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Full text of "Literarhistorische Forschungen 19 21.1901"

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( 



























LITTKRARHISTORISCHE 

FORSCHUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 



VON 


Dr. JOSEF SCHICK 

o ö. Professor an der Universität 
München 

UND 

Dr. M. Frh. v.WALDBERG 

a. o. Professor an der Universität 
Heidelberg 


XIX. Heft 

J. SCHICK 

THOMAS KYD’s SPANISH TRAGEDY I. 



BERLIN 

VERLAG VON EMIL FELBER 
1901 



Thomas Kyd’s 


8panish Trage 


Herausgegeben 

vou 

J. Schick 


I. Kritischer Text und Apparat 
Mit 4 Faksimiles aus alten Quartos. 



BERLIN 

VERLAG VON EMIL FELBER 
1901 



Alle Rechte Vorbehalten. 


OhlenrothVche Buchdruckerei, Erfurt. 




TM35 

Lr 

)'C ■ l*1~ 2 I 


Herrn 

Prof. Dr. Hermann Breymann 


zum 


25jährigen Professorenjubiläum. 




Inhaltsübersicht. 


Seite. 

Vorwort. IX 

I. Kapitel. Beschreibung der alten Quartos. XIII 

II Kapitel. Kritik der alten Überlieferung.XXXXII 

III. Kapitel. Die neueren Ausgaben.LXXVII 

II. Kapitel. Kritische Prinzipien für die vorliegende 

Ausgabe.LXXXXI 

Text der Spanish Tragedy. 1 —111 

Die Interpolationen der Quartos 1602—1633.111—125 

lextkritischer Anhang.126—139 












Y o r w o r t. 


, y • jue prematur in annum!“ Erst nachdem sich 

diese u in mehr als buchstäblichem Masse erfüllt 

hat, st jnich endlich in der Lage, den Fachgeuosseu 

die Spant»» Trayedy auch in ihrem ursprünglichen Ge¬ 
wände vorzulegen und damit eine alte Schuld einzulösen. 
Hindernisse verschiedener Art, in erster Linie Überhäufung 
mit Arbeit, wie sie die arge Inanspruchnahme des aka¬ 
demischen Lehrers mit sich bringt, haben die Ausgabe so¬ 
lange verzögert. 

Auch jetzt biete ich vorläufig nur einen Teil: den 
Text uud den kritischen Apparat. Eine literarhistorische 
Einleitung, sowie einen erläuternden Kommentar hoffe ich 
folgen zu lassen: sie hätten diesen Band zu stark an¬ 
geschwellt, und ich konnte nicht hoffen, die doppelte Arbeit 
während eines und desselben Herbstaufenthaltes in England 
ganz zu bewältigen. Vielleicht wird sich dann auch noch 
eine kritische Ausgabe des “First Part of Jeronirao” 
anschliessen. 

Ich darf hoffen, dass die Wiedergabe des Textes der 
ältesten Quarto als eine zuverlässige wird befunden werden. 
Auch sind die Varianten der zahlreichen alten Quartos 
und auch der neueren Drucke unter dem Text so gut 
wie vollständig angeführt. Am Ende finden sich noch 
Angaben über die Zeilenabteilung und Interpunktion der 
älteren Drucke; doch habe ich in diesen Punkten nur das 
Nötigste gegeben und nicht mehr Vollständigkeit angestrebt. 

Schick. Spuniwh Tragedy. I 



X 


Vorwort 


Während so freilich die Behandlung der schwierigsten 
auf Kyd bezüglichen Fragen noch aussteht, glaube ich jetzt 
wenigstens einen zuverlässigen kritischen Gesamtapparat 
für das Studium des Textes geliefert zu haben. Bei der 
grossen Zahl alter Quartos und neuerer Ausgaben lassen 
sich die Gepflogenheiten elisabethanischer Verleger und 
Drucker, wie diejenigen moderner Herausgeber, an diesem 
berühmten Stück besonders gut studieren, und vielleicht 
lässt sich so der vorliegende Band mit seinem abgeschlossenen, 
lediglich textkritischen Inhalt mit Nutzen zu Seminarübungen 
in elisabethanischer Textkritik verwenden. 

Sonst liegt mir hier nur noch die Pflicht ob. eine 
grosse Dankesschuld abzutragen. Für Förderung aller Art 
(insbesondere für Überlassung älterer und neuerer Aus¬ 
gaben auf englisch, holländisch und deutsch) bin ich 
zunächst einer grossen Zahl von Bibliotheken verpflichtet, 
nämlich dem Britischen Museum, der Bodleiana, der 
Bibliothek von South Kensington, Sion College, Lambeth 
Palace und Trinity College, Cambridge; den Königlichen 
Bibliotheken von ’s Gravenhage, Kopenhagen, Berlin: den 
Universitäts-Bibliotheken zu Leyden, Bonn, Göttingen und 
München; der Stadtbibliothek zu Danzig; der Königlichen 
Hof- und Staatsbibliothek zu München; der Bibliotheque 
Nationale zu Paris; den Privatbibliothekeu von Alfred 
Huth, Esq., des Earl of Ellesinere, und insbesondere des 
Herzogs von Devonshire und des Herrn Dr. Freiherrn von 
Stauffenberg. 

Für gütig gewährte Auskunft, Verwendung und Ver¬ 
mittelung bin ich ebenfalls vielfachen Dank schuldig. In 
erster Linie dem Hohen Königlich-Preussischen Ministerium 
des Kultus, sowie den Vorständen der Universitätsbibliothek 
zu Göttingen und des Britischen Museums, dafür, dass sie 
mir die Benutzung der zwei ältesten Ausgaben neben- 



Vorwort 


XI 


einauder ermöglicht haben. Das freundliche Entgegen¬ 
kommen all dieser hohen Behörden hat mir die Entscheidung 
der wichtigsten Frage ermöglicht, die in dem vorliegenden 
Bande behandelt wird. Weiter gebührt mein Dank Mr. 
Fortescue und Herrn Geheimrat Prof. Dr. Dziatzko noch 
insbesondere für gütige Erlaubnis zur Nachbildung ihrer 
Obhut anvertrauter Schätze, Herrn Dr. Molsdorf in Göttingen 
«nd Mr. Dossetter in London für die schöne Ausführung 
der Photographien. Besonderen Dank schulde ich dem 
Herzog von Devonshire für höchst generöse Überlassung 
seltener Schätze aus der Bibliothek zu Chatsworth, die 
auch an Kydquartos ungewöhnlich reich ist, sowie seinem 
Bibliothekar, Herrn Prof. Strong, für wertvolle Aufklärung 
und gütige Mühewaltung. Ich danke den Recensenten, 
die sich öffentlich über meine kleine Tempi? Edition des 
•Stückes geäussert haben, wie auch vielen Freunden, die mir 
briefliche Belehrung oder Aufmunterung zukommen Hessen. 
Wehmütig gedenke ich meines Lehrers Zupitza, dem die 
Arbeit noch in ihrer ersten Gestalt als Habilitationsschrift 
der Universität Berlin Vorgelegen hat; des weiteren gebührt 
mein Dank Prof. Erich Schmidt. Mr. Sidney Lee, Dr. 
Furnivall — wer hätte nicht Dr. Furnivall zu danken —, 
Prof. Brandt, Mr. Mayhew und Mr. Gollaucz. Besondere 
Freude hat es mir gemacht, dass ich selbst aus Australien 
Beiträge zur Kritik des Textes bekommen habe; Mr. J. Le 
Gay Brereton hat mich mit einem diesbezüglichen Briefe aus 
Gladesville, New South Wales, beehrt. 

Den allermeisten Dank aber schulde ich dem 
Britischen Museum. Die wichtigste aller Quartos und eine 
grosse Zahl anderer lag hier; die Benutzung von aus¬ 
wärts geliehener Quartos wurde mir hier gestattet. Von 
seinen Beamten habe ich die vielfachste Förderung erfahren: 
für die vorliegende Arbeit habe ich besonders Dr. Garnett, 

Mr. Fortescue und Mr. Pollard zu danken. Für das, was 

l* 



XII 


Vorwort 


das Britische Museum dem Forscher im allgemeinen bietet, 
versagt das Wort: seit mehr als drei Lustren aber habe 
ich unzählige Mal gedacht, dass eine schönere und gross¬ 
artigere Gastlichkeit nicht geübt werden kann als in diesen 
stolzen und ehrwürdigen Räumen. 

München, im März 1901. 


J. Schick. 



I. Kapitel. 

Beschreibung der alten Quartos. 

Die Druckgeschichte der Spanish Tragedy beginnt mit 
dem Eintrag des Stückes in das Buchhändlerregister am 
d. Oktober 159*2. Der Eintrag lautet wie folgt (Arber, 
A Tr an script of the Registers of the Company of Station ers 
of London, II, 621): 

vjto die Octobris [1592] 

Abell J elfes Entred for his copie vnder th[e h]andes of 
master Hartwell and master Stirrop, a booke 
whiche is called the Spanishe tragedie of 
Don Horatio and Bellmipeia l ) &c . . . .vjd 
Debitam hoc | 

Wir haben nun im ganzen zehn alte Ausgaben der Spanish 
Tragedy erhalten, von denen drei noch vor dem Ab¬ 
lauf des 16. Jahrhunderts erschienen waren. Über die 
chronologische Folge dieser drei ältesten Ausgaben und, 
damit zusammenhängend, ihren textlichen Wert sind ver¬ 
schiedene Ansichten vorgebracht worden. Zwei derselben 
(repräsentiert durch die Göttinger und Bridgewater Quarto) 2 ) 
sind auf dem Titelblatt datiert und stammen aus den 
Jahren 1594 und 1599; eine dritte dagegen (die Garrick- 
Qnarto des Britischen Museums) weist keinerlei Datum auf, 
weder in Titel noch Kolophon, so dass die wichtige 


’) So bei Arber; Herbert lau Bellmipem (II, 
*) Vgl. unten Seite XXIII und XXVI. 



XIV 


I. Kapitel 


Frage sich erhebt, welches der älteste der erhaltenen Texte 
ist. Das Problem wird komplizierter dadurch, dass jede 
einzelne der drei genannten Ausgaben auf eine noch 
frühere hinweist, die von groben Fehlern (grosse funlts) 
gewimmelt habe, und von der, soweit bekannt, keiu 
Exemplar auf uns gekommen ist. 

Eine weitere Schwierigkeit in der Beurteilung dieser Frage 
erwächst dadurch, dass offenbar schon zu Beginn der Druck¬ 
geschichte der Spanish Tragedy Unregelmässigkeiten in der 
Aneignung des Druckrechts vorkamen, infolge deren eine 
Auflage schliesslich ganz konfisziert wurde. Wir ersehen 
nämlich aus dem oben gegebenen Eintrag, dass der erste 
Verleger der Spanish Tragedy Abeil Jeffes war, — also, 
wenn wir uns auf das Urteil seiner eigenen Berufsgenossen 
stützen, kein Träger eines Namens von gutem Klang. Ich 
citiere zu seiner Charakteristik eiue läugere Stelle aus 
Herberts Typographical Antiquities (II, 1160), die einer¬ 
seits im allgemeinen zeigt* wes Zeichens der Mann war. 
und speciell einen Passus enthält, der für die Druck¬ 
geschichte der Spanish Tragedy von grösster Wichtigkeit 
ist. Herberts Auszug aus dem Stationers ' Register 1 ) be¬ 
ginnt mit einer Verordnung vom 7. August 1592: 

11 Whereas Ata! Jeffes inJnly last did res ist the serche 
ivhiche Mr. Sterrop , warden, T. Dauson, <T T. Man, reuters, 
were appointed to make r — aecording tu thordonanees d - 
decrees; and for that he eontemptnonsly proceeded in printing 
a Look leithont anthority, eontrary to our Master his coni- 
mannde-menty and for that he refnsed t.o deliver the harre 
of his presse, ncilher icon/d deiner any of the books to he 
hrought to the hall , aecording to the decrees; and also for 
that he rsed eio/enre to the ofjicer in the serch: Yt is mar 

’) Ks eelieint aus einem Teil, der jetzt verloren ist, wohl dem 
■‘Court Book'' der Innung von 1570- 1008 (vgl. Art» er II, ST'.*)* 



Be Schreibung der alten Quartos 


xv 


therefore orderet!, hg a full court, that for his said offener 
he shall he committed to ward , according to the Ordinan- 
ees” &c. 

Nach Herberts Meinung wäre dann Jeffes allem An¬ 
schein nach bis zum 18. Dezember desselben Jahres 159*2 
in Gewahrsam gewesen; denn unter diesem Datum 
heisst es: u In full court — Ahe/I Jeffes , according to the 
dirertion of the lord Äbp. of Cant, his grace, appered and 
huntldg acknowledged his furnier offences d vndutyfidnes, 
crauing pardon d Ja war for the same, and promgsing 
hereafter to Igue as becometh an honest man; and to shew 
h im seif ohrdient d dutifull in the Company , <(’• to the ordonan- 
ces thereof, Abel Jeffes. n 

Wenn Herberts Vermutung richtig wäre, so müsste 
Jeffes hinter Schloss und Riegel gewesen sein, als die 
Spanish Tragedg am 6. Oktober auf seinen Namen ein¬ 
getragen wurde. Doch möchte man eher glauben, dass er 
sich auf freiem Fusse befunden habe, als er diesen Eintrag 
bewerkstelligte, um so mehr, als wir zu der Annahme Grund 
haben, dass Jeffes eben während der fraglichen Monate 
zu Eude des Jahres 1592 die Spa ui sh Tragedg auch 
wirklich publizierte. So klingt auch gleich die nächste 
Bestimmung des hohen “Court” der Innung tröstlicher; 
unter dem gleichen Datum. 18. Dezember 1592, heisst es: 
“ Yt is ordered, that if the book of Dr. Taustus 1 ) s/ndl not 

l ) Dem Leser wird nicht entgehen, dass diese Stelle ziemliche 
Wichtigkeit für die englische Faustforschung besitzt. Das Schönste 
wäre, wenn angesichts obiger Stelle die Vermutung Stich hielte, du» 
Jeff«*-* hier Marlowes Drama eintragen lassen wollte, nachdem sein 
Rivale White sich in demselben Jahre das Faustbuch gesichert hatte. 
Allein unsere Stelle ist auch mit derjenigen bei Arber III, zu- 
surnineiizuhalten, wo ein Eintrag vom 5. April 1506 lautet: Edward 
Wh i t e. Entred for his eopie (hehavinge thinterest of abeil J effos 
thereto) The hixtonj cf the Damnahle Life and Jhjsenied Ihaih of 
l hßrf ///• John Faust us .vjd. Letzteres i>t nämlich der 



XVI 


1. Kapitel 


he found in the Hall Book entered to Rd. Oliff before Abeil | 
Jeff es claymed the same, which was about May last, Thal | 
t/ien the said copie shall remayne to the said Abeil hk 
proper copie from the tyme oj his first clayme I 

Nun aber folgt ein neues Vergehen, für das Jeffe^ J 
und seinem Spiessgesellen resp. Rivalen Edward White 
abermals Arreststrafe droht — es ist der für uns besonders 
wichtige Passus über die Spanish Tragedy (der Eintrag 
scheint ebenfalls vom 18. Dezember 159*2 zu sein): " Wherea .< 
Edwfard] White & Abeil Jeffes haue each of them offended, 
viz. E[dward] Wfhite] in hauing printed The Spanish 
tragedie belonginge to A[bell] Jfeffes] And A. J. in har'nuj 
printed The tragedie of Arden of Kent 1 ), belonginge to E. 

W. Yt is agreed that all the books of each Impression 
shalbe confiscated & forfayted, according to thordonances, 
to thuse of the poore of the Company. Item, yt is agreed | 
that either of them shall pay for a fine — 10 s a pece, 
presently or betweene this & our Lady dag nextfi) And as 

Titel des englischen Prosa-Faustbuches von P. F., welches Thomas 
Orwin 1592 für Edward White druckte. Aber kuriose Leute sind 
dann diese elisabethanischen Drucker und Verleger jedenfalls gewesen. 
Dann hätte White im Jahre 1592 auch mit dem Faustbuch See¬ 
räuberei getrieben, und sich dann nachträglich, vier Jahre später, in 
einem Anfall von Tugend, “Abell’s interest” auch noch rechtmässig 
angeeignet. Jeffes seinerseits hat jedenfalls das englische Wagner¬ 
buch gedruckt (1594; eingetragen 16. November 1593, Arber II, 640). ( 

Marlowes Drama ist bekanntlich, soweit wir dies kontrollieren j 
können, erst merkwürdig spät (von Thomas Bushell, am 7. Januar 1601, 1 

A rber III, 178) eingetragen und noch ein paar Jahre später gedruckt 
worden (1604). Hat also doch vielleicht Abell “an abortive attempt” 
gemacht, im “Book of Dr. Faustus ’’ auch Marlow'es stolzestes Schiff 
erstmalig vom Stapel zu senden? 

’) Eingetragen für White am 3. April 1592 (Arber II, 607). 

s ) Am Rande stand nach Herberts Angabe: “Solut. X s. per 
E. White, in May 1593”. Vgl. hierzu Arber II, 864 (Mai 1593): 




< 



Beschreib um; der alten Quartos 


XVII 


fonchiny their imprisonment for the said offene?, yt is re/erred 
0ner to some other connenient tyme, at the discrecon of 
the Mr. Wardens & Assistant». Item , Abell hath pro mixed 
to pay the rjd in the (i. to thuse of the poore uhich he owth 
for Quintus Curtius. n 

Schulden, und immer Schulden auf dem armen Jeffes! 

Blättern wir nach Herbert auch bei Arber nach, so 
wird der allgemeine Eindruck noch durch betrübendes 
Detail, bei dem manchmal das Herz weh thut, verstärkt. 
Eben um die Zeit, wo er die Spanish Trayedy eintragen 
liess, ist öfter die Rede von u Jeffes disorder ”: unterm 
22. Juli 1592 (I, 560); unterm 13. und 14. Dezember 1592 
• I, 561); auf der folgenden Seite ist ein Eintrag aus dem 
.lahr 1593, nach welchem Jeffes 200 Exemplare von u Londons 
(.‘oinplayute n versetzt und 10 Schilling dafür geliehen er- 
liält (dies wurde später wieder beglichen, I, 568 unten); 
am 12. Oktober 1593 bekommt er £ 2. 7 s. geliehen 
(I, 566); auf derselben Seite: u Item gyven to Abell Jeffes 
at Lambeth the same tyme ij s”; weiter unten: a Item Gyven 
to Abell Jeffes wyfe for her Relief when her howse 
was visited Vs.” 

Ruhmlos wie der Verlauf, war auch das Ende seiner 
Drucker- und Verlegerlaufbahn. Noch nicht lange hatte 
er den Druck des Göttinger Exemplars der Spanish Trayedy 
(1594) hinter sich, da hören wir wieder, unterm 3. Dezember 
1595, von unserm Delinquenten (Herbert a. a. O.) 1 ): u Abell 
•Jeffes hath disorderly —- printed a lewde booke called The 
most stranye prophecie of I)r. Ciprianus , <('• c. and diuers 
other letale hallads & thinyes very ojfensiuYt is therefore 

Kd ward White Keceaued of him for a fine accordinge to ye order 
sett downe betwen him and A Jeffes IS. Jfecetnbris [1502] 
vltimo .X*. 

J<■ ffos ist es wahrscheinlich heute noch schuldig. 

’) Vgl. auch Arber II, 825. 




XVIII 


I. Kapitel 


ordered — t/iat his presses cf’ Zetters cf’ other printing stufte 
which teere seizeit cf’ brought to tlie Hall for the suid ojfences, 
riz. One presse, xij paire of cases, and certen fonrmes of 
Zetters skull be defaced *) cf* müde cnseruiceable for print- 
inge” 

Dies ist der Held, unter dessen Banner die Spant sh 
Tragedy ihren Siegeszug durch die Welt antreten sollte — 
wie man sieht, ein Held mit mehr als einem u blot in the 
scutcheon”. Und doch, wenn das Auge des modernen Forschers 
über die Listen seines Verlags hingleitet, regt sieh ein Ge¬ 
fühl sympathischen Wohlgefallens beim Anblick so vieler 
ergötzlicher Titel: Toxophilus und The Schoolmaster ; Rosaliml 
und Euphues Shadow, the Battle of the Senses; Pierre 
Penniless his supplication to the Devil ; — Gaseoigues 
“ Whole Works” ; Turbervilles Tragicaf Tales — Peeles Ed¬ 
ward 1; Lazarillo de Tor nies; Boccaccios Filocopo — den 
Gerileon und gar Chaueers Werke lässt er am gleichen Tage 
mit der Spanish Tragedy eintragen; wie wir oben sahen, 
hatte er sein Auge auf den Erzzauberer Dr. Faust gewörfeu, 
und 1 r>Dl druckte er eins der vergnüglichsten Geometrie¬ 
bücher, das namentlich in seinem zweiten Teile mächtiglieli 
an den wahren Erzzauberer der Zeit, Fausts grossen Lands¬ 
mann Johannes Kepler gemahnt. Es ist dies ein Neudruck 
eines 1571 von Jeffes' Lehrherrn und Meister Bynneman 2 ) 
zuerst gedruckten Lehrbuchs der Geometrie: die Pantometria, 
wie sie sich stolz nennt, von Leonard Digges, “lately fnishn! 
hg Thomas Digges his sonne. Who hat he also thereuntn 
adiogiwd a Math ein at icall treatise of the fine reguläre 

M Arber I, 573: Item paid for brin^in^e Abeil Jeffs preise 
and lettre* to the ball Deceniber 3 [1535] . . . . j s. 

Item paid to the Carpinter tliat Defaced Jeffes presse .... j s. 

2 ) Bynneman nui^ hier mit angeführt werden, da er der Ver¬ 
leger von Wottons - Court!y Coufrorerst/" war, die bekanntlich die 
Quelle des Zwischenspiels der &/unnsh Tragedt) bildet. 



Heschreibun^ der alten (Quarto* 


XIX 


PlatonicalI hotfies, and t/teir M etamorphosi s or frans- 
fonnatiua intoßne other equilater rn i/orrne solides Geoutet ri- 
call, of his oirne inrention, hitherto not mentioned of by 
amj G eo in et ricia n s. n 

Bekanntlich haben die platonischen Körper die Phan¬ 
tasie Keplers aufs lebhafteste beschäftigt; er versuchte 
wenige Jahre nachher im Mysterium Cosmoyraphiann (15! ><;) 
das Geheimnis des Weltenbanes mit ihnen zu lösen —: sein 
erster, misslungener, titanenhaft grandioser Ansturm auf 
die Geheimnisse des Firmaments. 

Der arme Jeft'es! Er konnte ja nicht ahnen, wie mäelitig 
einst der Dr. Faustus und das Ikosaeder, deren Ruhm auch 
seine schlechte, mit Schimpf und Schande zerschlagene 
Presse mitbegründen wollte, einstens die ganze Welt der 
Litteratur und Mathematik durchleuchten sollten! 

So hat ihm die Nachwelt nur karges Lob gespendet: 
eine so grosse Autorität über die Geschichte des englischen 
Buchdrucks wie Herbert nennt ihn, mit kaum einem mil¬ 
dernden Begleitwort, geradezu u a despieable character ”. 

Hs ist ein geringer Trost, dass auch sein Rivale, 
Kd ward White, ein ziemlich schwarzer Rabe war und 
häufig genug auf die Strafliste zu stehen kam. Dieser 
stammte aus Bury St. Edmund s, 1 ) und trotzdem er es zum 
'ntdt'r” und 1600 gar zum “ Untier Warden” brachte, meint 
Herbert doch: “He appears to harr beeil bat a tlisordtrly 
mnnltcr, beiny offen found on the Black hist ” Auch von 
ihm stellt Herbert ein ziemlich reichhaltiges Sünden¬ 
register auf: 

“In 1~>7V, lie was finetl three times Jor printiny ba/lads 
'vntrary to Orders. In 1~>XS, Jor kecpiny an apprentice 
»npresented, one year. In Oefob. on a matter tfeon- 

Innersy nith Mess. A •ewbery and Bishop, whieh he hat / 

') Herbert 11.1107, Note e. 



XX 


I. Kapitel 


requested might be determined by the Court of Assistants, 
it was ordered and agreed by assent of the parties, That 
he should pay unto them iiijl. jor ten books of D. Fülle $ 
answer to the Rhemish Testament, tchich he had disoi'derly 
bought of one of their workmen 1 ); and sh all also presenthj 
pay X s. for a fine, to the use of the poor” 2 ) 

Des weiteren folgt dann (unterm 18. Dezember 159*2) 
seine Massregelung wegen des Nachdrucks der Spa nid 
Tragedy, die Abell Jeffes gehörte (s. die Stelle oben S. XVI). 
mit nachfolgender Konfiskation des inkriminierten Buches, 
einer Geldbusse von zehn Schilling und Androhung von 
Arrest. Auch 1594 wurde er bestraft, u for printing a hallati 
without lirense n . Ferner hören wir im Juni 1600: u Yt is 
ordered touching a disorderly bailad of the wife of Bat he, 
printed by Edw. Aldee , d' Wm. White, and sold by Edir. 
White , That all the same ballads shalbe brought in & burnf; 
<nid that either of the printers shall pay V s. a pece, and 
that Mr. White for selling it shall pay X s” Endlich heisst 
es unterm Jahre 1603: u Yt is ordered that master Edward 
White shall pay vj li. xiijs. iiijd. for a fine for that he 
had V<‘. of the bookes of basilicon Doron of the second 
gmpression Disorderly printed by Edward Aldee and hath 
sold the same number so that they cannot be taken heilige 
forfayted by thordonnances. And being to indure imprison- 
rnent for the same by thordonnances his ymprisonment is 
respyted to the further order of the Company”*) 

In der That, viele Vergehen der beiden Compagnons 
All de und White! Doch hat ein Herausgeber der 

*) Dies giebt uns eine gute Vorstellung, wie sich unser Bieder¬ 
mann unter Umständen Vorlagen für seine Freibeutereien verschaffte. 

2 ) "Solut. 3 Augustin lohl” 

*) L. M. Griffiths, Errninys icith Shakspere. Bristol aml 
London lSSti, p. 271. Obiges Sündenregister Hesse sich leicht ver¬ 
mehren. 



Beschreibung der alten Quarto* 


XXI 


S'ponish Tragedy am ehesten Grund, dem Süuderpaar zu 
vergeben, da es uns in der undatierten Quarto des 
Britischen Museums den besten Text des Dramas über¬ 
liefert hat. 

In aller Gerechtigkeit muss auch gesagt werden, dass 
White, von seinen Freibeutereien abgesehen, es an der 
richtigen Frömmigkeit und Staatsbürgertugend nicht hat 
fehlen lassen. Er verlegt mit Vorliebe Werke wie: u The 
Vineyard of Devotion”; U A Sermon of Faith andBepentance”; 
“The Mount of Caluarie”; “The Footpath leading the 
Highway to Heaven”; einen Haufen Predigten und 
Hexengeschichten; U A Discouerie of Edm. Campion, and 
hin confederates, their most horrible & traiterous practisrs, 
<i ga in st her Maiesties most royall person, and the Beatme, (fr.” 
Im Drama scheint er Stücken mit Mord und Totschlag 
nicht abhold gewesen zu sein; ausser der Sjmnish Tragedy 
hat er wenigstens auch noch die mindestens ebenso grob 
blutrünstigen Dramen von Titus And ronicus 1 ) und Ar den of 
Feversham verlegt. Recht angenehm dagegen lesen sich 
Titel wie “ The Paradise of Dainty Devices n ; u Morand o: 
The Tritameron of Love n ; a Euphues his censure to Philautus p ; 
“Perimedes the Blacksmith n ; u The History of Friar Bacon 
and Friar Bungay”; u The most famous chronicle historye 
»f Lei re hinge of England, & his 3 daughters”; u The boohe 
of David & Bethsaba” ; “A pastoral pkasant Commedie of 
llobin Hood and Little John n &c. 

Auch soll noch einmal erwähnt werden, dass Edw. White 
der Verleger des englischen Faustbuchs von 1592 war 2 ), 


! ) Ob er auf diesen ein Recht hatte, ist wiederum höchst 
zweifelhaft; vgl. die Cambridge Edition VI, p. X, Note. 

*) Im Fall des Dr. Faust scheint thatsäehlich White flinker ge¬ 
wesen zu Bein als Jeffes: freilich, wäre der letztere wirklich des 
Marl owe’ sehen Dr. Faustus habhaft geworden, so hätte er das 
(duck des Romulus gehabt, sein Nebenbuhler nur das des Remus. 




XXII 


I. Kapitel 


und dass er am 22. Nov. 1592, als er nach unserer Ansicht 
wohl eben mit seinem Raubdruck der Spanish Tragedy 
beschäftigt war, sich Soliman and Perseda, das Begleit¬ 
stück dazu, durch Eintrag in das Register sicherte (Arber II, 
622).Q 

Nachdem wir so eine, freilich keineswegs schmeichel¬ 
hafte Vorstellung von den beiden ersten Verlegern der 
Spanish Tragedij gewonnen haben — sie wird uns später 
als Basis zu chronologischen Erörterungen dienen müssen —. 
gehe ich zu einer Aufzählung und Beschreibung der alten 
Quartos dieses Stückes über. 

1. Jeff es’ erster Druck von 15!) 2. 

Da bereits oben von diesem die Rede war, kann ich 
mich hier kurz fassen. Trotzdem sich kein Exemplar von 
ihm erhalten hat, ist seine Sonder-Existenz — apart von 
den erhaltenen Quartos — doch mit Sicherheit zu er¬ 
schlossen. Denn alle drei folgenden Quartos, die undatierte 
von Allde-White, die von 1594 und von 1599 tragen 
gleichmässig auf dem Titel denVermerk: u Newly corrected 
and amended of such grosse faults as passed in the first 
(15!)!) farmer ) Impression.” Lassen wir nun auch zunächst 
die Frage offen, ob die Garrick oder die Göttinger Quarto 
das älteste Exemplar sei, so folgt doch mit Sicherheit, 
dass vor der ältesten uns erhaltenen Ausgabe noch eine 
frühere gelegen sein muss, nach unserer Ansicht eben ein 
Druck von Jeftes, den er gleich zur Zeit des Eintrags in 
das Register (6. Okt. 1592) herstellen liess. Ich stelle mir 
vor. dass dieser Druck sehr schlecht war ( u grosse faults”). 

') Auch ein Drama: “The- fanimts historye of John of Gaunte 
stmnr io Kinge Edward Ute Thlrd with his Conquest of Spaine and 
marriage of hisTwoo daughters to the Kinge#of Castile and Portugale 
lässt er am 14. Mai 1 '>94 (Arber II, 649) eintragen ; vgl. Spanish 
Tragedy I, 47 ff. 



Beschreibung der alten Quartos 


XXIII 


und dass er deswegen beim Erscheinen der vortrefflichen 
Allde-Whiteschen Quarto bald verschwand. 

2. Q — Die undatierte Quarto ron Al/de- White, 

(darrick Quarto). 

In Ermangelung des ersten Druckes von Jeffes ist es diese 
Ausgabe, welche uns, wie ich zu beweisen hoffe, den 
ältesten und sicherlich besten Text von Kyds Stück bietet, 
und die daher zur Grundlage einer Ausgabe gemacht 
werden muss. Vou ihr hat sich nur ein einziges Exemplar 
gerettet, welches der Garrick Collection (jetzt bekannt¬ 
lich im Britischen Museum) angehört und die Signatur 
34. d. 7. tragt. Der Titel dieses Exemplares lautet: 
THE | SPANISH TRAGE- | die, Containing the lament¬ 
able | end of Don Horatio , and Bel-imperia: | with the 
pittifull death of I olde Hieronimo. j Newly corrected and 
amended of such grosse faults as j passed in the first 
impression. | [Holzschnitt mit Blumen und Früchten etc.] \ 
AT LONDON | Printed by Eduard Aflde, fnr I Edward 
White. 1 ) 

Die Quarto enthält die Signaturen A—K 4 L 2 — 42 
Blätter; am Ende, auf Ls b unten, steht: FINIS. Der 
Druck, bereits in Antiqua und nicht mehr in black fetter, 
ist verhältnismässig sauber; der Textzustand im grossen 
und ganzen ein vorzüglicher. Freilich, auf dem Original¬ 
manuskript des Dichters kann auch dieser Text nicht be¬ 
ruhen, wie unten im vierten Kapitel gezeigt werden wird. 2 ) 

3. Die Göttinger Quarto von 1594. 

Diese Quarto ist in neuerer Zeit wohl zuerst von 
Tittmann wieder benutzt worden; inseinen „Schauspielen 


’> Vgl. die Reproduktion de» Titelblattes zu Anfang des Textes 
un>erer Ausgabe und als Tafel t am Ende de» Buche». 

J ) Vgl. Seite LXXXXV. 



XXIV 


I. Kapitel 


aus dem I6 u ‘ n Jahrhundert“, Leipzig 1868, II, 133 giebt er 
einen Vergleich von Ayrers “ Tragedia von dem Griegischen 
Keyser zu Constantinopel” mit ihrem englischen Original, 
und letzteres hat ihm, nach dem Titel zu schliessen, jeden¬ 
falls in der Göttiuger Quarto Vorgelegen. Dann findet sich 
in Hazlitts u Second Series of Bibliographien! Collections 
and Notes” (1882) auf Seite 330 eine Kollation unseres 
Druckes mit dem Vermerk: u Communicatedby Mr.F. J. Fnrni- 
vall. The copy was lately (1877) discovered by Professor 
Wagner of Hamburgh” Beide Stellen veranlassteu mich. 
Umfrage zu halten, und das Exemplar kam dann in 
Göttingen glücklich zum Vorschein (vgl. Herrigs Archiv 
LXXXVII, S. 300). Erst nachträglich wurde ich auf 
Wagners eigene Angabe in der Anglia, I, 109 (bei Gelegen¬ 
heit einer Besprechung von Wards Dramatic Literature) 
aufmerksam. Es ergiebt sich aus der angeführten Stelle, 
dass Wagner selbst durch eine Notiz von Tiecks Neflfeu 
Bernhardi auf die Göttinger Quarto hingewiesen wurde; 
letzterer hatte in seinem Exemplar von Hawkins’ 
u Origin of the English Drama” einen diesbezüglichen 
Vermerk gemacht. Um dieselbe Zeit wie ich entdeckte 
auch Brandl, damals Professor in Göttiugen, das Exemplar 
wieder aufs neue (vgl. Academy 1891, II, p. 157). 

Der Titel dieser Quarto ist folgender 1 ): THE j SPANISH 
TRAGE- | die, Containing the lamentable | END Of' DON 
HORATIO, AND | Bel-imperia: witli the pittifull death \ 
of old Hieronimo. | NEWLY CORRECTED AND | amended 
of such grosse faults as passed in | the first impression. j 
[Holzschnitt: Anker, mit Toten-und Engelskopf] j LONDON, 1 
Printed by Abeil left’es, and are | to be sold by Edward 
White. | 1594. 

Der Druck enthält A—K* 1,2 = 42 Blätter (nicht 
40, wie Hazlitt angiebt). 

*) Vgl. Tafel 3 am Ende dieses Buches. 



Beschreibung der alten Quarto» 


XXV 


Diese neue Ausgabe wurde also, wie der Druckver¬ 
merk ergiebt, nunmehr 1 ) von Jeffes für Edward White 
gedruckt. „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich,“ sagt das 
Sprichwort, und auf Abel Jeffes und Edward White scheint 
es gut zu passen. Was konnten sie auch Besseres thun, 
als sich vertragen? Sie waren beide wegen ihrer See- 
räubereieu bestraft worden; Jeffes hatte das Verlagsrecht 
der Spanish Tragedy , und White den guten Text — ohue 
die “grosse fault*” von Jeffes’ erster Ausgabe; so thaten 
sie sich also zusammen. Wie Rechtens, druckte nun Jeffes 
die “ Spanish Tragedy”, und zwar diesmal in ziemlich 
sklavischem Anschluss an deu guten Text seines alten 
Rivalen; ohne pikiert zu sein, oder vielmehr wohl ohue 
es zu merkeu, druckte er sogar in grösster Gemütsruhe 
mechanisch seine eigene Schande auf den Titel: “Newly 
"»rrected and amended of such grosse faults as passed in 
tlie first impression.” 

Übrigens hat er White die Arbeit schlecht genug be¬ 
sorgt, viel schlechter als Allde; 2 ) der Druck ist unebener, 
holperiger, an vielen Stellen stark verwischt und nur mit 
.Mühe leserlich; Zeilen sind falsch eingerückt, gelegentlich 
ist ein Wort ganz unsichtbar; Kommas irren in der Mitte 
v "ü Wörtern herum; von verdrehten Fragezeichen und 
Apostrophen wimmelt es; viele Buchstaben fehlen uud 
"erden durch Kursivdruck oder andere Formen ersetzt: 

’) Schon früher war White einmal, wenn ich den Eintrag bei 
Arber II, 456 (5. Sept. 1586) richtig verstehe, angehalten worden, ein 
ibjch gerade bei Jeffes drucken zu lassen: 

‘Edward White Keceaved of him for a sack full of ncwes being an 
old copie: whiche the said Edward is ordernd to 
haue printed by Abeil Jeffes vj d. 

*) Allde druckte für White unter anderem auch: The Paradise 
V Daint n iJeuises, 1596; ferner zweimal The Tragedy of Soli man 
• ! "d Perseda (s. a. und 1599); das Basilicon JJoron; eine Ausgabe 
des englischen Faustbuchs etc. 

Schick. Spanish Tragedy. 


II 



XXVI 


I. Kapitel 


gelegentlich wird ein Fetzen von einem Wort nordöstlich 
an den Rand hinausgeschleudert, oder das Ende eines 
Wortes fliegt nach Westen an den Anfang eines andern. 
Wie muss erst Jeflfes' erster Druck ausgesehen haben — der 
mit den u grosse fault8*1 Der unsere ist ja u newly correcteA 
amt amended! n 

Die Verzierungen in Jeffes’ Druck sind natürlich andere 
als bei Allde; warum sollte sich Allde bemüssigt fühlen, 
dem Rivalen seine Blöcke zu leihen? Auf dem Titel unserer 
Ausgabe findet sich insbesondere der gleiche Holzschnitt, 
den Herbert (II, 1163), als zu Euphues Shadow gehörig, 
folgendermassen beschreibt: “Device, an anchor held ly <i 
hand frotn the clouds: behind the anchor are a kind of 
l rack cts, in the form of cornucopiw , crosscd; oh the top of 
one is a cliiJd's head, on the other a skull; and tun spriys 
of faurel crossed also with them”. 

Eine Reproduktion des gauzen Titelblattes findet sich 
als Tafel 3 am Ende unserer Ausgabe. 

4. Der Druck von 1599 (Bridgewater Quarto). 

Schön erhaltenes Exemplar in Bridge water House. 
im Besitz des Earl of Ellesmere. Auf diesen Druck 
ist zuerst hingewiesen worden in Colliers Ausgabe von 
Dodsley (18*25) III, p. 209; weiter findet sich eine 
Collation in W. C. Hazlitts “Hand-Book to the Populär , 
Poetical, and Dramatic Literatlire of Great Britain*, 1867. 
p. 322. Der Titel des Exemplars lautet: THE | Spanish 
Tragödie, | Containing the larnen- | table ende of Don 
Horatio, and | Bel-imperia: with the pittifull | death of old 
Hieronimo. | Newly corrected and amended of such grosse 1 
faultes as passed in the fnnner impression. j / Vignette mit 
Peliean.J j AT LONDON | Printed by William White, 
dwelling in Cow-lane. j 1599. Die Quarto hat die Sig¬ 
naturen A—L>. also 42 Blätter: Ende auf L 2 v unten. 



Beschreibung <lcr alten Quartos 


XXVII 


Wir sehen, dieser Druck rührt von William White 
h t. Hiermit stimmt folgender Eintrag aus dem Stationers’ 
UxjtMrr, datiert 13. Aug. 1590, aufs beste überein 
(Arber III. 14(5): TF/7//r/;w White Entred for his copies 
(«tliio Jure ruiuscunfjue) by assignement from Ah eil Jeff es 

The Spanishe trayedie of Horath and Bellmipeia. 

William White ist natürlich nicht mit Edward 
White zu verwechseln. Daniel sagt (Academy ,\W \. II. p.197): 
" What eonnexion, either of re/ationship or husiness, there 
iras hefween William White and Edward White does not 
oppear”. Ganz richtig, aber Daniel fährt dann fort: u But 
■«»ne tlwre musst harr been, for on Au (just 14, 1000, Edward 
White, tlien wurden of the Stationers* Company, direrted 
fite Spanish Trayedy, with other worhs , to he sei orer 
t» Thomas Panjer ” Diese Schlussfolgerung scheint mir 
mehr als zweifelhaft: Edward White fungiert hier doch wohl als 
a Wurden ” der Innung, nicht als Geschäftsteilhaber, und 
ganz falsch ist jedenfalls der Schluss: u It seems ohrious, 
tlnrefwe, that at so me time hefween William White* s pnh- 
Ho.it ion and the transfer of the play to Panjer, Edward 
H hite must harr obtained a rijht to it , and hure yot AU de 
f o print an edition for him” Edward White hatte eben 
kein Recht auf die Spanish Trayedy , als er sie 1592 drucken 
Hess, und wurde dafür gemassregelt. Auch später hat er 
"fiVnhar nie ein Recht auf sie erworben, da der Übertrag 
1 '»‘Mi direkt von JefFes auf William White erfolgte. 

Fern gebe ich zu, dass William und Edward White 
ihren Gepflogenheiten nach u birds of a feather” waren. 
Man lese etwa bei L M. Griffiths, Eveninys with Shaksprre, 
über William White nach (p. 272/73'): On Auyust isth, 
löUn. White and Simpson teere u ßne<l at Ten Shif/inyes for 
l'iintinye part of a hook of master Brouyhtons withont 
»ucthoritie . And they are ordered to hrinye the leaues 
pfmted into the hall and not to prorede with the print.mye 

II* 



XXVIII 


I. Kapitel 


of the Residue tili they have aucthoritie for it. Also tbif | 
Imprisonment is Referred over tili further order he taken." j 
Weiterhin: “In 1599 White was inclnded ivith Creede mul 
the other twelve printers uhose Looks were then destroynJ. I 
In 1600 he was in trouble about printiny the bailad of Th< | 
Wife of Bath, in 1603 he offended by printiny a Imk . 
belonyiny to John Harrison, and in 1607 he entered a U>I 
which was soon discovered to belony to somebody eise.” j 

Man wundert sich danach beinahe, dass William White, j 
ungleich seinem Namensvetter Edward, sich wirklich der . 
Mühe unterzog, “aucthoritie” für seinen Druck der Spa ui 4 1 
Trayedy zu erlangen. ] 

5. Die erste interpolierte Quarto von 1602. J 

Der letztgenannte Druck von 1599 ist deswegen von ! 
einiger Wichtigkeit, weil er die Reihe der Quartos mit der . 
kürzeren Fassung desTextes abschliesst. Kurz darauf nämlich. ! 
aus dem «Jahre 1601 und 1602, erfahren wir aus Henslowe.' j 
Tagebuch, dass dieser Theaterunternehmer Ben «Jonson he- , 
zahlt habe, um Zusätze zu der „Spanischen Tragödie“ l ) zu 
schreiben. Demgemäss finden wir in der .nun zu be¬ 
sprechenden Quarto von 1602 2 ) sechs Interpolationen von j 
grösserem oder geringerem Umfang, welche alle in die 
späteren Quartos übergegangen sind, und in der vorliegenden 
Ausgabe am Schluss (S. 111—125) zum Abdruck kommen. 
Das einzige, und zwar am Ende nicht ganz vollständige 
Exemplar dieser Quarto befindet sich auf der Bodleiaiu» 

Kine sinngeinässere Übersetzung wäre vielleicht „Das Blut- 
vergiessen (oder das Blutbad) in Spanien“; vgl. W. Wagner, Anglia 1 

p. 106. 

5 ) Man findet in bibliographischen Handbüchern auch eine älter- 
Quarto von 1601 angeführt, so beiLowndes und A 11 i b on e, und »ler J 
letztere weiss gar zu berichten: "Ben Jonson tnade additions to 
edition of 1001. and neir additions to that of 1002." Von dein Ver¬ 
bleib einer Quarto von 1601 ist jedoch nichts bekannt. I 



Beschreibung der alten Quartos 


XXIX 


zu Oxford, iu der Sammlung von Malone (234). Der 
Titel desselben lautet: THE | Spanish Tragedie: | Contaiuing 
the lamen- j table end of Don Horatio, and Bel-imperia: \ 
with the pittifull death of olde j Hieronimo. | Newly correc- 
ted. amended, and enlarged with | new additions of the 
Painters part, and | others, as it hath of late been | diuers 
times aeted. | / Vignette mit Pelican] j Imprinted at London 
hv W. W. for | T. Pauier, and are to be solde at the , 
signe of theCatte 1 ) and Parrats-| neare the Exchange. | 1602. 
Das Exemplar der Bodleiana hat nur die Signaturen 
A— 1,4 = 44 Blätter vollständig, so dass der Text mit 
Act IV. 4, 177 abbricht; der Rest (folio Mi a —M 2 b) ist 
in drucknaehahmender Handschrift nachgetragen (offenbar 
nach einem Exemplar der Quarto von 1623, jedoch mit 
graphischen Varianten). Das Exemplar enthält auch sonst 
verschiedene Korrekturen und Hinweise auf die Lesarten 
von Q. 1610, 1623, 1633. 

Nicht bloss ihren Umfang hatte die Spanish Tragedy 
in dieser Quarto geändert, sondern auch abermals ihren 
Verleger. Wie aus dem oben gegebenen Titel hervorgeht, 
wurde das Stück jetzt von W[illiam] Wfhite] für Thomas 
Pavyer gedruckt. Dies steht im Einklaug damit, dass 
nach dem Stationers’ Register inzwischen Pavyer das Verlags¬ 
recht (nach meiner Auffassung von William White) er¬ 
worben hatte. Bei Arber III, 169 heisst es: a Thomas Pavyer 
i.ntred for his Copyes by Direction of master White 2 ) 
wurden vnder his hand wrytinge. These Copyes followinge 
bringe thinges formerlye printed and sett over to the sayd 

’) Fleischer liest fälschlicherweise Carte. Ich kann mich 
in ht darauf einlassen, von all den zahlreichen Ungenauigkeiten 
■« ines Programms in der Beschreihung der Quartos Notiz zu nehmen, 
"'i'-lic auch S. XXXIII und Note. 

D. h. Edward White, der damals * tränten" war. Ob sich 
"liite seiner Funktion “uith a bin sh or a sniile” entledigt hat? 



1. Kapitol 


Thomas Pa njerd' Au dritter Stelle wird dann unser Stück 
aufgeführt. 

Die “Spanish Tragedy’’ scheint eine besondere An¬ 
ziehungskraft für “disrepütable publishers* gehabt zu 
haben. Von den Heldenthaten der früheren haben wir 
schon gehört: Pavyer aber stellt ein solch trefflicher Kenner 
elisabethanischer Litteratur wie A. H. Bullen 1 ) das Superlativ 
schmeichelhafte Zeugnis aus, er sei “the most rasralh 
puh/i sh er of his time n gewesen! 

6 . Die Quarto rou l(i()'d\03. 

Die Interpolationen hatten der Spanish Trayedy offen¬ 
bar bedeutende neue Anziehungskraft verliehen; denn seht 
schnell nachher erschien von dem gleichen Drucker uud 
Verleger eine neue Ausgabe, die auf dem Titel nocli die 
Jahreszahl 1602, im Kolophon dagegen die Jahreszahl 
trägt. Ich bezeichne die Quarto so fortan im Unterschied zu 
der vorigen mit 1(503; die Zahl 1(502 auf dem Titel könnte ja 
nach unserer Rechnung auch schon 1603 bedeuten. 

Von dieser Quarto hat sich ebenfalls nur ein emsiges- 
übrigens sehr schön erhaltenes Exemplar gerettet, das jetzt 
im Besitz des Herzogs von Devonshire ist. Der Titel 
lautet: 

THE | Spauish Tragedie: | Containiug the lamen¬ 
table end of Don Uoratio , and Bel-imperia: [ with tli^ 
pittifull death of olde ! Hieronimo. ] Newly corrected 
amended, and enlarged with j new additions of the Paint- 
ers part, and | others, as it hath of late beeu j tliuet- 
times aeted. | / Viynette mit Pe/ican] | Imprinted at Lomh't. 
bv W. \V. for | T. Panier , and are to be solde at tle 
signe of the Catte and Parrats | neare the Exchange. , !*>"- 


1 ) In!roduction zu Arden of Fevprshmn, p. III, Nute. 



Beschreibung der alten Quarte* 


XXXI 


Gegenüber dem Titel stehen auf einem Vorsetzblatt hand¬ 
schriftlich die Worte: „ Quando il povero dornt al ricro, il 
Diaro/o seue ride XXX. Questa ro/Ut Jo rot//io reder 
ridere 

Vita di Be uv. Celli ui.“ 

Die Stelle findet sich in dieser merkwürdigsten aller Auto¬ 
biographien in Kapitel 4 des ersten Buches 1 ): der arme 
Benvenuto hatte der reichen, bezaubernden Porzia Chigi 
eine Arbeit umsonst, nur um den Preis ihres Beifalls, 
machen wollen. 

Der Druck hat die Signaturen A—L* M* = 46 Blätter. 

Auf M 2 b stehen die letzten neun Verszeilen der 
SjKtnis/t Trcu/edy , dann: 

FINIS. 

Imprinted by W. \V. for T. Panier. 

1603. 

Da die Quarto der Bodleiana am Ende verstümmelt 
ist, haben wir in dieser Quarto des Herzogs von Devonshire 
für den Schluss der Interpolationen die älteste Gestalt, 
•iie in der vorliegenden Ausgabe 2 ) zum ersten Mal ge¬ 
boten wird. Der eben beschriebene Druck nimmt im 
Stammbaum der Quartos eine eigentümliche Stellung ein: 
hierüber siehe unten, S. LXX. 

Es scheint, dass in neuerer Zeit wenigstens noch ein 
weiteres Exemplar dieser Quarto existiert hat; vgl. hierüber 
Nute XXXXII, Hebers Nummer 3222. Übrigens führt schon 
Bakers Companion to the Play-House, 1764, ein Exemplar 
von 1603 an; ebenso dann Baker-Reed. Bioyraphia 
Druinatica 17 32 und Jones' Ausgabe dieses Werkes 
1 1*12); desgleichen Allibone. 

l ) Nach der Einteilung in Goethes Übersetzung. 

*) Auch schon in meiner Tempi e Edition , aber dort natürlich 
modernisiert. 



XXXII 


I. Kapitel 


7. Die Quarto von 161011611. I 

Verschiedene bibliographische Handbücher sagen uns. 
dass die nächsten Quartos der Spanish Tragedy aus den 
Jahren 1610 und 1611 stammen. 1 ) Allein es scheint, dass 
es keine besonderen Drucke, bezüglich je vom Jahre 16Ü* 1 
und 1611 gegeben hat. Im Britischen Museum (11773. | 
c. 10), in der Bodleiana (Malone 224), und in der 
Bibliothek des Herzogs vonDevonshire befiuden sich nämlich i 
drei vollständig gleiche Exemplare, die alle auf dem Titel | 
das Jahr 1610, im Kolophon 1611 aufweisen. Der Druck 
ist jedoch nicht durch das ganze Buch derselbe; so sind z. B. 
Eigennamen, Bühnenweisungen, Personenbezeichnungen etc. | 
am Anfang kursiv gedruckt, auf den letzten Bogen jedoch | 
in grobem black letter Druck, der keineswegs eine Zierde , 
der Seite bildet. Die angegebenen Kriterien lassen die 1 
drei genannten Exemplare leicht in zwei Teile zerspalten, 
von denen der erste, wohl 1610 gedruckt, die Signaturen , 
A—G* begreift, während die zweite Hälfte, mit dem 
Kolophon 1611, die Signaturen H—L* M 2 aufweist. Wäre 1 
nur ein Exemplar dieses Druckes vorhanden, so würden 
wir es am natürlichsten als eine U made-up copy ” a ) be- . 
trachten; den drei vollständig gleichen Exemplaren gegen- • 
über kann man aber nicht zweifeln, dass das Buch wirklich 
ursprünglich in dieser Gestalt ausgegeben wurde. Es ist 
nicht unwahrscheinlich, dass der im Jahr 1610 begonnene 
Druck auf irgend eine Weise gestört, und vielleicht erst 
im folgenden Jahre wieder aufgeuommen wurde. Drucker 
(im Titel) und Verleger (im Kolophon) sind die gleichen i 
wie in der Ausgabe von 1602: William White und Thomas | 


*) So L o wildes und All i hone. 

2 ) So der Katalog des Britischen Museums. Auch W. C. Hazlitt. 
Collections and Xotes, London 187<>. p. 248 sagt: u The copy of 
cdition tOK) in fhe liritish Museum is imperf'nt after G i% and it 
comjdeted front another and later issuc." 



Beschreibung der alten Quartos 


XXX11I 


Pavyer. Der Titel lautet nämlich: THE | Spanish Tragedie: J 
(’ontaining the lamen- | table end of Don Horatio, and 
Bel-imperia: | with the pittifull death of old | Hieronimo. \ 
Newlv corrected. amended, and enlarged with | new addi- 
tions of the Painters part, and | others, as it hath of late 
been | diuers times acted. | [Vignette mit Pelican.] | Im- 
printed at London by W. White. | 1610. Der Druck hat 
die Signaturen A—M 2 = 46 Blätter; auf M 2 b steht unter 
dem FINIS. der Kolophon: At London printed for Thomas 
Panier. | 1611. I 11 dem Exemplar des Herzogs von Devon- 

shire ist derselbe fehlerhaft gedruckt; statt London heisst 
es Lonpon (mit umgedrehtem d), und Thomss statt Thomas. 
Dieses Exemplar durfte also ein früherer ABzug sein (so 
dass nämlich später die Fehler bemerkt und im Satz 
korrigiert wurden). Sonst scheinen die Exemplare genau 
übereinzustimmen: wenigstens habe ich zahlreiche Stellen 
auf Druckfehler und Unebenheiten des Drucks hin geprüft 
und sie ganz gleich gefunden. 

Ausser den drei von mir eingesehenen Exemplaren 
finde ich noch ein viertes erwähnt in Hazlitts u Third 
Serifs of Bibliographical Collections and Notes” (1887), 
p. 134; unter der Beschreibung findet sich die Angabe: 
“Sotltebtjs, March 14, 1883, No. 1023, imprint cut off” Ich 
zweifle nicht, dass dieses Exemplar, welches Messrs. Sothehy 
iin Jahre 1883 zum Verkauf ausboten, den genannten 
ähnlich war; wäre der Druckvermerk nicht weggeschnitten 
gewesen, so hätte Hazlitt wahrscheinlich die Jahreszahl 
lfilOauf ihm gefunden. Weiter behauptet Georg0. Fleischer 
in einem Programm 1 ) der Drei-König-Schule in Dresden: 

') Ich bedauere, dass mir diese» Programm von keinerlei 
Nutzen gewesen ist. Ich hatte sämtliche Collationen der alten Quartos 
bereits mehrere Jahre vor dem Verfasser gemacht, nur vollständiger 
und, ich hoffe, auch zuverlässiger. Die eigentlich schwierigen Fragen 
Textkritik hat Oberlehrer Fleischer gar nicht angegriffen, während 



XXXIV 


I. Kapitel 


Bemerkungen über Thomas Kyds „Spanish Tragedy u (Dresden | 
1896), p. 5 Note 10, dass sich auch im South Kensiugton i 
Museum ein Exemplar dieser Ausgabe befände. Dies ist 
unrichtig. Das gleiche behauptet er von der Ausgabe von I 
1623, was eben so falsch ist. Das South Keusington ) 
Museum hat nur Ausgaben von 1618 und 1633. Vgl. übrigens 
das Handhook of the Dyce and Förster Collection , 187(5. 

I 

8. Die Quarto ron 1615. j 

Die nächstfolgende Quarto weist wieder zum ersten . 
Mal beachtenswerte Züge auf. Der Titel lautet 1 ): The ' 
Spanish Tragedie: | OR, | Hieronimo is mad againe. [ Cou- j 
tainiug the lamentable end of Don Horatio , and | Belm * j 
peria; with the pittifull deathof iT/ero/mwo. | Newly corrected. 
amended, and enlarged with new | Additions of the Pointers 
part, and others, as | it hath of late been diuers times j 
acted. | [Holzschnitt „mit dem gehenkten Horatio u ] | LONDON, i 
Priuted by W. White, for I. White 2 ) and T. Laugley, | and ’ 
are to be sold at thcir Shop ouer against the | Sarazens J 
head without New-gate. .1615. | 44 Blätter: A—L*. Am j 
Ende, auf L* b: FINIS.; darunter Ornament. . 

Auf dem als Tafel 4 reproduzierten Titelblatt steht zum ! 
ersten Mal der Nebentitel: u Hieronimo is mad againe”. der j 
früher so häufig als unzertrennlich zum Haupttitel gehörig j 
angesehen wurde. Heisst dieser Zusatz: „Da habt ihr den 1 
alteu. närrischen Hieronimo wieder: ein höchst ergötzlich 
Stück —kauft und lest!“ Oder bezieht sich der Titel 
auf das Vorspiel der Spanish Tragedy, u The First Pur* 

mich die Nachprüfung und Richtigstellung recht zahlreicher Irrtumer 
und Ungenauigkeiten in seiner Arbeit auf keine geringe Gedulds¬ 
probe gestellt hat. 

J ) Vgl. Tafel 4. j 

*) John White, ,4 \vlio was imide free on May 17 t h, 1^14," i^f I 
der Sohn von William White. I 



Beschreibung (1er alten Quartos 


XXXV 


of Jeronimo” Y Dieses letztere war nämlich inzwischen 
auch im Jahre 1605 in einer Quartausgabe erschienen — zum 
ersten und, verdienterweise, letzten Mal. Freilich würde 
man in letzterem Fall den Zusatz schon in der Ausgabe 
von 1610/1611 erwarten. 

Der Holzschnitt stellt eine der beliebtesten Scenen des 
ganzen Stückes dar (II, 5): Horatio in der Laube, gehängt; 
sein Vater Hieronimo mit der Fackel aus dem Hause 
kommend, während Horatios Geliebte Bellimperia von 
ihrem schurkischen Bruder Lorenzo, Horatios Mörder, am 
Schreien verhindert und fortgeschleppt wird. Eigentlich 
sollten, dem Gang des Dramas entsprechend, natürlich 
nicht alle vier Personen zugleich auf dem Bilde sein; 
Bellimperia und ihr Bruder siud ja nicht mehr auf der 
Scene, wenn Hieronimo mit der Fackel herankommt und 
die Leiche seines Sohnes findet. Allein der Zeichner wollte 
offenbar auf den Effekt der zwei weiteren Figuren nicht 
verzichten: die leibhaftige Prinzessin Bellimperia mit ihrem 
höchst pompösen Reifrock und der schwertdräuende Lorenzo 
mit der schwarzen Maske und der schwärzeren Seele machten 
sich doch gar zu gut. 

Übrigens hat der Zeichner den Text wohl studiert; 
die Aufschriften seiner Sprechzettel sind fast ganz wörtlich 
aus «lern Stück herübergenommen; man vgl. zu Bellimperias 
Ausruf: “Murder, helpe Hieronimo” Vers 11, 4, 61 der 
Spauish Tragedy; Lorenzos “Stop her mouth” findet sich 
11. 4, 6*2. und auch Hierouimos “Alas it is »nj son Horalio” 
ist recht nahe gleich Vers II, 5, 14 der Tragödie. Über 
die Kleidung Hieronimos, der nach der Bühneuweismig 
zu Scene II, 5 “in his shirt, de.” auftreten sollte, 
sagt Pollard in einem Aufsatze “Woodcuts in Eng/ish 
1*1 <n/s printed hefore 1600” (erschienen in The Library, 
A •'ic Serien, vol. I, 1000, p. 74 75) richtig: “This stnye 
ilirertion has heen interpreted liherally, Jor Hieronimo 



XXXVI 


I. Kapitel 


has nether garments in addition; bat he is duhj coatless 
and prorided witli a torch witli ichich to see thc c murdrous 
spectacle.” Des weiteren hat Pollard besonders treffende 
Bemerkungen über die Figur des gehängten Horatio, die 
hier ebenfalls angeführt sein mögen: U I cannot resist 
remarking on how admirably the artist has caught the pose 
of the straw dummy, which must hare been left hanging 
to personale Horatio , in place of the actor , uho had 
doubtless slipped behind the arbour during the seit ffh 
and was now resting öfter his exertions” Der Holz¬ 
schnitt ging von Quarto 1615 auf alle folgenden über: 
ebenso auch auf die Ballade, welche den gleichen Stoff 
behandelte . l ) In neuerer Zeit ist der Holzschnitt öfter 
wieder reproduziert worden: in W. C ha pp eil, The Rox- 
burghe Ballads II, 453; in meiner Temple Edition des 
Stückes als Titelbild; endlich von Pollard, an bereits an¬ 
geführtem Orte (hier nach einer Quarto von 1623, wie 
Pollards Titelangabe auf S. 73 beweist). Unsere Tafel 4 
giebt die Titelseite der Quarto von 1615 im British 
Museum wieder. 

Zusammen sind mir von dieser Quarto 1615 drei 
Exemplare bekannt geworden. Zwei davon befinden sich 
je im Besitz des Britischen Museums (1076. i. 13), und 
des Herzogs von Devonshire. Ein drittes ist in der 
Bibliothek des Trinity College, Cambridge 2 ); dieses weist 
jedoch einen etwas verschiedenen Verlagsvermerk auf: 
LONDON, | Printed bv \V. White, and are to be sold bv 
I. White | and T. Langley at their Shop ouer agaiust 
the | Sarazens liead without New-gate. 1615. 

1 ) Ein anderer Balladendruck weist eine zweite Form auf, welche 
in Heeds und Colliers Ausgaben von Podsley (III, p. 236, resp. III, 
p. 203) reproduziert ist. Hier hangt Horatio rechts an einem Baum, 
und die übrigen Figuren schliessen sieh von rechts nach links an. 

2 ) Vgl. W. W. Gr reg. .-1 List of Enylish Plays , London 
1!H>0, p. Hl. 



Beschreibung der alten Quarto* 


XXXVII 


9. Die Quartos von 16 W. 

Exemplare 1. iu der Bodleiana, Maloae 21*2 *); *2. in 
der Dyce Collection, South Kensington Museum 2 ); 3. im 
Besitz des Herzogs von Devonshire; 4. auf der Stadt¬ 
bibliothek zu Danzig. 3 ) Der Titel dieser Quarto lautet: 
The Spanish Tragedie: | Gr, | Hieronimo is mad againe: | 
Coutaining the lamentable end of Don Horatio, and 
Belimperia; ] With the pittifull Death of Hi eronimo. \ 
Xewly corrected, amended, and eularged with new 
Additions j as it hath of late beene diuers times Acted. | 

9 In diesem Exemplar finden sich auf der Rückseite des Titel¬ 
blattes die Verse: 

euer. Kutin agimur: cedite fatis: 

Non sollicitce possunt curee 
Mutare rati stamina fusi. 

Quicquid facimus, mortale genus, 

Quicquid patimur, venit e.r ulto: 

Omnia certo tramite vadunt , 

Primusque dien dedit extremum. 

Das enec ist ein Rest von Seneca: die Verse stammen aus dessen 
Otdipus 1001 ff. Sonst finden sich in dem Exemplar der Rodleitina 
gelegentlich Korrekturen eines alten Resitzers. 

9 Vgl. Handbook of the Dyce and Förster Collection in the 
Sniith Kensington Museum , 1876. 

*) Vgl. Hermann Pritsche, The Disobedient Child , Programm 
Tun Thorn, 1858. Das erste Blatt des Textes ist in dem Danziger 
Exemplar etwas beschädigt, so dass z. B. von I, 1, 31 und 32 nur die 
Buchstaben I und Xo am Anfang der Zeilen erhalten sind. Die 
Danziger Quarto von 1618 befindet sich in einem Sammelband, be¬ 
zeichnet Conuediae Anglicanae XVII. F. q. 5., der unter anderem 
auch B. Jonsons Catiline (1611) enthält; ferner Taylors Fraise . . . 
of Beggery , Begyers , and Begging 1621; Marlowes Eduard 11 (1622); 
Ingelemls Disobedient Child ; den Mucedorus (eine Ausgabe von 
1621; vgl. Warnke-Proescholdt, in ihrer Ausgabe des Stückes, Halle 
1878, p. 5; Delius, Pseudo-Shaksperesche Dramen, II. Band, Seite XI): 
Lodge-Greenes Looking Glass for London and England (1617) 
Beaumonts Masque of the Inner Temple (1612 1613), und Dekkers 
Shoemakers Holiday (1618). 



XXXVIII 


I. Kapitel 


I Holzschnitt wie in 1615] | LONDON. | Printed by lohn 
White, for T. Langley, and | are to be sould at his Shop 
ouer against the | Sarazens head without New-gate. 1618. 
Der Druck enthält Signatur A—L* b = 44 Blätter; am 
Schluss gleiches Ornament wie in 1615. 

Es bleibt noch zu bemerken, dass die Exemplare 
dieser Quarto von 1618 nicht alle absolut identisch sind, 
sondern im Texte gewisse Abweichungen voneinander auf- 
weisen. Hierüber vgl. unten Seite LXXIllff. 

10. Die Quartos von 1623. 

Wieder einen anderen Drucker, nämlich August ine 
Mat he wes 1 ), finden wir in der nächsten Ausgabe, deren 
Exemplare verschiedene Verlagsvermerke geben. 

a) Das Britische Museum besitzt ein Exemplar (644. 
b. 63), dessen voller Titel folgeudermassen lautet: The 
Spanish Tragedy: | Or, | HIERONIMO is mad againe. 
Containing the lamentable end of Don Horatio, | and Belim- 
peria; With the pittifull Death | of HIERONIMO. | Newhj 
Corrected, Amended, and Enlarged with new | Additions, as 
it hath of late been diuers | times Acted. | [Holzschnitt wie 
in 1615.] | LONDON, | Printed by Am/ustine Mathewes, 
and are to bee sold by | lohn Grismand, at his Shop in 
Pauls Alley, at the Signe | of the Gunne. 1623. | Das 
Exemplar hat 44 Blätter (A— L*); am Ende steht FIFIS. 
(sic!); darunter ornamentale Zeichnung (verschieden von 
der in 1615). 

b) Im Besitz von Alfred Huth, Esq., befindet sich 
ein Exemplar, dessen Titel in seinen zwei letzten Zeilen 
von dem soeben beschriebenen abweicht. Das Buch ist 
nämlich hier nicht “to bee sold bv lohn Grismand”, sondern 

l ) Arber III, 700: Auyusfivc Maftheirs formes bis priiitinsr 
house of John White. 



Beschreibung der alten Quartos 


XXXIX 


"bij Thomas Lanyley , at liis Shop ouer ayainst the Sarazens 
Head uithout New-yate. Ki23. n Im übrigen scheint das 
Huch, nach zahlreichen Stichproben zu urteilen, bis in die 
kleinsten Einzelheiten hinein identiscli mit dem Exemplar 
des Britischen Museums zu sein. Offenbar wurde auf dem 
Titelblatt nur der Name des Verlegers geändert. 

Über das Exemplar von Mr. Huth vgl. den Catahyue 
»t the Huth Library, London 1880, III, p. 810; Hazlitt, 
3erund Series of Biblioyraphical Collections and Notes, 1882, 
p. 330. Dasselbe stammt aus den Sammlungen von Mr. 
Lacy und Mr. Kershaw, und gehörte einst König Karl II. 

c) Exemplar des Herzogs von Devonshire. Ich ver¬ 
mag nicht anzugeben, wie der Druckvermerk dieses Exem¬ 
plars lautet. 

Am 4. August 1626 giug dann das Verlagsrecht der 
Spmish Trayedy von Mrs. Pavyer an Edward Brewster 
und Robert Bird über. Vgl. Arber IV, 164: 

4° Augusti 1626 

Kd ward Brewster Assigned ouer vnto them by Mistris 
Robert Birde Pavier and Consent of a full Court of 

Assistantes all the estate right title 
and Interest whieh Master Thomas 
Pavier her late husband had in the 
Copies here after mencioned xxviij s. 

Folgt die Liste; darunter als dritte Nummer The Spanish 

ti'ifi/rd ir. 

Übrigens muss ich au dieser Stelle gestehen, dass mir 
die Druckgeschichte der “Spanish Trayedy” in ihren 
späteren Phasen eher noch unklarer ist als zu Anfang. 
Wenn Pavyer, resp. Mrs. Pavyer, bis zum 4. August 1626 
das Verlagsrecht hatte, warum druckt dann 1615 W. White 
für »lohn White (seinen Sohn) und T. Langley, und später 
(1623 und 1633) Augustine Mathewes für John Grismand 
und Francis Grove. und was sollen die doppelten “ imprints ” 



xxxx 


I. Kapitel 


der Quartos von 1615 und 1623? Haben wir es auch 
hier mit Freibeutereien zu thun, oder ging es bei diesen 
“ honourable wen”, trotz des schlechten Scheins, doch überall 
mit rechten Dingen zu? Ich kann mich nur der Hoffnung 
hingeben, dass eiumal ein Forscher sich hierüber aus¬ 
sprechen möge, der wirklich etwas von der Sache versteht. 
Mir selbst fehlen die nötigen Buchbinderkenntnisse, auch 
meine Psychologie reicht nicht aus. 

Trotz dieser Überweisung der Spanish Tragedy an 
zwei neue Verleger im Jahre 1626 scheint doch ziemlich 
lange keine neue Quarto erschienen zu sein. Mark¬ 
scheffel freilich erwähnt in seiner Dissertation „Thomas 
Kyd’s Tragödien“ (Weimar 1885), S. 4 unten, auch eine 
Ausgabe von 1628. Dies muss aber auf einem Verseheu 
beruhen: eine solche Ausgabe existiert nicht. 

11. Die Quarto von 1033. 

Der Titel dieser letzten, und wie nicht zu verwundern, 
schlechtesten Quarto des Stückes lautet: The Spanish 
Tragedy: | OR, | HIEROXIMO is mad againe. | Containiug 
the lamentable end of Don Roratio, \ and Belimperia ; With 
the pitifull Death | of H1ERONIMO. | Neivly Corrected , 
Amended y and Enlarged with new | Additions, as it hath 
of late beene divers | times Acted. [Holzschnitt wie in 
1015.] LONDON | Printed by Augustine Mathewes, for 
Francis Orore, and are to | bee sold at his Shoppe, neere 
the Sarazens Head, j upou Snovv-hill. 1633. | Der Druck 
hat 44 Blätter (A—L*); Ende auf L* b: FIN1S., darunter 
Ornament (verschieden von den früheren). Von dieser 
Quarto sind viele Exemplare auf uns gekommen: 1) und 2) 
im Britischen Museum (C. 12. f. 5 (2), und 644. b. 64); 
3) Bodleiana (Malone 171); 4) Herzog von Devonshire: 
5) Dyce Collection; 6) Advoeates' Library, Edinburgh: 
7) Bibliothek der Harvard University (s. Manly, Speci- 



Beschreibung der alten Quartos 


XXXXl 


iiienn <>/ the Pre-Shaksperean Drama, II, p. 519): 8) Sion 
College, ln letzterer Ausgabe ist das Datum weggerissen. 

Manchmal wird wohl noch auf eine spätere Quarto 
von 1038 hingewiesen. Allein dies beruht gewiss auf 
eiuein Irrtum. Malone nämlich besass vier Exemplare des 
Dramas, von 190*2, 1010, 1018 und 1033, die alle an die 
Bodleiana übergegangen sind. Nun werden freilich in dem 
“Cataloyue of Early Enylish Poetry and other miscellaneous 
Works illastratiny the British Drama, Collected hy Edntond 
Malone, Esq. and now preserred in the Bodleian Libran/' 
(Oxford 1830). p. 21 die Ausgaben von 1002, 1010, 1018 
mul 1038 aufgeföhrt. Letzteres muss aber ein Druckfehler für 
1033 sein. Deun eine Ausgabe von 1038 existiert weder 
auf der Bodleiana, noch irgendwo anders. 

Ich bemerke noch, dass ich oben nur die Beschreibung 
der thatsächlich vorhandenen, identifizierbaren, Quartos 
gegeben habe. In alten Katalogen finden sich noch manche 
Angaben über Exemplare, die jetzt zum Teil verschollen 
•»der überhaupt nicht mehr vorhanden sind, zum Teil auch 
mit einigen der oben aufgezählteu identisch sein mögen. So 
besass Reed, der zweite Herausgeber der Spanish Trayedy, 
» in Exemplar von 1010, das 1807 um 4 sh. verkauft wurde; 
vgl. Bibliotheca Beediana (1807), p. 308, No. 8171. Weiter 
besass W. B. Rhodes 3 Exemplare, von 1010, 1018, 1033. 
die um £ 1.10, 19 sh., und 12 sh. im Jahre 1825 von 
Thorpe erstanden wurden: vgl. William Barnes Rhodes. 
Bibliotheca Dramatica [1825], p. 61. John Field besass 
desgleichen ein Exemplar von 1633, das 1827 au Rodd 
überging; vgl. Fields Katalog u Bibliotheca Histrionica ". 
No. 208; so auch Bindley, vgl. dessen Katalog, part III. 
No. 1857 (verkauft um 15 sh.). 

Natürlich hat Heber, der berühmte Bibliomane. eine 
ziemliche Zahl von Exemplaren —es scheint 7 --- besessen. 
Ich citiere aus dem Katalog seiner Bibliothek, der u Biblia- 

S r h i r k . Span Uh Traa«*dy. 111 



XXXXI1 


II. Kapitel 


theca Helwriana”, Port the Serond (1834). p. 17< >. folgende 
Nummern: 

3222 [ThomasKyd’s] SpanishTragedie. or Hieronvmo is mad 
again. Wanting thr title page, and sheet Ftorn, tcith tl» 
Autograph of Owen Fe Ith am, . T. Parior *), 1603 

3*223.Another edition, . TC. White, 1610 

3224 Another edition,.1615 

3225 Another edition,.1613 

3226 Another edition, A. Mathewes, 1626 

3327 Another edition,.1633 

Vgl. weiter ibidem, part IV (1834), Numero 2036: A 
Volume containing Lingua or The Combat of (he Tongta, 
Ui22. Michaehnas Terme, 1630. The Spanish Tragedy or 
Hieronimo is mad againe, neiclg Corrected and Enlarged, 
1633 (und noch 4 weitere Stücke). 

So werden sich in Katalogen noch manche Einträge 
dieser Art ausfindig machen lassen. 2 ) Wichtiger, oder 
wenigstens interessanter wäre, die noch existierenden Exem¬ 
plare vollständig kennen zu lernen. Ich hatte die Hoffnung 
gehegt, durch meine genauen Angaben in der Tempie Edition 
weitere Nachweise herauszulocken, um so für die vorliegende 
grossere Ausgabe die Bibliographie möglichst vollständig 
zu bekommen — allein, was das anbelangt, so muss ich 
sagen: u operarn et oleum perdidi”. 

II. Kapitel. 

Kritik der alten Überlieferung:. 

Wenn wir nach dieser äusseren Beschreibung der alten 
Quartos nunmehr das Augenmerk auf ihr Inneres richten. 

M Dies wird ein kleiner Fehler sein. Auch in der Quarto de- 
Herzogs von Devonshire sieht das c in dem Namen Pauler einem " 
sehr ähnlich. Nach der obigen Beschreibung war übrigens offen¬ 
bar Hebers Exemplar verschieden von der Chatsworth Quarto. 

■) Man sehe hierüber besonders noch die Angaben b»*i 
L o w n <1 e s ein. 





Kritik der alten Überlieferung 


XX XXIII 


auf ihr gegenseitiges Verhältnis und ihre Filiation, sowie 
auf die Qualität ihres Textes, so ist das Resultat im 
grossen und ganzen ein sehr einfaches. Im allgemeinen 
hat je die folgende Quarto von der vorhergehenden 
abgedruckt ihre Fehler mitgenommen und neue hin- 
zugemacht. so dass der Text mit jeder folgenden Aus¬ 
gabe ein schlechterer wird und in der Quarto von 1633 
auf dem tiefsten Niveau anlangt. Verbesserungen sind 
selten angebracht — abgesehen von Druckfehlern etc. —: 
sie machen meist den Eindruck, als ob sie einfache Kon¬ 
jekturen wären: ein Manuskript oder älterer Druck ist kaum 
je extra zu Rate gezogen worden; doch wird man wohl im 
Auge behalten müssen, dass bei dem sehr populären Stück 
gelegentlich eine Änderung der Lesung zum besseren auf 
der lebendigen Theatertradition beruhen könnte. Wird um¬ 
gekehrt einmal von irgend einer Quarto ein Fehler gemacht, 
so geht dieser Fehler — das ist die Norm — durch 
sämtliche folgende Quartos hindurch. So druckt z. B. gleich 
in der zweiten Zeile Q 1615 wonted statt ivanton; alle 
folgenden Quartos, also die von 1618, 1623, 1633, und 
Dodsley (der getreue Satellit von 1633: es stand ihm keine 
andere Ausgabe zu Gebot) lesen dementsprechend wonted. 
"der in I, 1, 82 „verbessert“ die Ausgabe von 1599 das 
unverständliche Hör: 1 ) ihrer Vorgängerin in Horror; so 
lesen nun alle Qq. von hier ab Horror oder Horrour. 
<»der I. 2, 61 verdirbt schon die Q 1594 die älteste und 
einzig richtige Lesart der undatierten Alldeschen Quarto 
rnhoweld steeds in das sinnlose vnbowed streds; der Fehler 
war u beijond the conjectural power” der Nachfolger und so 

') Der gleiche Fehler findet sich in Everaert Sicerams 
niederländischer Bearbeitung der Spanish Traget!;/: vgl. Shakespeare- 
Jahrbuch XXIX/XXX (1894), p. 185 und ISO Note. Sieeram hat 
also eine vor der Bridgewater Quarto (1599) liegende Ausgabe der 
Spanish Tragedy vor sich gehabt. 

IIP 




XXXXIV 


II. Kapitel 


haben gar alle folgenden Quartos, und Dodsley mit, das 
falsche vnboued. Erst Hawkins stellt, wie häufig in solchen 
Fällen, die richtige Lesart wieder her, da er sie direkt aus 
der Alldeschen Quarto entnehmen konnte. 

Von dieser Regel giebt es nur eine Ausnahme: die 
Quarto 1603 folgt zwar selbst im allgemeinen zweifellos 
der Q 1602, hat aber eine ganze Anzahl eigenartiger 
Lesungen, die von keiner der folgenden Quartos geteilt 
werden. Die nächste Q 1610 ist so offenbar nicht von 
ihrer direkten Vorgängerin, sondern, wie diese selbst, von 
Q 160*2 abgedruckt. Vgl. hierüber unten,S. LXX. Der Stamm¬ 
baum der Drucke ist also ein höchst einfacher —: eine 
gerade Linie von der ältesten (undatierten) Ausgabe 
herunter bis zu der Quarto von 1633, wo einzig und allein 
die descendenzlose Quarto 1603 zur Seite stehen muss. 1 ) 

Soweit wäre also alles ganz einfach. Es erhebt sich 
nun aber die Frage: .,Welches ist die älteste der vorhandenen 
Quartos?“ Die von Jeffes 1504. oder die undatierte 
Alldesche? Die Frage, welches der beste Text sei, hängt, 
wie zu erwarten, damit zusammen, und so haben wir bei 
einer Kritik der Überlieferung natürlich dieses Problem in 
den Vordergrund zu rücken und der aufmerksamsten 
Untersuchung zu unterziehen. 

1 und 2. Die Garrick Quarto und die Quarto 1504. 

Die angedeutete Frage nach dem Verhältnis und der 
Chronologie dieser zwei Drucke ist bereits von andern 
Forschern vor die Öffentlichkeit gebracht worden, und mit 
Angabe von mehr oder weniger Gründen jedesmal zu Gunsteu 
der Jeffesschen Quarto von 1594 entschieden worden. 

Kurz ist das Problem zunächst von Brandl berührt 
worden, der in der Academy von 1891. II. p. 157 die Auf- 

V) Auch bei Q und 1 ♦> 1S, welch letztere in doppelter tre- 

Btalt auf uns gekommen ist, niag die gerade Abstammungslinie 
wenigstens teilweise unterbrochen sein. Vgl. unten Seite LXX11 ff. 



Kritik der alten rberlieferung 


xxx xv 


merksamkeit wieder auf das Göttinger Exemplar gelenkt 
batte. Dieser Gelehrte weist darauf hin, dass die “ Jeff es 
copf und die “ Allde copy” gemeinscliaftliche Fehler haben, 
z. ß. in III. Iß, 89/90 (dieses Beispiel beweist nichts 1 ); 
ein schlagenderes wäre etwa Hör: für Horn in I, 1, 8*2 
gewesen). Weiter heisst es bei Brandl; u But there are 
mistahes in the Jeffes copy which do not occur in the Allde 
(vpy, e. g., the letter of BelV-lmperia, Dodsfey-Hazlitt, p. 68, 
is yicen as if it were a speech of Bell-Imperia; “Mors”, 
p. 124, is corrupted to u iners”, &c. The Jeff es copy seetns 
‘hrrefore to ha re beeil pirated by Allde, whose impression is 
rafnable, not for the reconstruction of the irords, but as a he/p 
//( fixiny the date of the original.” Auch hier ist zunächst 
zu konstatieren, dass Brandl durch Dodslev-Hazlitt irre 
geleitet worden ist: thatsächlich haben beide Quartos 
Hel. vor Zeile III, 2, 26, und beide Qq. lesen III, 13, 3’> 
iners (nicht Mors), was ja auch richtig und keine Korrup¬ 
tion ist. Des weiteren muss ich aber gestehen, dass ich 
der Argumentation dieses ausgezeichneten Kenners elisa- 
bethanischer Dinge diesmal nicht recht folgen kann. Daraus, 
dass beide Quartos gemeinschaftliche Fehler haben, folgt 
jedenfalls, wie auch Brandts Meinung zu sein scheint, für 
ihre relative Chronologie nichts: A. kann ja den Fehler 
ebensogut von B., als B. von A. abgedruckt haben. Wenn 
;tber. um auf das zweite Argument zu kommen, Jettes Fehler 
macht und Allde das Richtige hat, so hätte ich gedacht, dass 
flicht Allde nach der schlechteren Ausga be von Jettes druckte. 
Mindern umgekehrt. In der That werde ich unten, nach 
Aufstellung einer ausgedehnten Liste wirklicher Fehler 
auf Jeffes’ Seite, in entgegengesetztem Sinne arguieren. 

l ) Der Fehler liegt an der Ausgabe von Dodslev-Hazlitt (j>. 12s), 
wu giinz willkürlich und ohne jede Angabe die AYorte: -Wfiat. fhy 
f’Hrxr f" dem Scnex in den Mund gelegt werden. Natürlich spricht 
mc Hieronimo (so in allen Quarto*). 



XXXXVI 


II. Kapitel 


Im Anschluss an Brau dl kommt dann P. A. Daniel 
(Academy 1891, II, p. 197) auf unsere Frage zu sprechen. 
Er weist darauf hin. das. Jeffes das Verlagsrecht der 
Spanish Trayedy bis zum Dl. August 1599 besessen 
habe, und kommt, unter Betrachtung der Druck- und Ver¬ 
lagsverhältnisse, zu dem Schluss: u We may then, I think, 
with some conßdence (late the Allde edition as of the yenr 
1600.” Wie aus dem Artikel hervorgeht, weiss Daniel 
von dem inneren Verhältnis der beiden Quartos gar nichts: 
auch fehlt seinen Argumentationen betreffs der Verleger 
und Drucker des Stücks das Hauptfactum, dass nämlich 
Edward White — der Edward White des Druckvermerks 
der Allde-Quarto — schon am 18. Dezember 1592 wegen 
eines Raubdrucks der Spanish Trayedy gemassregelt wurde. 

Einen Satelliten findet Daniel an einem anonymen 
Recensenten meiner kleinen Tempie Edition im Athenäum 
vom 5. August 1899, p. 208. Der Satellit — ich hoffe, ich 
brauche hier das Wort richtig: ,,ein kleineres Licht, das 
hinter einem andern herläuft“ — tischt die gleichen 
Argumente auf und bringt abermals, wenn ich Kompliment 
mit Kompliment erwidern soll, u at an unnsual and. ßn‘ 
the reynireinents of /an anonymotts re riete /, tce are inclined 
to say ttitnrcessary lenyth”, die ganzen langweiligen Druck¬ 
geschichten vor, an deren Wiedergabe in meiner Einleitung 
jeder Leser — so vermeint er — eine grosse Freude 
gehabt haben würde. Ich gestehe, dass ich dem U eultirated . 
bat not learned reader” einen besseren Geschmack zutraue, 
als solch groteske Freude an den trockensten Namen 
und Daten. 

f 

Wie Daniel, weiss auch sein Satellit das Datum der 
Allde-Quarto mit überraschender Sicherheit auzugebeu. 
“ Uidrss, then. the re teere .'tonte rery irreytdar procet </ / ny.< 
in fit i ft httsi ness the ttndofed yitarto printet! I>y AH de tunst 
harr been iss uni nt some time betireen Aot/ast IS th . lt'-t' 1 . 



Kritik der alten Überlieferung 


XXXXVll 


und August 14 th , IliOü” Sehr schön und genau, aber 
doch falsch; denn die “irregulär proceedings” waren eben 
crwiesenermassen da, und White wurde 1592, wie 
Rechtens, dafür gemassregelt. So ist es gar nicht not¬ 
wendig darauf hinzuweisen, dass eine Raubausgabe von 
seiten Whites einen groben Rechtsbruch involvierte, und 
dass man diesen Biedermann White schwer au der Ehre 
kränkt, wenn man seine Quarto zwischen die Jahre 1592 
bis 1599 setzt. “For Allde to have printed an edition 
bfttreen these dates (1502 — 1500) would have heen a gross 
intaston of Jeffess right ”, sagt der Anonymus. Gewiss, 
aber dass man dem Charakter all dieser Ehrenmänner 
mit der genannten Annahme nicht zu nahe tritt, dürften 
wohl die Ausführungen zu Eingang des vorigen Kapitels 
genügend gezeigt haben. Übrigens lag in dem vor¬ 
liegenden Fall für White sogar eine gewisse Entschuldigung 
vor: Jeffes hatte ja wahrscheinlich die Piraterie begonnen; 
wenigstens hatte White den u Arden of Fever sh am” , den 
Jettes rechtswidrig druckte, schon am 3. April 1592 ein¬ 
tragen lassen (Arber II, 607). „Aug' um Auge, Zahn um 
ZahiC, sagte White, und druckte nun seinerseits Jettes' 
“ Span ish Tragedy”. 

Ich selbst bin in der Beurteilung dieser Druckge¬ 
schichte und ihrer Chronologie nicht so vertrauensselig wie 
Mr. Daniel und der Anonymus — um so weniger, als ich 
trotz der von dem letzteren gerügten Kürze es fertig ge¬ 
bracht habe, in der kleinen Temple Edition eine nach 
meiner jetzigen Ansicht irrige Vermutung aufzustellen. 
Dieser Irrtum erinnert mich allerdings an die Angabe des 
Megasthenes, bei den Indern habe das Prinzip geherrscht: 
u The philosopher uhoerrs in his predictions ohserves sitence 
)<>r the rest of his lije ” Da aber dieses prächtige Prinzip 
• zwar schwerlich beim Wetterprophezeien, aber doch wohl 
in der Wissenschaft) immerhin auch seine Nachteile hat. 




XXXXV1U 


11. Kapitel 


and jedenfalls für die Kydforschung höchst fatal wäre, 
möchte ich doch versuchen, das Problem noch einmal 
anzngreifen, und diesmal hoffentlich richtig zu lösen. 

Dass die Alldesche Quarto einen besseren und älteren 
Text repräsentiert als die von Jeffes, stand mir alsbald 
fest, nachdem ich eine genaue Kollation der Quartos vor¬ 
genommen hatte, und als bald darauf die Artikel von 
Brandt und Daniel in der Academy erschienen, haben auch 
sie mich in dieser Ausicht nicht mehr wankend gemacht. 
Zweifelhaft war mir nur immer das Verhältnis der Drucker 
zu einander und namentlich, welches denn die konfiszierte 
Ausgabe war. Eine Zeitlang glaubte ich, alle Exemplare 
dieser Ausgabe müssten verloren sein, und so bezeichnete 
ich irrtümlicherweise in der Temple Edition, p. XXX, die 
.Jeffessche Quarto als die konfiszierte. Bei Jeffes wurde 
aber natürlich nur der ihm nicht gehörige Ardeti <>/ 
Feversham beschlagnahmt, nicht auch die ihm ja Rechtens 
zugehörige Spant sh Tragedy. Nach abermaliger Über¬ 
legung bin ich zu meiner ersten und ältesten Überzeugung 
zurückgekommen, dass die undatierte Allde-Wbitesche 
Quarto des Britischen Museums ein Exemplar der konfis¬ 
zierten Ausgabe vorstellt, und dass also dieses viel- 
umstrittene Exemplar bereits Ende 1592 datiert werden 
muss. 

Ich will nun versuchen, Beweise für diese Behaup¬ 
tungen vorzulegen. Dabei habe ich um Entschuldigung 
zu bitten, wenn ich mich wieder dem Vorwurf der Länge 
aussetzen muss; denn trotzdem der Anonymus des Athe¬ 
näums meint, dies sei eine ganz untergeordnete Frage, 
meine ich umgekehrt, dass es für einen Herausgeber der 
Sjtanish Trayedg geradezu die wichtigste aller Fragen ist. 
Wenn Jeffes' Quarto älter und besser wäre, als die von 
Allde, so hätte ich nach ihr drucken müssen, was zahl¬ 
lose Änderungen dos Textes (man denke ausser doii 



Kritik der alten rberlieferung XXXXIX 

vielen Siunvarianten auch an die Orthographie) notwendig 
gemacht hätte. 

Ich werde versuchen, die Frage von drei verschiedenen 
Seiten anzugreifen. Zunächst möchte ich eineu äusseren 
Beweis liefern, dass die undatierte Alldesehe Quarto nicht 
etwa erst 1501* oder 1600 gedruckt sein kann, wie Daniel 
und der Anonymus meinen. Diese Quarto enthält nämlich 
einige Verzierungen auf dem Titelblatt und der ersten 
Textseite, die der Leser am Ende dieses Buches auf Tafel 1 
und 2 reproduziert findet. Wir werden nun Zusehen, ob 
sich diese Verzierungen auch sonst in Büchern aus Alldes 
Druckerei finden, die ein Datum tragen, uud werden weiter 
zusehen. ob die betreffenden Blöcke iu der Schärfe der 
Umrisse jeweils mehr oder weniger gut konserviert sind 
als in der umstrittenen undatierten Quarto. 

Da haben wir z. B. auf Tafel 2 einen quadratischen 
Kähmen für die Initiale W: wir sehen in demselben zwei 
nackte Knaben, die einen Kranz mit immergrünen Blättern 
tragen. Dieser Rahmen findet sich u. a. auch in Thomas 
Hy 11. Naturall and Artißciall Conchmons, 158(5, auf fol. 
A 2 ‘. Hier ist aber z. B. das Gesicht des linken Knaben 
schärfer als in unserer Quarto Q; natürlich: diese Quarto 
wurde ja sicher verschiedene Jahre nach 158(5 gedruckt, 
und inzwischen war der Block abgenützt worden. Umge¬ 
kehrt kommt dieser Knabenrahmen öfters vor in Robert 
Normans New Attractire , 1596, und zwar auf B 7 a , D 6 
U.>“; im zweiten Teil auf A 8 h , Di tt . Hier sind z. B. die 
Hände der Kinder bei weitem nicht mehr so scharf im 
I mriss als in Q; namentlich die linke Hand des linken 
Knallen ist schon ganz zu einem unförmlichen Klumpen 
verdorben. Genau das gleiche gilt von den Figuren dieses 
Kähmens in zwei weiteren Drucken aus dem Jahre 1596, 
nämlich dem Paradice of Dainty Denn «es ( gleich auf der 
ersten Seite), und J. Framptons Joyf'ull Xeires, wo der 



I, 


11. Kapitel 


Rahmen sehr häufig vorkommt: so auf Ei“, U's a . Z*“. ] 

Z* l \ Aa* a etc. | 

Ich schliesse hieraus, dass der Druck der Allde-Quarto ; 
jedenfalls vor das Jahr 15 ( J6 fällt, also keinesfalls erst in 
die Jahre 1599 oder 1600. j 

Zu gleichen Schlüssen gelangen wir, wenn wir etwa j 
die eine und andere der übrigen Verzierungen in ähnlicher 
Weise durch Alldesche Drucke verfolgen. 

So steht das THE des Titels der Spanish Trayedy eben¬ 
falls in einer Umrahmung, die links und rechts zwei 
Kinderfiguren, oben einen Engelskopf mit Flügeln aufweist 
(vgl. Tafel 1 oben); der gleiche Rahmen findet sich iu 
Solhnan and Perseda, s. a. und, undeutlicher, iu der Aus¬ 
gabe von 1599. 

Weiter findet sich auf der ersten Textseite der Spanidi 
Trayedy eine Arabeske: in der Mitte ein geflügelter weib¬ 
licher Genius, links und rechts symmetrisch je ein Füllhorn 
und ein phantastischer Tierkopf (vgl. Tafel 2 oben). Diese 
Verzierung erscheint z. B. wieder in dem schon genannten 
Buch von Robert Norman, New Attractiee, 1596, auf fol. 
Da“ und D 2 h . Der Block hat hier offenbar schon 
gelitten: der Ausdruck des Gesichts des Genius ist viel 
feiner in der Quarto der Spanish Trayedy; ebenso sind 
z. B. die Blätterspitzen links schärfer als iu dem genannten 
Druck von 1596. 

Ich bedaure nur, gegenwärtig nicht Zeit und Gelegen¬ 
heit zu haben, durch den Vergleich weiterer Drucke von 
Allde, resp. Jettes, auch von dieser Seite aus engere 
Grenzen ziehen zu können. Zur Widerlegung von Daniel 
und seinem Satelliten dürfte jedoch das Gesagte allein 
schon genügen, doppelt, da ich glaube, noch „stärker 
beschwören“ zu können. Ich werde nämlich jetzt zu zeigeu 
suchen, dass der Text der Jetfesscheu Quarto beträchtlich 
schlechter ist als derjenige der Alldesehen, und per .<*■ 



Kritik der alten Überlieferung 


Ul 


schon den Eindruck erweckt, als ob er letzterer Quarto 
direkt entnommen sei; endlich aber hoffe ich wenigstens 
einen schlagenden Beweis äusserer, typographischer Art 
dafür zu erbringen, dass Jeffes in seiner zweiten Ausgabe 
von 1594 ganz direkt von Allde abgedruckt hat. 

Wir haben oben gesehen, dass im allgemeinen eine 
Quarto mehr oder weniger mechanisch von der vorher¬ 
gehenden abdruckt und dabei, wie zu erwarten, eine grössere 
Zahl neuer Fehler einführt. Umgekehrt gelangen wir, 
soweit wir die Sache wirklich kontrollieren können, zu 
dem Resultat, dass der schlechtere Text auf ein jüngeres 
Alter schliessen lässt. 

Wie verhält es sich nun mit der Qualität des Textes 
der Quartos von Allde und Jeffes? Da ich unter dem 
Text meiner Ausgabe die sämtlichen Varianten aller Aus¬ 
gaben angebe, ist es nun für jedermann leicht, sich folgende 
Abweichungen der beiden Texte zusammenzusuchen: sie 
repräsentieren fast alle eben so viele, zum Teil recht 
grobe Fehler auf Jeffes* Seite. 1,1, (19 grone Al/des ()] greeue 
Jeffes 1594. I, 2. 54 darke] darkt. Offenbar standen 
ursprünglich überall Präsentia; allein Q hatte schon den 
Bruckfehler ran für rain. und so wollte 1594 auch das 
alte darke in ein Präteritum verwandeln. Spätere Drucke 
ilblSff.) verwandeln dann, der Gleichmässigkeit halber, 
auch drop (Vers 57) in das Präteritum dropt. I, 2, bl 
vnboweld] vubowed, ein ganz grober Fehler. I, 2, 87 B.-W. 
Oiue] Giues. Allde hat den alten Konjunktiv erhalten, 
wie Jeffes selbst in 92 B.-W., wo erst Q 1602 modernisierte. 
I. 2. 96 thy] the. 97 this] tliat. 145 obserue] obserues. 
148 free] fehlt. Ein offenbarer grober Fehler gegen Sprache 
und Metrum. 155 liisj the. 160 Say] So. 1, 8.8 a] fehlt: 
Sprache und Metrum verlangen es. 1, 3, 18 adiudgrj 
adiudged. I. 3. 51 fliej will Hie. ein grober Fehler gegen das 
Metrum. 1.3, 70 we began] began we. I. 4. 10 Die Schreibung 



chau'dier von 1 '>1)4, in deren Rann die folgenden Qq. bis 
1<>18 stehen, beruht wohl nur auf einer Verwechselung 
der beiden ersten Vokale von Alldes chiualier durch den 
Setzer. 21 a] fehlt; natürlich ist es unbedingt nötig. 42 1 
[.duckt from off) pluckt off from. 72 for] of. 99 B.-W. l u * 
/'//] fehlt. 

II. 2, 9 Hier hat Q den offenbaren Druckfehler ma>l 
statt may: Jeffes’ Q hat das missverstandene in ad auf die 
gewöhnliche Orthographie made gebracht. II, 2, lö There 
to) There on. 21 this] the. 42 be] bv. was sich nicht 
konstruieren lässt. II, 3, 28 conimand] to command. gegen 
das Metrum. II, 4. 59 still] fehlt; ganz unmetrisch. 11. 
5, 20 Hath heere] Heere hath. II, Ö. 5 Hier hat Jeffes 
ausnahmsweise einmal eine wirkliche Korrektur versucht. 
Jeder Leser sieht alsbald, dass Alldes Druckfehler ()r in 
On verbessert werden muss. Diese gute Absicht hatte 
auch unser Abell; aber die Art, wie er sie ausführte, ist 
charakteristisch für ihn. Von den 2 Buchstaben des Wortes 
ist keiner ganz richtig: der erste ist kursiv, da ihm das 
gewöhnliche Alphabet ausgegangen war. und der zweite 
ist überhaupt auf den Kopf gestellt, so dass bei ihm das 
wohl gemeinte On dasteht als Ou. 

III, 1 B.-W. Viceroi/] Virtonj. Dieser Fehler von 
Jeffes ist allerdings so handgreiflich, dass ausnahmsweise 
einmal die folgenden Qq. Jeffes nicht blind nacbfolgen. (Das 
gleiche gilt von Jeffes’ Lesart hatc in Vers 4. die freilich er 
selbst Allde unbedenklich nachgedruckt hatte.) III. 1, 3* 
feendj frind 1594, friend 1599— JH15; ein ganz thörichter 
Fehler. 83 irmocence] innocency. III. 2, 13 wake] make: 
wohl rein mechanischer Fehler: als r Bessernng u verriete 
die Lesart wenig Scharfsinn. 49can]gan. 81 is deuisde:] 
is disguisde: 1 Hier könnte man meinen. Jeffes hätte einmal 
eine nute Konjektur eingeführt - - oder eventuell auch, 
dass er hier die richtige alte Lesart erhalten hätte. 



Kritik <lor altrn ÜbcM’lk'tVriin«; 


Ull 


riimoglidi wäre es ja nicht; sie könnte z. B. aus Jeffes* 
»•rstein, verlorenem Druck stammen. Aber viel wahrschein¬ 
licher haben wir hier nur wieder einen mechanischen Fehler: 
Pedringano scheint in III, 3 gar nicht verkleidet zu sein (in 
Caspar Stielers Beltimperie geht Skaramutza offenen Visiers 
als r Kamerad u auf Severin los), und wenn Jeffes. resp. sein 
Setzer, wirklich tiefsinnig fiber die Stelle nachgedacht 
hätten, so stände der Doppelpunkt bei Jeffes nun nicht 
mehr an der alten Stelle. 105 Thus] This. 119 to] for. 
III. 3, 20 and] nor. III. 4, 21 Lor.\ Hör.: natürlich falsch. 
III. 4, 25 Iniurious] lurious. 29 my] the. 42 holpe] hope; 
falsch. III, 6. 53 my] fehlt. 50 pray] pray you. SG they] 
the. 101 this] the. III, 7, 8 tides] tide. 13 Beat] But. 
70 my] the. 111, 8, 21 innocence] innocencie. 22 Erstes 
dvde] Iiu‘d (s?c!). III, 10, 11 as] at; sinnlos. 77 B.-W. 
her eare] his eare; offenbar falsch. 99 what] wheu. 102 
pani<ium] pan idem. III. 11, 4 next] fehlt; offenbar ist es 
aber richtig (vgl. die folgende Zeile). 8 B.-W. goeth 
modernisiert in goes. 23 Doth] Dost. 26 There in] Therein. 
III. 12. 13 thee] the. 45 Hier hat Q mit seinem inexecrable 
einen offenbaren Fehler: ob Jeffes mit seinem inexpücahle 
das Richtige getroffen hat? 95 helpleslv] hapleslv. 109 
then] them; offenbarer Fehler. III, 13, 13 Fata] Futa. 
18 thy] fehlt, gegen Sinn und Metrum. 27 aduautage] 
vauntage: gegen das Metrum. 41 spirit] spirits. 47 you] 
y.iur. 57 thus] this. 93 Personeubezeichuung fehlt bei 
•leffes. 110 did] fehlt: gegen Metrum. 118 thy] the. 144 
hnw| fehlt; sicher ein Fehler. 111, 14. 25 as| fehlt. III, 
IG. 4 neere] neerd. 29 brightly] briglit; gegen das Metrum. 

IV, 1, 11 losse and life] life and losse. 78 Bei Jeffes 
Vers und Bühnenweisung zusammeugedruekt. 125 Lor.] 
Hör.; natürlich unrichtig. 190 Why] I why. IV. 2. 32 
riay] na. IV. 4, 101 these] the. 119 VVitli] Which: offen¬ 
bar verfehlt; ebenso müde für mad. 179 ean] our: sicher 



UV 


II. Kapitel 


falsch. *203 diseease] disease; zweifelloser Fehler. IV. 5. 
17 niy] me. 2K none] nought. 

Dies wäre also eine ziemlich vollständige Liste der 
wichtigeren Abweichungen Jeffes’ von der Alldeschen 
Quarto. Man sieht, es wimmelt von nachweisbaren groben 
Fehlern bei Jedes; sehr, sehr selten nur hat er eine an¬ 
nehmbare Lesart an Stelle eines Druckfehlers bei Allde. 
Kann man nun hieraus Schlösse ziehen in Bezug auf das 
Verhältnis der beiden Quartos und die Priorität der einen 
oder andern? 

Ich denke, die meisten Forscher, die sich je selbst 
durch eine Folge alter Drucke hindurchgearbeitet haben 
und dabei ihr Augenmerk auf deu psychologischen Nexus 
in der Wandlung der Textüberlieferung richteten, wurden 
subjektiv geneigt sein, «las Vorstehende wenigstens als 
starken Präjudizialbeweis gegen Jeffes’ Priorität gelten zu 
lassen. Allein vollkommen zwingend, mathematisch sicher — 
das will ich gerne zugehen — ist der Beweis uoch nicht. 
Zwar wird man angesichts obiger Liste schwerlich mehr 
den Kinwurf erheben, dass umgekehrt Allde den schlechten 
Text von Jeffes vor sich hatte und dass er eben allerwärts 
die bessernde Hand anlegte und eine Menge vortrefflicher 
Konjekturen einführte. Wenn wir Zusehen, was Jeffes' wirk¬ 
liche Nachfolger mit seinem Texte machten, würde eine 
solche Hypothese zur grössten Unwahrscheinlichkeit; denn 
diese haben au fast allen Stellen hilf- und kritiklos die 
Fehler weitergeschleppt. Ist wirklich anzunehmen, dass 
Allde allein beim Abdruck von Jeffes an fast allen Stellen 
deu richtigen Text hergestellt hätte? 

Aber wenn wir auch diese hypothetische Annahme 
alsbald fahren lassen, so könnte man sicherlich einweuden. 
dass Jeffes wahrscheinlicherweise doch eher von seiner 
eigenen ersten Ausgabe abgedruckt habe. Von dieser 
haben wir kein Kxemplar, mit Gewissheit lässt sich also 



Kritik der alten (’berliefe 


run.t, r LV 

von dieser Seite nichts ausmachen; aber die Möglichkeit 
liegt zunächst sicherlich vor, dass die vielen Fehler von 
Jettes schon in seinem ersten Texte standen (dem mit den 
“•/rosse fault dass er aber auch an zwei oder drei Stellen 
Alldes Text gegenüber etwa eine richtige alte Lesart 
bewahrt hätte. Man könnte auch sagen, dass Jeffes sich 
für seinen zweiten Druck (“amended of such (/rosse faulis 
'is passed in the first Impression”) ein neues Manuskript 
verschafft hätte —: vielleicht das gleiche wie Allde oder 
ein ihm ähnliches. In all diesen Fällen würde für die 
relative Chronologie der ältesten Ausgaben nichts folgen; 
noch weniger natürlich für die absolute Chronologie der 
undatierten Alldeschen Quarto. 

Um deshalb zu sicheren und unanfechtbaren Resultaten 
zu gelaugeu, habe ich eine minutiöse Vergleichung der 
beiden Drucke Seite an Seite angestellt, wie sie mir durch 
Ibersendung der Göttinger Quarto an das Britische Museum 
ermöglicht wurde. Diese Vergleichung hat, wie ich glaube, 
unwiderlegliche Argumente für die Entscheidung unserer 
Frage geliefert; doppelten Dank schulde ich deswegen der 
Russen Liberalität der hohen Behörden, die sie mir trotz 
der damit verbundenen Umstände ermöglicht haben. 

Betrachten wir zunächst den äusseren Habitus der 
zwei Quartos im allgemeinen, so finden wir, dass derselbe 
bei beiden auffallend ähnlich ist. Einmal ist die Seiten- 
abteilnng zumeist die gleiche; die Zeilen am Kopf und 
Fuss der Seiten sind meistens die nämlichen, und wenn 
der Setzer einmal um eine vor oder zurück ist. so ver- 
'iieht er dies wieder einzuholeu. Auf diese Weise haben 
beide Quartos geuau die gleiche Auzahl von Seiten: beide 
«ehliessen auf L 2 b , ganz unten, mit einem FIN1S (ohne 
Verzierung, für die kein Platz mehr da war). Die Bühnen¬ 
weisungen sind im allgemeinen genau die gleichen; sie 
'ind in beiden Quartos in Antiqua, noch nicht kursiv 



gedruckt. Nur fängt hier bei Jedes schon der Moderui- 
sierungsprozess an: die alten Konjunktive werden gelegent¬ 
lich hier schon in Indikative verwandelt. So hat Allde in 
I, 2, 87 und 92 beidemal den Konjunktiv Glue ; Jedes 
hat das erste Mal modernisiert Giues , das zweite Mal hat 
er mechanisch Glue abgedruckt. 

Insbesondere sind ferner die Orthographie und die 
Interpunktion in weitgehendem Masse identisch; wenn man 
bedenkt, wie irrationell elisabethanische Drucke in dieser 
Beziehung sind, wird man auf diesen Punkt grosses Gewicht 
legen. An einer Menge von Stellen wird die Interpunktion 
von Q, auch da wo sie " outrayeously wrony n ist — wo 
Punkte mitten im Satze stehen und der Zusammenhang 
der Sätze total zerstört ist — ganz einfach mechanisch 
reproduziert. 

Dazu kommt, dass die typographische Anordnung 
gewisser falsch abgeteilter Verse, so wie diejenige der 
Prosastellen fast durchgehends auffallend ähnlich, meistens 
absolut identisch ist. Dies gilt z. B. von der Bühnen¬ 
weisung nach 1, 5, 22; von Scene III, 5 und Teilen von 
III, 6; namentlich sind ganz gleich III, 6, 44—49, 76—78: 
III, 7, 19—29; in beiden Quartos sind die 2 Zeilen 111. 
1, 43 und III, 15, 110 ohne Grund eingerückt; ebenso 
mechanisch hat die jüngere Quarto das „Yor Lordships u 
der älteren in UI, 15, 126 nachgedruckt. Das b in dem 
niba der Q 1594 (III, 15, 128) ist entstanden, weil in dem 
ei ha von Allde das h wie ein b aussieht: in IV, 1, 157 
haben beide Quartos gleichmässig die unsinnige Verball¬ 
hornung von cothurnata in die zwei Worte cotlier nato. 
Man vergleiche ferner die Anordnung des Druckes auf 
fol. E 3 tl l b (III, 2, 98): Q hat beim Umschlagen die Per¬ 
sonenbezeichnung Lor. verloren; diese fehltauch bei Jeffes, 
obgleich der Vers hier erst die zweite Zeile auf der Seite 
bildet. Beide Quartos haben die zwei Verse 1II, 2, 108 109 



Kritik der alten Überlieferung 


Ij VII 


in eineu, uunraehr überlangen Vers zusammeugezogen. 
der im Druck gebrochen wird: die typographische Anord¬ 
nung desselben ist in beiden Quartos genau die gleiche u. s. w. 

So könnte ich fortfahren; allein ich will zum Schluss nur 
noch eine Tbatsache anführen, die auch dem ungläubigsten 
Thomas doch wohl als eine demonstratio ad ocu/os dafür 
erscheinen dürfte, dass Jettes direkt aus Allde abgedruckt 
hat — die Thatsache nämlich, dass der Setzer der Quarto 
15Ü4 an einer verfänglichen Stelle aus der Quarto von 
Allde mechanisch einen falschen Custos herübergenommen 
hat. Auf fol. K 2 a unten präsentiert sich der Text von 
folgendermassen: 

So shall my worabe be cursed for his sake, 

And with this weapon will I wound the brest,J She stabs 
The haples brest that gaue Horatio suck. ^ her helfe. 

Enter 

Die folgende Seite beginnt dann mit Enter Hieronimo , 
"orauf der Custos hinweist, so dass hier alles in Ordnung 
ist. In dem Druck von 1594 steht jedoch die letzte Zeile 
auf der folgenden Seite, und K 2 a endigt folgendermassen: 

So shall my wombe be cursed for his sake, f She stabs 
And with this weapon will I wound the brest,j her seife. 

Enter 

Man sieht, es ist hier der gleiche Custos Enter bei- 
hehalten, trotzdem die folgende Seite nunmehr beginnt: 
The haples brest that gaue Horatio sucke. 

Enter Hieronimo. 

Dieses mechanische Herübernehmeu eines falschen 
( ’ustos — und zwar, wie gesagt, an verfänglicher Stelle: 
der Setzer war “thrown off his guard” durch die über dem 
1 ustos stehende Bühnenweisung — scheint mir schlagend 
und unwiderleglich zu beweisen, dass Jettes’ Quarto von 
Ter Allde’schen abgedruckt wurde. 

Scliirk. Spanish Tragody. 


IV 



LV1II 


II. Kapitel 


Nachdem dies festgestellt ist, sind meine weiteren 
Folgerungen sehr einfach. Jeffes’ Quarto ist 1594 datiert; 
folglich kann deren Vorlage nicht jünger als 1594 sein. 
Alle Überlegungen, wie sie Daniel und sein Satellit 
über Verlags- und Druckverhältnisse anstellen, werden 
damit gänzlich illusorisch, und fallen in nichts zusammen. 
Wir wissen ferner mit Sicherheit, dass White die Spmihh 
Tragedy Ende 1592 unerlaubter Weise gedruckt hatte. Da 
er dafür bestraft und mit Arrest bedroht worden war. 
wird der brave Bürger sich nicht gleich darauf wieder 
ähnlichen Dingen ausgesetzt haben; er wird also am wenig¬ 
sten in dem Zeitraum von Ende 1592—1594 noch eine 
andere Ausgabe veranstaltet haben, als die von Allde 
gedruckte, von der das Britische Museum ein höchst wert¬ 
volles Exemplar besitzt. Folglich muss dieses Exemplar, 
unsere Garrick-Quarto, ein Exemplar der konfiszierten Aus¬ 
gabe vorstellen; als sein Datum darf man ruhig Ende 1592 
ansetzen. Der Herausgeber der Spanish Tragedy aber 
hat diesen ältesten und besten Text zu Grunde zu legen. 

Natürlich ist auch dieser Text nur als der relativ 
beste zu bezeichnen, d. h. er ist besser als derjenige aller 
nachfolgenden Quartos. Auch er ist keineswegs ohne 
Fehler, die sich freilich glücklicherweise, bis auf eiu paar 
r cnices ” 1 ), ziemlich leicht und sicher korrigieren lassen. 
Die Zahl der Sternchen, die in dem nachfolgenden Texte 
solche Fehler der Quarto bezeichnen, ist so erfreulicher¬ 
weise eine verhältnismässig geringe. Schlimmer steht es 
an manchen Stellen mit der metrischen Anordnung der 
Verse, die meines Erachtens sicher beweist, dass auch 
AIldes Quarto nicht direkt auf Kyds Mauuskript beruht. 
Ich habe eine genauere Besprechung dieser Dinge in einem 


') Vgl. z. B. III, 13, OS ff., III, 1(5, lff., IV, 1, 8 9 etc., und 
namentlich auch die fremdsprachlichen Stellen. 



Kritik der alten Überlieferung 


L1X 


besonderen Kapitel IV vorgenommen, in welchem ich über 
die kritischen Prinzipien für die Herstellung der vor¬ 
liegenden Ausgabe handle, und auf welches ich hier 
verweise. 


3. Die Bridyewater Quarto. 

Nach dieseu laugen Auseinandersetzungen, über die 
zwei ältesten erhaltenen Drucke werden wenige Worte 
über die Quarto von 1599 genügen. Ihre Stellung ist 
unschwer zu bestimmen; wenn wir ihr Verhalten in den 
zahlreichen, eben angeführten Fällen betrachten, in denen 
•leffes und Allde Differenzpunkte aufweisen, so sehen wir 
klärlich, dass die Bridgewater Quarto aus der Jeffesschen 
von 1594 stammt. So hat z. B. die Quarto von 1599 in 
I. 1. 69 yreeue (wie 1594) gegenüber dem (jrone von Q : 
in 1, 2, 61 druckt 1599 den Fehler mbowed von 1594 
für mboiceld hilflos nach, und so geht es durch das ganze 
Stück, wovon der Leser sich ja selbst durch Vergleich der 
Varianten überzeugen kann. 

Gelegentlich hat Q 1599 Ansätze zu Verbesserungen 
gemacht. Druckfehler und andere sinnfällige Versehen 
«erden häufig korrigiert (wie z. B. I, 1, 32 amidw statt 
'muht ); in III, 14, 25 wird as richtig wieder ergänzt; in 

III, 16, 6 wird wohl richtig see in sees verwandelt; in 

IV. 1, 76 sind Vers und Bühuenweisung von Q 1594 
zusammengedruckt worden, in 1599 wieder richtig ge¬ 
schieden. 

Ein eklatanter Fall, wo der Wille besser war als das 
Wissen und der Scharfsinn, findet sich in I, 1, 82, wo 
4as unsinnige yates of Hör: der Vorlage in yates of Horror 
-emendiert“ wird. Natürlich muss es horn heissen, vgl. 
A?neis VI, 894. Alle folgenden Quartos drucken das falsche 
Horror, wie a priori zu erwarten war, unbesehen nach. 

IV* 



Die wirklicheu Besserungen der Quarto sind also, 
trotz gelegentlichen guten Willens, so gut wie Null, 
während eine ziemliche Menge neuer Versehen und Fehler 
sich eiugeschlichen hat. Z. B. liest Q 1Ö99 in I, 1, 30 
homed statt honied, was fast alle Quartos nachdrucken; in 1, 
1, 49 to statt do (erst 1618 korrigiert den offenbaren 
Fehler); I, 1, 69 euerkilling statt neuer killing , wovon 
wieder alle andern Quartos ausgehen, u. s. w. mindestens 
30 derartige Fehler. 

Ein für allemal sei gesagt, dass dieses Verfahren von 
1599 typisch ist, und sich bis zur letzten Quarto 1633 
wiederholt: gelegentliche Verbesserungen (meist in belang¬ 
losen Kleinigkeiten), verfehlte Konjekturen und neue Ver¬ 
sehen iu Menge. 

Leider habe ich von dieser einen Quarto nicht sämt¬ 
liche Varianten angeben könneu, da ich das Exemplar nur 
wenige Stunden in Händen hatte. So vermag ich ins¬ 
besondere nichts von individuellen Fehlern dieser Quarto 
zu sagen, die sich nur in ihr fänden und von Q 1602 ver¬ 
bessert worden wären. 

4. Die Quarto ron IttO'd. 

Etwas länger ist bei dieser Quarto zu verweilen; denn 
sie bringt zum ersten Mal die bekannten Zusätze zu der 
Spaniah Tragedy , welche von den meisten Kritikern, in der 
Hauptsache gewiss mit Recht, Ben Jonson zugeschrieben 
werden. Seitdem Charles Lamb geistvollen und liebens¬ 
würdigen Augedenkens sie als das u very salt of the old 
play” bezeichnet hat, ist ja kein Kritiker achtlos an ihnen 
vorbeigegangen — im Gegenteil, es ist Mode geworden, 
dass man eher das Stück selbst vergessen darf als diese 
weitbeschreyten Zusätze, deren Erwähnung und Belobigung 
bei jedem „Kritiker 14 , der etwas gelten will, „de rigueur" 
ist. Der Anonymus des Athenäums bezeichnet die Behänd- 



Kritik der alten Überlieferung LXI 

lung dieser Zusätze geradezu als “the (freut qncstion" (sic!) 
für den Herausgeber des Stückes. 

Die wirklich „grosse Frage“, die sich für die Kritik 
erheben könnte — wenn es in solch kleinen Dingen wirklich 
.grosse Fragen“ giebt — ist glücklicherweise gelöst. Wäre 
nämlich nur die Quarto von 16)2 und ihre Nachfolgerinnen 
erhalten, so wüssten wir nicht, wo die Interpolationen an¬ 
fingen und aufhörten. Allerdings sollte man meinen, dass 
man jetzt (namentlich mit metrischen Hilfsmitteln) den 
l’mfang dieser Interpolationen wenigstens in der Hauptsache 
wohl bestimmen könnte; aber — seien wir recht froh, dass 
darüber nicht zu disputieren ist! Es würde sonst über 
diese Frage ein Meer von Tinte vergossen werden, und 
alles, um mitlsabella zu reden — u to no end! ni ) Dodsley. 
dem nur die Quarto von 1633 vorlag, und der so die 
beste Gelegenheit hatte, seinen Scharfsinn leuchten zu 
lassen, hat die Zusätze jedenfalls nicht erkannt, und wohl 
überhaupt keine Ahnung davon gehabt, dass er das Werk 
von mindestens zwei Autoren herausgab. Freilich schrieb 
mau damals noch 1744. Umgekehrt hatte allerdings sein 
nächster Nachfolger Hawkins (1773) leichtes Spiel in der 
N:heidung der Zusätze von dem alten Text; er hatte ja 
auch die älteste Quarto ohne die Zusätze in Händen und 
brauchte nur die Plus-Stellen der jüngeren Quartos heraus¬ 
zusuchen. 

Also die wichtigste Frage, die nach dem Umfang 
der Interpolationen, wird uns durch die Art der Text- 
Überlieferung von selbst gelöst, und wenn wir es für nötig 
halten, sie im Gegensatz zu allen alten Quartos wirklich 
aus dem Text herauszuheben, so können wir das ohne 
i'ile Schwierigkeit thun. 

Die zweitwichtigste Frage scheint mir dann die mu h 
dem Autor der Zusätze zu sein. Seien wir abermals 

') Spanixh Tragedy IV, 2, U4. 



LXI1 


II. Kapitel 


über die Massen froh, dass uns hier Henslowe einen 
Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hat; auf Ben Jonson 
hätte keiner der unfehlbaren Kritiker geraten, die S" 
glücklich sind das Gras wachseu zu hören. Auch so i?t 
wohl die Frage nicht ganz und gar, und über jeden Zweifel 
entschieden. Wie andere Forscher, trage auch ich kein 
Bedenken, das beste in diesen Zusätzen auf Ben Jonsous 
mächtige Schultern zu legen: “rare Ben Jonson” kann die 
stolze Bürde wohl ertragen, Ben Jonson in seiuer stolzen 
Pauoplie von Gelehrsamkeit und dichterischem .Können. 

v E£oyos 'Agyeiojv xeqpalrjv rjd > evgeag (bjuovg. 

Dagegen besinnt man sich doch immerhin, die ärmlichen 
kleineren Zusätze dem Riesen auch in die Schuhe zu 
schieben, oder ihn für eine Anzahl lächerlicher Extra¬ 
vaganzen verantwortlich zu machen, wie z. B. das läppische 
Geschwätz in dem Zusatz C, Vers 13 ft*., das einem Öko* 
uomieverw r alter eher beifallen könnte, als einem Poeten 
oder einem Marschall von Spanien. 1 ) 

Die nächstwichtigste Frage — zumal für den Heraus¬ 
geber des Stuckes — ist sicherlich die nach dem Zustand 
und der Gestaltung des Textes dieser Zusätze. Merk¬ 
würdigerweise sind bis jetzt diese Zusätze nur nach späteren 
Quartos gedruckt worden; in gar allen Ausgaben der 
Spanish Trayedy findet sich eine Anzahl ganz grober Ver¬ 
sehen, während sich noch kein Herausgeber die Mühe 
genommen hat, die für die Zusätze massgebende Quarto 
von 1 (»02 genauer zu prüfen. 

Sehen wir uns jetzt diese Quarto einmal schärfer an. 
und zwar nach ihren alten Bestandteilen ebensowohl wie 
nach den neuen Zusätzen. 

1 ) Ein Ausdruck von seltener Lächerlichkeit findet sich amii 
mitten im Fainfers part (1)118): "Lcf my hair hearc up my niyh ! - 
cap !*' Doch befindet sich dieser mich rechts und links in nusiD - 
zeichneter Um^eVtuiur. 



Kritik der alten Überlieferung 


LXI1I 


Was den alten, Kydschen Text dieser Quarto anbelangt, 
so sehen wir alsbald, dass derselbe aus der unmittelbaren 
Vorgängerin, nämlich der Quarto von 1599 stammt. Denu 
iu 1, 1, 30 hat Q 1602 den Fehler homed statt honied , in 
I, 1, 49 to statt tfo, in I, 1, 69 euerkitling statt neuer 
k'dliny , und so weiter durch das ganze Stück durch lauter 
Felder, die zuerst Q 1599 eingeführt hatte. 

Der unachtsamen und unbewussten Fehler von 1602 sind 
nicht gerade allzuviele; im Gegenteil, man darf fast sagen, 
dass diese Quarto sich hierin vor dem Durchschnitt der anderen 
auszeichnet. Ich meine solche Fehler, wie z. B. I, 4, 7 

I teilt statt 1 nill ; II, 3, 34 put statt but ; II, 5, 31 stangle 
statt strängte ; I, 3, 43/44 suruies statt suruiues (was merk¬ 
würdigerweise 1603 nachdruckt); II, 2, 31 dt fehlt; II, 4, 

II reproch statt approch , oder III, 1, 94 guiltlesse statt 
yuiltie , ein solch offenkundiger Fehler, dass merkwürdiger¬ 
weise schon die nächste Quarto Abhilfe schaffte; IV, 2, 5 
thus fehlt , und so noch einige mehr oder weniger be¬ 
deutende dazu. 

Dagegen hat diese Quarto auf eigene Faust eine grosse 
Menge von Änderungen in der Textgebung eiugeführt, Ände¬ 
rungen, die wohl zumeist das Stück lesbarer machen sollten, 
von denen einige auch verdienstlich, ja recht verdienstlich 
sind, deren grosse Mehrzahl jedoch durchaus vom Übel ist. 
Man begreift natürlich, dass die Quarto, um den Lesern 
des ,.17. Jahrhunderts“ entgegenzukommen, gewisse Moder¬ 
nisierungen eintreteu lässt; z. B. rite druckt statt vild, oder 
thou couldst statt thou cotdd , oder sundered (I, 2, 59) statt 
seindred u. s. f. Doch eine rechte Konsequenz ist auch 
hier nirgeuds zu spüren: es heisst dann wieder III, 15, 17 
thou keepes statt des thou keepst der älteren Quartos, oder 
[theyj he statt are (IV, 4, 75), oder es steht, von Q 1602 
neu eingeführt, ge statt you u. s. w. Besonderes Lob ver¬ 
dient die Quarto dafür, dass sie zum ersten Mal einige 



LXIV 


II. Kapitel 


starke Verderbnisse der älteren Quartos zweifellos richtig 
gestellt hat: so z. B. das made in II, 2, 9 statt des alt¬ 
überlieferten may; in IV, 1, 182/183 stellt Q 1602 zweifel¬ 
los richtig die alte Reihenfolge der Verse um; in III, 11. 
26 liest sie gegenüber dem Hierein ihrer unmittelbaren 
Vorgängerin richtig There , in; in diesen Fällen kann der 
Herausgeber nichts Besseres thun, als diese Lesarten anzn- 
nehmen. Auch sonst verfährt sie ganz vernünftig; nament¬ 
lich kann man die Einführung einiger neuer Bühnen¬ 
weisungen und gewisse Änderungen in der Anordnung des 
Druckes im allgemeinen als Verbesserungen bezeichnen. 

So wird in III, 2, 98 die ausgefallene Personenbe¬ 
zeichnung richtig ersetzt; vor III, 2, 26 und 32 fallen die 
unrichtigen Personenbezeichnungen Bel. und Hiera, weg: 
der Brief der Bellimperia an dieser Stelle, wie derjenige 
des Königs von Spanien an den Vicekönig von Portugal. 
III, 1, 70—73, wird in Kursivdruck gegeben (ähnlich 111, 
4, 52). Die neue Bühnenweisung nach IV, 4, 155 habe 
ich direkt in den Text aufgenommen, und hätte das gleiche 
wohl auch mit derjenigen zu II, 1, 79 thun können. 

Allein diesen einsichtigen Verbesserungen gegenüber 
steht nun eine sehr grosse Zahl von willkürlichen Ver¬ 
änderungen des Textes, die wohl dem Gesclnnacke des 
Korrektors besser zugesagt haben mögen, die aber ein 
Herausgeber nie und nimmer in seineu Text aufnehmen 
dürfte. Ich führe eine Anzahl derselben an: 

I, 2, 77 in die älteren Quartos] to Q 1602; I, 2, 106 
in] them; I, 4, 88 liue] liues; I, 4, 97 brest] breastes: 
I, 4, 38 sorrow] sorrowes (offenbar wegen der folgen¬ 
den Plurale siyhes und teures); ähnlich II, 1, 55 der Plural 
liuinys; I. 2, 58 some ill] lie; II, 2, 43 a] our; II, 5, 1 
outcries pluck] out-crie cals; II, 5, 64 Isabell . . . let vs] 
ls \ahell u . . . lets; III. 3. 21 brothers fehlt; III, 4, 8 Nor] 
Not: III, 4, 50 in prison] imprisoned: III. 6, 39 faults] 



Kritik der alten Überlieferung LXV 

fault; III, 6, 88 with] for; III, 10, 74 yourj the; III, 11, 
25 soules] soule; III, 13, 5 their] a; III, 13, 33 all] it: 
III, 13, 67 Stands yon] stand you; III, 13, 106 sweet] 
swift; III, 13, 127 it] them; III, 15, 40 hath] haue; IV, 
1. 18 Fathers] Father; IV, 4, 26 Let then] Then let u. s. w. 
Nirgends bekommt man den Eindruck, als ob hier die 
Quarto wirklich u aucthoritie ” für ihre Lesarten gehabt 
hätte; manchmal lässt sich sogar direkt konstatieren, dass 
sie sich bei ihren Besserungsversuchen tüchtig verhaut; 
wie z. B. III, 2, 31, wo das Verbum fare sehr mit Unrecht 
in das Adverb farre verändert wird. 

Im wesentlichen sind überhaupt alle Hauptfehler von 
Q. 1594, 1599 getreulich nachgedruckt worden; sowohl 
diejenigen rein textlicher als auch die metrischer Natur. 

Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich, 
dass die Q 1602 zwar nicht gerade viele Unachtsamkeiten, 
aber eine verhältnismässig grosse Anzahl von willkürlichen 
Veränderungen (mindestens etliche 25) im Geschmack eines 
-Korrektors“ aufweist. Es ist aber dabei auch zu betonen, 
dass diese Quarto so keinesfalls einen rein mechanischen 
Abdruck ihrer Vorgängerin bedeutet, sondern dass das 
Stück diesmal, auch abgesehen von den Zusätzen, einer 
allseitigen Revision unterzogen wurde. Sie durfte sich von 
ihrem Standpunkt gar wohl “ Newly corrected, amended, 
•uni enlnrged ” nennen, w’eun wir uns die Resultate dieser 
Korrektur auch nur in den wenigsten Fällen aneignen 
werden. 

Ähnliches werden wir nun auch in den hier zum 
ersten Mal auftretenden Zusätzen erwarten. Was kontrollier¬ 
bare Dinge angeht, so finden wir auch hier eine Anzahl 
von Druckfehlern, die der Leser in den Varianten angegeben 
findet; einige schwerere Fehler sind poore statt pure A 35; 
Hre-cat statt Hecate 1 ) D 33; (tygots statt nyylots (ayle.tx) 

1 ) Oder Holl dahinter ein Witz stecken? 



LXVI 


II. Kapitel 


D 36; Hier, fehlt D 146; shew fehlt D 159; wahrschein¬ 
lich ist ein Fehler Owle statt Owles D 151; weaue statt 
icaue D 155; vielleicht creuie statt creuice (wenn nicht gar 
statt cranie) D 17; auch A 13 ist wohl korrumpiert. 

Sonst lesen sich die Zusätze glatt; bei der oben er¬ 
wiesenen Tendenz der Quarto, willkürliche Lesarten eiuzu- 
führen, sind wir aber natürlich nicht sicher, wirklich immer 
den Originaltext ungeändert vor uns zu haben. Dasselbe 
gilt selbstverständlich noch mehr von der metrischen An¬ 
ordnung der Interpolationen. 

Ganz sicher ist aber denuoch, dass wir trotz mancher 
Versehen — kontrollierbarer und unkontrollierbarer — in 
dieser Quarto durchaus den besten und massgebendsten 
Text für die Interpolationen haben. 

Denn trotz ihres verhältnismässig geringen Umfangs 
weisen diese Zusätze doch in den späteren Quartos eine 
Anzahl zum Teil eklatanter Korruptionen auf. So heisst 
es iu C 7, Kinder seien nur dazu da, um der leichten 
Ware, genannt Weiber, Ballast zu verleihen (“To ballart 
these light c reu tu res iee call Warnen” )\ von Quarto 1618 
an heisst es statt hallace nunmehr Ixt Hanne , w r as in unserem 
etwas grotesken Fall zur Not wohl auch noch mit den 
Lehren der Mechanik in Einklang gebracht werden kann, 
sich aber sprachlich als Neuerung erweist. Man hat das 
alte, vom Standpunkt der Statik aus jedenfalls ganz un¬ 
anfechtbare hallace sprachlich nicht mehr recht verstanden. 
Nicht w r eit davon, gleich hinter dem darauf folgenden 
zoologischen Passus von Kälbern, Geisschen, Pferdefülleu und 
jungen Schweinchen, heisst es. je mehr ein Sohn an .lahren 
heranwachse, 

“ The vwre ansguar'il, n n /ereil V, he appears”. 

So lautet die Lesart in Qq. 1623 und 1633, sowie iu ver¬ 
schiedenen neueren Ausgaben. Aber die ältesten Quartos 
haben zweifellos das Richtige in dem vortrefflichen, wenn 



Kritik der alten Überlieferung 


LX VII 


auch etwas ungewöhnlichen Wort “ unbevelU d”. Kleinere 
Fehler sind, dass in D 18 und 19 on und at gerade umgekehrt 
worden sind, oder dass in D 58 das zweite aske fehlt, 
oder in D 78 das Präsens reare ganz unpassend zum 
Präteritum reard gemacht wird. Gegen den Schluss des 
“ Pnintev’s part” heisst es D 16*2 in den Qq. 1610 ff., und 
auch bei Hawkins und Hazlitt, u over thy head”, was doch 
den Sinn ganz verdirbt; die ältesten Quartos lesen zweifel¬ 
los richtig u over my head”. Zeile D 164 f. lesen die 
Quartos von 1610 ab, und sämtliche neueren Ausgaben 
ohne Ausnahme: “muke me curse hell, invocate, and in the 
finl bare me in a trance”. Hier fehlt doch klärlich das 
Objekt zu invocate; Quarto 1602 und 1603 haben ganz 
richtig: inuocate heauen. In dem Zusatz E hat sich eben¬ 
falls ein sinne der ältesten Quarto zu ßaue und slaine 
weiter entwickelt, welch letzteres dann sämtliche neueren 
Ausgaben angenommen haben; ebenso steht von Q 1615 
ah ein sicherer Fehler in F 16: u yonr valiant Sonne”; 
Metrum und Sinn verlangen your more valiant Sonne , wie die 
ältesten Quartos richtig lesen. Übrigens verlieren wir gegen 
den Schluss hin die Kontrolle betreffs unserer Quarto 1602, 
da sie bei Vers IV, 4, 177 abbricht. Vielleicht hätte sie 
für Hieronimos lateinischen Abschied vom Lehen und seiner 
Thütigkeit die richtige Fassung aufgewiesen, statt des frag- 
li' hen und sicher korrumpierten u Xnnck tners eadiv manns” 
der nächsten Quarto 1603. 

Ich meine also, dass es eine der wichtigsten Pflichten 
des Herausgebers sei, den Text der Interpolationen von 
diesen Korruptionen zu säubern und ihn endlich nach 
300 Jahren wieder so zu geben, wie er 1602 in seiner 
ältesten Gestalt gedruckt wurde. Was die äussere Wieder¬ 
gabe der Interpolationen im Druck angeht, so sind natür¬ 
lich all diese Zusätze, im Gegensätze zu den alten Quartos, 
in ihrem ganzen Umfange aufs genaueste als solche zu 



LX VIII 


II. Kapitel 


kennzeichnen. Wie das geschieht, ist wohl recht gleich¬ 
gültig, eben so gleichgültig wie die meisten andern rein 
äusserlichen Dinge. Für diese kritische Ausgabe habe ich 
die Zusätze in einen Anhang am Ende des Haupttextes 
verwiesen; in meiner kleinen Temple Edition gebe ich sie 
genau wie in den Quartos: nur kennzeichne ich sie durch 
Kursivdruck und eine Barriere von Klammern: ein dritter 
Weg — der schlechteste für meine Zwecke — wäre der. 
dass man die Interpolationen am Fuss der Seite an¬ 
bringt. Der mehrgenannte Anonymus des Athenäums ist 
sehr unzufrieden, dass ich nicht, wie Hawkins, letzteren 
— den alleinseligmachenden — Weg eingeschlagen habe. 
“ Hatckins' plan remains the lest”, orakelt er kategorisch, 
und so habe ich denn u the great question” in meiner Aus¬ 
gabe ganz falsch behandelt! Demgegenüber glaube ich. 
dass die Leser der kleinen Temple Edition es mir schwer¬ 
lich gedankt hätten, wenn ich bei dem Infinitesimalformat 
der genannten Ausgabe die 175 Zeilen des " Pointer’s part” 
in Augenpulverdruck unten am Fuss der Seite gegeben 
hätte. Für die vorliegende kritische Ausgabe hätte ich 
amphitheatralische Anordnung vornehmen müssen: 1. Text: 
'1. Varianten zum Text: 3. Interpolationen: 4. Varianten 
zu den Interpolationen. Dies alles hätte im Druck abge¬ 
stuft werden müssen: bei der dritten Stufe hätte mau 
dann die Brille, und bei der vierten das Mikroskop ge¬ 
braucht. 

5. Die Quarto ron KiO'dOS. 

Auch diese weist eine Anzahl beachtenswerter Züge 
auf. An ihr hat ebenfalls ein Korrektor gearbeitet, der 
durch seine Mühewaltung zwar nicht bewirkt hat, dass 
die Quarto, alles in allem gerechnet, dem ursprünglichen 
Texte näher gerückt, wäre, der aber an vielen Stellen 
doch entschieden genaue Überlegung und manchmal be¬ 
achtenswerten Scharfsinn hat walten lassen. 



Kritik der alten Überlieferung 


LXIX 


Seine Vorlage bildete die eben beschriebene Q 1 *»02: 
denn die oben angeführten, zuerst von dieser Quarto ein¬ 
geführten Veränderungen des Textes sind im allgemeinen 
getreulich nachgedruckt. Allein es gelingt nun dem 
Korrektor an verschiedenen Stellen, die alte richtige Les¬ 
art wieder zu finden, womit er meist in bemerkenswerter 
Isoliertheit dusteht, da, wie wir sehen werden, keine der 
folgenden Quartos nach dieser Ausgabe druckt. So hat 
er z. B. gleich in I. 1, 30 statt des unsinnigen hotunl 
speich das richtige honied Speech wiederhergestellt. Ein 
besonderes Heldenstück der Konjekturalkritik war dies ja 
nicht: Dodsley und ein alter Leser der Q 1002 haben den 
Felder ebenso korrigiert; allein alle sonstigen alteu Quartos 
von 1599 an (also nicht weniger als sieben) haben den 
Fehler getreulich wieder und wieder gedruckt. In II, 3, 
49 hat er gesehen, dass (am Schluss der Scene) ein Reim 
beabsichtigt war zwischen thought und nought , und hat 
demnach aus dem Plural thought $ seiner Vorlage den 
Singular gemacht. In II, 5, 48 hat er zuerst das sinnlose 
dainde zu staide verbessert, dass nun auch richtig mit 
hetraid reimt. In III, 1, 94 hat er allein das richtige alte 
'ju/i/ltie aus dem guiltlesse seiner Vorlage hergestellt; die 
anderen Quartos bessern wenigstens sinngemäss zu guiltfull. 
Wiederum allein hat er in III, 2, 81, achtsamer und scharf¬ 
sinniger als alle seine Brüder, deuisde aus disguisde herge¬ 
stellt; ebenso hat er IV, 4, 119 richtig Wh ich wieder in 
II ’ith verbessert; alle andereu Quartos, von 1594 ab, 
weisen erstere Lesung auf. In III, 1, 14 ist das /<//" 
der Quarto 1602 richtig in das alte lim zurückkorrigiert 
worden; alle andern späteren Quartos haben Ums sub¬ 
stituiert. Auch an anderen, weniger bedeutenden Stellen 
trifft er die alte Lesung wiederoder substituiert wenigstens 
recht annehmbare Neuerungen: ersteres in I, 2. 10(1 in] 
tbem, oder III, 10, 11 as] at; letzteres in D 155: ivaue 



LXX 


II. Kapitel 


statt iceane: A 13: he eingefügt; IV, 4, 3: Klammern um 
(of pleasure); — in diesen drei Änderungen folge ich der 
eben beschriebenen Quarto. In I, 2, 83 will Professor 
Man ly, der treffliche Veranstalter der amerikanischen Aus¬ 
gabe der Spanish Tragedy , wauing in waning verwandeln: 
er trifft hier unbewusst mit Q 1603 zusammen. 

Aber diese gelungenen Verbesserungen werden reichlich 
aufgewogen durch re.cht zahlreiche Fehler, — Druckfehler. 
Auslassungen und viele willkürliche Veränderungen, so 
dass auch diese Quarto schliesslich keine Ausnahme macht 
von dem allgemeinen Gesetz einer „gravitatio in mal«») 
partem mehr oder weniger direkt proportional dem zeit¬ 
lichen Abstand. Ich hebe einige der auffälligeren dieser 
Veränderungen hervor: 

I, 1, 69 euerkilling] euerstilling. 1,1, 79 rav] me. I. 
2, 85 these] this. I, 2, 92 their] the. I, 3, 78 had] 
hath. I, 3. 95 und I, 4, 57 Exil] fehlt. I, 5, 23 mine eie] 
my eyes. II, 1, 8 sufferance] difference. II, 1,120 plague] 
pledge. III, 2, 54 thy] my. III, 2, 108 enquiry] iniquity. 
111, 3, 21 his brothers house] fehlt. III, 3, 31 should he] 
he should. III, 10, 92 hauen] Heauen. III, 13, 162 
gutn’d] dim'd 1603. IV, 4, 115 wailde] waile. Inter¬ 
polation ß, Vers 10 fehlt ganz. D 5 thou] fehlt. D 72 
wicked fehlt. D 110 treej teare. 

Da sich im allgemeinen die vorgenannten Charakteristika 
in keiner der folgenden Quartos, insbesondere auch in der 
zunächst erschienenen von 1610 nicht finden, scheiut klar 
zu folgen, dass Quarto 1602 03, allein unter allen übrigen, 
descendenzlos ist. 

Sonst, ist nur noch einmal zu bemerken, dass Q 1603, 
da ihre Vorgängerin am Schluss defekt ist, die älteste 
Vorlage für Interpolation F und ein paar Zeilen von E 
bildet. 



Kritik der alten Überlieferung 


LXXI 


6. Quarto von 1610111. 

lu etwas schnellerem Tempo können wir nunmehr 
über die Mehrzahl der noch übrigen Quartos hinweggehen. 

Die nächstfolgende von 1610/11 gehört, alles in allem 
irereehnet, wohl noch zu den sorgfältigeren. Sie hat an 
einer Reihe von Stellen ihre Vorlage .— dies ist Q 1602, 
nicht Q 1602/03, wie wir schon gesehen haben — korri¬ 
giert. oder wenigstens korrigieren wollen: so 1,4,7 I will] 
Ile not (richtig wäre I nill ); II, 4, 11 richtig wieder 
»pp roch statt reproch ; II, 5, 48 stellt 1610 (selbständig, wie 
auch 1603) mit der Lesart staide statt staiude richtigen 
Sinn und Reim her; III, 1, 94 guiltfull statt des falschen 
<iuiltle$se der Vorlage (die richtige alte Lesart war (juiltie); 
III, 4. 42 liest 1610 wieder richtig holpe statt hope; endlich 
in D 36 hat 1610 zum ersten Mal Agglots (i. e. aglets) 
statt des aggots der älteren Auflagen. 

Der eigenen Fehler mögen zusammen etwa 55—60 
sein: ca. 30 davon sind von den späteren Quartos bis zu 
Kode nachgedruckt worden; eine merkwürdig hohe Zahl 
i über 25) sind aber schon von Q 1615 wieder korrigiert 

wurden, so dass sie in Q 1610 isoliert stehen. Es sind 

etwa die folgenden (von ganz unbedeutenden Druckfehlern 
ist natürlich abgesehen): I, 1, 54 straight] strainge. I. 

I. 81 eare] are. I, 2, 50 rampiers] rawpiers. I, 4, 8 

sighes] sightes. II, 5, 74 lectum. II. 5, 75 pictere. 

II. 5. 79 credere. III, 2, 5 vnhallowed] vnhollowed. 

III. 13, 32 ray] fehlt. III, 13, 66 is] fehlt. III, 13, 
100 estates] estate. III. 13, 162 teares] teare. III, 14, 
25 thiue] mine. IV, 1, 87 and] fehlt. IV, 1, 93 gnod] 
'‘Idt. IV. 1, 145 Huntesse. IV, 2, 17 winde] minde. IV, 

14 title] Tilt. IV, 3, 17 are you] von are. IV, 4, 52 
sec] I see. IV, 4, 107 shrikes] shrikt. IV, 4. 125 hath] 
haue. IV. 4. 132 represent] present. IV. 4. 157 tliouj 



LXXII 


II. Kapitel 


1 


thus. IV, 5, 6 seife] false. A 20 sir] sira. D 7 yeeresj ; 
yeere. D 12 starting] staring. 

Man wird bemerken, dass bei weitem die Mehrzahl 

! 

dieser individuellen Fehler der Quarto 1610/11 im 
zweiten Teile steht, der auch typographisch schlechter her- 
gestellt ist. 

7. Quarto 1615. > 

Die Ausführungen zum Schluss des vorigen Absatzes 
könnten betreffs des Abhängigkeitsverhältnisses von Quarto '■ 
1615 Zweifel erregen. Hier ist aber doch in erster Linie 
zu betonen, dass Q 1615 mit Q 1610 etliche 30 charakte¬ 
ristische Fehler teilt, die die letztere zuerst eingeführt i 
hatte. Ein paar Fehler finden sich sogar nur in den Qq. ] 
von 1610 uud 1615; so I, 1, 50 censor] censoret; III, 4. 

47 Page.] Mes.\ III, 13, 27 no] on; 1,4, 10 die Schreibung ' 
Chauilire. Im wesentlichen muss also doch Q 1615 von 
1610 abgedruckt sein. Doch halte ich es für gar nicht 
ausgeschlossen, dass Q 1615 daneben noch eine andere 
Quelle zu Rate zog (wohl Q 1602), besonders gegen das 
Ende hin, wo die Zahl der Übereinstimmungen mit 1610 
geringer wird (im vierten Akt fehlen sie fast ganz) und 
wo, wie schon gesagt, 1610 eine auffällig hohe Zahl nicht 
repetierter Fehler aufweist. Denn einige der Fehler von 
Q 1610 waren doch nicht so leicht zu korrigieren (Malone. 

Variorum Shakespeare. 1821, III, 108 hat z. B. das Tilt in 
IV, 3, 14 nicht zu korrigieren vermocht), und sonst hat Q 
1615 herzlich wenig Verbesserungen zuwege gebracht. 1 ) 
Dafür ist sie um so stärker in eigenmächtigen Neuerungen, 
von denen der Text nicht weniger als ca. 70 bedeutendere 
aufweist, die natürlich getreulich ihre Wanderschaft bis 
zur letzten Quarto durchmachen. Auch sonst ist ja, wie 

*) Besondere Erwähnung verdient vielleicht die Stelle II. 1, 27, 
wo Q lhl5 das nicht wenig eingebildete bcautious des trefflichen 
Bulthazar in das galantere Beauties verbessert hat. 



Kritik der alten Überlieferung 


exxiii 


wir schon wissen, diese Quarto sehr b enterprmny ”; sie hat 
zuerst den Doppeltitel des Stückes eingeführt — “Hieranimo 
ia mad ayaine* — und die Nachwelt mit dem Bild der vier 
Hauptfiguren des Dramas beschenkt. 

8. Quarto 161*. 

Man kann auch nicht sagen, dass sicli diese Quarto 
grössere Verdienste uoi die Verbesserung des Textes er¬ 
worben habe als ihre Vorgängerin. Sie sucht das censoret 
derselben in I, 1, 50 zu korrigieren; verbessert richtig the 
zu he in I, 2, 10; und findet auch in III, 1, 38 das rich¬ 
tige fiend statt J'riend wieder (schwer war es allerdings nicht!). 
Aber soust ist nur von Fehlern zu berichten. Etliche 
70 sind aus Q 1615') abgedruckt, darunter sind einige, 
die sich nur in 1615 und 1618 finden, wie I, 1, 56 
»hades] shapes. I, 2, 12 cethur. II, 5, 15 that] that 
who. III, 1, 12 your] our. 111, 14,- 31 Crownej Gowne. 
IV. 4, 84 tun’d] turn d. D 51 fall’n] fall'd. Ein paar 
weitere finden sich nur in 1618 selbst, da sie gleich von 
Quarto 1623 korrigiert wurden: I, 2, 76 Prickt] Pickt. 
1. 2. 98 my] fehlt. I, 2, 131 welcome. I, 3. 9 This] It. 
IV, 1, 73 passiug] passion. IV, 1,107 Rhodes] the Rliodes. 
Dazu kommen endlich noch etliche 60 stärkere Text- 
fmderungen auf die Rechnung von Q 1618, die ihrerseits 
wiederum von Q 1623 und 1633 getreu weitergeschleppt 
werden. 

In den angeführten Dingen stimmen, soviel ich weiss. 
olle Exemplare der im Jahre 1618 gedruckten Auflage der 
Spam'sh Trayedy überein. Allein es muss nun noch, so¬ 
weit ich gegenwärtig dazu im stände bin, des genaueren 
ausgeführt werden (worauf 8. XXXVIII nur kurz hin- 

Von Quarto 1615 ab weinen auch alle folgenden absolut 
identische Seitenanordnung auf, so dass die entsprechenden Seiten alle 
mit denselben Zeilen Anfängen und aufhüren. 

S«: h i <: k. Spanish Tragedv. 


Y 



LXXIV 


II. Kapitel 


gedeutet wurde), dass die verschiedeueu Exemplare der 
Quarto 1618 nicht ganz identisch sind. Ich habe näm¬ 
lich noch in letzter Stunde speciell zwischen den Exem¬ 
plaren der Bodleiana (B) 1 ) und der Danziger Stadt- 
bihliothek (D) folgende Differenzen festgestellt: I, 1. 69 
greene D] greeue B. I, 2, 58 slaine] Haine. IT, 1, Hl 
be louedj beloued. IT, 1, 60 lyes] lies. II, 1, 109 quam] 
quam. II, 1, 112 this] of this. IM, 10, 31 clapt] elap. 

III, 10, 82 bäte, his] hate is. Interpolation C 7 ballace] 

ballanee. III, 11, 18 balefull] palefull: vphold] behold. 
III, 11, 22 That] That’s. III, 11,26 There, in] There in. 
III, 11, 34 Dome] Come. III, 12, 10 Fire-brand] Fire- 

band. III, 12, 15 needs] needes. III, 12, 95 haplesliej 

haplesly. II, 2, 4 keine Klammern in D. (vgl. die Note). 

Von den beiden schliesst sieh offenbar D näher an 
Q 1615 au, während andererseits die meisten Änderungen 
in B auch von 1623 geteilt werden. Es lesen 1615 und 
D gemeinschaftlich be loued gegen beloued von B, 1626. 
1633; ähnlich verteilen sich: lyes] lies; this] of this: ballace] 
ballanee; balefull . . . vphold] palefull . . . behold: That] 
That’s; There, in] There in; hapleslie] haplesly. 

Es wird sonach D aus 1615, und 1623 aus B alt¬ 
gedruckt sein. D stammt keinesfalls aus B; denn z. B. den 
auffälligen Druckfehler Dome statt Come in III, 11. 34 
kann es nur aus 1615 herflbergenommeu haben. Ob 6 
aus D stammt, ist schwerer zu entscheiden. Da es in 
I, 1, 69 richtig yreeue gegenüber dem ijreene von D hat, 
so möchte man meinen, dass es ebenfalls direkt aus Quarto 
1615 abgedruckt wurde. Allein es ist überhaupt nicht 
klar, wie D zu letzterer, ganz falscher Lesart kommt, die 

l ) Für nochmalige freundliche Nachprüfung obiger Angaben 
an dem Exemplar der Bodleiana bin ich dem Rev. A. L. Maylie* 
zu warmem Danke verpflichtet. Die Angaben im VariantenappHrar 
beziehen sich auf dieses Exemplar. 



Kritik der alten Überlieferung 


LXX.V 


^ (ausnahmsweise) mit 1(523 und 1 <533 teilt: ebenso ist 
das Verhältnis der Lesungen dop, resp. dopt der zwei 
Quartos in III, 10, 31 unklar. Andererseits zeigt es sich, 
dass B und D im Gegensatz zu Q 1615 äusserst zahl¬ 
reiche, recht charakteristische Lesarten gemein habeu (vgl. 
den Eingang dieses Paragraphen); dazu treten gemeinsame 
Druckfehler wie beitis’d in I, 4, 09 oder A/exandrioe$ in 

III. 1, 87. Im wesentlichen muss also doch die jüngere 
Quarto B sicherlich von D abgedruckt haben. 

Ein genauer Vergleich beider Quartos (auch auf Druck¬ 
fehler etc.) würde wohl noch weiteres Material zu end¬ 
gültiger Erledigung der hier besprochenen Dinge bieten; 
auch wäre die Stellung der anderen erhaltenen Exemplare 
der Q 1618 zu bestimmen. Allein gegenwärtig kann ich 
der ganzen Frage nicht näher treten, und dieselbe hat ja 
höchstens ein bibliographisches Interesse. Für die Ge¬ 
staltung des kritischen Textes ist sie natürlich auch nicht 
von der geringsten Bedeutung. 

9. Quarto 1623. 

Redlicher hat sich diese Ausgabe bemüht, an ver¬ 
dorbenen Stellen Abhilfe zu schaffen, und der Erfolg ist 
etliche 20mal nicht ausgeblieben. So wird das vorhin 
aufgezählte Dutzend Fehler von 1615 und 1618, resp. 
1618 allein, von Quarto 16*23 verbessert; I, 2, 147 wird 
statt os thouijh das richtige though wiederhergestellt; I, 2,148 
wird das unentbehrliche free wieder hinzugefügt; III, 2. 31 
liest 1623 richtig wieder fare statt farre; III, 13, 159 
fhy statt mg (zum ersten Mal richtig); IV, 4, 213 gulfe statt 
:'/riefe , eine Besserung, die merkwürdig lange hat auf sich 
warten lassen; D 151 Owle] Owles, II, 5, 54 reueng'dj 
reuenge, III, 16, 4 neerd] neere — alle drei wohl richtig: 

IV. 4, 6 wird denie richtig in deine zurückkorrigiert (ein 
keser des Exemplars der Bodleiana hat wohl auch gesehen. 

v* 



LXXVI 


II. Kapitel 


dass der Sinn gerade das Umgekehrte verlangt, und hat 
zu denie handschriftlich ein not hinzu korrigiert; offenbar 
gehört dem alten Konjektural-Kritiker die Palme). 

Dafür hat nun aber auch diese Quarto, nachdem sie 
bei weitem die grösste Zahl der Fehler von 1618 abge¬ 
druckt, ihrerseits nicht viel weniger als 60 neue bei¬ 
gesteuert, und so auch zu der Verschlechterung des Textes 
die ihr nach dem „Gravitationsgesetz" der Quartos zu¬ 
kommende Portion redlich beigetrageu. 

10. Quarto 1633. 

Vergebens kämpft auch die letzte Quarto gegen dieses 
Gesetz an: trotz redlichen Strebens und verhältnismässiger 
Aufmerksamkeit rächen sich die gehäuften Sünden der 
Väter auch an ihr. Sie hat — das sei ihr zur Ehre nach¬ 
gesagt — an etlichen 8 Stellen die Lesart verbessert: II, 2, 11 
steht wieder foliowes statt follotve (ähnlich IV, 4, 11-4 
resembles £tatt resemlle ); III, 16, 9 steht zum ersten Mal 
richtig awake statt away; in D 106 107 ist die Verwirrung 
von 1623 wieder beseitigt. Namentlich sind manche 
„klassischen“ Verbesserungen zu betonen; so steht I, 2,1- 
richtig dilecte in 1633, ebenso I, 2, 13 poplite f II, 5, b s 
medicina; IV, 1, 157 zum ersten Mal richtig cothurnata : 
IV, 5, 40 steht das Sisiphus von Q 1633 der klassischen 
Form am nächsten; fast ganz richtig steht zum ersten Mal 
in III, 16, 1 der Name der thessalischen Hexe Eriehtho: 
wenn wir bedenken, dass auch Sir \V. Scott dem Namen 
die Form Erictho giebt, möchten wir fast sagen: ganz 
richtig. Endlich wird auch I, 2, 56 das unsinnige Am» 
sonant annis , das alle Quartos durch die Bank weiterge¬ 
schleppt hatten, in das zweifellos richtige Anna sonant armi> 
korrigiert.*) 

*) Die Textgostalt der lateinischen Stellen des Dramas ist wolil 
abseits von der allgemeinen Überlieferung des Textes zu beurteilen 
Gelegentlich (aber auch nur gelegentlich) scheint sich ein Setzer 



Die neueren Ausgaben 


LXXVII 


Natürlich hat aber auch diese Quarto zwei- oder drei¬ 
mal so viel Fehler als Verbesserungen im Text neu an¬ 
gebracht (darunter das verhängnisvolle Mors statt iners 
iri III, 13, 35), so dass man in der a priori gehegten Er¬ 
wartung. die letzte Quarto werde auch die schlechteste 
sein, thatsächlich nicht getäuscht wird. Rechnet man 
alle im Vorstehenden angegebenen Zahlen zusammen, so 
ergiebt sich eine runde Summe von etlichen 300 Fehlern, 
die die verhältnismässig unschuldige letzte Quarto als 
schwere summa totalis der Sünden ihrer Väter aufweist. 

Kapitel III. 

Die neueren Ausgaben. 

1. D 1 = Dodsleys Ausgabe von 1744. 

Ein Hundert und elf Jahre, nachdem die “Spanish 
Trutjwly* zum letzten Mal in den u spacious times of Queen 
Elizabeth” und ihrer Nachfolger gedruckt worden war, und 
mir 15 Jahre, nachdem in Holland das letzte Flackern 
ihres alten Ruhmes erloschen war, erschien sie in neuem 
Gewände, zum ersten Mal vor einem modernen Publikum 
in einer modernen Ausgabe, und dank dem erneuten 
Interesse, das die Forschung der jüngsten Zeit an dem 
Stück genommen hat, wird es wohl nicht mehr lange 
dauern, bis die Zahl der ueuereu Ausgaben derjenigen 
<ler alten gleichkommt. Ihr erster moderner Heraus- 

oder Korrektor auf seine lateinischen Kenntnisse zu besinnen; so 
mehrerema) in 1610, 1615, 1623. Nach der Quarto von 1633 verdient 
die Palme in diesem Punkte Abell Jedes, in dessen Quarto von 1504 
in dein längeren Passus II, 5, 67—80 vier oder fünf Wörter richtig 
sind gegenüber Q (ver. magnum* veneni, peefore, oculos ); auch pnpllfr 
in I, 2, 13 ist bei Jeffes richtig gegenüber dem poplifo von Q. Zu¬ 
meist freilich sind auch hier mit dem Fortschreiten der Quartos nur 
Korruptionen zu verzeichnen, wie dies namentlich bei den italienischen 
Citaten durchaus der Fall ist. Hier sind alle späteren Quartos gleich 
hilflos. 



LXXVIII 


III. Kapitel 


geber war Robert Dodslev, der sie in seiner bekannten 
Dramensammlung: U A Sehet Collection of Old. Plays” (1744), 
ßd. II, S. 11>5—284 lierausgab. Dodslev litt unter grossen 
Nachteilen, Autor und genauere Zeit des Stückes waren 
ihm unbekannt: “/ knote not tclto was the Autlior of Iltis 
Play, nor exact/y what Aye it is.” Doch kennt er eine 
Stelle aus der U lleturn from Parnassus ”, wo Hieroniuu» 
erwähnt ist, uud widerlegt ganz vernünftig die Ansicht 
von Phillips und Wiustauly, die das Stück William 
Smith zuschriebeu. Ferner lag Dodsley nur die eine 
Quarto von 1033 vor, also die schlechteste von allen. Kr 
sagt uns das selbst; wir könnten es auch mit Sicherheit 
aus den Varianten erschlossen, wo D 1 getreu der Q 1033 
auf dem Fusse folgt. Selbstverständlich war es ein Ding 
der Unmöglichkeit, auf solcher Grundlage einen wirklich 
guten Text herzustellen; doch muss entschieden anerkannt 
werden, dass Dodsley mit seiner Ausgabe recht verständig 
und gewissenhaft zu Werke ging. Er hat eine recht ver¬ 
nünftige Interpunktion eiugeführt, giebt ziemlich zahlreiche 
Emendationen, darunter mauelie gelungene, führt Persouen- 
verzeichnis ein etc. Natürlich konnte er die Interpolationen 
nicht von Kyds Originaltext scheiden -- es wird ihm wohl 
gar nicht zum Bewusstsein gekommen sein, dass er die 
Arbeit mindestens zweier Dramatiker vor sich hatte. 
Manche alten Ausdrücke sind ihm auch unverständlich ge¬ 
blieben; so z. B. III, 1, 47: to the tortures! when? »wo 
ihm übrigens in der Lesart teith him für when noch D* 
folgt!), oder III. 12. 22: He he with thee to hriny, wo er 
statt des ihm unverständlichen to hriny einen langen Ge¬ 
dankenstrich setzt. Auch über das korrumpierte Latein 
und Italienisch ist Dodsley nicht Herr geworden; er giebt 
hier fast durchaus einfachen Abdruck seiner Quarto. 

Wie alle neueren Ausgaben, bis auf die von Manlv 
und die vorliegende, hat natürlich Dodsley die Orthographie 



Die neueren Ausgaben 


LXXIX 


und sprachlichen Formen modernisiert. Alles in allem 
kann man Dodsleys Verfahren eigentlich nur loben; hätten 
alle folgenden Herausgeber ihre Pflicht ebensogut erfüllt, 
so hätte man längst sehr viel bessere Texte des Dramas 
gehabt. 


2. H = Hawkins’ Ausgabe von 1773. 

Die zweite neuere Ausgabe erfolgte im Jahre 1773, 
durch Thomas Hawkins, in seinem dreibändigen Werk: 
“ The Orig in of the English Drama”, Oxford 1773. Die 
fyanish Tragedy ist hier in Band II, S. 1—122 zum Ab¬ 
druck gebracht. Hawkins war in unvergleichlich besserer 
Lage als Dodsley; denn ihm stand der beste Text, die 
Alldesche Quarto, zur Verfügung; auch die Ausgaben von 
1618, 1623 und 1633 waren in seinen Händen. 1 ) Hawkins 
kennt auch den Autor Thomas Kyd, und glaubt zu wissen, 
dass das Stück noch vor 1560 gespielt wurde. 2 ) 

Im grossen und ganzen darf man sagen, dass er 
seine u opportun dies” gut ausgenutzt, und dass er sich um 
die Herstellung des Textes der “Spanish Tragedy” grosse 
Verdienste erworben hat. Hawkins war natürlich durch 
seine Quartos in den Stand gesetzt, die Zusätze auszu¬ 
scheiden; er druckt sie unten am Fuss der Seite ab; der 


') Hawkins scheint auch Ausgaben aus Jen .Jahren Hiott 
und 1S15 gekannt zu hatten; wenigstens führt Reetl dies an 
iUd. III, p. 242). 

*) Darin dürfte er immer noch recht haben, trotz der Einwürfe, 
die gegen diese Ansicht erhoben worden sind (zuletzt E. St. XXVIII, 
8. 229ff.). Das heisst, um die Sache eigentlich ganz klipp und 
klar herauszusagen, wir wissen über die genaue Abfassungs- 
Zeit der Spanish Tragedy nach wie vor gar nichts; nur wird kein 
Kritiker im Ernst aus den Jahren ca. 1 580 bis ca. 1590 heraus¬ 
treten wollen. Ich selbst halte das “pre-Armadati argionent” immer 
•eich Tür das stärkste — in Ermangelung eines besseren, dafür oder 
dagegen. 



III. Kapitel 


Text der letzteren ist freilich schlecht, da Hawkins für ; 
diese Interpolationen kein früherer Druck als Q 1618 zu j 
Gebote stand. • 

Von erklärenden und erläuternden Anmerkungen ist 1 
auch hei Hawkins noch so gut wie nichts zu finden; da- | 
gegen hat er sich ein unbestreitbares Verdienst um die* j 
Einrichtung der lateinischen und italienischen Stellen er¬ 
worben; alle nachfolgenden Herausgeber haben hier von i 
Hawkins' glücklichen Emendationen gezehrt. 

Dagegen ist über seine Kollationen der Qq. von 1618. 
1623, 1633 nichts Günstiges zu sagen; sie sind sogar als 
höchst ungenau, häufig genug direkt als falsch zu be¬ 
zeichnen, wie ein Vergleich mit dem in dieser Ausgabe 
gegebenen Variantenapparat alsbald zeigen wird. Leider 
ist Hawkins' recht minderwertiger Apparat ohne weitere 
Kritik und Vermehrung durch die folgenden Ausgaben 
fast ganz unbesehen hindurch geschleppt worden. Es ist 
w^ahrlich hohe Zeit (nach 128 Jahren!), dass hier Vervoll¬ 
ständigung und gründliche Besserung vorgeuommen wird. 

Übrigens hat Hawkins doch Dodsley nicht ganz bei¬ 
seite liegen lassen: abgesehen von kleineren Anpassungen 
hat er ganz besonders an sehr zahlreichen Stellen die 
Bühnenw f eisungen seines Vorgängers im Gegensatz zu denen 
seiuer massgebenden Quarto angenommen. Da diese An¬ 
leihen von Haw'kins bei Dodsley meist auch von den nach¬ 
folgenden Herausgebern bis zu Hazlitt herunter wieder 
abgedruckt wurden, so findet sich das Symbol D 1 — D*, das j 
die Abhängigkeit Hawkins' von Dodsley involviert, 1 ) häutig i 
genug in unserm Variantenapparat. 

Hawkins war auch der erste, der das Stück in 5 Akte ! 
einteilte. Er selbst sagt zu Beginn seines 4. Aktes, p. 67: | 

') Vgl. die chronologische Aufzählung der neueren Drucke . 
auf Seite 1 des Textes. I 



Die neueren Ausgaben 


LXXXI 


"Hitherto this plag has beeil made to consist of four acts; 
lut, surehj, through mistake: the third act containing more 
pages than any two besides. The present editor has there- 
t'ore rentured, against the authority of the printed copies, to 
diride the third into two; and submits the propriety of the 
amingement to the judyment of the reader. Es ist kein 
Zweifel, dass Hawkins hier einen entschiedenen Fehler be¬ 
gangen hat; leider sind ihm D 2 —D 4 gefolgt. Collier (D 3 ) 
freilich nicht ohne Protest. 

Trotz aller dieser Mängel durfte Hawkins stolz auf 
seine Ausgabe sein, und seine eigenen Worte sind nicht 
ohne Berechtigung: 

u The Spanish Tragedy, as it Stands in the present 
collection, cleared of the many gross errors in the formet' 
edition , appears ahnost a different work n (I, p. XVI). 

3. D 2 = Beeds Ausgabe in der 2 Um Auflage 
von Dodsley. 1780. 

Wiederum erscheint eine Neuausgabe im Jahre 1780 
iri der 2 ten Auflage von Dodsley's Collection, die Isaac 
Heed besorgte. Hier erscheint auch zum ersten Mal das 
Vorspiel zur Spanish Tragedy, der First Part of Jeronimo 
mit abgedruckt (Bd. III, 59—114); der zweite Teil des 
Jeronimo, die Spanish Tragedy, folgt S. 115—235; am 
Schluss steht noch die Ballade (S. 230 ff.). Reed hat 
(ausser einigen Notizen) sprachliche Anmerkungen und 
Parallelen beigesteuert, und hat so wohl auch einiges Ver¬ 
dienst um das Stück. Allein sein Text ist ein seltsamer 
Mischmasch. Er giebt auf S. 242 an, dass er nur die Q<|. 
von 1623 und 1633 gesehen habe; u bnt, hg comparing the 
collation of Mr. Hawkins with these copies, I can so far 
hear testimony to that Gentleman’s accnracy, as to think 
myself warranted to follow his Edition of this Plag” 
Wunderbar ist hier zunächst, was die Leute vor 100 Jahren 



LXXXII 


III. Kapitel 


unter accuracy verstanden! Und zweitens, wer nun nach 
Reeds eigenen, expliciten Worten glaubte, dieser seiHawkins’ 
Ausgabe durchaus „gefolgt“, würde sich nicht wenig be¬ 
trogen finden. Gewiss hat Reed von Hawkins profitiert: er 
folgt in den meisten Fällen dessen Lesarten und seine 
Varianten sind ja samt und sonders von Hawkins abge¬ 
schrieben (natürlich nicht ganz ohne Fehler). Aber im 
Text folgt er Dodsley an einer Unmenge von Stellen in 
einer höchst unkritischen, jeden Prinzips baren Manier. 

Ich führe einige solcher Stellen an: I, 4, 11 glorious] 
glory's. II, 1, 50 punishment] banishment. III, 1, 1 fügen 
beide great ein. III, 4, 52 haben beide in dem Ausdruck 
to stand good L. das L. fälschlich in Lorenzo aufgelöst 
statt Lord (Collier folgt ihnen darin nach). III, 12, 25 shew. 
Embassadour] shew the embassador. A 13 short liuedj 
long-liv’d. F 22 rupture] rapture, und so weiter an gut 
70 Stellen. So bedeutet Reeds Ausgabe einen ziemlich 
starken Rückschritt gegen diejenige von Hawkins. 

4. A = Ancient British Drama. 1810. 

Die nun folgende Ausgabe ist ein sklavischer Nach¬ 
druck von D 2 . Sie erschien in : u The Ancient British Drama. 
London, printed for William Miller, Albemarie Street, hg 
James Ballantyne and Co. Edinburgh." 1810, Band I, 475 
bis 515 (The First Part of Jeronimo ist ebenfalls ge¬ 
geben auf S. 459—474; auch die Ballade ist angehängt). 
Reeds Ausgabe ist hier mit Haut und Haar abgedruckt 
worden; die Abweichungen von D 2 , die ich bemerkt habe, 
sind nur die folgenden: I, 2, 109 should] sliall. I, 4, 102 
Horatio, stooped. I, 5, 64 omnesj fehlt. II, 1, 42 Seignior!] 
Segnior! II, 4, 59 Komma zwischen ambitious proud in 
D 2 , keines in A. II, 5 Bühnenw.: & c.] fehlt. II, 5, 00 
this] his. II, 5, 08 nostraj nostra. II, 5, 72 bibam] bebaut. 
II, 5, 73 irarutn] erarnm. III, 5. 18 Exit.] fehlt. III, 10, 19 



Die neueren Ausgaben 


LXXXI1I 


Salve] Save. III, 12, 11 irltere gegenüber dem Druckfehler 
to-re von Reed und Collier. III, 12, 19 Bülinenw.: ßings] 
thron-*. III, 13, 47 shall] should. III, 13, 172 cords D 2 , D 3 ] 
cliords. IV, 1, 16 ungratitude. IV, 4, 78 keine Klammern 
iri A. IV, 4, 152 Hold. Hieronirao. — A 42 Say you, say 
you : light A. C 26 ist is richtig ergänzt gegenüber Reed 
und Collier. D 138 cuse ebenfalls richtig hergestellt gegen¬ 
über Reeds cause. 

Sonst finden sich zwischen A und D 2 nur noch in der 
Orthographie und Interpunktion Unterschiede, die aber auch 
nicht sehr weit gehen. Die Varianten, Anmerkungen etc. 
sind ganz D 2 nachgedruckt; das Stück wird jetzt (im lau¬ 
fenden Titel) wieder als Anomjmous bezeichnet. Da waren 
Hawkins und Reed doch schon weiter!') 

5. D 3 = Colliers Ausgabe von Dods/eg. ls^ö. 

Von dieser Ausgabe gilt fast totalem verbis das gleiche 
wie von der vorigen; auch sie ist, trotz des berühmten 
Namens des jetzigen Herausgebers, im grossen und ganzen 
eine sklavische Reproduktion von D 2 und hat die Kritik 

Textes kaum um ein Härchen gefördert. Einige der 
gröbsten Fehler sind freilich verbessert; so ist jetzt 
Hieronimo, die Hauptfigur des Stücks, im Personenverzeich¬ 
nis nicht mehr Marschall von Portugal, sondern von 
Spanien (das hatte auch Hawkins kopflos von Dodsley 
abgrschrieben und Reed hatte ebenfalls mitgethan). 

Selten begegnet man einer eigentlichen Emendation 
von Collier, wie der Lesart min in I, 2, 53 (S. 103 hei 
‘ «»Hier*, die freilich gar nicht als Konjektur bezeichnet 


l ) Man bringt mit dieser Ausgabe Sir W. Scotts glorreichen 
Narmui in Verbindung. Von seinem (leiste findet sich jedenfalls 
iy keiner Zeile, in keinem Worte, in keinem Buchstaben auch nur das 
Kleinste Partikelchen. 



LXXXIV 


III. Kapitel 


ist, oder der Einsetzung von qui statt qne in II, 1, 43, 
oder der Ersetzung von cause durch case in D 138. Collier 
kennt auch die Ausgaben von 1599 und 1602 (S. 209): s 
Nutzen hat er aus ihnen freilich keinen gezogen. Einige I 
weitere Anmerkungen sind von ihm beigefügt worden; im 
allgemeinen sind aber auch die Noten (die Varianten ein¬ 
geschlossen) fast ganz mechanisch aus D 2 abgedruckt. 

Die paar Verbesserungen, die Collier angebracht hat, 
werden drei- und vierfach aufgewogen durch leichtsinnige j 
Fehler, die sich nur in seiner Ausgabe finden. Vergleiche 
z. B. 1, 5, 24 sound] found. III, 6, 18 Gramercy, boy] 
(Iramercy by. III. 11, 19 you to] to you. III, 12, 9 steele] 
steal. III, 13, 98 so] to. IV, 1, 118 saw] fehlt. IV, 3,5 i 
good my Lord] good, my Iord. IV, 3, 20 hast] has. IV, 

4 Bühnenw.: Vice-roy] fehlt. IV, 4, 133 That I] That, I. 
Zusatz D 3 men and birds, and beast. D 144 May] Way. 

D 63 fehlt, wohl durch typographisches Versehen, gleich 
ein halber Satz. 

Man darf wohl sagen, dass Collier der leichtfertigste 
aller Herausgeber der Spa ui sh Truyedy gewesen ist. Wohl 
im Gefühl, dass er bei seiner Ausgabe des Stückes seine 
Pflicht und Schuldigkeit nicht gethan hatte, ist er noch 
einmal auf den Text von Kyds Drama zu sprechen ge¬ 
kommen, nämlich in seinen " lllustratious of Early Etiylish 
Populär Literature ”, vol. I. In der Introduction zum John , 
linnen giebt er da auch Konjekturen zu 2 Stellen der 
Span/sh Trayedy , von denen jedoch die eine sicher, die | 
andere wahrscheinlich falsch ist. Vergleiche die An- j 
merkungen zu 111, 12. 100 und IV. 1. 32. 

Was für ein Kontrast zwischen dieser leichtfertigen, 
mechanischen Ausgabe und den hervorragenden Verdiensten. I 
die sich Collier sonst um das elisabethanische Drama er- j 
worben hat! , 



Die neueren Ausgaben 


LXXXV 


6. D 4 = Hazlitts Ausgabe von Dodsley. 1X74. 

Dies ist die Ausgabe, die der Forschung beinahe ein 
Vierteljahrhundert lang als der zugänglichste Normaltext 
vorlag. Sie erschien 1874 im fünften Bande von Hazlitts 
Dodsley, p. 1—173. Sie bedeutet gewiss einen Fortschritt 
gegen die früheren Ausgaben. Wir haben jedenfalls nicht 
mehr einen blossen Abdruck der Vorgängerin, wie in deu 
beiden letzten Fällen, sondern Hazlitt hat offenbar die 
Alldesche Quarto direkt Vorgelegen, und auch Hawkins 
hat er fleissig — in den Noten nur allzufleissig — mit¬ 
benutzt. Allein vieles ist auch in dieser Ausgabe doch 
recht leichtfertig und ungenau gemacht. Die Interpolationen 
sind zum Teil gar nicht mehr als solche zu erkennen: mau 
vergleiche namentlich die grobe Nachlässigkeit, infolge 
deren die Abgrenzung des Painter’s Part ganz unerkenn¬ 
bar ist (S. 113 und 123). Ziemlich das gleiche gilt von 
der letzten Interpolation. Gelegentlich ist ein Vers ganz 
ausgefallen, so IV, 4, 216, oder Zusatz F. 22. Auch 
grobe Fehler oder absolute Willkürlichkeiten in der Text- 
gebung, die sich nur in dieser Ausgabe finden, sind nicht 
ganz selten. Man vergleiche z. B. II, 1, 83 he is her 
loue] he is in love Hazlitt. II, 2, 2 is] has. III, 1, 20 
loue had coloured] love, and colour’d. III, 1, 21 giebt 
auch noch Hazlitt (wie D 1 ) ein unsinniges comforted statt des 
vollkommen richtigen consorted der alten Quartos (ähnlich 
IV, 5, 15). III, 7, 8 marsh] march. III, 10, 27 weapons] 
weapon. III, 11, 26 There, in] There is. III, 12, 14 thou] 
and thou. III, 14, 17 our] fehlt. III, 16, 1 Erictho] Alecto. 
III, 16, 12 or] of. IV, 1, 84 plausible] pleasurable. IV, 2, 
29 to holde excusde] or hold accus'd (dies ist sicher falsch, 
und die Variantenangabe ganz ungenügend/. IV, 3, 24 
tben] there. C 15 frisking kid] striking kid. Warum nicht 
lieber “sporting Kyd”, nach Jonsonseher Phraseologie? 

Die Anmerkungen und Erläuterungen sind auch hier 



LXXXY1 


III. Kapitel 


noch recht sporadisch; die Kollation ist einfach Hawkius | 
nachgedruckt, trotzdem Hazlitt eine grosse Zahl von Aus- < 
gaben — wenigstens dem Titel nach — bekannt waren. | 

Wohl macht endlich Hazlitt den Versuch, in das 
Metrum bessere Ordnung zu bringen; aber ohne jedes 
Prinzip, so dass man einen Haufen vermeintlicher Verse 
bekommt, wie sie von Kyd ganz sicher nicht beabsichtigt j 
waren. Geradezu monströs sind in dieser Beziehung ge¬ 
wisse Partien aus Scene VI des dritten Aktes und dem 
Painter's Part. Man lese z. B. auf S. 80 (III, 6, 44 ff.): 

0 sir, you are too forward: thou wouldst fain 
Furnish me with a halter, to disfurnish 
Me of my habit. So I should go out 
Of this gear, my raiment, into that gear, the rope: 

But, hangmau, now I spy your knavery; 

Pli not change without boot, that’s Hat. 

Der arme Kvd! Gewiss, selbst Monsieur Jourdain hatter 
hier gesehen, dass man es mit Prosa und nicht mit Versen 
zu thun hat. ; 

Wenn man auch mit Befriedigung konstatiert, dass 
Hazlitts Ausgabe doch wohl die beste aller bis dahin er¬ 
schienenen war, und wenn man auch bei dem verdienter¬ 
weise guten Klang des Namens Hazlitt ungern ein härteres 
Wort spricht, so darf man doch das Endurteil nicht unter¬ 
drücken, dass man im Jahre 1874, in der sechsten Neu- j 
ausgabe von Kyds Drama, endlich etwas Besseres hätte 

erwarten dürfen. ' 

1 

I 

7. M = Austjabe von Manhj. 1807. 

“Eiifin Malherbe vint!” Endlich, nach ungebührlich 
langer Vernachlässigung, hat auch Kyds Hauptwerk einen I 
Herausgeber gefunden, der die Sorgfalt und die Kennt¬ 
nisse vereinigte, um einen verlässlichen, kritisch gesäuberten 
Text herzustellen. Professor Manly bringt das Stück in 1 



Die neueren Ausgaben 


LXXXVII 


einer sehr wertvollen Sammlung älterer englischer Dramen, 
deren voller Titel lautet : “ Specimens of the Pre-Shaksperean 
Drama, with an Introduction, Notes, and a Glossar y, by 
.John Matthews Manly. Boston, The Athemeum Press, 1897.” 
Die Spanish Tragedy fiudet sich da in Band II, S. 487—590. 

Dies ist von allen Ausgaben durchweg die sorgfältigste 
und durchdachteste. Der Text ist in der alten Orthographie 
gegeben und beruht auf einer im allgemeinen 1 ) guten Ab¬ 
schrift der Alldeschen Quarto. Von andern Quartos lag 
Maulv freilich nur die letzte von 1683 vor, und so war auch 
er für die Kollation, sowie für den Text der Interpolationen 
auf die unzuverlässigen früheren Ausgaben angewiesen. 
Doch thut dies dem eigentlichen Kydschen Texte keinen 
Eintrag. Gerade in diesem wichtigsten Punkte hat die 
Forsohnng für die Mühewaltung von Prof. Manly und Prof. 
Kittredge (der als “ general editor n der u Athenmim Press 
Series” auch Konjekturen beigesteuert hat) sehr dankbar zu 
sein. Die Ausgabe von Prof. Manly war mir noch nicht be¬ 
kannt, als ich meine kleine Temple Edition abschloss, deren 
Text auch schon im Herbst 1897 fertig gedruckt worden war. 
Um so mehr habe ich mich gefreut, dass wir an verschie¬ 
denen schwierigen Stellen unabhängig voneinander auf die 
gleiche oder auf ähnliche Lesung, wie insbesondere häufig 
auch auf gleiche metrische Abteilung gekommen waren. 

Einleitung und Erläuterungen stehen bei Manly noch 
aus — der dritte Band der Specimens soll sie bringen. 
Jeder Forscher wird diesem Abschluss des höchst ver¬ 
dienstlichen Werkes von Manly mit gespanntem Interesse 
entgegensehen. 

’) Der kritische Leser, der Manlys Text buchstabengenau mit 
dem unten gegebenen vergleicht, wird freilich manche Differenzen 
finden. Diese beruhen, wie es scheint, auf kleinen Ungenauigkeiten 
der Prof. Manly vorliegenden Abschrift der Alldeschen Quarto, die 
jedesmal zu diskutieren, oder auch nur zu registrieren, ich nicht 
für nötig gehalten habe. 



LXXXVI11 


III. Kapitel 


8. T — Temple Edition. 1898. 

Titel: “The Spanish Tragedy. A Play written bv 
Thomas Kyd. Edited with a Preface, Notes and Glossary 
by J. Schick.” Londoo 1898. Ich habe in dieser kleinen 
Volks-Ausgabe, die ein Bändchen der vou I. Gollancz 
edierten Temple Dramatists bildet, versucht, für ein grösseres 
Publikum einen modernisierten, möglichst glatten und les¬ 
baren Text herzustellen. Doch ist die Ausgabe durchweg 
auf Grund der gesamten Überlieferung gearbeitet; ins¬ 
besondere sind hier auch zum ersten Mal für die Inter¬ 
polationen die ältesten Quartos herangezogen worden. Ab¬ 
gesehen vom äusseren Gewände — in der vorliegenden 
Ausgabe die alte, dort die neuere Orthographie — unter¬ 
scheiden sich also die beiden Texte nur unbeträchtlich. 

Ich habe für verschiedene freundliche Anzeigen und 
Besprechungen dieses Büchleins zu danken: in The Sun 
vom 4. Januar 1899; The Speaker, Supplement, 4. Februar 
1899 (p. 153), von John Davidsou; The Literary World , 
vom 10. Febr. 1899; im „Jahrbuch der Deutschen Shake¬ 
speare-Gesellschaft“ XXXV, 341 f., von Alois Brandl: end¬ 
lich in Herrigs Archiv, CII1, S. 385, von Wolfgaug Keller. 

Entgegen diesen freundlichen Besprechungen findet 
freilich ein (anonymer) Receusent im Athemvum vom 
5. August 1899, dass ich so ziemlich alles verdreht 
und verkehrt gemacht habe. Seine ernsten Behauptungen 
habe ich an den betreffenden Stellen dieser Einleitung berührt 
und ihre gänzliche Haltlosigkeit dargethan. Zum Schlüsse 
aber wird der Recensent noch humoristisch und macht sich 
lustig über meineu Gebrauch des Wortes satellite , das ich 
zwar mit hartnäckiger Vorliebe benutze, dessen Bedeutung 
ich aber nicht verstünde: One mure remark. Dr. Schick 
insists on likeniny Kyd to the new discorered fifth tnoon of the 
planet Jupiter , and speaks of him as a satellite of Jupiter- 
Shakspeare. A lesser luminary he of eourse aas; hat a 



LXXX1X 


Die neueren Ausgaben 

ttutn uhose euren * irus ulmost ut its emi ulten Shakspeare’s 
teits at its commnicement .... can in no sense of the Word 
trith ich ich tre are acquainted he considered a sutellite of 
his ijreat foUower. Dr. Schick does not disdain on occasiou 
(i eoUoquialism; tre trould suije/est to him that it trus 
*f other tcatj round ”. 

Dies ist sehr lustig; aber ebenso lustig ist, dass der 
anouyme Schreiber nicht bloss im Ernst, sondern auch im 
Spass stets auf dem Holzweg ist. Sollte der Anonymus je 
dazu kommen, die Werke eines Galilei, eines Kepler, eines 
Newton, eines Cayley etc. zu lesen, so würde sein Gelachter 
über meinen Gebrauch des genannten Wortes bald ver¬ 
stummen. Denn diese Leute, die doch auch etwas be¬ 
deuten, brauchen das Wort eben auch anders, als der 
Recensent und seine Bekanntschaft. Wenn dieser aber 
meint, dass die angezogene astronomisch-mathematische 
Terminologie, als jenseits seines Horizontes gelegen, ihn 
nichts anginge, so möchte ich zu bedenken geben, dass 
das Wort satelles aus dem Lateinischen kommt. Cicero 
alter — ich will die Sache kurz machen, und nicht noch 
viele andere 1 ) citieren — Cicero nennt nach einem alten 
Grammatiker den Morgenstern: 

„Praevius Aurorae, Solis, Noctisque satelles u . 

Da die Sache hier offenbar u f other um/ round ” ist 
G firaenus dictus est antecedens 1 *, versichert der alte 
Grammatiker extra noch jeden, der es nicht wissen sollte», 
so bleibt jetzt nur noch die Frage, wer besser Lateinisch 
kann: — Cicero oder der anonyme Recensent? 


*) Unter diesen wäre die schönste Stelle wohl im „christlichen 
Cicero“ zu finden, wo der Vogel Phönix in der Pracht seines herr¬ 
lichen Gefieders als ..satr/Ics" der Sonne voraufHiegt und das Nahen 
de* hehren Gestirns begriisst. „Pnicrins .Joris sahUes“, das i>t 
genau was ich Kyd nennen wollte. 

Schick, Sjumish Tra^rdy. 


VI 



LXXXX 


III. Kapitel 


Im vorigen sind die bisherigen Gesamtausgaben der 
Spanish Traget!y aufgezählt und beschrieben. Bei den Zu¬ 
sätzen C und D habe ich auch die Lesarten berücksichtigt, 
die sich in den verschiedenen Ausgaben von Lambs 
Specimens finden. Lamb hat offenbar D 1 , Dodslevs Aus¬ 
gabe von 1744, zur Vorlage genommen, 1 ) also den schlech¬ 
testen unter den drei damals vorliegenden neueren Texten : 
die späteren Abdrücke folgen Lamb im allgemeinen recht 
genau, mit Ausnahme der neuesten Ausgabe der Specimens 
von 1. Gollancz, der eine grössere Zahl besserer Lesarten 
eingeführt hat. 

Es sind die folgenden Ausgaben: 

L 1 = Specimens of English Dramatic Poets, who lired 
about the Time of Shakspeare: with Notes. By Charles 
Land). London 1808. (Lonyman). Ein Band; die Inter¬ 
polationen der Spanish Trayedy finden sich hier auf S. 6—12. 

L 2 = Seeond Edition. London 1813. (John Buntpits. ) 
Seitengenauer Abdruck von L 1 ; also auch S. 6—12. 

L a = A New Edition. In two Volumes. London 183~>. 
I, p. 6—14. 

L 4 = New Edition. London 1854. (Bo/in's Antiquariatt 
Library.) p. 5—11. 

L 5 — Charles Lamb’s Specimens oj Enylish Dramatic 
Ports . . . ., now first edited anew by Israel Gollancz. 
London 1803. (The Temple Library.) • 1, p. 67—73. 

Soust kommt für die Textkritik nur noch zerstreutes 
Material in Betracht: alte Citate aus elisabethanischer Zeit 
in Dramen und Anthologien, einzelne Besserungsvorschläge 

’) Das beweisen z. B. deutlich C 8 at] at the D 1 und L (d. h. 
Dodsley, und sämtliche fünf Ausgaben von Lamb). C 22 vnbeuelled] 
unlevelM. C 24 care] cares. C 37 him vnto] to. D 6 distraught] 
distract. D 138 iuttie] jut. D 1(18 As] And. Dass D 1 und nicht etwa 
Quarto 1(133 Lambs Vorlage bildete, zeigen die Lesarten in C 37 
und D 168. 



Die neueren Ausgaben 


LXXXXI 


neueren Datums in Arbeiten über Kyd, in Recensionen etc. 
Von diesen sind die wichtigeren in den textkritischen Noten 
zu den einzelnen Stellen angeführt worden. 

Nicht umhin kann ich, auch in dieser textkritischen 
Einleitung die deutsche Übersetzung der Spanish Tragedy 
von Richard Koppel l ) zu erwähnen. Dies ist zwar „nur 
eine Übersetzung“, und man könnte meinen, dass eine 
solche für die Kritik des Originaltextes wenig abwürfe. 
Dem gegenüber möchte ich konstatieren, dass ich ins¬ 
besondere Koppels Satzabteilung und Interpunktion au 
allen Stellen von komplizierterem Gedankengang genau 
und mit Nutzen studiert habe. Ich glaube richtig zu ur¬ 
teilen, wenn ich sage, dass der Übersetzer seinen Text 
besser verstanden hat, als irgend einer der Herausgeber 
vor ihm. 

Zum Schluss dieses Kapitels kann ich nichts Besseres 
thun, als auch meinerseits auf die höchst erfreuliche That- 
sache hinweisen, dass wir von F. S. Boas, soviel ich 
weiss in nächster Zeit, eine Gesamtausgabe der Werke 
Kyds für die Clarendon Press erwarten dürfen. Unter 
solchen Auspicien und unter solchem Herausgeber darf die 
Forschung etwas ganz Treffliches erwarten und es wird 
einer Ehrenpflicht gegen einen der ersten Pioniere des 
elisabethanischen Dramas in würdiger Weise genügt sein. 2 ) 

Kapitel IV. 

Kritische Prinzipien fttr die vorliegende Ausgabe. 

Die erste Hauptfrage, die sich einem Herausgeber der 
Spanish Tragedy aufdrängt, ist die, welchen alten Text 
er als den massgebenden erachten, welche von den vor¬ 
handenen Quartos er seiner Ausgabe zu Grunde legen 

') In „Altenglisches Theater. Herausgegeben von Robert Proelss. u 
Leipzig, Bibliographisches Institut, s. a. (I. Band). 

*) Der Plan einer Ausgabe der Spant sh Trayedy für die 
Mennaid Serien durch W. H. Dircks scheint aufgegeben zu sein. 

VI* 



LXXXX11 


IV. Kapitel 


will. Ich habe iu Kapitel II zu beweisen versucht, dass 
dies nur die undatierte Alldesche Quarto des Britischen 
Museums sein kann und habe natürlich iu der vorliegenden 
Ausgabe danach gehandelt. Doch habe ich hier die Pflicht, 
nochmals auf die Ansicht von Mr. P. A. Daniel, der detn 
Göttinger Exemplar den höchsten Wert zuschreibt, hinzu- 
weisen, und ich werde sie am besten im Wortlaut eitleren 
(Academy, 1891, II, p. 197): “The earliest knoten editiou 
of Pavyer is dated 1602; and in it appenr for the first 
time the additions attrihuted to Ben Jonson. But for the 
earlier unadded-to eclitions it is clear that the Göttinyen 
copy is the tnost important; and as it appears to he nnique . 
it is to he hoped that our German coasins will favottr ns 
with a facsirni/e reprint of it.” Also eine recht, genaue 
Wiedergabe, am liebsten ein Faksimile des Göttinger 
Exemplars scheint Mr. Daniel als das Ideal für eine Aus¬ 
gabe der Spanish Trayedy vorzuschweben. Nun freue ich 
mich ja auch, dass sich bei uns im stammverwandten Land 
ein als Unikum recht wertvolles Exemplar einer sonst ver¬ 
schollenen Ausgabe erhalten hat und konstatiere nochmals 
gerne, dass dieses Exemplar wenn nicht den allerbesten, 
so doch den zweitbesten Wortlaut des Textes bietet: allein 
nach den Entwicklungen des zweiten Kapitels und meiner 
darin ausgedrückten Überzeugung von der Qualität und 
Chronologie der Texte konnte ich für meine kritische 
Ausgabe nur die Allde-Quarto des Britischen Museums 
zu Grunde legen. Wenn aber schon faksimiliert sein muss, 
so ist, meine ich, bei dem gekennzeichneten Verhältnis der 
Quartos zuerst die Allde-Quarto des Britischen Museums 
zu faksimilieren, und die Reihe käme also zuerst an unsere 
englischen Vettern. 

So hübsch nun ein solches Faksimile wäre, und so 
gerne ich persönlich eines in den Händen hätte, so glaube 
ich doch, dass für die meisten Zwecke Professor Manlvs 



Kritische Prinzipien für die vorliegende Ausgabe LXXXXIII 


oder meine eigene Wiedergabe des Textes der Allde-Qnarto 
«Miiigen dürfte. Ich habe nämlich die alte Orthographie 
der Quarto sehr genau beibehalten, und ich glaube, dass 
jeder Buchstabe der alten Quarto, 1 ) sei es im Text, sei es 
(bei Fehlern) in den Varianten, sich in der vorliegenden 
Ausgabe genau angegeben findet. Von allen übrigen 
Quartos habe ich wenigstens die Sinnvarianten (mit Aus- 
seliluss rein graphischer oder phonetischer Abweichungen) 
vollständig gegeben; desgleichen von allen älteren Neu¬ 
ausgaben; nur bei den letzten Neudrucken wollte ich in 
Bezug auf Zeilenabteilungen, neu eingeführte Bühnen¬ 
weisungen etc. nicht mehr absolut vollständig sein. 

Eines aber habe ich an der alten Quarto allerdings 
gäuzlich geändert, nämlich die Interpunktion. Auf ihre 
xhtuf/cMüsse Anwendung, so dass nämlich dem Leser der 
Zusammenhang und die Konstruktion möglichst schnell in 
die Augen springt, habe ich grosse Mühe verwendet. Die 
sehr willkürliche uud schlechte Interpunktion der alten 
Quartos hat nach meiner Ansicht nur recht geringen Wert; 
au zahllosen Stellen ist sie nachweislich falsch und irre¬ 
führend. Immerhin habe ich an den wichtigeren zweifel¬ 
haften Stellen die Interpunktion der Quartos, wenigstens 
der besseren, in den Anmerkungen am Ende besprochen; 
doch muss ich pflichtgemäss gestehen, dass ich dies nicht 
mehr mit peinlich genauer Angabe der Varianten aller 
'-2 Quartos und neueren Ausgaben gethau habe. Bei dieser 
sinn- und nutzlosen Danaidenarbeit ist mir doch schliesslich 
die Geduld ausgegangen. Auch lebt der Mensch am Ende 
nicht allein vom Variantensammeln. 

Im Gegensatz zu den alten Quartos habe ich des 
weiteren eine Einteilung der Akte in Seenen gegeben. 
Hoffentlich ist sie willkommen, da sie doch die Übersicht 
über die Gliederung der zum Teil sehr langen Akte erleichtert. 


An einigen Stellen etwa von der Kapitali^ation abgesehen. 



IAXXX1V 


IV. Kapitel 


In einem andern sehr wichtigen Punkte habe ich eben¬ 
falls gelegentlich von der Quarto abweichen müssen, nämlich 
in der Brechung der Zeilen. Dies bringt mich auf die 
weitere Kardinal frage, ob der Herausgeber dem Texte Alleles 
mit Ausschluss der übrigen Quartos blindlings zu folgen hat, 
ob dieser Text in jeder Beziehung unanfechtbar ist, auch oh 
er etwa direkt auf Kyds eigenes Manuskript zurückgeht. 
Darauf ist in Kürze zu erwidern, dass die Allde-Quarto 
alles in allem allerdings einen vortrefflichen Text bietet 
und dass wenig elisabethanische Stücke so gut überliefert 
sein dürften wie die u Spa ui sh Trayedy”. Aber Fehler 
sind auch da. Zunächst eine Anzahl ziemlich belangloser 
Druckfehler im englischen Text (etliche 40). Verhältnis¬ 
mässig zahlreich und den Sinn sehr ernstlich störend sind 
Druckfehler in den fremdsprachlichen, lateinischen und 
italienischen Citaten. Einige bedeutendere Fehler, die zum 
Teil von den nachfolgenden Quartos verbessert (manchmal 
auch „verbösert“) wurden, sind weiter: I, 1, 82 Hör: 0] 
horu; II, 1, 27 beauteous] beauties. II, 1, 20 these extasies 1 
this extasie. II, 2. 0 mad] may. II, 3, 49 thoughts] thouglit. 
II, 5, 48 stainde] staide. III, 1, 4 heat] hate. III, 12. 4'> 
inexecrable statt inextricable oder iuexplicable. III. lö. 
03 noj fehlt. IV, 1. 9 JO (Verwirrung der Zeilen?). IV. 1. 
182 83 falsch mngestellt. IV. 4, 213 greefe] gulf. 

Natürlich habe ich diese Fehler im kritischen Text 
verbessert; die Lesung von Q ist aber daun in den 
Varianten angegeben, und die betreffende Stelle im Text 
meist mit einem Sternchen bezeichnet. (Bei den fremd¬ 
sprachlichen Citaten, wo oft Fehler an Fehler stellt, auch 
bei nichtssagenden Druckfehlern etc. habe ich allerdings 
kein derartiges Sternchen angebracht.) 

Zu einschneidenderen Abweichungen von der Quarto 
hat mich ferner insbesondere noch das Metrum gezwungen. 
Da eine eingehende Behandlung von Kyds Metrum von 



Kritisch«.* Prinzipien für die vorliegende Ausgabe LXXXXY 


anderer Seite in Aussicht steht, so will ich hier nur kurz 
eiuige Hauptpunkte hervorheben, soweit sie zur Recht¬ 
fertigung meiner Textgestaltung nötig sind. 

Jeder Leser des Stückes wird alsbald merken, wie 
ungemein fliessend und regelrecht im grossen und ganzen 
der Blankvers Kyds ist. Dutzende, Hunderte von Versen 
lesen sich z. B. gleich zu Anfang der Tragödie gauz glatt 
schematisch, mit den fünf Normalfüssen, regelrechter Ab¬ 
wechslung von Hebung und Senkung, und fast ausschliess¬ 
lich männlichem Ausgang. Gerade die Beachtung dieser 
Regelmässigkeit lehrt uns nun gleich, dass die Allde- 
hhiarto gelegentlich Verse sicher iu falscher Abteilung 
überliefert hat. Z. B. liest sie im dritten Akt, Scene 2: 

Thi» »lie enquiry of Hieronimo for Belhnperia, breeds »ufcpition. 

Man sieht alsbald, dass man diese überlange Zeile in 
zwei ganz regelrechte Verse zu zerspalten hat(lll, 2,108109): 
This slie enquiry of Hieröninw 
For Bel-imperia breeds suspitiön. 

Oder an der Stelle I, *2. 129 ff. liest die Allde-Quarto: 

We will bestow on euery souldier two duckets. 

And on euery leader ten, that they may kuow 
Our largesse welcomes them. 

Statt dieser unmetrischen Zeilen haben wir es natür¬ 
lich mit drei korrekten Blankversen zu tliun: 

We will bestow on euery souldier 

Two duckets, and on euery leader ten, 

That they may know mir largesse welcomes them. 

Diese Beispiele beweisen unwiderleglich, dass der 
Drucker nicht etwa Kyds Manuskript direkt vor sich hatte. 
Der Fall ist zwar bei weitem nicht so schlimm, wie im 
First Part of Jeronimo, in dem z. B. eine Menge Reime 
durch die falsche Zeilenbrechung gänzlich verdeckt sind: 
aber es erwächst doch auch dem Herausgeber der Sjxmis/i 
Trinp-dij die Pflicht, scharf zuzusehen, ob nicht auch an 



LXXXXVI 


IV. Kapitel 


audern Stellen die Zeilenabteilung der Quarto wesentlich 
verbessert werden kann. 1 ) 

Wir haben eben gesehen, dass der ganze Eingang der 
Spanish Trayedy (die Induktion ete.) in ungemein glatten 
Versen geschrieben ist. So geht es aber nicht durch das 
ganze Drama hindurch; im Gegenteil, es finden sich in 
demselben glücklicherweise Ansätze genug zu einer freieren 
rhythmischen Bewegung. Das erste, was wir beachten 
müssen, sind die ziemlich zahlreich eingestreuten Kurzverse, 
von meist 4 Silben (2 Hebungen und 2 Senkungen), manch¬ 
mal auch mehr oder weniger: diese sind namentlich auge¬ 
wendet bei kurzem Ausruf, bei Befehlen, bei Beteuerungen, bei 
kurzen Fragen und entsprechenden Antworten u. s. f. 
So z. B. I, 3, 4 I, my good Lord. I, 3, 44 Suruiues! I, 
where? II. 1, 73 Oh stay, my Lord! 11, 1, 82 Ev’n him, 
my Lord. II, 1, 103 I will, my Lord. II, 5, 35 Hierönhao! 
IV, 1, 125 0 excelient! Vgl. ferner I, 4, 100; III, 15, 18; 
IV. 1, 78; IV, 4, 194. Ähnlich, aber seltener, werden 
auch längere Verse gebraucht, z. B. dreihebige: II, 1, 79 
What, villaine! ifs and ands? III, 10, 8 And bring her 
liither straight! 111, 15, 45 As to my soule, my Lord. 

Alle diese Fälle sind durch innere und äussere Be¬ 
weisgründe völlig gesichert. Wir werden mit der so ge¬ 
wonnenen Erkenntnis nun wohl auch zuversichtlich, ent- 

! ) Über solche Dinge würde man in erster Linie Aufschluss 
suchen in einer Untersuchung über Kyds Vers, wie sie in einem 
Programm der Staats-Oberrealschule in bteyr unternommen wird. 
(„Der Versbau in Thomas Kyds Dramen. Ein Beitrag zur Geschichte 
der englischen Metrik. Von Anton Doleschal. 44 1892.) Allein das 
ganze Programm ist in unglaublich mechanischer und unkritischer 
Weise zusammengeschrieben — u the less said the heiter /* Xicht 
viel günstiger kann ein anderes Programm Doleschals über die 
Sprache Kyds beurteilt werden (XXII. Jahresbericht der Kommunal- 
Uberrealschule in Leitmeritz: „Eigentümlichkeiten der Sprache in 
Thomas Kyds Dramen. 44 1SSS). - ('etenun rennen proyrmnmata 
esse dclenda . 



Kritische Prinzipien für die vorliegende Ausgabe LXXXXVII 


gegen der äusseren Überlieferung der Quartos, einige 
andere Verse richtig stellen können. So geben die Quartos 
IV. 4, 160:161 als eine Zeile: 

Aecursed wretch, why staiest tliou him that was resolued to die? 
Gewiss ist die Zeile zu brechen: 

Aecursed wretch! 

Why staiest thou him that was resolued to die? 
Ähnlich IV, 1, 153/154: 

A Comedie ? fie! comedies are fit for common wits. 

Man nehme A Comedie? als einen Kurzvers. Das Gleiche 
ist der Fall mit III, 12, 73174. Hier lesen die Quartos: 

Stand from about me. ile make a pickaxe of my poniard. 
Der Vers könnte, mit Zuhilfenahme von epischer Cäsur 
und weiblicher Endung als Sechstakter gefasst werden; 
da aber epische Cäsur und weibliche Endung selten bei 
Kyd sind, und der Vers, wie er steht, überhaupt ein 
Monstrum ist, zweifle ich gar nicht, dass zu lesen ist: 
Stand from about me! 

Ile make a pickaxe of my pöniärd. 

Ähnliche Trennungen habe ich in den Zeilen III, 1, 58; 
III. 1, 78; III, 8, 2; III, 12, 78; IV, 1, 169; IV, 4, 167 
vorgenommen; siehe die Noten zu diesen Versen. In 
zwei von diesen Fällen (III, 12, 73 und 78) bekommen 
wir allerdings 5silbige Verse; in III, 1, 78 und IV, 4, 
167 einen dreisilbigen: Vnbinde him!, und 0, good words! 
Gerne gebe ich zu, dass die letzteren Fälle nicht mehr so 
sicher sind. 

Zweifellos ist dagegen wieder, dass eine ganze Menge 
von Vierhebern in dem Stücke steht; z. B.: 

II, 2, 48 Haply the gentle Nightingäle. 

III, 10, 107 Wends poore, oppressed Balthazär. 

III, 14, 11 Or haue so kiugly cröst the Seas. 

III, 14, 37 Thy freend with thine extremities. 

Vgl. weiter II, 3, 39; II. 4, 62: III. 2. 8; III, 15, 4; III, 



LXXXXVIII 


IV. Kapitel 


15, 85; IV, 1, 122 uud öfters in dieser Scene; IV. 2. 32; 
IV, 3, 18 und 25; IV, 4, 150; auch III, 8, 14, sowie III. 
2, 22 und IV, 4. 93. wo jedoch der langsame, pausierend«* 
Gang des Verses, sowie die Wuchtigkeit der vielen Nomina 
für Ohr und Gefühl fast den Eindruck vollwertiger Fünf* 
takter erwecken. 

Ich glaube bei der grossen Zahl dieser Vierheber, 
dass es unrichtig ist, dieselben durch Konjekturen zu regel¬ 
rechten Fünfhebern umzugestalten, trotzdem in III. 14. 11 
dies bereits einige alte Quartos thun: 

Or haue so Kingly crost the [raging] Seas. 

Dass die See zwischen Madrid und Lissabon auch noch 
rasen soll! 

Gelegentlich finden wir auch überlange Verse: so ist 
z. B. kein Zweifel, dass Kvd ein paar Sechsheber mit 
untergelaufen sind. Vgl. II, 4. 52 (Zeilenabteilung durch 
Rpim gesichert): 

0, sir, forhntrr: t/onr rahmr ix olreadif tride. 

Ebenso I. 3, 72; III, 2.* SO: 111, 2, 119: 111, 8. 23: Ul. 

II. 33; III, 13. 47: III, 15, 93: wohl auch IV, 1. L>1. 
In III, 2. 11 finden wir gar einen Siebentakter: 

If ifou rniiixth/ (lrfi/r u it/i thnsr t/iaf in yonr justier trnxt. 
Des weiteren darf betont werden, dass Kvds Vers 
trotz seiner verhältnismässig grossen Regelmässigkeit doch 
nicht in ewig gleichem Ticktack von Hebung und Senkung 
verläuft. Es giebt glücklicherweise auch Abweichungen 
von diesem Schema. So kommt doppelte Senkung (mehr 
oder weniger sicher) doch des öfteren vor: z. B. III. l-T 
80: 111. 1. 92 und 97: 1. 1. 30: 111. 3. 46; III. 4. 27: 

III. 12, 19: III. 15. 91; IV. 1. 163; doppelter Auftakt 
111. 2. 57 und 5X; IV. 4. 23. und vielleicht auch III. 15. 
10S und I. 1. 49. Doch kann letzterer Vers auch gelesen 
werden: 

And Achill s Myrmidons <1«• scoure the plaine. 



Kritische Prinzipien für die vorliegende Ausgabe LXXXXIX 


Umgekehrt fehlt der Auftakt III, 3, 40; III, 12, 81; 

III, 15, 117; IV, 3, 22. Natürlich ist es leicht, hier nach 
Bedürfnis ein to oder for, oder etwas ähnliches einzu- 
sehieben, um Verse zu bekommen, die auch nach der 
Fünffingermetrik richtig gebaut sind, ich meine aber, je 
weniger davon, desto besser, namentlich in einer historisch- 
kritischen Ausgabe. Wir haben ja hier nicht anzugeben, 
was uuserm Ohr am besten gefiele, sondern was Kyd ge¬ 
schrieben hat, oder wahrscheinlich geschrieben hat. 

Ganz besonders mag noch betont werden, dass Kyd 
zweifellos das Prinzip der „syllable pause line u hat. Danach 
kann man z. B. Vers III, 3, 32 lesen: hinter For this 
folgt eine effektvolle Pause, die metrisch den Platz einer 
Senkung ausfüllt. Sicher ist, glaube ich, so zu lesen III, 3. 
35, mit einer Pause hinter slaine. Ähnlich III, 4, 51; III. 3, 
7; III, 9, 3; 111, 13, 89; IV, 1, 144; IV, 3, 21; III, 13, 
125, und anderwärts. Es ist hier freilich wiederum in der 
Auffassung dieser Verse dem subjektiven Temperament 
des Verslesers weiter Spielraum gegeben. Der Pentadaktv- 
liker wird auch hier ein bat , oder for, oder to einzuschieben 
trachten und sich solcher ästhetisch-kritischer Konjektural- 
leistung höchlich freuen. Wenn wir aber wirklich die Evolution 
des dramatischen Blankverses vor Shakspere auf authen¬ 
tischer Basis studieren wollen, so lassen wir solche Verse 
besser wie sie sind. Mir scheinen gerade einige der obigen 
Beispiele zu zeigen, dass Kyd nicht nur vom Buchstaben, 
sondern auch vom Geist dramatischen Metrums einen, wenn 
auch leisen Hauch verspürt hatte. 

Epische Cäsur scheint einigemal vorzuliegen: so in 

IV, 1 , 106; I, 5,15 : III, 12. 91 ; III, 13. 149 (wo freilich brothrr 
und father auch „verschleift u werden könnten). Namen 
werden manuigfacherweise verkürzt: der Name des Haupt¬ 
helden Hirt-oiiiiao z. B. ist bald voll viersilbig gemessen. 



c 


IV. Kapitel 


als Jerbnimb, wie in III, 13, 39; III, 13, 139‘; IV, 4. 82 
und 145 ; bald nur dreisilbig wie in I, 5, 59 (etwa Jeron'wo ), 
oder III, 15, 52 ( J’ronhno), oder aber häufig nur zwei¬ 
silbig (etwa J'ron’mo) I, 5, 57 ; III, 12, 30; IV, 1, 168; 
IV, 3. 24. 

Auch kommen zweifellos Zerdehnungen vor, die dem 
modernen Ohr hart oder geradezu komisch klingen: assemb’ly 
III, 15, 29; ent 3 rance III, 1, 61; hunt°ress IV, 1, 145; 
sec°ret III, 4, 60; III, 10, 10; appea°rence III, 13, 153; 
fu°ry III, 12, 79; treasu°r 1,3,35/36; wit e ness III, 10, 62; 
sap a lings IV, 2, 18. Man sieht, man hat es hier immer 
mit einem Svarabhakti-Vokal zwischen Muta und Liquida, 
oder vor r, zu thun. Obige Fälle halte ich für ganz sicher 
und ich glaube nicht, dass man hier mit sonstigen Ein- 
schiebungen abhelfen darf. Viel weniger sicher sind Bei¬ 
spiele, wie etwa disc 3 retion IV, 1, 146; Lo°d III, 15, 8; 
Lo 3 dings IV, 1, 98, oder gar Fälle, wo der Svarabhakti- 
Vokal selbst in die Hebung treten würde, wie IV, 1, 183 
bei zweisilbiger Lesung von there; oder III, 10, 98 ( Feare), 
oder III, 12, 100 (mir seife), oder gar III, 16, 28 (Jirst). 
Ich habe nicht den Mut, zu sagen, dass Zerdehnung der 
angeführten Wörter in diesen Versen „alles richtig“ macht. 
Verse solcher Art gelesen würden im Gegenteil w'ohl auch 
einen tapferen Mann in die Flucht jagen. 

Selbstverständlich hat Kvd das Prinzip der Zeileu- 
brechung, so dass ein Vers unter mehrere Sprecher verteilt 
wird. So z. B. I, 2, 154; II, 4, 14; III, 1, 35; III, 10, 
96—99 und so fort an zahlreichen Stellen. Da die Quartos 
nie den Beginn einer Rede im Drucke einrücken, so hat 
hier der Herausgeber besonders einzugreifen zur Regelung 
des Metrums und seiner Verdeutlichung für das Auge. 
Natürlich muss sich so auch hier viel Subjektivität ein- 
mischen. 


i 



Kritische Prinzipien für die vorliegende Ausgabe Cl 

Endlich hat Kyd in der Spanish Tragedy auch häu¬ 
tiger Prosa angewandt; so ist namentlich Akt III, Scene 5 
ganz in Prosa, und das Gespräch zwischen Pedriugano 
und dem Henker (III, 6, 41 ff.) ebenfalls. Beidemal 
haben wir humoristische Scenen vor uns. — Prosa mag 
auch vorliegen in II, 1, 41 ff., III, 4, 47 ff.; sicher in III, 
7. 19 ff.; vielleicht steckt Prosa auch noch hinter einigen 
scheinbaren Versen, etwa in IV, 3; IV, 1, 89 ff., wie ganz 
sicher in den Interpolationen. 

So haben wir also in den verschiedenen Teilen der 
Spanish Tragedy auch verschiedenen Gang der rhythmischen 
Bewegung. Feierlich regelrecht und schematisch sind die 
langen pompösen Reden zu Anfang des Dramas: die 
Tartarusrede des Geistes (I, 1 ff.) und der Schlachtbericht 
des Generals I, 2, 22 ff. Leichtere Bewegung kommt in den 
folgenden Scenen dazu, durch eingestreute Verse ver¬ 
schiedener Länge; durch geringe Abänderungen in der 
Silbenzahl; durch syllable pause lines; durch Prosa-Ein¬ 
lagen u. s. w. Zu aufgeregterem Versgang kommt es in 
der Mordscene II, 4 (z. B. Vers 50, 53 oder 61); in III, 1, 47 
(emphatischer Befehl); III, 2, 53 ff. (Hieronimos Verlegen¬ 
heit); III, 11, 1 ff.; 30 ff. (Hieronimos Wahnsinn); 111. 13, 
59ff.; III, 13, 123 ff. Fast des Guten zu viel wird an 
freier Bewegung in der Scene IV, 1 geleistet (von Vers 49 
ab); diese Scene w r eist ein höchst unregelmässiges Metrum 
auf, und da die Überlieferung der Quartos nach dieser 
Richtung nicht zuverlässig ist, so ist der Herausgeber hier 
auf sein eigenes subjektives Gefühl, mit andern Worten 
seine eigene subjektive Willkür angewiesen. Dies gilt in 
noch höherem Grade von den Interpolationen. Ich halte 
hier versucht, ein Maximum regelmässiger Verse heraus¬ 
zubringen. Ob es der Mühe wert war, ist mir selbst aller¬ 
dings äusserst zweifelhaft; denn die minderwertigen Partien 
dieser Zusätze sind so minderwertig, dass sich irgend 



C1I IV. Kapitel 

welches Kopfzerbrechen nicht verlohnt, 1 ) und die schönen 
und grossen Stellen sind gerade in ihrer Unregelmässigkeit 
schön und gross. 

Was den Schluss der Spanish Truyedy selbst anlaugt, 
so dringt mitten unter den Schrecken des Todes und des 
Tartarus wiederum der feierlich-massige Gang einer Heer¬ 
schar gleich gerichteter Blankverse an unser Ohr. Unter dem 
dröhnenden Paradeschritt dieser Verse, nur einmal unter¬ 
brochen durch wohlklingende Harfentöne aus den elysäischen 
Feldern, geht das berühmte Stück seinem Schluss entgegen, 
auch seinerseits, trotz mancher Übertreibung, schön und 
gross. 

Man sieht, der Schematismus des Kydschen Verses 
wäre so übel nicht: im grossen und ganzen ist es ja 
derselbe wie derjenige Shaksperes. Und wenn auch 
nur selten wirkliches Feuer durch die Verse Kyds läuft, 
so dürfen wir, wie von so manchem andern in der 
Spanish Trayedy, immerhin wohl auch von ihrem Metrum 
sagen: 

„ Ut desint rires, tarnen est laudanda coluntas. u 

Nach diesen Ausführungen, hoffe ich, wird der Leser 
vielleicht doch im grossen und ganzen mit meiner Ab¬ 
teilung der Verse einverstanden sein; dass vielfach strittiges 
Detail übrig bleiben muss, ist ja klar. Ich selbst habe 
viele Verse und Kombinationen von Versen bald so, bald 
so abgeteilt, und nachdem ich sie zwei- und dreimal 
umgedreht, bin ich oft zu der alten Lesung wieder zurück¬ 
gekehrt. 


Wer wollte sieh z. B. graue Haare wachsen lassen über 
die Anordnung der Interpolation B, oder über die Frage, ob das 
junge Schweinehen in C 16 metrisch zu dem „feinen, kleinen, glatten 
Pferdefiillen“ in Yers 17 hinübergehört oder nicht? 



Krit ische Prinzipien für die vorliegende Ausgabe CIII 


Dies sind die hauptsächlichsten kritischen Gesichts¬ 
punkte, von denen aus ich den Text behandelt habe. 
Mögen sie die Billigung der Fachgenossen finden, und 
möge es mir gelungen sein, in dieser Ausgabe den Text 
des epochemachenden Schauspiels möglichst rein und un¬ 
verfälscht wieder in seiner filtesten Form gebracht zu 
haben! 






SPANISH TRAGE- 

Jie, Containing the lamentable 

cnd öf Don H oratio, and BcLimperia: 

»with the pictifüll dc’ath of 
. olde Hicronimo. 


tu, 


Newly correöed and amended of fucli grofle fätflts as 
pafled in thefirft imprefsion. , 





t 


. AT LONDON 

P i inted by Eduard <*AUde , for. 


Edward White* 


v_ «> 


i r b Snnnish Tracrftdv. 


1 




1 



1 


! 


Personen. 1 ) 


Geist des Andrea 

T * r% . | «10 V1IVI1 . 

Die Rache ) 

Der König von Spanien. 

Cyprian , Herzog von Castilien, sein Bruder. 

Lorenzo , des Herzogs Sohn. 

Bellimperia , Lorenzos Schwester. 

Z)cr VicekÖnig von Portugal. 

Balthazar, sein Sohn. 

2><m Pedro, Bruder des Vicekönigs. 

Hieronimo, Marschall von Spanien. 

Isabella , seine Gemahlin. 

Horatio, beider Sohn. 

Spanischer Feldherr. 

Gerichts-Kommissär. 

Don Bazulto , ein alter Mann. 

Drei Bürger. 

Der Gesandte Portugals. 

Alcxandro | 

> portugiesische Edelleute. 

> illuppo | 

Zwei Portugiesen. 

*) Die alten Quartos enthalten kein Personenverzeichnis; e 
solches wurde zuerst von Dodsley beigegeben. 



1* 



Pedringano, Bellimperias Diener. 
Christophil, ihr Wächter. 
Lorenzos Page. 

Cerherine, Balthazars Diener. 
Isabellas Zofe. 

Bote. 

Henker. 


Drei Könige und drei Ritter in der ersten Pantomime. 
Hymen und zwei Fackelträger in der zweiten Pantomime. 


Bazardo, ein Maler. 

Pedro und Jacques, Hieronimos Diener. 


in den Zusätzen. 


Königliches Gefolge. Edelleute. Beamte. Hellebardiere. 
Drei Wächter. Trompeter. Diener. Aufwärter. 

Das Spanische Heer etc. 



ACTVS PRIMVS. 

[Scene I: Induction] 

Enter the Ghoast of Andrea, and vvith hini Reuenge. 

(rhoast. 

XdVf Hen this eternall substance of uiy soule 
VfeV Did li«e imprisond in my wanton flesh, 

Ech in their function seruing others need, 

I was a Courtier in tbe Spanish Court: 

My name was Don Andrea; my diseent. 

Though not ignoble, yet inferiour far 
To gratious fortunes of my tender youth. 

For there in prime and pride of all my veeres. 

By duteous seruice and deseruing loue. 

In secret I possest a worthy dame. 

Mhich higlit sweet Bef-imperia by name. 

But, in the haruest of my sommer ioyes, 

Deaths winter nipt the blossoraes of my blis.se. 

Forcing diuoree betwixt my loue and me. 

For in the late conflict with Portingale 
My valour drew me into dangers mouth. 

Till life to death made passage through my woumls. 

Wlien I was slaine, my soule deseended straight 
To passe the flowing streame of Acheron: 

Die Reihenfolge der Ausgaben ist: Q, 1594, 1599. 1602, li;o3, 
1#10, 1615, 1618, 1623, 1033; D', 11. I> 5 , A, I)». D\ M. T. 

Scene I. 2 wanton | wonted 1015—1033, D 1 . 3 others] r>ther 
1623,1633. 8 Forthere in] There in the 1623. 1033, 1) l . jirime and pride] 
pride and prime 1033, ID. 10 dame) Dome 1003. 12 Summers 1023, 

1633, sunimor’s I) 1 . 



Induction. 


<; 

20 But churlish Charon, only boatmau tliere, 

Said that, my rites of buriall not performde, 

I might not sit amongst bis passengers. 

Ere Sol had slept tbree nigbts in Thetis lap, 

And slakte bis smoakiug Charriot in ber floud, 

25 By Don Horath, mir knight Marshals sonne, 

My funerals and obsequies were done. 

Tlien was the Feriman of hell conteut 
To passe me ouer to the sliniie strond 
That leades to feil Aueruus ougly waues. 

30 There, pleasing Cerberus with honied speech, 

1 past the perils of the formost porch. 

Not farre from hence, amidst ten thousaud soules. 
Säte Minos, Eacus, and Rhadamant; 

To whome no sooner gan I make approch, 

35 To craue a pasport for my wandring Ghost, 

But Minos , in grauen leaues of Lotterie, 

Drew forth the manuer of my life and death. 
w This knight” (tjuoth he) w both liu’d and died in loue; 
And for his loue tried fortune of the warres: 

40 And by warres fortune lost both loue and life." 
u \Vhy then”, said Eacus, “conuay him henee. 

To walke with louers in our fields of loue. 

And spend the eourse of euerlasting time 
Vnder greene mirtle trees and Cipresse shades.” 

45 M No, no,” said Rhadamant, w it were not well 
With louing soules to place a Martialist: 

He died in warre, and must to martiall fields. 
Where wounded ffector liues in lasting paine. 

And Achilles mermedons <lo seoure the plaine." 


20 HurI To H!03. 22 amon^ 1*ÜS 1033, l) 1 . D 4 —I)*. 24 4ackt 

1610—161$. 30 honied 1594, 1603] liomed 1599. 1602 (? hier mit 

Bleistift zu hnuicd rorrigiert), 1610—1633. 32 amidst) amidw 1594. 

35 wondriug Hi 10- 44 Cvpers 1516) -]0ls, (.’yprea 1594, 1623, 1633. 
49 doj to 1599 1615 (in 1602 handschriftlich zu do eorrigiert). 



Induetion. 


Tlien Minos, mildest censor of the three, 

Made tliis deuice, to end the difference: 

“Send him r (quoth he) w to our infernall King, 

To dome him as best seenies his Maiestie.” 

To tliis eflfect my pasport straight was drawne. 

Iu keeping on my way to Plutos Court, 

Through dreadfull shades of euer glooming night, 

I saw more sights then thousand tongues can teil, 
pennes eau write, or mortall harts can think. 

Three wajes there were: that on the right hand side 
Was ready way vnto the foresaid fields 
Where louers liue and bloudie Martialists, 

Hut either sort contaiud within his bounds. 

The left liand path, declining fearfully, 

Was ready downfall to the deepest hell, 

Mliere bloudie furies sliakes their whips of steele, 

And poore Ixion turnes an endles wheele; 

Where Vsurers are ehoakt witli melting golde. 

And wantons are imbraste witli ougly snakes; 

And murderers grüne witli neuer killing wounds, 

And periurde wights scalded iu boyling lead, 

And all foule sinnes with torments ouerwhelmd. 

Tvixt these two waies I trod the middle path, 

Whicli brouglit me to the faire Eliziau greene, 

In niidst whereof there Standes a stately Towre, 

The walles of brasse, the gates of Adamant: 

Here finding Pluto with his Proserpine, 

I shewed my pasport. humbled on my knee; 

Mhereat faire Proserpine began to smile, 

50 consor] censoret 1610, 1615, eensorer 1618, Censurer 1623, 
lWk censurer l) 1 . 54 straight] strainge 1610. 56 shadesj shapes 1615, 
1618. euer glooming] euer blooming 1615—1633, ever-gloomy D 1 . 
60 Field 1615—1633, field D 1 . 64 ready] a ready D 1 , D 2 —P 8 . downfall) 
fall downe 1618—1633. fall down D l . 65 shake 1633, I) 1 -I) 4 . 60 

? rf >ne| greeue 1594—1618, greene 1623, 1633, green l) 1 . neuer killing) 
♦'^rkilling 1599, 1602, euer-killing 1610 —1633, P 1 , I) 2 P*\ euer- 

^illing 1603. 73 Elizan 1603. 



8 


Induction. Akt ]. 8c. II. 


And begd that onely she might giue my doome: 
s,) Pluto was pleasd and sealde it with a kisse. 
Forthwith (Reuenge) she rounded thee in th’eare. 
And bad thee lead me through the gates of Hor[n], 
Where dreames haue passage in the silent night. 

No sooner had she spoke but we were heere — 

8'> I wot not how r — in twiukling of an eye. 

<-7 %r 


«JO 


10 


Reuenge. 

Then know, Andrea, tliat thou art ariu’d 
Where thou shalt see the autlior of thy deatli, 

Don Balthazar, the Prince <jf Portingale, 

Depriu'd of life by Bel-imperia. 

Heere sit we downe to see the inisterie. 

And serue for Chorus in tliis tragedie. 

['Scene II. | 

Filter Spanish King, Generali, ('’astife, llieroniino. 

King. 

Now sav, F[ord] Generali, hew fares our Campe? 
Gen. All wel, my smieraigne Liege, except some few 
That are deeeast by fortnne of the warre. 
King. But wliat portends thy cheerefull eountenanee. 
And posting to mir presence thus in hast? 
Speak, man, liatli fortune giuen vs victorie? 
Gen. Victorie, my Liege, and that with little losse. 
King. Our Portingals will pay vs tribute then? 

Gen. Tribute, and wonted liomage therewithall. 
King. Then blest be heauen and guider of the heauens, 
From whose faire inlluenee such iustice Howes. 
Cast. 0 multuni difecte Deo, tihi nii/itat ufher, 


70 And) I HUT) lf»33, I) 1 . iny) me um. S1 eure] are 160*. 
S2 Horn] Hör: Q, 1.V44, Horror lölW- HilO. 1023, H)33, Hormur 
Hi 15, I ♦> 1 8, liorror I*) 1 . 

Scene II. Hiihnenweisum': and Hnrnuhuo H>lo H>33, D 1 — H 4 * 
T. 1 L. nt (J, 1.V44, 1 Lord H‘>02 1033. 4 prcteud* H>1^ 

U\'M. 10 he| the Hilö. 12 di/vrfo 1 r. 15> 1023. (tfltur 1010, K»l*. 



Akt I. Xe. II. 


9 


Et coniuratce curuato poplite yentes 
Surcunibunt: recti soror est victoria iuris. 

Kimj. Thanks to my louing brother of Castile. - 15 

But, Generali, vnfolde in breefe discourse 
Your forme of battell and your warres sueeesse, 

That, adding all the pleasure of thy ne wes 
Vnto the height of former happines, 

With deeper wage and greater dignitie 20 

We mav reward thy blisfull chiualrie. 
den. Where Spaine aud Portingale do ioyntly knit 
Their frontiers, leaning on each others bnttud, 

There met our armies in their proud aray: 

Both furnisht well, both full of hope and feare, 25 

Both menacing alike with daring showes, 

Both vaunting sundry colours of deuice, 

Both eheerly sounding trumpets, drums, and fifes, 

Both raising dreadfull clamors to the skie, 

That valleis, *hils, and riuers made rebound, 30 

And heauen it seife was frighted with the sound. 

Our batteis both were pitcht in squadron forme, 

Eaeh corner strongly fenst with wings of shot; 

But ere we iovnd and came to push of Pike, 

I brought a squadron of our readiest shot 35 

Froni out our rearward, to begin the figlit: 

Tliev brought another wing to incounter vs. 

Meane while, our ordinance plaid on eitherside. 

And Captaines stroue to haue their valours tride. 

Don Pedro, their chiefe horsemens Coronell. 

Did with his Oornet brauely make attempt 
To break the order of our battell rankes. 

13 poplite] poplito alle Qq. ausser 1594 und 1633. 14 Succom- 

1615—1633, D 1 , D 1 —D*. 21 mav] will 1633, D 1 . 23 Hounds 
1 623, 1633, D*. 25 furnish 1603. 29 skies 1633, D 1 . 32 quudron 1615. 
our] fhe 1618 — 1633, I) 1 . 39 valnur 1618. I) 1 , Vulour 1623, 1633. 

Oorlonell Q, Colonell 1594, 1599, (’oronell 1602- 1633. 41 Coronet 

1603, 1615 1633. 



But Don Royero, worthy mau of warre, 

Marcht forth against him with our Musketiers, 

And stopt the malliee of his feil approch. 

While tliey maintaine hot skirmish too and fro, 

Both battailes ioyne and fall to handie blowes, 

Their violent shot resembling th’oceans rage, 
When, roaring lowd, and with a swelling tide, 
lt beats vpon the rampiers of huge roeks, 

And gapes toswallow neighbour-hounding lands. 

Now while Bellona rageth heere and tliere, 

Tliick stormes of bullets ra[i]n like winters halle. 

And shiuered Launees darke the troubled aire. 

Bede pes & cuspule cuspis ; 

''Anna sonant armis : vir petiturque vivo. 

On euery side drop Captaines to the ground. 

And Souldiers, soine ill maimde, some slaine outright: 
Heere falles a body seindred froin his head, 

There legs and armes lye bleeding on the grasse, 
Mingled with weapons, and vnboweld steeds. 

That scatteriug ouer spread the purple plaine. 

In all this turmoyle, three loug hovres and more. 

The victory to neither part inelinde, 

Till Don Andrea with his braue Lauuciers 
ln their maine battell made so great a breaeh 
That. hälfe disrnaid. the multitude retirde: 

But Baltliazar, the Portingales youug Prinee. 
Brought rescue, and eneouragde them to stay. 
Heere-henee the fight was eagerlv renewd, 

45 stop* 1H15 —1633. 46 While] Whieh 1623. 50 ruwpiers 

1010. 51 nci^hbour-boundint;] der Bindestrich steht von den Quarto? 

nur in 1023, 1033. 52 w hile] when 1018—1033, l) 1 . 53 rain D 3 ; all* k 
Qq. und die sonstigen neueren Ausgaben lesen ran. 54 darkt 1594 
10,10, dark’d 1015 — 1033, I) 1 . 50 Amii somint anms alle Qq. ausser 1633. 
57 dropt 10IS — 1033, I) 1 . 58 seine ill] lie 1002 - 1623, ly 1633, lie I>\ 

slaine] Haine 1018 59 seindred] scindered 1594, 1599, sundered 1692, 

1003, 1615, Mindred 1018—1033, sundedred 1610. 01 vnbowed 1594 

1033, l) 1 . 00 their] this 1015, 1018. 



Akt I. Sc. 1J. 


11 


And in that confliet was Andrea slaine: 

Braue uian at armes, but weake to Balthazar. 

Yet wbile the Priuce, insulting ouer bim, 
ßreathd out proud vaunts, sounding to our reproch, 
Friendship and bardie valour. iovnd in one, 7 r> 

Prickt forth Horatio, our Knight Marshals sonne, 

To ehallenge forth that Prinee in single figbt. 

Not long betweene thesetwaine the figbt indurde, 
Butstraight the Prinee wasbeaten from hishorse, 

And forest to yeeld him prisoner to bis foe. ho 

When he was taken, all the rest they fled, 

And our Carbines pursued tbem to the death. 

Till, PhcebiiK wauing to the Western deepe, 

Our Trumpeters were ohargde to sound retreat. 

A ’.imj. Thanks, good L[ord] Generali, for these good newes: s:> 
And for some argument of more to eome, 

Take tliis and weare it for thy soueraignes sake. 

Gine him his eltaine. 

But teil me now, hast thou eonfirmd a peaee? 

No peaee, my Liege, but peace conditionall, 

That if, with homage, tribute be well paid, uo 

The fury of your forees wilbe staide: 

Aud to this peace their Viceroy hath subscribde. 

Giue the K[ing] a papor. 

And made a solemne vow that, during lit'e, 

His tribute slialbe truely paid to Spaine. 
fdnt/. These words, these deeds, become thy person wel. — n:» 

But now, Knight .Marshall, frolikc with thy King, 


71 Andrea* 1610. 76 Piekt 1618. 77 in| to 1602- 1633, 

I |] D 4 . 82 the] fehlt 1615 1633, I) 1 . 83 wauing 1603, Jl. 85 these) 

thi* 1603. 87 it] fehlt 1623, 1633. Hühnonweisung: (iiues 1504 - 1633. 
t-i*] a 1633, D l , D 2 I) a . 90 be well) limy be 1615—1633, l) 1 . 01 your| 
"ur 1615 1633, I) 1 . 92 this] that 1615 —1633, l) 1 . their) the 1603. 

Bühnen Weisung: (iiuea 1602 1633. K.] Khuj 1615 — 1633. 04 His) 

This 1615—1633, D l . 06 frolieks 1602. thy) the 1504 1633, I) 1 . 



12 


Akt I. Sc. II. 


For tis thy Sonne that winnes this battels prize. 
Hiero. Long may he liue to serue my soueraigne liege. 

And soone decay, vnlesse he serue my liege. 

100 King. Nor thou, nor he, shall dye without reward. 

A tueket a farre off. 

What meanes *the warning of this trumpets sound? 
Gen. This tels me that your graees men of vvarre, 

Such as warres fortune hath reseru’d from death, 

Come marching on towards vour rovall seate, 

105 To show themselues before your Maiestie: 

For so I gaue in Charge at mv depart. 

Whereby by demonstration shall appeare 
That all (except three huudred or few more) 

Are safe returnd, and by their foes inricht. 

The Armie enters; Balthazar betweene Lorenzo aml 

Horatio captiue. 

lio King. A gladsome sight! I long to see them beere. 

They enter and passe by. 
Was that the warlike Priuce of Portiugale. 

That by our Nephew was^in triumph led? 

Gen. 1t was, my Liege, the Prinee of Portingale. 

King. But what was he that on the other side 
115 Held him by th’arme, as partner of the prize? 

Hie.ro. That was my sonne, my gratious soueraigne; 

Of whome though from his tender infaucie 
My louing thoughts did neuer hope but well. 

He neuer pleasd his fathers eyes tili no\v, 

120 Nor fild mv hart with ouercloving ioves. 

»7 tliis| that 1504 -1002, IH10- 1623, the 1603, 1633, l) 1 . OS my| 
fehlt H'»1S. Die llühnen-NYeisuuij nncli Vors» 100 steht in den Qq. und 
M zwischen 90 und 100. tueket] Tnnnpet 1500 1633, i) 1 . 101 the] 
this Qq.« I) 1 —M. this] the 1615—1633, l) 1 — I) 4 . trumpets] Trumpot 
1602 -1618, Trumpets 1623, 1633. 104 (’omes 1603. 106 in] them 
1602, 1610 1633, I) 1 . 107 l*y| fehlt 1603. 100 returnd| rurnd 1610 . 
Hiihnenweis»in^ ; enters] nteefes 1615- 1633, D'. 



Akt I. Se. II. 


13 


Kintj. (i oe, let tliem march ouce more about these walles, 

That, staying thera, we raay conferre and talke 
With our braue prisoner and his double guard. — 
Hieronimo , it greatly pleaseth vs 

That in our victorie tbou haue a share, 125 

By vertue of thy worthy sonnes exploit. 

Enter againe. 

Bring hether the young Prince of Portingale: 

The rest niartch on; but, ere tliey be dismist, 

We will bestow on euery souldier 

Two duckets, and on euery leader ten, 130 

That they may know our largesse welcomes them. 

Exeunt all but Bäl. Lor. Hör. 
Welcome, Don Balthazar! welcome, Nephew! 

And thou, Horatio } thou art welcome too. 

Young Prince, although thy fathers hard misdeedes, 

In keeping backe the tribute that he owes, 135 

Deserue but euill measure at our hands, 

Yet shalt thou know that Spaine is honorable. 

Halt. The trespasse that my Father made in peace 
Is now controlde by fortune of the warres; 

And cards once dealt, it bootes not aske why so. uo 

His men are slaine, a weakening to his Realrae : 

His colours ceaz d, a blot vnto his name; 

His Sonne distrest, a corsiue to his hart: 

These punishments may cleare his late oftence. 

A7w g. I, Balthazar, if he obserue this truce, 145 

Our peace will grow the stronger for these warres. 
Meane while liue thou, though not in libertie, 

Yet free from bearing any seruile yoake; 


131 welcome 1618. Bühnenweisuiitf: and Hör . 1615 «l 633, 
D‘—D 4 , T. 141 hi»] the 1010—1633, 1)>. 142 vnto] up«m I) 1 , 

I* 1 — D*. 145 obnerues 1594—1633, I) 1 . 147 tliou^h] us though 1599— 

1618. 14S free] fehlt 1594—161S. 



14 


Akt I. Sc. II. 


1Ö0 


155 


160 


165 


170 


17 .'* 


For in our hearing thy deserts were great, 

And in our sight thy seife art gratious. 

Ba-U. And I shall Studie to deserue this grace. 

King. But teil me—for their holding makes ine doubt— 

To which of tliese twaine art thou prisoner? 
Lor. To me, my Liege. 

Hör. To me, my Soueraigne. 

Lor. This hand first tooke his courser by the raines. 
Hör. But first my launce did put him from his horse. 
Lor. 1 ceaz’d his weapon and enioyde it first. 

Hör. But first 1 forc’d him lay his weapons downe. 
King. Let goe his arme, vpon our priuiledge. 

Let him goe. 

Say, worthy Prince, to whether didst thou yeeld ? 
Balt. To him in curtesie, to this perforce: 

He spake me faire, this othergaue me strokes; 

He promisde life, this other threatned death; 

He wan my loue, this other conquerd me, 

And, truth to say, I yeeld my seife to both. 
Hiero. But that I know your grace for iust and wise. 
And might seeme partiall in this difference, 
Inforct by nature and by law of armes 
My tongue should pleadforyoung Horatios right: 

He hunted well that was a Lyons death, 

Not he that in a garment wore his skin; 

So Hares may pull dead Lyons by the beard. 
King. Content thee, Marshall, thou shalt haue nowrong, 

And, for thy sake, thy Sonne shall want no right. — 
Will both abide the censure of my doome? 

Lor. I craue no better then your grace awards. 

Hör. Nor I, although I sit beside my right. 

King. Then by my iudgement thusyour strife shall end: 


151 Liege] Lord 1618—1633, D 1 . 155 his] the 1594—1633, D*. 

159 Bühnenweisung: Let] They Irt D 1 —I) 4 . T. 160 Say] So 1594 — 
16.>3, I) 1 . 166 know] knaw Q. 169 should] shall A. 



Art I. So. II. III. 


15 


You both deserue, and both sliall haue re ward. 

Nepliew, thou tookst his weapon and his liorse: lso- 

His weapons and his horse are thy reward. 

Horatio, thou didst force him first to yeeld: 

His ransome therefore is thy valours fee; 

Appoint the sura as you sliall both agree. 

But, Nephew, thou shalt haue the Prince in guard, 185 

For thine estate best fitteth such a guest: 

Horatios house were small for all his traine. 

Yet, in regarde thy substance passeth his, 

And that iust guerdon may befall desert, 

To him we yeeld the armour of the Prince. 1**0 

How likes Don Balthazar of this deuice? 

Bult. Right well, my Liege, if this prouizo were, 

That Don Horatio beare vs Company, 

Whome I admire and loue for chiualrie. 

Kiiuj. Horatio, leaue him not that loues thee so. — i;*. r > 

Now let vs hence to see our souldiers paide. 

And feast our prisoner as our friendly guest. 

Exeunt. 

(Scene III.] 

Euter Viceroy, Alexandro, Villuppo. 

Vice. Is our embassadour dispatcht for Spaine? 

Alex. Two daies, my Liege, are past since his depart. 

Vice. And tribute paiment gone along with him ? 

Alex. I, my good Lord. 

Vice. Then rest we heere a while in our vnrest, f>. 

And feed our sorrowes with some in ward siglies; 

For deepest cares break neuer into teures. 

But wherefore sit I in a Regall throne? 

180 weapon] Weapons ii> 15 — 1623, weapons 1033, I) 1 —M. 

Scene III. Biihnenw: Yilluppo] and Yilfip/ßo 101 s -1633. D 1 , 
and Villuppo H—D 4 . 1 dispareht 1010. 8 a] fehlt 1594 1015, this 

1618-1633, D 1 . 



This better fits a wretches endles moaue. 

Falles to the ground. 

10 Yet this is higher then my fortunes reach, 

And therefore better then my state deserues. 

I, I, this earth, Image of mellancholly, 

Seeles him whome fates adiudge to miserie. 

Heere let me lye; now am I at the lowest. 

15 Qvi iacet in terra, non habet mde cadat. 

In me consumpsit vires fortuna nocendo: 

Nil superest vt iam possit obesse magis. 

Yes, Fortune may bereaue me of my Crowne; 
Heere, take it —: Now let Fortune doe her worst, 

20 She will not rob me of this sable weed: 

0 no, she enuies none but pleasant things. 

Such is the folly of dispightfull chance! 

Fortune is blinde, and sees not my deserts; 

So is she deafe, and heares not my laments; 

25 And could she heare, yet is she wilfull mad. 

And therefore will not pittie my distresse. 

Suppose thät she could pittie me, what then? 
What helpe can be expected at her liands 
Whose foot [is] standing on a rowliug stone, 

30 And minde more mutable then fickle windes? 

Why waile I then, wheres hope of no redresse? 

0 yes, coinplaiuing makes my greefe seeme lesse. 

My late ambition hath distaind my faith; 

My breach of faith occasiond bloudie warres; 

35 Those bloudie warres haue spent my treasure; 

And with my treasure my peoples blood; 

9 This] It 1618. Die Bühnenweisung steht von den Qq. nur in 
1623, 1(538 am richtigen Platze hinter Zeile 9 (so dann auch D 1 —D*, T); 
in den früheren Quartos steht sie hinter Vers 11 (beibehalten von Ml- 
10 fortuues Q. 13 adiudged 1594—1623, adjudg’d 1633, D 1 . 14 am 

1| 1 am 1633, D 1 . 15 iacit 1594, 1599, 1603. 16 consutupsi 1603. 
uoemdo 1608. 17 Nihil 1(533. 29 is] nicht in den Qq.; ergänzt 
von I) 1 ab in allen neuern Ausgaben, rawling 1615. 35 Those] These 
1623, 1633, D 1 . haue] hath 1603. 35 und 36 treasure] treasur[i]c M- 



Akt I. Sr. III. 


17 


And witli their blood, my ioy and best beloued, 

My best beloued, my sweet and onely Sonne. 

0, wlierefore went 1 not to warre my seife? 

The cause was mine; l might haue died for both: 4o 

My yeeres were mellow, his but youngandgreeue: 

My deatli were naturall, but his was forced. 

Alex. No doubt, my Liege, but still tbe Prince suruiues. 

I'ier. Suruiues! I. wliere? 

Alex. ln Spaine — a prisoner by mischance of warre. 4.'» 

1 ice. Then they haue slaiue him for his fathers fault. 

Alex. That were a breach to common law of armes. 

Vice. r lhey recke no lawes that meditate reuenge. 

Alex. His ransomes worth will stay from foule reueuge. 

Vice. No; if he liued, the newes would soone be heere. ;,n 

Alex. Nav, euill newes flie faster still tlian good. 

Vice. Teil me no niore of newes; for he is dead. 

Villup. My soueraign, pardon the Author of ill newes. 

And Ile bewray the fortune of thy Sonne. 

IV er. Speake ou, Ile guerdou thee, what ere it be: :>;> 

Mine eare is ready to receiue ill newes, 

My hart growne hard gainst mischiefes battery. 

Stand vp, 1 say. and teil thy tale at large. 

Villup. Then heare that truth which tliese mine eies haue 

seene: 

When both the armies were in battell iovnd. um 

ft 

Don lialthazar, amidst the thickest troupes, 

To winne renowne did wondrous feats of armes: 

Amongst the rest I saw him, haud to band. 

In single fight witli their Lord Generali: 

Till Alexandra , that heere counterfeits. <;:> 


41 his but] but his 1H2H, 1H44. I) 1 . 4.4 dou^lit 1004. suruie> 

1*>02, 1003. 44 Suruies 1002, 1004. \vhore| but where 101,"> 1044, 
O 1 . 4S recke] reake 1002 - 1044. 51 Hie] will Hie ir>04- 1024. 
"il! f lye 1034, will f ly I) 1 . 5?> timt | the 1Ti!MI — |>\ 

Schick, Sprinish Tragedy. ~ 




18 


Akt I. 8c. III. 


Vnder the colour of a duteous freeud, 

Discharged his Pistoll at the Princes back, 

As though he would haue slaine their Generali: 

/ 

But therwithall Don Balthazar feil downe; 

And when he feil, tlien we began to flie: 

But, had he liued, the day had sure bene ours. 

Alex. 0 wieked forgerie! 0 traiterous raiscreant! 

Vice. Holde thou thy peace! but now, Villuppo , say, 
Where tlien became the carkasse of my Sonne? 
Villup. I saw theni drag it to the Spanish tents. 

Vice. I, 1; my nightly dreames haue tolde me this. — 

Thou false, vnkinde, vnthankfull, traiterous beast, 
Wherein had Balthazar offended thee, 

That thou shouldst thus betray hira to our foes? 

Wast Spanish golde that bleared so thine eyes 
That thou couldst see no part of our deserts? 
Perchance, because thou art Terseraes Lord, 

Thou hadst some hope to weare this Diademe 
If first my Sonne and then my seife were slaine; 

But thy ambitious thought shall breake thy neck. 

I, this was it that made thee spill his bloud: 

Take the crowne and put it on againe. 

But Ile now weare it tili thy bloud be spilt. 

Alex. Vouchsafe, dread Soueraigne, to heare me speak. 

Vice. Awav with him! his sight is seeond hell. 

Keepe him tili we determine of his death: 

If Balthazar be dead, he shall not liue. — 

Villuppo, follow vs for thy reward. Exit Vice. 

70 we began] began we 151)4—1003. 78 had] hath 1003. 

Hl cmild 1023. 83 hast 1023, 1633, I) 1 . Diadome Q. 85 thoughts 

1018 1038, l) 1 . 80 Bühnonw.: Take] He takes 1615-1633* D 1 —P 4 . 

Takes T. put] put’s 1015, pufs 1018—1033, D l —D 4 , T. 87 Ile iuv*v| 
now Ile 1015—1033. now V 11 P 1 . 88 dread] deare 1018 —1633, I) 1 - 

Hinter 91 fügt M als Biihnenweisung hinzu: Thcy take him out. 
32 Bühnenweisung fehlt 1002- 1033, l) 1 ; in Q- 1599 steht sie aut 
gleicher Höhe mit Vers 92. 



\Hliil). Tlius haue 1 with an enuious forged talu 
• Deceiued the King, betraid mine enemy, 

And hope for guerdon of my villany. Exil. 

[Scene IV.] 

Enter Horatio and Bel-imperia. 

H>l. Signier Horatio, tliis is the place and lioure 
Wherein I must intreat thee t« relate 
The cireumstance of Don Andreas death, 

Who, liuing, was my garlands sweetest flower, 

And in his death hath buried my delights. 

II*. For loue of him and seruice to your seife, 

I nill refuse tliis heauy dolefull charge; 

Yet teares and sighes, I feare, will hinder me. 

When both our Armies were enioynd in light, 

Your worthie chiualier amidst the thikst, 

For glorious cause still aiming at the fairest. 

Was at the last by yong Don Balthazar 
Encountred band to hand: their light was long, 

Their harts were great, their clamours menacing, 

Their strength alike, their strokes both dangerous. 

But wrathfull Nemesis, that wicked power, 

Enuyitig at Andreas praise and worth, 

Cut short his life, to end his praise and woorth: 

She, she her seife, disguisde in armours maske 
(As Pallas was before proud Perijam ns) 

Brought in a fresh supply of Halberdiers, 

Which pauncht his horse, and diugd him to the ground. 
Then yong Don Balthazar , with ruthles rage, 

95 Exil] f. 1503. Scene IV. 4 sweetest] cliiefest 1523, 1533, 
f» 1 7 I nill] I will 1602, 1603, lh* not 1610 1633, 131 not IV. 

Iieauy dolefull] dolefull heauy 1518 1633, IV. 8 sighes] siebtes 1610. 

■* in] to 1618 — 1633, D l . 10 chauilier 1334, ('hauilier 1599, 10o2, 
Chauilire 1610, 1615, Chauiliere 1618, Camilier 1623, 1633. 
11 glorious] glory’s D 1 , D 1 —L> 3 . 17 worth] wroth 1594, 1599. 21 a| 

h'hlt 1594—1623; ergänzt in 1633. 



20 


Act I. Si\ IV. 



Taking aduantage of bis foes <listres.se, 

25 Did finisli wliat bis Halberdiers beguu. 

And left not tili Andreas life was doue. 

Then, though too late, incenst with iust renioree, 

I with iny band set foortli against tbe Prince. 

And brougbt bim prisoner from bis Halberdiers. 

30 Bef. Would thou badst slaine him that so slewmy Ione! 

Bnt then, was Don Andreas earkasse lost ? 

Hör. No, that was it for which 1 cheefely stroue. 

Nor stept 1 back tili 1 recouerd him: 
l tooke bim vp, aud wound bim in mine armes: 

35 And welding him vnto my priuate tent, 

Tbere laid bim downe, and dewd bim with my 

teares. 

And sigbed and sorrowed as became a freend. 

But neitber freendly sorrow, sighes, nor teares 
Could win pale death from bis vsurped right. 

40 Yet tbis 1 did (and lesse 1 could not doe): 

1 saw bim honoured with due funerall. 

Tbis srarfe I pluekt from off bis liueles arme. 

And weare it in remembranee of my freend. 

Bef. 1 know tbe scarfe: would he bar! kept. it still: 

45 For had be liued, he would haue kept it still. 

And worne it for bis Bef-imperias sake: 

For twas my fauour at !iis last depart. 

But now weare thou it botli for him aud me: 

For after bim thou hast deserued it best. 

5o But for tbv kimlnes in bis life and deatb. 

Be sure, wliile Bef-imperias life endures, 

She will be Don Horatios tbankfull freend. 

Jfor. And. Madame. Don Horatio will not slaeke 

.‘{0 Would] I would L>\ so | fehlt ldl0 1333, l) 1 . 35 wiMin«' 
1303. 38 soitbwbs 1302 1333. I) 1 . 42 I plackt from oll ] pluokfotf 
from 1501 — 1333, I pluek'd off from I>\ 4S thou] fehlt 1302 -133-*. 
weare thou] thou wear IM. 



Akt I. Sc. IV. 


*21 


Humbly to seine faire Bel-imperia. 

Hut now, if your good liking stand thereto, 

He craue your pardon to goe seeke tlie Prinee; 
tor so tlie Duke, your fatlier, gaue nie ebarge. 

Kxit. 

H Horath, leaue me lieere alone; 

sollitude best fits my cheereles mood. — — 

^et what auailes to waile Andreas deatli, 
from whence Horatio proues my seeond loue? 

Had he not loued Andrea as he did, 

He could not sit in Bel-hnperias tbouglits. 

Hut how ean loue finde harbour iu my brest, 
lill I reuenge the deatli of my beloued? 

^es, seeond loue shall further my reuenge! 

Ile loue Horath , my Andreas freend, 

1 be rnore to spiglit tlie Prinee that wrougbt bis end. 

And where Don Balthasar , that slew my loue, 
Himselfe now pleades for fauour at my hands, 

He slial). in rigour of my iust disdaine, 

* ni Pe long repentanee for his murderous deed. 

^ or 'vhat wast eis but murderous eowardise, 




So 


IT| any to oppresse one valiant knight, 


L 


<>r. 


\ i t | * rr.~ . et--? 

"nout respect of honour in the fight? 

heere he eomes that murdred my delight. 

Enter Lorenzo and Balthazar. 
f^l what meanes this melanchollie walke? 

h,r k ft»r a w HH e I wish ü0 Company. 
fa! heere the Prinee is corne to visite von. 

liul \ ar g ues that he liues in libertie. 
ly y°’ Aladame. but in pleasing seruitude. 
v * Vv * prison tlien, belike, is your eonreit? 


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so 


inenweisung: Kxit| fehlt 1003, 1033; steht 1594 10o2, 


ii auf gleicher Höhe mit Vers 57; I> 1 — l) 4 , T setzen K.nt 

Hori,t "‘ hint, 


h >* l*:i; 


di 


vr Vers 59. 02 Andntis 1010 1033. 72 for| of 1594 

Ho in] at 1015 1033, D 1 . 



22 


Akt I. Sc. IV. 


BdL I, by coneeit my freedorne is enthralde. 

Bel. Theu with conceite enlarge your seife againe. 

85 Bai. What, if conceite haue laid my hart to gage? 

Bel. Pay that you borrowed, and recouer it. 

Bai. I die, if it returne from whence it lves. 

Bel. A hartles man, and Iiue? A miraele! 

BdL I, Lady, lone eaii worke such miracles. 

90 Lur. Tush, tusli, my Lord! let goe these ambages, 

And iuplaine tearmes acquaiut her with yourloue. 

Bel. What bootes coraplaint, wlien thers no remedv ? 

Bai. Yes, to your gratious seife must 1 complaine. 

In whose faire answgre ly es my remedy: 

95 On whose perfection all my tboughts attend; 

On whose aspect mine eyes finde beauties bowre: 

In whose translucent brest my hart is lodgde. 

Bel. Alas, my Lord, these are but words of course. 

And but deuise to driue me from this place. 

&'he, in going in, lets fall her Ginne , nhieh 
Horatio, coinming out, take$ rp. 
loo Hör. Madame, your Gloue. 

Bel. Thanks, good Horatio; take it for thy paines. 

BdL Signier Horatio stoopt in happie time! 

Hör. I reapt more graee tlien 1 deseru d or hupd. 

Lor. My Lord, be not dismaid für what is past: 

105 You know that women oft are humerous: 

The se elouds will ouerblow with little winde: 

Let me alone, Ile scatter thein my seife. 

Meane while, let vs deuise to spend the time 
ln so me delightfull sports and reuelling. 

88 liue] liue« 1002— 1038, D 1 . D*. 97 brcst] broustes 1002 bb 

lHir), Breastes 1018, Breasts 1023, 1033. breasts D 1 . 98 but] hut Q 

90 deuise | deuisde 17)99 1010, deuis'd 1015 -1083 (beuis’d 1618), devisM 

O l . BühnenWeisung: Erstes inj fehlt 1594—1033, D 1 , D*—D s . takexj 
fakes if 1018—1083. 109 delightfull] deli^ht some 1010, dclight-soim k 

1015, deli<jhtsome 1018 -1033. reuellin^s 1018, 1023. revelliii£s 1033, P 1 



Akt I. So. IV. V. 


M f,r - flie King, my Lords, is comming hitlier straight. 

To feast the Portingall Embassadour; 

Things were in readines before I eame. 

Then heere 'it fits vs to attend tlie King. 

To welcome hither mir Embassadour, 

.And learne my Father and my Countries liealth. 

[Scene V.] 

bnter the banquet, Trumpets, the Kita/. and 

Embassadour. 

Aoo/.See, Lord Embassador, how Spaine intreats 

Their prisoner Ba/thazar, thy Viceroyes Sonne: 

^ e plea^ure more in kindenes then in warres. 

kialxtss. Sad isi our King, and Portingale lainents, 

‘ <ll Pposing that Don Ba/thazar is slaine. 

a,n 1! — slaine by beauties tirannie! 

Aou see, my Lord, how Ba/thazar is slaine: 

* frolike with the Duke of Casti/es Sonne, 

\v 

urapt. euery houre in pleasures of the Court, 
j. graste with fauours of Ins Maiestie. 

v I nt <,ff your greetings tili our feast be done; 

‘ ovv Pinne and sit with vs, and taste our eheere. 

Sit to the banquet. 

^ ( L»wue, young Prinee, you are our second guest.: 

r °ther, sit downe: and, Nephew, take your place. 
^<Hior Hörnt io, waite the« vpon our eup; 
y "eil thou hast deserued to be honored. 
Lordings, fall tim; Spaine is Portugal!. 
Portugall is Spaine: we both are freends; 
^ r, T>Ut e is paid, and we <‘iiioy our right. 

"here is olde Hirronimo, our MarshaH? 


L<>rd*| l.,or(l 1.')!»!(—1 t»:t3, lord 1 > 1 . 111 Portugall löie.t, 
I) i j )t llü Cither'H D *. Scene V. Hiilinen Weisung: tlie hin;// King 
/< ,. ^ • -4 Portugall 15119, Portugal 1002. 17 lordlings I) 1 . 1)- 1)\ 




9-1033. H-I)*. 1H 1UO3-1033, II— L) *. 



24 


Akt I. Sc. V. 




:>o 


.)> 


40 


He promised vs, in honor of our guest, 

To graee our banquet with soine pompous iest. 

Kater Ilirronimo with a Drum, three Knights, euch bis 
Seutehin; then he fetches three Kings, they take 
their Crownes and them eaptiue. 

Hieronimo , this maske eontents tnine eie, 

Although I sound not well the misterie. 

Ui ero. The tirst arm’d Kuight tliat hung bis Seutehin vp. 

He takes the Seutehin and giues it 
to the King. 

Was English liohert, Karle of (iloeester, 

Who, when King Stephen höre sway in Albion, 

Arriued with fiue and twenty thousand men 

ln Portingale, and by successe of warre 

Euforced the King, then but a Sarasin, 

To beare the yoake of the English Monarchie. 

Kin</. My Lord of Portingale, by this you see 

That whieh may comfort both your King and you. 

And make vour late diseomfort seeme the lesse. — 

* 

But say, Hieronimo, what was the next? 

Jliero. The seeond Knight that hung his Seutehin vp. 

He dotli as he did before. 
Was Etlutontl , Karle of Keut in Albion, 

When English Itichunl wore the Diadem. 

Ile eame likewise, and razed Lisbon walles. 

And tooke the King of Portingale in fight: 

For whieh, and other such like seruice done. 

He after was created Duke of Yorke. 

/w/q/.This is another speciall argument 

That Portingale may daine to beare our yoake. 
When it bv little England liatb beene voakt. — 

But now. Hieronimo , what were the last? 


21 |ici>ini^c(l (^. 23 inv i'vcs 1003. 24 sonnd] tound I) 3 . 20 Glostcr 
1002, inu:», (ilo’stcr l> 2N fine and] fehl» 1023. 1033, 1) '. 30 Hiihnon- 

weismu': dotli] rloort 1) 1)-—I)*. 


45 



Art I. Scene V. VI. 


•_>:> 

! Hie tliird and last, not least, in nur aecount, 

! Dooing as liefore. 

^ as, as t-he rest, a valiant Knglishman, 
jj Braue lohn of Gaunt , the Duke of Laneaster, 

; As by his S.cutchin plainely may appeare. 

( He with a puissant armie came to Spaine. 

And tooke our King of Castile prisoner. 
hntixtss. This is an argument for our Viceroy 

That Spaine may not insult for her sueeesse, 

Smce English warriours likewise conquered Spaine. 
And inade them bow their knees to Albion. 
hmf/.Hteronimo, I drinke to thee for this deuise, 

^liich liath pleasde both the Embassador and nie: 
1 ledge me, Hieronimo, if thou loue *thy King. 

Takes the Cup of Horatio. 
y ^orcl, I feare we sit but ouer-long, 

^ ulesse our dainties were more delieate; 

Rat welcome are you to the best we haue. 

^ ow tat vs in, that you may be dispatcht: 

^ our councell is alreadv set. 

Kxeunt oinnes. 


[Scene VI.[ 

Andrea. 

\ Ve for this from depth of vnder ground, 
j, him feast that gaue me rny deaths wound? 

^*se pleasant sights are sorrow to my soule: 

*Ung but league, and loue, and banqueting? 
g Reuenye. 

Ile Andrea; ere we goe from hence, 

5 llrtle freendship into feil despight, 


Th 


loue to mortall bäte, their dav to night. 


VI 




^hhnenweiaung: Dooing] Doos D \ as| as he did 1610 bis 
l!le . ‘ 51 to] in 1603. 57 dtinke Q. 5b Hiernnomn Q. tliyj 

e D 1 —M. 63 you] we 1610- UMS. D \ wee 1623, 1633. 

j.; n ^ r oanies] fehlt A. Scene VI. D* gioht als Bühnen Weisung: 


And 


(ihost, with Revenue. 


50 




60 


.> 



Akt II. Scene I. 


Tlieir hope iato dispaire, their peace to warre. 

Tlieir ioyes to paine, tlieir blisse to miserie. 

Actus Secundus. 

[Scene I.] 

Kuter Lorenzo and Balthazar. 

Lorenzo. 

My Lord, though Bel-imperia seerne thus eoy. 

Let reasou holde you in your wonted ioy: 

In time the sauage Bull sustaines the yoake, 
ln tiine all haggard Hawkes will stoope to Iure, 

;> In time small wedges cleaue the hardest Oake. 

In tiine the flint is pearst with softest shower. 

And she in time will fall from her disdaine. 

And rue the snfferauee of your freendly paine. 

Bai. No, she is wilder, and more hard withall, 

10 Then beast, or bird, or tree, or stouy wall. 

But wherefore blot I Bel-hnperias name? 
i lt is my fault, not she that merites blame. 

My feature is not to content her sight. 

My wordes are rüde, and worke her no delight. 
lr» The lines I send her are but harsh and ill, 

Such as doe drop from Pan and Marsias quill. 

My presents are not of sufticient eost, 

And being worthles, all my labours lost. 

Yet might she loue me for my valianeie: 

20 1, but thats slaundred by eaptiuitie. 

Yet might she loue me to content her sire: 

1. but her reason masters his desire. 

Yet might she loue me as her brothers freend: 

Sn. 1 in* I. In time| fvItU I)flint] liarde^t Flint lf>10 1H3.S. 

D 1 . h ruo] ruh* lr>l(i — *uttVran<*e) ditfVrenee 160H. 14 wodros 

Q. U» Murstcs Marscs ](>l.j—1(>3M, Mursiu's l) 1 —1)\ 22 hi>| 

lu*r lUMd—l)\ 






Akt II. »Scene I. 


27 


I. bat her hopes aime at some other einl. 

Yet miglit she loue me to vpreare her state: 20 

I, hat perhajjs she hopes some nobler rnate. 

Yet might she loae me as her *Beauties thrall: 

I, but 1 feare she eannot loae at all. 

My Lord, for my sake leaue *this extasie. 

And doubt not bat weele Hnde some reinedie. so 

Some cause there is that lets voa hot be loaed: 

First tliat must needs be knowne, änd then remoued. 
Wliat, if my Sister loue some other Knight? 

U'ilt. My sommers day will turne to winters night. 

W. 1 haue alreadv found a stratageme 

To sound the bottome of this doubtfall theaine. 

My Lord, for once vou shall be rnlde by me: 

Hinder me not. what ere you heare or see. 

By force or faire meanes will l cast about 

To finde the trath of all this «piestion out. 40 

Ho, Pedrhiyano! 

I’fl. Signier! 

Vien *<jni presto. 

Enter Pedrimjuno. 

/V. Ilath your Lordship anv seruice to command me? 

Lor. I, Pedrinpano, seruice of import; 4:» 

And — not to spend the time iu trifling words — 

Tlius Stands the case: it is not long, tliou knowst. 
Since l did shield thee from my fathers wrath. 

For thy conueiance in Andreas loue, 

For which tliou wert adiudg d to punishment. r>o 

l stood betwixt thee and thy punishment: 

26 hopes) loues 1623, 1633, D 1 . 27 Romitios HUT)—1633] 

hfauteous (hoautious) Q 1610. 20 theso oxtasies alte ^7., D 1 — M. 

h*> loued] beloued 1602, 1603, 1618 -1633. 43 qui erst in D\ M, T; 

Q<p etc. que . Die Bühnenweisu»#: Euler Pnlrnujaun stobt in 101f>, 
ltils höher, hinter Sipnior!, in 1623, 1633, D 1 I>* noch liölior, liintor 
l'rtlrhif/uuo. 4.’> impart 1602. f>0 punishment] bunishmont D 1 , D"—D\ 



•28 


Akt II. Scene I. 


And since, thon knowest how I haue fauoured thee. 
Now to these fauours will I adde reward, 

Not witli faire woords, but störe of golden coync. 
And lands and liuing ioynd witli dignities, 

If thou but satisfie my iust demaund: 

Teil truth, and haue me for thy lasting freeml. 

Ped. What ere it be your Lordship shall demaund, 

My bounden duety bids me teil the truth. 

If ease it lve in me to teil the truth. 

Lor. Then, Pedrinpano , tliis is my demaund: 

Wliome loues niv sister Bel-imperiaY 
For she reposeth all her trust in tliee. 

Speak, man, and gaine both freendship and reward: 
I meane, whome loues she in Andreas place? 

Ped. Alas, my Lord, since Don Andreas death 
1 haue no credit with her as before. 

And therefore know not, if she loue or no. 

Lor. Nay. if thou dally, then l am thy foe, 

[Draw his sword]. 

And feare shall force what frendship cannot winne: 
Thy death shall bury what thy life conceales; 

Thou dyest for more esteeming her then me. 

Ped. (Mi, stav, my Lord. 

Lor. Yet speak the truth aml I will guerdon thee, 

And shield thee from what euer cau ensue. 

And will eonccale what ere proeeeds from thee. 

Hut if thou dally once againe, thou diest! 

Ped. If Madame Bel-imperia be in loue — 

Lor. What. villaine! ifs and ands? 

55 limn^s D>02, D>10, liuin^es D>o;{, Liuings 1 Hl 5—lh ; W. 
livin^s D l . HO it lve in me| in mee it lyes 1 <> 1 — 1H33, D 1 . lye] lie* 
1H10, J *>IH—DkH, Ives 1HI T>. (>9 Bühnen Weisung fehlt Q, 1594, 1599: 

steht in M hinter Vers 72. Draw 1W>2, D>0.‘{| Urair# 1 Hl0 —IMS 
(Pratrrs Hilf», Dil*), D 1 T. 79 Hinter diesem Vers steht in 
D»02 - Di 10 die BuhnenweiMin«j: Offrr io kW hnn. 



Akt II. Scene 1. 


25* 


7W. 0. stav. mv Lord, she loues Horutio. so 

Bulthuzar starts back. 

Ln\ What, Don Horutio , our Knight Marshals sonne? 

/W. Euen him, my Lord. 

Ir>r. Xow say, bnt how knowest thou lie is her lone? 

And thou shalt finde me kinde and überall: 

Stand vp, 1 say. and feareles teil the trifth. s:> 

Ped. She sent him letters, which my seife perlisde. 

Full fraught with liues and arguments of lone, 

Preferring him before Prinee Bnlthuzar. 

Lor. Sweare on this crosse that what thou saiest is true; 

And that thou wilt conseale what thou hast tolde. oo 

P<d. I sweare to both, bv him that made vs all. 

P»r. In hope thine oath is true, heeres thy reward: 

But if I proue tliee periurde and vniust, 

This very sword whereon thou tookst thine oath. 

Shall be the worker of thy tragedie. t»:> 

P<<l. What I haue saide is true, and shall — for me — 

Be still conceald from Bel-imperiu. 

Besides, your Honors überalitie 

Deserues my duteous seruice, eilen tili deatli. 

W. Let this be all that thou shalt doe for me: loo 

Be watehfull when and where these louers meete. 

And giue me notice in some secret sort. 

P'<l. I will, mv Lord. 

* 

P<»‘. Then shalt thou finde that I am überall. 

Tliou knowst that 1 can more aduaunce thy state 
Then she; be therefore wise, and faile me not. 

(Joe and attend her, as thy eustome is. 

Least absence make her tliink tliou doost. amiss«». 

Exit Bcd rim/uno. 

Why so: Turn urrnix <juum iiu/rnio: 

Where words preuaile not, violome preuailes; llo 

H.i knowest thou] thou know'st i) 1 . he| tliut lu* lf>lo - her| in 

ffttant lOlrt. 110 jireuuile) peuailos pmiailes l<>o;k 



Akt II. Scene I 


30 


But gokle doth more then eitlier of tliem botli. 

How likes Priuee Balthazar tliis stratageme? 

Bai. Botli well, and ill; it makes me glad and sad: 
Glad, that I know the liinderer of liiv loue; 
lir» Sad, that I feare slie hates me whome I loue. 

Glad, that I know on whom to he reueng'd: 

Sad, That slieele flie me if I take reuenge. 

Yet must 1 take reuenge, or dye my seife, 

For loue resisted growes impatieut. 

120 l think Horath he my destinde plague: 

First, in his hand he brandished a sword, 

And with that sword he liercely waged warre, 

And in that warre he gaue me dangerous wounds. 
And by those wounds he forced me to yeeld, 

125 And hy my yeelding I became his slaue. 

Now in his mouth he earries pleasing words, 

Which pleasing wordes doe harbour sweet conceits. 
Which sweet conceits are lim’d with slie deceits. 
Which slie deceits smooth Bd-imperias eares, 

180 And through her eares diue downe into her hart. 
And in her hart set bim, where I should stand. 

Thus hath he taue my body by his force, 

And now by sleight would captiuate my soule: 

But in his fall ile tempt the destinies, 

185 And eitlier loose my life, or winne my loue. 

Lar. Lets goe, my Lord; vour. staying staies reuenge. 
Doe you but follow me, and gaine vour loue: 

Her fauour must be wonne by his remooue. 

Exeunt. 


112 tliis] o t t his 1018—11433. I) 1 . 115 louo| lone 1610. 118 or] 

tu H. 120 plague] |>1 edtro 1008. 128 lim\11 limde 1594, 1599, limhdo 

1002-1010. Vers 128 mul 129 sind in 1015 — 1038, D 1 zusaimnen- 
Uezogen in den einen Vers: Whieh swcete Conceits, smooth Beliniperi-ant 
Eares. |[ 131 set | sets 1015—1050. I) 1 . 130 vour] nur 1033, D 1 . 137 but| 
hut Q. 



Akt II. Scene II. 




[Scene II.] 

Enter Horatio and Bel-hnperia. 

Hör. Now, Madame, since by fauour of your loue 
Our hidden smoke is turnd to opeu flaine. 

And that with lookes and words we feed our thoughts 
(Two chiefe contentS, where more cannot be liad): 
Tbus, in the midst of loues faire blandishments, :> 
Why shew you signe of inward languishments? 
fr/lrinf/cnio sheweth all to the Prince and Lorenz », 
plaeing them in secret. 

Hel. My hart, sweet freend, is like a ship at sea: 

She wisheth port, where, riding all at ease, 

She *may repaire what storniie times haue worne, 

And, leaning on the shore, may sing with ioy io> 

That pleasure followes paine, aud blisse annoy. 
Possession of thy loue is th’ onely port 
Wherein my hart, with feares and hopes long tost, 
Each howre doth wish and long to make resort, 

There to repaire the ioyes that it hath lost, ir» 

And, sitting safe, to sing in Cupids quire 
That sweetest blisse is crowne of loues desire. 

Balthazar [and Lorenz»] aboue. 

H<iL 0 sleepe, mine eyes, see not my loue prophande; 

Be deafe, my eares, heare not my discontent; 

Dye, hart: another ioyes what thou deseruest. 

Hör. Watch still, mine eyes, to see this loue disioynd; 

Scene II. 2 is] has D 4 . 3 thoughts] In Q ist nur thouyht sicher 
lesbar; doch scheinen Spuren von s oder es am Ende vorhanden zu 
'ein: thnughtes 1594, 1599, thoughts 1602—1633, D 1 —D 4 , thought 
M, T. 5 loues] loue 1603. 6 Bühnenweisung: sheweth] shetces 1615 

bi» 1633, sheics (shows) D 1 —D 4 . 9 may] m ad Q, made 1594, 1599. 

tl followes Q, 1594. 1633] follow 1599—1623. 12 love’s the only l) 4 . 

1*» There to] There on 1594, Thereon 1599—1633. 17 Bühnenweisung 

in Q - 1603: Balthazar aboue (so auch M): in 1610—1633: Balthazar 
nnd Laren. (Lorcnzo 1623, 1633) ahme\ in 14 1 — D 4 : Balthazar and 
L'irenzn aside. 21 this] the 1594—1633, thoir D 1 . 



Akt II. Scene II. 


'd'2 

Heare still, rnine eures, to heare tliem both lameut; 
Liue, hart, to ioy at fond Horatios fall! 

Bel. Why Stands Horntio speecheles all this wliile? 

Hör. The lesse I speak, the inore 1 meditate. 

Bel. But whereou doost thou ehiefelv meditate? 

Hör. On dangers past, and pleasures to ensue. 

Bai. On pleasures past, and dangers to ensue! 

Bel. What dangers and what plesures doost thou niean? 
Hör. Dangers of warre, and pleasures of mir loue. 

Lor. Dangers of death, but pleasures noue at all! 

Bel. Let dangers goe, thy warre shall be with me: 

But such a *war, as breakes no bond of peaee. 
Speak thou faire words, ile erosse them with faire 

words; 

Send thou sweet looks, ile meet them with sweet 

looks: 

Write louing lines, ile answere louing lines: 

Giue me a kisse. ile eounterclieeke thv kisse: 

Be this mir warring peaee, or peacefull warre. 

Hör. But, gratious Madame, then appoint the fiele! 

Where triall of this warre shall first be made. 

Bai. Ambitious villaine, how bis boldenes growes! 

Bel. Then be thy fathers pleasant bower the field, 

Where first we vovvd a mutuall amitie; 

The Court were dangerous, that place is safe. 

Our howre shalbe when Vesper giunes to rise. 

That summons liome distresfull trauellers. 

Tliere none shall heare vs but the harmeles binls: 

llappelie the gentle Nightiugale 

Shall earndl vs a sleepe, ere we be wäre. 

And. singing with the prickle at her breast. 

2 .'S Ijiui'l Ijcuiic 150!! 1 (*'}.’{. Ijcap I) 1 . 20 doost thou cl'icicly] 

cliicflv dust thou 1015 loa:$. I)’. 27 plcnsurc 1 504. 2H pleasnrc 1002, 

1010. a 1 at] fehlt 1002. aa Will] warring (^ip, II, I) 4 . M. 42 hc] hy 

ir» 04 —ioaa. i) 1 . 4 a ü| nur 1002—loaa, I)’. 40 distressed 102a, 10:».D’ 



Akt II. Scene II. III. 


33 


Teil our delight and mirtlifull dalliance: 

Till then each houre will seeme a yeere and more. 
Hur. But, honie sweet and honorable loue, 

Returne we now into your fathers sight: 

Dangerous suspition waits on our delight. 

Lor. I, danger mixt with ieal[i]ous despite 
Shall send thy soule into eternall night! 

Exennt. 


[Scene III.] 


Enter King of Spa ine, Porti nyale Ernlntssadonr, 

Don Ciprian , &c. 

King. Brot her of Castile, to the Princes loue 
Wbat saies your daughter Bel-imperia? 

Cp. Although she coy it, as becomes her kinde, 

And yet dissemble that she loues the Prince, 

I doubt not, I, but she will stoope in time. 

And were she froward (which she will not be) 

Yet heerein shall she follow my aduice, 

Which is to loue him, or forgoe my loue. 

ÄV/iy.The'n, Lord Embassadour of Portiugale, 

Aduise thy King to raake this marriage vp, 

For strengthening of our late confirmed league: 

1 know no better meaues to make vs freends. 

Her dowry shall be large and überall: 

Besides that she is daughter and hälfe heire 
Vnto our brother heere, Don Ciprian, 

And shall enioy the moitie of his Iand, 

Ile grace her marriage with an vnckles gift. 

And this it is — in case the match goe forward —: 
The tribute whieh you pay, shalbe releast; 

And if by Bafthazar she haue a Sonne, 

He shall enioy the kingdome after vs. 

Kuihas. Ile make the motion to my soueraigne Liege. 


55 


5 


10 


15 


•JO 


51 mirthfull] sportfull 1623, 1633. I) \ Scene III. 11 stron^- 
f l*ing 1002, 1610 (strengthnin^ 10(KI.) 22 myj our l.'iOO —1018. 

Schick, Spanish Tragedy. 3 



34 


Akt II. Scene III. 


And worke it, if my counsaile may preuaile. 
King.Doe so, my Lord, and if he giue consent, 

25 I hope his presence heere will honour vs, 

In celebration of the nuptiall day; 

And let himselfe determine of the time. 

Em. Wilt please your grace eommaiul me ought besid'f 
/Ym^.Commend me to the King, and so farewell. 

30 But wheres Priuce Baltkazar , to take his leaue? 

Em. That is perfourmd alreadie, my good Lord. 

King. Amongst the rest of what you haue in Charge, 

The Princes raunsome must not be forgot: 

Thats none of mine, but his that tooke him prisoner: 
35 And well his forwardnes deserues reward: 

It was Horatio , our Kuight Marshals sonne. 

Em. Betweene vs theres a price al ready pitcht, 

And shall be seilt with all conuenient speed. 
Ä/m/.Then once againe farewell, my Lord. 

40 Em. Farwell, my Lord of Castile, and the rest. 

Exit. 

King. Now, brother, you must take some little paines 
To winne faire Bel-imperia from her will: 

Young Virgins must be ruled by their freends. 

The Prince is amiable, and loues her well; 

45 lf stie neglect him and forgoe his loue, 

She both will wrong her owne estate and ours. 
Therefore. whiles I doe entertaine the Priuce 
With greatest pleasure that our Court affoords, 
Kndeuour you to winne your daughters * thought: 

50 lf she giue back, all this will come to naught. 

__ Exeunt. 

27 himselfe] him 1633, D 1 . 28 command] to eoinmand 1504— 

1618. 30 wheres] where 1594. 31 good] /'. D 1 . 34 but] put 1602. 

39 againe|/. 1003. 40 Em.] Kmperor I) 2 . 41 pnine 1602 —1633, paiu 
1) \ 47 while 1615 —1633, I) 1 . 48 pleasures 1602 —1633, P 1 . 

49 thought] thought« Q—1602, 1610. 50 nought 1615— 1633, 

1)’ D*. 



Akt II. Scene IV. 


35 


[Scene IV.] 

Enter Horatio , Bel-imperia, and Pedrinyano. 

Hör. Xow that the night begins with sable wings 
To ouer-cloud the brightnes of the Sunne, 

And that in darkenes pleasures may be done: 

Come, Bel-imperia, let vs to the bower, 

And there in safetie passe a pleasant hower. 5 

Bel. I follow thee, my loue, and will not backe, 

Although my fainting hart controles my soule. 

Hör. VVliy, make you doubt of Pedrinyanos faith? 

Bd. No, he is as trustie as my second seife. — 

Goe, Pedrinyano, watch without the gate, 10 

And let vs know if auy make approch. 

Ped. Iu steed of watching, ile deserue more golde 
By fetching Don Lorenzo to this match. 

Exit Ped. 

Hör. What meanes my loue? 

Bel. I know not what my seife; 

And yet my hart foretels me some mischaunee. ir> 
Hör. Sweet, say not so; faire fortune is our freend, 

And heauens haue shut vp day to pleasure vs. 

The starres, thou seest, holde back their twinckling 

shine, 

* And Luna hides her seife to pleasure vs. 

Bel. Thou hast preuailde; ile conquer my misdoubt, 20 

And in thy loue and councell drowne my feare. 

I feare no more; loue now is all my thoughts. 

Why sit we not? for pleasure asketh ease. 

Hör. The more thou sitst within these leauy bowers, 

The more will Flora decke it with her flowers. 25 

Bel. I. but if Flora spye Horatio beere. 

Her iealous eye will think I sit too neere. 

Sc 011 e IV. ll approch] roproch 1002, 1003, 1015. 1018. 

1" lieauens haue] Heauen hath 1018 —1033, I) 1 . 23 mit Q. 24 sits 1610. 

3 * 



36 


Akt II. Scene IV. 


Hör. Harke, Madame, how the birds record by night, 

For ioy that Bel-imperia sits in sight. 

30 Bel. No, Cnpid counterfeits the Niglitingale, 

To frame sweet mnsick to Horatios tale. 

Hör. If Cupid sing, then Venus is not farre: 

I, thou art Venus, or some fairer starre. 

Bel. If I be Venus, thou must needs be Mars; 

And where Mars raigneth, there must needs be 
35 warrefs]. 

Hör. Then thus begin our wars: put forth thy hand, 

That it may combat with my rüder hand. 

Bel. Set forth thy foot to try the push of mine. 

Hör. But first my lookes shall combat against thine. 

40 Bel. Then ward thv seife: 1 dart this kisse at thee. 

Hör. Thus I retort the dart thou threwst at me. 

Bel. Nay, then to gaine the glory of the field, 

My twining armes shall yoake and make thee yeeld. 
Hör. Nay, then my armes are large and strong withall: 
45 Thus Eimes by vines are compast, tili they fall. 

Bel. 0, let me goe; for in my troubled eyes 

Now maist thou read that life in passion dies. 

Hör. 0, stay a while, and 1 will dye with thee: 

So shalt thou yeeld, and yet haue conquerd me. 

50 Bel. Whose there? Pedringano! we are betraide! * 
Enter Loren 20 , Balthazar, Cerherin, Pedringano, 

disguised. 

Lor. Mv Lord. awav with her, take her aside! -- 
0, sir. forbeare: vmir valour is alreadv tride. 

31 Haratin 1610. 32 not- j nor Q. 35 warres] warre alle 

Quart oh; wars I) 1 und alle folgenden Ausgaben. 36 Warre 1610. 
41 retort] returne 1603, 1615 - 1633. L) 1 . 43 twinning 1602. -14 withall] 
all kaum mehr sichtbar in Q. 50 Rülmenweisung: C-erberin] Ctrber . 
1633. ('erhenis l) 1 . and Pvdrhiyano 1623, 1633, D 1 -IV. 51 Take her 
aside stellt als IlühnenWeisung am Rand in 1603—1633, IV. 53 

HülmenWeisung: Tlievl Thv (l voul ve 1602—1633 (vee 1615, 161S). 
I ) 1 — 1 



Akt II. Scene IV. V. 


37 


Quickly dispateh, my roaisters. 

Th[e]y liang him in the Arbor. 

Hör. What, will you raurder me? 

Lor. I, thus, and thus: these are the fruits of loue! 

Tliey stab him. 

Bel. 0, saue his life, and let me dye for him! 55 

0, saue him, brother; saue him, Balthazar: 

I loued Horatio; but he loued not me. 

Bol. But Balthazar loues Bel-imperia. 

Lor. Although his life were still ambituous proiul, 

Yet is he at the highest now he is dead. «0 

BH. Murder! murder! helpe, Hieronimo, helpe! 

Lor. Come, stop her mouth: awav with her! 

Eremit. 


[Scene Y.] 

Enter Hieronimo in his shirt, &c. 

Hiero.W hat outcries pluck me from my naked bed, 

And chill my throbbing hart with trembling feare, 
Which neuer danger yet could daunt before? 

Who cals Hieronimo? speak — heere 1 am. 

I did not slumber; therefore twas no dreame. :> 

No, no, it was some woman eride for helpe: 

And heere within tliis garden did she crie: 

And in this garden must I rescue her. — 

But stay, what murdrous spectacle is this? 

A man hangd vp and all the murderers gone! 10 

And in my bower, to lay the guilt 011 me! 

This place was made for pleasure, not for death. 

Ile euts him downe. 


59 tstill) fehlt 1594 ■ -1 L>'. 02 Eremit] fehlt 1002, 1009. 

N. Bühnen Weisung: &c.) fehlt 1002—1039, I) 1 , A. 1 outeriesj out-crie 
1602—1633, D 1 . (out-cry 1603, 1015, 1018, 1633, I) 1 .). i>luek| cnls 1002, 
1603. 1615—1633, calles 1610, falls I) 1 . 2 fhill| chils 1603—1633, 

chills I) 1 . 7 this] the 1500 1633, I) 1 . 11 t^nilt] £iiile 1603. 



Akt II. Scene V. 


3« 

Tliose garments tliat he weares 1 oft haue seene—: 
Alas, it is Horafio, tny sweet sonne! 

15 0 no, but Ite tliat whilome was my sonne! 

0, was it thou that. call’dst me from my bed? 

0 speak, if any sparke of life remaine: 

I am thv Father; who liath slaine my sonne? 

What sauadge monster, not of humane kinde, 

20 Hath heere beeile glutted with thv harmeles blood, 

And left. thy bloudie corpes dishonoured heere, 

For me, amidst this darke and deathfull shades, 

To drowne thee with an ocean of my teares? 

0 heauens, why made von night to couer sinne? 

25 Hy day this deed of darkenes had not beene. 

0 earth, why didst thou not in time deuoure 
The vilde prophaner of this sacred ho wer? 

0 poore Horafio, what hadst thou misdoone, 

To leese thy life, ere life was new begun? 

30 0 wicked butcher, what so ere thou wert. 

How could thou strangle vertue and desert? 

Av me most wretehed, that haue lost mv iov, 

In leesing my Horafio, my sweet bov! 

hinter Hahr//. 

Isa. Mv husbands absence makes mv hart to tliroh: — 

»■ % 

;$ 5 Hieronimo! 

Hiero. Heere, Imbella, lielpe me to lament: 

For sighes are stopt, and all my teares are spent. 
Isa. What world of griefe! my sonne Horafio! 

0, wlieres the author of this endles woe? 

15 tliat] tliat wlu» 1015, 101*. 2o Hath heere] Heere hath 
151*1-1033, 1)>. 22 those 1033, 1)' etc. 20 in] it 1610. 27 vile 
1002—1033, I)’. 21* lose 1023, 1033, l) 1 . 31 could] could’st 1002 
1010, 101S, D-— D», couldst 1015, 1623, 1033, I)\ H, D 4 . stangle 1002. 
32 Ay] Ah l) 1 , I) 2 l* 2 . 33 losin«; D*. Hiihnenweisung: lmbeUn 

151151— 1033, I) 1 l)*, T. 38 world| words L* 1 . 



Akt II. Scene V. 


39 


llieru. To know the author were some ease of greefe; 40 
For in reuenge my hart would finde releefe. 

/"•</. Tlien is he gone? and is my sonne gone too? 

0, gush out, teares, fountains and flouds of teares: 
Blow, sighes, and raise ati euerlasting storme; 

For outrage fits our cursed wretchednes. 4r> 

Iliero. Sweet, louelv Rose, ill-pluckt before thy time. 

Faire, worthy sonne, not conquerd, but betraid, 

Ile kisse thee now, for words with teares are *staide. 

!*(>t. And ile close vp the ghisses of his sight, 

For once these eyes were onely my delight. 50 

Iliero. Seest thou this handkercher besmerd with blood? 

It shall not frora me tili 1 take reuenge. 

Seest thou those wounds that yet are bleeding fresli? 

Ile not intombe thern tili 1 haue *reuenge. 

Then will I ioy amidst my diseontent; .*,» 

Till then my sorrow neuer shalbe spent. 

!*'<■ The heauens are inst; murder cannot be hid: 

Time is the author both of truth and right, 

And time will bring this treeherie to light. 

Iliero. Meane while, good habetla, cease thy plaints, oo 

Or, at the least, dissemble them awhile: 

So shall we sooner finde the praetise out, 

And learne by wliom all this was brought about. 

C'ome. habet/ , now let vs take him vp, 

Tliey take him vp. 


•44 an] and 1610. /wischen 45 und 4h erste Interpolation 
in 1802 u. tf. Qq.; siebe Appendix A, Seite 111. 48 staide] stainde 
Q- 1602. 50 onely] ehicfly 1623, 1633, L) 1 . 51 handkercher Qq.| hand- 
kerehief D 1 —I) 4 . 53 those] tliost» Q, those 1594, 1599. these 1602—1633, 
I)\ —D*. 54 reuende 1623, 1633] reueng'd Q. 1615, 1618, reuengdc 

h»94, 1599, reuengd 1602—1610. Von neueren Ausgaben lesen 11, 
I) 1 , M reveng'd, D 1 , D\ T revenge. 56 sorrowes 1618 — 1633, 
I* 1 . «4 Imbella 1602, 1603, 1615 1633, l) 1 , D* 1>\ Jsac/M« 1610. 

!<t vs] let» 1602, 1610, lofs 1603, 1615—1633, 1>\ D 1 1)\ 



40 


Akt II. Scene V. 


65 And beare him in from out this cursed place. 

Ile say his dirge; singing fits not this case. 

0 aliquis mihi quas pulchrum ver educat herbas, 

Hiero. sets his brest vnto his sword. 
Misreat, d' nostro detur medicina dolori; 

Aut , si qui faciunt annontm obliuia, succos 
70 Prebeat; ipse metam magnum quaecunque per orbmi 

Gramina Sol pulchras ejfert in luminis oras; 

Ipse bibam quicquid meditatur saget veneui, 

Quicquid & herbar um ui ceeca nenia nertit : 

Omnia perpetiar, lethum quoque, dum seine! omnis 
75 Noster in extincto moriatur pectore sensus. — 

Ergo tuos ocnlos nunquam (mea vita) videbo, 

Et tun perpetuus sepeliuit lumina somit ns? 

Emoriar teeum: Sie, sic iuuat ire sub vmbras. — 
Attamen absistam properato cedere letho, 
so Ne mortem vindicta tuam tarn nulla sequatur. 

Ileere he throwes it from him and beares 

the body away. 


66 not] on 1618—1658. this] his A. 67 rer] rar Q. ahn et Q—1601\ 
1610, M. 68 nostro] nostra A. medician 1599 - 1608, 1615 — 1028. 
69 annum alle Qq., D*. oblimia alle Qq., D 1 . 70 metam alle Qq., 
I) 1 , D 2 D 3 . magnam Q, 1618—1688 (magnum 1594- 1615, D’-Ti. 
guicunque alle Qq., I) 1 . 71 eifert (Conjectur von Prof. Dr. Traube)] 

effecit alle Qq., D 1 , ejeeit H — M. in luminis Qq., D', T] lucis in 
H—M. 72 bebam A. veneri Q. 73 herbarum ui crecaj irraui (iraui 
1623, iravi 1633, D *) eueerrea (ereewca 1633, D 1 ) alle Qq., D 1 , irarum 
(erarum A, herbarum T) ri circa II T. nenia H—T] menia alle 
Qi]., D 1 . 74 pertetiar 1603. lelum 1594—1603, 1615 —1633, 1>\ 

lechon 1610. 75 peitora Q, piefere 1610. 76 oeculos Q, 1618, 1623, M. 
78 Emoriar r und i etwas weit auseinander 1599, Emor iar 1602^ 
Emorira 1010, Emor ira 1603, 1615 —1633, I )K 20‘s sic] /. 1603. 
iuuaf/ iuuai 1599, 1602, 1610, in an 1603, 1615— 1623, Jura 1633, 
jnraf I) 1 Ae. 79 absisUrm) adsistam I) 2 I) 1 . eredere 1610. 80 ridu'ta 

1618 — 1633. tarn/ tum I) 1 —M. nulla 1594 — 1602. 



Akt II. Scene VI. Akt III. Scene I. 


41 


[Scene VI.] 

Andrea. 

Broughtst tliou me hether to increase rny paine? 

I lookt that Balthazar should haue been slaine: 

But tis my freend Horatio that is slaine, 

And they abuse faire Bel-imperia, 

*0n whom'I doted more then all the world, :> 

Because she lotTd me more then all the world. 

Reuenge. 

Thou talkest of harnest, when the corne is greene: 

The end is crowne of euery worke well doue; 

The Siekle comes not tili the corne be ripe. 

Be still; and ere 1 lead thee from this place, 10 

Ile shew thee Balthazar in heauy ease. 


Actus Tertius. 

[Scene I.] 

Enter Vireroy of Portingale, Xohles, Atrxandro, ViHuppo. 

Vireroy. 

Infortunate condition of Kings, 

Seated amidst so many helpeles doubts! 

First, we are plast vpon extreainest height, 

And oft supplanted with exceeding *hate, 

But euer subiect to the wheele of chance; 

And at our highest neuer ioy we so 

As w r e both doubt and dread our ouerthrow. 

Scene VI. 3 ti»| it’s D\ I)‘ 2 —D 3 . 5 On] Or Q. (h\ 1504. On 

l.V.in etc. 7of]ofthe 1H18 — 1644, I) 1 . 8 crowne) ^rowne l—1644, 
< rown I) 1 etc. 

Akt III, Scene I. Kühnen Weisung: Vier rot// Victor// 1444, Ute 
Veert,// H, D 4 . Portuf/all 1644. 1 l'njoriunute D\ l>% A. of) of 

"rpat I) 1 , IJ 2 , A. 2 amidst) among 1624, 1644, aiimn^t D 1 . I liatej 
heat Q, 1504. 



42 


Akt III. Scene I. 


So striueth not the waues witli sundrv winds 

As fortu 11 e toyleth in the affaires of kings, 

io Tliat would he feard, yet feare to be beloued. 

Sith feare or loue to Kings is flatterie. 

For instance, Lordings, look vpou your King. 

By hate depriued of his dearest sonne, 

The onely hope of our successiue line. 

15 A "ob. I had not thouglit tliat Alexandras hart 

Had beene enuenomde with such extreame hate: 

But now I see that words haue seuerall workes. 

And theres no credit in the countenance. 

VH. No; for, my Lord, had von behelde the traine 

20 That fained loue had coloured in his lookes. 

When he in campe consorted Balthazar : 

Farre more inconstant had von thouglit the Sunne. 

That howerlv coasts the center of the earth. 

Then Alexandros purpose to the Prince. 

25 Vice. No more, Vdlnppa: thou hast said enougli. 

And with thv words thou slaiest our wounderi 
% 

„ thoughts. 

Nor shall T longer dallv with the world. 
Procrastinating Alexandras death: 

(ioe sorae of you, and fetch the traitor forth, 

Tliat. as he is condemned. he mav dve. 

Euter Alexandra, with a Nobleman 
and Halherts. 

Xnlt, In such extreaines will nought but patience serue. 
Alex. But in extreaines what patience shall I vse? 

Nor discontents it me to leaue the world, 

With whome there nothing can preuaile but wrong. 
A 'ob. Yet hope the best. 

•15 Al>\r. Tis Heauen is my liope: 

12 lordlin^s D\ I) 2 I) 1 . your] our ldlf>, 1018. 1-1 line] lim* 

I0u2, liues lOln 1033. livcs I>\ 20 luve, and colourM 1> 4 . 21 con- 

sorted] eoniortcd 1033, comforted I) 1 , l) 4 . 20 woundest 102*1, 1033. 



Akt III. Scene I. 43 

As for the earth, it is too nnuh infect 
To yeeld me hope of any of her mould. 

Virt. Why liuger ye? bring forth tliat dariug feend. 

And let him die for his aceursed deed. 

.!/</. Not that I feare the extremitie of death — 40 

For Nobles cannot stoop to seruile feare — 

Doo I. 0 King, thus diseontented liue. 

But this, 0 this, torments my labouring soule, 

That thus I die suspected of a sinne, 

Whereof, as heauens haue knowne my secret thoughts, 4:> 
So am I free frora this Suggestion. 

Ik No more, I sav! to the tortu res! when? 

Binde him, and burne his body in those Haines, 

Tliey binde him to the stäke. 

That shall preßgure those vnqueuched fiers 
Of Phlegiton, prepared for his soule. do 

My «uiltles death will be aueng'd on thee! 

On thee, Villuppo , that hath malisde thus, 

Or for thy meed hast falsely me accusde. 

I >1 Nay. Alexandra , if thou menace me, 

Ile lend a hand to send thee to the lake 5:> 

Where those thy words shall perish witli thy vvorkes: 
Iniurious traitour! monstrous homicide! 

Enter Embasmdonr. 

I Kik./ Stay, hold a while; 

And heer — witli pardon of his Maiestie — 

Lay hands vpon Villappo. 

Lör. Emhassadour, oo 

What news hath vrg’d this sodain entjejrance? 

36 infeetM 1610, infected 1615—1633, I) 1 . .38 feend 12] iViud 
I '-U, friend 1599 1615 (fiend 1618 — 1633, l) 1 etc.). 47 to] [but] to 

b\ when] with him D 1 , D 2 —D 4 . 50 Phlvt/inn 1599, 1602. Pdujon 

54 for] of 1615 —1683, I) 1 . aecnsde Q. 58 Km. steht nur 
in 1610—33. (1623, 1633 Emb.). 



44 


Akt III. Scene I. 


Km. Know, soueraigue L[ord], that Balthazar dotli liue. 
Vice. What saiest tliou? liueth Balthazar our sonne? 

Km. Your higbnes sonne, L[ord] Balthazar, doth liue: 

*»'» And, well intreated in the Court of Spaine, 

Humbly commends him to your Maiestie. 

These eies beheld -- and these ray followers —: 
With these, the letters of the Kings commends 

Giues him Letters. 

Are happie witnesses of his higbnes health. 

The King lookes on the letters, and proeeeds. 
70 Vice. u Thy sonne doth liue, your tribute is receiu’d; 

Thy peace is made, and we are satistied. 

The rest resolue vpon as things proposde 
For both our honors and thy benefite.” 

Km. These are his highnes farther artieles. 

He giues him more Letters. 
t:> -Vice. Accursed wreteh, to intimate these ills 
Against the life and reputation 
Of noble Alexamlro! — Come, my Lord: 

Vnbinde him! — 

Let him vnbinde thee, that is bound to death, 

so To make a (juitall for thy discontent. 

Thev vnbinde him. 

* 

Alex. Dread Lord, in kindenes you could do no lesse, 
Vpon report of such a damned fact: 

Hut tlms we see our innocenee hatli sau'd 

02 L. für Lonl stellt in Q: ein undeutliches L., das wie 1. 
aussieht, in KdM; I lTiJIfl—1018. soueraigne Lord] my Soueraigue 
D>2d, my sovereign I) 1 . <>8 these letters D 1 . commends] so ii 

und l.MM (letzterer Druck mit undeutlichem s, das wie e aussieht): 
commende l.VW D>]8, commend lf>2d, Dkld. 09 witnesse ll>18—18 ,‘vl 
witness D 1 D\ Bühnen Weisung: letters] letter D 1 , D*, D s , Letter A. 
Vers 70 7.1 cursiv 1H02 D 1 — D* 2 , D 3 , I) 4 . 74 further lhlO- 

Bühnonweisung: Ile) fehlt H>2d, DüW, D l —I) 4 . 8M thus] tlii> 
D»o:i. [j innoccncy 1.V.»4, D*>2.H. lhHIL innocem ie 1Ö99—D>18. 



Akt III. Scene I. 


45 


i 

j The hopeles life which thou, Villuppo, sought 

By tby suggestions to haue massacred. sä 

Vre. Say, false Villuppo, wherefore didst thou thus 
Falsly betray Lord Alexandras life? 

Him whom thou knowest that no vnkindenes eis, 

But euen the slaughter of our deerest sonne, 

Could once haue moued vs to haue misconceaued. 91» 

Alex. Say, trecherous Villuppo , teil the King —: 

Or wherein hath Alexandro vsed thee ill? 

VI. Rent with remembrance of so foule a deed, 

My guiltie soule submits me to thy doome: 

For not for Alexandras iniuries, 95 

But for reward and hope to be preferd, 

Thus haue I shainelesly hazarded his life. 

Vre. Which, villaine, shalbe ransomed with thy deeth —: 

And not so meane a torment as we heere 

Deuisde for him who, thou saidst, slew our sonne, 100 

But with the bitterest torments and extreames 

That may be yet inuented for thine eud. 

Alex, seemes to intreat. 

Intreat me not; goe, take the traitor hence: 

Kxit Vif. 

And, Alexandro, let vs honor thee 

With publique notice of thy loyaltie. — 105 

To end those things articulated heere 

By our great L[ord], the mightie king of Spaine, 

We with our eouncell will deliberate. 

Come, Alexandro, keepe vs Company. 

Kxeunt. 


87 Ah\randnvoeH 1815. 90 once haue] never once 1633, ever 
I) 1 . 92 Or] fehlt D 4 , T. 94 guiltie] guiltlesse 1802. gultie 1803, guiltfull 
1*00 1633, D 1 . 100 Deuise 1603. 102 That] Tluiy H. 107 Lord] 

k »u Q 1610, 1618, Lord 1615, 1623, 1633. 



4<; 


Akt 111. Scene II. 


[Scene 11. J 
Enter Hieronimo. 

Hit ro. Oli eies! no eies. but fountains fraught with teures; 
Oli life! 110 life, but liuely founne of death; 

Oh world! no world, but masse of publique wrongs, 
Confusde and filde with murder and misdeeds! 

5 Oh saered heauens! if this vnhallowed deed, 

If this inhumane and barberous attempt. 

If this incomparable inurder thus 
Of mine, but now no more my sonne, 

Shall vnreueald and vnreuenged passe, 
lo How should we tearme your dealings to be iust, 

If you vuiustly deale with those thatinyour iustice trust? 
The night, sad secretary to my mones. 

With direfull visions wake[s] my vexed soule, 

And with the wounds of my distresfull sonne 
15 Solieitefs] me for notice of Ins death. 

The ougly feends do sally forth of hell, 

And frarae my steps to vnfrequented paths, 

And feare my hart with fierce inflamed thoughts. 
The cloudie dav my disconteuts records, 

20 Early begins to regester mv dreames 

And driue me forth to seeke the murtherer. 

Eies, life, world, heauens, hei, night and dav, 

See, searcli. shew, send some man, some meane. tliat 

may — 

A Letter falleth. 

Wliats heere? a letter? tush! it is not so! — 

25 A letter written to Ilieronimo! Red ineke. 


Scene II. 5 Hennen 1918— 1033, heav’n D 1 . vnhollowed 1H10. 
(I vnliimiane 1028, unliumane 1083. and] f. D 1 . 7 incorapaeable Q 
13 wakes I) 1 , 1)‘ 2 —D 4 , T] make 1594, 1599; alle anderen Qq. wake, 
ebenso H, M. 15 Solicite alle Qq., M, Soli eit H, Solicits die übrigen 
Ausgaben. 18 feare] sear I) 1 . 19 Discontent 1018—1033, D 1 . 21 driii»'] 
drives I>\P 2 —l) 4 . innrderer 1902—1933, D 1 —I)\ 23 meane] man D l . 



Akt 111. Sc* ne II. 


47 


*For waut of incke receiue tliis bloudie writ: 

Me hath my haples brotlier hid from thee; 

Reuenge thy seife on Balthazar and him: 

For these were thev that murd[e]red tliy Sonne. 
Hieroninio , reuenge Horatios death, :;o 

And better fare then Bel-'nnperia dotli!" 

What meanes this vnexpected miraele? 

My Sonne slaine by Lorenzo and the Prinee! 

What cause had thev Horatio to maligne? 

Or what might mooue tliee, Bel-'nnperia, 

To aecuse thy brother, had he beene the meane? 
Hieroninio, beware! — thou art betraide. 

And to iutrap thy life this traine is laide. 

Aduise thee therefore, be not credulous: 

This is deuised to endauger thee, 40 

That thou, by this. Lorenzo shouldst aecuse; 

And he, for thy dishonour done, sliould draw 
Thy life in question and thy liaine in hate. 

Deare was the life of my beloued Sonne, 

And of bis death behoues me be reueng’d: 4;> 

Then hazard not thine owne, Hieroninio . 

But liue t' eft'ect thy resolution. 

1 therefore will by circumstancts trie 
What I can gather to confirme this writ; 

And harkning neere the Duke of (’astiles house, »o 
Close, if I can, with Belimperia , 

To listen niore, but nothing to bewray. 


26 Vor der Zeile stellt Bel. in Q 1599 {fehlt 1602—1633). 
26 31 kursiv in 1602—1633. L) 1 I) 4 . 20 these) tliose 1615 —1633, 

l) : , D* I) 3 . Zeile 30 eingerückt in 1594. 31 fare) farre 1602—1618, 
lar 1633. D 1 -D 4 (fare Q, 1594, 1599, 1623). 32 Vor der Zeile steht 
Utero, in Q—1599 (Jchlt 1602 — 1633). 36 meane) man L)\ 42 thy] 

the l) 1 , D 2 —D 3 . 45 reueng’d] aueng’d M. 49 can] gan 1594. 

50 harkning) harken 1610 1618, hearken 1623, 1633, D 1 . 52 hetray 

1603. 



4S 


Akt III. 8ceno II. 


Enter Pedringano. 

Now, Pedrinyano! 

Ped. Now, Hieronimo! 

Hiero. Wheres thy Lady? 

Ped. I know not; heers mv Lord. 

Enter Lorenzo. 

Lor. How now, whose this? Hieronimo? 

Hiero. My Lord — 

Ped. He asketh for my Lady Bel-imperia. 

Lor. What to doo, Hieronimo? The Duke, my father, hath, 
Vpon some disgrace, a while remoou’d her hence; 
But if it be ought I may enforme her of, 

Teil me, Hieronimo, and ile let her know it. 

Hiero. Nay, nay, ray Lord, I thank vou; it shall not need. 
I had a sute vnto her, but too late, 

And her disgrace makes me vnfortunate. 

Lor. Why so, Hieronimo? vse me. 

Hiero. Oh no, my Lord; I dare not; it must not be; 

I humbly thank your Lordship. 

Lor. • Why then, farewell. 

Hiero. My griefe no hart, my tlioughts no tiing can teil. 

Kxit. 

Lor. Come hither, Pedrimjano, seest thou this? 

Ped. My Lord, I see it, and suspect it too. 

Lor. This is that damned villain Serberine, 

That hath, I feare, reuealde Horatios death. 

Ped. My I ,ord. he could 110t, twas so lately done; 

And since, he hath not left my Company. 

Lor. Admit he haue not, his conditions sucli 

As feare or flatteriug words may make him false. 

1 know his humour, and therewith repent 


53 In den Q(|. und D 1 —M stellt Hiero . vor (oder über) der Zeile. 
54 tliyj my 1bÖ3. 57 doo| de lt>15. 50 it| fehlt I) 3 —D 3 . Vers t>5 

und die erste Hälfte von 6ti (bis Lord sh ip) fehlen in lb02 tf; dafür 
Interpolation B. Seite 113. b7 tlioughts] tliought 1H15— lt>33, l) 1 . 



Akt III. tfciMie II. 


4 ‘> 


That ere l vsde him in this entorpri.se. 

But, Pedringano, to preuent the warst. 

And cause I know thee secret as my soule, 

Heere, for thy further satisfaction, take thou this, so 

Giues him more golde. 

And harken to me — thus it is deuisde: 

This night thou must (and, prethee, so resolue) 

Meet Serberine at !5[aint] *Luigis Parke — 

Thou knowest tis heere hard by behinde the 

house — 

Th ere take thy stand, and see thou strike him sure: sr> 
For dve he must, if we do meane to liue. 
fo<l. But how shall Serberine be there, my Lord ? 

L»e. Let me alone; ile send to him to meet 

The Prinee and me, where thou must doe this deed. 
fod. It shalbe done, my L[ord], it shall be done; i»o 

And ile goe arme my seife to meet him there. 
bnr. When things shall alter, as l hope thev wil, 

Then shalt thou mount for this: thou knowest my 

minde. 

Kxit Ped. 

( he le Jeron ! 

Enter Page. 

folge. My Lord? 

Lor. Goe, sirra, 

To Serberine, and bid him forthwith meet <i;> 


KO further D 1 , J> 2 —J) 3 . thou] thee 1023, 1033, l) 1 . 81 is 

•leuisje: Q, 1003] is disguinde: 1594, 1539: is disguisde. 1002; 

is, di^guwlc 1010; is: disguis'd, 101K; i^: disguisdo 1015, 1023, 
0»33, I) 1 . 83 Luif/is M, T| Lhujis Q—1003, hingen 1010, Lenges 

1015,101*, Luf/cs 1623, 1033, Luge s J) 1 , Lingis’ II, I) 4 , Lingis- D* D 3 . 
■♦Oh.] Lord 1002—1633. 93 thou Q. 91 Che le lern». Unter Page (in 
piner Zeile) 1594 — 1610. Che le Jeron. Exit IVdringuno (in einer 
ZeiL*) 1015 —1033, l) 1 —D 4 . Jeron/ leron 1015—1033, J) 1 , Jeron H. 
I >',j<ron D 2 I) 3 . 

Schick, Spanish Tragedy. ^ 



Akt III . Scene II. 


50 

The Prince and me at Sfaintj *Luiyis Parke, 
ßehinde the house; this euening, hoy! 

Pfn/e. I goe, my Lord. 

[Lor.J But, sirra, let the houre he eight a elocke: 

Bid him not faile. 

Pwje. 1 flye, my Lord. 

Kxit. 

hk.» Lor. Now to eonfirme the complot thou hast east 

Of all these praetises, Ile spread the watch, 

Vpon precise commandement from the king, 

Stronglv to gnard the place where Pedrinyam 

This night shall mnrder haples Serberine. 

in.) Thus must \ve worke that will auoide distrust: 

Thus must we practise to preuent mishap. 

And thus one ill another must expulse. 

This slie enquiry of Hieronimo 

For Bel-intper in breeds suspition. 

in» And this suspition boads a further ill. 

As for my seife, I know my secret fault. 

And so doe tliev; but 1 haue dealt for them: 

* * 

They that for coine their soules endangered, 

To saue my life for covne shall venture theirs: 
ii:i And better its that base eompanions dye, 

Then by their life to hazard our good haps. 

Nor shall they liue, for me to feare their faith: 

Ile trust my seife, my seife shalbe my freend; 

For dye they shall, slaues are ordeind to no other end. 

Kxit. 


MH Loii/isJ genau wie oben in Zeile 83 (nur hat- 1618 liier 
Lufjcs). MS Lor. fehlt Q -15»}»; steht 1H02-1633. 105 Thus] Thi' 
I5M4—1H18. 108 enquiry] iniquity 1603. 110 farther D 1 , D s —O 3 

11 . r > its] tis 15M9 — 1633, M, ’tis ])' 1)\ UM t<>] for 1594 — 1633, IV. 



Akt III. Scene III. 


51 


[Scene III.] 

Enter Pedringano with a Pistoll. 

Now, Pedringano, bid thy pistoll holde, 

And holde on, Fortune! once more fauour me; 

Giue but successe to mine atternpting spirit, 

And let me shift for taking of mine ahne. 

Heere is the golde: this is the golde proposde; •'> 

It is no dreame that I aduenture for, 

But Pedringano is possest thereof. 

And he that would not straine his conscience 

For him that thus his überall purse hath stretcht, 

Ynworthy such a fauour may he faile, 10 

And, wishing, want, when such as 1 preuaile. 

As for the feare of apprehension, 

I know, if need should be, my noble Lord 

Will stand betweene me and ensuing harmes; 

Besides, this place is free from all suspect: 1:> 

Heere therefore will l stav and take rav stand. 

* » 

Enter the watch. 

1. I wonder much to what iutent it is 

That we are thus expresly chargde to watch. 

2. Tis bv commandement in the Kings own name. 

3. But we were neuer wont to watch and ward -•> 

So neere the Duke, his brothers, house before. 

2. Content vour seife, stand close, theres somewhat int. 

Enter Serberine. 

Ser. Heere. Serberine , attend and stav thy pace; 

For heere did Don Lorenzos Page appoint 

That thou by his command shouldst meet with him. 25 

How fit a place — if one were so disposde — 

Me thinks this corner is to close with one. 

Scene III. Vor Zeile 1 »teilt Pcd. in 1002—1633 und den neueren 
Ausgaben. 9 hath] had D\ D*- 1)\ 20 and] nor 1594— 1633, D 1 . 

21 brothers] fehlt 1602—1633. J) 1 . his brothers house] f. 1603. 

27 to] so D 1 . 


4 * 



52 


Akt III. Scene III. IV. 


Ped. Heere eoines the bird that I must eeaze vpon: 
Now, PedringanOy or neuer, play the man! 

•w Ser. 1 wonder that his Lordship staies so long, 

Or wherefore should he send for me so late. 
Ped. For this, S'erberine! — and thou shalt ha'te. 

Shootes the Dagge. 

So, there he lyes: my proraise is performde. 

The Wateh. 

1. Harke, Gentlemen! this is a Pistol sliot. 

85 2. And heeres one slaine; — stav the murderer! 

Ped. Now by the sorrowes of the soules in hell. 

He striues witli the wateh. 
Who first laies hand ou me, ile be his Priest! 

3. Sirra, confesse, and Hierein play the Priest, 

Why hast thou tlius vnkindelv kild the man? 

40 Ped. Why, because he walkt abroad so late. 

3. Come, sir, you had bene better kept your bed 
Then haue committed this misdeed so late. 

2. Come, to the Marshals witli the murderer! 

1. On to Hieronhnos! — helpe me heere 

45 To bring the murdred body with vs too. 

Pnl. Hieronhno? carry me before whom you will: 
What ere he be, ile auswere hiin and you: 

And doe vour worst. for I defie von all. 

Eseunt. 


(Soern* IV.] 

Euter Lorenzo and Ba/thazar. 

Bai. How now, mv Lord, what makes vou rise so soone? 
Lor. Feare of preuenting our mishaps too late. 

Bai. What misehiefe is it that we not mistrust? 


31 should he] ho shouhl 1303. 32 Bühnen Weisung: the 

’Dsiggc] Srr, I) 1 . 33 The Wateh] fehlt H, I) 4 . 37 hand] hamU 

1310, D + , hold 1315 1333, I) 1 . I> 2 — D\ 41 bene] fehlt D 2 D 3 . 

13 Murshull 131S—1333, imirshal D 1 . 44 Hieronhno 1310 1333, D'. 

43 UioroniimVs l) 2 —I)\ 



Akt III. Scene IV. 


Lnr. Our greatest ils we least mistrust, my Lord, 

And in-expected harmes do hurt vs most. , ;> 

B»l. Why, teil me, Don Lorenz», teil me, man, 

If ought concernes our bonour and your owne. 

Bor. Nor you, nor me, my Lord, but both in one: 

For 1 suspeet — and the presumptions great — 

That by those base confederates in our fault 10 

Touching the death of Don Horatio, 

We are betraide to olde Hieronimo. 

Bai. Betraide, Lorenzo? tush! it cannot be. 

L»r. A guiltie conseieuce, vrged with the thought 

Of former euils, easily cannot erre: 15 

l am perswaded — and diswade,me not — 

That als reuealed to Hieronimo. 

And therefore know thaj I haue cast it thus: — 

/Enter Page.] 

But heeres the Page. How now ? wliat newes 

with thee? 

Boje. My Lord, Serberine is slaine. 

Bol. Who? Serberine , my man? 20 

Bo *je. Your Highnes man, my Lord. 

Lee. Speak, Page, who murdered him? 

Boje. He that is apprehended for the fact, 

Bor. Who? 

Boje. Pedringauo. 

Bol. h Serberine slaine, that lou d bis Ixml so well ? 

Iniurious villaiue, murderer of his freend! 25 

Bor. Hath Pedringauo murdered SerberineY 

My Lord, let me entreat you to take the paiues 
To exasperate and hasteu his reuenge 

Scene IV. 5 in expeeted Q, 1594, 1610 1918, inexpected 

1599—1603, vnexpected 1623, unexpected 1633, D 1 , l) 2 — l) 3 . 8 Erstes 
Nor] Xot 1602—1633, D 1 . 18 Enter Paffe nur in 1615 — 1633 und 
»len neueren Ausgaben. 21 Lor.] Hör. 1594, 1599. 24 Is] I, 1610 — 

Ay! D 1 . 25 lurious 1594, 1599. 



r>4 


Akt III. Srene IV. 


With your complaints vnto my L[ord] the King. 

:u) This their dissention breeds a greater doubt. 

Bai . Assure thee, Don ljorenzo, he shall dye, 

Or eis his Higlmes hardlv shall denv. 

Meane while ile haste the Marshall Sessions: 

For die he shall for this his dainned deed. 

Exit Halt. 

35 Loy. Why so, this iits our former pollicie, 

And thus experience bids the vvise to deale. 

I lay the plot: he prosecutes the poiut; 

1 set the trap: he breakes the worthles twigs. 

And sees not that wherewith the bird was limde. 

4o Thus hopefull men, that meane to holde their owm*. 

Must look like fowlers to their dearest freends. 

He runnes to kill whome I haue holpe to catch. 
And no man knowes it was my reaching fatch. 

Tis hard to trust vnto a multitude. 

45 Or any one, in miue opinion, 

Wlien men themselues their secrets will reueale. 

Enter a messenger with a letter. 

Boy — 

Payr. My Lord? 

Lor. Wliats he? 

Mes. 1 haue a letter to your Lordship. 

Lor. From whence? 

Mrs. From Pedrhayauo that's imprisoned. 

Lor. So, he is in prison then? 

;>o il/c«. 1. my good Eord. 


20 iny| the l'»0I, 1Ö00. || L.| Lord 1015 -1003. 33 ile haste] 

I huste D 1 ,!) 2 —D*. 3H wortliles) worthies 1003. 40 popefull 1504. 

42 holpe Q, 1010—10181 hope 1504- 1003, 1023, 1033, D'. 43 f«toh| 
t'eteh 1023, 1033, 1) 1 —I) 4 , T. 40 themselues Q. 47 Die Qq. haben 
Lor. vor Boy; ebenso I) 1 . I) 2 —1)*. M. [| Payc.] Mrs. 1010, 1015. 
50 in prison] imjirisoned 1002—1033. imprison’d D 1 . 



bir. What would he with vs? — He writes vs heere 
To stand good L[ord], and help hira in distres. 

Teil him 1 haue his letters, know his minder 
And what we mav, let him assure him of. 

Fellow, be gone; mv boy shall follow thee. 

Exit Me*. 

This works like waxe: yet once more try thy wits. — 
Boy, goe, conuay this purse to Pedrinf/ann; 

Thon knowest the prison. closely giue it him. 

And be aduisde that none be there about: 

Bid him be merry still, but secret: 

And though the Marshall sessious be to day, 

Bid hira not doubt of his deliuerie. 

Teil him his pardon is already signde. 

And thereon bid him boldely be resolued: 

For, were he ready to be turned off — 

As tis my will the vttermost be tride - 
Tliou with his pardon shalt attend him still. 

Shew him this boxe, teil him his pardons int: 

But opent not, and if tliou louest thy life: 

But let him wisely keepe his hopes vnknowne: 

He shall not want while Don Lormzo liues. 

Away! 

Enjt-. 1 goe. my Lord. 1 runne. 

W. But. sirra, see that this be eleanely done. 

Exit 

Now Stands our fortune on a tickle point. 

And now or neuer ends Lormzo* douhts. 

One onelv thing is vneffeeted vet. 


52 To — distresj cursiv in 1H02- 1033, 1) 1 I) 4 . stand] unol 

I>‘. L.| so alle Quartos und H; aufgelöst zu Lormzo I) 1 , I) 2 I) 9 , lord 

0*. M, T. distres.] distres. &e. 1602—1663, 1) *, D 2 - l) s . 61 Marshals 
lw>2 1033 (Marshials 1615, 1618), marshal’s I)’. 73 Kxit Wujr hinter 
^* i rs 72 in 1618- 1633, D l —D 9 . 74 tickle| ticklish I>‘. 75 end 
I> : —I)*. 77 see] fee 1602: auch in H sicht das s einem f sehr ähnlich. 



Ö6 Akt JH. Siene IV. V. 

And thats t« see tlie Executioner. 

But to what eud? I list not trust tbe Aire 
With vtteranee of our pretence therein, 
so For feare the priuie whispring of the winde 

Conuay our words amongst vnfreendly eares. 
That lye too open to aduantages. 

E quel che roylio Io, itessu)i Io sa; 

Iutendo io: quel mi basta rä „ 

Exit. 


[Scene V.) 

Enter Boy, with the Boxe. 

My Maister hath forbidden me to looke in this box: and, 
by my troth,' tis likely, if he had not warned me, 1 should not 
haue had so mueh idle time; for wee mens-kinde. in our mi- 
noritie. are like woraen in tlieir vncertaintie: that thev are 
:> most forbiddeu, they wil soouest attempt: so 1 now. — By my 
bare honesty, heeres nothing but the bare emptie box: were 
it not sin against seerecie, l would sav it were a peeee of gen- 
tlemaulike knauery. I must goe to Pednnyano, and teil him 
bis pardon is in tliis boxe — nay, I would haue sworne it, had I 
io not seene the contrary. — 1 cannot choose but smile to thinke 
how the villain wil Hont the gallowes, scorne the audienee. 
and descant on tbe hangman — and alpresumingof bis pardon 
froin hence. Wilt not he an odde ieste for me to stand and 
graoe euery iest he makes. pointing my finger at tliis boxe, as 
i;> who would say: “Mock on. heers thy warrant ". Ist not a scur- 

TS 1 list not| list not 1618, list not to 1623, 1633, D 1 . SO whiserinjr 
1615, 1618. 83 Ej Et alle Qq., D 1 , l) 2 I) n , M. che] que Qq., I) 1 . h>] h Q, 
II 15114 1615, 11 1618- 1633, 1)'. nessum 1633, D 1 . Io] te alle Qq., 

D 1 . 84 Io] jn L) 1 . quel] quel che M. bassara Q — 1603, 1615 — 1633 . 
D l , bessara 1610, bastnra II D 4 , basfera M, basterd T. 

Scene V. 1 Boi/, stellt vor der Zeile in 1615—1633, 

T. 2 troth] honesty 1615 - 1633, l) 1 . 3 mens-kinde] Men-kind 1618 bis 
1633, ntonkind l) 1 . 6 Erstes bare] f. D 1 . honesty] eredite 1615, 1618, 
credit 1623, 1633, I) 1 . 15 would] should 1602 1633, D 1 . 



Akt III. Scene V. VI. 


57 


nie iest that a man should iest liimself to death ? Alas, poore 
Pedriuf/ano! I am in a Sorte sorie for thee; but if I should be 
hanged with thee, I cannot weep. 


Erit. 


|Scene VI.| 

Enter Hieranimo and the Depot ie. 

Iliero. Thus must we toyle in other mens extreames, 

That know not how to remedie our owne; 

And doe them iustice, when vniustly we, 

For all our wrongs, can eompasse no redresse. 

But shall I neuer liue to see the day r> 

That I may come, bv iustice of tlie heauens, 

To know the cause that mav my cares allay? 

This toyles my body, this consumeth age, 

That onely I to all men iust must be, 

And neither (iods nor men be iust to me. 10 

Dep. Worthy Hieronimo, your office askes 

A care to punish such as doe transgresse. 
iliero. So ist my duety to regarde his death 

Who, when he liued, deserued my dearest blood. 

But come, for that we carae for: lets begin; i 

For heere lyes that which bids me to be gone. 

Enter Officers, Boy, and Pedrinyano, with a letter 
in his hand, bound. 

Depu. Bring forth the Prisoner, for the Court is st*t. 

Ped. Gramercy, boy: but it was time to come! 

For I had writteu to my Lord auew — 

A neerer matter, that eoncerneth him. 20 

For feare his Lordship had forgotten me. 


17 Ernten 1) /’. 1633. IS cannot| could not 1615 -1633, 1)’. 
KjifJ fehlt H, A, D*. 

Scene VI. 6 by—heanensj zwischen Klammern in Q -1533: 
erste Klammer vor of in 1602— 1633 (zweite überall richtig nach 
heauens). 10 nor] not 1603. be iust] be I iust 1602. iS (iramercv 
by I) s . 



Akt III. Seen.* VI. 


:>s 


•j.) 


an 


40 


4 .'» 


But sith he liatli remembred me so well -- 
Come, come, come on. when shall we to this geere? 
lliero. Stand fortli, thou monster, minderer of men. 

And heere, for satisfaction of the world. 

Confesse thy folly. and repent thy fault: 

For ther’s thy place-of execution. 

Pni. This is short worke: well, to your Marshallship 
First 1 confesse — nor feare 1 death therfore —: 

I am the man, twas I slew S'erhrrinr. 

But. sir, then you think this slialhe the place 
Where we shall satisfie you for this geare? 

Dtfjut. I, Pedriii(/nno. 

Pnl. Now 1 think not so. 

Hin». Peace, impudent: for thou shalt finde it so: 

For hlood witli hlood shall, while 1 sit as iudge. 

Be satislied. and the law dischargde. 

And though my seife cannot receiue the like. 

Yet will I see tliat others haue their right. 
Dispatch: the faults approued and confest. 

And hy our law he is condemnd to die. 

H(ni(f/iiHniJ. Come 011 , sir: are you readv? 

Ped. To doo wliat, my fine officious knaue? 

Ibnuj. To goe to this geere. 

/W. O sir, you are to forward: thou wouldst faiue furnisli 
me with a halter. to disfurnish me of my habit. 

So l should goe out of this geere. my raiment, inte 
tliat geere, the rope. 

But, Hangman, now I spy vour knauery. ile not eliange 
without boot. thats flat. 
lluii<l. Come, Sir. 

Prd. So. then. I must vp? 


27 tliy | the KilS 11>33. I» 1 . aa Now | >'« 101*) 1«33, L> ! . 
3 s othor 1002 1 0 1 ;>. 33 faults| fault 1002 1 (1.-13, fault's I) 1 etc. 
40 And] lind (^. Nach /eilt» 40 hahon dicQtj. Kilo—1033, $owie D 1 — I** 
dio Itiilnionwcisunir Kiitvv Hant/mmt. 41 sir| >it Q. IS your] you 1633. 



Akt III. Scene VI. 




Hang. No remedie. 

P*>d. Yes. but there shalbe for my eoinming downe. 

Hang. Indeed, heers a remedie for tliat. 

Pf-d. How? be turnd off? 55 

Hang. I, truely; come, are von ready ? I pray. sir. dis- 
pateh; tbe day goes away. 

P^d. What, doe you hang bv the howre? if von doo. I may 
chance to break your olde custome. 

Hang. Faith, you haue reason; for I am like tu break 00 
your yong neck. 

/W. Dost thou mock me, hangman? pray God. I be not 
preserued to break your knaues pate for this. 

Ifang. Alas, sir! vou are a foot too low to reach it. and 

I hope you will neuer grow so high while I am in 05 
the office. 

P*d. Sirra, dost see yonder boy witli the box in bis band? 

Hang. What, he that points to it with Ins finger? 

Ped. I, that companion. 

Hang. I kuow hiin not: but what of him? Tu 

Ped. Doost thou think to liue tili bis olde doublet will 
make thee a new trusse? 

Ifang. I, and many a faire yeere after, to trusse v]> many 
an honester man then either thou or he. 

Pf'd. What hath he in his boxe, as thou thinkst? 75 

IPtng. Faith, I cannot teil, nor 1 care not greatly. Me 
thinks you should rather hearken to your soules 
health. 

1** *1. Why, sirra Hangman, 1 take it that that is good for 

the bodv is likewise good for the soule: and it mav so 
be. in that box is balme for both. 

?>9 myl fehlt 1594 1698. I) 1 . 54 her«? is l> 4 . 55 he| to he 

| 6 1 5 - 1688. D 1 , D 2 — D*. 56 pray| pray you 1504 1688, D 1 l) 4 . 

t;n r«*Hson| no reason 1599 — 1683, D 1 . 65 whils 1615. 161s, wliilcs 

162-*« 1633. 67 the) tbe Q. 71 Doulct 1615. 76 Me think«* 1599, 16« »2. 
that that] that what I> 1 , 1> 2 D*. si that] the 1609. 



(»0 


Akt III. Scene VI. 


Hang. Wel, tliou art euen the meriest peece of maus 
flesh that ere gründe at my office doore! 

Ped. Is your roagnery become an office, with a knaues 
■ s ö name? 

Hang. I, and that shall all tliey witnes that see von se.de 
it with a theeues name. 

Ped. I prethee, request this good Company to prav with nie. 

Hang. I, inarv. sir, this is a good inotion: my maisters. 
«to you see heers a good fellow. 

Ped. Nay, nay, now l remember me, let. them aloue tili 
some other time; for now 1 haue no great need. 

Hiera. \ haue not seen a wretch so impudent! 

0 monstrous times, where murders set so light. 

«.*;» And where the soule that should be shritide in lieauen 

Solelie delights in interdicted things, 

Still wandring in the thornie passages 
That iutercepts it seife of hapiues. 

Murder! 0 bloudv monster! God forbid 

* 

loo A fault so foule should scape vnpunished. 

Dispatch, and see this execution done! — 

This nuikes me to remember thee, my sonne. 

Exit. Hiera. 

Ped. Nay, soft, no hast. 

l)epu. Why, wherefore stay von? haue you hope of life? 
Ped, Whv, 1! 

lor> Hang. As how? 

Ped. Why, Rascall, by my pardou from the Kiug. 

Hang. Stand you on that? tlien you shall oft* with this. 

He turnes him off. 

Depn. So, Executioner: — conuay him hence; 

But let Ins body be vnburied: 

SS e re 1 euer 10ÜS, 1023, ever 10SM, ll 1 - I)*. SO they] tlic 151M. 
15!t‘t. ss witli] for 1C.02 - ltiOO, I) 1 . 101 this| the 151)4 D’- 



Akt III. Scene VI. VII. 


61 


Let not the earth be choked or infect 110 

With that which *heauen contemnes, and men neglect. 

Ex finit. 


[Scene VII.J 
Enter Hieronimo. 

Wkere shall I run to breath abroad my woes, 

My woes whose weight hath wearied the earth? 

Or mine exclaimes, tliat haue surcharged the aire 
With ceasles plaints for my deceased sonne? 

The blustring winds, conspiring with my words. 5 
At mv laraent haue moued the leaueles trees, 

Disroabde the medowes of their flowred greene, 

Made mountains marsh with spring tides of my teures. 

And broken through the brazen gates of hell. 

Yet still tormented is my tortured soule 10 

With broken sighes and restles passions, 

That winged mount; and, houering in the aire, 

Beat at the windowes of the brightest. heauens, 
Solliciting for iustiee and reueuge: 

But they are plac't in those imperiall heights. 1 r» 

Where, countermurde with walles of diamond, 

I finde the place impreguable; and they 
Resist my woes, and giue my words no way. 

Enter Hangman with a Letter. 

It'iiuj. 0 Lord, sir! God blesse vou, sir! the man, sir. 

Peteryadc, Sir, he that was so full of merrie coneeits — 20 
Wem. Wel, what of him? 


111 heauens Q, Heauens M, heauen 1504 etc. contemnes | 
>'»ntemne 1623, condemns D l , D 1 --!)*. 

Scene VII. 1 Hiero. vor der Zeile 1603-—1633 und die 
neueren Ausgaben. 4 deceased] rece assed 1615. 8 marsh] mareh 

I'*. spring tide 1594 —1602, apringtide 1603, spring-tide 1610 1633. 

6'. 12 mout 1602. 13 Beat] Hut 1594 -1033, Butt I>*. 20 Prfcrtjad 
1618 — 1633, D' —1)‘. 



Act III. Scene VII. 


!I2> 

Hang. 0 Lord, sir, he weut the wrong way; the fellow 
had a faire Commission to the contrary. Sir, heere 
is his pasport; 1 pray you, sir, we haue done him 
wrong. 

Ifiero. I warrant thee, giue it me. 

Hang. You will stand between the gallo wes and me? 
Hiero. I, I. 

Hang. I thank your L[ord] worship. 

Exit Hangman. 

:>o Hiero. And yet, though somewhat neerer me concernes. 

I will, to ease the greefe that I sustaine, 

Take truce with sorrow while 1 read on this. 

“My Lord, I irrite, as nt in e extreames reqnirde, 

That you irould fahour my defiucrie: 

m 

//' you neylect, my Vife is desperate , 

And in my death I shall renea/e the troth. 

Von know, my Lord, I siete him for your sake, 

And was eonfederate with the Prince and you; 

Wonne hy rewards and hopefull promises, 

4n I holpe to mnrder Don Horatio too” — 

Holpe he to murder mine Horatio? 

And actors iu th'accursed Tragedie 
Wast thou, Lorenzoy Balthazar and thou, 

Of whom my Sonne, my Sonne deseru’d so well? 

4*> What haue 1 heard? what haue mine eies behelde? 

0 sacred heauens! may it come to passe 
That such a monstrous, and detested deed, 

So closely smootherd, and so long conceald, 

Shall thus by this be venged or reueald? 

;»o Now see I — what I durst not then suspect — 

29 Kühnen Weisung: Hangmon Q. 33 write] writ M. require 
1623, 1033, IV—1)\ 30 truth 1023, 1033, I) 1 , D 1 —D\ 40 holpcj 

hrfp'ä IV, J) 2 —1)\ 41 Holpe] Help'd D 1 . 42 And actors] an actor 
IV. 43 Was't IV, IV — IV. 49 by] be 1010—1633, D 1 . this] thu? 
1023, 1033, T) 1 . be venged] reuen^edlOlO—1033, l) 1 . 



Act III. Scene VII. VIII. 




That Bel-imperias Letter was uot fainde, 

Nor faiued slie, thmigh falsly they haue wrongd 
Both her, my seife, Horatio, and themselues! 

Now inay I uiake compare, twixt hers and tliis. 

Of euerie accident l neere eould linde 

Till now, and now 1 feelingly perceiue 

They did wliat heauen vnpunisht would not leaue. 

0 false Lorenzo! are these thv flattering lookes? 

Is this the honour that thou didst my Sonne? 

And Balthazar — bane to thv soule and me 
Was this the ransome he reseru’d thee for? 

Woe to the cause of these constrained warres! 
Woe to thy basen es and captiuitie. 

Woe to thv birth, thy body and thy soule. 

Thy cursed father, and thy conquerd seife! 

And band with bitter execrations be 

The day and place where he did pittie thee! 

But wherefore waste I inine vnfruitfull words. 
When naught but blood will satisfie my woes? 

1 will goe plaine me to my Lord the King, 

And cry aloud for iustice through the Court, 
Wearing the flints with these my withered feet: 
And either purchase iustice by intreats. 

Or tire them all with my reuenging threats. 

Exil. 


[Scene VIII.] 

Enter lsabelI and her Maid. 

/*'*. So that. you say, this hearb, will purge the eye. 
And this, the head? — 

Ah! — but none of theui wil purge the hart! 


’>7 would] abould 1615—1686. 61 thee for] for thee 1(510—1(58.5, 
I' 1 . 70 will] well M. my] the 1594, 1599. 

Scene VIII. Hier beginnt bei II — D 4 der vierte Act. 
Biihnenweiaung: Isabella 1602 — 1638, 1) 1 —l) 4 , T. 1 the] thy 1599. 
'•}<>] Eyes 1615, 1618, eyes 1623, 1633, I)'. 



1)4 


Act III. Scene VIII. IX. 


10 


l.j 


20 




No, thers no medicine left for my disease, 

Nor any phisick to recure the dead. 

She runnes lunatick. 
Horath! 0, wheres Horatio? 

Maide. Good Madam, affright not thus your seife 
Witli outrage for your soune Horath: 

He sleepes in quiet in the Etizian fields. 

Isa. Why, did 1 not giue you gownes and goodlv things. 
Bought you a whistle and a whipstalke too, 

To be reuenged ou their villanies? 

Maid. Madame, these liumors doe torment my soule. 

Isa. My soule — poor soule! thou talkes of things 

Thou knowst not what: my soule hath siluer wings. 
That mounts me vp vnto the highest heauens: 

To heauen: I, there sits my Horatio, 

Backt witli a troup of fierv Cherubins, 

Dauncing about his newly healed wounds, 

Singing sweet hymnes and chaunting heauenly notes: 
Rare harmony to greet his innoeence, 

That dyde, I, dyde a mirrour in our daies. 

But say, where shall l finde the men, the murderers. 
That slew Horatio ? whether shall I runne 
To finde tliem out. that murdered my Sonne? 

Exnutt. 


[Scene IX.| 

Bel-'unprria at a window. 

Bet. What meanes this outrage that is oft’red me? 
Why am 1 thus sequestred from the Court? 
No notice! — shall 1 not know the cause 
Of tliis my secret and suspitious ils? 


11 Zicritrs «) fehlt 1023, 1033. D'. I>- I)\ 14 talkst 1023. 

1033. talk’st I>' — 1)\ T. 10 inoiint I)' -I>*. IS eherubiins I) 1 — D 4 - 
21 hertnony Q. j innocencie 1 r»l)4 1010, innacencie 1015, innocency 

101S — 1033, l) 1 . 22 Kraicn dyde] linM 1534, liu’d 1591), linde 

1002 — 101 s, liu\l 1023, livM 1033, 1)23 men| man 1618, Man 1023,1633. 
Scene IX. 4 tliis] these 1033. I) 1 —T. 



Act III. Scene IX. X. 


85 

Aerwsed brother, vnkinde murderer, r> 

Why bends thou thus thy minde to martir me? 
Hieronimo, why writ I of thy wrongs, 

Or why art thou so slacke in thy reuenge? 

Andren, 0 Andrea! that thou sawest 

Me for thy freend Horatio handled thus, lo 

And him for me thus eauseles murdered! — 

Wel, foree perforce, I must constraine my seife 
To patienee, and apply me to the time. 

Till heauen, as I haue hoped, shall set me free. 

Enter Christop/iill . 

1 Itris. (Anne, Madame Bel-imperia, this may not he. ir» 

Exeimt. 

[Scene X.] 

Euter Lurenzo, Ba/thazar , and the Paye. 

L»r. Boy. talke no further; thus tarre things goe well. 

Thou art *assured tliat thou sawest him dead? 
hiiß-.Ov eis. mv Lord, I liue not. 

L"'. Thats enough. 

As for his resolution in his end, 

Leaue that to him with whom he soiourns now. — 5 

Heere, take my ring, and giue it Christophilf, 

And bid him fet my Sister be enlarg'd, 

And bring her hither straight. — 

Exit Paye. 

This that I did was for a policie, 

To smooth and keepe the murder seeret. lo 

Which. as a nine daies wonder, being ore-blowne, 

My gentle Sister will I now eidarge. 

r> bendst 102.1, 1633, bend’st I) 1 —I) *, T. 7 writ] write 

l V.Ct 1033. I)'. 14 Christophilll) Q—1003, Christoph, 1(1) 1010—1033. 

!•> nmy] must 1618—1633, l) 1 . Exeunt.] fehlt 1015—1033. 

Scene X. 1 farther D 1 . 2 assurdo Q. 8 Kxit Eaye.j fehlt 
1'> 1 .*» lt;33. 1)'. 10 murther 1002, 1010. 11 ns| nt 1504—1002. 1010. 

*<*Iurk. Spiuiinh Tragcd v. 



66 


Art III. Scene X. 


Bai. And time. Loren zo: for mv Lord the Duke, 

You heard, enquired for her yester-night. 

ir» Lor. Why, and my Lord, I hope you heard me sav 

Sufficient reason why she kept away; 

Rut thats all one. Mv Lord, vou loue her? 

* • 

Bai. I. 

Lor. Then in your loue beware; deale cunninglv: 

Salue all suspitions, onely sooth me vp; 

20 And if she hap to stand on tearmes witli vs — 

As for her sweet hart, and concealement so — 
lest with her geutlv: vnder fained iest 
Are things coneealde tliat eis would breed vurest. — 
Rut heere she eomes. 

Lnter Bel-iniperia. 

Now, Sister — 

Bel. Sister? — No! 

2"> Thon art no brother. but an enemy; 

Eis wouldst tliou not baue vsde thy Sister so: 

First, to aft'right me with thy weapons drawne. 

And with extreames abuse my Company; 

And then to hurry me, like whirlewinds rage, 
ao Amidst a crew of thy confederates, 

And elap me vp where none inight come at me. 
Nor I at any, to reueale my wrongs! 

AYImt madding furv did possesse thv wits? 

Or wliereiu ist tliat 1 offended thee? 

ar> Lor. Aduise you better, Bel-iniperia, 

For I haue dune you no disparagement; 

Vnlesse, by more discretion then deseru’d. 

I sought to saue your lionour and mine owne. 

13 Salut»! Save A. 24 Vor “Now, Sister"’ stellt Lor. in ilen 
IV M. 27 weapon I)*. 81 rlap| clapt 1610, 1015, 1628, 

33 wit 1610, 1623. 1633, l) 1 . witte 1615. 1618. 



Act III. Scene X. 


67 


IM. Miue honour? why, Lorenzo, wherein ist 

That I neglect my reputation so iu 

As you, or any, need to rescue it? 

Lor. His highnes and my Father were resolu'd 
To come eonferre with olde Hieronimo, 

Concerning certaine matters of estate 
That by the Vieeroy was determined. ir. 

IM. And wherein was mine honour toucht in that? 

Bol. Haue patience, Bel-hnperia; heare the rest. 

Lor. Me (next in sight) as messenger they sent 
To giue him notice that they were so nigh: 

Now when I eame, consorted with the Prince, :>o 

And vnexpected, in an Arbour there, 

Fnund Bef-imperia witli Horath) — 

Bel. How than? 

Lor. Why tlien, reinem bjejring that olde disgraee 

Which vou for I)on Andrea had indurde. :>:> 

And now were likely longer to sustaine 
By being found so meanely aecompanied, 

Thought rather — for 1 knew no readier meane — 

To thrust Horatio forth mv fathers wav. 

Bol. And carry you obseurely some where eis, *»o 

Teast that his highnes should haue found you there. 

Bel. Kueu so, my Lord? and you are witnesse 
That this is true which he entreateth of? 

You, gentle brother, forged this for my sake, 

And you, my Lord, were made his instruement? <>;> 
A worke of worth, worthy the noting too! 

But whats the cause that you eoncealde me since? 

Lor. Your melaneholly, Sister, since the newes 
Of your first fauourite Don Andreas dcath, 

My Fathers olde wrath hath exasperate. 7 u 

’>H knew] know 1 f>iH»—1(533, l) 1 . 



Hai. And better wast for you, being in disgraee. 

To absent your seife, and giue bis fury place. 
Hel. ßut why had 1 no notice of his ire? 

Lor. That were to adde more fewell to your fire. 

Wlio burnt like Aetna for Andreas losse. 

Hel. Hath not ray Father then enquirde for me? 

Lor. Sister, he hath, and thus excusde 1 thee. 

He vvhispereth in her eare. 
ßut, Bel-'nnperia, see the gentle priuce; 

Looke on thy loue. beholde yong Balthazar, 
Whose passions by thy presence are increast. 

And in whose melanchollie thou maiest see 
Thy hate. his loue; thy flight, his following thee. 
Bel. Brother, you are become an Oratour - 
I know not, I. by wbat experience — 

Too pollitick for nie, past all eompare, 

Since last 1 saw you;'but content your seife: 

The Prinee is meditating higher things. 

Bai. Tis of thy beauty tlieu tliat couquers Kings: 

Of those thy tresses, Ariadnes twiues, 

Wherewith my libertie thou hast surprisde: 

Of that thine iuorie front, my sorrowes map, 
Wherein I see no hauen to rest my hope. 


Hel. 

To 

loue and feare, and 

both at once, my Lord. 

• 


In 

my conoeipt. are things 

of more import 


Th 

en womens wits are 

to 

be busied with. 

Hai. 

Tis 

1 that loue. 



Jkl. 


Whome ? 



Bat. 



Bel 

-imperia. 

Hel. 

ßut 1 that teure. 



Hai. 


Whome? 


Hel. 




Bel-iniperia. 


74 

your| tlie 1002 —10SS, D’. 

75 . 

Achte Q, ^L. 77 Biihnenweisuni:: 

his care 

1504, 1500. 82 hat«', h 

iis| 

hate is 1(>1S. 89 twine*| twiie* 


1(U 

s, I) 1 , IV- -]>\ twiniH's 102S, 

WJ liauen] Heauen H»03. 



I 


Act III. Scene X. XI. 


t 


6 !» 


Im. Feare your selte? 

Bd. I, hrotlier. 

Im. IIow? 

Bd. As those 

That, what they loue, are loath and feare to loose. 

Hnl. Tlien, faire, let Balthazar your keeper be. loo 

Bit. No, Balthazar dotli feare as well as we: 

Et tremulo metni pauiditm innrere timorein — 

Est van um stofida » prodifionis opus. Erif. 

Im. Nay, and you argue tliings so cunningly, 

Weele goe coutinue this diseourse at Court. ior» 

Bul. Led bv the loadstar of her heaueuly lookes, 

Wends poore, oppressed Balthazar , 

As ore the inountains walkes the Wanderer, 
lncertain to effect his Pilgrimage. 

Eren nt. 


IScene XI.J 

Knter two Portingales, and Hieronimo 
meets them. 

1. Bv your leaue, Sir. 

Hii.i'o. (iood leaue haue you — nav, 1 pray you, goe: 
For ile leaue you —: if you can leaue ine, so. 

-• Pray you, whieh is tln* next way to my L[ord] 

the Dukes? 


Ihi'io. The next way from me. 

1- To his house. we nieane. 


.) 


99 what] when 1594— 1633, D\ 101 Xo] fehlt 1599— 1633, 
dttfh feare cursiv in Q. 102 Kt] Kst alle Qq., J) 1 , I) 2 - D 3 . me 
hti 1599— 1633, D 1 . pauidem 1594— 1623, paridem 1633. 103 Kst] 

kt Qq., D 1 —M. Exit] fehlt T. 109 Uneertain D 1 , D 2 —D\ 

Scene XI. Bühnen Weisung: Portingales| Portugucse D 1 , 

Zwischen Vers 1 und 2 steht in den Qq. 1602 ff. die dritte 
Interpolation C; siehe den Anhang, Seite 114. 2 nav] fehlt 1610 bis 

D 1 , I) 4 . 3 Erstes you] fehlt 1610—1633, off D 1 [uff auch D 1 

P 3 , aber nur in der Angabe der Interpolation; im eigentlichen 
steht richtig you). 4 next] fehlt 1594 -1633, I) 1 . (| Lord 1623. 

i''33. 5 Personenbezeichnung: 1] 2 in 1610 1633, l) 1 I) 4 . 



70 


Art III. .Scene XI. 


Hiero. 0, liard by: tis von house that you see. 

2. You eould not teil vs if his Sonne were there? 

Hiero. Who. inv Lord Lorenzo? 

*■ 

1. I, Sir. 

He goeth in at nne doore and comes out at another. 
Hiero. Oh, forbearel 

For other talke for vs far fitter were. 

But if you be importunate to know 

The way to him, and where to finde him out, 

Then list to nie, and Ile resolue your doubt. 

There is a path vpon your left hand side, 

That leadeth froin a guiltie eouscienee 
Vnto a forrest of distrust and feare — 

A darkesome place, and dangerous to passe: 

There shall you meet with melancholly thoughts. 

Wh ose balefull humours if you but vpholde, 

It will eonduct you to dispaire and death — 

Whose roekie cliftes wlien you haue once behelde. 
Within a hugie dale of lasting night, 

That, kindled with the worlds iniquities. 

Dotli cast vp filtliy and detested furaes —: 

Not far from tlience where murderers haue built 
A habitation for their cursed soules, 

There, in a brazen Caldron, fixt by Ioue, 
ln his feil wrath, vpon a sulpher Uame, 

Your selues shall finde Lorenzo bathiug him 
In boyling lead and blood of innoceuts. 

6 you] ye 1602 - KUH. 8 ßiihnenweisung: goeth] goes 1594, 
t/oes 1599—-168:1, D 1 —I)*. 10 iniportune 1610—1623, 18 balefull] 
palefull 1618 -1633. vpholde] behold 1618 —1633, D 1 . 19 you to] 

to you D 3 . 22 That| Tlmt's 1618—1633. 23 Doth] Dost 1594, 

1599. 24 murtherers 1602 -1633. 25 A] Ali 1623, 1633, D l -D\ | 

soule 1602—1615. 26 There, in 1602 — 1615, M, T] There in Q (recht 

nah zusammen, aber offenbar zwei Wörter), 1618 — 1633, I) 1 D s . 

'Hierein 1594, 1599, There is I) 4 . 



Act III. Scene XI. XII. 


71 


1. Ha. ha, ha! 
Jlirro. Ha, ha, ha! 


Whv ha. ha, ha? Farewell, good ha, 

ha, ha ! 


Exit. 


*2. Doubtles this man is passing lunaticke, 

Or imperfection of his age doth make him dot-e. 
(’ome. lets away to seek mv Lord the Duke. 

[Exf-uut.) 


30 


[Scene XII.] 

Enter Ilirrouinio, with a Ponyard in one hand, 
and a Rope in the other. 

Hirn). Now, Sir, perhaps 1 come and see the King: 

The King sees me, and faine would heare my sute: 
AVhy, is not this a stränge and seldseene thing. 

Tliat Standers bv with toves should strike me mute ? — 

V %>' 

Go too. I see their shifts, and say no more. - r» 

Jlieroniino, tis time for thee to trudge: 

Dowue by the dale tliat Howes with purple göre 
Standeth a firie Tower; there sits a iudge 
Ypon a seat of steele and molten brasse, 

And twixt his teeth he holdes a fire-brand. Io 

Tliat leades vnto the lake where hell doth stand. 

Awav, Hieronimo! to him be gone: 

Heele doe thee iustiee for Horatio» death. 

Turne down this path: thou shalt be with him straite: 

Or this. and then thou needst not take thy breth: ir> 

This way, or that way! — soft and faire, not so: 

For if 1 hang or kill my seife, lets know 
Who will reuenge Horath# murther then? 


31 Furwell 1602. 34 Come] Dome 1615. jj let vs 1603. | Ereuni 

"teilt erst in 1602 1633; auch in allen neueren Ausgaben. 

Scene XII. 1 Sir] sit 1610. 6 Hiero, tis time (Zeile ein - 

ffrrü<kt) 1504. 7 purple) purgle H. 9 steele] steal l)\ 10 Fire-band 
10lS. 11 where) were D 2 , D s . 13 thee] the 1594. 14 thou] and thou 

D*. 15 needs 1615, needes 161H. 18 murder 1602 -1633. 1) 1 — I) 4 . 



72 


Act III. Scene XII. 


No, iio! fie, no! pardon me. ile rlone of tliat. 

He fliDgs away the dagger & halter. 
l><» This way ile take, and tliis way comes tlie King: 

He takes tliem vp agaiue. 
And heere He haue a fling at hira—thats Hat: 

And, Balthazar, ile be with thee to bring. 

And thee, Lorenzo! heeres the King — nay. stay: 
And heere, I, heere — there goes the hare away. 

Enter King, Enibassador, Castile , and Loren 20 . 

2~i King. Xow shew, Embassadour, what our Viceroy saith: 
Hath hee receiu’d the articles we sent? 

Wem. Iustice, 0 iustiee to Hieronhno! 

Lor. Back! seest thou not the King is busie? 

Hiera. O. is lie so? 

King. AVho is he tliat. interrupts our busines? 
an Wem. Not 1. Hiemnimo, beware! goe by, goe hy! 

Eni bas. Renowned King, he hath reeeiued and read 
Thy kingly protters, and tliy promist league: 

And, as a mau extreamely ouer-iovd 
To heare his Sonne so Princely entertainde. 

:r. Whose death he had so solemnely bewailde. 

This for thy further satisfaetion, 

And kingly loue, he kindely lets thee kuow: 

First, for the niarriage of his Princely Sonne 
With Bel-imperiu , thy beloued Neece. 

-io The newes are more delightfull to his soule 

Then myrrli or ineense to the otfended heauens. 

' In person. therefore, will he eome himselfe. 

To see the marriage rites solcnmi/ed, 

\U Biihnenw.: Hin^s] throtrs A. 21 Hat] tiat 15h4. 22 tu brinj'] 

fehlt I> 1 (langer Gedankenstrich nach thee). 24 hare] haire 162‘h 
1633. 25 shew, Embassadour (dazwischen kein Komma in den Q<|.)| 

>hew the embassador I) 1 , J)‘ ])\ 36 farther I) 1 , D" I>\ 41 myrrli 

Myrth 16H). or] and l) 1 . 43 solenmized| solemni/.M I) 1 . 1)% l>*. 



Act III. Scene XII. 


7:1 

And, in tlie preseuee «f the Court of Spaine, 

To knit a sure *inextricable band 4 :» 

Of Kiugly loue and euerlasting league 

Betwixt the Crownes of Spaine and Portingale. 

There will he giue his Crowne to Balthazur, 

And niake a Queene of Bel-imperia. 

Brother, how like you this our Viee-roies loue? :,o 

('"st. No doubt, my Lord, it is an argument 
Of honorable care to keepe his freernl. 

And wondrous zeale to Balthazur, his sonne; 

Nor am I least indebted to his grace, 

That beiuls his likiug to my daughter thus. "» 

A«/. Now last, dread Lord, heere hath his highnes sent 
(Although he send not that his Sonne returne) 

His ransorae due to Don Horath. 

Uii-ro. Horatio! who eals Horath? 

hoi'j. And well remembred: thank his Maiestie. ho 

Heere, see it giuen to Horath. 

Ihri'o, lustice, 0, iustice, iustice, gentle King! 

Mho is that? Hieronimo? 

Hirn. Iustice, 0, iustice! 0 my sonne, my sonne! 

My Sonne, whom uaught can ransome or redeeme. H5 
Lor. Hieronimo, you are not well aduisde. 

Htm. Awav, Lorenzo . hinder me 110 more; 

For thou hast made me bankrupt of my blisse. 

Hiue me my sonne! you shall not ransome him! 

Away! ile rip the bowels of the earth, 70 

He diggeth with his dagger. 

And Ferrie 011 er to th’ Elizian plaines, 

And bring my Sonne to shew his deadly wounds. 

Stand from about me! 

inextrieable H— l) 4 , T| inexeerable Q, iuexplicuble 1594— 
l) 1 . 54 graee Q. t>5 whom] who lf?22i, 1993. (>9 sansonio 

Ui0 * 71 FAizau 1WW. 



74 


Act III. Scene XII. 


Ile make a pickaxe of my poniard, 

7 r» And heere surrender vp my Marshalsliip: 

For Ile goe marshall vp tlie feends in hell. 

To be auenged ou you all for this. 

King. What meanes this outrage? 

Will none of you restraine his fury? 
ho Hirro. Nay, soft and faire! you shall not need to striue: 
Needs must he goe that the diuels driue. 

Kxit. 

King. What accident hath hapt Ifieronimo? 

1 haue not seene him to demeane him so. 

Lor. My gratious Lord, he is with extreame pride. 

H5 (’onceiued of youg Horatio, his Sonne — 

And couetous of liauing to hiniselfe 
The ransome of the yong Priuee Balfhazar 
Distract. and in a manner lunatiek. 

King .Beleeue me, Nephew, we are sorie fort: 

«*o This is the loue that Fathers beare tlieir sonnes. 

But, gentle brother, goe giue to him this golde. 

The Princes raunsome; let him haue his due. 

For what he hath, Horatio shall not want: 

Happily Hirronimo hath need thereof. 

<»f> Lor. But if he be thus helplesly distract. 

Tis re(piisite his offir'e be resignde, 

And giuen to one of more discretion. 

King. We shall encrease his melanchollie so. 

Tis best that we see further in it first, 
loo Till when, our seife will exempt the place. 

7(> the] my 1015 — l(>.‘t:t, I) 1 . S1 Xoeds] For needs T. thc| all 
the D 4 . 82 hupt] hapt to 1599 ltiiH, D l . j| hupp'd, Hicroiunio' H. 

89 sore 159 1. 90 is] unsichtbar 1594 (aber Zwischenraum dafür). 

95 haplcsly 1594, 1009, 1(118- 1093, D 1 . haplcslie 1599, 1(502, 1010, 
1015. 99 that] f. 1599 1099, I) 1 . || farther l) 1 — D 4 . 100 exempt) 
so alle Qrp, I) 1 — J>\ M, hold exempt D 4 , T, execute hs. Correetur 
in 11Ü8 (Bodleian) und Collier, s. Note. 



Act III. Scene XII. XIII. 


< 0 


And, Brother, now bring in the Embassador. 

That lie may be a witnes of the rnateh 
Twixt Balthazar and Bel-imperio, 

And tliat we may prefixe a certaine time 
Wherein the marriage shalbe solemuized, 

That we may haue thy Lord, the Viee-roy, heere. 
Km. Therein your highnes highly shall content ♦ 

His Maiestie, that longs to heare from hence. 
Kiny. On, then, and heare you, .Lord Embassadour— 

Eren nt. 


[Scene XIII.| 

Euter Hieronimo , witli a book in bis hand. 

“ Vindieta mihi!” 

I, lieauen will be reuenged of euery ill. 

Nor will tliey suffer murder vnrepaide. 

Then stav, Hieronimo, attend tlieir will: 

For mortall men may not appoint tlieir time! — 
u Per scefus semper tutum est sceleribus Her ”. 

Strike, and strike home, where wrong is offred tliee: 
For euils vnto ils conductors be. 

And deaths the worst of resolution. 

For he that thinks witli patienee to contend 
To (juiet life, his life shall easily end.— 
u Fata si miseros iuuant, hohes salntem; 

Fata si vitam neyant, hohes sepnlehnim” 

If destinie thy miseries doe ease, 

Then hast thou health, and happie slialt tliou be; 

If destinie denie tliee life. Hieronimo, 

Yet slialt thou be assured of a tombe —: 


109 then] them 1594, 1599. you] your 1002 —1693, I> 1 . 

Scene XIII. Hiervor steht in Qq. 1002 ft', die Interpolation 
i> (die Bühnenweisung zu Anfang von Scene XIII ist dann auch 
leicht verändert); siehe Appendix I>, Seite 116. 1 Vindicti 1023, 

1033. 5 their] a 1602—1633, D 1 . 6 Perseelns 1610 — 1618. 12 Fa tarn 
1003. 1015, 1618. 13 Fxita si 1594—1610, Entast 1603, 1015 1033. 

15 heath 1633. 17 slialt thou | thou slialt 1023, 1<>33, 1>‘. 



lf ueither, vet let tliis tliv comfort be: 

Heauen couereth bim that hatli no buriall —: 

And to conclude, I will reuenge his death! — 

But liow? not as the vulgare wits of men, 

AVitli open, but ineuitable ils: 

As bv a secret, vet a certain meane, 

WliiÄli vnder kindesliip wilbe cloked best. 

Wise men will take tlieir oportunitie, 

Closely, and safelv, fitting things to time. 

But in extreames aduantage hatli no time; 

And tlierefore all times fit not for reuenge. 

Thus, therefore, will I rest me in vnrest, 
Dissembling quiet in vnquietnes, 

Not seeming that 1 know tlieir villanies: 

That my simplicitie may make tliem tliink 
That ignorantly 1 will let all slip; 

For ignorance, I wot, and w r ell they know. 

RnneiUum malorum iners est. 

Nor ought auailes it me to menaee tliem. 

Who, as a wintrie storrne vpon a plaine. 

Will beare me dovvne with tlieir nobilitie. 

No, no, Hieronimo , thou must enioyne 
Thine eies to obseruation, and thy tung 
To milder speeehes then thy spirit affoords. 

Tliy hart to patience, and thy hands to rest, 

Thy (’appe to curtesie, and thy knee to bow, 

Till to reuenge thou kuow — : when, where, and hnw. 

A noise with in. 

How now. what noise? what coile is that you keepe? 


18 thy | fehlt 1594, 1599. 2U will] wist 1010. 27 vauntago 
1594, 1599, vantago 1002 — 1H93. no| on 1610, 1615. 32 my] fehlt 
1610. 33 all] it 1602—1633, I) 1 . 35 iners] Mors 1633, mors U l - 

l> 4 . 41 s)>irits aHViords 1594, 1599, spirits afforde 1602- -1633, I) 1 . 

43 cutu*sie Q. 44 Dir Bülinenwf'isung steht nach Vers 45 in Q -1599. 31. 



Act III. Scene XIII. 


77 


Euter a Seruaut. 

Ser. Heere are a sort of poore Petitionen, 

That are importunate, and it shall please you, sir. 
That you should plead their cases to the King. 

Hiero. That I should plead their seuerall aetions? 

Why, let them enter, and let me see them. 

Enter three Cittizens and an olde Man. 

1 . So, 

I teil you this: for learning and for law, 

There is not any aduocate in Spaine 

That can preuaile, or will take hälfe the paine 
That he will, iu pursuite of equitie. 

Hiero. Come neere, you men, that thus importuue me. — 
Now must I beare a face of grauitie; 

For thus I vsde, before my Marshalship. 

To pleade in causes as Corregidor. - 
Come on, sirs, whats the matter? 

2. Sir. an Action. 

Hiero. Of Batterie? 

1 . Mine of debt. 

Hiero. Giue place. 

2. No, sir, mine is an action of the ease. 

•3. Mine an Eiectione firmafe] by a Lease. 

Hiero. Content you, sirs: are you determined 
That I should plead your seuerall aetions? 

1 . 1. sir; and heeres my declaration. 


47 shall] should A. von] your 1594. 48 cases) causes 1023, 

1033, I) 1 . 52 There is] Theres (Ther’s, There's) Qq., I) 1 , l) 2 —1> 3 . 

37 thus] this 1594 — 1033, I) 1 . 58 Corrigedor Q—1003. Corriegdor 

1610 — 1623, Corrigidor 1633, D l , D 2 - I) 3 , corrigidor H, I> 4 , corrigedor 
M, corregidor T. 62 Eiectione Q, Eiectione 1623, 1633, Kjeetiove 
10—l) 2 , eiectione M. ejectioue T, Eiection 1594—1618, Kjertio I> 4 . 
lirma Q—1603, I) 1 —D 4 , Finna 1610—1633, finnae M, T. a| fehlt 
1610 1633, D 1 , D* D 3 . 



78 


Act III. Scene XIII. 


2. And heere is my band. 

3. And heere is my lease. 

They giue him papers. 

Hiero. But wherefore Stands von silly man so mute, 

With mournfull eyes and hands to heauen vprearde? 
Come hether, father, let me know thy cause. 
Senex.Ö wortliy sir, my cause, but slightly knowne, 

May mooue the harts of warlike Myrmydons. 

And melt the Corsicke rockes with ruthfull teares. 
Hiero. Say, Father, teil me whats thy sute? 

Senex. No, sir, could my woes 

Giue way vnto my most distresfull words, 

Then should I not in paper, as you see, 

With incke bewray what blood began in me. 

Hiero. Whats heere? “The humble supplication 
Of Don Bazulto for his murdred sonne”. 

Senex. 1, Sir. 

Hiero. No. sir, it was my murdred sonne: 

Oh my sonne, my sonne, oh my sonne Horat io! 

But miue, or thine, Bazulto, be content. 

Heere, take my hand-kercher, and wipe thine eies, 
Whiles wretched l in thy mishaps may see 
The liuely portraict of my dying seife. 

He draweth out a bloudie Napkin. 

0 no, not this; Horatio , this was thine! 

And when I dyde it in thy deerest blood, 

This was a token twixt thy soule and me 
That of thy death reuenged I should be. 


66 Erstes heere is) heere 1610, here's II, I) 4 , T. band] alle 
Qq. (auch 1599; die Angabe bei Dodsley-Hazlitt, p. 126, beruht auf 
einem Irrtum), bond I) 1 . Zweites heere is] here's T. 67 stand* 
von] stand vmi 1602 - 1633, I) 1 . 72 ruthfull] ruefuli 1618 1633, I) 1 . 

78 his] dis 1615. SO Zweites my] Oh my 1569—1633, T) 1 , D 2 1>*, 
O my II, 1> 4 . 82 hand-koreher 0<|., haudkerehief D l — I) 4 . 84 Bühnen- 

Weisung: drawes 161.0, 1623, 1633, drmes l> 1 . 


l 



But heere, take this, and this — what. my purse? — 
I, this, and tbat, and all of tliem are thiue; 

For all as one are our extremeties. 

1 . Oh. see the kindenes of Hieronimo ! 

± This gentlenes shewes him a Gentleman. 

Hunt. See, see, oh, see thy shame, Hieronimo ; 

See heere a louing Father to his sonne! 

Beholde the sorrowes and the sad laments 
That he deliuereth for his sonnes dicease! 

If loues eflFeets so striues in lesser things, 

If loue enforce such moodes in meaner wits, 
lf loue expresse such power in poore estates: 
Hieronimo, when-as a raging Sea, 

Tost with the winde and tide, * ore-turneth thee —: 
The vpper billowes course of waues to keep, 

Whilest lesser waters labour in the deepe! 

Then shamest thou not, Hieronimo, to neglect 
The sweet reuenge of thy Horatio? 

Though on this earth iustice will not be found, 

Ile downe to hell, and in this passion 
Knock at the dismall gates of Pfutos Court, 

Getting by force, as once Alcides did, 

A troupe of furies and tormenting hagges 
To torture Don Lorenzo and the rest. 

Yet least the triple headed porter should 
Denye my passage to the slimy strond, 

The Thracian Poet thou slialt counterfeite: 

Come on, olde Father, be mv Orpheus, 

93 Personenbezeichnung: 2.] fehlt 1504—1633, l) 1 . 97 deliuered 

1599—1633, delivers I) 1 . 98 loues] loue 1002 —1618. so) to I) 3 . 

190 expresse] enforce 1 Hl8—1633, I) 1 . || estute 1610. 102 ore turnest 

1615, o’erturnest T, ore-turned 1618, oreturned 1623, 1633, 

oerturned l) 1 , o’erturneth H —I) 4 , ore-turneth AI. thee] then alle (Jftj., 
b 1 T. 106 sweet] swift 1602—1633, I) 1 . 109 Knockt 1594. 110 did] 
IHlI 1594 — 1618. 110 on] fehlt 1599—1633, D l . 



80 


Act III. Scene XIII. 


120 


125 


1 so 


1 35 


And if thou canst no notes vpon the Harpe, 

Then sound the bürden of thy sore harts greefe, 

Till we do gaine that Proserpine raay graunt 
Reuenge on them that murd[e]red ray Sonne. 

Then will I rent and teare them, thus* and thus. 
Shiueriug their limmes in peeces with ray teeth. 

Teare the Papers. 

1 . Oh, sir, mv Declaration! 

Exit Hieronimo, and they after. 

2 . Saue my bond! 

Enter Hieronimo. 

2 . Saue my bond! 

.•>. Alas! my lease! it cost me teu pound, 

And von, my Lord, haue torne the sarne. 
lliero. That eannot be, I gaue it neuer a wound; 

Shew me oue drop of bloud fall from the same: 
How is it possible I should slay it then? 

Tush, no: run after, catch me if you can. 

Eremit all but the olde mau. 
Bazulto remaines tili Hieronimo enters againe. who, 
staring him in the face, speakes. 

Hiero. And art thou come. Hörnt io , from the deptli. 

To aske for iustice in this vpper eartli, 

To teil thy Father thou art vnreueng'd, 

To wring more teures from IsaheUns eies. 

Whose lights are dimd with ouer-long laments? 

(loe hack, my sonne, complaine to Kochs: 

For heeres no iustice; gentle bov. be gone. 

For iustice is exiled from the eartli: 


US thy) the* 1594 -1(518. 121 rent) rond D 1 , D 2 — D*. 122 

Buhnenweisung: Teures 1618—1GH3, Tours D l — I) 4 , T. 123 Bülineu- 
weisung: Kutor] Kernt er H, l> 4 . 124 und 125 Personenbezeichnung: 

I>"—I) 3 vertauschen 2. und 3. (Citizen). 127 it) them 1602— 1633, 
1> ! . l2tS fall) laln I) 1 , fallen I) 2 —I) 3 . 130 BuhnenWeisung: speakes] 

speaketh 1500 —1633, I) 1 , 1>-—L) 3 . 135 dimd] dimnM 1)\ D 3 , dimned A. 



Act III. Scene XIII. 


81 


Ufijeronimo will beare thee Company. 

Thy mother cries on righteous Radamant 140 

For iust reuenge against the murderers. 

Senex. Alas, my L[ord], whence springs this troubled speecb? 
Hiero. But let me looke on my Horatio. 

Sweet boy, how art thou chang’d in deaths black shade! 

Had Proserpine no pittie on thy youth, 145 

But suffered thy fair crimson colourd spring 
With withered winter to be blasted thus? 

Horatio, thou art older theu thy Father: 

Ah, ruthlesse Father! — that fauour thus transformes! 

Ba. Ah, my good Lord, I am not your yong Sonne. 150 
Hie. What, not my Sonne? thou then a furie art, 

Sent from the emptie Kiugdome of blacke night 
To summon me to make appearance 
Before grim Mynos and iust Radamant, 

To plague Hieronimo that is remisse, 155 

And seekes not vengeance for Horatioes death. 

Ba. I am a greeued mau, and not a Ghost, 

That came for iustice for my raurdered Sonne. 

Hie. I, now I know thee, now thou namest *thy Sonne: 

Thou art the liuely image of my griefe; i6<> 

Within thy face, my sorrowes I may see. 

Thy eyes are gum’d with teures, thy cheekes are 

wau, 

Thy forehead troubled, and thy muttring lips 
Murmure sad words abruptly broken off; 

By force of windie sighes thy spirit breathes, inr> 

And all this sorrow riseth for thy Sonne: 

140 Randamant 1610. 142 Personenbezeielmung: Senex] 

Bazulto D 1 —D*. L.] Lord 1633. 144 how| fehlt 1594—1618. art tliou] 
tliou art 1623, 1633, D*. 146 suffer 1603. 148 el<lcr 1615—1633, 

D l . 149 Father] fate D\ A, Fate l) 2 , I)*. 150 Lord] L. 1602, 1603. 

151 thou then] then thou 1633, l) 1 . 159 thy] my Q - 1618. 162 gum’d] 
gruni’d 1610, dim’d 1603, 1615 1633, I) 1 . j| teure 1610. 

Sr li ick, Sjuuiish Tragody. h 



82 


Act III. Scene XIII. XIV. 


And seife same sorrow feele I for my Sonne. 
Come in, old man. thou shalt to Izabeü'; 

Leane on my arme: I thee, thou me, shalt stav, 
170 And thou, and l, and she will sing a song, 

Three parts in one, but all of discords fram’d—: 
Talke not of cords, but let vs now be goue, 

For with a cord Horatio was slaine! 

Exeunt. 


[Scene XIV.] 

Enter Kiny of Spaine, the Duke , Vice-roy, and Lorenzo, 
Balthazar , Don Pedro, and Belimperia. 

Kiny.G o, Brother, tis the Duke of Castiles cause; 

Salute the Vice-roy in our name. 

Castile. 1 go. 

Vice. Go forth, Don Pedro, for thy Nephews sake, 

And greet the Duke of Castile. 

Pedro. It sh all be so. 

5 King. And now to meet tliese Portaguise: 

For, as we now are, so sometimes were these, 
Kings and commanders of the westerne lndies. 
Welcome, braue Vice-roy, to the Court of Spaine. 
And welcome all his honorable traine! 
io Tis not vnknowne to vs for why you come, 

Or haue so kingly erost the Seas: 

Suffiseth it, in this we note the troth 

And more then common loue you lend to vs. 

So is it that mine honorable Neece 
ir> (For it beseemes vs now that it be knowne) 

AJ ready is betroth’d to Balthazar: 

And by appointment and our condiscent 


Scene XIV. 1 tis] it is Q-1015, M. 4 so] sir 1599—161s. 
dono sir 1023, 1033, I) 1 . 5 tlies«*] tlie 1002—1033, D l . Portaguise] 
Portagues 1002, Portinyales 11503 — 10.33, Portuguese D\ T, Portin- 
gal(e)s II I) 4 . 10 you] yc 1002, yee 1003. 11 Seas] raging Seas 
1033, D 1 — D 4 . 12 Sutt'isetli] Suffieed 1010 - 1033, I) 1 . 17 our] fehlt D 4 . 



Act III. Scene XIV. XV. 


83 


To morrow are they to be married. 

To this inteut we entertaine thy seife, 

Thy followers, their pleasure, and our peace. 20 

Speak, men of Portingale, shall it be so? 

If I, say so; if not, say flatlv no. 

17<v. Renowmed King, I come not, as thou thinkst, 

With doubtfull followers, vnresolued meu, 

But such as haue vpon thine articles 25 

Confirmed thv motion, and content.ed me. 

•/ > 

Know, soueraigne, I come to solemnize 
The marriage of thy beloued Xeece, 

Faire Bel-hnperia f with my Boltliazar, 

With thee, my Sonne; whom sith I liue to see, so 
Heere take my Crowne, I giue it her and thee; 

And let me liue a solitarie life. 
ln ceaselesse praiers, 

To think how straugely heauen liath thee preserued. 
KiiHj. See, brother, see, how nature striues in bim! 35 

Come, worthy Vice-roy, and accompany 
Thy freend with thine extremities: 

A place more priuate fits this princely mood. 

1 icf-, Or heere, or where your highnes thinks it good. 

Exeunt all but Cos. and Lor. 

[Scene XV.] 

Cts. Nay, stay, Lorenzo ; let me talke with you. 

Seest thou this entertainement of these Kings? 

Lor. 1 doe, my Lord, and iov to see tiie same. 

(ns. And knowest thou why this meeting is? 


18 are they] they are 1633, IV. 20 pleasures 1623, 1633, D 1 . 
men of Portingales 1603. 23 Kenowmed] Renowned 1610, 

1618—1633, D 1 — D 3 . 25 as] fehlt 1594. thine] miiie 1610. 28 

beloued] welbeloued 1623, 1633, well-beloved IV, IV—I> 3 . 30 to] so 

H. 31 Crowne] Gowne 1615, 1618. 37 [to strive] with M. 39 thinke 

1615 1633. 



84 


Act III. Scene XY. 


5 Lor. For her, my Lord, whom Balthazar dotli loue, 

And to confirme their promised marriage. 

Cas. She is thy Sister? 

Lor. > Who, Bel-imperia ? I, 

My gratious Lord, and this is the day 
That I haue longd so happily to see. 

10 Cas. Thou wouldst be loath that any fault of thine 
Should intercept her in her happines? 

Lor. Heauens will not let Lorenzo erre so mucli. 

Cas. Why then, Lorenzo, listen to my words: 
lt is suspected, and reported too, 

15 That thou, Lorenzo, wrongst Hieronimo, 

And in his sutes towards his Maiestie 
Still kcepst him back, and seeks to erosse his sute. 
Lor. That I, my Lord —? 

Cas. I teil thee, Sonne, my seife haue heard it said, 

20 When (to my sorrow) I haue beene ashamed 

To answere for thee, though thou art my sonne. 
Lorenzo, knowest thou not the common loue 
And kindenes that Hieronimo hath wone 
By his deserts within the Court of Spaine? 

25 Or seest thou not the K[ing] my brothers care 

ln his behälfe, and to procure his health? 

Lorenzo, shouldst thou thwart his passions, 

And hee exclaime against thee to the King, 

What honour wert in this assembly, 
ho Or what a scandale wert among the Kings 

To heare Hieronimo exclaime on thee! 

Teil me—and looke thou teil me truely too — 
Whence growes the ground of this report in Court ? 

Scene XV. 6 their] the 1 t*2o, -1033, D 1 —D 4 . 7 Bel-imprria 

Q. 10 fault Q. 15 wrongd 1003. 17 keopes 1602 —1023 (keeps 

1615, 1618). 21 art] wert 1618—1633, D 1 . 25 K.] so Q- 1003. 

32 too] fehlt 1615 his 1633, D l . 



Act III. Scene XV. 


85 


Lor. My L[ordJ, it lyes not in Lorenzos power 
To stop the vulgär, überall of their tongues: 

A small aduantage makes a water breacli, 

And no man liues that long eontenteth all. 

My seife haue seene thee busie to keep back 
Him and bis suppücations from the King. 

Lor. Your seife, my L[ord], hath seene his passions, 

That ill beseemde the presence of a King: 

And for I pittied him in his distresse, 

I beide him thence with kinde and curteous words, 
As free from malice to Hieronimo 
As to my soule, mv Lord. 

<as. Hieronimo , my sonne, mistakes thee then. 

Lor. My gratious Father, beleeue me, so he doth. 

But whats a silly man, distract in minde 
To think vpon the murder of his sonne? 

Alas! how easie is it for him to erre! 

But, for his satisfaction and the worlds, 

Twere good, my L[ord], that Hieronimo and 1 
Were reconcilde. if he miseonster me. 

Loren zo, thou hast said; it shalbe so: 

Goe one of vou, and call Hieronimo. 

Enter Balthazar and Bel-imperia. 

ft"l. Come. Bel-imperia, Balthazars content, 

My sorrowes ease and soueraigne of my blisse. 

Sith heauen hath ordainde thee to be mine! 

Disperce those cloudes and raelanchollie lookes, 

And cleere them vp with those thy Sunne bright eies, 
Wherein my hope and heauens faire beautie lies. 

34 L.] Lord 1602—1633. 40 L.] Lord 1610, 1623, 1633. 

hath] haue 1602—1633, have I) 1 —I) 4 . 52 L.j Lord 1603—1633. 

that] fehlt 1623, 1633, D*. 53 miseonster] misconstrue D 1 —l) 4 . 

55 Bühnen Weisung: aud Bcel-itnpvria Q. 56 Bd-impcrie Q. 58 thee 
ordained 1623, 1638, D 1 . 60 eleere] eheare 1615, 1618, eheere 1623, 
1633, ])*. ei faite (j. 



86 


Act III. Scene XV. 


My lookes, ray Lord, aro fitting for my loue, 

Which, new begun, ean shew [no] brighter yet. 

New kindled flaraes sliould burne as morning Sun. 
But not too fast, least heate and all be done. 

I see my Lord my Father. 

Truce, my loue; 

I will goe salute hirn. 

Welcome, Balthnzar, 

Welcome, braue Prince, the pledge of Castiles peace 
And welcome, Bel-imperial — how now, girle? 

Why commest thou sadly to salute vs thus? 

Content thy seife, for I am satisfied: 

It is not now as when Andrea lin d; 

We haue forgotten and forgiuen that, 

And tliou art graced with a happier loue. — 

But, Balthnzar , heere comes Hieronimo ; 

Ile haue a Word with hira. 

Enter Hieronimo and a Seruant. 

Hiero. Aud wheres the Duke? 

Ser. Yonder. 

Hiero. Eueu so. 

What new deuice haue they deuised, tro ? — 

Pocas Pal abras! milde as the Lambe! 
so Ist l will be reueng’d? No, I am not the man. — 

Cas. Welcome, Hieronimo. 

Lor. Welcome. Hieronimo. 

Bai. Welcome, Hieronimo. 

Hiero. Mv Lords, I thank von for Horatio. 

Cas. Hieronimo, the reasou that I sent 
To speak with von, is this — 

Hiero. What, so short? 

Then ile be gone. I thank von fort. 

62 Lord) L. 1602. 68 no] fehlt Q. 66 Truce]True M. 67 I will] 
ril T. 76 Bühnenweisuntf: a] fehlt I > ', L) 2 — I) 3 . 78 haue] hatli 

D 2 —D\ 80 Ist] II st 1688. Hist T»'. 


Bel. 

Bai. 
65 Bel. 

Bai. 

Cas. 


83 



Act UI. Scene XV. 


87 


Cos. Nay, stay, Hieronimo! — goe call him, sonne. 
[Lor.]Hieronimo, my fatlier craue» a word with you. 

Hiero. With me, sir? why, my L[ord], I thought you had done. 

Lor. No; would he had! 

Cos. Hieronimo , I hear 

You finde your seife agreeued at my Sonne, 90 

Because you haue not accesse vnto the King. 

And say tis he that intereepts your sutes. 

Hiero. Why, is not this a miserable thing, my Lord? 

Cos. Hieronimo , I hope you haue no cause, 

And would be loth that one of your deserts 95 

Should once haue reason to suspect my Sonne, 
Considering how 1 tliink of you my seife. 

Hiero. Your sonne Lorenzo! whome, my noble Lord? 

The hope of Spaine, mine honourable freend? 

(1 raunt me the combat of them, if they dare — : 100 

Drawes out his sword. 

Ile meet him face to face, to teil me so! 

These be the scandalous reports of such 
As loues not me, and hate my Lord too much: 

Should I suspect Lorenzo would preuent 

Or crosse my sute, that loued my Sonne so well? 105 

My Lord, I am ashamed it should be said. 

Lor. Hieronimo, I neuer gaue you cause. 

H[i\ero. My good Lord, I know you did not. 

Cos. There then pause; 

And for the satisfactiou of the world, 

Hieronimo, frequent my homely house, 110 

The Duke of Castile, Ciprians ancient seat; 

And when thou wilt, vse me, my sonne, and it: 


80 Vor go call fügt D 4 ein: [Goes out]. 87 [Lor.] fehlt Q. 
Hinter 87 hat D 4 die Bühnenweisung: Be-enfer Hieronimo. itl Kiing Q. 
5*2 sayth 1623. 101 him] them D 1 . 103 loue 1610, I) 1 l) 4 . T. 108 

'•'eil] fehlt 1603, 1615—1633, I)*-I> 4 . 



88 


Act III. Scene XV. XVI. 


But heere, before Prince Balthazar and me, 

Embrace each other, and be perfect freends. 
iir> Hiero. I, marry, my Lord, and shall. 

Freeuds, quoth he? see, Ile be freends with you all: 
Specially with you, my louely Lord; 

For diuers causes it is fit for vs 

That we be freends: the world is suspitious. 

120 And men may think what we imagine not. 

Bai. Why, this is freendly doone, Hieronimo. 

Lor. And that I hope: olde grudges are forgot? 

Hiero. What eis? it were a shame it should not be so. 
Cas. Come on, Hieronimo, at my request; 

125 Let vs entreat your Company to day. 

Exeuut. 

Hiero. Yo[u]r Lordships to commaund. Pha! keep your way: 
Chi mi fa piu carezze che non suole, 

Tradito mi ha, o tradir [mi] vuole. 

Exit 

[Scene XVI.] 

Enter Ghoast and Reuem/e. 

Ghost. 

Awake, *Erictho! Cerberus, awake! 

Sollicite Pluto, gentle Proserpine! 

117 Specially sämmfliche Quartal s] Especially I ) 1 — T. 
118 tit] »it Q. 119 world i»] world'» T. 122 that] thus D*, D s - -P*. 
123 shonld Q. 126 I’ha] fehlt 1623, 1633, D 1 , Pah T. Die zwei 
Verse 127 und 128 lauten in Q: Mi. Chi mi fa? Pui Correzza Che 
non 8ule \ Tradito viha ofrade eitle. 127 Mi ehi mifa? 1610, Mi. ehi 
mi/a? 1615 —1633, I) 1 , Mi! ehi mi fa H—I)*, Chi mi fa M, T. Pui 
Q -1633. jnii l) 1 , M, piu H — 1 > 4 , piü T. || Correzza Q -1633, D 1 , car- 
rezze H—l) 4 . carezze M, T. || sulc Q—1603, nult 1610 -1633, D 1 . 
suole II ete. 128 mi ha] viha Q, ui ha 1594—1623, niha 1633, D l . 
o tradir] otrude Qq., D l . mi] fehlt Qq., D l . vuole] rille Q—1610, rle 
1615, rel 1618- 1633, 1)‘. 

Scene XVI. 1 Krictho] Erictha Q —1623, Erich!ho T, Alecto 
D 4 . || Ca eher us 1594, 1599. Vers 3 —5 lauten folgendermassen in Q: 
To coinhat Achiuon and Ericas in hell. , For neere bv Sti.v and 
J'hleycton: Nor ferried Caron t«> the fierie lakes, || 


t 



Act III. Scene XVI. 


89 


To combat, * Acheron and * Erebus \ 

For neere, by St ix and Phlegetoti in hell, 
*Ore-ferried Cfhjaron to the fierie lakes 
Such fearfull sights, as poore Andren *sees! 

Renernje, awake ! 

Reuenge. 

Awake? for why? 

Ghost. 

Awake, Reuenge; for thou art ill aduisde 
To sleepe — *awake! what, thou art warnd to watch! 

Reuenge. 

Content thy seife, and doe not trouble me. 

Ghost. 

Awake, Reuenge, if loue (as loue hath had) 

Haue yet the power or preuailance in hell! 
Hieronimo with Lorenzo is ioynde in league, 

And intercepts our passage to reuenge: 

Awake, Reuenge, or we are woe begone! 

Reuenge. 

Thus worldlings ground what they haue dreamd vpon. 
Content thy seife, Andrea: though I sleepe, 

Yet is my mood soliciting their soules. 

Sufficetb thee that poore Hieronimo 
Cannot forget his sonne Horatio. 

Nor dies Reuenge, although he sleepe a while; 

For in vnquiet quietnes is faind, 

3 Acheron] Achinon Q—1623, Achmon 1633, I) 1 . Erebus] 

Erieust Q, Erichus 1594—1633, D l . 4 For] Or D 4 . neere] neerd 
1*>94 -1618. ne’er D 1 —D 3 . neere, by] near-by I) 4 . |j Siimmtliche Qq. 
behalten in hell in Zeile 3, ebenso l) 1 —D\ 5 Ore-ferried] Nor ferried 
4 q.. D 1 —I) 4 . 6 sights] fights 1610. sees] see Q (2 t)>s e etwas un¬ 

deutlich), 1594. H—A, M, sees 1599—1633, D 1 , D\ D 4 , T. j) Die Quartos 
1615—1633 haben nur den Anfang von Zeile 7: Reuen ge, awake, 
und lassen die 2 t ‘‘ Hälfte ganz weg. 9 To] Th Q. awake] away Q — 
1623, M. thou] fehlt 1615—1633, D 1 . 12 or] of I) 4 . 15 woe degone 

Q. 18 is] in 1618-1633, D*. 19 Suffice it thee D', D*—1>*. 21 al- 

though] though 1633. 22 faind] found 1599—1633, !>'. 



90 


Act III. Scene XVI. Act IV. Scene 1. 


And slumbring is a common worldly wile. — 
ßeholde, Andrea , for an instance, how 
2') Reuenge hath slept, and then imagine tliou 

What tis to be subiect to destinie. 

Enter a dumme shew. 

Ghost. 

Awake, Reuenge; reueale this misterie. 

Reuenge. 

The two first the nuptiall Torches boare 
As brightly burning as the mid-daies sunne: 

30 But after them doth Hirnen hie as fast, 

Clothed in sable and a Saffron robe, 

And blowes them out, and quencheth them witli blood. 
As discontent that thiugs continue so. 

Ghost. 

Sufticeth me; thy meanings vnderstood, 

3r> And thauks to thee and those infernall powers 

That will not tollerate a Louers woe. — 

Rest thee, for I will sit to see the rest. 

Reuenge. 

Then argue not, for tliou hast thy request. 

Kren nt. 

Actus Quartus. 

[Hcene l.J 

Enter Bet-imperia and Hieronimo. 

Bet-imperia. 

Is this the loue thou bearst Tforatio? 

Is this the kindnes that thou coimterfeits? 

Are these the fruits of thine incessaut teures? 
Hieroniino . are these thy passious, 

;•> Thv protestations and thy deepe Iaments, 

28 ThejLo! the T. the] |ilo| the M. boare] beare M. 29 brightly) 
bricht lf>34—lf>33. I) 1 . 3f> to] vnto —1(>33« unto I) 1 . 37 to] am! 

Ibis -1H33, I) 1 . 3S Then] Thus lblO—1G18. 



Aet IV. Scene I. 


91 


That tliou wert wout to wearie men withall? 

0 vnkind Father! 0 deceitfull worid! 

With what excuses canst thou shew thv seife, 

With what dishonour, and the hate of men, 

From this dishonour and the hate of men? io 

Thus to neglect the losse and life of him 
Whom both my letters and thine owne beliefe 
Assures thee to be eausles slaughtered! 

Ilieronimo, for shame, Hierotnmo, 

ße not a History to after times tr> 

Of such ingratitude vnto thv Souue: 

Vnhappy Mothers of such children then, 

But monstrous Fathers, to forget so soone 
The death of those whom they with care and eost 
Haue teudred so, thus careles should be lost. 20 

My seife, a stranger in respect of thee, 

So loued bis life as still 1 wish tlieir deathes. 

Nor shall bis death be vnreuengd by me, 

Although I beare it out for fashions sake: 

For heere I sweare, in sight of heauen and earth, 25 
.Shouldst thou neglect the loue thou shouldst retaine. 

And giue it ouer, and deuise no more. 

Mv seife should send their hatefull soules to hei. 

That wrought his downfall with extreamest death. 

Hie. But may it be that Bef-iniperia 30 

Vowes such reuenge as she hath daind to sav? 

Why, then 1 see that heauen applies our drift. 

And all the Saints doe sit soliciting 
For vengeance on those cursed murtherers. 

Madame, tis true, and linw 1 lind it so: :i;, 

Scene 1. Vers 9 und 10 beide in I) 1 ausgelassen ; I> 4 streicht 
10, T Vers 9. 11 losse and life] life and bisse 1594 — 1633, 

I* 1 . 16 ungratitude A. 17 Mothers] Mother 1599 — 1633, mother l) 1 . 

1^ Father 1602—1633, father I) 1 . 24 fashion 1623, 1633, I) 1 . 32 applies] 
applauds Collie s. Note. 34 murderers 1610, I) 1 1> 4 , Murdemurs 1615, 

1^»18, Murderers 1623, 1633. 



Act IV. Scene I. 


<)•> 
tj md 

I found a letter, written in your name, 

And in that letter, how Horatio died. 

Pardon. 0 pardon, Bel-imperia, 

My feare and care in not beleeuing it; 

40 Nor thinke I thoughtles thinke vpon a meane 

To let bis death be vnreveng d at full. 

And heere 1 vow—so you but giue consent, 

And will conceale my resolution —: 

1 will ere long determine of their deathes 
45 That causles thus baue murder[e]d my Sonne. 

Bel. Hieronimo, I will consent, conceale, 

And ought that may effect for thine auaile, 

Ioyne with thee to reuenge Horatioes death. 

Hier. On, then; [and] whatsoeuer I deuise, 

50 Let me entreat you, grace my practises, 

For why the plots already in mine head. 

Heere they are. 

Enter Balthazar and Lorenzo. 

Bai. How now, Hieronimo? 

What, courting Bel-imperia? 

Hiero. I, my Lord: 

Such courtiug as (I promise you): 

55 She hath my hart, but you, my Lord, haue hers. 

Lor. But now, Hieronimo , or neuer, 

We are to intreate your helpe. 

Hie. My help ? 

Why, my good Lords, assure your selues of me; 
For you haue giuen me cause —■: 

1, by my faith, haue you! 
no Bai. - It pleased you, 

At the entertainment of the Embassadour, 

41 be] he H (Druckfehler). 47 that] what 1633, D*. 49 On] 

Oh 1610 -1618, O 1623, 1633. D*. and] fehlt in allen Quartos, 
i) 1 —l) 4 . 60 faith] honour 1615—1633, I) 1 . pleasde Q. (pleasd, 

pleasM die anderen Quartos). 



Act IV. Scene 1. 


To grace the King so much as with a shew. 

Now. were your Studie so well furnished 
As, for the passing of the first nights sport, 

To entertaine my Father with the like, 

Or any such like pleasing motion, 

Assure your seife, it would content them well. 

Hiera. Is this all ? 

Bai. I, this is all. 

Hiera. Why then, ile fit you; say no more. 

When I was yong, I gaue my minde 
And plide my seife to fruitles poetrie: 

Which though it protite the professor naught, 

Yet is it passing pleasing to the world. 

Lar. And how for that? 

Hiera. Marrie, my good Lord, thus: 

(And yet, me thinks, you are too quiek with vs) —: 
When in Tolledo there I studied, 

It was my chaunce to write a tragedie: 

See heere, my Lords — He sliewes them a book. 
Which, long forgot. I found this other day. 

Now would your Lordships fauour me so much 
As but to grace me with vour acting it — 

I ineane each one of you to play a part — 

Assure you, it will proue most passing stränge, 

Aud woudrous plausible to that assembly. 

BaJ. What, would you haue vs play a Tragedie? 

Hiera. Why, Nero thought it no disparagement. 

And Kings and Emperours haue taue dclight 
To make experience of their wits in plaies! 

68 I, this is all] geben die Quartos 161s 1033, sowie I> 1 — D 4 
dem Lorenzo statt BnUhaznr. 73 is it) it is 1333, l) 1 . passing] passion 
1318. 75 thinke 1599 — 1610. 78 Bühnen Weisung: He] j eh It 1623, 
1633, D l — D 4 . In 1594 sind Vers 78 und die Bühnen Weisung zu- 
biinimengedruckt (he mit kleinem //, Komma zwischen Lnrdes und he). 
plausible] pleasurahle l) 4 . that] the D 1 , D 2 —I) 3 . 87 and) Jchlt 1610. 



94 


Act IV. Scene I. 


Lor. Nay, be not angry, good Hieronhno; 

90 The Prince but asked a question. 

Bai. In faith, Hieronhno , and you be in earnest, 

Ile make one. 

Lor. And I another. 

Hiero. Now, my good Lord, could you intreat 
Your Sister Bel-hnperia to make one? 

95 For whats a play without a woman in it? 

Bel. Little intreaty shall serue me, Hieronimo ; 

For I must needs be imploved in your play. 

Hiero. Why, this is well: I teil you, Lordings, 

It was determined to haue beene acted, 
ioo By Gentlemen, and schollers too, 

Such as could teil what to speak. 

Bai. And now 

It shall be plaide by Princes and Courtiers, 

Such as can teil how to speak: 

If, as it is our Country manner, 

105 You will but let vs know the argumeut. 

Hiero. That shall I roundly. The Cronicles of Spaine 
Recorde this written of a Knight of R[h]odes: 

He was betrothed, and wedded at the leugth. 

To one Perseda, an Italian dame, 
lio Whose beauty rauished all that her behelde, 

Especially the soule of Soliinan , 

\Yho at the marriage *was the cheefest guest. 

By suudry meanes sought Soliinan to winne 
Persedas loue, and could not gaine the same. 

115 Theii gan he break his passious to a freend, 

One of his Bashawes, whom he held full deere; 

Her had this Bashaw long solicited, ' 

90 asked] asked von 1023, 1033, 1>\ I>* l>\ 93 good] fehlt 

1010. 90 Jlirronomo Q. 98 lordlings 1)*, I) 2 —I)®. 102 plaide] said 

1599 -1033, !>'. 107 Kliodes| the Windes 1018. 112 was] way Q. 

115 passion 1) ; , D 2 I> H . 118 saw] fehlt 



Act IV. Scene I. 


95 


And saw stie was not otherwise to be wonne 
But by her husbands death, this Knight of R[h]ode$, 
Whorae presently by trecherie he slew. 120 

She, stirde with an exceeding hate therefore, 

As cause of this slew Soliman, 

And, to escape the Bashawes tirannie, 

Did stab her seife: and this the Tragödie. 

Lor. 0 excellent! 125 

Bel. But say, Hieronimo, what then became 
Of him that was the Bashaw? 

Hiero. Marrie, thus: 

Moued with remorse of his misdeeds. 

Ran to a mountain top, and hung himselfe. 

Bai. But which of vs is to performe that parte? 130 

Hiero. 0, that will I, my Lords; make no doubt of it: 

Ile play the murderer, I warrant you; 

For I already haue conceited that. 

Bai And what shall I? 

Hiero. Great Soliman, the Turkish Einperour. 135 

Lor. And I? 

Hiero. Erashis, the Knight of Rhodos. 

Bel. And 1? 

Hiero. Perseda, chaste and resolute. — 

And heere, my Lords, are seuerall abstracts drawne, 

For eache of you to note your partes, 

And act it as oecasion’s offred you. 140 

You must prouide a turkish cappe, 

122 [Sultan] Soliman M. 124 this] this is lt>02—1(533, l) 1 . 

125 Lor.] Hör. 1594. O excellent] Ay, sir H, I) 4 , Ave, sfr I) 2 I) 3 . 

129 hnng] hang 1602, hangd 1603 —1615, hang’d 1618 1633, D 1 . 

135 the] that 1615, 1618. 136 ErastusJ Erasto 1594—1633, 1>\ 

b*—D 3 . 136 und 137 Erasto — And I?] in einer Zeile 1.594. 

139 [seuerall] partes Kitt red ge bei M. 141 prouide [you] with a Turk¬ 
ish Kittredge bei M. 



90 


Act IV. Scene I. 


145 


150 


155 


100 


105 


A black mustacio and a fauchion; 

Giues a paper to Bai. 

You with a crosse, like to a Knight of Rhodes: 

Giues another to Lor. 

And, Madame, you must attire your seife 

He giueth Bel. another. 
Like Phoebe, Flora, or the hunt[e]resse, 

Which to your discretion shall seeme best. 

And as for me, my Lords, Ile looke to one, 
And, with the raunsome that the Yice-roy sent 
So furnish and performe this tragedie, 

As all the world shall say, Hieronimo 
Was überall in gracing of it so. 

Bai. Hieronimo, me thinks a Comedie were better. 
Hiero. A Comedie? 

Fiel eomedies are fit for common wits: 

But to present a Kingly troupe withall, 

Giue me a stately written Tragedie; 

Trayedia cot/mrnata, fitting Kings, 

Containing matter, and not common things. 

My Lords, all this must be perfourmed 
As fitting for the first nights reuelling. 

The Italian Tragedians were so sharpe of wit. 

That in one houres meditation 

They would performe any thing in action. 

Lor. And well it may; for I haue seene the like 
In Paris, mongst the French Tragedians. 

Jliero. In Paris, mas! and well rememb[e]red! 

Theres oue thing more that rests for vs to doo. 


14*2 Bülincnweisung: a| fehlt M. 143 to] fehlt 1509—1633, P 1 - 
144 must ltheii] attire M. | Bülincnweisung: He giueth] Giues 1602 -1633, 
Gircs l) 1 —I)*. 145 Huntesse 1610, huntresse |l)ian] Kittredge bei M. 

147 And as] As I) 1 , D* —f> 3 . 150 As] Timt 1623, 1633, D 1 . 157 cother 
nat» Q ---1599, 1615 1623, rothor nato 1602, 1603, cothornato 1610, 

cofhuruata 1633, l) 1 etc.. 1.59 fliis [our sport] must M. 



Act IV. Scene I. 


97 


Bai. Whats that, Hievonimo'i forget not any tliing. 

Hifro. Euch one of vs 

Must act his parte in vnknowne languages. i 

That it may breede the more varietie: 

As you, my Lord, in Latin, I in Greeke. 

You in Italian, and for because I kuow 
That Bel-imperia hath practised the French, 

In courtly French shall all her phraises be. 1 

Bel. You meane to trye my cunning then, HieronimoY 
Bai But this will be a meere confusion, 

And hardlv shall we all be vnderstoode. 

Hirvo. It must be so; for the eouclusion 

Shall proue the inuention and all was good: i 

And I mv seife in an Oration, 

*And with a stränge and wondrous shew besides, 

That I will haue there behinde a curtaine, 

Assure your seife, shall make the matter knowne: 

And all shalbe concluded in one Scene, 1 

For theres uo pleasure tane in tediousnes. 

Bol. How like you this? 

Bor. Why thus, my Lord ; 

We must resolue to soothe his humors vp. 

BdL On then, Hieronimo; farewell tili sooue. 

Hiera. Youle plie this geere? 

Bor. 1 warrant you. 

Exeunt all but Hiero. 

Hiera. Why so; l 

Now shall I see the fall of Babilon, 

Wrought by the heauens in this confusion. 

And if the worhl like not this tragedie. 

Hard is the hap of olde Hieronimo. Exil. 

171 the] fehlt 1618—1633, D l . Vers ls2 und ls3 umgestcllt 
in Q -1599; die obige Ordnung in 1602—1633, I) 1 —1> 4 , T. Is4 your] 
thy 1618—1633, D'—L) s . 189 On] O 1633. 1> 1 . 190 Why Q] 1 why 

1594; I Why 1599; I, why 1602 1633 (I why 1615); Ay. why so D 1 . 

Schick, Spimisli Trnjjcdy. 


i 



98 Act IV. Scene II. 

[Scene II.] 

Kater Isabella, with a weapou. 

Teil me no more! — 0 monstrous homicides! 

Since neither pietie nor pittie moues 
The King to iustice or compassion, 

I will reuenge my seife vpon this place, 

Where thus they murdered my beloued Sonue. 

She cuts downe the Arbour. 
Downe with these branches and these loathsome 

bowes 

Of this vnfortunate and fatall pine: 

Downe with them, Isabella; rent them vp, 

And burne the roots from whence the rest is sprung. 
I will not leaue a root, a stalke, a tree, 

A bowe, a branch, a blossome, nor a leafe, 

No, not an hearb within this garden Plot —: 
Accursed complot of my miserie! 

Fruitlesse for euer may this garden be, 

Barren the earth, and blislesse whosoeuer 
Immagiues not to keep it vnmanurde! 

An Easterne winde, comixt with noisome aires, 

Shall blast the plants and the vong saplings; 

The earth with Serpents shalbe pestered, 

And passengers, for feare to be infect, 

Shall stand aloofe, and, looking at it, teil: 
u There, murdred, dide the sonne of Isabell 
I, heere he dide, and heere I him imbrace: 

See where his Ghoast solicites, with his w r ounds, 
Reuenge on her that should reuenge his death. 
Hieronimo, make haste to see thy sonne; 

Scene II. 5 thus they] they 1(502—1623, they have 1633, l) 1 . 
6 Erstes these| these 1602. 8 rent] reml 1618—1633, D 1 , D*. 15 
blesselesse 1610, 1623, 1633, bleslesse 1615, 1618. 17 winde] minde 

1610. 18 »»iplings [herc] M. 22 Isabella 1603. 24 where] there 

l) 1 , l) 2 1)'. | solieited 1618 —1633, sollicitiug D 1 . his] fehlt 1633, D l . 



Act IV. Scene II. III. 


911 


For sorrow and dispaire hath scited me 
To heare Hörnt io plead with Rmlamant: 

Make haste, Hieronimo , to holde excusde 

Thy negligence in pursute of tlieir deaths 30 

Whose hatefull wrath bereu’d him of his breath. — 

Ah nay, thou dost delay tlieir deaths, 

Forgiues the murderers of thy noble sonne, 

And none but l bestirre me—to no end! 

And as I cursse this tree from further fruit, 35 

So shall my wombe be cursed for his sake; 

And with this weapon will l wound the brest, 

The haples brest, that gaue Horatio suck. 

She stabs her seife. 


|Scene III.] 

Enter Hieronimo; he knoeks vp the eurtaine. 

Enter the Duke of Ca Stile. 

Cos. How now, Hieronimo , wheres your fellows, 

That you take all this paine? 

Hiero. 0 sir, it is for the Authors credit 
To look that all things may goe well. 

But, good my Lord, let me intreat your grace 
To giue the King the coppie of the plaie: 

This is the argument of what we shew. 

Cos. I will, Hieronimo. 

Hiero. One thing more, my good Lord. 

Ca$. Whats that? 

Hiero. Let me intreat your grace 

27 eite«! 1594—1633, I) 1 —I) 4 , T. 29 to] or D 4 . excusde] 
exclude 1615 — 1633, accus’d D 4 . to holde excusde] what can excuse 
D 1 . 32 Ah] Ha D 4 . nay] na 1594, 1599, ha 1602-1633, 1)'. 

35 farther D\ D 1 —D». 38 The] That M. 

Scene III. 1 your] thy 1618 -1633, l) 1 . 3 sir] hir 1610. 

5 good, my lord D 3 || Lord] L. 1602, 1603, 1615, 1618. 8 my good] 

good my 1633, I) 1 . || Lord] L. 1602, 1603. 



100 


Act IV. Scene III. IV. 


io That, when the traine are past into the gallerie. 

You would vouehsafe to throwe me downe the key. 
Cos. I will, Hierotiimo. 

Exit Cos. 

Hiero. What, are you ready, Bohhozor? 

Bring a chaire and a cushion for the King. 

Enter Balthazar , with a Chaire. 

Well doon, Balthazar! hang vp the title: 

15 Our s^ene is Rhodes; — what. is your heard on? 

Bai. Hälfe on. the other is in mv hand. 

Hiero. Dispatch, for shame! are you so long? 

Exit Balthazar. 

Bethink thy seife, Hieronimo, 

Recall thy wits, recompt thy form er wrongs 
20 Thou hast receiued bv murder of thv sonne. 

And lastlv — not least! — how lsabel!, 

V * 

Once his mother aud thy deerest wife, 

All woe begone for hira, liath slaine her seife. 
Behoues thee tlien, Hieronimo, to be reueng d! 

25 The plot is laide of dire reuenge: 

On then, Hieronimo, pursue reuenge: 

For nothing wants but acting of reuenge! 

Exit Hieronimo. 

[SctMll 1 IV.] 

Enter Sponish Kin</, Vice-roij, the Duke of Castile 
and their traine. 

Kino. Now. Vicerov. sh all we see the Tragedie 

t' ft VJ 

Of So/imon, the Tnrkish Emperour, 

10 are] is 161S—1633. I>‘. 14 title| Tilt 1610. 17 are you] you 

are 1610. 10 recnuut löiiy 1633, D l D 4 , T. 20 hast) has l> 3 . 
21 not] tho’ not l) 1 , I) 2 , I) s , though not A, [but] not I) 4 , M. Iftahelln 
1603. 22 thy] iny 1623, 1633, I)', D 2 I) 3 . 24 then] tliere D 4 . 26 tlien] 

them 1618—1633, l) 1 . 27 Tliihnemveisung: Hieronimo.] Hi. 1618, fehlt 
1623, 1633, 1)’ I)'. 

Scene IV. Rühnenwcisung: 1 irr-rni/ 1 frJi/f D 3 . the] fehlt 
1602 1633, I> 1 —1)‘. 



Act IV. Scene IV. 


101- 


Perforrade (of pleasure) by vour Sonne the Prince, 

My Nephew Don Lorenzo , and my Neeee. 

Vice. Who? Bel-imperial 

King. I. and Hieronimo, our Marshall, 5 

At whose request tbev deine to doo’t themselues: 

These be our pastimes in the Court of Spaine. 

Heere, brother, vou shall be the booke-keeper: 

This is the argument of that they shew. 

He giueth him a booke. 

deutle men, this plag of Hieronimo, in sundrie Languages, was 
thonght good to he set downe in English more large!g, 

Jor the easier nid erstand big to euerg 
publique Header. 

Enter Bnlthazar, Bel-imperia, and Hieronimo. 

Balthazar. 

Bashaw, that Rhodes is ours, yeeld heauens the honor, 10 
And holy Mahomet, our sacred Prophet! 

And be thou grac't with euery excelence 
That Soliman can giue, or thou desire. 

But thy desert in eonquering Rhodes is lesse 

Then in reseruing this faire Christian Nimpli, 15 

Perseda, blisfull lamp of Exeelleuce, 

Whose eies compell, like powerfull Adamant, 

The warlike heart of Soliinan to wait. 

King. See, Vice-Roy, that is Balthazar, vour Sonne, 

That represcnts the Emperour Solyman: 20 

How well he acts bis amorous passion f 
Vice. 1, Bel-imperia hath taught him that. 

Castile. That s because bis miud runnes all on Bel-imperia. 
Hiera. What euer ioy earth yeelds, betide vour Maiestie. 

3 (of pleasure) zwischen Klammern 1S03. vour] our 
1618 — 1633, D*. 6 deine] denie 1618 (im Exemplar der ßodleiaua 

ist handschriftlich not hinzugefügt). 9 Bühnenweisung: He giueth) 

Ke giues 1602—1618, Giiies 1623. 1633, Gires 1>‘— L) 4 . 10 heaven 

D 1 . 15 Christian] fehlt 1633, I) 1 . 24 betidej hetinde 1618. Aleiestie Q. 



102 


Act IV. Scene IV. 


25 J Halt. Earth yeelds no iov without Perscdaes loue. 

Hiero. Let then Perseda on your graee attend. 

Balt. She shall not wait on me, but I on her: 

Drawne by the influence of her lights, I yeeld. 

But let my friend, the Rhodian knight, come foorth, 
ho Erasto , dearer then my life to me, 

That he may see Perseda, my beloued. 

Enter Erasto. 

Kinij. Heere comes Lorenzo: looke vpon the plot, 

And tel me, brother, what part plaies he? 

Bel. Ah, my Erasto, welcome to Perseda. 

:<» Lo. Thrice happie is Erasto that tliou liuest: 

Rhodes losse is nothing to Erasfoes iov: 

Sith his Perseda liues, his life suruiues. 

Balt. Ah, Bashair , heere is loue betweene Erasto 

And faire Perseda, soueraigne of my soule. 

4o Hiero. Remooue Erasto, mightv Solyman , 

And then Perseda will be quickly wonne. 

Balt. Erasto is my friend: and while he liues. 

Perseda neuer will remooue her loue. 

Hiero. Let not Erasto litte to greeue great Soli mau! 

45 Balt. Deare is Erasto in our Princlv eve. 

% % 

Hiero. But if he be your riuall, let him die. 

Balt. Why, let him die! — so loue commaundeth nie. 

Yet greeue 1 that Erasto should so die. 

Hiero. Erasto, Sotyman saluteth tliee, 

50 And lets tliee wit by me his highnes will: 

Wh ich is, tliou shonldst he thus imploid. 

Stab him. 

26 Let then | Tln n let H»02 —HiHH. I>HO, 34, 35, 3S, 40, 
42, 44, 45, 4S, 4!*, 52, 01: Erasto] Eroslux II- IO. 31 Biihnen- 
weiMOitf: Erasto/ Erastus II, l> 4 , I.orenzo 1)- |) 3 . 35 Personeti- 

hezciehnuni; : /,<»./ Erasto. 1504. 15011, Era. 1002 — 1633, D 1 . 30 Ern¬ 
st ne sj Ernslns' H — IO. Hs het\vceuo| hetwixt 1602 — 1033, 
10. |>- I) 3 . 50 wi11 wot D 1 . 51 tliou] that tliou 1623, 1633, T>\ 
I)- 1>\ Ayl Ah H', D* l>\ 



Act IV. Scene IV. 


103 


Bel. Ay me! 

Erasto ! see, Sofyniaii, Erastoes slaiue! 

Bult. Yet liueth Solyman to comfort thee. 

Faire Queene of beautie, let not fauonr die, 

But with a gratious eye beholde his griefe, 

That with Persedaes beautie is encreast. 

If by Persedaes griefe he not releast. 

Bel. Tyrant, desist soliciting vaine sutes; 

Relentles are mine eures to thv laments, 

As thy butcher is pittilesse and base, 

Which seazd on my Erasto, harmelesse knight. 

Yet by thy power thou thinkest to commaund, 

Aud to thy power Perseda doth obey: 

But, were she able, thus she would reuenge 
Thy treaeheries on thee, ignoble Prince: 

Stab hhn. 

And on herseife she would be thus reuengd. 

Stab herseife. 

King. Well said! — olde Marshai, this was brauely done! 
Hiero. But Bel-hnperia plaies Perseda well! 

Vice. Were this in earnest, Bel-imperia, 

You would be better to my Sonne then so. 

King. But now what followes for Hieronituo? 

Hiero. Marrie, this followes for Hieronimo: 

Heere breake we oft" our sundrie languages. 

And thus conclude I in our vulgare tung. 

Happely you think — but bootles are your thoughts -- 
That this is fabulously counterfeit, 

And that we doo as all Tragedians doo: 


52 see] I see 1610. Erast<a:s (Erasto's)] Enistus H D 4 . slaine] 
Haine 1610. 57 Persedaes ( Persedus ) die Quartos: Porseda's L) 1 —]> 4 , 
Perseda M, Perseda his T. 50 eares| eures 1610. 65 Buhnen¬ 

weisung: Let her stab hhn 1602—1038, Leis her stab hitn J>\ 
Stabs hitn H—D 4 , T. 66 Biihnenweisuno : StaI)] Stabs 1) 1 I•*. T. 
71 for] fehlt 1618--163H, !>>. 75 are| he 1602—1633, B 1 . 




104 


Act IV. Scene iV. 


SO 


S5 


90 


95 


100 


105 


To die to day (for fashioning our scene) 

The death of Aiax, or some Romaine peere, 

And, in a minute starting vp againe, 

Reuiue to please to morrowes audience. 

No, Princes; know I am Hieronhno, 

The hopeles Father of a haples Sonne, 

Whose tung is tund to teil his latest tale, 

N T ot to excuse grosse errors in the play. 

1 see your lookes vrge instanee of these words; 
Beholde the reason vrging me to this: 

Shewes his dead sonne. 

See heere my sliew, look on this speetacle: 

Heere lay my hope, and heere my hope hath end; 
Heere lay my hart, and heere my hart was slaine: 
Heere lay mv treasure, heere rav treasure lost; 
Heere lav mv blisse, and heere mv blisse bereft: 
But hope, hart, treasure, iov, and blisse, 

All fled, faild, died, yea, all decaide with this. 

From forth these wounds came breath that gaue me life; 
Thev murdred me that made these fatall markes. 
The cause was loue whence grew this mortall hate: 
The hate: Lorenzo and yong Balthazar; 

The loue: my sonne to Bel-imperia. 

But night, the couerer of accursed crimes. 

With pitchie silence husht these traitors harmes. 
And lent them leaue, for thev had sorted leasure 
To take aduantage in my Garden plot 
Vpon my Sonne, my deere Horatio : 

There mercilesse thev butcherd vp mv bov, 

In black, darke night, to pale, dim, cruell death. 


7S To] Go I) 1 . 84 tunM] tunrd 1615, 1618. 86 these] those 

1618 1633, D 1 , l) 2 - 1)\ 87 Bühnenweisung: He sheices 1602—163S t 

I) 1 — D 4 . 64 faikle] saililo 1615. 98 yong] vouml 1615. 1U0 the a 

couerer 1615 || couerer] coueter 1610. 101 these] the 1594 -1633, D 1 . 

traitors] trayterous 1623, 1633, traitTous D l . 



Act IV. Scene IV. 


i 


105 


He shrikes: I Iteard (aud yet, me thiuks, 1 heare) 

His dismall out-cry eecho in the aire. 

With soonest speed I hasted to the noise, 

Where, hanging on a tree, I found my sonne, no 

Through girt with wounds, and slaughtred as you see. 

And greeued I, think you, at this spectacle? 

Speak, Portaguise, whose losse resembles mine: 

If thou canst weep vpon thy Balthazar, 

Tis like I wailde for my Huvatio. ns 

And you, my L[ordJ, whose recoueiled sonne 
Marcht in a net, and thought him seife vnseeue, 

And rated me for brainsicke lunacie, 

With w God ameud that mad Hieronimo / ’ — 

How ean you brook our plaies catastrophe? 120 

And heere behoble this bloudie baud-kercher, 

Which at Horaths death I weeping dipt 
Within the riuer of his bleeding wounds: 

1 t as propitious, see, I haue reserued. 

And neuer hath it left my bloody hart, 12:» 

Soliciting remembrance of my vow 

With these, 0, these accursed murderers: 

Which now perform’d my hart is satisfied. 

And to this end the Bashaw 1 became 

That might reuenge me ou Lorenzos life, i:m 

Who therefore was appointed to the part, 

And was to represent the Knight of Rhodos, 

That I might kill him more eonuenieutlv: — 


107 Hi« »hriekrt I heard I) 1 . rthrikesj slirikt 1610. 113 Port- 

ügueH 1602, Portingales 1603 — 1633, Portuguerte D’, T, Portingale 
H-—D*, Portugal I> 4 . || resemble 1615—1623. 115 waile 1603, 1633, 

wail D l . 116 Lord 1603—1633. 119 With Q, 1603 uml alle neueren 

Ausgaben] Which 1594 —1602, 1610 1633. || made 1594. 121 hund- 

kerchief D l —D 4 . 124 It] Is 1615 —1633, 1)‘. |j preserued 1618—1633, 
l'reserv’d I) 1 . 125 hath] haue 1610. bloody] bleeding 1623, 1633, 

16. 132 present 1610. 133 That. 1 1) : *. 



Act IV. Scene IV. 


KM 

So, Vice-roy, was this Balthazar (thy Sonne) 

l :sr> That Solimau which Bel-imperia, 

In person of Perseda, murdered —: 

Solie appointed to that tragieke part 

That she might slay him that offended her. 

Poore Bel-imperia inist her part in this: 

14d For though the story saith she should haue died. 

Yet I of kindenes, and of care to her, 

Did otherwise determine of her end; 

But loue of him whom tliev did liate too mueli 

%* 

Did vrge her resolutiou to he such. — 
u;, And, Princes, now beholde Hieronimo, 

Author and actor in this Tragedie, 

Bearing his latest fortune in his fist; 

And will as resolute eonclude his parte 
As any of the Actors gone before. 
ir.o And, Gentles, thus I end my play; 

Vrge no inore words: 1 haue no more to say. 

He runs to hang himselfe. 

Kult/.0 hearken, Vice-roy! — holde. Hieronimo! 

Brother, my Nephew and thy Sonne are slaine! 

Vice. We are betraide; my Balthazar is slaine! 
i:>:> Breake ope the doores; runne, saue Hieronimo. 

[Tliev breake in, and hold Hieronimo.} 

Hieronimo, 

Doe but enforme the King of these euents: 

Vpon mine honour, thou shalt haue no harme. 

JHero. Vice-roy, I will not trust thee with my life. 

Whieh I this dav haue offered to my Sonne, 
l*;o Accursed wreteh! 

1411 too] so 1U2H, l) 1 . 150 Gentles] Gentiles 1504, 1625 

(nicht gentlies, oder Gentlios), 1H53, gentiles I) 1 . 151 Buhnen- 

Weisung: runs| nnnnih 1018—1(>;W, D\ D 2 —1> 3 . 155 Die Buhnen- 
\vei>nng stellt erst in 1002-1058, D 1 — D\ T. breake] nni H, P 4 . 
157 Ypon CJ. tliou] thus 1010. 



Act IV. Scene IV. 


107 


Why staiest thou him tliat was resolued to die? 

A 7 »y. Speak, traitor! damned, bloudv minderer, speak! 

For, now I haue thee, I will muke thee speak. 

Why hast thou done this vndeseruing deed? 

Vice. Whv hast thou murdered mv Balthazar? ih;> 

+ V 

Ca*. Why hast thou butehered both my children tlius? 

Hif-ro. 0, good words! 

As deare to me was my Horatio 

As yours, or yours, or yours. my L[ord]. to you. 

My guiltles Sonne was by Lorenzo slaine. 170 

And by Lorenzo and tliat Balthazar 
Am 1 at last reuenged thorowly, — 

Ypon whose soules may heauens be yet auenged 
With greater far then tliese afHictions! 

Oos. But who were thy confederates in this? 17:, 

Vice. That was thy daughter Bel-imperia; 

For by her hand my Balthazar was slaine: 

I saw her stab him. 

King. Why speakest thou not? 

Hiero. What lesser libertie can Kings aftoord 

Then harmeles silence? then atioord it me. iso 

Suffieeth, I mav not, nor I will not teil thee. 

King. Feteh forth the tortures: traitor as thou art. 

Ile make thee teil. 

Wcro. Indeed? 

Thou maiest torment me, as his wretelied Sonne 

Math done in murdring my Iloratio: isr> 

But neuer slialt thou foree me to reueale 

161 staidst 1623, 1633, stuid’st I) 1 . 163 Personenbezcichnung: 

Yiro Q. Nach Vers 166 folgt in 1602—1633 Interpolation K; siehe 
Seite 123. Hinter dieser folgen die Verse 175, 176, 177 und dir* erste Hälfte 
von 178 (1—him); dann die Verse 167 -174. An Stelle von 17S, zweite 
Hälfte (Why speakest etc.) —1N9 steht Zusatz V ; siehe Appendix, Seite 
124. 169 ztvei/es or yours| /*. M. 173 reuenged 1603 - 1633, revengM 
1> 1 . 175 But] Speake 1602 1633, I> 1 . Mit Vers 177 bricht Quarto 

1602 ab; der Rest ist handschriftlich ergänzt. 179 can] mir 1394, 1599. 



108 


Act IV. Scene IV. 


The thing which I haue vowd inuiolate. 

And therefore, in despight of all tby threats, 
Pleasde with their deaths, and easde with their reuenge. 
i9o First take my tung, and afterwards my hart. 

[Hä bites out his toni/ue.J 
Kint/.ö monstrous resolution of a wretch! 

See. Vice-roy, hee hath bitten foorth his tung, 
Rather then to reueale what we requirde. 

Cos. Yet can hje write. 

19 .') King. And if in this he . satisfie vs not, 

We will deuise the xtreamest kinde of death 
That euer was inuented for a wretch. 

Then he makes signes for a knife to mend his pen. 
Cas. 0, he would haue a knife to mend his Pen. 

Vice. Heere, and aduise thee that tliou write the troth. — 

200 Looke to mv brother! saue Hieronimol 

* 

He with a knife stabs the Duke and himselfe. 
Kiut/. What age hath euer heard such monstrous deeds? 
My brother, and the whole succeeding hope 
That Spaine expected after my discease! — 

Goe, beare his body hence, that we may mourne 
2o:> The losse of our beloued brothers death —: 

That he mav be entern d! — What ere befall, 

1 am the next, the neerest, last of all. 

Vice. And tliou, Don Pedro , do the like for vs: 

Take vp our haples sonne, vntimely slaine; 

Set. me with him, and he with wofull me, 

Vpon the maine mast of a ship vnmand, 

And let the winde and tide hall me along 
To Sif/ttK barkiug and vntamed * gulfe, 

1 00 ufterward 10o3~ 1033, I) 1 . Bühnen Weisung erst in 1003 -1633; 
dann in I> 1 —T. 107 Bühnen Weisung : Then] /rhlt 1003 — 1033, D l —1> 4 . 
100 truth 10ls —1033, D l . 200 Bühnenweisung: a] the 1003—1<>33, 
10 l>\ 203 That| Of 1013 —1033, l) 1 . disease 1594, disease 1390. 

212 hall] hule 1594—1033, IV — 1> 4 . 213 gulfe 1023, 1633 und die 

neueren Ausgaben | greefe (griefe) Q— 101 S. 


210 



Act IV. Scene IV. V. 


109 


Or to the lothsome poole of Acheron , 

To weepe ray want for my sweet Balthazar: 21 

Spaine hath no refuge for a Portingale. 

The Trumpets sound a jfead march; the King .of Spaine 
mourning öfter his brothers body, and the King of Portingale 
hearing the body of his Sonne. 

[Scene V.] 

Enter Ghoast and Reuen ge. 

Ghoast. 

I, now my hopes haue end in their effects, 

When hl ood and sorrow tinnish my desires: 

Horatio murdered in his Fathers bower; 

Vilde Serberine by Pedringano slaine; 

False Pedringano hangd by quaint deuiee; r> 

Faire Isabella by her seife misdone; 

Prince Balthazar by Bel-imperia stabd; 

The Duke of Castile aud his wicked Sonne 
Both done to deatli by olde Ilieronimo; 

My Bel-imperia falne as Dido feil, lo 

And good Hieronimo slaine by himselfe: 
l, these were spectacles to please my soule! — 

# Now will I beg at louely Proserpine 

That, by the vertue of her Prineely doome. 

! may consort my freends in pleasing sort, 15 

And on my foes worke iust and sharpe reuenge. 

Ile lead my freend Horatio through those feeldes 
Where neuer dying warres are still inurde; 

Ile lead faire Isabella to that traine 

Where pittie weepes. but neuer feeleth paine; 20 

215 for] of 1623, 1633, I)’. Vers 216 fehlt ganz in I) 4 . Nach 
Vers 216 haben die Quartos 1603 -1633. I>' — l) 4 die Bühnen¬ 
weisung: Eremit. 

Scene V. 4 Yile 1603 —1633, D\ I>*—D*. 6 seife] false 
1610. 15 consort] comfort I) 1 , T> 4 . 17 my] me 1504. 18 inurde] indur’d 
I>\ I)*- D*. 



110 


Act IV. Scene V. 


Ile lead my Bel-imperia to those ioyes 

That vestal Yirgins and faire Queenes possesse: 

Ile lead Hieronimo where Orpheus plaies, 

Adding sweet pleasure to eternall daies. 

25 But say, Reuenge — for thou must helpe, or lione — 

Against the rest how shall my hate be showne? 

Reuenge. 

This hand shall hale them down to deepest hell, 
Where none but furies, bugs and tortures dwell. 

Ghoast. 

Tlien, sweet Reuenge, doo this at my request: 

30 Let me be iudge, and doome them to vnrest. 

Let loose poore Titins from the vultures gripe, 

And let Don Ciprian supplv bis roome; 

Place Don Lorenzo on Ixions wheele, 

And let the louers endles paines surcease 
3."> (luno forgets olde wrath, and graunts him ease): 

Hang Balthazar about Chimeras neck, 

And let him there bewaile his bloudv loue, 
Repining at our ioves that are aboue; 

Let Serberine goe roule the fatall stone, • 

40 And take from Siciphus his endles mone; 

False Pedringano, for his trecherie, 

Let him be dragde through boyling Acheron, 

And there liue, dying still in endles Harnes, 
Blaspheming Gods and all their holy names. 

Reuenge. 

45 Tlien haste we downe to meet thy freends and foe>. 

To place thy freends in ease, the rest in woes: 

28 none] nouglit 1594—1033, D*. 34 paine 1003. 35 for*«-! 

. . . graunt M. 30 Chineras alle Quartos. 40 Sieipus 1594—lf*l\ 
Siciphus 1023, Sisiphus 1033. 41 Pedringaeo Q. 


I 



Act IV. Scene V. APPENDIX. 


111 


For beere though deatb hath end their miserie, 
Ile there begin their endles Tragedie. 

Exeunt. 


FINIS. 


APPENDIX. 

Die Interpolationen der (Quartos 1602—1033. 

A. 

Krsfe Interpolation, zwischen Akt II , Scene V, 45 und 46 . 

Die Qq. 1602 ff. fügen nach Vers 45 folgendes ein: 

Aye me, Hfijeronimo, sweet husband, speake! 

Hier. He supt with vs to night, frolicke and mery, 

And said he would goe visit Balthazar 

At the Dukes Palace: there the Prince doth lodge. 

He had no custome to stay out so late: 

He may be in bis chamber; some go see. 

Hodorigo, Ho! 

Enter Pedro and laques. 
ha. Aye me, he raues! sweet Hfijeronimo! 

Hiero. True, all Spaine takes note of it. 

Besides, he is so generally beloued; io 

His Maiestie the other day did grace him 
With waiting on his cup: these be fauours. 

Which doe assure me [he] cannot be short liued. 
ha. Sweet Hieronimo! 

Hiero. I wonder how this fellow got his clothes! — i:> 

Syrha, sirha, Ile know the trueth of all: 
laques, runne to the Duke of ('astiles presently, 

47 hath] doth 1623, 1(533, D'. 48 Ktrnm‘\fehlt D*~ L>*. FIX IS] 
I’IFIS 1623. 

[A.] 1 Aye] Ah D l , I) 1 —D*. Heroninto 1602. 7 Roderigo 1623, 

1633, M. 8 Aye] Ah D 1 , l) 1 —D*. 13 he 1603, 16151 fehlt 1602, 1610, 
that he 1618—1633, D‘-D 4 , M. be] he 1633. short liued] lons-liv\l 
D i , d*— r»*. 



11*2 


APPENDIX. 


And bid my sonne Horatio to come home: 

I and his muther haue had stränge dreaines to night. 
Doe ye heare me, sir? 

Iaques. 1. sir. 

Hiero. Well, sir, begou. 

Pedro, corne hither; knowest tliou who this is? 

Ped. Too well, sir. 

Hiero. Too well! who? who is it? Peace, Isabelin'. 

Nay. blush not, inan. 

Ped. lt is my Lord Horatio. 

Hier. Ha, ha, Saint Iames\ but this doth make me laugh. 

That there are more deluded then my seife. 

Ped. Deluded ? 

Hier. I: 

1 would haue sworne my seife, within this houre. 
That this had beene my soune Horatio! 

His garments are so like. 

Ha! are they not great perswasions? 

Isa. 0, would to God it were not so! 

Hier. Were not, Isabetla'! doest thou dreame it is? 

Can thy soft bosome intertaine a thought 

That such a blaeke deede of mischiefe should be done 

On one so *pure and spotles as our sonne? 

Away! I am ashamed. 

Isa. Deare Hieronimo , 

Cast a more serious eye vpon thy griefe: 

Weake apprehension giues but weake beleife. 

Hier. It was a man, sure, that was hanged vp here; 

A youth, as I remember: 1 cut him downe. 

If it should prooue my sonne now after all - 
Say, von? say, you? — light! lend me a Taper: 

Let me looke againe. — 0 God! 

20 ye] yee 1015, you 101S—10,33, I) 1 —I) 4 , M. me] fehl ' 

102:1, 1033, D'. Erste* sir] sira 1010. Do--I, sir] in eine Zeile ge¬ 
druckt 1015—1033. 32 Wert not D 1 . 35 pure] poore 1602 —1610. 



APPENDIX. 


113 


Confusion, mischiefe, torment, death and hell, 

Drop all your stinges at once in my cold bosome. 
That now is stiffe with horror: kill me quiekely! 

Be graeious to me, thou infectiue night. 

And drop this deede of murder downe on me; 

Gird in my wast of griefe with thy large darkenesse, 
And let me not suruiue to see the light 
May put me in the minde 1 had a sonne. 
ha. 0 sweet Horatiol 0 my dearest sonne! 

Hiero. How strangly had I lost my way to griefe! 

Hierauf fohjen Vers 4(1 ff. 


B. 

Zweite Interpolation: In Akt III, Scene 2, ist Zeile tiö 
und die erste Hälfte von 6(i (las Lordship) ausgelassen; 

dafür ist folgendes e/esetzt: 

Hiero. Who? you, my Lord? 

I reserue your fauour for a greater honor; 

This is a very toy, my Lord, a toy. 
hör. AH’s one, Hieronimo, aequaint me with it. 

Hiero. Y fayth, my Lord, 

1 t is an idle thing; I must confesse 
I ha' been too slacke, too tardie, too remisse 
V T nto your honor. 

hör. How now. Hiemnimo'l 

Hiero. ln troth, my Lord, it is a thing of nothing: 

The murder of a Sonne, or so — 

A thing of nothing, mv Lord! 

48 on] in D 5 —I)*. 

[B.] 5 Peraonenbezeiehnuni; : Hioro. li>o2. t> It is] tis Qq., 
M, ’ti» l) 1 —D 4 , it i» T. ! Vers 10 fr/df H>Oi{. 


Schick, Spanish Trag»*(ly. 


S 



114 


APPENDIX. 


c. 

Dritte Interpolation , zwischen Akt III , 11, 1 und 2. 
Hinter Vers 1 folgen direkt die nachstehenden Zeilen: 

Hier. Tis neither as you thinke, nor as you thinke, 

Nor as you tbiuke; you'r wide all: 

These slippers are not mine, they were mv sonne 

Horat ioes. 

My sonne! and what's a sonne? A thing begot 
Withiu a paire of ininutes — there about; 

A lumpe bred vp in darkenesse, and doth serue 
To ballace these light creatures we call Women; 
And, at nine moneths ende, creepes foorth to light. 
What is there yet in a sonne, 

To make a father dote, raue, or rune mad? 

Being borne, it poutes, cryes, and breeds teeth. 

What is there yet in a sonne? He must be fed, 

Be taught to goe, and speake. I, or yet 
Why might not a man loue a Calfe as well? 

Or melt in passion ore a frisking Kid, 

As for a sonne? Me thinkes, a young Bacon, 

Or a fine little smooth Horse-eolt, 

Sliould mooue a man as mueh as doth a sonne: 

For one of these, in very little time, 

Will grow to some good vse; where as a sonne, 

The more he growes in stature and in yeeres, 

The more vnsquard, vnbeuelled. he appeares, 

Keecons Ins pareuts among the rancke of fooles, 
Strikes care vpou tlieir heads with his mad ryots; 
Makes tliein looke olde, hefore they meet with age. 


|C.] 7 ballaee] Imllancc 1018 — 1033, balance D 1 — M. these] 
those 1015 — 1033, D l M. 8 at| ar 1010 , at the 1633, D 1 , L, 
1 )*’—D\ M. 13 thaught 1002 . 15 ore] over 1633, M. frisking] 

striking L) 4 . 22 vnleauelletl 1023, unleavelled 1633, M, unleveld 

I) 1 , L. 24 eare] eures 1023, 1033. D l , L, M. 



APPENDIX. 


115 


This is a sonne! — And what a losse were this, 
Considered truly? — 0, but my Horatio 
Grew out of reaeh of these insatiate humours: 

He loued bis louing parents: 

He was my comfort, and his mothers iov, 30 

The very arme that did holde vp our house: 

Our hopes were stored vp in him, 

None but a damned murderer could hate him. 

He had not seene the backe of nineteene yeere, 

VVhen his strong arme vnhorst 35 

The proud Prince Balthaznr , and his great minde, 

Too full of Honour, tooke him *vnto mercv — 

That valiant. but ignoble Portingale! 

AVeil. heauen is heauen still! 

And there is Nemesis, and Furies. 40 

And things called whippes, 

And they sometimes doe meete with murderers: 

They doe not alwaves scape, that is some comfort. 

I, 1, I: and then time steales on, 

And steales, and steales, tili violence leapes foorth 45 
Like thunder wrapped in a ball of fire. 

And so doth bring confusion to them all. 

Hiernach folgen Vers 2 ff. ron Scene XI. 

2 *'» isj fehlt D 2 , D s . worej is L. 2 S these) those 1615 1633. 

I' 1 —P 4 ., M. 34 years D l —D 4 . 37 him viito M| him vs toQq.,H, D 1 -D :t , 
to D 1 . L 1 —L 4 , him to I) 4 , him to his hs. Correetur in 1618 (Bod- 
T. 38 Portugiese D 1 , L* - L 4 . 43 escnpe I) 4 . || that is] that’s 
O«).. D 1 —45 foorth] foroth 1602. 46 "Wrapt Qq., D 1 , D 2 l) s , 

I. 3 . L\ )l, Wrap'd H, "Wrapp'd L 4 , wrapp'd I) 4 , wrapped T. 


8* 



116 


APPENDIX. 


D. 

Vierte Interpolation, zwischen Akt 111, Scene XII 
und Scene XIII. 

[Scene Xlla.] 

Enter Iaques and Pedro. 

Iaq. I wonder, Pedro, why our Maister thus 

At midnight sendes vs with our Torches light, 

When man, and bird, and beast, are all at rest. 
Saue those that watch for rape and bloody murder. 
5 Ped. 0 Iaques, know thou that our Maisters minde 
Is much distraught, since his Horatio dyed, 

And—now his aged yeeres should sleepe in rest, 
His hart iu quiet — like a desperat mau, 

Growes lunaticke and childisli for his Sonne, 
io Sometimes, as he doth at his table sit, 

He speakes as if Horatio stood by him: 

Then starting in a rage, falles on the earth, 

Cryes out u Horatio'. Where is my Horatio?” 

So that with extreame griefe and cuttiug sorrow 
15 There is not left in him one ynch of man: 

See where he comes. 

Enter Hieranirno. 

Hiero. 1 prie through euery creui[c]e of each wall, 

Looke on each trce, and search through euery brake. 
Beat at the bushes, stampe our graudam earth, 

20 Dine in the water, and stare vp to heauen: 

Yet cannot I behold my sonne Horatio. — 

How now? Who’s there? sprits, sprits? 

Ped. We are your seruants that attend you. sir. 

Hiero. What make you with your torches in the darke? 

[ 1).] 3 men and birds, and beast ID. 4 murther 1623, DCD. 
5 thou| f. 1 <>03. 0 distraet I) 1 , E‘—L 4 . 7 yeeres] yeero DUO. 

12 startini'] staring 1010. 10 where] heere 1015—1633, 1>‘ —ü 

17 creuie 1002, 1003- 18 on] at 1015 — 1033, I) 1 —M. 19 at] on 

1013—1033, D l -M. 



APPENDIX. 


117 


M. You bid vs light thera, and atteud vou liere. 25 

Hier. N : o, no, you are deceiu'd! not 1; — you are deceiu’d! 

Was 1 so mad to bid you light your torches now? 

Light me your torches at the mid of noone, 

Wheu as the Sun-God rides in all his glorie; 

Light me your torches then. 

Pul. Then we burne day light. 30 

Hie. Let it be burnt! Night is a murderous slut, 

That would not haue her treasons to be seene; 

And yonder pale faced Hecate there, the Moone, 

Doth giue consent to that. is done in darknesse; 

And all those Starres that gaze vpon her face, 35 

Are agg[l]ots on her sleeue, pins on her traine; 

And tbose that should be powerfull and diuine, 

Doe sleepe in darkenes, when they most should 

shine. 

P"I. Prouoke them not, faire sir, with tempting words: 

The heauens are gracious, and your miseries 40 

And sorow makes you speake you know not wliat. 

Hie. Villaine, thou liest! and thou doest nought 

But teil me 1 am mad: thou liest, I am not mad! 

I know thee to be Pedro , and he Jaques. 

Ile prooue it to thee; and were I mad, how could I? 45 
Where was she that same night, 

When my Hor[atio] was murdred? 

She should haue shone: search thou the book! — 

Ilad the Moone shone, 

In my boyes face there was a kind of grace, 

That I know — nay, I doe know — had the mur- 

derer seene him, 50 

25 and] and and 16U3. 28 your| yout 1002. 33 Hee-cat 

ltiU2 —ih 15, Heecat 1618, Heecat 1623, Heccaf 1633, Hecate die 
neuere» Ausgaben (M. Heccat). 34 darkensse 1602. 36 Agglots 

b'Hi, Aglots 1615 —1633, aggots 1602, 1603, aglets D 1 — U 4 , T, 

“glots M. 38 sleepe] steep I) J , A. 41 makes] Make l) 1 —D 4 . 46 that] 
the 161 ■> 1633, D l —M. 50 murderers 1618, 1633, Mtirderers 1623. 



118 


APPENDIX. 


His weapon would haue fall’n and cut the earth, 
Had he been framed of naught but blood and deatli. 
Alacke! when misehiefe doth it knowes not wliat, 
What shall we say to misehiefe? 

Euter IsabeUa. 

55 ha. Deare Hieronimo , come in a doores: 

0, seeke not meanes so to enerease thy sorrow. 
Hier. Indeed, IsabeUa, we doe nothing heere; 

I doe not cry: aske Pedro, and aske laynes: 

Not I, indeed; we are very merrie, verv merrie. 

Go Isa. How? be merrie heere, be merrie heere? 

Is not this the place, and this the very tree. 

Wbere my Horafio died. where he was murdered? 

Hier. Was — doe not say what: let her weepe it out. 
This was the tree; I set it of a kiernnell: 

65 And when our hot Spaine could not let it grow. 

But that the iufaut and the humaine sap 
Begau to wither, duly twiee a morning 
Would I be sprinkling it with fountaine water. 

At last it grewe and grewe. and bore and bore. 

70 Till at the length 

It grew a gallowes, and did beare our sonne: 

lt bore thv fruit and mine — 0 wieked. wicked 

plant! 

(hie knorkes irithin at the doore. 

See who knocke there. 

Pedro. (t is a painter. sir. 

51 fall'd 1615, 161 s. 56 sol fehlt L 1 —L 4 . 58 /amte* 
aske] fehlt 1618—1653, D' — M. 50 Erstes verv] f. D 4 , IA 62 died| 
liied 1602. 63 let her weepe it| fehlt (durch typographisches 

Yersehen) in D». 64 of] otf L\ 70 the) fehlt D 1 , L, P 2 —U'. 

72 wieked nur einmal 1603. 73 knocke 160*2, knockes (knock*! 
1603—1633, D l — M. 



APPENDIX. 


111) 


Hie. Bid him come in, and paint some comfort, 

For surely there's none liues but painted comfort. 75 
Let him come in! — One ktiowes not what may 

chauce: 

Gods will that I should set this tree! — But euen so 
Masters vngratefull seruants reare from nought. 

And then they hate them that did bring them vp. 

Enter the Pointer. 

Pain. God blesse you. sir. 

Hie. Wherefore? whv. thou scorne- 

full villaine ? 80 

How, where, or bv what meanes should I be blest? 
ha. What wouldst thou haue, good fellow? 

Pein. Iustice, Madame. 

Ille. 0 ambitious begger! 

Wouldest thou haue that that liues not in the world? 

Whv, all the vndelued mvnes canuot buv 8r> 

An ounce of iustice! 

Tis a iewel so inestimable. 1 teil thee 

God hath engrossed all iustice in his hands 

And there is none but what com es from him. 

Pai. 0, then I see 

That God must right me for mv murdred sonne. 90 

Hie. How, was thv sonne murdered? 

* * 

Pain. I, sir; no man did hold a sonne so deere. 

Hie. What, not as thine? that's a Iie. 

As massie as the earth: I had a sonne. 

Whose least, vnuallued. haire did waigh 9 ;» 

A thousand of thy sonnes: and he was murdered. 

Pain. Alas, sir, I had no more but he. 

Hie. Nor 1, nor I: but this same one of mine 
Was worth a legion: but all is one. 

Pedro, Iaqites, goe in a donres: Isabc/ia, goe. 100 

77 Omis will [it was] I) 4 . 78 reare U‘»n2, n»ani — 

rearM l) 1 —D*. Zweites nor| not ir»10. 



1*20 


APPENDIX. 


110 


120 


And tliis good fellow lieere and 1 

Will ränge this hidious orchard vp -and downe, 

Like to two Lyons reaued of tlieir young. 

(Joe in a doores, I say. 

Exeunt. 

The Pointer and he sits downe. 

Lome, let’s talke wisely now: 
Was tliv sonne murdered? 

Poin. I. sir. 

Hier. So was mine. 

How doo'st take it? art tliou not sometimes mad? 

Is there no trickes t-liat comes before tliiue eies? 

Poin. 0 Lord, yes, sir. 

Hie. Art a Painter? canst paint me a teare, or a wound, 
a groane. or a sigli? eaust paint me such a tree 
as tliis? 

Point. Sir, 1 am sure von haue heard of ray paiuting: mv 
name’s Bozordo. 

Hie. Bazardo! afore-god, an exeellent fellow. Look you, 
sir, doe you see, I'de haue you paint me [for] my 
Gallirie, in vour oile eolours matted, and draw r me 
fiue yeeres youfnjger tlien I am — doe ye see, sir. 
let fiue yeeres goe: let them goe like the Marshall 
of Spaine —: My wife Isohella Standing by me, with a 
speaking looke to my sonne Horotio, which should 


103 tu two Lyons] two she lions T) 1 , I) 2 —P 3 , L l L 4 , to twoahe- 
lions L r \ 104 at doores 1603. Bühnenweisung: sits] sit L, I) 4 , set P 2 —D s . 

106 doo'st] doo’st tliou 1618, dost tliou 1023, I) 1 M. |j some 

time 1015, 1018, sonietime 1(52:1, 1033, I.) 1 —M. 

* ()> ! I H °' N (Verwirrung beider Zeilen) in 1623. 

lo< Is there f there 

107 Is| I 1633. comes] eome 1623, 1633, I> 1 , L, 1) 1 —I) s . 109 or] /. 

P\ P 2 P\ L 1 L 4 . 110 tree] teure 1603. 114 afore] ’fore P l — l> 4 , 
L. 115 me my] me in mv L, M, me for my T. 117 ye] you 1010— 
1633, P 1 —M. 118 Krstcs goe] agoe 1610 1(518. like the marshal 

of Spaine] fr)tlf L. 



APPENDIX. 


121 


entend to tliis, or some such like purpose: u (Jod 
blesse tliee. my sweet sonne”; and my liand leaning 
vpon his head, tlius, sir: doe you see? — mav it 
be done? 

hiin. Very well, sir. 125 

Wer. Nay, 1 pray, marke me, sir: Tlien, sir, would I haue 
you paint me tliis tree, tliis very tree. Canst paint 
a dolefull erie? 
hi in. Seemingly, sir. 

Wer. Nay, it should erie; but all is one. Well, sir, paint 130 
me a youth, run thorow and thorow with villaines 
swords, hanging vpon tliis tree. Canst thou draw a 
murderer? 

Pointer. Ile warrant you, sir; 1 haue the patterne of the most 

notorious villaines that euer liued in all Spaine. 135 
Hie. 0, let them be worse, worse: Stretch tliine Arte, and 
let their beardes be of ludas his owne collour; and 
let their eie - browes iuttie ouer: in any case ob- 
serue that. Tlien, sir, after some violent noyse, 
bring mee foortli in my shirt, and my gowne vnder HO 
myue arme, with my torch in my hand, and my 
sword reared vp thus: — and with tliese wordes: 

u What noyse is tliis? Who calVs Hieronimo?” 

Mav it be done? 

Pointer. Yea, sir. H5 

[Hier.] Well, sir; tlien bring mee foortli, bring mee thorow 
allie and allye, still with a distracted countenance 
going along, and let my haire heaue vp my night-cap. 

Let the clowdes seowle, make the Moone darke, 
the Starres extinct, the Windes blowing, the Beiles 150 
towding, the OwlefsJ shriking, the Toades croking, 

132 and hanging I) 4 . 135 willaines 1002. 137 ludas hisj 

Judas' s I) 1 , L, D 2 --D*. 138 iuttie] jut I) 1 , L, jetty P 2 —D 3 . case] 

cau»e D*. 144 May] Way D 8 . 145 Yea] Y r es H, l) 4 . 146 liier.] 

fehlt 1602. 151 Owles 1623, 1633 und die »eueren Ausgaben] Owle 

1602- 1618. croking] crooking 1603. 



122 


APPENDIX. 


the Minute» ier[r]ing, and the Clocke striking twelue. 

And then at last, sir, starting, beliold a man hang- 
ing, and tottering and tottering, as you know the 
winde will *waue a man, and I, with a trise, to eut 
him downe. 

And looking vpon him by the aduantage of my 
torch, finde it to be my sonne Horatio. 

There you raay [shew] a passion, there you may 
shew a passion! Drawe mee like old Priavn of Tray, 
erying: “The house is a fire, the liouse is a fire, as 
the torch ouer my head!” Make me curse, make me 
raue, make me cry, make me mad, make me well 
againe, make me curse hell, inuocate heauen, and in 
the ende leaue me in a traunce — and so foorth. 
Puin. And is this the end? 

Ute. 0 no, there is no end: the end is death and mad- 
nesse! As I am neuer better then when 1 am mad: 
then methinkes I am a braue fellow; then I doe 
wonders: but reason abuseth me, and there's the tor¬ 
ment, there’s the hell. At the last, sir, bring me to 
one of the murderers: were he as strong as Hector, 
thus would I teure and drage him vp and downe! 

He beates the Pointer in, then comes out ayaine, 
■with u Booke in his hand. 

Hierauf folgt dann direkt: Vindicta mihi etc. 

154 Zweites and tottering] fehlt I) 2 —I) s . 155 waue 1008, wave 
D l — 1>\ T, weaue die übrigen Qq M weave M. 159 shew] nicht in 
den Qq., ergänzt in IV, L, I> 2 —D 3 , M, T. 161 as] And D\ L, D 2 
1>\ 102 my | thy 1610—1633, II, 1> 4 ., M. 1(>4 heauen] fehlt 1610 1633, 
TV — M. 16S As] And D\ L. 171 At the last] At last L. 



APPENDIX. 


123 


E. 

Fünfte Interpolation, hinter Akt IV, Scene IV, Vers Kid. 
Hier. But are vou sure thev are dead? • 

Cast. I, slaue, too sure. 

Hier. What, and vours too? 

Vic. 1 , all are dead; not one of them surnine. 

Hier. Nay, then I care not; corae, and we shall be friends; 
Let vs lay our heades together: 

See, heres a goodly nowse will hold them all. 

Vice. 0 damned Deuill, how secure he is! 

Hier. Secure? why, doest thou wonder at it? 

I teil thee, Viee-roy, this dav I haue seene *reuenge, 
And in that sight am growne a prowder Monarch 
Then euer säte vnder the Crowne of Spaine. 

Had 1 as many Ivues as tliere be Starres, 

As many Heauens to go to as those liues, 

Ide giue them all, I, and my soule to boote, 

But I would see thee ride in this red poole. 

Hierauf folgen d>e Verse III) (mit leichter Andernng), 
170, 177, und die erste Hälfte von 17H; weiter 
Vers 107—174 (ich folge für die ersten drei Verse 
der Q 1002, ron da ah Q 1000): 

(’ast. Speake, Who were tliy oonfederates in this? 

Vic. That was tliy daughter Bel-imperia, 

For bv her hand my Balthazar was slaine: 
l savv her stab him. 

Hier. 0 good wordes: as deare to me was my Horotio 
As yours, or vours. or vours mv L. to vou. 

Mv guiltlesse Sonne was bv Lorenz<> slaine. 

|K.] 1 thev] tlint they 1 <> 1 r> — 1099, l) 1 — M. slaue] flaue 1010, 
H hune 1009, 1015 — 1099, M. slaiu l) 1 —l) 4 . 0 nowse] nooze 1009, 
hil.) -1099, howse 1610. 9 reuende] reueng'd Q<|., H, M. revenge D 1 . 

16 sight] fight L> 4 . growne] gowne II. 10 Speake] Hut Q—1599. IN 
Mit diesem Yershrieht die Quarto von 1002 ah. 21 Lord 1029, 1099. 



APPENDIX. 


lt>4 


And by Lorenzo, and that Bafthazar, 

Am I at last reuenged thorowly. 

Vpon whose.soules may Heauens be yet reuenged 
With greater farre, then these afflictions. 

Unmittelbar hieran schließt sieh dann die nachfolgende Inter 
polation F: 

3lee thinkes, u. s. w. 


F. 

Sechster Zusatz, statt Akt IV, Scene IV, 

Vers 178 (zweite Hälfte) — 189. Ich gebe diese 
Interpolation in (jetreuem Anschluss an die älteste 
Ueberlief’erung derselben in dem Exemplar 
von 160211603 im Besitz des Herzogs von Devonshire. 
Mee thinkes since I grew inward with Reuenge , 

1 can not looke with seorne enough on Death. 
Kiu[g]. What, dost thou mocke vs slaue, bring torturs furtli. 
liier. Doe, doe, doe: and meane time Ile torture you: 

You had a Sonne (as 1 take it) and your Sonne 
Should ha'e been married to your daughter? ha, wast 

not so? 

You had a Sonne too, hee was my Lieges Nephew: 
Ilee was proud and polliticke: had hee liued, 

Ilee might a come to weare the Crowne of Spaine. 
I tliinke tvvas so: twas 1 that killed him, 

Looke you, this same hand, twas it that stab’d 
Ilis hart, doe ye see this hand, 

Kor one Horatio, if vou euer knew him? 

A youth, one that they hanged vp in his fathers 

Garden: 


24 througlily 1023, 1033. 25 reuenged 1003 — 1633] auenged 

Q_1 

[F.J 3 thouj /< hl! 1623, 1633, D 1 , M. slaue] slaule 1615. H 
twas] was 1018 1033, D 1 —D 4 , M. 12 ye 1603, 1615] you 1610, 
1018—1633, 1)‘-M. 



APPENDIX. 


125 


One tliat did force your valiant Sonne to veelde, 
Wliile your more valiant Sonne did take hiiu prisoner. 
Vice. Be deafe my sences, I can heare uo more. 

King. Fall heauen. and couer vs with thy sad ruines. 

Cast. Kowle all the world witliin thy pitchie cloud. 

Hier. Now do I applaud what I haue aeted, 

Xunc iners cadat manus! 

Nonv to expresse the rupture of my part. 

First take my tongue, and afterward my hart. 

Man sieht also, dass Vers 23 dieser Interpolation 
sich direkt an Vers 190 des altm Textes anschliessf. 




16 more] fehlt 1615— 1033, D 1 —M. 21 Xun< 7r 1603, Xunce 
1610, Xunc 1615 -1633, D l etc. iners/ mers 1603—lOls, mens 16*23, 
1633, I) 1 , mors H— M, iners T. cudat] nulte alle Q<p, mir D\ D 2 
D\ ccrde H, [nunc] ctvde I) 4 , ccdo M, cadat T. manu*/ munui D 1 . 
Q 1603 liest also: Xunck mers cudtv nnnnts. 22 IV 4 lässt den Ver> 
?anz weg. || rupture] rapntre 1>\ D*—D\ part] hart AI. 



Textkritischer Anhang. 

Akt I. 

I, 1. 82. Die Allde-Quarto und die Göttinger (1594) lesen hier 
the (jatcs of Hör: Die folgende Quarto versucht dem offenbaren Druck¬ 
fehler abzuhelfen, indem sie, nun natürlich von allen übrigen gefolgt, 
the yates of Horror liest. Diese Konjektur ist nachweislich falsch; 
denn Acneis VI, 893 heisst es: 

Sunt geminue Somni portae; quarum altera fertur 
Cornea, qua veris facilis datur exitus urnbris. 

Altera candenti perfecta nitens elephanto, 

Sed falsa ad caelum niittuut insomnia inanes. 

Und Virgils eigenes Vorbild, die Odyssee (XLX, 532), hat 
ebenfalls schon: 

Aotai ydo r f nckm duFryrdn* finit* orttnroc 
at uh' yan xtndfant Tfirryarai, ai 8* fkh yaru. 

Tun* oY uh* x F/.fhoni Aid notnzor i)Jfj ujto *, 
ot o F/.f(f aioorzut, enr dxodavza 7 hjorTFf 
Ol Af Aid $FOTLt)V XFOaUJV F/.thoOl ih'fHUF, 

01 (V FTCfia xoaivovoi , f iooubr otf xfv tic tAf/rru . 

Der (leist des Andrea ist also als wahrer Geist, unheildriiuend, 
durch die hörnerne Pforte an die Oberwelt gelangt. 

I, 2, 53. rain. Alle Quartos und bisherigen Ausgaben lesen ran ? 
nur Collier hat die Konjektur rain in seinen Text eingeführt, ohne 
sie übrigens als solche zu bezeichnen. Auch Mr. Le Gay Brereton 
hat mir brieflich die gleiche Konjektur mitgeteilt, und ich zweifle gar 
nicht, dass sie richtig ist. Ursprünglich standen offenbar überall die 
Präsentia rnyctli (Vers 52), rain, darkc , sonant . petitur, drop } falles . 
Die Allde-Quarto hat sie alle bewahrt; nur in ran schlich sich, durch 
einen Druckfehler, ein Praeterituin ein; die Göttinger Quarto führte 
zunächst das weitere Praeterituin darkt in der unmittelbar folgenden 
Zeile ein; die Quarto lt»l8 dann auch noch dropt in Vers 57. 

Dass das Praesens vom Zusammenhang verlangt wird, hat auch 
Manly gefühlt; er schlägt vor, run statt ran zu lesen. 



Textkritischer Anhang 


127 


I, 2, 59. scindred. Dies ist die Lesung von Q. Die moderni¬ 
sierenden Ausgaben lesen natürlich sunder'd (auch Manly sundred 
ohne Bemerkung). Wir behalten die Orthographie von Q ohne Be¬ 
denken bei: das sc ist natürlich wie in to scent (= sentir) zu beurteilen 
(vgl. auch scited in IV, 2, 27); das i ist die normale Fortsetzung 
eines ae. y. 

I, 2, 83. wauing. Dafür liest Manly waning ; so auch Q 1303. 
Allein wauing wird doch wohl richtig sein. So heisst es auch in 
Wily Beguiled (Hawkins III, 305): 

When Phoebus waves unto the Western deep. 
Dodsley-Hazlitt (IX, 235) will hier allerdings auch i vanes statt waves 
lesen. Man wird an etymologischen Zusammenhang mit wabern, 
Waberlohe , an. vafrlogi u. s. w. denken müssen. 

I, 2, 129 ff. Uber die Zeilenabteilung der Quartos, vgl. Ein¬ 
leitung S. LXXXXV. 

I, 3, 14. Manly weist ausdrücklich auf die Lesart von Q 1633 
(und D 1 ) hin, which changes the construction , perhaps for the better. 

I, 3, 15. Die drei lateinischen Verse stehen in den Quartos 
mit gleicher Zeilenfront, so dass die flankierenden Pentameter äusserlich 
nicht von dem mittleren Hexameter unterschieden sind. 

I, 3, 19. Q interpungiert: now, let ; D‘, D 1 , A, D*: it — Xow. 
Ich habe mich hier letzterer Interpunktion angeschlossen. 

I, 3, 35 und 36. treasure. Da das Wort in beiden Fällen 
metrisch offenbar dreisilbig ist, liest Manly trcasur\i]e ; den gleichen 
Vorschlag macht Fleischer, p. 13 und Keller, Archiv CIH, 386. Allein 
vgl. Einleitung, Seite C. Wenn z. B. feature oder pleasure dreisilbig 
gebraucht werden (van Dam, William Shakespeare. Prosody and 
Text , S. 16), so ist doch auch nicht featury oder pleasury zu lesen. 

I, 3, 65 ff. Die Zeilen sind einer doppelten Konstruktion fähig: 
inan kann Vers 66 zu Discharged oder zu counterfeits ziehen. Ich 
habe in dieser Ausgabe die Interpunktion von Q gelassen; in der 
Temple Edition habe ich das Komma hinter counterfeits getilgt. Die 
Q<| 1615 ff. haben Klammer vor that und hinter friend. 

I, 4, 57. Die B.-W. Exit steht in den meisten neueren Aus¬ 
gaben hinter Vers 59. Es ist natürlich anzunehmen, dass Iloratio 
während der Verse 58 59 abgeht. 

L 4, 90. Mit Recht setzt D 4 ein [Asidc]. 

I, 5, 6. Die Interpunktion rührt von mir her; keine der Quartos 
oder neueren Ausgaben weist eine Interpunktion auf zwischen I und 
slaine. Manly setzt ein fasidej; wohl schwerlich richtig. 



128 


Akt I und II 


I, 5, 9. Court ist in Q 1633 durch ein Druckversehen in die 
vorhergehende Zeile hinauf gerückt (das Komma hinter sonne herunter). 

I, 5, 37 ff. Manly setzt Punkt hinter Albion, Komma hinter 
diadem, — eine Interpunktion, die sehr wohl die richtige sein mag. 
Q hat die im Text gegebene Interpunktion; desgleichen die übrigen 
(Quartos; nur steht von 1615 ab ein Doppelpunkt hinter Diadem. 

I, 5, 59. the alle Quartos. Vgl. jedoch I, 2, 96, wo freilich auch 
schon von 1594 ab die späteren Qq the statt thy haben. Auch Elze 
(Notes on Elizabethan Dramatists, II, 102) will thy lesen. 

I, 6. D* fügt die B.-W. Enter Andrea’'s Ghost, tcith Revenge 
hinzu. Sie ist nicht absolut nötig; doch haben die alten Qqsie selbst am 
Schluss des 3. u. 4. Aktes. Natürlich sind Ghost und Revenge während 
des ganzen Stückes anwesend. 


Akt U. 

II, 1, 21 f. Eine beachtenswerte Variante hierzu liefert Beu 
Jonson, der im Poetaster LLL, 1 unsere Stelle folgendermasscn citiert: 

Yet might she love me, to content her fire ; 

Ay, but her reason masters her desire. 

II, 1, 27. her Beauties thrall. Die älteren Qq lesen her beauteous 
thrall, offenbar falsch. Auch Ben Jonson an der eben angeführten 
Stelle hat das richtige beauty's. Vgl. auch Sol. and Perseda, D.-H. 
V, 348: sieeet beauty's thrall. 

II, 1, 29/30. Da wir von Vers 1 bis 40 durchgehenden Reim 
haben, ist gewiss extasie: remedie zu lesen (so auch Fleischer, p. 15). 

II, 1, 41—44. So die Abteilung der Qq. Man könnte Zeile 44 
als Vers fassen (freilich hätte man dann doppelten Auftakt und weib¬ 
liche Endung) und der Rest ginge zur Not auch noch in einen Vers, 
doch sind die Zeilen eher Prosa. 

II, 1, 42. Natürlich ist anzunehmen, dass Pedringano sein 
Siynior! noch hinter der Scene ruft. 

II, 1, 50. pnnishment. D 1 , D 2 , A und D 1 lesen hierfür banishment ; 
wohl zur Abwechslung wogen des wieder folgenden pnnishment in 
der folgenden Zeile. Aber solche Homoioteleuta sind gerade in 
Kyds Manier. 

II, 1, 50—52. Die Interpunktion ist genau die von Q. Die 
Ausgaben D 1 , I) 2 D 1 haben den Zusammenhang der Verse offenbar 
nicht verstanden; sie setzen Punkt hinter pnnishment (Vers 51). Komma 
hinter Ihre (Vers 52), kein Komma hinter since. Offenbar wurde hier 
since als Konjunktion, nicht uls Adverb gefasst. 



Akt II 


1*29 


II, 1. 79—83. Die Zeilenabteilung der Quartos ist wie im Text. 
Koeppel (E. St. XVIII, 131) teilt ab: 

Lorenzo. Wliat, villain? ifs and ands? 

Fedrinyano. O stay, my lord; 

She loves Horatio. 

II. 1, 79. D 4 fügt die B.-W. hinzu: Threatens him. 

II, 1, 128 129. Die Zusammenziehung der 2 Verse in 1815 ist 
wohl mit Absicht geschehen: das limbde der vorhergehenden Qq. 
(statt limde , lim’d) war offenbar unverständlich geworden. 

II, 2, 4. Q—1618 D weisen keine Klammern auf; 1618 B—1633 
setzen Klammern vor Two und hinter contents ; hierin folgen ihnen 
D 1 — D 4 . Natürlich muss die Klammer hinter had schliessen. 

II, 2, 27. D 4 setzt ein [Aside . hinter diese Zeile; offenbar ge¬ 
hört es hinter die nächste. Natürlich ist auch Zeile 31 aside ge¬ 
sprochen, wie D 4 richtig zusetzt (ebenso 41). 

II, 1, 33. Alle Qq. und einige neuere Ausgaben lesen warring 
statt war. Metrisch ist dies zur Not zulässig (epische Cäsur). Allein 
war ist doch wohl vorzuziehen; warring kann sehr wohl fälschlich 
aus Zeile 38 in Zeile 33 geraten sein. 

II, 2, 56. Ich zweifle nicht, dass hier jeal[iJous zu sprechen 
ist. Das Wort wird ja in der damaligen Zeit häutig auch so ge¬ 
schrieben, z. B. im First Fort of Jeronimo fol. C 3 b (D.-H. IV, 371 
Mitte) oder in Warners Albions England (1597), p. 47. 49 etc. So 
wohl auch in Richard III., I, 1 , 92: 

Well struck in years, fair, and not jealous. 

Vgl. z. B. van Dam, William Shakespeare. Frosody and Text. 
p. 20; Franz, DLZ. 1901, Spalte 669, unten. Man denke an enrious 
(so mit Recht Franz), au hidious , hideous , wo heutzutage noch das 
ursprünglich falsche Suffix gesprochen wird (trz. hideux): frühere 
Schreibungen wie magnanimious etc. 

3Iit Ach und Krach käme man freilich auch noch durch den 
Vers, wenn man mixed zweisilbig liest; ganz ungeheuerlich ist dagegen 
Fleischers Skandierung: 

Of dün ] ger mixed | with jea Ions des pite. 

II, 3, 10—12. Man wird die Interpunktion doch wohl wie im 
Text setzen, indem man Vers 11 zum vorhergehenden, nicht zum 
folgenden zieht. Q freilich hat nur ein Komma hinter leugne: allein 
1603. 1610 z. B. setzen einen Punkt, 1615 und 1618 ein Kolon; 1623, 
1633 ein Semikolon, worin alle neueren Ausgaben mit Ausnahme von 
D* nachfolgen. Letzteres hat keine Interpunktion hinter Vers 11, 
worin ihm Fleischer (p. 17) folgen will. 

Schick, Span ish Tra jjedy. 9 



130 


Textkritischer Anhang 


II, 3, 14 ff. Die Interpunktion von Q (Komma hinter (hat in 
Vers 14, uncl Punkt hinter land in Vers 16) ist ganz verfehlt. Die 
späteren Quartos scheinen die Stelle richtig verstanden zu haben; des¬ 
gleichen alle neueren Ausgaben. 

II, 5, 29. ere life was new begun . Das heisst wohl — : bevor 
dein Leben noch recht neu begonnen hatte; bevor dir, nach all den 
Gefahren des Kriegs, Leben und Lebensgenuss neu erblüht war. In 
Lodowick Barrys Kam Alleg (Dodsley-Hazlitt X, 371) findet sich auch 
dieser Vers der Spanish Tragedy citiert; es heisst dort: 4 ‘whvn life 
was new-begun'\ Diese Lesart wird von Fleischer verteidigt; doch 
glaube ich, dass eine Änderung nicht notwendig ist. 

11, 5, 71. Die Konjektur effert statt effecit , welche das Metrum 
richtig stellt, verdanke ich meinem Kollegen Prof. I)r. Traube. Der¬ 
selbe Gelehrte wies mich auf Tibull II, 4, 55 ff. als das wahrschein¬ 
liche Vorbild von II, 5, 72 73. Tibulls Verse lauten: 

(Juidquid bubet Circe, quidquid Medea veneni , 

Quidquid et herbarum Thessula terra gerit . . . 

Si modo me plucido videat Nemesis mea valtu, 

Mille alias herbas misceat illa, bibam. 

II, 5, 78. Q liest: 

Emoriar tecum Sic. sie iuuat irr sub r mb ras . 

Spätere Quartos umgekehrt: tecum sie, Sie iuuat . Natürlich hat Q 
das richtigere; das Sic, sic jucat ire sub umbras stammt ja aus der 
Aeneis IV, <>(>(). 

Akt III. 

III, 1, Bühnen Weisung. Ich habe nach dem Vorgang der alten 
Quartos Ale.randros Namen stehen lassen, obgleich er eigentlich erst 
hinter Vers 30 aut'tritt. 

III, 1, 1. Natürlich ist condition viersilbig zu lesen; die Ein* 
Schiebung von great in I) 1 . I)*, A ist nichts weniger als eine Ver¬ 
besserung. 

UI, 1, 15. Die 1 Vrsonenbezeichnung Xob. der <o- (so auch D 1 ) 
lösen I) " — D* auf in Xoble , H und I) 4 in Xobles. 

III, 1, 58 ff. Q hat die Zeilenabteilung: Stay . . . Maiestie, j| 
Yillupyo. |; entrance? \\ Von neueren Ausgaben teilen H — M ul>: 
Stay . . . of |] Villuppo! | entranee? [| Q 1623 und 1633, sowie I> 1 
hab(»n zwei Zeilen in Prosa. Die Abteilung des Textes oben dürfte 
den metrischen Gepflogenheiten Kyds am meisten entsprechen. 

III, 1, 77 f. Of .... vubindc bim bildet in den alten Qq. und 
den neueren Ausgaben eine Zeile. Bei Manly findet sich die Be¬ 
merkung: <Qy. an Ale.nnidrine: or , as Kittredge suggesfs, my lord 



Akt III 


131 


hgpermetrical. Mr. Le Guy Brereton schreibt: " Thibind him" is 
probablg the original stage-direclion. After it find intruded upon 
the tej t, I suppose, the tcords *•/’ Theg unbind hhn" wert’ inserted as 
a direction a couple of lines lower down. Ich meine, der Vicekönig 
ruft zuerst Alexandro zu: Come, mg Lord; da er sich alsbald besinnt, 
dass dieser ja noch angebunden ist, giebt er den Umstehenden im 
allgemeinen den Befehl: Ynbinde him! Dann endlich besinnt ersieh 
auf noch ein besseres: es ist das angemessenste, wenn der verleum¬ 
derische Villuppo den unschuldig Verklagten selbst loslöst: “Let him 
unbindo thee” etc. Die metrische Abteilung dürfte wie im Text am 
besten sein. 

III. 1, 92. Es ist doch wohl zu lesen: 

Or wherein hath Alexandro vsed thee 111/ 

Vgl. unten III, 10, 34: 

Or wh6rein ist that I otfended thee? 

III, 2, 23. Die Qq. und D 1 — D* hüben die Zeilenabteilung: 
See .... man || may || , also zwei Zeilen. Dies ist offenbar unrichtig 
(vgl. auch den Reim). 

III, 2,83 (und 96). Die älteste Lesung des Namens ist Liugis. Diesen 
Heiligeu kenne ich nicht; auch nicht den heiligen Liugis von D *, A, 
D 3 (und Koppels deutscher Übersetzung). Manly vermutet, wie ich 
selbst, Luigis. 

III, 2, 94 ff. Die alten Quartos und I) 1 — D* teilen ab: My 
Lord jj forthwith || Parke || . Jedenfalls aber gehört me et in die Zeile 95. 

III, 2, 108 und 109 bilden in Qq. und I) 1 eine Zeile; schon 
Hawkins hat die Verse richtig getrennt. 

III, 2, 113/114. D. h. Pedringano und Cerborine, die um schnöden 
Mammons halber ihr Seelenheil verwirkt haben (durch ihre Mitschuld am 
Morde Horatios), werden um solchen Preis auch ihr leibliches Leben darau- 
wagen, wenn ich es jetzt zu meiner Rettung brauche. Q freilich hat 
keine Interpunktion hinter endangcred und Komma hinter life. Von 
1615 ab steht ein Komma hinter endangcred . Komma oder Strichpunkt 
hinter life (so auch in den neueren Ausgaben; Manly wie 

III, 2, 119. Die Zeile wird von Manly zerteilt: 

For dye they shall. 

Staues are ordein[e]d to no other ond. 

Auch Mr. Le Gay Brereton möchte so gelesen wissen. Mich hält 
der Reim von der Zerteilung ab; Sechsheber (so kann ja der Vers 
gut gelesen werden) kommen des öfteren in der Spttnish Trayedy 
vor; vgl. Einleitung, S. LXXXXV1II. 

ft* 



132 


Textkritischer Anhang 


111, 3, 40. Man kann Fragezeichen oder Komma hiuter 11V*// 
setzen; ich bin nicht ganz sicher, in welchem Fall die Antwort 
Pcdringanos unverschämter klingt. Q hat ein Komma. 

111, 4, 51 f. Zeilenabteilung der Qq.: with vs? |j distress. |j Be¬ 
richtigt von Fleischer, M und T. Die Zeilenabteilung giebt zuerst 
MarkscheH'el richtig; doch liest dieser den zweiten Vers: 

Do stand, good lord, and help me in distress. 

Manly schiebt mit Recht hinter xcith vs ein: Reads the letter. 

III, 4, 71. He . . . liucs: away in einer Zeile Qq, D l —D 3 . 

UI, 6, 28. Die späteren Quartos und mehrere neuere Ausgaben 
(D 1 — D*) haben einen Punkt hinter Marshallship. 

III, 0, 37 und 38 sind nach Keller ( Archiv C-Ill, 380) vielleicht 
1 aside' zu sprechen. Sehr wohl möglich. 

III, 6, 40. Nach diesem Vers haben die Ausgaben H—I) 4 die 
Bühnen Weisung: Enter Hanyman. Dies halte ich für falsch: der 
Hanyman ist gewiss schon da, und verbirgt sich wohl hinter den 
Officers der B.-W. nach Zeile 10. 

Ul, 0, 41. Hier fängt nach meiner Meinung die Prosa an. In 
Zeile 44—19 habe ich die Anordnung von Q gelassen. D 4 hat hier 
höchst wunderbare Verse; vgl. Einleitung, Seite LXX.XVI. 

III, 6, 50. 57. Die zwei Zeilen sehen in den alten Qq. und 
neueren Ausgaben wie 2 Verse aus; Zeilenabteilung: ready. || away. |,' 
Das gleiche gilt von III, 0, 70 78; Z.-Abt.: greatly. jj health. || 

III, 6, 99. I) 4 hat die Note (S. 90): [Old copies, murder’f o.|. 

Aber nur bei Hawkins findet sich Murder -3 o. Die Qq. setzen Komma 
hinter Murder. 

III, 7, 24. Interpunktion von Q: pasport, I prav von sir, we . . . 
wrong. Spätere Qq. haben Semikolon hinter pasport. 

III. 7, 55. Manly setzt Punkt hinter accidenf. Q interpungirt: 
thi», aecident, now, || 

III, H. H—D* beginnen hier einen neuen Akt; vgl. Einleitung 
S. L\.\Xf. 

III, 8, 1. Die meisten Qq. halten keine Interpunktion innerhalb 
des Verses (so Q); einige haben ein Komma vor tltis. 

III, 8, 2 und 3 bilden in allen Qq. und neueren Ausgaben 
eine Zeile. 

III, 10, 2. Manly lässt das assunlr von Q; zur Not könnte man 
ja allerdings dreisilbig assujrd sprechen. 

III, 10, 21 2n. Sistrr?—euemy ei ne Zeile in Qq. und D 1 - IV. 
Herichtigt von Markscheflei, Manly und T. 



Akt III 


m 


\ 


III, 10, 75. Das (prämierende?) Act ne von könnte man 
vielleicht auch stehen lassen, wie Manlv thut. 

III, 10, 98. How? || loose. j| So abgeteilt in Qq., D 1 — D 4 ; auch 
^ bei Elze, Notes on Elizabethan JJramatists, p. 103, der unsere Stelle 
ohne brauchbares Resultat behandelt. Die im Text gegebene Abteilung 
auch bei Markscheffel (der in 98 You fear yourself? liest), und Manlv. 

III, 11, 3. Das Komma zwischen nie und so steht, wenn ich nicht 
irre, nur in Q 1603 und 1618 D. Es scheint mir einen guten Sinn zu 
geben: wenn ihr mich verlassen wolltet, daun gut (dann war ich recht 
zufrieden). 

III, 11, 8/9: Oh — teere in einer Zeile Qq., D 1 - D\ 

III, 12, 73/74 eine Zeile Qq., D ! ~-M; die Trennung schon von 
Markscheffel vorgeschlagen. 

III, 12, 78 79 eine Zeile in den älteren Qq.; die späteren, wie 
auch die Neuausgaben zerteilen die überlange Linie. 

III, 12, 81. Der Vers ist doch vielleicht ohne Auftakt zu lesen 
(ohne dass man etwa For zu Anfang ergänzt). Vgl. z. B. Marlowe, 
Dr . Faustus , ed. Breymann, B 1457 (so auch wörtlich, nur mit Vor¬ 
gesetztem and , Shakspere, AIVs Well I, 3, 31). Übrigens kommt 
das Sprichwort äusserst häutig vor. 

III, 12, 100. Das Metrum dieses Verses hinkt gewaltig. Collier 
{lllustrations of Early English Populär Literature , Band I, 1863, 
Einleitung zu John Breiven) schlägt vor, statt exempt zu lesen execute 
(so auch eine handschriftliche Korrektur im Exemplar der (Quarto 1618 
aut der Bodleiana). Allein dies bringt nur eine schiefe Auffassung in 
die Stelle, die dem Sinn nach doch ganz klar ist. Hazlitt conjiciert 
viel besser hold exempt , was meines Erachtens dem Metrum wie dem 
Sinn der Stelle völlig gerecht wird. 

III, 13, 1011. Q hat Komma hinter contend und life. Die 
Interpunktion von D 4 (Komma nach contend , keines nach life) halte 
ich für verfehlt. 

ID, 13, 25 26. Interpunktion nach Hawkins; Q hat Komma nur 
hinter oportunitie. 

III, 13, 35. Das Mors von Quarto 1633, das so “ likely" aus¬ 
sieht, aber doch falsch ist, haben alle Ausgaben bis auf D 4 herunter 

weitergeschleppt. In neuerer Zeit ist der Fehler zuerst von Sarrazin 
korrigiert worden, mit dem Hinweis auf die Quelle, Seneeas Oediyus 
515 (vgl. Anglia XIII, 127 und „Thomas Kyd und sein Kreis“, p. loü). 

DI, 13, 50 51. Abteilung: them. J| law Qq., I) 1 —M. 

III, 13, 66 band. Dafür las I) 1 bond. D 1 kehrte (wie auch H) 

zur alten Lesart band zurück und bemerkt in einer Note ganz richtig: 



Textkritischer Anhang 


i:U 

“This was altered to bond in the former edition. 1 ’ Damit war natür¬ 
lich D 1 gemeint. D 3 druckt dies wörtlich nach, und D 4 macht daraus 
Ranz missverständlich: “This was altered to bond in the edition of 
1599.” Diese Ausgabe (die Bridgewater Quarto, die Hazlitt gar nicht 
gesehen hat) liest aber band wie alle andern Quartos. 

III, 13, 66, B.-W. papers. Das 8 in Q ist wohl noch erkennbar, 
nur etwas undeutlich. 

III, 13, 77 78. So die Abteilung von Q. Erst spätere Ausgaben 
haben Prosa aus den zwei Versen gemacht. 

III, 13, 79 80. Q liest: 

No sir, it was my murdred sonne, oh my sonne. 

My sonne, oh my sonne Horatio. 

Die gleiche Zeilenabteilung in allen übrigen Q<p, I) 1 — D 4 . 

III, 13, 89. D 4 hat hier ganz willkürlich, und ohne jede Angabe 
einer Abweichung von seiner Vorlage: 

[Hier.] But here, take this and this 
Senejc. What, thy purse? — 

Hier. Ay, this and that. 

Ich halte die Änderung für gänzlich unnötig. Hieronimo stöbst 
heim Herumfahren in seiner Tasche auch auf seine Börse, und unter¬ 
bricht sich dann selbst mit seiner Frage. Nach kurzem Besinnen setzt 
der treffliche Marschall dann alsbald grossmiitig hinzu: „ja wohl, die 
sollst du auch haben!* 

III, 13, 101 ff. Für die Textgestaltung dieser Verse verdanke ick 
Mr. Gollancz Anregungen. 

III, 13, 149. Die Ausgaben I) 1 — D 3 lesen fatc statt Father. 
Dieser Änderung bin ich in der Templc Kdition gefolgt, habe 
jedoch hier die Lesart der Qq. gelassen: trannfarmes fasse ich 
intransitiv: „dass das Aussehen sich so verändern kann!* Damit, 
dass Hieronimo sich selbst als ruthlessc Father apostrophiert, ver¬ 
gleiche III. 13, 9Ö ff.; IV, 1, 16 etc. Metrisch ist gegen den Vors 
nichts einzuwenden; er ist genau gebaut wie III, 15, 47 oder III. 12. 
91 (ej nsche (’äsur, oder wenn man lieber will, Father verschieden). 

Hinter dem letzten s von transformes hat Q noch ein weiteres 
Zeichen. Man könnte es für ein zweites, schlechtgeratenes s halten; 
wahrscheinlicher ist es wohl ein verkehrtes Fragezeichen (das ja in 
Drucken dieser Zeit ganz gewöhnlich auch die Funktion unseres Aus- 
rufungszeichens hat). 

III, 13, 165 ff. Mnnlv lässt jede Interpunktion hinter broken off 
weg, und bekommt dadurch eine eigentümliche Interpretation der 
Stelle. Q hat Komma hinter broken off und breathes . 






III, 14, 1. Go, Brother— nanu*. Als Prosa in den ältesten <-^q., 
die späteren Qq. und die neueren Ausgaben haben Verse wie im Text. 

III, 15, 7 8. Sister? || Lord, | see fjq., 1) 1 — D 1 ; sister. j[ this j| 
see. I) 4 ; sister. || Bel-imperia? |j day || see M. 

III. 15, 66—68. Father. | him. Prinee, | peaee: D 1 —1)\ 

III, 15, 77 Yonder. tro? | Qq., D 1 — 1) 4 ; duke? | so. tro? M. 
Vomier, j devis'd? \ lamb Markscheffel. 

III, 15, 89 90. Hieronimo- -Sonne ei ne Zeile t^q., I) 1 ; Hieronimo, 

I hear I son H—D 4 . 

III, 15, 108 109. not. ; world Qq., I) 1 ; not. | There pause; | 
world H D 4 . Wie irn Text, Markscheffel und Manlv (der erstere 
lasst tjood aus, was den Vers glatter macht; statt There /hot liest er 
Therefore). 

III, 15, 126. commaund, 1 way. | Qq., I) 1 ; Pha! — | way I 
D’-D*. Eine Zeile H, D 4 , M, T. 

III, 15, 127 f. Als Nachtrag zu der Note meiner Temple Edition 
sei hier zunächst besonders auf die wertvolle Bemerkung Wolfgang 
Kellers {Archiv* CIII, 387) hingewiesen. Das italienische Sprichwort 
des Textes findet sich auch in Sandfords Garden of Vleasurc. unter 
den ' Prorerbs of Piocano\ i. e. Piovano Arlotto, und zwar in der Form: 

..Chi mi fa mer/lio , ehe non suole. 

Tradito m' ha. o tradir mi rnole .*• 

Noch vor dem Erscheinen von Kellers Recension war ich eben¬ 
falls auf die Stelle gekommen, aber eben, wie ich dankbar kon¬ 
statiere, angeregt durch Kellers etwas früheren Aufsatz „Zu Shake¬ 
speares italienischer Reise ;i , im Jahrbuch XXXV, 260 ff. Ist Dunlops 
Ariosto Druckfehler für Arlotto? Von Sandford scheint das Citat auch 
in Florios Vir nt Fruit es übergegangen zu sein (fol. 20 rocto). 

III, 16, 3 4. Markscheffel will lesen: 

To combat Acheron and Erebus 
In hell, or near-by Styx and Phlegethon. 

III, 16, 28. Der Vers ist fast unmöglich zu seandieren, auch 
wenn man first zweisilbig, oder nuptiall dreisilbig lesen wollte. 
Mr. (iollancz will Lo am Anfang des Verses einsehieben, was ich 
auch in der Temple Edition direkt eingesetzt habe. Manlv setzt 
do . . . heare statt haare: ob aber nicht doch ein Praeteritum hier 
1 h "sser am Platze ist? 

Akt IV. 

Die Ausgaben H — I) 4 bezeichnen, ihrer Einteilung des ganzen 
Stückes entsprechend, diesen Akt natürlich als fünften. Vgi. die 
Note zu 111, 8. 



136 


Textkritiseher Anhang 


IV, 1, 9 10. So die Lesung der Qq. Ob man beide Zeilen so 

lässt, oder die erste opfert, oder die zweite, oder eine Kreuzung 

zwischen beiden herstellt — das Resultat bleibt unbefriedigend. I> 4 
streicht den 2 ten Vers, meine eigene Temple Edition den ersten; am 
gescheitesten war wohl Dodsley, der beide Verse auslässt. 

IV, 1, 32. Collier ( Illustrations , vgl. Note zu III. 12, 100) 
will hier applands statt applics lesen. Mit nickten, trotz Fleischers 
Beifall; applies ist hier wie das moderne ply gebraucht, und applies 
nur drift heisst einfach: furthers our pltins . 

IV’. 1, 52 -61. are. ! Bel-imperia . I you | hers. j vour helpe. | of 

nie, | haue you. J Embassadour, j Qq., D l -D 4 . Manly liest in 52 55 

wie ich, in 55—61 wie die Qq. Markscheffel (p. 22) und Doleschal (p. 9) 
wollen zwei Alexandriner ansetzen: 

•‘My help? Why, my good lords, assure yourselves of me; 

For you have given me cause; ay, by my faith have you”. 

IV, 1, 88. Die Quarto hat ein Fragezeichen hinter plaies . das 
wir nach neuerem Gebrauch durch ein Ausrufungszeichen ersetzen. 

IV, 1, 95. Durch ein typographisches Versehen ist hier in der 
Temple Edition am Schluss it abgefallen. 

IV 7 , 1, 98 —105 weisen sehr unregelmässiges Metrum auf; Anti 

now — to Hpeak steht in den ältesten Quartos direkt als Prosa; 

die späteren haben freilich wieder Verse daraus gemacht. 

IV, 1. 126. But .... of him | Bashaw? | misdeeds | Qq., D 1 —I) 4 . 
Manlv hat die Abteilung: O. excellent .... Hieronimo: ; bashaw? | mis¬ 
deeds, j himselfe. Dr. Markscheffel und Mr. Le Gay Brereton teilen ab, 
wie ich; der erstere will noch Ile vor Moued einschieben, der letztere 
[he straightj hinter misdeeds. 

IV, 1, 146. Mau kann hier discoretion lesen, oder den Vers 
ohne Auftakt nehmen, oder W hielte'er statt Wflieh lesen, oder unfo 

statt to. Vgl. Elze, a. a. 0. p. 103, Markscheffel, p. 22 und Manlv 

zu der Stelle. Elze schlägt auch eine Umstellung vor: ! 

Which shall | seem best | to vour | discretiou? 

IV, 1, 153 154. Ein Vers in Qq., D 1 —M. j 

IV. 1, 169 70. Euch .... parte, | languages, | Qq., D 1 — I> *. • 
Manly hat die verlockende Abteilung: Hieronimo? | of vs | languages, [| . 

IV, 1, 187. this? rosolue, | vp. | Qq., D 1 — M. 

IV, 1, 190. vou. I Babilon, | Q(J., D 1 — M. Markscheffel, p. 2o. 
wie im Text. 

IV. 3. 8. Manly teilt ab: Hieronimo. j that? j Grace || . 



Akt IV 


137 


IV, 3. 21. Ich fasse diesen Vers als dramatische ayllable pause 
litte; in 22 fehlt der Auftakt, 18 und 25 siud Kurzverse. Überhaupt 
finde ich, dass dieser letzte Monolog Hieronimos, der mit geballter 
Faust gesprochen wird, und wie das Grollen herautziehcnden Donners 
klingt, auch metrisch vortrefflich gelungen ist. 

IV, 3, 24. Manly teilt ab: to be : Keueng’d! Ich möchte 
Hieronimo zweisilbig lesen (wie häufig, s. Einl. S. LXXXXIX f.) 
und betrachte Vers 25 als Vierheber; dadurch wird das harte En¬ 
jambement vermieden, und der viermalige Racheruf Hieronimos kommt zu 
intensiver Wirkung, wenn viermal hintereinander das Rachewort den 
grimmigen Versschluss bildet. 

IV, 4. Bühnenweisung. Man ly fügt mit Recht am Schluss hinzu 
(to the galleryj. 

IV, 4, 5. Vielleicht ist die richtige Anordnung: 

Vice. Who? Bcl-imperia? 

King. I, and Hieronimo , our Mar 'shall. 

So bei Manly. 

IV, 4, 51. imploid. | slaine! 1 Qq., D l - D J , M; employed. | 
Ay me, Erastus! j slain! D 4 . 

IV, 4, 78. Die ältesten Qq. haben Klammer hinter for, und 
nach scene; die späteren vor for und nach per re. 

IV, 4,102. Manly setzt Gedankenstrich hinter leaue und leasure; 
Q hat Kommas hinter beiden Wörtern. 

IV, 4, 107. He shrikes , 1 heard, and getj. So die Inter¬ 
punktion fast aller Quartos (namentlich die von Q). 1623 und 1633 

setzen ein Kolon hinter heard; 1618 einen Strichpunkt, und so auch 
H—D 4 . D 1 ändert ganz; ich interpungiere im wesentlichen wie M 
(so auch T). 

IV, 4, 119. Die Anführungszeichen rühren von mir her. 

IV, 4, 150. Ich fasse den Vers als regelrechten Vierheber (vgl. 
Einleitung, 8. LXXXXVIII). Ein Leser der Quarto 1610 (Exemplar 
der Bodleiana) hat unnötigerweise mit Einschub eines dismtd vor plag 
dem Metrum aufhelfen wollen. Der Vers wirkt nach meinem Gefühl 
als Vierheber viel besser. 

IV, 4, 152. Es ist zweifelhaft, ob hinter hohle ein Komma 
stehen soll oder nicht. Die Qq. haben keines; ebenso D ', H, D J , 
D s , M; dagegen steht ein Komma in A, D \ T. Vgl. die Bühnen- 
Weisung hinter 155, die übrigens erst in Q 1602 auftritt, also schwerlich 
viel Gewicht für die Auffassung des vorliegenden Verses besitzt. 

IV, 4, 160/161. Eine Zeile in Qq., D*— M. 

IV, 4, 167/168. Eine Zeile in Qq., D' —31. 

Schick. Spanish Trageüy. 9** 



138 


Text-kritischer Anhang 


IV, 4. 182 -184. tortures . j teil . | Sonne, | die ältesten Quartos: 

H D 4 . 

IV, 4, 206. Die Interpunktion rührt von mir her. Q: entom'd ichat. 

Interpolationen. 

A. 6 und 7 eine Zeile Qq., D 1 — D\ 

13. Auch mir kommt der Vers tliörieht genug vor, aber die 
„Emendationeu“ long-liv’d (D l , D a — D s ), oder gar shrewd-liv d 
(Fleischer, p. 20) machen ihn wahrhaftig nicht vernünftiger. 

26 und 27. 1: 1—/toure in einer Zeile Qq., 1) 1 — I) 4 . 
Vielleicht lassen sich die Zeilen 26—30 am besten so 
anordnen: 

Ped. Deluded ? 

Hier . I: I would haue sworne mv seife. 

Within this houre, tliat this had beene iny sonne: 
Horatio! His garments aro so iike. 

Ha! are they not great perswasions ? 

(Die erste Zeile ist so von Man ly geordnet.) 

29 und 30 in einer Zeile Qq., D l — M. 

36 und 37. Dearc—griefe in einer Zeile Qq., D K 
43 und 44. againe. [ hell Qq., D l — D 4 ; Manlv setzt O God! 
in eine Zeile für sich. 

B. 5—8. Y ? favth . .. . ennfesse, | lionor. Qq., D l —D 4 ; thing. [ 

tardy, | llonour. | M, T. 

C. 4 und 5. sonne? | about: | Qq., D 1 —D 4 . 

12—14. sonne? | speake: I as well? I sonne? ( Bacon, | 
1610—1633, I) 1 —]) 4 . 

26—29. This is . . . . truly? | of these | parents, i Qq., D l —I) 4 . 
35—38. When .... Balthazar, | Honour, | Portingale Qq., 

I) 1 —D 3 . 

44—17. Hier ist der Effekt. des irregulären Metrums so lein, 
dass ich die Zeilenabteilung von Q 1602 ganz her¬ 
setzen will: 

I, I, I, and then time steales on: and steales, and steales 
Till violence leapes foorth like thunder 
AYrapt in a ball of tire, 

And so doth bring confusion to thern all. 

Erst Hazütt, Manly und ich selbst haben geändert; ob wir es 
besser getroffen haben, ist mir recht zweifelhaft. Markscheffel (p. 26) 
nimmt Keim und Alexandriner an: 



Interpolationen 


130 


Till violenee leaps forth, liko thunder wrapp’d in a bull 
Of tire, and so doth bring eontusion to them all. 

D. 40 und 41. The heauens . . . sorow, | wlmt. | Qq., D‘ — D 1 . 

46 ff. Where .... mnrdredV | booke. j grace j Qq., D l — D 4 . 
70 und 71 eine Zeile Qq., D' — D\ M. 

77 und 78. tree, | nought, | Qq., D 1 —D 3 , M. 

83 ff. 0 . . . haue that, | worid, j buy j inestiniable: ; hands | 
from him. | sonne I Qq., D>-D\ 

Die Quartos drucken auch den Rest dieser Interpolation in der 
Hauptsache als Verse; doch sind auch hier Z. 146—158 in vier 
Absätzen als Prosa gegeben. Ich halte es nicht für der Mühe wert, 
die falsche Versabteilung der Quartos herzudrucken, um so weniger, 
da sie in allen neueren Ausgaben im wesentlichen wdedergegebeu ist. 

E* 19—26 und F# Hier habe ich auch die Interpunktion und 
Zeilenabteilung getreulich beibehalten, da der Text der ältesten 
Vorlage, Quarto 1603, noch nirgends wiedergegeben worden ist 
(ausser modernisiert in meiner Temple Edition). 



Berichtigungen. 

Auf 8. XXX, Z. 1H v. u., lies einziges statt einsiges. 
„ S. XXXX11I, Z. 5, setze Komma vor ihre. 

.. S. LXXXVI, Z. 17, lies hätte statt hätter. 


1 





TRAGE- 

aie, Concaining the lamentable 

end of Don Horatio, and Bel-imperia : 

. with the pittifull dcath of 

•. olde Hiarontmo . - 

Ncw-ly correöed and amended offuchgrofle faidts as s 
P^fTcd in the firft imprcfsion. , 



h 


AT LONDON 

Pi inted by Edward tÄHJe } for 

Edward White. 

I V 









'ii 











4 


. ? C; **■ - ' 1 

h M1 liaA • 


Tafel 1. 




* 

I 




ACTVS PRIMV 


S. 




Enter the Ghoaftof t/fndreä,2n& withhun 

Redete. • 


Hcntliis etemallfubßanccofmy (bule, 
k D* d J me impnfond in rav v\ an ton flefh : 
ES y? *jpf' Echin their funftiooferaing others nced, 

P'XoJ&h 1 ' ta,a ^ ourr i frmt h«Spani/}i Courr. 

Mjrname w a$‘Z>j»^<frrÄ,iny difeent , 
Though not ignofcrfe,y«t infcriouriar 
logratiousfortuncsofraytenderyomlu ’ 
ror there in pnme and pride of all rav rcercs, « 

fßydutf ous fcruice and defenimg lou<s, * *' • 

^ftcrctlpofleflaworthy dame, ?r7v >’ V v - * * 
Wnich hight fweer Bel-imperu by name. 

£ Uf ,n tncharueftofmy (oramerioyef, 


jy valour drew mcinto dangers mourli, 

VV 1 i t0 d ? h ®* dc P*®S c,,HWU £ h my wounds, 
• v ncn! wasflaine,my foule defrended ftrai^ht, • 

0 Pjue the flowrng ftrearae of Acheron: . 

^^churlif^ciuro/Tonlyboarraantherc, : f . 
thatmy^tes of buriallnor pciforn>de,-. 

n ? l J J 1 * 1 fit amongft bis paflenpers. 
j'cS(IKjdfl f pt threenights in Th'ttn l,ip, 

‘wl linkte hu^kingChatriot m hcrßoud: 

; D«iHort,Kam Icmght MarrtuUTonne, ", 

/hiwrjlsond obfeqm« wcrcdonc. 


Tafel 2. 






P A N 1 S H TRAGE, 

die, Conrainiir^ thc lamentable 

L N D O F DO ;V'// O £ r / O, AND. 

: v.it'i t!i^ pittifull dcatll 


N E,*vV L Y CORRECTED 'AND 
amendcd o! it;t Ji ^rollc^faulrs as pallcd'ln 
tiic heil urprcfiion. 


LONDON, 


Printed by Abeil Ieffes, and arc 

tbbciöldby Edward V VI ita. 

1 S 9 4 


Tafel 3. 





























eppnisn i rageciie: 

O R, r ; 

Hicroninio is mad againe. 

I • • * % 

• n • # 

Conraining the lamentable end of Dm Horath, and ; 
MimftrUf wufa theputtfull death of Hicronimc, ' 


Newly cottcftcdjimended, and enlarged tvith new 
Addition» of tbe htmtirs pa«, and others, as 
ic haih of late becn diuers tirncs afted * • 


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t- • ' tONDON, , 

|\ Pnntcd by W. W| 1IK , fort. White and IM. angier 
j *ni a re to be foldat their Shop ooer acainl} che 

I* \■ 5*f 1T *uihead withoutNew-gate. tftf. y 


Tafel 4. 











LITERARHISTORISCHE 


FORSCHUNGEN 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. JOSEF SCHICK Dr. M. Frh. v. WALDBERG 

o. ö. Professor an der Universität " a. o. Professor an der Universität 

München Heidelberg 

XX. Heft 

EWALD A. BOUCKE 

WORT UND BEDEUTUNG IN GOETHES SPRACHE 



Berlin 

Verlag von Emil Felber 
1901 



Wort und Bedeutung 

in 

Goethes Sprache 


Von 

Ewald A. Boucke 


Die Synthese der Neigung ist es eigentlich, 
die alles lebendig macht. 

Goethe an Graf Reinhard 1807. 



Berlin 

Verlag von Emil Felber 
1901 



Alle Rechte Vorbehalten. 


Typograph-Maschinensatz von Oscar Brandatetter in Leipzig. 



Meinem lieben Vater 


gewidmet 




Vorwort 


Zwischen Philologie und Ästhetik breitet sich als ge¬ 
meinsames Arbeitsfeld das Gebiet der stilistischen For¬ 
schung. Denn vorausgesetzt, dass der Stil eines Schrift¬ 
stellers das Einsenken eines geistigen Gehalts in den 
Sprachkörper und die leise Umformung gegebener Werte 
durch eine Individualität darstellt, so nötigt das Studium 
dieser sinnlich-geistigen Einheit zu einer doppelten Fun¬ 
dierung und gewährt Gelegenheit zu weiten Ausblicken 
nach beiden Richtungen. Es ist der Zweck der vorliegen¬ 
den Untersuchung, einen derartigen Umsetzungsprozess 
innerhalb der Sprache Goethes zu beobachten, und zwar an 
solchen individuellen Wortprägungen, die sich zugleich 
zu typischen Ausdrucksmitteln entwickelt haben. Am klar¬ 
sten würden Methode ünd Ziel vielleicht hervortreten, wenn 
der Arbeit folgender Untertitel beigegeben wäre: Goethes 
Denkweise im Spiegel seines typischen Wortschatzes. Es 
handelt sich also um den Nachweis, dass Goethe einer 
Reihe alltäglicher Worte durch individuelle Umprägung 
einen höheren geistigen Inhalt verliehen hat, und dass 
sich diese Prägungen unter dem grossen Gesichtspunkt 
seiner organischen Denkweise zu einer zusammenhängen¬ 
den Begriffskette und inneren Einheit zusammenschliessen. 

Ueber frühere Arbeiten dieser Art ist in der Ein¬ 
leitung das Nähere gesagt; es sei auch an dieser Stelle 



VIII 


hervorgehoben, dass die vorliegende Schrift vor allem 
an die Untersuchungen von R. M. Meyer anknüpft, und 
dass hier in grösserem Massstabe und unter Berück¬ 
sichtigung aller nachweislich individuellen Wortprägungen 
versucht wird, was dort in kleinerem Umfange geschah. 
Die Ergebnisse dieser beiden Artikel, sowie anderweitiger 
Forschung sind natürlich, obwohl meist in wesentlich er¬ 
weiterter Gestalt, hier mit einbezogen, und die an Ort 
und Stelle gegebenen Quellennachweise werden genügen, 
um die Grenze zwischen Eigenem und Fremdem erkennen 
zu lassen. 

Obwohl möglichste Erschöpfung des Materials ange¬ 
strebt ist, muss zugegeben werden, dass ein immer er¬ 
neutes Studium Goethes noch weitere Einzelheiten zu Tage 
fördern dürfte. Anderseits besteht bei Untersuchungen 
von so subtiler Art die Gefahr eines „Unterlegens“ statt 
„Auslegens“, wie sich Goethe selbst mit Bezug auf ge¬ 
suchte Erklärungsweisen einmal ausdrückt, und so könnte 
es manchem Leser scheinen, als sei in den hier gebotenen 
Analysen die Grenze des Erlaubten gelegentlich überschrit¬ 
ten. Ein sorgfältiges Nachprüfen des einzelnen Falles im 
Zusammenhang des Ganzen dürfte erweisen, dass der 
Zweck und die aufgewandten Mittel meist im richtigen 
Verhältnis stehen. Im übrigen wäre bei der Bedeutung 
Goethes für die deutsche Sprache ein Zuviel hier eher 
entschuldbar, als ein Zuwenig. Um so verzeihlicher aber 
mag ein übereifriges Interpretieren sein, wenn die Liebe 
zu dem Gegenstände die innere Triebfeder war und die 
Andacht vor dem Kleinen allzusehr begünstigte. Wie 
Jakob Grimm, nach Scherers schönen Worten, liebevoll in 
das Antlitz des Volkes blickte und alle die kleinen un- 



scheinbaren Lebensäusserungen darin entdeckte, an denen 
der Gleichgiltige achtlos vorübergeht, so wird jeder, der 
sich dem Studium einer Individualität hingiebt, versucht 
sein, aus „Neigung“ länger als nötig am Unwichtigen zu 
haften, um den Pulsschlag des ganzen Organismus darin zu 
belauschen. Und doch ist es im Grunde diese „Neigung“, 
die von der Zergliederung zur Synthese leitet, und dem 
Philologen mag es am wenigsten schaden, in der „Synthese 
der Neigung“ befangen zu sein, die das tote Wortmaterial 
belebt und bindet. 

Ann Arbor, Michigan, 
im Mai 1901. 


E. A. Boucke. 




Inhalt 

Seil« 

Vorwort. VII 

Litteratur.XIII 

Einleitung. 1 

Der individuelle Wortschatz. 8 

1. Sittlich-geistige Gruppe .. 9 

2. Sittliche Gruppe.81 

3. Geistige Gruppe.123 

Theoretisches.190 

1. Der individuelle Bedeutungswandel.190 

2. Ursachen des Wandels.201 

3. Intensität.207 

4. Sinnliche Kraft. Konkretisierung.222 

5. Typische Anschauungsweise.234 

6. Sprachtheoretisches aus Goethes Werken.266 

7. Nachwirkung.290 

Nachträge.321 

Register.335 




















Litteratur 


Zu Grunde gelegt ist die Hempelsche Ausgabe von 
Goethes Werken in 36 Bänden, auf die sich alle nicht 
näher bestimmten Ci täte beziehen. Von den Abkürzun¬ 
gen bedürfen nur folgende der Aufklärung: F. = Faust, 
DW. = Dichtung und Wahrheit, Spr. = Sprüche in Prosa, 
ZX. = Zahme Xenien. Briefe und Tagebücher sind zum 
Teil nach der Weimarer Ausgabe zitiert (TF), die Ge¬ 
spräche nach Biedermanns Sammlung in 10 Bänden, Lpz. 
1889—1896 ( Gespr .). Ausserdem sind folgende Einzel¬ 
werke benutzt: 

Der junge Goethe. Seine Briefe und Dichtungen von 
1764—1776, herausgg. von Michael Bernays. Lpz. 
1875. 3 Bde. (DjG.) 

Goethes Briefe. Herausgg. von Fr. Strehlke. 3 Bde. 
Berlin 1882. ( Str . Br.) 

Goethe-Jahrbuch. Herausgg. von L. Geiger. Frank¬ 
furt a./M. 1880 ff. (G.-J.) 

S. Boisseree, Briefwechsel mit Goethe. Stuttgart 
1862. (Boiss.) 

Goethes und Carlyles Briefwechsel. Berlin 1S87. 

Goethes Briefe an Eichstädt. Berlin 1872. 

Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Hum¬ 
boldt. Leipzig 1876. ( Humb .) 

Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel, 2 Bde. 
Leipzig 1851. (Kn.) 



XIV 


Goethes naturwissenschaftliche Korrespondenz, her- 
ausgg. von Bratranek. 2 Bde. Lpz. 1874. 
Briefwechsel zwischen Goethe und Reinhard. Stutt¬ 
gart 1850. (Reinh.) 

Briefe von und an Goethe. Herausgg. von Fr. W. 

Riemer. Lpz. 1846. ( Riemer , Br.) 

Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrat Schultz. 

Lpz. o. J. (Schultz.) 

Goethes Briefe an Soret. Stuttgart 1877. 

Goethes Briefe an Frau von Stein. Ausgabe Schöll- 
Fielitz, 2 Bde. Frankfurt a./M. 1883. 

Goethes Briefe an Chr. G. von Voigt. Leipzig 1868. 
Briefwechsel zwischen Goethe und Marianne von 
Willemer. Stuttgart 1878. 

Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter. Berlin 
1833—34. 6 Bde. (Z.) 


Von anderen Hilfsmitteln sind häufiger zitiert: 

Deutsches Wörterbuch von Jakob und W. Grimm. 
(DWB.) 

O. Harnack, Goethe in der Epoche seiner Vollendung. 
Leipzig 1887. 

P. Knauth, Von Goethes Sprache und Stil im Alter. 
Leipzig 1894. 

Joh. Aug. Lehmann, Goethes Sprache und ihr Geist. 
Berlin 1852. 

Richard M. Meyer, Studien zu Goethes Wortgebrauch, 
Archiv für das Studium der neueren Sprachen. 
Bd. 96, S. 1—42. (= a. a. 0.) 

H. Paul, Deutsches Wörterbuch. Halle 1897. (Paul 
Wb.) 

II. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. Halle 

1886. 



XV 


0. Pniower, Zu Goethes Wortgebrauch, Goethe-Jahr¬ 
buch Bd. 19, 229—247. 

Fr. W. Riemer, Mitteilungen über Goethe, 2 Bde. 

Berlin 1841. (Riemer, Mitt.) 

Rud. Steiner, Goethes Weltanschauung. Weimar 
1897. 

J. Stöcklein, Bedeutungswandel der Wörter. Mün¬ 
chen 1898. 


f 




Einleitung 


„Wir haben das nnabweichliche, täglich zu erneuernde, 
grundernstliche Bestreben, das Wort mit dem Empfun¬ 
denen, Geschauten, Gedachten, Erfahrenen, Imaginierten, 
Vernünftigen möglichst unmittelbar zusammentreffend zu 
erfassen. Jeder prüfe sich, und er wird finden, dass dies 
viel schwerer sei, als man denken möchte; denn leider 
sind dem Menschen die Worte gewöhnlich Surrogate: er 
denkt und weiss es meistenteils besser, als er sich aus¬ 
spricht.“ 

Diese Betrachtung Goethes, die in den Maximen 469 
bis 470 niedergelegt ist, verdient in mehrfacher Hinsicht 
an die Spitze einer Arbeit gestellt zu werden, die einen 
Beitrag zur Bedeutungslehre bieten soll. Im Gewände 
der modernen Terminologie würden die obigen Sätze etwa 
lauten: Jedes Wort enthält ausser dem Vorstellungsin¬ 
halt, den der Angehörige einer Sprachgenossenschaft da¬ 
mit verbindet, noch eine individuelle Nebenvorstellung, 
die durch die jeweilige Kulturstufe des Sprechenden, wie 
Hörenden bedingt ist (Vgl. Paul, Prinzipien der Sprach¬ 
geschichte, S. 66; 84). Abgesehen von der interessanten 
Thatsache, dass ein Fundamentalsatz der heutigen Bedeu¬ 
tungslehre demnach schon von Goethe, dem allseitigsten 
aller Denker, erkannt und klar ausgesprochen ist, knü¬ 
pfen sich noch andere Folgerungen an jene Sätze. 

Bo ticke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 1 



Die theoretische Betrachtung beweist zunächst, was 
auch zahlreiche andere Aussprüche bezeugen, dass Goethe 
es sich zur Pflicht machte, Wort und Bedeutung sorgfältig 
gegeneinander abzuwägen, und dass er an sich selbst hin¬ 
sichtlich des sprachlichen Ausdrucks die höchsten Anfor¬ 
derungen stellte. Daraus erwächst seinen Lesern und Er¬ 
klären! um so mehr die Pflicht einer gewissenhaften 
Interpretation, die sich nicht mit der landläufigen Bedeu¬ 
tung der Worte begnügen darf, sondern den besonderen 
Vorstellungskreis, dem das Wort entsprungen, und das 
Verhältnis desselben zu der ganzen Denkweise Goethes 
festzustellen hat. Dass sich die Interpretationskunst von 
jeher Goethes Werken mit besonderer Aufmerksamkeit 
zugewendet hat, ist selbstverständlich, aber noch bis vor 
kurzem beschränkten sich Untersuchungen dieser Art auf 
die Kommentierung von Einzelfällen und Worten, deren 
Prägnanz offensichtlich war. Erst im Jahre 1896 er¬ 
schien ein hervorragender Aufsatz des bekannten Goethe- 
Forschers Richard M. Meyer: „Studien zu Goethes Wort¬ 
gebrauch“ (Archiv für das Studium der neueren Sprachen, 
Bd. 96, S. 1—42), worin der Versuch gemacht wird, eine 
Reihe von prägnanten Wendungen in Goethes Sprache 
unter einheitlichem Gesichtspunkte zu betrachten und die 
psychologischen Bedingungen dieser Prägnanz aufzuzei¬ 
gen. In gewisser Hinsicht stellt sich dieser Aufsatz dar 
als Ergänzung einer sehr ergebnisreichen Untersuchung 
desselben Gelehrten über „Goethes Art zu arbeiten“ 
(G.-J. 14, 167 ff.), insofern als in beiden Fällen der Schaf¬ 
fensprozess und die Abspiegelung desselben in Goethes 
Terminologie im Mittelpunkt der Forschung steht. 

Es sind Worte, die sich vereinigen lassen zu der Be¬ 
griffskette (vgl. a. a. 0. S. 26): Dumpfheit — Stille — 
Apercu — Mittelpunkt — entstehen — Klarheit — Dauer 
— Folge — bedeutend; die Menge — das Gemeine — ab- 



3 


surd. Ausserdem sind noch einige andere Idiotismen nach 
ihrer psychologischen Wurzel behandelt, wie das merk¬ 
würdige: „flügelmännisch“; ferner: „die Tonne wälzen“, 
„papierne Scheidewand“, „Gegenwart“, „Wirkung in die 
Ferne“, „Zustand“, „Wesen“. Obwohl eine erschöpfende 
Behandlung nirgends beabsichtigt ist, bietet die Arbeit 
eine Fülle von fruchtbaren Gesichtspunkten und feinen 
Beobachtungen, und für die Analyse einiger Idiotismen 
wie des berühmten „dumpf“, sind hier überhaupt die 
Grundlinien gezogen. 

Demnächst zu erwähnen ist ein Aufsatz von Otto 
Pniower, „Zu Goethes Wortgebrauch“ (G.-J. 19, 229 
bis 247). Viele von den hier behandelten Worten sind 
nach ihrer Bedeutung allerdings nicht Idiotismen Goethes, 
sondern repräsentieren die Litteratursprache des 18. Jahr¬ 
hunderts, wie z. B. widerwärtig = entgegenstrebend, son¬ 
derbar = besonders, bequem = passend, gegenseitig = 
entgegengesetzt, u. a. Dagegen gehören der individuellen 
Terminologie Goethes Worte an, wie: ewig, sinnig, herz¬ 
lich, anständig, wirksam, deren eigenartige intime Fär¬ 
bung von Pniower feinsinnig erörtert wird. Ein Zusam¬ 
menschluss zu Gruppen, wie in Rieh. Meyers Arbeit, ist 
hier nicht angestrebt, da es sich nur um Einzelanalysen 
handelt. 

Zu diesen beiden Abhandlungen kommen noch ver¬ 
schiedene Einzelbeiträge aus älterer und jüngerer Zeit, 
die aber nicht auf eine zusammenhängende Betrachtung 
unter grösseren Gesichtspunkten zielen, sondern nur 
Morterklärung oder Kommentierung im älteren Sinne dar¬ 
stellen. Eine Ausnahme bilden die Beiträge Hildebrands, 
zum D. Wb., in denen gelegentlich, wie z. B. in den Arti¬ 
keln „gehörig“, „gemein“, „Gemüt“, „geistreich“, auf 
die Spracheigenheit Goethes besondere Rücksicht genom¬ 
men wird. Auch die liebevolle und ausführliche Behand¬ 
le 



4 


lung, die Joh. Aug. Lehmann in seinem Buche „Goethes 
Sprache und ihr Geist" dem Worte „behaglich“ zu teil 
werden lässt (S. 292 ff.), ist ein frühes Beispiel psycho¬ 
logischer Vertiefung. 

In der gesamten bisherigen Behandlungsweise des 
individuellen Sprachgebrauches ist jedoch ein Gesichts¬ 
punkt noch nicht nutzbar gemacht worden, der die Frage 
des sogenannten Wortgebrauchs einzelner Schriftsteller 
vor der isolierten Betrachtung bewahrt und sie in Zu¬ 
sammenhang mit den Grundfragen des Sprachlebens 
bringt: das Prinzip des Bedeutungswandels. In¬ 
folge der grossen Wichtigkeit dieses Prinzips für die Er¬ 
kenntnis der sprachlichen Vorgänge hat sich die For¬ 
schung der neuesten Zeit dieser Frage mit wachsendem 
Interesse zugewendet, aber lediglich mit Rücksicht auf 
das Kollektivleben der Sprache. Es fragt sich nun, ob 
und inwieweit der Sprachgebrauch des einzelnen Schrift¬ 
stellers unter diesen prinzipiellen Gesichtspunkt einzu¬ 
stellen ist. Die Antwort wäre zunächst durch die Grund- 
thatsache gegeben, dass alle psychischen Vorgänge sich 
innerhalb der Einzelseele vollziehen und dass ebenso jede 
sprachliche Schöpfung das Werk des Individuums ist (vgl. 
Paul, Prinzipien S. 12; 17). Auch der Wandel der Bedeu¬ 
tung geht immer von einem Individuum aus, und es ist vor¬ 
läufig für unseren Zweck dabei gleichgültig, unter wel¬ 
chen Bedingungen sich die individuelle Schöpfung dem 
Werden der Allgemeinsprache einfügt. Wenn demnach an 
dem individuellen Ursprung aller sprachlichen Vorgänge 
kein Zweifel ist, so könnte ein solcher entstehen hinsicht¬ 
lich der Frage, ob der Wortgebrauch wirklich ein Wandel 
der Bedeutung ist. Auch hier liegt die Antwort klar zu 
Tage für jeden, der sich über das Wesen des semasiolo- 
gischen Prozesses klar ist und nichts anderes darunter 
versteht als eine jeweilige Veränderung desjenigen Vor- 



5 


Stellungsinhaltes, der seitens einer sprachlichen Gemein¬ 
schaft mit einem Worte verbunden wird. Diese Verän¬ 
derung kann sehr gering oder auch sehr bedeutend sein, 
und hier liegt ein weiterer Einwand verborgen. Unter 
„Wortgebrauch“ hat man bisher solche Veränderungen 
begriffen, die in feineren Schattierungen der usuellen 
Bedeutung bestanden, und die ferner keinen Einfluss auf 
die ganze Sprachgenossenschaft hatten. Dagegen wird 
der Bedeutungswandel immer im kollektiven Sinne gefasst 
mit Rücksicht auf gröbere, sofort erkennbare Verände¬ 
rungen der Bedeutung. Wenn diesem Herkommen gegen¬ 
über gleichwohl für das bisherige „Wortgebrauch“ der 
Terminus „individueller Bedeutungswandel“ einge¬ 
setzt wird, so waren folgende Erwägungen dafür mass¬ 
gebend. In den „Wortgebrauch“ lässt sich alles ein- 
schliessen, was das sprachliche Material eines Schrift¬ 
stellers irgendwie kennzeichnet, und ein Blick auf die mei¬ 
sten Arbeiten dieser Art zeigt auch, dass zwischen Form und 
Bedeutung nicht unterschieden ist, sondern dass eher noch 
andere heterogene Dinge in dem Kapitel „Wortgebrauch“ 
Platz finden, die nach der landläufigen Systematik nicht 
recht unterzubringen sind. 1 ) Diese Erscheinung dürfte 
im Zusammenhang stehen mit dem rein statistischen und 
beschreibenden Verfahren, das in Einzeluntersuchungen 
über die Sprache eines Schriftstellers so oft vorwaltet, 
während eine einheitliche Gruppierung unter grosse prin¬ 
zipielle Gesichtspunkte von selbst zu Vertiefung und zu 
Nutzbarmachung des Materials führt. Eine gesonderte 

l ) Auf die Gefahr, die in der Verwechslung von Form und Be¬ 
deutung liegt und auf die bedeutende Erleichterung der Arbeit durch 
eine sorgfältige Trennung der Probleme, hat zuerst .lohn Ries in 
seinem epochemachenden Büchlein: Was ist Syntax? (Marburg 1894) 
nachdrücklich aufmerksam gemacht und durch die Übertragung dieses 
Prinzips auf das syntaktische Gebiet ein neues System der Syntax 
begründet. 



6 


Behandlung des Bedeutungsproblems würde den Blick für 
diese Seite der Spracheigenheiten eines Autors schärfen 
und manche Resultate zeitigen, die sonst verloren gingen. 
Dabei kommen nicht nur vollzogene Wandlungsprozesse 
und gröbere Erscheinungen in Betracht, sondern auch 
blosse Ansätze zum Bedeutungswandel, und ein solcher 
Ansatz liegt im Grunde jeder, auch der leisesten Schattie¬ 
rung zu Grunde. 

Die Ausbeute würde in vielen Fällen allerdings sehr 
gering sein, denn je isolierter die Fälle auftreten, desto 
geringer ist die prinzipielle Tragweite und der Gewinn für 
die Totalauffassung. Anders ist es mit geistigen Grössen, 
die nach der sprachlichen Seite selbst einen The¬ 
saurus linguae bilden, der als Idealtypus der Gesamt¬ 
sprache, als Urquell und Vollendung zugleich gelten kann. 
Eine solche Stelle nimmt innerhalb der deutschen Sprache 
Goethe ein. Der Reichtum und die Tiefe seiner indivi¬ 
duellen Kultur spiegelt sich auch in seinem Wortschatz 
wieder und zwar in einem so hohen Grade, dass sich aus 
seinen Werken, wie nicht annähernd bei irgend einem 
anderen Schriftsteller, ein Individualvokabular zu¬ 
sammenstellen lässt, nicht nur hinsichtlich der Neu¬ 
schöpfungen, sondern auch der individuellen Bedeu¬ 
tung einer grossen Anzahl von Worten. Innerhalb der In¬ 
dividualität Goethes andererseits sind diese* Worte Träger 
typischer Anschauungen, so dass man sie auch als den 
typischen Wortschatz seiner Sprache zusammenfassen 
könnte. Gäbe es auch keinen anderen Grund, als den 
der einzig stehenden spracherneuenden Thätigkeit Goethes, 
so berechtigte diese Ausnahmestellung schon zu der 
Uebertragung eines Terminus der Kollektivsprache auf 
seinen individuellen Sprachgebrauch, der eine Welt für 
sich bildet. 

Zur Vermeidung von Missverständnissen sei über die 



Bedeutung des Wortes „individuell“ im Zusammenhang 
dieser Arbeit noch einiges gesagt. Für die beiden wich¬ 
tigsten Stadien des Bedeutungswandels sind die beiden 
Termini „usuell“ und „occasionell“ allgemein nach 
Pauls Vorgang (Prinzipien, S. 66) acceptiert. Aber an 
der gleichen Stelle heisst es weiter: „Man könnte dafür 
vielleicht auch sagen „generelle“ und „individuelle“ 
Bedeutung.“ Diese Identifizierung wäre für die vorlie¬ 
gende Untersuchung nicht thunlich, und es ist notwen¬ 
dig, wie fortan hier geschehen wird, die Ausdrücke „ge¬ 
nerell“ und „individuell“ nicht auf die Stadien des 
Prozesses, sondern auf den Wirkungskreis anzuwen¬ 
den, so dass sich „generell“ auf die Sprachgenossenschaft, 
„individuell“ auf den einzelnen Menschen beziehen würde. 
Eine solche Festlegung der Terminologie scheint schon 
aus dem Grunde empfehlenswert, weil in der Sprache 
Goethes in manchen Fällen sich der semasiologische Pro¬ 
zess innerhalb des Individuums abspielt und ein Wort 
durch das occasionelle zu dem usuellen Stadium durch¬ 
dringt — eine der interessantesten Erscheinungen dieser 
Seite des Sprachlebens. 

Nach dieser allgemeinen Formulierung der Aufgabe 
würde es von Wichtigkeit sein, die besonderen Prinzi¬ 
pien, die dem Wandel und der Prägnanz in Goethes Sprache 
zu Grunde li<?gen, zu untersuchen. Dieser Teil der Ab¬ 
handlung dürfte sich indessen weit leichter und instruk¬ 
tiver gestalten, nachdem das gesamte Material selbst in 
allen Einzelheiten behandelt und der individuelle Wort¬ 
schatz zunächst erfahrungsmässig festgestellt ist. 



Der individuelle Wortschatz 


In den oben erwähnten Arbeiten über Goethes Wort¬ 
gebrauch sind etwa 20 Worte als prägnant festgestellt, 
wozu im folgenden über 50 weitere Ausdrücke kommen, 
die bisher noch nicht unter dem Gesichtspunkt der Präg¬ 
nanz behandelt wurden. Die möglichst zweckmässige 
Gruppierung des ganzen Materials bietet insofern Schwie¬ 
rigkeiten, als die unendliche geistige Vielseitigkeit Goe¬ 
thes, und der Reichtum an ethischen Wertungen, sowie 
vor allem die innige Durchdringung aller seelischen und 
geistigen Kräfte zu einer höheren Einheit, auch dem Be¬ 
trachtenden eine möglichst grosse Mannigfaltigkeit der 
Gesichtspunkte zur Pflicht macht. Das im folgenden zu 
Grunde liegende Schema beansprucht daher auch keine 
weitere Giltigkeit als die eines Hilfsmittels zu beque¬ 
merer Uebersicht, ohne die Möglichkeit anderer Eintei¬ 
lungen zu bestreiten. Es sind drei Gruppen aufgestellt, 
von denen eine die geistigen Wertungen umfasst, eine 
andere die rein ethischen, die einen Zustand nach innen 
ausdrücken, und die dritte solche Worte, durch die eine 
Thätigkeit nach aussen charakterisiert wird; die letztere 
Gruppe lässt sich auch als sittlich-geistig zusammen¬ 
fassen, indem die darin enthaltenen Ausdrücke vorzugs¬ 
weise einer geistigen Thätigkeit auf sittlicher Grundlage 
gewidmet sind. Ausserdem schien es zweckmässig, diese 



9 


Einteilung vom Objekt aus mit einer anderen zu kreuzen, 
durch welche das Verhältnis der Wertung zum Werten¬ 
den ausgedrückt wird, der sich beifällig, indifferent, oder 
ablehnend verhalten kann (vgl. die Tabelle selbst, am 
Schlüsse des Hauptteils, S. 180). Die sich so ergeben¬ 
den Gruppen sind selbstverständlich keine logischen Kate¬ 
gorien, sondern lebendige Komplexe, an bestimmte Kern¬ 
begriffe gegliedert und in beständigem Flusse und gegen¬ 
seitiger Durchkreuzung begriffen. 

1. Sittlich-geistige Gruppe 

Die Centralsonne in Goethes sittlicher Ideenwelt ist 
der Begriff „tüchtig“. Die Verwendung des Wortes 
weicht von der generellen inhaltlich nicht ab, aber ver¬ 
tieft sie in dem Masse, wie die Eigenschaft selbst für 
Goethe das Ideal sittlicher Vollkommenheit und kraft¬ 
voller besonnener Thätigkeit in sich schliesst. Eine klare 
Definition ergiebt sich aus einer Betrachtung, die Ecker¬ 
mann mitteilt: „Mir ist ein neuer Ausdruck eingefallen, 
sagte Goethe, der das Verhältnis (klassisch-romantisch) 
nicht übel bezeichnet. Das Klassische nenne ich das Ge¬ 
sunde, und das Romantische das Kranke. Und da sind 
die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind 
gesund und tüchtig.“ (Gespr. 7, 40.) „Tüchtig“ ist also 
identisch mit „gesund an Leib und Seele“, wenn man will, 
auch mit „organisch“, insofern als dieser Begriff den 
Schlüssel zu Goethes Denkweise bietet, und gleichbedeu¬ 
tend ist mit dem lebendig gesunden Wirken einer Natur¬ 
kraft. Zu dem Begriff des „Gesunden“ kommt aber zwei¬ 
tens die Vorstellung der Thätigkeit. „Tüchtig“ ist also 
weit mehr als „tugendhaft“ oder andererseits „ener¬ 
gisch“; es ist ein in sich selbst ruhendes gesundes Wir- . 
ken, frei von jenen beiden Fehlern, die Goethe so oft als 



10 


die beiden Kardinalfehler bezeichnet hat: Uebereilung und 
Versäumnis (z. B. ZX. 2, 330). Sehr hübsch wird diese 
Bedeutung beleuchtet durch eine Stelle aus einem Briefe 
an Niebuhr; Goethe spricht sich voll Anerkennung aus 
über die „Römische Geschichte“, und verspricht das Werk 
beständig mit sich zu führen, „wohin mich auch mein be¬ 
wegliches Jahr führt, und weder Sie noch ich können 
voraussehen, was ich Ihnen alles verdanke. DasTüchtig- 
Regsame ist ganz allein wohlthätig“. (Str. Br. II, 18.) 
Das „Tüchtig-Regsame“ ist das Tüchtige, das der Mensch 
ununterbrochen auf sich wirken lässt, um es sich inner¬ 
lich anzueignen, und in lebendig-thätige Kraft umzu¬ 
setzen, denn wie es ZX 2, 359 heisst: 

„Das Tüchtige, wenns wahrhaft ist, 

Wirkt über alle Zeiten hinaus.“ 

Entsprechend schreibt Goethe an Boisseree II, 446: „Man 
soll wenig thun, aber Tüchtiges, und es wirken lassen 
nach Zeit und Umständen.“ Bemerkenswert ist ferner, 
dass das Tüchtige keineswegs ein erreichtes Ideal, etwas 
absolut Vollkommenes zu sein braucht, sondern auch im 
Werdenden sich offenbart; so werden die an sich unfer¬ 
tigen Produktionen der Geniezeit charakterisiert als „un¬ 
entwickeltes Tüchtiges“, das gegen „entfaltete Mittel- 
mässigkeit“ streitet DW. 23, 51. Hier tritt die Bedeu¬ 
tung des Kräftig-Lebendigen schön hervor durch die Ge¬ 
genüberstellung des Fertigen, Stagnierenden; ähnlich 
wird einer „tüchtigen, wirksamen Rede“ das Kraftlose 
der „Flick- und Schaltwörter“ entgegengesetzt 29, 254. 
Einer „tüchtigen Rede“ entspricht die „tüchtige Idee“ i 
in Spr. 228: „Eine Idee darf nicht liberal sein; kräftig | 
sei sie, tüchtig, in sich selbst abgeschlossen, damit sie ‘ 
den göttlichen Auftrag, produktiv zu sein, erfülle. Wo 
man die Liberalität aber suchen muss, das ist in den Ge- | 



11 


sinnungen, und diese sind das lebendige Gemüt.“ Der 
ganze Vorstellungskreis von „tüchtig“ wird hier durch 
die Attribute: „kräftig“, „in sich abgeschlossen“, „pro¬ 
duktiv“, sicher umzirkt und in seinen Wurzeln aufge¬ 
deckt. Interessant ist auch, im Gegensatz zu der gene¬ 
rellen, achtlosen Verwendung, die gewissenhafte Be¬ 
schränkung von „liberal“ auf die Gesinnung, das Recep- 
tive, während die Idee, d. h. die einzelne geistige Opera¬ 
tion durchaus fest und abgerundet hervortreten muss, 
um sich erfolgreich in Handlung umzusetzen. Insofern als 
das Lebendige sich für Goethe deckt mit der Vorstellung 
des Gegenwärtigen (s. unten S. 137), wird auch tüchtig 
geradezu identisch mit dem „Heute“ im Gegensatz zum 
„Gestern“ und „Morgen“: 

„Sehnsucht ins Ferne, Künft’ge zu beschwichtigen, 
Beschäftige Dich hier und heut im Tüchtigen.“ 

(Chinesisch-deutsche Jahreszeiten; 3, 1(50). 

Goethe war auch in Herzens- und Liebesangelegenheiten 
kein Freund vom melancholischen Schmachten, von Sehn¬ 
sucht ohne Befriedigung, sondern auch hier wollte er 
„nur vom Tüchtigen wissen“, vom frischen Werben und 
vom Erreichbaren. So sprudelt der Uebermut in den Ver¬ 
sen „Frech und Froh“ (2, 256): 

Liebesqual verschmäht mein Herz, 

Sanften Jammer, süssen Schmerz; 

Nur vom Tücht'gen will ich wissen, 

Heissem Äuglen, derben Küssen. 

Auf dem gleichen Gegensatz beruht die Wendung: „Her¬ 
zensangelegenheiten, die zartesten und tüchtigsten“, 
DW. 21, 145. 

Die Prägnanz, die solche Adjektive bei Goethe ent¬ 
falten, zeigt sich in der Regel am schönsten, wenn sie zu 
Charakterwertungen verwendet werden. Wir empfinden 



12 


die ganze Vollgewalt des „tüchtig", wenn wir über den 
herrlichen Justus Möser lesen: „Er war der tüchtige 
Menschenverstand selbst, wert, ein Zeitgenosse von Les¬ 
sing zu sein, dem Repräsentanten des kritischen Geistes." 
29, 221. Dieser Mann, den Goethe bekanntlich über alles 
verehrte, muss ihm geradezu als Verkörperung des „Tüch¬ 
tigen" erschienen sein, denn auch in der Charakteristik 
in DW. wird er, abgesehen von anderen Eigenschaften, 
als „durchaus tüchtig" gepriesen (22, 141) und als ein 
Mann, der deshalb auch den grössten Einfluss hatte „auf 
eine Jugend, die auch etwas Tüchtiges wollte und im Be¬ 
griff stand, es zu erfassen" (ebenda). Wir begreifen auch, 
warum die Persönlichkeit Zelters trotz allem Mangel 
an höheren geistigen Zielen und feinerem ästhetischen 
Sinn Goethe so ausserordentlich zusagte: es war die kräf¬ 
tige, derbe Offenheit des Naturkindes, die auf Goethe 
herzerfrischend wirkte, und die er z. B. auch an Unter¬ 
gebenen stets respektierte. Wiederholt rühmt er an sei¬ 
nem Freunde „den redlichen, tüchtig-bürgerlichen Ernst" 
Ann. 379, seine „tüchtig gründliche Individualität", Boiss. 
II, 433; er wird Gespr. 6, 144 als „grandios und tüchtig" 
gepriesen, als ein Mann, der „immer den Nagel auf den 
Kopf trifft“. An anderer Stelle wird er sogar, wie Möser, 
als lebendige Verkörperung dieser Eigenschaft hinge¬ 
stellt: „Wenn die Tüchtigkeit sich aus der Welt verlöre, 
so könnte man sie durch ihn wieder herstellen.“ W r . IV, 
19, 36. Die gleiche Eigenschaft zog Goethe auch bei J. H. 
Voss an, einem „tüchtigen, derben Autochthonen" Ann. 
1030 e, wenn auch die Beimischung der groben Pedan¬ 
terie und hausbackenen Nüchternheit des „Heidelberger 
Cyclopen" (An Humboldt, S. 249) später das „Rein-tüch¬ 
tige“ verdunkelte. 

Das ehrenvolle Prädikat der Tüchtigkeit erhalten fer¬ 
ner Kling er, an dem „das Beharren eines tüchtigen Cha- 



13 


rakters“ gelobt wird, DW. 22, 149, sowie der Graf von 
Kielmannsegge, einer der Teilnehmer der Wetzlarer 
Rittertafel Geochst tüchtig und zuverlässig“ DW. 22, 
81); an dem Schweizerhauptmann Land old t erkennt 
Goethe die „tüchtige Wunderlichkeit“ an, Ann. 1029, und 
in der Geschichte der Farbenlehre heisst es mehrmals 
über Seneca: „seine Meinungen und Gesinnungen sind 
tüchtig“, 36, 85 f. Zu der Gemeinde der „Tüchtigen“ ge¬ 
hört auch Philippus Neri, der humoristische Heilige, den 
Goethe in Italien, um auch in dieser Hinsicht von der 
Landessitte zu kosten, zu seinem Schutzpatron und Heili¬ 
gen scherzhaft erwählt; wenn er aus dessen Lebensge¬ 
schichte erzählt: „Man wüsste sich keinen tüchtigem, 
gesündern, gradsinnigern Knaben zu denken“, 24, 332, 
und ihn anderswo einen „tüchtigen, gottesfürchtigen, 
energischen, thätigen Mann“ nennt 24, 311, so begreifen 
wir die Wahl, die unter allen Heiligen gerade den traf, 
der am wenigsten trachtete, den spezifischen Geruch der 
Heiligkeit um sich zu verbreiten, und der Goethes Vor¬ 
liebe für „derbe Erdensöhne“, für „Naturen“, wie ein 
anderer beliebter Ausdruck lautet, am ersten genug that. 
Von Frauengestalten ist sicher Christiane von Goethe als 
„tüchtig“ bezeichnet worden, wenn auch zufällig kein 
Beleg vorliegt; wie sehr er gerade diese Eigenschaft an 
Frauen bewunderte, zeigt die Charakteristik von Jaco- 
bis Gattin DW. 22, 165: „eine herrliche Niederländerin, 
die, ohne Ausdruck von Sinnlichkeit, durch ihr tüchtiges 
Wesen an die Rubensschen Frauen erinnerte“. 

Die ganze kernhafte Kraft des Wortes äussert ihre 
Wirkung in der Schilderung Winckelmanns: die begei¬ 
sterungsvollen Harmonieen, in denen seine irdische Lauf¬ 
bahn besungen ist, klingen aus in einen prächtigen 
Schlussakkord, der zur Versöhnung mit dem ihn früh er¬ 
eilenden tragischen Schicksal, den Augenblick der hoch- 



14 


sten Tüchtigkeit und Vollkraft, in dem der Verherrlichte 
geschieden, als das Bleibende, Typische zu verewigen 
sucht. „Er hat als Mann gelebt, und ist als ein vollstän¬ 
diger Mann von hinnen gegangen. Nun geniesst er im 
Andenken der Nachwelt den Vorteil, als ein ewig Tüch¬ 
tiger und Kräftiger zu erscheinen; denn in der Gestalt, 
wie der Mensch die Erde verlässt, wandelt er unter den 
Schatten, und so bleibt uns Achill als ewig strebender 
Jüngling gegenwärtig.“ 28, 229. Der „Ewig-Tüchtige“ 
ist, im Goetheschen Sinne des Wortes ewig, das Ideal der 
männlichen Kraft und Tüchtigkeit, wie das „Ewig-Weib¬ 
liche“ F. II, 12112 das Ideal der hinanziehenden Liebe. 
(Vgl. Riemers Tagebuchbericht, Gespr. 2, 284: „Dass 
Goethe das Ideelle unter einer weiblichen Form oder unter 
der Form des Weibes concipiert“.) 

Entsprechend dem Bestreben Goethes nach Typik und 
Einreihen der Individuen in die Gattung erscheinen auch 
„die Tüchtigen“ als Gattungsbegriff, wie F. II, 102781: 

„Die Tüchtigen sie standen auf mit Kraft 

Und sagten: Herr ist, der uns Ruhe schafft.“ 

Die Tüchtigen sind also hier die gesetzliebenden Männer, 
die entschlossen sind, dem Faustrecht zu steuern. Ebenso 
wird wiederholt „der Tüchtige“ angeredet als Idealtypus 
des kräftigen, thätigen Mannes, wie vor allem in der herr¬ 
lichen Antwort Fausts auf die quälenden Jenseitszweifel 
der „Sorge“, F. II, 11442ff.: 

„Thor! wer dorthin die Augen blinzend richtet, 

Sich über Wolken seines Gleichen dichtet! 

Er stehe fest und sehe hier sich um; 

Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.“ 

Dass „der Tüchtige“ seine wahre Grösse nicht im Reden, 
sondern im Handeln entfaltet, wie es Spr. 313 heisst: 



15 


..Docieren kannst du, Tüchtiger, freilich nicht...“, ist 
eine Anschauung, die nur ein besonderer Fall der Grund¬ 
überzeugung Goethes von der Notwendigkeit des Thuns 
ist (vgl. Spr. 484; 776). An anderer Stelle wird auf die 
dauernde Wirkung des tüchtigen Mannes, die oben 
ZX. 2, 359 dem Abstractum verhiessen war, Nachdruck 
gelegt, und zwar hier in negativer Form: „So viel mag der 
wirklich Tüchtige immer vor Augen haben: sich um der 
Gunst des Tages willen abzuhetzen, bringt keinen Vorteil 
für morgen und übermorgen." 29, 676. 

In allen diesen Fällen ist die scharfe, bündige und iso¬ 
lierte Verwendung des Wortes durchaus individuell; noch 
eigentümlicher aber wirkt das Wort in der Anwendung auf 
Erzeugnisse der Litteratur und Kunst. Schon oben war 
die Stelle Gespr. 7, 40 citiert, in der „die Nibelungen, wie 
Homer" als „gesund und tüchtig" gepriesen wurden. Es 
ist bemerkenswert, dass gerade die Nibelungen, so sehr 
Goethe auch jeden Vergleich mit Homer abweist (29, 739; 
Gespr. 6, 46), die grösste Anziehungskraft für ihn be¬ 
sitzen infolge des „Riesenmässigen", und der kernigen 
Kraft. „Alles ist derb und tüchtig von Hause aus." 
29, 429; ähnlich zu Riemer, Gespr. 2, 227 „Über die 
Nibelungen als ein von Grund aus tüchtiges Gedicht“. 
Auch zu dem Zeitalter der Reformation fühlte er sich 
aus dem gleichen Grunde hingezogen, als einer Zeit, „wo 
sich aus einem chaotischen Zustande ernste Tüchtigkeiten 
glänzend hervorthaten“ DW. 23, 50. Allgemein lässt sich 
bemerken, dass patriarchalische Zeiten, und solche, in 
denen eine gewisse Urkraft und ein vorwiegender Thätig- 
keitssinn waltet, von Goethe gern als „tüchtig" charak¬ 
terisiert werden; so heisst es in den „Geistesepochen“ 
über die erste: „der Charakter dieser Epoche ist freie, 
tüchtige, ernste, edle Sinnlichkeit" 29, 207, und im dazu¬ 
gehörigen Schema muss in der dritten Rubrik das einzige 



16 


Adjectiv „tüchtig“ genügen 29, 209. In dem Aufsatze 
über Knebels Lucrez-Übersetzung wird der Epoche dieses 
Dichters „die alte, tüchtige, barsche Roheit“ gegenüber¬ 
gestellt 29, 598, und an anderer Stelle wird die grie¬ 
chische Mythologie geradezu „als Verkörperung der tüch¬ 
tigsten, reinsten Menschheit“ angesehen 29, 671. 

Auch auf Produktionen, in denen sich ein derber, ge¬ 
sunder, volkstümlicher Geist äussert, geht die Bezeich¬ 
nung über: das Urteil über den Simplicissimus lautet 
Gespr. 2, 288: er sei in der Anlage tüchtiger und lieblicher 
als der „Gil Blas“. Bekannt ist Goethes Freude an 
Arnim und Brentanos Volksliedersammlung „Des Kna¬ 
ben Wunderhorn“ und in der höchst interessanten Cha¬ 
rakteristik der einzelnen Lieder in der Recension 29, 
384 ff. ist auch das Wort „tüchtig“ sehr beliebt. Die 
Lieder auf S. 17, 36, 97, 276, 294, 360 erhalten diese Be¬ 
zeichnung, die noch gelegentlich durch „derb“ oder das 
treffend gewählte „Holzschnittartig“ verstärkt, oder 
ersetzt wird; letzterer Ausdruck charakterisiert die Lie¬ 
der auf S. 24, 75, 125, 418. Zusammenfassend wird die 
Benennung dieser Art Gedichte als „Volkslieder“, „ob sie 
gleich eigentlich weder vom Volk noch fürs Volk gedich¬ 
tet sind“, damit begründet, weil sie „so etwas Stämmiges, 
Tüchtiges in sich haben und begreifen, dass der kern- und 
stammhafte Teil der Nationen dergleichen Dinge fasst, 
behält, sich zueignet und mitunter fortpflanzt“ 29, 396 f. 
Gleichbedeutend mit „derb-kräftig“ wird „tüchtig“ auch 
gebraucht Ann. 534, wo während der merkwürdigen 
Abendunterhaltung beim „tollen Hagen“ der Wirt sich 
nicht enthielt, „sein Missfallen an solchen faden Gesängen 
zu bezeigen, mit der Anmassung, ein tüchtigeres vor¬ 
zutragen“. 

Die prägnante Verwendung des Wortes „tüchtig“ in 
Goethes Sprache ist auf keinen bestimmten Zeitraum be- 



17 


schränkt, wenn auch der typische Begriff sich erst in spä¬ 
terer Zeit herausarbeitet. Wie tief aber die Vorstellung 
des „Tüchtigen“ in seiner Individualität wurzelte, beweist 
die frühe Verwendung des Wortes in seiner vollen Präg¬ 
nanz in einem Briefe an Frau v. Stein aus dem Jahre 1776. 
Er macht hier mit Bezug auf Lenzens „Eseleien“, die die¬ 
sen in Weimar unmöglich machten, das Bekenntnis: „Die 
ganze Sache reisst so an meinem Innersten, dass ich erst 
dadran wieder spüre, dass es tüchtig ist und was aushalten 
kann.“ I, 60. ' 


Zwei Synonyme von „tüchtig“ werden in prägnanter 
Weise verwendet um je eine Seite des Gesamtbegriffes zu 
vorspringender Geltung zu bringen: „resolut“ und 
„derb“. Dem ersteren Worte giebt die Vorstellung der 
Initiative, des entschlossenen Handelns die Hauptfär¬ 
bung; den wichtigsten Beleg enthält die 5. Strophe der 
„Generalbeichte“, in der die Getreuen ihrem Meister ge¬ 
loben (1, 81): 

„Willst du Absolution 
Deinen Treuen geben, 

Wollen wir nach Deinem Wink 
Unablässlich streben, 

Uns vom Halben zu entwöhnen 
Und im Ganzen, Guten, Schönen 
Resolut zu leben...“ 

Wichtig ist hier die Antithese ganz-halb, die in schlagen¬ 
der Form den Gegensatz zwischen der positiven und nega¬ 
tiven Gruppe ausdrückt, worauf unter „halb“ später zu¬ 
rückzukommen ist. Die Bedeutung von „resolut“ bei 
Goethe ist umfassender als die generelle, insofern als sie 
dort auch im höheren sittlichen Sinne zu nehmen ist, wäh- 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 2 



18 


rend heute bei dem Worte weniger an feinere Beziehungen 
als an eine gröbere, rein praktische Energie gedacht wird. 
Die Goethesche Anwendung auf das sittliche Leben im 
höheren Sinne tritt auch zu Tage in dem Bekenntnis aus 
Rom an Karl August: „ich habe an munterem und resolu¬ 
tem Leben viel gewonnen“. IV, 8, 328. Die entschlossene 
Lebensführung, das „Drein greifen, packen“ (DjG. 1, 308) 
ist es eben, was dem Faust des ersten Teils noch mangelt; 
so wird er auch im grossen Maskenzug vorgeführt 11. 1, 
344: 

„Auch ist, um resolut zu handeln, 

Mit heiterm Angesicht zu wandeln, 

Sein Äusseres nicht von rechter Art...“ 

Bemerkenswert ist ferner die Verbindung von „resolut“ 
und „tüchtig“ mit Bezug auf ein Werk der bildenden 
Kunst: „die Köpfe des Vespino (Andrea Bianchi) sind ihrer 
Grösse wegen imposant, resolut genug gemacht und müs¬ 
sen auf die Ferne tüchtig wirken“. 28, 522. 

Die eigentümliche Gebrauchsweise des Wortes „derb“ 
bei Goethe, die auch E. Schmidt, Anz. f. d. Altertum 20, 
295, durch einige Belege erweist, besteht darin, dass es 
selten die generelle Bedeutung „roh, grob“ im tadelnden 
Sinne hat, sondern „tüchtig“ nach der Seite des Kräftigen, 
Natürlichen verstärkt, ähnlich wie „zart“ eine besondere 
Seite des Gesamtbegriffes „rein“ heraushebt. Es tritt in 
Gegensatz zu zart DW. 22, 61: „die derbe Natürlichkeit 
des alten Testaments und die zarte Naivetät des Neuen“. 
Die Begriffsverwandtschaft mit „tüchtig“ wird bezeugt 
durch die Verbindung „derb und tüchtig“, die bei Goethe 
ausserordentlich beliebt ist. Einige Belegstellen: „Ein 
derber, tüchtiger, nicht allzu grosser, junger Mann“ Wan- 
derj. 18, 28; „das derbe, tüchtige Halten auf einer ver¬ 
ständigen Gegenwart“ Gottl. Hillers Gedichte 29, 401; 



19 


I „die starke, derbe, tüchtige Seite unserer Romantik“ 28, 
736; ,,tüchtige, derbe, von Naturfülle glänzende Bilder“ 
(Niederländische Schule) D\V. 22, 170; ferner 29, 473; 
28, 486; 29, 429 u. a. Die Anrede an Zelter bei der Mel¬ 
dung vom Tode Christianens „du derber, geprüfter Erden¬ 
sohn“ II, 278 bedürfte einer weitläufigen Umschreibung 
zur Erschöpfung des reichen Inhalts; zu erinnern ist an 
< das Beiwort „tüchtig“ für Zelter (s. o. S. 12). Wenn an 
Winckelmann die „Rechtlichkeit und Derbheit“ 28,193, 
der „derbe, losgebundene Charakter“ seiner Briefe 28, 
194, „die Wahrheit, Geradheit, Derbheit und Redlichkeit 
l seines ganzen Wesens 28, 221 gerühmt wird, so zeigt 
die wiederholte Anwendung, wie sehr W. ihm als Typus 

* des Derb-Tüchtigen erschien. Der oben citierte Ausdruck 
„eine tüchtige Rede“ 29, 254 wird durch „derb“ variiert 
in der Antwort Huris im Divan 4, 216, in der sie dem Dich¬ 
ter trotz der derben Knittelreime, des „Ton- und Silben- 

* gekräusels“ den Eingang ins Paradies gern gestattet: 
( „Ein derbes Wort kann Huri nicht verdriessen“. Im 

tadelnden Sinne steht es seltener, wie in der Schilderung 
des Ahasver DW. 22, 179: (die höheren Ansichten des 
Herrn) „die bei dem derben Manne nicht fruchten woll¬ 
ten“. Auch hier würde man generell ein anderes Wort er¬ 
warten, wie etwa „grob, ungebildet“. 

Eine sehr hübsche Neubildung ist „derbständig“, 
in der Schweizerreise 1797 (über die gemalten Fenster 
in Bülach): „Sie sind sämtlich von 1570; aber an der star¬ 
ken Stellung der gerüsteten Männer, an der Gewalt der 
heraldischen Tiere, an den tüchtigen Körpern der Zier¬ 
raten... sieht man den Kerngeist der Zeit, wie wacker 
jene Künstler waren und wie derbständig und bürgerlich 
vornehm sie sich ihre Zeitgenossen und die Welt dachten“. 
26, 113. Die Häufung: stark — Gewalt — tüchtig — 
Kerngeist — wacker — derbständig, wirkt ungemein cha- 



20 


rakteristisch, und das „derbständig“ liest sich hier bei¬ 
nahe wie eine Verdeutschung von „autochthon“, im Sinne 
von „fest in der heimischen Scholle gegründet, boden¬ 
ständig“. 


Zu der folgenden ungemein wichtigen Gruppe, die sich 
um den Kernbegriff der „Beschränkung“ gliedert, 
möge folgende allgemeinere Betrachtung hinüberleiten. 
Die Ideale des Menschen bieten den Massstab seines eige¬ 
nen Wollens: in die Gestalt Winckelmanns hat Goethe 
die Vollendung alles dessen hineingelegt, was ihm selbst, 
dem Strebenden, als Wunsch und Ziel vor Augen stand. 
Von Anfang bis zu Ende aber durchzieht jene unvergleich¬ 
liche Apotheose das Sehnen nach der harmonischen Entfal¬ 
tung aller Kräfte des Individuums innerhalb des Diesseits 
und der notwendigen Grenzen der Menschheit, — und ge¬ 
rade dies Ideal, dem jede wahre Wiedergeburt des antiken 
Geistes nachstrebt, fand Goethe in Winckelmann, als einer 
echten Renaissancenatur, verkörpert. Folgende grund¬ 
legende Sätze, mit denen der Abschnitt „Antikes“ eröffnet 
wird, seien hier • eingerückt: „Der Mensch vermag gar 
manches durch zweckmässigen Gebrauch einzelner Kräfte, 
er vermag das Ausserordentliche durch Verbindung meh¬ 
rerer Fähigkeiten; aber das Einzige, ganz Unerwartete 
leistet er nur, wenn sich die sämtlichen Eigenschaften 
gleichmässig in ihm vereinigen... Wenn die gesunde 
Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in 
der Welt als in einem grossen, schönen, würdigen und 
werten Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm 
ein reines, freies Entzücken gewährt, dann würde das 
Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein 
Ziel gelangt, aufjauchzen und den Gipfel des eigenen 
Werdens und Wesens bewundern“ 28, 198 f. Diese Ideal- 



21 


gestalt leuchtet wie ein Stern über Goethes innerem 
Leben, den hier gefundenen Massstab legt er fortan an 
alles, was im höheren Sinne zu werten ist; was ist natür- 
licher, als dass auch die verschiedenen Wertungsmittel 
selbst, die diesem Vorstellungskreise sprachlichen Aus¬ 
druck verleihen, sich zu typischer Prägnanz ausgestalten? 

Tüchtig ist derjenige, der sich selbst proportioniert, 
„gemäss“ bleibt und in sich vollkommen, „komplett“ ist; 
um es zu werden, bedarf es vor allem einer Maxime: nicht 
von der Aussenwelt beschränkt zu werden und „be¬ 
schränkt“ zu sein, sondern ihre „Bedingungen“ freiwillig 
anzuerkennen, „sich selbst zu beschränken“. Eine bün¬ 
dige Prägung giebt der berühmte Prosaspruch: „Der ge¬ 
ringste Mensch kann komplett sein, wenn er sich inner¬ 
halb der Grenzen seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten be¬ 
wegt“. 19, 23. Das hier verwendete „komplett“ ist 
sonst nicht in diesem Sinne belegt; die Herkunft und 
Übertragung zeigt der vorhergehende Spr. 17: „Die Bota¬ 
niker haben eine Pflanzenabteilung, die sie Incompletae 
nennen; man kann eben auch sagen, dass es inkomplette, 
unvollständige Menschen giebt. Es sind diejenigen, deren 
Sehnsucht und Streben mit ihrem Thun und Leisten nicht 
proportioniert ist“. 19, 22. Auch das Wort „propor- 
tioniert“ steht nur vereinzelt, um das in sich vollkommen 
harmonisch gegliederte Wesen zu bezeichnen, wie z. B. in 
dem Satze: „Das gewöhnliche Leben ergriff mich wieder 
(nach der Dresdner Kunstreise 1767 und den dort empfan¬ 
genen bedeutenden Eindrücken), und ich fühlte mich zu¬ 
letzt ganz behaglich, wenn ein freundschaftlicher Um¬ 
gang, Zunahme an Kenntnissen, die mir gemäss waren, 
und eine gewisse Übung der Hand mich auf eine weniger 
bedeutende, aber meinen Kräften mehr proportionierte 
Weise beschäftigten.“ DW. 21, 103. Hier begegnet zu¬ 
gleich derjenige Ausdruck, der die eigentlich typische Be- 



22 


Zeichnung des wohlproportionierten Zustandes ist, das 
Wort „gemäss“. Es ist bewunderungswert, wie Goethe 
hier ein höchst einfaches und schon durch präpositionelle 
Verwendung abgegriffenes Wort sich angeeignet und ihm 
eine neue, glänzende Prägung verliehen hat. Erst nach 
der italienischen Reise, nachdem ihm das Ideal selbst auf¬ 
gegangen, wird das Wort in diesem prägnanten Sinne ge¬ 
läufig, als Adjektiv in prädikativer Stellung; einer der 
frühesten Belege ist die Charakteristik Hermanns durch 
den Pfarrer in „Herrn, u. Dor.“ 2, 90: 

„Rein ist Hermann; ich kenn’ ihn von Jugend auf; und er 

streckte 

Schon als Knabe die Hände nicht aus nach Diesem und 

Jenem; 

Was er begehrte, das war ihm gemäss; so hielt er es fest 

auch.“ 

In seiner ganzen Tiefe und Breite kommt das Wort zur 
Geltung in der bewunderungswürdigen Charakteristik 
Voltaires in den „Anmerkungen“ zu „Rameaus Neffe“. 
Von der Erscheinung ausgehend, dass gelegentlich die 
sämtlichen Eigenschaften einer Familie oder Nation sich 
in einem einzelnen Individuum konzentrieren, fährt Goethe < 
fort: „So entstand in Ludwig XIV. ein französischer König | 
im höchsten Sinne, und ebenso in Voltaire der höchste i 
unter den Franzosen denkbare, der Nation gemässeste 
Schriftsteller.“ 31, 142. Die Erscheinung Voltaires wird ! 
hier also als notwendiges Naturprodukt aufgefasst, als ! 
der vollkommenste Ausdruck des französischen National¬ 
geistes; er wird dadurch solchen Grössen angereiht, die 
Emerson als „Representative Men“ zusammengestellt hat, | 
und die Goethe selbst wiederholt als „geistige Flügel- j 
männer“ bezeichnet. (Vgl. über diesen Ausdruck R. M. ! 
Meyer a. a. 0. S. 38 f., sowie unten im Theoretischen Teil 



23 


S. 198.) Wenn sich hier der Mensch innerhalb der Gren¬ 
zen seiner Nation als „komplett“ darstellt, so ist dieser 
Fall offenbar nur eine besondere Anwendung der oben 
zitierten Grundmaxime von der Ausbildung des Einzelnen 
innerhalb der Grenzen seiner selbst, und in diesem Sinne 
hat das Wort „gemäss“ bei Goethe seine typische Verwen¬ 
dung gefunden. 

Vorbildlich ist auch hier die Idealgestalt Winckel- 
manns. Er war für Goethe die fleischgewordene Antike; 
und der Geist der Antike war für Goethe gleichbedeutend 
mit dem Prinzip der Selbstbeschränkung, des Auslebens 
innerhalb wohlproportionierter Grenzen, frei von trans- 
cendentaler Gotik. Sein Biograph wird nicht müde, diesen 
Grundzug seines Charakters von den verschiedensten Sei¬ 
ten ins hellste Licht zu stellen, ihn als einen Mann zu prei¬ 
sen, der sein ganzes Leben verwendete, „ein ihm Ge¬ 
mässes, Treffliches und Würdiges im Menschen und in der 
Kunst, die sich vorzüglich mit dem Menschen beschäf¬ 
tigt, aufzusuchen“. 28, 198. Und was Goethe an seinem 
Vorbild bewunderte, stellt er fortan sich selbst und der 
Welt als Norm hin, als das einzig sichere Fundament einer 
harmonischen Existenz. Er befolgt dieses Prinzip jn seiner 
wissenschaftlichen Thätigkeit („So nahm ich auf, was mir 
gemäss war, lehnte ab, was mich störte...“ 27, 334; 
ganz ebenso an Schütz, Goethes Naturwiss. Korresp. II, 
244), ebenso in der Wahl seiner Freunde („Es war mir um 
desto angenehmer, Sie zu finden, dessen allgemeine Rich¬ 
tung mir ganz gemäss ist“ An Boiss. II, 16), konstatiert 
es als notwendiges oberstes Gesetz des geistigen Wachs¬ 
tums G»Uer Mensch versteht nichts, als was ihm gemäss 
ist“ Wanderj. 18, 50; ganz ebenso Riemer Br. S. 304: 
„Niemand begreift etwas, als was ihm gemäss ist“); preist 
es als unbewussten Besitz des Naturzustandes und der 
Kindheit DW. 21, 25: „Glückliche Beschränkung der Ju- 



24 


gend, ja der Menschen überhaupt, dass sie... weder nach 
Wahrem noch nach Falschem, weder nach Hohem noch 
Tiefem fragen, sondern bloss nach dem, was ihnen gemäss 
ist!“ Weitere Belegstellen: „Zustände, in welchen unser 
Günstling (der Naturdichter Gottlieb Hiller) ein gemässes, 
seinem Wesen behagliches Leben führen würde“ 29, 403; 
„keins von den Verhältnissen ist ihm gemäss“, Wahlv. 15, 
25; „ich hatte die Entwickelung eines bedeutend gewor¬ 
denen Kindes, ... wie sie im allgemeinen dem Menschen¬ 
kenner und dessen Einsichten gemäss wäre, darzustellen.“ 
(Über Dichtung und Wahrheit) Ann. 770; u. a. 


In der wiederholt angeführten Maxime über den „kom¬ 
pletten“ Menschen wird das Innehalten der Grenzen der 
eigenen Fähigkeiten als Bedingung eines harmonischen 
Zustandes hingestellt. Der wichtigen Aufgabe, diese Fun¬ 
damentallehre der Begrenzung in ihrer ganzen Tiefe und 
Breite zu verkünden, dienen bei Goethe hauptsächlich drei 
Verben: beschränken, bedingen, begrenzen. Der 
Vorstellungsinhalt dieser drei Worte ist insofern reicher, 
als der des Gemässen, als auch ein didaktisches Element 
darin enthalten ist und Mittel und Weg angedeutet wird, 
um zu jenem Ziel des Gemässen, Harmonischen zu gelan¬ 
gen. Auch wirkt die sinnliche Vorstellung der „Schranke" 
kräftiger als die des „Masses“; die erstere erweckt un¬ 
willkürlich den Begriff des Hemmnisses und Widerstandes, 
während bei „Mass“ nur an das bedächtige, korrekte Aus¬ 
füllen einer gewissen Norm gedacht wird, und sich ausser¬ 
dem die blässere, abstrakte Färbung, wie in „mässig“. 
leicht in den Kreis der Vorstellungen drängt. Von den 
drei Synonymen ist „begrenzen“ das schwächste und am 
wenigsten bei Goethe gebräuchlich, häufiger in der Nega¬ 
tion „unbegrenzt“, wohl infolge der sinnlichen Anschau- 



25 


ung einer unendlichen Fläche. Am stärksten wirkt 
„Schranke, Beschränkung“, 1 und diese Ausdrücke sind 
durch die häufige Anwendung bei Goethe zu gewisser Be¬ 
rühmtheit gelangt, als Kern seiner ganzen sittlichen 
Lebensanschauung. 1 ) Ihre Geschichte und Analyse ist 
eine Lebensgeschichte Goethes im Kleinen, ein getreues 
Abbild seines inneren Ringens und Uberwindens. Wie 
einst das „Erkenne Dich selbst“ über dem Tempel 
zu Delphi, so steht das Gebot „Beschränke Dich 
selbst“ über dem Eingang zu dem Tempel Goethescher 
Welt- und Lebensweisheit geschrieben. Es ist das sitt¬ 
liche Urmotiv, das durch alle seine Lehren leiser oder stär¬ 
ker hindurchklingt, und dessen erste Ansätze bis in die 
Genieperiode zurückgehen. 

In dem Aufsatze: „Nach Falconet und über Falconet“ 
findet sich die Stelle: „Wer allgemein sein will, wird 
nichts; die Einschränkung ist dem Künstler so notwendig, 
als jedem, der aus sich was Bedeutendes bilden will.“ 
28, 353. Es ist also hier zunächst nur eine Seite des Prin¬ 
zips ausgesprochen: die Beschränkung vom Standpunkte 
des Künstlers, und dies mag sich daraus erklären, dass 
gerade zu jener Zeit der Dichter mehr als je sich der bil¬ 
denden Kunst ausübend und theoretisierend zugewandt 
hatte. Dass aber in höherer sittlicher Hinsicht die Idee 


1 1 Es möge bei dieser Gelegenheit hervorgehoben werden, dass 
die prägnante Verwendung gewisser Worte bei Goethe selbstverständlich 
nicht ausschlicsst, dass nicht vor oder nach ihm das gleiche Wort im 
gleichen Sinne verwendet worden ist. So ist z. B. das „beschränken“ 
als erstes Gebot künstlerischen Strebeus schon von Boileau aus¬ 
gesprochen: Art poetiquc I, 6Ö: „(Jui ne gut se borncr, ne sut jamais 
ecrire“ (vgl. 3, 105: 11. 1, 71). Sehr viele Idiotismen Goethes werden 
sich vereinzelt auch bei anderen Schriftstellern in ähnlicher Prägnanz 
belegen lassen, aber nirgends mit der Konsequenz und Häufigkeit, wie 
bei Goethe, und nirgends als bewusste Glieder einer grossen Gedanken¬ 
reihe, die sich fest in eiuander sehliesst und in der ganzen Persön¬ 
lichkeit des Dichters wurzelt (Genaueres unten S. 2 ( JÜ ff.). 



26 


noch nicht durchgedrungen ist, beweist die Verwendung 
des Wortes „Einschränkung“ im Werther. Es hat hier 
zumeist die Bedeutung eines Eingeengtseins, einer Fesse¬ 
lung durch kleine Verhältnisse und die Widerwärtigkeiten 
des Lebens. Schon die Vorsilbe ein-, die durchaus vor¬ 
herrscht, ist charakteristisch, während später be- an die 
Stelle tritt. Werther selbst ist geradezu der Typus des 
„inkompletten“ Menschen, und er geht zu Grunde an dem 
„Streben ins Unbedingte“, an dem Mangel sittlicher Be¬ 
schränkung. Wenn er von Einschränkung redet, so haftet 
dem Worte die Vorstellung eines Zustandes an, dessen 
Beseitigung höchst erwünscht ist. Zwar zu Anfang, wo 
er sich noch im Gleichgewicht der Kräfte befindet, und 
w r o sein glückliches Sehnen mit der Harmonie des Alls zu¬ 
sammenklingt, denkt er sich gern in den patriarchalischen 
Zustand eines bescheidenen, eingeschränkten Hütten¬ 
lebens: „Du kennst von Alters her meine Art, mich anzu¬ 
bauen, mir irgend an einem vertraulichen Orte ein Hütt- 
chen aufzuschlagen und da mit aller Einschränkung zu 
herbergen.“ 14, 24; „so beschränkt und so glücklich 
waren die herrlichen Altväter.“ 14, 79. Aber dieses Lob 
der Einschränkung beruht nicht auf innerem Erlebnis und 
sittlicher Forderung, sondern auf Phantasie und eingebil¬ 
deter Befriedigung. Das tiefer liegende Problem des Ver¬ 
hältnisses von Freiheit und Notwendigkeit ist ihm ganz 
unklar; er begnügt sich mit Grübeleien über das bestän¬ 
dige Schwanken im Menschen, — Goethe im Alter würde 
gesagt haben, über den periodischen Wechsel der Systole 
und Diastole, — „sich auszubreiten, neue Entdeckungen 
zu machen, herumzuschweifen, und dann wieder ... sich 
der Einschränkung willig zu ergeben, in dem Geleise der 
Gewohnheit so hinzufahren...“ 14, 37. Er spricht an 
anderer Stelle geradezu von der Einschränkung, „in wel¬ 
cher die thätigen und forschenden Kräfte des Menschen 



27 


eingesperrt sind“ 14, 22, und sucht sich damit zu trösten, 
dass der Mensch, „so eingeschränkt er ist, doch immer im 
Herzen das süsse Gefühl der Freiheit hält und dass er die¬ 
sen Kerker verlassen kann, wann er will.“ 14, 23. Als 
sachliche Parallele verdiente noch die Stelle 14, 90 heran¬ 
gezogen zu werden: „das Zugreifen ist doch der natür¬ 
lichste Trieb der Menschheit.“ Wie der Werther des zwei¬ 
ten Büches sich immer weiter von dem „Gemässen“ und 
der Beschränkung entfernt, braucht nicht weiter ausge¬ 
führt zu werden. 

Weitere Zeugnisse aus jener Zeit bestätigen die 
schwankende und tastende Stimmung der Genieepoche. 
Wenn wir z. B. im Clavigo von der „glücklichen Einschrän¬ 
kung“ 6, 150, oder von dem „Glück einer ruhigen Be¬ 
schränkung“ 6, 158, hören, oder wenn einige Monate spä¬ 
ter (31. August 1774) in einem Briefe an Jacobi von „herz¬ 
lich wirkender Beschränkung“ gesprochen wird, in der 
der Mensch „zu seinem Erbteil zurückkehrt, säet, pflanzt 
und begiesst, und sein und der seinigen geniesst“ DjG. 3, 
38, — so liegt auch diesen Äusserungen noch die Hütten¬ 
romantik Werthers, oder vielmehr, um die Urquelle nicht 
zu übergehen, Rousseaus zu Grunde. Gewiss sind aber 
andererseits auch die Worte des Carlos ganz aus dem 
schrankenlosen Thatendrange des jungen Goethe heraus 
gesprochen: „Und heiraten! Heiraten just zur Zeit, da 
das Leben erst recht in Schwung kommen soll! Sich häus¬ 
lich niederlassen, sich einschränken, da man noch die 
Hälfte seiner Wanderung nicht zurückgelegt, die Hälfte 
seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat!“ 6, 130. 

Aber schon zwei Jahre später ist das Prinzip der Be¬ 
schränkung in seinem ganzen Ernst und in seiner umfas¬ 
senden Bedeutung ausgesprochen in einem Briefe an Frau 
v. Stein vom 22. Juli 1776: „Es bleibt ewig wahr: Sich 
zu beschränken, Einen Gegenstand, wenige Gegenstände, 



28 


recht bedürfen, so auch recht lieben, an ihnen hängen, 
sie auf alle Seiten wenden, mit ihnen vereinigt werden, 
das macht den Dichter, den Künstler — den Menschen.“ 
1, 46. Fortan bildet zugleich mit der Anschauung auch 
die Wortgruppe einen integrierenden Bestandteil von Goe¬ 
thes Terminologie. Es braucht nur erinnert zu werden 
an die beliebteste aller Goethe-Sentenzen aus dem Sonnett 
„Natur und Kunst“: „In der Beschränkung zeigt sich erst 
der Meister.“ 11. 1, 71; an Jarnos Ausspruch in den Lehr¬ 
jahren: „Der Mensch ist nicht eher glücklich, als bis sein 
unbedingtes Streben sich selbst seine Begrenzung be¬ 
stimmt.“ 17, 518; aus der späteren Zeit an eine Äusse¬ 
rung gegenüber Eckermann vom 20. April 1825: „Im 
übrigen ist es zuletzt die grösste Kunst, sich zu beschrän¬ 
ken und zu isolieren.“ Solchen Lehren entsprechend gilt 
Goethes Lob den Künstlern und Menschen, bei denen er 
die gleiche Erkenntnis und Tendenz beobachtet. Im Ge¬ 
dichte „Ilmenau“ ruft er seinem Freunde und Fürsten zu: 

„Du kennest lang’ die Pflichten Deines Standes 

Und schränkest nach und nach die freie Seele ein.“ 

Ganz entsprechend wird Ludwig XVI. als wohlwollender 
König gepriesen, weil er „die besten Absichten zeigte, 
sich selbst zu Beseitigung so mancher Missbräuche und 
zu den edelsten Zwecken zu beschränken.“ DW. 23, 42. 
Schillers Aufstieg zur Reifeepoche wird charakterisiert: 
„er stand im Begriff, sich zu beschränken, dem Rohen, 
Übertriebenen, Gigantischen zu entsagen.“ Ann. 182. 
Noch in den letzten Jahren begründet Goethe seine Be¬ 
friedigung mit den Leistungen des Malers Neureuther mit 
den Worten: „Es beschränkt sich selten ein Künstler auf 
das, was er vermag, die meisten wollen mehr thun, als 
sie können, und gehen gar zu gern über den Kreis hinaus, 
den die Natur ihrem Talente gesetzt hat. Von Neureuther 



29 


jedoch lässt sich sagen, dass er über seinem Talente 
stehe.“ Gespr. 8, 76 f. 

In allen diesen Fällen stehen die Worte dieser Gruppe 
reflexiv und setzen als Subjekt einen Charakter voraus, 
an den sie als sittliche Forderung gerichtet sind! Eine 
etwas verschiedene Färbung erhalten sie, wenn sie nicht 
auf Personen, sondern Zustände bezogen werden, in denen 
diejenige aktive Macht zu erblicken ist, durch welche 
der Mensch bedingt, beschränkt, begrenzt wird. Es ist 
die gleiche Grundlehre, aber vom Standpunkte der be¬ 
dingenden Aussenwelt, und es ist bemerkenswert, dass 
dieser mehr sachliche Gesichtspunkt einer späteren Pe¬ 
riode angehört und vor 1800 selten zu belegen ist; seit¬ 
dem werden die Adjektive „bedingt“ und „unbedingt“ in 
ihrer individuellen Bedeutung zu Lieblingswendungen. 
Ein früher Beleg findet sich in dem Aufsatz „Über epische 
und dramatische Dichtung“ aus dem Jahre 1797: „Das 
epische Gedicht stellt vorzüglich persönlich beschränkte 
Thätigkeit, die Tragödie persönlich beschränktes Leiden 
vor.“ 29,224. Sehr durchsichtig wird die Prägnanz in einem 
Urteil über Tieck, aus einem Briefe an W. v. Humboldt 
29. Nov. 1801. Goethe tadelt an Tieck die „affectiones 
juventutis“, indem er sich durch heftig absprechende Ur¬ 
teile in der Gesellschaft schade und seinerseits strenge 
Richter herausfordere. „Und freilich ist es eine ganz 
natürliche Folge, dass man demjenigen, der alle Men¬ 
schen beurteilt, als wenn sie unbedingt wirken könnten, 
wenn er selbst produziert, diejenigen Bedingungen auch 
nicht gelten lässt, welche ihn beschränken...“ Briefw. 
S. 176. Von besonderer Wichtigkeit ist hier die spezifisch 
Goethesche Verwendung des Wortes „Bedingung“ im 
Sinne von „das bedingende Hindernis, die Schranke,“ an 
Stelle der generellen abstrakten Bedeutung „Voraus¬ 
setzung, rechtliches Übereinkommen.“ Es liegt hier, wie 



30 


so häufig bei Goethe, eine Rückkehr zu der ursprünglichen 
konkreten Wurzel vor, und dieses Hineinspielen der sinn¬ 
lichen Anschauung verleiht vielen abgegriffenen Worten 
bei Goethe einen neuen Reiz (Näheres darüber im Theoret. 
Teil). Bei flüchtigem Lesen übersieht man diese Fein¬ 
heiten leicht, aber je mehr man sich der Lektüre Goethes 
hingiebt, und besonders wenn man sich gewöhnt, nicht 
nur das Auge, sondern auch das Ohr zu beschäftigen und 
sich den sinnlichen Klang zu vergegenwärtigen, desto 
empfänglicher werden die Sinne für diese „Gegenständ¬ 
lichkeit“ (27, 351 ff.), die den Gedanken, wie den Aus¬ 
druck bei Goethe in gleichem Masse auszeichnet. Einige 
Beispiele mögen das Gesagte hinsichtlich der Gruppe „Be¬ 
dingung, beschränken“ etc. illustrieren. 

Bei seinem Aufenthalt in Göttingen lernt Goethe auch 
die Reitbahn des berühmten Stallmeisters Ayrer kennen 
und verschmäht es nicht, auch darüber einige tiefer¬ 
gehende Betrachtungen anzustellen: „Warum eine Reit¬ 
bahn so wohlthätig auf den Verständigen wirkt, ist, dass 
man hier vielleicht einzig in der Welt die zweckmässige 
Beschränkung der That, die Verbannung aller Willkür, 
ja des Zufalls, mit Augen schaut und mit dem Geiste be¬ 
greift.“ Ann. 230. Und vorher heisst es: „Eine wohl¬ 
bestellte Reitbahn hat immer etwas Imposantes; das Pferd 
steht als Tier sehr hoch, doch seine bedeutende, weit¬ 
reichende Intelligenz wird auf eine wundersame Weise 
durch gebundene Extremitäten beschränkt.“ Ann. 229. 
Es ist höchst bedeutungsvoll, wie Goethe auch solche Er¬ 
scheinungen aus scheinbar trivialer Sphäre, auf das Prin¬ 
zip der Beschränkung zu reduzieren sucht. Weit näher 
liegt es natürlich, auf geistigem und sittlichem Gebiete 
an die „Bedingungen“ der Aussenwelt zu erinnern, wie es 
schon oben in dem Urteil über Tieck geschah; man kann 
bei Goethe geradezu eine stehende Antithese beobachten. 



31 


indem das Individuum seinerseits „ins Unbedingte strebt“ 
und wiederum von aussen durch Welt und Wirklichkeit be¬ 
dingt wird. So heisst es von Lavater: „Er erlebte die 
Gegenwirkung der Bedingungen.“ 27, 297. Der Gegen¬ 
satz deckt sich mit dem zwischen Phantasie und Wirk¬ 
lichkeit: „Es ist die Eigenschaft der Imagination, wenn 
sie sich ins Ferne und ins Vergangene begiebt, dass sie 
das Unbedingte fordert, welches dann meist durch die 
Wirklichkeit unangenehm beschränkt wird.“ 28, 608 f. 
Vor diesen Gefahren der Phantasie zu bewahren, ist nach 
Goethe eine Hauptaufgabe des Erziehers; er definiert den 
Begriff der Erziehung entsprechend: „Erziehung heisst, 
die Jugend an die Bedingungen gewöhnen, zu den Beding¬ 
ungen bilden, unter denen man in der Welt überhaupt, so¬ 
dann aber in besonderen Kreisen existieren kann.“ 29, 
381. Damit stimmt die Maxime des edlen Oheims in den 
Wand er j. überein: „Der Mensch ist ein beschränktes 
Wesen; unsere Beschränkung zu überdenken, ist der Sonn¬ 
tag gewidmet.“ 18, 99. 

Folgen wir weiter der reichen Bedeutungsskala dieser 
Gruppe, so tritt .uns eine neue Schattierung entgegen, so¬ 
bald der didaktische Gesichtspunkt fortfällt und die That- 
sache rein objektiv als naturnotwendig empfunden wird. 
W r as sonst „zu höheren Zwecken“ verwertet wird, stellt 
sich hier lediglich als typische Erscheinung einer klein¬ 
bürgerlichen Existenz dar. Zu grösserer Bedeutung ist 
diese Nüancierung besonders in der letzten Epoche ge¬ 
langt, etwa seit 1805. Wenn man ermisst, dass Goethe 
in hervorragendem Masse der Dichter typischer Verhält¬ 
nisse ist, und dass sein Auge, je älter er wurde, desto 
mehr mit Behagen auf einfachen Zuständen verweilte, die 
eine Gewähr friedlicher Dauer in sich tragen, wenn man 
hinzufügt, dass Deutschland im ausgehenden Zeitalter des 
Feudalismus den grössten Reichtum an Erscheinungen 



32 


eines kleinstädtischen friedlichen Philisterdaseins bot, — 
so ist zu begreifen, dass sich der Dichter auch den ent¬ 
sprechenden typischen Ausdruck schuf. Ein solcher liegt 
vor in den Verbindungen: „beschränkte Häuslichkeit“, 
„bürgerlich beschränkte Verhältnisse“, „häusliche Be¬ 
schränkung“, „beschränkter Zustand“ und ähnlichen, 
die in den Schriften der letzten Periode sehr häufig wieder¬ 
kehren. Man vergleiche Stellen wie: 29, 251; 196; 214; 

23, 79; 20, 71; — An Schultz S. 213 u. s. w. 

Die folgende letzte Wandlung des Begriffes der Be¬ 
schränkung gehört der negativen Sphäre an, lässt sich 
aber in ihrer folgerechten Ableitung am passendsten hier 
anschliessen. Man könnte dabei von einem Aphorismus 
in Spr. 918 ausgehen: „es bleibt ein grosser Unterschied, 
ob ich mich an den Grenzen der Menschheit resigniere 
oder innerhalb einer hypothetischen Beschränktheit mei¬ 
nes bornierten Individuums.“ 19, 199. Es ist die Anti¬ 
these, die durch die ganze Anschauungsweise Goethes hin¬ 
durchgeht und in ihrer einfachsten Form zu reduzieren ist 
auf denGegensatz „sich beschränkend—beschränkt“. 

Es ist die höchste Weisheit, sich zu beschränken, sobald 
die beschränkenden Verhältnisse, die „Bedingungen“ dazu 
nötigen, oder wie es Spr. 1020 heisst: „Derjenige, der 
sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Voll¬ 
kommenheit am nächsten.“ 19, 220. Es ist aber anderer¬ 
seits das Kennzeichen der „Menge“ des Philisters, sich | 
von den Verhältnissen widerstandslos beschränken zu las- 

i 

sen, beschränkt zu sein. In den Lehrjahren ist Werner 
der Typus der stagnierenden Beschränktheit, während 
Wilh. Meister, als der Werdende, die Entwickelung vom 
„Streben ins .Unbedingte“ teur „Selbstbeschränkung“ durch- i 
läuft. Wie bewusst sich Goethe dieser Doppeldeutigkeit < 
des Begriffes „Schranke“ war, zeigt die prägnante Anwen- ! 
düng in der schematischen Charakteristik der „Epochen j 


I 



33 


deutscher Litteratur“. 29, 261. Die Periode von 1750 
, bis 1770 erhält neben einer Anzahl anderer Bezeichnungen 
das Prädikat „beschränkt“, die Zeit von 1790—1810: „sich 
beschränkend“. Es ist klar, dass die erstere Bezeichnung 
sich genau mit dem generellen „beschränkt“ = „bor¬ 
niert“, „enggeistig“ deckt; diese Bedeutung ist sogar die 
1 einzige, die „beschränkt“ im gewöhnlichen Gebrauch hat. 
! Im individuellen Sprachgebrauch Goethes kann das Wort je- 
j doch auch andere Schattierungen bis zum geraden Gegenteil 
annehmen, und nur eine genaue Interpretation im Zusam- 
j menhang der ganzen Begrilfskette, wie sie oben dargelegt 
j wurde, kann die Nuance feststellen. Wenn z. B. in den 
I Ann. 480, und ebenso 523 von der alten Schule zu 
Helmstädt als einer „beschränkten Universität“ ge- 
i sprochen wird, so ist die Bedeutung hier offenbar ebenso 
wie in dem typischen Ausdrucke „beschränkte Zustände“ 
soviel wie „eng, klein“, ohne dass Lob oder Tadel invol- 
1 viert wäre. Eine andere Erklärung verlangt das Wort in 
, Spr. 269: „Die Wahrheit widerspricht unserer Natur, der 
Irrtum nicht, und zwar aus einem sehr einfachen Grunde: 
die Wahrheit fordert, dass wir uns für beschränkt erken¬ 
nen sollten; der Irrtum schmeichelt uns, wir seien auf eine 
oder die andere Weise unbegrenzt.“ 19, 63. Weit ent¬ 
fernt von der generellen Bedeutung „borniert“, steht „be¬ 
schränkt“ hier im höheren Sinne der Resignation für das 
ausführliche „mit Einsicht beschränkt“. Spr. 1020. Es 
entspricht dem Worte „Bedingung“ in der oben S. 29 er¬ 
örterten Prägnanz „die bedingende Aussenwelt“. Diese 
letztere Bedeutung tritt besonders schön hervor in Spr. 
654: „Wer Bedingung früh erfährt, gelangt bequem zur 
Freiheit; wem Bedingung sich spät auf dringt, gewinnt nur 
bittere Freiheit.“ Zu beachten ist nebenbei auch die 
Gegenüberstellung von „erfahren“ und „aufdringen“ 
d. h. der bereitwilligen und widerwilligen Anerkennung 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 3 



34 


der Schranken. Zweifelhaft könnte die Interpretation er¬ 
scheinen, wenn Ann. 734 von der „gewissenhaften Pein¬ 
lichkeit“ Albrecht Dürers gesprochen wird, „die sowohl 
seine Gemälde als Holzschnitte beschränkt“. An und für 
sich könnte man an ein Lob denken, wie es Goethe der 
künstlerischen Beschränkung so oft zu teil werden lässt; 
in diesem Falle mischt sich jedoch unzweifelhaft ein leiser 
Tadel hinein, da Goethe sich bekanntlich in der Epoche 
seines extremen Klassizismus gegen die altdeutsche Kunst 
und auch Dürer sehr kühl oder ablehnend verhielt. So 
steht auch das „beschränkt“ hier im Sinne der äusseren 
Beschränktheit, nicht der auf innerer Freiheit beruhenden 
Beschränkung. Dagegen wirkten die christlich-mytholo¬ 
gischen Handzeichnungen Dürers wie eine Offenbarung 
auf Goethe und stimmten seine Meinung von diesem Mei¬ 
ster bedeutend höher, da er, wie Goethe an der zitierten 
Stelle berichtet, in diesem Werke „aus der gewissenhaften 
Peinlichkeit heraustrat... Hier erschien sein herrliches 
Naturell völlig heiter und humoristisch.“ Ann. 734. 

Überblickt man nochmals die Entwickelung dieser 
Eegriffsgruppe und vergleicht den individuellen Bedeu¬ 
tungsreichtum der Worte bei Goethe mit der generellen 
Verwendung, so lässt sich eine Erscheinung beobachten, 
die für die Bedeutungslehre überhaupt nicht ohne Inter- | 
esse ist. Die gröbere Handhabung im generellen Gebrauch , 
weiss nur die schärferen, extremen Schattierungen zu be- J 
nutzen, die dem Worte einen leicht zu erkennenden Stern- 1 
pel aufdrücken; die Mittelstufen und die zarteren Nuancen | 
dagegen werden übersprungen in dem Wandlungsprozess 
und gehen verloren. Gerade diese aber gelangen in der I 
individuellen Verwendung zu ihrem Rechte und dienen | 
einem Sprachgewaltigen wie Goethe zu ungeahnter Berei¬ 
cherung seiner Ausdrucksfähigkeit, ohne Aufwand ent- I 
legener Mittel. Das eine Wort „beschränken“ wird in I 



I 


35 


I allen Stadien von der konkretesten Anschauung bis zur 
\ höchsten Vergeistigung nutzbar gemacht, und wiederum 
schliesst sich die ganze Kette der sittlichen Definitionen 
in dem einen „beschränkt" zusammen, das als Mittel¬ 
glied zweier Anschauungswelten, Ideal und Irrtum in der 
Goetheschen Lebensweisheit durch das gleiche einfache 
' Bild zu sinnlicher Anschauung bringt. 


Goethes Lehre von der Beschränkung steht insofern 
mit dem organischen Grundprinzip seiner Denkweise im 
Zusammenhang, als sie an Stelle der räumlichen Ausbrei¬ 
tung den Trieb „von innen heraus“, statt der extensiven 
Wirtschaft die Intensität, an Stelle des Mechanischen ein 
Dynamisches setzt. Die Idee der lebendigen Kraft, des 
organischen Wachstums ist die Wurzel seiner Anschau¬ 
ungen. Wachstum bedeutet aber eine Richtung in die 
Höhe, ein Emporstreben, und dies ist ein weiterer Factor 
in Goethes „Hylozoismus“, wie er seine Anschauungs¬ 
weise selbst wiederholt genannt hat (Camp. i. Fr. 25, 132; 
an Nees von Esenbeck, Naturwiss. Korresp. 2, 134). Es 
wird immer wieder darauf zurückzukommen sein, wie tief 
der Begriff des Hinanstrebens, Aufsteigens, des Hindeu- 
tens auf ein Höheres, Ewiges, in Goethes Individualität 
wurzelt. Sprachlich fixiert wird er hauptsächlich durch 
zwei Worte: „streben“ und „steigern“, die je eine Seite 
des Prinzips hervorheben: in „streben“ tritt die lebendige, 
stetig wirkende Triebkraft in den Vordergrund, in „stei¬ 
gern“ die emporstrebende, potenzierende Tendenz. Beide 
Worte sind entschiedene Lieblingsausdrücke Goethes 
und zeigen eine individuelle Vertiefung der generellen 
Bedeutung. 

Riemer berichtet (Mitteilungen II, 285; Gespr. 8, 171; 
vgl. auch Spr. 262 über „Abmüden“), dass Goethe eine 

3 * 





36 


Vorliebe für das Wort „Mühe" hatte und die Prägnanz so¬ 
gar in der Aussprache, „indem er auf dem ü aushielt“, zu 
erkennen gab, ohne jedoch den Ton hypochondrischer 
Klage damit zu verbinden. Der Bibelspruch „solche Mühe 
hat Gott den Menschen gegeben“, war ein beliebtes Citat 
Goethes, und wie er das Wort in der mündlichen Rede be¬ 
tont, so unterstrich er es in einem Briefe an Charlotte von 
Schiller: „Wir haben diese Zeit her ganz eigentlich ge- 
mühet...“ 27. April 1810; Str.Br. II, 149. Der Grund¬ 
eigenschaft Goethes, eines freudigen „Mühens“, einer rast¬ 
losen Thätigkeit, entspringt auch die Vorliebe für das 
Wort „streben“; beide Worte erhalten ihre höhere Weihe 
in den Versen, die den Schlüssel zum Faustproblem bieten 
(F. II, 11935—6): 

Wer immer strebend sich bemüht 

Den können wir erlösen. 

Wie Faust der Typus des Strebenden, so ist „der Stre¬ 
bende“ wiederum der Gattungsbegriff, in den alle, die 
die Eigenschaft bethätigen, eingeschlossen sind. Ergiebt 
sich selbst diese Bezeichnung im Rückblick auf die Jahre j 
in Italien: „alles, was ich in dieser Epoche aufgeschrieben, 
hat den Charakter ... eines Strebenden“ an Schiller, 

26. Okt. 1796. Auch die Sturm- und Drangzeit trägt die¬ 
sen Charakter des „unentwickelten Tüchtigen“, wie sie i 
DW. 23, 51 charakterisiert wird, und von einem Teilneh- I 
mer, Heinr. L. Wagner, heisst es daher: „Er zeigte sich ) 
als ein Strebender, und so war er willkommen,“ 22, 147. i 
Zwischen dem frischen jugendlichen „Streben“ und ruhi- . 
gerem „Aufstreben“ wird unterschieden in einem Briefe | 
an Schultz: „jene Epoche..., wo Sie... und so manche i 
andere treffliche Menschen jung waren und strebten, ... ■ 

da wo wir Älteren aufstrebten“ S. 361. Der gleiche Unter- ! 
schied in der Einleitg. der Gesch. d. Farbenl.: „Wird einer I 



37 


strebenden Jugend die Geschichte eher lästig als erfreu¬ 
lich, ... so haben die in Bildung und Alter Fortschreiten¬ 
den gar oft mit lebhaftem Danke zu erkennen, wie mannig¬ 
faltiges Gute ... ihnen von den Vorfahren hinterlassen 
worden.“ 36, 3. Eine Idealgestalt, die in der Vollkraft des 
Strebens dahingeschieden und nun diese Idee auf ihrem 
höchsten Punkte festhält, ist Achilles, „der ewig-stre- 
bende Jüngling“ 28, 229, wie Winckelmann der „Ewig- 
Tüchtige“. Die Antithese „Strebender, Werdender“und 
„Fertiger“ hat ihren klassischen Ausdruck gefunden 
F. I, 182: 

„Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; 

Ein Werdender wird immer dankbar sein.“ 

Gelegentlich wird „Perf ektibilität“ eingesetzt, in 
einer Äusserung über Frau V. d. Recke: „Sie sei ohnePer- 
fektibilität und stehen geblieben,“ Gespr. 2, 213. Im 
Schema über den Dilettantismus wird dem Dilettanten zum 
Vorwurf gemacht, dass er „auf gewissen Stufen beharrt, 
die er als Ziel ansieht“ und dass er also „seine Perfektibi- 
lität hindert“ 28, 177. Dagegen nimmt „vollendet“ kei¬ 
neswegs die Stelle von „fertig“ ein, wenn es It. R. 24, 359 
mit „strebend“ kontrastiert wird. In einer Besprechung 
der Raphaelschen Kartons nimmt Goethe Anlass zu einer 
kleinen Digression über die Richtung der „Nazarener“ 
und ihre Tendenz zu den „Mittelstufen“, „dem älteren Un¬ 
vollkommenen“ zurückzukehren, anstatt sich an den Mei¬ 
ster zu halten. Er findet den Grund dieser Erscheinung 
darin, dass man es eher wagt, „mit einem talentreichen, 
zarten Jüngling ... zu wetteifern, von sich zu hoffen, 
was er geleistet hat. Nicht mit gleichem Behagen wen¬ 
den wir uns an den vollendeten Mann; denn wir ahnen die 
furchtbaren Bedingungen, unter welchen allein sich selbst 
das entschiedenste Naturell zum Letztmöglichen des Ge- 



lingens erheben kann, und wollen wir nicht verzweifeln, 
so müssen wir uns zurückwenden und uns mit dem Stre¬ 
benden, dem Werdenden vergleichen.“ (Eine ähnliche Be¬ 
trachtung im Anschluss an Raphael: Gespr. 6, 4 ff.) Die 
Ausdrücke „Vollendung, vollendet“ sind übrigens typisch 
bei Goethe zur Bezeichnung der wahren „unerreichbaren“ 
Meisterschaft, als deren Repräsentanten er gern die drei 
Namen „Raphael, Shakespeare, Mozart“ hinstellt (vgl. 
z. B. Gespr. 7, 163; 8, 151); im Gegensatz zu dem nie fer¬ 
tigen Dilettanten ist das Werk des Meisters, ob ausge¬ 
führt oder nicht, immer „vollendet“, Spr. 744; „Vergebens 
werden ungebundne Geister Nach der Vollendung reiner 
Höhe streben,“Natur u. Kunst 11. 1, 71; „der angehende 
Künstler wird zwar geboren, aber nicht der vollendete“, 
Spr. 761. Die „Vollendung“ ist die letzte Epoche, die 
„des Gelingens zum Ziele“, der als erste Epoche vorher¬ 
geht „die der ersten Bildung“, als zweite „die des eigen¬ 
tümlichen Strebens“. 36, 158. Dieser typische Verlauf 
eines jeden Menschenlebens gilt auch für die Kunst, inso¬ 
fern sie als „ein Lebendiges“ anzusehen ist, „das einen 
unmerklichen Ursprung, einen langsamen Wachstum, einen 
glänzenden Augenblick der Vollendung, eine stufenfällige 
Abnahme, wie jedes andere organische Wesen, ... not¬ 
wendig darstellen muss.“ 28, 211. 

Wie das Ideal des „Strebenden“ ist auch der Begriff 
der „Steigerung“ schon frühzeitig in Goethe entwickelt. 
Beide Ideen erkennt er als Grundkräfte seines Wesens in 
einem Briefe an die Gräfin zu Stolberg vom 13. Febr. 1775: 
es ist der Faustische Seelenzwiespalt (F. I, 1112), der hier 
dargestellt ist, einerseits unter dem Bilde des „Fast¬ 
nachts-Goethe, umleuchtet vom ... Prachtglanze der 
Wandleuchter und Kronenleuchter“ und andererseits in 
der Gestalt desjenigen Goethe, „der immer in sich lebend, 
strebend und arbeitend, ... weder rechts noch links fragt. 



39 


was von dem gehalten werde, was er machte? weil er ar¬ 
beitend immer gleich eine Stufe höher steigt, weil er 
nach keinem Ideale springen, sondern seine Gefühle sich 
zu Fähigkeiten, kämpfend und spielend, entwickeln 
lassen will." DjG. 3, 64. Es wirkt immer von neuem er¬ 
staunlich, mit welcher Gesetzmässigkeit sich die Natur 
Goethes entfaltete, wie wunderbar sich jenes Wort an ihm 
bewahrheitet, das er selbst als Motto des zweiten Teils 
von DW. wählte: „Was man in der Jugend wünscht, hat 
man im Alter die Fülle." Denn in dem Programm, das die 
obigen Worte enthalten, liegt die Laufbahn Goethes klar 
vorgezeichnet: die stetige Arbeit, der ewig strebende 
Geist, die aufsteigende, ein Höheres bezweckende Ent¬ 
faltung in Kampf und Spiel, im Forschen und im künst¬ 
lichen Schaffen. Euphorions Worte: 

„Immer höher muss ich steigen, 

Immer weiter muss ich schauen" 

F. II, 9821—22, sind das Lebensmotto des Dichters. 

Um den Begriff der Steigerung bei Goethe präzis zu 
erfassen, genügt jedoch nicht die generelle Bedeutung des 
Wortes, sondern es liegt eine besondere naturwissen¬ 
schaftliche Anschauung zu Grunde, die mit der Meta¬ 
morphosenlehre innig verknüpft ist. Was Goethe in dem 
Wechsel der Erscheinungen suchte, war „der Typus", 
„das geheime und unbezwingliche Vorbild, in welchem 
sich alles Leben bewegen muss", An Joh. Müller GJ. 4, 
410; die Abwandlung dieses Typus geht vor sich in auf¬ 
steigender Linie, und auf jeder höheren Stufe gelangt der 
charakteristische Typus der betreffenden Gattung zu voll- 
kommnerer Darstellung. Die Formel der Steigerung 
ist der geistige Ausdruck der Metamorphose, wie 
die Polarität, der periodische Wechsel, der materielle Aus¬ 
druck. (Vgl. im allgemeinen R. Steiner, Goethes Weltan- 



40 


schauung, S. 61 ff.) Goethe erklärt jedoch ausdrücklich, 
in Übereinstimmung mit seiner Anschauung von der Ein¬ 
heit und Wechselwirkung aller schöpferischen Kräfte, dass 
auch die Materie sich zu steigern vermag, „so wie sich’s der 
Geist nicht nehmen lässt, anzuziehen und abzustossen.“ 
34, 145. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass die Vor¬ 
liebe Goethes für den Ausdruck „steigern“ grossenteils 
auf die Erkenntnis dieses naturwissenschaftlichen Prinzips 
zurückzuführen ist, das er seiner alldurchdringenden Art 
gemäss, auch auf die mannigfachsten Erscheinungen der 
geistigen Welt und des alltäglichen Lebens anwendete. Ob¬ 
wohl die exakte Formulierung des Prinzips aus späterer 
Zeit stammt, war ihm der Gedanke schon früh in seiner 
vielseitigen Tragweite klar, wie mehrere Belege beweisen. 
Riemer notiert unter dem 24. März 1807 folgende Äusse¬ 
rung Goethes in sein Tagebuch: „Die Formel der Steige¬ 
rung lässt sich auch im Ästhetischen und Moralischen ver¬ 
wenden. Die Liebe, wie sie modern erscheint, ist ein Ge¬ 
steigertes. Es ist nicht mehr das erste einfache Natur¬ 
bedürfnis ..., sondern ein in sich kohobiertes, gleichsam 
verdichtetes und so gesteigertes Wesen...“ Gespr. 2, 
163. Es ist hier nicht der Ort, auf den Inhalt dieses Apho¬ 
rismus, der selbst eine „in sich kohobierte, gleichsam ge¬ 
steigerte“ Betrachtung ist, einzugehen; er würde sich in 
einer Geschichte der Gemütskultur, die noch ungeschrie¬ 
ben ist, als fruchtbarer Gesichtspunkt erweisen. 

Die Übertragung des Steigerungsprinzips auf das gei¬ 
stige Gebiet hatte Goethe bereits zwei Jahre früher durch¬ 
geführt in der Biographie Winckelmanns. Folgende 
Sätze bilden den Kern der Darlegungen: 

„Das letzte Produkt der sich immer steigernden 
Natur ist der schöne Mensch.“ ... Aber „selbst ihrer All¬ 
macht ist es unmöglich, ... dem hergebrachten Schönen 
eine Dauer zu geben. ... Dagegen tritt nun die Kunst ein; 



41 


denn indem der Mensch auf den Gipfel der Natur gestellt 
ist, so sieht er sich wieder als eine ganze Natur an, die in 
sich abermals einen Gipfel hervorzubringen hat. Dazu 
steigert er sich, indem er sich mit allen Vollkommenheiten 
und Tugenden durchdringt... und sich endlich bis zur Pro¬ 
duktion des Kunstwerkes erhebt ... Ist es einmal hervor¬ 
gebracht, ... so bringt es eine dauernde Wirkung ... her¬ 
vor; denn indem es aus den gesamten Kräften sich geistig 
entwickelt, so ... erhebt es den Menschen über sich selbst, 
schliesst seinen Lebens- und Thatenkreis ab und vergöttert 
ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene und Künf¬ 
tige begriffen ist." 28, 203. Zum Verständnis dieser Sätze 
sei erinnert an die Grundanschauung Goethes von der Ver¬ 
wandtschaft zwischen Natur und Kunst, insofern als auch 
das Schöne für Goethe nichts ist als eine „Manifestation 
geheimer Naturgesetze“ Spr. 197, und zwar eine solche, 
die den Typus im Augenblicke seiner höchsten Vollendung 
festhält und gewissermassen konsolidiert, die also den 
vorübergehenden Moment als ein zeitlich Dauerndes, Ewi¬ 
ges darstellt und ihn in höchster Reinheit und Wahrheit 
offenbart, ohne selbst wirklich zu werden. Bei dem Man¬ 
gel an zusammenhängenden Theorien in Goethes Schriften 
ist man zur Entwickelung seiner Kunstlehre vielfach auf 
Kombination angewiesen, und auf Grund derselben scheint 
es statthaft, die Kunst im Sinne Goethes geradezu als 
„gesteigerte“ oder „potenzierte“ Natur zu definieren. 
Mit anderen Worten ist diese Definition gegeben DW. 22, 
40: „Die höchste Aufgabe einer jeden Kunst ist, durch den 
Schein die Täuschung einer höheren Wirklichkeit zu 
geben.“ Auch die zahlreichen Stellen, an denen von dem 
„Emporheben“ der Kunst (z. B. an Z. V, 424), von dem 
„Aufsteigen zum Sittlich-Höchsten“ (27, 321) gesprochen 
wird, weisen auf die gleiche Anschauung hin. Wichtig ist 
die Verwendung des Steigerungsprinzips in der Ästhetik 



42 


auch deshalb, weil hier im hellsten Lichte die Brücke vor 
uns liegt, die sich Goethe schlug, um auch äusserlich die 
entfernten Gipfel von Natur und Kunst zu verbinden, 
deren gemeinsame Basis, tief unten im Bereich der „uner- 
forschlichen Urphänomene“, ihm längst ein innerstes „un¬ 
aussprechliches“ Erlebnis war. 

Zahlreich sind die Belege für die prägnante Verwen¬ 
dung des Wortes „steigern“, wobei das Prinzip selbst 
bald mehr, bald weniger klar durchscheint. Eine Parallel¬ 
stelle zu dem oben zitierten Ausspruch über die moderne 
Liebe ist eine andere Äusserung, die Riemer überliefert 
hat: „Das Ideale im Menschen, wenn diesem die Objekte 
genommen oder verkümmert werden, zieht sich in sich, 
feinert und steigert sich, dass es sich gleichsam selbst 
übertrumpft. Die meisten Menschen im Norden haben viel 
mehr Ideales in sich, als sie brauchen können, als sie ver¬ 
arbeiten können; daher die sonderbaren Erscheinungen 
von Sentimentalität, Religiosität, Mysticismus etc.“ Gespr. 
2, 213. Auch dieser Aphorismus ist wahrhaft „prägnant“; 
das Ideale deckt sich hier teilweise mit dem Kunstwerk, 
indem es gleichfalls den Schein einer höheren Wirklich¬ 
keit hervorzubringen sucht; was ihm indessen fehlt, um 
ein Kunstwerk zu schaffen, ist die sinnliche Gestaltung, 
oder wie es an anderer Stelle heisst, das Sinnlich- 
Höchste“, als das Element, „worin sich das Sittlich-Höch¬ 
ste verkörpern kann,“ 27, 321. Infolge dieses Mangels 
nimmt das Ideale die Richtung aufs Transcendente, d. h. es 
steigert sich nur nach der Seite des Stoffes hin; daher 
bleibt auch die Wirkung „stoffartig“, weil die Auflösung 
durch die Form fehlt. 

In Verbindung mit dem Phänomen der „wiederhol¬ 
ten Spiegelung“, das Goethe so andauernd beschäftigte 
(vgl. unten S. 199), erscheint der Begriff der Steigerung an 
einer Stelle des gleichnamigen Aufsatzes 29, 358: „Be- 



43 


denkt man, dass wiederholte sittliche Spiegelungen das 
Vergangene nicht allein lebendig erhalten, sondern sogar 
zu einem höheren Leben emporsteigern, so wird man der 
entoptischen Erscheinungen gedenken, welche gleichfalls 
von Spiegel zu Spiegel nicht etwa verbleichen, sondern 
sich erst recht entzünden.“ Man sieht auch hier die Rich¬ 
tung Goethes auf das Herausarbeiten eines höheren geisti¬ 
gen Gehalts aus materiellen Erscheinungen, denn an sich 
könnten die Wirkungen der Entoptik so mechanisch schei¬ 
nen, wie die jedes anderen Naturgesetzes. 

Inwiefern bei sonstigem Gebrauch von „steigern“ das 
Prinzip hineinspielt, ist nicht immer festzustellen; die An¬ 
nahme liegt nahe in so prägnanten Fällen wie Spr. 422: 
„Die Leidenschaften sind Mängel oder Tugenden, nur ge¬ 
steigerte“; ferner wenn es von Manfreds Monolog in 
Byrons Drama heisst: „Hamlets Monolog erscheint hier 
gesteigert“ 29, 755; ebenso über Breguets „Essay sur la 
force animale“: .„Von Spinoza, der das Ganze aus Gedanke 
und Ausdehnung bildet, bis zu diesem Freunde, der es durch 
Bewegung und Willen hervorbringt, welche hübsche Filia- 
tion und Steigerung der Denkweise würde sich aufzeich¬ 
nen lassen!“ An Reinhard S. 124. Beliebt ist die Verbin¬ 
dung „ein Talent steigern“, z. B. 29, 283; 354; gesteigerte 
Bildung 29, 329, wobei an eine ruhige „stufenweise“ Ent¬ 
faltung der Fähigkeiten gedacht ist. Die individuelle 
Prägnanz wird besonders ersichtlich, wenn man den gene¬ 
rellen Ausdruck einsetzt: „Auch das Äussere (des Wei¬ 
marer Theaters, wie z. B. Dekoration, Garderobe etc.) 
musste sich nach und nach steigern“ Ann. 877 (= ver¬ 
bessern); (mehrere Umstände) „gediehen zur Belebung und 
Steigerung eines glücklichen Zustandes, der sich einem 
jeden Reinfühlenden aus dem Divan darbieten muss.“ Ann. 
857 (= Erhöhung); „ich hatte mich durch die Bearbeitung 
Egmonts in meinen Forderungen gegen mich selbst der- 



44 


gestalt gesteigert, dass ich nicht über mich gewinnen 
konnte, sie (Erwin, Klaudine) in ihrer ersten Form dahin¬ 
zugeben." 24, 438 (= „höhere Ansprüche an sich stellen"); 
der Ausdruck besagt dasselbe, was Schiller ausspricht in 
dem Verse: „Es wächst der Mensch mit seinen grossem 
Zwecken“. Über die Verwendung des Wortes „steigern" 
im Sinne von „transcendieren, zu hohe Forderungen stel¬ 
len“, ist später im Zusammenhang mit der negativen 
Gruppe zu handeln (vgl. unten S. 68). 


Die extremen Wertungen dieser Kategorie, gewisser- 
massen die Steigerung des Kreises „tüchtig", sind „vor¬ 
züglich" und „ausserordentlich". Es könnte als will¬ 
kürliche Konstruktion erscheinen, derartigen generell ab¬ 
gegriffenen Worten eine besondere Wichtigkeit in Goe¬ 
thes Sprache zuzuschreiben. Ein sorgfältiges Studium der 
Goetheschen Terminologie wird überzeugen, dass that- 
sächlich eine solche Abstufung der Wertungsskala be¬ 
steht, die natürlich nicht pedantisch genau, aber deut¬ 
lich erkennbar ist, und dass auch scheinbar inhaltsarme 
Worte in typischer Prägnanz verwendet werden. Aller¬ 
dings ist die Armut nur scheinbar und hervorgerufen 
durch die Überwertung, die im Sprachleben wie in der 
Menschheit überhaupt tief wurzelt und beständig auf neue 
positive Wertungen sinnt, während die früheren herab¬ 
sinken und entwertet werden. Welches Wort könnte nach 
seiner wörtlichen Bedeutung einen reicheren Inhalt aus¬ 
sprechen, als „ausserordentlich"? Wenn Goethe dieses 
Wort prägnant verwendet, so hat er nichts weiter gethan, 
als die ursprüngliche Kraft wiederhergestellt, wonach nur 
Erscheinungen, die ausserhalb und über der gewöhnlichen 
Ordnung der Dinge stehen, diese Bezeichnung verdienen. 
Man wird nicht viele Fälle finden, in denen das Wort bei 



45 


Goethe auf andere als wirklich „ausser-ordentliche“ 
Grössen angewendet wird; folgende Männer z. B. werden 
mit diesem Beiwort charakterisiert: 

Byron, Ann. 946, 1062, 11431, an Reinhard S. 285. 

Euripides, Ann. 1060. 

A. v. Humboldt» An Z. VI, 309. 

Linnö, An Z. H, 334. 

Lukrez, An Kn. H, 288. 

Napoleon, Ann. 626. 

Paracelsus, 36, 135. 

Schiller, Boiss. 2, 482. 

Voltaire, 36, 320. 

Winckelmann, Ann. 435. 

Eine etwas niedrigere Stufe scheint „vorzüglich“ 
anzudeuten, wenigstens wird das Prädikat mit grösserer 
Freigebigkeit ausgestreut und neben Grössen wie: Descar- 
tes 36, 178; Galilei 36, 160; Lavater 23, 80, Ann. 6a; Les¬ 
sing 21, 100; Moliöre 29, 735, auch weniger bedeutenden 
Männern beigelegt: Buffon 34, 155; Büttner 33, 65; Grü¬ 
ner, an Schultz S. 241; Hermann (Mythologe) Ann. 1023; 
F. Moser 22, 139; Philippus Neri 24, 341; Purkinje (Phy¬ 
siologe) an Reinh. S. 198. 

Die Verwendung des Wortes „vorzüglich“ als Adverb 
= besonders, gehört der Litteratursprache des 18. Jahr¬ 
hunderts an. 

Die Gewissenhaftigkeit, mit der Goethe seine Wer¬ 
tungen abwägt, tritt besonders im Bereich der beidersei¬ 
tigen Extreme hervor, wo im kollektiven Sprachleben in¬ 
folge des beständigen Hinauf- und Hinabtreibens, 
des Unter- und Überwertens eine allgemeine Un¬ 
sicherheit im Gebrauch der sprachlichen Schätzungs¬ 
mittel herrscht. Der Mangel an „enthusiastischen 
Adjektiven“, wie Börne es in seinem Tagebuche nennt 
(Werke 8, 14), ist vom generellen Standpunkte aus unleug- 



46 


bar. Der Fehler besteht aber darin, einen anderen als den 
individuellen Massstab bei einem Beherrscher der Sprache 
anzuwenden, der alle Provinzen seines Reiches mit gleich- 
massiger Sorgfalt und eine jede nach ihrer natürlichen An¬ 
lage und Ergiebigkeit verwaltet, ohne fremde Muster blind 
nachzuahmen. Ein Wort wie „vorzüglich“ kann z. B. bei 
Heine eine ziemlich indifferente Wertung sein und würde 
heute generell ganz ungenügend scheinen, um eine Grösse 
wie Lessing zu ehren. Bei Goethe hat es seinen voll- 
giltigen Kurs und macht seinen Kredit geltend, wenn es 
als ausdrückliche Steigerung von „gut“ erscheint, wie in 
der Charakteristik eines der Lieder aus „des Knaben W'un- 
derhorn“ 29, 394: „gut, aber nicht vorzüglich“. 


Die euphemistische Tendenz in Goethes Sprache fällt 
jedem Leser auf, und über die Wirkungen derselben ist im 
theoretischen Teil ausführlicher zu handeln. An dieser 
Stelle, mit Rücksicht auf die indifferente Sphäre der vor¬ 
liegenden Gruppe, ist der ausgleichende Einfluss von 
Wichtigkeit: der Vorstellungsinhalt eines Wortes weitet 
sich durch das euphemistische Element auf Kosten des 
Kerns, und die Folge ist, dass das Wort leicht die Grenzen 
der betreffenden Kategorie überschreitet und seine In¬ 
differenz in allen drei Gruppen gleichmässig geltend 
macht. Solche allgemeine, farblose Worte sind: treff¬ 
lich, wacker, heiter, würdig, schätzbar, geschätzt. Eine 
genaue Definition derselben wäre kaum möglich und an 
dieser Stelle ohne Belang, da die Individualität nicht im 
Wandel der Bedeutung, sondern in der gehäuften Anwen¬ 
dung zu suchen ist. Diese letztere äussert sich beson¬ 
ders in der Verwendung der betreffenden Worte zu ste¬ 
henden Beiworten, und dieser stereotype Zug geht einer¬ 
seits auf die epische Grundstimmung in Goethes Dichtung 



47 


zurück, andererseits auf seine ausgesprochene Neigung, 
alles zu werten, attributiv einzugrenzen und in Kategorien 
zu ordnen. Schon in DW., besonders aber in den Annalen 
und späteren Prosaschriften kommt selten ein Name von 
Bedeutung vor ohne solche Attribute, von denen trefflich 
und heiter vielleicht die häufigsten sind. Die Anwendung 
von „trefflich“ bedarf keiner Erörterung, da sich Goethe 
von der Litteratursprache seiner Zeit darin nicht unter¬ 
scheidet. Dagegen verdient der überaus vielseitige Ge¬ 
brauch von „heiter“ eine kurze Darlegung. Obwohl die 
Bedeutung von der heutigen im Grunde nicht abweicht, 
liegt doch über dem Goetheschen „heiter“ ein Etwas, 
das sich nur im Zusammenhang mit der Gemütskultur der 
Zeit erklären lässt. 

Man gewinnt bei einem Vergleiche des 18. und 19. 
Jahrhunderts die Empfindung, als ob sich zugleich mit 
dem Übergang von dem leichten, lebenslustigen Rokoko 
und der letzten friedlichen Epoche eines stabilen Feuda¬ 
lismus zu dem schwerblütigen, problematischen, unruhigen 
Zeitalter der socialen Umwälzungen auch die ganze Ge¬ 
mütsstimmung mitgewandelt habe. Es ist möglich, dass 
der heutzutage beschränkte Gebrauch des Wortes, das 
nur teilweise durch andere ersetzt ist, auf den mangeln¬ 
den Bedarf zurückzuführen ist; jedenfalls erscheint die 
unbefangene Freude an den heiteren Bildern des Lebens, 
„the zest to live“, wie es Henry Crabb Robinson einmal 
nennt (Diary, Reminiscences and Correspondence, 1869, 
S. 302), in Goethe aufs höchste gesteigert. Es ist be¬ 
kannt, dass er es sich besonders in den späteren Jahren 
zum Grundsatz machte, alles „Widerwärtige“ (in der da¬ 
maligen Bedeutung = Feindselige), alles, was zu Trauer, 
Verdruss, grübelnder Unthätigkeit stimmen könnte, ab¬ 
zulehnen und zu frischer, lebensfroher Thätigkeit zu mah¬ 
nen. „Heiteren Sinn und reine Zwecke“ lautet eine Zeile 



48 


des Vorspruches zu der Gedichtabteilung „Gott und Welt“, 
und eine der ersten Mahnungen an Eckermann war: „Sie 
haben lange genug gestrebt, es ist Zeit, dass Sie zur Hei¬ 
terkeit des Lebens gelangen.“ Gespr. 4, 269. Die Gegen¬ 
überstellung von „Streben“ und „Heiterkeit“ zeigt, dass 
mehr als „Fröhlichkeit“ gemeint ist; es deutet vielmehr 
auf den besonnenen Genuss des Lebens, die harmonische 
Stimmung, die auch im Entsagen „heiter“ bleibt (vgl. 29, 
229); eine „heitere Entsagung“ zu üben, ist eigentlich 
das Thema der Wanderjahre, und gerade in diesem Werke 
begegnet man dem „heiter“ zum Überdruss in allen denk¬ 
baren Verwendungen (vgl. unten S. 144). 

Der prägnante Gebrauch von „heiter“ äussert sich 
in verschiedener Weise; in Charakterschilderungen ist es 
oft reines Epitheton ornans, wo wir heute etwa „nett“ 
gebrauchen; so z. B. wenn DW. 22, 52 die Mitglieder des 
Schönkopfschen Mittagstisches als „gesittete, heitere und 
freundliche Menschen“ bezeichnet werden oder wenn ein¬ 
mal von „einem heiteren, jungen Chemiker“ die Rede ist 
(An Schultz S. 255); häufig aber kündigt die Stellung eine 
bestimmte Prägnanz an, wie in folgenden Fällen: „Kreis¬ 
steuereinnehmer Weisse, in seinen besten Jahren, heiter, 
freundlich und zuvorkommend...“ DW. 21, 105; „Sonst 
hielten wir Dürern für einen ernsten Künstler... Wir 
glaubten ihn ohne Anmut und wenig fähig, in eine heitere, 
poetische Stimmung überzugehen“ 28, 819. (Die Antithese 
„ernst—heiter“ auf ästhetischem Gebiete ist typisch und 
liesse sich im Sinne Goethes wohl am besten umschreiben 
als: „stoffartig — durch die Form gelöst“; auchdieGegen- 
sätze: modern — antik, germanisch — griechisch, Hessen 
sich zur Erklärung heranziehen.) (Götter) „Sein Sinn war 
zart, klar und heiter“. DW. 22, 83. (Blumenbach) „der 
heitere, umsichtige, kenntnisreiche Mann“ Ann. 1040; 
über denselben: „seine Gegenwart verlieh den heitersten 



49 


Unterricht" Ann. 336. Diese letztere Verwendung = 
„klar, leicht fasslich", die auch bei anderen Schriftstellern 
vorkommt, ist bei Goethe besonders beliebt; vgl. Spr. 824. 
„Lehrbücher sollen anlockend sein; das werden sie nur, 
wenn sie die heiterste, zugänglichste Seite des Wissens 
... darbieten." Ebenso sind Stellen zu erklären wie: „der 
Text begleitet heiter und kenntnisreich die bildlichen Dar¬ 
stellungen" 29, 180; „Leider ist Vossens Prosodie ... zu 
einem heiteren Selbstunterricht nicht geeignet." W. IV, 
19, 87. Das bekannte Bild, in dem Goethe die Newton- 
sche Farbentheorie mit einer alten Burg vergleicht, wird 
eingeführt als „ein heiteres Gleichnis, um jenen ernsteren 
Stoff vorzubereiten.“ 35, 75. Die Faustübersetzung von 
Lemorquant wird „sehr heiter und glücklich“ genannt, an 
Cotta Str. Br. I, 126. 

Nicht selten entspricht „heiter“ dem heutigen 
„freundlich", wie in der häufigen Anwendung auf die Lage 
eines Ortes, z. B. „ein heiterer Flecken“ 18, 283, „ein hei¬ 
teres Zimmer" 26, 97, eine „heitere Wendeltreppe“ 21, 
89. Der Vorgang ist natürlich der, dass die Wirkung auf 
die Person als Eigenschaft des Gegenstandes aufgefasst 
wird. Auffällig wirkt das Verb „erheitern" in gleicher 
Verwendung: „Das heiter auch von aussen hergestellte 
Bibliothekgebäude rief den Wunsch hervor, gleicherweise 
die nächste .... Umgebung gereinigt und erheitert zu 
sehen,“ Ann. 973. Ähnlich Erheiterung: „Der Begräbnis¬ 
platz, zu dessen Verzierung und Erheiterung der Archi¬ 
tekt manchen glücklichen Vorschlag that.“ 15, 136. 
Eigentümliche Verbindungen sind: eine „heftige Heiter¬ 
keit“ Ann. 460 (bei F. A. Wolfs Anwesenheit, etwa = leb¬ 
hafte, aber freundschaftliche Dispute); „gründliche Hei¬ 
terkeit“ Ann. 426 (bei Inspektion wissensch. Anstalten, 
= erfreuliche Resultate gründlicher Arbeit). — In solchen 
Fällen tritt die bei Goethe stark entwickelte Neigung zum 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 4 



50 


Oxymoron und zur Verschränkung der Begriffe hervor, die 
sich im poetischen Altersstil am meisten geltend macht. 
Aus diesem Gesichtspunkte erklären sich auch Wendungen 
wie: „Wir gelangten nach Hardenberg... in ernstheiterer 
Umgebung von Fichtenwäldern und Feldbau...“ Ann. 1117 
ITh. „Es war ... bei dem Abscheiden Miedings, ... dass 
in ernster Heiterkeit der schönen Freundin gedacht 
wurde“ (Korona Schröter) Ann. 303; „ich schrieb den 
„Sammler“, um manches Nachdenken und Bedenken in die 
heitere, freie Welt einzuführen.“ Ann. 188. Gräfin Agnes 
zu Stolberg „wirkte nicht aus sittlichem, verständigem, 
genialem, sondern aus frei-heiterem, persönlich-harmo¬ 
nischem Übergewicht.“ Ann. 1030h. Zur Erklärung die¬ 
ser Stileigentümlichkeit Goethes vgl. Knauths vortreff¬ 
liche Analyse (Von Goethes Sprache und Stil im Alter, 
S. 33 ff.), sowie hinsichtlich der Oxymora den glücklichen 
Hinweis (S. 35, Anm. 3) auf eine Äusserung in den 
Wanderj. aus dem Munde Wilhelms: „Kurzgefasste 
Sprüche jeder Art weiss ich zu ehren, besonders wenn sie 
mich anregen, das Entgegengesetzte zu überschauen und 
in Übereinstimmung zu bringen.“ 18, 86. 

Es ist für die Bedeutungsgeschichte des Wortes „hei¬ 
ter“ nicht ohne Interesse, dass es heute generell auch eine 
ironische Färbung angenommen hat; dieser Vorgang muss 
jedoch jüngeren Datums sein, denn Goethe hätte sonst 
schwerlich einen Satz, wie den folgenden, anstandslos dik¬ 
tiert und passieren lassen: „Erfreuliches begegnete dem 
fürstlichen Hause, dass dem Herzog Bernhard ein Sohn ge¬ 
boren war, ein Ereignis, das allgemeine Heiterkeit ver¬ 
breitete.“ Ann. 981. Die Verschiebung der Vorstellun¬ 
gen durch den Bedeutungswandel wirkt hier ebenso schla¬ 
gend wie humoristisch. 

Ein anderes stehendes Beiwort ist „würdig“, das 
gern Personen beigefügt wird, die sich durch Alter, Ge- 



51 


setztheit oder Ansehen auszeichnen. Es giebt wohl kaum 
einen unter den näheren Bekannten Goethes, der nicht 
irgendwo mit dem Prädikat behaftet aufträte, Schiller 
nicht ausgeschlossen (der „würdige Freund“ 29, 701). 
Wie farblos das Wort unter Umständen ist, zeigt die Ver¬ 
wendung z. B. in den Noten zum Divan, wo hintereinander 
drei Gelehrte (Eichhorn, Diez, Hammer), eingeführt wer¬ 
den mit der Wendung: „dieser würdige Mann“ (4, 350; 351; 
356). Dieser stereotype Gebrauch hindert natürlich nicht 
eine prägnante Verwendung, wie z. B. in der Charakte¬ 
ristik Lilis vor und nach der Verlobung: „War die Geliebte 
mir bisher schön, anmutig, anziehend vorgekommen, so 
erschien sie mir nun als würdig und bedeutend.“ DW. 23, 
38. Eine stehende Verbindung ist: „der würdige Greis“; 
ein typisches Verhältnis wird ausgesprochen, wenn unter 
den Bildungsfaktoren, die „ein heiterer, billiger Deut¬ 
scher“ zur W T ahl hat, auch „eine würdige Philosophie“ ge¬ 
nannt ist neben einem „artigen Roman“, einer „glück¬ 
lichen Erzählung“, einem „reinen Aufsatz“ (etwa = objek¬ 
tiv, s. unten), Litterar. Sansculottismus, 29, 241. Der Auf¬ 
satz stammt aus dem Jahre 1795, und beweist, wie weit 
die Ansätze zur Typik des Altersstils zurückgehen. 

Noch farbloser sind die stereotypen Beiworte: gut, 
wert, wacker, schätzbar, schätzenswert; häufig ist die 
Verbindung: „schätzbare Bemühungen“. „Wacker“ hat 
oft den Nebensinn des Gutgemeinten, aber formell Unge¬ 
lenken, wie z. B. Spr. 726: „Das trocken-Naive, das steif- 
Wackere, das ängstlich-Rechtliche“ der älteren deutschen 
Kunst. Im allgemeinen liegt aber die individuelle Verwen¬ 
dung in der Manier Goethes, jeder Substanz möglichst ein 
Attribut beizugeben, jedem Objekte seinen Wertungs¬ 
exponenten in fast pedantischer Weise an die Stirn zu 
setzen. Es trägt viel zu der scheinbaren Zopfigkeit des 
Stils bei, wenn jeder Person ein nichtssagendes „der 

4* 



52 


werte, gute, liebe, treffliche, wackere, geschätzte" u. s. w. 
vorgesetzt wird. Man muss diesen formelhaften Zug Goe¬ 
thes, der mit dem Alter immer mehr zunahm, in Anrech¬ 
nung bringen, um Anreden an intime Freunde, wie „mein 
Wertester, mein Bester," u. a., die uns heute geradezu 
kalt und ironisch klingen, nicht misszuverstehen. Es hat 
allerdings immer befremdlich gewirkt, dass auch Freunde 
wie Schiller, Zelter, Boisseree u. a. verhältnismässig sel¬ 
ten mit einem vollen, herzlichen Freundestitel angeredet 
werden, und wenn man den Briefwechsel zwischen Goethe 
und Schiller z. B. vergleicht mit dem zwischen Wagner 
und Liszt, so meint man aus den Sälen stiller Antike in die 
des glühendsten Impressionismus zu treten. Wollte man 
nach äusseren Anzeichen urteilen, so stände unter den 
Freunden Goethes Graf Reinhard an erster Stelle, denn 
die Anreden: „mein lieber, verehrter Freund", „teuerster 
Mann" u. a. sind hier mehr als in irgend einem anderen 
Briefwechsel die Regel, den mit Zelter nicht ausge¬ 
nommen. 


Die Terminologie der negativen Gruppe lässt sich am 
leichtesten in folgender Gedankenreihe überblicken. Wenn 
der „komplette" Mensch sich seine Tüchtigkeit erwirbt 
durch harmonische Entfaltung der in ihm liegenden 
Kräfte, und alles, was über seine Grenzen hinausgeht, ab¬ 
weist, so ist es für den „problematischen" Menschen cha¬ 
rakteristisch, dass er dieses „unerlässlich geforderte Eben- 
mass" nicht besitzt, für die „Grenzen seiner Fähigkeiten“ 
kein Gefühl hat und dass sein Wollen und Können daher 
nicht „proportioniert“ sind. Statt die in ihm liegenden 
Kräfte zu kultivieren, wirft er sich auf Gebiete, die ihm 
nicht „gemäss" sind; so entsteht das „falsche Streben“, 
die „falsche Tendenz" Statt sich auf sein Können zu be- 



53 


gnügen, und die „Bedingungen“ seiner Existenz anzuer¬ 
kennen, bethätigt er ein „Streben ins Unbedingte“, stellt 
„Forderungen“ an sich, „transcendiert“. Dieses „For¬ 
dern“ und „Transcendieren“ geschieht nicht wie die „ge- 
mässe“ Entwickelung in einer „reinen, stufenweisen 
Folge“, sondern „leidenschaftlich“ oder „frech“. Das Er¬ 
gebnis des falschen, leidenschaftlichen Strebens ins Un¬ 
bedingte ist, dass der Mensch auf keinem Gebiete etwas 
„Ganzes, Tüchtiges“ leistet, sondern als ein „Halber“ ver¬ 
kümmert, mit „HalbWahrheiten“ sich begnügt, dass er 
„beschränkt“ und „unzulänglich“ bleibt. 

Wer sich in Goethes Ethik vertieft, wird diesem Ge¬ 
dankengang zwar nicht in logischer Verkettung, aber 
aphoristisch zerstreut in den verschiedensten Schriften 
und Epochen seines Lebens begegnen. Den Schlüssel zu 
dem ganzen Gebäude der Goetheschen Lebensweisheit bie¬ 
tet das Studium von Goethes eigener innerer Entwickelung, 
wie sie sich z. B. im Wilh. Meister symbolisch wiederspie¬ 
gelt, und man wird hier viele Ausdrücke bereits angewen¬ 
det finden. Damit ist der Zeitpunkt a quo gegeben, der 
sich in einzelnen Fällen bis zur italienischen Reise zurück- 
verlegen lässt, während die Terminologie erst durch die 
theoretische Diskussion mit Schiller sich befestigte und 
seitdem bis zu Ende beibehalten wird. Die beste und 
bündigste Formulierung des ganzen Vorstellungskreises 
dürfte wiederum die oft citierte 18. Maxime bieten (19, 
23), die durch die 17. und 127. ergänzt wird. Hier finden 
sich die Ausdrücke „inkomplett“ resp. „komplett“ und 
in Spr. 127 der Ausdruck „problematisch“, der seitdem 
durch Spielhagens Roman eine litterarische Berühmtheit 
erlangt hat. Die Entstehung des Ausdruckes kann erst 
in die letzte Epoche fallen, da man ihn sonst wohl mit 
Sicherheit im W. Meister antreffen würde, oder wenigstens 
im Briefwechsel mit Schiller. Denn wie hier theoretisch, 



54 


so wird dort in dichterischer Gestaltung das Thema des 
„problematischen Menschen“ abgehandelt. Aus derThat- 
sache, dass Goethe — W. Meister selbst das problema- 
matische Stadium durchlaufen, und dass Geist von Geist 
erkannt wird, erklärt sich Goethes Aussage in Spr. 224: 
„Leichtsinnige, leidenschaftliche Begünstigung proble¬ 
matischer Talente war ein Fehler meiner früheren Jahre, 
den ich niemals ganz ablegen konnte.“ Den treffendsten 
Kommentar zu dieser Konfession liefert seine eigene Be¬ 
schreibung jener romantischen Episode aus der Harzreise 
1777, des Besuches bei Professor Pies sing, einem Wer- 
ther-Kranken und einer problematischen Natur (vgl. 
Camp. i. Fr. 25, 139—152). Andere Typen dieser Gattung 
sind: Bürger (Spr. 75), Bettina (Gespr. 5, 141), Lenz 
(„seltsam, indefinibel“ Anm. 6 g; „whimsical“ 22, 47), 
Kleist (Ann. 633). 

Der Ausdruck „unbedingtes Streben“ dürfte im 
Wilh. Meister zum erstenmal im Maximengewand erschei¬ 
nen: „Der Mensch ist nicht eher glücklich, als bis sein un¬ 
bedingtes Streben sich selbst seine Begrenzung bestimmt.“ 
17, 518. Seitdem kehren die Verbindungen: „unbedingt 
wirken“, „unbedingtes Wollen“, „Streben ins Unbedingte“ 
regelmässig wieder. In der oben (S. 31) citierten Betrach¬ 
tung über das Wesen der Erziehung, die eigentlich von 
dem Nutzen oder Schaden der Romanlektüre ausgeht* 
fährt Goethe fort: „Der Roman stellt das Unbedingte als 
das Interessanteste vor, gerade das grenzenlose Streben, 
was uns aus der menschlichen Gesellschaft, was uns aus 
der Welt treibt: unbedingte Leidenschaft, für die dann 
bei unübersteiglichen Hindernissen nur Befriedigung im 
Verzweifeln bleibt, Ruhe nur im Tode.“ 29, 381. Auf das 
eigentliche Grundprinzip führt aber folgender Satz: „Es 
ist Eigenschaft der Imagination, wenn sie sich ins Ferne 
und ins Vergangene begiebt, dass sie das Unbedingte for- 



55 


dert, welches dann meist durch die Wirklichkeit unange¬ 
nehm beschränkt wird.“ 28, 608 f. Man sieht, wie wun¬ 
derbar die Gedankenfaden ineinander laufen, wenn man 
sich an die ewige Forderung Goethes erinnert, in der 
Gegenwart und Wirklichkeit zu leben, um „Bedingung 
früh zu erfahren“ wie es Spr. 654 heisst. Das Gesetz der 
Beschränkung erscheint hier abermals als notwendiger Aus¬ 
fluss des organischen Grundprinzips, denn wo Leben, ist 
Gegenwart, Wirklichkeit, und wo Wirklichkeit, ist Be¬ 
schränkung. Die Gegenüberstellung von Wirklichkeit und 
Phantasie als bedingte und unbedingte Sphären, kehrt 
übrigens in verschiedenen Einkleidungen wieder. Das 
wichtige Gespräch z. B., welches Goethe an seinem Ge¬ 
burtstage 1808 mit Riemer über das Antike und Modern- 
Romantische führte (Gespr. 2, 216 ff.), ruht auf dem Ge¬ 
gensatz des Bedingten und Unbedingten; vgl. die Stellen: 
„Das Antike ist noch bedingt, das Moderne willkürlich.“ 
„Die sogenannte romantische Poesie zieht besonders un¬ 
sere jungen Leute an, weil sie der Willkür, der Sinnlich¬ 
keit» dem Hange nach Ungebundenheit, kurz der Neigung 
der Jugend schmeichelt.“ Dass die Jugend die typische 
Epoche des unbedingten Strebens ist, wird ebenfalls wie¬ 
derholt ausgesprochen; so schreibt Goethe an Boisseree: 
„man wird gewohnt, mancherlei zu leiden, und ist nicht 
so ungeduldig wie in der Jugend, wo man sich einbildete, 
eine unbeschränkte und unbedingte Existenz erreichen zu 
können.“ n, 214. Die Jugendepoche der deutschen Litte- 
ratur 1772—73 wird daher charakterisiert: „Ein unbe¬ 
dingtes Bestreben, alle Begrenzungen zu durchbrechen, 
ist bemerkbar.“ Ann. 5. 

Ein besonders interessantes Licht fällt auf den vor¬ 
liegenden Terminus in einer wertvollen Digression über 
das Wesen des Despotismus in dem Aufsatz „Pietro della 
Valle“ 4, 341. Hier wird Despotismus geradezu definiert 



56 


als „unbedingte Regierung“, „Strudel unbedingten Wol- 
lens“, im Gegensatz zu „gemässigten, bedingten Regie¬ 
rungen“, und der Despot als „unbedingt Wollender“. Man 
kann hier die Wirkung der individuellen Prägnanz beob¬ 
achten, denn die bekannte Wendung „unumschränkte 
Herrschaft“ geht ursprünglich von der gleichen sinnlichen 
Anschauung aus, aber sie ist jetzt ganz verblasst, wäh¬ 
rend sie bei Goethe mit verjüngter Frische wirkt. Wich¬ 
tig für das Verständnis von Goethes Ansichten über Re¬ 
gierungsform und Volksfreiheit ist Spruch 592: „Es ist 
nichts trauriger anzusehen als das unvermittelte Streben 
ins Unbedingte in dieser durchaus bedingten Welt; es er¬ 
scheint im Jahre 1830 vielleicht ungehöriger als je.“ 19, 
125. Hier ist also unter dem „unbedingt Strebenden“ 
nicht der einzelne Despot, sondern die grosse Menge ge¬ 
meint, und diese Auffassung, dass die Despotie im Grunde 
in jeder Regierungsform irgendwo verborgen sei, kehrt 
wiederholt bei Goethe wieder. Am klarsten ist sie ausge¬ 
sprochen und auf das beliebte Gesetz der Polarität zurück¬ 
geführt, in dem „Nachtrag“ zu dem Aufsatz „Despotie“, 
Noten z. Divan 4, 279; „überhaupt pflegt man bei Beur¬ 
teilung der verschiedenen Regierungsformen nicht genug 
zu beachten, dass in allen, wie §ie auch heissen, Freiheit 
und Knechtschaft zugleich polarisch existieren. Steht 
die Gewalt bei Einem, so ist die Menge unterwürfig; ist 
die Gewalt bei der Menge, so steht der Einzelne im Nach¬ 
teil.“ Ganz entsprechend werden die beiden extremen 
Formen in kausalen Zusammenhang gebracht, Gespr. 2, 
239: „Der reine, wahre Despotismus entwickelt sich aus 
dem Freiheitssinne; ja er ist selbst der Freiheitssinn mit 
dem Gelingen. Der Freiheitssinn strebt ins Unbedingte, 
er will herrschen, ohne dass er’s immer im stände ist und 
werden kann. Nun kommt bei einem das Gelingen hinzu, 
und so ist der Despot fertig.“ (1809.) Solche Betrach- 



57 


tungen mussten Goethe allerdings nahe liegen zu einer 
Zeit, wo er in der Erscheinung Napoleons die Evolution 
des Despoten aus dem unbedingt strebenden Freiheits¬ 
sinn in Praxis selbst erlebte. 

Bemerkenswert ist, dass Goethe gelegentlich den phi¬ 
losophischen Terminus „absolut“ für sein „unbedingt“ 
substituiert, wie z. B. im Schema zur Forts, der „Nat. 
Tochter“ 10, 112. „Aufgelöste Bande der letzten Form. 
Die Masse wird absolut.“ Es ist hier das gleiche „unbe¬ 
dingte Streben“ wie in Spr. 592. In einem Briefe an 
Schultz bezeichnet er die Wirklichkeit, „die äussere sinn¬ 
liche Anregung“ als notwendiges Lebenselement, „damit 
ich mich nicht ins Abstrakte, oder wohl gar Absolute ver¬ 
liere.“ Briefw. S. 282. Die Substitution erscheint als 
Wortspiel in dem Epigramm „Den Absolutsten“, das 
gegen Fichtes Lehre vom absoluten Ich gerichtet ist. 
2, 270: 

„Wir streben nach dem Absoluten 
Als nach dem allerhöchsten Guten.“ 

Ich stell’ es einem Jeden frei; 

J)och merkt ich mir vor andern Dingen: 

Wie unbedingt, uns zu bedingen, 

Die absolute Liebe sei. 

Indem wir zu dem Hauptwerk über die Lehre von der 
Beschränkung, der „Odyssee der Bildung“, wie Hettner 
den Wilh. Meister nennt, zurückkehren, so begegnet hier 
17, 515 zum erstenmal der Ausdruck „falsche Rich¬ 
tung“, der seitdem (1796) ein stehender Terminus wird. 
Er spielt besonders in den Jahren des Gedankenaustau¬ 
sches mit Schiller (1796—1800) eine wichtige Rolle, wo 
auch immer das Thema der künstlerischen Normen und 
Fehlgriffe, des Dilettantismus, der Erziehungsgrundsätze 
u. s. w. zur Sprache kommt. Was den Ursprung des Aus¬ 
druckes anlangt, so könnte man, ähnlich wie bei kom- 



58 


plett, an Entlehnung aus der botanischen Terminologie 
denken. Die falsche Bildungstendenz würde dem falschen 
Triebe im Wachstum des Baumes entsprechen, d. h. einem 
solchen, der dem Stamme Lebenskraft entzieht, ohne zur 
harmonischen Entwickelung und Fruchtbildung beizutra¬ 
gen. Wie es sich auch damit verhalten mag, so ist es 
höchst wahrscheinlich, dass die Übertragung auf das gei¬ 
stige Wachstum und insbesondere künstlerische Streben 
zuerst in den kunsttheoretischen Gesprächen erfolgte, die 
Goethe und Moritz in Rom miteinander pflogen. Die 
ganze Theorie des falschen Bildungstriebes findet sich zu¬ 
erst in Moritz’ Schrift „Über die bildende Nachahmung des 
Schönen", 1788, unter Anwendung der betreffenden Termi¬ 
nologie dargestellt (vgl. Goethes Auszüge 24, 489 ff., be¬ 
sonders S. 494); wieviel daran Goethes Eigentum ist, lässt 
sich nicht feststellen, doch bezeugt Goethe wiederholt, 
dass die Schrift aus ihren Unterhaltungen hervorgegangen 
und somit ihr gemeinsames Eigentum sei (vgl. 24, 489; 
34, 94; an Riemer 19. Aug. 1829, Br. S. 231). Da indess 
auch der 4. Teil von Moritz* Roman „Anton, Reiser" das 
Thema des „falschen Kunsttriebes" behandelt, scheint 
es, dass der Terminus zuerst von ihm geprägt wurde. 
Die Entlehnung seitens Goethe wäre dann ein Analogon 
zu der Übernahme des Wortes „Mittelpunkt"; dass dieser 
Ausdruck von Moritz bereits angewandt wurde im ästhe¬ 
tisch-technischen Sinne, ehe Goethe ihn noch kannte, hat 
R. Meyer a. a. 0.. S. 9 nachgewiesen. Allerdings füllt 
Goethe das Wort mit neuem Inhalt und „falsch" gewinnt 
ebenfalls unter seinen Händen eine höchst vielseitige 
Prägnanz. 

Obwohl der Begriff Goethe seit 1788 bekannt war, 
beginnt die praktische Verwertung erst einige Jahr© spä¬ 
ter, um zur Zeit des Verkehrs mit Schiller ein vielerörter¬ 
ter Gesichtspunkt zu werden. Die Idee des falschen Bil- 



59 


düng 8 trieb es ist das Hauptthema der Lehrjahre, wie 
noch viele Jahre später betont wird, in dem Teil der Anna¬ 
len, der 1825 entstanden ist: „Die Anfänge Wilh. Meisters 
... entsprangen aus einem dunklen Vorgefühl der grossen 
Wahrheit, dass der Mensch oft etwas versuchen möchte, 
wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist...; er kann 
mit sich nicht ins Klare kommen und wird auf falschem 
Wege zu falschem Zwecke getrieben, ohne dass er weiss, 
wie es zugeht. Hierzu kann alles gerechnet werden, was 
man falsche Tendenz, Dilettantismus u. s. w. genannt hat." 
Ann. 12. Dass Goethe selber das gleiche Stadium durch¬ 
zumachen hatte, bekennt und beklagt er oft, am ernste¬ 
sten in dem 1797 geschriebenen „Selbstporträt" G.-J. 16, 
20. Er geht hier aus von dem poetischen Bildungstrieb 
als „Mittelpunkt und Base seiner Existenz". „Da dieser 
Trieb rastlos ist, so muss er, um sich nicht stofflos selbst 
zu verzehren, sich nach aussen wenden...; daher die vie¬ 
len falschen Tendenzen zur bildenden Kunst, zu der er kein 
Organ, zum thätigen Leben, wozu er keine Biegsamkeit, 
zu den Wissenschaften, wozu er nicht genug Beharrlich¬ 
keit hat." Nur eine überstrenge Selbstkritik konnte in 
den beiden letzten Richtungen falsche Triebe sehen; da¬ 
gegen hatte Goethe Veranlassung, seine Neigung zur bil¬ 
denden Kunst unter diesem Gesichtspunkte zu verurteilen, 
was auch zu verschiedenen Zeiten geschehen ist. In der 
„Konfession des Verfassers", in der Gesch. der Farben¬ 
lehre gesteht Goethe: „ich fühlte... (zu der bildenden 
Kunst), wozu ich eigentlich keine Anlage hatte, einen weit 
grösseren Trieb, als zu demjenigen, was mir von Natur 
leicht und bequem war. So gewiss ist es, dass die falschen 
Tendenzen den Menschen öfters mit grösserer Leidenschaft 
entzünden als die wahrhaften, und dass er demjenigen weit 
eifriger nachstrebt, was ihm misslingen muss, als was 
ihm gelingen könnte." 36, 410. Das gleiche Bekenntnis 



60 


macht er gegenüber Eckermann 1825: „Meine praktische 
Tendenz zur bildenden Kunst war eigentlich eine falsche, 
denn ich hatte keine Naturanlage dazu, und konnte sich 
also dergleichen nicht aus mir entwickeln.“ (20. April 
1825; fehlt in Biedermanns Sammlung!) Im Briefwechsel 
mit Schiller begegnet der Ausdruck in jener Zeit mehrfach 
z. B. in dem Briefe vom 7. April 1798: „Es scheint, dass 
die meisten Naturen die kleine Person der idealischen In¬ 
gredienzien durch ein falsches Streben gar bald aufzehren 
und dann durch ihre eigene Schwere wieder zur Erde zu¬ 
rückkehren.“ An anderer Stelle (25. Juli 1798) ist von 
dem „falschen Streben“ die Rede, „die Angelegenheiten 
der bildenden Kunst poetisch zu behandeln.“ Eine Ergän¬ 
zung des Bekenntnisses im „Selbstporträt“ bietet der Satz: 
„Wenn man nicht so viele falsche Tendenzen gehabt hätte, 
und noch hätte, mit halbem Bewusstsein...“ W. IV, 17,194. 

In der ersten Hälfte des Jahres 1799 wurde das Thema 
des Dilettantismus besonders eifrig zwischen den Freun¬ 
den verhandelt und hierbei musste auch eine der Haupt¬ 
ursachen desselben, die falsche Tendenz, zur Sprache kom¬ 
men. Es ist die theoretische Erörterung der gleichen 
Kernfragen, die in den Lehrjahren bereits in dichterischer 
Form zum Austrag gelangt waren. (Vgl. R. Meyers Auf¬ 
satz: „Wilh. Meisters Lehrjahre und der Kampf gegen den 
Dilettantismus,“ Euphorion II, 529 ff.) In dem Schema 
über den Dilettantismus, das als fragmentarisches Resul¬ 
tat dieser Erörterungen überliefert ist, wird an einer 
Stelle unterschieden zwischen geborenen Künstlern, die 
„durch Umstände gehindert wurden, sich auszubilden“ 
(„Sie sind eine seltene Erscheinung“), und manchen Dilet¬ 
tanten, die sich einbilden, dergleichen zu sein. „Bei ihnen 
ist aber nur eine falsche Richtung, welche mit aller Mühe 
zu nichts gelangt.“ 28, 166. — Um die gleiche Zeit be¬ 
schäftigt Goethe die Sorge um die Erziehung seines Sohnes 



61 


August, worüber er sich an Knebel, 17. Sept. 1799, ganz 
im Sinne der Lehrjahre auslässt: „Meine einzige Sorge ist 
bloss, das zu kultivieren, was wirklich in ihm liegt und 
alles was er lernt, ihn gründlich erlernen zu lassen. Un¬ 
sere gewöhnliche Erziehung jagt die Kinder ohne Not nach 
so viel Seiten hin und ist schuld an so viel falschen Rich¬ 
tungen, die wir an Erwachsenen bemerken.“ I, 219. Die 
Folgen solcher falschen Unterweisung kennzeichnet 
Goethe sehr scharf in einem Briefe an Hegel vom 7. Okt. 
1820: „Die guten Köpfe sind auch übel daran, denn indem 
sie falsche Methoden gewahren, in die man sie von Jugend 
auf verstrickte, ziehen sie sich auf sich selbst zurück, 
werden abstrus .oder transcendieren.“ Str.Br. I, 241. Von 
anderen Belegen möge noch ein Ausspruch aus dem Jahre 
1831 citiert werden, den Müller überliefert, bei Gelegen¬ 
heit von Klingers Tod: „Es ist gut, dass Klinger nicht wie¬ 
der nach Deutschland kam. Der Wunsch danach war eine 
falsche Tendenz.“ Gespr. 8, 73. Ferner im Briefwechsel 
mit Zelter II, 223; IV, 135 u. s. w. 

Von ganz anderer Seite beleuchtet Goethe das gleiche 
Problem einmal in einem Briefe an Eichstädt: „Bei stren¬ 
ger Prüfung meines eigenen und fremden Ganges in Leben 
und Kunst fand ich oft» dass das, was man mit Recht ein 
falsches Streben nennen kann, für das Individuum ein ganz 
unentbehrlicher Umweg zum Ziele sei. Jede Rückkehr 
vom Irrtum bildet mächtig den Menschen im einzelnen 
und ganzen aus, so dass man wohl begreifen kann, wie dem 
Herzensforscher ein reuiger Sünder lieber sein kann, als 
neunundneunzig Gerechte.“ 15. Sept. 1804. W. IV, 17, 
198. Es ist die Weisheit der Lehrjahre, die in diesen schö¬ 
nen Sätzen zusammengefasst wird, denn auch dort erhält 
das gesunde Wachstum durch das Abschneiden der fal¬ 
schen Tendenzen neue Triebkraft, und der überwundene 
Irrtum wird zum fördernden Erlebnis. 



62 


Eine spezifische Färbung hat „falsch“ bei Goethe 
erhalten mit Bezug auf jene „altertümelnde, christelnde“ 
Kunstströmung, die Goethe seit dem Erscheinen der„Phan- 
tasieen eines Klosterbruders“ 1797 mit wachsendem Miss¬ 
trauen verfolgte, um endlich durch den Mund H. Meyers 
und dessen Aufsatz: „Neudeutsch-religiös-patriotische 
Kunst“ 1817 seinen ganzen Zorn auszuschütten. Aus meh¬ 
reren Gründen sah Goethe in dieser Richtung etwas „fal¬ 
sches“: einesteils weil sie nach seiner Auffassung den 
Mangel an wirklichem künstlerischem Können zu ver¬ 
decken suchte durch Vorschieben von bestimmten End¬ 
zwecken, wie denen der Religion und des Patriotismus, 
um durch diese Agentien an die „Menge“ zu appellieren. 
Aber bereits im „Schema des Dilettantismus“ wird eins 
der Kennzeichen des Dilettanten darin erblickt, dass er 
„die Kunst mit dem Stoff verwechselt“ 28, 169, und das 
Überwiegen des „stoffartigen“ Interesses war für Goethe 
immer gleichbedeutend mit einem Verfall der Kunst oder 
mit dem Unverständnis der „Menge“ (vgl. An Knebel n, 
120; Boiss. II, 139, wo die „frömmelnde Unkunst“ eine 
„Seuche“ genannt wird; DW. 22, 132; 134, über die stoff¬ 
artige Wirkung des Werther; das Wort „stoffartig“, das 
etwa dem heutigen „tendenziös“ entspricht, ist eine 
typische Bezeichnung bei Goethe, im Gegensatz zu dem 
„reinen Ausdruck“, z. B. Kn. 2, 120; Z. 2, 67 u. ö.). Ande¬ 
rerseits war für Goethe an dieser Richtung der Mangel an 
Gegenwart, das sehnsüchtige Verlangen nach Vergangen¬ 
heit oder Zukunft, ein Zeichen von Unproduktivität und 
innerer Schwäche; anstatt die „Bedingungen“ der W T irk- 
lichkeit anzuerkennen, ergab man sich dem Umherschwei¬ 
fen in den schrankenlosen Gefilden der Einbildungskraft* 
dem „Streben ins Unbedingte“. Er konnte daher kein ge¬ 
sundes, tüchtiges Wachstum, weder in dem „Nazarener- 
tum“ noch in der Neuromantik sehen, sondern nur einen 



63 


„kränkelnden Kunsttrieb“ 29, 246. Von diesem Stand¬ 
punkte aus begreifen sich eine Reihe Aussprüche mit Be¬ 
zug auf das „klosterbruderisierende, sterubaldisierende Un¬ 
wesen“ (28, 871), wie die kräftige Auslassung an Zelter 
über den „seichten Dilettantismus der Zeit, der in Alter¬ 
tümelei und Vaterländelei einen falschen Grund, in Fröm¬ 
melei ein schwächendes Element sucht...“ DI, 330. In 
den Annalen wird dieser Richtung öfters gedacht, als 
„seltsamer falscher Bestrebungen im lieben Vaterlande,“ 
Ann. 304, als eines „durchaus falschen Transcendierens.“ 
Ann: 1033. In einem Briefe an Tieck vom 21. Jan. 1824 
heisst es über die „frömmelnde Fahne, welche die Schwa¬ 
chen ... sektenartig in Schutz nimmt“: „Schade ist es da¬ 
bei ..., dass so manche löbliche Fähigkeit und Fertigkeit 
auf diesem falschen Wege wohl erst gewisse Vorteile, spä¬ 
ter aber grossen Nachteil empfindet...“ Goethe und die 
Romantik I, 304 (Sehr. d. G.-Gesellschaft, Bd. 13). 


Wenn das Streben ins Unbedingte auf der einen Seite 
zu falschen Tendenzen führt, so stellt es sich andererseits 
dar als ein forciertes Hinausstreben über die Fähigkeiten, 
die sich sonst mit natürlicher Gesetzmässigkeit entfalten 
würden, oder positiv gewendet als eine Mehrforderung an 
sich selbst. Es ist wichtig, den Terminus „Forderung“ 
als ein „Mehr- oder Zuvielfordern“ zu interpretieren, 
dessen Erfüllung zunächst nicht im Bereiche der natür¬ 
lichen Kräfte liegt, öder im Falle des Forcierens das im 
Spr. 18 „unerlässlich geforderte Ebenmass“ zerstört. 
Diese prägnante Bedeutung ist zu scheiden von der gene¬ 
rellen, die Goethe natürlich ebenfalls geläufig ist. In vie¬ 
len Fällen ist die individuelle Schattierung nicht sehr in¬ 
tensiv, so dass auch die generelle Bedeutung zur Erklä¬ 
rung ausreicht; auch dann fällt das Wort auf, da heute 



64 


meist „Anforderung“ dafür gesetzt würde, wie in folgen¬ 
den Belegen: „Wir sind überzeugt,... dass die Forderungen 
eines jeden an sich selbst strenger sind als die verworre¬ 
nen Prätensionen eines Thersiten, ..29, 238. „Eine käl¬ 
tere Nachkommenschaft ... stellt Forderungen auf, die 
ihr gar nicht eingefallen wären, hätten Jene (die Meister 
und Lehrer) nicht so viel geleistet, von denen man nun 
noch mehr fordert.“ 28, 226. „Gegen die grossen ... 
Forderungen der Chromatik fühlte ich mehr und mehr 
meine Unzulänglichkeit.“ Ann. 69. Gerade im letzten 
Beispiel tritt die Prägnanz von Forderung — Anforderung 
hervor; aber in allen solchen Fällen liegt kein „unbe¬ 
dingtes Fordern“ zu Grunde. Diese Wandlung wird ange¬ 
bahnt durch Verwendungen wie die folgende: „Warum 
sind wir Neuern doch so zerstreut, warum gereizt zu For¬ 
derungen, die wir nicht erreichen noch erfüllen können!“ 
It. R. 24, 254 (April 1787). Dass also der Begriff selbst 
schon früh in Goethe entwickelt war, wenn er auch erst 
später seinen typischen Ausdruck fand, geht aus diesem 
Belege hervor und begreift sich von selbst, da die Klage 
über die unbegrenzten Forderungen, die das Individuum 
an sich stellt, nur die negative Wendung des Sehnens nach 
harmonischer Entfaltung der Kräfte ist. Wie die Antike 
für Goethe das Ideal des gesunden Aufstrebens innerhalb 
der natürlichen Schranken ist, so leidet die Neuzeit unter 
dem schrankenlosen Transcendieren, unter unerschwing¬ 
lichen Ansprüchen, die die Welt an den Einzelnen und der 
Einzelne an sich selbst stellt. So stehen Wollen und Kön¬ 
nen in einem unlösbaren Widerstreit, und das Unverhalt- 
nis der Kräfte äussert sich in den Erzeugnissen, denn, wie 
es Spr. 18 heisst: „wer wird wohl den Forderungen einer 
durchaus gesteigerten Gegenwart... genug thun können?“ 
Auch diesen Fehler erkannte der grosse Weise des¬ 
halb, weil er selbst durch das Feuer hindurchgegangen 



65 


war: in der denkwürdigen literarischen Epoche, die den 
vollendeten Typus „einer durchaus gesteigerten Gegen¬ 
wart“ und ihrer Forderungen bildet, in der Goethe selbst 
mit einer Schar Gleichstrebender Forderungen an sich 
stellte. In der That scheint es nicht ausgeschlossen, dass 
Goethe während des erneuten Studiums der Sturm- und 
Drangperiode, bei Abfassung des betreffenden Teiles sei¬ 
ner Biographie, das Wesen jener Zeit sich durch einen bün¬ 
digen, prägnanten Ausdruck zu veranschaulichen suchte; 
es liegt eine ausserordentliche Plastik und eine Art impe¬ 
rativischer Wucht in dem Wort „fordern“. Jedenfalls 
mag sich der Ausdruck damals (um 1813) befestigt haben, 
da er erst seitdem typisch wird. Zunächst erscheint er 
wiederholt in dem 3. Teil von DW., wo immer die Tenden¬ 
zen der Sturm- und Drangzeit analysiert werden, wiez. B.: 
„die Erschütterung (die Werther hervorrief) war des¬ 
wegen so gross, weil ein jeder mit seinen übertriebenen 
Forderungen, unbefriedigten Leidenschaften ... zum Aus¬ 
bruch kam.“ 22, 134. „Die eigentliche geniale Epoche 
unserer Poesie brachte weniges hervor, was man in seiner 
Art korrekt nennen könnte; denn auch hier war die Zeit 
strömend, fordernd und thätig, aber nicht betrachtend 
und sich selbst genugthuend.“ 23, 50. Am wichtigsten 
ist folgende Stelle, in der das Wort fordern zur Definition 
der Epoche verwandt wird: „Die Epoche, in der wir lebten, 
kann man die fordernde nennen.“ 22, 197. 

Wie das Wort in diesen Fällen eine historische Phase 
des „unbedingten Strebens“ bezeichnet, so wird es allge¬ 
mein auf solche Verhältnisse angewendet, in denen das 
Gleichgewicht der Kräfte gestört scheint. Dahin gehört 
vor allem der Selbstmord, den Goethe einmal als das Re¬ 
sultat „übertriebener Forderungen an sich selbst“ bezeich¬ 
net. DW. 22, 128. Fast zu derselben Zeit, als Goethe 
diese Betrachtungen niederschrieb, ereignete sich der 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 5 



66 


Selbstmord von Zelters Sohn, und der herrliche Brief, in 
dem Goethe seinem Freunde Trost einzusprechen sucht, 
enthält auch eine Bemerkung, die sich ganz wie eine Varia¬ 
tion der 18. Maxime liest: „Die meisten jungen Leute, die 
ein Verdienst in sich fühlen, fordern mehr von sich als 
billig. Dazu werden sie aber durch die gigantische Um¬ 
gebung gedrängt und genötigt..." II, 45 (1812). Auf 
einer anderen Modifikation jenes Urkonfliktes ruht das 
Faust-Problem und daraus erklärt sich ohne weiteres ein 
Paralipomenon: „Faust verfällt in seine Forderungen an 
sich selbst." W. 15. 2, 206. Insofern als für die Jugend 
das Streben ins Unbedingte typisch ist (s. oben S. 55), 
werden die Studenten der Universität einmal bezeichnet 
als „leidenschaftlich fordernde Jünglinge". Ann. 29. Be¬ 
zeichnend ist auch die Anwendung dieses Terminus auf die 
Stimmung der Revolution, wie in Spr. 593: „Vor der Revo¬ 
lution war alles Bestreben, nachher verwandelte sich alles 
in Forderung." In diesem Ausspruch ist einerseits die 
Antithese: „Bestreben—Forderung" wichtig, da sie dem 
ersteren Worte die oben (S. 35) besprochene positive Gel¬ 
tung vindiciert, und andererseits erhält der Satz seine 
volle Bedeutung erst als Ergänzung des vorhergehenden 
Aphorismus 592, der bereits oben citiert wurde: „Es ist 
nichts trauriger anzusehen, als das unvermittelte Streben 
ins Unbedingte..Man ersieht daraus die Parallelisie¬ 
rung von „Forderung" und „Streben ins Unbedingte", 
während man für „Bestreben" etwa „reines Bestreben" 
zu setzen hätte, um unzweideutig zu lesen. 

Eine andere Anwendung des Prinzips zeigt Spr. 145: 
„Wenn verständige, sinnige Personen im Alter die Wissen¬ 
schaft gering schätzen, so kommt es nur daher, dass sie 
von ihr und von sich zu viel gefordert haben." Die leicht¬ 
sinnige Überschätzung der eigenen Kräfte ruft infolge 
des Misslingens eine skeptische Unterschätzung des Ob- 



jekts hervor; im ersteren Falle war das Ziel zu hoch ge¬ 
steckt, im anderen zu niedrig, während das „Erreichbare“ 
beidemal verfehlt wurde. Der gleiche Gedanke erscheint 
in etwas verschiedener Wendung, als Warnung vor den 
Extremen der Selbstzufriedenheit und Selbstkritik, in 
einem Gespräch mit dem Musiker Lobe: „Wer mit seinen 
Produktionen stets zufrieden ist, wird nicht weit kommen. 
Allein man kann auch zu weit gehen und durch höhere For¬ 
derungen an sich, als man im Augenblick praktisch zu er¬ 
füllen die Kraft hat, den schaffenden Geist ängstlich 
machen und paralysieren.“ Gespr. 4, 29. 


Der Ausdruck „transcendieren“ ist ohne Zweifel 
auf den bekannten philosophischen Terminus zurückzu¬ 
führen, den Goethe gelegentlich für sein „unbedingtes 
Streben“ substituiert, ähnlich wie er sich „absolut“ in 
seinem eigenen Sinne auslegte (s. oben S. 57). In dieser 
Weise ist die Wendung „falsches Transcendieren“ Ann. 
1033 aufzufassen, ebenso wie eine Äusserung in Spr. 270: 
„Es ist nun schon bald zwanzig Jahre, dass die Deutschen 
sämtlich transcendieren. Wenn sie es einmal gewahr wer¬ 
den, müssen sie sich wunderlich Vorkommen.“ Schon Loe- 
per hat in einer Note dazu bemerkt, dass sich der Satz 
nicht auf philosophische, sondern dichterische und künst¬ 
lerische Bestrebungen bezieht, und die obige Stelle aus 
den Annalen zur Erläuterung herangezogen. Das Wort 
„transcendieren“ ist geradezu typisch zur Charakteristik 
der jung-romantischen Bewegung, wie eine Reihe weiterer 
Belege zeigen: „Alles ist jetzt ultra, alles transcendiert 
unaufhaltsam, im Denken wie im Thun.“ An Zelter IV, 
43. „Die guten Köpfe sind auch übel daran, denn indem 
sie falsche Methoden gewahren,... ziehen sie sich auf sich 
selbst zurück, werden abstrus oder transcendieren.“ An 



68 


Hegel, Str. Br. I, 241. (Vgl. oben S. 61, zur Sache.) 
„Geistreiche Autoren würden durch diese geringe Beeng¬ 
ung (bühnenmässige Abfassung eines Theaterstückes) sich 
leise gewarnt fühlen; sie würden nicht, wie jetzo meist 
geschieht, ehe man’s sich versieht, nach allen Seiten hin 
transcendieren.“ An Arnim, Goethe und die Romantik II, 
150. Sehr fein wird unterschieden zwischen „transcen- 
dent“ und „transcendentell", einer Neubildung, in einer 
Äusserung gegenüber Riemer: „Unsere Kunstrichter wer¬ 
den transcendent, da sie bloss das Transcendentelle 
wollen sollten; sie sprechen immer das aus, was sie ver¬ 
schweigen sollten ... Mir kommen sie vor wie die katho¬ 
lischen Priester, die überall das Messopfer bringen. Diese 
Art Ästhetik ist nicht produktiv; denn man kann nicht 
mehr darüber hinaus.“ Gespr. 2, 346. Der Sinn dieser 
Worte kann nur sein, dass die Ästhetik zwar über dem 
Erreichten ein implicite zu postulierendes Ideal nicht 
ausser Augen lassen darf, dass es aber verkehrt wäre, 
dieses Ideal fortwährend geräuschvoll zu verkündigen, 
und an jedem Kunstwerk über seine natürliche Begrenzung 
hinaus zu zerren und zu strecken, anstatt den individuellen 
Massstab anzuwenden. Goethe vertritt hier mit anderen 
Worten den historischen Gesichtspunkt gegenüber dem 
beschränkt-dogmatischen, obwohl er selbst allerdings in 
Praxis häufig genug nach dem einseitig-klassicistischen 
Dogma geurteilt hat. 

Ganz vereinzelt hat „steigern“ die Bedeutung von 
„transcendieren“, während es für gewöhnlich ins Positive 
gewendet ist (vgl. oben S. 38). Ein Beleg der negativen 
Schattierung ist Spr.. 512: „Der Deutsche läuft keine 
grössere Gefahr, als sich mit und an seinen Nachbarn zu 
steigern; es ist vielleicht keine Nation geeigneter, sich 
aus sich selbst zu entwickeln...“ Allerdings liegt auch 
hier das „transcendieren“ weniger in dem Prozess der 



69 


Steigerung selbst, als in der falschen Art der Steigerung 
durch Nachahmung fremder Muster gegenüber der „ge- 
mässen“ Entwickelung auf organischem Wege. Deutlicher 
ist die negative Färbung in der oben S. 55 erwähnten län¬ 
geren Betrachtung über das Antike und Moderne Gespr. 2, 
216: „Das Romantische ist kein natürliches, ursprüng¬ 
liches, sondern ein gemachtes, ein gesuchtes, gesteiger¬ 
tes, übertriebenes..Diese Äusserung schliesst sich den 
oben (unter „falsch“ und „transcendieren“) citierten, an 
und richtet sich gegen den „kränkelnden Kunsttrieb“ der 
Neuromantik. Ein Angehöriger der letzteren, Adam Mül¬ 
ler, wird daher einmal „ein recht hübsches, aber falsch 
gesteigertes Talent“ genannt. An Zelter VI, 319. Auch 
das „steigern“ in der Wendung aus Spr. 18: „Forderungen 
einer durchaus gesteigerten Gegenwart“ hat einen patho¬ 
logischen Nebensinn, denn unter der letzteren ist im 
Grunde jene Tagesströmung gemeint. Umgekehrt wird 
„transcendieren“ gelegentlich rein objektiv verwendet, 
ohne tadelnde Bedeutung, wie in Spr. 295: „Alle Mystik 
ist ein Transcendieren und ein Ablösen von irgend einem 
Gegenstände, den man hinter sich zu lassen glaubt...“ 


Das Wort „leidenschaftlich“ wird von Goethe in 
sehr eigenartiger und mannigfaltiger Weise gehandhabt. 
Im allgemeinen erklärt sich die Beliebtheit des Wortes 
wohl daraus, dass es sich bequem zur Charakteristik solcher 
Zustände darbietet, die sich unter dem Gesichtspunkte der 
Steigerung oder Intensität begreifen lassen. Man hat sich 
daran zu erinnern, eine wie bedeutende Rolle die Formel 
der Steigerung in der Denkweise Goethes spielt (s. oben 
S. 38) und es ist natürlich, dass die Tendenz, in allen Er¬ 
scheinungen die aufsteigende oder abnehmende innere 
Triebkraft zu beobachten, darnach strebt, sich den leicht 



70 


anschmiegenden sprachlichen Ausdruck zu suchen. Man 
könnte soweit gehen und den ganzen Stil Goethes als ein 
beständiges Auf- und Abwogen, ein Heben und Senken, 
Begrenzen und Erweitern auffassen, als einen Organismus, 
dessen Oberfläche in stetig atmender Bewegung scheint, 
weil eine innewohnende lebendige Kraft in immerwähren¬ 
dem Gestaltungsdrange sich die Ebenbilder ihrer Ideen 
formt und mit starker Hand nach aussen treibt. Ein Geist, 
der dynamisch schafft und zerstört, bedarf auch dyna¬ 
mischer Werte, um das Anschwellen und Abnehmen der 
Materie zu kräftiger Anschauung zu bringen; eine solche 
Funktion übernimmt das Wort „leidenschaftlich“, das in 
dieser Hinsicht als ein weiterer Ausdruck des Steigerungs¬ 
prinzips gelten kann. Es mag als übertriebene Feinheit 
ausgelegt werden, aber ein empfängliches Ohr wird leicht 
herausfühlen, inwiefern die steigernde Funktion des Wor¬ 
tes sich in ihrer Wirkung der eines leichteren oder stär¬ 
keren Anschwellens vergleichen lässt. Man füge in Sätzen 
wie: „Die Sorge für ihre Tochter gab genügsame Beschäf¬ 
tigung“ (18, 207); „Wohlwollen lag seinem Charakter zu 
Grunde“ (Ann. 542); „nichts konnte mich aus meiner Ein¬ 
samkeit hervorrufen“ (20, 199), — zu den Substantiven: 
Sorge, Wohlwollen, Einsamkeit, das Attribut „leiden¬ 
schaftlich“, um den veränderten Charakter der Sätze und 
die Beseelung der Abstracta zu empfinden. 

Die Verwendungsweise des Wortes bei Goethe erklärt 
sich zum Teil aus der interessanten Bedeutungsentwicke¬ 
lung (vgl. den betreff. Artikel im DWb.). Im heutigen 
Gebrauch bezeichnet es hauptsächlich ein Begehren (vgl. 
schon Kants Definition in der Anthropologie, Werke ed. 
Hartenstein 7, 571 ff.), das sich je nach dem Grade bis zu 
einem pathologischen Zustande steigern kann. Im vorigen 
Jahrhundert trat neben dieser Bedeutung noch die frühere 
hervor, wonach das Wort lediglich eine dauernde oder 



71 


vorübergehende Erhöhung des Gefühlslebens (ohne Begeh¬ 
ren) ausdrückte. Der Bedeutungsreichtum von „Leiden¬ 
schaft“ bei Goethe lässt sich am besten nach diesen beiden 
Bedeutungsphasen gliedern, und das individuelle Moment 
liegt in der jeweiligen Vertiefung des Inhalts. Zur blossen 
Steigerung ohne den Neben sinn des Begehrens ist das 
Wort in folgenden eigentümlichen Fällen verwendet: 

„leidenschaftliche Lebensweise“ (von Byron), 29,763. 

„leidenschaftliche Rede“ (= gehobene Rede), 29, 251. 

„leidenschaftliche Sorge“, 18, 207. 

„leidenschaftliche Einsamkeit“ (= hartnäckiges Ab¬ 
schlüssen), 20, 199. 

(Die Naturbestimmung des Pferdes weiss der Mensch) 
„zu nützlichen und leidenschaftlichen Zwecken gar wohl 
zu gebrauchen“ 34, 166 (etwa = zu Zwecken des Sports). 
„Wie lebhaft ist die Dankbarkeit derjenigen, denen wir 
mit Ruhe über leidenschaftliche Verlegenheiten hinaus¬ 
helfen!“ Wahlv. 15, 117 (Ein Beispiel der Kompression 
des Altersstils; der logische Ausdruck wäre: „Verlegen¬ 
heiten, die die Leidenschaft hervorruft“). 

In manchen Fällen entfernt sich die Bedeutung so 
weit von der einer Gefühlserhöhung, dass das Wort ge¬ 
radezu als Übersetzung von „intensiv“, „energisch“ er¬ 
scheint, und eher eine Willensbethätigung als einen passi¬ 
ven Zustand ausdrückt. Beispiele: 

„Ein leidenschaftliches Wohlwollen“ (von Gleim) Ann. 
542. 

„leidenschaftlich sein wollend“ 22, 155. 

„Jeder wirkt leidenschaftlich, was er vermag“ 33, 79. 

„unausgesetzte, leidenschaftl. durchgeführte Übung“ 
29,692. 

„leidenschaftliche Verwegenheit“ (= kühn) 20, 92. 
(Das Geschriebene) „sagt von dem Buche ... eigentlich 



72 


gar nichts, sondern es drückt nur den damaligen Zustand 
des Gemüts leidenschaftlich aus." An Niebuhr, 4. April 
1827 (vgl. 29, 145). „Moritz ... bestärkte sich mit mir 
leidenschaftlich in diesen Gesinnungen" (gegen Schiller, 
Heinse etc. 1788) 33, 92. 

Der bisher behandelten Verwendung entspricht in der 
Aphorismenreihe über den Begriff der Leidenschaft (Spr. 
422—425) die Definition in Spr. 422: „Die Leidenschaften 
sind Mängel oder Tugenden, nur gesteigerte.“ Zu der 
moderneren Bedeutung, die den Nebensinn des Begehrens 
einschliesst, leitet Spr. 424 hinüber: „Grosse Leidenschaf¬ 
ten sind Krankheiten ohne Hoffnung.“ Wie Goethe, der 
grosse Herzenskündiger, zeitlebens die Rätsel der „Lei¬ 
denschaft“, „unserer Krankheit schwer Geheimnis“ (2, 
330) zu lösen und zu heilen trachtete, so bedurfte er immer 
wieder dieses Wortes, wo er eine krankhafte Steigerung 
des Gefühlslebens beobachtete, und die Häufigkeit des 
Ausdruckes fällt jedem aufmerksamen Leser auf (vgl. auch 
unten S. 117, unter „Neigung“). Er sah in der „Leiden¬ 
schaft“ durchaus einen pathologischen Zustand, sowohl 
wenn sie als „Herzensirrung“ auf trat, wie als Verstandes¬ 
irrung, hervorgerufen durch das Hineintragen von Ge¬ 
fühlswertungen in logische Verhältnisse. „Leidenschaft 
und Parteigeist“ (Spr. 784), der „leidenschaftlich-rheto¬ 
risch“ das Falsche ergreift (Spr. 894), gehen immer zu¬ 
sammen; als „das unterste Seelen vermögen“ wird sie an¬ 
derswo definiert, „die an sich auch nicht irrt, aber (im 
Falle des Irrtums) die Vernunft übereilt.“ „Die Vernunft 
kann nicht irren, denn sie ist ja die oberste Einsicht“. 
(Riemer, Briefe S. 305.) Der Einfluss Spinozas lässt sich 
in diesen Sätzen deutlich erkennen. 

Ein besonderes Interesse gewinnt das Wort, wenn es 
als Glied der Gedankenkette erscheint, die von dem Be¬ 
griff des „unbedingten Strebens“ beherrscht wird. Denn 



73 


das „Transcendieren“ hat die Begleiterscheinung eines auf¬ 
geregten, trüben, unklaren Zustandes, veranlasst durch 
das Begehren ohne Befriedigung, und die Wertherstim- 
mung wird daher wiederholt als „unbefriedigte Leiden¬ 
schaften“ definiert (22, 127; 134). Mit der Auffassung der 
Leidenschaft als Trübung der Vernunft stimmt das Zusam¬ 
menfügen von Leidenschaft und „beschränkt“ (letzteres 
im negativen Sinne) überein. „Ungetrübt von einer be¬ 
schränkten Leidenschaft“, „rein und still wie die Luft“, 
fühlt sich Goethe, als er bei seinem ersten Besuch in der 
Heimat (1779) alle die alten Verhältnisse von Liebe und 
Freundschaft treu erhalten findet (An Frau v. Stein I, 
187). Als Goethe 1810 zum erstenmal, halb gezwungen, 
von den altdeutschen. Bestrebungen der Gebr. Boisseree 
Notiz nahm, war das Eis noch nicht geschmolzen, das Sul- 
piz ein Jahr später so tapfer aufzuthauen wusste. Goethe 
erkennt die Zeichnungen des Kölner Doms an, aber wenn 
er seinem Lobe hinzufügt: „Freilich gehört eine solche 
leidenschaftliche Beschränkung dazu, um etwas der Art 
hervorzubringen...“ (An Reinhard S. 81), — so beweist 
das bisher Gesagte, wie zweideutig das Lob durch diesen 
Ausdruck wird. 

Eine merkwürdige Stelle aus den Wanderjahren möge 
hier noch angeschlossen werden: „Da wir uns nun alles 
dieses vergegenwärtigt, ... so wird kein beschränkter 
Trübsinn, keine leidenschaftliche Dunkelheit über uns wal¬ 
ten.“ 18, 356. Die Erklärung ist dieselbe wie in der Ver¬ 
bindung „leidenschaftliche Verlegenheiten“ 15, 117 (s. 
oben S. 71), und die Auflösung wäre in diesem Falle: 
„dunkles, leidenschaftliches Streben“ oder „Dunkelheit, 
durch beschränkte Leidenschaft veranlasst.“ Die sach¬ 
liche Erläuterung bietet die anderswo begegnende Gegen¬ 
überstellung von „heiterer Vernunftfreiheit“ und „trüber 
leidenschaftlicher Notwendigkeit“ 29, 290, wobei die letz- 



74 


tere Verbindung wieder als Verschränkung aufzufassen ist 
aus Leidenschaft und Notwendigkeit. Die Antithese: Frei¬ 
heit — Vernunft — Selbstbeschränkung: Notwendigkeit 
— Dämonisch — Unbedingt, zieht sich polarisch durch 
die gesamte Denkweise Goethes hindurch und lässt sich 
auf den Gegensatz zwischen der sittlichen und natürlichen 
Weltordnung reduzieren, einen Gegensatz, der jedoch nach 
Goethe nicht diametral, sondern derartig zu denken ist, 
dass beide Mächte sich wie Zettel und Einschlag verhal¬ 
ten und in rastloser Thätigkeit das Gewebe der ewigen 
Weltwerdung wirken. Leidenschaft aber entsteht, wenn 
diese Mächte in ihrem Gleichgewichte gestört werden, 
wenn der „unbedingte" Dämon mit den „Bedingungen" 
der sittlichen Welt zusammenstösst; ähnlich hat Goethe 
in dem Kommentar zu den „Orphischen Urworten“ das 
verwirrende Eingreifen des Eros in das Treiben von Dämon 
und Tyche dargestellt; auch das Gedicht „Kupido, loser, 
eigensinniger Knabe!..." beruht auf dem gleichen Grund¬ 
gedanken der Verwirrung durch „thätige Geister", It. R. 
24, 465. (Zur Sache vgl. Danzel, Goethes Spinozismus 
S. 90; DW. 23, 101 ff.; Orphisch 2, 242ff.; Steiner, Goe¬ 
thes Weltanschauung S. 68 ff.) 


Die eigentümliche Weise, in der Goethe das Wort 
„frech" verwendet, scheint ganz individuell zu sein; man 
könnte sie etwa dahin charakterisieren, dass das Wort, ab¬ 
gesehen von der gröberen, scheltenden Bedeutung, die es 
generell besitzt (ungebührliches Betragen, zügellose Rede), 
bei Goethe noch eine feinere Schattierung entwickelt hat. 
Auch diese ist meist tadelnd, aber im höheren Sinne, und 
die Anwendung erstreckt sich auch auf geistige Strömun¬ 
gen, Bücher etc. Am besten lässt sich „frech“ definieren 
als gesteigertes „leidenschaftlich", und viele Belege be- 



75 


weisen, dass es ein Glied der ganzen Reihe des „unbeding¬ 
ten Strebens“ bildet, besonders mit Rücksicht auf die litte- 
rarische Strömung der Sturm- und Drangzeit. Sie wird 
29, 261 kurz als „frech“ bezeichnet; von einigen Erzeug¬ 
nissen derselben (Hanswursts Hochzeit etc.) heisst es: 
„Mehreres dieser frechen Art ist verloren gegangen.“ 
Ann. 4. Mit Freuden begrüsst Goethe eine Handschrift des 
Satyros, die ihm Jacobi 1807 übersandte, mit den Worten: 
„Dieses Dokument der göttlichen Frechheit unserer 
Jugendjahre hielt ich für ganz verloren.“ W. IV, 20, 6. 
Andere Werke der Litteratur und Kunst, die dieses Prädi¬ 
kat erhalten, sind: Diderots „Rameaus Neffe“: „Frecher 
und gehaltener, geistreicher und verwegener, unsittlich¬ 
sittlicher war mir kaum etwas vorgekommen“ Ann. 436; 
„das seltsame, freche Büchlein“ Ann. 448. Byrons Don 
Juan: „wir geniessen dankbar, was er uns mit übermässi¬ 
ger Freiheit, ja mit Frechheit vorzuführen wagt.“ 29, 
756. „Frecher Mutwille“ Ebenda. Über Schimpf- und 
Schmähreden in Strassburger litterarischen Erzeugnissen,, 
wie Brand, Kaisersberg u. a.: „eine freie, freche, unbän¬ 
dige Originalität“ 29, 479. Calderon: „ein grosser Dich¬ 
ter; nur eine gewisse freche Rhetorik müsse man ihm zu¬ 
gestehen“ Gespr. 3, 172. Ein Gedicht aus „des Knaben 
Wunderhorn“ wird charakterisiert: „Frank und frech“ 29, 
395. Ein Beweis der Zugehörigkeit von „frech“ zu der 
Gruppe des Unbedingten ist auch die Erscheinung, dass es 
wiederholt mit „frei“ alliteriert, in offenbar steigender 
Bedeutung. Am deutlichsten wird dies in einer Charakte¬ 
ristik der Phigalischen Basreliefs: „Man findet über¬ 
schwängliche Kunst und Talent, höchste Weisheit und 
Thatkraft, unbedingt frei, einigermassen frech.“ An 
Meyer, Riemer, Br. S. 125. Dass unter dem „frech“ hier 
ein kühnes Hinwegsetzen des Künstlers über die gewöhn¬ 
lichen Kunstgesetze gemeint ist, geht aus einer Stelle der 



76 


neu aufgefundenen Aufzeichnungen Goethes über das Phi- 
galische Relief hervor (abgedruckt G.-J. 19, off.). Von 
Seiten einiger Kunstkenner waren scheinbare Missver¬ 
hältnisse und Fehler an dem Relief getadelt worden, wo¬ 
rauf Goethe in überlegener Weise diese Fehler als Vor¬ 
züge auslegte, in Befolgung der Maxime: „Eben daran er¬ 
kennt man den Meister, dass er zu höheren Zwecken mit 
Vorsatz einen Fehler begeht.“ G.-J. 19,6 (vgl. Harnacks Er¬ 
läuterungen S. 12 f.). Er beruft sich ferner auf einen ana¬ 
logen Fall in Leonardos Abendmahl: „Leon, da Vinci, der 
für sich selbst eine ganze Kunstwelt war, ... erfrecht 
sich eben der Kühnheit wie die Künstler von Phigalia.“ 
(Ebenda S. 6.) 

Andere Belege der Steigerung „frei-frech“ sind: „Eine 
freie Seele, wie die seine (Lorenz Sterne) kommt in Ge¬ 
fahr, frech zu werden, wenn nicht ein edles Wohlwollen 
das sittliche Gleichgewicht herstellt.“ Spr. 522. „Wir 
geniessen dankbar, was er (Byron) uns mit übermässiger 
Freiheit, ja mit Frechheit vorzuführen wagt.“ 29, 757. 
„Eine freie, freche, unbändige Originalität“ (Strassburger 
Satiriker) 29, 479. Auf dem Begriff des Unbedingten 
ruhen auch Anwendungen wie die folgenden: „Reine, mitt¬ 
lere Wirkung ... ist sehr selten; gewöhnlich sehen wir 
Pedanterie, welche zu retardieren, Frechheit, die zu über¬ 
eilen strebt.“ Spr. 201. In dem Ausdruck „Wildnis fre¬ 
ches Städtelebens“ Nat. Tochter, 10, 97, ist „frech“ = 
zügellos; vgl. in den folgenden Versen: „Wust verfeiner¬ 
ter Verbrechen“, „Pfuhl der Selbstigkeit“. Bemerkens¬ 
wert ist auch die Anwendung von „frech“ in dem Satze: 
„Uneigennützig zu sein ... war meine höchste Lust, meine 
Maxime, meine Ausübung, so dass jenes freche spätere 
Wort: ,Wenn ich dich liebe, was gehts dich an?‘ (17, 228) 
mir recht aus dem Herzen gesprochen ist.“ DW. 22,168. Die 
Bedeutung von „frech“ schillert hier in so vielen Farben, 



77 


dass sie kaum festzuhalten ist, wie auch der Satz selbst 
paradox scheint. Es ist eine Uneigennützigkeit und Liebe, 
die sich um Dank oder Undank, oder um die Erwiederung 
der Gefühle so wenig kümmert, dass sie fast in Eigen¬ 
nützigkeit umschlägt, denn sie wird befriedigt aus einem 
unbeschränkten Drange, der unter Umständen dem ande¬ 
ren zum Trotz handelt. Man könnte diesen Hyperaltruis¬ 
mus als selbstische Selbstlosigkeit bezeichnen; er ent¬ 
springt bei Goethe aus derselben Wurzel wie die Anschau¬ 
ung vom „reinen Egoismus" (s. unten S. 87). 1 ) „Frech" 
ist eine solche Maxime mit Bezug auf den selbstischen 
Ursprung und die unbegrenzte Ausübung, ohne Rechnung 
oder Rücksicht auf Gegenseitigkeit. Übrigens mag die 
durch „später" angedeutete Thatsache, dass Philine dieses 
Wort Wilhelm gegenüber braucht, die Bezeichnung 
„frech“ als Anticipation rechtfertigen, denn aus ihrem 
Munde musste eine solche Äusserung doppelt paradox 
klingen. 

Interessant ist die Erscheinung, dass die Bedeutungs¬ 
verschiebung des Wortes „frech“ bei Goethe gleichsam 
ein Wiederaufleben .der mittelhochdeutschen Bedeutung 
„mutig, kühn" ist; auch im angelsächsischen heisst 
„freca“ Held. Den Begriff des Kühnen, Trotzigen lässt 
das „frech“ bei Goethe in vielen der zitierten Belege 
durchschimmern, wie in „frank und frech“; „freie, freche 
Originalität"; noch deutlicher tritt er hervor in der Über¬ 
schrift „Frech und froh“ zu dem Gedichte, das mit den 
Worten beginnt: „Liebesqual verschmäht mein Herz“, 2, 
256. Wie viel in diesen Verbindungen die Allitteration bei 


*) Wie nahe sich Goethe auch hier mit der Spinozistischen An¬ 
schauung von der geistigen, rein uneigennützigen Liebe zu Gott be¬ 
rührt, zeigt die auffällige Übereinstimmung der obigen Stelle mit einem 
Satz aus Spinozas Ethik: „Wer Gott liebt, kann nicht wollen, dass 
Gott ihn wieder liebe.“ Ethik V. L. 19. 



78 


der Wahl des Wortes mitgewirkt hat, bleibe dahingestellt; 
man könnte andererseits an die ähnliche Bedeutungsent¬ 
wickelung von „Übermut“ bei Goethe erinnern, das auch 
gelegentlich von Tadel frei und wörtlich als „Über-Mut“, 
„Überschwang“, „gesteigerte Lebensempfindung“ zu neh¬ 
men ist. („Dichten ist ein Übermut“ 4, 21; „Herrscht 
doch über Gut und Blut — dieser Schönheit Übermut“ 
F. n, 9348. „Nicht versagt sich die Majestät — Heimlicher 
Freuden — ... Übermütiges Offenbarsein.“ F. II, 9410. 
Ygl. E. Schmidt* Anz. f. d. Altert. 20, 305). Endlich sei 
auf die eulogistische Auslegung der Begriffe „eitel“ und 
„Eitelkeit“ bei Goethe verwiesen (vgl. 18, 183; DW. 22, 
195; 23, 13; Gespr. 2, 325; 3, 24), und auf die zahlreichen 
Stellen, an denen er einem „glücklichen Selbstgefühl“, 
frischem, ungezierten Auftreten, sein Lob zollt gegenüber 
bescheidener Duckmäuserei. „Brave freuen sich der That“ 
1, 90. 


Ein typischer Ausdruck für das negative Extrem die¬ 
ser Gruppe fehlt, — eine Erscheinung, die wohl mit der 
euphemistischen Tendenz im Zusammenhang steht. Statt 
dessen sind einige Näherungswerte zu verzeichnen, die 
gleichsam den negativen Pol vorsichtig umkreisen: be¬ 
schränkt, halb und unzulänglich. Über den ersten Aus¬ 
druck ist oben bei der Bedeutungsentwickelung von „Be¬ 
schränkung“ das Nötige gesagt. Der Kernpunkt liegt in 
der Unterscheidung zwischen „beschränkt mit Einsicht“ 
Spr. 1020, = sich beschränkend, und „beschränkt aus 
Halbheit“, Divan 4, 82. Im ersteren Falle sind es die 
„Grenzen der Menschheit“, an denen sich jeder zu resignie¬ 
ren hat (1, 164), im letzteren ist es die „hypothetische Be¬ 
schränktheit des bornierten Individuums.“ Spr. 918. Er¬ 
wähnung verdient, dass Goethe wiederholt die nahe Ver- 



wandtschaft zwischen „Beschränktheit" und „Dünkel" kon¬ 
statiert; als Typus der „dünkelhaften Beschränkung“ gilt 
ihm Nicolai, der Parodist des Werther und Diktator des 
Berliner „Geschmäcklerpfaffenwesen“ (DW. 22, 1341). 

Über „unzulänglich“ ist besser in der intellektuellen 
Kategorie zu handeln, da es dort eine wichtigere Rolle 
spielt. Dagegen ist „halb" von besonderer Bedeutung 
für diese Gruppe, da es in ausgesprochenen Gegensatz zu 
dem „Ganzen, Tüchtigen“ tritt. Die Anschaulichkeit des 
Ausdrucks dürfte auch ein Grund der Beliebtheit sein, und 
ferner die bequeme Verwendbarkeit als Kompositions¬ 
glied. Schon oben waren die Verse der „Generalbeichte“ 
1, 81 citiert, in denen das „Halbe“ dem „Ganzen, Guten, 
Schönen“ gegenübergestellt wird. „Eine Kriegserklärung 
gegen alle Halbheit und Mittelmässigkeit“ nennt Loeper 
das Divangedicht 4, 82, in dem Goethe, da die Übermacht 
nicht aus der Welt zu bannen sei, es vorzieht, von den „Ge¬ 
scheiten“, den „Tyrannen“ sich unterjochen zu lassen, 
statt von den „Halben“ und „Beschränkten“. (Das Ge¬ 
dicht beruht übrigens auf dem gleichen Grundgedanken, 
der in den „Noten zum Divan“ in dem Satze, dass „Freiheit 
und Knechtschaft zugleich polarisch existiere,“ 4, 279, 
niedergelegt und ausgeführt ist; vgl. oben S. 56). Wie 
das Unzulängliche die Folge des Dünkels (Spr. 778), so ist 
die „halbe Selbstkenntnis" (DW. 22, 143) die Ursache des¬ 
selben, und „Halbwahrheiten" sind die Quelle der „Irrsale". 
(22, 158.) „Halbverhältnisse“ sind die Ursache des 
Lebensverdrusses, wie er mit Bezug auf sein Verhältnis 
zur Familie La Roche in Frankfurt 1773—74, später er¬ 
kennt DW. 22, 131, und im höchsten Alter schreibt er an 
Boisseree: „In den hohen Jahren werden mir alle halben 
Verhältnisse ganz unmöglich durchzuführen...“ II, 547. 
Unter dem „Halben" ist hier ebensowohl die Zersplitte¬ 
rung in der wissenschaftlichen Thätigkeit gemeint, wie 



80 


das Polemische gegenüber dem Positiven (vgl. an Rein¬ 
hard S. 271). Das Prinzip der Beschränkung auf das Eine, 
Ganze wird eingefügt in einer Maxime aus den Wander¬ 
jahren 18, 157: „Allem Leben, allem Thun, aller Kunst 
muss das Handwerk vorausgehen, welches nur in der Be¬ 
schränkung erworben wird. Eines recht wissen und aus¬ 
üben, giebt höhere Bildung als Halbheit im Hundertfälti¬ 
gen.“ Die gleiche Maxime spricht Goethe in anderer Form 
schon in einem Briefe aus Rom, Ende Juni 1787, aus, mit 
Bezug auf seine eigene Schulung: „Meine Kunstkenntnisse, 
meine kleinen Talente müssen hier ganz durchgearbeitet, 
ganz reif werden, sonst bring’ ich wieder Euch einen hal¬ 
ben Freund zurück...“ 24, 351. Ein anderer bekannter 
Kreis von Vorstellungen eröffnet sich mit der Anwendung 
des „Halben“ auf die frömmelnde Bewegung der Neu¬ 
romantiker. Goethe war von Reinhard auf ein Erzeugnis 
dieser Richtung aufmerksam gemacht worden, worüber 
er sich zu Boisseree äussert: „Nun ja! Das sieht Reinhard 
ähnlich, der sich immer gerne noch vom Reimarus’schen 
Theetische her so mit halbem Zeuge und mit halben Men¬ 
schen befasst, wähnend, dadurch dem Wahren und Rechten, 
dem Ganzen und Ächten im Guten wie im Schlimmen auf 
die Spur zu kommen.“ Gespr. 5, 285. Von einem Ange¬ 
hörigen dieser Richtung, von öhlenschläger, sagt Goethe: 
„Er ist einer von den Halben, die sich für Ganz halten und 
für etwas darüber.“ An Zelter V, 127. Ein „Halbmensch“ 
wird der Orleans Ludwig Philipp genannt: „er weiss durch¬ 
aus nicht, was er will, ist rein gar nichts.“ Gespr. 7, 181. 

Von den zahlreichen Zusammensetzungen mit Halb¬ 
seien erwähnt: „Halbwahrheiten“ Spr. 73; DW. 22, 158. 
„Halbkünste“ 24, 133. „Halb- und Schiefköpfe“ 24, 449. 
„Halbkultur“ der Massen Gespr. 5, 5. Die Maxime, dass 
der ganze Irrtum der halben Wahrheit vorzuziehen sei, 
ist Gegenstand von Spr. 395: „Thoren und gescheite Leute 



81 


sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren-und Halb¬ 
weisen« das sind die gefährlichsten." Der gleiche Gedanke 
liegt der ZX. 2, 362 zu Grunde. Auf die verwunderte 
Frage der „Beschränkung": 

„Irr-Tümer sollen uns plagen? 

Ist nicht an unser Heil gedacht?" 

antwortet Goethe: 

„Halb-Tümer solltet Ihr sagen, 

Wo halb und halb kein Ganzes macht.“ 


2. Sittliche Gruppe. 

Im Mittelpunkt der Vorstellungen, die sich unter dem 
Gesichtspunkte eines sittlichen Zustandes, ohne Hervor¬ 
treten des Begriffes der Thätigkeit, zusammenfassen las¬ 
sen, steht allbeherrschend das Wort „rein", das hier die 
gleiche Funktion erfüllt wie „tüchtig“ als Centralbegriff 
der aktiv sittlichen Sphäre. Es würde sich bei einer ge¬ 
nauen Statistik vielleicht herausstellen, dass kein anderes 
Adjektiv eine solche Mannigfaltigkeit der Bedeutungs¬ 
nuancen entfaltet. Diese Fähigkeit erlangt das Wort da¬ 
durch, dass die generelle Bedeutung: „frei von fremdarti¬ 
gen Stoffen" vertieft, und dass statt der blossen Wirkung 
an der Oberfläche die ethische Wurzel, das ursächliche 
Verhältnis zum Bewusstsein gebracht wird. „Rein“ ist 
alles, was als Selbstzweck, aus innerem Triebe, ohne 
Nebenabsichten besteht, geschieht oder handelt. Dadurch, 
dass sich diese Wurzel in Goethes Gebrauchsweise fort¬ 
während als lebendig und triebkräftig der sinnlichen An¬ 
schauung auf drängt» wird das Wort vor Erstarrung in 
irgend einem Bedeutungsstadium bewahrt und schmiegt 
sich ohne Zwang den mannigfachsten Verwendungen an, 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 6 



82 


wo immer das Prinzip des Selbstzweckes zum Ausdruck 
gelangen soll. 

Es verdient Beachtung, dass das Wort „rein" bei 
Goethe den gleichen Vorstellungsinhalt umfasst, wie 
Kants zweite Formulierung des Moralprinzips in der 
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten: „Handle so, dass 
du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Per¬ 
son eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, nie¬ 
mals bloss als Mittel brauchst.“ Werke ed. Hartenstein 
4, 277. Es erforderte ein zu weites Eingehen auf Goethes 
philosophisches Denken und im besonderen sein Verhält¬ 
nis zu Kant, um die Bedeutung dieser Entsprechung ins 
Licht zu setzen; unter Verweis auf die neueren Arbeiten 
Vorländers über „Goethe und Kant“ (im 1. und 2. Band 
der „Kantstudien“, sowie G.-J. 19, 167 ff.) möge hier hin¬ 
sichtlich dieser Parallele nur auf eine Stelle im Brief¬ 
wechsel mit Zelter aufmerksam gemacht werden. Goethe 
beklagt sich bei Gelegenheit der „Wahlverwandtschaf¬ 
ten“ darüber, dass das Publikum nicht „die Vollkommen¬ 
heit eines Kunstwerkes in und an sich“ im Auge habe, son¬ 
dern „die Wirkung nach aussen“; dagegen habe er sich 
bemüht, in diesem Werke „die innige wahre Katharsis so 
rein und vollkommen als möglich abzuschliessen.“ Die 
Ideenverbindung zwischen dem Begriff der „Reinheit“ und 
Kants Lehren wird durch den weiterhin folgenden Satz 
hergestellt: „Es ist ein grenzenloses Verdienst unseres 
Kant um die Welt, und ich darf auch sagen um mich, dass 
er in seiner Kritik der Urteilskraft Kunst und Natur 
nebeneinander stellt und beiden das Recht zugesteht: aus 
grossen Prinzipien zwecklos zu handeln.“ V, 380. (Über 
das Verhältnis zu Spinozas Lehre von den Affekten, siehe 
unten S. 94.) 

Bei der Behandlung im Einzelnen führt der dreifache 
Gesichtspunkt, der unserer Gesamteinteilung zu Grunde 



83 


liegt, am leichtesten zum Ziele; die äussere Einreihung 
in diese Kategorie schien nur deshalb geboten, weil die 
Grundfärbung immer die eines inneren Zustandes bleibt. 
Vom Standpunkte der sittlichen Handlungsweise wäre die 
Definition von rein etwa = „uneigennützig, lauter, Selbst¬ 
zweck." Diese Eigenschaft war Goethe selbst eingeboren 
0,uneigennützig zu sein in allem, ... war meine höchste 
Lust, meine Maxime, meine Ausübung“ DW. 22, 168), und 
welches Gewicht er auf eine Handlungsweise legte, die 
auf innerem Antriebe beruht, zeigt die grosse Anzahl von 
typischen Wendungen, durch welche die Reinheit einer 
Thätigkeit, nach Ursache und Wirkung, bezeichnet wird: 
„reiner Zweck" (z. B. 2, 221); „reine Absicht", „reines Be¬ 
mühen" (33, 237); „reines Mittel" (24, 264); „reine Wir¬ 
kung“ (21, 214, besonders häufig); „reine Folge" (15, 45, 
ungemein beliebt). Vereinzelt sind: „ein kräftig rein Be¬ 
streben“ 1, 102; „reine Beharrlichkeit" Str. Br. 2, 136. 
„Eine immer höhere und reinere Thätigkeit bis ans 
Ende“ — so definiert Goethe den Vers „Wer immer stre¬ 
bend sich bemüht..." F. H, 11935 (Gespr. 8, 95), und eine 
8olche„Entelechie"wünscht er sich selbst auf anderenSter- 
nen: „Wirken wir fort, bis wir vom Weltgeist berufen, in den; 
Äther zurückkehren! Möge dann der ewig Lebendige uns 
reine Thätigkeiten, denen analog, in denen wir uns schon 
erprobt, nicht versagen.“ An Zelter IV, 278. Schon früh 
unterscheidet Goethe zwischen „reinem Interesse“ und sol¬ 
chem, das durch Nebenabsichten getrübt ist. An den 
Maler Müller schreibt er 1780: „Es nimmt niemand einen 
wärmeren, obwohl nicht ganz reinen Anteil an dem Künst¬ 
ler, als der Liebhaber, der selbst pfuscht." W. IV, 4, 
330. Je älter er wurde, und je mehr er von Jüngeren an¬ 
gegangen wurde, seinen Einfluss zu ihren Gunsten gel¬ 
tend zu machen, desto misstrauischer und abschliessender 
wurde er solchen Bittstellern gegenüber. 


6 * 



84 


Die Vorgeschichte des Verhältnisses zu Boisseree ist 
ein besonders hervorstechender Fall. Auf das wieder¬ 
holte Drangen Reinhards lässt er sich zwar herbei, die 
eingesandten Zeichnungen zur Rekonstruktion des Kölner 
Doms zu prüfen und sich sogar höchst anerkennend zu 
äussern. Aber er klärt den Vermittler, Reinhard, sofort 
darüber auf, dass sein Lob sich mehr auf Talent und Fleiss 
des Künstlers als auf die Sache selbst beziehe, und dass 
er nicht fremde Zwecke fördern könne und wolle, da auch 
den jungen Leuten nicht an Förderung seiner höheren Ab¬ 
sichten liege, sondern nur ihrer eigenen. „Einfluss ge¬ 
stehen sie uns, Einsicht trauen sie sich zu, und den ersteren 
zu Gunsten der letzteren zu nutzen, ist eigentlich ihre 
stille Absicht. Ein wahres Zutrauen ist nicht in der 
Sache.“ An Reinhard S. 87. Wie gross war daher seine 
Überraschung, als er bei dem Besuche Boisserees in Wei¬ 
mar 1811 einen Mann fand, der auch „höhere Zwecke“ aus 
„reinem Interesse“ verfolgte, und dessen Anschluss an 
seine stille Gemeinde der „Wohlwollenden“ daher sofort 
beschlossen war. In seinem lebhaften Bericht über diesen 
merkwürdigen Wandlungsprozess in Goethe schreibt 
Boisseree: „Ich gewann hauptsächlich dadurch, ... dass 
ich rein die Sache wirken liess,“ und Goethe ruft erstaunt 
aus: „Ja, was Teufel! man weiss da, woran man sich zu 
halten hat: die Gründlichkeit und Beharrlichkeit, womit 
die Sache bis ins Kleinste verfolgt ist, zeigt, dass es ledig¬ 
lich nur um die reine Wahrheit und nicht darum zu thun, zu 
wirken, um Aufsehen zu erregen.“ Gespr. 3, 13. Diese 
Episode ist charakteristisch für die Haltung, die Goethe 
im Alter der jüngeren Generation gegenüber bobachtete, 
weil er so selten ein „reines“ Interesse wahrzunehmen 
glaubte. Insbesondere erstreckte sich dieser Argwohn 
auf alle Jüngeren, die mit der patriotischen und „fröm¬ 
melnden Unkunst“ irgendwie im Zusammenhang standen. 



85 


weil sie, nach seiner Überzeugung, keine „reinen Zwecke“ 
verfolgten, oder, wie er hätte sagen können, weil es kein 
„reiner Enthusiasmus“ war, der sie antrieb. Er bedient 
sich wiederholt in anderem Zusammenhang dieses bezeich¬ 
nenden Ausdruckes: als er von der etwas kühlen Art hört, 
mit der „Herrn, und Dor.“ von den Anhängern der „Luise“ 
und vor allem von Voss selbst auf genommen wird, schreibt 
er an Schiller: „Mein Gedicht scheint ... Voss nicht so 
wohlthätig als mir das seine. Ich bin mir noch recht gut 
des reinen Enthusiasmus bewusst, mit dem ich den Pfarrer 
von Grünau aufnahm, ... und ich habe mich sehr gut da¬ 
bei befunden, denn diese Freude ist am Ende doch produk¬ 
tiv bei mir geworden...“ 28. Febr. 1798. Die neidlose, 
freudig anerkennende Gesinnung Goethes leuchtet aus die¬ 
sen Zeilen hervor, und seine oft ausgesprochene Überzeu¬ 
gung, dass ein „reines Interesse“ auch eine „reine Folge“ 
hat und sich fruchtbar erweist, fand hier ihren Lohn. 
Von anderem Gesichtspunkte aus wird 33, 70 das Inter¬ 
esse an „neuen Gegenständen in auffallender Mannigfal¬ 
tigkeit“ als „reiner Enthusiasmus“ bezeichnet, denn 
„alles, was uns von Jugend auf umgab, ... behält stets 
etwas Gemeines und Triviales für uns ... Dies ist der 
eigentlichste Gewinn der Reisen.“ Hier würde rein etwa 
gleichbedeutend sein mit „vorurteilslos“. 

Die negative Wendung begegnet in dem auffallend 
harten Urteil über Savonarola, Benv. Cell. 30, 438; Goethe 
nennt ihn hier ein „fratzenhaftes, phantastisches Unge¬ 
heuer,“ einen „unreinen Enthusiasten“, weil er in seinem 
Treiben die gleiche Erscheinung zu beobachten glaubte, 
wie bei Lavater und anderen, nämlich dass sie „geistige, 
ja geistliche Mittel zu irdischen Zwecken gebrauchten.“ 
DW. 22, 171. Die ganze Betrachtung an letzterer Stelle 
hat das Thema des „unreinen, religiösen Enthusiasmus“ 
zum Gegenstände, das er in dem geplanten Drama „Maho- 



86 


met“ dichterisch zu behandeln gedachte. Wie Goethe 
hier auf religiösem Gebiet den Grundsatz festhält, dass 
„Ideal und die gemeine Wirklichkeit streng geschieden 
bleiben müssen“, Gespr. 5,93, so war dies auch sein Haupt¬ 
bedenken gegen die Romantik und ihr unbegrenztes Stre¬ 
ben (vgl. Gespr. 2, 216 f.); er mochte diese Erkenntnis z. T. 
auch Merck verdanken, der ihn schon früh darauf auf¬ 
merksam gemacht hatte, welche Gefahr darin liege, „das 
Imaginative zu verwirklichen.“ DW. 23, 56. Denselben 
Tadel spricht Goethe gegen Byron aus, mit Bezug auf 
dessen Beteiligung am griechischen Freiheitskampfe, weil 
er darin weniger ein reines Interesse an der Sache selbst, 
als den Wunsch, Aufsehen zu erregen, erblickte. „Über 
Byrons Tod äusserte er, dass er gerade zu rechter Zeit er¬ 
folgt sei. Sein griechisches Unternehmen hat etwas Un¬ 
reines gehabt und hätte nie gut endigen können.“ Gespr. 
5, 93. (Folgt der Satz über die Verwirklichung von Idea¬ 
len.) Als typische Nation eines „unreinen Enthusiasmus“ 
gelten ihm die Franzosen: „So bemerkte auch Goethe 
(nachdem Falk eine ähnliche Äusserung gethan hatte): 
ein Franzose handle nie aus reinem Antrieb, um der Sache 
willen, er hänge ihr immer noch einen Schwanz von Ab¬ 
sehen dabei an...“ Gespr. 2, 268. In den Wahlverw. 
wird einmal die Sorge für das Andenken Verstorbener, 
das „de mortuis nil nisi bene“: „unrein“ genannt; „es ist 
meist nur ein selbstischer Scherz“, „weil wir von jenen 
nichts zu befürchten haben.“ 15, 136. 

Von Einzelfällen seien noch erwähnt: Goethes Urteil 
über Schillers Ballade: der Handschuh: „Hier ist die ganz 
reine That ohne Zweck, oder vielmehr im umgekehrten 
Zweck, was so sonderbar wohlgefällt.“ An Sch. 21. 6. 
1797. Das Oberrosslaer Freigut kaufte Goethe, ohne es 
überhaupt gesehen zu haben und nennt diesen Handel da¬ 
her mit Recht: „einen ganz reinen Kauf“. An Schiller 



87 


10. März 1798. In den drei ersten Entwürfen der „Iphi¬ 
genie auf Tauris“ lautete eine Stelle in dem Dialog zwi¬ 
schen Iph. und Arkas (1. Aufzug, 2. Scene) folgender- 
massen: 

Iph. Seihst gerettet, war 

Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust 
Des Lehens blüht in mir nicht wieder auf. 

Arkas. Wenn Du Dich so unglücklich nennen willst, 

So darf ich Dich auch wohl undankbar nennen. 

Iph. Dank habt Ihr stets. 

Arkas. Doch nicht den schönen Dank, 

Um dessentwillen man die Wohlthat thut, 

Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben 
Und ein geneigtes Herz dem Wirte zeigt. 

Bei der letzten Umgestaltung der Iphigenie 1786 änderte 
Goethe das Wort „schön“ in „rein“, und gewann dadurch, 
statt des früheren ästhetischen, den logischen Ausdruck, 
in Übereinstimmung mit der Prägnanz von „rein“, die da¬ 
mals schon entwickelt war. (Vgl. Bächtolds synoptische 
Ausgabe S. 9.) 

Eingehendere Behandlung verdient der Ausdruck: 
„reiner Egoismus“ 29, 675, der ein scheinbares Oxy¬ 
moron bildet, im Zusammenhang der Goetheschen Ethik 
sich aber zu höherer Einheit verbindet. Er beweist aber¬ 
mals, mit wie einfachen Mitteln Goethe sehr komplexe 
Vorstellungen zu umgrenzen, oder wie er selbst gelegent¬ 
lich sagt: zu „bepfählen“ wusste. Bei der Erklärung der 
Wendung ist in Betracht zu ziehen, dass das Wort „Egois¬ 
mus“ ausser der generellen Bedeutung „Selbstsucht“ auch 
eine positive Geltung = „berechtigte Selbstbehauptung“ 
haben kann. Es ist bekannt, dass Goethe von seinen Geg¬ 
nern mit Vorliebe des Egoismus (im gewöhnlichen Sinne) 
geziehen wurde infolge einer falschen Auffassung seines 



88 


Bestrebens, sich störenden Einflüssen gegenüber inner¬ 
lich nnd äusserlich abzuschliessen und eine reine, indivi¬ 
dualistische Kultur, das „was ihm gemäss war“, in sich 
zu entwickeln. Diese Art der Selbstbehauptung, den posi¬ 
tiven Egoismus, nennt er gelegentlich den „Egoismus der 
Gescheiten“, im .Unterschiede vom „Egoismus des dunk¬ 
len grossen Haufens“ Gespr. 2, 290 f. Was Goethe aber 
unter dem negativen Egoismus verstand, sagt am deut¬ 
lichsten ein Reim aus der Sammlung „Sprichwörtlich“ 2, 
334: 

Ich, Egoist! — Wenn ich's nicht besser wüsste! 

Der Neid, das ist der Egoiste; 

Und was ich auch für Wege geloffen, 

Aufm Neidpfad habt Ihr mich nie betroffen. 

Unter diesem Gesichtspunkt wird eine Äusserung Goethes 
aus den letzten Jahren verständlich. Er spricht über 
sein Lieblingsthema „Weltlitteratur“ und sucht diejenigen 
zu belehren, die eine Förderung der Nachbarn und Teil¬ 
nahme an ihrem Schicksal neben den Pflichten gegen sich 
selbst und den engeren Kreis als eine zu umfangreiche 
Aufgabe fürchten könnten. Auf dies Bedenken giebt er 
die Anwort: „Da bleibt nichts übrig, als sich selbst zu 
sagen: nur der reinste und strengste Egoismus könne uns 
retten; dieser aber muss ein selbstbewusster, wohlge¬ 
fühlter und ruhig ausgesprochener Entschluss sein.“ 29, 
675. Eines ähnlichen Paradoxons bedient sich Goethe, 
um seine Gleichgiltigkeit und streng defensive Haltung 
gegenüber Widersachern zu erklären: er betrachte sie 
nämlich als „günstiges Ingredienz“ zu seiner Existenz und 
suche sich „auch des Widerwärtigen vorteilhaft zu be¬ 
dienen.“ Dieses Mittel möchte er weder „hoch moralisch“, 
noch viel weniger „christlich“ nennen, sondern es sei aus 
einem „verklärten Egoismus“ entsprungen. 27, 333. 



89 


Wie sehr Goethe daran gelegen war, sich selbst und 
anderen über den Begriff des reinen Egoismus Klar¬ 
heit zu verschaffen, beweist die von Riemer berichtete 
Thateache (Gespr. 3, 3), dass er einen Roman „der Egoist“ 
plante. In den Wanderjahren wird der Frage des Egois¬ 
mus eine längere Betrachtung gewidmet, die von der 
socialen Seite ausgeht und die intimsten Ansichten Goethes 
über Eigentum, Kommunismus u. s. w. enthält. Es heisst 
daselbst: „Jeder suche den Besitz, der ihm von der Natur, 
von dem Schicksal gegönnt war, zu würdigen, zu erhalten, 
zu steigern;... immer aber denke er dabei, wie er andere 
daran will teilnehmen lassen... Jede Art von Besitz soll 
der Mensch festhalten, er soll sich zum Mittelpunkt 
machen, von dem das Gemeingut ausgehen kann; er muss 
Egoist sein, um nicht Egoist zu werden, Zusammenhalten, 
damit er spenden könne... Dies ist der Sinn der Worte: 
Besitz und Gemeingut!“ 18, 85. Hier ist im ersten 
Fall der reine, im zweiten der unreine Egoist gemeint; die 
reine Individualkultur und Besitzsteigerung hat zugleich 
das Ganze im Auge, ebenso wie nach der oft ausgesproche¬ 
nen Überzeugung Goethes (22, 84; 26, 33) alles wohl in 
der Stadt und im Hause steht, wenn ein jeder seine nächst- 
liegende Pflicht, „die Forderung des Tages“ (Spr. 3) thut, 
„wenn der Schmied immer sein Hufeisen schmiedet“ (An 
Christiane GJ. XX, 65): 

Ein jeder kehre vor seiner Thür, 

Und rein ist jedes Stadtquartier. 

Ein jeder übe sein’ Lektion, 

So wird es gut im Rathe stöhn! 3, 210. 

Auch den kräftigen Worten an Bertuch: „Mein Losungs¬ 
wort ist Gemeinsinn! der sich, wenn er echt ist, mit 
Weltsinn recht wohl verträgt.“ W. IV, 16, 233, — liegt 
die gleiche Anschauung zu Grunde, denn der „echte Ge- 



90 


meinsinn“ bedeutet für das sociale Leben, was der „reine 
Egoismus“ für die Einzelkultur. 

Wiederholt braucht Goethe das Wort Egoismus in 
dieser Doppeldeutigkeit; so in Spr. 275: „Die Meister¬ 
schaft gilt oft für Egoismus,“ d. h. sie gilt als negativer 
Egoismus, während sie in Wahrheit die höchste Steige¬ 
rung der eigenen Fähigkeiten zum Nutzen des Ganzen be¬ 
deutet und in solchem Streben allerdings alles vernach¬ 
lässigt oder beseitigt, was den Hauptzweck nicht fördert. 
Man begreift Goethes vielumstrittene Stellung zur Politik 
ohne weiteres, wenn man sie an dieser seiner Grundeigen¬ 
schaft des reinen Egoismus misst: „Gemeinsinn“ hat er 
wie wenige bewiesen und seiner vielen Ämter gewissen¬ 
haft gewaltet; „Weltsinn“ und Weltpolitik zu pflegen, so¬ 
weit sie nicht auf dem Gemeinsinn ruhten, lag ihm aber 
fern, weil er fühlte, dass es für ihn eine „falsche Rich¬ 
tung“ gewesen wäre. Eine Förderung seiner Kultur und 
daher seines Wirkens zum Nutzen der Gesamtkultur 
konnte er nur in der Pflege der geistigen Kultur erblicken, 
und wie er gerade in der Zeit des nationalen Unglücks 
von dieser Seite her unermüdlich arbeitete, bezeugen 
zahlreiche Dokumente, die neuerdings ans Tageslicht ge¬ 
zogen sind, in immer steigendem Masse: die Entwürfe 
zu einem historisch-religiösen und einem lyrischen Volks¬ 
buch (G.-J. 11, 214), die Anregung zu einem grossen deut¬ 
schen Wörterbuch (W. IV, 17, 305), der Plan eines Kon¬ 
gresses zur Wahrung deutscher Kultur 1808 (G.-J. 6, 116) 
und die Beteiligung an der Gründung einer deutschen Ge¬ 
sellschaft für Geschichte und Sprache 1816 (G.-J. 9, 34; 
88). Alle diese Pläne waren allerdings nicht der Art, um 
viel Geräusch zu machen, und so konnte es kommen, dass 
Goethe der Indifferenz und des Egoismus im landläufigen 
Sinne geziehen wurde. „Die Narren von Deutschen 
schreien noch immer gegen den Egoismus, und wollte 



91 


Gott, man hätte seit langer Zeit für sich und die Seinigen 
redlich, und dann für die Nächsten und immer wieder 
Nächsten redlich gesorgt, so sähe vielleicht alles anders 
aus.“ An Zelter W. IV, 21, 122 (1809). Auch hier um¬ 
schreibt der zweite Satz die Idee des reinen Egoismus, 
der gegen den beschränkten in Schutz genommen wird. 

Noch in einem der letzten Briefe an Zelter vom 
27. Jan. 1832 beschäftigt sich Goethe mit der gleichen 
Antithese nach der geistigen Seite hin, wie früher in den 
Betrachtungen über Meisterschaft und Egoismus. Er be¬ 
dauert „die jungen Leute", „dass sie in eine verrückte 
Zeit gekommen, wo ein starrzäher Egoismus auf halbem 
oder gar falschem Wege sich verstockt und die reine 
Selbstheit sich auszubilden hindert." Briefw. VI, 385. 
Der Ausdruck „Selbstheit" ist wohl der treffendste von 
allen, weil er die Vorstellung der reinen, sich selbst ge- 
mässen Entwicklung und des Beharrens auf der von innen 
heraus selbstgefundenen Anschauung am klarsten wieder- 
giebt. Wie wunderbar aber wirkt es, dem gleichen Be¬ 
griff schon 60 Jahre früher zu begegnen, in einem der Bei¬ 
träge zu den Physiognomischen Fragmenten Lavaters, 
1776. Es heisst hier in der Beschreibung des Brutus: 
„Über allen Ausdruck ist die reine Selbstigkeit dieses 
Mannes" 34, 184. Selbstverständlich verbindet der frisch 
Aufstrebende nicht die gleiche Fülle und Intensität mit 
dem Begriff, wie der erfahrungssatte, zurückblickende 
Greis, aber das blosse Vorhandensein der oxymorisch zuge¬ 
spitzten Vorstellung zu so früher Zeit beweist eine un¬ 
gewöhnliche Stetigkeit des inneren Wachstums. 


In der Übertragung auf die geistige Anschauung hat 
„rein" die Bedeutung: „objektiv, vorurteilsfrei, unbe¬ 
fangen". Durch alle wissenschaftlichen Arbeiten Goethes 



92 


zieht sich das oberste Postulat einer „reinen Anschau¬ 
ung"; „rein“ ist aber eine Anschauung, die unabhängig ist 
von Tradition und Autorität (Spr. 842; 24,349; 387), die sich 
von übereilten Folgerungen frei hält und nicht mit der 
Folgerung verwechselt wird (Spr. 780), die das Phänomen 
ohne Leidenschaft auf sich wirken lässt (Spr. 784) und 
unmittelbar als ein Erlebtes in die That umsetzt (Spr. 
777). Diese letztere Eigenschaft, die Produktivität des 
reinen Anschauens, entspricht dem, was Goethe allgemein 
als „reine Folge“ bezeichnet, und ist zugleich eine beson¬ 
dere Anwendung eines anderen Fundamentalsatzes, der 
Identität von „wahr“ und „fruchtbar“. „Jedes reine Be¬ 
mühen ist auch ein Lebendiges, Zweck sein selbst, för¬ 
dernd ohne Ziel, nützend, wie man es nicht voraussehen 
konnte.“ 33, 237. Selten genug ist freilich das reine 
Anschauen, und eigentlich ein Vorzug höherer, streben¬ 
der Naturen, deren Blick auf das Werdende gerichtet ist, 
im Gegensatz zu der im Verstände beschränkten Menge. 
„Gewöhnliches Anschauen, richtige Ansicht der irdi¬ 
schen Dinge ist ein Erbteil des allgemeinen Menschen¬ 
verstandes. Reines Anschauen des Äusseren und Inneren 
ist sehr selten.“ Spr. 55. Es ist das gleiche, was in 
Spr. 1048 als „höhere Empirie“ dem „Menschenverstand“ 
gegenübergestellt wird. Sehr scharf ist der Begriff der 
reinen geistigen Thätigkeit umgrenzt in dem Satze: „Die 
Kultur des Wissens durch inneren Trieb um der Sache 
selbst willen, das reine Interesse am Gegenstand sind... 
immer das Vorzüglichste und Nutzbarste.“ 36, 89. „Die 
höchste Region des Bewusstseins“ wird die reine Anschau¬ 
ung anderswo genannt (33, 94), in der zu wandeln nur den 
Wenigsten beschieden sei, so dass man sich zu begnügen 
habe mit „liebevollem Annähern an das Unerreichbare“, 
„in geduldiger Hoffnung eines wahrhaft reinen, harmo¬ 
nischen Anschauens“ (ebenda). Eine andere bündige For- 



93 


mulierung enthält Spr. 144: „In Kunst und Wissenschaft, 
sowie im Thun und Handeln kommt alles darauf an, dass 
die Objekte rein aufgefasst und ihrer Natur gemäss be¬ 
handelt werden.“ Die stehende Wendung, in der sich 
diese Bedeutungsschattierung von rein (= objektiv) kon¬ 
solidiert hat, ist „reiner Begriff“ (schon 1780: An 
Merck W. IV, 4, 311); seltener ist „eine reine Ansicht“ 
(z. B. 29, 363). Von interessanten Einzelfällen seien er¬ 
wähnt: ein Urteil über Shakespeares allerdings zweifel¬ 
hafte Jugendarbeit „Arden von Feversham“: „Es ist der 
ganze, rein-treue Emst des Auffassens und Wiedergebens, 
ohne Spur von Rücksicht auf den Effekt“ Spr. 317. In 
einem Briefe an den französischen Bildhauer David rühmt 
Goethe „den rein-lebendigen Blick in die Natur“ an der 
Plastik. Str. Br. I, 141. Sehr prägnant ist das Wort in 
dem Satze: „Die poetisch-figürliche ... Bergmannssprache 
thut dem reinen Ausdruck sehr vielen Eintrag.“ 27. Dez. 
1780. W. IV, 5, 25. Was Goethe hier mit Bezug auf eine 
einzelne Berufssprache sagt, ist eine häufig wiederkeh¬ 
rende Klage über die Unzulänglichkeit der sprachlichen 
Mittel, um Begriff und Anschauung „rein“, wie in einem 
getreuen Spiegel, wiederzugeben. Es ist im Grunde das 
Problem von „Wort und Bedeutung“, zu dem Goethe, wie 
später im Theoret. Teil zu behandeln ist, wiederholt 
Stellung genommen hat. Ein anderer besonderer Fall die¬ 
ser Anschauung dass das ausgesprochene Wort nur ein 
Surrogat sei, ist eine Eigenart in Goethes Dichtungsweise, 
die vielleicht dadurch ihre beste Erklärung findet: sein 
rätselhaftes Zaudern, gewisse poetische Stoffe durch die 
Umsetzung in Worte der Öffentlichkeit preiszugeben. Es 
ist bekannt» wie lange er gewisse poetische Motive und 
Ideen in sich herumtrug, ehe sie ihre endgültige Gestal¬ 
tung erhielten. Den Grund giebt er selbst in der Erklä¬ 
rung: „mir schien der schönste Besitz, solche werte Bil- 



94 


der oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie 
sich denn zwar immer umgestalteten, doch ohne sich zu 
verändern, einer reineren Form, einer entschiedeneren Dar¬ 
stellung entgegenreiften.“ 27, 352. Die „reine Form“ 
ist eine solche, die den Gehalt ohne Rest in sich auflöst 
und mit sich organisch verschmilzt; das Vergängliche des 
Stoffes scheidet während des Reifungsprozesses ab, und 
die bleibende höhere Wahrheit, das Typische, wird end¬ 
lich in das „Sinnlich-Höchste“ (27, 321) eingesenkt und 
darin verkörpert. Am längsten bewahrte Goethe, wie es 
scheint, die Paria-Legende in diesem still keimenden Zu¬ 
stande einer geheimnisvollen Metamorphose; er schreibt 
darüber, nachdem er das Gedicht der Öffentlichkeit über¬ 
geben hatte, an Reinhard, 5. Juli 1824: „ich bewahre 
diese höchst bedeutende Fabel als einen stillen Schatz 
vielleicht vierzig Jahre und könnte mich jetzt erst ent- 
schliessen, ihn von meinem Innern durch Worte loszu¬ 
lösen, wo er mir die eigentliche reine Gestaltung zu ver¬ 
lieren scheint.“ S. 245 f. 


Am nächsten der generellen Bedeutung kommt „rein“ 
bei Goethe, wenn es zu Charakterschilderungen und zur 
Bezeichnung sittlicher Zustände verwendet wird. Es ent¬ 
spricht dann dem Begriff „harmonisch“, „leidenschafts¬ 
los“. Die letztere Definition ist besonders wichtig, weil 
sie die Stellung und Bedeutung des Wortes innerhalb der 
Ethik Goethes auf deckt: der Begriff „rein“ bei Goethe 
deckt sich nach dieser Seite genau mit dem Zustand, den 
Spinoza als „frei von Schwankungen, von Affekten der 
Freude oder der Trauer“ bezeichnet, und der in seiner 
Lehre als Eigenschaft Gottes (Ethik V. L. 17) und als Vor¬ 
bedingung der Erkenntnis Gottes, der Erkenntnis dritten 
Grades, gilt. (V. L. 27 u. 32.) Ganz spinozistisch klingt es, 



95 


wenn Goethe an Frau von Stein schreibt: „Ich bin meinem 
unendlich reinen Mittelzustand ohne Freud’ und 
Schmerz..." I, 53, — ein Anklang, der natürlich nicht 
auf direkter Beeinflussung, sondern Congenialität beider 
Geister beruht. Von der gleichen Anschauung zeugt auch 
ein Ausspruch über „das erste Hingeben einer jugend¬ 
lichen Freundschaft": „es ist ganz rein, von keiner Be¬ 
gierde, deren Befriedigung einen Rückschritt befürchten 
lässt, gesteigert..." 27, 337. Vergleicht man ferner 
Spinozas Definition des Begriffes „Zweck" (= „das 
menschliche Begehren, aufgefasst als Prinzip oder erste 
Ursache eines Gegenstandes," Ethik IV, Vorrede) mit 
Goethes Verwendung von „rein", im Sinne von „um der 
Sache selbst willen, ohne Nebenabsicht," so tritt auch 
hier die nahe Verwandtschaft des Prinzips der „Reine" mit 
einer Grundlehre Spinozas zu Tage. Goethes Haus „gegen 
die absurden Endursachen", in dem ihn Spinoza „geglau- 
biget hatte" (An Zelter V, 381), ist nur die negative Er¬ 
gänzung seiner sittlichen und geistigen Lebensnorm der 
„reinen Thätigkeit". 

Die häufigste stereotype Wendung ist: „reines Ver¬ 
hältnis", um die Idee des harmonischen Einvernehmens 
und Zusammenwirkens wiederzugeben, ohne dass ein 
Freundschaftsverhältnis vorzuliegen braucht. Dies er- 
giebt sich aus der Anwendung des Idioms in Briefen 
an Fernerstehende, z. B. an die Herzogin von Cumber- 
land: „Ew. K. H. verehrtes Schreiben hat mich in 
meinem uralten Glauben bestärkt, dass rein und glück¬ 
lich gefasste Verhältnisse unauslöschlich fortleben." 
Str. Br. I, 134. Als ein Beweis, wie typisch bei 
Goethe oft ganze Vorstellungskreise sind, möge der 
Anfang eines Briefes zitiert werden, der 11 Jahre früher 
geschrieben ist (1816), an Amalie Gildemeister: „Bei der 
Veränderlichkeit irdischer Dinge kann uns nichts erfreu- 



96 


licher sein, als zu erleben, dass frühere, auf reine Verhält¬ 
nisse gegründete Empfindungen die grösste Dauer haben.“ 
Str. Br. I, 209. Es ist keine Phrase, wenn Goethe im ersten 
Briefe die Anschauung von der Dauer „reiner Verhält¬ 
nisse“ als einen „uralten Glauben“ bezeichnet, denn er 
schreibt bereits am 25. März 1776 an Frau von Stein aus 
Leipzig, das er nach 8 Jahren zum erstenmal wiedersah: 
„Nur das ist geblieben, was die reinsten Verhältnisse zu 
mir hatte damals.“ I, 28. Bald darauf, 24. Mai 1776, 
nennt er das Verhältnis zu ihr selbst: „das reinste, schön¬ 
ste, wahrste, das ich ausser meiner Schwester je zu einem 
Weibe gehabt.“ I, 36. Sein Leben lang bewahrte Goethe 
„reine Verhältnisse“ unverbrüchlich; andererseits sind die 
vielen Fälle, in denen er gewisse ältere Beziehungen fallen 
liess, oder die Anknüpfung neuer ablehnte, daraus zu er¬ 
klären, dass er kein reines, harmonisches Zusammenwir¬ 
ken und daher keine thätige Förderung zu erwarten 
glaubte. „Unreine Lebensverhältnisse soll man niemand 
wünschen“, heisst es Spr. 187; so löste Goethe sein Ver¬ 
hältnis zu Lavater und innerlich mit Jacobi, als er unrei¬ 
nen Missbrauch einer rein geschlossenen Freundschaft 
wahrzunehmen glaubte. Weit eher als mit solchen Gei¬ 
stern, die halb für, halb gegen ihn standen, versöhnte er 
sich mit streng Andersgläubigen, wie dem Kreise der Für¬ 
stin Gallitzin. Er erzählt über seinen Besuch in Münster 
nach der Campagne 1792: „Das Verhältnis von meiner 
Seite war rein; ich kannte die Glieder des Zirkels früher 
genugsam, ich wusste, dass ich in einen frommen, sitt¬ 
lichen Kreis hineintrat und betrug mich darnach.“ Camp. 
Fr. 25, 152. Das Wort „rein“ ist hier ausserordentlich 
vorstellungsreich, und besagt etwa: „ohne Nebenabsich¬ 
ten etwaiger Bekehrung, ohne mehr zu erwarten, als was 
sich bei der einmal vorhandenen religiösen Abweichung 
darbot.“ 



97 


Eine andere typische Wendung ist: „reiner Zu¬ 
stand“, z. B. Ann. 130, bei einer ablehnenden Äusserung 
über Lichtenbergs Hogarth: „wie hätte der Deutsche, in 
dessen einfachem, reinen Zustande sehr selten solche ex¬ 
centrische Fratzen Vorkommen, hieran sich wahrhaft ver¬ 
gnügen können?“ Dazu ist zu vergleichen eine Wendung 
aus den Wanderjahren: „Der deutsche Mittelstand in sei¬ 
nen reinen Häuslichkeiten,“ 18, 100, — zugleich als aber¬ 
maliger Beweis, wie oft ganze Vorstellungsreihen bei 
Goethe typisch werden. Am schönsten tritt diese Präg¬ 
nanz von „rein“ an einer Stelle der Wahlverwandtschaften 
hervor; es ist von einer Darstellung mittelalterlicher Ge¬ 
stalten die Rede, die alle den Eindruck eines in sich abge¬ 
schlossenen, harmonischen Zustandes machen: „aus allen 
Gestalten blickte nur das reinste Dasein hervor.“ Die¬ 
ses reine Dasein wird dann ganz nach dem Ideal der „hei¬ 
teren Entsagung“ in den Wanderjahren definiert als „hei¬ 
tere Sammlung, willige Anerkennung eines Ehrwürdigen 
über uns, stille Hingebung in Liebe und Erwartung...“ 
Auch in der Vollständigkeit und Reinheit der Typen liegt 
das „reine Dasein“ ausgesprochen: „Der Greis mit dem 
kahlen Scheitel, der reichlockige Knabe, der muntere 
Jüngling, der ernste Mann, der verklärte Heilige, der 
schwebende Engel, alle schienen selig in einem unschul¬ 
digen Genügen...“ 15, 138. 

Eigentümlich berührt die Verwendung von „rein¬ 
lich“ im höchsten Sinne von „rein“, wie F. H, 11987: 
„Doktor Marianus in der höchsten, reinlichsten Zelle.“ 
Die fremdartige Wirkung erklärt sich daraus, dass „rein¬ 
lich“ heute nur im gröberen, materiellen Sinne verwendet 
wird, während es hier bedeutet: „in einer von allen irdi¬ 
schen Schlacken geläuterten Sphäre.“ Ähnlich erscheint 
an Stelle der oben erläuterten stehenden Wendung: „rei¬ 
nes Mittel“ vereinzelt die Verbindung: „reinliche ... Mit- 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 7 



98 


tel" 24, 264. Allgemein lässt sich wahrnehmen, dass 
Goethe die Prägnanz von Stammworten auf Ableitungen 
ausdehnt, wie z. B. erheitern (s. o. S. 49); die Prägnanz 
von rein hat auch „reinigen": „der Begriff der Baukunst 
reinigte sich" Ann. 862; „die Alten gelangten nicht dazu, 
ihre Erfahrungen zu reinigen" 36, 80; besonders häufig in 
der Ital. Reise (s. u.). 

Wo „rein" zur Charakteristik von Personen verwendet 
wird, fällt vor allem die isolierte Stellung auf. Man 
würde sich heute kaum mit der einfachen attributiven 
Verwendung begnügen, wie „der reine Mann", sondern 
eine Umschreibung wählen wie etwa „von reiner Gesin¬ 
nung". Es ist aber charakteristisch, dass Goethe solche 
Umschreibungen verschmäht, in dem sicheren Gefühl, dass 
die kernhafte Wucht des Wortes dadurch geschwächt, die 
Plastik des Ausdrucks verwischt werde. Über die Wich¬ 
tigkeit der Charakterbeiworte in Goethes Sprache ist 
schon mehrfach gesprochen; als „rein" mit auffälliger 
Prägnanz werden folgende Persönlichkeiten bezeichnet: 
Klopstock 21, 170; Fürstin Gallitzin Ann. 110; Moliere 
Gespr. 5, 267; Bacon 29, 297; Bätsch Ann. 162; Eckermann 
(An M. Willemer S. 289). 

Die Prägnanz von „rein" ist zeitlich auf keine 
Periode beschränkt und erscheint im Altersstil nur auf 
natürliche Weise gesteigert. Man kann jedoch zwei Epo¬ 
chen in Goethes Leben als solche bezeichnen, die von' dem 
Begriff selbst vorwiegend beherrscht sind, in denen ihm 
dies Wort inneres Erlebnis wurde: in sittlicher Hinsicht 
die Weimarer Dekade und das Verhältnis zu Frau von 
Stein, in geistiger Hinsicht der Aufenthalt in Italien. Die 
erstere Epoche ist für Goethe gewissermassen die Blüte¬ 
zeit des Prinzips der „Reine", das sich seitdem still zur 
Frucht entfaltete und Thun und Denken des Mannes und 
Greises als ethisches Ideal beherrscht. Am schönsten ist 



dies Erleben ausgesprochen in der oft zitierten Stelle 
aus der Beschreibung des Sesenheimer Wiedersehens 1779: 
„Da ich jetzt sorein und still bin, wie die Luft, so ist mir 
' der Atem guter und stiller Menschen sehr willkommen.“ 
An Frau v. Stein I, 186. Die Epoche der italienischen 
Reise ist dagegen vorwiegend eine Zeit der geistigen 
Klärung, des Heranreifens künstlerischer Ideale; mit wie 
klarem Bewusstsein Goethe selbst den Gährungsprozess 
an sich beobachtete, beweist der Gebrauch des Iterativs 
„sich reinigen“, der hier auffallend häufig ist: „Mein 
! Geist reinigt und bestimmt sich“ 24, 349; „wenn man ... 

die Natur ansehen und wiederfinden ... kann, was Jene 
| (die grossen Meister) gefunden ... haben, das muss die 
Seele erweitern, reinigen ....“ 24, 349; „ich fühle, dass 
1 sich mein Geschmack reinigt...“ 24, 400; „ich bin recht 
still und rein“ 24, 472. 


In dem zuletzt citierten Satze begegnet die wich¬ 
tigste Ergänzung des Begriffes „rein“: das Wort „still“. 
Hinsichtlich der Anwendung bei Goethe kann auf Rieh. 
Meyers Analyse a. a. 0. S. 32 verwiesen werden, die so 
) durchsichtig ist, dass ein weiteres Aufhäufen von Beispie- 
, len überflüssig wäre. Nicht die äussere Ruhe, sondern 
„die innere Bewegungslosigkeit der Seele“ ist darunter 
gemeint, und zu der Vorstellung des inneren Friedens tritt 
ferner der Begriff der Empfänglichkeit, der geheimnis¬ 
vollen Dämmerung der dichterischen Konzeption. Letztere 
Schattierung hat jedenfalls R. Meyer veranlasst, den Be¬ 
griff „rein“ nur flüchtig zu streifen und bei „still“ ein¬ 
gehend zu verweilen, da sein Aufsatz zum grossen Teil 
unter dem Gesichtspunkt der dichterischen Technik Goe¬ 
thes und der daraus entspringenden Terminologie verfasst 
ist. Allgemein betrachtet dürfte „rein“ innerhalb der ethi¬ 
schen Kategorie entschieden den Centralbegriff und „still“ 



100 


etwa eine Unterströmung darstellen. Wie sich Goethe das 
Verhältnis beider Worte zn einander dachte, zeigt z. B. 
eine Stelle in DW.: „er (der Verfasser Werthers) war aus 
der Stille, der Dämmerung, der Dunkelheit* welche ganz 
allein die reinen Produktionen begünstigen kann, in den 
Lärmen des Tageslichts hervorgezogen“ 22, 138. Das 
grössere Bedeutungsfeld von „rein“ geht vor allem daraus 
hervor, dass „still“ nicht entfernt so häufig begegnet, sei 
es in stehenden Verbindungen oder in Übertragungen; 
auch zur Charakteristik von Personen wird es seltener ge¬ 
braucht und entbehrt ganz der aktiven Qualität; die „rein“ 
enthalten kann. 

Dem gleichen Vorstellungskreis gehören zwei andere 
Worte an, die ebenfalls bei Goethe prägnant erscheinen: 
„fromm“ und „zart“. Hinsichtlich des ersteren Wortes 
macht Goethe einen Unterschied zwischen rein kirchlicher 
und rein sittlicher Frömmigkeit, oder nach der unüber¬ 
trefflichen Fassung Spr. 41: zwischen Frömmigkeit als 
Zweck und als Mittel. Die Frömmigkeit „als Zweck und 
Ziel“ (Spr. 42) hat Goethe zeitlebens abgelehnt; er spricht 
von ihr an anderer Stelle als „eine täglich und stündlich 
durchgeführte Frömmigkeit“, die „wie eine Art von Poli¬ 
zei auf den äusseren Anstand wirke, aber nicht mehr auf 
den tiefen Sinn.“ Wanderj. 18, 386. Nach Goethes indi¬ 
vidueller Auffassung dagegen geht Frömmigkeit aus der 
Reinheit des Herzens hervor, aus dem Streben, „sich das 1 
Höchste zu vergegenwärtigen,“ oder wie es in der Elegie I 
von 1823 heisst: j 

„Sich einem Höhern, Reinem, Unbekannten 

Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, j 

Enträtselnd sich den ewig Ungenannten...“ 

Die „fromme“ Stimmung, aus der heraus diese Elegie ge¬ 
schrieben wurde, lagert über dem ganzen denkwürdigen | 



101 


Sommer 1823, der letzten Verjüngungsepoche; sie klingt 
aus allem entgegen, was damals entstand, selbst aus Re- 
censionen, wie z. B. der über Johanna Schopenhauers 
Roman „Gabriele“. Die Gelehrten Martius und Nees von 
Esenbeck hatten Goethe zu Ehren eine neue brasilische 
Pflanzengattung „Goethea“ genannt; eine Schrift über 
diesen Gegenstand mit kolorierten Tafeln war ihm nach 
Böhmen nachgesandt worden, und über die Lektüre spricht 
sich Goethe aus: „Möchtf ich mich fromm und kurz fassen,* 
so müsst’ ich sagen: es kam augenblicklich der Friede 
Gottes über mich, der, mich mit mir selbst und der Welt 
ins Gleiche zu setzen, sanft und kräftig genug war.“ 
Naturw. Korresp. II, 58. Die Stelle wird hier angeführt, 
um den vielumfassenden Begriff des Wortes „Frömmig¬ 
keit“ bei Goethe zu illustrieren, und die Verschiedenheit 
von der eng-generellen Bedeutung. Aus dem gleichen Ge¬ 
sichtspunkt erklären sich Anwendungen wie z. B. in Spr. 
914: „Physik muss ... mit allen liebenden, verehrenden, 
frommen Kräften in die Natur und das heilige Leben der¬ 
selben einzudringen suchen...“; der Chemiker Rob. Boyle 
wird 36, 201 als „zartes, frommes Gemüt“ charakterisiert. 
Interessant ist die Art, wie Goethe sich der Fürstin 
Gallitzin gegenüber rechtfertigt, als diese mit der Gret¬ 
chenfrage an ihn heran tritt: „Nun sag’, wie hast Du’s mit 
der Religion.“ Man hatte ihn bei der Fürstin verdäch¬ 
tigt als einen, der sich so fromm zu stellen wisse, dass 
man ihn für religiös halten könne. Hier weiss Goethe mit 
einer geschickten Wendung den Unterschied zwischen der 
landläufigen und höheren individuellen Auffassung des Be¬ 
griffes „fromm“ aufzudecken, indem er erwidert: „ich 
stelle mich nicht fromm, ich bin es am rechten Orte; mir 
fällt nicht schwer, mit einem klaren, unschuldigen Blick 
alle Zustände zu beachten, und sie wieder auch ebenso 
rein darzustellen.“ 25, 160. Man sieht hier die nahe Ver- 



102 


wandtschaft von „fromm" und „rein“ im Sinne von: „ohne 
Nebenzwecke, harmonisch“, und da Goethe gewissennassen 
in der ganzen Natur immerwährend Kirche und Gottes¬ 
dienst empfand, so musste er natürlicherweise auf die 
Substitution „naturfromm“ für „kirchlich fromm“ gelei¬ 
tet werden. Einen solchen „wahren Naturfrommen“ 
erblickt er in Shakespeare, und rühmt an ihm die gleiche 
Fähigkeit, die er der Fürstin Gallitzin gegenüber sich 
selbst zuschreibt; „ihm blieb die Freiheit, sein reines 
Innere ohne Bezug auf irgend eine bestimmte Religion 
religiös zu entwickeln.“ 28, 736. 

Natürlich kommt „fromm“ auch im generellen Sinne 
vor, aber gerade deshalb bedarf es oft einer sorgfältigen 
Feststellung der Bedeutung. Wenn in dem Divangedichte 
„Offenbar Geheimnis“ Hafis angeredet wird mit den 
Worten: 

Der du, ohne fromm zu sein, selig bist, 
so kann hier nur „kirchlich fromm“ gemeint sein (vgl. auch 
Loepers Note 4, 38); anders in einem Aphorismus, den Rie¬ 
mer überliefert, Gespr. 2, 188: „Vernunftkultur hätten 
am Ende einzig die Frommen; bei den anderen (Jacobi etc.) 
gewinnt zuletzt der Verstand doch die Ueberhand, dass 
man das höchste zu irdischen Zwecken benutzt.“ Man 
könnte hier geradezu „die Naturfrommen“ einsetzen, denn 
es ist die Spinozistische Erkenntnis dritten Grades ge¬ 
meint, im Gegensatz zu dem „unreinen Enthusiasmus“ der 
sich nicht scheut, „das Obere dem Untern aufzuopfern“, 
wie es in einer ähnlichen Betrachtung über Lavater und 
Basedow heisst, DW. 22, 171. 

Die in Goethes Schriften nicht seltenen Bezeichnun¬ 
gen: „die sogenannten Frommen“ (20, 72), „die abgeson¬ 
derten Frommen“ (20, 134), „die frommen Seelen“ 22, 156 
u. ahnl., weisen auf den Pietismus als Sekte und beruhen 
auf generellem Gebrauch des 18. Jahrhunderts. 



103 


Sehr reich an Nuancen ist das Wort „zart“ bei Goethe. 
Auch hier ist es zunächst die Übertragung auf Abstrakta, 
die eigenartig wirkt, wie z. B. „zarte Sittlichkeit“ 22, 
114; 115; „Nichts ist zarter als die Vergangenheit“ ZX. 2, 
363; Lavater, „mit den zartesten sittlichen Anlagen gebo¬ 
ren“ 22, 152. Noch individueller wirkt die Übertragung 
auf geistige Verhältnisse, wo „zart“ oft die Bedeutung 
von „feinsinnig, feinfühlend“ erhält. So erklären sich 
Wendungen wie: „zarte Empirie“ Spr. 906; „scharfsin¬ 
nige Zartheit“ 25, 154; „die zarte Bedeutsamkeit des Ori¬ 
ginals“ 22, 93 (hier etwa — intim); die Epoche von 1790 
bis 1810 wird u. a. genannt „zart“ 29, 261. Auch als Cha¬ 
rakterbezeichnung wird „zart“ oft prägnant verwendet 
z. B. Götter, „sein Sinn war zart, klar und heiter“ 22, 82; 
Schelver „ein zugleich höchst zartes und tiefsinniges We¬ 
sen“ Ann. 374; Bätsch „zarte Bestimmtheit“ 33, 64. 


Es wäre nicht statthaft, an dieser Stelle ein Wort zu 
übergehen, das bei Goethe eigentlich keine individuelle 
Bedeutung entfaltet hat, das aber zu den schönsten Be¬ 
sitztümern der deutschen Sprache zählt, und seine Ver¬ 
tiefung nicht zum wenigsten der getreuen Pflege dieses 
Sprachgewaltigen verdankt: das Wort „Gemüt“. Man 
dürfte von dem Dichter des Werther ohne weiteres an¬ 
nehmen, dass die Geschichte dieses Wortes mit seiner 
eigenen sprachlichen Entwickelung eng verflochten ist. 
Inwiefern diese Annahme zu Rechte besteht, hat R. Hilde¬ 
brand in seinem Artikel über das Wort „Gemüt“ im DWb. 
(IV. 1. 2. 3293—3327) höchst lehrreich dargethan; der 
ganze Bedeutungsreichtum des Wortes spiegelt sich in 
Goethes Werken so lückenlos wieder, dass man fast die 
nhd. Geschichte desselben daraus rekonstruieren könnte. 
Er kennt es sowohl in der älteren nhd. Bedeutung als Ge- 



104 


samtheit der seelischen und geistigen Kräfte (z. B. Spr. 
228: „die Gesinnungen sind das lebendige Gemüt") wie in 
der Verengerung auf das Gefühlsleben, die das Wort der 
Bewegung des Pietismus und seines Dranges nach Ver¬ 
innerlichung verdankt, wie auch in der jüngsten und eng¬ 
sten subjektivistischen Wandlung seitens der Romantik: 
als „weiche, empfindsame Stimmung“. Das zweite Sta¬ 
dium der Verengerung repräsentiert indessen die eigent¬ 
liche Normalbedeutung, während er das dritte zur Notiz 
nimmt, aber den Gebrauch eher ablehnt. Diese Stellung 
hängt zusammen mit seiner wiederholt erörterten Abnei¬ 
gung gegen gewisse „Regionen“ der Romantik, in denen 
er die falschen Tendenzen der Frömmelei und Altertümelei 
witterte. So beklagt er sich in dem Artikel „Letzte 
Kunstausstellung“ 1805 über die Missachtung der ernsten 
Bestrebungen der „Weimarischen Kunstfreunde“ und 
über das Eindringen einer Kunst» die „durch Frömmelei ihr 
unverantwortliches Rückstreben beschönigt.“ ... „Gemüt 
wird über Geist gesetzt, Naturell über Kunst. ... Gemüt 
hat jedermann, Naturell mehrere; der Geist ist selten 
die Kunst ist schwer.“ 27, 321. Aber nicht einmal hier 
braucht man „Gemüt“ mit Hildebrand im Sinne der roman¬ 
tischen Doktrin zu interpretieren, da Goethe schon gegen 
die Beherrschung der Kunst durch das Gemüt im weiteren 
Sinne (= Empfindungsleben), überhaupt gegen alle „stoff¬ 
artigen Wirkungen“ eingenommen war. Auch die Defini¬ 
tion, die er noch Jahrzehnte später (1827) für Gemüt 
giebt: „das innere Gefühl, worin alle gutartigen Menschen 
Übereinkommen“ 29, 629, beweist, dass er mit dem Wort 
nicht die Vorstellung eines gesteigerten, sondern nur des 
Empfindungslebens an sich, verband. Mit dieser Bedeu¬ 
tung wird man in allen Fällen auskommen, um so mehr, 
als jede elegische, weichliche Stimmung, also Gemüt im 
romantischen Sinne, ihm verhasst war. 



105 


Ganz ähnlich wie gegen das Substantiv verhält sich 
Goethes Sprache gegenüber dem Adjektiv „gemütlich“, 
indem ihm auch hier die moderne jüngste Stufe fremd ist, 
d. h. gemütlich im Sinne von „bequem, behaglich“ oder 
gar „spiessbürgerlich“. Es ist übrigens bemerkenswert, 
dass sich das Adjektiv in seiner Bedeutung nicht wie das 
Substantiv verengert und vertieft, sondern erweitert und 
verflacht hat, so dass wir heute zu einem anderen Suffix: 
-voll, greifen müssen, um das Goethesche „gemütlich“ 
richtig wiederzugeben. Denn es hat bei ihm die Normal¬ 
bedeutung: „auf das Empfindungsleben bezüglich“, „ge¬ 
mütvoll“, wobei das zweite Stadium in der Entwicklung 
des Substantivs „Gemüt“ die Färbung des Grundwortes 
giebt. Die Abweichung vom modernen Gebrauch springt 
beim Adjektiv weit mehr in die Augen und möge durch 
folgende Fälle illustriert werden: Gleims Poesie gewährt 
„den Ausdruck eines gemütlichen Menschenverstandes“ 
Ann. 540; „meine ersten Produktionen sind ... gewalt¬ 
same Ausbrüche eines gemütlichen Talents“ 29, 184; „auf 
jenen gemütlichen Anfängen (des Urchristentums) lastet 
ein ... barockes Heidentum“ 24, 112; (Eine Reihe bürger¬ 
licher Dramen) „brachten den Wert des mittleren, ja des 
unteren Standes zu einer gemütlichen Anschauung“ DW. 
22, 114; (Eine Medaille) „von unschätzbar gemütlicher 
Arbeit“ An Boiss. H, 533; „ein Brunnenfest, welches durch 
einen Kinderaufzug recht gemütlich wurde“ Ann. 907 (hier 
wäre man besonders versucht, die moderne Bedeutung 
= behaglich, einzusetzen, die jedoch abzuweisen ist). 
Übrigens ist auch „gemütvoll“ belegt: „gemütvolle Ta¬ 
lente“ 29, 246. Nach Hildebrands Vermutung ist gemüt¬ 
lich = gemütvoll „eigentlich von Goethe in die Schrift¬ 
sprache eingeführt, etwa nach 1790“. „Er wird es aus 
dem Hausdeutsch seiner Umgebung aufgenommen haben.“ 
(DWb. IV, 1. 2. 3332.) Dann wäre das Wort eines der 



106 


wenigen, deren Bedeutungswandel sich auf eine bestimmte 
individuelle Quelle zurückführen lassen. 

Abzutrennen ist eine Verwendung mit dem Dativ der 
Person, = willkommen, lieb, angenehm, die sich auf die 
mhd., altnhd. Bedeutung des Substantivs = Lust, Nei¬ 
gung, stützt und bei Goethe noch zahlreich zu belegen ist: 
„ich hoffe, dass einiges dir gemütlich sein solle“ An Zel¬ 
ter HI, 73; „ein Heft, aus dem sie sich, was ihr gemütlich 
war, ausgeschrieben.“ 15, 152. „An der ihm gemüt¬ 
lichen Stelle.“ Ann. 546. 

Wenn Goethe die jüngste Bedeutungsphase von „ge¬ 
mütlich“ nicht geläufig ist, so ist dies nicht in dem Man¬ 
gel der Vorstellung begründet, denn alles, was wir uns 
heute unter „gemütlich“ im Sinne einer bequemen Ge¬ 
selligkeit und eines traulichen Daseins vorstellen, drückt 
Goethe durch das Wort „behaglich“ aus. Die ungemeine 
Wichtigkeit dieses Begriffes für das Verständnis von Goe¬ 
thes eigener Persönlichkeit und seiner Auffassung mensch¬ 
licher Zustände hat bereits Aug. Lehmann, Goethes 
Sprache und ihr Geist, S. 292 ff., erschöpfend behandelt. 
Es sei erinnert an solche typische Verbindungen wie: „be¬ 
hagliche Beschränkung“, „häusliche Ruhe und Behaglich¬ 
keit“, „heiteres Behagen“, „behaglicher Zustand“, „bür¬ 
gerliches Behagen“ (die ganze Reihe 29, 233), u. a. Es 
ist kein Zufall, dass Goethe bei Schilderung der Friedens¬ 
epoche nach 1763 die Ausdrücke „Behagen“ und „behag¬ 
lich“ in kurzen Abständen fünfmal nacheinander braucht 
(DW. 23, 41 ff.). Auffällig sind Wendungen wie: „Mein 
Landvogt (Gessler) war einer von den behaglichen Tyran¬ 
nen“ Ann. 440; „mutwilliges Behagen“ 15, 82; generisch 
steht „der Behagliche“ und „der starre Behagliche“ 15, 
125, eine Zusammendrängung aus: „derjenige, der mit 
Starrsinn nur einen behaglichen Zustand als Massstab an¬ 
erkennt.“ 



107 


Die vorliegende Gruppe umfasst vorzugsweise Zu¬ 
standsbegriffe, und so möge hier eine Reihe von Worten 
angeschlossen werden, die sich um den Begriff-„Zu st and“ 
selbst gruppieren und wichtig sind als typische Ausdrücke 
einer bestimmten Art von Indifferenz in Goethes Denk¬ 
weise. Schon der frühreife Knabe und Jüngling übersah 
intuitiv die Höhen und Tiefen der menschlichen Gesell¬ 
schaft, und die Briefe aus Leipzig zeigen stellenweise einen 
fast greisenhaften Skeptizismus, der zwar halb komisch 
wirkt, aber doch als frühes Symptom des mephistophe¬ 
lischen Ingredienz von Interesse ist. Goethe hat selbst 
später wiederholt geäussert, dass ihm eigentlich von jeher 
alles so selbstverständlich vorgekommen sei, als hätte 
er es in vergangenen Zeiten schon einmal durchlebt. Dass 
in diesem Ekel vor dem ewigen Einerlei des Lebens eine 
der Hauptursachen der Wertherkrankheit, der schwer¬ 
sten Krisis seiner inneren Entwicklung, lag, bedarf kei¬ 
ner weiteren Ausführung. Aus jener Krisis, wie anderen 
späteren, stellte er sich zum Gleichgewichte her durch 
das Lösen des auf ihm lastenden Stoffes in der Form und 
sinnlichen Gestaltung: der Gewinn aber war das Vermö¬ 
gen, in der beständigen Wiederkehr der Lebensbilder das 
Bleibende, Typische um so sicherer zu erkennen. Wie 
sich dieses Vermögen in immer steigernder Entfaltung 
auch in der Sprache äusserte, ist später zu behandeln; 
hier soll durch das Vorstehende nur der häufige Gebrauch 
solcher Ausdrücke, wie: Zustand, Wesen, Läufte, Wirt¬ 
schaft, Region, Treiben, erläutert werden. Es sind be¬ 
queme Füllworte, um halb im Überdruss, halb im Verlan¬ 
gen nach typischer Festlegung das leidige Einerlei ewig 
wiederkehrender Verhältnisse summarisch abzuthun. 
Schon R. Meyer hat a. a. 0. S. 37 eine Fülle von Belegen 
angeführt» um die Beliebtheit von „Wesen“, besonders 
in Zusammensetzungen, zu illustrieren; vgl. „Bibliotheks- 



108 


wesen", „das Farbenwesen" „Schriftsteller- und Recen- 
sentenwesen“, „Litterarwesen“, „das ganze musikalische 
Wesen" u. a. Auch das Wort „Zustand“ ist an der glei¬ 
chen Stelle besprochen; hinzugefügt sei noch folgende 
merkwürdige Stelle aus einem Briefe an Niebuhr 1812: 
(Goethe spricht über die typische Entwicklung von der 
Aristokratie zur Monarchie und fährt fort): „Alle drei Zu¬ 
stände (Zustand ist ein albernes Wort, weil nichts steht 
und alles beweglich ist), alle drei Verhältnisse leiden eben 
an dem Beweglichen...“ Str. Br. II, 18. Dass Goethe 
hier eins seiner Lieblingsworte selbst verdammt, könnte 
auffällig erscheinen; aber er stellt wohl gelegentlich 
solche theoretischen Betrachtungen an, ohne sie in die 
Praxis zu übertragen (vgl. über „Komposition“ 34, 170; 
Gespr. 8, 98; über „erinnern" Gespr. 4, 311; im allgemei¬ 
nen unten S. 279 ff.). Man hat darin vielmehr Ausdrücke 
eines augenblicklichen Ärgers über das ungefüge Mate¬ 
rial der deutschen Sprache zu erblicken, den „schlechte¬ 
sten Stoff", wie sie in dem bekannten Venetian. Epi¬ 
gramm in vorübergehendem Zorn genannt wird. So hielt 
Goethe auch an dem Wort „Zustand“ weiterhin fest, und 
zwar entwickelte sich das Wort zu der Prägnanz: „blei¬ 
bendes Verhältnis", wie z. B. aus folgender Stelle in 
einem Briefe an Carlyle (25. Juni 1829) hervorgeht: „Die 
poetische Gabe ist mit der Gabe, das Leben einzuleiten 
und irgend einen Zustand zu bestätigen, gar selten ver¬ 
bunden.“ Briefw. S. 67. 

Ein anderer beliebter Kollektivausdruck ist „Re¬ 
gion", häufiger im Plural „Regionen"; mit vorwiegender 
Beziehung auf geistige Strömungen ist er zahllos im 
Altersstil anzutreffen, z. B. Ann. 798, 884; 29, 383; „die 
sinnig-geistigen Regionen Deutschlands" 28, 342; „Re¬ 
gion der Wahrheit“, u. s. w.; sehr beliebt ist: „höhere Re¬ 
gionen" z. B. Ann. 887; 22, 115; 29, 343 u. a. — „Läuft e" 



109 


begegnet meist in Zusammensetzungen wie: „Zeitläufte“ 
Ann. 129; „Tagesläufte“ Ann. 150; „Jahresläufte“ F. n, 
4863; „Kriegsläufte“ Ann. 175; „Schreckensläufte“ F. n, 
4931. Ein Kollektivausdruck der früheren Zeit ^„Wirt¬ 
schaft“, das z. B. in den Briefen an Lavater 1775 und 
1776 vielfach begegnet, etwa in der Bedeutung von „Art 
und Weise“, auch „Lebensweise“; ein Brief, der noch in 
Frankfurt geschrieben ist, bietet eine Stelle, die in ihrem 
ganzen Zusammenhänge typisch ist als Ausdruck der in¬ 
differenten Stimmung und des Überdrusses an dem „Welt¬ 
wesen“, wie Goethe später gesagt hätte: „Mir wird je 
länger je mehr das Treiben der Welt und der Herzen unbe¬ 
greiflich. Einzelne Züge, die sich überall gleichen, und 
doch nie dran zu denken, dass der grösste menschliche 
Kopf ein Ganzes der Menschen Wirtschaft übersehen 
werde.“ DjG. EH, 112. In ganz entgegengesetzter Stim¬ 
mung zählt er am 8. Jan. 1777 alle die Licht- und Schatten¬ 
seiten des „bunten Treibens der Welt“ auf und schliesst: 
„es ist eine treffliche Wirtschaft.“ Andere Belege aus 
jener Zeit sind: „... Ausspinnens ist jetzt nicht Zeit (hin¬ 
sichtlich seiner Mitarbeit an den Physiognom. Fragen), 
der ich in verbreiteter Wirtschaft und Zerstreuung von 
Morgens zu Nacht umgetrieben werde.“ An Lavater 
21. Dez. 1775, DjG. HI, 122. — „Ich habe mich über deine 
Plans Wirtschaft (Anordnung der Fragmente) ein bissei ge¬ 
ärgert...“ An Lavater DjG. HI, 136. „Ich kann nichts 
von meiner Wirtschaft sagen, sie ist zu verwickelt...“ 
An Johanna Fahlmer DjG. Iü, 121; u. ö. In einem Briefe 
aus Venedig redet er einmal von der „Wirtschaft der See¬ 
schnecken...“ 24, 84 (1786). — Endlich verdient „Trei¬ 
ben“ hier Erwähnung als ein Lieblingswort, besonders in 
Verbindungen wie: „Treiben der Welt“, „Treiben des Le¬ 
bens“, „Erdetreiben“ u. a.; der bekannte Vers: „Ach, ich 
bin des Treibens müde!“ ist ein weiterer typischer Aus- 



110 


druck dieser Indifferenz. Dem „bunten Treiben der Welt“ 
und der „verbreiteten Wirtschaft“ steht gegenüber der 
„Kreis“ (hier also in verschiedener Anwendung von der 
in R. Meyers Aufsatz erläuterten = die kleine Gemeinde 
des Dichters, im Gegensatz zu der „Menge“); es ist die 
„Systole“ der Verengerung und Beschränkung gegenüber 
der Zerstreuung, oder mit den Worten des Prometheus: 
„der Kreis, den meine Wirksamkeit erfüllt.“ In diesem 
Sinne begegnet „Kreis“ häufig in der ersten Weimarer 
Zeit, als sich der Dichter aus dem Weltschweifen, dem 
unbedingten Streben „ins Engere zog“ und sich einen be¬ 
stimmten Wirkungskreis schuf. So schreibt er bereits am 
19. Febr. 1777 an Lavater; „mich kümmert ausser mei¬ 
nem Kreis nun gar nichts,“ und deutlicher an Knebel 
16. Febr. 1784: „Die Geschäfte, die Wissenschaften, ein 
paar Freunde, das ist der ganze Kreis meines Daseins, in 
den ich mich klüglich verschanzt habe.“ I, 51. — Andere 
Verwendungen von „Kreis“, in denen das Bild des Zirkels 
deutlicher hervortritt, sind später unter der Typik der 
Metaphern zu behandeln (s. unten S. 259). Dort sind auch 
metaphorische Lieblingswendungen für den Begriff des 
Einerlei, wie „Raritätenkasten“ „Schnurre“, „die Tonne 
wälzen“, besprochen (s. unten S. 246 f.). 


Über die drei allgemeinsten Ausdrücke der indiffe¬ 
renten Sphäre: „heiter“, „trefflich“, „würdig“, die allen 
Kategorien angehören, ist bereits oben das nötige gesagt 
worden; ganz farblos ist auch „redlich“, das im 18. Jahr¬ 
hundert allgemein weit gebräuchlicher war, als heute. 
Individuell ist in Goethes Sprache die Verbindung von 
„redlich“ mit den Begriffen des Wollens und Strebens; 
stereotyp ist die Wendung: „redliches Streben“ z. B. 29, 
146; 151 u. s. w. Schon dem Grafen Reinhard muss diese 



111 


Eigentümlichkeit aufgefallen sein, denn er braucht die 
Verbindung einmal selbst in gleichsam citierender Weise 
in einem Briefe an Goethe: „Überall (in den morpholo¬ 
gischen Heften) verstehen Sie es, ... lichte Aussichten 
durch den dichten Wald zu öffnen, überall ist ein red¬ 
liches Streben." Briefw. S. 187. Auch „redliches Be¬ 
mühen" ist häufig, (z. B. im Sonnett „Natur und Kunst": 
„Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!" 11. 1, 71; in 
der ZX.: „Jedem redlichen Bemühn sei Beharrlichkeit 
verliehn.“ 3, 260; u. ö.); ferner „redliches Wollen“ 
(z. B. Ann. 656; 22, 97). — Noch; farbloser ist „treu¬ 
lich", eine der Lieblingswendungen des Altersstiles, be¬ 
sonders in Briefen. Dagegen hat „anständig“, wie schon 
Pniower G.-J. 19, 230 f. dargelegt hat, eine merkwürdige 
Prägnanz entfaltet, deren Hauptstufen etwa wären: „an¬ 
gemessen — schicklich — würdevoll — anmutig." Viele 
Anwendungen erklären sich ohne weiteres dadurch, dass 
die wörtliche Bedeutung herausgehoben ist, und das 
Fremdartige weicht, sobald man „anstehend, wohlanste¬ 
hend" einsetzt. Zu den von Pniower erklärten Belegen 
seien noch folgende hinzugefügt: „.. .als der Vater mit 
anständigem Enthusiasmus zu reden anfing..." 16, 157 
(= mit Begeisterung, aber zugleich mit Würde); (über das 
Porträt von Ferd. Imecourt, gemalt von Gerard): „... die 
Gestalt von mittlerer Grösse, anständiger Zartheit...“ 
28, 586 (= wohlanstehend); „sie antwortete mir sanft 
und gefällig, wie es einer anständig Betrübten ziemt" 18, 
42 (eine Art Pleonasmus = wie es einer Betrübten wohl 
ansteht und ziemt); (über den Riss zum neuen Theater ur¬ 
teilt Goethe in einem Briefe an Schiller 14. Juli 1798): 
„Der Gedanke ist sehr artig und anständig" (hier würde 
„angemessen“ einzusetzen sein); „wer klar sieht, wird 
dasjenige, was ihnen gelungen ist, mit Ehrfurcht bewun¬ 
dern und das, was ihnen misslang, anständig bedauern“ 



112 


29, 239 (= geziemend); „man ebnete einen anständigen | 
Platz“ Ann. 8b (= angemessen, genügend gross); „die 
Eltern waren anständig behagliche Personen“ 23, 109 | 

(Personen in mässig behaglichen Umständen). Diese Bei¬ 
spiele werden genügen, um die Abweichung von der heu¬ 
tigen Verwendung zu illustrieren. Der Unterschied be- > 
steht darin, dass die Bedeutung heute auf den Begriff des ' 
sittlichen Anstandes verengert ist, während sie bei Goethe 
im weitesten Sinne alles einschliesst, was „angemessen“ 
ist, auch in konkreter Hinsicht, wie die Wendung „anstän¬ 
diger Platz“ deutlich zeigt. Es darf nicht unerwähnt blei¬ 
ben, dass diese erweiterte Gebrauchsweise von „anstän¬ 
dig“ keineswegs auf Goethes Sprache beschränkt, son¬ 
dern allgemein in der Litteratursprache des 18. Jahrhun¬ 
derts zu belegen ist; individuell ist vielmehr die Häufig¬ 
keit, mit der es Goethe anwendet, und diese Beliebtheit 
gewinnt an Bedeutung, wenn man das Wort im Zusammen- , 
hang der reich entwickelten Terminologie der Indifferenz 
betrachtet. 


Einer der schönsten Sprüche Goethes lautet: „Die 
wahre Liberalität ist Anerkennung.“ Spr. 624. Gleich¬ 
giltigkeit gegen das Weltwesen im allgemeinen hinderte 
ihn nicht an positiver Toleranz im einzelnen, an dem „Gel¬ 
ten lassen“ einer jeden Individualität an ihrer Stelle, an 
„lässlicher“ Auffassung, die sich zu „Neigung“ und „Wohl¬ 
wollen“ steigerte, sobald er die geringste Möglichkeit 
eines Anschlusses an seine Gemeinde, einer gegenseitigen 
Förderung, zu sehen glaubte. Alle hier angemerkten 
Ausdrücke stehen in innerer Verwandtschaft unter sich 
und mit einem Grundzug von Goethes Charakter, der in 
einem Briefe an Knebel als ein Resultat der Rhein- und 
Mainreise von 1814 in den folgenden Sätzen niedergelegt 



113 


ist: „Unter denjenigen Vorteilen, welche mir meine letzte 
Reise gebracht, steht wohl die Duldsamkeit obenan, die ich 
mehr als jemals, für den einzelnen Menschen empfinde. 
... Ich bin dieses Mal sehr glücklich durch die Welt ge¬ 
kommen, indem ich von niemand etwas weiter verlangte, 
als was er geben konnte und wollte, ihm weiter nichts 
anbot, als was ihm gemäss war..II, 158. Der Grund¬ 
satz der Duldung muss ihm in der Wendung „gelten las¬ 
sen“ besonders anschaulich entgegen geklungen sein, 
denn sie erfreut sich im Altersstil grosser Beliebtheit. 
Einer der frühesten Belege findet sich in einem Briefe an 
Cotta vom Jahre 1808, in dem Goethe über seine Auf¬ 
nahme bei Napoleon in der bekannten ausweichenden Art 
berichtet: „Ohne mich auf das Detail der Unterhaltung 
einzulassen, so kann ich sagen, dass mich noch niemals ein 
Höherer dergestalt aufgenommen, indem er mit besonde¬ 
rem Zutrauen mich, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen 
darf, gleichsam gelten liess...“ Str. Br. I, 126. Hier wird 
schon durch die gleichnisweise Einführung ein besonderes 
Gewicht auf das Wort gelegt, das etwa der Umschreibung 
entspräche: „Er liess meine Individualität zur Geltung 
kommen und respektierte sie.“ An einer anderen Stelle 
wird die Bedeutung durch den Zusatz von „schalten“ accen- 
tuiert: (über den Verkehr mit Zimmermann) „wir Hessen 
uns wechselsweise gelten und schalten“ DW. 22, 195. 
Goethe stand gerade in dieser Hinsicht, in seiner „unüber¬ 
windlichen, naiven Gutmütigkeit“ im geraden Gegensatz 
zu seinem Freunde Merck, dem „mephistophelisch quer¬ 
blickenden“: „das ewige Geltenlassen, das Leben und 
Lebenlassen war ihm ein Greuel.“ DW. 23, 56. 

Sehr prägnant erscheint der Ausdruck ferner in dem 
„Dank des Paria“ 1, 279: 

Grosser Brahma! nun erkenn’ ich, 

Dass Du Schöpfer bist der Welten! 

Boucke, Wort and Bedeutung in Goethes Sprache. g 



114 


Dich als meinen Herrscher nenn’ ich; 

Denn Da lassest alle gelten. 

Und verschliessest auch dem Letzten 
Keines von den tausend Ohren; 

Uns, die tief Herabgesetzten, 

Alle hast Du neu geboren. 

Hier liegt in dem „gelten lassen“ geradezu die christliche 
Lehre von der Anwartschaft aller, auch der Verworfen¬ 
sten, am Reiche Gottes ausgesprochen, und eben diese 
Humanisierung des altindischen Fabelstoffes ist Goethes 
Eigentum (vgl. Loepers Kommentar Gedichte 1, 389). In 
der Spruchweisheit des Alters spielt das „Geltenlassen“ 
eine grosse Rolle; Goethe macht aus seiner Abneigung 
gegen bestimmte Tendenzen der jüngeren Generation kein 
Hehl, aber er lässt sie gleichmütig gewähren: „Was ich 
tadle, muss ich gelten lassen“ ZX. 2, 352, erwartet aber 
seinerseits die gleiche Toleranz ZX. 2, 390: 

„Lasset walten, lasset gelten, 

Was ich wunderlich verkündigt! 

Dürftet Ihr den Guten schelten, 

Der mit seiner Zeit gesündigt?“ 

Dem ersteren Vers entspricht inhaltlich, obwohl nicht so 
scharf pointiert, eine Auslassung über die neueste deut¬ 
sche Poesie in einem Briefe an die Gesellschaft für in- und 
ausländische Literatur in Berlin. Diese hatte ihm zu 
seinem 80. Geburtstage ein Glückwunschschreiben über¬ 
sandt, worauf Goethe in einem längeren, höchst interessan¬ 
ten Briefe antwortete und sich, im Anschluss an sein da¬ 
maliges Lieblingsthema der Weltliteratur, über Hilfs¬ 
mittel und Vorteile des Studiums fremder Literaturen 
verbreitete. Darin kommt folgender Passus vor: „Die 
deutsche Poesie bringt... eigentlich nur Ausdrucke, Seuf¬ 
zer und Interjektionen wohldenkender Individuen. Jeder 



115 


Einzelne tritt aut nach seinem Naturell und seiner Bildung; 
kaum irgend etwas geht ins Allgemeine, Höhere... Dies 
wollen wir nicht tadeln, sondern gelten lassen für das, 
was es ist.“ Str. Br. I, 207 (1829). Eine ganz ähnliche 
Prosaumschreibung der gleichen ZX. (Was ich tadle, muss 
ich gelten lassen) findet sich bereits viel früher in einem 
Briefe an den Grafen Reinhard vom 8. Mai 1811: „Über¬ 
haupt, wenn man mit der Welt nicht ganz fremd werden 
will, so muss man die jungen Leute gelten lassen für das, 
was sie sind...“ Briefw. S. 105. Dagegen verspürt man 
in anderen Xenien den gleichen Geist, der im „Buch des 
Unmuts“ im Divan schilt; in den Versen (2, 345) 

Ruhig soll ich hier verpassen 
Meine Müh’ und Fleiss; 

Alles soll ich gelten lassen, 

Was ich besser weiss.“ 

erscheint die Duldung nur gezwungen, und an anderer 
Stelle (3, 259) rühmt der vom Weltwesen abgewandte 
Greis seine Unabhängigkeit, die ihn auch der Duldung 
überhebe: 

Verfahre ruhig, still, 

Brauchst Dich nicht anzupassen; 

Nur wer was gelten will 
Muss andre gelten lassen. 

Den gleichen Vorstellungskreis wie „gelten lassen“, 
umfasst das Wort „lässlich“, gewissermassen das Adjek¬ 
tiv zu jenem Begriff und in hervorragendem Masse ein 
Goethescher Idiotismus. „Lässlich“ ist auch die Art, wie 
er selbst mit dem Worte schaltet, indem es „gelten“ und 
„gelten lassen“, aktive und passive Bedeutung zugleich in 
sich vereinigt. Auszugehen ist natürlich von der passiven 
Bedeutung: „Was geduldet werden kann“, die zwar auch 
anderweitig, aber nirgends in solcher Häufigkeit wie bei 

8 * 



116 


Goethe belegt ist. Die heutige Entsprechung wäre: „leid¬ 
lich, passabel“ Die Beliebtheit ist etwa gleichzeitig mit 
der Aufnahme von „gelten lassen“ zu datieren, seit dem 
Eintritt einer gleichmütigen Altersstimmung. Aus der 
grossen Anzahl der Belege seien erwähnt: „Eine lässliche 
Bosheit“ 20, .155; „... die lässlichsten Versuche, sich etwas 
Höheres anzubilden...“ 22, 18; „lässliche Hexameter“ 
25, 174; „die lässlichsten Produktionen“ Ann. 1045. Die 
aktive Verwendung, = tolerant, duldsam, scheint Goethe 
allein anzugehören, begegnet bei ihm jedoch ebenso früh, 
wie die passive. Belege: „Ein lässlich scheinendes... Ver¬ 
bot“ 10, 74; „was die Menschen thaten und trieben, sah 
ich lässlich an...“ 20, 150; „wenn wir ... die vor uns lie¬ 
gende Sammlung dankbar und lässlich behandeln“ 29, 
398. Endlich entwickelt sich aus der aktiven Verwen¬ 
dung leicht die Nuance: „zu tolerant“ = „bequem, nach¬ 
lässig“, die ebenfalls Goethes Eigentum ist und ebenfalls 
so früh wie die beiden anderen Bedeutungen belegt ist: 
„weil er die Sache lässlich nimmt... so bleiben seine 
Überzeugungen für die Gegenwart verloren.“ 29, 301; 
„lässliche Amtsbeschäftigung“ 21, 187; „bei einer solchen 
lässlichen Behandlung eines bedeutenden Geschäfts“ 29, 
632; „man sieht..., dass die Anlage meines Gedichtes ... 
etwas Lässliches hatte“ Ann. 440. Auch das Substantiv 
„Lässlichkeit“ begegnet in passiver wie aktiver Bedeu¬ 
tung; in ersterer schon im Anhang zum Cellini (1802): 
„Lässlichkeit menschlicher Fehler“ 30, 446; aktivisch: 
„man wird sich bei der Betrachtung ... in einer gewissen 
Lässlichkeit erhalten müssen...“ 28, 422. 


Goethes eigene Definition des Begriffes „Neigung“ 
lautet: „sie bezieht sich auf ein reines Verhältnis, das in 
allem der Liebe gleicht, nur nicht in der notwendigen For¬ 
derung einer fortgesetzten Gegenwart.“ 29, 237. Die Be- 



117 


trachtung, der diese Stelle entnommen ist, hat die Über¬ 
schrift: „Verhältnis, Neigung, Liebe, Leidenschaft, Ge¬ 
wohnheit“ und behandelt also die Skala der Affekte, ein 
Thema, das Goethe in den verschiedensten Formen zu allen 
Zeiten beschäftigt hat. Demgemäss begegnen auch die 
Worte selbst in bedeutungsvoller Prägnanz, wie hinsicht¬ 
lich „Leidenschaft“ schon oben S. 69 ff. gezeigt war. 
Wenn dieses letztere Wort das Gefühl einer stärkeren Be¬ 
schleunigung des Pulses in dem Sprachkörper darstellt, 
so könnte man „Neigung“ als die schwächste, oft kaum 
wahrnehmbare Erregung auffassen, die aber gleichwohl 
ihren dynamischen Ursprung bethätigt und in dem blossen 
„Verhältnis“ die hin- und widerstrebenden Kräfte ent¬ 
faltet: „Die Synthese der Neigung ist es eigentlich, die 
alles lebendig macht.“ An Reinhard S. 8. Dieser letztere 
Gedanke liegt auch der ZX. 2, 364 zu Grunde: 

Was auch als Wahrheit oder Fabel 

In tausend Büchern Dir erscheint, 

Das Alles ist ein Turm zu Babel, 

Wenn es die Liebe nicht vereint. 

Als Bezeichnung des häufigsten Grades in der Reihenfolge 
der Affekte ist auch das Wort „Neigung“ eins der häufig¬ 
sten in Goethes Sprache. Um diese allgemeine Behaup¬ 
tung durch einen Einzelfall zu erläutern, sei erwähnt, 
dass allein in den Wahlverwandtschaften das Wort „Nei¬ 
gung“ 60 mal begegnet. Allerdings mag diese Erscheinung 
zum Teil darin begründet sein, dass in diesem Roman die 
Neigung selbst, oder die Entfaltung der Neigung zur Lei¬ 
denschaft, das Thema bildet. Wie es hier im grossen epi¬ 
schen Massstabe durchgeführt wird, so stimmt es den 
Greis noch zu stiller aphoristischer Betrachtung (vgl. 
den obigen Aufsatz über die Stufenfolge der Affekte), und 
das gleiche Thema klingt bereits in der Jugendlyrik 



118 


ahnungsvoll an, wenn der Dichter, einer Neigung kaum 
entronnen und durch eine andere wieder gefesselt, „ohne 
Rast und Ruh“ durch den Ilmenauer Forst streift: 

„Alle das Neigen 

Von Herzen zu Herzen 

Ach, wie so eigen 

Schaffet das Schmerzen.“ 1, 54. 

Besonders beliebt ist das Wort in Verbindung mit an¬ 
deren Gliedern derselben Gedankenkette, am häufigsten 
mit „Leidenschaft“; Belegstellen: 29, 256; 21,144; 22, 57; 
23, 35; Ann. 666; 33, 75; 21, 132 u. s. w. Diese Wendung 
„Neigung und Leidenschaft“ ist vielleicht stereotyper 
als irgend eine andere. Auch 3—5 fache Verkettung ist 
nicht selten: „Neigung, Liebe, Freundschaft, Teilnahme“ 
Ann. 550g. „Verwandtschaft, Gewohnheit, Neigung, 
Dankbarkeit, Freundschaft bis zur leidenschaftlichsten An¬ 
hänglichkeit“ 29, 381; „Geselligkeit, Wohlwollen, Neigung 
und Leidenschaft“ Ann. 403 a; „Neigung, Liebe, Achtung 
oder Verehrung“ 28, 625; „Neigung, Liebe, Leidenschaft“ 
Ann. 959; „eine Neigung, die als Liebe, als Leidenschaft 
sich zeige“ 18, 223. Diese Reihen werden genügen, um die 
Behauptung zu stützen, dass die öfters citierte apho¬ 
ristische Betrachtung (29, 236 f.) nur theoretisch zusam¬ 
menfasst, was thatsächlich in Goethes Schriften überall 
ausgestreut liegt. 

In stereotypen Verbindungen büsst das Wort seine 
Prägnanz ein; diese kommt jedoch gelegentlich wieder zur 
vollen Geltung durch das einfache Einschieben der Stei¬ 
gerungspartikel: „Neigung, ja Leidenschaft“ wie z. B. 
18, 357; 21, 160; 15, 114; 31, 149 u. ö. Sehr prägnant 
sind folgende Verbindungen: „Diese Biographien (Car- 
lvles) sind mit Neigung, aber mit Klarheit geschrieben.“ 



119 


An Boiss. II, 482; Lili, „die Neigungsvolle und Leiden¬ 
schaftslose.“ 23, 39. 


Am farblosesten von allen Idiotismen dieser Beihe 
ist das Wort „Wohl wollen“ mit seinen Adjektiven „wohl¬ 
wollend, wohlmeinend, wohlgesinnt“. Sie alle gehören dem 
Altersstil an und sind vor 1800 nur vereinzelt nachweis¬ 
bar. Die Bedeutung von „Wohlwollen“ unterscheidet sich 
nicht von der generellen, indem sowohl allgemein eine 
gute Gesinnung, als im besonderen das Wohlwollen gegen 
andere damit bezeichnet wird. Aber die Verwendung ist 
nach der allgemeinen Seite hin wegen der Häufigkeit 
typisch, nach der besonderen insofern prägnant, als Goethe 
unter den „Wohlwollenden“ alle mit ihm selbst Gleich¬ 
gesinnten und Gleichstrebenden versteht, im Gegensatz 
zu den „Misswollenden“, und unter „Wohlwollen“ soviel 
wie „Förderung und Teilnahme“. Diese Prägnanz ist spä¬ 
ter an anderer Stelle zu behandeln (s. unten S. 150); die rein 
- ethische Bedeutung liegt z. B. in der ZX. 2, 363 zu Grunde: 

Lieb’ und Leidenschaft können verfliegen; 

Wohlwollen aber wird ewig siegen. 

Die Adjektive „wohlwollend“, „wohlmeinend“ sind 
beliebt als indifferente Beiworte und erscheinen nur 
selten im Hauptton wie z. B. „...dort findet er einen 
Wohlmeinenden, der ihm eine Stelle für seinen Sohn ins 
öffentliche Hospital verschafft.“ 29, 198. Auch die Aus¬ 
drücke: „wohldenkend“ und „wohlgesinnt“ sind im 
allgemein ethischen Sinne bei Charakterdarstellungen sehr 
beliebt, häufig sogar in betonter Stellung: „Zufällig 
rühmte man ... einen Offizier ... als einen vorzüglich 
wohldenkenden und erfahrenen Mann“ 21, 87; „Herr von 
Stein ... ist ein höchst wackerer, wohldenkender junger 



120 


Mann.“ An Eichstädt 7. Jan. 1804; „In Ihrem Billet, in 
welchem ich die Gesinnungen eines wohldenkenden Mannes 
erkenne“ An den Schauspieler Krako, Str. Br. I, 374; „da 
er (Hamann) nun gar die „Kreuzzüge des Philologen“ 
herausgab..., so entstand unter den Wohl- und Zartge¬ 
sinnten ein Missbehagen“ 22, 64; „Studierende waren die 
Überzahl, alle gut- und wohlgesinnt“ 21, 134. 


Sehr arm an typischen Wendungen ist der negative 
Teil dieser Gruppe, aus den gleichen Gründen des Eulogis- 
mus, die den indifferenten Teil so bereichern. Man kann 
höchstens Worte wie unrein (s. oben S. 85) und unsitt¬ 
lich heranziehen, von denen besonders das letztere ausser 
der generellen Bedeutung eine besondere Prägnanz, von 
dem Standpunkte der Goetheschen Moral, enthält. Es ist 
früher dargelegt worden, dass das Gesetz der Beschrän¬ 
kung den Kern seiner sittlichen Weltanschauung bildet; 
somit erscheint es ganz selbstverständlich, wenn Goethe 
das Nicht-sittliche in dem Mangel an Selbstbeschränkung « 
erblickt. Das Wort „sittlich“ geht also in dieser Präg¬ 
nanz weit hinaus über das generelle „tugendhaft“, „frei 
von Lastern“, und bezeichnet vielmehr das, was sich 
„innerhalb der Grenzen der moralischen Weltordnung“ be¬ 
wegt. Insofern als sich diese Weltordnung als eine Kette 
von Abhängigkeitsverhältnissen darstellt, konnte Goethe 
sagen: „Schon jeder, der aus der Subordination heraus¬ 
tritt — denn die ist das Moralische — ist insofern unmora¬ 
lisch.“ Gespr. 2, 161. In diesem höchsten Sinne des Wor¬ 
tes erscheint auch das nachstehende scheinbare Paradoxon 
als folgerecht: „Gott ist nur moralisch, kein Mensch ist 
es vis-ä-vis von sich; man ist es nur gegen andere, denn 
niemand kann sich selbst subordinieren.“ Gespr. 2, 324. 
Der Lehre von der sittlichen Beschränkung entspricht das 



121 


Gebot der Beschränkung im künstlerischen Schaffen, wo¬ 
raus sich geradezu die Identität von „sittlich" (im Goethe- 
schen Sinne) und „schön" ergiebt: „Man könnte ein sol¬ 
ches Genie, das innerhalb des Schönen bleibt, ein mora¬ 
lisches nennen, weil es eben das thut, was das moralische 
Wesen thut, innerhalb der Pflicht oder des moralischen 
Gesetzes zu verbleiben. Die anderen, insofern unmora¬ 
lische, wohlgemerkt! nicht unsittliche..Gespr. 2, 267. 
Durch den letzteren Zusatz will Goethe natürlich nur einer 
Verwechslung seines prägnanten Sittlichkeitsbegriff es mit 
dem landläufigen Vorbeugen. Hinsichtlich der Gleichun¬ 
gen „sittlich = schön", und „sittlich = Gott" ist noch zu 
vergleichen die Antwort Goethes auf die Frage: wie das 
Sittliche in die Welt gekommen. „Durch Gott selber, wie 
alles andere Gute. Es ist kein Produkt menschlicher Re¬ 
flexion, sondern es ist angeschaffene und angeborene 
schöne Natur." Gespr. 6, 86. In diesem „höchsten" Sinne 
ist auch das Urteil über Byrons Don Juan 0,* • • das Unsitt¬ 
lichste, was jemals die Dichtkunst vorgebracht" 29, 757) 
aufzufassen, und nicht im landläufigen Sinne der Unmora¬ 
lität einzelner Scenen. Andererseits verwahrte sich 
Goethe hinsichtlich der „Wahlverwandtschaften" ernstlich 
gegen die Bezeichnung „unsittlich", obwohl die oberfläch¬ 
liche Lektüre darin vielleicht unsittliche Situationen, im 
gewöhnlichen Sinne des Wortes, entdecken könnte. Fol¬ 
gendes hierauf bezügliche Gespräch ist überliefert: „Ich 
kann dieses Buch durchaus nicht billigen, Herr von Goethe; 
es ist wirklich unmoralisch, und ich empfehle es keinem 
Frauenzimmer." Darauf hat Goethe eine Weile ganz ernst¬ 
haft geschwiegen, und endlich mit vieler Innigkeit gesagt: 
„Das thut mir leid, es ist doch mein bestes Buch ... Das 
Gesetz in dem Buche ist wahr, das Buch ist nicht unmora¬ 
lisch, Sie müssen’s nur vom grösseren Gesichtspunkte be¬ 
trachten; der gewöhnliche moralische Massstab kann bei 



122 


solchem Verhältnis sehr unmoralisch auf treten." Gespr. 
2, 292. 

In anderer Prägnanz erscheint das Wort» wenn „Neid 
und Widerwille" als „Phänomen der unsittlichen Welt“ 
83. 83 bezeichnet wird. Hier hat man sich der doppelten 
Goetheschen Interpretation von „Egoismus" zu erinnern, 
der im negativen Sinne geradezu mit Neid identifiziert 
wird (vgl. oben S. 88). Sehr nahe berührt sich „unsitt¬ 
lich“ hier mit dem wichtigen Idiotismus „misswollend“, 
der jedoch besser im Zusammenhang mit der geistigen 
Kategorie zu behandeln ist (unten S. 177). 

Was die Bedeutung von „verrucht“ anlangt, so hat 
R. Meyer a. a. 0. S. 35 bereits den vorwiegenden Gebrauch 
in mündlicher Rede hervorgehoben und die glaubhafte Ver¬ 
mutung ausgesprochen, dass in dem Worte zum Teil ein 
euphemistischer Ersatz für „verflucht“ vorliege, in halb 
ärgerlicher, halb scherzhafter Bedeutung (vgl. Gespr. 2, 
137). Die schriftlichen Belege zeigen jedoch nur einen 
sehr ernsthaften Charakter des Wortes, einen Ausdruck 
tiefster sittlicher Abscheu, wie z. B. in den Sätzen: „Ta¬ 
lente, die er ... auf eine rabulistische, ja verruchte Weise 
... missbrauchte“ 20, 72; „diese Ironie, dieses Bewusst¬ 
sein, womit man ... mit seinen Irrtümern scherzt und 
ihnen desto mehr Raum und Lauf lässt» ... kann von der 
klarsten Verruchtheit bis zur dumpfsten Ahnung sich in 
mancherlei Subjekten stufenweise finden...“ 36, 301. 
Aus diesen und anderen Belegen geht hervor, dass „ver¬ 
rucht“ bei Goethe gleichbedeutend ist mit dem Begriff 
einer bewussten Schlechtigkeit oder absichtlichen Bos¬ 
heit, und insofern als negatives Extrem dieser Gruppe gel¬ 
ten kann. 

Der Mangel an typischen Scheltworten bei Goethe 
schliesst natürlich nicht aus, dass an der richtigen Stelle 
sich auch das richtige Wort einstellt, und es gewinnt dann 



123 


umsomehr an Wucht. Als ein Beispiel wahrhaft „phorkya- 
dischen Scheltens“ mag hier eine Stelle aus einem Briefe 
an Zelter eingerückt werden, in der Goethe seinem 
Grimm über die gleichzeitige französische Romanlitteratur 
der Hugo, Balzac u. s. w. Luft macht: „Durch das Strudel- 
tagsgelese bin ich in die grenzenlosen Schrecknisse der 
neuesten französischen Komanlitteratur hineingeschleppt 
worden. Ich will mich kurz fassen: Es ist eine Litteratur 
der Verzweiflung... Das Hässliche, Abscheuliche, das 
Grausame, das Nichtswürdige mit der ganzen Sippschaft 
des Verworfenen ins Unmögliche zu überbieten, ist ihr 
satanisches Geschäft...“ An Zelter VI, 214. Diese 
furchtbare Explosion wirkt in dem behaglich dahingleiten¬ 
den Briefwechsel der beiden Greise besonders erschüt¬ 
ternd; dass sie aber nicht der Ausdruck einer vorüber¬ 
gehenden, „verneinenden“ Stimmung war, beweist ein 
Urteil über Hugos Roman „Notre Dame de Paris“, den 
Goethe einmal als ein Produkt des dritten Gährungssta- 
diums, der „Fäulnis“ charakterisiert (An Boisseree H, 
575; vgl. das Urteil des letzteren, worin derselbe Roman 
ein „mit der frechsten Willkür zusammengestoppeltes 
Fratzenwerk“ genannt wird, H, 573). Man dürfte neugie¬ 
rig sein zu erfahren, mit welchen Ausdrücken Goethe den 
Naturalismus der 80 er Jahre, vor allem Zolas Rougon-Mac- 
quart Serie, ausgezeichnet hätte. 


3. Geistige Gruppe. 

Ein Centralbegriff, der das Goethesche Ideal geistiger 
Arbeit in prägnanter Form zum Ausdruck brächte, lässt 
sich in seiner Terminologie nicht nachweisen; in sach¬ 
licher Hinsicht wird diese Funktion übernommen von der 



124 


Gleichung „wahr = fruchtbar“, die ihre bündigste 
Formulierung findet in dem Verse: „Was fruchtbar ist 
allein ist wahr“ 3, 192. Dazu ist eine andere ZX. zu 
vergleichen: „Das Tüchtige, wenn’s wahrhaft ist» Wirkt 
über alle Zeiten hinaus,“ 2, 359; sowie die Prosa¬ 
umschreibung in dem Aufsatz: „Naturphilosophie“: Das 
Wahre „wirkt immer fruchtbar, ... dahingegen das Fal¬ 
sche an und für sich tot und fruchtlos daliegt...“ 29, 
236; ferner der Satz „Das Wahre ist auch zugleich nützlich“ 
29, 675. Inwiefern diese Anschauung sachlich in Goethes 
Individualität wurzelt, ist öfters dargestellt worden (vgl. 
z. B. Harnack, Goethe in der Epoche seiner Vollendung, 
S. 7), und der an anderer Stelle (unten S. 186) gegebene 
Überblick über unsere gesamte Tabelle wird zeigen, wie 
die verschiedenartigsten Fäden direkt oder auf Um¬ 
wegen in diesem Knotenpunkt zusammenlaufen. — In 
formeller Hinsicht ist dagegen eine Prägnanz in einer 
Gruppe von Worten zu konstatieren, die als Werturteile 
beliebt sind für jede geistige Arbeit, die ein „Höheres“ 
oder „höher Fruchtbares“ (29, 674) repräsentiert. 
Solche typische Wendungen, die im Altersstil, im Zu¬ 
sammenhang mit der allgemeinen Freude am Werten und 
Modifizieren, zunehmen, sind: unberechenbar, incommen- 
surabel, unschätzbar, inkalkulabel, bedeutend, ein Höhe¬ 
res u. a. Charakteristisch ist bei allen, dass sie nicht 
im gewöhnlichen Sinne Superlative sind, und keinen 
Überschwang der Gefühle ausdrücken, sondern dass sie 
eher einer ruhigen, kontemplativen Stimmung entsprin¬ 
gen und daher auch den modernen Leser kühl anmuten. 
Zudem sind die vier gebräuchlichsten eigentlich negative 
Urteile und Ausdruck eines Verzichtens auf wirklich ad¬ 
äquate Wertung. So unendlich daher der Vorstellungs¬ 
inhalt auch sein mag, den Goethe mit einem Worte wie 
„unschätzbar“ oder „inkommensurabel“ verband, so 



125 


wird er bei dem Durchschnittsleser nicht in entspre¬ 
chender Intensität erweckt. Erst nach längerem Stu¬ 
dium der Goetheschen Denkweise gewinnen diese Worte 
gerade wegen der Resignation auf das menschliche Ur¬ 
teilsvermögen einen merkwürdigen feierlichen Klang, 
der wie ein Appell an höhere Geisteskräfte ins Unend¬ 
liche weitertönt. Andererseits zeichnen sich alle diese 
Wertungen aus durch eine fast geheimnisvolle Beziehung 
zu dem „Höheren“, worunter das „Fruchtbar-Wahre“ zu 
verstehen ist; es sind keine gewöhnlichen, exaltierten 
Lobpreisungen, sondern Wertungen, die von einem durch¬ 
aus individuellen Massstab ausgehen. 

In welche Fernen entschwindet der menschlichen 
Fassungskraft ein Werk wie die Lehrjahre, wenn uns von 
dem Meister selbst die Äusserung überliefert wird: „Es 
gehört zu den inkalkulabelsten Produktionen, wozu 
mir fast selbst der Schlüssel fehlt.“ Gespr. 5, 134. (Ge¬ 
nau dieselbe Fassung zeigt das Urteil über Wilh. Meister 
in den Ann. 149, das übrigens gleichzeitig ist mit obigem 
Gespräch [1825].) An die Schwächen und Vorzüge ist dabei 
natürlich nicht gedacht, sondern lediglich an den Bezug 
auf das „Höhere“, an die Tiefe des Erlebens, aus der das 
Werk emporgequollen und zu der es auch wieder behufs 
einer wahren Würdigung herabsteigen muss. Denn es 
ist gestaltete Erfahrung, ein Lebendiges, gewachsen wie 
die Natur selbst, und auch diese ist „etwas Inkommensu¬ 
rables“ Gespr. 3, 125; 5, 52. So bescheidet sich Goethe 
bei allen Urphänomenen, wo immer er an der Grenze des 
„Wissbaren, Erkennbaren, Anwendbaren“ angelangt ist 
(Boiss. H, 591), mit derartigen Verweisen auf das „Gren¬ 
zenlose“: Wie er von dem „Inkalkulabeln, Inkommensura- 
beln der Weltgeschichte“ spricht (36, 91), so gesteht er 
die gleiche Eigenschaft einmal halb im Scherze dem Weibe 
zu: „Das Mädchen (Goethes Enkelin Alma von Goethe) ist 



126 


allerliebst und als ein echt geborenes Frauenzimmer schon 
jetzt inkalkulabel..." An Ulrike von Pogwisch, Str. Br. 
II, 44; wie Wilh. Meister, ist auch der Faust „ganz etwas 
Inkommensurables“ Gespr. 7, 178. Der Ausdruck „un¬ 
berechenbar“ ist besonders beliebt in stehenden Verbin¬ 
dungen wie: „unberechenbar in seinen Folgen“ (z. B. 29, 
765; Ann. 148), „nicht zu berechnen“ (Ann. 912). Am 
häufigsten und frühesten von allen diesen Idiotismen ist 
„unschätzbar“, oft auch: „ganz unschätzbar“; die Frei¬ 
gebigkeit, mit der das Wort verwendet wird (in der Cha¬ 
rakteristik der Lieder des Knaben Wunderhorn 29, 386 ff. 
werden die Lieder auf S. 34, 72, 100, 102, 159, 261, 328 
damit ausgezeichnet), benimmt ihm seine Superlative Gel¬ 
tung. Noch schwächer und ohne jede Prägnanz ist „un¬ 
glaublich“, das vor allem im Gespräch ein Lieblingswort 
gewesen zu sein scheint. 

Überraschend ist die Prägnanz von „höchst“, die erst 
durch ein tieferes Studium von Goethes Denkweise ent¬ 
hüllt wird. Es wird zunächst, wie schon R. Meyer a. a. 0. 
S. 27 kurz berührt, gern prägnanten Wendungen beige¬ 
fügt» um als Unterstreichung zu dienen, so dass „im höch¬ 
sten Sinne“ etwa zu übersetzen wäre: „im spezifischen 
Sinne“. Diese Anwendung hat indes noch tiefere Wurzeln, 
die zu Tage treten, wenn man die Prägnanz des Adjek¬ 
tivs „hoch“ mit allen Steigerungsformen zugleich berück¬ 
sichtigt. Der Grundbedeutung von „hoch“ dürfte man 
am ersten nahe kommen durch Nebeneinanderstellung 
zweier Maximen, in denen die Antithese „sittlich: gemein“ 
enthalten ist: „Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht 
es sich mit dem ... Alltäglichen zu begnügen scheint, hegt 
... doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen“ 
Spr. 185. „Das Wirkliche ohne sittlichen Bezug nennen 
wir gemein.“ Spr. 696 b. Unter höheren Forderungen 
versteht Goethe demnach den Bezug auf das Sittliche, 



127 


auch dieses im „höchsten“, spezifischen Sinne. Bedenkt 
man aber, wie Goethe überall den Blick von dem Alltäg¬ 
lichen auf das Sittliche, Ewige zu lenken suchte, (vgl. 
Spr. 473), so scheint es natürlich, dass dieses Sittliche als 
ein „Höheres“ oder „das Höchste“ dem Gewöhnlichen 
gegenübergestellt wird. So bekennt er von sich selbst, 
dass seine Richtung „immer darauf hinging, das Höhere 
gewahr zu werden“ 23, 15; und in den typischen Wendun¬ 
gen: „auf ein Höheres hinweisen“ (z. B. 29, 700), 
„ein Höheres bezwecken“ (29, 696), schimmert immer der 
Gegensatz zu dem „Gemeinen“ hindurch, zu dem was die 
„Menge“ anzieht, wenn sie der „hohen, reinen Leitung“ 
entbehrt (31,149). Auch die Verbindung „höhere Zwecke“ 
ist häufig (z. B. 22, 171; 179). In Wendungen wie: das 
„Sittlich-Hohe“ 27, 321 tritt die Identität der beiden 
Worte deutlich hervor, und in solchen Fällen hat „hoch“ 
geradezu die Bedeutung von „Ideal“, einem Worte, das 
bei Goethe übrigens weit seltener begegnet als bei 
Schiller. 

Wie sich ferner das Suchen nach dem Göttlichen bei 
Goethe äusserte in dem Gewahrwerden des sittlich-Höch- 
sten, so wird das Göttliche selbst zum „Höchsten“: „die 
Liebe des Göttlichen strebt immer danach, sich das Höch¬ 
ste zu vergegenwärtigen.“ 29, 236; in dem berühmten 
Briefe an die Gräfin von Stolberg, in dem er der nie ge¬ 
sehenen Beichtigerin die letzte Generalbeichte ablegt, 
schreibt er: „ich habe bei allem irdischen Treiben immer 
aufs Höchste hingeblickt.“ Briefw. S. 142. Und wie in 
der himmlischen, so erblickt Goethe auch in der irdischen 
Liebe ein „Höheres“, so lange sie die erste und einzige 
Liebe bleibt: denn in der zweiten und durch die zweite 
geht schon *der höchste Sinn der Liebe verloren. Der Be¬ 
griff des Ewigen und Unendlichen, der sie eigentlich hebt 
und trägt, ist zerstört...“ 22, 124. Wenn Goethe daher 



128 


seine Freundschaft mit Schiller einmal „eins der höchsten 
Verhältnisse“ nennt (33, 91), so ist diese Wendung viel¬ 
sagend genug. Eine besondere Wichtigkeit gewinnen 
unter diesem Gesichtspunkte auch einige Fauststellen, in 
denen „höchst“ eine prägnante Rolle spielt; das Thema 
des zweiten Teils: 

Du regst und rührst ein kräftiges Beschliessen, 

Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. 

F. H, 4684—5; 

sowie die letzten Worte Fausts, die Erfüllung: 

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück 
Geniess’ ich jetzt den höchsten Augenblick. 

F. n, 11584—5; 

In beiden Fällen ist „höchst“ nicht nur mit „summus“ 
wiederzugeben (vgl. G.-J. 17, 218), sondern geradezu mit 
„unsterblich“, „ewig“; der „höchste Augenblick“ ist 
der, in welchem Faust sein Streben nach dem Höchsten 
zur That geworden sieht. 1 ) 

*) In den Faustkommentaren fehlt zu dieser Stelle ein Hinweis 
auf einige der ergreifendsten Verse aus Goethes Jugenddichtung, die 
wie eine Vorahnung des Faustischen „höchsten Augenblicks“, klingen: 
die Unterweisung, die Prometheus seiner Pandora über den Tod giebt: 

Da ist ein Augenblick, der alles erfüllt, 

Alles was wir gesehnt, geträumt, gehofft, 

Gefürchtet, Pandora, — 

Das ist der Tod! 


Wenn aus dem innerst tiefen Grunde 
Du ganz erschüttert alles fühlst, 

Was Freud und Schmerzen jemals dir ergossen, 


Und alles um dich her versinkt in Nacht . 
Und du, in immer eigenstem Gefühl, 
Umfassest eine Welt: 

Dann stirbt der Mensch. 




129 


Als letztes Glied dieser Kette würde „ewig“ zu geh 
ten haben, ein Lieblingswort Goethes, das überdies noch, 
wie Pniower G.-J. 19, 246 schon gezeigt hat, gelegentlich 
die Bedeutung von „ideal“ annimmt. Ausser dem dort er¬ 
örterten wichtigsten Belege („das Ewig-Weib liehe“) 
giebt es noch einige andere, in denen diese Prägnanz un¬ 
verkennbar ist: „ein ewig Tüchtiger“ 28, 229, „ewig stre¬ 
bender Jüngling“ ebenda. Man könnte hier statt „Ideal“ 
auch „Typus“ einsetzen, insofern als beide Männer, Win- 
ckelmann und Achilles, in dem „höchsten. Augenblick“, 
auf dem Gipfel ihres Könnens hinweggerafft werden und 
nun als Urbilder der Tüchtigkeit, des Strebens, vor uns 
stehen. Genau genommen hat ewig hier allerdings eine 
verschiedene, mehr spezifische Funktion, als in der Faust¬ 
stelle, denn in letzterem Falle bedeutet „ewig“ geradezu 
das Ideal als solches, das Ideelle, wie die wichtige Äusse¬ 
rung zeigt, die Riemer überliefert: „Dass Goethe das 
Ideelle unter einer weiblichen Form oder unter der Form 
des Weibes konzipiert.“ Gespr. 2, 284. Der Sinn der 
Stelle Hesse sich also statt der vorgeschlagenen Erklä¬ 
rung „das Ideal-Weibliche“ (G.-J. 19, 246) noch genauer 
durch die Umschreibung treffen: „das Ideal, wie es sich 
am reinsten in Form der weiblichen Hoheit verkörpert.“ 
Eine der wichtigsten Gruppen dieser Kategorie ist 
diejenige, der R. Meyer seine Aufmerksamkeit zugewen¬ 
det hat, sowohl in dem oft zitierten Aufsatz über Goethes 
Wortgebrauch (Archiv f. d. Stud. d. n. Spr., Bd. 96, 1 ff.), 
wie in einem früheren gedankenreichen Artikel über 
„Goethes Art zu arbeiten“ G.-J. 14, 167 ff. Diese Gruppe 
enthält die Terminologie des Schaffensprozesses, und ihre 
wichtigsten Glieder sind: Dumpfheit (im positiven Sinne 
= stilles Keimen, Empfindungsfülle, unklarer Drang; die¬ 
ser Terminus ist jedoch auf die ersten fünf Jahre in Wei¬ 
mar beschränkt; eine ausführliche Analyse folgt unten 

Boucke f Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 9 



130 


S. 156), — Apercu (blitzartige Erkenntnis einer frucht¬ 
baren Wahrheit, „Gewahrwerden“ der inneren Form), — 
Auffindung des „Mittelpunktes“ im Chaos, — das „Kri¬ 
stallisieren“ und „Dauer verleihen“. Aus dem Zustande 
stillen Keimens tritt das Empfangene an das Licht ver¬ 
mittelst des Apercus, des Gewahrwerdens des „prägnanten 
Punktes“, der Maxime, und der Zurückführung des spezi¬ 
fischen Falls auf den typischen Begriff. Das Apercu 
prägt dem Stoff die „innere Form“ auf und verleiht dem 
Augenblick Dauer, indem die einzelnen Teile sich zu einem 
organischen Ganzen zusammenordnen, um einen Mittel¬ 
punkt kristallisieren. — Daran schliessen sich noch einige 
andere Idiotismen: „geistreich“, das bei Goethe noch 
nicht im modernen Sinn = engl, „bright“, franz. „plein 
d’esprit“ vorkommt, sondern nur im älteren = engl, 
„clever“, „intelligent“; ferner „bedeutend“, von R. 
Meyer (a. a. 0. S. 28) passend erklärt als „alles, 
was auf ein tieferes, tiefstes Sein deutet.“ Heute 
würde man etwa die erweiterte Form „bedeutungsvoll“ I 
einsetzen, um die Prägnanz wiederzugeben, ähnlich wie 
„gemütvoll“ für „gemütlich“. Einen treffenden Beleg 
bietet gleich der erste Satz der Wanderjahre: „Im 
Schatten eines mächtigen Felsens sass Wilhelm an | 
grauser, bedeutender Stelle“ 18, 27. Wie sich die Inten- | 
sität des Inhalts mit der immer zunehmenden Beliebtheit 
des Wortes bei Goethe steigert, lässt sich an der Hand 
der reichen Belegsammlung im DWb. I, 1227—28 sehr 
hübsch verfolgen. . 

Auch die Verwendung von „prägnant“ legt Zeug- ' 
nis dafür ab, dass Goethe diejenige Erkenntnis und Er- | 
scheinung am meisten gilt, aus der sich greifbare Folge¬ 
rungen ergeben, die eine „Epoche“ herbeiführt. So be¬ 
kennt er von sich selbst 1823: „ich raste nicht, bis ich 
einen prägnanten Punkt finde, von dem sich vieles ab- I 



131 


leiten lässt.“ Ann. 1033 o. (Über den Gebrauch des Wor¬ 
tes „Punkt“, der auf der Lehre vom Apercu beruht, s. 
unten S. 225); er belobt Zelter, dass er sich aus seinen 
(Goethes) Briefen an ihn „einen prägnanten Punkt“ heraus¬ 
nehme und ihn zur Nutzanwendung entfalte. An Zelter 
IV, 228. An anderer Stelle heisst es: „ich fühlte wohl, 
dass ich mich auf irgend einer prägnanten Stelle befand...“ 
33, 255. Wiederholt begegnet: „ein prägnanter Moment“, 
An Reinhard S. 275; An H. Meyer 6. Dez. 1803. Interes¬ 
sant ist eine Stelle der It. Reise, in der „prägnant“, das 
erst später zum Idiotismus wird, sachlich bereits sicher 
umschrieben ist: „Auch habe ich dieses Jahr ... gefunden, 
dass alle wirklich klugen Menschen ... darauf ... be¬ 
stehen, dass der Moment alles ist, und dass nur der Vorzug 
eines vernünftigen Menschen darin bestehe, sich so zu 
betragen, dass sein Leben ... die möglichste Masse von 
vernünftigen, glücklichen Momenten enthalte.“ 24, 420. 
Die „glücklichen Momente“ von denen auch in der „Gene¬ 
ralbeichte“ die Rede ist (1, 81), sind die Apercus, die 
fruchtbaren Eingebungen, die aus der Dämmerung zur 
Klarheit führen. „Das Leben wird immer prägnanter“, 
schreibt der Greis noch 1826 an Boiss. (II, 440), und giebt 
damit einer Empfindung Ausdruck, die er sonst gern in 
das Gleichnis von den sybillinischen Blättern einkleidet. 
Über die Korrespondenz mit Schiller schreibt er an 
Schultz: „Die ersten Jahre höchst reich und prägnant“ 
S. 313; über Schubarth äussert er: „es ist bei ihm alles 
prägnant“ Gespr. 4, 296, und anderswo ist von einem 
„prägnanten Motiv“ die Rede (29, 453), einer „prägnanten 
Zeit“ W. IV. 23,82 und „prägnanten Augenblicken“ 23,310. 

Um nochmals auf „bedeutend“ zurückzukommen, 
so wird die Prägnanz, die im Grunde in der Erneuerung der 
ursprünglichen Funktion besteht = „was etwas oder viel 
bedeutet“, auch bewiesen durch die vereinzelte Verwen- 

9 * 



132 


düng als reines Participium, die bei Lessing und Winckel- 
mann auch sehr häufig ist; Goethe schreibt einmal: „Indem 
ich mich zeither mit der Lebensgeschichte wenig und viel 
bedeutender Menschen beschäftigte, ..." Spr. 152, und 
auch in dem Satze „zwar spricht er schon vieles Höchst¬ 
bedeutende aus" 29, 752, liegt dieselbe Konstruktion vor, 
falls kein Diktatfehler vorhanden ist. — Mit der Prägnanz 
von „bedeutend“ geht Hand in Hand die Beliebtheit des 
Verbums selbst, in Form des Simplex „deuten“. Wo 
immer eine Folgerung oder Beziehung sich ergiebt, wird 
sie durch „deuten“ eingeführt, das Goethe sicher auch 
wegen seiner Anschaulichkeit gefiel; es wirkt fast wie ein 
Wegweiser, der mit ausgestreckter Hand auf die „Ferne“ 
oder „Folge“ hinweist. So schreibt Goethe bereits aus 
Italien: „Sizilien deutet mir nach Asien und Afrika“ 24, 
211. Abstrakte Schlussfolgerungen werden vermieden und 
Ursache und Wirkung lebendig zur Anschauung gebracht: 
„Kleidung und Betragen der Einwohner ... deutete auf 
ein Verhältnis in die Ferne und machte den Bezug auf 
Paris anschaulich...“ 21, 193. „Ihre Schuhe, ... ganz 
bestaubt, deuteten ... auf einen langen, zurückgelegten 
Weg“ 18, 69. „Anlagen, welche sämtlich auf Nutzen und 
Genuss hindeuteten...“ 18, 82; „eine imposante Gestalt, 
welche sowohl nach der Armee als dem Hofe und dem ge¬ 
selligen Leben hindeutete...“ 18, 350. 


Es liegt im Wesen des Apercus, dass es plötzlich und 
unerwartet hervortritt, oder wie Goethe mehreremale 
sagt: „hervorspringt“. Diese Eigentümlichkeit, die sich 
metaphorisch in dem beliebten Bild von der Blendung des 
Auges durch das Übermass von Licht, auslöst (F. II, 4702; 
It. R. 24, 462; Spr. 331; 958; vgl.G.-J. 15, 268), hat auch 
einige Idiotismen gezeitigt, von denen „erschrecken“ 



133 


der auffälligste ist. Es hat nämlich bei Goethe häufig die 
sonst nicht nachweisbare Bedeutung: „mit Erstaunen 
wahrnehmen“. Sie tritt am klarsten hervor in einem 
Briefe an Schultz vom März 1824; er beschreibt hier den 
Eindruck, den der Abguss des kolossalen Kopfes der Juno 
Ludovici auf ihn machte, nachdem er ihn längere Zeit nicht 
gesehen hatte: „Mehrere Wochen war ich nicht in das 
grosse und durchkältete Zimmer gekommen, und als ich 
wieder hineintrat, erstaunt’ ich zum Erschrecken, so trat 
mir das erhabene, einzige Götterbild entgegen.“ Briefw. 
S. 304. Die Prägnanz von „erschrecken“ im Sinne eines 
gesteigerten Erstaunens entwickelt sich in der Weise dass 
der Vorgang der plötzlichen Erschütterung, der generell 
nur auf das Gefühlsleben bezogen wird, hier auch auf das 
geistige Leben angewendet scheint. Belege finden sich 
nur in den späteren Schriften, mit Ausnahme eines Briefes 
aus Italien vom 17. Mai 1788, in dem der Satz vorkommt: 
„Die Beschreibungen, die Gleichnisse etc. (bei Homer) 
kommen uns poetisch vor und sind doch unsäglich natür¬ 
lich, aber freilich mit einer Reinheit und Innigkeit gezeich¬ 
net, vor der man erschrickt.“ 24, 307. In einem früheren 
Briefe aus Italien vom 22. Jan. 1787 begegnet das Wort 
„erschrecken“ einmal in einer eigentümlichen Doppeldeu¬ 
tigkeit, indem sowohl ein Affekt wie eine geistige Über¬ 
raschung darunter verstanden werden kann. Goethe 
spricht von den unersetzlichen Verlusten, die Italien durch 
den Export von Kunstwerken beständig erleide, und die 
wenigstens zu mildem seien, wenn jedesmal ein Abguss 
zurückgelassen werde. „Hätte aber auch ein Papst solch 
einen Gedanken gehabt, Alles hätte sich widersetzt; denn 
man wäre in wenigen Jahren erschrocken über Wert und 
Würde solcher ausgeführten Dinge...“ 24, 155. Das Er¬ 
schrecken bezieht sich offenbar sowohl auf den Schmerz 
des Verlustes, wie auf die plötzliche Erkenntnis des Wer- 



134 


tes der verlorenen Güter. Das steigernde Verhältnis zu 
erstaunen, sowie die Übertragung von „erschrecken“ auf 
Lustgefühle, während generell nur Unlustgefühle damit 
bezeichnet werden, tritt sehr hübsch 4n folgendem Satze 
hervor, aus dem Aufsatz „Von deutscher Baukunst“ 1823: 
„Selbst der (Kölner) Dom inwendig macht uns ... zwar 
einen bedeutenden, aber doch unharmonischen Effekt; nur 
wenn wir ins Chor treten, wo das Vollendete uns mit über* 
raschender Harmonie an spricht, da erstaunen wir fröhlich, 
da erschrecken wir freudig und fühlen unsere Sehnsucht 
mehr als erfüllt.“ 28, 361. 

Sonst tritt das Wort isoliert auf; folgende Belege 
zeigen die Prägnanz am auffälligsten: „Diese Tage habe 
ich wieder Linnö gelesen und bin über diesen ausserordent¬ 
lichen Mann erschrocken. Ich habe unendlich viel von ihm 
gelernt, nur nicht Botanik. ZBr. ü, 334. „Diese Unter¬ 
suchungen (über Leonardos Abendmahl) ... nötigten mich, 
dem ausserordentlichsten Künstler und Menschen wieder 
einmal auf allen Spuren zu folgen; wo man denn doch über 
die Tiefe der Möglichkeit erschrickt, die sich in einem ein¬ 
zigen Menschen offenbaren kann.“ An Boiss. II, 208. 
(Über englische Kupfer zu Shakespeare): „Man erschrickt, 
wenn man diese Bilderchen durchsieht. Da wird man erst 
gewahr, wie unendlich reich und gross Shakespeare ist!“ 
Gespr. 5, 257. „Die Lehre vom direkten und obliquen Licht 
ist so fruchtbar, dass ich selbst noch oft dafür erschrecke.“ 
An Schultz S. 169. „Schlegel weiss unendlich viel, und 
man erschrickt fast über seine ausserordentlichen Kennt¬ 
nisse und seine grosse Belesenheit...“ Gespr. 6, 79. 

Bemerkenswert ist endlich der Gebrauch des transi¬ 
tiven „erschrecken“ in der kleinen Charakteristik „Her¬ 
ders Ausgang“ 27, 316 f., auch deshalb weil der aperQu- 
artige Charakter besonders ersichtlich wird. Goethe er¬ 
zählt hier sein letztes Zusammensein mit Herder kurz 



135 


vor dessen Tode, das ganz harmonisch begann, aber das un¬ 
erfreulichste Ende fand, indem Herder seine schönen Be¬ 
trachtungen über Goethes „Natürliche Tochter“ auf ein¬ 
mal „mit einem ... höchst widerwärtigen Trumpf endigte; 
... ich sah ihn an, erwiderte nichts, und die vielen Jahre 
unseres Zusammenseins erschreckten mich in diesem Sym¬ 
bol auf das Fürchterlichste. So schieden wir, und ich habe 
ihn nicht wieder gesehen.“ 27, 317. Man begreift erst die 
Wichtigkeit, die Goethe diesem Erlebnisse zuschreibt, 
wenn man seine Richtung auf das „Höhere“ damit zusam¬ 
menhält. Er hatte die Gabe, in unscheinbaren Äusserun¬ 
gen anderer und Anekdoten oft ein „Apercu“ zu ent¬ 
decken, und sie in höherem Sinne fruchtbar zu machen, wie 
sich Beispiele in Menge auf zählen Hessen; (vgl. übrigens 
die charakteristische Äusserung: „ich habe die Welt stets 
für genialer gehalten, als mein Genie.“ Gespr. 2, 292); so 
traf ihn auch diese Äusserung Herders 1 ) wie ein greller 
Blitz. Er übersah auf einmal den ganzen, langen Pfad des 
Lebens, den er mit Herder zusammengewandelt unter 
diesem Symbol und empfand aufs intensivste die bittere 
Ingredienz in Herders Charakter, seinen „misswollenden 
Widerspruchsgeist“, wie es zu Anfang des gleichen Auf¬ 
satzes heisst, der „seine unschätzbare, einzige Lebens¬ 
fähigkeit und Liebenswürdigkeit verdüsterte.“ — 


Ein weiterer Idiotismus, der von dem unvermittelten 
Eintreten des Apercus ausgeht und ausserdem den Begriff 
der plötzlichen Wendung einführt, ist das Wort „Epoche“. 


*) Zufolge einer Mitteilung, die Biedermann in einem Zusatz 
(Gespr. 9. 2, 280) veröffentlicht, lauteten Herders Worte: „Am Ende 
ist mir aber doch dein natürlicher Sohn lieber, als deine ,Natürliche 
• Tochter“*. 



136 


Es hat sich generell von der Bedeutung „Wendepunkt“ 
zu der von „Periode seit dem Wendepunkt“ und „Periode“ 
überhaupt, erweitert; wenn Goethe es daher am häufig¬ 
sten in dem ersteren Sinne anwendet, so liegt auch hier, 
wie so oft, nur ein Zurückgreifen auf die wörtliche Bedeu¬ 
tung vor. Die auffallende Beliebtheit des Wortes hat aber 
ihren Grund in der Anschauung von dem „Gewahrwerden 
grosser, produktiver Maximen“ (An Humboldt S. 294), 
das im inneren Leben eine Wendung herbeiführt, wie das 
„Ereignis“ im äusseren. 1 ) Auffällig ist die häufige Ver¬ 
wendung in den Briefen aus Italien, besonders mit Bezug 
auf seine künstlerische Entwickelung, und den wichtigen 
Einschnitt in derselben, den er, seinen Biographen voraus¬ 
eilend, auf Ostern 1788 ansetzte. Bereits im August 1787 
wird er sich klar, dass nach der Beendigung von Tasso und 
Faust, East und Umschau zu halten sei: „Ich habe alsdann 
eine Hauptepoche zurückgelegt, rein geendigt, und kann 
wieder anfangen und eingreifen, wo es nötig ist.“ 24, 382. 
Bald darauf, im Oktober, heisst es im allgemeinen: „Es 
geht mit mir jetzt eine neue Epoche an.“ 24, 422. Im 
Januar 1788 ist der Termin bereits festgesetzt: „Ich raffe 
alles mögliche zusammen, um Ostern eine gewisse Epoche, 
wohin mein Auge nun reicht, zu schliessen...“ 24, 464; 
am 22. März, dem Charsamstag, an dem auch Fausts 


x ) „Ereignis“ verdient eine kurze Berührung, als eins der Worte, 
die Goethe verinnerlicht und vergeistigt hat; es giebt den Begriff des 
Apercus wieder in Spr. 961: „So ist denn jede Annäherung ... an diese 
drei (Sokrates, Plato und Aristoteles) das Ereignis, was wir am freudig¬ 
sten empfinden...“ Es steht an geweihter Stelle, um die „Vollendung“ 
des Irrenden und Strebenden in ein Wort zu fassen, im Sinne von That, 
Erfüllung: „Das Unzulängliche Hier wird’s Ereignis.“ Es wird ferner 
einmal für das abstrakte „Sachverhalt“ gebraucht im Gegensatz zu 
den subjektiven Zuthaten: „Keine Zeit vermag das Leidenschaftliche 
von dem Ereignis zu trennen.“ 34. 87. 



137 


„Epoche" begann, schließet er die Rechnung ab und be¬ 
richtet an Herder: „Die Epoche, auf die ich hoffte, hat 
sich geschlossen und geründet." 24, 486. 

Die Beziehung von „Epoche" auf das äussere Geschehen 
hat an sich nichts Auffallendes; der Unterschied vom ge¬ 
wöhnlichen Gebrauch besteht nur darin, dass Goethe das 
Wort auch auf unwichtige Vorkommnisse anwendet, wo 
man „Zeit" oder „Zeitpunkt" erwarten würde. So ist 
bereits in der It. Reise von der „Epoche der Feldarbeit" 
die Rede 24, 271, und 24, 40 wird das Einbrechen der 
Nacht, der Augenblick, in dem die Magd mit dem Grass 
„Felicissima notte" die brennende Lampe ins Zimmer 
bringt, als „Epoche" bezeichnet. Anderswo heisst es mit 
Bezug auf Weihnachten: „diese ersehnte Epoche" (An 
Willem er, Briefw. S. 297). 


Neben die Terminologie des Schaffens tritt die des 
Erhaltens: „das Wahre muss gleich genutzt werden, sonst 
ist es nicht da.“ Spr. 928. Die Frage, wie geistige Güter 
in Umlauf zu setzen und zu nutzen seien, hat Goethe vor 
allen anderen in seinem Alter beschäftigt; wie er die 
eigene Produktion methodisch und später fast pedantisch 
regelte, so lag ihm nichts so sehr am Herzen, wie das 
Problem einer methodischen Nutzbarmachung des eige¬ 
nen und fremden Schaffens, der Umsetzung des Gedan¬ 
kens in „reine Thätigkeit". Weitaus die wichtigste Stel¬ 
lung nimmt hier ein Begriff ein, der die nach Ort und Zeit 
unmittelbare Bethätigung des Wahren als Ideal fordert, 
und allgemein eine der Hauptstützen von Goethes Denk¬ 
weise bildet: der Begriff „Gegenwart". Die Analyse 
desselben in R. Meyers Aufsatz: „Goethes Wortgebrauch" 
a. a. 0. S. 17—25, gehört zu den feinsinnigsten dieser Art. 
Demzufolge deckt sich der Gegensatz zwischen „Gegen- 



138 


wart“ und „Ferne“ für Goethe mit dem zwischen Anschau¬ 
ung und Idee, Wirklichkeit und Einbildung; bei zeitwei¬ 
ligem Interesse für die „Wirkung in di© Feme“ bleibt 
dennoch dem nach „anschauender Kenntnis“ Strebenden, 
die „Gegenwart“ Hauptforderung und Bedingung alles 
fruchtbaren Denkens und Thuns. In der Blütezeit dieses 
Begriffs erhebt sich das Wort zu besonderer Prägnanz 
und wird als „derbe, reine, ganz wahre“ Gegenwart der 
„scheinbaren“ gegenübergestellt (24, 54); unter letzte¬ 
rer ist dann die ideale Allgemeinheit zu verstehen gegen¬ 
über der individuellen Gegenwart, der blasse, unorga¬ 
nische Homunculus gegenüber der lebendigen Kraft, dem 
natürlichen Organismus, der eine „wahre, innere Existenz 
hat.“ Endlich im höheren Alter, nachdem die Idee über die 
Anschauung siegt, tritt das Verlangen nach ungestörter 
Kontemplation in seine Rechte; die Gegenwart wird ge¬ 
mieden als etwas Einschränkendes, die innere Freiheit 
Hemmendes; eine „heitere Wirkung in die Feme“ scheint 
dem Mystiker geeigneter, um alle persönlichen Reibungen 
zu vermeiden und allein der Idee zu dienen. 

Die „Wirkung in die Ferne“ war allerdings auch 
zu anderen Zeiten für Goethe neben der lebendigen Gegen¬ 
wart ein Mittel zur Fruchtbarmachung des Wahren, und 
die ganze Wendung ist stereotyp (vgl. R. Meyer a. a. 0. 
S. 20). Der räumlichen „Feme“ entspricht zeitlich die 
„Folge“; das Verhältnis beider zur Gegenwart erklärt 
Spr. 617: „Was man mündlich ausspricht, muss der Gegen¬ 
wart, dem Augenblick gewidmet sein; was man schreibt, 
widme man der Feme, der Folge.“ Das Wort „Folge“ ist 
der prägnante Ausdruck für den Begriff des steten Wachs¬ 
tums, der schrittweisen, folgerechten Entwicklung, und 
ist einer der häufigsten Idiotismen. Die „Folge“ ist auf 
geistigem Gebiet, was der Charakter auf sittlichem: „Cha¬ 
rakter im Grossen und Kleinen ist, dass der Mensch dem- 




139 


jenigen eine stete Folge giebt, dessen er sich fähig fühlt.“ 
Spr. 587. Folge ist es gerade, die dem Dilettanten fehlt; 
er „überspringt die Stufen, beharrt auf gewissen Stufen, 
die er als Ziel ansieht...“ 28, 177. Dagegen ist sie das 
Kennzeichen des Organischen: „die Natur kann zu allem, 
was sie machen will, nur in einer Folge gelangen.“ Gespr. 
2, 163. „In der Folge fruchtbar“, „reine Folge“ (z. B. 
Ann. 652; 15, 45) sind typische Wendungen. Die ausge¬ 
sprochene Beliebtheit des Wortes erklärt auch die Ver¬ 
wendung für „Reihe“, „Reihenfolge“, wie z. B. „eine Folge 
von begabten Männern“ 33, 95; „eine Folge von Momen¬ 
ten“ Ann. 477; „eine Folge zärtlicher und leidenschaft¬ 
licher Poesien“ 33, 80. 


Die Wichtigkeit der Antithese: „Gegenwart — 
Ferne“ wird es rechtfertigen, wenn hier noch einige 
Eigentümlichkeiten Goethes herangezogen werden, um die 
Wurzeln des Begriffes freilegen zu helfen. Dahin gehört 
seine Neigung zu „ideellen Dialogen“, über die er am aus¬ 
führlichsten DW. 22, 121 berichtet: „Er pflegte nämlich, 
wenn er sich allein sah, irgend eine Person seiner Bekannt¬ 
schaft im Geiste zu sich zu rufen. Er bat sie, niederzu¬ 
sitzen, ging an ihr auf und ab, blieb vor ihr stehen und 
verhandelte mit ihr den Gegenstand, der ihm eben im 
Sinne lag.“ Der sich hier aussprechende Drang zur ge¬ 
selligen Unterhaltung, zum „Diskurs“, ist im Grunde nur 
eine Äusserung des Verlangens nach lebendiger Gegen¬ 
wart, nach dem Schauen des geliebten Gegenstandes, 
„denn die Abwesenden sind wie die Toten fern“ An Frau 
v. Stein I, 143. Wie die räumliche, muss auch die zeit¬ 
liche Entfernung zur Gegenwart werden, um als lebendig- 
wirksam empfunden zu werden, und dieses Vermögen fand 
Goethe in sich ganz ungewöhnlich entwickelt. Er be¬ 
kennt darüber in DW. 22, 166: „Ein Gefühl, das bei mir 



140 


gewaltig überhandnahm, und sich nicht wundersam genug 
äussem konnte, war die Empfindung der Vergangenheit 
und Gegenwart in Eins: eine Anschauung, die etwas Ge- 
spenstermässiges in die Gegenwart brachte. Sie ist in 
vielen meiner grösseren und kleineren Arbeiten ausge¬ 
drückt..." Diese „gespenstermässige" Empfindung mag 
Goethe überkommen haben, als er Napoleon in Erfurt 1808 
gegenüberstand, in dem gleichen Zimmer, wo er „vor 
mehr als 30 Jahren zwischen mancher frohen auch manche 
trübe Stunde verlebt...“ Während der Kaiser sich mit 
Daru und Soult zwischendurch unterhielt, hatte Goethe 
Zeit, sich „im Zimmer umzusehen und der Vergangenheit 
zu gedenken. Auch hier waren es noch die alten Tapeten. 
Aber die Porträts an den Wänden waren verschwunden." 

27, 325. Die gleiche Empfindung, die hier in der annalen- 
haften Gedrängtheit nur durch die Zeilen hindurchklingt, 
kommt zu „wohlthätiger Wirkung" im Divangedicht „Im 
Gegenwärtigen Vergangenes" (4, 18), das 1814 beim An¬ 
blick der Wartburg entstand, und Erlebnisse, die über I 
vier Jahrzehnte auseinander liegen, in gleichzeitigem 
Schauen verknüpft. Auch die folgende Stelle in einem 
Briefe an Knebel bezieht sich auf diese Eigenheit: „Meine 
Sammlung von eigenhändigen Briefen bedeutender Men¬ 
schen wird mir immer interessanter, ja zuweilen furcht- j 
bar; man wird in ein vergangenes Leben, als in ein gegen¬ 
wärtiges versetzt, und wird verleitet, das gegenwärtige j 
als ein vergangenes anzusehen." II, 221. (1817.) j 

Eines schönen Bildes bedient sich Goethe einmal in j 
einem Briefe an Reinhard: „Indessen ich nun, wie ein 
wachender, nicht erwachter Epimenides, die vorüber¬ 
gezogenen Lebensträume durch den Flor einer, bewegten 
Gegenwart beruhigt schaue...“ S. 275 (1826). Es ist 
dieselbe mythologische Maske, unter der Goethe in dem 
Festspiel „des Epimenides Erwachen" zu der Welt redet; \ 



141 


als „wachender, nicht erwachter Epimenides“ übernimmt 
er die Rolle des träumenden Sehers, der in einer Art Halb¬ 
schlaf sich befindet» in einem Zustande, „von welchem 
geschrieben steht: Ich schlafe, aber mein Herz wacht“ 
DW. 23, 35, und der, über Zeit und Raum erhaben, Ver¬ 
gangenes und Gegenwärtiges als gegenwärtige Einheit 
schaut. So erzählt auch Epimenides gleich zu Anfang, 
ehe er in den abermaligen Schlaf versenkt wird, dass er 
auf das Angebot des Gottes, der ihm zwischen der Er¬ 
kenntnis der Gegenwart und der Zukunft die Welt stellte, 
sich keinen Augenblick besonnen habe: 

Gleich 

Mit heitrem Sinn verlangt’ ich zu verstehen, 

Was mir das Auge, was das Ohr mir beut. 

Und gleich erschien durchsichtig diese Welt 
Wie ein Krystallgefäss mit seinem Inhalt. 

(11. 1, 161.) 

Der Zustand des Halbschlafes, des Scheintodes, in den 
sich Goethe-Epimenides zeitweilig versenkt, um daraus 
zu gesteigerter Erkenntnis zu erwachen, wird später auch 
in der Figur des Merlin „des Alten im leuchtenden Grabe“ 
(1, 82) konkretisiert (vgl. auch R. Meyer, a. a. 0. S. 20, 
sowie unten S. 252). Daran reiht sich eine Stelle in den’ 
Wanderjahren, in der die gleiche Stimmung, die in dem 
erwähnten Divangedicht: „Im Gegenwärtigen Vergange¬ 
nes“ aus landschaftlichen Associationen hervorging, ge¬ 
nauer analysiert wird: „wenn die Anmut einer herrlichen 
Gegend uns lindernd umgiebt, wenn die Milde gefühlvoller 
Freude auf uns einwirkt» so kommt etwas Eigenes über Geist 
und Sinn, das uns Vergangenes, Abwesendes traumartig 
zurückruft und das Gegenwärtige, als wäre es nur Erschei¬ 
nung, geistermässig entfernt.“ 18, 236. Hier redet aller¬ 
dings nicht mehr der Goethe der „Anschauung“, sondern 



142 


der „Idee“, der die „derbe“ Gegenwart scheut und sich 
mit der „scheinbaren“ begnügt; aber auch jetzt noch be¬ 
darf er der Gegenwart im Geiste, der zeitlichen Gegen¬ 
ständlichkeit (wie man unter Benutzung von Heinroths 
Prägung [27, 351] sagen könnte), um die abwesenden Ge¬ 
stalten herbeizurufen und das durch das Medium der Ge¬ 
genwart Geschaute nunmehr als lebendigen Typus zu ver¬ 
ewigen. 

Noch eine Eigenheit Goethes findet hier eine teil¬ 
weise Erklärung: seine Gewohnheit des Diktierens, die er 
bekanntlich auch im brieflichen Verkehr konsequent fest¬ 
hielt, obwohl ihm nicht verborgen bleiben konnte, dass 
von vielen Seiten daran Anstoss genommen wurde (vgl. 
Frau v. Stein an Charlotte v. Schiller, Urlichs, Charlotte 
v. Schiller II, 353). Aber diese Gewohnheit erscheint in 
ganz anderem Lichte, wenn wir eine Äusserung in einem 
Briefe an die Gräfin Chasseport vom Jahre 1808 lesen: 
„Wenn ich im Zimmer auf und ab gehe, mich mit entfern¬ 
ten Freunden laut unterhalten kann und eine vertraute i 
Feder meine Worte auf fängt» so kann etwas in die Ferne 
gelangen. Mich hinzusetzen und selbst zu schreiben, hat 
etwas Peinliches und Ängstliches für mich, das mir .... 
die Vertraulichkeit lähmt.“ Str. Br. I, 108 (ähnlich an 
Gräfin O’Donell, W. IV, 23, 167). Auch hier macht sich 
das Verlangen nach Vergegenwärtigung des Gegenstan¬ 
des geltend, mit dem er sich in Liebe oder Neigung vei> 
bunden fühlt, in Übereinstimmung mit seiner einzig schö¬ 
nen Definition der Liebe in der öfters erwähnten Alters- j 
betrachtung 29, 236: „Alle Liebe bezieht sich auf Gegen- ■ 

wart“ etc. 

Ein Glied reiht sich an das andere in dieser Kette. 
„Gegenwart“ ist die Hauptmahnung Goethes an die jün¬ 
gere Dichtergeneration; kein elegisches Schwelgen in der i 
Vergangenheit, kein immerwährendes Trauern über un- | 



143 


wiederbringliche Verluste: „Man halte sich ans fortschrei¬ 
tende Leben“ 29, 231. König Ludwigs Gedicht über Wei¬ 
mar: „Träume her aus einem schönem Leben“ u. s. w. 
„schalt Goethe als zu subjektiv; es sei gar nicht poetisch, 
die Vergangenheit so tragisch zu behandeln, statt reinen 
Genusses und Anerkennung der Gegenwart, und jene erst 
totzuschlagen, um sie besingen zu können ... Weil die 
Menschen die Gegenwart nicht zu würdigen, zu beleben 
wüssten, schmachteten sie so nach einer besseren Zu¬ 
kunft, kokettierten sie so mit der Vergangenheit.“ Gespr. 
6, 198. Charakteristisch ist ferner die Verwerfung des 
Begriffes „Erinnerung“ im elegischen Sinne: „Es giebt 
kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es giebt 
nur ein ewig Neues...“ Gespr. 4, 311 (vgl. unten S.213). 
So verhasst war ihm das elegische Schmachten nach dem 
Unerreichbaren, dass er auf das Gedicht von W. Ueltzen 
„Namen nennen Dich nicht...“, worin die Unnahbarkeit 
Gottes in ohnmächtigen Negationen besungen wird, ein 
Gegengedicht schrieb und darin in kräftiger, positiver 
Sprache die „Gegenwart“ Gottes feierte: „Alles kündet 
Dich an!“ 

Die Gegensätze: klassisch—romantisch, gesund— 
krank, tüchtig—problematisch, decken sich unter diesem 
Gesichtspunkt mit Gegenwart—Abwesenheit, denn die Ab¬ 
kehr von der Wirklichkeit ist ein Symptom der Romantik; 
damit hängt Goethes Abneigung gegen die Neu-Roman¬ 
tiker zusammen, besonders gegen die „altertümelnde“ 
Richtung. Sehr fein wird in Spr. 195 „das sog. Roman¬ 
tische einer Gegend“ erklärt als „ein stilles Gefühl des 
Erhabenen unter der Form der Vergangenheit oder, was 
gleich lautet, der Einsamkeit, Abwesenheit, Abgeschie¬ 
denheit.“ 

Die Mahnung, der Gegenwart fest ins Auge zu sehen, 
bildet den Kernpunkt der beiden Aufsätze „Für junge 



144 


Dichter“ 29, 228 ff.; sorgfältig wird aber unterschieden 
zwischen elegischer und „heiterer“ Entsagung. Von dem 
Träumer und „Fordernden“ entfernt sich die Muse „und 
sucht die Gesellschaft des heiter Entsagenden, ... der 
jeder Jahreszeit etwas abzugewinnen weiss...“ Man 
sieht hier deutlich, wie selbst das missbrauchte „heiter“, 
das so typisch ist für die Periode der Erstarrung, einen 
tieferen Inhalt verbirgt, denn unter „heiterer Entsa¬ 
gung“ ist das freudige, gesunde Verzichten auf das Un¬ 
erreichbare und Schrankenlose zu verstehen, analog dem 
„ruhigen Verehren des Unerforschlichen“ Spr. 1019, statt 
transcendierender Spekulation. Zum Wirken in der Ge¬ 
genwart wird Wilhelm Meister erzogen, und es gehörte 
„zu den sonderbaren Verpflichtungen der Entsagenden 
auch die, dass sie, zusammentreffend, weder vom Vergan¬ 
genen noch Künftigen sprechen durften; nur das Gegen¬ 
wärtige sollte sie beschäftigen.“ 18, 56. 

Es Hesse sich noch daran erinnern, wie schon der 
junge Goethe so von der Macht der Gegenwart durchdrun¬ 
gen war, dass er einmal in einem Briefe an Friderike öaer 
ausruft: „der liebenswürdigste Brief enthält nicht das 
hundertste Teil von dem Reiz der Unterredung“ DjG. 1, 
49 (1769); — wie die gleiche Empfindung ihn im Alter zu 
dem paradoxen Ausspruch veranlasst, dass „Schreiben nur 
ein Missbrauch und alle wahre Mitteilung nur im leben¬ 
digen Gespräch zu finden sei...“ (berichtet von Boisseree 
II, 22); — wie endlich die Ansicht, dass „die Poesie nicht 
fürs Auge gemacht sei“ (24, 155) häufig bei Goethe wie¬ 
derkehrt: — immer wieder ist es die gleiche Wurzel, das 
Prinzip der lebendigen Gegenwart, woraus sich die ent¬ 
legensten Triebe ableiten lassen. 


Die Terminologie, die auf die Fruchtbarmachung des 
Wahren zielt, umfasst ausser den Kernbegriffen der Ge- 



145 


genwart und der Wirkung in die Ferne noch einige andere 
Idiotismen, die auf der Idee der Gemeinschaft und der ge¬ 
meinsamen Arbeit beruhen und sich zu einer Gruppe ver¬ 
einigen lassen: Verhältnis — Teilnahme — Förderung — 
Wohlwollen. Sie gehören alle dem Altersstil an und ge¬ 
winnen an Prägnanz, je mehr das Verlangen nach Gegen¬ 
wart dem stillen „Wirken in die Ferne" weicht, und je 
mehr das unmittelbare persönliche Eingreifen Ersatz und 
Verstärkung sucht durch das Zusammenwirken der Gleich¬ 
gesinnten im Dienste einer Idee. Eine allgemeine Be¬ 
trachtung über Goethes Auffassung von Methode und Ziel 
der geistigen Arbeit möge auf die Würdigung im einzel¬ 
nen vorbereiten. 

Goethe war im eminenten Sinne ein positiver Geist, 
Er hat zwar der Weltliteratur in der Figur des Mephisto¬ 
pheles den Typus der Verneinung geschenkt und ist selbst 
durch die bittersten Phasen der Verneinung hindurchge¬ 
gangen, von den Selbstmordgedanken der Jugend bis zu 
der Altersstimmung, in der ihm das Weltgeschehen nur 
noch als „das Absurdeste, was es giebt“, erschien (Gespr. 
6, 269). Aber solche Stimmungen waren doch nur krank¬ 
hafte Durchgangsstadien, aus denen er selbst immer wie¬ 
der zu gesundester Positivität erwachte. „Ich ehre und 
liebe das Positive,“ schreibt er 1829 an Staatsrat 
Schultz, „und ruhe selbst darauf, insofern es nämlich von 
Uralters her sich immer mehr bestätigt und uns zum wahr¬ 
haften Grunde des Lebens und Wirkens dienen mag.“ 
(S. 360.) Diese Positivität aber äussert sich in einer un¬ 
geheuren Arbeitskraft, in einem rastlosen Streben, sich 
selbst zu „fördern“, andere zu fördern, und sich wiederum 
fördern zu lassen. Er hatte deshalb eine so „reine“ Freude 
an Arbeit, weil „arbeiten“ für ihn gleichbedeutend war 
mit „fördern“. Alles was sich an seine Bestrebungen „an¬ 
schloss“, nahm er auf, gegen alles, was ihn hemmte, ver- 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 10 



146 


hielt er sich „ablehnend“. So ist er vor allem im wissen¬ 
schaftlichen Leben neidlos bestrebt, an alle, die „gleich¬ 
strebend“ mit ihm sind, sich anzuschliessen, ein „Verhält¬ 
nis mit ihnen zu gewinnen“, alles zu ergreifen, was „ge¬ 
winnreich“ und „fördernd“ ist. Liest man die Annalen 
von diesem Gesichtspunkte, so stellen sie sich dar als eine 
Geschichte der „fördernden Verhältnisse“. Auf jeder 
Seite fast wird von Verhältnissen berichtet, die in alter 
Weise weiterbestehen oder r.eu angeknüpft werden. Man 
fühlt sich wie von einem mächtigen Strome getragen, der 
fort und fort sich weitet, von allen Seiten Zuflüsse auf¬ 
nimmt, immer reiner und klarer die Welt in sich spiegelt 
und doch nie ermattet in seiner Lebenskraft und Arbeits¬ 
freude, in seinem Verlangen nach neuen Zuflüssen. 

Folgende Stelle aus den Annalen möge hier einge¬ 
rückt werden als typisch für diese Art der Berichterstat¬ 
tung: „Zu Schelling und Schlegel blieb ein thätiges, mit¬ 
teilendes Verhältnis. Heck hielt sich länger in Weimar 
auf; seine Gegenwart war immer anmutig fördernd. Mit 
Paulus blieb ebenfalls ein immer gleiches Verbündnis; wie 
denn alle diese Verhältnisse durch die Nähe von Weimar 
und Jena sich immerfort lebendig erhielten und durch 
meinen Aufenthalt am letzteren Orte immer mehr bestä¬ 
tigt wurden.“ Ann. 220 (über das Jahr 1801; geschrieben 
nach 1820). — Wie er selbst sein rastloses Dasein formt, 
so wird er nicht müde, zu gleichem Thun aufzufordern, 
Übereinstimmung, Anschluss und thätige Gemeinschaft 
zu predigen. Alle Einigungsideen des alternden Goethe 
zielen auf dieses Ideal einer Vereinigung der Gleichge¬ 
sinnten und Gleichstrebenden zu gegenseitiger Förde¬ 
rung: die „stille Kirche der Ernsten“, denen die Förde¬ 
rung der Weltliteratur obliegt (29, 675), — wie die „Ge¬ 
meinschaft der Heiligen“ (Z. Br. VI, 212; 18, 167)> — wie 
endlich der „Weltbund“ in den Wanderjahren, der auf 



147 


dem Begriff der Weltfrömmigkeit ruht (18, 245), auf der 
Anschauung, dass „der Einzelne sich nicht hinreichend“ 
sei... alle brauchbaren Menschen sollen in Bezug unter 
einander stehen...“ 18, 357. 

Es könnte zu weit ausgeholt scheinen, zu sprach¬ 
lichen Erläuterungen nach so breiter Basis zu suchen, 
aber die Intensität der Wortbedeutung steigt und fällt 
mit der Höhe der Gesamtkultur, im kollektiven wie indi¬ 
viduellen Sinne. Auch empfiehlt es sich bei der Betrach¬ 
tung eines Lebensbildes, wie desjenigen Goethes, von Zeit 
zu Zeit etwas zurückzutreten, um die Gesamtproportionen 
nicht aus dem Auge zu verlieren, und dann wieder die Ein¬ 
zelheiten aus grösserer Nähe zu analysieren. Wie hand¬ 
lich und unentbehrlich Goethe das Wort „Verhältnis“ 
sein musste, ist aus dem vorigen ersichtlich. Abgesehen 
von der Beliebtheit als reine Zustandsbezeichnung ent¬ 
wickelt es noch eine besondere Prägnanz als „gutes Ver¬ 
hältnis, Freundschaft“. Diese Bedeutung liegt auch zu 
Grunde in den stehenden Wendungen: „ein Verhältnis ge¬ 
winnen“ (z. B. an Z. IQ, 288; Ann. 538), „in ein Verhältnis 
treten“, „es ergiebt sich ein Verhältnis“, und ähnliche, 
die besonders in den biographischen Schriften anzutreffen 
sind. 

„Teilnahme“ ist nicht minder häufig; es erscheint 
im prägnanten Sinne = „Beifall, Förderung“, überall wo 
die Berührung mit „wohlwollenden, einstimmenden Zeit¬ 
genossen“ ausgesprochen wird, besonders in den Annalen: 
„Wilhelm v. Humboldts Teilnahme war ... fruchtbarer“ 
Ann. 111; „Schillers Teilnahme nenne ich zuletzt, sie war 
die innigste und höchste.“ Ann. 112. Gelegentlich wird 
diese Prägnanz auch durch ein Beiwort betont, wie: „thä- 
tige Teilnahme“ An Schultz S. 136 (vgl. auch „thätiger 
Bezug“ An Schultz S. 310); „wahre Teilnahme“ 22, 165. 
Riemer verweist Mitteil. I, 211 sehr passend auf eine Um- 

10 * 



148 


Schreibung des Begriffes in einem Briefe an Schiller: 
„Übrigens ist mir alles verhasst, was mich bloss belehrt, 
ohne meine Thätigkeit zu vermehren, oder unmittelbar zu 
beleben.“ (19. Dez. 1798.) Hier ist allerdings von dem 
eigenen Teilnehmen an anderen Dingen die Rede; aber in 
beiden Fällen, mag die Teilnahme sich auf den Sprechen¬ 
den erstrecken oder von ihm ausgehen, muss Thätigkeit 
hinzutreten. Für diese Vorstellung bildet sich später die 
stereotype Verbindung: „Teilnahme und Förderung“: „wir 
sehnen uns nach Hilfe, Teilnahme, Fordernis“ 33, 95; „man 
traf ihn (Karl von Dalberg)) stets rührig, teilnehmend, 
fördernd“ 33, 83; „frische Teilnehmer und künftige Beför¬ 
derer“ 33, 94; u. a. 

In einem der kleinen Beiträge „Zur Morphologie“, 
denen die letzten Belege entnommen sind, wird ein be¬ 
merkenswerter Unterschied gemacht zwischen wissen¬ 
schaftlichen und „ästhetischen“ Arbeiten; nur bei erste- 
ren wird jenes Prinzip der genossenschaftlichen Arbeit 
verlangt, bei den ästhetischen dagegen bekennt Goethe 
„wenig Genuss am Beifall und von der Missbilligung wenig 
Ärger“ empfunden zu haben. Vielmehr giebt hier „das 
Gefühl, dass man das alles allein ... thun müsse, ... dem 
Geist eine solche Kraft, dass man sich über jedes Hinder¬ 
nis erhoben fühlt.“ 33, 95. Damit stimmt überein, was 
Goethe in DW. über die Aufnahme von Werthers Lei¬ 
den und seine Gleichgiltigkeit gegen die Kritik erzählt 
(22, 134; 136; vgl. auch 29, 349 über Gleichgiltigkeit 
gegen Lob und Tadel). — Ganz anders verhält es sich mit 
wissenschaftlicher Arbeit; „wir fühlen, dass hier der Ein¬ 
zelne nicht hinreicht. Wir dürfen nur in die Geschichte 
sehen, so finden wir, dass es einer Folge von begabten 
Männern durch Jahrhunderte durch bedurfte, um der 
Natur und dem Menschenleben etwas abzugewinnen.“ 33, 
95. Man begreift so die grosse Sorgfalt, mit der Goethe 



149 


hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Leistungen jede 
Äusserung pro et contra registrierte, sich lange Über¬ 
setzungen aus französischen Journalen nicht verdriessen 
Hess, und wie ihn besonders hinsichtlich seines Schmer¬ 
zenskindes, der Farbentheorie, die geringsten Beifalls¬ 
bezeugungen kindlich erfreuten. So ist z. B. auch die „Ge¬ 
schichte meines botanischen Studiums" wiederum eine 
Darstellung „fördernder Verhältnisse". 

Die Prägnanz des Wortes „fördern" geht schon aus 
den Verbindungen mit „Teilnahme" und „Verhältnis" her¬ 
vor und auch sonst erfüllt es als Verbum die gleiche Funk¬ 
tion, wie das Adjektiv „fruchtbar“. So ist z. B. Spr. 937: 
„Das Wahre fördert; aus dem Irrtum entwickelt sich 
nichts, er verwickelt nur,“ eine Parallelstelle zu dem be¬ 
kannten Verse des „Vermächtnisses": „Was fruchtbar ist, 
allein ist wahr“ (3, 192). Sehr klar wird die Prägnanz in 
einer Stelle aus dem „Wort für junge Dichter“: „fragt 
Euch nur bei jedem Gedicht, ob es ein Erlebtes enthalte, 
und ob dies Erlebte Euch gefördert habe! Ihr seid nicht 
gefördert, wenn Ihr eine Geliebte, die Ihr durch Entfer¬ 
nung, Untreue, Tod verloren habt, immerfort be¬ 
trauert ...“ 29, 231. Der letztere Gedanke „Trauer för¬ 
dert nicht“ enthält eine Maxime, die Goethe selbst, je 
älter er wurde, um so konsequenter befolgte, indem er 
sich allen Stimmungen anhaltender Trauer gegenüber, im 
„positiven Egoismus“ abzuschliessen suchte; gerade die¬ 
ser Zug ist am häufigsten missverstanden und als Kalt¬ 
herzigkeit ausgelegt worden. Er sah in der Trauer nur 
ein Retrospektives, Negierendes; nur dasjenige Erleben 
aber fördert, worin ein Fortschreitendes, ein Aufstieg 
enthalten ist. Sehr bezeichnend ist, dass Goethe dazu 
nicht nur das Selbsterlebte rechnet, sondern auch „was 
Freunde mit und für uns thun...; denn es stärkt und för¬ 
dert unsere Persönlichkeit“ 33, 131 = Spr. 1032. Die 



150 


geistige Einheit der „Gemeinschaft der Heiligen“ könnte 
nicht schöner bewiesen werden. Dagegen „kommen 
Widersacher nicht in Betracht... denn sie können mich 
nicht fördern, und das ist’s, worauf , im Leben alles an¬ 
kommt.“ 27, 352 (ähnlich 33, 131). 

Des Wortes „Wohlwollen“ ist schon oben (S. 119) 
im Zusammenhang der ethischen Wertungen gedacht. In 
geistiger Hinsicht bewirkt eine feine Verschiebung den 
Übergang von der rein ethischen Färbung zu dem allge¬ 
meineren Bezüge auf die Denkweise einer Person. So bil¬ 
det sich für „wohlwollend“ die Bedeutung „gleichgesinnt, 
gleichstrebend“, („meine Wohlwollenden“ = „meine An¬ 
hänger“ z. B. 20, 5; 18, 130; W. IV, 19, 381; an Zelter IV. 
227; VI, 345). Das „Wohlwollen“ ist prägnant „die thä- 
tige Teilnahme, die Übereinstimmung“. Welches Gewicht 
Goethe auf diesen Begriff legt, zeigt Spr. 40: „Man ist 
nur eigentlich lebendig, wenn man sich des Wohlwollens 
anderer erfreut,“ wozu Loeper als Parallelstelle den 
Schluss des Gedichtes „Den Freunden“ 3, 348 heranzieht: 

Wohlwollen unsrer Zeitgenossen 

Das bleibt zuletzt erprobtes Glück. 

Fälle wie: „Wohlwollen gegen die Wanderjahre“, „Teil¬ 
nahme an den Wanderjahren“ 29, 311 zeigen den typischen 
Gebrauch des Wortes im Sinne von „beifällige Aufnahme“. 


Nach allem, was über die indifferenten Ausdrücke der 
anderen Gruppen gesagt ist, bleibt hinsichtlich der vorlie¬ 
genden wenig hinzuzufügen. Das beliebte „schätzbar“ be¬ 
gegnet auch in der stereotypen Verbindung: „schätzbare 
Bemühungen“ (z. B. 29, 336). Sehr steif klingt uns „löb¬ 
lich“, eine ebenfalls stereotype Wertung, die gelegent¬ 
lich sogar im Hochton steht: „wir haben Herrn Manzo- 



151 


nis Absichten löblich, natur- und kunstgemäss gefun¬ 
den...“ 29, 630. Das Modewort des 18. Jahrhunderts 
„artig“ kehrt auch bei Goethe zum Überdruss wieder; die 
Vielseitigkeit möge illustriert werden durch Sätze wie: 
„Die Ausstellung war nicht brillant, aber artig“ An Kne¬ 
bel lf 259; „Lauffen hat eine artige Lage“ 26, 64 (die Be¬ 
ziehung auf den freundlichen Eindruck einer Landschaft 
ist besonders häufig, vgl. 26, 56; 104; 123 u. s. w.). 
Stehende Verbindungen sind: „ein artiges Mädchen“, „ein 
hübscher, junger Mann“, (z. B. 22, 18); auch Wendungen 
wie: „ein wohlgebildeter“ (18, 65; 22, 183), „ein wohl¬ 
gebauter“ (18, 180), „ein wohlgestalteter“ junger Mann 
(21, 103) sind stereotyp. „Treu“ verliert bei Goethe 
häufig den ethischen Bezug gänzlich und wird identisch 
mit „rein, genau“ im Sinne einer klaren Anschauung und 
Wiedergabe der Aussenwelt, vgl.: „der rein-treue Ernst 
des Auffassens...“ Spr. 317; „man erweise sich frisch 
und treu, alles zu beachten...“ Spr. 776; „man muss ihm 
zugestehen, er habe... ländlich-einfache Stoffe ... treu 
... behandelt“ An M. Meyr, Str. Br. I, 467. Im Briefstil 
des Alters spielen „treu“ und „treulich“ eine hervor¬ 
ragende Rolle. 1 ) 

Eingehender sind zwei andere, generell ganz indiffe¬ 
rente, Ausdrücke zu behandeln: „fasslich“ und „ge¬ 
hörig“. Gerade solchen abgebrauchten Worten wandte 
Goethe oft sein Interesse zu und suchte ihre verwischte 
Prägnanz wiederherzustellen, gelegentlich sogar durch 


*) Erwähnung verdient „zutraulich“ wegen der heute fremd¬ 
artig berührenden Verwendung = „voll Vertrauen“: „verehrend und 
zutrauend“ An Voigt S. 313; . . . „Vortrag dieses Anliegens zutrau¬ 
lich überlassend“ An H. Meyer 25. Juli 1828; „ich trete zutraulich . . . 
hervor und erkundige mich nach Ihrem Befinden“ An Voigt S. 270. 
„Dünkel eines zutraulichen Selbstgefühls“ 4, 2G8 (hier = selbst¬ 
vertrauend). 



152 


sprachtheoretische Erörterungen. So finden wir über die 
genannten beiden Worte eine kleine Betrachtung in Spr. 
292: „Das Fassliche gehört der Sinnlichkeit und dem Ver¬ 
stände. Hieran schliesst sich das Gehörige, welches ver¬ 
wandt ist mit dem Schicklichen. Das Gehörige jedoch ist 
ein Verhältnis zu einer besonderen Zeit und entschiede¬ 
nen Umständen." Warum diese Worte Goethes Interesse 
erregten, wird ersichtlich, sobald man sich daran er¬ 
innert, dass sie dem Vorstellungskreise der „Beschrän¬ 
kung" angehören: „fasslich" bezieht sich auf die Schran¬ 
ken der Vernunft, „schicklich" auf die der Sitte im all¬ 
gemeinen, „gehörig" auf die der Sitte und bei Goethe 
, auch des Geistes und der Kunst im einzelnen Falle. Über 
Ursprung und Datierung des Spruches scheint nichts be¬ 
kannt zu sein; doch hat sich der praktische Gebrauch 
schon viel früher festgesetzt» denn „gehörig" ist bereits 
in dem Aufsatz „Von deutscher Baukunst: 1773" mit siche¬ 
rer Schärfe verwandt. Goethe tadelt hier die Doktrinäre 
und „philosophierenden Kenner", die sich die Kunstge¬ 
schichte nach vorgefassten Prinzipien konstruieren und 
an den Bauten der Gotik vorübergehen, weil sie nicht in 
ihr System passen. Insbesondere wendet er sich gegen 
die „protoplastischen Märchen" der Schule Rousseaus, wo¬ 
nach alles von einer primitiven architektonischen Urform 
abzuleiten wäre, unter Abweisung dessen, was sich nicht 
in dies Prinzip einfügt. „Daraus entscheidest du das Ge¬ 
hörige unserer heutigen Bedürfnisse, eben als wenn du 
dein neues Babylon mit einfältigem, patriarchalischem 
Hausvatersinn regieren wolltest." DjG. 2, 206. Hält 
man dazu die einige Zeilen vorher fallende Äusserung: 
.. .„Mutter Natur, die das Ungehörige und Unnötige ver¬ 
achtet und hasst...", so ist die Prägnanz des Wortes un¬ 
zweifelhaft: es ist der Ersatz für das spätere „gemäss", 
und würde in diesem Zusammenhang heute etwa mit „cha- 



153 


rakteristisch“ oder „individuell“ wiedergegeben werden. 
Ganz in derselben Weise steht es in der „Dritten Wall¬ 
fahrt“ 1775, in dem bedeutungsvollen Satz, der den Be¬ 
griff der notwendigen „inneren Form“ so schön definiert: 
„Mit jedem Tritte überzeugte man sich mehr, dass Schö¬ 
pfungskraft im Künstler sei auf schwellendes Gefühl der 
Verhältnisse, Masse und des Gehörigen...“ DjG. 3, 696. 
Schon Hildebrand macht im DWb. IV, 1. 2. 2529 auf Ein¬ 
fachheit und Tiefe des Ausdrucks aufmerksam. 

In diesem zweiten Belege bezieht sich „gehörig“ auf 
das Ästhetisch-Gemässe, und diese Verengerung der Be¬ 
deutung kehrt wiederholt wieder. So ruft Goethe in dem 
Aufsatz: „Nach Falconet und über Falconet“, der vor 1775 
entstanden ist, ironisch aus, indem er zur Verteidigung 
der Realistik Rembrandt’s auf einige grobe historische 
Schnitzer Raphaels hinweist: „Das ist nun schicklich! Das 
ist gehörig!“ DjG. 3, 692. Sehr scharf tritt die Prägnanz 
auch hervor in einer Stelle des Aufsatzes „Plato als Mit¬ 
genosse einer christlichen Offenbarung“, aus dem Jahre 
1796, der gegen Stolbergs falsche Interpretation des Pla¬ 
tonismus gerichtet ist. Es handelt sich darin u. a. um die 
Figur eines Rhapsoden, der nach Goethes Auffassung nicht 
von Sokrates im Ernste belehrt, sondern nur in seiner 
ganzen Beschränktheit ironisiert wird. Denn hätte er 
„nur einen Schimmer Kenntnis der Poesie gehabt, so 
würde er auf die alberne Frage des Sokrates: wer den 
Homer, wenn er von Wagenlenken spricht, besser ver¬ 
stehe, der Wagenführer oder der Rhapsode? keck geant¬ 
wortet haben: Gewiss der Rhapsode; denn der Wagen¬ 
lenker weiss nur, ob Homer richtig spricht, der einsichts¬ 
volle Rhapsode weiss, ob er gehörig spricht, ob er als 
Dichter ... seine Pflicht erfüllt.“ 29, 488. Ähnlich wird 
im Benv. Cellini ein künstlerisch wertvolles und dank¬ 
bares Motiv als „gehörig“ bezeichnet 30, 416. 



154 


Aul die spätere Zeit beschränkt ist das Wort „fass¬ 
lich“, das bei Goethe ebenfalls eine besondere Prägnanz 
zeigt. Seitdem ihm in Italien der Geist der Antike* die 
Schönheit des Diesseits und der sinnlichen Erscheinungs¬ 
welt aufgegangen war, finden wir bei ihm das konsequente 
Bestreben, allem, was für die Sinne nicht erreichbar ist 
und über die Grenzen eines „reinen“ Anschauens hinaus¬ 
geht, zunächst auszuweichen und es vielmehr an sich 
„herankommen zu lassen“ 1 ) Noch in seinem letzten Briefe 
an Boisseröe hat er sich zu dieser Richtung bekannt, „das 
möglichst Erkennbare, Wissbare, Anwendbare zu begrei¬ 
fen“ (ü, 591), und dieses „Wissbare“, das Spencersche 
„Knowable“ ist auch mit „fasslich“ gemeint. So gewinnt 
die Beschreibung der Rheinfalls bei Schaff hausen im Tage¬ 
buch 1797 an Bedeutung: „Der Rheinfall von vorn, wo er 
fasslich ist, bleibt noch herrlich, man kann ihn auch 
schön nennen.“ 26, 108. Man darf dabei an Goethes Ab¬ 
neigung gegen Naturphänomene denken, die ihm zu unge¬ 
heuer waren, um sie nach Ursache und Wirkung zu begrei¬ 
fen, um sie innerlich wirklich zu erleben. Es entspricht 
ganz Goethes Empfinden, wenn er Wilhelms ersten Eindruck 
beim vollen Anblick des ganzen Sternenhimmels auf der 


0 Das Prinzip der geistigen Selbstbeschränkung, das vor dem 
„Un erforsch liehen“ (Spr. 10, 19), den „Urphänomenen“ Halt macht, 
geht durch die ganze Denkweise Goethes hindurch. So äussert er sich 
einmal über das Übersetzbare: „Beim übersetzen muss man sich nur 
ja nicht in unmittelbaren Kampf mit der fremden Sprache einlassen. 
Man muss bis an das Unübersetzbare herangehen, und dieses 
respektieren; denn darin liegt eben der Wert und der Charakter einer 
jeden Sprache.“ Gespr. 6, 265 (vgl Spr. 614). Wenn Goethe ferner 
an Reinhard schreibt: „Wenn wir die Vorzüge (eines bedeutenden In¬ 
dividuums) anerkennen, so lassen wir das, was wir an ihnen problema¬ 
tisch finden, auf sich beruhen. . .“ S. 104, — so liegt auch hier das 
gleiche Prinzip zu Grunde, das natürlich mit dem der sittlichen Be¬ 
schränkung aufs innigste verknüpft ist. 



155 


Sternwarte in die Worte kleidet: „Das Ungeheure hört auf, 
erhaben zu sein; es überreicht unsere Fassungskraft, es 
droht uns zu vernichten.“ 18, 131 (Zur Sache vgl. Har- 
nack, Goethe in der Epoche der Vollendung, S. 64 ff., 
R. Meyers Goethe-Biographie S. 668 ff.). 

Die Verwandtschaft von „fasslich“ und „gemäss“ ist 
offenbar; daher die Definition von „fasslich“ in Spr. 862: 
was „dem menschlichen Geiste in seinem gemeinen Zu¬ 
stande gemäss und bequem ist.“ Was ihn zu der Antike 
hinzog, war „der Alten fasslicheres Verdienst“ DW. 21, 
94, und wehmütig gedenkt er in einem der letzten Briefe 
an W. v. Humboldt angesichts der Juli-Revolution jener 
Zeiten, „wo wir mit unserem grossen, edlen Freund ver¬ 
bunden, dem fasslich Wahren nachstrebten...“ S. 290. 
Die Beschränkung auf das „Fassliche“ war es, die er am 
deutschen Geiste vermisste; besonders häufig klagt er 
über die Deutungssucht und die Ausleger, die überall den 
Eingang suchen, „nur nicht durch die Thür“ (An Zelter II, 
243); mit Bezug auf Wilh. Meister äussert er Ann. 104 
den Wunsch: „man möchte die Sache nehmen, wie sie lag, 
und sich den fasslichen Sinn zueignen.“ 


Ähnlich wie in der positiven Abteilung dieser Gruppe 
lassen sich auch in der negativen verschiedene Reihen 
unterscheiden, die sich alle um den Begriff des „Falschen“ 
als Achse drehen, aber von verschiedenen Seiten dieses 
Begriffs ausgehen. Das Wort „falsch“ hat selbst nur in 
der bereits behandelten Verbindung: „falsches Streben“ 
(s. oben S. 57) eine besondere Prägnanz entwickelt, wäh¬ 
rend es hier nur in sachlicher Hinsicht als Schwerpunkt 
in Frage kommt. Man kann auch hier von dem unerschöpf¬ 
lichen Spr. 937 ausgehen: „Das Wahre fördert; aus dem 



156 


Irrtum entwickelt sich nichts, er verwickelt uns nur.“ 
Die ganze Terminologie dieser Gruppe lässt sich, um ein 
äusseres Hilfsmittel anzuwenden, leicht nach der letzte¬ 
ren Antithese gliedern, die mit Anschliessung der betref¬ 
fenden Vorstellungsreihen lauten würde: der Irrtum, aus 
der „Dumpfheit“ (im negativen Sinne) geboren, von „trü¬ 
ber“ Färbung, verwickelt den Menschen ins „abstruse“, 
„grillenhafte“, ist von „wunderlichen“ Erscheinungen be¬ 
gleitet und endigt im „Absurden“, im „Fratzenhaften“, 
—er entwickelt dagegen nichts infolge seiner Beschränkt¬ 
heit, sondern führt zu „Nullitäten“, zum „Unzulänglichen“ 
und nährt das Organ des „Misswollens“. 

In der ersten Reihe fällt zunächst das Wort „dumpf“ 
auf. Der eigentümliche Prozess, den dieser Ausdruck 
bei Goethe durchlaufen hat, ist zuerst von R. Meyer (a. a. 
0. S. 2—7) auf gedeckt worden; er bietet einen der instruk¬ 
tivsten Fälle von individuellem Bedeutungswandel, vor 
allem auch deshalb, weil alle Stadien durch reichliches 
Material vertreten sind und sich zeitlich genau abgrenzen 
lassen. Das Ergebnis von R. Meyers Untersuchung ist, 
dass „dumpf“ in den Jahren 1776—1780 von Goethe im 
positiven Sinne eines träumerischen Zustandes, einer kei¬ 
menden Stille, eines dunklen Dranges, der zur Klarheit 
strebt, gebraucht wird, dass diese Anwendung aber auf¬ 
hört, sobald Goethe dieses Stadium abgeschlossen hat 
und zur Klarheit gelangt ist; von da ab hat „dumpf“ nur 
noch die Bedeutung „thöricht, stumpf, dumm“. — Zu die¬ 
ser Analyse werden im folgenden einige Zusätze geboten, 
in denen vor allem das Verhältnis von Wort und Vor¬ 
stellung ins Auge gefasst und eine genaue Scheidung zwi¬ 
schen der positiven und negativen Färbung angestrebt 
wird. 

Was zunächst die Bedeutungsgeschichte und generelle 
Verwendung des Wortes anbetrifft, so kommt dasselbe 



157 


erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts vor (vgl. Pauls Wb. 
S. 97) und wird nach Durchlaufen des Stadiums der sinn¬ 
lichen Wahrnehmung auf das Gefühlsleben übertragen. 
Es erhält so die Bedeutung „ohne klare Besinnung", „im 
träumerischen Zustande" und zwar an sich weder im guten 
noch schlechten Sinne. Eine bestimmte Färbung gewinnt 
es erst durch den occasionellen Gebrauch, wie das bei Neo¬ 
logismen sehr natürlich ist, so lange noch keine Tradition 
vorliegt. Das Wort konnte sich einesteils negativ zu 
der Bedeutung eines tadelnswerten leeren Träumens ent¬ 
wickeln, andererseits positiv zu der eines träumerischen 
Zustandes, einer Empfindungsfülle, die sich nicht in klare 
Worte zu fassen weiss. Nur die erstere Bedeutung hat 
sich generell entfaltet und ist auch heute nicht unbe¬ 
kannt (vgl. im DWb. Beispiele aus Jean Paul, Humboldt, 
Klinger u. a.), während die Wendung ins Positive nur in 
zeitlich und räumlich sehr begrenztem Masse belegt ist. 

Was den Gebrauch bei Goethe anlangt, so darf vor 
allem nicht übersehen werden, dass die negative Nuance 
schon sehr früh, und zwar früher als die positive vor¬ 
kommt, denn durch diese Thatsache wird die letztere in 
die engsten Grenzen gewiesen. Einer der frühesten 
Belege findet sich in dem Aufsatze „Nach Falconet und 
über Falconet" (vor 1775), der gegen den französischen 
Klassizismus gerichtet ist und für individuelle Charakte¬ 
ristik, für „das Gehörige" eintritt. So ruft Goethe im 
Hinblick auf die traditionellen Madonnenbildnisse aus: 
„... es sind die biblischen Stücke alle durch kalte Ver¬ 
edlung ... aus ihrer Einfalt und Wahrheit herausgezogen 
und dem teilnehmenden Herzen entrissen worden, um 
gaffende Augen des Dumpfsinns zu blenden." DjG. 3, 691. 
Ohne Zweifel hat „Dumpfsinn" hier dieselbe negative Be¬ 
deutung wie in der Wendung aus späterer Zeit: „dumpfe 
Sinnesart" DW. 22, 119. („Dumpfsinn" ist im DWb. auch 



158 


aus Sulzer belegt). Die gleiche Färbung zeigen folgende 
Belege aus der Vorweimarer Zeit: „Ich erinnere mich der 
Unruhe, der Thränen, der Dumpfheit des Sinnes, der Her¬ 
zensangst, die ich in dem Loche ausgestanden hatte.“ Wer- 
ther DjG. 3, 319. „Ein Dolchstich würde... mich in die 
dumpfe Fühllosigkeit stürzen ...“ Stella DjG. 3,664. „Es 
ist ein dumpfer Totenblick in dem Gefühl: nicht Wieder¬ 
sehen?“ Stella DjG. 3, 676 (vgl.: „Tod ist Trennung!“ 
3. Ode an Behrisch DjG. 1, 91). „Götter, ist’s in euren 
Händen, Dieses dumpfe Zauberwerk zu enden...“ Lilis 
Park DjG. 3, 191. 

Diese Beispiele, die sich noch vermehren liessen, be¬ 
weisen Goethes Vertrautheit mit dem Worte in der nega¬ 
tiven Färbung. Andererseits zeigen aber einige Stellen 
aus der gleichen Zeit deutlich die positive Nuance. Der 
früheste Beleg ist wohl der folgende Satz ausWerther: 
„Wiederholtes Versprechen, ... kühne Liebkosungen, ... 
umfangen ganz ihre Seele, sie schwebt in einem dumpfen 
Bewusstsein, in einem Vorgefühl aller Freuden ..." DjG. 
3, 287. Hier würde vielleicht noch die Definition „un¬ 
klar“ genügen, obwohl der Zusammenhang zeigt, dass 
die Unklarheit aus einem Gefühlsreichtum hervorgeht 
Ganz intensiv ist aber die positive Färbung in dem nächst¬ 
folgenden Beleg aus einem Briefe an die Gräfin Stolberg, 
Febr. 1775, in dem sich Goethe einführt als „den gegen¬ 
wärtigen Fastnachts-Goethe, der Ihnen neulich einige dum¬ 
pfe, tiefe Gefühle vorstolperte...“ DjG. 3, 64. Der 
dritte Beleg vom 25. März 1776 (an Frau v. Stein I, 29) 
eröffnet dann die Periode der Prägnanz von „dumpf* 1776 
bis 1778. Die Frage erhebt sich nun, unter welchen Um¬ 
ständen der Bedeutungswandel vor sich ging, und ihre 
Beantwortung hängt ab von einer genauen Analyse des 
Vorstellungsinhalts, zu dessen Wiedergabe sich Goethe 
des Wortes „dumpf“ bediente. 



159 


Es lässt sich vielfach beobachten, dass eine bestimmte 
Stimmung oder Vorstellung allmählich in Goethe heran¬ 
wuchs und längst ausgebildet war, ehe er den typischen 
Ausdruck fand. Die Vorgeschichte des Wortes „dumpf" 
ist aufs innigste verwebt mit den Forderungen der Genie¬ 
zeit und mit dem überquellenden Gefühlsleben des jungen 
Goethe, wie es in den Briefen der Frankfurter Zeit hervor¬ 
bricht. Ein Chaos von Leidenschaften wühlte damals in 
dem Dichter, durch innere Gährung wie äussere unbefrie¬ 
digende Verhältnisse hervorgerufen; das titanische Wollen 
war noch nicht in Bahnen geleitet, die dem Formtriebe ge¬ 
nug thaten, und zwischen der Überfülle des Schöpfungs¬ 
dranges und leerer Verzweiflung schwankte das aufge¬ 
regte Seelenleben hin und her. Von allen Dokumenten 
jener Zeit sind es wohl vor allem die Briefe an die Gräfin 
Auguste von Stolberg, die „teure Ungenannte", in denen 
die ganze Stufenleiter der Affekte, vom abgebrochenen 
Stammeln bis zum vulkanischen Ausbruch der Leidenschaft 
und Raserei sich getreu spiegelt, und hier finden wir auch 
unzählige Male die Stimmung wiedergegeben, die sich spä¬ 
ter prägnant in dem Worte „dumpf“ zusammenfasste. Der 
oben citierte Satz, in dem von den „dumpfen, tiefen Ge¬ 
fühlen“ gesprochen wird, bezieht sich auf den ersten Brief, 
vom 26. Jan. 1775, und es können nur Stellen gemeint sein 
wie die folgenden: .. ich fühle, Sie können ihn tragen, 
diesen zerstückten, stammelnden Ausdruck, wenn das Bild 
des Unendlichen in uns wühlt. Und was ist das, als Liebe.“ 
DjG. 3, 61. Oder in der Nachschrift: „Sie fragen, ob ich 
glücklich bin? Ja, meine Beste, ich bin’s, und wenn ich’s 
nicht bin, so wohnt wenigstens all das tiefe Gefühl von 
Freud und Leid in mir.“ DjG. 3, 62. Das „tiefe Gefühl“, 
das nur einen „stammelnden Ausdruck“ findet, ist genau 
der Inhalt, den dumpf später ausdrückt, aber das Wort ist 
noch nicht zum Idiotismus geworden, denn es scheint 1775 



160 


nirgends gebraucht zu sein. Dafür treten einige andere 
Wendungen auf, um den gleichen Stimmungsgehalt wieder¬ 
zugeben, wie z. B. „verworren": „Von meinen Verwor¬ 
renheiten ist schwer was zu sagen ..." An Bürger DjG. 
3, 67; „Ich! — falle aus einer Verworrenheit in die andere 
..." An Knebel DjG. 3, 80; „... oft sind mir selbst die 
Züge der liebsten Freundschaft tote Buchstaben, wenn 
mein Herz blind ist und taub — Engel, es ist ein schreck¬ 
licher Zustand, die Sinnlosigkeit. In der Nacht tappen ist 
Himmel gegen Blindheit. Verzeihen Sie mir denn diese 
Verworrenheit und das all...“ DjG. 3, 94. Diese Stelle 
giebt die seelische Grundlage des Dumpfsinns vollendet 
wieder, und die Ausdrücke „blind“, „taub“ fügen sich 
ohne weiteres in den sinnlichen Vorstellungskreis von 
„dum p f“ ein. Dem gleichen Kreise gehört auch „stumpf“ 
an: „Ist der Tag leidlich und stumpf herumgegangen 
..DjG. 3, 106; „du bist stumpf“ DjG. 3, 676; „aus der 
stumpfen Unentschlossenheit“ Clavigo, DjG. 3, 428. 1 ) In 
dem gleichen Tagebuchbrief vom 14.—19. Sept. 1775, wor¬ 
in der „stumpfe Tag“ vorkommt, findet sich noch eine 
andere wichtige Paraphrase der „Dumpfheit“: „... seit 
dem Gewitter bin ich — nicht ruhig, aber still — was bei 
mir still heisst und fürchte nur wieder ein Gewitter, das 
sich immer in den harmlosesten Tagen zusammenzieht...“ 
DjG. 3, 107. „Nicht ruhig, aber still“ — diese Worte 
allein genügen zur Umschreibung von „dumpf“, denn 
scheinbare äussere Apathie verbunden mit hochgradiger 


*) „stumpf“ wird auch später vereinzelt prägnant gebraucht, 
und zwar rein negativ = „apathisch“, „indolent“: „Ich blieb stumpf 
gegen die Nibelungen“, Ann. 684; „oft war ich krank und stumpf“, 
W. IV, 19, 91; „stumpfe, nachlässige Korrektoren“, 29, 258; vor allem 
im „Epilog zur Glocke“: 

. . . Mut, der früher oder später 
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt. 



161 


innerer Unruhe und zugleich mit Triebkraft, kennzeichnet 
diesen Zustand (vgl. auch oben S. 99 über „still“). 

Die ersten Jahre in Weimar sind der Höhepunkt dieses 
inneren Gährungsprozesses, des Arbeitens einer latenten 
Kraft, und der regelmässigen schriftlichen Verbindung mit 
Frau v. Stein verdanken wir die zahlreichen Belege des 
Wortes „dumpf“, das nunmehr den typischen Ausdruck 
des Zustandes bildet. Nach der Häufigkeit der Belegstel¬ 
len zu schliessen, wäre das Jahr 1776 die Blütezeit des Be¬ 
griffes, was auch damit übereinstimmt, dass Goethe in 
dem Gedicht, das er August 1777 der „BesänftigeHn“ sen¬ 
det (I, 89), bereits seine eigene Liebes„klarheit“ mit der 
Liebes-„Dumpfheit“ des Herzogs kontrastiert. Schon 1778 
werden die Belegstellen sehr spärlich; doch ist die Präg¬ 
nanz noch lebendig, wie die Stelle aus dem Briefe an Merck 
beweist: „Auch mach’ ich manches in der Dumpfheit, das 
wohl das Beste ist“ (W. IV, 3, 215) — einer der wichtig¬ 
sten Belege, neben den Wendungen des Jahres 1776: 
„liebevolle Dumpfheit“ (W. IV, 3, 98); „reine Dumpfheit“ 
(W. IV, 3, 100); „stark — das heisst dumpf“ (W. IV, 3, 
88), sowie aus dem Jahre 1777: „Drang und Fülle der 
Dumpfheit“ (W. IV, 3, 140); „der Herzog von einem star¬ 
ken Ritt, rein und dumpf und wahr.“ (W. HI, 1, 31). — 
Aus dem Jahre 1779 ist nur noch die negative Schattie¬ 
rung belegt. 

Von Wichtigkeit ist die Frage, ob die positive Fär¬ 
bung von „dumpf“ Goethe allein angehört, oder ob gene¬ 
reller Wandel vor liegt. Das erstere ist wahrscheinlicher, 
weil eine Anwendung des Wortes vor 1775 im positiven 
Sinne nur bei Jacobi (s. unten S. 297) bezeugt ist. Aus 
der Weimarer Zeit scheinen nur zwei Nicht-Goethesche 
Belege vorhanden zu sein, die eine Interpretation im posi¬ 
tiven Sinne zulassen. Von diesen zeigt der erste allerdings 
eher eine neutrale Färbung; die Verse aus Seckendorfs 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 11 



162 


Dramolet zur Feier des Louisenfestes 1778, das Goethe in 
dem biographischen Fragment „Das Louisenfest“ mitteilt. 
Die Stelle lautet: 

Lasst ab, zu verschwenden die köstlichen Tage 

In sinnlicher Trägheit und dumpfem Gefühl! (27,303.) 

Hier würde die Erklärung „träumerisch“, ohne die scharfe 
Goethesche Prägnanz, ausreichen. Dagegen ist ein ande¬ 
rer Beleg unzweideutig, der in einem der Beiträge zum 
Tiefurter Journal vorkommt. Das 39. Stück desselben, 
das im November 1783 herauskam, enthält u. a. einen Bei¬ 
trag, als dessen Verfasserin Frau Emilie von Werthern 
nachgewiesen ist; unter dem Titel „Alphabet der Liebe“ 
werden hier einige Aphorismen zusammengestellt unter 
Schlagwörtern wie: Abschied, Cypressen, Eitelkeit, Herz, 
Mitleid, Phantasie, Schönheit, Zwist u. a. Es sind mora¬ 
lisierende Betrachtungen, wie sie in der schöngeistigen 
Gesellschaft jener Zeit und nicht zum wenigsten am Hofe 
Anna Amalias, gepflegt wurden, z. T. nicht ohne hübsche 
Pointe, wie z. B. unter „Wahl“: „Die Liebe wählt nicht; 
sie hat schon gewählt.“ Folgende Reflexion findet sich 
unter dem Stichwort „Dumpfheit“: „Haben bloss ge¬ 
scheute Menschen, sonst ist’s Dummheit. Es ist die Quali¬ 
tät aller Künstler und aller Liebenden; es ist der schöne 
zauberische Schleier, der Natur und Wahrheit in ein heim¬ 
licheres Licht stellt.“ (Schriften der Goethe-Gesellschaft 
7, 305; auch abgedruckt von Riemer, Mitt. H, 34 Anm.) 

Sowohl dieser Beleg wie der erste entstammen dem 
gleichen Kreise, dem Goethe angehörte. Es ist zu ver¬ 
muten, dass besonders im zweiten Falle ein Einfluss Goe¬ 
thes direkt oder indirekt vorliegt, obwohl er selbst 1783 
die Prägnanz hatte fallen lassen. Der Hergang könnte 
etwa folgender gewesen sein. Das Wort war erst seit 
kurzer Zeit gangbar und erfreute sich, wie es bei Neolo- 




163 


gismen oft der Fall ist, besonderer Beliebtheit. Goethe 
war der Erste, der es brauchte, um die Gefühlstiefe und 
die unklare, verworrene Stimmung der Geniezeit dadurch 
auszudrücken. Er brachte diese individuelle Verwendung 
mit nach Weimar, wo sie bald Wurzel fasste und einige 
Jahre hindurch neben der negativen Bedeutung, die hier 
wie anderswo längst bekannt war, ihren Platz behauptete. 
Solche Modeworte waren in dem rasch pulsierenden, über¬ 
mütigen Treiben sehr willkommen, und sie gedeihen über¬ 
haupt gern in kleinen, abgeschlossenen Zirkeln, in denen 
sich ein bestimmter Gesellschaftsjargon ausbildet. (Über 
einige andere Modeworte, die Goethe aufnahm, s. unten 
S. 242). Dass eine so starke Individualität wie Goethe 
auch in dieser Hinsicht ihre Spuren hinterliess, scheint an 
sich ganz natürlich; aber wir besitzen überdies ein gleich¬ 
zeitiges Zeugnis in einem Briefe des Prinzen Karl August 
von Meiningen an seine Schwester Wilhelmine, worin ge¬ 
rade Goethes Neigung zu Lieblingsworten als besonders 
auffällig hervorgehoben wird. Der Prinz hatte Goethe im 
Februar 1775 zu Frankfurt kennen gelernt (vgl. DW. 23, 
184, Anm. 686) und grossen Gefallen an ihm gefunden; in 
jenem Briefe lässt er sich, nach einer Beschreibung seiner 
Erscheinung, folgendermassen über ihn aus: ... „er hat 
seine ganz eigene Fa<jons, sowie er überhaupt zu einer 
ganz besonderen Gattung von Menschen gehört. Er hat 
seine eigenen Ideen und Meinungen über alle Sachen; über 
die Menschen, die er kennt, hat er seine eigene Sprache, 
seine eigenen Wörter." (G.-J. X, 141.) Aus diesem Zeug¬ 
nis geht hervor, wie früh die Neigung Goethes zu Idiotis¬ 
men, die im Alter so ausserordentlich zunahm, schon aus¬ 
geprägt war. 

Die Herrschaft von „dumpf" im Weimarer Kreise war 
nur vorübergehend, und die positive Prägnanz bildet 
im Grunde nur eine kurze Episode in der Bedeutungs- 

li* 



164 


geschickte des Wortes. Es darf hierbei nicht unerwähnt blei¬ 
ben, dass selbst in diesen Jahren nur in verhältnismässig 
wenig Belegen ein ausgesprochenes Lob mit dem Begriffe 
verbunden wird; Wendungen wie: „dumpfsinnig“ (An Frau 
v. Stein I, 43); „dumpf im Schlaf“ (ebenda I, 29); „doch 
sie Hessen mich im Schlafe — dumpf und unerquicklich 
liegen“ (Musageten 1, 173) — und andere lassen sich auch 
vom negativen Standpunkte erklären. Seit 1779 wendet 
Goethe das Wort ausschliesslich auf einen Zustand an, 
dessen Beseitigung höchst wünschenswert ist, wie z. B. 
in einem Briefe an seine Mutter vom 9. Aug. 1779: „ich 
komme diesmal gesund, ohne Leidenschaft» ohne Verwor¬ 
renheit, ohne dumpfes Treiben, sondern wie ein von Gott 
geliebter...“ W. IV, 4, 50. Auch weiterhin büsst das 
Wort nicht an Beliebtheit ein; von den zahlreichen Fällen 
sei nur auf einige ungewöhnliche Verwendungen verwie¬ 
sen, wie z. B.: „die Weiber klein und von dumpfer Gesichts¬ 
bildung“ Tagebuch 1808 (W. m, 3, 335); „die dumpfe Ver¬ 
wunderung“ 29, 414; „dumpfe Dummheit“ 11. 1, 232. Es 
beruht auch wohl nicht auf Zufall, wenn wir dem Wort 
wiederholt als Charakteristik solcher kirchlicher In¬ 
stitutionen begegnen, in denen Goethe einen ver¬ 
dummenden Einfluss erblickte. Dahin gehört die be¬ 
kannte Stelle aus dem Reisetagebuch von 1797: „Be¬ 
trachtung über die Klarheit der Pfaffen in ihren eige¬ 
nen Angelegenheiten und die Dumpfheit» die sie ver¬ 
breiten.“ 26, 100; ferner der Vers aus der Walpur¬ 
gisnacht: „Diese dumpfen Pfaffenchristen, — lasst uns 
keck sie überlisten!“ 2, 304; aus „Künstlers Apotheose“ 
(1788): „Im Kloster fand ich dumpfe Gönner“ 8, 199; „in 
einer dumpfen Erziehungsanstalt zu St. Didier.“ 29, 478. 
In der Wendung: „klassisch dumpfe Stellen“ F. n, 7120, ist 
„dumpf“ dagegen nicht negativ, sondern = unklar, ge¬ 
heimnisvoll, mythenhaft. 



165 


Mit der Bedeutungsgeschichte des Wortes „dumpf“ 
endigt nicht zugleich die Geschichte der Vorstellung. 
Das Phänomen der „Dumpfheit“, das für Goethes erste 
Weimarer Zeit typisch war, ist nie gänzlich aus dem See¬ 
lenleben des Dichters geschwunden; aber es tritt nur noch 
periodisch auf und zwar in Form der dunklen, keimenden 
Stille, die von dem Apergu, dem Gewahrwerden, durch¬ 
leuchtet, und aus der die klare Erkenntnis oder das Kunst¬ 
werk geboren wird. Goethe war sich dieser spezifischen 
Durchgangsstimmung so bewusst, dass er Schiller gleich 
zu Beginn ihrer Bekanntschaft darauf vorbereitete mit 
der Erklärung: „Wie gross der Vorteil Ihrer Teilnehmung 
für mich sein wird, werden Sie bald selbst sehen, wenn Sie, 
bei näherer Bekanntschaft, eine Art Dunkelheit und Zau¬ 
dern bei mir entdecken, über die ich nicht Herr werden 
kann, wenn ich mich ihrer gleich deutlich bewusst bin.“ 
(27~ Aug. 1794.) Es Hessen sich noch andere Umschreibun¬ 
gen dieser Art anführen; wichtiger ist jedoch die That- 
sache, dass diese Erscheinung noch im Alter einen beson¬ 
deren Idiotismus zeitigte in dem Worte „dämmern“. 
Wenigstens wird der Ausdruck mehrmals angewendet, um 
jenen dunkel brütenden Zustand zu charakterisieren: „In- 
dess war dieser Zustand immerfort nur dämmernd“ 34, 
94 (hinsichtlich der Einheit des Naturgeschehens; einige 
Zeilen vorher findet sich die interessante Wendung 
„fruchtbare Dunkelheit“, mit Bezug auf die kunst¬ 
theoretischen Erörterungen mit Moritz in Italien, aus 
denen trotz ihres laienhaften, unsystematischen Charak¬ 
ters wichtige Erkenntnisse hervorgingen); ... „ich däm¬ 
merte so hin, das eigentliche Dilemma hatte ich mir nie 
ausgesprochen“ 22, 177 (über religiöse Zweifel); ... „der 
ich an den Gegenständen der Kunst und Natur auch nur 
hindämmerte“ 21, 91 (als Student in Leipzig); von anderen 
Wendungen, die sich auf diesen Zustand beziehen, seien 



166 


noch erwähnt: „unbefriedigtes, unbestimmtes Hinbrüten“ 
33, 58; „düstere Forschung“ Spr. 1038. Der Idiotismus 
„dämmern“, der im Alter kein Lob bedeutet, ver¬ 
dient um so mehr Beachtung, als ihn Goethe in sei¬ 
ner Frühzeit gerade im Gegenteil im bewusst posi¬ 
tiven Sinne braucht, aus der gleichen Grundstim¬ 
mung heraus, die das positive dumpf wiedergiebt. Zur 
Genesis dieses Jugendidiotismus ist eine Stelle aus einem 
Briefe an Kestner vom 25. Dez. 1772 wichtig: „Nun muss 
ich dir sagen, das ist immer eine Sympathie für meine 
Seele, wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von 
Morgen herauf nach Nord und Süd um sich gegriffen hat, 
und nur noch ein dämmernder Kreis von Abend herauf¬ 
leuchtet. Seht, Kestner, wo das Land flach ist, ist’s das 
herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer Stun¬ 
den lang so ihr zugesehen hinabdämmern auf meinen Wan¬ 
derungen. ... Ich ... liess mir Bleistift geben und Papier 
und zeichnete zu meiner grossen Freude das ganze Bild 
so dämmernd warm, als es in meiner Seele stand.“ DjG. 
1, 335 f. Die Stelle musste in ihrem ganzen Zusammen¬ 
hänge hierhergesetzt werden, denn sie bietet den Schlüs¬ 
sel, gewissermassen die physikalische Grundlage der see¬ 
lischen Stimmung des „Dämmerns“ und zeigt, dass Goethe 
zu jener Zeit mit dem Worte nicht nur eine wehmütige, 
sondern auch eine warme, liebeerfüllte Empfindung wie¬ 
dergeben wollte. Werther und Stella sind besonders 
reich an solchen Wendungen einer Ossianischen Nebelstim¬ 
mung: „Stundenlang konnte ich hier sitzen und mich... 
mit inniger Seele ... in denen Wäldern, denen Thälern ver¬ 
lieren, die sich meinen Augen so freundlich dämmernd vor¬ 
stellten...“ Werther, DjG. 3, 318; „0, es ist mit der 
Ferne wie mit der Zukunft! Ein grosses, dämmerndes 
Ganze ruht vor unserer Seele...“ DjG. 3, 260; „ich ... war 
so in Träumen rings in der dämmernden Welt verloren, 



167 


dass ich auf die Musik kaum achtete...“ DjG. 3, 253; 
„Wenn’s denn um meine Augen dämmert» und die 
Welt um mich her und Himmel ganz in meiner Seele ruht, 
wie die Gestalt einer Geliebten...“ 3, 236; — aus Stella: 
„das wirkte alles auf mich so freundlich, dass ... ich 
einen Wiederschein der goldenen Zeiten der Jugend, und 
Liebe in meiner Seele aufdämmern sah...“ DjG. 3, 637; 
„Verbannt aus deiner Schöpfung! wo du heiliger Mond auf 
den Wipfeln meiner Bäume dämmerst; . . . Und du, . . . 
Stätte meines Grabes! die ich mir weihte; wo umher alle 
Wehmut, alle Wonne meines Lebens dämmert; ...“ 3, 
675; „Der Blick war’s, der mich ins Verderben riss!... 
So dämmernd! so lieb!...“ 3, 676. Ferner aus einem Briefe 
an die Gräfin Stolberg (6. März 1775): „Geb’ Ihnen der 
gute Vater im Himmel viel mutige frohe Stunden, wie ich 
deren oft hab’, und dann lass die Dämmerung kommen 
thränenvoll und selig —“ DjG. 3, 72. — Es Hesse sich end¬ 
lich noch an Goethes frühe Definition des Begriffes Schön¬ 
heit erinnern, in einem der Frankfurter Briefe an Friede¬ 
rike öser: „Und was ist Schönheit? Sie ist nicht Licht 
und nicht Nacht. Dämmerung; eine Geburt von Wahr¬ 
heit und Unwahrheit. Ein Mittelding.“ DjG. 1, 53. Noch 
in der ersten Strassburger Zeit wird die Schönheit „ein 
schwimmendes, glänzendes Schattenbild“ genannt (DjG. 1, 
2S4). 1 ) 


Eine Begleiterscheinung des Irrtums und der Dumpf¬ 
heit ist „die Trübe“, die sich bei Goethe häufig auf lei¬ 
denschaftliche, nicht nur melancholische Zustände be¬ 
zieht: „die Geschichte der Kunst ist für den jungen Künst- 

*) Eingehende Analysen des Begriffes der „Dämmerung' 1 in 
Goethes Jugenddichtung bietet R. Weissenfels, Goethe im Sturm und 

Drang I, 76 ff.; 164 ft 



168 


ler von der grössten Bedeutung, nur müsste er nicht in 
ihr etwa nur trübe, leidenschaftlich zu erjagende Vorbil¬ 
der, sondern sich selbst ... in seiner Beschränkung ... 
gewahr werden." 28, 192. Mit Bezug auf das geistige 
Leben bezeichnet trübe meist „unklare, verworrene Vor¬ 
stellungen"; so erklärt sich auch die eigentümliche Ver¬ 
wendung von „Trübsinnigkeit" in dem Satze: „die Pedan¬ 
terie und Trübsinnigkeit der an öffentlichen Schulen ange- 
stellten Lehrer mochte wohl die erste Veranlassung dazu 
(zu Privatunterricht) geben." DW. 20, 27. Eigenartig 
steht „trübe“ einmal in den Wanderjahren für „dunkel" 
im rein materiellen Sinne: „Ein Feldherr ist es, ... hinter 
den so Kaiser als Könige, für die er kämpft, ins Trübe 
zurücktreten.“ 18, 94. 

Eine besondere Bedeutung erhält der Begriff des 
Trüben mit Bezug auf die Farbenlehre. Diese ruht 
überhaupt, wie Goethe betont, „auf dem reinen Begriff 
vom Trüben" (Ann. 1100), und zwar ist die Trübe ein „Ur- 
phänomen", das zwischen den beiden andern Urphäno- 
menen des Lichtes und der Finsternis vermittelt und durch 
diesen Vermittlungsprozess die Farben hervorbringt (vgl. 
Farbenlehre, Didakt. Teil, § 145—175). Ohne auf die 
Sache selbst einzugehen, sei hier nur darauf hingewiesen, 
wie die Opposition Goethes gegen Newton sich im Grunde 
auf den Antagonismus des Werdenden und Fertigen 
zurückführen lässt: die Vorstellung der fertigen Farben, die 
im weissen Licht fertig enthalten sein sollten, widerstrebte 
ihm, der in allem Naturgeschehen das Entstehende, Wer¬ 
dende beobachtete und gern die Urphänomene „in ihrer 
ewigen Ruhe und Herrlichkeit" dastehen liess, (§ 177), 
so lange er sie als ein Lebendiges anerkennen und ihre 
Funktion begreifen konnte. — Es ist von vornherein anzu¬ 
nehmen, dass Goethe den Begriff der Trübe, der auf physi¬ 
kalischen Voraussetzungen beruht, auch für das ethische 



169 


Gebiet fruchtbar zu machen suchte, denn wir sehen bei 
ihm stets die Tendenz, auch wissenschaftliche Erkennt¬ 
nisse symbolisch zu verwerten und die innere Einheit sei¬ 
ner Denkweise fest zusammenzuknüpfen. Inwiefern eine 
solche Beeinflussung vorliegt, lässt sich in diesem Falle 
nicht feststellen; wohl aber zeigt eine interessante Äusse¬ 
rung, die Riemer unter dem Titel „Chromatische Betrach¬ 
tungen und Gleichnisse“ vom 25. Mai 1807 überliefert, 
dass Goethe auch hier Vergleiche anstellte: „Lieben und 
Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur differente Zu¬ 
stände unseres trüben Innern, durch welches der Geist 
entweder nach der Licht- oder nach der Schattenseite 
hinsieht. Blicken wir durch diese trübe organische Um¬ 
gebung nach dem Lichte hin, so lieben und hoffen wir, 
blicken wir nach dem Finstern, so hassen und fürchten 
wir.“ Mitt. II, 699. Merkwürdig berührt es, dass schon 
der junge Goethe einmal eine ähnliche Betrachtung an¬ 
stellt, ohne natürlich an physikalische Beziehungen zu 
denken; er schreibt aus Strassburg anHetzler d. j.: „Über¬ 
haupt um die Welt recht zu betrachten, ... muss man sie 
weder für zu schlimm, noch zu gut halten; Liebe und Hass 
sind gar nahe verwandt und beide machen uns trüb sehen.“ 
DjG. 1, 238. (In dem gleichen Briefe spricht Goethe schon 
den Fundamentalsatz seiner ganzen Weltanschauung aus 
in den Worten: „Dabei müssen wir nichts sein, sondern 
alles werden wollen ...“) Solche Parallelen zeigen, wie 
das ganze Leben des Mannes eine folgerechte, stufenweise 
Entfaltung der längst vorhandenen Keime ist, und wie die 
später gefundenen Erkenntnisse zu Stützen früherer 
Gefühlswertungen werden. Wieder von anderer Seite 
fand Goethe in Spinozas Lehre von den Affekten als „lei¬ 
denden, trüben, verworrenen“ Vorstellungen eine Bestä¬ 
tigung der gleichen Grundanschauung. In allen diesen 
Fällen ist die Gedankenverbindung im einzelnen verschie- 



170 


den, aber gemeinsam ist die Anschauung von dem Trüben 
als einem indifferenten Element, das sowohl Gutes wie 
Böses, Licht wie Finsternis, Lieben und Hassen vermitteln 
kann. 

Ein anderes Gleichnis aus der Farbenlehre, das im wei¬ 
teren Sinne hier anzuschliessen ist, verzeichnet Riemer 
unter dem 20. April 1829: „der Irrtum ist mannigfaltig, 
ist farbig; die Wahrheit einfach und weiss.“ Mitt. II, 723. 
Diese Bemerkung ist wieder eine metaphorische Erweite¬ 
rung von Spr. 608: „Das Wahre, Gute und Vortreffliche 
ist einfach, ... das Irren aber ... ist höchst mannigfal¬ 
tig ..." Die schönste von allen chromatischen Gleich¬ 
nisreden ist wohl die folgende, die Riemer (Briefe von und 
an Goethe S. 325) als Aphorismus verzeichnet: „Licht, 
wie es mit der Finsternis die Farbe wirkt, ist ein schönes 
Symbol der Seele, welche mit der Materie den Körper bil¬ 
dend belebt. So wie der Purpurglanz der Abendwolke 
schwindet und das Grau des Stoffs zurückbleibt, so ist 
das Sterben des Menschen. Es ist ein Entweichen, ein 
Erblassen des Seelenlichts, das aus dem Körper ent¬ 
weicht.“ 


Von den weiteren Ausdrücken, die der Reihe des „ver¬ 
wickelnden Irrtums“ angehören, ist zu bemerken, dass 
sie auf den Altersstil beschränkt sind, und dass „absurd“ 
weitaus das häufigste Scheltwort ist. Über diesen Idio¬ 
tismus hat bereits R. Meyer a. a. 0. S. 27 gesprochen und 
nachgewiesen, dass es seit der Ital. Reise an Stelle des 
früheren „abgeschmackt“ tritt, um dann auf alle Ver¬ 
hältnisse, in denen er das Walten des Irrtums sieht, ange¬ 
wendet zu werden, von den deutschen Kleinstädtern (25, 
100) bis zur Weltgeschichte (Gespr. 6, 269). Das Wort 
wird oft auch im heiter-ironischen Sinne gebraucht: 



„Absurd" ist alles, was zu den unvermeidlichen Übelstän¬ 
den gehört, über die man sich am besten mit Humor oder 
Gleichmut hinwegsetzt: „Es ist doch gar zu absurd, wenn 
man absurd ist.“ Wanderj. 18, 116. 

Doch wird euch zu gelegener Zeit 
Auch das Absurde fröhlich. ZX. 2, 361. 

Und wer heiter im Absurden spielt, 

Dem wird auch wohl das Absurde ziemen. Divan 4, 115. 

Die bittere Färbung des Wortes kommt besonders in den 
Gesprächen mit Kanzler Müller zur Geltung, diesem treuen 
Beobachter, der schärfer als andere das verneinende Ele¬ 
ment in Goethes Wesen beobachtete. 

Ein anderes Lieblingswort ist „abstrus“, besonders 
mit Bezug auf unklare Vorstellungen, die sich mit dem 
„Unerforschlichen“ abquälen. So nennt Goethe seine eige¬ 
nen orphischen Urworte gegenüber Riemer „das Abstru¬ 
seste der modernen Philosophie“ 28. Okt. 1821 (Briefe 
S.. 220). Wiederholt hält Goethe sich selbst an, wenn er 
sich auf Reflexionen über das „Unerforschliche“ ertappt. 
„Ich muss endigen, sonst möchte ich ins Abstruse ge¬ 
raten.“ An Nees von Esenbeck, Naturwiss. Korrespon¬ 
denz H, 151. „Abstrus und wunderlich“ sind die Hypo¬ 
thesen der „kricklichen Beobachter und grilligen Theo¬ 
risten“ Spr. 907; sogar „die guten Köpfe ... werden ab¬ 
strus ...“ wenn sie in falsche Methoden verstrickt sind 
(An Hegel, Str. Br. I, 241). 

Auffallend häufig ist „wunderlich“ im Altersstil, 
sowohl im Sinne von „geheimnisvoll, unerklärlich“, wie 
von „irrtümlich, abstrus“. Bei Charakterschilderungen 
deckt es sich etwa mit „problematisch“. Ein Synonym ist 
„grillenhaft“, häufig in Verbindung mit dem vorigen 
Worte, wie z. B. mit Bezug auf sich selbst DW. 22, 167: 
„wunderliches, grillenhaftes Wesen“; sowie 24, 122: „mein 



172 


wunderliches und vielleicht grillenhaftes Halbinkognito“; 
„ich habe manchmal ... die wunderliche Grille gehabt 
...“ 24, 122. Auf die Beliebtheit des Wortes sind auch 
die Neubildungen „grillisieren“ (24, 148) und „grillen“ 
(„grille nicht bei Sommersonnenschein“ 2, 276) zurückzu¬ 
führen. 

In ganz individueller Weise hat Goethe den Begriff 
„Fratze“ verwendet, und zwar ist auch hier die Anschau¬ 
lichkeit des Ausdruckes offenbar der Anlass, es mit ver¬ 
schiedenen typischen Vorstellungen zu verbinden. Zu¬ 
nächst schliesst es sich ohne weiteres an die generelle 
Bedeutung des Disproportionierten, Verzogenen und 
fällt nur durch die Häufigkeit auf und durch die Über¬ 
tragung auf das geistige Gebiet, im Sinne von „Karrikatur“. 
Man hat sich dabei der Abneigung Goethes gegen alles 
Parodierende und Karrikierende zu erinnern, weil er nichts 
„Förderndes“, sondern nur etwas „Verneinendes“ darin sah 
(Z.-Briefw. 3, 436). Von Belegen seien hier angeführt: 
„Ich hatte ... ein tolles Fratzenwesen ersonnen, welches 
den Titel „Hanswursts Hochzeit“ führen sollte.“ 23,51. 
„Die angestammte Roheit fratzenliebender Wilden“ Ann. 
549. „Fratzenhaft Gebild“ F. H, 5692. Als Verdeutschung 
von Karrikatur dient es z. B. in Spr. 108: „Es giebt nichts 
Gemeines, was, fratzenhaft ausgedrückt, nicht humo¬ 
ristisch aussähe“; „Wir sehen hier einen kleinen deutschen 
Hof gerade nicht fratzenhaft, doch von einer unerfreu¬ 
lichen Seite geschildert.“ 29, 372. Die gleiche Bedeu¬ 
tung hat das Wort in der Charakteristik der Lieder aus 
„des Knaben Wunderhorn“; es bezeichnet die Lieder auf 
S. 30 („humoristisch, etwas fratzenhaft“); S. 213 („Eine 
Art übermütiger Fratze“); S. 241 („Neckisch bis zum 
Fratzenhaften“). — Gern wird das Wort gebraucht im 
Hinblick auf „unreine“ stoffartige Tendenzen, und auf 
die „Menge“ als Vertreterin solcher Tendenzen: „Das 



173 


Fratzenhafte der Masse entgegnete ihm (Kotzebue) fürch¬ 
terlich“ Ann. 6a; (Schiller) „als Zielscheibe fratzenhafter 
Verehrungen“. Ann. 290; „die Fratze des Parteigeistes“ 
Riemer Br. S. 284; „Fratze des Augenblicks“ an Reinhard 
S. 95; „die Fratzen des täglichen Lebens“ Gespr. 6, 281. 
Dazu passt die Anwendung auf Böttiger: „Dieser Ehren¬ 
mann hat seine ... Gabe, alles zu verfratzen, hier auch 
redlich ... bewiesen.“ Riemer Br. S. 92. 

Eine besondere Prägnanz liegt in der Anwendung auf 
eine geistige Verzerrung, welche durch „falsches“ Hinaus¬ 
streben über die natürlichen Fähigkeiten herbeigeführt 
wird, im Gegensatz zu der harmonischen Entfaltung der 
Kräfte. Sehr deutlich tritt diese Prägnanz hervor in 
einem Briefe an Schiller: „Äusserst fratzenhaft erscheint 
der arme Kosegarten, der ... seine Individualität durch 
die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderun¬ 
gen selbst auszurecken bemüht ist ..." 14. Aug. 1797. 
(Im geraden Gegensatz dazu steht die Persönlichkeit ! H. 
Meyers, über den es im gleichen Briefe heisst: „es ist eine 
reine und treufortschreitende Natur, unschätzbar in jedem 
Sinne.“) Andere Belege für die obige Prägnanz von 
„fratzenhaft“ sind: „Lenz pflegte sich immer etwas 
Fratzenhaftes vorzusetzen“ 22, 144;... „weil ich gewohnt 
bin, dass jedes Individuum sich aus närrischer Sucht ori¬ 
ginaler Anmassung vom schlichtesten Weg fortschreiten¬ 
der Potentiierung, mit fratzenhaften Seitensprüngen so 
gern entfernt.“ An Schiller 27. Nov. 1803; „dass doch 
einem sonst so vorzüglichen Menschen (Fichte) immer 
etwas Fratzenhaftes ankleben muss.“ An Voigt S. 218; 
„Werner, dessen fratzenhaftes Betragen ..." An Car- 
lyle S. 48. Ferner W. IV. 23, 85; 181; 390. Der Begriff 
eines innerlich ^Unwahren liegt auch zu Grunde, wenn 
Schillers „Räuber“ wiederholt durch dieses Wort charakte¬ 
risiert werden: „... Gruppe so vieler fratzenhaft gezeich- 



neten und grell gemalten Figuren ...“ 28, 702; „Schillers 
Intention ... sei gewesen, in diesem fratzenhaften Stücke 
auch einen fratzenhaften Teufel auftreten zu lassen, der 
die anderen übertrumpfe.“ Gespr. 2, 128. 

Die angezogenen Belege zeigen, dass der Idiotismus 
schon seit der Ital. Reise, seitdem ihm die harmonische, 
reine Entfaltung zum Ideal geworden war, voll entwickelt 
ist. Nur vereinzelt erscheint das Wort in früherer Zeit, 
wie z. B. wenn Goethe sein Pasquill auf Wieland in dem 
naturalistisch überlieferten Gespräch mit Tante Fahlmer 
als „garstiges Fratzenzeug“ bezeichnet, Gespr. 1, 29. Be¬ 
züglich der weiteren Verbreitung des Ausdrucks vgl. 
den letzten Abschnitt; übrigens braucht seine Mutter 
ihn einmal in ähnlicher Übertragung in einem Briefe an 
Wolfgang vom 12. März 1798; sie schreibt mit Bezug auf 
die neuaufkommende Tendenz, statt der deutschen die 
lateinische Druckschrift anzuwenden: „Sollen denn nur 
Leute von Stand aufgeklärt werden? Soll denn der 
Geringe von allem Guten ausgeschlossen sein — und das 
wird er — wenn dieser neumodischen Fratze nicht Ein¬ 
halt gethan wird.“ (Frau Rath. Von Rob. Keil, S. 335.) 


In der extrem negativen Reihe, die unter dem Zeichen 
des „Falschen“ steht, ist auffällig die Handhabung des 
Wortes „null“ in attributiver Stellung, was generell un¬ 
gewöhnlich ist, z. B. „wässrige, weitschweifige, nulle 
Epoche“ 21, 53; „wir haben ganz nulle Gedichte wegen 
lobenswürdiger Rhythmik preisen hören“ 29, 431. Seine 
Vorliebe für diese negative Abrundung bezeugt er aber 
vor allem durch die Ableitung „Nullität“, die mit man¬ 
chen anderen kräftigen Scheltworten zuerst in der Zeit 
des Dogmatismus auf tritt, als die Grössen von Weimar 
energisch gegen die Halbheit Front machten. So im 



175 


Schema über den Dilettantismus: „Gartenliebhaberei be¬ 
fördert die sentimentale und phantastische Nullität“ 28, 
179; „Das Gedicht hat eine eigene Art von Nullität“ an 
Schiller 14. Juli 1798; (über gewisse Gedichte): ich weiss 
nicht, „ob sie sich zur Realität oder Nullität hinneigen 
möchten“, An Schiller 27. Juni 1798. „Mams. Bambus 
(Sängerin) unangenehme Nullität“ Tageb. W. m, 2, 126; 
„wenn man etwas Bedeutendes liefern, und sich nicht nach 
und nach der Nullität nähern will...“ An Eichstädt S. 11. 
Aus späterer Zeit: „Kotzebue hatte eine gewisse Nulli¬ 
tät“ Ann. 979 a; (Über „Whims and Oddities. 1827.“): „Dies 
Werk, dessen Titel vielleicht mit Grillen und Nullitäten 
zu übersetzen wäre...“ 29, 772; „...Pulcinell, welcher 
... uns ... aufs Beste zu vergnügen und uns in die so 
höchst behagliche Nullität des. Daseins zu versetzen 
wusste.“ 24, 430. 

Der andere Terminus des negativen Extrems ist „un¬ 
zulänglich“, typisch nur durch die Häufigkeit, mit der 
das Wort im Alter angewendet wird. Es bezieht sich im 
Verhältnis zu „abstrus“ mehr auf den Inhalt: „ihre (der 
Franzosen) Philosophie abstrus und doch unzulänglich“ 22, 
44. Es ist gleichwertig mit „unbedingtem Streben“: Man 
kann sich, wenn man aus seinem Fache heraustritt, nicht 
ganz in acht nehmen „vor Unzulänglichkeit“ Spr. 1023. 
(vgl. ZX. 2, 368); ferner mit „unbedingtem, romantischen 
Streben“: „die neue (romantische) Kunst ist nur eine limi¬ 
tierte alte, eines Unzulänglichen in Form und Stoff.“ 
Gespr. 2, 332; mit Dünkel: „... Übereilung und Dünkel 
sind gefährliche Dämonen, die den Fähigsten unzuläng¬ 
lich machen ...“ Spr. 778. 


Es bleiben noch zwei kleinere Reihen, die sich zu je 
einer Reihe der positiven Abteilung antipodisch verhal- 



176 


ten: dem „Höheren“ und „Ewigen“ tritt das „Gemeine“, 
„Platte“, die „Menge“ gegenüber und dem „fördernden 
Wohlwollen“ das Misswollen, der Widersacher. R. Meyer 
hat a. a. 0. S. 41 bereits eindringlich gewarnt, das Goe- 
thesche „gemein“ im generell ethischen Sinne zu 
nehmen, statt im Sinne von „alltäglich, gewöhnlich“, 
und S. 31 auf den Zusammenhang mit dem Begriff 
„Menge“ hingewiesen. In der Wendung „sich über das Ge¬ 
meine heben“ ist der Weg angedeutet, der von dem Ge¬ 
meinen zum Ewigen führt. Der richtigen Interpretation 
des Wortes hat der Dichter selbst, wie bei einigen anderen 
Idiotismen, durch eine sorgfältige Definition vorgearbei¬ 
tet, denn Spr. 102 heisst es „das Zufällig-Wirkliche“, in 
Spr. 696 b „das Wirkliche ohne sittlichen Bezug“ (d. h. auf 
das „Höhere“); ebenso deutlich ist die Umschreibung in 
Spr. 185: „Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es 
sich mit dem Gewöhnlichen, dem Alltäglichen zu begnügen 
scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere For¬ 
derungen im Stillen...“ (derselbe Gedanke im Aufsatz 
über Kotzebue: „er dachte nicht, dass die platte Menge 
sich aufrichten, sich ausbilden könne...“ 27, 333). Diese 
Definitionen entsprechen dem praktischen Gebrauch; sie 
sind deutlich genug, um einer richtigen Auffassung sol¬ 
cher Stellen wie: „Gemessen macht gemein“ F. H, 10259, 
sowie aus dem Epilog zu Schillers Glocke 1, 137: 

Und hinter ihm in wesenlosem Scheine 

Lag, was uns alle bändigt, das Gemeine — 

den Weg zu bahnen. Von anderen Belegen, die zeigen, 
dass Goethe von jeher die gleiche Bedeutung mit dem Worte 
verband, seien erwähnt: „Es geht alles hier ruhig und ge¬ 
mein zu“ an Kn. W. IV, 4, 241; „In diesen Gegenden, wo 
die Gegend selbst gemein ist ...“ an F. Müller W. IV, 4, 
234 ; (beide Stellen aus dem Jahre 1780). 



177 


In Verbindung mit den Begriffen „Menge, Haufen“, 
als Typus des Alltäglichen, Gemeinen (nicht durchaus der 
„Absurdität“, wie R. Meyer a. a. 0. S. 27 angiebt), wird 
oft das Wort „platt“ gebraucht (z. B. Ann. 1027; 979a). 
Sehr beliebt ist ferner „der Tag“, im prägnanten Sinne 
von „das der Menge gemässe, das Ephemere, Vorüber¬ 
gehende“; eine reiche Belegsammlung bietet das DWb. 
XI, 52; ferner: „Menge und Masse des Tags“ an Schultz 
S. 385; „ich weiss, dass es (das Publikum) dem Tag, und 
dass der Tag ihm angehört; aber ich will nun einmal nicht 
für den Tag leben,“ Gespr. 4, 351; „die vom wissenschaft¬ 
lichen Tag und Stunde inseparable Charlatanerie“ atf 
Schultz S. 308; „ich bin gewohnt* den Tag walten zu las¬ 
sen“ Boiss. 2, 245; u. s. w. 1 ) 

Dem Terminus des „Wohlwollens“ entspricht in sei¬ 
ner Prägnanz auf der negativen Seite genau das „Miss¬ 
wollen“. Anschluss an die Gleichstrebenden, Ablehnung 
der Widerstrebenden, ist in wenig Worten Goethes Maxime 
der geistigen Arbeit, wie sie sich seit der erneuten Auf¬ 
nahme wissenschaftlicher Thätigkeit, etwa 1816, immer 
mehr befestigte. „Mein Wunsch wäre überhaupt, meine 
Überzeugung überall, wo nur möglich, anzuschliessen“ An 
Schultz S. 249, denn „Mitwollende giebt’s wenig, Miss¬ 
wollende viel.“ An Reinhard S. 72. Die schönste Zusam¬ 
menfassung dieser Lehren bietet der kleine Aufsatz „für 
junge Dichter“ 29, 230, und hier erteilt er auch den Rat: 


x ) Ganz entgegengesetzt ist eine andere Prägnanz von „Tag“ 
im „höheren“ Sinne von „Klarheit“ „reine Anschauung“: „Der Ob¬ 
skurantismus, der den reinen Tag zu verkümmern bestrebt ist“, 29, 
„Damit der Tag dem Edlen endlich komme“, Epilog zur Glocke 
1. 138. Dahin gehört auch das unvergleichliche Bild in der „Flucht 
nach Ägypten“: „Zwei Knaben, schön wie der Tag- . . Wanderi 
18, 28. 

Koucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 


12 



178 


„der junge Dichter beseitige streng allen Widergeist, 
alles Misswollen, Missreden, und was nur verneinen kann; 
denn dabei kommt nichts heraus.“ Diese Lehre ist der 
Niederschlag der eigenen Praxis, denn aufs strengste 
führte Goethe den Grundsatz durch, „alles Misswollende, 
Verneinende, Herabziehende“ durchaus abzulehnen (Ann. 
350) und allen Angriffen gegenüber, die sich „bei der 
grossen Masse misswollender Menschen“ von Zeit zu Zeit 
wiederholen mussten, „mit dem besten Humor ein Schnipp¬ 
chen in der Tasche“ zu schlagen, „ohne dadurch dem 
öffentlichen beschwerlich zu sein.“ 29, 348. „Ich ... bin 
mir nur bewusst, dass ich niemals unmittelbar gegen Miss¬ 
wollende gewirkt habe...“ 29, 360. In dem kleinen Arte¬ 
kel, dem letzterer Beleg entstammt, macht Goethe sogar 
einen eigenartigen Vorschlag, der bezeugt, dass er nicht 
„auf dem Neidpfad geloffen“ (2, 334): nämlich als Gegen¬ 
stück zu Varnhagens Schrift: „Goethe in den wohlwollen¬ 
den Zeugnissen der Mitlebenden“ auch eine Zusammen¬ 
stellung der „misswollenden Zeugnisse“ zu besorgen, ihm 
selbst wie seinen Gegnern zur Unterhaltung, dem Ver¬ 
leger zum Gewinn, und der Nachwelt zur Belehrung, „wie 
es in unseren Tagen ausgesehen und welche Geister darin¬ 
nen gewaltet.“ Generell entspricht dem „Wohlwollen¬ 
den“ = Anhänger, der „Misswollende“ = Widersacher, 
z. B. W. IV, 17, 245; 249; IV, 16, 4 (jener Misswollende 
= Böttiger, sonst „Herr Ubique“); 15, 133. — Auch über 
die psychologische Wurzel des Verneinens hat Goethe 
nachgedacht, und einen darauf bezüglichen, sehr beher¬ 
zigenswerten Aphorismus überliefert Kanzler Müller: 
„Was wir in uns nähren, das wächst; das ist ein ewiges 
Naturgesetz. Es giebt ein Organ des Misswollens, 
der Unzufriedenheit in uns, wie es eines der Opposition, 
der Zweifelsucht giebt. Je mehr wir ihm Nahrung zufüh¬ 
ren, es üben, je mächtiger wird es, bis es sich zuletzt aus 



179 


einem Organ in ein krankhaftes Geschwür umwandelt und 
verderblich um sich frisst.“ Gespr. 4, 210. 

An Material zu solchen Beobachtungen fehlte es 
Goethe in seiner nächsten Umgebung leider nicht: sogar 
derjenige Freund, mit dem er, wie mit Schiller durch eins 
der „höchsten Verhältnisse“ verbunden war, Herder, ent¬ 
wickelte mit zunehmendem Alter immer mehr den ihm 
angeborenen „misswollenden Widerspruchsgeist“ Ann. 
402a. Als vollendeter Typus des Misswollenden galt ihm 
jedoch Kotzebue, oder, wie er einmal ohne Namensnennung 
eingeführt wird: „der Widersacher“ Ann. 298. Aber 
sogar ihm gegenüber verschmähte Goethe jede aktive 
Verfolgung, und begnügte sich „sein Schnippchen in der 
Tasche zu schlagen“. Die Betrachtung über Kotzebue (27, 
331 ff.) ist eins der schönsten Dokumente von Goethes 
wahrhaft vornehmer Gesinnung gegenüber seinen Geg¬ 
nern. Seine Auslegung „jener grossen Forderung, man 
solle seine Feinde lieben,“ die er selbst in die That umge¬ 
setzt hat, muss auch der Gemeinde seiner „Wohlwollen¬ 
den“ gegenüber der Menge der „Misswollenden“, von Glo- 
ver bis Baumgartner, als Maxime gelten: man lerne auf 
die Vorzüge seiner Widersacher Acht zu haben (Spr. 626; 
1033), denn „man erkenn^ einen guten Haushälter haupt¬ 
sächlich daran, wenn ersieh auch des Widerwärtigen 
vorteilhaft zu bedienen weiss.“ 


In der umstehenden Tabelle ist das gesamte 
Sprachmaterial nach den oben zu Grunde gelegten Ge¬ 
sichtspunkten geordnet. Diese Anordnung erhebt keines¬ 
wegs Anspruch auf absolute Geltung, wie schon in der 
Einleitung bemerkt wurde, sondern ist nur als eins von 
vielen anderen denkbaren Hilfsmitteln gewählt, um wie 
auf einem Rahmen das reiche Gewebe des Sprachgewan- 

12 * 



Sittlich - Geistig Sittlich 


180 





181 


des zu grösserer Übersicht aufzuspannen und das Hin und 
Wieder der Fäden zur Anschauung zu bringen. Zu sol¬ 
cher Schematisierung ermutigt noch ein weiterer Um¬ 
stand, dessen hier Erwähnung zu thun ist. Goethe liebte 
es bekanntlich, sich theoretische Betrachtungen durch 
schematische Veranschaulichung und fachweise Rubri- 
cieruüg nach hervorstechenden Gesichtspunkten zu er¬ 
leichtern. Das ausführlichste Schema dieser Art ist das 
über den Dilettantismus, das jedoch für unsere Zwecke 
nicht nutzbar zu machen ist, da der Gegenstand hier in 
Form eines weitläufig skizzierten Nacheinanders behan¬ 
delt ist, nicht im übersichtlichen Nebeneinander. Letz¬ 
teres ist dagegen der Fall in einer „Würdigungstabelle 
poetischer Produktionen der letzten Zeit,“ die dem 
Aufsatze: „Neueste deutsche Poesie“ 29, 266 ff. beige¬ 
geben ist. Sie ist als eine Art summarische Abfertigung 
gedacht, da es Goethe mit der Zeit unmöglich wurde, die 
zahllosen Einsendungen, die der höchsten litterarischen 
Instanz Deutschlands unterbreitet wurden, einzeln zu er¬ 
ledigen. Wer wirklich etwas lernen wollte, mochte sich 
in diese Tabelle vertiefen und konnte daraus das Urteil ab¬ 
lesen, das ihm zu teil geworden wäre. Diese Tabelle ist 
interessant wegen der darin niedergelegten Terminologie, 
die im Lichte der vorangegangenen Analysen einen neuen 
Wert erhält. Von den 14 Reihen der Tabelle seien um¬ 
stehend sechs vorgeführt, als für unsere Zwecke beson¬ 
ders lehrreich. 

Die Reihe „leicht“ umfasst den Vorstellungskreis 
des „Gemeinen“, daher die Bezeichnungen: „alltäglich“, 
„gewöhnlich“, „ephemer“ (vgl. oben S. 177 unter „Tag“); 
„bequem“ heisst hier wie oft bei Goethe „gewandt, sich 
leicht anschmiegend“, vgl. die Wendungen: „schickliche 
Bequemlichkeit des Gespräches“ 15, 31; „das Kind er¬ 
scheint so bequem, heiter und gewandt...“ 20, 66; „Gün- 



182 


Naturell 

Stoff 

1 

i Gehalt 

Behandlung 

Form 

! 

Effekt 

Leicht 

Alltäglich 

j 

Gewöhn¬ 

lich 

Bequem 

' Im Einzel¬ 
nen gut ! 

Ephemer 

Ernst lind 

Lokal nnd 

Durch die 

Mit Leich- 

Der Ab- 

Vorüber- 

elegisch 

1 

Sitten 
! fremd 

Zeit 

gegeben 

tigkeit 

sicht 

gemäss i 

gehend 

Begabt 1 

i 

1 Ver¬ 
gangene 
Zeit und 
Sitten 

Menschlich 

begründet 

Geübte 

Hand 

Schließt 

i 

sich nicht j 
zusammen j 

Unbefrie¬ 

digt 

Rein 

Natürlich 

Gemütlich 1 

Zart 

Geistreich 

Anmutig 

Kräftig | 

i 

Nationen 

Tüchtig j 

Männlich 

Rheto¬ 

risch-poe¬ 

tisch 

Er¬ 

mutigend 

Peinlich . 

Halb wahr 

Er¬ 

zwungen 

Empirisch 

Unrein 

Beun¬ 

ruhigend 


i I : I : 


ther, rhythmisch bequem...“ 21, 49; überhaupt gern von 
Personen = „keine Schwierigkeiten bietend“ Paul, Wb. 
S. 64; G.-J. 19, 235. Besonders interessant sind die Reihen, 
die mit „rein“ und „kräftig“ beginnen; die erstere ist 
Zustands-, die andere Thätigkeitsgruppe. Bemerkens¬ 
wert ist, dass das „Tüchtig-Männliche“ mit dem natio¬ 
nalen Stoff in Verbindung gesetzt wird. Es ist die 
gleiche Anschauung, die ihm das Nibelungen-Lied als ein 
nationales Epos so wertvoll erscheinen liess, und von der 
auch der litterarhistorische Exkurs im 7. Buch von DW. 
ausgeht: „der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstan¬ 
des ist der Anfang und das Ende der Kunst“ 21, 63; „der 
erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam 
durch Friedrich den Grossen und die Thaten des 7jähr. 
Krieges in die deutsche Poesie“ 21, 62, während der deut¬ 
schen Poesie bisher „ein Gehalt, und zwar ein nationeller“ 








183 


fehlte. 21, 49. Dagegen betreffen die 2. und 3. Reihe 
die „altertümelnde“ Kunst, für die Goethe trotz der pa¬ 
triotischen Färbung nichts übrig batte; er sah darin nur 
eine Maskerade, einen „sittig-religiös-poetischen Bettler¬ 
mantel“ (An Z. VI, 305 = Lokal und Sitten fremd), und 
die „elegische“ Grundstimmung war ihm verhasst, denn 
sie fördert nicht» weil sie sich nicht an „das fortschrei¬ 
tende Leben“ hält (29, 231); der Effekt ist daher nur 
„vorübergehend“ und „unbefriedigt“. (Ganz ähnlich 
spricht sich Goethe schon 1769 in einem Briefe an Friede¬ 
rike öser über die „Unwahrheit“ und das „Flittergold“ 
der Bardenpoesie aus, DjG. 1, 52; vgl. auch 29, 453). 
Die letzte Reihe, die von einem „peinlichen“ Naturell 
ausgeht, ist ganz negativ, wie vor allem die Bezeichnun¬ 
gen „halb-“ und „unrein“ andeuten. „Peinlich“ kann 
hier nur im Sinne von „unbehaglich, unharmonisch, pro¬ 
blematisch“ stehen, denn der ganze Zusammenhang weist 
auf die negative Abteilung der Mittelgruppe unseres Sche¬ 
mas hin, wobei den Ausdrücken „erzwungen“ und „beun¬ 
ruhigend“ die typischen Wertungen „fordern, transcen- 
dieren“ und „leidenschaftlich“ entsprechen. 

Von anderen schematischen Skizzen verdient die über 
„Epochen deutscher Litteratur“ 29, 261 wohl Er¬ 
wähnung, die hier zur bequemeren Vergleichung ebenfalls 
eingerückt sei: 

Von 1750 bis 1770. 

Ruhig. Emsig. Geist- und herzreich. Würdig. Be¬ 
schränkt. Fixiert. Pedantisch. Respektvoll. Antik¬ 
gallische Kultur. Formsuchend. 

Von 1770 bis 1790. 

Unruhig. Frech. Ausgebreitet. Leichtfertig redlich. 
Achtung verschmähend und versäumend. Englische Kultur. 
Form willkürlich zerstörend und besonnen herstellend. 



184 


Von 1790 bis 1810. 

Beschwichtigt. Zart. Sich beschränkend. Ernst 
religiös. Patriotisch thätig. Intrigant. Spanische Kul¬ 
tur. Von Form sich entfernend. 

Von 1810 bis 1820. 

Malcontent. Determiniert. Tüchtig. Herrschsüch¬ 
tig. Zuschreitend. Respektlos. Altdeutsch. Ins Form¬ 
lose strebend. 

Vorausgesetzt, aber hier nicht einbezogen, ist die 
„wässrige, weitschweifige, nulle Epoche“ 21, 53, der 
„Gottsched-Geliert-Weisseschen Wasserflut“ Z.Br. V, 
425, auf welche als Reaktion die erste Periode von 
1750—1770 folgt. Sie wird DW. 21, 53 durch „Bestimmt¬ 
heit, Präzision und Kürze“ charakterisiert, durch „Con- 
cinnität“ Gespr. 2, 336 (im Schema = ruhig, würdig, 
formsuchend), zugleich aber durch „vaterländische breite 
Plattheit“ 21, 44 („pedantisch, beschränkt“). Die zweite 
Periode umfasst zunächst die Sturm- und Drang-Epoche, 
die „fordernde Epoche“ 22, 197 („frech“, „Achtung 
versäumend“), die „sich für grenzenlos erklärte“ 23, 87; 
Ann. 5, („ausgebreitet“ = „diastolisiert“ Gespr. 2, 336) 
und sodann das Klärungsstadium („Form besonnen her¬ 
stellend“). Der folgende Zeitraum 1790—1810 enthält 
ebenfalls verschiedene Strömungen: die ersten drei Attri¬ 
bute (beschwichtigt, zart, sich beschränkend) beziehen 
sich auf den Höhepunkt der ästhetischen Theorie und 
Praxis; die Ausdrücke religiös-patriotisch auf die Anfänge 
der Romantik, der „Neudeutschen Kunst“, und intri¬ 
gant offenbar auf Kotzebue nebst Anhang. Die zehn 
Jahre von 1810—20 stellen sich hauptsächlich dar als 
Fortsetzung der Religiös-patriotischen Romantik 6»Alt¬ 
deutsch, ins Formlose strebend“), und sind identisch mit 
der „Epoche der forcierten Talente“, der 29, 264 ein be- 



185 


8onderer Artikel gewidmet ist. Mit dem vereinzelten 
„tüchtig“ können nur die erfreulichen Erscheinungen der 
altdeutschen Richtung, besonders das Nibelungenlied, ge¬ 
meint sein (29, 426). Beachtenswert sind in diesem 
Schema auch die sorgfältig abgewogenen Parallelismen: 
die jeweilige Bestimmung der Kultureinflüsse, Abstufung 
der Form und vor allem die inhaltreiche Antithese: be¬ 
schränkt — sich beschränkend. 

Endlich ist die Rezension von „Des Knaben Wun¬ 
derhorn“ 29, 386ff. sehr ergiebig für die Frage derGoe- 
theschen Terminologie. Jedes der Gedichte wird hier mit 
wenig Worten, meist durch prägnante Adjektive charakteri¬ 
siert, wie z. B.: Das Wunderhorn. „Feenhaft, kindlich, ge¬ 
fällig“. Des Sultans Töchterlein. „Christlich zart, anmutig“. 
Teil und sein Kind. „Rechtlich und tüchtig“. Auch hier 
gewinnen die Beiworte eine eigentümliche Prägnanz, be¬ 
sonders wo sie ganz allein stehen, wie z. B.: Der Dillinger. 
„Ritterhaft tüchtig“. Geh du nur hin. „Frank und frech“. 
Knabe und Veilchen. „Zart und zierlich“ u. s. w. Der 
Haufigkeitsgrad der prägnanten Beiworte ist folgender: 
zart (10), romantisch (9), unschätzbar (7), tüchtig (6), 
wunderlich (5), artig (5), derb (4), dunkel (4), fratzen¬ 
haft (3). „Heiter“ begegnet merkwürdigerweise nur ein¬ 
mal; sehr charakteristisch wirkt das sonst nicht häufig 
belegte ,holzschnittartig“ (4 mal). In den übrigen Wor¬ 
ten erkennt man sofort die bekannten Lieblingswertungen, 
und ihre stereotype Verwendung zu so früher Zeit (1806) 
beweist aufs neue, dass besonders hinsichtlich des Wort¬ 
schatzes Goethes Prosa schon längst ihre Geschmeidigkeit 
verloren hatte, als der poetische Stil noch entwicklungs¬ 
fähig war (vgl. unten S. 238). 



186 


Es ist erstaunlich, mit welcher Konsequenz der 
ganze Gedankenapparat, dessen typische Ausdrucksmittel 
in dieser Arbeit zu analysieren waren, sich aufbaut. 
Wenige Denker haben es verstanden, einige einfache 
Grundwahrheiten für den ganzen Organismus in allen Ver¬ 
zweigungen in so eminentem Masse fruchtbar zu machen, 
denn es bleibt immer dasselbe grosse Prinzip der lebendig 
thätigen, wahren, reinen Gesinnung, das sich durch die 
Gedankenwelt Goethes hindurchschlingt und das Entfern¬ 
teste mit einander verkettet. Dabei ist nicht zu über¬ 
sehen, dass Goethe selbst keinerlei Systematik angestrebt 
hat, sondern rein aphoristisch verfährt; seine Weis¬ 
heit gleicht» wie Goethe selbst mit Bezug auf einen ande¬ 
ren Dichter sagt, einem unsichtbaren Kapital, das ge¬ 
räuschlos arbeitet und dessen Zinsen „gleichsam nur als 
Würze" in seinen Schriften ausgestreut sind. Diese Ein¬ 
heit seiner Denkweise hat aber ihren Grund darin, dass 
alle seine Gedanken nur Ausstrahlungen einer konstanten 
Individualität sind, die sich mit der Konsequenz eines 
Naturgesetzes entfaltete und von einem einzigen Mittel¬ 
punkt sich radienförmig nach allen Punkten der Peri¬ 
pherie ausbreitete (s. unten S. 236). Seine Erkenntnisse 
beruhen nie auf Zufall oder auf einer Dialektik, die den 
Intellekt nach Behagen spielen lässt, sondern sie sind not¬ 
wendige Ableitungen aus einem prägnanten Punkt, sie 
gehen von erlebten Einzelfällen aus, lösen das Zufällige 
von dem empirisch Geschauten ab und erheben das Ty¬ 
pische zu der Höhe allgemein gültiger Maximen. 

Ein nochmaliger Rundgang durch das ganze Gedan¬ 
kengebäude zur Veranschaulichung des einheitlichen 
Grundplanes möge den Abschluss dieses Teils unserer 
Untersuchung bilden. Die Forderungen: „tüchtig — 
wahr — rein“, lassen sich als Grundpfeiler benutzen. 
Wie der „tüchtige, thätige Mann“ Spr. 6 im Strom der 



187 


Welt, wirkt die Reinheit im stillen, als reine Gesinnung, 
reine Handlung und reine Erkenntnis. Jedes reine Be¬ 
mühen ist aber zugleich ein Lebendiges, (33, 237), es hat 
eine „reine Folge“ und ist fruchtbar, wie das Wahre 
(29, 236), während das Falsche „tot und fruchtlos da¬ 
liegt.“ Um jedoch fruchtbar zu werden, bedarf es eines 
augenblicklichen Thuns; „es ist nicht genug zu wissen, 
man muss auch anwenden“ (Spr. 484). Durch das Thun 
kann sogar die Skepsis fruchtbar werden, d. h. die „thä- 
tige Skepsis, welche unablässig bemüht ist, sich selbst zu 
überwinden“ (Spr. 551). Der Ausdruck „thätige Skep¬ 
sis“ deckt sich mit dem „Stirb und Werde“ des Divans, 
der „epigenetischen Energie“, der beständigen Selbstver¬ 
jüngung, und dieses „Kunststück besteht darin, dass wir 
unsere Existenz aufgeben, um zu existieren“ (Spr. 261). 
Die Überwindung ist vom rein ethischen Standpunkt 
gleichbedeutend mit der „Selbstbeschränkung“ und zwar 
derjenigen, die auf Einsicht beruht (Spr. 1020), auf früh 
erfahrener „Bedingung“ (Spr. 654). Die Lehre von der 
Beschränkung ist durchaus der Angelpunkt der Goe- 
theschen Lebensweisheit, wie andererseits auf das „Stre¬ 
ben ins Unbedingte“ die meisten Schäden zurückge¬ 
führt werden. „Sich beschränken“ heisst: nach dem fra¬ 
gen, was uns „gemäss“ ist (21, 35), alle „falschen Rich¬ 
tungen“ abschneiden, keine „Forderungen“ an uns stellen, 
denen wir nicht gewachsen sind. Die Beschränkung ge¬ 
ziemt dem Künstler (28, 353), wie dem Gelehrten und dem 
Handwerker (18, 157), dem Herrscher (23, 42) wie jedem 
einzelnen Menschen (17, 518). Sie ist die Grundbedingung 
jeder Meisterschaft» denn sie erwirbt die Herrschaft über 
ein Ganzes und bewahrt vor Halbheit (18, 157). Sie steht 
auf dem Boden des Diesseits, des „Wissbaren“ und lenkt 
den Blick ab von dem „Unerforschlichen“, von „grillen¬ 
haften“ Spekulationen und dem Verlieren ins „Abstruse“. 



188 


In zeitlicher Hinsicht ist sie identisch mit der „Gegen¬ 
wart“, denn es ist die Aussenwelt, die Wirklichkeit, 
welche die Individuen bedingt und beschränkt; wer in der 
Gegenwart lebt, fügt sich dieser Beschränkung und ge¬ 
langt zur Freiheit, während das unbedingte Streben, wie 
der Roman und die Jugend (29, 381) in einer eingebildeten 
Welt lebt. „Ein lebendiges Thun in der Gegenwart“ 
ist die immer wiederkehrende Forderung Goethes, und 
so mündet auch das Beschränkungsprinzip in den grossen, 
umfassenden Begriff des Lebendigen ein. Die Vor¬ 
stellung des Organischen ist die Atmosphäre, in der Goe¬ 
thes Denkweise lebt und atmet. „Ob wir lebendig sind 
und waren“ ist das Kriterium, das über den Wert eines 
Kunstwerks entscheidet (29, 231); lebendig, ein „Mit¬ 
fortleben“ (An Schultz S. 201) muss die Teilnahme der 
„Wohlwollenden“ sein, wenn sie fördern soll; „lebendig, 
fortschreitend, positiv“, sind die Schlagworte in der 
wissenschaftlichen Arbeit. Ein Lebendiges ist auch die 
Liebe, denn „sie bezieht sich auf Gegenwart“ (29, 236); 
„die Synthese der Neigung ist es eigentlich, die alles 
lebendig macht“ (An Reinh. S. 8). „Was ist doch ein 
Lebendiges für ein köstliches, herrliches Ding! Wie ab¬ 
gemessen zu seinem Zustande, wie wahr, wie seiend!“ (24, 
84) ruft Goethe in Venedig, als er die „Wirtschaft der See¬ 
schnecken“ beobachtet. Und im höchsten Alter freut es 
ihn, sogar im Tode das Lebendige zu sehen und den Ver- 
stäubungsprozess der ablebenden Fliege als ein „Fort- 
und Fortleben“ zu erkennen. (An Nees von Esenbeck 
1825, Naturwiss. Korrespondenz H, 134). „Man mag so 
gern das Leben aus dem Tode betrachten, und zwar nicht 
von der Nachtseite, sondern von der ewigen Tagseite her, 
wo der Tod immer vom Leben verschlungen wird.“ 
(Ebend. H, 159.) Unter „Lebendig“ ist aber auch das 
„Erlebte“ zu verstehen, der Gehalt des eigenen Lebens 



189 


in allen Beziehungen, das Gewahrwerden unserer selbst 
(Spr. 1029), wie auch das „was Freunde mit und für uns 
thun“ (Spr. 1032). Auf dem Erlebten, dem Gewahirwer- 
den beruht ferner das Apercu, die Erkenntnis einer 
grossen produktiven Maxime, die in unserem inneren Le¬ 
ben Epoche macht; dieses Apercu bricht scheinbar plötz¬ 
lich aus dem Innern hervor, aber es ist längst im Stillen, 
in der Dämmerung vorbereitet worden. Es „kommt aus 
einer Folge und bringt Folge; es ist ein Mittelglied einer 
grossen produktiv aufsteigenden Kette“ (Spr. 1053) und 
trägt daher die Gewähr des Erlebten und Fruchtbaren in 
sich. Die Erkenntnis solcher Maximen unterscheidet den 
Weisen von der „Menge“, denn er vermag die sittlichen 
Bezöge in dem Alltäglichen zu erkennen, das Höhere, 
Ewige von dem Gemeinen zu sondern, während die Menge 
in Dumpfheit verharrt und dem Tage lebt. 

Das Gewahrwerden ist nächst dem Leben selbst, der 
rotierenden Monas, die höchste Gunst der von oben wirken¬ 
den Wesen (Spr. 1029); der Einzelne gelangt so zu Er¬ 
kenntnissen, die nur ihm selbst angehören; er lernt sich 
als „innerlich Grenzenloses, äusserlich Begrenztes“ ge¬ 
wahr werden, und gewinnt dadurch bei äusserer Abhängig¬ 
keit die innere Freiheit. Eine solche innere Freiheit 
zu erringen, betrachtete Goethe als sein eigenes Ziel (Ann. 
2 c), und er war sich am Ende seines Lebens bewusst, dass 
er dieses Ziel erreicht und ein Beispiel gegeben habe, 
„wie der Mensch von innen heraus leben, der Künst¬ 
ler von innen heraus wirken müsse,“ so dass er immer 
und überall sein Individuum zu Tage fördere. „Nur auf 
diese Art ist es möglich, Original zu sein.“ (29, 230.) 

So konnte sich Goethe mit Recht den Befreier der 
Deutschen nennen. 



Theoretisches 


Die prinzipiellen Gesichtspunkte, unter denen sich 
das im vorigen Teil analysierte Material zusammenfassen 
lässt, sind zweierlei Art: einesteils ist der Prozess selbst 
zu beobachten, den bestimmte Worte durchlaufen, um 
eine bestimmte Prägnanz anzunehmen, d. h. der Prozess 
des individuellen Bedeutungswandels; andererseits 
sind die Ursachen und besonderen Bedingungen des Wan¬ 
dels mit Rücksicht auf Goethes Sprache und Denkweise 
zu untersuchen. Hierbei werden mancherlei Punkte zur 
Sprache kommen, die nur mittelbar mit dem hier behan¬ 
delten Hauptproblem Zusammenhängen, wie z. B. die bild¬ 
liche Kraft des Ausdrucks und die Typik der Metaphern, 
aber die tiefwurzelnde Prägnanz von Goethes individuellem 
Wortschatz, sowie die darüber hinausreichenden Verzwei¬ 
gungen und die Verwachsung jedes einzelnen Ausdrucks 
mit dem ganzen Organismus müssen notwendig zu solchen 
weiten Ausblicken Veranlassung geben. 

1. Der individuelle Bedeutungswandel 

Eine eingehende Darstellung der Frage des Bedeu¬ 
tungswandels liegt ausserhalb des Rahmens dieser Arbeit; 
nur eine kurze Übersicht möge eingeschaltet sein, um dar¬ 
an weitere Betrachtungen für unser Thema zu knüpfen. 

An und für sich kann jedes Wort zu jeder Zeit sowohl 
usuell, d. h. im Sinne der gesamten Sprachgenossen- 
schaft, nach seinem begrifflichen Inhalt, als occasio- 
nell, d. h. im Sinne des jeweils Sprechenden und Hörenden. 



191 


nach seinem Nebensinn verwendet werden. Aber man 
hat bei der occasionellen Verwendung zu unterscheiden 
zwischen momentaner und dauernder; durch letztere 
wird die neue bisher nur occasionelle Bedeutung zur usu¬ 
ellen und wird fortan unter dem Vorstellungsinhalt des 
Wortes von dem Angehörigen der Sprachgenossenschaft 
mit eingeschlossen. Ferner ist zu unterscheiden zwischen 
einem generellen und einem individuellen Prozesse 
des Wandels. Der erstere entspringt zwar auch indivi¬ 
duell, erlangt aber kollektive Geltung; der individuelle 
bezieht sich auf die feineren Bedeutungsschattierungen 
innerhalb des Individuums, auf den vollzogenen Wandel wie 
auf Ansätze zu einem solchen, und er bleibt auf das Indi¬ 
viduum, oder doch auf die nächsten Verkehrs- und Gesin¬ 
nungsgenossen beschränkt. 1 ) 

Die Probleme des generellen und individuellen Wan- 


*) Dieser Satz steht in scheinbarem Widerspruch zu dem, was Paul, 
Prinzipien S. 75, über den Vorgang des Bedeutungswandels sagt: „Es 
ist gar nicht möglich, dass der Prozess sich an einem Individuum voll* 
ziehen könnte, während dessen Verkehrsgenossen vollständig unberührt 
davon blieben.“ Der Widerspruch ist aber nur scheinbar, weil es sich 
hier um den generellen Prozess handelt, der natürlich auf der Wechsel¬ 
wirkung von Individuum und „Volksseele“ beruht. Dagegen besteht das 
Wesen des individuellen Wandels, d. h. der Prägnanz des einzelnen 
Schriftstellers gerade in der Isoliertheit des Vorganges, weil die Kultur¬ 
stufe einer solchen Grösse über derjenigen der Sprachgenossenschaft 
steht und jene Wechselwirkung daher sehr eingeschränkt ist. Die 
Schwierigkeit ruht hier auf dem Nebensinn des Wortes „Wandel“ 
selbst, insofern als kollektiv darunter ein gröberer Vorgang, individuell 
ein feinerer oder ein blosser Ansatz zum Wandel verstanden wird. 
Es mag deshalb empfehlenswert sein, statt des hier vorgeschlagenen 
Terminus „ind. Wandel“ einen geeigneteren zu suchen, um Missverständ¬ 
nissen auszuweichen. Hier soll nur ein Anfang gemacht werden zu 
einem präciseren Ersatz für das farblose „Wortgebrauch“ und das unzu¬ 
reichende „Prägnanz“, das als Bezeichnung der Wirkung des Vorgangs 
zwar praktisch unentbehrlich ist, aber theoretisch nicht ausreicht 



192 


dels haben bei aller Gleichheit der Methode ganz verschie¬ 
dene Endziele: im ersteren Falle die Erkenntnis des Orga¬ 
nismus der Sprache, im individuellen Falle die Nutzbar¬ 
machung dieser Erkenntnis für das Studium einer Indi¬ 
vidualität. Wie aber heute Philologie und Literatur¬ 
wissenschaft überhaupt mit immer mehr Bewusstsein in 
einander arbeiten, so dürfte sich auch der Versuch lohnen, 
die Resultate der Semasiologie für die literarhistorische 
Forschung zu verwerten. Dass andererseits die Erkennt¬ 
nis des kollektiven semasiologischen Vorganges durch der¬ 
artige Einzeluntersuchungen gefördert werden kann, liegt 
auf der Hand, und eine Befruchtung ist um so wahrschein¬ 
licher, als die Untersuchung des individuellen Wandels 
infolge der Vollständigkeit des Materials mit weit grösse¬ 
rer Sicherheit arbeiten und in das Wesen des Vorganges 
einen genaueren Einblick gewinnen kann, als die generelle 
Bedeutungslehre. Eine kurze Abschweifung möge diese 
Thatsache näher erläutern. 

Es liegt in der Geschichte der semasiologischen For¬ 
schung, .die von der klassischen Philologie ausging, begrün¬ 
det, dass man infolge des zu bearbeitenden Materials aus 
erstarrten Sprachen auch den Prozess selbst als einen 
historisch abgeschlossenen betrachtete und zu mecha¬ 
nischer Klassifizierung schritt, die vom allgemeinen und 
von empirischen Gruppen und nicht von der inneren leben¬ 
digen Triebkraft ausging. Dementsprechend war bei Heer¬ 
degen und anderen Forschern die Semasiologie überhaupt 
die Lehre von der Funktion des Wortes an sich ausserhalb 
des Satzzusammenhanges, und erst später wurde die Wich¬ 
tigkeit des Satzverbandes als fundamentale Forderung 
für das Verständnis des Prozesses erkannt. 1 ) Gegenüber 

*) Besonders Stöcklein hat diesen Punkt nachdrücklich betont; 
vgl Untersuchungen zur Bedeutungslehre (Dillingen, 1895) S. 7. ff.; 
Bedeutungswandel der Wörter (München, 1898) S. 6 ff. 



193 


allen Tendenzen zur blossen Schematisierung nach allge¬ 
meinen Gesichtspunkten muss eindringlich auf den orga¬ 
nischen Charakter des Prozesses hingewiesen werden: 
von den ursprünglichen Trieben zweigen sich beständig 
neue Triebe ab, die entweder jenen die Lebenskraft schwä¬ 
chen und sich oft ganz an ihre Stelle setzen, oder ihr Da¬ 
sein unberührt lassen und gleichsam als Nebenast sich 
fortentwickeln. Das Ansetzen neuer Bedeutungstriebe 
und das Absterben oder Fortleben der alten erfolgt durch¬ 
aus auf organischem Wege, unter beständigem Wachsen und 
Verändern des gesamten Bedeutungskomplexes. Die Ge¬ 
setze dieser Triebkraft zu erforschen, ist die eigentliche 
Aufgabe der Semasiologie, die aber für den generellen 
Wandel infolge der komplexen Bedingungen oft Schwierig¬ 
keiten bereitet. Hier ist nun die individuelle Forschung 
infolge der Abgeschlossenheit des Gebietes wesentlich 
im Vorteil und kann in den meisten Fällen sichere Ergeb¬ 
nisse bieten. 

Im folgenden wird das ganze individuelle Material in 
Goethes Sprache nach den Gesichtspunkten gruppiert, die 
Paul seiner Erklärung des Bedeutungswandels zu Grunde 
legt (Prinzipien S. 77 ff.); zugleich wird im Anschluss an 
Stöckleins Analyse des Wandels (Bedeutungswandel der 
Wörter, S. 14; 19) die Nebenvorstellung beigefügt, 
die sich anfangs in bestimmtem Zusammenhang und spä¬ 
ter auch ohne denselben mit dem Worte verbindet, um bei 
vollständigem Wandel zur Hauptvorstellung zu werden. 
Der letztere Fall ist bei der individuellen Prägnanz nur 
vereinzelt zu konstatieren; meist bleibt es bei Ansätzen 
zum Bedeutungswandel. 

Von den Belegen aus Goethes Sprache würden fol¬ 
gende der ersten Hauptart zuzuschreiben sein (Speziali¬ 
sierung der Bedeutung durch Verengerung des Umfangs 
und Bereicherung des Inhalts): 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 13 



194 


Meine Wohlwollenden (NebenVorstellung: persön¬ 
liche Förderung, Mitstreben) = Anhänger; 

der Misswollende (entsprechend im negativen Sinne) 
= Widersacher; 

fordern (Nebenvorst.: schrankenloses Streben) = 
(zu) hohe Ansprüche stellen; 

Verhältnis (Nebenvorst.: Prinzip der Förderung) = 
fruchtbare Beziehung; 

Ereignis (Apercu; inneres Erlebnis) = Epoche; 

rein (Selbstzweck) = vorurteilslos; objektiv; folge¬ 
recht; 

Egoismus (Abschliessung gegen „Misswollende“) = 
berechtigte Selbstbehauptung; 

der Strebende (keine Selbstzufriedenheit) = der 
Werdende; 

lässlich (allzu tolerant) = nachlässig; 

anständig (wohl-anstehend) = anmutig; 

Tag (Tag für Tag, alltäglich) = ephemer, Tages¬ 
getriebe; 

steigern (Evolution des Typus) = potenzieren; 

Folge (Konsequenz, Wachstum) = stufenweise Ent¬ 
wicklung. ' 

Zum zweiten Hauptteil würden gehören (Beschrän¬ 
kung; Übertragung): 

ewig (Übertragung auf die räumliche Vorstellung) 
= grenzenlos; 

erschrecken (Übertragung auf geistige Verhältnisse) 
= blitzartige Erkenntnis; 

frech (Übertragung auf geistige Verhältnisse) = 
litterarisch-revolutionär; 

tüchtig (Übertragung auf geistige Verhältnisse) = 
gesund, national kernhaft; 

fratzenhaft (Übertragung auf geistige Verhältnisse) 
= überspannt, ohne Proportionen; 



195 


komplett (von der Botanik entnommen) = harmonisch; 

transcendieren (philosophischer Terminus) = über¬ 
spannt sein; 

absolut (philosophischer Terminus) = ohne Schranken; 

Epoche (Beschränkung) = Jahreszeit; Fest. 

Dem dritten Hauptteil Hessen sich zurechnen (pars 
pro toto; Adaequation): 

lässlich (Übergang von der Bezeichnung zum Träger) 
= tolerant; 

bequem (Übergang von der Bezeichnung zum Träger) 
= angenehm im Verkehr. 

In allen hier aufgezählten Fällen liegen Ansätze zum 
Wandel vor, und wenn sich auch die Schattierungen nie so 
weit von dem Bedeutungskern entfernen, dass nicht der 
Zusammenhang leicht ersichtlich wäre, so sind doch die 
Ansätze über das Stadium rein occasioneller Verwendung 
insofern hinausgerückt, als die individuelle Schattierung 
mit auffallender Häufigkeit sich wiederholt; man könnte 
dieses Stadium vielleicht am besten als usuelle Präg¬ 
nanz charakterisieren. Als äussere Kennzeichen dersel¬ 
ben Hessen sich etwa folgende Bedingungen auf stellen: 

1. wenn der prägnante Gebrauch sich über längere Pe¬ 
rioden erstreckt oder zeitlebens festgehalten wird; 

2. wenn das Wort im Satzaccent den Hauptton erhält; 

3. wenn das Wort isoliert steht. 

Was den ersten Fall betrifft, so leuchtet die Wichtigkeit 
gerade für Goethes Sprachentwicklung ohne weiteres ein, 
denn es lässt sich deutlich erkennen, wie gewisse Idiotis¬ 
men in den verschiedenen Epochen seines Lebens im Zu¬ 
sammenhang mit der Entwicklung seiner Denkweise sich 
gegenseitig ablösen. Die Abgrenzungen für die einzelnen 
Worte sind im Hauptteil gegeben. Der Fall der lebens- 

13* 



196 


länglichen Prägnanz führt zur Frage der Lieblingswen¬ 
dungen, die in dem Abschnitt „typische Anschauungs¬ 
weise" eingehender behandelt ist. Die .zweite Bedingung 
ist am häufigsten erfüllt in der appositionellen Stellung 
von Adjektiven, die Goethe besonders bei Personenschilde¬ 
rungen mit grosser Vorliebe als eine Art Kunstgriff anzu¬ 
wenden scheint, um die volle Wucht des Satztones auf die 
Wertung zu lenken und sie dadurch in ihrer ganzen Inten¬ 
sität zu erschöpfen. 

Folgende Belege mögen diese Eigentümlichkeit illu¬ 
strieren: 

Von Reineck, ... tüchtig, rechtschaffen, aber starr¬ 
sinnig; DW. 20, 147; 

Fresenius, ein sanfter Mann von schönem, gefälligen 
Ansehen 20, 133; 

Lerse, ... ein vollkommen rechtlicher, ... mässiger 
und genauer junger Mann DW. 21, 146; 

Weise... heiter, freundlich und zuvorkommend 21, 105; 

Hauptmann Blumenstein, ... Halbfranzos, freundlich 
und zutraulich Ann. 628; 

Fürstin Bagration, schön, reizend, anziehend. Ann. 658. 

Hof rat Blumenbach, ... immer der heitere, umsich¬ 
tige, kenntnisreiche Mann. Ann. 1040. 

Auch andere Fälle von hochtoniger Stellung gehören hierher: 

Rein ist Hermann; ich kenn’ ihn von Jugend auf; 
Herrn, u. D. 2, 90; 

Docieren kannst du, Tüchtiger, freilich nicht, Spr. i. 
Pr. 313; 

Nur vom Tücht’gen will ich wissen, „Frech und froh“ 
2, 256; 

Einige Stellen hatte er schon poetisch übersetzt, sehr 
heiter und glücklich; An Cotta Okt. 1808 Str. Br. 
1 , 126 . 



197 


Die ersten drei Beispiele können zugleich zur Illustrie¬ 
rung des dritten Falles der Prägnanz, der isolierten An¬ 
wendung, dienen. Interessant ist auch die Verschieden¬ 
heit der Charakteristik im Jugend- und im Altersstil, wie 
sie z. B. folgende Gegenüberstellung zeigt: 

Lavater ist der beste, grösste, weiseste, innigste aller 
sterblichen und unsterblichen Menschen, die ich 
kenne. An Frau v. Stein I, 225. (Nov. 1779.) 

Lavater, als ein vorzüglicher, ins Allgemeine gehen¬ 
der Mensch, Ann. 6a (1813). 

Das eine Wort „vorzüglich“ muss hier als prägnante Wer¬ 
tung die enthusiastischen Adjektive der Jugend ersetzen. 
Natürlich ist der Altersstil auch an den letzteren reich 
genug, aber das Typische in ihm bildet die prägnante Ver¬ 
wertung einfacher Bestimmungen. Eine Häufung dersel¬ 
ben deutet im Gegenteil auf Euphemismus, wie z. B. fol¬ 
gender Fall erläutert: „Die Werke des genannten Freun¬ 
des (Jean Paul) zeugen von einem verständigen, um¬ 
schauenden, einsichtigen, unterrichteten, ausgebildeten 
und dabei wohlwollenden, frommen Sinne“ (Noten zum 
Divan 4, 288). Hier trägt die übermässige Häufung von 
Synonymen, die, jedes für sich, oft genug prägnant Vor¬ 
kommen, gerade dazu bei, der Charakteristik die inten¬ 
sive Färbung zu nehmen und sie grau in grau erscheinen 
zu lassen; die ganze Schilderung erhielt das Gepräge eines 
vorsichtigen Eulogismus, der um so verdächtiger wird, 
wenn man an Goethes herbe Kritiken über Jean Paul 
aus den neunziger Jahren denkt. 

Von den Fällen der usuellen Prägnanz sind einige am 
dere zu unterscheiden, in denen vollständiger Wan¬ 
del zum usuellen Stadium durchgeführt ist. Trotz der 
grossen Seltenheit sind diese Fälle von hohem Interesse 
für das Verständnis des individuellen Sprachlebens Goe¬ 
thes, und bilden ein merkwürdiges Zeugnis der einzigarti- 



198 


gen Vitalität dieses literarischen Mikrokosmos. Man 
wird hierbei an jene öfters wiederkehrende Äusserung er¬ 
innert, dass er sich selbst immer mehr und mehr histo¬ 
risch vorkomme (z. B. an W. v. Humboldt 1. Dez. 1831), 
denn nur bei einem abnormen Organismus, der nicht nur 
durch die Dauer des Lebens, sondern auch den Reichtum und 
die Dauer innerer Erlebnisse, und durch das Vermögen 
der Selbstverjüngung sich auszeichnet, sind Erscheinun¬ 
gen denkbar, die sich sonst nur im Leben der Gattung 
nachweisen lassen. Eins der instruktivsten Beispiele für 
den Vorgang des usuellen Wandels, in welchem der Neben¬ 
sinn zur Hauptvorstellung wird und der Zusammenhang 
sich kaum noch erkennen lässt, ist das Wort „flügel- 
männisch“, dessen eigentümliche Bedeutungsentwick¬ 
lung bereits von Rieh. Meyer (a. a. 0. S. 38 f.) besprochen 
ist. Die drei Stadien (nach Stöcklein, a. a. 0. S. 14) wer¬ 
den durch folgende Belege bezeichnet: 

„Das Tier zeigt sich als Flügelmann, indem die Ein¬ 
fachheit und Einschränkung seines Baues den Cha¬ 
rakter deutlicher ausspricht, die einzelnen Teile 
grösser und charakteristisch in die Augen fallender 
sind.“ Allgemeine Einleitung in die vergleichende 
Anatomie, erster Vortrag 33, 258 (1796). 

In der „Schilderung Cellinis“ wird dieser eingeführt 
als „ein Mann, der als Repräsentant seines Jahr¬ 
hunderts und vielleicht als Repräsentant sämtlicher 
Menschheit gelten dürfte. Solche Naturen können 
als geistige Flügelmänner angesehen werden, . . . 
Benv. Cellini 30, 442 (1803). 

In beiden Belegen ist di^Nebenvorstellung des Typischen, 
Symbolischen noch deutlich analysiert; dagegen wird das 
zweite Stadium, worin die neue Vorstellung schon eng 
mit dem Worte verbunden scheint, charakterisiert durch 
einen Beleg aus dem Jahre 1817: 



199 


„In dem grossen Kunstsinne der damaligen Zeit be¬ 
handelt er die Gestalt der Tiere symbolisch, flügel- 
männisch, nach heraldischer Art und Weise ..." 
(Über Jost Ammon in dem Aufsatz: Zu Castis 
Fabelgedicht, 28, 562.) 

Endlich erscheint der frühere Nebensinn selbst als Haupt¬ 
vorstellung, ohne dass der Zusammenhang einen Schlüssel 
bieten könnte, in der sonderbaren Bemerkung, die zwi¬ 
schen den Versen 11634 u. 35 im 2. Teil des Faust einge¬ 
schaltet ist: „Phantastisch-flügelmännische Beschwö¬ 
rungsgebärden". Ebenso in der Abhandlung vom Zwischen¬ 
knochen 1819, wo es sich um die treffende Auswahl unter 
den verschiedenen Tierarten handelt, um eine osteolo- 
gische Erscheinung zu illustrieren: • 

„von der Giraffe bis zum Walfisch war ein bedeu¬ 
tender Weg; man verirrte sich aber nicht in Vie¬ 
lem, sondern man suchte die wenigen Flügelmän¬ 
ner, die man zu diesem Zwecke bedeutend fand" 33, 
246. 

Ein anderes Wort, das einen vollständigen Wandel durch¬ 
gemacht hat, ist „Spiegelung", im Sinne von „wieder¬ 
holter Spiegelung". In der eigentlichen Bedeutung 
sind darunter die Erscheinungen zu verstehen, die Goethe 
in dem Kapitel „die entoptischen Farben" 36, 445 ff. be¬ 
handelt und die jetzt unter dem Namen der Polarisation 
des Lichts zusammengefasst werden. Insbesondere inter¬ 
essierten ihn die Erscheinungen der doppelten und vier¬ 
fachen Steigerung und auf diesen beruht die rein indivi¬ 
duelle Prägnanz des Wortes „Spiegelung". Die physika¬ 
lischen Phänomene wurden ihm zum Symbol der geistigen 
Einwirkung, die sich ebenfalls als ein mehrfach reflektier¬ 
tes Licht auffassen lässt und durch mehrmalige Übertra¬ 
gung nicht notwendig schwächer zu werden braucht. Die 
Metapher fällt in die ersten 20 er Jahre, als die Zeit, in 



200 


der die entoptischen Erscheinungen am lebhaftesten in 
Goethe nachwirkten. Eine ausführliche Begründung der 
Übertragung bietet der Aufsatz „Wiederholte Spiege¬ 
lungen" 29, 356 ff. Ein Verehrer Goethes, Professor Näke, 
hatte 1822 eine Wallfahrt nach Sesenheim unternommen 
und seine Eindrücke in einem Aufsatze niedergelegt, der 
Goethe übermittelt wurde. Hierauf antwortet Goethe mit 
einer kleinen Betrachtung, in der er die Wirkungen und 
Reflexwirkungen, in der entoptischen Einkleidung, in 
neun Stufen zerlegt und mit den Worten schliesst: „Be¬ 
denkt man nun, dass wiederholte sittliche Spiegelungen 
das Vergangene nicht allein lebendig erhalten, sondern 
sogar zu einem höheren Leben emporsteigern, so wird man 
der entoptischen Erscheinungen gedenken, welche gleich¬ 
falls von Spiegel zu Spiegel nicht etwa verbleichen, son¬ 
dern sich erst recht entzünden“ ... 29, 357. In diesem 
Falle wird also die Neben Vorstellung in ihrem Zusammen¬ 
hang mit dem ursprünglichen Begriff analysiert; in ande¬ 
ren Belegen wird sie zur Hauptvorstellung und das Gleich¬ 
nis zur Metapher: „Professor Zaupers deutsche Poetik 
aus Goethe ... darf dem Dichter wohl einen angenehmen 
Eindruck machen; es ist ihm, als wenn er an Spiegeln vor¬ 
beiginge ...“ Spr. 1041. In dem gleichzeitigen Briefe 
an Zauper (1821) spricht Goethe von dem Urteil, seine 
eigenen Arbeiten „in einem abgespiegelten Zusammen¬ 
hang zu sehen“ (vgl. Loepers Note zu Spr. 1041). Einen 
weiteren Beleg bietet der Satz: „Ich habe ... in reiferen 
Jahren grosse Aufmerksamkeit gehegt, inwiefern andere 
mich wohl erkennen möchten, damit ich in und an ihnen^ 
wie an so viel Spiegeln, über mich selbst und über mein 
Inneres deutlicher werden könnte.“ 27, 352. Auch in 
der folgenden Briefstelle scheint die gleiche Metapher Vor¬ 
zuliegen: „Ich weiss, dass diese sonderbaren Erzeugnisse 
(naturwissenschaftl. Arbeiten Goethes) eines sonderbaren 



201 


Menschen sich nicht leicht in einem andern Geiste völlig 
zusammenhängend nach der ursprünglichen Reihenfolge 
wieder abspiegeln können..." An Schultz S. 286. 

Endlich wäre der zeitweise Wandel von „dumpf" hier¬ 
herzurechnen, über .den oben S. 156 ff. eingehend gehan¬ 
delt ist. 


2. Ursachen des Wandels 

Die besonderen Bedingungen, die den individuellen 
Wandel in Goethes Sprache herbeigeführt haben, decken 
sich z. T. mit den Eigentümlichkeiten seines Stils über¬ 
haupt. Eine erschöpfende Darstellung dieses Gegenstan¬ 
des fehlt noch immer; was im folgenden geboten wird, ist 
nur eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Punkte 
mit Rücksicht auf das hier behandelte Problem des typi¬ 
schen Wortschatzes.. Folgende Gesichtspunkte sind 
vor allem zu berücksichtigen: Einfachheit, Gedrängt¬ 
heit, Euphemismus, Intensität, Konkretisierung, 
Typik. Die drei letzten Faktoren sind so umfassender 
Natur, dass jeder für sich eine gesonderte Behandlung er¬ 
heischt, wie sie in den folgenden Abschnitten (3—5) ge¬ 
boten wird. Daran ist als letztes Kapitel ein Überblick 
über die sprachtheoretischen Äusserungen Goethes ge¬ 
fügt, der für die vorliegenden Fragen insofern von Bedeu¬ 
tung ist, als die Einheit des Denkens und Dichtens auch 
hinsichtlich der Wortwahl dadurch erwiesen wird. Die 
Thatsache, dass Goethe unter allen Erscheinungen des 
Sprachlebens sein Hauptinteresse dem Verhältnis zwi¬ 
schen Wort und Bedeutung, sowohl in rein theoretischer 
Hinsicht, wie in der Anwendung auf die Fragen der Über¬ 
setzungskunst und des Purismus, zugewandt hat, dürfte 
bisher nicht genügend hervorgehoben worden sein. Die 
Einzelheiten sind allerdings längst bekannt, aber erst im 



202 


Zusammenhang wirkt das Einzelne instruktiv, sei es auch 
nur zur Bestätigung des „Alten, Wahren“. 

Kürzer sind die drei ersten Faktoren — Einfachheit, 
Gedrängtheit, Euphemismus — hier behandelt, weil ihre 
Wirkung sich weniger an den einzelnen Worten, als an dem 
Stil im allgemeinen und vom syntaktischen Standpunkte 
äussert. Es bedarf nur weniger Worte, um daran zu er¬ 
innern, wie die Kunstanschauungen des Schülers von Win- 
ckelmann und öser sich auch im Stil wiederspiegeln. 
Sicher hat das gleiche Bestreben, das in den späteren 
Redaktionen der Jugendwerke alle naturalistischen Aus¬ 
wüchse beseitigte, auch auf die Wortwahl Einfluss ge¬ 
habt und schlichten Worten eine ungeahnte Bedeutungs¬ 
fülle abgewonnen. In dem Abschnitt „Intensität“ ist 
auf diesen Punkt nochmals zurückzukommen, wie denn 
überhaupt der letztere Faktor zu dem der Einfachheit 
in ursächlichem Verhältnis steht. Weil Goethe die Gabe 
besass, auch unscheinbare Worte bis zur höchsten Er¬ 
tragsfähigkeit auszunutzen, wirkt seine Sprache so ein¬ 
fach und oft schmucklos. Erst wenn man jeden Satz 
langsam Wort für Wort in sich aufnimmt, und auf seinen 
Vorstellungsinhalt genau prüft, wird man gewahr, wie 
hier das Prinzip des kleinsten Kraftmasses waltet und 
wie mit einfachen Mitteln das Grösste erreicht wird. Es 
ist überall eine „tüchtige“ Rede, keine Wörter, sondern 
Worte. 

Dem bewussten Streben nach Einfachheit entspricht 
im Alter eine natürliche Tendenz zur Kompression und 
Zusammendrängung, die von Knauth (a. a. 0. S. 22, 33, 
45) mit Recht als hervorragendes Merkmal des Altersstils 
angeführt wird; es bedarf hier allerdings der Einschrän¬ 
kung, dass diese Tendenz sich vor allem in der Dichtung 
äussert und überhaupt ein Grundzug in Goethes Stil ist, 
der nur im Alter noch stärker hervortritt. Man braucht 



203 


nur an Goethes eigene Betrachtungen über seine literar¬ 
historische Stellung hinzuweisen, die er öfters im Gegen¬ 
satz zur weitschweifigen Epoche als Streben nach „Kon- 
cinnität“, als „Systole“ bezeichnet (vgl. DW. 21, 53; Ann. 
2; 3; Gespr. 2, 336). Von den typischen Wendungen, die 
als Illustration dieser Tendenz dienen können, seien er¬ 
wähnt: reiner Egoismus, reiner Begriff, reine Folge, rei¬ 
ner Enthusiasmus, heitere Entsagung, heiterer Unterricht, 
Wirkung in die Ferne, prägnanter Punkt, thätige Teil¬ 
nahme, der höchste Augenblick, unbedingtes Streben 
u. s. w. Die genaueren Analysen solcher Zusammendrän¬ 
gungen sind im Hauptteil gegeben; im übrigen kann auf 
Knauths Darlegungen (a. a. 0. S. 22 ff.) verwiesen werden, 
da hier nur die vereinzelten typischen Fälle in Betracht 
kommen. 

Eingehender ist die Frage des Euphemismus zu be¬ 
handeln. Man hat sich zunächst darüber klar zu werden, 
ob dieses Wort in dem meist damit verbundenen Sinne von 
„Schönfärberei, Wertheuchelei“ überhaupt auf Goethes 
Sprache passt, und ob nicht statt dessen „Eulogismus“ 
einzusetzen ist. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, 
denn niemand, der mit Goethes „reiner“ Denkweise und 
mit seiner kräftigen, oft derben Ausdrucksweise in den 
„Invektiven“ und in manchen überlieferten Gesprächen 
vertraut ist, würde ihm absichtliche Verstellung vorwer¬ 
fen. Seine Neigung zu mildernder Rede und indifferenten 
Wertungen, die im Altersstil so stark entwickelt ist, ent¬ 
springt nicht einem Streben nach absichtlicher Beschö¬ 
nigung, sondern ist die Blüte einer reichen und tiefen 
Weltkenntnis, die sich gewöhnt hat, die Dinge „lässlich“ 
anzusehen und alles „gelten zu lassen“, was an seinem 
Platz „gehörig“ ist, mag es auch höheren Maximen nicht 
Genüge leisten. Zu diesem sittlichen Motiv tritt ferner 
ein ästhetisches in Form des sogenannten Geschmacks. 



204 


Über die Beziehung zwischen beiden äussert sich Goethe 
selbst einmal in folgender Weise: „Geschmack ist ein 
Euphemismus. Deutsche haben keinen Geschmack, weil 
sie keinen Euphemismus haben und zu derb sind. Es kann 
keine Sprache euphemistisch sein und werden, als die, in 
der man diplomatisiert.“ Gespr. 3, 95. Als ein Beispiel 
von Goethes sprachlicher Diplomatik' sei ein Ausspruch aus 
DW. angeführt: Ich fing an „die Bemerkung zu machen, 
die uns in der Jugend lange verborgen bleibt, dass die 
Männer altem und die Frauen sich verändern." 22, 161. 

Eine Untersuchung von Goethes Prosastil würde den 
Gesichtspunkt des Eulogismus sehr fruchtbar finden, denn 
sofroncis die dichterische Sprache ist, so weitschichtig 
wird oft das Satzgefüge der Prosa, und bei vielen Manie¬ 
ren, wie z. B. dem sorgfältigen Parallelisieren gewisser 
typischer Begriffe und dem behutsamen Einspinnen in ver¬ 
bale Umschreibungen, spielt die eulogistische Tendenz 
eine bedeutende Rolle. Allerdings hat zu solchen Eigen¬ 
heiten unzweifelhaft auch die langjährige Handhabung 
des Curialstiles und der Amtsschnörkel viel beigefragen. 
Wenn man z. B. in einem Privatbrief einer Wendung wie 
der folgenden begegnet: „Der Frau Schwester angelegent¬ 
lichst empfohlen zu sein wünschend, den frischen Anklang 
früherer Verhältnisse begrüssend, die Humboldtischen 
Briefe beilegend, treulich" etc., — so wird ein solcher 
Missbrauch des Partizips erst begreiflich, wenn man die 
amtlichen Schreiben an Voigt, Eichstädt, Kirms u. s. w. 
von ihrer stilistischen Seite betrachtet, oder gar die Re¬ 
skripte aus d er Zeit von Goethes Thätigkeit in der Kriegs¬ 
kommission. 1 ) 

*) Wäre die Authenticität nicht verbürgt, so würde man einen 
Satz wie den folgenden aus dem Munde des Meisters der deutschen 
Sprache für eine bare Unmöglichkeit halten: „Wir haben referiren 
hören, was Ihr wegen der bei Gelegenheit der an den für den deser- 



205 


Zu diesen Gründen des Eulogismus, die aus der Ent¬ 
wicklung Goethes selbst hervorgehen, tritt noch der prin¬ 
zipielle Gesichtspunkt, dass zahlreiche Fälle des Bedeu¬ 
tungswandels auf die Neigung zu euphemistischer Um¬ 
schreibung zurückzuführen sind, indem die Umschreibung 
schliesslich die Bedeutung annimmt, die das gemiedene 
Wort hatte (vgl. Stöcklein a. a. 0. S. 40 ff.). Alle diese 
verschiedenen Einflüsse erklären, warum manche Worte 
in Goethes Individualvokabular eine weit stärkere Bedeu¬ 
tung haben können, als der generische Gebrauch voraus¬ 
setzt. So sind vor allem die Altersidiotismen „absurd“ 
und „abstrus“ eulogistische Umschreibungen, hinter denen 
häufig die Bedeutung „verrückt“ oder ähnliche stärkere 
Scheltworte verborgen liegen. „Misswollend“ ist gleich¬ 
falls eine milde Weise, um einen Gegner zu bezeichnen; 
ebenso sind „unzulänglich“, „dumpf“, „wunderlich“, „be¬ 
schränkt“, „transcendieren“ (= überspannt sein) u. s. w. 
vorsichtige Ausdrücke, die Goethe selbst im Gespräch 
wohl durch ein kräftigeres Wörtlein zu ersetzen pflegte. 

Eij* hübsches Streiflicht auf die euphemistische Ten¬ 
denz in Goethe wirft ein Aufsatz, in dem er sich „halb im 
Scherz, halb im Ernst“ der Aufgabe unterzieht, aus der 
Correspondence litteraire des Baron von Grimm, die da¬ 
mals noch ungedruckt war, „alle Worte auszuziehen, 
wodurch Menschen sowohl als litterarische und sociale 
Gegenstände verkleinert, gescholten oder gar vernichtet 
werden,“ und daraus ein „Dictionnaire dötractif“ zu 
bilden 29, 736 ff. (vgl. an Knebel II, 60). Hierbei macht 


tirenden Husaren angetretenen Rekruten abzugebenden ledernen Hosen 
zwischen Euch und dem Rittmeister von L. entstandenen Differenz 
mittels Bericht vom 10. hujus, welchem die anschlüssig rückfolgenden 
Akten beigefügt gewesen, anhero (sc. habt) gelangen lassen.“ (Das ganze 
Reskript ist abgedruckt G. J. VI, 344.) 



206 


er die Entdeckung, dass „durchaus mehr Tadel als Lob zu 
bemerken sei, mehr scheltende, als ehrende Terminologie 
vorzukommen pflege." (Goethe zählt 141 der ersteren, 
gegenüber 24 der letzteren auf). Diese Erscheinung 
kommt ihm an anderer Stelle (Spr. 608), als ganz natür¬ 
lich vor, weil nach einem oft von ihm variierten Satz, das 
Wahre, Gute und Vortreffliche einfach sei, „das Irren aber, 
das den Tadel hervorruft, höchst mannigfaltig ... Da¬ 
her müssen in jeder Litteratur die Ausdrücke des Tadels 
die Worte des Lobes überwiegen." Wenn sich diese Be¬ 
hauptung nachweisen Hesse, würde Goethe allerdings ganz 
vereinzelt und zugleich einzig dastehen, da in seiner Ter¬ 
minologie das Licht weitaus den Schatten überwiegt. Er 
war sich dessen selbst bewusst und bemerkt daher in 
einer Nachschrift zu dem obigen Aufsatz, dass ihm aus 
diesem Grunde das starke Missverhältnis in Grimms Korre- 
, spondenz aufgefallen sei. „Ich darf mir wohl nachrüh¬ 
men, dass ich von jeher die Vorzüge der Menschen und 
ihrer Produktionen willig anerkannt, geschätzt und be¬ 
wundert, auch mich daran dankbar auferbaut hab$." 29, 
741. 

Dieser Ruhm ist ihm sicher nicht zu rauben. Wie er 
selbst immer nach dem „Positiven“, „Konstruktiven“, nach 
der „Tagseite des Lebens" strebte, so ermahnte er 
die „jungen Dichter", alles „Misswollen, Missreden" zu 
beseitigen (29, 231), und so verhasst war ihm das pole¬ 
mische Treiben der Immermann, Platen, Heine u. s. w. 
(Gespr. 7, 255). Das einseitig Mephistophelische Wesen, 
das er in der Jugend an Merck tolerierte, verleidete 
ihm im Alter die einst so innige Freundschaft mit Wolf, 
dem Isegrimm und Griesgram. Als dieser bei einem kur¬ 
zen Besuche in Tennstädt 1816 gerade am Morgen des 
28. August abreisen muss, feiert Goethe vergnügt seinen 
Geburtstag allein, denn „jener im Widerspruch Ersoffene 



207 


hätte mir am Ende gar zur Feier meines Festes behaup¬ 
tet» ich sei nie geboren worden.“ An Z. n, 336. 

Die Thatsache, dass viele der scheinbar indifferenten 
Ausdrücke in Goethes Sprache einen prägnanten Inhalt 
verbergen, zwingt auch hier zu vorsichtiger Interpreta¬ 
tion, wie im Hauptteil an zahlreichen Einzelfällen gezeigt 
wurde (vgl. z. B. über „heitere Entsagung“ S. 144, über 
„anständig“, „redlich“, „Wohlwollen“, „fasslich“ u. s.w.). 
Erst bei grösserer Vertrautheit mit dieser Eigenart ge¬ 
wöhnt man sich, zwischen den Zeilen zu lesen, oder, um 
ein anmutiges Gleichnis Goethes (Divan 4, 39) anzuwen- 
den, zwischen den Stäben des Fächers: 

Denn dass ein Wort nicht einfach gelte, 

Das müsste sich wohl von selbst verstehn. 

Das Wort ist ein Fächer! Zwischen den Stäben 
Blicken ein Paar schöne Augen hervor. 

Der Fächer ist nur ein lieblicher Flor... 


3 Intensität 

Von jeher ist die Einfachheit der Mittel, mit denen 
Goethe operiert und die unverhältnismässige Wirkung, die 
er mit den schlichtesten Alltagsworten erreicht, ein Ge¬ 
genstand der Bewunderung gewesen. Diese Wirkung be¬ 
ruht im letzten Grunde auf der intensiven Nutzbar¬ 
machung des normalen Wortvorrates, auf möglichster 
Erschöpfung aller Bedeutungsnuancen, die sich einem 
Wort abgewinnen lassen. Es möge gestattet sein, ver¬ 
gleichsweise an ein Prinzip des landwirtschaftlichen Be¬ 
triebes anzuknüpfen, wonach dort zwischen extensiver 
und intensiver Wirtschaft unterschieden wird. Bei dem 
extensiven Betriebe wird eine grössere Fläche nur oben¬ 
hin mit verhältnismässig wenig Aufwand von Kapital und 



208 


Energie bebaut, während die intensive Methode auf klei¬ 
nerem Gebiet die ganze Produktionskraft des Bodens durch 
rationellen Betrieb ausnutzt; analog lässt sich auch die¬ 
jenige poetische Sprache, in welcher fortwährend neues, 
unbebautes Gebiet herangezogen wird und möglichst kühne 
Kombinationen und Neubildungen den Mangel an innerer 
Energie überdecken, als extensiver Betrieb auffassen. Wer 
würde hierbei nicht an Jean Paul denken, der als Typus 
dieser Produktionsweise gelten kann! Der zweite Teil des 
Faust verschwindet hinsichtlich der Kühnheit des sprach¬ 
lichen Ausdruckes gegenüber den abenteuerlichen Geburten 
der Phantasie Jean Pauls, von denen Goethe selbst Noten 
zum Divan 4, 289 einige zusammenstellt, um zu zeigen, dass 
Hammer-Purgstalls Auffassung von Jean Paul als einem 
orientalischen Poeten kaum richtig sein dürfte. Das 
Wuchern des poetischen Unkrautes in Jean Pauls Stil, wie 
man es nennen könnte, empfand Goethe begreiflicherweise 
als geraden Gegensatz zu dem eigenen Schaffen, das ein 
Muster des intensiven Betriebs darstellt. 

Es ist bezeichnend, dass gerade die höchsten Erzeug¬ 
nisse von Goethes Kunst aus der Blütezeit seines Schaf¬ 
fens die wenigsten Neubildungen oder Zusammensetzun¬ 
gen enthalten, sondern mit dem denkbar einfachsten Wort¬ 
schatz arbeiten, um das ganze Kapital der inneren Ener¬ 
gie an die intensive Verwertung desselben zu wenden. 
Vischer hat (Ästhetik III, 1218 ff) mit Recht aufmerksam 
gemacht auf die Einfachheit der sprachlichen Mittel in 
Werken wie z. B. in der „Braut von Corinth“, oder in dem 
Liede „Kennst du das Land“ mit den intensiv genutzten 
Adjektiven: dunkel, sanft, blau, still, hoch, oder wie in 
der ersten Zeile der Iphigenie, wo das einfache „rege“ ge¬ 
nügen muss, um die sanfte, immerwährende Bewegung 
der Fichtenwipfel und das stille Rauschen des Haines zu 
veranschaulichen. Man denke ferner an den Bedeutungs- 



209 


reich tum, den Worte wie rein, zart, ewig, steigern, be¬ 
schränken, bei Goethe entwickeln, an die Intensität der 
Ausdrücke: gemäss, Verhältnis, gehörig, reine Selbstheit 
u. s. w., wo oft nur komplizierte Umschreibungen die 
Feinheit der Nuance wiedergeben können. Es liegt der 
Geist des sparsamen Haushaltens über Goethes Sprache, 
aber auf dem Grunde eines unversieglichen, von innen 
heraus strömenden Reichtums, der nicht beständig mit 
prahlender Verschwendung zur Schau getragen wird. 
Diese Richtung nimmt im Alter beständig zu, obwohl da¬ 
neben in der poetischen Sprache später auch ein grösserer 
Reichtum an äusseren Mitteln entfaltet wird, der dann 
eine um so grössere Wirkung ausübt, wie im 2. Teil des 
Faust. 

Auch in der sprachschöpferischen Thätigkeit 
Goethes lässt sich das Gesetz der intensiven Nutzung ver¬ 
folgen und zwar vor allem in der Art> wie statt weither¬ 
geholter Zusammensetzungen häufig nur durch eine kleine 
Änderung eines Kompositionsgliedes oder eine geringe 
Substituierung der gewünschte Zweck erreicht wird. Ob¬ 
wohl dieser Punkt nicht zu unserem eigentlichen Thema 
gehört, seien hier nur einige Beispiele als weiterer Beweis 
des organischen Charakters von Goethes Sprache ange¬ 
führt. In demselben Masse wie z. B. Klopstock oder Her¬ 
der, aber mit noch grösserem sprachlichen Takt und Fein¬ 
gefühl wusste Goethe solche Suffixe und Präfixe nutz¬ 
bar zu machen, die man als „produktiv“ bezeichnet (vgl. 
Kluge, Nominale Stammbildungslehre, Vorwort, S. VIII). 
Eins der produktivsten Präfixe bei Goethe ist un-, das in 
folgenden Neubildungen (aus dem Altersstil) erscheint: 

Unfreund, Ann. 1030i; 

Ungeister, 27. 2, 59; 

Ungenuss, Knebel II, 206; 

Ungeschöpf, 4, 201; 

Boncke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 


14 



210 


* Ungesetz, F. II, 4785; 

Ungrund, An Schultz S. 378; 

Unklang, An Reinhard S. 185; 

Unkunst, Boiss. 2, 139; 

Unleben, Z.Br. 3, 288; 

Unmethode, 36, 302; 

Unmitteilung, An Meyer 21. Juli 1813 (Riemer, Briefe" 
S. 99); 

Unmusik, Spr. i. Pr. 684 (nach der lateinischen Über¬ 
tragung des Plotin: immusica); 

Unneigung, Z.Br. II, 21; 

unörtlich, 33, 73; 

Unregiment, Ann. 603; 

unschreibselig, 33, 84; 

Unsommer, Knebel II, 295; 

Unteilnahme, Ann. 749; 

Untrauen, 1, 200; 

Unvertrauen, Z.Br. II, 201; 

Unvollendung, 26, 273; 

unwelkend, 3, 204; 

Unzusammenhalt, 22, 87. 

Aus früherer Zeit ist belegt: UnVerhältnis W. IV, 5, 44; 
179 (1781). Dazu kommen zahlreiche Belege, die nicht 
gerade Neubildungen, aber sehr ungewöhnlich sind, wie: 
Unnamen 27. 2, 95, Unmacht 28, 382, Ungeberden 4, 55 
u. a. Allen gemeinsam aber ist die intensive Nutzung 
des Präfixes un-, um den diametralen Gegensatz zum posi¬ 
tiven Wort auszudrücken, während das gleiche Präfix 
generell, wo es oft den zugehörigen Adjektiven zukommt, 
den absolut verneinenden Charakter einbüsst wie z. B. in 
den Worten: unmethodisch, unfreundlich, (= mit wenig 
Methode etc.). Von den oben genannten Neubildungen 
zeigt nur „unörtlich“ die gleiche, rein abschwächende 
Nuance und wird sehr glücklich verwendet: (Über die von 



211 


ihm selbst gepflanzte Pinie im Garten der Angelica Kauf.- 
mann in Rom) „Leider fand der nach ihrem Ableben ein¬ 
tretende Besitzer es wunderlich, auf seinen Blumenbeeten 
eine Pinie ganz unörtlich hervorgewachsen zu sehen, und 
verbannte sie sogleich.“ (33, 73.) 

Sehr hübsch tritt die intensiv negative Geltung des 
Präfixes un- hervor in dem Worte „Unform“, das gene¬ 
rell so viel bedeutet wie „Ungeheuer“, bei Goethe aber 
ausserdem als „Nicht-Form“ der „Form“ gegenüber¬ 
tritt. Es muss freilich ganz natürlich scheinen, dass ihm, 
dem Gestaltenden, der an „Italien, dem formreichen“ (33, 
75) sich auferbaute, wie an allem, das die „vis superba 
formae“ verkündete (Johannes Secundes, Basium VIII, 
vgl. Spr. in Pr. 321), dass ihm ein prägnanter Terminus für 
das „Gestaltlose“ ein wahres Bedürfnis war. Folgende 
Belege zeigen den Gebrauch: 

Der Tod unter der Unform eines klappernden Ge¬ 
rippes, 21, 96; 

Fische, Krebse und seltsame Unformen, 24, 138; 

Der Elefant, eine der grössten Unformen der orga¬ 
nischen Natur, An Schiller, 3. Jan. 1798; 

Unform der Ruinen, 24, 405; 

Die Stadt schwankte ... zwischen Form und Unform, 
21, 149; . 

Es ist keine Kleinigkeit, ... aus der Unform das 
Schöne zu entwickeln, Spr. 204; 

Denn was das Feuer lebendig erfasst, 

Bleibt nicht mehr Unform und Erdenlast. 2, 316. 

Alle letzten Bedingungen der Form, die ebenso gut die 
Unform begleiten können, 28, 168; 

Ihr werdet erschrecken vor der seelenlosen, rohen 
Unform (Reflex im Hohlspiegel), 28, 521. 

14* 



212 


Ein anderes Präfix, das Goethe in seiner ganzen Inten¬ 
sität erschöpft, ist er-, nnd man geht wohl nicht fehl, 
diese Vorliebe mit der Richtung Goethes auf „das Höhere“, 
das „Heben“ und „Hinanziehen“ in Zusammenhang zu brin¬ 
gen, denn eine solche Richtung auf das zu Erstrebende, 
von Innen Herauszuarbeitende liegt in der Vorsilbe er- 
verborgen. Nirgends ist dieser ganze Vorstellungskreis 
so wunderbar aus einer äusseren Situation symbolisch 
herausgestaltet, wie in jenen einzigen Strophen des 
„Schwager Kronos“, die in ihrer Urgestalt lauten: 

Nun schon wieder 
Den eratmenden Schritt 
Mühsam Berg hinauf! 

Auf denn, nicht träge denn, 

Strebend und hoffend an! 

Weit, hoch, herrlich der Blick 
Rings ins Leben hinein! 

Von Gebirg zum Gebirg; 

Aber der ewige Geist 
Ewigen Lebens ahndevoll. 

Das „eratmen“ ist zugleich physisch wie ideell zu neh¬ 
men, ähnlich wie F. I, 486. In derselben Weise wird „pfle¬ 
gen“ durch die Vorsilbe er- verstärkt, F. I, 63 ff., in den 
Worten des Dichters: 

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge, 

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht; 

Wo Lieb’ und Freundschaft uns’res Herzens Segen 

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen. 

In sehr hübscher Weise wird die Art, wie Goethe über 
das Verhältnis von Wort und Bedeutung nachdachte, be¬ 
leuchtet durch eine Äusserung, die Müller unter dem 
4. Nov. 1823 überliefert (Gespr. 4, 311). Es war bei einem 



213 


Souper nach dem öffentlichen Konzert der Mad. Szyma- 
nowska in Weimar, als unter anderen Toasten auch einer 
der Erinnerung geweiht wurde. Dieses Wort erregte 
Goethes Missfallen und veranlasste ihn zu folgender sehr 
charakteristischer Erklärung: „Ich statuiere keine Er¬ 
innerung in Eurem Sinne, das ist nur eine unbeholfene Art 
sich auszudrücken. Was uns irgend Grosses, Schönes, Be¬ 
deutendes begegnet, muss nicht erst von aussen her wie¬ 
der er—innert, gleichsam er—jagt werden, es muss sich 
vielmehr vom Anfang her in unser Inneres verweben, mit 
ihm eins werden, ein neueres, besseres Ich in uns erzeugen 
und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen.“ Die 
ganze Tiefe der organischen Lebensauffassung Goethes, 
sein ewiger Drang nach Verinnerlichung, nach fruchtbarer 
Bethätigung des innerlich Erlebten, lässt sich aus diesen 
Worten herauslesen. Sein Zorn aber, der sich über das 
„er—innem“ ergiesst, richtet sich nur gegen jenen Neben¬ 
sinn des Wortes „Erinnerung“ als einer unproduktiven, 
melancholischen Stimmung, und ebenso fasst er hier 
die Vorsilbe er- als Ausdruck eines äusserliehen Prozesses, 
der erst eines künstlichen Anstosses bedürfe. Man darf 
überdies dieses sprachliche Extempore Goethes nicht zu 
gewissenhaft wägen, da es sich für ihn nicht so sehr um 
eine genaue Bedeutungsanalyse handelte, als um die ener¬ 
gische Zurückweisung einer unthätigen, elegischen Träu¬ 
merei, in Übereinstimmung mit den schönen Worten an 
„junge Dichter“: ,;Fragt Euch nur bei jedem Gedicht, ob 
es ein Erlebtes enthalte, und ob dies Erlebte Euch geför¬ 
dert habe! Ihr seid nicht gefördert, wenn Ihr eine Ge¬ 
liebte, die Ihr durch Entfernung, Untreue, Tod verloren 
habt, immerfort betrauert.“ (29, 231.) Es ist also der 
negative Stimmungsgehalt des „Erinnern“, den er be¬ 
kämpft, nicht der positive, den er vielmehr vollauf wür¬ 
digte, wie z. B. in dem Reime: 



214 


Zierlich Denken nnd süss Erinnern 
Ist das Leben im tiefsten Innern. 

(Sprichwörtlich 2, 332). 

Von anderen Zusammensetzungen, in denen das Präfix 
er- eine intensive Geltung hat, seien noch genannt: 

erlangen; „man schiebt aus natürlicher Fahrlässig¬ 
keit immer noch gewisse Flick- und Schaltwörter 
behaglich ein, um eine sonst tüchtige und wirksame 
Rede ... zu erlangen.“ 29, 254; (erlängen, gleich¬ 
sam = zu künstlicher Länge ausdehnen); 

ersterben: „Ich sterbe, sterbe und kann nicht er¬ 
sterben“, Weislingen im Götz v. B. 6, 108. (Die 
abschliessende Funktion des Präfixes ist hier mei¬ 
sterhaft benutzt). 

Mit welchem Erfolge z. B. die 1-Ableitungen gebildet wer¬ 
den, ist aus der Liste bei Lehmann (Goethes Sprache, 
S. 243 f.) zu ersehen; von den Neubildungen mit ent- ist 
die kühnste wohl das „ent—scheiden“ in dem Gedicht 
„Metamorphose der Pflanzen“ 2, 228: 

„Um die Achse gedrängt entscheidet der bergende 
Kelch sich,“ von Paul DW. S. 116 erklärt = „hört auf eine 
Scheide zu bilden.“ 

Auch „entleben“ ist glücklich gebildet (= des Le¬ 
bens berauben) im Gegensatz zu der belebenden Kunst des 
Malers in Jagdstücken, dem es gelingt, „jene entlebten 
Geschöpfe zu beleben“ (DW. 22, 169). Ebenso gelungen ist 
„ehtselbstigen“ (vgl. entäussern) in dem Satz: (Unser 
Zustand macht uns zur Pflicht), „die Absichten der Gott¬ 
heit dadurch zu erfüllen, dass wir, indem wir von einer 
Seite uns zu verselbsten genötigt sind, von der andern 
in regelmässigen Pulsen uns zuentselbstigen nicht ver¬ 
säumen“ (DW. 21, 128). Ein sehr produktives Suffix 
ist -haft: 



215 


kunsthaft: „Im Ganzen scheint mir mehr das Histo¬ 
rische, als das eigentlich Kunsthalte vorzuwalten. 
W. IV, 20, 336. 

taghaft: „Sie verliessen die allzu taghaften Seeufer“ 
DW. 23, 80. 

liebehaft: (Das Gedicht „Fastnacht“ aus „Des Kna¬ 
ben Wunderhorn“ wird charakterisiert): „liebehaft, 
leise“. 29, 387. 

sonnenhaft: (Eine der wunderbarsten Neuschöpfun¬ 
gen Goethes in der bekannten Umdichtung einer 
alten Platonischen und Neuplatonischen Idee; ZX. 
152). 

War’ nicht das Auge sonnenhaft, 

Die Sonne könnt’ es nie erblicken. (2, 364.) 

Vgl. dazu den gleichen Gedanken in einem Ge¬ 
spräche mit Eckermann. Gespr. 5, 41; ferner 7, 
154. 

Eine Reihe anderer, wie: geizhaft, tüchtighaft, regelhaft, 
zweighaft, wogenhaft, hat Knauth a. a. 0. S. 18 bespro¬ 
chen und mit Recht darauf hingewiesen, dass solche Um¬ 
bildungen nicht aus reinem Formtrieb und aus Freude an 
der Willfährigkeit des Sprachmaterials (wie oft bei 
Klopstock, Herder, Jean Paul u. s. w.), sondern aus innerer 
Notwendigkeit geschaffen sind, weil der Dichter eine fei¬ 
nere Nuance ausdrücken wollte, zu deren Wiedergabe das 
vorhandene Wort nicht ausreichte. 1 ) Auf diesen Nach- 


J ) Bei dieser Gelegenheit sei nochmals auf eine Stelle ein¬ 
gegangen, die Knauth in sehr eigentümlicher Weise auf gefasst hat. Es 
handelt sich um die letzte Strophe des Gedichtes: „Zu Thaers 
Jubelfest“ 1824, die folgendennassen lautet: 

D«r Boden rührt sich ungesäumt 
Im Wechsel jedes Jahr, 



216 


weis der inneren Notwendigkeit würde es bei einer Dar¬ 
stellung von Goethes Neuschöpfungen überhaupt vor allem 
ankommen; natürlich spielen auch andere Faktoren, wie 
Zufall, Willkür, der Gestaltungsdrang eine wichtige Rolle, 
aber wenn bestimmte Suffixe mit auffallender Häufig¬ 
keit benutzt sind, wird sich meist ein innerer Grund auf¬ 
zeigen lassen, wie es oben in einigen Fällen (vgl. „Un¬ 
form“, „er—“ u. s. w.) versucht wurde. Der Boden, der 
hier nur angeschürft wurde, birgt jedenfalls noch reiche 
Schätze. 

Für unsere Zwecke kam es hier nur darauf an, das 
Prinzip der intensiven Nutzung, das aus so einfachem 

Ein Feld so nach dem and’ren keimt 
Und reift und fruchtet baar; 

So fruchtet’s auch von Geist zu Geist 
Und nutzt von Ort zu Ort. 

Gewiss, Ihr fragt nicht, wie er heisst. 

Sein Name lebe fort! 

In der Wendung „fruchtet baar“ sieht Knauth a. a. 0. S. 21 
einen Knochenbruch, in dem die beiden Teile sich zu dem Adjektiv 
„fruchtbar“ zusammensetzten und scherzhafterweise auseinandergerissen 
seien. Diese Erklärung scheint doch recht gezwungen und dem Sprach¬ 
gefühl zuwiderlaufend; statt ihrer sei hier eine andere vorgeschlagen, 
die ohne chirurgische Eingriffe zum Ziel führen dürfte. Beachtet man 
zunächst das Verhältnis der beiden Hälften dieser Strophe zu einander, 
so ist unleugbar, dass sie in einem gewissen Gegensatz stehen, der durch 
die Kontrastierung der Worte „baar“ und „von Geist zu Geist“ scharf 
genug herausgehoben ist. „Baar“ kann hier nur soviel heissen wie 
„in baarem, unmittelbaren Entgelt“, d. h. auf der Stelle, ähnlich wie 
man z. B. sagt „barer Ertrag“, „barer Gewinn“. Auffällig wäre nur 
die Prägnanz des isolierten Adverbs, die aber ganz dem Streben nach 
Kompression entspricht; ein analoger Fall wäre etwa F. II, 10943: „Dann 
sei bestimmt vergönnt . . .“ = durch Rechtsbestimmungen (vgl. Knauth 
a. a. 0. S. 35). Der sofortigen Fruchtbarmachung steht dann gegen¬ 
über der Nutzen in der „Folge“, zeitlich und örtlich: von Geist ra 
Geist und von Ürt zu Ort. Die Neigung Goethes zur Parallelisirung kommt 
auch hier zum Ausdruck; ferner ist „so“ = „ebenso“ echt Goethiseh. 



217 


Material einen typischen Wortschatz aufbaute, als einen 
Grundzug in Goethes Sprache aufzuzeigen, und zwar 
als einen solchen, der in Poesie wie Prosa gleich- 
massig wirksam ist. 

Dieser letztere Punkt, d. h. die Einheit des Wort¬ 
gebrauches in Poesie und Prosa, — obwohl diese beiden 
Stilgattungen sonst viele Verschiedenheiten auf weisen, 
wie z. B. die Kompression des poetischen und die Weit¬ 
schweifigkeit des Prosastiles — ist von grösster Wichtig¬ 
keit. Es würde nicht schwer fallen, viele von den Vor¬ 
zügen, die Goethes Sprache auszeichnen, auch bei anderen 
Dichtern mehr oder minder nachzuweisen, aber nur in der 
gehobenen Rede und im poetischen Stil. Auf diesen bleibt 
vor allem die sprachschöpferische Thätigkeit meist be¬ 
schränkt, die sich dann nicht als ein notwendiger Aus¬ 
fluss der ganzen Individualität, sondern mehr oder minder 
als rhetorischer Aufputz darstellt. Welche Gefahren hier 
verborgen liegen, ist leicht zu übersehen. Schon Vischer 
hat darauf hingewiesen (Ästhetik in, 1219), dass die iso¬ 
lierte Betrachtung der poetischen Ausdrucksmittel, als 
Lehre von den Tropen und Figuren von den verhängnisvoll¬ 
sten Folgen gewesen ist, indem dadurch solche Schmuck¬ 
mittel als willkürliche Zuthat, als eine erlernbare Kunst 
aufgefasst wurden, während sie bei dem wahren Dichter 
mit organischer Notwendigkeit aus dem innern Gehalt 
emporwachsen. Ja, Goethe selbst hat in einer der nicht 
genug zu schätzenden „Noten und Abhandlungen zum 
Divan" diesen hergebrachten Schlendrian in der Klassi¬ 
fikation der Künste angegriffen, wonach die Poesie unter 
der Rubrik „Schöne Redekünste" einbegriffen wird, ob¬ 
wohl sie „rein und ächt betrachtet, weder Rede noch 
Kunst" ist. (4, 290 f.) Goethe konnte sich zum Richter 
in dieser Streitfrage aufwerfen, weil er die innere Einheit 
der wahren Dichtkunst, sei es Poesie oder Prosa, durch 



218 


die That erwiesen hatte. In seiner Sprache sind Poesie 
und Prosa nicht durch eine unüberbrückbare Kluft ge¬ 
trennt, sie sind nicht qualitativ, sondern nur graduell 
unterschieden. Die poetische Sprache ist kein besonderes 
Sonntagsgewand, sondern eine natürliche Steigerung der 
alltäglichen Rede. 

Den besten Beweis dieser Spracheinheit dürfte eine 
kürze Statistik der Neubildungen in Goethes Sprache lie¬ 
fern nach ihrer Verteilung auf Poesie und Prosa. Wenn 
wir Lehmanns Darstellung des Wortreichtums in Goethes 
Sprache folgen (a. a. 0. S. 218 ff.), so ergiebt eine unge¬ 
fähre Zählung folgendes Verhältnis: 



Poesie 

Prosa 


Verhältnis 

Poesie Prosa 

Zusammen¬ 

setzungen 

175 

68 

Snbst. 

8 : 3 

116 

63 

Adj. 

2 : 1 


62 

47 

I 

Verben 

3 : 2 


97 

113 

Subst. 

I 

6:7 

1 

Ableitungen ' 

19 

20 

i 

Adj. 

1 : 1 

! j 


68 j 

56 | 

Verben 

6 : 5 


Da die Ableitungen in weit höherem Grade das organische 
Wachstum der Sprache repräsentieren, als die Zusammen¬ 
setzungen, ist es sehr bemerkenswert, dass gerade an den 
neuen Ableitungen die Prosa genau den gleichen Anteil 
hat wie die Poesie. Dass ferner die Poesie die meisten 
substantivischen Zusammensetzungen aufweist, ist ganz 
natürlich bei dem überwältigenden Bedarf des poetischen 
Stiles an solchen Neuschöpfungen. 

Inwiefern aber diese Einheit seines Sprachlebens auch 
die Frage der individuellen Prägnanz berührt* zeigt fol- 



219 


gende Betrachtung. Aller Luxus des poetischen Stiles 
geht auf die gleiche Ursache eines scheinbaren oder wirk¬ 
lichen Unverhältnisses zwischen der Phantasie und den 
Ausdrucksmitteln der Umgangssprache zurück: die Em- 
pfindungs- und Stimmungsfülle erzeugt einen solchen 
Reichtum an Vorstellungen, dass das Material der Um¬ 
gangssprache nicht mehr ausreicht und der Überschuss der 
Phantasie nach neuen Mitteln des sprachlichen Ausdrucks 
sucht. So entstehen Neuschöpfungen, Metaphern, Syno¬ 
nymen und die Prägnanz. Jenes Unverhältnis wird aber 
meist viel intensiver empfunden, als es wirklich vorhan¬ 
den ist, weil man sich gewöhnt hat, das dichterische 
Schaffen als einen von der alltäglichen Wirklichkeit los¬ 
gelösten Prozess aufzufassen, der deshalb von vornherein 
auf alle gewöhnlichen Mittel zu verzichten habe. Von 
den genannten Mitteln des dichterischen Ausdrucks wer¬ 
den daher auch die stärksten und ungewöhnlichsten am 
meisten verwendet, das Mittel der individuellen Prägnanz 
aber bleibt leicht unbeachtet. Statt dessen bedient man 
sich einer Scheinprägnanz durch Benutzung des sogenann¬ 
ten poetischen Wortvorrates. Dieser besteht nämlich 
aus solchen Worten, die eine gewisse konventionelle 
Prägnanz entwickelt haben; sie sind wie alle anderen, erst 
allmählich aus der occasionellen Verwendung zu der usu¬ 
ellen vorgerückt, aber unter starkem Einfluss eines drit¬ 
ten Begleitfaktors, den man vielleicht am besten als das 
Situationsdritte bezeichnen könnte. Es sind darunter 
die begleitenden Nebenumstände gemeint, unter denen 
das Wort ausgesprochen und empfangen wird; sie haben 
einen wesentlichen Einfluss auf die occasionelle Verwen¬ 
dung und bestimmen bei dem Übergang in das usuelle Sta¬ 
dium die Richtung des Wandels. Ob das Wort „Jugend“ 
beim Anblick einer Schar übermütiger Kinder, oder kräf¬ 
tiger Jünglinge geäussert wird, ob der Greis eine zurück- 



220 


zuersehnende, oder der Mann eine überwundene Epoche 
darin sieht» ob sich das Wort beim Studium der antiken 
Götterwelt auldrängt, oder ob es auf dem Umschlag der so 
betitelten Münchener Zeitschrift gelesen wird — in jedem 
einzelnen Falle würde die jeweilige Situation auch eine 
verschiedene occasionelle Vorstellung auslösen. Auf die¬ 
sem Wege erlangt ein Wort einen Stimmungsgehalt, 
der ganz und gar von dem Situationsdritten bestimmt wird. 

So hat sich auch die Empfindung von einer besonderen 
poetischen Situation gegenüber der prosaischen ent¬ 
wickelt, die nach und nach ein besonderes Material gesam¬ 
melt hat, um typische poetische Situationen wiederzu¬ 
geben. i 

Der Vorgang spielt sich in der Weise ab, dass statt 
eines wirklich erlebten „Höheren“ nur ein allge¬ 
meines Streben nach erhöhten Vorstellungen in dieThat , 
umgesetzt wird, das infolge Mangels an erlebten Empfin- j 

düngen auch keinen präzisen Ausdruck derselben findet, ' 

sondern auf allgemeine höhere Vorstellungen und Wer- I 
tungen angewiesen ist. Dass solche unbestimmte Vor¬ 
stellungen zur Sicherheit ohne weiteres zu dem Höchsten, 
Idealsten emporsteigen, ist natürlich, und so bildet sich 
ein entsprechendes Material von Worten, die von gewis- 1 
sen Idealvorstellungen leicht umhüllt, zu luftiger Höhe 
emporgetragen werden und gleich einem Wolkenreich über 
der Alltagswelt dahintreiben, oft phantastisch genug ge- | 
staltet, aber ohne Kern und Wesenheit. So werden, um ein 
krasses Beispiel zu wählen, Tiere wie das Pferd, der Stier, 
der Löwe, der Adler, ihrem gröberen Erdendasein ent¬ 
rückt, um als Ross, Farre, Leu, Aar ein ideales Scheinleben | 
zu führen; obwohl inhaltlich nicht der geringste Unter- i 
schied vorhanden ist, würde doch die zweite Gruppe für 
poetischer erachtet werden, weil sich die Nebenvorstellung 
einer idealen Vollkommenheit des Typus daran knüpft. 




221 


Dass man zur Bereicherung eines solchen poetischen 
Wortschatzes gern zu Archaismen und absterbenden 
Worten griff, war eine natürliche Aushilfe, und so stellen 
sich viele dieser altertümlich klingenden Worte im Zau¬ 
bergewand der poetischen Stimmung dar, das ihnen aber 
nur künstlich umgehangen ist. 

In der Benutzung dieses poetischen Situationsmate¬ 
rials liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem Stil 
Goethes und dem der meisten anderen Dichter, Schiller 
nicht ausgeschlossen. Goethe hat selten oder nie mit dem 
Situationswert der Worte einen billigen Effekt ge¬ 
sucht, eine Wirkung ohne Ursache, um Rieh. Wagners 
berühmte Definition des Begriffes „Effekt“ anzuwenden; 
er hat die generelle, herkömmliche Prägnanz verschmäht 
und statt dessen jedem? Worte seine individuelle leben¬ 
dige Prägnanz abzugewinnen gesucht. In diesem Be¬ 
streben schuf er sich einen Gesamtwortschatz, der für die 
alltäglichste wie erhabenste Situation einen gleich leben¬ 
digen, „gehörigen“ Ausdruck bot. Was Poesie und Prosa 
scheidet, ist nicht die äussere, sondern die „innere Form“, 
jenes berühmte organische Prinzip, welches alles Denken 
und Dichten Goethes durchströmt, allen Äusserungen sei¬ 
nes Geistes von innen heraus die angemessene Gestaltung 
verleiht und keiner äusseren Krücken der Poetik und 
Ästhetik bedarf, weil es sich ewig aus sich selbst gebiert, 
kein Abklatsch einer Schablone, sondern mit allen Feh¬ 
lern und Tugenden ein individuelles, in sich abgeschlosse¬ 
nes Gebilde. Wie intensiv Goethe bei allen Stoffen fühlte, 
ob die innere Form poetische oder prosaische Behandlung 
verlangte, ist bewundernswert; es möge zum Zeugnis hin¬ 
gewiesen werden auf die Reflexionen und Maximen, in 
denen jedes poetische Ausdrucksmittel verschmäht ist, 
und eine Welt von Gedanken in schlichtester, ungesuchter 
Form dem Philosophierenden dargeboten wird. Umge- 



222 


kehrt ist über allen gebundenen Formen der Goetheschen 
Dichtung ein Zauber, der seiner Prosa fehlt; was aber 
beiden Gattungen in gleichem Masse eignet, ist der innere 
Gehalt, ein wirklich vorhandenes Erlebtes und Geschau¬ 
tes. Dieser Gehalt muss auch der poetischen Form so 
sicher eingeschrieben sein, dass sie eine Umsetzung in 
Prosa nicht zu scheuen braucht — eine Probe, die Goethes 
Lyrik jederzeit besteht und zu der er selbst aufforderte 
in den bekannten Worten aus DW. (22, 45): „Ich ehre den 
Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie erst zur Poesie 
wird; aber das eigentlich tief und gründlich Wirksame, 
das wahrhaft Ausbildende und Fördernde ist dasjenige, 
was vom Dichter übrig bleibt, wenn er in Prose übersetzt 
wird. Dann bleibt der reine, vollkommene Gehalt, den 
uns ein blendendes Äussere oft* wenn er fehlt, vorzuspie¬ 
geln weiss, und wenn er gegenwärtig ist, verdeckt.“ 


4. Sinnliche Kraft. Konkretisierung 

Gegenüber der allgemeinen Tendenz der Sprache, aus 
der sinnlichen Anschauung fortwährend neues konkretes 
Material zu entnehmen und es in einem Abschleifungspro¬ 
zess zur Abstraktheit zu vergeistigen, stellt sich die poe¬ 
tische Sprache als eine Art Reaktion dar und sucht im 
Gegenteil die sinnliche Qualität in ihrer vollen Geltung 
wiederherzustellen. (Vischer, Ästhetik III, 1216; Stöck- 
lein, Bedeutungswandel S. 55 ff.) In der Art der Konkre¬ 
tisierung besteht jedoch ein grosser Unterschied: während 
auf der einen Seite möglichste Kühnheit der Metaphern an¬ 
gestrebt wird, finden wir bei andern Dichtern, wie bei 
Goethe, das alte Material wieder in ursprünglichem Glanz 
hergestellt und mit neuer Kraft ausgestattet, getreu sei¬ 
nem Spruch: „Das Alte, Wahre, fass’ es an“ 3, 192. Die- 



223 


ses Bestreben tritt sehr deutlich im Lichte der Bedeu¬ 
tungslehre hervor, und bei einer ganzen Reihe von Worten 
besteht der Wandel oder die Prägnanz nur darin, dass der 
sinnliche Bedeutungskern herausgelöst wird aus der 
Schale der Abstraktionen, die sich im Laufe der Zeit an¬ 
gesetzt haben und die konkrete Herkunft verdecken. Dar¬ 
aus erklärt sich die Vorliebe Goethes für Worte, die 
eine bedeutende ethische Tragweite in Form einer ein¬ 
fachen sinnlichen Metapher zur sinnlichen Anschauung 
bringen, wie vor allem die Gruppe: Beschränkung, 
Schranke etc.; ferner: heben, steigern, fasslich, trübe, 
halb, null, platt, dumpf, gemäss u. a. Es mag hier noch 
auf eine Erscheinung hingewiesen werden, die beim Stu¬ 
dium der Goetheschen Metaphern auf fällt: sie machen 
nie den Eindruck der Erstarrung, sind also nicht Meta¬ 
phern im eigentlichen Sinne, („erstarrte Bilder“), sondern 
sie scheinen beständig neugeboren zu werden und ihre 
volle Bildkraft so herrlich auszustrahlen, wie am ersten 
Tage. Längst vergeistigte Konkreta kehren wieder zu 
ihrem sinnlichen Ursprung zurück, wie z. B. die Vorstel¬ 
lung der Schranke: 

„Bald hatten wir alles Beschränkende der Strassen, 
Thore, Brücken und Stadtgräben hinter uns ge¬ 
lassen“; Wanderj. 18, 271. 

„Man sah sich nach und nach in der aufgethanen ... 
Gegend um, bis ... die anmutigsten Örtlichkeiten 
ihren Blick begrenzten und erquickten.“ 16, 149. 

„Man verlange nicht nach einer abenteuerlichen, hoh¬ 
len Freiheit, sondern nach einer ausbildenden, rei¬ 
chen Begrenzung.“ 26, 277. 

Auf der Reitbahn schaut man „vielleicht einzig in 
der Welt die zweckmässige Beschränkung der That 
mit Augen ....“ Ann. 230 (vgl. oben S. 30). 



224 


Zur Erklärung dieses Vorganges könnte man an die 
Ausführungen Stöckleins (a. a. 0. S. 54 f.) anknüpfen, der 
das sogenannte Verblassen des Bildes erklärt als „Adae- 
quation“ an die im Bilde veranschaulichte Vorstellung. 
„Das Bild, welches zuerst noch die Hauptvorstellung aus¬ 
machte, tritt zurück; man stellt sich immer mehr unter 
dem Namen das Objekt selbst vor: die Vorstellung des¬ 
selben wird Hauptvorstellung. Die erstarrte Metapher 
stellt das Ende dieses Prozesses dar." Den umgekehrten 
Vorgang würden die abstrakten Worte durchmachen, die 
bei Goethe wieder konkretisiert werden: die absolute Iden¬ 
tität von Bild und Vorstellung wird in die ursprüngliche 
Zweiheit aufgelöst, und das Bild wird wieder zur Haupt¬ 
vorstellung. Man könnte auch solche Fälle der Rück- 
v er Wandlung als Auflösung der konstanten usuellen 
Verwendung in momentane, occasionelle Verwendungen 
bezeichnen. Abgesehen von den oben genannten Worten 
der usuellen Prägnanz wie Schranke, dumpf etc., wird 
dieses Herausholen der sinnlichen Qualität aus scheinbaren 
Abstrakten noch durch zahlreiche Einzelfälle illustriert, 
von denen folgende erwähnt seien: 

greifen: „Der Abdruck (von „Rameaus Neffe“) er¬ 
folgte, konnte aber eigentlich im deutschen Publi¬ 
kum nicht greifen.“ 31, 147. 

häufig: „Da floss häufig die Thräne vom Aug 5 mir 
herab.“ Alexis und Dora“ 2, 40. 

musterhaft: „Musterhaftes Ereignis“ 18, 170. „In 
diesem Bestreben ging uns der Vater auf eine 
musterhafte Weise vor“ DW. 20, 108. „Wenn ein 
munteres Lebensalter einen Wunsch haben darf, so 
ist es der ... selbst in dem nicht Musterhaften das 
allgemeine Musterbild der Menschheit zu erblicken.“ 
29, 783. Die Bedeutung ist hier, wie öfters bei 



225 


Goethe, nicht abgeblasst = vorzüglich, ideal, son¬ 
dern = lim nns ein Muster zur Nacheiferung zu 
geben. (Vgl. auch „mustermässig“ in den Lehr¬ 
jahren 17, 386 „wie sehr ein Reicher ... Ursache 
habe, etwas Mustermässiges aufzustellen“) 

Punkt: Die Lehre vom Apercu (s. o. S. 130; 132; 165) 
kehrt bei Goethe unter mancherlei Einkleidungen 
wieder, von denen wohl das Bild des Punktes am be¬ 
liebtesten ist. Es ist gewissennassen das Proto¬ 
plasma der neuen Erkenntnis, das sich triebkräf¬ 
tig erweisen wird. Daher der öfters gebrauchte 
Ausdruck „prägnanter Punkt“ wie z. B. 27, 354: 
„ich raste nicht, bis ich einen prägnanten Punkt 
finde, von dem sich vieles ableiten lässt.“ Ähnlich 
33, 255. Noch schöner und anschaulicher sind drei 
Zusammensetzungen mit -Punkt: Quellpunkt, 
Lebenspunkt, Weltpunkt. Belege: (Goethe 
möchte gegenüber der Erbsünde auch eine „Erb¬ 
tugend, eine angeborene Güte“ im Menschen voraus¬ 
setzen.) „Diesen Quellpunkt, wenn er, im Menschen 
kultiviert, zurThätigkeit... gelangt, nennen wir Pie¬ 
tät.“ 29, 721. „Auch hierüber (die Art, wie ein 
Problem anzugreifen sei) wäre ein fruchtbarer 
Lebenspunkt von Betrachtungen zu entwickeln.“ An 
Schultz S. 377. „Wo einmal ein Lebenspunkt auf¬ 
gegangen ist* fügt sich manches Lebendige daran.“ 
29, 514. „Wer kann wissen, was sich alles an einen 
Lebenspunkt anschliesst.“ An Z. IV, 198. „Da 
Sie in so merkwürdigem Weltpunkte, zu bedeu¬ 
tendster Epoche, ... Teil zu nehmen berufen sind... 
An N. Borchardt 1. Mai 1828, Str. Br. I, 79. 

Gemächlich: (Dieser Saal) 

„der schön verziert und Allen uns gemächlich ist.“ 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 15 



226 


Prolog 6. August 1811. 11. 1, 247. (Nach dem DWb. 

auch bei Voss belegt: „gemächliches Gartenhaus“.) 
niederträchtig: „Der Engel Lavater war durch 
diesen niederträchtigen Drang so gequetscht, dass 
er auch seine trefflichen Charaktere nur negativ 
schildern konnte.“ („nach Niedrigem trachtend“ 
wie F. n, 7460.) 

eng: „In Leipzig hatte ich mir ein enges und abge¬ 
zirkeltes Wesen angewöhnt.“ DW. 21, 176. 
ins Enge ziehen: (Eine äusserst beliebte Wendung 
zur Bezeichnung aller Tendenzen, die Goethe unter 
dem Begriff „Systole“ vereinigt. Die Anwendung 
ist sehr vielseitig:) 

a) von literarischer Thätigkeit = kondensieren; 

klar und knapp vortragen. „Wir berieten uns i 
über den Gedanken, die deutschen Stücke, ... | 

teils unverändert im Druck zu sammeln, teils 
aber verändert und ins Enge gezogen der neueren 
Zeit... näher zu bringen.“ Ann. 196. „Winckel- 
manns Briefe . . . veranlassten mich,. . . was ich 
über ihn seit so viel Jahren ... herumgetragen, 
ins Enge zu bringen.“ Ann. 453. (In den Anna¬ 
len, die selbst eine „ins Enge gezogene“ Darstel- [ 
lung sind, begegnet die Verbindung besonders | 
häufig.) „Er schrieb ... ein Gedicht von grösse¬ 
rem Umfang, dessen Inhalt jedoch nicht leicht i 
ins Enge zu bringen ist.“ 29, 628. „Mein Freund 
wusste ... die Hauptfrage (der Philosophie) nicht 
ins Enge zu bringen.“ DW. 21, 9. 

b) von Lebensverhältnissen = einfach, zurückge¬ 

zogen leben. „Charlotte zog ihren Haushalt ... 
ins Enge.“ Wahlverw. 15, 118. „Die Familie 
Wyss, die sich bei Baden ganz ins Enge gezogen.“ , 
W. m, 3, 256. I 


i 



227 


c) von Charakter und Denkweise = sich beschrän¬ 
ken, konzentrieren; besonders gegenüber Weit¬ 
schweifigkeit der Darstellung = Präcision, Kürze. 
Ich war Zeuge, wie Schiller nach und nach sich ins 
Engere zog (beim Entwurf des Demetrius) Ann. 
451. 

„Klopstock ... sieht sich immer mehr ins Enge 
genötigt DW. 21, 53. „Ich fasste mich jedoch bald 
wieder ins Enge und wusste ... einen Abschluss zu 
finden“ Ann. 263 (Kollektaneen zur Geschichte der 
Farbenlehre). „Die Schauspieler mussten sich aus 
ihrem Naturalisieren in eine gewisse Beschränkt¬ 
heit zurückziehen“ Ann. 204. (Hier liegt gewisser- 
massen die Hälfte des Idioms vor; Beschränktheit 
= Enge). „In reiferen Jahren, wo man nicht mehr 
so heftig wie sonst durch Zerstreuungen in die 
Weite getrieben, durch Leidenschaften in die Enge 
gezogen wird.“ Ann. 652. (Die Polarität der Dia¬ 
stole und Systole tritt hier deutlich zu Tage, und 
zwar die letztere im Sinne der negativen Beschrän¬ 
kung = Borniertheit; vgl. „beschränkte Leiden¬ 
schaft“ An Frau v. Stein I, 187.) 
zusammenziehen: (Die sinnliche Anschauung des 
Wechsels zwischen Ausdehnung und Zusammen¬ 
ziehung, die auch dem vorigen Idiom zu Grunde 
liegt, tritt ferner bei den Verben: zusammen¬ 
ziehen, zusammennehmen, hervor:) „Von solchen 
ausschweifenden Unternehmungen ... ward er 
(Cellini), als er nach Florenz zurückkehrte, gar bald 
abgerufen. Er zog sich wieder in das rechte Mass 
zusammen,“ ... Benv. Cellini 30, 444. 

„Die Novelle galanti von Verrocchio stehen denen 
des Abbate Castei ... ziemlich nahe, nur ist Castei 
künstlerisch mehr zusammengenommen.“ Ann. 799. 

15 * 



228 


l 


In den letzten Idiotismen ist es neben dem Grund¬ 
wort auch die Präposition, deren konkreten Inhalt Goethe 
ausnützt, und dies Bestreben erklärt in vielen Fällen die 
Vorliebe für gewisse Präpositionen oder präpositionelle . 
Zusammensetzungen. So möchte die Substitution der Prä- ' 
Position „auf“ zu erklären sein in einigen Fällen, wo ein I 
matteres Präfix Goethe nicht zu genügen schien, um die | 
beabsichtigte Vorstellung einer Erhebung zu „höheren ( 
Regionen“ zur lebendigen Anschauung zu bringen. Dahin I 
gehören die beliebten Wendungen: 1 

aufregen (sehr gern eingesetzt für „anregen“; die 
generelle Bedeutung „das Empfindungsleben in Be¬ 
wegung setzen“ wird also übertragen auf das gei¬ 
stige Leben, so dass die eigentliche Gesamtbedeu¬ 
tung wäre: „Geist und Gemüt in Bewegung setzen“. 
Belege sind z. B. in den Annalen überaus zahlreich: 

„ich fand das ... kleine Heft (Diderots Neffe) 
von der grössten aufregenden Trefflichkeit“ Ann. 
436. 

„Die Wernerischen Ansichten (über Geologie) ... 
in einer fremden Sprache wieder zu vernehmen, war 
aufregend ergetzlich“ Ann. 999 (fernere Belege: t 
Ann. 200, 384, 412, 1143k u. a.). 

(Beide Präpositionen sind zu ergänzender Wir¬ 
kung verbunden in dem Beleg:) „Betrachte man das 
Abendmahl, wo Leonhard 13 Personen,... dargestellt 
hat, einen ruhig ergeben, einen erschreckt, elf durch 
den Gedanken eines Familienverrats an- und auf¬ 
geregt.“ Abendmahl von Leonhard da Vinci, 2S. 
523. (Das gewöhnliche „anregen“ ist übrigens 
ebenso häufig.) 

auferbauen: (Obwohl das Wort keine eigentliche 
Neuschöpfung Goethes ist, so begegnet es doch I 



229 


sonst nur sehr vereinzelt, während Goethe dasein¬ 
fache erbauen gern durch auf- verstärkt). Be¬ 
lege:) „Während dieser auferbaulichen Unterhal¬ 
tung“ Ann. 778. 

„Man fühlte voraus, dass man ... Unterricht 
und Auferbauung daher zu erwarten habe.“ Ann. 
706. 

„Er konnte sich nicht enthalten ... sich eine 
ausserweltliche Welt ... nach seiner Weise aufzu¬ 
erbauen und darzustellen.“ Rede zum Gedächtnis 
Wielands. 27. 2, 71. 

aufrufen: „Graf Carmagnola ... vom Hirtenleben 
zum abenteuerlichsten Soldatenstand aufgerufen“ 
29, 631 (hier = berufen). 

Der Rhapsode hat es nur mit der Einbildungs¬ 
kraft zu thun, die sich ihre Bilder hervorbringt, 
und der es auf einen gewissen Grad gleichgiltig 
ist, was für welche sie aufruft.“ Über epische 
und dramatische Dichtung. 29, 225. 

Eine andere hier einschlagende Verbindung, die sehr be¬ 
liebt ist, statt der schwächeren abstrakten Wendungen 
„sich bemerkbar machen“, „sich zeigen“ ist der Idiotismus 
„sich hervorthun“, „hervortreten“. Stereotyp sind 
die Phrasen: „ein Verhältnis thut sich hervor“, 
„eine Wirkung tritt hervor“; z. B.: 

„Die seltsamsten Wirkungen thaten sich hervor“ 
Ann. 85. 

„Herder fühlt sich von einiger Entfernung, die 
die sich nach und nach hervorthut* betroffen.“ 
Ann. 136 (= Entfremdung, die sich bemerkbar 
macht). 

„Aus diesem allem tritt ... so viel hervor“ 
Wahlverw. 15, 28 (= hervorgehen). 



230 


Unter den gleichen Gesichtspunkt fällt auch die wichtige 
präpositioneile Verbindung „von — herein“, die durch 
die Interpretation einer auf die Entstehung des Faust 
bezüglichen Briefstelle eine gewisse Berühmtheit erlangt 
hat (vgl. Aug. Fresenius über „von vorn herein“ G.-J. 
15, 251). Daselbst ist ausserdem noch die Wendung „von 
hinten hervor“ herangezogen worden, um die räumliche 
Funktion zu zeigen; aber der ganze Gebrauch lässt sich 
auf eine noch breitere Basis stellen, im Zusammenhang 
mit der erwähnten Neigung Goethes, einfache Präposi¬ 
tionen durch die zugehörigen Richtungsadverbien zu ver¬ 
stärken. Auch hier liegt natürlich das Streben nach Sinn¬ 
lichkeit des Ausdrucks zu Grunde. Die Verbindung „von 
vornherein“ stellt sich somit dar als eine einzelne An¬ 
wendung dieses Prinzips, neben der noch viele andere zu 
verzeichnen sind. Sehr häufig ist z. B. „von oben 
herein“: 

„Loder demonstrierte das menschliche Gehirn ... in 
Schichten von oben herein“. Ann. 138. 

„Gesinnungen von Demut und Gleichstellung, die sich 
in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts von oben 
herein ... gezeigt haben.“ DW. 20, 71. 

„Hier bin ich nun in Roveredo, wo die Sprache sich ab¬ 
schneidet; oben herein schwankt es noch immer vom 
Deutschen zum Italienischen.“ 24, 22. „Von oben herein 
sieht man alles falsch ...“ An Knebel I, 13 (1779); 
„Jetzt, da die grosse Überschwemmung über uns weg¬ 
gegangen ist, so wäre nichts wünschenswerter, als dass 
von oben herein alles beisammen wäre . . .“ Ebend. I, 277 
(mit Bezug auf das Unglück von Jena 1806). In allen 
diesen Fällen (mit Ausnahme des ersten) sind mit „oben“ 
die oberen Schichten der Gesellschaft oder die Regieren¬ 
den gemeint. Gelegentlich steht „herunter“ statt 



231 


„herein": „In allen souveränen Staaten kommt der Gehalt 
für die Dichtkunst von oben herunter." 21, 49. Die 
umgekehrte Richtung von den niederen Schichten hinauf 
wird ebenso sinnfällig durch „von unten’ herauf": 
„Man war im Begriff, ihn nach der Residenz zu ziehen, 
um das von oben herein zu vollenden, was er von unten 
herauf begonnen hatte.“ 15, 35; „von unten hinauf zu 
dienen, ist überall nötig“ 18, 55; seine Anschauungen 
über Politik und die Zeitereignisse nennt Goethe „den 
Blick von unten hinauf und in der Wasserwage"; an Kne¬ 
bel n, 254. — Auch die gegenseitige Durchdringung von 
Innen- und Aussenwelt wird ähnlich bezeichnet: „ander¬ 
wärts liest man von aussen hinein, hier (in Rom) 
glaubt man von innen hinaus zu lesen“ 24,142; „Palladio 
ist ein recht innerlich und von innen heraus grosser 
Mensch gewesen" 24, 45; „ihm (W. v. Humboldt) von 
innen heraus entgegenzugehen, fand ich alle Ursache" an 
Zelter VI, 40. Die Verbindung „von innen heraus“ liebt 
Goethe besonders als einen bequemen Ausdruck der Idee 
des organischen Wachstums: „Ich bin fleissig und nehme 
von allen Seiten ein und wachse von innen heraus“ 24, 
348; „die Deutschen sind au mir gewahr geworden, dass, 
wie der Mensch von innen heraus leben, der Künstler von 
innen heraus wirken müsse ..." 29, 230. — Vereinzelt 
steht „von hinten hervorarbeiten" 24, 195. 

Wie in diesen Fällen das Richtungsadverb die Präpo¬ 
sition ergänzt, so tritt es im weitesten Umfang auch vor 
Verben, und verstärkt hier entweder die einfache Präpo¬ 
sition (z. B. „ein Buch hinauslesen“ 22, 43 statt auslesen; 
das Gegenstück ist „anlesen“ An Knebel n, 345), oder 
es vermittelt weit häufiger eine Art Ellipse, eine Zusam¬ 
menziehung zweier Begriffe in einen, derart, dass von 
dem zweiten nur die charakteristische Bewegung ausge¬ 
drückt und in Form des Adverbs vor das erste Verb ge- 



232 


1 


setzt wird. Wenn es z. B. im Götz von Berl. 6, 73 heisst: 
„Reit einer hin und fluch und wetter sie zurück!“ so 
würde der Satz vollständig lauten: ... und wetter, bis 
sie zurückkommen.“ Diese Eigentümlichkeit ist nicht 
nur Goethe eigen, findet sich aber bei ihm besonders reich | 
entfaltet, weil ihm offenbar die Lebendigkeit der Anschau¬ 
ung gefiel. (Zahlreiche Beispiele bei Lehmann, Goethes 
Sprache S. 329; zur psychologischen Erklärung dieser 
Ellipse vgl. Paul, Prinzipien S. 269). j 

Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass in vielen Fällen j 
keine individuelle Prägnanz oder Neubildungen Goethes 
vorliegen, sondern das Festhalten oder die Wiederauf¬ 
nahme eines älteren Sprachgebrauches. Inwiefern dann 
Absicht oder Zufall walten, ist nicht immer zu entschei¬ 
den, wie z. B. wenn wir dem älteren „Vorschritt“ statt 
„Fortschritt“ häufig begegnen (vgl. Spr. i. Pr. 111; „Vor- | 
schritte thun“ Str. Br. II, 437; „Vor- und Rückschritte“ 
Spr. i. Pr. 892), wo das Präfix „vor-“ unbedingt präziser 
und logischer ist» schon im Gegensatz zu Rück-; oder wenn 
ferner „widerwärtig“ bei Goethe fast ebenso häufig 
noch die ältere Bedeutung „widerstrebend, feindlich“ hat, 
wie die jüngere „unangenehm“. Über das letztere Wort 
hat bereits Pniower G.-J. 19, 241 ff. ausführlich gehan- | 
delt und daselbst noch einige andere Fälle besprochen, in 
denen das von Pniower ebenfalls beobachtete Bestreben: \ 
„sich an die wurzelhafte Bedeutung der Worte zu halten“ 

(a. a. 0. S. 235) deutlich hervortritt, die aber anderer- i 
seits einen noch zu Goethes Zeit nicht ausgestorbenen, 
älteren Sprachgebrauch darstellen. Dahin gehört „end- | 
lieh“ in der Bedeutung „abschliessend“ x ), gegensei- I 

-- . j 

x ) Es sei hier gestattet, auf Pniowers Erklärung einer Stelle aus 

den Wanderjahren nochmals einzugehen, die unseres Erachtens nicht 
zutreffend ist. Der Erzähler des Märchens „Die neue Melusine“ beginnt 
mit der Ankündigung, dass er eine Geschichte zu erzählen habe, „welche j 



233 


tig = „feindlich, entgegengesetzt“, wirksam = „wir¬ 
kend, thätig“, liebevoll = „leidenschaftlich“, Vor¬ 
gänger = „Vorangehender“, vorläufig = „voran¬ 
gehend“, entgegnen = „entgegen kommen“. 1 ) Die bei- 

die bisherigen weit übertrifft, und die, wiewohl sie mir schon vor 
einigen Jahren begegnet ist, mich noch immer in der Erinnerung un¬ 
ruhig macht, ja sogar eine endliche Entwicklung hoffen lässt“ (18, 323). 
Diesen letzteren Ausdruck „endliche Entwicklung“ fasst Pniower als 
„Abschluss“, resp. als „die bis zum Ende geführte Entfaltung des Ge¬ 
schehnisses“. Er legt also den Nachdruck auf den Begriff „endlich“ 
in der älteren Bedeutung = definitiv“, „was sich auf das Ende be¬ 
zieht“, und lässt den Begriff der „Entwicklung“ ganz zurücktreten. 
Diese Erklärung scheint an sich gezwungen, weil der natürliche Accent 
auf „Entwicklung“ ruht, und steht vor allem im Widerspruch mit dem 
Aufbau des Satzes und der Gedankenfolge. Wenn die Begebenheit „noch 
immer in der Erinnerung unruhig macht, ja sogar eine endliche Ent¬ 
wicklung hoffen lässt“, so liegt in dem letzten Satz eine Steigerung 
des Verlaufes ausgesprochen, was mit dem Begriff „Abschluss“ ganz 
unvereinbar wäre. Vielmehr verlangt der Zusammenhang die Erklärung: 
„eine Begebenheit, die sich am Ende noch weiter entwickeln wird, die 
noch nicht abgeschlossen ist“. Endlich ist nicht scharf betont und 
prägnant = „definitiv“, sondern = „schliesslich, am Ende“ wie 
öftere bei Goethe z. B. „die endliche Mitteilung“ Z. Br. 4, 235; „beim 
Abschied und endlicher Entbehrung“ Z. Br. 5, 5. Entwicklung bedeutet 
hier dasselbe, was Goethe sonst durch „Folge“ ausdrückt. Überdies 
hätte das „Hoffen“ keinen Sinn in Verbindung mit Abschluss, da das 
Abenteuer, besondere mit Bezug auf die Schatulle, irgend eine Fort¬ 
setzung wünschen liess. 

*) Wenn Paul Wb., S. 115 in den Versen aus „Des Epimenides Er¬ 
wachen“, 11. 1, 158 

Und mir erscheint, was mich bisher gemieden, 

Ganz ohne Kampf, der reine Seelenfrieden. 

Und taoir entgegnet, was mich sonst entzückte, 

Der Leyer Klang, der Töne süsses Licht... 

t 

das „entgegnet“ erklärt als „mir ist zuwider“, so zeigt der ganze Zu¬ 
sammenhang, dass hier ein Versehen vorliegt. Es kann nur heissen, 
„Und meinem Blick begegnet wieder, was mich auch sonst erfreute“ 
die Leyer . . . (die von einem der Genien am Thyrsus getragen wird). 



234 


den letzten Beispiele stellen übrigens Idiotismen Goethes 
vor und sind insofern reine Belege seines Strebens nach 
Konkretisierung. Wie viel in den anderen Fällen der Zu¬ 
fall zu der Wortwahl beigetragen hat, ist, wie gesagt, 
nicht festzustellen, aber einerseits berechtigt die That- 
sache, dass Goethe sich mit Bewusstsein seinem Drang 
nach „Gegenständlichkeit" hingab und gerade über das 
Metaphorische gern theoretisierte, zu der Annahme einer 
wohlüberlegten Wahl des Ausdrucks, und andererseits 
würde er in Fällen, wo sich ein Bedeutungswandel ge- 
wissermassen unter seinen Augen vollzog, nicht ohne be¬ 
sonderen Grund an gewissen sinnfälligen Wendungen fest¬ 
gehalten haben. So sind z. B. „gegenseitig" und „wider¬ 
wärtig" bis in die letzten Jahre noch in den älteren Be¬ 
deutungen belegt. 


5. Typische Anschauungsweise 

Viele Versuche sind gemacht worden, um Goethes 
Leben und Schaffen in Epochen zu gliedern; prüft man aber 
diese Versuche an dem Objekt selbst, an Goethe, und nicht 
an litterarhistorischen Methoden, so dürften sich in allen 
Fällen Widersprüche ergeben, so zutreffend manche Ein¬ 
zelcharakteristik sein mag. Bei der prinzipiellen Wich¬ 
tigkeit der Frage sei es gestattet, über die Anwendbar¬ 
keit der herkömmlichen Schablone auf Goethes Wirken 
hier einiges einzuschalten. 

Alles Gewordene, nachdem es seinen Kreis des Da¬ 
seins vollendet hat, zeigt in den verschiedenen Epochen 
seines Lebens hervorstechende Merkmale, die sich ver¬ 
werten lassen, um den Gesamtcharakter der jeweiligen 
Epoche mit einem Schlagworte zu bezeichnen. Diese Mög¬ 
lichkeit ist am ersten vorhanden, wenn sich die Trieb- 



235 


kraft gleichmässig äussert, so dass sie sich gewisser- 
massen nach Jahresringen verfolgen lässt, wenn sich fer¬ 
ner die einzelnen Faktoren leicht isolieren lassen, und 
wenn der ganze Verlauf der Entwicklung auf das Walten 
einfacher Gesetze mit Sicherheit zurückzuführen ist. Da¬ 
gegen wird die Möglichkeit einer klaren Gliederung sehr 
erschwert, wenn das Werden und Wachsen sich eher stoss- 
weise vollzieht, wenn ferner der Organismus eine grosse 
Mannigfaltigkeit von Triebkräften und sehr komplexe 
Lebensbedingungen aufweist, und wenn er endlich sich in 
so grossem Massstabe auslebt, dass er seinen Kreislauf 
wiederholt, sich epigenetisch verjüngt und zugleich stei¬ 
gert, — kurz, wenn der Lebensprozess in seiner Intensität 
und in seinem Reichtum an einwirkenden Faktoren ein 
abnormer ist. Ein immer erneutes Studium der Indivi¬ 
dualität Goethes muss zu der Überzeugung führen, dass 
hier ein solch komplexes Naturgebilde vorliegt. Man hat 
hierbei an die einzig stehende Art der Selbstverjün¬ 
gung zu denken, die sich bei Goethe beobachten lässt, wie 
vor allem in der Hegire von 1814, sowie an die ungeheuere 
Mannigfaltigkeit der Interessen, die alle aus einer leben¬ 
digen Urkraft, aus einem Erlebten entspringen, endlich 
aber an die innere Einheit, die sich durch dieses Gebilde 
von Anfang bis zu Ende hindurchschlingt, so dass sich in 
seinem Auge die ganze Natur, das Kleinste wie das 
Grösste, das Gute wie das Böse, mit gleicher Reinheit und 
Treue spiegelte, und dass es alle Strahlen, die es empfing, 
ungebrochen zurückwarf. 

Es bedarf aber zu weiterem Zeugnisse nur eines Hin¬ 
weises auf Goethes eigene Worte, mit denen er seine 
Individualität kennzeichnet, bei Gelegenheit eines Verglei¬ 
ches mit derjenigen Schillers. Man hatte ihn ersucht, 
das Prinzip der chronologischen Anordnung, das bei Schil¬ 
ler, als einer verhältnismässig einfacheren Persönlichkeit, 



236 


erfolgreich durchgeführt war, auch auf sein eigenes 
Schaffen anzuwenden, und die neue Ausgabe seiner Werke 
(1815—19) demgemäss zu ordnen. Er erwiderte darauf: 
„Bei einem sehr weiten Gesichtskreise hatte Schiller 
seinen Arbeitskreis nicht übermässig ausgedehnt. Die I 
Epochen seiner Bildung sind entschieden und deutlich; die 
Werke, die er zu Stande gebracht, wurden in einem kurzen | 
Zeiträume vollendet ... Die Goetheschen Arbeiten hin¬ 
gegen sind Erzeugnisse eines Talents, das sich nicht stufen- I 
weise entwickelt und auch nicht umherschwärmt, son- | 
dern gleichzeitig aus einem gewissen Mittelpunkte sich 
nach allen Seiten hin versucht und in der Nähe sowohl 
als in der Ferne zu wirken strebt, manchen eingeschla¬ 
genen Weg für immer verlässt, auf anderen lange be- 
harrt.“ (29, 320.) Die gleiche Vorstellung liegt einem 
Ausspruche zu Grunde, mit dem er die scheinbar zersplit- | 
terte Thätigkeit seines wissenschaftlichen Gegners und 
persönlichen Freundes, des Bergrats A. G. Werner, recht¬ 
fertigt: „Niemand hat das Recht, einem geistreichen 
Manne vorzuschreiben, womit er sich beschäftigen soll. 

Der Geist schiesst aus dem Centrum seine Radien 
nach der Peripherie; stösst er dort an, so lässt er’s auf 
sich beruhen und treibt wieder neue Versuchslinien aus I 
der Mitte, auf dass er, wenn ihm nicht gegeben ist, seinen 
Kreis zu überschreiten, er ihn doch möglichst erkennen 
und ausfüllen möge“ (Ann. 670). 

Die Gesetze des Wachstums bestimmen auch den Gang 
der Analyse, und demgemäss lässt sich der Kreis von Goe- j 
thes Schaffen nicht anders abteilen, als in Segmenten, die 
alle aus dem Centrum hervorwachsen. Gewiss entsprin¬ 
gen alle die besonderen Triebe aus ebenso vielen beson¬ 
deren Energieen des Centrums und zeigen besondere Wir¬ 
kungen und Färbungen, unter denen sich, je nachdem, 
eine individualisierende, eine idealisierende, eine typische | 



237 


oder symbolisierende Tendenz unterscheiden lässt. Aber 
man wird bei Goethe nur zum Nachteil des wirklichen Ver¬ 
ständnisses diese Tendenzen chronologisch anordnen, ein 
System von Perioden konstruieren und Untersuchungen 
seines Charakters, seines Schaffens oder seines Stiles dar¬ 
auf begründen. 

Die bisherigen Ausführungen finden ihre beste Illu¬ 
stration in der verschiedenen Art und Weise, wie der 
Begriff des Typischen zur Periodisierung verwendet wor¬ 
den ist. Die Lösung der Frage ergiebt sich von selbst, 
wenn unter dem obigen Gesichtspunkt die typische Ten¬ 
denz nicht als eine chronologische Schicht gefasst wird, 
sondern als eins der wichtigsten Elemente in Goethes An¬ 
schauungsweise überhaupt, die ihn zu allen Zeiten seines 
Lebens befähigte, das Typische, d. h. das Bleibende der 
Gattung im Wechsel der Individuen klar zu erkennen 
und künstlerisch zu gestalten. Von niemandem ist diese 
Grundeigenschaft seines Wesens so überzeugend und glän¬ 
zend aufgezeigt worden wie von Victor Hehn in den 
beiden Kapiteln seiner „Gedanken über Goethe“, die be¬ 
titelt sind „Naturformen des Menschenlebens“ und 
„Stände“; insbesondere die erstere Betrachtung ist von 
grundlegender Bedeutung für die Erkenntnis der Indivi¬ 
dualität Goethes. Es ist in der That die doppelte Fähig¬ 
keit, alle Äusserungen des menschlichen Lebens als natür¬ 
liche Lebensprozesse zu erkennen und die Besonderheiten 
als die vorübergehenden Wandlungsprozesse des Allge¬ 
meinen zu begreifen, die Goethe zu der Höhe des hervor¬ 
ragendsten Dichters der organischen und typischen Er¬ 
scheinungsformen der Menschheit erhebt. Dass dieses 
Vermögen auf der Höhe seines Wirkens, in den neunziger 
Jahren, am stärksten war, und dass seine Schöpfungen 
aus dieser Zeit gewissermassen selbst als Typen seiner 
ganzen Dichtungsweise dienen können, ist selbstverständ- 



238 


lieh; Hehn verweilt daher mit Recht ausführlicher bei 
„Hermann und Dorothea“, das man vielleicht den reinsten 
Typus seines typischen Schaffens nennen könnte. Aber 
er betont andererseits und erläutert mehrfach durch Bei¬ 
spiele, dass die typische Anschauung seinem gesamten 
Schaffen zu Grunde liegt, und dass bei einem Überblick 
über seine ganze dichterische Laufbahn sich überall „unter 
der grossen Mannigfaltigkeit der Stoffe und Richtungen 
einzelne Gestalten und Umrisse finden, in denen dieselbe 
Betrachtungsweise, der Mensch als in der Allgemeinheit 
der Gattung begriffen, sein Leben als Naturform er¬ 
scheint“ (S. 203). 

Es steht zu erwarten, dass sich die typische Grund¬ 
richtung von Goethes Wesen auch in seiner Sprache und 
seinem individuellen Vokabular spiegelt. Die Thatsache 
aber, dass sich die Blütezeiten des Typischen in der dich¬ 
terischen Anschauung einerseits, und im Stil andererseits, 
keineswegs miteinander decken, beweist wiederum, dass 
alle äusseren Klassifikationen den wahren Sachverhalt 
nur verhüllen. Knauth hat bereits darauf hingewiesen 
(a. a. 0. S. 10 u. 29), dass der Altersstil in hervorragen¬ 
der Weise ein typisches Gepräge trägt, 1 ) und gewisse sti- 


0 Die Grenzbestimmung des Altersstiles, der nach Knauth etwa von 
1815 ab zu datieren ist, trifft nicht zu für die Prosa. Die Eigentüm¬ 
lichkeiten der Altersprosa — sorgfältiger Periodenbau; Parallelisierung 
der Satzglieder und bestimmter Vorstellungskreise (gern im Dreischritt, 
wie z. B.: Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft; oder: Gegner, Gleich¬ 
denkende, Nachwelt); Neigung zum Eulogismus und zu abschwächenden 
Wendungen (z. B. das beständige „möchte“); vor allem die stereotypen 
Verbindungen und stehenden Beiworte, — alle diese Eigenheiten sind 
schon im Stil der Selbstbiographie und zum Teil schon in den Wahl¬ 
verwandtschaften, also seit 1808, voll entwickelt. Der Unterschied 
gegen später liegt nur in dem stärkeren Hervortreten der stereotypen 
Elemente und gewisser syntaktischer Eigenheiten, wie der massenhaften 
Anwendung des Part. Praes. 



239 


listische Eigenheiten, wie z. B. die Auslassung des Artikels 
daraus abgeleitet. Dagegen bleibt in den Schöpfungen 
der neunziger Jahre das Typische mehr auf das künstle¬ 
rische Sehen beschränkt, während der sprachliche Aus¬ 
druck noch schmiegsam und individuell bleibt. Erst all¬ 
mählich zeigt sich der Niederschlag des typischen Den¬ 
kens in der Sprache, die nunmehr, was den Wortschatz 
anlangt, sich typisch wiederkehrender Wendungen be¬ 
dient, um endlich in das Erstarrungsstadium des typischen 
Ausdrucks, das Stereotype überzugehen, oder vielmehr 
Symptome eines solchen zu zeigen. 

Unter die stehenden Wendungen sind einerseits die, 
reinen Epitheta ornantia zu rechnen, die auch für den vor¬ 
wiegend epischen Charakter von Goethes Dichtung cha¬ 
rakteristisch sind; dahin gehören die meisten Adjektiva 
der indifferenten Sphäre, wie: trefflich, würdig, redlich, 
geschätzt, schätzbar, wohldenkend, wohlwollend, wohlge¬ 
bildet, artig, heiter, löblich u. a. Bereits im Hauptteil 
ist in der Bedeutungsschattierung auf den Unterschied 
zwischen prägnanter (individueller)) und farbloser (stereo¬ 
typer) Verwendung aufmerksam gemacht worden; die letz¬ 
tere tritt deutlich hervor in Verbindungen wie: redliches 
Wollen, redliches Bemühen, schätzbare Bemühungen, ein 
wohlgebildeter Jüngling, ein artiges Frauenzimmer, eine 
artige Stadt (artig gelegen), löbliches Streben, ein wohl¬ 
denkender Mann, u. s. w.; am farblosesten sind: heiter, 

Vortrefflich ist übrigens von Knauth die Erscheinung, dass die 
Höhepunkte des Typischen im Stil und in der dichterischen Anschau¬ 
ung sich nicht decken, begründet durch den Hinweis auf die Thatsache, 
dass die Empfindungen des alternden Dichters nicht mehr so elastisch 
waren, wie früher, und sich eher einer gegebenen, stereotypen Scha¬ 
blone anpassten, und dass ferner die Aufmerksamkeit und Energie sich 
mehr auf das Ausfeilen der Form richten konnte, seitdem die Er¬ 
werbung neuer Stoffe abgeschlossen war, und die bisher fliessenden 
Gedankenmassen ins Stocken gerieten. 



240 


trefflich, würdig, löblich, artig. Andererseits sind eine 
Reihe stereotyper Verbindungen zu verzeichnen, die nicht 
so häufig und farblos sind, aber typische Vorstellungs¬ 
kreise wiedergeben. Solcher Art sind (vgl. die genauen 
Citate im Haupttext): 

ein Höheres bezwecken, 
im höheren Sinne, 
unberechenbar in seinen Folgen, 
die Wirkung ist nicht zu berechnen, 

Epoche machen, 

ein prägnanter Punkt, 

eine Wirkung tritt hervor, 

ein Verhältnis thut sich hervor, 

in die Ferne wirken, 

eine heitere Wirkung in die Ferne, 

reine Folge, 

eine Folge haben, 

ein Verhältnis, in der Folge fruchtbar, 

Teilnahme und Förderung, 
fördernde Teilnahme, 
meine Wohlwollenden, 
eine treue Auffassung, 
redliches Streben, 
ein reiner Begriff, 
ein reines Verhältnis, 
ein behaglicher Zustand, 
eine gesteigerte Wirkung, 
derb und tüchtig, 

Wollen und Vollbringen, 1 ) 


*) Diese stereotype Verbindung, die sich im Hauptteil nicht gut 
einreihen liess, ist eine der beliebtesten. Es 6ei auf folgende Beleg¬ 
stellen verwiesen: Ann. 111; 29, 578; 28, 733; W. IV, 16, 389; ZL Br. 
4, 288 u. s. w.; „Wollen und Halbvollbringen“ W. IV, 23, 311. 



241 


höhere Regionen, 

Neigung und Leidenschaft, 
unbedingtes Streben, 
falsche Richtung, 
die platte Menge, 
trübe Leidenschaft, 
grillenhaft und wunderlich, 
abstruses Denken, 
dünkelhaftes Bestreben. 

Es liegt auf der Hand, dass alle diese Idiotismen das¬ 
selbe sind, was man wohl als Lieblingswendungen eines 
Schriftstellers zu bezeichnen pflegt. Jeder Schriftsteller, 
ja, jeder Mensch hat solche Lieblingsworte, aber die Inten¬ 
sität und der Umfang derselben sind sehr verschieden. 
Die Höhe der Kultur ist hier nicht allein massgebend, 
sondern es kommt vor allem jenes bei Goethe im höch¬ 
sten Masse entwickelte Vermögen der typischen An¬ 
schauung in Betracht, das oft unabhängig von der spe¬ 
zifisch dichterischen Begabung sich entwickelt. So er¬ 
klärt sich einerseits, dass die grössten Dichter in dieser 
Hinsicht oft kleineren Grössen nachstehen, und dass ander¬ 
seits bei Goethe infolge des günstigen Zusammentref¬ 
fens aller Faktoren eine so ausserordentliche Entfaltung 
der sprachlichen Prägnanz zu beobachten ist. 

Zu unterscheiden von den individuellen Lieblingswen¬ 
dungen, die auf bestimmte typische Vorstellungskreise 
zurückgehen, sind generelle Lieblingsworte, d. h. so¬ 
genannte Modeworte. Ihre Individualität erstreckt sich 
auf eine engere Begrenzung nach Ort und Zeit, und sie 
sind deshalb mehr von kulturgeschichtlicher als indi¬ 
viduellpsychologischer Bedeutung. Goethe hat sich be¬ 
sonders in späterer Zeit von solchen Modeworten ganz frei 
gehalten; hauptsächlich ist die erste Weimarer Zeit von 
dieser Erscheinung berührt, als viele neue Eindrücke auf 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 16 



242 


ihn einstürm ten, und darunter auch ein ganz neuer Dialekt, 
der eine gewisse sprachliche Verwirrung für die erste Zeit 
zur Folge haben konnte. Vor allem aber ist zu erwägen, 
dass Goethe sich in Weimar in einem sehr geschlossenen 
Kreise bewegte, innerhalb dessen sich Modewörter am 
leichtesten zu entwickeln pflegen. 

Von solchen sind drei durch ihre Häufigkeit im Brief¬ 
wechsel mit Frau v. Stein auffällig: „Misei", Grasaffe“, 
„Pick". Am zahlreichsten sind die Belege für „Misel“ 
in der Bedeutung „hübsches Mädchen“ (■= Mäuschen) nebst 
den Ableitungen „miseln“ (hübsch thun) und „Miselei" 
(etwa = flirtation). Das Vorkommen des Wortes scheint 
auf die Jahre 1776—80 beschränkt zu sein (im Briefw. mit 
Frau v. Stein begegnet es etwa zwanzigmal, z. B. I, 22; 
79; 84; 90; 94; 95 ötc.). Ausserdem kommt in der Italien. 
Reise einigemal „Mäuschen“ im gleichen Sinne vor (24, 78; 
370). 1 ) — Das Wort „Grasaffe“ als scherzhafte Bezeich¬ 
nung für junge Mädchen und Kinder begegnet zwar eben¬ 
falls in der ersten Weimarer Zeit am häufigsten (an Frau 
v. Stein I, 32; 34; 46; 51; 74; 80; 229), dürfte jedoch aus 
Frankfurt mitgebracht sein, da es bereits in einer der dört 
(nach Pniower G.-J. 13, 181 ff.) entstandenen Faustscenen 
vorkommt (F.. I, 3521) und auch von Goethes Mutter ge- 


*) Hier wäre passend der scherzhafte Tropus „Äugelchen“ an- 
zuschliessen, der später in Goethes Hause geläufig wurde (etwa seit 
1800). Er ist allerdings umfassender als „Misel“, da er auf anziehende 
Personen beider Geschlechter bezogen wird. In den Briefen Goethes an 
Christiane aus den böhmischen Bädern ist wiederholt von „hübschen 
Äugelchen“ die Rede, in deren Gesellschaft Goethe weilt (W. IV, 20, 
81; 20, 125; 20, 182; 21, 337 ; 21, 376), oder umgekehrt von anderen, 
vor denen er die zurückgebliebene Christiane warnt (W. IV, 16, 253; 
21, 367). Aus Carlsbad schreibt Goethe einmal: „Was wirst du aber 
sagen, wenn ich dir erzähle, dass Riemer ein recht hübsches Äugelchen 
gefunden hat, und noch dazu eins mit Kutsch und Pferden, das ihn 
mit spazieren nimmt.“ W. IV, 20, 102 (1808). 



243 


braucht wird (Frau Rat von Rob. Keil S. 347). Ebenso 
ist „Pick“ (aus französ. pique = „Groll“) schon in Briefen 
aus Frankfurt belegt (DjG.. 3,115), wird aber erst in Wei¬ 
mar eine kurze Zeit zum Modewort (An Frau v. Stein I, 60, 
98, 116, 172 u. ö.). Endlich wäre auch „dumpf“ in seiner 
positiven Färbung in diesem Zusammenhänge aufzu¬ 
führen (s. oben S. 161). 

Aus späterer Zeit ist zunächst „sekkiren“ (aus ital. 
„seccare“ = langweilen) zu erwähnen. Obwohl es schon 
vereinzelt vor der Italien. Reise vorkommt (z. B. an Frau 
v. Stein 13, 182), wird es erst seit dem Aufenthalt daselbst 
zum Modewort und hält sich etwa zwei Jahrzehnte (noch 
im Tagebuch 1807, W. m, 3, 250; andere Belege: W. IV, 
8, 294; 315; 326; 24, 471). Auch „Sekkatur“ (von 
seccatura „langweiliges Geschwätz“) ‘kommt öfters vor: 
24, 418; 471; W. IV, 8, 294. Noch später datiert der 
merkwürdige Ausdruck „Schwänchen“ zur Bezeichnung 
einer kleinen Postsendung verschiedenen Inhalts. Loeper 
sieht darin einen Weimarer Provencialismus und citiert 
eine Definition Böttigers aus dem Jahre 1797 (Note zum 
Divangedicht „Schenke“ 4, 183, wo mit Schwan — Schwän¬ 
chen ein Wortspiel getrieben wird). Goethe lernte den 
Ausdruck wohl erst später kennen, denn er scheint vor 
1805 nicht belegt zu sein, während er von da ab ständig 
beibehalten wird. Einige Belegstellen: An Boiss. II, 80, 
93, 94, 274; An Schultz S. 229; W. IV, 19, 362; 21, 331. 

Das beliebteste aller Modeworte des 18. Jahrhunderts 
„galant“ vermied Goethe wohl geflissentlich. Nur in 
einzelnen Fällen liegt ein Nachklang jenes Missbrauchs 
vor, über den sich Gottsched so ereiferte (vgl. im DWb. 
IV, 1. 1. 1157), wie in den Wendungen: „galanter Vor¬ 
trag“ Ann. 988 (über eine botanische Abhandlung); „ga¬ 
lant aufgestellte Sammlung“ (von Gesteinen) 24, 280. 


16* 



244 


Auf die typische Grundtendenz in Goethes Schaffen 
geht noch eine andere wichtige Erscheinung zurück, die 
hier nicht übergangen werden darf, insofern als sie sich 
im individuellen Wortschatz spiegelt: die Typik der j 

Metaphern. Den Lieblingsworten treten Lieblingsbilder ’ 
zur Seite. Dass der metaphorische Trieb in Goethe zu 
allen Zeiten in abnormer Stärke entfaltet gewesen ist, 
gehört zu den bekanntesten Thatsachen und bedarf hier 
keiner Beweisführung. (Vgl. H. Henkel, Das Goethesche 
Gleichnis (Halle 1886) und V. Hehn, Gedanken über j 

Goethe, S. 315 ff.) Auch hier ist es wichtig, vor allem 
die einheitliche Bethätigung dieses Triebes im Denken 
und Dichten, in*Poesie und Prosa, zu beachten, als Äeusse- 
rungen einer in sich selbst ruhenden Kraft, die ohne An- i 
strengung eine gle’ichmässige Wärme nach allen Seiten 
ausstrahlt. Immer wieder wird von allen, die mit Goethe ( 
in persönliche Berührung kamen, die gänzlich ungekün¬ 
stelte Art seiner Unterhaltung bewundert, in der die Fun¬ 
ken einer stetig rotierenden inneren Energie hervorstieben, 
kein Feuerwerk des Witzes, sondern das gleichmässige 
Sprühen einer verborgenen Quelle lebendiger Kraft. 
Zweierlei erklärt sich aus dem nie rastenden Verknüpfen 
von Vorstellung und Bild, und dem innigen Verwachsen ( 
beider zu einer organischen Einheit: einesteils die Ein- \ 
fachheit und Urwüchsigkeit der Gleichnisse, die nie zer¬ 
setzen und durch glänzende Scheinpointen geistreich ver¬ 
wirren, sondern unter dem Siegel der Einfachheit wahr¬ 
haft fördern und einen innigen Bund des Gedachten und • 
Geschauten knüpfen. Andernteils die Wiederkehr ge- ' 

wisser Lieblingsgleichnisse, in denen der Dichter einfache | 

und natürliche Symbole ewig sich erneuender Thätig- 
keiten und Erscheinungen erblickte: sichere Stützen, an 
die der minder triebkräftige und langsamer producierende I 
Geist des Greises gern das Gewebe seiner Gedanken an- j 
knüpft. t 



245 


Es sei nur erinnert an die beiden häufigsten Gleich- 
niscyklen, die sich um die Kernbegriffe der Webetech¬ 
nik und des tierischen Häutungsprozesses bilden und 
in allen denkbaren Variationen genutzt werden. Welche 
passendem Metaphern hätte auch ein Dichter finden kön¬ 
nen, dessen Gedankenwelt sich aufbaut auf den Grund¬ 
vorstellungen der nie rastenden, stetigen und gesetz- 
mässigen Thätigkeit (wobei allerdings die Nebenvorstel¬ 
lung des Mechanischen der Weberei durchaus ausgeschlos¬ 
sen bleibt) und anderseits einer wahrhaften „Entwicke¬ 
lung“, eines stufenweisen Hindurchgehens durch be¬ 
stimmte Phasen zu immer höherer Vollendung des Typus, 
eines ewigen „Stirb und Werde“. So gewinnen die Aus¬ 
drücke „Raupen-, Puppen-, Chrysalidenzustand“, die „ab¬ 
gestreifte Schlangenhaut“, sowie andererseits die belieb¬ 
testen aller Gleichniswendungen „Zettel und Einschlag“, 
für die er noch im letzten Briefe an W. v. Humboldt seine 
Vorliebe bekennt, das „Weifen“, „den Rocken“ oder 
„Wocken abspinnen“ und andere Fachtermini der Webe¬ 
technik, eine individuelle Prägnanz. Man darf mit dem Ge¬ 
fallen Goethes an diesem Gleichnis auch wohl sein Inter¬ 
esse für das Handwerk selbst in Zusammenhang bringen, 
über das er sich von H. Meyer 1797 in der Schweiz eine 
genaue Beschreibung anfertigen liess, um auf Grund die¬ 
ser Aufzeichnungen in den Wanderjahren die bekannte 
Darstellung, die übrigens folkloristischen Wert besitzt, 
einzuschalten. (Suphan, G.-J. 13, 149, über die Quelle 
dieser Episode; ferner R. Meyers Goethe-Biogr. S. 601.) 

Auf andere Gleichniskreise einzugehen ist hier nicht 
der Ort, da es nur auf den Niederschlag im Wortgebrauch 
ankommt, nicht auf die Vorstellungen selbst. Dagegen 
sind hier einige seltnere typische Metaphern zu berühren, 
die besonders auffallende Außdrücke gezeitigt haben. Da¬ 
hin gehören die bereits von R. Meyer erklärten Idiotismen: 



246 


„flügelmännisch“ (a. a. 0. S. 38); die „papierue 
Scheidewand“ (S. 39; schon im Briefe an Bürger vom 
12. Febr. 1774; DjG. 3, 8); „die Tonne wälzen“ (S. 37; 
auch von M. Bernays besprochen: Goethes Briefe an F. A. 
Wolf S. 116, sowie von Loeper, Goethes Gedichte, 2. Aufl., 
II, 476). Die letztere Metapher ist einer von den Aus¬ 
drücken, die sich um die typische Vorstellung des ewigen 
Einerlei des Lebens und der „Plackerei des Erdtrei¬ 
bens“ (F. II, 8313) gruppieren (vgl. im Hauptteil unter 
„Wesen“, „Zustand“ .u. s. w.). Teilweise berührt sich 
damit auch eine Metapher, die fast ausschliesslich auf 
die Frankfurter Zeit beschränkt ist: der Vergleich der 
bunten Bilderreihe der Vanity Fair mit einem „Raritä- 
tenkasten“, der ihm in jener Zeit, wo er selbst dieThor- 
heiten und Laster der Welt in „moralisch-politischen 
Puppenspielen“ verspottete, besonders nahe liegen musste. 
(Über weitere Bezüge zur Geniezeit vgl. u. S. 295): 

„Jeder hat doch seine Reihe in der Welt wie im 
Schöneraritätenkasten.“ An Engelbach 10. Sept. 
1770. DjG. 1, 242.i) 

„Shakespeares Theater ist ein schöner Raritäten¬ 
kasten, in dem die Geschichte der Welt vor unseren 


*) Die Fortsetzung der Stelle lautet: „Ist der Kaiser mit der 
Armee vorüber gezogen, schau sie, guck sie, da kommt sich die Pabst 
mit seiner Klärisei.“ Vergleicht man diese Briefstelle mit den Versen: 

„Ach, schau Sie, guck Sie, komm herbei, 

Der Pabst und Kaiser und Klerisei!“ 

aus dem Prolog des „Neueröffn, moral.-pol. Puppenspiels“ so lässt sich 
aus der Übereinstimmung wohl mit Sicherheit auf eine gemeinsame 
Quelle schlossen, da das Puppenspiel selbst erst Anfang 1773 entstanden, 
und somit gegenseitiger Bezug der beiden Belege ausgeschlossen ist. 
Der radebrechende Ton weist auf den Eisass, wo Goethe zur Zeit, als er 
den Brief schrieb, ein Marionettenspiel mit einem radebrechenden Markt¬ 
schreier gesehen haben mag. 



247 


Augen an dem unsichtbaren Faden der Zeit vorbei¬ 
wallt." Zum Shakespeare tag 29, 103 (1771). 

„Aufs neue Jahr haben sich die Aussichten für mich 
recht raritätenkastenmässig aufgeputzt.“ An 
Helene Jacobi 31. Dez. 1773. DjG. 1, 403. 

„Ich stehe wie vor einem Raritätenkasten und sehe 
die Männchen und Gäulchen vor mir herumrücken 
... Ich spiele mit, vielmehr, ich werd6 gespielt 
wie eine Marionette ...“ Werther 14, 71. Tausend 
Menschen ist die Welt ein Raritätenkasten, die Bil¬ 
der gaukeln vorüber und verschwinden. ... Dritte 
Wallfahrt nach Erwins Grabe 1775 28, 356. 

Zum letzten Male scheint es in einem Briefe an Merck zu 
begegnen vom 5. August 1778: 

„Wir waren wenige Tage da (in Berlin) und ich guckte 
nur drein wie das Kind in Schön-Raritätenkasten.“ 
W. IV, 3, 239. 

In späterer Zeit dient auch das Wort „Schnurre“ 
einem ähnlichen Zwecke; es ist dem Gleichniskreise des 
Webens entnommen und symbolisiert die gleichmässig ab¬ 
rollende Thätigkeit des Tages und die Monotonie stereotyp 
wiederkehrender Gedanken: „Wenn der Faden nur einmal 
wieder ganz angedrillt ist, soll die Spule schon rasch wie¬ 
der fortschnurren ...“ An Reinhard S. 20; „Schnurre des 
Tages“ Ann. 833; „die akademische Schnurre“ An Voigt 
S. 264 (bestimmter Cyklus von Vorlesungen); „Todfeind¬ 
schaft kann daraus entstehen, wenn man ... sich gegen 
mich berühmt, dass man mich auf meine Schnurre ge¬ 
bracht habe“ Gespr. 2, 298 (Lieblingsthema, Fachsim- 
pelei); „so schnurrt auch wieder durch das Ganze (Her¬ 
ders Briefe über Humanität) die alte halbwahre Philister- 
leier, „dass die Künste das Sittengesetz anerkennen, und 
sich ihm unterordnen sollen.“ An H. Meyer W. IV, 11, 101. 



248 


Das französ. „ricochet“ wird einigemal verwendet, 
um die Vorstellung des wiederholten Aufschlagens und 
Abprallens durch ein naheliegendes Gleichnis zu versinn¬ 
lichen: „Testamente ... scheinen gewöhnlich nur Rico- 
chette des Lebens zu sein“ An Voigt S. 311; „ein Epilog 
(zu Essex), ... der ricochetweise einen grossen Raum 
durchläuft“ An Knebel II, 101; ein anderes Mal spielt die 
beliebte Vorstellung der Epigenesis hinein, indem mit dem 
Abprall zugleich ein neuer Aufschwung und eine Ver¬ 
stärkung der inneren Energie gewonnen wird: „unsere 
Natur ricochettiert gleichsam alle Jahre einmal an sol¬ 
chem Orte (Badeort), und reicht der Sprung auch nicht 
ganz aus, so ist doch wenigstens etwas gewonnen.“ An 
Reinhard S. 232. 

Sehr charakteristisch ist der öfters wiederkehrende 
Tropus „Wartestein“ für die Anschauung Goethes, dass 
die Welt der Erscheinungen und Ideen nie und nirgends zu 
Ende sei, sondern als ewig Werdendes fort- und fort¬ 
existiere. Die Worte des Mephisto: „Vorbei! ein dummes 
Wort. Warum vorbei?“ F. II, 11594, obwohl sie in ande¬ 
rem Zusammenhänge stehen, entsprechen Goethes eigener 
Abneigung gegen die Begriffe des Aufhörens und des 
Todes. „Das Leben hört nicht auf zu enjambieren.. 
An Knebel II, 246. Er liebte es daher auch, bei seinen 
Werken gelegentlich „Verzahnungen“ stehen zu lassen, 
wie besonders am Wilh. Meister: „es müssen Verzahnun¬ 
gen stehen bleiben, die, so gut wie der Plan selbst, auf 
eine weitere Fortsetzung deuten...“ An Schiller 12. Juli 
1796. Die Wanderjahre sind vollends ein Werk, das nach 
Inhalt und Form ins Unendliche ragt. Auch in der wissen¬ 
schaftlichen Arbeit gab es für Goethe kein Fertigsein, son¬ 
dern nur ein Weiterbauen, und so nennt er einige Nach¬ 
träge zur Farbenlehre, die 1822 erschienen, „Warte¬ 
steine“ 36, 559; das gleiche Bild begegnet in den Briefen an 



249 


Schultz, die diesen fachwissenschaftlichen Interessen 
parallel gehen: „ich denke, nach allen Seiten aus den 
Mauern Wartesteine genug hervorragen zu lassen, die für 
mich oder andere aufs Fernere deuten.“ Briefw. S. 243; 
ebenso S. 255. 

Das italienische „velociferi“, das in den 20er Jahren 
mit Bezug auf die neuen italienischen Schnellposten geläu¬ 
fig war, wandte Goethe seitdem wiederholt gleicherweise 
auf die Schnelllebigkeit der neueren Zeit an; Spr. 23, der 
sich mit dieser Erscheinung beschäftigt, schliesst: „Alles 
velociferisch“; von dem „velociferischen Jahrhundert“ ist 
mehreremal die Rede (Boiss. 2, 471; An H. Meyer G.-J. 
IV, 184). Der preussische Generalpostmeister Nagler, der 
zuerst jene Posten einführte, wird ein „Velocifercharak- 
ter“ genannt (Gespr. 5, 169), was heute um so komischer 
wirkt, als Nagler der heftigste Gegner der Eisenbahnen 
war (vgl. Loepers Anm. zu Spr. 23). In einem Briefe an 
Reinhard (S. 259) wird Kanzler Müller gelobt, „dass er 
einstimmig mit dem Genius der Zeit velociferisch zu ver¬ 
fahren geeignet ist.“ An Z. schreibt Goethe 1826: „Noch 
manches andere hatte ich vor, das aber bei dem velocife¬ 
rischen Leben seitwärts zurückblieb.“ Briefw. 4, 225. 

In diesen und anderen Fällen kann man die Tropen ge¬ 
nau in ihrer Entstehung beobachten; sie erfreuen sich oft 
nur eines kurzen Daseins, aber eine drei- oder vierfache 
Wiederholung genügt, um die starke Tendenz zur Typik 
des Ausdrucks oder den Übergang zum usuellen Stadium 
des Wandels zu illustrieren. In der Italienischen Reise 
z. B. sind solche Ansätze auf Schritt und Tritt zu verfol¬ 
gen: Goethe erzählt gleich zu Anfang (24, 98) einen Traum, 
den er etwa ein Jahr vorher in Weimar hatte, von einem 
Kahn voll von Fasanen, mit denen er irgendwo landet, 
in der freudigen Erwartung, den kostbaren Inhalt seines 
Kahnes mit den Freunden zu teilen: sogleich wird ihm die- 



250 


ser Fasanenkahn zum typischen Bild für die Fahrt nach 
Italien und die reichen Schätze, die er heimzubringen 
hofft: ich wünsche mir nichts, „als dass ich mit meinem | 
Fasanenkahn glücklich zu Hause landen ... möge..." 24, , 

113; „es ist denn doch, als wenn ich mein Fasanenschiff 
nirgends als bei Euch ausladen könnte. Möge es nur erst I 
recht stattlich geladen sein!“ 24, 212. — Nachdem Goethe 
die architektonischen Verrücktheiten des Palastes, den 
der Prinz Pallagonia bei Palermo hatte aufführen lassen, 
gesehen hat (24, 230ff.), wird ihm das Wort „pallago- 
nisch“ sogleich zum Tropus für alle ästhetischen Ver¬ 
zerrungen und „Fratzen“: am nächsten Tage kommen ihm 
die Spring- und Röhrenbrunnen des Klosters San Martin o 
„beinahe pallagonisch verschnörkelt und verziert“ vor 24, 
234; kurz darauf wird auf den „Pallagonischen Unsinn 
jenes Tages“ Bezug genommen 24, 239, und noch 1804 
wird das Gleichnis wieder lebendig in einer Rezension der | 
Dichtung „Athenor“ des Jesuiten v. Klein (29, 447) die¬ 
ser „gereimten Tollhausproduktion“ (An Schiller 9. Mai 
1802). — Zur Charakteristik einer italienischen Volks¬ 
menge in ihrem blöden Gaffen und ihrer „Dumpfheit“ be¬ 
dient sich Goethe mehrmals des Vergleichs mit den 
Vögeln des Aristophanes, was ihm infolge seiner eigenen 
Nachbildung dieser Komödie besonders naheliegen konnte. 

Er beobachtete in Italien überhaupt das Leben und Trei¬ 
ben des Volkes mit ganz anderem Auge wie in Deutsch¬ 
land, weil er in allem und jedem uralte typische Kultur¬ 
zustände zu erblicken glaubte, durch Jahrhunderte un¬ 
verfälscht bewahrt. Am stärksten wirkte der Anblick 
einer solchen Volksmasse auf ihn bei dem Abenteuer in ! 
Malcesine, als er beim Abzeichnen des alten Schlosstur¬ 
mes für einen Spion gehalten wurde und sich einem immer 
mehr anschwellenden Haufen gegenübersah. „Ich glaubt« 
das Chor der Vögel vor mir zu sehen, das ich als Treu- i 



251 


freund auf dem Ettersburger Theater oft zum Besten ge¬ 
habt." 24, 25. Das Komische dieser Scene und die Art, 
wie er den Podesta und die Menge abfertigte, kam ihm 
immer wieder in den Sinn („der gute Humor, womit ich 
meine Vögel abgefertigt hatte" 24, 36), besonders als er 
auf der Rückfahrt von Sicilien das gefährliche Seeaben¬ 
teuer bestand und abermals eine aufgeregte Volksmenge 
zu beruhigen hatte: „ich trat vor sie hin und redete ihnen 
zu mit ungefähr ebensoviel Gemütsruhe als den Vögeln 
von Malcesine." 24, 303. Wie er sich hier als Treufreund 
dem Chor gegenüberstellte, so erscheint ihm sein Ge¬ 
fährte in Sicilien, der ewig bleistiftspitzende Kniep, als 
„der wahre Hoffegut" 24, 239. Auch das deutsche Publi¬ 
kum nennt Goethe einmal in einem Briefe an Karl August 
die „Aves" (W. IV, 8, 25). 1 ) 

Die letzte Metapher gehört einer bestimmten Klasse 
an, die auf litterarischen Anspielungen beruhen und bei 
Goethe sehr zahlreich nachzuweisen sind. Riemer berich¬ 
tet, dass Goethe im Gespräch die Gewohnheit hatte, aus 
allen möglichen Sprachen und litterarischen Zusammen¬ 
hängen gewisse pointenhaltige Wendungen halb scherz¬ 
haft zu citieren, und oft nur die ersten Silben wie ein 
Stichwort anzuschlagen. (Gespr. 8, 171 ff.). „Junge 
Schauspielerinnen, die* ... neues und reiches Kostüm zu 
haben wünschten, ... imitierte er parodierend mit der 
Arie einer Aktrice aus den theatral. Abenteuern: „Atlas¬ 
kleider muss ich haben mit der schönsten Stickerei.. 
(Ebend. S. 379). Auch diese kleinen Züge vervollstän¬ 
digen das Gesamtgemälde und bezeugen, wie ungemein 
stark und lebendig die Richtung auf das Typische in 


Verwandt mit dieser Metapher ist die Anrede „o ihr Athenienser“ 
an das litterarische Publikum, die z. B. in den Briefen an Zelter wieder¬ 
holt begegnet (5, 183; 5, 292). 



Goethe ausgebildet war. Dieser Gattung gehören auch 
die im folgenden zu erwähnenden Tropen an, die auf Sub¬ 
stitution des Individuellen für das Generelle beruhen und 
daher genau genommen unter die Figur der Synekdoche j 
fallen. So wird die Figur des Hur onen in Voltaires Erzäh- 1 

lung „L’ingenu“ zum Typus der ungeheuchelten Natür¬ 
lichkeit und Naivität: der Naturdichter Hiller ist „eine 
Art von Hurone“ 29, 404 und in einem Briefe an Voigt 
stellt Goethe das „huronische Erstaunen“ der „wahren 
Betrachtung“ gegenüber (Briefe S. 280). Mit Vorliebe j 
hält sich Goethe selbst diese Maske vor: „ich behielt etwas 
von der Ingenuität des Voltaireschen Huronen noch im 
späteren Alter, so dass ich zugleich unerträglich und liebens¬ 
würdig sein konnte.“ 25, 131; schon in der Frankfurter j 
Zeit wird er „als Hurone Voltaires“ eingeführt, 23, 14. ■ 

Sehr bezeichnend ist auch die Anwendung des Wortes auf | 
seine naturwüchsigen philosophischen Anschauungen und 
seine Abneigung gegen Schulen und Systeme: „die Redens¬ 
weise des guten alten Herrn (Reimarus) ist gerade die, 
die mich in meiner Jugend aus den philosophischen Schulen 
vertrieb und zu dem Huronischen Zustande hindrängte, 
in dem ich mich noch befinde.“ An Reinhard S. 7. 

Solche litterarische Einkleidungen benutzt Goethe | 
gern, um eine hervorstechende Eigentümlichkeit seines 
Wesens zu maskieren. Am bekanntesten ist die Merlin- 
Maske, als Symbol einer scheinbaren Abgestorbenheit, 
von der eine magische Wirkung ausgeht (s. oben S. 136) j 1 ) 
auch die Figur des Epimenides, des träumenden Sehers, 
dient ähnlichen Zwecken. Im Briefwechsel mit Frau v. 
Stein wird „der Weise Mambres“ aus Voltaires 1774 

J ) In diesen Zusammenhang gehört auch ein Gleichnis, das Goethe 
einmal im Jahre 1808 von sich braucht: „Manchmal komm ich mir vor 
wie eine magische Auster, über die seltsame Wellen hinweggehen. - 
W. IV, 20, 30. | 



253 


erschienenem Roman „Le Taureau blanc“ einigemal als 
Typus des Grüblers vorgeschoben (vgl. Briefw. I, 267; 
II, 33; II, 100). — Eine andere französische Romanfigur: 
„Maitre-Jacques“ aus Diderots „Jacques le fataliste 
et son maitre“ wird als Typus eines allseitigen Dieners 
und Factotums benutzt (An Karl August W. IV, 5, 349; 
8, 294; 306; 23, 168). — Wenn es sich um die Pflichten 
des Hausvaters handelt, der den Beutel immer aufthun 
muss, kommt sich Goethe „als erprobter Micio“ vor (der 
gutmütige Alte in den Adelphi des Terenz) W. IV, 21, 
40; 183. — Eine stehende Figur im spanischen Schau¬ 
spiel ist der „Grazioso“, der komische Diener und zu¬ 
gleich Vermittler; in letzterer Eigenschaft braucht Goethe 
die Maske verschiedene Mal, darunter auch mit Bezug 
auf sich selbst: (Über die „Campagne in Frankreich“) 
„In einer solchen Tragödie den Grazioso zu spielen, ist 
immer auch eine Rolle.“ An Zelter 3, 270. In dem Be¬ 
richt über die Angelegenheit Voss contra Stolberg, wird 
die Gräfin Agnes Stolberg eingeführt „als Engel, der das 
Unwesen besänftigt und als Grazioso die Tragödie mildert.“ 
Ann. 1030 (ebenso Ann. 1030h). In der Rezension über 
Johanna Schopenhauers „Gabriele“ heisst es: „der wunder¬ 
liche Vetter spielt den Grazioso in dieser Tragödie.“ 29, 
382. 

Die Vorstellung der absoluten Gleichheit und Zwil¬ 
lingsschaft kleidet Goethe gern in das Symbol „Menäch- 
men“ nach dem gleichnamigen Lustspiel des Plautus; 
Nachtreter Newtons und seiner Lehre heissen „Menäch- 
men“ An Knebel H, 65; eigentümlich wirkt das Adjektiv: 
„der menächmische Robinson“, Gatte der Übersetzerin 
Serbischer Dichtung Frl. v. Jacob (Talvj), An Knebel II, 
387. Andere Belege: DW. 21, 96; 18, 95 (Zwillingsmenäch- 
men); an Carlyle S. 22. — Bedeutsamer ist die Figur des 
„Heautontimorumenos“ (Selbstquäler) nach dem 



254 


gleichnamigen Lustspiel des Terenz (dieses nach Menan¬ 
der); sie dient Goethe als Symbol der pessimistischen 
Tendenz im Menschen überhaupt und in gewissen littera- 
rischen Strömungen, allgemein auch der elegischen, rück¬ 
wärtsblickenden Stimmung, die ihm als unfruchtbar und 
„peinlich" galt. Aus diesem Grunde warnte er immer wie¬ 
der vor einer falschen Auffassung des „Erkenne Dich 
selbst", vor einem in sich hineinbohrenden Grübeln anstatt 
des „gesunden Hineinblickens“ 34, 120. Gegen diese 
„Heautognosie unserer modernen Hypochondristen, Humo¬ 
risten und Heautontimorumenen" richtet sich Spr. 456, 
sowie die ZX. 3, 277, welche schliesst: 

Giebt’s denn einen modernen Poeten 

Ohne Heautontimorumenie? 

In DW. wird der Kriegsrat von Reineck, einer der einfluss¬ 
reichen Frankfurter, wegen seines menschenfeindlichen 
Wesens als ein „Heautontimorumenos" charakterisiert 
(20, 148; 318). 

Zu solchen litterarischen Symbolen gehören auch die 
aus den eigenen Schriften entnommenen: Goethe empfand 
den typischen Charakter seiner eigenen Dichtung so stark, 
dass er nicht selten zu den selbstgeschaffenen Symbolen 
griff und dadurch zugleich bewies, dass diese Gestalten 
nicht zufällig von aussen anempfunden waren, sondern 
eigenes Fleisch und Blut, und daher auch nach der künstle¬ 
rischen Verewigung noch in ihm weiterlebend. Aip natür¬ 
lichsten erscheint dies bei solchen Kardinaltypen wie 
Faust, Mephisto, Prometheus, Mignon u. s. w., aber auch 
die kleineren Produktionen sind losgelöste Erlebnisse. Der 
Zauberlehrling bleibt nach wie vor das Symbol einer 
unvorsichtigen Heraufbeschwörung von Kräften der Natur 
oder des Geistes; mit ihm wird der Vater verglichen, in 
dessen Haus sich eine Hochflut von Gästen und Fremden 



255 


ergoss, um das „literarische Meteor“ anzustaunen (22, 
199), ihm wird auch das unvorsichtige Mädchen zur Seite 
gestellt, das im naiven Bewusstsein ihrer Reize einen 
Schwarm von Verehrern anlockt, aus dem doch nur einer 
gewählt werden kann (23, 103). Orpheus „entsetzt sich, 
jenem Zauberlehrling ähnlich, vor der Menge von Tieren, 
die er herangezogen,“ 28, 282. In einem Briefe an Zelter 
heisst es: „Sodann bemerke, dass die von mir angerufene 
Weltliteratur auf mich wie auf den Zauberlehrling zum 
ersäufen zuströmt“ Briefw. V, 44. Den vielen Fragern 
und Auslegern seiner Gedichte gegenüber kommt sich 
Goethe gleichfalls wie der Zauberlehrling vor, wie er Zel¬ 
ter klagt, Briefw. 4, 424. 

Auch die chemische Gleichnisrede von den „Wahl¬ 
verwandtschaften“ lebte fort, nachdem sie in dem 
gleichnamigen Roman als Achse verwendet war. In den 
Annalen wird erzählt, wie die häuslichen musikalischen 
Unterhaltungen bei Goethe (die sogen. Hauskapelle) all¬ 
mählich ins Stocken gerieten, denn „es hatten sich ge¬ 
wisse Wahlverwandtschaften eingefunden, die mir sogleich 
gefährlich schienen, ohne dass ich ihren Einfluss hätte hin¬ 
dern können.“ Ann. 777. Die Erzählung seiner Bekannt¬ 
schaft mit der „schönen Mailänderin“ leitet Goethe mit 
der Bemerkung ein, dass bei heiterem ländlichen Aufent¬ 
halt und längerem Zusammensein sich leicht „die entschie¬ 
densten Wahlverwandtschaften“ hervorthun. 24, 423. In 
einem Briefe an Z. zählt Goethe einmal die verschiedenen 
Bedingungen und „refraktären Ingredienzien“ auf, von 
denen die Aufführung eines Theaterstückes abhängt. Erst 
bei öfterer Wiederholung vereinigen sich diese widerstre¬ 
benden Faktoren zu einem Ganzen: „da entstehen ... die 
zartesten Wahlverwandtschaften, welche jene abgeson¬ 
dert scheinenden Glieder auf die gefälligste Weise zu 
einem Ganzen verbinden.“ Briefw. n, 159. In D. u. IV. er- 



256 


klärt Goethe seine Geistesgemeinschaft mit Spinoza dar- i 
aus, „dass eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus | 
dem Entgegengesetzten folgen. Die alles ausgleichende 
Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem alles aufregenden 
Streben ... Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten i 
sich mit notwendiger Wahlverwandtschaft...“ 22, 168. 
Ganz allgemein wird das Bild einmal auf die verschiedenen 
Elemente angewendet, aus denen Welt und Leben über¬ 
haupt zusammengesetzt sind, und die „im Hin- und Wieder¬ 
wirken“ das Geschehen bilden. „Wer unterstünde sich, j 
den. Wert der Zufälligkeiten, der Anstösse, der Nachklänge 
zu bestimmen? Wer getraute sich, die Wahlverwandt¬ 
schaften zu würdigen?“ An Zelter VI, 225. 

Das zuletzt behandelte Gleichnis leitet hinüber zu 
einer anderen Gruppe typischer Metaphern, die auf Natur¬ 
erscheinungen zurückgehen, in denen der Dichter Sym- | 
bole der geistigen Welt erblickte. Es seien erwähnt: 

Meteor: „Kotzebue bleibt in der Theatergeschichte 
immer ein höchst bedeutendes Meteor.“ An Kne¬ 
bel H, 222. 1 

* „Lenz, als ein vorübergehendes Meteor, zog nur 
augenblicklich über den Horizont der deutschen i 
Litteratur hin und verschwand plötzlich, ohne im | 
Leben eine Spur zurückzulassen.“ DW. 22, 147. 

„Missfiel es nun dem jungen Autor keineswegs, als , 
ein litterarisches Meteor angestaunt zu werden...“ j 
DW. 22, 139. 

„Ich würde auch das glänzende Meteor (Byrons 
Marino Falieri) auf die Scene bringen.“ An Rein- I 
hard S. 285. 

„Meteore des litterarischen Himmels“ 34, 84 (Titel des 
bekannten Aufsatzes, in welchem die Frage der 
Priorität und des Plagiates als Erscheinungen der ! 
litterarischen Welt algehandelt werden.) i 



257 


„... nach Abzug dieser meteorisch Reisenden .. 
(der Grafen Stolberg nach der improvisierten 
Schweizerreise 1775) 23, 81. 

„Ich hörte nur etwas Meteorisches“ (über Paganinis 
Geigenspiel) ZBr. V, 305. Anderswo wird eine 
Stelle aus Lucrez „ein leuchtendes Meteor“ genannt, 
An Knebel II, 260. 

Spiegelung: (Die eigentümliche Entwicklung die¬ 
ses individuellen Tropus ist bereits oben S. 199 
dargelegt). 

Systole-Diastole: Unter diesem Bilde, dasderHerz- 
thätigkeit entnommen ist, stellte sich Goethe gern einen 
Fundamentalbegriff seiner Denkweise vor: den Begriff 
der Polarität oder des periodischen Wechsels, der 
zum Teil wohl zurückgeht auf die eigene Erfahrung eines 
periodischen Stimmungswechsels und eines „prägnanten 
Punktes“, worunter der Augenblick des Umschlags, ge- 
wissermassen die Peripetie, zu verstehen ist. 1 ) So er¬ 
scheint ihm das Wesen der Entwicklung als ein bestän¬ 
diges Umspringen, das sich je nach der Substanz in ver¬ 
schiedenen Wirkungen äussert: als Ausdehnung — Zu¬ 
sammenziehung, Wasserbejahung — Wasser Verneinung, 
Denken — Thun, Beschaulichkeit — Handeln, Ausatmen — 
Einatmen, Zerstreuung — Sammlung, Trennen — Verei¬ 
nen, Unendlichkeit — Spezifikation u. s. w. Unter Verweis 
auf Rieh. Meyers vortreffliche Darstellung dieses Prin¬ 
zips (Euphorion I, 33ff.; G.-J. 14, 186ff.) seien hier die 
Belege citiert, in denen die Polarität der Systole und Dia¬ 
stole metaphorisch verwendet wird. Der früheste Beleg 
scheint in der Farbenlehre zu stehen, und in jener Zeit 

*) Von Interesse ist in diesem Zusammenhang auch eine Äusserung 
Goethes gegenüber Jean Paul 1798, wonach Goethe für das Wort 
„Weltfortschreitung“ lieber einsetzen wollte „Umschreitung“ (Gespr. 
1, 192). 

Boucle, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 17 



258 


(1808—10) ist das Gleichnis überhaupt beliebt; die histo¬ 
rischen Studien mochten den Blick für den typischen 
Wechsel von Aktion und Reaktion geschärft haben. „So 
setzt das Einatmen schon das Ausatmen voraus und um¬ 
gekehrt, so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige 
Formel des Lebens...“ 35, 99. (Das Gleichnis des Ein- 
und Ausatmens ist ebenfalls sehr beliebt, vgl. 34, 44; 51; 
64; 143; 19, 82; 18, 265; 4, 10 u. ö.). „Aristoteles fasste 
jene geheimnisvolle Systole und Diastole, aus der sich 
alle Erscheinungen entwickeln, gleichfalls unter einer em¬ 
pirischen Form auf, ...“ 36, 142. „Nach dieser Systole 
(Periode der Concinnität“ 1750—70) war Goethe der Erste, 
der sich wieder diastolisierte im Götz ...“ Gespr. 2, 337. 
„Systole und Diastole der Weltgeister. Jene giebt die 
Spezifikation, diese das Unendliche.“ Gespr. 2, 211. 
„Unsere Kupferstecherei hat ihre Systole in den Alma¬ 
nachen und die Politik diastolisiert in Tages- und Monats¬ 
blättern.“ Boiss. II, 217. „Die Systole und Diastole des 
menschlichen Geistes war mir, wie ein zweites Atemholen, 
niemals getrennt, immer pulsierend.“ 34, 95. (Bei Lek¬ 
türe von Wolfs Prolegomena) „Da gewahrt ich denn, dass 
eine Systole und Diastole immerwährend in mir vorging.“ 
Ann. 1024. „Die grosse Schwierigkeit bei psychologischen 
Reflexionen ist, dass man immer das Innere und Äussere 
parallel oder vielmehr verflochten betrachten muss. Es 
ist immerfort Systole und Diastole ...“ Spr. 362. Ähn¬ 
lich wird 33, 133 die Idee als Diastole der Wirklichkeit 
als Systole gegenübergestellt. In Spr. 719 wird die Funk¬ 
tion der Netzhaut als Systole und Diastole aufgefasst 
und auf die Platonischen Ausdrücke Synkrisis — Diakri- 
sis hingewiesen (ebenso 35, 276), wie 36, 79 auf die franzö¬ 
sischen retrecir und developper; überall bildet der Begriff 
des Pulsierens die Einheit. Auch Arsis und Thesis, glei¬ 
cher und ungleicher Takt in der Rhythmik wird unter die- 



259 


sem Bild aufgefasst: „Alle organischen Bewegungen mani¬ 
festieren ßich durch Diastolen und Systolen.“ (In der 
Tabelle zur Tonlehre, ZBr. 4, 221 Beilage). Gelegentlich 
steht Systole geradezu für Beschränkung: „Unser Theater 
hat nun seine Systole ... glückt es aber, so wollen wir uns 
im nächsten Winter schon wieder diastolisierend erwei¬ 
sen.“ An Zelter n, 337. 

Kreislauf des Lebens. Unter diesem Schlagwort, 
das übrigens bei Goethe in dieser Fassung nicht vorkommt, 
lassen sich eine Reihe von Vorstellungen vereinigen, die 
alle auf den Grundbegriff der „rotierenden Monade“, der 
kreis- oder spiralförmigen Vollendung und Wiederholung 
auf höherer Stufe zurückgehen. Das Bild der Schlange, 
die sich selbst in den Schwanz beisst, obwohl von Goethe 
selten gebraucht, ist recht eigentlich das Symbol dieser 
kettenbildenden, kosmisch ordnenden Tendenz, die überall 
trachtet, Anfang und Ende zu „verknüpfen“, den „Ring 
zu schliessen“ und trotz des Einerlei der Wiederholung 
in dem Aufstieg zum „Höheren“, den „wiederholten Spie¬ 
gelungen“ Erbauung und Aufschwung zu suchen. 1 ) 

Am ausführlichsten ist die Überzeugung von der 
kreisförmigen Bahn alles Erdetreibens in einer 
Stelle der Annalen ausgesprochen, die einige der tiefsten 
Gedanken Goethes enthält über das Verhältnis zwischen 
Wissen und Erkennen, über die Unveränderlichkeit der 

x ) Ganz abgesehen ist hier von den unzähligen Fällen, in denen 
das Bild selbst mehr oder minder verblasst und, dem generellen Process 
folgend, fast zur abstrakten Vorstellung geworden ist, wie in den An¬ 
wendungen auf die Gemeinschaft der Gleichgesinnten gegenüber der 
Menge (vgL R. Meyer a. a. 0. S. 30), und auf das engere Arbeitsgebiet, 
den Kreis, mit den Worten des Prometheus, „den meine Wirksamkeit 
erfüllt'* (8. oben S. 110). Immerhin ist auch in solchen Fällen be¬ 
merkenswert, dass Goethe sich mit Worten wie „Schar“ oder „An¬ 
zahl“ nicht begnügt, sondern die Vorstellung einer geschlossenen 
Form und Ordnung auszuprägen sucht. 


17 * 



260 


geistigen Kräfte, bei aller Verschiedenheit des Bildungs¬ 
stoffes: „Wer dem Gange einer höheren Erkenntnis und 
Einsicht getreulich folgt, wird zu bemerken haben, dass 
Erfahrung und Wissen fortschreiten, ... dass jedoch das 
Denken und die eigentlichste Einsicht keineswegs in glei¬ 
cher Masse vollkommener wird, ... weil das Wissen unend¬ 
lich und jedem neugierig Umherstehenden zugänglich, das 
Überlegen, Denken und Verknüpfen aber innerhalb eines i 
gewissen Kreises der menschlichen Fähigkeiten einge¬ 
schlossen ist; dergestalt, dass das Erkennen der vorliegen¬ 
den Weltgegenstände vom Fixstern bis zum kleinsten 
lebendigen Lebepunkt immer deutlicher und ausführlicher 
werden kann, die wahre Einsicht in die Natur dieser Dinge 
jedoch in sich selbst gehindert ist, und dieses in dem 
Grade, dass nicht allein die Individuen, sondern ganze Jahr¬ 
hunderte vom Irrtum zur Wahrheit, von der Wahrheit zum i 
Irrtum sich in einem stetigen Kreise bewegen." Ann. 
430. Es wäre unrichtig, aus diesen Worten eine pessi¬ 
mistische Grundstimmung herauszulesen; vielmehr spricht 
sich darin die tiefwurzelnde Überzeugung Goethes von der 
Unerforschlichkeit der Urphänomene aus, die man stau¬ 
nend zu verehren habe, ohne ihr Wesen je ergründen zu 
können (Spr. 1019; Gespr. 7, 21). Sie bilden gewisser- 
massen das Centrum des Erfahrungskreises: so un- i 
endlich und mannigfaltig dieser auch sein mag, so bewegt 
er sich doch immer um den gleichen konstanten Mittel¬ 
punkt. 

Wie viel Gewicht Goethe gerade hinsichtlich des Gan¬ 
ges der Wissenschaften auf diese Anschauung legte, be- ; 
weist die Thatsache, dass er einige entsprechende Sätze 
unmittelbar an den Eingang der Geschichte der Farben- * 
lehre stellte: mag man sich den Entwicklungsgang der I 
Menschheit als Kreis oder Spiralbewegung vorstellen, „so 
kehrt sie doch immer wieder in jene Gegend, wo sie schon 

f 

1 



261 


einmal durchgegangen. Auf diesem Wege wiederholen 
sich alle wahren Ansichten und alle Irrtümer.“ 36, 3. 
Noch in den letzten „Bekenntnissen“ über seine geolo¬ 
gische Laufbahn (1830) kommt Goethe auf dies Alpha und 
Omega zurück und tröstet sich über seine isolierte Stel¬ 
lung gegenüber den herrschenden Theorien des Vulkanis¬ 
mus damit, dass auch dieser Irrtum in Pater Kirchers 
Pyrophylacium (1657) schon dagewesen sei und daher auch 
in seiner jetzigen Form früher oder später der Wahrheit 
weichen werde. 33, 471. Wie hier, geht auch die ZX., 
die dem gleichen Gegenstand gewidmet ist (2, 393), von 
demselben Bilde aus: 

Je mehr man kennt, je mehr man weiss, 

Erkennt man, Alles dreht im Kreis! ... 

Zahlreich sind kürzere Anspielungen auf das „immer 
kreis- und spiralartig wiederkehrende Erdetreiben (Z. III, 
86), die schliesslich in Stunden des Missmuts wohl eine 
kräftigere Form annehmen oder in typische Bilder über¬ 
gehen, wie das beliebte von dem Wälzen der Tonne: 

So wälz’ ich ohne Unterlass, 

Wie Sankt Diogenes mein Fass. 

Bald ist es Ernst, bald ist es Spass; 

Bald ist es Lieb, bald ist es Hass; 

Bald ist es dies, bald ist es das; 

Es ist ein Nichts und ist ein Was. 

So wälz’ ich ohne Unterlass, 

Wie Sankt Diogenes mein Fass. 2, 257. 

Aber auch hier tritt neben die mehr negative Seite 
der positive Gesichtspunkt, unter dem der Kreis zum 
Symbol des in sich geschlossenen, harmonischen Zu¬ 
standes wird. Was Mephisto als ewiges Einerlei, als wie- 
derkäuendes Nichts erscheint, ist dem freudig Strebenden 
und Geniessenden ewig willkommen als das Bleibende im 



— 262 — 

Wechsel, das zwar immer wiederkehrt, aber in immer 
gesteigerter Form, immer näher dem Punkt, Wo sich das 
Naturgeschehen zum Typus des Schönen vollendet. Geht 
doch Goethes ganzes Denken im Grunde darauf aus, alle j 
Erscheinungen als Typen, d. h. als geschlossene Kreise 
oder Ringe des Werdens und Wachsens aufzufassen! Er- I 
blickt er doch sein Ideal der Schönheit, das „Ewig-Schöne“, 
nur in der Verewigung jenes Augenblicks, in welchem der 
Typus alle in ihm ruhenden Kräfte zur höchstmöglichen, 
aber gemässen Wirksamkeit anspannt, in welchem sich 
die Blume zur Blüte, der Jüngling zum kräftigen Manne, 
der Gehalt zur formgelösten, sinnlich-sittlichen Einheit 
entfaltet! Vom kreisenden Kosmos bis zu dem „Ring der 
Kräfte“, in dem sich die Pflanzenmetamorphose vollendet, 
erscheint ihm alles Geschehen in ewig rotierender Bewe¬ 
gung, zu immer „reinerer Thätigkeit“ aufstrebend, 
kein atomistischer Kreislauf, sondern ein dynamisches 
Wachsen und Steigern ohne Ende. „Die entelechische 
Monade muss sich nur in rastloser Thätigkeit erhalten; 
wird ihr diese zur andern Natur, so kann es ihr in Ewig¬ 
keit nicht an Beschäftigung fehlen.“ „Wirken wir fort, 
bis wir vom Weltgeist berufen in den Äther zurückkehren! 
Möge dann der ewig Lebendige uns neue Thätigkeiten ... i 
nicht versagen!“ An Zelter IV, 278. 

In Italien ging Goethe das Ideal der harmonischen i 
Kräfteentfaltung auf; schon im Dezember 1786 schreibt er ; 
an die Herzogin Luise: „Das geringste Produkt der Natur 
hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich ... ich bin 
sicher, dass innerhalb eines kleinen Zirkels eine ganze 
wahre Existenz beschlossen ist.“ W. IV, 8, 97. Als er 
die Wandlung seiner künstlerischen Anschauungen voll¬ 
zogen und die „Epoche geründet“ sieht, schreibt er begei- ; 
stert: „Ich fühle, dass sich die Summe meiner Kräfte zu- 
sammenschliesst.“ 24, 385. Und in dem glänzenden Hym- 





263 


nus auf die Steigerung des Menschen über sich selbst 
hinaus zur Hervorbringung des Kunstwerks wird dieses 
dem Menschen als sein zweites, höheres, beseeltes Ich 
gegenübergestellt: „es erhebt... den Menschen über sich 
selbst, schliesst seinen Lebens- und Thatenkreis ab und 
vergöttert ihn für die Gegenwart, in der das Vergangene 
und Künftige begriffen ist." 28, 203. 


Metonymisch ist die stereotype Verwendung des Aus¬ 
drucks „D ä m o n e n", im Altersstil. Es ist der feste Glaube 
an das Gesetz der Notwendigkeit in der moralischen 
Weltordnung, der „rückwärts gewandte Fatalismus", 
wie H. Grimm es treffend nennt (Vorlesungen über Goethe 
S. 227), der den gegebenen Namen der antiken Gottheit 
als willkommene Personifizierung benutzt, aber unter 
wesentlicher Erweiterung im Sinne Spinozas. „Dir kannst 
Du nicht entfliehen" ist die strenge Mahnung des Daimon, 
den Goethe selbst in seinem Kommentar der orphischen 
Urworte definiert als „die notwendige, bei der Geburt un¬ 
mittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der 
Person..." 2, 242. So bedient sich Goethe gern bei Ge¬ 
legenheiten, wo die generelle Formel lauten würde „so 
Gott will", der Anrufung an die Dämonen in Wendungen 
wie: „wenn die Dämonen gestatten" oder „wie es Götter 
und Dämonen vergönnen“. Wo immer unvorhergesehene 
Ereignisse und Hindernisse sich in den Weg stellen, wird 
das „Unerforschliche“ schweigend anerkannt in Gestalt 
der Dämonen, die „einige Gesichter geschnitten hatten. 
Ich that aber nicht dergleichen, und so ging es vorüber.“ 
(An Boiss. 2, 68.) So bescheidet er sich auch gegenüber 
A. v. Humboldt „da ich von den Dämonen öfters hin- und 
wiedergeführt werde, und manches Gute durchzusetzen 



264 


mir immer nicht gelingt.“ (16. Mai 1821.) Dennoch mag 
sich Goethe selten so dem launischen Walten der Dämonen 
gefügt haben, wie bei jenem denkwürdigen Achsenbruche 
am 20. Juli 1816, als er sich zum dritten Fluge an den , 
Khein gerüstet hatte. Er hatte gerade damals den äusser- 
sten Punkt der Hegire, der Flucht nach dem Orient, er¬ 
reicht, und sicher war es das Versenken in den mahome- 
tanischen Geist der Gottergebenheit, das ihn zu uner¬ 
schütterlichem Gehorsam den Dämonen gegenüber be¬ 
stimmt. Auf alle Bitten Boisserees bleibt er taub, fügt 
sich der Notwendigkeit und schöpft vielmehr daraus die 
Hoffnung, dass „das daraus Erfolgende heilsam werden 
möge, da es ein Geschehenes ist, welches man immer als 
eine Gottheit verehren muss.“ (Boiss. 2, 126.) 

Noch mehrere Jahre später gedenkt er dieses Vor¬ 
falles als eines, der gewissennassen „Epoche machte“, 
indem er seitdem nicht gern weitausschauenden Reiseplä¬ 
nen nachhing: „seitdem die Dämonen auf eine so unartige 
Weise meinen raschen Flug zu Ihnen unterbrochen, bin ich 
mehr als je gewohnt, den Tag walten zu lassen.“ 
(Boiss. 2, 245; 18. Juni 1819.) 1 ) — Je älter Goethe wurde, 
desto mehr sah er das Walten der Dämonen in seinem 
Lebensgange; er sah es in dem Verhältnis zu Lili (Gespr. 7, 
236; 23, 103); in dem Missgeschick Cornelias, bei bevor¬ 
stehenden Festlichkeiten gewöhnlich von einem Ausschlag 
betroffen zu werden (Gespr. 8, 67; 23, 59); in der Anknü- 


*) Im Briefwechsel mit Boisseree begegnet die Berufung auf die 
Dämonen besonders häufig, und es ist bemerkenswert, dass dieser Freund 
Goethes, wie mehrere andere Wendungen, auch das „Dämonische“ auf- 
nimrat und ganz in Goethes Sinne verwendet „Die Dämonen haben mich 
arg gefasst gehabt“, II, 190 (1817); er sieht „ein furchtbar dämonisches 
Wesen“ in Byrons Gedanken, II, 225 (1818), ganz wie Goethe seiest 
sich noch 1831 gegenüber Eckermann äussert: „Auch in Byron mag 
das Dämonische in hohem Grade wirksam gewesen sein“. Gespr. 8, 42. 



265 


pfung mit Schiller gerade in dem Zeitpunkte, in dem sie 
erfolgte (Gespr. 7, 38); in dem Aufenthalt in Dornburg 
1828 („gleichsam dämonisch angewiesen“ an Soret S. 55): 
— „Dämonen, weiss ich, wird man schwerlich los.“ F. II, 
11490. 

Die tiefsinnige Betrachtung im letzten Buch von DW. 
über das Dämonische zeigt, dass Goethe darin ein Ur- 
phänomen sah, ein Unfassbares, das nicht in seinem 
Wesen zu ergründen, sondern nur an seinen Wirkungen zu 
erkennen sei. Es äussert sich aber nicht nur als eine von 
aussen wirkende Macht, wie in den bisher angeführten 
Fällen, sondern auch als eine Eigenschaft bestimmter Per¬ 
sönlichkeiten. Bei diesem Aktiv-Dämonischen ist 
mehr an das im Menschen liegende Schicksal gedacht, an 
das Individuellste, das sich nicht weiter zerlegen lässt. 
Es äussert sich vorzugsweise durch eine unerklärliche 
Anziehungskraft, und wo immer Goethe dieses Phänomen 
beobachtete, „flüchtete er sich“ gern hinter dieses Bild. 
Als dämonische Naturen werden von ihm bezeichnet: Napo¬ 
leon, Karl August, Paganini (Gespr. 8, 37), Friedrich 
d. Gr., Byron (Gespr. 8, 42), Egmont (23, 101). Obwohl 
er die Eigenschaft des Aktiv-Dämonischen für sich ab¬ 
lehnte (Gespr. 8, 37), sprechen alle Zeugnisse dafür, dass 
er sie ebenfalls in hohem Masse besass. (Zur Sache vgl. 
Danzels Spinozismus S. 90.) 

Auf die Unzahl von Fällen, in denen wissenschaftliche 
oder vielmehr Naturanschauungen ein- oder zweimal zu 
Gleichnissen verwendet werden, kann hier nicht einge¬ 
gangen werden, da es sich an dieser Stelle nur um typische 
Vorstellungen und Prägnanzen handelt. Es sei nur noch 
ein Wort berührt, das vereinzelt auch bei anderen Schrift¬ 
stellern vorkommt, aber doch wegen seiner Häufigkeit 
bei Goethe als Idiotismus zu bezeichnen ist: der Ausdruck: 
„gewältigen“ für „bewältigen“. Letztere Form kommt 



ebenfalls vor, aber er scheint das Präfix „ge-“ vorzuziehen, 
und man darf in dieser Vorliebe wohl eine Anlehnung an 
den bergmännischen Terminus sehen, der ihm als solcher 
sehr geläufig war (vgl. z. B. „Die Wasser waren leicht zu 
gewältigen“ Bergbau zu Ilmenau 27. 2, 23) und von da 
übertragen wurde auf die geistige Thätigkeit (Auch Dün- 
tzer und Strehlke sprechen diese Ansicht aus; vgl. Pan¬ 
dora 10, 346, Anm. 4): 

„... die grenzenlose Bemühung, dieses schrecklichste 
aller Ereignisse (franz. Revolution) ... dichterisch 
zu gewältigen“ Ann. 1133 k. 

„Die Form (von Hackerts Biographie) blieb schwer 
zu gewältigen“ Ann. 766; u. ö. 

Zu dieser Annahme ist man um so mehr berechtigt, als 
Goethe selbst in dem bekannten Briefe an Riemer über 
Sprachpurismus u. s. w. (30. Juni 1813), auch auf die 
Quelle aufmerksam macht* aus der sich Worte ableiten 
lassen zur wahrhaften „Bereicherung der Sprache“, einem 
„affirmativen Purismus“: „Man trifft sie häufig an in den 
eigentümlichen Sprachen der Gewerbe und Handwerke, 
weil die natürlichen Menschen ... bei lebhaftem sinn¬ 
lichen Anschauen an einem Gegenstände viel Eigenschaften 
auf einmal entdecken, und da sie kaum in einem Begriff zu¬ 
sammenzufassen sind, ... so gewinnen sie dem ganzen 
etwas Bildliches ab, und das Wort wird meistenteils meta¬ 
phorisch und also auch fruchtbar, so dass man ... gar 
wohl andere Redeteile davon ableiten kann...“ (W. IV, 
23, 376). 


6. Sprachtheoretisches aus Goethes Werken 

„Da die Sprache das Organ gewesen, wodurch ich 
mich während meines Lebens am meisten und liebsten den 



267 


Mitlebenden mitteilte, so musste ich darüber, besonders 
in späteren Zeiten, reflektieren, und hierbei hat mir’s nie¬ 
mals an trefflichen Freunden gefehlt, die, zu Forschern 
in diesem Fache berufen, grossen und anhaltenden Fleiss 
darauf verwendeten." So schreibt Goethe 1816 an 
Staatsrat Schultz (Briefw. S. 140), und diese Erklärung 
entspricht durchaus den thatsächlichen Verhältnissen. Er 
hat über die Sprache in späteren Jahren reflektiert, aber 
nirgends in zusammenhängender Weise, sondern rein apho¬ 
ristisch und über solche Punkte, die, meist aus äusserem 
Anlasse, sein besonderes Interesse erregten. In allen phi¬ 
lologischen Fragen dagegen, insbesondere hinsichtlich der 
Redaktion seiner eigenen Schriften hat er sich auf ge¬ 
lehrte Freunde und Fachmänner verlassen, unter denen 
bekanntlich Riemer und Eckermann ihm die Hauptdienste 
zu leisten berufen waren. 

Wenn im folgenden die wichtigsten Äusserungen Goe¬ 
thes über sprachliche Probleme zusammengestellt werden, 
so ist damit selbstverständlich keine Darstellung von Goe¬ 
thes Bedeutung in der Geschichte der deutschen Schrift¬ 
sprache beabsichtigt. Es muss aber in einer Studie über 
die typischen sprachlichen Ausdrucksmittel Goethes von 
besonderem Interesse sein, die authentischen Zeugnisse 
zu sammeln, in denen der Dichter seine eigenen Ansichten 
niedergelegt hat, denn je mehr sich auch in theoretischer 
Hinsicht solche Anschauungen nachweisen lassen, die der 
Praxis entsprechen, desto inniger verwächst auch in die¬ 
ser Hinsicht der ganze Organismus zu einer höheren Ein¬ 
heit. Von diesem Gesichtspunkte erscheint es um so be¬ 
deutungsvoller, — um das Resultat unserer Untersuchung 
kurz vorwegzunehmen —, dass die. verhältnismässig weni¬ 
gen sprachtheoretischen Betrachtungen Goethes sich fast 
ausschliesslich mit dem geistigen Gehalt der Worte, ins¬ 
besondere mit dem Verhältnis zwischen Wort und 



Begriff beschäftigen. Ein Blick auf die sprachtheore- 
tischen Probleme, die jene Zeit bewegten, lehrt die Be¬ 
deutung dieser Thatsache erst vollständig würdigen. 

Seitdem die Schweizer zuerst Gottsched den Fehde¬ 
handschuh hinwarfen, sinnliche Kraft, „Machtwörter“ 
statt saftloser Abstrakta verlangten, Sprachgebrauch 
gegen Sprachrichtigkeit setzten, und für das individuelle 
Recht des poetischen Genies gegenüber der schulmeister¬ 
lichen Schablone und Nivellierung eintraten, war das Pro¬ 
blem des Unterschiedes zwischen dem poetischen und pro¬ 
saischen Stil in den Mittelpunkt gerückt. Klopstock 
wandte ihm sein Interesse zu, obwohl seine theoretischen 
Auslassungen an Bedeutung und Einfluss verschwinden 
gegenüber seiner That; Lessing löste die Frage, indem 
er unbedingte Freiheit und Benutzung aller sprachbele- 
benden Quellen verlangte; vor allem aber war es Herder, 
um andere zu übergehen, der die Forderungen der Schwei¬ 
zer aufs leidenschaftlichste verfocht und selbst in den 
tiefsten Schacht der Volksseele hinabstieg. — Neben die¬ 
sem Problem war es das des Ursprungs der Sprache, das 
alle Gemüter bewegte und durch Herder zuerst von der 
rationalistischen Basis auf eine historische übertragen 
wurde. Daneben waren die Fragen über die Zulassung 
der Volksdialekte und Idiotismen in die Schriftsprache 
viel erörtert, während Lessing zugleich auf rein philolo¬ 
gischem Gebiete thätig war und sogar systematische 
Sammlungen und Vorarbeiten zu einem deutschen Wörter¬ 
buche begann. 

An allen solchen Bestrebungen nahm Goethe keinen 
Anteil; der geschichtliche Rückblick im 7. Buch von DW. 
zeigt, dass diese Kämpfe für ihn abgethan waren, dass 
ihre Resultate für ihn als Voraussetzungen galten, auf 
denen er als einer natürlichen gegebenen Grundlage weiter¬ 
baute. Die philologische Seite Hess ihn vollends gleich- 



269 


mütig; „eine grammatische Ader“ fühlte er nicht in sich 
(An W. v. Humboldt S. 57), und äussere Korrektheit der 
Diktion war ihm mehr eine angeborene Gabe als ein ge¬ 
wissenhaft zu erstrebendes Ziel. Nur scheinbar bilden die 
sorgfältigen metrischen Studien der 90 er Jahre eine Aus¬ 
nahme; es war weniger die Vervollkommnung der deut¬ 
schen Verskunst an sich, an der ihm gelegen war, oder 
Interesse an metrischen Fragen, als vielmehr das intensive 
Erleben des antiken Geistes und die Beherrschung seiner 
Formen, wie es dem „Meister“ ziemt, und wie es Voss ihm 
zuvorgethan. Dass dieses Nachleben der Antike und die 
zwangsweise Anpassung ihrer „weiten Falten“ an den 
deutschen Sprachkörper gerade im Gegenteil einen Rück¬ 
schritt bedeutete, und eine Versündigung an dem Geiste 
der deutschen Sprache und Verskunst, hat Viktor Hehn 
(Gedanken über Goethe S. 333 ff.) mit Nachdruck betont 
und nachgewiesen. Hehns Erklärung: „beide Dichter 
(Goethe und Schiller) waren keine eigentlichen Techniker, 
... sie behandelten die metrische Form sorglos, diese 
gleichsam von innen, aus dem Inhalt selbst hervorbildend“ 
(S. 345) — wird bestätigt durch die Praxis des jungen 
Goethe und die Theorie des alten, insofern als der letztere 
zwar aus natürlichen Gründen die Übertreibungen der 
Geniezeit vermied, aber zu gelegener Stunde nach Ecker¬ 
manns Bericht das kräftige Wort sprach: „Wäre ich noch 
jung und verwegen genug, so würde ich absichtlich gegen 
alle solche technische Grillen verstossen, ich würde Alli¬ 
terationen, Assonanzen und falsche Reime, alles gebrau¬ 
chen, wie es mir käme und bequem wäre ...“ Gespr. 8, 6. 

Nur in wenigen Fällen ist ein exakteres Eingehen auf 
einzelne Fragen nachweisbar, obwohl fast immer aus 
irgend einem äusseren Anlass. Goethes beständige Ge¬ 
wohnheit des Diktierens gab ihm Gelegenheit zu Beob¬ 
achtungen über „Hör-, Schreib- und Druckfehler“, 



270 


wie der Aufsatz 29, 255 ff. betitelt ist. In der beigefüg¬ 
ten Liste von Beispielen sind besonders zwei Worte von 
Interesse als Beweis, dass Goethes Aussprache, wie längst 
bekannt, dialektisch war: in dem Wort „Löwengrube“ 
klang der Umlaut in Goethes Mund so wenig gerundet, 
dass der Schreiber „Lehmgrube“ verstand, und „Tugend¬ 
freund“ wurde infolge der spirantischen Aussprache von 
Goethe zu „Kuchenfreund“. Letzterer Fall ist besonders 
interessant, weil man daraus einen Einfluss der Weimarer 
Aussprache auf Goethe abnehmen könnte, denn im Frank¬ 
furter Dialekt ist das g in dieser Stellung Verschlusslaut. 
Andererseits darf nicht vergessen werden, dass die Schrei¬ 
ber meist ungebildet waren, und dass das mechanische 
Nachschreiben leicht zu Substitutionen verleiten kann, 
denn, wie Goethe selbst in diesem Aufsatze sagt: „Nie¬ 
mand hört, als was er weiss.“ — Einen anderen Anlass, 
sich mit Problemen der Aussprache zu beschäftigen, bot 
der Unterricht, den Goethe Schauspielern erteilte. Ein 
Gespräch mit Eckermann vom 5. Mai 1824 handelt aus¬ 
schliesslich von den ergötzlichen Missverständnissen, die 
aus Verwechslungen des „harten“ und des „weichen“ b 
oder d, und aus der mangelhaften Wiedergabe des Um¬ 
lauts entstehen (Gespr. 5, 76 ff.). Auch Genast berichtet 
von Goethes Bemühungen in dieser Hinsicht, wie z. B. von 
der sorgfältigen Schattierung der verschiedenen Inter¬ 
punktionen, die Goethe in den Leseproben verlangte (Gespr. 
8, 311). Man sieht aber, dass Ansätze zu wirklicher Phone¬ 
tik nirgends vorliegen. 

Von weiteren Betrachtungen ist noch die über die 
verschiedenen Sprachstile zu erwähnen, Gespr. 5, 64; 
die hier berichtete Äusserung Goethes, dass den Deut¬ 
schen die philosophische Spekulation hinderlich sei, „die 
in ihren Stil oft ein unsinnliches, unfassliches, breites und 
aufdröselndes Wesen hineinbringt,“ — ist heute eine an- 



271 


erkannte Thatsache. Sie findet eine Ergänzung in der 
Klage Goethes gegenüber einigen Amerikanern, dass die 
ungenügende Pflege der Redekunst und der Mangel an 
öffentlichen Debatten Schuld trage an dem schwerfälligen 
Periodenbau (Gespr. 3, 271). Wiederholt hat Goethe den 
weitgehenden Einfluss Wielands in stilistischer Hinsicht 
gepriesen: „das südliche Deutschland, besonders Wien, 
sind ihm ihre poetische und prosaische Kultur schuldig,“ 
Ann. 83 (ähnlich Gespr. 5, 135). 1 ) — Ganz isoliert steht 
die sprachphilosophische Betrachtung in Spr. 218: „Die 
Verwechslung eines Konsonanten mit dem andern möchte 
wohl aus Unfähigkeit des Organs, die Verwandlung der 
Vokale in Diphthongen aus einem eingebildeten Pathos 
entstehen.“ 

Diesen vereinzelten Notizen und Äusserungen steht 
eine grosse Anzahl von Bemerkungen gegenüber, die zwar 
auch aphoristischer Natur sind, aber eine innere Einheit 
bilden, denn sie lassen sich alle auf das Thema zurück¬ 
führen, das vor allen anderen Goethes Interesse in An¬ 
spruch nahm: das Problem der Ausdrucksfähigkeit 
der Sprache, und das Verhältnis zwischen Wort und Be¬ 
griff: „Nicht die Sprache an und für sich ist richtig, tüch¬ 
tig, zierlich, sondern der Geist ist es, der sich darin ver¬ 
körpert ...“ Spr. 951. Die Gründe für Goethes Interesse 
an solchen Fragen sind innerer und äusserer Art. Eines¬ 
teils war es das innere Verlangen, für den Begriff die adä¬ 
quate Wertung, den „gehörigen“ Ausdruck zu finden und 


Die Behauptung Goethes verdiente eine nähere Untersuchung; 
soweit wir bis jetzt unterrichtet sind, war es in erster Linie Gott¬ 
sched, der sich in Wien seit 1750 allmählich Ansehen verschaffte und 
den Anschluss an die mitteldeutsche Spracheinheit vorbereitete. (Vgl. 
E. Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen Bildungsleben, Lpz. 1805. 
I. 32 ff; G. Waniek, Gottsched und die deutsche Litteratur seiner Zeit 
S. 548 ft) 



272 


die Ebenbilder seiner Ideen plastisch zu gestalten. Es ist 
der gleiche Grund, der ihn in Wirklichkeit zum Meister der 
Sprache macht* der ihn befähigte, abgenutzte Worte neu 
zu prägen, eine Anzahl von Worten zu Trägern typischer 
Vorstellungen zu machen und den groben Schall zu ver¬ 
geistigen, von der greifbarsten Prägnanz bis zum leisesten 
Anhauch individueller Belebung. Negativ äussert sich 
dieser Trieb zu sprachlicher Plastik in der Abscheu vor 
Worten, die keine feste, begrenzte Vorstellung in ihm aus- 
lösen, die er gewissermassen nicht tasten kann. Die höh¬ 
nische Lobrede Mephistos auf den Wert der Worte, die den 
Mangel an Begriffen so geschickt verdecken, entsprach 
gewiss Goethes eigener Empfindung gegenüber dem öden 
Wortkram, den er im wissenschaftlichen Betriebe so viel¬ 
fach beobachtete. Wie freut er sich, als ihm die Insel¬ 
stadt Venedig „Gott sei Dank, kein blosses Wort mehr ist, 
kein hohler Name, der mich so oft, mich, den Todfeind von 
Wortschällen, geängstigt hat.“ 24, 56. „Wie glücklich 
bin ich,“ schreibt er aus Rom, in Erinnerung einer Debatte 
über die jeweiligen Vorzüge der grossen Klassiker der 
Renaissance, „dass nun alle diese Namen aufhören, Namen 
zu sein, und lebendige Begriffe des Wertes dieser treff¬ 
lichen Menschen nach und nach vollständig werden.“ 24, 
371. 

Die äusseren Anlässe, die Goethes Aufmerksamkeit 
auf die Bedeutungsfrage lenkten, sind ebenfalls nicht zu 
unterschätzen, wie denn im Grunde alle seine theoretischen 
Betrachtungen zunächst weniger um des Theorems als um 
der praktischen Anwendung willen angestellt werden und 
auf Erfahrung und Einzelfall beruhen. Man geht wohl 
nicht fehl, wenn man seine Studien zur Farbenlehre als den 
Ausgangspunkt der Reflexionen über den Wert des Wortes 
ansieht. Die unvergleichlich schönen und tiefen Betrach¬ 
tungen in der dritten Abteilung der Geschichte der Farben- 



273 


lehre bestehen zum grossen Teil in einer Kritik der Be¬ 
griffe „Autorität“ und „Überlieferung“, mit Rücksicht 
auf den Entwicklungsgang der Wissenschaften: wenn die 
Geschichte des menschlichen Wissens zum grossen Teil 
eine Geschichte der menschlichen Irrtümer ist, so liegt der 
Grund in der missverstandenen Überlieferung, d. h. in dem 
blinden Glauben an das Wort statt der selbständigen For¬ 
schung im Geist. Wie Goethe diese Anschauung von den 
Folgen der falschen Worterklärung im einzelnen ent¬ 
wickelte und auf andere Wissensgebiete ausdehnte, ist 
weiter unten aufzuzeigen. 

Es ergiebt sich also, dass Goethe die Sprache unter 
einem doppelten Gesichtspunkte betrachtete: der schaf¬ 
fende Künstler erblickte in ihr das Material, dem er seine 
Gedanken einhauchte und in dessen Behandlung er es zur 
Meisterschaft gebracht hatte; der denkende Forscher sah 
darin ein ungenügendes Werkzeug, um die Begriffe exakt 
wiederzugeben, ein mephistophelisches Element, das ge¬ 
treulich half, die Irrtümer der Menschheit wie eine ewige 
Krankheit fortzupflanzen. Auch hier kommt die Dop¬ 
pelnatur Goethes zum Vorschein: Mephisto, dem Faust 
über die Schulter blickend, Bejahung und Verneinung in 
einer Person. Innerhalb eines kurzen Zeitraums (1809 
bis 1811) folgen sich Äusserungen, die aus ganz entgegen¬ 
gesetzter Stimmung hervorgehen: er möchte das eine Mal 
die Sprache ganz abgeschafft wissen: „Wir sprechen über¬ 
haupt zu viel. Wir sollten weniger sprechen und mehr 
zeichnen. Ich meinerseits möchte mir das Reden ganz 
abgewohnen und wie die bildende Natur in lauter Zeich¬ 
nungen fortsprechen ...“ Gespr. 2, 261; das andere Mal 
wird sie über alle anderen Künste gesetzt: „Sprache ist 
ja auch eine Kunst, eine Poesie, d. h. eine Darstellung, 
und umfassender als alle übrigen Künste. Sie involviert 
das Ideelle, Abstrakte der Plastik, das Mannigfaltige, 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 18 



274 


Sinnliche der Malerei, das Anregende, Andeutende der 
Musik ... Sie erhebt sich aber über alle diese Künste, ob 
sie ihnen gleich im Einzelnen nachstehen muss, dadurch, 
dass sie diese Künste selbst erst zu etwas macht und sie 
durch Ideen, deren sie allein fähig ist» zu etwas erhebt, 
d. h. zu Stil, Geschmack etc., denn sonst würden alle diese 
Künste nur rohe Nachahmung der Natur bleiben.“ In 
dem bekannten venetianischen Epigramm (2, 143) wird 
die deutsche Sprache als der „schlechteste Stoff“ ge¬ 
schmäht, in dem der unglückliche Dichter Leben und 
Kunst verderbe; 1 ) hinwieder weiss er anderswo die 
menschliche Rede nicht genug zu rühmen und setzt sie 
über den Gesang: „Das Verdienst der schönen mensch- 


*) Obwohl die Debatte über die Frage, ob in diesem Epigramm 
unter „Stoff“ die Sprache oder der dargestellte Gegenstand zu ver¬ 
stehen sei, längst zu Gunsten der ersten Interpretation erledigt ist 
(vgl. Loeper, Goethes Gedichte, 2. Ausg. 1, 444 ff.), möge darauf hin¬ 
gewiesen werden, dass auch der ganze Zusammenhang unserer Dar¬ 
legungen diese scheinbar widersinnige Schmähung der eigenen Sprache, 
in der er im Divan „Paradiesesworte stammelt“ 4, 219, als das natür¬ 
liche Erzeugnis einer Durchgangsstimmung erscheinen lässt. Die „Pano- 
ramic-Ability“, die ihm Carlyle zuschrieb, erklärt solche Widersprüche 
als Verschiebungen des Gesichtsfeldes, ohne dass sich das Gesamtbild 
selbst verändert hat. Es sind Pendelschwingungen, die wohl gelegent¬ 
lich ins Extreme geraten, aber bald wieder in die vorgeschriebene 
Bahn zurückkehren: Manifestationen des in ihm selbst wirksamen Ge¬ 
setzes der Polarität. Stellt man die Extreme schroff nebeneinander 
so gewähren sie den Eindruck eines unversöhnlichen Oxymoron, aber 
zwischen ihnen liegt die ganze Folge der Vermittlungsstadien, die von 
beiden Seiten nach dem Mittelpunkt weisen und ineinander übergehen. 
Goethes Vorliebe für das Oxymoron, die schon oben S. 50 berührt 
wurde, findet auch von dieser Seite her ihre psychologische Erklärung; 
es war keine rhetorische Figur bei ihm, sondern eine Äusserung seines 
Vermögens, doppelt zu sehen, „das Entgegengesetzte zu überschauen“ 
18, 86, und seines Verlangens, das Geschaute in möglichst gedrungener 
Form wiederzugeben. 



liehen Rede ... übertrifft weit das des Gesanges. Es 
ist ihm nicht zu vergleichen ... Ja, der Gesang selbst muss 
auf die simple Sprache zurückkehren, wenn er höchst be¬ 
deutungsvoll und rührend werden soll...“ Gespr. 2,315. 

Zwischen diesen Extremen liegt die einfache, gesunde 
Freude an der sinnlichen Kraft und der Bildsamkeit der 
Sprache. Höchst charakteristisch für Goethe ist eine 
Antwort, die er jemandem erteilte mit Bezug auf öhlen- 
schlägers mangelhaftes, mit Dänismen untermischtes 
Deutsch. Auf die Bemerkung, dass es kein Vergnügen sei, 
die deutsche Sprache von dem Dänen so radebrechen zu 
hören, erwiderte Goethe „mit imposantem Gefühl“: „Und 
ich mag die deutsche Sprache sehr gern in einem poe¬ 
tischen Gemüte entstehen sehen.“ Gespr. 2, 29. Er be¬ 
wundert Luthers Bibelübersetzung Gespr. 3, 90 und zwar 
mit der bemerkenswerten Eir schränkung r „Nur das Zarte 
unterstehe ich mich hin und wieder besser zu machen.“ 
Sein Verlangen nach einer „gegenständlichen“, tüchtigen 
Rede erklärt auch die Abneigung gegen Flick- und Schalt¬ 
wörter, über die er sich in einigen kleineren Artikeln 29, 
253 ff. ausspricht: „Je mehr von Jugend auf das Gefühl 
bei mir wuchs, dass man schweigen solle, wenn man nichts 
zu sagen hat, ... desto mehr bemerkte ich, dass man aus 
natürlicher Fahrlässigkeit immer noch gewisse Flick- und 
Schaltwörter behaglich einschiebt, um eine sonst tüchtige 
und wirksame Rede, ... zu erlängen“ 29, 254. Es ist der 
Widerwille gegen alles „Halbe“, der hier zu Grunde liegt, 
und gerade die deutsche Sprache neigt unzweifelhaft zu 
unnützen Einschiebseln aller Art, die einer kräftigen, sinn¬ 
lichen Wirkung im Wege stehen. Da die Rede aber „die 
Sinne und das innere Vorstellungsvermögen vertreten 
muss, so muss sie auch zu diesen reden und der Ausdruck 
sinnlich und repräsentativ sein.“ Gespr. 2, 347. An Lord 
Byron lobt Goethe daher die stählerne Härte und Wucht 



276 


des Stiles: „Es sind keine Flickwörter im Gedichte.“ 
Gespr. 7, 108. 

Die Anwendung solcher Grundsätze im einzelnen Falle 
zeigt in hervorragender Weise, was Goethe unter „thä- 
tiger Skepsis“ verstand: die Erkenntnis der Mängel ver¬ 
bunden mit dem Bestreben, sie zu bessern und darüber 
hinauszuschreiten. Der Aphorismus, der an den Eingang 
der vorliegenden Arbeit gestellt wurde (Spr. 469—70), 
bringt am klarsten und erschöpfendsten zum Ausdruck, 
welche Schwierigkeiten darin liegen, „das Wort mit dem 
Empfundenen, Geschauten ... möglichst unmittelbar zu¬ 
sammentreffend zu erfassen.“ Gemeiniglich sind aber 
Worte nur Surrogate. „Es hört doch jeder nur, was er 
versteht“ Spr. 622 .(Ebenso 29, 256). Diesen Satz begrün¬ 
det Goethe an anderer Stelle in feinsinniger Weise damit, 
dass ein Wort,- wie jedes Lebendige, einen bestimmten 
Kreis von Vorstellungen durchläuft* dass der Zeitpunkt 
eintritt, wo die lebendige Kraft geschwunden ist und wo 
ein jeder sich der abgegriffenen Worte bedient, ohne da¬ 
mit eine klare Vorstellung zu verbinden. Die ganze Stelle 
lautet: „Leider bedenkt man nicht, dass man in seiner 
Muttersprache oft ebenso dichtet, als wenn es eine fremde 
wäre. Dieses ist aber so zu verstehen: Wenn eine gewisse 
Epoche hindurch in einer Sprache viel geschrieben und in 
derselben von vorzüglichen Talenten der lebendig vorhan¬ 
dene Kreis menschlicher Gefühle und Schicksale durch¬ 
gearbeitet worden, so ist der .Zeitgehalt erschöpft und 
die Sprache zugleich, so dass nun jedes mässige Talent 
sich der vorliegenden Ausdrücke als gegebener Phrasen 
mit Bequemlichkeit bedienen kann.“ 29, 249. Wahr¬ 
scheinlich hat Goethe dabei an Epochen gedacht, wie die 
„wässrige, weitschweifige“ in der ersten Hälfte des 
18. Jahrhunderts, als man alles Idiomatische, Volkswüch¬ 
sige und Metaphorische aus der Sprache auszutreiben 



277 


suchte, um sie in dem grammatischen Fächerwerk be¬ 
quem unterbringen zu können. Gerade dadurch wird aber 
den blutlosen Abstraktionen Thor und Thür geöffnet, und 
die Herrschaft der Worte, die Mephisto ironisch anpreist, 
tötet den Geist und die Anschauung. 

Man sieht, wie Goethe notwendig zu solchen Betrach¬ 
tungen geführt werden musste, seitdem ihm das geschicht¬ 
liche Studium der Farbenlehre, nach seiner Überzeu¬ 
gung, die Augen geöffnet hatte über die unheilbaren Fol¬ 
gen der blossen Wortüberlieferung, und der falschen oder 
oberflächlichen Worterklärung. Eine Stelle in einem 
Briefe an den getreuen Mitarbeiter, Staatsrat Schultz, 
bietet überdies ein sicheres Zeugnis, dass die Farbenstu¬ 
dien diese Überzeugung wachriefen oder doch bestätigten: 
„Auf meinem Wege bin ich diese Unzulänglichkeit der 
Sprache nur allzuoft gewahr geworden und habe mich 
dadurch abhalten lassen, das zu sagen, was ich hätte 
sagen können und sollen. Ich durfte nur der Zeit ver¬ 
trauen, dass diese redlichen Ausdrücke eines Einzelnen 
von Mehreren würden verstanden, d. h. in ihre Sprachen 
übersetzt werden. Jene Scheu, deren ich mich eben an- 
klage, überwand ich zu Liebe der Farbenlehre, ... und 
ich liess mich nicht irren, dass die ganze physische Gilde 
in hergebrachten hohlen Chiffern zu sprechen gewohnt 
ist, deren Abracadabra ihnen die Geister der lebendigen 
Natur möglichst vom trocknen dogmatischen Leichnam 
abhält.“ (Briefw. S. 140.) Die wichtigste Stelle, die auf 
dieses Thema Bezug hat, kommt in jenem prinzipiell so 
wichtigen Teil der Geschichte der Farbenlehre vor, die 
„Lücke“ überschrieben ist: „Und doch ist jede Wortüber¬ 
lieferung so bedenklich. Man soll sich, heisst es, nicht 
an das Wort, sondern an den Geist halten. Gewöhnlich 
aber vernichtet der Geist das Wort oder verwandelt es 
doch dergestalt, dass ihm von seiner früheren Art und 



278 


Bedeutung wenig übrig bleibt.“ 36, 93. Sehr interessant 
ist eine verwandte Betrachtung über den Unterschied des 
Griechischen und Lateinischen hinsichtlich der Lebendig¬ 
keit und Geschmeidigkeit des Ausdrucks: „Welch eine 
andere wissenschaftliche Ansicht würde die Welt gewon¬ 
nen haben, wenn die griechische Sprache lebendig geblie¬ 
ben wäre und sich anstatt der lateinischen verbreitet 
hätte! ... Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem 
natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag 
glücklicher Naturansichten viel geschickter ... Die latei¬ 
nische Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der 
Substantiven (an Stelle der beliebten Infinitive und Par- 
ticipien im Griechischen) entscheidend und befehlshabe¬ 
risch. Der Begriff ist im Wort fertig auf gestellt, im 
Worte erstarrt, mit welchem nun als einem wirklichen 
Wesen verfahren wird.“ 36, 133. 

Aber auch auf anderen Gebieten machte Goethe die 
gleichen Wahrnehmungen über die Schäden der Wortüber¬ 
lieferung. Der Streit zwischen Cuvier und St. Hilaire 
zur Zeit der Julirevolution, den Goethe mit so leiden¬ 
schaftlichem Interesse verfolgte, war nach seiner Ansicht 
ebenfalls zum Teil auf den mangelhaften Ausdruck der 
Begriffe zurückzuführen: „Leider bietet ihm (St. Hilaire) 
seine Sprache auf manchen Punkten nicht den richtigen 
Ausdruck, und da sein Gegner sich im gleichen Fall be¬ 
findet, so wird dadurch der Streit unklar und verworren. 
. . . Man glaubt in reiner Prosa zu reden, und man spricht 
schon tropisch...“ 34, 169. Gleichzeitig mit diesem Auf¬ 
satz (34, 173: ein Jahr ist vorüber) fällt ein Gespräch mit 
Eckermann (20. Juni 1831), worin ausschliesslich über 
die Unzulänglichkeit der Sprache verhandelt wird, mit 
Bezug auf den Streit in der französischen Akademie 
(Gespr. 8, 95 ff.). So philosophiert auch Jarno in den 
Wanderjahren über das Ungenügende der Buchstaben und 


279 


Töne, und über das einzig zuverlässige Alphabet der 
Natur, die nur eine Schrift kennt. 18, 52. — Eine wei¬ 
tere Anwendung der gleichen Grundsätze bietet der 
Exkurs über Bibelüberlieferung und -kritik DW. 22, 
61; hier wird die Schrift als Körper eines geistigen Wer¬ 
kes angesehen, der als solcher der Verschlimmerung aus¬ 
gesetzt sei. „Das Innere, Eigentliche einer Schrift ... 
zu erforschen, sei daher eines Jeden Sache ..., alles 
Äussere hingegen ... habe man der Kritik zu überlassen 
... “ So wendet sich Goethe auch gegen die Einreihung 
der Poesie unter die „schönen Redekünste“, weil sie, 
„rein und ächt betrachtet, weder Rede noch Kunst“ (im 
formalen Sinne) sei. Den Grund, dass man diese Einteilung 
nicht längst verworfen hat, sieht er eben darin, dass man 
Wort und Ausdruck nicht „als heilige Zeugnisse“, als 
„wahres Äquivalent“ betrachtet, sondern als „Scheide¬ 
münze oder Papiergeld“, das nur zu schnellem, augenblick¬ 
lichen Verkehr dient. 4, 290. Goethe aber wollte die 
Sprache als „reines Ausdrucksmittel“ angesehen 
wissen, wo „rein“ soviel bedeutet wie „frei von trüben¬ 
den Nebenvorstellungen“, „äquivalent“; der „reine Aus¬ 
druck“ schien ihm aber so schwer, oder fast unmöglich, 
dass er es fast vorzöge, gewisse Lieblingsmotive und lang¬ 
gehegte Fabelstoffe ganz bei sich zu behalten, statt sie 
dem groben Material der Sprache anzuvertrauen (So z. B. 
die Parialegende, s. oben S. 93 unter „rein“). 


Die prinzipiellen Erörterungen werden ergänzt durch 
eine Reihe von Einzelanalysen, die sich in den Werken, 
Briefen und Gesprächen zerstreut finden und im folgen¬ 
den zusammengestellt werden. Es handelt sich in dieser 



280 


Liste natürlich nur um Worte, über die sich Goethe selbst 
in irgend einer Weise theoretisch ausgesprochen hat; 
einige darunter sind als Belege des sogen, „affirmativen 
Purismus“ besonders bemerkenswert (s. unten S. 289). 

aborder une question An Schultz S. 377, „ein 
hübsches Wort“; Goethe umschreibt es mit: auf 
einer Insel landen. Übrigens hat auch die deutsche 
Sprache einen passenden Tropus in der Phrase: 
„eine Frage in Angriff nehmen“, 
s’acheminer, acheminement 33, 158. Das Wort 
stiess Goethe in einem botanischen Werke des Fran¬ 
zosen P. J. Turpin, eines „vorzüglichen Mannes“ 
auf und zwar in dem Satze: „Die Sachen heran¬ 
kommen sehen, ist das beste Mittel, sie zu er¬ 
klären.“ Abgesehen von der Anschauung selbst, in 
der er seine Metamorphosenlehre erkannte, gefiel 
ihm auch das Wort, weil er darin ausser dem quan¬ 
titativen auch einen dynamischen Gehalt sah und 
sich das Wort etwa erklärte als: „sich Schritt für 
Schritt dem Ziele nähern und der Vollendung ent¬ 
gegengehen.“ Man begreift den Grund des Ge¬ 
fallens sofort, wenn man sich vergegenwärtigt, wie 
genau sich dieser Begriff mit dem ganzen Vorstel¬ 
lungskreise von steigern, heben, ein Höheres u. s. w. 
deckt (vgl. oben S. 38). Übrigens war ihm das 
Wort keineswegs neu, denn er verwendete es be¬ 
reits 24 Jahre früher, 1806, einmal im Sinne von 
„allmähliche Entwicklung“: „Den Verstandsphilo¬ 
sophen begegnet’s ..., dass sie undeutlich aus gar 
zu grosser Liebe zur Deutlichkeit schreiben. In¬ 
dem sie für jede Enunciation die Quelle oder ihr 
Acheminement nachweisen wollen, von dem Orte, 
wo sie ins Raisonnement eingreift, bis zu ihrem 
Ursprünge, auf welchem Wege wieder anderes ache 



281 


miniert und ein läuft, geht es ihnen, wie dem, der 
einen Fluss von seiner Mündung an aufwärts ver¬ 
folgt ..." Gespr. 2, 112. An der ersterwähnten 
Stelle sagt Goethe über das Wort achemine¬ 
ment, dass es „einen sittlich-lebendigen Wert in 
sich fasst. Man denkt sich dabei das Herankom¬ 
men, das Vorschreiten, aber in einem höheren 
Sinne...“ 

bepfählen bildet Goethe nach dem Holländischen 
„bepaalt“ = bestimmt, abgesteckt Spr. 925, und 
wendet es auch sonst an: „indem er (Holbach im 
Systeme de la Nature) einige allgemeine Begriffe 
hingepfahlt, verlässt er sie (die Natur) sogleich“ 
22, 43. „Es wird ... durch das Wort nichts be¬ 
stimmt, bepfählt und festgesetzt“ (in der griech. 
Sprache) 36, 133. Übrigens war ihm das Bild 
selbst schon längst geläufig; in dem Briefe über 
„Naturlehre“ 1789 begegnen schon die Ausdrücke 
„Merkpfähle“ und „die Pfähle feststecken“, 24, 
552. 

Komposition 34, 170, ist eins von den Worten, die 
Goethe in dem oben erwähnten Aufsatz über die 
Kontroverse Cuvier — St. Hilaire als Beweis dafür 
anzieht, dass der „bedenkliche Wortgebrauch ... 
bei Streitigkeiten vortrefflicher Männer zu bedeu¬ 
tenden Irrungen Veranlassung giebt.“ Es sind vier 
Worte, die Goethe hier bemängelt: materiaux, 
composition, embranchement und plan, und 
bei allen ist der Grund der gleiche, nämlich ihre 
Unzulänglichkeit, um Begriffe des organischen 
Wachstums wiederzugeben. Wenn man an Goe¬ 
thes eigene evolutionistische Anschauungsweise 
denkt, kann sein Einwand nicht überraschen, und 
man kann an seinem individuellen Wortschatz be- 



282 


obachten, wie er fortwährend bestrebt ist, sich für 
die Vorstellungen des Lebendigen, eines Wachs¬ 
tums von innen heraus, und einer allmählichen Um¬ 
bildung das geeignete Wortmaterial zu schaffen. 
Höchst feinsinnig sind Goethes Ausführungen über 
die Frage, warum gerade jene Worte sich den fran¬ 
zösischen Gelehrten damals so bequem darboten: 
„Wir glauben hier im Einzelnen sowie im Ganzen 
die Nachwirkung jener Epoche zu sehen, wo die 
Nation dem Sensualism hingegeben war, gewohnt, 
sich materieller, mechanischer, atomistischer 
Ausdrücke zu bedienen; da denn der forterbende 
Sprachgebrauch zwar im gemeinen Dialog hin¬ 
reicht, sobald aber die Unterhaltung sich ins Gei¬ 
stige erhebt, den höheren Ansichten vorzüglicher 
Männer offenbar widerstrebt.“ 34, 170. Über 
„Composition“ spricht sich Goethe besonders ab¬ 
fällig aus; er nennt es ein „unglückliches Wort“ 
und führt aus, dass das Wort auch als ästhetischer 
Terminus nicht am Platze sei, denn weder ein 
Maler noch „Komponist“ setzen ihre Werke zu¬ 
sammen, sondern „sie entwickeln irgend ein in¬ 
wohnendes Bild, einen höheren Anklang natur- und 
kunstgemäss. Ebenso wie in der Kunst, ist, wenn 
von der Natur gesprochen wird, dieser Ausdruck 
herabwürdigend. Die Organe komponieren sich 
nicht als vorher fertig, sie entwickeln sich aus- 
und aneinander zu einem notwendigen ... Dasein.“ 
Auch in dem Gespräche mit Eckermann vom 
20. Juni 1831, welches diesen Ausführungen 
parallel geht, wird Komposition „ein ganz nieder¬ 
trächtiges Wort“ genannt, das man wohl auf eine 
stückweise gemachte Maschine, aber nicht auf 
ein organisches Werk der Natur oder Kunst an- 



283 


wenden könne. (Gespr. 8, 97 f.) Thatsächlich 
braucht Goethe das Wort beständig im ästhetischen 
Sinne, aber er verbindet damit allerdings nicht 
die landläufige Vorstellung, sondern die eines Kry- 
stallisierungsprozesses, indem das Ganze von allen 
Seiten zusammenschiesst und eine solide Masse bil¬ 
det (vgl. 22, 130). 

Embranchement 34, 170, ebenfalls eins der fran¬ 
zösischen „mechanischen“ Worte, die Goethe als 
ungeeignet bezeichnet zur Wiedergabe organisch¬ 
naturwissenschaftlicher Vorstellungen. 

erbauen, Gespr. 6, 206: „ich nenn’ es ,erbauen'“, 
wenn man zu dem, was man für das Rechte hält, 
die Bestätigung und die Belege findet.“ Häufiger 
als „erbauen“ ist bei Goethe das verstärkte „auf¬ 
erbauen“ (s. oben S. 228). Dass diese Definition, 
die aus dem Jahre 1827 stammt, einer langgewohn¬ 
ten Praxis auch wirklich entspricht, beweist die 
genau übereinstimmende Anwendung in einem 
Briefe an Zelter 1804: „Ihr Aufsatz hat mir und 
einigen Eingeweihten ... viel Vergnügen gemacht, 
ja er hat uns erbaut, und wir sind in unserer Über¬ 
zeugung vom Guten und Rechten gestärkt worden.“ 
W. IV, 17, 151. 

erinnern, Gespr. 4, 311; über Goethes Tischrede 
gegen „Erinnerung“ im Sinne eines erkünstelten, 
melancholischen Zurückrufens der Vergangenheit, 
und über die Ursachen seines Zorns ist oben S. 213 
das Nähere gesagt. 

fasslich, Spr. 862: „dem menschlichen Geiste in sei¬ 
nem gemeinen Zustande gemäss und bequem.“ 

Funktion 34,165: „Funktion, recht begriffen, ist das 
Dasein in Thätigkeit gedacht.“ Wie sympathisch 
Goethe ein solches Wort im Gegensatz zu den fran- 



284 


zösisch-atomistischen sein musste, bedarf keiner Be¬ 
gründung. Interessant ist die umgekehrte, vom 
Subjekt ausgehende Definition des Begriffes „Pro¬ 
blem“ als „das ewig thätige Leben in Ruhe ge¬ 
dacht“, Spr. 957; „das Problem der Funktion“ 
war das Hauptinteresse des Denkers Goethe, 
gegenständlich 27, 351; das Gefallen Goethes an 
diesem Ausdruck, durch welchen Dr. Heinroth in 
seiner Anthropologie 1822 Goethes Denkvermögen 
charakterisierte, ist bekannt; er sah darin eine „Be¬ 
deutende Fordernis durch ein einziges geistreiches 
Wort“ und verbreitete sich in dem so betitelten 
Aufsatz ausführlich über die Vorzüge des Wortes 
und die Anwendbarkeit auf sein eigenes dichte¬ 
risches wie wissenschaftliches Schaffen. Er liess 
es aber damit nicht bewenden, sondern ging zur 
That über und verwendete das Wort seitdem 
selbst mit Vorliebe und in mancherlei Weise. 
Schon im nächsten Jahre wird A. v. Humboldt 
bezeichnet als „ein weit umsichtiger, tiefblicken¬ 
der Mann, der auch seine Gegenständlichkeit 
und zwar eine grenzenlose, vor Augen hat ...“ 
33, 412; so zu denken wie er (d. h. als Vulka¬ 
nist) ist jedoch nur möglich „wenn sein Gegen¬ 
ständliches mir zum Gegenständlichen wird..." 33, 
413. In einem Briefe an Reinhard 1825, bezeichnet 
Goethe gewisse Krankheitserscheinungen des 
Auges, über die Reinhard geklagt hatte, als „uner¬ 
freuliche Bilder, denen wir auch nicht die geringste 
Gegenständlichkeit zuschreiben können.“ Briefw. 
S. 254. Etwa gleichzeitig unterhält er sich mit 
Eckermann über die „Gegenständlichkeit reiner 
Poesie“ (20. April 1825, fehlt in Biedermanns 
Sammlung); später einmal spricht er von den 



286 


„Rechten seines gegenständlichen Denkens“, 33, 
470. — Übrigens kommt Goethe selbst dem Wort 
schon einmal sehr nahe, wenn er 1819 an Boisseree 
schreibt: „Meine Kinder sind nach Berlin und Dres¬ 
den, ich mag sie gern in bewegtem, Gegenstand¬ 
reichen Leben wissen.“ II, 244. 

gehörig Spr. 292: „Das Gehörige ist ein Verhältnis 
zu einer besonderen Zeit und entschiedenen Um¬ 
ständen.“ 

gemein „nennen wir das Wirkliche ohne sittlichen 
Bezug“ Spr. 696b, „das Zufällig-Wirkliche“ Sp. 102. 

gracious 29, 748: „es giebt nicht Worte genug, aus¬ 
zudrücken, was Angenehmes, Anmutiges alles die 
Engländer sich unter gracious denken: gnädig und 
günstig, freundlich und gütig, alles was mild und 
wohlthätig auf uns wirkt, wird in jenem Worte zu¬ 
sammengefasst.“ 

Materialien 34, 169, ist eins der französischen 
mechanischen Worte (materiaux), die Goethes Miss¬ 
fallen erregen, denn „im allgemeinsten Sinne be¬ 
zeichnen wir durch das Wort ... unzusammenhän¬ 
gende, wohl auch nicht zusammengehörige, ihre 
Bezüge durch willkürliche Bestimmung erhaltende 
Körper.“ Um jedoch die Teile eines organischen 
Wesens darunter zu begreifen, müssten wir dem 
Wort „einen viel höheren Sinn unterlegen, als ihm 
zukommt.“ 

anorganisch 29, 243 wird von Goethe als Negation 
von „organisch“ verlangt, statt des damals viel ge¬ 
brauchten „anorgisch“: „es war ein Missgriff 
Schellings, und warum sollte der Missgriff eines 
vorzüglichen Mannes verewigt werden?“ (An Eich¬ 
städt S. 123). „Anorgisch würde als Nachbildung 
von av oq yos = „zornlos“ bedeuten. ... Die Kürze 



286 


des Wortes ist keine Empfehlung desselben, wenn 
sie Zweideutigkeit veranlasst.“ 

perfide 17, 325, nennt Aurelie in den Lehrjahren die 
französische Sprache: „ich finde, Gott sei Dank, 
kein deutsches Wort, um perfid in seinem ganzen 
Umfange auszudrücken. Unser armseliges treulos 
ist ein unschuldiges Kind dagegen. Perfid ist treu¬ 
los mit Genuss, mit Übermut und Schadenfreude...“ 

Pietät 29, 721, „ein im Deutschen bis jetzt jungfräu¬ 
lich keusches Wort, da es unsere Reiniger abge¬ 
lehnt und als ein fremdes glücklicherweise bei Seite 
gebracht haben.“ Im folgenden stellt Goethe dem 
Dogma von der Erbsünde seinerseits eine „Erb¬ 
tugend“ entgegen — sehr bezeichnend für sein 
Trachten nach dem Positiven, nach der Tagseite des 
Lebens —, worunter er „eine angeborene Güte, 
Rechtlichkeit und besonders eine Neigung zur Ehr¬ 
furcht“ versteht. „Diesen Quellpunkt, wenn er... 
zur Thätigkeit, ins Leben ... gelangt, nennen wir 
Pietät, wie die Alten.“ 

radotieren „heisst nicht, wie’s das gemeine Lexi¬ 
kon sagt, allein albernes Zeug reden, sondern auch, 
das Rechte zur Unrechten Zeit sagen..." An Rein¬ 
hard S. 72. 

stängeln W. IV, 23, 375, ist das Beispiel, das 
Goethe in dem Briefe an Riemer über Sprachreini¬ 
gung etc. wählt, um seine Ansichten über die 
wahre Sprachbereicherung zu illustrieren (s. unten 
S. 288). „So haben z. B. die Franzosen das W T ort 
perche, Stange, davon das Verbum percher. ... 
Im Deutschen haben wir das Wort stängeln. Man 
sagt: ich stängle die Bohnen ...; ebenso gut kann 
man sagen: die Bohnen stängeln, sie winden sich an 
den Stangen hinauf, und warum sollten wir uns 



287 


nicht des Ausdrucks bedienen: die Hühner Stängeln, 
„sie setzen sich auf die Stangen?" Diese Ausein¬ 
andersetzung wird besonders interessant durch die 
Thatsache, dass Goethe das Wort ein Jahr später 
selbst in dem Divangedicht „Sommernacht" 4, 188 
praktisch verwendet hat: „Einer (der Vögel) sitzt 
auch wohlgestängelt — Auf den Ästen der 
Cypresse..Schon Loeper weist in einer Note auf 
den Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis hin. 

Zustand „ist ein albernes Wort, weil nichts steht 
und alles beweglich ist." An Niebuhr 1812, Str. 
Br. II, 18 (vgl. oben S. 108). 


Es bleiben noch zwei sprachliche Probleme, die Goethe 
wiederholt berührt, und die hier anhangsweise zu erwäh¬ 
nen sind, weil sie gleichfalls unter den prinzipiellen Ge¬ 
sichtspunkt der Entsprechung von Wort und Begriff fal¬ 
len. Die eine Frage betrifft die Übersetzungskunst, 
über die sich Goethe am ausführlichsten in dem Abschnitt 
„Übersetzungen" in den Noten zum Divan 4, 359—62 
verbreitet hat, kürzer im 11. Buch von DW. Er unter¬ 
scheidet drei Epochen, denen drei verschiedene Arten der 
Übersetzung entsprechen, je nach dem Bildungsgrade und 
den Bedürfnissen eines Volkes. Die Gesichtspunkte, nach 
denen Goethe die Epochen gliedert und analysiert, seien 
hier in Form eines kleinen Schemas zusammengestellt. 



Form 

Inhalt 

Gesamtwert 

Typus 

1. Epoche 

Wörtlich 

(Prosa) 

frei 

naiv-objektiv 
(wahrhaft erbauend) 

Luther 

2. Epoche 

i 

3 . Epoche 

frei 

frei 

frei 

Wörtlich 

subjektiv 

(parodistisch, 

paraphrastisch) 

| bewusst-objektiv 
; (eingedeutscht, ver¬ 
brüdert) 

Franzosen 

Wieland 

! Voss 

i Schlegel 






288 


Besonderes Gewicht legte Goethe auf die erste 
Epoche: „ich halte zum Anfang jugendlicher Bildung pro¬ 
saische Übersetzungen für vorteilhafter als die poe¬ 
tischen ... Für die Menge, auf die gewirkt werden soll, 
bleibt eine schlichte Übertragung immer die beste.“ 22, 
45. Mit dem Grundproblem von Wort und Begriff hängt 
die Übersetzungsfrage auch insofern zusammen, als es 
nach Goethe die höchste Kunst ist, „bis an das Unüber¬ 
setzbare heranzugehen und dieses zu respektieren; denn 
darin liegt eben der Wert und der Charakter einer jeden 
Sprache.“ Gespr. 6, 265. Eine Illustration bietet Goe¬ 
thes eigene Studie über das „Felicissima notte“ der Ita¬ 
liener, das sich keineswegs mit unserem „Gute Nacht“ 
deckt: „der Italiener sagt Felicissima notte! nur einmal 
und zwar wenn das Licht in das Zimmer gebracht wird, 
indem Tag und Nacht sich scheiden, und da heisst es denn 
etwas ganz anderes. So unübersetzlich sind die Eigen¬ 
heiten jeder Sprache; denn vom höchsten bis zum tiefsten 
Wort bezieht sich alles auf Eigentümlichkeiten der Na¬ 
tion ...“ 24, 72. 

Die andere Frage betrifft den Purismus. Goethes 
ablehnende Stellung gegenüber den Forderungen der 
Sprachreiniger erklärt sich zunächst aus dem inneren Be¬ 
dürfnisse nach vollkommener Freiheit in der Wahl des 
Ausdrucksmittels, das sich in jeder Hinsicht dem Inhalt 
unterzuordnen hat. Dazu kommt aber noch ein besonderer 
Anlass in Form* der Opposition Goethes gegen die alter- 
tümelnden Bestrebungen der patriotischen Roman¬ 
tiker, die das Geschäft der Sprachreinigung in mecha¬ 
nischer und grober Weise um eines Prinzips willen betreiben, 
ohne den individuellen Fall zu prüfen. Goethes Verhältnis 
zu den Neuromantikern ist schon wiederholt berührt wor¬ 
den, denn es ist in der That fruchtbar für das Studium seiner 
Anschauungsweise, weil es ihn zwang, zu einer grossen Aja- 



289 


zahl von Fragen Stellung zu nehmen, die sich im Grunde 
alle um das Problem von „Stoff und Form" gruppieren. 
Die „stoffartigen“ Interessen bestimmten nach seiner 
Überzeugung die Neudeutsche Kunst, während für ihn die 
„reine" Form, die künstlerische Gestaltung eines gegebe¬ 
nen Inhalts einzig massgebend war. So hatte auch die 
Frage der Sprachreinigung zurückzutreten gegenüber den 
Forderungen des „reinen“ Ausdrucks, der sich nicht mit 
Surrogaten begnügt, sondern ein Fremdwort gern auf¬ 
nimmt, wofern es einen gewissen Vorstellungsinhalt besser 
als ein heimisches wiedergiebt. Auch hier ging Goethe 
mit Beispiel voran, indem er gern auf Ausdrücke aus 
fremden Idiomen hinwies, die ihm wertvoll genug schienen, 
um die deutsche Sprache zu bereichern. In der obigen 
Liste sind Worte wie „bepfählen“, „Pietät“, „Achemine¬ 
ment“, „Stängeln“ derartigeVersuche; so urteilt er auch 
über Ohlenschlägers Dänismen, anstatt sich darüber zu 
entsetzen, von einem höheren Standpunkte aus: „die uns 
verwandten Dänen könnten wohl unsere Sprache berei¬ 
chern...“ Gespr. 2, 31. 

Zwei bedeutsame Dokumente seiner Anschauung lie¬ 
gen vor: der Brief an Riemer vom 30. Juni 1813 und die 
Besprechung von Karl Ruckstuhls Aufsatz „Von der 
Ausbildung der deutschen Sprache“ in Ludens Nemesis 
1818 (29, 245). Beide Betrachtungen gipfeln in Maximen, 
die ihre bündigste Formulierung erhalten in einigen der 
neuaufgefundenen „Gedankenspäne“ G.-J. 15, 8ff.: „Der 
pedantische Purismus ist ein absurdes Ablehnen weiterer 
Ausbreitung des Sinnes und Geistes. — Ich verfluche 
allen negativen Purismus, dass man ein Wort nicht 
brauchen soll, in welchem eine andere Sprache viel oder 
zarteres gefasst hat. — Meine Sache ist der affirma¬ 
tive Purismus, der produktiv ist und nur davon aus¬ 
geht: Wo müssen wir umschreiben, und der Nachbar hat 

Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Spiache. 19 



290 


ein entscheidendes Wort. — Die Gewalt einer 
Sprache ist nicht, dass sie das Fremde abweist, 
sondern, dass sie es verschlingt.“ 1 ) 

Ein grossartiger, überlegener Geist spricht aus die¬ 
sen Sätzen, aber sie sind freilich gefährlich in der Hand 
eines seichten Kopfes, der nicht Gehalt und Form sicher 
abzuwägen weiss, und gern mit dem „Situationswert“ der 
Worte, wie wir es oben nannten, sein bestechendes Spiel 
treibt. Goethe selbst hatte eine aussergewöhnliche Gabe, 
das „gehörige“ Wort zu finden und seine Behandlung der 
Fremdwörter ist allerdings so souverän, wie die obigen 
Maximen es verlangen. Eine eingehende Darstellung die¬ 
ser Frage bildet ein besonderes Kapitel, und es kann hier 
nur bemerkt werden, dass die Anzahl und die Mannigfaltig¬ 
keit der Fremdworte bei Goethe ebenso erstaunlich ist, 


*) Das Wort „verschlingen* weist übrigens wiederholt bei 
Goethe einen individuellen Wandel auf, insofern als er damit gern die 
Idee de3 sieghaften Triumphes eines Positiven über ein Verneinendes 
ausdrückt, und zwar eines Sieges, der nicht durch vorsichtiges Ver¬ 
meiden, sondern kühnen Trotz und gewissermassen inneres Absorbieren 
oder Assimilieren des Gegners gewonnen wird. So verlangt Goethe hier 
von der Sprache, dass sie statt ängstlicher Scheu tapfer an das Fremde 
heran trete und es nach den eigenen Sprachgesetzen nationalisiere: — 
eben jenes Verfahren, durch dessen Befolgung sich die englische Sprach' 1 
einen solchen Wortreichtum erworben hat, ohne dass man der Sprach- 
reiniger je bedurft hätte. — Am grossartigsten tritt die Vorstellung 
der selbstthätigen inneren Assimilation hervor in der oft wiederholten 
Anschauung des ewigen Sieges von Tag und Leben über Nacht und 
Tod, indem der Tod selbst wieder Leben zeugend wirkt: „Man mag so 
gern das Leben aus dem Tode betrachten, und zwar nicht von der 
Nachtseite, sondern von der ewigen Tagseite her, wo der Tod imnnr 
vom Leben verschlungen wird.“ Naturw. Korresp. II, 134 (vgl. 
auch oben S. 188; eine der gewichtigsten Urkunden Goethes hinsicht¬ 
lich seines Strebens nach der „Lichtseite“ in Wissenschaft, Kunst 
und Leben, ist der Brief an Windischmann vom 28. Dez. 1812, W. IV. 
23, 212 ff.). — Eine andere grosse Forderung ist die des Zusammen- 



wie die vollkommene Freiheit in der Anwendung. Er 
schaltet in dieser Hinsicht wie in mancher anderen mit 
der Sprache, wie Bismarck, dessen Reden ebenfalls für 
Puristen von Beruf keine erfreuliche Lektüre bilden, dem 
aber auch der „reine“ Ausdruck und die genaue 
Schattierung des Gedankens wichtiger waren als die pe¬ 
dantische Durchführung formaler Grundsätze, zum Scha¬ 
den des Gehalts. 


7. Nachwirkung 1 ) 

Das Studium des individuellen Wortschatzes eines 
Schriftstellers gewährt reichen Genuss durch die Er¬ 
schliessung jener intimen Bezüge, die sich wie ein feiner 
Duft um das Wort lagern und gleichsam die Atmosphäre 
desselben bilden. Auf der anderen Seite aber kann, man 


Schlusses und gegenseitigen Wohlwollens, und auch hier möchte Goethe 
den Gegner, die „Misswollenden“ nicht durch blinden Hass oder klein¬ 
liche Polemik bekämpft sehen, sondern durch organisches Ineinander¬ 
arbeiten, „wodurch denn ein allgemeines Wohlwollen unter Jen Teil¬ 
nehmenden entsteht und alles Misswollen verschlungen wird.“ W. IV. 
23, 94. — Eine weitere Anwendung liegt vor, wenn Goethe einmal der 
zersetzenden historischen Kritik die primitive Sagenwelt und Poetisierung 
der geschichtlichen Thatsachen gegenüberstellt, und ihre ungeheure 
Wirkung auf die Menschheit betont: „Diese Behandlungsarten äussern 
grosso Wirkung; sie bemächtigen sich der Einbildungskraft, des Ge¬ 
fühls, sie füllen das Gemüt aus, bestärken den Charakter und erregen 
die That. Es ist eine zweite Welt, welche die erste verschlungen 
hat.“ W. IV. 23, 162. In allen diesen Fällen ist „verschlingen“ eine 
metaphorische Wendung für einen dynamischen Vorgang, einen Um¬ 
setzungsprozess, bei welchem aus der Vereinigung des Positiven und 
Negativen ein Neues Drittes hervorgeht. 

J ) Die in diesem Abschnitt gebotenen Beiträge zu einer Nach¬ 
geschichte von Goethes Individualvokabular sind nichts weiter als An¬ 
sätze zu einer umfassenderen Arbeit dieser Art. Es schien jedoch an¬ 
gebracht, diese Seite der ganzen Frage wenigstens zu streifen, da sie 
bisher unseres Wissens überhaupt noch nicht Berücksichtigung ge¬ 
lb* 



292 


sich der Thatsache nicht verschliessen, dass der Einfluss 
auch der hervorragendsten geistigen Grössen, und sei es 
sogar ein Genius wie Goethe, auf das Sprachleben der Ge¬ 
samtheit in Hinsicht der Wortprägung nur gering ist. 
Eine Begründung dieser Erscheinung soll am Ende des 
Abschnitts versucht werden; zunächst ist die methodische 
Frage wichtig, welche Kriterien sich für die Annahme 
einer direkten .Beeinflussung bieten. Die Schwierigkeit 
des Nachweises leuchtet von vornherein ein; wenn schon 
Stilbeeinflussungen im allgemeinen nicht leicht zu behan¬ 
deln sind, wie viel schwerer ist es, das Fortleben des 
letzten Anhauches, der einem Worte seine intimste Fär¬ 
bung verleiht, durch die Litteratur zu verfolgen. Ein 
sicherer Anhaltspunkt liegt daher eigentlich nur in Fällen 
vor, in denen ein beständiger persönlicher oder brief¬ 
licher Verkehr mit dem Meister ein mehr oder minder 
intensiveres Einleben in seine Gedankenreihen und Aus¬ 
drucksformen zur Folge gehabt hat. Solcher Beispiele 
bieten sich aus dem Freundeskreise Goethes eine kleine 
Anzahl, wie unten näher auszuführen ist. In allen ande¬ 
ren Fällen, ausser wenn direkte Citate vorliegen, ist ein 
Einfluss denkbar, aber keineswegs notwendig anzunehmen. 

Vielmehr tritt hier ein anderer Faktor in seine Rechte, 


funden hat. Und doch sind gerade derartige Wortprägungen geeignet, 
eine innere Geistesverwandtschaft aufzudecken, wie es z. B. hinsichtlich 
Hebbels und Immermanns in ihrem Verhältnis zu Goethe im vor¬ 
liegenden Kapitel versucht ist. Inwiefern eine solche Verwandtschaft 
auf Beeinflussung beruht, ist eine Frage, die sich natürlich nur im 
grösseren Zusammenhänge und unter Heranziehung aller formalen und 
inhaltlichen Gesichtspunkte mit Sicherheit entscheiden lässt 

Es sei noch erwähnt, dass in diesen Abschnitt zugleich einige 
Nachträge eingeschaltet wurden, die nicht mehr im Haupttext unter¬ 
zubringen waren. Die durch grosse Entfernung verursachten Schwierig¬ 
keiten bei der Drucklegung und Korrektur werden dies Verfahren ent¬ 
schuldbar erscheinen lassen. 



293 


der die ganze Frage auf eine breitere Basis stellt: die 
Thatsache, dass gleiche Bedürfnisse auch gleiche Kultur¬ 
äusserungen zeitigen. Im Sprachleben wirkt dies Gesetz 
speziell in der Weise, dass sich bei congenialen Geistern 
die Handhabung des sprachlichen Ausdrucks in ähnlicher 
Richtung bewegen wird, dass also verwandte Vorstel¬ 
lungskreise gelegentlich gleiche Wortprägungen hervor- 
rufen können. Die später zu erörternden Fälle, in denen 
z. B, das Wort „dumpf“ bei mehreren Schriftstellern eine 
ganz ähnliche positive Färbung aufweist, wie bei Goethe, 
zeigen aufs deutlichste, wie ein Wort fast mit Notwendig¬ 
keit zu einer bestimmten Prägung hindrängt, sobald die 
gleichen Vorbedingungen geschaffen sind, d. h. in diesem 
Falle, sobald die Vorstellungskomplexe verschiedener In¬ 
dividuen sich decken, und auf die gleiche psychologische 
Wurzel zurückgehen. Jedes Wort enthält latente Prä¬ 
gungen, die nur des Stabes warten, der sie zu erwecken 
weiss, und so kann es kommen, dass bei zeitlich weit aus¬ 
einanderliegenden Schriftstellern sich die gleichen Bedeu¬ 
tungsschattierungen finden. 

Diese Möglichkeit der Urschöpfung muss neben der 
einer Beeinflussung durchaus betont werden, um bei der 
folgenden Untersuchung die Fälle des Fortlebens oder 
Wiederauftauchens der Goetheschen Prägnanzen nicht ein¬ 
seitig zu beurteilen. Übrigens erstreckt sich diese Unter¬ 
suchung nicht nur auf die Zeit nach Goethes Tode, son¬ 
dern auch auf Mitlebende und Mitstrebende von den 
frühesten Zeiten an, überhaupt auf alle Zeugnisse, die eine 
parallele Bedeutungsentwickelung aufweisen. 

Es ist kaum anzunehmen, dass die Frühzeit Goethes 
für die vorliegende Frage nennenswertes Material liefert, 
solange seine eigene Prägnanz überhaupt noch im Werden 
begriffen ist. Die Sturm- und Drang-Zeit entwickelte 
zwar einen reichhaltigen Schatz an Neologismen, die alle 



294 


auf eine adäquatere Wiedergabe von Vorstellung und Em¬ 
pfindung zielten. Aber es handelt sich nicht um ein In¬ 
dividual-, sondern Kollektivvokabular, da sich die Teilneh¬ 
mer dieser Epoche bekanntlich bis zur Täuschung in ihren 
Stileigentümlichkeiten berühren. . Das Wortmaterial der 
Geniezeit ist an verschiedenen Stellen zusammengestellt 
worden (vgl. vor allem C. Pfütze, Die Sprache in J. M. R. 
Lenzens Dramen. Diss. 1890, S. 45 ff.); es gehören dahin 
vor allem die bekannten Kraftausdrücke: Kerl, Hund, Narr, 
Fratze, schmeissen, zerschlagen; ferner: Drahtpuppe, 
Schnellkraft u. a. Goethes Urheberschaft an solchen Aus¬ 
drücken ist jedenfalls nicht gering, aber selbst wenn sich 
dieselbe im einzelnen feststellen Hesse, wäre wenig für 
die vorliegende Frage gewonnen, da sie nicht in der In*- 
dividualität des reiferen Goethe wurzeln, sondern eher 
Symptome einer litterarischen Mode sind, an deren Über¬ 
windung er seine beste Kraft setzte. Nur wenige Worte, 
die auf diesem litterarischen Boden entsprossen sind, ver¬ 
dienen aus besonderen Gründen nähere Betrachtung. 

Ein interessantes Beispiel der früh sich ankündigenden 
Neigung Goethes zu typischen Metaphern ist das Wort 
„Raritätenkasten“, für .das schon oben S. 246 die Be¬ 
lege angeführt sind. Der Ausdruck entspricht, wie Erich 
Schmidt (Lenz und Klinger, S. 42) hervorhebt, den For¬ 
derungen der Geniezeit, dass die Bühne das bunte Durch¬ 
einander auf dem Jahrmarkt des Lebens wie ein Guck¬ 
kasten darzustellen habe, ohne sich um Aristotelische Dog¬ 
men zu kümmern. Obwohl Lenz in seinen „Anmerkungen 
über das Theater“ diese Anschauung ausführlich ent¬ 
wickelt, fehlt die Metapher selbst in seiner Schrift und 
scheint auch in den Dramen nirgends zu begegnen. Klinger 
braucht das Wort allerdings im „Leidenden Weib“ (Ja- 
cobowskis Ausgabe in der Bibi. Hendel S. 23), aber im 
eigentlichen Sinne, in dem der Guckkasten hier als Kin- 



295 


derspielzeug dient. Jacobowskis Anmerkung auf S. 67, 
dass der Ausdruck „in der Geniezeit sehr beliebt“ sei, 
ist daher ungenau, denn auch der gelegentliche Gebrauch 
bei Hölty ist nicht anders als im wörtlichen Sinne zu neh¬ 
men. Vielmehr ist Goethe der einzige Dichter, der das 
Wort metaphorisch vertieft und als typisches Bild em¬ 
pfunden hat. 

Ein anderer Ausdruck der Sturm- und Drangzeit ist 
bemerkenswert, insofern er einer der wenigen ist, die 
Goethe bis ans Ende beibehielt: das Wort „Fratze“. Es 
ist altes Sprachgut und, wie es scheint, besonders in Süd¬ 
westdeutschland heimisch, erfreute sich aber in jener 
Epoche auffallender Beliebtheit, besonders als Kraftaus¬ 
druck. Häufig brauchen es Lenz, sowie H. L. Wagner; 
auch F. H. Jacobi liebt es, an einer Stelle sogar ganz in 
Goethescher Prägnanz: „Fratzenbegriffe unserer Zeit“, 
Werke 1, 71. Diese Beziehung auf das geistige Gebiet 
und Verwertung als typisches Scheltwort hat der Aus¬ 
druck bei Goethe, wie oben S. 172 gezeigt ist, erst später 
gewonnen; auch hier liegt also der öfters wiederkehrende 
Fall vor, dass ein längst bekanntes Wort, das von ihm 
schon in der Frühzeit im generellen Sinne viel gebraucht 
war (z. B. Götz 6, 20; 96), später wieder neu auf lebte 
und dann in persönlicher Färbung in den individuellen 
Wortschatz überging. — Kurze Erwähnung mag auch das 
Wort „dämmern“ finden, das besonders als Ausdruck der 
Mondschein-Empfindsamkeit bei den Stürmern und Drän¬ 
gern beliebt war; doch scheint auch hier Goethe die 
Führerschaft übernommen zu haben. Wie sich der Ter¬ 
minus später entwickelte, ist oben S. 165 gezeigt worden. 

Weitaus das grösste Interesse aber von allen Idio¬ 
tismen Goethes, die in der Genieepoche wurzeln, beanr 
sprucht das Wort „dumpf“. Auch in diesem Falle lässt 
sich deutlich verfolgen, wie Goethe ein Wort, wenn es 



296 


ihm fruchtbar erschien, mit Bewusstsein vertiefte, im 
Unterschied von anderen gleichzeitigen Schriftstellern, die 
mehr einer litterarischen Mode folgten. Der seit 1750 
aufgekommene Ausdruck musste einem Zeitalter willkom¬ 
men sein, das seit Klopstock gelernt hatte, nach innen 
zu horchen und die geheimnisvollen Vorgänge des Ge¬ 
fühlslebens zu analysieren. Es ist auffällig, wie beliebt 
das Wort gerade seit 1770 wird, sei es auch nur im kon¬ 
kreten Sinne; vor allem Lenz gebraucht es sehr häufig, 
schon in dem stark klopstockisierenden Jugendgedicht 
„Die Landplagen“ in Wendungen wie: „dumpfes Prasseln“, 
„dumpfes Murmeln“, „,dumpfigste Höhlen, wo ewige Däm¬ 
merung schleicht“, vgl. Gedichte ed. Weinhold S. 21,22,23, 
37, 40, 47 u. s. w. Auch Klinger liebt das Wort und ver¬ 
wendet es genau wie Goethe so oft in Stella, Werther etc. 
(Belege oben S. 158), z. B. „Es ist mir wieder so taub 
vor’m Sinn. So gar dumpf.“ „Sturm und Drang“ in Re- 
clams Bibi. S. 8. Am nächsten der Goetheschen Prägnanz 
kommt jedoch F. H. Jacobi. In seinem ersten Roman 
„Allwills Briefsammlung“, der direkt unter dem Einfluss 
des Zusammenseins mit Goethe im Juli 1774, jenes seligen 
„Hin- und Wiedergebens“ (22, 169) entstand, ist „dumpf“ 
zahlreich anzutreffen in der ausgesprochen negativen Fär¬ 
bung, die Goethe schon früh mit dem Worte verband, so 
z. B. Werke I, 6; 17; 73; 292. 

Am überraschendsten aber wirkt die Thatsache, dass 
Jacobi an einer Stelle ganz offensichtlich jene positive 
Färbung entwickelt, die dem Wort bei Goethe eine gewisse 
Berühmtheit verliehen hat. Die Stelle lautet im Zusam¬ 
menhang: „Ich bin, von innen und von aussen, in einem 

wunderbaren Gedränge.Bliebe mein Kopf so dumpf 

so nebellicht, wie diese Zeit über, dann säh’ ich der Ver¬ 
wirrung ein Ende: alles sollte bald gerichtet und ge¬ 
schlichtet sein... Du weisst, beim Nebel fliessen die 




297 


Dinge so «hübsch ineinander... und sieh, Bruder, so ist 
wahrhaftig der Nebel das treffendste Bild weiser Gemüts¬ 
verfassung.“ Allwill, Werke I, 60 f. Diese Sätze geben 
genau die Atmosphäre wieder, in der das Goethesche posi¬ 
tive „dumpf“ wurzelt, und zwar in fast noch extremerer 
Färbung, als Goethe sie irgendwo bietet. Zur Vervoll¬ 
ständigung könnte man aus Jacobi etwa noch folgende 
Stellen heranziehen: „Diese liebe Verworrenheit, diese 
Dämmerung war es eben, warum mir so wohl war“, 1, 11; 
„Unsere Philosophen allein bewohnen himmelhohe Felsen¬ 
höhen, von keinem Dufte getrübt, rundum endlose Helle 
und Leere. Mir ginge da der Athem aus...“ 1, 73. In 
solchen und anderen Äusserungen Jacobis erkennt man 
deutlich jene Antithese zwischen dem warmen, liebeerfüll¬ 
ten Herzen und dem kalten Rationalismus, die Goethe so 
scharf gefasst hat in dem Faust-Paralipomenon: „Helles, 
kaltes, wissenschaftl. Streben, Wagner. Dumpfes, warmes 
wissenschaftl. Streben, Schüler.“ W. 14, 287. 

Jacobis Berührungen mit Goethe in sprachlicher 
Hinsicht sind damit noch nicht erschöpft. Auf den häu¬ 
figen Gebrauch von „Fratze“ war schon oben S. 295 hin¬ 
gewiesen. Dass das Wort „Leidenschaft“ im Allwill eine 
wichtige Rolle spielt, kann nicht verwundern; doch finden 
sich nicht die mannigfaltigen Schattierungen, die dem Wort 
in Goethes späterer Prosa eine so wichtige Funktion zu- 
w’eisen. Dagegen zeigt Jacobi an einigen anderen Bei¬ 
spielen, dass er ein feineres Gefühl für derartige Nuancen 
hatte, wie z. B. in der ganz Goetheschen Gegenüberstel¬ 
lung von Streben und Erstreben, Wollen und Vollbringen 
1, 114 (vgl. oben S. 212). Bemerkenswert ist auch die 
Prägnanz von „derb“ in dem Ausdruck: „Einer von Clau¬ 
dius Brüdern, ein derber, geistvoller Mann“ 1, 340, sowie 
die von „frech“, wenn das Gleichnis von Orpheus und 
den Bacchantinnen „ein freches Gleichnis“ genannt wird 



298 


1, 347. Endlich verdient die häufige Anwendung von 
„stetig“ angemerkt zu werden, das bei Goethe erst später 
seine besondere Prägnanz erwirbt. 1 ) 

Es könnte auffällig erscheinen, dass von allen mit- 
strebenden Genossen Herder hinsichtlich der Frage der 
Prägnanz so wenig Berührungen mit Goethe zeigt. Die 
Erklärung dürfte darin liegen, dass die Bedeutung von 
Herders Sprache weit weniger in der zarteren Schattie¬ 
rung der einzelnen Worte liegt, als in dem gewaltigen, 
hinreissenden Pathos der Rede, den kühnen Neuschöpfun- ; 
gen und dem unerschöpflichen Bilderreichtum. Seine 
Sprache zeigt also eher eine extensive Tendenz. Dass 
das vielerörterte „dumpf“ auch Herder geläufig ist, ver¬ 
steht sich von selbst; erwähnt sei die Wendung: „ver- ! 
dumpfter Schulmeister“ (Hempel 17, 313). Es scheint 
allerdings, als ob das Wort erst nach dem Zusammenleben 
mit Goethe in Weimar bei ihm häufiger wird; sicher lässt | 
sich das nachweisen hinsichtlich Wielands, denn zwischen ■ 
1776 und 1781 tritt es auf einmal mit auffallender Häufig- ' 
keit in seinen Schriften auf, vgl. Ausg. Hempel 4, 63; 
222; 31, 171; 162 (verdumpft); 36, 21 (stockdumpf); 36, 
28 u. s. w. An einer Stelle spielt sogar jene positive 
Färbung der warmen, lösenden Empfindung hinein; im 

„Gaudalin“ lauten nämlich einige Verse (Hempel 4, 164): | 

--- ! 

x ) Jacobis Bekanntschaft mit den Ausdrücken „stetig“ und , 
„Stetigkeit“ (z. B. 1, 53; 1, 166; 5, 58) ist übrigens von besonderere j 
Interesse im Hinblick auf eine Notiz, die R. M. Meyer über die Geschieht- 
des Wortes beibringt (Neue Jahrbücher 1900, 1. Abt. S. 466). Danach 
galt „stetig“ noch um 1813 als eine „neue Creation“, wie sich Harden¬ 
berg ausdrückte, und R. Meyer weist mit Recht darauf hin, wie wenij 
massgebend solche Zeugnisse über das Alter eines wirklichen oder ver- j 
meinten Neologismus seien, da doch Goethe das Wort „Stetigkeit 
schon seit 1795 mit bestimmter Prägnanz an wende. Durch die vor¬ 
stehenden Belege aus Jacobi wird nunmehr die Altersgrenze des Wort-- ■ 
um weitere 20 Jahre zurückgeschoben. j: 


I 



299 


„Alles wird dumpfer, dämmernder, milder 
Und schwimmt in lieblicher Ungewissheit, 
Bis aus den sanft verworrenen Schatten 
Sich jene magische Welt erhebt...“ 


Mit den 80 er Jahren beginnen die Prägnanzen Goethes 
allmählich heranzureifen, und es erhebt sich die Frage, 
inwiefern seine Freunde von seinem Wortgebrauch beein¬ 
flusst wurden, zumal in den späteren Jahren. Man würde 
hier zunächst an Schiller denken, dessen sprachliche Ab¬ 
hängigkeit von Goethe jedoch verhältnismässig gering ist. 
Zumal die wichtigsten Prosaschöpfungen Schillers fallen 
in eine Zeit, in der Goethes Altersprägnanzen noch im 
Werden waren. Allerdings liegt insofern ein Einfluss vor, 
als Schiller im Briefwechsel mit Goethe oft gewisse Aus¬ 
drücke verwendet, die in ihren theoretischen Erörterungen 
eine Rolle spielten, wie „falsches Streben“, „fordern“, 
„fratzenhaft“, „absurd“, „Beschränkung“, „Streben“, 
„fruchtbar“ und andere. In solchen Fällen bedient sich 
Schiller, wie begreiflich, der Terminologie des Freundes; 
ob die Einwirkung bei einer längeren Laufbahn Schillers 
umfangreicher und nachhaltig gewesen wäre, muss dahin¬ 
gestellt bleiben. Jedenfalls war an sich die intensive 
Nutzung der Worte, wie alle subtilere Arbeit, nicht 
Schillers Sache, und die beständige Handhabung der ab¬ 
strakten philosophischen Sprache war nicht geeignet, den 
Sinn für Konkretisierung und für die Bildkraft der Worte 
zu entwickeln. 

Was die anderen Freunde Goethes an langt, so zeigen 
die Briefe seiner Korrespondenten, die in manchen Fällen 
die einzigen Quellen sind, nur wenig Spuren einer Ein¬ 
wirkung. Weder Knebel, noch Zelter, noch sogar Riemer 
sind berührt; vereinzelt Reinhard, dem die Prägnanz 



300 


jedenfalls auffiel (vgl. über „redliches Streben“, Briefw. 

S. 187). Nur drei von Goethes Freunden zeigen deut¬ 
lichere Einwirkung und zwar in auf steigender Folge: 
Boisseröe, H. Meyer und Eckermann. Was den letz¬ 
teren betrifft, so bedarf es keines Beweises, dass hier ein 
einzig dastehender Fall eines restlosen Aufgehens in einem j 
fremden Muster vorliegt. Der Altersstil Goethes war j 
Eckermann so in Fleisch und Blut übergegangen, dass 
wir thatsächlich in seinen „Gesprächen“ Goethes Rede 
zu hören vermeinen. Daher verdient auch Eckermanns 
Überlieferung unbedingtes Vertrauen; selbst wo er kurze 
Notizen überarbeitete* ist es in Goethes Geist geschehen. 
Nichts beweist dies Eindringen in die „innere Form“ der 
Sprache Goethes mehr, als die sichere Handhabung der \ 
Prägnanzen. Ein Vergleich der Altersprosa mit Ecker¬ 
manns Wiedergabe der Gespräche zeigt augenfällig, wie 
vollkommen letzterer seines Meisters Rede gerade auch 
hinsichtlich dieser feinen Wortnuancen und typischen 
Ausdrücke zu erfassen und nachzubilden wusste. Nicht I 
unwichtig ist dabei die wiederholt berichtete Thatsache, 
dass Goethe so sprach, wie er schrieb (vgl. auch Philippi, 
Kunst der Rede S. 152). Aus diesem Grunde bedurfte es 
bei der Wiedergabe der Gespräche keiner besonderen Re¬ 
daktion und Stilisierung, sondern das Geschriebene und 
Gesprochene gewährte dem Aussenstehenden den Eindruck 
eines einheitlich Empfangenen und Dargebotenen und I 
musste alle Äusserungen der Individualität Goethes als j 
die einer konstant und zuverlässig funktionierenden Kraft¬ 
quelle erscheinen lassen. 

Der zweite von den genannten Altersfreunden Goe¬ 
thes, Sulpiz Boisseree, gebraucht in seinen Briefen nicht | 
selten einzelne Worte in Goethes Schattierung, und zwar 
seien folgende Fälle angemerkt: „Wesen“ n, 371; 429; j 
568; I, 592; „Dämonen“ II, 190; 225; Willemer, „der j 



301 


alte tüchtige und wunderliche Freund“ II, 376; Zelter, 
„den ich wegen seiner durchaus tüchtigen, kräftigen 
Persönlichkeit. . . schätze“ H, 431; „thätige Teil¬ 
nahme“ II, 518; „unschätzbar“ II, 256; 383; „ich füge 
hinzu, dass das Geschäft . . . durchaus auf die reinste 
und ehrenvollste Weise geführt . . . ist“, II, 468. „Sie 
werden an ihm einen mit reinem Kunstsinn begabten, von 
einem durchaus redlichen Streben beseelten, jungen 
Mann finden.“ n, 251. 

Weitaus die stärkste Einwirkung, nächst Eckermann, 
zeigt Heinrich Meyer, und zwar gerade nach der Seite 
des Wortgebrauches, während der Stil zu Ende noch so 
ungeschickt und schleppend ist, wie zu Anfang. Da, wir 
hier von letzterem Punkte ganz abzusehen haben, seien 
einige Ausdrücke angeführt, die in ihrer Prägnanz ohne 
Zweifel auf Goethes Einfluss zurückgehen (benutzt ist 
Weizsäckers Ausgabe in Seufferts Neudrucken No. 25: 
Kleine Schriften zur Kunst von Heinr. Meyer): „leiden¬ 
schaftlicher Geschmack der Menge“ S. 60; „be¬ 
schränkte häusliche Verhältnisse“ S. 62; „freie, thä¬ 
tige Heiterkeit“ S. 58; „redliches Bestreben“ S. 113; 
114; 131; „treufleissige Nachahmung der Natur“ S. 90; 
„reine, treue Darstellung der reinsten Menschlichkeit“ 
S. 5; „er suchte immer mehr mit weniger Mitteln zu be¬ 
deuten, und hat zuletzt, über dem Streben nach dem . . . 
Bedeutenden, die Ausführung ein wenig vernachlässigt“ 
S. 181; sehr beliebt ist das Wort „Neigung“ bei Meyer; 
auch „löblich“, „abstrus“ u. andere Adjektive dieser 
Art sind nicht selten. Es ist bemerkenswert» dass der 
von Goethe bekanntlich inspirierte Aufsatz: „Neudeutsche 
religios-patriotische Kunst“ S. 97 ff. besonders reich an 
solchen Prägnanzen ist. 



302 


In den bisher behandelten Fällen ist ein direkter Ein¬ 
fluss nie ausgeschlossen und meist nachweisbar. Nach¬ 
dem alle persönlichen Beziehungen mit dem Meister auf¬ 
hören und das Zeitalter der „Enkel“ beginnt, breitet sich 
der Einfluss in demselben Masse, wie die sicheren Nach¬ 
weise einer Einwirkung sich mindern. In der Behandlung 
dieses Abschnitts der ganzen Frage sind mehrere Gesichts¬ 
punkte zu berücksichtigen. Wo auch immer Parallelen zu 
Goethes Wortgebrauch auf treten, kann einesteils das Prin¬ 
zip der spontanen Entwickelung wirksam sein, andern- 
teils ist es begreiflich, dass bei einigen Schriftstellern 
ein Vertiefen in Goethes Denk- und Ausdrucksweise ge¬ 
legentlich auch im Wortgebrauch deutliche Spuren hinter¬ 
lassen kann. Derartige Übereinstimmungen sind ferner 
von verschiedener Wichtigkeit, je nachdem sie nur ver¬ 
einzelt auftreten, oder im grösseren Zusammenhang und 
auf eine durchgehende Geistesverwandtschaft deuten. Die 
letztere seltene Kombination soll weiter unten durch 
einige Fälle illustriert werden, während hier zunächst 
einige Beispiele des isolierten Auftretens Goethescher 
Prägnanzen zu besprechen sind. Dabei ist übrigens ganz 
abgesehen von Neubildungen wie „Wahlverwandtschaf¬ 
ten“ 1 ), „gegenständlich“, „stoffartig* u. a., die 

*) Interessant ist übrigens die Genesis dieses Ausdrucks, der zuerst 
1785 in die deutsche Sprache eingeführt wurde; in diesem Jahre er¬ 
schien nämlich eine deutsche Übersetzung der Schrift des auch Goethe 
bekannten (vgl. 33, 372) schwedischen Chemikers Bergmann: De at- 
tractionibus electivis (vgl. Strehlkes Einleitung zu den Wahlverw. 15, 9). 
Ob Goethe den Terminus aus dieser Übersetzung übernahm, ist nicht 
bekannt. Jedenfalls würde auch der Annahme einer selbständigen Schöpf¬ 
ung nichts im Wege stehen, wenn man sich eine Stelle aus einem Briefe 
an Schiller vom 23. Okh 1799 vergegenwärtigt Es heisst hier über 
den französischen Dramatiker Crebillon: „Er behandelt die Leidenschaften 
wie Kartenbilder, die man durcheinander mischen . . . und wieder aus- 
mischen kann, ohne dass sie sich im geringsten verändern. Es ist 



303 


längst Allgemeingut geworden sind. Es handelt sich hier 
nur um die Vertiefung des alten Sprachgutes. 

Das Wort „tüchtig“ erscheint einmal bei Fr. 
Vischer in durchaus Goethescher Prägnanz: „Man wird 
bei den grossen Dichtern eine Grundlage tüchtiger Nüch¬ 
ternheit . . . finden“; Ästhetik III, 1218. Das gleiche 
Wort verwendet Laube wiederholt in seiner Einleitung 
zu Heinses Schriften (Lpz. 1838) in ganz prägnanter 
Weise: „Es wird (bei der Darstellung des Nackten in der 
Kunst) immer vorausgesetzt, dass es sich um einen offenen, 
tüchtigen Zweck handelt . . .“ I, XLIV. „Seine (Heinses) 
Briefe werden an Gegenstand und Umsicht voller und tüch¬ 
tiger . . .“ I, LI. In diesen Fällen liegt wohl spontane 
Entwickelung vor, dagegen begegnet in W. Scherers 
Rede auf J. Grimm ein Satz, der von Anfang bis Ende 
fast wie ein Citat klingt: „Wilhelms (des Bruders) Ent¬ 
wickelung zeigt keine Sprünge und Umwälzungen; früh 
ergriff er, was ihm gemäss war und hielt es mit Treue 
fest.“ Kleine Schriften I, 7. Die unbewusste Quelle ist 
wohl ein Vers aus Hermann und Dorothea: „Was er be¬ 
gehrte, das war ihm gemäss; so hielt er es fest auch.“ 
(2, 90.) 

Sehr begreiflich muss es scheinen, dass sich (bei 
Novalis hier und da Spuren seiner Vertiefung in Goethe 
und den Wilh. Meister zeigen; vgl. Ausdrücke wie: „falsche 
Tendenz“ 3, 255; „Nullität“ 3, 316*); „perfektibel“ 3, 314. 


keine Spur von der zarten chemischen Verwandtschaft, wodurch 
sie sich anziehen und abstossen, vereinigen, neutralisieren, sich wieder 
scheiden und herstellen.“ Der Vorstellungsinhalt des Ausdrucks „Wahl¬ 
verwandtschaften“ ist hier also nach seiner metaphorischen Verwendung 
schon genau umschrieben, während das Schlagwort selbst erst seit 180S 
bezeugt ist. 

0 Das Wort „Nullität“ ist übrigens bei vielen Schriftstellern zu 
belegen, aber nirgends annähernd so häufig, wie bei Goethe. 



304 


Letzteres Wort kommt einmal in einer Betrachtung vor, 
die von Goethe selbst stammen könnte und den Gegensatz 
zwischen Wilh. Meister und Werner (s. oben S. 32) vor¬ 
trefflich umschreibt: „Verworrenheit deutet auf Überfluss 
an Kraft und Vermögen, bei mangelhaften Verhältnissen; 
Bestimmtheit auf richtige Verhältnisse, aber sparsames 
Vermögen und Kraft. Daher ist das Verworrene so pro¬ 
gressiv, so perfektibel; dahingegen der Ordentliche so 
früh als Philister aufhört.“ 2, 194 (Tiecks Ausgabe). Die 
Antithese: verworren — ordentlich, entspricht der Goethe- 
schen: werdend, strebend — fertig. — Andererseits wäre 
noch zu untersuchen, inwiefern Goethe von Novalis An¬ 
regung empfangen hat. Wir wissen, dass Riemer sich 
Stellen aus Novalis „Blütenstaub“ aushob und in seine 
Tagebücher eintrug, wie z. B. aus dem Abschnitt über 
Poesie und Kunstwerke bei Novalis 2, 218 ff. (vgl. Riemers 
Tagebücher, Deutsche Revue Januar 1886). Diese Apho¬ 
rismen von Novalis mögen oft zwischen Goethe und Rie¬ 
mer erörtert sein, und so scheint es erklärlich, dass die 
Gespräche, die Riemer aus jenen Jahren überliefert, nicht 
selten gleiche Themata behandeln und in Gedankengang 
und Manier oft an Novalis erinnern. 1 ) So z. B. die Betrach¬ 
tungen über den Witz Nov. 2, 191 ff.; über den Dichter 
als „Vorstellungsprophet der Natur“ 3, 186, als „Natur- 
kundiger“ 2, 102 (vgl. Wanderjahre 18, 233). Bemerkens¬ 
wert ist, dass Novalis das bei Goethe seit etwa 1808 so 


*) Der Grund von solchen Berührungen liegt in dem Verhältnis 
beider Dichter zu der gemeinsamen Quelle, zu Schellings Natur¬ 
philosophie (vgl. Windelband, Gesch. d. neueren Philosophie II, 237: 
213; Haym, Romantische Schule S. 608 ff.). In wiefern Goethes Über¬ 
einstimmungen mit Schelling als spontanes Mitschwingen oder als Be¬ 
einflussung aufzufassen ist, verdient noch eine genauere Untersuchung: 
doch ist das erstere wahrscheinlich. Jedenfalls ist die eigentümliche 
Konsequenz, mit der Goethe die Begriffe der Polarität und Steige- 



305 


beliebte Bild von der „Systole und Diastole“ schon 
10 Jahre früher anwendet: er nennt die Vereinigung der 
Welt- und Selbstbetrachtung, der Peripherie und des 
Mittelpunktes, des Diskantes und Basses, die „Diastole 
und Systole des göttlichen Lebens“. 2, 174. Auffällig ist 
ferner die Übereinstimmung beider Dichter in der Klassifi¬ 
zierung von Übersetzungen (vgl. oben S. 287); auch 
Novalis unterscheidet drei Arten der Übersetzung, 
die er „grammatische, verändernde, oder mythische“ nennt. 
2, 186 f. Obwohl Goethe sich anderer Benennungen be¬ 
dient und überhaupt viel exakter verfährt, so folgen doch 
beide offenbar ähnlichen Kriterien. Ganz wie Goethe führt 
Novalis als Typus der mittleren Gruppe die französischen 
Übersetzungen an und bemerkt, dass sie leicht „ins Tra¬ 
vestieren“ fallen, ähnlich, wie Goethe sie „parodistisch“ 
nennt. 

Gelegentlich begegnet man Goetheschen Wendungen, 
wo man sie am wenigsten vermuten würde, wie z. B. bei 
Rob. Schumann. Dieser Musiker-Poet hat sich anfangs 
durchaus an Jean Paul gebildet und erst später das Stu¬ 
dium Goethes aufgenommen, aber offenbar mit um so 
grösserer Innigkeit und mit wahrhaftem Eindringen in 
seine Denkweise. Als Zeugnis mag die folgende, schlichte 
Äusserung dienen: „Heute ist Goethes Geburtstag, den 
ich recht goethisch zubringen will, d. h. in Arbeit, aber 
auch Freude und Genuss.“ Briefe, Neue Folge S. 187. Ge¬ 
rade dies Goethesche Lebensideal berührte in Schumann 


rung (bei Schelling meist: „Potenzierung“) entwickelte, nur eine prak¬ 
tische Fortbildung der Theorien, die Schelling in seiner „Deduktion des 
dynamischen Prozesses“ (Werke IV, 1 ff.) und überhaupt in seiner 
Philosophie der Natur niederlegte. Dabei ist es bezeichnend, dass 
Goethe hier wie anderswo von der spekulativen Seite ganz absieht 
und sich auf die physikalische beschränkt, um von hieraus den Über¬ 
gang zur Ethik zu gewinnen. 

Boncke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 20 



306 


eine verwandte Saite, wie er denn in seiner ganzen vor- 1 
nehmen Gesinnung und seiner Positivität ein Angehöriger | 
der „stillen Gemeinde" war. Die wichtige Goethesche 
Prägnanz „streben" begegnet daher überaus häufig in 
Schumanns Briefen, auch in der typischen Formel „red¬ 
liches Streben" (Neue Briefe S. 153). Mit Goethe erkennt | 
auch er gewisse Grössen als Urphänomene an: „Bach’en . 
ist nach meiner Überzeugung überhaupt nicht beizukom¬ 
men; er ist incommensurabel." Neue Briefe S. 151. 
Wahrhaft überraschend aber muss es wirken, hier eine 
abermalige Verwendung des positiven „dumpf“ anzu¬ 
treffen, und zwar ganz im Sinne Goethes zur Bezeichnung 
der Empfindungsfülle, die dem Schöpfungsprozess vorher¬ 
geht: „ich versank in eine Art Dumpfheit, dienlich seit 
einigen Jahren manchmal packt — da macht’ ich mich 
an ein Riesenwerk, das alle, alle meine Kräfte in Anspruch 
nimmt . . ." Jugendbriefe, S. 160. 


Einzelbeispiele, wie die vorliegenden Hessen sich j 
leicht vermehren; wichtiger sind die Fälle, in denen ein ! 
Schriftsteller nach seiner ganzen Individualität eine so 
innige Verwandtschaft mit Goethes Denkweise zeigt, dass 
auch in seinem Wortschatz, sei es durch Einfluss oder 
Urschöpfung, Goethesche Prägnanzen auftauchen. Ein | 
solcher Fall liegt z. B. in Grillparzer vor, obwohl sein 
Prosastil keineswegs Goethisch genannt zu werden ver¬ 
dient. Auch fehlen ihm einige der wichtigsten Stützen 
von Goethes Denkweise, wie vor allem der Begriff der 
„Gegenwart" (vgl. Sauers Ausgabe 15, 60; 66). Mit an¬ 
deren Anschauungen Goethes berührt er sich dagegen auf¬ 
fallend, und zwar vorwiegend nach der künstlerischen nnc ! 
ästhetischen Seite hin; so z. B. in folgenden Sätzen übt-: 



die Forderung der „Begrenzung“ und .„reinen Anschauung“: 
„Als allernotwendigstes Streben hat mir immer geschie¬ 
nen, so wie bei dem gewöhnlichen Menschen Erweite¬ 
rung, so bei dem ungewöhnlichen Begrenzung . . . 
Was ich erreichen möchte, wäre: Reines Auffassen in 
der Idee aller menschlichen und natürlichen Zustände . . .“ 
15, 64. Das Wort „rein“ zeigt auch in folgender Stelle 
eine echt Goethesche Prägnanz: „In die Zukunft schauen, 
ist schwer; in die Vergangenheit rein zurückblicken, noch 
schwerer. Ich sage: rein, d. h. ohne von dem, was in 
der Zwischenzeit sich begeben oder herausgestellt hat, 
etwas in den Rückblick mit einzumischen.“ 15, 163. Be¬ 
merkenswert ist die Prägnanz von „Forderung“ in folgen¬ 
dem Satze: „Länger . . . dauerte die zweite Ausgeburt 
falsch angewendeter Gelehrsamkeit: Übertreibung der 
Forderungen an die Produktion.“ 15, 81; in dem gleichen 
Aufsatz werden ganz im Sinne Goethes „die Forderungen“ 
kontrastiert mit den „nach Erfüllung Strebenden“. Auch 
die Formel „falsche Bestrebungen“ findet sich ge¬ 
legentlich (15, 31; 32) obwohl nicht genau in Goethescher 
Nuance. Die Betrachtung über den Dilettantismus (15, 
35) klingt teilweise an Goethe an, wie z. B. in der Be¬ 
tonung der „Darstellung“ als des „charakteristischen 
Merkmals jedes Kunstwerks“. Mehreremal erscheint 
„steigern“ in Goetheschem Sinne: „ein gesteigertes, 
geistreiches Leben“ 14, 62; „der Dilettant ist ein ge¬ 
steigerter Liebhaber“ 15, 35. Sehr nahe berühren sich 
beide Dichter in ihrer Vertiefung des Begriffes „Kompo¬ 
sition“, denn wenn auch Grillparzer das Wort selbst 
nicht angreift, so interpretiert er es doch ganz im Goethe- 
schen Geiste als „das Band der inneren Notwendigkeit, 
wodurch die einzelnen willkürlichen Gestalten der Kunst 
zu einem organischen Ganzen, zu einer Kunstwelt ver¬ 
bunden werden.“ 16, 35. Besonders auffallend ist wohl 



308 


die ungemeine Beliebtheit des Wortes „absurd“, das, wie 
bei Goethe, zum typischen Scheltwort wird (vgl. 12, 204; 
14, 36; 57; 172; 15, 23; 65, 92; 16, 22; 17, 15; 17; 29; 
19, 185 u. s. w.). Der häufige Gebrauch mag sich aus der 
Verbitterung und griesgrämigen Stimmung des Mannes 
im Alter erklären, zumal dieser Verneinung nicht, wie bei 
Goethe, die polaren Perioden der „Begabung“ und Selbst¬ 
verjüngung entsprachen und eine Harmonie der Kräfte 
herstellten. 


Weit mehr noch als Grillparzer, zeigen zwei andere 
Dichter eine auffallende Verwandtschaft mit Goethes 
Denkweise: Immermann und Hebbel. 1 ) Wie tief durch¬ 
drungen besonders der erstere Schriftsteller vom Geiste 
Goethes ist, verdiente eine besondere Untersuchung. Eine 
kernhafte Natur, nach „reinen“ Zwecken trachtend, in 
gleicher Weise mephistophelisch begabt, wie von gesunder 


0 Ein paar Worte verdient das Verhältnis Gutzkows zu Goethe, 
insofern als er für gewisse Prägnanzen des Dichters ein Verständnis 
zeigte. Man kann überhaupt Gutzkow ein tieferes Eindringen in Goethes 
Denkweise nicht absprechen und seine bekannte Schrift „Über Goethe 
im Wendepunkte zweier Jahrhunderte' 1836, verdient trotz des vielen 
Falschen und Schiefen darin, noch heute Beachtung. Er erkennt z. B. 
klar die induktive Natur Goethes, die sich vom kleinsten und von der 
Häuslichkeit über die Welt verbreitet, um wieder in die Systole der Be¬ 
schränkung zurückzukehren. (S. 63 ff.; hier liegen auch die Wurzeln der 
Formel: „beschränkte, häusliche Zustände“ vgl. oben S. 31). Aach 
wie sich diese einfachen „Verhältnisse“ bei Goethe zu den höheren Po¬ 
tenzen von „Wohlwollen, Neigung, Liebe, Leidenschaft“ emporsteigern 
(vgl. oben S. 116), wird S. 68 erwähnt. An anderer Stelle (S. 46) wird 
die Prägnanz von „gehörig“ richtig erkannt als Ausdruck der indivi¬ 
duellen, gcmässen Gestaltung, die alle Schablone in der Kunst anfeindet. 
Endlich sei noch auf die verständnisvolle Beurteilung von Goethes Prosa¬ 
stil hingewiesen (S. 82 ff). Gerade diese letztere Stelle ist aber ander- 



309 


Positivität erfüllt, bekundet Immermann in zahlreichen 
Einzelheiten eine echt Goethesche Anschauung, vor allem 
nach ihrer organischen Seite. Es liessen sich aus seinen 
Werken eine Reihe Citate zusammenstellen, die auffallend 
an Goethe anklingen und teilweise sicher auf Beeinflussung 
beruhen. Als eins der auffälligsten Beispiele sei folgende 
Stelle aus den „Memorabilien" hier ausgehoben: „Der ge¬ 
heime Grund, weshalb Viele gegenwärtig die Falte des 
Missmuts noch vor der Runzel des Alters an der Stirne 
zeigen, ist, dass sie sich im Stillen den geistigen Forde¬ 
rungen, die sie auch an sich ergangen glauben, nicht 
gewachsen halten ... Es existiert jetzt eine weitver¬ 
breitete Gesellschaft empor sich Schraubender und empor 
Geschobener, deren Zustand fast an den frevelhaften 
Rausch und an das ernüchterte Elend der Opiumesser 
erinnert." Werke (Hempel) 18, 87. Man erkennt in dieser 
Betrachtung sofort den Gedankengang wieder, dem Goethe 
in den berühmten Maximen 18 und 127, über die Forde¬ 
rungen der gesteigerten Gegenwart und über die proble- 


seits bezeichnend für Gutzkow, insofern als sein eigener Stil sicher 
nicht irgend ein Streben nach dem „bezaubernden Ton“ von Goethes 
Prosa verrät. So sind alle seine Betrachtungen mehr die Glossen eines 
Aussenstehenden, der halb ironisierend die Eigentümlichkeiten und 
Schwächen eines grossen Mannes von oben herab zergliedert Eine innere 
Verwandtschaft und wirkliche Befruchtung findet dagegen nicht statt; 
es ist ein Wissen, kein Thun. Diese Haltung ist überhaupt charakte¬ 
ristisch für die meisten Mitglieder des Jungen Deutschlands; man stösst 
sich an gewissen Auswüchsen und Schwächen Goethes und vermisst das 
Fehlende, anstatt den vorhandenen Schatz zu nutzen und die Fehler 
als notwendige Ergänzungen der Vorzüge zu begreifen. Übrigens dürfte 

R. M. Meyers Urteil über Gutzkows Schrift (Deutsche Litt, des 19. Jahrh., 

S. 221) wohl allzu streng sein, und noch weniger scheint es billig, in 
Immermanns Verhältnis zu Goethe nur eine „theoretische Bewunderung“ 
za sehen und „praktisch überall ein Mäkeln, Beanstanden, Besserwissen.“ 
(S. 115). 



310 


matischen Naturen für alle Zeiten den bündigsten Aus¬ 
druck verliehen hat (vgl. oben S. 52 ff). 

Was die Wortprägnanzen betrifft, so seien einige 
Sätze vorangestellt* in denen die Idee der „inneren Form“, 
die von so fundamentaler Bedeutung für Goethe ist (vgl. 
G.-J. 13, 229; 14, 296; 16, 190), von Immermann wesent¬ 
lich erweitert wird (diese Umgestaltung scheint aus den 
Erörterungen von R. M. Werner über „innere Form“, Lyrik 
und Lyriker S. 416, nicht klar genug hervorzugehen); er 
versteht darunter „die lebendigste und konsequenteste 
Darstellung harmonischer Einheit und eines inneren poe¬ 
tischen Lebensgesetzes durch die ganze Konstruktion 
eines Gedichts hindurch.“ 17, 476. (Damit deckt sich 
im Prinzip Grillparzers oben zitierte Definition des Be¬ 
griffes „Komposition“). Immermann geht allerdings einen 
wichtigen Schritt über Goethe hinaus, indem er unter 
dieser inneren Form nicht nur die organische Triebkraft 
und die „gehörige“ Gestaltung versteht, sondern auch ihre 
Quelle, d. h. in diesem Falle das bodenständige, nationale 
Element. Es handelt sich hier also weniger um die innere 
Form des einzelnen Kunstwerks, als um die einer ganzen 
Kunst, und in diesem weiteren Sinne hat die Kunst eines 
Volkes erst dann den adäquaten Ausdruck und die orga¬ 
nische Form gefunden, wenn sie aus sich selbst heraus 
gewachsen ist, wenn sie durchaus nationalen Ursprungs 
ist und nationale Ideale verkörpert. In der wichtigen Ab¬ 
handlung „über den rasenden Ajax des Sophokles“ spricht 
Immermann die gleichen Ideen aus, die später von Hettner, 
Hehn und Vischer geäussert sind, dass die Abwendung 
unserer grössten Dichter von der deutschen Art zur An¬ 
tike uns um „eine eigentliche National-Tragödie“ gebracht 
hat (17, 404). Er hofft und wünscht an anderer Stelle, 
dass die deutsche Poesie die Form finden möge, „die sie 
bei ihrem subjektiven Ursprünge noch nicht rein erlangen 



311 


konnte.. Ich meine nicht die äussere grammatische Form, 
für die Platen lebte und starb, sondern eine innere, 
geistige, eine, wie sie mir aus Shakespeare, Dante, Cer¬ 
vantes deutlicher entgegentritt, als aus Goethe. Die deut¬ 
sche Poesie als Kunst will mir als eine zweite Möglich¬ 
keit unserer grossen Litteratur erscheinen.“ 18, 160. 
Diese Erweiterung der Idee der „inneren Form“ durch 
Immermann ist deshalb besonders wichtig, weil sie durch 
die Aufnahme des „stoffartigen“ Elements eine neue Syn¬ 
these eingeht und den rein ästhetisierenden Standpunkt 
ablehnt, der von Goethe zu allen Zeiten so stark betont 
wurde. 

In dem letzten Citat fällt die Prägnanz von „rein“ 
auf, sie begegnet ähnlich in dem Ausdruck „der reine, 
grosse Despotismus“, 18, 215, worunter ein Despotismus 
zu verstehen ist, der sich im Gegensatz zu dem Napoleons 
nicht mit kleinlichen Mitteln der Schauspielerei befasst, 
sondern „rein und naiv“ auftritt“, als Gewalt, die da sagt: 
„Ich bin Gewalt, weil Gott in dieser Gewalt wohnt.“ Ähn¬ 
lich wie Goethe betrachtet auch Immermann den Despotis¬ 
mus nur „als eine Notwendigkeit mehr, neben welcher 
manches Leben in Freiheit aufblühen kann.“ 18, 214. — 
Das Thema der „menschlichen Beschränkung“, dem auf 
dem Gute des Oheims in den Wanderjahren der Sonntag 
gewidmet ist (18, 99), empfiehlt Immermann als Haupt¬ 
thema der Religionsphilosophie 18, 178. Den hieraus ent¬ 
springenden Gegensatz zwischen Gott und Welt nennt er 
mit einem beliebten Terminus Goethes „das Urphä- 
nomen“. Wie er an dieser Stelle, die dem Abschnitt 
„Fichte“ entnommen ist, eine tiefe Naturreligion ent¬ 
wickelt und ganz im Geiste Goethes die Welt als Gegen¬ 
pol des göttlichen Wesens auffasst (18, 180), so verbindet 
er überhaupt mit dem Begriffe „Frömmigkeit“ ganz die 
Goethesche Färbung und wendet auf Grabbe einmal den 



312 


Ausdruck „Naturfrömmigkeit" an (19, 33), wie Goethe 
auf Shakespeare (vgl. oben S. 102). Mehrere Male erscheint 
„gemäss" in der bekannten Prägnanz: „aus dieser neuen 
Nation (Frankreich nach 1830) wird ein ihr gemässer . . . 
Zustand hervorgehen" 18, 204; ferner 17, 9. Sehr beliebt 
ist „Fratze“ z. B. 8, 76; 10, 30; auch das Adjektiv 
„fratzenhaft“, 3, 210; 8, 122; 17, 476. Zu bemerken ist 
ferner der Gebrauch von Goethes typischer Metapher: 
„der Graziöse" z. B. 18, 122; 20, 114. Ähnlich wie 
Goethe (s. oben S. 250; ferner Riemer, Briefe, S. 331), 
nennt auch Immermann das literarische Publikum den 
„Aristophanischen, würstegefütterten Demos“ 19, 137. 
Auffallend ist ferner die häufige Anwendung des Wortes 
„Wirtschaft“; wie Goethe von der „Wirtschaft der See¬ 
schnecken" (vgl. oben S. 109), redet Immermann von der 
„Wirtschaft der Infusionstiere" 1, 91, „der Ameisen" 20, 
71, „der Natur" 20, 14. (Sanders belegt übrigens auch 
aus anderen Schriftstellern, wie z. B. Wieland, den gleichen 
Gebrauch, so dass hier keine individuelle Prägnanz Goethes 
vorliegt; doch ist die Häufigkeit immerhin bemerkens¬ 
wert). 


Eine ähnliche Stellung wie Immermann, nimmt Fr. 
Hebbel gegenüber Goethe ein; auch ihm ist im höchsten 
Grade eine organische Anschauungsweise eigen, und seine 
kritischen Arbeiten, sowie die unschätzbaren Tagebücher 
bieten eine grosse Anzahl Parallelen zu Goetheschen 
Ideen. Durch seine ganze Denkweise zieht sich der An¬ 
tagonismus des Werdenden und Fertigen, des zur 
Selbstbeschränkung Strebenden und des stagnierend Be¬ 
schränkten (vgl. oben S. 37). Folgende Stelle aus dem 
Tagebuch von 1839 wirft ein helles Licht auf den ganzen 
Vorstellungskreis: „Es ist ein Irrtum, wenn behauptet 



313 


wird, nur das Gewordene sei für den Dichter; im Gegen¬ 
teil, das Werdende ... ist für ihn . . . Aber das 
Werdende soll von der bildenden Hand des Dichters von’ 
Gestalt zu Gestalt übergehen, es soll niemals als form¬ 
loser, weicher Thon ... ins Chaotische und Wirre ver¬ 
schwimmen, es soll im gewissen Sinne immer zugleich ein 
Fertiges sein . . .“ (Aus Fr. Hebbels Tagebüchern. Aus¬ 
wahl. Hendels Bibi., S. 150). Ähnliche Betrachtungen 
sind häufig; er hält den 3. Akt der „Genoveva“ für das 
Beste „was ich bis jetzt machte, denn er stellt alles, was 
geschieht, wie werdend dar“. Tageb. S. 168. Scott wird 
getadelt, weil er „überhaupt nur das Entwickelte, niemals 
das Werdende“ darstelle, Tageb. S. 158. In der Sprache 
des Dramas unterscheidet er „Darstellung oder Relation, 
die Sache selbst oder einen Bericht über die Sache. Die Dar¬ 
stellung giebt den Werdeprozess in seiner ganzen Tiefe... 
die Relation dagegen ist an das Fertige, sei es auch das 
Fertige im Werdenden gebunden . . .“ (Werke W. Kuh, 
Hamburg 1891, Band 10, 70). Am grossartigsten und 
umfassendsten ist dies Prinzip formuliert in dem Apho¬ 
rismus: „Das Leben ist ein ewiges Werden. Sich für ge¬ 
worden halten, heisst sich töten.“ Tageb. S. 310. 

Mit Goethe teilt auch Hebbel die Anschauung vom 
'Kreislauf des Seienden, die am schönsten gefasst ist in 
dem Satze: „Das Leben bewegt sich immer in Kreisen; die 
Kreisform aber, auch die engste, trägt das Gepräge der 
Unendlichkeit.“ Werke 12, 37; vgl. auch 10, 80. Das 
„Incommensurable“ von Natur- und Kunstwerken be¬ 
tont folgender Satz über Faust: „Das Werk begreifen, 
heisst seine Unbegreiflichkeit, die es mit jedem Naturwerk 
gemein hat, erfassen.“ Tageb. S. 132. Auch des Gegen¬ 
satzes des „Tüchtigen“ und „Halben“ ist sich Hebbel 
bewusst, vgL Tageb. S. 132; 138; 183. Mehreremals wird 
„gemäss“ prägnant gebraucht: „Das ist des Menschen 



314 


letzte Aufgabe, aus sich heraus ein dem Höchsten, Gött¬ 
lichen, Gemässes zu entwickeln . . Tageb. S. 266; ferner 
S. 265. Vereinzelt steht: „ins Enge bringen“ 10, 71. 
— Ganz Goethisch ist folgende Auslegung des „posi¬ 
tiven Egoismus“ (vgl. oben S. 87): „Da der dauernde 
Selbstgenuss unwandelbar an die Selbstentwickelung und 
Selbstvervollkommnung geknüpft ist, so führt dieser Egois¬ 
mus eben auf die sittliche Grundwurzel der Welt zurück 
und stellt es sich als letztes heraus, dass man der Welt 
nur insoweit dient» als man sich selbst liebt.“ Tageb. 
S. 299. Sehr bedeutend und eine Ergänzung Goethes sind 
die Betrachtungen über „Sittlichkeit“: „Mit der Sitt¬ 
lichkeit kann sich der Dichter niemals im Widerspruch 
befinden, mit der Moralität nur selten, mit der Konvenienz 
sehr oft. Die Sittlichkeit ist das Weltgesetz selbst» wie 
es sich im Grenzensetzen zwischen dem Ganzen und der 
Einzelerscheinung äussert... (in der gleichen Anschauung 
wurzelt Goethes Lehre von der sittlichen Beschränkung, 
vgl. oben S. 120 f.). Die Moralität ist die angewandte, die 
auf den nächsten Lebenskreis bezogene Sittlichkeit . .. 
die Konvenienz ist . . . nichts Ursprüngliches, sondern eine 
Übereinkunft, die sehr viel Sittlichkeit und Moralität..., 
und meistens sehr viel Unsittlichkeit und Unmoralität in 
sich aufnimmt.“ Tageb. S. 224 f. Eine merkwürdige Über¬ 
einstimmung zeigt Hebbel mit Goethe in der Auslegung 
des Wortes „Pietät“ (vgl. oben S. 286): „Als die Alten 
die Erfahrung machten, dass der Kreis der Sittlichkeit 
nicht rein im positiven Gesetz aufgehe . . ., da erfanden 
sie das Wort Pietät. Die Pietät ist . . . die Hauptwurze! 
des sittlichen Menschen . . .“ Tageb. S. 294. 

Endlich begegnet bei Hebbel — neben Jacobi und 
Schumann zum drittenmal — die positive Färbung von 
„dumpf“; zu überraschen braucht diese Thatsache aller¬ 
dings nicht, insofern als Hebbel bekanntlich einer von 



315 


den grössten Selbstanalytikern war, der den dichterischen 
Schaffensprozess in allen Studien an sich beobachtete und 
sich schriftlich darüber Rechenschaft ablegte. Einer der 
wichtigsten Analysen ist der Aufsatz: „Wie verhalten sich 
im Dichter Kraft und Erkenntnis zu einander?“ Hier wird 
der schöpferische Prozess in zwei Stadien zerlegt, von 
denen das eine, die eigentlich naive Seite, „ein beharrlicher 
Zustand dumpfer XJnbewusstheit“ ist, das andere, die 
Ausgestaltung, notwendig eine klare Erkenntnis bedingt. 
10, 73 ff. Damit stimmt eine offenbar gleichzeitig (1847) 
niedergeschriebene Betrachtung in den Tagebüchern ge¬ 
nau überein; auch hier wird „ein Zustand vollkommener 
Dumpfheit“ angenommen, worin sich alles Stoffliche er¬ 
zeugt, und zwar (dem Goetheschen „Apercu“ ent¬ 
sprechend), indem es „plötzlich und ohne Ankündigung 
aus der Phantasie“ hervortritt. „Alles übrige aber fällt 
notwendig in den Kreis des Bewusstseins.“ Tageb. S. 235. 
Daneben verdienen zwei weitere Stellen Erwähnung, in 
denen das Wort fehlt, aber die Vorstellung in meister¬ 
hafter und zugleich poetischer Weise umschrieben ist. 
„Der Zustand dichterischer Begeisterung ist ein Traum¬ 
zustand . . .; es bereitet sich in des Dichters Seele vor, 
was er selbst nicht weiss.“ Tageb. S. 159. In einzig schöner 
Weise ist das Hervorspringen des Apercus verbildlicht: 
„In die dämmernde, duftende Gefühlswelt des begeisterten 
Dichters fällt ein Mondenstrahl des Bewusstseins und das, 
was er beleuchtet, wird Gestalt.“ Tageb. S. 166. *) 


9 Hebbels Auslassungen über den Begriff der „inneren Form“ 
hat bereits R. M. Werner, Lyrik und Lyriker S. 417 ausführlich be¬ 
sprochen; dort sind auch einige weitere Einzelbelege des Ausdrucks, 
wie vor allem der Ausspruch Ch. G. Körners, angeführt Auf den Be¬ 
griff selbst kann hier natürlich nicht eingegangen werden, da es sich 
nur darum handelt, Berührungen mit der Terminologie Goethes aufzu¬ 
zeigen. 



316 


Über solchen und anderen Parallelen zwischen den 
beiden Dichtern ist allerdings nicht zu übersehen, dass 
bei Hebbel mehr die innere Verwandtschaft der Vor¬ 
stellungen wirkt, die gelegentlich gleiche Prägnanzen aus¬ 
löst, und weniger der Trieb nach sprachlicher Intensität. 
Vielmehr neigt Hebbel zu extensivem Betrieb, und seine 
metaphorische Auffassung führt ihn eher zu rastlosem 
Suchen nach neuen Verknüpfungen und Bildern, als nach 
intensiver Nutzung des alten Materials. Dabei ist es für 
ihn bezeichnend, dass er theoretisch die Beschränkung als 
oberstes Gesetz anerkennt und „geizigste Ökonomie trotz 
höchsten Reichtums" für das Zeichen des grössten Genies 
hält. Tageb. S. 167. — Dass Hebbel über das Problem 
„Wort und Bedeutung" auch selbst nachdachte, zeigen 
verschiedene Stellen in seinen Tagebüchern, vor allem 
eine längere Betrachtung über den verschiedenen Wert 
des Wortes, je nachdem es von einem „platten Kopfe" oder 
„tiefsinnigen Geist" gehandhabt wird. Der platte Kopf 
mischt die Wörter nur wie Karten, ohne ihnen etwas 
von sich selbst aufzudrängen; der tiefsinnige Geist da¬ 
gegen strebt dahin, „den Wörtern das kurrente Gepräge, 
das sie im gevatterlichen Verkehre so bequem macht, zu 
rauben und ihnen ein neues aufzudrücken . . . Der tief¬ 
sinnige Geist ist der zweite Faktor, auf den die Sprache 
rechnete, als sie nur einer von den vier Würfelseiten der 
Wörter ein Merkzeichen, damit die Verwechslung un¬ 
möglich sei, auf prägte, und die übrigen drei weiss liess; 
er giebt dem unorganisierten Element erst Form, Gestalt 
und den rechten Inhalt. . ." Tageb. S. 207. Solche Äusse¬ 
rungen beweisen, wie tief bei allen grösseren Geistern 
die Überzeugung von der organischen Funktion der Worte 
wurzelt, die bei Goethe das allbelebende Prinzip ist. Wie 
der englische Schriftsteller Thomas de Quincey in seinem 
„Essay on Style" von einer „Organologie des Stils" 



317 


redet, d. h. der Wissenschaft vom Stil als Organ des 
Geistes, so könnte man die Lehre vom Wort als Organ 
der Einzelvorstellung, die Organologie des Wortes 
nennen. Hier harren des Lexikographen noch grosse und 
glänzende Aufgaben. 


Es muss aufs neue betont werden, dass die vorstehend 
gebotenen Nachweise über das Fortleben Goethescher 
Prägnanzen nur als Ansätze zu genaueren Untersuchungen 
solcher Art gedacht sind. Aber schon aus den hier be*r 
handelten Fällen dürfte sich eines mit Sicherheit ergeben: 
dass solche Prägnanzen bei allen anderen Schriftstellern 
nur isolierte Fälle bleiben, im Augenblick geschaffen und 
vom Augenblick verschlungen. Aber auch der Fall, dass 
ein Schriftsteller, unabhängig von Goethe seine eigene 
Gedankenwelt ausbauend, sich einen typischen Schatz von 
Wertungen geschaffen hätte, dürfte in der Litteratur 
nirgends nachzuweisen sein. So stellt sich Goethes Ter¬ 
minologie in ihrer festgefügten Struktur und geschlosse¬ 
nen Einheit als eine singuläre Erscheinung dar: mit Be¬ 
wusstsein und Konsequenz sind die einzelnen Prägnanzen 
entwickelt, um einfache, aber fruchtbare Wahrheiten mit 
Hilfe des gegebenen Wortmaterials auszuprägen. Inner¬ 
halb des ganzen Gedanken- und Wortapparates aber pul¬ 
siert eine Individualität, die das Kleinste mit Lebenswärme 
und fortzeugender Kraft erfüllt, so dass alle sprachlichen 
Ausdrucksmittel aus dem inneren Kern hervorwachsen, 
von dort fort und fort genährt werden und in ihrer Ge* 
samtheit keinen blossen Wortschatz, sondern das konse¬ 
quente Wachstum eines geistigen Organismus darstellen. 

Die Frage, warum sich nicht deutlichere Spuren von 
dieser Seite des Goetheschen Schaffens in der Litteratur 
nachweisen lassen, erledigt sich prinzipiell schon dadurch, 



318 


dass diese Prägnanzen auf Selbsterlebnis beruhen und nur 
dem aufgehen, der sie selbständig erwirbt oder nacherlebt. 
Wenn dies schon auserwählten Geistern nur teilweise be- 
schieden ist, wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, 
so ist noch weniger zu erwarten, dass die generelle 
Bedeutungsentwickelung von dem individuellen Wan¬ 
del in Goethes Wortschatz beeinflusst werde. Denn 
zwischen den Wortschöpfungen der Volksseele und des 
einzelnen Genies waltet der grundsätzliche Unterschied, 
dass jene aus einem allgemeinen Bedürfnisse oder doch 
dem einer gewissen sozialen Gruppe hervorgehen, während 
im anderen Falle nur das Bedürfnis eines Einzelnen sich 
bethätigt. Allerdings ist es auch im Collektiv-Sprachleben 
oft ein Einzelner, der das Wort schafft, oder eine neue 
Bedeutung damit verknüpft, aber seine Schöpfung klingt 
mit den Bedürfnissen von Tausenden zusammen und wächst 
auf dem i Boden und nach den Gesetzen des normalen 
Sprachlebens. Die Sprachschöpfung des Genies dagegen 
ist eine abnorme Produktion, die nur ihm selbst congenial 
ist und der geistigen Elite, aber nicht der Gesamtheit. 
Dazu kommt, dass die Bedeutungsschattierungen in Goe¬ 
thes Sprache so subtil sind, und so wenig den praktischen 
Bedürfnissen in der gröberen Handhabung sprachlicher 
Ausdrucksmittel entsprechen, dass sein Prosastil in den 
weiteren Kreisen noch heute nicht verstandene, sondern 
nur nach einigen handgreiflichen Auswüchsen beurteilt 
wird. Es würde sich unschwer beweisen lassen, dass der 
heutige Prosastil sich zum grossen Teil an den Schriit- 
stellern des Jungen Deutschlands geschult und so an 
Leichtigkeit und Eleganz gewonnen, was er an der Kunst 
ruhiger epischer Erzählung und an der Handhabung 
feinerer sprachlicher Nuancen verloren hat. 

Das Studium der individuellen Feinheiten in der 
Sprache Goethes dient somit im Grunde nur dem tieferes 



319 


Eindringen in die Individualität des Dichters und Denkers 
selbst. Aber diese Vertiefung trägt auch mittelbar reiche 
Frucht durch die Erkenntnis, dass auch das primitivste 
Wort in der« Hand des Meisters einen unglaublichen Reich¬ 
tum an Farben und Schattierungen entwickeln kann. Wie 
ein weiser Haushälter steht Goethe vor uns da, der seine 
Güter rationell verwaltet und seine Erträge von Jahr zu 
Jahr durch das lebendige Prinzip der intensiven Wirtschaft 
zu steigern weiss. Auch seine sprachtheoretischen Selbst¬ 
zeugnisse beweisen, dass er die Kunst der Wortwahl mit 
Bewusstsein übte, und dass es kein Zufall ist, wenn er im 
Laufe seines Lebens einen individuellen Wortschatz von 
solchem Umfang und solcher Prägnanz entwickelt, wie 
es bei keinem anderen Schriftsteller der Weltliteratur 
nachzuweisen ist. Ihm war das Wort eins mit der 
Vorstellung, kein mechanisches, sondern ein 
dynamisches Mittel, und so ist auch seine Sprache ein 
Ausfluss seiner ganzen Individualität und Weltanschauung, 
die er selbst oft genug eine „dynamische“ genannt hat. 

Dieser dynamische Ursprung seiner Worte wird Goe¬ 
thes geistige Hinterlassenschaft vor dem Schicksal einer 
Erstarrung zu toten Formeln bewahren, das er selbst 
während seiner geschichtlichen Studien zur Farbenlehre 
in so vielen Fällen wahrzunehmen glaubte. Wie klar er 
neben dem positiven Wert des Wortes auch seine ver¬ 
derbliche und irrtumzeugende Wirkung erkannte, ist seiner 
Zeit dargelegt worden; was den Denker leidenschaftlich 
erregt, stimmt den Dichter zu anderer Zeit zu einem 
anmutigen Stegreifverse über das Wort als Symbol 
ies Lebens. Wie die Worte, kaum gesprochen, schon 
verklingen, so huschen Tage und Stunden wie Schatten- 
>ilder vorüber, und was uns bleibt, ist nicht mehr als 
!er „farbige Abglanz“, den auch Faust als das Resultat 
aenschlichen Strebens erkennt. In seiner leisen, ver- 



320 


schwebenden Art gehört dieser Vers noch der Epoche der 
Divanspoesie an und ist eins der unzähligen Zeugnisse von 
der Macht Goethes, das „Gemeine“ zu dem „Höheren“ 
emporzusteigern und das Materielle bis zum zartesten 
Hauch zu verflüchtigen: 

Worte sind der Seele Bild! 

Nicht ein Bild, sie sind ein Schatten, 

Sagen herbe, deuten mild, 

Was wir haben, was wir hatten. — 

Was wir hatten, wo ist’s hin? 

Und was ist’s denn, was wir haben? — 

Nun, wir sprechen: Rasch im Fliehn 
Haschen wir des Lebens Gaben. 



i 



Nachträge 


f lügelmännisch. Ein weiterer Beleg dieses merk¬ 
würdigen Ausdrucks findet sich in einem Gespräch 
vom 6. Okt. 1810, das Riemers Tagebuch ver¬ 
zeichnet (Deutsche Revue, Okt. 1887): (Über Don 
Carlos.) „Was stetig gemacht ist, erlaubt hernach 
nicht solche Verkürzungen (bei der Aufführung, in 
der das Stück sehr zusammengeschnitten war). Es 
muss gleich anfangs flügelmännisch angelegt sein, 
wie in den französischen, ja selbst im Sophokles.“ 
Hier liegt die dritte Stufe der Bedeutungsentwick¬ 
lung vor, und der Sinn wäre etwa: „einen bestimm¬ 
ten Typus klar ausprägend, in harmonischen Pro¬ 
portionen.“ — 

fruchtet baar (S. 216 A.). Wie ich nachträglich 
sehe, hat bereits R. M. Meyer in seiner Besprechung 
von Knauths Schrift (Deutsche Litteraturzeitg. 
1894, Sp. 1229), die von Knauth vorgeschlagene 
Erklärung der Wendung bemängelt und die richtige 
Auffassung kurz angedeutet in den Worten: „Mir 
scheint die Neubildung ,fruchtet‘ mit einer über¬ 
tragenen Verwendung des Wortes ,baar‘ ver¬ 
bunden.“ — 

galant (S. 243). Weitere Belegstellen sind: 21, 174 
(Herders galantes Wesen); — an Frau von Stein 
I, 19 („wenn man künftig die Fidibus hier zu Lande 
so galant kneipen wird, wie ein süss Zettel¬ 
chen...“); — an Soret, S. 49 (die Ausgleichung 
wird „zierlich und galant zu bewirken sein“). Ob- 

Boacke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 21 



322 


wohl sich vielleicht noch weitere Nachweise finden 
würden, lässt sich das S. 243 ausgesprochene Urteil 
doch aufrecht erhalten. — 
gemein (S. 176). Eine interessante Auseinander¬ 
setzung über den Bedeutungswandel der Worte „ge¬ 
mein“ und „edel“ bietet L. Tobler in der Zeitschr. 
f. Völkerpsychol. 6, 395ff. Beide Worte wurden 
von natürlichen oder socialen Verhältnissen auf 
ethische übertragen, wobei das Streben nach In¬ 
tensität bei „edel“ eine aufsteigende, bei „gemein“ 
eine absteigende Richtung einschlug. Mit Rück¬ 
sicht darauf, dass „gemein“ im Sinne von „all¬ 
täglich“ sowohl Goethe wie Schiller geläufig ist, 
verdient die Bemerkung Toblers Erwähnung, dass 
der Begriff des Männlich-Edlen vorwiegend bei 
Schiller ausgeprägt ist. während Goethe sich mehr 
dem Weiblich-Schönen zuneigt. — 
geschäftig. Auf dieses Wort, als einen Lieblings¬ 
ausdruck des jungen Goethe, macht J. Collin in 
seiner Schrift: Goethes Faust in seiner ältesten 
Gestalt (Frankfurt 1896), aufmerksam. — 
Immermanns Verhältnis zu Goethe lässt sich nach 
folgenden drei Gesichtspunkten gliedern: 1. Innere 
Verwandtschaft nach der konstruktiven Seite hin 
und aufrichtige Bewunderung (vgl. besonders Me¬ 
morabilien 18, 161; 20, 85; 97; ferner die beiden 
Briefe an Goethe aus dem Jahre 1822, Schriften 
der Goethe-Gesellsch. Bd. 14, 256ff.). Von Wich¬ 
tigkeit ist die konservative Haltung Immermanns 
in politischen und socialen Fragen, die ihn in 
Gegensatz zu dem Liberalismus der Menzel, Gutz¬ 
kow, Börne etc. bringt; schon deshalb nimmt Im¬ 
mermann im Vergleich mit diesen, hinsichtlich 
seiner Stellung zu Goethe einen Sonderplatz ein. 



323 


2. Starke Beeinflussung hinsichtlich der Komposi¬ 
tion und Motive (vgl. J. 0. E. Donner, Der Einfluss 
Wilh. Meisters auf den Roman der Romantiker 
S. 187ff.; H. Jahn, Vorgeschichte von Immermanns 
Merlin, Berl. 1898, S. 31 ff.; 120ff.; das Thema ist 
übrigens bei weitem noch nicht erschöpft). 3. Ab¬ 
lehnung des einseitigen Klassicismus Goethes (vgl. 
17, 405) und gelegentliche Parodierung hinsichtlich 
handgreiflicher Schwächen. Besonders charakte¬ 
ristisch in dieser Hinsicht ist die Figur des „jungen 
Dichters“ im 6. Buch der Epigonen, eines jener 
litterarischen Plusmacher, deren „lässliche“ Be¬ 
urteilung durch Goethe damals zu dem bekannten 
Ausspruch führte, dass ein Lob Goethes einen 
Dichter zum Mittelgut stempele. Jener Autor ist 
damit beschäftigt, die ganze Kunstgeschichte in 
Terzinen einzuschlachten; er versäumt nicht das 
Urteil der höchsten litterarischen Instanz in Weimar 
einzuholen und erhält „ein auf munterndes Schrei¬ 
ben, „„in so löblichen Bestrebungen treufleissig 
fortzufahren““. (6, 168.) — Auf eine andere An¬ 
spielung macht R. M. Meyer aufmerksam (Eupho- 
rion 3, 432): Im Münchhausen parodiert Immermann 
gelegentlich den Goetheschen Ausdruck „Zustand“ 
in der Beschreibung der ländlich-sittlichen „Knip- 
pelsdorfer Zustände“ (1, 34). — Nachzutragen ist 
noch der Gebrauch von „trübe“ in Goethescher 
Prägnanz in der Wendung: „Hier war keine Spur 
von Leidenschaf tlichkeit, von trübem Verlangen.“ 6, 
149; ferner die Faust-Reminiszenz (I, 498): „furcht¬ 
sam weggekrümmt“ 6, 79. Wenn Immermann ein¬ 
mal in der Beschreibung einer Büste der Madame 
de Stael die Wendung braucht: „aber um die Stirn 
ein ehern Band geschmiedet“, so schwebten ihm 

21 * 



324 


hier offenbar die gleichbedeutenden Worte Goethes 
vor, in der bekannten Charakteristik, die dieser 
von Schillers Schützling Schmidt von Friedberg, 
im Stil der Reiseakten von 1797 entwirft. Es 
heisst darin u. a.: „Aber um die Stirn schmiedete 
ihm ein ehernes Band der Vater der Götter.“ (An 
Schiller, 9. August 1797.) — Erwähnt sei endlich 
ein Ausspruch Immermanns, der ganz und gar aus 
dem gleichen konstruktiven Geiste geboren ist, der 
Goethes Denken und Thun erfüllt: „Überhaupt ist 
die Polemik nicht Poesie. . . . Nicht die Negation, 
das Positive ist das Element der Kunst.“ 17, 478 
(vgl. hinsichtlich Goethes oben S. 177f.; Gespr. 5, 
146; 7, 255). Eine um so merkwürdigere Ironie 
liegt in der Thatsache, dass derselbe Immermann 
in dem letztgenannten Gespräche (1830) als Typus 
der polemischen Dichtung figuriert; denn obwohl 
Goethe nur Platen und Heine ausdrücklich nennt, 
so würde er ohn,e Zweifel auch Immermann ein¬ 
geschlossen haben, dessen Angriffe auf Platen ihm 
nicht unbekannt bleiben konnten. — 

Maitre Jacques (S. 253). Was Goethes Verwendung 
dieser Redensart betrifft, so hat bereits R. Box¬ 
berger in der Vierteljahrsschr. f. Litteraturgesch. 
I, 286 die Belege zusammengestellt und nachge¬ 
wiesen, dass der Ausdruck nicht aus Diderots 
Roman, sondern aus Mo Her es Avare stammt. (Vgl. 
auch die Notiz in der gleichen Zschr. 3, 380). — 
Novalis. Da ich mich nicht vergewissern kann, ob 
es schon von anderer Seite geschehen ist* möchte* 
ich hier auf ein Versehen Biedermanns, des hoch¬ 
verdienten Herausgebers von Goethes Gesprächen, 
aufmerksam machen, zumal dies Versehen in un¬ 
freiwilliger Weise die Erscheinung illustriert, das^ 



manche von Goethes philosophischen Gesprächen 
eine täuschende Ähnlichkeit mit Novalis’ Improvisa¬ 
tionen aufweisen. Die ganze Aphorismenreihe, die 
Biedermann als Nr. 1420a lind b (Gespr. 8, 178f.) 
abdruckt, geben Wort für Wort Gedanken Novalis’ 
wieder, wie sie sich Riemer aus längeren Ab¬ 
schnitten der Fragmente „Blütenstaub“ (im Athe¬ 
näum) ausgehoben und in sein Tagebuch (Deutsche 
Revue, Mai 1886) eingetragen hatte (in Tiecks 
Ausgabe Bd. 2, 218—220). — 

Sc he Hing. Zu der oben auf gezeigten Verwandt¬ 
schaft zwischen Goethe und Schelling hinsichtlich 
des Polaritätsbegriffes bietet sich vielleicht eine 
Parallele in einer Beeinflussung Goethes durch den 
Philosophen, die 0. Harnack in seinem Artikel 
„Goethes Monadenlehre“ (Essays und Studien 
S. 281 ff.) nachzuweisen sucht. Darnach wäre 
Goethes Monadenvorstellung nicht direkt auf 
Leibniz zurückzuführen, sondern durch die Lektüre 
Schellings wachgerufen worden. — 

Sprechweise. Die mehrfach berührte Einheitlich¬ 
keit von Goethes geschriebener und gesprochener 
Prosa erhält noch eine weitere Stütze durch ein 
Zeugnis, das wir einem Besucher Goethes aus dem 
Jahre 1829, dem Freiherrn Ludwig Löw von und 
zu Steinfurt, verdanken: „Höchst merkwürdig, ja 
wahrhaft erstaunenswürdig war die Art, wie er 
sprach. Es war der reinste ununterbrochenste 
Fluss der Rede, die höchste Mannigfaltigkeit und 
Gewandtheit des Ausdrucks, über welchen Gegen¬ 
stand er auch sprechen mochte. Da wo sich’s um 
tiefere Dinge handelte und wo selbst die Gebilde¬ 
ten, selbst die geübten Denker in der Regel die 
Worte suchen müssen, da bewegte er sich mit 



326 


derselben Leichtigkeit, als wenn er über das Wetter 
spräche. Es war mit einem Worte unsere deutsche 
Sprache in der (gestalt, wie man sie sich von über¬ 
irdischen Wesen geredet denken möchte.“ (Ab¬ 
gedruckt G.-J. 17, 62; vgl. auch den Bericht des 
Archäologen 0. v. Stackeiberg aus dem gleichen 
Jahre, G.-J. 13, 87). — 

stetig. Weitere Belege für ein frühes Vorkommen 
des Wortes bietet ausser Jacobi auch Schubart, so 
z. B. in der Deutschen Chronik 1775 (Werke 6, 217; 
234). — 

Tagseite des Lebens (S. 188; 290 A.). Zu den 
mehrfachen Nachweisen über diese Vorstellung 
Goethes sei noch ein weiterer hinzugefügt, der 
abermals zeigt, wie vielfältig Goethe solche Grund¬ 
anschauungen fruchtbar zu machen wusste. Die 
Herzogin von Cumberland, mit der er 1807 bekannt 
wurde, eine Schwester der Königin Luise, hatte 
an ihn nach Empfang der ersten Bände von Dich¬ 
tung und Wahrheit ein Dankschreiben gerichtet 
und darin eine Grabschrift angeführt» die einer von 
Goethes Bewunderern als besonders passend auf den 
Dichter entworfen hatte. Diese etwas eigentüm¬ 
liche Aufmerksamkeit, dem Lebenden sein eigenes 
Epitaph zur Begutachtung vorzulegen, berührt 
Goethe keineswegs peinlich, oder wie er mit einem 
Lieblingsfremdwort sagt:„apprehensiv“, denn, fahrt 
er fort, „eine Grabschrift ist ja eigentlich eine 
Lebensschrift, indem sie die Grabstätte durch 
die Erinnerung an das Leben beleben soll. Dient 
sie also als Gegengewicht des Todes, warum sollte 
sie nicht auch den Lebendigen ein Übergewicht 
geben?“ (Str. Br. I, 133). — 

Übersetzungen (S. 287). Das Problem der Über- 



327 


setzungskunst ist so tiefgehend, dass eine kritische 
Erörterung von Goethes Standpunkt allein ein 
Kapitel für sich bilden würde (vgl. im allgemeinen 
Kobersteins Grundriss, 5. Aufl., IV, 244ff., wo 
allerdings auf Goethe kaum Bezug genommen wird). 
Hier kann nur auf die wichtigsten Parallelen zu 
Goethes Theorie eingegangen werden. Was Nova¬ 
lis betrifft» so sei an A. W. Schlegels Ausführungen 
über die poetische Übersetzungskunst in den Horen 
1795 und im Athenäum 1799 erinnert, sowie über¬ 
haupt an die häufigen Erörterungen des Themas zu 
jener Zeit im Anschluss an die Shakespeare- und 
Ariost-Übersetzungen, um die Übereinstimmung 
zwischen Goethe und Novalis zu erklären. Auf die 
gleichen Anregungen geht auch wohl Schleier¬ 
machers Vortrag: „Über die verschiedenen Metho¬ 
den des Übersetzens“ (1813) zurück (Werke 3. Abt. 
H, 207ff.), worin sogar auf Goethes damals eben 
bekannt gewordenen Betrachtungen im 3. Teil von 
D. W. unmittelbar Bezug genommen wird (a. a. 0. 
S. 221 A.). Schleiermacher unterscheidet ebenso 
wie Goethe drei Hauptarten: Paraphrasen (bei 
Goethe prosaische, bei Novalis grammatische Über¬ 
setzungen), Nachbildungen (parodistische resp. ver¬ 
ändernde), und auf der höchsten Stufe zwei Mög¬ 
lichkeiten: entweder die vollständige Assimilation 
des Fremden an den Geist der Muttersprache, oder 
die begriffliche Reproduktion der Ursprache. Diese 
beiden Fälle entsprechen genau einer Unterschei¬ 
dung, die Goethe gelegentlich in seinem Gespräch 
mit Riemer macht: „Über die doppelte Art von 
Übersetzungen des Alten und Neuen; die freien 
nach dem Genius und Bedürfnis des Volkes, für das 
übersetzt wird, und die getreuen nach dem Genius 



328 


des Volkes, aus dessen Sprache übersetzt wird.“ 
Gespr. 2, 321 (1810). — Neuerdings hat J. Keller 
in einer kleinen Schrift: „Die Grenzen der Über¬ 
setzungskunst“, Karlsruher Programm 1892, das 
Problem sehr anziehend behandelt und ganz im 
Goetheschen Sinne des „Unübersetzbaren“ (vgl. 
oben S. 164 A.) dahin entschieden, dass nur die 
logischen Grundformen der Sprache übersetzbar 
seien, alles andere bleibe incommensurabel und un¬ 
übersetzbar. Es ist der gleiche Gedanke, den 
Schopenhauer in einer kleinen Betrachtung über 
„Sprache und Worte“ ausspricht (Werke, ed. Grise- 
bach V, 598 ff.). Er versinnlicht die „Paeniden- 
tität“ der Wortvorstellungen in verschiedenen 
Sprachen durch ungefähr sich deckende konzen¬ 
trische Kreise und macht darauf aufmerksam, dass 
man Gedichte überhaupt nicht übersetzen könne, 
sondern bloss umdichten. — 


Der Vollständigkeit halber sind im folgenden noch 
einige Worte zusammengestellt, die meines Erachtens in¬ 
folge der relativen Häufigkeit des Vorkommens ebenfalls 
dem individuellen Wortschatz zuzurechnen sind, die sich 
aber anderseits nicht leicht in den grossen Begriffs¬ 
komplex einreihen lassen, dessen typische Ausdrucksmittel 
in diesem Buche analysiert wurden. Sie stehen isoliert, 
und ihre Beliebtheit geht auf zufällige äussere Umstände 
zurück, über die höchstens Vermutungen aufzustellen sind. 
Apprehension, apprehensiv; z. B. Str. Br. I, 133: 

425; II, 50; 453; Ann. 251; Boiss. H, 451 u. ö. - 
aufdröseln; das Wort ist im Ostmitteldeutschen 
heimisch und wird von Goethe erst seit 1SOO 
häufiger gebraucht; es scheint in derber Weise den 



329 


Begriff des mühsamen Zergliederns wiederzugeben, 
den sich Goethe schon im Leipziger Liederbuch 
durch das Bild der von fern bunt schillernden, in 
der Nähe einfarbigen Libelle versinnlichte (D. j.G. 1, 
103). Es ist wohl kein Zweifel, dass der syntheti¬ 
sche Denker durch dieses wegwerfende Dialektwort 
seine Geringschätzung der auflösenden Analysis 
ausdrückte: „Trennen und Zählen lag nicht in 
meiner Natur.“ 33, 63. (Die Verstandesphiloso¬ 
phen) „weben nicht den Teppich, sondern sie 
dröseln ihn auf.“ Gespr. 2, 112. In dem Streit über 
die Almanachskupfer der bösen Weiber macht sich 
eine der Personen lustig über die Bemühungen der 
Bilder-Erklärer, „um das in Worten noch recht auf¬ 
zudröseln, was der bildende Künstler hier in Dar¬ 
stellungen zusammengewoben hat“. 16, 177. Be¬ 
sonders charakteristisch ist der Gebrauch des 
Wortes bezüglich der Newtonischen Farbenzer¬ 
legung im Spectrum (über den Sonnenstrahl in der 
camera obscura): 

Aufgedröselt, bei meiner Ehr 

Siehst ihn, als ob’s ein Stricklein war, 

Siebenfarbig statt weiss, oval statt rund .... 

(3, 303) 

(über L. Tobiasen, einen Anhänger Newtons): 

Armer Tobis, tappst am Stabe 
Siebenfarbiger Dröseleien .... (3, 304) 

Statt Reden und Zaudern gilt es ein Schweigen und 
Thun: „Zähle Dir das nicht vor,“ ruft Lucidor aus, 
als er über den Verlust Lucindens nachgrübelt, 
„drösele Dir’s nicht auf! Schweig und entschliesse 
Dich!“ 18, 113. Mehrere Male ist die typische 
Metapher von Penelopes Gewebe mit dem Wort 



330 


verbunden; (über die Bühnenbearbeitung des Götz 
1804): „auch habe ich, wie Penelope, nun ein Jahr 
immer daran gewoben und aufgedröselt“ .... an 
W. v. Humboldt S. 211; fast dieselben Worte an 
Zelter 1, 127. Die Metapher, die in dem Worte 
„aufdröseln“ selbst liegt, wird weiter ausgeführt 
in einem Divangedichte an Suleika: 

Jahre dauerts, dass ich neu erschaffe 
Tausendfältig Deiner Verschwendungen Fülle, 
Auf drösle die bunte Schnur meines Glücks, 
Geklöppelt tausendfadig 
Von Dir, o Suleika! (4, 137) 

Erwähnt sei das vereinzelte Vorkommendes Wortes 
bei Hebbel (Werke 10, 80). — 
bestätigen. Obwohl das Wort von jeher gebraucht 
wurde, so scheint es Goethe besonders zu pflegen, 
vielleicht in Anlehnung an das beliebte „stätig“, 
oder auch durch Einfluss der Bibel, in der nach 
dem DWb der Ausdruck „sich bestätigen“ be¬ 
sonders oft begegnet. Die zahlreichen Belege 
erstrecken sich über alle Perioden, von 1775 
an: D. j. G. 3, 70; 8, 359; 15, 224; 22, 19; 
22, 148; Ann. 160; Ann. 220; 29, 632 u. s. w. 
bethätigen. Dieses schon seines Ursprungs wegen 
(mhd. beteidingen) interessante Wort ist besonders 
merkwürdig durch seine grosse Seltenheit in der 
Litteratur des 18. Jahrhunderts, bis es durch 
Goethe aufgenommen und zu einem seiner Lieb¬ 
lingsworte wurde. Der Grund ist zweifellos darin 
zu suchen, dass er zur Verkündigung seiner Lebens¬ 
maxime von dem Wert des Thuns (oben S. 187) 
eines volltönenden Ausdrucks bedurfte, und diesen 
in dem an „That“ angelehnten „bethätigen“ vor- 



331 


fand, oder sich vielmehr schuf. Die Belegstellen 
bietet das DWb I, 1699 so vollzählig, dass ein Ver¬ 
weis darauf genügt. Besonders schön ist das Wort 
definiert und angewendet in Spr. 903: „Alles, was 
wir Erfinden, Entdecken im höheren Sinne nennen, 
ist die bedeutende Ausübung, Bethätigung eines 
originellen Wahrheitsgefühles . . .“ — 
bethulich scheint nur bei Goethe häufiger belegt 
zu sein: 8, 186; 11, 24; 29, 403. Es wäre etwa der 
Reihe: gemütlich, behaglich, anständig, anzu- 
schliessen und bedeutet: „manierlich, geschäftig, 
fürsorglich“. Auch das Hauptwort und Verbum 
begegnen; das Lied auf S. 372 in des Knaben 
Wunderhorn wird charakterisiert: „treffliche Dar¬ 
stellung weiblicher Bethulichkeit und täppischen 
Männerwesens“. 29, 395; „indem sie sich auf 
Frauenweise mit den Gattinnen zu bethun und zu 
beschäftigen weiss“. 4, 334; er wusste sich „mit 
dem kleinen Volke gar wohl zu bethun“. 18, 311. 
„Unart und Unbethulichkeit“ an Frau von Stein, I, 
286. — 

entschieden gebraucht Goethe mit Vorliebe für 
„bestimmt, sicher“, wie z. B.: „einen entschiedenen 
Begriff von etwas haben“, Riemer Br. S. 11; „die 
Bäume sind sachte, aber entschieden aufgewach¬ 
sen“, 16, 146; ferner Ann. 780; 1133 h; 1133i; 
1143 1; 962; 18, 207 u. s. w. — 
gätlich. Auch dieses Wort reiht sich der Gruppe 
derer an, die den Begriff eines Passenden, an dem 
man zugleich persönliches Behagen empfindet, zum 
Ausdruck bringt. Es ist thüringisches Dialektwort 
und erst seit den 80er Jahren belegt: „artige, 
muntere, gütliche Persönchen“ 24, 67; „ein Taschen¬ 
büchelchen, das recht gätlich war“, an Knebel I, 



332 


316; „eine sehr gätliche Partie“ 23, 60; „man 
zwirnte recht gätliche Fäden mit einander“, an 
Boiss. I, 529; ferner 24, 31; 33, 338. — 

gebahren ist eins der Worte, die Goethe der Schrift¬ 
sprache wiedergewonnen hat, und zwar möglicher¬ 
weise durch Einfluss Luthers; im 18. Jahrh. war 
es veraltet, vgl. im DWb IV 1, 1, 1637, woselbst 
Belege in Menge. In der Bedeutung „umgehen mit“ 
berührt es sich mit dem obigen „sich bethun“, und 
so Bietet dieser Ausdruck eine weitere Schattierung 
jenes Grundbegriffes in Goethes Ethik: eines ge¬ 
hörigen Daseins und schicklichen Verhaltens. 
Vereinzelt findet sich das Wort einmal bei Immer - 
mann (Werke 20, 165). — 

hersteilen, besonders „sich wiederherstellen 
gegen“, ist eine von Goethe gern gebrauchte 
Wendung im Sinne von „sich behaupten, sich er¬ 
holen“: „Nekrosen, gegen welche die lebendigste 
Organisation sich nicht herstellen kann“, Ann.1002; 
Ann. 1058; 30, 445; 29, 229; „das tiefste, unher¬ 
stellbarste Elend“ 29, 492; „es ist ein grosses, man 
möchte wohl sagen, unwiederherstellbares Un¬ 
glück“, Riemer Br. S. 214; u. ö. Das Wort lasst 
sich der Begriffsgruppe: „Zustand, sich bestätigen, 
im Bleibenden verharren“, nicht unpassend ein¬ 
reihen. . — 

kauzen, ein in Thüringen und Sachsen besonders 
heimisches Wort, scheint Goethe als Variation des 
Begriffes „fratzenhaft“ gefallen zu haben, denn er 
verwendet es auffallend häufig: „unsere kauzenden 
Heiligen“ 24, 79; ferner 24, 49; 24, 189; 29, 407; 
4, 189; F. II, 1028. — 

klingen. Es seien hier einige Fälle metaphorischer 
Verwendung der Klangvorstellung in Goethes Prosa 



333 


angeführt, die in gleichem Masse durch die Ein¬ 
fachheit der aufgewendeten Mittel, wie durch die 
poetische Wirkung auf fallen: „Sie haben das Klin¬ 
gen und Verklingen eines liebenswürdigen Wesens 
in Ihrer schönen Rede (Nachruf an Johannes Müller) 
nicht dargestellt, sondern nachgeahmt“, an Win- 
dischmann G.-J. 2, 267; „Mein Übel ist im Ab¬ 
klingen“, an Boiss. 2, 425; „das Jahr klingt ab“, 
Wahlverw. 15, 145; „Lassen Sie uns beiderseits 
von Zeit zu Zeit einen Anklang fortwährenden Da¬ 
seins nicht vermissen“ an W. v. Humboldt S. 296; 
„wenn beide (Maler und Musiker) den wahren 
Namen eines Künstlers verdienen wollen, so ... . 
entwickeln sie irgend ein inwohnendes Bild, einen 
höheren Anklang natur- und kunstgemäss“ 34, 170; 
„Bei dem Vielfachen in Tag und Luft Hinein¬ 
geschriebenen ist es belohnend zu erfahren, dass 
eins und das andre von einem guten Geiste wieder¬ 
klingt“. An Knebel 2, 386. Solche Beispiele liessen 
sich leicht vermehren. — 

Tragelaph (Bockhirsch, Fabeltier), eine typische 
Metapher zur Bezeichnung problematischer Dich¬ 
tungen, die besonders im Briefwechsel mit Schiller 
häufig ist: 10. Juni 1795 (Jean Pauls Hesperus; 
vgl. Schillers Antwort vom 12. Juni); 18. Juni 1795 
(derselbe); 6. Dez. 1797 (Faust); 29, 447 (die Dich¬ 
tung Athenor von Klein). — Erwähnenswert ist, 
dass Keller den Ausdruck wiederholt aufnimmt, 
unter Bezugnahme auf Goethe; vgl. Bächtold, 
Kellers Leben HI, 475; 513. Ein anderer Fall, in 
dem ein Wortgebrauch bei Keller auf Goethe zu 
deuten scheint, ist die Verwendung von „Wesen“ 
in Verbindungen wie: „das elsässisch-französische 
Wesen“ HI, 409; „das Wiener Wesen“ III, 173; 



334 


„das heutige Konversationswesen“ HI, 431; „das 
italienische Wesen“ III, 427; „das Erzählungswesen“ 
III, 171. Im übrigen scheinen sich bei Keller keine 
Anklänge an Goethesche Prägnanzen zu finden, ob¬ 
wohl man gerade bei ihm, dem Erben Goethescher 
Erzählungskunst, dergleichen erwarten könnte. 
Freilich zeigt sich Keller anderseits eben darin als 
selbständiger Meister, dass er sich zur Höhe von 
Goethes Kunst erhebt, ohne sich seine eigene Be¬ 
griffswelt und Individualität rauben zu lassen. — 
vertrackt ist zwar auch bei oberdeutschen Schrift¬ 
stellern belegt, aber doch ohne Zweifel ein sächsi¬ 
scher Provinzialismus. Goethe gebraucht das Wort 
seit der Weimarer Zeit auffallend häufig, und zwar 
meist als Variation von „fratzenhaft“, wie z. B. 
„Intriguenstücke .... so desperater und ver¬ 
trackter Art“, Ann. 304; (über Jean Paul) „in einer 
überbildeten, verbildeten, vertrackten Welt“ 4, 289; 
ferner F. H, 3181; 24, 75; 1, 262. Sehr oft hat es 
die Bedeutung „verwünscht, teufelsmässig“: 10, 
216; 30, 400; 5, 148 u. ö. — 

Wesen = „sein“, „sein Wesen treiben“; die häufige 
Verwendung des Wortes im Alterstil ist von jeher 
aufgefallen und gern als Zeichen des Manierismus 
ausgelegt worden. Doch dient das Wort in den 
meisten Fällen keineswegs als blosser Ersatz für 
„sein“, sondern um die Breite und Fülle einer 
Existenz auszudrücken, und es wird zu diesem 
Zweck gern mit allitterierenden Worten verbunden: 
„Wesen und Wirken“ 29, 608; Spr. 636; „Wesen 
und Weben“ 29, 380; an Schultz S. 185; „Wesen 
und Wandeln“ an Soret S. 55. Sonstige Belege: 
DW 23, 80; an Jacobi 11. Febr. 1793; F. H, ; 8198. — 



Register 


acheminer 230. 
aborder 280. 
absolut 57. 
abstrus 171. 
absurd 170, 308. 

Altersstil 238. 

Amtsstil 204. 
anständig 111. 

Apercu 130. 165, 189, 225, 315. 
Apprehension, apprehensiv 328. 
artig 151. 

Athenienser 251. 
aufdröseln 328. 
auferbauen 228. 
auf regen 228. 
aufrufen 229. 

Äugelchen 242. 
ausserordentlich 44. 

baar 215 A. 
bedeutend 130. 
bedingen 24. 
begrenzen 24, 223. 
behaglich 106. 
be pfählen 281. 
bequem 181. 
beschränken 24, 223. 
beschränkt 32, 78. 

Beschränkung 24, 154A, 187, 301, 
307, 308A, 311. 


bestätigen 330. 
bethätigen 330. 
bethulich 331. 

Bibelüberlieferung 279. 

Boisseree 84, 264 A, 300. 

Börne 45. 

dämmern 165, 295. 

Dämonen 263, 300. 

Demos 312. 
derb 18, 297. 

Despotismus 57, 311. 
deuten 132. 

Dictionnaire detractif 205. 
Dictiren 142. 

Dilettantismus 60, 307. 
dumpf 156, 297, 298, 299, 306, 
314. 

dynamisch 35, 262, 319. 

Eckermann 300. 

Egoismus 87, 814. 

Einerlei des Lebens 107, 246. 
Einheit 39, 169, 186, 217. 
einschränken 26. 
eitel 78. 

Embranchement 283. 
endlich 232 A. 
eng 226, 314. 
ent- 214. 



336 


entgegnen 233. 
entschieden 331. 

Epimenides 140. 

Epoche 135. 
er- 212. 

erbauen 283. 

Ereignis 136A. 
erheitern 49. 

Erinnerung 143, 213, 283. 
erschrecken 132. 

Erziehung 31. 

Euphemismus 203. 

Ewig 129. 

Ewig-Weibliche 14, 129. 
extensive und intensive Nutzung 
207. 

falsch 59, 303, 307. 

Farbenlehre 168,- 277. 
Fasanenkahn 250. 
fasslich 154, 283. 

Feme 138. 

fertig—werdend 37, 168, 304, 312. 
flügelmännisch 198, 321. 

Folge 138. 

fordern 63, 307, 309. 
fördern 149. 

Fratze 172, 295, 312. 
frech 74, 297. 
fromm 100. 
furchtbar 124. 

Funktion 283. 
fruchtet baar 216 A, 221. 

galant 243, 321. 
gütlich 331. 
gebahrcn 332. 

Gedrängtheit 202. 
gegenständlich 284, 302. 
Gegenwart 137, 139, 188. 
gehörig 152, 285, 308 A. 


geistreich 130. 
gelten lassen 113, 
gemächlich 225. 
gemäss 22, 303, 312. 
gemein 176, 285, 322. 
Gemeinsinn 89. 

Gemüt 103. 
geschäftig 322. 
gewältigen 266. 
gracious 285. 

Grasaffe 242. 

Grazioso 253, 812. 
greifen 224. 
grillenhaft 171. 

Grillparzer 306. 

Gutzkow 308. 

-haft 215. 
halb 79. 

Heautontimorumenos 253. 
heiter 47, 144. 

Herder 135, 298. 
herstellen 332. 
hervorthun, sich 229. 
höchst 126. 

Höheres 127, 228. 
holzschnittartig 16. 

Hör- und Schreibfehler 269. 
Hurone 252. 

Jacobi, F. H. 296. 
ideelle Dialoge 189. 

Immermann 308, 822, 332. 
incalculabel 125. 
incommensurabel 125, 306, 313. 
individueller Wandel 4, 190, 818. 
innere Form 121, 310, 315A. 
innere Freiheit 189. 

kauzen 332. 

Keller, Gottfr. 333. 




337 


klingen 332. 
komplett 21. 

Komposition 281, 307. 
Konkretisierung 222. 

Kreis 110, 259 A. 

Kreislauf 259, 313. 

lässlich 115. 

Laube 303. 

Läufte 109. 
lebendig 188. 
leidenschaftlich 69. 

Lenz 296. 

Lieblingswendnngen 241. 
löblich 150. 

Haitre Jacques 253 324. 

Mambräs 252. 

Materialien 285. 

Menächmen 253. 

Menge 177. 

Merlin 141, 252. 

Metaphern, typische 244. 

Meteor 256. 

Meyer, H. 301. 

Micio 253. 

Misel 242. 

Misswollen 177. 

Mode Worte 241. 
mühen 36. 
musterhaft 224. 

natnrfromm 102, 312. 

Neigung 116, 301. 

Neu-Romantik 62,80,104,184,288. 
niederträchtig 226. 

Novalis 303, 324. 
null 174. 

Nullität 174, 303. 

organisch 9, 188, 231. 
orgisch 285. 


Organologie 316. 

Oxymoron 50, 274. 

Pallagonisch 250. 

Perfektibilität 37, 304. 
perfide 286. 

Periodisiernng von Goethes Schaffen 
234. 

Pick 243. 

Pietät 286, 314. 
platt 177. 

Polarität 227, 257, 274 Ä. 
Positivität 145. 
prägnant 130. 
problematisch 53. 
produktive Suffixe 209. 
proportioniert 21. 

Punkt 225. 

Purismus 288. 

radotieren 286. 

Raritätenkasten 246, 294. 
redlich 110, 300, 301. 

Region 108. 

rein 81, 301, 307, 311. 

reine Thätigkeit 83, 262. 

Reinhard, Graf 52, 299. 

reinlich 97. 

resolut 17. 

ricochet 248. 

Robinson, H. C. 47. 
Rückverwandlung der Metaphern 
224. 

schätzbar 51. 

Schelling 304 A, 325. 

Scherer 303. 

Schiller 299. 

Schnurre 247. 

Schöne, das 41, 262. 

Schranke 223. 


Boucke, Wort und Bedeutung in Goethes Sprache. 


22 



338 


Schumann, R. 305. 

Schwänchen 243. 
sekkiren 243. 
sittlich 120, 314. 

Situationswert der Worte 219. 
Spiegelung 42, 199. 

Stängeln 286. 

Statistik der Neubildungen 218. 
steigern 38, 68, 307. 

Steigerung 304. 
stetig 326. 

Stetigkeit 39, 298 A. 
still 99. 

stoffartig 62, 302. 
streben 35, 306. 
stumpf 160. 

Sturm und Drang 293. 
Systole-Diastole 226, 257, 305. 

Tag 177. 

Tagseite desLebens 188,206, 290A. 
326. 

Teilnahme 147. 
thätige Skepsis 187, 276. 

Toleranz 112. 

Tonne wälzen 246, 261. 
transcendieren 67. 
trefflich 47. 

Tragelaph 333. 

Treiben 109. 

trüb 167. 323. 

tüchtig 9, 301, 303, 314. 

Typus 39, 107, 262. 
typische Anschauung 234. 
Übermut 78. 

Übersetzungen 287, 305, 326. 
Umschreibung 257 A. 
un- 209. 
unbedingt 54. 
unberechenbar 126. 


Unform 211. 
unglaublich 126. 
unrein 85. 

unschätzbar 126, 301. 
unsittlich 120. 
unzulänglich 175. 

Urphänomen 125, 154 A, 260, 265, 
311. 

velociferisch 249. 

Verhältnis 146, 147, 308 A. 
verrucht 122. 
verschlingen 290 A. 
verworren 160. 

Vischer 303. 

Vögel 250. 
vollendet 37. 
von — herein 230. 

Vorschritt 232. 
vorzüglich 45. 

wacker 51. 

Wahlverwandtschaften 255, 302 A. 
Wartestein 248. 

werdend—fertig 37, 168, 304, 313. 
Wesen 107, 300, 333. 
widerwärtig 47, 228. 

Wieland 271, 298. 

Wirtschaft 109, 812. 
wohldenkend 119. 

Wohlwollen 119, 150. 

Wollen—Vollbringen 240. 

Wort Überlieferung 273. 
wunderlich 171. 
würdig 50. 

zart 103. 

Zauberlehrling 254. 
zusammenziehen 227. 

Zustand 107, 108, 287. 
zutraulich 151. 




LITTEBARHISTORISCHE 


FORSCHUNGEN 


HERAUSGEGEBEN 

VON 


Dr. JOSEF SCHICK 

o. ö. Professor an der Universität 
München 


UND 


Dr. M. Frh. v. WALDBERG 

a. o. Professor an der Universität 
Heidelberg 


XXI. Heft 

WERNER DEETJEN 

IMMERMANNS „KAISER FRIEDRICH DER ZWEITE *. 



BERLIN 

VERLAG VON EMIL FELBER 


1901 



Immermanns 

„Kaiser Friedrich der Zweite“ 

Ein Beitrag 

zur Geschichte der Hohenstaufendramen 


von 


Werner Deetjen 



BERLIN 

VERLAG VON EMIL FELBER 
1901 



Alle Hechte Vorbehalten. 


Ohlenrotlvscho Buch<lruckerei, Erfurt. 


Meiner lieben Mutter. 




Inhalts - Verzeichnis. 


Seite 

I. Zur Geschichte der Hohenstaufendramen . . 1 

II. Die Vorgeschichte des Dramas.12 

J. Die Idee eines Cyklus. 

2. Der Dichter und die geschichtliche Vorlage, a) Immer¬ 
manns Anschauung über das Verhältnis des Dichters 
zur Geschichte, b) Die historischen Quellen, und 
was Immermann aus ihnen entnahm. 

III. Die Entstehungsgeschichte des Dramas ... 34 

1. „Plan zu Friedrich dem Zweiten“.34 

2. Die älteste Fassung.43 

3. Die Arbeit am „Kaiser Friedrich“ bis zur Ein¬ 
reichung des Stückes in München.51 

4. Die letzte Bearbeitung vor dem Druck.61 

IV. Das Drama .79 

1. Der Aufbau.79 

a) Im ganzen.79 

b) Im einzelnen.82 

2. Die Charaktere.87 

a) Der Kaiser.88 

b) Der Kardinal.98 

c) Die übrigen Charaktere.101 














— VIII - 


Seit»- 

3. Lokal- und Zeitkolorit.114 

4. Einiges über Sprache, Vers und Reim.117 

V. Die Stellung des Dramas in der deutschen Literatur¬ 
geschichte .122 

VI. Die Aufnahme und Wirkung des Dramas.134 

VIL Des Dichters spätere Anschauung über den Stoff . .143 

Beigaben.14t> 






Vorwort. 

Vorliegende Arbeit ist aus Studien zu einer Geschichte 
der Hohenstaufendramen hervorgegangen. Das mag das 
Missverhältnis erklären, das in einigen Partien der Ab¬ 
handlung zwischen dem Text und den stofigeschichtlichen 
Anmerkungen besteht. Für die Vollständigkeit der letzteren 
kann ich natürlich nicht bürgen. So ist mir z. B. leider 
erst jetzt Friedrich Roebers Tragödie „Kaiser Friedrich der 
Zweite“ (1883) bekannt geworden. — Citiert wird nach 
der Hempelschen von Robert Boxberger besorgten Aus¬ 
gabe von Immermanns Werken. 

Herrn Professor Erich Schmidt habe ich die erste 
Anregung zu dieser Arbeit zu verdanken. Ganz besonders 
aber sage ich Herrn Professor Köster meinen herzlichsten 
Dank für das liebenswürdige Interesse und die Förderung, 
die er meiner Arbeit stets zu teil werden liess. Für die 
Erlaubnis zur Benutzung des Immerinannschen Nachlasses 
und zum Abdruck einer grossen Menge noch ungedruckten 
Materials habe ich dem Direktor des Goethe- und Schiller- 
Archivs Herrn Geheimrat Suphan und für Unterstützung 
meiner dortigen Studien den Herren Archivaren Dr. Wahle 
und Dr. Schüddekopf zu danken. -- Schliesslich bin ich 
auch Anton Kippenberg für einige Nachweise zu Danke 
verpflichtet. 

Der Verfasser. 

Leipzig, im April 11)01. 




I. 

Zur Geschichte der Hohenstaufendramen. 

Das erste Hohenstaufeudrauia in Deutschland eutstaud 
schon zu Lebzeiten Kaiser Friedrich Barbarossas, es ist das 
sogenannte Tegernseeer Drama vom Jahre 1180. der „Ludus 
de adventu et interitu Antichristi“. l ) Es folgt dann eine 
klaffende Lücke. Abgesehen von einer „cominedia“ des 
Frischlin-Übersetzers Carl Christoph Bever 2 ) aus dem Jahre 
1585, einem oder dem andereu Schuldrama und einer 
kleinen Anzahl von Singspiel- und Operntexten finden wir 
i*rst wieder im 18. Jahrhundert Interesse für die Geschichte 
dor Hohenstaufen als dichterischen Stoff. Noch 1743 war 
die Kenntnis dieser Zeit so gering, dass sich der Ver¬ 
fasser von „Conradins Schreiben an seine Mutter, kurz vor 
seiner Enthauptung“ genötigt sah, seiner in Schwabes 
r Belustigungen“ (V, S. 227) erscheinenden Dichtung eine 
historische Prosa-Einleitung vorauszuschicken. Aber als 
Männer wie Joh. EL Schlegel, Helferich Peter Sturz und 
Herder auf derartige Stoffe hingewiesen hatten, und 
Bodmer 3 ) auf epischem Gebiet vorangegangen war, mehrten 

l ) Entdeckt und zuerst herausgegeben von Pez, im Thesaurus 
Anecd. II, 3. S. 187 — 96; übersetzt von Wedde (Das Drama vom 
römischen Reiche deutscher Nation. Hamburg 1878), dann von 
v. Zezschwitz (Das Drama vom Ende des römischen Kaiserthums. 1878.) 

*) „Commedia vonn der histori hertzog Conrads jnn Schwaben“, 
Trautmann, Archiv f. Littg. XV, S. 217. 

3 ) „Conradin von Schwaben.“ Ein Gedicht mit einem historischen 
Vorbericht. Carlsruhe 1771. 

I) t; <• tj «* n . Iinmermanns „Kaiser Friedrieh der Zweite". 


1 



sich die Hohenstaufendramen bald. Manche Dichter Hessen 
es freilich bei Plänen und Versuchen, einen oder den 
anderen Gegenstand aus der Hohenstaufengeschichte drama¬ 
tisch zu behandeln, bewenden. Bekanntlich fehlt sogar 
der Name Schillers l ) in der Reihe nicht. Die beliebtesten 


*) Schiller an Heribert von Dalberg, Meiningen 3. April 17*3: 
„Gegenwärtig arbeite ich an einem Dom Carlos. Ein Sujet, das mir 
»ehr fruchtbar scheint, und das ich E. Exc. zu verdanken habe 
Dazwischen will ich an einem Trauerspiel von Prinz Konradin 
arbeiten.“ — Weiteres in Andr. Streichers Bericht über „Schillers 
Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782— 
Stuttgart und Augsburg 1836. 8. 42 f. und S. 192. 

Kettners Vermutung (N. Jbb. Ph. 144, S. 571), Schiller $vi 
durch das Konradindrama des aus „Dichtung und Wahrheit* be¬ 
kannten Leipziger Professors Clodius (dieser hatte 1780 im 2. Teil 
seiner verm. Schriften, aus denen Sauer V.L.G. III, 288 Auszug** 
gegeben hat, auch Mitteilungen über sein ca. 1758 entstandene' 
Jugendwerk, das Trauerspiel „Konradin“ gemacht) angeregt worden, 
kann ich nicht beistimmen. Köttner stützt sich auf eine Stelle in 
„Maria Stuart“ (II, 3): „Ihr Leben ist dein Tod, ihr Tod dein Leben* , 
die sich mit einer Stelle in Clodius 1 „Konradin“ berührt: 

„Der Tod des Conradin ist Carl des Königs Leben, 

Das Leben Conradins ist Carl des Königs Tod.“ 

— Abgesehen davon, dass solche Antithesen keine Seltenheit sin»:, 
hat Clodius hier ja nur einen historisch überlieferten Ausspruch 
Papstes Clemens IV.: „Der Tod Konradins ist das Leben Karl?* 
anders formuliert. Schiller könnte also diesen Ausspruch aus hi-t* k - 
rischen Studien gekannt haben. Er ist zu seinem Plan zunäelw 
durch Lorcher Erinnerungen, sodann durch ein Konrädinepos seine- 
Freundes Peterscn, und vielleicht auch durch das Konradindrama 
des schwäbischen Dichters Karl Phil. Conz angeregt worden. 

Auch fernerhin hat Schiller noch für die Hohenstaufen Intern'** 
gezeigt; in seiner Bibliothek befand sich das Trauerspiel „ConradU 
von Schwaben“ des Gozzi - Übersetzers Fr, A. CI em. Werth*' 
(2. Aufl. 1783), und angeregt durch Ifttand plante er den Konti in¬ 
zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen dramatisch zu 
handeln (s. Hoffmeister, Schillers Leben, Geistesentwickelung ur 
Werke V, 131). 



— 3 — 


Stoffe waren das Ende Konradins und der Konflikt zwischen 
Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen. Unter 
den ausgeführten und uns erhaltenen Dramen jener Zeit 
findet sich wenig Gutes; höchstens wäre der, wie die 
meisten historischen Dramen der klassischen Epoche, von 
Freiheitsluft durchwehte „Konradin“ Klingers l ) zu nennen, 
der sich noch die Anerkennung Otto Ludwigs 2 ) erwarb. 

Goethe zeigte gar kein Interesse für die Hohenstaufen, 
so gedachte er z. B. in der Beschreibung seines Aufent¬ 
haltes in Palermo ihrer mit keinem Worte. Erst im Zeit¬ 
alter der Romantik, wo die Abwendung von der Gegen¬ 
wart und die Neigung zu vergangenen Zeiten besonders 
intensiv wurde, trat eine Wandlung ein. Im ersten Jahr¬ 
zehnt des 19. Jahrhunderts wuchs das Interesse für vater¬ 
ländische Geschichte heran, das sich besonders auf das 
Mittelalter konzentrierte; Vertreter fast aller Gebiete des 
Wissens durchforschten diese Zeit, und auch die Kunst 
griff auf sie zurück, die bildende, indem sie sich die Ideale 
der christlich-katholischen Kirche, in welcher die deutsche 
Geschichte wurzelt, zu eigen machte, — die Dichtkunst, 
indem sie sich einerseits formell und inhaltlich au die 
mittelalterliche Dichtung anschloss, andererseits die Ge¬ 
schichte des Mittelalters stofflich verwertete. Die dichte¬ 
rische Neubelebung dieser an poetischen Stoffen so reichen 
Zeit wurde vielfach versucht, und zumal die Geschichte 
der Hohenstaufen, jener „irdischen Sonnen im deutschen 


Als Historiker hat sich Schiller ja bekanntlich auch mit dem 
Zeitalter der Hohenstaufen befasst (Schillers sämmtliche Schriften, 
histor.-kritische Ausg. von Carl Goedeke. IX, 215 — 64). 

’) Entst. 1784, ersch. zuerst im ersten Theil von Klingers „Theater“. 
Riga bei Joh. Friedr. Hartknoeli, 1786— 87. Aufführung in Herlin: 
25. Sept. 1791. 

2 ) Otto Ludwigs Gesammelte Schriften. Leipzig. Fr. Willi. 
Orunow, 1891. V, S. 340. 


1* 



— 4 — 


Kaisermantel, die so herrlich auf Erden leuchteten 44 , 1 ) 
nahmen sich viele Dichter und unter ihnen vorzugsweise 
die Dramatiker zum Vorwurf, letztere wohl mit aus deui 
Grunde, weil die strenge Censur die meisten Stoffe aus 
der neueren Geschichte für die Darstellung auf der Bühne 
beanstandete. 2 ) 

Von neuem wies dann A. W. Schlegel am Schlüsse 
seiner „Vorlesungen über dramatische Kunst und Litteratur“, 
die er 1808 in Wien hielt, auf den „ritterlich glänzenden 
Zeitraum des Hauses Hohenstaufen“ hin. „Welch 
ein Feld,“ ruft er, „für einen echten Dichter, der wie 
Shakespeare die poetische Seite der grossen Weltbegeben¬ 
heiten zu fassen wüsste“. 3 ) — Schlegels Anschauung wurde, 
wie wir später sehen werden, von einem anderen Führer 
der romantischen Schule, von Ludwig Tieck, geteilt. Der 
Ruf blieb nicht ohne Wirkung. Es entstand eine Anzahl 
von Hohenstaufendramen, die aber meist in einseitig 
patriotischer Tendenz geschrieben w ? aren. Dazu gehören 
in erster Linie der „Konradin“ von Alexander von Blom- 


*) Heinrich Heines Samtl. Werke, herausg. von Dr. Ernst Elfter. 
Leipzig, Bibliograph. Institut. VII, 8. 327. 

*) Adolf Stahr schreibt in seinem Aufsatz Ober Immermann 
(Unsere Zeit, Bd. I, S. 74): „Ist es nicht Thatsache, dass kein 
Hof es duldet, dass ein Vorfahre seines Fürsten auf der Haupt- 
und Hofbühne irgend eine historische und poetische Bedeutung 
erhält? .... Ist es nicht Thatsache. dass Dramen, die Schwedens 
oder gar Russlands Historie berühren, sich’s gefallen lassen müssen, 
dass man sie nach Portugal oder sonst in irgend ein Land ver¬ 
pflanzt, dass man aus Katharina II. eine portugiesische Königin, 
aus ihrem Potemkin einen Marquis Pombal macht? Ja man begreift 
nicht, warum nicht lieber ein aussereuropäischer Staat mit seinem 
Dei, Chan, Scheich, Vezier u. s. w. zum Sündenbock der deutschen 
Biihne gemacht wird.“ 

3 ) Sämtliche Werke, herausg. v. Ed. Böcking. Leipzig 1S4*. 
V, S. 4 (4. 




— 5 — 


berg l ) und der „Heinrich von Hohenstauffen“ von Karoline 
Pichler.*) In diese Zeit fallen auch die Versuche Körners, 3 ) 


*) „Konradin von Schwaben“, Trauerspiel, entstanden vor 1813, 
dem Todesjahr des Verfassers, erschienen in B.s „Hinterlassenen 
poetischen Schriften“ mit Lebensbeschreibung und einem Vorspiel, 
herausg. v. Fouquö. Berlin 1820. 8°. S. Briefe an Fouquö S. 35 ff., 
ferner Geiger, Berlin. II, S. 337 und Morgenblatt 1813, Nr. 177, 
S. 708. 

l ) „Heinrich von Hohenstauffen, König der Deutschen“, Trauer¬ 
spiel in 5 Aufz., entst. 1813. Zuerst ersch. in den „Sämmtlichen 
Werken von Karoline Pichler, gebornen von Greiner. "Wien 1815, 
bei Anton Strauss.“ Theil XV. — S. K. P.s „Denkwürdigkeiten in 
meinem Leben“, herausg. von Ferd. Wolf. Wien 1844. IV. 12°. 
Bd. II, 249—252 und Bd. III, 1 — 6. Ferner Graf Platen, „Tagebücher. 
Aus der Handschrift des Dichters herausg. von G. von Laubmann 
und L. von Scheffler.“ I.Bd. Stuttgart 1896. S. 401 (über eine Auf¬ 
führung in München 12. Jan. 1816). Erste Aufführung in Berlin: 
27. Mai 1813. In Wien wurde das Stück drei Tage nach der Völker¬ 
schlacht bei Leipzig „zum Besten der verwundeten Krieger in 
prächtiger Ausstattung“ aufgeführt. 8. Wurzbachs Lexikon, Bd. XXII, 
S. 246. Die Figur der Margarethe von Österreich hatte Karol. 
Pichler „recht eigentlich für Toni Adamberger geschrieben“. 
(S. A. Ritter von Arneth, Aus meinem Leben. Wien 1891.) 

*) Die Geschichte Konradins war bereits ein Lieblingsstoflf Chr. 
Gottfr. Körners, und so war er es wohl auch, der den Sohn zu einem 
Konradindrania anregte. Schon während seiner Studienzeit an der 
Freiberger Bergakademie schrieb Theod. Körner einen „Prolog zu 
einer dramatischen Behandlung des Konradin von Schwaben“ (zuerst 
gedruckt in den „Knospen“ 1810 bei Göschen, später in der Förster- 
Hempelschen Ausgabe, Bd. II, S. 197). Im August 1811 ging der 
Dichter nach Wien, um dort für seine poetischen Arbeiten historische 
Studien zu treiben. Am 4. Okt. des Jahres schreibt er an Karl 
Schmid: „Ein Konradin von Schwaben soll mein erstes grosses Werk 
sein, auf das ich brav losstudire.“ (S. E. Sträter, Freundesbriefe 
an Th. Körner, Post vom 8.—10. März 1891.), Von seinem Vater 
mit Ratschlägen unterstützt und wiederholt zur Arbeit gemahnt, 
dachte er zu Anfang des Jahres 1812 wieder an den „Konradin“; 
alles, was er damals schuf, sah er als „Vorarbeiten zu Konradin“ 
Aber erst, wenn er in Sprache und Ausdruck geübter wäre. 


an. 



Uhlauds l ) und des Grafen Platen. Des letzteren Interesse 
für die Ghibellinen war besonders röge, zeigte er es doch, 
abgesehen von dem „Conradiuo“-Plan, über den seine Tage¬ 
bücher wiederholt berichten, bei jeder Gelegenheit, z. B. im 
fünften Akte des „Romantischen Oedipus“, in der Ode an 
Franz den Zweiten, in der Hymne aus Sizilien, in dem 
Epigramm „König Enzios Grab“ u. s. w. 

wollte er „in die Schranken treten“ (Brief vom 1. Febr. 1612), sollte 
doch der Konradin über seine poetische Begabung entscheiden'. 
(Brief v. 6. Jan. 1812.) Theodor nahm sich vor, im Frühjahr zur 
Arbeit am Konradin einige Zeit aufs Land zu gehen, da er in d*r 
Stadt so bald nicht „zu dieser ruhigen Potenz“ kommen könne (Brief 
v. 22. Febr. 1812). Die That folgte aber weder diesem Entschluß 
noch der Absicht, historischer Studien wegen die Universität Göt¬ 
tingen zu beziehen. — Es war gewiss, dass dieCensur an manchem, 
worauf ihn der Stoff führte, Anstoss nehmen würde, und da ihm 
darum zu thun war, sein Werk auf das Theater zu bringen, unter¬ 
blieb die Ausführung. — Erhalten sind ausser dem Prolog ein Personeu- 
verzeiclinis und ein Scenarium v. J. 1811 (gedruckt in Kürschner!* 
National-Litteratur Bd. 153, herausg. von Ad. Stern, II. T., 2 Abt.. 
S. 390—393), ferner die erste Scene des 1. Aktes: ein Monolog 
Hedwigs, die Konradin liebt (gedr. ebenda S. 388 ff.), und ein Foli<- 
bogen, beschrieben mit Daten und Thatsachen aus der Hohenstaufen- 
gesch. von 1190 bis zu Konradins Einzug in Rom (ungedr. im Körner- 
Museum zu Dresden). — Für die Erlaubnis zur Benutzung desselbet: 
bin ich Herrn Hofrat Dr. Peschei zu Danke verpflichtet. l>a du 
ausgeführte 1. Scene des 1. Aktes nicht mit dem Scenarium überein¬ 
stimmt, dürfen wir auf zwei verschiedene Pläne schliessen. 

*) Am 1. März 1816 kam Uhland bei der Lektüre von Ammer- 
müllers „Hohenstaufen, oder Ursprung und Geschichte der schwäk 
Herzöge und Kaiser aus diesem Hause“ (Stuttgart 1805. 2. Auf 

Gmünd 1815) die Idee eines Konradindramas, am 2. März d. J 
bei derselben Gelegenheit die eines „dramatischen Schwanks“: „Pi? 
Weiber von Weinsberg“, und am 7. März concipierte er, ebenfalls 
durch Ammermiiller angeregt, den Plan zu einem „Otto von Wittel>- 
bach“. — Das Konradindrama wurde erst am 4. Dezember 1819 be¬ 
gonnen. Das erhaltene Fragment wurde zuerst im „Taschenbuch 
von der Donau auf das Jahr 1824“ (herausg. von Ludw. Neuffer. l'lo. 
bei Stettin, S. 129 ff.) gedruckt. Jetzt ist es uns am besten zu- 



P" 

— i - 


Die Hauptbewegung in der Geschichte der Hohen¬ 
staufendramen aber fällt in die Zeit der Spätromantik, 
und die grosse Masse der Dramen erschien nach 1825, 

gänzlich in „Uhland als Dramatiker mit Benutzung seines hand- 
schriftl. Nachlasses dargestellt von Adelbert von Keller“ (Stuttgart 
1877. S. 320—42). Es enthält Konradins Landung an der Küste 
von Neapel, und verrät, dass ein guter Kenner des deutschen Alter¬ 
tums der Verfasser ist. Auch Uhland scheint, wie die meisten 
Dichter eines „Konradin“, den jungen Hohenstaufen auch als Lieben¬ 
den haben darstellen wollen. Die Geliebte sollte offenbar die 
Tochter des späteren Verräters Frangipani sein. (So auch in Raupachs 
.König Konradin“, während in Fr. v. Heydens „Conradin“ [Berlin 
1818] die Enkelin des hohenstaufenfeindlichen Grafen Celano die 
Auserwählte des jungen Helden ist.) — Die Listen von Konradin- 
dramen, die bisher aufgestellt worden sind, zuletzt von Dr. A. Gabriel 
(Friedrich v. Heyden mit besonderer Berücksichtigung der Hohen¬ 
staufendichtungen, Breslau 1901, S. 22 f.), lassen sich beträcht¬ 
lich erweitern: 1. C. Chr. Beyer, 1585, s. oben S. 1. 2. Chr. Aug. 
Clodius, ca. 1758, s. oben S. 2. 3. Joh. Nicol. Meinhard (1727—67) 

plante ein Konradindrama, s. Conz in dem Vorwort zu seinem 
„Conradin“ (s. oben S. 2). 4. Chr. Fel. Weisse an K. W. )Ramler 
(Ende Dezember 1771): „Ich hätte aber mehr Lust, noch ein paar 
Trauerspiele zu machen: den jungen Conradin, eine Heldentragödie“ 
etc. 5. J. A. Leisewitz, s. Boie an Bürger 16. April und 24. November 
1776. Ein Fragment im deutschen Museum, 1776. II, S. 625. 
6. „Konradin von Schwaben“. Trauerspiel in 2 Akten. Leipzig 1783. 
(Anonym.) 7. „Laura Mollise“. Trauerspiel in 5 Akten. Danzig 
1797. (Anonym.) 8. „Laura Mollise“. Eine dramatische 
Geschichte. Mit Titelkpfr. Hohenzoll. 1792. 12°. (Anonym.) 

9. „Laura Mollise oder der Gang des Schicksals“. Trauerspiel in 
5 Akten, bearbeitet nach dem Roman „Laura Mollise“ von Fr. J. Hild¬ 
burghausen, bei Hanisch. 1796. 8°. 10. Jak. Friedr.Becker: „Konradin“. 
Ein Trauerspiel. Göttingen 1800. 11. „Conradin“. Trauerspiel in 

4 Akten. Gr. 8°. Göttingen 1806, bei Vandenhoek. (Anonym.) Der 
von Gabriel angeführte, ebenfalls in Göttingen 1806 erschienene 
„Konradin“ ist bei Dankwärts verlegt. 12. Zacharias Werners 
Plan s. unten. 13. Theodor Koerner arbeitete 1810—12 an 
einem „Konradin“, s. oben S. 5 f. 14. Wenzel Müller: „Konradin von 
Schwaben“. Singspiel, ca. 1811. 15. Konradin Kreutzer: „Konradin 

von Schwaben“. Oper in 3 Akten. Stuttgart 1812. 16. Graf Konrad 



dem .Isihre, in dem Friedrich von Raumer seiue sechs¬ 
bändige „Geschichte der Hohenstaufen“ abschloss, ein 


Dyhrn: „Konradins Tod“. Tragödie in 5 Akten. Oel* 1*27 
17. Pierson-Lyser: „Der letzte HohenBtaufe“. Oper. Musik von K. Ed. 
Hering. Leipzig 1835. 18. D. W. M. Nebel: „Des Hauses Ende“. 

Trauerspiel in 5 Aufzügen. Nebst einem Vorspiel: Die Scheidenden. 
Mannheim, bei Löffler. 1838. 19. Max Jos. Schleiss: „Konradins de« 

letzten Hohenstaufen Tod“. Trauerspiel. 1840. 20. Wilh. Rue»s: 

„Konradin der letzte Hohenstaufe“. Trauerspiel in 5 Abzügen. 
St. Gallen 1841. 21. Robert Reiniek: „Konradin der letzte Hohen¬ 

staufe“. Oper in 3 Akten. Musik von Ferd. Hiller. Dresden 1*47. 
22. O. H. Ayrer: „Der letzte Hohenstaufe“. Eine Tragödie in 5 Auf¬ 
zügen. Leipzig 1850. 23. Leonli. Wohlmuth: „Elisabeth von Bayern \ 
Trauerspiel in 5 Aufzügen. Nürnberg 1856. 24. G. v. Meyern: „Pit 

Braut Conradins“. Trauerspiel. Coburg 1859. 25. Eugen Binder: 

„Conradin“. Historisches Schauspiel in 4 Akten. Heilbronn 1864. 
26. L. Bussler: „Konradin“. Oper. Musik von Heinr. Urban. Berlin 
1869. 27. „Konradin der letzte Hohenstaufe“. Drama in 5 Aufzügen. 

Vom Verfasser der Waizenähre. Graz 1871. 8°. 28. Emilie d*l 

Bufalo della Valle Zagrabia: „Conrndin von Hohenstaufen“. Drain* 
in 4 Akten. Wien 1871. 29. Jul. Kreiss: „Konradin“. Ein Drama 

(nicht gedruckt). 30. Alfr. Kohls. Riga 1875. 31. Wera Gro߬ 

fürstin von Russland, Herzogin Eugen von Württemberg: „Konradin 
von Schwaben“. Oper in 4 Akten. Stuttgart 1879. Revidiert von 
Em. Pasqu6. Musik von Gottfried Lindner. 32. „Konradin“. Dranu 
von Hans Herrig. Verlag von Fr. Luckhardt. Berlin lS'l. 
33. C. F. v. Gambsberg. C'onradin von Hohenstaufen. Histor. Drama in 
5 Akten. Gr. 8°. Leipzig 1881. 34. A. Wurm. Konradin. Der letzte Hohen¬ 
staufe. Trauersp. in 5 Aufz. 8°. Freibnrg i. B. 1882. 35. Tyrolt: „Koni; 
Konradin“. 1887. 36. Georg Conrad (Prinz Georg von Preusscn. 

„Conradin“. Trauerspiel in 3 Aufzügen. Berlin 1887. 37. Phil.ii- 

Bourg: „Papst und Fürst“. Drama in 5 Aufzügen. Dresden. 
Pierson, 1900. — Eine diesen Stoff behandelnde Monographie fehlt 
uns noch. — Von den „W r eibern von Weinsberg“ sind einige Scemn- 
bruchstüoke erhalten (s. U. als Dr„ herausgegeben von A. v. Keilt* 
S. 359—77). Der Hohenstuufenkaiser Konrad III. wird genannt, <•« 
ist wahrscheinlich, dass er persönlich auftreten sollte, wir wißt:; 
aber nicht, wie der Dichter ihn darzustellen gedachte. — Vom „Otto v. r, 
Wittelsbach“ besitzen wirausdem Februar 1819 ein Personenverzeuiu:.- 
und ein genaues Scenarium der fünf Akte mit Randbemerkungtr 



Werk, das Tieck „klassisch“*) nannte. — Wie Pilze 
schossen jetzt die Hohenstaufendramen aus der Erde, nie 
waren sie in solchen Scharen erschienen. Willibald Alexis 
erzählt in seinen „Erinnerungen“ (S. 323), dass damals 
„unter zehn aspirirenden Dichtern wenigstens sieben den 
Untergang des letzten Hohenstaufen dramatisirten“. Eine 
Epidemie, von der sogar das Ausland nicht unbeeinflusst 
blieb. 


U. steht dem Stoffe ganz tendenzfrei gegenüber und erhebt 
daher weder Philipp besonders, wie Raupach („König Philipp“), noch 
dessen Gegner Otto, wie Babo. (Babos Auffassung des Stoffes fand 
später die Billigung Grabbes: Düsseldorfer Tageblatt, 17. April 
1836.) Im Gegensätze zu dem Konradinplan U.s, von dessen Aus* 
führung ich mir nicht viel verspreche, ist zu bedauern, dass U. den 
.Wittelsbach“ nicht ausgeführt hat. Den Stoff, welchen Immermann 
als „das für den Dramatiker einzig brauchbare Faktum aus der 
deutschen Geschichte jener Zeit“ bezeichnete (Werke XIX, 19), ge¬ 
dachte zuerst Joh. Elias Schlegel in einem Trauerspiele „Die Mord- 
that des Grafen von Wittelsbach“ zu behandeln, am glücklichsten 
hat ihn Jos. Maria v. Babo in seinem Ritterdrama „Otto von 
Wittelsbaoh“ bearbeitet, ein Stück, das sich über achtzig Jahre 
auf den deutschen Bühnen hielt und sogar in das Englische übersetzt 
wurde. („Otto of Wittelsbach; or the choleric Count. A Tragedy in 
five acts. Translated from the German of James Marcus Babo, by 
Benjamin Thompson, Esq. London. 1800.“ — Bei Goedeke nicht 
verzeichnet!) Der Maler Jos. Ritter von Führich wurde durch Babos 
Drama zu seinem Ölgemälde „Tod Ottos von Wittelsbach“ angeregt. 
— Ich möchte bei dieser Gelegenheit einem in fast sämtlichen 
Lexicis zu findenden Irrturae entgegentreten: Das unter dem Titel 
„Otto von Wittelsbach. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Fürs Theater 
eingerichtet von R. von Steinsberg“ 1783 erschienene Werk ist kein 
Originaldrama des Prager Theaterdichters Ritters von Steinsberg, 
sondern nur das von diesem bearbeitete Drama Babos. — Das Fehlen 
von Babos Namen auf dem Titel mag den Irrtum veranlasst haben. 
1859 erschien ein Drama: „Philipp von Schwaben und Otto von 
Wittelsbach“. Über den Verfasser Friedr. Kiedaisch s. Krauss, 
Schwäbische Literaturgeschichte Bd. II. 

’) Kritische Schriften III, S, 77. 



10 — 


Drei Namen sind es, die man aus der grossen Zahl 
der Dichter, die damals Hohenstaufendraraen lieferten. 
• gewöhnlich hervorzuheben pflegt: Karl Leberecht Immer- 
maun, Christian Dietrich Grabbe und Ernst Raupach. 

Raupach, um mit dem letzten zu beginnen, hat der 
Hohenstaufendramen-Bewegung einen ganz besonders reichen 
Tribut gezollt. Der fruchtbare und seiner Zeit so beliebte 
Berliner Autor „verarbeitete“ die Geschichte der Hohen¬ 
staufen in sechzehn Dramen, 2 ) deren dichterischer Wert 
recht gering ist. Raupach giebt nur eine dürre, äusserlich 
freilich meist geschickte Dramatisierung des Raumerscheu 
Gesehichtswerks. Alles ist auf Bühnenwirksamkeit be¬ 
rechnet: was wir hier finden, ist aber jene falsche Bühnen¬ 
wirksamkeit (wie sie uns Otto Ludwig in seinen Shake¬ 
spearestudien später so scharf von der echten unterscheiden 
lehrte), die „nur in äusserlichem Schmucke der Szeue 
für das Auge“ und in „volltönender lyrischer Rhetorik für 
das Ohr“ besteht. 2 ) Raupachs Hohenstaufendramen wurden 
in den Jahren 1830—1837 auf der Berliner Hofbühne auf¬ 
geführt und einzelne Teile des Cyklus gingen fast über 
sämtliche grösseren Bühnen Deutschlands. 3 ) Abgesehen 
von einigen Ausnahmen (Raumer, Tieck, Hegel) lauteten 
die Urteile der Zeitgenossen schon damals ziemlich abfällig. 

Das Bedeutendste auf diesem Gebiete leistete der 
kraftgeniale Dramatiker Grabbe, dessen Dramen „Barba- 


') Ernst Raupachs dramatische Werke ernster Gattung. 
Hamburg 1837, bei Hoffmaun und Campe. Band V—XII. 

2 ) Ges. Schriften. V, S. 45. 

s ) Aufführungen Raupachscher Hohenstaufendramen habe ich. ab¬ 
gesehen von Berlin, in folgenden Städten feststellen können: Augs¬ 
burg, Braunschweig, Bremen, Cassel, Danzig, Darmstadt, Dresden. 
Frankfurt a. M., Hannover, Königsberg i. P., Leipzig, Mainz, Meiningen. 
München, Stuttgart, Weimar, Wien, Wiesbaden, Würzburg, ausser¬ 
dem am deutschen Theater in St. Petersburg. 



11 


rossa“ l ) und „Kaiser Heinrich \ T I. W , 2 ) die vou einem ge¬ 
planten grösseren Cyklus allein ausgeführten, trotz unleug¬ 
barer Schwächen poetisch sehr wertvoll sind. — 

Immermann endlich beteiligte sich an der Hohen- 
staufendramen-Bewegung nur mit einem Drama, dem 
„Kaiser Friedrich der Zweite“. Da dies Stück nicht 
nur in der Geschichte der Hohenstaufendramen eine inter¬ 
essante Sonderstellung einnimrat, sondern auch überaus 
charakteristisch als Epigonenwerk, sowie im besonderen 
wichtig für den Entwickelungsgang Immermanns ist, habe 
ich es zum Gegenstände dieser Einzeluntersuchung gemacht. 

*) Die Hohenstaufen. Ein Cyklus von Tragödien von Grabbe. 
Erstpr Band: Kaiser Friedrich Barbarossa. Frankfurt a. M. 1829. 8°. 

J ) Die Hohenstaufen. Zweiter Band: Kaiser Heinrich der 
Sechste. 1830. 8°. 



II. 

Die Vorgeschichte des Dramas. 

Schon zu Beginn des Jahres 1821 fiuden wir Immer¬ 
mann eifrig in das Studium der Hohenstaufengeschichte 
vertieft. Zum Belege dafür mag, abgesehen von dem 
Bericht seines Biographen Putlitz, 1 ) eine Stelle in den 
1822 erschienenen „Papierfenstern eines Eremiten“ dienen: 
„Gestern erzählte ich ihr von den Hohenstaufen, ihrem 
Riesenkampf und des unschuldigen Konradins schmäh¬ 
lichem Ende.“ — „Wer erkennt darin die göttliche Gerechtig¬ 
keit?“ fragte ich unvorsichtigerweise. — „Wenn Einer,“ 
versetzte sie, „von seinen Eltern Geld und Gut, Ansehen 
und Namen erbt, so ist es auch billig, dass er ihr Unglück 
übernehme.“ 2 ) — Da das Werk zum guten Teil ein unmittel¬ 
barer Abdruck von Immermanns Münsterischem Leben ist. 
und er in Christel, auf welche die angeführte Stelle Bezug 
hat, sicherlich jene A... schilderte, mit der ihn kurze 
Zeit ein Liebesverhältnis verband, 3 ) dürfen wir annehmen. 


*) „Karl Immerniann. Sein Leben und Beine Werke, aus Tage¬ 
büchern und Briefen an seine Familie zusammengestellt. (Heraus* 
gegeben von Gustav zu Putlitz.) Berlin 1870. Bd. I, S. 72. 

2 ) Immcrmanns Werke. Berliu, Gustav Hempel. XIX, S. 50. 

*) Putlitz S. 44. 45. - - Ein Niederschlag davon findet sieh 
noch im „Münchhausen“, wo Oswald seiner Liesbeth „von dem Berge 
Hohenstaufen“, von dem „grossen Kaisergeschleclite, das darau! 
entsprossen“ und „dessen Timten“ erzählt; s. Immermanns Werke 
Bd. III, 8. 30. 



— 13 — 


dass er mit dieser über die Schicksale der Hohenstaufen 
gesprochen hat. — „Mächtig ergriff ihn,“ schreibt Putlitz, 
„die Fülle von Kräften und Irrthümern in diesem Geschlechte, 
der grosse Kampf zwischen geistlicher und weltlicher 
Macht, der Reichthum der Handlung, das bittere Ende.“ 1 ) 

Bald regte sich in Immermann der Wunsch, die Ge¬ 
schichte dieses Heldengeschlechts in einer fortlaufenden 
Reihe von Dramen darzustellen. — Mit dieser Idee eines 
grösseren Dramencyklus stand er damals nicht allein. 
Auch Tieck, der in Berlin das allmähliche Werden von 
Räumers Hohenstaufengeschichte verfolgte und diesem 
während seiner Arbeit dauernd Zuspruch und Trost zu teil 
werden liess, 2 ) hatte, angeregt durch des Freundes Arbeit, 
in den Jahren 1817—18 nach dem Vorbild der Shake- 
speareschen eine Reihe von Historien geplant, die „die 
Grösse des Mittelalters zeigen“ 3 ) sollten. 

Tieck hielt überhaupt viel von der cvklischen Form: 
er bedauerte sehr, dass Schiller nicht den Entschluss fassen 
konnte, uns statt des „Wallenstein“ in verschiedenen 
Stücken den ganzen Dreissigjährigen Krieg hinzumalen. 
In seiner Wallensteinkritik, die er für die Dresdener Abend¬ 
zeitung 18*23 schrieb, 4 ) spricht er seine Gedanken über 
ein solches Werk aus, später nahm er sich selbst vor, in 
dieser Weise die Geschichte des Dreissigjährigen Krieges 
zu behandeln. Auch war er es, der Matthäus von Collin 
einst zu einem Cyklus von zehn bis zwölf Dramen aus der 
österreichischen Geschichte angeregt hatte. 5 ) 


’) Putlitz I, 8. 72. 

*) Brief Fr. von Räumers v. 31. Dezember 1817. 

3 ) Briefe L. Tieck» an Fr. von Raumer vom 21. Dezember 1817 
und 2. Februar 1818. 

*) Kritische Schriften. Leipzig 1852. III, 8. 43. 44. 50. 

*) Nur zwei Teile wurden davon uusgefiihrt: „Belas Krieg mit 
dem Vater“ und „Der Tod Friedrichs des Streitbaren“. 



14 


Immermann dachte zunächst an sechs Dramen. Zwei 
sollten die Geschichte Friedrich Barbarossas behandeln, 
und zwar nach Putlitzens Bericht das erste „den Kampf 
mit den Welfen und dem Papste bis zürn Sturze Heinrichs 
des Löwen“, und das zweite „den Kreuzzug und das Ende 
Friedrichs im Morgenlande nach der Sage 1,4 . *) Friedrich II. 
war als Held von drei Dramen gedacht. 

Welche Ereignisse in Friedrichs II. Leben er in 
den beiden ersten Dramen behandeln wollte, ist nicht 
ganz klar. Einige Vermutungen sind aber auf Grund 
des Schlussdramas zulässig: das erste Drama sollte vielleicht 
Friedrich als Sieger über Otto IV. und seinen Aufenthalt 
im Morgenlande am Hofe al Kamels zeigen (die scheue 
Sulamith hätte hier gewiss nicht gefehlt), das zweite seine 
Kämpfe mit der Kirche und ihrem starrsinnigeu Oberhaupte 
Gregor. Hineingespielt hätte vielleicht Friedrichs Liebes¬ 
verhältnis mit Blanka Lancia; die Mordanschläge Severins 
und Fasaneilas wären verwertet, der Abfall des Petrus 
von Vinea vorbereitet w r orden, und der Tod Gregors hätte 
das Stuck (wie den dritten Teil von Raupachs Tetralogie) 2 ) 
beschlossen. Die Empörung seines Sohnes Heinrich, die 
viele Dichter mit Glück zum Gegenstände eines Dramas 
gemacht haben, 3 ) wäre sicherlich nur angedeutet worden, 
da ja das Schlussdrama den Zwiespalt zwischen dem Kaiser 

') „Karl Immermann. Sein Leben und seine Werke, aus Tage¬ 
büchern und Briefen an seine Familie zusammengestellt. (Heraus- 
gegeben von Gustav zu Putlitz.) Berlin 1870. Bd. I, S. 72. 

*) Dramat. Werke ernster Gattung. Bd. X. „Kaiser Friedrich II., 
dritter Theil, oder Friedrich und Gregor.“ Historisches Drama in 
t'iinf Aufzügen und einem Vorspiele. 

3 ) Bekannt sind mir: a) Karo 1. Pichlers oben genanntes, 
von glühendem Patriotismus zeugendes Jambendrama „Heinrich 
von H o h e n s t au ff e n, König der Deutschen“. Heinrich ist 
hier als Märtyrer für Deutschlands Wohl hingestellt. Der Kaiser 
bandelt, verblendet durch die Tücke seines intrigierenden Sohnes 



15 — 


und seinen S.öhnen Enzius und Manfred giebt, und die 
Wiederholung eines so gewaltigen Konfliktes in abge- 
sehwäehter Form der Trilogie als Ganzem geschadet hätte. 

Ein „Konradin“ sollte den Cyklus schliessen. Als 
r Sühnegesang, in welchem die Eumeniden wieder aus dem 


Manfred, der Heinrich verderben will, um sich dann seiner Gattin 
Margarethe zu bemächtigen. Eine grosse Rolle spielt Friedrich der 
Streitbare, Heinrichs Schwager, der sieh ebenfalls durch Manfreds 
Lügen gegen Heinrich einnehmen lässt und zu seinem Verderben 
beiträgt. Sehr geschmacklos sind die Prophezeiungen und Hin¬ 
deutungen auf die spätere Blüte des Hauses Habsburg. Der "Wert 
des Stückes ist nur gering und wird durch die vielen Anlehnungen 
an die Werke der Klassiker nicht erhöht. Um so wertvoller ist: 
b) „Der Kampf der Hohenstaufen“. Trauerspiel v. Friedrich 
von Heyden. Berlin 1828, bei G. Reimer, ein Werk, das ich 
zu den besten Hohenstaufendramen überhaupt zähle. Heyden zeigt 
sich hier als ein Dichter, der mehr Beachtung verdient, als ihm 
bisher zu teil ward. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn ist zu 
tiefster tragischer Wirkung herausgearbeitet. Erhöht wird die 
Tragik durch die Einführung der Rutina, für die der Sohn in leiden¬ 
schaftlicher Liebe erglüht, die der Vater aber zu seiner Gattin 
macht. Die Klippe der Don Carlos-Nachahmung ist glücklich ver¬ 
mieden. Ausser den Genannten gehört Hermann von Salza (als Ver¬ 
mittler zwischen Vater und Sohn) zu den Hauptträgern der Hand¬ 
lung. Auch sprachlich hat das Drama grosse Vorzüge, freilich 
überwiegt zuweilen das rhetorische Element das dramatische, zumal 
in den ersten Akten. Einige technische Schwächen sind nicht zu 
verkennen. Dennoch würde das Werk noch heute auf der Bühne 
von grosser Wirkung sein. — Entstanden ist es übrigens bereits 
1815, als der Dichter sich vor der Festung Landau aufhielt, einer 
Gegend, in welcher die Erinnerungen an die Hohenstaufen lebten. 
(S. Theod. Mundt in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Heydens 
Gedichten. Leipzig 1852. S. XXII, und Litteraturblatt 18251, 
Nr. 31.) Heyden hat, abgesehen von seinem oben genannten „Conradin“,. 
noch weiterhin die Geschichte der Hohenstaufen dichterisch ver¬ 
wertet. In dem 1843 erschienenen, ebenfalls von grosser poetischer 
Begabung zeugenden Epos „Das Wort der Frau“, das viele Auflagen 
erlebte, behandelt er den Herzensbund zwischen Agnes von Hohen- 



u> 


Reich geführt werden“, 1 ) wollte Immermann, ähnlich wie 
Raupach, die Geschichte Rudolfs von Hahsburg in zwei 
Dramen folgen lassen. Fünf Jahre beschäftigten ihn die 
eingehendsten Studien zu diesem Vorhaben, und er widmete 
ihm eine Sorgfalt, wie nie einem Werke zuvor. Um so mehr 
müssen wir bedauern, dass uns Aufzeichnungen Aber diese 
Studien und Skizzen zu dem geplanten Cyklus nicht er¬ 
halten sind. 

Seine Lieblingshelden waren Friedrich II. uml 
Konradin, und so begann er denn zunächst einen 

staufen und dem Sohne Heinrichs des Löwen. (Reclams Universal- 
bibliothek Nr. 1660.) — Das Epos „Reginald“ spielt in der Zeit 
Friedrichs des Zweiten. — Diese Worte waren bereits geschrieben, 
als Gabriels Buch über Heyden (s. S. 6, Anm. 1) erschien. 

c) Raupachs „Kaiser Friedrich der Zweite, zweiter 
Theil, oder Friedrich und sein Sohn“ (Dramatische Werke 
ernster Gattung, Bd. IX) gehört zu den besten und am häufigsten 
aufgeführten Teilen seines Cyklus, erscheint aber gegen Heyden- 
Drama recht flach, zumal der Konflikt nicht aus den Charakteren 
entspringt, sondern durch Intriguen veranlasst wird. Immermann, 
der das Stück 1834 mit Seydelmann in der Rollo des Kaisers in 
Wiesbaden sah, urteilt: „Das Stück ist nicht gut und nicht schlecht, 
übrigens ganz klug und theaterpraktisch gemacht“ (s. Fellner. 
Geschichte einer deutschen Musterbühne, Stuttgart 1888, S. 144c 

d) Eine Stümperei ist das vieraktige historische Trauerspiel 
„Friedrich der Zweite von Hohenstaufen“ von Dr. A. 
Teichmann. Breslau o. J. (1866). Verlag vou Joh. Urban Kern. 

Der Verfasser wagte es, sein Stück dem Prinzen Friedrich Carl 
von Preussen zu widmen. — (Ferner spielt der Konflikt zwischen 
Friedrich und seinem Sohne auch in Adolf Widmanns „Kaiser un't 
Kanzler“ hinein, ein Drama, auf das ich unten zurückkomme.) 

e) Dem kürzlich in Cassel mit Erfolg aufgeführten Drarn* 
..Kaiser, König und Bürger“ von Willi. Henzen (Berlin und 
Leipzig, bei Luckhardt, 1900) vermag ich trotz einiger hübscher 
Motive einen bleibenden Wert nicht zuzusprechen. 

’) „Karl Immermann. Sein Leben und seine Werke, aus Tage¬ 
büchern und Briefen an seine Familie zusammengestellt. Heraus¬ 
gegeben von Gustav zu Pu flitz.) Berlin 1870. Bd. I, S. 72. 



17 - 


-Kaiser Friedrich der Zweite*', und zwar das letzte der 
drei in Aussicht genommenen Teildramen; es blieb das 
einzige, das er von dem geplanten Cyklus ausführte. 

Den Stoff des Dramas, die letzte Lebenszeit und der 
Tod Friedrichs II. (1244 — 50), überkain Immermann, 
soweit mir bekannt, als Rohstoff, er besass also kein 
Vorbild für die Einteilung und Verwertung des historisch 
Gegebenen. — Wie der Dichter dabei verfuhr, soll 
das Folgende lehren; vorher aber wollen wir uns erst 
klar machen, welche Anschauungen Immermann im allge¬ 
meinen von dem Verhältnis des Dichters zur Geschichte 
hatte. 

Es gab in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr¬ 
hunderts einen grossen Kreis von Dichtern und Ästhetikern, 
die für das historische Drama unbedingt historische Treue 
forderten. Bereits Tieck hielt den „Geist der Geschichte, 
das grosse Schicksal, den Untergang der Herrlichen“ 1 ) an 
und für sich schon für Poesie und verwarf die „hinzu¬ 
gefügten Lügen“, 2 ) eine Anschauung, der bekanntlich auch 
Raupach 3 ) zum Opfer fiel. Noch 1852 forderte der Ästhe- 

') Tieck an Fr. von Raumer, den 2. Februar 1S18. 

2 ) Desgleichen. 

3 ) Dramatische Werke ernster Gattung, Bd. V, S. Will — XXI. 
Kuupach ist wahrscheinlich beeinflusst durch Abschnitt X von 
Kaumers Akademieschrift „Über die Poetik des Aristoteles, und sein 
Verhältnis» zu den neuern Dramatikern“, der den Titel trägt: „Über 
las Verhältnis» der Dichtkunst zur Geschichte“. (Die Schrift wurde 
-ou Raumer am 18. Januar 1828 in der Berliner Akademie verlesen, 
?edruckt erschien sie freilich erst 1831, als Raupach mitten in der 
Vrbeit an seinen Hohenstaufendramen stand. Da Raupach aber mit 
taumer befreundet war, hat er sie sicherlich lange vor der Druck- 
egung kennen gelernt.) Raumer schreibt S. 165: „Lassen sich denn 
her die grossen Ereignisse der Geschichte und die mitwirkenden 
timmungeu und Richtungen der Einzelnen nicht dramatisch so dur- 
rellen, dass Tag und Stunde, Ort und Zeit jedes Ereignisses und 
espräches aufs genauste festgehalteu wäre, dass man gar keine 

I>eo tj eil. Immcrmannft „Kaiser Friedrich der Zweite**. - 



18 — 


tiker Hermann Hettner in seinem Buche „Das moderpe 
Drama“, 1 ) in dem er sonst sehr gute und richtige Gedanken 
über das historische Drama äussert, der Dichter solle 
sich streng an die gegebenen Thatsachen halten; er preist 
aus diesem Grunde Shakespeare, zumal dessen englische 
Historien, und tadelt Schiller und Goethe. 

So war auch Immermann anfangs der irrigen Ansicht, 
dass die Tragödie schon in der Geschichte liege, und der 
Dichter „nichts mehr hinzuzufügen habe, um eine grosse 
Wirkung zu erreichen“. „Es handelte sich nach seiner 
Meinung einfach darum, die Hauptpunkte der Entwickelung 
hervorzuheben.“ 2 ) — Diese Forderung der strengen histo¬ 
rischen Wahrheit verwarf er aber später, als er an den 
„Kaiser Friedrich“ ging; er scheint damals bereits die 
Anschauung besessen zu haben, die er in einem Briefe 
an Tieck vom 18. Juli 1831 aussprach 3 ): „Sie habeu sich 
zuweilen gegen die Willkür bei der Behandlung der Ge¬ 
schichte erklärt, auch der verewigte Solger äusserte sich. 
w ? eun ich nicht irre, gelegentlich auf dieselbe Weise. Ich 
muss gestehen, dass ich dem Dichter gerne die höchste 

Thatsache, keine Person, keine Intrigue hinzu erfände, dass man i:: 
der Überzeugung, das rein Geschichtliche sei an sich hinreioher.. 
und auch poetisch genügend) alle Zuthaten, allen fremdartig' 
Schmuck schlechthin verschmähte?“ — Grosse Verehruug zollt 
Raumer den Versuchen des Franzosen Ludwig Vitet, die Geschieht 
seiner Nation dramatisch darzustellen. Seine in den Jahren ls. 
bis 1829 herausgegebenen, später unter dem Titel „La ligue“ zusanuu^ 
gefassten „Barricades“ und „Ütats de Blois“ sind in engem Anschlu-- 
an die geschichtliche Überlieferung geschaffen. Im Gegensatz : 
Raupach nannte Vitet seine Schöpfungen bescheiden „Scöneshistoriqu*-- 
und war weit entfernt, durch sie auf das Theater wirken zu weit- 

*) Braunschweig 1852. S. 54— 57. 

*) ,.Karl Immermann. Sein Leben und seine Werke, aus Ta£ 
biiehern und Briefen an seine Familie zusammengestellt.“ (Hers 
gegeben von Gustav zu Putlitz.) Berlin 1870. Bd. I, 8. 72. 

s ) Holtei, Briefe an Tieck. Breslau 1864. Bd. II, S. 50. 



— 19 — 


Freiheit bei der Behandlung des historisch Gegebenen be¬ 
wahren möchte. — — — Der Stoff, welchen der Historiker 
darzureichen meint, möchte auch wohl für den Dichter 
erst dann zu existiren beginnen, wenn ihn die Phantasie 
nach ihren ganz eigenthümlichen Gesetzen bereits ergriffen, 
verknüpft und umgestaltet hat.“ 

Immermann hat in dem vorliegenden Drama, in dessen 
Vordergrund ein erdichteter Familienkonflikt steht, die 
Geschichte sehr frei behandelt. Er war der Ansicht, dass 
nicht das heroisch-politische Drama, sondern allein das 
Familiengemälde die „Sphäre des deutschen Volkes“ sei. 
„Als der erweiterte Sinn,“ schreibt er im Reisejournal, 1 ) 
„sich damit nicht mehr begnügen konnte, tauchte zwar 
manches Heroische, Mythische, Historische auf: es blieb 
aber immer nur ein schöner Fremdling, und gerade wenn 
die Poesie einzurücken Miene machte, zogen sich die Zu¬ 
schauer zurück.“ Dass die Helden- und Staatstragödie 
bei den Deutschen damals kein „nachhaltiges Interesse“ 
gewinnen konnte, begründet er damit, dass ihnen noch 
das „Gefühl des Heldenthums, das Bewusstsein eines Staates 
und Volkes mangelt“. 2 ) 

Da Immermann danach strebte, sein Drama auf die 
Bühne zu bringen, ist die Vermenschlichung des historischen 
Stoffs wohl als ein Zugeständnis an das Publikum anzu¬ 
sehen. Ich bin weit entfernt, mit dem Worte „Ver¬ 
menschlichung“ einen Tadel aussprechen zu wollen, meine 
vielmehr, dass man auch hier von einer „erhabenen Steige¬ 
rung des Geschichtlichen zum Menschlichen“, ein Wort, 
das Bulthaupt vom „Wallenstein“ braucht, 3 ) sprechen darf. 


') Werke. Bd. X, S. 110. 

*) Michael Beers Briefwechsel. Herau*g. von Ed. von Schenk. 
Leipzig 1837. S. 158. 

3 ) Dramaturgie des Schauspiels. Von Heinrich Bulthaupt. 
Vierte Auflage. Oldenburg und Leipzig 1894. Bd. III, S. 83. 

2 * 



20 


Worin die „gründlichen“ 1 ) Studien bestanden, die 
Immermann nach Putlitzens Bericht für den geplanten 
Cyklus betrieb, ist schwer festzustellen. Putlitz be¬ 
hauptet, dem Dichter seien im Sommer 1821 alte Chroniken 
über die Hohenstaufen 2 ) in die Hände gefallen, nennt aber 
leider nicht die Titel. Vielleicht war es für die Zeit bis 
1229 das Chronicon Urspergense, aus dem auch Uhland ge¬ 
schöpft hat, und für die spätere Zeit die „Historia major“ des 
englischen Mönchs Matthaeus Paris, von der eine gute 
Ausgabe von Wilh. Wats (Londini 1686) vorlag. Eine Prüfung 
der noch vorhandenen Ausleihregister der Universitäts¬ 
bibliothek zu Göttingen, von der sich Immerraann manches 
schicken liess, dürfte vielleicht zu besseren Resultaten 
führen. Unter den damals vorhandenen Kompendien und 
Monographien lässt sich, abgesehen von Sismondis „Histoire 
des Republiques Italiennes du moyen äge (Paris 1809)“. 
mit Bestimmtheit nur die Benutzung einer Monographie 
nach weisen, die dem Dichter, wie mir die Direktion gütigst 
mitteilte, auf der Kgl. Paulinischen Bibliothek zu Münster 
zugänglich war. Es ist eine 1792 in Züllichau und Frey¬ 
stadt anonym erschienene, Karl Wilh. Ferd. von Funck 
zugeschriebene „Geschichte Kaiser Friedrichs II.“, ein 
Werk, das schon einmal einen deutschen Poeten zu 
einer Dichtung angeregt hatte, nämlich Novalis zu seinem 
„Heinrich von Ofterdingen“. 3 ) Auch Uhland hat es für 
seine Schrift „Walther von der Vogelweide, ein altdeutscher 
Dichter“ benutzt und ihm das Prädikat „trefflich“ ge- 


’) Putlitz I, 180. 

*) Putlitz I, 80. 

3 ) Novalis war mit dein Verfasser, Major von Funek, der auch 
mit Schiller und Reinhold in Jena verkehrt hatte, bekannt. 1 um 
verdankt er auch die Bekanntschaft der Ofterdingen- und Sänger- 
kriegsage. 



— 21 — 


geben. 1 ) — Später, als er den „Kaiser Friedrich“ begann, 
hat Iramermann natürlich auch das Raumersche Werk, 
das er sogar für seine Privatbibliothek erwarb, als ein¬ 
gehendste Quelle für diese Zeit studiert und, wie wir sehen 
werden, das meiste daraus geschöpft. 

Fast alle Hauptereignisse der letztenLebenszeitFriedrichs 
von der Flucht des Papstes bis zum Tode des Kaisers sind 
von Immermann verwertet worden. Das beinahe wichtigste 
Geschehnis, den Verrat des Kanzlers Peter von Vinea, 
einen für den Dramatiker so wertvollen und so häufig 
behandelten Stoff, 2 ) hat er freilich nur gestreift. Der Ver- 

') Uhlands Schriften zur Geschichte der Dichtung und Sage. 
Stuttgart 1870. Bd. V, S. 83. 

*) Der Abfall des Petrus de Vineis steht im Mittelpunkt der 
Handlung von Raupachs „Kaiser Friedrich der Zweite, 
Vierter Theil, oder Friedrichs Abschied“. Historisches 
Drama in fünf Aufzügen und einem Vorspiele (Dr. W. ernst. G., Bd. X). 
— Der grösste Fehler des Stückes besteht darin, dass sich Raupach, 
dem Wesen seines Cvklus entsprechend, nicht auf dies Ereignis be¬ 
schränkte, sondern in den Rahmen des Werkes möglichst alles 
hinein zu zwängen suchte, was der Kaiser in seinen letzten Jahren 
erlebt. Das Interesse zersplittert sich, und das Epische tritt oft 
stark in den Vordergrund. Peters Schuld ist nur eine Gedanken¬ 
schuld. Das sonst nicht übel gemalte Bild des Petrus hat Raupach 
zuletzt durch einen ungeschickten Pinselstrich verdorben. — Im 
Jahre 1855 wurde in Jena bei Friedrich Mauke Adolf Widmanns 
funfaktiges Trauerspiel „Kaiser und Kanzler“ als Manuskript 
gedruckt und dem Theaterbureau von Sturm und Kopp (Victor 
Kölbel) in Leipzig in Kommission übergeben. Widmann nahm sein 
Drama später in den ersten Teil seiner „Dramatischen Werke“ 
(Leipzig 1858, bei Voigt und Günther, II, 16°) auf. Er hat den Stoff 
mit wenig technischem Geschick behandelt und uns kein wohlge¬ 
ordnetes Ganze gegeben; er weiss das Hauptinteresse ebensowenig 
wie Raupach auf den Konflikt zwischen Kaiser und Kanzler zu 
konzentrieren. Einen Verrat begeht Petrus nicht, nur eine geringe 
Verschuldung richtet ihn zu Grunde. Das Intriguennetz ist weit 
ausgesponnen. — 1861 erschien in Berlin bei A. Vogel u. Comp. 

.Kaiser Friedrich der Z weite“, Dramatie in fünf Aufzügen 



- 22 — 


rat war schon einmal das Hauptthema eines seiner Dramen 
(„Das Thal von Ronceval“ 1 ) gewesen, und so vermied 
Immermann wohl eine neue Behandlung desselben Themas, 
aus Furcht, sich zu wiederholen. Aber wahrscheinlich 
machte er seinen begabten Freund Friedrich von Uechtritz 
auf den Stoff aufmerksam; wenigstens plante dieser in 

l ) Werke. Bd. XVI. 

von P. von Probst, ein sehr weitschweifiges Stück, das jede« 
dramatischen Lebens entbehrt. — Ein Jahr darauf wurde am Hof- 
theater zu Weimar die historische Tragödie Friedrich der Zweite 
von Hohenstaufen“ aufgeführt, deren Verfasser der schwäbische 
Dichter J. O. Fischer ist. Auf der Bühne hielt sie sich bis ISS:*: 
gedruckt erschien sie 1863 bei Cotta in Stuttgart. Das Werk hat 
viele Vorzüge, zumal sprachliche. Die Handlung ist straff, aber 
leider ist zu viel mit kleinlichen Motiven und Intriguen gearbeitet. 
In Petrus liegt .etwas Wallensteinisches; auch für ein Max-Thekla- 
Paar ist gesorgt, indem Manfred Heliodora, die Tochter des Kanzler' 
liebt. Im Vergleich zu Immermann sind die Reminiscenzen bei 
Fischer aber nur gering. — Auch der berühmte katholische Theologe 
J. Heinr. von Wessenberg hat den Stoff dramatisch bearbeitet. 
Die erste Auflage seines fünfaktigen Trauerspiels „K ai ser Friedrie h 
der Zweite von Hohenstaufen“ wurde bei Lebzeiten de> 
Verfassers nur in wenigen Exemplaren für engere Freunde gedruckt, 
die zweite Auflage nach Wessenbergs Tode von seinem Biographen 
Dr. Beck besorgt. Sie erschien 1863 in Freiburg bei Friedr. Wagner. 
Mit Recht bezeichnet der Herausgeber das Werk als ein „dramatisches 
Gemälde ohne bühnengerechte Form“, da die epischen Elemente 
stark hervortreten. Sehr objektiv schildert W. die „Nachtseite de? 
hierarchischen Regiments“. Der Kanzler gerät unschuldig in den 
Verdacht, den Kaiser haben ermorden zu wollen, und tötet sieh au' 
Scham über die gegen ihn erhobene Anschuldigung. (Vgl. Dante* 
Auffassung: Div. Comed. Inf. XIII, V. 64—75.) — In das bereit* 
genannte Friedrichdrama von Teich mann (1866) spielt ebenfall* 
der Konflikt zwischen Friedrich und Petrus hinein. Vinea wird de* 
Verrates verdächtig entlassen. — Carl Schwebemeyers drama¬ 
tisches Gedicht „Herz und Haupt“ (Berlin 1858, bei Springer; 
s. Hebbel, Werke. Hamburg 1891. XI, S. 157 und XII. S. 1011 
und Eduard Lochers Trauerspiel „Friedrich der Zweite" 



— 23 — 


einer Zeit, wo er ganz unter dem Einfluss Immermanns 
stand, ein Drama „Peter de Vineis“. 1 ) 

Die Tragödie in der Familie des Kaisers ist zwar er¬ 
dichtet, aber durch die Geschichte zum Teil befruchtet. 
Der Zwist der Bruder wurde vielleicht angeregt durch die 
historisch überlieferte Feindschaft zwischen Friedrichs 

*) Brief von Uechtritz vom 15. Februar 1829. 

(s. Baechtold, Gottfr. Kellers Leben. 3. Auflage. Berlin 1894. 
I, S. 327) blieben mir unbekannt. 

In jüngster Zeit hatte Conrad Ferdinand Meyer die Ab¬ 
sicht, den Stoff zum Gegenstände eines Dramas zu machen, das 
etwas Aktuelles bekommen sollte durch einen Hinweis auf die 
kühne Trennung Kaiser Wilhelms II. von seinem Kanzler (vgl. 
Rodenberg, Deutsche Ruudschau, Januarheft 1899). Es sei mir ge¬ 
stattet, hier kurz das zusammenzustellen, .was Adolf Frey an ver¬ 
schiedenen Stellen seines Buches „Conrad Ferd. Meyer. Sein Leben 
und seine Werke“ (Stuttgart 1900) über diesen Plan sagt: Als 
Quelle benutzte Meyer, ohne sich um neuere Publikationen zu 
kümmern, Räumers Werk, räumte aber, wie alle grossen Dichter, 
der Geschichte nicht das geringste Herrschaftsrecht ein. Zunächst 
dachte er daran, die Person Friedrichs II., die ihm, je mehr 
er sich mit ihr beschäftigte, immer sympathischer wurde, mit 
dem Lose der „Richterin“ zu verknüpfen; es ist die letzte Vorstufe 
der bekannten Novelle. Meyer bewahrte den Entwurf wahrscheinlich 
wegen der sorgfältigen und uusgeführten Charakteristik des Staufers 
auf, die er in der damals bereits geplanten Novelle „Petrus Vinea“ 
zu verwerten gedachte, welche den Konflikt zwischen dem Herrscher 
und seinem Kanzler zum Gegenstand haben sollte. Später wurde 
des Vinea-Motiv als Drama zurechtgerückt, wie neben dem münd¬ 
lichen Bericht wenige Blätter darthun. Er wollte in diesem Drama 
an Kaiser Friedrich II. zeigen, wie die von Jugend auf geübte 
und während eines langen, wechselvollen Lebens geschärfte 
Menschenkenntnis eines durchdringenden, hochbegabten Kopfes mit 
dem Alter in allseitiges Misstrauen ausartet, das sich sogar gegen 
den erprobten Freund und Helfer am Lebenswerk wendet. 

Fritz Koegel, mit dem der Dichter über seinen Plan gesprochen, 
überliefert uns die Worte („Die Rheinlande“ I, 1. S. 30): „Der Bruch 
geht nur hervor und kann nur hervorgehen aus politischen Meinungs- 



Söhuen Heinrich uud Konrad, der Konflikt zwischen dem 
Vater und seinen Söhnen durch die Auflehnung Heinrichs 
gegen den Kaiser, und das Motiv der Geschwisterliebe 
durch den von Raumer (IV, S. 477) angeführten, übrigens 
keineswegs erwiesenen Bericht einiger zeitgenössischer 
Schriftsteller, Manfred habe in blutschänderischem Ver- 


verschiedenheiten und verschiedenen Ansichten Ober Lebensfragen 
des politischen Handelns. Ein vorher verdeckter grundsätzlicher 
Gegensatz ihrer Naturen kommt zum Ausbruch und trennt sic. 

Fier delle Vigne ist Italiener, Friedrich will Italien und Deutsch¬ 
land vereinigen, muss daher auf Deutschland Rücksicht nehmen. 
Dies Interesse teilt Vigne nicht, dem nur Italien am Herzen liegt. 
Es ist die gefährliche Zeit, wo Papst Innocenz, ein Ungeheuer, den 
Kaiser zur Verantwortung vor das Konzil von Lyon ruft, wo der 
Kampf, der Friedrich ans Leben geht, aufs heftigste entbrannt ist. 
wo es sonst in seinen Kämpfen schlecht für ihn steht, also jeder 
Schritt die schwersten Folgen für ihn haben kann und seine Lage 
fast verzweifelt ist. — Vigne hat nun ein Weib, das den Kaiser 
liebt. Von dieser Liebe finden sich in den Chroniken Andeutungen. 
Der Kaiser war klug genug, das seinem Kanzler zu sagen. Diese 
Frau lässt, ehe sie stirbt, beide an ihr Lager rufen und sagt ihnen: 
„Ich habe euch beide geliebt und kann nicht sterben, Kaiser, ohne 
dir zu sagen: Dieser mein Mann weiss ein Mittel dich in deiner 
jetzigen gefährlichen Lage zu retten. Er spricht im Schlaf und ich 
habe ihn nachts das oft sagen hören. Er weiss eins und will e* 
dir nicht sagen.“ Hiermit stirbt sie, dem Kaiser den Stachel de* 
Zweifels in die Seele senkend und den Kanzler zwingend, schliess¬ 
lich sein Geheimnis zu sagen. Dies ist: „Der Kaiser solle von all 
seinen gegen den Papst behaupteten Ansprüchen und Rechten zurück¬ 
treten, um durch den Eindruck davon den Papst zu zwingen, d»- 
Gleiche zu thun. Hiermit sei der Streit zu Ende und er siege der 
Welt gegenüber ob.“ Das ist nun ein gefährliches Mittel, das zu 
dem Charakter und den politischen Plänen des Kaisers nicht passt 
Und der ist misstrauisch, ob dieser Rat aufrichtig oder hinterlistig 
sei. Er misstraut, ob jener ihn verderben wolle, als Italiener, au- 
Eifersucht. Hierin liegt der Keim zur Zerstörung ihrer Vertraulich¬ 
keit. Entfremdung tritt ein und frisst weiter. — Der Bruch trägt 
sich so zu. Der Kaiser ist unpässlich, Vigne lässt ihm einen Traufe 



— 25 


hiiltnis mit seiner Schwester Violante, der Gattin des Grafen 
Caserta, gelebt. Auf die Einführung Roxelanes, als Mittel, 
den Kaiser in den Augen seiner Feinde anzuschwärzen, 
kam Immermann wohl durch die Überlieferung, dass Friedrich 
viele natürliche Töchter besessen (Raumer IV, 603—4), 
ferner durch Funcks Bericht von der Heirat einer natür- 


geben, der ihn heilen soll. Aber Friedrich wagt nicht, den von 
Vigne kommenden Trank zu trinken. Da erhebt sich der Kanzler 
in Entrüstung: „Ich habe so lange Jahre für dich gewacht, gesorgt, 
gearbeitet und erhalte als Lohn diese Kränkung. Trink’ den Trank!“ 
Aber Friedrich misstraut, stösst den Becher von sich, so dass er 
unirollt und der Wein über den Tisch hin verschüttet wird. Dieser 
Trank war kein Gift. — Die Entfremdung ist nun da, Yignes Unter¬ 
gang unvermeidlich. Er findet ihn auf würdige Weise. Der Kaiser 
ist wieder krank. Von der Äbtissin eines Klosters, die in päpstlichem 
Solde steht, kommt ihm ein Heiltrank. Friedrich will ihn trinken. 
Vigne steht in einer Nische, tritt hervor und sagt: „Trink’ihn nicht, 
Kaiser, es ist Gift!“ Friedrich, der verdüstert, grausam geworden 
ist, will einen gefangenen Lombarden, einen Rebellen, den Trank 
vorkosten lassen. Der sagt empört: „Töte mich, wenn du willst, 
aber dir vorzukosten kannst du mich nicht zwingen.“ Vigne be¬ 
schwört den Kaiser, solche Grausamkeit nicht zu begehen. Der 
Kaiser gerät in Zorn, giebt den Befehl, den Lombarden sofort hin¬ 
zurichten. Da tritt Vigne dazwischen: „So sollst du dich nicht 
selbst besudeln, ich werde den Becher für dich kosten.“ Es ist 
Opferung, denn er weiss, dass es Gift ist. Er trinkt und sinkt tot 
um. In diesem Augenblick Trompetenschall, Botschaft einer von 
Manfred gewonnenen Schlacht, Botschaft, dass dem Kaiser ein Enkel 
geboren ist. Friedrich voll Rührung: „An der Leiche dieses Treuen 
grüss’ ich dich, Enkel! Mögest du glücklicher sein als er. Ich grosse 
dich mit dem Namen: Konradin!“ 

Heinrich Bulthaupt in Bremen, bei dem sich der Dichter wieder¬ 
holt dramaturgischen Rat holte, berichtet über die Schlussscene 
in einem Feuilleton der Weserzeitung vom 18. Dezember 1898 
(der Aufsatz ging mir durch die Güte des Herrn Verfassers 
zu, dem ich dafür auch an dieser Stelle noch einmal den herzlichsten 
Dank sage): „Mit Lebhaftigkeit schilderte er uns einen im hellsten 
Tbeaterlieht geschauten, einschneidenden Aktschluss: Der Kanzler 



— 26 — 


liehen Tochter Friedrichs mit Johann Vataces, dem 
griechischen Kaiser von Nicäa (der Papst verdachte es 
Friedrich sehr, „dass er sich mit einem Schismatiker ver¬ 
binden wollte, und nannte ihn selbst einen Ketzer und 
Atheisten“ vgl. Funck S. 298), und durch die vielen Berichte 
über die Bevorzugung der Sarazenen und die daraus ent¬ 
springenden Verleumdungen von seiten der Kirche (Funck 

leert am Ausgang einer heftigen Scene mit dem Kaiser, in der er 
seine letzten Hoffnungen zusammenbrechen sieht, einen für Friedricli 
bestimmten Becher, in dem er (er weiss es, der Kaiser nicht) den 
gewissen Tod trinkt. Da dringt der Lärm einer Siegespost ins Lager. 
Man stürmt herein, man huldigt dem Kaiser — dort aber, heisst e>, 
dort am Tisch sitzt einer, der sich nicht mitfreut, regungslos, mit 
verhülltem Haupt. Holla! auf! wir haben gesiegt, freue dich mit 
uns! Man zieht ihm die Hülle vom Antlitz. Vinea ist todt.“ Friedrich 
steht als der Schuldige vor uns. Er hat seinen Freund und Kanzler 
zu Grunde gerichtet. Jedenfalls eine sehr interessante Lösung der 
schwierigen Aufgabe! Die Art, in der der Schweizer Dichter den 
grossen Kanzler enden lassen wollte, wäre von tiefster tragischer 
Wirkung gewesen, recht im (Jegensatze zu Raupachs Darstellung 
von Vineas Ende, welche die tragische Wirkung stark beeinträchtigt, 
wenn nicht überhaupt aufhebt. Wir müssen sehr bedauern, das> 
Meyer, der, wie Bulthaupt schreibt, so viel Interesse „auch für die 
kleinsten Fragen der dramatischen und theatralischen Technik 1 * be¬ 
wies, seinen Plan nicht mehr ausführen konnte. Auch zu einer 
novellistischen Behandlung des Stoffes, die er schliesslich noch vor 
der Dramatisierung zu unternehmen beschloss (an Bulthaupt, den 
1. September 1890), ist er nicht mehr gekommen. — Doch zeugen 
vier vortreffliche Balladen von seiner Beschäftigung mit der Geschichre 
der Hohenstaufen. 

Dem letzten Versuch, den Zwist zwischen Kaiser und Kanzler 
zu dramatisieren, welchen Friedrich Calebow* unternahm 
(Friedrich der Zweite. Trauerspiel in fünf Akten. Barmen, 
bei Wiemann, o. J. [1900]), ein junger Dichter, für den sich Feliv 
Dahn in die Schanze geschlagen hat, kann ich nicht unbedingt Bei¬ 
fall zollen, wenngleich ich Calebows schönes Talent nicht verkenne. 
Der Hauptmangel ist technische Ungewandtheit. Vinea ist hier ein 
fanatischer Asket und Pietist, der den Kaiser vergiftet, um das ewig** 
Heil zu erlangen. 



S. 102 und 146, Raumer IV, 107). Von einem freund¬ 
schaftlichen Verhältnis Friedrichs zu dem Sultan Kamel 
berichtet Raumer (III, 291), von verwandtschaftlichen Be¬ 
ziehungen aber nichts. Zum Teil nimmt Roxelane, vor 
allem in der ältesten Fassung, die Stelle jener Lucia Via- 
dagoli, einer sagenhaften Geliebten des Königs Enzio, ein. 
Der Dichter kannte diese Gestalt, abgesehen von Räumers 
Werk, aus E. Munchs „König Enzius“, 1 ) einem Buche, das 
eingehend über das Liebesverhältnis zwischen dem König 
und Lucia berichtet, und das sich auch in Immermanns 
Bibliothek 2 ) befand. 

Das Verhältnis der politischen Ereignisse im Drama 
zu der geschichtlichen Überlieferung ist folgendes: Die 
Schilderung der Eingangssituation entspricht nicht genau 
der Geschichte. Eine solche Macht, wie Immermann sie 
darstellt, besass Friedrich damals nicht. Erst am 31. März 
1244 hatte er einen „höchst drückenden“, von der Kirche 
diktierten Frieden unterzeichnen müssen. Freilich war 
seitdem seine Macht im Kirchenstaate gewachsen, und des 
Papstes Einschliessung stand zu befürchten, war aber noch 
nicht geschehen. Die Flucht des Papstes ist im allgemeinen 
der Geschichte entsprechend dargestellt, nur dass die 
genuesische Flotte nicht aus zwanzig, sondern aus zweiund¬ 
zwanzig Schiffen bestand, und Innocenz nicht in Ostia, 
sondern in Civitavecchia aufnahm. Beide Abweichungen 
erklären sich aus rhythmisch-metrischen Gründen. Der 
Abfall und Verrat Vineas geschieht historisch erst nach 


*) König Enzius. Beitrag zur Geschichte der Hohenstaufen 
von Dr. Ernst Münch. Ludwigsburg, bei C. F. Nast, 182S. Das 
Buch scheint jedoch bereits in den letzten Monaten des Jahres 1827 
durch den Buchhandel vertrieben worden zu sein. 

*) Ein Verzeichnis der Bücher, die Itnmermann besessen hat, 
befindet sich unter den Papieren seines Nachlasses. 



der Ächtung des Kaisers. Die Schilderung des Konzils 
von Lyon durch Thaddaeus (A. III, 5 s. S. 46) und die 
Kronenscene (A. III, 5 s. S. 46 und b. III, 2 s. S. 53) 
entsprechen Räumers Darstellung (IV. S. 115). Die un- 
historische Versammlung in der Abtei zu Pisa (B. II, 
12. 13) ist zum Teil dem Konzil von Lyon nachgebildet. 
Der Abfall Parmas gelegentlich der Hochzeit einer Tochter 
des Feldhauptmanns Tavernieri (A. II, 8) wird bei Raumer 
IV, 167 erzählt. Nach der letzten Redaktion erfährt der 
Kaiser zu gleicher Zeit seine Ächtung, die Belagerung 
Vittorias durch die Parmenser und den Zug der Welfen 
zur Fossalta. 1 ) (S. 210—11.) Historisch wurde die Acht 
1245 ausgesprochen, der Fall Vittorias fand 1248, die 
Schlacht bei Fossalta 1249 statt. — In der ältesten Redak¬ 
tion geschieht der Abfall Modenas zu gleicher Zeit mit 
dem Parmas, in der letzten fällt Modena später ab, aber 
vor der Schlacht, während die Modeneser geschichtlich 
den Kaiser erst in der Schlacht bei Fossalta verliessen. — 
Der Streit um die Führerschaft im Kampf ist erdacht. 
Mailand nahm gar nicht am Kampfe teil. Der Kaiser und 
Manfred beteiligten sich ebensowenig an der Schlacht, auch 
nicht nach Enzius’ Gefangennahme. Friedrich war bereits in 
Apulien und Manfred bei ihm. DenOberbefehl in derSehlacht 
hatten auf kaiserlicher Seite allerdings zwei Söhne de< 


*) Raumer lässt die Schlacht „bei Fossalta“ geschehen, und so 
spricht auch Immernmnn im Plan und in A. von einem Orte „Fossalta". 
(Er geht nach F. Im Lager von F. u. s. w.) Erst Münch belehrte 
ihn eingehend über den Schauplatz; er schreibt (S. 68): „Es fliesst 
die Sl'ultenna nicht über eine Miglie weit von Modena; über sie 
führte damals eine steinerne Brücke, genannt vom heil. Ambrosius: 
ohngefähr 1000 Schritte davon strömt ein wilder Bach, die Foss;» 
Alta genannt.“ Seitdem spricht der Dichter (in b, B und (’) nur 
noch von dem Flusse Fossalta. Jedoch nimmt er sich die Freiheit, 
die Brücke, um die sich der Kampf entspinnt, als Fossalta- und nicht 
als Skultennabrüeke zu bezeichnen. 



29 


Kaisers, Enzius und Friedrich (von Antiochien). Historisch 
ist die Konzentrierung des Kampfes um eine Brücke 
(Raumer IV, S. 197—98), sowie die Verstärkung des 
Feindes durch Antonio Lambertazzi und seine Truppen 
(S. 247. — Raumer IV, S. 198). — Enzius' Hilfgesuch an 
Manfred ist vielleicht angeregt durch Räumers Worte: 
„mau sandte Hilfe bald dahin, bald dortbin,“ und Manfreds 
Helm- und Manteltausch (IV, 1) schuf Immermann wohl 
in dunkler Eriunerung an Räumers Bericht über die Schlacht 
bei Benevent (IV, S. 489). — Die Kaiserkrone wurde bei 
Vittoria, nicht bei Fossalta erbeutet. 

Der Geschichte entspricht ferner Enzius* Gefangenschaft 
in Bologna und der freilich erst 1269 unternommene Be¬ 
freiungsversuch durch ein Mädchen, ferner der Tod Friedrichs 
in Firenzuola (in den älteren Redaktionen verwechselte 
Immermann das kaiserliche Schloss Fiorentino in Capitanata 
und das Kloster Firenzuola. Nach Funck ist der Kaiser 
in Fiorentino gestorben, nach Raumer in Firenzuola) in den 
Armen Manfreds, nachdem ihm der Erzbischof die Abso¬ 
lution erteilt. (Raumer IV, S. 206—7.) 

In der Charakteristik pflegte sich Immermann 
strenger an die Geschichte zu halten 1 ); das trifft hier nur 
für den Charakter des Helden zu, da von den übrigen 
Personen wenig oder gar keine Züge überliefert sind. 

Funck (der übrigens Friedrichs allmählich eintretenden 
geistigen und körperlichen Verfall auffallend betont) schreibt 
S. 70: „Wenn er in dem Entwurf und der Ausführung 
(nämlich seines Planes) einen Fehler beging, so war es der, 
lass er eine zu gute Idee von seinen Zeitgenossen hatte. 
Kr beurtheilte die Menschen nach sich selbst, und darin 
errechnete er sich. Den Grad der Aufklärung anzu- 

’) H. Roettinger, Die Quellen zu lnimermanns „Trauerspiel in 
’irol“. Euphor. VII, 1. S. SO. 



nehmen, zu dem er selbst hindurehgedrungen war, war 
sein Zeitalter noch nicht reif genug. Vorurtheile, die er 
bey sich besiegt hatte, fesselten noch die andern Monarchen 
Europa’s. Die Hindernisse verdoppelten sich, wie die 
Köpfe der Hyder, so wie er sie nieder trat; man kann nicht 
sagen, dass er seiner Unternehmung erlag, aber er hätte 
zwey Menschenalter leben müssen, um sie zum Ziel zu 
führen.“ 

Über Friedrichs religiöse Überzeugung berichtet uns 
Raumer (III, S. 4*24): „dass er allerdings kein Christ war 
in dem Sinne, wie es der Papst von ihm verlangte; dass 
aber der Kaiser, der durch Widerstand gereizt, durch Er¬ 
fahrungen belehrt, durch Untersuchungen aufgeklärt und 
dadurch, wir möchten sagen, Protestant geworden war, iin 
höheren Sinne immer noch Christ blieb und um des Ver- 
werfens einzelner kirchlichen Formen willen, keineswegs 
dem Judenthume oder dem Muhamedanisraus näher stand, 
oder gar in einen geistlos gleichgültigen Unglauben liinein- 
gerieth. Vielmehr würden ihm Manche, nach späteren 
Ansichten, Vorwürfe wegen seines Aberglaubens machen 
können: weil er Todtenmessen für seine Vorfahren halten 
liess, den Klöstern und Kirchen Schenkungen machte und 
überhaupt, unter dem Vorbehalte, dass man dem Kaiser 
gebe, was des Kaisers ist, die christliche Kirche für höchst 
wichtig und schlechthin unentbehrlich hielt. Sogar der 
Glaube an Wunder wird ihm, sonderbar genug, neben 
seinem Unglauben zugeschrieben.“ 

Ausser diesen beiden Hauptstellen fand Immermann 
in beiden Geschichtswerken, zumal bei Raumer, noch ver¬ 
schiedene Einzelheiten für die Charakteristik des Kaisers. 

Einen Kardinal Oktavian aus dem Hause der Ubaldini 
hat es thatsächlieh gegeben, doch wissen wir nicht viel 
von ihm. Raumer berichtet (IV, S. 165), dass er 1247 
vom Papst mit einer bei Lyon gesammelten Mannschaft 



- 31 


den Mailändern zu Hilfe geschickt sei, ferner (IV, S. 171), 
dass er für die Rettung der vom Kaiser belagerten Stadt 
Parma gewirkt habe, dass es (S. 196) ihm 1249 „mit 
Hülfe der Bologneser und vieler vertriebenen Guelfen“ 
gelungen sei, „mehre Städte für die Kirche zu gewinnend 
Er habe (S. 197) Bologna zum Kampf gegen das ghibelli- 
nische Modena angestachelt, 1252 (S. 381) den Lombarden- 
bund erneuert und 1255 (S. 336—38) gegen Manfred in 
Apulien gekämpft. 

Für den Charakter Oktavians fand Immermann bei 
Raumer einige Andeutungen. Dieser erzählt (IV, S. 171), 
wie Ubaldini sich bei dem Volk in Gunst zu setzen wusste, 
so dass schliesslich gesagt wurde, „niemand sey würdiger 
des päpstlichen Stuhls“, ferner (IV, S. 338), wie der 
Kardinal listig einen mit Manfred geschlossenen Vertrag 
umging. Auch hören wir von der Eigenmächtigkeit seines 
Handelns und von seinem Selbstvertrauen, das ihn ein 
Schreiben „im Lager vor Lueeria“ unterzeichnen liess. 
obwohl er noch gar nicht dort war. 

Immermann hat aus technischen Gründen die Funk¬ 
tionen von zwei historischen Persönlichkeiten in seinem 
Kardinal vereinigt. Die eine ist eben der historische 
Oktavian, die andere der Kardinal Peter Capuccio, dessen 
Namen Immermanns Kardinal in dem ursprünglichen Plane 
trägt. Capuccio ist der Mann, von dem Funck (S. 382 
und 388) berichtet, dass er den Kaiser noch 1250 in 
Apulien bedrängt habe, von diesem aber besiegt worden 
sei. — In dem vorliegenden Drama wird er freilich nicht 
mehr vom Kaiser, sondern von dessen Feldherrn Marinus 
überwunden. Dass Immerraann im Plan dem Hauptgegner 
der Hohenstaufen den Namen desjenigen Kardinals gab. 
mit dem Friedrich vor allem in seinem letzten Lebensjahr 
zu kämpfen hat, mag ein Beweis sein, dass der fünfte Akt 
dem Dichter schon sehr früh vorschwebte. 



— 32 — 


Euzius ist nur bei Munch Friedrichs Lieblingssohn, hei 
Rauraerund Funck nimmt Manfred die bevorzugtere Stellung 
ein. Münch berichtet über die Mischung von Milde uud 
Tapferkeit in Enzius (S. 15). Von der religiösen An¬ 
schauung des jungen Fürsten aber weiss die Geschieht** 
nichts. 

Der Erzbischof von Palermo gehört geschichtlich zu 
den Geistlichen, vor denen Friedrich, „um sich von dem 
Vorwurf der Ketzerey zu reinigen“ (Funck S. 361), 1245 
sein Glaubensbekenntnis aussprach. Raumer hebt vou 
diesem Kirchenfürsten hervor, dass er einer der wenigen 
Geistlichen war, die nicht die Ansichten des Papstes 
teilten und „päpstliches Recht vom Kirchenrecht schieden", 
wofür er von Innocenz einen Verweis erhielt, ferner, dass 
er dem sterbenden Kaiser die Absolution erteilt habe. 

Für Gherardo schloss sich der Dichter ziemlich eng 
an Raumer an. Dieser schreibt (IV, S. 172—73): „Ger¬ 
hard von Kanäle, ein augesehener Ritter aus Parma, diente 
im Heere des Kaisers; die Parmenser rissen jedoch seine 
Häuser und Thürme nicht nieder, entweder weil er mit 
ihnen im Einverständnisse war, oder sie ihn verdächtig 
macheu wollten. Da sagte Friedrich zu ihm: „Herr Ger¬ 
hard, die Parmenser lieben uns sehr, denn während sie die 
Gebäude der Stadt zerstören, verschonen sie die Thürme 
meiner Freunde und meinen Palast auf dem grossen Platze." 
Gerhard antwortete so, wie er glaubte, dass es dem Kaiser 
angenehm sey. Bald nachher kam der Franziskauer 
Salimbeni, welcher überall für die Guelfen wirkte, heim¬ 
lich zu Gerhard, und nun rühmte sich dieser, wie nützlich 
er stets den Parmensern gewesen sey. Salimbeni ant¬ 
wortete aber: „seyd entweder ganz für den Kaiser, oder 
ganz für uns; das Hinken nach zweien Seiten wird euch 
nicht frommen“. Und so geschahs: Dieser Ereignisse. 
Besuche, Reden und wahrscheinlich noch ungetreuerer 



33 — 


Thaten halben, wurde Gerhard bald nachher als ein Ver- 
räther verurtheilt und mit einem Mühlsteine am Halse ins 
Wasser geworfen.“ 

Dagegen ist Marinus von Ebulo (so ist die Form bei 
Funck und Münch, Raumer nennt ihn von Eboli) ganz 
Immermanns geistiges Eigentum. Von dem, was Raumer 
(IV, 168 f. und 196) über Bernardo Rossi sagt, verwertete 
der Dichter nur die Thatsache des Abfalls vom Kaiser. 


Deetjen, ImmcrmnnnK ..Kauer Friedrich der Zweite“. 


3 



III. 

Die Entstehungsgeschichte des Dramas. 

In dem im Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar 
liegenden Immerraannschen Nachlass, den ich benutz.» 
durfte, befinden sich ein ausführlicher Plan für alle fünf 
Akte, sowie Stücke der ältesten Fassung und der spätere» 
Redaktionen des Dramas, die einen Einblick in seine Ent¬ 
stehungsgeschichte gewähren. 

Ich gebe zunächst den bisher ungedruckten ursprümr- 
lichen Plan wieder: 

1 . 

Plan zu Friedrich dem Zweiten. 

Erster Aufzug. 

Cardinal Peter von Kapuccio und Kapellan Ambrosius. 

Kurze einleitende Scene. Peter Kapuccio, der Cardinal 
ist am Hofe des Kaisers augelangt, scheinbar, um di^ 
Unterhandlung zwischen dem Pabste und dem Kaiser zu 
leiten, wirklich, um den Kaiser hinzuhalten, damit d-r 
Pa bst Zeit und Gelegenheit gewinne, aus dem von kaiser¬ 
lichen Truppen besetzten Kirchenstaate zu entfliehen, und 
sich in Freiheit zu stellen. Der Abfall des Kanzlers Petr: 
von Vinea, sein Bündniss mit der Päbstlichen Partei >*i 
entdeckt worden, doch solle der heil. Vater den Mutli ui- s* 
sinken lassen, im eigenen Hause des Kaisers laure Zer¬ 
störung, er habe die Zeichen geheimer Feindschaft zwi>» b 
den Sdhncn des Kaisers Enzius und Manfred. Mit di^- * 



Nachrichten wird Ambrosius an den Pabst abgefertigt. 
Thaddaeus von Suessa kommt und erzählt mit einigen 
Worten den Verzweiflungstod des Peter von Viuea, der 
die Kirche verwünschend sich den Kopf zerschmettert hat, 
geht ab, um es dem Kaiser zu melden. Die Söhne Enzius 
und Manfred treten auf in einem Wortwechsel, der zwischen 
Ernst und Scherz schwebt. Manfred wirft in bitterer 
Laune seinem Bruder vor, dass er nicht ungerührt von 
den Reizen der Sarazenin Roxelane sey, und verklagt ihn 
dieses Frevels halber beim Cardinal. Dieser hat sich durch 
einige Fragen sehr bald in den Besitz des Geheimnisses 
gesetzt, und siedende Eifersucht in den Scherzen des 
Manfred erkannt. Die Charaktere der beiden Brüder 
werden Gelegenheit haben, sich in dieser Szene nach 
ihren Umrissen zu entfalten. Die Söhne werden zum 
Vater gerufen, welchen der Bericht von Peters Tod heftig 
erschüttert hat. — Monolog des Cardinais. Die Kirche 
blickt in alle Zerwürfnisse, in alle Verwirrungen des 
Menschengeschlechts, sie allein bleibt ewig fest, mit sich 
übereinstimmend, consequent, ist sie also nicht von Gott 
selbst berufen, über die Schwankenden, Rathlosen zu 
herrschen? So soll sie denn auch herrschen, und alles, 
was auf diesem heiligen und nothwendigen Wege ihr in 
den Weg tritt, muss zertrümmert werden. — Der Kaiser 
erscheint. Die Wirkungen von dem Tode des so lange 
treugewesenen Dieners sind noch sichtbar, und brechen in 
einigen bitteren Reden gegen die Kirche, die ihm den 
Kanzler raubte, aus. Bald aber nimmt die Szene mit dem 
Kardinal einen gemesseneren Gang. Die Gegenstände des 
ungeheuren Streites zwischen Kaiserthum und Pabstmacht 
kommen zur Sprache. Der Kaiser zeigt sich höchst fest 
und streng, seine Gesinnung tritt hervor, nach welcher die 
Herrschaft der weltlichen Macht gebühre. Er will den 
Kampf jetzt ein für alle mal entschieden wissen, auf die 



Gefahr des Unterliegens. Der Cardinal, für den das Ge¬ 
spräch nur eine Scheinverhandlung ist, zeigt sich aus¬ 
weichend, verweilt in Allgemeinheiten u. 8. w. Die Szene 
bricht ab. Der Kaiser mit Thaddaeus von Suessa allem, 
sieht sich als Sieger schon, und die Demuth des Cardinais 
als Vorzeichen des Sieges an. Thaddaeus hat eine trübere 
Meinung. Rom ist ihm furchtbarer, wenn es nachgiebt, 
als wenn es schilt und droht. Der Kaiser kommt auf 
seine Familie, rühmt seiner Söhne Heldenkraft, und deutet 
an, dass auch das Schöne in seinem Hause nicht fehle. 
In diesem Augenblick erscheint Roxelane. Thaddaeus wird 
entlassen. Sie ist in einer inneren Bewegung und bittet 
den Kaiser (der sie vor Kurzem aus dem Orient an seinen 
Hof brachte), sie nach dem Oriente wieder zu entlassen, 
dessen Reize mit lebhaften Farben von ihr geschildert 
werden. Der Kaiser, durch diese Bitten überrascht, über¬ 
eilt sich und entdeckt ihr, dass sie seine Tochter sey, mit 
einer Morgenländischen Fürstin erzeugt. Dies führt zu 
sehr zärtlich leidenschaftlichen Reden, der Kaiser nimmt 
ihr das Versprechen zu schweigen ab; Roxelanes ganzes 
Herz verräth sich in dem plötzlichen sonderbaren Ausrufe: 

Und ich darf Enzius lieben! 

Der Kaiser erräth’s, und der Akt schliesst mit dem 
Tone des innigsten Vertrauens, welches der Kaiser auf den 
Bestand seines Hauses hat. 

Zweiter Aufzug. 

Szene zwischen Enzius lind Roxelanen. 

Mit dem Bewusstsein, dass sie seine Schwester sey. 
fühlt sie das Recht, mit ganzer Innigkeit zu ihm zu treten. 
Er, dies missverstehend, mit seinem eignen Herzen im 
Kampfe, lehnt diese Liebe ab. Sie, leidenschaftlich ge¬ 
steigert, ist auf dem Punkte, sich ihm zu entdecken, da 
kommt Manfred, und es erfolgt eine heftige Liebes- 



bewerbung von dessen Seite, die ßoxelanen mit Schreck 
und Abscheu erfüllt. Mitten unter diese Verwirrungen 
seiner Kinder tritt der Kaiser sehr bewegt mit einem 
Briefe. Der Pabst ist mit Hülfe der Genueser entflohen. 
Diese verhängnisvolle Nachricht hat wie ein Donnerschlag 
ihn getroffen, der mächtige uralte Feind seines Hauses 
wieder frei in der neidischen, den Hohenstaufen grollenden 
Welt. Die Hiobsposten folgen sich, Thaddaeus von Suessa 
bringt die Nachricht, dass der Pabst eine Kirchenversamm¬ 
lung nach Lyon berufen habe, um über ihn zu richten. 
Der Kaiser schickt Thaddaeus von Suessa als seinen Stell¬ 
vertreter dorthin. Er selbst geht mit seinen Kindern nach 
Fossalta, um den Lombarden, die sogleich ein Heer für 
den Pabst aufstellen werden, nahe zu seyn. 

Dritter Aufzug. 

Im Zelte des Kaisers und im Lager von Fossalta. 

Der Kaiser weiss, was über ihn in Lyon ergehen 
werde, da sein Todfeind über ihn zu Gericht sitzt, er hat 
den Thaddaeus von Suessa nur hingesendet, um dem 
Gegner auch nicht den Schein des Rechts gegen sich in 
die Hände zu geben. Grübeleien über die Macht der 
Kirche. Worin besteht sie denn, diese geheimnissvolle Ge¬ 
walt, die niemand sieht, die Seelen löst und bindet? — 
Thaddaeus von Suessa langt an, und überbringt den Spruch 
des Conzils, der auf Bann und Absetzung lautet, den 
Kaiser hinausstösst zu den Rechtlosen, Jedermann seines 
Eides gegen den Kaiser entbindet. Die Szene mit den 
Kronen. Der Kaiser fühlt sich stark gegen eine Welt in 
seinen Söhnen, und sagt, dass die Kirche zum Glück nicht 
mächtig genug sey, die Bande des Blutes zu lösen. Szeue 
in Bologna. Der Cardinal, eigens abgesandt vom Pabste, 
um den Vernichtungskrieg gegen den Kaiser zu organi- 
siren, unter Bologneser Rathsherren. Seine Rede voll 



- 38 — 


Kraft, Zorn und Schärfe, er erinnert die Lombarden (denn 
auch Abgeordnete der übrigen lombardischen Städte sind 
zugegen), dass jetzt der Augenblick gekommen sey, ihre 
alten Freiheiten wiederzuerobern. Es wird in dieser Szene 
Gelegenheit seiu, darzustellen, wie kleinlich im Grunde 
immer die Motive sind, die die sogenannten Liebhaber der 
Freiheit gegen die von ihnen so gescholtenen Tyrannen in 
den Kampf fuhren. l ) Doch darf sie nicht ins Burleske 
fallen. Der allgemeine Vernichtungsbund der Städte mit 
der Kirche gegen den Kaiser wird beschworen. Man be- 
schliesst, den Kaiser morgen anzugreifen. Inzwischen ist 
ein Bote eingetroffen, der dem Cardinal meldet, dass der 
mit dem Ausspruche und der Vollziehung des Bannes in 
Neapel und Sizilien beauftragte Erzbischof von Palermo 
sich dessen weigert, weil das Conzil von Lyon nicht ge¬ 
hörig beschickt, und die Sache des Kaisers nicht untersucht 
worden sey. Nur ein ökumenisches Couzil könne in dieser 
Sache urtheilen. Aus den höhnenden Reden des Cardinais 
bei dieser Nachricht wird dem Unbefangenen doch da< 
Bild jenes würdigen Prälaten entgegenstrahlen. Der Cardinal 
beschliesst übrigens nach seiner Klugheit, diese Opposition 
in der Kirche selbst geheim zu halten. Fällt, wie zu 
wünschen ist, in der morgenden Schlacht der Kaiser, so 
bedarf man keines Bannes weiter. 

Vierter Aufzug. 

Nacht, kurz vor Tagesanbruch. Im Zelte des Kaisers. 
Er mit seinen Söhnen. Er entwirft die Schlachtordnung 
Die Söhne sollen, wenn es möglich, die Schlacht allein 
liefern, der Kaiser wolle seine Truppen ungeschlacht 
erhalten. Denn der Bund der Städte ist eine Hydra, wenn 

') Eine für Immermann sehr charakteristische Äusserung. Vd 
das fünfte „die Demagogen“ betitelte Buch der „Epigonen“, t Werkv 
VI, S. ins.) 



- 3!> 


ein Haupt gefällt ist, wachsen so 1 ) nach; und es ist dess- 
halb durchaus nöthig, stäts frische Kräfte im Hinterhalt 
zu haben. Enzius soll zuerst sich in die Schlacht ein¬ 
lassen, Manfred, wenn es Noth thut, ihm Hülfe leisten. 
Beide Söhne bitten darauf dem Vater um eine Privat¬ 
audienz. Er giebt sie zuerst dem Enzius. Enzius bittet 
ihn, die Sarazenin vom Hofe zu entfernen, sein zartes 
Gemüth tritt hervor, was ihm Gewissenszweifel macht über 
eine Liebe, die Frevel ist, und die er nicht ganz nieder- 
kämpfen kann. Desshalb wünscht er den Gegenstand des 
Zwiespalts entfernt. Der Vater, diese Liebe als Stimme 
der Natur erkennend, entdeckt ihm froh, dass sie seine 
Schwester sey. Die Folgen dieser Entdeckung sind sehr 
unerwartet und bedeutend. Der Vater muss auf die ver¬ 
wunderungsvollen Fragen des Sohnes eingestehen, dass er 
das Kind habe gleichgültig als Sarazenin aufwachsen lassen, 
obgleich es ihm möglich gewesen sey, es für christlichen 
Glauben und christliches Leben zu retten. Der Sohn 
erkennt den Vater als Freigeist, dem Vater tritt das reine 
fromme Gemüth des Sohnes in beschämendem Glanze ent¬ 
gegen. Tiefste Wehmuth des Sohnes um den Vater — 
tiefe Erschütterung des Vaters. Diese Szene ist äusserst 
schwierig, besonders desshalb, weil sie nirgends in ein 
dogmatisches Religionsgespräch ausarten darf, sondern nur 
Gesinnungen und Empfindungen gegeneinander treten 
dürfen — auch die Stellung von Vater und Sohn streng 
festgehalten werden muss. Dann kommt Manfred und 
bittet in wilder Leidenschaft als Preis der Tapferkeit in 
der bevorstehenden Schlacht um den Besitz Roxelanens. 
Die Wirkung, die dieses wilde Gesuch in Contrast mit der 
reinen Tugend des Enzius auf den schon erschütterten 
Kaiser macht, muss natürlich sichtbar seyn. Herrisch wird 


l ) Sie! Soll wohl heissen: v *o und so viele“. 



— 40 — 


dem Sohn Schweigen geboten, der aber zu aufgeregt ist. 
um sich gleich einschüchtern zu lassen. Die Szene steigert 
sich bis zu dem Punkte der Leidenschaft, dass Manfred 
dem Vater dessen eigene Tugendfehler und Unregelmässig¬ 
keiten als Berechtigung zu seinem Benehmen vorhält, 
worauf ihn der Vater aber mit der ganzen Majestät seiner 
kaiserlichen und väterlichen Würde niederschmettert. Die 
Szene hatte den Gang geuommen, dass Manfred argwöhnen 
konnte, der Vater schlage Roxelanen ihm ab, weil er sie 
dem Enzius zudenke. Mit einigen unheildrohenden Worten 
gegen Enzius geht Manfred ab. — Monolog des Kaisers, 
worin seine aufgeregte Seele ausströmt: Das ist nun der 
so gerühmte natürliche Verband einer Familie. Kann es 
feindlicher in meiner Feinde Lager hergehn, als in meinem 
eigenen Zelte? Aus meinem Blut erzeugen sich mir die 
Rächer, der eine Sohn wird es durch seine Tugend, der 
andere wird es durch sein Laster. War denn der Kampf, 
den ich mein Leben lang führte, wohl ein gerechter Kampf ? 
— Der Morgen ist angebrochen. — Roxelane tritt ein. 
und macht eine fröhliche und prächtige Beschreibung der 
schon mit Enzius begonnenen Schlacht. Aber gleich darauf 
kommt ein Ritter und meldet, dass Enzius sich in höchster 
Gefahr befinde, von der Übermacht der Lombarden um¬ 
zingelt zu werden; und dass Manfred in wildem Zorn auf 
den Bruder versage, ihm zu Hülfe zu kommen. Dem 
Boten auf dem Fusse folgt ein zweiter, Enzius’ Gefangeu- 
schaft berichtend. Der Kaiser erhebt sich in voller Helden¬ 
kraft, und geht zur Schlacht, den Liebling zu retten. Kr 
verflucht den Manfred vom Haupt bis zu den’Sohlen. — 
Manfred kommt kurz nachher ins Zelt in heftiger Reue 
über das Begangene, was ihm gleich, nachdem der Zorn 
verraucht war, leid geworden ist. Er erfährt von Roxelane 
des Vaters Fluch, und von ihr, um ihn ganz zu zer¬ 
schmettern. dass er ihr Bruder sev. Von diesem Annen- 

- ■ 



— 41 


blick an schliesst er das Visier und verhüllt sich und 
schwört, das Sonnenlicht nicht mehr zu schauen, und seine 
Gestalt vor den Menschen zu verbergen. Ankündigungen 
iuß Zelt, dass die Schlacht total verloren, und der Kaiser 
verwundet sev. Der Kaiser kommt darauf, verwundet 
und gänzlich niedergebeugt. Roxelane kündigt ihm an, 
dass sie nach Bologna gehe und den Enzius durch List 
ihm zu retten versuchen werde. Sie befiehlt dem Manfred, 
den Kaiser zu retten. Der Kaiser nimmt von ihr schmerz¬ 
lichen Abschied, im Vorgefühl, dass er auch sie nicht 
Wiedersehen werde. Manfred, unerkannt, nur durch Zeichen 
redend, schwört, den Kaiser treu zu leiten unter den 
Schutz des Erzbischofs von Palermo, wohin der Kaiser 
verlangt, indem er, wie er beim Aktschluss sagt, nur einen 
Platz sucht, wo er ruhig sterben könne. 

Fünfter Aufzug. 

ln Bologna. Im Kerker des Enzius. Enzius zeigt 
sich als gottergebener Dulder. Roxelane kommt, sie ist 
durch List bis zu ihm gedrungen, er soll unter ihrer Ver¬ 
hüllung hinausgehn, sie will an seiner Statt für ihn Zurück¬ 
bleiben. Enzius versagt es, kein Mensch darf sich mit 
dem Opfer eines andern retten. Eine Szene reiner Liebe 
zwischen den Geschwistern. Der Podesta von Bologna 
stört sie. Der Befreiungsplan ist entdeckt, Enzius wird 
zu ewiger schrecklicher Haft verdammt, und mit schweren 
Fesseln an die Mauer geschmiedet. — Der Roxelane, die 
den Gewalthabern der Stadt durch ihre Kühnheit gefähr¬ 
lich erscheint, wird dasselbe Schicksal gedroht, sie zieht 
es vor, demselben durch einen Dolchstoss zu entgehen. 
In Fiorentino. in einem Klostergarten, der Kaiser hat 
sich, geleitet und geschützt von Manfred, der ihm uner¬ 
kannt gefolgt, dahin geflüchtet unter den Schutz des Erz¬ 
bischofs von Palermo, welcher sich dort aufhält. Szene 



— 42 — 


zwischen dem Cardinal und dem Erzbischof. Der Cardinal 
in massloser Verfolgung des gekrönten Greises begriffen, 
fordert die Auslieferung desselben in die Hand seiner 
Feinde im Namen der Kirche. Der Erzbischof verweigert 
sie im Namen der wahren, ewigen katholischen Kirche. 
Es zeigt sich in dieser Szene der Gegensatz zwischen dem 
in alle politischen Händel sich mischenden Priester und 
dem in stiller, heiligen Dingen geroässer, Ruhe lebenden, 
nur das Seelenheil seines Sprengels besorgenden Hirten. 
Der Kaiser, durch das Unglück zur Einkehr gebracht, hat 
dem Erzbischöfe gebeichtet, ist losgesprochen, und von 
ihm fähig erachtet worden, die heilige Wegzehrung zu 
empfangen. Desshalb muss den Sterbenden das gesalbte 
Haupt der Kirche schützen. Der Erzbischof steigert seine 
Heftigkeit bis zum Heroismus, der Cardinal geht ab, ihm 
schlimme Folgen drohend. Der Kaiser wird herausgetragen 
in den Klostergarten, weil er noch einmal das Sonnenlicht 
geniessen will. Die Nachricht von der rettungslosen Ein¬ 
kerkerung Enzius’, von Roxelanens Tode, welche der 
Kaiser soeben erhalten, hat den letzten Rest der Lebens¬ 
kraft, welchen ihm die Wunde gelassen, verzehrt, und sein 
Herz gebrochen. Er prophezeit der Kirche den Unter¬ 
gang gerade durch diesen Sieg. Der Erzbischof weist ihn 
immer auf sich, auf seiner Seele Heil, der Kaiser stellt 
eine ernste Betrachtung an über Vormals und jetzt. Die 
Scene führt zur Erkennung Manfreds, dem der Kaiser seim- 
treue Leitung dankt, und ihn au Sohnesstatt segnen will. 
Manfred erhält Vergebung, darauf stirbt der Kaiser. 
Sowie er verschieden ist, tritt Thaddaeus von Suessa 
mit frohen Nachrichten auf. Die kaiserliche Parthey 
hat sich an verschiedenen Orteu erhoben, die Päbstlieh- 
Gesinnten geschlagen, den Cardinal gefaugen genommen 
und Innocenz IV. ist plötzlich gestorben. Der Erz- 
bischof benutzt diesen sonderbaren Zufall zu einer 



ernsten Rede über die Nichtigkeit des Irdischen und 
schliesst. 

2 . 

Die älteste Fassung. 

Am Schlüsse der ältesten Fassung, die ich mit A. 
bezeichnen will, steht von Immermauns Hand geschrieben: 
„Begonnen am l ttn , beendet am 30 te 5 Dezember 
1827. w — Putlitzens Bericht, dass der Dichter die erste 
Redaktion des „Kaiser Friedrich“ in neun Tagen, vom 
21. bis 29. Dezember niedergeschrieben habe, beruht also auf 
einem Irrtum. — Von dieser ältesten Fassung sind der 
zweite, dritte, vierte und fünfte Aufzug vollständig er¬ 
halten, während vom ersten nur geringe Reste vorhanden sind. 

Das Drama scheint in dieser Fassung mit einer 
Scene begonnen zu haben, in welcher der Kardinal von 
dem soeben aus Rom zurückgekehrten Bruder Coelestin 
die Nachricht von des Papstes Flucht erhält (vgl. A. II, 1). 
[Von einer Sendung des Ambrosius nach Rom hören wir 
in A. II und III nichts; im Gegenteil, A. III, 12 erfahren 
wir, dass Ambrosius eine Botschaft nach Apulien gebracht 
habe.] Erhalten sind I, 4 und 5. 

Vierte Scene: Streit zwischen Enzius und Manfred. 
(Vgl. PI.) Manfred sieht erst den Kardinal nicht; nach¬ 
dem Enzius ihn auf diesen Zeugen aufmerksam gemacht, 
trägt er, statt seinen Grimm zu unterdrücken, Ubaldini 
den ganzen Zwist vor. Enzius stellt das Ganze als einen 
Scherz dar und will das Gespräch auf einen andern Gegen¬ 
stand lenken; vergeblich, Manfred beharrt in seiner Thor- 
heit, und der Kardinal erkennt nur zu gut, dass es sich 
nicht nur um einen Scherz handelt. 

Fünfte Scene: Beide Söhne werden zum Vater ge¬ 
rufen. (Vgl. PI.) — Ferner enthielt der erste Aufzug das 
grosse Gespräch zwischen dem Kaiser und dem sich ver- 



44 — 


stellenden Kardinal (vgl. PI.), von dem ersterer sehr 
erschöpft ist. Dem folgte ein Monolog des Kardinals und 
darauf eine Scene zwischen dem Kaiser und Thaddaeus. 
Ein Blatt im Nachlass enthält einen Rest dieses Auftrittes: 

Friedrich. 

„Was ist der Kaiser? Ein geputzter Gaukler, 

Geübt, mit Anstand auf dem Thron zu sitzen! 

Ich hätte weinen mögen, knirschend frass 

Der Schmerz am Herzen mir, und musst’ stolziren 

Gemessen pomphaft vor dem alten Erzfeind. 

(Er wirft sich in einen Sessel.) 

Thaddaeus. 

Mein grosser, gütiger, mein bester Kaiser! 

0 haltet Euch empor! 0 löschet nicht 

Ihr Sonne unsres Lebens! Denkt nicht mehr 

Des Falschen! Denkt der Menschen, die Euch bleiben.“ 

Bald darauf geht Thaddaeus und Roxelane tritt ein. — 
Es folgte hier offenbar die Scene, in welcher der Kaiser 
Roxelane ihre Herkunft enthüllt. (Vgl. PI.) [Ein Argu¬ 
ment dafür ist A. II, 2, wo Roxelane bereits um das Ge¬ 
heimnis weiss.] 

Zweiter Aufzug. 

Erste Scene: Der Kaiser erfährt, dass sich auf 
seiten seiner Feinde etwas von grosser Wichtigkeit ereignet 
hat. Ein Kämmerling war Zeuge, wie der Bruder Coelestin. 
der kürzlich nach Rom geschickt war, im Ränfter der 
Abtei dem Kardinal ein Schreiben übergab, das auf diesen 
den tiefsten Eindruck machte. Darauf seien viele Geist¬ 
liche herbeigeströmt, denen der Kardinal den Inhalt des 
Schreibens triumphierend vorgetragen habe; kurze Zeit 
später sei aus der Abtei das Tedeum erschollen. — Der 
Kaiser legt auf diese Erzählung kein Gewicht, um so 
dringender warnt Thaddaeus. 



— 45 — 


Zweite Scene: Roxelane allein. Es drängt sie. 
Enzius schwesterlich zu begrussen, zumal sie glaubt, auch 
er ahne, welches Band sie verbindet, und es wird ihr 
schwer, das versprochene Stillschweigen nicht zu brechen. 

Dritte Scene: Enzius gesellt sich zu Roxelane. In 
einem Rätselspiele sucht er ihr die Gefühle zu beschreiben, 
die sein Herz gegen sie hegt. Roxelane will ihm Ruhe 
schaffen, die Frage, die sein Inneres erfüllt, beantworten: 
da sie ihm aber nicht direkt sagen darf, dass sie seine 
Schwester, versucht sie, es ihm ebenfalls in einem Rätsel 
anzudeuten; jedoch versteht er sie nicht. 

Die Reihenfolge der Scenen von zwei (inkl.) bis sechs 
entspricht genau dem Plan. Es folgt also als 

Vierte Scene: Das heisse Liebesgeständnis Manfreds 
und dessen Eifersuchtsraserei; als 

Fünfte Scene: Das Auftreten des Kaisers mit der 
Botschaft von des Papstes Flucht, und als 

Sechste Scene: Thaddaeus’ Bericht von der Berufung 
eines Konzils durch den Papst. 

Siebente Scene: Die Abgesaudten von Parma und 
Modena, Gherardo und Azzo beteuern dem Kaiser die 
Treue ihrer Städte. Dieser verlangt, dass jede eine be¬ 
stimmte Anzahl von Truppen stelle. 

Achte Scene: Kaum hat der Kaiser sie verlassen, 
so stellt sich in dem Gespräche der beiden Gesandten 
heraus, dass sie nur gezwungen zum Kaiser halten. Jede 
von beiden Städten hegt den Wunsch, den Kaiser zu ver¬ 
lassen. Die beiden Abgesandten wagen es anfangs nicht, 
sich dies gegenseitig eiuzugestehen, da sie einander nicht 
trauen. Es spielt sich eine Scene ab, wie im „Thal von 
Ronceval“ (III, 9). Gherardo erzählt endlich, dass Parma 
schon „tief im Innersten welfisch“, und der Abfall bereits 
vorbereitet sei. Modena schliesst sich daraufhin Parma an. 



— 4(5 — 


Anden zweiten Aufzug schliesst sich unmittelbar der 
dritte. II, 8 und III, 1 sind auf demselben Bogen mit 
derselben Schrift und Tinte geschrieben. 

Dritter A u f z u g. 

Erste Scene: „Im Lager das Kaisers bei Fossalta. 
Ein Zeit.“ Es ist der Tag, an welchem die Truppen von 
Parma und Modena für den Kaiser eintreffon sollen. Friedrich 
hofft, dass das Versprechen gehalten werde. Marinus von 
Ebulo, des Kaisers Rottenmeister zweifelt, meint auch, sie 
würden an den Welschen, als falschen Freunden, nichts 
verlieren; auch den schon im Heere befindlichen 
Welschen traut er nicht, und bittet den Kaiser, sie zu ent¬ 
lassen, doch Friedrich weist diesen Rat ab. 

Zweite Scene: Der Kaiser allein. Er hängt traurigen 
Gedanken über seine Lage nach. (Vgl. PI.) 

Dritte Scene: Enzius kommt mit der Nachricht 
vom Abfalle Parmas und Modenas. Die Botschaft wurde 
ihm durch Gherardo zu teil, ihn, der sich jüngst so hoch 
und teuer für Parmas Treue verschworen. Da er seine 
Schuldlosigkeit und Anhänglichkeit an den Kaiser beteuerte, 
musste Enzius ihm Glauben schenken. Der Kaiser \vei>t 
etwaigen Argwohn zurück. 

Vierte Scene: Manfred stürmt, heftig entrüstet üb-r 
eine eben gehörte Botschaft, herein. Ihm folgt in der 

Fünften Scene: Thaddaeus und berichtet das „Urteil" 
von Lyon. — Trotz des schweren Schlages, der ihn ge¬ 
troffen, hält der Kaiser sich noch aufrecht. Er lässt seir - 
beideu Kronen (von Deutschland und von Apulien) herbei¬ 
bringen, weist darauf hin, dass sie noch unversehrt sitoi. 
und fordert seine Söhne auf, ihre Schwerter zu ziehen im > 
auf die Kronen zu schwören. Manfred spricht: 



— 47 — 


-Ich .schwöre Feindschaft, gliih’nde Feindschaft schwör' ich 
Den Schändern und den Neidern unsres Sterns; 

Mich treffe Unglück, brech’ ich diesen Eid!“ 

Enzius dagegen: 

-Ich schwöre Liebe, glüh’nde Liebe schwör’ ich 
Dir Vater und dem Werke deiner Hände, 

Und wenn der Himmel selbst mich ruft zum Werke, 

So schwör’ ich Treue, Treue seinem Willen!“ 

Dann leistet Friedrich selbst den Schwur, nicht eher 
sein Schwert wieder in die Scheide zu stecken, als bis er 
die „ungerechten Richter von ihrem Richterstuhle verstossen“. 

Thaddaeus bittet, nach Modena und Parma gesandt zu 
werden, was ihm gewährt wird.» 

Sechste Scene: Marinus berichtet dem Kaiser Be¬ 
obachtungen über den Feind, rät, Gherardo und (wie 
schon III, 1) alle übrigen Welschen zu entlassen, erhält 
aber wiederum nur eine ablehnende Antwort. 

Siebente Scene: „Im Lager der Lombarden. Ein 
freyer Platz.“ Visconti, der Vertreter Mailands, misstraut 
Gherardo und stellt ihn zur Rede. Dieser giebt vor, er 
sei auf seiten der Kirche, und stecke nur, um seiner 
Partei zu nützen, bald diese, bald jene Larve auf: — 
Visconti glaubt ihm. 

Achte Scene: Monolog Gherardos, aus dem wir 
erfahren, dass Gherardo thatsächlich für beide Parteien 
„arbeitet“, je nachdem die Wage des Sieges schwankt. 
Obwohl er nichts sehnlicher als die Freiheit der lombardi¬ 
schen Städte wünscht, will er sich doch für den Fall, dass 
Friedrich siegt, decken. 

Neunte Scene: Ugone, der Vertreter Bolognas, und 
Visconti, der Gesandte Mailands, in heftigem Streite über 
die Führerschaft im Kampf. 

Zehnte Scene: Der dazukommende Kardinal schilt 
sie ob ihrer Thorheit und entscheidet den Streit dadurch. 



— 48 — 


dass er sich als Führer an bietet. Sein Vorschlag wird 
angenommen, und die beiden Abgesandten versöhnen sich. 

Elfte Scene: Monolog des Kardinals, in welchem 
er Klagen über die Lombarden laut werden lasst und 
Zweifel erhebt, ob der Erzbischof von Palermo, den er 
anderen Sinnes als sich und die Seinigen weiss, sich dem 
ßannspruch des Papstes anschliessen werde. — Auf diese 
Frage wird ihm sogleich in der 

Zwölft en Scene Antwort, in der Ambrosius be¬ 
richtet, dass der greise Kirchenfürst den Spruch des Konzils 
nicht anerkenne. (Vgl. PI.) 

Vierter Aufzug. 

Erste Scene: Der Kaiser allein. Er beginnt das 
Verhängnisvolle seiner Lage einzusehen und beschliesst 
daher, für Roxelanes Zukuuft zu sorgen und Enzius ihre 
Abstammung mitzuteilen. 

Zweite Scene: Roxelane. DerKaiser. („Der Kaiser 
bemerkt die Eintretende nicht und schreibt fort. So steht 
sie eine Zeitlang neben ihm schweigend. Dann berührt 
sie mit der Hand seine Schulter.“) Klagend kommt die 
Tochter zum Vater: Hättest du mich fortziehen lassen, wie 
ich bat! Sie deutet an. was ihr durch Manfred geschehen, 
und bittet den Kaiser, den Brüdern, sobald wie möglich, 
ihre Schwester zu zeigen. 

Dritte Scene: Enzius. Die Vorigen. Nach kurzem, 
innerem Kampfe eröffnet der Kaiser dem Sohne, dass 
Roxelane seine Schwester sei. Diese ist tief gekränkt, 
dass der Bruder sich über eine solche Kunde nicht freut, 
und verlässt das Gemach. 

Vierte Scene: Die Vorigen ohne Roxelane („Enziu> 
steht die Augen zu Boden geschlagen mit den Zeichen 
innerer kämpfender Bewegung. Der Kaiser geht nach¬ 
denkend im Zelte auf und nieder und heftet den Blick 



auf Enzius, als erwarte er, von diesem angeredet zu werden. 
Da aber Enzius nicht spricht, so tritt der Kaiser endlich 
zu ihm und ergreift seine Hand.“) Gespräch zwischen 
beiden über das eben von Enzius Vernommene. (Vgl. PI.) 

Fünfte Scene: Der Kaiser allein. Er ist tief er¬ 
schüttert über die Entfremdung seines Lieblingssohnes. 
Gewissensbisse regen sich in ihm. 

Sechste Scene: Manfred stürmt herein. (Vgl. PI.) 
Zuletzt gewinnt der Kaiser die Herrschaft über den Sohn 
und weist ihn hinaus. 

Siebente Scene: Der Kaiser allein. Nachher der 
Kämmerling. (Vgl. PI.) Friedrich, völlig gebrochen, denkt 
an seinen Tod. Seine letzten Worte an den Kämmerling, 
der ihm sein Nachtgewand bringen soll, lauten: „Vielleicht 
bedienst du mich zum letzten Mal.“ 

Achte Scene: Zwischen ihr und der vorigen liegt 
eine Nacht. „Verwandlung der Szene. Ein freyer Platz 
vor des Kaisers Zelt. Während der Verwandlung ertönt 
eine kriegerische Musik.“ Enzius mit Truppen über die 
Bühne ziehend, nachher Gherardo; zuletzt: Marinus. — 
Enzius hat den Gherardo um Hilfe zu Manfred geschickt, 
da sämtliche Welschen in des Marinus Abteilung beim 
Anrücken der Lombarden zu diesen entwichen sind. Canale 
sieht daraus, dass die Sache des Kaisers trotz Marinus’ 
optimistischer Hoffnung sehr schlecht steht. In der 

Neunten Scene beschliesst er, sich unter diesen 
Umständen auf die Seite der Lombarden zu schlagen, vor¬ 
her aber noch auf der Partei des Kaisers möglichst viel 
Zwist und Verwirrung anzurichten. So erfindet er die 
Nachricht, dass Manfred seinem Bruder die Hilfe versage. 
— Die Strafe folgt auf dem Fusse; gerade als der Ver¬ 
räter endgültig auf die Seite der Lombarden treten will, 
wi rd er von diesen, die sein doppeltes Spiel kennen, 

Deetjcn, Iininerimmns ..Kaiser Friedrich der Zweite*'. 


4 



— 50 — 


ergriffen und getütet. — Die Lombarden beschlossen, Enzius 
gefangen zu nehmen. 

Zehnte Scene: Der Kaiser allein. Marinus bringt 
die Nachricht, dass Enzius durch Manfreds Schuld gefangen 
worden sei, worauf Friedrich den Manfred verflucht. 

Elfte Scene (nur im Bruchstück vorhanden): Manfred, 
voll Reue über sein Benehmen gegen den Vater, 
schildert Roxelane seine innere Zerrissenheit mit der Bitte, 
ihm Gnade beim Kaiser auszuwirken, was diese verspricht. 

Zwölfte Scene: Enzius wird vom Kardinal gefangen 
nach Bologna gesandt. Diesem werden die im Zelte des 
Kaisers erbeuteten Kronen gebracht. Stolz triumphiert er 
über den errungenen Sieg. 

Fünfter Aufzug. 

Erste Scene: Fiorentino. Ein Klostergarten. Der 
Erzbischof von Palermo allein, seiue Blumen begiessend. 

Zweite Scene: Ein Ritter bittet ihn, den verwundeten 
Kaiser in das Kloster aufzunehmen. Der Erzbischof, tief 
erschüttert über den ihm bisher unbekannt gebliebenen 
Sturz Friedrichs, gewährt die Bitte sogleich. 

Dritte Scene: Bologna. Ein Kerker. Enzius allein. 
Betrachtungen über sein Schicksal. 

Vierte Scene: Der Kerkervvächter tritt ein: er ist 
gerührt durch die Geduld, mit der Enzius sein unver¬ 
schuldetes schweres Schicksal trägt, und wünscht, ihm zur 
Flucht zu verhelfen. Er lässt daher die von demselben 
Wunsche beseelte Roxelane ein. (Vgl. PI.) 

Fünfte Scene: Roxelane versucht vergeblich, den 
Bruder zur Flucht zu bewegen. 

Sechste Scene: Egone, als Podesta von Bologna, 
überrascht die Geschwister. Enzius wird zur Strafe in 
einem anstossenden. gänzlich lichtlosen Raum fest angr- 
kcttet. Roxelane tätet sieh, als inan Hand an sie legen will. 



— 51 — 


Siebente Scene: Der Klostergarten in Fiorentino. 
Manfred hat dem Erzbischof sein Geschick erzählt, und 
dieser verspricht, den Kaiser über des Sohnes Unschuld 
aufzuklären. In der 

Achten Scene: berichtet ein alter Geistlicher die 
Ankunft des Kardinals, zugleich aber auch das Anrücken 
des Marinus und seiner Schar. Der Erzbischof befiehlt das 
Miserere ertönen zu lassen. Sobald Ubaldini eingetreten 
ist, entspinnt sich zwischen ihm und dem Erzbischof ein 
Streit um die Person des Kaisers. (Vgl. PI.) 

Neunte Scene: Manfred tritt zu den Streitenden, und 
der Kardinal freut sich, diesen gleich mit fangen zu können. 
Es fallen heftige Worte, der Erzbischof gebietet Ruhe. 
Oktavian aber entfernt sich, entschlossen, das Kloster zu 
stürmen. 

Zehnte Scene: Der Kaiser wird in den Garten 
getragen; sein Zustand hat sich infolge der letzten 
Hiobsposten verschlimmert. Übrigens ahnt er Manfreds 
Unschuld. 

Elfte Scene: Versöhnung zwischen Vater und Sohn. 
Der Kaiser stirbt. — Da kommt 

(Letzte Scene:) Marinus mit der Botschaft, dass der 
Kardinal, bei dem Versuche, das Kloster zu stürmen, von 
seinen eigenen Leuten, welche die Schändung des Heilig¬ 
tums nicht dulden wollten, erstochen sei. — Das Drama 
schliesst unter den Klängen des Miserere. 

3. 

Die Arbeit am r Kaiser Friedrich“ bis zur Ein¬ 
reichung des Stückes in München. 

Immermann dachte schon frühzeitig an eine Auf¬ 
führung des„Kaiser Friedrich“und hatte dafür die Münchener 
Bühne ins Auge gefasst, weil Michael Beer, der an dieser 

4 * 



— 52 — 


gerade die Aufführung seines „Struensee“ l ) betrieb, sich 
erboten hatte, ihm dabei behilflich zu sein. Schon im 
Januar 1828, als Beer noch gar nicht wusste, ob der 
• „Friedrich der Zweite“ völlig fertig wäre, hatte er doch be¬ 
reits alles zur Darstellung des Dramas und zur Widmung des¬ 
selben au den König „aufs zweckmässigste“ eingeleitet. 
Am 21. Januar schreibt er an Immermann: „Es bleibt bei 
unserer Verabredung. Sie senden es mir sobald als möglich. 
Schenk wird es selbst dem König überreichen, und der 
Intendant des Theaters, Baron Poissl, wird es. seiner 
eigenen Versicherung gemäss, so schnell als möglich 
geben.“ 2 ) 

So bald konnte sich Immermann aber doch nicht ent- 
schliessen, sein Geisteskind in die Welt zu senden, arbeitete 
und feilte vielmehr, von Schadow 3 ) mit Ratschlägen unter¬ 
stützt, noch vier Monate daran. Am 4. März mahnt 
Beer wieder: „Senden Sie mir bald ihren Friedrich. Ich 
habe ihn schon gebührend annoncirt, und Alles freut sich 
darauf. Wenn Sie ihn bald sendeten, könnte er vielleicht 
noch im Mai gegeben werden. Dann reist Esslair nach 
Berlin und könute ihn dort als Gast geben!“ 4 ) 

Zunächst arbeitete Immermann den dritten Akt um: 
ich nenne die Fassung des Aktes b. 

Dritter Aufzug. 

Erste Scene: Der Saal in Pisa. Enzius und Man- 1 
fred. Ersterer schwört dem Bruder, dass er gar nicht 

') Struensee. Trauerspiel in 5 Aufzügen. Stuttg. b. Cotta 182V | 
8°. Aufgeführt in München ara 27. März 1828. j 

J ) Beers Br. S. 24. j 

*) Putlitz schreibt (I, 189): An der Überarbeitung des „Friedrich 
nahm Schadow den lebhaftesten Antheil, und in regelmässigen Zu¬ 
sammenkünften, welche zwischen ihm und Immermann eingerichtet 
wurden, gab das Drama vielen Anlass zu religiösen Besprechungei 
und zum Disputiren über die Konfessionsunterschiede der Freund* 

\) Beers Br. S. 28. 



— 53 — 


daran denke, Roxelane zu der Seinen zu machen. Manfred 
versucht ihm zu glauben, und beide versöhnen sich. 

Zweite Scene: Der Kaiser, der eben den Spruch 
des Konzils gehört, Thaddaeus, die Vorigen. Es schliesst 
sich die Kronenscene an (Vgl. A. III, 5). Der Schwur der 
Söhne lautet hier: 

M anfre d: 

„Tod und Verderben unsem Widersachern.“ 

Enzius: 

„Gehorsam dem, was mir Gewissen sagt.“ 

— Zwei Hiobsposten treffen ein. Thaddaeus wird nach 
Vittoria geschickt, der Kaiser und seine Söhne ziehen 
nach der Fossalta. Enzius soll Roxelane geleiten, darob 
entbrennt Manfred wieder in heftiger Eifersucht; er nennt 
Enzius, mit dem er sich eben versöhnt, meineidig, obwohl 
dieser genugsam beteuert, dass Roxelane ihm nicht mehr 
wie eine Schwester ist. 

Dritte Scene: Platz im Lager der Lombarden an 
der Fossalta. Oktavian weiss Gherardos Verräterei und 
schwört ihm heimlich den Tod, während dieser sich sicher 
glaubt. Ein Reisiger unterbricht ihr Gespräch mit der 
Meldung, dass Bologna und Mailand sich um den Feldherrn¬ 
stab streiten, wodurch ein grosser Aufruhr entstanden sei, der 
die Gegenwart des Kardinals erforderlich mache. Ubaldini 
geht. Gherardos Monolog wie A. III, 8. Nur erscheint er 
hier noch gewinnsüchtiger, da der Wunsch, die Lombarden 
möchten frei werden, fehlt. 

Vierte Scene: Vgl. A. III, 9 und 10, nur kürzer. 

Fünfte Scene: Der Kardinal (anfangs alleiu). Nach¬ 
her Ambrosius. Dieser bringt die Nachricht, dass der Erz¬ 
bischof von Palermo das Konzil nicht anerkenne (vgl. 
A. III, 12), und berichtet den Tod des Thaddaeus, über 



54 — 


den Oktavian frohlockt, da er in ihm die Hoffnung auf 
Friedrichs Tod erweckt. 

Sechste Scene: Der Kaiser sitzt in seinem Zelt an 
einem Tische, vor ihm stehen ein alter Geistlicher und 
Marinus. Er lasst durch ersteren, der ihm einen Friedens¬ 
vermittelungsvorschlag des Erzbischofs überbraeht. dem 
greisen Kirchenfürsten herzlich danken, lehnt das Aner¬ 
bieten aber mit Hinweis auf seine Lage ab. Er ist durch 
den Tod des Thaddaeus sehr niedergedrückt, und rat dem 
Marinus, ihu zu verlassen, da er sonst mit ihm ins Unglück 
stürze. Dieser aber hält treu zu seinem Herrn. Das 
folgende Gespräch dieut dazu, uns mit dem sonderbaren 
Freigeist Marinus näher bekannt zu machen. 

Als Scene 7 —13 sollten offenbar die ersten sieben 
Seenen von A. IV folgen. — 

Diese Fassuug des III. Aktes bedeutet an sich einen 
Fortschritt, insofern als Unwichtiges gedrängter dargestellt, 
der auf Manfred später fallende Verdacht genauer begründet, 
das Verhältnis des Kaisers zum Erzbischof weiter exponiert 
und der Aufbau des ganzen Dramas durch die Verlegung 
des Höhepunktes in den III. Akt symmetrischer geworden 
ist. Dennoch war damit nicht genug gewonnen, und 
Immermaun sah ein, dass er das ganze Drama einer Be¬ 
arbeitung unterziehen müsse. Ich nenne die jetzt ent¬ 
standene Fassung: B. 

Beers Antwort auf die Sendung des „Kaiser Friedrich** 
(Fassung B.) erfolgte erst am 4. Juni mit der Begründung, 
dass er bisher nicht im stände gewesen, ihm „etwas Ge¬ 
nügendes“ über den „Friedrich“ zu sagen. „Noch immer.** 
schreibt er, 1 ) „liegt das Stück beim Intendanten, der es 
trotz unzähliger Ermahnungen noch immer nicht gelesen 
hat. Indessen haben es zwei nicht minder wichtige Personen 


*) Heers Br. S. .‘io. 



zur Entscheidung, ob es sich für die hiesige Bühne zur 
Darstellung eigne, Schenk und Esslair, gelesen, und icli 
darf nicht länger anstehen, Ihnen unterdessen beider An¬ 
sichten und Urtheile mitzutheilen, damit Sie mich nicht etwa 
des Kaltsinnes bezüchtigen. Auch das meinige, da ich 
weiss, dass Sie es wünschen, soll nicht fehlen. 

Schenk und Esslair stimmen beide darüber ein, dass 
dem Stücke nichts zur Darstellung im Wege stehe, wenn 
es 1) nur um ein Drittheil gekürzt wird, wenn 2) alle 
den Katholicismus in Friedrichs Reden zu scharf angreifen¬ 
den Stellen gestrichen werden und 3) der Cardinal blos 
als päpstlicher Legat ohne nähere Bestimmung der geist¬ 
lichen Wurde auftrete. x ) — Die Bemerkung des No. 2, die 
mir Schenk zuerst machte, hielt ich zuerst für etwas über¬ 
trieben und zu ängstlich gewissenhaft; aber Esslair ver¬ 
sicherte mir, dass bei dem hiesigen Publicum, das Alles 

') Die Censur war auch in dieser Hinsicht damals sehr streng. 
Eduard Devrient schreibt in seiner „Geschichte der deutschen Schau¬ 
spielkunst“ (IV, 232): „Noch immer duldeten sie die Erwähnung 
kirchlich heiliger Dinge auf ihren Bühnen nicht; — Geistliche der 
römischen Kirche durften nicht erscheinen, sie wurden noch immer, 
oft auf die sinnentstellendste Weise, in weltliche Personen ver¬ 
wandelt, oder ihrer Tracht mindestens durch phantastische Ver¬ 
änderungen der bestimmte Charakter genommen, um das künstlerische 
Motiv und die volle Wahrheit der Dinge abzustumpfen. Läugnen 
kann man nicht, dass die römische Kirche sich durch die Erscheinung 
ihrer Geistlichen, die meistenteils als Unheilstifter oder mit pfäffischer 
Lächerlichkeit und Verächtlichkeit auftraten, in ihrer Würde ange¬ 
griffen sah. Die dramatische Litteratur, die sich immer noch zum 
bei weitem grössten Theile in protestantischen Händen befand, schenkte 
dem Gefühle des römisch-katholischen Publikums wenig Rücksicht, 
indessen sie die protestantischen Geistlichen nur in würdiger Weise 
erscheinen liess. Wenn die Censur diese Parteilichkeit gemildert 
hätte, wäre sie vielleicht in ihrem Rechte gewesen, das unterschied¬ 
lose Verbannen aber der römischen Geistlichkeit von der Bühne 
verfälschte die Darstellung aller grossen historischen Konflikte wie 
des bürgerlichen Lebens.“ 



— 5(> — 


eher verträgt als Angriffe auf religiöse Grundsätze und 
Dogmen des Katholicismus, sich gewiss das lauteste Murren 
erheben würde, wenn Friedrich zum Beispiel über die 
Messe spricht und sich etwa ausdrßckt: es höre sie, wer 
Lust hat. Auf alle Stellen der Art, und sie sind gewiss 
nicht die wenigst poetischen, müssen Sie in der Darstellung 
Verzicht thun. Über die poetischen Schönheiten, die 
Gefühls- und Gedankentiefe Ihrer Tragödie, denken sowol 
Schenk als Esslair mit mir völlig übereinstimmend; nur 
haben beide bemerkt, was ich Ihnen schon in Düsseldorf 1 ) 
zu äussern wagte, dass der Bau des Stückes nicht thea¬ 
tralisch (ich.würde lieber sagen, nicht dramatisch) genug 
sei, indem das Gewebe der Scenen nicht genugsam an¬ 
einander greift und manche müssige Scenen die Hand¬ 
lung schleppender machen, als nöthig ist. Diesen Fehler — 
Sie haben mir erlaubt, frei und offen zu reden — völlig 
auszumärzen, ist Ihnen auch noch nicht in der neuen 
Bearbeitung [vgl. S. 51 ff.] gelungen, obgleich mir scheint, 
dass es auf die leichteste Weise von der Welt zu machen 
sei. Freilich kann das nur ein Dritter, da der Dichter 
selbst jede Nuance für nothwendig hält; indess hoffe ich. 
soll es mir gelingen. Sie durch mündliche Überredung zu 
diesen Änderungen zu bewegen.“ 

Immermaun ahnte schon, ehe er Beers Brief empfing, 
aus dessen langem Schweigen, dass „die Sachen nicht 
sonderlich ständen“* «Ein Intendant,“ 2 ) schreibt er am 
13. Juni an Beer, „der das Stück nicht liest, und das 
Urtheil, das dort gefällt wird, dass die Tragödie nicht 
theatralisch genug gearbeitet sei, geben mir ebeu keine 
Hoffnung. Ich will nuu von meiner Seite thun, was ich 
kann, und erkläre in diplomatischer Form auf die mir 

’) Beer »eheint im Dezember 1827 in Düsseldorf gewesen 
zu sein. 

*1 Beers Br. S. 87. 



vorgelegten drei Punkte, indem ich mit No. 3 als dem 
leichtesten beginne. 1) Oktavian mag den Cardinalstitel 
ablegen. *2) Wenn das mönchner Publicum nicht einsieht, 
dass in einer Tragödie, welche recht eigentlich den Sieg 
des reinen grossen Katholicismus über den Freigeist, auch 
den gewaltigsten darstellt, doch zuvörderst der Freigeist 
sich kraftvoll und kühn aussprechen müsse, so will ich 
ihm keinen Anstoss geben, und alle Stellen streichen, die 
wohl verstanden gegen das Dogma gehen und zwar 
direkt; denn das Religionsgespräch mit Euzius und die 
Angriffe gegen die weltliche Hierarchie müssen bleiben, 
t wenn die Dichtung nicht in ihrem Grunde geschwächt und 
zerstört werden soll. 1 ) 3) Das Härteste wird die Kürzung 
und das Streichen der als müssig angefochtenen Scenen. 
Ich will zugeben, dass nicht alles in dem Stücke als sinn¬ 
lich nothwendig erscheint, und dass die tragische Handlung 
desselben sich nicht überall durch die Formel A-{-B = C 
darstellen lässt; ich will sagen, dass nicht jede folgende 
Handlung sich als äusserlicb greifbares Produkt einer 
frühem ausspricht, ferner, dass manche Scenen und Neben¬ 
figuren den Charakter zu genauer Ausmahlung an sich zu 
tragen scheinen. Allein beide Fehler möchten sich doch 
in einem andern Lichte darstellen, wenn man die natür¬ 
lichen Gesetze tragischer Composition und die Art und 
Weise, wie die Meister des Fachs verfuhren, nicht aber 
die ärmlichen Mittel unserer jetzigen Bühne, höhere geistige 
Intensionen durch Kraft und Tiefe der Darstellung zur 
Anschauung zu bringen, ins Auge fasst. Die Handlung 
und die Einheit derselben ist die Hauptsache in der 


l ) Schon in der 5. August 1827 datierten Vorrede zrnn „Trauer¬ 
spiel in Tirol 44 (Werke XVII, S. 12) bittet er, bei grösster Bereit¬ 
willigkeit nach anderen Seiten hin, die Bühnenleiter, nicht Ab¬ 
änderungen von ihm zu verlangen, die das Stück in seinem Grund¬ 
gedanken zerstören würden. 



Tragödie. Sehr wohl. Aber beides nicht in sinnlicher, 
sondern in geistiger Bedeutung. Jedes Kunstwerk beseelt 
ein Gefühl, eine Idee, und dass dieses, dunkel anfangs 
geahnet, bis zum Ende immer klarer und heller hervor¬ 
bricht und sich in den äussern Dingen ausspricht, das 
ist, was dem empfänglichen Zuschauer (und nur für diesen 
dichtet der Dichter) Handlung sein und als solche gelten 
soll. Wir müssen also geistige Mittelglieder annehmen. 
Wir müssen aber auch ferner wissen, dass eine grosse 
Handlung nur dadurch gross wird, dass ein grosser 
Charakter handle, und der grosse Charakter ist nicht mit 
wenigen Strichen abgethan, er verlangt, um hervorzutreten. 
Nebenfiguren und Nebenscenen. Betrachten wir nur einige 
tragische Dichtungen. Was thut im Wallenstein (da die 
Episode von Max und Thekla zum Überdruss oft ange¬ 
führt ist) das Gastmahl bei Terzky und die ganze Intrigue 
mit der Unterschrift zum Fortschritte der äussern Hand¬ 
lung? Was das Verhältnis Hamlet’s zu Ophelien (Laerte* 
aufzuregen, reichte doch wohl der Mord des Vaters hin 
zur Handlung? Was bewirkt in der Haupthandlung de> 
Lear die Fabel von Gloster und seinen Söhnen? Was 
thun Margaretha und Oranien im Egmout zur Katastrophe r 
Midi dünkt, die gründliche Erwägung der Sache muss uns 
lehren, dass Gründlichkeit der Charakteristik und Reich¬ 
thum der Composition sich nur auf diesem Wege erreichen 
lassen: während die entgegengesetzte Richtung gar zu 
leicht in eine nur mit Äusserlichkeiten wirkende, durch 
Spannungen und Überraschungen sich überbietende Manier 
führen kann. Diese Richtung aber, welche zuletzt allen 
Sinn für die höheren geistigen Schönheiten der Poesie zer¬ 
stört, sollen wir, die wir noch einen grösseren Begriff von 
der Kunst in uns tragen, bekämpfen; wir sollen wenigsten' 
versuchen, die darstellenden Künstler und das Volk, 
welches leider nur noch nach äusserlich greifbaren Effekten. 



— 51 ) — 


als dem Essentiellen, verlangt, wieder zurückzuführeu auf 
den wahren Boden der Poesie, welcher im Geiste liegt. 
Sie werfen mir in dem Briefe an Schadow 1 ) Unkenntnis 
des Theaters vor und glauben, dass aus dieser alles Unheil 
in meinen Dichtungen entspringe. Ich glaube nicht, dass 
Sie so ganz Recht haben. Einmal ist mir das Theater 
doch nicht so unbekannt, als Sie glauben; ich habe die 
meisten bedeutenderen Bühnen Norddeutschlands auf meinen 
Wanderungen gesehen und einige Zeit laug die ununter¬ 
brochene Anschauung einer Anstalt in ihrer Vollkommen¬ 
heit, nämlich der weimarischeu Bühne, gehabt. 2 ) Da ist 
es mir eben klar geworden, was ein Theater sein kann 
und sein soll, und aus dieser Reminiscenz entspringt mein 
Widerstreben gegen die jetzige Art und Weise. Daher 
kommt es, dass ich sehr Vieles für vollkommen dramatisch 
und theatralisch halten muss, was unsre jetzigen Schau¬ 
spieler als nicht darstellbar verwerfen, weil ich nämlich 
gesehen habe, dass die Darstellung möglich ist, sobald 
nur die Darsteller vorhanden sind. Ich will unbedingt 
jede meiner -Dichtungeu dem Urtheile einer solchen 
Gesellschaft, wie die ältere weimarische war, unter¬ 
werfen, und würde gleich mich ihrem Ausspruche über die 
Darstellbarkeit oder Nichtdarstellbarkeit unterwerfen. Aber 
von den jetzigen Schauspielern, diesen Menschen ohne 
Fleiss, Tact und Schule, da sollte der Dichter lernen 
können, er, den in seiner Stille ein Gott erleuchtet, und die 
Wege führt, die er zu wandeln hat? ln welchen Widerspruch 
gerathen Sie, mein Freund, und Alle, die mir den gleichen 
Rath ertheilen? Wie ist es möglich, dass uns eine nach dem 

l ) Mir leider nicht bekannt geworden. 

-) In seinem ersten Studienjahre 1813 hatte er in Halle und 
Lauchstädt „die Darstellungen der weimarischen Gesellschaft 44 ge¬ 
sehen ; „für die ganze Zukunft des Dichters ein unschätzbarer Gewinn“. 
(Putlitz I, S. 19.) 



60 — 


Urtheile aller Stimmfähigen ganz depravirte Anstalt über 
das Wesentliche in der Kunst aufklären möchte? Nein, 
es ist wahrhaftig nicht die Zeit, dass die Dichter von der 
Buhne lernen, sondern die Bühne soll wieder vom Dichter 
lernen.“ 


„Die Handlung im Friedrich besteht darin, dass der 
Kaiser durch seine Opposition gegen die Kirche, und durch 
die tiefere ihr zum Grunde liegende Idee, gegen die 
positiven Fundamente, auf denen die Welt beruht, die Welt 
verliert; die Einheit derselben ist in dem Verhältnisse zu 
suchen, worin, wie ich glaube, alle Scenen zur Darstellung 
der aus jener Opposition entspringenden Konflikte stehen, 
und ich meine, dass sie fortschreite, weil von Akt zu Akt 
das Verderben dem Kaiser näher zieht, von der Welt in 
sein eignes Haus, und sich in der Zerstörung aller Familien¬ 
bande vollendet. 

Mit dieser polemisch-didaktischen Diatribe werden Sie. 
mein weither Freund, in mir ein recht obstinates Haupt 
erwarten, ich kann Sie dagegen versichern, dass Sie das 
facilste Subjekt in mir finden werden. Es galt die Ver¬ 
teidigung meiner Grundsätze; ob ich durch die Ausführung 
dieselben betätigt habe, ist eine andre Frage. Zuvörderst 
nehme ich selbst noch einige Änderungen vor; die haupt¬ 
sächlichste ist, dass mit Beiseitesetzung aller anderen 
Motive, Roxelane als das Einzige gebraucht werden soll, 
den Kaiser iu der Meinung der Welt und seiner Anhänger 
zu stürzen. Die Sendung des Ambrosius nach Rom fällt 
weg; der Cardinal, entschieden, die Minen anzulegen, die 
den Kaiser stürzen sollen, ordnet gleich die Versammlung 
der Missvergnügten in der Abtei an; die Lage und 
Stimmung, worein ihn der Befehl des Papstes gesetzt hat. 
wird in eiu einziges kurzes Selbstgespräch zusammenge¬ 
zogen. die Scenen mit den Missvergnügten mehr zusammen- 




61 — 


gedrängt. Das Motiv von Enzius’ Gefangennehmung bleibt, 
fällt aber auch in eine einzige Scene zwischen dem 
Cardinal und Gherardo von Canale, der noch episodischer 
gehalten werden soll. 

Sie sehen, lieber Freund, dass ich Alles thun will, 
was man vernünftigerweise von mir verlangen kann. Hilft 
auch das nichts, nun so muss ich mich mit dem Aus¬ 
spruche des alten Aristoteles trösten, dass die Kraft der 
Tragödie bestehen bleibe auch ohne das Mittel der äussern 
Darstellung.“ 1 ) — 

Ob der Intendant das Stück überhaupt noch geleseu 
hat, ob sich beide Teile nicht einigen konnten und wie 
die Verhandlungen verliefen, wissen wir nicht; jedenfalls 
unterblieb die Aufführung. 


4 . 

Die letzte Bearbeitung vor dem Druck. 

Es folgte im Sommer eine abermalige Umarbeitung, bei 
der Immermann „wieder bedeutende Veränderungen vornahm 
und die Rücksichten fallen Hess, welche ihm die Aussicht 
auf die Darstellung des Stückes in München auferlegt 
hatten“. 2 ) Ich nenue diese letzte Fassung 0. und stelle 
sie des Vergleiches halber im folgenden neben B. 


B. 

Erster 

Erste Scene: Saal in Pisa. 
Der Kardinal. Ambrosius. (Vgl. 
PI.) Letzterer wird von Oktavian, 
der hier noch nichts von der Ent¬ 
deckung seines Bündnisses mit 


C. 

. ufzug. 

Erster Auftritt: Am Hof¬ 
lager des Kaisers zu Pisa. Eine 
Galerie. Die Sendung des Am¬ 
brosius nach Rom fallt weg. Dieser 
wird vielmehr nur beauftragt, „im 


*) Ich habe einen so grossen Teil des Briefes wiedergegeben, 
weil mir die Ausführungen Immermanns dessen wert schienen, und 
Beers Briefwechsel verhältnismässig wenig bekannt ist. 

*) Putlitz I, 8. 182. 



I 


— 62 — 


Yinea weis«, nach Rom geschickt, 
um dem Papste das Einverständ¬ 
nis mit dem Kanzler zu berichten. 
Des Kardinals Worte lauten: 

„Ein schweres Werk sey mir ge¬ 
lungen. Peter 

Von Vinea, des Kaisers Rath und 
Kanzler, 

Hab endlich sich der guten Sach 
ergeben, 

Dem Ketzer in der Stille ab- 
gesagt, 

Und sich der Kirche in den Arm 
geworfen. 

Er sey der Unsere. Durch diesen 
Mann 

Wiss’ ich um jeden Anschlag 
unsres Gegners, 

Der Kopf des Hohenstaufen denke 
nichts, 

Was nicht in Peters Brust ver- 
wahrlich liege.“ 1 ) 

Zweite Scene: Thaddaeus 
bringt die Nachricht, dass Vinea 
sich, nachdem sein Verrat ent¬ 
deckt, selbst getötet habe. Er | 
charakterisiert die Stellung, die | 
der Kanzler einnahin: | 

„Der Mann, den aus dem Staub | 
der Kaiser zog. 

Der Nichts war, alles ward durch 
Kaisers Gunst, 

Den er am Busen seiner Liebe 
säugte, 

Peter von Vinea, des Kaisers 
Kanzler, l 

Brach seinen Eid, verrieth den 
Herrn, ertränkte 


Heer und Haus des Kaisers zu 
wirken“. Der Kardinal lässt eine 
Schar von Missvergnügten, zu 
denen, wie wir hier schon er¬ 
fahren, Gesandte der heimlich 
verständigten Lombardenstädte 
gehören, nach der Abtei berufen. 

Durch Ambrosius erfährt Ok- 
tavian jetzt bereits von Roxelaae> 
Existenz; nur die Andeutung ihrer 
Herkunft fehlt. 


Zweiter Auftritt: Wie 
nur kürzer. 


*) Vgl. Dante, Divina comcdia. Inf. XIII, 58—Öl. 


i 



— (>3 — 

Pflicht, Eid, Gewissen in der 
Schande Pfuhl!“ 

Dritte Scene: (ImPlannicht Dritter Auftritt: Wie B. 

vorgesehen, aber notwendig.) Ok- Ein Kämmerling, der Oktavian 
trtvian und Ambrosius besprechen meldet, dass der Kaiser ihn jetzt 
die eben erhaltene Nachricht. erwarte, unterbricht die Reden- 
Dieser sieht die Sache bedenk- den. 
lieh an, jener aber redet ihm alle 
Besorgnisse aus. Ambrosius, im 
Begriff zu gehen, hört die Prinzen 
kommen, — da ruft der Kardinal: 

..Bleib, von ihnen wollt’ ich 
Zii dir just reden. — ln des Kaisers 
Haus 

Seh wirrt, wie mich dünkt, die Zwie¬ 
tracht mit denSchlangen, 

I hr Antlitz ist mir noch verborgen; 
doch 

Das Rauschen ihrer Füsse klingt 
vernehmlich. 

In Manfreds Seele laurt geheimer 
Groll 

Auf seinen Bruder Enzius.“ 

Vierte Scene: Streit zwi- Vierter Auftritt: Saal in 

sehen den Brüdern. (Vgl. PI.) Pisa. Zu den streitenden Prinzen 
Manfred wendet sich nicht an den gesellt sich Oktavian, der ge- 
Kordinal. kommen ist, um hier den Kaiser 

zu erwarten. 

Fünfte Scene (resp. Fünfter Auftritt): Nur Enzius wird zum 
Vater gerufen; Manfred bleibt in heftiger Eifersucht zurück, weist 
aber Ubaldini, der sich ihm listig naht, um das Feuer zu schüren, 
schroff zurück. 

(Diese Fassung von 4 und 5 ist sicherlich schon für B. geschaffen, 
da der Dichter bereits in A. IV die vom Plane abweichende Um¬ 
wandlung mit Manfreds Charakter vornahm, insofern er ihn den Ver¬ 
rat nicht begehen und dadurch edler erscheinen liess.) 

Sechste Scene: Ambrosius , 
erzählt dem Kardinal entrüstet, 
er habe entdeckt, dass Roxelane 
des Kaisers Tochter sei: 



„Kürzlich 

Verstarb ein alter Ritter in der 
Nähe, 

Der für bestimmt versichert haben 
soll. 

Der Kaiser habe mit des Sultans 
Schwester 

Im heimlichen Verständnis sich 
gehalten. 

Der Ritter war im Kreuzzug dort 
mit ihm, 

Hat, wie er merken lassen, oft 
den Boten 

Bei dem verruchten Handel ab¬ 
gegeben. 

Diess ist es, was ein Diener mur¬ 
melnd, und 

Scheu um sich sehend, mir ins 
Ohr gesagt.“ 

Oktavian, sichtlich erfreut über 
diese Nachricht, die ihm für seine 
Zwecke gute Dienste leisten soll, 
beauftragt Ambrosius, für ihre 
Verbreitung zu sorgen. 

Siebente Scene (B.) und Sechster Auftritt (C.): Monolog de» 
Kardinals (ungefähr dem Plane entsprechend). 

Achte Scene (B.) und Siebenter Auftritt (C.): Friedrich erscheint 
mit Thaddaeus, deu er zunächst an Peters Stelle zum Kanzler er¬ 
nennt. Dann wendet er sich, bestrebt, den Schmerz, den ihm de 
Kirche durch die Abtrlinnigmachung seines Kanzlers zugefügt, nicht 
sichtbar werden zu lassen, zum Kardinal. Das zwischen ihm und 
Oktavian jetzt sich entspinnende Gespräch entspricht ungefähr dem 
Kutwurf. Der Kaiser bricht es schliesslich ab, da Ubaldini in einen 
' eventuell zu schliessenden Frieden auch die Lombarden eingeschlosscr. 
zu wissen wünscht: 

„Kein Wort von den Lombarden! Nur den Papst 
Acht ich als meinen Feind — 

Kr schliesst mit dem Wunsche, dem Pupst einmal persönlich gegen¬ 
über zu treten, da eine solche Begegnung vielleicht schneller zum 
Frieden führen würde. 



- 65 


Neunte Scene (B.) und Achter Auftritt (€.): Monolog des Kardi¬ 
nals. (Eine Notiz des Dichters verrät, dass er kürzer sei, als der 
uns unbekannte in A.) Er äussert seinen Schrecken über diesen 
Wunsch, • da ein Zusammentreffen der Beiden alle seine Pläne, die 
allein auf Friedrichs Sturz gerichtet sind, zerstören würde, hofft 
darum sehnlichst, dass die Flucht des Papstes schon bewerkstelligt sei. 

Die Zehnte Scene giebt die N eunter Auftritt: Vgl. B. I, 

Erfüllung von Ubaldinis Wunsch: 10. Qherardos Meldung von der 

Der Parmenser Gherardo von Ankunft der lombardischen Ge- 
Oanale bringt Oktavian die Bot- l sandten fehlt, da der Kardinal 
sehaft von des Papstes Ankunft ! schon darum weiss. Canale ist 
in Genua und berichtet, in Pisa I hier nicht Abgesandter Parmas, 
seien „vermummte Edle“ aus sondern Offizier im Heere des 
Bologna und Mailand eingetroffen, Kaisers, 
die nach dem Kardinal fragen I 
und ihm scheinbar die Dienste | 
ihrer Städte anbieten, indem er 
zugleich andeutet, dass auch seine 
Vaterstadt ähnlich gesinnt sei. 

Ubaldini heisst ihn, die Gesandten 
nach der Abtei bescheiden, wo j 
er sie sprechen wolle, und befiehlt j 
ihm, Innocenzens Flucht noch ge¬ 
heim zu halten. j 

Zeh n t e r Au ft ri tt: Monolog 
, Gherardos. Vgl. b. III, 3. 

Zweiter Aufzug. 

Anfangs plante Immermann für B. folgende Umgestaltung der 
••rsten Scenen, von der uns ein im Nachlasse befindliches loses Quart- 
blatt Kunde giebt: 

„Erste Szene: Saal in Pisa. Roxelane allein. Sie hat soeben 
von Enzius das Minnelied, das Räthsel empfangen. Sie soll ihm eine 
Liebe deuten, die ruhig und mild, keine Stürme, keine heftige Be¬ 
legungen in ihm zeugt. Roxelane beklagt sich, dass sie diese 
räthselhafte Liebe nicht theile. Gewaltig treibt sie das Sehnen zu 
Enzius, gewaltig schleudert sie ein dunkler Schauder vor ihm zurück. 

Zweite Szene: Enzius und Roxelane. Enzius ist ihr gefolgt, 
und fragt sie, ob sie sein Räthsel verletzt habe. Er schildert seine 
Empfindungen, das Schönste, Liebste, Anmuthigste ist sie ihm, und 

Deetjen, Immerrnanna „Kaiser Friedrich der Zweite 4 *. ^ 



— 66 — 


doch kann er nie ruhig sehen. Roxelane: „O dass ich theilte solch 
ein heitres Räthse), dass ich mein dunkles Räthsel vor jedem bergen 
muss! Könnt’ ich es vor mir selber bergen. 

Dritte Szene: Manfred. Die Vorigen. Manfred überrascht beide 
in ihrer Unterredung. Seine Eifersucht bricht aus und führt zu 
heftigen Szenen zwischen beiden Brüdern. Roxelane unterbricht den 
Streit und sagt, sie wolle den Anlass wegräumen. Mit diesen Worten 
geht sie ab. 

Vierte Szene: Zimmer in der Abtey. Der Kardinal und Am¬ 
brosius. Die Bannbulle mit der Absetzung Friedrichs ist angekommen. 
Ambrosius muss sie dem Kardinal vorlesen. Breve Innozenzem. 
Fügt sich Friedrich, erkennt er förmlich den Pabst als Oberherrn, 
bekennt (er) die Krone als Lehen zu tragen, so soll die B&nnbulb 
und die Absetzung nicht publicirt werden. Angst des Kardinal', 
dass Friedrich sich füge. Explication, warum er den Kaiser hasse - 

Nach diesem Entwurf richtete sich Immermann aber bei der Um¬ 
gestaltung nicht. 

Die neue Fassung von B. II j 
sah vielmehr so aus: ! 

Erster Auftritt: Zimmer 
in der Abtei unweit Pisa. Visconti 1 
interpelliert Gherardo, warum Ok- 
tavian, der sie hierher beschieden, 
für sie unsichtbar wäre, erhält 
aber keine genügende Antwort, j 


Zweiter Auftritt: Ugone 
kommt. Er ist in grosser Unruhe 
über das Verhalten des Kardinals 
und will mit Gewalt zu ihm ein- 
d ringen. 


Dritter Auftritt: Gespräch 
zwischen Oktavian und Ambro¬ 
sius in einem andern Zimmer der 
Abtei. Letzterer bringt Briefe 


O. 

Erster Auftritt: Der Kardi¬ 
nal überredet in der Abtei Ber- 
nardo Rossi, einen kaiserlichen 
Offizier, zum Abfall von seinem 
Herrn, indem er denselben Hin¬ 
weis auf die Väter, die in der. 
Kreuzzügen gegen die Turcn- 
manen gekämpft, braucht, wie 
B. II, 12. 

Zweiter Auftritt: Ambro¬ 
sius bringt dem Kardinal da- 
päpstliche Breve, das diesen n 
den höchsten Schrecken versetzt. 
Er wird entlassen, ohne von dem 
Schreiben Kenntnis zu erhalten 
(Vgl. den Entwurf auf dem Quart- 
hlatt zu B. II, 4.) 




— 67 


von einzelnen Städten, die der 
Kirche ihre Treue versichern. 
Wir hören, dass Ambrosius, als 
er schon unterwegs nach Rom 
war, um dort des Kardinals Auf¬ 
trag auszuführen, von diesem 
plötzlich zurückgerufen worden 
sei. Als er jetzt nach dem Grunde 
fragt, gerät Ubaldini einen Augen¬ 
blick in Verlegenheit und bedeckt 
dann das Ganze mit dem Schleier 
desGeheimnisses. Ambrosius geht, 
um insgeheim eine Anzahl von 
Kaiserlichen, an deren Treue er 
zweifelt, nach St. Sebastian zu 
bescheiden. 

Vierter Auftritt: Monolog 
des Kardinals, der uns über dessen 
Lage, welche in den vorausgehen¬ 
den Scenen nur angedeutet war, 
aufklärt. Ein Breve des Papstes, 
das ihm befiehlt, die Bannbulle 
nur im äussersten Notfälle gegen 
Friedrich anzuwenden, hat ihn in 
die grösste Verlegenheit versetzt. 
Alle seine Pläne sind damit zu 
nichte gemacht, hatte er doch die 
Lombarden in der Absicht her¬ 
beschieden, ihnen die Ächtung 
des Kaisers zu verkünden. Was 
nun ’t — Um seine Pein zu er¬ 
höhen, meldet ihm ein Diener 

(Fünfter Auftritt), dass 
die Lombarden ihn dringend er¬ 
warten. Da zerreisst er nach 
kurzem inneren Kampfe das Breve 
und begiebt sich zu ihnen. — 
Haben wir eben erfahren, welche 
furchtbare Waffe der Kardinal 
gegen den Kaiser in Händen hat, 
so zeigt uns 


Dritter Auftritt: Monolog 
Oktavians, aus dem wir den In¬ 
halt des Breves erfahren. (Vgl. 
B. II, 4.) 


Vierter Auftritt (vgl. B. 
II, 5): Der Berichtende ist hier 
Gherardo, der aus Oktavians Reden 
merkt, dass „hier was falsch“ ist; 
und sich bald davon macht, worauf 
die Vernichtung des Schriftstückes 
durch den Kardinal erfolgt. 


5* 



— 68 


in B. der sechste, in C. der fünfte Auftritt Friedrich .trotz 
der Warnung des Thaddaeus sehr hoffnungsfreudig. Der Gipfel der 
tragischen Ironie wird in den Worten erreicht: 

„Ich sage dir, selbst dieser Oktavian 
Ist aus dem kalten Hohn hinausgeschreckt. 

Er streitet jetzt mit Thränen wie ein Weib. 

Die lange Fabel hat sich abgenutzt; 

Sie sind zu Ende, und wir sind am Ziel.“ 

Wir erfahren, dass Thaddaeus auf Friedrichs Befehl die scharfe Be¬ 
dingungen stellenden Friedensartikel ausgearbeitet und durch Bos<> 
von Doaro dem Kardinal habe übersenden lassen. 

Si ebe n ter Auftritt: Mono- | Sechster Auftritt: Mono¬ 
log des Kaisers. Friedrich ist 
doch nicht ganz ohne Bedenken, 

wollte sich offenbar nur vor tungen über den schweren Beruf 
Thaddaeus diesen Anschein geben. des Fürsten an, ohne selbst zu 

klagen, und erkennt die Macht 
! der Kirche, die er aber doch zu 
j überwinden hofft. 

Achter (B.) resp. Siebenter (C.) Auftritt: Roxelane erfährt 
vom Kaiser ihre Herkunft. (Vgl. Plan.) 

Neunter Auftritt: Marinus Achter Auftritt: Vgl. B 

erzählt seinem Herren von den II, 9. Zu dem Bericht des Marinus 
Einladungen nach St. Sebastian, kommt noch dessen Warnung vor 
die Ambrosius auf kleinen Zetteln Roxelane hinzu und seine Bitte, 
verbreitet. ! die Sarazenin zu entlassen, wo¬ 

von Friedrich aber nichts höret 
will. 

Zehnter (B.) resp. Neunter (C.) Auftritt: Thaddaeus bietet I 
noch einmal alles auf, den Kaiser zur Vorsicht zu mahnen und auf 
etwaiges Unglück vorzubereiten. Dieser aber weist in stolzem Glaubet. ' 
an sich diese Befürchtungen zurück (vgl. Plan. I) und sehliesst mit j 
den Worten: 

„Nein, mein Verhängnis* ist noch nicht erfüllt.“ , 

ElfterAuftritt: Thaddaeus ! Ze hn ter Au ft ritt: Boso v.u 

• I 

sieht ihm traurig nach und spricht: I Doaro bringt die Nachricht tob 
„Nein, dein Verhüngniss ist noch : des Papstes Flucht, des Kaiser- 
nicht erfüllt! I Ächtung und Absetzung, und deai 
Denn lange Schmerzen und ge- ! Abfall des halben Heeres, 
dehnte Plage 



log des Kaisers. (V° n B. II, 7 
abweichend.) Er stellt Betrach- 




— 60 


Hat, fürcht’ ich, dir der Himmel 
vorbestimmt, 

Dass du erkennen lernest Gottes 
Zorn, 

Der übermQthige Gedanken straft. 
Mit schwerem Herzen geh’ ich 
zur Abtey 

Mir ist, als ging ich in mein Grab¬ 
gewölbe !“ 

(Er geht.) 

Zwölfter Auftritt:In einem 
grossen Saal der Abtei bringt 
Oktavian vermöge seiner Bered¬ 
samkeit alle Versammelten gegen 
den Kaiser auf, schon wollen sie 
sich von diesem abwenden und 

dem Kardinal Treue schwören, da 

% 

macht sie der schlaue Gherardo 
darauf aufmerksam, dass sie sioh, 
bevor sie einen solchen ent¬ 
scheidenden Schritt thäten, nach 
einer Deckung und einem Rück¬ 
halte umsehen müssten, und zwingt 
so Ubaldini, von dem Bannbriefe 
Gebrauch zu machen, was dieser 
natürlich gern unterlassen hätte. 
Noch zaudert er, da meldet im 


Dreizehnten Auftritt ein 
Diener die Ankunft des Thaddaeus. 
Grosser Schrecken bemächtigt 


Elfter Auftritt: Des Kaisers 
Söhne und andere Ritter (unter 
ihnen Azzo von Modena), welche 
ebenfalls die Kunde gehört haben, 
stürmen herein, um sich von der 
Wahrheit zu überzeugen. Fried¬ 
rich steht unbeweglich da, der 
Schlag hat ihn schwer getroffen, 
aber bald rafft er sich auf und 
giebt die Befehle zur Schlacht. 
Thaddaeus soll Vittoria retten, 
Friedrich selbst will mit seinen 
Söhnen zur Fossalta eilen. Von 
Azzo, dem Vertreter Modenas, 
fordert der Kaiser ein Truppen- 
contingent, das jener aber nur 
unter bestimmten Bedingungen 
zugestehen will. Da Friedrich 
nicht mit sich handeln lässt, tritt 
Modena zum Feinde über. Auch 
das ficht den Hohenstaufen nicht 
an, auf die noch unverletzte 
Kaiserkrone hinweisend, zieht er, 
mit dem Entschlüsse, jetzt scho¬ 
nungslos gegen die Welfen vor¬ 
zugehen, im höchsten Vertrauen 
auf sich und seine Macht, ins 
Feld. 



70 — 


sich der Anwesenden, man glaubt 
sich durch den Kardinal verraten 
und will ihn töten. Dieser bittet 
um kurzen Aufschub und fragt 
den eben eintretenden Kanzler, 
ob sein Herr sich nun dem Papste 
endgiltig unterwerfe. Als Thad- 
daeus ein solches Ansinnen heftig 
abweist, frohlockt Oktavian und 
verkündet die Flucht des Kirchen¬ 
oberhauptes sowie die Bulle, 
worauf der Kanzler erschüttert 
die Abtei verlässt. Des Kaisers 
Feinde rüsten sich unter lautem 
Jubel zur Schlacht. Ambrosius 
wird mit dem Aufträge an den 
Erzbischof von Palermo, der Bulle 
Folge zu schaffen, nach Apulien 
geschickt. 

Dritter 


Aufz ug. 

i Erster Auftritt: Offen«? 
j Gegend, unweit des kaiserlicher. 
Lagers, an der Fossalta. Manfred 
wirbt leidenschaftlich um Roxe- 
; lanes Liebe und bringt diese da¬ 
durch in verzweifelte Lage. 

Zweiter Auftritt: Roxelane 
| flüchtet sich zu dem eben ein- 
| tretenden Enzius, was Manfred 
i noch mehr aufbringt. Es fallen 
scharfe Worte zwischen den Brü¬ 
dern. Als Enzius sich schliess¬ 
lich mit der Sarazenin entfernt, 
um sie in den Schutz des Kaiser? 
zu bringen, glaubt Manfred, sie 
gingen zu jenem, um ihm ihrer 
Bund zu verkünden, und be- 
; schliesst, das zu verhindern, 
j Dritter Auftritt: Der An- 
; fang wie b. 111, 6. Nachdem der 



71 


: alte Geistliche gegangen, tritt 
Gherardo vor, den der Kaiser den 
Prinzen auftragen heisst, es solle 
einer dem andern zuHülfe kommen, 
wenn der eine allein zu schwach 
wäre, dem Andrang der Feinde 
j zu wehren. Als Canale gehen 
will, ruft Friedrich ihn noch ein¬ 
mal zurück, erzählt, man habe 
Verdacht gegen ihn, und fragt 
ihn, wie es damit stunde; wenn 
ihm die feindliche Partei besser 
duuke, solle er ruhig gehen. 
Gherardo schwört seine Unschuld 
j und findet damit Glauben beim 
Kaiser. — Vergeblich erkundigt 
sich der Fürst nach Botschaft von 
| Vittoria, deren Ausbleiben ihm 
I aber keine Sorgen macht. 

Erster (B.) resp. Vierter (C.) Auftritt: Marinus berichtet 
«len Fall Vittorias und den Tod des Thaddaeus. Zumal der Verlust 
de» Freundes macht den tiefsten Eindruck auf den Kaiser. Zugleich 
erzählt der Alte von dem furchtbaren Fanatismus des Volkes als 
Wirkung der päpstlichen Bannbulle. Das folgende Gespräch vgl. 
b. III, 6. 

Zweiter Auftritt: Vgl. A. 1 F ünft e r A uft r itt: Vgl. A. 
IV, 2. | IV, 1. Es fehlt der dort aus- 

! gesprochene Entschluss. 

Dritter Auftritt: Vgl. A. J S ec h ste r Auftritt: Euzius 
IV, 3. deutet demVater an, was zwischen 

Manfred und Roxelane geschehen. 
Bald tritt auch diese ein und be¬ 
richtet selbst darüber. Als Enzius 
den Kaiser bittet, Roxelane wieder 
nach ihrer Heimat zu senden, 
eröffnet Friedrich ihm freimütig 
(ohne vorhergehenden inneren 
Kampf) ihre Herkunft. Das Wei¬ 
tere vgl. A. IV, 3. 

Vierter (B.) resp. Siebenter (C.) Auftritt: Vgl. A. IV, 4. 



— 7 '2 — 

Fünfter (B.) resp. Achter ((’.) Auftritt: Vgl. A. IV, ö. 
Sechster (B.) resp Neunter (('.) Auftritt: Vgl. A. IV. 
Siebenter (B.) resp. Zehnter (C.) Auftritt: Vgl. A. IV, 7. 

Vierter Aufzug. 


Erster Auftritt: (Nur im I 
Bruchstück vorhanden.) Gespräch 
zwischen Enziua und Gherardo, 
der sich sehr hohenstaufentreu ' 

I 

stellt und von jenem dafür ge- , 
lobt wird. 

Zweiter Auftritt: Enzius 
lässtseinen Brudcrdureh Gherardo 
um Hülfe bitten. 


Dritter Auftritt: Canale | 
erwägt den Gedanken, Manfred I 
ohne Botschaft zu lassen, weist 
ihn aber als zu schändlich zurück. | 
Da bringt ein Vermummter ein j 
Schreiben des Kardinals, das ihn 
zu der Schandthat zwingt. 

Vierter Auftritt: Gherardo 
erzählt dem Ritter Boso, Manfred 
versage die vom Bruder geforderte 
Hülfe, w orauf dieser mit den 
Worten davoneilt: 

„Weh uns! der König Enzius ist 

verloren! 44 

Schuldbewusst setzt der Verräter 
hinzu: 

„Und ich hab’ ins Verderben ihn 

gestürzt, 

Den jungen, frommen, ritterlichen 

Fürsten!“ 

Ugone kommt, überzeugt sich, 
dass Gherardo den Befehl Okta- 
vians ausgeführt und teilt ihm 


Erster Auftritt: Vgl. h. 
III, 4. 


ZweiterAuftritt: Oktavian 
weiss Gherardos Verräterei und 
zwingt ihn. Kraft der Macht, die 
er durch dies Wissen über ihn 
hat, das Hilfgesuch des Enziu^ 
nicht an Manfred zu überbringen 

Dritter Auftritt: Vgl. A. 
III, 12. 


Vierter Auftritt: D*-r 

Kardinal giebt Ugone den Auf¬ 
trag, Gherardo zu töten, und ei:: 
zu seinen Truppen, beseelt vor. 
dem Wunsche, Friedrich mög* 
in der Schlacht den Tod Ander.. 




— 73 - 


als Lohn dafür sein vom Kardinal 
verhängtes Todesurteil mit. Trotz 
heftigen Protestes wird Canale zum 
Richtplatz geführt. (Vgl. A. IV, 9.) 

Fü nfter A uf t ritt: Vgl. A. 
IV, 10. Mit bitterem Schmerze 
nimmt Friedrich die Nachricht 
auf. 


Sechster Auftritt: Der 1 
Kaiser verflucht den ahnungslosen i 
Manfred und verhindert den | 
Rückzug der Seinen. Indessen j 


Fünfter Auftritt: Enzius 
vernimmt die angebliche Hülfs- 
verweigerungManfredsund schlägt 
Marinus’ Bitte, ihn noch einmal 
zum Bruder zusenden, ab. Da naht 
Oktavian an der Spitze seiner 
Truppen und das Gefecht beginnt. 

Sechster Auftritt: Vgl. 
A. IV, 11. 

Siebenter Auftritt: Roxe- 
lane, nichts ahnend, bittet, wie 
I sie versprochen, den bei Manfreds 
Anblick in heftigen Zorn ge¬ 
ratenen Kaiser, für den Bruder. 
Als sie aber hört, wessen man 
diesen anklagt, widerruft sie ihre 
Bitte und mahnt den Kaiser an 
seine Pflicht. Der Sohn wird vom 
Vater verflucht und muss von 
Roxelane hören, dass sie seine 
Schwester ist. 

Achter Auftritt: Boso 
bringt die Botschaft von Enzius’ 
Gefangennahme, der Kaiser und 
Roxelane brechen zur Befreiung 
des ihnen Teuren auf. Letztere 
weist einen abermaligen Annähe¬ 
rungsversuch Manfreds schroff 
zurück. Der 

Neunte Auftritt giebt ein 
kurzes Gespräch zweier Ritter 
auf dem Schlachtfelde, die des 
Kaisers Tapferkeit rühmen. Der 
Zehnte Auftritt versetzt 
uns mitten in das Gefecht hinein. 
Der Nachteil ist jetzt auf ghibel- 
linisclier Seite. Friedrich trifft 



74 


rückte der Kardinal mit »einem i mit dem Kardinal zusammen. (Vgl. 
Heere heran und die beiden : den Schluss von B. IV, »>.) 

Feinde stehen sich plötzlich Auge ! 
in Auge gegenüber. Auf die | 
höhnischen Worte des Pfaffen i 
giebt Friedrich die gebührende ; 

Antwort. Der Kampf beginnt mit | 
dem Zurückdrängen der Welfen. ( 

Siebenter (B.) resp. Elfter (C.) Auftritt: Ein Ritter fordert 
Manfred zum Verlassen des Schlachtfeldes auf, da die Welfen ge¬ 
siegt. Diesem liegt nichts mehr am Leben, nur auf die Nachricht 
von der schweren Verwundung seines Vaters rafft er sich auf. 
tauscht mit dem Ritter Helm und Mantel, schliesst das Visier und 
eilt davon, unerkannt den Kaiser in den Schutz des Erzbischofs von 
Palermo zu bringen. 

Achter Auftritt: Vgl. A. Zw ölf te r Auftritt: Vgl. A. 

IV, 12. IV, 12. Ugones Bericht, da?» 

, Ambrosius, der des sterbenden 
! Gherardo Beichte vernommen. 

! „unter bittern Reden“ entwichen 
sei, lässt den Kardinal kalt. Kr 
sendet die erbeutete Kaiserkrone 
dem Papst, damit dieser einen 
I neuen Träger für sie bestimme 
und eilt selbst mit einem Heere 
i dem Kaiser nach Apulien nach. 

Die einzige Änderung, die 
Immcrman für B. mit dem 

Fünften Aufzuge 

vornahm, ist die geschickte Zu- 
Ktimmenziehung der Auftritte 3 bis j 
6 in einen einzigen, in welchem f 
Roxelane mit der Bitte, es dem 
Kaiser zu berichten, dem Pförtner f 
des Klosters von ihrem miss- j 
glückten Befreiungsversuch er¬ 
zählt; die Scene schliesst damit, 1 
dass die Hohenstaufin an den 


Der'füufte Aufzug 

weicht nur unerheblich von 1». 
ab: Es fehlt der sechste Auftritt- 
Marinus’ Bericht in der letzten 
Scene lautet, dass er selbst mit 
seinen Leuten den Sturm de* 
Kardinals abgeschlagen und die¬ 
sem den Tod gegeben habe. 
Der Kaiser stirbt erst nach der 
Ankunft des Marinus, dessen Bot- 



Folgen eine» Gifte», das sie vor- j Schaft er aber nicht mehr versteht, 
her eingenommen, stirbt. ; da »ein Geist bereits in anderen 

(Ich bin überzeugt, dass diese Sphären weilt. - 
Änderung schon für B. ausge- j 
führt wurde, da der Dichter in 
seinem Briefe an Beer vom 13. 

Juni 1828, in welchem er die J 
beabsichtigten Umgestaltungen i 
für C. nennt, eine so wichtige 
nicht verschwiegen haben würde.) 

Die Fassung B. zeigt gegen A. raaunigfache Ver¬ 
besserungen: Im ersten Aufzuge die Benutzung Roxelanes 
als Mittel der Kirche, gegen den Hohenstaufen zu arbeiten, 
I, 4: Die Veränderung im Verhalten Manfreds, I, 5: Die 
Bevorzugung des Enzius durch den Kaiser, die veränderte 
Charakteristik Friedrichs, I, 9: Die Kürzung des Monologs, 
I, 10: Die Wahl des Gherardo zum Überbringer der Bot¬ 
schaft, im zweiten Aufzuge die gleichmässige Ver¬ 
teilung der Scenen an Spiel und Gegenspiel, die Ein¬ 
schränkung des Auftrittes mit den Lombarden und die 
Einführung des Breve, eines Motives, das für die Stellung 
des Kardinals im Drama, wie wir Kapitel IV. 2 b sehen 
werden, sehr wichtig ist, die Isolierung der Familien¬ 
tragödie im dritten Aufzug, im vierten die Veranlassung 
des Verrates durch den Kardinal (hätte Gherardo die That 
aus eigenem Antriebe gethan, so wäre ihm damit eine zu 
grosse Rolle im Drama zugewiesen worden), und im 
fünften die Zusammendrängung der Scenen in Bologna, 
welche in einem Enziusdrama, nicht aber in einer Tragödie, 
deren Held Friedrich II. ist, berechtigt sind. — 

Als eineu Mangel empfinde ich (gegen b. 111), dass 
in B. das Auftreten des Erzbischofs zu wenig vorbereitet 
wird. Auch sehe ich die Notwendigkeit der später rück¬ 
gängig gemachten Sendung des Ambrosius nach Rom 
nicht ein. 



- 76 — 


Die Vorzüge der letzten Fassung bestehen (abgesehen 
von Stilistischem) vor allem wieder in grossen Kürzungen. 
Sogar die beiden gelungenen Scenen in der Abtei (B. II. 
12, 13) opferte der Dichter, um die Überwucherung des 
Nebenstammes zu vermeiden; eiue Art Ersatz dafür ist 
die Scene zwischen dem Kardinal und Bernardo Rossi(lI, 1). 
Auch unterbleibt die Sendung des Ambrosius nach Rom. 
Dagegen ist die Exposition reicher geworden; bereits in 
der ersten Scene erfährt der Kardinal die Ankunft der 
Gesandten und die Existenz Roxelanes, und schon im ersten 
Akt werden wir über das wahre Wesen Gherardos aufge¬ 
klärt. Der Empfang des Breves, der in B. nur erzählt 
wird, ist hier dramatisch dargestellt, und zwar macht der 
Kardinal den Überbringer hier nicht zum Mitwisser seiner 
That, wie es (auf dem Quartblatt) anfangs geplant war. 
Eine grössere Scene (III, 1) giebt uns über Manfreds Liebe 
zu Roxelane Aufschluss. III, 3 bereitet die Schandtbat 
Gherardos vor. In III, 6 ist ein Fehler in der Charakte¬ 
ristik des Kaisers verbessert. (In B. III, 3 teilte Friedrich 
dem Sohn Roxelanes Herkunft erst nach schwerem 
inneren Kampfe mit; er ruft; 

„Fassung! gieb mir Fassung; 

0 Gott im Himmel!“ 

Das entspricht nicht seinem Charakter, der so ange¬ 
legt ist, dass Friedrich nichts Schlimmes darin sieht.) Die 
Veranlassung von Gherardos Verbrechen durch den Kardinal 
und die Ausführung desselben ist zu Gunsten der Dar¬ 
stellung des auf- und niederwogenden Kampfes gedrängter 
dargestellt, die Scene mit dem alten Geistlichen zur besseren 
Vorbereitung auf den Erzbischof aus b. III, 6 wieder ein¬ 
geführt. — Neben diesen Verbesserungen verschwindet 
fast eine Inkongruenz, wie die in IV, 3, wo von dein 
Konzil zu Lyon gesprochen wird, von dem wir sonst in 



C. nichts erfahren; wir haben hier einen Rest von A. 
III, 12 resp. b. III, 5. 

Wir müssen bewundern, wie sehr das ganze Werk im 
Laufe der Zeit gewonnen hat, ist doch kaum eine Änderung 
vorgenommen worden, die nicht als bedeutende Verbesserung 
anzusehen ist. Der Stoff wird allmählich auf die fünf 
Akte richtig verteilt, die Scenen zusammengedrängt und 
alles sorgfältig exponiert. Es werden neue Momente ein¬ 
geführt, die zur Förderung der Handlung hin dienen, die 
•• 

verschiedenen Aste werden zu Gunsten des Hauptstammes 
beschnitten, Nebensächliches wird nicht dargestellt, sondern 
nur erzählt, und umgekehrt Wichtiges, was anfangs nur 
berichtet werden sollte, dramatisch vor Augen geführt; 
alles wird immer mehr auf den Kaiser konzentriert. 

In den folgenden Abschnitten werde ich noch ver¬ 
schiedentlich auf derartige Veränderungen und Ver¬ 
besserungen im einzelnen zu sprechen kommen. 

Endlich konnte das Werk, nachdem schon im Mai in 
Berlin die neunte Scene des zweiten Aktes (in einer von 
der letzten Fassung nur wenig abweichenden Form) im 
achten Hefte von Holteis „Monatlichen Beiträgen zur Ge¬ 
schichte dramatischer Kunst und Literatur“ 1 ) gedruckt 
war, im Herbst 1828 bei Hoffmann u. Campe in Hamburg 
zugleich mit Immermanns Lustspiel „Die Verkleidungen“ 
erscheinen. Auf dem Titelblatt befindet sich als Vignette 
ein Holzschnitt von Watts, welcher die Scene zwischen 
dem Kaiser und Manfred (III, 14) darstellt ; auf der Rück¬ 
seite des Titelblattes stehen die Worte: 

„So viel Arbeit um ein Leichentuch? 

Graf Platen.“ 


’) Berlin 1828. 8°. S. 115—120. 



78 — 


In die erste Sammlung seiner Schriften 1 ) wurde das 
Drama nicht aufgenommen, obwohl darin manches Produkt 
von geringerem Werte seinen Platz fand. Der „Kaiser 
Friedrich u gehört offenbar zu den Werken Immermauns, 
von denen er in der Einleitung zu der genannten Samm¬ 
lung sagt: „Ich legte selbst Manches zurück, was mir aus 
älterer Zeit her lieb war, weil mir die Stimmung nicht 
erscheinen wollte, es noch einmal wie frischen Stoff zu 
betrachten und in diesem Gefühle zu verjüngen.“ 

Erst in der Hempelschen von Robert Boxberger be¬ 
sorgten Ausgabe 2 ) wurde es wieder gedruckt. 

*) Karl Immermanns Schriften. Düsseldorf, Verlag v. J. E. Schaub, 
1835—43. XIV Bde. 8°. 

*) Werke. Bd. XVII. S. 151 272. 



IV. 

Das Drama. 

Nachdem wir die Entstehungsgeschichte des Werkes 
kennen gelernt haben, wenden wir uns jetzt dem Drama 
selbst zu und betrachten zunächst seinen Aufbau. 

1. Der Aufbau. 

Immermann sah in dramatisch - technischen Dingen 
sehr klar. Er erkannte Schillers Grösse als Dramatiker, 
verkannte jedoch nicht dessen Schwächen. Besonders 
scharf aber hob er in seiner Vorrede zum „Trauerspiel 
in Tirol“ 1 ) die Mängel der zeitgenössischen Dramatiker, 
die zum Teil auf Schillers Schultern standen, hervor, das 
Suchen nach „einzelnen zersplitterten Effekten“, die „Leer¬ 
heit der vermittelnden Sceneu“, die falsche Behandlung 
der „subordinirten“ und der „Hauptmotive“ u. 8. w. 

Da Immermann diese Fehler kannte, bemühte er sich, 
sie zu vermeiden, was ihm, wie wir sehen werden, im 
„Kaiser Friedrich“ auch im wesentlichen gelungen ist. 

a) Im ganzen. 2 ) 

Der Stoff, die Geschichte der letzten Lebensjahre 
Kaiser Friedrichs, und die Weise, in der Immermann diesen 


') Werke. Bd. XVII. 8. 10. 

s ) Ich lehne mich hier im Ausdruck an Gustav Freytags 
„Technik des Dramas“ an. (Achte Aufl. Leipzig, bei S. Hirzel. 1898.) 



— 80 — 


auffasste (die Formel, auf die er das Stück brachte, lautet 
bekanntlich: Der Kaiser verliert die Welt), bestimmten von 
vornherein die Art des Aufbaues: Er musste die Handlung 
im Gegenspiele aufsteigen lassen. 

Die Situation zu Beginn des Dramas ist kurz folgeude: 
Der Kaiser steht auf dem Höhepunkte seiner Siegerlauf¬ 
bahn, die Lombarden „knirschen ohnmächtig am Boden', 
der Papst ist in Rom eingeschlossen, niemand scheint den 
Mut zu haben, „der Tochter Zions seinen Arm zu leihen'. 
Friedrich wiegt sich in dem sicheren Glauben, sein Ziel 
nun endgültig erreicht zu haben. — Die Gegenmacht« 4 
haben daher leichtes Spiel und arbeiten im geheimeu emsig 
am Sturze des Helden. Schlag auf Schlag trifft ihn, immer 
mehr Unglück bricht über ihn herein, dennoch verliert er 
lange Zeit nicht den Glauben au sich und sein Schicksal 
Endlich beginnt er an sich zu zweifeln. 

Der Höhepunkt des Dramas ist im 111. Akte erreicht, 
an dessen Schluss der Held ruft: 

„Ich bin besiegt; es ziemt nicht mehr zu leben.“ 

Die Handlung beginnt zu fallen, der Held verliert allmäh¬ 
lich immer mehr das Vertrauen auf sich und die Ideeu. 
die er verfochten, er verliert die Welt. Das Drama schliesst 
mit des Helden Tode, der nicht allein infolge einer in (Er 
Schlacht empfangenen Wunde herbeigeführt wird, sondern 
den vor allem Seelenwunden verursachen. 

Immermann beginnt das Drama gleich mit der Expo¬ 
sitionsscene, ohne ihr einen sogenannten Accord voraus- 
gelieu zu lassen. An sie schliesst sich sofort die Seen«- 
des erregenden Momentes an, welches hier der Abtal! 
des Kanzlers Peter ist, das erste Glied der langen Kett« 
von Unglücksfällen, die über Friedrich hereiubrechen und 
seinen Untergang veranlassen. Die Steigerung läuft i:< 
fünf Stufen bis zum Höhepunkt. Erste Stufe: Der Zwi»; 
zwischen Manfred und Enzius. Zw eite Stufe: Di*- 



— Ml 


Flucht des Papstes. Dritte Stufe: Die Ächtuug und 
Absetzung des Kaisers, der Abfall des halben Heeres und 
die Empörung der Lombarden. Vierte Stufe: Der Fall 
Vittorias (der dadurch eine besondere Bedeutung erhält, 
dass der Kaiser einen „seltsamen Glauben“ an diese Stadt 
besass), der Tod des neuen Kanzlers, des treuen Ratgebers 
und Freundes Thaddaeus’ von Suessa und die fanatische 
Aufnahme der päpstlichen Bannbulle beim Volke. Fünfte 
Stufe: Die Tragödie in der engsten P'amilie des Kaisers, 
die sich ihrerseits in drei Phasen abspielt, welche ich 
(immer mit Bezug auf den Helden) folgendermassen be¬ 
zeichnen möchte: a) Friedrich erfährt Manfreds Verirrung 
Roxelanen gegenüber, b) die Entfremdung seines Lieblings¬ 
sohnes Enzius, c) die wilde Auflehnung Manfreds gegen 
den Vater. 

Bis zum Höhepunkte ist der Bau des Dramas vor¬ 
trefflich geführt, die Schwierigkeiten der fallenden Hand¬ 
lung aber hat Immermann nicht ganz zu überwinden ver¬ 
mocht, und den Gefahren des IV. Aktes ist er nicht 
entgangen, obwohl er das Interesse durch die Episode 
mit den beiden Lombardenführern neu anzufachen suchte. 

Die fallende Handlung läuft in drei Stufen zur 
Katastrophe. Erste Stufe: Friedrich erhält die Nach¬ 
richt von Manfreds angeblichem Verrat, die ihn zur Ver¬ 
fluchung des Sohnes nötigt, und die Kunde von Enzius' 
Gefangennahme. Zweite Stufe: Friedrichs Niederlage 
und Verwundung. Dritte Stufe: Friedrich vernimmt 
den Bericht von Roxelanes missglücktem Versuch, Enzius zu 
befreien, von dessen schärferer lebenslänglicher Einkerkerung 
und von dem Selbstmord der Tochter. 

Es folgt die Katastrophe: Friedrichs Tod. 

Immermann versuchte durch die Scene zwischen dem 
Erzbischof und dem Kardinal ein retardierendes Moment 
zu schaffen, doch hat dieses hier nicht die Bedeutung wie 

P«M>tJon, Iranu*nnanns ..Kaiser Friedrich der Zweit«» 4 *. ^ 



in anderen Dramen, da wir des Kaisers Tod bereits vor¬ 
aussehen , und hier nur noch das Schicksal seiner 
Leiche in Frage kommen kann. Wir werden fast an den 
Streit erinnert, der sich am Schluss des sophokleisehen 
„Ajax u über die Bestattung der Gebeine des Helden erhebt. 
Der Kardinal entspricht dem heftigen Agamemnon, der 
Erzbischof dem milden Odysseus. Eine leichte Beein¬ 
flussung ist um so mehr anzunehmen, als Immermann 1825 
einen eingehenden Aufsatz über diese antike Tragödie ge¬ 
schrieben hatte. 

Auch das beliebte Moment der letzten Spannung hat 
sich Immermann nicht entgehen lassen, indem er noch 
kurz vor des Kaisers Hinscheiden den Marinus mit einer 
Freudenbotschaft auftreten lässt, wie wenn diese noch die 
Katastrophe, den Tod Friedrichs, verhindern könnte. 

Nach dem schnellen Gang der Handlung in den ersten 
vier Akten tritt im letzten Akt völlige Ruhe ein. Der 
süsse Frieden, der darin herrscht, sticht äusserst wirkungs¬ 
voll gegen das Unruhvolle, Schmerz- und Leidenreiche der 
vier ersten Akte ab. Aus diesem Grunde faud der fünfte 
Aufzug schon früh viel Verehrung. Auch hierfür ist die 
Antike Immermanns Vorbild gewesen, hebt er doch im 
sophokleisehen „Ajax w die Ruhe und Würde des Schlusses 
besonders rühmend hervor. — Der ganze fünfte Aufzug 
oder mindestens der Tod Friedrichs hatte dem Dichter 
offenbar schon lange wie ein Bild vor der Seele geschwebt 
Leider habe ich nicht erkunden können, ob er etwa, wie 
es leicht möglich, durch ein Werk der bildenden Kunst 
Anregung empfing. Der Düsseldorfer Maler K. Fr. Lessing 
schuf seinen „Tod Friedrichs II. w erst 1833. 

b) Im einzelneu. 

Bei der Betrachtung des Baues im einzelneu streik 
ich nicht nach Vollständigkeit, will vielmehr nur au ; 



einiges aufmerksam machen, das ich für besonders gelungen 
oder charakteristisch halte. 

Die einzelnen Aufzüge lassen sich, wie das ganze 
Drama, ziemlich scharf in je fünf Teile zerlegen: 

Erster Aufzug: I) 1—3; II) 4. 5; III) 6; IV) 7; 
V) X—10. 

Zweiter Aufzug: I) 1; II) 2—4; 111) 5—7; IV) 8. 9; 
V) 10. 11. 

Dritter Aufzug: I) 1. 2; II) 3. 4; III) 5; IV) 6—8; 
V) 9. 10. 

Vierter Aufzug: I) 1—4; II) 5; III) 6—8; IV) 9. 10; 
V) 11. 

Fünfter Aufzug: I) 1. *2; II) 3. 4: III) 5; IV) 6. 7; 
V» 8. 

Dem Dichter scheint der Bau des V. Aktes der 
„Piccolomini“ schon früh als das Ideal einer Exposition 
zu einem grossen historischen Drama vorgeschwebt zu 
haben. In seiner für die Musterbühne in Düsseldorf be¬ 
stimmten, nach einem „längst durchdachten“ Plane ge¬ 
schaffenen, aber erst im Februar 1834 vollendeten Bearbeitung 
der Wallenstein-Trilogie, welche die Aufführung des Werkes 
an einem Abend zuliess, begann Immermann mit dem 
V. Akte der „Piccolomini“. So hat er denn auch die 
Expositionsscene des „Kaiser Friedrich“ diesem Akte genau 
nachgebildet. Wir werden darin über die momentane Lage 
aufgeklärt und zugleich auf die Flucht des Papstes, die 
Ächtung des Kaisers, die Versammlung in Sankt Sebastian 
und — das ist der Höhepunkt der Exposition — Roxelane 
vorbereitet. 

Vortrefflich ist die Überleitung zu der Scene des 
erregenden Moments. Überhaupt sind die Übergänge 
zwischen den einzelnen zu einer dramatischen Einheit ge- 



— <84 — 


hörenden Auftritten sehr geschickt 1 ); meist wird die Rede 
durch den Eintretenden mitten unterbrochen. Dem ersten 
Auftreten von Personen, die in dem Drama eine grosse 
Rolle spielen, geht eine Art Intrata vorher, welche die 
Personen in ihren Umrissen andeutet und in uns die 
Spannung auf sie erregt. (Siehe des Kardinals Worte vor 
dem Eintritt des Kaisers S. 178 und des Kaisers Worte 
vor dem Eintritt Roxelanes S. 195.) 

Im vierten Auftritte, welcher die erste Stufe der 
Steigerung bedeutet, ist durch das Eintreten des Kardinals 
geschickt der Charakter des Dialogs verändert, der Fluss 
desselben verlangsamt. Auf die Unterredung zwischen dem 
Kardinal und dem Kaiser (I, 7) ist vorher bereits zweimal 
hingedeutet worden, zunächst in dem einleitenden Gespräche 
zwischen Oktavian und dem Kämmerling (l, 1), sodann 
1, 3, wo wir durch das Auftreten des Kämmerlings wieder j 
daran erinnert werden, dass der Kardinal die wichtige * 
Audienz beim Kaiser vor sich hat. — Das Ergebnis der 
Dialogscene ist in den letzten Worten des Kaisers ausge¬ 
sprochen, welche die Handlung weiterfüliren und zunäch>t 
den folgenden Monolog des Kardinals veranlassen. Nach 
einer kurzen Botenberichtsscene wird der Aufzug durch | 
einen abermaligen Monolog geschlossen. j 

Mit Monologen ist Imuiennann nicht sparsam gewesen. 

doch findet sich unter den fünfzehn glücklicherweise kein ; 

epischer, wie so oft bei Raupach; sie sind vielmehr alb \ 

lvrisch und zwar raisounierend. Der dramatische Bau der < 
% 1 

Monologe ist nicht sehr streng, aber doch immer klar und 
folgerichtig. Immermann verwendet den Monolog ab 1 
Ruhepunkt zwischen zwei Sceuen, als Akt eröffnend und al> 

') In einer der älteren Redaktionen wurde der Übergang n<*< l 5 
dreimal hintereinander durch ,,Ioh höre kommen 4 * und ähnliche 
horbeigofiihrt. 


i 



Akt schliessend und zwar stets motiviert, nachdem vorher 
Spannung erregt ist. — 

Es findet ein wirksamer Wechsel von Hauptscenen 
und blossen Verbindungsscenen statt. (Noch in A. I sollte, 
sich an die grosse Scene zwischen dem Kaiser und 
Thaddaeus unmittelbar die Enthfillungsscene anschliessen, 
in der Roxelane vom Kaiser ihre Abkunft erfährt. Doch 
sah der Dichter bald ein, dass dies in künstlerischer Hin¬ 
sicht ein grosser Fehler wäre und gestaltete die Scenen- 
folge um.) 

Die vorkommenden Botenberichte sind ganz kurz, und . 
werden auch so noch durch Ausrufe und Fragen der Hörer 
unterbrochen. Die Wirkung des Berichts wird stets zu 
erkennen gegeben. Das ist ein grosser Vorzug gegen 
Raupachs Hohenstaufendramen, in denen es von Boten¬ 
berichten, Briefen, Manifesten, die oft mehrere Druckseiten 
einnehmen, wimmelt, ein Umstand, der das dramatische 
Leben bedenklich beeinträchtigt. — Auch in den Dialog- 
scenen hat Immermann unleugbares Geschick bewiesen. 
Ich führe vor allem die Scene zwischen dem Kardinal und 
dem Kaiser im I. Akt, ferner das Gespräch zwischen dem 
Kaiser und Thaddaeus (II, 9) an. Schon glaubt der 
Kanzler den Kaiser durch die Mahnung an eine etwaige 
Flucht des Papstes auf dem Punkte zu haben, auf dem 
er ihn will, doch er irrt sich, Friedrich widerstrebt noch, 
lange schwankt der Kampf der Meinungen, endlich ver¬ 
liert Thaddaeus seine Widerstandskraft. — Am bedeutend¬ 
sten ist die Komposition des Dialoges zwischen dem Kaiser 
und Enzius (III, 7). 

Der Sohn fühlt sich durch die Kunde, dass des 
Kaisers Tochter Muhammedanerin sei, dem Vater entfremdet. 
Die Reden Friedrichs erweichen ihn aber, und es erfolgt 
wieder eine Annäherung: 



— 86 — 


„Theurer Vater 

Wie milde klärst du deine Kinder auf! 

Gewiss, es war nur meiner Seele Starrsueht, 

Was mich in Banden schlug. Nun fliesst der Krampf. 

Gelinde lösend sich, vom Busen ab. w 
Doch gleich darauf entfährt ihm die Frage: 

„Mein Vater, sage mir, welch Ungefähr 

Wies deinem Alter diese Schmerzenstochter?“ 
deren Beantwortung durch den Kaiser einen Umschlag in 
der Stimmung hervorruft; wir sehen, wie sich Enzius' Herz 
allmählich wieder vom Vater abwendet. Der Höhepunkt 
der Entfremdung wird erreicht, als Enzius sich zum Gehet 
anschickt und kalt nach den weiteren Befehlen des Kaiser> 
fragt. Eine Annäherung erfolgt erst wieder durch Friedrich' 
Hinweis auf den bevorstehenden Kampf. Die Bitterkeit 
in Enzius weicht, den Schmerz um den Vater aber kam 
er nicht unterdrücken. Er scheidet thränenden Auges vm 
ihm, wie Oranien von Egmont. Diese Scene erkannt^ 
Immermann schon im Plan als äusserst schwierig (s. S. 51 j 
Wenn wir sehen, wie Raupach derartige Gespräche be¬ 
handelt, die sich bei ihm bar jeder Poesie, als eine Art 
theologischen Kollegs in dialogischer Form darstellet», 
müssen wir Immermann Lob zollen, dass er diese Klipp- 
glücklich vermieden hat. 

Hier berühren sich die beiden Stämme des Drauni* 
das politische Schicksal des Kaisers und die Tragödie i 
seiner Familie am engsten. Immermann thut sich ent 
schieden unrecht, wenn er meint, dass in seiner 
Drama „das politische Schicksal des Kaisers und seir 
häusliche Kalamität nicht gehörig und streng genug i 
einen Knoten sich verschürzen“. Die schwierige Aufgalt 
die beiden Stämme zu verbinden, hat Immermann v 
allem in der Figur des Enzius zu lösen versucht, wom 
ich noch im zweiten Abschnitt dieses Kapitels zurückkoinim 



— 87 — 


werde. Die weiteren Fäden, welche sich von dem eiuen 
Stamm zum anderen ziehen, sind leicht erkennbar. Roxe- 
lane wird von der Kirche als Mittel benutzt, die Anhänger 
des Kaisers von diesem abwendig zu machen, und der 
Zwist der Bruder, Manfred eiuen Verrat anzudichten, 
welcher Enzius’ Gefangennahme und dadurch wieder des 
Kaisers Niederlage und Tod herbeiführt. — 

Zum Schluss sei noch der Dialog zwischen dem Erz¬ 
bischof und dem Kardinal genannt, wegen seiner wunder¬ 
vollen Steigerung, der zeitweiligen Anwendung der sticho- 
mythischen Form und der wirkungsvollen Antithese: 

Kar di nal: 

„Ich bin, Ihr wisst es, nicht allein im Thal; 

Auf meinen Wink erheben Tausende die Waffen.“ 

Erzbischof: 

„Ich bin, Ihr wisst es, hier allein im Thal; 

Auf meinen Wink erhebt Niemand die Waffen.“ 
Volksscenen, ein für das historische Drama so wert- 
volles Element, fehlen ganz; unser Dichter besass dafür 
keine Begabung. Dagegen verschmähte er auch alle 
Staatsaktionen und prunkhaften Aufzüge im Gegensätze 
wieder zu Raupach, der durch solche äusserlichen Mittel 
zu ersetzen suchte, was seinen Dramen au innerem Werte 
gebrach. 

*2. Die Charaktere. 

Immermanns Charakterisierungskunst kann nicht 
mit der unserer ersten Meister verglichen werden, bedeutet 
andererseits aber durchaus keinen Tiefstand, zumal wenn 
man in Rücksicht zieht, dass das Publikum der Zeit „vor¬ 
zugsweise von dem Deklamatorischen und Rhetorischen, 
nicht aber von dem Charakteristischen angezogen 1 ) wurde, 
so dass ein Raupach es wagen durfte, in seinen Hohen- 

') Werke. Bd. XVII. 8. 8. 



— S8 — 

staufendrameu nur weisse (die Hohenstaufen) und schwarze 
(die Pfaffen uud Welfen)Männer zu malen. — Die Haupt¬ 
charaktere sind Immermann im ganzen gut gelungen, 
die übrigen hätten (mit einigen Ausnahmen) mehr 
herausgearbeitet werden können. 

a) Der Kaiser. 

Friedrichs Charakter ist, wie der von Grillparzers 
König Ottokar, ein fallender, wofür die ursprünglich ge¬ 
plante Stellung des Stückes als Schlussdrama einer Trilogie 
bestimmend gewesen sein mag. Ich sehe in dieser Ab¬ 
weichung von Lessings Theorie jedoch keinen Fehler. 

Friedrich ist mehr leidend als handelnd dargestellt, 
lmmermann sah diesen Mangel selbst ein, entschuldigte 
ihn aber, indem er auf Werke wie: „Der standhafte 
Prinz“, „Hamlet“ und „Lear“ wies, freilich auch einsichts¬ 
voll hinzufügte, dass derartige Tragödien „die höchste 
Meisterschaft erfordern“, und es daher möglich sei, dass 
seine „individuellen Kräfte nicht zugereicht“ 1 ) haben. 
Leidende Helden waren damals sehr beliebt auch in den 
bildenden Künsten. So hatte z. B. der Düsseldorfer Maler 
K. Friedr. Lessing eine „trübselige Hinneigung für leiden¬ 
des Heldenthum“. 2 ) 

War schon Andreas Hofer zumal am Schluss des 
Dramas ein echter Leidensbeld, so schuf Immermann später 
in Alexis einen ganz passiven Helden. Des dramatischen 
Lebens aber entbehrt Friedrichs Charakter wie z.B.Calderons 
standhafter Prinz, nicht. 

Von der Bedeutung seiner Persönlichkeit werden wir 
gleich in der ersten Scene unterrichtet. 


') Putlitz. Bd. I. 8. 185. 

s ) Gurlitt, Die deutsche Kunst im neunzehnten Jahrhundert. 
Berlin, bei Bondi. 1809. 



— 8!) 


„Geliebt, gehasst, vergöttert und verabscheut, 

Geht er durch Lieb' und Hass gleichgiltig hin. 

^ er ihn verehrt, wagt nichts von ihm zu hoffen, 
^ud Niemand schilt ihn laut, den Alle furchten.“ 

Immermann hat in den beiden ersten Dramen, vor 
allem in dem zweiten, sicherlich den Kaiser in fast ver¬ 
messener Selbstüberhebung darstellen wollen. Ich entnehme 
<iies aus der Schilderung Manfreds (III, 9). Noch jetzt 
im Schlussdraroa, wenigstens in dessen erster Hälfte er¬ 
scheint er uns von übergrossem Selbstbewusstsein erfüllt. 

freudigem Stolze, dass er den Feind nun endlich in 
«einer Gewalt hat, glaubt er an keine weiteren Gefahren 
und meiut, dass das Schicksal ihn nun für immer begünstige, 
^ie in Sophokles’ Ajax ist der „Gegensatz zwischen ge¬ 
meiner Menschen- und Heldennatur“ in Friedrichs Bewusst¬ 
sein » ai, f die Spitze getrieben“. l ) Wie Ajax denkt er an 
Unsterblichkeit: „Der wahre Kaiser stirbt nicht!“ (11, 9.) 
Die Art, in der Friedrich über sich und seine Würde spricht: 
„Ich bin den Wolken nah' gezeugt. Die Burg 
Der Väter in dem milden Schwaben streckt 
Die Zinnen bis empor zum Sitz des Donners. 

Mer mag noch fordern, dass den Donner ich 
Mit Jemand teilen soll?“ (I, 7) 
hat aber, wie Immermann selbst hervorhob, oft etwas 
„Mystisches“, zumal, wenn wir an die übrigens ganz 
M allensteinischen Worte denken: 

nMit mir stehn wunderbare Mächt’ im Bunde“ (II, 9) 
und: 

„Geboren bin ich unter eignem Zeichen 
Dnd mich umwittert's oft wie Geisterhauch.“ (11, 9.) 
Derartige Worte klingen uns aus seinem Munde nicht 
Wehr ganz natürlich, vielmehr etwas gewaltsam. Er hilft 

’) Work... B.l. XVII. S. 4‘2l!. 



90 


sich damit über eine gewisse „Lücke und Leere, die in 
dem Hintergründe seines Wesens liegt u , 1 ) hinweg. In A. 
III, 2 lässt Immermann den Kaiser selbst aussprechen, 
dass er eine solche Lücke und Leere empfinde. Glück¬ 
licherweise unterdrückte der Dichter später dies Selbst¬ 
bekenntnis, das hier ungeschickt wirkt. 

Wenn Immermann schreibt: „Wird er in meinem Sinue 
repräsentirt, so muss eine gewisse Wundheit der Seele, 
eine Mattigkeit des Gemütes an ihm sichtbar werden“, 1 .' 
so dachte er dabei sicherlich an den Kaiser des ganzen 
Stücks, nicht nur an den der letzten Akte. — Das mystische 
Element dient auch dazu, die Schwäche und Kurzsichtig¬ 
keit des Helden gegenüber den feindlichen Mächten zu 
erklären und zu adeln. 2 ) 

Das Alter drückt ihn bereits, und um dieser Last 
nicht zu erliegen, ist ihm der „Glanz der sel’gen Rosen¬ 
tage“ nötig; er, der in seiner Jugend für Wein, Weib und 
Gesang geschwärmt und sie besungen, kann ihrer auch 
jetzt noch nicht entbehren und umgiebt sich daher mit 
Jugend und Schönheit. Ritter- und Minnespiele dürfen an 
seinem Hofe nicht fehlen, sollen sie ihn doch über manches 
andere hiuwegtäusehen! — Er träumt gern und lässt mit 
Vorliebe seine Phantasie in die Ferne schweifen. In A. II. I 
sagt er einmal: 

„Ja wahrlich, wär ich Friedrich nicht, der Kaiser. 

Ich möchte Friedrich wohl, der Dichter, seyu; 

Dann wär’ ich Kaiser meiner Träume.“ 

Wie Schillers Helden macht er zuweilen den Eindruck 
eines „Nachtwandlers, dem die Störung durch die Ausseu- 
welt Verhängnis« wird“. 3 ) Heiter-naive, unbefangene sind 

>) Putlitz. Bd. I. S. 185. 

2 ) Worte, die Frevtag von Schillers Wallenstein braucht (Teehn. 
d. Dramas, S. 234 f.). 

*) Frevtag. S. 230. 



— Hl 


ihm, wie Shakespeares Julus Cäsar, lieber, als fiuster 
grübelnde, leidenschaftliche Menschen. Daraus erklärt 
sich die Bevorzugung von Enzius und Roxelaue vor 
Manfred. 

Liegt Friedrich aber seinen Regierungspflichten ob, 
so tritt er bestimmt und entschieden auf und lässt sich 
durch nichts beirren. Manfreds Schilderung (S. 238) ent¬ 
spricht er freilich nicht mehr. Dass wir in ihm den Ver¬ 
fasser des Buches „De tribus impostoribus u zu sehen haben, 
werden wir nicht gewahr. Ein Kämpfer auf religiösem 
Gebiete ist er gewesen, jetzt übt er eine milde Toleranz 
und lässt jedem „freie Bahn“, die Ketzerverfolgung ist ihm 
eiu „schauerlicher Wahnsinn“. Er spricht wie der Dichter 
des Antichristspiels, wie seine grossen Zeitgenossen Wolfram 
von Eschenbach und Walther von der Vogelweide, und 
wie endlich Freidank 1 ) jeder Religion ihre Berechtigung 
zu; seine Weltanschauung gleicht der Nathans des Weisen, 
wenn er sagt: 

„Aber Enzius, 

Der Glaube, dass der Höchste sein Geschenk, 

Die Nahrung und das Brod des Lebens, habe 
Vier oder fünf verzognen Kindern nur 
Gegeben, sieh, der Glaub’ ist nicht der meine? 

Er kann's nicht sein, er wird es nimmer sein. 

Er winkte Tausenden in seinen Tag 
Und stiesse Millionen in die Nacht? 

Ich thät es nicht, — der Mensch, — und Er — ist Gott! 
Ich glaub’, er speiset Alle, die da wohnen 
Auf dieser Erde; er speiset sie 
Mit gleicher Liebe und mit gleicher Speise, 

Wie auch die äussre Farbe sei des Mahls.“ (111, 7.) 


‘) Geschichte der deutschen Litteratur von Willi. Scherer. 8. Autl. 
Berlin 189«. S. 98, 99. 



Friedrich glaubt daher nicht, seine Tochter dadurch 
„um ihr Heil betrogen“ zu haben, dass er sie in muhain- 
medanischem Glauben aufwachsen liess, zumal das „Thun 
und Treiben in der Christenheit nicht beschaffen war, ihm 
Schmerzen zu erregen, dass sie die Lehre seiner Priester 
misste“. (III, 7.) 

Friedrich ist nicht Atheist, wie seine Feinde behaupten. 
Es ist ganz falsch, wenn Hormayr Immermanns Kaiser „in 
seiner innersten Natur ironisch-ungläubig“ nennt. Er 
glaubt an Gott, ob er sich nun einen persönlichen Gott 
vorstellt, oder ob er dem Pantheismus huldigt, einer 
Anschauung, die unter den Romantikern viel Verbreitung 
fand und zum Teil auch von Immermann angenommen 
wurde, ist nicht immer ganz klar. Als Pantheist zeigt er sich 
in den an Fausts Glaubensbekenntnis erinnernden Worten: 
„Religion, wer hat sie nicht? Wer klagte 
Sein Hirn des Blödsinns an, den Mangel zu bekennen? 
Das Ross, das froh der Sonn' entgegen wiehert. 

Fühlt Gottes Athem. Und es fühlen ihn 
Die Vöglein, wenu im thaudurchblitzten Wald 
Sie durch die Bäume jubelnd tausend Perlen 
Von ihren Zweigen schüttelu.“ (III, 7.) 

Schon in „Cardenio und Celinde“ finden sich manche 
Selbstbekenntnisse des Dichters, und so hat er denn auch 
hier viel von seiner eigenen religiösen Überzeugung nieder¬ 
gelegt. In ihm, wie in seinem Helden finden wir ein 
merkwürdiges Gemisch von Pantheismus und dem Dogma, 
das sich an die Heilige Schrift anschliesst. Immermann 
nennt sich einmal „naturfromm“, Gott sei ihm „überall 
und in allem“. 1 ) „Neben Worten freiester religiöser 
Meinung“ finden sich Bekenntnisse, dass Immermann „auf 


’) Kellner, Geschichte einer deutschen Musterbühne. Stnttcan. 
Cotta. 1 ss8. S. «6. 



— 93 — 


die thätige Beihilfe Gottes rechnete und au die Wirksam¬ 
keit von Gebeten glaubte“. 1 ) 

Charakteristisch ist sein Wort: „Ich bin Christ, aber 
Weltchrist, und solche muss es auch geben, denn in meines 
Vaters Hause sind viele Wohnungen.“ 1 ) 

An ein Leben der Seele nach dem Tode oder gar an 
ein jüngstes Gericht vermag der Kaiser — im Gegensatz 
zu seinem Dichter — anfangs nicht zu glauben. Er meint, 
„der nimmermüde Geist des Menschen habe den Thron des 
Richters und den Richter nur in das Nichts gesetzt, damit 
die Öde nicht zu öde sei“ (III, 8). Immermann empfand 
selbst ein tiefes Grauen vor dem unermesslichen Nichts 
und eine Furcht vor der Vergänglichkeit, die in ihm das 
Bedürfnis nach dem Unsterblichkeitsglauben erregte. 

Trotzdem hat der kaiserliche Freigeist etwas Aber¬ 
gläubisches, er vertraut auf die Sterne, wie historisch über¬ 
liefert. Freilich spielt hier diese Eigenschaft nicht die 
grosse Rolle, wie im „Wallenstein“, wo den Sternen 
die „grössere Hälfte von des Helden Schuld zugewälzt“ 
wird. Auch möchte Friedrich gern auf Wunder hoffen, 
wenn er sich nur nicht selbst des Glaubens daran be¬ 
raubt hätte. 

Gegen die Kirche und ihre Institutionen hat er im 
(»runde nichts; er will sie „gross und glücklich“ wissen: 
„Die höchste Ehre schmücke Rom! Die sieben Hügel 
Seien das Heiligthum der Menschheit und 
Das Haus Sanct Peters Aller Vaterhaus! 

Ich selber will der erstgeborne Sohn 
Der hohen Mutter sein.“ (I, 7.) 

Er bestreitet ihr aber mit voller Entschiedenheit die welt¬ 
liche Herrschaft, die ihm allein gebühre. Als es ihm klar 
wird, dass ihm das Glück für immer den Rücken gekehrt, 
geht eine Wandlung in ilnn vor: 


*) Fellner 8. «4. 



— 1)4 — 


„Was ist es nur? Welch’ Zauber macht den Feind 
So riesenstark? In welches Räthsels Abgrund 
Fühl’ ich mein krankes Leben niedertauchen ? u (III, 5.) 

Dem Kampfesmüden kommen vor der gewaltigen 
Macht der Kirche, die sogar den Frieden seines Hauses 
untergraben konnte, Zweifel, ob er richtig gehandelt. 
Die Entfremdung seiner Söhne giebt den Ausschlag für 
die gänzliche Veränderung seines Innern. Gewissensbisse 
regen sich in ihm, und er meint, in seinem Hochmut 
„Gottes Geist auf Erden bekriegt“ zu haben, der sich jetzt 
fürchterlich an ihm räche. Der persönliche Gott drängt 
sich ihm jetzt auf, als Richter steht er vor Friedrich und 
zwingt ihn, an das Gericht zu glauben. Nur vor dem 
verhassten Oktavian noch hält ihn sein Stolz aufrecht; 
dem milden Kirchenfürsten von Palermo, der ihn schützend 
in seine Mauern aufgenommen, öffnet er sein Herz. Nicht 
als ein Gebrochener stirbt er; er sieht zwar sterbend ein. 
dass sein Glaube an den ewigen Glanz der Majestät ein 
Irrtum war, aber er bedauert ihn nicht, denn: 

„Göttlich war der Irrthum“. 

ln diesen letzten Worten des Kaisers betont Immer- 
mann, dass er auch in „Kaiser Friedrich II.“ die Tragödie 
„eines grossen und ungeheuren Irrthums“ l ) geschaffen, 
eine Form, die ihn besonders interessierte. Das Voll¬ 
endetste, was er in dieser Art geleistet hat, ist die Trilogie 
„Alexis“. 

Von einer eigentlichen Schuld, wie bei Wallenstein. 
können wir bei Kaiser Friedrich nicht sprechen, sie läge 
denn vor dem Drama und wäre in seinem Verhältnis zu 
Bianca Lancia zu suchen. Er geht nicht unter, weil er 
schuldig, sondern weil er eine tragisch-gefährliche Natur 


') Fellner, (Jesehichte einer deutschen Musterböhne. Stuttgar: 
Cotta. 1888. 8. <>»>. 



ist. Enzius (A. V, 4) und Thaddaeus (B. II, 12) sehen 
freilich Friedrichs Hybris als Grund zu seinem Unter¬ 
gänge an. 

Das Tragische für Kaiser Friedrich besteht vor allem 
darin, dass die Mehrzahl seiner Zeitgenossen seiner freien, 
grossen Weltanschauung nicht reif ist; an seiner Toleranz 
geht er zu Grunde. Wie Wallenstein, besitzt auch er ein 
„geheimes Bedürfniss zu ehren und zu vertrauen“, 1 ) das 
gerade zu seinem Verderben fuhrt. In seiner Arglosig¬ 
keit und Offenheit ist er den Ränken und Schlichen eines 
Qktavian, eines Gherardo nicht gewachsen. Er weiss 
nichts davon und kennt daher nicht diese geheimen, furcht¬ 
barsten Gegenmächte. Felonie, Vertrauensbruch berührt 
ihn am tiefsten, denn das erschüttert seinen Glauben an 
den „Adel unseres Wesens“, an die „Würde der Natur“. 
Er, der selbst derartiger Verbrechen unfähig ist, schliesst 
in „liebevollem Irrthum“ von sich auf andere. Immermann 
sagt von seinem Helden: „Er befindet sich in einer ganz 
schiefen Stellung zur Welt“ ; a ) ich meine, dass hier die 
Form des Tragischen hineinspielt, die Volkelt 3 ) als „die 
Tragik der dem Leben nicht mehr gewachsenen Innerlich¬ 
keit“ bezeichnet. 

Ich habe schon in Kap. III auf die Fortschritte in der 
Charakteristik des Kaisers hingewiesen. Die Linien werden 
immer gleichmässiger und sicherer, der Monarch tritt be¬ 
stimmter und mit mehr Selbstbeherrschung auf. Trotzdem 
viele Fehler verbessert sind, finden sich doch auch in 
dieser Hinsicht in C. noch einige Missgriffe, die nicht ab¬ 
zuleugnen sind. Niedrig und als Friedrichs unwürdig zu 


*) Freytag S. 235. 

*) Putlitz Bd. I, S. 185. 

®) Volkelt, Franz Grillparzer als Dichter de» Tragischen. 
Nördlingen 1888. 8. 45. 



— 9 <; 


verwerfen ist es z. B., wenu Immermann diesen sagen 
lässt, den Kardinal treibe nur der Wunsch nach persön¬ 
licher Rache gegen ihn ins Feld. Er habe ihn einmal 
einen „Elenden“ genannt, und das könne er ihm nie ver¬ 
gessen. 

Tadelnswert ist ferner, dass Friedrich sich selbst (II. 9) 
als bedürfnis- und selbstlos charakterisiert. Den schwersten 
Fehler sehe ich aber in dem Verheimlichen von Roxelanes 
Abkunft, welches das erregende Moment für die Familien¬ 
tragödie wird. Er, der die ihm vorgeworfene Verfasser¬ 
schaft des Buches „De tribus impostoribus“ (III, 9) nicht 
ableugnet, er, dessen Ideal das Morgenland ist, 

„Wo heitre Weisheit kränzet helle Tage, 

Wo der Prophet sein lichtes Reich gegründet 
Auf frohen Rausch beherzter Männerbrust“ (II, 7). 
er, dersein Kind freimütig und tolerant in mohammedanischem 
Glauben hat erziehen lassen, wagt nicht, seine Vaterschaft 
zu bekenuen, weil er es „mit wunderlichen Köpfen“ zu 
thun habe, die es ihm „bitterlich verdächten, dass solch 
ein schönes, liebes Kind ihm blühe“. (II, 7.) Dass der 
Kaiser Manfred selbst nach der heftigen Scene, in der er 
des Sohnes höchste Liebesleideuschaft erfahren (III, 9. 
keine Aufklärung giebt, wurde von fast allen Zeitgenossen 
als grosser Mangel empfunden. Immermanns Verleger. 
Campe, schrieb in richtigem Gefühl: „Mir will es scheinen, 
dass der sonst so offene Friedrich einen grossen Teil des 
Interesses einbüsst, das seine Gradheit in Anspruch ge¬ 
nommen hat.“ 1 ) 

Diese „Kleinigkeit des entscheidenden Motivs“, die 
sich übrigens in fast allen Dramen Immermanns, besonders 
im „Trauerspiel in Tirol“, in den „Opfern des Schweigens' 

l ) Campe an Immermann, Hamburg den 28. September 1 m n 
B isher ungedruckt (im <>.- und Soli.-Archiv). 



— <)7 


uud im „Alexis“ findet, lässt die „Handlung als Willkür“ 
erscheinen und „erregt Zorn, nicht Mitleid“. 1 ) — Auch 
liier kann man von „Opfern des Schweigens“ sprechen. 

Klein 2 ) verlangt, der Dramatiker solle Friedrich 11. 
als „den von iuneren Seeleustürmen durchschüttelten 
Actionshelden“ darstellen, solle in ihm „den abgrund¬ 
tiefen Erschütterungsaufruhr als Wiederhall des äusseren 
Thatensturmes“ schildern, „wie bei Erdbeben das unter¬ 
irdische Toben die atmosphärischen Organe verkündet“. 
Sein „Grossthateuwerk“ müsse vom Epiker „verherr¬ 
licht“, vom Dramatiker aber „mit sühnenden Bann¬ 
blitzen überschüttet“ werden. 

Dieser Forderung ist lmmermaun zum Teil uachge- 
kornmen: er hätte sie vielleicht ganz erfüllt, wenn er die 
geplante Trilogie ausgeführt und uns in den ersten Teilen 
den Aktionshelden in seinem Thatensturm dargestellt hätte. 
Wenn Klein im folgenden gegen die Dramatiker eifert, 
die Kaiser Friedrichs II. Lebenswerk „mit allen Glocken 
des dramatischen Dialogs ausläuten, und darunter die 
Grabesglocke am feierlichsten, schallendsten des Kaisers 
Heldenruhm verkünden lassen, die Lüfte erschütternd, 
nicht aber unser Geraüth, das Ohr mit Bimbamjamben 
durchbrausend, aber kein Wehgefühl, keine tragisch schmerz¬ 
liche Trauer, keine Thräne — diese Taucherglocke voll 
emporgeholter Herzensperlen — keine Schmerzensthräne 
locken aus der Tiefe unserer von Furcht und Mitleid be- 
irängten und erschütterten Seelen,“ und wenn er dann 
’ortfährt: „Das Schlimmste dabei ist für den Helden, dass 
enes Kuhmgeläute von keiner Schillerglocke erschallt, 
ondern meist von Hanswurstkappen, deren Schellen Maul- 
sclglocken“, so kann er dabei unmöglich an Immermann 


1 ) Fellner S. 385. 

*) Klein, Geschichte des Dramas. VII, S. 870. 

Imm^rinannK ..Knis«*r Friedrich der Zweitf k \ 



— 08 — 


gedacht haben, wohl aber an Raupach, dessen beiden 
Manfreddramen 1 ) er auf den folgenden Seiten gelegentlich 
der Besprechung von Marencos „Manfredi“ 2 ) eine kräftige 
verdiente Abfertigung zu teil werden lässt. 

b) Der Kardinal. 

Das Gegenspiel ist, sehr zu Gunsten der Kiuheit 
des Dramas, fast in einer einzigen Gestalt, dem Kardinal 
Oktavian Ubaldini vereinigt. Dies wirkte bestimmend 
auf die Charakteristik dieses Mannes. Da der Dichter den 
Papst nicht selbst auftreten liess, musste er dem Kardinal 
eine Stellung geben, welche der des Kaisers ungefähr 
gleichwertig ist. So griff denn Immermanu zu dem päpst¬ 
lichen Breve und dem Motiv der Machtübertretung, wo¬ 
durch Ubaldini zur selbständig handelnden Person wird. 

Oktavian sollte anfangs abhängiger vom Papste dar¬ 
gestellt werden, darauf weist die Sendung des Ambrosius 
nach Rom. Deunoch zeigte der Dichter schon damals in 
ihm daa Bestreben, Innocenz zu beherrschen und zu be¬ 
stimmen, insofern er z. B. den Kardinal seine Botschaft 
nach Rom mit den Worten enden lässt: 


*) „Manfred, Fürst von Tarent.“ Historisches Drama in fün: 
Aufzügen und einem Vorspiele (Dramat.W. ernst. G. Bd.XI) und „König 
Manfred“. Historisches Drama in fünf Aufzügen und einem Vor¬ 
spiele. (Bd. XII.) Sie gehören zu den geringsten des Cyklus. Viele 
der auftretenden Personen sind im Drama ganz überflüssig und nur 
der geschichtlichen Überlieferung wegen da. 

a ) Die „Tragedie inedite“ Marencos, die Prati nach des Dichter- 
Tode herausgab (Firenze 185 H), enthalten ausser „Manfredi“ noch dre; 
andere Hohenstaufendramen: „Arnaldo“ (behandelt die Geschichte 
Arnolds von Brescia, in welche die Gestalt Barbarossas bekanntln n 
hineinragt), „Arrigo di Suevia“ (giebt die Empörung Heinrichs gee» r. 
seinen Vater Friedrich II.) und „Corradino di Suevia“. 



— 90 — 


„Darum ersuch’ ich Seine Heiligkeit 
Sie wolle niemand glauben, als wen ich, 

Hörst du, — wen ich zum Vatikane sende. 44 

In der Fassung C. wirkt Ubaldini als Gegenmacht viel 
unmittelbarer, als z. B. Schillers Oktavio Piccolomini, der 
zwischen sich und Wallenstein noch verschiedene andere 
Gegenmächte, vor allem Buttler, stellt, und (wie Volkelt 1 ) 
zeigt) obenein noch „nach rückwärts auf den kaiserlichen 
Hof als entferntere und hintergrundartige Gegenmacht 14 
hinweist, ein Rückhalt, der dem Kardinal bei seinem 
Handeln ebenfalls fehlt. Oktavio Piccolomini erscheint 
durch das Pflichtgefühl, 2 ) das ihn den Freund aufzugeben 
zwingt, gehoben. Immermanns Kardinal dagegen ist 
fast nichts als ein „kalter Iutriguant. der über einem Ver¬ 
trauenden das Netz zusammenzieht, 442 ) und seine Berechti¬ 
gung als tragische Gegenmacht ist durch seine raffinierte 
Schlechtigkeit beinahe gefährdet. — Raupachs schurkische 
Pfaffen bilden fast immer eine ganz unberechtigte Gegen¬ 
macht. 

In der älteren Fassung ist dieser Mangel noch nicht 
fühlbar. Der Charakter Oktavians ist dort weiter ausge¬ 
staltet und hat eine wärmere Farbe als in der letzten 
Redaktion, wir werden Zeuge der grossen Seelenkämpfe, 
die sich in seinem Innern vor der Veröffentlichung der 
Bannbulle abspiel^n, und sehen, wie auch er, gleich dem 
Kaiser der älteren Fassung, unter dem Zwange, sich ver¬ 
stellen zu müssen, leidet. Die aus technischen Gründen 
vorgenommenenKürzungen in der letzten Fassung haben zwar 
der Gestalt geschadet, waren aber um so nötiger, weil 
das Motiv der Machtübertretung im weiteren Verlaufe des 


’) Volkelt, Ästhetik (los Tragischen. S. 116. 

*) Frey tag S. 266. 

7 * 



- 100 — 


Dramas nicht wieder aufgenommen wird, und dies Ver¬ 
gehen keine eigentliche Sühne findet. 

Ein Gran von Mitleid freilich ruft auch er iu uns 
wach, und das giebt ihm eine gewisse Berechtigung. Wir 
erfahren nämlich (I, 0), wie er zu dem geworden, der er 
jetzt ist. Er hat seinen Beruf nicht mit Leib und Seele 
ergriffen, er, dem Entsagung etwas Fremdes, und der 
immer nur an sein eigenes Selbst denkt, hat sogar schwer 
unter ihm gelitten, so dass er beschloss, sich für alle Ent¬ 
behrungen, die ihm sein Amt auferlegt, schadlos zu halten, 
und den einzigen Lohn, der ihm winkt, die Herrschaft, 
ganz für sich in Anspruch zu nehmen. Sicherlich mischt 
sich in seinen Hass gegen Friedrich auch Neid; er würde 
wohl gern an dem sinnenfrohen Leben teilnehmen, das am 
Hofe des Kaisers herrscht, wenn sein Stand es ihm uieht 
verböte. 

Sein Ziel ist der Sturz der hohenstaufisehen Macht, 
wozu ihn allein selbstische Herrschsucht und nicht reines 
Interesse für die rechtgläubige Kirche treibt. Im Bewusst¬ 
sein seiner geistigen Bedeutung denkt er gering von 
den Menschen und hasst ihre Thorheit, weiss sie aber au>- 
zunutzeu. 

(B. II, 13: „Gottschuf denNarren, dass er dem Klugen nütze. 

Von höchstem Ehrgeiz erfüllt, braucht dieser beredte, 
kluge Mann, dessen Moral ich eine Vorahnung der Jesuiten¬ 
moral neunen möchte, um zu seinem %ele zu gelangen, 
die niedrigsten Mittel, wie die Verbreitung von Lügen. 
Anzettelung von Streit und Zerwürfnis iD der Familie 
seines Gegners, durch Sendung falscher Botschaften u. s. w.. 
indem er jeden Treubruch seinerseits mit dem Worte 
„haereticis non est servanda fides“ bemäntelt. Dabei sucht 
er heuchlerisch nach aussen hin immer den Scheiu zu 
wahren. — Besonders charakteristisch für ihn ist die Scene. 




101 — 


in der er den ehrlichen Bernardo Rossi zum Abfall vom Kaiser 
überredet (II, 1), sowie die Worte, die zwischen ihm und 
Ambrosius (1,1. S. 169/170) gewechselt werden. Äusserst ge¬ 
wandt und vorsichtig, ein scharfer Beobachter, weiss er alles 
für sich zu benutzen. Freilich versteckt sich „die Fuchs¬ 
list dieses intriguirenden priesterlichen Diplomaten“, 
schreibt der Recensent der Leipziger Litteraturzeitung, 1 ) 
„nicht immer, wie sie sollte, seine pfäffische Gewandtheit 
hält nicht immer Takt. Die erste fällt nicht selten mit 
der Thür ins Haus und verdirbt sich selbst ihr Spiel; die 
andere geht nicht selten unbeholfen zu Werke. Sie er¬ 
schrickt, giebt sich blos, rettet sich nur durch einen 
Gewaltstreich, der sie in neue Verlegenheiten stürzt. 
Kämen ihm nicht Glück, günstige Zufälle zu Hülfe, schwer¬ 
lich vollendete er mit dem Erfolge, der ihm wird. So 
ist es nicht sein Verdienst, sondern das Verdienst 
der ihn begünstigenden Umstände, die den Sieg in seine 
Hände geben.“ 

Er ist durchaus nicht von den Lehren der Kirche 
erfüllt und haftet nicht am Dogma, das ihm nur Mittel 
zum Zweck ist. Im Grunde denkt er ähnlich frei wie 
Friedrich. Wunder z. B. giebt es für ihn nicht, wenn er 
auch des äusseren Scheines wegen daran zu glauben vor- 
giebt. Er strebt nach der Tiara und sieht sich im Ge¬ 
danken selbst schon auf St. Peters Stuhle sitzen, ja selbst 
an die Kaiserkrone scheint er, wenn man zwischen den 
Zeilen zu lesen versteht, zu denkeu. 

c) Die übrigen Charaktere. 

Enzius, 2 ) ein schöner, stets zu Spiel und Tanz bereiter, 
bei den Frauen beliebter Jüngling, ist Friedrichs Lieblings- 

’) Nr. 64 des Jahrgangs 1831. 

*) Enzius’ Geschick ist das Hauptthema verschiedener Dramen. 
Im Jahre 1828 beschäftigte sich in Deutschland Eduard Mörike 



— 102 — 


sohn, „weil er den Vater nie durch einen Athemzug ge¬ 
kränkt“. Ursprünglich hatte Immerraann die Absicht, ihn 
von einer gewissen Zuneigung zu Roxelane ergriffen zu 
zeigen, von einer Zuneigung, die er angesichts der 
Konfession des Mädchens zwar als Frevel erkennt, die 
niederzukämpfen ihm aber schwer wird. (Vgl. PI.) Der 


mit dem Stoff. Obwohl ihm die Seenen, die er geschrieben. ..hin¬ 
sichtlich des individuellen Charakters der Zeit“, den er „sicher 
herausgefühlt“ zu haben glaubte, den Mut nicht eben ganz benahmen, 
stellte er seine Arbeit doch ein (s. Brief an Mährlen v. 7. Mai 1829 — 
mitgeteilt von Rud. Krauss, Litterar. Echo II, Sp. 1118). 

Raupachs „König Enzio, historisches Drama in fünf Auf¬ 
zügen und einem Vorspiele“ (dramat. Werke e. G. Bd. XI), erreichte 
von allen Teilen des Cvklus die grösste Anzahl von Aufführungen, 
ist aber poetisch sehr geringwertig. Wenn Gottschall (Deutsche 
Nationallitteratur III, S. 439) rühmt, dass aus Raupachs „Hohen¬ 
staufen“ ein münnlicher Geist spreche, so trifft das auf „König Enzio“ 
nicht zu; vielmehr herrscht in diesem Stück das weibliche Element, 
das Lyrisch-Idyllische, das damals „als das einzig Poetische von allen 
Gattungen der Poesie“ (Otto Ludwig Bd. V, S. 56) bevorzugt wurde. Die 
Sprache ist glatt. Als die einzige leidlich gelungene Figur ist der 
philosophierende Leichenpfleger Filippo anzusehen, der von der Kritik 
über alle Massen gepriesen wurde. Der Grund für die Beliebtheit 
des Stückes liegt in dem romanhaften Stoff, der eine grosse An¬ 
ziehungskraft ausübte, sowie in dem Umstand, dass das Drama keiner¬ 
lei Anforderungen an das Publikum stellt. Schade, dass so vieh- 
treffliche Mimen ihr Talent daran verschwendet haben! Ein Bild der 
Schlussscene wurde als Kupfer dem unter dem Titel „Penelope“ er¬ 
scheinenden Taschenbuch für das Jahr 1833 beigefügt. Für <li* 
Aufführung des „König Enzio“ im Leipziger Stadttheater schrieb der 
junge Richard Wagner eine Ouvertüre, die im Manuskript das Datum 
des 3. Februar 1832 trägt. Auch Immermann sah sich genötigt, dem 
Publikum eine Konzession zu machen, und diesem Stück seine 
Musterbühne in Düsseldorf zu öffnen. Er und Grabbe dachten sehr 
gering davon. Im Berliner Theater-Almanach auf das Jahr 1837 
(herausg. von Alex. Cosmar. II. Jahrgang, S. 1—60) findet sich 
eine Parodie auf Raupachs Drama unter dem Titel „Enzian“, eie* 
Burleske in zwei Akten und einem Vorspiele von Albini. An die«- 



— 103 — 


Dichter wäre so der berechtigten Forderung nach ge¬ 
mischten Charakteren, die wir an ihn stellen, näher 
gekommen, und Enzius wäre nicht der reine Tugendheld 
geworden, der er jetzt ist. Die Änderung geschah zu 
Gunsten des schärferen Gegensatzes gegen Manfred und 
der bestimmteren Betonung von Enzius’ Bedeutung im 


schloss sich Ininiermanns Satire im „Münchhausen“ (Werke 1, S. 29) 
an. Nur wenig später erschienen in einigen Nummern des 
Beurmannschen Telegraphen vom Jahre 1837 Bruchstücke eines 
Knziodramas, dessen Verfasser der seiner Zeit so beliebte Roman¬ 
schriftsteller Heinr. Jos. König war. — Raupachs Darstellung 
von Enzios Fluchtversuch, die Wahl des Sarges statt des überlieferten 
Fasses, wirkte auf Gustav Schilling („König Enzio“. Grosse Oper in 
zwei Akten, Musik von Thomas Täglichsbeck, Karlsruhe 1843) und 
A. B. Dulk („König Enzio“. Grosse Oper in vier Akten, Musik 
von J. J. Abert, Stuttgart 1862). Schillings ganz mittelmässiger Text 
schliesst sich eng, oft sogar wörtlich an Raupach an, ohne dass 
Schilling Raupachs Namen nennt. Dulks Text ist selbständiger. 
Das Libretto zu B. Randliartingers Oper „König Enzio“ 
(ca. 1850) blieb mir unbekannt. 

Am besten hat den Konflikt zwischen Pflicht und Liebe in des 
Königsohnes Brust P. M. Mainländer in dem ersten „König Enzo“ 
betitelten Teile seiner Trilogie „Die letzten Hohenstaufen“ (Leipzig, 
bei Heinr. Schmidt und Karl Günther, o. J. [1876]) dargestellt, einem 
Werke, dem man dichterischen Wert nicht absprechen kann. Auch 
die Technik wird von dem Verfasser, der in unseren Klassikern 
wurzelt, gut beherrscht. — Weit unter diesem Drama steht: „König 
Enzio.“ Dramatisches Gedicht in 2 Akten von L. Calmoleone 
(Triest 1900), das vor Raupachs Enziodrama wenig mehr als die 
Kürze voraus hat. Das Paul Heyse gewidmete Stück fusst auch 
noch auf Münchs Monographie und ist, wie die früheren Drama¬ 
tisierungen des Stoffes, nicht frei von eingestreuter Lyrik. - • Die 
Geschichte Enzios ist viel eher ein Romanzen- als ein Dramenstoff, 
sie wurde daher noch häufiger in Balladen- oder Romanzenform be¬ 
sungen. Besonders glücklich erscheint mir der Roraanzencyklus 
„Konung Enzio“ des Schweden C. A. Nicander, der das erste 
Heft von dessen „Nya Dikter“ füllt. (Stockholm. Trvckte hos Jolian 
Hörberg, 1827. P a Normans et Engströms förlag, gr. 8.) Das dem 



104 — 


Drama. Soll doch dieser das Bindeglied sein zwischen 
dem kirchlichen Gegenspiel und den Mächten, die »ich 
gegen den Kaiser in dessen eigener Familie erheben, inso¬ 
fern in ihm die Macht der kirchlichen Lehre die Knt- 
fremdung von seinem Vater bewirkt! An Roxelane 
empfindet er nur ein ästhetisches Wohlgefallen, er hält 
sich gern bei ihr auf, er r freut sich ihrer Pracht“, begehrt 
sie aber nicht. Keine Leidenschaft mischt sich in sein 
Verhältnis zu ihr. Der Konfessionsunterschied spielt für 
ihn eine solche Rolle, sein Glaube, den er für den allein¬ 
seligmachenden hält, beherrscht ihn unbewusst so stark, 
dass leidenschaftliche Gefühle zu ihr gar nicht rege in ihm 
zu werden vermögen. Er ist nicht stark genug, um sich, 
wie Friedrich, von den Banden des Dogmas zu befreien, 
er bedarf eines solchen Anhalts, und so beurteilt er denn 
auch von seinem streng dogmatischen Standpunkte aus 
das Verhalten des Vaters. Es ist ihm fast undenkbar, 
wie der deutsche Kaiser christlichen Bekenntnisses seine 
leibliche Tochter muhammedanisch erziehen lassen konnte. 
Friedrich hat dadurch eine weite Kluft zwischen sich und 
seinem Sohne aufgethan, und dieser weint um seines Vaters 
Seele. Enzius’ Verhalten zum Kaiser erinnert uns in ge¬ 
wisser Weise an das des Max Piccolomini zu Wallenstein. 
Tausend Liebesbande fesseln ihn au Friedrich, aber trotz¬ 
schwedischen Thronfolger gewidmete Werkchen hat Gottl. Mohnike. 
als Tegnerübersetzer bekannt, frei nachgedichtet und seinerseits 
dem preussischen Kronprinzen, einem grossen Verehrer des Mittel¬ 
alters, zugeeignet. (König Enzio, der letzte Hohenstaufe. Ein lyrisches 
Gedicht in Romanzen. Nach Nicander von Mohnike. Stralsund, bei 
Willi. Trinius. 1829.) Im Einzel-Gedicht hat Conr. Ferd. Meyer 
mit der Romanze „Die gezeichnete Stirne“ das Bedeutendste geleistet. 
Novellistisch behandelte den Stoff zu gleicher Zeit Friederike 
Lohmann im „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen aut d<^ 
.lahr 1829“ (Leipzig, bei Voss, S. S 82) unter dem Titel „Der 
Gefangen e“. 



105 — 


dem kann er dessen Verhalten nicht gut heissen, und 
wendet sich von ihm. 

Dabei ist Enzius durchaus nicht schwächlich. Auf 
die wilden Reden Manfreds weiss er die gebührende Ant¬ 
wort zu erteilen und Roxelane vor dem Wüterich zu 
schützen; in der Schlacht steht er seinen Mann. Auch 
sonst zeigt er sich ganz hohenstaufisch, stolz, doch ohne 
von Hass erfüllt zu sein, lehnt er Marinus’ Ansuchen, noch 
einmal zum Bruder zu schicken (IV, 5), ab, und selbst¬ 
bewusst weist er bei seiner Gefangennahme (IV, 12) den 
ihn unwürdig behandelnden Kardinal auf seine Königs¬ 
würde hin. Er ist stets Herr seiner selbst, klug und be¬ 
dacht hält er sich Octavian gegenüber zurück, da er 
ihn durchschaut. Ja, im Vergleich zu Manfred erscheint 
er oft kühl und nüchtern, so hat er zum Beispiel für die 
hohen Ideen seines Vaters kein Verständnis, fühlt darum 
auch selbst, dass er der grossen Liebe, mit der ihn dieser 
überschüttet, eigentlich nicht würdig ist. 

In den älteren Redaktionen war Euzius, wie fast alle 
Figuren, weicher gehalten. Den Vorwurf der Nüchtern¬ 
heit können wir ihm nicht machen, wenn wir seinen warm¬ 
herzigen Schwur in der Krouenscene hören, und ein ander¬ 
mal Zeuge werden, wie er um Manfreds Liebe wirbt, ihm 
grossmütig sogar seine Krone anbietet (b. III. 1). Selbst 
ein so hartgesottener Sünder, wie Gherardo, bedauert, ihn 
verraten zu müssen. Schwächlich erscheint er zum Teil 
in der Kerkerscene. Anfangs ist er erfreut über die ihm 
winkende Freiheit, als er aber im Gespräch mit Roxelane 
wieder an die Familientragödie erinnert wird, verliert er 
den Willen zum Leben und begehrt nicht mehr, in die 
Leidenswelt zurückzukehren. Nicht aus Selbst-, sondern 
aus Mutlosigkeit weist er die Fluchtgedanken ab. Er 
nimmt etwas Christusartiges an, und redet die Sprache 
der Bibel. 



Ehrliebend und selbstlos zeigt er sich bei dem Be- 
freiungsversuch Roxelanes, wie wir von dieser (V, 3) er¬ 
fahren : 

„Dem Vater, sagt er, kann der Sohn nicht frommen. 

Der solch ein Opfer schmachvoll angenommen“: 

und: 

„Der Mensch soll Niemanden für sich, 

Nicht den Geringsten für sich leiden lassen: 

Und ich gäb’ Dich den Feinden, die uns hassen?“ 

Wenn der Kaiser ihn (V, tf) ein „glanzumfloss nes 
Heil’genbild“ nennt, so erinnert das an die ältere Redak¬ 
tion, wo, wie gesagt, Enzius’ Leiden breit dargestellt ist. 
und wo er fast an Calderons „standhaften Prinzen“ mahnt. 

In scharfem Gegensätze zu Enzius steht sein Bruder 
Manfred, 1 ) bei dem sich das heisse italienische Blut 

’) Fast noch öfter als die Geschichte Enzios ist die Miuitml- 
dramatisch dargestellt. Vor Raupachs beiden Manfreddramen er¬ 
schien Fried r. Wilh. Rogges fünfaktige Tragödie „K ö n i g 
Manfred“ (Göttingen 1833), die, zumal technisch, sehr schwach is 
Das geschickteste Manfreddrama ist Oswald Marbachs „Papst 
und König oder M aufred der Hohenstaufe“, da> uucli 
heute noch auf der Bühne wirken würde. In der Zeit, wo Staat 
und Kirche in Fehde lagen, im Jahre 1836, fand in Leipzig die Er?t- 
aufführung statt; bald darauf verbot es die Wiener Theatereen?ur. 
Als das Thema in den siebziger Jahren wieder aktuell wurde, lies? 
der Autor für Reklams Universalbibliothek (No. 608) einen Abdruck 
einer kleinen Ausgabe herstellen, die er 1843 „zur Mittheilung an 
Freunde und Gönner dramatischer Kunst“ veranstaltet hatte. Der 
Mittelpunkt des Dramas ist das von der Kirche durch niedrige 
Mittel geschürte Zerwürfnis zwischen Manfred und seinem Schwager 
Caserta. Manfred wird unschuldig der Blutschande und des Ehe¬ 
bruchs geziehen. Die einzige Schuld, von der man bei ihm sprechen 
könnte, und die der Autor nach der alten verkehrten Anschauung 
nicht entbehren zu können glaubte, ist eine gewisse Überhöhung 
Richard Wagners Operntextentwurf „Die Sarazenin“ (s. unten) fäll: 
in die Jahre 1842.43. — Auch Friedrich Roeb e r arbeitet in seinen; 



107 


seiuer Mutter nicht verleugnet. Ist jener bedacht, ruhig 
und kühl, so ist dieser äusserst impulsiv, lebhaft, leicht 
zum Zorn und zur Eifersucht gereizt, aber eben so leicht 
wieder bereuend. Hängt Enzius fest an der Lehre der 
Kirche, so steht Manfred ihr gleiehgiltig gegenüber; der 
Himmel, der ihn erwartet, ist ihm langweilig, und gern 
will er, um Roxelanes Liebe zu gewinnen, auf die Gefahr 
der Verdammnis hin, den Turban und den krummen Säbel 
nehmeu. 

Auch er pflegt Spiel und Gesang, aber das Hauptge¬ 
biet seiner Thätigkeit liegt auf dem Schlachtfelde; erst 
wenn die Trompeten klingen, ist ihm wohl; glühend hasst 
er den Feind. 

Operntext „König Manfred“ (Musik von Carl Reineeke. Leipzig 
1867) mit dem Begriff der tragischen Schuld. In den ersten Akten 
schildert er Manfred als lebensfreudigen „rosenbekränzten Dionys“, 
wie er zu der zur Könne bestimmten Ghismonde in Liebe entbrennt 
und so an seiner Gattin zum Verräter wird. Erst spät erkennt er 
seine Schuld, da erreicht ihn aber schon das Verhängnis in Gestalt 
Karls von Anjou. Die Anlage steht unter der Marbachs, ist abereben- 
falls geschickter als bei Rogge und Raupach. — Nicht zugänglich 
waren mir: „König Manfred“, Trauerspiel in 5 Aufzügen von 
Beatus Nezer (Zürich 1847) und „K ön i g M a n f re d“, Trauerspiel 
in 5 Aufzügen von Ko pp (Luzern 1866). Über letzteres s. Wiener 
Litteraturzeitung 1866, S. 134. — ln dem zweiten Teile von Mai¬ 
länders Trilogie (Anm. 1 aufS. 101 ff.) „König Manfred“ ist die 
Mache sehr geschickt. Als Dichtung ist dies Drama aber weniger 
gelungen, als der „König Enzo“ desselben Verfassers. Manfreds 
zwiefache Schuld fällt in die Zeit vor dem Stück; sie besteht erstens 
in der Verführung von Casertas erster Gemahlin Cäcilia (das Blut¬ 
schandemotiv ist also vermieden), ferner darin, dass Manfred um den 
Mordanschlag auf seinen Bruder Conrad wusste, ohne ihn zu ver¬ 
hindern. 

Enrico, Manfreds Erstgeborener, ist der Held in Willi. 
Kulimanns „romantischer“ Tragödie „Manfreds Söhne“ 
( Wiesbaden 1876). Obwohl der Dichter ausgetretene Pfade geht und 
zuweilen etwas weitschweifig wird, soll ihm Talent nicht aberkannt 
werden. 



108 — 


Wie alle starken Naturen, reizt ihn gerade das Zarte. 
Schwache, sich Anschmiegende des Weibes, ihn lockt 
vor allem die Rolle des starken Beschützers (als der er 
sich hier freilich nicht zeigt), während Enzius’ Verhältnis 
zum Weibe mehr ein geistiges sein dürfte. 

Es verbindet sie beide Stolz und edle Gesinnung, 
denn letztere kann auch Manfred, trotz seiner Auflehnung 
gegen den Vater, nicht abgesprochen werden. 

Den Kardinal, der im Interesse der Kirche den Streit 
zwischen den Brüdern schüren will, weist Manfred stolz ah: 

„Priesters Arm 

Braucht Manfred nicht, zu scheuchen seinen Harra. u (I, 5.) 

Das Unrecht, das er gegen seinen Vater begangen, 
sieht er ein, und als dieser ihm nun Unrecht thut, rächt 
er sich nicht, sondern bringt den verwundeten Fürsten in 
Sicherheit. 

Nach dem Plan sollte Manfred von Thorheit und 
Schlechtigkeit nicht frei sein, und z. B. den Verrat an 
Enzius wirklich begehen. Noch in A. I, 4 ist er thörieht 
genug, dem Kardinal den ganzen Zwist, der ihn von Enzius 
trennt, vorzutragen. 

Seine Tragik ist, dass er gerade, als sich sein Charakter 
zum Guten gewandt und er den Vater reuig um Ver¬ 
zeihung bitten will, ungerecht von diesem verflucht wird, 
und obenein noch hören muss, dass die Geliebte, mn 
derentwillen er in die Schuld verstrickt wurde, seine 
Schwester ist: sein Charakter fällt bis III, 10 und steigt 
dann wieder. 

Um seines cholerischen Temperamentes willen hat ihn 
der Reeensent des „Gesellschafters“*) mit dem Fürsten 
Wlodimir in Raupachs „Leibeigenen“, 2 ) der ebenfalls mit 

') Juhrg. 1820, Nr. 12. 

-) „l>ie Leibeigenen oder Isidor und Olga“, Trauersp. in 5 Auf?. 
Leipzig !S2t). 



— 109 — 


dem Bruder um ein Weib kämpft, verglichen. Von dem 
Motiv, „feindliche Bruder in Liebe und Eifersucht“ darzu¬ 
stellen, dachte Immermann schon Ende des Jahres 1829 
weniger hoch. Er meint in einem Briefe an Beer nach 
dem Empfange von dessen „Bräuten von Aragonien“, 1 ) 
einem Drama, in dem in derselben Lage feindliche 
Schwestern geschildert werden: „Bei Männern kommt man 
in dem Sujet nicht über die Klippe hinweg, die in der 
Darstellung eines verschmähten Liebhabers liegt. Der ab¬ 
gewiesene Mann hat etwas Ödes und Peinliches, man fühlt, 
dass ein tragischer Held, der aus einem Korbe viel Wesens 
macht, kein rechter Held sei.“ 2 ) 

Den Namen der Roxelane, des dritten Kindes Kaiser 
Friedrichs, entlehnte Iramerraann von jener europäischen 
Geliebten und späteren rechtmässigen Gemahlin Sultan 
Solimans II., einer Gestalt, die vor allem durch Marmontels 
conte, 3 ) Favarts Lustspiel, 4 ) sowie dessen Nachahmungen 5 ) 
populär wurde. Immermaun hat seiner Roxelane den 
Zauberschleier der Poesie um das schöne Haupt gewunden 
und ihr ein sie prächtig kleidendes Gewand gegeben. Ein 
äusseres Mittel, dieser Figur poetischen Reiz zu verleihen, 
fand der Dichter im Reim, den er in jenen beiden Scenen 
einführte, die zum grössten Teil durch je eine Erzählung 
Roxelanes ausgefüllt werden (II, 7 und V, 3). 

Immermann empfand wie Friedrich Schlegel, dass der 
Reim „die tönende Charakteristik, das musikalische Ab- 


’) ,,Die Bräute von Aragonien“, Trauerap. in 5 Aufz. Leipzig, 
bei Brockhaua, 1823. 

a ) Düsseldorf, d. 15. November 1829. (Beers Br. S. 97.) 

*) Marmontel, Contes moraux. 1758—81. 

4 ) Favart, Les trois sultanes. 1781. (Vgl. „Hamburgische 
Dramaturgie, 33—36. Stück.) 

ft ) Über die verschiedenen Opern, welche den Stoff behandeln, 
s. Riemann, Opernhandbuch. 



110 — 


bild, einer lebendigen Persönlichkeit“ 1 ) sein könne. Dieser 
Schleier und dieses Gewand bedecken manche Schwächen 
der Charakteristik. Ich muss mich Goedekes Urteil 2 ! an- 
schliessen, dass Roxelane „auf der Buhne selbst entbehrt 
werden könne, da sie hier nichts thut; alles, wozu sie 
verbraucht wird, könnte mit ihr hinter den Coulissen ab¬ 
gemacht werden. Nur ein einziges Mal (IV, 7) zeigt sie 
einen Anflug von Willen, als sie ihr gegebenes Wort, für 
Manfred Fürbitte einzulegen, in hitziger Übereilung nicht 
achtet, sondern das gerade Gegentheil thut!“ Einen 
weiteren Mangel der Charakteristik erkenne ich in der 
Darstellung ihrer Liebe zu Enzius. So klar sein Verhält- 
nis zu ihr ist, so unklar ist das ihre zu ihm. Obwohl 
wir nach dem Vorhergegangenen annehmen müssen, dass 
Roxelane Enzius weit mehr als brüderlich liebt, ist sie 
durch die Kunde, dass er ihr Bruder, gar nicht erschüttert, 
freut sich im Gegenteil noch mehr. Naivität kann man 
als Grund nicht gelten lassen. (Lessing war so vorsichtig, 
an Recha nie Liebe zum Tempelherrn, sondern nur 
schwärmerische Bewunderung vor diesem zu zeigen. J > 
Daher machte ihm die Lösung keine Schwierigkeiten.) Glfn-k- 
lich ist in ihr die Mischung von hohenstaufischem und 
sarazenischem Blute dargestellt. „Seine schöue stolz*- 
Tochter“ nennt sie der Kaiser (V, 6); stolz ist sie, wie 
alle Kiuder Friedrichs, stolz auf ihren Vater, den sie aK 
den „geborenen Herrn der widerspenstigen Welt“ be¬ 
trachtet, stolz auf ihren Glauben und ihre Heimat (V. ■'*. 
S. *204). 


*) Sämtliche Werke. Wien 1S4C. B<1. V, S. 37— 38. 

■) Grundriss (1881) III, S. 49f>. 

T ) Sehiller als Dramaturg. Beiträge zur deutschen Litteratur- 
gesehiehte des achtzehnten Jahrhunderts von Albert Köster. Berl.r. 
hei Wilh. Hertz, 1891. S. 141. 



111 — 


Besonders stolz erscheint sie A. V, 5; sie will des 
Bruders Kuss, den dieser ihr einst versagt, nicht einer 
Mitleidsregung verdanken, 

„wie man sie 

Auch wohl empfindet für ein armes Thier.“ 

Eine Scene reiner Liebe, wie der Plan sie versprach, 
hat uns Immerraann hier also nicht gegeben. — Fesselung 
dünkt ihr die grösste Schmach, und um dieser zu ent¬ 
gehen, giebt sie sich den Tod. In den späteren Fassungen 
ist der Grund zu ihrem Selbstmord Weltmüdigkeit: 

„Was 

Soll ich in diesem Knäul von Wuth und Hass.“ (V, 3.) 

Die Geschwister tauschen die Rollen: In A. versagt 
Enzius aus diesem Grunde die Flucht aus dem Gefängnis. 

Selbstlosigkeit beweist Roxelane in der Bitte an den 
Kaiser, sie zu entlassen, und bei dem Versuch, Enzius 
zu befreien. Eine gewisse Erbitterung gegen das Land, 
uach dem sie verschlagen und gegen die Christen kann 
sie nicht unterdrücken. „Glühenden Boden“ nennt sie die 
Stätte, wo sie soviel Leid erduldet, und ungläubig bitter 
fragt sie den Pförtner, der ihr die Aufnahme in das Kloster 
trotz ihres Glaubens zusagt: 

„Ach, ist das wahr? Giebt es so milde Christen?“ 

Noch mehr in A.: 

„Ich aber will am Jordan 

Und unter Balsamstauden zu vergessen suchen. 

Dass ich bei Christen war“, 

und: 

„Ihr hasst und mordet, was zu Euch und Eurem 

Paniere nicht geschworen!“ — 

Immermann hatte im „Thal von Ronceval“ in Zoraide 
eine ähnliche Gestalt geschaffen, die ebenfalls wie Roxelane 
„Blume“ und „Rose“ angeredet wird, nachdem schon 



— 112 -- 


Novalis io seinem „Heinrich von Ofterdingen“ mit Zulima, 
die von ihrer morgenländischen Heimat nach Deutschland 
verschlagen wird, und Tieck in „Genoveva“ mit einer 
Zulma vorangegangen waren. 

In wirksamem Gegensatz zu dem Kardinal steht der 
greise Erzbischof von Palermo, dessen Auffassung 
von den Aufgaben der Kirche stark von der seines Amts- 
bruders abweicht. Schon bevor wir im fünften Akte seine 
Bekanntschaft machen, steht sein Bild durch das, was 
vorher (III, 3 und IV, 3) über ihn gesprochen worden, 
deutlich vor uns. Die Worte, mit denen der Greis sein 
Auftreten selbst einleitet: 

„Ein schöner Abend, gauz durchwürzt vom Hauch 

Der sanften Ruh’ und süssen Gottesmilde“, 
können wir auf ihn selbst und seineu Lebensabend be¬ 
ziehen. 

Er vollführt seine Thaten um ihrer selbst willen, 
nicht zu irgend welchem eigensüchtigen Zweck. „Er hat 
nicht unsern Ehrgeiz“, sagt Oktavian (B. II, 13. Von 
Immerraann am Rande hinzugefügt.) von ihm. Nein, den 
hat er allerdings nicht; aber er ist auch frei von eiueni 
anderen Ehrgeiz, den ihm der Kardinal andichtet, nämlich 
von dem, ein Heiliger zu werden. Er schaut nicht nach 
dem goldenen Reif aus; nur aus Bedürfnis thut er Gutes. 
An sich denkt er wenig, ihm liegt vor allen Dingen das 
Wohl seiner Mitgeschöpfe am Herzen, seien es nun die 
Pflanzen und Vögel in seinem Gärtchen, oder die seiner 
Obhut anvertrauten Menschen. Für sie setzt er alles 
ein, für sie vermag er zum Märtyrer zu werden. Seit» 
Wahlspruch lautet: 

„Es ziemt sich, solang’ wir wirken, handeln, 

An Andre mehr, als wie an uns zu denken.“ (V, t>.) 

Er weiss schon, bevor er den Kaiser aufnimmt, dass 
ihm das „böse Händel“ zeugen und sein Alter „in bittre 



113 — 


Unruh' stürzen“ kann, er kennt aber auch seines Heilands 
Wort und seine Pflicht, und scheut daher keine Gefahr. 
Wundervoll ist die stille Entschiedenheit, mit der er mutig 
die Auslieferung des Kaisers versagt, und die sich bis zu 
den lutherischen Worten steigert: „Gott helfe mir! Ich 
kann nicht anders.“ Die Persönlichkeit des greisen Kirchen¬ 
fürsten ist von grosser Wirkung auf die, mit denen er 
iu Berührung kommt. Ambrosius ist erbaut durch seine 
Erscheinung und fühlt „wunderbar sein Herz verwandelt“. 
In Manfred keimt, seit er ihn gesehen, plötzlich eine 
„junge, frische Hoffnung“ auf. und sein Friede strömt 
ihm zu. Selbst der Pförtner des Klosters zeigt iu seinem 
Verhalten der Heidin gegenüber die Wirkung, die sein 
Herr auf ihn ausübt. 

Man möchte glauben, dass Immermann, als er diese 
Gestalt schuf, abgesehen von litterarischen Vorbildern, 
der stille Mönch des San Marco-Klosters Fra Angelico da 
Fiesoie vorgeschwebt habe. 

Ziemlich roh gezeichnet und nur als dramatisches 
Werkzeug erscheint die Figur des Intriganten und Ver¬ 
räters Gherardo von Canale. In dem ursprünglichen 
Plan war dieser Gherardo nicht vorgesehen, er wurde erst 
in A. eingeführt, um Manfreds Schuld zu übernehmen. 
In A. und B. erscheint er als Abgesandter von Parma, 
in C. als Offizier des Kaisers, spielt aber in allen 
Fassungen dieselbe Doppelgängerrolle, die ihm trotz seines 
Scharfsinns schliesslich das Verderben bereitet. Er bildet 
ein Gegenstück zu dem etwas geschickter angelegten 
Priester Donay im „Trauerspiel in Tirol“. 

Ziemlich farblos ist des Kaisers besorgter Ratgeber 
Thaddaeus von Suessa. Wie Gherardo war auch er in 
den älteren Redaktionen auf mehr Töne gestimmt. Um 
so besser gelang Immermann Marinus von Ebulo, der 
zu den bestgezeichneten Figuren im Drama gehört. Marinus 

P«etj en, Immermann* „Kaiser Friedrieh der Zweite“. 8 



— 114 — 


ist ein biederer, ehrlicher Mann, der stets sagt, was er 
denkt, dabei mit grösster Treue zu seinem Kaiser hält. 
Man w&re versucht, wenn man seinen Namen nicht wusste, 
in ihm einen echten Deutschen zu sehen. Jedenfalls 
denkt er ganz deutsch, und hat einen Widerwillen gegen 
alle Welschen (A. III, 1 und 6), vor allem gegen Gherardo 
(b. III, 8), dessen Schlechtigkeit er instinktiv empfindet. 
Mit stoischer Ruhe schaut er allem zu, und wettert nur 
manchmal, wenn ihm die Kriegslast gar zu gross wird. 
Sein Atheismus wirkt in seiner Schlichtheit ergreifend: 

„Ich bin. siehst Du. 

Viel zu vernünftig für den Aberglauben. 

Die Sonne ist mein Gott, denn wenn die scheint. 

So wächst der Hafer brav, und wenn der wächst. 

So haben meine Pferde was zu fressen.“ <11. 8.) 

Marinus’ atheistische Gesinnung ist nicht abzuleugnm. 
Wenn er den Kaiser drängt, „die Heidin“ wegzusenden, 
so thut er dies nur im Bewusstsein, dass sie seinem Herrn 
schadet. — Dass er dabei den Namen Gottes braucht 
iS. 251), will erst recht nichts sagen, da auch Atheisten 
dies gedankenlos und gewohnheitsgemäss thun. 

3. 

Lokal- und Zeitkolorit. 

Auf das Lokal- und Zeitkolorit legte Immermann 
hier lange nicht so grosses Gewicht, wie z. B. im „Trauer¬ 
spiel in Tirol“ und im „Alexis“. Studien über den Schau¬ 
platz scheint er nicht gemacht zu haben, im Gegensatz zu 
Grabbe. der in seinen Hohenstaufendramen die Landschaft, 
lag sie nun im oberbayerischen Hochgebirge, im Harz oder 
im sonnigen Italien, so wundersam geschildert hat, grössten¬ 
teils, ohne die geschilderten Orte zu kennen. Hätte linmer- 
mann Beers Aufforderung, ihn im Winter 1*27 nach Italien 



— 115 — 


zu begleiten, Folge geleistet, so würde das Drama in dieser 
Beziehung davon Nutzen gehabt haben. 

Gut passen in die klösterliche Umgebung, wie schon 
Joseph Bayer 1 ) bemerkte, die Worte des Erzbischofs: 

„Mir scheint, des Kaisers Herz glich einer Tafel, 

Auf die ein frommer Maler still und fleissig 
Ein heil’ges Bild gemalt. Die Tafel aber 
Kam in die Welt, sie kam in viele Hände; 

Die pinselten darüber lose Sachen 
Mit mürben Wasserfarben, — malten viel 
Mythologie und Weltweisheit und Fabeln. 

Wie ging’s, als sich erhob das Ungewitter? 

Da wusch des Regens Sturz die lockern Farben 
Hinweg; die Götter und die Götzen schwanden, 

Und auf dem Grunde sichtbar traten vor 
Die alten, lieben, rührenden Gestalten.“ (V, 5.) 

Vortrefflich in der Stimmung sind die Verse, mit denen 
linmermann den Kaiser oder Roxelane der Schönheit des 
Morgenlandes gedenken lässt. Der Stoff schon legte es 
ihm nahe, orientalisches Kolorit in das Drama zu bringen. 
1 >ie meisten Dichter, welche die Geschichte der Hohen¬ 
staufen bearbeitet haben, haben davon in irgend einer Weise 
Gebrauch gemacht. Vor lmmermaun hatte 1 Novalis die Ab¬ 
sicht. in der Fortsetzung seines „Heinrich von Ofterdingen“ 
„das ßlütheudaseiu der orientalischen Beschaulichkeit und 
die mystische Weisheit des Morgenlandes“ neben dem 
..alten deutschen Kaiserthum“ verkörpert in dem „grossen 
Hohenstaufen Friedrich II.“ 2 ) darzustellen, lmmermaun, 
der durch Tieck davon gehört haben konnte, gab ausser¬ 
dem einer herrschenden Zeitströnumg nach. Denn seit 

! ) Deutsche Dichtung IV, S. ‘,VA2. 

*) Novalis. Kino biographische Charakteristik von Just Hing. 
Hamburg und Leipzig 1S1W. 8. 157. 

8 * 



— 116 — 


Joseph von Hammer-Purgstall die Schätze der orientalischen | 
Poesie aufgedeckt, war bekanntlich eine ganze orientali- 
sierende Litteratur 1 ) entstanden, deren Auswüchse unser 
Dichter in „Scherz-Ghasele“, 2 ) „Östliche Poeten“ 3 ) und in 
der Satire gegen Platen „Der im Irrgarten der Metrik 
umhertaumelnde Cavalier“ 4 ) verspottet hat. ! 

Auch im Zeitkolorit beschränkt er sich auf Weniges 
Das Minneleben am Hofe Friedrichs II. und die Vorliebe 
der damaligen Fürsten und Ritter für Sang und Klain: 
wird hier und da geschildert (S. 174 und 179). Wie wir ' 
hören, bethätigen sich Friedrich und seine Söhne selbst 
auf diesem Gebiete. Immermann verzichtet aber mit Recln 
darauf, einzelne unserer deutschen Minnesänger auftreten 
zu lassen, wie es die meisten Dichter von Hohenstaufen- 
dramen thaten. Von Walther von der Vogelweide bis herab 
zu Ulrich von Türheim sind sie fast sämtlich vertreten, 
aber stets als fast ganz farblose Gestalten. Ein Turnier 
wird bei Immermann erwähnt samt den dabei Vorkommen-1 
den Gebräuchen, und auch die ernsteren Interessen der 
Zeit werden berührt in einem Gespräche zwischen dem . 
Kardinal und Bernardo Rossi, in das die Kreuzzüge be¬ 
deutsam hineinspielen, und in Marinus’ Schilderung der 
fanatischen Ketzerverfolgung. Schliesslich mag noch de r 
historisch freilich unrichtige Hinweis auf die Kyflfhäuscr 
sage uud die Verwendung des besonders im Mittelaltc 
beliebten Bildes vom Pelikan, der seine Jungen mit seinen 
eigenen Blute nährt, als Beitrag zum Zeitkolorit genann 
werden. 


,k .Julian Schmidt, Geschichte der deutschen Litteratur v< 
Leihniz bis auf unsere Zeit. Berlin 189t>. Buch 12, Kap. 4. 

2 ) Werke XI, S. 2S!>. 

Ehd. XI, S. 332. 

4 ) Klul. XVII, 8. 4t;«». 



117 — 


4. Einiges über Sprache, Vers und Reim. 

Immermann hat sehr mit dem Stile kämpfen müssen; 
was er zuerst niederschrieb, war oft reine Prosa, allmäh¬ 
lich wurde der Ausdruck immer poetischer. Doch findet 
sich auch noch jetzt an mehreren Stellen ein plötzlicher 
Umschlag aus dem Pathos in die Vulgärsprache. So be¬ 
ginnt der Monolog des Kardinals (1, 6) mit den feierlichen 
Worten: 

„Seltsam und lächerlich, wenn Knaben spielen 

Mit eines Riesen ungeheurem Schwert!“ 

Gleich die folgenden Verse aber tragen einen ganz anderen 
Charakter: 

„Der junge Mensch macht im verjüngten Massstab 

Den Kaiser Friedrich. Nun, der Vater kann 

An diesem Sohne Freude noch erleben.“ 

Die Bilder sind nicht immer anschaulich, auch selten eigen¬ 
artig. Das Bild von dem „entlaubten Stamm“, das Schiller 
im „Wallenstein“ braucht, ahmt Immermann nach, indem 
er den Kaiser bei der Nachricht von des treuen Thaddaeus 
Tode (III, 4) rufen lässt: 

„Kommt nun der Herbst, und fallen meine Blätter?“ 
Der Ausdruck „Bächlein durch Klippen weinen“ (II, 7) ist 
wohl auf Schillers „Der Cocytus durch die Wüsten weinet“ 
zurückzuführen. Besonders zu lieben scheint Immermann 
das Bild vom Stern, das er dreimal auf Roxelane, einmal 
auf Oktaviau anwendet. 

Einige schiefe Ausdrücke und die häufigen Elisionen, 
zumal des „i“ in der Endung „ig“ (ruh’ger, Kön'ge, 
störr'ge, durst’gen, ems’ge, heil’gen, Einz’ge, ew’ges, 
selgen, Anschuld’gung u. s. w.), wirken sehr schlecht. 
Daneben finden sich aber, vor allem im letzten Akt, poetisch 
schöne Partien. Schillers schwungvolle Rhetorik hat auch 
auf Immermann stark gewirkt. Schon die ausführliche Art, 



118 


in der dieser seine Personen reden lässt, erinnert an 
Schiller. Anklänge an die Ausdrucksweise des alten 
griechischen Dramas sehe ich in den Worten: 

„Leicht ist Irren möglich. 

So saget mir den Grund, dass ich ilm wisse!* 
und: „Wozu? Und zu was Ende?“ (V, 5.) 

Den Stil der Romantik hat Immermann nie geschrieben, 
ist vielmehr nur ganz leicht von ihm beeinflusst. Nach 
alten Formen, wie sie Tieck liebte, kann man bei unserm 
Dichter lange suchen. Ein „anjetzo“, ein „zweeir 
steht ziemlich vereinzelt da. Auch die Bevorzugung vi.m 
A djektiven auf „lieh“ („verwahrlich“, „sichtbarlieh“, „külm- 
lich“ u. s. w.) tritt bei Immermann lange nicht so stark 
hervor, wie bei den Führern der romantischen Schule. In 
den älteren Redaktionen finden sich noch häutiger Aus¬ 
drücke, die der Anschauungsweise der Romantiker ent¬ 
sprechen. Sehr charakteristisch ist es zum Beispiel, wenn 
der Kaiser (A. II, 1) von einem Liede sagt: 

„Es glühte röthlich, wie der Mond.“ 

In der sprachlichen Individualisierung der einzelnen Per¬ 
sonen ist nicht viel geleistet: mit Ausnahme von Marimi> 
und in gewisser Hinsicht — durch die häufige Anwendung 
des Beiwortes „lieb“ und die Wahl der Vokale (V, 1) — 
auch des Erzbischofs sprechen alle Personen dieselbe 
Sprache. Das Tempo weiss der Dichter richtig abzuwägen, 
das beweist einerseits die Gemessenheit der Verhandlung 
zwischen Kaiser und Kardinal, eine Scene, die viele Zeit¬ 
genossen ganz modern anmutete, andererseits die sieh 
überstürzende Hast, mit der Manfred seine Liebeswerbung 
Hei Roxelane und seine Vorwürfe gegen den Vater vor¬ 
bringt. Die Mittel, mit denen der Dichter in dieser Hin¬ 
sicht arbeitet, bestehen in der Häufung von Enjambement' 
und der Hei Heine so beliebten „Und“-Verbindungen. 



119 — 


Immermann ist ein unmusikalischer Dichter, seine 
fünffüssigen Jamben zeichnen sich daher im allgemeinen 
nicht durch Glätte aus, auch tragen sie kein individuelles 
Gepräge, obwohl er lange an ihuen gefeilt und gearbeitet 
hat. r um w , wie er schreibt, „einmal etwas zu liefern, was 
wo möglich wie Achill und Sigurd überall den Feinden 
einen undurchdringlichen Panzer entgegenstellte“. 1 ) Die 
genannten Elisionen, die allzugrosse Belastung der Senkungen 
und der unmotivierte Wechsel des Rhythmus machen die 
Verse hart und holperig. Es finden sich unter ihnen eine 
Reihe Drei- und Vierfüssler. Zum Teil sind diese Verse 
mit Absicht verkürzt, um eine grössere Pause zu be¬ 
zeichnen (S. 184: „Acht' ich als meinen Feind.“ — S. 1G8: 
„Sieh, das ist hier mein Amt!“ — S. 1G7: „Er träumt's 
auch nur.“ — S. 194: „Zu fürchten ist“), zum Teil aber 
auch ohne Grund (S. 179: „Geh, mein Geliebter!“ — 
S. 203: „Es ist gemeiner Hass“). Der Hiatus ist nicht 
vermieden, aber auch nicht gerade häufig. 

In der Fassung A. ist das Rätselspiel zwischen Enzius 
und Roxelane (II, 2) in einem trochäischen echoartigen 
Versmass geschrieben, eine Tonspielerei, die die Wahl der 
Worte zwingend beeinflusst und den Sinu verschiebt. Im 
17. Jahrhundert und später vereinzelt bei Goethe findet 
sich schon ähnliches. 

Immermann: 

„Hat der Venus Sohn getroffen. 

Offen 

Klaffen dann vom Pfeil die Wunden; 

Stunden 

Tiefsten Wehes, bittrer Schmerzen, nagen an der 

Seel’ unsäglich. 

Nagen kläglich.“ 


*) Putlitz I, S. ISO. 



1 *20 — 


Goethe x ): 

„Auch die holdeu Phantasien 
Blühen 

Rings umher auf allen Zweigen“ u. s. w. 

Vor allem aber ist die Romantik reich an derartigen Ge¬ 
dichten; ich nenne in erster Linie Tieck 2 ): 

„Die alte Zeit kömmt mir in meine Sinnen, — inueu 
Gefühle wunderselger Stunden — stunden < 

Im Herzen auf und mich bezwangen — Wangen 
Und süsse Lippen, Busen, Locken — locken 
Der Sehnsucht reizende Gefühle — fühle!“ 

iu zweiter Fouque 3 ) und Rückert. 4 ) — Der Schluss der 
Scene und die ganze folgende (II, 3) sind in trochäisehen 
Tetrametern verfasst, die untereinander paarweise reimen. 
Dass Immermann diese beiden Scenen in C. unterdrückte, 
mag ein Beweis für seiu Bemühen sein, die Bahnen der 
Romantik zu verlassen. In seinem Jugendwerk, dem „Thal 
von Ronceval“, finden sich noch mehrere derartige Inter¬ 
mezzi in verschiedenen Versmassen. „Alexis“ bedeutet iu 
dieser Hinsicht einen Rückschritt gegen „Kaiser Friedrich“. 

Der Reim spielt auch in der letzten Fassung eine 
— und zwar keine geringe — Rolle. 

Nach Schillers Vorbild ist er verwertet, um den Schluss 
der Scenen zu heben und den Abgang der einzelnen Per¬ 
sonen wirkungsvoll zu gestalten. Vereinzelt findet er sieb 
auch mitten in der Scene, ebenfalls bestimmt, einen be¬ 
sonderen Effekt zu erzielen (z. B. IV, 1). In II, 7 ist der 
Reim zum grössten Teil, in V, 3 ganz durchgeführt: er 

*) „Deutscher Parnass.“ Weim. Ausg. II, 8. 25. 

2 ) Ludwig Tiecks Schriften. Berlin, bei Reimer. 182S. Krstvr 
Band. S. 8. 

3 ) „Trost.“ 

*) Rückert, Oes. poet. Werke in 12 Bänden. Frankf. a. M. 1 •'»>*>. 
Bd. I. S. 37H, 403 f. 



dient hier als Stilmittel. Immermann hat in diesen Sceneu 
Reimpaare angewendet und einen stetenWechsel von klingen¬ 
den und stumpfen Reimen eintreten lassen. Die wenigen 
unreinen Reime sind teils Augenreime, teils auf die nieder¬ 
deutsche Aussprache zurückzuführen. Der seltene Reim 
„Polsterbett-Sorbet“ (II, 7) ist vielleicht beeinflusst durch 
den Reim „Scberbet-Lotterbett“, der sich in einem humo¬ 
ristischen, die orientalisierende Litteratur verspottenden 
Versbriefe befindet, welchen Immermann, kurz bevor er 
die Hand an die erste Fassung des „Kaiser Friedrich“ 
legte, von einem Freunde aus Paris empfing. 1 ) Die Worte, 
welche die Träger des Reims sind, erscheinen zuweilen 
etwas gesucht. Sehr schlecht, ja fast komisch ist die 
Wirkung, wo „Sinn“ auf „Araberin“, das Pronomen „Was“ 
auf „Hass“ und „Enzius“ auf „Schluss“ reimt. 

*) Der Brief (datiert den 17. Nov. 1827) befindet sich im G.- und 
Sch.-Arehiv. 



V. 


Di« Stellung des Dramas in der deutschen Litteratur- 

geschichte. 

Unbegreiflich ist mir, dass Scherer das Stück eine 
„Shakespearesche Historie“ *) nennt. Als shakespearisdi 
könnte man Immermanns Drama „Edwin“ 2 ) bezeichnen, 
welches den gemischten Stil zeigt; aber im „Kaiser Fried¬ 
rich“ schliesst sich Immermaun in Auffassung?- und Dar¬ 
stellungsweise ganz dem einheitlich-idealistischen Stil an. 
in dem Schiller seine grossen historischen Tragödien ge¬ 
schrieben hat. Wenn Immermaun sich auch früher ;m 
Shakespeare angeschlossen hatte, so lag ihm doch eine 
Nachahmung der Historien des grossen Briten um so ferner, 
als er durchaus kein Verehrer von diesen war, sie vielmehr 
in ihrem Werte weit unter des Dichters andere Dramen 
stellte. Eine Beeinflussung durch Shakespeare erkennen 
wir nur in der Gestalt des Erzbischofs, der, wie später 
der Placidus im „Merliu“, dem Pater Lorenzo in „Romeo 
und Julia“ nachgebildet ist. 3 ) Man vergleiche die Sceneit 
im Klostergarten (Kaiser Friedr. V, 1 und Rom. und Jul. 
II. 3): Pater Lorenzo ist im Begriff, Blumen und Krauter 


*) Geschichte der deutschen Litteratur von Willi. Scherer. >. Auf. 
Berlin S. <>S8. 

*) Werke XVI, S. 117 ff. 

:i ) Karl Immermaun. Eine Gedüchtnisschrift zum 100. Geburt-- 
tage des Dichters. Hamburg und Leipzig lfcOHh 



in eioem Körbchen zu sammeln, der greise Erzbischof, 
seine Blumen zu begiessen. Dieser freut sich über den 
schönen Abend, jener über den frischen Morgen; beide 
vergleichen die Pflanzenwelt mit den Menschen. 

Besonders stark ist die Einwirkung Schillers. Schon 
im „Trauerspiel in Tirol“ hatte sich Immermann, wie 
Roettinger *) jüngst nach wies, an die „Räuber“, den „Wallen¬ 
stein“, die „Jungfrau von Orleans“ und „Wilhelm Teil“ 
angelehnt. Hier steht die Wallenstein-Trilogie im Vorder¬ 
gründe. Ich habe in Kap. IV, Abschn. 1 und 2 schon 
wiederholt auf Wallensteinisclie Elemente hingewiesen, doch 
bedarf das Gesagte noch einer näheren Ausführung und 
Ergänzung. Ich komme zunächst noch einmal auf die 
Expositionsscene zurück: wie bei Schiller Oktavio Piccolo¬ 
mini seinem Sohne Max schildert, auf welche Weise es ihm 
gelungen sei, Wallenstein allmählich zu umgarnen, so be¬ 
richtet bei Immermann Oktavian dem ahnungslosen Ambro¬ 
sius, wie er sich der Person des Kaisers versichert habe. 
Beide, Oktavian wie Oktavio, haben ein Schriftstück in 
Händen, womit sie den Feind jeden Augenblick vernichten 
können, dieser den kaiserlichen Brief, der Wallenstein ver¬ 
urteilt und ächtet, jener die päpstliche Bannbulle. Beide 
warten nur auf eine That, auf einen geeigneten Augen¬ 
blick, um sich des verhängnisvollen Pergaments zu be¬ 
dienen. 

Oktavio: 

„Nicht eher denk' icli dieses Blatt zu brauchen, 

Bis eine That gethan ist, die uuwidersprechlich 

Den Hochverrath bezeugt und ihn verdammt.“ (V. 231—33.) 

Oktavian: 

„0. eine Million für eine That, 

Worin sein Herz — denn das hab’ ich erkannt — 


1 ) Roettinger a. a. 0. 



Den Gotteslästerer verriethe! Dann. 

Dann wär' er uns gewiss, und alle Welt 
Vollstreckte unsern Spruch.“ 

Piccolominis Wunsch wird sogleich erfüllt, deun ein 
Bote bringt ihm die Nachricht, dass Briefe Walleusteins 
aufgefaugen seien; frohlockend jubelt er: 

„Nun endlich! endlich! Das ist eine grosse Zeitung!“ 

(V. 2571.) 

Der Kardinal hört entsprechend von der Heidin Roxelaue. 
die der Kaiser „zum Schreck und Greu’l der christ- 
kathol’schen Welt“ an seinem Hof halte und ruft ebenso 
freudig: 

„Wir haben, was wir brauchen!“ 

Ubaldini gleicht dem älteren Piccolomini auch in der 
Überredungskunst, mit der er des Kaisers Freunde zum 
Abfall von diesem bewegt. — Nachdem Friedrich die Nach¬ 
richt vom Verrate Vineas empfangen, tröstet er sich mit 
dem Gedanken, noch immer reich genug an Freunden zu 
sein (I, 7), ebenso Wallenstein, als er Oktavios Verrat er¬ 
fährt (Wall. Tod III, 10). Diese Scene, in der Thaddaeus 
den vertrauensvoll auf seine Macht bauenden, gegen die 
Schliche der Kirche blinden Kaiser inständig warnt und 
anfleht, solange es noch Zeit, den Feinden den Vorwand 
zu rauben, der sie schützt, und mit der Kirche einen 
ehrenvollen Bund zu schliessen (II, 9), ist der Scene nach¬ 
empfunden, in der Max Piccolomini in ähnlicher Lage 
bittend vor Wallenstein steht (Wallenst. Tod II, *2). Kaiser 
Friedrich beruft sich wie Wallenstein auf Cäsar: 

Wa 11 e n s t e i n: 

„Was thu' ich Schlimmres 
Als jener Cäsar that, dess Name noch 
Bis heut' das Höchste in der Welt benennet? 



Er führte wider Rom die Legionen, 

Die Rom ihm zur Beschützung anvertraut. 

Warf er das Schwert von sich, er war verlohren, 
Wie ich es war, wenn ich entwaffnete. 

Ich spüre w r as in mir von seinem Geist, 

Gieb mir sein Glück, das andre will ich tragen.“ 

(835—43.) 


Kaiser: 

„Der grosse Cäsar machte um sein Recht 

So mancher röm’schen Mutter Kind zur Leiche. 

Er that es um sein Recht. Wer schalt ihn je? 

Thaddaeus: 

Herr. Cäsar fiel! 

Kaiser: 

Er fiel? — du irrest sehr. 

Sein irdisch Theil ruht an Pompejus Säule 

Von herben Mühen aus. Sein ew’ges schwang sich 

Zum Himmel, — stärkt, als das Gestirn der Grösse, 

Der Helden Brust, das Aug’ der Könige. 

Cäsar fiel nicht, und Friedrich wird nicht fallen!“ 

Wie der Friedländer schon als Kind durch eine wunder¬ 
bare Schickung aus den grössten Gefahren unversehrt 
hervorging (Wallenst. Tod IV, *2), so auch Kaiser Fried¬ 
rich, der in der Wiege von Schlangen umwunden, durch 
unsichtbare Mächte vor diesen beschirmt wurde. 

Zu vergleichen sind ferner die beiden Darstellungen 
des Augenblickes, als die Helden Schillers und Immer¬ 
manns die Nachricht erhalten, die ihren Fall besiegelt: 

Walle nstei n: 

„Verhehlt mir nichts. Ich kann das Schlimmste hören. 

Prag ist verloren? Ist’s? Gesteht mirs frey. 



1*26 


Buttler: 

Es ist verloren. Alle Regimenter 
Zn Budweiss, Tabor, Braunau, Königingnitz. 

Zu Brünn und Znaym haben euch verlassen, 

Dem Kaiser neu gehuldiget, ihr selbst 
Mit Kinsky, Terzky, Illo seid geächtet“. 

(III, 10. V. 1733—39.) 


Kaiser: 


„Sag an. 

Was Du mir bringst! Denn ich kann Alles hören. 


B o s o: 

Dein grosser Feind ist Dir entronnen, Herr. 

Und nützte seine Freiheit zum Verderben. 

Du bist im Bann, geächtet, abgesetzt 

In beiden Reichen, Deutschland und Apulien. 

Verflucht sind Alle, die Dir noch gehorchen. 

Das halbe Heer ist von Dir abgefallen. 

Und die Lombarden haben sich empört.“ (II. 10.) 

Die Aufnahme der Nachricht ist bei beiden Männern 
dieselbe; nachdem sie einen Augenblick wie versteinert 
waren, erhellt sich ihr Blick und sie sehen das, was sie 
betroffen, für ein Glück an; sie brauchen sich nun nicht 
mehr zu bedenken, noch sich zurückzuhalten, der Würfel 
ist gefallen, jetzt gilt es offenen Kampf bis aufs Messer. 

Der Sinn von den Worten des Hohenstaufen: 

„Das Schicksal, das mich traf. 

Ist, wenn ich's recht betracht’, ein grosses Glück. 

Ich musste schonen. Das ist jetzt vorbei; 

Denn da man zu den Wilden mich verstösst. 

So darf ich wild und blutig mich gebaren“ (II. 1» 



ist derselbe, wie von denen Wallensteins: 

„Es ist entschieden, nun ist’s gut — und schnell 
Bin ich geheilt von allen Zweifelsqualen, 

Die Brust ist wieder frey, der Geist ist hell, 

Nacht muss es seyn, wo Friedlands Sterne strahlen. 
Mit zögerndem Entschluss, mit wankendem Gemuth 
Zog ich das Schwert, ich that's mit Widerstreben, 

Da es in meine Wahl noch war gegeben! 
Nothwendigkeit ist da, der Zweifel flieht, 

.Jetzt fecht’ ich für mein Haupt und für mein [.eben.“ 

(III, 10. V. 1740—48.) 

Wie Oktavio im Hinblick auf den bevorstehenden Kampf 
nicht unversöhnt von seinem Sohne scheiden will, so auch 
Kaiser Friedrich nicht von Enzius. 

0 ktavio: 

„Wie? Keinen Blick 

Der Liebe? Keinen Händedruck zum Abschied? 

Es ist ein blut'ger Krieg, in den wir gehn, 

Und ungewiss, verhüllt ist der Erfolg . u 

(Wall. Tod II, 7. V. li>74—77.) 


Kaiser: 

„Sieh, schon verkündet jener blasse Streif 
Am Saum des Himmels einen harten Tag. 

In einer Stunde stehn wir in der Schlacht. 

Wir können Beide fallen. Sollen wir 
In ungelöstem Streit von hinneu gehn?“ 

Aus dem „Wallenstein“ ist auch die Art der Ein¬ 
führung des Kämmerlings (schon dies Wort ist entlehnt) 
herübergenommen (III, 8 und 10). Die Stimmung bei 
dieser Gelegenheit ist ganz Wallensteiniseh. Immermann 
hat das in „Wallensteins Tod“ so wirksame und bei den 



— 128 


deutschen Dramatikern seitdem so beliebte Arbeiten mit 
dem „sinistre aspect u nicht unterdrücken können. 

„Don Carlos“, an den Immermanns spätere Trilogie 
„Alexis“ motivlich stark erinnert, wirkte, obwohl nur gering, 
auch hier, insofern die Scene, in der sich der Kardinal 
Manfreds Vertrauen erschleichen und ihn ausforschen will, 
von diesem aber durchschaut und abgewiesen wird (I, 5». 
einer Episode ähnelt, die sich zwischen dem Pater Domingo 
und Don Carlos abspielt. Die Beziehungen zur „Braut 
von Messina“, die ich schon berührte, liegen auf der Hand. 
Don Manuel entspricht dem fast leidenschaftslosen, blonden 
Enzius, Don Cesar dem leicht auflodernden Manfred. Die 
Stelle der Beatrice nimmt bei Immermann Roxelane ein. 
Mit Manuel teilt Kaiser Friedrich die blinde Vorsicht, die 
beide da schweigen lässt, wo eine Aussprache notwendig 
wäre. Sonst entspricht der Kaiser Schillers Isabella. Diese 
erreicht den Gipfel der tragischen Ironie in den Worten: 

„Gegründet 

Auf festen Säulen seh’ ich mein Geschlecht, 

Und in der Zeiten Unermesslichkeit 
Kann ich hinabsehn mit zufriednem Geist.“ 

(II, 5. V. 1428—31.) 

Auch Immermann hat im Plan (I, S. 36; III, S. 37 ' 
und in den älteren Redaktionen (A. II, 5 und b. III. 7) 
dieselbe Form der tragischen Ironie verwertet. 

Das, was seine Söhne an ihm thun, sieht Friedrich 
als eiue Strafe an für das, was er an deren Mutter, seiner 
Geliebten, Bianca Lancia gefrevelt hat: 

„Was willst du Bianca? — Gorgo! Furie! — 

Kann ich dafür, dass Du so schön gewesen? 

Und soll eiu Held sauft wie ein Schäfer lieben? 

Aus meinem Blut erstehen mir die Rächer 
Und meine Strafe habe ich gezeugt: 



— 125) — 


Dich rächt — o Gott! — des einen Sohnes Tugend, 
Dich rächt an mir des andern Sohnes Laster; 

Die Tochter rächt Dich fürchterlich an mir! (III, 10.) 

Derartige fatalistische Züge, wie dies Hindeuten auf 
das Walten der Nemesis, finden sich in der „Braut von 
Messina“ mehrfach, sind im „Kaiser Friedrich“ aber wohl 
als eine Einwirkung des Schicksalsdramas anzusehen. — 
Immermann tadelt an der „Braut von Messina“ den „aus 
nichts entstandenen Bruderhass“. „Die zweite Verwicklung 
durch Liebe stosse nur gelegentlich mit der ersten zu¬ 
sammen.“ Diesen Fehler hat er freilich vermieden. 

Wörtliche Anklänge an Schiller, zumal an Aus¬ 
sprüche, die jetzt als geflügelte Worte gelten, sind keine 
Seltenheit. Drei Beispiele seien aus der grossen Zahl 
genanut: 

I, 1 sagt Ambrosius zu Oktavian: 

„Ich soll den hohen Mann, der mich den Weg 
Für Gottes Ehre wandeln lehrte, heut’ 

Nicht fassen, nicht verstehn.“ 

Vgl. Piccol. V, 1: Max zu Oktavio: 

„Ich soll dich heut’ nicht fassen, nicht verstehn“ ( V. 2461 1 . 
Ein anderes II, 9: 

„Willst Du mich warnen, sprich von den Mongolen. 
Sprich mir von Wasserfluthen, sprich von Pest, 

Doch von der Flucht des Papstes sprich mir nicht!“ 
(Vgl. Don Carlos I, 2) 

und 1, 1: 

„Ihr kommt mit bittrer Sendung, doch Ihr kommt.“ 
(Vgl. Picc*. I, 1.) 

Geringer ist die Beeinflussung durch Goethe. Indem 
Widmungsgedichte an Schadow arbeitet Immermann anfangs 
mit demselben Bilde, das der Dichter des „Faust“ in seiuer 
diesem Werke vorausgeschickten „Zueignung“ anwendet. 

Deetjen, Innnermunnn „Kaiser Friedrich der Zweite“. 9 



130 — 


Auch er sucht die „wechselnden Gestalten 4 * (bei Goethe 
„schwankende G.“), die aus Dunst und Schaum (bei Goethe 
„aus Dunst und Nebel 41 ) vor seinem Blick emportauehe». 
festzuhalten. Julian Schmidt 1 ) sieht in dem Liede „Bricht 
das matte Herz noch immer“, das Novalis in seinem „Ofter¬ 
dingen“ Zulima singen lässt, einen Anklang an Goethes 
„Kennst du das Land, wo die Citronen blühn“. Mit viel 
grösserem Rechte dürfen wir in Roxelanes Schilderung des 
Morgenlandes: 

„Wo die Kameele meines Oheims ziehen, 

Die reine Luft durch Balsamstauden weht. 

Der Libanon, gekrönt von Gedern, steht. 

Die Palme rauscht, Bächlein durch Klippen weinen. 
Die Sterne glühend auf die Wüste scheinen. 

Da ist mein Morgenland“ — 

einen Anklang an dieses Mignonlied erkennen. — Oer 
Auftritt 11, 9 und der Schluss von 111, 7 sind zum Teil 
der Scene zwischen Egroont und Oranien (Egm. II) nach¬ 
empfunden, die Kerkerscene (A. V, 5) der im „Faust" 
wie Faust Gretchen, so drängt hier Roxelane Enzius wieder¬ 
holt vergeblich zur Flucht, bis schliesslich beide überrascht 
werden. Etwas Orestisches liegt in Manfred, zumal u 
seinen Worten: 

„Ach nimm in deine Hand mein düstres Haupt 
Und birg es vor deu Furien, die ihm nahn! 

Ihr schwerer Schritt rauscht durch den Wald heran: 
Sie suchen das verfallne Opfer.“ (III, 1.) 

Trotz alledem nennt Jahn 2 ) Immermanns „Kaiser Friedri« ! 

1 ) Heinrich von Ofterdingen von Novalis. Mit Einleitung uc 
Anmerkungen herausgegeben von Julian Schmidt. Leipzig, Br.«.? 
hau* 1870. S. 14J. 

2 ) Jahn, Die Vorgeschichte von lmmermanns Merlin. 

Berlin, Mayer und Müller 180S. S. :*(). 



131 — 


der Zweite“ „selbständiger als alles (von ihm) bisher Ge¬ 
schaffene“. 

Ich bin im allgemeinen kein Freund vom Suchen nach 
Anklängen, aber das Arbeiten mit Reminiscenzen ist ein 
besonderes Charakteristikum für Immermann. Der Dichter 
hatte in dieser Hinsicht eine sonderbare Anschauung. Ihm 
war schon bei seinen Lebzeiten häufig der Vorwurf der 
Nachahmerschaft gemacht worden, und er scheint dadurch 
allmählich in eine vollständige Animosität gegen dies Wort 
geraten zu sein. Jedenfalls vermied er es selbst ängstlich, 
gegen andere diesen Vorwurf zu erheben, beurteilte daher 
Nachahmungen, Anklänge, Reminiscenzen inWerken anderer 
sehr milde. Immermann sah in dieser Beziehung eben 
nicht klar. Der Mangel an Originalität ist die grösste 
Schwäche des „Kaiser Friedrich“, der in dieser Hinsicht 
ein echtes Epigoneudrama ist. — 

Wenn mau die Schlussworte der „Zueignung“ liest: 

„Nimm, was ich habe: Schatten, Töne, Schäume, — 
Das bleiche Denkmal meiner höchsten Träume!“ 

und in dieser Ankündigung die romantische Anschauung 
von der unbewussten dichterischen Empfängnis erkennt, 
die Anschauung, die Richard Wagner später in den „Meister¬ 
singern“ mit den Worten: 

„All Dichtkunst und Poeterei 
Ist nichts als Wahrtraum-Deuterei“ 

ausgesprochen hat, ist man leicht zu dem Glauben geneigt, 
dass Immermann uns in „Kaiser Friedrich der Zweite“ ein 
echtes Kind der Romantik giebt. Dem ist aber nicht 
so, obwohl der erste Plan zu dem Werk in eine Zeit fällt, 
in der sein „romantischstes“ Erzeugnis, „die Papierfenster 
eines Eremiten“ entstand. „Kaiser Friedrich der Zweite“ trägt 
zwar noch Spuren dieser Epoche, sie sind für den mittel¬ 
alterlichen Stoff aber nur gering. Echt romantisch ist, um 

9 * 



— 13*2 — 


gleich mit dem markantesten Beispiel zu beginnen, die 
Verbindung von Kunst uud Religion, in den schon S. 115 
angeführten Worten des Erzbischofs. Wer dächte nicht bei 
den „losen Sachen“ z. B. an die mutwilligen Putten und 
die schönen nackten Körper der mythologischen Gestalten, 
der drei Grazien und des Adonis, die Correggio im Nonnen¬ 
kloster San Paolo zu Parma geschaffen? Correggio, für 
den Ludwig Tieck anfangs von so schwärmerischer Be¬ 
geisterung ergriffen war, bis schliesslich er und die Seinen 
an diesem lebensfrohen Künstler, sowie an Rafael und den 
anderen Grossen Anstoss nahmen und sich zu den frommen, 
von jeder Sinnlichkeit freien Prärafaeliten wandten. Wer 
erkennt nicht in den „alten, lieben, rührenden Gestalten* 
die Schöpfungen des Fra Angelico da Fiesoie, der das 
Ideal der meisten Romantiker wurde? Joseph Bayer 1 ) 
schreibt über die Worte des Erzbischofs: „Mit dieser Stelle 
hätte allenfalls auch ein Görres zufrieden sein können“. 

Das Morgenland „mit seiner süssen Wehmuth“ galt 
den Romantikern schlechtweg als das Land der Poesie: 
auch Immermanns Schilderung des Orients ist von „süsser 
Wehmuth“ erfüllt. — Ein Kind seiner Zeit ist der Dichter 
ferner zum Teil in seiner Würdigung der kirchlichen Macht. 
Der „Kaiser Friedrich“ nimmt in dieser Beziehung unter 
den Hohenstaufendramen eine Sonderstellung ein, bedeutet 
doch der Schluss des Dramas einen Sieg der Kirche über 
den kaiserlichen Freigeist, Reue und Rückkehr desselben 
in ihren Schoss. Der Aufenthalt in der ganz katholischen 
Stadt Münster, die Lektüre von Calderons Werken, und 
vor allem der Verkehr mit dem Konvertiten und Nazarener 
Wilhelm Schadow, der an dem allmählichen Werden des 
Dramas Anteil nahm und dem Immermann das Werk als 
ein Zeichen ihres Bundes zueignete, waren auf den Dichter 


') Deutsche Dichtung IV, 8. 332. 



— 13.3 — 


nicht ohne Einfluss geblieben. Schadow, eine gern be¬ 
stimmende Natur, hatte der ganzen jüngeren Malerschule 
iu Düsseldorf seinen Geist aufgeprägt, und da mag bei 
seiner eindringlichen Art auch in dem Dichter von den 
besprächen, die beide unter den „Kastanien des schönen 
Hofgartens“ l ) führten, ein Rest zurückgeblieben sein, so 
sehr sich dieser auch gegen religiösen Fanatismus wehrte. 
Es ist nicht zu leugnen, dass sich damals das, was von 
einem Romantiker in ihm steckte, zur katholischen Kirche 
hingezogen fühlte. Ihm „imponirte vor allem ihre Macht 
gegenüber der protestantischen Zersplitterung“. 2 ) „Schon 
io den ersten Monaten seines Düsseldorfer Aufenthalts“ 
schreibt er an seinen Bruder Ferdinand: „Mir scheint der 
Protestantismus als Kirche faktisch nicht mehr zu exi- 
stiren, sich vielmehr in die beiden gegenkirchlichen Rich¬ 
tungen, nämlich den Indifferentismus und den Separatismus 
aufgelöst zu haben. — — Glaube indessen nicht, dass das 
auf einen bevorstehenden Übertritt deuten soll.“ 2 ) 

Es war nur eine „vorübergehende Täuschung des 
Dichters über die Bedürfnisse seines Gemüts“, 3 ) die ihn 
hier zu einer solchen Tendenz veranlassten. Interessant 
wäre es, wenn der Konvertit Zacharias Werner seinen Plan 
einer Trilogie „historischer Trauerspiele, welche die Kata¬ 
strophen Keyser Friedrichs des Zweyten, seines Sohnes 
Manfreds und Enkels Conradins von Hohenstauffen“ 4 ) 
dramatisch behandeln sollten, ausgeführt hätte. 

Dass Immermann sich bemühte, von den Bahnen der 
Romantik abzuweichen, habe ich schon in Kapitel IV, Ab¬ 
schnitt 4 gezeigt. 

’) Werke XX, S. 142. 

*) Putlitz I, S. 181. 

s ) Gedächtnisschrift S. 29. 

4 ) An jGoethe, den 20. Oktober 1809; s. Schriften der Goethe- 
Gesellschaft XIV, S. 50. 




VI. 

Die Aufnahme und Wirkung des Dramas. 

Die Aufnahme des Stückes, das zunächst durch Vor¬ 
lesungen bekannt wurde, war sehr günstig. Auf der Ber¬ 
liner Kunstausstellung des Jahres 1828 war ein schönes 
Bildnis Immermanns, von Schadows Hand, ausgestellt, das 
den Dichter „einen Lorbeerzweig und eine Rolle mit 
Friedrich II. in der Hand, begeistert, gehoben, edel in 
Ausdruck und Mienen u l ) darstellte. Bei denen, die den 
„Kaiser Friedrich 14 schon gelesen hatten, erregte es das 
grösste Interesse, uud bei denen, die das Werk noch nicht 
kannten, den Wunsch, kennen zu lernen, was aus diesem 
geistvollen Kopf entsprungen. Die meisten Beurteiler des 
Dramas nahmen auf dies Porträt des Dichters Bezug, sc 
z. B. Hitzig 2 ): „Ihr Bild auf der Kunstausstellung hat micli. , 
wie ganz Berlin, entzückt, und wer den grade zur rechten * 
Zeit eingegangeuen Kaiser Friedrich gelesen, hat den J 
Lorbeer wahrscheinlich nicht missdeuten können. Glück 
auf, theurer Freund, zu solchem Meisterwerk! Fahren Si- 
so fort, so setzen Sie bald Ihren Stuhl zu den grössten 
Dichtern.“ Auch Campe 3 ) berichtet vom „Kaiser Fried- I 
rieh“: „Ich habe einige recht hübsche Briefe darüber er- I 


') Putlitz I, S. 199. 

*) Berlin, d. 5. Januar 1829 (ungedruckt, im G.- und Seil.-Archiv. 
3 ) Hamburg, d. fi. Januar 1829 (ungedruckt, im G.- und 8rh. 
Archiv). 



135 


halten, worin Ihres Bildes gedacht war.“ Jos. Max 
Frankel 1 ) schreibt an Immermann aus Berlin: „Ich kann 
Sie übrigens mit deutscher Wahrheit und Treue versichern, 
dass Ihr Friedrich hier sehr viele, sehr warme Enthou- 
siasten gefunden hat, und zwar unter den Leuten, deren 
Urtheil durch ihren Verstand und ihre Bildung Werth ge¬ 
winnt. Die Schönheiten der Dichtung werden fast all¬ 
gemein anerkannt und geliebt und geschätzt.“ Grosses 
Lob spendeten u. a. Ed. von Schenk, Ludwig Tieck und 
Müllner, der Immermann „über dem Leichnam des Kaisers 
die Hand förmlich zum Frieden reichte“, 2 ) sowie Heine, 
dem der „Kaiser Friedrich unendlich lieber“ war, als der 
„Hofer“. 3 ) Staegemann 4 ) schreibt an unseren Dichter: 
„Sie haben den hohenstaufischen Purpur, einen kostbaren, 
schweren Stoff würdig behandelt. Wie sehr ist zu wünschen, 
dass Sie noch manchen andern lyrischen Moment jener 

Geschichte des grossen Kampfes zwischen der geistlichen 

und weltlichen Herrschergewalt mit dem Stral der Poesie 
berühren mögen.“ Auf den Dichter Wilhelm von Normann 
machte die Lektüre des „Kaiser Friedrich II.“ einen solchen 
Eindruck, dass er einige Tage au nichts anderes als an 
dies Trauerspiel denken konnte. Er schreibt am 4. April 
18*29 5 ): „Wäre hier der Ort, und hätte ich das Vergnügen, 

Sie genauer zu kennen, es würde mir ein wahrer Genuss 

seyn, Ihnen zu sagen, was ich über das ganze Kunstwerk 

*) Berlin, d. Hl. Dezember 1828 (ungedruckt, im G.- und Seh.- 
Archiv). 

*) Putlitz I, S. 203. 

s ) Hamburg, d. 17. Nov. 1829. — Ein Vergleich, der oft unter¬ 
nommen, von Immermann aber als ungerecht zurückgewiesen wurde 
(Putlitz I, S. 204). 

4 ) Berlin, d. 10. Februar 1829 (ungedruckt, im G.- und Seh.- 
Archiv). 

*) Holtei, Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten. Hann. 
1872. II. S. 207. 




denke und fühle, denn ich ha he es wieder und wieder ge¬ 
lesen und mir wahrlich zu eigen gemacht. Aber in einer 
Beziehung hat es mich zu sehr ergriffen, um nicht davon 
zu reden, um Ihnen nicht zu danken: es ist die tiefe, weh- 
müthige Erinnerung des grossen Kaisers an das Morgen¬ 
land! Sie haben in wenigen Worten alle Poesie die in 
den Kreuzzügen liegt ausgedrückt. Sie lassen uns in das 
Land der Jugend, des Glücks schauen — und wer nur je 
in ähnlichen Verhältnissen gestanden, wer aus dem Qualm ■ 
des gewöhnlichen Lebens auf eine lichtere Vergangenheit 
in einem schönem Lande zurückblickt, der muss sich tief, 
tief ergriffen fühlen. 14 Normann gedachte ferner in seinem 
(ungedruckten) Gedichte „Sizilien 44 , 1 ) im ersten „Palermo¬ 
betitelten Gesäuge beim Grabe Friedrichs II. Immermanns 
und sandte diesem nebst einem Briefe 2 ) den ersten Ge¬ 
sang zu. — Von dem Historiker Hormavr, der Immermanu 
einst den Stoff zu seiner Hofer-Tragödie geliefert und ihm 
schon für dies Werk den reichsten Beifall gezollt hatte, 
sowie von dem Kanzler Friedrich vou Müller in Weimar 
besitzen wir ausführlichere Lobpreisungen des „Kaiser 
Friedrich 44 . Ich habe sie als Beigaben auf S. 14Ö—4> 
meiner Arbeit angefügt. Durch den Kanzler vou Müller 
scheint auch Goethe von Immermanns Drama erfahren 
und die Mitteilung mit grossem Interesse aufgenommen zu 
haben. Der König vou Bayern hegte nach der Lektüre 
von „Kaiser Friedrich 44 den Wunsch, lramerraann möge 
auch einmal einen Stoff* aus der Geschichte des Haukes 
Wittelsbach bearbeiten. 

Auch Raupaeh, der damals schon die Entwürfe für 
eine Anzahl Hohenstaufen-Tragödien fertig hatte, spendet- 
Lob. Ihm hatten freilich, trotz aller Bewunderung, „der 

’) Goodeke, Grundriss. AuH. III. S. 7b3. 

2 ) Aachen, d. -I. Julv 182h (un^edruckt, im G.- und Sch.-Arelix k 



137 - 


Charakter des Heide», besonders gegen das Ende hin, 
sowie auch der Gang der Handlung gewichtige Zweifel 
erregt.“ l ) Besonders tadelte er die Reminisconzen an 
Schiller und Shakespeare, was Immermann ihm so übel 
nahm, dass ein Bruch zwischen beiden eintrat. Immer¬ 
mann rächte sich später ira „Münchhausen“ 2 ) an Raupachs 
„Hohenstaufen“. 

Die lesebegierigen deutschen Damen in Paris rissen 
sich um das Stück, das sie durch Beers Vermittelung er¬ 
hielten. Beer war es auch, der das Stück einem jungen 
•dsässischen Litteraten 3 ) zur Recension im ..Universel“, 
einem der bedeutendsten Pariser Journale, übermittelte. 

Sehr bedauern müssen wir, dass wir von Boerue, der 
..Das Trauerspiel in Tirol“, sowie „Cardenio und Gelinde“ 
so eingehend, wenn auch meist abfällig beurteilt hat, keine 
Receusion des „Kaiser Friedrich II.“ besitzen. Campe 
hoffte, dass eine solche Recension im letzten Teile der 
Dramaturgie folgen werde und scheint Boerne gegenüber 
diesen Wunsch geäussert zu haben. Boerne schrieb aber 
an Campe den *20. Januar 18*29: „Seinen Friedrich II. werde 
ich schwerlich (ich wünschte es) kritisiren können. Ich 
bin gewohnt bei Beurtheiluugen historischer Dramen, um 
nicht wie der Blinde von der Farbe zu sprechen, das Zeit¬ 
alter zu studiren, in welches das Schauspiel fällt. Das 
von Friedrich ist mir sehr fremd, ich müsste doch die 
0 Bände Hohenstaufen des Raumer lesen, und dazu habe 
ich jetzt keine Zeit. Ich kann ja später einmal den Fried- 

*) Berlin, d. 31. Dez. 1828. (Holtei, Dreihundert Briefe aus 
zwei Jahrhunderten. III, 9.) 

2 ) Werke I, S. 25 ff. 

3 ) Dieser hatte schon in zwei in demselben Journal erschienenen 
Kritiken über „Das Trauerspiel in Tirol“ und die „Gedichte 14 (Hiimni 
1^22) das Publikum auf Iinmermanns Talent aufmerksam gemacht 
t*. Beers Br. S. 148 und 187). 



138 — 


rieh in irgend einem öffentlichen Blatte kritisiren. wenn 
Ihnen daran liegt.“ 1 ) Meines Wissens ist es auch später 
nie geschehen. 

Aufführungen des „Kaiser Friedrich“ fanden nur 
in Hamburg am 6. März 1829 und am Hoftheater zu 
Berlin zur Feier des Geburtstages des Kronprinzen, jenes 
königlichen Romantikers, der soviel Interesse für den 
Stoff besass, statt. In Hamburg wurde das Stück in neun¬ 
zehn Tagen viermal gegeben. Die Aufführung in Berlin 
wurde lange aufgeschoben; schon am 8. Februar 1829 
bekam Immermann vom Intendanten, Grafen Redern, di*- 
Nachricht, dass sein Drama „mit Rücksicht auf seinen dichte¬ 
rischen und dramatischen ausgezeichneten Werth“ 2 ) zur Auf¬ 
führung an der königlichen Bühne angenommen sei. Anfangs 
gedachte mau das Werk anlässlich der Vermählung des 
Prinzen Wilhelm mit der Prinzessin Augusta von Sachsen- 
Weimar (12. Juni) aufzuführen, es wurde aber zu Gunsten 
von Raupach-Spontiuis „Agnes von Hohenstaufen“ 3 ) vor- 

1 ) Die hier angeführten Worte giebt Campe in einem Briefe an 
Inirnerraann vom 16. Februar 1829 wieder. Vgl. auch Campe» Brief 
vom 6. Januar 1829. (Beide ungedruekt im G.- und Seil.-Archiv.) 

2 ) Berlin, den 8. Februar 1829 (ungedruekt, im G.- und S< h - 
Archiv). 

Ä ) „Agnes von Hohenstaufen“, lyrisches Drama in drei Auf¬ 
zügen von K. Raupach. Berlin 1829. Raupach erklärte sich «»ff* n 
für einen Opernfeind, und war zur Dichtung dieses Operntextes \vn 
Spontini nur überredet worden. Der Text fiel denn auch für den 
Komponisten recht unbrauchbar aus. Es wurde eine dürre Dramati¬ 
sierung der Geschichte, der das lyrische Elemeut fast ganz fehlte. 
Die Dichtung behandelt die Verbindung einer Tochter Heinrichs VI. 
mit dem Sohne Heinrichs des Löwen. Es ist das erste Mal, da-- 
Raupach einen Stoff aus der Hohenstaufengeschichte bearbeitete. 
Mit Recht hebt Goedeke (Grundriss 1. Aufi. III, S. 542) hervor, da-- 
der Dichter hier noch nicht so tendenziös ist, wie später in seinen; 
Oyklus. Auch ist der Stoff hier, wo sich Raupach konzentrier^», 
konnte und sich mehr dichterische Freiheit erlaubte, verh&Irni*nias$ijr 



läufig zurückgtjlegt und ging erst am 15. Oktober 1821) 
über die Bretter. 

Beer schreibt, von seinem Bruder unterrichtet, über 
die Berliner Aufführung an Immermann: „Lemm soll sehr 
brav gespielt haben und ist gerufen worden, der Eindruck 
soll wie das Werk ernst, würdig und grossartig gewesen 
sein.“ V) Redern sandte dem Dichter nach der Aufführung 
„ein sehr artiges Schreiben, mit der Aufforderung, alles 
künftige Dramatische ihm einzusenden“. 2 ) — Der Beifall 
machte auf Immermann keinen Eindruck. „Ich finde,“ 
schreibt er, „dass die gegenwärtige Zeit für die Auffassung 
des Ursprünglichen, eigentlich Poetischen kaum ein Organ 


geschickter behandelt, als in „Kaiser Heinrich der Sechste. Erster 
Theil, oder: Heinrich und die Welfen 44 . (Dramat. W. ernst. G. ßd. VII.) 
Bald nach dein Erscheinen der Oper machte das Ausscheiden zweier 
Damen aus dem Theaterpersonal die Wiederaufführung für eine Zeit¬ 
lang unmöglich, und Spontini benutzte die Zeit zu einer „gänzlichen 
Umarbeitung 44 , die Raupachs Dichtung als Operntext brauchbarer 
machte. Er hat die Grundzüge des Textes, so wie er jetzt besteht, 
selbst entworfen und nur die weitere Ausführung sachkundigen 
Männern überlassen (s. Berliner Conversationsblatt 1837, 8. 003). 
Der Regisseur Frlir. v. Lichtenstein, der den Namen zu dieser Neu¬ 
bearbeitung hergab, soll selbst nur einen geringen Anteil daran 
haben. Agnes von Hohenstaufen 44 ist nur in Berlin und auch dort 
nur selten gegeben worden. Spitta (Deutsche Rundschau, Bd. 00, 
S. 374 ff.) hält Rellstabs Recension für ganz ungerecht und die 
Wiederaufführung der Oper für eine Pflicht, da es „die einzige 
Oper 44 sei, „die an Grösse der Anlage und Macht der Gestaltung jener 
grossen Zeit deutscher Geschichte w r ürdig ist, aus der sie ihren Stoff 
entnimmt 44 . Über andere Bearbeitungen dieses Stoffes s. Gabriel, 
S. 76— 90. — Hinzuzufügen wäre noch die Episode in Albert 
Lindners Drama „Stauf und Welf 44 (Jena 1807), ferner TempeI- 
teys Tragödie „Hie Welf — hie Waiblingen 44 (Berlin 1859), wo 
der Geliebte der Agnes ein Vasall Heinrichs des Löwen, Bernhard 
von Welpe ist. 

1 ) Beers Br. S. 90. 

2 ) Ebd. S. 101. 



140 


besitzt, und so hat jener Beifall nur die Furcht in mir 
erweckt, dass ich mich nun wol gar der Raupaehschen 
Sphäre etwas genähert habe. Sollte dies Stück deshalb 
mehr Glück machen, weil die Pracht in demselben doch 
vielleicht nur kalt und das Ganze mehr ein Werk der 
Reflexion, als der in einem Gusse schaffenden Begeisterung 
ist? — Nun, man muss die Zeit abwarten, die mich ohne 
Zweifel über meinen Hohenstaufen aufklären wird. u 1 ) 
Er meinte, der „Friedrich“ sowie der „Hofer“ wären besser 
ausgefallen, wenn er dabei nicht Rücksicht auf „unsre 
Narrenbühue“ genommen und nicht immer an „die alte 
Bude“ 2 ) gedacht hätte, und sprach den Entschluss aus. 
den „Kaiser Friedrich“ „das letzte Kind seiner tragischen 
Muse“ 3 ) sein zu lassen. 

Die Wirkung des Dramas auf Werke anderer Dichter 
ist nur gering. Sehr wahrscheinlich ist Richard Wagner 
durch den „Kaiser Friedrich“, beeinflusst worden, ln der 
Fatima seines Operntextentwurfes „Die Sarazenin“ 4 ) fand 
Roxelane eine Neubelebung. Sie führt hier als eine zweite 
Jungfrau von Orleans Manfred zum Siege. Auch bei 
Wagner hat Manfred eine glühende Liebe zu seiner 
Schwester gefasst, ohne zu wissen, in welchem verwandt¬ 
schaftlichen Verhältnisse er zu ihr steht. Das Motiv der 
Geschwisterliebe könnte Wagner ebenfalls aus den er¬ 
wähnten historischen Quellen, die von Manfreds blut¬ 
schänderischem Verhältnis zu seiner Schwester Violante 
berichten, geschöpft haben, wenn nicht auch hier Fatima 
aus dem Liebesverhältnis Friedrichs mit einer Sarazenin 

’) Putlitz I, S. 204. 

2 ) An Heine. Düsseldorf, d. 1. Februar 1830. 

3 ) Heers Br. S. 51. 

4 ) Zuerst gedruckt in den Bayreuther Blättern 1889, Stück I. 
dann in den „Nachgelassenen Schriften und Dichtungen von Richard 
Wagner“ (Leipzig 189f>). 



141 


hervorgegangen, im Morgenlande geboren und erzogen 
worden sein soll. Auch hier flieht die Schwester vor dem 
Bruder, freilich nicht zu Euzius, sondern zu ihrem Jugend¬ 
freunde Nureddiu; auch hier überlebt Manfred die Schwester. 
Wagner berichtet, dass er Fatima „in Erinnerung an eine 
ihm lange vorher zu Gesicht gekommene Zeichnung“ l ) 
geschaffen. Dennoch möchte ich an eine Kenntnis von 
Immermanns Drama und leise Einwirkung desselben auf 
die „Sarazenin“ glauben, und zwar um so mehr, als Wagner 
wiederholt durch Immermann beeinflusst erscheint. 2 3 ) 

In einem Briefe an Beer, dem er eins der wenigen 
Autor-Exemplare, in denen das Zueignungsgedicht ab¬ 
gedruckt ist, sandte, schreibt Immermann in scherzhafter 
Ironie: „Sie bekommen also mit dem Buche noch eine 
litterarische Curiosität, und wenn, woran sich nicht zweifeln 
lässt, schon die ordinären Exemplare des Kaiser Friedrich 
künftig einmal mit Gold aufgewogen werden werden (dieses 
futurum exaetum wird viel zu wenig von deutschen 
Schriftstellern angewendet), so wird Ihr Friedrich ein 
wahrer Schatz für Ihre darbenden Erben sein, die Eng¬ 
länder werden danach suchen wie nach einem farthing 
von Queen tune.“ s ) 

Heute reisst man sich nicht um Exemplare des „Kaiser 
Friedrich“, er ist nur noch einem kleinen Kreise von 

l ) „Eine Mitteilung an meine Freunde* 4 in „Gesammelte Schriften 
und Dichtungen von Richard Wagner 44 . 3. Aufl. Bd. IV. Leipzig, 
bei Fritzsch 1897. 8. 271. 

*) Für seine erste Oper „Die Hochzeit 4 * nahm er den Stoff au» 
Immermanns „Cardenio und Gelinde 44 ; den Zusammenhang zwischen 
Klingsor (in „Merlin 44 ) und Wagners „Wotan 44 wies Paul Kunad 
nach. („Die redenden Künste. 44 V, 8. 860—862, 897 900.) Eine Seene 

de» „Merlin 44 wirkte auf „Lohengrin 44 und die Fäden, die von Immer- 
manns zu Wagners „Tristan und Isolde 44 laufen, sind klar ersichtlich. 

3 ) Beers Br. 8. 51 und 52. — „tune 44 offenbar verdruckt für 

Jane [Gray]. Eine Anregung, die ich Herrn Prof. Schick verdanke. 



142 — 


Eitterarhistorikern bekannt, in weiteren Kreisen weiss man 
nichts von ihm. Ich glaube auch nicht, dass noch die 
Zeit kommen wird, wo man Exemplare des ,.Kaiser Fried¬ 
rich 1,4 mit Gold aufwiegt; es ist kein Werk ersten Rauges. 
sondern nur ein Epigonendrama, freilich eines, das mehr 
Anrecht auf eine bescheidene Würdigung besitzt, als man 
ihm bisher zugestanden hat. 



VII. 

Des Dichters spätere Anschauung über den Stoff. 

Den Stoff sah Immermann stets als ein sehr wichtiges 
Element an, ja überschätzte ihn fast gegenüber der Ge¬ 
staltung. *) Zumal wandte er sich in seiner Abhandlung 
„Über den rasenden Ajax des Sophokles“ (1825) gegeu 
die, welche die Bedeutung des Inhaltes in der Poesie 
leugnen. So hat der Dichter auch über den Wert des für 
das vorliegende Drama historisch Gegebenen viel nach¬ 
gedacht. Freilich kam er später zu ganz anderen Resul¬ 
taten. Über den Stoff, den er vor 17 Jahren, wenn auch 
nicht mit derselben Begeisterung wie Grabbe, so doch mit 
grosser Liebe ergriffen, urteilte er 1838 ziemlich abfällig. 
Im zweiten Bande seiner „Memorabilien“ 2 ) erhebt er 
Zweifel gegen das „legitim-dramatische Blut“ der Hohen¬ 
staufen. Er schreibt: „Sie schweben alle in einer unglück¬ 
lichen Mitte zwischen Sagen- und historischen Gestalten, 
vertragen daher weder eine mythische, noch eine histo¬ 
rische Behandlung. Ihre Kämpfe und Nöthe gehen fast 
sämmtlich nicht aus den allgemein verständlichen, ewig 
haltbaren Motiven des Hasses, Zorns, der Rache, Eifer¬ 
sucht, Liebe u. s. w., sondern aus politisch-religiösen 
Combinationen hervor, die mit uuserm Ideenkreise, mit 
unsern Interessen und den Zuständen, welche dieselben 

’) Vgl. Rieh. M. Meyer, Deutsche Charaktere. Berlin 1897. S. US. 

*) Werke XIX, S. 19. 



— 144 - 


vorbereitet haben, vielmehr längst verschollen sind, au 
denen wir daher nur noch einen gelehrten, theoretischen 
Antheil nehmen können. Ein deutscher Kaiser des Mittel¬ 
alters mit seinen wechselnden Hoflagern ist an und für 
sich schon nur ein erlauchter Nomade. Wieviel schatten- 
ähnlicher und dünner verflüchtigt sich aber das Dasein 
jener ausheimischen, undeutschen Regenten, die nirgends 
Haus und Hof hatten, weder bei uns, wo die ekelhafte 
Widerhaarigkeit der Fürsteu ihnen die Krone verleidete, 
noch in der Lombardei, noch in Apulien, wo sie gern 
sich die Stätte gegründet hätten. Mit einem französischen, 
einem englischen Könige ist es anders. Denen gaben ihr 
Paris, ihr London und Windsor feste Knochen und rundes 
Fleisch, darum dürfen die Dichter der beiden Nebenvölker 
in ihre Geschichte auch nur hineingreifen, um einen dank¬ 
baren Stoff herauszuziehen.“ 

Es liegt sehr viel Wahres in diesen Worten, wenn¬ 
gleich eine völlige Verurteilung des Stoffes unberechtigt 
ist. Der Unmut über Raupachs Hohenstaufendramen hat 
Immermann hier die Feder geführt, wie Boxberger l ) richtig 
annimmt, und Raupachs „Hohenstaufen“ machen sein Urteil 
auch erklärlich. Bezüglich seiner letzten Worte müssen 
wir Immermann aber entgegenhalten, dass die deutsche 
Geschichte im Zeitalter der Hohenstaufen, wie Raupacli 
in der Vorrede 2 ) zu seinen „Hohenstaufen“ hervorhebt. 
„Weltgeschichte“ ist, und die Geschichte anderer Völker 
in jener Zeit nur als „Spezialgeschichte“ betrachtet werden 
kann. Recht dagegen hat Immermann, wenu er die Holieu- 
staufengeschichte für das historische Drama im allgemeinen 
als ungeeignet ansieht, weil sie von der Gegenwart zeit¬ 
lich zu weit entfernt ist, und die Gestalten aus jener 

') Werk.* XVII, S. 15». 

*) 1 »räumt. W. ernst. <i. Kd. V, S. XVII. 



145 


Epoche für uns nicht mehr Fleisch und Blut sind. Sie 
mögen im Liede fortleben, aber nicht im Drama. Die für 
das historische Drama geeignete Zeit beginnt erst, wie 
neuerdings vielfach richtig betont wurde, mit der Refor¬ 
mation. Sehr bald erkannte Immermann die „neuere Ge¬ 
schichte“ als die „ergiebigste Quelle kräftiger und wirk¬ 
samer dramatischer Gebilde“ 1 ) und schöpfte für seine 
nächsten historischen Tragödien die Trilogie „Alexis“ aus 
dieser Zeit. 

Trotzdem kanu ein bedeutender Dichter auch aus dem 
Stoffe, den die Hohenstaufengeschichte bietet, 2 ) Grosses 
machen; das hat uns Grabbe bewiesen, dessen „Hohen¬ 
staufen“ von Immermaun uie gewürdigt worden sind, über 
die sich der Dichter vielmehr irn allgemeinen x sehr ab¬ 
fällig geäussert hat. Leider haben unsere Dichterfürsten 
uns keine Bearbeitungen dieses Stoffes hinterlassen, sondern 
nur Poeten zweiten und dritten Ranges wagten sich daran. 
Es findet sich daher unter den vielen Hohenstaufeudramen. 
die seit Grabbe bis auf die Gegenwart geschrieben worden 
sind, keine einzige Grossthat. 

1 ) Theaterbriefe S. G9 ff. 

2 ) Nach den Erfahrungen, die ich auf Grund der Lektüre einer 
grossen Anzahl von Hohenstaufendramen gemacht zu haben glaube, 
nenne ich als die relativ brauchbarsten Stoffe aus dieser Zeit: den 
Konflikt zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen, die Ereig¬ 
nisse, in deren Mittelpunkt die gewaltige Persönlichkeit Heinrichs 
des Sechsten steht, das Zerwürfnis zwischen Kaiser Philipp und Otto 
von Wittelsbach, zwischen Friedrich II. und seinem Sohne Heinrich, 
sowie zwischen Friedrich II. und seinem Kanzler Yinea. — Besonders 
zu warnen ist vor dem Konradinstoff. 


Deetjen. Iinini-riauinis ..Kaiser Friedrich der Zweite". 


10 



Beigaben. 


[Hormavr au Immer manu. r )] 

Mönchen am 22 . Jänner s*20. 

Nur ein gehäufter Geschäftsdrang und ein, im zweiten 
Monat andauerndes äusserst peinliches Zahnübel, können 
mich entschuldigen, dass ich Ihnen, verehrter Herr und 
Freund, bisher noch immer nicht gedankt habe, für die 
Übersendung Ihres Friedrichs des II., der mit den ernst¬ 
haftesten Studien und mit den liebsten Freuden meines 
Lebens so nahe zusammenhängt. — Ich kann nicht umhin. 
Ihnen aus vollem Herzen jene Bewunderung neuerlich aus¬ 
zudrücken, die ich schon über Ihr „Trauerspiel in Tyrol- 
empfunden habe, das als meisterhafte Behandlung eines 
modernen Stoffes, so lange leben wird, als irgendwo noch 
deutsch geredet und deutsch empfunden wird. 

Des grossen Kaisers Charakter, — der poetische An¬ 
klang in diesem blossen Verstandesmenschen, sobald vom 
Morgenlande die Rede ist, — der Contrast seiner Kinder, 
insonderheit Enzius, der in seiner Beschränktheit, doch 
weit mehr Ruhe und Sicherheit [besitzt], als der [ihm] 
unendlich überlegene Vater, — Marinus, Gherardo. — 
Ambrosius vor allem der Erzbischof, sind wahrhaft herr¬ 
lich und mich wenigstens mahnte Roxelane durchaus nicht 
an die Braut von Messina. 


') Bisher ungedruckt. — liu Goethe- und Schiller-Archiv. 



147 


Das allertrefflicliste dankt mir aber die elegische Ruhe 
des V. Aktes, im Gegensätze der kriegerischen Unruhe und 
der Vertilgungswuth der früheren Aufzüge. — Aufs herz¬ 
innigste bewegt und erschüttert haben mich aber die 
Worte des sonst in seiner innersten Natur ironisch¬ 
ungläubigen Friedrich: 

Und meine stolze Tochter starb .... 

(Zum Erzbischof) 

Du Würd’ger, glaubst du, dass die Heiden auch 

Wohl selig werden können? 

Eine ähnliche Gewalt hat seit langer Zeit keine Stelle 
mehr über mich ausgeübt. — Ich kann ihrer gar nicht 
satt werden und sie tönt mir häufig und ganz unwillkühr- 
lich nach. 

Auch S. M. der König Ludwig gehören zu den ent¬ 
schiedenen Bewunderern dieser Tragödie und wie sehr 
wünschte Allerhöchstderselbe, Ihr herrliches Talent möchte 
sich einmal einen Stoff aus den Jahrbüchern des Hauses 
Wittelsbachs oder Bayerns befreunden! — und wie sehr 
wäre dieses auch mein innigster Wunsch. — Zschokke’s 
Geschichte von Bayern liefert grandioser Gegenstände zu 
einer National-Tragödie mehrere! —Vielleicht schreibt der 
treffliche Minister von Schenk, auch ein Düsseldorfer Ihnen 
ehestens selbst über diesen Gegenstand? — es war sein 
alter Vorsatz und ein rechter Herzenswunsch. 

Genehmigen Sie den erneuerten Ausdruck meines 
Stolzes auf Ihr theures Geschenk, meines Dankes für das¬ 
selbe, sowie jener herzlichen Ergebenheit und ungemeinen 
Verehrung, womit ich niemals aufhören werde, zu seyn: 

Euer Wohlgeboren! 
ganz eigenster 
Hör in ay r. 

10* 



148 — 


[Kanzler von Müller an Immermann. 1 )] 

Weimar, 6. III. 

„Ihr Kaiser Friedrich war nicht mir allein, auch 
schätzbaren Freunden und Freundinnen, denen ich sofort 
Mitgenuss der herrlichen Gabe gönnte, eine anziehende 
und hocherfreuliche Erscheinung. Der Dichter lockte uns 
auch alsbald wieder in Räumers historischen Rüstsaal 
zurück und so mussten wir die acht poetische Auffassung 
und Verknüpfung thatsächlicher Momente zu einer lebens¬ 
frischen Gestaltung und idealen Einheit um so tiefer an¬ 
erkennen. Den überreichen Stoff zu beherrschen war ge¬ 
wiss eine ebenso schwierige, als gelungene Aufgabe. Ich 
enthalte mich billig ins einzelne zu geheu, doch kaun ich mir 
nicht versagen, der vortrefflichen Exposition im ersten Akt 
und des Monologs und der darauf folgenden Auftritte im 
3 tPU Akt, so wie des mit so sichrer Hand aufgestellten 
Gegensatzes im Cardinal und Erzbischof mit ganz be¬ 
sondrer Vorliebe zu gedenkeu. 

Liest man Ihre Skizzen und Grillen im Morgenblatt 
und Ihre “Verkleidungen" unmittelbar nach Ihrem Kaiser 
Friedrich, so muss man Ihnen zweifach Glück wünschen, 
mit so vielseitiger Anschauungsweise begabt zu sevn mul 
so dem Leben nach allen Richtungen hin Bedeutung und 
Genuss abgewinnen zu können.“ 


l ) Bisher mi^edi'uckt. — Im Goethe- und Sehiller-Archiv. 




— 149 


[Aus Fassung A. — Erster Aufzug. 1 )] 

Vierte Szene. 

Enzins und Manfred treten ein. Ersterer tragt eine 
prächtige Schärpe. 

Manfre d. 

Nein Bruder, so erlangst du nicht den Himmel 
Solch ketzerisch Verhalten schleudert dich 
Vom sau’rerklimmteu Berg des Heiles wieder 
Dem Pfuhle zu, worin wir Andern waten. 

Enzius. 

Wenn Manfred scherzt, wär* es vergebne Mflhe 
Dem Strom der losen Laune sich zu stemmen. 

Er rollt, bis seine Quelle ist versiegt. 

Ich bitte dich, mein Bruder, schweige hier. 

Bedenk den Ort, bedenke 

(auf den Kardinal deutend) 
diesen Zeugen. 

Manfre d. 

Bedenk du selber deiner Sunde Art. 

Es ziemt sich, hier sie kund zu machen: denn 
Ein geistliches Gericht ist in der Nähe, 

Das falsche Heilige, wie du, verurtheilt. 

Herr Kardinal, ich klag auf schnöden Abfall 
Vom Christenthum, hier gegen Enzius, 

Den jugendlichen König von Sardinien. 

K ardinal. 

Was ist es, das die Kaisersöhn’ entzweit. 

Und mich zum Richter heitern Zwist s beruft? 

l ) Ich publiziere diene Bruchstücke der älteren Fassungen nicht 
etwa aua dem Grunde, weil ich ihnen einen besonderen poetischen 
Wert beiraesse, sondern lediglich, um einen weiteren Einblick in des 
Dichters Arbeitsweise zu gewähren und Kontrolmaterial für meine 
Aufstellung der Fassungen zu geben. 



150 


E nzius. 

Da euer Ohr geduldig sich dem müss’gen Scherz 
Hingiebt, so hört des Handels nicht’gen Gegenstand, 
Der Bruder gönnt mir diese Schärpe nicht. 

Manfred. 

Nicht gönnen? Wie? Was fällt dem Stolzen ein? 
Pflück du die Wunder Aepfel von dem Baum 
Der Hesperiden, raub das goldne Vliess, 

Erobre von den Schatten, Helena; 

Nicht wird der Neid mein fürstlich Herz beflecken. 
Was hier errungen werden kann, dazu 
Hält Manfred sich berufen. — Eminenz, 

Mein Bruder ist, Ihr wisst, ein frommer Beter, 

Mischt Wasser stäts zu seinem Wein, und hat 
In Jugendlust noch nie ein Weib berührt. 

Soll mich’s nicht schmerzen, wenn so hoher Ruhm, 

So fleckenlose Reinheit sich verunziert. 

Seht nur die Schärpe, die der Perserschach 
Nicht prächt ger trägt. Von wem, Herr Kardinal 
Meint Ihr, dass dieser Heil'ge sie empfangen? 

Enzi us. 

Nicht heilig zwar, bin ich doch so geartet. 

Dass ich bekenne gern vor dem Verhör — 

Die Schärpe ist der Dank des Lauzenrenneus. 

Von heute früh. Die Königin des Festes, 

Die schöne Sarazenin Roxelane 

Die unsern Hof ziert, gab sie mir, das Glück 

Liess mich im Spiel zu ihrer Ehre siegen. — 

Genug! — Traft Ihr den Weg nach Pisa sicher? 

Manfred. 

Er weichet aus! Er lenket ab! Was soll der Weg 
Nach Pisa hier zur Sache? Sie liegt ab 



— 151 — 


Von dem gemeinen Wege. Eminenz, 

Der Blick! Der Blick, mit dem der heil’ge Enzius, 

Von dieser jungen Göttin unsres Hofes, 

Der reizumstrablten Roxelan’ empfing 
Die Schärpe, seht, der Blick bezüchtigt ihn 
Verbotner Neigung 

Zum himmelvollen, himmelschenkenden Heidenkiude! 

Er brannte, dieser Blick! Er machte blühn 
Die Rosen alle auf dem Angesicht 

Der süssen Zauberin! Ist dieses recht? 

Er strebt den Engeln zu, der kalte Enzius! 

Begnüg’ er sich am Himmel, den er sucht! 

Er lass uns armen Sündern dieser Erde 
Der armen Erde bunte Sünderlust! 

Kardinal. 

Es scheint, mein Prinz, die Liebe zu dem Bruder 
Euch bis zu hohen Opfern zu begeistern. 

Ihr nähmt, ich glaub, um seiner Seele Heil 
Die Schuld des Blicks, dess ihr ihn angeklagt, 

Des glühnden Liebesblickes gern auf Euch? 

(Manfred blickt betroffen nieder und schweigt.) 

Enzius. 

Ich warnte Dich, mein lieber Manfred. Schlimm 
Ist allzuweit getriebner Scherz. Du siehst, 

Wie man verhäugnissvoll Dir deine Worte 
Ausdeuten könnte, wären sie nicht Scherz! 

Zweiter Aufzug. 

Erste Szene. 

Der Saal, wie zu Anfang des ersten Aufzugs. Thaddäus 
vou Suessa kommt mit dem Kämmerlinge. Nachher 

der Kaiser. 



Thaddäus. 

Hier bleib, der Kaiser will dich hier 
Vernehmen, Kämmerling. Er jubelte. 

Der Kardinal? Sagst du? Hast du's auch recht 
Bemerkt? Irrst du dich nicht? 


Kämmerling. 

Ich irr' mich nicht. 

Er jauchzte, wie der Vogel, dessen Fuss 
Des Vogelstellers Schling entronnen ist. 

Th ad däus. 


Seltsame Zeichen; Unheil deutend Jubeln! 

Und mir, mir wollte er nicht Rede stehn, 

Als ich auf Unterhandlung drang! Ich bin 
Ergrauet in Geschäften, weiss den Aal, 

Der mir entschlüpfen möchte, festzuhalten. 

Doch diese Schlange war mir allzu schlüpfrig. 

Hier kommt der Kaiser. 

Der Kaiser (tritt ein in festlichem Kleide). 
Wird’s mir nicht mehr gegönnt, eine Stunde 
Vom trocknen Ernste auszuruhn im Arm 
Der holden Traumspendrin, der Dichtung? Was? 
Was willl der Kämmerling? 


T li a d d ä u s. 

K äm m erling. 


Erzähle. 

Ich 


Ging Nachmittages durch die Gallerie 
Von wo man in die Fenster schauen kann 
Von der Abtey, die den Herrn Kardinal 
Gastlich empfangen hat. Ich sah im Ränfter 
ihn reden mit dem Bruder Cölestin, 

Der, wie ich weiss. nach Rom vor kurzem reiste. 
Neutrier bezwamr mich, ich blieb stehn und drückte 



153 — 


Mich hinter einen Pfeiler, und .nun sah ich. 

Dass Cölestin ein Schreiben übergab. 

Bleich ward der Kirchenfürst, als er’s erbrach, 

Er flog es durch, dann stürzte dunkles Roth 
Ihm auf die Wangen, und dem Aug’ entsürzte 
Ein Strom von Thränen. 

Er liess das Schreiben fallen, faltete 

Die Hand’ und sah mit heissem Blick gen Himmel. 

Und dann umarmte er den Cölestin. 

Der Abt erschien, der Prior kam, es füllte sich 
Der Ränfter an mit allen Patribus, 

Worauf der Kardinal dem ganzen Kloster 
Eifrig und triumphirend etwas vortrug. 

In diesem Augenblick erschienen Menschen, 

Die zwangen mich, den Lauscherplatz zu lassen; 
Doch eine halbe Stunde später hört' ich 
ln der Abtey ertönen das Tedeum. 

Kaiser. 

Hast du noch sonst was zu berichten? 


Kämmerling. 


Kaiser. 


So geh. 


(Der Kämmerling geht) 

Wesshalb, Thaddäus, lässt du mich 
Das Plaudern dieses Burschen hören? 


Nein. 


T h a d d ä u s. 


Herr, 

Ich fürchte Unglück. Unsre Feinde jubeln, 

S' ist was geschehn, was deiner Sache schadet 
Wenn wir es nur erst wüssten! 



— 154 — 

Kaiser. 

Lieber Alter! 

Willst du mir nützen, fürchte nicht zu viel. 

Die Furcht ist der Magnet, der Böses anzieht, 

Im Dunstkreis ängstlicher Gedanken zeugen 
Sich Schrecken über Schrecken, und ein Unglück, 

Ein wirklich Unglück ist’s schon, wenn wir beben 
Vor dem Erträumten. Doch ein lichtes Haupt 
Umschweben starke, lichtesfrohe Götter. 

Die grösste Tugend ist die Heiterkeit, 

Und dass man trägt geruhig, was man muss. 

Thaddäus. 

0 Herr, vergieb dem Diener, dem das Haar 
Auf deinem Haupte heilig ist, die Sorge. 

Nicht aus der Luft saug ich die Bangigkeit. 

Ich schickte vor ’ner Stunde nach dem Kloster, 

Wollt’ reden mit dem Kardinal, er ward 
Verläugnet, und der Bote sagte mir, 

Er solle fortgeritten sevn. 


Kaiser. 

¥,r wird sich wohl Bewegung machen wollen. 

Der Kämmmerling (kommt zurück) 

Ein Ritter, Kaiserliche Majestät 
Sprengt’ athemloser Eile in den Schlosshof. 

Er komme von Rom, und habe was zu sagen. 
Was eilig sey; so spricht der Ritter. 

Kaiser. 


Nun wohl. 


Ist dieser Manu? 


K ä m in e r 1 i n g. 


In deines Zimmers Vorst. 


Kaiser. 

Führ ihn zu mir. Ich will die Posten hören. 

(Kämmerling ab.) 

Was wird es seyn? Ein leerer Lärm, nichts weiter. 
Das Leben schilt beständig roh und grell 
Ia das Gespräch, was unsre Seele hält 
Mit ihrem Genius und der Schönheit. — Manfred 
War just am Singen eines Minneliedes, 

Als du zu mir dich wandtest. Durstig trank 
Mein Ohr das Säuseln seiner schönen Schwingen. 

Ich hab’ seit lange kein solch Lied gehört; 

Es glühte röthlich, wie der Mond, wenn er 
In lauern Nächten sanft und innig über 
Der Berge goldbeglänztem Haupt emporschwimmt, 
Und leis beginnt das Fest der Lieb’ und Andacht. 

Es thauete süssduftend hin, wie Honig, 

Den mit dem zarten Mund die kleine Biene 
Der Ros’ abküsst von Schiras. — — Sieh, es macht 
Mich selber zum Poeten. Ich vergesse 
Ganz unsern Ritter und die Wirklichkeit. — 

Ja, wahrlich, wär ich Friedrich nicht, der Kaiser, 

Ich möchte Friedrich wohl, der Dichter, * seyn; 

Dann wär ich Kaiser meiner Träume; dreist 
Setzt' ich mich mit den Göttern selbst zum Mahl. — 
Nun komm, weil ich der Kaiser einmal bin, 

Muss ich den Ritter hören. 

(Er geht mit Thaddäus durch die Flügelthür ab.) 

Zweite Szene. 

Roxelaue (tritt auf). 

Er folgt mir nach; der schöne Bruder naht; 
Unwissend folgt er seiner Schwester Pfad, 

Der Schwester Pfad! Er sucht die Mitgeborne 
Die Niebesessene! Die Fast Verlorene! — 



Er liebt mich schon, ihm sagt's das Herz, wie mir. 

Dass einer Riesen Ceder Sprossen wir; 

Ihm sagt's das Herz, sein Blick voll Ruh und Gute 
Schaut sanft nach mir, enthüllt mir sein Gemüthe. 

Ihr Engel, einst gezeugt von Allahs Macht 
Dass Ihr der Welt Geheimnisse bewacht; 

Legt mir die Finger auf die schwache Lippe, 

Damit ich vom verbotnen Glück nicht nippe. 

Ihm an das Herz zu fallen, treibt es mich, 

Ihm: Bruder! zuzulallen, drängt es mich! 

0 rauscht Ihr Engel, mit deu ernsten Flügeln, 

Und lehrt mich des Entzückens Stürme zügeln. 

Dritte Szene. 

Enzius. Roxelane. 

E n z i u s. 

Ich folge dir, du holder Morgenstern, 

So fremd und so vertraut, so nah, so fern, 

Ro xe lan e. 

Und warum folgst du mir? 

Enzius. 

Im Räthselspiele. 

Zu künden unverstandene Gefühle. 


Roxelane. 

So bleiben sie ja Räthsel. 


Enzius. 

Räthselhaft 

Ist immerdar der süssen Minne Kraft. 

Roxelane. 

Du nennst mich Morgenstern, bin ich ein Stern, 

So darf ich nicht aus meineu Bahnen weichen, 

Die Liebe sucht der Liebsten Nähe gern; 

Wie aber willst du deine Minn' erreichen? 



Enz i us. 

Das Auge ist der Seele mächt'ge Hand, 

Womit sie greift zum fernsten Himmelsraum 
Das Aug’ erobert ihr das Azurland, 

End schenkt den Stern gefällig ihrem Traum. 

Roxe la n e. 

So ist's ein Traum, der deine Seel' umfangen? 


E u z i u s. 

Ist nicht die Minn' in Träumen stäts gegangen? 

Ro xe lane. 

Und dann erwachte sie; und alles wich! 

Der Himmel schwand, der Morgenstern erblich! 


E n z i u s. 


0 glaube, nie wird meinen Traum versehren 
Der herbe Tag. — Willst du mein Räthsel hören? 

(Er zieht ein Blatt aus dem Busen und liest 
gegen sie gewendet:) 


Hat der Venus Sohn getroffen, 

Offen 

Klaffen dann vom Pfeil die Wunden 
Stunden 

Tiefsten Wehes, bittrer Schmerzen, 
Nagen kläglich. 


nagen au der Seel' 
unsäglich 


Als du aufgingst unsern Tagen, 

Sagen 

Musst ich mir in meinem Muthe, 

Blute 

Armes Herz nun ohne Ende, deiner Zärtlichkeit Verschulden 
Musst du dulden. 



I 


— 158 — 


Aber anders wurd’ es, besser! 

Messer 

Blieben ferne, lieblich spielten 
Zielten 

Ruhige Gedanken milde, schwankten über Roxelanen 
Friedeusfahnen. 


«tili 


Nie hab ich in engen Schalen 
Strahlen 

Unsrer Sonne fangen wollen, 
Grollen 

Kann ich nicht der Welt, wenu 
Stern der Frauen! 


N if 


brünstig sie verlangt, 
dich zu schauen. 


*a: 




Nahst du mir, so naht ein Segen 
Regen 

Süssen Mannas träufelt nieder; 

Wieder: 

Gehst du, stärkt die Hoffnung, immer dich auf's Neue n 

gewinnen, 


Meine Sinnen! 


Sag warum blieb fern die Wehmuth? 

Demuth 

Fesselt fromm geweihtes Sehnen, 

Thränen 

Wein’ ich, aber freud’ge, Amor hat mein krankend 

geheilet, 


Nicht getheilet. 


Her; 


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Sprich, erklär mir's holdes Rathsei! 
Räthsel 

Bin ich mir, ist mir die Liebe; 
Triebe, 



— 159 


Nächtlich brüllend sonst wie Löwen, warum ruhen im 

Gedämmer 

Meiner still vom Glück erfüllten Seele, sie wie fromme 

Lämmer? 

Roxelan e. 


Deine Räthsel, schöner König, tönen wie im Thal die Lieder, 
Echo wachet auf am Felsen, hört sie, singet Räthsel wieder: 
(Sie legt die Hand nachdenkend an die Stirn, 
und sagt nach einigem Besinnen:) 

Fragst, warum aus Liebesflammen 
Stammen 

Deinen Tagen keine Klagen? 

Sagen 

Müsst ich dir, wie ich dich liebe, und nicht dunkel mehr 

dir bliebe 

Deine Liebe! 


Wenn du mir an s Herze sänkest, 

Tränkest 

Ströme meiner Zärtlichkeiten: 

Gleiten 

Würden in den Busen Ströme Lichtes, dich belehrte Klarheit 
Klärte Wahrheit! 

Dass doch bald der Tag erglänze! 

Kränze 

Reinen Glückes warten Deiner! 

Meiner 

Warten Stunden goldner Freiheit, in das Auge dir zu 

schauen. 

Meines Busens tief Geheimnis deinem Busen zu vertrauen, 

E n z i u s. 

Welch verwirrendes Gewebe ! Schöne Fürstin aus dem Osten, 
Jetzo lassest du zuerst mich, dumpfer Zweifel Qualen kosten. 



Roxelane. 

Glaube, Enzius, im Spiele werden sich die Qualen lösen. 
Und ich seh dich himmlisch lächelnd von dem Zweifel 

schon genesen! 

Enzius. 

Zeugen nahn, ich höre Tritte. 

Roxelane (in die Szeue blickend). 

Himmel Manfred! 


Enzius. 

Du erbleichest? 

Roxelane. 

Bleib bei mir, Geliebter! Wehe! Ich muss beben, wenn 

du weichest! 

Enzius. 

All Ihr Heiligen! Was ist das? 

Roxelane. 

Ach, er suchet mich verwirret: 

Und er weiss nicht, der Unsel’ge, wie an mir und sich 

er irret! 

Enzius. 

Ha! So ist doch wahr das Unheil! Bleibe still, ich 

weiche nicht. 


Vierte Szene. 

Manfred. Die Vorigen. 

Manfred (eilt leidenschaftlich auf Roxelane zu). 

Dich, dich such ich! Wie der Sklave schmachtet nach des 

Tages Licht, 

In dem dumpfen Kerker; schmaoht’ ich, deine Hände zu 

ergreifen, 

Und von meiner Brust die Lasten, und den Fels des Weh.' 

zu .streifen. 



161 


Ich vermag nicht mehr zu schweigen, dulde meine wilden 

Worte. 

Denn, bei Gott, du musst mich hören! Nicht entrinnst du 

diesem Orte! 


Manfred! 


Roxelane. 
E n z i u s. 


Bruder! 


Ma uf red. 

Kalter Enzius, dämpfe, was zu dämpfen ist, 

Doch versuch' es nicht, zu löschen, wenn die Flamme um 

sich frisst, 

Und die Balken schon erglühen, die der Ernte Haufen 

tragen; 

Und an heissgebräunten Garben schon die nahndeu Gluten 

nagen! 

Enzius. 

Bruder, mäss’ge dich, ich flehe, schaue diese Pfeiler an; 

Wenn’s der Vater hört! Ach! giebt es nichts, was dich 

bezähmen kann? 

Tritt ein Ritter, welcher seine Pflichten gegen Damen kennt, 

Wohl so roh und so gewaltsam, zu der Frau, für die er 

brennt? 

Manfred. 

Hat das Unglück andre Rechte, als die es sich selber schrieb? 

Muss die Flut sich schelten lassen, dass sie nicht im Ufer 

blieb? 

Liebe, die erhörte, schweiget, decket sich mit Blüthen- 

zweigen, 

Aber die verworfne Liebe darf sich kühn den Menschen 

zeigen; 

Nur das Glück ist's, welches flüstert, nicht zu wecken 

Schicksals Rache, 

11 


Deetjen, IminerinanriH „Kaiser Friedrich der Zweite“. 



— 162 — 


Schreien darf das Weh! Kein Neider schadet der ver¬ 
lornen Sache! 

Täusch' ich mich denn, Roxelane? Glaub ich, dass mir 

Hoffnung blüht? 

Nein verstossen hast du Manfred, und ihn fliehet dein Gemüth! 
Hast das Menschenkind verachtet, und dem Heil’gen dich 

ergeben; 

Hast in Gram mein Herz ertränket, und entblättert mir 

das Leben; 

Aber hütet Euch, Ihr Frohen! denn mein Schmerz ist auch 

ein Riese, 

Hütet Euch, dass er nicht heulend Euch zerstampft des 

Glückes Wiese! 

Roxelane. 

Drohst du der, die du zu lieben vorgiebst, wüst und 

freventlich? 

Ich verachte Dich und gehe! 

(zu Enzius) 

König! Ihr beschützet mich. 
(Sie geht.) 

Manfred. 

Stolzes Weib! Du mich verachten? 

(Er will ihr folgen.) 

(Die Flügelthüre im Grunde wird aufgethan.) 

Enzius (hält Manfred auf.) 

Wie sich deine Sünde brüstet. 
Hege Scham! Der Vater nahet, ernst und finster. 

Stahlgerüstet! 

Fünfte Szene. 

Der Kaiser (im Harnisch, tritt auf). Die Vorigen. 

Kaiser. 

Ja, im Harnisch erscheint der Kaiser, und er mahnt 



— 163 — 


Zu dem Harnisch Euch auch, Ihr meine Söhne. 

Die weiche Seide thut von Euren Gliedern 
Entkleidet Euch des Sammtes! Legt das Hemd 
Von Eisen an, denn eisern ist die Zeit. 

Hängt Eure Lauten an den Wänden auf. 

Die Welt verlangt nach Minneliedern nicht, 

Sie ist nur lüstern nach Trompetenwirbeln! 

Der Pabst ist entflohn! 

Enzius. 

Entflohn? Wie ist das möglich? 
K aiser. 

% 

Mein lieber Sohn! Was ist unmöglich dem Verrathe? 

Der Kanzler Peter hob den Reigen au, 

Nun folgen andre auch. — Genua verräth 
Den frischgeschlossnen Frieden, Alberich 
Und Frangipani, deren Treu’ ich Rom 
Und Ostia anvertraut, sind auch Verräther; 

Warum? Ich weiss es nicht. Ich machte diese Menschen 
Gross, Reich und Mächtig. — Meine jungen Löwen, 
Erhebt zum Sprung die Glieder; Stellet Euch 
Als Wächter treu vor unsres Wappens Zelt, 

Es gilt noch einen Gang mit jener Brut 
Der alten Nacht! Den Gevern und den Eulen! 

Manfred. 

Mein Vater, in den Harnisch stürz’ ich mich! 

Manfred sagt Dank dem Pabst für seine Flucht; 
Schildhalter will ich seyn dir, Waffenträger, 

Und mit dem Enzius ringen in der Schlacht 
Um deine Liebe! Heil dem flücht'geu Gegner! 

Im Kriege heilt ein Herz, das mit sich hadert! 

(Er geht.) 

K a i s e r. 


Was will dein Bruder? 


11* 



— 1()4 — 


Enzi u s. 

Vater, forsche nicht! 

Lass uns ihm Heilung wünschen, die er sucht. — 

0 armer, lieber Vater, Thräneu dringen 
Zum Auge mir, seh’ ich dein würdig Antlitz 
So ernst und kummervoll! Könnte dein Enzius 
Für deine Ruhe kämpfen!, Musst du wieder, 

Da du die müden Glieder in dem Schatten 
Des sanften Oelbaums endlich pflegen wolltest, 
Schweiss, Mühe, Noth bestehn? Mein Herz bricht mir, 

Seh’ meinen grossen Vater ich so traurig. 

# 

Kaiser. 

Aus deiner Lieb’, aus Enzius Sinne weht 

Mich in der »herbsten Noth ein Athem an der Stärke. 

ln vielen Dingen war mein Leben peinlich. 

In einem Stücke muss ich’s dennoch preisen, 

Dass es den Sohn mir gab, der nie den Vater 
Durch einen Athemzug gekränkt. — Das sey, 

Weil’s Wahrheit, dir gesagt in dieser ernsten Stunde. 
Nun, lieber Sohn, bedeuken wir, was Noth. 

Zieh gleich mit Manfred und dem Kern des Heeres 
Hin nach Fossalta und lagre dort. Wir müssen 
Die Feinde suchen, eh sie suchen uns. 

Zwar seh ich die Geburt der neuen Gährung 
Noch nicht, doch hör ich, wie mich dünkt 
Das Zischen schon der alten Städtehydra. 

Ich will hier noch die Modeneser sprechen 
Und die von Paruia, prüfen, ob sie mir 
Die bis hieher bewahrte Treu erhalten, 

Dann folg’ ich dir. — Gehab dich wohl, mein Sohn. 

(Enzius geht, in der Thür kommt ihm Thaddäus 

entgegen.) 



— 165 — 


Siebente Szene. 

i 

Rathsherren von Modana und Parma (treten auf). 
Unter ihnen: Gherardo von Canale; und Azzo. 
Vorige. [D. h. der Kaiser etc.] 

Der Kaiser (neigt vor den Eingetretenen, 
die im Hintergründe stehn bleiben, das Haupt wendet 
sich aber dann zu Thaddäus). 

Sehr unerwartet ist Uns, lieber Kanzler, 

Was Ihr von diesem Schritt des heil’gen Vaters, 

Dem ausgeschriebenen Conzil, der Ladung, 

An Uns, in sonderbarer Weis’ erlassen, 

Uns habt berichtet. — 

Es ist des Kaisers Amt. den Freveln wehren, 

Wo sie, und wie sie sich bereiten mögen. 

Ein ungeheurer Frevel aber strebt 
Sich in Lyon jetzt zu vollenden. Denn 
Es sitzen zu Gericht und über Uns, 

Die selber Recht von unserm Thron empfangen 
Von Uns, als ihrem höchsten Herrn und Richter. 

Und woll’n Gewalt gebrauchen gegen Uns, 

Die höchste Macht, in der die andern Mächte 
Der Erde sich verklären und sich rein’gen, 

Wie Wolken in der Sonne heil’gem Glanz. 

Wir senden Euch desshalb in unsrer Vollmacht 1 ) 

(Thaddäus geht. Der Kaiser wendet sich gegeu die 
Gesandtschaft. Gherardo und Azzo treten vor.) 

Was bringen meine Städte: Modena 
Und Parma? 


1 ) Die folgenden Verse nicht vollständig erhalten. 



— 166 — 


Gherardo. 

Untertänigkeit und Huld’gung 
Und Dienst, beut Rath und Bürgerschaft von Parma 
Durch mich der Majestät des Kaisers an. 

Azzo. 

In mir wirft Modena sich dir zu Füssen. 

Kaiser (zu Beiden). 

Es sind bei Euch noch Welfen, wie ich höre. 

G h erardo. 

Der Herr verderbe sie! Er thue auf 

Den Schlund der Erde, und die Rotte Korah 

Stürz’ in den Abgrund! Grosser Herr und Kaiser, 

Du kannst nicht bitterer die Welfen hassen, 

Als Parmas treue Bürgerschaft sie hasst. 

Wie Epheu rankt sich unsre Lieb um dich, 

Schlingt fest die Ranken um den stolzen Stamm. 

Von deiner Macht, und opfert lieber Zweige 

Und Blüthen auf und Blätter, als dass sie 

Von dem umschlungnen Stamm sich reissen Hesse. 

Azzo. 

Amen spricht Modena. Ist Parma Epheu, 

So gleichet Modena der festen Eiche, 

Die ihre Wurzeln in den Felsen treibt 
Der Treue! Brechen kann die Eiche, aber 
Nicht von dem Felsen ihre Wurzeln reissen. 

G h erardo. 

Eiu Sklav ist Parma, der die Hand des Herrn 
ln Unterwerfung küsst, und dessen Stolz 
Gehorsam ist und dessen Hoehmuth Dienen. 

Azzo. 

Ist Parma Sklav: gleicht Modena dem Wurme, 

Er wohnet zu den Füssen dessen, der 



— 167 — 


Ihn tritt, lind krümmt sich nur, und ächzet nicht, 

Wenn er getreten wird. 

Der Kaiser. 

Genug! Genug 

Wir danken Euch für die Versichrungen 
So redlich, als Ihr sie gegeben habt. 

Mit wieviel Reisigen und Rittern denkt Ihr 
Das Heer der Ghibellinen zu verstärken? 

Gherardo. 

Darüber fehlt mir Parmas Willensmeinung 

Azzo. 

Ich muss gestehn, ich bin nicht unterrichtet. 

Kaiser. 

So liesst Ihr just das Wichtigste zurück. 

Doch thut es nichts. Ich kenne Eure Stärke. 

Parma stellt tausend Reiter, Modena 
Mir fünfzehnhundert. Binnen zween Tagen 
Sind beider Städte Haufen mir gerüstet 
An der Fossalta, wo der neue Kampf 
Vermuthlich wird beginnen. Sagt den Städten, 

Sie sollen pünctlich halten ihre Frist; 

Wo nicht; wird harte Strafe sie ereilen 
Für frühere und jetz'ge Säumigkeit. 

(Ab. Die Übrigen gehn auch auch ab bis auf Azzo 
und Gherardo, welche auf der Bühne bleiben.) 

Achte Szene. 

Gherardo. Azzo. 

A zzo. 

Ein gewalt’ger Herrscher, dieser Kaiser Friedrich! 

Gherardo. 

Ein grosser Mann! — Ein würdger Potentat' 



168 — 


Azzo. 

Ihr nennt Euch seine Sklaven. 

Gherardo. 

Ihr verglicht 

Die Modenesen Würmern! Pfui! Ein Wurm 
Ist doch ein gar zu winzig Ding, Herr Azzo. 

Azzo. 

Ihr wisst. Gherardo, dass die Würmer stechen. 

Dass selbst den Löwen töten kann ein W’urm. 

Ich finde den Vergleich so übel nicht; 

Womit ich aber gar nichts sagen will, 

Denn Modena bleibt treu dem grossen Kaiser. 

Gherardo. 

Ja wohl! Ja wohl! Für Parma bürg ich auch. 

Was soll man thun, als ihm gehorchen, und 
Durch Schmeiehelevn den Druck zu lindern suchen. 

Er hat einmal die erzne Ferse auf 
Dem Nacken der lombard’schen Freiheit! 


Was wird noch daraus werden? Hat er erst 
Den heilgen Stuhl besiegt, und unsre Schwestern, 
Glaubt Ihr, wir werden anders seyn als Knechte? 

G herardo. 

Ach nein! Das ist der Jammer ja, dass wir 
Im Grunde gegen unsern Vortheil fechten, 

Und gegen die, mit denen eine Brust 
Wir sogen, welche unsre eigne Mutter 
Italien gebar. Wenn ich dran denke, 

So möcht ich weinen. — Ach das schöne Mailand! 
Die herrliche Bologna! 



169 — 


Azzo. 

Die gefällige 

Piacenza! Das gewässerreiche Mantua! 

Gherardo. 

Blutig rollt durch Verona bald die Etsch! 

Azzo. 

Nicht erntet Lodi mehr der Ceres Segen! 

G herardo. 

Das Wort der Weisheit starb in Padua! 

Azzo. 

Der Tanz der Bergamasken ist dahin! 

G h e rardo. 

Zur Wüstenei wird unser Gottesgarten, 

Der Fremdling sucht die Stätte, wo wir standen, 

Wenn unser Schirmherr sinkt! Wenn unsre Bruder 
Im Kampfe sinken! Nicht verschonen wird 
Die Hand des Siegers uns. So treu wir dienten, 

Wir werden ewig doch ein Dorn ihm seyn. 

Azzo. 

Das ist es! Das! Er ist ja ein Tyrann. 

Die Freiheit schreckt ihn und die Städte sind 
Ihm widrig wie das Gift! 

Gherardo. 

Wenn man bei Zeiten 

Sich noch verstände, könnte man das Unheil 
Vielleicht noch wenden! 

Azzo. 

Ja, das ist gefährlich. 

Denn seht, eh’ man sich blossgiebt, muss man doch 
Einander recht von Herzensgründe kennen. 

Gherardo. 

Ja, und wer schaut dem Andern in das Herz? 



170 — 


Azzo. 

Das ist das Unglück! ’S giebt gar viele Schurken; 

Und Mantelträger, heute so und morgen so. 

G herardo. 

Wenn Parma plötzlich welfisch sich erklärte — 

Azzo. 

Ich wusste nicht, was Modena dann thäte. 

Gherardo. 

Das führt zu nichts. Ich bin ein Kriegsmann, hasse 
Den langen Umschweif. 

(Er sieht umher.) 

Zeugen sind nicht da 

Ich straf Euch Lügen, wenn Ihr mich verrathet. 

Parma ist tief im Innersten schon Welfisch. 

Zwei Drittel unsrer Bürger und des Raths 
Sind für die Sach’ gewonnen. Heute Nacht 
Vermählt der Oberst Tavernieri seine Tochter; 

Der Hochzeitsjubel dienet unserm Anschlag. 

Wenn alles sorglos sich im Wirbel dreht, 

In Wein begraben liegt, so öffnen wir 

Des Pabstes Neffen, Hugo Sanvitale 

Mit seiner Schaar das Thor — und morgen früh 

Weht, wenn es Gott gefällt, die rothe Fahne 

Mit den zwei Schlüsseln frank von unsrem Dom. 


Azzo. 

Ist das Eur Ernst? 

G herardo. 

So helf’ mir Gott, als i«! 

Die Wahrheit Euch gesagt! 


A z zo. 

Daun zählet Moden 

Zu Euch. Wir wollen Boten senden; sehn sie 
Von Eurem Dom die Kirchenfahne wallen, 



171 — 


Solln unsre Thürme gleiches Zeichen tragen. 

Und unsre Thore öffnen sich dem Bunde 
Wie Arme, die die Braut dem Bräut’gam öffnet. 

Gherardo. 

Hier meine Hand! Parma küsst Modena! 

Triumph, dass Ihr des Sinnes seid! Wer wollte 
Bei dem gebannten Ketzer stehn! Wir ziehen 
Vereinigt nach Fossalta! Freilich nicht, 

Wie es der Kaiser will. Glaubt niir. 

Sein Schicksalsstern beginnet, ihn zu hassen. 

Man kann nichts bessres thun, als ihn verlassen. 

(Sie gehn zu verschiedenen Seiten ab.) 

Dritter Aufzug. 

Im Lager des Kaisers bei Fossalta. Ein Zelt. 
Erste Szene. 

Der Kaiser. Marinus von Ebulo. 

Kaiser. 

Sind die von Parma und Modena 
Nun eingerückt? 

Marin us. 

Noch nicht, Eur' Majestät. 
Kaiser,. . 

Heut’ ist der Tag, den ich den Städten setzte. 

Ich hoffe dennoch, dass sie pflichtvoll kommen. 

Marinus. 

Mag seyn. Und bleiben sie am Ende aus, 

Thut’s auch nichts, Kaiserliche Majestät. 

Das Wälsche Volk ist mir im Grunde lieber 
Im Antlitz, als zur Seife. Falsche Freunde, 

Die haB’ ich gern auf Schusses Weite von mir. 



Kaiser. 

Recht magst du haben, Alter; doch der Kaiser 
Siehst du, der braucht gar Mancherlei; der braucht 
Die Guten und die Bösen. — Ist das Kriegs Volk 
Vollzählig und im Stand? — 

Marius. 

Ich denk's, o Herr. 

Wenn du nachher die Musterung halten willst, 

Wirst du, ich hoffe, mir zufrieden seyn. 

Kaiser. 

Hast du von Abfall oder Meuterei 
Anzeichen wohl bemerkt? 

Marin us. 

Herr, grad heraus! 

Verlass dich nicht zu sehr auf die Apulier, 

Und auf die Wälschen überhaupt. 

Ich kanns nicht hindern, sieh, die Bettelmönche 
In Schaaren strömen sie zu ihrem Lager, 

Und jeder dieser Unbeschuhten ist 

Ein Knecht und Bote Oktavians, ich weiss es. 

Kaiser. 

Wie ist es mit den Deutschen? 

M a r i n i u s. 

Die sind sicher 

Der Deutsche kann ein Tölpel seyn, doch ein 
Verräther ist der Deutsche nicht. Die halten. 

Kaiser. 

Nun, wohl, so steck die Wälschen unter sie. 

M arinus. 

Gab' Ansteckung. Verzeih, mein grosser Kaiser; 

Der kleine Dienst ist deinem Aug’ zu klein. 

Spann' ich den Schelm zusammen mit dem Braven 



So nimmt der Schelm den Braven mit sich fort. 

Die Menschen taugen einmal alle nichts — 

Halt mir zu Gnaden, dass ich’s grad heraus 
So sage, wie ich’s meine. — In ein Lager 
Hab’ ich die Wälschen alle eingepfercht; 

Wenn sie nun übergehn, so gehn sie über 
Auf ihre Kosten und Gefahr. Sie reissen 
Uns keinen Mann, der Stich hält, ins Verderben. 

Kai ser. 

Ich muss dich schalten lasseu, alter Rottenmeister, 

Im Übrigen denk’ ich, das Leid ist aus, 

Und neue Freude hebt die mächt’gen Flügel. 

Geh, ich komm’ bald in s Lager. Hoffentlich 
Giebt es den zweiten Tag von Cortenova. 

Marinus. 

Wir wollen’s wünschen. 

(Er geht.) 

Zweite Szene. 

Der Kaiser (allein. Er sieht dem Marinus uach). 

Das ist auch ein Gesicht, was mich nicht lässt! — 
Wie? Muss ich mich denn freun, dass ich der Pflicht 
Von einem Diener mich versichert halte? 

Ist Friedrich denn so arm geworden? — Ja, 

Friedrich ist arm und um so ärmer, als 

Den Schein des Reichthums er um sich verbreitet. 

Verbreiten muss. Die letzten Wellen weichen, 

Und Ebbe wird im Staude meiner Sachen. 

Ich aber muss mit meines Glückes Schiff 
Mich auf den höchsten Fluten lügen! 0! 

Wie arm ist Friedrich, wie arm und schwach! 

Wer sich mit Lügenbildern täuschen kann, 

Wem seines Stolzes Einbildung den Traum 



- 174 — 


Von unermessnen Kräften träumen lässt, 

Den schätz’ ich glücklich, denn der Mensch ist ja, 
Was er zu seyn sich selber eingebildet. 

Wem aber klar und scharf der Seele Spiegel, 

Die wirkliche Gestalt der Dinge zeigt: 

Ach, der ist zu bedauern; Keine Täuschung 
Wiegt ihn in ihrem Arm! Ihm schmeichelt nicht 
Der holde Wahn, und keine Furienmaske 
Deckt sich mit Blumen vor ihm zu. Er zittert, 
Sieht er den Feind, der wie zwei Riesen ihm, 
Dummheit und Schlechtigkeit entgegenführt, 

Denn was ist mächtiger als das Böse? Was 
Ist so unsterblich, wie der Aberwitz? — 

Gelassen muss ich scheinen, und ich bebe 
Bei jedem Hufschlag, den mein Ohr vernimmt. 

Der Reiter, denk ich, kommt mir von Lyon. 

Weiss ich nicht schon, als hätt’ ich es gehört, 

Was Innocenz mir dort bereitet? Wird 
Der Feind die Stunde wohl entrinnen lassen, 

In der er mich zerschmettern kann? Und was. 
Was hab’ ich einzusetzen wider diese 
Geheimnissvolle Macht? die mächtig ist, 

Weil alle Welt im Fieberwahn 
Nach Babel taumelt! 

Was hab’ ich, als die Treue ein’ger Starken, 

Und keine Stärke hält dem Strom der Zeit, 

Der ihr entgegeurollt! — Das ist der Kaiser, 

Und Kaiser Friedrich ist ein armer Mann. — 

Dritte Szene. 

Enzius (tritt auf). — Der Kaiser. 
Enzius. 

Stühle dein Herz, mein Vater! Eine Nachricht 
Von bösem Klange bring' ich dir. 



— 175 — 


Kaiser. 

v Dein Wort 

Ist übel, doch das Antlitz blicket ruhig, 

Mit dem du’s sprichst. 

Enzius. 

Ich kann dem Vater nichts 
So Böses sagen, was sein starker Arm 
Nicht gut und dicht unschädlich machen kann. 


Kaiser. 

Wie? — Hältst du mich so stark, mein lieber Enzius? 


Enzius. 

AVer wäre stärker wohl auf dieser Erde! — 

Parma und Modena sind abgefallen. 

Kaiser. 

Sind abgefallen? 

Enzius. 

Parma stürzte meuchlings 
In Blut die Unsern, Modena beging 
Den gleichen Frevel, beide Städte stehn 
Zu deinen Feinden. 


K aise r. 

Wer hat's überbracht? 

E n zius. 

Gherardo von Canale. 

Kaiser. 


Das ist ja derselbe. 

Dess Athem rauschte von Versichrungen, 

Die Parma mir von ew’ger Treue sandte; 

Und der kommt jetzt, und sagt den Abfall an? 


Enzius. 

Er spricht, er theile nicht den Hochverrat!), 
Er sey entflohn, aufrichtig dir zu dienen; 



176 — 


Du seyst sein rechter Herr; Ich glaubte ihm. 

Und nahm ihn auf. 

Kaiser. 

Und du hast wohl gethan. 
Denn wollten wir Jedweden Mann verbaunen, 

Der utis verdächtig scheint, so wären wir 
Bald ohne Heer. Zudem, wesshalb erschien 
Er wieder, wenn er schuldbelastet wäre? 

Man muss ihm glauben, insoweit hienieden 
Noch einem Menscheu Glaube werden kann. 

0 böser Stand der Dinge! Alles wandelt 
Sich unter meinen Händen, Ehr’ und Biederkeit, 
Zerfliessen, fass ich sie, in leeren Dunst! 

Vierter Auftritt. 

Manfred. Die Vorigen. 

Manfred (eilig hereintretend). 

0 Schmach und Schande! Unbegreiflich ist, 

Wie Menschen solchen Frevels fähig sind! 

0 Vater! Vater! Welches rasenden Erfrechens 
Hat man sich gegen dich erkühnet! 

Kaiser. 

Manfred! 

Diess strudelnde und stürmische Verhalten, 

Ziemt keinem Fürsten, Ich verlange, dass 
Du ruhig zu mir trittst, wenu du mir was 
Zu hinterbringeu hast. Ein Fürst muss nie 
Vergessen, dass die Völker auf ihn sehaun, 

Und dass, wenn er nur einen Schritt gewichen. 

Vom Gleis der Ruhe, Tausende in wilder, 

In fiebernder Bewegung sich verlieren. 

Was hast du zu berichten, sag rnir's au! 



— 177 — 


Man f re d. 

Hier kommt der Kanzler, der es sagen wird. 

Fünfte Szene. 

Thaddäus von Suessa. Die Vorigen. 

. Kaiser. 

Du bringst das so genannte Urtheil von Lyon! 

Thaddäus. 

Verkläre nicht in deinem Mund zum Urtheil. 

Was schaudervoller Wahnsinn heissen wird. 

Bei allen Männern, welche Urtheil hegen. — 

Wer weilte gern bei der Geschwulst des Trotzes, 
Der Eiterbeule faulen gift’gen Hochmuths, 

Mit des Erlösers Namen missgetauft? 

Drum sag’ ich nur in Kürze, wass ich muss. 
Gesprochen hab ich in Lyon, wie ich 
Zu sprechen hatte, mein Gewissen klagt 
Mich keiner Mindrung deines Namens an. 

Was aber frommen Gründe, was Vernunft, 

Wenn wilde Feindschaft nur Verderben durstet? 
Olm’ Umfrag, ohne Untersuchung, ohne 
Gemeinsamen Beschluss ward diese Sache 
Von Innozenz verhandelt; Und er stimmte 
Mit deinen Feinden nur; besonders rasten 
Die Spanier und die VVälschen: Endlich klang 
Aus des entbrannten Pabstes Mund der Spruch: 
Du seyst entsetzt in beiden Reichen, quitt 
Der Kronen Deutschland und Apulien. 

Sie seyn ins Freie jetzt gestellt, und neu 
Nun wieder zu vergaben. Jedermann 
Sey los und ledig seines Eides. Pflicht 
Sev es, dir bis an’s letzte Gut zu kommen. 

Welch’ Würd’ und Ehr' auf deinem Haupt gewesen 

I> »? e tj «*n. Imincrmtum'* ..Kaiser Frinlrieh d**r Zweite". 1 



— 178 — 


Sie sey mm ab und todt. Verflucht sey Jeder, 

Der deiner noch als eines Herrn gedenke. — 

Als dieses Wort erschollen war; da sah ich 
Selbst deine Feinde seitwärts blicken, und 
Erbleichen; doch die Freunde wandten sich, 

Und gingen aus dem Saal verhüllten Hauptes. 

Nur Innozenz blieb fest auf seinem Stuhl, 

Und stimmte, ruhig blickend, wie es schien 
Mit tiefstem Donnerton an das Tedeum. 

Ermuthigt fielen die Prälaten ein, 

Des Saales Pfeiler bebten dröhnend nach. 

Als der Gesang zu Ende war, da senkte 
Der Pabst die Fackel, die Prälaten senkten 
Die Fackeln, und des Pabstes Fackel losch, 

Und der Prälaten Fackel. Innozenz erhob 
Die Stimm’ und sagte, auf die Fackeln deutend: 

So ist des Kaisers Glanz und Glück erloschen. 

(Eine tiefe Pause. Der Kaiser steht nachdenkend, in sich 
gekehrt. Enzius und Manfred haben sich abgewendet.) 

Der Kaiser. 

„So ist des Kaisers Glanz und Glück erloschen! u 
Bin ich im Sarge denn und schon begraben? 

Wie? Beide Kronen, sagst du, sprach der Pabst 
Dem zweiten Friedrich Hohenstaufen ab? 

[Es folgt die Kronenscene.] 

[Vierter Akt.] 

Dritter Auftritt. 

Gherardo von Canale (anfangs allein). Nachher: 

Ein Vermummter. 

G herardo. 

0, dieser Tag stürzt alle Ghibellinen, 

Ich sch' es an dem Antlitz, ihrer Ersten, 



179 


Das, einer Trauerfahne gleich, den Tod 

Der Hoffnung, die im Herzen starb, verkündet. 

Zeit wird es, aus dem Schiffbruch sich zu retten. 

Soll ich den Prinzen ohne Botschaft — — Nein! 

Pfui! Pfui! Das wäre doch zu bös gehandelt. 

Ich will ja meinen Nutzen nur, ich bin 
Kein Bösewicht, der Lust am Elend hat! 

Der junge König hat es nicht verdient, 

In seiner wilden Feinde Hand zu fallen; 

Dem Prinzen sag’ ich erst des Königs Noth, 

Das sey mein letzter Dienst! 

(Er will abgehen.) 

Ein Vermummter (erscheint auf dem Felsenwege.) 

Gherardo von Canale! 

Gherardo. 

Wer ruft? — Ha, Nachtgespenst, was willst du mir? 

Der Vermummte. 

Lies! Prüfe, Handle! 

(Er wirft einen Brief hinunter.) 

G herardo. 

Was? ein Brief! 

(Er hebt den Brief auf. Der Vermummte verschwindet 

hinter den Felsen.) 

Verschwunden 

Der Bringer, wie ein Bild der Phantasie. 

Ich ahne schon, der Brief kommt von den Welfen, 

Allein wesshalb die seltsame Beförderung? 

(Er bricht auf und liest.) 

Wir wissen, du bist beim König Enzius. Ugones 
Zug liefert den König mit den Seinigen iu unsre 
Hand, und macht uns dann mit leichter Mühe zu 

Meistern des Kaisers und des Manfred. Wir wissen: 

12 * 



— 180 — 


Ugones Zug ist verrathen. Auf dir steht demnach 
unsre Hoffnung. Du wirst durch List und Klugheit 
zu verhindern wissen, dass Manfred seinem Bruder 
zu Hülfe kommt. Das Wie? bleibt deinem Scharf¬ 
sinn überlassen, du bist scharfsinnig, wir haben das 
in Sanct Sebastians Abtey erfahren. Handle wie du 
musst, bei Gott, du bist verloren, wenn du nicht das 
thust, Was wir dir anbefehlen. Siegen wir, so fällt 
das Haupt des Ungehorsamen unter dem Beile des 
Henkers. Siegt der Kaiser, so geben wir ihm Nach¬ 
richt von dem Verräther in seinem Lager, und deine 
Tage sind auch dann zu Ende. Du wirst vielleicht 
verzweifeln, wenn du diess gelesen; das ist gut, denn 
die Noth macht erfinderisch. 

0 all ihr Himmelsmächte, welch ein Blatt! 

Die Hand des Kardinals — o Herr! o Herr! 

Ach rette mich aus dieses Teufels Krallen! 

Ach, nun seh’ ich die scheussliche Gestalt 

Des alten Feindes! Wie die Augen funkeln! 

Wie sich die schwarze Mähne borstig sträubt. 

Wie aus dem rothen Rachen schon die Flammen 

Die mich verzehren sollen, dampfend schlängeln! 

Wort hält der Fürchterliche! Ach mein Gott, 

In wessen grause Macht bin ich gefallen! 

Verloren bin ich, muss mein elend Leben 

Durch einen schwarzen Frevel retten! 

[Fünfter Akt.] 

Dritte Szene. 

Bologna. Ein Kerker. Im Hintergründe eine Tlnir. 

Enzius (sitzt am Fenster). 

Wo bliebst du. meines Lebens bunter Traum? 

Dämmernd liegt hinter mir, was ich gewesen. 



— 181 — 


Da blinkt’s von Kronen, Schwertern, Lanzen, Fahnen, 
Da schallt’8 von Lauten- und Trompetentönen! 

Wie sicher schien das Alles, wie geschenkt 
Für Ewigkeiten! Und wo schwand es hin? 

Ein Augenblick nahm all die Herrlichkeit! 
Verwandelte den Kaisersohn zum Bettler! 

Der Arme, der in Lumpen dort am Pfeiler 
Sein trocknes Brod zernagt, tauscht er mit dir? 

Ich glaub' es nicht. — Und noch vor wenig Tagen, 
Könnt' ich sein Gott, sein Schicksal werden; ihn 
Mit einem Griff, nachlässig in die Tasche, 

Kaum an ihn denkend, glücklich machen! — 0 
Wir armen Menschen! — Warum quälen wir 
Uns doch so sehr, zerbrechen uns den Kopf 
Um Wappen und Devisen mancherley 
Zum Unterschiede auszusinnen? Ist 
Nicht unser Aller wahr gemeinsam Wappen 
Ein Todtenbein; und sollten wir nicht alle 
Uns durch das Leben kämpfen mit dem Worte: 
Vergänglichkeit? — 


Vierte Szene. 

Der Kerkerwächter tritt ein. Enzius. 
Kerkerwächter. 

Gott grüss’ Euch, edler König! 

Enzius. 

Dank, mein Alter. 
Ke rkerwächter. 

Schöpft Ihr was wen'ges frische Luft? 

Enzius. 

Ja wohl, 

Der Abend ist gefäll'ger, als die Herrn 
Des Staates von Bologna. Denn er schickt 



Mir Alles, was er hat; Labsal, Erquickung 
Zu meinem schmalen Fenster mild herein. 

Siehst du, mein Alter, immer reicht die Wuth 
Der Menschen nur bis an ein Feld, worin 
Ihr grausames Gesetz nicht gilt. Und nehmen 
Kann uns ihr Zorn, nur was zu nehmen ist. 

Die höchsten Guter aber nimmt dir Niemand. 

Das holde Licht, sieht es nicht grad so freundlich 
In meines Kerkers Kluft, als in des Pallast’s 
Gewölbten Bogen? Seh’ von meinem Thurm 
Ich nicht des Himmels mehr, als wohnt' ich unten, 

Im Prachtgemach, gehemmt von Dach und Giebel? 
Freiheit und Erde haben sie genommen, 

Das Licht, den Himmel mussten sie mir lassen; 

0 glaube mir, mein lieber Bonifaz, 

Haushalten können ist der wahre Reichthum; 

Das Gluck macht uns verschwenden. Seit ich muss 
Haushalten mit den Freuden, dünkt's mich oft. 

Ich habe deren mehr! — 

K erkerw achter. 

Mein edler König 

Mir kommt das Wasser in die Augen, hör’ ich 
Euch so gelassen und so ruhig sprechen. 

Sie nennen mich den rauhen Bonifaz; 

Wahrhaftig, man muss rauh wohl werden, weuu 
Man nichts im ganzen Jahr thut, als Gesindel 
Zum Kerker nein, zum Kerker naus zu schliessen. 

Dass ich ein Herz noch hab’, lern’ ich durch euch. 

Mir ist, als hört’ ich Messe, seh’ ich Euch 
So leiden in Geduld! 

Enzius. 

Mein guter Mann, 

Du siehst mich nur die Waffen brauchen, die 
Man mir gelassen hat. — Hab ich noch Speer 



— 183 — 


Und Schwert, um meinen Feinden anzukämpfen? 

Was hab’ ich, als Geduld? Die will ich tapfer 
Und standhaft ihrer Wuth entgegensetzen, 

Und wenn sie Dolche haben, mich zu stechen, 

So hab’ ich Kraft, es schweigend zu erleiden. 

Kerkerwächter. 

So jung! So schön! So schuldlos! 

Enzius. 

Sieh, da nennst 

Du lauter Gluck, was mich hierher begleitet. — 

Die Jugend trägt des Kerkers Moder leichter; 

Die Schönheit zeugt mir hier in meiuem Grabe 
Nicht die Versuchung, und, mein Bonifaz, 

Dass ich unschuldig leide, ach, das ist 
Das grösste Gluck iu meinem Unglück ja; 

Welch eine Höll’ umfingen diese Mauern, 

Wenn mir die Schuld die grässliche Gesellschaft 
In ihnen leistete? — Ich sage dir: 

Auf jenem mürben Kissen atbmet Nachts 

Ein leichter, ruh’ger Schlaf. — Siehst du nun ein, 

Was ich behauptete? 

Kerkerwächter. 

Ich sehe ein, 

Was ich zu thun hab’. Zweifelnd, bangend, ob 
Ich nicht ’nen Schurkenstreich begehe, kam ich. 

Eur’ Anblick aber hat mich fest gemacht. 

S'sieht nicht aus, wie Frevel; s’ ist Gerechtigkeit. 
Schwört, König mir, wenn Ihr iu Freiheit seid -- 

Enzi us. 

0 Gott, ist etwas Günstiges beschlossen 
Im Rathe deiner Stadt? 

K e r k e r w ä c h t e r. 

Hofft nichts vom Rath 



— 184 — 


Er ist gewilligt. Euren Stamm zu tilgen. 

Sie haben sich mit schwerem Eid verbunden, 
Und auch die jungen Leute schwören lassen, 
ln ewigem Gefangniss Euch zu halten, 
Unlösbar, selbst wenn Ihr mit purem Gold 
Den Marktplatz von Bologna decken wolltet. 

Enzius. 


In ew'ger Haft! — Und ich hab’ Vier und Zwanzig! 

Kerkerwächter. 


Schwört, wenn Ihr frei, Euch nicht zu rächen an 
Der Stadt Bologna! 

E n z i u s. 

Was soll dieser Schwur 


Mich rettet Keiner! 


Kerkerwächter. 

Schwört ihn, edler König 


Enzius. 

Du sonderbarer Mann! Leicht wär* der Schwur; 
Von allen Dingen, die nicht leicht zu fassen, 

War das am schwersten mir, zu fassen, dass 
Die Menschen an der Rache Lust empfinden. 


Kerkerwächter. 

Ich will nicht Fluch auf meinen Nacken laden 
Von meiner Vaterstadt! Ich will auch nicht, 
Dass Tugend Qual erleide! Mit dem Leben 
Hätt’ ich den Schlüssel zur Gefängnissthür 
Vertheidiget; hielt’ man Euch auf gelinde 
Bedingung fest. Doch die Hast ist unchristlieh 
Und grausam. Nun vernehmt zwei rasche Worte. 
Vor Kurzem kam verstohlen an mein Haus 
’Ne Dame von des Morgenlandes Bildung — 

Enzius. 

0 Gott, was sagst du! 



185 — 


Kerkerwächter. 

Schüttete mir Gold 

Und Edelsteine viel vor meine Füsse — 

Das hab’ ich liegen lassen; doch als sie 
Für Euch zu weinen anhub, und als ich 
Dann dacht’ an Euer abgefallnes Antlitz; 

Da hat mich’s überwunden; gleich kommt sie — 

Ich will nicht hindern, was sie mit Euch vorhat. 

Enzius. 

Du wolltest — treuer — biedrer Bonifaz — 

Kerkermeister (ergreift seine Hand). 

Bevor Ihr geht, möcht’ Euch ein armer Mann 
Noch gern was sagen, mein erlauchter König! 

Seid gütiger, als Euer Vater! Denkt 
Mitunter auch, dass Ihr ein Mensch, wie wir. 

Glaubt mir, wir armes Volk, wir lassen uns 
Todtschlagen für ’nen König, der nur mal 
So thut, als gäb er was auf Unsereins. 

Nun, nichts für ungut. — Dort an jeuer Thür 
Da springt das Schloss so recht nicht in den Bügel, 
Braueht’s, wie Ihr könnt. — Ich lüg mich nachher durch 

(Er geht.) 

Enzius (allein). 

Und kam’ die Weisheit Griechenlands, und gäbe 
Mir Regeln, Sie vermöchte nichts zu sagen, 

Was besser wäre, als dein schlichtes Wort, 

Du alter Wärter! — Eines Fürsten Wahlspruch, 

Der einz’ge Wahlspruch sey: Ich bin ein Mensch. 

Das einzig stürzte meinen grossen Vater, 

Dass er den Spruch vergass. — 0 güt’ge Engel, 

Brecht Ihr, errettend, meines Sarges Riegel! 

Ich soll noch einmal Freiheit kosten! Sie 
Die theure, edle Roxelane. soll 



— 18(5 — 


Der Rettungsengel werden! Ha, Ich höre 
Die Tritte draussen! Ja, sie ist’s! sie ist’s! 

(Er eilt gegen die Thur.) 


Fünfte Szene. 

Roxelane (tritt durch die Thür). Enzius. 
Roxelane. 

Sie ist’s! Und du bist frey! Die Rosse harren! 

Die Kleider sind bereit! Komm, Enzius! 

Verliere keinen Augenblick! folg mir! 

Enzius. 

Und stände Tod auf diesem Augenblick. 

Und lauerte der Henker, mordgerüstet, 

Vor jener Thür, ich müsst’ ins Antlitz dir. 

Du theure Schwesser, schaun, mein Antlitz müsst’ ich 
An deinen Busen legen, und gerührt dir sagen. 

Ich danke dir für deine hohe Liebe! 

Roxelane. 

Lass das! 

Enzius. 

Du wendest dich? 

Roxelane. 

Hinweg! Komm nur! 

Enzius. 

Du gönnst mir nicht dein Antlitz! Ist’s die Liebe 
Nicht, die dich hergeführt? 

Roxelane. 

Die Liebe führte 

Mich, das ist wahr! — Von dir begehr’ ich nichts. 

Als dass du dich von mir erretten lasst! 


Enzius. 

Begehrst du deines Bruders Liebe nicht? 



187 — 


Roxelane. 

Der Bruder schlug sie seiner Schwester ab. 

Als dies’ ihn darum flehte, und ihr Herz 
Von Zärtlichkeit warm überwallend ihm 
Entgegentrug. Da bat ich meinen Gott 
Nur um die Kraft, dich stäts zu lieben, aber 
Dem, was du mir versagt, nie nachzugehn! 

Enzi us. 

Schwester, ich werde schwer von dir verkannt! 

Roxelane. 

Glaubtest du nicht: ich sey verloren hier und dort? 
Sieh mich drauf an: Glaubst du nicht noch dasselbe? 

(Enzius schlägt die Augen nieder.) 

Dein Auge ist ein treuer Dollmetsch. Nun 
Ich will des Mitleids Regung, wie man sie 
Auch wohl empfindet für ein armes Thier, 

Nicht deinen Kuss verdauken. 


Enzius. 

Roxelane. 


Roxelane! 


Sey ruhig. Die Verwirrung geht zu Ende. 

Mein letztes hier ist deine Rettuug. Dann 
Führt mich sogleich ein Schiff nach Morgenland. 
Damit ich Euch nicht ferner mit Euch selbst 
Entzweien mög’. Ich aber will am Jordan 
Und unter Balsarnstaudeu zu vergessen suchen, 
Dass ich bei Christen war. 


E n zins. 

Was sagst du da? 
Roxelane. 

Ihr hasst und mordet, was zu Euch und Eurem 
Paniere nicht geschworen! — Still davon! 



188 — 


Wir tödten Augenblicke, kostbar wie 
Demanten, komm, sag ich. 

Enzius. 

Geh du allein! 


Ich bleibe hier! 


Roxelane. 

Wie? 


Enzius. 

Denn was soll ich draussen? 
Hier ist es traurig, aber still und klar; 

Du zeigst auf einmal mir das grause Rätbsel 
Aus dessen Schlingen ich hieher entrann, 

In seiner Schrecklichkeit von Neuem wieder! 

Der unglücksel’ge Vater, und der Bruder, 

Die Schwester, ewiglich von uns geschieden! — 

Wer tauchte seinen Fuss wohl wieder ein 
In all der Widersprüche gährend Meer, 

Wenn er einmal der Brandung war entgangen? 

Roxelane. 

Enzius, auf meinen Knien beschwör’ ich dich; 

Wir sind verloren, wenn du zauderst. 


Sag das dir selbst, zur Eile dich zu treiben. 

Mich beugst du nicht. Ich bin gerettet, fühl’ es; 

Ich fühle mich im Hafen. Dieses war 
Die letzte Lockung in das Trügliche. 

Sie ist bestanden, meine Probe. Nun 
Umfängt mich die Unsterblichkeit, die Gnade 
Küsst mir mit ihren Fittichen die Stirn! 

Leb wohl! 

Roxelane. 

Weh, sein Verstand ist krank geworden! 



— 189 — 


X 


E n z i u s. 

Jawohl, er fühlt sich siech, du ahnest nicht 
In welchem Sinn du Recht hast. — Lehe wohl, 

Ich danke dir für deine schöne That; 

Obgleich ich ihrer nicht bedarf. Dem Vater, 

Wenn du ihn siebest, sag! Ich woll’ im Kerker 
Nunmehro leben, und im Kerker sterben. 

Er habe so die Sachen eingerichtet, 

Dass seine Kinder, wenn sie heilen wollen 
Vorm tiefen Schmerz, der unser Haus durchzieht, 

Sich in die Wüste flüchten müssen, oder 
Ins Grab! 

Roxelane. 

Das letztere sey meine Zuflucht, 
Wenn s unser Loos so will, Und möglich ist’s 
Dass mich Verhängniss schon beim Wort ergreift. 
Verratben sind wir, glaub’ ich. Ehrne Tritte 
Hör’ ich der Treppe Stufen stampfen. 

Sechste Szene. 

Ugone. Bewaffnete. Vorige. 

I go ne (zur Thür hinaus). 

Werft 

Den pflichtvergessnen Bonifaz mit Steinen, 

Bis er verathmet hat! — Besetzt die Pforten, 

Bis dass wir hier, was wir beschlossen, tliaten 
(Er tritt vor zu Enzius.) 

Ruchlose Schlange, nicht der Milde werth, 

Wir wollen dich verhindern, zu entgleiten! 

Roxel a ne. 

Wer bist du Elender, der du es wagst. 

Zu einem Kön’ge das zu sagen? 




En zins. 

Bleib ruhig, meine Schwester! — (zu Ugone) Rede weiter: 

Ugone. 

Du hast in einem Lied bei muss’ger Weile 
Des Lichtes und des Himmels dich gerühmt; 

Es scheint, du bist noch viel zu reich. 

Der Überfluss macht kühn und freiheitslustig. 

Hinfort sollst du nicht Licht, noch Himmel schaun. 

Führt ihn hinweg und thut, was ich befohlen. 

E n z i u s. 

Man wird mich nicht zu führen brauchen. Denn 
Ich gehe willig. Wohin soll ich gehn? 

Ugone. 

Dort, durch die Flügelthür. 

Roxelane. 

Bekämpfe. Enzius 

Die Frevler, die dich höhnen! Ha, ich fühle 
ln mir des Mannes Kraft! Ich helfe dir! 


Enzius. 

Wir wollen siegen über unsre Feinde, 

Wie der gesagt, der in dem Siege stürzte 
Die Hölle und den Tod! 

(Er geht durch die Flügelthüre, einige Bewaffnete folgen. 
Man hört hinter der Szene die Schläge eines Hammers.) 


Roxelane. 

— — — Was ist’s. dass Ihr 


Mit ihm beginnt? 

U go ne. 

Er wird angeschmiedet. 
Die Kette muss den halten, den sein Sinn 
Nicht hält! — 



— 191 — 


Roxelane. 
Und Ihr seid Menschen? 


Ja! 


Ugone (nach der Flügelthüre gehend) 

Fertig jetzt? 

Stimmen hinter der Thür. 


Ugone. 

Nun so öffnet diese Thür; Ihr sollt 
Gleich frische Arbeit haben. 


(Die Flügelthür wird aufgethan. Ein finsteres Gewölbe 
wird dahinter sichtbar. Man sieht den Enzius mit schweren 
Ketten an einen Pfeiler desselben geschmiedet.) 
iRoxelane wendet sich bei diesem Anblick schaudernd ab.) 


Ugone (zu den Bewaffneten). 

Bringt sie her! 

Roxelane. 


Was sinnt Ihr mir? 


Ugone. 

Da du so sehr ihn liebst, 
So wird's dich freun, Gesellschaft ihm zu leisten. 

An jenen Pfeiler schmiedet sie wie ihn! 

So können sie niemandem dann erzählen, 

Wie’s ihnen geht! 

Ro xelane. 


Du hast vergessen, dass 
Ich meines Vaters Tochter bin! Geliebter, 

Vergieb mir meinen Stolz! Der Tod, der.Alles löset, 

Vereine unsre Seelen wieder! Denke 

Der Schwester,-deren Herz für dich geschlagen! 

Ihr wollt mich fesseln? 

Die Hohenstaufin lässt sich fesseln nicht. 

(Sie ersticht sich mit einem Dolche und sinkt.) 



192 — 


Enzius. 

0 meine Schwester! 

(Er sinkt in seinen Ketten zusammen.) 

Ugone (den Leichnam betrachtend). 

Tödtet Euch. Das sparet 

Die Muhe uns! Wenn das Geschlecht der Nattern 
Sich selbst zerstört, so brauchen wir den Kopf 
Ihm nicht zu spalten. — Bringt die Leiche weg! 

(Roxelanes Leiche wird weggetragen.) 

Enzius (richtet sich auf). 

Noch einmal rede ich zu dir, Ugone: 

Und dann nicht wieder. — Sende eine Botin 

An meinen Vater und verkünde ihm 

Des Einen Kindes Nacht, des Andern Tod! 

Ertragen kann er Alles, deun ich kenn' ihn, 

Nur nicht den Zweifel. — Willst du mir’s versprechen? 

U gone. 

Du bittest, was ich will. Er soll erfahren, 

Wie es den Seinen geht. — Hast du noch was 
Zu wünschen? 

Enzius. 

Nichts, als dass die Flugeithür 
Sich schliessen möge und du mich nicht zwingest, 

Deu Mörder Roxelanens noch zu schaun. 

Ugone. 

Geschehe dir, wie du gebeten hast! 

Versenkt den König in das ew’ge Dunkel! 

(Die Flügelthür wird geschlossen. Ugone und die 
Bewaffneten gehen ab.) 

[Aus der] Letztefu] Szene. 

Marinus von Ebulo. Vorige. [D. h. der Erzbischof, 
der Kaiser u. s. w.J 



— 193 — 


Marin us. 

Wo ist die kaiserliche Majestät? 

Erzbischof. 

Vor’m Throne einer hohem Majestät. 

Marinus (den Leichnam sehend). 

Ach lieber Gott, ist denn mein Kaiser todt? 

Erwache Herr, ich bring’ dir Freudenpost! 

Dein Feind, der böse Kardinal ist hin. 

Er führte die Loinbardeu zu dem Sturm 
Entgegen deiner Freistatt, diesem Kloster. 

Und ich wollt’ dich vertheid’geu, lieber Herr, 

Doch braucht ich’s nicht. Denn als die Wälschen sahn 
Des Klosters Mauern, fasste sie ein Schauder, 

Und rückwärts wichen sie. Sie wollten doch 
Das Heiligthum nicht schänden! Und da fasste 
'Ne ungeheure Wuth den Kardinal, 

Und vorwärts trieb er sie mit Klingenhieben. 

Da ward ein Aufruhr, und in dem ist er 
Von seinen eignen Leuten todtgestochen! 

Ach hör’ es doch, mein theurer, gnäd’ger Herr 
Was dir dein alter Rottenmeister sagt! 

(Er kniet bei dem Kaiser.) 

[Aus der Fassung b.j 

Dritter Aufzug. 

Der Saal in Pisa. 

Erster Auftritt. 

Enzius den Manfred an der Hand haltend. 

E u z i u s. 

Ich schwöre Dir, Du irrst mit Roxelanen! 

Geliebter Bruder, Eifersucht sieht falsch 
Durch ein gefärbtes, feuergelbes Glas; 

Deetjen, Iimnerinuiins „Kaiser Friedrich der Zweite“. 


13 



194 — 


Durch das erblickt, flammt der Galanterie 
Von leichtem Roth kaum überflognes Antlitz 
Zu dunkler Glut erhitzter Wunsche auf. 

So ist der Fall mit Dir, mit mir — mit ihr. — 

Ich schwör’ es Dir! — Glaubst Du dem Schwure nicht, 
Den Dir ein Ritter und ein König leistet? 

Manfred. 

Ich will ihm glauben, wie der Kranke sich 
Bemüht, an eines Trankes Kraft zu glauben, 

Den der verlegne Arzt gutmüthig trügend 
Im letzten Kampf des Lebens ihm verschreibt. 

Mein Leben ist vergiftet, und mir gäbrt 
In jedem Tropfen Bluts der arge Tod! 

Enzius. 

0 such Gesundheit an des Bruders Busen, 

Und heile durch die Liebe, die dir da 
Ein reicher Quell, gelind entgegenspringt! 

Ach, welch ein Unstern droht ob unserm Hause; 

Es wankt in seinem Grunde! Niederkracbte 
Der Fluch des Pabstes auf des Vaters Haupt! 

Und wir, die Pfeiler dieses Tempels, hadern, 

Die nächsten Freunde sind einander Feinde, 

Verbündet jenen Welfen! 

Manfre d. 

Bruder, schweige! 

Mit jedem Wort tbust du mir bitter Unrecht! 

Stehst du auch in dem Sonnenschein des Glücks: 

Muss Manfred auch in deinem Schatten wanken, 

Und ist sein Leben trübe, düster, nächtlich. — 

Ganz sterneulos ist keine Nacht der Erde, 

Und Ehre blieb der Stern von Manfreds Nächten. 

Die letzte Kraft des Arms, den letzten Hauch 
Verpfänd’ ich dir. verpfänd’ ich unsrem Vater! 



Ich will, sinkt ihr zu Boden, vor Euch stehn, 

Und kämpfen, bis Ihr aufgestanden, dann 

Will ich davon gehn, und den Dank Euch missen! 

Sieh, das gelob’ ich dir! — Schwur gegen Schwur! 

E nziu s. 

0 trotz'ger Bruder! (liebt es kein Geschütz, 

Die Veste deines Herzens zu erobern? 

Was willst du? Sags! Ich geh’ es meinem Manfred! 
Die Liebe deines Enzius willst du nicht! 

Willst du des Enzius Krone? Nimm sie hin! 

Willst du des Vaters Gunst? Ich theile mich 
Mit dir in diese Gunst! Ich schenke dir 
Des theuren Ganzen Hälfte, fleh’ den Vater, 

Dass er die Schenkung dir genehmige! 

Manfred. 

Ich nehme nichts geschenkt! Behalt die Krone, 

Behalt des Vaters Gunst! Ich nehme nur, 

Was ich erringen kann mit meiner Faust! 

Brich du für mich der Hesperiden Aepfel, 

Biet mir das goldne Vliess; Ja, führe du 
Mir von den Schatten Helena entgegen — 

Ich schlag' es aus! Das glaub mir, Enzius! 

Denn, weil der Minne Hand sich scheut zu flechten 
Ihr Myrtenreis um Manfreds rauhes Haupt, 

So hab ich mich dem Lorbeer anverlobt, 

Und dessen Blatt, führt, wie du weisst, die Tugend 
Dass es nur grünt in eines Kämpfers Locken! 
Genug hiervon! — Ich werde heilen, Enzius. — 

— Denn fest wie Stahl ist Manfreds fürstlich Herz — 
Bleibt nur ein Wehe meinen Tagen fern! 

Du hast mir’s zugeschworen! 

(Er küsst dem Enzius die Stirn.) 

Täusch mich nicht! 



Enzius. 

Dich täuschen? Ich? Beim ew’gen Licht des Himmels: 
Ich könnte Liebe, wäre sie im Herzen, 

Um dich aus meinem Herzen reissen, Manfred! 

Doch halt! 

(Er sieht in die Szene.) 

Der Vater naht! In Stahl gerüstet! 
Furchtbar hat diese Nachricht ihn ergriffen, 

Ein schrecklich Feuer blitzt ans seinen Augen; 

Manfre d. 

Erwarten wir ihn hier! 

(Sie treten zur Seite.) 

[Schluss des Kaisermonologs. — Siebente Szene.] 

Nun, du hast Wort gehalten, edler Freund. 1 ) 

Du sahst den Sturz des schwäbschen Hauses nicht. — 
Den Sturz des schwäbschen Hauses! — Ist’s so weit? 
Ich glaub', es ist so weit! — Ein Wunder nur 
Kann unsern Thaten heitern Ausgang geben, 

Und darfst du wohl auf Wunder hoffen, Friedrich, 

Der du die Wunder dir und andern nahmst? 

Die Söhne, werden sie das bauen, was 
Der Vater nicht zu baun im Stande war. 

Nein! Nein! Den Helden schmückt, die Fassung. Tapfe 
Blick in der Gorgo schlangenhaaricht Antlitz; 

Der Herbst ist da! All meine Blätter fielen. 

Und öde war das Feld rings um mich her! 

Es bleicht der Hohenstaufen goldner Stern. 

Mein Kaiserhaus neigt sich zu seinem Ende. 

Wir streiten morgen für die Ehre noch. 

Für weiter nichts; das Andre ist zu Ende. 


l ) Der im Kampfe gefallene Thaddaeus wird hier anger*.^ 



— 197 — 


Und geht’s zum Ende, denkt ein guter Wirth, 

Ein guter Vater an die lieben Kinder, 

Bestellt sein Haus, dass er im Frieden sterbe. 

0 meine Kinder! Ja denk’ ich au Euch, 

Legt sich der Friede, wie ein sanftes Oel 
Gelind und heilend über meine Wunden, 

Man hat mich arm gemacht, doch denk ich Eurer, 

So dünk’ ich mich in Euch ein reicher Mann. 

Ich will mein Haus bestellen, will in Ordnung 
Noch bringen, was mir noch verbleibt. 

(Er klingelt, der Kämmerling kommt.) 

Geh nach dem Zelt des Königs Enzius, 

Ich lass’ ihn zu mir bitten. — 

(Kämmerling ab.) 

Den liebsten Sohn setz’ ich der liebsten Tochter 
Zum Vormund und zum Schützer ihrer Tage. 

Ich will ihn vorbereiten — führe dann 
Die Schwester ihm in seine Arme. Ja, 

Das Fest bereit ich dieser Nacht. Ich will 
Noch die Geschwister sich erkennen sehn. 

Soll ich den Manfred? — Nein, er ist zu wild, 

Er mahnt mich stäts an seiner Mutter Blut; 

Nur meinem sanften, zarten Enzius 
Darf ich solch zart Geheimniss anvertraun. 

(Er setzt sich an den Tisch und fängt an zu schreiben.) 

Nun, meine Roxelane, dieses Blatt 

Sagt dir dereinst, wie dich dein Vater liebte. 

Achte Szene. 

Enzius mit Truppen, über die Bühne ziehend. Nachher: 
Gherardo von Canale. Zuletzt: Marinus von Ebulo. 

Enzius. 

Der Feind bedrängt die Brücke der Fossalta! 

Sie woll’n den Fluss uns nehmen! Auf, Ihr Tapfern, 



— 198 — 


Beschützen wir das Lager unsres Kaisers! 

Seht da den Adler in den Lüften! Seht, der Aar 
Zeigt uns den Weg! Lasst uns dem Adler folgen! 

(Er geht mit den Truppen ab. Hinter der Szene 
Waffengeklirr und Schlachtlärm.) 

Nach einer Pause kommt: 

Gherardo von Canale (von der Seite, wo Enzius 
abgegangen). 

Von der andern Seite kommt: Marinus von Ebulo. 
Marinus. 

Sieh da, Herr Gherard von Canaille — nein 
Canale, wollt’ ich sagen! Woher? Wohin? 

1 Gherardo. 

Von König Enzius zum Prinzen Manfred! 

Der König sieht nicht vor sich bloss den Feind, 

Linksher ziehn duukelude Geschwader ihm 
In seinen Rücken, und Umzinglung fürchtet er, 

Drum soll der Prinz ihm rasch zu Hülfe kommen! 

M arinus. 

Nun denn macht fort und werbet Eure Botschaft! 

Ich bring ihm ausser mir nicht eine Seele; 

Die Wälschen sind mir sämmtlich fortgelaufen. 

Sobald die Trommel der Lombarden ging, 

War’8, als ob meinen Wälschen zu dem Tanz 
Werd’ aufgespielt. Sie hüpfen munter weg! 

Das Lager steht so leer, als wie ein Nest, 

Aus dem die Küchlein eben weggerannt! 

Gherardo. 

0 weh, so bricht ja unsre Schlacht zusammen! 

Marin ns. 

Im Gegentheil, ich denk, sie wird nun halten; 

Seht, mein Herr Gerhard, mit dem Häuflein Freunde, 



— 199 — 


Da sticht sich’s frisch und wacker; aber hab ich, 

So neben, hinter mir, allerhand Gesindel, 

Wird auch dem bravsten Mann ein wenig bang. 

Ich sag 1 Euch, Herr, wir sind noch viel zu stark; 

Und überzählig uoch um manchen Schelm. 

(Er geht nach der Seite ab, wohin Enzius gegangen.) 

Neunte Szene. 

Gherardo (allein). Nachher ein Ritter. Zuletzt Visconti. 

G he rardo. 

Der plumpe Bär! — Doch dieser Bär giebt mir 
Durch seine Nachricht guten Rath! — Die Schlacht 
Kann nicht gewonnen werden! Denn nun steht’s 
Wie Eins zu zehn! Drum will ich eiligst mich 
Zu meinen Landesleuten machen. Und 
Ich will beim Scheiden von des Kaisers Heer, 

Noch schaden, wie ich kann, und Misstraun säen, 

Und Spalt und Hader. Dann kann ich mich rühmen 
Bei den Lombarden! (ln die Szene sehend.) 

Halt! Kommt nicht ein Ritter 
Vom König hergeeilt? Er sucht mich, winkt mir! 

Ich will dir nicht entrinnen! — Diesem sag’ ich 
Was mir der kluge Geist so eben eingab! 

Der Ritter (tritt auf). 

Geschwind! Geschwind! Der König sendet mich, 

Die Feinde links sind uns ganz nahe schon! 

Wart Ihr beim Prinzen? 

G he rardo. 

Ach, mein guter Herr, 

Das ist ein Bruder! Gott sey Dank, dass es 
Nicht viele solcher Brüder giebt! 



— *200 — 


Ritter. 

Was wollt ihr damit sagen? 


0 Himmel, 


G herardo. 

, Guter Ritter! 

Der König mag nur für sich selber sorgen! 

Prinz Manfred weigert sich, ihm beizuspringen, 

Er sagt, er bleibe stehen, wo er stehe. 


Ritter. 

Gerechter Gott! Er weigert sich — Ihr seyd 
Wohl nicht bei Sinnen? 

G herardo. 

Kühl und nüchtern, Herr! 
Ihr kennt den Hass der beiden Brüder ja. 


Ri tte r. 

Ist es denn möglich? Gott! Der König ist verloren? 
(Nach der Seite des Euzius ab.) 

Gh erardo. 

So! Nun weiss Manfred nichts von Enzius Noth, 

Und eh’ sich Manfred rein’gen kann vom Fleck, 

Den ich ihm angeworfen, wird mein Gift 
Schon Wirkung tliun bei Enzius und dem Kaiser! 

Wie? Seh ich recht? Die Freunde ziehn heran 
Leis, wie ein Todtenzug! Entgegen ihnen! 

(Er geht nach der andern Seite. Von dieser Seite 
tritt Visconti mit Truppen auf.) 


Gherardo, du! 


Visconti. 


G herardo. 


Visconti, Euer Freund 

Visconti. 

Es thut mir leid um dich, mein Freund Gherardo, 

Ich muss dich aber niederstechen lassen! 



Was! 


— *201 — 


Gherardo. 


Visconti. 

Sieh, mein Freund, der Marsch hier dicht am Lager 
Des Kaisers durch, bringt uns nichts Minderes, 

Als König Enzius ein! Missglückt er aber, sind 
Wir allesammt verloren, drum, mein Freund, 

Drnm musst du sterben, dass du nicht den Marsch 
In Kaisers Lager meldest. Führt ihn fort! 

Ich mag ihn doch nicht sterben sehn! 

Gherardo. 

Ich schwöre, 

Ich bin der Eure, und verrathe nichts! 

Visconti. 

S’kann seyn, du schweigst, s'kann seyn, du schweigest nicht, 
Doch wenn du todt bist, schweigst du ganz gewiss! 

G herardo. 

Nehmt mich gefangen, schlagt in Fesseln mich! 

Visconti. 

Sichrer ist sicher! Macht mit ihm ein Ende! 

(Gherardo wird von Einigen abgeführt.) 

Nun, sacht den Hohlweg durch, der uns verbirgt 
Den Ghibellinen! Seht Ihr dort den Staub? 

Dort schlägt sich Enzius mit dem Kardiual! 

Wir greifen ihn von hinten an, und fangen 
In ihm der Hohenstaufen junge Hoffnung, 

Des Kaisers Stütze! Und der Tag ist unser! 

(Alle ab, nach der Seite, wo Enzius abgegangeu. Die 
Buhne bleibt eine Zeitlang leer. Dann hört man hinter 
der Szene ein lauthallendes Geschrey, und sodann einen 
Tusch von kriegerischen Instrumenten.) 



— 202 


[Aus der Fassung B.] 

Zweiter Aufzug. 

Ein Zimmer in einer Abtey unweit Pisa. 

Erster Auftritt. 

Gherardo von Canale tritt ein und will schnell über die 
Bühne gehen. Visconti folgt ihm. 

Gherardo. 

Lasst mich! Was folgt Ihr mir? Ich hab nicht Zeit! 

Visconti. 

Ich werd’ Euch zwingen, Zeit für mich zu haben. 

Ihr fliegt wie eine Fledermaus vom Kaiser 
Zu den Lombarden und von uns zu ihm! 

Ich halte Euch am Flügel; mich gelüstet 
Euch näher in das Angesicht zu schaun. 

G herardo. 

Was wollt Ihr nur? 

Visconti. 

Wer hat uns herbeschieden? 
Gherardo. 

Nun, ich! Auf das Geheiss des Kardinals. 

V iscouti. 

Des Kardinals, der uns nicht sprechen will? 

Wir kommen an, wir wollen unsern Arm. 

Die Städte wollen ihren Beistand leihn 
Der hartbedrängten Kirche; Was geschieht? 

Der Kardinal ist für uns unsichtbar, 

Mit leeren Worten, eitlem Vorwand hält 
Man uns von seines Zimmers Schwelle ab. 

Wie? Spricht man nicht mit Freunden? Herr, was ist das' 



— 203 — 


Gherardo. 

Ihr sagt, der Kardinal sey unsichtbar? 

Visconti. 

So! Stellt Euch nur verwundert, lieber Herr! 

G h erardo. 

Ich will des Todes sterben, weiss ich, Herr, 

Warum der Kardinal sich Euch verläugnet. 

Ich treffe eben erst von Pisa ein 
Und wollte mich zur Eminenz verfügen, 

Um auch zu hören, wie die Sachen stehn. 

Euch nicht zu sprechen! Seltsam und bedenklich! 
Ihr könnt mir glauben auf mein Wort, Visconti, 
Eur Zweifel, Eure Unruh steckt mich an! 

(Der Teufel trau’ dem Teufel!) 

Zweiter Auftritt. 

Ugone (kommt). Vorige. 

Ugone. 

Nun, wie ist’s, hat er bekannt! 

Visconti. 

Er sagt, dass er nichts wisse. 

Gherardo. 

Ich dringe drauf, zum Kardinal zu gehn. 

Er soll sich Euch, er soll sich mir erklären. 

Ugone. 

Kommt! — Und bei Gott, thut er nicht willig auf. 
Lass ich die Thüre öffnen mit der Axt. 

Es geht was vor, was man uns bergen will. 

Ich hört’ ihn heftig reden mit sich selber. 

Und eben trabte der Ambrosius 

Mit einem Pack Scripturen in den Hof! 



— 204 — 


Wir wollen doch den Herrn ins Pochbrett sehn. 

Damit wir nicht zuletzt den Satz bezahlen. 

(Sie gehu ab.) 

Dritter Auftritt. 

Ein andres Zimmer in der Abtev. 

W 

Der Kardinal. Kapellan Ambrosius (mit mehreren 
Briefen iu der Hand). 

Ambrosius (dem Kardinal nach und nach die 

Briefe, während er spricht, überreichend). 

Mit guter Frucht kehr ich von meiner Wandrung; 
Hier Hülfe von Verona — hier von Padua! 

Mit dieser Schrift verschreibt sich Lodi uns! 

Aus Bergamo die W T elfen schreiben diess — 

Die Briefe sind von Mantua, Piacenza! 

,, Kardinal. 

Und hier verweilen Abgeordnete 

Von Mailand und Bologna. Parma nickt 

Uns durch Gherardo von Canale zu. 

So sind die Städte unser. Unser ist 
Die Lombardey. 

Ambrosius. 

Vergebt mir, Eminenz, 

Nun eine dreiste Frage. Warum rief 
Der Bote mich auf halbem V T ege um? 

Wesshalb soll ich zum heiUgen Vater nicht? 

K ardinal. 

Weil — 

(Er legt ihm die Hand auf die Schulter.) 

Höre Freund, du bist mein treuster Diener. 

Ich mag dich nicht mit solchen W'orteu täuschen, 

Wie gegen audre ich sie brauchen muss. 

Doch forsche nicht. Hier waltet ein Geheimniss. 


i 



— 205 — 


Frag nicht danach. Geheimer Dinge Wissen 
Macht selten froh. Du kannst hier Nutzen stiften, 
Nicht aber nutzest du uns jetzt zu Rom. 

Nun, daran halte dich! 

Ambrosius. 

Ihr seid der Kopf, 

Ich bin der Arm. Ihr sinnt zu Gottes Ehre, 

Der Arm führt aus, was ihm der Kopf ersonnen, 
Und war ein schlechter Arm, wollt’ er aufs Grübeln 
Sich legen! Herr, entschuldigt meine Frage. 

Kardinal. 

Schon gut. — Jetzt mein Ambrosius, verfüge 
Dich in des Kaisers Haus, und in sein Lager. 

Hier hast du eine Liste derer, die 
Soviel ich weiss, nicht allzu fest an ihm 
Und seiner Sache hangen. 

(Er giebt ihm ein Papier.) 

Ihre Treue 

Hängt wie ein Mantel, los’ um ihre Schultern. 

Es kommt mir darauf au, sie hier zu sprechen. 

Du musst’s bewirken; aber so, Ambrosius, 

Dass jeder kommt auf eigene Gefahr; 

Ambrosius. 

Lasst mich nur machen. Euch misch ich nicht ein. 
Ich werde Zettel, mit verstellter Hand 
Geschrieben, ohne Unterschrift, der Fassung: 

„Zu Sanct Sebastian giebt’s Neuigkeiten. 

Wer sie vernehmen will, der gehe hin!“ 

In ihre Hände spielen. Eminenz, 

Sie kommen Alle, die die Zettel finden. 

Verlasst Euch drauf! Es bleibt kein Einz'ger aus. 
Die Neugier ist ein mächtig Ding im Menschen. 



206 — 


Kardinal. 

Nun, rieht’ es aus nach Deiner Klugheit, Lieber! 

Ambrosius. 

0 säh ieh Eure Stirn nur sorgenfrey! 

Eur Antlitz, Herr, giebt ein bedenklich Zeugniss 
Von Seelensturm und Unruh. 

K ardinal. 

Meinst Du? Nicht doch! 
Der Antheil sieht die Dinge schwärzer stäts 
Als wie sie sind. Ich bin ein wenig unpass, 

Das ist das Ganze. Meine Seel’ ist heiter. 

Ambrosius. 

Nun, gebe Gott, dass ich die Wahrheit hörte. 

Denn Ihr seid Uuser Aller Schirm und Schutz, (ab.) 

Zwölfter Auftritt. 

Ein grosser Saal in der Abtey unweit Pisa. 
Visconti, Ugone. Gherardo von Canale. Viele Ritter und 
Edle von des Kaisers Gefolge. Alle diese Personen stehn 
in einem Halbkreise um den Kardinal und den Kapellan 
Ambrosius, die in der Mitte stehn. 

Kardinal. 

So hab ich Euch denn wie in einem Spiegel 
Das Elend und die Schande sehen lassen, 

In deren Fesseln Ihr verathmend liegt. 

Wer dem Tyrannen dienet, ist ein Knecht, 

Zu Knechten seid Ihr worden, edle Männer! 

Den freien Willen habt Ihr eingebüsst, 

Des Mannes schönsten Schmuck! Wohin der Wind 

Der Kaiserlichen Laune weht, dahin 

Müsst Ihr, die Knechte, gleich den Federn fliegen. 



— 207 — 


Ein Ritter. 

Pfui Teufel! Federn wie? Bin ich ’ne Feder? 

Ein anderer. 

Und doch ist’s wahr. Der Kardinal hat Recht! 
Der Kaiser macht mit uns, was ihm beliebt. 

Man hat nicht Zeit mehr zu den eignen Sachen. 
Ich hab’ seit sieben Jahren eine Fehde 
Mit meinem Nachbar auszumachen. Komm’ ich 
Denn wohl dazu? Bewahre Gott! Der Kaiser 
Braucht meinen Arm, als hab er ihn gepachtet! 

Visconti. 

Wir, Knechte? Knechte wir! Das freie Mailand! 

ügone. 

Bolognas Stolz in Fesseln! Ha der Schande! 

Kardinal (zu Gherardo). 

Und Ihr sagt nichts, Gherardo von Canale? 

Gherardo. 

Ew. Eminenz, ich denk’ mir desto mehr. 

Ugone. 

Wir wollen frey seyn! 

Visconti. 

Frey, wie unsre Väter! 
Ritter. 

Wir alle dürsten Freiheit! 

Alle Ritter. 

Freiheit! Freiheit! 

Kardinal. 

Die Kirche hat für Euch den Schatz der Freiheit 
Sie, die nichts weiter will, als leis’ und sanft 
Der Menschen Noth entwirren; braucht sie wohl 



— 208 


Unruhig nach der äussern Macht zu streben? 

Sie, deren Regiment vom Himmel stammt. 

Braucht sie zum Schemel ihrer Grösse wohl 
Die Sklaverey der Menschen? — braucht sie mehr. 
Sie, die schon Alles hat? — Weil sie nichts braucht, 
Lässt sie Euch gern nach freier Willkühr leben, 

Die gute Mutter ist sie, die den Kindern 
Nur giebt, und nichts von ihnen ruckbegehrt! 

Gherardo (leise bei Seite). 

(Beisst an Ihr Fisch’, am Hainen ist der Köder!) 

Kardinal. f 

Wer steht noch länger bei dem argen Ketzer? 

Wer schändet seinen eignen Glauben durch 
Fluchwürdige Gemeinschaft mit der Pest 
Des Atheismus und der Blasphemie? 

Ha, Eure Väter, deren Arm’ erlahmten 

Von häuf gen Streichen auf der Heiden Köpfe 

Die in der Turcomauen Säbel sich 

Mit zorniger Begeist’rung stürzten, um 

Ihr fromm Gebet am heil’gen Grab zu sprechen, 

Sie rasseln in den Gräbern; regen schaurig 

In Wehmuth über Euch 

Die müden, ruhbedürftigen Gebeiue. 

Audächt'ger Väter irrgeführte Söhne, 

Wer kennt das Unglück und wer flieht es nicht? 

Ein schlauer Zauberer hat Euch verleitet; 

Von grüner Weide lockt er Euch hinweg, 
ln eine Wüste, wo er das Panier 
Des Mahomet gepflanzt! Um dieses will 
Der Antichrist Euch tückisch dann versammeln. 

Erster Ritter (zu Ambrosius). 

Nein, sagt, ist's wahr, was Ihr vorhin erzähltet, 



— 209 — 

Der Kaiser wollte wirklich, offenbar 
Zum Heidenthume übergehn? 

Ambrosius. 

Ihr zweifelt? 

Nachdem Ihr wisst, dass er die eigne Tochter 
Im falschen Glauben auferziehen lassen? 

Erster Ritter. 

Es ist doch zu abscheulich! Tod und Teufel! 

Uns in den Kaftan stecken wollen! Uns! 

Zweiter Ritter. 

'•i.i dürfen wir auch keinen Wein mehr trinken! 

Visconti. 

Uns setzt er einen Emir in die Stadt.! 

Ugo ne. 

Und nimmt aus unseru Töchtern sich ein Harem. 

Kardinal (zu Gherardo von Canale). 
Sagt Ihr denn nichts, Gherardo von Canale? 

Gherardo. 

Wenn andre reden, schweigt Gherardo still. 

Kardinal (bei Seite). 

(Der Stumme ist, ich fürchte, mir gefährlich.) 

Erster Ritter. 

Hier sag’ ich meine Treu dem Kaiser ab, 

Wer Gott das Wort gebrochen, kann nicht fordern. 
Dass ihm von Menschen Wort gehalten werde! 

Zweiter Ritter. 

Ich mag von seinem Mahomet nichts wissen! 

Er ist mein Herr nicht mehr. 

(zu den andern Rittern). 

Wie ist’s mit Euch? 


Deetjen. Iiimtcrnnmns „Kaiser Friedrich der Zweite“. 


14 



Wir folgen Euch! 


Alle Ritter. 


Ugou e. 

Bologna schwört den alten Schwur des Hasses 
Von diesem Tage wieder! 

Visconti. 

Mehr als Bologna schwört zu hassen Mailand! 

K ardinal. 

So recht! So schön! Jetzt wacht ein edler (leist. 

Ein heil’ger Zorn in Euren Adern auf! 

Nun kommt! Ihr sollt zu allem Ueberfluss 
Euch für Sanct Peters Dienst sofort verschreiben; 

Um in dem Dienste die ersehnte Freiheit, 

Des alten Glaubens Reinheit zu gewinnen. 

Erster Ritter. 

Schreibt, was Ihr wollt, wir unterschreiben’s, kommt! 

Gherardo. 

Halt, meine Freunde! 

Kardin al. 

(Schweig Gherardo, willst du 
Mein Werk vernichten!) 

G herardo. 

Eminenz erlaubt, 

Da ich hier mit zur Stelle bin, so möcht ich 

Doch auch mein Wörtlein sagen. — Wie mich dünkt. 

Ist hier noch nichts verhandelt, was wir nicht 

Schon längst gewusst! — Dass ein Tyrann der Kaiser, 

Dass zu verruchter Götzendienerey 

Sein Herz sich neigt — das sind so alte Dinge, 

Wie unser Hass uud unser Abscheu. Liebe 
Zum Kaiser, denk ich, führte die Lombarden 
Und alle diese Ritter nicht hieher. 

Die Frag ist nur: Erschien der Augenblick 



- *211 — 

Für uns, zu handeln? Dürft Ihr unsre Namen 
Hinstellen in die Zielbahn seines Zorns, 

Nackt, unbeschfitzt? Was treibt Euch, Eminenz? 

Ihr sevd — vergebt — ein Abgesandter nur; 

Der Pabst ist unser Führer, unser Haupt! 

Sagt: Er ist frey; er banut und ächtet Friedrich, 

Er predigt Krieg — und seid versichert, ich 
Will nicht der Letzte seyn, das Schwert zu blossen. 
Vorher jedoch — erwägt es wohl ihr Freunde, 

Fehlt, wie es scheint, der Kopf dem Unternehmen. 

Visconti. 

Ei freilich! Freilich! Das auch zu vergessen! 

Ugo ne. 

Entbrennt mein Zorn, läuft meine Klugheit fort. 

Erster Ritter. 

Herr Kardinal, wie steht’s? Lang fackeln gilt nicht. 
Was sagt Ihr auf den klugen Spruch des Weisen? 

K ardinal. 

(O Muth der Tollkühnheit, dass ich dich hätte! 

Dass mein Verstand doch einmal schweigen möchte! 

Soll ich die Bull’ entfalten? — HölF und Himmel, 

Und wenn er nachgiebt — wenn —) 

Dreizehnter Auftritt. 

Ein Diener tritt auf. Nachher: Thaddaeus von Suessa. 

Vorige. 

Diener. 

Herr Kardinal, 

Des Kaisers Kanzler kommt zur Unterredung! 

Kardinal. 

O weh, auch das noch! Jetzt! 


14* 



9W_ 

wiij 


Viele Ritter. Ugone. Visconti. 

Ha! Was? Der Kanzler! 

Ein Ritter. 

Wir sind verkauft! 

Ein anderer. 

Verratheu an den Kaiser! 

V i s conti. 

Gottlob! Dass sich die Eist bei Zeiten aufdeckt. 

U g o n e. 

Was thun wir jetzt? 

Gherardo. 

Ich gehe! Denn gefährlich 
Ist's, von dem Kanzler hier sich blicken lassen! 

(Er geht). 

Viele Ritter. 

Kommt, gehen wir! 

Andre. 

Den Tod erst dem Verrät her! 
(Alles drängt in tumultuarischer Bewegung auf den 

Kardinal ein.) 

Kardinal. 

Halt! Einen Augenblick verweilt noch! Stosst 
Dann Eure Schwerter, Eure Dolch’ in diesen 
Des Daseyns längst schon uberdrüss'gen Busen! 

Nur einen Augenblick! — Ihr hört sogleich, 

Ob ich Euch trug! Ich will nicht länger leben. 

Wenn ich Euch nicht, von hier ins Feld der Schlacht 
Dem Hohenstaufen darf entgegenführen. 

(Thaddaeus von Suessa tritt ein.) 

Der Kaiser sendet! Hat er sich bedacht 
Auf einen bessern Sinn? Küsst er die Hand 



21.3 — 


Des Vaters, der ihn segnen kann und strafen? 
Krkennt er seinen Oberherrn in ihm? 

Will er des Herrn und Vaters Gnade preisen, 

Wenn sie die Krön’ als sein gefallnes Lehen 
Ihm wieder neu verleiht? Will er’s? Wollt Ihr 
Auf diese Punct’ in Kaisers Namen handeln? 

(0 Seligkeit! Ich geb’ dich für das nein!) 

Thadd aeus. 

Was sagst du mir? Von Stolz entbrannter Priester? 
Du hast mit meinem Herren selbst gesprochen, 
Vernahmst du da nicht sein gewichtig Wort? 

Nach diesem Worte nur soll ich mich richten! 

Kardinal. 

Kr trotzt? — Kr trotzt! — Triumph! — — 

(zu Ambrosius) 

Lass alle Kirchen 

Mit grünen Maien schmücken, die Altäre 
Mit golddurchblitztem Purpursammt bekleulen! 

(zu Thaddaeus) 

Unglücklicher! —- Ihr wagt es, uns zu trotzen? — 
Den Trotz zerschmettre diese Waffe! 

(Er nimmt die Bulle aus der Cassette.) 

K ardinal. 

Lest! 

Thaddaeus (hat gelesen). 

0 Himmel! Innozenz ist in Lyon! 

Alle. 

Was!? 

Kardinal (zur Versammlung). 

In Lyon! Gerettet ist das Haupt 
Und hat sein Amt verwaltet. Leset weiter! 



- *214 


Thad da eil 8. 

Weh mir! 0 Gott! 0 meine schwarze Ahuung! 

— Der Kaiser ist im Bann und abgesetzt! — — 

(Kr lasst die Bulle fallen und bedeckt schmerzvoll 
sein Gesicht mit den Händen). 

Kardinal (zur Versammlung). 

Da das sein Kanzler sagt, so muss es wahr seyn. 

Glaubt Ihr jetzt unserin Ernst? 

(Ein Gemurmel in der Versammlung. Visconti tritt vor.) 

Visconti. 

Warum habt Ihr 

Das uns nicht gleich eröffnet, aller Hader 
War' dann gespart. Schickt uns, wohin Ihr wollt. 

Kardinal (zu Thaddaeus). 

Ich dank, Herr Kanzler, Kur Geschäft ist aus. 

Auf Wiedersehen im Gefild der Schlacht! 

Thaddaeus. 

Auf Wiedersehn vor Gottes Tribunal! 

Es kommt der Tag, es kommt die Stunde, Priester, 

Wo du um deine Listen jammernd, dich 
Verwünschest! Lächle nicht! Du wirst einst heulen! 

(zu den Lombarden und den Rittern.) 

Euch sag ich nichts. Denn meines Kaisers Würde 
Muss ich in diesem Unfall auch bewahren. 

Verachtend .dreh’ ich Euch den Rücken, wie 

Er’s thäte, ständ’ er hier. — Zum Kaiser geh’ ich, 

Er ist noch reicher, als Ihr wähnt, er hat 
Noch Freunde, die mit ihm zu sterben brennen. 

(Thaddaeus geht mit verhülltem Haupte ab.) 

Kardinal. 

So sterbt mit ihm! Nun, Freund’, es gilt die Schlacht! 
Bi echt auf! An der Fossalta sammeln wir 


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— 215 — 


Die Kräfte unsres Heeres! Dahin zieht! 

(Alle bis auf Ambrosius ab.) 

Du, mein Ambrosius, nimm Abschrift dir 
Von diesem wunderthät’gen Pergament! 

(Ambrosius nimmt die Bulle auf.) 

Bring sie zum Erzbischöfe von Palermo, 

Dass er ihr Folge in Apulien schaffe, 

Er ist ein harter Kopf voll seltner Grillen 
Doch hoff ich, dass er sich uns diessmal füge. 

Von zweien Feuern, denk’ ich, wird doch wohl 
Den Kaiser eins verzehren! — Haste dich! 

Schickt mir sechs Reisige! 

(Ambrosius ab.) 

Die Sache ist im Gang! Jetzt bin ich sicher, 

Ich habe übermorgen Zwanzigtausend 
An der Fossalta Strand, die darauf schwören, 

Dass sie den Himmel erben, wenn sie speisen 
Ihr Schwert mit dieser Hohenstaufen Fleisch. 

0 Welt der Narren und der Knechte! Nun, 

Gott schuf den Narren, dass er dem Klugen nütze, 
Gott schuf den Knecht, dass ihn sein Herr besitze. 

(Er geht ab.) 






Nachtrag zu S. 23, Anra,, und S. IG, Aum. 

Adolf Freys Aufsatz über Conrad Ferdinand Meyers „Petrus 
Vinea“ (Deutsche Rundschau, Februarheft 1901), in welchem erden 
Inhalt jedes der fünf Akte angiebt, und ein Stuck von II, 1 sowie 
zwei verschiedene Anfänge der geplanten Novelle gleichen Titels 
veröffentlicht, ging mir leider zu spät zu. Dasselbe gilt von: Brunn, 
Königssohn und Rebell (Drama aus der Hohenstaufenzeit) Berlin 1&#7. 







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