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Ut.'VO
Jeffbtfl's
religio ficr fnlttiidilttttgBgcttg.
©in
Beitrag pr ©efii^t^te bt9 ^^ntobemen ®ekn!ett9^^
»Ort .
JtteMiibet ^gtanitigatiiiei:^ 8. J.
^ i 1 : „Semper disoentes , et nanquam ad seien-
tiam veritatis pervenientes.*' 2. Tim. 8, 7.
„(S8 fann lool^l fein, ba$ mein ^latl^an im
©an^en wenig SBitfung t^un mürbe, menn er
auf baft S;^eater tftme, metd^ed mol^l nie ge?
fd^el^en »irb. ®enug, menn er fidj mit Sntcreffe
nur tiefet, unb unter taufenb Sefcrn
nur einer barau8anber(St)iben3unb
^llgemeinl^eit feiner 9teligion ^meis
fein lernt/
(Äeffing an f. »ruber Äorl. 18. «pril 1779.)
((Bx^änmüW^t )tt btn .^Stimmen anl maüa Saa^'^ — n.)
»♦»
iteihtirg im I&wt0gira.
§erber'fd^e SBerlagSl^anblung.
1877.
Zweigniederlassungen in Strassborg, Münehen und St. Louis, Mo.
3)aS SÄcd^t bcr Uebcrfc^ung in frcmbc ©prad^cn wirb Dorbcl^aftcn.
9^d^btU(fevei bet ^etbet^fd^en S^erlagSl^anblung in gteiBuTg.
3 n M f i
Einleitung
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®eite
. . . . . . 1
1. Ortl^obojc lut^crifd^c Sugcnbcrjicl^ung 3
2. griil^e ^luffiatung. SlBfatt tjom eltctlid^cn ©laubcn . . . . 13
3. gotmultrung bcr $:oIeranjibce unter QSogle'fd^cm Einfluß, ©rjic Eingriffe
auf ba§ ortl^obojce Sutl^ertl^unt In bcn „Sicttungcn" . . . .25
4. ^BefefHgung ber $:oIeranjtbcc burd^ ble gteunbfd^aft mit SIÄcnbelSfol^n . 35
5. SBcrfud^ einer eigenen SiellglonSpl^llofopl^le auf pantl^eljiifd^er ©runblage,
mit gelBntjlfd^er Slugjlafflrung ........ 41
6. afiellglonSlofeS SJld^ters unb ©elel^rtcnleBen 51
7. SEBlrfung beS SnbtfferentlSmuS auf ble Slteratur. 5Da§ $:i^eater als
33Ubung3fd^uIe ber ajlenfd^lld^fett ........ 69
8. 5Dle rellgiöjen ©egenfäfee In |>amBurg. SDle ©d^ufefd^rlft beS SflelmaruS 67
9. SlBred^nung mit ber fatl^ollfd^en ^rd^e Im „53erengar" ... 76
10. S:rojlIopgfclt ber reinen S^aturrellglon. UeBergang oon ber Slteratur jur
X^cpTogle 83
11. $)a§ ßl^rlflentl^um In ble ©d^ranfcn geforbi&rt 98
12. S)er Äomöblc mit bcn 3;]^eoIogcn erjlcr SCl^clI. SDle gragmente . 105
13. SDer Äomöble mit ben Xl^eologen ^roelter Stl^ell. SDer ©öjeflrdt . . 117
14. SDer ^omöble mit ben Xl^eotogen brltter ^l^elt. ^f^atl^an ber SBelfe . 127
15. 5Dlc (Srglel^ung be§ 3)^enfd^engefd^ted^ts al§ neue§ ©oangellum , . 137
16. ^oIltlf(^er (Sl^arafter beS ntyxix^ @t)angellumS. grelmaurergefpräd^e .. 143
17. «Pantl^elfllfdjer StBfd^Iug. «ßrometl^euS ....... 152
18. 3;raglfd^er Untergang 157
©d^lu^TOort 163
dtnUitttng*
^te @ef(|i(i§te Sefpngä ift Idngft gef(|rieBcn, unb jtDar von SDanjel
unh ©ul^raucr mit nal^eju erfd^öpfenber ©rünblid^fett. Slud^ l^aBen e3
Sfflel^rerc unternommen, auS bem bunten, farbenreid^en ©cmdibe fetner
t)iel[eitigen ®efammtt^tig!eit, bic unrul^tg unb roed^felüoK in bie Siteratur*
gefd^id^te ber bebeutenbften SSöHer unb in bie meiften ©eBiete beä SSBiffenS
fid^ l^ineinoergraeigt , baS 33ilb feineö religioä=t]^eoIogi[d^en SBirfenä ^er^
auSjul^eben unb gefonbert barjufteffen ; fpecieKerer ©d^riften nid^t einmal
gu gebenden, raeld^e fid^ nur mit ber legten ^eriobe feineS SeBenS, bem
befannten T^tagmentenftreit, befd^dftigen. 2lffe biefe ©d&riften inbe^ rül^ren
t)on ^roteftanten l^er unb gum Stl^eil nod^ t)on fel^r liberalen, fo ba^
ber mefentlid^ üerfd^iebene ©tanbpunit, weld^er bie SSeurtl^eilung unb
5)arftelfung bel^errfd^t , bem fatl^olifd^en 8e[er nid^t immer bie ermünfd^te
3[}erld^Iid^!eit ikitt SJon latl^olifd^en ©d^riftftellern l^at griebrid^ von
©d^Iegel fiefpngä ©tellung jum ^roteftantiömug unb gur neueren ^l^iIo=
fopl^ie, Sofep]^ üon (Sid^enborjf baS perfönlid^^tragifd^e 8oog feiner tl^eo*
logifd^en S^rfd^ung nur in einigen §auptumriffen gegeid^net. SDie neueren
fatl^olifd^en ßiteraturl^anbbüd^er gelten meift lurg über feinen religiofen
ß^arafter l^inmeg, um feine fpecififd^ literargefd^id^tlid^e 33ebeutung befto
augfül^rlid^er gu entmidfeln. ^1^. SaicuS l^at jüngft ben Slatl^an be^
fprod^en, bod^ nur bem ^nf)aü naä), ol^nc weiteren 33egug auf bie per?
fonlid^en 2lnfd^auungen unb SSeftrebungen feineä aSerfafferg. @o mag
benn ber aSerfud^ gered^tfertigt erfd^einen, aud^ latl^olifd^erfeitä einmal
aus ben ©d^riften unb fiebenSbefd^reibungen beg großen Äritiferä eine
©figge feineä religiofen ©eifteälebenS gu entwerfen.
Heber bie aSebeutfamleit beg S^ianneS, um ben e§ fld^ l^anbelt, be*
barf eö leiner langen SOBorte. ®vo% atö 5yieugeftalter ber beutfd^en ©prad^e
unb beS beutfd^en ©efd^madfS, al§ ^l^ilolog unb Slltertl^umSforf d^er , alö
Saumgottucr, Scfflng. — j^ö — S
2 etnleltung.
Äriiifcr unb SDramaturg, al3 ©elcl^rter unb J)td^tcr, ftcl^t er, mit bcm
SDiabem bcr ©lafflcitdt gcfd^mütft, an bcn ^roppläcn bcr gcfammtctt
neueren beutfd^en Siteratur unb SSitbung, ber 3^'* ^^^ i>c^ ^^f^ un[erer
neuen Stafftler, vxtUtiä)t aud§ bem (Sinflu^ na(|. „(Sx l^at/' wie |Jr.
©d^Iegel fagt, „ben beutfd^en ^roteftantiSmuä bis ju ©nbe burd^gefül^rt
unb baburd^ gu Jener nod^ obroaltenben Ärip gebrad^t." SBenn (S. 3^tter
bte ^egePfd^e SReligionSpl^ilofopl^ie unb bie Äant^fd^e ©ittenlel^re bei i^m
grunbgelegt ftnbet, wenn nad^ ©eroinug bag gange §umanitdtäd^riften:=
tl^um §erberä auf [einen ©d^ultern ru^t, wenn SDaüib ®trau§ il^n atö
[einen SSorläufcr anfielet, unb SRuge il^n ate „^atriard^en ber beut[d^en
©eifteäfreil^eit" feiert: [o ift l^iermit ein nod^ ml weiter reid^enber, man^
nigfaltigerer unb tiefer greifenber ©influ^ bel^auptet. ©efefet aud§, ba^ man
bie[e Urtl^eile nid^t ol^ne 23e[d^rän!ung gelten laffen wollte; geroifi ift,
ba§ t)iele ber So[ungSn)Orte, bie Seffing [d^on vor einem Si^^^^^nbert in
bie Söelt gefd^Ieubert, nod^ l^eute bie Sofungämorte beg Sageg [inb : ©runb
genug alfo, bem 3Jianne aufmerifame Sead^tung ju fd^enfen, ber, wenn er
nid^t ber ©d^öpfer ber l^eutigen Kultur war, fie bod^ aU ?ßropl^et in fei^
nem ©eifte gefd^aut unb jum aSorauS oerlünbet l^at, unb an ben ein
©ötl^e einft bie SBorte rid^tete:
,,SBomtar§ im ßebcn eierten wir bid^ , wie einen bcr ©ötter ;
D^un bu tobt Bift, fo l^errfd^t über bie ©eifter befn @ctft."
(Xenten.)
110
k
1. ^ttf^ohox tntf^ttxf^e ^ttgenbetrjie^ttng.
©ottl^olb ©p^^atm Seffing tüurbe am 22. Januar 1729 gu Äamenj
in ber Oberlauft^ geboren unb groei 2^age [pdter in ber bortigen lutl^es
rifd^en ^farrürd^c getauft, ©.ein SSater ©ottfrieb l^atte urfprunglid^ im
©inn gel^abt, fid^ aU ^rofeffor in SBittenberg nieberjulaffen , aber in
golge feiner Jpabititationäfd^rift Vindiciae Reformationis Lutheranae
ab nonnuUis novatorum praeiudiciis 1717 erl^ielt er einen 9luf alö
^rebigcr unb Äated^et in feine aSaterftabt, bem er golge leiftete unb
treulid^ big an fein ©nbe (22. 9tug. 1770), alfo brciunbfünfgig Sa^re
lang, entfprad^. @r war ein ortl^oboyer Sutl^eraner ; aber aKem 3^^^^^^=
muö fremb, rooHte er bie roefentlid^en ©laubenölel^ren ftreng DOn ben un-
roefentlid^en unterf d^ieben n)iff en , brang auf jaI;eS g^eftl^alten ber erfteren,
im Uebrigen aber auf 2itit, ^^reube unb ©ebulb aß bie realeren g^rüd^te
beS ©eifteS (©al. 5, 22). ©emgemd^ war er ben feid^ten ^nbifferen?
tiften feiner ^di ebenfo abl^olb, wie ben tl^eologifd^en ^^^uerbrdnben unb
Äampf^al^nen , lobte bagegen ba§ lebenbige ßl^riftentl^um be§ frommen
©pener unb befonberg bie engltfd^en ©otteägeleljrten , roeld^e fid^ nid^t
über perfonlid^e Äleinigfeiten unter einanber l^erumjanlten , fonbern „bie
©rrungenfd^aften ber [Reformation mit mürbiger ©d^utgete^rfamfeit gegen
ben ^apiämuö oertl^eibigten." 3Son ben ©d^riften biefer Se^teren gebadete
er eine ^leil^e ber beften ju überfe^en, unb mad^te mit SiHotfon ben
Slnfang.
2lm genaueften unb anfd^aulid^ften fteöt fid^ un§ inbe§ bie reügiöfe
Sttmofpl^dre , in meld^er ber berül^mte Herausgeber ber SSBoIfenbüttler
iJragmente aufmud^ä, in ben 22 aSorurtl^etlen oor STugen, weld^e fein
SSater im a3eginn feiner ^rebigerlaufbal^n miffenfd^afttid^ ju beldmpfen
unternal^m, unb meldte er am fpdten 2lbenb feineS Sebenä nod^ einmal
anjugreifen gebadete, ©ie lauten alfo:
1) Sutl^crg ^Reformation in ben Sel^r? unb ©lauBcnSartücln fei nid^t fo
nötl^ig gtrocfcn, al§ man oorgegeBcn, unb bie Äird^encerbeffcrer I^Stten nid^t
(Jl^ripi; fonbern il^re Seigre unb @l^re jum Slugenmerf gel^abt. 2) S)ie Airs
d^enoerbeffcrung fei mit aHgugroßcm unb ba^u nod^ ftcifd^lid^cm ®ifer anges
ni
4 Ottj^obojr (utl^enfd^e ^udtnbetjiel^ung.
fangen worben. 3) Sutl^crä erfte ©d^riften l^ättcn mcl^r SRu^cn gcfliftct, ofö
feine leiteten, n)etl jene mit ntel^r ^emutl^ unb ©anftmut)^ abgefaßt ro'&xtn,
aü biefe. 4) @o fei er an(l^ Slnfangg befd^iben getoefen, l^abe SBtberfprud^
unb 2(nber8geflnnte »ertragen I5nnen, l^emad^ l^aBe il^n ber ^od^mutl^ eingc^
nommen ; er l^aBc gefd^impft, »erf efeert unb in feiner Äird^engemeinf d^aft jlcl^cn
roottcn, 6) @r fei »on ben ^ol^en im Sanbe unterjlüfet worben. 6) Man
l^abe auf eigene ©laubenStel^ren gefeiten, nid^t aber auf mal^reg unb tl^dttgeS
ßl^riftcntl^um. 7) Sutl^cr unb feine ©el^ilfen l^ätten bic Seigrer unb 3w^örer
mel^r oerfd^limmert als geBeffcrt, unb 8) Bei ber Ä1rd^cnt)erBeffcrung nid^t
auf ble 93erBefferung ber ^otijei SRüdtfld^t genommen. 9) @r fei ©d^ulb,
ba§ bie Äird^cnjud^t unb ber Ätrd^cnBann ganjlid^ abgefd^afft morben. 10) @r
l^aBc auf bie ©rl^altung unb @l§rc beS ^rebigtamteS menig gefeiten unb Beibeä
gefd^mäd[|t. 11) @r l^aBe lieber 2lnfang§ allen öffentlid^en ®otte§bienft unb
äußerlid^e Zeremonien aBfd^affen, als fld^ mit benfclben lange aufl^alten
moKcn. 12) (Sx l^aBe von ber SDSürbe, bem Slnfel^cn unb ber Sftot^mcnbigteit
Bcibcr ©acramentc, ber J^aufc unb beS 2l6enbmal^l§, im 5lnfangc ganj anbere
©ebanlcn als nad^l^cr gel^abt. 13) (Sr l^aBe bie unoerfd^ämte ijred^l^eit eins
gefül^rt; oon SieligionSfad^en aÖeS ju prcbigcn unb ju fd^rciBcn, maS man
moKe. 14) @r l^aBe mit ber vorgenommenen Äird^cnoerbcffcrung unföglid^e
Streitlgtcitcn ol^ne allen ^ni^tn, abtv mit »ielem ©d^abcn auf bic Sal^n ges
brad^t. 15) 6r fei oon 3«>ingli unb SaloinuS in feiner Äird^cnoerbcffcrung
nld^t gel^inbert morben. 16) Unfere Goangclifd^e Äird^e l^aBc nad^ ber Sutl^e?
rifd^en SReformation SSielcS au8 bem ^apjttl^um BeiBel^alten. 17) 3)a§, maS
Sut^cruS gctl^an, fei nur als SSorBotc unb ÜRorgcnrotl^c ber ju l^offenpel^cnben
allgemeinen unb oollfommencn i?ird^cnocrBc|feruitg anjufel^en. 18) Sutl^eri
$)}crfon, Oclcl^rfamfeit unb ©cmütl^sBefd^affenl^cit fei Urfad^e, ba§ feine Äir«
d;cnocrBcfferung fd^led^ten Sortgang gel^aBt. 19) Man l^aBe Bei ber Äird^em
ocrBcfferung baS ®cjie ber ^o^tn, mittleren unb nicbrigen ©d^ulen nid^t oor
Singen gel^abt, 20) nid^t für bie 9lrmut)^ gcforgt unb bie 6in!ünfte ber
eingegangenen Älöjtcr, bie boju l^ötten angcmenbet merben follen, ^u anbcm
Slbfid^ten ocrfd^leubert. 21) S)ie SRcformation fei ein aus ftttlid^en unb polis
tifd^cn Urfad^en gufammcngcfommeneS SRenfd^enroer!. Snblid^ 22) mare es
jmar !cin blogeö 5Jorurtl^eil, ba§ ©ele^rfamfcit unb oerBefferte ©taatsfunji
com SleformationSwerfc Beförbert morben; aHein ba bie gelcl^rteflen Staats^
leute nad^ 9teligion nid^t oiel fragten, fo mü^it man \>o6) bie babei n>altenbe
gi)ttlid^e Fügung unb Stegierung erlennen , ol^ne loeld^e alle menfd^lid^e £lugs
l^eit unb ©elcl^rfamhit nid^tS ju ©tanbc geBrad^t l^aben mürbe." *
S)ie^ TOarctt — unb cS tragt bic§ jut 33e!anntfd^aft mit 3Satcr imb
Qofyx nid^t wnig Bei — bem ^ßrcbiger DOn ^amenj nid^t fefeerifd^e ober
burd^auä Derwcrflid^e ®a^c (wie et benn jwar bic ^^ unb SÄcbcfreis
^ ^an^el unb <^ul^rauer, (B. f§. Seffing. @etn Seben unb feine ^erfe. Setpjig
1850. L 13.
in
Dttl^oboy lutl^erifd^e Sugcnbcrgtcl^ung. 5
l^cit in rcligiöjen 5)ingctt mit bcr ctraaS cntrüftcten ©cnfur „uriDcrfd^fimtc
grcd^l^cit" belegt, aber bod^ letnem bcr ©äfec ein eigentlid^eS STnatl^em
anl^dngt) , [onbern SSorurtl^citc, bereu tDettreid^enbe 3Jlad^t er bem 3Jtangel
an ©tubium gufd^rieb , unb beren Sefeitigung er babitrd^ ju förbern ^offtc,
ba^ er üomel^mlid^ bie SSBerJc Sutl^crä unb SReland^tl^onä , bann aber
aud^ ©palattn, SSugenl^agen, SuftuS SonaS, 33rentiuS , UrbanuS SRegtuS,
STqutla unb ^Ji^coniuS ju fleißigerer Sefung unb aufmerifamerer ^Prüfung
anempfahl. „@in 2InbereS ift eä," meint er, „etroag ol^ne Urfad^e üer^
ad^ten , unb ein 2lnbereS , etmaä mit gutem ©runbe miberlegen. Lege
et judica, jagt ja bie ge[unbe Semunft. SBie Jann id^ aber rid^tig
urtl^eilen, wtnn xä) ol^ne gleiß unb 2lufmerlfam!eit lefe?" 35ei i§m l^attc
ein fold^cg aufmerIJameS; fleißiges ©tubium ber altern reformatorifd^en
©d^riften ben üon feinen Sdtern ererbten ©lauben (einer t)on il^nen,
©temcnä Seffingf, l^attc 1580 bie Soncorbienformel mttunterjeid^net) nid^t
nur nid^t erfd^üttert , fonbern roiffenfd^aftlid^ befräftigt unb gegen alle
aufgeflarten ©inraürfe befeftigt; warum foUten fie nid^t aud^ auf Slnbere
benfelben l^eilfamen ©nfluß ausüben? S)aß bieß nid^t ber gaK war,
baß bie 3citgenoffen cielmel^r immer weiter oon ben ^faben ber SRefor^
matoren auf bie breite $eerftraße franjöfifd^er 2luffldrung abroid^en,
fonnte er fid^ nid^t anberä erlldren, als auä aSernad^ldffigung jjener ge*
roiffenl^aften unb emften Prüfung, unb ber fonft fo milbe 3Jiann groHte
fd^ließlid^ bod^ ben ftoljen greigeiftern feiner S^age, baß [ie baS t)erad§=
teten unb fd^mdl^ten, roaS fie nie einer grünblid^en Unterfud^ung unter*
gogen l^dtten.
©0 badete ber Sater SeffmgS unb in biefem ©inne waltete er feiner
t)dterlid§en Sßflid^ten unb feineS tird^lid^en Jlmteö. S)ie 3Jiutter war eineS
^rebigerS Sod^ter , eine fd^lid^te, wol^ltl^dtige, aber etwaS befd^rdnftc i^rau,
wie bie grauen meift ftnb, üon ftrengerer religiofer gdrbung, unb Don
itm l^eißen Söunfd^ geleitet, bereinft il^ren ©rftgeborenen, wenn nid^t al8
„OotteSmann" auf ber Äanjel, fo bod^ alä würbigen, fittenftrengen
SSBeltmann in einem emften, gead^teten gebenSberuf ju fd^auen; ent::
fpred^cnb feinem ©tammbaum, auf weld^em bem Pfarrer gwci S3ürger=
mcifter Dorangingen, biefcn ein Siterat unb ^Jad^tinl^aber üerfd^iebener
Sttbelägüter, ein SDiafon unb fd^ließlid^ ber ^Pfarrer SlemenS, weld^er bie
(Soncorbienformel unterfd^rieben l^atte.
J)ie gamilie war nid^t arm, aber aud^ nid^t fonberlid^ begütert; ba
bie 3öl^t ber Äinber ftd§ in ber golge nod§ um elf Dermel^rte, unb ik
©Itern ben fünf ©öl^nen eine geleierte (Srjiel^ung gu iCl^eit werben ließen,
6 Ortl^obox lutl^ctifd^c 3w0CHbcrjtc]^ung.
mußten jic fid^ jiemlid^ cinfd^rdnfen unb fallen jid^ auf bcfd^eibcnc ©in*
fad^l^cit angcroicfcn. SDabct ^ctrfd^tc natürlid^ im ^aufc bic ftrengftc
JReligiofitdt. ®er jjungc ©ottl^olb (Spl^raim lernte mit bem ©prcd^cn ju?
glcid^ baä Seien, würbe beim Sefenlernen fd^on mit 33i6el unb Äated^iä^
muä belannt^ unb bie erfte ^ocjie, mit n)eld^er er vertraut würbe, raarcn
bie geiftlid^cn Sieber unb ©prud^oerfe beim alltäglid^en 3Rorgen= unb
2lbenbgcbct ber ^amilie. Salb legte fobann bag iöeifpiel unb bie 2lns
regung beS arbeitfamen SJaterS , ber neben ben alten ©prad^en aud^ baä
6ngli[d^e grünblid^ fannte, neben ben erwähnten tl^eologifd^en ©tubien
ftd^ aud^ mit gefd^id^tlid^en abgab unb eine nid^t unanfel^nlid^e Sibliotl^el
befa|, frül^jeitige Äeime literarifd^er 33ilbung in bie ©eele beä lebenbigen,
talentooUen Änaben.
6tn)ag über jroölf S^^l^re alt !am ber junge Seffing am 21. ^uni
1741 an bie gürftenfd^ule ©t. 2lfra in SKeißen, ein tl^eifö nad^ flöfter*
lid^em, tl^eilä nad^ alt^umaniftifd^em 3^^f^"^^ eingerid^teteä Änaben^
conoict, bem bie ©tiftungäurfunbe alä ^xoed üorgeftedEt l^atte: „(Sä f olle
in benen Sanb^Sd^ulen bie Sii^Scnb ju ©otteä ©l^re Dub in gel^orfam
ergogen, in benen ©prad^en unb fünften onb bann fürnemlid^ in ber
l^eiligen ©d^rifft gelernt Dnb ontenoeifet werben, 3Iuf ba^ e§ mit ber ^tit
an Äird^enbienern t)nb anbern gelerten Seutl^en in t)n[ern Sanben nid^t
SiJiangel gewinne." ^n im mx Stabulaten be§ ©ebdubeä befanben [id^
jweiunbfunfgig ^tUm, üon benen l^inwieber jebe auä einer ©tubier^ unb
einer ©d^laflammer beftanb. 3n jjeber fold^en ^tUt wol^nte ein ^ßris
maner atö Obergefeff, ein ©ecunbaner aß UntergefeH unb jwei 2:ers
tianer ober Quartaner als „Untere" ober „Unterlcctioncr", weld^c oon
ben beiben Slnbern beauffid^tigt unb tl^eilweife aud^ unterrid^tet würben.
3n ben Älaffen fül^rten SDecurionen ober aSanldltefte eine 2lrt oon Unter?
aufftd^t; im §of, bei 2:ifd^ unb in ben oier Sltrien war biefelbe an breis
gel^n ber bewdl^rteften Primaner oertl^eilt. Ueber bie gange ©d^ull^ierard^ic
§atte jeweilen ein Seigrer alä §cbbomabariuS bie Oberauf ftd^t , ber für
bie betreffcnbe SÖöod^e in ber ©d^ule wol^nte, bic Sctftunben mit ben
©d^ülern l^ielt unb bie gewöl^nlid^en pdbagogifd^en Slngelegenl^eiten er?
lebigte. 3n aufeergewo^nlid^en unb fd^wierigen %aUtn l^atte er fid^ an
bie fonnabenblid^e Sel^rerconfcreng gu wenben. Oeffcntlid^er ©otteSbienft,
®ebet unb SSibelerlldrung nal^men gufammen wöd^entlid^ 25 ©tunben in
Slnfpntd^. Sei Sifd^c war Sefung , 3Rittagg auä ben l^iftorifd^en Sudlern
ber l^eiligen ©d^rift, 3lbenbä au3 einem latcinifd^en §iftorienbud^ , iamit,
wie bie ©d^ulorbnung fagte, „wie ber 8eib mit ©peife gcfdttigt werbe,
114
A
X
Dttl^oboj: lutl^crifd^c 3ugenbcrjie]§ung. 7
fo aud^ bic ©cclc i^rc 5fta]§run8 erhalte" ^ 2lu(i^ bie Älcibung, bie fog.
©d^alaunc (scholana) voax Dorgef d^rieben , tarn inbc§ ju Scffingg ^tit
bereits aufeer .3Kobe.
gut bie 3Jiat]^emattl unb ©tnenbation ber lateinifd^en unb gried^i^
jd^cn Slrbcitcn tüaren bie ©deutet in Dier, für alle übrigen ^Jad^er in
jTOei Ätaffen, bie fog. Oberlection unb bie Unterlection, Dertl^eilt; bicfe
21]^eilung Bejog fid^ jebod^ nur auf ben gemeinfanten Unterrid^t. %üx
ia^ Sluffteigen ber ©d^üler waren bie jraei Sectionen in je groei Älaffen
unb jebe biefer Älaffeti in brei ©ecurien gefd^ieben, fo ba| Jeber ©d^üter,
um ^Primaner ber erften ©ecurie ju werben, elf Prüfungen burd^gu=
mad^en l^atte. SDie Sel^rgegenftdnbe üert^eilten ftd^ in folgenber SQBeife:
3n ber Unterlection: 3n ber Oberlection:
5 ®tb. SRcligion (Äird^engcfd^id^te u. 5 ®tb. SJeligion (©ried^ifd^. SftcucS
Äated^i3mu§). Scjtamcnt, Schreberi lineae
doctrinae fidei unb Rechen-
bergii summarium hist.
eccles.).
15 ®tb. Satcin (Eicero^S Briefe, Sor^ 15 ®tb. Satein (Sicero'S Orationes
ncIiuS SRcpoS , @utropiu§, ober de officüs, Sioiu§, SBir^
^l^äbrug^ SaBcIn unb OoibS gil, §orat.), ©rammatif unb
Tristia unb Epp. ex Ponte. ^rofobie (im SGBintcr bafür
Sogif unb SRl^etorif).
4 ®tb. ©ried^if d^ (3lcuc§ SEcftamcnt 4 ©tb. ©ricd^ifd^ (3[fofrate§ , gSIu::
unb ©rammatü). tard^, ©opl^ofleS unb Dol-
scii versio graeca Augu-
stanae confessionis).
2 @tb. ^rangoftfd^ (oBIigatorifd^). 2 ©tb. grangbpfd^.
2 ©tb. SWtttl^cmatif. 2 ©tb. aRat^entatif.
1 ©tb. Slritl^mctif . 1 ©tb. ©eograpl^ie.
2 ©tb. ©cfd^id^te u. ©eograpl^ie. 2 ©tb. ©efd^id^te (nad^ ScHariu§).
3 ©tb. §eBräif^.
35ßa3 ik aSertl^eitung ber ^dt betrifft , f o f d^lo§ fid^ biefer fie^rplan
offenbar nod^ giemlid^ eng an bag alte, vom 3Jiittelalter überlomntene
©^ftem an, in weld^em bie lateinifd^e ©rantmatil unb ©gnta^:, bann
bie ^oefie unb 9l]|etorif, enblid^ bie fiogif unb aJietapl^pfif ben 6e=
* 5)angcl crblidf t in biefer Siegel eine 5lnfpielung auf %. ^omponiuS ^iltticuS (Nep.
Att. XIV. 1), »on bem eS l^ei^t : neque unquam sine aliqua lectione apud eum
coenatum est, ut non minus animo, quam venire convivae delectarentur. @r
badete rool^l nid^t baran, ba§ fte wöttlid^ au§ ber dtt^ti ber ©ejettfd^aft Sefu ent^
nommen fei (Summar. Reg. 30) , wie ja bie ^rotcjtanten 33iek§ auS ber ©tubicn=
orbnung :c. ber Sefuiten in i^re ©deuten l^inüBema^men.
115
8 Ottl^obox* lutl^ctifd^c Suöcnbcrjlel^ung.
günfttgtcn Äcrn beä Sel^rftoffö auSmad^ten. S5od§ ift in bcr Slufnal^mc bcr @c=
fd^id^tc, ©cograpl^ic, ^Jiatl^cmatif unb franjöpfd^en ©prad^c aud^ für bic
unterftcn Älaff en bereite ber Uc6ergang jur moberncn ©d^ule bemerf bar. SCBaS
aber bem Sel^rplan jumeift fein d^aralteriftifd^eS ©cprage gibt, ift bie Unter*
orbnung aller 2:i^eile unter bie Jperrfd^aft ber protcftantifd^en 2:i^eologie.
SDie große 3Serlegcnl^eit beö 5proteftantigmu§ roar von 9lnbeginn,
ftd^ ol^ne ^apft unb Äird^e eine 33rüdfe l^inauf in bie apoftolifd^en ^txkn
unb ju bem ©tifter beS Sl^rtftentl^umS ju fd^lagen. SDal^er roarb bie
Äird^engefd^id^te ju einem fo nnd^tigen ©egenftanb, unb mußte ben an*
ge^enben ©gmnafiaften jugleid^ mit bem Äated^iämuä unb, wenn man fo
fagen barf, mit ber bogmatifd^en 3Äuttermild^ eingeträufelt werben. SEBar
baS iugenblic^e ©emütl^ burd§ biefe reinigenben, bogmengefd^id^tlid^en
^roceffe ju „bem oon aßen SRenfd^cnfafeungen befreiten Sibelmort" getaugt,
fo galt e§, ben infpirirten, gottlid^en ©inn, nad^ bem Seifpiel ber Sie-
formatoren, auä ben Duellen be§ UrtejrteS gu fd^öpfen. J)a]^er mußte
fd^on ber Unterfd^ülcr mit bem gried^ifd^en ZtjA be§ 5Jleuen SieftamentS
t)ertraut gemad^t werben , ber Dberlectioner aber mit bem l^ebräif d^en Urs
te):t beä ^entateud^S unb ber ^ßrop^eten. Stimmt man l^inju, baß nod^
bei S;ifd^ au§ ber iBibel Dorgelefen, baß bie beutfd^e ®ibel aud^ in ben
SÄeligionöftunben gelefen unb erMdrt mürbe, baß SSibelfprüd^e immer*
tofil^renb bie ®thttt ber §auganbad^ten unb bie religiofen SSortrage mürj*
itn, fo mirb e§ leidet begreiflid^, baß bie jungen Seute in furjer^^ü ju
einem l^ol^en ©rabe t)on Sibelfeftigfeit unb SSibclgläubigleit gelangen
mußten. SSibelroorte füllten il^r ©ebdd^tniß, 33ibclroorte ertönten an
allen @dfen unb (Snben. SSier ©prad^en mußten bienen, biefe SSibelmorte
fefter einzuprägen, allfeitiger ju beleud^ten unb unmiberleglid^ ju oer*
tl^eibigen. SBeld^^ tiefe STd^tung vor ber ?SJiad^t beä infpirirten SSBorteä
biefen biblifd^en Unterrid^t belebte, mag man barauS abnel^men, baß ftd^
nod^ um bie 9Jiitte be§ Sal^rl^unbertS gmifd^en ben ^elmftdbter S^l^eologen
©d^ubert unb SSedfling bie ^^rage erl^ob, ob bie ber 33ibel innemol^enbe
Äraft jur aSele^rung ber 9Renfd^en al§ eine moralifd^e ober al§ eine pl^^*
fifd^e gebadet merben muffe, unb baß 33edCling bel^auptete, fie fei, menn
nid^t gerabe eine pJ^pfifd^e, bod^ eine ber p^^fifd^en dl^nlid^e ,^raft, ber*
geftalt, baß S^manb burd^ bie Sefung ber Sibel feine geiftlid^e aSBoJ^t
fal^rt in dl^nlid^er SÖöeife mie burd^ Slnroenbung eineä SIrjneimittetö feine
leiblid^c ©efunbl^eit ju förbern vermöge*.
Ä. 91. aj^enjcl, @cfd^. bcr ©cutf^cn. XII a. 237.
116
Ortl^obox lutl^ctlfd^c Sugcnbcrjicl^ung. 9
5ftad§bcm fo im @laviUn unb in ber 33ibcl ber §ort bcä ^ctlcö
unb ber 33om rcügtöfen SÖBiffenS grünblid^ in iBcfi^ genommen war,
gleite ber übrige Sfteligionöunterrid^t bal^in, ben ^nl^aft ber f^mBottfd^cn
23üd^er mit ber Sibel, ober wo baS nid^t ging, bic 33i6el mit ben fpm^
BoHfd^en S3ud^ern in (Sinllang ju bringen unb ben fo gefd^opftcn ©laubenS«
inl^alt gegen ben „pdpftifd^en ®5^enbienft" unb gegen ik Slbirrungcn
aller übrigen ßonfeffionen gu Dertl^eibigen. gür biefe polemifd^ gefdrbte
Dogmatil l^atte ber l^duälid^e ©trcit t)on gmei ^af)x^unitvttn beinahe
nod^ mel^r ©toff auf gefpcid^ert , atö bie Sontrooerfc mit ber Jatl^olifd^en
Äird^e: biefen fampfbereiteit ©id^elroagen auf bem gemol^nten ©eleife
weiter gu gießen, galt alä bie nad^fte Slufgabe be8 fünftigen ^rebigerS
unb 2:i^eoIogen. (Segen ben @eift ber mobernen ^ßl^ilofopl^ie unb beä
bibelfcinblid^en Unglauben^, ber bereits in mdd^tigen ©tö^en oon @ngs
lanb unb ^ranfreid^ l^crüberbrauSte , glaubte man einftmeilcn nod^ leine
au^erorbentßd^en aSorpd^tSma^regeln treffen gu muffen.
@in menig ^l^itofopl^ie auf ben legten gmci ©ecurien l^ielt man für
auSreid^enb , nm bie Slbiturienten auf bie SOBoIff^fd^c ^l^ilofopl^ie Dorgu«
bereiten, ^n biefer mürben ja alle ©el^eimniffe mit ber SBemunft faft
mat^ematifd^ auSgeföl^nt, unb tt)ar optimiftifd^er 3:roft miber alleg Ueble
unb S3öfe gu l^aben.
SDie oielen Sateinftunben bienten eineStl^eilö bagu, itn jungen ^rd^cn?
biener in ber ©elel^rtenfprad^e üoHig l^eimifd^ gu mad^en, bann i^m für
fein ^rebigtamt unb für baä miffenfd^aftlid^e Seben . ben notl^igen orato^^
rifd^en unb l^umaniftifd^en ©d^liff gu geben. 3^ Icfeterem gel^örte na^:
mentlid^ aud^ bie Äunft, lateinifd^c Serfe gu mad^en; beutfd^e ^oefie mar
bamatö nod^ unter bie SOIotria oermiefen.
@ö ift f lar , biefer ©d^utptan mar treffßd^ barauf angelegt, Äird^en=
biener l^erangubilben, meldte entmeber in frieblid^en 5)örfern baä „reine"
lutl^erifd^e Sibclmort ocrJünben ober an lutl^erifd^en Unioerfitdten baä
„lautere ffielenntnife" gegen SDiffibenten aller Slrt oertl^eibigen follten.
Slber auf ein bringenbeS 95ebürfni§ ber ^titf oieHeid^t auf ba§ bringenbfte,
mar er nid^t eingerid^tet , barauf ndmlid^ , baä @]^riftent]|um unb bie
Offenbarung gegen üoUftdnbigen Unglauben gu bel^aupten.
SDie latl^olifd^e Äird^e l^atte aUerbingS ben Äampf gegen ben SRa^
tionaliSmuä unb baä ^eibentl^um fd^on mel^r als einmal fiegreid^ i^^^^^
fic mar jebeS 3Kal neu geftdrit auS biefem Kampfe l^eroorgegangen.
Sucianifd^e ©pöttereien, S^K^^^f^^ ©opl^iömen, Slbdlarb^fd^e S:rdumereien
lagen am gu^e beS unbegroinglid^en ^^^IfenS atö gcrtrümmerte SSBradfS.
10 Ortl^obor lutl^etifd^c Swgenbcrjicl^ung.
S)cr fd^drfftc ©cnfer beg l^eibnifd^en Stttcrtl^umä bientc in ber latl^olifd^en
©d^ule als maestro di color che sanno (Dante, Inf. IV.), alä SKcifter
bcS natürlid^en SEßtffenö, afö ^ilfälel^rer ber ^l^ilofopl^ic. SBie bcr
ßngel ber ©d^ulc, |o griffen bie Jl^eologen inSgefammt bie gegnerifd^en
(Sinwürfc wibcr baä ©l^riftentl^um nid^t nur auf, fie fummelten biefetben,
weiten unb fd^ärften fie unb fud^ten fogar neue auSgul^edEen , um roo?
möglid^, ben 3^i^^^^örfniffen fd^on üorgreifenb , fünftigen Singriffen ein
aSollroerf entgegen ju [teilen. Unter il^rer §anb warb bie Krc^lid^e
SBiffenfd^aft felbft ein in feiner ganjen 2Jietl^obe ftreitbareS, befenfio unb
aggreffit) rool^lgerüfteteö ©pftem. 2ltö bepalb bie erften 2lpoftel beö
mobemen Jpeibentl^umS gegen SGBunber unb SGßeiffagung, 3^fpiration nni
2lutl^entie ber ^eiligen Sudler, Offenbarung unb ©lauben ju gelbe rüdften,
fanben fie jroar an taufenb entarteten unb ftttlid^ t)er!ommenen Äatl^oliten
eine leidet ju geroinnenbe iBeute, aber an ber ürd^lid^en Söiff enf d^aft felbft
ein rationell biäciplinirteg , lampfgerool^nteä ©d^lad^tl^eer, baä fid^ vox
ber roiffenfd^aftlid^en Äriti! feiner ©laubenäquellen unb feineS ©laubenä
nid^t fd^eute.
®anj anberä ftanb eS ba mit bem gläubigen Sutl^ertl^um. ©enn
fiutl^er l^atte bie menfd^lid^e SSernunft »erlefeert, ben Slriftoteleä in Un
ißann getl^an, alleS SBiffen von ber 33ibel abl^dngig gemad^t, bie SSibet
aber für feine Sebenägeit feinem sie volo sie jubeo unterworfen, für bie
golge ber iprioaterleud^tung , b. 1^. ber ^rioatmeinung unb ber ^rioats
XDiütüv anl^eimgegeben , raeld^e an ben eben fo roiKfürlid^en fgmbolifd^en
SSüd^ern unb @t)nobalbefd^lüffen nur eine fel^r fd^mad^e unb in bie 2uft
gebaute ©d^ranJe erl^iett. SlHerbingS ftanb für lange ^dt ber 8anbeg=
l^err als .^üter beS ©gmbolglaubenä bem ^rebiger mit materiellen a5e=
weiSgrünben jur ©eite; mit SSerle^erung unb SSerfolgung warb ber
Unglaube geroaltfam jum ©d^weigen gebrad^t. 2113 aber — in golge
beS franjofifd^en 3JlobeeinfluffeS an großen unb Ileinen §öfen — biefe
dunere ©tüfee morfd^ ju werben unb wegzufallen begann, erl^ielt ber
bibelgldubige ^rebiger einen f d^weren ©tanbpunft. S)ie 33ibel, auf weld^e
er SlKeS gebaut l^atte, würbe il^m Iritifd^ in ©tüdfe geriffen: er l^attc
feine SCrabition, um il^re Slutl^entie ju beweifen; er l^atte fein unfel^lbareS
Sel^ramt, um il^ren bogmatifd^en S^l^alt irrtl^umSloS ju fidlem unb il^ren
gJttlid^en Urfprung gu oert^eibigen ; er l^atte feine Ipiftorifd^en SWittel,
um bie Sleoolution bcS 16. ^^l^rl^unbertS atö ©otteSwerf gu red^tf crtigen ;
er l^atte feine apologetifd^en SEBaffen, um für 35Bunber unb SBeiffagung,
ik göttlid^en ©iegel ber Offenbarung, einjuftel^en ; er l&atte nid^t einmal
118
Ortl^obojc lu^crifd^c Sugenbcrgicl^ung. 11
eine gefuttbc ^pi^ilofopl^ic , um eine Slpotogetil auf jie ju grunben. Wlit
einem vernünftig nid^t ju red^tfertigenben ©lauten ftanb er bem Un?
glauBen gegenüber, ber ftd^ ^l^ilofopl^ie nannte unb für bie SRe(3^te ber
SBernunft einjuftel^en oorgab. ^n biefer ungelösten unb unoermittclten
Segiel^ung gn)ifd^en ©tauben unb SBiffen lag bie ©d^rodd^e beS fiutl^er?
tl^umä wie überl^aupt ber proteftantifd^en 33ef enntnifje , unb ber ©runb,
roe^^alb gerabc il^re begabteften Slnl^dnger fo rafd^ von ber Strömung
ber neuen, geiftigen SRevolution bal^ingeriffen würben. 2)ie6 war aud^
ber n)unbe glecl beä religiofen Sel^rfpftemä. Äinblid^en, pl^antaftereid^en,
empfinbfamcn ©emütl^em mod^te bie ftete 33efd^aftigung mit ben fd^lid^ten
©rjdl^lungen beä SHten 2:eftamentä, mit ber ^oefte ber ^ropl^eten unb
^falmen, mit ben Sid^tgeftalten beä ©oangeliumä eine gemiffe 23efriebi=
gung gemdl^ren ; Änaben t)on f d^drf erer SSerftanbeäanlage mod^ten an im
©d^mierigJeiten ber fprad^lid^en ©rfldrung, an bem Sabtirintl^ bogmatifd^er
^olemü, an bem SÖöirrraarr lird^engefd^id^tlid^er geloben Sefd^dftigung
unb Hebung il^rer ©eifteSirdfte finben. Slber raie jtnm bie Dolle ©d^ön=
l^eit beS in ber ^ird^e üerlörperten ßl^riftentl^umä mit feiner roeltum:;
faffcnben, ftd^tbaren ©rö^e unb ^errlid^feit t)erfd^loffen blieb, fo ge=
langten biefe nid^t auf bie ©pur einer mal^rl^aft rationellen, bie 3Ser:=
nunft befriebigenben ©peculation — roeber ben ©inen nod^ ben Slnbern
warb ein §ort gegen bie l^eranbraufenbe ©turmflutl^ beä antid^riftlid^en
©eifteS geboten.
©0 f am eS, ba§ auf einer fold^en ©d^ule ÄlopftodC ben ^lan einer
5Qteffiabe entmarf, um fpdter ber franjöfifd^en greil^eit unb ©leid^l^eit
Subeloben gujufingen, bafe Seffing prebigt^afte ©lüdEmunfd^fd^reiben nad^
§aufe fanbte, um fpdter burd^ feine Äritil bag ganje Jpeer ber ^rebiger
unb Stl^eologen in ©d^redfen ju fe^en.
©0 lange ber junge ©ott^olb übrigens in ber gürftenfd^ule ber
^eiligen 2lfra weilte, mar eine SJerdnberung feiner im 3Saterl§aufe ge^
fd^öpften, gläubigen Ueberjeugung nid^t ju bcmerfen. 2luS fpdteren SSe^
mer!ungen, bie er mad^te, ift jmar anjunel^men, ba| baS t)iele Sibellefen
il^n langweilte unb brüdCte; feine frül^e ßiebl^aberei für Jl^eopl^raft,
^lautuS unb S^erenj, bereu Sefung er feine freien ©tunben mibmete,
bürfte mand^en roadferen ^dbagogen mit geredeten ^titnttn erfüßen;
bod^ fielet -gugleid^ fefi, ba§ er nad^malS biefe Sial^re „im engen Sejirf
einer Iloftermdgigen ©d^ule" nid^t ttroa alä bie glüdClid^ften, fonbern als
bie einzigen glüdflid^en S^l^re feineä SebenS betrad^tet l^at — ein beut^
lid^eS S^id^trif ba§ ber gemaltige Äampf jmifd^en ©lauben unb SSernunft
119
12 Ortl^obojc tutl^crlfc^c Swflcnbcrjtel^ung.
bamaK in feinem Snnern nod^ nid^t auSgebrod^en war, ba^ er oielmel^r
fpielenb über bte. tiefften aller ©egenfdfee bal^inPpfte. ^m Uebrigen
jetd^nen il^n bie auS feiner ^iig^nbgeit aufbewahrten Slnefboten alä einen
talentDoIIen , fleißigen, frül^ fetbftdnbigen Änaben, ber, mit feiner an=
geborenen §rifd^e unb Äetfl^eit, voo^ nid^t umfonft einem ber ^nfpectoren
atö „etmaS moquant" crfd^ien. @r überfprang mel^rere Älaffen unb mar
fd^on im jjrül^jial^r 1746 auf ber erften SDccurie ber fcd^Ste Primaner.
Ueber feine SReife berid^tete ber SReltor ©rabner an bcn SSater: „6r ift
ein ^ferb, bag boppelteä iJutter l^aben mu^. ©ie SectloneS; bie SÄnbern
ju fd^roer merben, finb il^m linberleid^t. Slöir Mnnen il^n faft nid^t mel^r
braud^en." 5ftad^bem ber Sater auf biefen SBinl jmar nid^t vom Ober*
confiftorium , aber t)om Äurfurften ^Jriebrid^ Sluguft bie S3emiffigung
eineä 2lbgangäjeugniffeS für ben fiebenjel^nifil^rigen ©o^n erlangt l^atte,
lie§ er biefen im ©eptember bie Unioerfität ßeipjig bejiel^en. ©ort follte
er fid^ ber Sl^eologie mibmen, baä SRagifterium ermerben unb bann —
fo Ipoffte mol^l ber SSater — fein 9lad^foIger im 5ßrebigtamt werben*
Slber bie ^mmatrifulation in fieipjig brad^tc ben Süngling auf ganj
anbere SBege, unb feine religiofe (SntroidKung nal^m einen, jenen ©rmar^
tungen burd^auä entgegengefcfeten SSerlauf.
120
h.
2. jlBfctlT vom ettexti^m ^tanßen. — ^nbiifmniiftif^e^
„^ä) l^aBc in bcr gürftcnfd^ule ju 3Jlei§en unb l^ernad^ ju Scipjig
unb SOBittenberg ftubirt. 3Kan fefet mid^ aber in eine gro^e SSerlegenl^eit,
wenn ntan mid^ ftagt, roaS?" ©o fd^rieb Seffing felbft im October
1754 an 3Jiid5acIi§. J)ie St^eologie mod^te er nid^t, bic ^w^i^P^i^^^J
aud^ nid^t; angelodEt burd^ ^nnbertmarlä 33orle[ungen über ßl^emie unb
33otanif, [oH er eä mit ber 3Jiebicin üerfud^t, aber bicfelbe auf Sßunfd^
ber ©Item roieber aufgegeben l^aben. ©d^lie^lid^ legte er fid^, wie er eä
nannte, ,,auf ©d^ulfad^en", b. 1^. auf ^l^ilologie, claffifd^e Slrd^dologie unb
©tubium ber 2Inti!e; worin er burd^ ©mefti^ä unb ßl^rift'ä Sorlefungen
bie mdd^tigfte 2lnregung unb görberung fanb. SDaneben l^örte er Ääftner
über Söolff^fd^e ^l^ilofopl^ie unb üerfd^iebene ^mei^t ber tl^eoretifd^en unb
angeroanbten ^l^pfif, betl^eiligte ftd^ an pl^ilofopl^ifd^en ©iäputationen unb
fd^öngeiftigen ^rdngd^en, trug SSüd^er jufammcn unb laä für ftd^ de omni
re scibili, namentlid^ aber bie neueren ©rgeugnifje beutfd^er Siteratur.
3m 2lnfang waren bie ©tubien il^m SlHeä. „3^ lebte/' fagt er
in einem SSriefe, „bie erften 3Jtonate fo eingebogen, atö id^ in 3Äei|en
nid^t gelebt l^atte, ©tetä bei ben SSüd^ern, nur mit mir felbft befd^dftigt,
badete id^ eben fo feiten an bie übrigen 3Jienfd^en, alä oieHeid^t an ®ott."
S5od^ balb gingen il^m bie Slugen auf. @r bemerfte, ba§ man in Seipjig
bie gange SBelt im kleinen feigen lönne. (Sx fud^te ©enoffen. 9lafd^
nal^m er itxi befd^dmenben Oegenfa^ jmifd^en feiner pebantifd^en Un=
gefd^liffenl^eit unb ben „guten ©itten" feiner geriebenen greunbc mal^r.
(Sx lernte taugen, fed^ten unb „ooltigiren", er lernte bid^ten unb,©d^ul5
itn mad^en unb geriet]^ enblid^ unter bie ©d^aufpieler ber grau iJrieberife
S^euber, roeld^e, nad^ ben :)erunglüdften SSerfud^en il^reä ©emal^ß, 5)eutfd^5
lanb mit einer claffifd^ ©ottfd^eb'fd^en S^ationalbül^ne gu beglüdfen, mit
roeiblid^er ^^^^S'^W einen neuen Slnlauf gur (Srreid^ung biefeS 3^^^^^ 9^=
nommen l^atte.
©er greunb, ber il^n erft in itn ^\x^ä)a\xtxxaum unb von bort
l^inter bie Souliffen fül^rte, mar ein geroiffer SWpliuö, ein „flotteS §auä",
mie man baä ^^utgutagc ted^nifd^ nennen mürbe, ber in Äameng megen
einer aufgelldrten ©atire mit boSl^aften Stnfpielungen auf SeffingS 35ater,
m
14 Slbfott t)om cltcrlid^en ©tauben it.
ben ^rebigcr, unb 8c[fingä ©rofeoater, bcn 33ürgcrmeiftcr , in^ö 8o(J^ ge*
fommen war unb fid^ jefet in Seipjig gugleid^ al§ S^aturforf d^er , Sitcrat
unb ©d^aufpiclbid^ter l^crumtrieB. ©iefer Icid^tftnnige unb untcmel^mcnbe
junge 3Jiann, an Zaltni weit unter Seffing ftcl^enb, aBcr an „reid^en
Sebenäerfal^rungen" n)te an 9llter tl^m überlegen, l^atte bereite vor feiner
Srnlunft eine Heine 3^i*f^^*f^ l^erauägegeben , bie er ben „^reigeift"
nannte unb in ber er neben poctifd^en ^rebigten unb ferapl^ifd^en Oben
im ©ramer^fd^en ©til aud^ mitunter bie eine ober anbcre ^IdnMei gegen bie
]^err[d^enben , red^tgldubigen 2In[id^ten üeroffenttid^te. liefern lurjtebigen
3Serfud^ Iie§ er 1747 bie „Ermunterungen jum SSergnugen be§ ©emütp"
unb 1747—48 ben ,,9laturforfd^er" folgen, gür bie Beiben festeren
warb ber „g^reigeift" — benn biefer yiamt blieb bem 3Jipliu§ — Sefftng
aB bid^terifd^en 3Jiitarbeiter an, weld^er benn aud^ bie beiben B^i^f'^^if^
im mit feinen Srftlingäprobucten, ©ebid^ien oerfd^iebener 9lrt, namentlid^
gabeln unb anafreontifd^en fiiebern bereid^erte. ©d^on auf ber §ürften=
fd^ule l^atte Sefftng , burd^ ^lautuä unb lercnj mdd^tig angeregt, Siebe
jur bramatifd^en J)td§t!unft gemonnen unb ftd^ felbft in einem Ileinen
^tM „ber junge ©elel^rte" oerfud^t. Sll§ er nun einmal ein auf ber
erwdl^nten SSül^ne aufgeführte^ ©tüdC im ©ottfd^eb^fd^en ©efd^madE atö
fd^al unb fabe getabelt unb man feinen ^label mit einem „3Jlad^^3 beffer!"
jurüdfgewiefen l^atte, ba arbeitete er fein eigenes ®t\xd um, fpielte e§
burd^ ?[Jl^liu§ in bie §dnbe ber TOabame S^euber unb l^atte bie (Sl^re,
eä im Januar 1748 mit nid^t geringem SlpplauS aufgefül^rt ju feigen.
@g liegt auf ber §anb, ba§ bie rafd^e Ummanblung beö ftreng er=
gogenen gürftenfd^ülerS in einen ßiteraten unb Sl^eaterbid^ter auf feine
religiö§=fittlid^e entroidEtung nid^t oortl^eill^aft einmirlen Jonnte. SSor
ben 3letgen eineg l^eiteren , f ünftlerif d^ oerfeinerten SebenSgenuffeg erf d^ien
bie biöl^erige (grjiel^ung alg eine büftere, brüdtenbe ©efangenfd^aft , bie
Sfteligion alä ein trübeS ©efpenft, bie fittlid^e ©infd^rdnfung aB lebeng=
üerbitternber ^ebantiSmug. 2Bie ladete bagegen ben Süngling bie unbe=
fd^rdnlte grei^eit an, baS frol^e SReid^ ber SBül^ne, bie Äunft, bie ^oefie
unb ba§ fieben! SBdre ba§ 2lHe§ nur immer fo ibeal gemefen! 3lber
in ben Äreifen ber jungen ©d^ongetfter l^errfd^te ein lodterer unb lieber::
lid^er 2:on * , il^re ^re^ergeugniffe ftrofeten von burfd^ilofer Ungebunben=
1 3n einem ©cbid^t Don aTt^UuS l^ci^t e§:
„3d^ TOel§ nid^t, üon SSergnügcn voU,
2ßa§ id^ jucTfl ergreifen fott?
122
Lv
2lBfatt oom eltcrlld^cn ©(aubcn jc. 15
l^ett unb fpottctett ba unb bort mit StBftd^t bcS fittltd^cn 3^^i8^fö]^lä.
2:rieBcn fte c§ aud^ ntci^t fo fd^limm, tote fic fangctt uttb bid^tcteti, fo buftetc
il^r attaIreotitt[d^cr $ßcgafu§ bod^ ftarl ttac§ ber ^tteipc uttb ttad^ urtt)fid^ftg
antifer ?latüriid^!cit. S)a§ ^aupttl^cma ber 23ül^tte bilbeten bie obltgatett
Siebfd^aftett itn frattjöpfiä^ett §elbeitftit ober ittt gepiibcrteti 9tetj ber
Äotnobie. 5Dic ©d^aujpteler tDarett ber ^öiel^r^al^l tiad^ tnt^ratl^etie ©tus
betttett. 5)a^ Seffitig fid^ fo vodt ttiit il^neit einlief, toottte fet6ft fem
juttger ^reuttb ßl^riftiati ^diT äßei^e, ttttgead^tet feiner eigetiett Siebe
jum SEl^eater, ttid^t billigen.
SDie ?la(3^rid^t, ba| er unter bie ©d^aufpieter geratl^en, gelangte im
SBinter 1747 — 48 in bie ^farrraol^nung von ^amenj. ©ie mirfte n)ie
ein SBetterftra^t. 2RitteIft ber ?lotiffige, bie 2Wutter fei auf ben %oh
erlranft, würbe ber Deriprene ©o^n auf ber ©teile nad^ §ciufe berufen.
3ltö er aber auf ben erften 9luf fofort, mitten im Sffiinter, l^alberfroren
aitf am , legte fid^ ber 3^1^^ i^^^r fein Senel^men, rate bie ^urd^t für fein
§eil. Unb afö fid^ nun ^erauSfteKte, ba^ er jroar nid^t 2:§eologie, aber
bod§ tüd^tig ^l^ilologie ftubirt l^abe, aU er ftd^ gutwillig fügte, ein
aSierteljalir gu §aufe gu bleiben unb fogar eine ^rebigt ju mad^en, ja
als er ein eben fo gro^eg 3"^^i^cff^ föt ernfte Sßiffenfd^aft, vok für ^ll^eater
unb Siteratur geigte, föl^nte ftd^ ber SSater ooHenbS mit il^m auö, jal^lte
feine ©d^ulben unb liefe il^n um Oftern 1748 roieber nad^ Seipgig gelten.
SDort Inüpfte er atöbalb feine alten greunbfd^aften roieber an, ging fleißiger
als üorl^er in^§ Stl^eater, mar fogar immer bei ben groben, mad^te aug
ber SDramatil fein ^auptftubium unb l^ielt mit ben ©d^aufpielern ge=
meinfame Äaffe. 2)ag tnufete er aber büßen. 5Die Gruppe geriet)^ in
SSerfaH, fei eä nun, wie eine 5yiad^rid§t lautet, burd^ blofeeg gortjiel^en
einiger 3Jlitglieber, fei e§, tt)ie eine anbere befagt, burd^ aSernad^ldffigung
beä ?D^etierö über ©alanterien. 6inige, für rodä)t fieffing SSürgfd^aft
geleiftet, gingen mit ©d^ulben burd^. Um ben ©laubigem gu entgelten,
blieb Seffing nid^tS übrig, afö aud^ abgureifen. ©r roenbete fid^ nad^
SGBittenberg (Slug. 1748) unb neun SBod^en fpdter nad^ 95erlin.
©eine 9Kutter geriet)^ barüber in einen unt)erf5l^nlid^en ®rimm gegen
Wlrjlin^ als ben SSerfül^rer il^reö ©ol^neä. ©em ©ol^n aber mad^te biefe
9ln cuerm ßcid^tjtnn mid^ ju räd^cn,
mm i^ \xi\ä) roit ein ß . . . jcd^en,
Unb meinem O . . . . gleld^
«In Id^ ein §clb in SBcnuS* dtd^."
©aS O roitb auf einen gcroiffen Ol^lcnfclber, ba8 S auf Scffing Bejogcn.
183
16 SlBfall »om cltcrlid|en (Stauben k.
TtJciBIid^e afiad^fud^t bie SReügion oerdd^tlid^ , auf beten SRed^nung er flc
fd^rieb. 2lud^ bie SSorfteUungen be§ 3Saterä üermod^ten nid^t, i§n üon
ber einmal eingefd^Iagencn Sal^n eineä fiiteraten abjuraenben, fie liegen ,
x^m Dielmel^r bie fd^one Siteratur nod^ reigenber, bie Sil^eologie wie bie
^Religion nod^ abfd^redtenber er[d^einen. 23ei ben beftdnbigen Oieibereien ;
mit ben ©Item üerflüd^tigte ftd^ fd^lieglid^ aud^ ik finblid^e 5pietat [o 1
fcl^r, ba§ er fie fogar in ben äu|ern g^^^^^ mitunter nid^t mel^r
beobad^tete. i
3n ber ©fijje beä „^reigeifteä", einer feiner 3iiJ9ßitbIom5bien, ftgurirt |
ein „Slbraft, ol^ne Sieligion, aber t)oll tugenbl^after ©efinnungen". 3)ag i
beutet ungefäl^r ben ©tanbpunft an, gu bem er in biefem Äampfe groifd^en I
Stl^eologie unb SDramatif, ÄinbeSliebe unb ©d^aufpielerfreunbfd^aft , alter
unb neuer SGBeltanfd^auung gelangt fein mag. ©enaucr l^at er il^n in
einer längeren 2lpologie feineS gefammten ©tubienleben§ (t)om 26. ^an.
1749) auSgebrudft, meldte er an feine (gltern rid^tete, um fie nad^ einem
monatelangen, peinlid^en ©tiUfd^meigen über feine Ueberfiebelung nad^
33erlin unb bie göttfefeung feineä Siteratenlebenä gu tröften. @r fagt barin :
„Sie S^it füll leisten, ob ber ein beffercr ©l^rift x^, ber bie Orunbfa^c
ber d^riiilid^en Seigre im ®ebäd§tniffe unb oft, ol^nc jte gu Derjlel^en, im SKunbe
l^at, in bie Äird^e gel^t unb alle ©ebräud^e mitmad^t, roeil fie gerool^nlid^
finb, ober ber einmal !lüglid^ gegracifett l^at, unb burd^ ben 9Beg ber Unter?
fud^ung gur Ucbergcugung gelangt ift, ober ftd^ rocnigftenS nod^ bagu gu ge?
langen bejirebt. S)ie d^riftlid^e Sieligion ift fein aOBcr!, ba§ man oon feinen
©Item auf jErcu unb ©lauben annel^men foH. SDie Sülciften erben fie graar
t)on il^nen, fo mt x^x Vermögen; aber fte geigen burd^ il^rc Sluffül^rung au(^f
maS für rcd^tfd^affenc ©Triften fie finb. ©o lange id^ nid^t fel^c , baß eincä
ber rorncl^mftcn ©ebotc be§ ©l^ripcntl^umS, feinen geinb gu lieben, beffer
beobad^tet wirb, gmeifle xiS), ob biejenigen ßl^riften finb, bie fid^ bafür au^t^
geben."
2luf fold^e SBeife von ben religiöfen Ueberlieferungen feiner gamilie
loSgeriffen, aller 2:]^eologie überbrüfftg, mit entfd^iebener 2lbneigung gegen
iebmebe dunere SSetl^dtigung religiöfer ©efinnung erfüllt, mit bem 3wcif^t
an aller Sieligion im §ergen, üielleid^t aud§ mit einer gemiffen bunleln
aSelleitdt, ixt Siid^tigfeit beä Sl^riftentl^umä gelegentlid^ einmal gu unter?
fud^en, lam er 1748, im 3llter t)on faft gmangig Salären, nad^ Serlin.
95erlin mar fd^on bie redete ©tabt, um auf bem SSBeg ber Unter?
fud^ung gu einer Uebergeugung gu gelangen, ©a fag ber 3Jiann auf bem
5l]^ron, ber gel^n 3al§re frül^er an aSoltaire gefd^rieben: „Um mit meiner
gemö^nlid^en ^reimütl^igleit gu reben, gefte^e id^ ^^mn offenl^ergig^
124
I
Slbfaa x)OTn clterUd^en ©tauBett jc. 17
ba§ 2lIIc§, n)aS bcn ©otttnenfd^cn Betrifft, im Whmit cineg ^ßl^ttofopl^cn
mir mipat , mcil ein fold^cr mann über bie Srrtl^ümer bc§ aSoIleg
l^inauä fein mu§. gaffen ©ic bem großen gomeitte, ber nun jum alten
linbifd^en ©d^mdfeer l^inabgefunfen ift, bie abgefd^matfte Slrbeit, bie ^ladi)^
a^mung ^e\n G^rifti gu reimen, unb nel^men ©ie ba§, mag ©ie unö ju
fagen l^aben, nur au§ fi(| felbft. 3Jian lann oon gabeln reben, aber
' nur fo , ia^ man fie als f old^e anfielet , unb id^ l^alte e§ für beff er , ein
tiefet ©tillfd^meigen über bie d^riftlid^en gabeln gu beobad^ten, bie burd^
il^r Slltertl^um unb bie Seic^tglaubigfeit ungereimter unb ftumpflopfiger
Seute l^eilig geworben finb." * 3^^^* W^^ ^^ ^S^l^'fe ^^"^^ ÄonigSfrone
ben pl^ilofopl^ifd^en ^rinjen feitl^er ein menig conferDatioer gemad^t. ©d^on
nad^ einem l^alben ^a'f)xt l^atte er bie bei feiner Sl^ronbefteigung gemährte
unbefd^rdnltc (Senfurfreil^eit ber SSerüner 3citungen mieber eingebdmmt ^
unb ber ©pener^fd^en 3ci*"^8 l'^42 ftatt beä SBal^lfprud^S „SGßal^rl^eit
unb greil^eit" bie Umfd^rift „mit lönigüd^er greil^eit" uerliel^en. S)urd^
ein ßenfursSbict üom 11. 3Rai 1749 (gerabe atö ßeffing nad^ 35erlin
fam) erl^ob er fid^ fogar auSbrüdElid^ atö SJertl^eibiger ber 3fleligion
unb ber guten ©itte, mad^te bie aSeröffentlid^ung aller tl^eologifd^en unb
pl^tlofopl^ifd^en ©d^riften von bem Urtl^eil breier 33erliner ©eifttid^en
abl^ängig (5ßeKoutier, ©föner unb ©ü^mild^) unb fcfete jel^n SReid^gtl^ater
©träfe auf ben SSerlauf, 100 Sleid^ätl^alcr ©träfe auf ben SSertag eincS
„anftö^igen" Sud^eS. SDod^ mie bie§ 35e!ret bIo§ poütifd^en ©rünben^
cntfprang, fo mar aud^ feine Sluäfül^rung ol^ne tiefere, nad^l^altige SBir*
lung. SDer reoolutionare ©laubenäjroeifler ^o^. ßl^riftian ©beimann,
auf ben eS junad^ft gemünjt mar, blieb big ju feinem lobe unbel^eKigt
in Berlin. SDie ßenfur mürbe mel^r nad^ (Sinpffen bloßer SÖöillfflr unb
* O. Älopp, gricbrid^ II. 2. SIufT. ©. 475.
* „^a^htm 2öir l^öd^fl mi^fättig toal^rgcnommcn , bag üerfd^iebcnc jfanbalöfc,
tl^eltS rolber bie D^icliglon, tl^cUs roibcr bie ©ittcn anlaufenbc ©üd^er unb ©d^riftcn,
tl^eilS in Unfern fianbcn gefertigt, pertegt unb »erfauft werben, l^aben 3öir, um biefem
Untpefen unb ben barauS entjiel^enben Übeln golgen aBjul^cIfen, für gut gefunben,
bie el^entaUge, feit einiger ^tit in Slbgang gefommenc 33üd^ers6enfur wieberl^er»
5uftetten jc."
8 Anno 1782 fd^rieb griebrid^ an b'^Kembert : „3n betreff ber ^re|frei§eit bin
id^ nad^ meiner Äenntnip ber SD^ieufd^en, mit benen id^ mid^ jiemlid^ lange bes
fd^äf tigt l^abe , überzeugt, ba| abl^altenbe 3^<mgSma§regeln notl^wenbig ftnb , xotil
bie greil^eit fletS migbraud^t wirb, bal^cr man bie Söüd^er einer gwar nid^t jtrengen aber
l^inrcid^enben Prüfung unterwerfen mug, um SltteS ju unterbrüdfen , roaS bie attgcs
meine ©id^erl^eit, wie baS äBol^I ber ©efedfd^aft gefäl^rbet, meld^eg ben @pott nid^t
Derträgt." Oeuvres poethumes. XI. 143.
SBaumgattncr, Seffing. — j^ — 9
18 StBfatt X)om cltcrltd^cn ©laubcn k.
pcrfönlid^cr (Stellung alä nad^ ©runbfäfeen gcl^anbl^aBt. SEßal^rcnb ber
Äöntg bcn ^ßrobft ©üfemild^ jutn Seftcrt bcr öjfcntltd^cn ©id^erl^cit über
ungläubige beutfd^e 93üd^cr ju ©erid^t fifeen lie|, raar am §ofe frfbft
baS ungläubige ^ranjofentl^um ouf bem ^öl^epunft feineö ©lanjcä. SDic
Don Seibnig geftiftete ©ocictdt bcr SCBiffenfd^aften roax in eine franjöftfd^e
SBabemie umgeroanbelt, an ber man l^od^ftcnS auS ®nabe nod^ lateinifd^
fd^reiben burfte. SöiaupertuiS war il^r gJrdfibcnt, S)^2lrgen8, 8a 3Jiettrie,
b^Slrnaub fül^rten baS gro|e SEBort; griebrid^ II. felbft aber war nod^
franjöfifd^er unb aufgelldrter, al8 bie aufgelldrten grangofen. Um bag
©lüdE »oll gu mad^en, würbe ber bei Subroig XV. in Ungnabe gefallene
aJoltaire an ben beutfd^en §of berufen. 33a fd^öpfte man bie SÖBeigl^eit
aus 33iberot'ä pl^ilofopl^ifd^en ©ebanfen, auä Sftouffeau^ä ©d^dblid^feit ber
6it)ilif ation , auS 9Jionteäquieu*S ^arembrief en , auS Sa 3Jiettrie*ä 2Jlen::
fd^enmafd^ine unb Äunft beä ©enuffeg; ba würbe (1750) ber gro^e pan
gur ©ncpllopdbie in^S 9ieine gebrad^t; ba war augenblidtlid^ bie a3rut=
ftdtte ber repolutiondren Sbee unb baS ^arabieä aller Slpoftaten. ßeffing
tonnte l^ier ben mobemen J)ei8mu§, Sltl^eiömuS unb 9Äateriali3muä, wenn
er wollte, an bcr OueHe ftubiren.
Slber um eine p*ufung retigiofcr Uebergeugungen , um ^^ilofopl^ie
ober S:]^eologie war eö il^m in ^Berlin gang unb gar nid^t gu tl^un.
SWpliuä war bal^in gegangen, um bie SRebaction ber SRübigerifd^cn (fpdter
SBoffifd^en) B^itung gu übernehmen. Seffing war il^m gefolgt, weil er
abermals in ©elboerlegcnl^eit geratl^en war^ unb in bcr preu|ifd^en
ÄonigSftabt leidster alä anberäwo fein tdglid^cS SSrob , literarifd^en (Srfolg
unb eine fefte ®?:ifteng gu erringen l^offte. @r orbnete eine gro|e
SBibliotl^c!, oerbeutfd^te ein ©tüdf t)on SRoHin^S SRomifd^er ©efd^id^te, bc::
gann eine ©d^rift beS ÄönigS über (Srebillon in'ä ©eutfd^e gu übertragen,
lernte ©panifd^, überfefete an einem ©tüd ßalbcronS unb ftubirte bie
^JinfternooeUen beS Geroanteä, fd^rieb über bie Pantomimen ber Sllten
unb über 5piautu8* Seben unb ©d^riften, oertiefte fid^ an bem „©ried^ifd^en
Sll^catcr" Srumo^'g in baS ©tubium ber antifen Sü^ne, pflog 93ers
l^anblungcn, um in SBien ober anberäwo ©d^aufpieler ober ©d^aufpiet
bid^ter gu werben, gab mit SÄpliuS eine ajierteljal^rSfd^rift „gur Jpiftorie
1
„9lad^ ^aujc !ommc l^ nld^t/' fd^rciBt er in einem ©riefe, „auf Untocrfitatcn
gcl^e Id^ iefeo aud^ nld^t roicber, »eil au^crbcm bie ©d^ulben mit meinen ©tipenbiis
nid^t fönnen begal^It »erben , unb Id^ Sinnen (ber ©rief iji an bie Altern) biefen
SlufTOanb nid^t jumutljen fann."
126
Slbfall t)om cUcrlid^en ©lauBcn ^z. 19
unb Slufnal^mc beä Sil^caterä" l^crauS unb üBernal^m cnbtid^ tl^citocifc bic
„©elel^rten 33citrfigc" jur SSoffifd^cn 3^J^w^9 ^^^ ^^^ 33etblatt berfelben,
„baä 5yicucfte au§ bcm SReid^ beg SBifeeö", baS t)om 2(prtl bi^Siccember
1751 crfd^icn. 3n biefem Sßirrroarr oon ©tubicn unb ^roj[cctcn, von
bencn bic meiften ftd^ auf bramatifd^c Äunft bejogen, war leine ^dt, ben
abgetl^anen ©lauben einld^lid^ ju prüfen ober fid^ ein neueS 9leIigtonäs
ftiftem gured^t ju legen. (5r nal^m ingwifd^en bie Derfd^iebenen religiofen
unb antireligiJfen 6inflüffe feiner geltüre unb Umgebung in fid^ auf
m\i fud^te fid^ mit S3ejug auf bie ^re^erjeugniffe beä S:ageä feine eigene
Slnfid^t gu bilben.
©er ©tanbpuntt, ben er l^iebei gewann, war jundd^ft berjenige ber
praftifd^en, religiofen Sioleranj unb ^nbiffereng in literarifd^en 35ingen.
SBie er fid^ in festeren, rüdffid^tlid^ ber Äunftanfid^ten, groifd^en ©ottfd^eb
unb ben ©d^roeijem eine unabhängige Stellung raal^rle, fo laä er Äat^Os
lifen unb ^roteftanten, ©nc^Hopabiften unb ©todf lut^eraner , franjofifd^e
3Jlaterialiften unb englifd^e SDeiften, fpanifd^e 3iomantiIer unb l^eibnifd^e
61afftler, 2lIIe§ bunt burd^einanbcr, wie er e§ traf, ol^ne irgenb eine
9lüdffid^t auf^S „reine ©oangelium" unb auf bie einfeitigen 2lnfd§auungen
unb ©emiffenäbebenfen feiner S5e!enner. SÖöaä il^m jufagte, nal^m er auf,
unb ftammte eä aud^ auä jefuitifd^er Quelle; roaä il^m mißfiel, baä uer::
warf er, unb mod^te eS aud^ ber Äönig oon ^reu^en vergöttern. @r
lobte 9touffeau^g ©ifer für mannlid^e antife Siugenb, nal^m aber ganj im
©eifte aSoltaire'g bie ^tit^^^ff^tt ber materiellen ßultur unb ßioilifation
gegen bie Junftfeinbüd^e SJiaturbegeifterung beä roilben 35emoIraten unb
aiotenfd^reiberä in ©d^u^; er rodl^lte ben ^efuiten Srumot) gum oor::
läufigen ©eleitSmann in feinen bramaturgifd^en ©tubien, fal^ fid^ aber
eben fo ffei^ig nad^ allen perlen be§ $errn oon Soltaire um; er geißelte
bie fd^mdl^lid^e ©d^amlofigleit eineä fia 3Jiettrie unb b'Slrgeng, oerfd^mdl^te
eä aber aud^ nid^t, in feinen Äritifen gelegentlid^ eine Keine frangofifd^e
ober englifd^e Unanftdnbigleit gum 33eften gu geben; er üertl^eibigte bie
religiofe SDid^tung Älopftocf g gegen bie Idd^erlid^en 9lngriffe cineä SDoctor
SriHer , lie| aber beffen unglüdClid^e ^lad^a^mer bie gange ©d^drfe feiner
Äritil empfinben. SDer l^öl^ere ©efid^täpuntt, ber il^n leitete bei ber ©es
urtl^eilung ber oerfd^iebenen 2lnfid^ten, war lebiglid^ bie ^unft ^üv
biefe l^atte er fefte SJlormen an feinem Sialent, wie an feiner tüd^tigen,
claffifd^en aSilbung; bal^er tritt aud^ in feinem dftl^etifd^en Urtl^eil eine
mdnnlid^e, felbftdnbige SÄeife gu Sage. Slber in 33egug auf bie relis
giöfen fragen ber ^dt roei^ ber fonft fo l^elle, fd^lagfertige Äopf nid^t
127
20 Slbfaß uom clterlid^cn ©lauben k.
5pofto ju faffcn. Uncntfd^Ioffcn gel^t et um fic l^erum, mit offenbarem
6M t)or bcn fd^alen Scrliner @nct|flopdbiften, mit nod^ größerem @!el
t)Or bcn proteftantifd^cn 2lpologeten, mit einer unrotrJfamen (Sl^rfurd^t vox
bem ei^riftentl^um unb mit ber 33eforgni§, baäfelte fönne eine ftreng^^iffem
fd^aftlid^e ^Prüfung nid^t bcftel^en. SSejcid^nenb ift in biefer §infid^t, waS
er über bic 3Jiefftabe f agt * :
„aßenn ber SSerfa|fcr be§ SIKefflaS fein SDid)ter ifl, fo ift er bod^ ein
Sertl^cibiger unferer Sflcltgion. Unb btcfeS iji er, mel^r atS alle ©d^riftftcHcr
fogenannter geretteter Offenbarungen ober untrügltd^er Seweife. Oft beweifcn
biefe Ferren burd^ tl^r Seweifen nid^t§, als ba§ fie baS Scroeifen l^ätten
foHen bleiben laffcn. 3u einer ^dt, ha man baS Gl^riftentbum nur burd^
Spöttereien beftreitct, werben ernjil^afte ©d^lüffe übel oerfij^wenbet. 3)en
bünbigjien ©d^Iug fann man burd^ einen ©nfatt jroar nid^t wiberlcgen, aber
man lann il^m ben 2Beg jur Ueberjeugung abfd^neiben. 3Kan fe^e 3Bife bem
SSBi^e, ©d^arfftnnigfeit ber ©d^arfpnnigleit entgegen. ®ud^t man bie SRelis
gion oeräd^tlid^ ju mad^en^ fo fud^e man auf ber anbern @eite fte in aQem
bem ©lanje tJorjufieHen , wo fie unfere (Sl^rfurd^t oerbient. S^icfeS l^at ber
©id^ter gctl^an. 3)a§ erl^abenfle ©el^eimniß weife er auf einer ©eite ju fd^ils
bem , wo man gerne feine Unbcgreiflid^!eit oergifet unb ftd^ in Scwunberung
oerliert. @r wei§ in feinen Sefern ben 3Bunfd§ gu erwccfen, ba§ b(t§ ©l^ri?
pentl^um wal^r fein möd^te; gefegt aud^, wir wären fo unglüdtfid^, ba§ eS
nid^t wa]§r fei. Unfer Urtl^cil fd^lögt jtd^ aHegeit auf bie Seite unfereS
2Bunfd§cg. aSBenn biefer bie (Sinbilbungäfraft befd^aftigt , fo lafet er il^r feine
Seit, auf fpi^ige 3ioeifel ^u faöen; unb alSbann wirb ben äJieijien ein um
bcflrittener ScweiS eben baS fein, wa^ einem SOBeltweifen ein unjubejireiten^
ber ift."
9Jian fielet auä biefer ^eße, n)ie bem jungen Seffing fd^on ber große
Äampf ber ^tit um (S^riftentl^um ober Unglauben Mar unb fd^arf oor
Slugen fd^roebtc. Unb bod^, ber wifeige g^ragmentift l^at eS nid^t oerfud^t,
ben 3Bi^en SSoltaire^S feinen SCßtfe, bem fogen. ©d^arfftnn ber (Sncxßo^
pabiften feinen ©d^arffinn entgegenjufefeen ; ber tiefblidf enbe jtritif er über*
Id^t eS Slnbern, für bie oon atten ©eiten angefod^tene 9leIigton einju*
treten, konnte er eine SHeligion ernftlid^ für bie roal^re l^alten, toeld^e
fid^ nur mit frommen SBünfd^en unb poetifd^em 3ttuber oertl^eibigen Id^t ?
konnte eS il^m ernft gemeint fein, wenn er bie Unl^altbarleit beä 6§ri=
ftentl^umS al8 ein UnglüdC bejeid^net?
3n dl^nlid^ unentfd^iebener aßeifc fprid^t er fid§ über bie 3Woralitdt aug.
„5lud^ bie ©itten/' fagt er, „f^aitn il^re SKoben. ein Jüngling au§ bem
»origen 3a]§rljunbert würbe mit feiner iungfröuli^en ©d^aml^aftigleit , mit
Ucber ÄtopjtodfS 3)fleffiabC; über ^ptron, ©octor ZxiUtx ic.
128
SlBfatt x)om elterlichen ©lauBen 2c. 21
feiner Blöben Sefd^cibcnl^eit {c^t eine fel^r läd^erlici^e fjigur mad^en, (S§ war
eine ^titf wo man ein tJrauenjimmer, weld^em man in unferen 2^agen ba§
Sob eines Icbl^aften grauen^immerS, bie il^re aSBelt lennt, beilegt, wenigftenS
tn*§ 2:olIl^ttu§ gebrad^t l^ätte. @§ mirb eine anbere lommen, unb cS wäre
©d^abe, wenn fie nic^t fommen fottte, ba e§ ber SBol^lanftönbigfeit gemag
fein wirb, ein guter ®l§rifl ju l^eigen, fo wie e§ je^t bie 3lrtigfcit erforbcrt,
ftd^ für nid^ts ©d^led^tereö atö einen Sltl^eiften, fo lange man gefunb ifl, l^alten
gu laffen. 35Benn man in geftttetcn Sönbern »om 2lnfange an alle biefe Slbs
wed^felungen in befonbcrn Sudlern aufgejeid^net ptte, fo mürbe man biefe
Sudler nid^t beffer al§ bie ©d^anbd^ronif be§ menfd^lid^en ©efd^led^teS
nennen fönnen."
©0 meit biefe Slbmed^ölungen nur ben Slbfatt non bem d^riftlid^cn
©tttengefcfe in fid^ fd^lie^en, mürbe il^re 2lufgeid§nung (ßulturgefd^id^te)
atterbingS blo^ bie ©d^anbd^ronilE beS menfd^tid^en ©efd^led^teS fein. 216er
gab e§ nid^t aud^ fold^c 2lbmed^§lungen jum Seffern? SBürbe bie JÄüdf?
fel^r gu d^rtftlid^er ^uä)t unb ©Ute ntd^t ©toff ju einer (Sl^rend^ronif
bieten? ^^t bie ^tit nid^t ju erfel^nen, mo e§ ein SRu^m fein mirb, ein
guter ß^rift ju fein? Seffing beutet mol^l auf ben 3itf^^^^^^5^^9 ^^n
(S^riftentl^um unb guter ©itte l^in; aber er begnügt ftd^ mit ber SBol^t
anftänbigf eit , ein guter ßl^rift ju l^ei^en. „(Sä mdre ©d^abe", mcnn
biefe d^riftUd^e SJlobejeit ntd^t fdme; aber ein bringenbeö SSebürfni^ ift
fie il^m nid^t. (Sntfprcd^cnb i^m bto| auf SSefd^äftigüng ber (SinbilbungSs
f raf t f peculirenben SDogma, gilt i^m aud^ bie ©ittUd^f eit als b l o ^ e 9Ji o b e :
ein trüber fittüd^er ©tanbpunft, o^nc §alt unb 9JlarI, von bem ber
©ncpftopdbiften nur burd^ äußere ^ufö'KiS^^iten gefd^ieben! J)enn als
fotd^e finb aud^ bie glüdflid^ften 3^aturanlagen unb bie ebelften 3Solfä=
eigenfd^aften in 33ejug auf bie ed^te malere ©ittlid^feit ju betrad^ten, meil
biefe o^ne ^Religion, ol^ne @ebet unb ®nabe üon S^itn in ber gegem
mdrttgen Orbnung ber SDinge ntd^t befleißen lann.
^a fieffing nun auf ®nabe, ®tM unb au^erlid^e SReligionäübung
ntd^t fonberltd^ üiel gab , ja fogar jmeifelte , ob e§ fd^idtlid^ fei , in ben
©reigniffen beS tdgltd^en Sebenä, in ^ranfl^eiten u. bgl. bie §ügung
einer allmaltenben SSorfel^ung anjuerJennen , fo mirb e§ S^iemanben be^
fremben, ba§ er, jroifd^en ^roteftanttSmuS unb Unglauben gcfteUt, bie
ganje 3flet)olutton ber l^alben Dorjog unb wtit mel^r ^^^^^^S^^fl i^ ^^"
6nct|f lopdbiften, namentlid^ ^u SDiberot *, f ül^lte , alS ju izn proteftantfe
fd^en Sl^eologen.
$)tbcrot galt i^m aud^ als ber bcflc fronjöfifd^c Äunflrid|ter.
Ü9
22 Slbfall t)om cltctlid^cn ©lauben 2C.
„Unfcr SScrfalfcr," fd^rctBt er von bicfcm im „Sicucficn au§ bcm SRcid^
bc§ S35t^cS" , „ifl einer t)on bcn SBeltroeifcn , wdä)t fid^ mel^r SDlül^c maä)tn,
aSBoIfcn ju mad^en, als fie gu jerjireuen. UeBeraQ, rao fie il^re 3lugen J^in^
fallen laffen, erjittem bie ©tü^ien ber Belannteften SBal^rl^eiten, unb waS man
iaxii ndf)t vor fid^ ju feigen glaubte , oerliert fid^ in eine ungewiffe gerne.
@ie fül^ren unS
„3« fangen Dott ^a^i jum glänjenben Z'f)xont ber Söal^rl^eit",
ü. Äleifl.
wenn ©d^ulfel^rer in ©ängen »oH eingcBitbeten Std^tä jum büfleren J^l^rone
ber fiügen leiten. Oefefet aud^, ein fold^er SGBeltmeifer wagt eS, SKeinungen
ju Befreiten, bie mir gel^eiliget l^aBen. S)er ©d^abe ifl flcin. ©eine Sraume
ober SOBal^rl^eiten , mie man fie nennen miH, werben ber ©efeUfd^aft eben fo
menig ©d^aben tl^un, al3 Dielen ©d^aben il^r biej[enigen tl^un, meldte bie
S)enfung§art aller SKenf d^en unter ba§ 3lod^ ber übrigen Bringen wollen."
S)en nötl^igcn Kommentar gu bicfen jugcnblid^en Slnfd^auungcn l^at
^ictgig Saläre fpdter bie franjofifd^e JJieoolution geliefert *. SOBaS fieffing
aBl^ielt, mit rollen ©egcln ber unter Mniglid^er flagge gur Sicoolution
fteucrnben Sffuffldrerei gu folgen, waren ©igenfd^aften unb Umftänbe, mic
toir fie oBen als glütflid^e 3^fälIi9'€W^i^ bcgeid^nct l^aBen: fein bcutfd^eä^,
ber Slffectation im (Sangen aBgeneigteä ©emütl^, fein Mftiger, fclB=
ftdnbiger ©l^arafter, bie ernfterc Slid^tung, meldte er burd^ feine ftrenge
Sugcnbcrgiel^ung crl^alten l^attc unb meldte t)on ben leid^tfinnigen Seipgigcr
3:agen bod^ nid^t gang l^inmeggefpült morben mar, feine ©orge um^S
tdglid^e 35rob unb um eine unaBl^dngige ©tclluug, fein eblerer ©inn,
TDeld^er t)on ber mit glatter §oflid^!eit übertünd^ten Unfldtl^igfeit ber
jittenlofen grangofen gurudffd^radE, fein SlBfd^eu üor Äried^erei unb enblid^
jener madfcre, Biebere SSolfägeift, meld^er aud^ im proteftantifd^en ©eutfd^s
lanb fo lange unb gdl^e bem frangöfifd^en STufHdrtd^t trotte unb il^m
DiclerortS nod^ üBer ein ^al^xl^unbert lang ©tanb l^ielt. SSBic man inbe|
bie beutfd^e ©emütl^äart SeffingS unb fein ©elBftgefül^l in üielen ©tüdfen
anericnnen mufe, fo ift bod^ SSeibeä nid^t üBcrtrieBen gu preifen. SBenn
er fid^ baran mad^tc, ©riefe be§ großen ÄonigS gu »erbeutfd^en, fo lag
ncBcn bem „nationalen aScrtl^ einer fold^cn literarifd^en Sil^at" aud^ bie
SWoglid^feit nid^t ferne, bie §ulb ober menigfienS bie 3lufmcrlfamfeit beS
„Slllerl^od^ften" auf ftd^ gu giel^en; unb fofftc er nie fo ^od^ gcgielt l^aBen,
1 SBgl. @. gorflerS S3riefc. II. 439. 440. 549. 667. ,;©clt Id^ wel^, bafe feine
Xugenb in ber S^ieDolutton ift/' fagt bicfer 3a!obiner, „efclt fte mid^ an. $)ic ^err*
fd^aft ober bcffer bie jE^rannei ber SBcmunft, DieUcid^t bie cl[em|te Don allen, ftel^t
ber SBcIt nod^ Bet)or. SDScnn bie 3J?enfd^en crjt bie ganjc SGBlrffamfeit bicfeS Snflrua
mentcS fennen werben/ weld^c ^ölle um fxd^ l^er werben fxe fd^affen !"
130
5lbfatt oom eltcrlid^cn ©laubcn k. 23
fo l^at er bod^ bcm §errn t)on SSoltairc atö Ucbcrfcfecr gcbicnt, unb
rourbc als fold^cr einige 3ctt täglid^ an ben Sifd^ beS „größten 9JianneS"
gelaben, 63 fann il^m foId^eS, mit SHütfjid^t auf feine fnappen nnb
fd^roierigen ©elbüerl^dltniffe , laum gum SSorrourf gered^net werben; aber
e§ ift immerl^in ein 3wfttntmentreffen, baS auf bie ©efd^id^te beä „beut[d^en
SRationatterou^tfeinä" nid^t ju Dergeffenbc ©treiflid^ter wirft unb aud^
auf bie religiöfe ©ntroidflung beS beut[d^en ÄrittferS nid^t ol^nc ©influ^
geblieBen ift.
@8 l^anbelte pd^ um ben berüd^tigten ^roce§ SSoItaire^S gegen Slbral^am
§irfd^ megen ber fäd^ifd^en ©teuerf d^eine , Bei weld^em bie „S^^^^ ^^^
^al^rl^unbertS" fid^ neben einem fd^riftlid^en SReineib nod^ graei gdlfd^ungen
von §anbfd^riften gu ©d^ulben lommen lte§. SDie oielen ©d^reibereien,
roeld^e ber 5proce| erl^eifd^te, uerfa^te ber in ©treitl^dnbeln erfal^renc
aSoltaire felBft, unb Jbie §ebcr, roeld^e einft ben S^atl^an fd^reiben follte,
n)urbe üon S3oltaire*S ©ecretär, SRid^ier, angeworben, nm bie fauberen
2lctenftüdte beS „©öttlid^en" gegen ben armen Slbral^am gu uberfefeen.
griebrid^ felbft l^at ben fd^onen §anbel in einem S)rama Tantale au
proces üeremigt. SOBeld^en ©inbrudC aber Seffing Don ben beiben Sitis
ganten mitnal^m, ift auS einem feiner ©pigramme gu erfc^en:
„Unb furj unb gut ben ©runb gu faffcn,
SBarum blc Sijt
'2)ent 3w^«n nid^t gelungen x%
@o fällt bie 2(ntn)ort ungcfal^r:
^ert SSoltairc war ein größerer @d^elm als er."
(gg mar l^ier ein fd^oner ©toff gu einem bramatifd^en SSerfud^ ge*
geben. 2)a8 ©tüdf rodre furgmeiliger gemorben, afö ^l^ilotaS, unb mal^rer,
als Syiat^an. (Sin pfiffiger ^nht überboten von einem nod^ pfiffigeren
Slpoftaten, unb beibe t)on einem pl^ilofopl^ifd^en ©alabin in eine Äomobie
gebrad^t, baS l^dtte bie StUermeltäreligion ber 3^'f"^!^ ^^^ ^W 3Jioral
nad^ ber t)oKften 3flid^tigfeit gegeid^net. SDod^ Seffing fd^eint bie merf::
mürbige SQBirMid^Ieit fpdter gang oergeffen gu §aben, um bie ?liebertrad^t
beä pl^itofop^ifd^en ^atriard^en einem ?at§olifd^en ^atriard^en angubid^ten
unb ben bummen Slbral^am in einen roeifen SJlatl^an gu üerlldren. gür
ben Slugenblidf l^at fid^ übrigens, foroeit fid^ auä feinem S3ene§men ab^
nel^men Idfet, meber fein SRed^tSfinn nod^ fein ©elbftgefül^I gegen baS
gemeine 2;reiben beS egoiftifd^en SReligionSfpotterä empört. SRal^m er
fid§ bod^ bie SRül^e , beff en aSerf e metrtfd^ gu überfefeen, unb prieS er il^n
fogar in ber SSoffifd^en ^^it^^S ^^^ '^^^ maleren SDid^ter:
181
24 5lBfatt Dom cttcrTid^en ©lauBcn 2c.
„2Ba§ il^n BctDCgt, bewegt ; toaä l^m gefättt, gefällt,
©ein glürffid^cr dJefd^macf Ift ber ©cfd^marf bcr 2BeIt."
2llä 3Soltaire im SDecenij&cr 1751 Don ^otSbam jurütff eierte, wo er
eben fein ^^a'Sjxfjnnitxt Subroigö XIV.' üoHenbet l^atte, bemül^te fid^ Seffing
angelegentlid^, ben erften 23anb, ben er nod^ üor Uebergabe in ben SSud^*
l^anbet ungel^eftet bei 9?id^ier getroffen, anf ein paar Stage nad^ §aufe
nel^men ju bürfen. 2lber biefeä freunbfd^aftlid^c unb J^od^ad^tungäooffe
,3ntereffe foKte il^n gerabc auf immer mit 9SoItaire entjweien. Unglüds
lid^er SBeife gelangte ber nod^ ungebunbene 3lbbrucf im SSertrauen erft
an einen ^yreunb Seffingä, Syiameng £)red^fel, von biefem in bie §änbe
eines §errn von ©d^ulenbnrg, unb l^ier erblitfte il^n eine begeifterte
SSerel^rerin äJoltaire^g, bie ©räftn Sentind, bie fid^ bereits eifrigft nad^
bem 33ud^e umgefel^en, aber beSfelben nod^ nid^t l^atte l^abl^aft werben
fönnen. J)iefe beftagte fid^ bei SSoltaire, raeld^er .fofort baä @]cemplar
cinforberte. Seffing roar inbe^ iufdltig abgereist unb SÄid^ier fonnte il^n
nid^t finben. 3lun war geuer im SDad^; SSoItaire witterte fofort ben
aSerfud^ eines biebifd^en SRad^brudfS; fiel wütl^enb über feinen ©d^reiber
l^er , bictirte i§m eine 2lnllageacte gegen fieffing in bie geber, jagte il^n
fort, beoor fieffing nod^ antworten fonnte, unb brad^te biefen nad^ 3)i5g=
lid^feit in SSerruf. 33ei bem großen Slnfel^en, baS SSoltaire als ©ünftling
beS ÄönigS geno| , wagte Seffing nid^t, nad^ 33erlin jurüdf jute^ren ; er
ging nad^ Söittenberg. @r unb SSoltaire blieben auf SebenSjeit ge=
fd^iebene Seute.
$Die JRad^e, bie Seffing fed^jel^n Saläre fpctter an äJoltaire nal^m,
ift weltbekannt, (gr malte il^n in ber Hamburger ^Dramaturgie als einen
Ignoranten, Slbfd^reiber, ©d^wa^er, ©d^winbler unb eitlen ©edfen, gab
i^m einen SanuSfopf unb brüdfte biefem baS „raupengel^euerlid^e ^c^
fuitenptlein" in bie ©tirne. aSon bem (Sinflufe ber ©nc^Hopabiften
würbe er burd^ ben oerbriellid^en 3tt)if^^nfatt nid^t ganj abgelöst, aber
bod^ t^eilweife an bie fcfteren Ufer beS beutfd^en ©elel^rtent^umS jurürf::
getrieben, unb genöt^igt, bie Äeime ber frangöfifd^en SlufHdrung auf
beutfd^em Soben unb in oorwiegenb beutfd^er 2lrt weiter auSjubilben.
132
3. ^ottmtitnn^ hex ^ofetanjibee itniet ^a^t^f^tm
itt bett „^etfungett".
©er ©prung t)on Scrtin nad^ SBittenberg war, bei aller Äürje ber
Entfernung, ein ©prung t)on einer SBelt in bie anbere! ©ort baä bunte
2:reibcn einer road^fenben 8le[ibenj, SIufHdrung unb ^ortfd^ritt, ©olbateu::
lärm unb politifci^e Jftegfamteit , ©d^öngeifterei unb unrul^igeS Siteraten*
tl^um, Jl^eater unb ^^antoininte , franjöfifd^e SSeroegüd^feit unb Steuerung
in aUtn Äreifen — l^ier ber würbige , einförmige ^enbelfd^Iag ber alten
3cit, ^rebigt unb 33etftunben, tl^eologifd^e SSorlefungen unb fromme
Äränjd^en, fteife ©iäputationen unb grimmig^ernfte religiofe ^e^ien,
taufenb Grinnerungen an ben ,, Zeitigen beS Jperrn" unb inquifitorifd^er
Gifer für bie 3%einer]^altung feiner Seigre. fieffingS SSater begrüßte ben
Umjug feines ©ol^neS von ber „gottlofen Äönigöftabt" in bie „fromme
©otteöftabt" mit bem innigften ^ubel beä §erjenä. @r l^atte einen jüngeren
©ol^n bortl^in gcfd^idf t gum ©tubium ber Sl^eologie ; aud^ für ben älteren
l^offte er nun mieber. ©ollte berfelbe, mitten im ©onnenglanje ber ©ot^
teggelal^rtl^eit , ftd^ nid^t bemüht werben, bafe bie Äßnigin ber SBiffen^
fd^afteu nod^ etroaä gelte, ba| SÖBeiSl^eit unb Sugenb, Gl^re unb anftäus
bigeö aSrob in il^ren ©ienften gu l^aben fei? ©oUte er nid^t, ben üer*
berblid^en Sfteijen ber Sül^ne entrüdft, fein Sarbiton an ben $ftagel l^dngen
unb ftatt ©d^ulben gortfd^ritte in ben SBiffenfd^aften mad^en?
SDem ©ol^ne war ber plofelid^e, unfreimiHige Umtaufd^ meber fo
roiKfommen nod^ fo l^offnungäreid^. (Sr l^atte bereits alle ©elel^rfamfeit,
aud^ bie ©otteSgclel^rt^eit , in ben SDienft ber Äunft unb ber Siteratur
genommen; ber fiiebling feineS §erjenS raar baS Sl^eater unb bie bra^
matifd^e Äunft. §unbert ^ßrojecte, bie er angefponnen, maren burd^
bie geroaltfame aSerdnberung jerriffen unb in SÖBittenberg mar feine 2luS^
fid^t, fte lieber aufgune^men ober neue anjufpinnen. SDod^ bei ber aSiel=
feitigfeit feiner Slnlagen, feiner 8uft an gelehrten ©tubien, feinem elafti^
f d^en 2lnpaffungSt)ermogen unb feinem SBiberfprud^Sgeift , ber -©egenf öfee
""133
26 gormulirung her Xolcranjibcc unter ^Sagtc'fc^cm (?influ^ k.
liebte, TDarb e§ bem jungen J)id^ter nid^t fd^rocr, fid^ in bic mntf gleid^=
fam jufdHig l^erBeigefül^rtc Sage ju fd^itfcn. 2ln einfad^eä Seien unb
©ntbel^rung l^atte er fid^ längft geroSl^nt ; eS f oftete il^m leine ^Ulul^e, mit
[einem SSruber bic Inappgemeffene ©ioillifte eineä armen ©tubenten ju
tl^eiten unb babei nod^ munter gu fein mie ein Äönig. SBar il^m weniger
©elegenl^eit geboten, moberne fiiteratur ju treiben, fo marf er fid^ mit
um fo mel^r 6ifer auf bie alte, ftubirte namentlid^ §oraj unb 9Jlartial,
gried^ifd^e, römifd^e unb neulateinifd^e ©pigrammatif er ; l^atte er weniger
SInregung gu neuen planen, fo fal^ er altere roieber burd^, feilte an fei*
nen 3>wgenbarbeiten unb bereitete eine Sammlung feiner biäl^erigen SBerfc
(©ebid^te, Epigramme, 5)ramen ac.) gum ©rudfe. aSermi|te er bie 33ü§ne,
um neue bramaturgifd^e 23eobad^tungen angufteffen, fo l^atte er um fo
mel^r ^tit, bie fd^on gemad^ten genauer gu unterfud^en unb ftd^ in bie
unt)erganglid^en SJieiftermerfe ber 9llten gu Dertiefen. Sluf ben SBunfd^
ber Gltem bewarb er fid^ um ben 2Äagiftergrab , auf ben er perfonlid^
nid^t üiel l^ielt, unb unterwarf fid^ ben l^iegu nötl^igen SSorbereitungen.
Einmal übermanb er fid^ fogar fo weit, an ©teile eineS feiner greunbc
eine ßeid^enrebe gu l^alten; ber officielle ©ruft wollte il^m inbefe nid^t be=
l^agen, unb er üerfpottete ftd^ felbft in bem Epigramm:
„£> D^cbncr! SDcin ©efid^t gicl^t jämmerlid^c galten,
3nbcm bctn Wlunh etbärmlic^ fptld^t.
Qf)' bu mit foHjl bic ßeid^cnrebc l^alten,
SSa^r^aftig, lieber ftcrb* id^ nid^t."
2lud^ in iöegug auf feine ©tubien mad^tc Seffing bem 9Sater mel^r^
fad^e 3w9cftänbniff e ; allein ber ©eift ber ^dt war bereits gu tief in
feine ©eele gcbrungen , alä ia^ er an ber lutl^erifd^en Xl^eologic l^dtte
©efd^madC finben ober aud^ nur gum ©lauben feiner ^ugeubjal^re frol^
unb freubig gurüdffel^ren lönnen. 35er mäd^tigere ©eniuö, ber feine reli^
giöfe S5enfweife bel^errfd^te unb il^n immer mel^r in ben Söirbelftrom be§
3n)eifelä l^ineinrife , war nid^t, wie man glauben f oHte , einer ber (Snc^s
flopdbiften, fonbern einer il^rer SSorldufer, ein SBtann beg DorauSge^
gangenen Sal^rl^unbertä : ^eter SSaple.
1647 in ©übfranlreid^ geboren, ©ol^n eineä caloiniftifd^cn ^ßrebigerä
unb im ftrengften GaloiniSmuä aufergogen, ftubirte ©aple anbertl^alb ^a^v
lang ^l^ilofop^ie bei ben 3i«fuiten in 2:ouloufe, conoertirte fd^on nad^
einem 3iJionat , fd^wur auf baä unermüblid^e S)rdngen feiner SScrwanbten
bie fatbolifd^e ^Religion na(§ S^^^^^f^iP wieber ab, fud^te feine ©laubenä*
gweifel in l^eiterem SÖBeltleben unb p^ilofopl^ifd^en ©tubien loa gu werben,
184
{Jormulirung ber Xolcranjibcc unter Sat)Ic'fd^em (5tnflu§ k. 27
leBte einige ^tit alä ^auSlel^rer in ®enf unb n)urbe bann ipi^iIofop]^ic=
^rofeffor an ber caloiniftifd^en tlniüerfitdt in ©eban, SDurd^ ben aQBiber=
rnf beS ©bictcS von 5WanteS 1681 t)on ber aufgelohten Slnftalt nad^
§oIIanb oerfd^Iagen , roibmete er fid^ neben feinen l^iftorifd^^tritifd^en unb
p]^ilofopl^ifd|en ©tubien ber reügiofen ^olemif , bie er inbe^ wegen ber
ftrengen ßenfur burd^ Slnonrimitdt unb literarifd^en §umBug gu maSftren
genStl^igt war. OBraol^l er an ben ©alüiniSntuä eBenforoenig ate an
irgenb ein anbereS d^rifttid^eä ©elenntni^ glauBte unb mit calüiniftifd^en
STutoritdten in anbauernbe §dnbel geriet)^, war er bod^ über ben 2Blber=
ruf beS ©bietet üon 3lante§ furd^tftar erbittert, unb roanbte alle ©d^drfe
feines gweifelfüd^tigen SSerftanbeS unb äffe ^ilfSmittel feiner au^erorbent^
lid^en SSetefenl^eit an, um in glugfd^riften unb Sudlern, wie burd^ journa^
liftifd^e 5:i^dtig!eit nid^t biefe ober jene 9fleligion, fonbern äffe unb |ebe
Stutoritdt, bie 3lu§fd^IieBIid^?eit ber Söal^rl^eit, bie STuäfd^Iiefetid^Ieit ber
^Religion, bie Stuöfd^Kefetid^feit be§ ßl^riftentl^umS in äffen feinen ^Jormen,
bie SBered^tigung einer ©taatäreligion überl^aupt gu befdmpfen. ^z mt^x
er aud^ in ber ^l^itofopl^ie ber ©!ej)fi3 i^ulbigte, fo ba§ felbft ein Seibnij
baran t)ergn)eifelte, feine eigentlid^en 3Inftd^ten feftfteffen ju !önnen: befto
lauter unb einbringlid^er »erlangte er offentUd^e 25ered^tigung für äffe
STnfid^ten, gefe^lid^ anerlannten Spielraum für äffen, aud^ im religiöfen
3n3eifel. SEoIeranj ift fein fiofungSroort , Trennung ber ^l^ilofopl^ie oon
ber Jl^eologie fein S>^d auf wiffenfd^aftlid^em ©ebiete, unbefd^rdnlte gut
tn§^, Sel^rs unb ^re^freil^eit feine gorberung an bie ^olitif. ©ein pd^fteä
Sbeal ift, ba^ fid^ bie aSölfer au§ ben pofttioen ^Religionen nid^t üiel
mad^en, um in tl^dtigem äöetteifer um bie ^alme ber Siebe unb ?D^enfd^en=
freunblid^!eit gu ringen. @inerfeit§ an^ feinem eingerourjelten SSorurtl^eil,
bnfe baS 5)ogma, b. 1^. bie pofitioe 9ieIigion, ber größte geinb jener p]^ilan=
tl^ropifd^en Siebe fei, unb auS ber langjdl^rigen ©erool^nl^eit anberfeitö,
bie [Religion ©erfappt unb oerbcdft ju beldmpfen, ging nad^ Slbfaffung
mel^rerer Weiner ©d^riften ber ^lan eineö großen, monumentalen SBer!e§
l^eroor, meld^eS äffe pofttioen formen beä Sl^riftent^umä auf bem Söege
Iritifd^^iftorifd^er Unterfud^ung untergraben foffte. @8 ift fein berül^m^:
teä Dictionnaire historique et critique (4 33be. ^ol. SRotterbam 1720).
„2llg 2lneIbotenfd^afe beg 3Beltaff§," fagt 9Siffemain, „Kompilation ju=
gleid^ unb biale!tifd^eS ©ebdube, pl^ilofopl^ifd^er aU äffe ©ele^rten, ein
foloffaleg SRagajin beä SBiffenS unb beS Unglaubens, mar fein SBer!
mie gemad^t, einem geiftreid^en Sfö^^^^nbert baS ©tubium ju erfparen (!)
unb eS gugleid^ mit Slrgumenten ju oerfe^en." S)ie| umf angreid^e , auf
186
28 gormuUrung her 2:olcran3ibee unter ©aplc'fd^cm (Stnflu^ tc.
bic tDeiteftcn streife bered^ncte SBerf ift nid^t nur bic ©runblagc ber
franjoftfd^cn @ncr|Hopdbie, fonbern gugleid^ bag SJorbilb für jal^llofe ©am^
ntcninfcn dl^nltd^cr Icnbeng genoorben. @g tDimmelt barin t)on unüer^
bürgten 2lne!botcn, falfd^cn ßitaten, unrichtigen Seurtl^eilungen , offenen
©opl^iämen unb aüer 2Irt t)on roiberlid^em ©d^mufe; aber an bie Stuf::
fpeid^erung biefeä jämmerlid^en SReid^tl^umS finb neben einer belfeenben
fronte, einer J^dmifd^en ^olemil, einer dfeenben ^i^^if^^^^^t gugteid^ ein
ungel^eureä pofitiüeg SBiffcn, eine ftaunenSroertl^e Süd^erf enntni^ , eine
fd^arfe SDtaleltif, baä fieben unb Sialent eineg anwerft begabten ©ele^rten
Derfd^roenbet. J)er bdmonifd^e ©pott unb ^rt)n\d 3Soltaire*§ ftedft bei
Saple im ernftern ^J^ergeroanbe ber auSgebel^nteften ©ele^rfamifeit. @r
fd^leubert bag Programm beS Ungtaubeng nid^t gümenb ober pl^nenb in
bie SSBelt; mit ber gemid^tigen 3Jliene be§ ^orfd^erS, bem e§ nur um
fritifd^e Unterfud^ung ber SÖBal^rl^eit gu tl^un ift, fritifirt er äffe natura
lid^e unb übernatürlid^e ©eroi^l^eit ju SSoben. @r beftürmt bie Slutoritdt
nid^t mit einem glül^enben 2lppeff an bie menfd^lid^e greil^eit; mit be=:
bauernbem 2rd^|eIjudEen bocumentirt er nur au§ l^unbert anfd^einenb ju«
t)erldffigen Duetten fo oiel ®!anbdlgefd^id^ten über fie, ba| ber 3trgtofe
an il^r irre werben mu§. @r raiff feinen i^elbjug gegen bie beftel^enben
Sieligionen unternel^men ; er voiU nur bie gel^ler oerbeffern, raeld^e fid^
in taufenb 33ud^er eingefd^lid^en unb burd^ trabitioneffe 3Sererbung in ber
n)iffenfd^afttid^en SBelt fortgepflanjt l^aben. Gr raiff nid^t Unglauben,
fonbern nur SGBal^rl^eit unb Siebe!
ßeibnij, ber gldnjenbfte SReprdfentant beutfd^er Unioerfatitdt unb
Siefe im 17. Sal^r^., l^ielt bie SÄnfid^ten »aple^ä für fo gefd^rtid^, ba^
er feinen SInftanb nal^m , il^rer SGBiberlegung ben größten 2:i^eil feiner
Jl^eobicee ju njibmen *. SRid^tSbeftoraeniger gab ©ottfd^eb nad^l^er ben
SSa^le beut[d^ l^erauä , unb feine iJrau, bie geleierte ÄulmuS , f onnte ftd^
rül^men , jmeimal f dmmtlid^e 35rudEbogen ber oier fd^weren Folianten an
ber ©eite il^reS ©emal^Iä burd^ge[e]^en ju l^aben. ^n fabell^after Ober=
ftdd^Iid^feit 2 oerfd^lang man in ben „gebilbeten" beutfd^en Greifen ben
* SSgl. Oeuvres de Leibniz. Th6odic6e. De la conformitö de la foi etc.
yix. 40.
* S)a§ e§ ©ottfd^cb ftd^cr ntd^t um 53cförbcrung beS Unglaubens ju tl^un war,
ifl bcifpiclSroeifc barauS abjuncl^nten, ba^ er 1748 aud^ ben Slntifucrej beä (Sar«
btnat§ ^oltgnac l^erauSgab unb il^n Tobte ol§ opus cedro dignum totumque in
convellendis Atheorum paralogismis oecupatum. 23^an l^atte eben ben @tnn für
[Äeltglon unb SBal^rl^clt Derbren. SS^enn cS^ur neue 53üd^er gab !
136
gorntuUrung bcr Stolerangibce unter ^a^lc'fd^cm Hinflug 2c. 29
grünbtid^en ßeibnij unb bcn feid^tcn Sa^le, bic SRcd^tfcrtigung beS ©taus
benö unb bie Slpotl^eofe bcS ^voti^tl^ jus^^i^/ ^^"^ fi^ ö^^^ i^ic tfef=
greifcnbe 2ltternatioc ju cntfd^cibcn. Sßd^renb Scibnig nur in roenigcn
crnftercn unb reltgiofen ©cmütl^crn 33oben fanb, befrud^tcte 33ar)le bie
nad^ a3rob unb Äurgrocit led^jenben ©irfet ber Sitcratcn, unb mad^te einen
SBicIanb möglid^, n)ie er uorl^er einem aSoltairc bie SÄol^ftoffe jur 35e=:
reitung [eineä antireligiöj'en ©fprit geliefert l^atte.
33ei bem angebeuteten3uftanb ber beutfd^enSitcratenn)elt(@ottfd^ebftanb
bamalä in SJlorbbeutfd^tanb an ber ©pifee) ift eS fe^r begreiftid^, ba§
Sa^te eineä ber §auptn)erfe wax, mit weld^en fid^ Seffing in 33erlin,
Dieffeid^t fd^on in Seipjig, belannt ju mad^en jud^te. Um mit luriofen,
gefd^id^tlid^en ^erfönlid^f eiten unb wunbcrlid^en fragen, feltenen 33üd^ern
unb t)erjn)idtten ©efd^id^ten, lurj mit ben Derfd^iebenfien ©egenftanben
raiffeufd^aftlid^er SJieugier üertraut ju werben, war baS Sßerf wol^l eine
ber reid^ften unb auögiebigften Oueffen, ein unerfd^öpflid^eS unb baju
!urgn)eiligeä SRepertorium. Unb Seffing war ja Siterat, SDid^ter, Steceu::
fent, unb baS 21lle§ in ben 9lnfängen, mit bem SBunfd^ unb gemiffer^
ma|en in ber 5Rot]^n)enbigfeit, fid^ über 2llle§ in ber 3BcIt mogtid^ft fd^neU
aufguftdren, über 9lllc§ ju ©erid^t ju [ifeen unb jenad^bem aud^ SlUeä ju
bejtbeifcln. ©d^on bie erfte SÄecenfion, bie er für bie SSofftfd^e 3^i^^^9
lieferte, mar über eine „©efd^id^te ber ©elel^rtl^eit" unb fül^rte il^n in
ba§ bunMfte SaB^rintl^ ber Äe^jergefd^id^te unb Slpofr^pl^enliteratur l^in=
ein, in meld^em er pd^ aU 2lutobibaft, ol^ne einen fo rool^lerfal^renen
Äe^er^Gicerone mie Sagte, faum mit ber nötl^igen SJiafd^^^it gured^t ge*
funben l^atte. 2Bar il^m bod^, mie auS ber Äecenfion erfid^tlid^ ift , aud^
biefer nid^t einmal l^inreid^enb, ben l^eftigen ^ei^l^unger ju ftiffen, ben er nad^
ben ©d^riften ber (äbioniten, ©noftifer unb aJtanid^der fomie nad^ allem
9Kgt]^enquarI oerfpürte, meldten biefe atö ©d^riften SIbamS, ©etl^ä unb
^afobS ausgegeben l^atten. ©pdter recenfirte er ßl^aufepie'S ©upple^
mente gum Sagte; Bei einer Äritil über ben HI. 93b. üon ^od^erS ®e=
tel^rtenteplon aber ©erbefferte er baS beutfd^e SCBerf faft ©eite für ©eite
nad^ aSagte, mitunter aud^ biefen, unb ging fogar mit bem ^tan um,
ben Söd^er üöttig fetbftdnbig umguarbeiten unb in eigener ^erfon ©eutfd^s
tanbS Sagte gu werben. 2)iefer pan ift nid^t gur 3fieife gebiel^en. S)od^
l^at fieffing menigftenä f pdter in bem „Seben beS ©opl^ofteä" eine t)er=
eingette ©rgdngung gu Sagte geliefert, gür ben 3lugenbtidt aber brüdfte
ber einflul Sagte'S feinen d^arafteriftifd^en ©tempet auf fein ^treiben
unb ©tubiren, auf bie SBal^t feiner Sl^emata, bie ^Äetl^obe ber SluSfül^rung,
137
30 gormuUrung ber Xotcranjlbee unter ©aglc'fc^cm ($lnflu§ ac.
feinen ®til , feine ©runbf äfee , felbft feine 2lrt unb Söeife ju citiren *.
2öie S3ar)le oemtieb er eS, fid^ in feinen ©tubien an einen fpftematifd^en
®ang ju Italien, ftöberte mlme^v unrul^ig in allen ntögtid^en SDingen
l^erum, am liefiften in Äefeereien nnb Krd^engefd^id^tlid^en ©d^wierigfeiten,
in Derbdd^tigen unb anrüd^igen Slutoren, in Slffem, roag feinem Urfprung
ober feiner 9latur nad^ im ©cgenfafe gur SÖBittenBerg^fd^en Ortl^obopie
unb jum l^errfd^enben ©pftem ftanb. SBie SSaple griff er bie religiofe
g^rage nid^t principieH t)on ber bogmattfd^=p]^ilofopl^ifd^en ©eite an, fon?
bern nur gelegentlid^ üon ber ]^iftorifd^=Iritifd^en, unb aud^ l^icr ujieberum
nid^t in jener umfaffenben, roal^rl^aft roiffenfd^afttid^en SBeife, bie fo man::
d^en proteftantifd^en ©efd^id^täfd^reiber ber fatl^olifd^en Ätrd^e gcnal^ert ober
in il^ren ©d^oo§ jurüdfgefül^rt l^at, fonbem aBgeriffen, fragmentarifd^, nad^
jener Bequemen SJietl^obe, wetd^e bie ^^^rfd^ung augenBlidflid^ aBjubred^en
üerftattet, rao fte ber „^reil^eit" gefdl^rlid^ ju werben brol^t. 3n biefen
fragmentarifd^en ©tubien ftreWe er, roie SSapte, ntd^t fo fel^r pofitioe
9%efultate an, atö oielmel^r ©eWttelung unb Seftreitung aßeg Bigl^er ©e^:
fagten, unb je geringfügiger ba§ Kapital oon SÖBal^rl^eit mar, baS fid^ ba::
Bei l^erauSfteCte , befto lauter rief er immer roie SSatile nad^ §^rei]§eit unb
S)ulbung für aße feine S'^^if^t- ®^ Bilbete fid^ in il^m affmäl^lid^ jene
©eiftegrid^tung l^eran, roeld^e ©ötl^e, im ©egenfa^ ju feiner eigenen,
treffenb d^aralterifirt J^at: „fieffing l^ält fid^, feiner polemifd^en 5Jiatur
nad^ , am tieBften in ber Siegion ber SCBiberfprüd^e unb 3w^ifrt auf ;
baä Unterfd^eiben ift feine ©ad^e unb baBei ?am il^m fein großer 3Ser=
ftanb auf ia^ ^errlid^fte ju ftatten. Wtid^ felBft werben ©ie bagegen ganj
anberg finben ; id^ l^aBc mid^ nie auf SBiberfprüd^e eingelaffen, ik ßxotiftl
l^aBe id^ in meinem S^nern auSjugleidpen gefud^t, unb nur bie gefunbenen
Slefultate l^aBe id^ auggefprod^en." ^
5Die grüd^te feiner oor^errfd^enb BiBUograpl^ifd^en unb fritifd^en, nur
neBenBei fird^engefd^id^tlid^en unb religiöfen SBittenBerger ©tubien l^at Sefftng
in ben fog. „^Rettungen" oerroertl^et, b. ^. in fünf lurjen Sluffa^en,
in raeld^en je ein oon ben proteftantifd^en 2lutoritdten oeroel^mter ©d^rift^
[teuer gegen bereu Slnfd^ulbigungen oertl^eibigt wirb. SDiefe fünf ®lüdf=
lid^en finb ber ^umanift gemniuS unb ber Iat§olifd§e Jl^eologc God^läuä
(au§ ber Sieformationäjeit) , ber italienifd^e Sttrjt, ?laturforfd^er unb ?le=
f romant (Sarbanuä, ein Slnonpmuö (SSerfaffer beä fog. Justus Religiosus)
* ©d^on (Sfd^cnhirg l^at l^tcrauf aufmerffam gcmad^t.
2 (Sdfcrmann, ©efprä^c mit ©ötl^e. Scipaig 1868. I. 242.
138
gormulirung bcr Sioictanjibcc unter S3ö^Tc*fd^cm (5influ§ k. 31
unb bcr römifd^c 2)id^ter §oraliu8. SDer rcligt5[e ©ebanicngang, bcr bcn
fünf Keinen Slpologicn ju ©rwnbc liegt, ift ungefdl^r folgcnber:
S)er jugcnblid^c Äritüer , bcr bie rcligiJfc gragc wegen anberracitigcr
©cfd^dftc für fid^ nod^ nid^t jum Sluätrag gcbrad^t, fonbern einfad^ in
bcr ©d^roebe gclaffen l^at, mad^t bei S3ibliotl^eIftubicn unb bei Untcrfud^ung
bibliograpl^ifd^cr SÖBcrfe bie il^m auffdßige Scmcrfung, ba| vitlt protc=
ftantifd^e Sll^cologcn, glcid^ bcr römifd^cn 3nic)^congrcgation, gcroiffc SßJcrfe
als fd^dblid^, gcfdl^rlid^, verboten, fittenloö, glaubcnäroibrig ac. bejeid^nen;
iinb ba| über ältere SBerle biefer 3lrt eine förmlid^e inquifitorifd^c 2)ra=
bition befielet, bie biä in bie refomtatorifd^cn ^üitn l^inaufrcid^t. @r
untcrfud^t einen ©ingclfaff (ßcmniuä) unb finbct, ba| bicfe 2:rabition l^icr
nid^t nur auf offenbarer Unrid^tiglcit, fonbern auf abfid^tUd^er (Sntftellung
gcfd^id^tlid^er Sl^atfad^cn berul^t, ba^ fic fid^ auf bie ndd^ftcn ^reunbe
unb aScrel^rcr Sutl^crä gurüdfbatirt , |a ba^ Sut^er felbft bcr moralifd^c
Urlpcbcr bcr ajcrleumbung gcracfen. Slbgcfc^en t)on biefer aSerIcumbung,
ftcHt fid^ i^m bcr oidgepriefene ^Reformator auä unbegroeifelbarcn 2:i^at=
fad^en aU ein felbftfüd^tigcr unb neibifd^cr, unbulbfanter unb idl^gorniger,.
rad^gicriger unb in feiner Scibcnfd^aftlid^Jeit gang unocrföl^nlid^er 9Jlann
bar, fein Stnfcl^cn afö eine gro|cntl^eilä auf Unraal^rl^eit unb ©cfd^id^tgs
fdlfd^ung gebaute 3Jiad^t, fein 9lefomtation^erI ate eine auS nicnfd^=
tid^cn geibenfd^aften, irbifd^en Slbfi^tcn unb ^xotäm entftammenbe, reoo-
lutiondre aScrocgung. (Sr unterfud^t einen gleiten gaU (9tcttung beä
(Sod^Iduä) mit bemfelbcn ©rgcbni^. S)ie Unroal^rl^eit unb Uncl^rlid^fcit,
bie TOilllürlid^c ©cfd^id^tSmad^crei unb il^re blinbc SSererbung treten nod^
l^eKcr gu S£age. S)cr göttlid^e 5Jiimbu3 bcr SÄcformation ocrior fid^ l^icr
in einem S3ilbe beS unioürbigften menfd^lid^cn SreibenS. SJiüdCfid^täloö
TDie er roar, rieb bcr mutl^ige gorfd^er in bcn beiben ^Rettungen bcn
geftol^Ienen ©olbgrunb DoCenbä von bcn §eiligcnbilbern bc§ fiutl^crtl^umg
l^cruntcr unb gog an il^rcr ©tatt bie pmifd^en ^aäquiUe l^croor, rocld^c
bcr Sicformalor fid^ burd§ feine Seibenfd^aftUd^teit gugegogen unb gu benen
fein bcutfd^er 2)urft unb feine ©innlid^feit, fein §od^mutl^ unb fein 3om
rcid^lid^cn ©toff geboten. S)ic ^Reformation Wät fid^ in ein rein menfd^^
lid^eä S)rama auf , in tocld^cm bie gürften bie Hauptrolle f pielcn, Sut^cr
mit feiner Ädil^c ftd§ faft toie ein groeiter ^Jalftaff aufnimmt.
©0 weit war Scfftng, S)aS Sutl^crtl^um l^attc in feinen 2tugcn alte
SSBürbe , Slutoritdt unb ocrpflid^tenbe ©cmalt ooHftdnbig oerlorcn. (Sr
ftanb frei unb feffclloS bcr dltcftcn, d^rtoürbigftcit , auSgcbreitctftcn unb
cinl^citlid^ftcn gorm beä ßl^riftcntl^umä, bcr fatl^olifd^cn Äird^c, gegenüber.
139
32 gortnuUnmg ber $:oIctan3ibec unter 53aple'fd^cm einffufe k.
Slnftatt aber nun ^aäquiCe unb ©egens^aäquiHe auf bic ©cite ju raerfcn
unb bcn alten ^roje§ groifd^en Äatl^oliciSmuS uub ^roteftantiSmuS mit
bcm ^Ui^ unb (Srnft eineS geroiffenl^aften ^orfd^erä au8 ben Slften ju
prüfen, voa8 tl^ut er?
yta^itm er fid^ fattfam an ben ©d^wad^en Sutl^erä unb an ber
Idd^erlid^en ©efd^id^tSbaumeifterei feiner Slnl^dnger ergoßt l^at, f^lie^t er
bie Sffugen, mad^t eine gange SBenbung, gel^t eine S^agereife in bie Iraffes
ften aller proteftantifd^en SSorurtl^eile gurüdt unb öffnet bie 2lugen erft
n)ieber, nad^bem er, auf bcm ©tanbpunlte eineS §utten, bie oolle „®eifte§=
frcil^eit" im ©id^ern glaubt. SDaä Uebel aller Uebel ift il^m j[e^t baS
^apfttl^um, b. ]^. bie latl^olifd^e Äird^e, meldte ben SJienfd^engeift feiner
natürlid^en g^eil^cit entriffen unb il^n in bie §effeln pofitiDer ©laubenS«
leieren unb ©ittengebote gefd^lagen l^at. Sutl^er l^at biefe ^ned^tfd^aft
tl^eilraeife gebrod^en ; aber nur tl^eilroeife, unb feine 5yiad^folger l^aben Sfting
um SRing aKmdlig wieber au§ bem ^ßapfttl^um gurüdfgel^olt, um bie
3Jienfd^]^eit auf^g ^Jlcue in ^effeln gu fd^miebetj. Obrool^l eg il^m nid^t ent^
gelten tonnte, ba§ gütiger ebenfo unbulbfam, eigennüfeig, autoritativ unb njiH«
f ürlid^ voranging roie beff en 5Jiad^f olger, unb obrool^l er beff en 3intolerang mit
ben fd^rodrgeften färben barfteHen will, mad^t er fid^ nid^tä barauS, ad
captandam benevolentiam fid^ grünblid^ gu wiberfpred^en , Sutl^er gum
großen 3Jiann aufgupufeen unb il^m ftatt ber gerfd^lagenen Slureola eineS
göttlid^en ®e[anbten bie SSürgerfrone eineS menf d^lid^en SefreierS gu oerleil^en.
„SSorl^er aber mu§ id^ ©ie um alleS, waS l^eilig ift, bitten", fo ruft er
ans, „mid^ nid^t für einen elcnbcn ^einb eincä ber größten äWanner, bic {cmalS
bie SBclt gefeiten l^ot, gu l^altcn. Sutl^cr ftcl^t bei mir in einer fold^en SSer^
cl^rung, ba§ c3 mir, atteS rool^l überlegt, rec^t lieb ift, einige flcinc SWangel
an il^m entbedCt gu l^aben, rocil id^ in ber ©cfal^r war, il^n gu ocrgöttcm.
$)ic ©puren ber ÜRcnfd^l^l^it, bie id^ an i^m finbe , flnb mir fo f ojlbar al§
feine glängcnbjtcn SSoIWommcnl^eitcn. ©ie flnb fogar für mid^ lel^rreid^er, ate
alle biefe guf ammengenommen; unb id^ mcrbc mir ein Serbtcnft barauS
mad^en, pc 3f^uen gu geigen ... ©o mug ber fpred^en, ber auö Uebergeugung
unb nid^t au§ ^cud^elci lobt. 3lu§ bicfer le^tcrn Quelle finb Iciber ein großer
Xl^eil ber uncingcfd^rdnften Sobfprüd^e gcfloffen, bie Sutl^cm oon unfern Sl^cos
logen beigelegt merben. "S^tnn loben il^n nid^t aud^ bieienigen , beren grengen:;
lofem ©eige unb @l^rgeigc man e§ nur aUguniol^l anmerft, bag fte im ©runb
il^reS §ergenS nid^t§ weniger al§ mit Sutl^er gufriebcn pnb? bie il^n l^cimlid^
oerroünfd^en, baß er fid^ auf llnfoften feiner 2lmt§brüber groß gemod^t, baß
er bie ©emalt unb ben SReid^tbum ber Äird^c bcn SRegentcn in bic §änbc
gcfpielt unb ben geifllid^en ©tanb bem roeltlid^en preisgegeben, ba bod^ biefcr
fo mand^c ^al^rbunbertc jeneS ©flaoe gcmcfen?"
goTtnuIitung bcr 'loletanjibcc unter SSaglc'fd^em (5influ§ 2c. 33
^aä) einer folci^en ©d^raenfung ntu^te eS bem fretl^eitSatl^menben
©trefier fel^r überpüffig, TDenn ttid^t läd^erlid^ erfd^einen, ben ®lavAtni^
inl^alt unb bie £egitimation§urfunben ber fatl^olifd^en Ätrd^e naiver gu
unterfud^en. 2Jiunter grub er in alten unb feltenen Sudlern weiter, nid^t
um bie roal^re SÄeligion ß^rifti, nad^ ber er offenbar fein fonberlid^eä
3SerIangen trug, fonbern um etroaS „S^tereffanteö" ju ftnben unb bie
Ferren SEI^eologen auf neuen Unmal^rl^eiten ju ertappen. SDer ^unlt,
auf ben er babei am meiften jielte, war bie bogmatifd^e §drte unb Uns
bulbfam!eit, mit roetd^er bie freie ^^orfd^ung aud^ unter ben 5proteftanten
befd^rdntt roarb. „(g§ war itn erften 9fleformatoren fel^r fd^mer, bem
®eifte be§ ^apfttl^umö ganjlid^ ju entfagen. 35ie Seigre t)on ber 2:oleranj,
roeld^e bod^ eine roefentlid^e Seigre ber d§ri[tlid§en ^Religion ift, mar il^nen
meber red^t belannt, nod^ red^t bel^aglid^. Unb gleid^mol^l tft jebe ^du
gion unb.Secte, bie t)on feiner SEoleranj miffen miH, ein ^apfttl^um."
35on biefem ©ebanfen ber affgemeinen Soleranj getragen, ber fortan ber
leitenbe ©ebanfe feinet ßebenä marb , mirft er liebeooffe SSIidfe l^inüber
in^g Subentl^um, in ben 3Jio]§ammebaniämuä, in ba§ ^eibentl^um, finbet
äffe bret oom ßl^riftentl^um ungered^ter Söeife entftefft, oerleumbet unb
oerfolgt, oerlangt für fie jene freunbfd^aftlid^e unb geneigte Prüfung,
meldte er felbft bem ©l^riftent^um oerfagt, unb mdl^renb er fid^ iura miU
leibigen Slnmalt l^eibnifd^er ©ittentoftgfeit aufmirft, forbert er juglcid^
oon ben J:^eologen feines Sefenntniffeg , fie foffen in religiöfen SDingen,
b. ^. in fragen, oon benen ba§ eroige SOBol^l unb SBel^e beS aJienfd^en
abl^dngt, bod^ dma^ „rm^v @pa|" oerftel^en. Umfonft ftefft fid^ il^m
bei ber ^Rettung beS Jporaj ein aSilb jener grenjenlofen fd^auerlid^en
aSerfommen^eit bar, ju ber bie.,, reine 3Jienfd^Iid^feit" beg ^eibentl^umö fül^rte.
©r finbet bie ®aä)t nid^t fo arg, einen SRetter unb (grtöfer burd^auS
nid^t nötl^ig. ©d^erjenb roenbet er ftd^ oon ben Obfcönitdten beS römi::
fd^en SDid^terg ju beffen anberroeitigen ©ebid^ten, Id^t bie Sl^eologie liegen
unb oertieft ftd^ roieber in Äunft unb ^oefie.
J)a§ iftim SBefentlid^en ber religiöfe ©ebanfengang ber „^Rettungen",
©ad^lid^ mar bamit fein ^Jortfd^ritt geroonnen, religiöfe ©leid^giltigfeit
ber Slnfang unb ba§ @nbe oom Siebe, gormeff unb fubjectio mar
afferbingS ein ©d^ritt weiter gemad^t; Seffing l^atte fid^ bie religiöfe
©leid^giltigfeit nunmel^r als „2:oleranj" unb biefe S:oleranj alä „n)efent=
«
lid^e Sel)re beS ßl^riftentl^umS" geroiff ermaßen roiffenfd^aftlid^ formulirt,
fid^ l^iftorifd) in fie l^ineingelebt , fie jum leitenben ©runbfafee feincS
SebenS erhoben. 2luä ben f leinen unb großen ©efd^id^täfdlfd^ungen, über
»aumsattnet, Scjfing. — jjj— 10
i
34 gonnullrung bcr 3:oleranjibec unter SSa^lc'fd^cm ^influ^ k.
weld^cn er bic lutl^crifd^cn SEI^cologctt ertappt l^attc, glauBtc er ol^ne weitere
Unterfud^ung bie iSered^tigung l^erleiten ju tinntn, aud^ bie latl^oUfd^e
©efd^id^tfd^reibung al8 ein a^nlid^eg ©Dftem afifld^tUd^er Unraal^rl^eit ju
fietrad^ten unb gegen jeben pofitioen ©tauben als gegen eine Oueffe ber
aSerleumbung unb fiüge auf ber §ut ju fein. (Siner DOrurtl^eilSfreien Unter*
fud^ung beä Ä^atl^oIidSmuä war l^iermit für immer ber SDBeg t)erfperrt.
aSom 5ßroteftanti8mu8 blieben il^m nur bie 5Jlegation, ber ^^roteft unb
Sßla^ für alle Träumereien, <Soif^i^mm unb S^rtl^ümer, bie er fid^ nad^=
|er ju feiner SÄeligion jured^tlegen wollte, gür ben SlugenWidE Begnügte
er fid^ mit ber tabula rasa.
SJla^ Sal^regfrift l^atte er aud^ bie fromme ©otteäftabt oötlig fatt,
wo man aufgeüldrtere ©ebanfen nod^ immer jurüdt^alten ober mit ©pieget
fed^tereien bedfen mu^te, für fd^one Siteratur aber faft leine 5Ra]§rung
fanb. 6r feierte nad^ aSerlin gurüdf gegen @nbe SJlooember ober Slnfang
©ecember 1752.
148
mit ^mM^fof^n.
.3n aScrlin war bic fiuft rein, b. 1^. §crr von SSoltaire war, mit
^uTÜtflaffung feiner Äamnterl^ermj'd^lüffel unb eineS nid^t eben fel^r er:=
baulid^en SÄufeS, abgereist, ©o gering aud^ ber ©tof war, roeld^en bie
granjofenl^crrfd^aft baburd^ erlitt, unb fo wenig eö 8e[ftng aud^ j|e^t unb
fpdter gelang, Bei griebrid^ II. gu ©l^ren ju gelangen, fo fonnte il^m bod^
SSoltatre*ä Spanien augenblidflid^ nid^t mel^r jd^aben. 9lod^ nor ^a^xt^
fd^lu§ gab er bcn I. unb II. 2:i^eil feiner gefammelten ©d^riften l^erauä,
iDeld^e er in SOBittenberg jum S)rudf vorbereitet l^atte. ^m folgenben
^al^re erfd^ienen ber III. unb IV. nebft bem Sßabemccum für ©antuet
Oottl^olb Sänge, ^ßaftor in Saublingen. Seffing n)urbe burd^ bicfe SSer^
Jffentlid^ungen ein gemad^ter 5Dlann, ein gead^tcter ©d§rif tfteller , ein Bc^
Xiebter unb gcfürd^teter Äritifer. S)cr gefeierte Z^tolo^t 3- S)- 9Äid^aeli8
brad^te il^n in ben ©ottinger ©elel^rten Slnjeigen gu 6§ren unb trat mit
i^m in SJerlel^r. S)en ^rofeffor Äonig im §aag lonnte er (ßx. ».
29. aRai 1753) atö feinen ©önner bejeid^nen. ^n SSerlin gelangte er
jmar nid^t mit SRaupertuiS, aber bod^ mit jmeien feiner ©ünftlingc,
bem granjofen ^remontt)al unb bem jübifd^cn SJtrjtc Dr. ©umperfe (bem
frül^eren ©d^reiber be§ SJlarquiä b*2lrgenö) in naivere iBejiel^ung. 9lud^
©ü|mild^, ber 9JhiftIer Äimberger unb ber 9Äaler SJieil merbcn als
feine naiveren S3e!annten unb ©lubsg^eunbe genannt. SDBid^tiger inbc^
für fein ii^hexif mie für feinen @influ| mar ba8 freunbfd^aftlid^e SSer^
l^dltni^, baä fid^ gmifd^en il^m, bem 33ud^j^anbler 5Jlicolai unb bem
Suben 3RofeS ÜJlenbelgfol^n um biefe 3^^* entfpann.
$)en 6. ©eptember 1729 gu S5effau oon jübifd^en ©Item geboren, in
golge aUgu eifrigen ©tubiumS f rül^ erfranit unb für immer Dcrirüppelt, DOn
Sfugenb auf mit 5Rot]^ unb Slrmutl^ fdmpfenb, mar aJiofeä SDeffau (fpSter
nannte er fld^ nad^ feinem SBater SJienbetaJienad^em , 9Jienbeföfol^n) nad^
aSerlin gcfommen unb l^atte ftd^ l^ier, unter t)ielfad^en ainfeinbungen feiner
oxi^oiovtn ©laubenSgenoffen, tl^eilä alä 2lutobibaIt, tl^cilä unter Seitung
143
36 93cfcf!igung ber $:o(crQnjibee k.
groeier jübifd^er SIerjte ium Siteraten unb ^l^ilofopl^en l^erangeBtlbet. ^B
fotd^er roarb er burd^ feine greunbc mit Seffing Betannt, beffen @(ä^ad^=
fpielgenoffe , ^reunb unb ©d^üfeling, gewann aber erft 1754 alg 33u(i^=
l^alter unb ßorrefponbent in bem ©eibengefd^dfte beS jübifd^en ^a^
Brifanten SSernl^arb eine gefid^erte ©tellung. 6r üerl^arrte in berfelben
bi§ jum Stöbe unb l^atte babei 9)lufee genug, eine SReil^e von äßerfen gu
fd^reiben, weld^e an fprad^Iid^^pP^iW^^wi SBertl^e ber ^rofa 8e)fingä
nal^elommen , roenn aud^ il^r pl^itofopl^ifd^er 3n^alt mel^r feiner auto=
bibaftifd^en ©ntraidftung, atö ben großen, objectiüen ^idm ber ^l^ilofopl^ie
cntfprid^t» J)a^ neben dl^nlid^en ®aben beg ®eifte§ unb gteid^artiger
Slid^tung ber ©tubien bie „2lufHdrung" baS l^auptfdd^tid^e a3anb auä=
mad^te , raeld^eä bie Beiben jungen ^D^ldnner auf 8eben§jeit t)ereinigte , ift
aus ber furgen Sl^aratterifti! SRenbelgfol^n^S gü erfel^en, bie Sefftng (16.0ct.
1754) bem „^od^ebelgebornen" SJiid^aeliS mittl^eilt: „@r ift roirfs
Kd^ ein Sfube ; ein SJienfd^ oon etlid^en unb groangig Salären, meld^er ol^ne
äffe Slnmeifung in ben ©prad^en, in ber 5Ratl^ematif , in ber SÖBeItn)ei§=
l^eit, in ber ^oefie eine gro^e ©tdrfe erlangt l^at. ^ä) fel^e il^n im
35orau§ al§ eine @5^e feiner Station an, voenn i^n anberfeitg feine eige?
neu ©taubenSgenoffen gur SReife !ommen laffen, bie affgeit ein unglüdfs
lid^er 3SerfoIgung§geift roiber Seute feineSgleid^en getrieben l^at. ©eine
9leblid^feit unb fein pl^ilofopl^ifd^er ®eift laffen mid^ il^n im aSorauS alg
einen gmeiten ©pinoga betrad^ten, bem gur DÖffigen ©leid^l^eit mit bem
erftern nid^tS alä feine ^rrtl^ümer f eitlen werben."
SDie gmeite für gang ©eutfd^tartb bebeutfam geworbene ^reunbfd^aft
fd^lo^ Seffing mit griebrid^ S^icolai, ebenfaffg einem Shitobibaften,
ber in ^affe etroag ©gmnaftum gemad^t l^atte, bod^ t)om ©ried^ifd^en biä=
penftrt mar, bann gu Berlin eine SRealfd^ute befud^te unb ,enblid^ gu
t?ran!furt a. O. SSud^l^dnblercommiä mürbe. SDort Ia§ er affeS 3Jlog=
lid^e, fud^te fid^ burd^ feine Äunben, ^rofefforen unb ©tubenten, prioatim
gu belehren, trat 1752 in ®ertin al§ ©d^riftfteffer auf unb fd^rieb 1754,
im 2Kter t)on einunbgmangig S^^i^^^/ ,33r{efe über ben je^igen 3^ft<i^^
ber f d^önen SBiffenf d^aften in SDeutf d^Ianb' , bie im. folgenben ^a^xt mit
einer aSorrebe beS ^rof. ©otttob ©amuel ?licoIai im $Drudfe erfd^ienen.
3n biefen 93riefen fa§ ber junge ©ommiö über ©ottfd^eb, SSobmer, SSrei^
tinger, furg äffe literarifd^en ©rögen beö SCageö gu ©erid^te unb gergauöte
il^re dftl^etifd^en ^errüdfen, gab bem fd^on l^od^berül^mten Älopftodf üdter^
Kd^e 2Sinfe unb Derfpottete bie aRufe SBielanbä alä „ba§ junge SDidbd^en,
baä aud^ bie SSetfd^mefter fpielen miff". Äedf mar er, unb baä mar
144
Scfcfllgung ber Stolcranjibec :c. 37
genug ; benn um bte ®cf d^ntacf lofigleiten ber SSobmer^f d^en unb ® ottfd^eb^fd^en
SRid^tung wal^rjunel^men, braud^te er feine fonberlid^cn ©tubten, fpnbern
nur einen Don leiner vtxtt^xtm ©d^ulbilbung oerblenbeten , gefunben 3Jlen=
fd^enuerftanb. ©o l^atte er ©lüdf unb warb ün S5n)e beä 3;agc§. 2113
e§ \xii) aber barum l^anbelte, ftatt ber aBgetaletten Siteratur eine neue ju
fd^affen, l^atte er Unglüdf. 2Iud^ gried^ifd^e ©tubien wollten ba3 mangetnbe
®enie nid^t erfe^en. Umfonft go§ Seffing — wie ©id^enborff treffenb
fagt — feinen SCBein in baS ^iicolai^jd^e SBaffer ; umfonft arbeitete SWicolat
mit Doßem §od^brudE ; er brad^te e§ nid^t weiter, al§ ju ber jroeibeutigen
(S^re/ jugleid^ ber ©tammoater unb ber allgemeine ©ünbenbodf ber beutfd^en
9luffldrung gu werben.
Sei bem bemolratifd^en 6^ara!ter ber brei jungen greunbe tag eä
il^nen ferne, eine literarifd^e ©d^ule ju grünben, wie baö fonft bamatö
SSftoit war. SDie gegcnfeitige Slnregung, Unterftü^ung unb SSelel^rung
genügte il^nen. 2113 Süd^er^ unb Siopitdtenlieferant , al3 unternel^menber
@efd^dft3mann unb begeifterter SSerel^rer ber 2tufHdrung fpielte SHicolai
leine unwid^tige SJioKe; bod^ fein geiftiger @influ§ war gering, er war
mel^r im ©d^lepptau ber beiben 2lnbern ; um f o mel^r wirf te 9Jienbel3f ol^n
auf fieffing unb bicfer l^inwieber auf feinen pl^ilofop^ifd^en greunb.
9Renbel3fo]^n l^atte feine pl^ilofopifd^en ©tubien mit Sodfe begonnen,
b. ]^. er l^atte an einer lateinifd^en 2lu3gabe biefeS englifd^en ^l^ilofopl^en
Satein gelernt unb at3 erfte pl^ilofopl^ifd^e ^la^rung ben @mpiri3muä
eingefogen. ®elegentlid§, al3 TOcolai mit 3Jienbel3fo]^n bie „SSibliotl^el
berfd^önenSBtffenfd^aften" gegrünbct l^atte, fpielte Seffing bem lefe^
teren eine 2lb5anblung bc§ ©l^afteöburp in bie ^dnbe, jeneg ^l^ilofopl^en,
ber befanntlid^ ben (5mpiri3mu3' Sodfe^g auf ba3 ®ebiet ber ©ittenlel^re
ilbcrtrug, bie ganje moralifd^e Sl^dtigfeit beS 9Jienfd^en auf Steigungen gu^
rüdfful^rte, bie ©ittlid^feit in bie Harmonie ber felbftifd^en unb gefeHigen
Sirtebe verlegte, bie 3Jioral von ber 3fleligion oöllig trennte unb burd^
biefe Slrennung ber fd^on t)on Sodfe befürworteten 2:oleranj eine 2lrt
wiffenfd^aftlid^ fein foHenber 35egrünbung gab. 5ßad^ bem SSorbilbe
©l^afteöburg lic^ Seffing eineg fd^onen Stagcg 3Wenbel3fo^n eine fleine
2lbl§anblung fd^reiben, la3 fie unb gab fie gleid^ in bie ©rudferei. @3
war bie erfte, mit weld^er aJienbelSfol^n öffcntlid^ auftrat.
©l^aftcgburp^S Seigre mn^tt Seffing gefallen. J)enn nad^ il^m fann
man gut unb tugenbl^aft fein, ol^nc an einen ®ot.t ju glauben, o^ne eine
Sieligion ju l^aben. ^a, bie ^Religion fann ber ©ittlid^feit fogar nad^
tl^eilig werben, inbem fie ben 3Jienfd^en von ben menfd^lid^en 2luf gaben
145
38 SBefefllgung ber SColcranjlbcc :c.
bcS Sebcnä, Humanität, ^atttotiSmug ic. abgicl^t. ^a8 ftimmtc genau
mit bcr aus aSapte gefd^öpften Zottxani üBerctn, wie bcnn aud^ in bcr
©efd^id^tc bcr ^l^itofopl^lc ©^afteSburp unb Saptc alS SDWttelSperfonctt
bic cngltfd^c ©cfül^ßpl^ilofopl^ic unb bcn englifd^cn ©mpiriSmuS mit ber
^l^ilofopl^ie bcr frangöfifd^en 9fleooIutionSpropaganba öcrbinben.
9Jicnbel8fol^n fanb fid^ meber burd^ Sodtc, nod^ burd^ ©l^afteSburp
fiefriebigt ; aud^ bic ^opularpl^ilofopl^te, burc^ meldte fieibnigenS OptimiSs
muS t)erbrcitct marb, genügte il§m nid^t. J)enn er war ein roirflid^
pl^itofop^ifd^ angelegter ©eift unb empfanb bic ungel^eurc Südfc, roeld^c
©cScarteä in bic Grfcnntni^lel^re geriffen ^ttc. @r [ud^te burd^ aSer?
Binbung oon Sodfe unb fieibnig ctroaä SeffereS gu geminnen. 6r na^m
be^crgt bic 3mmatcria(itdt, ©infad^l^eit unb Unfterblid^feit ber ©eelc gegen
bcn frangöpfd^cn 3JiatcrialiSmuS in ©d^u^, ücrtl^cibigtc bag 5)afein ©otteS
unb fud^tc bic ScTOcifc bafür nad^ beftem SSermögen gu entroidEeln; er
lernte fogar ©ried^ifd^, um ^lato unb SlriftotcIeS im Xlrtcjct gu ftubiren
— furg, er war auf bem beften SSBege , fid^ ber t)erad^teten alkvn ^l^ilo^:
fopl^tc gu ndl^cm unb eingufcl^cn , ba§ nur im Slnf d^lu§ an fic tin mirl::
lid^er iJortfd^ritt gu ergielen ift. Seiber ftanb er bem ßl^riftentl^um gu
ferne , roar gu fel^r 2lutobibaIt, gu fcl^r Siterat unb gu fel^r in SlbJ^ängig«
feit t)on Sefftng.
5)iefe 21bpngigleit l^atte gunad^ft bcn großen Slad^tl^cil, bcn iübifd^en
^5it<>f<>P5^^ ^^^ ^i"^^ üorurtl^eitöfrcicn Scrül^rung mit bem Sl^riftentl^um
unb mit ber d^riftlid^en Sl^eotogie moglid^ft ferne gu l^aften. 3e l^ol^er
er fieffing fd^a^tc unb liebte, befto mel^r mu^te il^m beffen ©leid^gtltig?
Icit unb Slbncigung gegen baS pofitiDc ßl^riftentl^um eine Unterfud^ung
beSfelbcn Dcrlciben, gumal il^re ^reunbfd^aft felbft tl^eiK auf rcligiöfem
3nbiffcrentiämu§, tl^eilS auf ^od^fd^d^ung rein natürlid^er SSorgüge, tl^ciB
enblid^ auf gemctnfamcr Hinneigung gu einer beiftifd^cn 5yiaturrcligion
gegrünbet mar. ©ann brad^tc eS Scffingä (Sigenfd^aft als 5)ramaturg
unb Äunftrid^ter mit fid^, ba^ er feinen %xt\inh 3JiofeS mcl^r mit dftl^e^:
tifd^en, alS ftreng pl^ilofopl^ifd^en ^Jragen befd^dftigte , il^n in ha^ innfit,
unfrud^tbarc ßabprintl^ beS ©cful^lSlcbcnS l^incinfül^rtc, bcoor er nod^ auf
bem uicl gugdnglid^cren unb frud^treid^cren ©ebiet ber 8ogiI unb SWeta^
pl^^fif fid^ genugfam eingebürgert l^atte, in biefem Greife l^inmtcbcrum
nid^t etwa bie (Srgebniffe frül^erer gorfc^ung forgfdltig prüfte unb auS::
baute, fonbem eine ol^ne 3Jietapl^pfiI in bcr ßuft fd^wcbcnbc ©efül^lStl^eoric
unb 2lcftl^ctif fragmcntarifd^ in gcmütl^ltd^cm ^ßrioatgcfprdd^ cntmid^elte
unb fofort auf jloumalifiifd^em SBcg in bic Oeffentlid^fcit brad^te. ©abci
14«
33efejiigutt9 bct ^olcranjlbcc :c. 39
fonntcn wol^t gctftreid^ gefd^rtebcne 2Iuffd^c, tr)crtl^t)i)llc 35etatlftubtcn
l^erauälommcn , aBcr weber eine gtünblid^c 2left§ctil nod^ ^l^itofop^tc.
J)tcfc fragmcntarifd^e SD^etl^obc (wenn man ^tx von einer Wttt^oit reben
fann) tft ber brttte SRad^tl^eil, ben Seffingä (Stnflu^ für ben „neuen pato"
l^attc. @r würbe baburd^ Deranla^t, gleid^ feinem i^reunbe n)i[fen[d^aft=
K<^ S^ wfpöji^^^""/ ^i^ ßeffing ba§ nennt unb ,,fetne ©ebanfen unter ber
^eber reif werben ju laffen." *
SDaä (Srgebnt^ biefer unf^ftematifd^en i^orfd^ung mar, ba| fid^ nid^t
nur bie Äluft jmifd^en il^m unb iem ßl^riftentl^um gu einer unau§fülf=
baren ermetterte; fonbem aud^, ba^ er fid^ über bie malere 2tufgabe ber
^l^ilofopl^ie niemals Jlar marb, il^r fd^lie^lid^ biejenigc ber Sfteligion ju=
mieä unb fte an bie ©teKe berfeffien fe^te. „2)er ^l^ilofopl^ nad^ feinem
§ergen/' fo bemerlt ^tUtx treffenb, ,,ift ©olrateS, fo mie jene 3^^* P^
il^n üorfteKte, ber Sugenbl^elb , ber 3Koralprebiger, ber Seigrer einer reinen
aSemunftreligion, baS Opfer ber vereinigten Slrglift von l^errfd^füd^tigen
^rieftern unb Betrügerifd^en ©opl^iften ; ein ©ofrateS, meld^er bem 6l^riftu§
ber Sluffldrung fo dl^nlid^ fielet, ba^ man meber in jenem ben Sltl^ener,
nod^ in biefem ben ©alilder, fonbem in Beiben nur bag ftttltd^sreligiöfe
Sbeal be§ beutfd^en 9iationaligmu§ erlennen fann." ^
SDie 9lüdtmirfung 3Jienbeföfol§n3 auf Seffing lonnte unter fold^en
Umftdnben für bie religiSfen Slnfid^ten beä lefeteren nid^t fe^r günftig
ausfallen. Slßerbingä warb er burd^ ben SSerfel^r mit feinem ftillen,
ben!enben greunbe baju angeregt, bie Statur unb bie SrieBIrdfte ber
bramatif d^en ^anblung p^ilofopl^if d^ ju unterfud^en , ja aud^ baju , mel^r
unb mel^r eigentlid^e ^l^ilofopl^ie in ben ÄreiS feiner SeMre imb feineS
9lad^benIenS ju jiel^en. %nv bie Siteratur l^atte bie autobibaftifd^e ©elB=
ftdnbigfeit ber Beiben iji^eunbe fogar ben größten SSortl^eil, meil e§ fid^ l^ier
barum l^anbelte, t)er!ünftelte , unrid^tige, burd^ pebantifd^e ©d^ultrabition
üerlnöd^erte 3flid^tungen ju Befiegen, unb mett ba nur fieute l^elfen fonnten,
bie ben ä^^Pf ^i^^ ^^^ f^^n von ber ©d^ule l^er mitBrad^ten, frifd^e,
entfd^Ioffene SÄeformatoren. SlBer ^l^ilof opl^ie , 3:]^eologie unb SReligion
finb nun einmal i^rer 9iatur nad^ lein fo- unfteteS aJiobebing mie bie
Siteratur, bie gleid^ il^rem SSe^ilel, ber ©prad^e, Blül^t unb oerBIül^t unb
bem Bunten SEBed^fel ber ^dtaliex fid^ anfd^miegt. Jpier mn'^k ein un^
ruhiges, unfpftematifd^eä, fragmcntarifd^eS S^omabenleBen beS ©eifteS auf
1 iBricf an 3Wenb. 18. SDcc. 1766. ^
« @. äcact, ©cfd^. b. beutfd^en «p^itofop^ic feit Seibnla. SRünd^en, 1875. ©. 277.
147
40 S3cfefligung bcr ICoIcranjibec :c.
Srrtpmcr fül^ren, bic frül^reife, dou bcr ganjcn aSorjeit unabl^angigc
©ettftdnbigleit mit bem anlocfenben Äifeel von „ 5Jleuf d^öpfungcn" gu^
glcid^ jenen unrul^iqen SBifjengftoIj erroecfen, ber Sltteä felbft erftrebcn
unb felbft erfinben, fid^ felbft entnel^men unb fid^ [elbft Dcrbanlen wiü,
jene unumfd^ranltc 3lutonomie ber tnbioibucllen SScrnunft, bie, fld^ jum
Sffbfoluten aufroerfcnb, aKeS Uebrige regelt, Iritiftrt unb rid^tet. SDabei
fd^ttff ber beftänbige SSerfel^r mit bem jübifd^en greunb hid^t nur jene
aSorurtl^eile ab, meldte mit ber d^riftlid^en Siebe uuDertrdglid^ ftnb, Jon-
bem aud^ ba§ d^riftlid^e S3en)u§t[ein, ba^ baä ^ubentl^um in feiner l^art^
nddtigen SSerftodtung gegen bie aBeltreltgion ^efu ß^rifti eine falfd^e
öieligion, ber ^uit fo gut n)ie ber §eibe eineg 6rlo[erg bebürftig ift.
S)ie 2lnftd^t, ba§ bic gleid^e ftttlid^e SSoCfommen^eit mit ber ücrfd^icbenften
SRetigionäüberjeugung ücreinbar fei, mar für il^n freitid^ nid^tä ^,^eueö.
@r l^atte pe bereite in feinem ^ugenbbrama ,bie 3uben* jur ©arfteUung
gebrad^t. ^t mel^r er aber in SRenbeßfol^n baä il^m üorfd^webenbe fttt?
lid^e 3beal DerWrpert ju pnben glaubte, befto mc^r roanbte fid^ fein
§erj vom Gl^riftentl^umc ab unb erftarlte in jener tiefen, unüberroinb^
lid^en Slbneigung gegen aße pofitioe (SlutoritdtS^ SÄeligion, t)on ber il^n
aud^ baä ©tubium beä Seibnij nid^t gu l^cilen pcrmod^te.
1
148
5. ^etftt($ einet eigenen ^eti^ion^p^itofopf^ie auf pm-
f^eifüfd^et ^vnnbta^e^ mit j:ei6nijif<9et ^mfiaffimn^.
3llä um bic SSlxttt bc§ n.'^a^x^nnitxi^ bcr ort]^oboj:c ^roteftantiSs
muä, ungead^tet feiner inneren, fd^utmS|igen 2luäbilbung unb atteä nur
n)ünfd^baren ftaatlid^en ©d^u^eg, ju wanfen unb ju ^jerbrodfeln Begann,
fd^ieben fid^ bie t)on il^m abgelösten Elemente l^auptfäd^lid^ in üier
©nippen: ©onoertiten , ^renifer, ^ietiften unb SÄationaliften. 35te er=
[teren, fel^r wenige an bcr ^a% untermarfen ftd^ bem milben ^o^, baö
bie Sieformatoren in trofeigem Uebermut)^ t)on fid^ gefd^üttelt, unb Jel^rten
mut^ig jurüdf in ben ©d^oo| ber alten, fatl^olifd^en unb apoftolifd^en
Äird^e. S)ie anbern, am bebeutenbften burd^ Seibnij reprdfentirt, J^atten
biefen SSluÜ) nid^t, fonbem t)erfud^ten burd^ ßompromiffe unb „2I6fd^lcis
fung bogmatifd^er Jpdrten" eine SSereinbarung ber proteftantifd^en S9e=
fenntnifje unter fid^ unb mit ber alten Äird^e gu beroirlen, tüeld^e i]§rer=
feitä, tnit üoffer SGBal^rung i^rer gottlid§ Derbürgten Sfted^te, burd^ 9Jidnner
n)ie ©pinola unb Sofjuet, bie §anb jum ^rieben bot. ©iefer unfrud^t^
Baren griebenäüerl^anblungen mübe, bie am ©tarrfinn ber ©ecten fd^et:
terten, ml ju eigenfinnig auf il^re ^ßriüatmeinung erpid^t, um fid^ ju
Bef eieren, Befonberä aber entrüftet üBer ben fittlid^ unroirlfamen formet
fram ber janlfüd^tigen Sutl^eraner, wanbten fid^ bie ^ietiften, meift ernfte,
fromme unb etmaS empfinbfame ©eelen, auS bem bogmatifd^en Äampf?
gemül^l ber ©ecten bem füllen S3ereid^e beS religiofen ©emütplebenS ju,
um t)on erBaulid^en ©onnenttfeln auä baS, wie fie meinten, unbogmatifd^e
t^dtige ßl^riftentl^um bcr erften ;3a]^r]^unberte raieber aufleben gu laffen.
J)ic SÄationalifien aBer, t)on ber ^l^ilofopl^ie beg $De§carte§ unb ©pinoja
mdd^tig angeregt, fud^ten entweber ik ovt^oioj:t SDogmatif in rein pl^i^
lofopl^ifd^c ©peculationcn ju ücrflü^tigcn , ober ben von fiutl^er gegen
eingelne 35ogmen erl^oBencn 5ßroteft allmd^lid^ auf alle Seigren unb ®runb=
lagen beä Sl^riftentl^umg auSgubel^ncn, um nid^tä bat)on ju Bel^altcn, als
n)a§ fld^ burd^ rein natürlid^e (grlcnntni^ Begreifen Id^t, ja anä) ba§
nur mit wiHfürlid^er SBcfd^rdnlung. 2lu§ ber SDlifd^ung ber brei le^teren
eiemcntc, bc§ irenifd^en, pictiftifd^en unb rationaliftifd^en , entftanben
149
42 93crfu(3^ einet eigenen DfleUgionSpl^itofopl^ie k.
jtoifd^cn bcn brci ^auptgruppcn jene gal^Ilofcn ©d^attirungcn von ?lie^
ligionäanpd^tcn, rocld^e nur baS gemctnfam ^abm, ba§ fie bcn ©ud^cnbcn
^i^f 3i*S<^*^^Ö^i^ / SBcIIcnlinicn , Spiralen xtnb Scmniäfaten aöer 2lrt
an bcr natürlid^en Sieligion unb am ßl^riftcntl^um l^erumfül^rcn, wm if)n
nur ja nid^t auf bem lürjcften, weil geraben 2Bcg — bem ber fatl^olifd^en
Äird^c — jum SSoKgenu^ bcr natürlid^cn Steligion unb bcr göttKd^cn Offem
barung gelangen ju laffen.
5)ic ©teHung, rocld^e SeiBnij in SJlittc bicfcr t)erfd^iebenen SRid^^
tungcn cinnal^m, ift fd^on ^inreid^cnb burd^ feine perfönlid^e, §cn)orragenbe
äfntl^eilnal^mc an bcn UnionSücrl^anblungcn in bcn legten S)ecennien beä
^öl^rl^unbcrtä bejeid^nct. @o flar unb auögefprod^en wie nur @iner war er
Unionätl^eologc, unb er war cS mit bem DoUften ©rnfte feiner ©eele. SSom
Sutl^crt^um trennten tl^n forool^l fein pl^ilofopl^ifd^er (SJcniuS, alS feine 9Jlilbe,
©crfol^nlid^Ieit unb ad^te 3;olcranj gegen bie latl^olifd^c Äird^e. SSon bcn
^ietiften fd^ieb il^n bie Hare ©nfid^t, ba^ baä roal^re tl^ätige ©l^riftcntl^um
ol^nc ba§ malere bogmatifd^e ßl^riftcnt^um, bie Siebe 6l^rifti ol^ne bie fiel^re
©l^rifti, nid^t beftel^en tonnt. Son bcn Slationaliften fd^teben il^n feine uner^
f d^ütterlid^e Uebcrgcugung oon ber @pftenj einer üBcmaturlid^en SÖBeltorbnung
unb ber tiefe, pl^ilofopl^ifd^e ©ruft, mit mcld^er er biefelbe erforfd^te, fid^ mol^l
bemüht, ba§ ein SSßibcrfprud^ jwifd^en Statur nni Offenbarung, 3Semunft
unb ©laubc einen SBiberfprud^ in bem Urheber bciber porauäfe^en mürbe,
alfo von Domel^erein nid^t m5glid^ fei. S)urd^auS abrocid^enb von ^e^
carteS, ©pinoga unb ben übrigen mobcrnen ^l^itofopl^cn fud^te er bcn
^ortfd^ritt ber SBiffenfd^aft nid^t barin, alleS 2llte, Jpergebrad^te in Hin-
bem, reformatorifd^en Ungeftüm über ben Raufen gu merfen, fonbern
barin, baä fd^on gemonnene ßrbgut ber vorausgegangenen ^a^x'^nnitxit
in naturgemäßer SRul^e meiter gu entmidCeln. ©a^er feine §od^ad^tung
für ba§ ariftotelifd^e Softem ber Sogil, für bie aUtn Träumern fo oer^
l^aßte fd^olaftifd^e gorm, für bie ben ortl^obo^en ^roteftanten mie ben
greigciftern fo unauSftel^lid^cn Sl^eologcn unb ^l^ilofopl^cn ber latl^olifd^en
t^ird^e. SGBcit entfernt Don bem linblid^cn Äfi^lcrglauben, ia^ bcr gort=
fd^ritt in bcn 9^aturn)iffenf(^aften bie ^l^ilofopl^ic oon ber Z^tolo^it be^
freien werbe unb muffe, roanbte er ftd^ um fo eifriger gur Sl^cologic,
je roeiter fid^, t)crm5gc feiner matl^cmatifd^cn unb pl^tiftlalifd^cn ©tubien,
baS Sfteid^ bcr 5ßatur oor i^m auftl^at. 39ci il^r fud^tc er Sid^t über jene
großen intcMtucffcn SQBa^rl^citen , ol^nc meldte ftd^ bie riefige 3:clcologie
beä SDBcltenbaucS in einen pant^ciftifd^cn Ocean ober einen rdt^fcll^aftcn
Strom bcr emigen 3Jiatcric aupöt.
150
35erfud^ einer eigenen Df^cIlglonSpl^tlofopl^ic :c. 43
©0 rul^t bcnn [eine ^l^tlofopl^ie auf bem feften Slnlergrunbc iciter
altern d^riftlid^en ^^itofopl^le, weld^e \xä) unter bem ©d^ufee ber Z^to^
logic in ben mittelaltcrlid^en ©d^ulcn beä Slbenblanbeä auägeKlbet l^atte,
auf einer rid^tigen, roiffcnfd^aftKd^en Sogil, einer grünblid^en, naturlid^n
Z^tobicttf njeld^c ben ^antl^iämuS auäfd^lo^ unb be!dmpfte, unb einer
biefer 2:]^eobicec cntfprcd^nben Seigre von ber ©d^öpfung unb vom ©d^5s
pfungSjroerf. @tng er burd^ feinen Optintiämuö unb feine SJlonabenlel^re
Don ber alten ©d^olafti! aB, fo ndl^erte er fid^ berfelbcn um fo mel^r,
n)0 eS ba§ aSerl^filtnife bc§ ©laubenS jum SSBiffen, ber Sßemunft jur
Offenbarung gu beftimmen galt. (Sine pofittDe Offenbarung tft il^m nid^t
nur moglid^ unb erlennbar, fonbem fie l^at roirtlid^ ftattgefunben im
©l^riftentl^um ; bie SBal^rl^eit beS ßl^riftentl^umS über^oupt Id^t fid^
ujiffenfd^aftlid^ beroeifcn, obmol^l bie übernatürlid^en ©el^eimniffc, bie eä
einfd^liefet, nid^t Begriffen n)erben lonnen, weil fie jroar ntd^t gegen, bod^
über bie 3Sernunft ftnb.
2Bie Seibnij alS ^l^ilofop)^ bie ©jciftenj eineö perfönlid^en ©otteä,
bie Trennung dou ®ott unb SBelt, bie ©d^öpfung ber SJBelt burd^ einen
freien 2Ict ©otteS unb bie 3tt)edfbejiel^ung beS Unioerfumä unb ber ims:
materiellen, unfterblid^en ^Jienfd^eufeele auf bie SSerl^errlid^ung ©otteS fefts
l^ielt, mie er alä Slpologet bie ©runblagen beä ßl^riftentl^umS , fomie bie
9Röglid^!eit unb aSemunftgemdfel^eit be§ übernatürlid^en ©laubenSacteä
gegen ben ^xoti^Ux ®at|le Derti^eibigte , fo na^m er alS Jll^eologe nid^t
nur bie §auptbogmen beg ßl^riftentl^umS, von ber 1^1. SDreifaltigleit, von
ber SRenfd^roerbung unb bem @rl5fungätobe ©l^rifti, von ber ©rbfünbe
unb ber göttlid^en aSorl^erbeftimmung, von ber S^tl^roenbigleit ber ©nabe
jum §eile unb t)on ber @)rfftenj emiger ©trafen an, fonbem er nertl^eibigte
mehrere berfelben auSbrüdftid^ gegen il^re ©egner unb betrad^tete bie fa^
tl^olifd^e Seigre von ber Äird^e, 00m ^rimat unb oon ber (Sud^ariftie
nid^t mit hm Slugcn eineä geinbeä, fonbem eineS woJ^lrooffenben greun^
be§. Som ©pinojiSmuä unb oon ber in granfreid^ blü^enben, irreligiöfen
^l^ilofop^ie war er fo weit entfernt, ba§ er nid^t anftanb, in einer
©taatgfd^rtft biefe ungldubtge ^l^ilofopl^ie unb bie Äuflldrung ber ftarfen
©eiftcr aß ein bem eingelnen ßanbe, voit ganj Europa, gefdl^rlid^eg ©ift ju
bejeid^nenS unb menn er an ber©d^n)effc beS 18. ^iö^tr^unbertä bie 9le?
Dolution DorauSf agte , »ctd^e am @nbc begfetben eintraf, fo erwartete er
^ Manifeste contenant les Droits de Charles III, Roi d'Espagne etc.,
publik en Portugal le 9 Mars 1704.
151
44 93crfud^ einer eigenen SReligionäpl^irofopl^tc k.
ftc l^auptfäd^Iid^ tüegen beS junel^mcnben religio|cn 2lbfaKä t)om ßl^riftcn^
tl^um K ^n rid^ttger Sonfequcnj ju biefcn 2tnfd^auungen Jetrad^tcte er
bte in SubTBig XIV. üerlörpertc ©taatgomnipotetij al§ ben a3unbe§=
genoffen beö Unglaubens unb bev SReoolution unb oerfod^t qI§ ^olitifer
bte alten 33otln}crfe ber europäifd^en ©taatSorbnung, baä ^apfttl^um unb
bag Äaifertl^um, baä J^iftorifd^e 3fled^t unb bte au8 ber ©efd^id^te ]^erauS=
geroad^fene SSerfaffung beä l^eiligen SRömifd^en Sftetd^eä ®eutfd§er Station.
3u ber raeltgefd^id^tlid^en SRiefengeftalt biefeS großen SJianneS lä^t
jid^ Ifaum ein feltfamerer ©egenfafe benfen, alä bie Beiben jungen $p]^ilo=
fopl^en Seffing unb SJienbelgfol^n , roeld^e in ber ^ßl^ilofopl^ie nod^ nid^t
einmal einen fl}:en ©tanbpunlt l^atten, in ber Il^eologie beut flad^ften beifti?
fd^en ^^bifferentiSmuS l^ulbigten unb in politifd^er §infid^t fid^ unter
ben ÄorporalftodE beä großen griebrid^ budften, um im ^er^en fein Wtu
litärregiment grunblid) ju üermünfd^en unb in camera caritatis bod^
]^inn)ieberum bie frangoftfd^en ©fpritg ju Beneiben, weld^e alg pl^ilofopl^ifd^e,
literarifd^e unb afabemifd^e Slrafianten im glötenfpieler oon ©ang[ouci
umfreigten. S)iefem lefeteren Umftanb, unb nid^t einer inneren ©eelen^^
üermanbtfd^aft mit ßeiBnij, ift e§ rool^l ju üerbanfen, ba§ Seffing jeit^
n)eilig mit ben Sßerlen be§felben in einigen SSerfel^r trat.
5)er ^rSfibent ber berliner Slfabemie, 3Jlaupertuig, ging nm Jene
3eit (1753 — 56) mit bem ^lane um, bie Slutoritdt, meldte geibnij feinet
Optimismus unb feiner 9Jionabenlel^re l^alber ju 33erlin geno^, ju rui^
niren, ober, wie SCBielanb fid^ auSbrüdft, „ben §errn von Seibnij abju::
fd^affen". @r lie^ burd^ Slnbere fleine 93rofd^üren gegen il^n fd^reiben,
in meldten nad^ unb nad^ alle ©dfee ber Seibnigifd^en ^l^ilofopl^ie ab^
gemürgt werben follten. Um im ©ieg ju voUmim, fd^rieb er bann
eine p^ilofopl^ifd^e Preisfrage auS: „3BaS ^ope'S all is right fagen
TOoHe, ob eS baS ©leid^e fei, maS SeibnijenS befte SÖBelt unb mit raaS
für ©rünben bicfeS ©pftem befeftigt ober beftruirt werben fonne". ©eine
Slbftd^t mar, unter bem bleibe beS englifd^en ©ibaftiferS g>ope ben Ov-
timiSmuS beS beutfd^en ßeibnij pl^ilofopl^ifd^ tobtfd^lagen gu laffen, unb
obmol^l er felbft leine ©timmc l^atte, fo gelang eS il^m bod^, burd& feinen
(Sinflufe, eine gegen Seibnig feinblid^e Slrbeit fronen gu laffen unb eine
bemfelben günftige Slrbeit, obwol^l fie ml beffer war, gu befeitigen.
35iefc Äomöbie — aud^ mieber ein (Sl^renblatt in ber ©cfd^id^te ber
9lfabemie — erregte SefftngS ©alle, unb wenn er aud^ mit bem mutl^::
* Nouveaux Essais sur rentendement humaln. Llv. 4. c. 16.
152
SJcrfud^ einer eigenen SÄeligionSpl^ifoJopl^ie jc. 45
nta^Iid^en aSerfaffcr bcr gefvontcn antiletbniitfd^cn 33rofd^ürc (^remontüal)
auf beftcm gu^e ftanb unb ^ÄenbelSfol^rt burd^ feinen tJreunb ®umper<j
mit ben §erren t)on ber 3lf abemie freunbfd^aftüd^e ^yül^lung l^atte, fo Befd^tofj
er bennod^, bem ^rdfibenten einen ©d^abernotf ju fpielen. Qx Dcrbünbete
fid^ mit ^Dienbeläfol^n unb fd^rieb eine post festum Söfung ber ^reig-
aufgäbe, in roeld^er bie ^rage möglid^ft Idd^erlid^ gemad^t unb nid^t fo
fe^r Seibnij üertl^eibigt , aB ber englifd^e 5Diba!tt!er unb fein religiögr:
pl^ilofopl^ifd^eg gel^rgebid^t befdmpft würben. 3^^^^^ ^^^ SefftngS SBibcr=
fprud^Sgeift , feine Siebe gum ©treit, feinen §a^ gegen bie ijranjofen,
fein 3^tereffe an literarl^iftorifd^en ^^ragen in 33etrad^t, fo Id|t ftd^ biefer
Heine ?felbgug mol^l erWdren, ol^ne ba§ man eine principielle ®egeifterung
für ßeibnij ober eine 33e!e]^rung ju beffen conferoatioer 9fiid^tung an=
nimmt. Dl^nel^in ift Jaum ju entfd^eiben, mie meit bie Slrbeit ,^ope^
ein aJtetap^gfilerS ron Seffing, mie meit fie oon SJtenbeläfol^n l^er?
rül^rt, unb baö oielgerül^mte ©treten Seffingä „nad^ reiner, pl^ilofopl^ifd^er
SEBal^r^eit" roirb um fo unmal^rfd^einlid^er, atö bie SBerfaffer eine eigene
pl^ilofopl^tfd^e Slnfid^t gar nid^t ju Stage treten liefen, bie pl^ilofop^ifd^e
grage nad^ ßeffingS 2lrt mit üterarifd^em unb bibliograpl^ifd^em ©emürs
ummidfelten unb alSbalb oerftummten , al§ il^r ©d^abernadE nid^t ba§ ge^
münfd^te Stuffel^en mad^te.
§ür Seffing l^atte biefe S)i§putation ben großen Slad^tl^eil, ba^ er
SeibnijenS S)octrin nid^t oorurtl^eiläfrei unb fpftematifd^ nad^ i^rem ©efammt?
d^arafter ftubirte, fonbern nur ein SSrud^ftüdf, ba§ fd^rodd^fte oon aßen,
feinen Optimismus, auS aKer SSerbinbung l^erauSri^, um barauf miber
ben §errn oon 3)iaupertui§ ju §elbe ju reiten. §dtte biefer ben OptimiS=
muä unb bie SJtonabenlel^re oert^eibigt, mer tt)ei§, ob Seffing nid^t biefe
Seigren angegriffen l^dtte ? ©0 aber maren ber Optimismus unb bie 3Jio^
nabenlel^re ein non plus ultra von pl^ilofopl^ifd^er SBeiSl^eit, Seffing um-
fing fie mit bem größten 3intereffe, unb entmidfelte fid^ barauS, mit fpi^
nojiftifd^en unb anbern mißfürlid^en B^^fdfeen, ein apl^oriftifd^eS (BtM
SfteligionSpl^ilofopl^ie. ©ie ift in bem furgen ^^agment ,baS ßl^riften^
tl^um ber aSernunft' erl^alten.
5)er ^auptfad^e nad§ ein mittlürlid^eS @>:cerpt auS SeibnigenS 9)io^
nabenle^re, mdre biefeS abgeriffene ^J^agment o^ne alte Sebeutung, menn
eS nid^t bagu biente, einiges Sid^t auf SeffmgS rcligiofe unb pl^ilofopl^ifd^c
Slnfd^auungen gu werfen. 2Bie fein SSorl^anbenfein befunbet, baß Seffing
bod^ nid^t affer ^Religion unb ^l^ilofopl^ie entratl^en fonnte, fo geigt feine
9lid^tDoffenbung, baß er eS mit ber Unterfud^ung nid^t ernft genug nal^ni
Im
46 SScrfud^ einer eigenen SÄeliglonSpl^ifofop^ie k.
ober vor ^roti^ttn gu feinem 9l6[d^Iufe gctangte. J)aS erftcvc ift roa^x^
fd^einlid^er. 5)enn bie Stpl^oriSmen finb in emcm fo jUDerfid^tlid^cn Jon
gel^atten, Tüte tl^n bie autonome ©cmunft nur bann angufd^lagen pflegt,
wenn fle ol^ne Semeifc ex cathedra fprid^t. (53 gibt ein üoJPCommenfteS
SBefen — baä bcbarf feineä SSeroeifeS. ©aS ooHIommcnftc SÖBefcn bcnft
unb roitt — baS beborf leineS SBemeifeä. S5aburd^ entftel^cn in bem
oofffommenften SOBefcn brei 5ßerfonen — baS bebarf Icineä SBemeifcS.
3)tit berfelben Slotl^njenbiglfeit rote [eine S)rcipcrf5nlid^feit Bringt baS ooff^
fommenfte SEBefen bie SEBelt l^eroor — baS beborf roieber feineä ©emeifeä.
®o gcl^t eS weiter, biS n)ir in ber actueff unenblid^en Sftell^e oon SBefcn
bei bem SWenfd^en anlangen, beffen l^5d^fteS ®efe^ nid^t in einer für alle
SJlenfd^en gleichartigen SJlorm befielet, fonbem in ber Slufgabe, feiner in^
bioibueffen SSoKfommenl^eit gema§ ju lAtn.
2Ba3 ben S^^^^tt bcS gragmentä, abgefel^en oon feiner leid^tfü^igcn
unb unoollenbeten iJaffung, grunbfd^üd^ unb pcremptorifd^ von ber fieib^
nigifd^en ^l^ilofopl^ie unb Il^eologie unterf d^eibet , la^t fid^ in folgenbe
oier §auptpunfte guf ammenf äff en :
1. Sefftng ftü^t feine gefammte pl^ilofopl^ifd^e SGBettanfd^auung auf
eine burd^auö pantl^eiftifd^e ©runbtage, b. §. auf bie SSorfteDung, ba§
baä 2lbfoIute (ober bag oofffommenfte SBefen) mit berfelben 9lotl§n)enbig=
feit bie SBelt l^eroorbringe , n)ie eg fie benft, unb ba§ bie SBelt in il^rer
unenblid^en 2lbftufung oon SBefen baS Slbfolute üollftdnbig erfd^öpfe,
roaS notl^toenbig baju fül^rt, ben unenblid^en ©ebanlen ber gertl^eilten
aSoKIommen^eit ©otteä (bie SBelt) mit bem unenblid^eit ©ebanfen ber
vereinigten SBottfommen^eit ©otteä (bem Sogoö) ju ibentipciren.
2. Seffing bel^anbelt bie Sirinitat aß einen ©egenftanb ber natura
lid^cn ©ottegerfenntni^ unb mad^t l^iermit ben erften SJerfud^, bie ©e^
l^eimniffe be§ ©l^riftentl^umä (natürlid^ roillfürlid^ unb falfd^) aß einfädle
ajernunftroal^rl^eiten gu crlldren,
3. Seffing fül^rt ©tauben unb 2:i^eotogie auf ein einfad^eS ©ernunfts
erfennen gurüdf.
4. ©lefeS einfädle Sernunf terf ennen , foroeit eS fid^ auf ©Ott unb
unfer ©er^altni^ gu ©Ott begiel^t, nennt er mifebraud^lid^ „ei^riftentl^um".
§od^ft roal^rfd^eitilid^ entftanb biefe fonberbare unb neue Magna
Charta beg ß^riftentl^umS auS bem ©efül^l ber Seere, roeld^cS Seffing
gelegentlid^ in nad^bcnMid^en ©tunben beim SJiüdfblidf auf ben übermum
benen ©tanbpunft feiner Sugenb anroanbetn mod^te. Um bie fieere auS-
gufüllen, bot baä complicirte, geiftrcid^e unb intereffantc ©pftem ber 3Jio^
' 164
SBcrfudI einer eigenen SfieligionSpl^Kofopl^ie k. 47
nabenlel^re ein gelel^rtcä unb gugleid^ tDOl^IfeileS ©urtjogat. 2Iu§ ber
d^rtftlid^en SBcltanj'dlauung fcineä Url^eficrä l^erauägeriffcn unb auf eine
pantl^ciftifd^e ©runblage t)erpflanjt, lieferte eS neue ©eftd^tSpunfte gur
©peculation unb eine §erjftdrfung gegen baS pofitioe Sl^riftentl^um. SSer=
möge biefer war eä bann tl^unlid^er, frol^eren §erjenS auf ben Ü6evs
rounbenen ©tanbpunft gurütfjuHiifen unb bie SDogmen be§ ß^riftentl^umS
im ©ienfte einer geiftreid^en unb roiffiEürlid^en ©peculation gu vtxvomim.
SBdl^renb ber fd^one 9lame be§ ß^riftent^umä ©d^ufe bot gegen dunere
Singriffe, n)ie gegen bie ^Jial^nungen beg eigenen ©eraiffenS, lonnte ßeffing
nid^t nur nad^ SSaple^ä SSorbilb bie ^^ilofopl^ie von ber Stl^eologie lo§s
reiben, fonbern biefe ber §errfd^aft jener unterroerfen unb einer nod^
„ungeahnten (Sntroidflung" entgegenfül^ren.
SBie leid^tfertig eS fieffing aud^ in biefen gelegentlid^en pl^ilofopl^ifd^en
©ilettanterien mit ber 5pi^itofopl§ie nal^m, ipie tief er im Sa^le^fd^en ©fep=
ticiämuS ftedEte unb rok wenig er ein SJlad^folger ßelBnijeng genannt gu
merben »erbient, bat)on gibt ein anbereg ^Jragment au§ jener ^eriobe,
,@ebanfen über bie §errenl^uterS S^^fl^^fe- ®^ f^W^^t barin
eine !urge ©efd^id^te ber ^l^ilofopl^ie unb einen 2lbri§ ber SReligionS^:
gefd^id^te.
2)ie ©efd^id^te ber ^ßl^ilofopl^ie ift il^m eine pd^ft einfädle ©ad^e;
benn eigentlid^ foKte man gar nid^t pl^ilofopl^iren. „S)er SJienfd^ roarb
inm Sö^un unb nid^t gum aSernünfteln erfd^affen. 216er eben be^megen,
weil er nid^t bagu erfd^affen warb, pngt er biefem mel^r als jenem
nad^. . . . ©lüdffelige ^tikn, als ber 2:ugenbl^aftefte ber ©ele^rtefte mar!
als alle SebenSroeiSl^eit in f urjen ßebenSregeln beftanb ! ©ie waren ju
glucf feiig, als ba§ fie lange ptten Bleiben fonnen!" ©d^on bie ©d^üler
ber fieben SBeifen verlegen fid^ auf 5Raturpl^ilofop]^ie unb Slftrologie.
Umfonft fud^t ©ofrateS bie wal^nwifeigen (Srforfd^er ber 9latur auf frieb*
lid^e, nüfelid^e unb tugenbfame ©elbfterlenntni^ gurüdCgufül^ren. 35ie ©0=
pl^iften^ weld^e burd^ feine uneigennüfeige Seigre in i^rem ®roberwerb ge=
ftort werben, rdumen il^n auS bem SSBeg. „^ißlato fing an gu trdumen
unb 2lriftoteleS gu fd^lie|en." ©urd^ eine ÜJienge t)on S^l^rl^unberten, wo
balb biefer, balb jener bie Oberl^anb l^atte, fam bie SöeltweiSl^eit auf
uns. ^tntv war gum ©öttlid^en, biefer gum Untruglid^en geworben. 6S
war 3cit, ba^ ßarteftuS aufftanb. 2)ic SSBal^rl^eit fd^ien unter feinen
Rauben eine neue ©eftalt gu bekommen : eine befto betrüglid^ere, je fd^ims
member fie war. @r eröffnete 3lllen ben Eingang il^reS SempelS, weld^er
oorl^er forgfdltig burd^ baS Slnfel^en jener beiben Xr)xanntn bewad^t warb,
155
48 SScrfitd^ einer eigenen SÄcHgiongpitofopfiic jc.
unb ia^ ift fein Dorjuglid^fteä ©crbienft. 2^m folgen Seibnij unb
3ien)ton, Xüdä)tn bie ^l^itofopl^ie fogar jefet nod^ ju practtfd^ ift. Urt::
gead^tet tl^rcr gcgcnfcitigen (Siferfud^t einigen fie fid^ in bem Streben, ftc
ber 3Äe|Iuttft px unterroerfen. „SDen ©eift führen fie bis in bie tnU
fernteften §immel, unterbeffen ba baä ©emütl^ bur(| feine Seibenfd^aften
big unter ba§ aSiel^ ^erabgefe^t wirb."
SDaö ift bie ®ef d^id^te ber ^l^ilof opl^ie. Unb nun bie ber Sll^eologie ?
(Sä ging ber 9%eIigion wie ber Sßeltraeiäl^eit.
S)ie ^Religion Slbamä war einfad^, leidet, lebenbig. STUein baS bauerte
nid^t lange. Sieber feiner 9^ad§Iommen Dermel^rte fie nad^ feinem ®nU
bünfen unb baS SBefentüd^e rourbe in einer ©intflutl^ oon roittfürlid^en
©ä^en begraben. Sitte, 2lffe werben ber Sßal^rl^eit untreu, nur @intgc
weniger alä bie SInbern, bie SHad^fommen Slbral^amö am roenigften. S)e§=
l^alb roürbigt fie ®ott einer befonbern 2ld§tung; aber aud^ bie§ ift faft
umfonft. 5Rur SBenige bel^alten ben reinen ©otteäbegriff in feiner Doffen
Sauterleit bei. ®ei ben Slnbern wirb er t)on unnü^em ©eremonienwefen
überwud^ert unb „fie Italien ©Ott für ein 3ÖBefen, baS nid^t leben fönne,
wenn fie il^m nid^t feine ^D^iorgens unb 2lbenbopfer brdd^ten". ^n biefer
attgemeinen 35erbunlelung beö ®ottegbewu|tfein§ erfd^eint ßl^riftuS ganj
tl^eatralifd^ al§ Deus ex machina. Seffing glaubt il^n l^ier nur als
einen von ©Ott erleud^teten fie^rer auffaffen gu muffen, oerwal^rt
fid^ aber gegen atte jene Folgerungen , bie man bogl^after SBeife au§
biefer ©uppofition jiel^en mod^te. ©enug: ß^riftug ftettt bie ^Religion
in il^rer Sauter!eit alä bie einfädle 9laturreligion wieber l^er. „©Ott
ift ein ©eift, ben fottt il^r im ©eifte anbeten." S)ag ift ber ©afe, auf
ben er am meiften brang unb ber am geeignetften ift, atte Dfleligionen
ju oerbinben. „Slber tim biefe Serbinbung war e§, weld^e ^riefter unb
©d^riftgelel^rte wiber il^n erbitterte. ,^ilatu3, er laftert unfern ©Ott,
Ireujige il^n!' Unb aufgebrad^ten ^rieftern f dalägt ein fd^lauer ^ilatuä
nid^tä ab."
5)a§ erfte ^a^x^nnitvi l^inburd^ l^ielten fid^ bie ©Triften gut. „©Os
balb bie Äird^e aber ^Jrieben befam, fobalb fiel fie barauf, il^re 9fleligion
auäjuf d^müdEen , il^re Sel^rfafee in eine gewiffe Orbnung ju bringen unb
bie gottlid^e Sßal^r^eit mit menfd^lid^en 93eweifen ju unterftü^en. 3lom
warb auf einmal ju einem oerabfd^euungSwürbigen Stprannen ber ©e=
wiffen... 3d^ wottte nur wünfd^en, ba^ id^ meinen Sefer ©d^ritt für
©d^ritt burd^ atte ^^l^rl^unberte fül^ren unb il^m geigen lönnte, wie ba§
auSübenbe ©l^riftent^um oon %aQ ju Stag abgenommen l^at, ba untere:
156
f8tx\ü^ einer eigenen DfieligionSpl^irofopl^ie k. 49
beffen ba§ Befd^aucnbc burd^ p^antaftifd^c ©ritten unb mcnfd^Hd^c (Sxi^
iDcüerungcn ju- einer ^b^t ftieg, gu roeld^er bcr 2lberglaube nod^ nie eine
Sieligion gebrad^t l^at. SltteS l^ing Don einem (Sinjigen ab, ber befto
öfter irrte , j[c jid^erer er irren lonnte." @nblid^ rief baS Ueberma^ bcr
2:9rannei einen §u| unb SGßicteff, bann bie 3ficformatoren l^croor, roctd^c
am gefd^idfteften geroefen rafiren, bie 9ieIigion in il^rem eigent^ümlid^en
©lanje wieberl^erjuftetten. ©iefc feftigten jroar bie roanlenben ^onen
auf ben ^duptern bcr Könige, gerictl^en aber über ein SBort, ein Jlid^tä
(bie atbcnbmal^BIel^rc) in ©trcit — unb fo ift e§, tro^ bem ©turje beg
SÄberglaubenö, mit ber SRetigion im SIrgen geblieben. S5ie SJerttunft fül^rte
auf neue Slbrocge, bie weniger von bcr äBal^rlpcit, bcfio weiter von ber
SluSubung ber ^flid^ten eineg (S^riften entfernt waren. Unb jefet —
jefet njitt man ben ©tauben burd^ SSeroeife ergraingen unb bie a3en)eife
burd^ ben ©lauben untcrftüfeen. „$)urd^ biefe ocrlcl^rtc Slrt, baS ßl^riftcm
tl^um gu leieren, ift ein wal^rer ßl^rift weit feltcner, atö in hen bunllen
^dkn geworben. S)er ßrlenntni^ nad^ finb wir öngel unb bem Seben
nad^ Sleufel."
SDiefe gcbrängte: Ueberfid^t wirb genügen , um bem fiefer einen ©inblidf
in bie nid^t nur leid^tfertige unb pl^antaftifd^e, fonbern burd^auS oerbiffeus
reoolutionare 3lnfd§auung gu gewdl^ren, weld^e Sefftng ftd^ oon ber ^l^ilos
fopl^ie wie oom ©l^riftcntl^um gebilbet l^atte. S)enn man fagc nid^t, baä
gragment fei blo| ber @rgu§ einer jugenbtid^en Stimmung. SSBie ber
©runbgebanle beäfelben — Siebe ol^ne ©ogma, tl^atigeS ßl^riftcntl^um o^nc
dunere gormen, Solerang für 3lttc3, nur nid^t für bie pofitioen üieligionen
— fd^on in ben frül^eften Swgeiiiäu^erungcn ßeffingS burd^Kingt, fo wcr:=
ben wir benfelben unoerdnbert im ,9tat]^an' unb in bcr ,@rgie]^ung bc3 SJlen:^
fd^engcfd^lcd^teS' wieberftnben. Sefetere ift in il^rcn ©runbgügen weiter nid^tä
als eine nod^ etwaS wittfürlid^cre Sluägcftaltung biefeS gragmentä.
(Sine meriwürbige 2lrabe§fe gu bem unbogmatifd^en ©l^riftentl^um
oott ?Dlilbe, SJlenfd^lid^feit unb Siebe bilbct ba§ Scbengcnbe oon Seffingä
greunb SSRrßn^. SDerfelbc ftarb am 6. 3Jidrg 1754 gu Sonbon alS ein
oerfommener ©d^winblcr. @r l^atte in §annooer unb anbcräwo gro^c
Summen gufammengebrad^t, um oorgeblid^ eine SGBeltumfeglung gu untere
nel^men, überliefe fid^ aber in ©nglanb feinem §ang gur ©d^öngeifterei
unb gum leid^tfinnigen Söol^lleben, brad^te bie crl^altcnen Summen (1500
SÖ^lr.) „gwar benebelt, bod^ glüdflid^" (wie einer feiner greunbe melbet,
„cetera mente reposta maneiit") in SluSfd^weifungcn burd^, fd^rie nad^
neuen Unterftüfeungen , oerfd^welgte aud^ biefe (wieber 1000 2;i§lr.) unb
©aumgattttfc, Sejjlng. — ^ — 11
50 Söctfud^ einer eigenen SÄeligionSpl^Uofopl^ie k.
ftart, ol^nc feine SReife angetreten gu l^aben, gu Sonbon in ©d^ulben.
Seffing gab nod^ im felben ^a'^xe feine SBerfe l^eraug, um burd^ eine
Beigefügte Sßorrebe ©ottfd^eb, in beffen ©efd^matf aJi^liuS gearbeitet l^atte,
gu fritiftren unb gu argem. S)er traurige, fittlid^e Untergang be§ rer::
lommenen Siteraten, ber bod^ fein erfter ^ül^rer gur Sluffldrung gcraefen,
beffen „eblcn fittlid^en (Sl^arafter" er mel^r al8 einmal feinen ©Item ge^
genüBer Dertl^eibigt unb mit bem er nod^ ein ^a^v gUDor in SSerlin wie^
ber freunbf d^aftttd^en Umgang gepffogen l^atte , fd^eint auf il^n gar leinen
6inbrudE gemad^t gu l^aben. 51Rit unerfiittlid^er ©trenge gcrgauSte er an
feinen l^interlaffenen ©d^riften bie ©ottfd^eb^fd^e 9lid^tung unb ging mit
fataliftifd^er 2:i^eilna]^mloflgIeit feineS SBegeS weiter.
158
6. ^eßgiottöfofed ^i^tet- uttb ^etef^ttentcBen.
SRad^bem pd^ bic SReligion einmal für ficffing in eine bcm Äeime
na6) pantl^ciftifd^e, bod^ tm ©injcinen noä) unbcftimmte, Döllig embryonale
ipi^ilofopl^ie oerflüd^ttgt l^atte, über fceren ^Jortfommen unb SSBertl^ er [elbft
mit fid| im Unflaren n)ar, lag il^m nid^t^ ndl^er, atö ftd| wieber ungct^eilt
auf baä ©ebiet beä ^rofantüiffenS , ber fd^önen Siteratur unb Äunft, ju
werfen, ^ier l^atte er Erfolge DOr fid^, ju bencn fid^ ein 3Jlann t)on
feinem Sllter ®lüdf roünfd^en fonnte. ©ein 9lame ging roeit unb breit
im ganbe l^erum. ©eine Dermifd^ten ©d^riften waren auf ben pulten
l^od^gelel^rter ^rofefforen, wie auf ben ^itxti^^(S)tn fd^öngeiftiger ©amen
JU finben. ©elbft gen)iffen3dngfllid^e ^rebiger, roie ein ©o^e, ftredften
t)ie §anbe barnad^ au§. 5>licolai unb SJlenbelSfol^n liefen unter feiner
Slnregung unb ^f^fpi^^^iö" 33anb um ©anb mit glüdflid^em Erfolg in^S
^ublifum fliegen; Äleift war fein greunb; ©leim unb SRamler unter*
breiteten il^m il^re ©ebid^te unb 3*>een; ®ott[d^eb§ bictatorifd^cr SKl^ron
begann unter feinen ©tößen ju roanfen; 33obmer unb SSrcitinger bebrol^te
baSfelbe Sooö. ©in ÄlopftodE unb ein 3Bielanb mußten geroartig fein,
für jebroebe ©efd^enfe ber äJiufe t)or bem ebenfo gefürd^teten roie ge-
ad^teten 3flecenfenten 9iebe unb 2lntroort gu ftel^en; ©uljer fud^te ben
©eroaltigen burd^ ^J^^eunbeäbienfte an ftd^ gu feffeln. Umfonft! S5a§
junge ©enie fül^lte bie ftdrferc ©d^roungfraft ber eigenen J^ittigc. Scffing
tüoHte fein eigener §err fein unb bleiben. 2)urd^ bie frül^gcitige ©man*
cipation Dom SSaterl^auä unb t)om elterlid^en ©lauben, üon allen ©d^ut
trabitionen ber ^dt unb felbft t)on bem ^obegefd^madf ber l^errfd^enben
9tidE)tungen l^atte er eine Steife unb ©elbftänbig!eit erlangt, roie fein an^
berer gül^rer ber Slufflärung. 6r roar aber gugleid^ jener unfteten,
unbefriebigten SRul^elofigleit anl^cimgefallen, roeldEje fid^ bem von ©Ott ab«
gelösten 9Jlenfd^engeift unauäbleiblid^ an bie 5?erfen l^eftet unb il^n nirgenbö
frol^ unb freubig Söurjcl fd^lagen lafet. ©o. ift bic literarifd^e ©tanj::
periobe Seffingö (1754-— 1770) einerfeitS ein erquidfenbeä SSilb mdnn^
lid^en 3lingen§, l^errlid^er SD^atfraft, rool^ltl^dtiger Erfolge, anberfeitg ein
159
52 SÄeHgionSbfcS ©id^tcr* «nb Ocle^rtcnleBcit.
trü6eä ©cmdlbe ungcfdttigten ©trebcnS, fdiroevcr ©nttdufd^ungcn unb
fittlid^cr ©d^roäd^c. 211S litcrartfd^er ^Icformator bel^crrfd^t er feine ^dt
xinb eilt i^x votit üoran ; er unterliegt aber il^rem Derpefteten Jpaud^e, wenn
c3 bie l^öc^ften ®üter beS beutfd^en SSolfeä wnb ber SRenfd^l^cit auS ben
fd^on l^od^gel^enben SQBogcn ber 9tet)olution ju retten gilt.
35Ja§ ben duneren SebenSgang ßeffingS in biefer ^eriobe betrifft, fo
Denüeilte er bi§ gegen @nbe beS Sfa^reä 1755 in SSerlin, jeitraeilig in
^otäbam, roo er fein burgerlid^eä ©d^aufpiel ,3Wi| ©ara ©ampfon' jum
9lbfd^lufe brad^te. ^m 3wK rool&nte er perföntid^ ber erften Slufful^rung
be§ ©tütfeä gu granifurt a. b. O. bei, roeld^e nad^ ©teimS S3erid^t bie
3ufd^auer brei unb eine l^albe ©tunbe lang wie ©tatuen an il^re ©ifee
feffelte unb il^nen bie jarteften Stl^rdnen ber Äül^rung entlodte. 3m
Söinter fiebelte er nad^ ßeipjig über unb trug fid^ jeitroeilig mit bem
©ebanfen, alä ©lüdfgritter nad^ 3)ioöfau ju gelten. 35aju tarn e§ inbe^
nid^t. S)afür trat er im 3)lai be§ folgenben ^aijxt^ als Segleiter eineä
jungen, reid^en Seipjtgerö, ytamm^ SÖBinfler, eine SReife burd^ 5Jiorbbeutfd^s
lanb unb ^oKanb an. 9}on bicfem bamalS feineö SReid^tl^umS wegen alä
eine Slrt Sßunberlanb betrad^teten SReid^e foHte bie Steife, laut ßontractS,
nad^ ©nglanb fortgefefet werben. Slffein bie 9ieifenben l^atten !aum Slm^
fterbam erreid^t, alä im 2luguft ber ^reufeenWnig in ©ad^fen einfiel unb
ber junge SOBinller, aller SSorfteHungen unerad^tet, nad^ §aufe eilte, um
feine ftattltd^e SBol^nuttg Dor ben Slnneponögelüften etwaiger (Sinquar?
tierung ju bepten. ©o warb bie SQäeiterreife ju SSBaffer. 3^^0*9^^^^^^/
wibmete fid^ Seffing jwei Saläre in Seipjig, bann jmei ^a\)xt in 83erlin
ben mannigfad^ften literarifd^en ©tubien, als bereu §auptfrüd^te bie &U
tcraturbriefe , eine uermel^rtc ©ammlung Don ijabeln, eine 2lbl^anblung
über bie j^aM, ba§ Srauerfpiel ,^l^ilotaö' unb bie 3flecenfion beS Sieber^:
lül^n^fd^en Stl^eofrit allgemein befannt fmb. ©eineä SiteratenlebenS mübe,
baä il^m groar t)iel ©l^re, aber nid^t fo Diel ®elb eintrug unb aud^ baö
erworbene ®elb nid^t jum feften SSermögen werben lie|, entfd^lo^ er fid^,
1760 ©ecrctdr bei bem preu^ifd^en ©eneral SEauengien ju werben, unb
lebte aB f old^er fünf ^af)xt in ©d^lefien , meift in Sreälau. (Sr f anb
l^ier neben feinen Slmtägefd^dften auägiebige SSRu^t, feine geleierten unb
bramaturgifd^en ©tubien fortgufe^en, erging fid^ atö munterer ®efell=
jd^after unb Siebl^aber beä ^l^arofpietö in ben gefeHigen Äreifen ber
^oberungSarmee unb beS eroberten SanbeS unb befd^dftigte ftd^ nebenbei
mit ber ^l^ilofopl^ie beS ©pinoja unb ben Äird^enodtem ber erften 3<^^^'
l^unberte. SJlad^ Serlin jurüdCgef el^rt , oeröffentlid^te er in ben Sial^ren
160
9lcUgion§tofc§ 5)td^tcrs unb (Sclcl^rtcnteBcn. 53
1766 unb 1767 bic ©rgefiniffc feiner ütcrarij'd^4ft]^ettfd^cn ©tubien im
,8aofoon' unb bic t^eilroeife grud^t feiner bramaturgifd^en ©tubten unb
feiner 2BeIt= unb SJienfd^enbeobad^tung in bem Suftfpiele ,9Jiinna von
SSarnl^elm'. ^njroifd^en fnflpfte er, feiner entfd^icbenen SSorliebc jur bra::
matifd^en Äunft folgenb, Segiel^ungen mit einer 3:]§eaterbirection in §om*
bürg unb üertaufd^te 1767 ®erlin, „bie Königin ber ©tdbte", mitJpam*
bürg, „ber ücrjnjeifelten ©aleerc'', um feine angefangenen 2)ramen ju
t)oIIenben unb gur SKuffu^rung ju bringen unb eine beutfd^e 5rtational:5
bül^nc ju begrünben.
SDer $tan fd^eitcrte an ber (Sitelleit ber ©d^aufpieler , an ber Un*
einigfeit be§ 3:]^eaterperfonatö unb ber 3:]^eaterintenbanten, an einem S5urd^s
einanber egoiftifd^er SBeftrebungen , bei bem Jliemanb mel^r mufete, mer
Äod^ unb iteöner fei. ©benfo jerfd^Iug fid^ baä ^roject, unter 9Rit::^
n)itfung ber bebeutenbften lebenben SDic^ter ein literarifd^eä ^o^i^^^I ^^P^^^
SRangeg gu grftnben, ju beffen äJermirttid^yng Seffing eine S)rudterei be^:
reitä übernommen l^atte. S)od^ rettete ber mutl^ige ©d^roimmer au§ bem
©d^iPrud^ ber bciben großen ^rojecte feine berül^mte ,]^amburgifd^c
SDramaturgic'. ^ex^aUtn mit ben Jl^eaterunternel^mern , ben ©d^aufpie*
lern, bem oberflad^Iid^en ©cfd^mad beS ^ubtifumS unb ben SSud^l^anbtern,
meldte il^n burd^ 5Jlad^brudC fd^dbigten, lie^ er feinen oieten unb üielfad^
fel^r begrünbeten SSerbrufe erft an ben Sud^l^anblern auö unb ftürjte fid^
bann mie eine fd^mere SBetterrootte auf ben foniglid^ preu|ifd^en ©el^eim?
ratl^ unb ^l^itofop]^ie=^rofeffor Älo^ in ipalle, meld^er frül^er fd^on nid^t
ganj befd^eiben gegen ben Saoloon aufgetreten mar, jefet mieberum burd^
fedfe jRccenfionen Seffingä Iritifd^e ©alle erregt l^atte unb ftd^ enblid^ burd^
fortgefe^ten SCBiberfprud^ ben üoHen Sngrimm beä t)on aüen ©eitcn ge=
reijtcn, geftrgerten unb mi^ftimmten ^ritiferS jujog. Obmol^l er fid^ in
ber literarifdöen gelobe afö ber ©tariere fül^lte, gemalerte e§ il^m bod^
fd^lie^Iid^ wenig Sefriebigung, mit Älöfeen auf bie Älöfee, mie er Älo^enS
Slnl^dnger nannte, gu fd^Iagen. 3^*^^^ ^^* f^^^^r ©rudterei in SSerlegen?
l^eit, in mad^fenber ©elbnotl^, enblid^ tief in ©d^ulben ftedCenb, verfiel er
auf ben ®eban!cn, mit bem JReft feiner Saarfd^aft gtcid^ SötnMmann
nad^ Italien unb 5Rom ju jiel^en, unb ba eS il^m Doraugfid^tlid^ aud^
bort nid^t gefallen mürbe, ein paar taufenb 9Reilen in ber SDBelt J^erums
gufd^mdrmen. „Söenn atebann," fagt er in einem SBriefc, „baä coUe-
gium de propaganda fide einen mol^in ju f d^idfen ^ctt, roo^in nid^t eim
mal ein 3^fuit miß, fo mitt iä) bal^in." S)od^ fo weit lam e§ nid^t.
9lid^t einmal bie italienifd^e Äunftreife oermirHid^tc fid^ in ber oon il^m
161
54 SfieligionSlofeS $)id^tcr« unb ©elcl^rtentcbcn.
proicctirtcn SBeife. 3m October 1769 crl^irit er burd^ ben ^rofcffor
@6ert am SaroUnum in iöraunfd^roetg bic einlabung, l^crjoglid^cr Siblio:^
tl^cfar in SDBotfcnbüttel ju »erben, unb er gog, nad^ langem 3*8^^*"/ i^t fol*
genben grül^jal^r an ben neuen ißoften, an rodä)tm bie lefete ^l^afe feiner
3:i^dtigfeit — eine porjugSroeife tl^eotogif d^e , ober beffer gejagt: anti?
tl^eologtfd^c — beginnt.
©0 gl&ngenb bie S^l^trc 1755--1770 infieffingS geben üom literar::
gefd^id^tlid^en ©efiti^tSpunft fid^ auJBncl^men, fo trüb geftaltct fld^ ba§
Silb, wenn man ben 3Jia§ftab religiöfer ^orberungen an feine fonft fo
üielfeitige unb berounbernäroertl^e SEI^dtigfeit anlegt. @ä foll l^iemit feineä::
roegS auf jene Meinen ^ü^t von „SJlenfd^lid^feit" l^ingeroiefen werben,
roeld^e in ben Slugen geitgenöfftfd^er unb fpdterer ©egner ben ®lanj feiner
^erfönlid^Ieit in etwa Derminberten : auf fein unrul^igeS Uml^erfd^roeifen
von Ort JU Ort, feinen SWangel an 93efriebigung aud^ in günftigen UJcr^
l^dttniffen , baä unftete SBed^fcln bcr Sefd^dftigung, bic mangelhafte Orb*
nung in feinen ©elboerl^dltniffen, bie bal^er rul^renben 9Scr(egenl^iten unb
bic pßfelid^e ©ud^t, (Selb gu mad^en, bie eben fo plö^lid^e fieibenfd^aft
für ba§ §ajarbfpicl, bic Scrbinbung mit 3>uben, unb jroar eigentlid^en
©d^ad^erjubcn *, oor bcren einem felbft ^Jlenbeßfol^n i^n warnen gu muffen
glaubte, feinen bel^arrlid^en SBibcrfprud^ggeift , bcr fid^ in ©trcitl^dnbeln
n)ie in feinem Elemente fül^lte, unb bie roilbe, lieblofe fieibenfd^aftlid^!eit,
mit TOcld^er er in berartigen §dnbeln, namentlid^ in bem Jf lo^ifd^cn, gegen
feine literarifd^en ®egner auftrat. SWel^r alä unangenel^m bcrül^rt eä,
wenn er in einem SBriefe an SJlifolat gang leid^tfertig barüber fd^ergt, ba^
Jpageftolge aud^ bisweilen Äinber l^aben unb biefelben nid^t gu oerforgen
braud^en, nod^ unangenel^mer, n>tnn er im ßaofoon baä dft^etifd^e SBol^t
gefallen mit einem rein animalifd^en S:rieb ibentipcirt unb bei Untere
fud^ung ber dftl^etifd^cn ©rengen bcr Äunft oon ftttlid^en ©rengen gang
unb gar nid^tS gu fagen n)ei|. SDod^ für alle biefe (Singclnl^citen laffen
1 3n ben Saluten 1760—63 ftguriren tu fiefftngS iBricfrocd^fcl auger ÜJicubcISs
fol^u etu 3ube 3oel, ciu Jube ^e^nc SBcitel ©pl^tdm, ein 3ube ^a^maun, etu 3ube
Äul^ al§ freuubfd^aftUd^c ©cfanutc, bie ©rüge uub ^a^xi^im con S5re8lau uad^
©erlln Beforgcn. 93eitel ßpl^ralm war iWüngsUntcrnel^mer uub Beforgte im 3luftrage
beg Königs uub beS ©cucrat Jaucugieu boS ^rSgeu geringl^altigeu (Selbes. OB*
XDof)! ©erfid^ert wirb , fiefpug l^aBe genrfffc ^^gläujenbc" Stntrdgc SBeltel (Spl^roimS
aBgelcl^ut uub fid^, auf Söaruung aJleubelSfol^uS, fel^r jurücf^oltenb gegeu il^n Bc^
uouiuteu, fo jeigt bie ßiaifou bod^ immerl^in, bag fiefpug baS 3ubeut]^um »ou feiner
roal^ren ©cite fanute uub ba§ bie ©d^itberuug beS 3ubeu im ^at^an auf x)oIIfläu=
btger unb Bemühter ^^iftion Berul^t.
162
SÄcltgioitglofcS $)id^teT5 unb ©clcl^rtenlcbcn. 55
jid^ mcl^r ober rocntgcr ©ntfd^uIbigungSgrünbc vorbringen, unb eä fcl^ft
nid^t an ^ÜQtn natürlid^er 2;ugenb unb angie^enber ßl^araftcretgcnfd^afs:
len, peld^e mand^en ber[elben baS ©egengeroid^t l^altcn.«
(Sine dd^t beutfd^e ©cmütl^lid^fcit milbcrte baS Jperbe unb ©d^arfc
feiner Dortoiegenbcn SBerftanbeSrid^tung. ^tim %oht ÄleiftS, int aSerlel^r
ntit ©leint unb dtamltx, in ber Unterftüfeung feiner ©Itern unb ©e^^
fd^roifter legte er eine §erglid^!cit, ^Jreunbfd^aft, 2:5eilnal^me unb eblc ©e^
finnung an ben 3;ag, roeld^e ^titn geroinnen ntu|, unb wenn er fid^
nad^ jmanjig ^al^ren eines unrul^igen 3unggcfeIIenIe6enS ber aUerbingS
nid^t armen SGBittroe eineS ^reunbeS unb feiner Äinber annimmt , um
il^nen ein liebcnoHer äJater gu werben, fo ift baö groar feine fo l^eroifd^e
^l^ilantl^ropie, roie fie im Statl^an gefd^itbert n)irb, aber immcrl^in ein ^uq
von einem gutmütl^igen bergen,
9Äa|t er fid^ auf bem ©eBiete ber ßiteratur faft baäfclbe bictatorifd^e
Slnfel^cn an, baä er in ©ottfd^eb unb Sobmer beldmpfte, unb n>ar rudf:^
fld^tgooffc ©cfd^eiben^eit nid^t eben feine ftdrJfte ©eite, fo Idfet fld^ bem,
ber fold^eg gum SSonourf ftempeln wollte, enoiebem, bafe ber geniale
Äritiler, n)0 bie ^Religion auS bem ©piele blieb, in feinen Urtl^eilen
fd^on meift ba§ SRed^te traf, bafe er fid^ feiner geiftigen UeBerlegenl^eit
Bemüht werben mufete, bap er feine Verbiete bem gJuBlilum afö l^öl^erem
SÄid^ter auäbrudElid^ unterfteHte unb ba^ er in feinem ^rioatlcben, allem
eiteln ©eprdnge abl^olb, fd^lid^t, genügfam unb anfprud^gloS blieb. @r
lebte meift in ben S:ag l^inein, wufete fid^ in SJienfd^en unb aSerl^dltniffc
gu fügen, lonnte, M ftarler (Sonftitution unb ©efunbl^eit, gel^örige ©tras
pagen beä ©eifteS unb SeibcS beftel^cn, arbeitete oiel unb fleifeig, fül^rtc
im großen ©angen ein einfad^eS Seben, mad^te fid^ aber aud^ nid^tS baraug^
gelegentlid^ bie l^albe 9lad^t bem ©piel unb anbern SSergnügen gu mibs
mm unb bafür tief in ben l^ellen 3;ag l^inein gu fd^lafen. ©eine §aupt=:
leibenfd^aft waren SSüd^er, literarifd^e (Suriofitdten unb baS Sl^eater. ©ie
l^inberte il^n oorgfiglid^ , gu einem ftabilen JpauSl^alt gu gelangen, oerliel^
il^m aber aud^ gugleid^ jenen Seid^tfinn, ber il^n unter ben oerfd^ieben^
artigften äBibcrwdrtigfeitcn ftetS geifteäfrifd^ crl^ielt. Jpatte er fid^ fd^on
als Süngling feiner ber il^n umgebenben ©trömungen mit ber ber 3^-
genb eigenen, l^ingebenben , ungetl^eilten S3egeifterung überlaffen, fo fe^tc
er, gum angefel^encn Äritiler unb ©d^riftfteHer herangereift , um f me^r
einer jeben geiftigen ÜJiad^t, in bereu 2lngiel^ungSfreiS er geriet!^, ben ^o^
merifd^en ©d^ilb antiler 9lu§e entgegen, leiftete jeber Slnfid^t, bie fid^ feiner
bemdd^tigen wollte, Iriäfd^en SGBiberftanb , mad^te gegen äße ^Bewegungen
168
56 SfieUglonälofcS ©id^tcr« unb ©clcl^rtcntcben.
feiner ^di gerduf(|Io§, aber ftramm unb unBeugfam ^ront unb fd^autc
Batb Idd^elnb, balb cmft, aber immer wifeig, fd^arf, Beifienb, bod^ nie mit
unt)er!Iaufeltem ^Programm, t)on cinfamem 3Barttl^urm au^ in*8 ©etriefic
ber spartcien. SSerließ er biefen feinen ^ßoftcn, fo war eä nid^t, um fid^
irgenb einer SRid^tung anjufd^li^^en , fonbern nad^ ©amfonS STrt an ben
©dulen beS ®efte]^enben ju rütteln unb feine Iritifd^en ^ud^^t mit aSranb--
fadteln in^S Heerlager ber ^l^ilifter ju jagen. S5ie einjige ©eifteöfpl^dre,
in ber er fld§ DoIIig too^I unb l^eimifd^ fül^lte unb beren @influ§ er ftd^
mit ungetl^eilter SBcgeifterung überliefe, war baS clafftfd^e ^eibentl^um ber
©ried^en unb 9iomer, mit beffen lünftlerifd^er gormüollenbung fid^ leine
Seiftung bcä S:ageS meffen Jonnte, an beffen ©tubium er feinen ©eift
gefd^drft unb feine fd^oi)ferifd^e Äraft befrud^tet l^atte, in beffen SGöeltan^
fd^auung il^m bag SÄeinmcnfd^lid^e in einer fold^en gütte rul^iger ©d^on*
l^eit entgegentrat, bafe er bie bunleln, fittlid^en ©d^attenfeiten barob Der?
gafe ober nid^t me^r ad^tetc. 5)ie ungel^eure ©emalt biefeg @influffe§,
Derftdrit burd^ bie anbauernbe ©eifteäarbeit , bie ju feiner Slufnal^me er«
forberlid^ mar, gab ber aufgeltdrten ©eifteärid^tung SeffingS ein von bem
feiner aufgeödrten 3^i^9Cttöffen »ielfad^ abmeid^enbeä , unabl^dngigcS ©es
prdge, einen 3^*9 cintifer Äraft, 9Jidnnlid^!eit , Unbcfted^lid^Icit unb SSife
bung, meld^er aSiele vtvanla^t l^at, feinen Sl^arafter überl^aupt als einen
antilen gu bejeid^nen.
3n biefer antilen SRid^tung, meldte, t)on d^riftlid^en 9lnfd^auungen
geregelt unb gelenft, ben beutfd^en Äritifer ungmcifell^aft ju einem ber
größten ünb l^eilbringenbften §umaniften aller 3citen ^dtte mad^en lonnen,
liegt, megen il^reS und^riftianiftrt^m S^aturaliSmuS unb ^aganiämug, bie
tieffte ©d^attenfeite in SefftngS Iritifd^em, bid^terifd^em unb bramaturgi^:
fd^em SBirlen. S5ie antife Silbung ber ©ried^en unb Sftömer, biefe l^od^fte
dftl^etifd^e 6ulturentmidHung , ju meld^er bie SÄenfd^l^eit aufecrl^alb beS
ei^riftentl^umS gelangt ift, mar il^m gur abfoluten 5ftorm mal^rer, menfd^:^
lid^er S3ilbung, ia^ SSilbungSmittel jum SBilbungSjmedf , baS dftl^etifd^e
^beal aud^ ^nm moralifd^en geworben. Sitte bie Siugenben, meldte an
il^m gerül^mt merben, laffen fid^ ber Jpauptfad^e nad^ auf natürlid^e gute
©igenf d^aften , etroaS gried^ifd^e ©utrapelie unb bie unabl^dngige ^Jldun^
lid^!eit eineä rSmifd^en Äunftrid^terä gurüdCfül^ren. Sl^riftlid^e SReminiö^:
cengcn unb beutfd^er aSolfäd^arafter milbem bie fd^roffen, antifen 3*9^ i
bie frül^eren @inbrüdCe proteftantifd^er ©rjicl^ung unb beiftifd^er Seitüre
oerflad^en fie oft fo, bafe man einen 3^^ttiw9^6^uber beS pl^ilifterl^aften
5Rifolai oor fid^ gu feigen glaubt; oon taufenb @inmirlungen mobcmer
164
SÄcIigionSlofcS SDid^tcr* unb ©etel^rtenleBcn. 57
fiitcratur unb ©clel^rfamlcit Dcrwifd^t, jd^ctncn jtc jtd^ in baS S3ilb cinc§
mobcrncn Sitcratcn aufldfcn ju wollen; aber unt)cr]^offt taud^en flc au§
ben ?liebcrungcn bcS 3öutnaliSmu8 unb bcä mobcrncn Sül^ncnrocfcnS in
il^rcr t)offcn Äraft unb ©d^drfc roicbcr empor, unb gerabe ba, wo fein
®cnie am gemaltigftcn aufblifet, im Saoloon unb in bcr Dramaturgie,
ift er feiner SQBcltonfd^auung nad^ ein antiler §eibc.
©0 ftnbet ftd^ benn in feinen SBriefen laum ba ober bort eine d^rifts
lid^e ©rinncrung — feine literarifd^en unb miffenfd^aftlid^en Slrbcitcn aber
entgleisen fid^ oöllig bcr Jperrfd^aft beS d^riftüd^cn ©eifteS. ©inb nad^
d^riftlid^er STuffaffung ©Ott unb 9fieIigion ber Icbenfpenbenbe 3Äittelpunft,
t)on bem Äunft unb Sitcratur, SSBiffenfd^aft unb Sebcn, S)enlcn unb §am
beln, ber ©tngclnc unb bic aJicufd^l^eit Semegung, fiid^t, SCBertl^ unb SBeil^e
crl^alten, fo ift iü fieffing bie eigene Snbioibualitdt al8 nSd^ftliegcnber
Slcprdfentant ber SRcufd^l^cit baS eingigc SSanb, roeld^cg ba8 SlIIcS ju=
fammcnl^dlt. 3Jlag ©Ott fid^ ben SÄenfd^en geoffenbart l^abcn ober nid^t,
mag bic ganjc natürlid^e SSBcltorbnung auf baS gro^e ^id übcmatfir::
lid^er SScrJ^errlid^ung ©otteS gerid^tet fein ober nid^t, mag baS §eil bc8
©injclncn unjcrtrcnnlid^ in im gJttlid^cn SBcltplan biefcr übcmatürlid^en
Orbnung eingcgliebert fein ober nid^t: „ba8 Doßfommenfte SÖBcfen" mag
märten, biä eS Seffing beliebt, an biefc ^rage l^eranjutreten , big 9Jli|
©ara ©ampfon gefd^ricben ift, bis ^reu^en mieber ^rieben mad^t, biä bic
poetifd^c ^robuctioitdt unb bic greube am ^rofanmiffen erfd^öpft finb.
3n biefcr uncnblid^ flad^cn unb platten Sluffaffung beS Sebenä, meldte
l^od^ftcnS in aSellcitdten unb Srdumereien über bie Seiben unb ^reuben
jiebcn lageS l^inauSgel^t , lag unb fd^rieb Seffing, ftubirte in Dcrgilbten
©ocumentcn, bid^tetc an rül^rcnbcn S)ramen, fpiclte, amfifirte fid^, ftritt,
janfte, fd^lofe ^rieben, fd^üttete lieben greunben fein $crj auS, crgo^ über
©cgner feine ©alle unb lebte 15 ^al^rc lang in religiöfer ©Icid^giltigs
Icit bal^in, ol^nc fid^ über bic rcligiöfc ijragc Älarl^cit gu Dcrfd^affcn.
SRid^t einmal eine lebcnggefdl^rlidSc Äranll^eit, meldte il^n gu 33reSlau
befiel, rüttelte il^n auö biefcr gciftigcn Sctl^argie auf. ©toifd^ rote ein
alter Jftomer fd^aute er bem S;obe in bie Slugen unb Ilagte mcniger über
feine forpcrlid^cn Seiben, ate über feinen Slrgt, rocld^cr il^n unabfid^tlid^
mit fteten Untcrl^altungcn über ben il^m unauäftd^lid^en ©ottfd^eb peinigte.
„2tlS bie Äranll^cit auf's ^öd^fte geftiegen mar," berid^tet ber SReftor Äloje
Don S3reSlau, „lag er ganj rul^ig mit einer bebcutenben 3Jüene ba.
SDiefe fiel feinem J^reunbc fo auf, ba^ er ücrtraulid^ fragte: maS er
bcnn jcfet bdd^tc? ,@bcn bin id^ begierig, gu crfal^rcn, maS in meiner
164
58 9iellgionS(üfeß 5Di§t«s unb ©cldjrtenlcben.
©eetc beim ©tevfien Dorgel^en tptrb.' S)a if)m nun gegeigt würbe, ba|
bie[eS unmöglid^ [ei, fo Derfefete er gang abgebrod^en: ,©te intrigniren
mid^.'" ©a§ war im ©ommer 1764.
2ltö er t)om Äranfenbett roieber aufgeftanben roor, fftl^lte er freilid^
bie JpinfdUigleit beg SRenfd^en unb „ba^ nid^t alle S:ragict mit bem ©x)?
pl^olleä 90 3al^r merben"; aber roaä il^n mel^r grdmte, roax, ba^ er
erft ein Slrauerfpiel, iSopl^ofleS beren 90 gemad^t l^dtte unb feine angc:^
legentUd^fte ©orge galt ber aSottenbung feineS Suftfpietö 3Äinna von
S3arn]§elm. 9lur nebenbei, mie fid^ bie ©ad^c nad^ Älofe^S Serid^t bar:=
fteHt (ob nad^ unb auf ©inroirfung ber überftanbcnen Äranfl^ett, ift
jmeifell^aft), fing er an, mit t^eologifd^en Unterfud^ungen fid^ gu befaffen.
„@r mad^tc einen (gntmurf gu. einer großen Slbl^anblung von ben SJcr^
folgungen unb SD^drtprern ber Sl^riften, unb tl^at einem feiner greunbc
ben aSorfd^lag, bie Äird^enodter gemeinfd^aftlid^ gu lefen. ^n S^ftin bcm
SJidrtprer fanb er, nad^ feiner SSerfid^erung , gang anbere 3fleligion§fd^e,
als in ben neueren ^dkn im ©ange maren. 3m gleid^en würbe ©pt*
noga^ä ^l^ilofopl^ie ber ©egenftanb feiner Unterfud^ungen. @r laS bie^
jenigen, roeld^e il^n l^atten miberlegen moHen, worunter SSaple nad^ feinem
Urtl^eite berjenigc war, weld^er il^n am wenigften oerftanben l^atte. SDippel
war il^m ber, weld^er in beS ©pinoga wal^ren ©inn am tiefften einge?
brungen. ©od^ l^at er l^ier nie baS 3Jlinbefte, wie gegen S^cobi, aud^
gegen feine SScrtrauteften gcdu^ert."
?Dlit ber Slbl^anblung über bie ©l^riftenoerf olgungen blieb eS beim ©nt^
wurf. Sieben bem ©tubium eineS ©pinoga, Sa^le unb ©ippel lonnten
bie Äird^enodter ber erften S^^^'^wnberte nur bagu bienen, in baä wun*
berlid^e ©emifd^ einer nod^ gdl^renben SleligionSpl^ilofopl^ie einige d^rift?
lid^e S^g^^i^i^ngien gu ftreuen. SBie weit fid^ fieffing fd^on jefet ©pinos
giftifd^e unb SDippePfd^e Sel^rfd^e aneignete, barübcr fel^lt e§ an SRad^rid^s
ten. 5)ie tl^eologifd^^pl^ilofopl^ifd^en ^rojecte würben eben oon l^unbert
anbern ^rojecten überflutl^et 5yiur literarifd^e unb dftl^etifd^e ^robucte
geftaltcten fid^ auä il^rem d^aotifd^en ^rotoplaSma gu organifd^en ©eftalten.
166
7. IJJitßttttg beö ^nbifmnftötttttd auf bie c^iiexatnr.
SluS einem religionslosen Seben unb 3;rei6en ^eroorgegangen , trug
aud^ Seffingä Stptigfeit als Äritücr, Sleftl^etifer unb ©id^ter ba§ Siegel
beS S^bifferentigmuS unb würbe baburd^ überaus Derpngni^ooll für bie
gefamtnte beutfd^e giteratur, tnbem bicfclbe, ber d^riftlid^en S^ec unb ber
nationalen Ueberliefcrung immer mel^r entfrembet, auf einem 2(Kem)eIt§=
gemengfei ^^ibnijd^er, proteftantifd^er, mobern^pl^ilofopl^ifd^er ^etn weiter
entroidfelt inarb, unb fid^ auf politifd^em ®ebkt ber ^ieoolution unb ben
^einben ber gefd^id^tlid^cn unb nationalen ©ntroidflung bienftbar mad^te.
Unjroeifell^aft ift ßeffing l^ierin nid^t aß erftc beroegenbe Urfad^e, fonbern
roeit mel^r als Sfteprafentant beS an fid^ felbft oergweifelnben ^proteftan^
tiSmuS ju betrad^tcn.
i^ormloS n)ie fie war, l^attc bie unfid^tbate Äird^e beS „reinen @t)an=
geliumS" nid^t vtxmo^t, bie beutfd^e ^oefie beS 3JiittelalterS weiter ju
entwidteln. Slbgeriffen oon ber aSergangen^eit l^atte fie bie gelben beS
SoHeS, feine ©agc unb ©efd^id^te, ben SÄeid^tl^um feines innern ©eifteS^
lebenS unb bie ^ormenfülle feiner ^unft auS bem Sluge verloren. 9D^it
bem tiefften SebenSqueß beutfd^er ©rö^e unb ©cfittung, bem ©laubcnS^
leben beS SKittclalterS , war bie lebcnbige, Ifird^lid^e SJerbinbung unter?
brod^en. äßal^renb religiofe gelobe unb 33ruberfrieg bie Ärdfte beS aSolIeS
erfd^opften, eine fteif^lateinifd^e ©d^ulbilbung ben i^ortfd^ritt ber ©prad^e
unb Siteratur in l^emmenbe iJeffeln fd^lug, bemad^tigten ftd^ auSlänbifd^e
(Sinflüffe ber le^tem , unb ,burd§ bie unpatriotifd^e ^olitif oieler 9teid^Ss
fürften, wie burd^ ftttlid^e ©rfd^laffung, war norgcforgt, bafe unter biefen
@inflüffen baS Si^cle d'or beS franjöfifd^en „ßafarS" baS Uebergewid^t
erl^ielt. SllS bann bie @ncp!lopdbiften bie gldnjenbe (Srbfd^aft ber fran?
jofifd^en ßlafficitat antraten unb ber $proteftantiSmuS unter ben ^am*
merf dalagen ber 9luf!ldrung wanfte, ba war gro^c 3tot^ im Sanbe unb
wirr gingen bie ©trdmungen burd^einanber. 5)er petiSmuS fperrte fid^
mit frommer- 3Jiiene gegen Stl^cater unb Siteratur ab , um ftd^ am Äir*
167
60 SBitfung bc3 SnbiffcrcntiSntuS auf bie fiitcratut k.
d^enlieb, faft ber einzigen Icbenäfrdftig gebliebenen §orm inldnbifd^er
^oefie, gu erbauen. SDie im ftrengen Sutl^ertl^um l^erangebilbeten ©diöns
geifter üerl^arrten bei ber lateinifd^en SSeräfunft unb il^rer unbcl^olfenen
5Ra(i^bilbung im SDeutfd^en. ©ottjd^eb fud^te ein ctaffifd^eS golbeneä 2>^iU
alter im ©tilc beS franjofifd^en l^eranjubilben. ©obmer unb feine Slm
pnger warfen il^ren Slid in^ä fatl^olifd^e 3Jiittelalter, um in ben ©d^d^en
ber nationalen SSergangenl^cit bag verlorene ^arabieg ber Äunft lieber
ju finben. Älopftotf, ber begabtcfte ©id^ter ber ^tit, griff, einem 3Äilton
gleid^, in Jpimmel unb §öße, in alle §ol^en unb Stiefen beä d^riftlid^en
©taubenS, unb fud^te, an bem Seften, ujaä ber ^rotcftantiämuä auS bem
3Sater5auS mit fid^ genommen, an ber Seigre t)on ber 3Jienfd^n)erbung
unb ©rlofung, bem d^riftlid^en S)eutfd^lanb in einem rcligiofen @poä bie
©runblage einer neuen Äunftentmidfelung ju geben. Slber n)ie bie Ärdfte
ber ©ottfd^eb^fd^en ©d^ule fid^ in unbeutfd^en 5Rad^a]^mungen erfd^öpften,
unb unbemufet franjofifd^er grioolitdt bie ^fabc ebneten, fo mül^te fid^
33obmer umfonft ab, auS ber groifd^en ^roteftantiSmuS unb Unglauben
fd^manfenben ©egenmart eine ^rüdfe in baS ^anhcxlani be§ 3Jlittelalterg
JU fd^lagen. J?lopftodE aber ging bei aller SJiad^t ber ©mpfinbung bie
fd^opferifd^e Äraft unb bie lebcnatl^menbe ©lutl^ roal^rer $poefie auä,
weil fein 3Keffta3 fein fid^tbareä SReid^ auf (ärben befa^, unb feinen
^reunben nur in ^rioatoifionen unb in langatl^migen (gngeföreben ftd^
mittl^eilen !onnte.
3n ber oberfldd^lid^ften religiöfen ©leid^giltigfeit befangen, war Seffing
nid^t im ©tanbe, baä literarifd^e ©eiftegleben feiner ^tit auf bie raal^ren,
fidlem unb uncrfd^opflid^ frud^tbaren ©runblagen jener ffiilbung jurüdts
jufüi^ren, weld^e einft ba§ beutfd^e SSolI im ©d^oo^e ber tatl^olifd^en
Äird^e gefunben l^atte, unb burd^ weld^e eö in ber SBiffenf d^aft nid^t weniger,
als auf bem ©ebiete ber Äunft an bie ©pifee ber europdifd^en aSolfer^
familie getreten war. (Sr mod^te eS »ieHeid^t fo gut wie ein Seibnij eins
feigen, ba§ bie ^tx^a^xtr(S)tit in Äunft unb giteratur nur baS ©piegelbilb
ber gelobten beutfd^en (Sinl^eit unb bie politifd^e ^tx^tüätlm^ nur eine
§olge ber religiöfen ^mttxaä)i war. @r mod^te eö wie Älopftodt fül^len,
ba| in ben großen religiöfen unb nationalen SKotioen bie einjige Slriebs
Iraft einer roal^rcn 5Rationalfunft lebt. Slber fobalb er einen ©d^ritt tl^un
wollte, fid^ ben SebenSquellen beutfd^er aSergangenl^eit ju ndl^ern, trat ber
belrittelnbe, pernünftelnbe profaifd^c ©cift bcö Unglauben^ bajmifd^en unb
fd^nitt bie angefponnenen gdben cntjwci. %ixx bie religiöfen Sbeen be§
3Jlittelalter§ in^befonbere mar er fo burd^ unb burd^ unempfdnglid^ ge^:
168
SBirfung bcS SnbtffetentlSmuS auf bie fiitcratur k. 61
Ttjorben, ba^ er bte Äird^e unb ba§ Sftittertl^um aU eine traurige 3Jii|=
gcburt „pfdffifd^en ®eifte§", bcn S^lam bagegen uni ba§ ^ubentl^um
als bie 3:rager einer reineren ©otteätbee unb bte Opfer ungered^ter SSer?
folgung betrad^tete.
2ltö er befel^alB bcr frangofifd^en SRid^tung auffünbigte, unter beren
3nfptration er feine erften S^geubbramen gefd^rieben, roanbte er ftd^ nid^t
Jenen antifen 3Jiuftern ber Jragil ju, roeld^e an ben SBeil^ealtdren ]^eib=
nifd^er ©otter im SDienfte einer pofttioen SReligion entftanben waren, aud^
nid^t ber fpanifd^en SDramatif, roeld^e il^re fd^onften 35lutl^en jum ^ranj
um bie 2:a6ernafel be§ menfd^gen)orbenen (Srlofer§ wanb, aud^ nid^t bem
gewaltigen ©l^afefpeare, ber in feiner ®ruft gewiffermafeen nod^ bie ganje
SGBeltanfd^auung beö SJtittelalterS trug, fonbern ber flad^ften, leben§armften
unb poefielofcften 3fiid^tung, roeld^e fid^ ndd^ft bem ©nc^riopSbiömuS Je
ber SSül^nc unb ber Siteratur bemdd^tigte. (SS ift jene confcffionsloS
moralifirenbe, cnglifd^e SRid^tung, weld^e guerft in ben langweiligen, tugenb=
atl^menben 3flomanen SRid^arbfonS ftd^ ffial^n brad^. ©benfo fel^r auS bem
3)langel an pofitioem ©laubcn unb unbefieglid^er ©d^eu baoor, wie auS
bem aSebürfni^ nad^ etweld^er pl^ilifterl^after 3:ugenb unb bürgerlid^er
©l^renl^aftigfeit l^eroorgegangen, mel^r ben bürgerlid^en als ien nod^ immer
etwas ritterlid^^ariftotratifd^en Greifen angel^örtg, 5^tte biefe Slid^tung in
(Snglanb Sftoman unb 2:]^eater mit einem §eere tugenbl^after unb unglü(!=
lid^er ffiürgerStod^ter unb boSl^after ariftolratifd^er aSerfül^rer, mit langen
3:ugenbmonologen unb rül^renben ©d^eibewegSfcenen beüollert, bie SJlotioe
bcS SEragifd^en auS ben ^öl^en ber ©age unb ©efd^id^te in bie ©pie^^
bürgerei beS 2lIltagSlebenS l^erabgejogen , baS ^l^iliftertl^um gefül^lDoH
aufgepufet, ben §anSwurft unb bie luftigen ^erfonen abgefegt unb bie
„3Sereblung beS 3Jienfd^en" Don ber Äird^e auf bie ©fil^ne übertragen.
S5a war gu feigen, wie man ol^ne ©lauben unb ©acramente, ol^ne ^rie^
fter unb Äird^e, ol^ne @ebet unb Offenbarung, mit bloßem Sl^ee unb
Sutterbrob ebel, großl^ergig, wol^ltl^dtig , liebreid^, leufd^, unfd^ulbig, ge=
bulbig, fanft, opfcrfdl^ig, furg ein rül^renbeS 3:ugenbmufter fein fönne;
unb wem baS nid^t gefiel, für ben gab eS fpannenbe 3Serfü]^rungSfcenen,
aSergweiflungen unb ©elbftmorbe, um feine ©eele ju laben.
SDiefe ^oefic ber „reinen 3Jlenfd^lid^!eit" unb ber fd^leid^enben Sie?
Dolution, weld^e eS in il^rem langweiligen ©emofratiSmuS laum ben Äö=
nigen ber ©age gönnte, ©egenftanb beS bramatifd^en StRitleibS gewefen
gu fein unb anberfeitS in i^rer „pl^ilofopl^ifd^en" ©elbftgenügfamleit allen
@rnfteS baran glaubte, baS §eil beS öffentlid^en SebenS wie baS ber
169
62 SBirfung bcS 3»i^tff«^«"tt3mu8 auf bic filtcratur k.
Sül^nc in bcr SluöBilbung tugenbl^after ^nftinftc ju bieten, tüurbc jd^on
üor Seffing butd^ ©olbont in Stauen eingebürgert. SDiberot pflanzte fie
in granfreid^ an, Seffing in J^eutfd^lanb, unb ©iberot war ber erfte be^
beutenbere Äunftrid^ter , roeld^er bie ,2Ri§ ©ara ©ampfon* fiefjingä alS
ba§ „roa^re patl^etifd^e SDrama" unb jugleid^ alä ein „moralifd^eS" ©tütf
mit republilanifd^em SSBeil^raud^ ber jd^on ^alb reoolutionirten Station
©aKienö anempfal^I. SSenn fieffing l^inroieber d^nlid^e ©tüdfe SDiberotä
(ben Fils naturel unb ben Pere de famille) in'S SDeutfd^e überfe^te, fo
ift eä nad^gerabe bod^ jiemlid^ !tar, ba§ e§ il^m nid^t barum gu tl^un
TOar, baä beutfd^e Jl^eater uon allem franjSfifd^en (Sinflup, fonbern
l^auptfad^lid^ nur von ben ©d^nürftiefetn unb von ben d^riftlid^sromantis
fd^en 33eftanbt]^eilen ber frangofifd^en Slaffifer ju befreien. SDafe er bie
©c^nürftiefel loSte, war eine SQBol^Itl^at ; ba& er aber bic beut[d^e 93ü^ne
aud^ oon ben d^riftlid^sromantifd^en ©lementen beö ©ramaS befreite, toar
ein fel)r fd^Ied^fer J)ien[t. @r l^at nid^tg SeffereS an bie ©tcHe gefegt,
unb n)enn ©l^afefpeare fpater bie SOBad^Sfiguren Slid^arbfonS , ®o{boni*ä
unb ©iberotä üerbrdngte, fo ift ba§ roal^rlid^ nid^t Seffingö aSerbienft,
ber JU. ©l^alefpeare groar : §err, §err ! f agte, aber in feinem ©id^ten unb
5i:rad^ten ganj entgegengefe^te SBege ging.
35efanb fid^ fieffing in ber beiftifd^en 2Beltbürgerlid6feit eineä dtu
d6arbfon fo raol^I unb l^eimifd^, fo mutl^ete il^n bagegen bie pofitir) d^rift=
lid^e 9flid§tung ÄlopftodtS wie eine frembartige 3Jiad^t an. 9Ulu^te fein
nüd^terncr unb fd^arfcr aSerftanb bie ^albl^eit unb §altlofigfeit eineS
3Jleffia§ ol^ne 3Jieffia$reid^, eineä ©l^riftuä ol^ne Äird^e balb burd^bringen,
fo mar bie 2)id^tung ;Stlopftodfä bod^ ein erfd^ütternber STufruf jur fftüd^
fel^r in bie ^eimatl^ ber d^riftlid^en ^been, ben Srud^ftüdfen eineä ge-
maltigen SDomeS gleid^, ber felbft in feinen SErümmern bem Ungläubigen
bie t)om ^immel ftammenbe, Iünftleri[d^e 33ilbung§fraft beS (S^riftentl^umS
t)er!ünbet. ßeffing fonnte fid^ bem impofanten ©inbrudE nid^t gdnglid^
entgiel^en. @r fud^te fid^ mit ber lünftlerifd^en ©eite beg ßl^riftentl^umg,
mie frül^er mit ber bpgmatifd^^pl^ilofopl^ifd^en, frieblid^ abjufinben, inbem
er bie 3Jieffia§jünger fingen liefe unb feine eigenen ^itk oerfolgte. @rft
alä ©ramer unb ^lopftodE in bem ,5yiorbifd^en Sluffe^er' eg cerfud^ten,
il^re religi6[e 2:enbenj aU eine fpecipfd^'d^rifttid^e unb augfd^Iiefeüd^e gegen
bie ungläubigen ©d^ongeifter ju cerfed^ten, ba fül^lte er fid^ angegriffen,
fafete ©ramer bei feinen bid^terifd^en ©d^mdd^en unb erließ, nad^bem er
il^n vom ^arnafe in eine SSergfabril l^eruntergejogen, eine fd^arfe Slpotogie
JU ©unften beä SDeiSmuä. iöafebom magtc für ©ramer einguftel^en;
170
SBlrfung beS SnbiffcrentiSmuS auf bic ßlteratur jc. 63
J^effing üevtl^cibigtc in feinen Siteraturbriefcn ein jroeiteS 2Ral ben 35eig=
muS unb fd^lug bie^mal bie rool^lmeinenbcn SBcrfed^tex ber 9leligiofttot
nnb ber religijfen ^oefic er6amtung§loä gufammen. „^tx l^eifet ben
§errn Älopftod pl^ilofopl^iren ? ®o gewogen bin i6) if)m freilid^ nid^t,
ba§ i(S) if)n gern pl^ilofopl^tren l^örte... Unb [o wenig id^ auä beS
Jperm ÄlopftodS ^l^itofopl^ie mad^e, eben [o wenig mad^e id^ au3 feinen
Siebern." SDurd^ eine fold^e fd^roffe Ärieg§erftärung würbe jwar weber
Älopftodtä religiJfe SÄid^tung in ben ©runb gebol^rt, noc^ bie ^a^ feiner
wirüid^en ©etreuen Demtinbert; aber Seffing Derbrannte l^iermit bie lefete
S3rüdfe, bie i^n mit ber d^riftlid^en Äunft uerbinben lonnte, unb [teilte
als Stnwalt aKer S)ciften unb SStl^eiften, ^uben unb Reiben unb Stürfen
bie Äunft wie bie Siteratur auf retigionSlofeS Serrain. 5Jiur Don ben
SReligionäfpöttern will er nid^tS wiff en ; allein biefeS ift im üollftdnbigften
SBiberfprud^ mit feinem reooIutiDndren ^rincip. Gonfequenter bagegen
ift er, wenn er in einem anbem Siteraturbrief gegen aSBielanb bie
biSl^erige Sßabagogü angreift, unb bie Staturgefd^id^te alä ben ©amen
aller übrigen Sßiffcnfd^aften, fogar ber moralifd^en (!), jum frül^eften ®er
genfianb beä ^ugenbunterrid^teS gemad^t wiffen will, um ben Änaben
bann möglid^ft rafd^ ber Ontotogie, b. 1^. felbftanbigen ^l^ilofopl^ie ents
gegcnjufül^ren. S5enn „bag gro^e ©el^eimni^, bie menfd^Iid^e ©eele burd^
Uebung oolllommen gu machen, befielet nid^t barin", ba§ man fie bie
SBal^rl^eit erfennen, oon aßen Seiten erf äffen unb burd^bringen , je nad^
ber Statur einer beftimmten SBol^rl^eit auf l^iftorifd^em ober fpeculatioem
SBcge befifeen laffe, fonbern „eingig barin, ba^ man fie in ber fteten Se?
mül^ung erl^atte, burd^ eigene^ S^ad^benlen auf bie SBal^rl^eit ju fommen",
semper discentes, et nunquam ad scientiam veritatis pervenientes,
wie ber Slpoftel bie Ungläubigen ber legten ^tit befd^reibt (2 S:im. 3, 7).
Saoloon ift ein Fragment. 3Jian lann nid^t mit abfoluter ©id^er=
l^eit angeben, waä Sefftng in ber iJortfe^ung gefagt l^aben würbe, wenn er
etwa unter Slnberem baä aSerl^dltni^ beS ©d^önen jum SBal^ren unb ®nttn,
ber ^unft jur ©ittlid^feit unb {Religion l^dtte genauer erörtern wollen.
5Jlad^ bem in ben Siteraturbriefen erlaffenen Programm inbeffen ift eä
mel^r al8 unwal^rfd^einlid^ , ba^ er bic Äunft ben fittlid^en gorberungen
beS ßl^riftentl^umä unterfteHt l^dtte. ©eine Sluffaffung ber fiiebe unb beg
dftl^etifd^en SEBol^lgef aUenä , feine Älagen über d^riftlid^en SSanbaliömuä
nni gerftörte ©ötterbilber, feine Unjufriebenl^eit fogar mit ben ©d^ranlen,
weld^e ber Äunft auS ben l^eibnifd^en ^Religionen erwud^fen, laffen baS
gerabe ©egentl^eil erwarten; unb wenn er nirgenbS oon ben ^^i^nifd^en
64 2ßtt!ung bcS SnbiffcrcntiSmuS ouf btc Sitctatut :c.
Äunftibealen gu ben d^riftlid^cn aufBIidt, in jenen otelmel^r jetnc t)off=:
ftänbige aSefricbigung finbet, fo ift "^kmii bereits ber ffloben bcr d^rift
lid^en SCBeltanfd^auung tl^atfdd^tid^ ocrlaffen, bie Äunft bem fegenSüoKcn
(Sinflu^ il^rer ©tral^len entrüdt.
3n Wti^ ©ara ©ampfon war Seffing einfod^ ber Jpumanitalärid^s
tung ber (Snglanber gefolgt. 3n feiner folgenben SCragöbie, ^l^ilotaS,
üerfud^te er fie mit antifcclaffifd^en (Slementen gu mifd^en unb aufguBefferm
S)ag tragifd^c Jpauptmotit), ©elbftmorb auä friegerifd^er ©itelfeit, be^
jeid^net fd^on genugfam bie religiöfe 2lnfd^auung§n)eife, ber eS entfprungcn.
ajiinna von S3arnl^elm ift weit mel^r auS ben SinbrüdEen roirHid^en
Sefienä, alä auä bramaturgifd§en 33ered^nungen gefd^öpft unb tragt feinem
Urfprung gemd§ ein mel^r beutfd^eg ©eprdge. 2lber aud^ l^ier oermag
fid^ ber ©id^ter jener flad^en unb flauen §umanitätgrid^tung nid^t gu ent*
ringen, bie, wie fie ba§ Jragifd^e in fpiefebürgerlid^e 5yiieberungen ^txah
gog, fo bem fid^ten §umor unb gn)erd^fellerfd^ütternber Äomif lein lebengs
fälliges ©rbreid^ gu Bieten Dermod^te. 2Bie fie an bie ©teile ber gefd^id^t::
lid^en unb romantifd^en Sragöbie baS Bürgerlid^e Irauerfpiel fefete, fo
fd^uf fie bie dd^te ,^omöbie in bie Com6die larmoyante um, b. 1^. in
bie SDarfteßung beS tugenbfamen ^l^iliftertl^umä von beffen anmutl^iger
unb glüdtlid^er ©eite. ©o rul^en bie oielfad^ ^^item unb fpannenben
SSerroidflungen ber 3Jiinna auf einem burd^auä emften ©runbe, einem
confeffion3= unb religionälofen ©belmutl^, ber nid^t, wie 2lntonio^§ ©bet
mut]§ in ©l^afefpeare^ä Kaufmann, lalonifd^ in SSBorten, gro| in ber Sll^at,
natürlid^ unb ungegroungen in all^ feinen ^üqm alä fiid^tbilb ber ©d^atten*
geftalt beä §d|lid^en unb Sdd^erlid^en gegenübertritt, fonbern in langen
SReben unb unaufl^orlid^en 9ieflepionen fid^ felBft fpiegelnb mit einem
gangen garbenpriöma oon anberroeitigem (Sbelmutl^ um bie ^alme ringt
@in ebler SJiajor, eine eble 3Rinna, ein ebler Onlel, ein ebler SÖBad^t^
meifter, ein ebleä ,S^ammermdbd^en, ein ebler ffiebienter unb — fogar ein
ebler ^ubel! S^lur bie J^angofen finb Don bem allgemeinen (Sbelmutl^
au§ge[d§loffen unb fd^limmer baran, alä ber beutfd^e §unb. ©onft ift
Sllleg fo ebel unb tugenbfam, ba^ eä faft fd^einen mill, al§ fül^le ber
oom pofitioen ßl^riftentl^um losgetrennte pl^ilifterl^afte 3Jienfd^engeift baS
25ebürfni|, feiner creatürlid^en ©d^road^l^eiten gu t)ergeffen unb feinen
eigenen §eiligfpred^unggproce§ auf ber SSül^ne gu feiern.
3lc nte^r Seffing ftd^ vovx ßl^riftentl^um entfernte, befto mel^r bilbcte
fid^ in il^m tl^atfdd^lid^ bie ^izt auä, baS SEI^eater nad^ antifem SSorbilb
gur ^auptbilbungäftdtte ber Station gu geftalten. ©einen ®ipfelpun!t
172
SBithing bc§ 3nbiffctentlSmuS auf bic Sltcratur zc, 65
»
erteid^te bte^ unnatiirlid^c unb J^offnungSlofe ©trcben, baS mit bcr ge?
fd^id^tltd^cn ©ntroitflung bcr bramatifd^cn Äunft bei Reiben unb ©Triften
im fd^roffftcn SSBibcrfpruci^c fielet, atö £c[fing naä) Hamburg jog unb afö
©ramaturg baS Dielocrfpred^enbc 5ftationaItl^eatcr eröffnete. 35a ]^ie|
eS in bem x)on ^ageborn gebi(|teten 5prolog x>on bcr bramatif(§cn Äunft:
„SDie 93orftd^t fcnbct fie ntittcibig ouf blc @rbc,
Sunt SBcpcn bc3 33aTBar§, bamit er menfd^Uc^ loetbc;
SSeil^t fic , blc Scl^rctin bcr Könige ju fein,
Wlit SBürbc, mit ©ctiic, mit gcucr Dom ^Immet ein;
^cijt fic, mit i§rcr Wla^t, burd^ Z^xäntn ju etgöfecn,
2)a§ jiumpfcjtc ©cfül^l bcr ÜJicnfd^cnllcbc rocfecn;
3)urd^ fü^c ^ctjcnSangjl unb angcncl^mcä ©tau'n
$)ic S3o01^clt bänblgcn, unb an bcn ©cclcn bau*n;
SÖBo^ltl^ätig für bcn @taat, bcn Sßütl^cnbcn, bcn Sffillbcn
3um aJicnjd^cn, 53ürger, grcunb unb Patrioten bllbcn."
©ic foH bte Könige, benen fonft SJlicmanb beilonnncn lann, gur
Steinigung bcr geibenfd^aften t)crl^elfen, fie foH baä ®cfe^ gegen bie
äßdd^tcr beä ©efefeeä btl^üten, fie foU bie gange innere J)cnfart beä aSoffeg,
TOeld^e lein ©taatSgefe^ erreid^en lann, ftttigen, 2)lenfd^cnUebe, ©belmutl^
unb jeglid^e SEugenb lehren k., lurg, 2flleg in Mcm, bie üOÖftdnbige
Slufgabe ber 3leligion übemel^men. ®o üiel bie Äunft, im ©ienfte bcr
iReligion, unftreitig jur aSerebelung beg 3Jlenfd^en beitragen tann unb
foß, fo Dcrmeffen unb tl^orid^t war baS beginnen, fie gur erften unb aug?
fd§Iie|lid^en 23itbnerin ber 3Jienfd§]§eit ergeben gu raoKcn. @§ mu^it fid^
rdd^en unb rdd^te fid^ aud^. SBdl^renb bie ^rebiger §amburgg über gu=
ncl^mcnbe ©laubenglofigfeit unb ©ittenlofigfeit gu Hagen "^aütUf lonnten
bie eblen ©d^aufpiclcr'bie Äritif i^rcä Dramaturgen nid^t ertragen, bie
eblen SEl^eaterunternel^mer gerietl^en fid^ roegen ©elbintcrcffen in bie §aare,
ba§ eble ^ublifum fud^te nad^ voit üor ^Idfir unb nid^t fittlid^e S3ilbung,
bie Sud^l^dnblcr würben fö üerebelt, ba| fie SeffingS ©d^riften nad^brudften,
unb ber gange eble 5ll^eaterfd§n)inbel geriet)^ fd^on nad^ einem ^a^re gang
in bie ®rüd^c. SDer gro^e Seigrer unb Sitbner ber 3Jienfd^]^eit fta! tief
in ©d^ulben, unb badete baran, taufenb Söleilen weit gu ben „2öütl^en=
bcn unb SGBilben" gu gleiten , um nur itn burd^ baä Slationaltl^eatcr Der*
ebeßen „?fflenfd^en, aSürgcrn, ^J^eunben unb Patrioten" gu entlommen.
®ag war ber (Srfolg bc§ ©trebenS, baS t)on ber Sieligion cman=
cipirte Sll^cater gur Sel^rcrin ber 3Jienfd^lid^feit gu crl^ebcn. ©lüdflid^er
war Seffing, foweit er fid^ innerl^alb ber ©rengen ber Äunft l^ielt unb
namentlid^ feiite tl^eoretifd^en ©tubien über bie bramatifd^e Äunft fort=
Saumgortner, Scffing. — -pß — 12
66 aBlrfung beiS SublffctcntiSmuS auf blc fiitcratur k.
fefetc unb Dcriüertl^cte. §ter gelangte er ju einem 2Infd^lu§ an bie Äunft^
normen ber Sitten unb namentltd^ an 9lriftotele8 , ber ftd^ einigermaßen
mit bem Slnfd^luß ber mittelalterlid^en ©d^olaftil an bie ^l^ilofopl^te beä
©tag^riten t)crgleid^en ld|t. SBal^renb inbeß bie ©d^olaftifer ftd^ burd^
3ujie]^ung unb 5ßrüfung anberer pl^ilofopl^ifd^er ©^fteme, namentlid^ aBer
burd^ bie roiffcnfd^aftltd^e Unterfud^ung ber Offenbarung allfeittg unb
in ftetem gortfd^ritt üBer bie „2Borte beS 3Äeifter8" erl^oben, üerfnod^erte
ftd^ fiefflng bermaßen in feinem l^eibnifd^en Slriftoteleä ^ ba§ er für bie
Sbeale, aJiotit)e, ©^araltere, SBerwitfelungen unb ©efefee einer d^riftlid^en
2)ramatil leinen ©inn me^r l^atte unb ©l^afefpeare auS aftl^etifd^en 3^ütf::
fid^ten empf al^l , ol^ne irgenbroie in bie SEiefen t)on beff en SÖBeltanf d^auung
JU bringen.
174.
9n§ Scjftng nad^ Hamburg lant, fanb er bort bic reltgtdfen ©cgen^
jäfee bcr 3^1^, SlufKdrung unb ©todlutl^ertl^um, Siolcrang unb auäfd^Iic^s
Kd^ett 3^I^ti8muS — man tonnte jagen: baS „gottlofe SSerlin" unb baS
„fromme SCBtttenberg" in einer ©tabt geeinigt, ©er größere Sl^cil beS
SSotteä unb beS SRittelftanbeä , bie angefel^enften gamilien beS l^ol^em
iBürgertl^umS unb bie SBürbentrdger, weld^e auS beren ©d^oo^e l^ert)or=
gingen, gruppirten fid^, wenn aud§ in aIImdl^Üd§ abnel^menber ^a% um
eine gal^lreid^e ort]^obo}re @eiftlid^?eit , au8 beren SJiitte ber ©enior ^ol^.
aJield^ior ®oje burd^ Slnf el^en unb (Sinflu^ f aft mt ein Heiner ^apft
l^eroorragte. @in, nad§ Sejfingä ^^std^f in miffenld^aftlid^en SDingen
nid^t unebener SKann, vom glül^enbften @ifer für baä §au8 beä Jperm
erfüllt, feit 1760 ©enior 9Jiinifterii , entmidteltc er eine unermüblid§e
unb allfeitige SEl^dtigleit, um bie überall emporleimenbe 2Iuf!ldrung nieber^
gul^alten. 3n ^Jolge biefer Seftrebungen l^at benn aud^ bie SKufHdrung
nid^t um^in gekonnt, feinen $ßamen burd^ eine ausgebreitete ©pottliteratur
ju oeremigen, fo bafe e§ fd^mer ift, au§ itm fatirifd^en Slgglommerat bie
roirllid^en 3^0^ ^^^ SRanneä l^erauSjuerlennen *. SDa^ eS i^m inbe^
l^eilig emft barum gu tl^un roax, ben ortl^obojren ©tauben unb bic alt«
el^rbare 3^^* ^^^ ®itte gu retten, ifl rool^l über allen 3w^ifcl- ©runb^
fdfeltd^ unterfd^ieb er bie Stoleranj ber fie^re oon ber perfönüd^en unb
politi[d^en SDulbung, ging aber in ber Sertl^eibigung feiner auäfd^lie^Iid^en
SDogmatil nid^t feiten aud^ über bie ©rengen perfönlid^er 3Jiilbe unb Ser^
trdglid^Ieit ^inauä unb entwidCelte eine ©treitbarJeit , bie au|er glü^enber
Ueberjcugung oon ber SBal^rl^eit feiner ©ad^c aud^ ein gemiffeg SBol^fc
bel^agen am Kampfe oorauSfefet. ©o bonnerte er BeifpielSmeife nod^
gegen bie 3^fuiten, atö ber Orben Idngft aufgel^oben war, unb jog gegen
bie gürbitte ber ^eiligen ju ^Jelbe, rodl^renb Seffing fd^on bie ©runblagen
1 SSgl. l^ictüber unb üBcr baS golgcnbc dtbpt, 3ol^. anddj. ©ßje. Hamburg
1860. 21. ©oben, fiefrwg unb ©öjc. Selpaig 1862.
175
68 ^tc teligiöfen @egen[a^e in ^amlnxQ :c.
beS ßj^riftcntl^umä in gragc gcfteHt l^attc. SDod^ fein §auplfampf gatt
bcr 3lujftarung. @r prcbigtc nnb latcd^ijirtc nid^t bto^ gegen fle, er Bot
bie Obrig!eit jur §ilfc auf, fud^te baä ©d^utoefen in rcd^tgläubigen
aSal^nen gu l^altcn, bemäd^tigtc fid§ ber treffe, fo gut er konnte, fd^rieb
^prebigten, SSoKäf d^riften , t^eologifd^e SlBl^anblungen , polemifd^c ©treit:!
fd^riftcn unb beldmpftc ben Unglauben aud^ auf feinem Siebttngäfelb,
bem Journalismus. SEBal^renb bie äufltdrung imter hm, ÜJiantel moralis
ftrenber ^l^rafen unb erl^eud^elter Gl^riftlid^Ieit uml^erfd^lid^, nannte er bie
2)inge mit ancrlcnnenSwertl^er geftigfeit beim rid^tigen SHamen, griff nid^t
nur ben offenen Unglauben eincS SBal^rbt an, fonbem aud^ bie fd^on^
geiftig Derlldrtc ^l^ilöntl^ropic eineS 35afebon) unb ben tl^eologifd^en 9fia:=
tionaliSmuS eines fie| unb ©emier, ol^ne SJlüdEfid^t barauf, ba| er fid^
baburd^ ben ©pdttereien unb Äarriürungen beS ganjen J^nl^^gelS beS
aufgeHdrten Siteratentl^umS auSfe^e. ©o mdd^tig inbe| nod^ fein ^n^^
5ang in ber ©tabt roar unb fo meitc Verbreitung feine ©d^riften fanben,
fo erfreute ftd^ bod^ bie 3luflldrung gerabc in ben l^öl^eren ©tdnben eineS
fteigenben SÖBad^tl^umS ; Juben unb Freimaurer l^alfen ii^r roadter nad§,
unb fogar ©eiftlid^e, n)ie ber ©iafon Sllberti an ber Äatl^arinenlirdpe unb
ijribrici, ber §auptpaftor ju ©t» ^eter, reil^ten ftd^ in bie ©d^aar il^rer
SSelenner unb görberer.
aOBie anberSmo, fd^lofi fid^ Sefftng gegen ttm ber beiben Parteien
ab , bod^ gel^orte er feiner ©efinnung nad^ gur lefetem. ^n i^xtm
©d^oo^e jdl^lte er feine beften greunbc unb S3e!annte; in i^ren gefeHigcn
Greifen fud^te er feinen Umgang unb feine Unterl^altung- 311S d^arafteriftifd^e
giguren biefer Greife mögen ber J^be SDlofeS Söeffelt), ber ©eibenfabrüant
Äönig, ber aSud^l^dnbler 33obe, ber ©pmnafialprofeffor 9leimaruS unb
ber aufgelldrtc ^rebiger Sllberti ©rmdl^nung finben. S)er 3"i>^3ÄofeS
SBeffelri, ber Dertraute ^reunb SefjtngS unb SJienbelSfol^nS , mar nid^t
nur Kaufmann, fonbem aud^ Siterat unb ftanb mit gal^lreid^en Äaufleuten
unb ©elel^rten, ©taatSmdnnern unb fürftlid^en ^ßerfonen in SSerbinbung.
Äönig reprdfentirt ben bem S^bentl^um afflliirten ÄaufmannSftanb ; er
l^atte ein ©eibengefd^dft in SEBien unb ftarb fd^on 1769 auf einer Steife
nad^ Stölien. ©ic lurge grcunbfd^aft SeffmgS mit i^m marb l^auptfdd^lid^
baburd^ bebeutf am, ba^ Sefftng fid^ als ^flegeoater ber SDBittmc unb ber ^n^
ber beS SSerftorbenen annal^m, mit erfterer einen mel^rjdl^rigen, für feine
33iograp]^ie mid^tigen Sriefmed^fel unterhielt unb fte in feinem 47. SebenSjal^r
l^eiratl^ete. ^attt er burd^ fie eine, menn aud^ nid^t fel^r lebhafte SSer^
binbung mit ben Z^tattts^ unb Siteratenireifen ber jofepl^iniftifd^en Äaifer^
176
©Ic tellglöfcn ©cgcnfafee in Hamburg k. 69
ftabt, gu bcr i^n jcitociltg feine SBraut, rote aud^ Itterarifd^c unb pecunidre
2lu3fid^ten mad^tig l^injogen, fo l^atte er eine um fo unmittelbarere unb
lebl^aftere gül^lunfl mit ber Freimaurerei in ber 5ßerfon beä SSud^l^dnblerS
Sobe. S)enn Sobe roar nid^t uur baä §aupt ber SSruber in Hamburg,
fonbern einer ber rul^rigfien ^ul^rer unb SKgenten ber Soge im norblid^en
SDeutfd^lanb überl^aupt. 2Äit Söobe aber war Sefftng burd^ ben ©om^
pagniebefi^ einer ©rudferei gefd^aftlid^ auf ^8 Snnigfte oerbunbeu; unb ba
33obe — ein ©eitenftüdf ju Sflicolai — aud^ fiiterat mar, gefeilte fld^ jur
©emeinfd^aft äußerer ^ntereffen nod^ ein lebl^after geiftiger SSerlel^r, ber
mol^l bie entfernte 3SeranIaffung geroefen fein mag, ba§ Sefftng im
Saläre 1771 ber Soge ju ben brei golbenen 9lofen in Hamburg beitrat.
@r l^alf 33obe ben 2)ori! ©terne^S tn*ä 35eutfd^e übertragen; aud^ über«
festen fie gemeinfd^aftlid^ eine ©d^rift über bie 5lanjlunft. 2luS i§rem
3ufammenn)irfen erlangte baS Sßroject ÄlopftodCS, bie bebeutenbften lite^
rarifd^cn ^dfte ber ^dt ju einem gemeinfamen Unternel^men ju einigen,
bie iJorm einer ÜJionatSfd^rift, toeld^e in ber Sobe^Sefftng^fd^n Officin,
alfo unter maurerifd^er ©eoatterfd^aft, gebrudCt »erben follte. ÄlopftodE
Derfprad^ feine ^ermannSf d^lad^t , ©erftenberg feinen Ugellino, 3^^^^^*
ein Suftfpiel. 35od^ fd^eiterte bie SluSfül^rung beS ^rojectä an ber 9ln=
jiel^ungäfraft , meldte ber §of S^f^P^ H. auf ÄIopftodE unb Slnbere auä^
übte, mdl^renb ber patriotifd^e ©renabier ©leim fid^ nid^t baju erfd^mingen
fonnte, eine golbene SKera ber beutfd^en Siteratur ol^ne baä gtorreid^e ^a^
tronat griebrid^* II. ju ertoarten. SBie belannt, ift fpdter meber SBien nod^
Serlin ein nationaler SJhifencentralfi^ toie baä 5partä Submig^ XIV.
geworben. SBBenn aber aSobe fpdter nad^ aGBcimar überftebelte (1793),
bort feine literarifd^e unb maurerifd^e SEI^dtigfeit fortfe^« unb ein tbm
fo l^erjlid^er greunb §erberä marb, mie er Seffingä ^reunb gemefen, fo
l^aben mir l^ier mol^I eine ©pur Jener gro|entl^eitä uufid^tbaren §dbcn
t)or unä, beren SJle^ bie 9Äufenftfce Serliu, Seipjig, Hamburg, 3S3ien unb
SGBeimar gemeinfam umfpann unb ber neueren beutfd^en Siteratur bie
ß^^e t)erfd^affte , nid^t t)on einem großen, monard^ifd^en SKdcen, fonbern
oon ber gel^eimni^ooHen ©ottl^cit ber Soge bel^errfd^t ju werben.
©inb iübifd^e ©efd^dftäleute unb aufgefldrte Äaufleutc, feien fie nun
mirltid^e 3Äitglicber ober nid^t, bie bemeglid^en, meltoerbinbcnben §ilfäs
Irdfte ber Soge, Siteraten, ^ünftler unb SSud^l^dnblcr bie roeitl^inmirlens
ben ©rgane il^rer ^itt, fo maren ungldubige 5ßrofefforen unb liberale
©eiftlid^e oon je^er bie ftabilen S^rdger il^rer lofalifirtcn, propaganbiftifd^en
Sptigfeit, il^re ^aniavmt für SBiffenfd^aft unb ©d^ule, i^re Occupationäs:
177
70 ^ic rcUgiöfcn Ocgcnfd^c in ^amBurg 2c.
truppcn im ©cBict bet 3^1^^^!^ wrfd^c ja bcr l^crantoad^jcnbcn S^gcnb
angel^ort. ©icfc tütd^tigcn gaftoren tparen in bcm §amButgcr grcunbe3=
fretS burd^ bcn ©pmnaftatlcl^rcr SRcimaruS unb bcn ©iafon SHberti
Derforpcrt.
Sil Berti war ein gemäßigter SRationalift, roeld^er ben beftel^enben
^roteftantiämuä ol^ne geroaltfamen ©tnrmlauf, langfam, organifd^, mit
einer geläuterten, pl^ilofopl^ifc^en Sln^d^auung gu Derfol^nen beftrebt war.
SBäl^renb ber Streitigkeiten, meldte ®öje gegen hm ^rebiger ©d^loffer
unb gegen ben ^äbagogen SSafebom fül^rte, ftanb er auf Seite ber gestern,
ol^ne inbeffen offen für fte einjutreten. ®öje mar il^m beß^^Ib gram unb
begrüßte freubig ben erften Sfnlaß, um il^m feinen ^eJ^beJ^anbfd^ul^ üor*
jumerfen. ©n fold^er bot fid^, atö im ^a^xt 1769, roäl^renb Seffing in
Hamburg meilte, Sllberti fid^ weigerte, ein ®eUt fiffentlid^ abgulefen,
meld^eä an 33ußtagen oon 2ltter§ l^er üorgefd^riebcn marb unb in meld^em
bie SSBorte beä ^falmiften enll^alten maren: „©d^ütte beinen ®rimm
auf bie Reiben unb auf bie Äönigreid^e, bie beinen Säumen nid^t an:=
rufen" (^f. 58, 6). ®öje Dertl^eibigte baS alte ©ebet auf ber Äanjel;
SKbertt griff e8 auf ber Äanjel an. SSon ber Äanjel ging bie ^^l^be in
©treitfd^riften über. SDie fogen. ©ebilbeten maren für Sllberti, bag SSolI
für ®öge ; ber SRagiftrat legte fid^ in^S SRittel unb verfügte im f olgenben
^a^v eine Slenberung beS ®tM^. ©d^on t)or biefer SSerfügung be^
trad^teten bie greunbe Sefftngä ben §auptpaftor alä gäuälid^ gefd^lagen.
(Sr foll nämlid^ unter anbem SSert^eibigungSgrünben beS @ebete§ t)or=
gebrad^t l^aben: eg ftel^e gu erwarten, baß @oü wegen be§ grafprenben
Unglaubens bie Sürlen ober anbere l^eibnifd^e SSolIer l^ereinbrcd^en laffen
werbe; tl^eilweife fei ba§ ®ebet fd^on burd^ bie 2luf§ebung be§ 3^!^^^*^"=
orbenS erl^ört worben/ 2113 beßl^alb Seffing eineä Sageg im Äreifc feiner
greunbe in ©egenwart Sllberti^S nedfifd^. aufgeforbert würbe, ®oje gu
t)ert]^eibigen , waren 3lIIe erftaunt, al8 er fid^ be§ Äird^engebeteä wirflid^
annal^m. Sllberti berief ftd^ wiber ben glud^oerS auf baS affgemeine
®ebot ber d^riftlid^en Siebe. Seffing ©erfaßte nun felbft eine ^rebigt
über bie aSereinigung ber beiben Ztjit, Don ber er einige (Syemplare in
feiner SDrudferei abgießen ließ, aber nid^t offentlid^ verbreitete. 3« ber
aSorrebe baju, weld^e 5Ricolai un8 aufbemal^rt l^at, wirb an einem SSei^
fpiel gegeigt, baß ftd§ bie aSerurtl^eilung eineS ®runbfa^eS (^ntoleranj
ber Seigre) fe^r wol^l mit ber Siebe gegen bie SKnl^änger beS ®runbfafee8
(perfönlid^er Soleranj) Dereinigen laffe. ©aS ®anjc war inbeß nur
©d^erj unb enbigte bamit, baß Seffing SUberti unter freunblid^er Um*
178
5Dic religlßfcn ©cgcnfS^c in ^atnBurg jc. 71
armung t)erfprad^, bic 5ßrcbigt gctüife ntd^t in bie Ocffentlid^fcit ju Bringen.
5yiad^ Scffingä SlBgang von JpamBurg erneuerte jid^ bcr ©treu gn)i[d^en
©öjc unb SHbertt ; betbe prebigten unb f d^rieben gegen etnanber. ©öje,
ber t)on ftarler ©efunbl^eit njar, ertrug bie Slufregung beS ©treiteS ol^ne
5ßad^tl^eil, ber Mnttid^e Sllbcrti erlag il^r; ®ögc ful^r fogar am®egrab=
nifetage unb nad^ beut S:obe SHberti^S fort, roiber il^n gu prebigen, unb
bie 2Iufgendrten fd^rieben ben frul^ett Job 2llberti*§ auf bie Oied^nung
be§ graufamen ©eniorS.
3n roeld^em ©inn Sefftng für ®oge, in weld^em er für SUBerti war,
ergibt ftd^ au^ fpStern uertraulid^cn ©eftanbniffen feiner SSriefe. 6r
glaubte an bie „Ortl^obone" freilid^ fd^on langft nid^t ntel^r, aber ebenfo
wenig lonntc er bie rationalifirenbe S:5eologie leiben. &n nterfwürbigeS
©emifd^ von ©tolg unb grunblid^em gorfd^ergeift, ffeptifd^cr 5yiergelei unb
SGBiberfprud^ ^^elt il^n ab, cinfad^ mit bem großen ©trom ber SlufHarung
gu fd^n)immen. J)ie rationaliftifd^en SEI^eoIogen waren il^m nid^t confequent
genug, bie aufgelldrten S^^^^ißP^^ ^ la Slicolai nid^t grünblid^ genug,
bie £)xt^oioj:en nid^t wiffenfd^aftUd^ unb tolerant genug, SSa^te gu f?eptifd^,
©pinoga gu fd^rojf antid^riftlid^, geibnig gu conferoatit), SBoIff gu matl^ema^
tifd^, Sutl^cr nid^t mel^r geitgemafe, bie latl^olifd^e Äird^e bie größte Slprannin
be§ ®eifte§. ©elbft fein ^reunb SWcnbeläfol^n lonnte feine ^iem nid^t
gang treffen unb bem langfam bered^nenben ®ange ber Freimaurerei war
er nad^ ber Slnfd^auung eineg „9Reifter§ oom ©tul^l" weit DorauS. (5r
wollte eben etwa§ ©igeneä l^aben unb war üon biefem ^offartigen (Sigen*
büuM gu Derblenbet, um eingufel^en, bafe auf biefc SQBeife, b. 5- ö^nc
Slutoritdt, baä SJlenfd^engefd^led^t webcr in religiöfer nod^ in politifd^er
unb focialer §infid^t beftel^en, gefd^weige benn gu einer l^armonifd^en aSotten:=
bung gelangen !ann. Semetipsos pascentes . . nubes sine aqua . • . sidera
errantia ! ©aS ®enie l§at auf bem ^fabe beS 3^5^^^ ^^^ ^^^ t)orau§,
fid^ weiter unb unbered^enbarer gu uerirren! ^n biefer t)crl^dngni§t)oIIcn
©igpofttion beS ®cifte§ mad^te Seffing bic wid^tigfte unb folgenreid^fte
SSelanntf d^aft , weld^e il^m in §amburg gu Z^til warb, nid^t mit einem
SJianne, fonbern mit beffen l^anbfd^riftlid^en SBud^e: mit ber burd§ il^n
weftberfil^mt geworbenen ©d^u^fd^riftbeSSleimaruä. 9leimaru3 ftarb
allerbingS erft, nad^bem Seffing bereits nad^ §amburg gefommen war, aber
eg ift bennod^ unwal^rfd^etnlid^, bafe bie beiben ÜJidnner perfönlid^ belannt
geworben finb. Snbeffen ber ®eift beS aufgelldrten aSaterä lebte fort in ber
Familie, in bem ©ol^ne, ber ein angef eigener Slrgt unb mit Seffing oon
gleid^em SHtcr war, unb in ber Sod^ter ©lifc, einer „fd^önen ©eelc",
179
b. 1^. einer gugletd^ fe^r gebtibetcn unb fel^r aufgcJIarten SDame, bie t)on
Seffing, aJicnbelSf ol^n , ^atoU überaus l^od^ gefd^afet unb üerel^rt würbe,
©urd^ bie innigfte greunbfd^aft mit ©ol^n unb Zo^kv war e§ fieffing
nid^t nur vergönnt, bie |interlaffenen ©d^riften beS alten 9fieimaruS fenncn
gu lernen, [onbem fid^ mit bem 3ntcre[fe eineä ^amilienangel^örigen in
beffen geiftige (Srbfd^aft l^ineinjulcben.
^ermann ©amuel SReimaruS war ein SRann t)on l^erüor^
ragenben ©eifteSanlagen, t)on einer fel^r allfeitigen SSilbung geroefen. ^u
einer nid^t gemöl^nlid^en Äenntni^ ber claf fifd^en ^l^ilologie unb ber ©e^
fd^id^te gefeilte er grofieS 3*^*^^^!!« föt Spfiatl^emati! unb Syiaturmiffen*
fd^aften, ein fd^arfeS fpeculatioeS 3:alent unb tim grunbttd^e Sertrautl^eit
mit ber SCBoIff^fd^en 5ßl^ilofop]^ie, meldte er burd^ elteltifd^e 3w[äfee weiter
gu Bilben bemül^t war. S)er burd^ ©eäcarteä in baä Sleid^ ber ^l^ilos
fop^ie eingeriffene ©rang, leine ber biäl^erigen Salinen rul^ig ju prüfen
unb weiter gu fül^ren, fonbern neue ßntwidHungen anguftrcben, warb il^m,
wie lunbert SInbem, gum Sßerbcrben, unb um fo mel^r, aU er fid^ nid^t
gleid^ ben meiften geitgenöfftfd^cn ^l^ilofopl^cn in bag bunfle Sleid^ ber
^fpd^ologie, ÄoSmobgie unb Ontotogie oerlor, fonbern fid^ mit oorgugSs
weife praltifd^em Sntereffe ber 2:i^eobicee unb ©t^if guwenbete. SBal^rs
fd^einlid^ unter bem ©inpufe englifd^er Seiften, wie Stolanb, SoHinS,
SBoolfton, Sinbal, 6l^ubb, aSolingbrofe unb 3Jlorgan, warb tl^m bie
natürlid^e J:5eoIogie unb ©tl^il batb gur eingigen 3:i^eologie unb ©itten^
leiere, bie ^jjl^ilofop^ie gur eingig l^altbaren SÄeligion. SDem ®Iauben8=
gweifel folgte ©ewiffenöunrul^e. Um fid^ gu Berul^igen, arbeitete Sftei«
maruS nun aKe feine 3"^^'^^ ^^ ^i^^^ ©d^rift au§, ik er wdl^renb feineg
SebenS bann nod^ mel^rmaK reoibirte unb erweiterte, unb bie ftd^ nad^
feinem Slobe unter bem S:itel oorfanb: „Slpologie ober ©d^u^fd^rift
für bie oernünftgcn aSere^rer ©otteS".
„®lo§ meine eigene ©cmütl^sBcrul^igung/' fo l^ci^t e§ in bcren SSor^
Bcrid^t, „war »om erjlcn 5lnfange ber ©cwegungggrunb', warum id^ meine ©es
banicn nieberfd^ricb; unb id^ bin nad^l^er nimmer auf ben SSorfa^ geratl^en,
bie Sßelt burd^ meine ©inftd^ten (!) irre gu mad^en , ober gu Unrul^cn 5lnlafe
ju geben. S)ie ©d^rift mag im SSerborgcncn , gum ©c6raud§ »crjiänbigcr
greunbe, liegen Bleiben; mit meinem aSBißen foÖ fle nid^t burd^ ben S)rudC
gemein gemad^t werben , Beoor fid^ bie 3eiten mel^r aufflären. SieBer mag
ber gemeine ^aufe nod^ eine 3ÖBeile irren, ate ba§ id^ il^n, oBwol^l ol^ne meine
©d^ulb, mit SDBal^rl^citen ärgern unb in einen wütl^enben 3teligion§eifer fe^cn
foöte. SieBer mag ber äßcife fid^ beS griebenS l^alBer unter ben l^errfd^enben
SKeinungen unb ©eBräud^en fd^miegen, bulben unb fd^weigen , al§ bafe er fid^
180
$)le rcUglofcn ©egcnfd^c in Hamburg k. 73
wnb Slnbcrc burd^ gar ju frül^gcittgc Slcu^crungcn unglücHtd^ mad^ctt fotttc.
3)cnn id^ mu§ c§ jum SorauS fagcn: bic l^icrin cntl^altcncn ©ä^c finb ntd^t
fatcd^tSmuSmägig, fonbcm BIciBcn in bcn ©d^ranfcn einer ocrnünfttgen SScr«
el^rung ®otte§ unb 9luSü6ung ber SDlenfd^nd^feit unb Sugenb. ©a i^ aber
mir fclBjl unb meinen entfianbenen Zweifeln jureid^enb ©enüge tl^un woHte,
fo l^aBe iä) nid^tuml^in fSnncn, ben ©lauten, meld^er mir fo.mand^e Slnpge
gemad^t l^atte, von ©runb au§ gu unterfud^en, 06 er mit ben Siegeln ber
SBal^r^eit Bcjiel^en tonnt ober nid^t."
2öic §teraug Mar genug crJ^cKt, war bie lefete SBearBeitung be§
SSud^eg nid^t mel^r auf eigene Äeru^igung, fonbem auf ^rtoatcircuktion
unter iJreunben unb fpdtere aSeröffentüd^ung ju gelegenerer ^tit bered^net.
©ergleid^t man l^iermit bie Semerfung eineg „©ad^Derftdnbigen", ba^ bie
gortfd^ritte bcä greimaurerf^ftemö in il^rer Sangfamfeit gu fel^r mit
£efftng§ ©l^aralter contraftirten, Bead^tet man, bafe SieimaruS* ^reunbeS?
Ireifc mit ber 2ogc in enger SSegiel^ung fianben, bafe bie ^votdt beS
aSud^eS mit ben JpauptBeftreBungcn ber Soge guf ammenfielen , fo wirb e§
fd^mer, bagfelBe atö eine Don ber 3Raurerei unaBl^dngige 2lrBeit gu Be=:
trad^ten. ^n einer ^dt, mo ber ©lauBe an bie ©öttlid^feit beg ß^riftens
tl^umä nod^ fo tief in allen Z'^dUn ber proteftantifd^en aSeoölferung
murgelte, mar ein fold^eä SSBer? „gur SSerul^igung" mol^l baS aUemöt^igfte
aSud^ für bie antid^riftlid^e ^ropaganba. SDa^ SReimaruö nid^t§befto=
meniger ben ©tein nod^ nid^t üon ber §ö]^c beä 33erge§ rollen laffen
moÄte, l^atte feinen guten ©runb. 3)ie Biöl^erigcn ©turmanldufe gegen
baä ßl^riftentl^um marcn an ber ©tdrie beS religiöfen a3emu|tfein§ , an
ber ©enfur unb an bem SBiberftanb ber gfirften gefd^eitert. Syiod^ 1737
oerl^dngte ber Äaifer bie (Sonfiäcation fdmmtlid^er (Sjcemplare ber aufge::
Hdrten SÖBertl^eimer SSiBelüBerfefeung ; nod^ 1750 mürben fdmmtlid^e ©d^rif^
ttn beä Reiften ©beimann auf aSefel^l beS Äaiferä offentlid§ üerBrannt.
Slpoftel beä aSemunftd^riftentl^umä , mie SDippel (geft. 1734), ©d^mibt
unb ©beimann, genoffen nod^ nid^t bie ©l^re il^rer geiftigen @rBen unb
5Jlad^f olger, auf ben ©effeln ber ßonfiftorien unb ber 3Jiinifterien , auf
ben Äatl^ebern ber Uniüerfttdten unb im ©taatöratl^ ber gürften gu
fi^en: als flüd^tige, verfolgte ©taatSoerBred^er mn^ten fie il^r §eil im
2lu§lanb ober in SSerftedfen fud^en. ©ie Freimaurerei fd^lug befel^alB, Biä
fie in ^o^tifü) II. i^ren faiferlid^en ^atron fanb unb burd^ raftlofe
2:i^dtigfeit bic politifd^en SBerl^dltniffe ©eutfd^lanbS untergraben l^attc, in
il^rem religiöfen 2luffldrungSmerfc einen langfameren ©d^ritt ein, unb
Sfteimaruä folgte, Bemu&t ober unbemu|t, nur i^rer Slaltif, menn er fein
SSBer! tjorldufig nur für vertraute Äreife Beftimmte.
181
74 5Dic rctlgiöfcn ©egentä^c in ^amButg 2C.
SBic ba§ SOBer? au§ ber SScttl^eibtgung bcä S)et§muS notl^iDenbtg
gunt Singriff auf ba§ pofitiüc ß^riftcntl^um übergcl^en ntufete, brüdt dttu
maru§ in feinem a5orBeri(|t ganj rid^tig au§. 63 felbft legt B^^^SttiB
baoon aB, ba| e§ nid^t fo fel^r eine SSertl^eibigung, alS melmel^r ein 3lngriff
ju fein beftimmt war. Son einer t)orurt]^eitöfreien Unterfud^ung, von einer
fpftematifd^en Prüfung ift leine SRebe. SDer 5Deigmu8 aU 5Jlaturretigion
n)irb üon üomel^erein alö bie eingige möglid^e SReligion DOrauSgefe^t unb
nun au§ alten unb neuen ^titm SRüftjeug gufammengetragen , nid^t um
irgenb eine ber anbcrn pofitioen ^Religionen , fonbern um gerabe ba§
(S^riftent^um afö SSollenbung unb 2lbfd^lu^ ber mofaifd^en Offenbarung
gu befdmpfen unb, wenn möglid^, ju ftürgen.
3um UeBerflu^ ^^t Seffing felbft bie aggreffiDe Statur beg 2BerIe8
auSbrüdElid^ l^eroorgel^oben , unb ^erber feinerfeitä inSbefonbere barauf
]^ingen)iefen , ba^ ein guter Sll^eil feineS 2lngriff§materiatö auö ben üer^
rofteten 3Baffenfammern jübifd^er SRabbiner, alfo auS langft roiberlegten
unb überrounbenen Quellen, entnommen ift. „35 er Ungenannte,"
fd^reibt Seffing, „fo t)iel id^ nun t)on feinen $ßapieren wei^,
l^at nid^tS ©eringereg alg einen |)auptfturm auf bie d^rift^
lid^e ^Religion unternommen. @ä ift leine einjige ©eite,
lein einziger nod^ fo oerftedfter SBinfel, bem er feine ©turm:=
leitern nid^t angeworfen, ^reilid^ l^at er biefe Sturmleitern nid^t
alle mit eigener §anb gefd^nifet; biemeiften baoon finb fd^on bei mel^reten
©türmen gemefen; einige berfelben finb fogar ein menig fel^r fd^ab^aft,
benn in ber belagerten @tabt maren aud^ Scanner, bie jerfd^mettembe
^elfenftüdfc auf ben §einb ^^rabmarfen. — SDod^ mag tl^ut bag ? §eran
fömmt, nid^t mer bie Sciter mad^te, fonbern mer bie fieiter befteigt; unb
einen bel^enben, fül^nen 3Jiann tragt aud^ mol^l eine morfd^e Seiter." S)er
feltfame ©egenfa^ gmifd^en biefem ©eftdnbnife unb bem begeifterten Sob,
mit meld^em Seffing an anbern ©teilen ba§ SBerl alä ben „grünblid^ften"
bigl^er gemad^ten Singriff auf ia^ ßl^riftentl^um oerfünbet, lö§t fid^ ba^:
burd^, ba§ SReimaruö erftlid^ bag 33elagerung§material mit großem gleife
unb oieler ©rubition gufammentrug , bann eg mit ber fd^arfften fop^ifti^
fd^en Äunft in feinen einzelnen Sl^eilen orbnete unb bigponirte, unb i§m
enblid^ nid^t bie beIletriftifd^=journaliftif d^e gaffung gab , in meld^er Soltaire
u. 31. baS ei^riftentl^um beldmpften, fonbern bie miffenfd^aftlid^ getragene
einer feierlid^en ©taatSfd^rift, aug bereu bünbigen ©d^en tin faft bdmo=
nifd^ ftolger §a§ l^eroorblifet.
Sluf meldte SCBeife Seffing in ben »efife biefer merfmürbigen ©d^rift
182
$)le religiöftti ©egcnla^c in Hamburg k. 75
gcfontmcn, ift nod§ ntd^t gcnugfam aufgel^eHt. 5)od^ tüu^tcn ixt aScr^
TDanbten beS Sftcimaruä barum, unb aud^ Slnbcre aug bcm grcunbeSireifc
fd^einen Äcnntnife t)on bcm SSSerfc gel^afit gu l^aBen. Sie freubige Sc?
gciftcrung, mit rotl^tx Scffing baS aOBctl begrüßte, fpiegclt [id§ in ben
Sofireben, roeld^e er ben Fragmenten beSfeffien einige ^Q!^xt fpdter Beigab,
unb in itm glül^enben ßifer, mit bem er feinen Ungenannten gegen bie
SEl^eoIogen oertl^eibigte. ^n il^m fanb er alle bie SSranbftral^Ien, weld^e
er frül^er t)ereinjelt an einem (5clfu§ unb S^lian, an einem 2l6älarb unb
§u^, an einem Sutl^er unb ßaloin, an einem SSa^le unb ©pinoja be?
rounbert l^atte, in einen SSrennpunft vereint, mit einem ed^t beutfd^en
SIpparat von pl^itologif d^en , e):egetif d^en , l^iftorifd^en unb pl^itofopl^ifd^*
Iritifd^en S3rennfpiegeln Derbunben; l^ier l^atte er ba§ ^ecrasez rinfame**
Dom ©eifte beg beutfd^en 5ßroteftantigmug erfaßt, verarbeitet unb bargen:
fteKt. Obrool^l ml ju ^od^mütl^ig, um ftd^ afleimaruS rüdtl^altSloS an*
jufd^lie^en, umfing er bod^ ber §auptfad§e nad^ ben Äern feiner ©octrin
unb befd^Io^, bem 3BerIe jene öffentlid^e SBirlfamfeif ju geben, weld^e
fein Url^eber nod^ für perfrül^t §ielt. ^n Hamburg mar er augenblidt=
lid^ nod^ gu fe^r in literarifd^e ©tubien oertieft. @r nal^m eä aber mit
nad^ SBolfenbuttel unb fpeculirte auf bie ©elegenl^eit , SDeutfd^Ianb bamit
gu begtüdten.
188
9. ^itt^nm^ mit bn Hi^otif^m ^it^e im
arm 4. ÜKai 1770 ging Seffing nad& SBolf enbüttel , um bort, nad^
[einem SluSbrucf , „SSüd^erl^üter" ju werben, am 7. beäfelben SJionatg
warb er 6ei feiner „SBraut", ber »iHiot^el, förmlid^ eingefül^rt. mit
biefem 35atum beginnt bie lefete ^eriobe feines ßebenS, weld^c t)orj«g8s
roeife geleierten SlrBeiten unb tl^eologifd^en ©treitigMten gemibmet war,
rodl^renb feine poettfd^e SCI^ätigleit in ,emiUa ©alotti' unb y^lai^an^ gum
Stfifd^lufe gelangte. @S war ein gemaltfamer Itebergang t)on bem muntern,
ftetS BeraegUd^en ^ieid^e ber 33ü5ne in bie ftillen, ftofterdl^nlideen 9iaume
einer SSibliotl^e! , auä itn lebenäooUften Greifen ber ©egenwart in bie
beftaubten Ueberrefte vergangener ©elel^rfamJeit. SDod^ mit feiner genialen
Slllfeitigfeit, feinem practifd^en Zact, feinen grünblid^en «ftenntniffen unb
feiner fiiebe ju aSüd^crn (red^net er fid^ bod^ felbft unter bie helluones
librorum) fanb er fid^ in feinem neuen 2lmte gleid§ jured^t, marb ein
ebenfo tüd^tiger SSibliotl^elar, als er ein Dramaturg t)on feltenem Stalente
gemefen, unb ftoberte in furjer ^tit eine ganje Sfteil^e litcrarifd^r Selten*
l)eiten unb ^JJerfmürbigleiten auf, beren SJeröffentlid^ung i^m feinen ^la^
unter ben gelel^rteften aSüd^erfennern unb Sibliotl^efaren feiner ^tii vtx^
fd^affte. ©eine bid^terifd^e Slnlage unb feine ©prad^geraaubtl^eit ermög=
lid^ten e§ il^m, bie ©rgebniffe feiner fritifd^en ©d^drfe unb feines uner*
müblid^en ^Jlei^eS mit bem 3^^^^^ geiftreid^er SSe^anblung ju umfleiben,
unb fo finb feine ,33eitrdge jur ©efd^id^te unb fiiteratur' auS
ben ©d^dfeen ber l^erjoglid^en SBibliotl^el ju SGBolfenbüttel nod^ l^eute ebenfo
fel^r anregenbe unb tl^eilroeife raertl^ooHe ^Jionograpl^ien, alS aud§ SJhtfter
einer anjiel^enben SSermertl^ung trodener ©tubien.
©leid^ ber erfte ^unb, ben er mad^te, bejog fid^ auf eine fird§en=
gefd^id^tlid^e grage; Don ben SSeitrdgen f dringen jmei in baS ©ebiet ber
SEI^eologie» @r lam babei nod^ einmal mit brci ber Jpauptbogmen beS
ei^riftent^umS , ben Se|ren t)on ber StranSfubftantiation , t)on ber aller:=
l^ciligften SDreifaltig!eit unb von ben emigen ©trafen, in wiffenfd^aftlid^e
184
SlBrcd^nung mit ber fatl^olifd^en Äird^c im ,,53ercngat". 77
SScrülruTig. SSBer gcraol^nt tft, bic ©d^idfalc beS ©injelnen unb ber
2Jicnfd§]^it nid^t Wofe auS natürlid^en ©treBcIrdftcn unb affcnfaHä einer
notörlid^en SSor fel^ung , fonbern guglet<j| au§ einem gangen SJle^ über?
natürliiS^er (SinPffe gerooBen ju benfen, bem rairb eS fd^roer, in biefem
anfd^einenb juf&ffigen 3wf<^'^^^^t^cffc^ ^i^^ ^^^^^ njenigftenS entfernten
9luf ber ©nabc ju er!ennen. 5Jlod^ einmal trat bic Seigre ber @rI5fung
in il^rer wunberBaren 3SoKenbung, in ber eu(|ariftie, feiner ©eclc mU
gegen, afö bie allgemeine Seigre ber Äird^e im elften ^^^^^unbcrt, von
bort burd^ allgemeine UeBerlieferung l^erabreid^enb auf bie ©egenroart
unb mit jal^lreid^en. 3^^piff^^ l^inauffteigenb in bie ^tittn ber Slpoftel,
atö ber allgemeine ©taube ber altsd^riftüd^en Äird^e unb als ber uner?
fd^öpflid^e ©nabenquett tl^atfrdftiger ci^riftlid^er Siebe. SDie fd^drfften
@inn)ürfe, weld^e gegen baS ©el^eimnife eineg einigen unb gugleid^ brei::
perf Jnlid^en ©otteS t)on ben ©ocinianem Dorgebrad^t würben, fal^ er t)on
ßeibntj fo bünbig unb befriebigenb gelöst, ia^ er jugeftanb, baS ©e?
§eimni^ ftel^e raeber mit fid^ felbft, nod^ mit unroiberlegbaren SBal^r^eiten
ber aSemunft im SCBiberfprud^ , fobalb man nur beim ©el^eimnife bleibe
unb baSfelbe nid^t mit natilrlid^er ©oibeng erfd^öpfenb burd^bringen vooUt.
&>tn fo einlcud^tenb jieHten fld^ il^m bic 6ont)enicnggrünbe bar, mit
meldten berfelbe Seibnig ben d^riftlid^en ©laubcnSfafe von ben emigen ©trafen
im Sienfeitg Dcrtl^eibigt l^attc, unb ber allgemeine ©laube aller aSölfcr an
eine fold^e ewige ©anction. @r fal^ biefe großen ?iJiittel5 unb 2lnget
punfte ber d^riftlid^en Seigre frei von innerem SBiberfprud§, nur von ©d^cin-
grünben unb „©opl^iftcreicn" be!dmpft. ^nm ©reifen nal^c war il^m
bie Sl^atfad^c gerüdft, ba^ baS Sl^riftcntl^um ber SSernunft ntd^t wiber?
fpred^e, foroie bie gragc: ^at ©Ott biefe Se^ren wirWid^ geoffenbart ober
nid^t? unb l^at er fic geoffenbart, wo ifi feine l^eiligc Urfunbe barüber
in ber 3Jlenfd^]^eit ju ftnben ? ift ftc nid^t bei jener dlteften unb allgc::
meinften Äird^e l^intertegt, meldte mtt unoerdnbcrlid^cr Uebereinftimmung
in bic ^ütm ber Sdter unb Slpoftcl l^inaufreid^t ?
©old^e fragen lagen nal^e ; l^dtte er frül^er nid^t mit fleptifd^em ©eift,
mitten unter ^tx^ktnun^m , brud^ftüdfmcife , jugleid^ mit ben abenteuer-
lid^ften pl^ilofopl^fd^en SCrdumereien , fonbern emft, f^ftematifd^ unb —
bemütl^ig bie ,Rird§ent)dter ftubirt, er l^dtte nunmel^r ben 3«f<J^^^^§<J^a
ber d^riftlid^en ^Dogmen, wie bic SSerlettung il^rer Uebcrlieferung burd^
alle Sal^rl^unbertc nid^t Idngcr ocrlcnncn !onnen. 2lber wirr unb wilb^
waren j[ene ©tubien Don l^unbcrt anbem ©egenftdnben ber SGßiPegier unb
SReugier überflutet worben ; ein SBirbclftrom oon Sllltaggforgen unb SDBclt::
185
78 ^Brcd^nung mit ber latl^otlfd^cn ^itd^c im „^ercngar".
Vergnügungen, ÄunftBcftreBungen unb literarifd^en ^tojecten, pl^antaftifd^cn
^planen unb profaifd^en ©d^ratcrigfeiten l^atte il^re ©nbrücfe mit \xä) n)eg=
gefd^roemmt unb nur einige pl^ilologifd^c unb antiquarifd^e ©rinnerungen
im ©ebad^tni^ belaffen. ^efet ^attc er jd^on ba§ Sud^ Bei fid^, beffen 3n=
l^alt il^m als ber grünblid^fte 2lngriff auf baä ©l^riftent^um erjd^ien, weld^er
je gemad^t roorben wäre, unb beffen aSerSffentlid^ung er nid^tSbeftoweniger
aß eine nü^Iid^e, tjerbienftlid^c ©ad^c Bei ftd§ befd^loffen l^atte. 5Den
ftoljen S)rattg in feiner Sruft, ftd^ leiner Slutoritdt gu unterwerfen, vom
^toeifel me^r angezogen, als vom rul^igen SSefife ber SBal^r^eit, Idngft
baran gemol^nt, bie religiofe grage gelegentlid^ , ftudtroeife, nie in il^rem
rotten 3^f ctntmenl^ang , nie mit bem (Srnft , ber fid^ il^rer entf d^eibenben
SSebeutfamfeit für ^tit unb ©migfeit beraubt ift, fonbern Blo| journo::
liftifd^, als augenblidflid^en Slrtifelftoff ju Bel^anbeln, glitt er aud^ bie^mal
an bem göttlid^en (Sl^arafter ber brei großen d^riftlid^en SDogmen vorüber,
um an bem erften für immer 9lbred^nung mit ber fatl^olifd^en Äird^e ju
l^alten, au§ ben Beiben anbern einigen ©toff jur weitem STuSBilbung
feiner beiftifd^en S^aturreligion ju fd^opfen.
©eine ftolje SSoreingenomntenl^eit oerrdtl^ Scf fing f d^on tu bem EiJpYjxa,
mit roeld^em er feinen erften gunb — eine ©treitfd^rift beS ^dretiferS
83erengär von StourS auS ben SlBcnbmal^lSjwiften be§ 11. ^al^rl^unbertg
— wittfommen l^ei^t. 68 erl^eBt ein raal^reS ^J^eubengejaud^je barüBer,
in fo entlegenen unb bunleln 3^^^^ ^i^^^ f^ erleud^teten , aufgeödrten,
mutl^igen, unaBl^dngigen, freien ^Jorfd^er gefunben ju l^aBen, einen SJlann,
ber eS wagt, feine 5prioatanfid^t ber IteBerlieferung ber gaujen Äird^e
entgegenjuftetten — in summa einen Äe^er comme il faut, ber fid^
oon (Soncilien unb ^ßdpften nid^tg fagen ld|t. Ol^ne ju unterfud^en,
auf weld^er ^titt in bem genannten Äampfe bie SBal^rl^eit ftanb, nimmt
er t)on ooml^erein an, fte lonne nur auf ©eite beS „ÄefeerS" geftanben
l^aBen. Sei il^m attein fefet er SSerftanbeSfd^drfe unb Xlrtl^eitölraft, 2Ba§r=:
l^eitSlieBc unb ß^rlid^Ieit vorauf; aUt Sfteprdfentanten ber ^ird^e, m
fianfranl unb Slbelmann , ein ©uitmunb unb ^ilbeBranb finb il^m t)on
Domel^erein benJfaule, bumme ober el^rgeigigstjerlogene 9Kenfd^en, bie Äird^en=:
verfammlungen aber l^dmifd^e ©^nebrien, nur bamit Befd^dftigt, ben „freien
aJlenfd^engeift" unb bie „SCBal^rl^eit" auf's 5«eue ju Ireujigen. Unter
biefer bid^terifd^en Seleud^tung geftaltet fid^ bie ©efd^id^tc SSerengarS nun
freilid^ ganj anberS, als wie fie bie franjöfifd^en SSenebiftiner mit em^
figem gorfd^erflei^ unb treuer ©orgfalt auS äffen il^nen ju ©eBote ftel^en^
ben Sllten gejogen. 33erengar ftral^lt im ©lorienfd^cin, affeS Äatl^olifd^e
186
3lBrcdJnung mit bct fatl^olifd^cn Jtird^c im „Screngat". 79
tDtrb jur un!cnntltd^cn Äarrifatur t)erjcrrt, bic latl^olifd^c ©cfd^id^tSfd^rcis
Bung fcttft tüirb an bcn ,,9utctt 33enebiftincrn" atö ein ®meU Don aSer=
brel^ungen unb Slrmfcltgfcitcn, n)iIIIürU(|cn Sluöftaffirungcn unb Scnbcng^
lügen, bummcm ©efpenftcrgtanBcn unb clcnbem aSorurtl^cil l^ingeftcKt.
Ol^nc aSBeitcreg t)crn)trft Scffing bic gcrotd^tigcn B^i^flJ^iff^/ ^^^^ weld^c
gefd^td^tlid^ üerBurgt ift, ba^ SJcrcngar fid§ am ©nbc fcineS 2ebcn§ be=
Icl^rt l^at, ntd^t al8 oB er gegentl^eiltge ^^«pifl^ angufül^ren n)ü|te, fonbern
auf ben einjtgen ©runb l^in, ba^ tl^m eine fold^e Selel^rung unwal^r^
jd^einlid^, unbegreifüd^ erfd^eint unb ba§ er ju feiner „eigenen a5e=
rul^igung" (!) baran jraeifeln ju müf[en glauBt „Sa, ein großer
Sl^etl meiner SSerul^tgung würbe x)on biefem 3^^^!^^ ab=
l^angen." SQBie bie| 33ebürfni§ nad^ ©erul^igung unb ©d^ufe üor Se=
lel^rung barauf l^inraetät, ba§ bie ©nabe nod^ ntd^t aufgel^ort l^atte, an
feiner ©eele ju pod^en, fo geigt unS bie Wct unb SBetfc, wie er SBerengarS
Umfel^r Begroeifeft, feinen falten, »ergroeifetten (Sntfd^lu^, bie ©nabe auf
immer Don feiner 2^pre gu weifen.
„@itt ÜRann wie ScrcngariuS ^^tte bie Sal^rl^eit gefud^t; l^ätte bie
gefud^te SEßal^rl^eit in einem 9llter, in wcld^cm fein SSerjianb aUe il§m mogs
Kd^c Steife l^aBen mußte, gu ftnben geglaubt; l^ätte bie gefunbcne SOBal^rl^cit
mutl^ig befannt unb mit ©runbcn 5lnbere gclcl^ret; wäre bei ber bclannten
unb geleierten SSBaierl^eit, trofe aller ©efal^rcn, trofe feiner eigenen iJurd^tfams
feit Dor biefen ©efal^ren breifeig, t)iergig ^al^re bel^arret: unb ouf einmal, in
eben bem ätugenblidte , ba unter aßen erworbenen ©d^a^cn bem 5IKenfdeen
leine wertl^cr fein muffen, als bie ©d^ä^c ber SBal^riecit, bie eingigen, bie er
mit ftd^ gu nel^men Hoffnung l^at, eben ba auf einmal l^ötte feine
gange ©eele fo umgcfcl^rt werben lonnen, bafe aBal^rl^cit für ü^n äBaJ^rl^eit
gu fein aufl^orte? — SBer mid^ biefeS bcrebcn IBnnte, ber l^atte mid^ gugleid^
bcrebct, aCfcn Unterfud^ungen ber Söal^rieeit oon nun an gu entfagcn. ©cnn
wogu bie frud^tlofen Unterfud^ungen , wenn fid^ über bie SSorurtl^eile unfercr
erjten ßrgiel^ung bod^ !ein baucrl^after ©ieg erl^alten lägt? wenn bicfe nie
auggurotten, fonbern l^Bd^flcnS nur in eine fürgcre ober längere glud^t gu
bringen flnb, an§ welker fte wieber auf unS gurüdtfHirgen, eben wenn un§
ein anberer geinb bie äBaffen entriffen ober unbraud^bar itmaä)t l^at, bcren
wir uns el^ebem gegen fie bcbienten ? Sftein, nein ; einen fo grauf amen ©pott
treibt ber ©d^öpfer mit unS nid^t. 3Ber bal^er in iBejircitung aller Slrten
von aSorurtl^cilen niemals fd^üd^tem, niemals blog gu werben wünfd^et, ber
beftege \a biefeS SJorurtl^eil guerfl , ba§ bie ©inbrüdfe unfcrer Äinbl^eit nid^t
gu Dernid^tcn wären. 3)ie ©egriffe, bie unS t)on Sßal^rieeit unb Unwal^rl^cit
in unferer Äinbl^eit beigebrad^t werben, ftnb gerabe bie atterflad^lien , bic ftd^
am aaerleid^tcftcn burd^ felbfl erworbene Scgriffc auf ewig über jircid^cn laffcn :
unb bicienigcn, bei benen pc in einem fpäten Slltcr wicber gum Sorf^cin
187
1
80 SlBted^nwnö mit bcr fatl^olifd^en Ätrd^c im „53erengar".
lommen , legen baburd^ mtber ftd^ feftfl baS 3«W3«i6 <^i t ba§ bie Begriffe,
unter jDtlä)tn fie jene Begraben moQen, nod^ flacher, nod^ feid^ter, nod^ mentger
tl^r (Sigentl^um gemcfen , aU bie Segriffe il^rer Äinbl^eit. 9iur von fold^en
^enfd^en ISnnen alfo aud^ bie grägUd^en Srjal^lungen von plö^Iid^en diüii
fäHen in Kngfl abgelegte Srrtl^ümer auf bem iobbette mal^r fein, mit meldten
man {eben fleinmütl^igeren ijreunb ber SSBal^rl^eit gur Serjmeiflung Bringen
Idnnte. 9tur von biefem, aBer von feinem iBerengariud. @in 93erengariu3
flirBt fld^erlid^, mie er leierte; unb fo fierBen fte äße, bie eBen fo aufrid^tig,
eBen fo ernjilid^ leieren als er. ^eilid^ mu§ ein l^i^igeS gwBer auä bem
©piele BleiBen; unb ma3 nod^ fd^redflid^er ifi al§ ein l^i^igeS lieber, ©tnfalt
unb ^eud^elei muffen baS ^tttt beS (SterBenben nid^t Belagern, unb il^m fo
lange gufe^en , Bis fie il^m ein paar gmetbeutige SBorte auSgenergelt , mit
meldten ber arme ^ranfe fid^ Blo§ bie ©rlauBnig erlaufen moHte, rul^ig
fierBen gu tännen."
hiermit roax grünbltd^c 2lBred^nung mit bem (Sl^riftentl^um , voxai
mit ber Jatl^olifd^cn Äird^e, gel^alten. 3Benn nur ba§ SSBal^rl^eit ift, waS
ber SJiann felbft unterfud^t unb burd^ fclbftdnbtgeS JÄingcn gu feiner
Uebcrgcugung gemad^t l^at, wenn aUcä Slnbere finbtfd^eS SSorurtl^ctl ift,
baä fid^ mit ber 9'ieife beS 2llterg Dcrliert unb ju bem nur finbifd^e 2lltc
jurudflc^rcn Mnncn, wenn bie Scfel^rungcn jur latl^olifd^cn Äird^c auf
©efpenftcrmdrd^cn unb l^ifeigen g^ebern, ©inflüffcn ber ©tnfalt unb
§cud^elei berul^en, n)cnn ein iBerengariuS , b. f). aud^ ein Scffing, fid^
nid^t bcfcl^ren barf, fid^ nid^t belcl^ren fann, ol^ne bie SßBürbc feiner SJcr^
nunft unb bie Sonfequeng feineS ©trebenS gu fd^anben, wenn bie Untere
TOcrfung feiner 33crnunft unter eine pofttiDc Slutorität ein ©pott auf bcn
©d^öpfer ift: bann fann man freilid^ gctroft in*S SJcnfcitä feigen, ob
3Jhifclmann ober S^rift, §cibc ober ^nit, ^antl^eift ober tl^eofopl^ifd^er
©d^rodrmcr; man fann, man brandet fld^ nid^t mel^r ju bclel^ren; bie
SRed^te ber inbioibuellen Vernunft gegenüber bcn 2lnfprüd§en cineS ftd^
offcnbarenbcn ©otteS ^abtn aud^ für bie ©d^redten ber SCobeSftunbc, wenn
bie Grcatur fid^ wie ein SEBurm im ©taube Irümmt, eine unerfd^ütterlid^e,
abfolute ©eltung erobert. S)er ©d^Jpfer felbft leiftet bem ©efd^öpfe ©e^
rva^v, ba§ eS fid^ DÖHig frei bie ©rcnjcn ber SGBal^rl^eit beftimmcn bürfe.
SGBdrc baS ©d^aufpiel cineö ftd^ für immer oon ®ott loäfagenben,
titanenl^aften ©enic'S nid§t fo furd^tbar cmft, fo müfete man faft barüber
lad^en, wie bie proteftantifd^en Sl^eologen bie ungel^eure 5£ragn)ettc von
SeffingS ©runbfdfeen t)ollig oerlannten unb in ©eligfeit barüber f d^raammen,
bafe bcr §err Scffing, wie fie meinten, ganj in il^rcm ©eifte, über ^rd«
taten unb ^dpfte, SDogmcn unb Slutoritdtcn ber römifd^en Äird^e Verfiel.
Slud^ bie aufgelldrten ^Jrcunbc ficffingS Dcrfannten i^n gang unb würben
188
SlBred^nung mit bcr fatl^oUfd^en Mx^t im „^Setcngar". 81
an il^m irre, al8 er mit d^riftlid^en SRebcnäarten über eine d^riftUd^e
©trcitfragc Dcrgangcner ^a^x^unitvte gu rcben begann, ©te meinten,
man foffe über fold^e ©tnge gar nid^t me§r reben, bie SEI^eoIogie unb t^eo^
logifd^e ijragen ber SSergeffenl^eit überlaffen. fieffing blidtc tiefer; i^xa
miberftrebte e8, bie ad^tje^n Sa^^^^nbertc beS ©^riftent^nmS atö eine unf rud^t?
bare Südte in ber ©ntwidfelung ber 3Renf d^l^eit , aB einen unbegreiflid^en
dii^ in ber ©oolution feiner üolüommenften 2öett gu betrad^ten. geuerfeft
gegen alle gorbemngen beS pofitit)en ß^rifient^umS , wollte er aud^ bie
SDogmen unb ©inrid^tungen, bie 33ilbung unb ben ^ortfd^ritt biefeä langen
Zeitraums in ben Äreiä feiner ^orfd^ung gejogen u)iffen. 2)aS ©Triften-
tl^um, mie cS nun einmal in ber ©efd^id^te fid^ Dorfanb, foffte nid^t als
alter ^auSratl^ in bie 9lumpellammer geworfen, fonbem als ©ceneric
unb S)raperie in ben SBul^nenl^auS^alt einer neuen SEBeltreligion aufs
genommen werben, ©er aufgellarte ©eift foHte fld^ nid^t, wie SJogel
©traufe, fingftlid^ oor ben pofitioen ©ogmen t)erftedfcn, fonbern fid^ „Se?
rul^igung" oerfd^affen unb fie iann ebenfo gemütl^lid^, wie bie ^l^ilofo:^
pl^eme ber alten Stibier ober bie S^rdumereien eineS beliebigen ©d^wdrmerS,
jergliebern, baS „9laturlid^e" unb „3Renfd^lid^e" barauS l^erauSIlauben
unb il^re Slllegorien „uergeiftigen".
Äraft biefer freieren Sluffaffung, bie fid^ mit allen SKeinungen unb
9leligionen, nur nid^t mit ber aSerbinblid^Ieit einer eingigen, autoritativen
^Religion t)ertragen lann, l^atte Sefftng feine ©d^wierigleit , aud^ bie
bogmatifd^e Slnfid^t ®erengarS am ©d^luffe feines l^iftorifd^en 2luffafeeS
furg gu bel^anbeln unb bie 2lnfid^t gu äußern, bafe bie ^rd^e in im
frü^eften ^al^r^unberten gwar nid^t bie SBefenSoerwanblung im ©inne
ber Äat^olüen, aber bod^ aud^ mel^r als blofee ^tü^tttf alfo etwas ba^^
gwifd^en SiegenbeS — er nennt eS prägnante ^tii^tn — geglaubt l^abe.
SBie wenig er l^iebel badete, bie lutl^crifd^e Slbenbmal^lSlel^re gegen bie
latl^olifd^e unb gwinglianifd^e gu ftüfeen, l^at er felbft feiner ^reunbin,
3Jiabame Äonig in SBien, oertraulid^ eingeftanben : „©ie glauben nid^t,
in was für einen lieblid^en ©erud^ oon SRed^tgldubigleit id^ mid^ bagegen
bei unferen lutl^erifd^en Sl^eologen gefefet l^abe. SÄad^en ©ie fid^ nur
gefaxt, mid^ für nid^tS ©eringereS, als für eine ©tüfee unferer Äird^c
auSgefd^rieen gu l^iren. Ob mid^ baS aber fo red^t Heiben möd^te, unb
ob id^ baS gute Sob nld^t balb wieber verlieren bürfte, baS wirb bie
3eit leieren." "ISitm er nid^tSbeftoweniger baran badete, einen gweiten
(bogmatifd^en) Il^eil gum SSerengariuS gu fd^reiben, fo waren wieber
anbcre ©rünbe mit im ©piel. „$erm SBofe oerftd^ere," fo fd^reibt er
©aumgaTtner, Sefjlitg. — jgg— 18
82 SBred^nung mit ber fatl^oUf<3^en Stirbt im „^tttn^ox^.
an feinen ©ruber ^arl, „ia^ i^ Bereü8 in Dotter SIrBeit an bcm erftcn
SC^nl meiner t)ermif d^ten ©d^riften bin; unb wenn bie SKngelegenl^eiten
meines 93eutel3 mid^ nid^t gmingen, Dor aSen S)ingen einen gmeiten Z^til
beS SBerengariuS gu fd^retbcn, fo lann er t)erfid^ert fein, bafi id^ ffei^
fortfal^ren merbe." (29. Oct) ,,©a id^ mit meinem orbenttid^en ©el^alte
nur eben auglommen {ann, fo l^abe id^ lein anbereS SSHüttl, mid^ nad^
unb nad^ auS meinen @d^ulben ju fe^en, als ju fd^reiben. ^äf l^abe
e8, ©Ott mei^, nie n5tl^iger gel^abt, um @elb ju fd^reiben, als j[e^t; unb
biefe Syiotl^roenbigfeit l^at, natürlid^er SSBeife, fogar (JinfluB auf bie Wta^
ttxlt, wovon id^ fd^reibe. SBaS eine befonbere ^eiterleit beS ©eifteS,
was eine befonbere Slnftrengung erforbert, maS id^ mel^r auS mir fettft
gleiten mu^, als auS ben 93ud^em: bamit lann id^ mid^ jie^t nid^t ab^
geben. 3$ ft^S^ ^i^ biefeS, bamit bu bid^ nid^t munberfi, xomn id^,
beineS 3Jti|faIIenS ungead^tet, etma gar nod^ einen jmeiten Sl^eil inm
©erengariuS fd^riebe. 3d^ mu^ baS Srett bol^ren, wo eS am bünnften
ift; rotnn id^ mid^ oon au^en meniger geplagt fälble, xoiVi id^ baS bidCe
©nbe mieber t)omel^men." (11. Sßoo.)
IM
von bn Jiitaaint jur %f^eotogie.
a3ct)or ficjpng bcn crftcn S^l^cil bc8 aScrcngariug »ottcnbct l^attc, voav
im Sluguft 1770 fein SSatcr am ©d^lagflu^ geftorbcn, ein treuer ßutl^ei:
raner bis jum 3:ob. Sn merliDürbigem ®egen[afe gu ben auflldrcrifd^cn
©eftrebwngen feincS ©ol^ncS, wax er in ben brei lefeten Salären feincä
SebenS auf bie von il^m üor funfgtg ^Q:^xm wibcrlegten 17 aSorurtl^eile,
,,bic man nad^ einem 3^ttlaufe t)on groeil^unbert Sauren jum 3laä^i^t\l
bcr Äird^enüerbefferung auf bie ffial^n gebrad^t", abermal gurüdgetommen
unb l^attc begonnen, feine ®eban!en baruber nieberjufd^reiben. 5)a8
geiftige 95crmdd^tni| beä rul^igen, billig benfenben ©reifeS bilbet einen
feltfamen ^otog ju bem legten fiebenSabfd^nitt feines ©ol^neS.
„35ie unoerbiente ®ütc meines ©otteS/' fo l^cbt bieg 2^cjtamcnt an,
„"^ai mid^ gegen baS Ti.^fal^r meines SebenS unb gegen baS 50. ^aS)X meines
^rebigtomteS leben laffen. 3n biefer »erflojfenen 3eit l^aben pc^ unjSl^ligc
SBeranberungcn jugctrogcn, meldte ben 3nflanb bcr SKenfd^en in unb auger
ber Kl^rijlenl^cit, obfd^on anbcrS, jcbod^ nid^t oiel Beffer gcmad^t. ©cmiffcnSs
gmang unb SScrfolgungSgeifi ift groar nad^ unb nad^ ^iemlid^ tierlofd^en; bie
unerl^Brten ©raufamfeiten in SReligionSf ad^en jinb abgcfommen; aber bagegen
^at nun eine ungemeffene gfrei^clt unb unoerfd^ämte tJred^l^cit, von gSttlid&en
unb geifUid^en S)ingen gu reben unb }u fd^reiben, maS man miQ, überl^anb
genommen. S)er um jld^ gefreffene Unglaube "^at fid^ auf ben Stl^ron beS
9lberglaubenS gefegt. 3)ie l^cilige ©d^rift l^at 3ebcrmann lefen, aber aud^
fd^anbcn bürfen. ©ute unb loblid^e ^[nfialtcn in Äird^cn? unb ^oligcifad^cn
jlnb gemad^t unb anbcfol^len worben; aber Ungered^tig!eit , Unbarml^erjigfeit,
Unwiffenl^eit unb Ungcl^orfam iji baburd^ nid^t weniger geworben. S)ie
SGBiffenfd^aften jtnb gcpicgen, aber bie ©itten bcr SKenfd^cn nid&t gebcffert»
3)urd^ ®clcl^rfam!cit, nid^t burd^ ©ottcSfurd^t, wiU mon bcrül^mt werben.
^©0 benfe id^, wenn id^ eine SSergleid^ung mit ben oorigcn unb ie^igen
3eiten unb Seuten anpeile. Sene ocrad^te id^ nid^t, unb bicfe fann id^ nid^t
aHjufel^r erl^eben. SSicIcS wirb unter ben SRcnfd^en wo^l anbcrS, aber nid^t
bejfcr. 35a3 3llte fielet man auf bcr fd^Iimmcn, unb baS SReue nur auf ber
guten ©eite an,"
®ei aller SSerfd^iebenl^eit ber Slnftd^ten liegte Seffing vox feines SSaterS
Q^axatttx unb SBiffen eine tiefe Jpod^ad^tung. ©ein SEob fdjmerjte il^n
191
84 Xrofltoftöfelt bct reinen S^atutteltglon k.
fel^r unb ftörtc il^n tagelang in feinen 2IrBciten. S)od^ t)on bcn religiöfen
Slnfd^auungcn beS greifen ^rebigcrS, wie von feiner nüd^terncn SSeur*
tl^eilung ber B^itla^^f l^atte er fid^ bereits ju weit entfernt, um innerlid^
barauf gurüÄommen ju Wnnen. 3n weld^er SRid^tung er fortfd^ritt,
geigen ein paar Sleu^erungen auS bem folgenbcn SEBintcr.
6r l^atte bie §anbfd^rift beä 3ieimaruS (be§ „Ungenannten'') ÜRem
belSfol^n mitgetl^eift; um fein ©utad^ten über biefelbe eingul^olen. aJien^
belSfol^n fanb bie Slrt unb SBeife unbillig, n)ie ber Ungenannte bie ^ro=
pl^eten unb ^ßatriard^cn beS alten 2:eftament8 bel^anble, unb mad^tc barauf
aufmerifam, ba| man in il^rer ffieurtl^eilung bie ©utturguftdnbe il^rer ^tit
unb bie (Sulturforberungen gu JRatl^e giel^en muffe , meldte fid^ auä iencn
3uftdnben ergäben. Jpierauf antwortet Seffing, ba§ bia ®iKigIeit bie§
atterbingS bei S3eurtl^eilung bloßer 9Renfd^en erl^eifd^c. „Slber finb ^a::
triard^en unb ^ßropl^eten Seute, gu benen mir unS l^erablaffen f ollen?
@ie fottcn t)ielme5r bie er^abenften 9)lufter ber SEugenb fein, unb bie ge=
ringfte il^rer §anblungen foll in Slbfid^t auf eine gemiffe göttlid^e Oefo:=
nomie für unS aufgegeid^net fein, ^mn alfo an SDingen, bie fid^ nur
faum entfd^ulbigen laffen, ber ^5bel mit ©emalt etmaä ®5ttlid^e§ finben
foll unb miK: fo tl^ut, beule id^, ber SBeifc unred^t, menn er biefe SDinge
blo^ entfd^ulbigt. 6r mu| t)ielme]^r mit aller SSerad^tung oon il|nen
fpred^en, bie fie in unfern beffern 3«ten oerbienen mürben, mit affer ber
SSerad^tung, bie fie in nod^ beffern, nod^ aufgeftarteren ^tiitn nur immer
oerbienen lönnen."
5yiod^ ftdrier begeid^net er feine Slbneigung gegen ia^ ßl^riftentl^um
anlafelid^ eineä 3^if ^^i^f ^J'f^ / ^^^ gmifd^en SJienbetöfol^n unb Saoater
ftattgel^abt. aÄenbelSfol^nä 5ßpbon (1767) ^ttt ben ebenfo, gläubigen
unb biebem, aß aud^ für bie ©ad^e beS S^riflentl^umä begeifterten unb
etmaä gur ©d^märmerei geneigten ^üxi^tx 35iaIon bermaf en entgüdft, ba^
er ben jübifd^en ^^ilofopl^en reif für^ä Sl^riftentl^um l^ielt unb perfönlid^
mit il^m angulnüpfen fud^te. Sei feinem Sefud^e in SSerlin fprad^ SDlens
beföfol^n mit §od^ad^tung oon El^riftuS, unb Saoatcr glaubte 1769 bie
3eit gelommen, bem ebeln „9liIobemuä" nid^t nur feine Ueberfefeung t)on
SBonnetS SBemeifen für bie d^riftlid^e Offenbarung mibmen, fonbern il^n
in ber 35orrebe offen gum Uebertritt aufforbem gu bürfen. Slber „?lifos
iemuä" mar lein SRilobemuä; er moffte nid^tS oon SBelel^rung miffen unb
ToieS Saoater ebenfo l^öflid^ als entfd^icben gurüdf. Sllä barauf 1770 in
ber 3enaifd^en ^dtan^ ein ©tüdt oon SaoaterS Sieifetagebud^ oeröffent-
lid^t unb bie ©ad^e mieber berüi^rt mürbe, mar 9Jlenbel8fo§n etmaS oers
192
3:toflloftgfcit bct reinen ^flatuttctlgion k. 85
lefet, fd^Tüicg tnbcffcn. Scffing jebod^ empörte bie[er aScfe^rungSeifer tief
unb er forbcrte feinen gfcunb auf, n)cnn er antworte, eg mit aller möglid^en
tJreil^eit, mit allem nur erftnntid^en 9^ad^brucl ju tl^un. „©ic aUein
bürfen unb fönnen in biefer ©ad^e fo fpred^en unb fd^rciben, unb finb
bal^er unenblid^ glüdlid^er, alä anbere el^rlid^e Seute, bie
ben Umfturg beS afifd^euUd^ften ©ebdubeä t)on Unfinn ntd^t
anberä, aI8 unter bem SSorroanbe, eS neu ju unterbauen,
beforbern Jonnen."
3n biefer feinblid^en Stellung gum (S^riftent^um fül^Ite fid^ Sefftng
feineämegä bel^aglid^ unb guf rieben, „©od^ id^ beforgc eS nid^t erft feit
geftcm," fo l^ei^t eS in bemfelben 33riefe, „ba^, inbem id^ gcmiffe ©or^
urt^eile meggemorfen, id^ ein menig gu t)iel mit roeggeroorfen l^abe, u)aS
id^ merbe mteber Idolen muffen. $)aB id^ eS gum "^txl nid^t fd^on getl^an,
baran l|at mid^ nur bie ^Jurd^t t)er]^inbert , nad§ unb nad^ ben gangen
Unratl^ mieber in baS $auS gu fd^leppen. 68 ift unenblid^ fd^mer gu
miffen, mann unb mo man bleiben foll, unb Saufenben für (Sinen ift ba3
3tel il^reä 5Jlad^benfen§ bie ©teile, mo fle beS SJlad^bcn!en3 mübe ge^:
morben."
3n)eifel überl^aupt unb gumal religiöfer S^d\el ift nid^t geeignet,
einen 9)tenfd^en glüdflid^ gu mad^en. Sluf Sefflng fonnte bie bumpfe Un^^
gemifel^eit über baS mid^tigfte SÄStl^fel beä fiebcnä um fo weniger günftig
roirJen, atö er fid^ aud^ in feiner äußeren fiebenSftellung unbel^aglid^
fül^lte, bagu an lörperlid^em Uebelbefinben litt unb in feinem ungeftümen
Sffrbeitäbrang burd^ ben geiftigen mie teiblid^en SlüdEfd^Iag biefer Derfd^ie^
benen STrmfettgleiten gar Dtelfad^ unb in immer befd^merlid^erer SBeife ge^
l^emmt marb. Sftur feiten beutet ber ©arometerftanb feincä uertraulid^en
aSriefmed^fetö auf bie doCc ^Jrifd^e unb greubigleit ber DorauSgegangenen
Saläre, ©eine geleierten J^orfd^ungen finb tl^m „SJlooS unb ©d^mfimme,
©tümperei unb »ibliotl^eTararbeit , Äa^lmduferei unb »üffelei", er fteHt
fte auf biefelbe Sinie mit bem ©taubabfel^ren. S)en 33erengariu8 nennt
er eine Sumperci, bie tJ^eologifd^en ©egenftdnbe, meldte feine gange Z^&?
tigfcit in Slnfprud^ nal^men, „Unfinn, Ungereimtl^eiten , Quiöqutlien".
©ein Seben ein „l^unbSf Seben" gu nennen, l^atte er ftd^ fo
angemöl^nt, ba^ ber 2lu8brud( bei feinen iJreunben gum geflügelten SBort
mürbe. SBolfcnbüttel mar il^m ein löermünfd^teg ©d^to^: er münfd^te,
ber alte ©perfing nod^ gu fein, um fortgulommen. „SDer Äopf ift mir
über meine fd^urfifd^en Umftanbe t)0llenb8 nod^ fo müfte geworben, ba^
id^ !aum mel^r meife, maS id^ fd^reibe." ©o melbet er feinem Sruber
108
86 $:rojl(ojtg!clt bct reinen S^ittturreliglon k.
am 11. Syiooembcr 1770, „Äranf Bin i^ nun jroar nid^t ntcl^r," fd^reiftt
er am 26. Wtai 1771, nad^bem er eine SSrunnenlur gcmad^t, „aficr rotmi
i^ fagtc, ba| id^ bc^rocgen fo rodrc, roie id^ ju fein wünfd^e, jo mu^te
i^ cS lügen. Unter allen ©tenben, glaube id^, ift bcr ber (Slcnbefte, ber
mit feinem Ä'opfe arbeiten foll, aud^ wenn er jid^ feines ÄopfeS beroufet
ift. SDod^ roaS l^tlft affeS Ätagen?" STm 4. 3uH: „3d^ bin, feitbcm
id^ bir baS lefete aJial gefd^rieben, aud^ nid^t einmal im ©tanbe gemefen,
mid^ mit tl^eologifd^em Unfinn abjugeben, gefd^meige, ba^ id^ ctmaS @cs
fd^eibtereä t)örjune§men faltig geroefen rodre. ©etbft biefen 35rief fd^reibe
td^ mie l^alb im 2;raum. ^d^ l^abe fd^led^terbingS bie ganje ^eit roiebcr
meine ©ebanfen nid^t eine SSiertelftunbe auf bie ndmlid^c ©ad^c fiiciren
tonnen; unb jcbe ^tilt, bie id^ aud^ nid^t jum S)rudfe fd^reiben muffen,
5at mir Stngftfd^mei^ ausgepreßt, fo mie eS wirlUd^ aud^ von biefe«
feilen nod^ njal^r ift. 2ld^t 2;age l^abe id^ baju einen äuSfd^lag über
ben ganjen Äörper gel^abt, baß id§ mid^ laum Dor 3^manben feigen laffen
Jonnte; unb nun l^abc id^ feit üier Sagen ben ^9rmonter SSrunnen gu
trinfen angefangen, wobei mir mein 2lrjt fd^Ied^terbingS geratl^en, mid^
fo vid mie möglid^ ernftlid^er Sefd^dftigungen gu entfd^lagen."
©er aSrunnenfur ungead^tet bauerte biefer tranfe 3^P<^^5) in ooller
©d^drfe nod^ mel^rere SBod^en; er war genStl^igt, fogar Sriefe beS öftern
unb tagelang gu unterbred^en. 9lud^ aK eS etmaS beffer mürbe, ftagte
er über förmlid^c SBafferfd^eu gegen aUeS ©d^reiben. „Ob id^ fd^on mit
meiner gegenwärtigen Situation eigentlid^ nid^t Urfad^e l^abe ungufrieben
gu fein, aud§ mirltid^ nid^t bin," fo l^eißt eS am 14. 5Jloi)ember, „fo fel^e
id^ bod^ DorauS, baß meine SBerul^igung babei in bie Sänge nid^t baucm
!ann. S3efonberS mürbe id^ bie @infam!eit, in ber id^ gu SBoIfenbüttel
notl^menbig leben muß, ben gdnglid^en SWangel beS Umgangs, mie id^
il^n an anbem Orten gerool^nt gemefen, auf mel^rere 3^^^^^ fd^merlid^ er?
tragen !onnen. 3d^ merbe, mir gdnglid^ felbft überlaffen, an ©eift unb
Äörper franl: unb nur immer unter Sudlern oergraben fein, bünft mid^
menig beffer, alS im eigentlid^en S^erftanbe begraben gu fein." 35en
SBinter über mürbe er oon einem l^artnddfigen STugenleiben geplagt , im
i^rfil^jal^r gefeilten fid^ bagu l^eftige B^^^\^^^W^f ^^ ^Ipril unb 9Jiai
flagt er mieber über oöHige 3^^öttung, SlrbeitSunfdl^igleit , bringenbeS
»ebürfniß nac^ ©d^onung. „mix aber ift jefet (27. Suni 1772) nid^t
feiten baS gange geben fo elel fo efell ^^ oertrdume meine
3:agc mel^r, als id^ fte oerlebe. @ine anl^altenbe Slrbcit, bie mid^ ab:;
mattet, o^nc mid^ gu oergnügen , ein Slufentl^alt, ber mir burd^ ben gdng::
194
Strojlloflgfcit bcr reinen Sf^atutrellgton :c. 87
Itd^en SRangel aUeä Umganges (benn ben Umgang, meldten id^ l^oBen
f onnte, bcn mag id^ ntd^t ^abcn) uncrtraglid^ wirb , eine SluSjid^t in baS
eroigc, licBc ©inerici — baä 3tffc8 finb S)tngc, bie einen fo nad^tl^eiligcn
@influ§ auf meine ©eelc unb t)on ber auf meinen Äörper l^aJen, ba§
id^ nid^t weil, ob id^ Iranl ober gefunb bin^ SBer mid^ fielet, ber mad^t
mir ein Kompliment megen meine« gefunben StuSfel^enS: unb id^ mJd^te
bicfeS Sompliment lieber mit einer Ohrfeige Beantworten. 5)enn mag
l^ilft eS, ba§ id^ nod^ fo gefunb auSfe^c, menn id^ mid^ gu allen SJer^
rid^tungen eineg gefunben 3Jicnf d^en unf filzig fül^le ? Äaum, ba§ id^ nod^
bie geber fül^ren fann, mie @ie mol^l felbft auS bem unleferlid^en SSriefe
feigen werben, ben id^ mcl^r mie fünfmal l^abe aBbred^en muffen. . . . SJlBer
mag Hage id^ Sinnen ba t)or? Sie muffen mid^ mirflid^ lieber für l^^s
pod^onbrifd^ l^alten, als SllleS fo genau nad^ ben SSBorten nel^men." 3m
October 1772 melbet er feinem SSrubcr bie Il^atfad^e, bafe er feit einiger
3eit mieber rüftig an feinen SBeitrfigen l^abe arbeiten Ünnen, unb bie
Slbfld^t bamit fortzufahren, bis er neue Suft unb Ärafte belomme, ct^
maS ©efd^eibtereS gu arbeiten. 2lber fd^on im Januar 1773 taud^t bie
alte Älage über ^^pod^onbric neuerbingS auf unb fpinnt ftd^ fort in'S fot
genbe 3^^^ l^incin, mo er (am 20. Slpril) feinen Sammer alfo jufammen^
fagt: „es ift nie mein SSBittc geroefen, an einem Ort mie SBolfenbüttet,
oon allem Umgang, mie id^ il^n braud^e, entfernt, ^dt meines ficbenS
33üd§er gu pten. 2Jiorgen tl^ue id^ baS fd^on Dicr Saläre; unb ba id^
eS nur aHju fel^r emppnbe, mic oiel trodtener unb ftumpfer id^ an @eift
unb ©innen biefc oier Saläre, trofe aller meiner fonft erweiterten, l^iftori?
fd^en Äenntni^ geworben bin: fo mod^te id^ eS um SllleS in ber SOBelt
willen nid^t nod^ oicr Saläre tl^un. Slber id^ ma^ eS aud^ nid^t ein S^^r
mel^r tl^un, wenn id^ nod^ fonft etwaS in ber SGBelt tl^un will. §ier ift
eS auS; l^ier lann id^ nid^tS mel^r tl^un. S)u wirft biefe SJleffe aud^
nid^tS oon mir lefen, benn id^ l^abe ben gangen SBinter nid^tS getl^an
unb bin fel^r gufrieben, ba§ id^ nur baS eine gro^e SBerl oon Sßl^ilo::
fopl^ie (ober spoltronnerie) gu ©taube gebrad^t, — bafe id^ nod^ lebe.
©Ott l^elfe mir in biefem eblen SEBerfe weiter, weld^eS wo^l wertl^ ift,
ba^ man alle Sage barum i^t unb trinlt."
SBaS baS Ungemad^ beS örperlid^en SeibenS, bcr gcifligen 3Ki6^
flimmung unb ber ungewoljnten ßebenSwcife ungweifell^aft am mciften
fd^drfte, war ßeffingS SDrang, „neue SSBede beS ©enie'S" l^eroorgubringen,
b. 1^. feine SEl^dtigfeit als SDid^ter unb Dramaturg weiter gu fül^ren.
9Rod^te er aud^ in anbern Greifen fid^ nod^ fo frei bewegen unb nod^ fo
195
88 2:rojlIofig!clt bcr reinen S^aturrcHgion k
großen ©rfolg ernten, l^ter n)ar fein SieWingöfetb, bie eigentüd^e §ctmat§
feines 2;alenteS. (Sr l^at jld^ jroar felBft afö einen gefd^itbert, bent ber
l^immlifd^e Ouell ber Spoejie nid^t in DoIIem ©trome ou8 bem §erjen
fpruble, ber Dielme^r ^re^« unb Sftöl^renroerl anwenben muffe, um poeti^
fd^e ©rgeugniffe mül^fam au8 fid^ ^erauSgupumpen , aber er l^at aud^ ge^
fagt, ba| er btefem Jritifd^en Spre^* unb SlSl^renmerl etmaS banle, raaä
bem ®enie fel^r nal^e fomme, unb Je mel^r eS i§n getoftet l^atte, auS bem
poetifd^en ©l^aoä feiner ^t\t in ba8 SSerftfinbnife feineä SlrlftoteleS unb
ber antuen ©ramatiler uorjubringen , befto inniger l^ing er an biefem
fleiftigen ©eroinn. SBaä er felbft l^crDorgcbrad^t l^atte, oerfd^molg in
feinen Slugen mit ben ©rrungeufd^aften feineS langjd^rigen , bramotifd^cn
©tubiumg, unb biefeS l^mmieberum mar fo mit feiner eigenen probuctit)en
©eifteSarbeit Dermad^fen, ba^ e8 il^m mie tin 3:]^eil feineä ©eftft üor^
?am. 33eftdnbig unb mit bem lebl^afteften S^tcreffe verfolgte er au8
feiner bumpfen Süd^er^Sinflebelei I^erau8 bie ©efd^idCe be8 beutfd^cn Si^ea^
ter8. ®r fd^miebete fortmal^renb neue Sßldne, nm feine ©anbe gu fprengen
unb fid^ mieber auf biefe8 fein 8iebling8felb gu begeben. @r lebte gleid^fam
neu auf, ba e8 il^m Dergönnt roav, in günftigcn ^XDi\(^tnxavimtn bc8
2Binter8 1771—72 fein Strauerfpiel ,(gmilia ©afotti' gu tottenben unb
auf bie SBretter gu bringen. J)od^ bem mül^fam errungenen, mannigfad^em
fieiben abgetrofeten ©rfolg folgte peinlid^e ©rfd^laffung. SJlid^t nur bie
fd^opferifd^e Äraft oerfiegte, fonbem aud^ bie geiftige ijrifd^e, fid^ an
3Jieiftem)er!en Slnberer burd^ Äritif unb ©tubium für neue ^robuctionen
gu befrud^ten. 3Äel^r al8 ein 5ßtan, ben er frül^er begeiftert genarrt, gog
in ben ©tunben ber ©d^mermutl^ an feinem ®eifte vorüber, aber ba8
geliebte Sbeal marb gum qudlenben ©efpenft, ba8 mit feiner Unerreid^^:
Barleit ben unfreimilligen ©elel^rten bie gange fiaft feiner profaifd^en Sage
empfinben lie^. §9pod^onbrifd^ brütete er an einer anti^tprannifd^en SEra::
göbie ,©partafu3'. SDod^ bie 3Jii|ftimmung mar gu gro|, um fid^ aud^
an einem fo entfpred^enben, gletd^artigen ©toff poetifd^ geftalten gu taf[en.
3u ber SebenSprofa, meldte auf i§n brüdCte, finb au^er bem 3^^^Ö^
eine8 eintönigen 2lmte8 unb bem aJiangel an anregenber ©efefffd^aft aud^
©elbforgen gu red^nen. ©r l^attc burd^ feine ©teKung gmar ein ge^
nügenbe8 SluSlommen; aber er mar mit ©d^ulben, unb gmar, mie e8
fd^eint, mit nid^t unbebeutenben ©d^ulben oon Hamburg l^erübergelommen,
unb, al8 fd^led^ter §au8l^alter, manb er ftd^ m^ biefen nur l^erauS, um
anber8n)0 mieber in neue, menn aud^ Heinere, gu gerat^en. S)agu lebte
feine gamilie, befonber8 nad^ bem SEobe be8 SSaterS, in fe^r bebrdngten
19«
2:roflIortöIeit bcr tclnen ^latuttcUgion 2C. 89
SSerpitntffcn, unb er war cbelftnnig genug, feine greife 9Jlutter unb feine
®ef<3^n)ifter nid^t nur unterftu^en ju motten, fonbern aud^, wie er nur
eBen lonnte, t^atfäd^licl gu unterftufecn. ßnbUd^ badete er im SSerlauf
bicfer 3^^^^^ immer ernftßd^er baran, feine greunbin, bie SBittrae ^onig,
JU el^eltti^en, unb mu§te be^^alb aud^ auf 3Äittel Bebad^t fein, einen eigenen
§auäftanb gu grünben. 2)ie ©orge, bie l^ierauS ermud^S, roax eine l^arte
5Jiu§ für ben Sunggefeffen, ber fd^on Ü6er bie 95iergig l^inauä war, tüie für
ben ©id^ter , ber BiS jefet f orgloS in ben 3:ag l^ineingelebt l^atte unb
fid^ nod^ Jefet ju einer laeta paupertas, einer l^eitem ^oetenarmut)^ l^in?:
gebogen füllte, itranli^eit unb SErilbfinn oerboppelten unb Derbreifad^ten
bie an ftd^ fd^mere Safi
©0 ungered^t eS nun roixt , mit SRudtftd^t auf biefe Umftdnbe , ixt
folgenben l^iftorifd^en, t^eologifd^en unb poetifd^en SlrBeiten SeffingS atä
Mo§e titerarifd^e ©elbfpecutationen anjufel^en, ebenfo ungefd^id^tlid^ wäre
eS, t^n atö ein ^ölbgöttlid^eS SQBefen aufeufaffcn, baS, über aße irbifd^en
SSemeggrünbe unb ©orgen erl^aben, in aß* feinen SSeröffentlid^ungen einjig
unb aöein nad^ SBal^rl^eit ringt unb unter Seiben affer 9lrt fid^ gum
teinften ©efi^ ber SDBal^rl^eit emportSmpft. ©d^arfe ©elbftbeurt^eitung,
geroaltige SßiffenSf raf t , mitunter ein ncdfifd^er ©algenl^umor, fpred^eh
afferbingS auS feinen ©riefen, aber von ber l^eiligenben Äraft beS Sei::
beng, von ®e6et unb ©ottoertrauen , ©ebulb unb ©ottergebung leine
©pur *. yta^ ^tx^txtnnnQ feufgte er, nad^ fuT^meiligerem Umgang, nad^
iJreunbfd^aft , nad^ Siebe unb — nad^ ©elb. @r fefet in bie Sötterie
unb t)erfud^t auf biefe fd^minbel^afte SBeife gu ©elb gu fommen. ^n
feinem umfangreid^en SSriefroed^fel mit i^rau Äönig ift f aft in jebem Srief
t)on Sotto unb Sotterie, ©infafe unb ©eminn, SImben unb Ouaternen bie
JÄebe. „3d^ lomme," fd^reibt er am 13. ^^nuar 1771, „auf unfer ge^
meinfd^afttid^eS ^rojiect, glüdHid^ — id^ moffte fagen — reid^ gu werben.
SBal^rlid^, ©ie ftnb, fel^e id^, eine grau, mit ber man fd^ted^terbingä nid^tg
verlieren fann. SSJir fmb wieberum, in ber neunten B^^Ht "tit einer
SJiummer l^erauägelommen, mie ©ie au8 beige^enbem 3i^^wgäf^eine feigen
merben. 5yiämlid^ mit Stummer 69. 3^ 5ö6e aud^ fd^on bafür ein
neues Siffet auf bie gel^nte ^i^'^w^^Ö genommen; nur ift mir leib, ba|
eS fd^on ausgefertigt mar, afö id^ Sfl^ren legten ©rief erl^ielt unb 5Jlum^
* Sögt. SBticf t)om 26. Oct. 1772. „3d^ Bin fd^Ummcr alS franf gcroefcn;
ntllcergnügt, ärgcrlld^, toilb; tolbct mld^ unb wlber blc gonae SBcIt aufgebrad^t,
@ic allein (grau Äönig) ausgenommen.''
197
90 £ro{itojtg!eit bet reinen 9^atuttettgion 2c.
ttier 19 btcfeSmal nod^ nid^t mebcr an feine ©teile lommen fSnnen,
ijür 5rtuntmer 69 l^aBe td^ 77 genommen, unb unfer Siffet lautet nun
gufammcn auf: 7. 36. 45. 47. 77. 9lod^ etroaä SBefonbcreS baBct mu§
id^ S^ntn melben. Wud^ in ©tralfunb l^at man nunmel^r ein Sotto, unb
oor furgem ift bte etfte 3^^^i^^8 i^i^^^t^- J^Stten wir ba mit unfercm
35iIIete eingefe^t gel^abt — waS meinen Sie, ba& mir gcmonnen l^dtten?
— Seiber bod& aud^ nur eine SlmBe. Unb maS ift unS mit einer STmbc
gebient? SlffeS ober nid^tS. Ä. unb ©ompagnie f offen unferc fiouiSb'or
l^aben: ober mir il^re fed^Sgigtaufenb 5:i^alcr." SluS ben 60,000 Sl^alem
fd^eint nid^t8 geworben ju fein; menigftenS mar ßefflng am (Snbe beä^
fetten ^a^xt^ nid^t im ©taube, eine ©d^ulb, bie er fcttft fe^uttd^ft ju
tilgen münfd^te, gang in Orbnung gu bringen.
SBar baS ©lüdförab bem unocrbroffcnen ßottofpieler fo menig ^olb,
fo mar er um fo mel^r barauf angemiefen, menigftcnä in feinen Slrbeiten
ber ©elbfragc nid^t gdnglid^ gu oergeffen. ®ang offen dufeerte er feine STm
ftd^ten l^ierüber in einem ©riefe an feinen ©ruber, ber il^n aufgeforbert
l^attc, mieber für^S Il^eater gu arbeiten. „S)cnn ba§ id^ etmaä mieber
fflr baS Z^tattv mad^en foKte, roiU xS) mol^l bleiben laffen- Äcin 9Renfd^
untergiel^t ftd^ gern Slrbeiten, oon meldten er gang unb gar leinen Sor^
t^eil l^at, mcber ®clb, nod^ ©l^re, nod^ Vergnügen. 3^ ber ^tit, bie
mir ein ©tüdf oon gel^n Sogen loftet, lönnte id^ gut unb gern mit
weniger 2Rül^e l^unbert anbere Sogen fd^reiben SBenn meine ©tütfe
nid^t l^unbcrt fiouiSb^or wertl^ finb, fo fage mir lieber gar nid^tS mel^r
baoon; benn fie finb fobann gar nid^tä mel^r wertl^. gür bie @]^re
meines lieben SSaterlanbeS will id^ leine ^^icr anfe^en; unb
wenn fie aud^ in biefem ©tüdte auf immer eingig unb allein
oon meiner iJeber abl^angen follte. gür meine @]^re aber ift e8
mir genug, wenn man nur ungefdl^r fielet, ba| id^ affenfaffS in biefem
Qfad^e etwas gu tl^un im ©tanbe gewefen wdre. Sllfo : ®elb für bie ^i^äft
— ober befSftigt eud^ nod^ lange mit Operetten. @8 wdre aud^ ndrrifd^,
wenn id^ ben eingigen SBeg, ®elb gu oerbienen, mir wentgftenS nid^t offen
galten unb baS ^ublifum erft mit meinen ©tüdfen fdttigen woffte. S3a8
®elb ift gerabe ba8, wa8 mir fep; unb mir mel^r fel^lt, al8 e8 mir
icmal8 gefep l|at. 3^ ^^^ fd^led^terbingS in ^a^x unb lag feinem
5JJienf d^en mel^r etwaS f d^ulbig fein, unb bagu gel^ört ein befferer ©ebraud^
meiner ^tit, al8 ba8 ?:i^eater." SRod^ oiel beutlid^er lautet einSrief an
ebenbenfetten ©ruber Äarl oom 8. Slpril 1773: „3d^ Un drgerlid^ unb
arbeite, weil Slrbeiten io^ ba8 eingige aRittel ift, um einmal aufgul^ören,
198
Xrojllojtgfcit bcr reinen ißahittellgion k. 91
icneä ju fein. SlBer bu unb §crr SSofi, tl^r irrt cud^ fel^r, rocnn tl^r
glauBct, ba§ e§ mir Bei fold^cn Umftdnbcn Ja tool^l gleid^gültig fein lonnc,
toaS id^ arbeite. 9li4t3 weniger: weber in 3lnfel§ung ber 3lrBeit, nod^
in Slnfel^ung ber löornel^mften Slbfid^t, warum id^ arbeite. 3^ ^^ in
meinem ficBen fd^on in fel^r elenben Umftdnben gerocfen, aber bod^ noc^
nie in fotd^en, xüo id^ im eigentlid^en Serftanbe um aSrob gefd^rieben
l^&tte. 3^ ^^^^ ^^i«^ S3eitrdge blö§ barum angefangen, weil biefe Slr^
beit förbert, inbem id^ nur einen SBifd^ nad^ bem anbern in bie ©rudferei
fd^itfen barf , unb id^ bod^ bafür oon ^dt ju ^tit ein paar fiouiSb^or
belomme, um von einem S^agc gum anbern ju leben. SBenn bu nid^t
begreifen lannft, wie ein SRenf^, ber bod^ iä^rlid^ 600 5£§aler ^öt, in
fo lümmerlid^n Umftänben fein lann : fo mu§ id^ bir f agen, ba§ id^ auf
langer al8 anberl^alb ^a^ve mein ganjeS ©alarium Dor einiger ^dt
aufnel^men muffen, um nid^t t)erf lagt gu werben ; unb wer nun nod^ baran
gweifelt, bafe eä bie abfolutc Unmöglid^feit ift, warum id^ gewiffe 5ßflid^ten
nid^t erfülle (Unter jlüfeung ber gamilie), mein SSerfpred^en in gewiffen
©ingen nid^t l^alte, ben bin id^ fel^r geneigt, eben fo fcl^r ju t)er!ennen,
als er mid^ Derfennt."
2)er fiefer wirb fid^ fragen: SBaS l^aben benn aH^ biefe ©efunb^
l^eitSberid^te unb ©elbnotl^en mit bem religiSfen (JntwidElungSgang SeffingS
JU fd^affen? ©ie Slntwort ift tl^eilweife fd^on in ber julcfet angejogenen
©teile entl^alten. Unter bem ©rudf ber gefd^ilberten fiu^eren ©d^wierig=
feilen Derlie| Seffing bie i^m t)on feiner Sieblingäneigung DOrgejeid^nete
Sda^n eines Dramaturgen, warf ftd^ auf geleierte ©tubien unb unter
biefen gelegentlid^ aud^ auf Jl^eologie. SJerbittert, mi^ftimmt, aufgebrad^t
wiber fid^ unb bie ganje SBelt, in ber oornel^mften Slbftd^t, nm ©rob ju
Derbienen, griff er unter anbern ©toffen, bie ftd^ il^m tbtn barboten, ju
tl^eologifd^en fragen, oerwidtelte ftd^ bei feinem brud^ftudfweifen, orbnungS^
lofen gorfd^en in neue ^n)d^d unb willlürlid^e ^l^ilofopl^eme, ftürjte fid§,
l^alb offen, l^alb oerftetft, l^alb confequent, l|alb inconfequent, ber ©ad^e nad§
JU ©unften beS Unglaubens in ben religiöfen Äampf ber ^dt unb wob fid^
aus einer SReil^c fragmentarifd^er ©treitfd^riften unb 2lp]^oriSmen jeneS
pl^antaftifd^e 5Jiefe oon SReligionSpl^ilofopl^ie, in beffen unoollenbeten SErdu«
mtn er, wie ©id^enborff fagt, „an ber ©d^ welle beS Slllerl^eiligften un?
befriebigt unterging". @inem „35dmon beS ©d^arffinnS" biefen geiftigen
Untergang gujufd^reiben , wie Hamann eS tl^ut, ift fonad^ blofe eine be^
fd^önigenbe SBenbung. SGBie in allen dl^nlid^en 2:ragobien, fpann ber
3Kammon, ber gldnjenbe (Sott ber 2Belt, bie erften t)er]§dngni|oollen
92 SttoliloftöfcU bcr teincn S^atutrcUglon jc.
gäben, bcr ©tolj t)0llenbctc baä ©cwcBe, unb bcr ©d^arfftnn, ber im
©tcnfte bcr ©emutl^ btc g^ffcln l^dttc fprcngen lonncn, bicntc nunmcl^r
blofe bagu, ftc [traffcr anjujicl^cn unb ju einem unentroirrBaren knoten
gu fd^lingen.
33en crftcn Bebcutenberen ©d^ritt auf biefer aBf(|üfytgen Sa^n tl^at
Scfflng im ©ommer 1771. (gr nal^m baS ©ud^ bc§ 9ieimaru§ mit nad§
SBcrlin unb fud^tc einen SSerleger, um cä fofort ganj brutfcn ju Ia[fen.
SRcnbetöfol^n unb 9licolai miberrietl^en umfonft; er fd^ricB il^re (Sinrebc
falfd^en Semcggrünben ju, unb Bcl^arrtc mit ber lebl^afteften 3äT^'gIrit
auf feinem ©ntfd^luffc. @S gelang il^m aud^ mirflid^, einen SSerlegcr ju
finben, weld^cr ia^ SBcrl brudfen wollte, wenn c§ bie tl^cologifd^c ©cnfur
paffirte, bereu SBicbcrl^erftcIIung burd^ iJriebrid^ II. mir bereits ermSl^nten.
S)iefe war aufgelldrt genug, bem „grünblid^ften unb unumrounbenften 2Im
griff, bcr biä bal^cr auf baS Sl^riftcntl^um unb bie geoffenbarte SReligioti
ubcrl^aupt unternommen roorben mar", bie ©rudfcrlaubnife ju gemd^ren,
l^ttc inbc§ uöd^ fo t)iel dufecre ©elbftad^tung, il^r tl^cologifd^eS vidi nid^t
auf biefen Singriff fefeen ju mollen. S)a§ war inbe^ genug, um ben
SDrudfer abgufd^redfcn — unb bie ^eroffentlid^ung unterblieb. Seffing
nal^m bie $anbfd^rift mieber jurüdt nad^ SBolfenbüttel.
3SBer ber fpdteren SScrfld^erung ScfftngS glauben will, er l^abe biefen
©d^ritt nur baju getrau, um bem S^riftentl^um gu einer grünblid^en, fleg=
reid^en SScrtl^eibigung gu Dcrl^clfcn, ber tl^ue e§ auf feine SRed^nung: er
mirb gcnötl^igt fein, bem üiclocrl^crrlid^tcn SJianne allen j[enen praltifd^cn
©d^arfblidC abgufpred^en , meldten ba§ allgemeine Urtl^il aller Parteien
il^m gufprid^t — ober bem pofitipcn ßl^riftcnll^um jeneS munberlid^e StUcr^
meltäd^riftent^um gu unterfd^ieben, baS Seffing fpdtcr unter biefem Flamen
entmidfelt l^at.
@in '^ann von SefftngS ©d^arffinn unb SBclefenl^cit lonntc cS un^
moglid^ ücrlcnncn, ba| ber 2lngriff beS SRcimaruS nid^t blo^ auf ben
proteftantifd^en 35ibelglauben , bie proteftantifd^e SufpirationSlcl^rc unb
anbere Jpalbl^eitcn unb Stttl^öwier beö ^roteftantiSmuä gerid^tet mar, ba§
er oiclmcl^r bie großen, breiten, allgemeinen ©runblagen be§ ßl^riftens
tl^umä untergrub, auf mc^en alle d^riftlid^en Sclcnntniffc gemeinfam
fu^cn : bie 9Jl5glid^!eit, ©rf ennbarf eit unb S^^tfad^c einer pofitioen Offen?
barung, bie 9Sernunftgemd|l^eit eineg ®lauben§ auf gottlid^ verbürgte
Slutoritdt, itn gottlid^cn ßl^arafter be§ SBunbcrä, bie ©laubmürbigfcit
ber alttcftamentlid^en ©d^riften unb ber eoangclifd^en ©cfd^id^tc, bie 3^ugs
niffe für bie ©ott^eit (S^rifti unb für bie ©öttlid^fcit feiner SRcUgion.
200
3:ropIorigfeit bcr reinen Sf^aturrcUgion k. 93
©r tonnte unb mufetc toiffcn, ba| bie Slngriffc auf bicfc ©runbpfeilcr bc8
ßl^riftentl^umS fd^on l^unbcrtmal erneuert, l^unbertmal jurfldgef dalagen roorbcn
Tüaren, ba^ nod^ lüngft ber cnglifd^e ©eiSmuS jogar an ben St^eologen ber
Jßod^ürd^e feinen 9Jiann gefunben l^atte. SBtr rooUtn i^m nid^t jumutl^en,
bafe er bie alten, Derad^teten ©d^otaftiler l^dtte anfeilen follen, um in
il^nen eine 3Äenge ber üorgebrad^ten ©inwürfe Bereits gelöst gu ftnben;
aber bie alten Slpologeten lannte er ja, baS Sl^riftcntl^um anerlannte er
gum roenigften al8 eine großartige gefd^id^tlid^e Stl^atfad^e. @r lonnte unb
mußte miffen, baß ber beffere S^l^eil ber 9Jienfd^l^eit pd^ feit ad^tgel^n
Sal^rl^unberten um baS Sanner ®^riftt gefd^aart l^atte, mfil^renb bie
9lngriffe beS 3fieimaruS auS ben ©d^riften von 9Ädnnern l^crftammten,
bie um il^reS fittlid^en ©l^arafterS mitten bie l^erjlid^fte SSerad^tung Der?
bienten. §ielt er eine 2lnjal^l ber gemad^ten ©nmilrfe für fd^on gelöst,
atte für lösbar, fo mußte er bod^ juglcid^, baß fte ftd^ nur eingeln löfen
laffen, baß il^re Jpaufung bie ßöfung erfd^merte, baß fie, eingeln fd^mad^
unb gel^altloS, burd^ eine möglid^ft oottftänbige Sluffpeid^erung einen ©d^ein
Don SBal^rfd^einlid^Jeit geminnen unb ben ©lauben beS Ungelel^rten notl^s
menbig erfd^üttern mußten. @in 9Rann, ber fo SSiele gerettet unb ange«
griffen, mußte miffen, baß ein ©inmurf von vkx ^tikn gu grünblid^er
SSBiberlegung oft einen gangen 2luffafe erl^eifd^t, baß baS SBud^ beS Slei«
maruS alfo eine gange ^lei^e oon SSanben erforbern würbe, konnte il^m
unbelannt fein, baß ber geroöl^nlid^e 3Renfd^ lieber hirge ©inmürfe, als
langatl^mige 2lntroorten liest? baß ein ©inrourf ftd^ rafd^ löfen läßt,
menn bie SBa^rl^eit fd^on bemiefen ift, baß eS aber umgelel^rt bem gc::
roanbteften ©ialelttler fd^mer, rvtnn ntd^t unmöglid^ wirb, ein bialeltifd^
ungebilbeteS $ßubli!um auS einem gangen 3Reere von lauter Zweifeln
unb ©inmurfen ^^rauS gum Sottbefi^ ber SBal^rl^eit gu fül^ren? Unb
brandete eS enblid^ einer äußern Slutoritdt, l^atte nid^t Seibnig, berfelbe, Don
bem Sefftng fagte: „er müßte, menn eS auf i^n anfame, feine ^dk um*
fonft gefd^rieben l^aben", bie Untergrabung beS ©laubenS burd^ auf^
!ldreri|d^c B^^ifel auf^S ©trengfte üerurtl^eilt ?
„5Jlid^t ^cbermann," fd^rteb biefer gegen SBaple, „brandet fid^ in biefc
tl^eologifd^en 3)iScuffionen gu mifd^en, unb Seute, beren ©taub fid^ nid^t
mit eingel^enben gorfd^ungen t)ertrdgt, muffen fid^ mit ben Seigren beS
©laubenS begnügen, ol^ne fid^ um ©inmürfe gu bemül^en; unb fottte
etma eine fel^r ftarJe ©d^mierigleit fie bebrdngen, fo bürfen fie ben (Seift
baoon abmenben, inbem fie (Sott il^rc 9leugier gum Opfer bringen; benn
menn man einer SBal^rl^eit gemiß ift, brandet man nid^t auf bie (Sinmürfe
201
94 Stopiofigteii bcr tcinea 9^aturreUgion k.
ju l^ord^cn. Unb ia cS Diele geute gibt, beten ©lauBc fcl^r gering ift
uni ju toenig tiefe SBurjcIn Befifet, um berartigc gefdl^rlid^e ^Proben gu
befielen, fo glaube id^, barf man il^ncn nid^t barbieten, voai ein ®ift
für fic fein ßnnte; ober wenn man il^nen nid^t t)crBergen !ann, waä
fd^on gu Sffcntlid^ belannt geworben, fo mu^ man baS ©egentl^eil l|inju=
fügen, b. 1^. man mufe fud^en, itm (Sinwurf bie SSfung ^^ngugufügen,
weit entfernt, eine fold^e atö unmöglid^ ju uermerfen."
3GBenn fieffing nun ben Singriff beS Ungenannten auf baS ©l^riften^
tl^um für oiel fd^drfer unb grünblid^er l^ielt, alS alle S3ranbfd§riften ber
©nc^Ilopabiften , maS mu^te er fid^ oon einer ooKftdnbigen §erau§gabe
beä SBerleS — ol^ne Söfung irgenb einer ©d^mierigfeit — mitten unter
einem bem Unglauben juneigcnbcn spublüum oerfpred^en? SGBenn er eine
©tarfung beS d^riftlid^en ©laubenSbemuftfeinS baoon erwartete, bann
l^atte er nid^t nur feine fprid^raortlid^e aScrftanbeSfd^drfe, fonbern ben ge^
funben aJienfd^enoerftanb oerloren, 3)a8 war aber ungmcifell^aft nid^t
ber gall. ©ein aSerfud^ war alfo barauf gerid^tet, für einige SouiSb'or
einmal an bem „abfd^eulid^ften ©ebdube t)on Unftnn" tüd^tig gu rütteln.
Sftad^ SBolfenbüttel gurüdfgef el^rt , oottenbete fiefftng feine ,emilie
©alotti* unb fing bann, unter ben bereits gefd^ilberten Umftdnben, bie
,a3eitrdge' toieber an. Unter ben ©d^dfeen ber SBolfenbütterfd^en SBibliotl^e!,
roeld^c er l^erauSgab unb mit Slnmerfungen begleitete, maren aud§ groei tl^co^
logifd^er Statur, beibe SÄcliquicn SeibnigenS. 3n ber Slntmort bicfeö
großen S:]§eologen auf bie ©inmenbung beS ©ocinianerS SBiffo*
matiuS gegen baS ©el^eimnife ber allerl^eiligften dreifältige
ifcit l^atte er nid^t nor eine bebeutf ame aSertl^eibigung biefeS ©laubcnS^
gel^eimniffeS t)or fid^, fonbern gugleid^ eine mdd^tige Erinnerung an be8
großen ^l^ilofopl^en conferoatiijsd^riftlid^e SRid^tung unb ein ad^tung^
gebietenbeS 3Äufter fd^olaftifd^er SWetl^obe. @r fa)^ cS flar: SBiffomatiuS
war gefd^lagen. ^n ber ftrengen f^llogiftifd^en i^orm lourbe bem nod^
fo fd^arf gugefpi^ten ^rrtl^um ber ©tad^el gebrod^en. 9Rit ber logifd^en
3erglieberung mar bie gofung gegeben, fiefftng ftanb nid^t an, ba§ gus
gugeben unb fogar eine ©teile fieibnigenS gum fiobe ber fd^olaftifd^en gorm
feinen 35emer?ungen einguoerleiben.
„©0 fel^r aud^ l^eutgutage," ]§ei|t eS ba, „ber gemeine §aufe ber
SJleuern bie fiogil beS SlriftoteleS oerad^tet; fo mu§ man bod^ bc!ennen,
ba^ fic untrüglid^e 9ÄitteI unb SEBege geigt, ben ^nt^mtm in bergleid^en
gdHen [n)ofern bie ©inmürfe roiber bie SEBal^rl^eit eingig unb allein au3
ber aSemunft genommen ftnb unb für 3)emonftrationen ausgegeben werben]
202
Xtofllojtgfclt bet tdnen ißaturtellgton :c. 95
ju toiberftcl^ctt. S)cnn man barf nur bcn 35cmunftf(j^lufe nad^ bcn gc^
wSl^nlid^cn Siegeln unterfud^cn : fo wirb man affegeit ein 3Jiittcl finben,
gu entbcden, ob entweber in ber %oxm gefcl^lt, ober oB bie SBorberfd^c
nod^ nid^t gel^Srig enoiefen morbcn."
a^nftatt ftd^ aber biefer ©ntbedung nun gegen bie 6inn)ürfe beS
Ungenannten gu bebienen, ober rocnigftenS an bem oorliegcnben SDogma
iit §altbar!eit beS ß^^fientl^umg ernftlid^cr gu prüfen, fd^n)irrt er gema§
feiner Siebl^abcrei erft in fritifd^^MMiograpl^ifd^en Unterfud^ungcn l^erum,
ppft über bie ,;bialdtifd^en ©uBtilitaten" mit ber ©ntfd^ulbigung l^inroeg,
nid^t genug barin beroanbert gu fein, ld|t bie Äraft ber §orm aU
„Ä^nftgriffe" entfd^minben unb ftürgt ftd^ in bie ^rage, ob fieibnig wirf?
lid^ red^tgl&ubig gemefen fei. SIuS biefer grage, an ber er l^crumgroeifelt,
ol^ne bie entfd^eibenben SEI^atfad^en in SBetrad^t gu giel^en, fd^Iüpft er aat
glatt in ben mel bebeutfameren ^voti^d l^inüber, roaS eigcntlid^ ©tauben
fei unb roit fld^ ©tauben gum SBiffen oerl^atte. „@r gtaubtel SSßenn
id^ bod^ nur xoü^it, n)ag man mit biefen 38orten fagen
rooltte." @r trommelt bann fatirifd^ auf ben proteftantifd^en 2lpoto^
geten l^erum, n)eld^e bie 98al^rl^eit ber d^riftlid^en 9tetigion unumftopd^
beriefen gu l^abcn oermeinen, unb fd^Iie^t mit einer SInelbote, ol^ne weber
bie 3lcd^tglaubig!eit fieibnigenS, nod^ ben 33egriff bc8 ©taubenä , roeber bie
SBcbeutung ber fd^olaftifd^en 5^^^^ ^^ We $altbarfeit ber Xrinitdtä^
leiere au8 bem S^ü^tl l^erauSgegogen gu l^aben. S)od^ tauft baS ®e^
mengfei aller biefer ^voü^tl mel^r auf bie SBal^rfd^einlid^fcit l^inauS, ba§
eine wiffcnfd^afttid^e SBerf5l^nung oon SCßiffen unb ©tauben an fid^ un?
mögtid^ fei, ba§ bie SBal^rl^eit ber d^rifttid^en aieligion mithin nid^t be^
wicfen werben fSnne. SSJefel^atb ber geleierte SSibtiotl^elar gerabe bicfe
Stl^üre nid^t gang offen mollte, wdl^renb er fonft für äffe SBett, ©nc^^
Wopfibiften unb Seibnigianer , Reiften unb ©ocinianer, Ortl^obope unb
?lufgellärte ein 2:]^ürd^en offen täfet, ift leidet erltdrlid^, wenn man be*
ad^tet, ba§ ber tt)if[enfd^afttid^^apologetifd^e Semeiä beS ©l^riftcntl^umg mit
ber 5ßflid^t gu glauben in SSerbinbung fielet unb ber ©taube gur ^pflid^t wirb,
fobalb fubjiectix) moralifd^e ®en)i|l^eit feiner ©tid^l^altigfeit oorl^anben ift.
©inen oiel grS^cren ©d^ein oon d^rifttid^er ©tdubigleit, aber einen
oiel freieren ©tanbpunit ber 2luffaffung behauptet Scffing in bem anbem
Seitrag: „ßeibnig üon ben emigen ©trafen." 0§ne pofitioe Se?
Toeife für ba8 ©afein einer JpoKe gu geben, befprid^t er i^re 3Koglid^!eit
mit bem @rnfte eincS SBu^prebigcrS. ©r oermirft bie ©inmenbungen,
wetd^e rationaliflrenbe SEI^eotogen bagegen oorbringcn; er giel^t eine oer^
96 2:tojlIofig)Celt bct reinen S'iaturreliglon tc.
fd^ollcnc Heine ^anbfd^rift SeiBnigenä an'S Jageälid^t, worin bic t^tolo^
gifd^en ©ongruenjBeraetfc ju ©unyten craiger ©trafen um einen oermel^rt
TDerben ; er ftimmt Setbntj Bei, gel^t ben aufgeWarten Sl^eologen gu SeiBe.
63 giBt eine JpöIIe, eine eroige §ölle — aBer nur für Jene, bte nid^t
aufhören lönnen gii fünbtgen. 68 giBt aud^ roal^rfd^einlid^ ein gegfeuer,
worin bie ®uten Don ben il^nen anl^aftenbcn Unoottlommenl^eiten geläutert
werben. SlBer — unb bie| ift ein t)iel gewid^tigereä SlBer — bie BiB«
lifd^en Sefd^reiBungen biefer ©trafen ftnb nur Bilblid^ gu nel^men; §offc
unb Fimmel finb nid^t getrennte Orte, nid^t einmal getrennte 3itff5«be;
eS giBt weber eine oottftanbigc ©lüdffeligf eit , nod^ eine oittige SSer^
bammung. „SGBenn eS wal^r ift, ba§ ber Befte SJlenfd^ nod^ Diel SSöfeä
l^at, unb ber fd^limmfte nid^t o^ne alleä ®ute ift; fo muffen bie ^Jolgen
beS 235fen jenen aud^ in ben ^immel nad^gielpen, unb bie ^^Igcn beS
®nkn biefen aud^ Bis in bie ^offe Begleiten; ein iebcr mufi feine §öllc
nod^ im §immel, unb feinen ^immel nod^ in ber §offe finben. SDic
folgen beä SSöfen muffen oon ben mel^reren i^olgen beä ©uttUf unb
bie i^olgen beg ®nttn oon ben mel^reren folgen be§ Sofen nid^t Blo|
aBgegogen werben; fonbem jebe berfelBen muffen fid^ iti il^rer gangen
pofttioen (1) 5Jiatur für fid| felBft du^em. 5Jlid^tS 2lnbereä meinet bie
©d^rift felBft, wenn fie oon ©tufen ber §otte unb beS §immelS rebet."
SBdl^renb Sefftng in biefer pl^antaftifd^en SBeife feine 2:oleranglel^re
aud^ nod| in^S S^nfeitS l^inüBerfpinnt , §immel unb §5Ile burd^einanber:=
wirft unb bie gange d^riftlid^e Seigre von ben legten SDingen auf ben
Äopf ftellt unb „uergeiftigt", mad^t er gugleid^ Beftdnbig SKiene, bie alten
ortl^obo):en Sl^eologen beS Sutl^eraniämug gegen bie feid^ten SJleologen in
©d^u^ gu nehmen unb gergauät unerBittlid^ bie e}:egetifd^en unb p^ilo^
fopl^ifd^en Ginwdnbe, auf weld^e bie Sefeteren il^re freiere unb „geläuterte"
2luffaffung beä S^^f^i^^ grünbeten, ©ireft war ber Singriff auf feinen
greunb, ben aufgeltdrten ^rebiger ©Berl^arb, gerid^tet. @r fd^ien feinen
eigenen greunben Äarl Seffing, 3Renbel3f ol^n , 5yiicolai unb ©Berl^arb fo
fe^r gu ©unften ber Drtl^oboj:ie unb gum ^tad^tl^eil ber Sluffldrung ftd^ auS^
gufpred^en, ba^ fie auf^g fieBl^aftefte remonftrirten unb fid^ Befd^werten.
SDaS nötl^igte il^n, feinem SBruber (8. Slpril 1773) offen gu fagen, wie
eä il^m eigentlid^ mit feiner @§d^atologte gemeint war unb ba| er alle
2;]^eologie oerwünfd^e, um freieä gelb für bie ^l^ilofopl^ie gu l^aBen.
„SBenn §err (SBerl^arb mid^ nid^t Bcffer oerfte^t, aß bu mid^ gu x)er=
ftel^en fd^einft, fo ^cit er mid^ fel^r fd^led^t oerftanben. ©o l^aBe id^ wirf=
lid^, meinft bu, mit meinen ©ebanten üBer bie ewigen ©trafen ben
204
S:rojiIo|i9fcit bev reinen 9^aturreliglon :c. \ \ 97
£)xiS)o\>oj:tn bic 6our mad^cn raolfen? SDu meinft, i(i^ l^aBe eä m^t Bc*
bad^t, ba§ aud^ fic bamtt n)cber jufrieben fein tonnten, nod^ werben?
2öag gelten mid^ bic Ort]§obo);cn an? ^ä) uerad^le f ie cBcn
fo fel^r, al§ bu, nur uerad^te td^ unferc neumobifd^en ©eift
lid^en nod^ mcl^r, bie Sll^eologen t)iel gu roenig unb ^§iIos
fopl^en lange nid^t genug finb. 3^ ^^^ ^^^ fold^en fd^alcn
topfen aud§ [el^r üBerjeugt, bafe, racnn man fie auflomnten
Ia§t, fie mit ber ^tii me^t ttjrannifiren merben, alS bic
Ortl^oboTcn jemals getl^an l^aficn."
©aumgartneT, Scfftng. onr, 14
205
96
11. ^a$ it^xifientf^nm in bie ^^xan&m ^efotbert.
SBie ?ticolat Bcrid^tct , roar Scffing nid^t leidet von einer einmal ge^
faxten ^itt aBjubringen, SÖBtberfprud^ fd^drfte nnr feinen ©tarrfinn. ®o
ift eä leidet Begreiflid^, ba| baä il^m ju Serlin Derroeigerte Imprimatur
nur feine Segierbe meierte, ba§ 2Ber! beg Sieimaruä, allen Slutoritdten
jum Srofe, bod^ l^erauäjugeben. Sine paffenbe ^oxm war in ben 35eis
tragen felbft gegeben. 3)iefe Beftanben auä alten 3Äanufcripten , aSrud^-
ftüdfen, Jftotijen, bte er jum erften Wlal ober oerbeffert l^erauSgab unb
gu benen er feine geleierten Sianbgloffen mad^te. SDer 5CiteI war ganj
allgemein: ,33eitrdge jur ©efd^id^te unb Siteratur', unb burd^ bie er=
wdl^nten Sluffd^e war baS ^ublifum fd^on gerool^nt, aud^ tl^eologifd^e
ßontrooerfen in ben SRal^men begfelben gebogen ju feigen. @g beburfte
alfo nur einer fleinen iJütion, weld^e, obmo^I unroal^r, bie ©ad^e in ba§
fpannenbe §eHbunIel beg ©el^eimniffeg einl^üITte, ber giftion ndmlid^, ba§
er ia^ 3)ianufcript in ben ©d^dfeen ber gro^l^ergoglid^en SSibüotl^el auf=
geftöbert l^abe unb e§ nun ftüdfroeife aK Suriofitdt üeröffentlid^en rooHe,
bann !onnte bag i^ermeintlid^e ^üefengefd^üfe, aud^ ol^ne poligeilid^eä Vidi
ober Imprimatur, anfangen ju fpielen. Ob er biefen Äniff für eine
Reservatio mentalis ober einen §umbug, für ein mendacium officio-
sum ober eine bid^terifd^e greil^eit anfa)^, roiffen n)ir nid^t. ©enug , wenn
er einen 5Rabißon ober fonft einen fatJ^oIifd^en Äritifer über bergleid^en
ertappt l^dtte, würbe er ganj fidler ein ^tkvmox\>xOQt\^xd barüber er^
l^oben l^aben; wdl^renb er fid^ felbft nid^tg barauä mad^te, ha^ ^^iligfte
©rbgut ber 3)ienf d^^eit , bie d^riftlid^e S'leügion, burd^ einen fo elenben
Äomöbienftreid^ in bem §erjen oon S^aufenben ju befdmpfen.
2tlg unmittelbarer ©ignalfd^ufe raurbe nod^ ein l^iftorifd^er Beitrag
oorauägefd^idft , um bie ©emütl^er für ben Ungenannten jum aSoraug ju
geroinnen. @g roav ein 33rief beS 9lenegaten 2lbam 9^eufer, rceld^er, einft
5ßrebiger in Jpeibelberg, erft 2lntitrinitarier unb bann gegen @nbe beS 16. Sa^t-
l^unbertS ju Sonftantinopel SOtul^ammebaner rourbe. Slud^ biefeS ©lenben
glaubte fid^ Seffing , bei feiner 3Sorliebe für alle Äefeer unb $eterobo):en,
806
SDa§ ei^riflcntl^unt in bic ©d^ranfen geforbcrt. 99
9iencgaten unb Slpoftatcn, annel^men ju muffen, ©r Benu^tc bie ©e^
Icgenl^eit , bie ^i^toleranj ber ©l^riften überl^aupt ju ,, jüd^ttgen" , ßeibnij
einen f leinen §ieb ju geben, bem ^lam ein wenig ba§ SBort gu reben,
bie „religiöfen aSorurtl^eile" abjufd^leifen unb ben ©lauben an bie ®ötts
Iid^!eit beg gl^riftentl^umS praftifd^ ju untergraben. 2öer fid^ einmal ba=
mit vertraut gemad^t, in einem ^Renegaten nid^t mel^r einen fd^ulbbelabenen,
^ntel^rten SSfuämürfling be§ d^rifttid^en ©emeinmefenä , fonbern einen un=
glüdftid^en SSerfoIgten, ein Opfer be§ „ßl^riftentl^umg" ju feigen, ber fonntc
ftd^ aud^ bie SQBeiS^eit beg Ungenannten gefallen laffen, ja er mu^te von
iDornel^erein mit bramatifd^em ^Jlitgefül^l einem Älagelieb ber Seiften über
itngered^te SSerfolgung unb il^rem 9iuf nad^ öffentlid^er ©ulbung ent^.
gegenl^ord^en.
älnlnüpfenb an 3Ibam SJleufer Iie§ ßeffing 1774 ba§ erfte ^^rag::
inent „t)on SDulbung ber ©elften" erfd^einen. 35ie ©efd^id^te 5Jlcu=
fer§ l^at i^n an bie ,,7^ragmente eineS fel^r merfraürbigen SCßerleö unter
ben allerneueften ^anbfd^riften unferer Sibliotl^e! unb Befonberä an eineg
t>erfelben erinnert" (!); er mei^ nid^t, ob e§ einem ganjen SBerfe
angel^ort, roetd^eS ber Site!, meld^eg ber SSerfaffer ift, wie eö in bie
23ibIiotl^ef ge!ommen, oB bie Fragmente überl^aupt ju einem SÖBerf ge-
Igoren ; er conjecturirt nun über ben SSerfaff er l^erum unb f ud^t bem Sefer
ben blauen S)unft Dorjumad^en , e§ fei ©d^mib, ber lleberfefeer ber
SCBertl^eimer 33ibel.
Sluf biefe „raiffenfd^aftlid^e" Anleitung folgt ba§ g^ragment, nid^tS
it)eniger aU ein logifd^ georbneter, biale!tifd^ g^fctfeter, roiffenfd^aftlid^er
2r"ff<Jfe/ fonbern eine r^etorifd^ biSponirte unb ebenfo rl^etorijd^ aug-
gefül^rte SSranbfd^rift, raeld^e, auSgel^enb üon unbemiefenen SSorauSfe^ungen,
ben d^riftlid^en ©lauben burd^ ^mifd^e ©ntftellungen l^erunterfefet , eine
glutl^ alter, Idngft beantworteter @inn)ürfe neu aufmdrmt, alle Slnt^
Ttjorten bagegen ignorirt, unb aB Stnroalt ber beleibigten Vernunft Zo^
leranj für ben Unglauben forbert. 3Jleint Seffing, ber aSerfaffer fei
„ein Toal^rer, gefegter ©eutfd^er, in feiner ©d^reibart itnb in feinen ®e=
finnungen", fo tft l^ieoon fo üiel anjuerfennen, ba^ berfelbe ein IrdftigeS
35eutfd^ fd^reibt, ftd^ leid^tfü^iger ©pöttereien im ©tile SSoltaire'ä entl^dlt,
mit fd^merer patriftifd^er , l^iftorifd^er unb e^egetifd^er ©elal^rtl^eit bepadft
einiger jie^t unb in bem %on eineä ernften 3Jianne§ rebet , ber fid^ feiner
perfönlid^en Unfel^lbarfeit roiffenfd^aftlid^ bemüht unb feft entfd^loffen tft,
ftd^ deiner Slutoritdt im §immel unb auf (grben 3U unterwerfen. Objec:^
tiü ift natürlid^ ber beutfd^e Unglaube ebenfo l^ol^l unb fd^al, wie ber
207
/
100 ^^^ (Sl^rijicntl^um in btc ©d^tanfcn gcforbcrt.
Jrangofifd^c ber encgltopdbiften, ja in[ofcrn nod^ Diel roibriger, unel^rltd^er
unb fd^alcr, alä er nid^t gerabe unb offen ber „infamen" b. 1^. ber gc^:
offenbarten SÄeltgion be^ ©otteäfol^neg ben ,R^rieg erfldrt, fonbem, in ben
geftol^lcnen ßl^riftennamen unb ^^nbert d^riftlid^e SÄeminiäcengen ein=
geroitfeft, im SJlamen beg t)on ben ^rieftern erwürgten JoleranjprebigerS^
t)on 3laiaxet^, um Ho^e SDulbung Bettelt. „(S§ ift raal^r/' fagt ber
ungenannte ©timmfül^rer ber beutfd^en S)eiften, „wir glauBen baä nid^t^
waä baö l^eutige ßl^riftentl^um ju glauben verlangt, unb fonnen eä auS
roid^tigen Urfad^en nid^t glauben; bennod^ finb wir Jeine rud^lofen Seutc^.
fonbern bemul^en unS, ©Ott nad| einer oernünftigen (Srlenntni^ bemütl^igft
(sie) JU oerel^ren, unfern 5Jläd^ften aufrid^tig unb tptig ju lieben, bie
^flid^ten eine§ red^tfd^affenen 33ürger§ rcblid^ ju erfüllen unb in allen
©tüdfen tugenbl^aft ju roanbeln." 3a, nad^ feiner roillfürlid^en SSorauä^^
fc^ung waren biefe red^tfd^affenen ^Bürger als bie einzigen wal^ren 2ln^
pnger dl^rifti ju betrad^ten. 5)enn „bie reine Seigre ßl^rifti, wetd^e an^
feinem eigenen SDlunbe ^efloffen ift, fofem biefelbe nid^t befonberS in baä'
Subentl^um einf dalagt, fonbem allgemein werben lann, entl^dlt nid^tä afö
eine oemünftige, praftifd^e Sieligion. ^olglid^ würbe ein Jeber oemünftigc
aJienfd^, rotnn e§ eine ^tntxmvLn^ ber 3fieligion brandete, fid^ oon §erjen
d^riftlidCj nennen." *
3öie biefe Jluffaffung beö Sl^riftentl^umä, fo fallen aud^ bie übrigen
gefd^id^tlid^en Slnfid^ten beg Ungenannten ber ^auptfad^e nad^ mit ben^
jenigen gufammen, weld^e ßeffing fd^on in feinen Sitflcni^Ö^i^^"^^^ ö^er
bie §errnl^uter jured^tgelegt l^atte. 3)ie urfprünglid^e Sfteligion ber
3Renfd§en war eine ungel^euer einfädle SSernunft? ober 5ftaturreligion.
Sei ber 3Jie]^rja]^l ber 3Renfd^en oon pofitioen 3^^5<^tß^ überwud^ert,.
lebte fie in nur wenigen (£beln unb SSBeifen fort, warb oon bem 3Äenfd^en
ßl^riftuS etwas ju ©l^ren gebrad^t, fd^on oon ben Slpofteln wieber mit
$yiebenbingen überlruftet, in ber fatl^olifd^en ^ird^e in Slberglauben er^
trdnft, oon ben Sleformatoren l^albwegä gerettet, oon ben proteftantifd^en
J:]^eologen au§ 3^^*^I^^^nj aber jurüdfgebrdngt unb aHüberall oerfel^mt
unb gedd^tet. SDiefe Unbulbfamfeit be§ pofitioen ©l^riftentl^umä finbet
ber Ungenannte in beffen aSernunftwibrigfeit begrünbet. 2111er SlutoritdtSs
1 $)icfc 2lnfd^auung§n)eifc aboptirte 2c[fmg öottjtdnbig in bem gragment ,,® i t
Sf^diglon ßl^rifti", worin er bie «Äeligion dl^riiti (b. 1^. bie gf^aturretigion beS
!0ienfd^en (Sl^xijli) oon ber d^tiflUd^en D^tcligion (bie il^n als ©Ott anbetet) unters
td^eibet, jene al§ Hat in ber Sibel t)erbür9t , biefe titä oielbeutig «nb ungewiß l^in*^
^cttt. SDie ©ottl^eit ßl^rijii iji il^m ein «Probrcm!
208
$)a3 ßl^tificntl^um in bic ©d^tanfcn gcforbert. 101
glaube ift ücrnunftTüibrig, 6Itnb, bcS 3Äcnf(J^ett utttüürbig. SBetI er nun
bod^ aber einmal bie 9Jlenfd^en bel^errfd^en will, fo bleibt feinen Sln^ngem
nid^tS übrig, afö ben 3Jienfd^en t)on 3ugenb auf in 3Sorurtl^eiten gro^
ju giel^en, bie crroad^enbe SSernunft gcwaltfam gu unterbrüden, unb falls
^emanb gum 93olIbcfi^ ber Vernunft tommt, b. 1^. üom gl^riftcntl^um
abfallt, il^n in jeber SBeife gu Derfolgcn. ®o ift affeS pofitioe ©J^riften^
tl^um im ©runbe nur ein boSl^afteä ©pftem gur Unterbrütfung ber S5er=
nunft unb il^rer reinen SSefenner. 35iefe forbern nun mel^r ^^rcil^eit unb
35ulbung — geftü^t auf il^re Gigenfd^aft alä üernünftigc (Sl^riften, auf
bie pl^antaftifd^ ausgemalte SDulbung , roeld^e bie ^rofel^ten beS Il^orä
(lauter 35crnunftd^riften naturlid^) im alten Seftament gefunben "^aitn
follen, auf bie angeblid^e Stolerang ©l^rifti unb ber Slpoftel, auf ben SSor^
n)anb, ba^ ber ©laube nid^t in beS 2)?enfd|en ©eroalt ftel^e, geftü^t enb=
lid^ auf bie innere Unmöglid^feit unb aSemunftroibrigfeit allen ©laubenS.
©en ©inbrud ^ ben eine fold^e greil^eitSprebigt auf feine religiös
gerfal^renen ©laubenSbrüber mad^en mu|te, l^at Seffing in feinen Sftanb^
bemerlungen unb ©loffen el^er oerfd^arft, als abgefd^road^t. @r bcgroeifclt,
ba| man bie Sßrofelpten beS %f)Ox^ mit ben S)eiften ber ©egenroart auf
eint Sitti^ [teilen fönne, unb roünfd^t l^iefür erft einen S^ad^roeiS; roiber=
legt aber fonft in feinem ißunfte ben Ungenannten, ©agegen l^dlt er
für SJleufer unb ben Äoran nod^malS eine flcine Slpologie, begeugt feine
^reube über bic gunel^menbe lolerang unb ^re^frcil^cit unb fd^lic^t mit
einem SluSfaH gegen bie neumobifd^en Sl^eologen, t)on beren „Dernünf?
tigem Gl^riftentl^um" er eine l^drtere Sprannei gu fürd^ten fd^eint, als oon
ber alten „Ortl^obojrie". 7,®d^abe nur," fagt er t)on biefem ßl^riftentl^um,
„bafe man fo eigentlid^ nid^t roci^, roebcr roo il^m bie Sßernunft, nod^
roo i^m baS S^riftcntl^um ftfet."
SDa bie neumobifd^e 5:i^eologie bei ben Sluffldrern beS SiageS, na-
mentltd^ bei Syiicolai, in Diel befferem ©erud^c ftanb als baS alte Sutl^er*
tl^um, fo fonnten fid^ biefe, barunter aud^ ber Srubcr SefpngS, in biefe
tefetere 3Benbung ber ©ad^e abermal nid^t ftnben, unb er roar genötl^igt,
fein öffentlid^eS ©laubenSbef enntnife , baS eigentlid^ nid^t t)iel fagte unb
il^m ben SBcg nad^ allen SBeltgegenben offen lie^, burd^ ein ©arbinem
geftänbni^ gu ergangen.
„SSicUeid^t wirft bu aud^ biefe ©cpnnung ein wenig mifantl^ropifd^ fln^
ben/' fd^reibt er an feinen ®ruber am 2. gebruar 1774, „weld^eS bu mid^ in
Slnfel^ung ber Sieligion gu fein im SSerba^t l^afi. Ol^ne nun aber gu unters
fud^en, wie üicl ober wie wenig id^ mit meinen Slebcnmenfd^en gufrieben gu
209
102 ^öS ei^tiflentl^iim in bic ©d^ranfcn gcforbcrt.
fein Urfad^c f)aU , mu§ id^ bir bod^ fagen , bag bu bir l^ierin wal^rlid^ eine
ganj falfd^e ^htt »on mir mad^jl, unb mein ganjeS betragen in 3lnfel^ung
ber Ortl^obo^ie fel^r unrcd^t Dcrflcl^fi. 3d^ fotttc c§ ber SCBelt mißgönnen, bo§
man fie mel^r aufjuHören fud^e? 3id^ foHte c§ nid§t von §erjen münfd^cn,
ba§ ein jebcr üBer bie SReligion vernünftig benfen m5ge? 3fd^ würbe mtd^
DeroBfd^euen, menn id^ felbft bei meinen ©ubeteien einen anbern ^mtd l^ätte,
ttls jene großen ^Ibp^ten Beförbem gu l^elfen. Sag mir aber bod^ nur meine
eigene Slrt, mic ic^ bicfeS tl^un ju fönnen glauBe. Unb moS ift pmpler al§
biefe 9lrt ? SJlid^t ba3 unreine SSJoffcr, metd^cS langft nid^t mel^r ju Braud^cn^
min id^ BeiBel^ttfien miffen: id^ miß e§ nur nid^t el^er meggcgoffen mijfen, alö
Bis man meiß, mol^er reineres nel^men; id^ will nur nid^t, baß man eö ol^ne
Sebenlen weggieße unb foKte man aud^ baS ^inb l^emad^ in äRifljiaud^e Baben»
Unb toa^ ifl fie anberS, unfere neumobifd^e Sl^cologie , gegen bie Ortl^obojrie^
als äJliftjaud^e gegen unreines SBaffer? — ÜJltt ber Ortl^obofie war man^
©Ott fei S)anf, jiemlid^ ju SRanbe; man l^atte gwifd^en il^r unb ber ^l^itos
fopl^ie eine ©d^eibewanb gebogen, l^inter weld^er eine^ iebe il^ren 3Bcg fortgcl^cn
fonnte, ol^ne bic anbere ju l^inbern. 3lBer was tl^ut man nun? 'SRan reißt
biefe ©d^eibewanb nieber, unb mad^t unS unter bem SSorwanbe, unS gu oer?
nflnftigen ©l^riften gu mad^en, ju l^öd^fi unoernünftigcn ^l^ilofopl^en. 3jd^
Bitte bid^, lieBer Sruber , erlunbige bid^ bod^ nur nad^ bicfcm $un!t genauer,
unb fxel^e etwas weniger auf baS, waS unfere neueren Jl^eologen »erwerfcn,
als auf baS; waS fie bafür an bie ©tette fc^en wollen. . 5Darin finb wir
einig, baß unfcr alteS SReligionSfgfiem falfd^ ifi, aber baS möd^te i^ nid^t
mit bir fagen, baß eS ein glidtwer! t)on ©tümpern unb $alBpl^ilofopl^en fei»
3id^ weiß fein 2)ing in ber 335elt, an weld^em fi^ ber mcnfd^lid^e ©d^arffinn
mel^r gegeigt unb geüBt l^ätte als an il^m.. glidfwerl oon ©tümpern unb
^alBpl^ilofopl^en ift baS SReligionSftjftem , weld^cS man [ti^i an bie ©teile bcS
alten fe^en will; unb mit weit mel^r Einfluß auf Vernunft unb
^l^ilofopl^ie, als pd^ baS alte anmaßt. Unb bod^ t)erben!(t bu eS mir,
baß id^ biefeS alte oertl^eibige. SReineS SJiad^BarS JpauS brol^et il^m ben (Sin?
fturj. aSenn eS mein SRad^Bar aBtragen wiH, fo wiH id^ il^m reblid^ l^elfen.
2lBer er wiU eS nid^t aBtragen, fonbern er mü cS, mit ganglid^em 9iuin
meines ^aufcS, fluten unb unterBauen. S)aS foll er BleiBen laffen, ober id^
werbe mid^ feines einftürgenbcn §aufeS fo annel^men, als meines eigenen.''
S)iefc SBorte fd^ilbern genauer, als irgenb eine anbere ©teile, ben
religiöfen ©tanbpunft, auf meld^em fid^ Seffing bei Verausgabe beS erften
iJragmentS befanb. 35ie lutl^erif d^e Ortl^obo):ie mar il^m „unreines SGßaffer",
bie neuere proteftantifd^e Sl^eologie bagegen „3Ki[tj[aud^e", jene ein mor?
fd^eä, baufälliges §auS, baS notl^menbig abgetragen merben mn^f biefe
ein aSerfud^, bie unl^eilbare SRuine auf Soften ber menfd^lid^en aSernunft
gu ftüfeen. aOBo baS reine ®affer hergenommen werben foHe, weiß Seffing
nod| nid^t ; aber in bem anberen aSergleid^ l^at er f d^on eine fidlere 2Bol^=
nung gefunben, in meld^er er ber alten [Ruine, beS red^tgldubigen ßutl^er^
210
2)a§ (Sl^tiflcntl^uin in blc ©c^ranfen geforbett. 103
tf)um^, offenbar üofficj entvat^m lann. 9lur will er fic langfam ah
getragen unb niä)t jum Slad^tl^etl feineä ^aufeä aufgebeffert njiffen. Unb
weld^eg ift biefeS Jpauä? (gr fagt eg felbft: »etnunft unb ^pi^itofop^ic.
Unb baä ift eS gerabe, voa^ er von ber neumobifd^en 2:i^eologic befürd^tet,
ba^ fie, ber ^^l^ilofopl^ie ftd^ bemad^ttgenb, bicfelbc unter il^rc autoritative
§errf(|aft ju bringen fud^e. SBleibt nur bie 33ernunft frei, bann mag
man ia^ unreine SBaffer einftmeilen gebulbig betaffen, bis fid^ reineS
finbet — ober aud§ feinet.
^kf)t man biefe 2teu^erungen mit in 3fied^nung, fo fann aud^, ab^
gefeiten oon anberen Umftdnben, !aum ein S^ti^d barüber fein, in rotU
d^em ©innc er baS erfte g^agment l^erauägab. (5r moßte bie aSernunft
oom ßl^riftentl^um „befreien", nur nid^t ftürmifd^swilb, fonbern langfam:?
bebdd^tig, nid^t burd^ plö^lid^en Umfturg, fonbern burd§ fd^rittmeife Stuf?
Ildrung ber ^ittn, nid^t burd^ eine aufgefidrte Sl^eologie auä ben ©tuben
ber ^rebiger, fonbern burd^ felbftänbige ^orfd^ung ber fiaien. 2luf biefe
„grünblid^e" 2lbrdumung aßer Zf)toloQ\t, aller religiSfen SCutoritdt unb
aUeä pofitioen S)ogma§ ift ja gerabe bie ©d^u^fd^rift beä SieimaruS
gcrid^tet.
2Bie tief neben ber »ernünftigfeit aud§ bie fittlid^e SBürbe be8 6§ri.
ftentl^umä in fieffingS Singen gefunden roax, barauf beutet eine ofterS be^
fprod^ene Sleufeerung über ©otl^e'ö SEBertl^er in einem ißrief an ©fd^en^
bürg (26. October 1774), morin er bie moralifd^en ©d^attenfeiten in
SBertl^erS ßl^arafter ber „d^riftüd^en (Srgiel^ung" jur Saft legt, ©in bcr^
artiger fiiebeSfd^mdrmer, meint er, mdre bei ben alten SRömern unb ®rie=
d|en nid^t moglid^ gemefen unb einen fold^en Siebeäma^nfinn mürbe man
faum einem 3Jldbeld^en oerjiel^en l^aben. „©old^e flein=gro§e, t)erdd^tlid^=
fd^dfebare Originale l^eroorgubringen , mar nur ber d^riftlid^en (Sr?
giel^ung oorbel^alten, bie ein lörperlid^eS ©ebürfniß(!) fo fd^ön in eine
geiftige aSoBfifommenl^eit ju oermanbeln mei^. Sllfo, lieber ©otl^e, nod^ ein
^apiteld^en gum ©d^lu§, unb je cpnifd^er, befto beffer."
aSefannt genug, ba§ @otl^e biefem SBunfd^ jmar nid^t im Söertl^er,
aber bod^ in anbern SCBerfcn nad^gefommen ift unb ber d^riftlid^en ©r^
jiel^ung burd^ ed^t antife Sluffaffungen ber Siebe nad^gel^olfen ^at Söe::
niger belannt ift, bafe baS 2luftaud^en beS jungen ©ötl^e unb feine erften
literarifd^en Erfolge Sefftng ein jiemlid^eg Unbel^agen unb eine fid^tlid^e
Unruhe bereiteten, ©r fürdjtete neue Unorbnungen für bie beutfd^e SSül^ne,
ate beren Oberbramaturgen er fld^ gemifferma^en fül^lte. „©d^merlid^,"
fd^reibt er feinem aSruber, „merbe i^ bir auf baä oiel ju antmorten
211
104 ^ö3 ßl^tlficntl^um in bic ©d^ronfcu getorbett.
l^abcn, waä bu mir von geleierten ober tJ^catraüfd^cn SJorurtl^eilen ^e^
fd^rieBcn. 3^ ^i^ meiftentl^tö beiner 9Reimtng. SDie lefeteren l^abcn
Idngfi anfflel^ort mid^ ju interefflren unb nid^t feiten gereitj^en ftc mir
gum dufeerften (StA, Siedet gut; fonft liefe id^ roirftid^ ©efal^r, über baS
tJ^eatralifd^e Unroefen (benn roal^rlid^ fängt eä nun an in biefeä auSju^
arten) ärgcrlid^ ju werben unb mit @bf^m, trofe feinem Oenie, worauf
er pod^t, angubinben. 2l6er bat)or bewal^re mid^ \a ber §immel! Sieber
wollte id^ mir mit ben Sil^eologen eine Heine Äomobie mad^en, wenn id^
^omobie Brandete" (11. SJlopember 1774).
©leid^jeitig bietet er bem SSud^l^dnbler aSo| ein gweiteS gragment
an^ bem StcimaruS^fdpen SSBerle an, um ben §o!uöpofuS in ber ©ad^e
nod^ gu oermel^ren. 6S foHte ben 2:itel ful^ren: „(Sine uod^ freiere Un^s
tcrfud^ung bc8 Sanonä alten unb neuen Sieftamentä." 35iefe3 „nod^
freiere" war gegen bie „freie Unterfud^ung" be§ Stl^eologen ©emier ge^
rid^tet. ©od^ bie Beabpd^tigte Sßeröffentlid^ung unterblieb, ©ie tl^cologifd^c
SBelt fd^wieg ftille ju bem erftcn gragment. ©rft jwei SS^^I^re fpdter
Begann Sefftng bie „Äomobie mit ben %^toloQtn^\ bie er im ©inne l^atte,
in ©cene ju fefeen. GS foHte tin Suftfpiel werben ; aber ein l^ol^erer
Sftegiffeur mifd^te gar emfte Sluftrltte bajwifd^en.
X
212
IS. ^«t iiotttobte mit bett f ^epCogett ttfin %f^<\t.
^ie ^tagmenU.
5)ie folgcrtbcn jtüct Saläre Brad^tcn in btc tl^cologifd^en ©tubicn unb
bal^er aud^ in bte rctigiofe ©ntoidlung ficffingä eine Heine ©torfung.
SlnfangS gebruar retSte er über Seipjig nad^ S3erlin nni üerweitte bort
jroci SBod^en im Äreife feiner ^reunbe. ©unftige Sluäftd^ten, roeld^e il^m
ber bortige tai\txli^t ©efanbte t)an ©roieten eröffnete, wranlafeten il^n,
iit Äaiferftabt Söien ju befud^en , n)0 feine grennbin unb SSraut , 'üÄa^
bante Äönig, nteiftenä lebte unb rool^in er unter ber §anb fd^on mel^r::
mala @inlabungen unb Slu^fid^t auf einen geleierten ober literarifd^en
Soften erl^alten l^atte. ©od^ aud^ bie^al würbe bie beabfid^tigteUebers
ftebelung nad^ SCBien vereitelt. 5Der @rbprinj fieopolb üon SBraunfd^roeig,
ber Stauen bereifen rooHte, war ungefdl^r um bicfelbe 3^it itt SBien mu
getroffen unb evbat fid^ Seffing Don feinem aSater jum Segleiter, Ob=
Tool^l nun Seffing tbm beabfid^tigte, feine §od|jeit mit grau Äönig ju
feiern unb äße SSorbereitungen l^iegu getroffen waren, willigte er ein unb
begleitete ben ^rinjen, nad^ einer perfönlid^en 2lubienj bei aJiaria J^l^es
tefia, auf bie Steife. Sic t)erliefeen SBBien SKnfangS 9Kai unb feierten
gegen (5nbe 3)ecember roieber bal^in gurüdf. 3)ie ^auptpunfte il^rer Sftoute
waren SBenebig, 3Kailanb, Bologna, gloreng, gioorno, SBaftia (Sorfifa),
®enua, 2:urin, Slleffanbria, SHobena, ^arma, 8lom, 9ieapel. 3n ^om
trafen fie am 22. ©eptembcr, in SReapel am 17. October tin, von bort
würbe ber 5ßrinj plofelid^ nad^ ©eutld^lanb jurüdfberufen.
»ei ^iu§ VI. fanben ber ^ßrinj unb Seffing bie liebeoottfte 2(uf=
nal^me. (Sx felbft l^at barüber nid^tä l^interlaff en ; bod^ entbel^rt bie fol=
genbe, tjon einem Ungenannten mitgetl^eilte Slnelbote nid^t ber SBaJ^rfd^ein^
lid^feit. „Slß ber spring Seopolb bem ^apftc Dorgeftelft warb, geigte ber
alte, ftodtblinbe ©arbinal Sllbani ©r. ^eiligfeit an, ba^ fid^ ber gelehrte
aSibliot^elar Seffing als ^Begleiter beg ^ringen im ©orgimmer befdnbe.
S)em l^ol^en anwefenben ^roteftanten unb beffen ©uite war bereite ba§
iJü^elüffen ©r. §eiligfeit erlaffen worben. Seffing würbe J^ereingcfül^rt,
213
106 ^ci* Äotttöbte mit ben 3:]^co(o9cn ctficr Zi)t\l :c.
näherte \xä) bem ^I. Sater in ber bemütl^igftcn Stellung, beugte fid^ vov
x^rti beooteft nieber unb roar roirflid^ im 23egriff, bte iJü^e beSfelben gu
füffen, alä biefer fte Idd^elnb gurücfjog unb baburd^ ber ©cene ein @nbe
mad^te. Seffing äußerte fid^ fpdtcr Ü6cv biefen 3Sorf all gegen [eine iJreunbe :
er fei wirHid^ burd^ ben feierlid^en 2ln6lidt beä alten raürbigen SRanneg,
ber mel^r al§ irgenb ein 3Jionard^ ber @rbe über jal^lreid^e 3Jlenfd^ens
feelen l^errfd^e — ungcrool^nlid^ überrafd^t roorben." * 3Son garbinal
®raSd^i, bem Steffen beä ^apfteä, erl^ielt ßefftng ein foftbareä antuet
2Jiebaiffon gum @e[d^enf. SDie päpftlid^e ^iegierung galt il^m, nad^ einer
3lotxi feinet 33ruberS, für fanfter al§ alle übrigen in (Suropa, unb in
feinem lagebud^c war er fogar fo boäl^aft, fie ber il^m unerquidflid^en
©olbatenroirtl^fd^aft in ^reu^en gegenüberjufteCen. S)ag fatl^olifd^e Italien
fd^eint überl^aupt burd^auä feinen ungünftigen ©inbrudf auf il^n gemad^t
gu l^aben. ®ie ^ürje, ©d^nelligfeit unb SSornel^ml^eit ber SReife erlaubten
i^m iebod^ roeber bie claffifd^en (Sd^d^c be§ fianbeö, nod^ fein fird&lid^eg,
politifd^eä unb ißolfäleben genauer ju ftubiren. ^a, ber 3^^^9 ^^^
©tifette, feine Slbneigung gegen ba§ l^ol^e „@efd^mei§", bie unbel^aglid&c
@ile feinet rcifenben ^ringen unb bie burd^freugte unb t)erfd^obene ^ei^
ratl^ verbitterten il^m fogar baä dftl^etifd^e unb fonftige 3Sergnügen, ba§
er fid^ t)on bem Sanbe feiner fünftlerifd^en ©el^nfud^t üerfprod^en l^atte.
3lnfangg ?D?drg 1776 war er roieber in SfSolfenbüttel. 3n fonber^r
barem ©egenfafe gu ber fürftlid^en 9leife unb im 33efud^en bei ben l^od^ften
Potentaten unb 2Riniftern, ^iu§ VI., aJlaria J^erefia, Janucci, ift in
ben erften ^rioatbriefen fd^on lieber von Sorgen unb ©d^ulben bie
SRebe. Obrao^l bie lefeteren fi^ nid^t auf 1000 Xl^aler beliefen, füllte
er fid^ bod^ gebrüdft unb ging mit itm ^lane um, fein „t)ern)ünfd^teö"
®d^lo§ mit irgenb einer Slnftellung in Serlin, 5Dre§ben ober 3SBien gu
Dertaufd^en» grau ^önig, bie übergeugt war, ba§ er fid^ an einem jeben
biefer §öfe nod^ unglüdElid^er füllten würbe, l^ielt il^n inbe§ ai\ er blieb
23ibliot§efar, erl^ielt im ©ommer nad^ langem brüdfenben §arren enblid^
eine 2lufbefferung feineg ©el^altö, ©elboorfd^üffc unb ben §ofratptitel,
auf ben er übrigen^ raenig SBertl^ legte. „5)a§ id^ il^n nid^t gefud^t,
finb Sie wol^l von mir übergeugt; ba§ id^ eä fel^r beutfd^ l^erauögefagt,
wie wenig id^ mir barauS mad^c, fönnen Sie mir aud^ glauben. 2lber
id^ mn^tt enblid^ beforgen, ben 2llten (ndmlid^ ben ^ergog) gu beleibigen'^
* S«it««Ö für blc elegante SSelt 1805. 9^r. 117. „ßeffing in «Rom" Bei ^anitl,
II. ®. 276.
214
5Dcr jtomobic mit ben X^cologcn ctfict ^§ci( 2c. 107
(23. ^uni 1776). ^m §erbft rid^tcte er [id^ fein eigene^ §au§ neben
bev 33i6Hot]^e! ein, traf bie nötl^igen 2lnftalten jum ©mpfang feiner grau,
unb feierte, 47 ^al^rc alt, am 8. Octofier, ol^ne nad^ l^ergeBrad^ter ©itte ben
©egen feiner greifen 9Jlutter einjul^olcn, im SScifein weniger greunbe ganj
im ©tiKen feine §oc^jeit auf bem 3)orf in §am6urg. ©o feltfam in
einjelnen 3Ö9^^ i^ic ^od^jeit war, fo gtüdftid^ war bie ©l^e. S)ie ^r)^
pod^onbrie oerfd^roanb, Seffing lebte üöKig neu auf, fo ba| fein greunb
3Jienbetefo]^n il^m ein S^i^r fpdter fd^reiben fonnte (1. 5Jiot)ember 1777):
„©ie fd^einen mir jcfet in einer ruhigeren, jufriebeneren Sage gu fein, bie
mit meiner S)enfungäart unenbtid^ bcffer l^armonirt, atö jene geiftreid^e,
aber etroaö bittere Saune, bie id^ an ^^ntn vov einigen 3<J^^^^ bemerlt
gu l^aben glaubte. 3^ ^^^ ^^^^ ft^^rf S^nug, baä 9lufbraufen biefer
Saune nieberjufd^Iagen , aber id^ l^abe e§ l^erjlid^ gewünfd^t, bafe e§ 3^'^
unb Umftdnbe unb ^^xe eigene SScrnunft tl^un möd^ten. 3)lid^ bünft,
unb 2lCe§, maS id§ von ^l^nen l^ore unb fel^e, beftdtigt mid§ in biefem
angenel^men ©ünfcn, mid^ bünft, mein SSBunfd^ fei nunmel^r erfütft. 3^
mu§ ©ie in biefer beffern Sage S^reä ®tmnt^^ notl^roenbig fpred^en,
märe eä aud^ nur, nm mid§ ju belehren, maS am meiften gu biefer SSe?
fdnftigung beigetragen: bie ^^rau ober bie Freimaurerei? beffere SSer?
nunft ober reifere S^l^re?"
3Iud^ bag 3ntereffe für Äunft, Siteratur unb Sl^eater lebte neu auf.
3m §erbft 1776 fnüpfte Seffing fogar mit bem Äurfürften üon ber ^falg
unb beffen 3Jlinifter ^ompefd^ Unterl^anblungen an, um bie Sbee eineä
Sftationaltl^eaterS in SJlannl^eim gur SSermirlUd^ung gu bringen. S)od§
bicfe gerf dringen fid^ balb, aK Seffing merlte, ba§ e§ ben Seuten bort
mel^r um materiellen ©rfolg, aK um Kterarifd^e §ebung ber Sul^ne gu
tl^un fei. Sfttgmifd^en l^ielt er itn frül^er angefponnenen gaben ber ,93eis
trdge' feft unb begann mit ber gortfe^ung berfelben im ^J^nuar 1777,
nid^t in ber trüben ©d^ulbentl^urmS^Stimmung , in meld^er er ia^ erfte
gragment in bie SDBelt gefd^idft, fonbern mit feinem alten, guten §umor,
als ein mol^lbeftallter ^o\xatf), feine „Jtomdbie mit ben 2:i^eotogcn".
J)ie erfte ©cene biefeä ©d^aufpielä beftanb in ber Verausgabe ber
Fragmente II. bis VI. inclufioc bcS Ungenannten, meldte mit ben 3"-
fd^en Sefftngä b«n IV. »anb ber SBeitrdge füttten, unter bem Jitel:
„6in SJiel^rereä an^ ben papieren beS Ungenannten, bie
Offenbarung betreffen b." SRad^ biefer furgen (Sinfül^rung ergreift
ber Ungenannte ba§ SOBort, um in bemfelben emften, fd^arfen, mitunter
bittern Zone, mie im erften gragment, gundd^ft bie ©elbftgenügfamleit
216
108 S)cr Äomöble mit bcn Xl^eotogcn crjtcr X'^tii k.
bcr aScmunft unb tl^re aScfrciung aug ben geffeln ber Offenbarung ju
proclamiren , bann bic SJlögüd^fctt einer für bie ganjc 9Jicnfd^l^eit t)cr=
binblid^en Offenbarung ju laugnen, enblid^ bie SSSal^rl^aftigleit unb ben
gSttlid^en Urfprung ber beiben S:eftamente burd^ ej:egettfcl^e Unterfud^ungen
ju beldntpfen. Sefftng Id^t bie fünf langen, geleierten 3Jionologe ol^ne
Unterbred^ung von ftatten gelten, xoit (Stner, bem vxü ntel^r baran liegt,
il^re ®efammtn)ir?ung gu rerftärfen, als biefelbe irgcnbu)ie burd^ tl^eiU
weife 2l6fertigung ju l^emmen; bann erft ergreift er ba3 SBöort.
@r glaubt t)or 2111cm bie SSerJffcntlid^ung ber Fragmente red^tfertigen
gu muffen. SDaS ift fel^r leidet unb einfad^: SBer gegen bie aSeröffent=
lid^ung ift, ber ift furd^tfam unb bumm, n)eil er ber SÄeligion nid^t jur
traut, n)a§ er i^r not^roenbig gutrauen mufe, fid^ üor itn 2lugen be§
^uBlifumS gegen iebroeben ©egner uertl^eibigen ju fönnen. 3i^i^cnfall§
Id^t fid^ für bie SSeröffentlid^ung nod^ SSieleS fagen, unb roenn bag
nid^t ber gaff n)Sre, fo fJnnte l^öd^ftenS ber geleierte Stl^eologe in aSer=
legen^eit fommen, ber feinen ©lauben rationeff üertl^eibigen tüiff, nid^t
aber ber fromme gl^rift, ber fid^ in feinem ©tauben feiig fül^lt. gür
ben fd^limmften %aU, wenn äffe apologetifd^en ©tridfe reiben fofften, ift
ber »uc^ftabe nid^t ber ©eift, bie »ibel nic^t bie Steligion, man fann
nod^ gur münblid^en Seigre (Srabition) feine B^Pud^t nel^mcn, unb ba biefe
bie innere SBal^rieeit unb SSernunftgemd^^^it ber ßel^re üorauäfefet, fo ift
gar nid^tä gu fürd^ten. Sf* ^^^ aSerSffentlid^ung fomit ungefdl^rlid^ , fo
ift fie aber aud^ nötl^ig : 1) weil biäl^er raeber äffe einwürfe gemad^t
nod^ wiberlegt finb, 2) weil in ber ©d^rift be§ Ungenannten enblid^ ein^
mal ber notl^ige ©efammtangriff auf bie d^riftlid^e Offenbarung gemad^t
ift, weld^er e§ affein ermöglid^t, nun aud^ bie erforberlid^e ©cfammtoertl^eii
bigung beä (Sl^riftentl^umä gu liefern.
©r felbfi wiff nun gu ben eingelnen Fragmenten einige SBemerlungen
geben, um einerfeitä bie SRiefenaufgabe gu begeid^nen, weld^e ber Slpologct
beS gangen (SJ^riftentl^umä gu leiften l^at, anberfeitä ben erften ©d^redfen
über ben ©efammtangriff gu bdmpfen.
Heber bie ©ro^fpred^erei , wcld^e in biefer Slnfünbigung liegt, ift
l^eutgutage faum mel^r ein SBort gu üerlieren. SDBie mand^e ©oliatl^e finb
nac^ bem Ungenannten fd^on aufgeftanben — ein ^ßaifluS, ein ©trau§,
ein 33auer, ein SRenan, ein auf geHdrterer ©trau§ ic. ; jeber meinte, ben grünb^
lid^ften 2lngriff auf ba§ ©l^riftentieum gemad^t gu l^aben, unb im Saläre
1873 erl^dlt ©traufe von einem SRaturforfd^er baä rül^renbe ^^^Ö^ife»
^©tatt in bie ©d^afefammern ber innern ©rfal^rungen unb ©rlebniffe
$)cr Äomöbic mit bcn Z'^toio^tn crficr Z'^txl k. 109
bcr 9Rcnfd^l^cit unb bcr $l^ilofopl§te bcr ©cfd^id^te ju greifen, gel^t er in
irgenb eine tl^eologifd^e 5:robelbube , l^olt fd^dbigeS , abgetragene^ 3^^fl
unb reinen 5Jlottenfra§ l^crnor, unb nad^bem er gejeigt, ba^ ber ^lunber
ntrgenbS l^aft, xdo man il^n aud^ anfaffen mag, l^at er ber SBelt Ilar ge^
mad^t, n)a§ DOn bem Sl^rtftentl^um unb ber SReligion überl^aupt fernerl^in
ju Italien fei." * S;rauriger 9iul^m, itn \xä) bie „grünblid^ften" 2lnn)dlte
ber SSemunft bei ben I^Sl^erpotenjtrten ©liebern bcr SWenfd^^^it erroerben !
SBaS ik 33emer!ungen Seffingö ju ben einjelnen Fragmenten betrifft ^,
fo Derftattet eä ber SRaum nid^t, ftc ^xtx auäfüJ^rtid^er TOteberjugeben.
SSerfud^en loir be^l^alb in bialogifd^er ^Jorm bie roid^tigften fünfte l^er^
oorjul^eben, in raeld^en Seffing Don bem Ungenannten abweidet ober il^m
folgt ober neue Ginjelfragen anregt.
2)er Ungenannte: Wit Offenbarung ijl 33ctrug, burd^ Sequcmlid^^
feit bcr SKenge unb ben ©l^rgeij ber ^rie^icr in bcr ÜRenfd^l^cit eingebürgert.
@ine Unterwerfung ber SScrnunft unter ben ©laubcn ifl roeber moglid^, nod^
Seigre beö SSöHcrapoftelä. 2)a§ S)ogma ber ©rbfünbe ift nur erfunbcn, um
bie SScrnunft px üerfe^crn unb gu fnebeln. 5)te 3!ugenb muß bewarb oon
SlnBcginn in ber SJlaturrcligion untcrrid^tct werben, um bem Unfug ber Pfaffen
ju fteuem.
Seffing: ©a§ UcBcrnatürlid^c ift aHerbingS eine groge ©d^wicrigfeit.
9lber menn c§ eine Offenbarung gibt, fo muß fie fafl 2)inge entl^altcn, bie
mon mit Btofeer SSernunft nid^t erreid^en !ann. 2)amit ift eine Unterwerfung
bcr SSernunft notl^wcnbig oerbunbcn ; fie grünbet olfo nid^t auf ber Seigre com
©ünbcnfatt, weld^e tint m^tl^ifd^saücgorifd^c Deutung ^nVd^t Sel^rbüd^er bcr
Slaturrcligion finb überftüffig, bp bie geoffenbarte SRcIigion bie 5Raturrcngion
in fid^ fd^ticßt unb c§ jubem fcl^r miglid^ (wenn nid^t unmog(id^) ift, oon
blogcn SBcrnunftmol^rl^eiten au§ jur ©cwigl^cit über bie Offenbarung ju
gelangen.
S)er Ungenannte: ©ine Offenbarung, bie aße üJlcnfd^en auf eine
gegrünbete 5lrt glauben fBnncn, ift unmoglid^. ©bcnfo wenig fann ©ott bie
ewige ©cligfcit oon einer Offenbarung abl^ängig mad^cn, bie bcr großen SDlcbr?
jabl bcr SDlcnfd^cn unbcfannt geblieben ift unb bleibt. 2llfo ift ba§ Sl^riftcn^
tl^um unl^altbar.
Seffing: S)u fagft eine SKcnge ungcjwcifclter 3)ingc; oiclleid^t nur
fold^e. 9lbcr wenn c§ aud^ feine Offenbarung geben fann, bie für alle
ajicnfd^en pa^t, fo fann c§ eine geben, bie für bie meiften paßt, unb ba§
ift wa^rfd^cinlid^ bie d^rifllid^c. 3Bci§t nid^t ba§ ^ubcntl^um auf eine Offen?
barung l^in ? JBarum fo cngl^crjig fein mit bem Sl^rificnnamcn ? äJlan bc?
* Ä. ©neU, gcfltebc über ÄopcrnifuS. Scna 1873.
* ^tVitx nennt biefe SBemetfungen eine „burd^ftd^tige , apologetifd^e aj?o8fe".
(SlaubiuS, ber SBanbäBedTer 93ote, l^lelt fie für wirflid^e „ÜRaulförBe''.
217. '
110 2)er Äomöbic mit bcn $:]^coIogcn crftcr %'^dl k.
freie ba§ El^riftcntl^um ooit ben in ben f^ntbofifd^cn Sudlern entl^altenen Seigren,
g. 33. DOtt bet Seigre oon ber aSerbcrBnig bcr SSernunft für gottlid^e 5)inge,
»on ber Slotl^mcnbigfeit cineS übcrnatürtid^en ®louBcn§ jum §eile unb con
ber 3fnfpiration ber ©d^rift, roie bu fie oortragft ; man Sel^afte nur bieienigen
Seigren bei, in benen alle d^riftUd^en Selten jufammenl^alten, unb bu mirft bem
ßl^riflentl^um nid^t Beifommen fönnen!
©er Ungenannte: S)er ©urd^gang ber S^raeKten burd^'g rotl^e 2Recr,
wie er im ^ntateud§ erjöl^It wirb, lä§t ftd^ natürfid^er iffieife nid^t erHaren,
f daliegt aBiberfprud& unb SBiberPun in ftd^. 2irfo f ättt bie ©ottlic^f elt bief er »fidler.
Sefftng: 2)er Ortl^obo^e mu§ fld^ alfo an bie Ucbematürnd^feit ber
jtl^atfad^e l^alten: ba roirb man il^m nid^t leidet bcüommen fönnen.
5)er Ungenannte: 3m alten Seflament ifl nid^t einmal bie Seigre
von ber Unflerblid^!eit ber ©eele entl^alten : e§ lann alfo feine göttlid^e Offene
BarungSurfunbc fein.
Seffing: Sangfam — eine göttlid^e, feligmad^enbe Offenbarung fann
ol^ne Unfterblid^f citSglauben , ja ol^ne ben maleren, tranScenbentalen ©ottegs
begriff befleißen. S)ie »ollfommenjie ©otteSibee, in ber ®ibel entl^alten, bes
miefe bie göttlid^e ©ingebung bcr 33ibel nid^t. ©ott fann oerfd^iebene Offene
barungcn geben. jCl^atfäd^Hd^ l^at baö ^ubentl^um be§ alten Jeftament§ meber
bie Se|re ber Unflcrblid^feit nod^ einen geläuterten ©otteSBegriff befeffen.
©er Ungenannte: 35ie 9luferjlel^ung§gefd^id^te wimmelt üon SBiber-
fprüd^en. @g fallt fomit bie ©laubmürbigfeit ber ©oangelien, bie ©ottl^eit
ßl^rijli unb bie ©öttlid^feit be§ Gl^riftentl^umS.
Seffing: 2Kan mufe bie unmittelbaren ä^wflcn ber S^atfad^e unb bie
©efd^id^tfd^reiber ber Scugniffe unterfd^eibeh. SCBiberfprüd^e ber unmittelbaren
Beugen f enne id^ feine , fd^einbare SBiberfprüd^e maren nid^t ju meiben ; mirf^
lid^c fmb nid^t nad^jumeifen , ba ba§ K^riftentl^um nun einmal ba iji unb
mit feinem Sieg über 3lubentl^um unb ^eibentl^um ju il^ren ©unften fprid^t.
6§ bleiben alfo nur bie SBiberfprüd^e ber ©ef d^id^tf^reiber , b. 1^. ber mittel::
baren Saugen. S)iefe fmb lösbar, menn man annimmt, ber l^eilige ©eifi
l^abe bie (Soangeliften angetrieben, ba§ gu fd^reiben, maS fte menfd^lid^er SCBeife
mußten. (Sie finb ungelöst unb mol^l unlösbar, menn man SBort für SCBort
als oom l^eiligen ©eift fpecieU eingegeben betrad^tet.
SBic ber Sefer ftd^ leidet überjeugt l^aben wirb, voax Seffing nid^t fo
fel^r barauf bebad^t, bie ©inroürfe beS Ungenannten ju ©unften beS
ßl^riftentl^umS ju beantworten, als tl^nen üielmel^r eine neue SBcnbung
ju geben, fie im ©anjen ju ©unften ber ,,Ortl^obo^en" gegen bie 5Jleologen
ju breiten, aber babei gugleid^, balb in ^Jorm t)on Sel^auptungen , balb
in i^orm t)ou ^rt)ti\dn, neue 2lnftd^ten auf juftellen , roeld^e ebenfo fel^r
ber alten 9ied§tgldubigfeit, wie ber ncumobifd^cn J:i^eologie, bem latl^olt*
fd^en ®ogma vok bem Ungenannten unb feinen beiftifd^en ijreunben vou
berfpred^en, unb ber ^auptfad^e nad^ barauf jielen, baS ®timit beS
pofitioen ß^riftentl^umS in aü^ feinen biSl^erigen formen abzutragen unb
218
2)cr Äomöbie mit ben X^cologcn crfler Zf)ti\ ic. m
<inc ganj neue fReligionSpl^ilofopl^ie an feine ©teffe ju fe^en. SCBaren
fd^on bte Fragmente be§ Ungenannten ein wirr burd^einanber gefd^lun?
gener Änduel r>on SSel^auptungen unb @inn)ürfen, fo warb ber 2Birrn)arr
burd^ bie Seigaten SeffingS nod^ um ein (Srfletflid^eä vtvmt^xt unb burd^^
aus geeignet, einen blo§ oberfläd^lid^ ©etilbeten in ein ßab^rintl^ von
3n)eifeln gu t)erftridCen. 9lur ein Slriabnefaben leitete au§ bemfelben
l^erauS: eine diü^e üon !urgen Stpl^oriSmen , unter bem Xitel: ,6rs
^iel^ung be§ 3Jienfd^engefd^led^tg', b. 1^. eine neue religionäpl^ilofo?
pl^ifd^e Sl^eorie, bie ftd^ ßeffing gur §alfte bereits ausgearbeitet l^atte,
unb bie burd^ il^re (Sinf ad^l^eit , ^J^feß^^^^^ ^^*^ Älarl^eit j[eben Se[er ein-
laben follte, fid^ auS beut Denoorrenen ©ejdnfe ber uerfd^iebenen ^Parteien
ju il^ren jd^lid^ten ©ä^en ju retten, fertig war fie nod^ nid^t; aber fie
ging mit ben religiofen Slnfd^auungen bcS ßl^riftentl^umS fd^onenb, el^r?
furd^tSDoH gu aSerfe, mar mel^r gefd^id^tlid^ als bogmatifd^, ergo| über
^eibentl^um unb ^ubentl^um eine angiel^nbe, l^armonifd^e SSerllarung,
nal^m bem ©lauben alle autoritatiDe aSerbinblid^teit , mad^te il^n gum
freunblid^en ©el^ilfen ber SSernunft unb t)er[prad^ im weiteren SBerlauf
baS ei^riftentl^um mie baS S^bent^um leidet unb groangloS mit ber
Sytaturreligion gu rerföl^nen.
©0 einlabenb eS für ben SReligionS? unb Sl^eologiemüben fein mu^tc,
nad^ biefem angefponnenen 2lriabnefaben gu greifen, fo fd^mierig mu|te
eS ben nod^ unerfd^ütterten Parteigängern ber tjerfd^iebenen 9iid^tungen
merben, fid^ in feine ^ittn gu finben.
Sie 9luf gelldrten , bie ed^ten greigeifter wollten Gl^riftentl^um uni
Offenbarung in Saufd^ unb Sogen Derraorfen miffen. Seffing nal^m
nid^t nur bie aJiöglid^!eit einer Offenbarung an, fonbern rebete von Ux-
Offenbarung, mofaifd^er Offenbarung, d^riftlid^er Offenbarung, SSibel, %xa^
bition, ©oangelien, ©l^riftuS mit Sld^tung unb Slüdffid^t, faft mie ßiner,
ber nod^ l&erglid^ an aH^ S)iefeS glaubte.
SDer l^od^fte ®ä)ai^ beS fiutl^ertl^umS mar bie 23ibel, mortlid^ in=
fpirirt, ber eingige Ouell übernatürlid^er ©rlenntnife, bud^ftäblid^ gu ne]^=
mm, aller aSernunfterlenntni^ Dorgugiel^en , aller ^ßl^ilofopl^ie nad^ ©t.
^auluS meit überlegen, t)on jeglid^er Srabition unabl^dngig, il^re eigene
aSertl^eibigung unb SSegrünbung in fid^ tragenb. Seffing bel^anbelte bie
aSibel mie ein menfd^lid^eS ®ud^, mollte nid^t SBort für SBort glauben,
mie eS barin fielet, unterfud^te bie mittelbaren 3^i^9^^^/ ^- ^- ^^^ 2:rabition,
bie groifd^en ber ^dt.htx @t)angeliften unb ber ©egenmart lag, begeugtc
bie l^od^fle Sld^tung für ^pi^ilofopl^ie unb SSernunfterfenntniß unb ^idt eS
219
112 5)cr Äomöbic mit bcn jtl^cologen crjict ^l^cil k.
offenbar für möglid^, aud^ ol^nc ftrengc ©tBctgldubtgfeit jum etDtgen §cilc
gu gelangen.
S5en 5yieoIogen lag nid^t Sutl^erS 33tbel, fonbern il^re fcl6ftfa6rtctrte
Sl^eologie am §ergen. Sie rooßtcn bie SBal^rl^eit ber d^riftlid^en Sfteltgion
fo eoibent ertoeifen, ba§ bie aScrnunft fid^ tl^r notl^roenbtg Beugen muffe,
n)ie einem matl^ematifd^en ©afec. (Sbenfo ml Sid^t verbreiteten fie bann
über bie d^riftlid^en ©ogmcn, mad^tcn STOeS fonnenl^ell unb War, raie
eine pl^ilofop^ifd^e ober gar matl^ematifd^e ©emonftration , verlangten ba^
für iebod^ aud^, ba§ jeglid^e menfd^lid^c 3Semunft fid^ il^ren unmiberleg^
lid^en 35en)eifen beuge unb bei il^nen in bie ©d^ule gel^e. S)a3 aber ge^
rabe rooffte Seffing nid^t. @r raoKte ^l^ilofopl^ie unb ^leligion gefd^ieben ;
bie tefetere wollte er nid^t beroiefen l^aben, fonbern füllten. 3n ber ^^u
lofopl^ie moHte er fid^ felbft überlaffen fein — eine Offenbarung rooKte
er annel^men, aber feine auäfd^lie^lid^e unb namentlid^ leine auS ben
Rauben unfe^barer ^rebiger unb Il^eotogen.
9Son ben brei Parteien, roeld^e fid^ in oiele ©d^attirungen tl^eilten,
merlte bie erfte balb, ba§ il^r Seffing§ Offenbarung gar nid^t gefdl^rlid^
fei unb ba^ ein roadferer S)eift ober ^antl^eift ganj gut babei beftel^en
fönne. gür bie Ort]§obo):en unb SReologen lag bie ©ad^e anber§. @§
raarb nid^t nur il^re unfel^lbare Slutorität in ^roti^d gejogen, an aUtn
©runbpfeilern il^rer Seigre würbe gerüttelt. 2öa§ fie gegen ben Xtnge::
nannten nod§ etwa l^alten ju fönnen glaubten, baS l^atte ber Sibliotl^efar
untergraben unb feine eigenen aSerfd^angungen fo gelegt, ba§ bie gwet
angegriffenen Parteien il^n nid[jt faffen fonnten, ol^ne auf einanber gu
fd^ie^en.
®ie gweite ©cene be§ tl^eologifd^en ©d^aufpiefö war eine gro|e SBinb::
ftiHe. Äeine ber geforberten Parteien mod^te auf bem Äampfpla^ er^
fd^einen. SDem ^Dramaturgen unb ^rotagoniften würbe bie S>^xt lang.
„35a§ bie 2:5eologen," fd^reibt er am 25. 9Jiai, „gu ben Fragmenten
meinet Ungenannten fo fd^weigen, beftdrtt mid^ in ber guten SWeinung,
bie id^ jebergeit von il^nen gel^abt l^abe. 3Äit ber geprigen 3Sorfid^t fann
man tl^xentwegen fd^reiben, wa§ man wiH. 9lid^t baS, wa§ man tl^nen
nimmt, fonbern ba§, waS man an beffen ©teile fe^en wiU, bringt fie
auf, unb baS mit SRed^t. J)enn wenn bie Sßelt mit Xlnwal^rl^eiten foff
Eingehalten werben, fo ftnb bie alten, bereits gangbaren, ebenfo gut bagu,
ate neue."
©eine eigene ©teHung gur (Bad)t l^atte Seffing feinem SSruber in einem
frül^ern ©riefe begeid^net: „@o oiel bürfte id^ bir im SSertrauen bod^ faft
220
3)cr Äomöbic mit ben Z^toloQtn erfict Zf^txi 2C. II3
fagcn: ba§ aud^ bic ^Äannl^ctmer Steife nod^ biä jefet unter bte ©rfal^^
rungen gel^ort, ba^ baS beutfd^e Jl^eater mir immer fatal ift; ba^ id^
mid^ nie mit il^m, eS fei aud^ nod^ fo wenig, Bemengen lann, ol^ne SSer«
bm^ unb Unloftcn baoon ju l^aBen. — Unb bu Dcrbenfft eä mir nod^,
ba| id^ mid^ bafür Heber in bie Sl^eologie roerfe? — S^eilid^, wenn mir
am @nbe bie Sl^eologie ebenfo lo^nt, als baS Sl^eater? @3 fei!
2)arü6er mürbe id^ mid| meit weniger Befd^roeren; meil eä im ©runbe
aUerbingä roal^r ift, ba^ eS mir Bei meinen tl^eologifd^en — mie bu eä
nennen millft — SRedfereien ober ©tdniereien, mel^r um ben gefunben
aJienfd^enoerftanb, alä um bie SEl^eologie ju tl^un ift, unb id^ nur barum
bie alte ortl^obojce (im ©runbe tolerante) Sll^eologie ber neuem (im
©runbe intoleranten) oorjiel^c, meil jene mit bem gefunben SWenfd^en^ 1
oerftanb offenbar ftreitet unb biefe il^n lieber befted^en mod^te. 3d^ üer^ !
trage mid^ mit meinen offenbaren ^einben, um gegen meine l^eimlid^en
befto beffer auf ber §ut fein ju Wnnen."
@nblid^ , nad^ brei SSierteljal^ren , begannen bie Sil^eologen fid^ ju
regen unb bie britte ©cene l^ub an. S)er @rfte, ber im September 1777
mit einer ©d^rift auf bem Äampfpla^ erfd^ien , mar ber 35irector © d^ u*
mann in §annot)er. 35^ f^^S^^ ^^ einigen ^rox'\(l^tnx&nmm ber Slrd^i«
bialon 3ia§ oon SBolf enbüttel , fieffingS „5Jlad^bar". Sßad^ »eiben lam
im ©ecember ber ^auptpaftor unb ©enior © 1 e oon Hamburg mit bem
fd^meren ©treitmagen feiner ^freiwilligen SSeitrdge' (©tüdC 55 unb 56)
lerangefal^ren.
©d^umann trat milb unb freunblid^ auf. §atte ber Ungenannte ju
einem gegrünbeten ©lauben an bie 23ibel nerlangt, ba§ jjeber 6§rift bic
gange S3ibel fritifd^5ej:egetifd^ nebft allem |iftorifd^en unb pl^ilofopl^ifd^en
Slpparat ju il^rem miffenfd^aftlid^en aSerftdnbnife inne l^aBe, fo fagtc er
fd^lid^t unb einfad^: 2)a3 ift nid^t nitl^ig. S)er göttlid^e ttrfprung ber
Sibel ift uns genugfam burd^ bie Erfüllung ber alttcftamentlid^en SSBeif:^
fagungen unb bie SDBunber beS 5Jleuen 2;eftamentc8 Derbürgt. ©iefer
„aSemeiä beg ©eifteä unb ber Äraft" Id^t unS iebcr anbermcitigen SBürg^
fd^aft entratl^en.
fieffing, ber nid^tS fel^nlid^er als einen ©egncr gemünfd^t l^atte, mar
gleid^ mit einer Slntmort bereit. (Sr antwortete furj, Har, freunblid^ auf
jwei getrennten Sogen. „3d^ l^ungere nad^ Ueberjeugung fo fel^r, ba^
id^, wie ©r^fid^tl^on, SBIcS oerfd^linge, waS einem Slal^rungSmittcl nur
äl^nlid^ fielet." Slber biefeS ^eipl^ungerS unerad^tet Wnnten il^m ©d^Us
mannS „Seweifc beS ©cifleS unb ber Äraft" gu leiner Uebcrjeugung oer^
©ourngoTtnet, gefflng. ^21 15
114 S)cr Äomobic mit bcn Zf^^olo^tn crjtcr X'^til ac.
l^clfcn. S)cnn fo guücridfftg er fid^ bcr Slutoritdt ©l^rtfti untertoorfctt
l^abeu würbe, wenn er feine SBunber fettft l^atte prüfen unb ftd^ über
biefelben unjroeifell^aft pergeraiffern lonnen, fo unmoglid^ fei il^m baS
iefet, ba jene SBunber ac. um ^al^rl^unberte t)on xfym entfernt lägen unb
er Uo^ l^iftorifd^e 3^i^9^iff^ f^^ ^W SBal^rl^eit l^abe, ffSn^aUi^t ©efd^id^tS«
wal^r^eiten aber lönnen ber SSeroeiä von notl^roenbigen Semunftwal^r::
l^eiten nie werben." 68 wdre baS eine [xsTaßaat? ek aXXo y^vo?. „^an
fagt freilid^: 5ttber eben ber S^riftuä, von bem bu l^iftorifd^ mu^t gelten
laffen, ba^ er 2;obte erwedt, ba^ er felbft x)om Zoit erftanben, l^at e§
felbft gefagt, ba§ ®ott einen ©ol^n gleid^en SBefenä l^abe, unb bafe er
biefer ©ol^n fei. ©aS wdre ganj gutl SEBenn nur nid^t, ba^ biefeS
©l^riftuS gefagt, gleid^fallä nid^t mel^r alä l^iftorifd^ gewife wdre. 2BoIlte
man mid^ nod^ weiter »erfolgen unb fagen: O bod^I S)a8 ift mel^r alS
l^iftorifd^ gewife; benn infpirirte ©efd^id^tfd^reiber uerfid^ern eö, bie nid^t
irren lonnen; fo ift aud^ ba8 leiber nur pftorifd^ gewife, ba| bie ©es:
fd^id^tfd^reiber nid^t irren lonnten. ©aS, baä ift ber garftige breite ©ra*
Ben, über ben id^ nid^t lommen lann, fo oft unb emftlid^ id^ aud^ ben
©prung oerfud^t l^abe. Äann mir 3^manb l^inüberl^elfen , ber tl^ue eS;
id^ bitte il^n, id^ befd^wöre il§n. @r t)erbient einen ©otteälo^n an mir!"
SBie nun aber ber ,, garftige ©raben" einmal nid^t gu paffiren ift unb
bepalb TOemanb üerpflid^tet werben Jann, auf bie SBunber ©l^rifti
l^in feine Seigre anjune^men, fo gewi^ ift, ba^ feine 2Bunber oor 1700
Salären auf feine Seigre aufmerffam mad^ten unb ba^ biefe Seigre ben
gefunben 3Jlenfd§enoerftanb auf bie ©pur l^alf. SDiefen gefunben 3Kenfd^en=
Derftanb l^aben wir nun unb fönnen be^l^alb alle SCßunber, ^rop^e^
geiungen unb pofitioe 33ogmen üermiffen. 2Baä wir aber braud^en, ift
bie „Siebe", weld^e nad^ alter fiegenbe ber SieblingSjünger (Sl^rifti im
©reifenalter feinen ©d^ülem alö ben Inbegriff ber ganjen SReligion em*
pfal^l: ba§ 3:eftament beS S^^^^^^^^-
SBeld^e 2lrt oon pl^anneifd^er Siebe man oon il^m gewdrtigen tonnte,
5atte Seffing fd^on in mel^rfad^en ©treitl^dnbeln belunbet. @S lann it^^
l^alb nid^t befremben, ba^ er, „bag Jeftament bcg S^l^anneä" auf ben
Sippen unb unterm 2lrm, mit ber leibenfd^aftlid^ften SButl^ über feinen
„Slad^bar" , ben greifen ©uperintenbenten , 3id|, l^erpel , ber eö gewagt
l^atte, in fed^g ©efprdd^en bie Sluferftel^ungägefd^id^te ß^rifti, trofe
Seffingä SBarnung, e):egetifd^ gegen ben Ungenannten gu Dertl^eibigen,
©0 wilb unb wiberwdrtig ift biefe Scibenfd^aftlid^feit in fid^, ba| felbft
ein warmer SSerel^rer Sefftngä, wie ©ul^rauer, im ©nbrudf peinlid^ finbet
222
©er £otnöbtc mit bcn Stl^cologcn cr|lct %f)til ac. 115
unb fd^moffcnb fragt: „Söarum bicfc unbarml^eritge aSemid^tung, bicf«
tiefe aSerad^tung eineä alten, abgelebten SJieftorä?" äBamm? SSBetl ber
alte 5yieftor fld^ t)etmcffen l^at, bie ©runbwal^r^eit beö ©l^riftentl^umä, fo
gut er eg eben lonnte, auä ben Jftüfttammcm feiner 2;5cologie ju ftüfeen,
unb weil ber l^crauäforbembe Jpeltor biefe ©runbwal^rl^cit, cbenfo raenig als
irgenb ein pofttiöeä, Derbinblid^eS ßl^riftent^um, um feinen ^reiä geftü^t
l^aben roiU. SDc^l^alb vertieft ftd^ biefer j|efet in alle c;;egetif(j^en Singet
l^eiten ber Sluferftel^ungSgcfd^id^te, um xdo moglid^ aUc Serfud^c ber ^ars
moniftif auf en)ige 3citen auäeinanber gu reiben, unb bie jroölf SBiber?
fprüd^e beä Ungenannten glcid^fam neubemaffnet unb auSgeftattet als Seibs
garbe beä ^VDti[dä um baä ®rab ßl^rifti ju ftcHen. SBeftcd^enb für ben
Äatl^olilen mag eS einen Slugenblirf fein, roenn Seffing, bie wärtlid^e ©im
gebung ber Sibel bclämpfenb, bem fatl^olifd^cn SSegriff ber Stl^eopneuftie
gu l^ulbigen fd^eint. @S fel^lt il^m blo| nod^ eine unfel^lbarc Slutoritat,
um bie vom 1^1. ©eift angeregten, unter feinem ©d^ufe unb iBciftanb
t)or Srrtl^um beroal^rtcn, aber nid^t Söort für SBort eingegebenen iBüd^er
fidler, rein unb unoerlefet auf bie ©egenmart gu bringen. SDod^ fo nal^e
an bie latl^olifd^e Seigre gelangt, fd^meift er plofelid^ auf n)ilber Äometen*
bal^n auä bem Slngiel^ungäfreiä il^reä feften concentrifd^en ©ebdubeS»
aBBir braud^en leine 2lutoritdt, um bie SSibel gu retten; voiv braud^en
Jcine Söunber, um ba8 Sl^riftentl^um gu ftüfeen; wir braud^en feine
Slpologetil, um baS (Sl^riftentl^um gu Dertl^eibigen. SDaS Sl^riftentl^um
ift ba; alle übernatürlid^en SEl^atfad^cn , bie Dielleid^t bei feiner (Sxn^
fül^rung geraaltet, finb ein morfd^eä, übcrflüfftgcS ©erüfte, beffen wir
nid^t mel^r bebürfen. gort bamit! S)aS SQBunber aller SQBunber ift baS
(Sl^riftentl^um felbft.
SBefentlid^ abraeid^enb t)on im. tiefmal^ren ©ebanfen beS 1^1. Sluguftin,
ba| bie aSefel^rung ber SBelt 1^ n e SBunber ein größeres SBunber n)dre,
als alle anbern SQBunber, ba§ fomit bie gefd^id^tlid^e ©emifel^ett ber eoan^
gelifd^en SBunber burd^ bie Z^at\aä)e beS g^^ftentl^umS eine neue l^ifto^:
rifd^e SSürgfd^aft erl^altc, t)ern)irft ßeffing jene gefd^id^tlid^e ©emi^l^eit gang
unb gar unb nennt e8 ein raiberfinnigeS aSeftreben , auf bem ® d^utt, bem
t)ermoberten ©erüfte, bem ©d^lamm l^iftorifd^er ^^^S^iff^ eine aSemeiS^
fül^rung bcS ©l^riftentl^umS gu üerfud^en. SBaS wir 00m ßl^riftentl^um
fidler raiffen, befd^rdnJe fid^ barauf, ba^ eS ba fei, ba| eS über ^nitn^
t^nm unb §eibent]^um geficgt l^abe, unb ba| eS, um biefe gu lönnen, b a?
malS glaubroürbig genug gemefen fein muffe: ob burd^ übernatürlid^e
2:]^at[ad§en, baS eingigc SÄittel einer göttlid^en aSeglaubigung , baS Idfet
228
116 ^et Äomobic mit bcn Z^toloQtn ctfict %^d\ k.
et bal^in gcftcllt, um feinen ein ji gen ©erociS für baä ßl^riftentl^um bei
einer Befferen ©elegenl^eit gu Derflüd^tigen.
„SDcr SBunbcr l^öc^ficS i|l,
^ag und bie tDal^ren, ed^ten äBunbet fo
SCOtägUd^ werben fönnen, loetben foKen.
Ol^ne biefeS allgemeine SS^unber l^atte
@in ^enfenbet n)o)^I fd^werüd^ SBunber je
benannt, maS Jtinbetn blog fo l^ei|en mu^te,
^it gaffenb nur baS Ungen)3]^nlid^fle;
$)a8 Qi^euefle nur ©erfolgen."
(Sflat^an. 9lct. 1. @c. 2.)
JpSd^ft unel^rlid^ nnb barum roiberßd^ ift eS, ba| er gerabe in ber
Brennenbften 5^age, um bie eä ftd^ l^anbelte , ndmlid^ in ber ^rage mS)
bem übematürlid^en , gJttßd^en ©l^araltcr beä ©l^riftentl^umS , nid^t offen
unb Har l^erDorrücf t , fonbem ftd^ fogar in fetner ©upßf jum ©efdl^rten
unb aSertl^eibiger ber ©Dangeliften gegen bie Sll^eologen aufroirft, unb
bie S^fpirationSle^re biefer nur bepalfi gufammenbrid^t, um befto fidlerer
feine ©d^u^bef ol^lenen , bie ©oangeltften unb SÄpoftel, jebeS autoritatiDen
ßl^arafterS gu entfteiben.
©en l^od^mütl^tgen ©eift be§ S^ti^^U, ber il^n babei leitete, ^at
er felbft im erften 5JJaragrap]^en biefer „3)uplt!" red^t ^anbgreiflid^ ge*
getd^net :
„9ltd^t bie SBal^rl^ett, in bereu Sßefi^ trgenb ein 9Äenfd^ ift, ober gu
fein oermcint, fonbern bie aufrid^ttge SSJlü% bie er angeroanbt l^at, l^inter
bie SBal^rl^eit gu JommeU; mad^t ben SBertl^ beS ajlenfd^en. Sftid^t burd^
ben SSeft^, fonbem burd^ bie SJlad^forfd^ung ber SSBal^rl^eit erweitern fld^
feine Ärdfte, voonn allein feine immer wad^fenbe aSoDGCommen^eit befielet.
S)era3efi^ mad^t rul^ig, trdge, flolg. SBenn ©Ott in feiher Siedeten
alle SCBal^rl^eit, unb in feiner Sinlen ben eingigen, immer
regen Irieb nad^ SBBal^rl^eit, obfd^on mit bem 3"f<Jfe/ ^i^
immer unb eroig gu irren, Derfd^loffen l^ielte, unb fprdd^e
gu mir: radiale! — id^ fiele il^m mit SDemutl^ (!) in feine
fiinfe unb fagte: SSater, gib! bie reine SBal^r^eit ift ja bod^
nur für 5)id^ allein!"
Semper discentes et nunquam ad scientiam veritatis per-
Yenientes!
224
13. ^tt <^om$bte mit ben ^f^eoto^m pfdttt %f^dt:
5Dtc S)uplil war nod^ nid^t in bic Oeffentlid|fcit gelangt, atö baS
von Scffing infccntrtc tl^eologifd^c ©d^aufptel plö^lid^ Dön einer ttagifd^en
SBenbung feineS ©d^itffatö, ber Äataftropl^e fcineä 8e6en8, unterbrochen
n)urbe. 3n ben erften Sdnnertagen 1778 gebar il^nt feine ©ottin baS
erfte Äinb — einen Knaben, unb baS ^amilienglütf , in beffen ©onnen=
fd^ein er neu aufgelebt n)är, fd^ien il^m baburd^ nod^ ntel^r verbürgt unb eini^
germafeen ooHenbet. ©od^ bie SSaterfreube unb ©eligleit, in ber er fd^welgte,
TDar t)on lurjer ©auer. 5yiad^ faum j^anjig ©tunben warb ia^ Äinb
bal^ingerafft , unb bie 9Jhitier überlebte eS nur wenige Sage. 3il^r Sob
-ftürjte ben ©atten, ber fo jartlid^ an il^r l^ing, auS ber güHe feineä
©lüdfS in bie bitterfte ^ein, in eine qualvollere aSereinf amung , al8 er
je juoor erbulbet, in jene büftere ©nttdufd^ung aller irbifd^en ^o^nung,
in njeld^e nur ein tiefer, d^riftlid^er ©laube linbernben 58alfam ju träufeln
vermag.
Seffing fd^eint wenig t)on biefent S:rofte empfunben ju l^aben. SBenigftenS
atl^men feine SSriefe einen lalten, einfd^neibenbett ©eelenfd^merj ol^ne anbere
Sinberung alä bie bumpfe 9lefignation in^S Unoermeiblid^e. „3Jieine
grau ift tobt!" fd^reibt er an ©fd^enburg (10. San.)f „unb biefe ©r-
fa^rung l^abe id^ nun aud^ gemad^t. .3d^ freue mid^, bafe mir oiele ber^
gleid^en (Srfal^ungen nid^t ntel^r übrig fein lönnen ju mad^en, unb bin
gang leidet." „Steine grau ift tobt", fd^reibt er jroei Sage fpdter an
feinen SSruber. „SEBenn S5u fie ge!annt l^atteft! — 2lber man fagt, eä
fei nid^tS al§ ©igenlob, feine grau ju rül^men. ?iun gut, id^ fage nid^tS
weiter oon il^r. 9lber wenn SDu fie gelaunt l^dtteft! S5u wirft mid^,
fürd^te id^, nie fo wieber feigen , atö unfer' greunb Sffiofeä mid§ gefunben
l^at: fo rul^ig, fo jufrieben in meinen vier SBdnben!" 2ln biefem Sage
würbe feine grau begraben. SagS barauf fd^rieb er an (Sfd^enburg:
„©eftern aJiorgen ift mir ber 9ieft meiner grau ooHenbS auS bem ©e::
fid^te geJommen. — 3Benn id^ nod^ mit ber einen §dlfte meiner übrigen
Sage baS ©lüdE erlaufen fonnte, bie anbere §dlfte in ©efettfd^aft biefer
225
118 ^tt Äomöbif mit bm S^tologen jineitet Z'^til ic.
grau ju Berfefien; luie gerne roollte ic^ eS t^un! 2lber boä ge^t ni(^t;
unb i(§ inu§ nun roieier anfangen, meinen SSeg otlein fo fort jU bufeln.
6in guter SSorrat^ Dom Soubanum titerarifilier unb t^eologifd^er ^ev:
fheuungen wirb mir eincit ÜCag noi^ bem anbem f^oit gong teibtid^ über=
fie^ l^etfen. — §aben Sie jum ©e^ufe ber lefetem bo^ bie ©flte, liebfter
greunb, unb loffen Sie mir ttuä Jf^em gro^ Sol^nfon ben goi^en 3tr=
Wel :ßvidence mit aKen SBeroeiSpellen abf^reiten. 3i^ erinnere mii^,
einmal ba etrooä gelefen ju ^a6en, beffen i^ mid(i ioä) nic^t red^t erinnern
lann. Saffen ©te e§ nur con ber nömli(^en §onb abf^rcibcn, meldte
ien @8jif d|en SÄrtiM atgefi^rieben ^ot."
@o fhirjte et fi^ benn unmittelbar com ©rabe feiner @atlin in bie
juDor begonnene t^eologif^e ge^fae, mit ber ganjen 3iittenfität feineä ©eifteS,
mit ber bittem, faft uei^njeifetten Mnfttengung etneS 3)ionneä, ber fein
irbifi^eä ©lud jerflört fie^t unb feinen ©dimeri im Äompfgeroö^t ju fibet;
t&uben füllet. JpÖtte ein ebenbürtiger ©egner i^m entgegengeftanben, fo l^fitte
ber JSompf n)ol^I eine ernfte, gematitge Sßenbung bekommen, ^o^ ber
®egner, ber fid§ er^ob , ober ben ftii^ oietme^r ßeffing erroä^tte, mar i^
nid^t geivac^fen , unb ftanb in feinem behaglichen , glaubenSfeligen
©rbenglütf bem tieferfi^ütterten ©eifte Seffingä roie eine ^tomt gegenüber.
3ünbcnbe Junten oon Spott unb ©atire büßten ba an bem ftnffem
^orijonte feinet ©eete auf, unb ber Äampf geftaltete fi(^, beä furi^tbar
emften 3n>tfd(ienfptelg unetad^tet, metit alä jUDOt ju einer tl^eologifc^en
ÄomSbte. ©8 ]|at ba« für ein ernftsreligiBfeS ©emflt^ etroaä §erbe8,
ÜJerle^enbeä — aber eä ift nun einmol fo.
©öje roar, roie f(§on erroäi^int, um bie 9Ritte ©ecemberä mit feiner
erften ©troieberung auf beS Ungenannten unb ßeffingä Angriffe gegen
baS 6b"Pent^um l^erootgetreten. ©r fa&te niii^t eineS ober boS anbere
tjtagmenf, fonbem baS ©anse tn'8 Sluge unb roat roeit me^r über ben
" ' unb beffen SBemerfungen atS über ben Ungenannten entrüftet.
me^r oK einer SSejiebung Eftec^f: ber Ungenannte mar tobt
it SBu^ ntc^t fierauägegebcn, Sefpng lebte unb ^otte bo§ 33ud^
tötfroetfe in bie Sßelt gefd^dt ; ber Ungenannte fonnte niäit
Sef fing mai^te 3)liene, bie ©ai^e entft^aft ju betreiben unb
:agmente an'§ Si^t ju bringen; ber Ungenannte brai^te
Abel, ber fc^on ISngft beantroortef roar, Seffing ober gab
itfiten einen neuen, anjiel^ben 9(nftri(§ ; jener führte grobe
■.n man auSroeic^en fonnte, biefer fteltte fic^ alä ffiert^eibiger
ei mit feinen ©tid^en in'S §erj hinein.
©er Äomöbic mit bcn Z^toU^m jiocitcr Zf)til :c. 119
®cr fd^drfftc bicfer ©tic^e aber war unftrcttig bcrjenige, tüeld^er gegen
bie ajertrauenSfeltgfctt ber oxt^oioj:tn J^l^cologen auf bic SBtbel unb gegen
ü^re Ueberjeugung gertd^tet n)ar, ba§ biefer Oueß affer übematürlid^en
©rfenntni^ ftd^ felbft erlldre, begrünbe nnb befd^üfee. 2luf btefe Sld^iffeS*
ferfe beS proteftantifd^en ©pft^mä l^atte fieffing rid^tig gejtelt, wenn er
jagte: „©er »ud^ftabe ift nid^t ber ©eift unb bic iSibel ift nid^t bie
SReltgion* ijolglid^ finb ©inroürfe gegen ben SSud^ftaben unb gegen
bie S3ibel nid^t eben aud^ Einwürfe gegen ben ©cift unb gegen bie
Oieligion." (Soge mufete l^ier in bie SSrefd^e fteigen, njoffte er UizU
gläubiger Sutl^eraner bleiben, unb Seffmg l^atte bamit bie lomifd^e
Situation l^erbeigeful^rt, ba| ber SSertl^cibiger beS (S^tiftent^umä bie ^aupt^
fad^e oorlduftg preisgab, um feine lut^erifd^e ®ibel ju retten, rodl^renb ber
SBertl^cibiger be§ Unglaubens tl^citoeife ju !atl^olifd^en SBaffen feine ^n-
findet nal^nt, um ben ortl^obo^en ©enior um feinen lautem ©ibelglauben
gu bringen.
Sefftng tl^at bieg in ben ,2l):iomata, wenn eg beren in bers
gleid^en 2)ingen gibt'. 35ie Slyiomata lauten:
„1) SDie Sibcl cntl^alt offenbar mcl^r, als jur SRcligton gcl^Brt. 2) ©g
tji 6lo§e §9pot]^efe, ba§ bic SSibel in biefcm äRel^reren gleid^ unfel^lbar fei.
3) 2)cr SSud^ftabe tji nid^t ber @eift, unb bie ©ibel iji nid^t bic 34eligion.
4) ijolglid^ pnb bic ©inmürfc gegen ben Sud^ftabcn unb gegen bie Sibel
nid^t eben ancl^ ©inioürfe gegen ben Oeijt unb gegen bic Stcligion. 5) 9lud^
war bic Slcligion, cl^e eine S3ibcl »ar. 6) S)aS ©l^rijient^um »ar, cl^c
ßoangeltjicn unb Slpojicl gefd^riebcn l^attcn. (£§ verlief eine geraume 3^it/
cl^c ber crjic oon tl^nen fd^rieb; unb eine fcl^r bcträd^tlid^c , cl^c ber gange
Äanon gu ©tanbc lom. 7) (£§ mag alfo oon bicfcn ©d^riften nod^ fo oicl
abl^angcn , fo f ann bod^ unmöglid^ bic gange SBal^rl^cit ber d^rifllid^en ^Religion
auf il^ncn bcrul^en. 8) 32Bar ein ä^itraum, in wcld^cm fte (bie d^riftlid^c
Sicligion) bereits fo ausgebreitet roar, in roeld^em fte jtd^ bereits fo oiclcr
©eclcn bcmad^ttgt l^attc, unb in wcld^cm glcid^njo^ nod^ lein Sud^ftabe auS
bem oon tl^r aufgegeid^nct war, maS bis auf unS gefommcn iji, fo mu§ cS
aud^ möglid^ fein , ba| SlffcS , waS bic ©oangclijten unb Slpojtcl gefd^riebcn
]§aben, wiebcrum ocrlorcn ginge, unb bic oon il^ncn geleierte Sftcligion bod^
bcftänbc. 9) 2)ic ^Religion ijt nid^t wal^r, tocil bic ©oangclijicn unb 9lpojicl
fic leierten, fonbem fte leierten fic, weil fic mal^r ijl. 10) 5luS il^rcr inncrn
SGBal^rl^cit müjfen bic fd^riftlid^cn Ucbcrlicferungen crtlärt werben, unb äffe
fd^riftlid^cn Ucbcrlicferungen Ibnnen il^r leine innere SSBal^rl^cit geben, wenn
fte feine l^at.''
(Singeine biefer ©dfee abgered^net, bie aber ebenfaffS, n)enigften§ in
ctraa, eine rid^tige ©eutung gulaffen, finb biefe 2l;:iomata berart, ba§ aud^
ein latl^olif d^er Jil^eologe fte unterf d^reiben lonnte ; f afi äffe ^atttn, roenigftenS
227
120 3)cr ^omöbic mit bcit 2:i^eoIogcn grocltcr 3:]§clf :c.
bcm Sinne nad^, in ben alten Sontroocrfen gegen ben 5proteftantiämu§
fd^on il^re S)ienfte getl^an; man t)ergleid^c nur j. 23. iBellarminS ©ontto?
üerfen vom ungefd^riefienen ©ottegroort^ Seffing ftanb alfo in ben
wefentlid^ftcn fünften auf fatl^olifd^em S3obcn unb l^atte au|er feiner bra?
motifd^en ©iSputirfunft, feinem SBife unb feiner ©prad^gemanbtl^eit aud^ bie
logifd^e Äraft ber SCBal^rl^eit auf feiner Seite.
SSIidfen n)ir einen StugenblidC von ber ©cene l^inter bie (Souliffen, fo
finben wir il^n aud^ burd^auS nid^t mit ben allgemeinen, pl^ilofopl^ifd^en
3Sorfragen ber Slpologetif , nod^ mit bem ftrift gefd^id^tlid^en Sflad^roeiä
ber d^riftlid^en SBal^rl^eit Befd^dftigt, fonbem faft nur mit ©tubien, meldte
fid^ auf bie S^otl^menbigleit einer Strabition unb bie Slbpngigleit ber
Sibel Don einer münblid^en UeBerlieferung Begiel^en. @ine 3Äenge Heiner Sir?
Beiten unb Fragmente, meldte auS biefem unb ben folgenben 3<^l^ren ftam^
men unb erft nad^ feinem Sobe an*ö Sid^t gejogen mürben, bemeifen ben
unermüblid^en ijtei^ , mit meld^em er, aUerbingS unf^ftematif d^ mie immer,
bie Sßdter unb bie Äird^engefd^id^te ber erften ^ci^^^iitiberte ftubirte. ®o
bie 5yieuc ^^potl^efe über bie @t) a n ge U ft en, bie Stl^efeS
aug ber Äir d^ en g ef d^i d^ t e, bie (Einleitung in bie Offene
barung S^^^^ttiä, bie ©riefe an oerfd^iebene Sil^eologen,
®on benS:rabitionen, SSom @Iauben§befenntni^, ^ilariuä,
'S^l^eoboret, eine angefangene Ueberfefeung ber 5prdfcriptionen beS S^er^
tuUian u. f. m. 3Jlit biefen ©tubien marb er, bei feinem fonftigen reis
d^en pl^ilologifd^en unb l^iftorifd^en SBiffen, für bie S:i5eologen, meldte
il^m gegenüberftanben, ein gewaltig überlegener ©egner. ©aju fanb er
an ber Iritifd^en Süd^ermauferei nid^t nur ^tv\txmvinQf fonbem aüd^ @e-
nu§, unb ber ^ampf, ber ben Sl^eologen als ein Ä^ampf pro aris et
focis galt, mar il^m, mie frül^er, ein l^eitereä ©rama.
(Sr fd^reibt am 25. gebr. 1778, alfo etma einen 3Äonat nad^ bem
S:obe feiner ©attin, an ben SSruber Äarl:
„ J)a§ meine SDupli! nad^ bcinem ®inn gewefen, ift mir fel^r lieb. SScs
fonbcrS freue id^ mid^, bag bu ba§ haut-comique ber ^olcmi! ju goutircn
anfängft , mcld^eS mir aHe anbcrn tl^eatralifd^en 3lrBciten fo fd^al unb maffertg
mad^t. 5Räd^ftcr Sage foEji bu aud^ eine ©d^rift miber ©öjen erl^altcn, gegen
ben id^ mid^ fd^lcd^tcrbingS in bie ^ofitur gefegt l^abe, ba§ er mir al§ einem
Und^rijien nid^t anfommcn lann. SDod^ ba§ ftnb oKeS bie (Sd^armüfeel ber
leidsten Gruppen oon meiner ^auptarmec. S)ie ^auptarmce rüdtt langfam
oor, unb ba§ erfte treffen ijl meine : ,5Rcue Jp^potl^efe üBer bie ©oangeliflen.
* Bellarm. De Verbo Dei non scripto. cap. 4. lib. 4.
~"228
L*
SDer Äotnöbtc mit bcn Stl^cologcn jTöcttcr Z^zxi k. 121
ofö Blo§ tttcnfd^Iid^c ®cfd^id^täfd^rci6cr Bctrad^tet'. ©tioaS Orünblid^crcS glautc
id^ in bicfcr Sirt nod^ nid^t gefd^ricBcn ju l^abcn, unb id^ barf l^injufe^cn,
aud^ nid^tS ©innrcid^crcS. 3d^ wunberc mid^ oft fclbft, wie natfirlid^ ftd^ 9lllc§
auQ einer einzigen Semertung ergibt, bic id^ Bei mir gemad^t fanb, ol^ne bag
i^ red^t wtx% wie id^ baju getontmen. 3)aS ifl bie nämlid^e ©d^rift, bie id^
Soffen gugebad^t l^aBe; bcnn fte iji fo, bafe fte Bei bem 2lEen jtd^ t)or ber
Berlinifd^en Senfur nid^t fürd^ten barf (! !). @r l^ätte fte aud^ fd^on , wenn
mir feit brei SBBod^en nur nid^t mieber unt)ermutl§cte §inberungen oorgefommen
mären. Snbeg tjertrSfte il^n nur meiter nid^t; id^ miß il^n bamit üBerrafd^en.'^
5lm 16. 3Ädrg fd^itft er Äarl feine boppelte Slntmort gegen ©Oje unb
fc^t Bei: >,(SS foll mir lieB fein, menn aud^ biefe beinen Seif alt l^at. Unb
id^ benfc, fic mtrb il^n einigermaßen l^aBen, menn bu Bebcnfft, baß id^ meine
SBaffen nad^ meinem ©cgner rid^ten muß unb baß id^ nid^t 2lKeS, maS id^
7ü[iva(jTix(i)<; fd^retBe, aud^ So^fiatixÄg fd^reiBen mürbe." S)a§ l^etßt auf
SDeutfd^: man muß feine ^ed^terftreid^e von feiner tnnern Stnfid^t, feine
tl^eologifd^e Stoffe t)on feiner tl^eologifd^en UeBerjeugung unterfd^eiben.
3)ie erfterc mar Seffing tl^eilmeife baburd^ oorgejeid^nct , baß ber
©enior ©öje feft auf feiner ^bentiftcation Don StBel unb ^Religion Be*
l^arrtc, ftd^ aBer nid^t bie Sölul^e nal^m, bie 21[}:iomata SeffingS ju Beftrei=
im, fonbern nunmel^r feine 33ercd^tigung jur JperauögaBe ber Fragmente
angriff, t§n megen berfelBen nid^t nur mit bem rationalifirenben ©emter,
fonbern mit bem gragmentiften unb ben anrüd^igcn greigeiftern ßbelmann,
33ippel, aSal^rbt auf eine Sinie fteffte, il^n einen temerarius litigator
(freoell^aften ^mttv) unb Sl^icaneur nannte unb i^m runb l^erauSf agtc :
,,er Derbiene, baß er, mit feinem auö bem ©tauBe l^eroorgefud^ten Älage?
UBeffe, menigfteng mit einem nad^brüdflid^en SSermeife unb ernftlid^em S3es
fel^Ie, Junftig rul^ig gu fein, aBgemicfcn mürbe." §iemit trat bie 33iBet
frage in ben §tntergrunb — an tl^re ©teffe mar bic ^rage über bic
SÄcbcs unb ^rcßfrcil^eit in rcltgiöfen SDingen, ober, mie Sef=
ftngS SSater gefagt l^aBen mürbe, über bie „unoerfd^dmtc ^red^l^ett, von
DlcIigionSfad^en affeS ju prcbigen ober ju fd^reiBen, rva^ man moffe",
in ben SSorbergrunb gejogen. §ür Seffing mar l^ier ein cBen fo günftiger,
menu nid^t nod^ günftigercr 33oben. @r fonntc l^icr nid^t nur au§ bem
innerften ©runbc feiner ©eele für baS il^m tl^eurc ^affabium feiner in*
bioibuetten ^reil^cit fpred^en, er ftanb juglcid^ jener flagranten Sincou::
fequeng beä ^roteftantiämuä gegenüber, vermöge meld^cr bie ^rcbiger unb
2:]^eotogcn t)on il^ren fiaien jene 95erftanbSxmtermerfung verlangten, meldte
fic felBft bem red^tmaßigcn ©teffDcrtreter ßl^rifti unb feiner Äird^e
oerroeigerten, Sefftng lonntc jefet aß ^rotcftant fpred^en, alä Bcgeifterter
229
122 ^c^ Äomöbie mit ben Zf)tolo^tn jtocltct Zf^tii ic.
iprotcftant, oB confcqucntcr ^rotcftant. „§crr ^aftor," fonntecr®öjc
gurufcn, ffXomn ©ic cä bal^in bringen, ba| unfcrc lut^ertfd^cn ^paftorcä unfcre
^Pdpfte werben; — ba§ biefc unä Dorfd^rcibcn Wnnen, roo rair aufl^dren
f ollen, in ber ©d^rift ju forfd^en; — ba| bicfe unfcrem gorfd^en, ber "SJäU
tl^cilung unfercö Grf orf d^cnS; ©d^ranlen fefeen bürfen : f o bin id^ ber @rfte,
ber bie ^dpftd^en roicber mit bem 5papftc uertaufd^t. — §ojfentlid^ U)cr5
ben SJiel^rere fo entfd^loffen benlen, wenn gleid^ nid^taSicle fo entfd^Iofjen
reben bürfen. Unb nun, §err ^aftor, arbeiten Sic nur barauf loS, fo
üiele 5proteftanten al8 möglid^ wiebcr in ben ©d^oofe ber latl^olifd^en ^rd^e
gu fd^eud^en. ©o ein lut^erifd^er ©iferer ifi ben Äatl^ottfen fd^on rcd^t."
2)od^ beoor fiefflng ba8 33anner ber ©eifteäfreil^eit entfaltete, galt eS
erft, bie Sftollen in einer anbem ^inftd^t etwaS gu oertaufd^en, fid^
felbft bie beS Slngegriffenen, @5ge bie beS 2lngreiferS unb groar eineg ebenfo
boäl^aften aK läd^erlid^en 3lngreifer8 ju geben. J)ie§ gcf^ti'^ in ^^ t)iet
gefeierten Sßarabel Dom 5Jlorblid^t unb üon bem barüber entflanbenen
blinben ^euerldrm, in welchem bie guten Seute, ftatt ben 5ßalaft gu ret=
ten, ben fie am Srennen glaubten (ba8 ßl^riftentl^um), nur barauf bebad^t
waren, ben ®runbri§ beäfelben (il^rc eigene SBibel unb Xl^eologie) in
©id^erl^eit ju bringen — unb in ber beigefügten SSitte an ®oge, ju
wiberrufen. S^groifd^en l^atte aber ®oge weitere ©tüdfe gegen Seffing in
ben ,frein)ittigen Beitragen' oeroffcntlid^t , unb biefer fügte ber ^arabel
unb a3itte ba§ 2lbfagefd^ reiben ju, baä mit ben SBorten fd^liefet:
„©d^reiben ©ie, §err ^aftor, unb laffen ©ie fd^reiben, fo oiel baä
3eug ]§alten wiH: id^ fd^reibe aud^. SGBenn id^ Sinnen in bem geringften
J)inge, maä mid^ ober meinen Ungenannten angelet, Sfted^t laffe, wo ©ie
nid^t 9ied^t l^aben: bann !ann id^ bie ^Jcber nid^t mel^r rül^ren."
SSeibe begaben fid^ nun an'8 ©d^reiben, ©d^lag folgte auf ©d^lag,
bie ©iäputation üerroanbelte fid^ immer mel^r in baä ®etümmel einer
perfonlid^en 33o):erei, bei ber nur baS ftdrfere Organ gu triumpl^iren l^offt.
®eniale ®rob]^eiten unb gelotifd^e 3ammerrufe, fd^rillc SQBifec unb bumpfe
Slnatl^eme, fatirifd^e ©d^eltnamen unb polemifd^e Xtj:te flogen in wirrem
Sieigen burd^einanber. Seffing ruft: „Sewal^re ®ott un8 SlUe oor ber
töbtlid^en B^S^^f^ l^eimlid^er aSerleumbung." ®öge gibt baS (gd^o unb
fügt il^m bei: „aud^ Dor ber ©eud^e, bie am SJiittage Derberbet, oor
fred^er, öffentlid^er unb unuerfd^dmter SBerleumbung !" „Se^t ift mein
Sogen doH," fd^reibt fiefftng, „unb mel^r alS einen Sogen f ollen ©ie auf
einmal von mir nid^t erl^alten. @8 ift erlaubt, ^^ntn ben @imer faulen
3Baffcr§, in weld^em ©ie mid^ erfdufen wollen, tropfenweife auf ben tni^
""280
S)cr Äotnöbtc mit bcn $;i^eoIogen gtocitet S:]§cil k. 123
bl5|tcn ©d^eitel faKen ju laffen." „SGBaS f offen," jammert ®öjc, „Seute,
todd^c §errn fieffing erft auä biefen blättern fennen lernen • . . jid^ t)on
Jperrn Seffing für ein SStlb mad^en? infonberl^eit wenn fte bie il^m fo
geläufigen, niebrtgen unb pJbell^aften ©leid^niffe uon einem ©tattlned^te unb
. . . . üon ber fd^retföd^en Siortur, mit meld^er er mid^ l^öd^ft eigenl^anbig
ju mortem brol^et, unb Dtele anbere Don eben biefer 2lrt ermdgen, waS
foKen fte t)on i^m benfen, maS f offen fte il^m für einen ßl^aralter bei«
legen!" So eifrig ber ©enior fod^t, mar er bod^ burd^ fein Slmt ge::
jmungen, fid^ in gemiffe ©darauf en ju l^alten ; Sefflng aber lannte feine
©d^onung mel^r; man brandet eben feine SluSbrfidfe nid^t äffe auf bie
©olbmage gu legen, um p finben, bafe er mand^mal bie ©renjen be8,
wie man l^eute fagen mürbe, parlamentarifd^en Slnfianbeä gar meit
überfd^reitet.
SBol^renb er fo in bem ,2lntigoje' fein glSnjenbeS S:alent jum
SDienftboten unb iJarbenreiber leibenfd^aftltd^er ©d^mdl^fud^t erniebrigte, marf
er, um baS Wla^ ber SSermirrung t)off ju mad^en, aud^ baS fiebente ber ^Jrag^
mente ixC^ ^ublifum, jeneö blaäpl^emifd^e ^^aSquiff, in roeld^em ber ©ottmenfd^
nid^t nur feiner anbetungSmürbigen ©ottl^eit, fonbem felbft feiner menfd^s
lid^en SBorjüge entJleibet, ium el^rgeijigen 33etrüger l^erabgefefet , ber 6r*
löfung^tob am Ärcuj aber jum utiglüdftid^en ffianferott eineS mißlungenen
©taatSftreid^eä oergerrt marb- 5)er B^ed, ben er babei t)orfd^üfetc, mar,
bcn „®eift ber Prüfung" von bem l^emmenben ^opanj eines bloß fd^eius
baren SlergemiffeS ju befreien, unb ber ©otteSläfterung, bie, mie er fagte,
@iner bem Slnbern Derftol^len in^S £)^x raunte, burd^ lül^ne SSeröffent*
lid^ung bie ©pifee abgubred^en: man muffe bie Pforten ber §öffe gegen
bie Äird^e auftürmen laffen, fonft tonnten fid^ bie ber Äird^e gegebenen
aSerl^eifexmgen ja nid^t bemdl^ren.
SDiefe aSBenbung tl^at bie gemofften S)tenfte, ®ie jog bie l^od^^eilige
Sperfon beS ©rloferS al§ materia vilis in bcn bereits pöbell^aft gc?
morbenen ©traßcnframaff. ©l^riftuS unb ©öge ftanben je^t auf einer
©cite, Seffing unb bie freie SBcrnunft auf ber anbem. ßl^riftuS lonnte
bei biefer 33unbeägcnoffenfd^aft unmöglid^ gcminnen. 5)er SJlann, ber
il^n Dertl^eibigen moffte, mar burd^ bie tiefgreifenbften S^rtpmer t)on bem
Reifen ber einen, l^eiligen, fatl^olifd^en, apoftolifd^en SBeltfird^e abgetrennt,
ol^ne i^ül^lung mit ben Slpofteln, mit ben fünfgel^n erften ^ö^rl^unberten beS
©l^riftentl^umS in offener geinbfd^aft, gegen bie folgenbe ©ntmidfelung ber
latl^olifd^en Äird^e im bitterften §a§ befangen, ein lieblofer (Siferer, ein
l^od^ft mittelmdlßiger ©elel^rter, ein fd^led^ter S^l^eolog, ein nod^ fd^led^terer
281
124 S)cr Äonwbic mit ben %i)toUQtn jrocttct X^til :c.
^l^ilofopl^, in bcr Jpanb^abung ber ©prad^c Unfifd^ unb unerfal^ren, unb
burd^ feine 2tmtän)ürbe oer^inbert, wenigftenS bie natürlid^en Ärafte ber
Seibenfd^aft gegen feinen ©egner gu uerroenben. 23Iinb l^erumfnd^telnb
auf einem unl^attbarcn ©tanbpunit, l^atte er bereits eine 5JlieberIage um
bie anberc erlitten, unb bie §aftlofigJeit feiner Stellung nad^ allen il^ren
lad^erlid^en ©eiten geoffenbart, ©egenüber feiner jufantmenl^angSbfen
Offenbarung, feiner unberoiefenen unb unbeweisbaren SlmtSautoritat,
feinem mit ber SJernunft burd^auS unoerföl^nbaren ©lauben, feinem lad^er^
lid^en unb üerbammungSfüd^tigen ©ifer ftanb nun bie inbepenbente aSer^
nunft, ücr!orpert in einem ber genialften 3Ädnner jener Sage, mit poft«
tiöem unb fpeMatit)em SÖBiffen bis an bie ^af)m bewaffnet, fid^ aufs
bdumenb in wilber ^^til^^itSluft , confequent, roi^ig, fatirifd^, bei^enb,
fopl^iftifd^ , ftolj, ftegeSgemife , in ber ootten ©unft beS ^ßublifumS unb
in bcm guüerldffigen Semu^fein, alle Seibenfd^aften beS menfd^lid^en
§erjenS im Kampfe gegen bie vtx^a^k Slutorität gu SSunbeSgenoffen gu
l^aben. SDer ®ieg Jonnte leinen Slugenbtid gmeifeC^aft fein, ©einer 3«-
confequeng flbermiefen, in feinen innem SEBiberfprüd^en üoKig entlarvt, mit
©pott unb §ol§n überfd^üttet, tag ©oge^S proteftantifd^eS Sl^riftentl^um gu
©oben. 5Da, als ber jjdmmerlid^ überrounbene aScrtl^eibiger beS proteftan^
tifd^en Sl^riftentl^umS fid^ im ©taube Mmmte, lie| Sefpng feine unge::
l^euerlid^e Äarrifatur beS gefd^id^tlid^en ©l^riftuS auf berSSül^ne erfd^einen,
als wollte er fagen: S)a ift ©öge^S ©Ott! Unb bann, angefid^tS beS
blaSpl^emifd^en 3^^^ttbeS, wirft er fid^ auf ben fd^on oemid^teten
©egner, um il^n oor ben 2lugen aller „©enfenben" in ©pott unb
©d^mdl^ung oollenbs gu ertrdnfen. ^üx bie (Sl^re beS oerpl^nten (Sl^riftuS
ftanb bamalS 5Jlicmanb ein!
S)ie 3toS= unb @umdoS5©cene war fo giemlid^ auf bem l^öd^ften ©rabe
angelangt, als, wie fold^e Säalgereien gewol^nlid^ enben, bie ^ßoligei ba:=
gwifd^en trat.
2lm 6. 3uni 1778 erl^ielt bie SBaifen^auS^Sud^l^anblung gu »räum
fd^weig, weld^e bie beitrage, bie 2lnrigöge unb baS Fragment ,t)om ^rotät
3efu unb feiner Sfinger' oerlegt l^atte, ben gemeffenen ©efel^l, nid^tS
aSeitereS oon fieffing o§ne oorl^erige (SenfurbewiKigung in SSerlag gu
nehmen, ben ©rudt uncenfurirter ©d^riften, wie ben aSerlfauf ber fd^on
gebrudtten augenblidflid^ gu fiftiren unb über bie nod^ oorrdtl^igen @):emplare
ber ijragmente u. f. w. bem 3Jiinifterium ein genaues SSergeid^ni^ eins
guliefem. Seffing proteftirte, oertl^eibigte fid^, begeid^nete ©öge als ben
angreifenben X^til, bie aSerJffentlid^ung ber Fragmente alS eine er?
232
$)cr Äomöbic mit htn Z^tolo^tn jrocitct Z^txl jc. 125
lauBtc, rocifc, d^rtftlid^e Jpanblung, brol^tc, bic SScitragc gänälid^ aufjugcbcn.
Untfonft! 2lm 13. ^u\x tx^xtü er ein nod^ fd^drfcreä 9ic[cript: 2)ic
§anbfd^rift beä Ungenannten, woraus bie Fragmente cntlel^nt; integraliter,
ncBft ben etwa genommenen 2lBf d^riften , binnen ac^t S;agen unfel^lbar
cinjufd^itfen, unb ftd^ aUer ferneren Selanntmad^ung biefer iJ^agmente
unb anberer dl^nlid^en ©d^rtften, bei Sermeibung fd^roerer Ungnabe unb
fd^drferen ©infel^enS, gdnjlid| ju entl^alten. 2lud^ fei feine 35iSpenfation
x)on ber 6enfur l^iermit oufgel^oben, unb baS Original baoon oon
il^m gurüdguliefern." hierauf gel^ord^te ßefftng, lieferte bie ^anbfd^rift
aus, Derlangte aber eine ©mpfangSbefd^eitiigung unb mad^te baS Sonfts
ftorium ergebenft barauf aufmerffam, ba§ baS SSßerl Bereits in mel^reren
Slbfd^riften Dorl^anben fei unb oon §anb gu §anb gcl^e: „Äame alfo
baS ganje aSBerf an^S fiid^t, als roogu bie Dom ©onftftorio gu SBoIfen:?
Büttel fo unBebad^tfam eingeleitete ßonfiSifation leidet 2lnla^ geBen Wnnte,.
fo möd^te man il^n au^er Serbad^t eineS Slntl^eilS baran l^aBen." S)er
©mpfangfd^ein warb il^m oermeigert, bie ßenfurfreil^eit nod^ genauer
bal^in Befd^rdnft, bafe er aud^ auSmdrtS nid^t brudfen laffen bürfe, unb
fd^lie^lid^ eine SRüge ertl^eilt: „ba§ er baS fiirftlid^c ©onfiftorium , Bei
SluSöBung ber bicfem SanbeScollegio oBliegenben tl^euem ^flid^ten, einer
UnBebad^tfamJeit gu Befd^ulbigen fid^ nid^t gu oiel fein laffe."
3in il^rer SBerfpdtung unb ^alBl^eit »erbiente bie 2Jiaferegel allere
bingS in geroiffem ©inne eine unBebad^tfame genannt gu werben, ^n^
beffen roar bie gurd^t Dor Sefftng fd^on fo grog, ba| man \x(S) rounbem
muß, wie baS ©onftftorium üBerl^aupt nur wagte, gu 9Ka§regeln gu
greifen. „3id^ wei§ oorldngft," fpottet fiefftng üBer bie 3Jiitglieber, „ba^
ein l^alB ©ufeenb oemünftige SRdnner gufammen oft nid^t mel^r als ein
altes SBeiB ftnb." SÖBaS l^dtten fie aud^ gegen einen 3)iann auSrid^ten
wollen, ber mit allen geraben unb Irummen ©d^lid^en beS gewiffenlofe^:
ften 2lbt)oIaten gleid^ Bei ber §anb war unb ftd^ nid^tS barauS mad^te^
ein l^ol^eS SanbeScoIlegium in ber eBenerwdl^nten ßorrefponbeng ^i^ter
baS Sid^t gu fül^ren ! SDenn er fteHte ftd^, als oB er baS 3Jianufcript beS
Ungenannten in ber l^ergoglid^en 58iBliotl^eI gefunben l^aBe unb mit bem
verlangten ©mpfangfd^ein nid^tS BeaBftd^tigte , als jtd^ fpdter üBer baS
SlBl^anbenlommen beS SJlanufcriptS Don ber l^ergogl. SSiBliotl^el auSweifen
gu lönnen — unb baS war eitel ^umBug.
gür bie SSerBreitung ber Fragmente war bie Siagwifd^enfunft ber
DBrigleit nid^tS weniger als ein Jiad^tl^eil. Sefet erft wollte ^ebermann
fte lefen. Sie würben auSgeliel^en unb nac^gebrudft, unb alle SSBelt inter:?
238
126 ^^^ Äomöbic mit bcn Xf)tolo^tn grocltcr Xf)til jt.
cffirtc fid^ für bie t^cologifd^c gc^bc. ®o lonntc Scffing, bcn 23. >!{,
an [einen ©ruber fd^reiben:
tfSi^ ^^^^ Tin^^^ Urfad^eU; n)egl^alb iä) bie 6onfi3cation bed neuen
i^agmentS red)t gern gefd^el^en (af[e. 9lur foQte man meine ©d^riften nid^t
gugleid^ mttconfiSciren: unb barum Beige id^ mid^ aud^ nod^ gewaltig l^erum,
feji entfd^loffen , bie ©ad^e auf baS Sleußerjie anlommen ju laffen, unb el^er
meinen Slbfd^ieb gu nel^men , als mid^ biefer Dermetntlid^en 2)cmütl§igung gu
unterwerfen. SJom Corpore Erangelico tjl nid^tS gefommen, nod^ oiel
weniger com Steid^SJ^ofratl^; id^ beule aud^ nid^t, ba§ id^ mid^ vov Beiben
fel^r ju furd^ten l^abe, benn (bu wirft }war lad^en) id^ l^aBe ein {td^ereS ÜJlittel;
ben 9teid^3l^ofratl^ gu tl^eilen unb unter ftd^ felBft uneinS }u mad^en, fo wie
ißauluä baS ©gnebrium. SRämlid^ ba bie mcl^rflen ©lieber beSfelBen Äatl^os
lifen ftnb, fo barf id^ meine ©ad^e nur fo oorfteHen, bog in ber SScrbammung,
weld^e bie lutl^erifd^en ©eijllid^en über mid^ auSfpred^en, eigentlid^ bie SSer^
bammung aQer ^apiften liegt, weld^e bie 9ieIigion eBen fo wenig auf bie
©d^rift, unb auf bie ©c^rift allein, wollen gegrünbet wiffen, al3 id^. 3n
biefer 2lBftd^t l^aBe id^ Bereits aud^ einen S3ogen gcfd^rieBen, ben id^ bir l^ier^
mit Beilegen will. 35u wirft feigen , ba§ id^ aud^ fonft barin eine SBenbung
nel^me, bie ben §erm ^auptpaftor wop capot mad^en foH."
3Birflid^ jog fxd^ ßefftng nun, nod^ weit mc^r al3 e§ in bcn ,2l^ios
mata' gcfd^el^cn, auf bcn f atl^olifd^cn ©tanbpunit jurüdf, l^iclt feinem ®cg=
ncr, inbem er Blog baS fird^lid^e Sel^ramt auSfd^log unb bie d^rifttid^c
Slctigion auf bie in bcn ©^mBoliS bcr t)ier crftcn S^i^rl^unbertc entl^at
tcnen ©tauBcnälcl^ren Bcfd^rdnltc, eine ganj latl^olifd^ ftingcnbe SSorlcfung
über bie Srabition afö ©lauBcnSqucllc unb ©lauBcnSregel in bcn erften
d^riftlid^cn S^l^rl^unbcrten, unb lub il^n ein, 19 l^icrauf Bcjüglid^c Sl^cfcn,
ol^ne „©leid^niffe, Silber unb Slnfpiclungcn" patriftifd^ mit i^m ju unters
fud^cn. SDabei racd^felte er aud^ fd^on t)5llig ben 2:on, fprad^ crnft, gcs
nau, im ©tilc einer laltcn, roiffcnfd^aftlid^en Untcrfud^ung. SSBol^in cS mit
bicfcm SRoKcnmedöfcl l^inauS foHtc, ift in bcm angcfül^rtcn ©riefe angc«
beutet. 5Jlod^ flarer fprid^t er feine ©iegeggcroißl^eit in einem ©riefe an
®Hfe SReimaruä, bie lod^tcr beS Ungenannten, au§:
„2lllerbing§ fonnte e§ wol^l bol^in lommen, ba§ td^ mid^ enblid^ ge^
brungen fel^e, meinen 5lBfd^ieb (al§ ©iBliotl^efar in 9B.) gu forbem, ben bie
§erren, bie mir il^n geben würben, fd^on ju feiner 3cit »erantworten foQten.
^od^ was wäre ba§ aud^ mel^r? ©öge unb Sompagnie foKten baBei fo
wenig gewinnen, bag alle unb jebe, weld^e baS SBaffer biefen SCBeg ableiten
wollten, il^r Untcmel^men wol^l Bebauem foHten. ®enn, im ©anjen bie ©ad^e
gu nel^men, flel^e id^ für meine ^erfon fo ftd^er, al§ id^ nur fiel^en f ann ; unb ben
<Sißa% l^offe id^ nod^ felBft ju erleBen, bag bie meiften $;]^eologen auf meine ©eite
treten werben, um mit SSerlufl eincS 5ittig§ nod^ eine SGBeile ben Stumpf gu retten."
234
14. ^et ^omMt mit hm "^eoto^m hütUt %f^ttt:
®anj lieb rodrc ficffing bcr aSerluft feiner aJiBliotl^elarftcIIe gerabc
nid^t getoefcn. ©eine §rau l^atte i^m meistere Äinber au3 il^rcr crften @l^e
l^intcrlaffcn, unb obiool^l aSermogen ba roat; um für fic gu forgen, fo
mu^ baSfelbe entraeber nid^t auSgcrcid^t l^aben ober fiefftng auS anbem
©rünben gejroungen getüefen fein^ für fie Opfer ju bringen. @enug,
gegen @nbe beS S^l^reS nal^m er bei einem Siuben in SJerlin fd^on roieber
einige l^nnbert Sl^aler auf.
„3d^ bin mir l^ier ganj oHetn üBcrlaffen/' fd^retbt er am 9. 3lug. an
@Iife 9teimaru§. „3^^ f^aht leinen einzigen §reunb; bem id^ mid^ anvertrauen
lönnte. 3d^ w^tbe tSglid^ von l^unbcrt SSerbrießlid^feiten Bejiürmt. 3d^ mu§
ein eingigeg Sal^r, baS id^ mit einer Demünftigen ^rau gelebt l^abe, tl^euer
bejal^len. Si^ mug 9lQe§ , Meg aufopfern , um mid^ einem ißerbad^t nid^t
auSgufe^en, ber mir unertrSglid^ ip [bem SSerbad^t, ba§ Vermögen feiner
Äinbcr gu beren SRad^tl^cil ju t)ern)altcn]. SSBie oft mod^te id^ e8 oermünfd^en,
ba^ id^ aud^ einmal fo glüdCUd^ fein moQen, al3 anbere äJlenfd^enl 9Bie
oft wünfd^e id^, mit ©nS in meinen alten, ifolirten äwpanb jurüdCgutreten,
nid^tg gu fein, nid^tS gu moUen, nid^tS gu tl^un, al3 mag ber gegenwärtige
Slugenblid^ mit pd^ bringt! — Selben Sie, meine gute greunbin, fo iji meine
malere Sage. $aben @ie alfo bei f o bemanbten Umftonben aud^ »ol^l dtt^t,
ba§ Sie mir ratl^en, blo§ um einem elenben geinbe feine ijreube gu mad^en,
in einem äwpanbe auSgul^arren , ber mir ISngji gur Safi geworben? — 3ld^,
menn er müfete, biefer elenbe ijcinb, mie roeit unglüdtlid^er td^ bin , wenn id^
il^m gum hoffen l^ier auSl^altc! — 3)od^ id^ bin gu jiolg, mid^ unglüdElid^ gu
beulen, tnirfd^e ein§ mit ben 3&^nen unb laf[e ben ^al^n gelten , mie 9Binb
unb SBetter moQen. ©enug, bag id^ il^n nid^t felbfl umflürgen miQ!^'
2)iefe n)ibrigen aSerl^dltniffe gaben bem ,;t]^eolügifd^en ©d^aufpiel",
baS Seffing in frol^lid^en §od^geit8tagen eröffnet l^atte, einen anbem SSer*
lauf, als er wo^l im Seginn geal^nt "^aitn mod^te. S)en offenen Äampf
burfte er nid^t erneuern , ol^ne feine ©teile als a3ibliot]^eIar auf^S ©piel
gu fe^en. S)ie ftrengtl^eologifd^e SDiSputation , auf l^alblatl^oliftrenbem
S3oben^ wie er fie ©ogen angefagt, war für ein weiteres ^ublihim poHig
235
128 5)cr Äomöbic mit ben Zf)toio%tn btittcr Z^dl :c.
ungeniefebar unb fonntc feinen ^been nur fel^r langfam unb ftütoeifc
jum ©urd^brud^ t)er]^elfen. Slufgeben vooUtt er aber bic begonnene gelobe mn
feinen ^reiS : er lonnte eS aud^ tanm, ol^ne bcm ©egner ben ©d^ein beS
©tegeS ju uberlafjen. ^üv ®elb mu^te er um fo ntel^r forgen, alä fein
Stetben in SSoIfenbüttel nid^t einmal DöKig geftd^ert war. Jpören wir
t)on il^m felbft, wie er ben Sluäracg biefer Iritifd^en ßage fanb.
„3loi) xotx% x^ nid^t," fd^rcibt er am 11. 2lug. an feinen ©ruber Äarl,
„XDa^ für einen SluSgang mein §anbcl nel^mcn wirb. 5lber id^ möd^te gern
auf einen ieben gefaßt fein. 3)u weißt wo^lf ba§ man baS nid^t Beffer i%
als memt man ®elb l^at, fo oiel man braud^t; unb ba l^abe id^ biefe oer::
gangene 5Rad^t einen narrifd^cn ©infaU gel^abt. 3d^ l^abe oor oielcn Salären
einmal ein ©d^aufpicl entworfen, bcffen ^ni^alt eine Slrt oon 3tnalogie mit
meinen gegenwärtigen ©treittgleiten l^at, bie id^ mir bamalS wol^l nid^t träumen
ließ. üBenn bu unb Sölofeä eS für gut finben , fo wiÖ id^ ba§ 2)ing auf
©ubfcription brudtcn laffen unb bu lannfl nad^fte^enbe 3ln!ünbigung nur je
el^er je lieber ein paarl^unbcrtmal auf einem Oltaoblatte abbrudtcn tajfen
unb auSjireucn, fo oicl unb fo weit bu e§ für nbtl^ig l^ältji. 3d^ mod^te gwar
nid^t gern, ba§ bcr eigentlid^e 3nl^alt meines anjufünbigenben ©tudES attjus
frül^ brfannt würbe; aber bod§, wenn il^r, bu ober ÜKofcS^. il^n wijfen wollet,
fo f daläget baS Decamerone beS iBoccaccio auf: GFiorn. I. Nov. III. Mel-
chisedech Giodeo. ^^ glaube , eine fel^r interef[ante @|)ifobe baju erfunben
JU l^aben, ba§ jid^ 2lHc3 fcl^r gut foll lefcn laf[en, unb id^ gewig ben Jl^cos
logen einen ärgern hoffen bamit fpielen wiK, als nod^ mit jel^n Fragmenten."
S)ie Syiooettc, non roeld^er ^icr bie Sftebe ift, ift bic belannte gäbet
x)on ben brei 9flingen, baä ©d^aufpiet, roetd^eS barauS werben fottte,
,9lat]^an ber SGBeife', ber ^offen, wetd^e bamit ben 3;]^eologen ge^
fpiett werben foUte, ber brüte unb te^te 2lct in SefftngS tl^eotogifd^er
Äomobie. (Sine günftigere SBenbung ber ©ad^e l^dtte i^m !aum beifaUcn
lönnen. @r l^atte nun ben freieften ©pietraum für feine bramaturgijd^e
ßrfal^rung unb fein bramatifd^eS latent unb Jonnte bie ganje gebilbete
SÖBelt als 5publilum werben. 3BaS wollte ein ®5ge bagegen anfangen, ber
eS mit ber SGßürbe eineS ©eifttid^en unoereinbar fanb, SDramen gu bid^ten,
unb ber !ein ©egenbrama mad^en Jonnte, aud^ wenn er gewollt l^ätte?
SBaS wollte baS l^ol^e ßonftftorium beginnen, wenn ber berül^mte SEI^eaters
bid^ter feine Sll^cologie auf bem Sl^eater jum Seften gab? SBer in aller
• SOSett lie| nid^t DorauSftd^tlid^ alte tl^eologifd^en ©treitfd^riften liegen,
wenn von bem gefeierten aSerfaffer ber ,@milia ©atotti' ein neues , geifU
reid^eS unb gar tl^eotogifd^eS ©d^aufpiel ju l^aben war ?
3öie fd^aufpielerifd^ Seffing bie ©ad^e beS ©l^riftentl^umS auffaßte,
wie ernft eS il^m barum ju tl^un war, bie Sil^eotogen „capot ju mad^en",
""286
SDcr Äomöbic mit bcn Z^tolo^tn bttttet $:i^cit jc. 129
unb roeld^c ntd^t geringe ?ftoUt ber ©elbpunft in beut ganjen Oefd^dfte
jpielte, barüBer mögen einige weitere 5yiotigen auS feinen 5prioatbriefen
ben nötl^igen Sluffci^ln^ bieten.
(Sv fd^reiBt am 20. Oct. 1778 an Äarl : „3c^t iji man l^ier auf meinen
^ai^an gefpannt, unb beforgt jid^ baoon, id^ weiß nid^t maS. 9lBer, lieber
SSruber, felBjl bu l^ajl bir eine ganj unred^te 3bee baoon gemad^t. @§ wirb
nid^tS weniger atö ein fatirifd^eS ©tüdE , um ben Äampfpla^ mit §oBnge=
läd^ter gu »crlaffen. @S mirb ein fo rüi^renbeS <StiXd, als id^ nur immer
gemad^t l^abe, unb ^err SUlofeä l^at ganj red^t geurtl^eilt, bag ftd^ ©pott unb
Sad^en ju bem Zont nid^t fd^idCen mürben, ben id^ in meinem legten ®Iatte
ange|iimmt (unb ben bu aud^ in biefer ijolge beobad^tet flnben wirft), falls
id^ nid^t etma bie gange ©treitigfeit aufgeben mollte. %ber bagu l^abe id^ nod^
gang unb gar feine Sujl, unb er foH fd^on feigen, bag id^ meiner eigenen
®ad^e burd^ biefen bramatifd^cn Slbfprung im ©eringjten nid^t fd^abe ....
äReine 9lnlunbigung beS Slatl^an l^abe id^ nirgenbS l^ingefd^id(t , als nad^
Hamburg, ©onji ilbcraH, romn bu mittft, fannji bu bein 3lt1^ für mid^ aufs
jiettcn. 3^ beforge fd^on, ba§ aud^ auf biefcm SOBegc, auf mcld^em fo SSiclc
etmaS gemad^t l^aben, id^ nid^tS mad^en merbe , menn meine t^reunbe für mid^
nid^t- tl^ätigcr ftnb, als id^ fclbjt. Slber menn fte cS aud^ finb, fo ijl oiel^
leidet baS ^ferb oerl^ungert, cl^e ber §afer reif geworben."
9lm 7. 5Rot). an Äarl : „3Jicin Siatban, wie mir ^rofeffor ©d^mibt unb
©fd^cnburg bcgeugen Knnen, ijt ein ©tüdt, meld^eS id^ fd^on t)or brei ^al^ren,
gleid^ nad^ meiner ^uiA^n\t oon ber SRcife , ooÖenbS auf's SRcinc bringen
unb bruden laffen moKte, 3d^ b^bc cS Je^t nur mieber oorgefud^t, weil mir
auf einmal beiftel, ba§ id^, nad^ einigen fleinen SSerdnbcrungen beS ^lancS,
bem fjeinbe auf einer anberen Seite bamit in bie ijlanlen faöcn lonne. 2Rit
biefen SSeränberungcn bin id^ nun gu Sianbe . . . 9Rein ©tüdt b^t mit um
fern ie^igen ©d^wargrbdCen nid^ts gu tl^un, unb id^ miQ i^m ben äßeg nid^t
felbfl »erbauen, cnblid^ bod^ einmal auf S jC^eatcr gu lommen , wenn eS aud^
erjl natl^ l^unbcrt Sabren möre. 3)ie "it^toloitn aller geoffenbarten ^Religionen
werben freilid^ inncrlid^ barauf fd^impfen; bod^ bawibcr ftd^ öffentlid^ gu er^
Karen, werben pe wol^l. bleiben laffen. — 3tber nun fage mir, waS wiU
eigentlid^ §crr SSog? 2)urd^ wcld^eS neue 3lt)crtiffement glaubt er mir ben
bcfagten SSortl^cil oerfd^affen gu fönnen? ©iefer 3Sort]^eil würbe mir aUers
bingS fcl^r wiUfommen fein; benn id^ bin nie ein ijeinb oom ®elbe gcwefen,
unb ie^t bin id^ eS am aUcrwenigften. Den S3efl^ meines ©tüdfS nad^ ber
©ubfcriptton l^abe id^ il§m von 9lnfang an gugcbad^t. — SRur mit bem ^räs
numeriren mbd^te id^ nid^tS gu tbun l^aben. ^mn wenn iä) nun plb^lid^
fiürbe? @o bliebe id^ oieHeid^t taufenb Seuten einem jeben einen ©ulben
fd^ulbig, bcren jcber für gebn 5:balcr auf mid^ fd^impfen würbe. Unb wogu
aud^ ? ®elb bis gu Oftcrn braud^e id^ freilid^, unb bie Sorge, eS angufd^affcn,
wirb mid^ oft in einer 3lrbeit unterbred^en, in ber man gar nid^t untcrbrod^en
fein mü^UJ'
1. S)cc. an Äarl: „SOBenn id^ bir nod^ nid^t gcfd^riebcn babe, bag baS
Saumgattner, Scffing. —^ — 16
130 5Dct Äomöblc mit bcn $:§cotogcn brlttct Z^til jc.
®tü(! in SScrfen iji, fo roirfi bu bfd^ »crmutl^nd^ tounbern, eS fo ju finbcn;
la§ btr aber nur wcntgficnS nid^t Bange fein, ba§ id^ barunt fpäter fertig
werben würbe. SDletne ^rofa l^at mir von jel^er mel^r ^txt geloflet, al§ SSerfe."
19. 3)ec. an Äarl : „3d^ miß bod^ nid^t l^offen , ba§ mir ber ©enfor in
33erKn mirb ^änbel mad^en? 3)enn er bürfte leidet in ber fjolge mel^r fel^r
onffaUenbe ^tiltn flnben, menn er au3 ber 9ld^t lägt, au^ meld^ism äßunbe
pe fommen, unb bie ^erfonen für ben SSerfaffer nimmt."
10. Sian. 1779 an $erber: „3d^ miß l^offen, bag ®ie meber bcn ^ro^
pl^eten SRatl^an, nod^ eine Satire auf ®5je erwarten. @S iji ein 5Ratl^an,
ber beim Soccaccio ÜReld^ifebef l^eifet , unb bem id^ biefen Slamen nur immer
l^ötte laf[en {5nnen, ba er bod^ mol^l, wie äJteld^ifebel, ol^ne @|)ur t)or ftd^ unb
nad^ ftd^, mieber an^ ber 9Belt gelten mirb. Introite, nam et heic Dil sunt I
(Äommt l^erein! 2lud^ l^ier jlnb ®Btter ju l&aben!) fann id^ inbe§ fidler meis
nen Sefern gurufen, bie biefer Tjing^Qcig nod^ unmutl^iger mad^en moöte."
16. Wlaxi 1779 an Äarl: „3c§ mei§ Ja meber wie t)iel ©ubfcribenten
bu, nod^ mie vitl SSog l^at. 9lm @nbe !ann \a SSog nid^t einmal fo oiel
l^aBen, bafe nur bie 300 SJ^aler an 3R. 3B. (ÜJlofcS Söeffelp) in Seipjig ba^
Don itidf)lt werben tbnnm. 9ll§bann {ame id^ gut an I SDenn id^ l^aBe an
3R. SB. einen Söed^fel barüBer auf t>ier SKonate auSgeftettt, ber mir fobann
auf ben ^afö fame, ol^ne bag id^ bie geringjie 2lnfia(t be§faH§ gemad^t l^ötte.
S)u glauBft nid^t, wie mid^ ba§ Belümmert, unb e§ wäre ein SGßunber, wenn
man e§ meiner SlrBeit nid^t anmertte, unter weld^er Unrul^e id^ fte jus
fammenfd^reiBe."
SJlac^trögtid^e SSemerfungen gum Sftatl^an: „3n bem ^ifiorifd^en , wa§
in bem ®tüdC ju Orunbe liegt, l^aBe id^ mid^ üBer aße 61§ronologie l^inwcgs
gefefet; id^ l^aBe fogar mit ben einzelnen Slamen nad^ meinem ©elieben ge^
fd^altet. Unb bie ^nfpielungen auf wirllid^e SegeBenl^citen foßen Blo§ ben
@ang meines ^tndt^ motit)iren."
Sorrebe gum JJlatl^an (au§ 8.'§ SRad^lag). „ßö iji aßerbing§ wal^r,
unb id^ l^aBe e§ feinem meiner greunbe »erl^el^lt, ba§ id^ ben erflcn ©ebanfen
jum Slatl^an im S)efameron beS Soccaj gefunben. 9lßerbing§ ift bie britte
Sftooeße be§ erjien Sud^S , biefer fo reid^e Queß tl^eatralifd^er ^robucte , ber
Äeim, aus weld^em jid^ SRatl^an Bei mir entwidCclt l^at. älBcr nid^t erji ie^t,
wol^l crft n a d^ ber ©treitigf eit , in weld^e man einen Saien wie mid^ nid^t
Bei ben paaren l^ättc jiel^en foßen. 3d^ erinnere biefeS gleid^ 2lnfang§ , ba^
mit meine Sefer nid^t mel^r 3lnfpiclungen fud^en mögen, als beren nod^ bie
Ic^te §anb l^ineinjuBringen im ©tanbe war.
„Sftatl^an'S ©efinnung gegen alle pofitioe 9ieligion ift
oon iel^cr bie meinige gewefen. 3lBer l^ier ift nid^t ber Ort, fle ju
red^tfertigen.
„aSenn man fagen wirb, biefeS ©tüdt leiere, ba§ eS nid^t oon geftern l^cr
unter aßerlei Solfö Seute gegeBen , bie ftd^ üBer aße geoffenBarte Sfteligion
l^inwcggefe^t l^ätten, unb bod^ gute Seute gewefen wären; wenn man l^inju-
fügen wirb, baß ganj ftd^tBar meine SlBjtd^t bal^in gegangen fei, bergletd^en
Seute in einem weniger aBfd^eulid^en Sid^te oorjujießen, als in weld^em ber
288
SDcr Äomöbie mit ben Stl^cologcn brittcr 5:i^I k. 131
^rijilid^c ^oBcI fte gememialid^ txUxit: fo werbe td^ nid^t ©tcl bcigcgett eins
iutotnhtn fyihtn. ^enn (eibe§ {ann auä^ ein SDlenf^ leieren unb jur SlBfid^t
^a6en woHcn, ber ntd^t jebe geoffenBarte JRcltgion, ntd^t jebe gang »erwirft.
9Kid^ ate einen fold^en gu jleHen, Bin id^ nid^t perfd^lagen genug, boc§ breifl
^enug, mid^ al3 einen fold^en nid^t ^u oerfteQen.
,,a5Jenn man aber fagen wirb, bog id^ wiber bie poetifd^e ©d^idtlid^feit
gel^anbelt unb ienerlet Seute unter 3luben unb HRufelmännem woöe gefunbcn
J^aBen, fo werbe id^ gu Bebenlen geBen , bag 2>uben unb SDiufelmänner bamalS
bie einzigen Oelel^rten waren; bag ber Jlad^tl&eil, wd^m geoffenBarte didu
gionen bem menfd^Ud^en ©efd^Ied^te Bringen, gu leiner 3cit einem oernünftigen
äRanne muffe auffaHenber gewefen fein, al§ gu ben ^dtm ber Äreujgüge,
unb ba§ eS an SCßinten Bei ben ©efd^id^tSfd^reiBern nid^t fel^lt, ein fold^er
Demünftiger Sölann l^aBe ftd^ nun eBen in einem ©ultane gefunben.
„3Benn man enblid^ fagen wirb, ba§ ein ©tüdE »on fo eigener Xenbeng
nid^t reid^ genug an eigener ©d^önl^eit fei, fo werbe id^ fd^weigen, aBer mid^
tiid^t fd^ämen. 3^ ^'^^ ^^^ eines ^itlt^ Bewußt, unter bem man
aud^ nod^ oiel weiter mit allen gieren BleiBen !ann.
„9lod^ fenne id^ feinen Ort in S)eutfd^lanb , wo biefeö <BtVid fd^on je^t
aufgefül^rt werben f önnte. 5lBer §eil unb @IM bem , wo eS guerfi auf^
gefül^rt wirb."
18. 9lpril 1779 an Äarl: „@§ fann wol^l fein, ba§ mein
^latl^an im ©angen wenig SEBirfung tl^un würbe, wenn er auf
baS Sl^eater tarnt, weld^eS wol^l nie gefd^el^en wirb. ®enug,
wenn er fid^ mit^ntereffe nur liefet, unb unter taufenb Sefern
nur einer barauS an ber (Soibeng unb 3lllgemetnll^eit feiner
3ieligion gweifeln lernt."
®aä ift in i^ren §auptmomenten bie ©ntftel^ungögefd^id^te beä ,9las
t^an'. 5yiod^ Beigufügen ift, ba^ bie SScrfiftfation, am 14. 5«ot)emBer 1778
begonnen; gegen @nbe 9)idrg 1779 uoffenbet toarb, unb bafi ia^ ©tüd,
jum ^reiä Don 18 ©rofd^en, gcrabc nod^ Dor SCI^orfd^tu^ auf bie Seipgiger
Oftermeffe Jam. Slufgcfül^rt warb e^ guerft in bem ii)m ocrl^a^tcn ©crlin,
am 14. Stpril 1783.
Slug itn mitgetl^eilten Zotigen ift t)or SlHem erfid^tlid^, ba^ Slatl^an
nid^t nur fein gefd^id^tlid^eä 3)rama, fonbern nad^ ber SlBfid^t feineg SJcr::
fafferg ntd^t einmal ein ftreng l^iftorifd^ gefdrbteg SEenbengbrama ift. ©g
foHte aud^ feine ©atire auf ®öge fein, wie SBolfgang 3Jiengcl unb Sin::
berc bel^auptct ^^ben. ©ä ift, voie Seffing unS beutlid^ genug fagt, eine
teligionäspl^tlofopl^ifd^e Sftebe in bramatifd^er gorm, bie geiftige S^rtfefeung
ber antigögifd^en ©treitf d^rif ten , ..ber Slbfd^lufe feiner „Äomobie mit ben
Sl^eologen". ©o flar unb unuerblümt entl^üHt er feine Stenbeng unb
ben 3wf ttnimenl^ang ber bramatif d^en 5tenbcngf d^rift mit ben f rfll^eren fl^eo?. , .
» t * ■*
239 •' ' ' 1
132 S)et ^otnoble mit bcn Zf)tolo^tn brlttcr Z^dl ac.
lüßtfd^cn ®treit[d^riften, ba§ toir t)olIftdnbtg ju bcm SRüdfd^lu^ bcrcd^tigt
ftnb, er l^aBc fd^on bei ber JperauSgabc bcr Fragmente lein anbereä ^itl
Derfolgt, alö bagjenige, raaS er im SRatl^an erftrebtc. SDie^ 3^^^ *P/ i^
feinen ßefern 3^^^^! ^n bcr ©üibeng unb Slllgemeinl^eit
il^rer pofttiDen 8fieIigton ju erroetfen, unb ba er Ja für einen
beutfd^cn; d^riftlid^en SeferfrciS fd^riet unb ba er roiffen lonnte unb ntufete^
ba§ ber d^riftlid^e ©laube ftd^ mit biefem 3^^^!^^ ^W t)ertrdgt — b e n
d^riftltd^en ©tauben bur(| fd^ einbar roiffenfd^aftlid^e ^xoti^el
gu untergraben. 5)ie Verausgabe ber J^agmente forool^I, al§ bie
ganje fid^ baran fnüpfenbe tl^eologifd^e gelobe war fomit im tiefften ©runbe
ein beroufeter unb rool^lbered^ncter ©turmlauf gegen alleö
pofttiüe ßl^riftentl^um; nur infofern Äomöbie, atö ficfftng öffentlid^
mit feiner Slbfld^t l^eroorgutreten fld§ fd^eute, feinen Sfngriff unter fünftlid^en
SBinleIjügen maSfirte unb il^n gulefet in einem bramatifd^en ©ebid^t befd^lo^.
SGBe^l^alb aber £e[ftng bei biefer oöKig bramatifd^en ©infleibung beg
Äampfeä ben „rül^renben Son" einem Iomifd^4<^tt^if^^ii ^orgog, erl^efft
genugfam auä feiner SKbfid^t, vov einer burd^roeg nod^ am ßl^riftent^um
l^dngenben Sefemelt bie 3Jle{nung annel^mbar gu mad^en, ba^ man ol^nc
pofittüe ^Religion ein red^t guter 3Äenfd^ fein Ifönne, ba§ SÄeligion gleid^
Siebe fei unb ba^ am 33ogma nid^tS liege. S)ie^ gro|e SiebeS^ unb Zo^
lerangbogma, baä äße übrigen ©ogmen erfefeen foKte, war il^m in ber
§ifee be§ ©treiteä giemlid^ auä ben SÄugen gelommen unb er l^atte einen
Son ber fieibenfd^aftlid^Ieit angefd^lagen, ber mit feinem ^o^anneäteftament
gang unb gar nid^t mel^r ftimmte. „©ie wollen mir bie 5Jlafe abfd^neis
ben/' ^ötte er im lefeten Slntigogen bem ^auptpaftor gugerufen, ,,unb td^
foH Sd^rer nid^t mit etmaä assa foetida rdud^ern?" S)iefe unb beriet
3leu|erungen waren nid^t gerabe bagu angetl^an, bie jol^anneifd^e Siebe
beg »ibliot^elarä, feine Siebe für bie d^riftttd^e Strabition unb fein ^xu
ftentl^um M emften, biKigbenfenben ^öidnnern gu empfel^len. ©n gellen^
be8 ©eldd^ter k la SSlumauer über ben „l^ammonifd^en Od^fen" l^dtte
bie Stdufd^ung t)öllig Dernid^tet unb ben feid^ten Unglauben Seffingä in
feiner gangen Oberfldd^lid^Jeit unb Unmal^rl^aftigleit bloßgelegt.
Snfofern war bie SDagmifd^enlunft beS SonfiftoriumS bem 3lufflds
rungSmerJe burd^auS günftig. Sefftng l^atte ^dt, bie @tnbrüdfe beS lieb:^
lofen ÄraroaffS unb ber Asa foetida ftd^ oerlieren gu laffen. @r !onnte
fid^, einige Heine, ernftere ^ugbldtter abgered^net, l^inter bie ßouliffen
gurüdfgiel^en, unb erfd^ten erft nad^ ^al^reSfrift mieber in ber erl^abenen,
x>aliflrten ©eftalt 5«at5an§ beg SBeifen. ©eine SBürbe unb @elbft=
: : 240
•Vi
S)et Äomöblc mit ben Stl^cotogen britter ^l^cil ic. 133
tcl^errfd^ung mufete jefet 3^^^^*wtönn in frcubigcä (Srftauncn ncrfefecn.
SSom SRofcnbuftc bcä Orients unb von ben magifd^en ©tral^len ber ^oejlc
umfloffcn, ftieg er afö DerKdrte ©ngcKgcftalt auS bem njirren ©etümmel
beS ®öge=©treiteS empor unb [ein einjigeä SEBort war: Siebe!
„aSol^tan !
@S eifte jebet feinet ituBeflod^^nen,
$on Sorurtl^feilen freien Siebe nad^!
@3 fttebe von eud^ ieber um bie ^tttt,
SDie ^TQft beS ©teinS in feinem dtinq an Za%
3u legen! fomme biefer ^roft mit ©anftmutl^,
2Ält ^txß^tt ^^erttägtid^reit, mit Söol^Itl^un,
^it innigfler ©rgebenl^eit in ®ott
3u |)ürf! Unb wenn ftd^ bann ber Steine Gräfte
©ei euern ÄinbeSsÄinbetn augetn:
@o lab* id^ übet taufenb taufenb '^al^xt
@ie roiebetum 00t meinen ©tul^T. $)a roitb
@in weiftet 3Wonn auf bicfem ©tul^te fi^en,
SlIS id^, unb fpted^en."
®o arm baS ©tütf an Jpanblung war, fo reid^c Duetten eröffnete
eä bem ©id^ter, feine Siolcranjlel^re poetifd^ ju entroidfetn unb feiner
Ißrebigt gleid^geitig baS not^ige SBol^lrooHen ju fd^affen. 9111er 3<inl unb
§aber ift üergeffen; fiefftng lÖmmt atö Slatl^an von einer langen, langen
9leifc jurüdE, atö ein ©reiä voU ©eelenabel unb Jpol^eit, uneigennü^iger
Siebe, geroinnenber ©eetenrul^e unb 3Jiaicftdt. @r fflmmert fid^ nic^t um
baS JpauS, baä in feiner Slbroefenl^eit Derbrannt ift, er gerdtl^ in fein
fd^roelgerifd^eä GntgüdCcn über bie ^Rettung feiner 2:od^ter, bie mit genauer
3lotf) bem glammentob entging. SSor Sfilem miff er bem SRetter banibar
fein, unb tabelt barum bie ©d^mdrmerci beS pl^antafiereid^en 9Jidbd^enS,
baS feine Slettung lieber ®ott unb feinen ©ngeln alä bem menfd^lid^en
SRetter jufd^reibt. 35er 3fietter ift ein d^riftlid^er Tempelritter, alfo ein
gefd^raorner ^einb beä Suben unb feiner Station. S)od^ 5Rat]^an l^at ftd^
Idngft über nationales unb rcligiofeS Sorurtl^eil jur reinen, oofffommenften
9Jienfd^lid^Ieit erfd^roungen ; er fud^t il^n auf, er banft il^m unb wirbt
uncigennüfeig um feine ^reunbfd^aft al8 um bie ^Jreunbfd^aft eineS „3Äens
fd^en". 3fleid^ roie ein ©röfuS, weife mie ein ©alomon unb gütig wie
«in Sl^riftuS, eilt er, obwol^l 3ube, bem fd^led^tbefteöten giäcuS beS mu«
l^ammebanifd^en ©ultanS ©alabin ju §ilfe. ©tatt S^n'\tn unb 3^^?^^-
ginfen fud^t er bei ber ebelmütl^igen ©elboperation nur bie ©elegenl^eit,
wol^ljutl^un unb „SBeiSl^eit" ju oerbreiten. Unb n)ie erl^aben, l^immlifd^
ift feine SGBeiäl^eit! ©ie oerföl^nt alle bie ftreitenben SReligionSparteien
241
134 SDcr Äomöbic mit bcn Xl^cologcn btittcr S^ctr jc.
ouf ^ben, tnbem fic bicfclbcn tl^rer Itnbi|d§cn Slcufecriid^feitcn entllcibet;,
jtc in bcr SBal^rl^ctt bcr aScmunft unb bcm fü§en Sanbe menfd^lid^cr
ßic6c oerctttt, aCe öleligioncn abfd^afft, um aCe ^cnfd^en in einer neuen
Söeltreltgion gu Derbrübcrn! Unb biefe Siebe ift fein leerer ^lang! SÖBte
jie bereits ben S^ben mit bem ßl^riften unb SDlo^ammebaner freunblid^
jufammengebrad^t, bem 3;empler dnt ©eltebte unb bem ©ultan ®elb Der?
fd^afft unb bie brei aJlonotl^eiften von unnötl^tgem SfieligionSflitter befreit:
l^at , fo bemdl^rt jie ftd§ , bei ber ßofung beä bramattfd^en ÄnotenS, in
jenem erl^abenen ^eroiSmuä, ben ber ßl^rift nur t)on ber d^riftlid^en ßl^a^
ritaS gu ermarten gerool^nt ift. ©taunenb l^ort man, bafe S^atl^an, radl^s:
renb fid^ ßl^riften unb 3JlufeImdnner au8 SftetigioitSl^a^ beldmpften, grau
unb Äinber, fieben ©ol^ne, burd^ bie §anb blutgieriger ßl^riften verloren
l^at, unb ba| et im felben 2lugenbIi(I, unberul^rt oon §a§ unb SRad^e^
bie ^Rettung eineä armen (Sl^riftenfinbeä übernal^m, ba§ er biefem SSStaic^
d^en ein liebeDoffer 3Sater warb, unb bafe er Jefet bereit ift, il^r fünftige^
ßebenäglüdE mit ber ^rten S^rennung t)on bem lieben 33Befen gu erlaufen.
SBeld^ ein 3ubel 5)er Ätofterbruber ruft au^er fid^ t)or Semunberung :
„9lat]^an , S^atl^an 1
3^r feib ein ^ü^l — ©et @ott, Sl^r feib ein ^l^tllt!
@in beff'rer (Sl^rifl war nie!"
Unb aud^ bcr (Sott, bem an allen pofttiüen SReligionen gletd^ Diel
unb gleid^ nid^t§ liegt, fd^eint je^t gerül^rt: er ld§t ©alabin unüerl^offt
3U ®elb lommen, in bem t)ermeintlid^en ^^li^^w^täbd^en eine 5ftid^te, in
bem abgefallenen Jiempler einen 9leffen, in iem ^ubcn ben größten SSBol^t
tl^dter feiner gamilie crfennen. 2)ie aufgeklarte SÄed^a unb ber gelübbe^
freie 2:empell^err umarmen fid^ als liebenbe ®ef d^mifter , ein mul^amme^
banifd^er Dnlel unb eine mul^ammebanifd^e Sante l^alten baS ©efd^roiftcr:^
paar feiig umfd^lungen, ber ^nit 5>lat]^an (jugleid^ ginanjminifter unb
5Winifter ber ^ird^en^ unb ©d^ulangelegenl^eiten) breitet fegnenb bie §dnbe
über fie au8 ; Sl^riftentl^um, Jpeibentl^um, Subentl^um finb vereint in brü:^
httlx^:^]ä)n)e^kxlx^tx Siebe — unb ber SSorl^ang fdUt.
Um ben erl^abenen, jübifd^en ©relä, beffen ^anblungämeife d^riftlid^e
©runbfdfee atl^met, rodl^renb Sefftng il^n emft unb fanft, aber nad^brüdEs
lid^ unb beftdnbig gegen alle geoffenbarte Sfleligion prebigen Id^t, grup:^
piren fid^ gleid^fam als gaffung beS ©belfteinS ber eble ©ultan unb feine
nod^ eblere ©d^mefter, bie eble jübifd^e ^flegetod^ter unb ber nod^ eblere
5:empell^err, fdmmtlid^ baburd^ fo ebel unb gu allem ©belmutl^ fdl^ig,^
ba§ fie im §erjen jebe pofitioe Sieligion entmeber fd^on abgeftreift l^aben
5DcT Äomoblc mit ben Xl^cologcn britter ^^cil k. 135
ober baran finb, fie abjuftrcifcn. 3fled^a mu^ bcn (Snget unb 2öunber=
glauben aufgeben, um mcnfd^tid^ ju lieben; ber SRitter mu| feine OrbenS*
gelübbc bred^en, mn ntenfd^lid^ ju füllten unb menfd^lidpe ©ro^mutl^ ju
betl^dtigen; ©ittal^ unb ©alabtn finb fo menfd^enfreunblid^ unb uneigen^
nü^ig, weil fie ben Äoran nur geiftig erf äffen. SEBdre alle§ religtöfe
aSorurtl^eil aBgeftretft, ba3 fielet man, bann märe ber ^JKenfd^^^it gel^olfen
— alle SJlenfd^en mürben ©ruber, fitebe il^rc einzige ^Religion!
35ie Serl^errltc^ung ber beiftifd^en $ftaturreligton , auf meldte fomol^l
bie ©l^draltcriftif ber ^erfonen als bie §anblung l^inauSlauft , be!ömmt
il^ren sollen SRad^bruÄ aber erft burd^ ik ^tiä^nun^ ber ftnftern 3Jiad^t,
meldte il^r im geben gegenüberftel^t unb im ©tüdfe boS Jpauptmotit) ber
aSermidElung bilbet. S)iefe ftnftere aJiad^t ift nid^t etma baä t)erfolgung§=
füd^tige ^ubentl^um, nid^t ber graufam fanatifd^e 38lam, nid^t ein feinen
©runbfä^en untreu geroorbeneä ß^^iftent^um — e8 ift ba§ ßl^riftentl^um
felbft, unb gmar nid^t in biefer ober jener confeffioneKen 5<^ffiti^8/ fonbern
ba§ ß^riftentl^um alä pofitit)e, geoffenbarte, bogmatifd^e 9teligion. SSBie
bie beiftifd^e 5Jlaturreligion bie oerfd^iebenften 3nbit)ibualitdten , ©alabin
unb ©ittal^, ben S:empler unb Sled^a, SRatl^an unb Sil §afi mit bem
3auber beS reinften, fd^önften (Sbelmutl^S ju umlleiben Dermag, fo ift
baS 6l§rtftentl^um als 2lbfall von ber aSemunft nur jmeier ©runbformen
f dl^ig : ber Jpeud^elei unb ber (Sinf alt, beS ^l^arif diämuS unb beS btinben
Äöl^lerglaubenS. Sener ift in bem ^atriard^en, biefer in bem ifi^lofter^
bruber unb ber ^o\t ©aja oerförpert.
SBdl^renb ©alabin bem 2:empler baS Seben fd^enft, liefet ber ^a^
triard^ ben SÄtttcr auf, feinem SBol^lt^dter auö SReligionSl^afe Seben unb
9fieid^ oerrdtl^erifd^ ju rauben. SBdl^renb ©alabin oon htm ebeln 3^i*^n
®elb ju borgen genötl^igt ift, [tro^t ber ^atriard^ im prunfenben Ueber=
flu^ feiner gelbgierigen Äird^e. SSBdl^renb SRatl^an ber ^i^be nad^ bem
SBerluft feiner Äinber ein (Sl^riftenünb aufnimmt unb rettet, forbert ber
^atriard^ Äinb unb aSater auö bloßem ©laubenSl^a^ auf ben ©d^eiter=
l^aufen. SiebloS, i^erjloS, für jebe menfd^lid^e Biegung unempfdnglid^, miß
ber lügnerifd^e Pfaffe nur befi^en unb l^errfd^en — unb baS 3Jiittel l^ieju
ift feine pofitiue, angeblid^ geoffenbarte ^Religion.
©eftaltct fid^ iaS (Sl^riftentl^um in bem ^nkUi^tnUn ju einem 3lu§5
bunb oon l^eud^lerifd^em unb graufamem Fanatismus, fo erfd^eint eS in
bem Summen als bemitleibenSroertl^er SBal[in. S)er ^lofterbruber bient
bem ^atriard^en gu allen ©d^urf ereien ; aber er mei^ eS eben nid^t beff er ;
er ift jum ©el^orfam gebrillt unb burd^ bie blinbe ©emol^nl^eit unfdl^ig
' 243
I
136 ®«^ Äomobie mit bcn Xf)tolo%tn brltter Z^dl k.
gctüorbcii; baS 3od§ bcr Unvernunft non fid^ ju werfen. @o ift*ä aud^
mit bem bummgldubigen SCöeibe: 35aja fielet unb lann'S mit §dnben
greifen, bafe Sfuben unb SÄu^ammebaner beffer finb, unb bod^ n)ei§ fic
ft(| ju leinem beffern ©cbanlen ju erfd^roingen, als bie d^riftlid^e ^ßflcgcs
tod^ter bem jübifd^en ^flegeoater ju entfül^ren. SBaS nod^ ©uteS an ben
(Sl^riften ift, baS rül^rt nid^t Don ber oermeintUd^en ©öttUd^Ieit beS 6l^rt=
ftentl^umS l^er, fonbem bat)on, ba^ ber SJienfd^ 6l^riftuä gufdffig nod^
ein ertrdglid^ guter 3JJenfd^ war.
„5Du fennft bie ^l^tifien nid^t, iDiUfl fte nid^t fennen.
Sl^t ©totj Ift: (Sl^tiflen fein; nld^t üjfjcnfd^en. ®enn
@elbfl baS, roa& nod^ t)on Hütern Stifter l^et
aWlt aJlenfd^Ud^Wt ben Stbctglauben njürjt,
^a3 Heben fte, nld^t loell eS ntenfd^lld^ 1{I :
mdV& ^l^rlfiuS lel^rt , n)ell'3 (Sl^rl^ud l^at getl^an.
SEBol^l ll^nen, ba§ er ein fo guter aWenfd^
92od^ war! SBol^t ll^nen, ba^ fie feine Sugenb
2luf $:reu unb ©lauben nel^men tonnen ! — ®od^ ,
SSBaS 5:uöenb? feine 5:ugenb nld^t, fein ^amt
@ott überall oerbrcltet werben ; füll
$)le 9^amen aller guten ÜÄenfdJen fd^anben,
SSerfd^llngen. Um ben Flomen, um ben S^amen
3fi li^nen nur ju tl^un."
244
35ag poptioe ©l^riftentl^um war ftcfcitigt; eS l^anbcltc fid^ nun
barum, bte Südc auSgufilffcn unb etwaS S3c[fere§ an bic ©tcKc ju [cfecn.
35aS antilc ^cibentl^um lag ju weit ab ; mit beut ^itbentl^um waren [clbft
bie aufgcllärtcn Subcn, n)tc 9Kcnbetöf ol^n , nicj^t juf rieben; ber ^lam,
ben 3Äonte3quicu in feinen 5perfi[c^en ©riefen fo reijenb gemalt l^atte, l^atte
nid^t einmal in granlreid^ ©oben gef unben ; mit bloßer ^l^ilofopl^te roofften
fid^ bie fieute au(| nid^t abfpeifen taffen. Um ftd^ ber d^riftlid^en Suft
angupaffen, meldte ringenb unb fdmpfenb, J^alboerborben unb fd^lummemb
nod^ immer alle ^ol^en unb liefen beS beutfd^cn 3Sol?e§ burd^roel^te, unb
um anberfeitS feine l^iftorifd^en, pl^ilologifd^en unb gefd^id^tS^pl^ilofopl^ifd^en
Äenntniffe nid^t unfrud^tbar im ©anbmeer eines monotonen 9Scmunftcultuä
untergel^en ju laffen, griff ber „confequente" fieffing, ber nur im 3wctfeln
confequent roax, Bel^erjt in baS eben ü^bermunbene pofttioc Sl^riftentl^um
gurüdE unb lie^ fid^ ^tx baS notl^ige 3Jiaterial, um eine neue Sfteligion
barauö gu bauen- 5)cr ®eban!e, ben er fid^ al8 ©runbftein rafil^lte, war
bie ,@rjie]^ung beS 3Jienfd^engefd^led^t§'.
S)ie 2luffaffung ber Offenbarung atö einer ©rgiel^ung beö 3Jienfd^en=
gefd&led^tS ftammt nid^t, mie ^o^. von 3KüIler meinte, oom 1^1. ©pipl^aniug
l^er, fie ift bie Sltefte, einfad^fte, linblid^fte unb jugleid^ gro^artigftc Sluf?
faffung, meldte bie göttlid^e Offenbanmg mit ftd^ felbft in bie SGBelt ge^
brad^t l^at. ©ie ift in bem SSerJ^dltni^ begrünbet, in meld^em fid^ bie
menfd^lid^e Vernunft il^rer JUatur nad^ ju bem unerfd^affenen Sid^te, bem
unenblid^en ©erfianbe ©otteä befinbet. 3Äit i^rer ©egrenjtl^eit, @d§n)dd^e,
©ilbfamleit, ^otentialitdt fielet fie oor bem SHlmiffenben, Unergrünblid^en,
im emigen Slnfd^aucn feiner ©oHIommenl^eit ©eligen, wie ein Äinb oor
feinem aSater. ©ie ift fein Äinb, benn fle ift ein ©tral^l beä^ ßid^tS
oon feinem Sid^te; il^r naturgcmdfeeS ©treben gel^t bal^in, il^m dl^nlid^ gu
werben, il^n gu erlennen unb burd^ ©rienntnife feiner feiig gu fein, ©iefem
natürlid^en ©treben feineS Äinbeö fommt nun ber 2lllmdd^tige mit roal^rer
aSatergüte entgegen, mit jener grengenlofen ßiebegfülle, mit ber er fid^
felbft liebt. 6r oerftdrit il^re ©rfenntni^fdl^igleit, er erl^ebt ben gangen
3Jienfd^en in eine l^öl^ere ©ppre beä ©einä unb be§ ßebenS, in bie uber^
245
138 ®tc //^tglcl^ung beS ÜKcnfd^cngcfd^lcd^tS" als ncucS (5t)anöclium.
natürlid^e 2Intl^etlnal|mc an feinem göttlid^cn ßeBen empor. @r fügt ju beut
gSttltd^en ©tral^I beg natürlid^en Sid^teä baS löftltd^c ©efd^meibe übematüt:^
Kd^er ®nabe, eine innigere ^nbfd^aft, ben SSeruf, @ott ju fd^auen, wie er
tft. STB Äinb ®otte8 foC ber erftc SRenfd^ burd^ freien ©el^orföm feine
ÄinbcSliebe Beradl^ren ; ®ott gibt xlftn ein @e6ot ; Slbam fallt, nnb in il§m
bie folibarifd^ verfettete 2)ienf d^l^eit ; aber bie Siebe be§ aSaterS l^ebt i^n
t)om galle roieber auf unb oerroanbelt nun bie einfad^^finblid^e ^dbagogüt
beä erftcn ©ebotS in jenen wunberbar t)erfd^lungenen ©rjiel^ungSpIan, ber
bie Sffielts unb 9Renfd^engefd^id^te gu einem großen ©onjen geftattet.
Um bie SJienfd^l^eit baS Sebürfnife einer ©rgtel^ung empfinben gu
laffen, übertä^t ©Ott fte bem ftolgen 3«9^ ^^^^ Jpergen« unb allen SSer::
irrungen ungejügelter greil^eit. ©ie fott inne werben, bafe fie fid^ nid^t
felbft genügt, ba§ fte fid^ nid^t felbft ergiel^en lann, baß fie beS SSaterä
§anb bebarf, um in ben feiigen Sefife il^rer maleren §eimat]^ gu fommen.
fiicbeooH giel^t ©ott auä ber bunten ^Jamilie ber SSöIfer txn SSott l^eroor,
bag aSott be§ §eileä unb ber 35er]^ei§ung , fein aSoH — nid^t als ob
eö burd^ befonbere Sf^tettigenj unb SEugenb bie ©nabenmal^l oerbient l^atte
ober l^ätte oerbienen tonnen, fonbcrn wül ©ott auS feiner 3Kitte ben
JÄetter ber SSölfer, ben größten unb legten, ben einzigen Seigrer ber ?Dlenfd^^
l^eit erftel^en laffen will. 5)aS SBer! ber ©rjiel^ung jielt bal^in, ©ott
unb 3Jienfd^]^eit nid^t nur im S^^f^^*^; ^W ^^^ ^^ '^^^ ®^I^ ^^^ ®i^
jelnen, fonbcrn aud^ im 3)ieffeit3, im focialen SSSlIerleben ju t)ereinen,
alle 3Renfd^cn um einen Seigrer ju fd^aaren unb biefer Seigrer fott baS
3beal ber 3Jlenfd^l^eit, ein menfd^gcmorbener ©ott fein. 2)iefen Siebling
feines §erjenS, bie menfd^geroorbene SBeiSl^eit unb 9Renfd^enfreunblid^feit
fd^aut ©Ott üon ©migfeit — nad^ unferer Sluffaffung — mit fel^nenbem
Verlangen ; um feinetmitten wirb baS Soll, bem er entftammen fott, mirb
SSrael fein ^nabe, ber Siebling feineS ^erjenS, baS auSermal^lte 3Solf.
5Jlid^t um bie 3Renfd^§eit burd^ bie^ auSermdl^lte SSolf ju einer reineren
aSernunfterlenntni^ ju führen, fonbern um fie burd^ baSfelbe gur Slufnal^me
beS emigen Sel^rerS oorjubereiten, gibt er x^m bie ^atriard^atOffenbarungen
unb baS mofaifd^e ©efefe, fenbet i^m feine Soten unb ißropl^eten, mad^t
fein Seben ju einer Äette oon SBunbern unb feine ©efd^id^te gur lebenben
unb fortlebenben SSerl^ei^ung unb baut auS ber gottlid^en ijül^rung oon
oier 3i<i5^taufenben jene riefige SSeglaubigungSurfunbe, an meld^er bie ganjc
fommcnbe TOenfd^l^eit ben ©efalbten beS ^erm, ben eingebornen ©ol^n
©otteS, ben Seigrer ber aSölfer erfennen fann. SÖBdl^renb bie oier Sal^r^
taufenbe burd^ baS 5ftaturgefe$ unb bie mofaifd^e ©a^ung Sid^t genug er?
246
$)lc „©rjicl^unö bcS aWenld^cngcfd^tcd^tS" als ncueS @t>angelium. 139
Italien , um bem ©injclncn bic ©rreid^ung fctncg ^itk^ ju crmöglid^cn,
jteft bic göttlid^e ©rjtcl^ung nad§ bcr Scl^rc bcS 1^1. ^auluä im 3flomct=
Brief l^auptfäd^lid^ barauf, bcn ©tolj bcS 3Jicn[d^en, feinen bdmonifd^en
$ang gut @cI6ftt)ergötterung gu bdnbigen, bie inbepenbente, gottocrad^tcnbe
SSernunft einen riefigen ©anferott mad^en ju laffen, um mitten unter bcn
Irümmem, an^ bemütl^igen unb gel^ciligten menfd^Iid^en Saufteinen, aber
auf götttid^e Slutorität, auf bie ©ottl^eit 3cfu (S^rifti eine unioerfeffe St^x^
geroalt unb ein fid^tbareä, focial^geglieberteS ©^ftem ber ©rjiel^ung gu
grönben. ©er gange ©rgiel^unggplan ®otte§ gielt nid^t auf eine ©mancipation
beö SKenfd^n t)on ©ott, fonbern auf bie freie, finblid^e, aber in il^rer 3)e=
mutl^ unenblid^ erl^abene Unterwerfung beö SJlenfd^en unter bie göttlid^e
Slutoritdt. 2)e§]^al6 gibt ß^^iftuö feinem ©otteöreid^e leine bemofratifd^e
aSerfaffung; aud^ bie ^irten ber SSöIfer finb bem einen ^etruS untere
tl^an, unb ber SÄu^m biefeS ^etruS ift nid^t, burd^ ben l^Suftgen Umgang
mit bem menfd^geroorbenen SBorte gu einer r>on biefem unabl^dngigen,
felbftdnbigen ^l^ilofopie gelangt gu fein, fonbern bcmütl^iger, finblid^er
unb einfdltiger als bie übrigen 3w)5lfboten fid^ ber Slutoritdt be8 gött^
lid^en Sel^rerö unterroorfen gu l^aben. SDe^l^alb Derfünbet Sl^riftuS bem
©tolge l^eibnifd^er SBeiSl^eit unb bem Jpod^mutl^ jübifd^er ©elbftoergottenmg
vom Äreuge l^erab einen unoerföl^nlid^en Ärieg. Äinber finb feine 8ieB=
linge, 3)emut]^ ift bie Magna Charta feineg 9leid^eS. „SSBenn il^r nid^t
werbet roie Äinber, fo roerbet ii^r nid^t in*S Jpimmelreid^ eingel^en!" 3n
biefem ©eifte verbringt er ben grJ^eren Sil^eil feines SebenS als Äinb,
©d^üler, fiel^rling in freimiffiger Slbl^dngigleit oon SWaria unb Sofepl^.
3n biefem ©eifte rodfd^t er feinen ©d^ulern bie ^ö^e unb ftirbt alS ber
SluSroürfling ber 3Kenfd^l^eit am jtreug. 3n biefem ©eifte rodl^lt er feine
Slbgefanbten : arme, ungelel^rte, Don allen menfd^lid^en SDWtteln entblößte
Seute. „35ie SBelt foU feigen," fagt einer il^rcr ©timmfül^rer ben „fein=
gebilbeten" Äorintl^ern, „ba§ baS, roaS oor ben SJlcnfd^en al8 SBelSl^cit
gilt, Dor ©Ott nur J^or^eit ift/' bafe bie ^Reufd^en nid^t «ffeS felbft
roiffen, fonbern baS Sefte oon ©Ott unb groar burd^ SRenfd^en in 3lb5
l^dngigleit unb ©emutl^ gu lernen l^aben. Unb fo fd^idft benn ©l^riftuS
bie 3n)olfbotcn auS, J)inge gu leieren, bie biS jefet nod^ leine ^l^ilofopl^ie
geleiert l^at, nod^ jemals begreifen roirb, ©acramente gu fpenben, bie ftd^
an ftd^tbare SDinge Infipfen unb bie bod^ feine SCßiffenfd^aft pl^pftfd^ er=
grünben lann, 2:ugenben gu empf eitlen, gegen roeld^e fid^ jeglid^e menfd^^
lid^e Seibenfd^aft empört, ©efe^e gu geben, meldte mit ber ©erool^nl^eit ber
aSöffer im SBBibcrfprud^ ftel^en, bie gange äöeltorbnung , roeld^e bie oon
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140 ^^^ f/@t^ic^ung beg ^Dlenfd^engefd^Ied^tg'' als neues @DangeUum.
©Ott cmanctpirtc SUcmunft gcfd^affen, ü6cr ben Raufen ju roerfcn unb auf
bcr ©afig gottltd^er Slutorttdt eine neue Orbnung ber 5)inge ju errid^ten,
3n bte[er Orbnung tft SÄeltgton unb ©taatöleben, SSBtffenfd^aft unb Äunft,
bie aSoOfornmen^eit bcr (äinjclnen unb ba§ SSBo^l ber ©efefffd^aft; 3lCe§,
30Ie§ auf baö gemctnfame ^rincip bcr 9lutoritdt gegrünbet. ©er teitenbc
©cbanlc berfelben tft: ba§ ber 9Renfd^ unenblid^ wenig roei^ unb oon
©Ott unenblid^ oiel ju lernen l^at, bafe ©Ott fid^ jur ©riiel^ung ber 9Jienfd^s:
l^eit ber menfd^lid^en unb gottlid^cn 2lutoritdt bebient, unb ba§ biefe @r:j
jiel^ung il^rer Statur nad^ barauf l^injieft, nid^t ben SJicnfd^cn ju einem
t)on ©Ott unabl^ängigen ^atbgott ju geftalten, fonbern burd§ Unterwerfung
unter ©Ott bcr unerfd^5pflid&en SReid^tl^umer göttlid^en SBiffenä unb gött*
lid^en ßebenS t^eill^aftig ju mad^en.
35iefen erl^abencn SSBcltpIan ber götttid^cn ^dbagogil l^at nun Sefftng
Döttig auf ben Äopf geftettt, farrifirt unb ocrbrel^t, wie er nod^ t)on feinem
^dretifer frül^erer ^tit Dcrbrel^t rourbc.
S)ic menfd^Iid^c SSemunft fielet nad^ il^m jur gottUd^cn SSernunft nid^t
in jenem incommenfuraWen Scrl^dltnil, roeld^eS bie ^l^ilofopl^ie oermoge
be§ bIo§ natürtid^en Sid^teS erfenncn f ann unb beffen wir burd^ ben ©lau?
ben DoKftdnbig gen)i§ finb; fie fann nad^ Scffing mit rein natürlid^en
Gräften SlHeS miffen, mag ©ott mcife, fo üoßftdnbig mic ©Ott, fo ooH^
lommen mic ©Ott, nur nid^t ganj fo fd^ncD mie ©Ott. ©o mcnig befi=
l^alb eine Offenbarung möglid^ fei, meldte unS übematürUd^e, ben Ärdf^
im ber 5Jiatur unjugdnglid^e SBal^rl^eit berid^tet, fo möglid^ unb paffenb
ftnbet Scffing eine Offenbarung in htm ©inn, ba| ©ott bie @r!enntni§5
proccffe ber 9Jlenfd^]^eit befd^Ieuniöt unb bem ©tammoater einige fd^on tnt-
midette Söal^rl^citen mit auf ben SOBeg gibt, bamit bie SRad^Iommcn nid^t
erft gar ju fpdt auf einen geläuterten ©otteSbegriff u. bgl. !ommen. S)er
9Jicnfd§ fünbigt nid^t; blo§ au§ ©umml^eit unb 33cfd^rdnftl^eit jertl^eilt
er ben einen, reinen © ottcäbegriff , ber aUe aSoUIommcnl^eit in fid^ fa§t,
unb ücrfdilt baburd^ in ben ^oltitl^cigmuä.
SRad^bem ber aSerfud^ ©ottcö, bem Sficnfd^cn burd^ pofitioe SJiittl^cis
lung bie Staturreligion beizubringen, an bcr Scfd^rdnltl^eit bcS SJienfd^en
fo fldglid^ gefd^citert ift — bie ©d^ulb baoon fdHt auf ©ott gurüdf, ba
ber 2Renfd^ M feinem 2lbfatt oom SJionotl^ciSmuä leine ©ünbc begangen
— ba oerfdUt nun ©ott auf ben ©ebanlen, bie aJlenfd^l^eit langfamer
jur 9laturreligion jurfldCjuful^rcn. £)ie ^Kel^rjal^l ber ?öfcnfd^en Idfet er
ganj ol^ne allen ©runb im ^ol^tJ^ciämuS ftedfen. J)a§ jübifd^c 95oH
wdl^lt er fid^ auä : eS foll ber p^ilofopl^ifd^e ©rjiel^cr ber 'üÄcnfd^l^eit mer*
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2)ic „(grgicl^mig bcS SWenfd^cngcfd^Icd^tß'' als ncucS e»angcltum. 141
bcn. 3l^m offenbart er \xä) crft olö bcn ftdrfften aUcr ©ötter, bann al§
einigen ©Ott, ISfet eS aber über bie Unfterblid^teit ber ©eele unb bie Se-:
ftimmung beö SJienfd^en t)5(Iig im Siunfel. ©o fd^led^t unb nid^tgfagenb
ift biefe ©rjiel^ung „im SSatcrl^auö", ba^ anbere aSöHer, namentlid^ bie
5perfer, ol^ne alle Offenbarung, fd^on ju t)iel reineren Sbeen über ®ott
unb Unfterbltd^feit gelangt finb. 3« i^"^" W^^ ^^^ ®^^ f^i" <Ju8r
ermdl^tteS 9JoI! in bie Seigre, ©urd^ baS ^eibentl^um warb bag ^^bentl^um
in ben roid^tigften ©runblagen ber ^Religion genauer unterrid^tet unb auf::
geKart; b. ^. e§ fing an, bie im 2llten Sieftament bilblid^ eingelteibete ?fidu
gionöp^ilofopl^ie ju Derftel^en. 9ttS bie ^uben bann weit genug fortgefd^rit:'
ten waren, um einen eigentlid^en ßel^rer ber ^pi^ilofopl^ie gu verftel^en, lam
ßl^riftuS, ber erfte juöerldfftge unb praltifd^e Seigrer ber Unfterblid^feit.
Ob er ©Ott ober bloßer 2Jienfd^ roar, bleibt bal^ingefteKt ; ob feine Stufer^
ftel^ung unb feine Sßunber l^eute nod^ beroiefen werben lönnen, bleibt ebenfo
bal^ingeftellt. ©enug : SQBeiff agungen unb SQBunber mad^ten feine ^zii%mo\-
fen auf il^n aufmerffam unb fo gelang e§ il^m, bie praltifd^e Seigre oon ber
Unfterblid^feit ju verbreiten, b. ^. feine 2lnpnger bal^in ju bringen, mit
SRüdffid^t auf ein jenfeitige^ fieben nad^ SÄeinigfeit beä §erjen§ ju ftreben.
S)od^ aud^ biefe fie^re ift ein blo&eS ©urd^gangSftabium. SBie unter
ben Silbern be8 2lltcn SeftamcntS, fo finb aud^ unter ben fie^ren be§
5yieuen 2:eftament§ nid^tä weiter atö pl^ilofop^if^ß SQBal^rl^eiten ber Statur?
religion verborgen. SBie ©Ott mit bem 3llten 33unbe blo§ bejroedfte, bie
3)lenfd^l^eit jur Slufnal^me ber Unfterblid^feitölel^re oorgubereiten , fo ift
biefe, ba§ pofitioe ©l^riftentl^um, nur eine jal^rl^unbertlange aSorfd^ule, um
JU einer l^öl^eren pl^ilofopl^ifd^en ©otteSerlenntni^ fortjufd^reiten. Unb wie
©Ott im ?llten 35unb bie SJlenfd^en baju erjog, nm jeitlid^er Selol^nungen
mitten burgerlid^ anftdnbig ju leben, wie er fie im bleuen S3unbe baju
brad^te, um ewiger Belohnungen mitten nad^ innerer ^erjenSreinl^eit ju
ftreben, fo ftel^en wir jefet an ber ©d^wette ber britten unb legten ©r?
giel^ungSperiobe, in weld^er wir — ol^ne 5Reuen unb SKlten SSunb, ol^ne
SBunber unb SBeiffagungen, ol^ne ^ropl^eten unb Seigrer, ol^ne 9lüdCftd^t
auf ©ieffeitS unb Senfeitä, ol^ne 35ogma unb ^l^ilofopl^ie — baS ©ute
um feiner felbft mitten oottbringen werben, in weld^er bie SJienfd^l^eit fo
rein fein wirb, wie ©Ott. SBiä bie 3Jienfd^]^eit fo weit lommt, meint 8ef=
fing, fönnte atterbingS nod^ lange ^tit vergelten. Um fid^ nun bennod^
eine Slntl^eilnal^me an bem ©lüdf jener ©pod^e gu fidlem, nimmt er feine
aufludet JU einer ber dlteften unb abfurbeften aSerirrungen beS aJienfd^eu::
geifteS: gur ©eelenwanberung.
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142 ^i( „^tgiel^ung bed SRenfd^engefd^Ied^tS" aU neues ^oangelium.
5Jlad^ aCcn feinen roiberfprcd^enben, mi^glficften unb Idd^crlid^en (Sx-
petintenten an bcr 3JJenfd^l^cit bleibt bem ®otte Seffingä enblid^ nld^tö
übrig, als jebc einzelne 3Äen[ci^cn[ecle ^a\)x^vinhexit, 3><^^rtaufenbc — wer
weife n)ic lange — t)on Seib ju Scib pilgern gu laffen, bamit fie enblid^
nid^t etroa eine rounberbare ^Religion poller ©el^eimniffe, fonbem bic ein^:
fad^e 5yiaturrcligion ernennen lerne, bie einfad^fte aßer Religionen, bie
Sfteligion, gn beren (Srtenntnife bie 2Jienfd^cnfeele oon 3iatur angelegt ift!
Unb ba§ Sldeä gefd^iel^t, roäl^renb bod^ bie menfd^lid^e SSernunft ol^ne Sfu^
bentl^um unb ßl^riftcntl^um , ol^ne eroigeä ©oangelium unb ©eelenroanbe::
rung; einfad^ mit il^ren natürlid^en Gräften, bcn gefammten Snl^alt ber
5yiaturreligion ergrünbcn fönnte ! SBeld^* ein ®ott ! SBeld^* eine ^Ölenfd^?
l^eitl SBeld^* eine ©rgiel^ung!
5)ie erfte §älftc biefeS pl^antaftifd^en $:raume§ l^atte Seffing ben
ijragmentcn beigegeben unb bie Slnongmitdt fo ftreng benjal^rt, ba| ^a^x^
jcl^nte nad^ feinem J^obe nod^ barüber geftritten mürbe, ob ber in 2lpl^0s
riämen abgefaßte Sluffa^ mirftid^ oon il^m l^errul^re. §eute flnb bie
^Toeifel fo jicmlid^ gelobt unb bie SSemunberer SeffingS oerel^rcn in ber
,6rgie]^ung beg ^Wcnfd^engefd^led^tS' baS tl^eologifd^e 2:eftament i^reS
3ÄeifterS. 9118 er bie (Srjiel^ung fo meit l^atte, bafe baS Sf^bentl^um bei
ben Werfern in bie ©d^ule ging unb fid^ burd^ pl^ilofopl^ifd^c ©peculation
auf bie 9lnfunft Sl^rifti oorbereitete, fd^nitt er ben gaben ab unb liefe
baS ^ublifum martcn. @rft nad^ brei ^a^xen, na^bem baS ß^^iften^
tl^um in bem Oöjeftreit auf'ä 5:ieffte l^erabgemürbigt unb im 5yiatl^an al8
©torcfrieb ber 3Jlenfd^l^eit gegeigt morben mar, fefete er bie „ßrgiel^ung"
fort unb liefe 6l^riftu8 erfd^einen. J)ie offenbar bcred^nete Sl^eilung, bie
Slnongmitdt, ber leid^tfertige ^n^ait unb bie fromm=feierlid§e ^Jorm beS
2luffafeeä mad^en benfelben gu einem mürbigen 5Jiad^fpiel ber tl^eologifd^en
^omobie. 5Die ,|Jreimaurergefprad^e', beren 3Seröffentlid^ung in bie ndms
lid^e ^txt fdßt, meifen auf ben befrud^tenben SuftlreiS il^reä UrfprungS
l^in. Ueber ben ^xoeä bcä ©angen fagt ßeffing in ber SSorrebe gur ®t-
fammtauggabe, bie 1780 erfd^ien:
„SOBarum mollen mir in allen pofitioen Sfteligionen
nid^t lieber meiter nid^tS als ben @ang erblidfen, nad^ met
d^em fid^ bcr menfd^lid^e SSerftanb jebeS OrtS eingig unb
allein entmidfeln !5nnen unb nod^ ferner entmidCeln foll,
als über eine berfelben entmeber Idd^eln ober gürnen?"
250
2luS ber ©leid^giltiglcit aUcr poftttocn Sfieligioncn crwud^S btc praf ::
tijd^c gragc, tdic pd^ bcnn ber ©taat, btc bürgcrlid^c ®c[cß[(i^aft ju bcn^
fetten ju fteKen l^abe; benn ju ße[fingä ^txi gab cS nod^ feine inbiffe^
rentiftifd^cn ©taatäoerfaffungen. ©te norbanterifanifd^e roar erft im Sffier=
ben; (Snglanb, baS Saterlanb beS S5ei3nm8 unb ber S:oleranjle]^re, l^ielt
fo iSfy tt)ie nur irgenb ein (Staat an bem politifd^en ^nftitut feiner ©taatS::
fird^e feft; in ©eutfd^lanb l^atte groar ba§ ^rincip cujus regio, ejus
religio bte fd^drfften Äanten ber SluSfd^lie^lid^Ieit Dcrloren, war aber bod&
nod^ eine ©runblage beä öffentlid^en Scbenö geblieben.
@§ war Sefftngä 2lrt nid^t, fid^, wie bie fpateren beutfd^en ^l^ilo^
fopl^en, an bie gro^mütterlid^e Äunfel beä Slbfoluten ju fefeen unb auS
einem SSBerglnauel ©Ott unb SBelt unb 9Jienfd^ unb 2lKeS im Jpimmel
unb auf @rben f^ftematifd^ gu entroidEeln. SQBie ein unrul^igeg 2)ämonium
ful^r er in ben Siteraturen unb auf ben S:i^eatem, in ben ^Religionen,
S^^eologien unb ^l^ilofopl^ien aKer SSölIer uml^er, l^olte fid^ bort, l^ofte
fid^ l^ier ein ©tüdt pl^ilofopl^ifd^eg SBerg, fpann ein menig baran, warf
eS unter bie „SDenfenben", ba^ fie eS roeiterfpinnen, griff gu einem neuen
Änduel, liefe aud^ biefen l^albabgefponnen fliegen, griff gum alten gurüdE
ober gu einem britten unb brad^te burd^ biefe fragmentarifd^e SLI^dtigfeit
bie beutfd^en ©eifter weit mel^r in ^n^ unb in ein oiel BuntereS 3)urd^^
cinanber, atö e§ irgenb einer ber großen ^antl^eiftcn getl^an ^at. Äantä
„reine ©ittlid^&it" , §egel§ unb ©d^ellingS „SSergeiftigung" d^riftlid^er
35ogmen, §erber§ menfd^lid^eS ©l^riftentl^um, ©traufeenö pl^ilofopl^ifd^er
(Sl^riftuä, ba§ S^^^i^nc^^^^J^S^I^^^ ^^^ Sübinger^Sd^ule alä oermittelnbeS
aiefultat petrinifd^er unb paulinifd^er Ädmpfe, ber entraidflungöfd^minbel
in ber ?laturp]^ilofop]^ie unb bie rationaliftifd^e Sluffaffung ber Äird^en^
gefd^id^te — baä SlHeS lag bei Sefflng fd^on im Söerben, unb mic e8 il^m
gerabe lam, brad^te er bie ©eifteSembrponc gu Rapier ober liefe fie fogar
alSbalb l^albangegogen, unter bem 3Ädnteld^en ber ©rudCfd^mdrge, il^re 3GBans
berfd^aft mad^en.
251
144 $oIttifd^et @l^ara!ter beS neuen ^angeliumS 2c.
,Xlcber bie ©ntftcl^ung bcr geoffenbarten SieUgtoncn*
ifi ein berartigcS iJ^agment übcrfd^ricben, in votl^tm Scfftng bie politifd^c
©eitc feiner 2:oIeranjle]^re, roenn aud^ nur fel^r entbr^onifd^, ju Hfen fud^t.
S)ie einjige in ftd^ unb abfolut roal^re SReligion ift \f)m f)itx bie
5JlaturreUgion, TOeld^e barin befielet, einen ©Ott ju erfennen, fid^ ben
njürbigften ®eban!en oon il^m gu mad^en unb in allen ®eban!en unb
§anblungen Slüdfid^t auf il^n gu nel^men. S)iefe 5JlaturreIigion würbe
für alle SRenfd^en biefette, alfo bie allgemeine Sfteligion ber 9Äenfd^l^eit
fein, wenn alle 3Renfd^en baSfelbe 2Ra^ bcr ©otteSerfenntni^ Befd^en.
„S)a biefcS ÜRa§ (aber) bei iebcm SDlenfd^en nerfd^ieben ifi unb fonad^
aud^ eines icben SJienfd^cn natürlid^e ^Religion oerfd^icben fein würbe: fo l^at
man bem 9iad^tl^eile, VDtlä)tn biefe äSerfd^iebenl^eit nid^t in bem ®tanbe ber
natürlid^en JJreil^eit be§ SJienfd^en, fonbern in bem ©tanbe feiner bürgerlid^en
$$erbinbung mit 9lnbem l^eroorbringen !onnte, tiorbauen gu müf[en geglaubt.
^a3 ift: fobalb man aud^ bie 9teligion gemeinfd^aftlid^ gu mad^en für gut
erfannte, mugte man ftd^ über gemiffe J)inge unb ©egriffe pereinigen, unb
biefen conoentioneUcn 3)ingen unb Segriffen eben bie 3Bid^tig!eit unb SRotl^s
menbig!eit beilegen, meldte bie natürlid^ erlannten SieligionSmal^rl^eiten burd^
fld^ felber f)atttn. SDa3 ift : man mu§te au3 ber Steligion ber 9tatur, meldte
einer allgemeinen, gleid^artigen Ausübung unter äJlenfd^en nid^t fällig mar,
eine pofitioe SReligion bauen, fomie man au8 bem SRed^te ber 3latnXf au§ bcr
namlid^en Urfad^e, ein pofitioeS SRed^t gebauet l^atte. 3)iefe pofltioe SReligion
erl^ielt il^re ©anction burd^ baS Slnfcl^en il^reS ©tifterS, meld^er Dorgab , bag
baS ©onoentioneHe berfelben eben fo gemig oon ®ott lomme, nur mittelbar
burd^ il^n, atö baS SDBefentlid^e berfelben unmittelbar burd^ eines ^thtn
aSernunft."
SDie weiteren tl^eologifd^en Folgerungen, weld^e Seffing l^ierauS giel^t,
fmb, ba§ alle pofitioen ^Religionen gleid^ wa^r unb gleid^ falfd^ feien, —
gleid^ mal^r, inbem fie einem notl^menbigen Sebürfni^ ber menfd^lid^en
©efellfd^aft entgegenfommen, gleid^ falfd^ il^rem Sinl^alte nad^, — baf( jiebe
geoffenbarte ^Religion fomit ein notl^menbigeS Uebel unb ba| j[ene nod^
bie befte fei, „meldte bie roenigftcn conoentioneKen 3^fäfe« i^^ natürlid^en
^Religion entl^ält, bie guten aCßirfungen ber natürlid^en SReligion am wenige
ften einfd^rfinft."
SDie fird^enpolitifd^en ^Folgerungen, weld^e in biefer Slnfd^auung liegen,
l^at Seffing nid^t gegogen. 3)od^ ftnb fie einleud^tenb. SRur bie 5Ratur::
religion fielet bem ©taate gleid^bered^tigt gegenüber. S)ie pofitioe ^Religion,
als blo^eS ©rgebni^ bürgerlid^^f^cialer 5Rotl^n)enbigIeit , unterliegt il^rem
Urfprung unb ^xotd nad^ ber ©taatSraifon. ©ie l^at fid^ in Slllem ben
concreten Sebürfniffen beS ©taatSlebenS anjupaffen. 3nbem ber ©taat
2W
^oHtifd^ci* ßl^araftcr bc§ neuen eüangcUwmS k. 145
tl^r bic ju feinem SSeftanbe notl^ige Stl^dtigfeit getüdl^rt; mu§ er aber, Der^
möge [eineS innern Serufeg gur aSottfommenl^eit, bal^in ftreben, bie „con?
üentioneHen B^f^fee ber pofitioen SÄeliglon" abjuftreifen , unb bie dolens
fd^en, fo t)iel tl^unlid^, ber augfd^lie^lid^en ^errfd^aft ber .5>iaturreIigion
entgegenjufü^ren.
Siiefe ©runbf ä^e praftifd^ angenjanbt , ift ber confeffionälofe ©taat ber
befte; bal^er aud^, fomeit bie bürgerUd^en SSerpttniffe e§ erlauben, abfolut
anjuftreben, aber mit ©d^onung unb 5Digcretion. S)aS tail^olifd^e Selcnnts
ni|, bag bie meiften ,;ConfeffioneHen 3"fä^^" entl^dlt, ftel^t bem ^i^^al ber
9leltgion am femften, ber Sutl^eraniämuS fd^on iDeniger, freie ©ecten unb
©emeinben am rüentgften. ^ ber Statur be^ ©taateS liegt eä inbeffen,
flug üoranjuge^en unb bie religiofen SSerl^dltniffe nur langfam unb be=
bdd^tig gu jener ©infad^l^eit ju fül^ren, in roeld^er baS einzelne ^i^btüt
buum vermöge ber „©rjtel^ung ber 3)Jenfd^]§eit" ,,baä ®utc nur mel^r um
beg ©Uten felbft roiHen anftrebt".
SBeld^e ungel^eure SCßiberfprüd^e in biefen Slnfd^auungen liegen, ift
l^ier nid§t ber Ort ju jeigen. 5Dagegen ift eS raol^l paffenb, baran ju
erinnern, ba§ ßeffing fonft burd^auS fein begeifterter SJerel^rer ber
©taatägemalt raar unb in feinen politifd^en ©pmpatl^ien einer SEBanbefc
barleit l^ulbigte, bie faft feinen ©lauben an bie ©eelenmanberung in^S
©ebdd^tni^ ruft, ^n feinen 2lnf dngen ift er Äo^mopolit , fd^mdrmt rok
aUt aiufgelldrten für greil^eit, bann gewinnt er einigen 9iefpeft für im
großen griebrid^, wirb ben graujofen megen 3Soltaire fpinnenfeinb, drgert
fid^ über bie preu^ifd^e SBirtl^fd^aft, üerfö^nt ftd^ wegen beg artigen ©iberot
mieber tl^eilmeife mit ben ^rangofen, wirft feine Stidte auf eine Stellung
in SBien ober SRoöfau, nimmt SDienfte bei einem preu^ifd^en ©eneral unb
ftel^t mit preu^ifd^en 3Jlünjfabrifanten in ndd^fter Sejiel^ung, gel^t nad§
§amburg unb fulminirt non bort Sli^e gegen baö preu|ifd^e ^Regiment,
nimmt SDienfte bei bem §erjog oon Sraunfd^weig unb fd^impft l^inter bem
3flüdfen be§ „2llten" über ba§ unertrdglid^e 2tbtn bei $ofe, mad§t bie
obligaten ©üdflinge unb arbeitet babei an einer antitgrannifd^en Stragobie,
fteKt ba§ milbe ^Regiment beg ^apfteä bem preu^ifd^en lobenb gegenüber,
ftimpatl^ifirt mit bem aufgefldrten ©truenfee in S)dnemar!, plant wieber
eine Ueberfiebelung an im Jpof S^fepl^g IL, wirb burd^ ben ^inweiS
auf feinen mit bem ^ofteben unoertrdglid^en ©emoJratigmuS baoon ab?
gel^alten, gibt in ber einen ©d^rift bie pofitioe Sieligion bem ©taatägott
preiä unb wünfd^t in einer anbern aud^ im ©taatSgott in altgemeine
SRenfd^enliebe aufgeloht.
S^aumgartner, Sejftng. ^^3 17
146 ^oUttfd^cr (Sl^ataftcr bcS neuen (5t)angetium§ :c.
S5er eml^ettltd^e gaben, ber fid^ -— bic 3(mt§periobe in preu^ifd^en
©icnften abgcred^net — burd^ alle biefe poütifd^en ©eelenrottterungen con*
ftant l^inburd^giel^t, ift eine entfd^iebene ^Jleigung gur SDemofratte. 3ßa§
er üor SlCem anftrebt, ift burd^auS nid^t bie ©tartung jener centripetalen
Ärdfte im mobemen ©taat, roeld^e baä Heine Sfteid^ griebrid^^ IL jur
©ro^mad^t entoidfelten, fonbern bie freie Entfaltung jeglid^er ftaatlid^en
(äentrifugattraft: unbefd^rdnfte ßultugs unb ©eraiffenäfrei^eit, gJre^freil^eit,
Unterrid^täfrei^eit, 3flebefrei]^eit, grei^eit ber Äunft unb SSBiffeufd^aft, ©efc
tung be§ SSürgertl^umä, ©eltung beä ©injelnen. SSBeber mit ber 9legie=
rung be§ pl^ilofopl^ifd^en Ä5nig§, nod^ mit ber beg pl^ilofopl^ijd^en Äaiferä
fonnte er jid^ Befreunben, unb wtnn er jeitmeilig bie öfterreid^ifd^en 3"-
ftanbe ben preufeifd^en üorjog, fo raar eg l^auptfdd^lid^ befel^alb, raeil er
in SEBien etroaä mel^r ^re^freil^eit ujal^rgune^men glaubte.
,,2iBicn mag fein, mt c§ mU/' fd^reiBt er am 25. 2lug. 1769 tjon
Hamburg au§ an SJlicolai, „ber bcutfd^cn Siteratur oerfpred^e id^ bod^ immer
nod^ mcl^r OtüdC, alg in eurem franjöfirten SSerlin. ^mn ber ^l^öbon in
SBien confiäcirt iji , fo mu§ e§ blo§ gefd^el^en fein, meit er in Serlin gebrudtt
morben, unb man fid^ nid^t einbilben !önnen, bag man in Serlin für bie
UnjierBUd^teit ber ®eele fd^reibe. ®on|t fagen ®ie mir von 3il^rer SSerlinis
fd§en greil^eit gu beulen unb ju fd^reiben ja nid^t§. Sic rebudrt jid^ einzig
unb attein auf bie ijreil^eit, gegen bie Sieligion fo »iel ©ottifen gu SDlarfte
ju bringen, als man miH. Unb biefer grcil^eit mu§ ftd^ ber red^tlid^e SJJlann
nun Balb ju bebienen fd^ämen (erft je^t!). Saffen Sie e§ aber boS) einmal
einen in Serlin rerfud^en, über anbere S)inge fo frei ju fd^reiben , al§ ©on?
nenfelS in 3Bien gefd^rieben l§at; laf[en ®ie e§ il^n oerfud^en, bem üornel^men
^ofpbbel fo bie Sal^rl^eit ju fagen, mie biefer fie il^m gefagt l^at; laffen ®ie
einen in Serlin auftreten, ber für bie Siedete ber Untertl^anen, ber gegen 5lu§s
faugung unb 5)e§poti§mu§ feine Stimme erl^eben moHte , mie eä je^t fogar
in iJranfrcid^ unb Sänemarf gefd^iel^t, unb ®ie werben balb bie ©rfal^rung
]§aben, meines Sanb bi§ auf ben l^eutigcn Sag ba§ fflaüifd^fte Sanb üon
©uropa iji. @in 3eber t^ut inbeg gut, ben Ort, in meld^em er fein mu§,
fid^ afe ben beften einjubilben; unb ber l^ingegen tl^ut nid^t gut, ber il^m biefe
©inbilbung benel^men miH."
2ln ein einfad^eS ^rit)atleben gemöl^nt, mar il^m ba§ Seben bei §ofe
unertrSglid^ , ba§ „gro^e ©efd^mei^" 5^tjlid^ jumiber, fein eigener §of=
ratptitel, mie jut)or fein 9)iagiftertitel, ein Idd^erlid^er girlefanj. 2llä il^n
gürft Äaunife in SBien ju fid^ einlub, reigte er in aller (Sile ab, um bem
33efud^ gu entgegen. 2lte blamier il^m feine Obe an bie Äönige über?
fanbte, Derfprad^ er il^m fd^ergl^aft, fie alä Slnregungömittel ju feiner anti?
t^rannifd^en Siragobie ,®parta!ug' gu üermenben. ©o lieb il^m fein greunb
©leim mar, wollte er bod^ t)on beffen preu^ifd^em Patriotismus nid^tä
254
^ßoUttfd^cr (Jl^oraftcr bc§ neuen ©rangeliumS k. 147
tüiffcn. „©er ^^atriot über[d^reiet ben ©id^tcr ju fel^r," fd^rieb er i^tn
über eines fetner ©renabierlieber, „unb nod§ baju ein fo folbatifd^er ^a=
triot, ber ftd^ auf Sefd^ulbigungen ftüfet, bie nid^tS roeniger aB erttiiefen
finb. ©ieHeid^t jroar ift aud^ ber Patriot bei mir nid^t ganj erftidft, ob^
gleid^ bag Sob eineä eifrigen Patrioten nod^ meiner ©enfungöart ba§
Stfferle^te ift, monad^ id^ geijcn würbe; beä Patrioten ndmlid^, ber mid^
»ergeffen leierte, ia^ iä) ein SBettbürger fein fottte" (16. S)ec. 1758).
3laä) feinem eigenen ©eftdnbnife (an Dlicolai, 25. 9Rai 1777) würbe er
wäl^renb be§ fiebenjal^rigen Ä'riegeg ju Seipjig für einen Grjpreu^en, ju
Berlin für einen (Srjfad^fen gehalten, meil er feinet t)on beiben gemefen
fei unb feineS t)on beiben l^dtte fein bürfen, um ,?iJiinna' fd^reiben ju fön^
nen. ,,©a5 er in ©mitia @abtti feine Liquen auf bie j^üx^ttn, im 3la-
tl^an auf bie Pfaffen l^atte", ift ©ötl^e nid^t entgangen. Uebrigeng fe^lt
e§ aud^ im ,$Hat]^an' nid^t an bcmo!ratifd^en SBinfen. ©rfd^eint bod^ felbft
gegen aKe l^iftorifd^e SQBal^rfd^einlid^feit ber orientalifd^e 3Jlonard^ aller
begpotifd^en geierlid^feit entfleibet unb in einen mobern^pl^ilofopl^ifd^en SÄe^
Renten umgemanbelt, ber mit feinem jübifd^en ginanjminifter baö ©efd^äft
ber 2luf!ldrung treibt, ^m ,©partafu§' mar Seffing auf bem SBeg, bie
^beale ber rotl^en SRepublif gur (Sntfaltung ju bringen.
2luf bie Freimaurerei l^atte ßeffing frül^e ein 2luge geworfen. „35a§
©el^eimni^" mar eS, baö fein S^tereffe an ftd^ jog unb il^n üeranla^te,
bie fauren 2:rauben biefeä ©el^eimniffeS in einem fatirifd^en ©ebid^te ju
oerfpotten. S)er Slitel l^ei^t ,S)a§ ©el^eimni^' unb bie ©d^lu^perfc
lauten :
„^^ fenn' ein brollig SSotf, mit mir fcnnt e§ bie ^tlt,
5Da8 fd^on feit mand^en Salären
$)ic S^cugicr auf bie göltet l^ätt,
Unb bennod^ !onn fie nid^tS crfal^ren.
^bx' auf, Icid^tgräuB'ge ©d^aar , fte f orfd^enb gu umfd^Tingcn !
^ör' auf, mit (Smfl in pc ju bringen!
2öer fein ©el^eimnig l^at, fann leidet ben -SD^unb Derfd^Iiegen.
5Da§ ®ift ber ^'lauberei ift, nid^tS gu plaubern wiffen.
Unb roiffen fte aud^ roaS, fo fann mein ^ärd^en leieren,
2)a6 oft ©el^eimniffe un§ nid^tS (Sel^eimeS leieren,
Unb man gule^t wol^l fprid^t : mar ba§ ber SDi^ül^e mertl^,
SDa§ il^r e§ mir gefagt, unb id^'S oon eud^ begel^rt?"
©0 fd^erjte Seffing alg Jüngling im S^^re 1751. 3«>öW S^^te
fpdter lieg er bag ©ebid^t au§ ber neuen Sammlung feiner aSermifd^ten
©d^riften weg unb mürbe gu Hamburg in ber Soge gu ben brei golbenen
aiofen recipirt. SDie Soge geprte bem oon 3innenborf*fd^en ©gftem an,
2Ö5
148 ^oütij'd^cr ßl^arafter be§ neuen (SDangeliumS 2c.
bcmfelbcn, roeld^eg aud^ 3- §• 33o§, ßtaubmS ic. ^u feinen 2ln]^dngern
jdl^Ite. ?lad^ 23obe^ä Serid^t wollte Seffing fd^on frül^er einmal Bei einer
ßoge ber [triften OB[ert)anj eintreten, würbe aber burd^ ben 9Jieifter vom
®tnf)l mit ber 2tntmort abgeroiefen: „^ä) mü^te leinen 3Jiann, ben id^
lieber jum Sruber l^dtte, alS @ie: aber iä) mu^ e§ 3fl^nen beßroegen
platterbingS abratl^en, fid^ aufnel^men ju laffen, weil bie ^ottfd^ritte in
unferem ©pftem gu langfam für ^^x Stttter unb für ^^xtn fenrigen @l^araf=.
ter ftnb." ©pdter roanbte fid^ Seffing gu bem bereits erwdl^nten ©tiftem
unb mürbe pon beffen 3Jieifter, einem 33aron t)on 3lofenberg, bereitmiHig
aufgenommen. 9lad^ ber SSfufnal^me foH il^n SRofenberg gefragt l^aben:
„5Jlun, Sie feigen bod^, ba§ id^ bie SBal^rl^eit gefagt? ©ie ^^ben bod^
nid^tä miber bie 3fleligion ober ben ©taat gefunben!" „§al" foU
Seffingä 9lntmort gemefen fein, „id^ mollte, id^ l^dtte bergleid^en gefunben,
baS follte mir lieb gemefen fein!" ®o ergdl^It ber Freimaurer S3obe, unb
meint, Seffing mü^te fid^ mol^l bei ber STufna^mSceremonie fel^r gelang=
meitt l^aben. 9Rag bem nun fein, mie il^m miH, Seffing liefe in feinen
©d^riften nid^t nur ba§ ©pottgebid^t meg, fonbern ftubirte nunmel^r, nad^
feiner 2lrt, bie Freimaurerei nad^ i^rer bibliograpl^ifd^en , gefd^id^tlid^en
unb p^itofop^ifd^en ©eite. ^m^^l^rlTTS, alfo mdl^renb er eben S^atl^an
in STrbeit l^atte, liefe er ,ernft unb F^If, brei @efprdd§e für
Freimaurer', 1780 groet weitere 5®efprdd^e für Freimaurer' er^
fd^einen.
3m erften biefer ©efprdd^e Idfet ber Sruber F^M bem neugierigen
ßanbibaten (Srnft unter üieler ©el^eimnifetl^uerei burd^blidfen , bafe bie
Freimaurerei nid^tS SSBißfürlid^eS unb ßntbel^rlid^eS, fonbern etmaS "^ot^^
menbigeS fei, baS in bem SBefen beg 3Jienfd^en unb ber bürgertid^en ©e^
feKfd^aft gegrünbet liege, auf baS alfo ©iner oerfallen !onne, ol^ne bem
dufeeren SSerbanb einer Soge anjugepren; bafe bie opera ad extra ber=
felben in gegenfeitiger Unterftü^ung ber 3}iitglieber unb p^ilantl^ropifd^en
3lnftalten beftdnben — ba§ F'^i^^I^^^^ i^ ©todf^alm, ein 2Jtdbd^enin[titut
in Sregben, eine ^^i^^^^^S^f^^^^e för arme Änaben in Sraunfd^meig
unb SSafebom'g ^l^ilantl^ropin werben naml^aft gemad^t — bafe aber il^ren
unfid^tbaren SBerfen ad intra affeö ©Ute angel^ore, wag je in ber SEBelt
gewirft worben fei unb nod^ gewirft werbe, obwol^l nod^ ^al^rl^unberte
oergel^en würben, el^e man fagen fonne: ba§ l^aben fie getl^an.
3m jweiten ©efprdd^e gibt j^alt bem nun fd^on beffer vorbereiteten
Slbepten ben ^voeä ber Fr^^^^ö^irerei bal^in an, aKe religiofen, politifd^en
unb focialen ©lieberungen umjuftofeen ober langfam gu unterwül^len unb
256
^oHtifd^er (Sl^araftcr bcg neuen ^oanöeüumS ac. 149
l^ieburd^ bie SSereinigung bcr gefammten 9Jienfd§]^eit auf ber ©runblage
reiner 3Jienfd^Itd^fcit, ol^rte Staat unb Äird^e, ol^ne ©igentl^um unb ©tarn
be^unterfd^iebe, ol^ne nationale ober politifd^e ©rengen l^erbeijufül^ren.
galt. 3ci^ badete, e§ wäre red^t fcl^r ju raünfd^en, ba§ c§ in {cbem
(Staate üRänncr geben möd^te, bie über bie SSorurtl^etle ber Solferfd^aft
l^inrocg wären , unb genau wüßten, xoo Patriotismus Sugenb gu fein aufhört.
(Srnjt. Siedet fel&r ^u wünfd^enl
galt. SRed^t fel^r ju raünfd^en, ba§ e§ in iebem ©taate SDlänner geben
ttiod^te, bie beut SSorurtl^eile il^rer angebornen Sieligion nid^t unterlägen;
nid^t glaubten, baß aUeS notl^roenbig gut unb roal^r fein müf[e, roaS fie für gut
unb wal^r erfennen.
©ruft. SRed^t fel^r ju roünfd^enl
galt SRed^t fel^r gu roünfd^en, ba§ eS in jebem Staate SJJlänner geben
m6ä)tt, roeld^e bürgerlid^e ^ol^eit nid^t blenbet, unb bürgcrlid^e ©eringfügig«
feit nid^t etelt; in beren ©efeHfd^aft ber ^ol^e ftd^ gern l^erabläßt ^unb ber
©eringe ftd^ breift erl^ebet.
Unb wenn e§ fold^e SDlänner gäbe? nid^t bloß l^ie unb ba; nid^t
bloß bann unb wann? fonbern überaÜ, immer? unb biefe SIRänner
nid^t immer in unmirffamer 3crftreuung lebten, nid^t immer in einer unftd^ts
baren Äird^e? unb biefe äJlänner bie g^eimaurer mären? menn bieSluPfung
aller focialen 39anbe mit ju il^rem ©efd^äft gel^örte?
§ier rairb bag ©efprdd^ abgebrod^en.
$)aS §erbe, roeld^eS ber ©ebanle eineS allgemeinen UmfturjeS aller
beftel^enben menfd^tid^en 33erpltniffe, aud^ ber naturnotl^roenbigen, mie bcö
©taatä, ber gamilie, beä (Sigentl^umS, in fid^ fd^ließt, mirb im britten
®e[prdd^ baburd^ gemilbert, baß bie Slufgabc ber iJ^^iwtaurerci auf ein
langfamcg, allmdl^lid^eS Untergraben befd^rdnft mirb. S)ie Hebel beS
Staats u. f. vo. foCen bem, ber fie nod^ nid^t empfinbet, nur langfam
bemertbar gemadfit merben: man foll „biefe ©mpfinbung in bem
SRenfd^en nur oon weitem Deranlaf fen, il^r 2luffeimen bes
günftigen, il^re ^flanjen oerfcfeen, bejdten, beblatten.'' 3lte
©ürgfd^aft aber bafür, baß ber Orben mirfli^ bie Sluflöfung beS ge::
fammten organifd^en SSerbanbeS ber SRenfd^l^eit anftrebe, foK bie offene
3:i^at[ad^e gelten, baß er jeben n)ürbigen SJiann oon gepriger Slnlage,
o^ne Unterfd^ieb beS SSaterlanbeS , ol^ne Unterfd^ieb ber ^Religion, ol^ne
Unterfd^ieb feineS bürgerlid^en ©tanbeS aufnimmt.
(Srnft mirb nun Ji^cimaurer. 2lbcr oon fanguinifd^cr 5Ratur, ift er
mit bem (Seremonienmefcn beS OrbenS unb beffen langfamer Sl^dtigleit
gar nid^t jufrieben. Statt mit ernften politifd^en Untemel^mungen finbet
er bie SSrüber mit ©olbmad^erei, ©eifterbefd^roören, SlBiebcrl^erftellung ber
267
150 ^otitifd^er (Sl^ataftcr bcS neuen 6:t)anöcUum§ 2C.
2:cmpel^errn unb anbeten bergteid^en Äinbereien befd^afttgt. 9^od^ rodt
mel^r aber ftö§t il^n bie (grfal^rung, ba§ bie aUgemetne „©teid^l^eit" im
Orben fo wenig bemerfbar ift. 5Jian fel^e ja bei ber atufnal^me barauf,
ob einer ©l^rift ober 3ube fei, ben l^ol^em ober niebern ©tdnben angel^örc;
man treffe in ber ßoge ^^rinjen, ©rafen, Ferren, Offiziere, Jftdtl^e oon
atterlei »efd^tag, Äaufteute, Äünftler, bie freili^ o^ne Unterf^ieb be^
©tanbeä burd^einanber fc^radrmten, aber oon S)ienftboten, oon ©d^uftern
raoKe man nid^tg raiffcn, aud^ menn ber ©d^ufter ein jraeiter ^ct^Eob 35ö5me
ober §ang ®ad^§ voaxe. hierüber ift Grnft umoillig; §al! trSftet i^n
im oierten unb fünften ©efprdd^e.
^it bem du^ern Q^ormetfram ift ©rnft batb oerföl^nt: 2lld^r)mie,
©eifterfel^erei unb 2:empIertomobie finb nur Symbole, allegorifd^e ginger^
jeige, ©infteibungen beS eigcntlid^en ©trebenS. J)od^ mit bem 3)Jangel
an bemofratifd^er ©leid^l^eit fann fid^ nid^t einmal ^al! fetbft befreunben.
6r befürd^tet oon ben O^iangeSunterfd^ieben ber blauen Soge, il^ren Äaffen:^,
Sapitatiens unb ginangintereff en , il^rer Slbl^dngigfeit oon ben dürften,
il^rer Uneinigfeit groifd^en ben oerfd^iebenen Obferoangen ben Untergang
beg ganjen beftel^enbcn ©pftemS. Slber mag ba§ ©pftem untergel^en, bie
Freimaurerei rairb bleiben. J)enn fie ift Idngft bagemefen, el^e bag ©^^
ftem mar.
„3l§rem 3GBefen nad^ ifl fie eben fo alt, al§ bie bürgerlid^e ©efettfd^aft.
33eibe tonnten nid^t anbcr§ , al§ mit einanber entjlel^cn. — SBcnn nid^t gar
bie bürgcrlid^c ©efellfd^aft nur ein ©prö^ling ber Freimaurerei ift (! !) ; benn
bie Flamme im S3rennpunft ift aud^ Slugflug ber Sonne. — @§ fei aber
SÖlutter unb Jod^ter, ober ©d^mcjler unb ©djmcfter; il^r bciberfeitige^ ©d^idC-
fal ^at immer roed^felfeitig in einanber gemirft. 3Bo ftd^ bie bürgerlid^e ®c?
fcttfd^aft befanb, befanb fld^ aller Orten aud^ bie Freimaurerei unb umgefel^rt»
S§ mar immer ba§ Äennjeid^cn einer gefunben , neroBfen ©taatSocrfaffung,
wenn fid§ bie Freimaurerei neben il^r blidtcn lie§; fo mie e§ nod^ Je^t ba§
unfel^lbare 3Kcrfmal eineö fd^mad^en, furd^tfamen ©taateö ift, menn er baS
nid^t öffentlid^ bulben mill, roaS er in ©el^cim bod^ bulben mug, er mag
motten ober nid^t. — S)cnn bie Fi^cimaurerei Berul^t im ©runbe nic^t auf
öugerlid^en SSerbtnbungen, bie fo leidet in bürgerltd^e Slnorbnungen ausarten,
fonbern auf bem ©efül^l (!) gemeinfd^aftlid^ f^mpatl^iftrenber ©eifter. —
3!nbe§ l^at freilid^ bie Freimaurerei immer unb aHer Orten ftd^ naä) ber
bürgerlid^en ©efeUfd^aft fd^miegen muffen; benn biefe mar ftet§ bie jiörfcre.
©0 mand^erlei bie bürgcrltd^e ©efeHfd^aft gcmefen, fo mand^erlci Formen l^at
aud^ bie Freimaurerei anguncl^men fid^ nid^t entbred^en !onnen; nur l^atte jebe
neue Form, wie natürlid^, i^rcn neuen S^amen."
S)a eS feine ?D^ad^t gibt, meldte bie bürgerlid^e ©efeUfd^aft oon Sin-
258
^oUtifd^cr (Sl^araftct be0 neuen ©üangeliumS :c. 151
Beginn aU SQBiberpart burd^ aKe ^al^rl^nnbcrte ber ©cfd^td^te Begleitete,
atö bte SfteDoIution, b. ^. bie unbered^tigte SSerfd^raorung rebeHtfd^et @injel=
voiUtn gegen bag gottgefe^te ^rincip ber Slutoritdt, fo tft ScffingS ®e=
ftanbnt^ mit JRüdEfid^t auf feinen religiöfen (SntraidHungSgang von grö§=
ter 39ebeutung. 6§ ift ber ©d^Iu^ftein, bie lefete (Sonfequeng; bie gaug^
nung ber religiöfen Slutoritdt jtel^t aud^ bie Sdugnung ber Bürgerlid^en
nad^ fid^. 3JJu§ ik pofitiüe ^Religion faCen , um ber 5Jlaturrcltgion,
b. f). ber inbit)ibuellen 3Sernunfterfenntni§ Pa^ ju mad^en, fo mu§ aud^
bie bürgerlid^e ©efeUfd^aft langfam atomifirt unb aufgelöst werben, um
jeben ©tngelmenfd^en in einem autoritdtölofen SJienfd^enl^aufen gum SSoK?
befi^ jeiner ^^reil^eit unb 3Jienfd^lid^!eit gelangen gu taffen» SDer 9Jlenfd^
füll nid^t mel^r Sl^rift, SSürger, Q^amilienmitglieb, 2:rdger eineS ©tanbcg,
Äenner einer SQBiffenfd^aft, SReprdfentant eineä SSerufg, organifd^er S^l^eil
eineg focialen Äörperg — er foff nid^tä alä ?0ienfd^, b. 1^. nid^t mel^r
m Begrengteg, aB^dngigeS SOBefen, fonbem fein eigener ®oii fein.
UeBerantmortet Sefftng bie pofitioen Oleligionen ber 3Gßillfür ber
©taatögeroalt, fo ift bie§ nur ein SDurd^gang^ftabium. S)er ©taat l^at
fie nur im 5)ienfte einer pl^ern '^aä)t aBgufd^leifen, ju „Dergeiftigen," ju
üereinfad^en, auf bie 5ßatuntligion gurüdfjufü§ren. SÖBdl^renb bie Soge i^n
in biefem SBerfe ftd^tBar unterftüfet, wirb fie jugleid^ unftd^tBar bie „Sirene
nungen ber SDlenfd^l^eit" , b. ^. bie ©runbpfeiler ber focialen Orbnung
untergraben; fie ift bie l^ö^ere 3Jlad^t, meldte alS Äird^e ben einzigen
wal^ren ©lauBen ber 3Jienfd^l^eit oerlörpert. SDod^ aud^ il^re Symbole
werben entfd^minbcn , ber ©d^leier il^reä ©el^eimniffeä mirb fallen, i^re
raftlofe Z^ti^Mt rul^en, — wenn bie SReligionen unb bie Staaten, baS
©igentl^um unb bie @l^e oom ©rbBoben tjerfd^raunbcn finb, wenn ber
Wtm\^ nid^tä mel^r alg ?!Jienfd^ ift, roenn SlCeg ©inä geworben.
259
17. "^anif^dfiif^tt ^ßf^tn^. ^omet$ett$.
„3n ßeffingS ©rjtcl^ung bcä SDieufd^engefd^lcd^tS", jagt bcr ^ßroteftant
©eljcr, „ift fd^on bcr aSerfud^ ftd^tBar, bcn bcnfcnben ©ctft mit bcm SDogma
bcr .S^ird^cntcl^re ju Dcrföl^ncn." SDaS ift, foraeit bcr ^Pantl^eiSmuS ate
Sluäganggs unb (Snbpunft bcr Se[[ing^fd^cn JÄcligionöpl^ilofopl^ic Bcjcid^nct
wirb, gcroife Dottfommcn rtd^tig. SDcr ©Ott, Dor bcm attc pofitiücn 9lc=
Itgioncn glcid^ gut finb, bcr alte glctd^crma^en atö notl^mcnbigc ©ntmidE^
lungen bcr mcnfd^lid^cn SScrnunft erjeugt unb gutl^ct^t, ba§ ^ubcntl^um
Beim §eibcnt]^um unb baS ^cibentl^um beim ^ubentl^um in bic ©d^ulc
fd^idtc, um auS bciben baä (Sl^riftcntl^um, unb auS bicfcm, unter bcm 33ei::
ftanb neuer 3uben unb Reiben, ba§ „emtge ©üangelium" ju entmitfeln
— ein fold^cr (Sott fann nur ein pantl^eiftifd^cr ®ott fein, yiux ein fot
d^cr Id^t mit nimmer cnbenben äöanblungen be§ 3)Jen[d^engefd^leci^tö, mit
eroigen SBanberungen bcr Seele, mit einer enbloS fortroaltcnbcn ©ntroitfs
lung beä llniocr[umS fid^ oercinen. ^Jlur ein fold^er lann bcr 5Üienfd^=
l^cit bag traurige 3irt geben, fid^ burd^ ftd^tbarc, naturgemäße Äraftc ju
einem großen, organifd^en ©anjen aufzubauen, bann burd^ eine gel^cimc
3)tad^t lang[am jerftüdEt unb aufgelöst ju roerben unb cnblid^ in einem
Ocean unjufammcnl^angcnbcr 3)ionaben gu ocrfd^roinben. 5>tur t)or einem
pantl^ciftifd^cn ©Ott fann Slutorit&t unb ^lebcHion gu gleid^cm SRcd^t bc=
[teilen unb bic fociale ^erftörung baö l^od^fte SRcd^tSprincip bcr SJienfd^l^eit
roerben. SDie greimaurergefprad^c rourjeln roie bic ©rjiel^ung beS 3)lcn=
fd^cngefd^Icd^tS in pantl^ciftifd^cm ©runb unb 33oben.
SDod^ ift ßeffing nid^t erft in bcr legten 5JJcriobc feincS gebend bcm
ipantl^ciSmuS anl^cimgcfallcn. 3)er pantl^ciftifd^e ©runbjug reid^t in feinen
erftcn 3Serfud^ einer öieligionäpl^ilofopl^ic prüdC, unb bicfcr SSerfud^ felbft
ift nid^t fo fcl^r au§ bcm aSeftreben l^croorgcgangcn , bie aSernunft mit
bcm S^riftentl^um ju ocrföl^ncn, roenn aud^ bcr SEitel ,SDaä ßl^riftcntl^um
bcr aSemunft' l^cißt, aU oiclmcl^r au§ bcm jugcnblid^en ©perimente, bcn
Optimismus unb bie 9Ronabcnlel^re beS Seibnij auf bie ©runblagc einer
notbroenbigen ©d^öpfung ju ftcKcn. SDicfe pant^eiftifd^c ©runbrid^tung
bcl^iclt er bei, als er in 33rcSlau bcn ©pinoja genauer ftubirtc, unb an
260
^antl^ciflifd^cr SlBfd^lu^. ^tomctl^euS. 153
©tettc ber Scifinijifd^en ÄoSmologie bic ältcftcn Ätrd^enodter in ben dta"^^
tnen feiner SSctrad^tung gog, unb ba x^m in ben fpäteren tl^eologifd^en
.Stampfen unb ©tubien baS pojitiDe ßl^riftentl^um Doffenbä unb unrettbar
ab^anben lam, ergab fid^ auä ber feftgel^altenen pantl^eiftifd^en SBBeft=
anfd^auung von felbft bie JJolgerung, baä ßl^riftent^um ate bie l^erüor^
ragenbfte unter ben oerfd^tebenen notl^roenbigen SSemunftentroidlungen gu
Betrad^ten.
SDa§ Seffing ben ^antl^eiämuä in feinen legten ©d^riften nirgenbä
flar unb beutlid^ formulirt, lann nid^t befremben, ba ©pinoja unb ber
©pinojiämuä ju feiner ^dt nod^ in ben roeiteften Reifen in DÖKigem
SSerruf ftanb , Seffing aber, feiner eigenen Steigung wie ben äußern Um^
ftanben folgenb , fid^ nid^t fo fel^r mit bem pl^ilofopl^ifd^en Snl^alt be§
(Sl^riftentl^umS, alä mit beffen religionägefd^id^tlid^er ©ntmidflung befd^df*
tigte. J)od^ fel^lt eä wenigftenä nid^t an einem auäbrüdflid^en ^rit)at=
geugni^, ba^ er fid^ am ©d^tuffe feine§ fiebenS unummunben gum ^an?
tl^eiämuS betannte.
3rm 5. 3uU 1780 befud^te i^n ber gjl^ilofopl^ Sacobi in SEBolfen^
büttel. ©ie fprad^en, mie berfelbe berid^tet, nod^ an bemfelben Sag „über
üiele mid^tige ©inge ; aud^ von ^JJerfonen, moralifd^en unb unmoralifd^en,
Sltl^eiften, Stl^eiften unb ^l^riften". 3(m folgenben 2:ag gab S^cobi feinem
greunbe ©fltl^e^g ^rometl^euö ju tefen.
,,93cbccfc beincn ^itnmcl, 3^"^/
m\i SBotfenbunfl ,
Unb übe, bem Knaben gleid^,
SDcr SDlficIn !öpft,
5ln (Sid^cn bld^ unb ^ScrgeSl^öl^'n :
Tlu^t mir meine @rbe bod^ taffen pel^^n,
Unb meine ^ütte, bie bu nid^t gebaut,
Unb meinen ^erb,
Um beffen ©lutl^
S)u mid^ benelbejl."
„©ie l^aben fo mand^eä SKergernife gegeben," fagte S^cobi, „fo mögen
©ie aud§ ujol^l einmal eineS nel^men!" Seffing laS ba§ ©ebid^tunb gab
eä mit ben SÖBorten jurüdC : „^ä) l^abe lein Slergerni^ genommen;
id^ l^abe baö fd^on lange au8 erfter §anb . . . 5)er ©efid^täs
punlt, an^ meld^em baS ©ebid^t genommen ift, baä ift mein
eigener ®efid^tSpun!t J)ie ortl^oboyen begriffe oon
ber ©ottl^eit finb nid^t mel^r für mid^; id^ lann [ie nid^t
mel^r genießen. ""Ev xal Flav! ^d^ mei^ nid^tS Slnbereä. S)as
261
154 ^ant^ciftifd^er mfd^Iu§. ^romctl^cuS.
^in gel^t aud^ btefcä ©cbtd^t." — S^coBt: „J)a n)dren Sic ja
mit ©pinoga jicmlid^ etttDcrftanben." — Seffing: „SBenn id^ mtd§ na^
Siemanb nennen foH, fo n)ei§ id^ feinen 2lnbern»" — 3acoBi: „©pinoja
ift mir gut genug, aber bod^ ein fd^led^teä Jpeil, ba§ mir in feinem 9^amcn
finben." — Seffing: „^a; wenn ©ie rooHen. Unb bod^ . . . SBiffcn
®ie ttrva^ 33e[fereä? .... (Sg gibt feine anbere ^l^ilofopl^ic,
aB bie beg ©pinoga."
Ueber bie| ®e[prad^ ift t)iel gefd^rieben worben. 3Jian l^at e3 mog^
lid^ft abgufd^wäd^en gefud^t. 5Da S^cobi baäfelbe erft mel^rere 2;age nad^^
l^er gu Rapier brad^te, fo rodre eS unred^t, auf ben SGßortlaut feineg ^e^
rid^teS ein in^ä ©ingelne gel^enbeS Urtl^eit über fieffingä pl^ilofopl^ifd^e
2lnfid^ten in Setreff beS ©pinogi^muä, gatatiSmuä, SDeterminiSmug ic.
gu grünben. S)a^ aber Seffing im gangen SSerlauf beg ®efprdd^§ gu
©pinoga l^ielt, bie ort]^obo):en Segriffe üon ber ©ottl^eit Derroarf, ba§
"Ev xal riav atö feine ^l^ilofopl^ie unb ben ©efid^tSpunft beö ©ötl^e^fd^en
^rometl^euä al§ feinen ©eftd^t^punft begeid^nete, baS ftnb fo einfädle, auf
@ing l^inauälaufenbe SDinge, ba§ fte 3acobi bod^ voo^ aud^ nod^ nad^
mel^reren SCagen erinnerlid^ fein fonnten unb mußten.
Stimmt man ik pantl^eiftifd^e JRid^tung ber ,@rgiel^ung be§ 9JJenfd^en=
gefd^Ied^teä' unb ber ,9^reimaurergefprdd^e' l^ingu, fo l^at man burd^auä
feinen ©runb, gu gmeifetn, ba^ Seffing in bem i^Srometl^euä feinen eigenen
©efid^tgpunft oerförpert fanb.
/;3d^ fenne ntd^tä 2lertnere§
Unter ber @onn\ als cxid^ ©ötter!
^f)x näl^ret Üimtnerlld^
2Son Opfcrfieuern
Unb ©eBetSl^aud^
(Sure SJiaiepät,
Unb barbtet, wären
m^t ^nber unb 33ettler
^offnungSDoUe j^l)oren.
SDa id^ ein Ätnb u)or,
D^id^t rougte, wo au§ nod^ ein,
Äel^rt* id^ mein cerirrteS Sluge
3ur @onnC; als wenn brüber luär'
(Sin Ol^r, 3U pren meine ^tage,
@in |)erj, wie meines,
©id^ beS 33cbrängten ju erbarmen.
2Ber {)alf mir
iEBiber ber Litauen Uebermutl^ ?
?Pant^cijttfd§cr SlBfc^Iuf. gSrotnctl^cuS. 155
2öcr rettete Dom 5tobe tnid^,
3Son @flat)erei?
^afl bu nic^t OTeä fclbjl oollenbet,
^eilig glül^enb ^erj?
Unb glül^tcfl, jung unb gut,
^Betrogen, Sftcttungäbanf
SDem ©d^Iafenben ba broBcn?
3d^ bid^ eieren? SSofür?
|)a|l bu bie ©d^metjen gclinbert
3c bcS Sciabencn?
^aft bu bie X^täncu gejttat
3e bc§ ©eängftcten?
§at nid^t tnid^ jutn ÜRanne gcfd^tnicbct
2)ic aUmdd^tlge ^dt
Unb boS erotge ©d^idffaf,
ajJcinc §ert*n unb beinc?
Säl^nteft hvi etwa,
3d^ follte ba§ ßebcn l^affen,
3n 5ßüften fTtel^en,
2ßcit nid^t alle
«lütl^enttäume reiften?
§ier fx^' id^, forme SJJenfd^en
^a^ meinem 53ilbe,
Qin ©efd^ted^t, bag mir gleid^ fei,
3u leiben, gu weinen,
3u genießen unb ju freuen ftd^,
Unb bein nid^t ju ödsten,
2ßie id^ !"
©leid^ bte[em ^rometl^eug üerad^tetc Seffing „Opferfteuer unb ®eBet§s
l^aud^" ate „cottDentioneKe 3^fäfee jur natürlid^en Sfteligton", gtetd^ x^m be^
trad^tete er ben d^riftlid^en ©tauben afö ein üfierraunbeneä aSorurtl^eU ber
^inbl^ett, gleid^ tl§m wollte er feine Sßal^rl^eit üon @ott, fonbem alle SBal^r-
l^eit fid^ felbft üerbanf en. 3^"^ Sffianne gefd^miebct oon ber aUmdd^tigen ^di,
fud^te er feinen 2:ro[t im geiben nid^t bei (Sott, fonbem in ben 3ctftreuungen,
aSefd^dftigungen unb Ädmpfen beg SebenS. „S)od^ id^ bin ju ftolj, mid^
unglüdtlid^ ju benfen, fnirfd^e einS mit ben ^a^ntn unb laffe ben Äal^n
gelten, wie äöinb unb 3ßetter raoffen. @enug, bafe id^ il^n nid^t felbft
umftürjen raiUl" Unb fo fifet er benn julefet einfam, mit ©Ott unb SEBeft
gerfaUen, unb formt ?iJienfd^en, benen il^r „.3^", fo vok i^m, iaä §öd^fte
ift, beren Seiben unb ^yreuben im eraigen (Sntroidflimgäftrom beg Slbfoluten
Derfinfen, bie o^ne Hoffnung auf ein 3^nfeit§, ben ganjen organifd^en
23e[tanb ber 3)ienfd^]^eit untergraben, nm baä StU^Sin^ — ba8''Ev xal Ilav
268
156 ^antl^eifiifd^er 5lbf(I)(u^. «ßromet^cuS.
— bte ciüige äßal^rl^eit in eroigem 3^^'^/ ^^^ ^^^9^ 5Rcgation in eroiger
Slffirmation, baä (Sl^aoä in enblofen ©ntroitflungen unb SRütfentroirflungen
über bie lid^te, fd^one, georbnete, erlöste, jur croigen 3Serfldrung beftimmte
SBelt beä einigen unb breieinigen ©otteä l^ereinbred^en ju lafjen.
©lüdtid^ fonnte ein fold^er prometl^eifd^er ©eift nid^t fein. S)er
2Biberfprnd§ gegen ben 33efi^ ber SBal^rl^eit trieb il^n unftet oon einem
ungelösten 9idtl^fel in'ä anbere. @r !onnte unb rooffte feine Stulpe l^aben.
5Die 2lntroorten, bie er [id^ gab, roaren doH neuer fragen, auf bie er
nod^ feine Slntroort rou^te. SDie aOBeltanfd^auung , bie er fid^ jurec^tge-
legt l^atte, roar im ©runbe nur ein ©eroebe t)on Sroti\ün, beren Söfung
er einer fernen, nur burd^ ben 2:raum ber ©eelenroanberung erreid^baren
3ufunft anl^eimftellen mu^te. 35abei jroang il^n bie mit ben Sil^eologen
angefponnene unb nod^ nid^t PÖHig aufgetragene ^el^be, ben ®lidf beftän^
big auf ba§ „abgetl^ane" S^riftentl^um jurüdfjuroenben.
264
18. %rasif^et ^nfetgattg.
©a§ Sl^riftentl^um roar eBcn nid^t aBgetl^an; e§ ftanb nod^ immer
t)or il^m in ber ©efd^id^te alS eine unjerftörBare, burd^ leine n)i[fenfd^aft=
lid^en SJerfud^e l^inroegjuftreitenbe Stl^atfad^e. ^e mel^r il^n feine tJ^eologifdfte
gelobe notl^igte , bie Äird^engefd^id^te ber erften ^al^rl^unberte jn ftubiren,
befto Harer fteßte ftd^ il^m ber ^roteftantiSmuS in [einer ganzen innern
Unl^attbarfeit bar, befto l^eHer aber \a^ er aud^ ein, ba§ ba§ gefd^id^tlid^e
Gl^riftentl^um anf einer üon ^a'^v^unitvt jn ^al^rl^unbert, unter ber 2lu'
torität ber SSifd^ofe fortgepflanzten Uebertieferung Berul^e. SBar e§ i^m
aud^ bto§ Dermutl^Iid^, ha^ bie d^riftlid^e SReligion „fo lange fortbauern
n)irb, alö e§ SJienfd^en gibt, bie eineS 2Wittler§ jroifd^en ftd^ unb ber ®ott^
l^eit ju bebürfen glauben, baö ift eraig", Dernid^tete er bie gottlid^e Slü^
toritdt ber fpnoptifd^en ©Dangelien burd^ eine unberaiefene unb unberoeiSs
bare ^ppotl^efe : fo ftanb il^m bod^ l^iftorifd^ feft, ba§ ia^ fanonifd^e Sin?
feigen ber 1^1. 93üd^er wie i^r Urfprung eine münbüd^e Ueberlieferung
üorauSfefeten, ba§ Sibel unb Jirabition wal^renb ber erften d^rifttid^en 3^]^r=
^unberte in izn §dnben be§ lird^Iid^en Sel^ramteS lagen unb ba^ bie Ueber?
lieferung beS gefd^riebenen unb ungefd^riebenen ®otte§n)orte§ burd^ ben
ÄleruS (b. |. baä fird^lid^e gel^ramt) ununterbrod^en l^inauf in bie ^tikn
ber 2lpoftelfd^üler unb Slpoftel reid^te. @o eifrig burd^forfd^te er bie aSäter
ber erften ^al^rl^unberte, 3uftinu§ unb ^gnatiuö, Sl^eopl^iluS unb S^endug,
Siemens t)on Slle^anbrien unb Stertullian, Sltl^anafiug unb §ilariu§, fo
nal^e, fo flar, fo l^anbgreiflid^ trat il^m bei biefen ©tubien bie göttlid^e
©infe^ung be§ fird^lid^en Sel^ramtg Dor bie 2lugen, ba§ er nur bie 9lugen
offen ju behalten brandete, um in il^m ben pd^ften SRid^ter be§ ©laubenö
unb ben gefd^id^tlid^en Sräger ber d^riftlid^en Offenbarung rerforpert ju
fd^auen. 5)od^ wo biefe gunbamentalraal^rl^eit be§ ©l^riftentl^umS i^m
nal^e trat, raanbte er fein Sluge oi ober fd§lo§ e§. (Sr wollte ja nur
ben proteftantifd^en 33ibelglauben jerftören.
SSon ^ant unb ©tubium aufgerieben, oon Dielen Äranfl^eiten er?
fd^üttert, fel^nte er fid^ enblid^ nad^ bem Slugenblidf, wo er bie 2lcten feines
tl^eologifd^en ©treiteg fd^lie^en unb ben Ungenannten fid^ felbft überlaffen
265
158 Stragifd^cr Untergang.
fonne. ©erne l^dtte er fid^ raieber bem ©ebtcte ber Äitnft jugcroanbt.
,,Unb bod§ fürd^te id^ mid^ baoor," fd^retbt er (25. ^uni 1780) an .§er^
ber, „bte 2JerfatiIttät be§ @et[te§ verliert fid^, glaube id^, von feinen ©igen-
jd^aften am erften. GS foftet fo Dtel 2lrbeit, mid^ umradljen ju laffen,
ia^ e§ faum mel^r ber SJlül^e cerlol^nt, wenn id^ nid^t eine geraume
3eit in ber neuen Sage mieber üermeiten fann. Unb ba§ fann id^ jc^t
nod^ nid^t, menn id^ mid^ mit ©l^ren auS meinen t^eologifd^en ^anbeln
gießen foC."
SDa er in feinem Äampfe mit ben Sl^eologen beftdnbig einen von bem
Ungenannten üerfd^iebenen ©tanbpunft bel^auptet, ja fid^ fogar al§ gldu=
bigen ©l^riften unb felbft aU ©onner unb SSertl^eibiger beS ßl^riftentl^umS
gegen ben Ungenannten geftefft l^atte, mar ©oje enblid§ auf ben na^e^
liegenben ©ebanfen gefommen, fein ®tauben§be!enntni§ ju forbem. Sefftng
gab eö: ,,^6) antworte auf bie vorgelegte ^Jrage fo beftimmt, aU nur
ein 2Renfd^ t)on mir oerlangen fann : ba| id^ unter ber d^riftltd^en
SReligion alle biejenigenÖlaubenSIel^renoerftel^e, meldte
in ben ©pmbolig ber erften oier ^al^rl^unberte ber d^rift^
lid^en^ird^eentl^altenfinb." S)ief eg ® laubenbef enntni^ tl^at fief fing
ben guten SDienft, im ©treit auf baS ©ebiet ber jtird^engefd^id^te unb
diteren ^atriftif ju Ien!en, in meld^em er fid^ ben bibetgldubigen %^to^
logen gegenüber fo fidler ful^Ite, ba^ er fie mit einer gro^fpred^erifd^en
aSerfid^erung feiner Selefenl^eit jum Äampfe tub. ©ie fonnten il^m aud^,
je mel^r er fid§ auf fatl^olifd^en SJoben fteKte, befto meniger 2:riftige§ er=
roiebern. 9Iber, mie er felbft jmei ^al^re fpdter — eben ju fpdt — ein::
fa]§, oermod^ten meber bie aufgefidrten , nod§ bie gidubigen ^roteftanten
mit einer SBenbung jufrieben gu fein, meldte fid^ jmifd^en ©tauben unb Un=
glauben in ber SJiitte l^ielt unb objectio ben ©ebanfen an bie alte, fatl^o-
lifd^eÄird^e nal^e legte. „3ft er nod^ fo meit gurüdf?" badeten bie (Sinen.
„SBenn er nur ba§ miß !" badeten bie 2lnbern; „maS l^aben mir benn für
einen Sdrm über il^n angefangen !"
3ubem l^atte bie ganje Sontrooerfe il^ren per[önlid^en , bramatifd^en
unb populdren ß^arafter oerloren. @§ mar eine ernfte tl^eologifd^e S)i§::
putation ol^ne lomifd^e 93ei(agen, mit enblofen gried^ifd^en unb lateinifd^en
Ztx^en gemorben, eine geleierte (Streitigfeit, roie er fie einft in feinen ,®e=
banfen über bie ^erren^uter' oerfpottet ^^tte. 35ag mar nid^t§ für ba§
gro^e ^ublifum. SDie ffanbatfüd^tige 9Jlenge, meldte bie flammenben ^n^
oeftioen be§ mifeigen SSibliotl^efarä gegen ben §auptpaftor mit offenem
Dl^r unb SRunb oerfd^tungen l^atte, oerlief fid^, fobalb ber SSibliotl^efar
266
Straglfd^cr Untergang. ^ 159
gried^ifd^ gu bociren anfing unb bem ©otteggelel^rten Söal(| in ©öttingen
bic ©tromata beS Slle^anbrinifd^en ßlemenö erfidrte. 5Dte Slufgefidrten
unter ben geleierten 3^P^^^^ ftu^ten. SBag foß bie „Siegel ber SBal^r^
l^eit" in bem aufgelldrten 18. ^a^x^nnitxi'i in ber britten ^eriobe ber
©rjiel^ung beg Syienfd^engej'deiedetg? im großen SBerfe ber Soge? 5Die
Ortl^obo^en fallen fid^ mit bem ©reuel aKer ©reuel, ber latl^olifclen
Strabition bebrol^t. 5RicoIai, SWenbetefol^n , bie 2lufge!Idrten üfierl^aupt
rannten il^ren alten greunb nid^t mel^r, al8 er, wenn aud^ nur ^üpaaiixÄc
(nad^ ged^terart) mt ein Äird^euDater mit Äird^enDdtern gegen lutl^e^
rifd^e ^aftoreö Mmpfte. ©elbft Sampe, Berber unb 2tnbere, meldte
über bie iJreimaurergefprdd^e in l^onigfü^e Komplimente jerfloffen waren,
fonnten il^ren Se[fing nid^t begreifen. Slllgemein gog man fid^ oon il^m
jurüdf unb lie§ il^n linB liegen.
@g war, aB moKte ®ott bem l^od^begabten 3)iann in bem traurigen
SSanferott feiner üermeintlid^ Jlugen Sered^nungen , in ber SBanbelbarfeit
menfd^lid^er Urtl^eile unb ©pmpatl^ien, am (Snbe feiner 2:age nod^ eine
grift gu befferer a3efinnung, einen erfd^ütternben 8iuf ber ©nabe bieten.
SDaS unbanJbare biplomatifd^e ©piel, ba§ er mit btin pd^ften ©ute ber
SKeufd^l^eit, mit ber aBal^rl^eit beä (Jl^riftentl^umä getrieben, mu^te il^n bod^
erinnern, ba^ bie ©unft ber SGBelt ein eitler ^aud^ ift unb ba§ ber Blo^e
3n)eifel leine ©efriebigung geben ?ann. „^d^ glaube nid^t," fd^rieb er
(19. SDec. 1780) an ^Utenbeläfol^n, „ba^ ©ie mid^ atö einen SffJenfd^en
fennen, ber nad^ Sobe J^ei^l^ungrig ift. 2lber bie Ädlte, mit ber bie SBelt
gemiffen Seuten gu begegnen pffegt, ba§ fie il^r aud^ gar nid^tS red^t mad^en,
ift, wenn nid^t tobtenb, bodt; erftarrenb. 5)a§ Sinnen nid^t STIleg gefallen,
n)a§ id^ feit einiger ^tit gefd^rieben, ba§ munbert mid^ gar nid^t. ^l^nen
l^dtte gar nid^tö gefallen muffen; benn für ©ie war gar nid^t^ gefd^rie^
ben. ^öd^ftenä l^at ©ie bie 3urüdferinnerung an unfere befferen 2:age nod^
etma bei ber unb jener ©teße tdufd^en lönnen. Sflud^ id^ mar bamalä
ein gefunbeg, fd^lanfeg 33dumd&en ; unb bin je^t ein fo fauler, fnorrid^ter
©tamml ^ä), lieber Q^reunb! SDiefe ©cene ift auö! ©ern möd^te id^
©ie freilid^ nod^ einmal fpred^en."
SDie ©cene mar mirllid^ aug. 3lu§ ber muntern Äomöbie mar eine
ernfte, erfd^utternbe 2:ragobie geworben. Umfonft blidfte Seffing auf bie
oon if)m üerlaffenen ©efilbe ber fd^önen Äunft jururf. @g ging nid^t
mel^r. 6r brad^te nid^t einmal mel^r feine ,33riefe an oerfd^iebene @otte§s
geleierte' unb anbere tl^eologifd^e SBrud^ftüdfe gu @nbe. 35ie ^ppod^onirie,
weld^e nad^ bem Stöbe feiner grau mit neuer ^Jlad^t aufgetaud^t mar,
267
160 2:raglfd^ct Untergang.
fra^ unauf^attfam am 5Karfe feinet SebcnS. ©d^laffud^t unb ©rmattung
tdl^mtcn Dielfad^ feine Sl^dttgleit. SBal^renb beä ©ommerg 1779 war er
l^dufig Bettlägerig, ^m SBtnter barauf tüurbe e§ nod^ fd^limmer; ein
^aföleiben untergrub feine Gräfte fo, ba^ er ftd^ glütflid^ ft^dfete, aud^
nur nod§ üegetiren gu fönnen. 2tfö baä überftanben war, befiel il^n ein
langer anbauembeS glu|3fieber.
Der 3Jiann, roeld^er il^m in • biefer trüben Sage bie ^^rglid^fte unb
tl^dtigfte ^^reunbfd^aft beroieS, voax ber errodl^nte ^l^ilofopl^ 3acobi, raeld^er
t)om ©pinoga nid^tä n)iff en wollte, f onbern nod^ eine perfonlid^e , t)ernünf=
tige Urfad^e ber SSBelt annal^m. 5)a e§ il^m nid^t entging, ba^ ba§ einfame
in fid^ §ineinbrüten unb bag geraaltfam ergraungene ©tubium ben fran!en
3uftanb ßeffingö am nteiften üerfd^limmerten, fud^te er i^m fd^on bei bem
frül^er erradl^nten S3efud^ 3^^P^^^i^^9 ^^^ greube gu t)erfd^affen. @r lub
il^n ein, mit nad^ Hamburg gu fommen unb bann eine weitere 9fleife mit=
gumad^en, bie er beabfid^tigte. Söurbe aud^ l^ierauS nid^t§, fo brad^tc er
bod^ Seffing menigftenS raieber einmal nad^ SSraunfd^meig unb fpdter, auf
ber Ofiudfreife t)on Hamburg, gum ^Jreunb unb ßanonilug ©leim in
^alberftabt, unb erfreute il^n in ber ^^if^^^ä^^^ ^^^ pl^ilofoplpifd^en
5yiot)itdten.
©0 gelang eg il^m, ben ,^ran!en etmaS gu gerftreuen ; aber über innere,
tiefer raurgelnbe Seiben üermod^te er il^n nid^t gu erl^eben. „@§ lag eine
gemaltige ©d^mermutl^ auf il^m," berid^tet ^acobi über bie 3fiüdfreife t)on
^alberftabt, am 15. STidrg 1781 an (Slife SfteimaruS, „unb id^ werbe
nie ben 3Jiorgen üergeffen, ben id^ auf meiner 3wrüdfreife mit il^m gu^
brad^te. ©rft biSputirten mir; id^ miberlegte einige feiner 33e]^auptungen
fo nad^brüdflid^ , ba| er nid^t weiter lonnte. ©ein ©efid^t würbe ent=
fe^lid^; id^ l^abe nie fo ein ©eftd^t gefeiten. Slber balb barauf würbe
er weid^, unb je Idnger, je t)ertraulid^er. @r flagte mir, ba§ il^n Sllleg
Derlie^e. ©elbft eine gewiffe ^erfon, biß il^m feit ^a^xea mit ber innige
ften Q^reunbfd^aft gugetl^an gewefen , unb üon ber er gewi§ wdre , ba^
fie i^m fogar il^re §anb nid^t t)erfagt Reiben würbe, aud^ biefe entferne
fidfj jefet üon il^m. — 6r lie^ mid^ üon fern argwöl^nen, feine
üerftorbene grau l^abe il^m auf bem 2:obtenbette Vorwürfe
gemad^t, ba^ er fie mit unglüdElid^en SJieinungen angeftedft
l^abe. ©0 etwas wdre entfe^lid^, unb nerbote il^m, an
@]^e, an Äinber, an Siebe gü benfen. — 2Bag id^ l^ierauf er-
wieberte, !önnen ©ie fid^ ungefdl^r Dorftellen. SSornel^mlid^ fud^te id^ il^n
gu bereben, gu mir nad^ ©üffelborf gu fommen, wo er vov allen ®ldu:^
268
Xragifd^ct Untergang. 161
bigem gicmlid^ jid^cr fein roürbe. SDie ©d^ilbcrung, bic id^ if)rti t)on feiner
Sage unter un^ mad^te, gefiel il^m unb fd^ien il^n ju rül^ren, unb wäre
er mit feinen Sluäjügen für bie ^ird^engefd^ic^te fertig geraefen, id^ glauk,
iä) ptte i^n entführt."
3m Sluguft 1780 raffte fid^ Seffing jum lefeten, oergroeifejjten aSer^:
fud^e auf , bie il^m f o t)er]^dngni|ooUe 2:i^eoIogie roieber mit bem ©d^au=
fpiel gu »ertaufd^en. @r fd^lofe einen Vertrag mit ber ^amBurgifd^en
S^l^eaterbireltion , il^r jdl^rlid^ groei neue ©d^aufpiele ju je 50 Souiäb^or
ju liefern. 3m October reiste er nac^ Hamburg ; eä roar feine le^te größere
SÄcifei 3ut ^eife ber greunbe bafelbft festen er neu aufguleben. „@r
ift faft ganj ber Sllte!" meinte (Slife 9ieimaru§. SKber faum nad^ SÖBot
fenbüttel gurüdCgefel^rt, fd^rieb er i^r: ,,©o fel^r id^ nad^ §aufe geeilt, fo
ungern bin id^ angekommen. 35enn ia^ @rfte, maä id^ fanb, roar id^
felbft. — Unb mit biefem Unmißen gegen mid^ felbft foU id^ anfangen,
gefunb gu fein unb gu arbeiten? — greilid^! l^ore id^ meine greunbe
mir nad^rufen , benn ein 3Jiann mt ®ie lann SltleS , n)a§ er mill. —
Slber, liebe greunbe, menn baö nur ttroa^ 2lnbereS l^iefee, als : lann 3HIeS,
mag er fann. Unb ob id^ biefeS Äonnen Jemals roieber fül^len merbe,
baS ift eine grage."
@r wollte bie^ Äönnen nod^ einmal oerfud^en. ^lei^iger SSrief^
roed^fel mit ben Hamburger greunben, meinte er, mürbe il^n t)on ber Saft
feines unl^eimlid^en ®elbftben)u|tfeinS befreien unb mieber aufleben laffen.
©r oerfprad^, lood^entlid^ gu fd^reiben. Umfonft. ^m 3anuar bilbete fid^
bic Sruftroafferfud^t immer beutlid^er auS. 2lm 13. gebruar, nad^ einem
Sefud^e in SSraunf d^meig, f am er fo engbrüftig nad^ ^aufe , ba§ er nid^t
mel^r fpred^en fonnte; am 15. iJebr. 1781 erlag er einem ©d^laganfaff.
„aOBal^renb feiner Äran!l^eit," fo melbet 3- 31. ßeifemife, „mar er
fel^r rul^ig, gelaffen unb gumeilen munter, oft unb lange au^er ^ttte,
na^m oiele SBefud^e an unb lie^ .ftd^ oorlefen. ^n einer ^dt fd^ien er
fid^ feinen S:ob fe^r nal^e, gu einer anbem fel^r entfernt gu benlen. 2luf
feine gänglid^e ©enefung l^offte er unterbeffen nid^t unb erllärte einmal,
er fei auf Seben unb 2:ob gefaxt." 5lmalie, bie ©tieftod^ter fieffingS,
ergdp, fie l^abe am Slbenb feineS 2:obeStageS an ber ©d^meUe feineS
ÄranfengimmerS gefeffen, um il^re S:b^äuen oor xf)m gu oerbergen. SDa
l^abe fid^ plöfelid^ bie 5£l^üre geöffnet, er fei l^erauSgetreten , baS Slntli^
bereits burd^ l^ppotratifd^e 3üge marfirt unb mit StobeSfd^meife bebedft,
unb l^abe il^r ftumm, mit unauSfpred^lid^ feelenoollem SlidE, gum legten
SStal bie §anb gebrüdft. 5Darauf l^abe er oerfud^t, oor ben umftel^enben
©ottWflattner, 8ef[ln0» — 2e9~ 18
162 Xraölfd^cr Untergang.
grcunben ba§ §aupt gum ©ru^e ju ent6I5§cn, fei aber unertoartct ju^
fammengebrod^cn unb mit überrafd^cnbcr ©d^ncHtglcit einem ©d^lagflu^
erlegen. 35ei feinem ©intritt in'ä 3^wtmer glaubte fie einen ©tral^I l^imm^:
li[d^er 9SerMdrung auf feinen ^ü^tn bemerlt gu l^aben.
SDie ©egner Seffingä uerbad^ten eä il^m fel^r, bafe er beim.§eran?
naiven beS StobeS ben STbt ^erufalem von feiner ©d^roelle geroiefen, ba^
gegen in biefer ernften ©tunbe S^ben in feiner Umgebung gebulbet l^abe.
3Jlan legte il^m baä Söort an einen §reunb in benr SÄunb: „SBenn ®ie
mid^ im Sterben feigen, rufen ©ie mir ben 5Jlotar l^erbei; id^ roiH mid^
gegen il^n erltären, ba§ id^ in feiner ber l^errfd^enben Sftetigionen fierbe."
@in ©eiftlid^er wollte il^n nur ben oerftorbenen §errn Seffing, nid^t nad^
üblid^em Sraud^ ben feiigen §errn Seffing genannt roiffen. ^m SSoCfe,
fo ]^ie§ eg, gel^e bie 3Jieinung runb, Seffing fei mit §aut unb §aar
Dom Jeufel gel^olt morben. (ginc anonpme glugfd^rift: ,,SeffingS lefete
©tunben", 35erlin 1781, brad^te bie aSerfe:
„— Unb ha jc^t Seffing um ftd^ fal^,
®aB il^tn ein (Sngel bie gtagmentc,
3)^it @Ianj wmgcBen, in bie ^anbe.
©pinojtt — unb Sotfe — unb ©a^Ie nal^ten pd^,
Unb erjietet \pxa^: O greunb, fo l^aBen wir nun bid^!"
$Der latl^olifd^e SSeobad^ter mirb meber auf biefe Sleu^erungen ifxo^
teftantifd^er Sieblofigleit gro^eä ©eroid^t legen , nod^ auf bie ,,]^immlifd^e
aSerttdrung", roeld^e SeffmgS ©tieftod^ter über baä Slntli^ il^reS aSaterS
auSgegoffen gu feigen glaubte. SBaS il^m furd^tbar emft uorfommen wirb,
ift ber Umftanb, ba§ in ben a3erid^ten über Seffingä lefete ÄranB^eit unb
S:ob von feinem religiofcn Söorte , von feinem ^ti(^tn religiofer ©efiu::
nung bie Sftebe ift, roäl^renb er fid^ offenbar fo oiel ^^^P^^i^iittfl ^^^ '^^i-
lid^ oerfd^affte. ©d^redCte er fd^on beim entfernteren S^al^en beä S:obeg
baoor gurüdf, fid^ felbft, nur fid^ felbft ju finben, wie mn^ ifym ju SRutl^c
gemefen fein, atö aße SKittel, fid^ ju gerftreuen, fid^ gu üergeffen, ent=
fd^manben? SEBir roiffen eä nid^t. ©g ift unä verborgen, ob ©Ott nid^t
in jenem legten 2IugenblidE unfid^tbar ein SBunber feiner SSarml^ergigleit
gemirJt ]§at. SDod^ fagt unS ber ©taube, „ba^ ber Saum fo liegen bleibt,
n)ie er fdHt", — unb jebeS latl^oüfd^e §erg mirb Dor einem @nbe , n)ie
ba§ SeffingS mar, unmifffürlid^ erbeben.
270
UcBerblitft man bcn gcfammten rcUgiofcn ©ntroitflungggang Seffingg,
f ift e§ f aft unmoglid^, in bemfelBcn ein trcueä ©piegelbilb ber neueren
©ntotdlung beg §ßrotcftanttgmuS ju Derlennen. SBarb fid^ ber ^ro^:
teftantiSmuä in fieifinij ber ungel^euren SBerlufte beraubt, raetd^e ber Mm^
fd^engeift burd^ ben SIbfall von ber gottgefe^ten fiel^rerin ber 2JölIer
erlitten, ftrebte er in UnionSoerfud^en gur ©in^eit beg ©laubenS, in
pl^tlofopl^ifd^en ©pe!ulationen gur SBiffenfd^aft ber SSorgeit, in politi:
fd^en Serl^anblungen jur politifd^en ©inl^eit beS 9fieid^e§ jurud, war er
bereits auf bem SEBege, fid^ aud^ bem Oueß ber (ginl^eit, bem ^rincip ber
2lutoritat, roieber ju unterwerfen, fo bäumte er fid^ in Seffing n)ilb unb
gewaltig gu einer groeiten, tiefergreifenben 9leooIution auf, gerri^ bie lünft::
ßd^en gaben , mit benen man Un SJiangel an innerer , organifd^er (Sin^
l^eit erfefeen gu Bnnen glaubte, unb fd^leuberte bie legten tiefte ber d^rift:;
lid^smittelalterfid^en SCBeItanfd6auung mit unwiberftel^Iid^er ßentrifugalfraft
l^inauS in ba§ (S^aoä beä atomiftifd^en SttbiüibualiSmuä.
fiefftng fprad^ ba§ lefete SBort beS $ßroteftantigmu§ , gog feine lefete
©onfequeng: unbebingte §errfd^aft ber ©ingelüemunft auf bem ©ebiete
ber Sieligion, be§ SBiffenä, be§ focialen ßebenS !
2luf religiofem ©ebiet formulirte fid^ biefeä eine confequente ^rincip
aß allgemeine „2:oIerang" unb ^^^iff^^^^tiSmug , auf miffenfd^aftlid^em
als „freie SOBiffenfd^aft" , auf politifd^em alS „^Freimaurerei".
SDer ©tufengang, auf meld^em Seffing gu biefen Slefultaten gelangte,
ift wefentlid^ berfelBe, auf meld^em ber beutfd^e ^roteftantiSmuS im großen
©angen gur Dielgcpricfenen „©eiftcSfrei^eit" be§ 19. igal^rl^unbertS gelangt
ift- 3^ ber erften SBegeifterung für baS „reine @t)angelium," gleid^fam in
il^rer Äinbl^eitSepod^e , Id^t fid^ bie inbioibueHe SSemunft baS Sod^ einer
in fid^ unl^altbaren, auf feiner göttlid^en ©enbung, fonbern auf bem bloßen
eingelmiHen unb ber ©taatSgemalt beru^enben Slutorität gefallen. SDurd^
bie übertriebenen ijorberungen biefer unbered^tigten 2lutoritdt wirb fie
fd^on im Knabenalter gum SSBiberlprud^ aufgeftad^elt, be§ 3od^eS über^
271
164 ©d^lu^roort.
brüfftg, Tüirft cS tnncrlid^ aB unb crfcl^nt bcn Slugcnblid, cä aud^ anders:
lid^ t)on fid^ gu rocrfcn. Ol^nc innern [tttltd^cn §alt, ol^ne tüiffcnfd^aft::
Itd^c UeBcrjcugimg Don bcr Scrcd^tigung bcä SlutorttatöprinctpS üBcr?
l^aupt, mit cntfd^iebcncm SBibertDtffcn bagcgcn^ erliegt ftc, fobalb fie nur
gum ©enufe ber greil^eit gelangt ijl, bem §ange jur religiJfen ®leid^=
giltigfeit , ben ndd^ftliegenben irbifd^en ©enöffen unb 3^tere[fen. 3laä)'
bem ftd§ ber erfte 3>«9ß«i>^ttiif^ auSgetoBt, menbet fid^ bie Bebdd^tiger ge-
worbene SSernunft gu ben üerfd^iebenen ^l^ilofopl^ien , ftubirt pc frittfd^,
gmeifelt an allen l^erum, finbet in feiner SefrieSigung, combinirt bie eine
mit ber anbern , entroidtett auS ber 9Jiifd§ung eine neue, finbet aud^ biefc,
weil unbefriebigenb , einer [teten SBeiterentmidflung beburftig unb langt
gulefet beim ^antl^eiämuS an, aß bem eingigen ©pftcm, roeld^eS für 2lffe8
Pafe l^at unb baS gro^e ©efefe enblofer ©ntmidflung f^ftcmatifd^ be=
grünbet. 5Dod^ groei SJiad^te ftellen ftd^ in ber mirflid^en Sßelt ber im
SReid^e beä S^ealen üöHig unabl^dnöigen Vernunft entgegen: bie retigiofc
Slutoritat, t)er!orpert im gefd^id^tlid^en unb nod^ immer lebcngfrdftigen
©l^riftentl^um, unb bie bürgerlid^e Slutoritdt, uerförpert in ben focialen
Organismen ber gefd^id^tlid^en Staaten, ©o leidet e§ ift, biefe beiben ©egner
in fleptifd^en unb pantl^eiftifd^en Sl^eorien „miffenfd^aftlid^^ aufgellen gu
laffen, fo fd^mer mirb eS ber inbepcnbenten 3Sernunft, il^rcr tl§atfdd^lid§en,
mirllid^en, lebengfrdftigen 3Rad^t gu begegnen. Unoermogenb, bcn offenen
Äampf gu beftel^en, mirft fie fid^ ber gteimaurerei in bie SIrmc unb fud^t
in einem meltumfpannenben ©el^eimbunb eine SJiad^t gu fd^affen, bie
ÄHrd^e unb Staat überflüffig mad^t, aße „SErennungen" unb ©liebes
rungen ber ®e[ellfd^aft aufl^ebt unb nur 3)ienfd^en, b. ^. nur ^nbioibuen
o§ne eine oerbinbenbe Slutoritdt (l^icr liegt bie ungel^eure Slbfurbitdt ber
8üge) gur 3Kenfd^]^eit oerbinbet.
Sringt SeffingS (SntmidflungSgang auf fold^e SBeife ben ^tv^^i^unz^^
proce§ gur 2lnfd§auung, burd^ roeld^en ber gldubige ^roteftantiämuS gu
feinem confequenten, freimaurerifd^en Slbfd^lufe gelangte, fo fteHt er nid^t
minber bie §ilf§frdfte bar, roeld^e bei bemfelben roirften, unb bie concreten
SRid^tungen, in roeld^en bie „moberne (Sultur", ba3 Jtinb beö ^rotcftan=
tiSmuä, fid^ l^auptfdd^lid^ entmidfelte. ^tnt Jpilfälrdfte finb ber in (Sn^^
lanb guerft formulirte Jtaturaligmuä unb SDeiSmuä, bie ^l^ilofopl^ie be§
S)e§carte3 unb ©pinoga, bie materialiftifd^e Jiaturmiffenfd^aft, ber (Sinflu^
ber frangöftfd^en ©ncpKopdbiften , bie (ginmirlung auäldnbifd^er 9Jiobe
unb ßieberlid^f eit , bie fd^leid^enbe Oppofition gegen bie beftel^enbe 33ers
faffung beS SReid^eä , ber ©influ^ ber ^nhm auf Siteratur unb öffent=
272
l
©d^ln^wott. 165
It(ä^cä geben, bie im 3«fÄWinten]^ang mit ber Soge fijftcmatifd^ Betriebene
Slnffldrcrci. ©o wenig Seffing fid^ einer einzelnen biefer Är&fte bienft^
bar maS^tt, fo fel^r voax er Don i^rem gemeinfamen SBirlen beeinflußt,
unb butd^ btefen t)ereintcn Einfluß ift er geworben, rmS er ift:
ber ipi^ilof opl^ , ber fieibnij unb bie con[ert)atioe ^ßl^ilofopl^ie nur
baju benfl^t, um ben ^ßantl^eiSmuS be8 ©pinoja neu, beutfd^, in an-
jiel^enberem ©eroanbe gu entroiÄetn;
ber 3;i^eolo9e, ber bie ganje S:i^eoIogte beS 6l^rifitentl^um8 auS bem
©oben ber Offenbarung reißt, um fte aß materia vilis pl^ilofopl^ifd^er
©XP^timente allegorifd^ gu beuten, gu rationaliftren, gu oerflüd^tigen ;
ber @j:eget, ber el^rfurd^tSfoS baS ©d^mert ber beftructioen ^ritil
an bie 33ibet legt , il^re Autorität oemid^tet , i^ren 3n§alt ber aSilHür
ber ^l^ilologen unb §iftoriIer preisgibt;
ber ^rd^en^iftorif er , ber bie ©efd^id^tc beS ©^rtftentl^umS in pl^an*
taftifd^en , trauml^aften ^^potl^efen aufgellen laßt , beffen göttlid^en ©tifter
ju einem jübifd^en ^l^itöfopl^en, beffen Äird^e gu einem ungefe^lid^en ©e^
l^eimbunb l^erabfe^t;
ber Äritiler unb SageSf d^riftftetter , ber, unabl^fingtg oon göttlid^er
unb menfd^tid^er Slutoritdt, ^öd^ft^^^ ^on ber offentlid^en 3Reinung beS
^ubfifumS befd^rSnlt, ^pi^ilofopl^ie unb Offenbarung, ^rd^e unb ©taat,
2Biffenfd^aft unb Äunft oor fein l^Sd^fteS, unfel^lbareS Iribunat giel^t;
ber ^l^itologe unb Jpumanift , ber bie antile ©ilbung , abgetrennt
oom ©l^riftentl^um, um il^rer felbft roillen fud^t;
ber ©id^ter unb Äunftrid^ter , ber bie Äunft atö ©elbftgmecf an^
ftrebt, il^re SEl^atigfeit oon ber SReligion emanctpirt, bem l^eibnifd^en Äunfts
ibeal nid^t nur in feinen untergeorbneten ijormen , f onbem aud^ in feiner
SEeltaufd^auung l^ulbigt;
ber Dramaturg, ber tl^eoretifd^ bie ©ül^ne als nationale S3ilbungS=
fd^ule „TOal^rer aÄenfd^lid^feit" auffteHt, fie praftifd^ gum tenbengiöfen
SlgitationSmittel entroürbigt ;
ber Freimaurer, ber, im inncrften §ergen oatcrlanbStofer Kosmopolit,
nad^ außen beftctnbig ben „nationalen ©ebanlen" prebigt — bem ©taate
btc ^errfd^aft über bie pofitioe SÄeligion guerfennt, aber ben ©taat gu=
glcid^ als eine „Trennung" befeinbet, bie ber »erwirUid^ung ber l^öd^ften
mcnfd^lid^en Sbeale im SBege fte^t.
3n biefer merlroürbigen OTfeitigleit trug ßefflng faft atte leitenben
eiemente ber anbred^enben „Sulturepod^e" in feinem ©eifte. (Sr Dcr^
forpcrte fte in feiner jptigteit unb gab il^nen, wenn tl^eilmeife aud^ nur
278
166 ^^lU^TDOXt,
apl^oriftif d^ , iS)vt SRid^tung. SÄctd^te feine Äraft nid^t auS, aud^ atö
©d^ulmann unb Sßaturforfd^er aufjutreten, fo l^otte er bod^ Bcreitä feinen
SSIidt anf eine tationaliftifd^e ^ßabagogi! unb auf eine religionölofe 3la:^
turraiffenfd^aft als ^iüt be§ ^^ortfd^rittä gerid^tet. SDie Don x^m ange?
regten Sbeen Brandeten nur auf ben einjelnen ©ebieten weiter ausgebaut
unb gur Jperrfd^aft gebrad^t gu werben — unb bic neue ßulturepod^e
ber reinen 3Jlenfd^Kd^!eit war fertig.
Sl^rem tlrl^ebcr entfprcd^enb, fül^rt biefe (Sufturperiobe beftdnbig bag
SofungSroort ber Sioleranj unb ber freien SBiffenfd^ft im 9Jhtnbe. ©ie
tragt aud^ beutlid^ Seffingä ©ignatur an il^rer ©tirn; biefclbe ©leid^::
giltigleit gegen ®ott unb 9ieIigion, benfctten felbftberou^ten SBiffenSftoIg,
biefelbe rul^elofe ^wetfelfud^t, baSfelbe tragifd^e, in ftd^ felbft jufamntcns
bred^enbe Unüemtögen, an bie ©tette ber untergrabenen d^riftlid^en ^äU
orbnung ctn)a8 S3effereS ju fc^en.
Sei biefer inneren SSerwanbtfd^aft ift eS burd^auS natüriid^, ba§ bie
mobeme beutfd^e „(Sultur" fieffing atS einen il^rer erften §eroen unb 93e=
grünber banfbar el^rt unb anerJennt. (SS fann aud^ nid^t befremben,
wenn er mit feiner fd^arfen ßonfequeng; feiner unerbittlid^en 5yiegatiott
unb ber geroattigcn ©eifteSarbeit, bie in feinen SEBerfen ju S:age tritt, in
ben erften ©ecennien be§ gegenwärtigen S^^^^iinbertä einem g^riebrid^
Don ©d^legel atö ,,ein tiefer SDen!er, aU ein reblid^er ^vodfitx^^ erfd^einen
mod^te. SDie religiofen ©egenfafee l^atten fid^ bamatö nod^ nid^t fo fd^arf
gefonbert, wie l^eute. Jpanb in ^ani träumten bamalS fat^olifd^e unb
proteftantifd^e Siomantifer, bie ißoefiefülle beö 3JiittelalterS wieber tn^S
fieben ju rufen. (SS brandete bie gange SHo^eit eineS aSo|, um fie gu
überjeugen, ba§ ber aufgelldrte ^roteftantiSmuS gegen baS (Sl^riftentl^um
!eine Solerang fennt; unb felbft einem ©örreS gelang e§ nur langfam
unb mit gewattiger SInftrengung, fid^ t)on bem ^an'bev ber SReooIutionSs
ibee unb il^reS ©htwidflungSwal^neS gu befreien. SluffalTenber ift eS, ba^
Siofep]^ oon @id^enborff nod^ mel^rere 5Decennien nad^l^er baS milbe Ur?
tl^eil ©d^legelS wicberl^olte, ßeffing atS einen SJiann betrad^tetc, ber überall
treu, offen unb gewaltig nad^ SBal^rl^eit rang unb bennod^, oom £)dmon
beS ©d^arffinnS überwältigt, an ber ©d^weHe bcS Slllerl^eiligften unbe=
friebigt gufammenfanl. "^an mag bie^ Urtl^eil als einen 2luSflu§ ebler
^ergenSgüte, ritterlid^er 2)ulbfam!eit entf d^ulbigen ; rid^tig ift eS j[eben=
falls nid^t, unb fann eS nid^t fein, ba eS ber ©üte unb ©ered^tigleit
©otteS einfad^l^n wiberfprid^t, einen SRann, ber überall treu, offen unb
gewaltig nad^ SSBal^rl^eit ringt, gerabe an bem ©d^arffinn feineS treuen,
274
©d^Iu^toort. 167
offenen unb geroafttgen ^orfd^enä fd^ettern unb unbefriebtgt untcrgel^en ju
taffen. ^n ber Sl^at jeugen bie Schriften unb ©riefe £effing§ niä)t nur
t)ön einem Brud^ftüdraeifen, unfpftematifd^en gorf d^en, baS man nur per
errorem gewaltig ftnben lann, t)on einem [tolgen unb ' untreuen ^orfd^en,
ba§ ben 33cft^ ber SBal^rl^eit üon Dornel^erein t)on fid^ aBroetSt, fonbern
aud| von einer biplomatifd^en, tenbengiöfen, boppeljüngigen ^i^l^anblung
ber äßal^rl^eit, meldte fid^ mit offeper unb treuer SCBal^rl^eitäliebe abfolut
nid^t üereinen Idfet.
§eute, n)0 Seffingä antireligiofeö gorfd^en t)on ben Sluffd^lüffen feiner
33iograp]§en; t)on ben (Srgebniffen feiner (Spigoncn, t)on ber ßid^tfüHe eines
ganjen Sal^r^unbertS beS Sid^tö unb ber 9lufHdrung Beleud^tet mirb, mo
im Slamen biefer SEoleranj unb Slufflarung bie l^eiligften ©üter ber
beutfd^en Äatl^olifen unb ^roteftanten angctaftet merben, ift cä gemi^
nid^t am ^afe , bie milben Urtl^eite eineS ©d^legel unb ©id^enborff langer
o^ne ©infd^ranfung ju wieber^olen. aSottenbg unrid^tig unb oerfel^It ift
baä SBemül^en , ßefftngS ©d^riften, meldte biä auf wenige burd^ unb burd^
t)om, gerfe^enben ©eifte beä Unglauben^ burd^fduert finb, fo ml alS nur
eben möglid^, jum §aug:: unb ©d^ulgebraud^ ber latl^olifd^en Sugenb ju
retten , in ber S3efpred^ung feincS SebenS ben religiöfen ©efid^täpunft
moglid^ft gu eliminiren unb x)or bem ©tanbbilb be§ großen SRanneS fo
Diel SBeil^raud^ gu oerbrennen, als man, o^ne ©efdl^rbung feiner lird^-
lid^en SReputation, bem ©ultuS ber d^riftlid^en Sfteligion, ber d^riftlid^en
SGßiffenfd^aft unb ber d^riftlid^en Äunft entfül^ren gu bürfen glaubt.
@ä ift in biefer §infid^t beS ©uten geroi^ genug gefd^el^en. @S n)dre
3eit, ber latl^olifd^en S^genb offen unb runb l^erauS gu fagen, bafe bei einem
Seffing meber d^riftlid^^ nod^ roal^re nationale Silbung gu l^aben ift, ba^ il^m
baS Sbcal ber maleren 3Jienfd^lid^Ieit, ber ©ottmenfd^ (Sl^riftuS, ooHig ab=
gel^t, ba§ er mit ben Sbealen ber d^riftlid^sbeutfd^cn SJergangenl^eit ftd^
in feinem 3^f<i'w^^^5^^9 befinbet, bafe er bie d^riftlid^e Sleligion oer*
* ad^tet, rationalifirt unb beMmpft. ©age man eS ber latl^olifd^en Sugenb,
ba§ Seffing feine Iraftooffe ©prad^e, fein fd^arfeS Urtl^eil unb feinen feinen
dft]|etifd^en ©efd^madC nid^t burd^ SSiellcferei, nid^t an ber beutfd^en SUiobe::
unb Siagcäliteratur feiner 3^^ gebilbet l^at, fonbern burd^ ©tubium, burd^
unennüblid^=emfte ©eifteäarbeit , an ben SSorbilbem beS claffifd^en Sllter?
tl^umS. S)iefe 3Jlittel [teilen aud^ il^r gu ©ebot ; ba lann fie fid§ bilben, fid^
fd^drf en, geiftig ujad^fen unb erftarlen, ol^ne ba§ baS Äleinob i^reS ©laubenS
in ©cfal^r fommt unb ol^ne ba§ il^r $erg oon ber traurigen , poeftelofen
SÄenfd^lid^Ieit ber mobcnien SlufEldrung oerflad^t toirb. 3fft fie in ftrdf?
276
jd