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Der hochverratsprozeß
gegen Liebknecht
vor dem Reichsgericht
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1907
Verlag: Buhhandlung Vorwärts, Berlin SW. 68.
. (Sans Weber, Berlin.) 2
Soe 120.2).17
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HARVARD
UNIYEDSETY
LIBRARY
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Reipzig, den 9. Dftober 1907.
Vor dem Reichsgericht begann Heute früh 9 Uhr die Haupt-
verhandlung gegen den Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht aus Berlin
wegen ®orbereitung zum Hochverrat, die er durch jeine Schrift:
„Militarismus und Antimilitaritsmus, unter befonderer Berüdfichti-
gung der internationalen Sugendbewegung” begangen haben fol. Das
ſonſt fo ſtille Reichsgerichsgebäude hat mit Rückſicht auf diejen auffehen-
erregenden Prozeß feinen Charafter völlig verändert. Vor den vier
Toren des Gebäudes halten jtarfe Schugmannspoiten Wade. Im Ge-
bäude herrſcht auf allen Gängen und Treppen lebhafte Bewegung. Eine
ungeheuer große Menſchenmenge drängt fidy zum Sigungsfaal, aber
am Eingang des Saales jelbit wird ftrenge Kontrolle geübt. Die Karten
find bereit feit mehreren Tagen vergriffen, und nur die Inhaber diefer
Karten finden Zutritt. Gleichwohl ift der weite Zuſchauerraum des
Sigungsfaales im Moment bis auf den legten Platz gefüllt. Auch die
rejerpierten Xogen, die an beiden Schmalfeiten des Saales aufiteigen,
find von den Inhabern der pribilegierten Karten, Reichsgerichtsräten
und ihren Yamilien, vollftändig beſetzt. In der über dem Richtertiſch
befindlichen Loge wohnt ein höherer Offizier des preußifhen Kriegs-
minifteriums den Verhandlungen bei. Im Sitzungsſaale ſelbſt fieht man
bor der Barriere, die Bublitum und Preſſe vom Richtertiſche trennt, den
früheren Reichsanwalt Galli. Im Zufchauerraum bemerkt man den
Reichstagsabgeordneten Stadthagen, den öfterreichiichen Reichsrats⸗
abgeordneten Freundlich und eine Reihe anderer Parlamentarier. Schon
lange vor Beginn der Situng hat Oberreichsanwalt Dr. Olshanſen,
der die Anklage vertritt, in roter Robe an feinem Tiſche Plat genommen
und verſenkt ſich eifrig in das Studium der Akten. Punkt 9 Uhr er-
icheinen die drei Verteidiger des Angeklagten: Dr. Hezel-Leipzig, Hugo
Hanje-Rönigsberg und Dr. Kurt Rojenberg-Berlin. In ihrer Begleitung
befindet fich der einzige vonder Verteidigung geladene Zeuge, Reichsſtags-
abgeoröneter Bebel.
Alsbald treten die 15 ebenfalls in rote Roben gekleidete Richter (die
Mitglieder des 2. und des 3. Straffenat3) ein, unter ihnen die Präfi-
denten de3 2. und des 3. Straffenats, Freiherr von Bülow und Treplin,
der frühere Reichsanwalt. Den Vorſitz führt der letztere; er läßt den
Angeklagten Dr. Liebknecht in den Sitzungsſaal rufen und auf der An-
Tlagebanf Pla nehmen. Er bittet fodann, den Raum zwiſchen der
Schranke und dem Gerichtshof völlig freizulaffen, und weiſt auch den
Bolizeirat Zadjer, der dort Pla genommen hat, hinweg. Der ‚andere
nad) dem Liebknechtſchen Prozeß für heute angejette Termin, in dem
es fid) um die Einziehung verichiedener polnifher Schriften megen Vor-
bereitung zum SHodjverrat handelt, wird vorläufig abgefegt, da der
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Liebknechtſche Prozeß vorausſichtlich längere Zeitdauer beanſpruchen
wird. Die Verhandlung ſelbſt beginnt mit der Verleſung des
Eröffnungsbeſchluſſes,
der folgenden Wortlaut hat:
Auf Antrag des Oberreichsanwalts wird gegen den Rechtsanwalt
Dr. Karl Paul Auguft Friedrich Liebknecht in Berlin, der hinreichend ver-
dächtig erjcheint, in den Jahren 1906 und 1907 im Inlande ein hoch—
verräterifhes Unternehmen: die gewaltfame Abänderung der Verfaflung
des Deutſchen Reichs, nämlich die Vefeitigung bes ftehenden Heeres durch
den Militärftreit, gegebenenfalls in Verbindung mit der Aftivierung der
Truppen für die Revolution, durch Abfaffung fowie dur Veranlaffung der
Drudlegung und Verbreitung der Schrift: „Militarismus und Unti-
militarigmus“ vorbereitet zu haben, indem er darin für die Organi-
fierung einer über das ganze Neid) zu berbreitenden befonderen anti=
militariftifden Propaganda unter Einjegung eines zu deren Leitung und
Kontrollierung berufenen Zentralausfhuffes und unter Venußung der
fozialdemofratifhen Sugendorganifationen eintrat zwecks organifcher Zer-
fegung und Zermürbung des militariftifchen Geiftes, als deren not=
mwendige Folge fih dann im Falle eines unpopulären kriegeriſchen Unter-
nehmeng, wie jest ſchon in befonderen Ausnahmefällen: dem Falle eines
Krieges zwifchen Franfreid und Deutfhland oder einer Intervention
Deuticlande in Rußland, der Militärftreit und die etwaige Aktivierung
der Truppen für die Revolution ergeben werde, alfo die Mittel und Wege
nit nur nachwies, die beftimmt und geeignet erjcheinen, die Verwirk—
lichung des bezeichneten hochverräteriſchen Erfolges zu ermöglichen und zu
fördern, fondern aud die fchleunige Anwendung diefer Mittel forderte
(Verbreden gegen $ 86 des GStrafgefeßbudhes in Berbindung mit 8 81
Nr. 2, $ 82 des Strafgeſetzbuches) gemäß $ 138 des Gerichtsverfaſſungs⸗
geſetzes, $ 26 Abſatz 4 der Gejchäftsordnung des Neichägericht3 das Haupt⸗
ae lageen vor dem vereinigten 2. und 3. Straffenat des Reichsgerichts er»
öffne
Die angeordnete Beſchlagnahme der bezeichneten Schrift wird aufrecht
erhalten. Die Unterfuhungshaft wird nicht angeordnet.
Reipsig, den 9. Auguft 1907.
Das Reichsgericht, Ferienfenat.
Der Angellagte gibt feine PBerjonalien folgendermaßen an: Er ift
geboren am 13. Auguft 1871 zu Leipzig als Sohn des verftorbenen
Wilhelm Liebknecht und deifen Ehefrau Natalie, geborene Reh, ver-
heiratet, Vater von drei Kindern, Diffident, Soldat geweſen, Inhaber
der Landwehrdienftauszeihnung zweiter Klaffe, unbeftraft.
Präfident: Bevor Sie ſich zur Sache jelbit eingehend erklären,
werden Sie fich zweckmäßigerweiſe zunächſt darüber äußern, mas Sie zur
Abfaffung der Schrift veranlaßt hat. Namentlich werden die Vorgänge
auf dem Mannheimer Parteitag hierbei zur Sprache zu bringen jein.
Liebknecht: Der Mannheimer Parteitag hat damit gar nichts zu hun.
Offenbar ift gemeint die Konferenz des Verbandes jugendlicher
Arbeiter, die Ende September 196 im Anfchluß an den Parteitag in
Mannheim Stattfand. In diefer Konferenz habe ih auf Wunſch
des Verbandsporitandes das Referat über Militarismus und Anti-
militarismus gehalten. Diejer Vortrag ift jedoch durchaus nicht identifch
mit meiner Schrift; vielmehr habe ich in dieſer unter Verarbeitung
eines ſehr umfangreichen und zerjtreuten in- und ausländifchen Materials
die im Vortrag entiwidelten Ideen fpezieller ausgeführt, die
Gedanfengänge erweitert und mandje neuen Gebiete berührt.
habe die Abfaffung fofort nach meiner Rüdfehr aus Mannheim begonnen
-
— 5 —
und die Schrift in der Zeit von Anfang Dftober bis Ende November
drudfertig geitellt. Den Drud habe ich überwacht. Eridienen iſt die
Schrift infolge der Wahlen erjt im Februar. i R j
räfident: Sie haben fi, in einem Schriftja über gemilje
Schwierigkeiten bei Abfaffung Ihrer Schrift ausgelafien, 3. B. Ueber⸗
häufung mit Arbeiten während der Reichstagswahlen, berufliche Ueber—
laftung. Freilich haben Sie erklärt, daß Sie feine Veranlafjung hätten,
ſachlich irgend etwas von der Broſchüre zurüdzunehmen. Soll id) Sie
aber vielleiht dahin verftehen, daß Sie bei größerer Muße mandjes
anders ausgedrüdt Hätten? ee
Liebknecht: Sch habe mit jener Bemerkung lediglich jagen wollen,
daß die Brojchüre literarifch nicht meinen Wünſchen entipridt. Bei
ihrer Durchficht habe ic) mandje Mängel bemerkt, und mein literarifches
Gewiffen, das jehr empfindlich ift, hat mich beunruhigt. Ich wollte alfo
lediglich die Schönheitzfehler entfchuldigen, zu denen ich mich befenne,
Was ih in der Broſchüre gefchrieben habe, habe ic) voll zu ver-
antivorten; ich nehme jedes Wort auf mid.
Bräfident: Die Jugendorganifation jpielt in Ihrer Schrift eine
erhebliche Rolle. Sie jheinen bei Ihrer Propaganda darauf bejonderes
Gewicht zu legen. Was veritehen Sie unter Sugendorganijation?
Liebfneht: Herr Präfident, id; bitte, mir zu berzeihen, wenn ic)
vorfchlage, diefen Punkt nad} der Verlejung der Broſchüre zu behandeln.
Präfident: Sch bin damit einveritanden, daB dies eingehend erit
dann geſchieht, aber ich bitte, jeßt nur kurz zu bejchreiben, was unter
ssugendorganijation zu verſtehen ift.
Liebknecht: Schon feit Jahren find von den verſchiedenſten Parteien
DOrganifationen für jugendliche Perſonen gegründet worden, jo von der
Zentrumspartei, der nationalliberalen Partei, der Kriftlich-jozialen
Partei. Dies und die Tatjache, daB die Schule, ebenjo wie. viele andere
Staatseinrichtungen, ſyſtematiſch von den Behörden dazu, ausgenußt
wird, um der Jugend ganz beitimmte politiihe Anſichten einzuprägen,
die den Intereſſen des Proletariat3 zumwiderlaufen, und weiter die Tat-
ſache, daß e3 überhaupt erforderlid, ift, das Proletariat in möglichſt
früher Jugend aufzuflären, hat der Sozialdemokratie und allgemein
der klaſſenbewußten Arbeiterfhaft die dringende Notwendigkeit gezeigt,
auch ihrerjeit3 Jugendorganiſationen zu gründen oder doch zu fördern.
In Deutſchland ift dies jehr jpät geichehen, viel jpäter als in den meiften.
anderen Ländern, 3. ®. Belgien, wo die proletarifchen Sugendorgani-
fationen aber trogdem gegenüber den viel älteren und an die Hundert-
taufende zählenden Flerifalen Sugendorganifationen bisher noch fehr
weit zurücitehen.
1904 ijt bei uns der erfte Verfucdh unternommen. Die Jugend-
organifationen bewegen fi) in Deutichland auf der Bafis des wirt-
Ichaftlihen Kampfes und der Bildungsbeftrebungen. Sie bejhäftigen
ſich hauptſächlich mit dem Lehrlingsihug, mit dem Schuge der
jugendlichen Arbeiter, Unterriht njw. Nur in Süddeuticdland, wo ge-
feglich meift eine größere Bewegungsfreiheit herricht, hat man fi) au)
dementſprechend größeren Spielraum verſchafft.
Präſident: Die Anklage fnüpft, wie erwähnt, an den Vortrag an,
den Sie auf der Konferenz der fogenannten „Zungen Garde“ in Mann-
heim aehalten haben. Ich bringe deshalb zunädjit einen Artikel des
„Borwärts“ bom 23. September 1906 zur Berlefung, in dem die „Zunge
Garde“ begrüßt wird. Es heißt da:
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„Als lebten Punkt hat die „Junge Garde“ das fchiwere, ernite Problem
des Militarismus auf ihre Tagesordnung gejeßt. Genoſſe Dr. Liebknecht
wird das Referat halten. x Ye
Wenn Deutfhlands „Zunge Garde" den „Militarısmus" in ihr
Arbeitsprogramm aufnimmt, fo tut fie damit nur dasfelbe, was die prole=
tarifhe Yugend anderer Länder längft als ihre Aufgabe betrachten darf.
Der Antimilitarismus drüdt der fozialiftifhen Jugendbeiwegung derjenigen
Länder, deren Geſetze folder Tätigkeit weniger Schwierigkeiten bereiten
als die deutfchen, geradezu feinen Stempel auf. In Italien, in Sfandinavien,
in Holland, in Belgien ganz befonders haben ſich unfere „Zungen“ offiziell
mit dem Antimilitarismus zu befhäftigen. ... .
Wenn in Franfreih und in der Schweiz der Antimilitarismus erſt
aus dem Fahrwaſſer der Anardiftelei in das des Cozialismus binüber-
gerettet fein wird, bürften unjere franzöfifhen und le Schweiger
„nungen“ wohl auch dieſen Teil der Arbeit übertragen erhalten, und die
träftige ſozialiftiſche Jugendbewegung Oeſterreichs ſcheint fi ebenfalls
nach Vergrößerung ihres Tätigkeitsfeldes zu ſehnen.
Die Genoſſen in Teltow-Beeskow, in Breslau und in Potsdam-
Oſthavelland unterbreiten dem Parteitage Anträge, in denen zur Agitation
gegen den Militarismus aufgefordert wird. Die deutfhe „Junge Garde”
weiß, warum fie den „Militarismus” auf ihre Tagesordnung gejebt hat!“
„Verteidiger Hezel: Ich bitte, an den Angeklagten die Frage Rx
richten, was er darunter verjteht: „aus dem Fahrwaſſer der Anarchiſtelei
fi) zum, Sozialismus hinüberretten?“ ——
Präſident: Dieſe Frage wird uns ſpäter noch ſehr ausführlich be-
ſchäftigen. Ich bitte, jetzt von ihr Abſtand zu nehmen. Wir kommen
nunmehr zu dem Vortrage des Angeklagten auf der Jugendkonferenz
ſelbſt. Der Bericht des Vorwärts“ hierüber vom 2. Oftober 1906 wird
verleſen. Es heißt darin etwa:
‚ „Die Erziehung in der Schule, die den kriegeriſchen Fürjtenruhm ver-
herrlicht, die Kirche, die den Krieg verteidigt, die wirtſchaftliche Heraus-
hebung der Elite- und Gardetruppen, alles das ift das Yuderbrot, mit
dem man dem Volke den Militarismus ſchmackhaft machen mill. Die
eiferne Disziplin, die Goldatenmißhandlungen, die Militärgefege und
Militärgerichtsurteile find die Peitſche. So maden fi die herrſchenden
Klaffen das Proletariat dienftbar. Die Armee ift jedoh nit nur ein
Inftrument gegen den äußeren Feind. Je länger, je mehr wird dag Heer
zu einer Waffe gegen den inneren Feind. Der Militarismus führt Prole-
tarier gegen Proletarier, er macht die Soldaten zu Feinden ihrer eigenen
Klaffe, wie das Militäraufgebot vom 21. Januar und die Bereithaltung
ſchußfertiger Kanonen in Berlin beweiſt. Was können wir dagegen mit
unferen 3 Millionen weißer Zettel tun? Wird auch nur ein Wähler dem
Kapitalismus die Gefolgſchaft verweigern? Wohl find einzelne Teile des
Heeres rot, jogar feuerrot. Aber das darf uns nicht dazu bringen, Dumm-
heiten zu machen. Der Sapitalismus kennt feine Achillesferfe und ſchützt
fie. Der Kaifer Hat den Antimilitarismus eine nationale Geißel genannt.
Wie ſymptomatiſch find feine Worte ftets für die Anfchauungen der herr-
ſchenden Klafjen. Hat doch Wilhelm II. in feiner Unterrevdung mit Gafton
‚Menier gewillermaßen die Gründung einer internationalen Anti-Anti-
militariftenliga angeregt. Wir haben nod viel zu tun, denn mir find bisher
troß Bebel fo gut wie nicht vorwärts gefommen. Aber ruhige Ueberlegung
müſſen wir behalten. Unfere Aufgabe muß fein, die Jugend über den
wahren Charakter des Militarismus aufzuflären.“
Liebknecht: Der Gedanfengang der Rede ift im allgemeinen
richtig wiedergegeben. Die Form des Berichts ift aber recht mangelhaft
und Einzelheiten — jo habe id) 3. B. nicht gefagt: Der Kaiſer habe eine
Anti-Antimilitarismus-Liga angeregt, fondern nur: Es fehle nad) den
Tee, ee
Worten des Kaiſers nicht mehr viel an einer ſolchen Gründung — find
direft unrichtig. Das gilt aber nicht von Einzelheiten, auf die die An-
tlage Gewicht legt. i f
Präſident: Auch auf dem Mannheimer Parteitage felbit find Sie
mit Anträgen herborgetreten?
Liebknecht: Jawohl.
räſident: Sie haben im Verein mit 22 Genoſſen einen Antrag
eingebracht: „Das allerwärts ſich vollziehende Erwachen der proletariſchen
Jugend zu ſelbſtändiger organiſatoriſcher Betätigung wird begrüßt. Die
Parteigenoſſen werden aufgefordert, überall, wo die Vereinsgeſetze es
geftatten, die Gründung und Weiterentwidelung von Sugendorgani-
Tationen zu fördern.“ ;
Liebknecht: Für diefen Antrag habe ich geiprochen.
Präfident: Außerdem lagen dem Parteitage noch Anträge von
Breslau und Potsdam-Ofthavelland vor. Der Antrag Breslau lautet:
„Der Parteitag wolle bejchliegen: Es ift eine rege Agitation gegen
den Militarismus in den breiteiten Volksſchichten zu entfalten. Zu
diefem Zweck hat der Parteivorftand alljährlid) zur Zeit der Refruten-
aushebung Ylugblätter herauszugeben. Ebenjo haben aud die ört⸗
lichen Parteiorganijationen durch VolfSverfammlungen mit entipreden-
den Thematas dieſe Agitation zu betreiben, wobei auch die Arbeiterpreffe
mit durchgreifenden Artikeln große Dienste erweifen wird.“
Der Antrag Potsdam⸗Oſthavelland heißt: j .
„Eine befondere antimilitariitiihe Propaganda iſt ſyſtematiſch zu
entfalten. Zu diefem Zwecke ift ein ftändiger Ausſchuß zu bilden.“
Liebknecht: Mit dem Antrag Breslau habe ich nichts zu tun. Ich
babe ihn nur, weil mir jein Gedanfengang ſympathiſch war, bei Be-
gründung des Antrages Potsdam-Dfthavelland, den ich jelbit verfaßt
babe, mit befürwortet. Webrigen3 find diefe beiden Anträge abgelehnt
worden. Der Antrag über die Sugendorganifation dagegen fand ein-
jtimmige Annahme. ei ,
Nunmehr wird aus dem „Borwarts"-Beriht vom 2. Oftober 1906
ein Teil der Ausführungen verlefen, mit denen der Angeflagte den
Antrag Potsdam-Dfthavelland begründete. Es heißt da:
„Auf dem Parijer Internationalen Kongreß von 1900 ift nad) einem
Referat der Genofjin Luxemburg befchloffen, den Parteien aller Länder
einen befonderen energifhen Kampf gegen den Militarismus zur Pflicht
zu maden. Diefer Beſchluß ift damals einftimmig gefaßt, aljo auch mit
Zuftimmung der deutjchen Delegierten.
Wie fteht es aber mit der Ausführung des Beſchluſſes?
Daß der Militarismug nicht identifch ift mit der bewaffneten Macht,
dem jtehenden Heer, daß er vielmehr — bon feiner internationalen Be-
deutung ganz abgefehen — eine höchſt verwidelte und verzmweigte Er—
ſcheinung ift, die alle möglichen Gebiete unjeres wirtſchaftlichen, fozialen
und politifhen Lebens durchtränkt, braudt in dem Jahre des Marokko—
konfliktes, des 1200 Millionen-Militäretats, in dem Jahre, das den
21. Januar, dag Nürnberg, Magdeburg und jüngft noch Landau gefehen hat,
am wenigſtens betont zu werden. (Sehr gutl) Ebenſowenig bedarf es
der Herborhebung, daß der Militarismus das wichtigſte derjenigen brutalen
Machtmittel ift, durch Die ſich Die herrſchenden Klaffen Ber Zapitaliftifdhen
Geſellſchaft einer organiſchen Yortentwidelung gewaltfam entgegenauftellen
ſucht, und durch die fie eine ſolche Entwidelung in einem gewiſſen Sinne
und Umfange zu hemmen vermag gegen die Demokratie, gegen den Willen
der Mehrheit des Volkes. Die VBelämpfung diefer kompligierten und ge-
fährlihen Erſcheinung iſt natürlic auch fompligiert und gefährlih. Ich
— —
mache feinen Hehl daraus und täuſche mich nicht darüber: Die Empfindlich⸗
keit unferes Klafienftantes in dem Punkte Militarismus ift naturgemäß
außerordentlid. Sie fteht in direktem Verhältnis zu dem böfen Gewiflen
der herrſchenden Klafien gegenüber dem Proletarint, und zu der Angft um
den Berluft ihrer Madtitellung Mit allgemeinen NRedenarten und An
feuerungen ijt da nicht genug getan. Die notwendige Ngitation ift zu
jchivierig, eigenartig und verwidelt, ald daß fie innerhalb der allgemeinen
Agitation genügend wirkſam würde betrieben werden fünnen. Gie be-
darf eines befonderen Planes, einer beſonderen Beweglichkeit und Aktivität.
Daher ift eine befondere ana nötig, und damit dieſe ae
Agitation erfolgreid betrieben werde, muß fie dur eine bejondere
Zentralinftang geleitet werden.
Es ift Ihnen allen wohlbelannt, in weldem Umfange unjere Bruder-
parteien, bejonder3 in Frankreich und Belgien, fi mit der antimilitarifti-
Ihen Propaganda befaßt haben, und mit weldem Erfolg In Deutfchland
find wir auf dieſem Gebiete noch weit zurüd und haben zur Ausführung
des Barifer Beſchluſſes fo gut wie nichts getan.
Unfer Antrag ſchlägt Ihnen nun die Einſetzung eines Ausſchuſſes vor,
über defjen Konjtituierung näheres nicht gejagt zu werden braudt. Ebenfo
ift es unmöglich und überflüffig, das einzelne feiner Obliegenheiten hier
fejtzulegen; das wird von Kal zu Fall zu entjcheiden fein und bedarf einer
genauen Ueberlegung und Prüfung. Selbſtverſtändlich gedenten wir uns
forgfältig innerhalb des geſetzlichen Rahmens zu halten.
Dat der Ausſchuß, wenn er klar und verftändig ift, feine nenneng-
werten Gefahren zu bejorgen bat, unterliegt für mid) faum einem Zweifel.
Der Antrag 114 iſt jo vorfichtig gefaßt, dab ihm gegenüber alle die Aengft-
lichkeiten und Beforgniffe, die in Deutfchland gegenüber dem Anti-
militarismug geradezu traditionell find, in die Luft verfliegen müſſen.
Sie haben geftern die Einſetzung eines Bildungsausſchuſſes bejchloffen, der
da fein ſoll ein Generalitab im Kampfe gegen den Unverſtand der Mafjen,
den Feind, den mir am meiften haſſen. (Sehr gut!) Beſchließen Gie,
jo bitte ih Sie jetzt noch, die Schaffung diefes antimilitariftifchen Aus-
jchuffes als eines Generalitabes gegen den Militarismus, das heikt, gegen
das ſtärkſte Bollwerk des Stapitalismus, das und noch lange miderftehen °
kann, wenn wir den Unverftand der großen Maſſe längft überwunden
haben terden (Lebhafte Zuftimmung), gegen den Militarismus, durch
den der Kapitalismus ſich vor der demofratifhen Entwidelung verfchangt,
fie verfälfcht, und der unfer Volt aufs ſchlimmſte brutalifiert und
barbarifiert. Wenn Sie den Antrag annehmen, erfüllen Sie damit nicht
nur Ihre Pflicht gegenüber dem PBarifer Internationalen Kongreß, jondern
Sie tun damit für die deutfche Arbeiterbewegung auch einen guten Schritt
vorwärts. Ich bitte Sie, ihm möglichſt einmütig zuguftimmen. (Beifall.)“
Präſident: Darf ich gleich an diefer Stelle bemerfen, daß die
Anträge, die Sie in diefer Richtung geftellt haben, niemals den Beifall
der Majorität Ihrer Partei gefunden haben?
Liebknecht: Im Gegenteil, fie haben eine jtrifte, oft jogar recht
brüsfe Abweiſung erfahren.
Präfident: Soweit ich aus den Zeitungen weiß, find Ihre Anträge
namentlid) von den Parteiführern Bebel und Vollmar befampft worden.
Liebknecht: Jawohl.
Prüjfident: Und weiter darf ic) wohl als notoriſch vorausſetzen, daB
Sie auch in Stuttgart und Eſſen ähnliche Anträge geitellt haben, denen
e8 ebenjo ging wie dem Mannheimer Antrag?
Liebfnedt: Das trifft nicht ganz zu. Zum erften Male hatte ich
1904 auf dem Bremer Barteitage einen antimilitariftiichen Antrag zwar
nicht gejtellt, aber begründet; er ging zunächſt bon Elbing aus und war
auf meinen Borihlag von meinem Wahlfreife Potsdam-Ofthavelland
— 9 —
aufgenommen. Auch habe ich auf dem Barteitage in Jena einen ähn—
lichen, Antrag vertreten.
In Stuttgart habe ic) an der Beratung über die Militärfrage nicht
an fönnen, weil ic) der Militärfommiffion nicht angehörte. Sch
habe mid; nur in einer jdhriftlihen Erklärung gegen gewiſſe Aus-
führungen des —— v. Vollmar gewandt. Hingegen habe ich
in Eſſen einen Antrag, der ſich genau mit dem von Mannheim deckt,
wiederum vertreten, ihn aber nad) der Begründung zurüdgezogen.
Oberreichsanwalt Olshauſen: Sch möchte doch bitten, den weiteren.
Verlauf der Debatte in Mannheim, in3bejondere den Zwiſchenruf des-
Angeklagten während der Rede des Abgeordneten Bebel vorzutragen,
wonach die in Frankreich in den lekten zwei Jahren betriebene anti-
militarijti che Agitation ganz vortrefflid) fein jol.
räfident: Allerdings jchließt dieſe Neußerung an das joeben Be-
———— zeitlich an. Geſtatten Sie mir aber, ſie an einer anderen Stelle
der Anklage zu erörtern, wohin ſie logiſch gehört.
Liebknecht: Auch ich werde mich ſpäter darüber auslaſſen.
Präſident: Wir kämen nun dazu, Ihre Broſchüre zu verleſen. Ich
möchte aber vorſchlagen, ſie nicht ganz zu verleſen, weil einzelne Stellen
von keiner Bedeutung für die Unterſuchung ſind. Wichtig iſt nur der
letzte Abſchnitt von Seite 104 ab, den id) wörtlich verleſen laſſen werde.
Ueber den ſonſtigen Inhalt der Broſchuͤre wird ein objektives Referat
gegeben werden. Ich ſtelle den Prozeßbeteiligten anheim, zur Ergänzung
dieſes Referates nachträglich die wörtliche Verleſung einzelner Teile der
Broſchüre zu beantragen.
Oberreichsanwalt: Sch beantrage, daß auch Titel und Vorwort voll—
ſtändig verleſen werden.
Liebknecht: Sch muß darauf beſtehen, daß die ganze Schrift verleſen
wird. Nach dem Wortlaut und Inhalt der Anklageſchrift und des Er—
öffnungsbeſchluſſes iſt die ganze Schrift inkriminiert. Weiter iſt die
ganze Schrift in der Anklage als Beweismittel bezeichnet, fie liegt vor,
iſt aljo ein herbeigejchafftes Beweismittel im Sinne des 8 244 der
Strafprozeßordnung, weshalb fie an und für fi) im ganzen Umfang
zur Verlefung gebracht werden muß. Sc) betrachte die vollitändige Ver—
lefung der Schrift al3 conditio Eine qua non einer angemejjenen
Verteidigung. Es iſt notwendig, daß die Totalität meiner An-
ſchauungen dem Gerichtshofe befannt wird. Auf die Gejamtwirkung
foınmt es an. sch habe nicht einzelne Kapitel und Süße abgefaßt und
verbreitet, ſondern die Broſchüre als ein geichloffenes Ganzes. Aller:
dings legt die Anklage nur auf gewifie Stellen Gewicht, nämlich auf die-
jenigen, die die Anklage ftügen jollen; ich möchte mir aber geitatten, zu
bemerfen, daß id) gerade auf ſolche Stellen Gewicht lege, die die An—
klage beifeite läßt, weil fie nit gegen mid) ſprechen. Gerade darum
find fie mir naturgemäß weſentlich; fie werden das Gegenteil der An-
flagebehauptungen ergeben. Nur durch; Gegenüberftellung deſſen, was
nicht infriminiert ift, und deſſen, was infriminiert ift, kann Klarheit
über die Tat geſchaffen werden.
Präfident: Das ift ja prozeBordnungsmäßig völlig Torreft. Die
ganze Broſchüre iſt als Beweismittel, herbeigefhafft und müßte auf
Ihren Antrag verlefen werden. Aber für die 126 Seiten läßt fich ſchwer⸗
lih eine kontinuierliche Aufmerkſamkeit herbeiführen. Deshalb babe
ih den Vermittelungsvorſchlag gemacht, nur die weſentlichſten Stellen.
wörtlich vorzulejen.
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Verteidiger Dr. Hezel: Ich kann den Standpunkt meines Klienten
nur vollkommen teilen. Die Verteidigung würde ihre Pflicht verlegen,
wenn fie auf die Verlejung irgendeiner weſentlichen Stelle verzichtete.
Eine Abkürzung läßt ſich vielleicht dadurch herbeiführen, daß wir im
Laufe der, wörtlichen Verlefung auf einzelne Stüde verzichten, 3. B. auf
die hiſtoriſche Darftellung des Angeklagten über die Verwendung des
Militärs in außerdeutfchen Ländern bei inneren politiichen Konflikten.
Zum Schuge des Angeklagten müſſen wir eine Totalverlefung verlangen.
Insbeſondere deshalb, weil jonit das innere Kräftenerhältnis, das dyna-
miſche Verhältnis zwiſchen denjenigen Stellen, auf die die Anklage be-
fonderes Gewicht legt, zu den Stellen, auf die die Verteidigung be-
ſonders Wert legt, nicht hergeitellt werden kann.
Präfident: Sc bin der Anficht, wir follten vorläufig verfuchen, in
der von mir vorgefchlagenen Weife vorzugehen. Iſt einer der Prozeß-
beteiligten der Anfiht, daß das Referat feinen Anſprüchen nicht genügt.
fo fann er immer nod) die nachträgliche Verlefung der ihm wichtig er-
Icheinenden Stellen fordern.
Liebfnedit: Eine außergewöhnlih große Anzahl der hödjiten
Richter des Reiches iſt zur Entſcheidung über eine außergewöhnliche
Affäre berufen. Ich gebe ja zu, dab zwei Stunden Verlefung eine un-
angenehme Beläjtigung für Sie fein mögen; für mid) handelt es fich aber
um eine recht ernite Angelegenheit, eventuell um mehrere Sahre Feſtung
oder gar Zuchthaus, und mein natürlicher Selbiterhaltungstrieb ver-
bietet e3 mir, die fonjt von mir gern geübte Rückſicht auf die Zeit der
Herren auch heute zu üben. Es handelt ſich hier um einen Tendenz
prozeß, und nur der gefamte Wortlaut meiner Schrift gibt ihre Tendenz
forreft wieder. Schon durch die Verfürzung einzelner, Teile in Form
eines Referat3 wird das Gleichgewicht verfchoben.
Der Vorſchlag ift aber auch um deswillen nicht durchzuführen:
Formal erſcheint es jo, al3 ob wir nad) der vom Herrn Präfidenten vor-
geihlagenen Methode jchließlich auch alles zu hören befommen könnten,
materiell wäre das dann aber ganz etwas andered. Man befommt doc
feinen Begriff von der Schrift, wenn man nad) und nad ein Stüd
nad) dem anderen bald vom Ende, bald vom Anfang, bald aus der
Mitte heraushebt. Das gibt ein Moſaik, nicht meine Schrift. Einen
Haren Begriff bon dem Charakter der Schrift Tann man nur be-
kommen, wenn alles nicht bloß in irgendweldher Reihenfolge jchließlid)
tatſächlich zur Verlefung gelangt, jondern wenn es aud) in der Reihen-
folge, wie ich es gejchrieben habe, vorgetragen wird, wenn die Gedanfen-
a ber logiſchen Folge vorgetragen wird, in der ich fie nieder-
gelegt habe.
PBräfident: Sch muB gegen den Ausdrud Beläftigung Einſpruch er-
heben. Der Gerichtshof wünſcht feine Aufgabe nicht erleichtert zu haben,
fondern der Gerichtshof hat feine Pflicht auch unter der größten Laſt
au tun.
Liebknecht: Sch habe diefen Ausdrud durchaus nicht in dem voraus⸗
gejegten Sinne gebraucht.
Oberreichsanwalt: Gegenüber der beftimmt abgegebenen Erflärung
de3 Angeklagten und de3 Verteidiger bleibt uns wohl nichts anderes
übrig, als die ganze Schrift zu verlefen. Praktiſch wird es wohl fo
fommen, wie Dr. Hegel gemeint hat.
Der Gerichtshof zieht fih zur Veſchlußfaſſung zurück und verfündet nad)
ganz furzer Beratung, daß gemäß 8 244 der Strafprogegordnung die ganze
Schrift verlefen wird.
— —
Verteidiger Dr. Hezel macht im Einverſtändnis mit dem Präſidenten
das Publikum darauf aufmerkſam, daß die Verleſung wahrſcheinlich mehrere
Stunden in Anſpruch nehmen werde und da es vielleicht etwas Beſſeres tun
tönnte, als hier zuzuhören. (Große Heiterkeit.) — Das Publikum bleibt
jedoch vollzählig auf feinen Plätzen und hört aufmerffam der Verlefung der
Brojhüre zu. .
Die var an nimmt volle fünf Stunden in Anfprud, obwohl die Ver—⸗
teidigung auf faſt alle Anmerkungen und einen größeren Abjchnitt verzichtet.
Aus dem Inhalt der X und 127 Seiten umfafjfenden Schrift, deren Vor—
wort vom 11. — 1907 datiert iſt, während die Beſchlagnahme erſt am
21. April 1907 beantragt wurde, heben wir hervor:
I. Zeil. Militarisſsmus. -
1. Rapite!l. Allgemeined (Vom Wefen und Bedeutung des
Militarismus.... Entſtehung und Grundlage der gejellfchaftlichen Herr-
Ihaftsverhältniffe.... Einiges aus der Gefchichte des Militarismug.)
2. Kapitel. Der kapitaliſtiſche Militarizmus....
(„Militarismus nah außen“. Marinismus und SKolonialmilitarismus.
Kriegamöglichkeiten und Abrüftung..... PBroletariat und Krieg... Grund⸗
züge des „Militarismus nad innen“ und feine Aufgabe... Heereöver-
faflung in einigen ausländiſchen Staaten.... Folgerungen. Rußland.)
3 Kapitel. Mittel und Wirkungen de3 Militaris-
mu3 (Das unmittelbare Ziel.... Militariftiihe Pädagogil.... Gol-
datenerziehung.... Offiziös- und Halbmilitärifde Organifation der
Zivilbevölferung. Sonſtige militariftiihe Beeinflufjung der Zivilbevölke⸗
— Der Militarismus als Machiavellismus und als politiſcher Regu—
ator....
4. Rapitel. Beſonderesvoneinigen Hauptſündendes
Militarismus.... (Die Soldatenmißhandlungen oder der Militaris-
mu al3 reuiger und doch unverbefierliher Sünder.... Die Koſten des
Militarismus.... Die Armee als Werkzeug gegen das PBroletariat im wirt»
ſchaftlichen Kampf... . Soldaten als Konkurrenten gegen freie Ar—
Ibeiter.... Armee und Gtreifbrud.... Säbel- und Flintenredht gegen
Streifs.... Sriegervereine und G©treild.... Die Armee als Werkzeug
gegen das PBroletariat im politifhen Kampf oder das Necht der Kanonen....
Kriegervereine im politifhen Kampfe.... Der Militarismus, eine Gefähr-
Dung en Frieden?.... Die aenferigteiten der proletarifchen Nebo-
ution....
II. Teil. Antimilitarismus.
1. Rapitel. Antimilitarismus der alten und ber
neuen Internationale...
2. Kapitel. Der Antimilitarismus im Auslande
unter befonderer Berüdfihtigung den Jugendorgani=
fationen.... :
83. Rapitel. Die Gefahren des Antimilitarismus....
4 Kapitel. Antimilitariftife Tattik.... (1. Taktik
gegen den äußeren Militarismus. ... 2. Taktik gegen den inneren Militaria»
mus... 3 Anardiftifher und ſozialdemokratiſcher Antimilitarizmus....)
5. Bapitel. Tie Notwendigkeit einer befonderen
antimilitariftifden Propaganda.
6. Kapitel. Der Antimilitarismug in Deutſchland
und die deutfhe Sozialdemofratie.
T. Rapitel. Die antimilitariftifden Wufgaben der
deutſchen Sozialbemofratie.
Der „Vorwärts“ hat in feiner Nr. 46 vom 23. Februar 1907 das Vorwort
abgedrudt; ein Stüd des Schlußfapitels ift im Leitartikel des „Vorwärts“ vom
11. Oltober 1907 wiedergegeben. Auch ſei auf das in der gefamten Preſſe als
Teil des Berichts über die Verhandlung vom 9. Oftober 1907 mitgeteilte furze
Referat beriwiefen, das freilich nicht überall zuverläffig ift.
$m4Kapitelde32. Teils fommt u. a. der Saß vor: „Ungünftigere
Verhältniffe zur Entfaltung der proletarifchen Macht, als fie beim Kriegsaus-
bruch normaler Weife vorliegen, gibt e8 nicht.“
er 9 2
Bei Verlefung diefer Stelle erhebt fich der
Oberreichsanwalt und fragt ſchnell: Wil der Angeklagte zugeben,
daß bier ein Schreib- oder Drudfehler vorliegt und daß es heißen ſoll:
-„günftigere” ftatt „ungünftigere”.
Kiebfneht: Wie? Aber gar feine Nedel Sm Gegenteill (Xieb-
knecht jeßt ſich Fopfichüttelnd.)
Präſident: Sie find bejchuldigt eines Verbrechens im Sinne des
886 des Strafgejegbuches, alfo einer Handlung, die ein hochverräte-
rifches Unternehmen vorbereitet. Es handelt ſich danach nicht um einen
Verſuch oder eine Aufforderung zum Hochverrat, fondern im meiteren
Sinne um eine vorbereitende Handlung zum Hochverrat. Ihr Ziel und
Zweck liegt nad) der Anklage nicht in nebelhafter Ferne, jondern in
greifbarer Nähe. Es handelt ſich dabei nad) der Anklage nicht um rein
theoretiſche Ausführungen, jondern um eine _aftnelle politiihe PBropa-
ganda oder Arbeit. Den Hochverrat follen Sie vorbereitet haben, vor-
bereitet im Sinne des & 81, Abjak 2, der von einer Aenderung der Ver⸗
faſſung des Deutſchen Reiches ſpricht. Darunter braucht nicht eine
Aenderung der Verfaſſung im allgemeinen verſtanden zu werden, jondern
e3 genügt eine Nenderung folder Beitandteile der Verfafiung, die deren
wejentlihe Grundlage bilden. In diefem Falle wird Ihnen der Vor-
wurf gemacht, die Beitimmungen über unjere Wehrfraft umändern zu
wollen, und zwar die Beitimmungen, welche den Kaifer das Recht der
Kriegserflärung und den unbedingten Oberbefehl über die Armee geben,
und ſchließlich diejenigen, welche dem Kaifer das Recht zur Verhängung
des Belagerungszuftandes bei inneren Unruhen verleihen, d. h. den Ar-
tifel 11 der Reichsverfaſſung und aus dem Abjchnitt XI insbejondere
die Artikel 63, 64 und 68. Bei der Erflärung auf diefe Beſchuldigung
haben Sie zu erläutern Ihre Stellung zu den Hervéſchen Aipirationen
einerjeit3 und den Standpunkt Ihrer Bartei andererjeit3.
Litebknecht: Sch weiß nicht recht, zu welcher Anklage ich mic, eigent-
li äußern fol. Es iſt ſchon von fo berichiedenen Seiten verſucht
worden, an meine Schrift heranzufommen, und id) Tann nicht willen,
wie fi) das Kollegium der 15 Herren zu der Sadıe Stellen wird. Trotz
der Bemerkungen des Vorfikenden bin id) daher genötigt, mit allen
Eventualitäten zu — insbeſondere auch mit denjenigen Auf—
faſſungen, die von der Reichsanwaltſchaft bisher zum Ausdruck gebracht
worden ſind.
Da hieß es zunächſt, ich plante ein Unternehmen gewaltfamen
Charakters in der Art, daß ich zu einem Angriffe Frankreichs auf
Deutſchland hetze. Das fteht in der Begründung des Beihlagnahme-
antrages der Oberreichsanwaltſchaft vom 21. April d. J., und das ift
offenfihtlih auch) die Brundlage für die Beichlagnahme geweſen.
Weiter heißt es in der Anklageſchrift, daß ich für die allernädjite
Zeit bereit3 eine Umwälzung unferer SHeeresorganifation herbei-
führen und daß id) dieſes Biel in einer ganz bejonders charakterifierten
Weiſe verwirklichen wolle. Sch ſoll nämlich die Abſicht hegen,
„nach weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen
jetzt ſchon reifen Proletariats, insbejondere aud nad) meiterer Aus-
bildung in den Waffen und namentlih in der Herftellung folder,
gegebenenfal8 — im alle eine unpopulären Krieges — wie nicht
anders möglich, unter Anwendung von Waffengewalt gegen die noch
treugebliebenen, noch nicht roten Teile des Heeres, dieſe nieder-
A, ee,
zufämpfen und die berhaßte beftehende Militärverfaffung zu zer-
trümmern”,
Das find die Worte der Anklageihrift! Dazu möchte ic mir ge-
ftatten, auf folgendes hinzuweiſen: Die Anklageihrift — ich jage aus-
drüdlich nicht: der Oberreihganwalt! — gibt im Eingang ein Referat
über den Inhalt meiner Schrift. Sie benußt dabei, indem fie
ftellenmweife _ meine Schrift wörtlich anführt, die indirefte Rede.
Auch die indirekte a iſt eine Redeform und verpflichtet
zu beſonderer Korrektheit in der Wiedergabe. In der Anklage
ſchrift find nun gewiſſe Sätze, die erſt die weſentlichſten Tat—
beſtandsmerkmale: der „Beſtimmtheit des Unternehmens” und der
„Gewaltſamkeit“ ergeben follen, die aljo die ganze Grundlage des
Verfahrens bilden, in indirekter Redeform mitten unter die wirflid in
ne net Schrift enthaltenen, richtig zitierten Worte hineingefügt, als
ob aud) fie in meiner Schrift enthalten wären. (Mit erhobener Stimme
und halb zu dem Oberreichſsanwalt gewendet:) Das ift ein Faktum, das
nicht aus der Welt gefhafft werden kann. Das iſt ein fo —
Gebaren, daß ich mir verſagen muß, es an dieſer Stelle zu kennzeichnen.
Einen weiteren Angriff hat der Eröffnungsbeſchlußz gegen mic, unter-
nommen. Ber Eröffnungsbeihluß jagt, dab, ich in meiner Schrift den
Hochverrat vorbereitet habe: indem ich darin für die Organifierung
einer über das ganze Neid) zu verbreitenden bejonderen antimilita-
riſtiſchen Propaganda unter Einfegung eines zu deren Leitung und
Kontrollierung berufenen Zentralausſchuſſes und unter Benugung der
fozialdemofratiihen Yugendorganifationen, eintrat, zwecks organiſcher
Zerſetzung und Bermürbung des militariſtiſchen Geiftes als deren not-
wendige Folge fid) dann im Falle eines unpopulären Friegeriichen Unter-
nehmen, wie jest ſchon in bejonderen Ausnahmefällen: dem Yalle eines
Krieges zwiſchen Frankreich und Deutichland oder einer Intervention
Deutſchlands in Rußland, der Militärftreif und die etwaige Aktivierung
der Truppen für die Revolution ergeben werde. .... Hieran ift zu-
nächſt auffällig, daß in diefer kurzen Motivierung des Eröffnungs-
befchluffes ein völliger Umsturz der bisherigen, vom Reichsgericht be-
fonder3 im 5. Bande niedergelegten Redtsauffaffung ad hoc vor-
geihlagen wird. Zur Steuer aber der Korrektheit auf tat-
fählihem Gebiete muß ich auf Folgendes hinweiſen: Es wird bier
erwähnt die Möglichkeit einer Intervention Deutichlands in Ruß—
land. Demgegenüber gejtatte ich mir zu betonen, daß ich eine
Sinterbention Deutihlands in Rußland in meiner Schrift dermaßen
al3 etwas außerhalb des Bereiches jeder praftiihen Möglichkeit
Liegendes bezeichnet habe, daß jogar die Anklagebehörde es nicht für
angezeigt gehalten bat, diefen Punkt in die Anklage aufzunehmen.
Wenn dann weiter der Eröffnungsbeichluß von dem Falle eines Krieges
zwiſchen Stanfreich und Deutſchland, ſpricht — und aud) die Oberreichs-
anwaltſchaft hat diefe Frage ja jtändig in den Vordergrund gedrängt —,
fo muß ich bemerfen: Der Eröffnungsbeihluß fagt wörtlich: „Schon
jetzt „ im Falle eines Krieges zwiſchen Deutſchland, und, Frankreich“,
während id in meiner Schrift ſage: „Möglich, daß in abfehbarer Zeit
auch ein Krieg zwiſchen Frankreich und Deutichland eine Situation
ſchaffen würde.” Der Eröffnungsbeſchluß macht alfo aus den Worten
„möglich, dab in abfehbarer Zeit... würde” und aus den weiteren
Bedingungen, die ich noch jege, ein „Ichon jest”. Auch das bedeutet eine
Wiedergabe, die, wie mir jcheint, an Inkorrektheit nichts zu wünſchen
— le
läßt. (Bewegung) Es beiteht ein diametraler Gegenſatz zwiſchen
‚ was id) gejagt habe, und dem, was mir angejonnen wird.
Danach ergibt ſich für mich das Merkwürdige, daß ich außerſtande
‚m, wenn id) mid) überhaupt ſachlich auslafjen will, mid) auf irgend-
eines der bisherigen offigiellen Dofumente zu beziehen, weil fie durchweg
einen Zatbeitand unterftellen, der jo erfichtlich mit dem Elaren Wort-
laut meiner Schrift in Widerjprud) ſteht, daß ich ebenjo gut wie gegen
fie gegen eine Anklage fontra Hervé polemifieren fönnte,
Als weſentlich muß ich nunmehr wohl das betrachten, was der Prä-
fident jo freundlich war, joeben vorauszuſchicken, und ich verhehle mein
Erftaunen nicht, daß dies einen vierten Anklagebeftand jchafft, der
wiederum fundamental abweicht von dem, was mir biöher zum Vorwurf
gemacht worden. Bisher warf man mir vor, daB ich entgegen der Ver—
fajlung das jtehende Heer abjchaffen wolle. Aus den Worten des Präfi-
denten habe ich erfahren, dab gegenwärtig als Objekt des hoderräte-
riſchen Angriffs nicht mehr betradjtet wird das Heer als ſolches, fondern
die Kommandogewalt des Kaiſers. Dann habe ich aus den Worten des
Präfidenten entnommen, daß auch erwogen wird, die innerpolitifche
Seite des Militarismus hineinzuziehen; denn nur io fann id) die Worte
des Präjidenten verjtehen, wonad er die Verfaſſung infofern als von
mir angegriffen bezeichnet, al3 der Kaiſer in gewiljen Fällen den Be-
lagerungszuitand zu verhängen hat. Aljo ic) habe hier eine ganz nene
Anklage vor mir, auf die ich durch die Akten nicht vorbereitet war. Ich
will aber nicht verſchweigen, daß ich nad) den bisherigen Erfahrungen
bon vornherein auch mit einer ſolchen erneuten Veränderung der Anklage
gerechnet habe; ich habe fie in Stuttgart ſchon prophezeit.
Präſident (unterbrehend): Ich kann nicht zugeben, daß das eine
neue Anklage iſt. Es ilt nit nur das Recht, fondern aud die Pflicht
des Gerichtshofes, die Grundlagen der Anklage zu prüfen. Die Grund-
lage der Unterfugung iſt Ihr ganzes Bud. Daraus kann man viel
heranslefen, der eine das, der andere das, und ic) habe die Pflicht, dieje
Grundlage nad) allen Richtungen hin zu erforjhen. Ich darf aljo nicht
era daß Sie Ihr Erjtaunen über eine angeblich neue Anklage aus-
prechen
Oberreichsanwalt (erregt); Sc Habe die Anklage erhoben; es
eriftiert nur eine Anklageſchrift, und ich möchte zur Orientierung für
die Verteidigung bemerken, daß id) von meinen ſchriftlichen Darlegungen
nit das Geringſte zurüdnehme, auch) nicht3 aus dem Antrage auf Be-
ichlagnahme.
Liebknecht: Ic habe natürlich das Wort Anklage nicht in dem
Sinne von Antlageihrift gemeint und ich habe auch feine Vorwürfe ge-
madjt. Ich habe nur Fonitatiert, daß ſich der Geſichtspunkt, von dem
das Verfahren gegen mich ausgeht, viermal verändert Hat, und die
infriminierten Ausführungen des Buches gegenwärtig ganz andere
find, als bisher.
Bei der Berlefung des Buches hat der Oberreichsanwalt durd) eine
Zwiſchenbemerkung eine neue, fünfte Unterlage zu ſchaffen verfucht. Ich
habe gefchrieben, daß es feine ungünjtigere Gelegenheit geben fünne zur
Entfaltung der proletarifhen Macht als den Kriegsfall; das ift ein ganz
klarer Gedanfengang. Der Oberreichsanmwalt aber behauptet, daß fei
ein Drudfehler, ic) Hätte bier in der Tat fchreiben wollen: feine
aünftigere Gelegenheit! Sa, das wäre für die Anklage
allerdingsbequem. Aber ich habe mir erlaubt, es ihr doch nicht
fo bequem zu maden.
— 15 —
Nachdem der Oberreichsanwalt die Anklageſchrift und auch die Be—
gründung des Beicdjlagnahme-Antrages ſoeben ausdrücklich aufrecht er-
halten hat, werde id) mich über beide Dokumente nun doch etwas gründ-
licher auslaffen müſſen. Alfo zunächſt der Beihlagnahme-Antrag. Er
behauptet, ich wolle Frankreich zu einem Kriege gegen Deutſchland auf-
beten. Diefe Behauptung ift durch die Verlefung der Schrift einfach
vollfommen vernichtet; man fann fie nicht einmal mehr aus—
ſprechen. Ich weiſe bejonders nod) darauf Hin, daß der Oberreichsanwalt
in jener Begründung unter anderem wörtlid jagt, mein Bmed
gehe dahin, „dur die revolutionäre Aufklärungsarbeit der
Sozialdemokratie beider Länder“ einen Angriff „Frankreichs auf
Teutihland” zu „fürdern”! Mer ein einziges Mal, in irgend-
eine Zeitung gejehen bat, mag fie jelbit der Sozialdemokratie
aufs allerfeindlichite gegenüber jtehen, muß dag mit SKopfidhütteln
Iefen. Wer aud) nur immer die gehälligite Darjtellung über die Sozial:
demofratie von weitem gehört hat, Tann nit auf die aus-
gefallene Idee fommen, daß die Aufflärungsarbeit der Sozial-
demofratie zu einem Sriege zwiſchen Deutihland und Frank—
rei) bete. Meine Schrift verfolgt ja gerade den Biwed, den
Krieg unmöglih zu maden. - Die Sozialdemokratie aller Länder
quält fih im Schweiße ihres Angefiht3 auf allen nationalen und
internationalen Kongreſſen ab, wirkſame Mittel zur Verhinderung der
Kriege ausfindig zu machen. Und der Oberreichsanwalt entdedt, daß
die Sozialdemokratie nichts Beſſeres zu tun habe, als Kriege anzu—
zetteln! Beim Maroffofonflift verichreibt fi die deutfche Sozialdemo-
fratie ihren Freund Jaurès, damit er in Deutichland für den Frieden
wirfe. Und Bebel fol nad) Paris, um dort den Frieden zu propagieren ;
diefer Friedensarbeit fallen die Regierungen in den Arm: der Ober-
reichsanwalt aber behauptet, daß die Sozialdemofratie zu einem Ueber-
fall Frankreichs auf Deutichland hete.
Und nun die Anklagefchrift ſelbſt. Sch Hatte geglaubt, ung dieſe
unliebfamen Erörterungen bier erſparen zu fönnen. Jetzt bin id) jedoch
gezwungen, das Bedenklichſte, was ſich in diefem an Bedenklichkeiten jo
reihen Verfahren ereignet hat, eingehend darzulegen. Die Haupt:
ichwierigfeit diefes Verfahrens liegt darin, daB dad bon mir „bor-
bereitete" „hochverräteriiche Unternehmen” in nidt allzu ferner
Zufunft liegen, greifbar fein, und daß ich das Mittel der
Gewalt ins Auge gefaßt haben muß. Wie Hilft fih Hier die
Anklage? Der Oberreihsanmwalt oder wenigſtens die Anklage
zitiert gewilfe Ausführungen meiner Schrift in indirefter Rede,
und zwar ganz loyal, faft mörtlid, und unter SHerborhebung
einiger mir günjtiger Säße. Dabei heißt es durchaus forreft: „Durch
einen jo betriebenen Antimilitarismus erſcheine es möglich, das oben
gekennzeichnete Ziel (Abjchaffung des Heeres) zu erreichen.” Someit, jo
gut! Nun fommt aber ein Nebenjägchen: „und zwar derart, daß die
erhoffte Wirkung bereits in naher Zeit eintrete.” Dieſes jo unjcheinbare
Sätzchen iſt in meiner Schrift nicht enthalten, fjondern das
Gegenteil davon. ch brauche mid) nur auf die legten Kapitel der
Schrift zu beziehen, wo ich ausführe, wie wenig noch gefchehen fei, daß
bisher ſelbſt die fozialdemofratifhen Wählermaffen in ihrer großen
Mehrzahl noch nicht einmal in fozialiftiihen Anſchauungen gefeitigt, ge—
ſchweige denn zur Führung eines opferreichen, zähen Kampfes gegen den
Militarismus innerhalb der Armee reif und bereit feien, und wie ih
ee
in ſtarkem Steptizismus ſogar gegen einen militärijchen Gegner polemi-
fiere, der die Zerſetzung des Heeres infolge des ſozialdemokratiſchen
Giftes für ziemlich weit fortgefchritten hält. Ich habe Dutzende
von Malen betont, die jpezialifierte Propaganda müſſe bald
begonnen werden, weil fo unendlih viel zu tun fe. Und
angeſichts diejer Tatſache „zitiert“ die Anklagejchrift: ich rechnere
bereit3 für eine nahe Zeit auf gänzliche Abichaffung des Heeres
in jeder Form! — Dann heißt es weiter in indirekter Rede:
„Da8 Proletariat fei reif für eine derartige Propaganda“; ganz
zecht. Aber auch hier wieder ein unfheinbarer Schwanz in indirefter
Nede: „und die Zeit zur Beſeitigung des Heeres ſei nahe herbei-
gekommen!“ Dabei were ich fortgejegt darauf hin, daß die ifolierte Be-
feitigung des Militarismus ganz außerhalb des Bereich praftiicher
Möglichkeit Tiege, daß er nur mit dem Kapitalismus fallen könne —
und dennoch will mir die Anklageſchrift unterjchieben, ich hätte ge-
fagt, die Zeit zur Beſeitigung des Heeres ſei nahe herbeigefommen!
Und fie faßt diefe Behauptung in indirefte Rede und ſetzt fie zwiſchen
‚zahlreiche in meiner Schrift tatfähhlich enthaltene Wendungen!!!
Die Anklagefchrift bemerft an einer dritten Stelle, nad) meiner
Anfiht fei die Verhinderung der, Kriege noch nicht möglich, und
das Proletariat nod) nicht reif für eine Aftion A la Herbe — foweit, jo
gut — und führt dann wiederum in indirefter Rede den Relativjag an:
„was beides bald erreidht jein werde”. So iſt in dieſem
furzen Zeile der Anklageſchrift das für die Klage wejentlihe Tat-
bejftandsmerfmal der Bejtimmtheit des Unternehmens
dreimal in verſteckten Nebenſätzen untergebracht, die in meiner Schrift
— — find, wederdem Wortlaute, noch dem Sinne
na
Genau fo mit der Gewaltjamfeit meines Planes. Da zitiert die
Anklagefchrift: „Das Heer müffe jo geſchwächt werden, daß es feine
unüberwindlihe Macht mehr jei; der treubleibende Teil des
Seere3 müfjfe von dem abgefallenen Teile in Ge-
meinfhaft mit dem übrigen Broletariate über-
mwältigtmwerden” — alles indirefte Rede. Auch das ift wiederum
weder dem Wortlaut noch dem Sinne nad) in meiner Schrift enthalten!
Und wer die Schrift gelejen hat, der fann auf ſolche Auffaffung nicht
fommen! Es iſt auch niemand ernitlich darauf gefommen.
Und nun noch etwas, id) will einmal jagen, bejonders Anregendes.
Da heißt es am Ende der Anklageſchrift: daB der Angefchuldigte bei der
Abfaffung der Schrift darauf ausgegangen fei, die Abneigung der
Sozialdemofratie gegen den Militarismus bis zum fanatiſchen Haſſe zu
fteigern und die Berjegung des militariftiichen Geiſtes herbeizuführen,
und wörtlich weiter: „Dieſes alles aber nur zu dem Zwecke, um nad
weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen jest ſchon
reifen (!) Proletariatz, insbefondere auch nad) weiterer Ausbildung in
den Waffen und namentlid) aud) in der Herftellung folcher, gegebenen-
falls... .. unter Anwendung von Waffengewalt gegen den noch nicht
toten Teil des Heeres niederzufämpfen und die verhaßte beitehende
Militärverfaflung zu zertrümmern.” Ich habe es nicht nötig, mich gegen
eine ſolche poliziſtiſche Bhantafie aus der ruffiichen Revolution zu wehren.
Es genügt, die Worte der Anklageichrift ohne Kommentar anzuführen.
Oberreichsanwalt (in großer Erregung): Nach meiner Auffaſſung
ilt die Beweisaufnahme noch nicht beendet; ich habe noch nicht Gelegen-
— IE
heit gehabt, die Anklage zu begründen; diefe Ausführungen des An-
geflagten gehören nicht hierher. Er legt bier großes Gewicht auf den
Beichlagnahme-Antrag. Der ift aber nicht Grundlage der Verhand«
lungen.
Präfident: Ich würde das Folgende bemerkt haben: Es tft Ihr
gutes Recht, Kritit an der Anklageihrift zu üben. Das ift in aus
reihendem Maße geſchehen. Die Anklageſchrift allein ift aber nicht
Grundlage der Verhandlung, und wenn Sie jegt mit Ihrer Kritik der
Anklageſchrift zu Ende find, würde ich in die Verhandlung eintreten über
die Momente, die nad meiner Auffallung weſentlich find.
Verteidiger Dr. Hezel: Auch die Verteidigung meint, daß für den
Angeklagten, wenn er ſich jet auf Aufforderung des Rräfidiums zur
Anklage auslaſſen foll, in der Tat eine ganz außergewöhnliche Schwierig-
Zeit beiteht, infofern als er die Auffaffung des Gerichts über die Richtung
der Unterfuchung ſelbſt nicht Tennt, aud nicht entnehmen kann den
freundliden Ausführungen des Präfidenten, die doch immerhin nur auf
dem abſtrakt gejetlihen Tatbeſtand beruhen. Ich glaube aljo, daß zur
un bon —— und Unzuträglichkeiten wohl fein anderer
Weg übrig bleibt, als daß man alsbald zur Frageſtellung an den An-
en ſchreitet, der jedenfalls gewillt iſt, ſich rückhaltlos auszu-
prechen
Präſident: Dieſer Vorſchlag entſpricht ganz dem, was ic) vorhatte.
Sie unterſcheiden alſo, Herr Liebknecht, zwiſchen äußerem und innerem
Militarismus. Unter äußerem Militarismus verſtehen Sie im weſent⸗
lichen die Verwendung des Heeres im Kriege, unter innerem im Falle
eines Aufſtandes.
Die Armee als Waffe des Staatsſtreiches.
Liebknecht: Nicht nur die Verwendung, im alle eines Auf-
ftandes. Es ift auch denkbar, daB das Militär verwendet würde, um
mit der ſchießenden Slinte und dem hauenden Säbel eine legale Volfs-
bewegung niederzuimerfen, was eine große Zahl jehr einflußreiher Per-
fonen als Rezept empfehlen. Darauf muß ich näher eingehen. Wenn
Caprivi von einem Straßenfampfe mit dem Proletariat ſprach, fo kann
man da3 vielleiht im Sinne des Präfidenten, im Sinne eine Auf-
ftande3 berftehen —
Präfident: Wenn ich vom Aufitand ſpreche, jo meine id) aud nur
irgendeine Volksbewegung, nicht eine Revolution im engeren Sinne.
Daß eine ol ne Desung legal jei, ift nur Ihre Auffaffung, die hier nicht
in Betracht kommt.
Liebknecht: Das iſt doc) aber gerade der Zentralpunft der
tage, zu dem ich mid) um jo mehr ausführlid) äußern muß, als er erft
infolge der neueiten Veränderung der Anklage joeben hier aktuell ge-
worden ift — ein reines Novum, Ich behaupte: Eine große Anzahl
höchſt maßgeblicher one ua in einer Weife, die juriftifch ganz ein-
deutig ift, zu geſetzwidrigen militäriichen Gewalttätigfeiten gegen das
Volk gehest. Die Gefahr des Staatsſtreichs hat in Deutichland ſtets be-
ftanden. Ich Habe einiges Material in meiner Schrift zitiert: Auf
Seite 64/65 und anderwärts. Ich verweiſe beiſpielsweiſe auf
die in der Einleitung erwähnten Worte Bismardz zum, jebigen
Kaifer: Die ſozialdemokr,atiſſche jei eine militärijde
Stage, die Sozialdemofratie müſſe außerhalb de3
Gefetes geftellt werden; Bismard forderte, daß die foziale
Stage mit Gewalt gelöft werde. Der Kaifer warf ein: er wolle
2
nicht gleihd am Anfange feiner Regierung bis an die Knöchel in
Blut waten. „Majeſtät,“ erwiderte Bismard, „Sie werden noch
viel tiefer hinein müſſen, wenn Sie jetzt zurüdweidhen.“ Auf
Seite 64 erinnere ich an die jüngften Enthüllungen aus den Memoiren
Hohenlohes. Danad) plante Bismard 18%, den Reichstag auseinander
zu jagen, ein anderes Wahlrecht zu ofttoyieren, die Bevölkerung auf die
a zu treiben und dann mit den Waffen niederzufdlagen.
räfident: Nach der Verfaſſung jteht aber ausjchlieglich dem Kaiſer
das Recht zu, im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit den Belagerung3-
zuftand zu erflären. Ob das im Sinne Shrer Partei ift, ift für mich
ohne Bedeutung. Sie fchreiben, daß Sie als Sozialdemofrat jelbitver-
ftändlich den inneren Militarismus mit Stumpf und Stiel ausrotten
wollen. Das kann doch nur heißen, daß fie an Stelle der Befugnis des
Kaiſers nad) Artikel 68 der Berfaffung die Enticheidung Ihrer Partei
fegen wollen.
Liebknecht: Der Kaifer hat allerdings das Recht, den Belagerungs-
auftand zu proflamieren, aber die Verfaſſung muß von oben wie von
unten gehalten werden. Es unterlieat, rein jtaatsrechtlich betrachtet,
feinem Bimeifel, daß in dem Augenblid, wo das Militär
zu einem Staat3ftreihe, zu einer verfaffung>3-
widrigen Aftion verwendet würde, die Ausübung der
Kommandogewalt illegal wäre; die Verfaſſung mwürde
faktiſch aufhören zu eriitieren; ; jede Abwehr des Staats-
ſtreichs wäre eine Verteidigung der ah nicht ein Angriff auf fie.
Alfo iſt es nötig, zu erörtern, wie weit ich derartige Zufammenftöße
erivogen habe. Bismard3 Auslaffungen find doch ganz Klar: Wenn er
vorſchlägt, den Reichstag aufzulöfen, ein anderes Wahlrecht auf-
zuzwingen, und die Bebölferung auf die Straße au treiben, dann iſt
die Verfaffugg jelbitberftändlih null und nigti ig.
Bei einer —— Auffaſſung würde unſere Verfaſſung weiter
a i ch t3 jein,
yo ein Stück Papier, das man auf die Spiten der Bajonette auffpieht.
i Präfident: Sind S Ihnen denn Fälle berfajjungswidriger Verwen⸗
dung des Militärs in Deutichland befannt?
Liebknecht: Ich habe ja nur gejagt: Es find ſolche Dinge von mädj-
tigen re — worden, und es handelt fi darum, ſich auf
diefe Gefahr präparieren. Das iſt felbfterftändliche
Pflicht des Wolititere. Ich habe hier (ein Aktenfaszikel erhebend) ein
großes Material...
e Präſident (einfallend): Wir gehen dann über...
" Liebfnedht (unterbrechend): Sch erinnere nur an die bekannten
eußerungen bon Dldenburg-Janıfhan, der „Poſt“, der „Kreuz
Zeitung”, der „ —— achrichten“, die alle einen gewaltſamen
Bruch der Verfaſſung fordern.
räſident: Wir gehen alſo zum äußeren Militarismus
(
über.
Liebknecht: Ich bitte um Verzeihung, wenn ich unterbreche.
Präfident: Ich laſſe mich nicht unterbrechen. Wir können übrigens
unterſtellen, daß Aeußerungen gefallen ſind, die Sie in dieſem Sinne
verſtanden haben. — Sie fordern in bezug auf den äußeren Mili⸗
tarismus das Recht für das Volk, über Krieg und Frieden zu entſcheiden,
während nad) der Verfaſſung diefe Entſcheidung beim Raifer Liegt.
Seite 118 fordern Sie al3 Minimalforderung die Entſcheidung über
- 19 —
Krieg und Frieden durch die Volfsvertretung, aljo unter Befeitigung
der Stelle, die jegt darüber zu befinden hat.
Liebknecht: Ich bedauere jehr, daB ic) vorhin meine Auslaffungen
über den inneren Militarismus nidt habe zu Ende führen fönnen. Die
eben vorgelegte Frage liegt jehr einfach. Die Sozialdemofratie iſt eine
Partei der Demokratie, das jagt ihr Name. Die Demokratie ift eine
Staatsform, die, natürlih die gegenwärtige Staatsform, aus-
Küließt- Sch erkläre klipp und klar, daß das Ziel meiner politiſchen
ätigfeit als eines Sozialdemofraten die Abſchaffung der Monardie
und die Einführung der Demofratie ift. Das iſt ja auch, mein gutes
Recht. ES handelt fih nur darum, mit welchen Mitteln ich dies Ziel
erjtrebe. Mein Ziel ift eine Menderung der gegenwärtigen Verfaſſung
bon Grund aus, und nit bloß diefer, fondern aud der
ökonomiſchen Zuftände — fo wahr ih Sozialdemofrat bin.
Alſo erjtrebe ich ſelbſtverſtändlich auch die Enticheidung über Krieg und
Srieden durch die Volfspertretung. Das erftrebe ich fogar innerhalb
der monarchiſchen Staat3verfaffung. Uebrigens fteht diefe Forderung
feit Existenz der Sozialdemofratie in ihrem Programm.
Präſident: Iſt denn das innerhalb der Monarchie möglich?
Liebknecht: Wir haben e3 mehr oder weniger jchon in Belgien,
in Holland, in Norwegen, in England; in der Schweiz und anderen
Kepublifen iſt es verwirklicht. Die Enticheidung über Krieg und Frieden
durch die Volksvertretung, das iſt nicht bloß ein Ziel der Sozial-
demofratie, jondern auch der demofratifchen Parteien. Ich erinnere
auch an die Ssnterpellation Baffermanns vom November 1906, die unter
faft allfeitiger Zuftimmung des Reichſstags gegen den Abſolutismus
gerade auch in der äußeren Politif Front machte. Und Herr Bafler-
mann ift dod) Fein Eozialdemofrat. (Heiterfeit.) Natürlich wünſche ich,
daß diefer unjer PBrogrammpunft fo raſch wie möglich verwirklicht wird,
und man müßte wahrlich ein jehr geringes Zutrauen zur Ent-
widelung der menſchlichen Gefjellihaft haben, wenn man die fried-
liche Verwirklichung jelbit dDiefes Ziele für un-
möglic halten würde.
räfident: Es wird an anderer Stelle zu erörtern fein, ob Sie
glauben, daß dies auf friedliche Weife geihehen fann. Sch fomme nun
auf die Stelle, wo Sie von einer möglihen Intervention in Rußland
ſprechen. Sn der Brofchüre fcheint doch deutlic) ausgefprodjen, da
Sie für diefen Fall eine Snfurreftion propagieren wollen.
Liebknecht: Das ift ein Mikverftändnis, das daher rührt, daß die
fozialdemofratijde Terminologie fr gewilfe Kreife gleihiam eine
Geheimſchrift, eine Geheimwiſſenſchaft iſt. Zunächſt ein paar all-
gemeine Worte über die Brojhüre. sch habe fie allerdings mit Ieb-
baftem Temperament gerieben und die Behandlung des Themas hat
mid) innerlich lebhaft erregt. Aber es ift dennod) feine Propaganda-
fhrift geworden, dazu _ift fie biel zu ſchwer verjtändlih. Won den
5000 Eremplaren der Schrift, die verbreitet wurden, bevor der Reichs—
anmalt — nad) zwei Monaten! — dem „Hochverrat“ auf die Ferſen
fam, ift nur der geringfte Teil in die Hände von Arbeitern gelangt.
3 a das eventuell durch das Zeugnis der Verlagsangeftellten
eweiſen.
Präſident: Ich will das gern als wahr unterſtellen, die Schrift
ift für den -einfachen Laienverſtand allerdings etwas ſchwierig. Aber
wie ftehen Sie zu der Intervention in Rußland? Sie war doch denkbar,
2*
— 0
0 ja — auch 1830 Vorkehrungen gegen den polniſchen Aufſtand
getroffen hat.
iebknecht: Ich beſtreite aufs entſchiedenſte, die Inſurrektion in
meiner Schrift propagiert zu haben. Die fragliche Stelle muß in ihrem
Zuſammenhang verſtanden werden. Ich unterſuche lediglich, unter
welchen Vorausſetzungen die Inſurrektion infolge eines Kriegsaus⸗
bruches eintreten kann und ſtelle feſt, daß die erſte Vorausſetzung ein
gewaltiges revolutionäres Glutfieber iſt. Den Fall der ruſſiſchen
Intervention, den ich ausdrücklich als ganz unpraktiſch bezeichne, be-
handle ich nur als Schulbeiſpiel, als Paradigma.
Präſident: Ob der Fall praktiſch iſt, ſteht dahin; denkbar iſt er
jedenfalls. Sie ſetzen einen ſolchen Fall und fordern für ihn ein be—
ſtimmtes Handeln.
Liebknecht: Das iſt nicht zutreffend. Ich verweiſe einfach auf den
Zuſammenhang. Ich ſage ausdrücklich: „Inſurrektionen können nicht
gemacht werden“. sc prüfe die Frage: Wie wirkt der Kriegsausbruch,
diefes ernite, bedeutfante Ereignis, auf die Bevölkerung? Die regel-
mäßige Wirkung ift bisher eine Hochgradige nationaliftiiche, patriotifche
Erregung. Wer 1870 erlebt hat, der weiß das. Ich Fenne etwas
ähnliches aus eigener Erfahrung nur von 1887 her und vielleicht aus
den jüngften Wahlen. Das gewaltige Faktum: Krieg, das notwendig
aufregend in die Maffen greift, entfeffelt nicht notwendig gerade jene
chauviniſtiſchen Leidenſchaften; es kommt auf Art und Urſache des
Krieges an. Wenn ein Krieg unpopulär iſt, wird die Begeiſterung
nicht ſo groß ſein; wenn aber der Krieg gar ein ſolcher iſt, den die
ganze oder der weit überwiegende Teil der Bevölkerung als
einen Schlag ins Geſicht empfindet, wenn er zwar in formal
korrekter Ausübung eines formalen Verfaſſungsrechts erklärt iſt,
aber im ſchroffen Widerſpruch mit den Kulturintereſſen des Volkes ſteht?
Sehen Sie auf Rußland. Dort kam die „Inſurrektion“ weſentlich
zum Ausbruch durch die Tatſache des japaniſchen Krieges. Wenn jemals
— von der innerpolitiſchen Situation ganz abgeſehen — ein ähnliches
Spannumgsverhältniz zwiſchen dem Charakter des dem Wolfe
zugemuteten Kriegs und dem fozialen, politiichen, Eulturellen Empfinden
des Volkes in Deutihland beftehen follte: Ich zweifle nicht,
daß dann auch bei uns ein folder Krieg ganz anders wirken würde
al3 patriotifierend, nämlich rebolutionierend; und es ift meine Ueber—
zeugung zur Ehre des deutichen Volfes, daß diefe Wirkung eintreten
würde bei einer Intervention in Rußland.
Präſident: Sie ſprechen ſoviel von einer „Logik des Blutes”, an
der der Militarismus zugrunde gehen fol.
Liebknecht: Darunter verjtehe ich die Wirkung des Blutvergießens
bei innerpolitifchen Konflikten auf die Volkspſyche. Es iſt dag eines
der Gifte, die der Militarismus erzeugt.
Prafident: Was heißt das, wenn Sie fagen, der Militarigmus
zerſetzt ſich.
Liebknecht: Ich ſpreche von verſchiedenen Auflöſungsgiften, die der
Militarismus in ſich ſelbſt erzeugt. Sch ſpreche von zahlreihen Zwick⸗
mühlen des Militarismus, von einer Zerſetzung, die ſich innerhalb des
Militarismus ſelbſt vollzieht. Die Sozialdemokratie mißt dem Kapita—
lismus im allgemeinen, wie dem Militarismus im beſonderen einen
antagoniſtiſchen oder dialektiſchen Charakter bei. Der Kapitalismus
muß ſeine Produktivkräfte aufs äußerſte entfalten, er muß dazu die
— 1 —
kleinen Exiſtenzen vernichten; eine immer gemwaltigere Konzentration
de3 Kapitals tritt ein. Das ift eine Ericheinung, die heute jeder
tatſächlich vor ſich fieht, die aber von den großen Soztaliften ſchon in
den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts unter allgemeiner
Skepſis in glänzender Weiſe vorausgejagt wurde. Dadurd) fett ſich
der Rapitalismus in einen Widerfpruch mit ſich jelbft. Der Reichtum
des Volkes, die Grundlage der Volkswohlfahrt gerät in die Hände einer
kleinen Bahl von Perjonen. Ich verweiſe auf den Kampf, den jelbjt
die Staat3gewalt jet allenthalben um einen Reit von GSelbitändigfeit
gegen die Trufts führen muß. Denken Sie daran, wie die mädjtige
preußifche Regierung in der Hibernia-Affäre niedergeichlagen wurde,
wie da die Minifter nad) Haufe geihict worden find.
Präſident: Das führt zu weit.
Liebknecht: Sch wollte damit an einem Beifpiel den antagoniftifchen
Charakter des Kapitalismus erläutern. Dieſer Charakter zeigt ſich
aud) darin: Der Kapitalismus braudt an und für fi) ein von ihm
abhängigeg, über feine Klaffenintereffen nicht unterrichteteg Proletariat.
Aber dieſe Eigenihaften muß er wiederum jelbft vernichten, weil er,
um Profit madjen zu Zönnen, intelligente Arbeiter braucht. So muß
der Kapitalismus feinen Feinden ſelbſt eine
Bildungverihaffen, die die Erwedung des Klaſſenbewußtſeins
erleihtert. Und der Militarismu3 hat daneben noch jeine
eigene felbftvernidtende Dialektik. Einmal gebraudt
er Proletarier, die die zum Gehorfam erforderlichen Eigenfchaften der
Unfelbitändigfeit befigen, andererjeits gebraucht er aber bei dem heutigen
Stande der Kriegstehnif und Strategie immer mehr kluge und auf-
geflärte Soldaten. Und foldhe innere Widerfprüche zeigt meine Schrift
eine Menge auf.
Präſident: Sie bleiben alſo dabei, daß gewiſſe innere Widerfprüche
zu einer Zerjegung des Militarismus führen müjjen?
Liebknecht: Sa.
Präſident: An einer anderen Stelle äußern Sie ſich mit einer
gewiffen Sfepfis über den bisherigen Grad der Zerfegung, weil es
ein Unterſchied jei, einen fozialdemofratiichen Stimmzettel abzugeben
oder mit feiner Perſon Gefahren auf fid) zu nehmen.
Liebknecht: Jawohl.
Präſident: Sie meinen weiter, daß namentlich die Reſerve und
Landwehr Ihrer Agitation zugänglich fein wird.
Liebknecht: Ich zweifle nicht, daß die Angehörigen der Arbeiter-
Haffe immer mehr vom Klaſſenbewußtſein durchdrungen
werden, und dad bejagt alles.
Präſident: Die Anklage behauptet nun, daß Sie nit nur
theoretifche Erörterungen gepflogen haben, fondern bemüht geweſen
find, Shre Sdeen aktuell zu verwirklichen; das Mittel zur Vorbereitung
der Umwälzung der Verfaffung fol zunädft Shre Propaganda für die
Ssugendorganijationen fein. Was haben Sie dazu zu jagen?
Liebknecht: Sch möchte zunächſt, um feinen Zweifel aufflommen zu
Iaffen, mir nod) den Hinweis geftatten, daß ich mit meiner Meußerung
zu dem eben behandelten Paſſus auf Seite 106/107 noch nicht zu
Ende gekommen bin.
Bräfident: Sie ftören die Verhandlung, wenn Sie auf das, was
abgeſchloſſen ift, zurückgreifen.
— 22 —
Liebknecht: Sch bitte mir jeweils vor dem Verlaſſen eines be-
ftimmten Punktes Gelegenheit zu geben, fofort hinzuzufügen, was ich
noch zu jagen habe. Das läßt ſich nicht nachholen; es ift ſchwierig,
Einen Eindrud zu zerftören, wenn er fich erft einmal feftgejeßt hat.
Präſident: Das wird geichehen.
Kiebfnedt: Nun zur geftellten Frage! Ich habe als Gozial-
demofrat jelbftverftändlich das Intereſſe, die ſozialdemokratiſchen Ideen
zu berbreiten, zur Erweckung des Klaſſenbewußtſeins beizutragen, d. h
im Proletariat die Erfenntnis feiner wirklichen Intereſſen zu fördern.
Dazu gehört auch die Aufklärung über das Wejen des Militarismus als
einer jehr wichtigen Begleiterfheinung, des Stapitalimus. So iſt es
ganz ſelbſtwerſtändlich, daß ich jede mögliche Agitation in diefer Richtung
für dringend erforderlid) halte. Nun iſt aber die Aufklärungsarbeit bei
der Jugend relativ vernachläſſigt geweſen. Das iſt jeit einigen Jahren
ander geiorden, und ich für meinen Teil halte die Jugendagitation
und -Organijation für etwas außerordentlich Wichtiges, für etwas, mas
energiſch vorwärts zu treiben Pflicht jedes Sozialdemofraten iſt. Die
een der Sugendorganifationen richten ſich je nach Geſetz, Ort
und Bei
Bräfident: Sie jollen in Sena Propaganda für eine Kafernen-
agitation gemacht haben
Liebknecht: Das durchaus verkehrt. Sch habe die Kaſernen—
agitation für Deutſchland von Anfang an konſequent und ausdrücklich
abgelehnt und immer geſetzliche Propaganda verlangt. Als Ziel habe
ich ſtets bezeichnet, daß ſich die Staatsgewalt der Armee für ungeſetzliche
Akte nicht mehr ſicher fühlen ſoll.
Präſident: Haben Sie nicht ſo zu ſagen eine Arbeitsteilung dahin
vorgeſchlagen, daß zur Leitung der Propaganda ſolche Perſonen aus
den Jugendorganiſationen verwendet werden ſollten, die die Fuß—
angeln des Geſetzes umgehen könnten?
Liebknecht: Ich habe nicht innerhalb der Jugendorganiſationen eine
Arbeitsteilung vorgeſchlagen. Der Ausſchuß, den ich anrege, ſoll eine
beſondere Inſtanz ſein.
Präſident: Hier iſt von Rekrutenabſchieden die Rede, das heißt wohl
von Flugblättern, die zur Zeit der Rekrutierung verbreitet werden,
um eine Zerſetzung des Militarismus herbeizuführen. Mir liegt
eine Nummer der „Jungen — vor, Organ des Verbandes junger
Arbeiter Deutſchlands, Nr. 7, 1. Jahrgang, worin ſich ein von Ihnen
verfaßter Artikel befindet. Der Artikel lautet:
Die Stunde der Aushebung hat gefhlagen. Bald fommt der Ge«-
ftellungsbefehl und das Beſte, was an jugendlider Männerfraft im bdeut-
Then Volke gewachſen ift, muß fein Bündel ſchnüren und Eltern, Geſchwiſter,
Kollegen und Freunde, oft felbjit Frau und Kind verlajien Muß! Du
gibts fein Berren und Sträuben; Gefängnismauern drohen dem Wider
ftrebenden. „Das Vaterland ruft! Erbärmlich, wer fi) feinem Dienft nicht
freudig weißt!“ ©o heißt e3 in den Schulen, fo ruft es von den Kanzeln,
5 a in allen tohlanftändigen und „angejfehenen“ Büchern und
eitun en.
Bisher wart ihr freie Männer, ihre jungen Proletarier, ſoweit kapita⸗
liſtiſche Unkultur Proletarierfreiheit fennt. Die Hungerpeitfche aber iſt ein
Symbol der Freiheit im Vergleich mit dem Drud, mit der Sklaverei, unter
die euch der blutigeiferne Militarismus zwingen wird, Gflabereil Und
nicht nur immer einem, fondern jedem Offizier, jedem Unteroffizier der
deutſchen Armee werdet ihr auf Gnade und Ungnade ausgeliefert; jedem
— — — — — — — — —
— 28 —
Wink eurer Vorgeſetzten habt ihr ſchweigend und ohne Widerrede mit
Mafchinenpromptheit Tag und Nacht zu gehorchen... Aber: „Ohne
chärfſte Disziplin iſt keine Armee möglich. Iſt auch der Dienſt fürs
aterland ſchwer, erbärmlich, wer ſich ihm nicht freudig weiht.“ So heißt
es überall, wo man auf Patriotismus hält. j
Bisher durftet ihr euch Wohnfib und Wohnung wählen; das hört nun
auf — ihr werdet meift aus der Heimat weggerifien, müßt mie Auswanderer
hinauzziehen, werdet in Kafernen eingepfercht und in Stuben geteilt, wie
eine Herde in die Gtälle.
Bisher durftet ihr euch außerhalb der Arbeit frei bewegen; der
Militarismus wird euch bon nun an feinen freien Echritt gejtatten; Efien,
Trinken, Schlafen, Ausgehen, alles wird diszipliniert, reguliert, fontrolliert.
Bisher durftet ihr leſen und fchreiben, was euch paßte; aber auch
damit ift3 zu Ende. Bisher durftet ihr Vereinen angehören, oder Ver—
jfammlungen beiwohnen, die euch paßten. Künftig werdet ihr nur lefen
und fchreiben dürfen, was der Vorgeſetzte geftattet; fchmere Strafe riskiert,
wer andere als „jtaatserhaltende” Schriften lieſt, oder auch nur bei fid
hat, wer andere als „itaatgerhaltende” Reden führt, wer andere als „ſtaats—
erhaltende” Geſellſchaften bejucht.
„Aber,“ fo wird man euch lehren, „die Armee ift die hohe Schule des
deutfchen Volkes; fie fol euch zur Treue gegen den Monarden, zur Vater:
landsliebe erziehen, auf daß unfer Deutſches Reich ftart und gefeftigt da-
ftehe. Keine Erziehung ohne Zwang,“ fo beißt ed. „Erbäxrmliche Nörgler,
wer ſich nicht willig in diefen Zwang ſchickt, um des edlen patriotifchen
Zweckes willen!”
Bisher durftet ihr um Befjerftellung eurer Lage fämpfen; von morgen.
ab werdet ihr euch pro Tag mit wenigen 20 Pfennig Lohn für fchweren
Dienjt begnügen müſſen und nur ganz heimlich fingen dürfen: „PBräfentiert
dem König! 22 Pfennig find fo BL, Efien, Trinken, ——— und
Kleidung werden euch ohne eigenes Wahlrecht und ohne, daß ihr auch nur
eine Kritik wagen dürftet, zugeteilt.
Bisher war das Maß eurer Arbeit, die ihr dem Arbeitgeber zu leiſten
habt, meiſt feſt begrenzt; von morgen an werdet ihr arbeiten müſſen, was
immer und wieviel immer euch der Vorgeſetzte befiehlt, und da gibts
bei ſchwerer Strafe kein Muckſen!
Aber: „AU das bringt das rauhe Kriegsleben mit ſich. Das Vater—
land ruft. Erbärmlich, mer fi feinem Dienſt nicht freudig weiht, in
feinem Dienſt nicht gern jede Sklaverei, jede Anftrengung, jede Entbehrung
auf ſich nimmt!“
Wer euch beleidigt und fchlägt, und fei es felbft euer Arbeitgeber,
euer Meifter, gibt euch damit ohne viel Federlefeng Grund zur fofortigen
Urbeitsniederlegung, und zum Schadenserfat. Ahr dürft ftraflos Notwehr
üben, und könnt felbft ftraflos bleiben, wenn ihr zur Vergeltung wieder
beleidigt, wieder ſchlagt. Nach dem Geſetz gilt eine Verlegung eurer Ehre
und eures Körperd duch den Unternehmer gleich. der Ehr- und Körper—
verlegung de3 Unternehmers durch den Arbeiter. Als freie und gleiche
Staatsbürger jtehen ſich Arbeitgeber und Arbeiter, wenigftens nad dem
Geſetz, gegenüber, ein und derjelbe Paragraph trifft beide.
Das wird nun anderd. Die ehrverlebende Kafernentoheit, die grau—
ſame Schmach der Soldatenmißhandlungen, die jelbft nah den Worten
bes Kaiferd und des Kriegsminiſters von Einem die Armee befleden, werdet
ihr gar bald an euch oder euren Kameraden erdulden müffen. Und ihr
dürft nicht den ent berlafien, mag8 euch aud) dem Tod oder dem
Wahnfinn zutreiben. Ihr Habt nicht das Recht der Erwiderung auf der
Stelle; und jelbft das Recht der Notiwehr wird euch beitritten. Dem Vor—
gejetten Hingegen wird in den Kriegsartikeln ſelbſt dag Necht des Waffen-
gebrauchs gegen den widerſetzlichen Untergebenen ausdrüdlich zugejprochen.
Die Beleidigung, Demütigung und Mißhandlung der Untergebenen, auch
die jchwerften, werden von den Militärgefegen und den Militärgerichten
— 24 —
meiſt nur als vorſchriftswidrige Behandlung, ſeltener als Körperverletzung,
meift nur mit geringen nicht entehrenden Strafen, Stubenarreſt und ber-
gleiden von furzer Dauer, feltener mit verhältnismäßig Furzfriftigen
Gefängnisftrafen belegt.
Diefelben Militärgefete und Gerichte drohen an und verfügen
drakoniſch harte Freiheitzitrafen, meift Zuchthaus, gegen den Untergebenen,
der fich, fei e8 auch nur unbedadjt, zur Unbotmäßigfeit und Beleidigung
oder gar irgend einer wenn auch noch fo berzeihlichen Gewalttätigkeit gegen
den Vorgefeßten, und fei er perjönlih noch jo unmürdig und der gemeinſte
Soldatenfhinder, hat hinreißen lafien. Die Militärgefeße meſſen grunds
und graufam mit zweierlei Maß. Nur ein fchwerfälliger und zwei—
Hneidiger, mit vielen Fallitriden verjehener Beſchwerdeweg ſchützt den
Eoldaten, der nicht alles einftedt, mas ihm En Beiniger bietet. Der
geringfte Exzeß gegen einen der unzähligen Vorgeſetzten vernichtet mit
tödlider Eicherheit die Eriftenz des unglüdliden Soldaten.
„Auh das muß mit in Kauf genommen erden! Eiferne Dis—
ziplin ift nötig; fie führt zu den oft betrübenden Folgen; aber das
find nur Ausnahmen. Tragt auch fie im Dienfte des teuren Vaterlandes.“
Und man wird eudy bunte glißernde Uniformen geben, euch mit Sang
und Klang durch die Straßen führen. Den „bornehmften Rod” wird man
euer neues Kleid nennen, euch Hochmut gegenüber dem Feinde einimpfen;
das fol euch über alle Fährniffe, über alle Schmach und Not der Kaferne
Hinmwegtäujcden.
Aber feid ihr denn Kinder, feid ihr Wilde, daß man eud dur Prunk
und grellen Schmud, durch Spielzeug euer Erjtgeburtsreht auf Menfchen-
würde vergeſſen maden fönnte? Iſt's nicht eine Beleidigung, daß man
euch das zumutet?
Indeſſen: es gilt das Vaterland zu ſchützen! Und da heißt's um des
Be Zweckes willen die Augen zudrüden und die Zähne aufeinander-
eißen
Das Vaterland [hüten ? Denkt an unfere hinefifhen Heldentaten,
an die Kämpfe in den afrikaniſchen Kolonien, an den Maroflohandel, der
drauf und dran war, Deutichland in einen Weltkrieg zu verwideln, Mord
und Brand über Europa zu breiten. Was hatte das mit dem Schuß bes
Vaterlandes zu tun? Die — —— Welt» und Kolonialpolitik mag
den Intereſſen des großlapitaliftiiden Unternehmertums dienen; dem
Vaterland, dem Broletariat bürdet fie nur Laften auf.
Nun, wie ihm auch fei, ihr werdet in die Kafernen einziehen.
Dort werdet ihr bald hören: nicht nur zum Kampf gegen den äußeren
Ban nn auh zum Kampf gegen den inneren Feind follt ihr
jenen
Wer ift der innere Feind?
Auf Vater und Mutter, Bruder un, Schweſter follt ihr auf Kom⸗
mando fchießen!
Fürs Vaterland?
Man wird euch vielleicht zu Streikbrecherdienften ablommandieren.
Fürs Vaterland?
Man wird euch vielleicht wie in Nürnberg und Magdeburg und wie in
ganz Preußen am 21. Januar 1906 an den wirtſchaftlichen Kämpfen zwiſchen
Arbeiterfhaft und Unternehmertum zum Schutze des Unternehmertums&
und in den politifgden Freiheitskämpfen der Arbeiterfhaft zum Schutze
eurer Unterdrüder gegen die Arbeiter, eure Kameraden, Kollegen und
Gefinnungsgenoffen zu den Waffen rufen.
Fürs Vaterland?
Die Augen werden euch aufgehen, wenn fie nicht ſchon geöffnet find.
Was ift das für ein Vaterland, das nicht das ganze Volt umfaßt,
euch bon euren Liebften reißt, zu Feinden eurer Freunde maden mill?
Das den Kampf gegen die Arbeiterjchaft proflamiert, das ſich eins fühlt
mit dem Unternehmertum, mit jeder Reaktion?
a DB
.. Das ift nit euer Vaterland; das ift nicht das einige deutſche Vater»
land. Das ift nür die Vertretung einer Klaffe bes deutſchen Volkes,
die euch, feitdem ihr lebt, und ſchon euren Xätern, feitdem fie leben,
feindlich ift bis aufs Blut, die eu und eure Väter, Mütter, Brüder und
Schweſtern, Aameraden, Kollegen und Gefinnungsgenofien von Kindesbeinen
an ausbeutet und unterdrüdt!
Der innere Feind, das find eure Väter, Mütter, Brüder, Schweſtern
und Freunde, das ift das gefanıte Proletariat und alles, was nicht mit
der herrſchenden Reaktion durch did und dünn geht; der innere Feind:
das feid noch Heute ihr felbft ! Und das werdet nad) eurer Entlafjung
wieder fein ihr felbft! Ihr felbft, die ihr zum Kampf gegenüber diefem
inneren Feind aufgerufen werdet, zum Kampfe gegen euch felbit.
Zu „Hofhunden des Kapitals“, ihres Feindes, werden die Proletarier
degradiert, wenn man fie gegen den inneren Feind mobilifiert; ihr Lohn,
und fei er noch fo gering, fol fein ein Judaslohn: trifft es nicht zu, wenn
Freunde des WProletariats fo ſprechen?
Und habt ihr erft dies erfannt, fo erkennt ihr weiter: Nur darum
der furdtbare Drud und Drill und die eiferne Disziplin, damit das
Broletariat dur Furt und Echreden gezwungen wird, dem Kapital und
der Reaktion, feinen eigenen Feinden, zu dienen.
Und darum die Sklaverei und geiftige Bebormundung, die Gefinnungss
unterdrüdung und der gleißende Prunk und Pub, bamit das Proletariat
im bunten Rod ſich ſelbſt und all die Seinen bergefje und willig den Willen
des Kapital und der Reaktion, feiner eigenen Feinde, tue.
Darum die Militärmißhandlungen und bag grundjfählide Meſſen
mit zweierlei Maß durch Militärgefe und Militärjuftig, weil man fein
Voltsheer, fein Heer des deutichen Volkes, fondern eine Armee des
Kapitals, der Reaktion geſchaffen Hat und braudt.
Nur darum führt man euch aus der Heimat in die Fremde, damtt
ihr don euren Nächten getrennt im Kampfe für eure Feinde durch Strupel
und Bmeifel, durch Golidaritätsgefühl und unbequeme Herzensregungen
weniger geſtört werdet.
Und die wahnſinnigen jährlichen Milliardenkoſten dafür, daß ihr in
diefes für euch felbftmörderifche Anftrument verwandelt werdet, daß man
aus euch Proletariern das ftärkite Bollmerf eurer Zmingburg fügt, daß
man eud Geele, Verftand, Selbitgefühl, Klafienbewußtfein, Kindes- und
Gefchwifterliebe, kurz alle edeljten Regungen zu bermwirren und zu rauben
ſucht, müßt ihr, muß das Proletariat audy noch zum größten Teil felbit
aus feinem eigenen ſauren Schweiße preſſen.
Iſt das nicht Widerfinn? Iſt das nicht unmöglih? Warum fhüßt
fi der Kapitalismus, ſchützt fich die Reaktion nicht dürch ihre Koftgänger,
durch die, deren Intereſſen fie vertreten?
Und der Militarismus ift der Würgengel der Kultur; er barbarifiert
die Zipilifation und frißt, dad Volt ausjaugend, alle Mittel auf, die einem
wahrhaftigen Fortſchritt dienen könnten.
Er ift die Quinteffenz und die Summe aller Xolkzfeindlichkeit, der
brutale Erefutor und der blutig-eiferne Schubwall des Kapitalismus.
Nehmet diefe Erkenntnis in euch auf, ihr Proletarier, die ihr zu den
Waffen gerufen werdet, und alle Verfuche, euch in der Kaferne der großen
Sade des proletarifhen Befreiungsfampfes abfpenitig gu machen, müſſen
nit nur zu Schanden erben, en die Begeifterung eurer Ueber»
deugung, eurer Ideen nur um fo höher und heißer entfachen. Als doppelt
er Gtreiter werdet ihr aus dem Heere des Kapitalismus in die Reihen
er proletarifchen Armee zurüdfehren.
Präſident: Haben Sie hierzu etwas zu erklären?
Liebknecht: Das Berliner Polizeipräfidium hat die Behauptung
aufgeitellt, der füddeutihe Verband habe ſich erft von dem Zeitpunft
an mit antimilitariftiicher Propaganda befaßt, wo ich Einfluß auf
ihn gewonnen hätte. Tiefe Behauptung ift falſch. Weiter bemerfe id}:
— % —
Rekrutenabſchiede find nicht das, was der Präfident eben andeutete,
fondern Feſtlichkeiten und dergleichen, wie fie ſchon vielfach aud) in der
Arbeiterfchaft beim Abſchied der Einberufenen üblich find, um ihnen
zu zeigen, daß man fie nicht als Feinde betrachtet. Solche „Abſchiede“
fordere id) ausdrücklich nur, wo fie gejetlich geitattet find.
Präſident: ch bringe nunmehr eine Stelle aus dem Hervoſchen
Buch „Leur Patrie“ zur Verlefung, in der erörtert wird, was die Sozial-
demofratie im Falle eines Krieges tun fol. Sch weiß, daß Sie ein
Gegner der Hervöſchen Anfichten find, aber ich verlefe diejen Artikel,
um gewiſſermaßen eine Parallele zu ziehen zwiſchen Ihrer Agitation
in Deutichland und der Hervéſchen in Frankreich. In dem Artikel heißt
es: „Was follten wir im Salle eine3 Krieges tun? Das einfachite wäre,
zunächſt zu gehordhen, die Waffen anzunehmen und dann im gegebenen
Augenblick den Dienst zu verweigern. Aber da3 ift ſchwer durchzu—
führen, denn aud) die herrfchenden Klaffen werden Vorfihtsmaßregeln
treffen und erſt furz vor der Schlacht die Patronen ausliefern. Leichter
it ein anderes Mittel, das fih mit zwei Worten bezeichnen läßt:
Fahnenflucht der Kameraden und Streif der Referpiften.“
Liebknecht: Mit diefem Buche habe ich nichts zu tun, für die
Herveihen Anfihten bin id in Feiner Weiſe verantwortlich, ich bin
im Gegenteil ein entjchiedener Befämpfer feiner Anjchauungen.
Bräfident: Sch werde nunmehr einen Auffag aus dem „Piou-Pion”
der Vonne-Föderation verlefen, der ein bezeichnendes Gegenſtück zu
Shrem eben verlejfenen Artikel bilden fol.
Liebknecht: In der Anklage ift diejer Artikel nicht als Beweis-
mittel genannt. Ich ftelle feit, daß wir feine Gelegenheit gehabt haben,
un3 darüber zu informieren.
Der Aufſatz wird verlejen.
Liebknecht: Der Artikel ift in der Zeitung der Yonne-Föderation
erfchienen, die den Standpunkt Hervés vertritt. Seine Ausführungen
betreffen franzöfiiche Zuftände und find Halb-anardiftifh. Meine Bor-
Ihläge betreffen deutiche Verhältnifje und ftehen auf entſchieden anderem
oden.
Präſident: Sn Ihrer Broſchüre jagen Sie, daß die allgemeine An
erfennung des Grundgedanfens Shres in Mannheim abgelehnten An-
trage3 nur eine Stage der Zeit, und borausfichtlich ſehr Furzer Zeit fei.
Liebknecht: Das bezieht ſich natürli nur auf die Anerkennung
des Bedürfnifjes nach Einleitung einer jpeziellen antimilitariftiichen
Agitation, nicht einer antimilitariftiichen Aktion.
Präſident: Wie Sie fi) zur Frage der Kafernenagitation geftellt
haben tollen und wie Sie wünſchen, daß man Sie geftellt anfieht, haben
Sie auf dem Stuttgarter Kongreß in der in Nr. 157 des „Vorwärts“
abgedructen Erflärung gegen Vollmar dargelegt. Darin bejtreiten Sie,
daB Ihre Anträge auf den drei VBarteitagen auf eine Kafernenagitation
abgezielt hätten, und behaupten, Sie wollten nur eine jpezialifierte
Agitation gegen den Militarismus. Meiter beziehen Sie ſich auf
Vollmars Bemerkungen, nad) der Ihre Broihüre und Ihre Anfichten
aus der Debatte auszuſcheiden hätten, nachdem das Verfahren wegen
Hochverrats gegen Sie eingeleitet fei, und fahren wörtlich fort: „sch
betone demgegenüber, daß ich eine ſolche Rückſichtnahme aufs Höchſte
bedauern und ſchlechthin zurüchveifen würde, und vielmehr die be—
ftimmte Erwartung bege, daß diefe Aktion der Klaſſenjuſtiz zur Ver-
ihärfung und Anfeuerung de3 antimilitariftiijhen Kampfes beitragen
og
er —
wird.” Es fommt hier das Wort „Klafieninftiz” vor. Was verftehen
Sie darunter?
Liebknecht: Unter Klaſſenjuſtiz verftehe ich die gejellihaftlihe Er-
ſcheinung, daß das Richteramt nur von Angehörigen der herrſchenden
Klaſſe oder Klafjen ausgeübt wird. Soldje Richter vermögen, wenn fie
über Angehörige anderer Bevölferungsihichten zu befinden haben,
naturgemäß nicht objektiv zu urteilen. Wir ſprechen bon einer Klafjen-
juftig gegenüber der Sozialdemofratie, injofern e3 ſchlechterdings aus-
geraldijen iit, daß Sozialdemokraten Richter find, und es ſich der Sozial-
emofrat ftets ejalen laflen muß, von den erbittertiten Feinden feiner
Partei abgenrteilt zu werden.
Präſident: Wenn es nun Richter gäbe, die fich zur Sozialdemofratie
befennen, glauben Gie, daß fie fi) auch dem Verdachte der Klaffen-
juſtiz ausjegen, oder daß fie zum Unterſchiede von den jetigen Richtern
unparteiifch urteilen würden?
Liebknecht: Die Tatfahe der Klaffenjuftiz beruht auf allgemein
menſchlichen Eigenſchaften. Für mich beiteht fein Zweifel, daß, wenn
eine andere Klaſſe als heut judizieren würde, diefe einer ihr feindlichen
Klaſſe ebenfowenig unbefangen aegenüberftände wie der heutige Nichter-
ftand der Sozialdemofratie.
Präſident: Sie wollen alfo Gerichtshöfe, die ans allen Klaſſen zu-
men EN find?
Liebknecht: Jawohl.
Präſident: Meinen Sie nicht, daß auch jetzt ſchon Richter Sozial⸗
demokraten find? i
Liebknecht: Sa, aber doch nur in ganz bereinzelten Fällen als
saölen oder Geſchworene.
räfident: Sit es richtig, daB 2 Vollmar Ihnen den Plan einer
Kafernenagitation vorgeworfen hat?
Liebknecht: Zur Aufklärung wäre e3 das Einfachite, die Parteitags-
protofolle zu verleſen. Sie ergeben, daß ich mich vom erſten Moment
meiner Tätigfeit an gegen die NKafernenagitation in Dentfchland
gewandt habe. Das wird aud) Bebel als Zeuge beitätigen. ch habe
mid) wiederholt entſchieden dagegen gewehrt, al3 mir dies bon ver—
Ichiedenen Seiten auch) aus der Partei unterfchoben wurde. Sch habe
in Eſſen den Sagenfrei3 gelont, der ſich um meine antimilitariftifchen
Beitrebungen gebildet hatte.
Es gelangt dann Bollmars Rede in der Stuttgarter Militär-
fommiffion zur Verlefung. Er führt darin aus, daß die Aufflärungs-
arbeit gewifjen Leuten zu langſam gehe und dab fie deshalb auf Mittel
finnen, fie zu befchleunigen. Liebfnechts Agitation müfje ganz aus der
Debatte ausiheiden, ſeit das Reichsgericht gegen ihn das Verfahren
wegen Sochverrats eröffnet habe. Militärftreif und Inſurrektion feien
jedenfalls, jo ſchließt Vollmar unter dem Widerfprud der Herveiften,
töriht und unfinnig.
Präſident: Vollmar polemifiert in diefer Rede aud) gegen Saure2.
St sonen befannt, dat Jaurèes ſich nenerdings zum Hervéismus
efenn
Liebknecht (lahend): Das ift ganz gewiß nicht der Fall. Aus
welcher Quelle ſchöpfen Sie denn das? Eine fozialdemofratifche Zeitung
iſt es doch ſicherlich nicht.
Präſident: Das war ja nur ſo nebenbei erwähnt. Wir kommen jetzt
auf Vollmars Rede in Eſſen.
Liebknecht: Sch will nur bemerken, daß Vollmar, der ja nit mein
Gegner, fondern mein Genofje iſt, die in Stuttgart gegen mid) erhobenen
— am nächſten Tage in einer perſönlichen Bemerkung zurüd-
nahm.
Präſident: Vollmar führte alſo auf dem Effener Parteitag aus, daß
e3 jehr ſchwer fei, über Liebknecht zu fprechen, weil jedes Wort um—
gedeutelt werden könne. Aber jedenfall3 zeige Ihr Fall, wie ſchwer es
bei der antimilitarijtifhen Agitation jei, TZorheiten und Mißverſtändniſſe
zu vermeiden. Die Politiker und Juriſten fünnten ſich wohl in den
Grenzen halten, aber die einfachen Leute vielleicht, oft nicht. Wenn,
wie in Mannheim vorgeichlagen, die Rekruten mit einem Trauerflor in
die an gingen, würden fie ja ein angenehmes Leben beim Militär
eViebknecht : Ich ſtellte ſofort in einem Zwiſchenruf feſt, daß ich nie
dazu geraten habe.
Präſident: Ganz recht. Vollmar erklärt weiter die von Ihnen be—
tretene Bahn für vollkommen verkehrt und höchſt gefährlich. Den zu⸗
läſſigen Antimilitarismus habe die deutſche Sozialdemokratie ſtets be-
trieben, die ſpezifiſch antimilitariſtiſche Agitation aber begegne beim
erſten Schritt den größten Schwierigkeiten. Man ſolle die Bildung der
Jugend vertiefen, damit ſie ſich auch im Waffenrock als Bürger fühle.
Liebknecht: Ich habe mich darauf, wie erwähnt, in Eſſen eingehend
geäußert und ausgeführt, daß auch ich die Kaſernenagitation ver-
werfe und nur eine jpezialifierte antimilitariftifche Propaganda wünſche.
Der Trauerflor war nicht ein Vorſchlag, er wurde nur von einem Redner
in einer rethoriichen Floskel erwähnt, der da außrief, die Rekruten
fellten lieber ftatt mit bunten Bändern geihmüdt, mit dem Trauer-
for in die Kaferne gehen. ch erklärte, daß ſelbſtverſtändlich nicht
ein Schwall großer Redensarten zu machen, fondern gründliche Auf-
klärung zu _berbreiten jei, und erfannte die Notwendigkeit größter Vor⸗
ſicht an. Ich führte weiter aus, daß in Deutihland der denkbar beite
Boden für die jozialdemofratifche a ‚Propaganda fei.
Schließlich zog ich meinen Antrag zurüd und ſprach die Hoffnung au8,
daß ſolche Anträge auf Barteitagen nicht mehr nötig fein würden, weil
es beifer jei, Antimilitarismus zu treiben, als darüber zu reden.
Präſident: Dann lag nod) ein Antrag Dortmund vor, der zur Agi-
tation unter den Ausgehobenen vor ihrer Einziehung aufforderte.
Liebknecht: Den habe ich übrigens nicht unterftiikt.
Präfident: Nach Ihrem „Rekrutenabſchied“ follte man das er-
arten.
Liebknecht: Das hat nichts miteinander zu tun.
Präfident: Sie find doc) aber mit Ihren Anträgen und Reden in
Gegenjat beſonders zu Bebel und Bollmar_getreten. Worauf beruht
diefer Gegenfag? Was meinen und wollen Sie denn nun pofitin?
Liebknecht: Die Antwort auf diefe Frage gibt meine Schrift aufs
deutlichſte. Ich nehme fein Wort davon zurüd. sch will feine Kajernen-
agitation, aber ich will mit allem Nachdruck Aufklärung, Erziehung der
Jugend, die fpäter in die Kaſerne einrüct, in antimilitariitifhem Sinne.
Die Jugend ſoll aufgeklärt werden über das Weſen des Kapitalismus
und des Militarismus und über die Rolle des Militarismus im Klafien-
fampfe. In diefem Sinne habe ich mein Buch gefchrieben.
Präfident: Das ſcheint aber auch die Anfiht von Bebel und Vollmar
zu fein, warum haben fie Ihnen dann aber Sppofition gemacht?
9 —
Liebknecht: Sie halten die von mir vorgeſchlagene Form nicht für
zweckmäßig. Sie meinen, daß mandes mißverſtanden werden kann,
mögen mid aud) zum Teil mißverftanden haben. Sie haben fid) jeden-
falls mehr gegen die Nuancen gewendet als gegen das, was ich im
Grunde will.
Präfident: Noch eine. Frage wegen der Gewaltfamfeit. Da ift in
Ihrer Broſchüre (S. 81) die Rejolntion Vaillant erwähnt und Sie jagen
dazu: Dieje Rejolution fei in ihren Grundzügen gut und brauchbar.
Liebknecht: Die Reſolution Vaillant iſt in ihren Grundzügen in-
fofern gut und brauchbar, als fie zutreffend das Weſen des und die
Stellung zum Militarismus darafterifiert, dann auch injofern, als fie
eine möglichſt energiſche Agitation fordert. Inwiefern ich den Teil, der
das Wort Inſurrektion enthält, billige, darüber habe ich ein ganz be-
fonderes Kapitel gejchrieben.
Präſident: Ich Fomme auf den Mannheimer Parteitag zurüd. Da
haben Sie mit Bebel Rede und Gegenrede gewechſelt, und nad) dem
Bericht des „Vorwärts“ den Zwiſchenruf gemadt: Ganz vortrefflid!
Die Anklage Ichließt daraus, daß Sie Ihrerſeits im Gegenſatz zu Bebel
ich den Tendenzen der Franzofen haben anſchließen wollen.
Liebknecht: Sch bitte, nicht von „Franzoſen“ al3 von einem einheit-
lichen Ganzen zu reden. Es gibt ja unter den franzöfiichen Sozialiſten
mindeſtens drei, verſchiedene Auffaffungen über den Antimilitarismus.
Sc habe mic) wiederholt eingehend über meinenStandpunft ausgelailen;
da Tann man doch aus dem einen Wort „vortrefflich“ nicht einen plöß-
lichen Umſchwung meiner Auffafjung herleiten. Der Zwiſchenruf be-
deutet, daß mir die Spezialifierung der antimilitariftifhen Propaganda
in Sranfreih und ihr Schwung fehr nachahmenswert ericheint.
Iefen Es wird ein Artitel der „Leipziger Bolkszeitung”, Nr. 25, ver-
ejen
Bräfident: Die „Leipziger Volkszeitung“ behauptet alfo, die Rejo-
Iution Vaillant jtimme mit der Herpes injofern überein, als auch fie
im Kriegsfalle die Ssnfurreftion vorfieht. Daraus folgert die Anklage,
daß die Hervéſche Auffafiung von der Ihrigen nicht jehr verſchieden iſt,
daB e3 fi) hier nur um eine Modalität der Taktik handelt. Gegen die
Authentizität der „Leipziger Volkszeitung“ ift wohl nichts zu fagen.
Liebknecht: Diefe Auffaffung der „Leipziger Volkszeitung“ Tann ic)
mir durchaus nicht zu eigen maden.
Präſident: Schließlich bringe id) einen Artikel aus der „Voſſiſchen
Zeitung” zur Verlefung. Die „Voſſiſche Zeitung” berichtet über eine
Rede Herpes, entnommen der vermutlicd) Herveichen Zeitung „ee
Travaillenr de l'Yonne“. Hervé jagt da: Bebel ift von uns abgefallen.
Bebel ift alt, Bebel iſt müde. Aber ini der deutfchen ſozialdemokratiſchen
Partei gibt es eine Minderheit von sungen, die Antimilitariften find
wie ich jelbit. Laffen wir uns nicht entmutigen, verdoppeln wir im
Gegenteil unfere Bemühungen. Liebknecht und ich, wir genügen, um
die deutſche und, die franzöſiſche Vaterlandsliebe einzudämmen.“ Ich
kann natürlich nicht beweiſen, daß Hervé das geſagt hat. Wie weit je-
doch Wert auf dieſen Bericht zu legen iſt, wird fich finden.
Liebfnedht: Mir war nicht befannt, daß ſich diefer Bericht bei den
Akten befindet, die Anflage zieht ihn nicht heran.
Präfident: Er hat feit je bei den Akten gelegen.
Liebknecht: Sch bin überrafcht, daR Biker Nrkifel der „Boffiichen
Zeitung“ hier zur Sprache kommt. Er ift fein „herbeigefchafftes Beweis—
— 0 —
mittel”. Die „Voſſiſche Zeitung“ iſt bekannt wegen ihrer äußerſt feind-
lichen Haltung gegen die Sozialdemokratie. Wie kann dieſe Aeuße—
rung gegen mich ausgebeutet werden, die irgendein Korreſpondent
irgendeines Blattes aus irgendeiner Rede Herves meldet. Sie
kann in dieſer Form ſicher nicht gefallen ſein. So wie ſie hier ſteht, iſt ſie
zu kindiſch, als daß ſie ernſt genommen werden könnte. Wenn ſie aber
in dieſer Verhandlung ſo wie geſchehen vorgetragen wird, erweckt ſie ein
ganz ſchiefes Bild von Herb6 und von meiner Stellung zu ihm. Ich
werde in Verbindung gebradjt mit Herne auf Grund des Berichtes aus
dritter Hand einer Zeitung, die den Sozialismus grundfäglid und ge-
häffig befämpft. Dagegen muß ich proteftieren. Ich bitte um die Ge-
legenheit, meine Stellung zu Hervé auseinanderzujegen. Ich nehme
Bezug auf den Zeil der Schrift, der fi) mit, Herve befaßt. Cold) blöd-
finnige Berichte bürgerlidder Blätter weije ich zurüd. Ich müßte fonft
beantragen, Herbe al3 Zeugen zu laden. Durch ſolche Artikel wird eine
nicht faßbare Stimmung gegen mid erzengt. ;
Präfident: Bon Stimmung machen gegen Sie it feine Rede. Der
Senat wird entfcheiden, wieweit dem Artikel aus der „Voſſiſchen Zeitung“
Wert beizulegen ift.
Liebknecht: Wenn eine Tatſache durd) Zeugen bewiefen werden Tann,
fo müffen dieje nad) dem Geſetz vernommen werden; die Verlefung folder
Ausſchnitte widerfpricht der Strafprozeßordnung. ch wiederhole mein
Erjucden, derartige Sachen nicht zum Gegenftand der Verhandlung zu
maden. €3 wird mir meine Stellung weſentlich erjchwert, wenn ſolche
Verdächtigungen gegen mid) ausgejtreut werden, die zu beweijen die An-
Tlage ſich nicht einmal die Mühe nimmt.
Präſident: E3 Handelt ſich hier gar nicht um eine Tatfache, die nur
durd) Zeugenvernehmung feitgejtellt werden kann, fondern um die Tat-
fache, daß eine Zeitung eine beftimmte Behauptung folportiert. Ob
diefe Behauptung richtig it, weiß ich nicht. Jedenfalls entjpricht mein
Verfahren den progeffualiihen Grundſätzen.
.. Berteidiger Dr. Hezel: Nach Eröffnung des Hauptverfahrens habe
id) eine vollitändige Abjchrift der Akten ſowohl de3 Oberreichsanwalts
wie des Senats hergeitellt, und ich kann Fonftatieren, daß ſich der ver-
lefene Ausschnitt damals in den Akten nicht befand. Der Oberreichs-
anmalt hat uns zwar angefündigt, daß auf das Hervéſche Bud in der
Sriedebergichen Ueberſetzung Bezug genommen werden würde. Ich ver-
miffe aber jede Notififation darüber, daß man einen Ausſchnitt aus der
„Boffischen Zeitung” mit einer fo ungeheuerlihen Schlußfolgerung bor-
bringen würde. Ich würde dankbar fein, wenn fonftatiert würde, daß
diefer Ausschnitt zu den Akten gekommen ift vielleicht zu einer Zeit, wo
die Verteidigung nit mehr erwarten fonnte, daß noch Material hinzu-
Tame.
Präſident: Diefer Ausfchnitt Tiegt bei den Akten jeit dem Schreiben
des Polizeipräfidenten vom 24. Suni.
Verteidiger Hanfe: Wenn der Oberreichdanwalt uns die Nachricht
gab, daß die Herbeihe Schrift als Beweismittel dienen würde, dann
mußten wir den Schluß ziehen, daß die übrigen Materialien, die der
Kolizeipräfident mitgegeben hat, nicht vorgebracdht werden würden. So
iit in der Tat die Verteidigung völlig überrafcht davon, daß dieje Notiz
zum Gegenſtand der Verhandlung gemacht wird.
Der Oberreichsanwalt weiſt mit großer Erregung zurüd, daß das
Polizeipräfidium ihm Material gegeben habe. Das Material fei dem
— —
Unterſuchungsrichter auf deſſen Erſuchen übermittelt. Der Ausſchnitt
ſei immer bei den Akten geweſen.
iebknecht: Dieſes Beweismittel iſt für uns jedenfalls im pro-
ejlualen Sinne neu, und id) darf mich mit Fug und Recht darüber be-
Paketen. da man in diejer Weiſe gegen mid) vorgeht!
Verteidiger Hegel: Die Abſchrift, die ich habe anfertigen laſſen, ent-
hält dieſes Material nit. ES befand ſich bei den Akten ein Nubert
mit der Aufichrift: Anlagen zur Unterſuchung gegen Liebknecht. Darin
befanden fih) Exemplare des „Vorwärts“, aber nicht die „Boffifche
Zeitung“. Vielleicht ift fie bei den Akten des Oberreichsanwalts ge-
iwejen, deren Einficht uns natürlid) nicht möglich war.
Liebknecht: Das Verfahren, hier ohne vorherige Mitteilung an uns
neues Material gegen mich vorzubringen, iſt um jo mehr zu beanitanden,
als ich mich ja an und für fid) gegen eine zum vierten Male veränderte
Anklage verteidigen muß.
Oberreihsanwalt (auffpringend): Die Anklage tft nit verändert!
Es iſt dies hier die Anklagefhrift und die bildet den Gegenstand der
Berhandlungen. Die Staatsanwaltichaft hat nicht3 verändert!
Es Scheint mir zur Charafteriftif des Angeklagten nötig zu fein,
feitzuftellen, daß unmittelbar nad) der, Beihlagnahme der Angeklagte
eine Berfammlung im Volkshauſe in Leipzig abgehalten hat, mo er über
Antimilitarismus ſprach. Alſo zu einer Zeit, wo er wußte, daß das
N gegen ihn im Gange war.
Liebknecht: Die Volksverſammlung in Leipzig war bor der Be—
Tchlagnahme einberufen, und ich hatte feine Beranlaffung, von ihr Ah-
ſtand zu nehmen, nachdem die Beichlagnahme erfolgt war. Ich habe mid
natürlich durch dieſe Beichlagnahme nicht im mindeſten abhalten laſſen,
die gejegliche Agitation weiter zu betreiben.
Öberreidiganwalt: Dann hat der Angeklagte im Auguft in —
gart über ſeinen Hochverratsprozeß geſprochen. Nach dem | —— A
Vericht des „Vorwärts“ ſagte er, dieſer Prozeß habe zum Zie jed
Kritik am Militarismus zu unterdrücken, und an ihm ſolle ein
Exempel ftatniert
erden.
——— Das iſt meine Auffaſſung, die ich noch ſpäter darlegen
werde.
Oberreichsanwalt: Und dann hielt der Angeklagte wiederum in
Stuttgart auf der internationalen Jugendkonferenz ein Referat über
den Antimilitari3mus.
räfident: Darauf werde id) noch zurückkommen.
Der Präfident vertagt hierauf gegen 49 Uhr die Sitzung auf
Donneritag.
Zweiter Verhaudlungstag.
Leipzig, den 10. Oftober 1907.
Der über Erwarten bedeutjame und intereffante Verlauf, der Ver-
ra im Hochverratsprozeß Liebknecht hat heute zu einem wo⸗
möglid) noch ftärferem Andrang des Publikums geführt als geitern.
Punkt 9 Uhr eröffnet Senatzpräfident Treplin die Sikung.
Sogleid) ergreift das Wort
Liebknecht: Sch bin mit meiner Erwiderung auf die Anklage noch
nicht fertig. Sch habe mich noch nicht zu der Frage der Gewaltſamkeit
geäußert, d. h. zu der Unterjtellung der Anklage, daß ich al3 Mittel zur
Aenderung der Berfailung die phyſiſche Gewalt anwenden wolle. Ich
möchte bitten, mid) vor jeder weiteren Beweisaufnahme darüber im Zu-
fammenhang anzuhören
räfident: Bielleicht — die Vernehmung des Zeugen Bebel
Ihre ——— in dieſer Beziehung.
Verteidiger Haaſe: Ich möchte doch bitten, erſt den Angeklagten zu
hören. Je nach ſeinen Ansführungen werden wir Fragen an den Zeugen
Bebel zu richten haben oder uns erſparen Fönnen.
Präſident: Ich habe Fein Bedenken, dem lebhaften Wunſche der Ver-
teidigun und nachzugeben.
knecht: Das weſentlichſte, Be Zatbeitandsmerfmal
des ee it die Abficht, der Wille des ee feinen auf
Verfaſſungsänderung gerichteten Plan durch phyliihe Gewalt zu ver-
wirflihen. Wo in meiner Schrift die Gewaltſamkeit empfohlen fein
foll, ift mir bis jegt dunfel geblieben. Gerade in diefem entjcheidenden
Bunte beftehen fünf verſchiedene Variationen der Anklage Ich muB
daher zunächſt ganz allgemein meine und der Sozialdemokratie Stellung
zur Frage der Gewwaltiamfeit präzifieren. Viele Gegner der Sozial-
demofratie jehildern diefe Partei des Proletariat3 als rohe, nad) blutigen
Konflitten Tüfterne Gewaltpartei. Das Gegenteil iſt richtig. Die
Sozialdemokratie ift die einzige Partei, die grundſätzlich auf hiſtoriſchem
Boden jteht, die einzige Partei, die die Vergangenheit nicht leugnet und
deshalb nicht den Unfinn behauptet, daB, was einmal bejteht, für alle
Ewigfeit beitehen bleiben müjje. Wir haben vielmehr aus der Geſchichte
gelernt, daß das, was beſteht, auch zugrunde gehen muß. Die Sozial-
demofratie alaubt die Entwidelung des heutigen Wirtſchaftslebens dahin
erfannt zu haben, daß das Proletariat einen ftet3 größeren Anteil er-
Yangen muß an den Produkten der Induſtrie, an den Werten de3 Handel,
an allen Erzeugniffen der menjchlichen Arbeit. Die Vergefellihaftung der
Produftionsmittel im meiteren Sinne _de3 Wortes und damit ver—
bunden die reine Demofratie der Staatsform, der Berwältun
der Juſtiz ericheint ihr als notwendige Konſequenz der Menie-
heitsentwidelung. Sie will, daß ſich diefe Entwidelung unter
— 88 —
Vermeidung jeder Gewalttätigkeit vollzieht. Allerdings hat bis—
ber bei den grundlegenden Umwälzungen der Weltgeſchichte die Ge—
walt in einer gewilfen Phafe ſtets eine Role gefpielt. Es mag alfo nicht
ſehr wahrſcheinlich fein, daB ſich die foztaliltiiche Ummwälzung friedlich
bollgiehen wird. Die Sozialdemokratie felbft aber ift nad) allen Kräften
bemüht, diejenigen Elemente, die Gewalttätigfeiten zu probozieren ge⸗
eignet find, aus dem Gefellihaftsorganismns auszuſchalten. Die Ent-
widelung könnte ſich friedlich vollziehen, wenn nicht die herridenden
Klaſſen grobe, mechaniſche Gewaltmittel zur Verfügung hätten, um fi
dem Kulturinterefje der Gejamtheit des Volkes zu twiderfegen. Das
wichtigſte Mittel, eine friedliche Entwidelung zu verhindern, ift der
in den Händen der befienden Klaſſen Fiegende Militartsmus. Darum
hat der Kampf gegen ihn direft das Ziel,
Gewalt zu vermeiden
und nidjt zu fürdern. Das habe ich in meiner Schrift als grundlegende
Tendenz in einer jede Unflarheit ausſchließenden Deutlichkeit wieder⸗
Holt hervorgehoben. So ſpreche ich bon dem Ziele einer Friedhaft-
madjung der Weltpolitit. Ein ganzes Kapitel habe ich über den
Militarismus als eine Gefährdung des äußeren und inneren
Friedens“ geſchrieben. Darin heißt es 3. B.: „So, bedeutet Kampf
gegen die jtehenden Heere und den daubinitifch-militariftiichen @eift
Kampf gegen eine Gefahr für den Völkerfrieden”; und weiter: „Wer
immer eine Fortentwickelung de3 Menſchengeſchlechts für unvermeidlich
hält, für den iſt daS Beſtehen des Militarismus das wichtigjte Hindernis
für die Friedlichkeit und GStetigfeit einer jolhen Entwickelung.“ Auch
auf den Barteitagen habe ich mich genau ebenjo ausgelaſſen.
Ich weife auf die Gefahr hin, daß der Militarismus auf dem Wege
des Fortſchritts blutige Zuſammenſtöße herbeiführen muß. Das glaubt
die Anklage für ſich heranziehen zu können, befonders den Paſſus von
dem Kartätichenprinzen uf. ; aber die Tendenz diefer Ausführungen ift
ja doc) umgekehrt eine Warnung vor der Gewalt, ein Plaidoyer für den
Frieden. Ich habe hier nicht die philofophiich-hiftorifche Korrektheit
meines Standpunftes zu beweifen, jondern nur die generelle Stellung
der Sozialdemofratie, die fi} damit dedt, darzulegen. Dieſe Darlegung
ift unentbehrlich, weil gar vielfach der Aberglaube herrſcht, einem Sozial-
demofraten könne man ja ohne weiteres alles Mögliche zutrauen. Mit
dem Worte Sozialdemofrat find in gewiſſen Schichten der Bevölkerung
Borftellungen verfnüpft, die eine ruhige Betrachtung ausſchließen, die
ein Hineindenfen in unferen Gedankengang bor vornherein vermehren.
93 Tiegt im Klaſſencharakter unjerer Gejellihaft. Der Sozialdemofrat
egegnet vor Gericht jehr vielen, vielleicht niemals ausgefprochenen, viel-
leicht nicht einmal bewußten Vorurteilen. Ich perjönlid bin der feſten
Ueberzeugung, die mir fein Zeufel rauben fann, daß, wenn ich nicht
Spzialdemofrat wäre, ich niemals auf diefe Anflagebanf gefommen
wäre. Für die gefennzeichnete Stellung der Sozialdemofratie zur Ge-
walt berufe ich mich auf Friedrich Engels, jenen VBorfämpfer der Sozial-
demofratie, den felbft Adolf Wagner zu den größten Nationalöfonomen
aller Zeiten rechnet. In der Vorrede zu dem Marrihen Werk: „Der
Klafſenkampf in Frankreich” bezeichnet er daS allgemeine Wahlrecht als
den günftigften Boden für und. Wir find nit nur prinzipielle Gegner
der Gewalt, wir müſſen fie auch als vernünftige Taftifer ablehnen.
Engel3 jagt: „Und jo Beiden es, daß Bourgeoiſie und Regierung dahin
Tamen, fid) weit mehr zu fürdıten vor der geſetzlichen, als vor der ungejeb-
8
— 4 —
lichen Aktion der Arbeiterpartei, weit mehr, por den Erfolgen der Wahlen,
als vor denen der Rebellion“. „Die Ironie der Weltgeihichte,“ jo heißt
es an einer anderen Stelle, ſtelit alles auf den Kopf. Wir, die „Revo—
Iutionäre”, die „Umſtürzler“, wir gedeihen weit beſſer bei den geſetzlichen
Mitteln, als bei den ungefetlichen. 2 ‚Drdnungsparteien . . . rufer
berziweifelt ‚mit Odilon Barrot . , .: „Die Geſeslichkeit ijt unjer Tod“,
während wir bei diefer Gefeslichkeit rote Baden und pralle Muskeln be-
Tommen.“ Schließlich werde den Drönungsparteien nichts übrig
bleiben, al3 jelbit dieſe ihnen jo fatale Gejelichfeit zu durchbrechen.
Wenn die Bourgeoifie über gemwalttätige Pläne der Sozialdemokratie
zetere, jo fünne man mur antworten: Quis tulerit Gracchos de
seditione querentes? — So Engeld. In der Tat, hat nicht, um aus
vielen einen herauszuheben, General — den Staatsſtreich
empfohlen und Herr von Jagemann aus lächerlich-frivolen juriſtiſchen
Scheingründen gar ein Recht des Kaiſers zum Staatsſtreich proklamiert?
Aber die Sozialdemokratie wird jeden gewaltſamen Zuſammenſtoß zu ver-
meiden fuhen. Wenn man mid) geitern meinen Bitatenfad poll brutal-
offenherziger Aeußerungen von Scharfmadern aller möglichen Parteien
über die Notwendigkeit eines Staatsſtreichs gegen das Reichstagswahl-
recht hätte ausleeren laffen, N hätte der Gerichtshof gefehen, wie recht
Engels hatte, und daß es die herrfchenden Klaſſen find, die die rote
Brille der Gewalt vor ihren Augen tragen und nur darum gewaltfame
Abjihten bei der Sozialdemokratie jehen! Geſtatten Sie mir ein Wort
ex domo: Mein Bater war ja vor 35 Jahren aud) hier in Leipzig
des Hochverrats angeflagt. In der Vorrede zu dem Bericht über dieſen
Prozeß nannte er die Gewalt ausdrücklich einen reaktionären —
Und — jener angebliche blutrünſtige Revolutionär? Er erwägt d ie
Möglichreit, daß ein Krieg die ol ae Revolution befchleunigen
fönne und Tommt zu dem Schluß, daß man den Krieg wegen feiner
Schrecken nicht als Mittel zur Entfejlelung der Revolution wünſchen
fönne; er jei „da3 irrationellite Mittel zu diefem Zwecke“. Und weiter
ſchreibt er: „Käme es auf unſere Wünſche an, wer von uns würde nicht
den friedlichen Weg einem gewaltſamen vorziehen, dem unſere perfön-
lichen Kräfte vielleicht nicht gewachſen find, der uns vielleiht ber-
Schlingen wird?“
In meiner Schrift finden fich viele gleichartige Stellen, die niemand
wege3famotieren Tann. Jene Erörterungen über die Möglichkeiten
einer Snjurreftion im Kriegsfalle enthalten feine Aufforderung, feinen
Plan, fondern nur, hiſtoriſche Perfpeftiven. Und wo ich bon gemalt-
famen Bujammenftößen mit dem inneren Militarismus ſpreche, geſchieht
es immer in Verbindung mit der Gefahr, des Staatsſtreiches. Ich be⸗
greife ja, daß ſich das Kollegium von 15 höchſten Richtern meiner Auf⸗
faſſung über dieſe Gefahr nicht gut aſſimilieren kann. Aber jelbitver-
ſtändlich müſſen Ihrem Urteile hier, zur Interpretation meiner Schrift,
meine, bon den Ihrigen fundamental abweichenden Anfhauungen zu-
grunde gelegt werden.
Die Anklage A der Augeklante will eine Wenderung der
Heeresorganifation; dieſe Aenderung ift nur mit Gewalt zu er-
reichen, folalic, will der Angeklagte Gewalt. Das ift alfo nicht meine
Anfiht, jondern ein Schluß des Reichsanwalts, den er in meinen Ge-
danfengang hineinzwängt und mit Bitaten aus meiner Schrift ber-
mengt hat. Für diefe inforrefte befangene Schlußfolgerung aus meiner
Schrift fol ich büßen! Jene Wendung „wie nicht anders möglich, mit
— 1
Gewalt”, ift uns nicht neu. Mit ihr hat man alle Hochverratsprozeſſe
gegen Sozialdemokraten gemadt. „Wie nicht anders möglid,, mit Ge-
walt“, jo hieß es im Hochverratsprozeß gegen Lafjalle vom 12. März
1864. „Wie nicht anders möglich, mit Gewalt“, fo rief derStaatsanmwalt
1872 im Hochverratsprozeß gegen meinen Vater und Bebel und 1893
im Hochverratsprozeß gegen Viktor Adler in Defterreih, Welches
Armutszeugnis ftellt die Reichsanwaltſchaft damit der beitehenden Ge-
ſellſchaftsordnung aus! Sie unterjchiebt ihr, daß fie niemals, und jei
es im Intereſſe der Allgemeinheit, der Mehrheit des Volkes noch fo
nötig, freiwillig etwas von ihren Rechten an das Volk abtreten wird.
., Nun jteht ja der Oberreichsanwalt den herrichenden Klafjen ſehr
viel näher als ich, und ‚er muß es alſo wohl beſſer wiſſen; aber des-
megen brauche id doch die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Entwide-
Inn, ohne brutale Gewaltanwendung noch nicht aufzugeben. Auch die
engliihen Kornzollgejege und bei uns die Ler Heinze und der Zedlikiche
a find dur friedliche Agitation weggeſchwemmt
worden.
Die Seele unſerer ganzen Staatsverfaſſung iſt das allgemeine,
gleiche, geheime und direfte Wahlrecht. Dieſes Wahlrecht öffnet ein
Tor für die Möglichkeit friedlid-organifcher Fortentwidelung. Wer
das allgemeine Wahlrecht nehmen will, verjtopft damit den wichtigiten
Duell friedlichen Fortſchritts, preßt den fozialen Dampfkeſſel gewalt-
ſam zu und treibt mit mathematifhher Sicherheit zu Blut und Gemalt.
In der Tat, wer die Bismarckſchen Staatsitreichwege wandelt, ijt ein
wirflider Gewaltmenſch. Bor der jüngiten Reichstagswahl haben die
„Boft“, die „Hamburger Nachrichten” und die „Deutiche Tageszeitung“
für, den Fall eines fozialdemofratifchen Sieges mit gewaltjamer Ent-
reißung des Reichstagswahlrechts, mit dem Hodiverrat von oben ge-
droht. Auch die Methode, wie man jetzt in Deutihland die Sugend-
bewegung und die antimilitariftiihe Propaganda zu unterdrüden ver-
ucht, zeigt vertenfelte Neigung zu einem ſozialiſtentöteriſchen Staats-
rei. Herr Nomen, der nad) feinen Artikeln im „Tag“ wohl als
„geiſtiger“ Urheber der Anflage zu betraditen ift, würde ſichs bei feiner
gangen Anlage gewiß nicht lange überlegen. Ich habe nie daran ge-
acht, den für die Sozialdemokratie günjtigen gejetlichen Boden in
Deutichland aufzugeben, jondern nur Fürforge zu treffen gefucht gegen
eine hochverräteriſche Aktion von oben, gegen eine gewalttätige Unter⸗
drüdung der Eozialdemofratie (mit erhobener Stimme): Und ein eriter
Akt folder gewalttätiger Unterdrüdung meiner Partei ift für mic} nach
ihrem ganzen gewalttätigen Charafter diefe Anklage.
Verteidiger Hegel: Ich Stelle namens der Verteidigung den Antrag
anf Aenderung und Ergänzung des Eröffnungsbeſchluſſes. Der Er-
öffnungsbeſchluß unterftellt dem Angeklagten, daB er, die Beſeitigung
des ftehenden Heeres im Kriegsfalle mit Gewalt herbeiführen wolle. Im
Zaufe der jetzigen Verhandlung hat ſich der Anklagepunkt ganz ver-
ſchoben; jegt wird dem Angeklagten der hocverräteriiche Akt zur Laft
gelegt, eine beitimmte Verwendung des Heeres, nämlich die Verwendung
zur Niederwerfung innerer Aufitände kraft des Rechtes des Kaifers, den
Belagerungszuftand zu verkünden, verhindert haben zu wollen.
Präſident: Sch muß zunächſt den Angeklagten noch einiges zu feinen
legten Aeußerungen fragen. Er ſprach davon, daß er das Wahlrecht
als vorzugsweiſen Weg zur Verwirklichung feiner Ziele anfieht. Iſt es
aber nicht gerade ſeine Auffaſſung, daß die parlamentariſche Tätigkeit
ge
— 836 —
nicht genügt, ſondern, daß man andere Mittel zur ſchnelleren, wirf-
fameren Aktion ſuchen müfje?
Liebknecht: Sormalreeitlic Ton. nur das Wahlreht als Mittel
für die äußere Entwidelung in Betracht, politiſch geben aber natürlich
die BANCTIOLLEMENIAEN Den Mittel den usichlag, und au diefen Mitteln
gehört 3. B. auch die Kugendagitation. Hinter der Da ne HEN
Macht der Sozialdemofratie muß als außerparlamentarifche Kraft die
Begeijterung des deutichen Proletariats ſtehen, ſonſt fönnten die
43 Mann unferer Reichstagsfraktion zu zu t Rot von ein oder zwei Schuß-
KT herauögejagt werden. Auch die herrſchenden Klaſſen —
die — Macht, darum ertönte ja in Berlin das be-
rühmte W
„Mehr Bolt!“
Bräfident: Sie wollen doc aber die Sugendorganifationen nicht
verwenden, um die parlamentariiche Maht d der Partet zu jtärfen,
—5 Sie wollen die Jugend zur Verachtung des Militarismus
reſſieren.
Liebknecht: Eine Verfaſſungsänderung vollzieht ſich gleichſam wie
eine Addition verſchiedener Summen. Der parlamentariſche Einfluß
beruht nicht auf der Wahl, ſondern auf der realiſierbaren Macht, die
hinter der —— ſteht, auf den Einfluß, mit dem die Partei die ganze
Geſellſchaft und ihre Inſtitutionen durchtränkt. Auch die Sozialdemo⸗
fratie beeinflußt ſchon durch ihre bloße Exiſtenz ſogar die Polizei und die
Suftiz. Sie joll, das iſt nicht nur mein Wille, fondern der, meiner
ganzen Partei, auch das Militär immer mehr beeinfluffen. Die Groß-
grundbeliger, die Herren Kirdorf, Stinnes und Thyſſen üben einen
großen Einfluß durd ihre Kapitalmacht, ihren Grundbelit, ihr, Kom-
mando über eine große Arbeitermafje. Und die — will
ihre Macht feſt verankern im Herzen des Volkes. Auch die Armee lebt
nicht im Inftleeren Raume, unter einer Glasglocke; auch A fie und in
ihr wird der Kampf zwiſchen fozialdemofratifchen und antijozialdemofra-
tiſchen Ideen geführt.
Präſident: Sie befürchten den Umſturz, nach dem Ihre Partei ge-
nannt wird, von der beitehenden Regierung: Können Sie Akte verant-
mwortlidher Regierungsorgane nennen, die diefe Anficht begründen?
Kiebfnedt: Wer ift denn in N beute
eigen tlid verantwortlih? So rein auf das juriſtiſche Ge-
biet kann ich mid) nicht drängen laſſen. Es handelt ſich hier um politiiche
Machtverhältniſſe; wir haben ja in Deutichland aud eine Kamarilla.
Präſident Gas einfallend): Darauf brauchen wir wohl nicht ein-
zugehen. Sie wollen alio, fagen, daß gewiſſe Symptome Sie zu Ihrer
uftaflung geführt Haben?
Liebknecht: Es gibt Leute, die viel mächtiger find als der formell
verantwortliche Neichöfanzler! Wenn man aber den, Fürſten Bülow
al? verantwortlichen Staatsmann anfieht, hat er nicht im Silvefterbrief
an General Liebert der Sozialdemokratie mit dem Denen Bonapartes
a Bonapartes Degen ift doch nicht der der Revolution, jondern
er der Reaktion.
Präfident: Aber Sie gerade haben doc in benußtem Gegenſatz
zu den parlamentarifchen Kührern der Partei immer wieder den Anti-
militarismu3 in Szene gefegt und follen Hervé näher ftshen al3 den
Führern Ihrer Partei
Liebknecht: Ich ſtehe in gewiſſem Gegenſatz zu der Mehrzahl meiner
Parteigenoſſen, aber in Wahrheit beftehen größere Differenzen nicht,
— 8
und meinem Genofjfen Bebel erjheint meine Taktik nicht an ſich bedenf-
lich, ſondern nur, weil er beforgt, daß andere die von mir gewollte Grenze
nit innehalten und jo Unannehmlichfeiten erleiden fönnten. Wer
aber behauptet, dab ich, der ich: hier als Verſuchsobjekt für eine ganz
neue Anwendung des Hochverratsparagraphen ftehe, dem Herbeismus
nahejtände, den möchte ich doch zu einem Tleinen Duell herausfordern.
Herde ijt eine Art Scheuche des aus geworden; das Wort Herve
bedentet jeßt ungefähr jo viel wie Bombe. (Große Heiterkeit.) Ich
habe Herde erſt in Stuttgart kennen gelernt und mir mit ihm in den
Haaren gelegen. Ich jtehe in der Militärfrage für Deutichland in meiner
Schrift tatfächlich jogar noch recht von Jaures. In meiner Schrift habe
ich den Herveismus ausführlich bekämpft; feinen Antiputriotismu halte
ich, wie ich Elar dargelegt habe, für vollkommen verfehrt. Ich habe nicht
die Abficht, irgend etwas zu verſchweigen oder zu bemänteln, id rechne
ja mit der Tatſache meiner Verurteilung als einer abgemadıten Sadıe.
Ich gebe meine Erklärungen ab ohne Rüdfidyt auf Ihr Urteil und Habe
nur Zeugnis abzulegen Ar unfere politiihe Auffafinng. Mit franzd-
fiihen Mitteln in Deutſchland kämpfen, das hieße, mit Schlittſchuhen
und mit einem Winterfoftim ins Wafjer gehen oder in einem Bade-
koſtüm Schlittfchuh laufen. (Seiterkfeit.)
Präfident: Ich Fanrı nicht zulaffen, daß Sie ſich als Verſuchsobjekt
für die Anwendung eines Paragraphen bezeichnen. Ich bitte Sie, ihre
Worte abzuwägen. Sie Fönnen ja mit Ihrer Verurteilung, rechnen.
Penn Sie damit aber jagen wollen, daß das Urteil über Sie bereits
aaa ift, jo perfennen Sie die Aufgabe des höchſten Gerichtshofes voll-
ändig.
Liebknecht: Die bisherige Geſchichte dieſes Prozeſſes rechtfertigt
eine gewiſſe lebhafte Erregung. 39 weiß; nicht, wie id} anders denn
als ein Verſuchsobjekt einen Menſchen bezeichnen fol, bei dem man
bereit3 dreimal an verſchiedenen Stellen in der Suche nad) hochver-
räteriſchen Giften herumgeichnitten bat, und bei dem man nun zum
vierten Male die Sektion vornimmt, um zu fehen, ob nicht doch irgend-
wo in den Faſern jeine3 Hirns eine Spur bon Hochverrat zu
finden jei.
Bräfident: Sie fegeln ſchon wieder in dem Fahrwaſſer, das id)
Shnen eben verboten habe.
Nunmehr wird zu dem Antran der PBerteidigung auf Ergänzung
des Eröffnungsbeichluffes, der inzwiſchen fcehriftlich formuliert ift, über-
gegangen.
Der Oberreihsanwalt bekämpft ihn. Hochverrat jei begangen durch
die Abfaſſung und Verbreitung der gefamten Schrift.
Verteidiger Hezel: Wenn jemand Eifenteile auftauft, um daraus
eine Höllenmaſchine zu machen, die er gegen das Staatsoberhaupt in
Betrieb ſetzen will, fe ift da8 eine Vorbereitung zum Hochverrat. Das
Kaufen der Eifenteile an fich genügt aber nicht zur Kennzeichnung des
ochverrats. Der Mann muß die Abficht zur Ermordung des Landes-
errn haben, dann erſt wird aus der ganzen Sache ein Hochverrat. Hier
ift die Abfaſſung der Schrift die vorbereitende Handlung, und der Er-
öffnungsbeihluß muß jagen, worin ein Hochverrat an ſich liegt, muß das
bodperräterifche Unternehmen Kar kennzeichnen. Man kann nicht ein-
fach die ganze Schrift unter die Anklage des Hochverrats jtellen,
ohne zu jagen, was da3 hochverräterifche Unternehmen darftellt.
— 88 —
Oberreichsanwalt: Ich bedauere, daß nicht die Anklageſchrift die
an des Verfahrens bildet; dann wäre die ganze Differenz nicht
entitanden
Liebknecht: Ich habe einen Grund, die Ausdehnung der Anklage
zu ſcheuen; ic) muß aber willen, weſſen ich angeklagt bin, damit ich mic
danadı berteidigen Tann. Nach den Paragraphen 205 und 265 der
Strafprogehordnung muß die Tat im Eröffnungsbefhluß ar um-
ichrieben jein. Das beanfpruche ich jegt; das darf ich um jo mehr be-
anfpruchen, ala niemand verfennen wird, daß die Verteidigung, zu der
id) nach dem Standpunft des Herrn Borfigenden genötigt bin, zum
großen Teil eine völlig andere iſt, als die, auf die ich nach der Anflage-
ſchrift und dem Eröffnungsbeihluß gefaßt jein konnte.
Hierauf zog ſich der Gerichtshof zur Beratung zurüd und ver-
fündete nad) längerer Beratung, dab der Antrag der Verteidigung ab-
gelehnt jei, da der Eröffnungsbejhluß vollitändig im Einklang mit
8 205 der Strafprozeßordnung stehe.
Hierauf trat die Mittagspaufe ein. J
Nach der Pauſe wurde als einziger Zeuge
Reichstagsabgeordneter Bebel
aufgerufen.
Präſident: Die Verteidigung hat Ihre Vernehmung beantragt,
weil ſie der Anſicht iſt, daß nad) der Geſtaltung der Anklage⸗
EN damit zu rechnen wäre, daß aud) die Neuerungen des Angeklagten,
ie derjelbe auf jozialdemofratijchen Parteitagen und ähnlichen Ver⸗
anftaltungen in Sachen des Antimilitarismus getan hat, hier geftreift
werden würden. Dieje Vorausfegung der Verteidigung ift nun ein-
getroffen. Wir haben über die verſchiedenſten Aeußerungen des An-
geflagten hier geſprochen, und ich möchte Sie nun fragen, was für eine
Meinung Sie über jeine Haltung haben.
Zeuge Bebel: Der Angeihuldigte bat feit einer Reihe bon
Jahren auf unferen Barteitagen Anträge befürwortet, die dahin gingen,
daß die Partei in höherem Maße als bisher ich auf die antimilitariftiiche
Ceite zu werfen habe, da der Militarismus der Hauptfeind des
Sozialismus ſei. Die bisherige Tätigkeit der Partei hat dem An-
seihuldigten nicht genügt, und er hat fortgefegt verfucht, Anträge durd-
zubringen, die dahin gingen, daß ein befonderer — eingeſetzt
werden ſollte, der dieſe Agitation ſpeziell zu leiten habe. Dieſer Auf-
faffung find wir in der Bartei und namentlich) ich bisher mit der größten
Energie, entgegengetreten. Wir find der Anficht, dab dieſes Hervor⸗
heben einer bejonderen antimilitarijtiihen Agitation, wie jie der An-
geſchuldigte betrieben zu jehen wünſcht, praftiich falih und taktiſch un-
richtig iſt. Wir find eine Partei, die die gefamte beftchende Wirtichafts-
und Stant3ordnung befampft, wir find eine Partei, die in erfter Linie
darauf Hinzielt, die Maſſen über Dr Gefete, melde — gegenwärtige
Wirtſchaftsſyſtem regieren, aufzuklären und ihnen die Rolle klarzu—⸗
machen, welche der Kapitalismus darin ſpielt. Wir waren dabei der
Meinung, daß wenn eine derartige Agitation in beſonderem Maße den
Militarismus hervorhebt, die anderen Aufgaben der Partei darunter
vernadhjläffigt würden. Der Charakter der Partei würde dadurch ein
einfeitiger iwerden und eine derartige Taktik müſſen wir vermeiden.
Aber ich habe die Anficht des Angeklagten noch aus anderen Gründen
befämpft. Zunächſt habe ich mir gejagt, daß die Genoflen, die draußen
in der Agitation jtehen, juriſtiſch nicht fo geſchulte Leute find wie der
— 89 —
Angeſchuldigte und daher ſehr leicht mit dem 8 112 des Strafgeſetzbuches
in Konflitt kommen fönnen, und das iſt eine jo unangenehme Sache,
daß wir dieje Genoffen davor nah Möglichfeit bewahren möchten.
Schließlich habe ich die Taktik des Angeſchuldigten befampft, weil es
mir befannt ijt, daß es im Deutichen Reiche große einflußreiche Kreiſe
gibt, die den Moment abwarten, wo fie gegen die Sozialdemofratie
eventuell mit einer Verſchärfung des Strafgeſetzbuches oder einem Aus-
nahmegeſetz einen entſcheidenden Schlag ausführen fünnen. Auf dem
Wiesbadener Parteitag der nationalliberalen Partei hat es der Ab-
geordnete Bajjermann am Sonnabend erſt ausgeſprochen, daß man auch
innerhalb der nationalliberalen Partei bis vor furzem noch der Anficht
war, die Sozialdemofratie mit Ausnahmegefegen zu befämpfen. Nun
bin id) der Meinung, daB, zumal eine Revifion des Strafgefegbuches
bevorjteht, zuerft eine Verfchärfung des 8 112 des Strafgejekbuches
herbeigeführt werden würde, wenn wir die Taktik des Angeichuldigten
für richtig hielten, und das wäre nad) meiner Meinung nicht wünjchens-
wert. Daß dieje Befürchtung feine leere ijt, geht daraus hervor, daB
bei der Umſturzvorlage im Jahre 1895 gerade die Verfchärfung des
& 112 eine erhebliche Rolle jpielte. i
Präfident: Auf dem Internationalen Kongreß in Stuttgart und
aud auf dem Eilener Parteitag hat die Frage des Antimilitarismus
eine Rolle geipielt und dort iſt die Stellungnahme der fozialdemo-
Tratiihen Partei im allgemeinen und die Stellungnahme de3 Herrn
Hervé im bejonderen erörtert worden. Welche Stellung hat nun der
Angeſchuldigte auf diefen Tagungen eingenommen?
Zeuge Bebel: Bei den Auseinanderjegungen in Stuttgart hat
der Angeſchuldigte überhaupt Teine Rolle geſpielt. Er hat ſich lediglich
veranlaht gejehen, auf eine Rede meines Genoſſen v. Vollmar öffenilicy
in einer Erklärung zu antworten, und da hat er zwiſchen fid) und Herve
eine ſcharfe Linie gezogen. Nach meiner Meinung gibt es überhaupt
in der ganzen deutſchen ſozialdemokratiſchen Partei nicht einen einzigen
Parteigenojjen, der auf dem Standpunft Hervées ftünde, Der An-
geſchuldigte Liebknecht hat wiederholt in feinen Reden dargetan, welche
grundfäglihen Differenzen ihn bon dem Standpunkt Hervés trennen.
Ich habe jelbitverjtändlih Dr. Liebknechts Broſchüre, fobald fie erſchien,
gelefen, nit nur mit Intereſſe, fondern auch mit Neugietde, weil ich
mir fagte: Willſt doch mal jehen, ob in diefer Broſchüre Liebknecht An-
fhauungen vertritt, die denen Hervés ähnlich find. Da habe ih nun,
wie id} mit großer Genugtuung fonftatiere, gefunden, dab in ber
Brofchüre von Herveiftiihen Anſchanungen nichts zu finden ift, und dab
Liebknecht fich entichteden gegen den Hervéeismus als unmöglih in
Deutichland gewendet bat.
Präfident: Sie haben in Stuttgart erklärt, daß die deutiche Partei
Schon darum von Herbe abrüde und nichts mit feinen antimilitariftifchen
Tendenzen zu tun haben tolle, weil man fonjt mit dem Strafgejegbud)
in Konflift fommen würde.
Bebel: Das habe ich ausgeführt.
Bräfident: Erinnern Sie ſich, da auf dem Stuttgarter Kongreß*)
fchlieglich eine Refolution angenommen wurde, die, wie mir ſcheint, das
Refultat eines forgfältigen Kompromifjes war. Dieje Rejolution über-
läßt den einzelnen Nationen für den einzelnen all die Enticheidung.
Welche Stellung hat denn nun der, Angeflagte zu diefer Rejolution ein-
*) Die Stuttgarter Refolution ift auf Seite 84 abgedrudt.
— 40 —
genommen? In Eſſen ſoll er gejagt haben, dieſe Reſolution ſei ganz
t, — ſie ſei ein Fortſchritt gegenüber dem bisherigen Standpunkt der
artei.
Bebel: Das hat Dr. Liebknecht allerdings gejagt. Nach meiner Auf-
faffung ijt dieje Anſchauung jedoch eine irrige. Wir haben in Stuttgart
vier Zage lang über die Frage des Intimiliteriemus geſtritten. Es
handelte ſich um einen Antrag bon einem Zeile der franzöſiſchen Dele-
gation, der eine Reſolution durchdrücken wollte, die annähernd den
Standpunkt vertrat, den Herbe in jeinen Schriften bisher vertreten bat.
Wir haben darauf und heraus erklärt, daß wir Deutiche unter feinen
Umständen irgend etwas akzeptieren würden, was auch nur annähernd
dem Standpunkte Hervés entſpricht. Während der Beratungen find wir
nun den Andersdenkenden, bejonders den franzöſiſchen Genoſſen, injofern
entgegengefommen, al3 wir eine Reihe von Hiftorifchen Ereigniſſen der
legten zehn Jahre, insbeſondere die Faſchodafrage und die Maroffofra e
in der Rejolution aufführten und charakterifierten und fagten, e8 mü
fo weiter gearbeitet werden, wie die Proletarier in den Derieiedenn
Zändern bei diefen Fällen gearbeitet haben. An dem enticheidenden
Be auf d den es anfam, an dem haben wir unter allen Umftänden feit-
geh alten. In dem Schlußjake der Stuttgarter Rejolution heißt es aus⸗
ücklich, daß im gegebenen alle, d. h. im Falle eines drohenden Krieges,
es jeder einzelnen Nation ü erlaffen bleiben muß, melde Schritte fie zu
unternehmen gedenft. Das war für und die conditio sine qua non,
ohne welche wir der Refolution nicht zugeftimmt hätten. Diejer unfer
Standpunkt ift afzeptiert worden. Mögen die Franzofen und andere
maden, was fie wollen, daran find wir nicht gebunden.
Präfident: Der Abgeordnete Vandervelde hat als Berichterftatter
der militäriihen Kommtifion in Stuttgart ausgeführt, der Unterfchied
zwiſchen Ihnen und Vaillant beitehe lediglich darin, daß Sie alle Mittel
fordern, ohne fie zu nennen, während Vaillant fie aufzählt.
Bebel: Daß Bandervelde das —— hat, iſt wahr, aber die
bene erkenne id} al3 richtig nicht a
räfident: Welche Stellung hat denn MWleßlich Hervé zu der Ne-
folution in Stuttgart eingenommen?
Bebel: Zu meiner großen VBerwunderung hat er für die Rejolution
gejtimmt. Er hat zwar eine Motivierung feiner Abſtimmung in ——
Erklärung gegeben, in der er die deutſche Partei in einer für einen
Franzoſen ungewöhnlich unhöflichen Weiſe angegriffen hat, aber dieſe
Motivierung war nad) meiner Auffaſſung fehr ungenügend und mwiber-
ſpruchsvoll. Sch war anfangs geneigt, auf feine unhöflichen Neuße-
rungen namens der deutichen Partei zu antworten. Ich unterließ es
2. m ic) mir fagte: Du legft dem Herb6 vielleicht viel zu viel Be-
eutung bei.
Präſident: Ssch habe hier eine Erklärung, die Sie der Magdeburger
„Volksſtimme“ geſchickt haben. In der Magdeburger „Volksſtimme“
war ausgeführt worden, daß Sie ſich gegen Hervé gewandt hätten und
daß damit aud) der Standpunft Liebknechts, der fich dem Standpunft
Hervés nähere, ge one fei. Sie haben ſich dagegen verwahrt und er-
Tlärt, daß Dr. Lieb fnedt gar nidjts mit dem, Standpunkt Hervés zu tun
habe, und infolgedefjen Ihre Verurteilung des Hervéſchen Standpunftes
den Dr. Liebknecht nicht mitgetroffen hätte.
Bebel: Das babe id) allerdings erklärt und das iſt mein Standpunft.
Verteidiger Haaſe: Iſt es richtig, daB Liebfnecht auf dem Bremer
Barteitage erflärt hat: Da wir nicht in der Lage find, Rafernenagitation
— —
treiben au können, jo müſſen wir die Agitation in die Zeit legen, imo
uns die Geſetze nicht daran hindern.
Bebel: Zweifellos Hat er das gejagt. Ih Tann nur fagen, wir
haben bei unjerer Taktik feine Gefahren für Dr. Liebknecht befürditet,
jondern für andere, die wir nicht zum Opfer des 8 112 des Strafgefeh-
buches machen wollen. Es wäre ja wunderbar für einen Surijten, wenn
er fidh für eine Sajernenagitation erflären würde. Er fennt doch die
geradezu brutalen Urteile, die die Militärgerichte fällen, wenn bei irgend
einem Soldaten eine fozialiftiihe Zeitung gefunden wird. Die fo-
genannten Spindrebifionen find ja eine ftändige Einridytung geworben,
Verteidiger Hanfe: Und hat Herr Liebknecht nicht in Mannheim be-
tont, daß felbitverjtändlih die antimilitariftiihe Tätigkeit der Sozial⸗
demofratie fid} nur innerhalb des geſetzlichen Rahmens zu beimegen habe?
Bebel: Jawohl. =
Verteidiger Hanfe: Sie hatten alfo niemals den Eindrud, al3 wenn
— mit ſeinen Ausführungen ein hochverräteriſches Unternehmen
plane
Bebel: Bei hochverräteriſchen Angelegenheiten kann ich ja mit.
reden, da bin ic} ja wohl etwas ſachverſtändig. (Heiterkeit.) Mir iſt
Telbjtverftändlich ntemal3 der Gedanke gefommen, als ob Liebfnecht hoch—
verräterijche Abfichten habe oder durch feine Agitation Vorbereitung zum
Hochverrat betreiben wolle.
Verteidiger Hanfe: Hat Liebfneht jemals öffentlich oder Hhnen
gegenüber privatim darüber geſprochen, daß er den Plan hege, durch die
revolutionäre Aufklärung der Arbeiter in Frankreich und Deutichland
einen Angriff Frankreichs anf Deutichland anzuzetteln und dann dieſen
Angriffstrieg Frankreichs für politiihe Zimede auszunützen?
Bebel: Davon habe ich nie etwas von ihm gehört und auch in der
Broſchüre fteht meiner Anficht nad) nicht? dabon.
Liebknecht: Herr Bebel, würden Sie nicht, wenn ich Ihnen gegen-
über eine derartige Aeußerung getan hätte, gefagt haben, dab ich fofort
ins Irrenhaus gehöre?
Bebel: Wenn auch nicht in3 Irrenhaus, fo würde ich doch diefer
Auffaſſung allerihärfiten Widerſpruch entgegengejekt haben. Nach
meiner Meinung ift das ein für einen Parteigenofjen unmöglider
Standpunft.
Kiebfnedht: Nicht nur unmöglich, fondern auch kindiſch und Läppifch.
Verteidiger Haafe: Und hat Liebknecht vielleiht verfucht, die deut-
ſchen PBroletarier im Gebrauch der Waffen ſoweit auszubilden, daß fie
fie ſelbſtändig zu führen in der Lage find?
Bebel: Ein ſolcher Gedanke ift nie ausgefprodhen worden. Wenn
mir das jemand fagte, würde ich ihm allerdings erwidern: Sie gehören
ins Irrenhaus.
Verteidiger Haaje: Hat Liebfnecht Ihnen gegenüber die Yeußerung
getan, daß er die Kommandogewalt des Kaifers zertrümmern will.
Bebel: Bon der Kommandogemwalt des Kaiſers ift unter und nie-
mals ein Wort geiprodyen worden.
Verteidiger Haaſe: Liebknecht ftellt in feiner Broſchüre als fein
Programm hin: die Erziehung des Volkes zur allgemeinen Wehrhaftig-
Teit und zur Entiheidung der Frage über Krieg und Frieden durch das
Boll. Sind das nene Gedanken, die Liebknecht ausgeſprochen hat, oder
find das nicht vielmehr alte Gedanken?
- 2 —
Bebel: Diefe Forderungen Feten feit 1869 in unferen verſchiedenen
Parteiprogrammen, fie haben aljo feitbem für die ganze Partei Geltung.
erteidiger Haaſe: Gehört diefe Korderung nicht zu denjenigen
Forderungen der Soztaldemofratie, die bereit3 an den Gegenwartsſtaat
geitellt werden und die nad; Anficht der ſozialdemokratiſchen Partei ver⸗
mwirflicht werden fönnen, ohne daß der gegenwärtige Staat feinen
Charakter als Klaſſenſtaat verliert?
Bebel: Dieſe Forderung gehört mit zu unferen fogenannten nächſten
— — die nad) unſerer Auffaſſung ſamt und ſonders im heutigen
ürgerlihen Staatsweſen verwirklicht werden fönnen, ohne dab dabei
der Charakter der heutigen Staat3- und Gejellichaftsordnung weſent—
lih verändert mürde. Cine Reihe diefer, Forderungen find auch
bereit in den verfchiedenften Stanten verwirklicht worden, 3. B. die
Forderung des allgemeinen, gleichen, direften und geheimen Wahlrecht
vom vollendeten 20. Lebensjahre ab für alle öffentlihen Wahlen. Die
Forderung der Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen, die fogar
der zuflilche Zar, den Zinnländern gewährte. Das Verhältniswahlfyiten,
die Wahl der Richter und Beamten durch das Volk, die Volkswehr, d. h.
das fogenannte Milizigitem, deffen Einführung da3 monardiihe Eng-
land eben in Erwägung zieht, uſw.
Liebknecht: Iſt Ihnen befannt, daB eine Umgeftaltung der beftehen-
den Heeresorganijation nicht nur bon Sozialdemokraten, fondern auch
bon Angehörigen anderer Parteien erftrebt wird? ö
Bebel: Es haben fogar dentihe Offiziere fich für eine ſolche Um-
änderung ausgeſprochen. Ich erinnere nur an den Generalleutnant a. D.
v. d. Linde, der in einer Broſchüre ſich war für ein kleines ftehendes
Heer ausgeſprochen hat, im übrigen aber ſich mit einem Milizfyitem be-
anügen will, wie es unferen Anſchauungen entſpricht. Noch mehr find
folde Stimmen im Ausland laut geworden, fogar auf Miniiterfefieln.
Sch erinnere nur an den italienifhen Minifter Zanardelli. Dann er-
innere id) an den franzöfiichen Artilleriehauptmann Gafton Modi, der
fih ohne jede Einſchränkung für ein Milisheer ausgeſprochen hat.
Liebknecht: Gibt es in Deutfchland politifche Parteien, die, nenau
wie die Sozialdemofratie, die Entiheidung über einen Krieg dem Volfe
übertragen wiffen wollen?
Bebel: Das war früher eine allgemeine bürgerlid;-demofratiihe
Forderung, die wir in unjer Programm übernommen haben. Wir
machen auf Originalität bei unferen nächſten Forderungen in unferem
Programm, wenn wir bon den fozialen Korderungen abjehen, ich fage
wohlgemerkt joziale und nicht fozialiftiiche Forderungen, feinen Anſpruch.
Es find alles Forderungen, die die bürgerliche Demofratie ebenjo gut
geltend madyen kann wie mir.
Präſident: Angefchuldigter, Sie ſprechen in Ihrer Brofchüre von
einer Wehrlosmadhung des Volkes, was verjtehen Sie darunter?
Riebfneht: Nur von einer gleiymäßigen internatio-
nalen Wehrlosmadung! Ih dente mir diefe als Nefultat
einer inneren organiſchen Entwidelung. Nad meiner Meinung müßte
jeden Menjchen, wenn er ein Kulturmenſch ift, wenn er ein ehrlicher
anftändiger Menſch, wenn er ein „Chrift” fein will, das Blut der Em-
pörung ins Geſicht Steigen, wenn 7. B. ein Krieg zwiſchen Frankreich
und Deutſchland ausbräche. Und diefe Stimmung wird, jo erwarte und
erftrebe ich, in den Maffen des Volkes, mindeſtens des Proletariat,
immer allgemeiner und immer tiefer werden. Die Ronftatierung diejer
— 48 —
ſozialen Erſcheinung wollte ich mit jenen Worten ausdrücken. Mit einer
Armee, die von ſolcher Empörung getragen wird, kann kein Menſch einen
len führen und wenn er das legitimiertefte Kommando in Händen
ä
e.
„Bräfident: Sie nehmen aljo für fid) und Ihre Partei in Anſpruch,
darüber zu enticheiden, ob im Kriegsfalle Gehorfam geleiftet werden
fol oder nit. Sie meinen, es wäre der Fall denkbar, in dem eine
Armee nit Order zu parieren bat, fondern jagt: nein, es wäre eine
Schmach, jetzt zu folgen. Meinen Sie nicht, daß diefer Erklärung der
Soldaten gegenüber von anderer Seite Gewalt angeiwendet würde?
Liebfnedt: Für mich ift diefer Vorgang nur denkbar als Refultat
einer hiſtoriſchen Entwidelung in dem Sinne, daß die Zerfegung des
Militarismus eine allgemeine geworden it. Wenn das der Fall ift,
dann bedarf es Feiner gewaltjanen Einwirkung mehr, um einen Krieg
zu verhindern.
Präſident: Wenn nun im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit die
Anwendung der Armee nad) Maßgabe der verfaffungsmäßigen Be-
ftimmungen für notwendig erachtet wird, dann follen Ihre theoretiichen
Erörterungen auch Geltung haben?
Liebknecht: Selbſtverſtändlich vollzieht fih die organiſche Ent-
widelung in diefer Richtung noch viel rapider.
Verteidiger Hezel: ch beantrage nunmehr, auß dem Buche
Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ die Thefen 3—5 zu verlefen.
Oberreichsanwalt Olshauſen widerſpricht diefer Verlefung: Was
fol denn die Verlefung aus einem twillenihaftlihen Werk, daS vor
hundert Sahren erjhienen iſt. Im Plaidoyer fann natürlich aud) ohne
dies auf Kant zurüdgegriffen werden.
Das Gericht beihließt nad) furzer Beratung, beide Theſen zu ver-
leſen. Theſe 3 lautet:
Stehende Heere follten mit der Zeit ganz aufhören. Denn fie be-
drohen amdere Staaten unaufbörlih mit Krieg, durch die Wereitfchaft,
immer dazu gerüftet zu erfcheinen; reizen dieſe an, fich einander in Menge
der Gerüfteten, die feine Grenzen fennt, gu übertreffen, und, indem durch
die darauf verwandten Koften der Friede endlich noch drüdender wird als
ein kurzer Krieg, fo find fie felbft Urfache von Angriffstriegen, um diefe Laft
loszuwerden; wozu kommt, dat zum Töten, oder getötet zu werben in Gold
nommen zu fein, einen Gebraud) von Menſchen als bloßen Mafchinen und
erfzeugen in ber Sand eined anderen (des Staats) zu enthalten fcheint,
der fi) nicht wohl mit dem Rechte der Menichheit in unferer eigenen Perſon
vereinigen läßt. Ganz anders ift e3 mit ber freiwilligen —— vorge⸗
nommenen Uebung der Staatsbürger in Waffen bewandt, ſich und ihr Vater⸗
land dadurch gegen Angriffe von außen zu ſichern.
Theſe 5 lautet:
Kein Staat ſoll ſich in die Verfaſſung und Regierung eines anderen
Staates gewalttätig einmiſchen.
Oberreichsanwalt Olshauſen: Der Angeklagte hat im Laufe der
Verhandlungen dem Reichskanzler Fürften Bülow den verftedten Vor-
wurf des Staatsſtreiches gemacht, indem er auf eine Aeußerung de3
Fürften Bülow in dem Sifvefterbrief an den Generalleutnant v. Liebert
anſpielte. Er wollte damit zu erfennen geben, daß auch Fürjt Bülow
vor der Gewalt nicht zurüdichrede und eventuell verfafjungsmwidrige
Mittel anwende. Zur Beurteilung diefer Auffaffung des Angeflagten
bitte ich, den betreffenden Paſſus aus dem Silvefterbriefe de3 Reichs—
kanzlers, nad) dem „Reichsanzeiger“, zu verlefen.
—_- M —
Das Gericht beichließt diefe Verlefung. Der Paſſus lautet: „Ent-
gegen ber bisherigen allgemeinen Auffaffung, daß die Reaktion von der
Linken nur in Gemeinjhaft mit der Sozialdemokratie befämpft werden
Eu babe ich die fejte Weberzeugung, daß die wahre Reaktion und
die wahre reaftionäre Gefahr bei der Sozialdemofratie zu juchen ift;
auf die wildgewordenen Spießbürger der franzöfiichen Revolution folgte
der Degen Bonapartes, der fommen mußte, um da3 frangzöfiiche Vater-
land aus den Banden der Jakobiner zu befreien.”
Liebknecht: Ich möchte bemerken, daß diefe Worte im Silvefterbrief
nicht die Bedeutung der Worte eines Reichskanzlers haben, der doc)
über den Parteien ftehen follte, jondern wie aus dem gehäſſigen Ton
gegen die Sozialdemokratie herborgeht, diftiert find von dem zügellofen
Haß eines Agitators nenen die Sozialdemofratie.
Damit iſt die Beweisaufnahme geſchloſſen.
Oberreichſsanwalt Olshauſen ergreift zur
Begründung der Anklage
das Wort: Wer die Ausführungen des Angeklagten gehört hat, muß
dieſen Prozeß für eine höchſt eigentümliche Sache Halten. Der An-
geflagte hat davon geſprochen, daß gegen ihn drei fchriftliche Anklagen
vorliegen. Eine vierte Anklage entnimmt er den Aeußerungen des
Vorſitzenden und eine fünfte einem Zwiſchenruf von mir. In Wahrheit
bat er ſchon meinen Antrag auf Belchlagnahme feiner Schrift ganz
falſch charakterifiert. Es iſt ſchon ein eigentümliches Verfahren für
einen Angeflagten, der jelbit Rechtsanwalt ift, einen Antrag auf
Beſchlagnahme einer Schrift mit der Anklage jelbit zu —
Seine Schrift iſt mir vorgelegt worden von einer Seite, die ein erheb⸗
liches Intereſſe an ihr hatte, ſelbſtverſtändlich nicht von einer Privat-
perjon oder einem Geheimrat aus dem Kriegsminifterium, jondern von
einer zuftändigen Behörde und ich bin daraufhin vorgegangen, obwohl
die Schrift Schon einige Monate lang verbreitet wurde. Natürlich habe
ich den Beichlagnahmeantrag möglichft befchleunigt und deshalb nur
hervorgehoben, was dazu dienen fonnte, den Antrag zu begründen.
Aber die Stellen, die id) hervorgehoben Habe, balte ich auch heute noch
für die mefentlichiten der —— inſofern ſie die ——
der Hervéſchen Inſurrektionstaktik in Ausnahmefällen, etwa im Fall
eines Krieges zwiſchen Deutſchland und Frankreich oder bei einer Inter-
vention in Rußland ſchon jetzt zulaſſen. Damit war die hochverräteriſche
Handlung im Sinne des 8 81 gegeben. Die Anklageſchrift ſelbſt iſt jo
klar gefaßt und exponiert wie nur möglich. Die ganze Broſchüre war
angellagt, nicht etwa, al3 ob jedes einzelne Wort und jeder Sa eine
Vorbereitung zum Sochverrat enthielten. Aber der Angeklagte hat ja
ſelbſt auf den Zuſammenhang der Schrift als eine Einheit hingewieſen.
Da ich ſonach nicht in der Lage war, einzelne Teile herauszugreifen.
habe ich kurz den Inhalt der markanteſten Stellen angegeben, wobei
wörtliche Zitate in Anführungsſtriche geſetzt und meine Schluß-
folgerungen deutlich davon getrennt wurden. Nach der Inhaltsangabe
der Schrift bin ic) dazu übergegangen, eine Reſümee des ſtrafrechtlichen
Charakters zu geben. Es lautet: Troß des Inhalts diefes Scluf-
fapitels, in dem Berfaffer — den Worten nad) — ſich auf den Boden
des Gejeßes jtellt, muß man nad) dem Sefamtinbalt der Schrift die
Meberzeugung gewinnen, daß Angeſchuldigter bei deren Abfaſſung
— 45 —
darauf ausgegangen ſei, durch ihren verhetzenden Ton die bereits inner-
balb der Sozialdemofratie beitehende Abneigung gegen den ſogenannten
Militarismus bis zum fanatiſchen Haſſe zu fteigern, durch die don
ihm gegebenen Ratſchläge die allmähliche Zerjegung und Zermürbung
des militärischen Geiftes herbeizuführen, diejes alles aber nur zu dem
Bed, um nach weiterer Vorbereitung und Schulung de& dafür im
gangen jeßt ſchon reifen — insbeſondere auch nach weiterer
usbildung in den Waffen and namentlich auch in der Herſtellung
folder, gegebenenfalls — im Falle eines unpopulären Krieges —
wie nicht anders möglich unter Anwendung bon Waffengewalt gegen
die noch treu gebliebenen, noch nicht „roten“ Teile de3 Heeres diefe
niederzufämpfen und die verhaßte beftehende Militärverfaffung zu zer-
trümmern. Dabei handelt e3 fid) nicht um theoretiiche Ausführungen,
vielmehr iſt der Zweck der Schrift ein „aktuell politicher”; es handelt
fi) aber auch nicht etwa um Anregungen und Ratichläge, die für die
Fälle gegeben werden, deren Eintritt — nad) Anficht des Verfaſſers —
gar nicht vorauszuſehen ift; fie werden vielmehr gegeben für bejtimmte
Eventualitäten, deren Eintritt allerdings nicht, wie ſeitens der fran-
zöſiſchen bezw. anardiitiihen Antimilitariften für eine unmittelbar
bevoritehende Zeit in Ausficht genommen wird, wohl aber für eine
fernere und jedenfalls herannahende, ja auch für beftimmte Fälle, deren
Eintritt allerdings teils zwar nicht wahrſcheinlich ift, teil3 aber wohl
im Laufe der Beit zu erwarten ift, wie ein Krieg zwiſchen Frankreich
und Deutichland, der bei einer im Sinne de3 Antimilitarismus
günftigen Kriegsurſache wohl eine geeignete Situation ſchaffen Fönne,
weshalb der Eintritt eines ſolchen Zeitpunftes durch revolutionäre
Aufklärungsarbeit zu fürdern fein würde, Die Abfaſſung und Herbei-
führung der Verbreitung einer joldden Schrift jtellt ſich als eine ein
bochverräterifches Unternehmen — nämlich) die gewaltfame Aenderung
der ne des Deutihen Reiches — vorbereitende Handlung dar.
Der Eröffnungsbeihluß hat fich diefem Standpunkt der Anklage-
ſchrift im wejentlichen — abeallen Juriſtiſch unterliegt es alſo nicht
dem geringſten Zweifel, daß die ganze Schrift, fo weit fie den Tat-
beitand de3 $ 86 darjtellt, Gegenitand der Anklage ift. Der Angeklagte
bat von der Wunderbarfeit dieſes Prozeſſes geſprochen. So einfach wie
diefer Prozeß prozeffualifch verläuft, find wenige vor dem Reichsgericht.
Ein dünnes Aftenbündel enthält alles Material, aud) das dem Unter-
ſuchungsrichter vom Berliner Bolizeipräfidtum gelieferte. Die einzige
Wunderbarfeit könnte darin bejtehen, daß die Verteidigung dieje
Schriftitüde nicht gefunden hat. Der Angellagte hat eine ſchwere An-
ſchuldigung gegen den Reichskanzler erhoben. Erfreulicherweife ift fie
vollfommen widerlegt worden. Wer den betreffenden Abſatz des Briefes
des Reichskanzlers vom Silvefterabend an General Liebert durdjlieft,
weiß, dab darin nur eine Schilderung der notwendigen Folgen des
Treibens der Sozialdemofratie gegeben iſt. Aber der Reichskanzler, der
nad) dem Keichsbeamtengeje mein unmittelbarer Vorgeſetzter ift, —
und nad) dem Stellvertretungsgejeß vertritt ihn der Staatzjefretär im
Reichsjuſtizamt — hat ebenjowenig wie diejer etwas bon meinem ftraf-
rechtlichen Vorgehen gewußt. Die Verantwortung dafür trage id) ganz
allein. Natürlich bin ich nicht Beamter der Polizeibehörde, jondern der
Staatsanwaltihaft. Deshalb habe ih das Material nicht allein
ſammeln, jondern es mir von intereffierter Seite — laſſen müſſen.
Der Angeklagte erhob gegen uns den Vorwurf der Klaſſenjuſtiz. Das
- 6 —
muß ich entſchieden zurückweiſen. Der Angeklagte und ich gehören ja
beide derjelben Klaſſe, dem Suriftenftande an und es iſt mir nicht
bejonder3 angenehm, gegen ein Mitglied der deutfchen Rechtsanwaltſchaft
wegen Vorbereitung zum Hochverrat einzufchreiten. Auch irrt der An-
geflagte, wenn er glaubt, daß wir ihn heraußgegriffen hätten, um ein
Erempel zu ftatuieren. Da überfhäßt er die Bedeutung feiner Perfjön-
Iichfeit. Wenn mir etwas vorgelegt wird, prüfe ich e8 auf einen ftraf-
baren Tatbeftand, und nad) dem Ergebnis diefer Prüfung ftelle ich
meine Anträge Wenn zufällig ein Beamter diefe Schrift verfaßt hätte,
was ic) allerdings für unmöglich halte, fo hätte ich mich ebenjomwenig
bon der Strafverfolgung zurüdichreden lafien. Der Angeklagte bat
ferner der Anflagebehörde infinuiert, fie beabfichtige vor allem, ihn von
der Rechtsanwaltſchaft zu entfernen. Das lag mir volllommen fern.
Ich betradjte nur die ftrafrechtliche Seite, was die Yolge für den Beruf
des Angeklagten iſt, fümmert mic; nicht. Vielleicht ſchließt ihn das
Urteil ohne weiteres aus dem Anwaltsftande aus, vielleidht ift ein
weiteres Berfahren vor dem Chrengerichtshof für Anwälte notivendig.
Auch ift es mir nicht eingefallen, wie der Angeflagte behauptete, die
ſozialdemokratiſche Partei hier unter Anklage zu ftellen. Mit der Partei
babe ich nicht8 zu tun, fie intereffiert mich gar nicht. sch habe nur zu
unterfuchen, ob der Angeklagte mit feiner Schrift „Militarismus und
Antimilitarismus“ fih der Worbereitung zum Hochverrat fchuldig
gemacht hat. Sch glaube, dab ich eg mir und dem Amte, daS ich ber-
trete, jchuldig war, diefe Verdächtigungen des Angeklagten zurüdzu-
weifen. Der Oberreichsanwalt erörtert dann eingehend die juriftifchen
Vorausſetzungen der Anwendbarfeit des $ 86 unter ausführlicher Be—
ſprechung der bisher über diefen Punkt gefällten Reichsgerichtsurteile.
Er greift dabei zurücdt auf den Hochverratsprozek gegen Ferdinand
Laffalle, der gegen diejen im März 1864 vor dem preußiſchen Staat3-
gerichtshof geführt wurde und mit der Freiſprechung Laſſalles endete.
uf Grund der damaligen Verteidigungsrede Xaffalles, der die An-
Tlage gegen fi) al3 Anklage wegen Vorbereitung zur Vorbereitung des
Hochverrats Fennzeichnete, fehrieben die „Leipziger Volkszeitung“ und
„Vorwärts“, die Anklage gegen Liebfnecht jei gerichtet. Nun ſei es
ja die Mufgabe einer Anflage, gerichtet zu werden, aber doch von diejem
Gerichtshof und nicht vom „Vorwärts“. (Große Heiterkeit.) Webrigens
ergibt daS mir, hier vorliegende Urteil gegen Saljniie, daß deſſen
juriftifche Einwände nicht die Zuftimmung des damaligen Gerichts ge-
funden haben. Der Oberreichsanwalt verliejt den betreffenden Paſſus
und erörtert dann die Vorausſetzungen, unter denen das Reichsgericht
den $ 86 angewendet habe. E3 Habe verlangt die Beltimmtheit
eine hochverräteriſchen Unternehmens und dag beitimmte Inausſicht⸗
nehmen der Gewaltanwendung. Er prüft weiter, ob in der Schrift
de3 Angeflagten diefe Vorausfegungen erfüllt jeien. Der Angeklagte
felbft habe als die logiſche und pſychologiſche Konſequenz feiner Agitation
den Militärftreif und die Aktivierung der Truppen für die Revolution
bezeichnet. An einer anderen Stelle habe er, um über fein hod)-
verräteriſches Biel feinen Zweifel zu laſſen, als Endziel die vollfommene
Befeitigung des Militarismus und als Mittel zu diefem Zweck die all-
mähliche Zerfegung und Zermürbung des Militarismus angegeben. Ein
erfolgreicher Militärftreif ſolle als Folge der von ihm betriebenen Auf-
klärungsarbeit in beftimmt in Ausficht genommenen Fällen eintreten.
Ein folder Militärftreif jei an fi ja noch Feine Gewaltſamkeit, aber
notürlid, würde der Staat dagegen mit rechtmäßiger Gewalt vorgehen,
und da die Militärftreifenden fid dann nicht willenlos wie Schafe hin-
fdladjten Iaflen würden, würde das Moment der Gewalt fi ohne
weiteres ergeben. Der einzige Zweck des Angeklagten jei geweſen, in
der Jugend Haß gegen den Militarismus zu ſäen. Als Fälle, bei denen
‚diefer Haß zum Ausbruch kommen Zönnte, habe er felbit die Inter⸗
bention in Rußlarıd und den Krieg zwiſchen Deutichland und Franf-
teih als in abjehbarer Zeit möglich ins Auge gefaßt. In der Tat
inne niemand, der fi) der Situation im Frühjahr vorigen Jahres
erinnere, leugnen, daB ein Krieg mit Frankreich zu den realen Mög-
lichkeiten gehört, jo günstig aud) die augenblikliche Situation jei. In
der Schrift ſtehe zwar, daß der ungünitigite Beitpunft zu einer rebolu-
tionären Aktion die Zeit des Ausbruches eines Krieges jei. Das fei
aber offenbar ein Drudfehler, denn nad; dem ganzen Zujammenhang
müfle es heißen: der günſtigſte Zeitpunkt. In dem Sfapitel über die
Waffentechnik habe der Angeklagte dann ausdrüdlid das Proletariat
aufgefordert, jid) in der Heritellung und Verwendung der Waffen zu
üben, fo daß über die Abjicht des Hochverrats und die Gemwaltjamkeit
feiner Mittel fein Zweifel beitehen fünne. Was die Frage des Straf-
maßes anbetreffe, jo lautet zwar Abjat 2 $ 86 auf mildernde Um⸗
ftände, Davon fönne aber beim Angeklagten nicht die Rede jein. Gewiß
ſei jeine Schrift nad ihrem Umfange und nad) ihrer Schreibweife nicht
geeignet, agitatoriſch unter den Arbeitern zu mwirfen; aber das ſei dem
Angellagten vielleicht nicht einmal zum Bewußtfein gefommen. Es war
zweifellos feine Abjicht, eine möglichſt große Maffe des Volkes zu be-
einfluffen. Im übrigen fegte der $ 86 Strafen von einem bis zu drei
Jahren Zuchthaus oder Feſtungshaft aus. Es iſt nun eine eigentüm-
lihe Sadjlage, daß der 8 20 des Strafgeſetzbuchs beſtimmt, daß die
Zuchthausſtrafe nur dann verhängt werden fönne, wenn feftgeitellt ift,
daß die Handlung aus ehrlofer Gefinnung entiprungen fei. Gegen die
Einführung dieſes Paragraphen in das Strafgeſetzbuch hat jeinerzeit
der damalige preußiihe Suitizminifter Leonhard lebhafte Einfpradje
erhoben, weil dadurch in Wahrheit die Feſtungsſtrafe an die erite Stelle
rüdte und das Zuchthaus nur fubfidtär bei ehrlojer Gejinnung an-
wendbar wurde. Aber Leonhard hat ſich ſchließlich mit diefer Be-
ftimmung abgefunden und dann ausgeführt, dab gewiſſe Handlungen,
namentlich im Kriege der Hochverrat, für einen Deutfchen ohne weiteres
ehrlog find. Dielen Ausführungen hat damals der gejamte Reichstag
ge mu Ich habe Feine Bedenken, hier zu fagen, daß die Handlung
8 Angeflagten ehrlos ift, weil er, ein Mann in reiferen Sahren, ein
Juriſt, der jelbit früher den Waffenrod trug und noch jegt im Militär-
verhältnis jteht, nicht in diejer Weile gegen den Militarigmus hätte
hegen dürfen. Danach würden die Konjequenzen zu ziehen fein, daß,
wenn da3 hohe Gericht den Angeklagten für jchuldig hält, auf eine
Zuchthausſtrafe zu erfennen iſt. Wohl weiß id), dab der Vater des
Angeklagten und der Abgeordnete Bebel wegen Vorbereitung zum Hoch—⸗
verrat jeinerzeit bier in Leipzig zu Feſtungsſtrafe verurteilt worden
find. Sch will aber nicht nachprüfen, ob diejeg Urteil milde oder hart
war. Nach meiner Weberzeugung verdient der Angeklagte da3 Zucht-
haus, fobald das hohe Gericht die Weberzeugung von feiner Schuld
gewonnen hat. Strafverihärfend, kommt in Betracht die Gehäffigfeit
der Agitation des Angeklagten, die ſich nicht größer denken läßt, und
die Gefährlichkeit jeines Unternehmen?. Deshalb beantrage ich eine
— Be
Zuchthausſtrafe von 2 Jahren, den Verluft
der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre
und Unbrauchbarmachung der Schrift in ihrem ganzen Um—
fange. Weiter beantrage ich, wenn der Gerichtshof auf dieſe Zuchthaus⸗
ſtrafe oder überhaupt auf eine längere Strafe erkennt, den Angeklagten
ſofort in Haft zu nehmen. Zwar wird das Urteil fofort rechtskräftig,
id) kann aber nicht eher einſchreiten, als ich nicht die Ausfertigung des
Urteils in Händen habe. Ich kann nicht darauf verzichten, fofort MaB-
. nahmen zu ergreifen, mid; des Berurteilten zu verſichern.
Liebknecht: sch bitte ums Wort. Soeben iſt mir folgendes Tele-
gramm Hervés zugegangen:
Je n’ai jamais éorit cette anerie (Liebknecht et moi nous suffisons
pour dötruire l’id6e de patrie); envoyez moi l’articlo gazette voss. Bonne
chance. Gustav Herve, 89 rue vaugirard, Paris.
Deutſch: Ich habe niemals dieſe Efelei gejchrieben (Lieblneht und ich
genügen, um die Vaterlandsidee zu zerftören). ickt mir den Artikel aus
der „Voſſiſchen Zeitung“. Viel Glüd.
Guſtav Hervé, 89 Rue Vaugirard, Paris.
Hierauf tritt die Mittagspaufe ein.
Nach Wiedereröffnung der Sigung erhielt das Wort zum Plaidoyer
Verteidiger Hanfe:
Sie alle find geitern mit geipannter Aufmerffamfeit der Vorleſung
der inkriminierten Schrift gefolgt, und wer von Ihnen nicht etwa bereits
durch den Afteninhalt beeinflußt war, muß den Eindrud
gewonnen haben, daß diefe Schrift eine ernfte wiſſenſchaftliche Arbeit
it, die nichts Strafbares enthält. Die Ausführungen des Oberreids-
anwalts haben diejen Eindrud nicht zu verwiſchen, geſchweige denn zu
zeritören vermocht. Er jah ſich genötigt, einen großen Zeil feines Plai-
doyer3 auf feine eigene Verteidigung zu verwenden. Es iſt ihın aber
nit gelungen, etwas Weſentliches zu feiner Nechtfertigung vorzu-
bringen. Er fann den Vorwurf, daß er den Inhalt der Brofchüre falſch
dargeftellt hat, nicht entfräften. Er, hat nit nur, wie er behauptet,
die marfanteiten Stellen der, Brofchüre herborgehoben, fondern er hat
willkürlich Zufäge gemacht, für die in der Broſchüre nicht der geringite
Anhalt gegeben iſt. Es iſt richtig, daß er in der Anklageſchrift einen
Teil der infriminierten Broſchüre wörtlid wiedergegeben hat. on
er dann aber in indirefter Rede fortfuhr, jo erforderte es die einf
Pflicht, ein getrenes Bild von dem zu liefern, mas der Angeklagte ut
lich efjrichen hat. Der Oberreichsanwalt hat dagegen nicht bloß die
Ausführnngen des Angeklagten verzerrt, fondern ein reines Phantafie-
gebilde entwickelt, und obendrein den Schein erwedt, als ob es vom An-
gellagten jelbjt herrührte.
Ich hatte erwartet, daß er dieje feine Schöpfung preißgeben und
ſich our den Boden der Tatſachen ftellen würde. Zu meinem Erftaunen
hat er jedoch geitern angefündigt, daß er alle feine Aeußerungen auf-
recht erhalte. Damit erwuchs ihm die Aufgabe, den Beweis zu liefern,
daß die von dem Angeklagten beitrittenen VOL PUDDER. wirklich in
der Brofhüre enthalten ſeien. Er hat indes auch nicht den leifeften
Verſuch dazu gemacht, diefen Nachweis zu erbringen, — — er doch auch
ſcheitern müſſen an dem klaren Wortlaut der Schrift ſelbſt
- 9 —
Was hat aber der Oberreichsanwalt alles dem Angeklagten
imputiert? Ä
Sn dem Antrage auf Beihlagnahme der Broſchüre wird es als
das Ziel des Angeklagten Hingeftellt, einen Angriff Frankreichs anf
Deutſchland durd die reuofutionäre Anfllärnngsarbeit der Sozialdemo⸗
Traten beider Länder zu fürdern.
Es wird darin dem Angeklagten die ungeheuerliche Abficht zu-
gefchrieben, durch Anzettelung eines Angriffs Frankreichs auf Deutjch-
land und die davon erwärtete Revolutionierung der Maſſen den Sturz
der Reichsverfaſſung herbeizuführen.
Wie war e3 nur möglid, eine folde Behauptung aufzuftellen?
Wer auch nur oberflächlich die Schrift de3 Angeklagten lieſt, wer, aud)
nur eine dunfle Ahnung von den Beitrebungen der Sozialdemofratie
bat, der kann unmöglich dem Angeflagten den Wahnmwiß zutrauen, einen
Angriff Frankreich auf Deutichland anzetteln zu wollen. Iſt doch die
Sa des Angeklagten vom eriten bis zum legten Wort
der Aufgabe gewidmet, den Krieg — namentlich unter
Kulturvölfern — unter allen Umftänden unmöglih zu maden.
Er iſt bemüht, die volle Kraft des Proletariat3 zu diefem Zweck zu ent-
falten. Sa, jeine Schrift ift geradezu durdtränft von dem Beitreben,
Die Kriege zu verhindern. Wie fann man ihm nad feinen politischen
Anfchauungen, on öffentlihen Auftreten, dem flaren Inhalt feiner
Broſchüre jenen abfurden Gedanken zumuten? Den Schlüffel zur Löſung
dieſes Rätfſels liefert wohl die Entftehungsgeichichte der Anklage, die
der Oberreichganwalt heute ſelbſt enthült hat. Die amtliche Perfön-
Tichfeit, die — nad) feiner eigenen Darftellung — ihm die Broſchüre
des Angeklagten vorgelegt und ein erhebliches Intereſſe an der Ber-
folgung de3 Angeflagten befundet hat, muß ihn geradezu hypnotifiert
und ihm dadurch die Ueberzeugung beigebradht haben, der Angeflagte
ſei ein Hochverräter. Jetzt gilt es, den Tatbeitand für das Verbrehen
- zu finden, defjen die amtliche Rerfönlichfeit dem Angeflaaten zieh. Nach
dem entjhiedenen Protejt, den der Angeklagte in der VBorunterfuhung
gegen die ihm zugefchobene Abſicht einer Anzettelung de3 Krieges er-
hoben bat, ijt diefe Unterſtellung aus der Anklageſchrift verſchwunden,
um heute eine fhüchterne Auferftehung zu erleben.
Dagegen hat die Anklagefchrift andere nicht minder „munderliche”
Behauptungen aufgeitellt. So foll der Angeklagte gefchrieben haben:
Die Zeit zur Bejeitigung des Heeres fei nahe heran-
gelommen. .. aber ſteht in der Broſchüre aud nur
etwas Aehnliches? Nirgends eine Andeutung. Das Gegenteil
ift vielmehr die Auffaſſung des Angeklagten. Er fieht die Befeitigung
Des Heeres erft in weiter Ferne Er jdreibt ausdrücklich
Geite 104:
„Das leßte Ziel des Antimilitarismus ift Befeitigung bes
Militarismus, das heißt: Bejeitigung des Heeres in jeder Form,
mit der dann notwendig alle die gefennzeichneten fonftigen Erſcheinungen
des Militarismus fallen, die fih im Grunde nur als Nebenwirfungen der
Grifteng des Heeres darjtellen. Der Mantel fällt, der Herzog muß nad.“
Dann diejes letzte Ziel erreicht werden kann, darüber hat fich der
Angeflagte mit aller Deutlichfeit S. 112 ausgeſprochen:
„Indeſſen betrachtet die Sozialdemokratie, entjprechend ihrer Auf-
faſſung vom Wefen des Militarismus, die völlige Befeitigung
des Militarismus allein für unmsglich: nur mit
4
— u —
dem Kapitalismus — der lebten DET ZETROERaUNg —
zugleich fann der Militarismus falle
In Uebereinftimmung mit diefem Gedanfengang bat der Angeflagte
©. 45 ausgeführt:
„Der Militarismus ift eine Erbfjünde des Kapita-
Lismuß, die zwar bie und da der Beſſerung zugänglich ift, von ber
ihn aber erft da8 FKegefeuer des Sozialismus läutern wird.“
Es it alfo nicht wahr, daß der Angeklagte jemals geäußert hat, die
Zeit zur Bejeitigung des Heeres ſei nahe herangefommen.
Ebenſo phantaſtiſch ift die Behauptung der Anklageſchrift, daß der
Angeklagte bei Abfaffung der Schrift darauf ausgegangen fei,
„nach weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen fon jeßt
reifen Proletariats, insbefondere auch nad) weiterer Ausbildung in den
Waffen und namentlid au in der Herftellung folder, gegebenenfalg —
im alle eine unpopulären Krieges — wie nicht ander8 möglid unter
Anwendung von Waffengewalt gegen die noch treugebliebenen, noch nicht
„roten“ Teile des Heeres dieſe niederzufämpfen und die verhakte be—
ftehende Militärverfaflung au zertrümmern.“ e
Auch) diefer Gedanke iſt in der Broſchüre nicht enthalten; nichts
dabon, feine Spur. Er ijt einfach hineinphantafiert worden.
Der Oberreichsanwalt hat aber heute wenigſtens verraten, welche
Stelle der Brojhüre dazu — gebraudjt worden iſt, um jene „Wunder-
lichkeit” zu Eonftruieren. In dem Abſchnitt „Entitehung und Grund-
lagen der geſellſchaftlichen, Herrſchaftsverhältniſſe“, in dem aſcharaue
theoretifche Ausführungen über die Bedeutung der Waffentechnif in den
seh felfchaftliden Kämpfen gegeben werden, fommt daS Wort
Baffenerzeugung” vor. Das genügt dem Oberreichsanwalt.
um daran jene Gedanfenfette zu jchließen, die fich freilich in nichtS mit
den Ausführungen des Angeklagten berührt. Der Oberreichsanwalt hat
heute jelbit die Stelle zitiert. Sie lautet:
„Die gleihmäßige Bewaffnung der gefamten Bevölferung kann
aber nur dann eine dauernde und unentziehbare fein, wenn die Waffen-
erzeugung Sfelbft Allgemeingut iſt.“
Konnte der Oberreichdanwalt ein bemweisfräftigere Argument an-
führen, um ſich jelbit zu ſchlagen? Freilid im Sandumdrehen
madt er aus dem Allgemeingut der Waffenerzeugung:
die Ausbildung des Broletariat3in der Herftellung
der Waffen Er ſchloß fein Zitat mit der Bemerkung: „Dieſe
Worte fönnen gar nicht mißverftanden werden.“ Das ift richtig. Sie
beweijen Elar, daß der Oberreichganmwalt dem Angeklagten etwas nad)-
gejagt hat, was diefer aud) nicht im entfernteften ausgeiprodhen hat.
Ganz zu ſchweigen von der Behauptung, daß der Angeflagte darauj
ausgegangen jei, die noch treu gebliebenen Teile de3 Heeres durch das
Proletariat niederzufämpfen. Der Oberreichsanwalt hat nit eine
Sinaige Stelle anführen fünnen, in der auch nur ein Wort davon bor-
omm
Was der Angeklagte in dem zitierten Abfchnitt will, da3 wäre
wohl jelbit dem Oberreichsanwalt klar geworden, Dan. a nidt an
der enticheidenden Stelle zu Iefen aufgehört hätt
Der Angeklagte jchließt nämlid) den Abichnitt (©. 9 mit den
Worten:
„Und in der Tat können wir bamit rechnen, daß, menn aud in einer
fernen Zufunft, die Tednif, die leichte Beherrſchung der ge—
— 51 —
gewaltigſten Naturkräfte durch den Menſchen, eine Stufe erreichen wird, bie
eine Anwendung der Mordtehnit überhaupt unmöglid
madt, weil fie Selbftvernicgtung des Menſchengeſchlechts bedeuten mürde.”
Der Angeklagte eröffnet alfo nur eine ferne Zukunftsperſpektive,
in der aber nicht ein Teil des Volkes den anderen mit Mordwaffen
überwältigt, jondern jede Mordtechnik überhaupt unmöglich ge-
worden it.
Diefe Ausführungen beweifen, mit mwelden Mitteln die
Anftlagebehörde gegen den Angeflagten arbeitet.
Heute erklärte der Oberreichsanwalt, es beftehe nicht der geringite
Zweifel, dab die Anklage rechtlich feit begründet jei. Das
Gefühl der Rechtsgewißheit ift ihm jedoch erft allmähli im Laufe
de3 Verfahrens gefommen.
Mit einer leichten Handbewegung glaubte er heute die Laſſalleſche
Verteidigungsrede abtun zu können. Aber es iſt kein anderer wie
der Oberreichsanwalt ſelbſt, der die Rechtsauffaſſung Laſſalles über
die Aufforderung zur Vorbereitung eines hochverraͤteriſchen Unter-
nehmens nod vor kurzem für den egelfall gebilligt ne Er ſchreibt
nämlich: „Zunächſt ift zuzugeben, daß eine Aufforderung zur
Bornahme einer ein hochverräteriſchees Unter-
nehbmenporbereitenden Handlungregelmäßignod
nicht eine ftrafbare Borbereitungshandlung enthält.” Ich
zitiere wörtlich aus dem Antrage des Sberreichgantvaltg auf Beichlag:
nahme der Liebknechtſchen Broſchüre. Nun verſucht zwar der Ober-
reichſsanwalt an der ſelbſt aufgeftellten Regel eine Ausnahme zu fon-
ftruieren, die dann gegeben jein joll, wenn die Aufforderung „die Ent-
faltung einer jelbitändigen Tätigkeit zur Verwirklichung des hoch»
berräterifchen Unternehmens daritellt“. Für dieje gewundene Kon-
ftruftion iſt im Gejege fein Anhalt; und die Unterfcheidung zwifchen
der, Aufforderung als jelbjtändiger und unjelbftändiger Tätigfeit ift
logiſch unhaltbar. Denn jede Aufforderung zur Vorbereitung
eine3 Unternehmens ift al3 Willensaft eine jelbjtändige
Tätigkeit und im Verhältniszurrealen Borbereitung3-
bandlung ftet3 eine unjelbfjtändige Tätigfeit.
Die Laffalleihe Auffaſſung iſt jomit aud) vom Standpunkt des
Oberreich3anwalt3 aus unangreifbar. Daß einige Theoretifer mit
Zajlalle nicht übereinftimmen, ift richtig. Ich beitreite aber mit aller
Entſchiedenheit, dat das Reichsgericht bereit3 in den vom Oberreichs⸗
anwalt angeführten Fällen zu diefer Frage Stellung genommen hat.
Die dom Reichsgericht bisher abgeurteilten Fälle waren ganz anders
gelagert. In der Band 8 der Rechtſprechung abgedrudten Entjcheidung
handelt es fih um ein nod) nicht verbreitetes Plakat, in dem zur un-
mittelbaren Ausführung eines MODEL ae 1ER Unternehmen auf-
gefordert wird. Und in Band 5 der Entiheidungen liegt der Fall
jo, daß eine Reihe von Perſonen an der Bildung einer Gruppe teil-
genommen hatte, deren Aufgabe es jein jollte, die Verfaffung zu ftürzen.
In beiden Fällen jtand aljo nicht die Aufforderung zur Vor-
bereitung eines Unternehmens in Frage. Um diefe aber handelte
es fih in dem Laſſalleſchen Prozeß.
Nah dem Syitem unjeres Strafgefegbuchs fann man zu feinem
anderen Rejultat gelangen, wie zu dem, dab die Aufforderung zur
Vorbereitung eines hochverräteriſchen Unternehmens nicht unter den
8 86 geftellt werden Tann. Die 88 80 bis 82 beichäftigen ſich mit
48
— —
dem vollendeten Hochverrat, die 88 83 bis 86 mit der Vor⸗
bereitung eines hochverräterifchen Unternehmend. Die 88 83
bi3 85 behandeln jpezielle Fälle der Vorbereitung; der $ 85 enthält
den Spezialfall, daß öffentli vor: einer Menjchenmenge oder durch
Verbreitung oder öffentlichen Anſchlag oder öffentliche Austellung von
Schriften oder anderen Darftellungen zur Ausführung eines hoch-
verräterifhen Unternehmen? aufgefordert wird. Wenn im Anſchluß
daran der 8 86 fortfährt: „Jede andere ein hochverräteriſches Unter-
nehmen vorbereitende Handlung wird . . . . beitraft”“, fo kann dies
nad dem Wortlaut und logiſchen Zufammenhang lediglich bedeuten,
daß der 886 nur ſolche Vorbereitungsafte umfaßt, welche
in den vorhergehenden Beftimmungen nicht fhon
ausdrüdlid hervorgehoben jind Für den 8 86 ift dem-
gemäß in Fällen wie dem vorliegenden fein Raum.
Der Herr Oberreichsanwalt hat fi) für feine von ihm heute vor-
getragene Anfiht auf den Profefjor van Calker berufen. Er hätte
aber auch das jehr bemerfenswerte Urteil hinzufügen follen, das dieſer
Profeſſor an derjelben Stelle über den 8 86 fällt. Er bezeichnet ihn
nämlich al® „ein jhlimmes Ueberbleibfel aus der Zeit
einer möglichſt weiten Wusdehbnung deserimenlaesae
majestatis. Einem fo ſchlimmen Weberbleibfel gegenüber haben
wir aber erjt recht die Pflicht, feine Kriterien ſcharf zu umgrenzen.
Bei einer Beiprechung der Calkerſchen Arbeit in Nr. 18 der „Deutihen
Suriften-Beitung“ hat vd. Trentlein-Moerdes gefordert, daß die Ber-
bindung zwiſchen der zu beftrafenden Vorbereitungshandlung und
dem hochverräteriſchen Unternehmen jelbit ftraffer und enger
gefnüpft werde. Welches ift aber das Band zwiſchen
dem dem Angefllagten Liebknecht unterftellten
hochverräteriſchen Unternehmen und feiner Bro-
ſchüre, feinem angebliden Borbereitungsaft? Es
fehlt diejes Band vollitändig. Der Fall des Angeklagten Liebknecht
liegt ganz anders wie irgend ein Fall von Hochverrat, der jemals die
Gerichte beihäftigt hat, anders, wie der Fall Johann Jacobh, Laſſalle,
Bebel-Liebfnedt. Wozu hat denn der Angeklagte in jeiner Brojchüre
aufgefordert? Er wünſcht, daß proletarifhe Sugend-
organijationen gegründet werden — etwas durchaus
Zegales. Allerdings hatte ich bei den Ausführungen des Oberreidjs-
anwalts die Empfindung, dat er ſchon die Gründung folder Jugend-
organifationen als ein moraliiches Verbrechen anfieht, für das er in
diejem Prozeß den Angeklagten auch ſtrafrechtlich verantwortlich machen
will. Tatſächlich ſtehen die Jugendorganiſationen auf
geſetzlichem Boden; die Aufforderung zu ihrer Ausbreitung
iſt alſo erlaubt. Der Angeklagte verlangt ferner, daß ſich ein Partei—
tag mit der Einſetzung eines Zentralausſchuſſes aa
der die antimilitariftiihe PBropaganda leiten ſolle. Somohl die Er-
örterung einer ſolchen Einrichtung auf einem Parteitag, wie ihre Ein-
richtung jelbit find geſetzliche Alte Die Sugendorganifationen
jolen ihre Mitglieder mit Klaffenbemwußtjein erfüllen und
in einem dem Militarismus feindlidhen Geijt erziehen.
Auch das ift eine gejeglih erlaubte Betätigung. Der
Zentralausijhuß fol die im Kapitel 7 der Liebknechtſchen Brofchüre
enthaltenen Aufgaben erfüllen, namentlich das zur Beurteilung des
Militarismus wichtige Material fortlaufend ſammeln, fichten und
— 38 —
ſyſtemati ſch bearbeiten. Auch dieſes iſt eine auf dem Boden der Geſetze
fi vollziehende Tätigkeit. So find es lauter gejeglide
Aftionen, die der Angeflagte gefordert hat.
... Aber es fönnten vielleicht einmal in Zufunft bei einer eigenartigen
hiftorifchen Konitellation in Ausnahmefällen Arbeiter, die in den
Sugendorganifationen gebildet worden find, als Soldaten Militärftreif.
perüben. Für diejen ungewilfen Fall wird fchon jetzt der Angeklagte
13 Bochverräter verantwortlich gemacht. Die Aufforderung zu der
\ongerr Reihe geſetzlicher Aktionen, die er borgeichlagen hat, wird als
Zorbereitung zu dem eventuellen Militärftreif geitempelt, zu dem der
Angeflagte nirgends auffordert.
„VBergegenwärtigen wir uns doch an einem Beijpiel, zu welchen un-
erträglichhen Konjequenzen diefe Auffaffung führt. In Rußland treten
eme Mrızahl Perſonen zufammen und regen die Gründung eines
Komitees an, da3 ſich mit der Errichtung von Volksſchulen beſchäftigen
fol, irt Welchen die Kinder des Volkes in freiheitlihem Geifte erzogen
werdere Sollen. Sollen denn, wenn fpäter einmal Kinder, die aus
dien Schulen hervorgegangen find, im Kampf mit dem Abjolutismus
zur Arurmendung von Gewalt getrieben werden, die Anreger der Schul-
undurngen Hochverräter im Sinne unferes Strafgefeßbuches jein?
‚Der $ 86 iſt völlig uferlos, wenn bier nicht ein feiter Damnı
errich tet mir.
— Ber mag man die rechtlichen Grenzen dieſer Strafvor-
Hift n oh fo weit ausdehnen: troßdem und alledem muß
eme Treifprehung erfolgen, weil die tatfählihen Boraus-
tun gen der Strafbarfeit nicht vorhanden find.
Der Angeklagte fol den Zweck verfolgt haben, Die Heeres-
ber f a ſſung gewaltjam zu ändern.
e wiß hat der Angeflagte den Wunſch, unjere
Bes Te Sperfafjung zu Ändern, daß ftehende Heer und in
ter Dinie das Heer überhaupt abzuſchaffen. Darüber hat er nie
ft 5 3%ieifel gelaſſen. Aber diejes Ziel zu erftreben, für e8 zu fämpfen,
N e ın gutes Redt, das ihm niemand berwebhren
pilt , da er es auf verfaſſungsmäßigem, gejeglihem Wege erreichen
ha; 5 Mus den Ausführungen des Oberreichsanwalts lang e8 immer
beit er Heraus, ala ob es jchon Hochverrat wäre, überhaupt an der
efebenden Heeresverfaſſung zu rütteln. Aus diefem Grunde habe ih
= „Zum ewigen Srieden“ vorlegen laſſen, um nachzuweiſen, daß
ſch ar SRant im Präliminarartifel 3 den Smperativ aufitellt: „Stehende
= re Tollen mit der Zeit ganz aufhören.” Kant weist nicht nur auf
ie Se abr hin, die dem Frieden aus den unaufhörliden Rüftungen
nDd auf die drücenden Laften, jondern er bezeichnet auch den
ch der Soldaten als bloßer Mafchinen und Werkzeuge in der
ge Des Staates al3 unvereinbar mit dem Recht der Menjchheit
in nlerer eigenen Perſon. Die Sozialdemokratie befindet fi) alfo
Se er Gefellichaft, wenn fie ihrer tiefen Abneigung gegen da3 ftehende
Ausdruck gibt.
aufg T Ungellagte hat dem Militarismus den Krieg bi
Oberre; DL eier angefagt. Ich darf wohl annehmen, daß auch der
hat e eichs anwalt diefen Ausdrud nur bildlich aufgefaßt hat. Dennoch
SH F Die Schale feines Zornes über den Angeklagten ausgegoſſen.
Sech en ra aber der Kampf gegen den Militarismud
rüh Otte n? Darf an dem Militarismus nidt ge-
tt werden?
— ;* (BE
Der Militarismus umfaßt einen ganzen Komplex von Gedanken
und Gefühlen jowie von Einrichtungen, die in diefer Gedanfen- und
Gefühlswelt ihre Stüße haben. Wandelt fich das Denfen und Fühlen
in antimilitariftifher Richtung, fo verlieren e militariſtiſchen Ein-
richtungen ihre Stüße. Der Angellagte hat ©. 34 feiner Brofchüre
das Syitem der Umflammerung der ganzen Gejellihaft durch den
militariſtiſchen Geiſt und die militariftischen Einrichtungen gejchildert,
und mit glühendem Eifer bat er an diefem Syſtem leidenſchaftlich Kritik
geübt. Der Oberreichsanwalt hat ihm Fanatismus zum Vorwurf
gemacht. Aber ohne einen folden Fanatismus“ ift noch nie eine
durdhgreifende Aenderung in den Staatseinrichtungen herbeigeführt
worden. Es ſollte der hochfliegende Idealismus anerkannt werden, mit
dem der Angeklagte den Kampf gegen die von ihm als freiheits- und
tulturfeindlich empfundenen Einrichtungen aufgenommen hat. Es ijt
nit nur das gute Recht, fondern infolge feiner Ueberzeugung
jogar die moraliſche Pflicht des Angeklagten, der proletarifchen
Sugend nad Kräften das Rüftzeug zu ſchaffen, das die nl
befähigt, auch troß des Militarismus enticheidend einzumirfen auf d
Rt »foziale und politiihe Umgeftaltung unferer ——
ordnun
Die Anfichten des Angeklagten os dem Oberreichsanwalt nicht
gefallen, aber das gibt ihm Fein Recht, diefe Anſichten
unter Anflage zu ftellen.
Dean bat verfuht, den Angeklagten in Gegenſatz zur jozial-
demofratiihen Partei zu ſtellen. Daß er nicht Anhänger Herpes ift,
iſt Schließlich zugegeben worden, nachdem feine entichiedene Kritik der
Hervéſchen Anihauungen im Bufammenhang verlefen worden mar.
Er beginnt das Schlußkapitel feiner Schrift mit den darakteriftiichen
Worten: „Der antipatriotifhe Antimilitarismus bat in Deutid-
Iand feinen Boden und wird feinen Boden finden.“
Dennod) ift ein von dem Angeklagten für die „Junge Garde“ verfaßter
Rekrutenabſchied geftern herangezogen und in Pa zu einem
Artikel des „Pioupiou“ geitellt worden. Aber beide haben mit-
einander niht3 gemein wie die äußere literarijde
Form. Innerlich find fie grundberfhieden voneinander, wie der
Standpunkt des Angeklagten grundverſchieden ift bon demjenigen
Hervés. Man hat geitern darauf dem Angeklagten vorgehalten, dab
er in feiner Brofhüre von der Refolution Vaillant gejagt hat, fie jei
„in ihren Grundzügen gut und braudibar“. Das bedeutet ja aber,
daß der Angeklagte ihr inden Einzelheiten nicht zugeftimmt hat.
Dan hat gegen den Angeklagten daraus ein Argument herzuleiten
verſucht, daß ihm auf mehreren Barteitagen die Führer feiner
Partei, die Abgeordneten Bebel und v. Bollmar, entgegen-
gegengetreten find Ich weiß zwar nicht, welche rechtliche
Bedeutung diefer Tatſache für den Prozeß beigemejjen werden foll.
Aber es ijt geftern Flargeitellt worden, daß Bebel und Vollmar
ebenfo entidiedene Feinde des Militarismus ſind
wie der Angeflagte In der geftern verleſenen Rede führt
Vollmar aus, daß er ed für das wirffamfte Rampfmittel gegen den
Militarismus betrachtet, in die Arbeiterjugend die ſozialiſtiſche Welt-
anſchauung zu verpflanzen. Der Gegenjag zwiſchen ihm ſowie Bebel
und dem Angeflagten reduziert fih auf eine Berfhiedenheit der
taftifhen Auffaſſung über die beſte Methode zur Bekämpfung
ia
des Deilitarismus. Bebel und Vollmar halten eine ſpezielle anti-
militariftifhe Propaganda, ingbejondere durch die Sugendorgani-
fationer, für taftiich fehlerhaft. Aber auch der Angeklagte hat jtets,
jopoHL in der Broſchüre als auch auf den Parteitagen, mit Entidjieden-
beit erFflärt, daß fid) die Propaganda auf dem Boden des Geſetzes
haften zwiifle. Er bat deshalb ſchon auf dem Barteitage in Bremen
die Ra Ternenagitation für Deutjhland verworfen.
Ebenſo erflärt er in feiner Brojdjüre ©. 124 bei Beiprehung der
KRIopaganda-Mittel und -Sormen, e3 fei ala ſelbſtverſtändlich poraus-
augen, „daß die geſetzlichen Grenzen innegebalten
werdert „Tollen, jo daß die Frage einer Propaganda im Heere
ſelbſt Hier von vornherein au3zujdeiden hat“. Wenn
demgegerrüber der Oberreichganwalt den Mut gehabt hat, dem An-
gellagterı vorzuwerfen, daß er nur die Maske der Geſetzlichkeit vor das
Geſicht genommen habe, jo — glaube ich — würde ich mein Verhältnis
zum Mrıgellagten völlig verfennen und ihn geradezu beleidigen, wenn
id daranıf auch nur ein einziges Wort erwiderte.
Die Tatſachen ſprechen eine zu deutliche Sprache. Auf dem Partei-
tage irı Ssena hat der Angeklagte ebenjo wie in Bremen ausdrüdlich
gefordert, daß die gefeglihen Schranfen beadtet werden,
und er Legründet jeinen Antrag mit dem Verlangen, „einer fried-
idern fulturellen proletariich-fozialiftiihen Entwidelung die
Wege 311 ebnen“.
‚Des gleichen äußerte er auf dem Parteitage in Mannheim, als
er die Simiegung eines Jugendausſchuſſes beantragte: „Selbftverftändlich
gdenfern wir uns forgfältig innerhalb des gejegliden
Rab rar en zu halten.“
. SSraemmer wieder vertritt der Angeklagte diefe Auffaffung aud in
feiner Broſchüre. Seite 15 führt er aus: „Die Agitation wird
nirgends direft oder indireft zu militärifhem
ung e H orfam auffordern dürfen.” Nur, „wo die Geſetze es
sul fa TI Ten“, follen die Sauptträger der Propaganda der Augend-
are tionen fein (S. 125). Rekrutenabſchiede und andere Demon-
Ra Toren jollen nur ftattfinden, „wo fie zuläffig ſind“. Die
„niereffen der Soldaten und Unteroffiziere follen „in geſetzlich
um £ zu beanftandender Weife“ vertreten werden. Die
nießumg eines Zentralausihufles wird S. 126 gerade damit be-
gundet, Haß nur fo die vorfidhtige Ausnugung aller gefek-
den YIgitationsmöglidfeiten geſichert werden Fann.
d ann der Borfak, den Boden des Geſetzes nicht zu verlafien,
e Diber in die Erjcheinung treten? Der Angellagte hat Ihnen heute
= er Band des literarischen Teftaments Friedrich Engels klar gelegt,
Stondı Don jeinen politifhen Anſchauungen aus gar feinen anderen
ei Punft einnehmen fann: gedeiht doch die Sozialdemokratie aus-
ge net auf dem Boden der Gefeglichkeit.
Anger. = Oberreichsanwalt entichlüpfte heute die Bemerkung, daß der
fig aur gte bei Abfaffung der Schrift wohl das Beitreben gehabt habe,
Beitrer Den Boden des Gefetes zu ftellen. Hatte der Angeflagte diefes
bei Ab er — und von ihm ift er, wie id) dargetan habe, in der Tat
Die © faffıung feiner Schrift geleitet worden — fo ift e8 unverftändlic;,
aufgen, arın in jeiner Vorſtellung au nur „eventuell“ den Willen
nomrrren haben ann, Hochverrat zu berüben.
— 56 —
Wie will man dem Angeklagten nachweiſen, daß er eine gewalt-
Tame Nenderung der Heeresverfaffung mit feiner Brofchüre bezweckt
babe? Der Angeflagte hat es beitritten, und nichts berechtigt, in feine
Worte Ziveifel zu jegen. Schließlich wird auch der Oberreichsanwalt
dem Angeklagten nicht das Zeugnis verjagen Tönnen, daß er den
Mannesmut gehabt Hat, alles zu verantworten,
was er getan oder ausgeſprochen hat. Er hat jahlid)
nicht ein Wort von dem zurüdigenommen, was er geichrieben hat. Er
bat, von formalen literarifhen Mängeln, die ſich aus der Schnelligkeit
erklären, mit der er die Schrift verfaffen mußte, abgejehen, den gefamten
Inhalt aufrecht erhalten.
Liebknecht hat fi zum Beweiſe dafür, daß er Gemwalttätigfeiten
nicht gewollt babe, nicht nur auf Engel3’ VBorrede zu den „Klaſſen—
tampfen“, fondern aud) auf Kautskys Mbhandlung: „Die foziale
Revolution“ bezogen und feine Uebereinftimmung mit den daraus bor-
getragenen Stellen befundet. Ich will aus diejer Schrift noch einige
andere Stellen zitieren, aus denen Sie entnehmen fönnen, wie ber-
fehrt die Anſchauungen über die Sozialdemokratie find, die Sie aus
Sr 2 Zeitungsleftüre in fi) aufgenommen haben. Kaut3fy fchreibt
Seite 5:
„Der Gegenjab zwifhen Reform und Revolution liegt
nicht darin, daß in dem einen Kalle Gewalt angewendet wird, in
dem anderen nidt. ... Die Konftituierung der Abgeordneten des dritten
Standes als Rationalverfammlung Frankreichs am 17. Juni 1789 war
“eine eminent rebolutionäre Tat ohne jede äußere
Gemwalttätiglfeit.“
Und in dem Kapitel: „Zormen und Waffen der fozialen Revolu—
tion“ führt er aus (S. 47): „Nur eins fann man, glaube ih, heute
ſchon mit Sicherheit von der fommenden Revolution fagen:
Sie wird ganz anders außfehen als ihre Vor—
gängerinnen.“ Dies wird ©. 48 näher dahin erläutert: „Waren
die legten Revolutionen Empörungen der Volksmaſſen gegen die
Regierung, fo dürfte die fommende Revolution — abgejehen vielleid;t
a Rußland — mehr den Charakter de3 Kampfes des einen Teiles
es Volkes gegen den anderen führen, und darin, aber auch nur darin,
weniger dem Typus der franzöfifchen Revolution und mehr dem der
Reformationsfämpfe nahe fommen. Faſt möchte ich fagen,
fie wird weniger einer plöglien Empörung gegen die Obrigkeit und
mehr einem langdauernden Bürgerfrieg gleichen, wenn man mit
dem legteren Wort nicht die Begriffe von wirflihen Kriegen und
Gemetzeln verbände Wir haben aber feinen Grund anzunehmen,
doß bewaffnete Snfurreftionen mit Barrifaden-
fämpfen und ähnlichen kriegeriſchen Vorkommniſſen heute noch eine
entſcheiden de, Rolle ſpielen können.“
Wo der Angeklagte in ſeiner Broſchüre von der Revolution
ſpricht, muß darunter alſo durchaus nicht ein gewaltſamer
Zuſammenſtoß verſtanden werden. Inſurrektionen können nicht
gemacht werden, ſagt der Angeklagte in Anlehnung an einen bekannten
Ausſpruch S. 107 der Broſchüre. Er erklärt damit, daß ſie nicht vom
Willen des einzelnen abhängen. Aus alledem folgt, daß der An-
geflagte 8: die Gewalt wünſcht.
Es fehlt aud an jedem beitimmien Unternehmen
zur gewaltſamen Verfaffunggänderung. Ein beftimmtes Unter-
— —
nehrren „in greifbarer Nähe“ wird jedoch, wie geſtern auch
der Herr Präſident hervorhob, zur Anwendbarkeit des 8 86 des Straj-
gefeßbıschs erfordert. Die Anklagebehörde erblicdt das beftimmte Unter-
nebmen „in der Intervention in Rußland und in dem Krieg zwiſchen
Sranfreich und Deutihland. Aber gibt es ungewiſſere Ereignifje?
Der An gebklagte bezeichnet in feiner Broſchüre (©. 108) die Intervention
in Rußland als einen „praftifh fernliegenden Fall“
SS. 108), deſſen „Unwahriheinlidhfeit außer Zweifel
Kehl” CS. 13 Anm). Er erachtet ſowohl die ruffiihe Sntervention
old der Meltfrieg bei Anipannung aller Kräfte und Kampfmethoden
für ver meidlich, und er will den Eintritt diefer Ereigniffe mit dent
Aufgebot der ganzen Kraft des internationalen Proletariats abwenden.
WVäre es nicht unfinnig, wenn der Angeklagte den Plan gemwaltjamer
VerfafTurrrgsänderung auf praktiſch unwahrſcheinliche Ereigniffe ſtützen
wollte, Deren Eintritt er ſelbſt jedenfalls verhüten wil? Wenn der
Angeflagte erwägt, ob eine ruffiihe Intervention oder ein Krieg
wiiHert Sranfreih und Deutichland nicht dur die opfermutige
Sohdarität des internationalen ProletariatS verhindert oder vereitelt
werdert Zönnte: jo handelt es fi um ein bloßes Gedanfenfpiel, um
eine D enfmöglidfeit, die er in den Kreiß theoretifdher
Eemä @Gungen zieht, deren praftiihe Unmahrfcheinlichfeit er aber
ſelbſt mit größtem Nachdruck betont. E3 liegt jomit der Erörterung
des Am geklagten fiherlich nicht mehr zugrunde als eine „unbeitimmte
Ever tra lität der Zukunft“; diefe reicht jedoch nach der Entſcheidung
des MH eichsgerichts (Band 5 S. 217) zur Anwendung des 8 86 nicht aus.
Sür jene gedachten beiden Ausnahmefälle hat der Angeklagte aud)
gar MIicht feine taktischen Vorſchläge gemacht. Nachdem er erwähnt
hat, Daß die opfermutige Solidarität des Broleta-
ta tS zur Vereitelung eine Krieges ausnahms—
Er Te aus dem Boden geftampft werden könnte,
nt „er fort (©. 108): „Das iſt aber niht das Normale der
niYvicfelung, auf dag wir doh unfere Taktik grundfäklid
ee Taub auen haben.” Der vom Angeklagten angeregte Ausbau
je IS ugendorganifationen, die Einrichtung des Zentralausſchuſſes und
Fu e Pesielle antimilitariftiihe Propaganda haben demnad) mit jenen
be Trabmefälln nichts zu tun. Sie fönnen deshalb auch nicht als
Borbereitungsaft für jene Fälle vom Angeklagten vorgeitellt und
17 OUt jein. Dagjelbe trifft zu, wenn man — im Gegenjaß zu dem
— Inhalt der Schrift — unterſtellt, der Angeklagte habe mit der
nn ifchen Xntervention und dem deutich-frangöfifchen Krieg in naher
3 = T € gerechnet. Tenn dann fünnen durch die von ihm erft angeregten
P OPagandamittel nod nicht aus der internationalen Proletarier-
—F — Die Perſonen herangebildet fein, um mit „opfermütiger Solida-
wtat” Bei dem angeblich beabfichtigten hochverräteriichen Unternehmen
Möigreifen.
Me Der Oberreichsanwalt hat nun eine eigenartige, in der
um t einzig daftehende Auslegungsfunft erfunden,
sen edhaumeilen, daß der Angeklagte im Grunde feines Herzens doch
Herbei Tieg zur Durhführung eines hochverräterifhen Unternehmens
und gehrt. Der Angeklagte warnt Seite 106 vor dem Generalitreif
den R Uitärftreit Herpes als „gefährlichen Illuſionen“ und führt für
orrrt alfall gegenüber Herbe folgendes aus (S. 107):
— 8—
„Wenn das Proletariat erſt ſoweit iſt, ſolche Aktionen durchführen zu
können, iſt es weit genug, ſich die politiſche Macht zu erobern. Denn un⸗
günftigere Verhältniſſe zur Entfaltung der prole—
tarifden Madt, als fie beim Kriegsausbruch normalerweije
vorliegen, gibt es nicht.“
Ich veritehe wohl, daß dieſe Sätze dem Oberreichsanwalt nicht
paſſen, weil fie im ſchroffen Widerſpruch zu feinen Deduktionen ftehen.
Aber anftatt jeine Deduktionen fallen zu laffen, wendet der Oberreich3-
anwalt ein neues Verfahren an: er wandelt den legten Sat einfad)
in jein Gegenteil um. Zu diefem Zweck verlangt er von dem An-
geflagten das Zugeltändnis, daß dad Wort „ungünftigere“ auf
einem Drudfehler beruhe und daß der Angeflagte „günftigere” habe
jagen wollen. Als der Angeklagte demgegenüber erklärt, er habe „un-
günjtigere Verhältniſſe“ gefhrieben, ſchreiben
wollen und gar nidt anders fhreiben fünnen, er-
widert der Oberreichganwalt: Du mußt aber das Gegenteil
jagen, denn — ſonſt fann ih Dich nit umbringen.
Bleibft Du indes bei Deiner Erklärung, fagft Du anders aus,
wie ich will,jomirft Du doch geföpft,weilidbehaupte,
Du müßteft das jagen, was ich will! Jedenfalls madje id) Did)
ee für das, was ich fage, und nicht für das, was Du
ag
Dieſes Vorgehen erinnert lebhaft an das dem Bolizeiminifter
Zouche zugeihriebene Wort: „Gib mir zwei Zeilen von
einem Menſchen, und ich bringeihnan den Galgen.“
Dem Herrn Oberreichsanwalt genügen ſchon zwei Budftaben,
bon denen er noch dazu behaupten muß, daß der Angeklagte fie gar
nicht habe ſchreiben wollen.
Der Herr Oberreich3anmwalt hat bei alledem nicht erfannt, daß die
bom Angeklagten niedergejhhriebenen Sätze einen vernünftigen Sinn
nur fo haben, wie fie niedergefchrieben find. Der Gedanfengang de
Angeklagten iſt: In dem internationalen Proletariat muB der Abjchen
gegen den Krieg großgezogen und das Gefühl der Solidarität jowie das
Bewußtfein £ultureller Zufammengehörigfeit jo verftärft werden, daß
die herrſchenden Klaſſen gar nicht einen Krieg mehr wagen. Sit der
Krieg erft außgebroden, dann find Generalitreif und
Militärftreif feine geeigneten Mittel, ihn aufzuhalten. Dann raſt die
Kriegsfurie durch die Länder, find allenthalben die patriotifchen ZXeiden-
ſchaften entfefjelt, jo find die Verhältnifje zur Entfaltung der proleta-
riſchen Macht ungünftige Syn diefem BZufammenhang verftehen
Sie auch den viel angefeindeten Sat in der Brofchüre des An-
aeflagten: „An der Sozialdemokratie beider Länder (Frankreichs und
Deutſchlands) ift es, den Eintritt diejes Zeitpunktes durch revolutionäre
Aufflärungsarbeit zu fördern.” Das heißt: Das Golidaritätsgefühl
jo mädtig zu entwideln, daß ein Krieg zwifchen den beiden Ländern
unmöglih gemadjt wird.
Von der Anflage ift demnach nichts übrig ge:
blieben. Die Freiſprechung des Angeklagten ift ſchon ge—
boten durh den einen Rehtsgrundfat des Reichs—
gericht, den der Oberreihsanwalt nicht vorgetragen hat, obivohl
er in der bon ihm zitierten Entjcheidung aus dem 5. Bande enthalten
ift. Dort führt das Keichsgeriht aus, daB „Die Verbreitung
von Grundjäßen,mweldean ſich oderin ihrer weiteren
— 59 —
Entwidelung, wenn fie im Bolfe Leben gewinnen,
gu gewaltfamen Angriffen der in den 88 80, 87 bezeichneten Art
führen, Den Tatbeftand des 886 nicht erfüllen“. Mit
diefert furidamentalen Grundiat des Reichsgerichts fett ſich der Ober-
reichsanwalt in Wideriprud. Der Grundfag muß aber aufrecht erhalten
iverden, weil fonft die Freiheit der Forſchung unmöglid
gemacht, die Kritif an beftehenden Einridtungen
unterbunden und die Rechtsſicherheit untergraben
wird E38 darf niemand verhindert werden, die von ihm als richtig
erfannterr Anſchauungen zu verbreiten. Gewinnen fie die Köpfe und
Herzen Der Mehrheit des Volkes, und fommt es dann zu gewaltfamen
Zufammı er ftößen mit einer Furzfichtigen, herrſchſüchtigen Minderheit,
die, geftiitgt auf mechaniſche Mahtmittel, ihre Herrichaftsftellung nicht
aufgeberz „will: fo iſt nicht der Verbreiter jener Anſchauungen Hoch—
berräter im Sinne des 8 86.
i Der Angeflagte will aber nur feine Anfchauungen über den
Nilitarismus in die Sugend des Proletariat3 verpflanzen. Er will
am © x ganijhe BZerfegung und Bermürbung des
miiitär iſchen Geiſtes. Einen Geiſt zu zerfegen, ift jedoch nicht
verbotene und Tann nicht verboten werden. Für die „logiih und
PHhoLogiih notwendige Ronfequenz“ diefes geiftigen Ummandlungs-
Miles it der Angeklagte nicht verantiwortlih. Geht es nad) feinem
Vunſch, To fommt es nicht zur Gewalt. Sein ganzes Streben
ift e zrı friedlidhes. Mus diefem Streben heraus führt er feinen
entiHtedenen Kampf gegen den Militarismus. So jchreibt er ©. 117:
SH „Militarismus ift Gefährdung nun er
N Schwächung des Militarismus beißt Förderun er Möglichkeiten
kiearicn — cher Fortentwickelung nn ae, Pr der
f glichHkeiten gewaltiamer Zufammenftöße; fie heißt aber vor allem Ge⸗
ınDBung, Auffriſchung des politifchen Lebens, des Parteikampfes.“
errner ©. 68:
Be Wer immer eine Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts für un-
Sinwetblid hält, für den ift das Beftehen des Militarismus das wichtigſte
dem ernis für die Friedlichkeit und Stetigfeit einer ſolchen Entwidelung,
teit ıjt der ungebrochene Militarismus gleichbedeutend mit der Notmendig-
Blutigroter Gößendämmerung des Kapitalismus.“
Son ic) einen Mann, der aus hoffnungsfrohem Sdealismus einen
— Sampf für die friedliche Entwidelung des Menſchengeſchlecht⸗
ine Noch in Schutz nehmen gegen den Vorwurf ehrlofer Ge-
ie 5r ung? Dieler Vorwurf gerfhellt an der Perſön—
i gett des Angeflagten.
Gelich —— nur noch übrig, mit einigen Worten auf die a
heurteiiz unkte einzugehen, unter denen der Bräfident die An age
efla er Präſident hat geftern erklärt, er gehe davon aus, daß der An-
a ate glaube, daß einflußreihe PBerjonen einen
Keihsr tSftreih wollen. Iſt aber durch einen Staatzftreich die
bereits faffung vernichtet worden, jo gibt es, wie der Angeflagte
des ‚Dargelegt bat, guch feine verfaffungsmäßige Rommandogemwalt
dag iſers mehr. Würde nach Sturz der Reichsverfaſſung von oben
würd sIr zur Verteidigung feiner Rechte zu den Waffen greifen, fo
Ser e die Gemwaltanwendung niht auf Aenderung
Be xfaffung, fondern auf deren Wiederber-
ee
ftellung abzielen. Wenn bei inneren Unruhen ein Teil der
Soldaten dem Befehl der VBorgefekten, auf Volks—
genoſſen zu Schießen, nicht gehordit, jo liegt ein Ungehorfan
gegen einen einzelnen Akt der Kommandogewalt vor, der aber
nicht eine Aenderung der Heeresverfaffung in ſich jchließt. Die ver-
fafjungsmäßige Kommandogewalt bleibt al3 ſolche auch dann beftehen.
Dazu fommt, daß der Ungehorfam gegen einen militärifchen Befehl,
der Militärftreif, niht al3 Gewalt im Sinne de3
8 86 aufzufaſſen ift, wie der Oberreichdanwalt ſelbſt anerfannt hat.
Denn Gewalt bedeutet phyſiſche Gewalt, eine folde ift aber nicht
der Streif. Wenn der Oberreich3anwalt meint, der Streif fei zwar
nicht Gewalt, aber nad) einem Streit fomme e3 zur Gewalt, fo iſt
dieje Konfequenz nicht notwendig, wie felbit Hervé in feinem geftern
teiltweije verlefenen Bud) ausgeführt hat. Falls aber die Streifenden
mit Gewalt angegriffen werden und fi wehren, fo iſt diefe ihre
Sandlung niht das Mittel zur Befeitigung der
Heerespverfaffung.
Aus rechtlichen nd tatſächlichen Gründen muß man deshalb, von
welchem Geſichtspunkt auch die Anklage betrachtet wird, zur Frei⸗
ſprechung des Angeklagten gelangen. Daß bei einem offen
daliegenden Tatbeſtand die rechtlichen Sefiotspunfte fi fortwährend
ändern, muß den Eindrud hervorrufen: Man bat den Angeflagten
zunächſt für einen Verbrecher angefehen und ſucht
dann den rechtlichen Gefihtspunft, aus dem heraus
eine Beitrafung erfolgen fann. ch verftehe, daß der Beamte, der
die Anflage veranlafßt hat, jo vorgeht. Sch nehme aber an, daß
da3 nicht der Standpunkt ift, den Sie, meine Herren, einnehmen, und
fo werden Sie zu dem Reſultat gelangen, den MAngeflagten
freizufpreden.
Blaidoyer des Rechtsanwalts Hegel.
Hohe Senatel Sch werde es im Gegenfaß zu den Ausführungen
meine Herrn Vorverteidigers, deren Wucht nach der Richtung der zen-
tralen Beweisfrage lag, für meine Aufgabe erachten, vor Ihnen, die Sie
gewohnt find, als Richter eines mehr Kaſſationszwecken gemwidmeten
Hofes hier zu fißen, mehr zur Anklage in thesi (d. h.: unter der Bor:
ausfegung, daß die in der Anflage aufgeitellten tatfächlichen Behaup-
tungen zutreffen) zu iprechen. Die Verteidigung ftellt ſich zunädjit in:
Anflug an die Ausführungen des Oberreichsanwaltes vor die Trage:
Iſt die Anklage — von der Beweisfrage gänzlic, abgefehen — vielleicht
nicht ſchon in thesi abzumweifen? Die Verteidigung fommt zu einer Be-
jahung diefer Frage, wobei fie von vornherein betont, daß fie ſelbſtver—
ſtändlich fich jedes Sophismas zu enthalten auf das eifrigite beſtrebt ift,
daß fie es hier tvie überall nur für ihre Aufgabe halten fann, gemeinjanı
mit Ihnen beizutragen zur Findung deilen, was recht iſt. Der Ober-
reichſsanwalt hat in diejer Richtung angezogen die Verteidigung, die
Ferdinand Laffalle anı 12. März 1864 vor dem preußifchen Staat?
gerichtshofe für ſich jelbit al3 Angeklagten ausführte. Sch darf diefe Ver-
teidigung in ihrem geſamten Inhalt und ihren rechtlichen Deduftionen,
Iosgelöjt vom fonfreten Anflageitoff, al3 notorisch betrachten. Der Ober:
reihsanmwalt hat jehr richtig ausgeführt, daß das damals geltende Syſtem
des Reichsſtrafgeſetzbuches dergeitalt identiich ift, daß Erwägungen über
das innere Verhältnis der Paragraphen zueinander, die damals unter
zu if
der Geltung des preußiichen Strafrechtes richtig find, auch noch heute
richtig fein müſſen. Und nun nimmt in der Tat die Verteidigung für fich
zum Schuß des Angeklagten in Anſpruch eine Ausführung dahin, daß fie
fich den Sag zu eigen madjt: Aufforderung zur Vorbereitung von Hod-
berrat ift_nicht ftrajbar. Die Verteidigung macht fich den Sat zu eigen, den
man Im Sinne der Ausführungen von Lafjalle die exceptio Lassalleana
prima (erfter Einwand Laſſalles) nennen könnte. Die Verteidigung
wed ſich nicht damit aufhalten, Ihnen, nochmals zu wiederholen, von
weldher: CE rmwägungen ausgehend fie diefen Einwand für durchſchlagend
erachtet, fie begnügt ſich, Ihnen als gewiegten Kaſſationsrichtern gegen-
über ein fach auf diefen Einwand zu verweifen. Das ilt der erjte recht-
liche Einioand, den die Verteidigung zu machen hat. .
Im Anſchluß daran wird ſich die Verteidigung jetzt mit der Frage
beihäftigen, in welchem Verhältnis der Eröffnungsbeihluß in Hinſicht
feiner rechtlichen Anſchauung mit dem von Haafe bereit3 geitreiften zen-
traln Eruticeid in Band 5, Seite 60, fteht. Die Verteidigung hat auf
das angebpendfte erwogen, ob die Frage zu bejahen oder zu berneinen
fi, daB Der Eröffnungsbeihluß genau auf dem Boden diejer Entjchei-
dung tet oder ob man eiwa geneigt fei, den Boden diejer Enticheidung
gu berIaufjen und Redtsgrumdiäge ſich zu eigen zu machen, die über die
dort erntimidelten Anjhauungen hinausgehen. Die Verteidigung wird
ſofort Bezeidinen, aus welhem Grunde ihr in diefer Richtung ein Zweifel
beigef on umeen iſt. Der Eröffnungsbeichluß formuliert jo: Die vorberei-
tende Sarndlung wird darin gefehen, daß der Angeflagte ein Buch ver-
fit Hat amd zur Drudlegung und Verbreitung gebracht hat, in dem er
einftitt Fiir die Organifierung einer über das ganze Reich zu verbrei-
tenderı_ antimilitariitifhen Propaganda ziveds organijcher Berjegung
des mrilitäriichen Geiſtes. Nun folgt der Sag im Eröffnungsbeihluß:
„als eren notivendige Folge fih dann im Falle eines unpopulären
kriege ĩ Ichen Unternehmens (wie jetzt ſchon in beſonderen Ausnahme⸗
fällen) Der Militärftreit und die etwaige Aktivierung der Truppen für
die R eDDolution ergeben werde.“ Der Verteidigung iſt bei wiederholter
Xftüre Diefes Eröffnungsbeichlufies ein Zweifel gefommen, und der iit
jest noch nicht völlig zerftört. Ob die Worte: „als deren notwendige
öolge Tin ergeben werden“, jo auszulegen find: Als deren notwendige
le üchzeitig vom Vorſtellungskreis des Angeflagten vor Abfafjung
dr Schrift aufgenommene Folge ich das und das ergeben werde; oder
ob etiva eine abgeſchwächte Auffaffung diefe Worte dahin verftehen laſſen
will: DaB der Angeklagte ohne eine derartige Folge zu beabfidhtigen, fich
uur Dorgejitellt habe, jein Buch werde, könne eine ſolche herbeiführen.
Bobei Die Verteidigung weiter noch erwogen hat, ob, wenn das der Sinn
des CS röffmungsbeiäluiies märe, der Beitpunft, zu dem beim Ange-
Hagten Derartige Erwägungen, derartige interne Alte eingetreten find,
Wegen FoIL por der Abfafiung des Buches oder etiva fpäter. Die Zweifel,
we in Diefer Kichtung für die Verteidigung beftanden haben und nod)
befchen, haben eine bejondere Verſtärkung erfahren dadurd), daß in
Seigarıg des Eröffnungsbeichluffes es heißt: „Der Angeklagte habe die
w — und Wege nicht nur nachgewieſen, ſondern auch direkt zur An—
(chi Ang Diefer Mittel aufgefordert, welde bejtimmt und geeignet er-
I men, die Verwirklichung des oben bezeichneten hochverräteriſchen Er-
. he SU ermöglichen.“ Der Verteidigung fällt auf, daß hier das Wort
erleinen aebraudt wird, daß man nicht jagt: Mittel und Wege, die
geeignet firud. Ich würde diefe Zweifel nicht herausgeholt haben, wenn
— 62 —
nicht die heutige Anklagebegründung des Oberreichsanwaltes mir dieſe
Zweifel wiederum in eigenartiger Weiſe verſtärkt hätte.
Wenn ich den Oberreichsanwalt richtig verſtanden habe, ſo will er
letzten Grundes den Boden der zentralen Entſcheidung, die ich vorhin
anzog, verlaſſen, und er will noch weiter gehen und ſagen: Selbſt dann,
wenn bei der Vorbereitung eines hochverräteriſchen Unternehmens die
Folge, in der ſich das Unternehmen darſtellen würde, nicht dolo directo
Direkter Vorſatz) intendiert, jondern nur dolo eventuali, als
möglicherweije eintretend vorgeitellt ift, in Faufalem Folgezufammenhang
mit den Handlungen, in denen die Vorbereitung des Hochverrats gejehen
würde: jelbjt dann würde die Frage eines hochverräterifchen Linter-
nehmen zu bejahen jein. Die Verteidigung hat infolgedeilen Veran—
lajlung, auf diefen Punkt zum Schuß des Angeklagten präventiv, rein
in thesi, einzugehen und nimmt aus dem innerften Sinn und Geift des
Hodjverratsdelifts heraus den Standpunft ein, daß eine derartige Kun-
ftruftion gänzlich abzulehnen ift. Nur dann, jo jagt die Verteidigung
in thesi, wenn dasjenige Hochverratsunternehmen, weldhes im Sinne
einer Vorbereitung unter Anflage jteht, bereit3 bei dem eriten Beginn
der Handlung, in der die Vorbereitung erblidtt wird, beabfidtigt war
als etwas zu Erreichendes, was dolo directo erreicht werden follte, nur
dann iſt der betreffende Alt, der als Worbereitungsaft angeiprochen
werden joll, wirklich in thesi als ein Vorbereitungsaft anſprechbar. Es
ift möglich, daß id) den Sinn des Eröffnungsbeichluffes damit nicht ge-
troffen habe. Id) weiß nicht, wie er gemeint war, aber jedenfall3 Hat die
Verteidigung ftreng den Standpunkt einzunehmen: Es muß mindeflens
in dem Seitpunft, zu dem der erſte äußere Tätigfeitsaft gejegt wird, in
dem die Vorbereitung des Unternehmens gefunden werden ſoll, min-
deſtens in dieſem Zeitpunkt das hochverräterifche Unternehmen voll-
fommen im Sinne eine3 hinreichend Tonfret umriffenen Bildes in die
Willenziphäre des Angeklagten aufgenommen fein.
Wenn wir nım einmal die Anklage als eine in thesi haltbare an-
nehmen wollen, wird zur Beweisfrage folgendes generell auszuführen
fein: Wenn beftimmte Handlungen als vorbereitende Sandlungen eine3
bochverräterifchen Unternehmens unter Anklage geftellt werden, fo kann
man (wenn man den Kreis der Möglidjkeiten allgemein überfchaut)
zwei Gruppen von Fällen ar unterſcheiden, nämlich ſolche Fälle, in
denen der Beweis für das zur Anklage ftehende hochverräteriſche Unter-
nehmen gefunden werden joll in den Vorbereitungsaften, die als ſolche
ohne weiteres gefennzeichnet find, oder aber — dag it die andere
Gruppe — in denen der Beweis, daß ein jolches Unternehmen ‚geplant
wird, geführt wird aus Momenten, die nicht ſich decken mit dem, was
als fonfrete Vorbereitungshandlung hervortritt. Als ich geftern von
der Vorbereitung eine3 FZürjtenniordez jprad), ging mir durd) den Kopf:
Wenn fi) jemand Eifen fauft, um daraus eine Höllenmafchine für einen
Fürftenmord zu Fonjtruieren, dann wird man ihm aus der Tatſache des
Eifenfaufes nod) nicht beweifen können, daß er einen Fürftenmord be-
gehen wolle, und ebenfo wird man, wenn der Vorbereitungsalt für das
unter Anklage ftehende behauptlich vorbereitete Unternehmen beitand in
der Tatjache der Drudlegung und der Verbreitung einer Schrift, zwar
in gewijjen Fällen möglicherweiſe aus der Schrift allein, aus ihrem In⸗
halt, mit abſoluter Evidenz gleichzeitig den Beweis führen können dafür,
daß mit dieſer Schrift vorbereitet werden ſolle ein hochverräteriſches
Unternehmen, wenn etwa die Schrift eine Aufforderung zu unmittel-
- 8 —
barem BGochverrat im Sinne des 8 85 fein würde. Sn anderen Fällen
wird man aber aus der Schrift nicht immer allein den Beweis zu führen
au) nur unternehmen vollen, daß ein hodjverräterijcheg Unternehmen
geplant worden ift. Nun weiß ic} nicht, welches in dieſer Richtung die
Stellung ift, die die Anklage zur Beweisführung einnimmt. Glaubt die
Anflage, nit dem bloßen Hinweis auf Inhalt, innere Subjtanz der
Schrift anızzulommen, oder glaubt jie, noch andere Momente zur Be—
weisflihrung hereinziehen zu müffen? Laſſalle hat feinerzeit in dem ge-
reiftert Prozeß mit höchſter geiftiger Schärfe darauf hingewieſen, dat
m einerat jolden Falle, wenn eine Schrift infriminiert ift, die al3 vor⸗
bereitertde Handlung eines hochverräteriichen Unternehmens angeſprochen
ift, felbTtnderftändlich nicht die Schrift das corpus delieti (Gegenftand
de Borvourfs) ift, corpus delicti iſt das hochverräteriſche Unter-
nehmer ;z »ie Schrift ift nur ein Veweisitüd, und fo ift num für ung die
Frage auıfgeworfen: Genügt der Inhalt der Schrift allein, um einen
Deweis gegen den Angeklagten zu führen? Und da wird in thesi der
Sundfag aufzuftellen fein: Wenn eine zur Drudlegung und Verbrei-
tung Eormımende Schrift angejprodhen wird als die Vorbereitung eines
beider x äteriichen Unternehmens, und wenn man dem Angeklagten, der
dieſe Schrift zur Drucklegung und Verbreitung gebracht hat, nicht außer-
bald Dieser Schrift den Beweis Liefert, daß er das hochverräteriſche
nte te Hmen geplant habe, dejien Vorbereitung dieſe Schrift zu dienen
befinammıt fei, dann wird man zu jagen haben in thesi: Nur dann, wenn
SMuamLt aund Subitanz der Schrift mit einer jeden Zweifel ausſchließenden
SiherHeit dazu führen bei ihrer Beirachtung daß ein konkretes hochver-
täterifchhes Unternehmen gerade durch diefe Schrift porbereitet ierden
ſollte, rrur dann iſt eg möglich, eine ſolche Schrift zu benutzen als Beweis⸗
ſtück. Das ein hinreichende Weberführungsftüc fein fol. Nun hat die
= lage aud) nidt den Schatten eines Verfuches gemacht, uns außerhalb
er Tt ſache der Abfaſſung und Verbreitung der Schrift felbft einen Be-
weis Dafür zu erbringen, daß dieje Schrift beitimmt jei, ein hochverräte-
tiheS Unternehmen vorzubereiten, dak diele Schrift in ihrer prak-
tiere Zwegſebung ſich darin erſchöpfe oder mindeſiens ihre weſentliche,
ihre ganz überwiegende praktiſche Zweckbeſtimmung darin habe, daß ſie
Sn Hochverräterifdes Unternehmen vorbereiten folle. Und in diefem
mne Bedauert die Verteidigung, dem Ankläger rundweg erklären zu
nöilen 2 Gemefjen am Inhalt der, Schrift, deren Analyje Haaſe vor-
ref Tlich refapituliert Hat, fteht die Anklage tatjählich als ein voll-
kom an e — nicht nur beweislos geſtelltes, ſondern überhaupt von born-
herein uns nit einmal mit einem ernftlihen Beweiſanerbieten ent-
genengebzadtes, huhles, reines Phantafiegebilde da, von dem man jagen
he Biehe did) in das durchbohrende Gefühl deines Nichts zurüd. Die
SHrift, Die als einziges Bewveisitücd für das angeblich intendierte hod)-
Rteri iche gewalttaͤtige Unternehmen uns vorgelegt wird, iſt ihrem
Khnter Klaren Inhalt nad) nichts als eine geiftige Propagandafdırift.
i A ift ein Lehrbuch. Es wird in ihr nicht nur ein Wiſſen dargelegt,
tifd) ern fie läuft ſelbſtverſtändlich auf Aufforderungen zu gewiljen praf-
Fe Dandlungen, gewiſſen Organiſationsplänen hinaus, aber fie ift
nit In Der ganzen Subftanz, obwohl fie ſich ein derartiges Biel ſetzt,
daru anders zu, bezeichnen, denn als gedankenentwickelnde Schrift.
den m Nagt richtig der Angeflagte in der Vorrede: Sie hat den Zived,
gefö eine Witariftiihen Gedanken zu fördern. Alſo nicht3 anderes foll
dert werden als ein Gedanke. Die Schrift will auf Hirne und
— 64 —
nicht auf Fäuſte wirken. Wenn das aber der Zweck der Schrift iſt —
und ich wiederhole: Die Betrachtung der Schrift kann zu keinem anderen
Reſultat führen — dann frage ich nun weiter zur Beweisfrage: Sind
wir denn dann nicht, wenn die Anklage den Verſuch macht, aus dieſer ohne
Zweifel gedankenentwickelnden Schrift dem Angeklagten eine verbreche—
riſche Abſicht nachzuweiſen, zunächſt gezwungen, wenn wir Beſonnenheit
üben wollen, daß wir bei der Frage danach, ob etwa eine Schrift, troß-
dem, daß fie primär (in erfter Linie) eine gedanfenentwidelnde tft, viel⸗
leicht noch eine andere Tendenz in fich trägt, uns bei einer Unterjuchung
in dieſer Richtung mit aller Strenge und aller Billigfeit zu ftellen auf
den Boden derjenigen Anfchauungen, die die Anfchauungen des Ber-
faſſers diefer Schrift find? Und in diefer Richtung hat die Verteidigung
zu erklären: Daß alles und jedes an diefem Erfordernis bei der Anflage
zu vermiſſen ift.
Es ijt nicht der Verſuch gemadt, auch nicht im entfernteften, zu
fragen: was find denn aus der Schreibart, aus der Denkart für a priori-
Zeititellungen zu gewinnen, was mag, der Angeflagte bei der Abfaffung
der Schrift gewollt haben? Nichts ift in dieſer Richtung vorgebracht
worden. Die Schrift ftellt fi) für jeden, der ein elementares Wiſſen
auf dem Gebiete der Geſellſchaftswiſſenſchaft Hat, von ihrer erſten bie
zur legten Zeile dar als Emanation eines Mannes, der mit glühenden
Ethos auf dem Boden einer evolutioniftiihen Weltanſchauung fteht.
Dann aber ift es unmöglidy zu jagen, der Angeflagte wolle mit einer
jolden Schrift, deren zentralfter Inhalt gerade der glühendfte Sinn für
Evolution ift, vorbereitet Haben — was? einen gewaltfamen Umfturz
einer einzelnen Staatöverfaffung! Etwas, das nicht dem Hirne und den
Nerven eines Marriften, eines Evolutioniften entfliegen kann, fondern
nur der erregten Pathologie eine Putfchiften, eines Anardjiften. Nein,
jagt die Verteidigung, jede einzelne Unterſuchung in diefer Richtung
iſt überflüffig. Nachdem man den zentralen Charakter des Buches feit-
geftellt hat, e8 hieße in das innerfte Herz des Buches und des unter ihm
glühenden Ethos ftoßen, wenn man mit einem Atom eine Gedankens
eine Unterjtellung dem Angeflagten madt, wie es die Anklage tut.
Sc lehne e8 ab, mid) im einzelnen auseinanderzufegen mit den
Verfuchen, die der Oberreichsanwalt gemacht hat, das Bud auf eine
andere Eeite zu werfen, das Buch dem Anarhismus oder dem Anardjo-
ſozialismus oder einer derartigen Spielart zuzuweiſen, und zwar des⸗
halb, weil ich das als einen untaugliden Verſuch am untauglidien Ob-
jefte bezeichnen müßte.
Der Reichsanwalt hat heute, indem er bei der geftrigen Kontroverſe,
ob e3 an einer gewiſſen Stelle heißen folle und müſſe: „Ungünftige“ oder
„Günſtige“ Verhältniffe, eine Auslegung aufrechterhalten, die für meine
Anſchauung derart abfolut unmöglich ift, daß ic} nad) diejfer Probe im
übrigen feine einzige Widerlegung vorzubringen habe.
Das Geſchick der Anklage — die Verteidigung geitattet ſich jet, den
Bemeisfrageboden zu berlajlen — ift in der Tat, wie mein Defendend
Liebfnecht bemerkt hat, ein jehr fragwürdiges. Die Verteidigung ftelll
feit, und fie fann nicht umhin, es auszuſprechen, daß die Ginjegung des
Unterfuhungs- und Anklageverfahrens nicht ftand auf feſtgewurzelter,
aber auch nit auf prima vista-Meberzeugung und -Anfhauung (An-
ſchauung nad) oberflächlichem Leſen), daß hier ein hochverräterijches
Unternehmen vorbereitet werde jolle, daß fie nicht ausging bon dem
Gedanken: Liebknecht fchrieb da3 Buch, wenn man da3 fieht, wird man
22 65
Inne, Daß er damit Hochverrat ganz ernſtlich beabfichtige; aljo jei auf
der Dust! Nein, die Anklage ift unzweifelhaft nicht einmal bon einer
folden Prima vista-Crwägung ausgegangen, und das iſt die Ver-
anlaifung, daß ich jage: Man ging von der Erwägung aus, das ift
ein gefälgrlides Bud, dagegen muß etwas geſchehen! Und die Ver⸗
tidigung bedauert es, ausſprechen zu müſſen: Daß der Oberreichs
anwalt Meute früh in den überwiegenden Partien ‚leiner Anklage
kgrüundısng den juriftiihen Boden verlaffen hat. Es iſt auch nicht ein
Netjuch geémacht worden, im, Sinne defien, was uns als Quriften
miereffiert und bewegt, mit der Kantenſchärfe der juriſtiſchen
Viſſen ſchaft dem Buche beizufommen, ſondern der Anfläger jelbit
it es geweſen, der fi auf den Boden don rein moralifierenden
Vetrachtrzusıgen zurüdgezogen hat. Wie wir uns alle jelbit ‚itellen,
wie Ste ſich ftellen, wie ſonſt jemand ſich ftellt zu der inneren
GeanFfernfubftanz, zu der Stage, ob daß, was der Angeklagte anftrebt,
fittlich, IWellpolitiſh, weltmoralifc wünſchenswert ift, das geht uns
nichts Garı, das geht uns gar nichts an. Und wir alle, Sie, meine Herren
Kidter, Yoie die Verteidiger, die fi) nur als grundehrliche Kooperatoren
beiracht err in der Zindung deifen, was Rechtens ift, Sie müffen mit dieſer
Beſon in en heit herangehen, an die Würdigung des Buches, in dem Sinne,
daß abgelehnt wird eine ftimmungsmäßige Stellungnahme zu dem, was
et Mrzgetlagte hier an Tendenzen bvorausblidend in die Zukunft der
Gfchait politifcher, wirtichaftlicher, völkerrechtlicher Entwidelung
betritt. Das alles rührt ung nicht.
Und noch eines ift zu jagen. Gewiß wird man dem Angeflagten
zuerke ri en mülfen: Das, was er vertritt, das vertritt er nicht mit der
dath Lgrüichen Gereiztheit eines Anardiften; er ift nicht ein Füripreh
eines Kan ausbredhenden perfönlichen Einzelwillens, jondern in ihm
pübe
Barum diefe Anklage?
ar Die BVerteidigung bedauert aber — das bemerkt fie frei und
trö blich —— bedauert diefe Anklage nicht, denn dieje Anklage wird gewiß
na * ihrer unerſchütterlichen Ueberzeugung zurückgewieſen werden.
Di — Antklage wird in Zukunft eine tiefe, große Bedeutung zugeſprochen
werden müffen. Sie wird in der Geſchichte der Hochverratsprozeſſe
wieder einmal einen der ſchönen Marfiteine bilden, an denen man inne
ward, DaE man fi Anklagen verbittet, in denen man die Nedhtszone
wit er Moralzone verwecfelt hatte. Die moralifhen Anfchauungen,
Bie StHurf, alles, was der Ungeflagte ausipricht, ift dem Boden des
und 8 entzogen, und Sie, meine Herren, find beitimmt als die Edelften
io Dften in unferem Reiche der Pflege des Recht? zu dienen. Die
ar Diefer Anflage — Seien fie überzeugt — wird eine große und
8 — fein.
te Verteidigung geht noch einen Schritt weiter. Sie ſtellt ſich
objeftin, Geiftig überfchauend, aud) auf den betradytenden Standpuntt,
5
— 66: —
derart, daß ſie in eine Prüfung eintritt: Wie ſteht es mit denjenigen
pa und moralifhen Tendenzen, auf deren Boden diefe Anklage
erwuchs?
Die Verteidigung iſt ſelbſtverſtändlich objektiv genug, zu erklären,
daß fie es ſich vorſtellen kann, daß man aus einer tiefernſten Sorge, po-
litiſcher, moralifcher, reichsmoraliſcher Art, ſich zu diefer Anflage ver-
ftanden hat. Die Verteidigung kann nicht verfennen, daß ein großer
Zeil unjerer Volfsgenofjen, unjerer Beamtenjchaft, unferer Vermaltungs-
behörden durch die Schrift des Stollegen Liebknecht mit einer ſchwer⸗
wiegenden Sorge erfüllt werden fonnte. Das weiß jelbitverftändlid die
Verteidigung. Aber es wäre gut geweſen, wenn man vor Ergreifung
des Anflageweges erwogen hätte, ob diefe politifche Sorge eine Sorge
ift, die mit den Mitteln des poſitiven Rechts beſchwichtigt werden Tann;
und darauf iſt ein bedingungslofes Nein zu erklären! Was Liebknecht
will, ift eine antimilitariftiihe Propaganda. Der Angeklagte, der als
gänzlich, freier Befenner defien, was er ift, aus feinem Hirn und jeinem
Herzen feine Mördergrube macht, hat Ihnen reſtlos enthüllt, wie das
Wort Antimilitarismus in fi zufammenfaßt die Kampfmethode, die er
anwenden oil, und das iſt eine ausdrüdlich Ioyal unter das Geſetz fid)
ftellende. Und ich bitte, eg nicht als eine banale Phraſe zu betraditen,
wenn id) an dem Fall aus dem Altertum erinnere, daß ein Mann wie
Sofrates jehr wohl inne wurde und feinen Schülern fagte: Sch gebe
jedem den innerſten Geift und Sinn unſeres Staates, jo wie er jekt
geleitet ift; aber ich fage Euch, Ihr Schüler, gehorcht diefen Gejeten,
wartet ab der gedanklichen Entwidelung, und auf diefem Wege werden
wir handeln, nicht mit Fäuften, ſondern mit Hirnen. Erſt wenn die
Hirne befrudjtet find und die Mehrheit haben, dann ift die reale Re:
volution möglid, die wir wollen. Verurteilte man Sofrates, „weil er
die Jugend berführe”, jo ift eg mir vollftändig ar, daß man Beute vom
Standpunkte des Rechts aus weder nad) rechts noch nad) links zu ſchauen
hat. Wohl weiß die Verteidigung, daß hier eine beforgte Anſchauun
der Rechtspartei, eine große Sorge der Regierung liegt. Aber i
fann nur wiederholen: Alles, was der Angeflagte tut, was er
will, intendiert, das ift entrüdt in feiner Betrahtung dem Boden deö
Rechts, das liegt in der Zone des Ethos, und dafür ift er nicht den
Geſetzen, fondern nur ſich felbft und einer höheren Verantwortung unter-
worfen. Diefe Verantwortung hat er zu tragen; eine rechtliche Ver⸗
antwortung hat er nicht zu tragen. Und es it ein fröhliches Willen der
Verteidigung, dab Sie, meine Herren Richter, die Sie gewohnt find,
als Kaſſationsrichter zu fungieren, dat Sie ſchlechthin zu Feinem anderen
Ergebnis fommen können, al3 daß Sie jagen: Auch nicht ein Schatten
eines Beweiſes für ein hochverräterifches Unternehmen im inne des
Geſetzes ift erbradjt worden! Es mögen die verbündeten Regierungen,
wenn fie ein Intereſſe daran haben, aufehen, was fie erreichen, wenn ſie
ein Gefeß einbringen, welches den Inhalt hat, daß die antimilitariftiiche
Propaganda als jolche, joweit fie auch nur ideologifierend ift, verboten
werden mag. Die Stimmung der Zeit und die Kulturftufe unſeres
Volkes würden die Emanation eines ſolchen Geſetzes Hoch verhindern.
Aber nur mit einem ſolchen jpeziellen Gejeg würden fie des Angeflagten
Schrift treffen fönnen; mit dem Hocverratsparagraphen fommen fie
ihr nit bi. Nulla poena sine lege — justitia
fundamentum regnorum. (feine Strafe ohne Geſetz —
Gerechtigkeit tft da3 Fundament der Königreiche.) Das walte Gott.
near
— 67—
Der Oberreichsanwalt nimmt in höchſter Erregung das Wort zu
einer Neplit, in der er behauptet, daß die Anklagebehörde mit derjelben
Unbefangenheit an die Prüfung der Anklage gegangen jei, wie die
Herren auf der anderen Seite, und die Anflagebehörde habe die Genug-
tuung, DaB weſentlich nad) ihren Angaben das Verfahren eröffnet fei.
Möge Der Ausgang des Prozeſſes fein wie er wolle, ſchon darin fehe die
Anflagebebörde eine Genugtuung, daß fie mit der Anklage die An-
weennung des Serienjenat3 gefunden hat. Der Oberreichsanwalt ver-
Wert nochmals, daß er vollfommen auf dem Boden des Gefekes ftehe,
um werrn er auch aus jeiner moraliſchen Entrüftung über den An-
eeflagterı fein Hehl gemacht habe, fo fei das nicht ausſchlaggebend ge
weien, Gegen ihn vorzugehen.
Die Berteidiger verzichten auf eine Erwiderung.
Nach einer viertelftündigen Pauſe ergreift Liebknecht das Wort zu
folender
Schlußrede:
. Däarrädft noch ein Wort zur Abgrenzung her Anklage. Angeklagt
iſt meine Schrift, die Verfaſſung, Drudlegung und Verbreitung meiner
Schrift. Mas außerdem gejchehen ift, gehört nicht hierher. Nun ift
im Zaufe der Verhandlung viel Material herangebracht worden, das
ſich 1i & anderen Vorgängen befaßt. Darüber müſſen wir uns abſolut
lar jein, daß eine ſcharfe Scheidelinie zu ziehen iſt gegenüber dem, was
vord errm, was nad), und dann, was ſonſt außerhalb jener Akte liegt. AU
das Itebpt nicht zur Anklage, über die Sie zu befinden haben. Xch hatte
nicht S Dagegen, daß auch jenes Material zur Kenntnis des Gerichts-
hofes gebradjt wurde; ich habe dieſe Kenntnis meinerſeits ſelbſt ver⸗
—— Aber die Tat, die hier abzuurteilen iſt, erſchöpft ſich in der
Hceift, beginnt mit der Niederichrift des erften Wortes und endet mit
et Berbreitung, ſoweit id) auf fie Einfluß geübt habe.
weil rum möchte ih mir einige juriftifche Ausführungen geftatten,
X ich glaube, daß der juriftijche Ertrag noch nicht ganz erſchöpft ift.
N d toi mid) zuvörderft befaffen mit einigen Merkmalen der 88 8
un = 36. . &3 ift auf daS Geſetz zurüdzugehen. Das Gefet ift hier, wie
hei + IcHeint, immerhin beſtimmt, und die Sudifatur hat diefe Beitimmt-
dee — nicht vollftändig verwiſchen können. An 8 8% ift der Begriff
— MUB, wo immer nur das Wort „Unternehmen“ an anderer Stelle
os — Möðſchnitts unſeres Strafgeſetzbuches vorkommt. Dort heißt es:
ar Sr ehmen ift eine Handlung, durd) die das Vorhaben unmittelbar
en uSführung gebracht werden ſoll. Der Begriff des „Unternehmens“
Ü ER allgemeiner Anficht, enger al3 der des „Verſuchs“. Und diejen
S degt Bat das Wort „Unternehmen“ notwendig auch in $ 861 Es muß
inte eine Vorbereitung vorliegen in bezug auf ein hochverräterifches
Dear D nen, d. h. alfo in bezug auf eine Handlung, durch die das hoch—
3 aterifche Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebradit erden
8 86 Damit ift ungweideutig dargelegt, daß man nun nidjt plötzlich im
griff an Stelle des in 8 82 jeft und ex professo formulierten Be-
en or Ulnternehmen“ irgend etwas Nebelhaftes fesen und fagen
wirkt; 8 üft nur notwendig ein Ziel, und die Abſicht, das Riel zu ver⸗
gemeinen T Nein! Wenn im $ 82 der Begriff des Unternehmens all:
N und Zar umſchrieben ift, fo bindet dag aud) für den $ 86. Und
b*
rıternehmens” in einer Weiſe definiert, die unbedingt maßgebend
— 68 —
wenn die Judikatur bisher leger geweſen iſt und den Begriff unbe⸗
Br gefaßt bat, fo widerfpridht das dem Haren Wortlaut des Ge-
etzes
Sch komme zu dem Verhältnis von 8 85 zu 86, will mid) hier aber
nur No befaffen mit einer Einwendung, die gegen die
— dieſes Paragraphen für die Anklage von einem
hochangeſehenen Srifen gemaht worden tft.
Sn dem mir bier vorliegenden bedeutfjamen Kommentar ijt in
Note 1 zu $ 83 ausgeführt: „während durd) eine borbereitende Hand-
lung, die zwar den Anfang der Ausführung nicht enthält, immerhin
die eigene Ausführung vorbereitet werden muß, betrifft $ 85 lediglich
die an dritte Perſonen gerichtete Aufforderung zur Ausführung einer
nad) $ 82 ftrafbaren Handlung. Dieje Aufforderung ift von der Vor-
bereitung fo verſchieden wie die Anftiftung von der Tat.” Und es ft
befannt, daß $ 85 vielfältig auch font als nicht in Ki Syitem nie
Abſchmits unſeres Strafgeſetzbuchs hinein, Bun zu den 88 111
gehörig bezeichnet worden iſt. Daraus ergibt ſich folgendes: 8 8
ſpricht von einer borbereitenden Handlung. Wenn ic) elie arelem hoch⸗
angeſehenen Juriſten in ſeinen Deduktionen folgen darf .
Präſident: Wer iſt dieſer Juriſt?
Liebknecht: Das iſt der Herr
Oberreichsanwalt Olshauſen!
(Große Heiterkeit und Bewegung.) Wenn alſo in 8 86 bon einer „bor-
bereitenden- Sandlung” die Rede ift, fo muß es fi um ein bod-
verräterijhe3 Unternehmen handeln, da8 ala ein eigenes ausgeführt
werden joll, und es genügt nicht der Plan eines fremden hoch—
verräteriichen. Unternehmens, nicht aljo eine Aufforderung an andere,
ihrerjeit8 vorbereitende Handlungen zur Ausführung, eines hoch—
berräteriichen Vorhabens zu vollbringen. Durd) das Medium der Auf-
forderung ift da8 Band zwiſchen der eigenen Tat und dem hod)-
berräterijhen Unternehmen zerriffen. * alaube, dag damit der An-
klage juriftifch der Boden entzonen ift und bin begierig, ob der Ober-
reihsanwalt nicht am Ende aus dieſen feinen. einenen er
heraus nunmehr er an eugung bon der Unhaltbarkeit der Anklage
entnimmt und fie fallen I Iäht.
Damit find die iuriftiiehen Bedenfen noch nicht erledigt.
Bas will ih zunächſt?
Ich agitiere für einen Ausfchuß. sch erreiche vielleicht, daß auf
einem arteitage der deutichen Sozialdemokratie ein Ausſchuß be-
Ichloffen wird. Darauf wird diefer Ausſchuß vorausſichtlich irgendwie
Eonftituiert. Der Ausſchuß agitiert vielleit jelbit, er wird es aber
wohl nicht jelber tun, fondern — und das habe ich borgeichlagen —
wieder andere. Perſonen damit betrauen, oder gar die fpontane Tätig-
keit anderer Perſonen nur fördern, kontrollieren. Was wird geichehen?
In welchem Sinne wird agitiert? Im Sinne derjenigen Aufklärung —
Stimmungsmade will ih das einmal nennen —, die ich in meiner
Schrift gefennzeichnet habe.
Denn ich nun Sugendorganilationen und den geforderten Ausſchuß
babe, jo genügt das noch nicht. Diefe Organifationen und der Ausſchuß
n fen arbeiten, um die erftrebte Stimmung zu erzielen, Und dag iſt —
der Darftellung meiner Schrift jelbft — eine langwierige, mühfelige
- ran
6
Arbeit. €s ift ja notivendig, daß der weit überwiegende Teil der Be-
bölferung von antimilitariftiichem Geifte durchtränkt wird, ehe der Er-
fola Der Unmöglichkeit des Krieges eintritt. Und nicht einmal nur daS:
‚sn beiden Ländern (fo führe id) aus), die für den Krieg in Betracht
formen, muß dieſe Zerſetzung des militariftifchen Geiftes gleichmäßig er-
folgt fein. Es handelt ſich aljo nicht um eine Vorbereitung zu einer Vor⸗
bereitung, fondern um eine Vorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer
Rorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer Vorbereitung — zu einer
tion, Die demnädjft vieleicht — hoffentlich! — die Stimmung erzeugt,
die denn Erieg unmöglich macht! Der Begriff Vorbereitung darf über-
haupt zwächt Ingiih gefaßt werden. Nehmen Sie an, ich hätte diefe
Schrift micht geichrieben, fondern nur da8 Papier gekauft, in der Abficht,
fie zu TcHreiben. Das ift unzweifelhaft eine ganz wejentliche Vorberei-
tung Zırr Abfafſung. VLogiſch ift gar nichts dagegen einzuwenden, daß
did eirte Vorbereitung zu meinem angeblichen hochverräterifchen Unter-
nehmert ei. Mit demjelben Recht darf man auch jagen: Die Erzeugung
bon Türedern künne eine Vorbereitung zum antimilitariftiichen od):
berrat Tein. Logiic iſt auch dagegen nichts einzumenden. Praktiſch
iſts natiirlic läherlid, aber man fann doc) die Abficht hegen, die Kinder
au jpäterer antimilitariftifher Wirffamfeit zu erziehen. Aus alledem
folgt, Daß der Begriff der „vorbereitenden Handlung” nicht logiſch, ſon⸗
em re einer praktiſch veritändigen Begrenzung gefaßt werden muß.
Sann tritt nun nad) Annahme meiner Schrift der Erfolg ein, dag
3.8. ein Krieg zwiichen Frankreich und Deutſchland unmöglich wird? Zu-
naht Tee ich den Fall, da der Krieg überhaupt ausbricht. Das ift leider
möglich, aber glüdlicherweife nicht wahrſcheinlich: erfte Unbeftimmtheit.
en ıft weiter notwendig? Die Entwidelung, meinethalben aud)
—— —*— einer beſtimmten geiſtigen und moraliſchen Dispoſition. Um
dieſe Dispofition zu ſchaffen, müſſen ſechs bis acht Zwiſchenglieder, die
pen beichrieben habe, durchlaufen, muß eine unendliche Arbeit ge-
eiftet Yoerdeni Der Oberreihsanmwalt meint: €3 fteht in der Schrift:
i * eit ift reifl Darauf iſt fo viel herumgetreten worden. ch kann
ini terdings nicht einfehen, wie man dieſes Wort jo fundamental hat
d Derftehen fünnen. Nirgends ift in der Schrift ein Zmeifel nelafien,
ER Diefeg Wort ausſchließlich befagt: Die Zeit ift reif, es ift dringende
dies » Die antimilitariftilde Propaganda energiih zu beginnen; nur auf
ke — eiſe iſt es möglich, die langwierige, mühſelige Arbeit überhaupt
3% VOrdern, zu verrichten, als die ſich die Aufklärung der Mafien darftellt.
Die Sozialdemokratie ift vor über AO Jahren gegründet. Als Laſſalle 1863
jetn Dffenes Antwortſchreiben erließ, jprach er die Ueberzeugung aus:
Dpe Beit ift reif für eine proletarifche Agitation. und Organifation! Im
tamen lage ich an der enticheidenden Stelle ausdrüdlih: Das Prole-
tt zur Erfüllung feiner antimilitariftifhen Aufgaben — leider! —
Tan An gſt nit reif! Es iſt noch alles zu tun übrig! Wir find noch in
jein Kinderfhuhen! — Meines Eraditens kann aljo feine Rede davon
nn Daß das bon mir angeblid) geplante Unternehmen ein „be
Hinmtes“ ig,
un haben wir gejtern und heute früh mehrfach die wechſelreiche,
mentewerYiäe Gedichte und den jegigen Zuftand der Anklage zu er-
fahren gehabt. Nachdem, wie ich annehmen muß, das bisherige Ver-
Kr z- Int eine ausreichende bengalifche Beleuchtung gefest ift, will id)
viele et nem dhevaleresfen Gefühl heraus jet zu diefer
N WUrıgriffen nicht noch meitere hinzuhäufen. Ich bin zwar der
>
— A a
am meiften Betroffene; dieje Aktion bezwedt ja nichts weniger, als mich
ins Zuchthaus zu bringen. Aber (mit einer Handbewegung zum Ober-
reichsanwalt)
ich will Gnade vor Recht ergehen laſſen.
Ich habe mich hier abzufinden mit der Tatſache, daß jetzt
eine ganz neue Anklage
gegen mich erhoben iſt. Mit der Anklage des Oberreichsanwalts habe
ih mid befaßt; fie fommt faum mehr in Frage; der Prozeb-
leiter hat fie ja überhaupt faum zur Erörterung geftellt. Die Anklage
wiederum, die man mir vom Richtertiſch entgegenhält, und die
bon der Anklage der Anklagebehörde, wie vom Eröffnungs-
beſchluß, grundjäglich abweicht, wird vom Vertreter der Anflage-
behörde gefliſſentlich unbeachtet gelafien. Abgeſehen der Ungeheuer⸗
lichkeit, daß ich in einr ſo ernſten Sache die wirkliche Subſtanz der
Anklage erſt im Termin erfahren habe — worauf ich freilich takt
war —, fehe ich mich vor diefer ganz außergewöhnlichen Diflonanz
— — Auklagebehörde und Richterkollegium, die einander geradezu
bekämpfen; und ich ſtehe in der Tat vor der Notwendigkeit, mich nicht fs
fehr gegen den Anfläger zu verteidigen, deſſen Waffe bereit3 zerbrochen
ift, fondern gegen eine vom Vorſitzenden des Richterkollegiums gefabte
mündlid) mitgeteilte Formel.
Die hohen Senate, wenn aud) höchſte Inſtanz, find wohl im-
ſtande, von ihren eigenen Beſchlüſſen abzugehen. Ich muß infolgedeſſen
gegenüber dem Beſchluß von heut morgen nochmals betonen: Nach meiner
ganz abſtrakt gewonnenen Ueberzeugung kann kein Zweifel obwalten,
daß die Formulierung, die der Präſident geſtern vorgetragen hat, mir
eine andere Tat zum Vorwurf macht, als die Anklage und der Er⸗
öffnungsbeſchluß. Es iſt bisher nirgends die Rede geweſen davon, daß
mein Zweck darauf gerichtet ſei, die Kommandogewalt des Kaiſers zu
beſeitigen. Das iſt ein Novum. Allerdings ſtützt ſich auch dieſe Be—
hauptung auf Stellen meiner Schrift; aber dieſer rein äußerliche Um—
ſtand iſt abſolut nicht imſtande, die nötige Sdentität der Tat herzuftellen.
Schon darum nicht, weil zu jedem konkreten Hochverrat ein konkretes Ziel
gehört; und wenn an Stelle des Zieles, das mir früher imputiert worden
var: Abſchaffung des ſtehenden Heeres, nunmehr geſetzt wird: Aufhebung
der Kommanbogewalt de3 Kaiſers, dann tft das ein neues Bel alſo eine
neue Tat, alfo ftehe id} vor einer neuen Anflage; und wenn ich daraufhin
verurteilt werde, dann bin id) rechtswidrig verurteilt. Und das iſt
keineswegs nur eine Frage bon formell-prozeffualem Intereſſe, das it
von entiheidender praftiiher Wichtigfeit für die Möglichkeit, mich
überhaupt noch zu verfolgen. Denn, wenn eine andere Handlung vor:
liegt, dann können Sie mid) gar nicht mehr, auch nicht in einem anderen
Verfahren, auch nit auf Grund einer neuen Anklage und eines
neuen Eröffnungsbeſchluſſes, verurteilen, weil Prefverjährung ein-
getreten ift, Deshalb iſt es für mic höchſt bedeutfam, ob die Herren.
die bisher Sdentität der Tat angenommen haben, wirklich noch) auf diefem
Standpunft ftehen. Ich fordere alfo, und als Angeflagter darf ic}
fordern — «3 bandelt ſich um meine Freiheit, — nicht um meine
Ehre, denn die unterliegt nicht dev Macht des Gerichte, die könnte mir
durch einen Spend) des Gerichts nicht genommen werden — ich fordere,
daß ich wegen Verjährung aufter Verfolgung geſetzt werde.
Wie fteht3 nun aber mit diefer neuen Anklage, wenn ih fie zu-
grunde lege? Danach foll id) geplant haben, die Kommandogewalt des
1 —
Natfers zu vernichten, und zwar mit Gewalt. Ich habe jedoch, um den
inneren MWilitarismus herauszugreifen, im weſentlichen von Staats-
ftreichen geſprochen. Natürlich iſt die Anklage für einen folden Yal
nigtig,_ weil eine ftaatöftreidjleriihe Gewalt nicht legitim iſt und das
VolE richt bindet, weil ihre Abwehr LVerfafiungsihug, nicht Hochverrat
iſt. Aber nehmen wir einmal an, daß es zu Unruhen anderer Art
font. Geben wir den Zall von Hildburghaujen, wo 1904
Militär gegen „rebellierende“ Techniker requiriert worden war. Wer
hıtte Damals das Militär fommandiert? Es war
ein blutjunger Leutnant,
der auıf polizeiliche Veranlaffung einfhritt. Ja, der Leutnant ift
doch wuächt der Inhaber der kaiſerlichen Kommandogewalt, von der in der
VerfaTTung die Rede ift! Truppen find bei dem Bergarbeiterftreif
ber 135399 in Rheinland-Weftfalen vorgegangen. Wer hat fie herbeigerufen?
Nicht Der Kaiſer — der Oberpräjident der Provinz. Wenn ich unter
diefert Truppen agitiert hätte — etwa im Siune der Rebolutions-
rom a a tik der Reichsanwaltſchaft —, um fie zu veranlaffen, nicht zu
dießen, würde id fie damit veranlagt haben, einem Befehle des
Kat Terz nit zu folgen? Sol man denn wirklich nod) nötig haben, ſich
gegerz eine foldie Idee zu verteidigen? Nun will ich aber mweitergehend
logar den ganz bypothetiichen, jeder beſtimmten Ausſicht entbehrenden
dall Tegen, daß ein riejenhafter Generalftreif über ganz Deutichland aus-
bricht > ‚der Kaijer erflärt den Belagerungszuftand, Truppen werden
Ionfigniert, follen losichlagen, und nun will ein Teil der Truppen nicht
gehorchen. Der Vorſitzende meint, unter diefen Umftänden könne da-
durch 3 lutvergießen entitehen, daß nunmehr die gehorfamen Truppen
ine Meannihaften, die in paffiver Refiftenz verharren, durd) Gewalt zu
nötigert fuchen, ihre Pflicht zu tun. Ich will die Verfaffungsmäßigfeit
eines Tolden Einfchreitens nicht prüfen, fondern einfad vorausſetzen.
Aber — Dann fommt ja doch die Gewalt hinterher, dann ift ja doch
die Ecã mung der Kommandogewalt vollzogen, bevor die Gewalt kommt,
und Die Gewalt findet ſtatt, um fie wieder herzuſtellen. Daran iſt doch
gar Echt zu deuteln. Sene Unterftellung, jene legendäre Möglichkeit,
bon Dex Hier die Rede ift, fie jeßt den Fall fo, da die Gewalt geübt wird
nicht zaer Zahmlegung der Kommandogewvalt des Kaifers, fondern hinter-
ae Nexrd ihrer Lahmlegung. Auch aus diefem Gefichtzpunft kann ich
agen : Die Anklage ift ſchon rechtlich von Grund aus haltlos,
Die Iugendorganifationen
er Srfenntni3 verbreiten. Das dürfen fiel Das darf id!
) hal fol ih das nicht? Meil id) die Weberzeugung hege,
en Die Verbreitung bon Aufflärung unter Umftänden zu rebo-
na en Ereignifien führen fönnte? Was wollen Sie aber gegen
ee ae Mareitung bon Aufklärung madhen? Es gibt feine Macht der
velt, Te fie verhindern könnte. Auch fein Spezialgeſetz, von dem der
eine WBeEteidiger ſprach fünnte dem vorbeugen. Und garantiert nicht
— damentale Verfaſſungsbeſtimmung das förmliche Recht zur Ver-
breiturng pon Aufklärung? Ich will diefe Auftlärung und verſpreche mir
von Beer Verbreitung eine moralifche Dispofition der Bevölkerung, die
tultarasüprige Gewalt unmöglich madjt. Niſo weil ich meinerfeits eine
Sof Arıg fnüpfe an eine Handlung, die ich bornehme, darum wollen
Sie Wich beitrafen! Im 5. Bande feiner Entfcheidungen hat das Reichs
gericht Den Ball erivogen, daB jemand fein Kind etwa dahin untermweift:
— 72 —
Wenn es, nachdem du erwachſen biſt, geſchehen ſollte, lieber unge, daß
man gegen das Proletariat Gewalt anwendet, dann iſt es deine Pflicht,
mit Gewalt entgegenzutreten! Das iſt nad diefer Entſcheidung
des Reichsgerichts nicht ftrafbar. Aber ich fordere gar nicht einmal eine
Erziehung zu revolutionären Grundſätzen in dieſem Polizeiſinn, ſondern
nur im Sinne der Aufklärung, der Belehrung. Das genügt vollauf.
Die Erkenntnis ift es, die ung die Leute bringt. Willen iſt Macht! Das
Willen, deſſen Verbreitung niemand — kann. Das einzige „ſtaat s⸗
gefährliche“ iſt die Perſpektive, die ich eröffnet babe, daß
nämlich, wenn die Erkenntnis, die ich wünſche verbreitet wird, dies für
die Barbarei unſerer gegenwärtigen Zuſtände gefährlich ſei. dieſe Per⸗
ſpektive iſt aber beileibe kein hochverräteriſches Unternehmen; ſie vermag
zu dem objektiven Tatbeſtand, dem es hier an allen Eden "und Enden
gebricht, Fein Tüpfelchen hinzuzutragen. a Perſpektive habe ich doch
nicht geichaffen, Ihafie 2 doch nicht. Ich bin nicht daran ſchuld, daft Die
Aufklärung über das Weſen in Gejelihaftsordnung gefährkiche
Stimmungen zeitigen fann! Das ift die Schuld der gegenwärtigen Ge—
———— Es gibt ein Ausgezeichnetes Mittel, dieſe
Gefahrenaubefeitigen, die Ihnen drohen: Sorge man dafür,
daB an Stelle des gegenwärtigen Heeresſyſtems ein unferer Kultur ent-
ſprechendes Syſtem eingeführt werde, daß das Heer nicht gebraucht werde
gegen den inneren Feind, dab die militäriihen Laſten ſich vermindern,
daß die Soldatenmißhandlungen verſchwinden und alles das, was unſeren
Militarismus zu einer Kulturſchmach macht. Dann würde meine Auf-
ge Ihnen unſchädlich gar zu Boden fallen, fie wäre nr
und inhaltslos. In Wahrheit: Es handelt fi hier einfach um das
Faktum, daß durd die Verbreitung geiftiger Klarheit, höherer mo—
raliiher Auffaſſung und eines vertieften Lebensbedürfniſſes, die not-
wendig im Widerſtreit ftehen zu der Unvernunft, Unfultur und Un-
geredhtigfeit unferer jozialen Zustände, ein Antagonismus erzeugt wird,
der den herrihenden Klaſſen Schwierigkeiten bereitet. Diefe gegen mid)
geführte Anklage will jenes Hohnwort Lafjalles zur Wahrheit machen:
daß die Verbreitung von Vernunft bereits Hochverrat
fei. So liegt die Sache in der Tat! Diefer Prozeß ift ein Tendenzprozeß
im bverftiegenften, ſuperlativiſchſten Sinne des Wortes, ein Prozeß, ge-
richtet nur gegen meine Tendenz, gegen meine Gedanten und Wünſche,
und hervorgegangen aus den politiihen Wünſchen meiner politifchen
Gegner. — Ich aber ftelle feit: Jede Handlung, die bon mir unternommen
ift, erichöpft fich in der Verbreitung von Vernunft und ift an und für ſich
legal, ganz offenbar legal Durch die Hoffnungen und Erwartungen,
die ich an fie knüpfe, mögen fie jein, welche fie wollen, fann fie nimmer-
mehr ungejetlid) werden.
Die Feigheit des Angeklagten.
Natürlich hege id) nicht den geringiten — daß alles das deniee,
was ic auf antimilitariftiihem Gebiete tue, Ichr weiten Kreilen
höchſt unangenehm ift. Sch wußte, dab ich mir ſehr mächtige Feinde
zuziehen würde durd) das, was ich tat, und ich habe e3 netan im vollen
Bewußtfein deflen, eine Welt von wohlgewappneten Feinden gegen mich
aufzurufen. Angeſichts diefer Tatſache, angeſichts meines Verhaltens
Be nit nur in diefem Prozeſſe, hat der Oberreichsanwalt heute
Geſchmack bejeljen, mir zu imputieren, daß ich mir eine Maske auf-
Tee. Der Verteidiger Haaſe hat diefen Anmwurf bereits fo erledigt, wie
— BB
er meines Ergchtens nur erledigt werden darf. Es ift etwas viel
Erniteres, als Reditsanwalt, als Familienvater, als gänzlich vermögens-
Iofer Menſch, der von feiner perfönlichen Arbeit lebt, ſich in den Strudel
der Politik hineinzuwerfen und anzubinden mit den wehrhafteften Ber-
tretern unferer heutigen Zuftände, — das iſt etwas
viel Gefährlicyeres, als Anklagen zu erheben.
Uno ih weiß nicht, woher der Oberreichsanwalt die Xegiti-'
mation entnimmt, auch nur den Schatten eines Vorwurfes jolcher
Art gegen mi) zu erheben. Ad, Herr Oberreichsanwalt, id
bin nicht feige! Ich Ttehe zu meinen Taten! Ich bin nie feige ge-
weſen, und id) meine, daß e3 eine Sozialdemokraten unwürdig ift, auf
den Vorwurf der Yeigheit überhaupt zu antworten.
Und nun! Wie ift die Situation hier in diefem Saale?
Ich habe ſchon wiederholt betont, auch außerhalb dieſes Haufes:
Diefer Prozeß ift ein Gottesgefchent!
a, ift das nit richtig? it das Fein Gottesgeſchenk, daß ich mid)
einer folchen Anklage, einer ſolchen gerichteten Anklage gegenüber jehe,
daß es und möglid) ift, daß es gerade mir möglich ift, hier vor der
ganzen Welt meinen antimilitariftiihen Standpunkt zu entwideln!
Das ift in der Tat etivas, was ich nicht genug preifen fann! Und wenn
id) noch einer mohlgewappneten Anklage gegenüberjtändel Aber .
einer Anklage gegenüber, die nichts anderes zu erregen imftande ift als
Mitleid — da könnte ich feine Regung der Feigheit haben, jelbft wenn
ic) ein Haſenherz wärel
Ein ſyſtematiſcher Feldzug.
Aus den Vorgängen der legten Zeit geht klar hervor: Es gilt
einen ſyſtematiſchen Feldzug gegen den Antimilitarismus und die
Sugendbewegung! Und dies hier ift die erfte große Kavallerienttade,
Wir haben ja gehört, wie ernft man den Antimilitarismus an einfluß-
reihen Stellen auffaßt. Man begann mit den \sugendorganijationen.
Wir jahen, wie vor fait Sahresfrift in Königsberg ein Familienvater
unter dem Weihnadjtsbaum weg verhaftet wurde, ohne jede begründete
Veranlaſſung, zu einer Strafvollftredung, nachdem er ſchwer verurteilt
worden war, weil er Leiter einer Sugendorganifation geweſen ilt.
Dann kamen die Verfolgungen der Berliner Organijation, der
anderen norddeutichen Organijationen, offenbar rechtswidrige Afte der
Polizei in großer Zahl. Das bin ich gern bereit vor Gericht zu ber-
antworten. Ein Landrat aus der Umgebung Berlins gibt nicht, wie es
feiner Pflicht entipricht, dem Vertreter der Sugendorganilation auf
feine gehörige und mohlbegründete Beſchwerde eine jachliche Antwort,
fondern fertigt den Beſchwerdeführer mit ungezogenen Redensarten ab
wie einen Schulbuben. Und diefer Hochverratsprozeß fteht nicht allein.
Schon ſchweben drei oder bier derjelben Art. Wem unter diefen Um-
ftänden nicht Klar ift, daß man hier ein beftimmtes Ziel im Auge hat,
. da8 Ziel, die antimilitariftiiche Agitation zu vernichten,
die Sugendorganifation abzutun,
der muß mit Blindheit geichlagen fein. Mit jenen Verfolgungen der
Sugendorganijationen, mit der peinlichiten Ueberwachung der anti-
militariftiihen Bewegung ging die Geihichte los. Da kommt meine
Broſchüre. Aha, fie muß gefaßt werden. Ich weiß nicht, wer fie dem
— 7 5
Oberreichsanwalt als beſonderes Präſent unterbteitet bat, aber das iſt
flar, daß diejer Jemand
ein ſehr robuſtes Gewiſſen
haben muß, wenn er dem Oberreichsanwalt die Auslegung und Sen
Auszug juggeriert hat, die in der Anklage enthalten find.
Präſident (unterbrechend): Dieſe Betradjtungen find ſchon von
anderer Seite ausreichend angeftellt worden. Wir haben es doch wohl
faum damit zu tun. ch möchte bitten, zur Sache zu fommen,
Liebknecht: Sch war bereits entichloffen, damit azruo ſein zu laſſen
des grauſamen Spieles. Es iſt klar, daß der Zweck, den ich meinerſeits
verfolge, nur bezeichnet werden kann mit den kurzen Worten: Verwirk⸗
lichung der Verfafjung! Nicht aber: Vernichtung der Verfafjung! Mein
Zweck ift, an Stelle der Kriegsbegeifterung zu ſetzen eine höchſt intenſive
—— — Das iſt der Kern und die Konſequenz meiner
ri
Der Oberreichsanwalt hat gemeint, daß ich ganz offenſichtlich Ge—
walt anwenden wolle. Ich will dieſe Behauptung nicht nochmals nach allen
Richtungen widerlegen, nachdem ſie von meinen Verteidigern widerlegt
worden iſt. Ich will nur noch einige wenige Punkte herausgreifen. Die
klaſſiſche Ausführung des Oberreichsanwalts zu meinen Bemerkungen
über die Waffentechnif hat Saafe berührt. Wenn ich dort die Zufunftg-
ausſicht außmale, daß die MWaffenerzeugung wiederum Allgemeinheits-
fache werde, rede ih natürlih bon der — der Waffen⸗
produktion, nicht von ihrer Monopoliſierung durch das Proletariat oder
dergleichen. Wenn der Oberreichsanwalt mir, vorhält, daß ich dent
Militarigmus den Krieg bis aufs Meſſer erfläre, fo it mir nad) ge-
willen Erfahrungen nicht ganz Elar, ob der Oberreichganmalt das nicht
vielleicht doch mortwörtlich genommen hat. Ich muß damit rechnen,
daß er am Ende doch meint, ich wolle mit Meffern und allen möglicden
Inſtrumenten gegen den Militarismus vorgehen. Das wäre ein köſt⸗
liches Pendant zu den berühmten revolutionären Bierjeideln aus dem
a Hochverratsprozeß.
Nun habe ich geſagt: Si vis pacem, para bellum, nämlich gegen
den Militarismus! Und das ſoll, ſo behauptet der Oberreichsanwalt,
für gewalttätige Abſichten ſprechen! Sa, wenn ich gegen den
Militarismus „rüfte”, jo tue ich es, um Srieden zu haben, nicht
Krieg. Dann hat der Oberreichsanmalt auf Seite 30 meiner
Schrift hingewieſen; dort zeige fi, daß mir der Gedanfe einer
bewaffneten Revolution gung fei. Aber der iſt doch der Geſchichte
geläufig. Die gar zu abfonderlihe Umredigierung des Wortes „un-
günftig” ijt bereit3 gebührend abgefertigt und kann mir feinen Anlaß
zu Weiteren Auseinanderjegungen geben. Aber gerade bier jehe ich
vielleicht den pſychologiſchen Schlüſſel zum Verftändnis der ganz un-
gewöhnlichen Anklageichrift. Sch habe geglaubt. daß die Anklage recht
bösartig —— ſei, daß fie manche Qualitäten enthalte, die ich, um
im Rahmen des Parlamentariichen zu bleiben, hier nicht hinreichend
fennzeichnen will. Aber nad) jener Interpretationsleiſtung möchte ich
faft doch mit der Möglicjfeit rechnen, daß alle Unſäglichkeiten der An-
Engefchrift in gutem Glauben zuftande nefommen find.
Sch fol zu Gemalttätigfeiten aufreizen? ch, der ich mich um bie
äuferfte Verſchärfung der planmäßigen Agitation gegen den Fe und
alle Gewalt nad) Kräften mühe? .
— 75
Der wirkliche Grund der Anklage iſt klar. Dieſer Grund iſt
nicht juriſtiſch, ſondern politiſch,
und darum iſt es ſchwer, dieſe Anklage juriſtiſch anzufaſſen. Sie iſt
— ein Akt der Staatsräſon, u ein Akt der Juſtiz. In einer
Sgrift, die den Zweck verfolgt, Frieden zu ſäen anitatt Krieg, die eine
Friedhaftmahung der Weltpolitif erjtrebt, die fi) wendet gegen den
waffenftarrenden Militarismus, gegen dasjenige Inſtrument der Gefell-
ſchaft, deſſen Zweck und Weſen die Gewalt iſt; in einer ſolchen Schrift
ſoll — indem man den Spieß umkehrt — die Vorbereitung zu Gewalt⸗
tätigfeiten gefunden werden! O nein! Die Gewalt wird verteidigt
durch diefe Anklage gegen die Verſuche zur Beſeitigung der Gewalt.
So fteht's in Wirklichkeit.
Ich will den Frieden, der Oberreichsanwalt aber die Gewalt.
Sch verfolge den Zweck, die Entfcheidung über Krieg und Frieden
aus dem Dunkel der Kabinette und Diplomatenſchleichwege herauszu-
holen und an das Licht der Deffentlichkeit zu ziehen. Das fafjen die
Herren ganz bejonders unmwillig auf. Ich will, dab die Enticheidung
über Krieg und Frieden dem Willen des ganzen Volkes unterftellt werde.
Sc weiß, daß man derartige Beitrebungen jehr unangenehm empfindet,
und daß man die zünftige Diplomatie hier gern weiter, ihres Amtes
walten laſſen und den jegigen Abſolutismus erhalten mödte. Nicht3-
deſtoweniger iſt es Pflicht jedes Eulturell empfindenden Menichen, jedes
Sozialdemofraten, dafür zu jorgen, daß bier eine Aenderung geſchaffen
wird, daß das Volk, das die Laſten des Krieges zu tragen hat, aud)
über den Krieg zu entiheiden bat. Sch will ſchließlich, daß unjer Heer
nicht gegen den inneren Feind, zum Bürgerkrieg, verwendet werde. Und
das hat fiher am meiſten böſes Blut, ja heftigite Empörung gegen mid)
erregt. Auch hierbei vertrete ich offenbar das Prinzip des Friedens.
So viel von meiner Schrift und der Anklage.
Ehrloſe Sefinnung.
Der Oberreichsanwalt bat ſich erlaubt, mid) aud) perſönlich hinein-
zuziehen und meinen Charafter anzugreifen. Der Oberreichsanwalt
bat den Antrag geftellt auf zwei Jahre Zuchthaus, wenn ich mid) nicht
irre — id) habe nicht genau hingehört —, und wohl auch auf Ehrverluft;
er bat mir ehrloje Gefinnung nachgefagt. Sa, meine Herren. Chrloje
Gefinnung — Sie fünnen glauben, daß ich fie habe. Es ift möglich;
meinethalben; ih kann Ihnen den Glauben nicht nehmen. ch Itehe
mit verjchränften Armen vor Ihnen. Was ich von meiner Gefinnung
zu halten habe, daS weiß ich. Meine Ehre ift mein, und wenn fie alle
fünfzehn der Auffaffung find, daß ich eine ehrlofe Gefinnung habe, und
wenn Sie mid) ins Zuchthaus fchiden und mir die Ehrenrechte ab-
ſprechen: Sch bin innerlich nicht berührt. Das wird von mir abprallen,
und wird für meine Ehre fein wie ein Hauch auf einen blanfen Spiegel!
Aber dem Oberreihsanwalt ganz befonders möchte ich nad) dem, was
Gier zutage getreten ift, jede Legitimation abfpredjen, von meiner Ehre
auch nur zu reden!
Sm übrigen hat diefer Prozeß die denkbar beite Wirkung, mag das
Kefultat fein wie eg wolle. Sie können meine Eriftenz vernichten und
— ——
die meiner Kinder; das iſt möglich. Aber im politiſchen Kampfe werden
die Familien oft geopfert. Der Dienſt im politiſchen Kampfe iſt ein
rauher Dienſt. Und wie der Soldat, der in den Krieg zieht, auf die
Kugel gefaßt iſt, die ihn niederwirft, ſo weiß der Sozialdemokrat, der
ſich aufs Schlachtfeld der Politik begibt: jeden Augenblick kann er dahin⸗
gerafft werden. Manch einer bleibt auf der Strecke. Es iſt ein Mann
über Bord; es werden andere an ſeine Stelle treten! Sagen Sie:
Mann über Bord! Hier iſt für meine antimilitariftifchen Gedanken
eine glänzende Propaganda gemacht worden. Unſerer Juftiz aber ift,
wie mir fcheint, fein großer Dienft erwiefen worden. Und es hat ſich
hier von neuem gezeigt, was im politifhen Prozeß die Regel ift: der
Pfeil kehrt fid) gegen den Schützen und trifft den Schützen! Ach fühle
mid hier nicht als Angeflagter, wenn id) and) verurteilt werde,
Der Präfident verfündigt die Fortſetzung der Sehandln auf
Sonnabend 11 Uhr.
Dritter VBerhandlungstag.
Zeipzig, den 12. Oftober.
Zu der Ben Sikung herrfcht wiederum ein ungeheurer An-
drang. Die Korridore und Treppen des Reichsgerichts find lange vor
der feitgefegten Stunde bon einer großen Menjchenmajle bejegt, die ſich
bei der Deffnung der Türen zum Sitzungsſaale Dean ſucht.
Es wird jedoch eine ſtrenge Kartenkontrolle geübt. Trotzdem ift der
geräumige Zuſchauerraum im Nu bis auf den letzten Platz gefüllt.
Auch die Logen ſind überfüllt. Auf dem großen Platze vor dem Reichs-
nn bat ſich eine vieltanfendföpfige Menge angejammelt, die
uch ein Schukmannsaufgebot nur mühjam zurüdgehalten wird. Kurz
nad) 11 Uhr erſcheint der Gericht3hof.
Der lem Senatspräfident Dr. Treplin fragt die Prozeß-
beteiligten, ob fie noch Erklärungen abzugeben haben.
Oberreichſsanwalt Olshaufen: Der Herr Angeklagte, dem am letzten
Berhandlungstage das letzte Wort erteilt worden war, und der an-
nehmen fonnte, daß nad) dem gewöhnlichen Gange der Verhandlung ich
nicht mehr in der Lage jein würde, noch etwas auf feine Ausführungen
zu erwidern, hat eingehende jurijtiihe Darlegungen und eingehende
politifhe Ausführungen gemadt. Es liegt mir ganz fern, bier int
einzelnen darauf einzugehen. Auf die politiihen Musführungen, von
denen der Herr Angeklagte deutlich zu erfennen gab, daß er fie machte,
um in diejem Gerichtsfaal Propaganda für feine Ideen zu machen,
gehe ich nicht ein, weil fie nach meiner Auffaliung überhaupt nicht zur
Sade gehören. Auf die juriltiihen Ausführungen im einzelnen gehe
ich nicht ein, weil fie in der Hauptjache derartig irrtümlich waren, daß
ich nicht genötigt bin, ein Wort darüber zu fagen. Er hat aber ——
den Kommentar ———— ausſpielen zu können gegen den Oberreichs⸗
anwalt Olshauſen. Er hat aus einem Kommentar von mir eine Stelle
zur Verleſung gebradit, die angeblich) in Widerſpruch fteht mit dem, was
ich bier perjönlich ausgeführt habe. Er hatte damit bei einem Teile
des Publikums einen SHeiterfeit3erfolg zu verzeichnen. sch glaube, es
wäre richtiger geweſen, wenn der Herr Angeklagte, ftatt aus einer
älteren Auflage hier etwas zur Verlefung zu bringen, zu der neueften
Auflage gegriffen hätte. Er hätte dann ſehen müſſen, daß das, mas
ich früher vertreten habe, in der neneften Auflage ich nicht mehr vertrete.
Mit der mir in ſolchen Dingen immer eigenen Offenheit habe ich in
der neuelten Auflage ausdrüdlich darauf hingewieſen, dab ich auf Grund
eingehendften Studiums zu einer anderen Anficht gefommen bin. Sch
babe eh Studien über diefe Schwierige Materie gemadjt und bin
auf Grund hervorragender, Arbeiten, jo 3. ®. auf Grund der Arbeit
von Binding, zu einer veränderten Auffaffung gefommen. Wenn der
Er vB:
Herr Angeklagte das getan hätte, dann würde er allerdings feinen
Seiterfeit3erfolg gehabt haben. Er hätte dann nicht jagen können, daß
der Oberreichsanwalt Olshauſen hier nicht feine wiſſenſchaftliche Ueber-
zeugung vertreten habe. Der Herr Angellagte hat behauptet, ich hätte
ihm Feigheit vorgeworfen und hat dabei auf fein mutige Benehmen
bier in diefem Saale hingewiefen. Ich habe ihm nicht den Vorwurf
der Feigheit gemacht, Al Verhalten habe ich nicht fritifiert. Das, was
id) getan habe, it, daß ich ausführte, daß er ſich in feiner Schrift,
die nach meiner Auffajjung eine Vorbereitung zum Hochverrat daritellt,
verjchiedene Male, namentlih in den Schlußfapiteln, die Maske der
Gejegmäßigfeit angelegt hat. Das ift aud) jet noch meine Anſicht und
das ift etwas ganz anderes al3 der Vorwurf der Feigheit. Dagegen
babe ich behauptet, daB der Angeflagte ans ehrlofer Gefinnung heraus
aehandelt habe. Der Angeflagte hat dagegen protejtiert und er hat
mir die Legitimation abgeiprodhen, mit einer Wendung, die nit nur
nad) meiner Auffaſſung, jondern auch nad) der Auffaljung des „Vor⸗
wärt3” eine perjönliche Spike gegen mid) enthielt.
Der „Borwärts“ hat in jeinem Bericht durchaus richtig wieder-
gegeben, daß der Angeklagte gefagt hat: „Rad) dem, wa3 in diefem
Saale vorgegangen ift, Tpreche ich dem Oberreichsanwalt jede Legiti-
mation ab, über meine Ehre auch nur mit einem Worte zu jprechen.”
Darauf erwidere ich folgendes (mit erhobener Stimme): Ich habe nicht3
zu fcheuen von dem, wa3 bier zutage getreten ift, und der Angeklagte
weiß, daß ic; als Vertreter der Staatsanwaltſchaft hier Niene und als
—* PINS auch das Strafmaß zu erörtern habe. Er wei.
daß ich mic mit dem $ 20 des St.-6.-B. beichäftigen mußte, und er
weiß aud, daß e3 zur Aufgabe der Staatsanwaltſchaft gehört, über
bie anzuwendende Strafe zu ſprechen. Es war meine at einen be⸗
ftimmten Strafantrag zu formulieren. Wenn id) nad) der Prüfung
des ganzen Materials zu der Ueberzeugung komme, daß hier ein Ber-
brechen vorliegt, und wenn ich weiter jage, daß dieſes Verbrechen einer
ehrloſen Gefinnung entipringt, jo tue ich nichts als meine Pflicht, fo
unangenehm e3 dem Angeflagten aud) jein ab. daß ich hier vor aller
Deffentlichkeit dag ausſprechen mußte, jo Tann ich doch daran nichts
ändern. Der Angeklagte hat ſchließlich geglaubt, mit einer gewiſſen
Emphaſe auf ſich Hinweifen zu fünnen und zu fragen: Wo fteht hier der
Ankläger und wo der Angeklagte? Bei den letzten Worten hat er auf diefe
Bank hingewiefen. Sch muß das auf das entſchiedenſte zurückweiſen.
Ich jtehe hier at fniferlicjer Ernennung als Vertreter der Anflage-
behörde. Ich laſſe mir diefen Poſten nicht ftreitig machen. Der einzige,
der hier angeklagt ift, fteht da, wo er hingehört (auf Dr. Liebfnecht
weifend) das ift Dr. Karl Liebknecht Weiter habe ich nichts zu ſagen. —
Liebknecht: Herr Präſident, ich bedauere, aus den Worten des
Herrn Oberreichsanwalts entnommen zu haben, daß er fi) von eine»
richtigen Anſicht zu einer unrichtigen Anficht entwidelt hat. ch hege
ein gewijjes Gefühl der Pietät gegenüber dem Vertreter der Anflage-
bebörde, weil der Oberreichdanmwalt uns Juriſten alle viel Gutes. gelehrt
hat. Bei dieſem Gefühle der Pietät ift e8 mir innerlich ſehr ſchwer ge-
weſen, gegen ihn da3 zu fagen, was zu fagen ich. für notwendig gehalten
habe. Trotz alledem habe id} von dem, was ic gejagt habe, nidt ein Wort
— und muß insbeſondere auch jetzt noch einmal betonen,
aß ich hier in aaa Saale meine Stelle nicht taufchen würbe mit der
Stelle des Herrn Oberreichsanwalts. (Anhaltende Bewegung.) —
Hierauf zieht fi der Gerichtähof zur Beratung auenc
_ 79 —
Nach etwa Halbitündiger Beratung verfündet der Senat3präfident
Treplin folgendes
Urteil:
Der Angeklagte ift jchuldig der Vorbereitung eines hoch⸗
verräteriſchen Unternehmens und wird mit Feltungshaft Yon
einem Jahr und ſechs Monaten beitraft. Die Koften des Ver—
fahrens fallen dem Angeflagten zur Laft. :
Alle im Beſitze des Verfafjers, Druckers, Herausgebers, Ver
leger3 oder eines Buchhändlers befindlichen Eremplare der be-
ſchlagnahmten Schrift „Militarismus und Antimilitarismus”
ſowie die öffentlich ausgelegten oder öffentlich angebotenen
Exemplare diefer Schrift, dezgleihen die zu ihrer Herftellung
beitimmten Blatten und Formen find unbrauchbar zu machen.
In der Begründung führt der Vorfigende aus: Das Gericht hatte
zunächſt zu prüfen, ob der Einwand des Angeklagten, er ftände einer
ganz neuen Anklage gegenüber und er könne wegen der hier neu gegen
ihn erhobenen Anklage nicht, verurteilt werden, weil inzwiſchen Ver-
jährung eingetreten fei, rihtig war. Der Gerichtshof hat diefen Ein-
wand zurüdgerwiejen. Nach dem Geſetz bildet den Verhandlungsftoff
die in dem Eröffnungsbefchluffe bezeichnete Tat. Die Tat, der der An-
geflagte befchuldigt tft, ift die im Eröffnungsbefchluß bezeichnete Tat des
Verbrechens gegen 8 86 in Verbindung mit 8 81 Abſatz 2 des Strafgejeh-
buches. Das Gericht iſt der Anficht, daß die Verhandlung fi im Rahmen
des Eröffnungsbeſchluſſes gehalten hat. Denn nad) 88 263, 153 St.-Br.-D.
waren wir nicht behindert, neben der im Eröffnungsbeihluß vor-
genommenen Individualiſierung der Tat auch andere Gefichtspunfte
geltend zu machen.
In der Sache jelbit hatte der Gerichtshof zunächſt in eine Beratung
darüber einzutreten, ob die Tatbeftandsmerfmale einer borbereitenden
Handlung zum Hochverrat gegeben waren. Der Gerichtshof ift zu der
Meberzeugung gefommen, daß daS Tatbeitandserfordernis vorliegt. Es
muß eine vorbereitende Handlung vorliegen, es muB eine Handlung
borliegen, die ein hodjverräterifdhes Unternehmen vorbereitet. Wenn
diefe Borausfegungen vorliegen, dann war der Tatbeitand erfüllt.
Was das Tatbeftandsmerfnial der Vorbereitung anbetrifft, fo kann
fein Zweifel darüber bejtehen, daß es in der Verhandlung erichöpfend
nachgewieſen iſt. Es muß andererfeit3 eine Handlung vorliegen. Die
Verteidigung und der Angeklagte haben eingeivendet, eine ſolche Sand-
Yung liege nicht vor, e3 handele ſich um ein Jehrhaftes Bud, um eine
Darlegung von politiichen Grundfägen, um eine politifhe Geſinnung.
Es iſt der Verteidigung zuzugeben, daß, wenn diefe Vorausſetzung ge
—* wäre, eine Verurteilung nicht hätte erfolgen können. Aber es iſt
em nicht ſo. Es iſt richtig der Standpunkt der Verteidigung, daß
Gefinnungen niemals Gegenſtand einer ſtrafrechtlichen Verurteilung
fein können. Es muß vielmehr eine Handlung vorliegen, die äußerlich
in die Erſcheinung tritt.
Es müffen beftimmte Intereſſen verlett oder gefährdet fein. Nach
der Anficht des Gerichtshofes ift das für den vorliegenden Yall nad)
gewieſen. Es müffen nun weiter Mittel nachweisbar fein, durch welch
— 0 —
die Handlung verwirklicht werden fol. Als ſolche Mittel find in anderen
Fällen 3. ®. die Sammlungen von Geldern für einen Nationalfonds
und fo weiter angejehen worden. Es iſt von einer Seite hier eine vor⸗
bereitende Handlung darin gefunden worden, dab in der Broſchüre die
Förderung eines Krieges mit Frankreich zu erfennen fei, daß es fin
— darum handele, ſich in den Beſitz von Waffen zu ſetzen und dieſe
auszunützen. Das hat der Gerichtshof nicht als feſtgeſtellt er-
achtet.
Die Mittel, durch welche der Angeklagte eine Vorbereitung zum
Hochverrat betätigt hat, ſind
die Jugendorganiſationen.
Richtig iſt auch, daß ein bloßer Hinweis auf das Beſtehen der
Jugendorganiſationen nicht genügt. Die Jugendorganiſationen können
zum Beiſpiel ſich die Einrichtung von Arbeiterſchulen und die Organi-
Kerne der Jugend zum Biel maden Das Beitreben, Sugendorgani-
ationen zu bilden, genügt alfo nicht. Der Inhalt des Buches aber
läßt mit ungweifelhafter Gemwißheit erfennen, daß der Angeklagte gerade
im Gegenteil zu derartigen allgemeinen Beitrebungen es fi zur Auf
abe gemacht hat, die — ———— zu dem ausgeſprochenen
vet und Ziel der Belämpfung des Militarısmns zu benuten. Es
handelt fi) auch nicht um unbeſtimmte Pläne, die fi) der Angeklagte
gefegt hat, jondern um bejtimmte Vorſchläge, die ſich als Vorbereitung
zum Hochverrat darftellen. Er hat dieſe Organifationen big ins einzelne
gegliedert, er hat ein beſtimmtes Arbeitägebiet vorgeſehen, innerhalb
deſſen er arbeiten will. Die Sugendorganijationen follen fi) befonders
der Sugend im Alter von 15 bis 17 Sahren annehmen. Er hat aud) eine
Arbeitsteilung nad) Maßgabe des vorhandenen Materials für notwendig
erachtet, und es iſt davon geſprochen worden, daß möglichit diejenigen
Leute in der Sugendorganifation auftreten follen, die beſonders ge-
wandt und mit den Beitimmungen des Geſetzes vertraut feien, fo daß fie
die Schlauheit befiten, ſich nicht von den Angeln des Gefetes fallen zu
luſſen. Der Zweck joll die ſyſtematiſche Durchglühung von Haß gegen
den Militarismus bei der Sugend fein. Diejer Haß findet feinen präg-
nanten Ausdrud in einer Stelle der Brofhüre, wo gejagt wird: So
Perg (vom Militarismus) die Menſchen gezähmt, wie man Tiere
zãhmt.
Nun wird nach Maßgabe des Geſetzes als Tatbeſtandsmoment für
ein hochverräteriſches Unternehmen auch der Nachweis gefordert, daß ein
beſtimmtes hochverräteriſches Unternehmen vorliege, daß das Unter—
nehmen nicht in nebelhafter Ferne, ſondern in klaren Umriſſen vor⸗
handen ſein muß. Richtig iſt, daß nicht eine konkrete Geſtaltung des
Bildes in allen Einzelheiten verlangt wird. Es genügt, daß ſich in den
Vorſtellungen des Angeklagten ein Geſamtbild dargeſtellt hat. Daran
fehlt es hier aber nicht.
Nun ſoll das hochverräteriſche Unternehmen darin beſtehen, daß der
Angeklagte eine Aenderung der Verfaſſung beabſichtigt, und zwar eine
gewaltſame Aenderung. Wenn von einer Aenderung der Verfaſſung des
Deutſchen Reiches die Rede iſt, ſo muß dabei betont werden, daß es ſich
nicht um eine Aenderung der geſamten Verfaſſung zu handeln braucht.
Es können auch Aenderungen von einzelnen Teilen der Verfaſſung in
Frage kommen. Hierbei iſt wiederum zu betonen, daß nicht jeder Teil
— 8—
der Aenderung der Verfaſſung den Tatbeſtand des Geſetzes darſtellt. Es
erfüllen zum Beiſpiel die Aenderungen von nebenſächlichen Be—
ſtimmungen, wie die Aenderung der Kauffahrteiflagge, der Uniformen
und jo weiter den Tatbeitand des Gejekes nicht. Es handelt ſich aber
bier nit um eine ſolche Wenderung, es handelt fi) hier um eine
Aenderung der verfaflungsmäßig gegebenen Grundlagen für das Reich,
um eine Nenderung der verfaſſungsmäßig gegebenen Grundlagen für
das Rechtsleben: nämlich der Yultändigfeiten einerjeit3 des Kaifers,
andererjeit3 des Volkes und des Reichstags. Vom Reichstag jpricht der
Angellagte nicht, wohl aber von den Rechten des Kaiſers. Die gejamte
verfaffungsmä ige Wehrverfaflung, das ift das Objekt, gegen das fid
die vorbereitende Handlung richtet. Der Kaiſer hat als oberiter Kriegs⸗
herr unbedingten Anſpruch auf Gehorfam der Armee im Kriegsfalle
und die Entiheidung über Krieg und Frieden. Eine Ausſchaltung
diejer fundamentalen Beitimmung ift erforderlich zur Erfüllung, des
Zatbeitandes. Nicht genügen würde in einem einzelnen Falle eine Hem-
mung diejer Rechte; erforderlich ift eine generelle Ausſchaltung. Diele
liegt al3 Biel. beim Angeklagten vor. — Es handelt ſich bei ihm auch
nit nur um eine Ausſchaltung diejes Rechts des Kaiſers im Falle eines
Krieges nad) außen, fondern nicht minder um eine Ausſchaltung im
alle einer Mobilmahung des Militärs nad) innen. Der Angeklagte
unterfcheidet grundfäglich diefe beiden Fälle.
Es ift weiter notwendig, daß diefe Verfaffungsänderung ein gewalt-
fame jein joll. Der Gerichtshof hat feine Bedenken getragen, das für
uachgewieſen zu halten. Die Vorausfegungen dafür brauchen nicht in aller:
Einzelheiten dargeftellt zu jein, jondern e3 genügt ein Gejamtbild, wie
fi) die Verfaffungsänderung im einzelnen Falle geftaltet, ob durd)
Meuterei, durch unmittelbaren Angriff, durch Fahnenflucht oder fonft-
wie, da3 iſt glei. Dar diefer Vorgang und diefe Nenderung nur ge-
waltfam vorgenommen werden können, das folgert der Gerichtshof aus
der logiſch hiftorifchen Entwidelung der Dinge. E3 muß anerfannt
werden und iſt aud) nicht anders denkbar, daß die Verwirklichung der
Gedanken de3 Angeklagten notwendig die Gewalt zur Konjequenz hat.
Der Angeklagte verfennt das auch jelbft nicht. Das geht auf Seite 114
der Schrift herbor, wo ausgeführt wird, der Militärſtreik ſei ebenjo wie
die etwaige Aktivierung der Truppen für die Revolution nur als eine
logiſch und pſychologiſch notwendige — —— Zerſetzung des mili⸗
täriſchen Geiſtes zu betrachten. Es kommt in dieſer Beziehung auch die
Barteiftellung des Angeklagten in Frage. Einmal fein Standpunkt
zum Hervéismus. Es iſt richtig, daß der Angeklagte in feinen Beſtre—
bungen nicht mit Hervé identifiziert werden kann, es iſt auch richtig,
wenn vom Beugen Bebel hier gejagt wurde, daß der Angeklagte vom
Serpeisinus abgerücdt jei. Aber der Unterfchied ift nur ein folcher, der
die Sache jelbit nicht berührt. Wenn Hervé unter allen Umftänden den
Militäritreif proflamiert, jo ift das zwar nicht die Meinung des Ange-
flagten. Er meint, daß im einzelnen Fall zu unterfcheiden fei. Er drüdt
fi) aus: distingo, er will fid) die Entjcheidung vorbehalten. Er fteht
in diefer Beziehung auf dem Standpunkt der Refolution Vaillant, die in
Limoges proflamiert wurde, und auf dem Stuttgarter Kongreß disku-
tiert wurde. In diefer Refolution ift ausgeiprochen, daß in jedem ein-
zelnen alle zu erwägen jein würde, welche Mittel Anwendung finden
follen, und als ein ſolches Mittel wird auch der Militärftreit ange-
— 82 —
führt. Der Angeklagte Hat an einer Stelle ſeiner Broſchüre dieſe Reio-
Iution gebilligt und damit hinreichend zum Ausdrud gebradjt, dak mit
der Möglicjkeit des Militärftreits in einzelnen Fällen zu redinen iſt
Die Parteiſtellung des Angeklagten war aber weiter zu prüfen mit Rüd-
fiht auf die Stellung, die er auf den verfchiedenen Barteitagen und
Kongreſſen eingenommen hat. Daraus hat das Gericht gefolgert, daß
der Angellagte jahrelang in bewußtem Gegenjat zu den Führern jeiner
Partei die Vejtrebungen verfolgt hat, die er auch in der Broſchüre ber-
trat. In diejer — find in Erwägung genommen die Dar-
legungen, die bom Zeugen Bebel bier gemacht find, daß wiederholt geger.
den Angellagten Front gemadt ift, und ferner aud) die hier verlejene .
Aeußerung eines anderen Führers, des Abgeordneten v. Vollmar, der
insbefondere auch dagegen proteftierte, daß nicht zuzugeben fei, wenn
der Angeflagte behauptete, mit der Stuttgarter Rejolution ſei ein gutes
Stüd vorwärts auf feiner Bahn gemadjt worden. — Neben dem Milita-
rismu3 nad) außen jcheidet der Angeklagte grundfäglic den Milita-
rismus nad) innen. Auch dabei ift feftgeitellt, daB der Angeklagte in
diefer Beziehung Gewalt zur Anwendung Denen will. Er ſpricht von
einem Staatsſtreich und ſpricht aud) von der Möglichkeit von Arbeiter-
unruhen, und in dieſer Beziehung von der Möglichkeit der Verwendun
des Militärs. Er meint, ſolche Möglichkeit müſſe mit Stumpf un
Stiel sans phrase ausgerottet werden.
Es ift aber auch notwendig, daß die Handlung des Angeflagter
nit in einer völlig unabjehbaren Zeit verwirklicht werde, jon-
dern in einer abaujehenden Zeit. Aucd an diefem Erfordernis fehlt
es nicht. Tendenz und Gejamtinhalt der Schrift laſſen feinen Zweifel,
daß, der Angeklagte auf dem Standpunkt fteht, daß die Weltpolitit un-
gezählte Konfliktsmöglichkeiten in ſich birgt; er weiſt auf die Kolonial.
politik und anderes hin. Bei diefer Sachlage rechnet der Angeklagte mit
der Tatjache, dab Friegerifche Vermwidelungen fid) in abſehbarer Zeit ent-
wideln fönnen, und diefe Möglichkeit Liegt nit in weiter Terne, und
diefer Möglichkeit müſſe beizeiten ein Hindernis durch die Befeitigung
des Militarismus bereitet werden.
Der Gerichtshof hat hiermit Fein Bedenken getragen, alle Tat-
beftandsmerfmale für vorliegend zu eraditen.
Der $ 86 des Strafgefeßbuches ift nur in Verbindung mit $ 20 au
beritehen. Danach ift Zuchthaus nur zuläffig, wenn feftgeftellt ift, daß die
ftrafbare Handlung aus einer ehrlojen Gefinnung entiprungen tft. Der
Gerichtshof ift nicht der Anſicht, daß eine ehrloſe Gefinnung vorliegt.
Er ift dabei davon ausgegangen, daß e3 ſich für den Fall der Annahme
ehrlofer Gefinnung um Motive handeln müßte, die außerhalb des Tat:
beftands ſelbſt liegen. Als ſolche Motive hat es ehrlofe Gefinnung nicht
finden können. Vielmehr ift der Gerichtshof zu der Anficht gefommen,
daß der Angeflagte aus einer politifhen Ueberzeugung gehandelt hat,
die, mag fie verfehrt fein oder nicht, den Vorausjegungen, die dag Geſeg
für eine ehrlofe Gefinnung verlangt, nicht entſpricht.
Die Enticheidung über die Koften ergab fi) aus $ 497 der Straf-
prozeßordnung.
Was den Haftantrag des Oberreichsanwalts anlangt, jo hat ber
Gerichtshof mangel3 Vorliegens eines Fluchtverdachtes diefem Antrage
nicht ftattgegeben.
— 8 —
Darauf ſchloß Vorſitzender Reichsgerichts - Senatspräfident
Dr. Treplin die Sitzung. Auf den Korridoren und auf der Straße hatte
— manigen die Menge noch vergrößert und beiprad) lebhaft das
rtei
Vor dem Reichsgericht harrten Tauſende von Menſchen, vorwie⸗
gend Arbeiter in Arbeitskleidung, auch viele Arbeiterinnen, die den Ge-
noffen Liebknecht bei feinem Erſcheinen mit lebhaften, nicht enden-
wollenden Hochs empfingen und geleiteten. Zahlreiche Burufe befun-
deten die Ueberzeugung, daß troß der Verurteilung der eigentlich Ge-
"ächtete nicht Liebfnecht jei und daß unfer Genofje Liebfnecht mannhaft
‚und erfolgreich für die Sache der Befreiung der Arbeiterklaffe und für.
feine Veberzeugung gefocdhten hab
Die auf dem „Internationalen Sozialiften- Kongreß” in
Stuttgart angenommene
Refolution über
„Der Militarismus und die internationalen Konflikte‘
bat folgenden Wortlaut:
„Der Kongreß beftätigt die NRefolutionen der früheren internationalen
Kongrefie gegen den Militarismus und Imperialismus und ftellt aufs neue
feft, daß der Kampf gegen den Militarismus nicht getrennt werden kann
bon dem fozialiftifhen Klafjenfampf im ganzen.
Kriege zwiſchen Tapitaliftifhen Staaten find in der Negel Folgen ihres
Konkurrenzlampfes auf dem Weltmarfte, denn jeder Staat ift beftrebt, feın
Abſatzgebiet fich nicht nur zu fihern, fondern auch neue gu erobern, mobei
Unterjodung fremder Völker und Länder eine Hauptrolle fpielt. Diefe
Kriege ergeben ſich weiter aus den unaufhörliden Wettrüftungen des Mili-
tarismus, der ein Hauptwerkzeug der bürgerlihen Klaſſenherrſchaft und
der wirtfchaftlihen und politifchen Unterjochung der Arbeiterklaſſe ift.
Begünftigt werden die Kriege dur die bei den Kulturböllern im
Intereſſe der herrſchenden Klaſſen fyftematifch genährten Vorurteile des
einen Volfes gegen das andere, um daburd die Maſſen des Proletariats
bon ihren eigenen Klafjenaufgaben fowie bon den Pflichten der inter-
nationalen Klafjenfolidarität abzuwenden.
Kriege liegen alſo im Weſen des Kapitalismus; fie werden erſt auf-
hören, wenn bie Tapitaliftifde Wirtſchaftsordnung befeitigt ift oder wenn
die Größe der durch die militärtecänifche Entwidelung erforderlihen Opfer
an Menfchen und Geld und die durch die Rüftungen herborgerufene Empörung
die Völfer zur Befeitigung dieſes Syſtems treibt.
Daber ift die Arbeiterklaffe, die vorzugsweiſe die Soldaten zu ftellen
und hauptſächlich die materiellen Opfer zu bringen bat, eine natürliche
Gegnerin des Krieges, der im Widerſpruch zu ihrem Ziele fteht: Schaffung
einer auf fozialiftifher Grundlage beruhenden Wirtjchaftsordnung, die die
Solidarität der Völker verwirklicht.
Der Kongreß betrachtet es deshalb als Pflicht der arbeitenden Klaſſe
und inöbefondere ihrer Vertreter in den Parlamenten, unter Kennzeichnung
des Klaſſencharakters der bürgerliden Gefellihaft und der Triebfeder für
die Aufrechterhaltung der nationalen Gegenfäte, mit allen Kräften die
Nüftungen zu Waſſer und zu Lande zu befämpfen und die Mittel hierfür
zu berweigern, ſowie dahin gu wirken, daß die Jugend der Arbeiterklafie
im Geifte der Völkerverbrüderung und des Sozialismus erzogen und mit
Klaſſenbewußtſein erfüllt wird.
Der Kongreß fieht in der demofratifchen Organifation des Heerweſens,
der Volkswehr an Stelle der ftehenden Heere, eine weſentliche Garantie dafür,
daß Angriffsfriege unmöglich und die Ueberwindung der nationalen Gegen-
ſätze erleichtert wird.
——
Die Internationale iſt außerſtande, die in den verſchiedenen Ländern
naturgemäß verſchiedenen, der Zeit und dem Ort entſprechenden Aktionen
der Arbeiterflaffe gegen den Militarismus in ftarre Formen zu bannen.
Aber fie hat die Pflicht, die Beſtrebungen der Arbeiterklafje gegen den Krieg
möglicäft zu verſtärken und in Zufammenhang zu bringen.
Tatſächlich Hat feit dem Internationalen Kongreß in Brüflel das Bro»
letariat in feinen unermüdliden Kämpfen gegen den Militarismus durch
die Verweigerung der Mittel für Rüftungen zu Waffer und zu Lande, durch
die Veftrebungen, die militärifhe Organifation zu bemofratifieren, mit
fteigendem Nahdrud und Erfolg zu den verfchiedenften Aktionzformen ge-
griffen, um den Ausbruch von Kriegen..zu verhindern oder ihnen ein Ende
zu maden, ſowie um die durch den Krieg herbeigeführte Aufrüttelung ber
Geſellſchaft für die Befreiung der Arbeiterklaffe auszunugen: _
fo namentlid) die Verftändigung der englifchen und franzöftfegen Gewerk⸗
ſchaften nach dem Faſchodafall zur Sicherung des Friedens und zur Wieder⸗
herſtellung freundſchaftlicher Beziehungen zwiſchen England und Frankreich;
das Vorgehen der ſozialdemokratiſchen Parteien im deutſchen und im fran-
zöſiſchen Parlament während der-Marokfofrifez die Rundgebungen, die zum
gleihen Zweck bon den frangöſiſchen und deutſchen Sozialiſten veranftaltet
wurden; die gemeinfame Aktion der Sozialiften Oefterreih und Italiens,
die fi in Trieft verfammelten, um einem Konflilt der beiden Staaten bors
äubeugen; weiter dag nahdrüdliche Eingreifen der fozialiftiihen Arbeiter»
ſchaft Schwedens zur Verhinderung eines Angriffs auf Norwegen; endlich
der heldenhafte opferwillige Kampf der fozialiftifhen Arbeiter und Bauern
NRußlands und Polens um ſich dem vom Zarismus entfeſſelten Krieg zu
widerſetzen, ihm ein Ende zu machen und die Kriſe des Landes zur Befreiung
der arbeitenden Klaſſe auszunutzen.
Alle dieſe Beſtrebungen legen Zeugnis ab von der wachſenden Macht
des Proletariats und von ſeiner wachſenden Kraft, die Aufrechterhaltung
bes Friedens durch entſchloſenes Eingreifen zu ſichern; die Aktion der
Arbeiterklaſſe wird um ſo erfolgreicher ſein, je mehr die Geiſter durch eine
entſprechende Aktion vorbereitet und die Arbeiterparteien der verſchiedenen
Länder durch die Internationale angeſpornt und zufammengefaßt werden.
Der Kongreß ift der Weberzeugung, daß unter dem Drud des Pro»
Ietariat3 durch eine ernithafte Anwendung der Schiedsgerichte an Gtelle
der kläglichen Veranftaltungen der Megierungen bie Wohltat der Wbrüftung
den Völkern gefichert werden Tann, die e8 ermöglichen würde, die enormen
Aufwendungen an Geld und Kraft, die durch die militärifhen Rüftungen
und die Kriege verfehlungen werden, für die Sache der Kultur zu verwenden.
Droht der Ausbruch eines Krieges, fo find die arbeitenden Klaffen und
deren parlamentarifche Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet,
unterftüßt durch die zufammenfaffende Tätigkeit des Internationalen
Bureau, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirk—
ſamſten erſcheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die
ſich je nach der Verſchärfung des Klaſſenkampfes und der Verſchärfung der
allgemeinen politiſchen Situation naturgemäß ändern.
Falls der Krieg dennoch ausbrechen ſollte, iſt es die Pflicht, für defien
raſche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu ftreben, die
durch den Krieg herbeigeführte wirtſchaftliche und politifhe Krife zur Aufs
- rüttelung des Volles auszunutzen und dadurch die ae der ——
u —— au — —
Nachwort
Am 12. Oktober war das Urteil verkündet, das, nach dem Geſetz
unanfechtbar, ſofort die Rechtskraft beſchritt. Bereits am 16. Oktober
— 4 Tage nad) der Verkündung — erhielt Liebknecht vom Oberreichs⸗
anivalt die Aufforderung, fih bi BermeidungderPBerhaftung
oder ftelbrieflider Berfolgung fpäteften3 am
24. Oftober zur Berbüßung der anderthalbjährigen Feitungs-
baft beim Kommandanten der Feſtung Glatz (Schlefien), General
t. Bienau, au melden.
Am gleichen 16. Oktober beantragte Liebknecht beim Reichsgericht.
ihm das Urteil vom 12. Oftober baldigft zuauftellen. Diefer
Antrag blieb längere Zeit ohne Erfolg. Nach $ 275 der Strafprogeb-
ordnung hätte das Urteil mit Gründen binnen drei Tagen zu den
Alten gebracht werden müfjen. Liebknecht aber mußte feine Strafe
entreten, ohne daß ihm das Urteil, dag ihm die Strafe zudiktierte, in
die Sände gelangt wäre. Erft am 7. November, nidt 3 Tage,
fondern 3 Wochen und 5 Tage nad) der Verkündung, erfolgte die
Suftellung; d. h. genau 14 Tage nad) dem Strafantritt:
denn am 24. Dftober war Liebfneht in die Bergfelte des Glatzer
Donjons eingezogen, nachdem ihm die Sozialdemofratie der deutichen
Reichshauptſtadt am 21. Oftober in einer Demonftration fo ge
twaltig, wie fie Berlin bis dahin nicht gefehen hatte, Lebewohl und
Auf MWiederfehen zugerufen hatte.
Der Hochverratsprozeß gegen Liebknecht, zu deſſen eingehender
Würdigung hier nicht der Raum ift, hat im Flaffenbewußten Proletariat
Deutihlands und weit über die fchwarz-weiß-roten Grenzen hinaus
Flammen entzündet, die durch den Schlag auf Schlag folgenden
Kamarilla-Prozeß Moltfe gegen Sarden nod Heller
entfacht wurden. Die fago-boruffiiche Reaktion aber fett ihren kleinlich⸗
brutalen Kampf gegen die proletarifchen Bildungsbeitrebungen und
vor allem die proletarifhe Sugendbelehrung unbeirrt und unbelehrt
fort. Ausichließung der Sugendlichen aus den Yrbeiterradfahr-
und Arbeiterturndereinen, Verfaſſungsbruch des Potsdamer
Negierung3präfidenten, der durch eine ftaatzftreichleriiche Aktion di-
Bildungsporträge des Genoſſen Katzenſtein in Pots-
dam gewalttätig hindern läßt; Landespermeifung des in Berlin
wvohnhaften ungariſchen Genoſſen Alpäri, der an der
— 87 —
internationalen Jugendkonferenz in Stuttgart teilgenommen und in
einer Verfammlung einige Worte mit dem „Hochverräter” Liebknecht
gewechielt hatte: das find dieneueften Etappen in diefem „iyite-
natijhen Feldzug“. Und im fommenden Reichsvereins—
sejet plant man, wie männiglid) befannt, in gejchloffener Kolonne
mit dem Blodliberalismus die freien Sugendorganifationen — „bon de:
Maas bis an die Memel, von der Etich bis an den Belt“ — mit Hurra
zu überrennen, der proletariihden Sugend über ganz
Seutfhland Hin ihr fpärlides Koalitionsredt
gänzlih zu entreißen.
Deutſche Arbeiter, feid auf der Hut!
. Zum Schluß fügen wir eine Notiz bei, die bürgerlide
Blätter unmittelbar auf den Prozeß Liebknecht brachten:
Der Kaijer fol dem Progeffe gegen Liebfnecht mit großem
Intereſſe gefolgt fein. Schon bei der Erhebung der Anklage hatte
der Monarch Berihteingefordert und war während der
Verhandlung vor dem Reichsgericht verjhiedent-
lih telegraphiid: benachrichtigt worden. Die
Broſchüre Liebknechts Hatte dem Kaifer ſchon lange vor dem
Prozeßz vorgelegen. Jetzt ift dem Monarchen ein ausfühbrlider
ſchriftlicher Bericht zugeftelt worden.
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un Rus nm.
Buchhandlung Vorwärts
Berlin SW.68 | Lindenstr. 69
Sn neuer Auflage ift
erſchienen:
Wilhelm Piehknecht
Sein Ceben und Wirken -
Unter Benutzung ungedruckter Briefe
. und Aufzeichnungen herausgegeben von
s Kurt Eisner
Mit Portraits und Abbildungen
Preis Ik. 1.50 :: Agitationsausgabe Ik. 0.60
- + Die ftändige Nachfrage gab dem Verlag bie
Anregung, zur 80. Wiederteht des Geburtstages
unferes „Alten“ die Biographie neu herauszu«
geben. Der Verfafier Hat das Werkchen neu durch"
geſehen und vielfach ergänzt und der Verlag hat es
reich und geſchwackvoll ausgeftattet, ſo daß auch die
—— die im —* der erſten Ausgabe
eine Fülle neuer Anregungen darin finden
werben. Unfere jlingere Generation aber fol
an dem an Kämpfen fo reihen und dabei
och von immer froher Siegeszuverficht befeelten
Zeben des Alten ein nachahmenswertes Beifptel
nehmen. Wilhelm Lieblnecht, der von feinen
Gegnern beftgehaßte Führer der Sozialdemo-
fratie, war einer der größten, aufopferungs-
bolliten Lehrer des Proletariats, der unermüdliche
itator für die Idee des internationalen Sozi⸗
alismus, der in zahllofen Verfammlungen das
Evangelium von der Befreiung der Menfchheit
bom Joch Tapitaliftifcher Anedtieaft gebwebigt
at. Un feiner Stelle mag it das Büch
inausgehen in bie großen Maſſen des nach
bung und Wiffen hungernden Proletariats.
Alle Parteibuchhandiungen und Kolporteare liefern die Broschüre
Vorwärts Buchdruckerei und Berlagsanftalt Paul Singer & Co, Berlin SW. 68
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