang. Methodifch verfolgte 
er freylich die Laufbahn auf dem Gymnaſium und hörte 
nach eigner Auswal verfihiedene Privatvorleſungen: 
meiſtens waren ſie ſeicht und pedantiſch. Gegen den 
Schulzwang empoͤrte ſich ſein Genie; nicht bloß mecha⸗ 
niſch, wie die eingeſperrte Feder im Uhrwerk, wollte es 
wuͤrken. Die zweckmaͤſſigſte Aufklaͤrung hatte er dem 
beruͤhmten, helvetiſchen Geſchichtſchreiber und Geogra⸗ 
phen, Conrad Fuͤßli, zu danken. Bey dieſem ſtudirte 
er Wolfs Logick und Metaphyſick; um ſich vor ſclavi⸗ 
scher Syſtemſucht zu verwahren, verband er mit theore⸗ 


m Job Zeinrih Ott. 


tiſcher Vhilsſophie, nach Bruders Leitfaden Dad St 
dium der philofspbifchen Geſchichte. Fuͤßlins Lehrert 
war raifonnixt und angepaßt den Fähigkeiten der Ju⸗ 
gend; indem er den Beift des Schülers mit Känntnife 
fen bexeicherte, lehrte er ihm zugleich Kaͤnnmiſſe erfinden 

und prüfen. In den Erholungsftunden war Ditend Lieb⸗ 

Iingsftudhum die vaterländifche Gefchichte. Lim auch zus 

gleich mit Gruͤndlichkeit der Einfichten Schönheit des 
Ausdrucdes zu paaren , macht’ er fich frühzeitig vertramt 
mit den Meifterftücen der Beredfamkeit und Dichtkunſt. 

Und wie kann fih Damit ein aufblühendes Genie beſchaͤf⸗ 
tigen, und wird nicht zur Nachahmung begeiftert? Tief 
gerührt beym Schickſal von Richardfons Klariffa, wagt 
ed der Juͤngling, zu diefem Romane eine glüdliche Ras 
tafteophe zu dichten. In einer Sammlung verfchiedener 
Briefe ſuchte er Lovelacens Belehrung und. hierauf er⸗ 
folgte Bermälung mit der ange im Elend geprüften Ges 
Hiebten möglich zu machen. Ein Einfall, der dem fuͤh⸗ 
Inden. Herzen des Verfaſſers zur. Ehre gereicht. Unter 
andern ‚(Segenfländen, die ee im Drama behandelte , 
war auch Yobanna Graja; ein Schaufpiel , deſſen Bod⸗ 
mer mit Lobeserhebung erwähnt. . Wie groß Bodınerd 
Erwartungen ‚von des Juͤnglings poetifchem Genie ges 
weien, bievon zeugt ein befonderd Gedicht , das er Ot⸗ 
tens Verdienſten gewenht hat. Machläffig indeß legte 
dieſer ſeine Jugendverſuche als verloren beyſeite; ſeit⸗ 
ber auf dem politiſchen Schauplatze beſchaͤftigt, blickt ex 
nur in feltenen RER zuruͤck auf Die Geſtelde 
Der fchönen Litteratur. 


Nach vollendeten Lauf auf dem zuͤrcherſchen Gymna⸗ 
fu, fon? er nunmehr auf Reifen durch Weltfänntnig 





0b Seinrich Ott 19 
die einmal erlangte Schulwiſſenſchaften erweitern. Auch 
bierinn war er eigentlich bloß fich ſelbſt überlaffen. Ein⸗ 
gig aus Höflichkeit zog er den bamaligen Seckelmeiſter 
Fries, nachherigen Bürgermeifter , u Ratbe, weil Dies 
fer fich für feinen befondern Gönner ausgab. Ungeach- 
tet im Grunde gwifchen beeden wenig innere Ueberein⸗ 
ſtimmung flatt hatte, fo trafen fie für einmal hierinn 
zuſamen, daß Dit auf Laufanne gehn ſollte, um Welt 
und Sprache zu lernen. Dafelbit wohnte er bey dem 
Profeſſor Joh. Jaͤcob Salchli, einem aufgerauͤmten und 
nicht ungelehrtem Manne. Um ſeiner Orthodoxie willen 
ward er zum oͤfentlichen Lehrer der Gottesgelehrtheit er⸗ 
waͤlt; dabey war er aber friedliebend und vertragſam; 
auch bekuͤmmerte er ſich nicht weniger um die Orthodo⸗ 
rie feiner Tafel als des theologiſchen Katheders. — Gleiche 
wie Dit fchon vorher in der philofopbifchen und gelertem 
Hifterie Die Abweichungen des menfchlichen. Geiſtes Geile 
nen gelernt hatte, fo wollte er fie nunmehr auch in der 
Kirchengefchichte ſtudiren; auf fein Begehren hielt ihm 
Salchli ein polemifches Collegium. Dieſer hatte fich vor⸗ 
mals auch mit den Rechten befchäftigt umd zu Schope 
pachs dürcem Umriſſe der Synftitutionen einige Anmer⸗ 
Zungen zufamengefichrieben ; alfo unternahm ers, mit 
Otten auch über den Juſtinianus zu lefen. Ott aber 
plünderte ihn rein aus, che ex feine wenige Waare recht 
in Ordnung gelegt hatte. Den lehrreichſten Unterricht 
erhielt dee Juͤngling von Louis de Bochat, deſſen hiſto⸗ 
riſche und ceitifche Werke fo hoch gefchägt werden. Bey 
diefem Gelerten hoͤrte er ein Collegium über Gundlings 
Maturs und Völkerrecht. Als der Schüler einmal zw 
fruͤhe kam, fand ex auf dem Pulte Gundlings deutfcben 
Difcourd über das Naturrecht; verfchlingende Slide 


eo — Toh Zeinrib Ott 


warf er in. das aufgefihlagene Buch; in demſelben ent⸗ 
deckte er die Hilftquellen ſeines Profeſſors; cr ruhte 


nicht, bis er die Gundlingiſchen Schriften alle angeſchaft 


hatte und feither hatte ex fie, bey Haufe und auf Reifen, 
beym Erwachen und beym Einfchlummern , immer als 
Handbücher zur Seite. So fehr wurde bey ihm das 
Studien zur leidenfihaftlichen Neigung, dag er kaum 
fo viet Zeit zur Erholung wiebmete ald nöthig war ſo 
wol ie Verwahrung vor Hypochonder ald zur Erwer⸗ 
bung ded guten Toned und der Wellkenntniß im gefells 
fchaflichen Umgang. — Ald Würkung nicht nur des 
Temperamentes, fonbern auch höher geipannter Empfind: 
ſamkeit und unmterbrochenere Geiſtesanſtrengung muß 
man die Schuͤchternheit ſeiner erſten Jugend betrachten. 
Ye groͤffer der Schauplatz iſt, den von feiner Höhe das 
Genie umfaßt, deſto unwilliger (ſagt Baco (*) ) ſchmiegt 
es fich in den engen Kräis Eleinfügiger Alltagsweit; je 
vertrauter dee eilt mit der Idealtugend bald des Alter⸗ 
tums bald der Romane geworben, deſto weniger wird er 
mit der wuͤrklichen Welt ſompathiren. So edel indeß 
Die Grundlage des menfchenfcheuen Karacters feyn mag, 
‚fo entfernt nichts deſto weniger ein ſolcher Karacter alls 
zuweit von den Angelegenheiten des Lebens. Ein beſon⸗ 
deres Gluͤck alſo war es für Diten, Daß er zu Baufanne 
in eine neue Welt, die Welt zwangloſer, gefelliger Freu⸗ 
denſpiele, hineintrat. 


Von Lauſanne reiſete er auf PR wegen Zufamens 
fluß der größten Gelehrten war Damals dieſe hohe Schule 





20 ©. Baeo de Augm. Scient. 5. 1 wie auch Lettres de 
Mad. de Maintenon, T. V. Lettr. 





Joh. 8zeinrich Ott 20ꝛ 
gemein zalreich beſucht: In Halle fand er feinen von 
trauten Freund wieder, den nachherigen oberften Kloſter⸗ 
‚auficher Efcher. Mit Enthuſtaſmus fetste Ott feine Stu⸗ 
dien auf dee Univerfität fort; er hörte den groffen und 
kuͤhnen Publiciſten, den alten Kanzler von Ludewig über 
dad Jus publicums den Heinneccius uͤber die Inſtitutio⸗ 
nen; Juſt Henning Böhmer über die practifche Lebre 
von den Gerichtsklagen und Acten. Nebenhin ließ er fich 
von Carrach das Kirchenrecht und von Zſchackwiz ( weil 
fich fonft niemand bey dem alten Radoteur anmeldete, ) 
privacifime Wolfens Politick erklaͤren. So fehr die 
Schriften dieſes letztern mit Viſionen angefuͤllt ſind, ſo 


wußte gleichwol Ott daraus noch viel Brauchbares zu 


ſchoͤpfen. Auch hielt' er ſich noch einen italiaͤniſchen 
Sprachmeiſter, ſo dag feine Zeit ziemlich gedraͤngt war. 
— ind, wenn feither bey unfrer zürcherfchen Jugend an⸗ 
baltender Fleiß ald Pedanterie verſchmaͤht wird wenn 
Die firengern , academifchen Studien entweder ganz hints 
angefett oder doch nicht zweckmaͤſſig angewendt iverden , 


wer wird nicht mit Erröten und mit Wehmut hinaus⸗ 


ſehn auf die Kindifche Nachwelt? Indem ber bunte 
Schwarm unfrer Yugend , ganz dem Vorbild der Väter 


— * 


entgegen, die Geiſtesanſtrengung in dem Muſeum, in 


dem Hoͤrſal, in dem Heiligtum der Archive als Scla. 
penarbeit in der Stampfmühle verabfcheut, Aebt einft 
mit ohnmächtigen Thränen in Trauerhülle das Vaterland 


Verfechter und Räthe von dem Spiegeltifche, vom Tanz⸗ 


fal oder vom mitternächtigen,, lauten Gglage. 


Nach vollendeten , academifchem Lauffe reifete Ott 


mit feinem Freund Efcher von Halle ab. Im Vorbey⸗ 
gehn beſuchten Re einen würdigen Landsmann, ben dan 


3 Io Seintid Ott 


maligen Prediger Wyß zu Lehnin bey Brandenburg 
und nachherigen Pfarrer zu Regenflorf. Da Otten Rein 
fengefehrte in eine Keankheit fiel, fo wurde aus dem 
Beſuche ein langer Aufenthalt von einigen Monaten. 
Diefe Zeit indeg war nicht verlohren. Bey dem geler⸗ 
ten Landesmannn und in feiner ſchoͤnen Bibliothek vers 
lebte Ott in ländlicher Stille die feligfien Tage. 


Noch fo glücklich im’einfamen Selbſtgenuſſe, im Schof 
fe der Freundſchaft, im Heiligtume der Muſen, vergaß 
er doch auch nicht, die Welt von allen Seiten fennen 
zu lernen. Mit feinem Sreunde begab er fih nunmehr 
nach Potsdam und Berlin und weiter nach Dresden. 
Daſelbſt Hielt er fich fechdE Wochen lang unter: unaufs 
börlichen, feyerlichen Luftbarkeiten bey Hof auf. Sein 
Reiſegefehrte fiel abermal in ein langwirriges Fieber. 
Denfelben verließ ee ungern; allein der Eränkliche Zus 
ftand einer theuren Mutter forderte feine baldige Zus 
ruͤckkunft. Izt gieng er durch Weſtphalen nach Hols 
land. Nachdem er die vornehmften Städte in den Nies 
derlanden befucht hatte, begab er fi) nach Paris. So 
haushälterifch ee auf der Univerfität mit feiner Zeit war, 
fo verſchwendriſch war er iko damit geworden. Im 
glänzenden Wirbel von Zerfireuungen, nahm er (auffer 
den franzöfifchen Dramatiften und Dichtern ,) beynahe 
Fein anderd Buch in die Hand. Ich fah vielleicht ein 
wenig mehr Welt, fagte er felbft, dagegen aber hatte 
ich Zeit und Gefumdbeit vernachläffigt. | 


Im Junius 1740. kam er ins Vaterland zuruͤck. 
Abermal ganz ſich ſelbſt uͤberlaſſen, hätte er, wie zu⸗ 
vor, auf dem ſtillen und litterariſchen Wege fortwan⸗ 
deln koͤnnen, den ihm von Jugend auf Hang und Nas 





30. zeinrich Ott 203 


tur nicht weniger als auͤſſere Lage vorzeichneten: Von 


— ⸗ 


dieſem Wege aber hatte ee ſich auf feinen Reifen zu 
merklich entfernt; ‚nicht fo ganz und fo gerade zu Eonnte 
er ſich wieder in fich felbft und in fein Muſeum verfchlief 
fen. . Er ließ ſich unter die obrigkeitlichen Kanzliften aufs 
nehmen, doch mehr, weil es üblich war ald aus eignem 
Gefchmade Vormittags befchäftigte ex fich noch mit 
feinem Lieblingsfiydium, der Hiftorie; der Nachmittag 
aber gieng unter Zerftreuungen verloren. -Beynabe ſechs 
Jahre lang lebte ex auf folche Weile ohne Plan und 
Beruf, von dem einen Ertrem des aufferordentlichften 
Fleiffes in das andre Extrem des serchäftlofeiten Le⸗ 


| bens entworfen. 


Selten indeß wird die reiche Saat, die im erſten 
Fruͤhling der Jahre mit gehoͤriger Sorgfalt gepflanzt 


worden, ganz und fir immer verwelcken; noch ſo tie 


nebelt — fie wächst im Verborgnen zur güldenen Aern⸗ 


ker fo bald ſich über ihr die neue Morgenſonne mit uns 


gewohnten, allbelebendem Lichtfirale verbreitet: — Auf 
den zerſtreuten Yüngling mußte ein fremder Gegenfiand 
wuͤrken, um ihn wieder zu fich felber zu bringen. Es 
geſchah auch. Von jeder Grazie befeelt, erfchien ihm 
die Tugend felbft in der Perfon ber edelſten Gattin, 
deren Gefelfchaft ihm alled war; aus Dem Zauber.las 
byrinthe eitler Zerſtreuͤung führte ihm diefe zuruͤck zu fich 
ſelbſt und von ihr lernte er den ſuͤſſen Genuß des flillen, 
hauͤslichen Gluͤckes. Je mehr er im fich ſelbſt und in 
dem Schoſſe der haüslichen Gluͤckſeligkeit lebte, deſto 
mehr ſieng er an, auch fuͤr das Vaterland ſelber zu 
leben. Zwey Jahre nach ſeiner ehlichen Verbindung 
warb er zum befländigen Beſitzer des Stadtgerichtes er⸗ 


208 ob Seinrich Ott. 
waͤlet. Dadurch gelangte er zu practiſcher Kaͤnntniſſe 
unſrer Geſeze; er ſammelte eine Menge Beobachtungen 
uͤber den moraliſchen und oͤkonomiſchen Zuſtand des 
Volkes, und da mit jedem halben Jahre die Beſitzer 
dieſes Tribunals zur Hälfte abgeändert werden, fo vers 
geöfferte fich dadurch der Kräis feiner Bekannten, und 
Durch diefe ſah er auch feinen Kredit und Einfug ver 
mehrt. ) 


Sechszehn Jahre blieb er bey Diefem Beruf, obne 
müde zu werden; fchon dachte er nicht mehr an weis 
tere Beförderung. Der Zuteit zu dem groſſen Rathe 
kann man nicht anderft als von dem engen Collegium 
der- Zunftoprficher erhalten; wenig fand er in Ver 
baltnig mit diefen. Bloſer Zufall war ed, daß er mit. 
dem Zunftmeiftee Waſer bekannt wurde, mit einem 
Manne, deſſen Verdienfte mißbennt waren, und die er 
felbft verdunfelte. Für Dtten war er cin Vater und 
ihm verdankt er den Zutrit zum groffen Rathe, den er 
erſt im J. 1762. erhielt. Die lange Wartezeit verderbte 
er keineswegs entiveder mit Klagen über feine Hintan⸗ 
fegung oder mit fihadenfroher Schulmeifferey der Regi⸗ 
rungsfehler; vielmehr ſuchte er die Quelle ber Zufrie⸗ 
‚benheit, wo fle unverfiege und vein fließt, in feinem eis 
genen Herzen. Gleichgültig war ihm iede Beförderung, 
aber nicht gleichgültig ward ihm, fich derfelben würdig 

zu machen. Seine glückiche Muffe befchäftigte er mit 
Lieblingsſtudien, befonderd mit der Rechtögelehrtheit 
und dee Geſchichte. Ohne Nammen hatte er verfchies 
dene Auffäge in die gieglerifche Sammlung vermifchter 
Schriften, in die freymuͤthigen Nachrichten von Zürich, 
in die monatlichen Nachrichten einruͤcken laſſen. In 











Joh. Heinrih Ott 20 


feiner Geſchichte des helvetiſchen Staatsrechtes find tiefe 
Gründlichkeit und pbilofophifche Klarheit mit Anmuth 
md Stärke des Ausdrucks verbunden. 


Im J. 1763. flarb der Zunftmeifter Wafer und Ott 
wurde zu ſeinem Nachfolger erwaͤlt. Mittlerweile ſab 
ex feine Gattin, die ihm Welt und Alles war, in kraͤnk. 
liche Umſtaͤnde verſetzt, die ſich immer vermehrten und 
mit ſchwerer Hypochondrie begleitet waren; ſie hatte 


des geliebten Beyſtand und Gegenwart nötbig. Ss 


Heilig Dtten feine Bürger » und‘ Regirungspftichten wa⸗ 
ren; fd wich er doch jedes Öfentliche Geſchaͤft aus, wo⸗ 
fern ers immer: thun konnte ohne Nachteil der Tribus 
- ale, der Zunft und des Vaterlands. Je laͤnger je uns 
heilbarer war der Zuſtand feiner. Gattin geworden; . er 


ſelbſt fand Keine Ruhe mehr als in ihrer Gefellfchaft 


und Pflege; fchon waren fie beede mit vereinigter Seele 
‚entfchloffen: ſich loszureiſſen von der Welt und von als 
Ien ihren noch fo: glänzenden Banden, um einzig fi 
ſelbſt und dem „Himmel zu leben; in ſtiller Duidung 
und bey ſchuldloſem Herzen glaubten ſie alles andere 
auſſer ſich miſſen zu können. Aber die Vorficht Hafte 
es anderſt beſchloſſen. Bevor noch der innig theilneh⸗ 
mende Gatte ſeinen Vorſatz ausfuͤhren konnte, ſiel die 
Gattin in aͤhre leizte, töbtliche Krankheit. Ein ſchwerer 
Leibesſchaden zog die unbarmherꝛige Hand der Wund⸗ 


Äxte uͤber fie. Ein halbes Jabe lidte fe ala Heldin“ 


und Chriſtin und, farb. 
Durch diefen dunkeln Uebergang ward Dt von de 


Morficht auf einen ganz neuen Schauplatz geleitet. Sein 


ſchmeichelhaſter Plan, Geſchaͤfte umd Welt: zu vetlaſſen 
war izt mit ſeiner Gattinn in die Gruft geſunken. Er 


_ 


265 Job Seinrid Ott 


war fich allein nicht genung. Gogleich nach dem Hin 

fcheid feiner Freundin warf er fich ganz in die Welt: 
Aus fich felber riß er ſich los und nur im Wirbel der Ges 
fchäfte konnt' ex die Schmerzen betaüben. Er übernahm 
bie Gefandtfchaft auf den Syndikat in den waͤlſchen Vog⸗ 
tenen. Hiebey hatte ex eine eigne Abficht, die er feither 
ſelbſt nicht verbarg. Das Leben nämlich war ihm zur 
Laft geworden; er Kannte fein feuriged Naturell; ſehr 
kicht konnt’ es in Wälfchlands hitzigerm Klima vollends 


in Gährung geratben ; Die wußt er; gleichwol that er 


bie Reife und bofte Dem Tode entgegen zu gehn. Die 
Vorſicht leitete es anderſt. Die Reife diente zu feiner &% 
ſundheit und heiterte ſein Gemuͤth auf.. 


um ihn aufs neue der Welt und deni Vaterlande wie⸗ 
der zu ſchenken, führte ihn izo die Hand der Vorſicht zu 
einer zweyten Gattinn, die ihm das Leben nicht nur wie⸗ 


der gab, fondern auch wünfchenswertb machte: In ib 


rem Caracter fand er Hoheit mit Güte, Weltton mit 
Sitteneinfalt, Adel und Wuͤrde mit ungezwungenem We⸗ 
ſen, Verſtand und Klugheit , mit gefaͤlliger heiterer Laute 
ne verbunden. Durch zuvorkommende Achtſamkeiten ließ 
fie ihn vergeſſen, daß [4 jemals ungkiclich geweſen und 
die Welt. habe verlaffen, wollen ; fie machte ihn empfin⸗ 
den, daß er wieder Teben‘, ir fie leben müffe: — Ihr 
Vater war der fürtrefiche Buͤrgermeiſter Landolt; bey 
feiner vieljaͤhrigen Regierung hatte ſich dieſer durch Güte 
und Weisheit die Huldigung aller Herzen erworben ; für 


- den Vater des Volkes war ſuͤſſeſte Erholung die Vater⸗ 


freude im Schoſſe des. eigenen Hauſes. In: diefem glaͤn⸗ 
senden Saufe: lacht Olten die ſchoͤnere Welt wieder ent⸗ 
wesen. - EN u 


Be a var 








J 


N ı u mw ww 0 m - — — 


/ 


Io. Zeinrich Ott 207 


Wald wurden die Suͤſſigkeiten feines hauͤslichen Gluͤks 
unterbrochen. Um dieſe Zeit nämlich entſtand der wich⸗ 
tige Streit des zuͤrcherſchen Kantons mit dem wieneriſchen 
Hofe. Dieſer Streit machte in Ottens Leben eine der 
gefaͤhrlichſten, aber auch der glaͤnzendeſten Scenen. Hie⸗ 
bey muͤſſen wir uns ein, wenig verweilen: 


Von den zuͤrcherſchen Doͤrfern Ramſen und Dörfine 
gen, welche im Nellenburgiſchen liegen, forderte Oeſter⸗ 
xeich Ruſtical⸗ und Dominical⸗Steuren, juridiſche Bes 
nennungen, die bisher in dieſen Gegenden unbekannt wa⸗ 
ren. Daher entſtand eine lange Eorrefponden; mit der 
Regierung vor Stockach; von Zürich aus ward -protes 
ſtirt und an den wienerifchen Hof 1elber gefchrieben, aber 
ohne Antwort zu erhalten. Der Präfident von dem Nel⸗ 
Ienburgifchen Landgericht, Herr von Joſt, kam nun 
perfönlich auf Ramfen und fchritt zur Erecution. Dieß 
machte Aufſehn. — In den erften vierzehn Tagen wurde 
Ott feiner Gattinn , die allein fein Leben wieder anfas 
chete , plöglich entriffen und in Eile zur Abwendung dr 
Erecution nach Ramfen gefandt. Er richtete aber nichts 
aus. Heart von Joſt fagte ihm. geradesu, ohne Gewalt 
ſteh er nicht ab; der Gewalt aber müffe er weichen‘; 
er habe nichts bier ald feinen Degen, den ex mit der 
Hand berührte. Ott antwortete: Einen Degen habe ich 
gwar.auch, aber ‚keinen Auftrag zu gewaltfamen Hin. 
terungamitteln ; Borftellungen find meine einzige Waffen ; 


wenn dieſe nichts wuͤrken, fo werde ich freylich protefti- 
ren und das Recht ded Erbvereind vorfchlagen. — Alles 
"wurde verworfen, und die ass Bohfkedung sieng 
* — 


Nun ſah man in Zürich, daß zur Abwendung diefer 





208 30%. Seinrih Ott 


Bedruͤckung eine Geſandſchaft an den kayſerlichen Hof 
ſelbſt nothwendig ſeyn werde. Die Frage war: Wem 
man ſchicken wollte und was daſelbſt zu thun waͤre? Nie⸗ 
mand hatte Luſt, einen Abſchlag ſo weither zu holen. 
Die Wahl fiel auf Otten. Er war blos drey Donate 
vermaͤhlt; eine Gemahlin ſollt ex verlaffen, Die ihm neu 
war, und die er doch liebte, als hätt’ er fie ewig beſeſ⸗ 
fen. Die Geliebte folt’ er zur frühen Wittive machen 
und ihr die Laſt feiner Deconomie aufbürden, Die fie 
noch gar nicht kannte. Doch Heilig war ihm der Ruf 
des Vaterlandes, und feine Gemahlin dachte fo groß als 
er ; fie ffammte aus einem Haufe ab, Das gewohnt war, 
dem Baterlande , nicht fich felbft zu leben; fie Hößte ihm 
Entfchloffenheit ein ; fie trennten fich, aber ihre Seelen 
blieben feft in einander gefchlungen. Während der vier 
zehn Monaten, die Dit in’ Wien zubrachte, fchrieben fie 
ſich ununterbrochen mit jeder Woche zweymal; wenn bey 
Otten dee Muth ſinken wollte, fo unterflügte ihn Diefer 
Briefwechſel, dad Denkmal reiner Liebe, das Muſter Der 
kraͤftigſten Tröftungen bey aller Berfuchung. 


Die Inſtruction, die man dem Abgefandten mitgab, 
war ſeht allgemein und unbefiimmt. Es waren zwo Pate 
theyen in Zürich , die fich die Wage hielten. Daber jene 
JZuruͤckhaltung bey denen Berathfchlagungen. Ott follte 
die Befteurung abheben, und niemand durfte Diefe Abs 
bebung hoffen; ex follte einen guͤtlichen Verslich 
ten, und niemand. hatte dieſen beſtimmt. Alles überlich 
man der Zeit und den Umfländen und Otten fich felber. 
So kam er an einen der guöften Höfe von Europa, ohne 
semand zu kennen, ohne Handleitung. In Wien mußte 

| er 





⸗ 


Joh. Zeinrich Ott 809 


er ein ganzes Vierteljahr auf Verhoͤr warten. Diefer 
Zwiſchenzeit bediente er fich , den Hof, die Miniſter, den 
Gang der Gefchäfte kennen zu lernen. Endlich ward er 
an die böhmifch » oͤſterreichiſche Staatskanzley gewieſen 
und er erhielt eine überaus gnaͤdige Audienz bey der 
Kanferin ſelbſt. — Er übergab ein Memorial, und drey 
‚Monate wurde ed unbeantwortet gelaffen. Zulez. folgte 
eine ſehr weitlauftige und triumphirende Wiederle⸗ 
gung , die er aber in fechd Tagen eben fo ausführlich 
zurücd gab. Damit hörte das Libelliven auf, Da ee 
gleichwol wenig fortrückte, fo begleitete er fein letzteres 
Memorial mit dem VBorfchlage zu gütlihen Verglich; 
in Privatbeſuchen entwickelte er diefen Vorschlag. Nun⸗ 
mehr erhob fich ein Streit, der zulegt ganz fonderbar 
Dtten näher zum Ziele führete. Der böhmifche Obrifts 
Eanzler, Graf Choteck, wollte nichts von einem Verglich 
hören; den böhmifchen Rath hatte er zum Abſchlage ei 
nes ſolchen geflimmt. Der Staatsrath hingegen, in wel 
chem dafür die höchften Miniſter fprachen lenkte die 
Kayferin zu Ottens Vortheile. 


Nun hatte dieſer für einmal ein offenes Feld; allein 
es war ungebaut und mit gefährlichen Yergängen durchs 
Sochten. Jedermann wußte, dag kein Verglich möglich 
war, ald durch Auslauf der öfterreichifchen Rechte über 
Ramfen und Dörfiingen und durch Annehmung dieſer 
Dörfer zu freyen Leben. Von Zürich aus hatte Der Abe 
gefandte hiezu Die Einwilligung erhalten; die groͤßte 
Schwierigkeit lag in den Bedingniſſen, und dieſe konn⸗ 
ten die Sache entweder erleichtern oder zerſtoͤren. Ueber 
dieſelben mußte Ott mit dem — Choteck in Nm 

il. nn 


sa Job Heinridh Ste 


handlungen treten, und Choteck war jebem Merglichdene 


wurfe entgegen geweſen, Keineswegs alfo war von feis 


ner Seite sine Erleichterung der Bedingniffe zu hoffen. 


Indeſſen handelte er offen und redlich; über die Haupts 
züge hatten ſich beyde gar bald verflanden. Nur in der 
Kaufſumme war er hart und unbeweglich. Endlich da 
er ſah, daß Dit nicht nachruͤcken wollte, fo beftimmte 
er eine Summe, die der Kayferin leztes Wort feyn folite, 
und ed auch war. 


Diten fchien diefe Summe fo ausfchweifend hoch, dag 
er fie nicht eingehen durfte ; Dagegen both er fo viel, als 

er zu verantivorten glaubte. Immer noch fruchtlos. Alſo 
ward er gendthigt, alles auf Zürich zu berichten und 
um beftimmte Befehle zu bitten. 


In Zürich verurfachten diefe Summe und einige Punc⸗ 
te des Lehen: Entwurfes Beſtuͤrzung. Eben fo ftandhaft 
war Otte» Negotiation von den Gönnen des Geſchaͤf⸗ 
tes verthaidigt, als Keflig von den Gegnern‘ beſtritten. 
Die Wagſchal neigte ſich auf die vortheilhafte Seite für 
die Unterhandlung ; Muth und Oberhand tourben da 
Durch für immer beſtimmt. 


Ott erhielt von Zuͤrich aus den einbeitigen Auftrag , 
eine Verringerung der Kauffumme zu füchen; er wußte 
sum Voraus, Daß es fruchtlog feyn würde; indeh that 
er was immer zu thun war, und ließ alle Triebräder 
foielen. Ohne Wuͤrkung. Die Bemühungen dienten 
bloß ihn länger aufzuhalten und Die Bedingniffe , die er 
ſchon in Händen gehabt hatte, durch ——— * 
cherer und ſchweerer zu machen. 


Nach einem vierteljaͤhrigen Aufſchub und nach vielen 


| 





30% Seinrich Stk art 
dverdrießlichen Durchkreuzungen, da Ott in Wien und 
Zuͤrich zugleich negogieren mußte, ward endlich die Sum- 

me bewilligt. In Wien waren ingwifchen neue Hinterniffe 
entſtanden; auch da waren zwo Partheyen. Die-lange 
Verzögerung hatte. Mißtrauen verurfacht und Die Gtgs . 
ner ſtengen an fich wieder mit neuen Kräften: entgegen 
zu fielen. Man erſchweerte die Bedingniffe ; die fchon 
zugeſtandenen wurden fireitig:gemacht und neue, gefährs 
liche Zuſaͤtze eingefchoben. Unverdroſſenheit fiegte ende» 
lich auch da und Ott hatte das Gluͤck, mit dem boͤh⸗ 
mifchen- Rathe, nach dem lezten Auftrag von Hauſe, die 

ganze unterhandlung zu ſchlieſſen. 


:. Nicht-tange dauerte die Freude. Ein neuer Sturm 
fehlen ihn wieder in Das volle Meer hinauszuſchlagen, 
da er ſchon am Lande zu-feyn glaubte. Wegen gewiſſen 
BGraͤnzbeſtimmungen ward ein Bericht von Stoßach gefor⸗ 
dert. - Dieſe eiferfüchtige Regierung hofte bisher, daß 
Die. ganze Megotiation fruchtlos feyn „werde: : Als fie nun 
merkte, bAß es damit: Ernſt werden wolle., ſo ſchickte fie 
ein ſehr weitlauftiges Memorial ein; in dieſem mahlte 
fie mit den. ſtaͤrkſten Zuͤgen die Schaͤdlichkeit eines fols 
chen Vertrages. Ohne Gefahr gieng dieſer Windftof 
vorüber. . Für den boͤhmiſchen Rath waren: diefe Vor⸗ 
ftelungen zu: fpaͤte gekommen; fchon marıman: zu weit 
vorgeruͤckt; ; man konnte nicht mehr. zuruͤcktreten. 


Gefaͤhrlicher war der Sturm von einer andern Seite: 
Als der Vertrag dem Staatsrathe und dee: Kayſerin felbit 
vorgelegt wurde, hatte er gleiches. Schickſal wie in Züs 
rich 5. wurde beſtritten und iin weſentlichen Stuͤcken 
geändert. Auf hoͤchſten Befehl ward zwifchen Otten und 
dem boͤhmiſchen Rathe eine neue Unterhandlung gepflo⸗ 


23 .. Job. Zzeinrich Ott. | 


gen , um erſtern aufd aufferfte zu treiben. Eines Gegemw 
ſchlages bediente ſich Ott, um glüdlich and Ufer zu Forts 
men. Wir haben ſchon gefagt, daß der böhmifche Rath 
wieder Willen mit dem züscherfchen Abgefandten Habe 
eintreten müffen; da er einmal eingetreten war, wollt” 
er nicht wieder weichen, fondern feine Meinung behaups 
ten. Die interredungen wurden wieberholt und lebhaft 
wurde in Otten gedrungen; allein dieſer kannte Dad Feld, 
er blieb fe und man wich. Nach dem chmaligen erfien 
Entwerf ward der Vertrag zu Papier gebracht, vom Deus 
Obriſt. Canzler und von Ott unterföhrieben und alles zu 
gegenfeitiger Zufriedenheit beendigt. “ 


Nun heiterte fich der Himmel auf einmal von allen 
Seiten auf. Dit erhielt vom dee zuͤrcherſchen Obrigkeit 
ein überaus guädiges Schreiben; in Wien ward er von 
jedermann begluͤckwuͤnſcht; uͤberal hatte er fi) groſſe 
Freunde erworben; die Kayferin ſelbſt entließ ihn mit 
Ddenjenigen gnaͤdigen Ausdruͤcken, die fo fehr in der 
Gewalt diefer erhabenen Monarchin Ingen. Den glüds 
lichen Erfolg fehrieb fie Otten und feinee Geduld allein 
zu; ibm bedaurte fie, dag er feine neue Gemahlin fo 
lange hatte verfaffen muͤſſen. „» So gnädig und herab⸗ 
„laſſend, fagt er ſelbſt, war die Monarchin, daß ich 
» in dieſem Augenblide gang Deflerreicher war. * 


So hätte er num freudig von Wien verreifen koͤnnen, 
und doch wurde feine Heiterkeit von einem unbedeuten. 
den Wölfgen umfchlegert. Bey diefer allgemeinen Zus 
friedenheit nämmlich hatte ex au mehrerer Verſicherung 
davon ein Abſcheidsgeſchenk erwartet. Zu folcher Er⸗ 
Wartung glaubte er fich durch die allgemeine Uchung 
berechtigt. Einzig deswegen alſo Eränkte ibn diefe an⸗ 





Job Seinrih Ott u. 


Meinende Achtlofigkeit,. weil er fie ald Merkmal der Un⸗ 
zufriedenheit anſah. Indeß war ihm gleichtwol fogleich. 
nach, dem Beichluffe der Negotiation unter der Hand 
Keichäfrenberrlichkeit angeboten: Er hatte aber wichtis 
ge Gründe zur Ablehnung. diefer Ehre. Dieſer republi⸗ 
kaniſche Abſchlag von feiner Seite erweckte die Vermu— 
thung, daß er. überall alles audfchlagen werde. Der gan⸗ 
zen. Sache gab nunmehr die. Kayferin felbft Die ſchmei⸗ 
chelhaftefte Wendung ; um. Dtten auffer alle Verlegen, 
heit zu ſetzen, fiel die Gnade auf feine Gemahlin. Nicht 
lange nach, feiner Heimkunft übergab die Monarchin 
mit eigner Sande einem Kaufmann von. Genf ein Paͤck⸗ 
gen, um es Otten perſoͤhnlich zu überreichen; zugleich 
ſchrieb ſie dieſem durch den Baron. von Neuny: L’Im- 
peratrice & Reine, aiant fait charger le Sieur Autran, 
Marchand d-Geneve, d’une petite Caiffe a votre addref. 
fe, je dois vous" prevenir, qu’elle contient quelques 
Nippes, que "fa Majeſté envofe & Madame votre Epou- 
fe, comme une marque de fa bienveuillance & pour 
-qu’elle fe reflente un peu moins de votre derniere Ab- 
fence pour les Comiflions, que vous avez remplies & 
Vienne avec, autant de.Sagelle que d’Applaudiflement. 
Diefed Geſchenk war koſtbar; Die Art und Weiſe abe 
womit es gegeben wurde, unendlich. mehr. Noch Eoflo 
barer ward ed für Otten, nachdem ers zu unbedingter 
Difpofition in den Schoß des hoben Rathes niedergelegt 
hatte, und es Hierauf vor dieſer erlauchten Verſamm⸗ 
Img, zwar nicht ganz einheffig , jedoch mit den weit 
mehrern Stimmen, feiner Gemahlin als eigen zugekennt 

wurde. — 


En Jahr bemmach erhielt Ott den Kuflang als Statt 


215 Lob. Seiniräh Dr 


hatter an. Bas: Haupte · einer onfehntiehen‘ Geſandſchan 
die Huldigung von dem Magiſtrate und: der ‚Bären 
ſchaft iu Stein einzunehmen, welches ſeit dem J. 1717 
nicht mehr gefchehn war. Die \gleiche Feyerlichkeit ließ 
er auch zu Ramſen und. Dörkingen zumckfien Mate 
vorgehen: Dieſe guten Letue leiſteten mit: Woher und 
herzlicher Dankſagung einen End, der fie’ zu Schweizern 
umſchuf und die oͤſterreichiſche Steuer‘ abſchwoͤren lich: 
Der catholiſche Pfarrer zu Ramſen machte Schwirrig⸗ 
keiten und. wollte vor den Geſandten die Kirrhe ders 
ſchlieſſen: Schon gab Oit. vra Befehl, mit Gewalt 
die Thuͤre zu oͤfnen, alsſelue Mitgeſandten vorzogen, 
ſich mit einer Verwahrutigsſchrift zu ſchuͤtzen. die Leute 
wurden beym Pfarrhofe ins Feld "gefteitt und "untet 
dem Fenſter Beeppigt, Wo das He buldigt, in Kb 
e. ein Tempel. Turm. 


Durch das Zutrquen der hohen Obriglen —1— ſi ch 
Hit im Verfolge, Jahr fuͤr Jahr, mit. vielen ‚andern 
Gefandtfchaften, von verfchiebener — beehrt. 
Nur folgende noch muͤſſen wir auszeichnen :. 


Bey dem · Nechtsſtande zu Einſtedeln hören Zuͤrich 
un Schön ward Ott zum erſten Richter erwait. Die 
Brichten gegen das Vaterlanb wurden ihm abgenom⸗ 
men; und neue — br viel ſchwerer alz jene 
waren. 8 ot 4 — 118 v 


Seit dem abe 1550. onfie man von: dieſer ſeltenen 
Rechtsuͤbung nichts mehr. , Damals ſtritten beebe Kan⸗ 
tons um die Herrſchaft Wedenſchweil. Der Buaͤrger⸗ 
meiſter Haab, einer der geſchickteſten Staatsmaͤnner, 
weleche Zuͤrich jemals gehabt hat, war an- bem Vaupte 








ir - ME - Rn 


Au 22 


je 


Joh. Heinrid Htr Tu 
Der Richter. Es gelang ihnen, die Sache dütlith Ben. 
zulegen. Dieg ift alled, was wir hievon wiſſen. Unſere 
Voraͤltern handelten mehr als fie ſchrieben. Sie lieſſen 
uns keine Memoiren zuruͤck. Daher war itzt, nach ſo 
langem Zwiſchenraume und bey verfeinerten Sitten alleg 


neu, ungewohnt, ungebahnt. In Präliminarien wur; 


den zwar die Grundfäge entworffen; immer. blieb gleichs 
wol manches dem Zufall überlaffen. Etikette, Einlein 
Jung, Gang , ‚alles mußte fich von ſelbſt aus» und eine. 
wickeln. Um ſo viel mehr hatte hiebey die Divection 
zu thun und zu befüwchten. _ Wenn der gewöhnliche 

Menſch nur. dasjenige für- groß hält, was den, Sinnen 
groß fcheint, fo weiß der Weife, daß, gleichwie ein klei⸗ 
nes Uhrwerk oft weit kunſtreichere Behandlung als ein 
groſſes erfordert, alſo auch in den kleinſter Freyſtaaten deu 
politifche Mechaniſmus weit fuhtiler als in noch fo groffen 
Monarchien feyn kann und eben darum weit ſchwiriger 
vor gefaͤhrlicher Verſtimmung verwahrt wird. — Von 


beeden Seiten wurde der Streithandel zu Einſiedeln mit 


groffer Gefchicklichkeit , und mit, eben fo 9 offen ‚Eifer 
geführt. Oft mußte man aufmuntern, anfachen, waͤr⸗ 
men; noch oͤfter beſaͤnſtigen, mildern, daͤmpfen gan⸗ 
ze Fiammen niederdruͤten. — 


Die Handlung ſelbſt theilte ſich in drey —** 
und fo viel Reiſen, meiſtens bey ſtrenger Winterszeit, 
da die-fchlüpfiigen Bergſtraſſen eben fü ſehr für, bas Le: 
ben als der 'Weogeh ſelbſt für Wolfart und Ehre gefärs‘ 
lich ſeyn konnten. Bey der erſten Zuſammenkunft 
wurden die Ceremonialien beſtimmt und die Einleitung 
zu den Rechtsklagen gemacht. Micht einmal, daruͤber 
konnten ſich Die Sachwalter berlehey/ was in die Rechts⸗ 


216 Joh Zeinrih Ott 


frage fallen ſoll oder nichts allſo mußte man wieder 
yerreifen, um neue Dorfchriften zu holen. 


Der zweyte Act faßte den ganzen, weitlauftgen Rechtes 
Handel in fich und endigte mit dem Entwurf eines Ver⸗ 
glichd. Mit feinen Mitgefandten legte Dit das Rich⸗ 
teramt ab, und fie handelten jzt ald Mediatoren... Aus 
wichtigen Gründen fanden es beede Thelle beffer, die 
Errichtung eined Verglichs ausfehlieffend in ihrem engern 
Collegium allein! zu verfuchen ; - Damit aber war bie - 
Unbequemlichkeit verbunden, daß fie ſelbſt Advocaten 
ſeyn und jeder die Mechte feined Kantons vertbäidigen 
mußte, weiches fi) mit dem falten Ylute des Richters 
nicht ſo fehr zu vertragen fchiene. Sie waren cd zwar 
in dieſem Augenblick wuͤrklich nicht ;_ durch ihr isige® 
Amt aber Hatte fich ſo viel glühende Wärme in ihren 
Adern verbreitet, daß ed ohne Zweifel Muͤhe £ofteter 
hernach wieder zu demjenigen Grad der Kuͤhlung zu 
kommen, die für den fünftigen Richter fo nothwendig 
ware. — Die Wichtigkeit und die Verwicklung der Rechts⸗ 
fengen gaben den Vermittlern Stof andie Hand, bie 
größte Kunft und Beredſamkeit mit tiefer und ausge 
breiteter, hiſtoriſcher Einficht ganz in Bewegung zu ſe⸗ 
gen. Nach langem, geſchicktem Herummälzen und bald 
bitzigen, bald gemäffigten Vorſtellungen und Gegenvor 
ftellungen, konnten fie fich endlich über einige Punkten. 
vergleichen; Die übrigen aber, für die fie feinen Mit⸗ 

telpunkt fanden, brachten. fie in einen geboppelten Eut⸗ 
wurf und nahmen alles » weiterer / — — 
nach Hauſe. | 


Ihre‘ nene Inſtructionen eröfneten den dritten Actz 
ie Seiten Randen fie weiter von einander ald 


{ - 





0% Seinrich Ott a7 


niemals, auf folche Weife ſahn fie ſich wieder genoͤ⸗ 
thigt, das ſchweere Richteramt zwiſchen ihren gegenfeis 
tigen Landesherren auf ſich zu laden. Ohne Wunder⸗ 
werk war unmoͤglich ein einſtimmiger Schluß zu erwar⸗ 
ten. Ben gleichen Eydespflichten, urtheilten fie ungleich 
nicht nur über einzelne Zweige, fondern über das Ganze, 
und immer von beeden Theilen mit der Ueberzeugung 
des uuumfangenften , redlichfien Herzens. Wärme für 
Vaterland, Nationalbegriffe, erhiste Einbildungsfraft, 
Zucht vor den Folgen trüben die hbeiterfien Augen. 
Nur ein Kalter Beobachter wird aus den Acten ohne 
Muͤhe fchlieffen können, welcher Theil die Begründnig 
auf feiner Seite Hatte. 


Die Form eined endaenöffifchen Rechtsſpruches beficht 
darinn, daß, nach fruchtlos verſuchter Minne, die ſtrei⸗ 
tigen Kantons Richter aus ihrem Mittel erwaͤhlen. In 
der Beglaubigung, fie deſto unpartheyiſcher gu machen, 
werden fie, fo lang ihr Nichteramt währt, ihrer buͤr⸗ 
gerlichen Endespfichten entlaffen. Wenn diefe Richter 
‚in ungleiche Meynungen zerfallen, fo wählen fie aus 
irgend einem der unpartheyifchen Kantons einen Ob⸗ 
mann oder einzelnen, oberfien Schiedrichtee; dieſer aber 
Darf keinen neuen Spruch thun; nur Darf er für den einen 
oder fuͤr den andern der. fchon gefchehenen Anöfprüche ent⸗ 
fiheiden. Nunmebr-follte allſo ein folcher Obmann ober 
Dberrichter gewählt werden; aBein auch hierüber konn. 
ten fich die Partheyen ganz und gar nicht vereinigen. 
Krach der heutigen Lage umd Denkart fcheint ed. unmoͤg⸗ 
lich, ſich hierüber jemals vereinigen zu können. Allzu⸗ 
Biel Gewicht faͤllt fo auf die eine Seite. 


Der merkwuͤrdige Rechtöhandel endete, ohne zu enden. 


m: 305 Hgeinri Stk 


Die Verdricßlichteiten, womit das ganze Gefchäft bes 
gleitet war, wurden Diten durch feinen Mitgefandten , 
den feligen Bürgermeifter Landolt, verfüßt; Leinen Au⸗ 
genblick ward ihre Harmonie weder durch Eiferfucht noch 
durch Ungleichheit der Begriffe geftört: — Neue Verſu⸗ 
che wurden feither zur Ausſoͤhnung der beeden, fixeitis 
gen Kantons gemacht. In den Jahren 1776. und 1780. 
erfolgten zwo Mediationen von unpartheyiſchen Staͤn⸗ 
den ; fo wie Dtt vorher als Richter erſchienen war‘, fo 
erfchien er jest als Advolat; eben fo muͤhſam ald uns 
dankbar waren auch diefe neuen -Gefchäfte. "Ungeachtet 
verfchiedene Entwürfe zu endlicher Befriedigung auf die 
Bahn gebracht wurden, fo zeigen ſich Doch von Zeit zu 
Zeit neue Fieberſymptome; wie es fcheint,, wird nur 
ſchlappung der Streitſucht ſie daͤmpfen. 


ueber dieſe und fo viele andere Unterhandlungen, die 
ibm anvertraut worden, hat Dtt ein Betaillirted Tages 
buch geführt. Eden fo ſehr als ſich feine Staatsklugheit 
ber handwerksmaͤſſige Routine erhebt, eben fo erheben 
Ach in Abficht auf: Geift und auf Vortrag feine Staates 
memoiren über gewoͤhnliche Factums. Mit Recht gilt 
von ihm , was NHottinger in der Bibliotheca tigurina 
von dem Bürgermeifter Joh. Heinrich Waſer gefagt hat: 
Rerum helveticarum promus condus incompetabilis ; 
"Bißriodenn Zuabuxos. ' Nonnulla dedit antehao: fed plura 
d« Helvetia collegit volumina, vir à multis annis, pub» 
Hoo nomine, occupatiſſimus, quam multi alii, privad 
etiam & otiofi legerint. Univerſeæ Helvetiæ nomine 
optandum eſſet, ut vel primitias eorum , in conſumatæ 
Hiſtoriæ domeſticæ ſpecimen, per concatenatas’ejus cu! 
"as, poblicas habere poſſemus, quorum fi opus eſſet, 





Joh Zeinzih Ort om 
fscupletifima oftendi.poflent horrea. Um ſo viet wich⸗ 
tiger iſt allemal der Werth hiſtoriſcher Schriften, wengn 
der Seribent die handelnden Perſonen in der Nähe beob⸗ 
au und’ van eine Haupttole geſpielt hat. 


Inzwiſchen hatte das Vaterland, Schlag auf. Echlag, 
die groͤßten ‚Männer verlohren: je ſchwirriger bon einem 
Seitpuncte zum andern die Umſtaͤnde, je verwickelter die 
auffern und innern Verhaͤltniſſe, je haufiger hie und da 
weitausſehende Norfalle geworden, defto mehr und defto 
grdffere Tugenden und Talente wurden von denijenigen 
erfordert, Deffen Blick jeden Theil wie das Ganze zu über 
fhauen , . deſſen Hand alle ſich kreuzenden Intereſſen zu 
vereinigen beſtimmt war. In Otiten mußte auch der Neid 
ſelbſt die elhabbenſten Eigenſchaften verehren; er war's’; 
der dem Genius der herrſchenden Sitten zu Trotze, von 
Jugend auf Muffe und Weichlichkeit als giftigen Zaus 
berkelch perabſcheute; er wars, in deſſen Perfon wir den 
ſtaͤhlernen Fleiß, die unbezwingtiche Thaͤtigkeit der groſ⸗ 
ſen Voraͤltern wieder aufleben ſahen; wer bewundert 
nicht ſeine tiefe und ausgebreitete Kaͤnntniſſe, die er ſchon 
auf Schulen erworben hatte, und die er noch immer 
bey der gelehrten Nachtlampe erweitert? Kaͤnntniſſe, die 
er feit, Tangen Jahren, bey jedem Tribunale, bey den 
wichtigften Staatsangelegenheiten zum Dienfte des Va⸗ 
terlandes angewandt hatte? — So gern er fich in dag 
Heiligthum der Mufen, in fich felbit, im den Schoß des 
hauͤslichen Gluͤckes zuruͤckzog, fo fah er fich gleichwol 
verpflichtet , dem Rufe des Vaterlandes zu folgen, und fo 
übernahm er im Yahr 1780. di hoͤchſteWuͤrde im&taate.(*) 


(*) In feinen eigenbändigen Memoiren heißt es. „Inzwi⸗ 
ſchen hatte das Vaterland die größten Männer verlohren. In 





N 





se Job. Beinrit Ott 


Vals nach feiner Erwählung zum Conſulate warb er 
sum oberfien Schiedrichter zwiſchen dem Surfen von 
Sanct Galen und feiner Stadt Lichtenfläg ernennt. 
Diefer Yreoze war nicht von dee Wichtigkeit des obigen, 
aber er wurde mit gleicher Wärme geführt. Nicht die 
Gröffe des Gegenſtandes macht die Schwirrigkeiten, fon» 
dern die Verwicklung deſſelben. Der Streit ward gübs 
lich beendigt. j 








Zeit von zwey Jahren mußte man nım den britten 
Ber erwaͤhlen; die boͤchſte Würde fiel endlich auf meine ſchwa⸗ 





— 


Joh. Jacob Breitinger, Alter (*), 





en 19. April 1575. ward er in Zuͤrich geboren. Nach 
dem fruͤhzeitigen Hinſcheid des Vaters im J. 1581. 
kam er fuͤr einige Zeit in das Haus ſeines Großvaters, 
des Statthalter Breitingers, nicht ohne Wiederſtand 
and Selbſtverlauͤgnung von Seite der zaͤrtlichen Mutter. 
den unteren Schullläffen brachte es der verwanfte 
Knabe nicht weit. Unter dem Vorwand einer nöthigen 
Badecur nahm ihn die Mutter wider zu fih. Um ihn 
zum Studiven zu ermuntern, fliftete fein Großvater zuerft 
für ihn und hernach für ale Stubirenden aus feinem 
Geſchlechte ein detraͤchtliches Stipendium. 


Im J. 1989. ward der Knabe von einem Wagenrade 
verwundet; das Fleifch ward vom Schenkel gerifien und 
dee Beinknochen zerquetſcht; nichts deſto weniger kroch 
er feines Wege fort nach der Schule; hernach aber (ad \ 
es fich für Iange aufs Kraukenlager getvorfen. 


Im %. 1592. wollte er die Wiffenfchaften gegen ein 
mechanifched Handwerk. vertaufchen; nicht aus Edel 
nor dem Studiren, fündern aus Mangel an Ermunte, 
zung und Hilfe. Die Thränen der Mutter vermochten 








(*) e nlrich Miſcellanea tigurina; vierte Ausgabe, 
wie auch di e Breitingerſche Lebensbeſchreibung von Lavater, 





22 Joh. Jacob Breitinger, älter. 


fo viel, daß er mit ungewohnten Eifer zu den Buͤchern 
und in die Schule zuruͤckkehrete. Im J. 1593. begab 
er ſich nach Herborn; Jahrs darauf nach Marpurg 
und weiter nach Franecker; auf letztrer hohen Schule 
verthaydigte er zwo academiſche Streitſchriften und hielt 
eine Rede de homine, welche gedruckt worden. Im 
J. 1595. hatte er ſich nach Leyden begeben ; des fol 
enden Jahrs gieng er nach Heidelberg;. wegen Das 
ibn berrfchender Peſtſeuche ſauͤmmt er fich nicht lange, 
fondern begahı fih auf Baſel; mittlerweile war fein ein⸗ 
ziger Bruder in Zürich geflorben ; auf dringendes Bits 
ten der Mutter kehrte er jzo nach Haufe; nach’ feiner 
Einwenhung zum geiftlichen Stande verheuratete er fich 
den 4. April 597. mit Regula Thommann, deren Vaters 
Rathsherr Thommann , feit Sangem ber mit dem Groß⸗ 
vater unferd Breitingers in inniger Vertraulichkeit gelebt 
hatte. In der Lebensbefchreibung Diefer würdigen Gat⸗ 
tinn bemerkt Profeſſor Wolf daß der Tochiermann von 
ſeiner Schwieger, und die Sohnsfrau von ihrer Schwies 
‚ ger muͤtterlich uud beynahe mehr als das keibliche Kind 
geliebt worden. Sogleich nach der Vermaͤlung legte die 
junge Predigersfrau alle ihre ehmaligen, koſtbaren Klei⸗ 
der und Gefchmeide, „Meſſer, Guͤrteiln, Korallen; 
„ güldene Ringe “* von fich.. Bey Gaſtmalen und Feyers 
lichteiten erfchten fie niemald anders als in ſchwarzem 
Gewande ; ihre Gemütsarf aber. war nichts weniger q 
finfter. Auch ihr Hausgeräte war aufferft. gemein umd, 
einfach; die größte Freude, die ihr ihr Reichtum ver; 
ſchafte, fand fie darinn , daß fie jedem kleinſten Wunſche 
Res Gatten zuvorkommen und überal rund umher viel 
Butes thun konnte. In einem fieben und dreiſſigaͤhri⸗ 
gen Eheſtand war kein einziges Stuͤndchen, wo ſie gegen 








Iob. Jacob . Breitinger, älter. 223 


den Gatten die geringſte Unzufriedenheit Hätte blicken laſ⸗ 
ſen; weit ſorgfaͤltiger war ſie fuͤr ſeine als fuͤr ihre eigne 
Geſundheit; in feinen vielen und gefährlichen Kranfs 
beiten blieb jie zur Pflege Tags und Nacht unermüder; 
finnreich verbarg fie, was ihm hätte Verdruß verurfas 
chen können ; eben fo finnreich, war fie, ihm durch ihre 
Reden und Thaten Vergnügen. zu machen. Dadurch 
hatte. fie fein Zutraun fo fehr gewonnen, daß er nichts 
vor ihr Geheim hielt und fie in den wichtigften Angeles 
genheiten zu Rathe zog. — Im Anfang des Cheftands, 
als Breitinger noch ohne Amt war, beforgte die Schwies 
ger mit zärtlicher Unruhe, daß er ein folched Amt in der 
Fremde annehmen möchte: die Gattinn aber beſchwor 
mit Heldenmute den Gatten, daß er in der Ausıwal eis 
ned Berufs und in feinem Lebensplane ja nicht auf die 
mütterliche Schwachheit Rückficht nehmen folle; feſt fey 
fie entfchloffen, ihm willig aller Orten zu folgen. — Uns 
geachtet fie fich gerne mit: Leſen nüßlicher Bücher übers 
haupt befchärtigte, fo laß fie Doch vorzüglich gerne. dies 
jenigen „die ihr Geliebter felbft in den Drucd gab. So 
gros ihre Känntniffe waren, fo war fie doch von gelere 
ter Pralerey und von eigenfinniger Difputirfucht unends 
lich entferne. Im Stillen unterwieß fie ihre Dienſt⸗ 
mägde in den wefentlichfien Religiondpuncten und Ichtte 
fie fchreiben und lefen. — Das Zutraun ded Gatten miß⸗ 
brauchte. fie fo wenig, dag fie, ungeachtet des täglichen 
Zulaufes fremder und einbeimifcher, bober und niedris 
ger Berfonen, ihn gleichwol niemals Durch umbefcheide- 
nen Fürmwig belepdigte. Nur wenn Leute, Die wegen 
gegebener Aergernig von dem Wanne etivad aut und 
mit einiger Hitze befcholten worden, die Treppe hinab 
giengen , dann befänftigte fie im Weggehn die Belaydig> 





gr 


»24 Joh. Jacob Breitinger, älter. 


ten und goß heilendes Del in die Wunde der Niederge⸗ 
fehlagenen. Indem fie auf fülche Weife dem Gatten die 
Deichten feines Standes erleichterte, fo erleichterte fie 
ihm diefe Phichten auch Dadurch, daß fie die Laft der Oe⸗ 
conomie ganz allein trug. Alle befondern fo wol als öfents 
chen Einnahmen und Ausgaben, alle Gefchäfteim Wein, 
tellee und auf dem Kornboden uͤberließ er unumfchränft 
der Yürforge der Gattinn. Bey aller Gewiſſenhaftigkeit, 
womit fie ihr eigenes Hauoweſen verwaltete , fand fie im⸗ 
mer noch Zeit, auch für die Haushaltung ihres alten, 
verwittweten Vaters zu forgen. Als diefer bey hoben 
Alter zu Kindern anfieng, fo hätte fie ihn, zu bequemes 
rer Verpflegung, gerne aus feinem Haufe zu fich in das 
Haus ihred Gatten gezogen ; aus Befcheidenheit aber 
Durfte fie Diefem den Vorſchlag nicht thun; er vermu⸗ 
tete den geheimen Wunſch ihres Herzens; ohne alled ihr 
Wiſſen ließ er den alten Mann nicht ohne Muͤhe her⸗ 
beytragen. Bey der Nachricht von feiner Ankunft er⸗ 
ſchrack fie; mit Thraͤnen eilt fie zum Gatten, fleht, DAB 
er nicht zürne und verfpricht, Daß der. beſchweerliche 
Gaſt bald wieder folle-weggeholt werden. Der Gatte er⸗ 
oͤfnet ihr nunmehr , daß er felbf den Väter habe ber 
bringen laffen und zwar um ihn bis an fen Ende in 
feinem Haufe zu pegen. In fülles Erſchrecken und in 
gärtliche Freudenthraͤnen wurden nun bey der Gattinn Die 
Bangigkeit und Unruhe verwandelt. Keineswegs indeß 
bloß auf die Eindlichen und eblichen PRichten war ihr 
theilnemmendes Herz eingefchräntt ; der ganzen Menſch⸗ 
heit war ed offen; Sremde und Einheimifche, Gemeine 
und Bornemme, Junge und Alte, Befunde und Kran 
k, habe und entfernte Verwandte umfaßte fie mit alle 
gemeinen 














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Joh. Jacod Breitinger, alten 224 
gemeinem Wolwollen; verſchiedene von den aͤrmern Vet⸗ 
tern des Gatten zog fie in feinem Haus auf; unentgeld⸗ 
Jich verpfiegte fie alte oder fonft kraͤnkliche Muhmen und 
nahm fie mit: fich im die Bäder nach Baden; von der 
Straffe rief fie die Bettler und beſonders verwayßte, 
Bilgofe Kinder, für die fie in ihrem Haufe eigne, lange 
niedere Tifehe Hatte hinſtellen Iaffen; indem fie Diefels 


ben bewirtete, theilte fie ihren Troft und Rath mit, wie 


fie allenfalls durch diefe oder durch andre Dienfte und 
Arbeiten ihr Schickſal zu verlaffen im Stande feyn koͤnn⸗ 
ten. ‘Für die Kranken hatte fie immer eine Dienge Arzs 
nenmittel und Erguifungen bereit; ohne fich. zu erfens 
nen zu geben , ließ fle ihnen in Geheim Speife, Haupt⸗ 
£üffen, Bethen , Kleider und andre Bequemlichkeiten zus 
tragen. Wenige Tage waren. in der Woche, daß fie 
nicht eine Menge vertriebener Glaubensgenoffen , fo uns 
reinfich fie ausfahn, an ihrem eigenen Tifche bewirthete; 
ihre Mildthatigkeit aber war nichts weniger als fectirifch 
und erſtreckte fich eben fo wol auf die Jutherfchen und 
päpftlichen als auf die reformirten Brüder. — Aller Zie⸗ 
rerey und Modefucht war fie höchlich zuwieder; alsdenn, 
fprach fie, iR ein Dtenfch mir am willkommſten, wenn 
er, gleich dem Wein, gerade fo iſt, wie ihn die Rebe. 
gab. — In ihren eignen Krankheiten war fie auͤſſerſt 
gelaffen ; auch bey den größten Beſchweerden vergaß. 
fie niemals der zärtlichfien Fuͤrſorge für ihren Gelieb⸗ 
ten; eifrig belehrte fie Die ee und Dienſt⸗ 
maͤgde, wie fie nach ihrem Sinfcheid dem verwittiveten 
Gatten feine übrigen Tage bequem machen koͤnnten; im⸗ 
mer war ihr ſehnlichſter Wunſch, dag fie big and Ende 
ihm aufwarten, aber doch eine Stunde vor ihm abſcher 


den moͤchte. 
I, Theil, : - N 


286 Job: Jacob: Breitinger ; älter: 

Und wer empfindt nicht, was für wolthaͤtigen Einnutß 
eine folche liebevolle Gehilſin auf den Earacter ded Gat⸗ 
ten gehabt und wie fehr fie ihm feine Gefchäfte erleich- 
tert habe! — In dem erſten Jahre feiner Verheyra⸗ 
tung ward ihm dad Bredigtamt zu Zumikon aufgetra⸗ 
sen. — Als er hernach einmal in der Stadt bey der Ab» 
teykirche predigte , war er fogleich beym Eingang der 
Rede irre geworden, fo dag er ganz auffer fich ſelbſt kam; 
doch erholt’ er fich wieder und brachte die Bredigt gluͤck 
lich zu Ende; mit deſto eiftigem Gebethe betrat er ſeit⸗ 
her die Kanzel. 


Im J. 1600 ward er zum Schulhalter in der Dritten, 
Iateinifchen Elaffe ernennt. Damaldndmmlich ward man 
nicht fo gleich zu den beſten Stellen erhoben, aber auch 
blieb man nicht immer unbefördert bey den unterfien zu⸗ 
rüde. „Nach Hans Frieffen Sinfcheid erhielt er die ober⸗ 
fie Stelle bey der lateinifchen Schule In dieſer Zeit 
wurde Dad Schulweſen verbeffert: Aus den verfchiedenen 
Claſſen bey der Abtey und beym groffen Drünfter wurde 
em einziges, zufamenbängendes Schulfuften zufamenges 
fchmolzen ; zwiſchen dieſen Glaffen und. dem academis 
ſchen Gymnaſium ward das Mittelfiudium oder Huma⸗ 
nitäts » Collegium eingefchoben. Bey der neum Schul 
anftalt wollte man unfern jungen Breitinger zum Pros 
vifor ernennen; allein er verbat es fich, weil erö für 
unanftändig hielt, feinen eignen, ehmaligen Lehrer , Hans 
Collin, im Borrange vorzueilen und fo begnügte er fich 
mit der Aufſicht über Die vierdte Schulclaſſe; zugleich 
beforgte er die Filialkirche zu Rieden. Im J. 1605. 
Ward er, an Simlers Stelle, in dem untern Collegium 
sum Profeſſor der Vernunftichre erwaͤlet. Wegen kranke 


% 


! 











Job. Jacob Beeitinger, älter 22% 
Shen Leibesbefchaffenheit und auf Anrathen der Aerzte 
war er geneigt , uberal Dad Katheder fir die Prediger 
Kanzel zu taufchen , um fo viel mehr, da ihm dad Pre⸗ 
Digen fehr viele Mühe machte und er allemal die Nacht 
vorher, ehe er Öfentlich auftrat, ſchlaſos zubringen mußte. 


. Während der Sommerferien im J. 1611. begleitete er 
einen vornemmen Yüngling, den Sohn Heinrich Werds 
müllers, nach Genf. Sogleich nach feiner Abreife ver» 
breitete fich, dad Gerücht , er habe fich wegen der herr⸗ 
ſchenden Seuche entfernet; fchon ward er mit obrige 
keitlicher Ahntung bedroht ; - fo fehr war jedermann ges 
gen ihn erbittert, daß feine Gattinn nicht mehr auffer 
dem Haufe gehn durfte und auch die beften Freunde feine 
Entfchuldigung anhören wollten. Gorgfältig indeß ward 
durch die Klugheit der Gattin vor ihm das Gefchren vers 
Borgen, und, ohne Davon etwas zu hören, kam cr wie⸗ 
der glüdlich nach Haufe. In diefer Zeit waren in ber 
Stadt und in den umliegenden Gegenden bey 5600 Mens 
ſchen geftorben. In allen Stadtquartireu warb er von 
andern Pfarrern aus zu den Kranken berufen; ungeachtet 
er Tags und Nachts unter Todten und Sterbenden lebte, 
fo fah er fich immer vor Krankheit verwahrt, F 


In obigem Jahre 1611. ward er den 17. Wintermo⸗ 
Dat sum Diacon, oder (wie man fic aus befondrer Ach⸗ 
tung gegen ihn ausdrüdte, ) zum zweiten Pfarrer bey. 
St. Beter ernennt. Den Religiondgefprächen, welche im 
J. 1613. bald zu Wedenſchweil, bald zu Grüningen mit 
ben Wiedertaufern gehalten wurden, wohnte, nach obrig⸗ 
keitlichem Auftrag, unfer Breitinger auch bey. Nicht 
weniger durch fanftes und leutſeliges Betragen ald Durch 
Beredſamkeit und gründliche Vorſtellungen haste ex viele 





28 Joh. Jacob Areitinger, aͤlter 


unter den Irrlehrern gewonnen. Im J. 1613. ward ea 
zum erſten Stadtpfarrer in Zinich und zum. Vorſteher 
der zuͤrcherſchen Kirchen ernennet. 


unmittelbar other wurde fein Amtseifer und feine Yar 
ſtoralklugheit durch aufferordentliche Vorfälle geprüft.‘ 
Ein angefehener Rathömann bildete fich ein, daß ihn des 
Nachts der Teufel wegholen werde; der Mann kuͤn⸗ 
digte es felbft an; ſchon hatte er feinen legten Willen in 
Ordnung gebracht und wegen Erziehung feined einzigen 
Knaben. die angemeſſenſten Anſtalten getroffen; je ver⸗ 
nuͤnftiger ex über alles andre redete, je Elüger feine übris 
gen Maßregeln waren, deflo mehr befremdete feine kalt⸗ 
bluͤtige Verſicherung, daß er ſich mit dem-Teufel: verei⸗ 
niget hade. Breitinger begab ſich zu ihm; - je näher Die 
Zeit der Mitternacht heranruͤckte, deſto mehr erfchraden 
bie Hausgenoſſen und endlich hatten fie fich alle entfernet; 
Breitinger blieb allein noch, unter andaͤchtigen Gebethern 
und Betrachtungen ; die Glode fchlug zwoͤlf Uhr und 
auf den erſten Streich kam der Kranke wieder zu rechte; 
die Fieberhitze wurde vermindert ; er erinnerte fich, daß. 
er vormals allerley Teufeldmährchen gelefen habe, und 
nunmehr boegrief er, Daß ihm dieſe bey feiner Krankheit 
den Kopf verwirrt haben. — Ein andermal ward Brei⸗ 
finger zu einem ehrlichen Weibe berufen, welches fich 
ſelbſt für eine Unholdin erklaͤrte. Anfangs ſtellt' er ſich, 
als ob er ihr glaubte; er bettete mit ihr, und auf ihr 
Begehren verſprach er ihr, die Sache an den Buͤrger⸗ 
meiſter zu weiſen; je weniger er geradezu ihre Eihbil« 
dungen beſtritte, defto mehr ward fie beruhigt, fo das 
fe endlich nach und nach wieder zu. ſich ſelbſt kam. — 
Eben | fo Drachte ex einen achjigjäsigen, tranken Mann 








Ya. Jacob: Brritinger/ älter. * 


wieder zu rechte, der ſich ſelbſt ebmals begamaener So⸗ 
domiterey beſchuldigte. Breitiger- ſagte ihm: der Ma⸗ 
giſtrat habe feinen. Handel unterſucht und ihim wegen 
ſeiner Reu und ſeines hohen Alters mit der Gefangen⸗ 
nehmung verſchonet; der Wahnſinnige ward dadurch. 
beruhigt und geſtand hernach, daß ſein vorgegebenes Ver⸗ 
gehn leere Einbildung geweſen. 


In die er Zeit hatte Breitinger groſſe — 
von einem Geſchwuͤr in der Kehle; er verlor die Spra⸗ 
che und ſchon redeten die Wundaͤrzte von einer Opera⸗ 
tion, die mit Lebensgefahr begleitet ſeyn wuͤrde; mitt⸗ 
lerweile befanden ſich verſchiedene Rathsglieder ‚in ſei- 
nem Zimmer; in der Meynung , daß er ſchlafe / erzaͤl⸗ 
sen fie einigen Anmwefenden ganz luſtige Hiſtoͤrgen aus der 
Rathsſtube; der Kranke hoͤrte zu, wußte den Ungrund 
dieſer Hiſtoͤrgen und auf. einmal glaubte er vor lqutem 
Gelaͤchter zu; zerplatzen; zugleich oͤfnete ſich hiebey das 
Geſchwuͤr und unvermmerkt an er wieder. u vorigen Ge⸗ 
ſundheit. ur 


Nicht geringer war fein ein in die Angelegenhele 
ten des Staates als in die Angelegenheiten. der Kirche. 
Im %. 1612. trug er nicht wenig bey zu, ber Verbin⸗ 
dung der beeden Kantons, Zuͤrich und Bern, mit dem 
Margrafen von Baden. Im J. 1613. konnte er zwar 
die Errichtung des franzoͤſiſchen Buͤndtniſſes nicht bins 
dern , indeg gelang es ihm mit feinen geiſtlichen Bruͤ⸗ 
dern, den ſchon gemachten Entwurf zum Aufenthalte 
‚eines franzöfifchen Gefandten in Zuͤrich zu ‚hintertreiben ; ; 
eben fo eifrig wiederfeßte er fih dem Aufgeböte, zweyer 
Regimenter, die der König in. Frankreich voñ Ben Sit 
‚Gern verlangte; daß er nicht vhne Grund bemtsätid 


2390 Job. Jacob Breitinger, älter. u 
niſſe mit Venedig entgegen geweſen, zeigte fich gar Bald 
als dieſer Freyſtaat im J. 1616. mit Oeſterreich in Jer⸗ 
wirfnis und eben dadurch der Kanton Zürich in große 
Verdruͤßlichkeiten gerathen. 


Auch in den benachbarten Kantons war Breitingers 
Einfluß ſehr groß. In Bern mollten die Profeſſoren 
die Pfarrer von aller Aufficht über Dad Schulweſen eut⸗ 
fernen. „ Zu biefem Ziel zu gelangen, beißt es in Brei⸗ 
» tingers bandidyeiftlicher Lebensbefchreibung, machten 
» ihnen Die Leſer (Vrofeffaren, ) bey etlichen Gewalti⸗ 
„ gen einen Anhang; befgleichen an den Mahlzeiten 
„ md fon, wo fie zu Rebe kamen mit bem gemeinen, - 
-» unwuͤſſenden Volke, verkleinerten fie Die Pfarrer ziem⸗ 
» lich unfreundblich, mit vermeiden, mit Teuiſchen teufch, 
„ mit Welſchen welſch reden, koͤnne jeder Schneider 
„ und Schumacher : ‚Hingegen fie, die Leſer, lehren 
» die hoben Hauptfpeachen , lateinifch, griechiich und 
3» ebräifch , wie auch. bie fieben. freyen Künfte und 
of m. darum gebühre de Nammen der Gelchtten 
„ eigentlich ihnen, und nicht denen, die nur reden in 
'„ ihrer angebohenen Mutterfprache. * — Daraus ent⸗ 
fanden gefährliche Partheyen; durch wiederholte Zus 
ſchriften von Zuͤrch aus füchte fe Breitinger zu befänfs 
tigen; nach fruchtlos angewendter Bemuͤhung fchiefte 
ee das legte, ausführliche Schreiben; Daffelbe ward zu 
Bern vor dem groffen Rathe verliefen und hierauf er⸗ 
kennt: daß die Lehrer. ſaͤmmtlich, auf Kanzel und Kas 
theder, wie biäher, den gleichen Rang und Stand haben 








ſollen. Auf die Abſoͤnderung hatten einige arminianifche ,. 


‚gefinnte Profefforen gedrungen, im Hoffnung, dab fe, 
nach Entfernung der Pfarrer, deſto feeger ihre Meinun 





Joh. Jacob Breitinger, aͤlen. ⸗jr 


gen unter — Ingend werden autheelten 
koͤnnen. | 


Im J. 1618. wurden die IV. Mformirte Kantons der 
Eydgenoffchaft ſo wol von den General⸗Staaten ald von 
Prinz Mamif und Graf Wilhelm Ludwig von Naffau 
eingeladen zu der Synode nach Dordrecht. Bevor man 
fi) zur Annahme der Einladung verfiehn wollte, wur⸗ 
den verfchiedene Rathsverſammlungen und Tagleiftuns 
gen gehalten. In den erften , theologiſchen Bedenken, 
welches auf Befehl der Obrigkeit die zuͤrcherſche Geiſt- 
Vichkeit eingab, beißt 8: „ Wenn man die fünf wich, 
3, tigften Streitpuncten, zu deren Behandlung man die 
>» Synode verfammelt, naͤmmlich die Gnadenwal, die 
3, Kraft ded Todes Chriſti, den freyen Willen des Men⸗ 
„ chen, die Würkungen ber göttlichen Gnade und die 
» Beharrung im Glauben betrachtet : fo find diefe Ges 
„ genftände noch gar fpisig und dunkel. Denn von 
„ allen ſolchen Geheimniffen ift je und allivegen von 
» hriftlichen Lehreen nicht gar durchaus auf einerley 
»» Gattung und mit gleichen Worten geredet worden: - 
» da aber nichts defto weniger die Einigkeit, Fried und 
» Ruhe gar wol beftehn inögen. * — Ueberhaupt wur⸗ 
Den gegen die Theilnehmung an der Synode groffe Ein 
wendungen gemacht. Zum voraus fah man, dag Die 
Klamme der Zwietvacht nicht nur nicht werde gelöfcht , 
fonden fehr leicht von Holand aus and) uber die Eyd⸗ 
genoßſchaft ſelbſt verbreitet werden. -Auf wiederholtes, 
Deingendes Anfuchen des niederländifchen Geſandten, Pe⸗ 
ter von Breberode, wurden alle Schwirrigkeiten -befiegt. 
Bon den IV. reformirten Kantons wurden alfo theolo⸗ 
gifche Legaten nach Dordrecht geſchickt; von. Bern aus 


t 


232 Ip. ach Breitinger, Alter. 
‚Dr. Ruͤtimeyer; von Bafel Dr. Bed und Dr. Mens; 


von Schafhaufen Pfarrer Koch; an ihrer Spike An⸗ 
tified Breitinger von Zuͤrich. Breitinger verreiſete den 

29. Sept. 1618. In ſeinem Gefolge waren Heinrich 
von Schauͤnis, Doctor der Arzneykunſt; Marx Stap⸗ 
fer als Seckelmeiſter Dee Reiſe! Hans Heinrich Wafer: 
als Secretair; Jacob Tanner, obrigkeitlicher Reuter 
mit dee Geleitäbüchfe. Unterwegs flieffen die eydge⸗ 
nöffifche Legaten zufammen, In Bafel wurden fie von 
der hohen Schule bewirthet; auch in Colmar wurden 
fie von der Regirung koſtfrey gehalten ; ; zu Heidelberg 
wurden fie bald bey Hofe, bald von dem niederländis 
fchen Gefandten , bald von der hohen Schule bewirthet. 
Den 21. Oct. langten fie glüclich in Dordrecht an und 
wurden von dem Bürgermeifler von Bevern und einigen 
Abgeordneten des Rathes, wie auch von den niederlaͤn⸗ 
difchen Theologen bewillklommet. Sogleich wurden ih⸗ 
nen die Reifeuntoften bezalt-und freye Wohnung und 
Tafel angewiefen. Sehr eifrig behauptete in den Sono⸗ 
dalverſamlungen Breitinger die alten orthodoxen Lehr⸗ 
füge; je mehr ſich die Arminianer hinter einigen Wor⸗ 
ten und Redensarten des Antiſtes Bullingers zu. ver⸗ 
ſchanzen ſuchten, deſto ſorgfaͤltiger war Breitinger in 
Vertheydigung der bullingerſchen Rechtglauͤbigkeit. 


Nach Vollendung der Sonode beſchenkten bie’ Gene⸗ 
ral⸗Staaten jeden der eydgenoͤſſiſchen Theologen mit einer 


Schaumuͤnze, von 37 Ducaten an Werthe, nebſt einem 


Stuͤck Atlaß, worauf die Synodalverſamlung gar Fünfte 
lich abgedrudt war. Zur Heimreiſe lieſſen Re denſel. 
ben 4000 brabantiſche Gulden zalen. Mit den Bemuͤ⸗ 


bungen unſers Breitingers war die Obrigkeit in Zurich 








. 30h. Jacob Breitinger, aͤlter. 233 


ſo wol zufrieden, daß ſie ihn mit vier ſchoͤnen, verguͤlb⸗ 
ten Gefaͤſſen beſchenkte. So ſchmeichelhaft fuͤr ihn die⸗ 
ſes Geſchenk war, fo gewiſſenhaft wieß er ſonſt ſolche 
von ſich. Sehr gewohnt waren zu feiner Zeit die ſo 
geheiffenen Badenfchenden ; alles that er zur Abſchaſ⸗ 
fung dieſes geldfreſſenden Mißbrauchs. Als er ſich der 
Geſundheit wegen in den Baͤdern zu Baden aufhielt, 
perabredeten fich, auſſer einer Menge andrer begüterter 
"Bürger, auch die 200 Glieder des Rathes, daß ihm 
jeder einen Ducaten zum Badgefchende darfchieffen folls 
te; er erfuhr es und infländig verbat er fich bey dem 
Bürgermeifter diefe Beſchenkung. — Wie lieb er feinen 
Mitbürgern gewefen , zeigte fich bey feiner Zuruͤckkunſt 
aus den Niederlanden, biß nach Eglifau waren ihm 4 
Bürger J geiftlichen und weltlichen Standes, zu Pferde 
entgegen geritten; von Bülach bis in die Stadt waren 
‚alle Straffen Dicht mit Wolke beſaͤet und unter frohlo⸗ 
dendem Geſchrey Fam er wieder nach Haufe. In de 
That war feine Zurückunft für das Vaterland mit neuem 
‚Segen begleitet. 


Im J. 1619. war zwiſchen den Kantons, Bern und 
Freyburg, ein Zwiſt wegen freyer Religionsuͤbung in 
ihren gemeinſchaſtlichen Herrſchaften entſtanden; bey 
dieſer Gelegenheit ſchrieb Breitinger einen ſehr buͤndigen 
Aufſatz, wie hoͤchſt nothwendig es ſey, Daß Bern und 
Zuͤrich immer aufs genauſte vereinigt bleiben. 


Im J. 1622. drang er ſehr eifrig auf die Unterſtuͤ 
gung der bündtnerfchen Bundesgenoffen, welche von 
Spannien und Defterreich übel geplagt wurden; auch) 
bewog ee die Obrigkeit zu Einführung vieler guten Pos 
lizey und andrer gemeinnüsigen Anſtalten, beſonders 





34 Job. Jacob Breitinger , älter. 


auch zur Aufrichtung der fo geheifnen Practicirorbaung 
‚gegen die eingefchlichenen Beftechungen und Rinde. Bey 
den Gefahren des Dreyffigiährigen, teutfchen Krieges übers 
gab er im J. 1624. dem groffen Rathe den erſten Ent 
wurf zur Gtadtfortification, welcher aber erſt achtzehn 
Jahre hernach ausgeführt wurde. Auf fein wiederhols 
td, dringendes Anbalten führte man im J. 1628. anf 
dem Rathhauſe zu Erzielung ungehinderter Wahlfreys 
beit , die beimliche Mehrheit ein. — m dieſer Zeit 
wurde die alte utftener erneuert; von jeden 100 Gul⸗ 
ben wurden 4 Schillinge. bezalet. 


Im J. 1631. machten der Bifchof von Conſtanz und 
der Abt von Sanct Gallen trotige Anfprache an dad Dias 
teimonials und an das Eollaturrecht im Thurgdu und 
| RHeinthal ; fie erwarteten Beyſtand vom Kayſer und von 

den V. catholifchen Kantons. Wie nachdruͤcklich fich ih⸗ 
nen Breitinger wiederfegt habe, flieht man aus feinen 
Vorträgen vor dem Senate in Zürich, aus feinen Send» 
fchreiben an die Rheinthaler und am die Kirchen zu 
Bern, Schefhaufen und Bafel. Auf der Kanzel ſprach 
ex hierüber mit fo wenig Schonung, daß er deswegen 
por einer obrigkeitlichen Committee zu Rede geftellt wure 
de. Er verantiwortete fich aber fo gut, daß er feither 
‚von Stunde an bey allen Verhandlungen, diefes Handels 
wegen, zu Rathe gezogen wurde. 


Mittlerweile war im Namen des franzöfifchen Koͤniges 
ber Herzog von Rohan den: bedrängten Bimdtnern zu 
Hülfe gkommen. In Zürich ward er, an der Spike 
der Beiftlichkeit, von Breitingern bewilllommet. Durch 
des Herzogs Vermittlung ward der Vertrag vom Jahr 
2632 errichtet; Kraft diefed Vertrages wurden bie refots 


E Joh. Jacob Breitinger, älter. 234 


mirten. Kirchen im Thurgau und Nheinthal beru 
bigt. | 


Der fiegreiche König in Schweden, Guſtav Adolph, 


berlangte eine Verbindung mit den reformirten Kan⸗ 
tond (*); um nicht das Mißtrauen ihrer catholifchen 
Eidsgenoſſen zu reizen, hatten ſie ſich ſtandhaft gewei⸗ 
gert. Breitinger ward an den ſchwediſchen Geſandten, 
Ritter C. L. Raſche, nach Koͤnigsfelden geſchickt; er 
brachte es ſo weit, daß dieſer von ſeinem Begehren ab⸗ 
ſtand, und dadurch wurden im Vaterlande gefaͤhrliche 
Unruhen verhindert. Zum Zeugniß ſeiner Zufriedenheit 
beſchenkte Breitingern der Geſandte mit dem zweyfachen 


Bilde des Koͤnigs, das eine von Oelfarbe, das andre in 


Golde. 
Im J. 1634. übergab Breitinger der Obrigkeit eine 


genaue Bevoͤlkerungsliſte ſo wol von dem zuͤrcherſchen 


- Kanton , ald auch vom Thurgau und Rheathal 


Im Toggenburg drang der Abt von St. Ballen auf 
gänzliche Unterdruͤckung der proteftantifchen Lehre. Zur 


Beylegung des Zwiſtes hatten die veformirte Kantons 


ihre Abgefandten nach &t. Gallen geſchickt. Sehr dritte 
gend empfahl ihnen Breitinger die Angelegenheiten des 
Toggenburgs. Hiebey bediente er fich unter andern fol 
genden alegorifchen Vortrages. 


»Nach dem Hinfcheid der leiblichen Mutter hatten 
2 die verwanßten Kinder (d. i, die Toggenburgen) eine 
» Gtiefinutter (d. i. die nachherige Regierung des Abs 








(7) ©. Hottingers handſchriſtlichen Theſaurus D, 14.1.5  :ä 





236 Joh. Jacob Breitinger, älter. 


:„ tin,) bekommen. Anfangs war dieſe Stiefmutter 
„ freundlich, hernach aber je länger ie ſtrenger. Die 
» einen von den Kindern entflohen; die andern faben fich 
durch Zwangmittel an tirannifche Verwandte der 
„Stiefmutter verhenrathet;, die übrigen riefen endlich 
'» ihre nächften Bafen (d. i. die proteftantifchen Kati 
'» tond) zu Hilfe. Diefe redten zum Frieden. In ihrer 
‚» Gegenwart forderte die Mutter ihre Stieffinder auf, 
» daß fie num ihre Klagen vorbringen follten. Diefe 
> Fannten die mütterliche Strenge und wenig durften fie 
» fi) auf den Beyfiand der Bafen verlaffen ; die guten 
Wanyſen verflummten. Izt land die Mutter auf und 
'„ fagte: Wenn alfo Ihr felbft Feine Klagen wieder mich 
3, abet, fo Elage ich nunmehr Euch. an; zugleich warf fie 
3 Ihnen fchivargen Undank und Mangel an Gehorfam 
„ vor. Das Herz; war den Kindern groß und ibre Au: 
.„» gen fchwammen in Thraͤnen, allen fie Durften nicht 
„ reden. DAS Stillſchweigen ward von den Bafen als 
» Geftändniß erflärt ; fie gaben den Kindern Ermahnun⸗ 
„ gen und nahmen freundlich Abfchied von der Mutter; 
„ man hielt ein froͤliches Valetmal: den Waifen aber 
„ War nad) einer folchen Interceſſion wenig geholfen. * 


In obigem Jahr 1634: hatte Breitinger feine wuͤrdige 
Gattinn verlohren. In dem lezten Willen hatte fie den 
von ihrer Baſe, Agnes. Tommann geſtifteten Fond zu 
Büchern für arme Studierende Durch ihren Beytrag vers 
mehrt. Diefee Todesfall gieng dem Wittwer fo nahe, 
dag er im J. 1635. in eine gefährliche Krankheit fiel. 


Nach feiner. Wicderberftellung ging feine erſte Sorge 
auf Bereicherung des Seminariums, damit in demfel: 





Joh. Jacob Breitinger; dte> 237, 


den, beſonders die ftudierende Söhne wenig begüter, 
ter Landgeifllichen verforgt werden möchten. 


Im J. 1637. kam Hans Conrad Werdmüller wieder 
nach Zürich. Als ein Knabe hatte er fich zu Lyon in 
ein Klofter verirrt. In geheim ward er dafeldft erzo⸗ 
sen und bey reiferm Alter that er das Drdensgelübde. 
Nach langen und wiederholten Religionsgefprächen mit 
Breitingern, warf er nunmehr die Minoritenkutte bon 
ſich. 


Im J. 1642. wurde der Grund zu den Befeſtigungs⸗ 
werkern gelegt und von diefem Vorhaben in allen vier 
Pfarrkirchen gepredigt. 


Mit heranrüdendem Alter Hatten ſich Breitingerd Leis 
besbefchiwerden vermehret. Im J. 1643. ward er vom 
Sclagfuffe getroffen ; hernach ward ervom Steinfchmers 
zen geplaget. Als er den 26. März 1645. aus der Frübs 
predigt Heimgehen wollte, uberfiel ihn im Kreuggang ein 
neuer Schlagfluß ; im Chorherr Suters Begleite kam 
er nach) Haufe; im Lehnftul waren. jeine lezte Worte s 
Wir leben oder wir fterben, fo find wir des Herrn! 


Er hinterließ Feine Leibeserben; unter feinen Bermächts 
niffen waren 1500 Gulden ad pias cauflas. 


Das Kirchenarhiv in dem Pfarrhauſe zum groſſen 
Muͤnſter hat ihm den Anfang zu danken. Mehrere ſei⸗ 
‚ne Schriften find niemald im Drucke erfchienen ; unter 
diefen find feine öffentlichen Vorträge vor Rath und vor 
der Synode, wie auch feine Lebensbefchreibung , und 
feine Adta der dordrschter Synode vielmal copirt wor⸗ 
den. 


238 Job. Jacob Breitinger, älter 


Unter den gedrudten Schriften erwähnen wir 5. B⸗ 
einige Ueberſetzungen aus dem Plutarch; ferner Ausle⸗ 
gung des h. Unſer Vaters; verfchiebene Predigten; Trace 
tat vom alten amd neuen Glauben ; Bedenken von Eos 
mödien und Spielen; Bericht von den Wiedertaufern ; 
verfchiedene feiner Synodalreden in den Mifcell, tiguri- 
nis; Bericht von der h. Schriſt und ihrer Auslegung 
u. m. a. die man DE RM A tig. nachſchla⸗ 
gen ann. ' N 


ee tz 








XXL 
305. Jacob Hottinger. ) 


— 
2% 


a8 Licht erblickte er den 1. Chriflmonat 1652. Im 
fünfsehnten Fahr des Alterd verlor er feinen Bas 


ter, den berühmten Heinrich Hottinger. Schr jung 


Hatte er die Schrift de Spiritu pradicante Spiritibus in 
Carcere verfertigt und Öfentlich verthaydig. Im J. 
1672. begab er fih zur Kortfekung der Studien nad) 
Bafel und hernach im J. 1675. nach Genf. Bey feiner 
Zuruͤckkunft in Zurich ließ er fih im J. 1676. in das 


Predigtamt aufnemmen. Im J. 1680. ward er Pfar⸗ 


. zer zu Stallifon. Zu gleicher Zeit verheurathete er fich 
mit einer Tochter ded damaligen Profeſſor Lavaters. : 


Auf dem litterarifchen Kampfplatz erſchien er zum er» 
ſten male gegen den Mönch Marianus Schottus, der 
ihn durch Invectiven fo wol gegen den zürcherfchen Ca⸗ 
techifmus ale gegen feinen feligen . Vater zur Gegenwehr 
aufrif. 


Im % 1686. ward er zum Diacon heym groſſen 


Muͤnſter in Zuͤrich erwaͤlt. Die Erholungsſtunden wied⸗ 


mete er dem Studium der helvetiſchen Kirchengeſchichte. 


Mit Supplementen bereicherte er die Kirchengeſchichte 
des Vaters. Wie geſchickt er zu ſolcher Unternemmung 


— e — — — — 


OG. Tempe Helvet. T. II. Sea. Lf.7. 


I) 


eu Job. Jacob Hottinger. 


geweſen, bewrißt ſeine Wiederlegung des Sforzia Palta⸗ 
vicinus vom J. 1692. Die Ausfaͤlle andrer Kloſter⸗ 
maͤnner, z. B. Gerold Wielands und Caſpar Langen 
verdoppelten feinen Eifer in Bearbeitung der helveti⸗ 
ſchen Kiechengefchichte. Bon 1698. biß zum % 1707. 
umfaßte ee diefe in Drey Quartbanden, von Entftehung 
des Chriſtenthums in dem Vaterlande bis auf den Ans 
fang des achtzebnten, Jahrhunderts; noch im Greifens 
alter fügte er im J. 1729. den vierdten Band ben. 
Diefer begreift die Kirchengefchichte feiner Zeit in fich y 
wie auch Zufäge zu den vorhergehenden Büchern. 


Im J. 1698. erhielt er, nach Joh. Heinrich Heis 
deggers Hinfcheid , den theologifchen Lehrſtul. Seine 
Antritsrede Handelte von dem Vorzug der reformirten 
Gotteögelehrtheit vor der papiftifchen. Damals fchien 
die Polemick ein notbwendiged Uebel. Auch ſelbſt nach 
Beylegung des einheimifchen Religions » Krieges im 
J. 1712. hörten die Streitigkeiten der Gelehrten nicht 
auf. Im F. 1717. gieng Joh. Baptifta Dillier, ein 
Jeſuit von Sarnen ob den Wald fo weit, daß er in 
feinen fogenannten Horologium arithmetico -morale der 
reformirten Kirche den Untergang drohte. Des prophes 
tifchen Anagramatiften ungeachtet, erfchien nunmehr für 
Zürich Die erfreuliche Epoche ded Reformation » Fudls 
laͤums. (7) Daffelbe ward am Neufahrdtag 1719. und 
Tags darauf durch Öfentliche Predigten gefeyert; auch 
wurden verfthiedene, academifche Reden und Difputatios 
sten gehalten. Bey lektern ward jedermann , Fremden 

Ä und 





096. Biblieth. Bremenf. T. III. f. 498. 





) 


\ 


\ 


ob. Jacob Zottinget. se 


and Einheimifchen , ju opponiren Erlaubniß gegeben. Erſt 
nachher fchrieb. ein Jeſuit von Lucern gegen Scheuchzer 
and Hottinger, von demen er bald durch Gegenfchriften 
zum Stillſchweigen gebracht wurde. 


Während, daß fich die zürcherfche Kirche gegen auͤſſe⸗ 
re Anfälle in Sicherheit = gaͤhrten innere. Zwiſte in 
ihrem eigenen Schoſſe. Seit langem ber naͤmmlich hatte 
die Intoleranz der Scholaftid die Seele in Feſſeln ges 
worfen; zugleich mit diefen zerbrach der Fanaticiſmus 
auch felbft die Heiligfien Bande. Um fo viel mehr glaubs 
ten fih die Reformirte verpflichtet, da bey geringfter 
Aufleimung fectirifchen Unkrautes die Katholicken ſo⸗ 
gleich zu ſchreyen anflengen, daß der Landeöfrieden ‚nicht 
drey oder mehrere, fondern nur zwo Religionen geftatte, 


Ends des XVIIten und Anfangs des XVillten Jahrhun⸗ 
derts hatte fich die Schwärmerey von Bern aus uber Zurich 
und Die benachbarten Gegenden verbreitet. Eine Art Inqui⸗ 
fitiondgericht ward bie und da gegen die Sectirir nies 

dergefegt: „ Ein ſolches Gericht, fehreibt Troufaz , (*) 
» hatte Vollmacht zu allen möglichen Nachforfchuns 
» gen; von demfelben wurden die einen ihrer Aemter 
„ entfet, Die andern ind Gefängniß geivorfen, des Lan⸗ 
3» des verwiefen oder noch härter gebüffet; den Einen 
„ entjog man die Verwaltung der Güter , dem Andern 
» die Fürforge für Die Erziehung der Kinder. * Auffer 
‚Xoggenburg , Appenzell, St. Galten, Schafhaufen u. 
a. war auch Stans von ſchwaͤrmeriſchen Ausſchwei⸗ 





(*) S. Memoires pour fervir.Al — des alles arti- 
vees en Suiffe à Poccaſion du Confenfus. ſ. 40. | 


it. Cheil. ur.‘ 


243 Joh. Jacob Hottinger., 


fungen bedrohet. Unterm Nov. 1710. gelangte vom 
daſigen Geiſtlichen ein Schreiben an Zürich : - Obs 
sicht Dienlich feyn würde, zur Herſtellung der Rechtglaie 
bigkeit eine Kirchenverfamlung für die enangelifchen Kate 
tons audfchreiben zu laffen? Noch empfand man its 
deß allzulebhaft Die Unruhen, welche ſowol die Dord⸗ 
rechter ſynode ald auch feither der helvetiſche Eonfenfug 
berurfacht hatten : daher ließ es, auf Hottingers Ein⸗ 
geben , der zuͤrcherſche Kirchenrath dabey bemenden , in 
allgemeinen Ausdruͤcken den Eifer der Glarner zu loben 
und anbey durch ein Kräidfchreiben die Prediger des 
Kantons aufzufödern, einerfeitd daß fie auf die Schwaͤr⸗ 
mer ein wachfames Auge richten, anderfeitd daß fie 
durch das Beyſpiel eines ehrbaren Wandels dieſelben 
gewinnen. Unter andern angefebenen Berfonen , welche 
in Zürich den Pietiſmus begünftigten, befand fich vorzuͤg⸗ 
lich ein Haupt des Staates; ungeachtet feiner Kaͤnnt⸗ 
niffe und feines wolmeinenden Eiferd wurden die beiten 
Abfichten dieſes aufferordentlichen Mannes durch den Uns 
geftumm feines Temperamentes vereitelt. Bald’in Pe 
Kitifche, bald in religiofe Schwärmereyen geflürgt, fab 
er fich endlich aller Ehrenſtellen und des Buͤrgerrechtes 
‚feld beraubt. Indem er mit feinen Anhängern den 
verdorbnen Zuftand des Staats und der Kirche auf⸗ 
deckte, ſchlug er Heilmittel vor, die eben fo gefährlich 
waren ald die Krankheit ſelbſt. Je aröffer fonfi Die 
Verdienſte Diefee Leute, je rührender ihre Beredſamkeit, 
ie Helleuchtender. ihr Beyſpiel geweſen, deſto verführeris 
feher waren ihre Lehrmeinungen; indem fie fih auf 
Infpirationen verliefen , £onnten fie fehr leicht blinde . 
Triebe ımd leere Trauͤmereven vergöttern ; durch dreiſte 
Ankimbigung naher Strafgerichte und Ankunft des taw 


* 


Tod. Jacob Sottinget. a243 


Vendräbrigen Reiches ſchienen ſie zu politiſchen Verwir⸗ 
rungen Anlaß zu geben; je fuͤrchterlicher vormals die 
wiedertaͤuferſchen Unruhen geweſen, deſto eifriger ſuchte 
man nunmehr ähnlichen Unruhen im erſten Keim zu bes 


- gegnen. Ben alten diefen Händeln hatte ſich Hottinger 


als groffen Zeloten für die Erhaltung der rechtglaübts 
gen Lehre bewiefen. Wenn andere durch aüffere Zwange — 
mittel, fo fuchte er durch. belehrende Schriften Die Vers 
irrten zurüc zu führen. Im J. 1715. edirte er in teut⸗ 
fcher Sprache die Schrift von dem Zuftande der Seele 
nach dem Tode, ſammt bengefügter Wiederlegung der 
Lehre von der Begnadigung der gefallenen Engel und 
der verdammten Menſchen. Im %. 1716. die unver⸗ 
fälfchte Milch der chriftlichen Lehre, wie atich Nachrich⸗ 
ten und Warnungen wegen dermal im Schwange ges 
henden, übelgehannten Pietifmus. Im J. 1717. bie 
Verfuchungsftunde "Uber die evangelifche Kirche durch 
neue, ſelbſtlaufende Propheten. In legterm Buche findt 
man Nachricht von den damaligen, pietiſtiſchen Unru⸗ 
ben in Zürich. Wie günftig dieſe Schriften von der 
Obrigkeit aufgenommen worden, mag — hohe Er⸗ 
kanntniß des Rathes beweiſen. 


„Bey Anlaß dee von Herrn Lieutenant Befne ein⸗ 
» gegebner Dedicationsſchrift der beyden fchönen von 
» Herrn Theologus Hottinger wieder den Pietifmus und 
» andre Irrtuͤmmer in Drud ausgegebene Tractaten 
„haben meine gnädige H. Herren in Betrachtung dieſes 
» Werkes Fuürtrefichkeit und Nutzbarkeit wol ermeldten‘ 
» Herren Theologus für feine hiebey gehabte, grofle 
„Bemuͤhung und befcheinte, ruhmliche Dexteritat ihr 

» bierab tragend beſtes Vergnügen und obrigkeitlichen 


4° Vob:Jaegb-Fottingen 


‚s Dont, als hiemit beſchieht, bezeugt. Adtum Bu 
„chen den 1. Sept. 1717. Coram Senatr. 


An den Buchhändler gelangte folgende Erfanntniß : 


» Dem Herren Lentenant- David Geßner Haben M. 
» En. HHerren für die beyde, aus obrigkeitlichem Be 
fehl durch den Druck publicirte Tradtatus, mit wels 
% hen er. meinen Gn. HHerren R. und B. feine ehren⸗ 
% bietige Aufivartung gethan, ein hundert Reichsthaler 
> gu einer wolverdienten Honoranz verordnet. Adtum 
» Mittwochen den 1. Sept. 1717. coram Senatu. © : 


Auffer diefen Kontroverfen war auch die Bereinigung 
ber Proteſtanten ein Gegenfland, weſcher Hottingern 
aufferordentlich befchäftigte. — Daher’ eine enge aca⸗ 
demiſcher Streitſchriften über die Gnadenwal und uͤber 
die damit verwandte Gegenſtaͤnde, in welchen er frey— 
lich aͤngſtlich genug die Lehrſaͤtze ſo wol der Synode 
von Dordrecht als des helvetiſchen Conſenſus verthaͤi⸗ 
digte. Dieſe letztre Schrift wurde von den Corpore 
evangelico zu Regenſpurg als eine Hinderniß der prote⸗ 
ſtantiſchen Vereinigung erklärt. () Den 21. Febr. 1722. 
ſchrieb deswegen der Koͤnig in Preuſſen an ſaͤmmtliche, 
evangeliſche Kantons, daß man ſich nicht mehr fo ſtrenge 
zu Unterſchreibung dieſer Lehrformel derpflichte, ſondern 
ſich lieber allein an die helvetiſche Glaubensbekenntniß 
halte. In gleichem Tone ſchrieb auch der Koͤnig von 
England, In Baſel und in: Appenzell wurde gerade 
au der Confenfus bey Seite geſchaft; in Bern dinge 


—- 


) ©. Joh. Zac. Hottingers bel. Kirchen chte, Cb. w. 
f. 268, wie auch Eroufaz Memoires. Amſt. ur 6 2 








De 


ob. IJwcd5 Zotfinygen Ms 


gen ward er von Rudolf, und in Zuͤrich von KHottim 
‚ger. noch immer begunftigt. An letzterm Orte wurde 
den 21. Yul. 1722. vor dem geofien. Rathe erkennt, 
Daß fich zwar die Kandidaten Dusch ein Handgeluͤbd zur 
Benbehaltung diefer Lehrformel verfichen, indeß felbige 
nicht mehr unterzeichnen follen. — Auf wiederholte Zus 
fehriften der Könige von Preuſſen und von England, 
antiwortete die gefammte ,. evangeliſche Eydgenoßſchaft 


unterm 17. Brachm. 1724. » Wir haben feinen Ges 


„ Miflensswang noch andere Härte. auszuüben und ent⸗ 
» fchloffen; vie Formel wird niemand ald Glaubensar⸗ 
„tickel aufgedrungen, ' fondern lediglich für eine Vor⸗ 
„ fihrift in der Lehre gegeben, wieder welche unfere 
» Geiftliche nicht lehren follen, zu Erhaltung der unter 


„ und von der Reformation hergebrachten are em Ss 


„in der Lehren. ſ. w. * 


- Beine eigentlichen Sefinnungen hat Hoftinger im J. 
1720. in dem Anhang zu dem naͤhern Entwurf von 


der Vereinigung der Proteſtanten, wie auch im J. 1721. 


in der Diſſertat. irenica de Veritatis & Charitatis in ec- 
cleſia Proteſtantium connubio an den Tag gelegt. Im 
J. 1723. gab er in lateiniſcher Sprache die Gefchichte 
der Formula Confenfus, und in teutfcher Sprache die 
Verthaydigung ihrer Lehrſaͤtze heraus; in gleichem Jaͤhre 
die bibliſch chronologiſchen Abhandlungen; im J. 1727. 


die Geſchichte der Lehre von der Gnadenwal oder Fata 
doctrinæ de; prædeſtinatione & gratia. — So groß Hot⸗ 


tingers Hiftorifche „und ſcholaſtiſche Kaͤnntniſſe geweſen, 
ſo wenig wagte er die geringſte Abweichung von dem 
hergebrachten Syſteme; uͤberal ſchien ihm jede Neue 
zung gefaͤrlich; Baylens Schriften empfahl er unter 





2.6 308 Jacob Kottinger 


anderm auch Darum, mweil-fie, nach feiner Meynung, bie 
Schwachheit der menfchliden Vernunft in gänzlichee 
Blöffe darfiellen. Die Studenten befchwor er, daß fie 
fich ia nicht zur Ausbreitung des copernikanifchen Lehre 
gebauͤdes binreiffen laſſen. — Wie mancher Gelchtte, 
der, bey noch fo ausgebreiteter Einficht, ſich nicht immer 
über die Denkart feiner Zeitgenofien empor ſchwingt? 
Nicht nur indeg bloß als Gelehrter, auch als Bürger 
batte Hottinger aufferorsdentliche Verdienſte; nicht we⸗ 
niger teug er bey zur Beylegung der politifchen als der 
Eiechlichen Unruhen; auch auswärts ward er ald Orakel 
zu Rathe gezogen; fehr wichtig And feine Briefwechſel 
über den Wettiteinfchen Prozeß mit den Basler» Ges 
Iehrten , wie auch die ungarfchen,, pfälifche und andre 
Briefe, die fich nebſt mehreen feiner Handfchriften theils 
auf der carolinifchen Stiftsbibliothet theils in den Haͤn⸗ 
- den Prof. Hottingerd befinden. Diefer fein würdiger 
Nammenserbe beſitzt unter anderm verfchiedene Briefe 
an felbigen von Leibnig, Seckendorf, Spanheim, Zus 
dolph, Jablonsky, Naude, Kabritius , Trigland, Wite 
find, Lampe, Haſaͤus, Roel, Crenius, Bignon, Türtes 
tin, Bourget, Basnage, Oſterwald, Ancillon, Jaͤger, 
Pfaff, Heuͤmann, Wettſtein, Buxtorf, EN Gry⸗ 
naͤus, Iſelin, u. n. a. 


Bis im fein drey und achtzigſtes Jabet blieb Hottin⸗ 
gen ungemein thaͤtig; ohne Schmerzen und mit fanfe 
ter Rube gab ex den 18. Decemb. 1735. den Geiſt auf. 


J 





= m a un we wi. "Ti Dir Oo wu E32 Or ui. m {[. — — — 


XxXII. 
Joh. Jacob Zimmermann. 


r wurde den 10. December 1695. in Zurich geboh⸗ | 
ven. Anfangs nahm er in den Schulen fehlecht zu. 
Weniger der Verſtand als das Gedaͤchtniß wurden geuͤ⸗ 
bet. Die Doͤrne und Diſteln der Sprachkunſt ſchreckten 
ihn ab von dem Studium der Sprachen; dad Licht der 


Weisheit verbarg fich vor feinem Auge unter dem Nebel - - 


verjaͤhrter Scholaflid. Schr willkomm fhien ihm der 
einheimifche Krieg vom J. 1712. Nach feiner Meinung 
gab er ihm Anlaß zur Verlaffung der Schule. Wuͤrk⸗ 
lich zog er mit feinem Water, einem Feldarzt, ind Lager. 
Ben der Zurüchkunft erklärte ew fich , daß er gerne den - 
Beruf eines leiblichen Arztes Dem Beruf eines geiftlichen 
vorziehen möchte. Die Mutter aber wiederſetzte ſich aus 
allen Kräften dem Vorſatz; aus Eindlicher Licbe entſprach 
er ihrem eifrigften Wunſche. Selbſt geftand er hernach, 
dag nichts anderd ald das vermeinte, Iuflige Leben der 
Barbiergefellen ihn zur Auswahl ihrer Lebensart gereizt 
babe. Seither reuͤte es ihn niemals, daß ex ſich dem 
geiftlichen Stande gewiedmet hatte. In dem Gymna⸗ 
fum lernte ee wenig ; bey Haufe lad er- die Schriften 
eines Rode und Clericus, Werenfels und Tuͤrretins; auch 
ſtudierte er eiffig Die Theologie des Limborchs; feinem 
ortbodoren Profeffor war dieſes zumieder ; indeg mar er 
hieran ſelbſt Schuld, weil er durch Anführungen und 


28 Joh. Tecob.äimmermanm. 


Wiederlegungen ben Juͤngling auf ſolche Buͤcher auf 
merkſam machte. Am meiſten lernte er aus dem Um⸗ 
gange des Pfarrer und Profeſſor Ulrichs. Bey aller 
Hochachtung indeß fuͤr ſeine moraliſchen ſo wol als ge⸗ 
lehrten Verdienſte hatten ihm immer die uͤberhauͤften 
Blumen und Figuren in ſeinen Predigten mißfallen; auch 
nahm er die Freyheit feinem Lehrer. zu ſagen: Nur 
durch Ueberzeugung werde Dauernder Eindruck. bewürft, 
durch Luxus der MWohlredenheit könne wohl füchtige 
Tauͤſchung, nicht aber bleibende Beſſerung erfolgen, 
md Ulrich war gu groß, um ſich durch jede Einwens 
dung , und wenn: auch von einem Schüler, entehret 
gu glauben. 


. Je reifer Zimmermannd Geiſt ward , defio mehr fand 
er Geſchmack am Lefen der Alten. Zufälliger Weife 
hatte fich feine Neigang zu den Studien einerfeitd beym 
Durchblättern des gelerten Buͤcherſaals, anderfeitd bey 
Werenfelfen Abhandlung. de Logomachiis eruditorum 
vermehret. Bey letter Schrift gieng ein neues Licht in 
feinem Kopf auf. Uebrigens war feine Lecture fehr tus 
multuarifch ; zu gleicher Zeit befchäftigte er fich mit Locke 
und Poiret, mit Malebranche und Clauberg; bey Wie» 
derholtem Lefen zog er allen andern Locke weit vor. Das 
mals wußte man von der wolfianifchen Philoſophie noch 
gar nichts. In Altern Fahren fludierte er fie; beſon⸗ 
derd gefiel ihm: die Beſtimmtheit der Erklärungen ſehr 
wol; allein in Abhcht auf die Lehre von der beflen 
Welt , vom Urfprung des Boͤſen, vom Reiche der Geiſter 
u. ſ. w. ſchien ihn Wolf eben‘ fo wenig als viele andre 
zu befriedigen ; immer glaubte er, daß diefe Unterfuchtitte 
ae niemals zu voͤlliger Eviden; werden koͤnnen gebracht 





-— — ee 


-_— u e- 7 m 1 ————— 


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Zoh. Jacob Zimmermann. 24 


werden. Je mehr hiebey heftige Zwiſte au entſtehn pfle⸗ 
‚gen, deſto weniger wollte er ſich mit ſolchen Nachfor⸗ 
ſchungen beſchaͤftigen. Mit Luſt durchblaͤtterte er Ber⸗ 


nards, Basnage, Baylens periodiſche und andre Sri‘ 
den. 


Nach wollendung der academiſchen Laufbahn —— 
te er die Studien auch auswärts fortfegen zu können. 


Aus Mangel an Glücsgütern , bat er, nach Gewohn⸗ 


heit, um obrigkeitliches Neifegeld; da ex wegen allzu⸗ 
freyer Denkart verdaͤchtig war, ſo erhielt er nicht mehr 


als go Thlr. Mit Empfehlungsſchreiben von oben er⸗ 


waͤhntem Profeſſor Ulrich gieng er im J. 1718. zu Lampe 
nach Bremen. Lampe verſchafte ihm eine Informator⸗ 


ſtelle in dem Hauſe Herrn Barckey, eines vornemmen 


Handelsmanns. Obgleich er ſchlecht gehalten und' bes 


zahlt wurde, fo duldete er fich gleichwol zwey Jahr lang. 


Auf Haſaͤus Anrathen lad er ded Bos Libellum de Elli. 
psi &c. Vigerus de Idiotiſm. linguæ græcæ, Glaſſius 
Philolog. Sacr. Capellus Critick ſammt Buxtorfs Anti⸗ 
Critick, auch Bezens Commentarien und den Drufius. 
Ihm ſtanden die Bibliothecken eines Nonne und Gerdes 
zu Dienſte. Im J. 1719. ſah er Mosheim in Bremen 
und fand ihn dem Unionswerke weniger geneigt als man 
anfangs gehoft hatte. 


Da Zimmermann in Bremen niemald gefund und 
fchon damals von Hypochonder geplagt mar, fo begab er 
fich wieder" nach Haufe. Auf der Heimreife befuchte er 
in Heidelberg Miege und Kiechmeyer ; in Tübingen Pfaf⸗ 
fen; Ieztrer gab ihm ein Heft academifcher Streitfchrifs 
ten an Alphons Türretin ; dadurch befam er Anlaß mit 
dieſem in Briefwechſel zu treten. 


250 Joh. Facob zimmermann. 


Nicht lange wollte ſich Zimmermann zu Haufe verwei 
len; nach vieler Berathſchlagung aber und bey den Thraͤ⸗ 
nen der Mutter entfchloß er ſich in Zürich zu bleiben. 
Da er bey Haufe nichts hatte ald den Tifch, fo ſuchte 
er den übrigen Unterhalt durch Privatunterweiſungen. 
Die Nebenfiunden wiedmete er dem Studiren; cr Ins 
Simons Hiſt. critique und Mills neues Teſtament; als⸗ 
denn prüfte er die aͤlteſten Schutzſchriften der Kirchenvaͤ⸗ 
ter, den Eüfeb und die übrigen Kicchenferibenten. — Zus 
gleich trat er im die Gefellfchaft der Lernbegirrigen; Das . 
durch legte er den Grund zu nachheriger Beförderung ; 
einige Mitglieder nämlich erwarben ihm durch ihren Ein, 
Aug einen academifchen Lehrfiul. Zum Bredigen hatte 
er wenig Neigung, ob er gleich viel Geſchick dazu batte 
und gerne gehört ward. 


Immerhin fah er fich von bopochonder verfolgt; 
brauchte allerley Waſſer; im J. 1740. bediente er Pr 
des Bades in Wallis: Alles umſonſt! Er merfte, dag 
ſich moralifche Urfachen mit den phofifchen zur Vermeh⸗ 
rung feiner Krankheit vereinigen ;, mit Gemalt fließ er 
-alled von fh, was fein Gemüth beunruhigen konnte; 
uugleich fing ce an, feiffige Spaziergänge su machen ; 
wenn er allein war , fo laß er in einem aufgeraimten 
Buch; wenn er gute Freunde anteaf, fo hielt er mit 
größter Ungezwungenheit feeymüthige Geſpraͤche. Das 
Uebel wurde vermindert ; ganz nahm ed nie ab. Selbſt 
geſteht er in feiner bandfchriftlichen Lebensbefchreibung, 
bag feine erfie und zwote Gattin bey feinen hypochon⸗ 
driſchen Anfällen vieles auszuftehen gehabt haben ; kaum 
waren folche Anfälle vorüber, fo war er a —* 
Lebensgefehrte. | 








> 
N 
J 


Joh. Jacob zimmermann. 252 


Das erſte mal verheyratete er ſich im vier und dreiſſig⸗ 
ſten Jahr feines Alters; im J. 1738. ſtarb feine Gate 
tinn an.einer Qungenentzimdung. In diefer Ehe hatte 


er ſechs Kinder erzeugt, welche alle, auffer zwo Toͤch⸗ 


tern, fruͤhzeitig ſtarben. Im J. 1739. verheyratete er 
ſich zum zweyten male. 


In den Erholungsſtunden trieb er mit Eifer dad Stu⸗ 
dium der philofophifchen Gefchichte. Vorzüglich befchäfe 
tigten ihn Die theologifchen Lehrmeinungen der Alteiten , 
orientalifchen , griechifchen , italiänifchen Weltweifen.. 
Mit Anftrengung verglich er die alten Scribenten mit 
Den neuern. In dad Bremifche Muſeum ließ. er eine 
Schrift de Fato Stoicorum einruͤcken; gegen Jac. Tho⸗ 
maflus fprach er die Stoiker vom Spinoziſmus und vom 
blinden Fataliimus los; dieſe Schrift wurde von Bude 


deus befteitten; Zimmermann vertbäidigte fie in dem 


helvetiſchen Mufeum. In einem andern Auffak nahm 
er den Diagorad und Ephemerus in Schuß. Bald dar, 


anf fendte er einige Verſuche an Schelborn. Wegen 


feiner Schußfchrift für den Plato gerieth er in Streit 
mit Gundling, der den Plato des Spinoziſmus anges 
klagt hatte. Gegenden alten, berühmten Brofeffor ſchrie⸗ 


‚ ben die gelertefte Männer , als z. B. Mosheim in de . 
Herausgabe ded Cudworths, Beauſobre in der Manis 


chäifchen Gefchichte, Brucker in der philoſoph. Hiftorie 
unferm acht und zwanzigjaͤhrigen Yünglinge den Sieg 
zu. Nichts deſto weniger war er zu befcheiden, um fich 
durch allzu bittere Replifen an Gundlingen zu vergehen. 


Im J. 1731. hatte er den Lehrſtul des Naturrechts und 
bald darauf zugleich der Kirchengefchichte erhalten. Da 


er einmal ben öfentlicher, academifcher Prüfung frey 





I) 


a2 Job. Jatab Stmmermann 


von den Eoncilien redete, fo machte dieß Auffehn. Ein 
andermal ward ihm zur Laft gelegt ı daß er von Socin 

‚gejagt babe, beata morte.deceflilfe. Auf Apraten feines 

Freundes, . des Antifked Wirz, gieng ex. dem ‚Gerücht 

nach und zween von feinen Verlauͤmdern unter den Stu⸗ 

denten wurden genoͤtigt, ihn vor einem Ausſchuſſe des 

Kirchenrqtes um Verzeyhung zu bitten. Solche Geruͤchte 

indeß machten immer hie und da Eindruͤck; dadurch 

werbitterten die Nebenbuhler dem unbefangenem Manne 
das Leben. Indeß fubr er fort, von Zeit zu Zeit vers 
fchiedene Schriften drucken zu laffen. Wegen feines Bus 

-ched de miraculis ward er von Weiglingern angetaftet : 

Mit Stillſchweigen wiederlegte er deſſen Invectiven. 


Ganz wieder alles Vermuten und nicht ohne Wieder⸗ 
ſtand ſeiner maͤchtigen Feinde erhielt er im J. 1737. das 
Canonicat mit dem theologiſchen Lehrſtul. Durch Maͤſ⸗ 
ſigung und durch Empfehlung guter Buͤcher verbreitete 
er einen beſſern Geſchmack und edlere Freyheit im Den⸗ 
fen; er war auf die Pfade der Werenfels, Tuͤrretin, 
Frey, Grynaͤus getreten. Seine Antritörede handelte: 
de przcipuis Theologi virtutibus. — In einer academi⸗ 
ſchen Diſputation ſagte er: daß das Wort Perſon nicht 
in den h. Buͤchern ſtehe; auch ohne dieſes Wort koͤnne 
man die orthodoxe Glaubenslehre erklaͤren. Sogleich 
ward er irriger Lehrſaͤtze beſchuldigt. Dieſe und andere 
Geruͤchte achtete er wenig, bis auf die Zeit, da er ſeine 
caroliniſche Rede hielt; fein Thema mar de imperfec- 
tione cognitionis divinæ collate cum. eruditipne theo- 
logica mentium ooelo receptarum. Man freute aus, 
Durch diefe Rede habe er den theologifchen Scepticiſmus 
begünftigt. Um das Gefchren zu beichwören‘, übergab 


fi 





= — — — — — TE — m. — — — Ten E07 — — 
- 


Yoh Jacob Simmermanıl 253 


se die Rede dem Drude; auf Anraten der Freunde fuͤgte 
& Etwas bey gegen ben Argwohn der Zweifelfucht. Da 
Dutch goß ee Del in das Feuer. Auch in den benachs 
Barten , helvetiichen Kirchen ward er ungleich beurtheilt. 
Schon fah er ſich mit Apoftrophen vor öfentlicher Sys 


node bedeohet. Um dem Gewitter Ableitung zu geben‘; | 


Heß er fih von feinen Gegnern fehriftlich die Stricturen 
über feine Rede mittheilen ; ausführlich ‚beantwortete‘ 


er diefe. Im J. 1747. mußte er abermal eine öfentlis 


che Rede halten; an Gelegenheit zur Verhoͤhnung feiner 


Wiederſaͤcher fehlte es ihm gar nicht; gleichwol unters ' 


Heß ers. Und jedermann war mit der Rede zufrieden: 
Durch Schweigen gewann er ſelbſt feine Gegner. Ne 
ber die wenigen, nochflrittigen Puncten hatten fich-beyde 
Parteyen in einer Verſamlung auf der er 
verglichen. 


In einen ‚andern Streit ſah er fh beranlche &iner SH 
nodal . Difputation im J. 1746 verwicelt. - Er bemühte 
fi) den Mißbrauch der Hyperbolen in den Predigten 
und in den Erbauungsbüchern.zu zeigen. ‚Ein fonft nicht 


ungelehrter Opponent befudelte ihn mit dreiften Vorwuͤr⸗ 


fen fo ſehr, daß ſich alle unpartepifche Zuhörer aͤrgerten. 
Von Breitingern ward hernach in dem helvetifchen Mu⸗ 
feum Zimmermanns Lehrmeinung verthäidigt. - Durch 
wiederholte Necdereyen verbitterte man ihm das Leben fo 
ſehr, dag, wenn cr genug Gluͤcksguͤter gehabt. hätte, 
er den geiftlichen Stand würde abgelegt und fich in cie 


nem Winkel auf dem Lande verbosgen haben. — Auf . 
der andern Seite hingegen ward ge Durch die. Freunde 


ſchaft vieler Gelehrten ermuntert. Im % 1746. ward, 
er ein Mitglied der Berlinergefellfchaft. Zu dieſer Ehre 


m 
Sn 


24 305 Jacob zimmermann 


wurde er durch folgende Veranlaſſung befoͤrdert. Schon 
por 18. Jahren ſtand er mit LEnfant und hernach mit 
Mouclerk in Briefwechſel; nach ihrem Hinſcheid ſchrieb 
er noch bisweilen an den Hoſprediger Jablonsky. In 
Berlin war ein Streit zwiſchen La Croze und Heumann 
entſtanden, uͤber die Frage: Ob Jordanus Brunus ein 
Atheiſt gemein? Bon La Croze ward die Frage bejahet, 
son Heumann perneinet. Bon Ziegler in Schafhaufen- 
batte Zimmermann alle feltene Werke dieſes Italiaͤners 
erhalten. Bey genauem Durchlefen fand er, daß Bru⸗ 
nus nicht wol könnte des Spinoziſmus angeklagt, aber. 
auch nicht gänzlich von allem Verdachte befreyt werden. 
Hieruͤber ſchrieb Zimmermann eine Abhandlung und 
ſchickte fie an L’Enfant. Mittlerweile war dieſer geſtor⸗ 
ben und die Abhandlung ſand man nicht mehr. Das 
Schlimmſte war, daß auch Zieglers Schriften ſeither 
verloren gegangen. Aus zerſtreuten Papieren ſchrieb ist 
Zimmermann feine Abpandlung jum zweiten male zuſa⸗ 
men. 


Im J. 1746. gab er feinem Stieffohn Empfehlungs⸗ 
ſchreiben nach Berlin mit. Peloutier und Eldner frage 
ten ibn: Ob fein Vater die Ehre, eines Mitgliedes der 
koͤniglichen Societät annehmen würde? Durch Formey 
erhielt Zimmermann das Diplom, ald er eben an eis 
nem bisigen Sieber krank lag. Diefe Beehrung machte 
ihm Freude, weil fie feine tadelfüchtigen Feinde be⸗ 
ſchaͤmte. 


Die meiſten von Zimmermanns Schriften find uns 
ter der Aufſchrift: Opufcula varii argumenci zu Zürich 
in nöeen Quartbaͤnden a gedrudt worden. Ver⸗ 





f 5 


"Job Jacob Zimmermann 355 


ſchiedene ſeiner vbandſthriten hat ſein aa Breitin⸗ 
ger, geerbt. 


Zimmermann. karb am Selagpufl, den 30. Win 
— 1756. Mr F 











0) ©. Bruders Biken Bilderfal N Simlers Ur⸗ 
kunden, © B. J. zb. 325% - 


— 


356 


XXIL 
Joh. Eafpar Hagenbuch (*). 





r erblickte das Weltlicht den 20. Augfim. 1700. Ob⸗ 
ſchon der Gottesgelehrtheit gewiedmet, blieben nichts 
Defto weniger feine Lieblingsftudien Altertummer und 
Sprachen. Immer wird mittelbar durch folche Studien 
Das theologifche Lehrgebaude, und- zwar mit der wenig⸗ 
fin Gefahr des Bannftrales erbeitert. Von den jungen 
Studirenden wurden mit Enthuſiaſmus die claffifche 
Schriftſteller gelefen. Auf gleichem Wege, wie vermals 
Die Reformatoren den Wuſt der Scholaflid weggeraumt 
batten , raumten nunmehr die Hagenbuch und Breitinger 
jene Dörne und Difteln des Univerfalifmus und Particu⸗ 
Iarifmus bey felte. Indem fie fich anfangs nur bey Woͤr⸗ 
tern und Kiguren, wie dad Volt beym Aüffern der Hie⸗ 
roglyphe verweilten, fo drangen fie hernach mit den Ge⸗ 
mwenhten gay bald in das Innere des Heiligtums und trus 
gen die eroberte Fackel unter die Menge. \ 


Schon im J. 1718. entſtand zwiſchen Hagenbuch und 
Breitinger ein Briefwechſel über die Badermwürfel, wo⸗ 
von das Wefentliche in’ Conrad Hottingers Altes und 
Neues eingerücht worden. — Im J. 1720. ward Hagen 
Bud) dem geiftlichen Stand einverleibt. Fleiſſig übte er 

ſich 





EINGEHEN OO: 111 
(*) Steodtmanns neues gelehrtes Europa, IVter Theil. 


a4 


Job Tafpar Zagenduh a9 


fich im Predigen; auch erklärte er einigen Juͤugluigen 
die griechifchen und lateinifchen Scribenten. Zween ſchaͤtz⸗ 
bare Briefe von Zwingli, welche in der Ausgabe feiner 
Werke fehlen, ließ er aus der Fabrikifchen Ausgabe des 
Pindard vom J. 1618. in Ulrichd Mifcellanea tigurina 
-abdruden. Sein Briefwechfel mit J. G. Altmann gab 
im %. 1723. Gelegenheit zu der Abhandlung de Aſcibur- 
gio Ulixis ex Tacito de Morib. Germ. 11]. (*) Ymngleis 
chem Jahre theilte er dem Bibliothelar zu Leyden , Abras 
Ham Gronod, Conrad Gegners handfchriftliche Anmers 
Zungen nebft feinen eigenen über den Aelian mit. (**) 
Gronov beehrte ihn hiernuf mit der Zufchrift feiner vo. 
‘ siorum Geographicorum; mit denfelben druckte er Ha⸗ 


genduchs exercitationem ad Cof. Frifium: Oſtiones effe 


nec Germanorum nec Britannorum populum, Ted Gallie 
celtice Ofıfmios. 

Hagenbuch hatte verſchiedene antiquarifche Reifen durch 
"Helvetien gemacht ; über die eroberten Entdeckungen hielt 
er.in den Sommerferien im J. 1728, 1729 und 1730. 
aufferordentliche Vorleſungen. In Handfchrift Hintere 
ließ er mehr ald dreyhundert Auffchriften, die in der 
Schweiz gefunden worden , nebft feiner Erklärung. 

’ Sm J. 1730. erhielt er das öfentliche, rhetorifche Lehre 
amt in Zurich; biezu kam im X. 1731. das Lehramt 
‚ber weltlichen Gefchichte; im J. 1735. ward ihm bie 
Profeſſur der griechifchen. und lateinifchen Sprache aufs 
„getragen. Beym Unterrichte wälte er die Methode des 
‚Sanctius ; fie gründt fich auf beſtimmte Säge und Bau 
den ficheriten Weg zu gefunder Critick. 


‘ 2 Muſ. helv. P. IV. & Bibi. Brem. Cl. VII. Fafe. I. 





en Erudit. 1738. & a Clerc Bibl. anc. & modeme | 


x — nur Ba 
1. Theil. R 





8 Joh Cafpar Sasenbud. 

, Ohne Vorwiſſen ward er im J. 2748. von ber. Etruß⸗ 
** Academie zu Cortona und von der Colombari⸗ 
ſchen zu Florenz zum auswaͤrtigen Mitgliede ernennt; 
dernach hatte er auch dad Diplom von der pariſiſchen 
Academie der fchönen Künfte und Auffchriften und von 
der berlinifchen und goͤttingiſchen Gefellfchaft erhalten. 
Unter denen Gelerten , die Durch ganz Europa feine Vers 
Dienfte um die Erforfchung der Altertümmer bewunder⸗ 
ten, nennen wir vorzüglich Maffei, Schöpfin, Seguier, 
Quirini, Gori und Gronov. (*) Gori. fchrieb ihm: 
non mireris, fi te in enucleandis vetuftis Scriptoribus & 
antiquis infcriptionibus nodisque difhcillimis diflolvendis 
& multa luce confpergendis Criticorum noftri temporis 
principem adpello ac pr&dico meum-Evergetem.. .' 


Nach Auftrag des Schukiathes ſchrieb Hagenbuch im 
J. 1744. fein Gloffarium nov, Teſt. Er begleitete e3 
‚mit feiner Tonologia greca und mit der Diatribe de græ- 
cis thefauri novi muratoriani marmoribus quibusdam me» 
tricis. In legtrer Schrift behauptet er mit d'Orville und 
Gannegieter , daß der Thefaurus des Muratori viele Wie⸗ 
derholungen enthalte / und feinen auſſerordentlichen Scharf⸗ 
> finn übt er über verſchiedene darinn befindliche Auffchrifs 

‚ten in griechifchen Berfen. Im J. 1747. edirte ex in 
- Stich Die Epiftolas epigräphicas, in quibus plurim& an. 
. tiquz inferiptiones., grec® & latinz, thefauri inprimis 
muratoriani emendantur & explicantur. Bald hernach 
folgte das Teflaracoftologion turicenfe feu infcriptio an- 
tiqua, ex qua Turici fub imp. rom. Stationem quadra- 
geſimæ Galliarum fuiffe. primum innotefcit, commentario 
illuſtrata. Hagenbuch erlautert barinn eineden 18. May 





©) &. Epift, epigr, r 428. 








Joh. Caſpar Hagenbud. «9 


1747. auf dent Lindenhofe in Zürich entdeckte Steinfchrift. 
Durch eine Menge ähnlicher Innſchriſten erlaütert er 
dieſe; auch fchließt ev aus dieſem Dentmale, daß Zuͤ⸗ 
rich eine Zolftadt der Römer geweſen und nicht Tigurum, 
fondern Turicum genennt worden. Nicht von dieſer 
Stadt alfo hatte der Tigurinifche Pagas den Namen ers 
Halten; aus Schmeicheley gegen die Zürcher hatte Glas 
reanus den Nammen Turicum in das vermeinte, bes 
rüfhmte Tigurum verwandelt. 


Im J. 1748. wücte der Kardinal Quirini in fein Spe- 
cimen humanitatis &c. auch einen Brief unferd Hagen 
buchs ein. Der Kardinal hielt fich einige Tage zu Zuͤrch 
auf und machte mit unferm Antiquar perfünliche Bes 
Lanntfchaft. Noch in gleichem Fahre edirte diefer : de 
diptycho Brixiano Boethii confulis epiftola epigraphica, 
aufpiciis Angeli Mariz S. Marci cardinalis Quirini. 
Dabey befindt fich eine Appendix epigraphica ad Quiri« 
num, worinn er eine zu Cortona befindliche, aber zu 
Kom, Florenz und Mailand irrig gedeutete Steinfchrift 

erlaütert. Hiezu kam noch eine von dem Kardinal ges 
wünfchte Erklärung der in dem Herculaneum gefunden 
nen Ritterfaule ded MM. Nonius Balbus, wie auch die 
Auslegung des Diptychi Arcobindi confulis. 


Im März 1750 fandte er eine Abhandlung über die 
Stelle ded Broperz B. IL. Eleg. XVi. 8. an Heumann 
nach Göttingen. Im J. 1752. that er eine Reife ind - 
Elſaß, hauptfächlich um Schöpfin in Straßburg zu fehn. 


Noch muͤſſen wir feines gelerten Streites mit J. €. F. 
Walch erwähnen. Diefee gab im J. 1750 eine Schrift 
heraus: - Marmor Hifpaniz antiquum , vexationis Nero- 


* 


‚seo Tob: Cafpar Sagenduch. 
cianæ infigne decumentum iluftratum. In einem bes 
ſondern Schreiben an ihn betritt Hagenbuch die Aecht⸗ 
beit der Innſchrift. Diefed Schreiben lieg Walch im J. 
1753. in fein Werk einrüden; zugleich fuchte ee die da⸗ 
sinn gemachten Schwirrigkeiten zu löfen. 


Unter Hagenbuchs bandfchriftlichem Nachlaſſe, in der 
koſtbaren Bücherfammilung feines gelebrten Tochtermanng, 
Canonicus und Prof. Steinbrüchele, Hefindt ſich noch 
ein reicher Schatz feiner unvergleichlichen Arbeiten und 
‚ feines gelerten Briefwechſels; ' unter anderm die Fortſe⸗ 
kung der Epift. epigraph. nebft ausgearbeiteten Realre⸗ 
giſtern, wie auch reiche umd wichtige Materialien zur 
Helvetia antiqua. 


Bon feinen antiquarifchen Lieblingsftudien fah Hagel» 
buch ſich einiger maffen entfernt , ald ihm in Zurich der 
theologifche Lehrſtul anvertraut wurde. Er that feine Ans 
teitörede (t) im J. 1756. de ftatu Litterarum S. & ec- 
clefie Szculo VIII. exeunte, à Carolo magno, quod ul. 
tra tuncnon dabatur , aliquatenus tantum emendato; ein 
Jahr vorher hielt er an dem Gedächtnißfefte Karls des 
Groſſen eine Rede: de ftatu litterarum humaniorum 
Sxc. IX. ineunte &c. welche hernach im J. 1763. uns 
mittelbar nach feinem Hinſcheid zuſamengedruͤckt wor⸗ 
den. Von ihm bat man einige academifche Abhandlun⸗ 
gen, ald 3. B. über die Stellen ı. Joh. V, 6. Geſchichtb. 
XVII, 11. 1. Zim. VI, 2. — ©o rein und groß Has 
genbuchs Frömmigkeit ,. fo geroiffenbaft der Eifer in ſei⸗ 








Ki) Sie fiel auf. Ben Tag, wo Karls Andenken auf dem Som⸗ 
nafium durch eine fentliche Rede oefeyrt wird. 


⸗ 





! N 


Job. Caſpar zagenbuch. am. 


nern theologifchen Amt war, fo ſehr fcheints nichts deſto 
weniger zu bedauren, Daß er in der letztern Lebenshaͤlfte 
in ein neues Keld der Wiffenfchäften verwiefen worden. 
Eine Unfchidlichkeit auf dem zürcherfchen Gymnaſium 
ſcheint es, daß die Lehrer von dem einen Lehrſtul zu dem 
andern forteüden :  einigermaffen aber wird freylich Diefe 
Unfchicklichkeit verfchiwindeg, wenn man Dad enge Band 
Der meiften Wiffenfchaften betrachtet. Ohnechin ift der 
größte Gelerte in feinem Fache nicht immer der brauchs 
barſte Lehrer; je tiefer und ausgebreiteter feine Kännts . 
niß feyn mag, deſto leichter überfpringt er die Zwiſchen⸗ 
begriffe und ſetzt allzu viel bey dem Zuhörer zum vor⸗ 
aus; je mehr er in fein Lieblingsftubium verliebt iſt, 
deſto weniger zieht er das Beduͤrfniß ded Anfänger zus 
Rathe und defto geneigter iſt er, mit Diefem auf Abwe⸗ 
gen zuweilen. Setzen wir hingegen bey jedem Lehrer ges 
funde Logit und Vrteilökraft voraus , fo werden bey jes 
dem neuem gelerten Gegenftande ihm dieſe mit beitrer 
Fadel vorleuchten Eönnen. Auch bey den theologifchen 
Borlefungen baute Hagenbuch immer auf philologifche 

“Grundlage; nach dem Beyſpiel der Reformatoren ems 
pfahl er Sprachen und Kritick ald das gewiſſeſte Mittel 
zur Erforfchung der geofenbarten Warbeiten. (*) 


Er flarb im J. 1763. — Nach feinem Tode fieng 
Joh. Jac. Hottinger an, einige von feinen Binterlaffenen 
Handſchriften in das Mufeum Turicenfe vom %. 1782. 
einzuruͤcken. 

( ©. Luthers trewherzige Vermahnung, daß man chriſt⸗ 


liche Schulen aufrichten ſolle. Opp. Germ. Jen, T. II. 
ſ. 484. b. — 464. b. 


sea 





XXIV. 


Joh. Conrad Fuͤßlin. 


nz Yuan , 

eine Voraͤltern Hatten fich in Deutichland niederges 

laffen. Sein Vater war Prediger zu Oberwezlar. 
Diefer Hatte fich mit Sufanna Borgerd von Henau vers 
beuratet. Aus folcher Ehe ward unfer Conrad Füglin 
im %. 1704. geboren. Mit feinem Vater kam erim %. 
1706. nach Wezlar. Dafelbft ward der Knabe in Die 
oͤfentlichen Schulen geſchickt: allein er war wenig ler 
nensbegirrig; fe mehr fein Vater, zur Erwerbung des 
Unterhaltes , fi) mit Unterweiſung fremder Juͤnglinge 
befchäftigte , defto weniger fand er Zeit zur — 
des eigenen Knaben. 


Inzwiſchen war Karl Ludwig, Graf von — und 
Wittgenſtein, eines Rechtshandels wegen nach Wezlar 
gekommen. Da der alte Fuͤßlin den Soͤhnen dieſes Gra⸗ 
fen Unterricht gab, fü gerieth dadurch der junge Fuͤßlin 
mit denfelben in genaue Bekanntſchaft; ibre Unterbal- 
tung aber war entweder bey den nn im Stalle oder 
fonft auf den Straffen. 


Als die jungeh Grafen wieder fort toaren und Fuͤßlin 
überal müffig gieng, begab er fich zulegt aus Langiveile 
und eignem Antriebe in die. Jeſuiterſchule, welcher Das 
ter Falckenſtein vorfland. Diefer nahm fich feiner an, 
ſo daß er’s unvermerkt im ateiniſchen zlemlich weit ge⸗ 








Ioh Conrad Süß a6} 


dracht hatte. Diele⸗ Gluͤck aber dauerte nicht lange; 
ſein Vater ſtarb im Jahr 1718. die Mutter hatte er ſchon 
im J. 1711. verloren; jzt hatte er eine Stiefmutter, 
Die viel Verſtand beſaß: allein, obwol fie bemittelt war, 
fo wollte fie doch feine Stieflinder erziehn; ſo reiſete alſo 
der junge Menſch in dem vierzehnten Jahre ſeines Als 
ters mit drey Schweſtern, deren zwo juͤnger waren 
er, nach feiner Vaterſtadt in die Schweiz. Ungea 

er wenig Gefchidlichkeit zeigte, fo ward er nichte = 
weniger von feinen Bertvandten dem geiftllichen Stande 
gewiedmet. Er ward in das obrigkeitliche Seminar aufs 
genommen. Einer feiner. Better, welcher der Filialkirche 
zu Seebach norftand, gab ihm Privatunterricht; ig 
neun Monaten brachte erd fo weit; daß er den Ne⸗ 
908 im Lateinifchen, und die IV. Evangeliften im Gries 
chiſchen zu überfegen im Stand war. Nunmehr erhielt 
er Zuteit in das Collegium der Humanität, blieb aber 
eine Zeit lang zuruͤck. Voll Unmut über feine Zurüds 
weifung, fludirte er jzo Tagund Nacht; auf ſolche Weiſt 
machte er bald einen Vorſprung uͤber alle ſeine Mitt⸗ 
ſchuͤler und ward in das caroliniſche Collegium befoͤrdert. 
Die Schriften des Tullius laß er ſehr eifrig. Als eim 
mal die ältern Studenten den Hevden die Seligkeit abe 
brachen, fchrie er mit Unmillen: Ind wie denn? Tul⸗ 
lius folte verdammt feyn? 

In diefer Zeit trat er in genaue Freundfchaft mit eis 
nem jungen Edelmanne, Heinrich Wyß; in den Gtus 
Dentenjahren laſen fie den Virgil und Lucrez mit einans 
der; für fich befonders las Fuͤßlin den Lucian. 


In dem Hörfal ward er mit feholaftifcher , dunkler 
Logick und Metaphofit geplagt. Fuͤhlin ſchafte Rn die 





4 Job. Conrad Fuͤßlin. 


Werke des Elericus an. : Yıt erſchien Wolf 
mit jeinen philoſophiſchen Schriften: noch aber waren 
Diefe verbotene Waare in Zürich. In geheim flubirte er 
fie deſto eifriger und ſo fing es je länger je mehr an 

in feinem Berftande zu tagen. 


In dee, Theologie ward Heideghers theologiſche Me⸗ 
—— behandelt. Dieſes Buch laß Fuͤßlin mit auſſeror⸗ 
dentlichem Fleiſſe und ſo erwarb er ſich das Lob eines 
geſchickten Studenten. — Im J. 1726. ſah er ſich dem 
al Stande einverleibt. — — 


Durch Gelehrfamkeit und durch glüdliches Prediger⸗ 
talent hatte er fich im folched Anſehn geſetzt, Daß Die ers 
fien Gefchlechter in der Stadt. darauf eiferfüchtig was 
ren, ihn zum Lehrmeifter ihrer Söhne zu haben. Auf 
folche Weife erwarb er fich die Freundſchaft der’ angefts 
benfien Männer, eines Statthalter Nuͤſchelers und Buͤr⸗ 
germeifter Diten. 


- Nachher begab er fich mit dem Landvogt Keller auf 
das Schloß Egliſau, ald Hofmeifter ſeiner Kinder. In 
diefem Haufe war er fehr gerne; im Demfelben herrſchte 
die ſuͤſſeſte Einigkeit und überal fand ex da ben Ton eds 
lerer Lebensart und Urbanität. Ä 


Bey feiner Zuruͤckkunft nach Zürich ward die Orell⸗ 
ſche Buchhandlung errichtet, daran obgedachter Heinrich 
Woß, auch Antheil hatte. Die Unternemmer gedachten 
jürcherfche. Aldi, Stephani, Plantini zu werden; fie fiens 
gen an mit der Herausgabe: des Thefaurus ber helvetis 

fihen Gefchichtfchreiber, wozu Füßlin ein Progranima 
berfertigte und noch mehr Lieferungen verſprach· Im 





Job. Conrad gSuͤßlin. 208. 
J. 1736. that er eine Reiſe nach Frankreich, nach Leip⸗ 


zig und Berlin, um diefe Buchhandlung in Bewegung 
zu ſetzen. 


m J. 1737. rinfte er in die Tempe helvetica einen 
Auffag ein über Rom. V, 13. Diefe Stelle, überfegte 
er alfo: So lang das Geſetz if, fo lang if die Sünde 
in der Welt; und v. 20. dad Geſetz auf Sinai ift ne⸗ 
beneingefommen , weil die Sünde überhand genommen 
‚dat. — Im J. 1739. lieferte er gegen Bayle cine Schuß 
rede für David in dem helvetifchen Mufeum. Derfelben 
ſollten noch zween Abfchnidte folgen; ein angefehener 
Mann in feinem Vaterlande bezeugte darüber fein Mißs 
fallen und der Verfaffer hatte die Schwachheit , dag er 
ſich dadurch von der Fortfekung abfchreden ließ. — Fu 
bem Excerpto univerfz italicz & helveticæ Litterature, 
welches zu Bern heraus kam, find verfchiedene feiner 
Abhandlungen über die Kirchengefchichte des mittlern 
Zeitalters; andere find von ihm in die neue bremifche 
Bihbliotheck, in die Bibliothecam haganam und in das 

hamburgiſche Magazin eingeruct worden. In fünf 
Theilen hat er Beytraͤge zur helvetifchen Reformationd« 

geſchichte geliefert. Im J. 1740. gab er Die erfle Cen- 
turia epiftolarum Reformatorum heraus. Von ſolchen 
Briefen befaß er eine groffe Sammlung; er wollte fie: 
in einzelnen Genturien herausgeben : allein bey geringer 
Anzahl der Liebhaber wollte der Verleger Leine, Fortfes. 
gung wagen. Indeß hatte Füßlin der Ausgabe diefer er. 
ſten Genturia die Belanntfchaft mit dem Kardinal Quis - 
rini zu danken. Von diefem erhielt er auf der Durchs 
reiſe einen Beſuch; bald darauf geriethen fie in weit 





6 Joh Conrad Süglim 


lauͤftigen Briefwechfel. Unter anderm warf der Karbb 
nal in feinen Briefen die Frage auf: Ob nicht Sados 
Jet, Contarn und Polus befiere Schriftfteller geweſen ala 
die Reformatoren? Fuͤßlin behauptete: wenn auch dieſe 
Kardinaͤle gröffere Philoſophen und Schönfcjreiher ges 
wegen , fo feun fie Doch in der Känntnig der Heiligen 
Sprachen und in der Belefenheit der Kirchenväter weit 
hinter den Reformatoren geblieben. Er bat ihn, Sado⸗ 
lets Schreiben an die Genfer und Kalvins Antwort ges 
gen einander zu halten, fo werde er finden, daß letztrer 
eben fo gut Lateinifch gefchrieben und mehrere Runen: 
ni Kicchenfachen gehabt habe als ine: 


Im %. 1768. wollte der Buchhändler Hurter in Schaf 
banfen aus Büfchings Erdbefchreibung denjenigen Theil, 
welcher Die Eidgenoßſchaft begreift, befonders und mit 
Zuſaͤtzen abdruden laffen. Fuͤßlin übernahm diefe Ars 
beit und aus einem wurden vier Bände. In dieſem 
Werke hat er die geographiſchen Nachrichten mit hiſtori⸗ 
ſchen verbunden. In gleicher Zeit edirte er ſeine neue 
und unpartheyiſche Kirchen⸗ und Kaͤzerhiſtorie der mittlern 
Zeiten. Neu heißt ſie mit Recht, weil ſie nicht aus 
Kompendien, ſondern aus Originalurkunden geſchoͤpft iſt: 

unparteyiſch, weil der Verfaſſer ohne vorgefaßte Mey⸗ 
nung und ohne Leidenſchaft urteilt. Seither hat er ver⸗ 
ſchiedene hiſtoriſche Artickel fuͤr die Pariſer Encyclopaͤdie 
zuſamen geſchrieben. 


Im J. 1742. ward er zum Pfarrdienſte nach Velt⸗ 
heim bey Winterthur berufen. Bey den litterariſchen 
und Baftoralgefchäften fand er die füffefte Erholung in 
allerley landivirthfchaftlichen Verſuchen. So wol ſein 


Joh. Conrad Suͤßlin. 25 
Beyſpiel als feine Anmeifungen ermunterten den Fleiß 
— Kirchangehoͤrigen. Die Welt kennt ihn als Geler⸗ 

ten, aber im Stillen wuͤrkt fein Einfluß auf die Gluͤck⸗ 
feligkeit feiner Gemeinde. Als gefchickter. und fparfamer 
Landwirth fand er Mittel, den Alten und Unvermögens 
den Erquickung, den Dürftigen Arbeit und Unterhalt , 
den Fungen Dienft und Gefchäfte zu geben. Sie lieb, 
ten und ehrten ihn ald Water, und er forgte für ihre zeit- 
liche Wolfahrt nicht weniger als für die geiftliche, feſt 
überzeugt bon beyder gegenſeitigem Einfluß. 


Immer hatte er in eheloſem Stande gelebt, obgleich 
er ſelbſt geſtand, daß er nicht von Holz oder Stein ge⸗ 
zimmert ſey. Von Jugend auf war er gerne mit Per⸗ 
ſonen des andern Geſchlechtes in Geſellſchaft. Mit viel 
Naivitaͤt erzaͤhlte er in vertraulichem Geſpraͤche eine 
Menge galanter Hiſtoͤrgen; ſchoͤne Bildung und belebter 
Umgang machten ihn bey den Schoͤnen aller Orten, 
auch in dem hoͤchſten Range, willkommen. Solche 
Anecdoten lehren uns, daß auch die trockenſte, critiſche 
Gelehrſamkeit mit Anmuth des Lebens beſtehen kann. 
Verſchiedene vortheilhafte Heuͤratsentwuͤrfe ſchlug er aus; 
eine einzige Perſon, an welche er noch in feinem Alten 
mit Zärtlichkeit zurück dachte, hatte ihn gegen alle an 
dern ihres Gefchlechtes gleichgültig gemacht ; ihre Ju⸗ 
gend aber fehien ſich nicht zu feinen Fahren zu ſchicken; 
aus Unmuth faßte er den Entfehluß, nunmehr gar nicht 
zu heurathen. Seither lebte er einfam. Kleine Zwiſte 
mit einigen Gelehrten in den benachbarten Städten 305 
sen ihm Verdruß zu. und ſo zog er fich je länger fe 
mehr von dem Umgange mit der Welt ab. Wie ver 

fraulich er mit dem Gedanken Des Todes geivefen, er⸗ 


268 Job. Conrad Süflim. 
heilt unter anderm daraus; daß er noch bey völliger 
Lebenskraft fein Grabmal: hatte. aufrishten laſſen. In 
feinem legten Willen beforgte er mildreich feine Gemein 
de; feinen Buͤcherſchatz überließ er um einen beſcheide⸗ 
nen Preiß der zürcherfchen Stadtbibliotheck. 


Er farb am Schlagkuf im Jahr 1775: 


0:29 


D 





XXV. 


Jacob Gujer, genannt Kleiniogg (*). 





4 ' 


Se Hirzel dieſem Zeldbauer ein Denkmal ge 
weyht hat, darf ed niemand befremden, ihn in 
dem Chore berühmiter Zürcher zu ſehen; obgleich er we⸗ 
der ließt noch ſchreibt, fo nimmt-er feinen Pag bey den 
Gelehrten, da er mit befonderm Erfolg das michtigfte 
Buch, dad Buch dee Natur und. das. menfchliche Herz 
ſtudirt, da er durch eigned, lebendiges. Vorbild weit 
nachdrücklicher als fo mancher Schriftfteller durch todten 
Buchftaben gelehrt hat. Keineswegs werden an feiner 
Seite weder der Feldherr noch der Staatsmann ſich 
ſchaͤmen. Im Kleinen zeigt dieſem fein Hausweſen das 
ſchoͤnſte Bild der groſſen Haushaltung des Staates; mag 
jener durch die Waffen die Graͤnzen des Landes erwei⸗ 
tern, fo kaͤmpft Kleinjogg mit dem Spat und der Hacke; 
ſeine ehrenvolle Beute zieht er aus dem Schoſſe des Bo⸗ 

dens; als Held verfolgt er die Feinde; feine Feinde aber 


find Vorurteile und Laſter, die vor ſeinem/hellen Blicke 


verſchwinden. Gleichwie fuͤr die oͤffentliche Ehrbegierde 


Curia und Forum, Academ und Olympiſcher Spielplay 


fo find für die hauͤsliche Ehrbegierde Haus und Meyers 
bof und Werkitette das fchönfte Theater. Und wer koͤnnte 
wol beffer fo viele fchale Romanen als ein hauslicher 











0) 6. Hinels Mitthſchaft eines philoſophiſchen Vauren. 


— La m 





270 Jacob Gujer, genannt Aleinjoge. 


Plutarch oder Nepos verdrängen? Würde nicht zur Bil⸗ 
‚dung des gemeinen Mannes eine Samlung von Lebende 
befchreidungen guter Buͤrgersleute und Bauern weit lehr⸗ 
reicher feyn ald Leine Welt: und Staatengefchichte ? 


Jacob Gujer wurde in der erſten Hälfte dieſes Jahr⸗ 
hunderts zu Wermetfchweil bey Uſter im Zürchergebiete 
geboren. Ben dem volblütigen Jungen waren Fleiſch 
und Geiſt immer im Streite; ; ihn lockte Die Sinnlichkeit 
in die Lufigefielde der Wolluſt, der Pfarrer hingegen riß 
ihm mit fich in die Labyrinte des Myſticiſmus; in. der 
Verwirrung war ihm die weite Welt zu enge geworden ; 
wie ein Beſeſſener, von den Schattenbildern bald der 
Houris, bald der Dämons verfolgt, lief er über Gebuͤr⸗ 
ge und Thäler; etwas ruhiger fühlt er ſich nach der Er⸗ 
müdung ; dadurch gieng ihm neues Licht auf; er ver 
bannte Buͤcher und Grillen und ſieng an von Morgens 
bis Abends ſein Feld zu beſorgen; unterm Tagwerk ver⸗ 
gaß er beydes die pietiſtiſchen und die wolluͤſtigen Gril⸗ 
len. 


Gemeinſchaſtlich lebte er mit ſeinem Bruder Felix auf 
einem Hofe von ungefehr 94 Jucharten Lands. Der 
Boden war eben wenig ergiebig und über dis mit. Schul⸗ 
den belaftet. Anftatt deswegen muthlog zu werden, ſporn⸗ 
te vielmehr Kleiniogg feinen Fleig an; unermüdet war 
feine Hand; erfindfam fein Kopf; ſparſam wußte er je⸗ 
den Strobbalm, jebed Tannreis, jeden Augenblick zurgs 
the zu ziehen; nicht blos die Früchte feiner Arbeit, Die 
Arbeit ſelbſt machte ihm Freude, und freylich fah er ſich 
je laͤnger je mehr durch den. glücklichen Fortgang ermuns 
tert. Niemals ſtand er fill bey den einmal gemachten 
Beobachtungen; durch immer folgende bekraͤftigte und 


Jacob Bujer; (genannt Bleinjogg: “ su 


eriveiterte ex bie alten und vorhergehenden. Nur zu bes 
Dauren ift ed, dag er, als ein ungelebried Genie, fie 
nicht allemal auch andern in üblichen Worten mitzuthei⸗ 
len im Stande tft : indeg hat er fich eine eigne , bilder 
reiche Spraghe erfchaffen ; wer. einmal mit Diefer vertraut 
iſt, verſteht ihn und ſieht, daß ey fich felbft vollkommen 
verfieht. — Gleich eineın weifen Monarchen , denkt er 
nicht an Vermehrung der Güther, ald nur in fo fern fie 
zur Verbeſſerung des fchon erlangten Eigentumme ents 
weder unvermeidlich erfordert wird, oder dieſes Eigen, 
thum fchon den hoͤchſten Grad der Euftur. erreicht hat. 
So wenig ald immer möglich bedient er fich fremder 
Hilfehände ; patriarchaliſch ift feine und feines Bruders 


Haushaltung nur in. eine einzige zufammengefchmolgen. 


Begen die Gewohnheit der Leute feines Standes Licht 
er fo wenig an den bergebrachten Webungen ,- dag er 
vielmehr mit Dank fich.iebe ihm mitgetheilte Erfindung 
zu Nutze macht. „O wie fehr, fagte er oftmals, „ könne 
» te nicht unfer ganze Zufland verbeffert werden , wenn 
s der Herr in der Stadt und der Bauer Auf dem Lande 
3, mehr gegenfeitige Theilnemmung hätten? Sieben , 

» fuhr er fort, „koͤnnten die Prediger am meiften auds 
» — wenn ſie in den Predigten und bey Beſuchen 
„die Leute genauer mit den Pflichten ihres beſondern 
» Berufes befannt machen würden. Diefe Herren find 

» gemeiniglich in ihren Predigten gar zu gelehrt, hin⸗ 
a gegen fagen fie nicht deutlich und einfältig, genug, wie 
» man und was man thum folle. Daher glauben die 
3, meifte, ed fey genug, dag man zur Kirche gehe, daß 
» man finge und bete; alsdenn habe es nichts zu bedeu⸗ 
„ ten, wenn man fich Müffiggang , Kleiderpracht, Une 
>» mäffigteit, Betrug und Raͤnke erlaube. — Ueberdieß 


— 


) 


298 Jacob Buier., genannt Bleinjogg. 


„ meinte er, follten die Landvoͤgte fleiffig die Feldguͤter 

durchreiſen, und jeden beſtrafen, der die feinigen vers 
» wahrlofet.“ Als man ihm biebey die Schwirrigfeit 
zeigte, erwiederte er: „Ein einziges Benfpiel kann oft 
„ auf eine groffe Menge wuͤrken. Habt Ihr noch nie 
> gefehn , wie eine wicberfpenftige Heerde fo leicht folat, 
„ wenn nur einmal eines der Schafe über die Brüde 
.. geführt toird ? Bey meinen Unternehmungen hatte man 
„ mich auch durch Hundert Schwirrigkeiten  abfchreden 
„wollen; fo bald ich aber von der Güte und Rechtfchafs 
„ fenheit meiner Abfichten überzeugt war, ſo ſetzt' ich fie 
„ mit Entfchloffenheit durch. Meine Güter konnt ich 
„ Auch nicht auf einmal verbeffern ; heute etwas und 
„ morgen etwas, fo koͤmmt endlich das Werk in feiner 
„Groͤſſe zu Stande — Ihr beſorgt, feinen Beyfall 
„ zu finden? Glaubt Fhr denn nicht, dag das Gute, 
» in rechten Lichte gezeigt, nothwendig Beyfall er⸗ 
» preſſe? “ 


Kleinjogg ift zwar der jüngere Bruder, allein der aͤl⸗ 
tere hatte Verfland genug, die gröffern Fähigkeiten des 
- Jüngeren einzufehen und ihm die Herefchaft in der Haus⸗ 
haltung abzutreten. Um fo viel lieber würden ihm die 
meifte Dienfchen diefe Herrfchaft gönnen, da Kleiniogg 
nur berrfcht um zu dienen; je gröffer Macht und Faͤ⸗ 
higkeit find , deſto gröffere Verpfichtung sum Wolthun; 
ald Hausvater ift er bey jeder Arbeit der erfie und der 
legte, wenn er befichit, fo giebt er den Befehlen Nach⸗ 
druck Durch eigened Beyſpiel. Der Hausvatrr ift die 
Wurzel, fagt er in feiner metaphorifchen Sprache; wenn 
die Wurzel feinen Saft treibt, fo welken die Pflanzen; 
die Haushaltung gleicht einem Wagen; wenn unter 











! 


Jacob Buier , genannt Aleimioggr 273 


den vorgefpannten. Pferdten Dad erſte den vechten Wees 


gebt, fo folgen ‚von ſelber die andern. — Sein Freund 
klagte über die Traͤgheit und Naͤchlaͤſſigkeit eines Knech⸗ 
tes. Findeſt du ihn auch muͤſſig, fragte Kleinjogg, wenn 
du ſelbſt neben ihm arbeiteſt? das. kann ich. nicht ſa⸗ 
gen, erwiederte jener; dafür aber gab ich ihm. dem 
Lohn dag er ohne. mich Die härtere Arbeit verrichte, — 
Haltet du alfo folche Arbeit für.eine Mühe, die dich 
nun gludlich machen wurde? — Wenn du dieß glaubfl,. 


| ſo verwundere dich nicht, daß dein Knecht in deiner 


Abweſenheit muͤſſig geht; natuͤrlich iſt es, daß ein je⸗ 
der gluͤcklich ſeyn will. Ich ſelbſt beſinde mich niemals 
geſunder und ‚glücklicher als dey der Arbeit. — Mit uns 
exſchuͤtterlicher Standhaftigkeit fuͤhrt er mit ſeinen Haus⸗ 
genoſſen aus, was er einmal als gut anſieht. Sein 
Grundſatz iſt, daß man in der Haushaltung, wie auf. _ 
dem Felde, zuerſt dem Unkraut. begegnen muͤſſe, bevor. 
man. mit Erfolg den guten Saamen ausfteeuen könne. 
Mit größtem Eifer widerſetzte er fich daher dem Sitten⸗ 
verderben. Nicht ohne eifernen Wiederfiand konnte er, 
Die Eitelkeit und Weichlichkeit der Weiber in feiner, Haus⸗ 
baltung befiegen. Er war.der einzige Weinſchenk in feis 
nem Dorft ; dem Anfchein nad) bezog er daher beträchte 
lichen Sewinnft; ; bey näherer Unterfuchung ſchauerte 
ibm vor dem Gedanke, daß die Kinder: durch das Bey⸗ 


ſpiel dee Gaͤſte möchten angeſteckt werden; auf einmal 


nahm er ben feſten Entfchluß, keinem Gaft mehr Wein 
zu geben, ald er, nach harter Arbeit oder -Ermüdung 
auf Reifen , noͤthig bätte zur Erholung der SKräftes 
Nach eigner Erfahrung fette er dieſes Maaß auf einen 
Schoppen, ungefähr ein: medicinifches Pfund am Ge 


wichte; bicküßer "giengen die meiſte Gaͤſte und damit 
U. Theil. ee F 


44  Facob Buier, genamt Rleiniogg. 
zugleich ein groffer Gewinnſt verlohren. Die Hetidräk 
der , von denen die eine in einem Wirthähnufe erzogen 
war, wurden auſſerſt erbittert ; ſie warfen ihm vor, 
daß er mit feinen fetfamen Einfällen die ganze Haus⸗ 
Baltung zu Grunde richten werde. Es ift wahr, fagte 

er laͤchelnd, dei der Gewinnft an Gelde gröffer war, 
a derjenige, den und Die Feldarbeit verſchaft: allein 
glaubt Ihr, dag ein folcher Gewinnſt von Gott geſegnet 
ſeyn koͤnne, der aus andrer Leute Schaden erwachſet? 
Habt ihr noch einmal das Weib eines lüderlichen Gais 
fees lagen gehört, wie ungluͤcklich fie durch die Schwel⸗ 
geren ihres Mannes geworden? Denkt Ihr nicht, dag 
das Elend folcher Haushaltungen zu Gott um Rache 
-fihreye Über Die Wirthe, die ihn hiezu gereist haben ? 
Die Kinder folcher Weinfchente gewöhnen fi) an fü: 
devrliches Leben , fie verliexen die Luft zur Arbeit, und 
indem fie gewohnt werden, bey fremdem Schaden fich 
"m bereichern, fo werden fie beiriegerifch und boshaft. 
Wo Ihr, daß unfie Kinder in gleiche Gefahr kom⸗ 
men und. daß fe einft in einem Tag mehr durchiagen, - 
als fie in zwanzig Tagen mit dieſem niederträchtigen Ges 
winnfle erwerben ? Thom, was du willt,; war die Ant» 
wort. immer muß es nad) deinem Kopf gehn. Er 
führte alſo ſeyn Vorhaben aus, aber er wurde von ſti⸗ 
nen Milbuͤrgern verlacht und diefe ermunterten einen 
andern zum Weinſchenk; damit ſtuͤrtzten fie fich ſelbſt 
ME Verderben; viele Hausvaͤter fingen an, über die 
Berſchlimmerung ihrer Soͤhne in dem ——— zu 
Hagen. u 

Eine ‚andre Quche de erderbens in den Haushal⸗ 
tungen. entdeckte —— in der Gewohnheit, bey Kind⸗ 








u — — — — —— 


— Gujer, genannt Rleinogg. 27 
Yaufen, Jahrwechſel u. ſ. f. die Kinder- zu befchenten. 


- Diefe Gefchente; fagte er , kommen meiftens niemand 


zu gute; fie erheifchen Gegengefchenke und gewöhnen 
gur Eitelkeit und zu einer ſtraͤſichen Neigung, auf andre 
Weiſe ald durch Arbeit Vortheil zu ſuchen. Er machte 
fich alfo ein Gefeg, weder von Gevattern noch Verwand⸗ 
ten, noch) irgend jemand Gefchenfe anzunehmen und 
auch feine zu geben, als würdigen Armen. Die Allmo⸗ 
fen gegen Unwuͤrdige erklärt er ald Verderben des Vol⸗ 
kes und vechnet fie den Gebern zur Sünde. Geine Kin⸗ 
der haben nun keine Begriffe von der Annehmlichkeit 
der Geſchenke; deſto gluͤcklicher ſind ſie bey dem zufrie⸗ 
denen Genuſſe des Nothwendigen. 


Mit nicht geringerer Standhaftigkeit — er — 
Unterſcheid der Tage; wiederſinnig fand ers, an Sonn⸗ 
und Feſt⸗ oder andern Ruhtagen dem Leib mehr und 


beſſere Nahrung zu geben als an den Werktagen, da 


doch im dieſen letztern die Kräfte durch Arbeit mehr 
verzehrt werden; Darum vermehrte und nerbefferte ex 
die Malzeit nach Befchaffenheit der gröffern Gefchäfte. 
Seinen Leuten fagte er zum voraus , daß fie beym Be⸗ 
ſchluß der Aerndte nichts mehrerd zu erwarten Hätten; 


fie follten aber dieſes nicht dem Geize zuſchreiben; Tits 
ber wolle er während der harten Arbeit Die Maljeit 
verbeſſern. Bey Tifch trinkt er keinen Wein; fein bee 
ſtimmtes Maas nimmt er mit fich aufs Fed und er⸗ 
quickt fich, wenn ee anfängt von dem Tagwerk mäÄde zu 


werden. Das Schweinefeifch macht Fein befonderd Ges 
rücht auf feinem Tifch; täglich wird ein Städ. Klein 
zerſchnitten unter das Gemuͤſe verkocht, wodurch dieſes 
dach * Erfahrung naͤbrender gemacht wird — 


m 


* 


4, 


[a3 


276 Jacob Gujer, genannt Bleinjogg. 


ſchwerer die Speifen, zu verdauen find, deſto ſtaͤrkender 
find fie; daher zieht er Die Erdaͤpfel allen andern Speij⸗ 
fen vor und Roggenbrod dem Waizenbrod. F 


Ueber alles wandte er feine Aufmerkſamkeit auf die 
Kindererziehung Er unterwiefe fie felbft und wiedmete 
dieſer Beſchaͤftigung die ſonntaͤglichen Ruheſtunden; aus 
Bejorgnifi , fie möchten in dem Umgange ungeſitteter 
Kinder verderbt werden , läßt er fie nicht einmal in die 
Schule gehen, viel weniger den öffentlichen Luftbarkeis 
ten, Jahrmaͤrkten, Kirchmeſſen u. ſ. w. behywohnen. 
Damit zieht er ſich viele uͤble Nachreden zu; man 
mennt ihn’ einen fectieifchen Mann, einen harten, geizi⸗ 
gen Vater. Wenig befümmert ihn dieß; er weiß, dag 
man fchuldig ift, .für den guten Nahmen zu ſorgen, 
aber dag man nicht gut und weife ſeyn Tann, fo lang 
man fi ſich scheut ‚ ‚den Thoren verachtungswärdig oder 
lächerlich zu fcheinen. — Du thuft unrecht, fagte ihm 
ein Nachbar , daß du gegen deine Kinder fo graufam 
bift und ihnen feine Freude gönnen magſt. Wer fagt 
die, war feine Antwort, daß ich ihnen. Keine Freude, 
gönne? — Du laͤſſeſt fie ja, verſetzte jener, .niemald zum 
Wein oder Tan gehn. — Meinft du, fragte Kleinjogg, 
man könne ſich nicht anderft ald im Wirtbshauſe belus 
ſtigen? Lannſt du im Wirthshauſe mehr als fatt eſſen? 
Kannſt du mehr als froh ſeyn? — Dieß alles koͤnnen 
meine Kinder bey Hauſe. Mit mir finden fie das Ver⸗ 
gnügen bey der Arbeit. Niemals wird fie dep Arbeit 
reuen; ; wol aber Die deinigen, daß fie im Schenkhauſe 
Geld und Zeit verlieren und, anſtatt ſich zu erholen, 
yur deſto weniger zur Arbeit bereit find. 


Auf folgende Weife ermuntert er durch gi «br⸗ 





1 


Jacob Gujer, genannt NRlemogt 277 


Begierde die Kinder zum Fleiſſe. Die jüngfle, ſo lang 
fie zur Seldarbeit untüchtig find, genieffen ihr Mittagefs 
fen auf dem Boden; fo hald fie den andern auf dem 
Felde Hülfe leiſten, figen fe mit den andern zu Tifche: 
Uebrigend huͤtet er fich gewiſſenhaft, nicht den geringften 
Unterſchied unter den Kindern zu machen; er liebt ſie 
alle gleich, die Kinder des Bruders wie ſeine eigene; 
auch wird er gleicher MWeife von allen geliebt und geeh⸗ 
tet. Sein Beyfall iſt ihre einzige Belohnung. Er vers 
abſcheuͤts, leckerhaftere Speifen zur Belohnung zu ma⸗ 
chen; daher Haben die Kinder keine Leidenfchaft für 
befondre Speiſen; derfelben bedienen fie fich nicht an⸗ 
derft als zur Stiltung des Hüngerd; eben darım kann 
er ohne Gefahr alle Vorrathskammern und Schraͤnke 
beftändig offen laſſen; auch der Geldſchrank iſt offen ; 
da das ganze Vermögen allen gemein ift, fo weicht’ er 
den Schein eines befondern Vortheils forgfältig aus 
und Dadurch wird die Geldbegierde aus dem Haufe 
verbannet. Das Geld ift ein Mittek zur Befriedigung 
der Bedürfniffe ; dieſe find auf die nothwendigen einges 
ſchraͤnkt und ohne Mühe werden fie geftillet ; daher 
nicht Die geringfte Verſuchung zur Habſucht. Nach 
Kleinjoggs Ideal follten alle ſeine Kinder und Kindes⸗ 
finder immer in patriarchaliſcher Familie vereinigt blei⸗ 
ben. Alte, fügt er; werden von Jugend auf der Arbeit 
gewohnt und durch Arbeit glüͤcklich ſeyn; alle werden- 
Kleidung und Speife genug haben. Durch Entfernung‘ 
son fchlimmer Gefellfihaft bleiben fie von jeder unmäß 
figen Begierde entfernt ; bey völliger Gleichheit wird 
jede Zweytracht, Webermächt und Mntermingteil wer⸗ 
den gleicher maffen vermieden. 


eo 
‚ 





er Jacob Stier, genannt Rleinogg 


Sein Bruder wurde zum Schulmeiſter erwaͤblt. Nun 
brac ex, wird ſich unſer Einſtuß vermehren; ungemein 
werden wir durch neues n die Kraft unſers Beyſpiels 
und unſrer Vorſtellungen cken; nunmehr fangen wir 
bey den Kindern an, das Boͤſe auszuwurzeln und das 
Gute zu pflanzen. Sogleich verbot er den Singſchuͤlern 







das naͤchtliche Schwaͤrmen; durch Unerbittlichkeit ge 


Tanga ihm, daſſelbe auſſer Hebung zu bringen; durch 
‚gleiche Unerbittlichkeit fchafte ee auch jene St. Niclaus⸗ 
und Kaflnachtöfpiele ganz ab. Um den Schulordnun⸗ 
gen mehr Nachdruck zu geben, verwarf er alle, noch fü 
gewohnten Geſchenke. Man reicht den Aufſehern Ge⸗ 
ſchenke, ſagte er, und wenn fie nach ſolchen greifen, . 
werben ihnen Hand und Zunge gelaͤhmet. 


Er fottet der verſtellten Frömmigkeit, die bey jeden 
Gewinnſt immer mit Gottes Segen prahlt. Dieß Gott 


Lob, fagt er, ift ein hungriger Wunſch nach groͤſſern 


Vortbeil ; Dad wahre Gott Lob ift bie Zufriedenheit. 
mit demjenigen, was man mil Fleiß und Arbeit gewinnt. 


In dem Bewußtſeyn der Ausübung der Büichten finde 
er die wahre, menſchliche Blüdfeligkeit; in den natuͤr⸗ 
lichen Folgen unſers Betragens entdedt. er die. Beloh⸗ 
nungen und Strafen eines gerechten Gottes; niemals 
Kat man ihn traurig oder mutlos geſehen, auch in Krank⸗ 
heiten felbft nicht. Aus dem roͤthlichſten Gefichte lacht 
fein feuͤriges, feeündliched Auge und durch die fchöne 
Deine ſchimmert die Schönheit dee Seele. *) Er ifl 








„CD, Fin SÜD and feinen Eherarter in Ladeters Ponfiognge 





Jacob Buier., genannt Kleinjogen ar⸗ 
ſehr menſchenfreundlich und theilnehmend; obgleich dee 
Yrbeit eifrigſt ergeben, verläßt er ſie gerne; wenn er ge 
‚gen jemand gefällig ſeyn kann. So ſehr er alle Menſchen 
Viebt, fo richtet ſich doch feine- Liebe. nach‘ dem Grabe 
des Eifers für Recht und Warheit; ſchnell und ſcharf 
'ift fein Beobachtungsgeift; auch beym erfien Beſuch if 
‚fein Umgang zwanglos und mit geiſtreichen — 
beſeelet; um fo viel mehr muͤſſen dieſe entzüchen , da 
fie niemals entlehnt, fondern in feinem: eigenen Kopfe 


erzeugt find. Wenn er eine gute, neue Bemerkung ge⸗ 
“macht hat, fo ift er ungebultig, bis «8 ihm gelingt, ſie 


auch andern mitzutheiln. Dee Beyfall der größten 


"Männer macht ihn nicht flolg; er bleibt, was er ift; 
ſehr rein und ſimpel find feine religiofe Begriffe; ſchwaͤr⸗ 


merifchen Wahnwiz (wie wir. ‚anfangs bemerkten, und 


aberglauͤbiſche Aengſtlichkeit hatte er durch thaͤtiges ko 
‚ ben 'befieget; — ich nahm mir vor, forach er⸗ keinen 


Augenblik muͤſſig zu gehn und gegen jedermann mich ſo 
zu betragen, wie ich wuͤnſchte, daß man es gegen mich 
thun moͤchte. — Dadurch ward mir vor einen Tage 
zu dem andern die Bruſt erleichtert und wenn ich in 


"Den Ruheſtunden zu der heiligen Bibel zuruͤck kam, ſo 
fand ich alles deutlich und klar, da mir vorher alles 


dunkel geweſen; da empfand ich, daß Beten und Leſen 


ſrauchtlos bleiben, bis man feine Prichten erfuͤlt. Bee 


ſonders bezauberte ihn die Geſchichte jener Erzvaͤter und 


die Beſchreibung ihrer zablreichen, ungetheilten Fami⸗ 
lien; Jeſus Chriſtus, pegte er zu ſagen, bat ung die 


beſten Lehren, das beſte Beyſpiel gegeben; alles hat er 
gethan und gelidten; nunmehr koͤmmts darauf an, daß 


wir auch das unſrige thun. — Eben war ich bey ihm, 


als ſein Weib ſtarb; dieſer Gelegenheit bediente ich 


J 


J 


230 Jacob Gujer, genamnt Aleinjogg 
mich zur Hervorlockung feiner Begriffe über Die Zukunft; 


ohne mein Zuthun, ſprach er, kam ich auf dieſe Welt: 


ohne mein Zuthun geb ich einſt in eine andre hinuͤber; 
fo wie Gott bisher für mich geforgt bat, fo wird er 
auch kuͤnftig fire mich forgen. Wenig kuͤmmerts mich, 
‚wie eigentlich mein Schickſal in der: Ewigkeit befchaffen 
ſeyn werde; Genug, daß wenn wir gut leben, es gewiß 
gkuͤcklich ſeyn wird! Mitkindlicher Ergebung überlagich 
mich der göttlichen Leitung. Wuͤrklich ift fein veligiofed 
Vertraun fo lebhaft, daß ihn auch der Tod, auch der Vers 
luſt der Gehiebten nicht aus dem Gleichgewichte heraus 
hebt. 


Zur Ermunterung für andre wurden die Verdienſte 
dieſes würdigen Landsmanns von der Regierung bes 
kroͤnt, indem ihn dieſe mit einem weitlaufigen Meyer ˖ 
bofe belehnte. — Mach dem Hinſcheide feiner Ehegenoſ⸗ 
fin hatte er fich zum zweyten male verheyrathet; noch 
jebt er bey heranruͤckendem Alter thätig und munter im 
Schoſſe einer zahlreichen Nachkommenſchaft. 


Cem urn 








Meisier Kambli. ©) 





rroſſe Staatsmaͤnner hatte vormals biefes Geſchlecht 
XI dem zürcherfchen Kanton, geliefert. Daß man auch 
in, den untern Ständen und Claffen der Menſchen groß" 
feon koͤnne, mag unferd Kamblis Beyſpiel beweifen. 
Zur Ermunterung junger . Künftler und - Handwerter 
wünfchten wir umftändlichere Nachrichten zu liefern: 
alles indeß , was wie in Erfahrung gebracht Babe 
ſchraͤnkt fich ein auf folgende Anzeigen: 


Kambli wurde in Zürich den- 16. Penner 1718. in 
ren. Seine eltern waren Heinrich Kambli, der Schloͤſ⸗ 
fer, und Anna Schärer von Schafhaufen. Schon im 
dreyzehnten Jahre ward er zum Schreinerhandwerke ge 
zogen. Speißegger, fi fein Lehrmeiſter in Schafhauſen, 
uͤbte ihn zugleich in der Bildhauerkunſt; nach vollen⸗ 
derer Lehrzeit lernte er bey dem Goldſchmied Schalch 
Die Kunft zu vergülden.- Er zeigte ungemeined Genie in 
Verzirungen für Zimmer, Schrände, Ubrengehaufe u. 
f w. — Von Schafhaufen begab er fih nach Berlin; 
dafelbft verheurathete er fih den 16. Nov. mit. Maria 
— Kruͤſow zu Groß Schönheit, nad) ihrem Abe 








(*) &. Füclins allg. Kuͤnfſtler⸗ Lexicon / wie auch Oeſterreichs 
Beſchreibung der Merkwuͤrdigkeiten in den Edligern iu zu San⸗⸗ 
Souci, Potsdam und Charlottenburg. 


2 meihior RambLi. 

fierben verheuratbete er fich wieder und bat Soͤhne ang 
verfchiebenen Ehen. Seither hielt er fich zu Potsdam 
auf, wo er fi ein groffes Haus nach feinem Angeben 
bauen ließ. Wegen aufferordentlicher Geſchicklichkeit 
ward er in koͤnigliche Dienſte genommen; alles, was 
von Bildſchnitzer, Goldfchmied » und Schreiner » Arbeit 
für den Hof gemacht ‚werben. ſollte mußte durch ſeine 
Hand gehen und nach ſeinen Zeichnungen verfertigt 
werden. Beſonders geſchickt war er, die florentinifche 
- Arbeit vom eingelesten Steinen in der größten Vollkom— 
menheit nachzuahmen. Unter: feinen Werken wurden 
pornemmlich die im J. 1762. für: den tuͤrkiſchen Hof 
verfertigte Gefchente von maffio sfilbernen. Spiegelrah⸗ 
‚men, Uhrgebäufern , Tifchen u. ſ. w. bewundert. Hauͤ⸗ 
fig find auch die Schlöffer zu Sand» Souci , zu Pots⸗ 
dam und Charlottenburg mit feinen Kunftarbeiten ges 
gieret. Hier das Verzeichnis einiger der vornehmſten, 

ſo wie ſie Matth. Oeſterreich beſchreibt: 


In dem Grotten⸗ Saal, der mit Muſcheln, Minera⸗ 
fin und weiſſem Marmor bekleidt iſt, iſt der Fußbo⸗ 
den ganz die Arbeit Kamblis und Muͤllers; dieſer Fußs 
boden if mit verfchiedenen Sorten Marmor beleget. 


In dieſem Saale befinden fich auch noch zwey achtedis 


ge Tiſche; einer. derfelben ift in Amfterdam, der andre 
aber durch Melchior Kambli in Potsdam verfertigt wor⸗ 
den; den erfieen ahmte Kambli fo gut nach, daß man 
- zwifchen beyden nicht den geringften Unterfcheid findet. 
Der Grund diefer Tiſche ift ein ſchwarzer Stein; das 
Gehänge von Blumen ift mit Perimutter IR ‚ 
leicht gezeichnet und ‚gut vertheilt. 


In dem Simmer, welches auf die Dacmorgaleie | 


\ 





— 
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— m mn — —— — — — -- 


einige % 


melchtor Ranabli. 283 
folgt, befindt fich von unferm Kuͤnſtler eine ſehr ſchoͤne 


Commode. Der Tiſch derſelben iſt mit Lopis Lezuli in- 


cruſtirt und mit Blumen von vielfarbigtem Golde ge⸗ 
ziert. Die Commode iſt von Schildkroͤtenarbeit, ſehr 
reich und mit vielem Geſchmacke in der Zeichnung, mit 


Bronzearbeit, im Feuer vergüldet. — Auch in dem gleich 


darauf folgenden‘ Zimmer befindt fi} von Kambli cin 
ſehr fchöner Tiſch, im Geſchmack der ſlorentiniſchen 


In dem Cabinete bey dem Schlafzimmer des Koͤnigs iſt 


ebenfalls von Kambli das Camin, wie auch ein Schrank 


von Schildkroͤte, reich mit Silber geziert. — Von ihm 


beſindt ſich in dem Speifefaal eine mit Schildkroͤte und 
vergoldeter Bronze incruftirte Commode; der Tiſch dere 


felben ift von mofaifcher Arbeit , im Geſchmacke der fin 


rentiniſchen Tiſche. 


In dem Schlafzimmer beſindt Ach ein prächtiger 
Schrant, in Moſaique, von Florenz, alles iſt von Edels 
gefteinen und ovientalifchen Agathen gearbeitet. Der 
Fuß, auf dem derfelbe ruht, if von Schildkröte und 
reichlich, fo wie auch der Schrank felbft, mit vergoͤldeter 
Bronze geziert. Alles if zu Potsdam durch Kambli 
verfertiget worden. 


Auf der zweyten Etage ift in dem ‚groffen Marmors 
faal der Fußboden ebenfalls von unferm Kuͤnſtler a 
von dem Bildhauer Müller gearbeitet. 


In der Bildergallerie. zu Sans - Souci befinden ich 


- von Kambli zween Tifche von verfchiedenen Agathen ;- 


auch find ‚von ihm die vier Tiſchgeſtelle, en denen ſich 
ice befinden. I 


284 meıdior KRambli 


Mehrere feiner Arbeiten übergeben wir. — Noch fo 
unvolftändig, fo laffen wir gleichwol diefe Nachrichten 
nicht weg; immer können fie Den jungen Bürger be: 
Ichren, daß er nicht weniger in der Werkftätte als im’ 
dem Mufenm , in ber Curia oder auf dem Schlacht: 
felde den Krantz der Ehre zu erwerben im Stand if 


N 


> 





Verieichniß von Jacob Bodmers Schriften. | 
(zu Seite 93.) > 


me hat viel gefchrieben in’ Proſe und in Verſen. 
Er enthielt ſich nicht zu ſchreiben, ſo lang er etwas 
was ihn wichtig genug duͤnkte, zu ſagen hatte. Er wiß⸗ 
te, daß Natur und Beift diefem Menſchen nur went: 
ge Jahre Hold wären, den andern , der fich mit ihnen 
vertraut gemacht hätte, nimmer verliefen, und daf bie 
Bebanten, die in der Seele liegen, an feine Schäfers 
ſtunde gebunden wären. Wie viele Fünglinge, die fruͤhe 
den Nahmen der Genien erhielten, fehrieben Fragmente 
von mehr nicht als zehn big zwanzig Yogen, und es 
war zwanzig Bogen Geſchmier. In ſeinem langen Le⸗ 
ben durfte er taͤglich nur drey Zeilen ſchreiben und ſeine 
Schriften mußten ſich hauͤfen. 


Er began beym Eingang des dritten Zehntheils ded 


Jaahrhundert mit dem. Mahler der Sitten, der fehr 


local fich auf das Coſtuͤme feiner Mitbürger einfchräufte, 
Breitinger arbeitete. mit ihm gemmeinichaftlich Daran. Die 
Herausgabe von 1746. bat viel Vorzüge por. der erſtern; 
dieſes Werd enthielt wegen vieler eingetragenen Kritiken 
uͤber die Dichter der Nation Aufſehn, und dieſes gab 
Anlaß zu der Anklagung des verderbten Geſchmackes 
die beſonders gegen den Hamburgiſchen Patrioten und 
die Halliſchen Tadlerinnen gerichtet ifl. 


Er batte fich vorgenommen ‚mit Breitinger die Ver⸗ 
dienſte der deutſchen Dichter ex profeflo zu, unterſuchen 


286 Verzeichniß von Bodmers Schriften. 


inmn dieſer Abſicht ſpuͤrten fie den Quellen des Ergdens 
das ſchoͤne Schriften verfchaffen, mit pſychologiſcher Ges 


nauigkeit nach. - Sein Fremd dachte fich einen Plan, 


nach weichem er alle Theile der Beredſamkeit ſcientiſiſch 
darſtellen wollte. Wuͤrklich ſtellte er den erfien Theil 
: davon an dag Licht, dem er die Auffchrift gab, von 


dem sEinfluffe und Gebrauche der sPinbildungs- 


kraft zur Verbefferung des Geſchmackes 1927. 
- Arbeiten von anderer Natur flelleten dieſes Vornehmen 
auf viele Jahre hinaus. Mur befchäftigte ich Bodmer 


in eroberten. Stunden mit überfeen des verlohrnen 


Paradieſes und mit Beforgung der helvetifchen Bib⸗ 
liotek und der Beyträge zur Laufers Befchichte 


der. Schweizer. Das Paradies ward in den folgenden 
Fahren verfchiedene male gedruckt , und jedesmal mit 
Verbefferungen. In den beiden andern Werken find bey 


hiſtoriſchen Unterfuchungen Anekdoten aus Urkunden von 


bobem Alter. Unter diefen nimmt fih der Richtebrief 


der Stadt Zürich aus der aus einer Membrana vom 
dreyzehnten Jahrhundert genommen iſt; und Bodmern 


Die .erfte Liebe zu der Sprache der Minnefinger einpfians 


zete. In dieſen Zeitpunkt von 1730—1740. fallen auch 
ſeine Charackter der deutſchen Bedichte und feine 


Elegien, desgleichen der Briefwechfel von der Na⸗ 
tur des Geſchmackes, dem Erhabenen in Crauer⸗ 
ſpielen und der poetifchen Gerechtigkeit mit dem 


 dtaliänifchen Comse.dei Conti di Calepino, deſſen Para. 
zone della Prefia tragica d’Isalia con quela di Fran. 
ceia Bodmer 1732. herausgegeben hat. 


Gegen Ausgang des vierten Jahrteils dieſes Jahrbun⸗ 
derts führten beide Freunde die lange unterbrochene Kri⸗ 


*— 


1 
Derseichniß von Bodmers Schriften. 285 
ir mit dem Eifer wieder fort ‚, den man für eine Lieb⸗ 


lingsarbeit hat. Breitinger fchrieb mit — — 
die kritiſche Dichtkunſt und über-die Geheimniſſe. 


mer uͤber die poetiſche Gemaͤhlde und uͤber das — 


ſcheinliche. Dieſe Werke erſchienen zu Anfange des 
fünften Zehnteils — Gottſched hatte indeſſen der Kritik 
und des Geſchmacks ſich bemaͤchtiget, und ward fuͤr den 
Geſetzgeber und erſten Richter in dieſem Fache anerkannt. 


— Die Schriften der Zürcher machten die beſten Köpfe 


von feinen Zöglingen von ihm abfällig. Er hatte den 
Geſchmack der Nation für ſich und ſchuͤtzte fich mit der 
Anzahl und den allgemeinen Borurtheilen. Die Zürcher 


ſetzten ihr Unternehmen fort mit den Sammlungen Eritie 


ſcher, poetiſcher und anderer geiftveicher „Schriften. In 
diefen ift des Conte di Calepino Apologia ‘del Edippo di 
Sofocle contra le Cenfure di Voltaire in der Sprache 


des Verfafferd eingetragen. Bon Bodmer erfchienen kri⸗ 


tifche Briefe, unter welchen der fonderbarfte von einer 
Art Fabeln handelt, wo die Thiere einander Fabeln aus 


dem Reiche der Menfchen erzählen, da fonft die Mens 
ſchen ihre Fabeln in dem Reiche der Thiere nehmen. 


- 


In der Nation war kein guter Kopf der den Wink aufs: 
gefaffet, und Fabeln von dieſer neuen Erfindung gefchrie 
ben hätte. Ferners gab er und den Pygmalion, deſſen 
Elife nichtd von den galanten Kuͤnſten, und deſto mehr 
von-dem ungefünftelten Gefühl des Mädchens bat. Den 
geplagten Degaflıs, der eine Allegorie von dem Elend 
it, welches Hofmannswaldan, Lohenſtein, Poſtel, Neu⸗ 
kirch in die Poeſie gebracht haben; - Popens Duncias, 
welcher nur mangelte, daß nicht für jeden englifchen Iiar 

en des Dunfen ein groffer deutfcher Nahme geſetzt ifl- 

Br find dig ſehr Gedulduͤbenden Ledarten und 


cðs Derseihnii von Bodmers Schriften. 


fitterarifthen Anmerkungen bey Opitzens Gebichte, fuͤr 
welche die Deutſchen keinen Sinn gehabt haben, die phi⸗ 
lofophifchen Erklärungen in dem altfräntifchen Robgefang 
auf den Biſchof Anno, foliten dad Aufſehn auf fich ges 
jogen baden; Bodmer hat zu dieſem Vornehmen das 
wenigfte gethan. Es blieb bey dem erften Theile und das 
Pamphlet der mißhandelte Opitz, das Breitingers iſt, 
feste den Boeten nicht in Das Anfehn wieder ein , wel⸗ 
ches ihm bier die Hacken und die Pietſchen raubeten., 
Itzt gab Bodmer einen Band neuer Eritifcher Briefe 
voller einheimifcher und fremder Litteratur mit 
den verfchiedenften poetifchen Anekdoten untermifcht, ") 
alles von 17401750. 


In den letzten Jahren des Fuͤnftheils erfand Nwvllde 
den Hexameter und begann in der neuen Versart die 
Meſſiade. Von Bodmer halten wir etwas weniges im 
Reimen oder reimfreyen Jamben, er erkannte bald die 
Vorzuͤge des Hexameters, der der Periode Raum macht, 
ſein poetiſcher Geiſt ſah ſich darinn au large geſetzt, und 
er ſchrieb die Noachide, die er lange in der Bruſt ber 
fchloffen Hatte. Er fehrieb fie in dein Verſe, den Klop⸗ 
ſtock noch nicht mit der Zeile bearbeitet hatte, welche die 
Griechen nicht gebraucht haben , fich felbft Ketten iu 
— 


REN. Gradi guibus el nibil negtum 4 
Et queis ayss dyis lice ſonare. 


In den erſten Jahren der andern Helſte des Aue 
hunderis kam die Noachide auf die Meſſe, ihr folgten in 
dieſem en bie —— weiche mit der Ben 

| gung 


» 


ls 


23 B . 


Verʒeichniß von Bodmers Schriften. 489 
foung . des menfchlichen. Geſchlechts endet. In dee 
oachide find Feine Sünden , welche die Nachwelt nicht 
begangen habe, den Untergang wie die erfte Welt zu 
perdienen; in dem andern Gedichte find es die gewoͤhn⸗ 
lichen und auffallenden. Jacob, Rahel, Jacobs 
Wiederkunft, Dina ; patriarchaliſcher Stoff; in 
diefen Gedichten wird Einfalt und bildliche Vorftellung , 


‚der Character der Zeiten und der Morgenlander verei⸗ 


Yigt. Schon in der Kindheit waren Bodmern Zefend 
Aſenath, Anton Ulrichs von Yraunfchtweig Schäferfpiel 
von Jacob in der firifchen Aramena und Breffande Das 
vid' in der roͤmiſchen Octavia in die Hände gefällen, 

und vieleicht daß unter andern auch diefe Yücher ihn 
wuf biblifche Stoffe der Epopae geführt hatten Die 
Zilla die ganz Erdichtung iſt, die Verführung der Mens 
ſchen eines andern Planeten, wird Durch einen befondern 
eg bewirkt, das Weib allein fällt, der Dann bleibt 
dem Gebot gehorſam, und Gott erfchaft ihm eine an. 
dre Eva. Die Colombana; bier werden die Spannier 


. mit der ächten Menfchlichkeit vorgeftellt, und das neu⸗ 


gefundene Gefchlecht der Menfchen empfängt fie mit der 
imenfchlichften Unfchuld. Sol ich fagen, daß die deute 
ſchen vor dem Walde die Baͤume nicht geſehn, oder 
daß es dieſe ernſthafte Nation verdroſſen, in der Poeſie 
Frömmigkeit und Tugend zu ſehn, im weicher fie mehr 
hicht ald Schönes ohne Gutes, Angenehmes ohne Wah⸗ 
ten ſuchten. Wir befamen Auch die geraubte Heles 
na, die geraubte sEuropä, den Patcifal, Gamu⸗ 
vet, Cignus, die Töchter des Paradieſes; die 
Rache der Schweſter, Intel, Monima, den 
Eremit, es find Weberfegungen die Rache iſt mit ber 
41. Theil, T 


290 Verzeichniß von Bodmers Schriften: 


Freybeit bearbeitet, welche der Urkunde nur etwas weni, 
ges nimmt, dem Plan mehr Einheit gu geben, und die 
Gefchichte nicht zus übertreiben. In diefer Zeit entfielen 
Bodmern zwey Kritifche Werkchen Edward Brandke 
fons Geſchichte in Goerlig und der verbefjerte Herr- 
mann. Sie enthalten Hiebe auf Gottſched und ſei⸗ 
nen Schoͤnaich. 


Leſſing hatte den Thieren ſinnreiche Sprüche zu ſpre⸗ 
chen gegeben, ohne Handlung, ohne die Züge ihres Chas 
racters, ohne die Verhaͤltniſſe mit ihren Kraͤften, und 
ſie in den unpſychologiſchen Trugſaͤtzen neben die aͤſopi⸗ 
ſche Fabeln geſetzet; Breitinger ſetzete die aͤſopiſche Theorie 
von den Fabeln in ihr wahres Licht und Bodmer ſchrieb ein 
Baͤndchen Leſſingiſche unaͤſopiſche Fabeln. 


Der Siebentheil des Jahrhunderts begann, in den erſten 


Jahren deſſelben betrat Bodmer eine neue Laufbahn, Wie⸗ 


land hatte den Triumph der Religion geſchrieben, die drey 
griechiſchen Tragiker die Electra; Sophocles, Lee, Voltai⸗ 


reſden Oedipus, Lazarini der jüngere, Ulyſſes; er ſchrieb 


die Johanna Gray, die gerechte Uebelthat und Ulyſſes 
Telemachs Sohn. Er bearbeitete den bearbeiteten Stoff, 
wie wenn ers nicht gervefen wäre; er wußte; Daß ein 
bagaster und eine Gefchichte durch die verfchiedeniten 
aänges und Kleine Umſtaͤnde zu dem nemlichen Aus—⸗ 
Adna” Könnten gebracht werden. Er fügte dieſen Trauer, 









keiten Friedrich von Toggenburg bey, der wie diefelben 


nach dem Gepräge der griechifchen gemodelt iſt. Sein 
Beruf brachte ihn in die Bekanntfchaft mit den 9 röften 
Männern, welche Die Staaten der Schweiz in den ſchwer⸗ 
ſten Gefahren entweder gerettet oder hinein geſtuͤrtzt ha⸗ 
ben. Da er dieſen der jenen Canton beleidiget ba“ = 








Verzeichniß von Bodmers Schriften. 29: 


wenn er Handlungen, Gefchäfte und Leidenfchaften, obs 
gleich. mit der einfältigften Aufrichtigkeit in feiner eig⸗ 
nen Perfon in einem fort würde erzählt haben, kam 
ihm in den Sinn, daß er in den Dramatifchen Form 
fchreiben wolle, in welcher die Perſonen von jeder Wars 
they auftreten und jede die Sache nach dem Geſichts⸗ 
puncte, in dem fie ihr vorkaͤme, vorfellen könnte. Das 
ber entftanden frühe die drey Dramen, Bruno, Schö> 


no und Stüffi, die er doch im’ Bulte behielt. Aber 


ist erwählte er zu Protagoniſten aus der griechifchen, 
der roͤmiſchen und der deutfchen Geſchichtskunde die Rets 


ter und die Unterdrucker der Staaten, Julius Läfar, 


Cicero; Marcus Brutus, Tarquinius Super: 
bus; talus, Timoleon, Pelopidas, den vier 
ten Rayfer Heinrich, Cato den ältern; Octavius, 
Vedo, Trafea Paetus; die Tegeaten, die Bet, 
tung in den Mauern von Holz, Ariftomenes 
Sein Politimet, Atreus, der Zungerthurn, der 
neue Romeo find nicht fchimpfreiche Verkleidungen 
in Yarodien, es find ernfihafte Kriticen in. Beyſpielen. 
Er unterbrach die dramatiſchen Arbeiten mit epiſchen, 
mit Conradin von Schwaben, Hedwig von Glei⸗ 
chen , Hildebold, Maria von Braband, Wilhelm 


von Branfe. In diefen athmet die provenzalifche Mu⸗ 


fe. Bon Wilhelm ift dee Stof Efchilbache, die Ausar⸗ 
beitung ift eine von Efchilbachd verfchiedene. Des Eus 
ripides find Kreufa und Evadne, Telemach ift Homers. 
Diefe Gedichte fielen in das achte Theil des Jahrhun, 
dertö, der Verfaſſer hatte it fiebzig und mehr Winter 
uf den Schultern, und dieſes verboth ung die Gedichte 
von der Länge und der urfprünglichen Stärde zu erwars 
ten, die num folgten, Zomers Jlias und Odyſſee. 


———— —— — —— — — —— 


_ 


392 Verzeichniß von Bodmers Schriften. 


In diefer Arbeit mußt er fich in des Mäoniden Ger 
umd Zeiten binein dencken; er mechfelte fie mit Dramas 
tiſchen Stuͤcken ab, in welcher er nöthig hatte, ſich in 
die verfchiedenften Denkarten zu verſetzen; in Cajus 
Gradus ; Zarls von Hurgund ; der Cheruss 
ten, der Datroflus ; Arnolds pon Brescia; 
Zriedrich des Rothbärtigen. Sein Wilhelm Tell, 
Geßlers Tod, Heinrich von Melchthal find vater 
Yändifche Stüde. In den Thorbeiten des weifen Königä 
bat Salomo Menschlichkeit, und verläugnet den Sohn 
Davids nicht ganz. Dem Tod des erften Menſchen 
nimmt alle Bitterkeit die groffe Verbeiffung von dem 
Weibesiamen. Der Vater der Gläubigen opfert feinen 
Sohn mit der Beruhigung eines Vaters, der den Sohn 
dem Urſprung alles Lebens uͤbergiebt. 


Wem es zuviel gefagt duͤnkt, daß das graue Haupt 
von achtzig Jahren den Argonauten in der Ueberſetzung 
des Apollonius Licht und Leben mitgetheilt habe, der 
wird doch eingeſtehn, daß Apollonius erquickende Stra⸗ 
len von Licht und Leben in den welken Koͤrper des Ver⸗ 
faſſers geworfen habe, Itzt ſchien fein Leben allein noch 
von der geiſtigen Nahrung in dem Koͤrper aufgehalten, 
welche ihm von den Muſen dargebothen wurde. Da⸗ 
ber die litterariſche Denkmale, die Pamphlete, Die 
Apollinaria, die Balladen. Wer ein Gefühl für 
die menfchliche , Eunftlofe , ungebildete , ungelernte Nas 
fur hat, wird fich mundern ,. daß Bodmer feinen Geiſt 
auch in Diefen Balladen genährt hat, Mit dem Levit 
von Ephraim hat Rouffeau ihn wieder in die patriarchis 
ſche Tage verſetzt, in Menelaus bey David ift er wieder 
in bie Arme Homers, feines alten Vertrauten gefallen ; 








L 


Verseichnig Don Bodmers Schriften. 297 

In Brutus Tod bat er fich noch-einmal das Vergnügen 
gemacht , die Timophanes, die Archiad, die Caͤſars/ 
. die Hark Anton Lau brandmatfen. (*) Man ſieht wie ent 
fernt er war, dem Brutus übertriebenen Platonifme ; 
oder den unglücklichen Ausgang der Waffen , Die er für 
Die Republik ergriff, zur Schuld gu machen. Gleimen, 
deſſen Liebe er ſchon vor vierzig Fahren genoffen hatte , 

eine Freude nach deffen Herzen zu machen, veriüngte det . 
weite Geift fich in der jugendlichen , ſchuldloſen Froͤlich⸗ 
feit des Lemene, und fehrieb Jacob am Brunnen, 
der immer der patriarchifche Schaͤferſohn Iſaaks, der 
Rahel Gatte aus Neigung, der Lin aus Dicht iſ. 


Ich habe der Grundfäge der deutfchen Sprache nicht 
gedacht, die fehr brauchbare Winke für die Gramatick 
haben. Sol ic) auch der Erziehungswerkchen Rechnung 

- tragen, die er zum Theil auf hoͤhern Befehl gefchrieben 
| bat, der gefühlonlien fchweizerfchen sErzählungenz 
der Unterredungen von der Beichichte der Stadt 
Zurich ;.der Befchichte der Stadt Zurich; ber fltt« 
lichen und gefühlreichen Erzählungen. Nichts ſchwe⸗ 
| rer iſt, als die Kinder in Die Zeiten zu verfegen und 
au den Perſonen herbey zu führen , welche von ihrem 
beginnenden Leben, ihrer kleinen Sphaͤre, ihrer Leerheit 
von Erfahrungen ſo ſehr weit entfernt find, denn ohne 
dag man ihr fremdes Her; mit Gefchichten und Sachen 
einnehme, und daran beffte , iſt aller Unterricht in ih⸗ 
rem jungen Kopfe Geplauder. Der Erzieher muß von 
diefen Werkchen eimen ſehr pfnchologifchen Gebrauch zu 











(*) L’Hiftoire doit une flötriffure partieuliere à ces granda 
ennemis de la patrie qui la dechirent du haut de leur trone. 


294 Verseichniß von Bodmers Schriften. 


“machen wiffen, wenn die Knaben mehr als Töne dar⸗ 
aus vernehmen follen. Nicht unbelannt iſt, was Bod⸗ 
mer mit Breitinger für die allſchwaͤbiſche Litteratur ges 
tban bat. Proben der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie. 
1748. Sabeln aus den Zeiten der Minneſinger. 
1757. Chriembilden Rache und die Klage. 1757. 
Sammlung von den Diinnefingern aus dem maneflifchen 
Code. 1758. Alles aus gleichzeitigen Membranen. Bey 
den Fabeln, der Rache , und den Broben find Gloffare , 
Bodmer bat lange gewünfcht daß jemand ex profeſſo ein 
eremplarifches Gloſſar der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie vers 
fertigte. Er verfichet Dadurch eine Arbeit von der Natur 
wie Breitingerd Gloffen zu dem Lobgedicht aufden Bis 
fchof Anno find. Die Erempel aus mehrern Gedichten 
von Wörtern; die verlohren find, von andern, bie ihre 
Bedeutung geändert haben, von Redensarten, die bild» 
Jich find, andere die Anomalien. find, müßten diefem 
Werke feinen befien Werth und das benöthigte Anſehn 
mittheilen. Diefes wird fich vollziehen laſſen, wenn der 
Profeſſor Muͤller in Berlin die Niebelungen , . Gamuret 
und Parcifal, Amur und andere altfchwäbifche epifche 
Geichte, die Bodmer ihm mittheilt an das Licht ge 
fteilt Haben wird. 


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