Skip to main content

Full text of "Karl Liebknecht: Der Hochverratsprozess gegen Liebknecht vor dem Reichsgericht. Verhandlungsbericht nebst einem Nachwort, Berlin 1907"

See other formats













2 
_. I € 
>22 


Kar: 
Der hochverratsprozeß 
gegen Liebknecht 


vor dem Reichsgericht 


————————— —— 
Eee ———— —————— EEE — 
an. | Bam 


ern 5 
PN FR Fr 
1% 
DE 


mn j 
No — Pr # Pr 
* + —— * ai) — 
J— ee x 
„WONZ Ze 


Verhandlungsbericht 
= nebit einem fachwort = 


ae N n 
1997 * x 
\ 
un n N 
Tr — Ar 
Fr 
— 4 
ee, | N 
a ld, 
Fr _ * 
BA 
*— 


1907 
Verlag: Buhhandlung Vorwärts, Berlin SW. 68. 
. (Sans Weber, Berlin.) 2 


Soe 120.2).17 
— 










HARVARD 
UNIYEDSETY 


LIBRARY 


— — — * 


— —— 
— — — 





Reipzig, den 9. Dftober 1907. 


Vor dem Reichsgericht begann Heute früh 9 Uhr die Haupt- 
verhandlung gegen den Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht aus Berlin 
wegen ®orbereitung zum Hochverrat, die er durch jeine Schrift: 
„Militarismus und Antimilitaritsmus, unter befonderer Berüdfichti- 
gung der internationalen Sugendbewegung” begangen haben fol. Das 
ſonſt fo ſtille Reichsgerichsgebäude hat mit Rückſicht auf diejen auffehen- 
erregenden Prozeß feinen Charafter völlig verändert. Vor den vier 
Toren des Gebäudes halten jtarfe Schugmannspoiten Wade. Im Ge- 
bäude herrſcht auf allen Gängen und Treppen lebhafte Bewegung. Eine 
ungeheuer große Menſchenmenge drängt fidy zum Sigungsfaal, aber 
am Eingang des Saales jelbit wird ftrenge Kontrolle geübt. Die Karten 
find bereit feit mehreren Tagen vergriffen, und nur die Inhaber diefer 
Karten finden Zutritt. Gleichwohl ift der weite Zuſchauerraum des 
Sigungsfaales im Moment bis auf den legten Platz gefüllt. Auch die 
rejerpierten Xogen, die an beiden Schmalfeiten des Saales aufiteigen, 
find von den Inhabern der pribilegierten Karten, Reichsgerichtsräten 
und ihren Yamilien, vollftändig beſetzt. In der über dem Richtertiſch 
befindlichen Loge wohnt ein höherer Offizier des preußifhen Kriegs- 
minifteriums den Verhandlungen bei. Im Sitzungsſaale ſelbſt fieht man 
bor der Barriere, die Bublitum und Preſſe vom Richtertiſche trennt, den 
früheren Reichsanwalt Galli. Im Zufchauerraum bemerkt man den 
Reichstagsabgeordneten Stadthagen, den öfterreichiichen Reichsrats⸗ 
abgeordneten Freundlich und eine Reihe anderer Parlamentarier. Schon 
lange vor Beginn der Situng hat Oberreichsanwalt Dr. Olshanſen, 
der die Anklage vertritt, in roter Robe an feinem Tiſche Plat genommen 
und verſenkt ſich eifrig in das Studium der Akten. Punkt 9 Uhr er- 
icheinen die drei Verteidiger des Angeklagten: Dr. Hezel-Leipzig, Hugo 
Hanje-Rönigsberg und Dr. Kurt Rojenberg-Berlin. In ihrer Begleitung 
befindet fich der einzige vonder Verteidigung geladene Zeuge, Reichsſtags- 
abgeoröneter Bebel. 

Alsbald treten die 15 ebenfalls in rote Roben gekleidete Richter (die 
Mitglieder des 2. und des 3. Straffenat3) ein, unter ihnen die Präfi- 
denten de3 2. und des 3. Straffenats, Freiherr von Bülow und Treplin, 
der frühere Reichsanwalt. Den Vorſitz führt der letztere; er läßt den 
Angeklagten Dr. Liebknecht in den Sitzungsſaal rufen und auf der An- 
Tlagebanf Pla nehmen. Er bittet fodann, den Raum zwiſchen der 
Schranke und dem Gerichtshof völlig freizulaffen, und weiſt auch den 
Bolizeirat Zadjer, der dort Pla genommen hat, hinweg. Der ‚andere 
nad) dem Liebknechtſchen Prozeß für heute angejette Termin, in dem 
es fid) um die Einziehung verichiedener polnifher Schriften megen Vor- 
bereitung zum SHodjverrat handelt, wird vorläufig abgefegt, da der 

1* 


Pe ER 


Liebknechtſche Prozeß vorausſichtlich längere Zeitdauer beanſpruchen 
wird. Die Verhandlung ſelbſt beginnt mit der Verleſung des 


Eröffnungsbeſchluſſes, 
der folgenden Wortlaut hat: 

Auf Antrag des Oberreichsanwalts wird gegen den Rechtsanwalt 
Dr. Karl Paul Auguft Friedrich Liebknecht in Berlin, der hinreichend ver- 
dächtig erjcheint, in den Jahren 1906 und 1907 im Inlande ein hoch— 
verräterifhes Unternehmen: die gewaltfame Abänderung der Verfaflung 
des Deutſchen Reichs, nämlich die Vefeitigung bes ftehenden Heeres durch 
den Militärftreit, gegebenenfalls in Verbindung mit der Aftivierung der 
Truppen für die Revolution, durch Abfaffung fowie dur Veranlaffung der 
Drudlegung und Verbreitung der Schrift: „Militarismus und Unti- 
militarigmus“ vorbereitet zu haben, indem er darin für die Organi- 
fierung einer über das ganze Neid) zu berbreitenden befonderen anti= 
militariftifden Propaganda unter Einjegung eines zu deren Leitung und 
Kontrollierung berufenen Zentralausfhuffes und unter Venußung der 
fozialdemofratifhen Sugendorganifationen eintrat zwecks organifcher Zer- 
fegung und Zermürbung des militariftifchen Geiftes, als deren not= 
mwendige Folge fih dann im Falle eines unpopulären kriegeriſchen Unter- 
nehmeng, wie jest ſchon in befonderen Ausnahmefällen: dem Falle eines 
Krieges zwifchen Franfreid und Deutfhland oder einer Intervention 
Deuticlande in Rußland, der Militärftreit und die etwaige Aktivierung 
der Truppen für die Revolution ergeben werde, alfo die Mittel und Wege 
nit nur nachwies, die beftimmt und geeignet erjcheinen, die Verwirk— 
lichung des bezeichneten hochverräteriſchen Erfolges zu ermöglichen und zu 
fördern, fondern aud die fchleunige Anwendung diefer Mittel forderte 
(Verbreden gegen $ 86 des GStrafgefeßbudhes in Berbindung mit 8 81 
Nr. 2, $ 82 des Strafgeſetzbuches) gemäß $ 138 des Gerichtsverfaſſungs⸗ 
geſetzes, $ 26 Abſatz 4 der Gejchäftsordnung des Neichägericht3 das Haupt⸗ 
ae lageen vor dem vereinigten 2. und 3. Straffenat des Reichsgerichts er» 
öffne 


Die angeordnete Beſchlagnahme der bezeichneten Schrift wird aufrecht 
erhalten. Die Unterfuhungshaft wird nicht angeordnet. 
Reipsig, den 9. Auguft 1907. 
Das Reichsgericht, Ferienfenat. 


Der Angellagte gibt feine PBerjonalien folgendermaßen an: Er ift 
geboren am 13. Auguft 1871 zu Leipzig als Sohn des verftorbenen 
Wilhelm Liebknecht und deifen Ehefrau Natalie, geborene Reh, ver- 
heiratet, Vater von drei Kindern, Diffident, Soldat geweſen, Inhaber 
der Landwehrdienftauszeihnung zweiter Klaffe, unbeftraft. 

Präfident: Bevor Sie ſich zur Sache jelbit eingehend erklären, 
werden Sie fich zweckmäßigerweiſe zunächſt darüber äußern, mas Sie zur 
Abfaffung der Schrift veranlaßt hat. Namentlich werden die Vorgänge 
auf dem Mannheimer Parteitag hierbei zur Sprache zu bringen jein. 

Liebknecht: Der Mannheimer Parteitag hat damit gar nichts zu hun. 
Offenbar ift gemeint die Konferenz des Verbandes jugendlicher 
Arbeiter, die Ende September 196 im Anfchluß an den Parteitag in 
Mannheim Stattfand. In diefer Konferenz habe ih auf Wunſch 
des Verbandsporitandes das Referat über Militarismus und Anti- 
militarismus gehalten. Diejer Vortrag ift jedoch durchaus nicht identifch 
mit meiner Schrift; vielmehr habe ich in dieſer unter Verarbeitung 
eines ſehr umfangreichen und zerjtreuten in- und ausländifchen Materials 
die im Vortrag entiwidelten Ideen fpezieller ausgeführt, die 
Gedanfengänge erweitert und mandje neuen Gebiete berührt. 
habe die Abfaffung fofort nach meiner Rüdfehr aus Mannheim begonnen 


- 


— 5 — 


und die Schrift in der Zeit von Anfang Dftober bis Ende November 
drudfertig geitellt. Den Drud habe ich überwacht. Eridienen iſt die 
Schrift infolge der Wahlen erjt im Februar. i R j 

räfident: Sie haben fi, in einem Schriftja über gemilje 
Schwierigkeiten bei Abfaffung Ihrer Schrift ausgelafien, 3. B. Ueber⸗ 
häufung mit Arbeiten während der Reichstagswahlen, berufliche Ueber— 
laftung. Freilich haben Sie erklärt, daß Sie feine Veranlafjung hätten, 
ſachlich irgend etwas von der Broſchüre zurüdzunehmen. Soll id) Sie 
aber vielleiht dahin verftehen, daß Sie bei größerer Muße mandjes 
anders ausgedrüdt Hätten? ee 

Liebknecht: Sch habe mit jener Bemerkung lediglich jagen wollen, 
daß die Brojchüre literarifch nicht meinen Wünſchen entipridt. Bei 
ihrer Durchficht habe ic) mandje Mängel bemerkt, und mein literarifches 
Gewiffen, das jehr empfindlich ift, hat mich beunruhigt. Ich wollte alfo 
lediglich die Schönheitzfehler entfchuldigen, zu denen ich mich befenne, 
Was ih in der Broſchüre gefchrieben habe, habe ic) voll zu ver- 
antivorten; ich nehme jedes Wort auf mid. 

Bräfident: Die Jugendorganifation jpielt in Ihrer Schrift eine 
erhebliche Rolle. Sie jheinen bei Ihrer Propaganda darauf bejonderes 
Gewicht zu legen. Was veritehen Sie unter Sugendorganijation? 

Liebfneht: Herr Präfident, id; bitte, mir zu berzeihen, wenn ic) 
vorfchlage, diefen Punkt nad} der Verlejung der Broſchüre zu behandeln. 

Präfident: Sch bin damit einveritanden, daB dies eingehend erit 
dann geſchieht, aber ich bitte, jeßt nur kurz zu bejchreiben, was unter 
ssugendorganijation zu verſtehen ift. 

Liebknecht: Schon feit Jahren find von den verſchiedenſten Parteien 
DOrganifationen für jugendliche Perſonen gegründet worden, jo von der 
Zentrumspartei, der nationalliberalen Partei, der Kriftlich-jozialen 
Partei. Dies und die Tatjache, daB die Schule, ebenjo wie. viele andere 
Staatseinrichtungen, ſyſtematiſch von den Behörden dazu, ausgenußt 
wird, um der Jugend ganz beitimmte politiihe Anſichten einzuprägen, 
die den Intereſſen des Proletariat3 zumwiderlaufen, und weiter die Tat- 
ſache, daß e3 überhaupt erforderlid, ift, das Proletariat in möglichſt 
früher Jugend aufzuflären, hat der Sozialdemokratie und allgemein 
der klaſſenbewußten Arbeiterfhaft die dringende Notwendigkeit gezeigt, 
auch ihrerjeit3 Jugendorganiſationen zu gründen oder doch zu fördern. 
In Deutſchland ift dies jehr jpät geichehen, viel jpäter als in den meiften. 
anderen Ländern, 3. ®. Belgien, wo die proletarifchen Sugendorgani- 
fationen aber trogdem gegenüber den viel älteren und an die Hundert- 
taufende zählenden Flerifalen Sugendorganifationen bisher noch fehr 
weit zurücitehen. 

1904 ijt bei uns der erfte Verfucdh unternommen. Die Jugend- 
organifationen bewegen fi) in Deutichland auf der Bafis des wirt- 
Ichaftlihen Kampfes und der Bildungsbeftrebungen. Sie bejhäftigen 
ſich hauptſächlich mit dem  Lehrlingsihug, mit dem Schuge der 
jugendlichen Arbeiter, Unterriht njw. Nur in Süddeuticdland, wo ge- 
feglich meift eine größere Bewegungsfreiheit herricht, hat man fi) au) 
dementſprechend größeren Spielraum verſchafft. 

Präſident: Die Anklage fnüpft, wie erwähnt, an den Vortrag an, 
den Sie auf der Konferenz der fogenannten „Zungen Garde“ in Mann- 
heim aehalten haben. Ich bringe deshalb zunädjit einen Artikel des 
„Borwärts“ bom 23. September 1906 zur Berlefung, in dem die „Zunge 
Garde“ begrüßt wird. Es heißt da: 


ER, 


„Als lebten Punkt hat die „Junge Garde“ das fchiwere, ernite Problem 
des Militarismus auf ihre Tagesordnung gejeßt. Genoſſe Dr. Liebknecht 
wird das Referat halten. x Ye 

Wenn Deutfhlands „Zunge Garde" den „Militarısmus" in ihr 
Arbeitsprogramm aufnimmt, fo tut fie damit nur dasfelbe, was die prole= 
tarifhe Yugend anderer Länder längft als ihre Aufgabe betrachten darf. 
Der Antimilitarismus drüdt der fozialiftifhen Jugendbeiwegung derjenigen 

Länder, deren Geſetze folder Tätigkeit weniger Schwierigkeiten bereiten 
als die deutfchen, geradezu feinen Stempel auf. In Italien, in Sfandinavien, 
in Holland, in Belgien ganz befonders haben ſich unfere „Zungen“ offiziell 
mit dem Antimilitarismus zu befhäftigen. ... . 

Wenn in Franfreih und in der Schweiz der Antimilitarismus erſt 
aus dem Fahrwaſſer der Anardiftelei in das des Cozialismus binüber- 
gerettet fein wird, bürften unjere franzöfifhen und le Schweiger 
„nungen“ wohl auch dieſen Teil der Arbeit übertragen erhalten, und die 
träftige ſozialiftiſche Jugendbewegung Oeſterreichs ſcheint fi ebenfalls 
nach Vergrößerung ihres Tätigkeitsfeldes zu ſehnen. 

Die Genoſſen in Teltow-Beeskow, in Breslau und in Potsdam- 
Oſthavelland unterbreiten dem Parteitage Anträge, in denen zur Agitation 
gegen den Militarismus aufgefordert wird. Die deutfhe „Junge Garde” 
weiß, warum fie den „Militarismus” auf ihre Tagesordnung gejebt hat!“ 


„Verteidiger Hezel: Ich bitte, an den Angeklagten die Frage Rx 
richten, was er darunter verjteht: „aus dem Fahrwaſſer der Anarchiſtelei 
fi) zum, Sozialismus hinüberretten?“ —— 

Präſident: Dieſe Frage wird uns ſpäter noch ſehr ausführlich be- 
ſchäftigen. Ich bitte, jetzt von ihr Abſtand zu nehmen. Wir kommen 
nunmehr zu dem Vortrage des Angeklagten auf der Jugendkonferenz 
ſelbſt. Der Bericht des Vorwärts“ hierüber vom 2. Oftober 1906 wird 
verleſen. Es heißt darin etwa: 

‚ „Die Erziehung in der Schule, die den kriegeriſchen Fürjtenruhm ver- 
herrlicht, die Kirche, die den Krieg verteidigt, die wirtſchaftliche Heraus- 
hebung der Elite- und Gardetruppen, alles das ift das Yuderbrot, mit 
dem man dem Volke den Militarismus ſchmackhaft machen mill. Die 
eiferne Disziplin, die Goldatenmißhandlungen, die Militärgefege und 
Militärgerichtsurteile find die Peitſche. So maden fi die herrſchenden 
Klaffen das Proletariat dienftbar. Die Armee ift jedoh nit nur ein 
Inftrument gegen den äußeren Feind. Je länger, je mehr wird dag Heer 
zu einer Waffe gegen den inneren Feind. Der Militarismus führt Prole- 
tarier gegen Proletarier, er macht die Soldaten zu Feinden ihrer eigenen 
Klaffe, wie das Militäraufgebot vom 21. Januar und die Bereithaltung 
ſchußfertiger Kanonen in Berlin beweiſt. Was können wir dagegen mit 
unferen 3 Millionen weißer Zettel tun? Wird auch nur ein Wähler dem 
Kapitalismus die Gefolgſchaft verweigern? Wohl find einzelne Teile des 
Heeres rot, jogar feuerrot. Aber das darf uns nicht dazu bringen, Dumm- 
heiten zu machen. Der Sapitalismus kennt feine Achillesferfe und ſchützt 
fie. Der Kaifer Hat den Antimilitarismus eine nationale Geißel genannt. 
Wie ſymptomatiſch find feine Worte ftets für die Anfchauungen der herr- 
ſchenden Klafjen. Hat doch Wilhelm II. in feiner Unterrevdung mit Gafton 
‚Menier gewillermaßen die Gründung einer internationalen Anti-Anti- 
militariftenliga angeregt. Wir haben nod viel zu tun, denn mir find bisher 
troß Bebel fo gut wie nicht vorwärts gefommen. Aber ruhige Ueberlegung 
müſſen wir behalten. Unfere Aufgabe muß fein, die Jugend über den 
wahren Charakter des Militarismus aufzuflären.“ 


Liebknecht: Der Gedanfengang der Rede ift im allgemeinen 
richtig wiedergegeben. Die Form des Berichts ift aber recht mangelhaft 
und Einzelheiten — jo habe id) 3. B. nicht gefagt: Der Kaiſer habe eine 
Anti-Antimilitarismus-Liga angeregt, fondern nur: Es fehle nad) den 


Tee, ee 


Worten des Kaiſers nicht mehr viel an einer ſolchen Gründung — find 
direft unrichtig. Das gilt aber nicht von Einzelheiten, auf die die An- 
tlage Gewicht legt. i f 

Präſident: Auch auf dem Mannheimer Parteitage felbit find Sie 
mit Anträgen herborgetreten? 

Liebknecht: Jawohl. 

räſident: Sie haben im Verein mit 22 Genoſſen einen Antrag 

eingebracht: „Das allerwärts ſich vollziehende Erwachen der proletariſchen 
Jugend zu ſelbſtändiger organiſatoriſcher Betätigung wird begrüßt. Die 
Parteigenoſſen werden aufgefordert, überall, wo die Vereinsgeſetze es 
geftatten, die Gründung und Weiterentwidelung von Sugendorgani- 
Tationen zu fördern.“ ; 

Liebknecht: Für diefen Antrag habe ich geiprochen. 

Präfident: Außerdem lagen dem Parteitage noch Anträge von 
Breslau und Potsdam-Ofthavelland vor. Der Antrag Breslau lautet: 

„Der Parteitag wolle bejchliegen: Es ift eine rege Agitation gegen 
den Militarismus in den breiteiten Volksſchichten zu entfalten. Zu 
diefem Zweck hat der Parteivorftand alljährlid) zur Zeit der Refruten- 
aushebung Ylugblätter herauszugeben. Ebenjo haben aud die ört⸗ 
lichen Parteiorganijationen durch VolfSverfammlungen mit entipreden- 
den Thematas dieſe Agitation zu betreiben, wobei auch die Arbeiterpreffe 
mit durchgreifenden Artikeln große Dienste erweifen wird.“ 

Der Antrag Potsdam⸗Oſthavelland heißt: j . 

„Eine befondere antimilitariitiihe Propaganda iſt ſyſtematiſch zu 
entfalten. Zu diefem Zwecke ift ein ftändiger Ausſchuß zu bilden.“ 

Liebknecht: Mit dem Antrag Breslau habe ich nichts zu tun. Ich 
babe ihn nur, weil mir jein Gedanfengang ſympathiſch war, bei Be- 
gründung des Antrages Potsdam-Dfthavelland, den ich jelbit verfaßt 
babe, mit befürwortet. Webrigen3 find diefe beiden Anträge abgelehnt 
worden. Der Antrag über die Sugendorganifation dagegen fand ein- 
jtimmige Annahme. ei , 

Nunmehr wird aus dem „Borwarts"-Beriht vom 2. Oftober 1906 
ein Teil der Ausführungen verlefen, mit denen der Angeflagte den 
Antrag Potsdam-Dfthavelland begründete. Es heißt da: 

„Auf dem Parijer Internationalen Kongreß von 1900 ift nad) einem 
Referat der Genofjin Luxemburg befchloffen, den Parteien aller Länder 
einen befonderen energifhen Kampf gegen den Militarismus zur Pflicht 
zu maden. Diefer Beſchluß ift damals einftimmig gefaßt, aljo auch mit 
Zuftimmung der deutjchen Delegierten. 

Wie fteht es aber mit der Ausführung des Beſchluſſes? 

Daß der Militarismug nicht identifch ift mit der bewaffneten Macht, 
dem jtehenden Heer, daß er vielmehr — bon feiner internationalen Be- 
deutung ganz abgefehen — eine höchſt verwidelte und verzmweigte Er— 
ſcheinung ift, die alle möglichen Gebiete unjeres wirtſchaftlichen, fozialen 
und politifhen Lebens durchtränkt, braudt in dem Jahre des Marokko— 

konfliktes, des 1200 Millionen-Militäretats, in dem Jahre, das den 
21. Januar, dag Nürnberg, Magdeburg und jüngft noch Landau gefehen hat, 
am wenigſtens betont zu werden. (Sehr gutl) Ebenſowenig bedarf es 
der Herborhebung, daß der Militarismus das wichtigſte derjenigen brutalen 
Machtmittel ift, durch Die ſich Die herrſchenden Klaffen Ber Zapitaliftifdhen 
Geſellſchaft einer organiſchen Yortentwidelung gewaltfam entgegenauftellen 
ſucht, und durch die fie eine ſolche Entwidelung in einem gewiſſen Sinne 
und Umfange zu hemmen vermag gegen die Demokratie, gegen den Willen 
der Mehrheit des Volkes. Die VBelämpfung diefer kompligierten und ge- 
fährlihen Erſcheinung iſt natürlic auch fompligiert und gefährlih. Ich 


— — 


mache feinen Hehl daraus und täuſche mich nicht darüber: Die Empfindlich⸗ 
keit unferes Klafienftantes in dem Punkte Militarismus ift naturgemäß 
außerordentlid. Sie fteht in direktem Verhältnis zu dem böfen Gewiflen 
der herrſchenden Klafien gegenüber dem Proletarint, und zu der Angft um 
den Berluft ihrer Madtitellung Mit allgemeinen NRedenarten und An 
feuerungen ijt da nicht genug getan. Die notwendige Ngitation ift zu 
jchivierig, eigenartig und verwidelt, ald daß fie innerhalb der allgemeinen 
Agitation genügend wirkſam würde betrieben werden fünnen. Gie be- 
darf eines befonderen Planes, einer beſonderen Beweglichkeit und Aktivität. 
Daher ift eine befondere ana nötig, und damit dieſe ae 
Agitation erfolgreid betrieben werde, muß fie dur eine bejondere 
Zentralinftang geleitet werden. 

Es ift Ihnen allen wohlbelannt, in weldem Umfange unjere Bruder- 
parteien, bejonder3 in Frankreich und Belgien, fi mit der antimilitarifti- 
Ihen Propaganda befaßt haben, und mit weldem Erfolg In Deutfchland 
find wir auf dieſem Gebiete noch weit zurüd und haben zur Ausführung 

des Barifer Beſchluſſes fo gut wie nichts getan. 

Unfer Antrag ſchlägt Ihnen nun die Einſetzung eines Ausſchuſſes vor, 
über defjen Konjtituierung näheres nicht gejagt zu werden braudt. Ebenfo 
ift es unmöglich und überflüffig, das einzelne feiner Obliegenheiten hier 
fejtzulegen; das wird von Kal zu Fall zu entjcheiden fein und bedarf einer 
genauen Ueberlegung und Prüfung. Selbſtverſtändlich gedenten wir uns 
forgfältig innerhalb des geſetzlichen Rahmens zu halten. 

Dat der Ausſchuß, wenn er klar und verftändig ift, feine nenneng- 
werten Gefahren zu bejorgen bat, unterliegt für mid) faum einem Zweifel. 
Der Antrag 114 iſt jo vorfichtig gefaßt, dab ihm gegenüber alle die Aengft- 
lichkeiten und Beforgniffe, die in Deutfchland gegenüber dem Anti- 
militarismug geradezu traditionell find, in die Luft verfliegen müſſen. 
Sie haben geftern die Einſetzung eines Bildungsausſchuſſes bejchloffen, der 
da fein ſoll ein Generalitab im Kampfe gegen den Unverſtand der Mafjen, 
den Feind, den mir am meiften haſſen. (Sehr gut!) Beſchließen Gie, 
jo bitte ih Sie jetzt noch, die Schaffung diefes antimilitariftifchen Aus- 
jchuffes als eines Generalitabes gegen den Militarismus, das heikt, gegen 
das ſtärkſte Bollwerk des Stapitalismus, das und noch lange miderftehen ° 
kann, wenn wir den Unverftand der großen Maſſe längft überwunden 
haben terden (Lebhafte Zuftimmung), gegen den Militarismus, durch 
den der Kapitalismus ſich vor der demofratifhen Entwidelung verfchangt, 
fie verfälfcht, und der unfer Volt aufs ſchlimmſte brutalifiert und 
barbarifiert. Wenn Sie den Antrag annehmen, erfüllen Sie damit nicht 
nur Ihre Pflicht gegenüber dem PBarifer Internationalen Kongreß, jondern 
Sie tun damit für die deutfche Arbeiterbewegung auch einen guten Schritt 
vorwärts. Ich bitte Sie, ihm möglichſt einmütig zuguftimmen. (Beifall.)“ 


Präſident: Darf ich gleich an diefer Stelle bemerfen, daß die 
Anträge, die Sie in diefer Richtung geftellt haben, niemals den Beifall 
der Majorität Ihrer Partei gefunden haben? 

Liebknecht: Im Gegenteil, fie haben eine jtrifte, oft jogar recht 
brüsfe Abweiſung erfahren. 

Präfident: Soweit ich aus den Zeitungen weiß, find Ihre Anträge 
namentlid) von den Parteiführern Bebel und Vollmar befampft worden. 

Liebknecht: Jawohl. 

Prüjfident: Und weiter darf ic) wohl als notoriſch vorausſetzen, daB 
Sie auch in Stuttgart und Eſſen ähnliche Anträge geitellt haben, denen 
e8 ebenjo ging wie dem Mannheimer Antrag? 

Liebfnedt: Das trifft nicht ganz zu. Zum erften Male hatte ich 
1904 auf dem Bremer Barteitage einen antimilitariftiichen Antrag zwar 
nicht gejtellt, aber begründet; er ging zunächſt bon Elbing aus und war 
auf meinen Borihlag von meinem Wahlfreife Potsdam-Ofthavelland 


— 9 — 


aufgenommen. Auch habe ich auf dem Barteitage in Jena einen ähn— 
lichen, Antrag vertreten. 

In Stuttgart habe ic) an der Beratung über die Militärfrage nicht 
an fönnen, weil ic) der Militärfommiffion nicht angehörte. Sch 
habe mid; nur in einer jdhriftlihen Erklärung gegen gewiſſe Aus- 
führungen des —— v. Vollmar gewandt. Hingegen habe ich 
in Eſſen einen Antrag, der ſich genau mit dem von Mannheim deckt, 
wiederum vertreten, ihn aber nad) der Begründung zurüdgezogen. 

Oberreichsanwalt Olshauſen: Sch möchte doch bitten, den weiteren. 
Verlauf der Debatte in Mannheim, in3bejondere den Zwiſchenruf des- 
Angeklagten während der Rede des Abgeordneten Bebel vorzutragen, 
wonach die in Frankreich in den lekten zwei Jahren betriebene anti- 
militarijti che Agitation ganz vortrefflid) fein jol. 

räfident: Allerdings jchließt dieſe Neußerung an das joeben Be- 
———— zeitlich an. Geſtatten Sie mir aber, ſie an einer anderen Stelle 
der Anklage zu erörtern, wohin ſie logiſch gehört. 

Liebknecht: Auch ich werde mich ſpäter darüber auslaſſen. 

Präſident: Wir kämen nun dazu, Ihre Broſchüre zu verleſen. Ich 
möchte aber vorſchlagen, ſie nicht ganz zu verleſen, weil einzelne Stellen 
von keiner Bedeutung für die Unterſuchung ſind. Wichtig iſt nur der 
letzte Abſchnitt von Seite 104 ab, den id) wörtlich verleſen laſſen werde. 
Ueber den ſonſtigen Inhalt der Broſchuͤre wird ein objektives Referat 
gegeben werden. Ich ſtelle den Prozeßbeteiligten anheim, zur Ergänzung 
dieſes Referates nachträglich die wörtliche Verleſung einzelner Teile der 
Broſchüre zu beantragen. 

Oberreichsanwalt: Sch beantrage, daß auch Titel und Vorwort voll— 
ſtändig verleſen werden. 

Liebknecht: Sch muß darauf beſtehen, daß die ganze Schrift verleſen 
wird. Nach dem Wortlaut und Inhalt der Anklageſchrift und des Er— 
öffnungsbeſchluſſes iſt die ganze Schrift inkriminiert. Weiter iſt die 
ganze Schrift in der Anklage als Beweismittel bezeichnet, fie liegt vor, 
iſt aljo ein herbeigejchafftes Beweismittel im Sinne des 8 244 der 
Strafprozeßordnung, weshalb fie an und für fi) im ganzen Umfang 
zur Verlefung gebracht werden muß. Sc) betrachte die vollitändige Ver— 
lefung der Schrift al3 conditio Eine qua non einer angemejjenen 
Verteidigung. Es iſt notwendig, daß die Totalität meiner An- 
ſchauungen dem Gerichtshofe befannt wird. Auf die Gejamtwirkung 
foınmt es an. sch habe nicht einzelne Kapitel und Süße abgefaßt und 
verbreitet, ſondern die Broſchüre als ein geichloffenes Ganzes. Aller: 
dings legt die Anklage nur auf gewifie Stellen Gewicht, nämlich auf die- 
jenigen, die die Anklage ftügen jollen; ich möchte mir aber geitatten, zu 
bemerfen, daß id) gerade auf ſolche Stellen Gewicht lege, die die An— 
klage beifeite läßt, weil fie nit gegen mid) ſprechen. Gerade darum 
find fie mir naturgemäß weſentlich; fie werden das Gegenteil der An- 
flagebehauptungen ergeben. Nur durch; Gegenüberftellung deſſen, was 
nicht infriminiert ift, und deſſen, was infriminiert ift, kann Klarheit 
über die Tat geſchaffen werden. 

Präfident: Das ift ja prozeBordnungsmäßig völlig Torreft. Die 
ganze Broſchüre iſt als Beweismittel, herbeigefhafft und müßte auf 
Ihren Antrag verlefen werden. Aber für die 126 Seiten läßt fich ſchwer⸗ 
lih eine kontinuierliche Aufmerkſamkeit herbeiführen. Deshalb babe 
ih den Vermittelungsvorſchlag gemacht, nur die weſentlichſten Stellen. 
wörtlich vorzulejen. 


— 0 — 


Verteidiger Dr. Hezel: Ich kann den Standpunkt meines Klienten 
nur vollkommen teilen. Die Verteidigung würde ihre Pflicht verlegen, 
wenn fie auf die Verlejung irgendeiner weſentlichen Stelle verzichtete. 
Eine Abkürzung läßt ſich vielleicht dadurch herbeiführen, daß wir im 
Laufe der, wörtlichen Verlefung auf einzelne Stüde verzichten, 3. B. auf 
die hiſtoriſche Darftellung des Angeklagten über die Verwendung des 
Militärs in außerdeutfchen Ländern bei inneren politiichen Konflikten. 
Zum Schuge des Angeklagten müſſen wir eine Totalverlefung verlangen. 
Insbeſondere deshalb, weil jonit das innere Kräftenerhältnis, das dyna- 
miſche Verhältnis zwiſchen denjenigen Stellen, auf die die Anklage be- 
fonderes Gewicht legt, zu den Stellen, auf die die Verteidigung be- 
ſonders Wert legt, nicht hergeitellt werden kann. 

Präfident: Sc bin der Anficht, wir follten vorläufig verfuchen, in 
der von mir vorgefchlagenen Weife vorzugehen. Iſt einer der Prozeß- 
beteiligten der Anfiht, daß das Referat feinen Anſprüchen nicht genügt. 
fo fann er immer nod) die nachträgliche Verlefung der ihm wichtig er- 
Icheinenden Stellen fordern. 

Liebfnedit: Eine außergewöhnlih große Anzahl der hödjiten 
Richter des Reiches iſt zur Entſcheidung über eine außergewöhnliche 
Affäre berufen. Ich gebe ja zu, dab zwei Stunden Verlefung eine un- 
angenehme Beläjtigung für Sie fein mögen; für mid) handelt es fich aber 
um eine recht ernite Angelegenheit, eventuell um mehrere Sahre Feſtung 
oder gar Zuchthaus, und mein natürlicher Selbiterhaltungstrieb ver- 
bietet e3 mir, die fonjt von mir gern geübte Rückſicht auf die Zeit der 
Herren auch heute zu üben. Es handelt ſich hier um einen Tendenz 
prozeß, und nur der gefamte Wortlaut meiner Schrift gibt ihre Tendenz 
forreft wieder. Schon durch die Verfürzung einzelner, Teile in Form 
eines Referat3 wird das Gleichgewicht verfchoben. 

Der Vorſchlag ift aber auch um deswillen nicht durchzuführen: 
Formal erſcheint es jo, al3 ob wir nad) der vom Herrn Präfidenten vor- 
geihlagenen Methode jchließlich auch alles zu hören befommen könnten, 
materiell wäre das dann aber ganz etwas andered. Man befommt doc 
feinen Begriff von der Schrift, wenn man nad) und nad ein Stüd 
nad) dem anderen bald vom Ende, bald vom Anfang, bald aus der 
Mitte heraushebt. Das gibt ein Moſaik, nicht meine Schrift. Einen 
Haren Begriff bon dem Charakter der Schrift Tann man nur be- 
kommen, wenn alles nicht bloß in irgendweldher Reihenfolge jchließlid) 
tatſächlich zur Verlefung gelangt, jondern wenn es aud) in der Reihen- 
folge, wie ich es gejchrieben habe, vorgetragen wird, wenn die Gedanfen- 
a ber logiſchen Folge vorgetragen wird, in der ich fie nieder- 
gelegt habe. 

PBräfident: Sch muB gegen den Ausdrud Beläftigung Einſpruch er- 
heben. Der Gerichtshof wünſcht feine Aufgabe nicht erleichtert zu haben, 
fondern der Gerichtshof hat feine Pflicht auch unter der größten Laſt 


au tun. 

Liebknecht: Sch habe diefen Ausdrud durchaus nicht in dem voraus⸗ 
gejegten Sinne gebraucht. 

Oberreichsanwalt: Gegenüber der beftimmt abgegebenen Erflärung 
de3 Angeklagten und de3 Verteidiger bleibt uns wohl nichts anderes 
übrig, als die ganze Schrift zu verlefen. Praktiſch wird es wohl fo 
fommen, wie Dr. Hegel gemeint hat. 

Der Gerichtshof zieht fih zur Veſchlußfaſſung zurück und verfündet nad) 
ganz furzer Beratung, daß gemäß 8 244 der Strafprogegordnung die ganze 
Schrift verlefen wird. 


— — 


Verteidiger Dr. Hezel macht im Einverſtändnis mit dem Präſidenten 
das Publikum darauf aufmerkſam, daß die Verleſung wahrſcheinlich mehrere 
Stunden in Anſpruch nehmen werde und da es vielleicht etwas Beſſeres tun 
tönnte, als hier zuzuhören. (Große Heiterkeit.) — Das Publikum bleibt 
jedoch vollzählig auf feinen Plätzen und hört aufmerffam der Verlefung der 
Brojhüre zu. . 

Die var an nimmt volle fünf Stunden in Anfprud, obwohl die Ver—⸗ 
teidigung auf faſt alle Anmerkungen und einen größeren Abjchnitt verzichtet. 

Aus dem Inhalt der X und 127 Seiten umfafjfenden Schrift, deren Vor— 
wort vom 11. — 1907 datiert iſt, während die Beſchlagnahme erſt am 
21. April 1907 beantragt wurde, heben wir hervor: 

I. Zeil. Militarisſsmus. - 

1. Rapite!l. Allgemeined (Vom Wefen und Bedeutung des 
Militarismus.... Entſtehung und Grundlage der gejellfchaftlichen Herr- 
Ihaftsverhältniffe.... Einiges aus der Gefchichte des Militarismug.) 

2. Kapitel. Der kapitaliſtiſche Militarizmus.... 
(„Militarismus nah außen“. Marinismus und SKolonialmilitarismus. 
Kriegamöglichkeiten und Abrüftung..... PBroletariat und Krieg... Grund⸗ 
züge des „Militarismus nad innen“ und feine Aufgabe... Heereöver- 
faflung in einigen ausländiſchen Staaten.... Folgerungen. Rußland.) 

3 Kapitel. Mittel und Wirkungen de3 Militaris- 
mu3 (Das unmittelbare Ziel.... Militariftiihe Pädagogil.... Gol- 
datenerziehung.... Offiziös- und Halbmilitärifde Organifation der 
Zivilbevölferung. Sonſtige militariftiihe Beeinflufjung der Zivilbevölke⸗ 
— Der Militarismus als Machiavellismus und als politiſcher Regu— 

ator.... 

4. Rapitel. Beſonderesvoneinigen Hauptſündendes 
Militarismus.... (Die Soldatenmißhandlungen oder der Militaris- 
mu al3 reuiger und doch unverbefierliher Sünder.... Die Koſten des 
Militarismus.... Die Armee als Werkzeug gegen das PBroletariat im wirt» 
ſchaftlichen Kampf... . Soldaten als Konkurrenten gegen freie Ar— 
Ibeiter.... Armee und Gtreifbrud.... Säbel- und Flintenredht gegen 
Streifs.... Sriegervereine und G©treild.... Die Armee als Werkzeug 
gegen das PBroletariat im politifhen Kampf oder das Necht der Kanonen.... 
Kriegervereine im politifhen Kampfe.... Der Militarismus, eine Gefähr- 
Dung en Frieden?.... Die aenferigteiten der proletarifchen Nebo- 

ution.... 
II. Teil. Antimilitarismus. 

1. Rapitel. Antimilitarismus der alten und ber 
neuen Internationale... 

2. Kapitel. Der Antimilitarismus im Auslande 
unter befonderer Berüdfihtigung den Jugendorgani= 
fationen.... : 

83. Rapitel. Die Gefahren des Antimilitarismus.... 

4 Kapitel. Antimilitariftife Tattik.... (1. Taktik 
gegen den äußeren Militarismus. ... 2. Taktik gegen den inneren Militaria» 
mus... 3 Anardiftifher und ſozialdemokratiſcher Antimilitarizmus....) 

5. Bapitel. Tie Notwendigkeit einer befonderen 
antimilitariftifden Propaganda. 

6. Kapitel. Der Antimilitarismug in Deutſchland 
und die deutfhe Sozialdemofratie. 

T. Rapitel. Die antimilitariftifden Wufgaben der 

deutſchen Sozialbemofratie. 

Der „Vorwärts“ hat in feiner Nr. 46 vom 23. Februar 1907 das Vorwort 
abgedrudt; ein Stüd des Schlußfapitels ift im Leitartikel des „Vorwärts“ vom 
11. Oltober 1907 wiedergegeben. Auch ſei auf das in der gefamten Preſſe als 
Teil des Berichts über die Verhandlung vom 9. Oftober 1907 mitgeteilte furze 
Referat beriwiefen, das freilich nicht überall zuverläffig ift. 

$m4Kapitelde32. Teils fommt u. a. der Saß vor: „Ungünftigere 
Verhältniffe zur Entfaltung der proletarifchen Macht, als fie beim Kriegsaus- 
bruch normaler Weife vorliegen, gibt e8 nicht.“ 


er 9 2 


Bei Verlefung diefer Stelle erhebt fich der 

Oberreichsanwalt und fragt ſchnell: Wil der Angeklagte zugeben, 
daß bier ein Schreib- oder Drudfehler vorliegt und daß es heißen ſoll: 
-„günftigere” ftatt „ungünftigere”. 

Kiebfneht: Wie? Aber gar feine Nedel Sm Gegenteill (Xieb- 
knecht jeßt ſich Fopfichüttelnd.) 

Präſident: Sie find bejchuldigt eines Verbrechens im Sinne des 
886 des Strafgejegbuches, alfo einer Handlung, die ein hochverräte- 
rifches Unternehmen vorbereitet. Es handelt ſich danach nicht um einen 
Verſuch oder eine Aufforderung zum Hochverrat, fondern im meiteren 
Sinne um eine vorbereitende Handlung zum Hochverrat. Ihr Ziel und 
Zweck liegt nad) der Anklage nicht in nebelhafter Ferne, jondern in 
greifbarer Nähe. Es handelt ſich dabei nad) der Anklage nicht um rein 
theoretiſche Ausführungen, jondern um eine _aftnelle politiihe PBropa- 
ganda oder Arbeit. Den Hochverrat follen Sie vorbereitet haben, vor- 
bereitet im Sinne des & 81, Abjak 2, der von einer Aenderung der Ver⸗ 
faſſung des Deutſchen Reiches ſpricht. Darunter braucht nicht eine 
Aenderung der Verfaſſung im allgemeinen verſtanden zu werden, jondern 
e3 genügt eine Nenderung folder Beitandteile der Verfafiung, die deren 
wejentlihe Grundlage bilden. In diefem Falle wird Ihnen der Vor- 
wurf gemacht, die Beitimmungen über unjere Wehrfraft umändern zu 
wollen, und zwar die Beitimmungen, welche den Kaifer das Recht der 
Kriegserflärung und den unbedingten Oberbefehl über die Armee geben, 
und ſchließlich diejenigen, welche dem Kaifer das Recht zur Verhängung 
des Belagerungszuftandes bei inneren Unruhen verleihen, d. h. den Ar- 
tifel 11 der Reichsverfaſſung und aus dem Abjchnitt XI insbejondere 
die Artikel 63, 64 und 68. Bei der Erflärung auf diefe Beſchuldigung 
haben Sie zu erläutern Ihre Stellung zu den Hervéſchen Aipirationen 
einerjeit3 und den Standpunkt Ihrer Bartei andererjeit3. 
Litebknecht: Sch weiß nicht recht, zu welcher Anklage ich mic, eigent- 
li äußern fol. Es iſt ſchon von fo berichiedenen Seiten verſucht 
worden, an meine Schrift heranzufommen, und id) Tann nicht willen, 
wie fi) das Kollegium der 15 Herren zu der Sadıe Stellen wird. Trotz 
der Bemerkungen des Vorfikenden bin id) daher genötigt, mit allen 
Eventualitäten zu — insbeſondere auch mit denjenigen Auf— 
faſſungen, die von der Reichsanwaltſchaft bisher zum Ausdruck gebracht 
worden ſind. 

Da hieß es zunächſt, ich plante ein Unternehmen gewaltfamen 
Charakters in der Art, daß ich zu einem Angriffe Frankreichs auf 
Deutſchland hetze. Das fteht in der Begründung des Beihlagnahme- 
antrages der Oberreichsanwaltſchaft vom 21. April d. J., und das ift 
offenfihtlih auch) die Brundlage für die Beichlagnahme geweſen. 

Weiter heißt es in der Anklageſchrift, daß ich für die allernädjite 
Zeit bereit3 eine Umwälzung unferer SHeeresorganifation herbei- 
führen und daß id) dieſes Biel in einer ganz bejonders charakterifierten 
Weiſe verwirklichen wolle. Sch ſoll nämlich die Abſicht hegen, 
„nach weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen 
jetzt ſchon reifen Proletariats, insbejondere aud nad) meiterer Aus- 
bildung in den Waffen und namentlih in der Herftellung folder, 
gegebenenfal8 — im alle eine unpopulären Krieges — wie nicht 
anders möglich, unter Anwendung von Waffengewalt gegen die noch 
treugebliebenen, noch nicht roten Teile des Heeres, dieſe nieder- 


A, ee, 


zufämpfen und die berhaßte beftehende Militärverfaffung zu zer- 
trümmern”, 


Das find die Worte der Anklageihrift! Dazu möchte ic mir ge- 
ftatten, auf folgendes hinzuweiſen: Die Anklageihrift — ich jage aus- 
drüdlich nicht: der Oberreihganwalt! — gibt im Eingang ein Referat 
über den Inhalt meiner Schrift. Sie benußt dabei, indem fie 
ftellenmweife _ meine Schrift wörtlich anführt, die indirefte Rede. 
Auch die indirekte a iſt eine Redeform und verpflichtet 
zu beſonderer Korrektheit in der Wiedergabe. In der Anklage 
ſchrift find nun gewiſſe Sätze, die erſt die weſentlichſten Tat— 
beſtandsmerkmale: der „Beſtimmtheit des Unternehmens” und der 
„Gewaltſamkeit“ ergeben follen, die aljo die ganze Grundlage des 
Verfahrens bilden, in indirekter Redeform mitten unter die wirflid in 
ne net Schrift enthaltenen, richtig zitierten Worte hineingefügt, als 
ob aud) fie in meiner Schrift enthalten wären. (Mit erhobener Stimme 
und halb zu dem Oberreichſsanwalt gewendet:) Das ift ein Faktum, das 
nicht aus der Welt gefhafft werden kann. Das iſt ein fo — 
Gebaren, daß ich mir verſagen muß, es an dieſer Stelle zu kennzeichnen. 


Einen weiteren Angriff hat der Eröffnungsbeſchlußz gegen mic, unter- 
nommen. Ber Eröffnungsbeihluß jagt, dab, ich in meiner Schrift den 
Hochverrat vorbereitet habe: indem ich darin für die Organifierung 
einer über das ganze Neid) zu verbreitenden bejonderen antimilita- 
riſtiſchen Propaganda unter Einfegung eines zu deren Leitung und 
Kontrollierung berufenen Zentralausſchuſſes und unter Benugung der 
fozialdemofratiihen Yugendorganifationen, eintrat, zwecks organiſcher 
Zerſetzung und Bermürbung des militariſtiſchen Geiftes als deren not- 
wendige Folge fid) dann im Falle eines unpopulären Friegeriichen Unter- 
nehmen, wie jest ſchon in bejonderen Ausnahmefällen: dem Yalle eines 
Krieges zwiſchen Frankreich und Deutichland oder einer Intervention 
Deutſchlands in Rußland, der Militärftreif und die etwaige Aktivierung 
der Truppen für die Revolution ergeben werde. .... Hieran ift zu- 
nächſt auffällig, daß in diefer kurzen Motivierung des Eröffnungs- 
befchluffes ein völliger Umsturz der bisherigen, vom Reichsgericht be- 
fonder3 im 5. Bande niedergelegten Redtsauffaffung ad hoc vor- 
geihlagen wird. Zur Steuer aber der Korrektheit auf tat- 
fählihem Gebiete muß ich auf Folgendes hinweiſen: Es wird bier 
erwähnt die Möglichkeit einer Intervention Deutichlands in Ruß— 
land. Demgegenüber gejtatte ich mir zu betonen, daß ich eine 
Sinterbention Deutihlands in Rußland in meiner Schrift dermaßen 
al3 etwas außerhalb des Bereiches jeder praftiihen Möglichkeit 
Liegendes bezeichnet habe, daß jogar die Anklagebehörde es nicht für 
angezeigt gehalten bat, diefen Punkt in die Anklage aufzunehmen. 
Wenn dann weiter der Eröffnungsbeichluß von dem Falle eines Krieges 
zwiſchen Stanfreich und Deutſchland, ſpricht — und aud) die Oberreichs- 
anwaltſchaft hat diefe Frage ja jtändig in den Vordergrund gedrängt —, 
fo muß ich bemerfen: Der Eröffnungsbeihluß fagt wörtlich: „Schon 
jetzt „ im Falle eines Krieges zwiſchen Deutſchland, und, Frankreich“, 
während id in meiner Schrift ſage: „Möglich, daß in abfehbarer Zeit 
auch ein Krieg zwiſchen Frankreich und Deutichland eine Situation 
ſchaffen würde.” Der Eröffnungsbeſchluß macht alfo aus den Worten 
„möglich, dab in abfehbarer Zeit... würde” und aus den weiteren 
Bedingungen, die ich noch jege, ein „Ichon jest”. Auch das bedeutet eine 
Wiedergabe, die, wie mir jcheint, an Inkorrektheit nichts zu wünſchen 


— le 


läßt. (Bewegung) Es beiteht ein diametraler Gegenſatz zwiſchen 

‚ was id) gejagt habe, und dem, was mir angejonnen wird. 

Danach ergibt ſich für mich das Merkwürdige, daß ich außerſtande 

‚m, wenn id) mid) überhaupt ſachlich auslafjen will, mid) auf irgend- 
eines der bisherigen offigiellen Dofumente zu beziehen, weil fie durchweg 
einen Zatbeitand unterftellen, der jo erfichtlich mit dem Elaren Wort- 
laut meiner Schrift in Widerjprud) ſteht, daß ich ebenjo gut wie gegen 
fie gegen eine Anklage fontra Hervé polemifieren fönnte, 

Als weſentlich muß ich nunmehr wohl das betrachten, was der Prä- 
fident jo freundlich war, joeben vorauszuſchicken, und ich verhehle mein 
Erftaunen nicht, daß dies einen vierten Anklagebeftand jchafft, der 
wiederum fundamental abweicht von dem, was mir biöher zum Vorwurf 
gemacht worden. Bisher warf man mir vor, daB ich entgegen der Ver— 
fajlung das jtehende Heer abjchaffen wolle. Aus den Worten des Präfi- 
denten habe ich erfahren, dab gegenwärtig als Objekt des hoderräte- 
riſchen Angriffs nicht mehr betradjtet wird das Heer als ſolches, fondern 
die Kommandogewalt des Kaiſers. Dann habe ich aus den Worten des 
Präfidenten entnommen, daß auch erwogen wird, die innerpolitifche 
Seite des Militarismus hineinzuziehen; denn nur io fann id) die Worte 

des Präjidenten verjtehen, wonad er die Verfaſſung infofern als von 
mir angegriffen bezeichnet, al3 der Kaiſer in gewiljen Fällen den Be- 
lagerungszuitand zu verhängen hat. Aljo ic) habe hier eine ganz nene 
Anklage vor mir, auf die ich durch die Akten nicht vorbereitet war. Ich 
will aber nicht verſchweigen, daß ich nad) den bisherigen Erfahrungen 
bon vornherein auch mit einer ſolchen erneuten Veränderung der Anklage 
gerechnet habe; ich habe fie in Stuttgart ſchon prophezeit. 

Präſident (unterbrehend): Ich kann nicht zugeben, daß das eine 
neue Anklage iſt. Es ilt nit nur das Recht, fondern aud die Pflicht 

des Gerichtshofes, die Grundlagen der Anklage zu prüfen. Die Grund- 
lage der Unterfugung iſt Ihr ganzes Bud. Daraus kann man viel 
heranslefen, der eine das, der andere das, und ic) habe die Pflicht, dieje 
Grundlage nad) allen Richtungen hin zu erforjhen. Ich darf aljo nicht 
era daß Sie Ihr Erjtaunen über eine angeblich neue Anklage aus- 
prechen 

Oberreichsanwalt (erregt); Sc Habe die Anklage erhoben; es 
eriftiert nur eine Anklageſchrift, und ich möchte zur Orientierung für 
die Verteidigung bemerken, daß id) von meinen ſchriftlichen Darlegungen 
nit das Geringſte zurüdnehme, auch) nicht3 aus dem Antrage auf Be- 
ichlagnahme. 

Liebknecht: Ic habe natürlich das Wort Anklage nicht in dem 
Sinne von Antlageihrift gemeint und ich habe auch feine Vorwürfe ge- 
madjt. Ich habe nur Fonitatiert, daß ſich der Geſichtspunkt, von dem 
das Verfahren gegen mich ausgeht, viermal verändert Hat, und die 
infriminierten Ausführungen des Buches gegenwärtig ganz andere 
find, als bisher. 

Bei der Berlefung des Buches hat der Oberreichsanwalt durd) eine 
Zwiſchenbemerkung eine neue, fünfte Unterlage zu ſchaffen verfucht. Ich 


habe gefchrieben, daß es feine ungünjtigere Gelegenheit geben fünne zur 


Entfaltung der proletarifhen Macht als den Kriegsfall; das ift ein ganz 
klarer Gedanfengang. Der Oberreichsanmwalt aber behauptet, daß fei 
ein Drudfehler, ic) Hätte bier in der Tat fchreiben wollen: feine 
aünftigere Gelegenheit! Sa, das wäre für die Anklage 
allerdingsbequem. Aber ich habe mir erlaubt, es ihr doch nicht 
fo bequem zu maden. 





— 15 — 


Nachdem der Oberreichsanwalt die Anklageſchrift und auch die Be— 
gründung des Beicdjlagnahme-Antrages ſoeben ausdrücklich aufrecht er- 
halten hat, werde id) mich über beide Dokumente nun doch etwas gründ- 
licher auslaffen müſſen. Alfo zunächſt der Beihlagnahme-Antrag. Er 
behauptet, ich wolle Frankreich zu einem Kriege gegen Deutſchland auf- 
beten. Diefe Behauptung ift durch die Verlefung der Schrift einfach 
vollfommen vernichtet; man fann fie nicht einmal mehr aus— 
ſprechen. Ich weiſe bejonders nod) darauf Hin, daß der Oberreichsanwalt 
in jener Begründung unter anderem wörtlid jagt, mein Bmed 
gehe dahin, „dur die revolutionäre Aufklärungsarbeit der 
Sozialdemokratie beider Länder“ einen Angriff „Frankreichs auf 
Teutihland” zu „fürdern”! Mer ein einziges Mal, in irgend- 
eine Zeitung gejehen bat, mag fie jelbit der Sozialdemokratie 
aufs allerfeindlichite gegenüber jtehen, muß dag mit SKopfidhütteln 
Iefen. Wer aud) nur immer die gehälligite Darjtellung über die Sozial: 
demofratie von weitem gehört hat, Tann nit auf die aus- 
gefallene Idee fommen, daß die Aufflärungsarbeit der Sozial- 
demofratie zu einem Sriege zwiſchen Deutihland und Frank— 
rei) bete. Meine Schrift verfolgt ja gerade den Biwed, den 
Krieg unmöglih zu maden. - Die Sozialdemokratie aller Länder 
quält fih im Schweiße ihres Angefiht3 auf allen nationalen und 
internationalen Kongreſſen ab, wirkſame Mittel zur Verhinderung der 
Kriege ausfindig zu machen. Und der Oberreichsanwalt entdedt, daß 
die Sozialdemokratie nichts Beſſeres zu tun habe, als Kriege anzu— 
zetteln! Beim Maroffofonflift verichreibt fi die deutfche Sozialdemo- 
fratie ihren Freund Jaurès, damit er in Deutichland für den Frieden 
wirfe. Und Bebel fol nad) Paris, um dort den Frieden zu propagieren ; 
diefer Friedensarbeit fallen die Regierungen in den Arm: der Ober- 
reichsanwalt aber behauptet, daß die Sozialdemofratie zu einem Ueber- 
fall Frankreichs auf Deutichland hete. 

Und nun die Anklagefchrift ſelbſt. Sch Hatte geglaubt, ung dieſe 
unliebfamen Erörterungen bier erſparen zu fönnen. Jetzt bin id) jedoch 
gezwungen, das Bedenklichſte, was ſich in diefem an Bedenklichkeiten jo 
reihen Verfahren ereignet hat, eingehend darzulegen. Die Haupt: 
ichwierigfeit diefes Verfahrens liegt darin, daB dad bon mir „bor- 
bereitete" „hochverräteriiche Unternehmen” in nidt allzu ferner 
Zufunft liegen, greifbar fein, und daß ich das Mittel der 
Gewalt ins Auge gefaßt haben muß. Wie Hilft fih Hier die 
Anklage? Der Oberreihsanmwalt oder wenigſtens die Anklage 
zitiert gewilfe Ausführungen meiner Schrift in indirefter Rede, 
und zwar ganz loyal, faft mörtlid, und unter SHerborhebung 
einiger mir günjtiger Säße. Dabei heißt es durchaus forreft: „Durch 
einen jo betriebenen Antimilitarismus erſcheine es möglich, das oben 
gekennzeichnete Ziel (Abjchaffung des Heeres) zu erreichen.” Someit, jo 
gut! Nun fommt aber ein Nebenjägchen: „und zwar derart, daß die 
erhoffte Wirkung bereits in naher Zeit eintrete.” Dieſes jo unjcheinbare 
Sätzchen iſt in meiner Schrift nicht enthalten, fjondern das 
Gegenteil davon. ch brauche mid) nur auf die legten Kapitel der 
Schrift zu beziehen, wo ich ausführe, wie wenig noch gefchehen fei, daß 
bisher ſelbſt die fozialdemofratifhen Wählermaffen in ihrer großen 
Mehrzahl noch nicht einmal in fozialiftiihen Anſchauungen gefeitigt, ge— 
ſchweige denn zur Führung eines opferreichen, zähen Kampfes gegen den 
Militarismus innerhalb der Armee reif und bereit feien, und wie ih 


ee 


in ſtarkem Steptizismus ſogar gegen einen militärijchen Gegner polemi- 
fiere, der die Zerſetzung des Heeres infolge des ſozialdemokratiſchen 
Giftes für ziemlich weit fortgefchritten hält. Ich habe Dutzende 
von Malen betont, die  jpezialifierte Propaganda müſſe bald 
begonnen werden, weil fo  unendlih viel zu tun fe. Und 
angeſichts diejer Tatſache „zitiert“ die Anklagejchrift: ich rechnere 
bereit3 für eine nahe Zeit auf gänzliche Abichaffung des Heeres 
in jeder Form! — Dann heißt es weiter in indirekter Rede: 
„Da8 Proletariat fei reif für eine derartige Propaganda“; ganz 
zecht. Aber auch hier wieder ein unfheinbarer Schwanz in indirefter 
Nede: „und die Zeit zur Beſeitigung des Heeres ſei nahe herbei- 
gekommen!“ Dabei were ich fortgejegt darauf hin, daß die ifolierte Be- 
feitigung des Militarismus ganz außerhalb des Bereich praftiicher 
Möglichkeit Tiege, daß er nur mit dem Kapitalismus fallen könne — 
und dennoch will mir die Anklageſchrift unterjchieben, ich hätte ge- 
fagt, die Zeit zur Beſeitigung des Heeres ſei nahe herbeigefommen! 
Und fie faßt diefe Behauptung in indirefte Rede und ſetzt fie zwiſchen 
‚zahlreiche in meiner Schrift tatfähhlich enthaltene Wendungen!!! 

Die Anklagefchrift bemerft an einer dritten Stelle, nad) meiner 
Anfiht fei die Verhinderung der, Kriege noch nicht möglich, und 
das Proletariat nod) nicht reif für eine Aftion A la Herbe — foweit, jo 
gut — und führt dann wiederum in indirefter Rede den Relativjag an: 
„was beides bald erreidht jein werde”. So iſt in dieſem 
furzen Zeile der Anklageſchrift das für die Klage wejentlihe Tat- 
bejftandsmerfmal der Bejtimmtheit des Unternehmens 
dreimal in verſteckten Nebenſätzen untergebracht, die in meiner Schrift 
— — find, wederdem Wortlaute, noch dem Sinne 
na 

Genau fo mit der Gewaltjamfeit meines Planes. Da zitiert die 
Anklagefchrift: „Das Heer müffe jo geſchwächt werden, daß es feine 
unüberwindlihe Macht mehr jei; der treubleibende Teil des 
Seere3 müfjfe von dem abgefallenen Teile in Ge- 
meinfhaft mit dem übrigen Broletariate über- 
mwältigtmwerden” — alles indirefte Rede. Auch das ift wiederum 
weder dem Wortlaut noch dem Sinne nad) in meiner Schrift enthalten! 
Und wer die Schrift gelejen hat, der fann auf ſolche Auffaffung nicht 
fommen! Es iſt auch niemand ernitlich darauf gefommen. 

Und nun noch etwas, id) will einmal jagen, bejonders Anregendes. 
Da heißt es am Ende der Anklageſchrift: daB der Angefchuldigte bei der 
Abfaffung der Schrift darauf ausgegangen fei, die Abneigung der 
Sozialdemofratie gegen den Militarismus bis zum fanatiſchen Haſſe zu 
fteigern und die Berjegung des militariftiichen Geiſtes herbeizuführen, 
und wörtlich weiter: „Dieſes alles aber nur zu dem Zwecke, um nad 
weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen jest ſchon 
reifen (!) Proletariatz, insbefondere auch nad) weiterer Ausbildung in 
den Waffen und namentlid) aud) in der Herftellung folcher, gegebenen- 
falls... .. unter Anwendung von Waffengewalt gegen den noch nicht 
toten Teil des Heeres niederzufämpfen und die verhaßte beitehende 
Militärverfaflung zu zertrümmern.” Ich habe es nicht nötig, mich gegen 
eine ſolche poliziſtiſche Bhantafie aus der ruffiichen Revolution zu wehren. 
Es genügt, die Worte der Anklageichrift ohne Kommentar anzuführen. 
Oberreichsanwalt (in großer Erregung): Nach meiner Auffaſſung 
ilt die Beweisaufnahme noch nicht beendet; ich habe noch nicht Gelegen- 


— IE 


heit gehabt, die Anklage zu begründen; diefe Ausführungen des An- 
geflagten gehören nicht hierher. Er legt bier großes Gewicht auf den 
Beichlagnahme-Antrag. Der ift aber nicht Grundlage der Verhand« 


lungen. 

Präfident: Ich würde das Folgende bemerkt haben: Es tft Ihr 
gutes Recht, Kritit an der Anklageihrift zu üben. Das ift in aus 
reihendem Maße geſchehen. Die Anklageſchrift allein ift aber nicht 
Grundlage der Verhandlung, und wenn Sie jegt mit Ihrer Kritik der 
Anklageſchrift zu Ende find, würde ich in die Verhandlung eintreten über 
die Momente, die nad meiner Auffallung weſentlich find. 

Verteidiger Dr. Hezel: Auch die Verteidigung meint, daß für den 
Angeklagten, wenn er ſich jet auf Aufforderung des Rräfidiums zur 
Anklage auslaſſen foll, in der Tat eine ganz außergewöhnliche Schwierig- 
Zeit beiteht, infofern als er die Auffaffung des Gerichts über die Richtung 
der Unterfuchung ſelbſt nicht Tennt, aud nicht entnehmen kann den 
freundliden Ausführungen des Präfidenten, die doch immerhin nur auf 
dem abſtrakt gejetlihen Tatbeſtand beruhen. Ich glaube aljo, daß zur 
un bon —— und Unzuträglichkeiten wohl fein anderer 
Weg übrig bleibt, als daß man alsbald zur Frageſtellung an den An- 
en ſchreitet, der jedenfalls gewillt iſt, ſich rückhaltlos auszu- 
prechen 

Präſident: Dieſer Vorſchlag entſpricht ganz dem, was ic) vorhatte. 
Sie unterſcheiden alſo, Herr Liebknecht, zwiſchen äußerem und innerem 
Militarismus. Unter äußerem Militarismus verſtehen Sie im weſent⸗ 
lichen die Verwendung des Heeres im Kriege, unter innerem im Falle 
eines Aufſtandes. 

Die Armee als Waffe des Staatsſtreiches. 

Liebknecht: Nicht nur die Verwendung, im alle eines Auf- 
ftandes. Es ift auch denkbar, daB das Militär verwendet würde, um 
mit der ſchießenden Slinte und dem hauenden Säbel eine legale Volfs- 
bewegung niederzuimerfen, was eine große Zahl jehr einflußreiher Per- 
fonen als Rezept empfehlen. Darauf muß ich näher eingehen. Wenn 
Caprivi von einem Straßenfampfe mit dem Proletariat ſprach, fo kann 
man da3 vielleiht im Sinne des Präfidenten, im Sinne eine Auf- 
ftande3 berftehen — 

Präfident: Wenn ich vom Aufitand ſpreche, jo meine id) aud nur 
irgendeine Volksbewegung, nicht eine Revolution im engeren Sinne. 
Daß eine ol ne Desung legal jei, ift nur Ihre Auffaffung, die hier nicht 
in Betracht kommt. 

Liebknecht: Das iſt doc) aber gerade der Zentralpunft der 

tage, zu dem ich mid) um jo mehr ausführlid) äußern muß, als er erft 
infolge der neueiten Veränderung der Anklage joeben hier aktuell ge- 
worden ift — ein reines Novum, Ich behaupte: Eine große Anzahl 
höchſt maßgeblicher one ua in einer Weife, die juriftifch ganz ein- 
deutig ift, zu geſetzwidrigen militäriichen Gewalttätigfeiten gegen das 
Volk gehest. Die Gefahr des Staatsſtreichs hat in Deutichland ſtets be- 
ftanden. Ich Habe einiges Material in meiner Schrift zitiert: Auf 
Seite 64/65 und anderwärts. Ich verweiſe beiſpielsweiſe auf 
die in der Einleitung erwähnten Worte Bismardz zum, jebigen 
Kaifer: Die ſozialdemokr,atiſſche jei eine militärijde 
Stage, die Sozialdemofratie müſſe außerhalb de3 
Gefetes geftellt werden; Bismard forderte, daß die foziale 
Stage mit Gewalt gelöft werde. Der Kaifer warf ein: er wolle 

2 


nicht gleihd am Anfange feiner Regierung bis an die Knöchel in 
Blut waten. „Majeſtät,“ erwiderte Bismard, „Sie werden noch 
viel tiefer hinein müſſen, wenn Sie jetzt zurüdweidhen.“ Auf 
Seite 64 erinnere ich an die jüngften Enthüllungen aus den Memoiren 
Hohenlohes. Danad) plante Bismard 18%, den Reichstag auseinander 
zu jagen, ein anderes Wahlrecht zu ofttoyieren, die Bevölkerung auf die 
a zu treiben und dann mit den Waffen niederzufdlagen. 

räfident: Nach der Verfaſſung jteht aber ausjchlieglich dem Kaiſer 
das Recht zu, im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit den Belagerung3- 
zuftand zu erflären. Ob das im Sinne Shrer Partei ift, ift für mich 
ohne Bedeutung. Sie fchreiben, daß Sie als Sozialdemofrat jelbitver- 
ftändlich den inneren Militarismus mit Stumpf und Stiel ausrotten 
wollen. Das kann doch nur heißen, daß fie an Stelle der Befugnis des 
Kaiſers nad) Artikel 68 der Berfaffung die Enticheidung Ihrer Partei 
fegen wollen. 

Liebknecht: Der Kaifer hat allerdings das Recht, den Belagerungs- 
auftand zu proflamieren, aber die Verfaſſung muß von oben wie von 
unten gehalten werden. Es unterlieat, rein jtaatsrechtlich betrachtet, 
feinem Bimeifel, daß in dem Augenblid, wo das Militär 
zu einem Staat3ftreihe, zu einer verfaffung>3- 
widrigen Aftion verwendet würde, die Ausübung der 
Kommandogewalt illegal wäre; die Verfaſſung mwürde 
faktiſch aufhören zu eriitieren; ; jede Abwehr des Staats- 
ſtreichs wäre eine Verteidigung der ah nicht ein Angriff auf fie. 
Alfo iſt es nötig, zu erörtern, wie weit ich derartige Zufammenftöße 
erivogen habe. Bismard3 Auslaffungen find doch ganz Klar: Wenn er 
vorſchlägt, den Reichstag aufzulöfen, ein anderes Wahlrecht auf- 

zuzwingen, und die Bebölferung auf die Straße au treiben, dann iſt 
die Verfaffugg jelbitberftändlih null und nigti ig. 
Bei einer —— Auffaſſung würde unſere Verfaſſung weiter 

a i ch t3 jein, 

yo ein Stück Papier, das man auf die Spiten der Bajonette auffpieht. 

i Präfident: Sind S Ihnen denn Fälle berfajjungswidriger Verwen⸗ 

dung des Militärs in Deutichland befannt? 

Liebknecht: Ich habe ja nur gejagt: Es find ſolche Dinge von mädj- 
tigen re — worden, und es handelt fi darum, ſich auf 
diefe Gefahr präparieren. Das iſt felbfterftändliche 
Pflicht des Wolititere. Ich habe hier (ein Aktenfaszikel erhebend) ein 
großes Material... 

e Präſident (einfallend): Wir gehen dann über... 
" Liebfnedht (unterbrechend): Sch erinnere nur an die bekannten 
eußerungen bon Dldenburg-Janıfhan, der „Poſt“, der „Kreuz 
Zeitung”, der „ —— achrichten“, die alle einen gewaltſamen 
Bruch der Verfaſſung fordern. 
räſident: Wir gehen alſo zum äußeren Militarismus 


( 


über. 

Liebknecht: Ich bitte um Verzeihung, wenn ich unterbreche. 

Präfident: Ich laſſe mich nicht unterbrechen. Wir können übrigens 
unterſtellen, daß Aeußerungen gefallen ſind, die Sie in dieſem Sinne 
verſtanden haben. — Sie fordern in bezug auf den äußeren Mili⸗ 
tarismus das Recht für das Volk, über Krieg und Frieden zu entſcheiden, 
während nad) der Verfaſſung diefe Entſcheidung beim Raifer Liegt. 
Seite 118 fordern Sie al3 Minimalforderung die Entſcheidung über 





- 19 — 


Krieg und Frieden durch die Volfsvertretung, aljo unter Befeitigung 
der Stelle, die jegt darüber zu befinden hat. 

Liebknecht: Ich bedauere jehr, daB ic) vorhin meine Auslaffungen 
über den inneren Militarismus nidt habe zu Ende führen fönnen. Die 
eben vorgelegte Frage liegt jehr einfach. Die Sozialdemofratie iſt eine 
Partei der Demokratie, das jagt ihr Name. Die Demokratie ift eine 
Staatsform, die, natürlih die gegenwärtige Staatsform, aus- 
Küließt- Sch erkläre klipp und klar, daß das Ziel meiner politiſchen 

ätigfeit als eines Sozialdemofraten die Abſchaffung der Monardie 
und die Einführung der Demofratie ift. Das iſt ja auch, mein gutes 
Recht. ES handelt fih nur darum, mit welchen Mitteln ich dies Ziel 
erjtrebe. Mein Ziel ift eine Menderung der gegenwärtigen Verfaſſung 
bon Grund aus, und nit bloß diefer, fondern aud der 
ökonomiſchen Zuftände — fo wahr ih Sozialdemofrat bin. 
Alſo erjtrebe ich ſelbſtverſtändlich auch die Enticheidung über Krieg und 
Srieden durch die Volfspertretung. Das erftrebe ich fogar innerhalb 
der monarchiſchen Staat3verfaffung. Uebrigens fteht diefe Forderung 
feit Existenz der Sozialdemofratie in ihrem Programm. 

Präſident: Iſt denn das innerhalb der Monarchie möglich? 
Liebknecht: Wir haben e3 mehr oder weniger jchon in Belgien, 
in Holland, in Norwegen, in England; in der Schweiz und anderen 
Kepublifen iſt es verwirklicht. Die Enticheidung über Krieg und Frieden 
durch die Volksvertretung, das iſt nicht bloß ein Ziel der Sozial- 
demofratie, jondern auch der demofratifchen Parteien. Ich erinnere 
auch an die Ssnterpellation Baffermanns vom November 1906, die unter 
faft allfeitiger Zuftimmung des Reichſstags gegen den Abſolutismus 
gerade auch in der äußeren Politif Front machte. Und Herr Bafler- 
mann ift dod) Fein Eozialdemofrat. (Heiterfeit.) Natürlich wünſche ich, 
daß diefer unjer PBrogrammpunft fo raſch wie möglich verwirklicht wird, 
und man müßte wahrlich ein jehr geringes Zutrauen zur Ent- 
widelung der menſchlichen Gefjellihaft haben, wenn man die fried- 
liche Verwirklichung jelbit dDiefes Ziele für un- 
möglic halten würde. 

räfident: Es wird an anderer Stelle zu erörtern fein, ob Sie 
glauben, daß dies auf friedliche Weife geihehen fann. Sch fomme nun 
auf die Stelle, wo Sie von einer möglihen Intervention in Rußland 
ſprechen. Sn der Brofchüre fcheint doch deutlic) ausgefprodjen, da 
Sie für diefen Fall eine Snfurreftion propagieren wollen. 
Liebknecht: Das ift ein Mikverftändnis, das daher rührt, daß die 
fozialdemofratijde Terminologie fr gewilfe Kreife gleihiam eine 
Geheimſchrift, eine Geheimwiſſenſchaft iſt. Zunächſt ein paar all- 
gemeine Worte über die Brojhüre. sch habe fie allerdings mit Ieb- 
baftem Temperament gerieben und die Behandlung des Themas hat 
mid) innerlich lebhaft erregt. Aber es ift dennod) feine Propaganda- 
fhrift geworden, dazu _ift fie biel zu ſchwer verjtändlih. Won den 
5000 Eremplaren der Schrift, die verbreitet wurden, bevor der Reichs— 
anmalt — nad) zwei Monaten! — dem „Hochverrat“ auf die Ferſen 
fam, ift nur der geringfte Teil in die Hände von Arbeitern gelangt. 
3 a das eventuell durch das Zeugnis der Verlagsangeftellten 
eweiſen. 

Präſident: Ich will das gern als wahr unterſtellen, die Schrift 
ift für den -einfachen Laienverſtand allerdings etwas ſchwierig. Aber 
wie ftehen Sie zu der Intervention in Rußland? Sie war doch denkbar, 

2* 


— 0 


0 ja — auch 1830 Vorkehrungen gegen den polniſchen Aufſtand 
getroffen hat. 

iebknecht: Ich beſtreite aufs entſchiedenſte, die Inſurrektion in 
meiner Schrift propagiert zu haben. Die fragliche Stelle muß in ihrem 
Zuſammenhang verſtanden werden. Ich unterſuche lediglich, unter 
welchen Vorausſetzungen die Inſurrektion infolge eines Kriegsaus⸗ 
bruches eintreten kann und ſtelle feſt, daß die erſte Vorausſetzung ein 
gewaltiges revolutionäres Glutfieber iſt. Den Fall der ruſſiſchen 
Intervention, den ich ausdrücklich als ganz unpraktiſch bezeichne, be- 
handle ich nur als Schulbeiſpiel, als Paradigma. 

Präſident: Ob der Fall praktiſch iſt, ſteht dahin; denkbar iſt er 
jedenfalls. Sie ſetzen einen ſolchen Fall und fordern für ihn ein be— 
ſtimmtes Handeln. 

Liebknecht: Das iſt nicht zutreffend. Ich verweiſe einfach auf den 
Zuſammenhang. Ich ſage ausdrücklich: „Inſurrektionen können nicht 
gemacht werden“. sc prüfe die Frage: Wie wirkt der Kriegsausbruch, 
diefes ernite, bedeutfante Ereignis, auf die Bevölkerung? Die regel- 
mäßige Wirkung ift bisher eine Hochgradige nationaliftiiche, patriotifche 
Erregung. Wer 1870 erlebt hat, der weiß das. Ich Fenne etwas 
ähnliches aus eigener Erfahrung nur von 1887 her und vielleicht aus 
den jüngften Wahlen. Das gewaltige Faktum: Krieg, das notwendig 
aufregend in die Maffen greift, entfeffelt nicht notwendig gerade jene 
chauviniſtiſchen Leidenſchaften; es kommt auf Art und Urſache des 
Krieges an. Wenn ein Krieg unpopulär iſt, wird die Begeiſterung 
nicht ſo groß ſein; wenn aber der Krieg gar ein ſolcher iſt, den die 
ganze oder der weit überwiegende Teil der Bevölkerung als 
einen Schlag ins Geſicht empfindet, wenn er zwar in formal 
korrekter Ausübung eines formalen Verfaſſungsrechts erklärt iſt, 
aber im ſchroffen Widerſpruch mit den Kulturintereſſen des Volkes ſteht? 
Sehen Sie auf Rußland. Dort kam die „Inſurrektion“ weſentlich 
zum Ausbruch durch die Tatſache des japaniſchen Krieges. Wenn jemals 
— von der innerpolitiſchen Situation ganz abgeſehen — ein ähnliches 
Spannumgsverhältniz zwiſchen dem Charakter des dem Wolfe 
zugemuteten Kriegs und dem fozialen, politiichen, Eulturellen Empfinden 
des Volkes in Deutihland beftehen follte: Ich zweifle nicht, 
daß dann auch bei uns ein folder Krieg ganz anders wirken würde 
al3 patriotifierend, nämlich rebolutionierend; und es ift meine Ueber— 
zeugung zur Ehre des deutichen Volfes, daß diefe Wirkung eintreten 
würde bei einer Intervention in Rußland. 

Präſident: Sie ſprechen ſoviel von einer „Logik des Blutes”, an 
der der Militarismus zugrunde gehen fol. 

Liebknecht: Darunter verjtehe ich die Wirkung des Blutvergießens 
bei innerpolitifchen Konflikten auf die Volkspſyche. Es iſt dag eines 
der Gifte, die der Militarismus erzeugt. 

Prafident: Was heißt das, wenn Sie fagen, der Militarigmus 
zerſetzt ſich. 

Liebknecht: Ich ſpreche von verſchiedenen Auflöſungsgiften, die der 
Militarismus in ſich ſelbſt erzeugt. Sch ſpreche von zahlreihen Zwick⸗ 
mühlen des Militarismus, von einer Zerſetzung, die ſich innerhalb des 
Militarismus ſelbſt vollzieht. Die Sozialdemokratie mißt dem Kapita— 
lismus im allgemeinen, wie dem Militarismus im beſonderen einen 
antagoniſtiſchen oder dialektiſchen Charakter bei. Der Kapitalismus 
muß ſeine Produktivkräfte aufs äußerſte entfalten, er muß dazu die 


— 1 — 


kleinen Exiſtenzen vernichten; eine immer gemwaltigere Konzentration 
de3 Kapitals tritt ein. Das ift eine Ericheinung, die heute jeder 
tatſächlich vor ſich fieht, die aber von den großen Soztaliften ſchon in 
den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts unter allgemeiner 
Skepſis in glänzender Weiſe vorausgejagt wurde. Dadurd) fett ſich 
der Rapitalismus in einen Widerfpruch mit ſich jelbft. Der Reichtum 
des Volkes, die Grundlage der Volkswohlfahrt gerät in die Hände einer 
kleinen Bahl von Perjonen. Ich verweiſe auf den Kampf, den jelbjt 
die Staat3gewalt jet allenthalben um einen Reit von GSelbitändigfeit 
gegen die Trufts führen muß. Denken Sie daran, wie die mädjtige 
preußifche Regierung in der Hibernia-Affäre niedergeichlagen wurde, 
wie da die Minifter nad) Haufe geihict worden find. 

Präſident: Das führt zu weit. 

Liebknecht: Sch wollte damit an einem Beifpiel den antagoniftifchen 
Charakter des Kapitalismus erläutern. Dieſer Charakter zeigt ſich 
aud) darin: Der Kapitalismus braudt an und für fi) ein von ihm 
abhängigeg, über feine Klaffenintereffen nicht unterrichteteg Proletariat. 
Aber dieſe Eigenihaften muß er wiederum jelbft vernichten, weil er, 
um Profit madjen zu Zönnen, intelligente Arbeiter braucht. So muß 
der Kapitalismus feinen Feinden ſelbſt eine 
Bildungverihaffen, die die Erwedung des Klaſſenbewußtſeins 
erleihtert. Und der Militarismu3 hat daneben noch jeine 
eigene felbftvernidtende Dialektik. Einmal gebraudt 
er Proletarier, die die zum Gehorfam erforderlichen Eigenfchaften der 
Unfelbitändigfeit befigen, andererjeits gebraucht er aber bei dem heutigen 
Stande der Kriegstehnif und Strategie immer mehr kluge und auf- 
geflärte Soldaten. Und foldhe innere Widerfprüche zeigt meine Schrift 
eine Menge auf. 

Präſident: Sie bleiben alſo dabei, daß gewiſſe innere Widerfprüche 
zu einer Zerjegung des Militarismus führen müjjen? 

Liebknecht: Sa. 

Präſident: An einer anderen Stelle äußern Sie ſich mit einer 
gewiffen Sfepfis über den bisherigen Grad der Zerfegung, weil es 
ein Unterſchied jei, einen fozialdemofratiichen Stimmzettel abzugeben 
oder mit feiner Perſon Gefahren auf fid) zu nehmen. 

Liebknecht: Jawohl. 

Präſident: Sie meinen weiter, daß namentlich die Reſerve und 
Landwehr Ihrer Agitation zugänglich fein wird. 

Liebknecht: Ich zweifle nicht, daß die Angehörigen der Arbeiter- 
Haffe immer mehr vom Klaſſenbewußtſein durchdrungen 
werden, und dad bejagt alles. 

Präſident: Die Anklage behauptet nun, daß Sie nit nur 
theoretifche Erörterungen gepflogen haben, fondern bemüht geweſen 
find, Shre Sdeen aktuell zu verwirklichen; das Mittel zur Vorbereitung 
der Umwälzung der Verfaffung fol zunädft Shre Propaganda für die 
Ssugendorganijationen fein. Was haben Sie dazu zu jagen? 

Liebknecht: Sch möchte zunächſt, um feinen Zweifel aufflommen zu 
Iaffen, mir nod) den Hinweis geftatten, daß ich mit meiner Meußerung 
zu dem eben behandelten Paſſus auf Seite 106/107 noch nicht zu 
Ende gekommen bin. 

Bräfident: Sie ftören die Verhandlung, wenn Sie auf das, was 
abgeſchloſſen ift, zurückgreifen. 


— 22 — 


Liebknecht: Sch bitte mir jeweils vor dem Verlaſſen eines be- 

ftimmten Punktes Gelegenheit zu geben, fofort hinzuzufügen, was ich 

noch zu jagen habe. Das läßt ſich nicht nachholen; es ift ſchwierig, 
Einen Eindrud zu zerftören, wenn er fich erft einmal feftgejeßt hat. 

Präſident: Das wird geichehen. 

Kiebfnedt: Nun zur geftellten Frage! Ich habe als Gozial- 
demofrat jelbftverftändlich das Intereſſe, die ſozialdemokratiſchen Ideen 
zu berbreiten, zur Erweckung des Klaſſenbewußtſeins beizutragen, d. h 
im Proletariat die Erfenntnis feiner wirklichen Intereſſen zu fördern. 
Dazu gehört auch die Aufklärung über das Wejen des Militarismus als 
einer jehr wichtigen Begleiterfheinung, des Stapitalimus. So iſt es 
ganz ſelbſtwerſtändlich, daß ich jede mögliche Agitation in diefer Richtung 
für dringend erforderlid) halte. Nun iſt aber die Aufklärungsarbeit bei 
der Jugend relativ vernachläſſigt geweſen. Das iſt jeit einigen Jahren 
ander geiorden, und ich für meinen Teil halte die Jugendagitation 
und -Organijation für etwas außerordentlich Wichtiges, für etwas, mas 
energiſch vorwärts zu treiben Pflicht jedes Sozialdemofraten iſt. Die 
een der Sugendorganifationen richten ſich je nach Geſetz, Ort 
und Bei 

Bräfident: Sie jollen in Sena Propaganda für eine Kafernen- 
agitation gemacht haben 

Liebknecht: Das durchaus verkehrt. Sch habe die Kaſernen— 
agitation für Deutſchland von Anfang an konſequent und ausdrücklich 
abgelehnt und immer geſetzliche Propaganda verlangt. Als Ziel habe 
ich ſtets bezeichnet, daß ſich die Staatsgewalt der Armee für ungeſetzliche 
Akte nicht mehr ſicher fühlen ſoll. 

Präſident: Haben Sie nicht ſo zu ſagen eine Arbeitsteilung dahin 
vorgeſchlagen, daß zur Leitung der Propaganda ſolche Perſonen aus 
den Jugendorganiſationen verwendet werden ſollten, die die Fuß— 
angeln des Geſetzes umgehen könnten? 

Liebknecht: Ich habe nicht innerhalb der Jugendorganiſationen eine 
Arbeitsteilung vorgeſchlagen. Der Ausſchuß, den ich anrege, ſoll eine 
beſondere Inſtanz ſein. 

Präſident: Hier iſt von Rekrutenabſchieden die Rede, das heißt wohl 
von Flugblättern, die zur Zeit der Rekrutierung verbreitet werden, 
um eine Zerſetzung des Militarismus herbeizuführen. Mir liegt 
eine Nummer der „Jungen — vor, Organ des Verbandes junger 
Arbeiter Deutſchlands, Nr. 7, 1. Jahrgang, worin ſich ein von Ihnen 
verfaßter Artikel befindet. Der Artikel lautet: 

Die Stunde der Aushebung hat gefhlagen. Bald fommt der Ge«- 
ftellungsbefehl und das Beſte, was an jugendlider Männerfraft im bdeut- 
Then Volke gewachſen ift, muß fein Bündel ſchnüren und Eltern, Geſchwiſter, 
Kollegen und Freunde, oft felbjit Frau und Kind verlajien Muß! Du 
gibts fein Berren und Sträuben; Gefängnismauern drohen dem Wider 
ftrebenden. „Das Vaterland ruft! Erbärmlich, wer fi) feinem Dienft nicht 
freudig weißt!“ ©o heißt e3 in den Schulen, fo ruft es von den Kanzeln, 
5 a in allen tohlanftändigen und „angejfehenen“ Büchern und 

eitun en. 

Bisher wart ihr freie Männer, ihre jungen Proletarier, ſoweit kapita⸗ 
liſtiſche Unkultur Proletarierfreiheit fennt. Die Hungerpeitfche aber iſt ein 
Symbol der Freiheit im Vergleich mit dem Drud, mit der Sklaverei, unter 
die euch der blutigeiferne Militarismus zwingen wird, Gflabereil Und 
nicht nur immer einem, fondern jedem Offizier, jedem Unteroffizier der 
deutſchen Armee werdet ihr auf Gnade und Ungnade ausgeliefert; jedem 


— — — — — — — — — 


— 28 — 


Wink eurer Vorgeſetzten habt ihr ſchweigend und ohne Widerrede mit 
Mafchinenpromptheit Tag und Nacht zu gehorchen... Aber: „Ohne 
chärfſte Disziplin iſt keine Armee möglich. Iſt auch der Dienſt fürs 
aterland ſchwer, erbärmlich, wer ſich ihm nicht freudig weiht.“ So heißt 
es überall, wo man auf Patriotismus hält. j 

Bisher durftet ihr euch Wohnfib und Wohnung wählen; das hört nun 
auf — ihr werdet meift aus der Heimat weggerifien, müßt mie Auswanderer 
hinauzziehen, werdet in Kafernen eingepfercht und in Stuben geteilt, wie 
eine Herde in die Gtälle. 

Bisher durftet ihr euch außerhalb der Arbeit frei bewegen; der 
Militarismus wird euch bon nun an feinen freien Echritt gejtatten; Efien, 
Trinken, Schlafen, Ausgehen, alles wird diszipliniert, reguliert, fontrolliert. 

Bisher durftet ihr leſen und fchreiben, was euch paßte; aber auch 
damit ift3 zu Ende. Bisher durftet ihr Vereinen angehören, oder Ver— 
jfammlungen beiwohnen, die euch paßten. Künftig werdet ihr nur lefen 
und fchreiben dürfen, was der Vorgeſetzte geftattet; fchmere Strafe riskiert, 
wer andere als „jtaatserhaltende” Schriften lieſt, oder auch nur bei fid 
hat, wer andere als „itaatgerhaltende” Reden führt, wer andere als „ſtaats— 
erhaltende” Geſellſchaften bejucht. 

„Aber,“ fo wird man euch lehren, „die Armee ift die hohe Schule des 
deutfchen Volkes; fie fol euch zur Treue gegen den Monarden, zur Vater: 
landsliebe erziehen, auf daß unfer Deutſches Reich ftart und gefeftigt da- 
ftehe. Keine Erziehung ohne Zwang,“ fo beißt ed. „Erbäxrmliche Nörgler, 
wer ſich nicht willig in diefen Zwang ſchickt, um des edlen patriotifchen 
Zweckes willen!” 

Bisher durftet ihr um Befjerftellung eurer Lage fämpfen; von morgen. 
ab werdet ihr euch pro Tag mit wenigen 20 Pfennig Lohn für fchweren 
Dienjt begnügen müſſen und nur ganz heimlich fingen dürfen: „PBräfentiert 
dem König! 22 Pfennig find fo BL, Efien, Trinken, ——— und 
Kleidung werden euch ohne eigenes Wahlrecht und ohne, daß ihr auch nur 
eine Kritik wagen dürftet, zugeteilt. 

Bisher war das Maß eurer Arbeit, die ihr dem Arbeitgeber zu leiſten 
habt, meiſt feſt begrenzt; von morgen an werdet ihr arbeiten müſſen, was 
immer und wieviel immer euch der Vorgeſetzte befiehlt, und da gibts 
bei ſchwerer Strafe kein Muckſen! 

Aber: „AU das bringt das rauhe Kriegsleben mit ſich. Das Vater— 
land ruft. Erbärmlich, mer fi feinem Dienſt nicht freudig weiht, in 
feinem Dienſt nicht gern jede Sklaverei, jede Anftrengung, jede Entbehrung 
auf ſich nimmt!“ 

Wer euch beleidigt und fchlägt, und fei es felbft euer Arbeitgeber, 
euer Meifter, gibt euch damit ohne viel Federlefeng Grund zur fofortigen 
Urbeitsniederlegung, und zum Schadenserfat. Ahr dürft ftraflos Notwehr 
üben, und könnt felbft ftraflos bleiben, wenn ihr zur Vergeltung wieder 
beleidigt, wieder ſchlagt. Nach dem Geſetz gilt eine Verlegung eurer Ehre 
und eures Körperd duch den Unternehmer gleich. der Ehr- und Körper— 
verlegung de3 Unternehmers durch den Arbeiter. Als freie und gleiche 
Staatsbürger jtehen ſich Arbeitgeber und Arbeiter, wenigftens nad dem 
Geſetz, gegenüber, ein und derjelbe Paragraph trifft beide. 

Das wird nun anderd. Die ehrverlebende Kafernentoheit, die grau— 
ſame Schmach der Soldatenmißhandlungen, die jelbft nah den Worten 
bes Kaiferd und des Kriegsminiſters von Einem die Armee befleden, werdet 
ihr gar bald an euch oder euren Kameraden erdulden müffen. Und ihr 
dürft nicht den ent berlafien, mag8 euch aud) dem Tod oder dem 
Wahnfinn zutreiben. Ihr Habt nicht das Recht der Erwiderung auf der 
Stelle; und jelbft das Recht der Notiwehr wird euch beitritten. Dem Vor— 
gejetten Hingegen wird in den Kriegsartikeln ſelbſt dag Necht des Waffen- 
gebrauchs gegen den widerſetzlichen Untergebenen ausdrüdlich zugejprochen. 
Die Beleidigung, Demütigung und Mißhandlung der Untergebenen, auch 
die jchwerften, werden von den Militärgefegen und den Militärgerichten 


— 24 — 


meiſt nur als vorſchriftswidrige Behandlung, ſeltener als Körperverletzung, 
meift nur mit geringen nicht entehrenden Strafen, Stubenarreſt und ber- 
gleiden von furzer Dauer, feltener mit verhältnismäßig Furzfriftigen 
Gefängnisftrafen belegt. 

Diefelben Militärgefete und Gerichte drohen an und verfügen 
drakoniſch harte Freiheitzitrafen, meift Zuchthaus, gegen den Untergebenen, 
der fich, fei e8 auch nur unbedadjt, zur Unbotmäßigfeit und Beleidigung 
oder gar irgend einer wenn auch noch fo berzeihlichen Gewalttätigkeit gegen 
den Vorgefeßten, und fei er perjönlih noch jo unmürdig und der gemeinſte 
Soldatenfhinder, hat hinreißen lafien. Die Militärgefeße meſſen grunds 
und graufam mit zweierlei Maß. Nur ein fchwerfälliger und zwei— 
Hneidiger, mit vielen Fallitriden verjehener Beſchwerdeweg ſchützt den 
Eoldaten, der nicht alles einftedt, mas ihm En Beiniger bietet. Der 
geringfte Exzeß gegen einen der unzähligen Vorgeſetzten vernichtet mit 
tödlider Eicherheit die Eriftenz des unglüdliden Soldaten. 

„Auh das muß mit in Kauf genommen erden! Eiferne Dis— 
ziplin ift nötig; fie führt zu den oft betrübenden Folgen; aber das 
find nur Ausnahmen. Tragt auch fie im Dienfte des teuren Vaterlandes.“ 

Und man wird eudy bunte glißernde Uniformen geben, euch mit Sang 
und Klang durch die Straßen führen. Den „bornehmften Rod” wird man 
euer neues Kleid nennen, euch Hochmut gegenüber dem Feinde einimpfen; 
das fol euch über alle Fährniffe, über alle Schmach und Not der Kaferne 
Hinmwegtäujcden. 

Aber feid ihr denn Kinder, feid ihr Wilde, daß man eud dur Prunk 
und grellen Schmud, durch Spielzeug euer Erjtgeburtsreht auf Menfchen- 
würde vergeſſen maden fönnte? Iſt's nicht eine Beleidigung, daß man 
euch das zumutet? 

Indeſſen: es gilt das Vaterland zu ſchützen! Und da heißt's um des 
Be Zweckes willen die Augen zudrüden und die Zähne aufeinander- 

eißen 

Das Vaterland [hüten ? Denkt an unfere hinefifhen Heldentaten, 
an die Kämpfe in den afrikaniſchen Kolonien, an den Maroflohandel, der 
drauf und dran war, Deutichland in einen Weltkrieg zu verwideln, Mord 
und Brand über Europa zu breiten. Was hatte das mit dem Schuß bes 
Vaterlandes zu tun? Die — —— Welt» und Kolonialpolitik mag 
den Intereſſen des großlapitaliftiiden Unternehmertums dienen; dem 
Vaterland, dem Broletariat bürdet fie nur Laften auf. 

Nun, wie ihm auch fei, ihr werdet in die Kafernen einziehen. 

Dort werdet ihr bald hören: nicht nur zum Kampf gegen den äußeren 
Ban nn auh zum Kampf gegen den inneren Feind follt ihr 

jenen 

Wer ift der innere Feind? 

Auf Vater und Mutter, Bruder un, Schweſter follt ihr auf Kom⸗ 
mando fchießen! 

Fürs Vaterland? 

Man wird euch vielleicht zu Streikbrecherdienften ablommandieren. 

Fürs Vaterland? 

Man wird euch vielleicht wie in Nürnberg und Magdeburg und wie in 
ganz Preußen am 21. Januar 1906 an den wirtſchaftlichen Kämpfen zwiſchen 
Arbeiterfhaft und Unternehmertum zum Schutze des Unternehmertums& 
und in den politifgden Freiheitskämpfen der Arbeiterfhaft zum Schutze 
eurer Unterdrüder gegen die Arbeiter, eure Kameraden, Kollegen und 
Gefinnungsgenoffen zu den Waffen rufen. 

Fürs Vaterland? 

Die Augen werden euch aufgehen, wenn fie nicht ſchon geöffnet find. 

Was ift das für ein Vaterland, das nicht das ganze Volt umfaßt, 
euch bon euren Liebften reißt, zu Feinden eurer Freunde maden mill? 
Das den Kampf gegen die Arbeiterjchaft proflamiert, das ſich eins fühlt 
mit dem Unternehmertum, mit jeder Reaktion? 





a DB 


.. Das ift nit euer Vaterland; das ift nicht das einige deutſche Vater» 
land. Das ift nür die Vertretung einer Klaffe bes deutſchen Volkes, 
die euch, feitdem ihr lebt, und ſchon euren Xätern, feitdem fie leben, 

feindlich ift bis aufs Blut, die eu und eure Väter, Mütter, Brüder und 
Schweſtern, Aameraden, Kollegen und Gefinnungsgenofien von Kindesbeinen 
an ausbeutet und unterdrüdt! 

Der innere Feind, das find eure Väter, Mütter, Brüder, Schweſtern 
und Freunde, das ift das gefanıte Proletariat und alles, was nicht mit 
der herrſchenden Reaktion durch did und dünn geht; der innere Feind: 
das feid noch Heute ihr felbft ! Und das werdet nad) eurer Entlafjung 
wieder fein ihr felbft! Ihr felbft, die ihr zum Kampf gegenüber diefem 
inneren Feind aufgerufen werdet, zum Kampfe gegen euch felbit. 

Zu „Hofhunden des Kapitals“, ihres Feindes, werden die Proletarier 
degradiert, wenn man fie gegen den inneren Feind mobilifiert; ihr Lohn, 
und fei er noch fo gering, fol fein ein Judaslohn: trifft es nicht zu, wenn 
Freunde des WProletariats fo ſprechen? 

Und habt ihr erft dies erfannt, fo erkennt ihr weiter: Nur darum 
der furdtbare Drud und Drill und die eiferne Disziplin, damit das 
Broletariat dur Furt und Echreden gezwungen wird, dem Kapital und 
der Reaktion, feinen eigenen Feinden, zu dienen. 

Und darum die Sklaverei und geiftige Bebormundung, die Gefinnungss 
unterdrüdung und der gleißende Prunk und Pub, bamit das Proletariat 
im bunten Rod ſich ſelbſt und all die Seinen bergefje und willig den Willen 
des Kapital und der Reaktion, feiner eigenen Feinde, tue. 

Darum die Militärmißhandlungen und bag grundjfählide Meſſen 
mit zweierlei Maß durch Militärgefe und Militärjuftig, weil man fein 
Voltsheer, fein Heer des deutichen Volkes, fondern eine Armee des 
Kapitals, der Reaktion geſchaffen Hat und braudt. 

Nur darum führt man euch aus der Heimat in die Fremde, damtt 
ihr don euren Nächten getrennt im Kampfe für eure Feinde durch Strupel 
und Bmeifel, durch Golidaritätsgefühl und unbequeme Herzensregungen 
weniger geſtört werdet. 

Und die wahnſinnigen jährlichen Milliardenkoſten dafür, daß ihr in 
diefes für euch felbftmörderifche Anftrument verwandelt werdet, daß man 
aus euch Proletariern das ftärkite Bollmerf eurer Zmingburg fügt, daß 
man eud Geele, Verftand, Selbitgefühl, Klafienbewußtfein, Kindes- und 
Gefchwifterliebe, kurz alle edeljten Regungen zu bermwirren und zu rauben 
ſucht, müßt ihr, muß das Proletariat audy noch zum größten Teil felbit 
aus feinem eigenen ſauren Schweiße preſſen. 

Iſt das nicht Widerfinn? Iſt das nicht unmöglih? Warum fhüßt 
fi der Kapitalismus, ſchützt fich die Reaktion nicht dürch ihre Koftgänger, 
durch die, deren Intereſſen fie vertreten? 

Und der Militarismus ift der Würgengel der Kultur; er barbarifiert 
die Zipilifation und frißt, dad Volt ausjaugend, alle Mittel auf, die einem 
wahrhaftigen Fortſchritt dienen könnten. 

Er ift die Quinteffenz und die Summe aller Xolkzfeindlichkeit, der 
brutale Erefutor und der blutig-eiferne Schubwall des Kapitalismus. 

Nehmet diefe Erkenntnis in euch auf, ihr Proletarier, die ihr zu den 
Waffen gerufen werdet, und alle Verfuche, euch in der Kaferne der großen 
Sade des proletarifhen Befreiungsfampfes abfpenitig gu machen, müſſen 
nit nur zu Schanden erben, en die Begeifterung eurer Ueber» 
deugung, eurer Ideen nur um fo höher und heißer entfachen. Als doppelt 
er Gtreiter werdet ihr aus dem Heere des Kapitalismus in die Reihen 

er proletarifchen Armee zurüdfehren. 


Präſident: Haben Sie hierzu etwas zu erklären? 

Liebknecht: Das Berliner Polizeipräfidium hat die Behauptung 
aufgeitellt, der füddeutihe Verband habe ſich erft von dem Zeitpunft 
an mit antimilitariftiicher Propaganda befaßt, wo ich Einfluß auf 
ihn gewonnen hätte. Tiefe Behauptung ift falſch. Weiter bemerfe id}: 


— % — 


Rekrutenabſchiede find nicht das, was der Präfident eben andeutete, 
fondern Feſtlichkeiten und dergleichen, wie fie ſchon vielfach aud) in der 
Arbeiterfchaft beim Abſchied der Einberufenen üblich find, um ihnen 
zu zeigen, daß man fie nicht als Feinde betrachtet. Solche „Abſchiede“ 
fordere id) ausdrücklich nur, wo fie gejetlich geitattet find. 

Präſident: ch bringe nunmehr eine Stelle aus dem Hervoſchen 
Buch „Leur Patrie“ zur Verlefung, in der erörtert wird, was die Sozial- 
demofratie im Falle eines Krieges tun fol. Sch weiß, daß Sie ein 
Gegner der Hervöſchen Anfichten find, aber ich verlefe diejen Artikel, 
um gewiſſermaßen eine Parallele zu ziehen zwiſchen Ihrer Agitation 
in Deutichland und der Hervéſchen in Frankreich. In dem Artikel heißt 
es: „Was follten wir im Salle eine3 Krieges tun? Das einfachite wäre, 
zunächſt zu gehordhen, die Waffen anzunehmen und dann im gegebenen 
Augenblick den Dienst zu verweigern. Aber da3 ift ſchwer durchzu— 
führen, denn aud) die herrfchenden Klaffen werden Vorfihtsmaßregeln 
treffen und erſt furz vor der Schlacht die Patronen ausliefern. Leichter 
it ein anderes Mittel, das fih mit zwei Worten bezeichnen läßt: 
Fahnenflucht der Kameraden und Streif der Referpiften.“ 

Liebknecht: Mit diefem Buche habe ich nichts zu tun, für die 
Herveihen Anfihten bin id in Feiner Weiſe verantwortlich, ich bin 
im Gegenteil ein entjchiedener Befämpfer feiner Anjchauungen. 

Bräfident: Sch werde nunmehr einen Auffag aus dem „Piou-Pion” 
der Vonne-Föderation verlefen, der ein bezeichnendes Gegenſtück zu 
Shrem eben verlejfenen Artikel bilden fol. 

Liebknecht: In der Anklage ift diejer Artikel nicht als Beweis- 
mittel genannt. Ich ftelle feit, daß wir feine Gelegenheit gehabt haben, 
un3 darüber zu informieren. 

Der Aufſatz wird verlejen. 

Liebknecht: Der Artikel ift in der Zeitung der Yonne-Föderation 

erfchienen, die den Standpunkt Hervés vertritt. Seine Ausführungen 

betreffen franzöfiiche Zuftände und find Halb-anardiftifh. Meine Bor- 

Ihläge betreffen deutiche Verhältnifje und ftehen auf entſchieden anderem 
oden. 

Präſident: Sn Ihrer Broſchüre jagen Sie, daß die allgemeine An 
erfennung des Grundgedanfens Shres in Mannheim abgelehnten An- 
trage3 nur eine Stage der Zeit, und borausfichtlich ſehr Furzer Zeit fei. 

Liebknecht: Das bezieht ſich natürli nur auf die Anerkennung 
des Bedürfnifjes nach Einleitung einer jpeziellen antimilitariftiichen 
Agitation, nicht einer antimilitariftiichen Aktion. 

Präſident: Wie Sie fi) zur Frage der Kafernenagitation geftellt 
haben tollen und wie Sie wünſchen, daß man Sie geftellt anfieht, haben 
Sie auf dem Stuttgarter Kongreß in der in Nr. 157 des „Vorwärts“ 
abgedructen Erflärung gegen Vollmar dargelegt. Darin bejtreiten Sie, 
daB Ihre Anträge auf den drei VBarteitagen auf eine Kafernenagitation 
abgezielt hätten, und behaupten, Sie wollten nur eine jpezialifierte 
Agitation gegen den Militarismus. Meiter beziehen Sie ſich auf 
Vollmars Bemerkungen, nad) der Ihre Broihüre und Ihre Anfichten 
aus der Debatte auszuſcheiden hätten, nachdem das Verfahren wegen 
Hochverrats gegen Sie eingeleitet fei, und fahren wörtlich fort: „sch 
betone demgegenüber, daß ich eine ſolche Rückſichtnahme aufs Höchſte 
bedauern und ſchlechthin zurüchveifen würde, und vielmehr die be— 
ftimmte Erwartung bege, daß diefe Aktion der Klaſſenjuſtiz zur Ver- 
ihärfung und Anfeuerung de3 antimilitariftiijhen Kampfes beitragen 


og 


er — 


wird.” Es fommt hier das Wort „Klafieninftiz” vor. Was verftehen 
Sie darunter? 

Liebknecht: Unter Klaſſenjuſtiz verftehe ich die gejellihaftlihe Er- 
ſcheinung, daß das Richteramt nur von Angehörigen der herrſchenden 
Klaſſe oder Klafjen ausgeübt wird. Soldje Richter vermögen, wenn fie 
über Angehörige anderer Bevölferungsihichten zu befinden haben, 
naturgemäß nicht objektiv zu urteilen. Wir ſprechen bon einer Klafjen- 
juftig gegenüber der Sozialdemofratie, injofern e3 ſchlechterdings aus- 
geraldijen iit, daß Sozialdemokraten Richter find, und es ſich der Sozial- 

emofrat ftets ejalen laflen muß, von den erbittertiten Feinden feiner 
Partei abgenrteilt zu werden. 

Präſident: Wenn es nun Richter gäbe, die fich zur Sozialdemofratie 
befennen, glauben Gie, daß fie fi) auch dem Verdachte der Klaffen- 
juſtiz ausjegen, oder daß fie zum Unterſchiede von den jetigen Richtern 
unparteiifch urteilen würden? 

Liebknecht: Die Tatfahe der Klaffenjuftiz beruht auf allgemein 
menſchlichen Eigenſchaften. Für mich beiteht fein Zweifel, daß, wenn 
eine andere Klaſſe als heut judizieren würde, diefe einer ihr feindlichen 
Klaſſe ebenfowenig unbefangen aegenüberftände wie der heutige Nichter- 
ftand der Sozialdemofratie. 

Präſident: Sie wollen alfo Gerichtshöfe, die ans allen Klaſſen zu- 
men EN find? 

Liebknecht: Jawohl. 

Präſident: Meinen Sie nicht, daß auch jetzt ſchon Richter Sozial⸗ 
demokraten find? i 

Liebknecht: Sa, aber doch nur in ganz bereinzelten Fällen als 
saölen oder Geſchworene. 

räfident: Sit es richtig, daB 2 Vollmar Ihnen den Plan einer 
Kafernenagitation vorgeworfen hat? 

Liebknecht: Zur Aufklärung wäre e3 das Einfachite, die Parteitags- 
protofolle zu verleſen. Sie ergeben, daß ich mich vom erſten Moment 
meiner Tätigfeit an gegen die NKafernenagitation in Dentfchland 
gewandt habe. Das wird aud) Bebel als Zeuge beitätigen. ch habe 
mid) wiederholt entſchieden dagegen gewehrt, al3 mir dies bon ver— 
Ichiedenen Seiten auch) aus der Partei unterfchoben wurde. Sch habe 
in Eſſen den Sagenfrei3 gelont, der ſich um meine antimilitariftifchen 
Beitrebungen gebildet hatte. 

Es gelangt dann Bollmars Rede in der Stuttgarter Militär- 
fommiffion zur Verlefung. Er führt darin aus, daß die Aufflärungs- 
arbeit gewifjen Leuten zu langſam gehe und dab fie deshalb auf Mittel 
finnen, fie zu befchleunigen. Liebfnechts Agitation müfje ganz aus der 
Debatte ausiheiden, ſeit das Reichsgericht gegen ihn das Verfahren 
wegen Sochverrats eröffnet habe. Militärftreif und Inſurrektion feien 
jedenfalls, jo ſchließt Vollmar unter dem Widerfprud der Herveiften, 
töriht und unfinnig. 

Präſident: Vollmar polemifiert in diefer Rede aud) gegen Saure2. 
St sonen befannt, dat Jaurèes ſich nenerdings zum Hervéismus 

efenn 

Liebknecht (lahend): Das ift ganz gewiß nicht der Fall. Aus 
welcher Quelle ſchöpfen Sie denn das? Eine fozialdemofratifche Zeitung 
iſt es doch ſicherlich nicht. 

Präſident: Das war ja nur ſo nebenbei erwähnt. Wir kommen jetzt 
auf Vollmars Rede in Eſſen. 


Liebknecht: Sch will nur bemerken, daß Vollmar, der ja nit mein 
Gegner, fondern mein Genofje iſt, die in Stuttgart gegen mid) erhobenen 
— am nächſten Tage in einer perſönlichen Bemerkung zurüd- 
nahm. 

Präſident: Vollmar führte alſo auf dem Effener Parteitag aus, daß 
e3 jehr ſchwer fei, über Liebknecht zu fprechen, weil jedes Wort um— 
gedeutelt werden könne. Aber jedenfall3 zeige Ihr Fall, wie ſchwer es 
bei der antimilitarijtifhen Agitation jei, TZorheiten und Mißverſtändniſſe 
zu vermeiden. Die Politiker und Juriſten fünnten ſich wohl in den 
Grenzen halten, aber die einfachen Leute vielleicht, oft nicht. Wenn, 
wie in Mannheim vorgeichlagen, die Rekruten mit einem Trauerflor in 
die an gingen, würden fie ja ein angenehmes Leben beim Militär 


eViebknecht : Ich ſtellte ſofort in einem Zwiſchenruf feſt, daß ich nie 
dazu geraten habe. 

Präſident: Ganz recht. Vollmar erklärt weiter die von Ihnen be— 
tretene Bahn für vollkommen verkehrt und höchſt gefährlich. Den zu⸗ 
läſſigen Antimilitarismus habe die deutſche Sozialdemokratie ſtets be- 
trieben, die ſpezifiſch antimilitariſtiſche Agitation aber begegne beim 
erſten Schritt den größten Schwierigkeiten. Man ſolle die Bildung der 
Jugend vertiefen, damit ſie ſich auch im Waffenrock als Bürger fühle. 

Liebknecht: Ich habe mich darauf, wie erwähnt, in Eſſen eingehend 
geäußert und ausgeführt, daß auch ich die Kaſernenagitation ver- 
werfe und nur eine jpezialifierte antimilitariftifche Propaganda wünſche. 
Der Trauerflor war nicht ein Vorſchlag, er wurde nur von einem Redner 
in einer rethoriichen Floskel erwähnt, der da außrief, die Rekruten 
fellten lieber ftatt mit bunten Bändern geihmüdt, mit dem Trauer- 
for in die Kaferne gehen. ch erklärte, daß ſelbſtverſtändlich nicht 
ein Schwall großer Redensarten zu machen, fondern gründliche Auf- 
klärung zu _berbreiten jei, und erfannte die Notwendigkeit größter Vor⸗ 
ſicht an. Ich führte weiter aus, daß in Deutihland der denkbar beite 
Boden für die jozialdemofratifche a ‚Propaganda fei. 
Schließlich zog ich meinen Antrag zurüd und ſprach die Hoffnung au8, 
daß ſolche Anträge auf Barteitagen nicht mehr nötig fein würden, weil 
es beifer jei, Antimilitarismus zu treiben, als darüber zu reden. 

Präſident: Dann lag nod) ein Antrag Dortmund vor, der zur Agi- 
tation unter den Ausgehobenen vor ihrer Einziehung aufforderte. 

Liebknecht: Den habe ich übrigens nicht unterftiikt. 

Präfident: Nach Ihrem „Rekrutenabſchied“ follte man das er- 


arten. 

Liebknecht: Das hat nichts miteinander zu tun. 

Präfident: Sie find doc) aber mit Ihren Anträgen und Reden in 
Gegenjat beſonders zu Bebel und Bollmar_getreten. Worauf beruht 
diefer Gegenfag? Was meinen und wollen Sie denn nun pofitin? 

Liebknecht: Die Antwort auf diefe Frage gibt meine Schrift aufs 
deutlichſte. Ich nehme fein Wort davon zurüd. sch will feine Kajernen- 
agitation, aber ich will mit allem Nachdruck Aufklärung, Erziehung der 
Jugend, die fpäter in die Kaſerne einrüct, in antimilitariitifhem Sinne. 
Die Jugend ſoll aufgeklärt werden über das Weſen des Kapitalismus 
und des Militarismus und über die Rolle des Militarismus im Klafien- 
fampfe. In diefem Sinne habe ich mein Buch gefchrieben. 

Präfident: Das ſcheint aber auch die Anfiht von Bebel und Vollmar 
zu fein, warum haben fie Ihnen dann aber Sppofition gemacht? 


9 — 


Liebknecht: Sie halten die von mir vorgeſchlagene Form nicht für 
zweckmäßig. Sie meinen, daß mandes mißverſtanden werden kann, 
mögen mid aud) zum Teil mißverftanden haben. Sie haben fid) jeden- 
falls mehr gegen die Nuancen gewendet als gegen das, was ich im 
Grunde will. 

Präfident: Noch eine. Frage wegen der Gewaltfamfeit. Da ift in 
Ihrer Broſchüre (S. 81) die Rejolntion Vaillant erwähnt und Sie jagen 
dazu: Dieje Rejolution fei in ihren Grundzügen gut und brauchbar. 

Liebknecht: Die Reſolution Vaillant iſt in ihren Grundzügen in- 
fofern gut und brauchbar, als fie zutreffend das Weſen des und die 
Stellung zum Militarismus darafterifiert, dann auch injofern, als fie 
eine möglichſt energiſche Agitation fordert. Inwiefern ich den Teil, der 
das Wort Inſurrektion enthält, billige, darüber habe ich ein ganz be- 
fonderes Kapitel gejchrieben. 

Präſident: Ich Fomme auf den Mannheimer Parteitag zurüd. Da 
haben Sie mit Bebel Rede und Gegenrede gewechſelt, und nad) dem 
Bericht des „Vorwärts“ den Zwiſchenruf gemadt: Ganz vortrefflid! 
Die Anklage Ichließt daraus, daß Sie Ihrerſeits im Gegenſatz zu Bebel 

ich den Tendenzen der Franzofen haben anſchließen wollen. 

Liebknecht: Sch bitte, nicht von „Franzoſen“ al3 von einem einheit- 
lichen Ganzen zu reden. Es gibt ja unter den franzöfiichen Sozialiſten 
mindeſtens drei, verſchiedene Auffaffungen über den Antimilitarismus. 
Sc habe mic) wiederholt eingehend über meinenStandpunft ausgelailen; 
da Tann man doch aus dem einen Wort „vortrefflich“ nicht einen plöß- 
lichen Umſchwung meiner Auffafjung herleiten. Der Zwiſchenruf be- 
deutet, daß mir die Spezialifierung der antimilitariftifhen Propaganda 
in Sranfreih und ihr Schwung fehr nachahmenswert ericheint. 

Iefen Es wird ein Artitel der „Leipziger Bolkszeitung”, Nr. 25, ver- 
ejen 

Bräfident: Die „Leipziger Volkszeitung“ behauptet alfo, die Rejo- 
Iution Vaillant jtimme mit der Herpes injofern überein, als auch fie 
im Kriegsfalle die Ssnfurreftion vorfieht. Daraus folgert die Anklage, 
daß die Hervéſche Auffafiung von der Ihrigen nicht jehr verſchieden iſt, 
daB e3 fi) hier nur um eine Modalität der Taktik handelt. Gegen die 
Authentizität der „Leipziger Volkszeitung“ ift wohl nichts zu fagen. 

Liebknecht: Diefe Auffaffung der „Leipziger Volkszeitung“ Tann ic) 
mir durchaus nicht zu eigen maden. 

Präſident: Schließlich bringe id) einen Artikel aus der „Voſſiſchen 
Zeitung” zur Verlefung. Die „Voſſiſche Zeitung” berichtet über eine 
Rede Herpes, entnommen der vermutlicd) Herveichen Zeitung „ee 
Travaillenr de l'Yonne“. Hervé jagt da: Bebel ift von uns abgefallen. 
Bebel ift alt, Bebel iſt müde. Aber ini der deutfchen ſozialdemokratiſchen 
Partei gibt es eine Minderheit von sungen, die Antimilitariften find 
wie ich jelbit. Laffen wir uns nicht entmutigen, verdoppeln wir im 
Gegenteil unfere Bemühungen. Liebknecht und ich, wir genügen, um 
die deutſche und, die franzöſiſche Vaterlandsliebe einzudämmen.“ Ich 
kann natürlich nicht beweiſen, daß Hervé das geſagt hat. Wie weit je- 
doch Wert auf dieſen Bericht zu legen iſt, wird fich finden. 

Liebfnedht: Mir war nicht befannt, daß ſich diefer Bericht bei den 
Akten befindet, die Anflage zieht ihn nicht heran. 

Präfident: Er hat feit je bei den Akten gelegen. 

Liebknecht: Sch bin überrafcht, daR Biker Nrkifel der „Boffiichen 
Zeitung“ hier zur Sprache kommt. Er ift fein „herbeigefchafftes Beweis— 


— 0 — 


mittel”. Die „Voſſiſche Zeitung“ iſt bekannt wegen ihrer äußerſt feind- 
lichen Haltung gegen die Sozialdemokratie. Wie kann dieſe Aeuße— 
rung gegen mich ausgebeutet werden, die irgendein Korreſpondent 
irgendeines Blattes aus irgendeiner Rede Herves meldet. Sie 
kann in dieſer Form ſicher nicht gefallen ſein. So wie ſie hier ſteht, iſt ſie 
zu kindiſch, als daß ſie ernſt genommen werden könnte. Wenn ſie aber 
in dieſer Verhandlung ſo wie geſchehen vorgetragen wird, erweckt ſie ein 
ganz ſchiefes Bild von Herb6 und von meiner Stellung zu ihm. Ich 
werde in Verbindung gebradjt mit Herne auf Grund des Berichtes aus 
dritter Hand einer Zeitung, die den Sozialismus grundfäglid und ge- 
häffig befämpft. Dagegen muß ich proteftieren. Ich bitte um die Ge- 
legenheit, meine Stellung zu Hervé auseinanderzujegen. Ich nehme 
Bezug auf den Zeil der Schrift, der fi) mit, Herve befaßt. Cold) blöd- 
finnige Berichte bürgerlidder Blätter weije ich zurüd. Ich müßte fonft 
beantragen, Herbe al3 Zeugen zu laden. Durch ſolche Artikel wird eine 
nicht faßbare Stimmung gegen mid erzengt. ; 

Präfident: Bon Stimmung machen gegen Sie it feine Rede. Der 
Senat wird entfcheiden, wieweit dem Artikel aus der „Voſſiſchen Zeitung“ 
Wert beizulegen ift. 

Liebknecht: Wenn eine Tatſache durd) Zeugen bewiefen werden Tann, 
fo müffen dieje nad) dem Geſetz vernommen werden; die Verlefung folder 
Ausſchnitte widerfpricht der Strafprozeßordnung. ch wiederhole mein 
Erjucden, derartige Sachen nicht zum Gegenftand der Verhandlung zu 
maden. €3 wird mir meine Stellung weſentlich erjchwert, wenn ſolche 
Verdächtigungen gegen mid) ausgejtreut werden, die zu beweijen die An- 
Tlage ſich nicht einmal die Mühe nimmt. 

Präſident: E3 Handelt ſich hier gar nicht um eine Tatfache, die nur 
durd) Zeugenvernehmung feitgejtellt werden kann, fondern um die Tat- 
fache, daß eine Zeitung eine beftimmte Behauptung folportiert. Ob 
diefe Behauptung richtig it, weiß ich nicht. Jedenfalls entjpricht mein 
Verfahren den progeffualiihen Grundſätzen. 

..  Berteidiger Dr. Hezel: Nach Eröffnung des Hauptverfahrens habe 
id) eine vollitändige Abjchrift der Akten ſowohl de3 Oberreichsanwalts 
wie des Senats hergeitellt, und ich kann Fonftatieren, daß ſich der ver- 
lefene Ausschnitt damals in den Akten nicht befand. Der Oberreichs- 
anmalt hat uns zwar angefündigt, daß auf das Hervéſche Bud in der 
Sriedebergichen Ueberſetzung Bezug genommen werden würde. Ich ver- 
miffe aber jede Notififation darüber, daß man einen Ausſchnitt aus der 
„Boffischen Zeitung” mit einer fo ungeheuerlihen Schlußfolgerung bor- 
bringen würde. Ich würde dankbar fein, wenn fonftatiert würde, daß 
diefer Ausschnitt zu den Akten gekommen ift vielleicht zu einer Zeit, wo 
die Verteidigung nit mehr erwarten fonnte, daß noch Material hinzu- 


Tame. 

Präſident: Diefer Ausfchnitt Tiegt bei den Akten jeit dem Schreiben 
des Polizeipräfidenten vom 24. Suni. 

Verteidiger Hanfe: Wenn der Oberreichdanwalt uns die Nachricht 
gab, daß die Herbeihe Schrift als Beweismittel dienen würde, dann 
mußten wir den Schluß ziehen, daß die übrigen Materialien, die der 
Kolizeipräfident mitgegeben hat, nicht vorgebracdht werden würden. So 
iit in der Tat die Verteidigung völlig überrafcht davon, daß dieje Notiz 
zum Gegenſtand der Verhandlung gemacht wird. 

Der Oberreichsanwalt weiſt mit großer Erregung zurüd, daß das 
Polizeipräfidium ihm Material gegeben habe. Das Material fei dem 





— — 


Unterſuchungsrichter auf deſſen Erſuchen übermittelt. Der Ausſchnitt 
ſei immer bei den Akten geweſen. 

iebknecht: Dieſes Beweismittel iſt für uns jedenfalls im pro- 

ejlualen Sinne neu, und id) darf mich mit Fug und Recht darüber be- 
Paketen. da man in diejer Weiſe gegen mid) vorgeht! 

Verteidiger Hegel: Die Abſchrift, die ich habe anfertigen laſſen, ent- 
hält dieſes Material nit. ES befand ſich bei den Akten ein Nubert 
mit der Aufichrift: Anlagen zur Unterſuchung gegen Liebknecht. Darin 
befanden fih) Exemplare des „Vorwärts“, aber nicht die „Boffifche 
Zeitung“. Vielleicht ift fie bei den Akten des Oberreichsanwalts ge- 
iwejen, deren Einficht uns natürlid) nicht möglich war. 

Liebknecht: Das Verfahren, hier ohne vorherige Mitteilung an uns 
neues Material gegen mich vorzubringen, iſt um jo mehr zu beanitanden, 
als ich mich ja an und für fid) gegen eine zum vierten Male veränderte 
Anklage verteidigen muß. 

Oberreihsanwalt (auffpringend): Die Anklage tft nit verändert! 
Es iſt dies hier die Anklagefhrift und die bildet den Gegenstand der 
Berhandlungen. Die Staatsanwaltichaft hat nicht3 verändert! 

Es Scheint mir zur Charafteriftif des Angeklagten nötig zu fein, 
feitzuftellen, daß unmittelbar nad) der, Beihlagnahme der Angeklagte 
eine Berfammlung im Volkshauſe in Leipzig abgehalten hat, mo er über 
Antimilitarismus ſprach. Alſo zu einer Zeit, wo er wußte, daß das 
N gegen ihn im Gange war. 

Liebknecht: Die Volksverſammlung in Leipzig war bor der Be— 
Tchlagnahme einberufen, und ich hatte feine Beranlaffung, von ihr Ah- 
ſtand zu nehmen, nachdem die Beichlagnahme erfolgt war. Ich habe mid 
natürlich durch dieſe Beichlagnahme nicht im mindeſten abhalten laſſen, 
die gejegliche Agitation weiter zu betreiben. 

Öberreidiganwalt: Dann hat der Angeklagte im Auguft in — 
gart über ſeinen Hochverratsprozeß geſprochen. Nach dem | —— A 
Vericht des „Vorwärts“ ſagte er, dieſer Prozeß habe zum Zie jed 
Kritik am Militarismus zu unterdrücken, und an ihm ſolle ein 


Exempel ftatniert 


erden. 
——— Das iſt meine Auffaſſung, die ich noch ſpäter darlegen 
werde. 

Oberreichsanwalt: Und dann hielt der Angeklagte wiederum in 
Stuttgart auf der internationalen Jugendkonferenz ein Referat über 
den Antimilitari3mus. 

räfident: Darauf werde id) noch zurückkommen. 

Der Präfident vertagt hierauf gegen 49 Uhr die Sitzung auf 

Donneritag. 


Zweiter Verhaudlungstag. 


Leipzig, den 10. Oftober 1907. 


Der über Erwarten bedeutjame und intereffante Verlauf, der Ver- 
ra im Hochverratsprozeß Liebknecht hat heute zu einem wo⸗ 
möglid) noch ftärferem Andrang des Publikums geführt als geitern. 
Punkt 9 Uhr eröffnet Senatzpräfident Treplin die Sikung. 

Sogleid) ergreift das Wort 

Liebknecht: Sch bin mit meiner Erwiderung auf die Anklage noch 
nicht fertig. Sch habe mich noch nicht zu der Frage der Gewaltſamkeit 
geäußert, d. h. zu der Unterjtellung der Anklage, daß ich al3 Mittel zur 
Aenderung der Berfailung die phyſiſche Gewalt anwenden wolle. Ich 
möchte bitten, mid) vor jeder weiteren Beweisaufnahme darüber im Zu- 
fammenhang anzuhören 

räfident: Bielleicht — die Vernehmung des Zeugen Bebel 
Ihre ——— in dieſer Beziehung. 

Verteidiger Haaſe: Ich möchte doch bitten, erſt den Angeklagten zu 
hören. Je nach ſeinen Ansführungen werden wir Fragen an den Zeugen 
Bebel zu richten haben oder uns erſparen Fönnen. 

Präſident: Ich habe Fein Bedenken, dem lebhaften Wunſche der Ver- 
teidigun und nachzugeben. 

knecht: Das weſentlichſte, Be Zatbeitandsmerfmal 
des ee it die Abficht, der Wille des ee feinen auf 
Verfaſſungsänderung gerichteten Plan durch phyliihe Gewalt zu ver- 
wirflihen. Wo in meiner Schrift die Gewaltſamkeit empfohlen fein 
foll, ift mir bis jegt dunfel geblieben. Gerade in diefem entjcheidenden 
Bunte beftehen fünf verſchiedene Variationen der Anklage Ich muB 
daher zunächſt ganz allgemein meine und der Sozialdemokratie Stellung 
zur Frage der Gewwaltiamfeit präzifieren. Viele Gegner der Sozial- 
demofratie jehildern diefe Partei des Proletariat3 als rohe, nad) blutigen 
Konflitten Tüfterne Gewaltpartei. Das Gegenteil iſt richtig. Die 
Sozialdemokratie ift die einzige Partei, die grundſätzlich auf hiſtoriſchem 
Boden jteht, die einzige Partei, die die Vergangenheit nicht leugnet und 
deshalb nicht den Unfinn behauptet, daB, was einmal bejteht, für alle 
Ewigfeit beitehen bleiben müjje. Wir haben vielmehr aus der Geſchichte 
gelernt, daß das, was beſteht, auch zugrunde gehen muß. Die Sozial- 
demofratie alaubt die Entwidelung des heutigen Wirtſchaftslebens dahin 
erfannt zu haben, daß das Proletariat einen ftet3 größeren Anteil er- 
Yangen muß an den Produkten der Induſtrie, an den Werten de3 Handel, 
an allen Erzeugniffen der menjchlichen Arbeit. Die Vergefellihaftung der 
Produftionsmittel im meiteren Sinne _de3 Wortes und damit ver— 
bunden die reine Demofratie der Staatsform, der Berwältun 
der Juſtiz ericheint ihr als notwendige Konſequenz der Menie- 
heitsentwidelung. Sie will, daß ſich diefe Entwidelung unter 


— 88 — 


Vermeidung jeder Gewalttätigkeit vollzieht. Allerdings hat bis— 
ber bei den grundlegenden Umwälzungen der Weltgeſchichte die Ge— 
walt in einer gewilfen Phafe ſtets eine Role gefpielt. Es mag alfo nicht 
ſehr wahrſcheinlich fein, daB ſich die foztaliltiiche Ummwälzung friedlich 
bollgiehen wird. Die Sozialdemokratie felbft aber ift nad) allen Kräften 
bemüht, diejenigen Elemente, die Gewalttätigfeiten zu probozieren ge⸗ 
eignet find, aus dem Gefellihaftsorganismns auszuſchalten. Die Ent- 
widelung könnte ſich friedlich vollziehen, wenn nicht die herridenden 
Klaſſen grobe, mechaniſche Gewaltmittel zur Verfügung hätten, um fi 
dem Kulturinterefje der Gejamtheit des Volkes zu twiderfegen. Das 
wichtigſte Mittel, eine friedliche Entwidelung zu verhindern, ift der 
in den Händen der befienden Klaſſen Fiegende Militartsmus. Darum 
hat der Kampf gegen ihn direft das Ziel, 


Gewalt zu vermeiden 


und nidjt zu fürdern. Das habe ich in meiner Schrift als grundlegende 
Tendenz in einer jede Unflarheit ausſchließenden Deutlichkeit wieder⸗ 
Holt hervorgehoben. So ſpreche ich bon dem Ziele einer Friedhaft- 
madjung der Weltpolitit. Ein ganzes Kapitel habe ich über den 

Militarismus als eine Gefährdung des äußeren und inneren 
Friedens“ geſchrieben. Darin heißt es 3. B.: „So, bedeutet Kampf 
gegen die jtehenden Heere und den daubinitifch-militariftiichen @eift 
Kampf gegen eine Gefahr für den Völkerfrieden”; und weiter: „Wer 
immer eine Fortentwickelung de3 Menſchengeſchlechts für unvermeidlich 
hält, für den iſt daS Beſtehen des Militarismus das wichtigjte Hindernis 
für die Friedlichkeit und GStetigfeit einer jolhen Entwickelung.“ Auch 
auf den Barteitagen habe ich mich genau ebenjo ausgelaſſen. 

Ich weife auf die Gefahr hin, daß der Militarismus auf dem Wege 
des Fortſchritts blutige Zuſammenſtöße herbeiführen muß. Das glaubt 
die Anklage für ſich heranziehen zu können, befonders den Paſſus von 
dem Kartätichenprinzen uf. ; aber die Tendenz diefer Ausführungen ift 
ja doc) umgekehrt eine Warnung vor der Gewalt, ein Plaidoyer für den 
Frieden. Ich habe hier nicht die philofophiich-hiftorifche Korrektheit 
meines Standpunftes zu beweifen, jondern nur die generelle Stellung 
der Sozialdemofratie, die fi} damit dedt, darzulegen. Dieſe Darlegung 
ift unentbehrlich, weil gar vielfach der Aberglaube herrſcht, einem Sozial- 
demofraten könne man ja ohne weiteres alles Mögliche zutrauen. Mit 
dem Worte Sozialdemofrat find in gewiſſen Schichten der Bevölkerung 
Borftellungen verfnüpft, die eine ruhige Betrachtung ausſchließen, die 
ein Hineindenfen in unferen Gedankengang bor vornherein vermehren. 

93 Tiegt im Klaſſencharakter unjerer Gejellihaft. Der Sozialdemofrat 

egegnet vor Gericht jehr vielen, vielleicht niemals ausgefprochenen, viel- 
leicht nicht einmal bewußten Vorurteilen. Ich perjönlid bin der feſten 
Ueberzeugung, die mir fein Zeufel rauben fann, daß, wenn ich nicht 
Spzialdemofrat wäre, ich niemals auf diefe Anflagebanf gefommen 
wäre. Für die gefennzeichnete Stellung der Sozialdemofratie zur Ge- 
walt berufe ich mich auf Friedrich Engels, jenen VBorfämpfer der Sozial- 
demofratie, den felbft Adolf Wagner zu den größten Nationalöfonomen 
aller Zeiten rechnet. In der Vorrede zu dem Marrihen Werk: „Der 
Klafſenkampf in Frankreich” bezeichnet er daS allgemeine Wahlrecht als 
den günftigften Boden für und. Wir find nit nur prinzipielle Gegner 
der Gewalt, wir müſſen fie auch als vernünftige Taftifer ablehnen. 
Engel3 jagt: „Und jo Beiden es, daß Bourgeoiſie und Regierung dahin 
Tamen, fid) weit mehr zu fürdıten vor der geſetzlichen, als vor der ungejeb- 

8 


— 4 — 


lichen Aktion der Arbeiterpartei, weit mehr, por den Erfolgen der Wahlen, 
als vor denen der Rebellion“. „Die Ironie der Weltgeihichte,“ jo heißt 
es an einer anderen Stelle, ſtelit alles auf den Kopf. Wir, die „Revo— 
Iutionäre”, die „Umſtürzler“, wir gedeihen weit beſſer bei den geſetzlichen 
Mitteln, als bei den ungefetlichen. 2 ‚Drdnungsparteien . . . rufer 
berziweifelt ‚mit Odilon Barrot . , .: „Die Geſeslichkeit ijt unjer Tod“, 
während wir bei diefer Gefeslichkeit rote Baden und pralle Muskeln be- 
Tommen.“ Schließlich werde den Drönungsparteien nichts übrig 
bleiben, al3 jelbit dieſe ihnen jo fatale Gejelichfeit zu durchbrechen. 
Wenn die Bourgeoifie über gemwalttätige Pläne der Sozialdemokratie 
zetere, jo fünne man mur antworten: Quis tulerit Gracchos de 
seditione querentes? — So Engeld. In der Tat, hat nicht, um aus 
vielen einen herauszuheben, General — den Staatsſtreich 
empfohlen und Herr von Jagemann aus lächerlich-frivolen juriſtiſchen 
Scheingründen gar ein Recht des Kaiſers zum Staatsſtreich proklamiert? 
Aber die Sozialdemokratie wird jeden gewaltſamen Zuſammenſtoß zu ver- 
meiden fuhen. Wenn man mid) geitern meinen Bitatenfad poll brutal- 
offenherziger Aeußerungen von Scharfmadern aller möglichen Parteien 
über die Notwendigkeit eines Staatsſtreichs gegen das Reichstagswahl- 
recht hätte ausleeren laffen, N hätte der Gerichtshof gefehen, wie recht 
Engels hatte, und daß es die herrfchenden Klaſſen find, die die rote 
Brille der Gewalt vor ihren Augen tragen und nur darum gewaltfame 
Abjihten bei der Sozialdemokratie jehen! Geſtatten Sie mir ein Wort 
ex domo: Mein Bater war ja vor 35 Jahren aud) hier in Leipzig 
des Hochverrats angeflagt. In der Vorrede zu dem Bericht über dieſen 
Prozeß nannte er die Gewalt ausdrücklich einen reaktionären — 
Und — jener angebliche blutrünſtige Revolutionär? Er erwägt d ie 
Möglichreit, daß ein Krieg die ol ae Revolution befchleunigen 
fönne und Tommt zu dem Schluß, daß man den Krieg wegen feiner 
Schrecken nicht als Mittel zur Entfejlelung der Revolution wünſchen 
fönne; er jei „da3 irrationellite Mittel zu diefem Zwecke“. Und weiter 
ſchreibt er: „Käme es auf unſere Wünſche an, wer von uns würde nicht 
den friedlichen Weg einem gewaltſamen vorziehen, dem unſere perfön- 
lichen Kräfte vielleicht nicht gewachſen find, der uns vielleiht ber- 
Schlingen wird?“ 

In meiner Schrift finden fich viele gleichartige Stellen, die niemand 
wege3famotieren Tann. Jene Erörterungen über die Möglichkeiten 
einer Snjurreftion im Kriegsfalle enthalten feine Aufforderung, feinen 
Plan, fondern nur, hiſtoriſche Perfpeftiven. Und wo ich bon gemalt- 
famen Bujammenftößen mit dem inneren Militarismus ſpreche, geſchieht 
es immer in Verbindung mit der Gefahr, des Staatsſtreiches. Ich be⸗ 
greife ja, daß ſich das Kollegium von 15 höchſten Richtern meiner Auf⸗ 
faſſung über dieſe Gefahr nicht gut aſſimilieren kann. Aber jelbitver- 
ſtändlich müſſen Ihrem Urteile hier, zur Interpretation meiner Schrift, 
meine, bon den Ihrigen fundamental abweichenden Anfhauungen zu- 
grunde gelegt werden. 

Die Anklage A der Augeklante will eine Wenderung der 
Heeresorganifation; dieſe Aenderung ift nur mit Gewalt zu er- 
reichen, folalic, will der Angeklagte Gewalt. Das ift alfo nicht meine 

Anfiht, jondern ein Schluß des Reichsanwalts, den er in meinen Ge- 
danfengang hineinzwängt und mit Bitaten aus meiner Schrift ber- 
mengt hat. Für diefe inforrefte befangene Schlußfolgerung aus meiner 
Schrift fol ich büßen! Jene Wendung „wie nicht anders möglich, mit 


— 1 


Gewalt”, ift uns nicht neu. Mit ihr hat man alle Hochverratsprozeſſe 
gegen Sozialdemokraten gemadt. „Wie nicht anders möglid,, mit Ge- 
walt“, jo hieß es im Hochverratsprozeß gegen Lafjalle vom 12. März 
1864. „Wie nicht anders möglich, mit Gewalt“, fo rief derStaatsanmwalt 
1872 im Hochverratsprozeß gegen meinen Vater und Bebel und 1893 
im Hochverratsprozeß gegen Viktor Adler in Defterreih, Welches 
Armutszeugnis ftellt die Reichsanwaltſchaft damit der beitehenden Ge- 
ſellſchaftsordnung aus! Sie unterjchiebt ihr, daß fie niemals, und jei 
es im Intereſſe der Allgemeinheit, der Mehrheit des Volkes noch fo 
nötig, freiwillig etwas von ihren Rechten an das Volk abtreten wird. 

., Nun jteht ja der Oberreichsanwalt den herrichenden Klafjen ſehr 
viel näher als ich, und ‚er muß es alſo wohl beſſer wiſſen; aber des- 
megen brauche id doch die Hoffnung auf die Möglichkeit einer Entwide- 
Inn, ohne brutale Gewaltanwendung noch nicht aufzugeben. Auch die 
engliihen Kornzollgejege und bei uns die Ler Heinze und der Zedlikiche 
a find dur friedliche Agitation weggeſchwemmt 
worden. 

Die Seele unſerer ganzen Staatsverfaſſung iſt das allgemeine, 
gleiche, geheime und direfte Wahlrecht. Dieſes Wahlrecht öffnet ein 
Tor für die Möglichkeit friedlid-organifcher Fortentwidelung. Wer 
das allgemeine Wahlrecht nehmen will, verjtopft damit den wichtigiten 
Duell friedlichen Fortſchritts, preßt den fozialen Dampfkeſſel gewalt- 
ſam zu und treibt mit mathematifhher Sicherheit zu Blut und Gemalt. 
In der Tat, wer die Bismarckſchen Staatsitreichwege wandelt, ijt ein 
wirflider Gewaltmenſch. Bor der jüngiten Reichstagswahl haben die 
„Boft“, die „Hamburger Nachrichten” und die „Deutiche Tageszeitung“ 
für, den Fall eines fozialdemofratifchen Sieges mit gewaltjamer Ent- 
reißung des Reichstagswahlrechts, mit dem Hodiverrat von oben ge- 
droht. Auch die Methode, wie man jetzt in Deutihland die Sugend- 
bewegung und die antimilitariftiihe Propaganda zu unterdrüden ver- 
ucht, zeigt vertenfelte Neigung zu einem ſozialiſtentöteriſchen Staats- 
rei. Herr Nomen, der nad) feinen Artikeln im „Tag“ wohl als 
„geiſtiger“ Urheber der Anflage zu betraditen ift, würde ſichs bei feiner 
gangen Anlage gewiß nicht lange überlegen. Ich habe nie daran ge- 
acht, den für die Sozialdemokratie günjtigen gejetlichen Boden in 
Deutichland aufzugeben, jondern nur Fürforge zu treffen gefucht gegen 
eine hochverräteriſche Aktion von oben, gegen eine gewalttätige Unter⸗ 
drüdung der Eozialdemofratie (mit erhobener Stimme): Und ein eriter 
Akt folder gewalttätiger Unterdrüdung meiner Partei ift für mic} nach 
ihrem ganzen gewalttätigen Charafter diefe Anklage. 

Verteidiger Hegel: Ich Stelle namens der Verteidigung den Antrag 
anf Aenderung und Ergänzung des Eröffnungsbeſchluſſes. Der Er- 
öffnungsbeſchluß unterftellt dem Angeklagten, daB er, die Beſeitigung 
des ftehenden Heeres im Kriegsfalle mit Gewalt herbeiführen wolle. Im 
Zaufe der jetzigen Verhandlung hat ſich der Anklagepunkt ganz ver- 
ſchoben; jegt wird dem Angeklagten der hocverräteriiche Akt zur Laft 
gelegt, eine beitimmte Verwendung des Heeres, nämlich die Verwendung 
zur Niederwerfung innerer Aufitände kraft des Rechtes des Kaifers, den 
Belagerungszuftand zu verkünden, verhindert haben zu wollen. 

Präſident: Sch muß zunächſt den Angeklagten noch einiges zu feinen 
legten Aeußerungen fragen. Er ſprach davon, daß er das Wahlrecht 
als vorzugsweiſen Weg zur Verwirklichung feiner Ziele anfieht. Iſt es 
aber nicht gerade ſeine Auffaſſung, daß die parlamentariſche Tätigkeit 

ge 


— 836 — 


nicht genügt, ſondern, daß man andere Mittel zur ſchnelleren, wirf- 
fameren Aktion ſuchen müfje? 

Liebknecht: Sormalreeitlic Ton. nur das Wahlreht als Mittel 
für die äußere Entwidelung in Betracht, politiſch geben aber natürlich 
die BANCTIOLLEMENIAEN Den Mittel den usichlag, und au diefen Mitteln 
gehört 3. B. auch die Kugendagitation. Hinter der Da ne HEN 
Macht der Sozialdemofratie muß als außerparlamentarifche Kraft die 
Begeijterung des deutichen Proletariats ſtehen, ſonſt fönnten die 
43 Mann unferer Reichstagsfraktion zu zu t Rot von ein oder zwei Schuß- 
KT herauögejagt werden. Auch die herrſchenden Klaſſen — 

die — Macht, darum ertönte ja in Berlin das be- 


rühmte W 
„Mehr Bolt!“ 


Bräfident: Sie wollen doc aber die Sugendorganifationen nicht 
verwenden, um die parlamentariiche Maht d der Partet zu jtärfen, 
—5 Sie wollen die Jugend zur Verachtung des Militarismus 

reſſieren. 

Liebknecht: Eine Verfaſſungsänderung vollzieht ſich gleichſam wie 
eine Addition verſchiedener Summen. Der parlamentariſche Einfluß 
beruht nicht auf der Wahl, ſondern auf der realiſierbaren Macht, die 
hinter der —— ſteht, auf den Einfluß, mit dem die Partei die ganze 
Geſellſchaft und ihre Inſtitutionen durchtränkt. Auch die Sozialdemo⸗ 
fratie beeinflußt ſchon durch ihre bloße Exiſtenz ſogar die Polizei und die 
Suftiz. Sie joll, das iſt nicht nur mein Wille, fondern der, meiner 
ganzen Partei, auch das Militär immer mehr beeinfluffen. Die Groß- 
grundbeliger, die Herren Kirdorf, Stinnes und Thyſſen üben einen 
großen Einfluß durd ihre Kapitalmacht, ihren Grundbelit, ihr, Kom- 
mando über eine große Arbeitermafje. Und die — will 
ihre Macht feſt verankern im Herzen des Volkes. Auch die Armee lebt 

nicht im Inftleeren Raume, unter einer Glasglocke; auch A fie und in 
ihr wird der Kampf zwiſchen fozialdemofratifchen und antijozialdemofra- 
tiſchen Ideen geführt. 

Präſident: Sie befürchten den Umſturz, nach dem Ihre Partei ge- 
nannt wird, von der beitehenden Regierung: Können Sie Akte verant- 
mwortlidher Regierungsorgane nennen, die diefe Anficht begründen? 

Kiebfnedt: Wer ift denn in N beute 
eigen tlid verantwortlih? So rein auf das juriſtiſche Ge- 
biet kann ich mid) nicht drängen laſſen. Es handelt ſich hier um politiiche 
Machtverhältniſſe; wir haben ja in Deutichland aud eine Kamarilla. 

Präſident Gas einfallend): Darauf brauchen wir wohl nicht ein- 
zugehen. Sie wollen alio, fagen, daß gewiſſe Symptome Sie zu Ihrer 
uftaflung geführt Haben? 

Liebknecht: Es gibt Leute, die viel mächtiger find als der formell 
verantwortliche Neichöfanzler! Wenn man aber den, Fürſten Bülow 
al? verantwortlichen Staatsmann anfieht, hat er nicht im Silvefterbrief 
an General Liebert der Sozialdemokratie mit dem Denen Bonapartes 
a Bonapartes Degen ift doch nicht der der Revolution, jondern 

er der Reaktion. 

Präfident: Aber Sie gerade haben doc in benußtem Gegenſatz 
zu den parlamentarifchen Kührern der Partei immer wieder den Anti- 
militarismu3 in Szene gefegt und follen Hervé näher ftshen al3 den 
Führern Ihrer Partei 

Liebknecht: Ich ſtehe in gewiſſem Gegenſatz zu der Mehrzahl meiner 
Parteigenoſſen, aber in Wahrheit beftehen größere Differenzen nicht, 


— 8 


und meinem Genofjfen Bebel erjheint meine Taktik nicht an ſich bedenf- 
lich, ſondern nur, weil er beforgt, daß andere die von mir gewollte Grenze 
nit innehalten und jo Unannehmlichfeiten erleiden fönnten. Wer 
aber behauptet, dab ich, der ich: hier als Verſuchsobjekt für eine ganz 
neue Anwendung des Hochverratsparagraphen ftehe, dem Herbeismus 
nahejtände, den möchte ich doch zu einem Tleinen Duell herausfordern. 
Herde ijt eine Art Scheuche des aus geworden; das Wort Herve 
bedentet jeßt ungefähr jo viel wie Bombe. (Große Heiterkeit.) Ich 
habe Herde erſt in Stuttgart kennen gelernt und mir mit ihm in den 
Haaren gelegen. Ich jtehe in der Militärfrage für Deutichland in meiner 
Schrift tatfächlich jogar noch recht von Jaures. In meiner Schrift habe 
ich den Herveismus ausführlich bekämpft; feinen Antiputriotismu halte 
ich, wie ich Elar dargelegt habe, für vollkommen verfehrt. Ich habe nicht 
die Abficht, irgend etwas zu verſchweigen oder zu bemänteln, id rechne 
ja mit der Tatſache meiner Verurteilung als einer abgemadıten Sadıe. 
Ich gebe meine Erklärungen ab ohne Rüdfidyt auf Ihr Urteil und Habe 
nur Zeugnis abzulegen Ar unfere politiihe Auffafinng. Mit franzd- 
fiihen Mitteln in Deutſchland kämpfen, das hieße, mit Schlittſchuhen 
und mit einem Winterfoftim ins Wafjer gehen oder in einem Bade- 
koſtüm Schlittfchuh laufen. (Seiterkfeit.) 

Präfident: Ich Fanrı nicht zulaffen, daß Sie ſich als Verſuchsobjekt 
für die Anwendung eines Paragraphen bezeichnen. Ich bitte Sie, ihre 
Worte abzuwägen. Sie Fönnen ja mit Ihrer Verurteilung, rechnen. 
Penn Sie damit aber jagen wollen, daß das Urteil über Sie bereits 
aaa ift, jo perfennen Sie die Aufgabe des höchſten Gerichtshofes voll- 

ändig. 

Liebknecht: Die bisherige Geſchichte dieſes Prozeſſes rechtfertigt 
eine gewiſſe lebhafte Erregung. 39 weiß; nicht, wie id} anders denn 
als ein Verſuchsobjekt einen Menſchen bezeichnen fol, bei dem man 
bereit3 dreimal an verſchiedenen Stellen in der Suche nad) hochver- 
räteriſchen Giften herumgeichnitten bat, und bei dem man nun zum 
vierten Male die Sektion vornimmt, um zu fehen, ob nicht doch irgend- 
wo in den Faſern jeine3 Hirns eine Spur bon Hochverrat zu 
finden jei. 

Bräfident: Sie fegeln ſchon wieder in dem Fahrwaſſer, das id) 
Shnen eben verboten habe. 

Nunmehr wird zu dem Antran der PBerteidigung auf Ergänzung 
des Eröffnungsbeichluffes, der inzwiſchen fcehriftlich formuliert ift, über- 
gegangen. 

Der Oberreihsanwalt bekämpft ihn. Hochverrat jei begangen durch 
die Abfaſſung und Verbreitung der gefamten Schrift. 

Verteidiger Hezel: Wenn jemand Eifenteile auftauft, um daraus 
eine Höllenmaſchine zu machen, die er gegen das Staatsoberhaupt in 
Betrieb ſetzen will, fe ift da8 eine Vorbereitung zum Hochverrat. Das 
Kaufen der Eifenteile an fich genügt aber nicht zur Kennzeichnung des 

ochverrats. Der Mann muß die Abficht zur Ermordung des Landes- 

errn haben, dann erſt wird aus der ganzen Sache ein Hochverrat. Hier 
ift die Abfaſſung der Schrift die vorbereitende Handlung, und der Er- 
öffnungsbeihluß muß jagen, worin ein Hochverrat an ſich liegt, muß das 
bodperräterifche Unternehmen Kar kennzeichnen. Man kann nicht ein- 
fach die ganze Schrift unter die Anklage des Hochverrats jtellen, 
ohne zu jagen, was da3 hochverräterifche Unternehmen darftellt. 


— 88 — 


Oberreichsanwalt: Ich bedauere, daß nicht die Anklageſchrift die 
an des Verfahrens bildet; dann wäre die ganze Differenz nicht 
entitanden 

Liebknecht: Ich habe einen Grund, die Ausdehnung der Anklage 
zu ſcheuen; ic) muß aber willen, weſſen ich angeklagt bin, damit ich mic 
danadı berteidigen Tann. Nach den Paragraphen 205 und 265 der 
Strafprogehordnung muß die Tat im Eröffnungsbefhluß ar um- 
ichrieben jein. Das beanfpruche ich jegt; das darf ich um jo mehr be- 
anfpruchen, ala niemand verfennen wird, daß die Verteidigung, zu der 
id) nach dem Standpunft des Herrn Borfigenden genötigt bin, zum 
großen Teil eine völlig andere iſt, als die, auf die ich nach der Anflage- 
ſchrift und dem Eröffnungsbeihluß gefaßt jein konnte. 

Hierauf zog ſich der Gerichtshof zur Beratung zurüd und ver- 
fündete nad) längerer Beratung, dab der Antrag der Verteidigung ab- 
gelehnt jei, da der Eröffnungsbejhluß vollitändig im Einklang mit 
8 205 der Strafprozeßordnung stehe. 

Hierauf trat die Mittagspaufe ein. J 

Nach der Pauſe wurde als einziger Zeuge 


Reichstagsabgeordneter Bebel 
aufgerufen. 


Präſident: Die Verteidigung hat Ihre Vernehmung beantragt, 
weil ſie der Anſicht iſt, daß nad) der Geſtaltung der Anklage⸗ 
EN damit zu rechnen wäre, daß aud) die Neuerungen des Angeklagten, 

ie derjelbe auf jozialdemofratijchen Parteitagen und ähnlichen Ver⸗ 
anftaltungen in Sachen des Antimilitarismus getan hat, hier geftreift 
werden würden. Dieje Vorausfegung der Verteidigung ift nun ein- 
getroffen. Wir haben über die verſchiedenſten Aeußerungen des An- 
geflagten hier geſprochen, und ich möchte Sie nun fragen, was für eine 
Meinung Sie über jeine Haltung haben. 

Zeuge Bebel: Der Angeihuldigte bat feit einer Reihe bon 
Jahren auf unferen Barteitagen Anträge befürwortet, die dahin gingen, 
daß die Partei in höherem Maße als bisher ich auf die antimilitariftiiche 
Ceite zu werfen habe, da der Militarismus der Hauptfeind des 
Sozialismus ſei. Die bisherige Tätigkeit der Partei hat dem An- 
seihuldigten nicht genügt, und er hat fortgefegt verfucht, Anträge durd- 
zubringen, die dahin gingen, daß ein befonderer — eingeſetzt 
werden ſollte, der dieſe Agitation ſpeziell zu leiten habe. Dieſer Auf- 
faffung find wir in der Bartei und namentlich) ich bisher mit der größten 
Energie, entgegengetreten. Wir find der Anficht, dab dieſes Hervor⸗ 
heben einer bejonderen antimilitarijtiihen Agitation, wie jie der An- 
geſchuldigte betrieben zu jehen wünſcht, praftiich falih und taktiſch un- 
richtig iſt. Wir find eine Partei, die die gefamte beftchende Wirtichafts- 
und Stant3ordnung befampft, wir find eine Partei, die in erfter Linie 
darauf Hinzielt, die Maſſen über Dr Gefete, melde — gegenwärtige 
Wirtſchaftsſyſtem regieren, aufzuklären und ihnen die Rolle klarzu—⸗ 
machen, welche der Kapitalismus darin ſpielt. Wir waren dabei der 
Meinung, daß wenn eine derartige Agitation in beſonderem Maße den 
Militarismus hervorhebt, die anderen Aufgaben der Partei darunter 
vernadhjläffigt würden. Der Charakter der Partei würde dadurch ein 
einfeitiger iwerden und eine derartige Taktik müſſen wir vermeiden. 
Aber ich habe die Anficht des Angeklagten noch aus anderen Gründen 
befämpft. Zunächſt habe ich mir gejagt, daß die Genoflen, die draußen 
in der Agitation jtehen, juriſtiſch nicht fo geſchulte Leute find wie der 


— 89 — 


Angeſchuldigte und daher ſehr leicht mit dem 8 112 des Strafgeſetzbuches 
in Konflitt kommen fönnen, und das iſt eine jo unangenehme Sache, 
daß wir dieje Genoffen davor nah Möglichfeit bewahren möchten. 
Schließlich habe ich die Taktik des Angeſchuldigten befampft, weil es 
mir befannt ijt, daß es im Deutichen Reiche große einflußreiche Kreiſe 
gibt, die den Moment abwarten, wo fie gegen die Sozialdemofratie 
eventuell mit einer Verſchärfung des Strafgeſetzbuches oder einem Aus- 
nahmegeſetz einen entſcheidenden Schlag ausführen fünnen. Auf dem 
Wiesbadener Parteitag der nationalliberalen Partei hat es der Ab- 
geordnete Bajjermann am Sonnabend erſt ausgeſprochen, daß man auch 
innerhalb der nationalliberalen Partei bis vor furzem noch der Anficht 
war, die Sozialdemofratie mit Ausnahmegefegen zu befämpfen. Nun 
bin id) der Meinung, daB, zumal eine Revifion des Strafgefegbuches 
bevorjteht, zuerft eine Verfchärfung des 8 112 des Strafgejekbuches 
herbeigeführt werden würde, wenn wir die Taktik des Angeichuldigten 
für richtig hielten, und das wäre nad) meiner Meinung nicht wünjchens- 
wert. Daß dieje Befürchtung feine leere ijt, geht daraus hervor, daB 
bei der Umſturzvorlage im Jahre 1895 gerade die Verfchärfung des 
& 112 eine erhebliche Rolle jpielte. i 

Präfident: Auf dem Internationalen Kongreß in Stuttgart und 
aud auf dem Eilener Parteitag hat die Frage des Antimilitarismus 
eine Rolle geipielt und dort iſt die Stellungnahme der fozialdemo- 
Tratiihen Partei im allgemeinen und die Stellungnahme de3 Herrn 
Hervé im bejonderen erörtert worden. Welche Stellung hat nun der 
Angeſchuldigte auf diefen Tagungen eingenommen? 

Zeuge Bebel: Bei den Auseinanderjegungen in Stuttgart hat 
der Angeſchuldigte überhaupt Teine Rolle geſpielt. Er hat ſich lediglich 
veranlaht gejehen, auf eine Rede meines Genoſſen v. Vollmar öffenilicy 
in einer Erklärung zu antworten, und da hat er zwiſchen fid) und Herve 
eine ſcharfe Linie gezogen. Nach meiner Meinung gibt es überhaupt 
in der ganzen deutſchen ſozialdemokratiſchen Partei nicht einen einzigen 
Parteigenojjen, der auf dem Standpunft Hervées ftünde, Der An- 
geſchuldigte Liebknecht hat wiederholt in feinen Reden dargetan, welche 
grundfäglihen Differenzen ihn bon dem Standpunkt Hervés trennen. 
Ich habe jelbitverjtändlih Dr. Liebknechts Broſchüre, fobald fie erſchien, 
gelefen, nit nur mit Intereſſe, fondern auch mit Neugietde, weil ich 
mir fagte: Willſt doch mal jehen, ob in diefer Broſchüre Liebknecht An- 
fhauungen vertritt, die denen Hervés ähnlich find. Da habe ih nun, 
wie id} mit großer Genugtuung fonftatiere, gefunden, dab in ber 
Brofchüre von Herveiftiihen Anſchanungen nichts zu finden ift, und dab 
Liebknecht fich entichteden gegen den Hervéeismus als unmöglih in 
Deutichland gewendet bat. 

Präfident: Sie haben in Stuttgart erklärt, daß die deutiche Partei 
Schon darum von Herbe abrüde und nichts mit feinen antimilitariftifchen 
Tendenzen zu tun haben tolle, weil man fonjt mit dem Strafgejegbud) 
in Konflift fommen würde. 

Bebel: Das habe ich ausgeführt. 

Bräfident: Erinnern Sie ſich, da auf dem Stuttgarter Kongreß*) 
fchlieglich eine Refolution angenommen wurde, die, wie mir ſcheint, das 
Refultat eines forgfältigen Kompromifjes war. Dieje Rejolution über- 
läßt den einzelnen Nationen für den einzelnen all die Enticheidung. 
Welche Stellung hat denn nun der, Angeflagte zu diefer Rejolution ein- 


*) Die Stuttgarter Refolution ift auf Seite 84 abgedrudt. 


— 40 — 


genommen? In Eſſen ſoll er gejagt haben, dieſe Reſolution ſei ganz 
t, — ſie ſei ein Fortſchritt gegenüber dem bisherigen Standpunkt der 
artei. 

Bebel: Das hat Dr. Liebknecht allerdings gejagt. Nach meiner Auf- 
faffung ijt dieje Anſchauung jedoch eine irrige. Wir haben in Stuttgart 
vier Zage lang über die Frage des Intimiliteriemus geſtritten. Es 
handelte ſich um einen Antrag bon einem Zeile der franzöſiſchen Dele- 
gation, der eine Reſolution durchdrücken wollte, die annähernd den 
Standpunkt vertrat, den Herbe in jeinen Schriften bisher vertreten bat. 
Wir haben darauf und heraus erklärt, daß wir Deutiche unter feinen 
Umständen irgend etwas akzeptieren würden, was auch nur annähernd 
dem Standpunkte Hervés entſpricht. Während der Beratungen find wir 
nun den Andersdenkenden, bejonders den franzöſiſchen Genoſſen, injofern 
entgegengefommen, al3 wir eine Reihe von Hiftorifchen Ereigniſſen der 
legten zehn Jahre, insbeſondere die Faſchodafrage und die Maroffofra e 
in der Rejolution aufführten und charakterifierten und fagten, e8 mü 
fo weiter gearbeitet werden, wie die Proletarier in den Derieiedenn 
Zändern bei diefen Fällen gearbeitet haben. An dem enticheidenden 
Be auf d den es anfam, an dem haben wir unter allen Umftänden feit- 
geh alten. In dem Schlußjake der Stuttgarter Rejolution heißt es aus⸗ 

ücklich, daß im gegebenen alle, d. h. im Falle eines drohenden Krieges, 
es jeder einzelnen Nation ü erlaffen bleiben muß, melde Schritte fie zu 
unternehmen gedenft. Das war für und die conditio sine qua non, 
ohne welche wir der Refolution nicht zugeftimmt hätten. Diejer unfer 
Standpunkt ift afzeptiert worden. Mögen die Franzofen und andere 
maden, was fie wollen, daran find wir nicht gebunden. 

Präfident: Der Abgeordnete Vandervelde hat als Berichterftatter 
der militäriihen Kommtifion in Stuttgart ausgeführt, der Unterfchied 
zwiſchen Ihnen und Vaillant beitehe lediglich darin, daß Sie alle Mittel 
fordern, ohne fie zu nennen, während Vaillant fie aufzählt. 

Bebel: Daß Bandervelde das —— hat, iſt wahr, aber die 
bene erkenne id} al3 richtig nicht a 

räfident: Welche Stellung hat denn MWleßlich Hervé zu der Ne- 
folution in Stuttgart eingenommen? 

Bebel: Zu meiner großen VBerwunderung hat er für die Rejolution 
gejtimmt. Er hat zwar eine Motivierung feiner Abſtimmung in —— 
Erklärung gegeben, in der er die deutſche Partei in einer für einen 
Franzoſen ungewöhnlich unhöflichen Weiſe angegriffen hat, aber dieſe 
Motivierung war nad) meiner Auffaſſung fehr ungenügend und mwiber- 
ſpruchsvoll. Sch war anfangs geneigt, auf feine unhöflichen Neuße- 
rungen namens der deutichen Partei zu antworten. Ich unterließ es 
2. m ic) mir fagte: Du legft dem Herb6 vielleicht viel zu viel Be- 

eutung bei. 

Präſident: Ssch habe hier eine Erklärung, die Sie der Magdeburger 
„Volksſtimme“ geſchickt haben. In der Magdeburger „Volksſtimme“ 
war ausgeführt worden, daß Sie ſich gegen Hervé gewandt hätten und 
daß damit aud) der Standpunft Liebknechts, der fich dem Standpunft 
Hervés nähere, ge one fei. Sie haben ſich dagegen verwahrt und er- 
Tlärt, daß Dr. Lieb fnedt gar nidjts mit dem, Standpunkt Hervés zu tun 
habe, und infolgedefjen Ihre Verurteilung des Hervéſchen Standpunftes 
den Dr. Liebknecht nicht mitgetroffen hätte. 

Bebel: Das babe id) allerdings erklärt und das iſt mein Standpunft. 

Verteidiger Haaſe: Iſt es richtig, daB Liebfnecht auf dem Bremer 
Barteitage erflärt hat: Da wir nicht in der Lage find, Rafernenagitation 


— — 


treiben au können, jo müſſen wir die Agitation in die Zeit legen, imo 
uns die Geſetze nicht daran hindern. 

Bebel: Zweifellos Hat er das gejagt. Ih Tann nur fagen, wir 
haben bei unjerer Taktik feine Gefahren für Dr. Liebknecht befürditet, 
jondern für andere, die wir nicht zum Opfer des 8 112 des Strafgefeh- 
buches machen wollen. Es wäre ja wunderbar für einen Surijten, wenn 
er fidh für eine Sajernenagitation erflären würde. Er fennt doch die 
geradezu brutalen Urteile, die die Militärgerichte fällen, wenn bei irgend 
einem Soldaten eine fozialiftiihe Zeitung gefunden wird. Die fo- 
genannten Spindrebifionen find ja eine ftändige Einridytung geworben, 

Verteidiger Hanfe: Und hat Herr Liebknecht nicht in Mannheim be- 
tont, daß felbitverjtändlih die antimilitariftiihe Tätigkeit der Sozial⸗ 
demofratie fid} nur innerhalb des geſetzlichen Rahmens zu beimegen habe? 

Bebel: Jawohl. = 

Verteidiger Hanfe: Sie hatten alfo niemals den Eindrud, al3 wenn 
— mit ſeinen Ausführungen ein hochverräteriſches Unternehmen 
plane 

Bebel: Bei hochverräteriſchen Angelegenheiten kann ich ja mit. 
reden, da bin ic} ja wohl etwas ſachverſtändig. (Heiterkeit.) Mir iſt 
Telbjtverftändlich ntemal3 der Gedanke gefommen, als ob Liebfnecht hoch— 
verräterijche Abfichten habe oder durch feine Agitation Vorbereitung zum 
Hochverrat betreiben wolle. 

Verteidiger Hanfe: Hat Liebfneht jemals öffentlich oder Hhnen 
gegenüber privatim darüber geſprochen, daß er den Plan hege, durch die 
revolutionäre Aufklärung der Arbeiter in Frankreich und Deutichland 
einen Angriff Frankreichs anf Deutichland anzuzetteln und dann dieſen 
Angriffstrieg Frankreichs für politiihe Zimede auszunützen? 

Bebel: Davon habe ich nie etwas von ihm gehört und auch in der 
Broſchüre fteht meiner Anficht nad) nicht? dabon. 

Liebknecht: Herr Bebel, würden Sie nicht, wenn ich Ihnen gegen- 
über eine derartige Aeußerung getan hätte, gefagt haben, dab ich fofort 
ins Irrenhaus gehöre? 

Bebel: Wenn auch nicht in3 Irrenhaus, fo würde ich doch diefer 
Auffaſſung allerihärfiten Widerſpruch entgegengejekt haben. Nach 
meiner Meinung ift das ein für einen Parteigenofjen unmöglider 
Standpunft. 

Kiebfnedht: Nicht nur unmöglich, fondern auch kindiſch und Läppifch. 

Verteidiger Haafe: Und hat Liebknecht vielleiht verfucht, die deut- 
ſchen PBroletarier im Gebrauch der Waffen ſoweit auszubilden, daß fie 
fie ſelbſtändig zu führen in der Lage find? 

Bebel: Ein ſolcher Gedanke ift nie ausgefprodhen worden. Wenn 
mir das jemand fagte, würde ich ihm allerdings erwidern: Sie gehören 
ins Irrenhaus. 

Verteidiger Haaje: Hat Liebfnecht Ihnen gegenüber die Yeußerung 
getan, daß er die Kommandogewalt des Kaifers zertrümmern will. 

Bebel: Bon der Kommandogemwalt des Kaiſers ift unter und nie- 
mals ein Wort geiprodyen worden. 

Verteidiger Haaſe: Liebknecht ftellt in feiner Broſchüre als fein 
Programm hin: die Erziehung des Volkes zur allgemeinen Wehrhaftig- 
Teit und zur Entiheidung der Frage über Krieg und Frieden durch das 
Boll. Sind das nene Gedanken, die Liebknecht ausgeſprochen hat, oder 
find das nicht vielmehr alte Gedanken? 


- 2 — 


Bebel: Diefe Forderungen Feten feit 1869 in unferen verſchiedenen 
Parteiprogrammen, fie haben aljo feitbem für die ganze Partei Geltung. 

erteidiger Haaſe: Gehört diefe Korderung nicht zu denjenigen 
Forderungen der Soztaldemofratie, die bereit3 an den Gegenwartsſtaat 
geitellt werden und die nad; Anficht der ſozialdemokratiſchen Partei ver⸗ 
mwirflicht werden fönnen, ohne daß der gegenwärtige Staat feinen 
Charakter als Klaſſenſtaat verliert? 

Bebel: Dieſe Forderung gehört mit zu unferen fogenannten nächſten 

— — die nad) unſerer Auffaſſung ſamt und ſonders im heutigen 

ürgerlihen Staatsweſen verwirklicht werden fönnen, ohne dab dabei 
der Charakter der heutigen Staat3- und Gejellichaftsordnung weſent— 
lih verändert mürde. Cine Reihe diefer, Forderungen find auch 
bereit in den verfchiedenften Stanten verwirklicht worden, 3. B. die 
Forderung des allgemeinen, gleichen, direften und geheimen Wahlrecht 
vom vollendeten 20. Lebensjahre ab für alle öffentlihen Wahlen. Die 
Forderung der Ausdehnung des Wahlrechts auf die Frauen, die fogar 
der zuflilche Zar, den Zinnländern gewährte. Das Verhältniswahlfyiten, 
die Wahl der Richter und Beamten durch das Volk, die Volkswehr, d. h. 
das fogenannte Milizigitem, deffen Einführung da3 monardiihe Eng- 
land eben in Erwägung zieht, uſw. 

Liebknecht: Iſt Ihnen befannt, daB eine Umgeftaltung der beftehen- 
den Heeresorganijation nicht nur bon Sozialdemokraten, fondern auch 
bon Angehörigen anderer Parteien erftrebt wird? ö 

Bebel: Es haben fogar dentihe Offiziere fich für eine ſolche Um- 
änderung ausgeſprochen. Ich erinnere nur an den Generalleutnant a. D. 
v. d. Linde, der in einer Broſchüre ſich war für ein kleines ftehendes 
Heer ausgeſprochen hat, im übrigen aber ſich mit einem Milizfyitem be- 
anügen will, wie es unferen Anſchauungen entſpricht. Noch mehr find 
folde Stimmen im Ausland laut geworden, fogar auf Miniiterfefieln. 
Sch erinnere nur an den italienifhen Minifter Zanardelli. Dann er- 
innere id) an den franzöfiichen Artilleriehauptmann Gafton Modi, der 
fih ohne jede Einſchränkung für ein Milisheer ausgeſprochen hat. 

Liebknecht: Gibt es in Deutfchland politifche Parteien, die, nenau 
wie die Sozialdemofratie, die Entiheidung über einen Krieg dem Volfe 
übertragen wiffen wollen? 

Bebel: Das war früher eine allgemeine bürgerlid;-demofratiihe 
Forderung, die wir in unjer Programm übernommen haben. Wir 
machen auf Originalität bei unferen nächſten Forderungen in unferem 
Programm, wenn wir bon den fozialen Korderungen abjehen, ich fage 
wohlgemerkt joziale und nicht fozialiftiiche Forderungen, feinen Anſpruch. 
Es find alles Forderungen, die die bürgerliche Demofratie ebenjo gut 
geltend madyen kann wie mir. 

Präſident: Angefchuldigter, Sie ſprechen in Ihrer Brofchüre von 
einer Wehrlosmadhung des Volkes, was verjtehen Sie darunter? 

Riebfneht: Nur von einer gleiymäßigen internatio- 
nalen Wehrlosmadung! Ih dente mir diefe als Nefultat 
einer inneren organiſchen Entwidelung. Nad meiner Meinung müßte 
jeden Menjchen, wenn er ein Kulturmenſch ift, wenn er ein ehrlicher 
anftändiger Menſch, wenn er ein „Chrift” fein will, das Blut der Em- 
pörung ins Geſicht Steigen, wenn 7. B. ein Krieg zwiſchen Frankreich 
und Deutſchland ausbräche. Und diefe Stimmung wird, jo erwarte und 
erftrebe ich, in den Maffen des Volkes, mindeſtens des Proletariat, 
immer allgemeiner und immer tiefer werden. Die Ronftatierung diejer 


— 48 — 


ſozialen Erſcheinung wollte ich mit jenen Worten ausdrücken. Mit einer 


Armee, die von ſolcher Empörung getragen wird, kann kein Menſch einen 
len führen und wenn er das legitimiertefte Kommando in Händen 
ä 


e. 

„Bräfident: Sie nehmen aljo für fid) und Ihre Partei in Anſpruch, 
darüber zu enticheiden, ob im Kriegsfalle Gehorfam geleiftet werden 
fol oder nit. Sie meinen, es wäre der Fall denkbar, in dem eine 
Armee nit Order zu parieren bat, fondern jagt: nein, es wäre eine 
Schmach, jetzt zu folgen. Meinen Sie nicht, daß diefer Erklärung der 
Soldaten gegenüber von anderer Seite Gewalt angeiwendet würde? 

Liebfnedt: Für mich ift diefer Vorgang nur denkbar als Refultat 
einer hiſtoriſchen Entwidelung in dem Sinne, daß die Zerfegung des 
Militarismus eine allgemeine geworden it. Wenn das der Fall ift, 
dann bedarf es Feiner gewaltjanen Einwirkung mehr, um einen Krieg 
zu verhindern. 

Präſident: Wenn nun im Intereſſe der öffentlichen Sicherheit die 
Anwendung der Armee nad) Maßgabe der verfaffungsmäßigen Be- 
ftimmungen für notwendig erachtet wird, dann follen Ihre theoretiichen 
Erörterungen auch Geltung haben? 

Liebknecht: Selbſtverſtändlich vollzieht fih die organiſche Ent- 
widelung in diefer Richtung noch viel rapider. 

Verteidiger Hezel: ch beantrage nunmehr, auß dem Buche 
Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden“ die Thefen 3—5 zu verlefen. 

Oberreichsanwalt Olshauſen widerſpricht diefer Verlefung: Was 
fol denn die Verlefung aus einem twillenihaftlihen Werk, daS vor 
hundert Sahren erjhienen iſt. Im Plaidoyer fann natürlich aud) ohne 
dies auf Kant zurüdgegriffen werden. 

Das Gericht beihließt nad) furzer Beratung, beide Theſen zu ver- 
leſen. Theſe 3 lautet: 

Stehende Heere follten mit der Zeit ganz aufhören. Denn fie be- 
drohen amdere Staaten unaufbörlih mit Krieg, durch die Wereitfchaft, 
immer dazu gerüftet zu erfcheinen; reizen dieſe an, fich einander in Menge 
der Gerüfteten, die feine Grenzen fennt, gu übertreffen, und, indem durch 
die darauf verwandten Koften der Friede endlich noch drüdender wird als 
ein kurzer Krieg, fo find fie felbft Urfache von Angriffstriegen, um diefe Laft 
loszuwerden; wozu kommt, dat zum Töten, oder getötet zu werben in Gold 

nommen zu fein, einen Gebraud) von Menſchen als bloßen Mafchinen und 

erfzeugen in ber Sand eined anderen (des Staats) zu enthalten fcheint, 
der fi) nicht wohl mit dem Rechte der Menichheit in unferer eigenen Perſon 
vereinigen läßt. Ganz anders ift e3 mit ber freiwilligen —— vorge⸗ 
nommenen Uebung der Staatsbürger in Waffen bewandt, ſich und ihr Vater⸗ 
land dadurch gegen Angriffe von außen zu ſichern. 

Theſe 5 lautet: 

Kein Staat ſoll ſich in die Verfaſſung und Regierung eines anderen 
Staates gewalttätig einmiſchen. 

Oberreichsanwalt Olshauſen: Der Angeklagte hat im Laufe der 
Verhandlungen dem Reichskanzler Fürften Bülow den verftedten Vor- 
wurf des Staatsſtreiches gemacht, indem er auf eine Aeußerung de3 
Fürften Bülow in dem Sifvefterbrief an den Generalleutnant v. Liebert 
anſpielte. Er wollte damit zu erfennen geben, daß auch Fürjt Bülow 
vor der Gewalt nicht zurüdichrede und eventuell verfafjungsmwidrige 
Mittel anwende. Zur Beurteilung diefer Auffaffung des Angeflagten 
bitte ich, den betreffenden Paſſus aus dem Silvefterbriefe de3 Reichs— 
kanzlers, nad) dem „Reichsanzeiger“, zu verlefen. 


—_- M — 


Das Gericht beichließt diefe Verlefung. Der Paſſus lautet: „Ent- 
gegen ber bisherigen allgemeinen Auffaffung, daß die Reaktion von der 
Linken nur in Gemeinjhaft mit der Sozialdemokratie befämpft werden 
Eu babe ich die fejte Weberzeugung, daß die wahre Reaktion und 

die wahre reaftionäre Gefahr bei der Sozialdemofratie zu juchen ift; 
auf die wildgewordenen Spießbürger der franzöfiichen Revolution folgte 
der Degen Bonapartes, der fommen mußte, um da3 frangzöfiiche Vater- 
land aus den Banden der Jakobiner zu befreien.” 

Liebknecht: Ich möchte bemerken, daß diefe Worte im Silvefterbrief 
nicht die Bedeutung der Worte eines Reichskanzlers haben, der doc) 
über den Parteien ftehen follte, jondern wie aus dem gehäſſigen Ton 
gegen die Sozialdemokratie herborgeht, diftiert find von dem zügellofen 
Haß eines Agitators nenen die Sozialdemofratie. 


Damit iſt die Beweisaufnahme geſchloſſen. 
Oberreichſsanwalt Olshauſen ergreift zur 
Begründung der Anklage 


das Wort: Wer die Ausführungen des Angeklagten gehört hat, muß 
dieſen Prozeß für eine höchſt eigentümliche Sache Halten. Der An- 
geflagte hat davon geſprochen, daß gegen ihn drei fchriftliche Anklagen 
vorliegen. Eine vierte Anklage entnimmt er den Aeußerungen des 
Vorſitzenden und eine fünfte einem Zwiſchenruf von mir. In Wahrheit 
bat er ſchon meinen Antrag auf Belchlagnahme feiner Schrift ganz 
falſch charakterifiert. Es iſt ſchon ein eigentümliches Verfahren für 
einen Angeflagten, der jelbit Rechtsanwalt ift, einen Antrag auf 
Beſchlagnahme einer Schrift mit der Anklage jelbit zu — 
Seine Schrift iſt mir vorgelegt worden von einer Seite, die ein erheb⸗ 
liches Intereſſe an ihr hatte, ſelbſtverſtändlich nicht von einer Privat- 
perjon oder einem Geheimrat aus dem Kriegsminifterium, jondern von 
einer zuftändigen Behörde und ich bin daraufhin vorgegangen, obwohl 
die Schrift Schon einige Monate lang verbreitet wurde. Natürlich habe 
ich den Beichlagnahmeantrag möglichft befchleunigt und deshalb nur 
hervorgehoben, was dazu dienen fonnte, den Antrag zu begründen. 
Aber die Stellen, die id) hervorgehoben Habe, balte ich auch heute noch 
für die mefentlichiten der —— inſofern ſie die —— 
der Hervéſchen Inſurrektionstaktik in Ausnahmefällen, etwa im Fall 
eines Krieges zwiſchen Deutſchland und Frankreich oder bei einer Inter- 
vention in Rußland ſchon jetzt zulaſſen. Damit war die hochverräteriſche 
Handlung im Sinne des 8 81 gegeben. Die Anklageſchrift ſelbſt iſt jo 
klar gefaßt und exponiert wie nur möglich. Die ganze Broſchüre war 
angellagt, nicht etwa, al3 ob jedes einzelne Wort und jeder Sa eine 
Vorbereitung zum Sochverrat enthielten. Aber der Angeklagte hat ja 
ſelbſt auf den Zuſammenhang der Schrift als eine Einheit hingewieſen. 
Da ich ſonach nicht in der Lage war, einzelne Teile herauszugreifen. 
habe ich kurz den Inhalt der markanteſten Stellen angegeben, wobei 
wörtliche Zitate in Anführungsſtriche geſetzt und meine Schluß- 
folgerungen deutlich davon getrennt wurden. Nach der Inhaltsangabe 
der Schrift bin ic) dazu übergegangen, eine Reſümee des ſtrafrechtlichen 
Charakters zu geben. Es lautet: Troß des Inhalts diefes Scluf- 
fapitels, in dem Berfaffer — den Worten nad) — ſich auf den Boden 
des Gejeßes jtellt, muß man nad) dem Sefamtinbalt der Schrift die 
Meberzeugung gewinnen, daß Angeſchuldigter bei deren Abfaſſung 


— 45 — 


darauf ausgegangen ſei, durch ihren verhetzenden Ton die bereits inner- 
balb der Sozialdemofratie beitehende Abneigung gegen den ſogenannten 
Militarismus bis zum fanatiſchen Haſſe zu fteigern, durch die don 
ihm gegebenen Ratſchläge die allmähliche Zerjegung und Zermürbung 
des militärischen Geiftes herbeizuführen, diejes alles aber nur zu dem 
Bed, um nach weiterer Vorbereitung und Schulung de& dafür im 
gangen jeßt ſchon reifen — insbeſondere auch nach weiterer 
usbildung in den Waffen and namentlich auch in der Herſtellung 
folder, gegebenenfalls — im Falle eines unpopulären Krieges — 
wie nicht anders möglich unter Anwendung bon Waffengewalt gegen 
die noch treu gebliebenen, noch nicht „roten“ Teile de3 Heeres diefe 
niederzufämpfen und die verhaßte beftehende Militärverfaffung zu zer- 
trümmern. Dabei handelt e3 fid) nicht um theoretiiche Ausführungen, 
vielmehr iſt der Zweck der Schrift ein „aktuell politicher”; es handelt 
fi) aber auch nicht etwa um Anregungen und Ratichläge, die für die 
Fälle gegeben werden, deren Eintritt — nad) Anficht des Verfaſſers — 
gar nicht vorauszuſehen ift; fie werden vielmehr gegeben für bejtimmte 
Eventualitäten, deren Eintritt allerdings nicht, wie ſeitens der fran- 
zöſiſchen bezw. anardiitiihen Antimilitariften für eine unmittelbar 
bevoritehende Zeit in Ausficht genommen wird, wohl aber für eine 
fernere und jedenfalls herannahende, ja auch für beftimmte Fälle, deren 
Eintritt allerdings teils zwar nicht wahrſcheinlich ift, teil3 aber wohl 
im Laufe der Beit zu erwarten ift, wie ein Krieg zwiſchen Frankreich 
und Deutichland, der bei einer im Sinne de3 Antimilitarismus 
günftigen Kriegsurſache wohl eine geeignete Situation ſchaffen Fönne, 
weshalb der Eintritt eines ſolchen Zeitpunftes durch revolutionäre 
Aufklärungsarbeit zu fürdern fein würde, Die Abfaſſung und Herbei- 
führung der Verbreitung einer joldden Schrift jtellt ſich als eine ein 
bochverräterifches Unternehmen — nämlich) die gewaltfame Aenderung 
der ne des Deutihen Reiches — vorbereitende Handlung dar. 
Der Eröffnungsbeihluß hat fich diefem Standpunkt der Anklage- 
ſchrift im wejentlichen — abeallen Juriſtiſch unterliegt es alſo nicht 
dem geringſten Zweifel, daß die ganze Schrift, fo weit fie den Tat- 
beitand de3 $ 86 darjtellt, Gegenitand der Anklage ift. Der Angeklagte 
bat von der Wunderbarfeit dieſes Prozeſſes geſprochen. So einfach wie 
diefer Prozeß prozeffualifch verläuft, find wenige vor dem Reichsgericht. 
Ein dünnes Aftenbündel enthält alles Material, aud) das dem Unter- 
ſuchungsrichter vom Berliner Bolizeipräfidtum gelieferte. Die einzige 
Wunderbarfeit könnte darin bejtehen, daß die Verteidigung dieje 
Schriftitüde nicht gefunden hat. Der Angellagte hat eine ſchwere An- 
ſchuldigung gegen den Reichskanzler erhoben. Erfreulicherweife ift fie 
vollfommen widerlegt worden. Wer den betreffenden Abſatz des Briefes 
des Reichskanzlers vom Silvefterabend an General Liebert durdjlieft, 
weiß, dab darin nur eine Schilderung der notwendigen Folgen des 
Treibens der Sozialdemofratie gegeben iſt. Aber der Reichskanzler, der 
nad) dem Keichsbeamtengeje mein unmittelbarer Vorgeſetzter ift, — 
und nad) dem Stellvertretungsgejeß vertritt ihn der Staatzjefretär im 
Reichsjuſtizamt — hat ebenjowenig wie diejer etwas bon meinem ftraf- 
rechtlichen Vorgehen gewußt. Die Verantwortung dafür trage id) ganz 
allein. Natürlich bin ich nicht Beamter der Polizeibehörde, jondern der 
Staatsanwaltihaft. Deshalb habe ih das Material nicht allein 
ſammeln, jondern es mir von intereffierter Seite — laſſen müſſen. 
Der Angeklagte erhob gegen uns den Vorwurf der Klaſſenjuſtiz. Das 


- 6 — 


muß ich entſchieden zurückweiſen. Der Angeklagte und ich gehören ja 
beide derjelben Klaſſe, dem Suriftenftande an und es iſt mir nicht 
bejonder3 angenehm, gegen ein Mitglied der deutfchen Rechtsanwaltſchaft 
wegen Vorbereitung zum Hochverrat einzufchreiten. Auch irrt der An- 
geflagte, wenn er glaubt, daß wir ihn heraußgegriffen hätten, um ein 
Erempel zu ftatuieren. Da überfhäßt er die Bedeutung feiner Perfjön- 
Iichfeit. Wenn mir etwas vorgelegt wird, prüfe ich e8 auf einen ftraf- 
baren Tatbeftand, und nad) dem Ergebnis diefer Prüfung ftelle ich 
meine Anträge Wenn zufällig ein Beamter diefe Schrift verfaßt hätte, 
was ic) allerdings für unmöglich halte, fo hätte ich mich ebenjomwenig 
bon der Strafverfolgung zurüdichreden lafien. Der Angeklagte bat 
ferner der Anflagebehörde infinuiert, fie beabfichtige vor allem, ihn von 
der Rechtsanwaltſchaft zu entfernen. Das lag mir volllommen fern. 
Ich betradjte nur die ftrafrechtliche Seite, was die Yolge für den Beruf 
des Angeklagten iſt, fümmert mic; nicht. Vielleicht ſchließt ihn das 
Urteil ohne weiteres aus dem Anwaltsftande aus, vielleidht ift ein 
weiteres Berfahren vor dem Chrengerichtshof für Anwälte notivendig. 
Auch ift es mir nicht eingefallen, wie der Angeflagte behauptete, die 
ſozialdemokratiſche Partei hier unter Anklage zu ftellen. Mit der Partei 
babe ich nicht8 zu tun, fie intereffiert mich gar nicht. sch habe nur zu 
unterfuchen, ob der Angeklagte mit feiner Schrift „Militarismus und 
Antimilitarismus“ fih der Worbereitung zum Hochverrat fchuldig 
gemacht hat. Sch glaube, dab ich eg mir und dem Amte, daS ich ber- 
trete, jchuldig war, diefe Verdächtigungen des Angeklagten zurüdzu- 
weifen. Der Oberreichsanwalt erörtert dann eingehend die juriftifchen 
Vorausſetzungen der Anwendbarfeit des $ 86 unter ausführlicher Be— 
ſprechung der bisher über diefen Punkt gefällten Reichsgerichtsurteile. 
Er greift dabei zurücdt auf den Hochverratsprozek gegen Ferdinand 
Laffalle, der gegen diejen im März 1864 vor dem preußiſchen Staat3- 
gerichtshof geführt wurde und mit der Freiſprechung Laſſalles endete. 

uf Grund der damaligen Verteidigungsrede Xaffalles, der die An- 
Tlage gegen fi) al3 Anklage wegen Vorbereitung zur Vorbereitung des 
Hochverrats Fennzeichnete, fehrieben die „Leipziger Volkszeitung“ und 
„Vorwärts“, die Anklage gegen Liebfnecht jei gerichtet. Nun ſei es 
ja die Mufgabe einer Anflage, gerichtet zu werden, aber doch von diejem 
Gerichtshof und nicht vom „Vorwärts“. (Große Heiterkeit.) Webrigens 
ergibt daS mir, hier vorliegende Urteil gegen Saljniie, daß deſſen 
juriftifche Einwände nicht die Zuftimmung des damaligen Gerichts ge- 
funden haben. Der Oberreichsanwalt verliejt den betreffenden Paſſus 
und erörtert dann die Vorausſetzungen, unter denen das Reichsgericht 
den $ 86 angewendet habe. E3 Habe verlangt die Beltimmtheit 
eine hochverräteriſchen Unternehmens und dag beitimmte Inausſicht⸗ 
nehmen der Gewaltanwendung. Er prüft weiter, ob in der Schrift 
de3 Angeflagten diefe Vorausfegungen erfüllt jeien. Der Angeklagte 
felbft habe als die logiſche und pſychologiſche Konſequenz feiner Agitation 
den Militärftreif und die Aktivierung der Truppen für die Revolution 
bezeichnet. An einer anderen Stelle habe er, um über fein hod)- 
verräteriſches Biel feinen Zweifel zu laſſen, als Endziel die vollfommene 
Befeitigung des Militarismus und als Mittel zu diefem Zweck die all- 
mähliche Zerfegung und Zermürbung des Militarismus angegeben. Ein 
erfolgreicher Militärftreif ſolle als Folge der von ihm betriebenen Auf- 
klärungsarbeit in beftimmt in Ausficht genommenen Fällen eintreten. 
Ein folder Militärftreif jei an fi ja noch Feine Gewaltſamkeit, aber 


notürlid, würde der Staat dagegen mit rechtmäßiger Gewalt vorgehen, 
und da die Militärftreifenden fid dann nicht willenlos wie Schafe hin- 
fdladjten Iaflen würden, würde das Moment der Gewalt fi ohne 
weiteres ergeben. Der einzige Zweck des Angeklagten jei geweſen, in 
der Jugend Haß gegen den Militarismus zu ſäen. Als Fälle, bei denen 
‚diefer Haß zum Ausbruch kommen Zönnte, habe er felbit die Inter⸗ 
bention in Rußlarıd und den Krieg zwiſchen Deutichland und Franf- 
teih als in abjehbarer Zeit möglich ins Auge gefaßt. In der Tat 
inne niemand, der fi) der Situation im Frühjahr vorigen Jahres 
erinnere, leugnen, daB ein Krieg mit Frankreich zu den realen Mög- 
lichkeiten gehört, jo günstig aud) die augenblikliche Situation jei. In 
der Schrift ſtehe zwar, daß der ungünitigite Beitpunft zu einer rebolu- 
tionären Aktion die Zeit des Ausbruches eines Krieges jei. Das fei 
aber offenbar ein Drudfehler, denn nad; dem ganzen Zujammenhang 
müfle es heißen: der günſtigſte Zeitpunkt. In dem Sfapitel über die 
Waffentechnik habe der Angeklagte dann ausdrüdlid das Proletariat 
aufgefordert, jid) in der Heritellung und Verwendung der Waffen zu 
üben, fo daß über die Abjicht des Hochverrats und die Gemwaltjamkeit 
feiner Mittel fein Zweifel beitehen fünne. Was die Frage des Straf- 
maßes anbetreffe, jo lautet zwar Abjat 2 $ 86 auf mildernde Um⸗ 
ftände, Davon fönne aber beim Angeklagten nicht die Rede jein. Gewiß 
ſei jeine Schrift nad ihrem Umfange und nad) ihrer Schreibweife nicht 
geeignet, agitatoriſch unter den Arbeitern zu mwirfen; aber das ſei dem 
Angellagten vielleicht nicht einmal zum Bewußtfein gefommen. Es war 
zweifellos feine Abjicht, eine möglichſt große Maffe des Volkes zu be- 
einfluffen. Im übrigen fegte der $ 86 Strafen von einem bis zu drei 
Jahren Zuchthaus oder Feſtungshaft aus. Es iſt nun eine eigentüm- 
lihe Sadjlage, daß der 8 20 des Strafgeſetzbuchs beſtimmt, daß die 
Zuchthausſtrafe nur dann verhängt werden fönne, wenn feftgeitellt ift, 
daß die Handlung aus ehrlofer Gefinnung entiprungen fei. Gegen die 
Einführung dieſes Paragraphen in das Strafgeſetzbuch hat jeinerzeit 
der damalige preußiihe Suitizminifter Leonhard lebhafte Einfpradje 
erhoben, weil dadurch in Wahrheit die Feſtungsſtrafe an die erite Stelle 
rüdte und das Zuchthaus nur fubfidtär bei ehrlojer Gejinnung an- 
wendbar wurde. Aber Leonhard hat ſich ſchließlich mit diefer Be- 
ftimmung abgefunden und dann ausgeführt, dab gewiſſe Handlungen, 
namentlich im Kriege der Hochverrat, für einen Deutfchen ohne weiteres 
ehrlog find. Dielen Ausführungen hat damals der gejamte Reichstag 

ge mu Ich habe Feine Bedenken, hier zu fagen, daß die Handlung 

8 Angeflagten ehrlos ift, weil er, ein Mann in reiferen Sahren, ein 
Juriſt, der jelbit früher den Waffenrod trug und noch jegt im Militär- 
verhältnis jteht, nicht in diejer Weile gegen den Militarigmus hätte 
hegen dürfen. Danach würden die Konjequenzen zu ziehen fein, daß, 
wenn da3 hohe Gericht den Angeklagten für jchuldig hält, auf eine 
Zuchthausſtrafe zu erfennen iſt. Wohl weiß id), dab der Vater des 
Angeklagten und der Abgeordnete Bebel wegen Vorbereitung zum Hoch—⸗ 
verrat jeinerzeit bier in Leipzig zu Feſtungsſtrafe verurteilt worden 
find. Sch will aber nicht nachprüfen, ob diejeg Urteil milde oder hart 
war. Nach meiner Weberzeugung verdient der Angeklagte da3 Zucht- 
haus, fobald das hohe Gericht die Weberzeugung von feiner Schuld 
gewonnen hat. Strafverihärfend, kommt in Betracht die Gehäffigfeit 
der Agitation des Angeklagten, die ſich nicht größer denken läßt, und 
die Gefährlichkeit jeines Unternehmen?. Deshalb beantrage ich eine 


— Be 


Zuchthausſtrafe von 2 Jahren, den Verluft 
der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre 


und Unbrauchbarmachung der Schrift in ihrem ganzen Um— 
fange. Weiter beantrage ich, wenn der Gerichtshof auf dieſe Zuchthaus⸗ 
ſtrafe oder überhaupt auf eine längere Strafe erkennt, den Angeklagten 
ſofort in Haft zu nehmen. Zwar wird das Urteil fofort rechtskräftig, 
id) kann aber nicht eher einſchreiten, als ich nicht die Ausfertigung des 
Urteils in Händen habe. Ich kann nicht darauf verzichten, fofort MaB- 
. nahmen zu ergreifen, mid; des Berurteilten zu verſichern. 

Liebknecht: sch bitte ums Wort. Soeben iſt mir folgendes Tele- 
gramm Hervés zugegangen: 

Je n’ai jamais éorit cette anerie (Liebknecht et moi nous suffisons 
pour dötruire l’id6e de patrie); envoyez moi l’articlo gazette voss. Bonne 
chance. Gustav Herve, 89 rue vaugirard, Paris. 

Deutſch: Ich habe niemals dieſe Efelei gejchrieben (Lieblneht und ich 
genügen, um die Vaterlandsidee zu zerftören). ickt mir den Artikel aus 
der „Voſſiſchen Zeitung“. Viel Glüd. 

Guſtav Hervé, 89 Rue Vaugirard, Paris. 

Hierauf tritt die Mittagspaufe ein. 

Nach Wiedereröffnung der Sigung erhielt das Wort zum Plaidoyer 

Verteidiger Hanfe: 

Sie alle find geitern mit geipannter Aufmerffamfeit der Vorleſung 
der inkriminierten Schrift gefolgt, und wer von Ihnen nicht etwa bereits 
durch den Afteninhalt beeinflußt war, muß den Eindrud 
gewonnen haben, daß diefe Schrift eine ernfte wiſſenſchaftliche Arbeit 
it, die nichts Strafbares enthält. Die Ausführungen des Oberreids- 
anwalts haben diejen Eindrud nicht zu verwiſchen, geſchweige denn zu 
zeritören vermocht. Er jah ſich genötigt, einen großen Zeil feines Plai- 
doyer3 auf feine eigene Verteidigung zu verwenden. Es iſt ihın aber 
nit gelungen, etwas Weſentliches zu feiner Nechtfertigung vorzu- 
bringen. Er fann den Vorwurf, daß er den Inhalt der Brofchüre falſch 
dargeftellt hat, nicht entfräften. Er, hat nit nur, wie er behauptet, 
die marfanteiten Stellen der, Brofchüre herborgehoben, fondern er hat 
willkürlich Zufäge gemacht, für die in der Broſchüre nicht der geringite 
Anhalt gegeben iſt. Es iſt richtig, daß er in der Anklageſchrift einen 
Teil der infriminierten Broſchüre wörtlid wiedergegeben hat. on 
er dann aber in indirefter Rede fortfuhr, jo erforderte es die einf 
Pflicht, ein getrenes Bild von dem zu liefern, mas der Angeklagte ut 
lich efjrichen hat. Der Oberreichsanwalt hat dagegen nicht bloß die 
Ausführnngen des Angeklagten verzerrt, fondern ein reines Phantafie- 
gebilde entwickelt, und obendrein den Schein erwedt, als ob es vom An- 
gellagten jelbjt herrührte. 

Ich hatte erwartet, daß er dieje feine Schöpfung preißgeben und 
ſich our den Boden der Tatſachen ftellen würde. Zu meinem Erftaunen 
hat er jedoch geitern angefündigt, daß er alle feine Aeußerungen auf- 
recht erhalte. Damit erwuchs ihm die Aufgabe, den Beweis zu liefern, 
daß die von dem Angeklagten beitrittenen VOL PUDDER. wirklich in 
der Brofhüre enthalten ſeien. Er hat indes auch nicht den leifeften 
Verſuch dazu gemacht, diefen Nachweis zu erbringen, — — er doch auch 
ſcheitern müſſen an dem klaren Wortlaut der Schrift ſelbſt 








- 9 — 


Was hat aber der Oberreichsanwalt alles dem Angeklagten 
imputiert? Ä 

Sn dem Antrage auf Beihlagnahme der Broſchüre wird es als 
das Ziel des Angeklagten Hingeftellt, einen Angriff Frankreichs anf 
Deutſchland durd die reuofutionäre Anfllärnngsarbeit der Sozialdemo⸗ 
Traten beider Länder zu fürdern. 

Es wird darin dem Angeklagten die ungeheuerliche Abficht zu- 
gefchrieben, durch Anzettelung eines Angriffs Frankreichs auf Deutjch- 
land und die davon erwärtete Revolutionierung der Maſſen den Sturz 
der Reichsverfaſſung herbeizuführen. 

Wie war e3 nur möglid, eine folde Behauptung aufzuftellen? 
Wer auch nur oberflächlich die Schrift de3 Angeklagten lieſt, wer, aud) 
nur eine dunfle Ahnung von den Beitrebungen der Sozialdemofratie 
bat, der kann unmöglich dem Angeflagten den Wahnmwiß zutrauen, einen 
Angriff Frankreich auf Deutichland anzetteln zu wollen. Iſt doch die 
Sa des Angeklagten vom eriten bis zum legten Wort 

der Aufgabe gewidmet, den Krieg — namentlich unter 
Kulturvölfern — unter allen Umftänden unmöglih zu maden. 
Er iſt bemüht, die volle Kraft des Proletariat3 zu diefem Zweck zu ent- 
falten. Sa, jeine Schrift ift geradezu durdtränft von dem Beitreben, 
Die Kriege zu verhindern. Wie fann man ihm nad feinen politischen 
Anfchauungen, on öffentlihen Auftreten, dem flaren Inhalt feiner 
Broſchüre jenen abfurden Gedanken zumuten? Den Schlüffel zur Löſung 
dieſes Rätfſels liefert wohl die Entftehungsgeichichte der Anklage, die 
der Oberreichganwalt heute ſelbſt enthült hat. Die amtliche Perfön- 
Tichfeit, die — nad) feiner eigenen Darftellung — ihm die Broſchüre 
des Angeklagten vorgelegt und ein erhebliches Intereſſe an der Ber- 
folgung de3 Angeflagten befundet hat, muß ihn geradezu hypnotifiert 
und ihm dadurch die Ueberzeugung beigebradht haben, der Angeflagte 
ſei ein Hochverräter. Jetzt gilt es, den Tatbeitand für das Verbrehen 
- zu finden, defjen die amtliche Rerfönlichfeit dem Angeflaaten zieh. Nach 
dem entjhiedenen Protejt, den der Angeklagte in der VBorunterfuhung 
gegen die ihm zugefchobene Abſicht einer Anzettelung de3 Krieges er- 
hoben bat, ijt diefe Unterſtellung aus der Anklageſchrift verſchwunden, 
um heute eine fhüchterne Auferftehung zu erleben. 

Dagegen hat die Anklagefchrift andere nicht minder „munderliche” 
Behauptungen aufgeitellt. So foll der Angeklagte gefchrieben haben: 
Die Zeit zur Bejeitigung des Heeres fei nahe heran- 
gelommen. .. aber ſteht in der Broſchüre aud nur 
etwas Aehnliches? Nirgends eine Andeutung. Das Gegenteil 
ift vielmehr die Auffaſſung des Angeklagten. Er fieht die Befeitigung 
Des Heeres erft in weiter Ferne Er jdreibt ausdrücklich 
Geite 104: 

„Das leßte Ziel des Antimilitarismus ift Befeitigung bes 
Militarismus, das heißt: Bejeitigung des Heeres in jeder Form, 
mit der dann notwendig alle die gefennzeichneten fonftigen Erſcheinungen 
des Militarismus fallen, die fih im Grunde nur als Nebenwirfungen der 
Grifteng des Heeres darjtellen. Der Mantel fällt, der Herzog muß nad.“ 


Dann diejes letzte Ziel erreicht werden kann, darüber hat fich der 
Angeflagte mit aller Deutlichfeit S. 112 ausgeſprochen: 


„Indeſſen betrachtet die Sozialdemokratie, entjprechend ihrer Auf- 
faſſung vom Wefen des Militarismus, die völlige Befeitigung 
des Militarismus allein für unmsglich: nur mit 


4 


— u — 


dem Kapitalismus — der lebten DET ZETROERaUNg — 
zugleich fann der Militarismus falle 
In Uebereinftimmung mit diefem Gedanfengang bat der Angeflagte 
©. 45 ausgeführt: 
„Der Militarismus ift eine Erbfjünde des Kapita- 
Lismuß, die zwar bie und da der Beſſerung zugänglich ift, von ber 
ihn aber erft da8 FKegefeuer des Sozialismus läutern wird.“ 


Es it alfo nicht wahr, daß der Angeklagte jemals geäußert hat, die 
Zeit zur Bejeitigung des Heeres ſei nahe herangefommen. 

Ebenſo phantaſtiſch ift die Behauptung der Anklageſchrift, daß der 
Angeklagte bei Abfaffung der Schrift darauf ausgegangen fei, 

„nach weiterer Vorbereitung und Schulung des dafür im ganzen fon jeßt 
reifen Proletariats, insbefondere auch nad) weiterer Ausbildung in den 
Waffen und namentlid au in der Herftellung folder, gegebenenfalg — 
im alle eine unpopulären Krieges — wie nicht ander8 möglid unter 
Anwendung von Waffengewalt gegen die noch treugebliebenen, noch nicht 
„roten“ Teile des Heeres dieſe niederzufämpfen und die verhakte be— 

ftehende Militärverfaflung au zertrümmern.“ e 

Auch) diefer Gedanke iſt in der Broſchüre nicht enthalten; nichts 
dabon, feine Spur. Er ijt einfach hineinphantafiert worden. 

Der Oberreichsanwalt hat aber heute wenigſtens verraten, welche 
Stelle der Brojhüre dazu — gebraudjt worden iſt, um jene „Wunder- 
lichkeit” zu Eonftruieren. In dem Abſchnitt „Entitehung und Grund- 
lagen der geſellſchaftlichen, Herrſchaftsverhältniſſe“, in dem aſcharaue 
theoretifche Ausführungen über die Bedeutung der Waffentechnif in den 
seh felfchaftliden Kämpfen gegeben werden, fommt daS Wort 

Baffenerzeugung” vor. Das genügt dem Oberreichsanwalt. 
um daran jene Gedanfenfette zu jchließen, die fich freilich in nichtS mit 
den Ausführungen des Angeklagten berührt. Der Oberreichsanwalt hat 
heute jelbit die Stelle zitiert. Sie lautet: 

„Die gleihmäßige Bewaffnung der gefamten Bevölferung kann 
aber nur dann eine dauernde und unentziehbare fein, wenn die Waffen- 
erzeugung Sfelbft Allgemeingut iſt.“ 

Konnte der Oberreichdanwalt ein bemweisfräftigere Argument an- 
führen, um ſich jelbit zu ſchlagen? Freilid im Sandumdrehen 
madt er aus dem Allgemeingut der Waffenerzeugung: 
die Ausbildung des Broletariat3in der Herftellung 
der Waffen Er ſchloß fein Zitat mit der Bemerkung: „Dieſe 
Worte fönnen gar nicht mißverftanden werden.“ Das ift richtig. Sie 
beweijen Elar, daß der Oberreichganmwalt dem Angeklagten etwas nad)- 
gejagt hat, was diefer aud) nicht im entfernteften ausgeiprodhen hat. 
Ganz zu ſchweigen von der Behauptung, daß der Angeflagte darauj 
ausgegangen jei, die noch treu gebliebenen Teile de3 Heeres durch das 
Proletariat niederzufämpfen. Der Oberreichsanwalt hat nit eine 
Sinaige Stelle anführen fünnen, in der auch nur ein Wort davon bor- 

omm 

Was der Angeklagte in dem zitierten Abfchnitt will, da3 wäre 
wohl jelbit dem Oberreichsanwalt klar geworden, Dan. a nidt an 
der enticheidenden Stelle zu Iefen aufgehört hätt 

Der Angeklagte jchließt nämlid) den Abichnitt (©. 9 mit den 
Worten: 

„Und in der Tat können wir bamit rechnen, daß, menn aud in einer 
fernen Zufunft, die Tednif, die leichte Beherrſchung der ge— 


— 51 — 


gewaltigſten Naturkräfte durch den Menſchen, eine Stufe erreichen wird, bie 
eine Anwendung der Mordtehnit überhaupt unmöglid 
madt, weil fie Selbftvernicgtung des Menſchengeſchlechts bedeuten mürde.” 


Der Angeklagte eröffnet alfo nur eine ferne Zukunftsperſpektive, 
in der aber nicht ein Teil des Volkes den anderen mit Mordwaffen 
überwältigt, jondern jede Mordtechnik überhaupt unmöglich ge- 
worden it. 

Diefe Ausführungen beweifen, mit mwelden Mitteln die 
Anftlagebehörde gegen den Angeflagten arbeitet. 

Heute erklärte der Oberreichsanwalt, es beftehe nicht der geringite 
Zweifel, dab die Anklage rechtlich feit begründet jei. Das 
Gefühl der Rechtsgewißheit ift ihm jedoch erft allmähli im Laufe 
de3 Verfahrens gefommen. 

Mit einer leichten Handbewegung glaubte er heute die Laſſalleſche 
Verteidigungsrede abtun zu können. Aber es iſt kein anderer wie 
der Oberreichsanwalt ſelbſt, der die Rechtsauffaſſung Laſſalles über 
die Aufforderung zur Vorbereitung eines hochverraͤteriſchen Unter- 
nehmens nod vor kurzem für den egelfall gebilligt ne Er ſchreibt 
nämlich: „Zunächſt ift zuzugeben, daß eine Aufforderung zur 
Bornahme einer ein hochverräteriſchees Unter- 
nehbmenporbereitenden Handlungregelmäßignod 
nicht eine ftrafbare Borbereitungshandlung enthält.” Ich 
zitiere wörtlich aus dem Antrage des Sberreichgantvaltg auf Beichlag: 
nahme der Liebknechtſchen Broſchüre. Nun verſucht zwar der Ober- 
reichſsanwalt an der ſelbſt aufgeftellten Regel eine Ausnahme zu fon- 
ftruieren, die dann gegeben jein joll, wenn die Aufforderung „die Ent- 
faltung einer jelbitändigen Tätigkeit zur Verwirklichung des hoch» 
berräterifchen Unternehmens daritellt“. Für dieje gewundene Kon- 
ftruftion iſt im Gejege fein Anhalt; und die Unterfcheidung zwifchen 
der, Aufforderung als jelbjtändiger und unjelbftändiger Tätigfeit ift 
logiſch unhaltbar. Denn jede Aufforderung zur Vorbereitung 
eine3 Unternehmens ift al3 Willensaft eine jelbjtändige 
Tätigkeit und im Verhältniszurrealen Borbereitung3- 
bandlung ftet3 eine unjelbfjtändige Tätigfeit. 

Die Laffalleihe Auffaſſung iſt jomit aud) vom Standpunkt des 
Oberreich3anwalt3 aus unangreifbar. Daß einige Theoretifer mit 
Zajlalle nicht übereinftimmen, ift richtig. Ich beitreite aber mit aller 
Entſchiedenheit, dat das Reichsgericht bereit3 in den vom Oberreichs⸗ 
anwalt angeführten Fällen zu diefer Frage Stellung genommen hat. 
Die dom Reichsgericht bisher abgeurteilten Fälle waren ganz anders 
gelagert. In der Band 8 der Rechtſprechung abgedrudten Entjcheidung 
handelt es fih um ein nod) nicht verbreitetes Plakat, in dem zur un- 
mittelbaren Ausführung eines MODEL ae 1ER Unternehmen auf- 
gefordert wird. Und in Band 5 der Entiheidungen liegt der Fall 
jo, daß eine Reihe von Perſonen an der Bildung einer Gruppe teil- 
genommen hatte, deren Aufgabe es jein jollte, die Verfaffung zu ftürzen. 
In beiden Fällen jtand aljo nicht die Aufforderung zur Vor- 
bereitung eines Unternehmens in Frage. Um diefe aber handelte 
es fih in dem Laſſalleſchen Prozeß. 

Nah dem Syitem unjeres Strafgefegbuchs fann man zu feinem 
anderen Rejultat gelangen, wie zu dem, dab die Aufforderung zur 
Vorbereitung eines hochverräteriſchen Unternehmens nicht unter den 
8 86 geftellt werden Tann. Die 88 80 bis 82 beichäftigen ſich mit 

48 


— — 


dem vollendeten Hochverrat, die 88 83 bis 86 mit der Vor⸗ 
bereitung eines hochverräterifchen Unternehmend. Die 88 83 
bi3 85 behandeln jpezielle Fälle der Vorbereitung; der $ 85 enthält 
den Spezialfall, daß öffentli vor: einer Menjchenmenge oder durch 
Verbreitung oder öffentlichen Anſchlag oder öffentliche Austellung von 
Schriften oder anderen Darftellungen zur Ausführung eines hoch- 
verräterifhen Unternehmen? aufgefordert wird. Wenn im Anſchluß 
daran der 8 86 fortfährt: „Jede andere ein hochverräteriſches Unter- 
nehmen vorbereitende Handlung wird . . . . beitraft”“, fo kann dies 
nad dem Wortlaut und logiſchen Zufammenhang lediglich bedeuten, 
daß der 886 nur ſolche Vorbereitungsafte umfaßt, welche 
in den vorhergehenden Beftimmungen nicht fhon 
ausdrüdlid hervorgehoben jind Für den 8 86 ift dem- 
gemäß in Fällen wie dem vorliegenden fein Raum. 

Der Herr Oberreichsanwalt hat fi) für feine von ihm heute vor- 
getragene Anfiht auf den Profefjor van Calker berufen. Er hätte 
aber auch das jehr bemerfenswerte Urteil hinzufügen follen, das dieſer 
Profeſſor an derjelben Stelle über den 8 86 fällt. Er bezeichnet ihn 
nämlich al® „ein jhlimmes Ueberbleibfel aus der Zeit 
einer möglichſt weiten Wusdehbnung deserimenlaesae 
majestatis. Einem fo ſchlimmen Weberbleibfel gegenüber haben 
wir aber erjt recht die Pflicht, feine Kriterien ſcharf zu umgrenzen. 
Bei einer Beiprechung der Calkerſchen Arbeit in Nr. 18 der „Deutihen 
Suriften-Beitung“ hat vd. Trentlein-Moerdes gefordert, daß die Ber- 
bindung zwiſchen der zu beftrafenden Vorbereitungshandlung und 
dem hochverräteriſchen Unternehmen jelbit ftraffer und enger 
gefnüpft werde. Welches ift aber das Band zwiſchen 
dem dem Angefllagten Liebknecht unterftellten 
hochverräteriſchen Unternehmen und feiner Bro- 
ſchüre, feinem angebliden Borbereitungsaft? Es 
fehlt diejes Band vollitändig. Der Fall des Angeklagten Liebknecht 
liegt ganz anders wie irgend ein Fall von Hochverrat, der jemals die 
Gerichte beihäftigt hat, anders, wie der Fall Johann Jacobh, Laſſalle, 
Bebel-Liebfnedt. Wozu hat denn der Angeklagte in jeiner Brojchüre 
aufgefordert? Er wünſcht, daß proletarifhe Sugend- 
organijationen gegründet werden — etwas durchaus 
Zegales. Allerdings hatte ich bei den Ausführungen des Oberreidjs- 
anwalts die Empfindung, dat er ſchon die Gründung folder Jugend- 
organifationen als ein moraliiches Verbrechen anfieht, für das er in 
diejem Prozeß den Angeklagten auch ſtrafrechtlich verantwortlich machen 
will. Tatſächlich ſtehen die Jugendorganiſationen auf 
geſetzlichem Boden; die Aufforderung zu ihrer Ausbreitung 
iſt alſo erlaubt. Der Angeklagte verlangt ferner, daß ſich ein Partei— 
tag mit der Einſetzung eines Zentralausſchuſſes aa 
der die antimilitariftiihe PBropaganda leiten ſolle. Somohl die Er- 
örterung einer ſolchen Einrichtung auf einem Parteitag, wie ihre Ein- 
richtung jelbit find geſetzliche Alte Die Sugendorganifationen 
jolen ihre Mitglieder mit Klaffenbemwußtjein erfüllen und 
in einem dem Militarismus feindlidhen Geijt erziehen. 
Auch das ift eine gejeglih erlaubte Betätigung. Der 
Zentralausijhuß fol die im Kapitel 7 der Liebknechtſchen Brofchüre 
enthaltenen Aufgaben erfüllen, namentlich das zur Beurteilung des 
Militarismus wichtige Material fortlaufend ſammeln, fichten und 





— 38 — 


ſyſtemati ſch bearbeiten. Auch dieſes iſt eine auf dem Boden der Geſetze 

fi vollziehende Tätigkeit. So find es lauter gejeglide 

Aftionen, die der Angeflagte gefordert hat. 

... Aber es fönnten vielleicht einmal in Zufunft bei einer eigenartigen 
hiftorifchen Konitellation in Ausnahmefällen Arbeiter, die in den 
Sugendorganifationen gebildet worden find, als Soldaten Militärftreif. 
perüben. Für diejen ungewilfen Fall wird fchon jetzt der Angeklagte 
13 Bochverräter verantwortlich gemacht. Die Aufforderung zu der 
\ongerr Reihe geſetzlicher Aktionen, die er borgeichlagen hat, wird als 

Zorbereitung zu dem eventuellen Militärftreif geitempelt, zu dem der 

Angeflagte nirgends auffordert. 

„VBergegenwärtigen wir uns doch an einem Beijpiel, zu welchen un- 
erträglichhen Konjequenzen diefe Auffaffung führt. In Rußland treten 
eme Mrızahl Perſonen zufammen und regen die Gründung eines 
Komitees an, da3 ſich mit der Errichtung von Volksſchulen beſchäftigen 
fol, irt Welchen die Kinder des Volkes in freiheitlihem Geifte erzogen 
werdere Sollen. Sollen denn, wenn fpäter einmal Kinder, die aus 
dien Schulen hervorgegangen find, im Kampf mit dem Abjolutismus 
zur Arurmendung von Gewalt getrieben werden, die Anreger der Schul- 
undurngen Hochverräter im Sinne unferes Strafgefeßbuches jein? 

‚Der $ 86 iſt völlig uferlos, wenn bier nicht ein feiter Damnı 
errich tet mir. 
— Ber mag man die rechtlichen Grenzen dieſer Strafvor- 
Hift n oh fo weit ausdehnen: troßdem und alledem muß 
eme Treifprehung erfolgen, weil die tatfählihen Boraus- 
tun gen der Strafbarfeit nicht vorhanden find. 

Der Angeklagte fol den Zweck verfolgt haben, Die Heeres- 
ber f a ſſung gewaltjam zu ändern. 

e wiß hat der Angeflagte den Wunſch, unjere 
Bes Te Sperfafjung zu Ändern, daß ftehende Heer und in 
ter Dinie das Heer überhaupt abzuſchaffen. Darüber hat er nie 
ft 5 3%ieifel gelaſſen. Aber diejes Ziel zu erftreben, für e8 zu fämpfen, 
N e ın gutes Redt, das ihm niemand berwebhren 
pilt  , da er es auf verfaſſungsmäßigem, gejeglihem Wege erreichen 
ha; 5 Mus den Ausführungen des Oberreichsanwalts lang e8 immer 
beit er Heraus, ala ob es jchon Hochverrat wäre, überhaupt an der 
efebenden Heeresverfaſſung zu rütteln. Aus diefem Grunde habe ih 
= „Zum ewigen Srieden“ vorlegen laſſen, um nachzuweiſen, daß 
ſch ar SRant im Präliminarartifel 3 den Smperativ aufitellt: „Stehende 
= re Tollen mit der Zeit ganz aufhören.” Kant weist nicht nur auf 
ie Se abr hin, die dem Frieden aus den unaufhörliden Rüftungen 
nDd auf die drücenden Laften, jondern er bezeichnet auch den 
ch der Soldaten als bloßer Mafchinen und Werkzeuge in der 
ge Des Staates al3 unvereinbar mit dem Recht der Menjchheit 
in nlerer eigenen Perſon. Die Sozialdemokratie befindet fi) alfo 
Se er Gefellichaft, wenn fie ihrer tiefen Abneigung gegen da3 ftehende 

Ausdruck gibt. 
aufg T Ungellagte hat dem Militarismus den Krieg bi 
Oberre; DL eier angefagt. Ich darf wohl annehmen, daß auch der 
hat e eichs anwalt diefen Ausdrud nur bildlich aufgefaßt hat. Dennoch 
SH F Die Schale feines Zornes über den Angeklagten ausgegoſſen. 
Sech en ra aber der Kampf gegen den Militarismud 
rüh Otte n? Darf an dem Militarismus nidt ge- 
tt werden? 


— ;* (BE 


Der Militarismus umfaßt einen ganzen Komplex von Gedanken 
und Gefühlen jowie von Einrichtungen, die in diefer Gedanfen- und 
Gefühlswelt ihre Stüße haben. Wandelt fich das Denfen und Fühlen 
in antimilitariftifher Richtung, fo verlieren e militariſtiſchen Ein- 
richtungen ihre Stüße. Der Angellagte hat ©. 34 feiner Brofchüre 
das Syitem der Umflammerung der ganzen Gejellihaft durch den 
militariſtiſchen Geiſt und die militariftischen Einrichtungen gejchildert, 
und mit glühendem Eifer bat er an diefem Syſtem leidenſchaftlich Kritik 
geübt. Der Oberreichsanwalt hat ihm Fanatismus zum Vorwurf 
gemacht. Aber ohne einen folden Fanatismus“ ift noch nie eine 
durdhgreifende Aenderung in den Staatseinrichtungen herbeigeführt 
worden. Es ſollte der hochfliegende Idealismus anerkannt werden, mit 
dem der Angeklagte den Kampf gegen die von ihm als freiheits- und 
tulturfeindlich empfundenen Einrichtungen aufgenommen hat. Es ijt 
nit nur das gute Recht, fondern infolge feiner Ueberzeugung 
jogar die moraliſche Pflicht des Angeklagten, der proletarifchen 
Sugend nad Kräften das Rüftzeug zu ſchaffen, das die nl 
befähigt, auch troß des Militarismus enticheidend einzumirfen auf d 
Rt »foziale und politiihe Umgeftaltung unferer —— 
ordnun 

Die Anfichten des Angeklagten os dem Oberreichsanwalt nicht 
gefallen, aber das gibt ihm Fein Recht, diefe Anſichten 
unter Anflage zu ftellen. 

Dean bat verfuht, den Angeklagten in Gegenſatz zur jozial- 
demofratiihen Partei zu ſtellen. Daß er nicht Anhänger Herpes ift, 
iſt Schließlich zugegeben worden, nachdem feine entichiedene Kritik der 
Hervéſchen Anihauungen im Bufammenhang verlefen worden mar. 
Er beginnt das Schlußkapitel feiner Schrift mit den darakteriftiichen 
Worten: „Der antipatriotifhe Antimilitarismus bat in Deutid- 
Iand feinen Boden und wird feinen Boden finden.“ 
Dennod) ift ein von dem Angeklagten für die „Junge Garde“ verfaßter 
Rekrutenabſchied geftern herangezogen und in Pa zu einem 
Artikel des „Pioupiou“ geitellt worden. Aber beide haben mit- 
einander niht3 gemein wie die äußere literarijde 
Form. Innerlich find fie grundberfhieden voneinander, wie der 
Standpunkt des Angeklagten grundverſchieden ift bon demjenigen 
Hervés. Man hat geitern darauf dem Angeklagten vorgehalten, dab 
er in feiner Brofhüre von der Refolution Vaillant gejagt hat, fie jei 
„in ihren Grundzügen gut und braudibar“. Das bedeutet ja aber, 
daß der Angeklagte ihr inden Einzelheiten nicht zugeftimmt hat. 

Dan hat gegen den Angeklagten daraus ein Argument herzuleiten 
verſucht, daß ihm auf mehreren Barteitagen die Führer feiner 
Partei, die Abgeordneten Bebel und v. Bollmar, entgegen- 
gegengetreten find Ich weiß zwar nicht, welche rechtliche 
Bedeutung diefer Tatſache für den Prozeß beigemejjen werden foll. 
Aber es ijt geftern Flargeitellt worden, daß Bebel und Vollmar 
ebenfo entidiedene Feinde des Militarismus ſind 
wie der Angeflagte In der geftern verleſenen Rede führt 
Vollmar aus, daß er ed für das wirffamfte Rampfmittel gegen den 
Militarismus betrachtet, in die Arbeiterjugend die ſozialiſtiſche Welt- 
anſchauung zu verpflanzen. Der Gegenjag zwiſchen ihm ſowie Bebel 
und dem Angeflagten reduziert fih auf eine Berfhiedenheit der 
taftifhen Auffaſſung über die beſte Methode zur Bekämpfung 


ia 


des Deilitarismus. Bebel und Vollmar halten eine ſpezielle anti- 

militariftifhe Propaganda, ingbejondere durch die Sugendorgani- 
fationer, für taftiich fehlerhaft. Aber auch der Angeklagte hat jtets, 
jopoHL in der Broſchüre als auch auf den Parteitagen, mit Entidjieden- 
beit erFflärt, daß fid) die Propaganda auf dem Boden des Geſetzes 
haften zwiifle. Er bat deshalb ſchon auf dem Barteitage in Bremen 
die Ra Ternenagitation für Deutjhland verworfen. 
Ebenſo erflärt er in feiner Brojdjüre ©. 124 bei Beiprehung der 
KRIopaganda-Mittel und -Sormen, e3 fei ala ſelbſtverſtändlich poraus- 

augen, „daß die geſetzlichen Grenzen innegebalten 
werdert „Tollen, jo daß die Frage einer Propaganda im Heere 
ſelbſt Hier von vornherein au3zujdeiden hat“. Wenn 
demgegerrüber der Oberreichganwalt den Mut gehabt hat, dem An- 
gellagterı vorzuwerfen, daß er nur die Maske der Geſetzlichkeit vor das 

Geſicht genommen habe, jo — glaube ich — würde ich mein Verhältnis 

zum Mrıgellagten völlig verfennen und ihn geradezu beleidigen, wenn 

id daranıf auch nur ein einziges Wort erwiderte. 

Die Tatſachen ſprechen eine zu deutliche Sprache. Auf dem Partei- 
tage irı Ssena hat der Angeklagte ebenjo wie in Bremen ausdrüdlich 
gefordert, daß die gefeglihen Schranfen beadtet werden, 
und er Legründet jeinen Antrag mit dem Verlangen, „einer fried- 
idern fulturellen proletariich-fozialiftiihen Entwidelung die 
Wege 311 ebnen“. 

‚Des gleichen äußerte er auf dem Parteitage in Mannheim, als 
er die Simiegung eines Jugendausſchuſſes beantragte: „Selbftverftändlich 
gdenfern wir uns forgfältig innerhalb des gejegliden 
Rab rar en zu halten.“ 

. SSraemmer wieder vertritt der Angeklagte diefe Auffaffung aud in 
feiner Broſchüre. Seite 15 führt er aus: „Die Agitation wird 
nirgends direft oder indireft zu militärifhem 
ung e H orfam auffordern dürfen.” Nur, „wo die Geſetze es 
sul fa TI Ten“, follen die Sauptträger der Propaganda der Augend- 
are tionen fein (S. 125). Rekrutenabſchiede und andere Demon- 
Ra Toren jollen nur ftattfinden, „wo fie zuläffig ſind“. Die 
„niereffen der Soldaten und Unteroffiziere follen „in geſetzlich 
um £ zu beanftandender Weife“ vertreten werden. Die 

nießumg eines Zentralausihufles wird S. 126 gerade damit be- 
gundet, Haß nur fo die vorfidhtige Ausnugung aller gefek- 
den YIgitationsmöglidfeiten geſichert werden Fann. 

d ann der Borfak, den Boden des Geſetzes nicht zu verlafien, 

e Diber in die Erjcheinung treten? Der Angellagte hat Ihnen heute 
= er Band des literarischen Teftaments Friedrich Engels klar gelegt, 

Stondı Don jeinen politifhen Anſchauungen aus gar feinen anderen 

ei Punft einnehmen fann: gedeiht doch die Sozialdemokratie aus- 

ge net auf dem Boden der Gefeglichkeit. 

Anger. = Oberreichsanwalt entichlüpfte heute die Bemerkung, daß der 

fig aur gte bei Abfaffung der Schrift wohl das Beitreben gehabt habe, 

Beitrer Den Boden des Gefetes zu ftellen. Hatte der Angeflagte diefes 

bei Ab er — und von ihm ift er, wie id) dargetan habe, in der Tat 

Die © faffıung feiner Schrift geleitet worden — fo ift e8 unverftändlic;, 

aufgen, arın in jeiner Vorſtellung au nur „eventuell“ den Willen 

nomrrren haben ann, Hochverrat zu berüben. 


— 56 — 


Wie will man dem Angeklagten nachweiſen, daß er eine gewalt- 
Tame Nenderung der Heeresverfaffung mit feiner Brofchüre bezweckt 
babe? Der Angeflagte hat es beitritten, und nichts berechtigt, in feine 
Worte Ziveifel zu jegen. Schließlich wird auch der Oberreichsanwalt 
dem Angeklagten nicht das Zeugnis verjagen Tönnen, daß er den 
Mannesmut gehabt Hat, alles zu verantworten, 
was er getan oder ausgeſprochen hat. Er hat jahlid) 
nicht ein Wort von dem zurüdigenommen, was er geichrieben hat. Er 
bat, von formalen literarifhen Mängeln, die ſich aus der Schnelligkeit 
erklären, mit der er die Schrift verfaffen mußte, abgejehen, den gefamten 
Inhalt aufrecht erhalten. 

Liebknecht hat fi zum Beweiſe dafür, daß er Gemwalttätigfeiten 
nicht gewollt babe, nicht nur auf Engel3’ VBorrede zu den „Klaſſen— 
tampfen“, fondern aud) auf Kautskys Mbhandlung: „Die foziale 
Revolution“ bezogen und feine Uebereinftimmung mit den daraus bor- 
getragenen Stellen befundet. Ich will aus diejer Schrift noch einige 
andere Stellen zitieren, aus denen Sie entnehmen fönnen, wie ber- 
fehrt die Anſchauungen über die Sozialdemokratie find, die Sie aus 
Sr 2 Zeitungsleftüre in fi) aufgenommen haben. Kaut3fy fchreibt 

Seite 5: 

„Der Gegenjab zwifhen Reform und Revolution liegt 
nicht darin, daß in dem einen Kalle Gewalt angewendet wird, in 
dem anderen nidt. ... Die Konftituierung der Abgeordneten des dritten 
Standes als Rationalverfammlung Frankreichs am 17. Juni 1789 war 

“eine eminent rebolutionäre Tat ohne jede äußere 
Gemwalttätiglfeit.“ 


Und in dem Kapitel: „Zormen und Waffen der fozialen Revolu— 
tion“ führt er aus (S. 47): „Nur eins fann man, glaube ih, heute 
ſchon mit Sicherheit von der fommenden Revolution fagen: 
Sie wird ganz anders außfehen als ihre Vor— 
gängerinnen.“ Dies wird ©. 48 näher dahin erläutert: „Waren 
die legten Revolutionen Empörungen der Volksmaſſen gegen die 
Regierung, fo dürfte die fommende Revolution — abgejehen vielleid;t 
a Rußland — mehr den Charakter de3 Kampfes des einen Teiles 

es Volkes gegen den anderen führen, und darin, aber auch nur darin, 
weniger dem Typus der franzöfifchen Revolution und mehr dem der 
Reformationsfämpfe nahe fommen. Faſt möchte ich fagen, 
fie wird weniger einer plöglien Empörung gegen die Obrigkeit und 
mehr einem langdauernden Bürgerfrieg gleichen, wenn man mit 
dem legteren Wort nicht die Begriffe von wirflihen Kriegen und 
Gemetzeln verbände Wir haben aber feinen Grund anzunehmen, 
doß bewaffnete Snfurreftionen mit Barrifaden- 
fämpfen und ähnlichen kriegeriſchen Vorkommniſſen heute noch eine 
entſcheiden de, Rolle ſpielen können.“ 

Wo der Angeklagte in ſeiner Broſchüre von der Revolution 
ſpricht, muß darunter alſo durchaus nicht ein gewaltſamer 
Zuſammenſtoß verſtanden werden. Inſurrektionen können nicht 
gemacht werden, ſagt der Angeklagte in Anlehnung an einen bekannten 
Ausſpruch S. 107 der Broſchüre. Er erklärt damit, daß ſie nicht vom 
Willen des einzelnen abhängen. Aus alledem folgt, daß der An- 
geflagte 8: die Gewalt wünſcht. 

Es fehlt aud an jedem beitimmien Unternehmen 
zur gewaltſamen Verfaffunggänderung. Ein beftimmtes Unter- 


— — 


nehrren „in greifbarer Nähe“ wird jedoch, wie geſtern auch 
der Herr Präſident hervorhob, zur Anwendbarkeit des 8 86 des Straj- 
gefeßbıschs erfordert. Die Anklagebehörde erblicdt das beftimmte Unter- 
nebmen „in der Intervention in Rußland und in dem Krieg zwiſchen 
Sranfreich und Deutihland. Aber gibt es ungewiſſere Ereignifje? 
Der An gebklagte bezeichnet in feiner Broſchüre (©. 108) die Intervention 
in Rußland als einen „praftifh fernliegenden Fall“ 
SS. 108), deſſen „Unwahriheinlidhfeit außer Zweifel 
Kehl” CS. 13 Anm). Er erachtet ſowohl die ruffiihe Sntervention 
old der Meltfrieg bei Anipannung aller Kräfte und Kampfmethoden 
für ver meidlich, und er will den Eintritt diefer Ereigniffe mit dent 
Aufgebot der ganzen Kraft des internationalen Proletariats abwenden. 
WVäre es nicht unfinnig, wenn der Angeklagte den Plan gemwaltjamer 
VerfafTurrrgsänderung auf praktiſch unwahrſcheinliche Ereigniffe ſtützen 
wollte, Deren Eintritt er ſelbſt jedenfalls verhüten wil? Wenn der 
Angeflagte erwägt, ob eine ruffiihe Intervention oder ein Krieg 
wiiHert Sranfreih und Deutichland nicht dur die opfermutige 
Sohdarität des internationalen ProletariatS verhindert oder vereitelt 
werdert Zönnte: jo handelt es fi um ein bloßes Gedanfenfpiel, um 
eine D enfmöglidfeit, die er in den Kreiß theoretifdher 
Eemä @Gungen zieht, deren praftiihe Unmahrfcheinlichfeit er aber 
ſelbſt mit größtem Nachdruck betont. E3 liegt jomit der Erörterung 
des Am geklagten fiherlich nicht mehr zugrunde als eine „unbeitimmte 
Ever tra lität der Zukunft“; diefe reicht jedoch nach der Entſcheidung 
des MH eichsgerichts (Band 5 S. 217) zur Anwendung des 8 86 nicht aus. 


Sür jene gedachten beiden Ausnahmefälle hat der Angeklagte aud) 
gar MIicht feine taktischen Vorſchläge gemacht. Nachdem er erwähnt 
hat, Daß die opfermutige Solidarität des Broleta- 
ta tS zur Vereitelung eine Krieges ausnahms— 
Er Te aus dem Boden geftampft werden könnte, 
nt „er fort (©. 108): „Das iſt aber niht das Normale der 

niYvicfelung, auf dag wir doh unfere Taktik grundfäklid 
ee Taub auen haben.” Der vom Angeklagten angeregte Ausbau 
je IS ugendorganifationen, die Einrichtung des Zentralausſchuſſes und 
Fu e Pesielle antimilitariftiihe Propaganda haben demnad) mit jenen 

be Trabmefälln nichts zu tun. Sie fönnen deshalb auch nicht als 
Borbereitungsaft für jene Fälle vom Angeklagten vorgeitellt und 
17 OUt jein. Dagjelbe trifft zu, wenn man — im Gegenjaß zu dem 

— Inhalt der Schrift — unterſtellt, der Angeklagte habe mit der 
nn ifchen Xntervention und dem deutich-frangöfifchen Krieg in naher 
3 = T € gerechnet. Tenn dann fünnen durch die von ihm erft angeregten 
P OPagandamittel nod nicht aus der internationalen Proletarier- 

—F — Die Perſonen herangebildet fein, um mit „opfermütiger Solida- 
wtat” Bei dem angeblich beabfichtigten hochverräteriichen Unternehmen 
Möigreifen. 


Me Der Oberreichsanwalt hat nun eine eigenartige, in der 

um t einzig daftehende Auslegungsfunft erfunden, 

sen edhaumeilen, daß der Angeklagte im Grunde feines Herzens doch 

Herbei Tieg zur Durhführung eines hochverräterifhen Unternehmens 

und gehrt. Der Angeklagte warnt Seite 106 vor dem Generalitreif 

den R Uitärftreit Herpes als „gefährlichen Illuſionen“ und führt für 
orrrt alfall gegenüber Herbe folgendes aus (S. 107): 


— 8— 


„Wenn das Proletariat erſt ſoweit iſt, ſolche Aktionen durchführen zu 
können, iſt es weit genug, ſich die politiſche Macht zu erobern. Denn un⸗ 
günftigere Verhältniſſe zur Entfaltung der prole— 
tarifden Madt, als fie beim Kriegsausbruch normalerweije 
vorliegen, gibt es nicht.“ 


Ich veritehe wohl, daß dieſe Sätze dem Oberreichsanwalt nicht 
paſſen, weil fie im ſchroffen Widerſpruch zu feinen Deduktionen ftehen. 
Aber anftatt jeine Deduktionen fallen zu laffen, wendet der Oberreich3- 
anwalt ein neues Verfahren an: er wandelt den legten Sat einfad) 
in jein Gegenteil um. Zu diefem Zweck verlangt er von dem An- 
geflagten das Zugeltändnis, daß dad Wort „ungünftigere“ auf 
einem Drudfehler beruhe und daß der Angeflagte „günftigere” habe 
jagen wollen. Als der Angeklagte demgegenüber erklärt, er habe „un- 
günjtigere Verhältniſſe“ gefhrieben, ſchreiben 
wollen und gar nidt anders fhreiben fünnen, er- 
widert der Oberreichganwalt: Du mußt aber das Gegenteil 
jagen, denn — ſonſt fann ih Dich nit umbringen. 
Bleibft Du indes bei Deiner Erklärung, fagft Du anders aus, 
wie ich will,jomirft Du doch geföpft,weilidbehaupte, 
Du müßteft das jagen, was ich will! Jedenfalls madje id) Did) 
ee für das, was ich fage, und nicht für das, was Du 
ag 

Dieſes Vorgehen erinnert lebhaft an das dem Bolizeiminifter 
Zouche zugeihriebene Wort: „Gib mir zwei Zeilen von 
einem Menſchen, und ich bringeihnan den Galgen.“ 
Dem Herrn Oberreichsanwalt genügen ſchon zwei Budftaben, 
bon denen er noch dazu behaupten muß, daß der Angeklagte fie gar 
nicht habe ſchreiben wollen. 

Der Herr Oberreich3anmwalt hat bei alledem nicht erfannt, daß die 
bom Angeklagten niedergejhhriebenen Sätze einen vernünftigen Sinn 
nur fo haben, wie fie niedergefchrieben find. Der Gedanfengang de 
Angeklagten iſt: In dem internationalen Proletariat muB der Abjchen 
gegen den Krieg großgezogen und das Gefühl der Solidarität jowie das 
Bewußtfein £ultureller Zufammengehörigfeit jo verftärft werden, daß 
die herrſchenden Klaſſen gar nicht einen Krieg mehr wagen. Sit der 
Krieg erft außgebroden, dann find Generalitreif und 
Militärftreif feine geeigneten Mittel, ihn aufzuhalten. Dann raſt die 
Kriegsfurie durch die Länder, find allenthalben die patriotifchen ZXeiden- 
ſchaften entfefjelt, jo find die Verhältnifje zur Entfaltung der proleta- 
riſchen Macht ungünftige Syn diefem BZufammenhang verftehen 
Sie auch den viel angefeindeten Sat in der Brofchüre des An- 
aeflagten: „An der Sozialdemokratie beider Länder (Frankreichs und 
Deutſchlands) ift es, den Eintritt diejes Zeitpunktes durch revolutionäre 
Aufflärungsarbeit zu fördern.” Das heißt: Das Golidaritätsgefühl 
jo mädtig zu entwideln, daß ein Krieg zwifchen den beiden Ländern 
unmöglih gemadjt wird. 

Von der Anflage ift demnach nichts übrig ge: 
blieben. Die Freiſprechung des Angeklagten ift ſchon ge— 
boten durh den einen Rehtsgrundfat des Reichs— 
gericht, den der Oberreihsanwalt nicht vorgetragen hat, obivohl 
er in der bon ihm zitierten Entjcheidung aus dem 5. Bande enthalten 
ift. Dort führt das Keichsgeriht aus, daB „Die Verbreitung 
von Grundjäßen,mweldean ſich oderin ihrer weiteren 


— 59 — 


Entwidelung, wenn fie im Bolfe Leben gewinnen, 
gu gewaltfamen Angriffen der in den 88 80, 87 bezeichneten Art 
führen, Den Tatbeftand des 886 nicht erfüllen“. Mit 
diefert furidamentalen Grundiat des Reichsgerichts fett ſich der Ober- 
reichsanwalt in Wideriprud. Der Grundfag muß aber aufrecht erhalten 
iverden, weil fonft die Freiheit der Forſchung unmöglid 
gemacht, die Kritif an beftehenden Einridtungen 
unterbunden und die Rechtsſicherheit untergraben 
wird E38 darf niemand verhindert werden, die von ihm als richtig 
erfannterr Anſchauungen zu verbreiten. Gewinnen fie die Köpfe und 
Herzen Der Mehrheit des Volkes, und fommt es dann zu gewaltfamen 
Zufammı er ftößen mit einer Furzfichtigen, herrſchſüchtigen Minderheit, 
die, geftiitgt auf mechaniſche Mahtmittel, ihre Herrichaftsftellung nicht 
aufgeberz „will: fo iſt nicht der Verbreiter jener Anſchauungen Hoch— 
berräter im Sinne des 8 86. 

i Der Angeflagte will aber nur feine Anfchauungen über den 
Nilitarismus in die Sugend des Proletariat3 verpflanzen. Er will 
am © x ganijhe BZerfegung und Bermürbung des 
miiitär iſchen Geiſtes. Einen Geiſt zu zerfegen, ift jedoch nicht 
verbotene und Tann nicht verboten werden. Für die „logiih und 
PHhoLogiih notwendige Ronfequenz“ diefes geiftigen Ummandlungs- 
Miles it der Angeklagte nicht verantiwortlih. Geht es nad) feinem 
Vunſch, To fommt es nicht zur Gewalt. Sein ganzes Streben 
ift e zrı friedlidhes. Mus diefem Streben heraus führt er feinen 
entiHtedenen Kampf gegen den Militarismus. So jchreibt er ©. 117: 

SH „Militarismus ift Gefährdung nun er 
N Schwächung des Militarismus beißt Förderun er Möglichkeiten 
kiearicn — cher Fortentwickelung nn ae, Pr der 
f glichHkeiten gewaltiamer Zufammenftöße; fie heißt aber vor allem Ge⸗ 
ınDBung, Auffriſchung des politifchen Lebens, des Parteikampfes.“ 
errner ©. 68: 
Be Wer immer eine Fortentwickelung des Menſchengeſchlechts für un- 
Sinwetblid hält, für den ift das Beftehen des Militarismus das wichtigſte 
dem ernis für die Friedlichkeit und Stetigfeit einer ſolchen Entwidelung, 
teit ıjt der ungebrochene Militarismus gleichbedeutend mit der Notmendig- 
Blutigroter Gößendämmerung des Kapitalismus.“ 


Son ic) einen Mann, der aus hoffnungsfrohem Sdealismus einen 
— Sampf für die friedliche Entwidelung des Menſchengeſchlecht⸗ 
ine Noch in Schutz nehmen gegen den Vorwurf ehrlofer Ge- 
ie 5r ung? Dieler Vorwurf gerfhellt an der Perſön— 

i gett des Angeflagten. 
Gelich —— nur noch übrig, mit einigen Worten auf die a 
heurteiiz unkte einzugehen, unter denen der Bräfident die An age 

efla er Präſident hat geftern erklärt, er gehe davon aus, daß der An- 
a ate glaube, daß einflußreihe PBerjonen einen 
Keihsr tSftreih wollen. Iſt aber durch einen Staatzftreich die 
bereits faffung vernichtet worden, jo gibt es, wie der Angeflagte 
des ‚Dargelegt bat, guch feine verfaffungsmäßige Rommandogemwalt 
dag iſers mehr. Würde nach Sturz der Reichsverfaſſung von oben 
würd sIr zur Verteidigung feiner Rechte zu den Waffen greifen, fo 
Ser e die Gemwaltanwendung niht auf Aenderung 
Be xfaffung, fondern auf deren Wiederber- 


ee 


ftellung abzielen. Wenn bei inneren Unruhen ein Teil der 
Soldaten dem Befehl der VBorgefekten, auf Volks— 
genoſſen zu Schießen, nicht gehordit, jo liegt ein Ungehorfan 
gegen einen einzelnen Akt der Kommandogewalt vor, der aber 
nicht eine Aenderung der Heeresverfaffung in ſich jchließt. Die ver- 
fafjungsmäßige Kommandogewalt bleibt al3 ſolche auch dann beftehen. 
Dazu fommt, daß der Ungehorfam gegen einen militärifchen Befehl, 
der Militärftreif, niht al3 Gewalt im Sinne de3 
8 86 aufzufaſſen ift, wie der Oberreichdanwalt ſelbſt anerfannt hat. 
Denn Gewalt bedeutet phyſiſche Gewalt, eine folde ift aber nicht 
der Streif. Wenn der Oberreich3anwalt meint, der Streif fei zwar 
nicht Gewalt, aber nad) einem Streit fomme e3 zur Gewalt, fo iſt 
dieje Konfequenz nicht notwendig, wie felbit Hervé in feinem geftern 
teiltweije verlefenen Bud) ausgeführt hat. Falls aber die Streifenden 
mit Gewalt angegriffen werden und fi wehren, fo iſt diefe ihre 
Sandlung niht das Mittel zur Befeitigung der 
Heerespverfaffung. 

Aus rechtlichen nd tatſächlichen Gründen muß man deshalb, von 
welchem Geſichtspunkt auch die Anklage betrachtet wird, zur Frei⸗ 
ſprechung des Angeklagten gelangen. Daß bei einem offen 
daliegenden Tatbeſtand die rechtlichen Sefiotspunfte fi fortwährend 
ändern, muß den Eindrud hervorrufen: Man bat den Angeflagten 
zunächſt für einen Verbrecher angefehen und ſucht 
dann den rechtlichen Gefihtspunft, aus dem heraus 
eine Beitrafung erfolgen fann. ch verftehe, daß der Beamte, der 
die Anflage veranlafßt hat, jo vorgeht. Sch nehme aber an, daß 
da3 nicht der Standpunkt ift, den Sie, meine Herren, einnehmen, und 
fo werden Sie zu dem Reſultat gelangen, den MAngeflagten 
freizufpreden. 


Blaidoyer des Rechtsanwalts Hegel. 


Hohe Senatel Sch werde es im Gegenfaß zu den Ausführungen 
meine Herrn Vorverteidigers, deren Wucht nach der Richtung der zen- 
tralen Beweisfrage lag, für meine Aufgabe erachten, vor Ihnen, die Sie 
gewohnt find, als Richter eines mehr Kaſſationszwecken gemwidmeten 
Hofes hier zu fißen, mehr zur Anklage in thesi (d. h.: unter der Bor: 
ausfegung, daß die in der Anflage aufgeitellten tatfächlichen Behaup- 
tungen zutreffen) zu iprechen. Die Verteidigung ftellt ſich zunädjit in: 

Anflug an die Ausführungen des Oberreichsanwaltes vor die Trage: 
Iſt die Anklage — von der Beweisfrage gänzlic, abgefehen — vielleicht 
nicht ſchon in thesi abzumweifen? Die Verteidigung fommt zu einer Be- 
jahung diefer Frage, wobei fie von vornherein betont, daß fie ſelbſtver— 
ſtändlich fich jedes Sophismas zu enthalten auf das eifrigite beſtrebt ift, 
daß fie es hier tvie überall nur für ihre Aufgabe halten fann, gemeinjanı 
mit Ihnen beizutragen zur Findung deilen, was recht iſt. Der Ober- 
reichſsanwalt hat in diejer Richtung angezogen die Verteidigung, die 
Ferdinand Laffalle anı 12. März 1864 vor dem preußifchen Staat? 
gerichtshofe für ſich jelbit al3 Angeklagten ausführte. Sch darf diefe Ver- 
teidigung in ihrem geſamten Inhalt und ihren rechtlichen Deduftionen, 
Iosgelöjt vom fonfreten Anflageitoff, al3 notorisch betrachten. Der Ober: 
reihsanmwalt hat jehr richtig ausgeführt, daß das damals geltende Syſtem 
des Reichsſtrafgeſetzbuches dergeitalt identiich ift, daß Erwägungen über 
das innere Verhältnis der Paragraphen zueinander, die damals unter 


zu if 


der Geltung des preußiichen Strafrechtes richtig find, auch noch heute 
richtig fein müſſen. Und nun nimmt in der Tat die Verteidigung für fich 
zum Schuß des Angeklagten in Anſpruch eine Ausführung dahin, daß fie 
fich den Sag zu eigen madjt: Aufforderung zur Vorbereitung von Hod- 
berrat ift_nicht ftrajbar. Die Verteidigung macht fich den Sat zu eigen, den 
man Im Sinne der Ausführungen von Lafjalle die exceptio Lassalleana 
prima (erfter Einwand Laſſalles) nennen könnte. Die Verteidigung 
wed ſich nicht damit aufhalten, Ihnen, nochmals zu wiederholen, von 
weldher: CE rmwägungen ausgehend fie diefen Einwand für durchſchlagend 
erachtet, fie begnügt ſich, Ihnen als gewiegten Kaſſationsrichtern gegen- 
über ein fach auf diefen Einwand zu verweifen. Das ilt der erjte recht- 
liche Einioand, den die Verteidigung zu machen hat. . 

Im Anſchluß daran wird ſich die Verteidigung jetzt mit der Frage 
beihäftigen, in welchem Verhältnis der Eröffnungsbeihluß in Hinſicht 
feiner rechtlichen Anſchauung mit dem von Haafe bereit3 geitreiften zen- 
traln Eruticeid in Band 5, Seite 60, fteht. Die Verteidigung hat auf 
das angebpendfte erwogen, ob die Frage zu bejahen oder zu berneinen 
fi, daB Der Eröffnungsbeihluß genau auf dem Boden diejer Entjchei- 
dung tet oder ob man eiwa geneigt fei, den Boden diejer Enticheidung 
gu berIaufjen und Redtsgrumdiäge ſich zu eigen zu machen, die über die 
dort erntimidelten Anjhauungen hinausgehen. Die Verteidigung wird 
ſofort Bezeidinen, aus welhem Grunde ihr in diefer Richtung ein Zweifel 
beigef on umeen iſt. Der Eröffnungsbeichluß formuliert jo: Die vorberei- 
tende Sarndlung wird darin gefehen, daß der Angeflagte ein Buch ver- 
fit Hat amd zur Drudlegung und Verbreitung gebracht hat, in dem er 
einftitt Fiir die Organifierung einer über das ganze Reich zu verbrei- 
tenderı_ antimilitariitifhen Propaganda ziveds organijcher Berjegung 
des mrilitäriichen Geiſtes. Nun folgt der Sag im Eröffnungsbeihluß: 
„als eren notivendige Folge fih dann im Falle eines unpopulären 
kriege ĩ Ichen Unternehmens (wie jetzt ſchon in beſonderen Ausnahme⸗ 
fällen) Der Militärftreit und die etwaige Aktivierung der Truppen für 
die R eDDolution ergeben werde.“ Der Verteidigung iſt bei wiederholter 
Xftüre Diefes Eröffnungsbeichlufies ein Zweifel gefommen, und der iit 
jest noch nicht völlig zerftört. Ob die Worte: „als deren notwendige 
öolge Tin ergeben werden“, jo auszulegen find: Als deren notwendige 

le üchzeitig vom Vorſtellungskreis des Angeflagten vor Abfafjung 
dr Schrift aufgenommene Folge ich das und das ergeben werde; oder 
ob etiva eine abgeſchwächte Auffaffung diefe Worte dahin verftehen laſſen 
will: DaB der Angeklagte ohne eine derartige Folge zu beabfidhtigen, fich 
uur Dorgejitellt habe, jein Buch werde, könne eine ſolche herbeiführen. 
Bobei Die Verteidigung weiter noch erwogen hat, ob, wenn das der Sinn 
des CS röffmungsbeiäluiies märe, der Beitpunft, zu dem beim Ange- 
Hagten Derartige Erwägungen, derartige interne Alte eingetreten find, 
Wegen FoIL por der Abfafiung des Buches oder etiva fpäter. Die Zweifel, 
we in Diefer Kichtung für die Verteidigung beftanden haben und nod) 
befchen, haben eine bejondere Verſtärkung erfahren dadurd), daß in 
Seigarıg des Eröffnungsbeichluffes es heißt: „Der Angeklagte habe die 
w — und Wege nicht nur nachgewieſen, ſondern auch direkt zur An— 
(chi Ang Diefer Mittel aufgefordert, welde bejtimmt und geeignet er- 
I men, die Verwirklichung des oben bezeichneten hochverräteriſchen Er- 

. he SU ermöglichen.“ Der Verteidigung fällt auf, daß hier das Wort 
erleinen aebraudt wird, daß man nicht jagt: Mittel und Wege, die 
geeignet firud. Ich würde diefe Zweifel nicht herausgeholt haben, wenn 


— 62 — 


nicht die heutige Anklagebegründung des Oberreichsanwaltes mir dieſe 
Zweifel wiederum in eigenartiger Weiſe verſtärkt hätte. 

Wenn ich den Oberreichsanwalt richtig verſtanden habe, ſo will er 
letzten Grundes den Boden der zentralen Entſcheidung, die ich vorhin 
anzog, verlaſſen, und er will noch weiter gehen und ſagen: Selbſt dann, 
wenn bei der Vorbereitung eines hochverräteriſchen Unternehmens die 
Folge, in der ſich das Unternehmen darſtellen würde, nicht dolo directo 
Direkter Vorſatz) intendiert, jondern nur dolo eventuali, als 
möglicherweije eintretend vorgeitellt ift, in Faufalem Folgezufammenhang 
mit den Handlungen, in denen die Vorbereitung des Hochverrats gejehen 
würde: jelbjt dann würde die Frage eines hochverräterifchen Linter- 
nehmen zu bejahen jein. Die Verteidigung hat infolgedeilen Veran— 
lajlung, auf diefen Punkt zum Schuß des Angeklagten präventiv, rein 
in thesi, einzugehen und nimmt aus dem innerften Sinn und Geift des 
Hodjverratsdelifts heraus den Standpunft ein, daß eine derartige Kun- 
ftruftion gänzlich abzulehnen ift. Nur dann, jo jagt die Verteidigung 
in thesi, wenn dasjenige Hochverratsunternehmen, weldhes im Sinne 
einer Vorbereitung unter Anflage jteht, bereit3 bei dem eriten Beginn 
der Handlung, in der die Vorbereitung erblidtt wird, beabfidtigt war 
als etwas zu Erreichendes, was dolo directo erreicht werden follte, nur 
dann iſt der betreffende Alt, der als Worbereitungsaft angeiprochen 
werden joll, wirklich in thesi als ein Vorbereitungsaft anſprechbar. Es 
ift möglich, daß id) den Sinn des Eröffnungsbeichluffes damit nicht ge- 
troffen habe. Id) weiß nicht, wie er gemeint war, aber jedenfall3 Hat die 
Verteidigung ftreng den Standpunkt einzunehmen: Es muß mindeflens 
in dem Seitpunft, zu dem der erſte äußere Tätigfeitsaft gejegt wird, in 
dem die Vorbereitung des Unternehmens gefunden werden ſoll, min- 
deſtens in dieſem Zeitpunkt das hochverräterifche Unternehmen voll- 
fommen im Sinne eine3 hinreichend Tonfret umriffenen Bildes in die 
Willenziphäre des Angeklagten aufgenommen fein. 

Wenn wir nım einmal die Anklage als eine in thesi haltbare an- 
nehmen wollen, wird zur Beweisfrage folgendes generell auszuführen 
fein: Wenn beftimmte Handlungen als vorbereitende Sandlungen eine3 
bochverräterifchen Unternehmens unter Anklage geftellt werden, fo kann 
man (wenn man den Kreis der Möglidjkeiten allgemein überfchaut) 
zwei Gruppen von Fällen ar unterſcheiden, nämlich ſolche Fälle, in 
denen der Beweis für das zur Anklage ftehende hochverräteriſche Unter- 
nehmen gefunden werden joll in den Vorbereitungsaften, die als ſolche 
ohne weiteres gefennzeichnet find, oder aber — dag it die andere 
Gruppe — in denen der Beweis, daß ein jolches Unternehmen ‚geplant 
wird, geführt wird aus Momenten, die nicht ſich decken mit dem, was 
als fonfrete Vorbereitungshandlung hervortritt. Als ich geftern von 
der Vorbereitung eine3 FZürjtenniordez jprad), ging mir durd) den Kopf: 
Wenn fi) jemand Eifen fauft, um daraus eine Höllenmafchine für einen 
Fürftenmord zu Fonjtruieren, dann wird man ihm aus der Tatſache des 
Eifenfaufes nod) nicht beweifen können, daß er einen Fürftenmord be- 
gehen wolle, und ebenfo wird man, wenn der Vorbereitungsalt für das 
unter Anklage ftehende behauptlich vorbereitete Unternehmen beitand in 
der Tatjache der Drudlegung und der Verbreitung einer Schrift, zwar 
in gewijjen Fällen möglicherweiſe aus der Schrift allein, aus ihrem In⸗ 
halt, mit abſoluter Evidenz gleichzeitig den Beweis führen können dafür, 
daß mit dieſer Schrift vorbereitet werden ſolle ein hochverräteriſches 
Unternehmen, wenn etwa die Schrift eine Aufforderung zu unmittel- 


- 8 — 


barem BGochverrat im Sinne des 8 85 fein würde. Sn anderen Fällen 
wird man aber aus der Schrift nicht immer allein den Beweis zu führen 
au) nur unternehmen vollen, daß ein hodjverräterijcheg Unternehmen 
geplant worden ift. Nun weiß ic} nicht, welches in dieſer Richtung die 
Stellung ift, die die Anklage zur Beweisführung einnimmt. Glaubt die 
Anflage, nit dem bloßen Hinweis auf Inhalt, innere Subjtanz der 
Schrift anızzulommen, oder glaubt jie, noch andere Momente zur Be— 
weisflihrung hereinziehen zu müffen? Laſſalle hat feinerzeit in dem ge- 
reiftert Prozeß mit höchſter geiftiger Schärfe darauf hingewieſen, dat 
m einerat jolden Falle, wenn eine Schrift infriminiert ift, die al3 vor⸗ 
bereitertde Handlung eines hochverräteriichen Unternehmens angeſprochen 
ift, felbTtnderftändlich nicht die Schrift das corpus delieti (Gegenftand 
de Borvourfs) ift, corpus delicti iſt das hochverräteriſche Unter- 
nehmer ;z »ie Schrift ift nur ein Veweisitüd, und fo ift num für ung die 
Frage auıfgeworfen: Genügt der Inhalt der Schrift allein, um einen 
Deweis gegen den Angeklagten zu führen? Und da wird in thesi der 
Sundfag aufzuftellen fein: Wenn eine zur Drudlegung und Verbrei- 
tung Eormımende Schrift angejprodhen wird als die Vorbereitung eines 
beider x äteriichen Unternehmens, und wenn man dem Angeklagten, der 
dieſe Schrift zur Drucklegung und Verbreitung gebracht hat, nicht außer- 
bald Dieser Schrift den Beweis Liefert, daß er das hochverräteriſche 
nte te Hmen geplant habe, dejien Vorbereitung dieſe Schrift zu dienen 
befinammıt fei, dann wird man zu jagen haben in thesi: Nur dann, wenn 
SMuamLt aund Subitanz der Schrift mit einer jeden Zweifel ausſchließenden 
SiherHeit dazu führen bei ihrer Beirachtung daß ein konkretes hochver- 
täterifchhes Unternehmen gerade durch diefe Schrift porbereitet ierden 
ſollte, rrur dann iſt eg möglich, eine ſolche Schrift zu benutzen als Beweis⸗ 
ſtück. Das ein hinreichende Weberführungsftüc fein fol. Nun hat die 
= lage aud) nidt den Schatten eines Verfuches gemacht, uns außerhalb 
er Tt ſache der Abfaſſung und Verbreitung der Schrift felbft einen Be- 
weis Dafür zu erbringen, daß dieje Schrift beitimmt jei, ein hochverräte- 
tiheS Unternehmen vorzubereiten, dak diele Schrift in ihrer prak- 
tiere Zwegſebung ſich darin erſchöpfe oder mindeſiens ihre weſentliche, 
ihre ganz überwiegende praktiſche Zweckbeſtimmung darin habe, daß ſie 
Sn Hochverräterifdes Unternehmen vorbereiten folle. Und in diefem 
mne Bedauert die Verteidigung, dem Ankläger rundweg erklären zu 
nöilen 2 Gemefjen am Inhalt der, Schrift, deren Analyje Haaſe vor- 
ref Tlich refapituliert Hat, fteht die Anklage tatjählich als ein voll- 
kom an e — nicht nur beweislos geſtelltes, ſondern überhaupt von born- 
herein uns nit einmal mit einem ernftlihen Beweiſanerbieten ent- 
genengebzadtes, huhles, reines Phantafiegebilde da, von dem man jagen 
he Biehe did) in das durchbohrende Gefühl deines Nichts zurüd. Die 
SHrift, Die als einziges Bewveisitücd für das angeblich intendierte hod)- 
Rteri iche gewalttaͤtige Unternehmen uns vorgelegt wird, iſt ihrem 
Khnter Klaren Inhalt nad) nichts als eine geiftige Propagandafdırift. 

i A ift ein Lehrbuch. Es wird in ihr nicht nur ein Wiſſen dargelegt, 
tifd) ern fie läuft ſelbſtverſtändlich auf Aufforderungen zu gewiljen praf- 
Fe Dandlungen, gewiſſen Organiſationsplänen hinaus, aber fie ift 
nit In Der ganzen Subftanz, obwohl fie ſich ein derartiges Biel ſetzt, 
daru anders zu, bezeichnen, denn als gedankenentwickelnde Schrift. 
den m Nagt richtig der Angeflagte in der Vorrede: Sie hat den Zived, 
gefö eine Witariftiihen Gedanken zu fördern. Alſo nicht3 anderes foll 
dert werden als ein Gedanke. Die Schrift will auf Hirne und 


— 64 — 


nicht auf Fäuſte wirken. Wenn das aber der Zweck der Schrift iſt — 
und ich wiederhole: Die Betrachtung der Schrift kann zu keinem anderen 
Reſultat führen — dann frage ich nun weiter zur Beweisfrage: Sind 
wir denn dann nicht, wenn die Anklage den Verſuch macht, aus dieſer ohne 
Zweifel gedankenentwickelnden Schrift dem Angeklagten eine verbreche— 
riſche Abſicht nachzuweiſen, zunächſt gezwungen, wenn wir Beſonnenheit 
üben wollen, daß wir bei der Frage danach, ob etwa eine Schrift, troß- 
dem, daß fie primär (in erfter Linie) eine gedanfenentwidelnde tft, viel⸗ 
leicht noch eine andere Tendenz in fich trägt, uns bei einer Unterjuchung 
in dieſer Richtung mit aller Strenge und aller Billigfeit zu ftellen auf 
den Boden derjenigen Anfchauungen, die die Anfchauungen des Ber- 
faſſers diefer Schrift find? Und in diefer Richtung hat die Verteidigung 
zu erklären: Daß alles und jedes an diefem Erfordernis bei der Anflage 
zu vermiſſen ift. 

Es ijt nicht der Verſuch gemadt, auch nicht im entfernteften, zu 
fragen: was find denn aus der Schreibart, aus der Denkart für a priori- 
Zeititellungen zu gewinnen, was mag, der Angeflagte bei der Abfaffung 
der Schrift gewollt haben? Nichts ift in dieſer Richtung vorgebracht 
worden. Die Schrift ftellt fi) für jeden, der ein elementares Wiſſen 
auf dem Gebiete der Geſellſchaftswiſſenſchaft Hat, von ihrer erſten bie 
zur legten Zeile dar als Emanation eines Mannes, der mit glühenden 
Ethos auf dem Boden einer evolutioniftiihen Weltanſchauung fteht. 
Dann aber ift es unmöglidy zu jagen, der Angeflagte wolle mit einer 
jolden Schrift, deren zentralfter Inhalt gerade der glühendfte Sinn für 
Evolution ift, vorbereitet Haben — was? einen gewaltfamen Umfturz 
einer einzelnen Staatöverfaffung! Etwas, das nicht dem Hirne und den 
Nerven eines Marriften, eines Evolutioniften entfliegen kann, fondern 
nur der erregten Pathologie eine Putfchiften, eines Anardjiften. Nein, 
jagt die Verteidigung, jede einzelne Unterſuchung in diefer Richtung 
iſt überflüffig. Nachdem man den zentralen Charakter des Buches feit- 
geftellt hat, e8 hieße in das innerfte Herz des Buches und des unter ihm 
glühenden Ethos ftoßen, wenn man mit einem Atom eine Gedankens 
eine Unterjtellung dem Angeflagten madt, wie es die Anklage tut. 

Sc lehne e8 ab, mid) im einzelnen auseinanderzufegen mit den 
Verfuchen, die der Oberreichsanwalt gemacht hat, das Bud auf eine 
andere Eeite zu werfen, das Buch dem Anarhismus oder dem Anardjo- 
ſozialismus oder einer derartigen Spielart zuzuweiſen, und zwar des⸗ 
halb, weil ich das als einen untaugliden Verſuch am untauglidien Ob- 
jefte bezeichnen müßte. 

Der Reichsanwalt hat heute, indem er bei der geftrigen Kontroverſe, 
ob e3 an einer gewiſſen Stelle heißen folle und müſſe: „Ungünftige“ oder 
„Günſtige“ Verhältniffe, eine Auslegung aufrechterhalten, die für meine 
Anſchauung derart abfolut unmöglich ift, daß ic} nad) diejfer Probe im 
übrigen feine einzige Widerlegung vorzubringen habe. 

Das Geſchick der Anklage — die Verteidigung geitattet ſich jet, den 
Bemeisfrageboden zu berlajlen — ift in der Tat, wie mein Defendend 
Liebfnecht bemerkt hat, ein jehr fragwürdiges. Die Verteidigung ftelll 
feit, und fie fann nicht umhin, es auszuſprechen, daß die Ginjegung des 
Unterfuhungs- und Anklageverfahrens nicht ftand auf feſtgewurzelter, 
aber auch nit auf prima vista-Meberzeugung und -Anfhauung (An- 
ſchauung nad) oberflächlichem Leſen), daß hier ein hochverräterijches 
Unternehmen vorbereitet werde jolle, daß fie nicht ausging bon dem 
Gedanken: Liebknecht fchrieb da3 Buch, wenn man da3 fieht, wird man 


22 65 


Inne, Daß er damit Hochverrat ganz ernſtlich beabfichtige; aljo jei auf 
der Dust! Nein, die Anklage ift unzweifelhaft nicht einmal bon einer 
folden Prima vista-Crwägung ausgegangen, und das iſt die Ver- 
anlaifung, daß ich jage: Man ging von der Erwägung aus, das ift 
ein gefälgrlides Bud, dagegen muß etwas geſchehen! Und die Ver⸗ 
tidigung bedauert es, ausſprechen zu müſſen: Daß der Oberreichs 
anwalt Meute früh in den überwiegenden Partien ‚leiner Anklage 
kgrüundısng den juriftiihen Boden verlaffen hat. Es iſt auch nicht ein 
Netjuch geémacht worden, im, Sinne defien, was uns als Quriften 
miereffiert und bewegt, mit der Kantenſchärfe der juriſtiſchen 
Viſſen ſchaft dem Buche beizufommen, ſondern der Anfläger jelbit 
it es geweſen, der fi auf den Boden don rein moralifierenden 
Vetrachtrzusıgen zurüdgezogen hat. Wie wir uns alle jelbit ‚itellen, 
wie Ste ſich ftellen, wie ſonſt jemand ſich ftellt zu der inneren 
GeanFfernfubftanz, zu der Stage, ob daß, was der Angeklagte anftrebt, 
fittlich, IWellpolitiſh, weltmoralifc wünſchenswert ift, das geht uns 
nichts Garı, das geht uns gar nichts an. Und wir alle, Sie, meine Herren 
Kidter, Yoie die Verteidiger, die fi) nur als grundehrliche Kooperatoren 
beiracht err in der Zindung deifen, was Rechtens ift, Sie müffen mit dieſer 
Beſon in en heit herangehen, an die Würdigung des Buches, in dem Sinne, 
daß abgelehnt wird eine ftimmungsmäßige Stellungnahme zu dem, was 
et Mrzgetlagte hier an Tendenzen bvorausblidend in die Zukunft der 
Gfchait politifcher, wirtichaftlicher, völkerrechtlicher Entwidelung 
betritt. Das alles rührt ung nicht. 


Und noch eines ift zu jagen. Gewiß wird man dem Angeflagten 
zuerke ri en mülfen: Das, was er vertritt, das vertritt er nicht mit der 
dath Lgrüichen Gereiztheit eines Anardiften; er ift nicht ein Füripreh 
eines Kan ausbredhenden perfönlichen Einzelwillens, jondern in ihm 


pübe 


Barum diefe Anklage? 


ar Die BVerteidigung bedauert aber — das bemerkt fie frei und 
trö blich —— bedauert diefe Anklage nicht, denn dieje Anklage wird gewiß 
na * ihrer unerſchütterlichen Ueberzeugung zurückgewieſen werden. 
Di — Antklage wird in Zukunft eine tiefe, große Bedeutung zugeſprochen 
werden müffen. Sie wird in der Geſchichte der Hochverratsprozeſſe 


wieder einmal einen der ſchönen Marfiteine bilden, an denen man inne 
ward, DaE man fi Anklagen verbittet, in denen man die Nedhtszone 


wit er Moralzone verwecfelt hatte. Die moralifhen Anfchauungen, 
Bie StHurf, alles, was der Ungeflagte ausipricht, ift dem Boden des 
und 8 entzogen, und Sie, meine Herren, find beitimmt als die Edelften 
io Dften in unferem Reiche der Pflege des Recht? zu dienen. Die 
ar Diefer Anflage — Seien fie überzeugt — wird eine große und 

8 — fein. 
te Verteidigung geht noch einen Schritt weiter. Sie ſtellt ſich 
objeftin, Geiftig überfchauend, aud) auf den betradytenden Standpuntt, 

5 


— 66: — 


derart, daß ſie in eine Prüfung eintritt: Wie ſteht es mit denjenigen 
pa und moralifhen Tendenzen, auf deren Boden diefe Anklage 
erwuchs? 

Die Verteidigung iſt ſelbſtverſtändlich objektiv genug, zu erklären, 
daß fie es ſich vorſtellen kann, daß man aus einer tiefernſten Sorge, po- 
litiſcher, moralifcher, reichsmoraliſcher Art, ſich zu diefer Anflage ver- 
ftanden hat. Die Verteidigung kann nicht verfennen, daß ein großer 
Zeil unjerer Volfsgenofjen, unjerer Beamtenjchaft, unferer Vermaltungs- 
behörden durch die Schrift des Stollegen Liebknecht mit einer ſchwer⸗ 
wiegenden Sorge erfüllt werden fonnte. Das weiß jelbitverftändlid die 
Verteidigung. Aber es wäre gut geweſen, wenn man vor Ergreifung 
des Anflageweges erwogen hätte, ob diefe politifche Sorge eine Sorge 
ift, die mit den Mitteln des poſitiven Rechts beſchwichtigt werden Tann; 
und darauf iſt ein bedingungslofes Nein zu erklären! Was Liebknecht 
will, ift eine antimilitariftiihe Propaganda. Der Angeklagte, der als 
gänzlich, freier Befenner defien, was er ift, aus feinem Hirn und jeinem 
Herzen feine Mördergrube macht, hat Ihnen reſtlos enthüllt, wie das 
Wort Antimilitarismus in fi zufammenfaßt die Kampfmethode, die er 
anwenden oil, und das iſt eine ausdrüdlich Ioyal unter das Geſetz fid) 
ftellende. Und ich bitte, eg nicht als eine banale Phraſe zu betraditen, 
wenn id) an dem Fall aus dem Altertum erinnere, daß ein Mann wie 
Sofrates jehr wohl inne wurde und feinen Schülern fagte: Sch gebe 
jedem den innerſten Geift und Sinn unſeres Staates, jo wie er jekt 
geleitet ift; aber ich fage Euch, Ihr Schüler, gehorcht diefen Gejeten, 
wartet ab der gedanklichen Entwidelung, und auf diefem Wege werden 
wir handeln, nicht mit Fäuften, ſondern mit Hirnen. Erſt wenn die 
Hirne befrudjtet find und die Mehrheit haben, dann ift die reale Re: 
volution möglid, die wir wollen. Verurteilte man Sofrates, „weil er 
die Jugend berführe”, jo ift eg mir vollftändig ar, daß man Beute vom 
Standpunkte des Rechts aus weder nad) rechts noch nad) links zu ſchauen 
hat. Wohl weiß die Verteidigung, daß hier eine beforgte Anſchauun 
der Rechtspartei, eine große Sorge der Regierung liegt. Aber i 
fann nur wiederholen: Alles, was der Angeflagte tut, was er 
will, intendiert, das ift entrüdt in feiner Betrahtung dem Boden deö 
Rechts, das liegt in der Zone des Ethos, und dafür ift er nicht den 
Geſetzen, fondern nur ſich felbft und einer höheren Verantwortung unter- 
worfen. Diefe Verantwortung hat er zu tragen; eine rechtliche Ver⸗ 
antwortung hat er nicht zu tragen. Und es it ein fröhliches Willen der 
Verteidigung, dab Sie, meine Herren Richter, die Sie gewohnt find, 
als Kaſſationsrichter zu fungieren, dat Sie ſchlechthin zu Feinem anderen 
Ergebnis fommen können, al3 daß Sie jagen: Auch nicht ein Schatten 
eines Beweiſes für ein hochverräterifches Unternehmen im inne des 
Geſetzes ift erbradjt worden! Es mögen die verbündeten Regierungen, 
wenn fie ein Intereſſe daran haben, aufehen, was fie erreichen, wenn ſie 
ein Gefeß einbringen, welches den Inhalt hat, daß die antimilitariftiiche 
Propaganda als jolche, joweit fie auch nur ideologifierend ift, verboten 
werden mag. Die Stimmung der Zeit und die Kulturftufe unſeres 
Volkes würden die Emanation eines ſolchen Geſetzes Hoch verhindern. 
Aber nur mit einem ſolchen jpeziellen Gejeg würden fie des Angeflagten 
Schrift treffen fönnen; mit dem Hocverratsparagraphen fommen fie 
ihr nit bi. Nulla poena sine lege — justitia 
fundamentum regnorum. (feine Strafe ohne Geſetz — 
Gerechtigkeit tft da3 Fundament der Königreiche.) Das walte Gott. 


near 


— 67— 


Der Oberreichsanwalt nimmt in höchſter Erregung das Wort zu 
einer Neplit, in der er behauptet, daß die Anklagebehörde mit derjelben 
Unbefangenheit an die Prüfung der Anklage gegangen jei, wie die 
Herren auf der anderen Seite, und die Anflagebehörde habe die Genug- 
tuung, DaB weſentlich nad) ihren Angaben das Verfahren eröffnet fei. 

Möge Der Ausgang des Prozeſſes fein wie er wolle, ſchon darin fehe die 

Anflagebebörde eine Genugtuung, daß fie mit der Anklage die An- 

weennung des Serienjenat3 gefunden hat. Der Oberreichsanwalt ver- 
Wert nochmals, daß er vollfommen auf dem Boden des Gefekes ftehe, 
um werrn er auch aus jeiner moraliſchen Entrüftung über den An- 
eeflagterı fein Hehl gemacht habe, fo fei das nicht ausſchlaggebend ge 
weien, Gegen ihn vorzugehen. 


Die Berteidiger verzichten auf eine Erwiderung. 
Nach einer viertelftündigen Pauſe ergreift Liebknecht das Wort zu 


folender 
Schlußrede: 


. Däarrädft noch ein Wort zur Abgrenzung her Anklage. Angeklagt 
iſt meine Schrift, die Verfaſſung, Drudlegung und Verbreitung meiner 
Schrift. Mas außerdem gejchehen ift, gehört nicht hierher. Nun ift 
im Zaufe der Verhandlung viel Material herangebracht worden, das 
ſich 1i & anderen Vorgängen befaßt. Darüber müſſen wir uns abſolut 
lar jein, daß eine ſcharfe Scheidelinie zu ziehen iſt gegenüber dem, was 
vord errm, was nad), und dann, was ſonſt außerhalb jener Akte liegt. AU 
das Itebpt nicht zur Anklage, über die Sie zu befinden haben. Xch hatte 
nicht S Dagegen, daß auch jenes Material zur Kenntnis des Gerichts- 
hofes gebradjt wurde; ich habe dieſe Kenntnis meinerſeits ſelbſt ver⸗ 
—— Aber die Tat, die hier abzuurteilen iſt, erſchöpft ſich in der 
Hceift, beginnt mit der Niederichrift des erften Wortes und endet mit 

et Berbreitung, ſoweit id) auf fie Einfluß geübt habe. 
weil rum möchte ih mir einige juriftifche Ausführungen geftatten, 
X ich glaube, daß der juriftijche Ertrag noch nicht ganz erſchöpft ift. 
N d toi mid) zuvörderft befaffen mit einigen Merkmalen der 88 8 
un = 36. . &3 ift auf daS Geſetz zurüdzugehen. Das Gefet ift hier, wie 
hei + IcHeint, immerhin beſtimmt, und die Sudifatur hat diefe Beitimmt- 
dee — nicht vollftändig verwiſchen können. An 8 8% ift der Begriff 
— MUB, wo immer nur das Wort „Unternehmen“ an anderer Stelle 
os — Möðſchnitts unſeres Strafgeſetzbuches vorkommt. Dort heißt es: 
ar Sr ehmen ift eine Handlung, durd) die das Vorhaben unmittelbar 
en uSführung gebracht werden ſoll. Der Begriff des „Unternehmens“ 
Ü ER allgemeiner Anficht, enger al3 der des „Verſuchs“. Und diejen 
S degt Bat das Wort „Unternehmen“ notwendig auch in $ 861 Es muß 
inte eine Vorbereitung vorliegen in bezug auf ein hochverräterifches 
Dear D nen, d. h. alfo in bezug auf eine Handlung, durch die das hoch— 
3 aterifche Vorhaben unmittelbar zur Ausführung gebradit erden 
8 86 Damit ift ungweideutig dargelegt, daß man nun nidjt plötzlich im 
griff an Stelle des in 8 82 jeft und ex professo formulierten Be- 
en or Ulnternehmen“ irgend etwas Nebelhaftes fesen und fagen 
wirkt; 8 üft nur notwendig ein Ziel, und die Abſicht, das Riel zu ver⸗ 
gemeinen T Nein! Wenn im $ 82 der Begriff des Unternehmens all: 
N und Zar umſchrieben ift, fo bindet dag aud) für den $ 86. Und 

b* 


rıternehmens” in einer Weiſe definiert, die unbedingt maßgebend 


— 68 — 


wenn die Judikatur bisher leger geweſen iſt und den Begriff unbe⸗ 
Br gefaßt bat, fo widerfpridht das dem Haren Wortlaut des Ge- 
etzes 


Sch komme zu dem Verhältnis von 8 85 zu 86, will mid) hier aber 
nur No befaffen mit einer Einwendung, die gegen die 


— dieſes Paragraphen für die Anklage von einem 
hochangeſehenen Srifen gemaht worden tft. 

Sn dem mir bier vorliegenden bedeutfjamen Kommentar ijt in 
Note 1 zu $ 83 ausgeführt: „während durd) eine borbereitende Hand- 
lung, die zwar den Anfang der Ausführung nicht enthält, immerhin 
die eigene Ausführung vorbereitet werden muß, betrifft $ 85 lediglich 
die an dritte Perſonen gerichtete Aufforderung zur Ausführung einer 
nad) $ 82 ftrafbaren Handlung. Dieje Aufforderung ift von der Vor- 
bereitung fo verſchieden wie die Anftiftung von der Tat.” Und es ft 
befannt, daß $ 85 vielfältig auch font als nicht in Ki Syitem nie 
Abſchmits unſeres Strafgeſetzbuchs hinein, Bun zu den 88 111 
gehörig bezeichnet worden iſt. Daraus ergibt ſich folgendes: 8 8 
ſpricht von einer borbereitenden Handlung. Wenn ic) elie arelem hoch⸗ 
angeſehenen Juriſten in ſeinen Deduktionen folgen darf . 

Präſident: Wer iſt dieſer Juriſt? 

Liebknecht: Das iſt der Herr 

Oberreichsanwalt Olshauſen! 
(Große Heiterkeit und Bewegung.) Wenn alſo in 8 86 bon einer „bor- 
bereitenden- Sandlung” die Rede ift, fo muß es fi um ein bod- 
verräterijhe3 Unternehmen handeln, da8 ala ein eigenes ausgeführt 
werden joll, und es genügt nicht der Plan eines fremden hoch— 
verräteriichen. Unternehmens, nicht aljo eine Aufforderung an andere, 
ihrerjeit8 vorbereitende Handlungen zur Ausführung, eines hoch— 
berräteriichen Vorhabens zu vollbringen. Durd) das Medium der Auf- 
forderung ift da8 Band zwiſchen der eigenen Tat und dem hod)- 
berräterijhen Unternehmen zerriffen. * alaube, dag damit der An- 
klage juriftifch der Boden entzonen ift und bin begierig, ob der Ober- 
reihsanwalt nicht am Ende aus dieſen feinen. einenen er 
heraus nunmehr er an eugung bon der Unhaltbarkeit der Anklage 
entnimmt und fie fallen I Iäht. 

Damit find die iuriftiiehen Bedenfen noch nicht erledigt. 

Bas will ih zunächſt? 

Ich agitiere für einen Ausfchuß. sch erreiche vielleicht, daß auf 
einem arteitage der deutichen Sozialdemokratie ein Ausſchuß be- 
Ichloffen wird. Darauf wird diefer Ausſchuß vorausſichtlich irgendwie 
Eonftituiert. Der Ausſchuß agitiert vielleit jelbit, er wird es aber 
wohl nicht jelber tun, fondern — und das habe ich borgeichlagen — 
wieder andere. Perſonen damit betrauen, oder gar die fpontane Tätig- 
keit anderer Perſonen nur fördern, kontrollieren. Was wird geichehen? 
In welchem Sinne wird agitiert? Im Sinne derjenigen Aufklärung — 
Stimmungsmade will ih das einmal nennen —, die ich in meiner 
Schrift gefennzeichnet habe. 

Denn ich nun Sugendorganilationen und den geforderten Ausſchuß 
babe, jo genügt das noch nicht. Diefe Organifationen und der Ausſchuß 
n fen arbeiten, um die erftrebte Stimmung zu erzielen, Und dag iſt — 

der Darftellung meiner Schrift jelbft — eine langwierige, mühfelige 





- ran 


6 


Arbeit. €s ift ja notivendig, daß der weit überwiegende Teil der Be- 
bölferung von antimilitariftiichem Geifte durchtränkt wird, ehe der Er- 
fola Der Unmöglichkeit des Krieges eintritt. Und nicht einmal nur daS: 
‚sn beiden Ländern (fo führe id) aus), die für den Krieg in Betracht 
formen, muß dieſe Zerſetzung des militariftifchen Geiftes gleichmäßig er- 
folgt fein. Es handelt ſich aljo nicht um eine Vorbereitung zu einer Vor⸗ 
bereitung, fondern um eine Vorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer 
Rorbereitung zu einer Vorbereitung zu einer Vorbereitung — zu einer 
tion, Die demnädjft vieleicht — hoffentlich! — die Stimmung erzeugt, 
die denn Erieg unmöglich macht! Der Begriff Vorbereitung darf über- 
haupt zwächt Ingiih gefaßt werden. Nehmen Sie an, ich hätte diefe 
Schrift micht geichrieben, fondern nur da8 Papier gekauft, in der Abficht, 
fie zu TcHreiben. Das ift unzweifelhaft eine ganz wejentliche Vorberei- 
tung Zırr Abfafſung. VLogiſch ift gar nichts dagegen einzuwenden, daß 
did eirte Vorbereitung zu meinem angeblichen hochverräterifchen Unter- 
nehmert ei. Mit demjelben Recht darf man auch jagen: Die Erzeugung 
bon Türedern künne eine Vorbereitung zum antimilitariftiichen od): 
berrat Tein. Logiic iſt auch dagegen nichts einzumenden. Praktiſch 
iſts natiirlic läherlid, aber man fann doc) die Abficht hegen, die Kinder 
au jpäterer antimilitariftifher Wirffamfeit zu erziehen. Aus alledem 
folgt, Daß der Begriff der „vorbereitenden Handlung” nicht logiſch, ſon⸗ 
em re einer praktiſch veritändigen Begrenzung gefaßt werden muß. 
Sann tritt nun nad) Annahme meiner Schrift der Erfolg ein, dag 

3.8. ein Krieg zwiichen Frankreich und Deutſchland unmöglich wird? Zu- 
naht Tee ich den Fall, da der Krieg überhaupt ausbricht. Das ift leider 
möglich, aber glüdlicherweife nicht wahrſcheinlich: erfte Unbeftimmtheit. 
en ıft weiter notwendig? Die Entwidelung, meinethalben aud) 
—— —*— einer beſtimmten geiſtigen und moraliſchen Dispoſition. Um 
dieſe Dispofition zu ſchaffen, müſſen ſechs bis acht Zwiſchenglieder, die 
pen beichrieben habe, durchlaufen, muß eine unendliche Arbeit ge- 
eiftet Yoerdeni Der Oberreihsanmwalt meint: €3 fteht in der Schrift: 
i * eit ift reifl Darauf iſt fo viel herumgetreten worden. ch kann 
ini terdings nicht einfehen, wie man dieſes Wort jo fundamental hat 
d Derftehen fünnen. Nirgends ift in der Schrift ein Zmeifel nelafien, 
ER Diefeg Wort ausſchließlich befagt: Die Zeit ift reif, es ift dringende 
dies » Die antimilitariftilde Propaganda energiih zu beginnen; nur auf 
ke — eiſe iſt es möglich, die langwierige, mühſelige Arbeit überhaupt 
3% VOrdern, zu verrichten, als die ſich die Aufklärung der Mafien darftellt. 


Die Sozialdemokratie ift vor über AO Jahren gegründet. Als Laſſalle 1863 


jetn Dffenes Antwortſchreiben erließ, jprach er die Ueberzeugung aus: 


Dpe Beit ift reif für eine proletarifche Agitation. und Organifation! Im 
tamen lage ich an der enticheidenden Stelle ausdrüdlih: Das Prole- 
tt zur Erfüllung feiner antimilitariftifhen Aufgaben — leider! — 
Tan An gſt nit reif! Es iſt noch alles zu tun übrig! Wir find noch in 
jein Kinderfhuhen! — Meines Eraditens kann aljo feine Rede davon 
nn Daß das bon mir angeblid) geplante Unternehmen ein „be 

Hinmtes“ ig, 
un haben wir gejtern und heute früh mehrfach die wechſelreiche, 
mentewerYiäe Gedichte und den jegigen Zuftand der Anklage zu er- 
fahren gehabt. Nachdem, wie ich annehmen muß, das bisherige Ver- 
Kr z- Int eine ausreichende bengalifche Beleuchtung gefest ift, will id) 
viele et nem dhevaleresfen Gefühl heraus jet zu diefer 
N WUrıgriffen nicht noch meitere hinzuhäufen. Ich bin zwar der 


> 


— A a 


am meiften Betroffene; dieje Aktion bezwedt ja nichts weniger, als mich 
ins Zuchthaus zu bringen. Aber (mit einer Handbewegung zum Ober- 


reichsanwalt) 
ich will Gnade vor Recht ergehen laſſen. 
Ich habe mich hier abzufinden mit der Tatſache, daß jetzt 
eine ganz neue Anklage 


gegen mich erhoben iſt. Mit der Anklage des Oberreichsanwalts habe 
ih mid befaßt; fie fommt faum mehr in Frage; der Prozeb- 
leiter hat fie ja überhaupt faum zur Erörterung geftellt. Die Anklage 
wiederum, die man mir vom Richtertiſch entgegenhält, und die 
bon der Anklage der Anklagebehörde, wie vom Eröffnungs- 
beſchluß, grundjäglich abweicht, wird vom Vertreter der Anflage- 
behörde gefliſſentlich unbeachtet gelafien. Abgeſehen der Ungeheuer⸗ 
lichkeit, daß ich in einr ſo ernſten Sache die wirkliche Subſtanz der 
Anklage erſt im Termin erfahren habe — worauf ich freilich takt 
war —, fehe ich mich vor diefer ganz außergewöhnlichen Diflonanz 
— — Auklagebehörde und Richterkollegium, die einander geradezu 
bekämpfen; und ich ſtehe in der Tat vor der Notwendigkeit, mich nicht fs 
fehr gegen den Anfläger zu verteidigen, deſſen Waffe bereit3 zerbrochen 
ift, fondern gegen eine vom Vorſitzenden des Richterkollegiums gefabte 
mündlid) mitgeteilte Formel. 

Die hohen Senate, wenn aud) höchſte Inſtanz, find wohl im- 
ſtande, von ihren eigenen Beſchlüſſen abzugehen. Ich muß infolgedeſſen 
gegenüber dem Beſchluß von heut morgen nochmals betonen: Nach meiner 
ganz abſtrakt gewonnenen Ueberzeugung kann kein Zweifel obwalten, 
daß die Formulierung, die der Präſident geſtern vorgetragen hat, mir 
eine andere Tat zum Vorwurf macht, als die Anklage und der Er⸗ 
öffnungsbeſchluß. Es iſt bisher nirgends die Rede geweſen davon, daß 
mein Zweck darauf gerichtet ſei, die Kommandogewalt des Kaiſers zu 
beſeitigen. Das iſt ein Novum. Allerdings ſtützt ſich auch dieſe Be— 
hauptung auf Stellen meiner Schrift; aber dieſer rein äußerliche Um— 
ſtand iſt abſolut nicht imſtande, die nötige Sdentität der Tat herzuftellen. 
Schon darum nicht, weil zu jedem konkreten Hochverrat ein konkretes Ziel 
gehört; und wenn an Stelle des Zieles, das mir früher imputiert worden 
var: Abſchaffung des ſtehenden Heeres, nunmehr geſetzt wird: Aufhebung 
der Kommanbogewalt de3 Kaiſers, dann tft das ein neues Bel alſo eine 
neue Tat, alfo ftehe id} vor einer neuen Anflage; und wenn ich daraufhin 
verurteilt werde, dann bin id) rechtswidrig verurteilt. Und das iſt 
keineswegs nur eine Frage bon formell-prozeffualem Intereſſe, das it 
von entiheidender praftiiher Wichtigfeit für die Möglichkeit, mich 
überhaupt noch zu verfolgen. Denn, wenn eine andere Handlung vor: 
liegt, dann können Sie mid) gar nicht mehr, auch nicht in einem anderen 
Verfahren, auch nit auf Grund einer neuen Anklage und eines 
neuen Eröffnungsbeſchluſſes, verurteilen, weil Prefverjährung ein- 
getreten ift, Deshalb iſt es für mic höchſt bedeutfam, ob die Herren. 
die bisher Sdentität der Tat angenommen haben, wirklich noch) auf diefem 
Standpunft ftehen. Ich fordere alfo, und als Angeflagter darf ic} 
fordern — «3 bandelt ſich um meine Freiheit, — nicht um meine 
Ehre, denn die unterliegt nicht dev Macht des Gerichte, die könnte mir 
durch einen Spend) des Gerichts nicht genommen werden — ich fordere, 
daß ich wegen Verjährung aufter Verfolgung geſetzt werde. 

Wie fteht3 nun aber mit diefer neuen Anklage, wenn ih fie zu- 
grunde lege? Danach foll id) geplant haben, die Kommandogewalt des 


1 — 


Natfers zu vernichten, und zwar mit Gewalt. Ich habe jedoch, um den 
inneren MWilitarismus herauszugreifen, im weſentlichen von Staats- 
ftreichen geſprochen. Natürlich iſt die Anklage für einen folden Yal 
nigtig,_ weil eine ftaatöftreidjleriihe Gewalt nicht legitim iſt und das 
VolE richt bindet, weil ihre Abwehr LVerfafiungsihug, nicht Hochverrat 
iſt. Aber nehmen wir einmal an, daß es zu Unruhen anderer Art 
font. Geben wir den Zall von Hildburghaujen, wo 1904 
Militär gegen „rebellierende“ Techniker requiriert worden war. Wer 
hıtte Damals das Militär fommandiert? Es war 
ein blutjunger Leutnant, 
der auıf polizeiliche Veranlaffung einfhritt. Ja, der Leutnant ift 
doch wuächt der Inhaber der kaiſerlichen Kommandogewalt, von der in der 
VerfaTTung die Rede ift! Truppen find bei dem Bergarbeiterftreif 
ber 135399 in Rheinland-Weftfalen vorgegangen. Wer hat fie herbeigerufen? 
Nicht Der Kaiſer — der Oberpräjident der Provinz. Wenn ich unter 
diefert Truppen agitiert hätte — etwa im Siune der Rebolutions- 
rom a a tik der Reichsanwaltſchaft —, um fie zu veranlaffen, nicht zu 
dießen, würde id fie damit veranlagt haben, einem Befehle des 
Kat Terz nit zu folgen? Sol man denn wirklich nod) nötig haben, ſich 
gegerz eine foldie Idee zu verteidigen? Nun will ich aber mweitergehend 
logar den ganz bypothetiichen, jeder beſtimmten Ausſicht entbehrenden 
dall Tegen, daß ein riejenhafter Generalftreif über ganz Deutichland aus- 
bricht > ‚der Kaijer erflärt den Belagerungszuftand, Truppen werden 
Ionfigniert, follen losichlagen, und nun will ein Teil der Truppen nicht 
gehorchen. Der Vorſitzende meint, unter diefen Umftänden könne da- 
durch 3 lutvergießen entitehen, daß nunmehr die gehorfamen Truppen 
ine Meannihaften, die in paffiver Refiftenz verharren, durd) Gewalt zu 
nötigert fuchen, ihre Pflicht zu tun. Ich will die Verfaffungsmäßigfeit 
eines Tolden Einfchreitens nicht prüfen, fondern einfad vorausſetzen. 
Aber — Dann fommt ja doch die Gewalt hinterher, dann ift ja doch 
die Ecã mung der Kommandogewalt vollzogen, bevor die Gewalt kommt, 
und Die Gewalt findet ſtatt, um fie wieder herzuſtellen. Daran iſt doch 
gar Echt zu deuteln. Sene Unterftellung, jene legendäre Möglichkeit, 
bon Dex Hier die Rede ift, fie jeßt den Fall fo, da die Gewalt geübt wird 
nicht zaer Zahmlegung der Kommandogewvalt des Kaifers, fondern hinter- 
ae Nexrd ihrer Lahmlegung. Auch aus diefem Gefichtzpunft kann ich 
agen : Die Anklage ift ſchon rechtlich von Grund aus haltlos, 
Die Iugendorganifationen 
er Srfenntni3 verbreiten. Das dürfen fiel Das darf id! 
) hal fol ih das nicht? Meil id) die Weberzeugung hege, 
en Die Verbreitung bon Aufflärung unter Umftänden zu rebo- 
na en Ereignifien führen fönnte? Was wollen Sie aber gegen 
ee ae Mareitung bon Aufklärung madhen? Es gibt feine Macht der 
velt, Te fie verhindern könnte. Auch fein Spezialgeſetz, von dem der 
eine WBeEteidiger ſprach fünnte dem vorbeugen. Und garantiert nicht 
— damentale Verfaſſungsbeſtimmung das förmliche Recht zur Ver- 
breiturng pon Aufklärung? Ich will diefe Auftlärung und verſpreche mir 
von Beer Verbreitung eine moralifche Dispofition der Bevölkerung, die 
tultarasüprige Gewalt unmöglich madjt. Niſo weil ich meinerfeits eine 
Sof Arıg fnüpfe an eine Handlung, die ich bornehme, darum wollen 
Sie Wich beitrafen! Im 5. Bande feiner Entfcheidungen hat das Reichs 
gericht Den Ball erivogen, daB jemand fein Kind etwa dahin untermweift: 


— 72 — 


Wenn es, nachdem du erwachſen biſt, geſchehen ſollte, lieber unge, daß 
man gegen das Proletariat Gewalt anwendet, dann iſt es deine Pflicht, 

mit Gewalt entgegenzutreten! Das iſt nad diefer Entſcheidung 
des Reichsgerichts nicht ftrafbar. Aber ich fordere gar nicht einmal eine 
Erziehung zu revolutionären Grundſätzen in dieſem Polizeiſinn, ſondern 
nur im Sinne der Aufklärung, der Belehrung. Das genügt vollauf. 
Die Erkenntnis ift es, die ung die Leute bringt. Willen iſt Macht! Das 
Willen, deſſen Verbreitung niemand — kann. Das einzige „ſtaat s⸗ 
gefährliche“ iſt die Perſpektive, die ich eröffnet babe, daß 
nämlich, wenn die Erkenntnis, die ich wünſche verbreitet wird, dies für 
die Barbarei unſerer gegenwärtigen Zuſtände gefährlich ſei. dieſe Per⸗ 
ſpektive iſt aber beileibe kein hochverräteriſches Unternehmen; ſie vermag 
zu dem objektiven Tatbeſtand, dem es hier an allen Eden "und Enden 
gebricht, Fein Tüpfelchen hinzuzutragen. a Perſpektive habe ich doch 
nicht geichaffen, Ihafie 2 doch nicht. Ich bin nicht daran ſchuld, daft Die 
Aufklärung über das Weſen in Gejelihaftsordnung gefährkiche 
Stimmungen zeitigen fann! Das ift die Schuld der gegenwärtigen Ge— 
———— Es gibt ein Ausgezeichnetes Mittel, dieſe 
Gefahrenaubefeitigen, die Ihnen drohen: Sorge man dafür, 
daB an Stelle des gegenwärtigen Heeresſyſtems ein unferer Kultur ent- 
ſprechendes Syſtem eingeführt werde, daß das Heer nicht gebraucht werde 
gegen den inneren Feind, dab die militäriihen Laſten ſich vermindern, 
daß die Soldatenmißhandlungen verſchwinden und alles das, was unſeren 
Militarismus zu einer Kulturſchmach macht. Dann würde meine Auf- 
ge Ihnen unſchädlich gar zu Boden fallen, fie wäre nr 
und inhaltslos. In Wahrheit: Es handelt fi hier einfach um das 
Faktum, daß durd die Verbreitung geiftiger Klarheit, höherer mo— 
raliiher Auffaſſung und eines vertieften Lebensbedürfniſſes, die not- 
wendig im Widerſtreit ftehen zu der Unvernunft, Unfultur und Un- 
geredhtigfeit unferer jozialen Zustände, ein Antagonismus erzeugt wird, 
der den herrihenden Klaſſen Schwierigkeiten bereitet. Diefe gegen mid) 
geführte Anklage will jenes Hohnwort Lafjalles zur Wahrheit machen: 

daß die Verbreitung von Vernunft bereits Hochverrat 
fei. So liegt die Sache in der Tat! Diefer Prozeß ift ein Tendenzprozeß 
im bverftiegenften, ſuperlativiſchſten Sinne des Wortes, ein Prozeß, ge- 
richtet nur gegen meine Tendenz, gegen meine Gedanten und Wünſche, 
und hervorgegangen aus den politiihen Wünſchen meiner politifchen 
Gegner. — Ich aber ftelle feit: Jede Handlung, die bon mir unternommen 
ift, erichöpft fich in der Verbreitung von Vernunft und ift an und für ſich 
legal, ganz offenbar legal Durch die Hoffnungen und Erwartungen, 
die ich an fie knüpfe, mögen fie jein, welche fie wollen, fann fie nimmer- 
mehr ungejetlid) werden. 
Die Feigheit des Angeklagten. 

Natürlich hege id) nicht den geringiten — daß alles das deniee, 
was ic auf antimilitariftiihem Gebiete tue, Ichr weiten Kreilen 
höchſt unangenehm ift. Sch wußte, dab ich mir ſehr mächtige Feinde 
zuziehen würde durd) das, was ich tat, und ich habe e3 netan im vollen 
Bewußtfein deflen, eine Welt von wohlgewappneten Feinden gegen mich 
aufzurufen. Angeſichts diefer Tatſache, angeſichts meines Verhaltens 
Be nit nur in diefem Prozeſſe, hat der Oberreichsanwalt heute 

Geſchmack bejeljen, mir zu imputieren, daß ich mir eine Maske auf- 
Tee. Der Verteidiger Haaſe hat diefen Anmwurf bereits fo erledigt, wie 


— BB 


er meines Ergchtens nur erledigt werden darf. Es ift etwas viel 
Erniteres, als Reditsanwalt, als Familienvater, als gänzlich vermögens- 
Iofer Menſch, der von feiner perfönlichen Arbeit lebt, ſich in den Strudel 
der Politik hineinzuwerfen und anzubinden mit den wehrhafteften Ber- 
tretern unferer heutigen Zuftände, — das iſt etwas 
viel Gefährlicyeres, als Anklagen zu erheben. 

Uno ih weiß nicht, woher der Oberreichsanwalt die Xegiti-' 
mation entnimmt, auch nur den Schatten eines Vorwurfes jolcher 
Art gegen mi) zu erheben. Ad, Herr Oberreichsanwalt, id 
bin nicht feige! Ich Ttehe zu meinen Taten! Ich bin nie feige ge- 
weſen, und id) meine, daß e3 eine Sozialdemokraten unwürdig ift, auf 
den Vorwurf der Yeigheit überhaupt zu antworten. 

Und nun! Wie ift die Situation hier in diefem Saale? 

Ich habe ſchon wiederholt betont, auch außerhalb dieſes Haufes: 

Diefer Prozeß ift ein Gottesgefchent! 
a, ift das nit richtig? it das Fein Gottesgeſchenk, daß ich mid) 
einer folchen Anklage, einer ſolchen gerichteten Anklage gegenüber jehe, 
daß es und möglid) ift, daß es gerade mir möglich ift, hier vor der 
ganzen Welt meinen antimilitariftiihen Standpunkt zu entwideln! 
Das ift in der Tat etivas, was ich nicht genug preifen fann! Und wenn 
id) noch einer mohlgewappneten Anklage gegenüberjtändel Aber . 
einer Anklage gegenüber, die nichts anderes zu erregen imftande ift als 
Mitleid — da könnte ich feine Regung der Feigheit haben, jelbft wenn 
ic) ein Haſenherz wärel 
Ein ſyſtematiſcher Feldzug. 

Aus den Vorgängen der legten Zeit geht klar hervor: Es gilt 
einen ſyſtematiſchen Feldzug gegen den Antimilitarismus und die 
Sugendbewegung! Und dies hier ift die erfte große Kavallerienttade, 
Wir haben ja gehört, wie ernft man den Antimilitarismus an einfluß- 
reihen Stellen auffaßt. Man begann mit den \sugendorganijationen. 
Wir jahen, wie vor fait Sahresfrift in Königsberg ein Familienvater 
unter dem Weihnadjtsbaum weg verhaftet wurde, ohne jede begründete 
Veranlaſſung, zu einer Strafvollftredung, nachdem er ſchwer verurteilt 
worden war, weil er Leiter einer Sugendorganifation geweſen ilt. 
Dann kamen die Verfolgungen der Berliner Organijation, der 
anderen norddeutichen Organijationen, offenbar rechtswidrige Afte der 
Polizei in großer Zahl. Das bin ich gern bereit vor Gericht zu ber- 
antworten. Ein Landrat aus der Umgebung Berlins gibt nicht, wie es 
feiner Pflicht entipricht, dem Vertreter der Sugendorganilation auf 
feine gehörige und mohlbegründete Beſchwerde eine jachliche Antwort, 
fondern fertigt den Beſchwerdeführer mit ungezogenen Redensarten ab 
wie einen Schulbuben. Und diefer Hochverratsprozeß fteht nicht allein. 
Schon ſchweben drei oder bier derjelben Art. Wem unter diefen Um- 
ftänden nicht Klar ift, daß man hier ein beftimmtes Ziel im Auge hat, 

. da8 Ziel, die antimilitariftiiche Agitation zu vernichten, 
die Sugendorganifation abzutun, 
der muß mit Blindheit geichlagen fein. Mit jenen Verfolgungen der 
Sugendorganijationen, mit der peinlichiten Ueberwachung der anti- 
militariftiihen Bewegung ging die Geihichte los. Da kommt meine 
Broſchüre. Aha, fie muß gefaßt werden. Ich weiß nicht, wer fie dem 


— 7 5 


Oberreichsanwalt als beſonderes Präſent unterbteitet bat, aber das iſt 
flar, daß diejer Jemand 


ein ſehr robuſtes Gewiſſen 


haben muß, wenn er dem Oberreichsanwalt die Auslegung und Sen 
Auszug juggeriert hat, die in der Anklage enthalten find. 

Präſident (unterbrechend): Dieſe Betradjtungen find ſchon von 
anderer Seite ausreichend angeftellt worden. Wir haben es doch wohl 
faum damit zu tun. ch möchte bitten, zur Sache zu fommen, 

Liebknecht: Sch war bereits entichloffen, damit azruo ſein zu laſſen 
des grauſamen Spieles. Es iſt klar, daß der Zweck, den ich meinerſeits 
verfolge, nur bezeichnet werden kann mit den kurzen Worten: Verwirk⸗ 
lichung der Verfafjung! Nicht aber: Vernichtung der Verfafjung! Mein 
Zweck ift, an Stelle der Kriegsbegeifterung zu ſetzen eine höchſt intenſive 
—— — Das iſt der Kern und die Konſequenz meiner 

ri 

Der Oberreichsanwalt hat gemeint, daß ich ganz offenſichtlich Ge— 
walt anwenden wolle. Ich will dieſe Behauptung nicht nochmals nach allen 
Richtungen widerlegen, nachdem ſie von meinen Verteidigern widerlegt 
worden iſt. Ich will nur noch einige wenige Punkte herausgreifen. Die 
klaſſiſche Ausführung des Oberreichsanwalts zu meinen Bemerkungen 
über die Waffentechnif hat Saafe berührt. Wenn ich dort die Zufunftg- 
ausſicht außmale, daß die MWaffenerzeugung wiederum Allgemeinheits- 
fache werde, rede ih natürlih bon der — der Waffen⸗ 
produktion, nicht von ihrer Monopoliſierung durch das Proletariat oder 
dergleichen. Wenn der Oberreichsanwalt mir, vorhält, daß ich dent 
Militarigmus den Krieg bis aufs Meſſer erfläre, fo it mir nad) ge- 
willen Erfahrungen nicht ganz Elar, ob der Oberreichganmalt das nicht 
vielleicht doch mortwörtlich genommen hat. Ich muß damit rechnen, 

daß er am Ende doch meint, ich wolle mit Meffern und allen möglicden 
Inſtrumenten gegen den Militarismus vorgehen. Das wäre ein köſt⸗ 
liches Pendant zu den berühmten revolutionären Bierjeideln aus dem 
a Hochverratsprozeß. 

Nun habe ich geſagt: Si vis pacem, para bellum, nämlich gegen 
den Militarismus! Und das ſoll, ſo behauptet der Oberreichsanwalt, 
für gewalttätige Abſichten ſprechen! Sa, wenn ich gegen den 
Militarismus „rüfte”, jo tue ich es, um Srieden zu haben, nicht 
Krieg. Dann hat der Oberreichsanmalt auf Seite 30 meiner 
Schrift hingewieſen; dort zeige fi, daß mir der Gedanfe einer 
bewaffneten Revolution gung fei. Aber der iſt doch der Geſchichte 
geläufig. Die gar zu abfonderlihe Umredigierung des Wortes „un- 
günftig” ijt bereit3 gebührend abgefertigt und kann mir feinen Anlaß 
zu Weiteren Auseinanderjegungen geben. Aber gerade bier jehe ich 
vielleicht den pſychologiſchen Schlüſſel zum Verftändnis der ganz un- 
gewöhnlichen Anklageichrift. Sch habe geglaubt. daß die Anklage recht 
bösartig —— ſei, daß fie manche Qualitäten enthalte, die ich, um 
im Rahmen des Parlamentariichen zu bleiben, hier nicht hinreichend 
fennzeichnen will. Aber nad) jener Interpretationsleiſtung möchte ich 
faft doch mit der Möglicjfeit rechnen, daß alle Unſäglichkeiten der An- 
Engefchrift in gutem Glauben zuftande nefommen find. 

Sch fol zu Gemalttätigfeiten aufreizen? ch, der ich mich um bie 
äuferfte Verſchärfung der planmäßigen Agitation gegen den Fe und 
alle Gewalt nad) Kräften mühe? . 


— 75 


Der wirkliche Grund der Anklage iſt klar. Dieſer Grund iſt 
nicht juriſtiſch, ſondern politiſch, 

und darum iſt es ſchwer, dieſe Anklage juriſtiſch anzufaſſen. Sie iſt 
— ein Akt der Staatsräſon, u ein Akt der Juſtiz. In einer 

Sgrift, die den Zweck verfolgt, Frieden zu ſäen anitatt Krieg, die eine 
Friedhaftmahung der Weltpolitif erjtrebt, die fi) wendet gegen den 
waffenftarrenden Militarismus, gegen dasjenige Inſtrument der Gefell- 
ſchaft, deſſen Zweck und Weſen die Gewalt iſt; in einer ſolchen Schrift 
ſoll — indem man den Spieß umkehrt — die Vorbereitung zu Gewalt⸗ 
tätigfeiten gefunden werden! O nein! Die Gewalt wird verteidigt 
durch diefe Anklage gegen die Verſuche zur Beſeitigung der Gewalt. 
So fteht's in Wirklichkeit. 

Ich will den Frieden, der Oberreichsanwalt aber die Gewalt. 

Sch verfolge den Zweck, die Entfcheidung über Krieg und Frieden 
aus dem Dunkel der Kabinette und Diplomatenſchleichwege herauszu- 
holen und an das Licht der Deffentlichkeit zu ziehen. Das fafjen die 
Herren ganz bejonders unmwillig auf. Ich will, dab die Enticheidung 
über Krieg und Frieden dem Willen des ganzen Volkes unterftellt werde. 
Sc weiß, daß man derartige Beitrebungen jehr unangenehm empfindet, 
und daß man die zünftige Diplomatie hier gern weiter, ihres Amtes 
walten laſſen und den jegigen Abſolutismus erhalten mödte. Nicht3- 
deſtoweniger iſt es Pflicht jedes Eulturell empfindenden Menichen, jedes 
Sozialdemofraten, dafür zu jorgen, daß bier eine Aenderung geſchaffen 
wird, daß das Volk, das die Laſten des Krieges zu tragen hat, aud) 
über den Krieg zu entiheiden bat. Sch will ſchließlich, daß unjer Heer 
nicht gegen den inneren Feind, zum Bürgerkrieg, verwendet werde. Und 
das hat fiher am meiſten böſes Blut, ja heftigite Empörung gegen mid) 
erregt. Auch hierbei vertrete ich offenbar das Prinzip des Friedens. 

So viel von meiner Schrift und der Anklage. 

Ehrloſe Sefinnung. 

Der Oberreichsanwalt bat ſich erlaubt, mid) aud) perſönlich hinein- 
zuziehen und meinen Charafter anzugreifen. Der Oberreichsanwalt 
bat den Antrag geftellt auf zwei Jahre Zuchthaus, wenn ich mid) nicht 
irre — id) habe nicht genau hingehört —, und wohl auch auf Ehrverluft; 
er bat mir ehrloje Gefinnung nachgefagt. Sa, meine Herren. Chrloje 
Gefinnung — Sie fünnen glauben, daß ich fie habe. Es ift möglich; 
meinethalben; ih kann Ihnen den Glauben nicht nehmen. ch Itehe 
mit verjchränften Armen vor Ihnen. Was ich von meiner Gefinnung 
zu halten habe, daS weiß ich. Meine Ehre ift mein, und wenn fie alle 
fünfzehn der Auffaffung find, daß ich eine ehrlofe Gefinnung habe, und 
wenn Sie mid) ins Zuchthaus fchiden und mir die Ehrenrechte ab- 
ſprechen: Sch bin innerlich nicht berührt. Das wird von mir abprallen, 
und wird für meine Ehre fein wie ein Hauch auf einen blanfen Spiegel! 
Aber dem Oberreihsanwalt ganz befonders möchte ich nad) dem, was 
Gier zutage getreten ift, jede Legitimation abfpredjen, von meiner Ehre 
auch nur zu reden! 

Sm übrigen hat diefer Prozeß die denkbar beite Wirkung, mag das 
Kefultat fein wie eg wolle. Sie können meine Eriftenz vernichten und 


— —— 


die meiner Kinder; das iſt möglich. Aber im politiſchen Kampfe werden 
die Familien oft geopfert. Der Dienſt im politiſchen Kampfe iſt ein 
rauher Dienſt. Und wie der Soldat, der in den Krieg zieht, auf die 
Kugel gefaßt iſt, die ihn niederwirft, ſo weiß der Sozialdemokrat, der 
ſich aufs Schlachtfeld der Politik begibt: jeden Augenblick kann er dahin⸗ 
gerafft werden. Manch einer bleibt auf der Strecke. Es iſt ein Mann 
über Bord; es werden andere an ſeine Stelle treten! Sagen Sie: 
Mann über Bord! Hier iſt für meine antimilitariftifchen Gedanken 
eine glänzende Propaganda gemacht worden. Unſerer Juftiz aber ift, 
wie mir fcheint, fein großer Dienft erwiefen worden. Und es hat ſich 
hier von neuem gezeigt, was im politifhen Prozeß die Regel ift: der 
Pfeil kehrt fid) gegen den Schützen und trifft den Schützen! Ach fühle 
mid hier nicht als Angeflagter, wenn id) and) verurteilt werde, 


Der Präfident verfündigt die Fortſetzung der Sehandln auf 
Sonnabend 11 Uhr. 


Dritter VBerhandlungstag. 


Zeipzig, den 12. Oftober. 


Zu der Ben Sikung herrfcht wiederum ein ungeheurer An- 
drang. Die Korridore und Treppen des Reichsgerichts find lange vor 
der feitgefegten Stunde bon einer großen Menjchenmajle bejegt, die ſich 
bei der Deffnung der Türen zum Sitzungsſaale Dean ſucht. 
Es wird jedoch eine ſtrenge Kartenkontrolle geübt. Trotzdem ift der 
geräumige Zuſchauerraum im Nu bis auf den letzten Platz gefüllt. 
Auch die Logen ſind überfüllt. Auf dem großen Platze vor dem Reichs- 
nn bat ſich eine vieltanfendföpfige Menge angejammelt, die 

uch ein Schukmannsaufgebot nur mühjam zurüdgehalten wird. Kurz 
nad) 11 Uhr erſcheint der Gericht3hof. 

Der lem Senatspräfident Dr. Treplin fragt die Prozeß- 
beteiligten, ob fie noch Erklärungen abzugeben haben. 

Oberreichſsanwalt Olshaufen: Der Herr Angeklagte, dem am letzten 
Berhandlungstage das letzte Wort erteilt worden war, und der an- 
nehmen fonnte, daß nad) dem gewöhnlichen Gange der Verhandlung ich 
nicht mehr in der Lage jein würde, noch etwas auf feine Ausführungen 
zu erwidern, hat eingehende jurijtiihe Darlegungen und eingehende 
politifhe Ausführungen gemadt. Es liegt mir ganz fern, bier int 
einzelnen darauf einzugehen. Auf die politiihen Musführungen, von 
denen der Herr Angeklagte deutlich zu erfennen gab, daß er fie machte, 
um in diejem Gerichtsfaal Propaganda für feine Ideen zu machen, 
gehe ich nicht ein, weil fie nach meiner Auffaliung überhaupt nicht zur 
Sade gehören. Auf die juriltiihen Ausführungen im einzelnen gehe 
ich nicht ein, weil fie in der Hauptjache derartig irrtümlich waren, daß 
ich nicht genötigt bin, ein Wort darüber zu fagen. Er hat aber —— 
den Kommentar ———— ausſpielen zu können gegen den Oberreichs⸗ 
anwalt Olshauſen. Er hat aus einem Kommentar von mir eine Stelle 
zur Verleſung gebradit, die angeblich) in Widerſpruch fteht mit dem, was 
ich bier perjönlich ausgeführt habe. Er hatte damit bei einem Teile 
des Publikums einen SHeiterfeit3erfolg zu verzeichnen. sch glaube, es 
wäre richtiger geweſen, wenn der Herr Angeklagte, ftatt aus einer 
älteren Auflage hier etwas zur Verlefung zu bringen, zu der neueften 
Auflage gegriffen hätte. Er hätte dann ſehen müſſen, daß das, mas 
ich früher vertreten habe, in der neneften Auflage ich nicht mehr vertrete. 
Mit der mir in ſolchen Dingen immer eigenen Offenheit habe ich in 
der neuelten Auflage ausdrüdlich darauf hingewieſen, dab ich auf Grund 
eingehendften Studiums zu einer anderen Anficht gefommen bin. Sch 
babe eh Studien über diefe Schwierige Materie gemadjt und bin 
auf Grund hervorragender, Arbeiten, jo 3. ®. auf Grund der Arbeit 
von Binding, zu einer veränderten Auffaffung gefommen. Wenn der 


Er vB: 


Herr Angeklagte das getan hätte, dann würde er allerdings feinen 
Seiterfeit3erfolg gehabt haben. Er hätte dann nicht jagen können, daß 
der Oberreichsanwalt Olshauſen hier nicht feine wiſſenſchaftliche Ueber- 
zeugung vertreten habe. Der Herr Angellagte hat behauptet, ich hätte 
ihm Feigheit vorgeworfen und hat dabei auf fein mutige Benehmen 
bier in diefem Saale hingewiefen. Ich habe ihm nicht den Vorwurf 
der Feigheit gemacht, Al Verhalten habe ich nicht fritifiert. Das, was 
id) getan habe, it, daß ich ausführte, daß er ſich in feiner Schrift, 
die nach meiner Auffajjung eine Vorbereitung zum Hochverrat daritellt, 
verjchiedene Male, namentlih in den Schlußfapiteln, die Maske der 
Gejegmäßigfeit angelegt hat. Das ift aud) jet noch meine Anſicht und 
das ift etwas ganz anderes al3 der Vorwurf der Feigheit. Dagegen 
babe ich behauptet, daB der Angeflagte ans ehrlofer Gefinnung heraus 
aehandelt habe. Der Angeflagte hat dagegen protejtiert und er hat 
mir die Legitimation abgeiprodhen, mit einer Wendung, die nit nur 
nad) meiner Auffaſſung, jondern auch nad) der Auffaljung des „Vor⸗ 
wärt3” eine perjönliche Spike gegen mid) enthielt. 

Der „Borwärts“ hat in jeinem Bericht durchaus richtig wieder- 
gegeben, daß der Angeklagte gefagt hat: „Rad) dem, wa3 in diefem 
Saale vorgegangen ift, Tpreche ich dem Oberreichsanwalt jede Legiti- 
mation ab, über meine Ehre auch nur mit einem Worte zu jprechen.” 
Darauf erwidere ich folgendes (mit erhobener Stimme): Ich habe nicht3 
zu fcheuen von dem, wa3 bier zutage getreten ift, und der Angeklagte 
weiß, daß ic; als Vertreter der Staatsanwaltſchaft hier Niene und als 
—* PINS auch das Strafmaß zu erörtern habe. Er wei. 

daß ich mic mit dem $ 20 des St.-6.-B. beichäftigen mußte, und er 
weiß aud, daß e3 zur Aufgabe der Staatsanwaltſchaft gehört, über 
bie anzuwendende Strafe zu ſprechen. Es war meine at einen be⸗ 
ftimmten Strafantrag zu formulieren. Wenn id) nad) der Prüfung 
des ganzen Materials zu der Ueberzeugung komme, daß hier ein Ber- 
brechen vorliegt, und wenn ich weiter jage, daß dieſes Verbrechen einer 
ehrloſen Gefinnung entipringt, jo tue ich nichts als meine Pflicht, fo 
unangenehm e3 dem Angeflagten aud) jein ab. daß ich hier vor aller 
Deffentlichkeit dag ausſprechen mußte, jo Tann ich doch daran nichts 
ändern. Der Angeklagte hat ſchließlich geglaubt, mit einer gewiſſen 
Emphaſe auf ſich Hinweifen zu fünnen und zu fragen: Wo fteht hier der 
Ankläger und wo der Angeklagte? Bei den letzten Worten hat er auf diefe 
Bank hingewiefen. Sch muß das auf das entſchiedenſte zurückweiſen. 
Ich jtehe hier at fniferlicjer Ernennung als Vertreter der Anflage- 
behörde. Ich laſſe mir diefen Poſten nicht ftreitig machen. Der einzige, 
der hier angeklagt ift, fteht da, wo er hingehört (auf Dr. Liebfnecht 
weifend) das ift Dr. Karl Liebknecht Weiter habe ich nichts zu ſagen. — 

Liebknecht: Herr Präſident, ich bedauere, aus den Worten des 
Herrn Oberreichsanwalts entnommen zu haben, daß er fi) von eine» 
richtigen Anſicht zu einer unrichtigen Anficht entwidelt hat. ch hege 
ein gewijjes Gefühl der Pietät gegenüber dem Vertreter der Anflage- 
bebörde, weil der Oberreichdanmwalt uns Juriſten alle viel Gutes. gelehrt 
hat. Bei dieſem Gefühle der Pietät ift e8 mir innerlich ſehr ſchwer ge- 
weſen, gegen ihn da3 zu fagen, was zu fagen ich. für notwendig gehalten 
habe. Trotz alledem habe id} von dem, was ic gejagt habe, nidt ein Wort 
— und muß insbeſondere auch jetzt noch einmal betonen, 
aß ich hier in aaa Saale meine Stelle nicht taufchen würbe mit der 
Stelle des Herrn Oberreichsanwalts. (Anhaltende Bewegung.) — 
Hierauf zieht fi der Gerichtähof zur Beratung auenc 


_ 79 — 


Nach etwa Halbitündiger Beratung verfündet der Senat3präfident 
Treplin folgendes 


Urteil: 


Der Angeklagte ift jchuldig der Vorbereitung eines hoch⸗ 
verräteriſchen Unternehmens und wird mit Feltungshaft Yon 
einem Jahr und ſechs Monaten beitraft. Die Koften des Ver— 
fahrens fallen dem Angeflagten zur Laft. : 

Alle im Beſitze des Verfafjers, Druckers, Herausgebers, Ver 
leger3 oder eines Buchhändlers befindlichen Eremplare der be- 
ſchlagnahmten Schrift „Militarismus und Antimilitarismus” 
ſowie die öffentlich ausgelegten oder öffentlich angebotenen 
Exemplare diefer Schrift, dezgleihen die zu ihrer Herftellung 
beitimmten Blatten und Formen find unbrauchbar zu machen. 


In der Begründung führt der Vorfigende aus: Das Gericht hatte 
zunächſt zu prüfen, ob der Einwand des Angeklagten, er ftände einer 
ganz neuen Anklage gegenüber und er könne wegen der hier neu gegen 
ihn erhobenen Anklage nicht, verurteilt werden, weil inzwiſchen Ver- 
jährung eingetreten fei, rihtig war. Der Gerichtshof hat diefen Ein- 
wand zurüdgerwiejen. Nach dem Geſetz bildet den Verhandlungsftoff 
die in dem Eröffnungsbefchluffe bezeichnete Tat. Die Tat, der der An- 
geflagte befchuldigt tft, ift die im Eröffnungsbefchluß bezeichnete Tat des 
Verbrechens gegen 8 86 in Verbindung mit 8 81 Abſatz 2 des Strafgejeh- 
buches. Das Gericht iſt der Anficht, daß die Verhandlung fi im Rahmen 
des Eröffnungsbeſchluſſes gehalten hat. Denn nad) 88 263, 153 St.-Br.-D. 
waren wir nicht behindert, neben der im Eröffnungsbeihluß vor- 
genommenen Individualiſierung der Tat auch andere Gefichtspunfte 
geltend zu machen. 

In der Sache jelbit hatte der Gerichtshof zunächſt in eine Beratung 
darüber einzutreten, ob die Tatbeftandsmerfmale einer borbereitenden 
Handlung zum Hochverrat gegeben waren. Der Gerichtshof ift zu der 
Meberzeugung gefommen, daß daS Tatbeitandserfordernis vorliegt. Es 
muß eine vorbereitende Handlung vorliegen, es muB eine Handlung 
borliegen, die ein hodjverräterifdhes Unternehmen vorbereitet. Wenn 
diefe Borausfegungen vorliegen, dann war der Tatbeitand erfüllt. 

Was das Tatbeftandsmerfnial der Vorbereitung anbetrifft, fo kann 
fein Zweifel darüber bejtehen, daß es in der Verhandlung erichöpfend 
nachgewieſen iſt. Es muß andererfeit3 eine Handlung vorliegen. Die 
Verteidigung und der Angeklagte haben eingeivendet, eine ſolche Sand- 
Yung liege nicht vor, e3 handele ſich um ein Jehrhaftes Bud, um eine 
Darlegung von politiichen Grundfägen, um eine politifhe Geſinnung. 
Es iſt der Verteidigung zuzugeben, daß, wenn diefe Vorausſetzung ge 
—* wäre, eine Verurteilung nicht hätte erfolgen können. Aber es iſt 

em nicht ſo. Es iſt richtig der Standpunkt der Verteidigung, daß 
Gefinnungen niemals Gegenſtand einer ſtrafrechtlichen Verurteilung 
fein können. Es muß vielmehr eine Handlung vorliegen, die äußerlich 
in die Erſcheinung tritt. 

Es müffen beftimmte Intereſſen verlett oder gefährdet fein. Nach 
der Anficht des Gerichtshofes ift das für den vorliegenden Yall nad) 
gewieſen. Es müffen nun weiter Mittel nachweisbar fein, durch welch 


— 0 — 


die Handlung verwirklicht werden fol. Als ſolche Mittel find in anderen 
Fällen 3. ®. die Sammlungen von Geldern für einen Nationalfonds 
und fo weiter angejehen worden. Es iſt von einer Seite hier eine vor⸗ 
bereitende Handlung darin gefunden worden, dab in der Broſchüre die 
Förderung eines Krieges mit Frankreich zu erfennen fei, daß es fin 
— darum handele, ſich in den Beſitz von Waffen zu ſetzen und dieſe 
auszunützen. Das hat der Gerichtshof nicht als feſtgeſtellt er- 
achtet. 

Die Mittel, durch welche der Angeklagte eine Vorbereitung zum 
Hochverrat betätigt hat, ſind 
die Jugendorganiſationen. 

Richtig iſt auch, daß ein bloßer Hinweis auf das Beſtehen der 
Jugendorganiſationen nicht genügt. Die Jugendorganiſationen können 
zum Beiſpiel ſich die Einrichtung von Arbeiterſchulen und die Organi- 
Kerne der Jugend zum Biel maden Das Beitreben, Sugendorgani- 
ationen zu bilden, genügt alfo nicht. Der Inhalt des Buches aber 
läßt mit ungweifelhafter Gemwißheit erfennen, daß der Angeklagte gerade 
im Gegenteil zu derartigen allgemeinen Beitrebungen es fi zur Auf 

abe gemacht hat, die — ———— zu dem ausgeſprochenen 
vet und Ziel der Belämpfung des Militarısmns zu benuten. Es 
handelt fi) auch nicht um unbeſtimmte Pläne, die fi) der Angeklagte 
gefegt hat, jondern um bejtimmte Vorſchläge, die ſich als Vorbereitung 
zum Hochverrat darftellen. Er hat dieſe Organifationen big ins einzelne 
gegliedert, er hat ein beſtimmtes Arbeitägebiet vorgeſehen, innerhalb 
deſſen er arbeiten will. Die Sugendorganijationen follen fi) befonders 
der Sugend im Alter von 15 bis 17 Sahren annehmen. Er hat aud) eine 
Arbeitsteilung nad) Maßgabe des vorhandenen Materials für notwendig 
erachtet, und es iſt davon geſprochen worden, daß möglichit diejenigen 
Leute in der Sugendorganifation auftreten follen, die beſonders ge- 
wandt und mit den Beitimmungen des Geſetzes vertraut feien, fo daß fie 
die Schlauheit befiten, ſich nicht von den Angeln des Gefetes fallen zu 
luſſen. Der Zweck joll die ſyſtematiſche Durchglühung von Haß gegen 
den Militarismus bei der Sugend fein. Diejer Haß findet feinen präg- 
nanten Ausdrud in einer Stelle der Brofhüre, wo gejagt wird: So 
Perg (vom Militarismus) die Menſchen gezähmt, wie man Tiere 
zãhmt. 

Nun wird nach Maßgabe des Geſetzes als Tatbeſtandsmoment für 
ein hochverräteriſches Unternehmen auch der Nachweis gefordert, daß ein 
beſtimmtes hochverräteriſches Unternehmen vorliege, daß das Unter— 
nehmen nicht in nebelhafter Ferne, ſondern in klaren Umriſſen vor⸗ 
handen ſein muß. Richtig iſt, daß nicht eine konkrete Geſtaltung des 
Bildes in allen Einzelheiten verlangt wird. Es genügt, daß ſich in den 
Vorſtellungen des Angeklagten ein Geſamtbild dargeſtellt hat. Daran 
fehlt es hier aber nicht. 

Nun ſoll das hochverräteriſche Unternehmen darin beſtehen, daß der 
Angeklagte eine Aenderung der Verfaſſung beabſichtigt, und zwar eine 
gewaltſame Aenderung. Wenn von einer Aenderung der Verfaſſung des 
Deutſchen Reiches die Rede iſt, ſo muß dabei betont werden, daß es ſich 
nicht um eine Aenderung der geſamten Verfaſſung zu handeln braucht. 
Es können auch Aenderungen von einzelnen Teilen der Verfaſſung in 
Frage kommen. Hierbei iſt wiederum zu betonen, daß nicht jeder Teil 


— 8— 


der Aenderung der Verfaſſung den Tatbeſtand des Geſetzes darſtellt. Es 
erfüllen zum Beiſpiel die Aenderungen von nebenſächlichen Be— 
ſtimmungen, wie die Aenderung der Kauffahrteiflagge, der Uniformen 
und jo weiter den Tatbeitand des Gejekes nicht. Es handelt ſich aber 
bier nit um eine ſolche Wenderung, es handelt fi) hier um eine 
Aenderung der verfaflungsmäßig gegebenen Grundlagen für das Reich, 
um eine Nenderung der verfaſſungsmäßig gegebenen Grundlagen für 
das Rechtsleben: nämlich der Yultändigfeiten einerjeit3 des Kaifers, 
andererjeit3 des Volkes und des Reichstags. Vom Reichstag jpricht der 
Angellagte nicht, wohl aber von den Rechten des Kaiſers. Die gejamte 
verfaffungsmä ige Wehrverfaflung, das ift das Objekt, gegen das fid 
die vorbereitende Handlung richtet. Der Kaiſer hat als oberiter Kriegs⸗ 
herr unbedingten Anſpruch auf Gehorfam der Armee im Kriegsfalle 
und die Entiheidung über Krieg und Frieden. Eine Ausſchaltung 
diejer fundamentalen Beitimmung ift erforderlich zur Erfüllung, des 
Zatbeitandes. Nicht genügen würde in einem einzelnen Falle eine Hem- 
mung diejer Rechte; erforderlich ift eine generelle Ausſchaltung. Diele 
liegt al3 Biel. beim Angeklagten vor. — Es handelt ſich bei ihm auch 
nit nur um eine Ausſchaltung diejes Rechts des Kaiſers im Falle eines 
Krieges nad) außen, fondern nicht minder um eine Ausſchaltung im 
alle einer Mobilmahung des Militärs nad) innen. Der Angeklagte 
unterfcheidet grundfäglich diefe beiden Fälle. 


Es ift weiter notwendig, daß diefe Verfaffungsänderung ein gewalt- 
fame jein joll. Der Gerichtshof hat feine Bedenken getragen, das für 
uachgewieſen zu halten. Die Vorausfegungen dafür brauchen nicht in aller: 
Einzelheiten dargeftellt zu jein, jondern e3 genügt ein Gejamtbild, wie 
fi) die Verfaffungsänderung im einzelnen Falle geftaltet, ob durd) 
Meuterei, durch unmittelbaren Angriff, durch Fahnenflucht oder fonft- 
wie, da3 iſt glei. Dar diefer Vorgang und diefe Nenderung nur ge- 
waltfam vorgenommen werden können, das folgert der Gerichtshof aus 
der logiſch hiftorifchen Entwidelung der Dinge. E3 muß anerfannt 
werden und iſt aud) nicht anders denkbar, daß die Verwirklichung der 
Gedanken de3 Angeklagten notwendig die Gewalt zur Konjequenz hat. 
Der Angeklagte verfennt das auch jelbft nicht. Das geht auf Seite 114 
der Schrift herbor, wo ausgeführt wird, der Militärſtreik ſei ebenjo wie 
die etwaige Aktivierung der Truppen für die Revolution nur als eine 
logiſch und pſychologiſch notwendige — —— Zerſetzung des mili⸗ 
täriſchen Geiſtes zu betrachten. Es kommt in dieſer Beziehung auch die 
Barteiftellung des Angeklagten in Frage. Einmal fein Standpunkt 
zum Hervéismus. Es iſt richtig, daß der Angeklagte in feinen Beſtre— 
bungen nicht mit Hervé identifiziert werden kann, es iſt auch richtig, 
wenn vom Beugen Bebel hier gejagt wurde, daß der Angeklagte vom 
Serpeisinus abgerücdt jei. Aber der Unterfchied ift nur ein folcher, der 
die Sache jelbit nicht berührt. Wenn Hervé unter allen Umftänden den 
Militäritreif proflamiert, jo ift das zwar nicht die Meinung des Ange- 
flagten. Er meint, daß im einzelnen Fall zu unterfcheiden fei. Er drüdt 
fi) aus: distingo, er will fid) die Entjcheidung vorbehalten. Er fteht 
in diefer Beziehung auf dem Standpunkt der Refolution Vaillant, die in 
Limoges proflamiert wurde, und auf dem Stuttgarter Kongreß disku- 
tiert wurde. In diefer Refolution ift ausgeiprochen, daß in jedem ein- 
zelnen alle zu erwägen jein würde, welche Mittel Anwendung finden 
follen, und als ein ſolches Mittel wird auch der Militärftreit ange- 


— 82 — 


führt. Der Angeklagte Hat an einer Stelle ſeiner Broſchüre dieſe Reio- 
Iution gebilligt und damit hinreichend zum Ausdrud gebradjt, dak mit 
der Möglicjkeit des Militärftreits in einzelnen Fällen zu redinen iſt 
Die Parteiſtellung des Angeklagten war aber weiter zu prüfen mit Rüd- 
fiht auf die Stellung, die er auf den verfchiedenen Barteitagen und 
Kongreſſen eingenommen hat. Daraus hat das Gericht gefolgert, daß 
der Angellagte jahrelang in bewußtem Gegenjat zu den Führern jeiner 
Partei die Vejtrebungen verfolgt hat, die er auch in der Broſchüre ber- 
trat. In diejer — find in Erwägung genommen die Dar- 
legungen, die bom Zeugen Bebel bier gemacht find, daß wiederholt geger. 
den Angellagten Front gemadt ift, und ferner aud) die hier verlejene . 
Aeußerung eines anderen Führers, des Abgeordneten v. Vollmar, der 
insbefondere auch dagegen proteftierte, daß nicht zuzugeben fei, wenn 
der Angeflagte behauptete, mit der Stuttgarter Rejolution ſei ein gutes 
Stüd vorwärts auf feiner Bahn gemadjt worden. — Neben dem Milita- 
rismu3 nad) außen jcheidet der Angeklagte grundfäglic den Milita- 
rismus nad) innen. Auch dabei ift feftgeitellt, daB der Angeklagte in 
diefer Beziehung Gewalt zur Anwendung Denen will. Er ſpricht von 
einem Staatsſtreich und ſpricht aud) von der Möglichkeit von Arbeiter- 
unruhen, und in dieſer Beziehung von der Möglichkeit der Verwendun 

des Militärs. Er meint, ſolche Möglichkeit müſſe mit Stumpf un 

Stiel sans phrase ausgerottet werden. 


Es ift aber auch notwendig, daß die Handlung des Angeflagter 
nit in einer völlig unabjehbaren Zeit verwirklicht werde, jon- 
dern in einer abaujehenden Zeit. Aucd an diefem Erfordernis fehlt 
es nicht. Tendenz und Gejamtinhalt der Schrift laſſen feinen Zweifel, 
daß, der Angeklagte auf dem Standpunkt fteht, daß die Weltpolitit un- 
gezählte Konfliktsmöglichkeiten in ſich birgt; er weiſt auf die Kolonial. 
politik und anderes hin. Bei diefer Sachlage rechnet der Angeklagte mit 
der Tatjache, dab Friegerifche Vermwidelungen fid) in abſehbarer Zeit ent- 
wideln fönnen, und diefe Möglichkeit Liegt nit in weiter Terne, und 
diefer Möglichkeit müſſe beizeiten ein Hindernis durch die Befeitigung 
des Militarismus bereitet werden. 

Der Gerichtshof hat hiermit Fein Bedenken getragen, alle Tat- 
beftandsmerfmale für vorliegend zu eraditen. 


Der $ 86 des Strafgefeßbuches ift nur in Verbindung mit $ 20 au 
beritehen. Danach ift Zuchthaus nur zuläffig, wenn feftgeftellt ift, daß die 
ftrafbare Handlung aus einer ehrlojen Gefinnung entiprungen tft. Der 
Gerichtshof ift nicht der Anſicht, daß eine ehrloſe Gefinnung vorliegt. 
Er ift dabei davon ausgegangen, daß e3 ſich für den Fall der Annahme 
ehrlofer Gefinnung um Motive handeln müßte, die außerhalb des Tat: 
beftands ſelbſt liegen. Als ſolche Motive hat es ehrlofe Gefinnung nicht 
finden können. Vielmehr ift der Gerichtshof zu der Anficht gefommen, 
daß der Angeflagte aus einer politifhen Ueberzeugung gehandelt hat, 
die, mag fie verfehrt fein oder nicht, den Vorausjegungen, die dag Geſeg 
für eine ehrlofe Gefinnung verlangt, nicht entſpricht. 

Die Enticheidung über die Koften ergab fi) aus $ 497 der Straf- 
prozeßordnung. 

Was den Haftantrag des Oberreichsanwalts anlangt, jo hat ber 
Gerichtshof mangel3 Vorliegens eines Fluchtverdachtes diefem Antrage 
nicht ftattgegeben. 


— 8 — 


Darauf ſchloß Vorſitzender Reichsgerichts - Senatspräfident 
Dr. Treplin die Sitzung. Auf den Korridoren und auf der Straße hatte 
— manigen die Menge noch vergrößert und beiprad) lebhaft das 

rtei 

Vor dem Reichsgericht harrten Tauſende von Menſchen, vorwie⸗ 
gend Arbeiter in Arbeitskleidung, auch viele Arbeiterinnen, die den Ge- 
noffen Liebknecht bei feinem Erſcheinen mit lebhaften, nicht enden- 
wollenden Hochs empfingen und geleiteten. Zahlreiche Burufe befun- 
deten die Ueberzeugung, daß troß der Verurteilung der eigentlich Ge- 
"ächtete nicht Liebfnecht jei und daß unfer Genofje Liebfnecht mannhaft 
‚und erfolgreich für die Sache der Befreiung der Arbeiterklaffe und für. 
feine Veberzeugung gefocdhten hab 


Die auf dem „Internationalen Sozialiften- Kongreß” in 
Stuttgart angenommene 


Refolution über 
„Der Militarismus und die internationalen Konflikte‘ 


bat folgenden Wortlaut: 


„Der Kongreß beftätigt die NRefolutionen der früheren internationalen 
Kongrefie gegen den Militarismus und Imperialismus und ftellt aufs neue 
feft, daß der Kampf gegen den Militarismus nicht getrennt werden kann 
bon dem fozialiftifhen Klafjenfampf im ganzen. 

Kriege zwiſchen Tapitaliftifhen Staaten find in der Negel Folgen ihres 
Konkurrenzlampfes auf dem Weltmarfte, denn jeder Staat ift beftrebt, feın 
Abſatzgebiet fich nicht nur zu fihern, fondern auch neue gu erobern, mobei 
Unterjodung fremder Völker und Länder eine Hauptrolle fpielt. Diefe 
Kriege ergeben ſich weiter aus den unaufhörliden Wettrüftungen des Mili- 
tarismus, der ein Hauptwerkzeug der bürgerlihen Klaſſenherrſchaft und 
der wirtfchaftlihen und politifchen Unterjochung der Arbeiterklaſſe ift. 

Begünftigt werden die Kriege dur die bei den Kulturböllern im 
Intereſſe der herrſchenden Klaſſen fyftematifch genährten Vorurteile des 
einen Volfes gegen das andere, um daburd die Maſſen des Proletariats 
bon ihren eigenen Klafjenaufgaben fowie bon den Pflichten der inter- 
nationalen Klafjenfolidarität abzuwenden. 

Kriege liegen alſo im Weſen des Kapitalismus; fie werden erſt auf- 
hören, wenn bie Tapitaliftifde Wirtſchaftsordnung befeitigt ift oder wenn 
die Größe der durch die militärtecänifche Entwidelung erforderlihen Opfer 
an Menfchen und Geld und die durch die Rüftungen herborgerufene Empörung 
die Völfer zur Befeitigung dieſes Syſtems treibt. 

Daber ift die Arbeiterklaffe, die vorzugsweiſe die Soldaten zu ftellen 
und hauptſächlich die materiellen Opfer zu bringen bat, eine natürliche 
Gegnerin des Krieges, der im Widerſpruch zu ihrem Ziele fteht: Schaffung 
einer auf fozialiftifher Grundlage beruhenden Wirtjchaftsordnung, die die 
Solidarität der Völker verwirklicht. 

Der Kongreß betrachtet es deshalb als Pflicht der arbeitenden Klaſſe 
und inöbefondere ihrer Vertreter in den Parlamenten, unter Kennzeichnung 
des Klaſſencharakters der bürgerliden Gefellihaft und der Triebfeder für 
die Aufrechterhaltung der nationalen Gegenfäte, mit allen Kräften die 
Nüftungen zu Waſſer und zu Lande zu befämpfen und die Mittel hierfür 
zu berweigern, ſowie dahin gu wirken, daß die Jugend der Arbeiterklafie 
im Geifte der Völkerverbrüderung und des Sozialismus erzogen und mit 
Klaſſenbewußtſein erfüllt wird. 

Der Kongreß fieht in der demofratifchen Organifation des Heerweſens, 
der Volkswehr an Stelle der ftehenden Heere, eine weſentliche Garantie dafür, 
daß Angriffsfriege unmöglich und die Ueberwindung der nationalen Gegen- 
ſätze erleichtert wird. 


—— 


Die Internationale iſt außerſtande, die in den verſchiedenen Ländern 
naturgemäß verſchiedenen, der Zeit und dem Ort entſprechenden Aktionen 
der Arbeiterflaffe gegen den Militarismus in ftarre Formen zu bannen. 
Aber fie hat die Pflicht, die Beſtrebungen der Arbeiterklafje gegen den Krieg 
möglicäft zu verſtärken und in Zufammenhang zu bringen. 

Tatſächlich Hat feit dem Internationalen Kongreß in Brüflel das Bro» 
letariat in feinen unermüdliden Kämpfen gegen den Militarismus durch 
die Verweigerung der Mittel für Rüftungen zu Waffer und zu Lande, durch 
die Veftrebungen, die militärifhe Organifation zu bemofratifieren, mit 
fteigendem Nahdrud und Erfolg zu den verfchiedenften Aktionzformen ge- 
griffen, um den Ausbruch von Kriegen..zu verhindern oder ihnen ein Ende 
zu maden, ſowie um die durch den Krieg herbeigeführte Aufrüttelung ber 

Geſellſchaft für die Befreiung der Arbeiterklaffe auszunugen: _ 
fo namentlid) die Verftändigung der englifchen und franzöftfegen Gewerk⸗ 
ſchaften nach dem Faſchodafall zur Sicherung des Friedens und zur Wieder⸗ 
herſtellung freundſchaftlicher Beziehungen zwiſchen England und Frankreich; 
das Vorgehen der ſozialdemokratiſchen Parteien im deutſchen und im fran- 
zöſiſchen Parlament während der-Marokfofrifez die Rundgebungen, die zum 
gleihen Zweck bon den frangöſiſchen und deutſchen Sozialiſten veranftaltet 
wurden; die gemeinfame Aktion der Sozialiften Oefterreih und Italiens, 
die fi in Trieft verfammelten, um einem Konflilt der beiden Staaten bors 
äubeugen; weiter dag nahdrüdliche Eingreifen der fozialiftiihen Arbeiter» 
ſchaft Schwedens zur Verhinderung eines Angriffs auf Norwegen; endlich 
der heldenhafte opferwillige Kampf der fozialiftifhen Arbeiter und Bauern 
NRußlands und Polens um ſich dem vom Zarismus entfeſſelten Krieg zu 
widerſetzen, ihm ein Ende zu machen und die Kriſe des Landes zur Befreiung 
der arbeitenden Klaſſe auszunutzen. 

Alle dieſe Beſtrebungen legen Zeugnis ab von der wachſenden Macht 
des Proletariats und von ſeiner wachſenden Kraft, die Aufrechterhaltung 
bes Friedens durch entſchloſenes Eingreifen zu ſichern; die Aktion der 
Arbeiterklaſſe wird um ſo erfolgreicher ſein, je mehr die Geiſter durch eine 
entſprechende Aktion vorbereitet und die Arbeiterparteien der verſchiedenen 
Länder durch die Internationale angeſpornt und zufammengefaßt werden. 

Der Kongreß ift der Weberzeugung, daß unter dem Drud des Pro» 
Ietariat3 durch eine ernithafte Anwendung der Schiedsgerichte an Gtelle 
der kläglichen Veranftaltungen der Megierungen bie Wohltat der Wbrüftung 
den Völkern gefichert werden Tann, die e8 ermöglichen würde, die enormen 
Aufwendungen an Geld und Kraft, die durch die militärifhen Rüftungen 
und die Kriege verfehlungen werden, für die Sache der Kultur zu verwenden. 

Droht der Ausbruch eines Krieges, fo find die arbeitenden Klaffen und 
deren parlamentarifche Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, 
unterftüßt durch die zufammenfaffende Tätigkeit des Internationalen 
Bureau, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirk— 
ſamſten erſcheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die 
ſich je nach der Verſchärfung des Klaſſenkampfes und der Verſchärfung der 
allgemeinen politiſchen Situation naturgemäß ändern. 

Falls der Krieg dennoch ausbrechen ſollte, iſt es die Pflicht, für defien 
raſche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu ftreben, die 
durch den Krieg herbeigeführte wirtſchaftliche und politifhe Krife zur Aufs 
- rüttelung des Volles auszunutzen und dadurch die ae der —— 
u —— au — — 





Nachwort 


Am 12. Oktober war das Urteil verkündet, das, nach dem Geſetz 
unanfechtbar, ſofort die Rechtskraft beſchritt. Bereits am 16. Oktober 
— 4 Tage nad) der Verkündung — erhielt Liebknecht vom Oberreichs⸗ 
anivalt die Aufforderung, fih bi BermeidungderPBerhaftung 
oder ftelbrieflider Berfolgung fpäteften3 am 
24. Oftober zur Berbüßung der anderthalbjährigen Feitungs- 
baft beim Kommandanten der Feſtung Glatz (Schlefien), General 
t. Bienau, au melden. 

Am gleichen 16. Oktober beantragte Liebknecht beim Reichsgericht. 
ihm das Urteil vom 12. Oftober baldigft zuauftellen. Diefer 
Antrag blieb längere Zeit ohne Erfolg. Nach $ 275 der Strafprogeb- 
ordnung hätte das Urteil mit Gründen binnen drei Tagen zu den 
Alten gebracht werden müfjen. Liebknecht aber mußte feine Strafe 
entreten, ohne daß ihm das Urteil, dag ihm die Strafe zudiktierte, in 
die Sände gelangt wäre. Erft am 7. November, nidt 3 Tage, 
fondern 3 Wochen und 5 Tage nad) der Verkündung, erfolgte die 
Suftellung; d. h. genau 14 Tage nad) dem Strafantritt: 
denn am 24. Dftober war Liebfneht in die Bergfelte des Glatzer 
Donjons eingezogen, nachdem ihm die Sozialdemofratie der deutichen 
Reichshauptſtadt am 21. Oftober in einer Demonftration fo ge 
twaltig, wie fie Berlin bis dahin nicht gefehen hatte, Lebewohl und 
Auf MWiederfehen zugerufen hatte. 

Der Hochverratsprozeß gegen Liebknecht, zu deſſen eingehender 
Würdigung hier nicht der Raum ift, hat im Flaffenbewußten Proletariat 
Deutihlands und weit über die fchwarz-weiß-roten Grenzen hinaus 
Flammen entzündet, die durch den Schlag auf Schlag folgenden 
Kamarilla-Prozeß Moltfe gegen Sarden nod Heller 
entfacht wurden. Die fago-boruffiiche Reaktion aber fett ihren kleinlich⸗ 
brutalen Kampf gegen die proletarifchen Bildungsbeitrebungen und 
vor allem die proletarifhe Sugendbelehrung unbeirrt und unbelehrt 
fort. Ausichließung der Sugendlichen aus den Yrbeiterradfahr- 
und Arbeiterturndereinen, Verfaſſungsbruch des Potsdamer 
Negierung3präfidenten, der durch eine ftaatzftreichleriiche Aktion di- 
Bildungsporträge des Genoſſen Katzenſtein in Pots- 
dam gewalttätig hindern läßt; Landespermeifung des in Berlin 
wvohnhaften ungariſchen Genoſſen Alpäri, der an der 


— 87 — 


internationalen Jugendkonferenz in Stuttgart teilgenommen und in 
einer Verfammlung einige Worte mit dem „Hochverräter” Liebknecht 
gewechielt hatte: das find dieneueften Etappen in diefem „iyite- 
natijhen Feldzug“. Und im fommenden Reichsvereins— 
sejet plant man, wie männiglid) befannt, in gejchloffener Kolonne 
mit dem Blodliberalismus die freien Sugendorganifationen — „bon de: 
Maas bis an die Memel, von der Etich bis an den Belt“ — mit Hurra 
zu überrennen, der proletariihden Sugend über ganz 
Seutfhland Hin ihr fpärlides Koalitionsredt 
gänzlih zu entreißen. 
Deutſche Arbeiter, feid auf der Hut! 

. Zum Schluß fügen wir eine Notiz bei, die bürgerlide 
Blätter unmittelbar auf den Prozeß Liebknecht brachten: 

Der Kaijer fol dem Progeffe gegen Liebfnecht mit großem 
Intereſſe gefolgt fein. Schon bei der Erhebung der Anklage hatte 
der Monarch Berihteingefordert und war während der 
Verhandlung vor dem Reichsgericht verjhiedent- 
lih telegraphiid: benachrichtigt worden. Die 
Broſchüre Liebknechts Hatte dem Kaifer ſchon lange vor dem 
Prozeßz vorgelegen. Jetzt ift dem Monarchen ein ausfühbrlider 
ſchriftlicher Bericht zugeftelt worden. 





—— RAR | \% 
—* 


> N 
s BER EN 

* F ER 
9 ; Sn. J 
{ r SR: — 
| "ur, 2278* 
! ? 

N ie 





un Rus nm. 

































Buchhandlung Vorwärts 
Berlin SW.68 | Lindenstr. 69 







Sn neuer Auflage ift 
erſchienen: 


Wilhelm Piehknecht 


Sein Ceben und Wirken - 


Unter Benutzung ungedruckter Briefe 
. und Aufzeichnungen herausgegeben von 


s Kurt Eisner 
Mit Portraits und Abbildungen 
Preis Ik. 1.50 :: Agitationsausgabe Ik. 0.60 


- + Die ftändige Nachfrage gab dem Verlag bie 
Anregung, zur 80. Wiederteht des Geburtstages 
unferes „Alten“ die Biographie neu herauszu« 
geben. Der Verfafier Hat das Werkchen neu durch" 
geſehen und vielfach ergänzt und der Verlag hat es 
reich und geſchwackvoll ausgeftattet, ſo daß auch die 
—— die im —* der erſten Ausgabe 
eine Fülle neuer Anregungen darin finden 
werben. Unfere jlingere Generation aber fol 
an dem an Kämpfen fo reihen und dabei 
och von immer froher Siegeszuverficht befeelten 
Zeben des Alten ein nachahmenswertes Beifptel 
nehmen. Wilhelm Lieblnecht, der von feinen 
Gegnern beftgehaßte Führer der Sozialdemo- 
fratie, war einer der größten, aufopferungs- 
bolliten Lehrer des Proletariats, der unermüdliche 
itator für die Idee des internationalen Sozi⸗ 
alismus, der in zahllofen Verfammlungen das 
Evangelium von der Befreiung der Menfchheit 
bom Joch Tapitaliftifcher Anedtieaft gebwebigt 
at. Un feiner Stelle mag it das Büch 
inausgehen in bie großen Maſſen des nach 
bung und Wiffen hungernden Proletariats. 


Alle Parteibuchhandiungen und Kolporteare liefern die Broschüre 


Vorwärts Buchdruckerei und Berlagsanftalt Paul Singer & Co, Berlin SW. 68 




















wen MM